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Full text of "Nord Und Sued 1900 Bd 095"

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2torb uttb Süb. 


(Eine beutfcfye ttlonatsfdjrif i 


t}erausgeget>en 


roit 

paul Ctnfcau* 


5 ünfunbncun 3 ig|tcr Banb. 

mit b*n portraits oott: 

Clara Cf djnbi, <S5e n tralf elb marf dja H ®raf ZDalberfce, Hicfyarb ZHutlirr. 



55 r egt au 

Sdjlefifcfye Bn^brntferet, Kunjt« nnb Dertags^Jlnfialt 
p. 5 . Sdfottlaenber. 



3 nf?alt bes 95. Banbes. 

®ttoöEt — jgabemfiEr — ^ECEmfiEt. 

1900. 

** 

Scftr 

5. Baring©oulb in £eu> Crendjarb (H. Deuon). 

Pie beiden fjammetts. Erjäfjlung \20 

Itoolf Sauer in ©raj. 

Delos unb (Ottos. (Eine antife nnb eine moberne tüallfahrtfiätte in 

(Sriechentanb 340 

Karl Blinb in Conbon. 

Dr. Elarf, ber angebliche £anbesoerräther. perfänliche Erinnerungen. 252 

€ri dj Bofpt in Breslau* 

Ein bentfcfyes nTebium. Beiträge 3 ur Pfydjologie ber lUebien nnb 

Spiritiften *99 

3 ulia K. Bautet. 

< 8 ebid}te. Deutfeh oon Elifabeth £anbmann in Breslau U 2 

f). ^ranf in pernau (Cfolanb). 

Silhouetten aus bem Seelenleben 320 

Dagobert uon ©erfjarb’ümYntor in Potsbam. 

Das IDelträthfel 333 

3 ulius X. Jjaarljaus in Ceipjig. 

Fährmann (Tob 402. 

3 - Zfutten in Ciljtt. 

ttunftlerfeele 385 

DTaria 3 an üfc^ef in 5 r k& eiiau bei Berlin. 

0lympier. tlooelle ^ *39 

Cuftau 3^9 cr * n Berlin. 

Snlamith. Eine biblifche Hooelle 258 

Kbolpfy Kofyut in Sübenbe bei Berlin. 

Elara (Efchubi. Eine Fritifche Stubie 

Subolf Krauf in Stuttgart. 

Schubart unb feine Codier tHit ungebrudten Briefen unb 

Derfen. ao 



^ cs 95. Banbes. 

fjans £inbau in Conftanlinopel. 5ei!e 

2ttbert HofffyacF. proben unb 2tnmerfungen 

Stanislaus £ucas in Breslau. 

Die Koldjierin. <£ulturbilb aus bem Kaufafus 277 

€. Bleuer! in £)ilbburghaufen. 

(Sötterbammerung 2<*o 

$x. von £>ppeln*Bronifott>sfi in Berlin. 

^riebrid} Ztietjfdje als (Theologe unb 2Xntirfjrifl 62 

Kobert Petfdj in XDürjburg. 

(Eräd^lungen ber Suaheli 2 <K 

Paul Kiefenfelb in Breslau. 

Hidjarb mutfyer 3^ 

fjans Sd)mibfunj in Berlin*£)alenfee. 

2 lus ber 5eelengefdjidjte ber 3 ugenb 369 

illfreb Semerau in Cljarlottenburg. 

rrtoitfe 28 

üalesca (Tomascjetnsfi in Breslau. 

3 m (Dflen ^oo 

Karl XDalcfer in £eipjig. 

Pie IDeltmädjte unb bie tPeltf praßen *92 

21 . IDillmersboerffer in £onbon. 

3 ot^n Busfin 93 

3 oljanna IDolff in Hamburg. 

IV etter leuchten. Dem Bnbenfen tlietjfdjes 72 

(Bebfyarb <gernin m Darmftabt. 

(Seneralfelbmarfdjafl < 5 raf IDalberfee. (Eine £ebensffi 33 e *7<* 

Bibliographie 129 268 <*08 

Btbliograptyfdjc Hotten \33 272 <H9 

Ueberftdjt ber nndjtigjten SeitfdjriftemHuifäöe oon (Ernfi It>cilanb*£iibecf \56 27<* ^20 


IHtt ben Portraits ron: 

<£lara (Efdjubi, (Sencralfelbmarfdjall (ßraf IDalberfee, Bidjarb Hlu tfjer, rabirt 
ron 3ot?ann £inbner in münden. 





2Torö mb 3iib. 


(Eine ö e u t f dj e ZTTortatsfcfyrift. 


fjetausgegebeti 

ron 

Paul £irtfcau. 


XCV. 8anb. — ©do&er (900* — Ejeft 283. 

(mit einem Portrait in Habirtmg : Clara Cfd?ubi.) 



25 r I a u 

Sc^Ieflf^e Sudjbtttrfetei, Kunji« oitb Deslags-ZIitjialt 
t>. 5. 5d?ottlaenber. 





(Olympier. 

Hopelle. 

Don 

jitatia 3!anftfdjefe. 

— ^riebenau b. Beil in. — 

i. 

il ©u nur roieber ßier bift! gcß fann ©ir nicßt fagen, roie 
feßr icß mich na<ß ©ir gefeint habe- @<ßon roäßrenb uttferer 
italienifdßen SRctfe. ®u Ijaft rnieß gewiß nid^t oermißt." 

„fteine ©put, Keiner 9lotßfopf. 2t6er laß’ tni<ß mal tos, bamit icß 
mich umfeßen fann. GS ifi jutn SReibifißroerben bei Gucß! 3ft bie Gi n* 
rießtung ©eines fDtanneS ©efeßmaef?" 

„2?or Mein feß ©icß, bamit icß rote früher meinen Kopf an ©eine 
Schulter lehnen fann. ©o, unb nun roiH i<f> ©ir antworten. $a, eS ift 
ganj fein ©efeßmad. Gr hat ju jebem einjelnen ©tüct bie Zeichnungen 
entworfen, MeS naeß feinen planen georbnet. SUetrien Eltern gefällt 
unfere Sßoßnung, befonberS biefer GmpfangSraum nid^t. fbtama meint, 
nilgtüne ©eibentapeten paßten nicht in baS 3' mm er einer uerßeiratßeten 
5rau. Unb ber roeiße ©eppieß roäre oollenbs bie Slusgeburt eines über* 
fpannten ©eßirnS." 

„®aS fann i<ß nießt finben. ®ie feßtanfen föoljmöbel, bie bilberlofen 
3Bänbe, nur mit ben paar ©cßilfbünbeln roie ßingeßaueßt auf bie ©eibe, 
ber riefelnbe SBrunnen unter ben Darren, biefe überwölbten Gcffiße unb 
Sßinfelcßen, aus all bem fprießt ein feiner ©efeßmaef, Harmonie — " 

„Harmonie, ja, baS ift fein SieblingSroort." 

„Unb ©u, Heine ftnge, in ©einem fpinnroebfeinen ßteib, auf bem 
grüner ©lanj rußt." 

„Er will muß nur in grün ober in roeiß feßen, unb feine ©eibe ift 
ißm fein genug. Gr fagt, er befäme ©eßmerjen in ben Ringern, roenn 

1* 




2 ITtaria in ^ttcbenan bei Berlin. 

er uneble «Stoffe berührt, aber füfjeS Sieb, nun reben wir non 5Dir. 2Bo 
warft ®u baS ganje 3 n br ^inburdfi, tnann bift ®u jurücfgefefirt, wie 
ge&fs ®it?" 

„£>rei fragen auf einmal. ®u weift, ich bin furj unb bünbig. 3<h 
mar in SabewBaben, ®u weift eS ja übrigens, gefommen bin ich oor* 
geftern, unb geben tbut’S mir gut." 

„®u baft ®i<h fe^r erfjott. 3ngeS biaue äugen überftogen prüfenb 
bie greunbin. „Stach deines BaterS £ob . faFjft ®u eienb aus. 3e&t bifi 
®u roieber bie Sitte, baS beifit bie Schöne, Stolje, ju ber mir Stile empor* 
faben. Unb Jräulein Urfuta Sieblidj, Seines Kaufes Borftanb unb 
Schaffnerin?" 

„®ie wirb prächtig. Sträubt fi<b gegen baS aitroerben unb färbt 
fid) bie &aare." 

3nge legte bie £änbe an bie ergtübenben SBangen. 

Bertha abnte etwas unb lächelte. „SßeSbalb bift ®u nertegen, fie 
tbun’S ja Stile, wenn auch 3ebe aus nerfdjiebenen ©rünben." 

„Gr fchwärmt fo für eine beftimmte garbenniiance. ®u tbäteft eS 
auch, wenn ®u — aber ®u ftebft eben über allen biefen ftleinlidj* 
leiten." 

„Sieb’ nid)t fo niet non meiner Grbabenbeit, ich fomme mir fcbon 
alt genug nor." 

„®u alt?" 

„22o ift Dein SDtann? arbeitet er noch um biefe Stunbe? 3$ 
möchte ibn fennen lernen. 3«h fenne itjn nur non Begegnungen auf ber 
Strafe ber* ©efprocben habe ich ib” nie." 

3nge fpiette nertegen mit bem langen Seibenbaitb, baS ihre Taille 
abfcbtofj. 

„6r roirb eS febr bebauem." 

„arbeitet er noch?" 

„Sie in, um biefe $eit rubt er, er fdjläft nicht, aber er Ijat’S nicht 
gerne, wenn man ihn ftört. UebrigenS weift Du, ich jeig’ Dir einftroeilen 
bie SBobnung, um fünf Ubr pflegt er ju ftingetn, bann nehmen mir 
unferen Dbee." 

Sie bticfte auf bie winjige Ubr an ihrem ©ürtel. „Stoch eine 
Biertelftunbe." 

„2BaS ift aus bem Keinen «erwähnten SJtäbet geworben! SBenn ich 
benfe : früher! ßam man um jwölf Ubr ÜDtittagS, fo fonnte man freier 
fein, baff fie noch fctjtief, ober fie ftanb eben auf ber Schwelte beS Babe* 
jimmerS, bie Soden noch feucht — bamals waren fie blonber — " 

„Bertbi, fei groftnütbig!" 3nge umfchlang fie lachenb. 

„Gr hält Dich gut in $U(ht." 

„Sich, ich bof»’ ihn fo lieb! . . . aber fieb’ mal! $ier ift unfer 
SHufifsimmer." Sie fchlug einen Dbüroorbang juriid. 



©lympier. 


3 


„8(äulidjer ißurpur. ©ine Drgel. 3 K) ^ glügel, Beinahe ijätte idj 
einen f$led>ten SBib gemalt. 2llte Zeitige, mit aSEetifcben köpfen auf ben 
genfterfcfeeiben, ja unleugbar, Sein Rafael ift ein Dichter." 

,,©ag’ ihm bas nicht, er will nur SBaunteifter fein." 

„£at er fdjon oiel gebaut?" 

Die plöfclidie grage oerwirrte 3nge. 

,,©r arbeitet an oerfdjiebenen ©ntwürfen. Diefe Dbüre f)ier führt 
in» ©peifejimmer. Die Dapete hier gefällt ihm nicht. @t meint, fie I>abe 
nadjgebunfelt. Diefe &eemS bat er burdj einen Antiquar au« Belgien 
bezogen." 

„SBejogen!" hertba tacf)te. „9ta tafe mi<b bod). Unb biefer ©aal? 
Die Sibtiotbef, richtig, 2Bie fdjön!" 

Die testen ©trabten ber atadjmittagSfonne fielen auf bie hoben reid;= 
befefeten hüdjerregate. 2tn ber einen freien 2ßanb fjing ein gefreujigter 
©brifiuS, ber roobl einet ber beften itatienifcben ^otjbitbriauerfdjuten ber 
SRenaiffancejeit entftammen mochte. Sh m gegenüber fenfte ein fdimalet 
ipfpcbetopf ftnnenb bie 3lugen. 

©in leifeS ©eräufeh. Singe jucfte jufammen unb fafjte SSertbaS fjanb. 
Stuf ber ©chweHe feines 2lrbeitS}immerS, bas nach ber Sibtiotbef ging, 
fianb SRafaet gumfen. @in tanger fdjwarjiammtener 9tod nach 2lrt ber 
Silbbawerfittel fiel ibm bis auf bie Werfen betab. Das ©ejtdjt verblüffte 
im erjien Slugenblid bur<b ftrenge gormenfd)önbeit unb Feinheit ber 
Sinien. 

©in paar füfjte graue 2lugen richteten [ich fragenb auf bie beiben 
grauen. 

„a3ertfea non gtfen, bie Siebe, non ber idj Dir fdjon erjäblt b abe." 

©r berührte ihre fjanb mit ben ©pifcen feiner langen fdüanfett ginger. 

„©S freut mich- Dreten @ie ein." 

©ie folgten ihm in fein StrbeitSjimmer. Sertba btidte befangen in 
baS mpfUfcbe SHolett, in beffen garbe ber hohe weite 9taum fdjroamm. 
2Bie butch einen ©cbleier erblidte fte Difdje mit papieren bebedt, hohe, 
bunfte, fdjmale 3Jtöbel, einige S3ronjebüften, unb ben Sichtjauber, ber ben 
non aiieijierfeanb bemalten genfterfcfeeiben entftrömte. 

Snge hott« fie neben ficb auf eine ©feaifelongue gesogen, er liefe liefe 
in feinen Slrmfeffel nieber. 

„©ie waren oerreift?" er fpracfe Iangfam, ein wenig gelünftett. 

„ga, i<b war fort. SRein 5ßater ift im Sßinter geftorben, unb ba litt 
es mid) nicht babeim. Die trüben fonnenlofen Dage liefeen micfe meine 
SBerlaffenbeit boppelt entpftnben. 3$ balle ihn febr lieb gehabt." 

„®aben=33aben ift ein berubigenber 2lufentfeatt. SBerben ©ie wieber 
Sbre ©efangftunben einricfeten?" 

„3<h weife nicfet, oiettekfet, vielleicht auch nicht." 

„SBertfea giebt fie nur ju ihrem Vergnügen, nicht aus 9lotfewenbigfeit." 



^ IHaria 3 at ”tfd?cf in ^nebenan bet Berlin. 

©in ©hatten ging über feine trauen. ®ie junge grau errötbete, 
©ie glaubte irgenb eine Ungefcbidlicbfeit begangen $u buben. 

„58iettei<bt finben ©ie ben 2Beg ju einer anberen Äunft. $)ie SWujtf 
ift eine für Barbaren, für Sinber." 

„®aS fagen ©ie, ber ibr biefen frönen ©aal nebenan geweiht bat." 
,,3cf) betreibe fie nur als 3 e tt»ertreib, nicht als Seruf, baS ift ein 
grofjer Unterfdbieb. gn ber Gultur fortgefcbrittene 3Jtenf<ben werben einft 
über ben hoben 9tang ladjen, ben wir ibr eingeräumt haben." 

„3<b fenne feine Sun ft, bie fo unmittelbar roirfte." 

„5Biettei<bt auf bie nieberfien ©inne. ©ie fduneidjelt, betbört, fie 
giebt aber nichts." 

Sr fuhr fidb mit ber weiten fcblanfen &anb burcb baS fträbnige 23tonb= 
baar. „Unb tot füttern: ©ie entbehrt jebeS ©ignen. gaft jeber Somponift 
macht Sünleben bei feinem fDieifter." 

„geh glaube, was biefen fßunft betrifft, wirb wohl jebe Äunft mehr 
ober minber abhängig fein. $o<b waS fünttnerfs ©inen, ob ber ©tamm* 
bäum einer Dper rein ift, ober ob terfdjiebene ©inflüffe in ihr wirfen, 
wenn fie anfpricbt." 

„Dper? ©ine unhaltbare ©a<be. ©tmaS gerabeju SädbetlicbeS. ®ie 
©inne burdj brei ju gleicher 3eit fi<b abfpielenbe Vorgänge ju quälen. 
Unb jbiefe unmöglidjen Slnforberungen an bie fßbantafie beS 3uf<$auerS." 

,,gd) »erflehe ©ie, wenn i<b auch 3b»e ttJteinung ni<f)t ganj tbeile. 
&ier gäbe eS 5Dtatt<heS ju reformiren. 2lber baS Sieb — " 

„SBerlefcenb gerabe^u für meinen ©efdfjmad! ©in ©änger im engen 
gracf ftebt mit weit aufgeriffenem 2J?unbe bem fpublicum gegenüber unb 
fcbreit ihm 58er fe in’S ©efidfit, bie ein Slnberer gebietet unb wieber ein 
Anbeter in ftttufif gefefet bat." 

S3ertba lädbelte. „Slber bem gudbjer beS 33auernburf<ben, ber bie 
Sttorgenfonne aufgeben frefjt unb |ficb barüber freut, werben ©ie geroifj feine 
Urfprünglidbfeit nicht abfprecben." 

„SSerjeiben ©ie, wenn i<b 3b»en geftebe, baj? — ber mir »on füllen 
ber unauSftelilicbfte ift. SBJoju brauet ber 3)?enf<b feine Sungenfraft an* 
juftrengen, um ber greube füuSbtud ju geben?" 

„2Boju? fötein ©ott, baS überlegt er ftdj ni<bt. ®ie Serche unb 
fümfel jubilirt eben, weil ber Fimmel, weit ber grübting fo fcbön ift, weil 
fie glücflidb ftnb." 

©in ironifdjeS 3»tfen umflog feine fötunbroinfet. ©r blidte in bie 
oiotette Dämmerung tor fidb unb fdbmleg. 

gnge ftanb leife auf. SBertba folgte ihrem SBeifpiel. 

„fffiir motten geben. fBieffeicbt baft ®u etwas tor." 

©r ftreifte feine grau mit einem flüchtigen 58licf unb temeigte fidb 
fteif tor 33ertba. 



©lympter. 


5 


2113 fie fdjon an ber $l)ür waren, lehrte Snge um unb flüfterte ihm 
etoa3 ju. 

6 t nicfte. Sie ftanb oor ihm, ihr ©efidEit bem feinen bic^t genähert, 
unb fdjien etwas ju erwarten. 6 r ftrid) leicht über itjr £)aar unb wanbte 
fid» bem ®if<h mit ben papieren 3 U. 

©raufeen im SHbliotbefyimmer warf fid) 3 nge ber greunbin um ben 
$al 8 . „ 2 Bie finbeft ®u ißn? 6 r muß ©ir gefallen, e3 giebt ja SRiemanb, 
bem er nic^t gefiele." 

„SJiein ßinbrud oon ihm ift noch 311 neu, laß mich beute noch nicht 
urtbeiten. 63 fam mir oor, als wobnte id) einem 9lct aus Sobengrin bei. 
©rägt er immer bie filberne fRüftung ober nur 31 t 3 e den?" 

„Silberne Lüftung?" 

„D ®u füfeeS Scbaf! Sag’, Suqe, fpradjft ®u nicfjt 00 m 2 luSgeben? 
SBillft ©u mich begleiten?" 

,,©em, aber — wollen wir oorljer nidit ben ®b Ce nehmen? 3 <h 
würbe gans gerne einen 23efudh machen. 3 $ bube nämlich gehört, ftrau 
3Welfen wäre franl unb — " 

„ 2 Bie?" 6 in ftarfeS 3totb ftieg in 33ertbaS ©eitcfjt. „Stau 9Jielfen 
franf? ©a muß ich gleidj bin* ©ie liebe, tljeure grau! 2BaS feljtt ihr 
benn? ®u weißt’S nicht ? 9Jein, ba muß id) gleich bin. 2öie ift’S? 
aSegleiteft ®u mich?" 

„ 2 Wb weifet ®u, weil er mir bod) gejagt Ijat, baß er 3 U &aufe bleibt, 
mödjf id) auch nicht fortgeben. Ersäßl’ mir, wie es ißr gebt. ®u fommft 
bocb morgen wieber?" 

„Db morgen, weife ich nidjt. ^ebenfalls halb." 

Sie umarmten eiuanber, unb Söertfja* eilte hinab. SJJeben SugeS Spl* 
pbibengeftalt oerlor bie ihre an ©rajie. Dbjwar bunfelbaarig, mit einem 
fafi italienif<hew,©ppuS, lag bodh merfroürbig oiel SonnenbafteS, gelles 
auf ihr. 6 in EinblicbeS offenes ^terj flrafjlte in warmer ©üte aus ben 
braunen 2 tugen unb bilbete einen ©egenfap 3 U bem ftotj gefchweiften SDhrnb, 
ber fefer überlegen lächeln fonnte. 

Sie war bas einzige fiinb beS Dberften oon Slfen, ber im oorigen 
3 ab r utS prächtiger SBeißfopf biefe SBelt, auf ber er übrigens feilt gerne 
geweilt, mit einer befferen oertaufcht butte. Seine ©attin war fdjon oor 
langen fahren beintgegangen, 23ertba butte ihm bie 25?irtbf<haft geleitet. 
3bte CieblingSbefchäftigung in freien Stunben war baS Stubium ber ÜDtufil. 
9Wan f«hä|te fie als Dratorienfängerin unb bebauerte, ißre fchöne Stimme 
nicht öfter in ber Deffentlidjfeit 3 U hören. 

6 inige junge SJtäbdjen aus ihrem ©efeUfchaftSfreife bettelten unb quälten 
fie fo lange, bis fie fidh berbeiließ, ihnen ©efangSunterridjt 3 U geben. 

Sie überhäuften fie bafür mit Siebes* unb SemunberungSbeweifen. 
6 ineS ©ageS war ein ent 3 üdenbeS SlonbEöpfl 3 U ihr gefommen unb butte 
fo lange ihre ßänbe gefüfet, bis ne Sa gefagt unb es unter ihre Schülerinnen 


6 iTtaria 3 a nitfd;ef in ^riebenau bei Setlin. 

aufgenommen hatte. ®attn mar ber lEobeSfaH beS geliebten SBaterS ein« 
getreten. Söertfja mar abgercift. Unb iefct batte fie baS flatterhafte un= 
5Uoerläfiige SSloubföpfdicn in biete bangenbe junge Brau oermanbelt gefunben, 
bie fidb baS $aar färbte, rocil er „eine geroiffe Barbennüance" liebte. 

93ertb« burdjguerte einige ©tragen, trat in ein flcineS, nicht befonberS 
elegant ausfehenbeS £>au3 unb fprang bie kreppe hinauf . 

Salb tag ihr Kopf im Sdoofj einer fdmnen, alten, roeifehaarigen ®ame, 
bie in einem Selmfeffel ruhte. 2luf einem Stifdjcfen neben ihr befanben 
fich ein Barbentaften, etliche ißinfel unb eine 3tnjahl Heiner Stähtijfen, oon 
benen einige mit minjigen Shantafieblumen bemalt mären. 

„S)tit biefen tjeifeeu, fiebrigen Rauben, fo tränt, quälen Sie fidb, baS 
ift einfach — " 

3)ie alte Brau legte bie burdifidjtigen B'nger auf SerthaS SJtunb. „©oll 
ich Blreften fangen ober Saufteine aufftellen? GtmaS muh berSJtenfdj boch thun." 

„®er Kraute fotl ruhen." 

„Sah, traut! 35>er hat benn ba§ auSgefprengt? 3<h &in nicht tränt, 
alt bin ich! 2)aS ift mein ganjer Bebtet. 2lber roerben ©ie noch lange 
auf ben Knieen ucr mit liegen, Bräulein oon ^Ifcn? ©eben ©ie ftd) boch 
lieber meine ©tube an, ba giebt’S etroaS 9!eueS ju berounbern." 

„9i>o benn?" Sertfa fah umher. 

,,©a beim Dfen. ©eben ©ie nicht ben fdjönen hipfernen S^eeteffel? 
2Bie? ber gute, gute £>orfi!" 

„Sta, ben alten Sßunfch hätte er fdfion längft feiner SDtutter erfüllen 
töitnen." 

„Sertlja, ©ie haben fich auf Bbm greife ju einem unangenehmen 
Brauenjimmer entroicfelt." 

Bräulein non Blfen lachte. „3<h mufj es mohl oon jeher getoefen fein." 

©ie blidten einanber an. $Die alte ®ame 50 g fie ,in baS Sambus= 
rohrftühlchen neben fid). 

,,©ie miffen bodj, mie lieb idj ©ie habe. Sticht? Unb er frägt alle 
Binger lang nach Bfnen." 

„2Barum benn?" Bbr Sftunb erhielt ben ftoljen 3 U 8- 

„SBarutn benn? Stun beSfalb, meil er Bhnen f° 9 ram ift. ©ie 
jroeifeln boch nicht baran, bafj er Bhnen im ©runbe feines $erjen8 fehr 
jugetban blieb? SJtein ©ott, bie Kinberjeiten finb oorüber, mo Bh r Seibe 
feine ©eheimniffe cor einanber hattet. ©8 ftünbe übrigens auch jefet beffer 
jmifchen Gu<h, roenn ©ie fid) angeroöbnen tonnten, ihm heiter unb ohne 
Sorroürfe ju begegnen. Gr gehört ju ben üJtännem, bie es nicht ertragen 
fönnen, oon einer B f an ermahnt, ober in ihrem Sübun unb Saffen burd)* 
fchaut ju merben." 

„Bh weif, ich meifs. deshalb meibe ich ihn fo lange, btS er baS 
eben ertragen fann. Serftellung ift mir ein ®ing ber Unmöglichteit. 
UebrigenS, maS macht — fie?" 



®lYtnpier. 


7 


„SBeih fein Sterben«roort non ihr." ©ine Sorgenfalte trat jmifcben 
bie Srauen ber alten Dame. 

„©eit mich ba« biffel lieber plagt, ift er fo rüdfid)t«ooH gegen mich 
geworben." 

SU« ob biefe 33ehauptung eine ironifd^e Blluftrirung fmben foHte, flog im 
felben Slugenblid bie 33jüt au f/ uob mit jornig erregtem ©efidjt trat er, 
non bem fte eben gefprodien, herein. 33ei SBerttia« Slnblid Härte fid) feine 
fraufe Stirn, unb ein leidjte« 3totf) ber Uebctrafdjung färbte fie. 

„6i, fiel)’ ba! Fräulein non Qlfen!" ©r blidfte i^r unlieber in bie 
Slugen unb bot ihr bie .§anb. 

Sie legte ihre beiben hinein. 

„Sange fortgeroefen." 

„3a, febr lange." 

„©« h ot Shnen aber gut gethan. Sie fehen frifch unb jung au§." 

Sie jutfte unmerflich jufammen unb fah auf bie SWutter. 

„Seht ©u«b oor SlUem, wenn ich bitten barf, unb bann fage, mein 
#err Sohn, me«roegen SDu fo ftürmifd) hereinfuhrft." 

„Sich, ba« — ba« h ft t Beü bi« fpäter. Befct fott Bräulein non ^Ifen 
un« 39erid)t erftatten." 

„3<b unb meine Seridjte — id) mühte nämlich gar feine ju erftatten, 
mir laufen Qfjnen nid^t banon. 3h bleibe jefct ja mieber hier. 2Ba« Sie 
aber fo heftig hereinführte, fdjeint ©ile ju haben. Sieben Sie bodj, menn 
id) mir nid^t ganj al« Brembe erfdheinen fott." 

„®ut, bann fag’ id)’« alfo. 6« ift nämlich ein Scanbal. $)u 
meifjt hoch," er btidfte bie SJlutter gereijt an, „bah i<h ®ir fdion mieber-- 
holt fagte, idh brauche einen großen Brieäoorfjang in’« Sltelier, mit führen 
biefet £age bie ©idjtung eine« Breunbe« auf," manbte er ft<h erflärenb 

an Sertha, „roo fotten benn bie tarnen Toilette madjen, menn fein 3Sor= 

hang ba ifl? Uebrigen« — " er brach ob, trommelte auf ben £if<h unb 
lachte auf einmal auf. 

©r glich in feinem Sleuhem, mit ben unftäten, fdjroermütbigen Slugen 
unb ber buitflen Sodenmähne einem Bißeuner. 

„Siebe« Äinb, ®u muht ®id) f*hon bi« jur nähflen SEfodie gebulben, 

bie lEapejierer finb jefct Slnfang Dctober ju fehr in SItifprud) genommen." 

©t roarf einen böfen, ironifdjen 33lid auf bie alte Brau. „®a« 
hei |t alfo, ich werbe ben Vorhang nicht erhalten. Shtn — mie haben Sie 
fich in 33aben unterhalten? Bebenfall« fehr gut, ba Sie fein SBort non 
fi<h hören liehen " 

„®a« lönnte auch ou« anberen ©rünben gefchehen fein; übrigen« 
mar’« roirflich feht fd)ön ba, befonber« feit bie SBälber ihr bunte« Äleib 
angelegt hoben. Sich, 4>err Slielfen, ba« follten Sie aber nicht jugeben. 
Sehen Sie 3hre ÜJtutter an. Sie arbeitet fdjon mieber, babei brennen ihre 
$änbe im lieber." 



8 IHaiia 3‘inttf d)ef in jctebenau bei Serlin. 

„Duätgeift," rief grau Steifen ärgerlich- 

„Sajfen Sie fie bocfi," fagte §orft, ohne fiirtjubtiien, „fte ijt ja 
alt genug, um ju roiffen, roaS fie tfjun foff. 2llfo es h°t gbnen in 
33aben gefallen? £>aben «Sie auch bie feinen geitbloomS in Stuttgart 
befugt?" 

„9lein, ich rcar nicht in ber ©alerie, überhaupt nicht in Stuttgart." 

„hoffentlich fomrne ich enbliih einmal aus bem 9ieft hier heraus. @S 
giebt jo »iel Scf>öneS in ber SBelt ju feheit." 

Sertha roarf ihm einen langen 33li<f ju. 

@r machte eine Bewegung ber Ungebulb unb ftanb rafch auf. „©nt* 
fhulbigen Sie mich, ich h a & e eine Berabrebung im Kaffeehaus. Stuf 
SBieberfehen!" 

©r brücfte ihr leicht bie hanb, ftreifte bie SJJutter mit flüchtigem ©lief 
unb entfernte fi<h. 

33eibe grauen fchmiegen eine 3eitlang, bann fagte Bertha gebrüeft: 

„6r fieht unruhig unb gequält auS. 2BaS er rooht haben mag?" 

„Sich Kinb!" bie alte grau lächelte, „ein gbealift wie er, ben Kopf 
»oll Sternenpläne ’unb biefe elenbe üBirflichfeit baju. ©in altes franfeS 
Sßeiblein an ber Seite, baneben beftänbig Sorgen; ich tljue, roaS ich wr* 
mag, aber maS bebeutet baS? ©r felbft oerbient fo ju fagen leinen Pfennig, 
roeil er eS »erfhmäht, auf Slnberer ©efehmaef einjugehen unb fein eignet 
jroar anerlannt, aber — aber nicht bejatjlt roirb. ©S ijt nur ju begreiflich, 
roenn er ungebulbig roirb. ©aju noch jenes Berhälfniß, baS ihn nichts 
roeniger als befriebigt . . ." 

„3lBeS eins. 3Jtit einer folgen 33tutter — " 

„2BaS finb roir Sitten für bie gugenb. SBit nehmen höchfienS jemanb 
Befferem ben Sßfaß weg." 

„2Bie fönnen Sie nur fo fpredjen?" 

„2Sie fönnte ich anberS fprechen? geh leifte ja nichts." 

„216 er grau 9iielfen, Sie arbeiten fich ja ju fCobe für ihn." 

„Baß, baS bischen £anbroerf. geh bin bo<h oerpflichtet, für ihn 
ju forgen." 

„Sticht mehr in ghrem unb feinem 2tlter." 

„6r ift ein ©enie, er bat baS Stecht, ju forbem, baß man feinen 
SebenSroeg fo glatt roie möglich bahnt." 

Bertha preßte bie 3“h n e auf bie Sippen unb ftarrte ju Boben. 

„Sta, Kinb, nicht gar fo oerjroeifett breinfehaun. ©S roirb f<hon Silles 
gut roerben." 

„ga, feljr gut." Bertha ftanb auf, brücfte bie §anb ber alten ©ame 
an ihre Sippen unb entfernte fich rafh. 

9luf bet Straße liefen große ©fjränen ihre SBangen herab, aber es 
faß fie jtiemanb, benn es roar bunlet geroorben. — — — — — 



® lympier. 


9 


II. 

„lieber Serge wanbeit mein gufj, aber bösere Schau erlebe ih nicht. 
Durch Später fhreitet mein gufj, aber nicht näher fornme ich ber Stieberung. 
3n Mächten weil’ ich unb werbe nicht finfter, bie fdjreienbe (Sonne bet 
Tropen bräunt nicht mein £ib. So Ijoclj unb fo nieber, io bunfet unb 
fo ftrabtenreid) bift Du, mein 3h, alle SBuuber ber fieben Dage finb 
in Dir." 

purpurne« Dämmerlicht au« halboerljängten Sampcn. 9tn ber bunflen 
hochgebauten Drgel lehnt Stafaet 3 um fen, ein &eft in ber weihen £anb. 
Seine Stimme ifi falt unb Har, er lieft eintönig, raie ein Sßfarrer beit 
heiligen Dejt oon ber Äanjel lieft. 3nge lauert auf einer Stufe, bie ju 
bem ©mporium führt, auf betn bie Drgel fleht. Sie trägt ein weiße« 
lange« Rleib unb bie rothgolbenen $aare offen über ben Slücfen bm fl b s 
toaHenb. 

„Die Dreiheit ift jur ßinheit geworben, wie fie e« war, ehoor bie 
Sieben fie gefpalten. Dhau ber fünf Stofenbüfhe »erfiegt — " 

,,@in«, brei, fünf, fieben, ich fann nicht mehr mit, ich »erfteh ba« 
2tUe« nicht. @« flingt herrlich, aber ich oerfteh’« nidht." 

„Du follft fhweigen." 

„Slber baoon’ lern ich’« boch nicht oerftehen. „3ürn’ mir nicht, mein 
geliebter Stafael, ich weih, baff ich bie einfältigfte aller grauen bin, be- 
lehre mich." 

„Du follft fhtoeigen." 

„Sich Stafael!" Sie fniet oor ihm hin unb umfdfjlingt ihn. (Sr 
fhliefjt langfam ba« $eft, ganj ohne jebe« 3eihen ber Ungebulb unb will 
ftöh entfernen. 

„Stein, Du follft nicht. Du follft mich belehren." 

„Sah mich, ich badjte e« ja, bah ®u nicht reif wärft." 

„geh fann boh nicht für meine fhlihte bitrgerlidhe ©rjiehuug." 

„3h mähe Dir auch feine Sorwürfe, ih höre blo« auf. Dich mit 
geiftigen Schößen befannt ju mähen, bie Du niht würbigen fannft." 

„Da« ift — h®rt uon Dir." 

®r jueft bie Shuttera. „@« ift ba« Sanftefte, wa« ih thun fann." 

„SBillft Du mich niht lieber belehren?" 

„6« giebt Dinge, bie man ©inen niht lehren fann. 3ßo fein Ser= 
jiänbnih für fte ba ifi, läht fih’« niht erjwingen." 

Sie ftampft jornig mit bem guffe auf. 

„Dann finb e« Unbinge, benn ein febe« Ding läht fih lernen, fagte 
mein Sater." 

„Dinge, bie Dein Sater meint, oieHeiht." 

Da« trifft fie in'« #erj. Sie beginnt ju weinen. 

„SBer weih, ob biefer Dichter ein fo trefflicher 3)tenfh ift wie mein 
33ater. 3h bin wirflih neugierig auf biefen £errn." 



10 


ITtaria 3anitfd;cf in ^Jriebenau bei Berlin. 


2Benn S n 9 e ironifdj werben will, wirft fie fomtfcf). 

Shre neunzehn ^aljre, iijr järtfid^eö ftinbergeiidjt eignen jtcij nic^t 
bajn. — 

„©u bift nicht werth, biefeit ©tann fennen ju lernen." 

„®aS fjaft ©u mir auch non .jjorft ©ielfen gejagt, bann roar'S ein 
ganj ftrnppiger Äerl mit langem 3°tte!hoor, ber mir meinen weihfeümen 
©ifcbtäufer mit ©otfjwein begof;." 

„®u bift eine — " 

„§err Süepenjwet)/' melbete baS ©täbihen, bie ©höre öffnenb. 

©in hocbgewachfener, nicht mehr ganj junger ©tann, mit einer bebenf« 
lieben Sichtung feines bunflen $aatwalbeS, trat ein. S m felben ©toment 
flog ein fcharfet 33licf 511 Qnge hinüber. Sie cerfianb. Sie heuchelte für 
eine SKnfängerin nicht übet. 

©fit harmloiem Säcbeln ftrecft fie ihm bie fteinen £änbe entgegen. 
Sn ihren 3lugen glä^en noch bie ©ropfen non oorl)in. 

ÜllphonS ßiepenjroep fteljt eine Sefunbe wie gebannt, bann }ief)t er 
ihre $änbe an bie Sippen. 

„2Baren Sie benn immer hier, wie fommfS, bah i<h ©ie nie ge« 
fehen habe?" 

„®aS wirft ©u wohl; fie h at U<h in ben letzten ©tonaten etwas »er* 
wanbett. UebrigenS, wie geht’S ©it?" 

Sie fdhütteln einanber bie £änbe. „SBoffen wir halb ju lefen an« 
fangen? ®u foUft beurtheilen, ob fitf) ©ein Such jum 33orlefen in ber 
DeffentUchfeit eignet. -Richtig, bah i<h eS nicht oergeffe: £orft Iaht fich 
entfdfiulbigen." 

Siepenjwep bot fidj an einer ber jwBlf Säulen niebergetaffen, bie bie 
SBiiften berühmter ©twifer tragen. 

„SßaS hot ber ©tenfef) nur auf einmal? 2Bo man bmfommt, glänjt 
er burdh feine SIbwefenheit." 

„SBeifjt ©u benn non nichts?" 

„©ein!" 

©afael sieht feine 23rauen ein wenig empor. „®u fottft es einmal 
erfahren." Sie blicfen einanber an. „SBeSbalb h a ft ®u übrigens 
Gmanueta nicht mitgebracht?" 

„Sie wirb halb erfdjeinen. Sie muhte oorbet in einer ©efeUfchaft, 
wo auch ihre Gltern eingelaben finb, il;ren ßnip machen. Sie hot fdjwere 
Stunben." 

Gr fneift bie Sippen ein unb blieft jn 53oben. Sefet bemerft Snge, 
bah er einen ähnlichen 3 U 9 her $ärte wie ihr ©tann im ©ejtcbte hot. 
33loh bämpfen ihn bei ihm bie Slugen, bunfle, weiche ©icfiteraugen. 

„grau Soge, Sie hoben eS fi<h febr fcfjön gemacht, SWeS noU non 
Stimmung unb Sßeibe, wohin man btieft; biefeS ©iufifjimmer ift ein 
©empel." 



(Dlympier. 


u 


Sie f erlägt bie Siber »or feinen »ielfagenben Süden nieber. 

„®« ift SRafaetS SBerf. $d) uerftebe non all bent feht wenig." 

„äber Sie haßen ihm bie Anregung gegeben, unb ba« ift ebenfooiel 
wie baS Schaffen felbft. 3<h freue mid), baß Sie non Qßrer Staliareife 
jurücfgefefjrt finb unb ich öfter in 3hren weitje»olIen Räumen werbe weiten 
bürfen." 

„Saroneffe SBitbau." 

©r [teilt rafdj auf unb brüeft ber eintretenben Same bie .fjanb. 
Sann p ben Seiben: 

„Saroneffe SBitbau." 

3»ei große »erlegene äugen richten fi<h ängftücb auf feinen üflunb, 
ob er nicht nod) ein SBort hütpfügen wirb, ©r tbut e« nicht. 

Sa« ßhlanfe, »ornebm auafeßenbe 9J}äb<hen in ©efel!f<haft«toitette 
reicht ^nge fcßüditem bie £anb bi« unb neigt, ohne bie äugen auftu* 
fdjlagen, ben ftopf »or JRafaet. Seinen fdjatfen Süden entgehen bie 
Sbränenfpuren an ihren SBimpern nicht, ©r neigt [ich p ihr. 

„SJtuth, Saroneffe, man fommt nicht, ohne opfern p müffen, unter 
bie Dlpmpier." 

lieber ihr jarte«, leibenbe« ©eficht fliegt ein fdjmerjhafte« Säcßefn. 
„3<h bö& e mir’« bo<h nic^t fo fhroer »orgeftetit, biefe« Dlpmpifdhfein." 

„äUerbing«, wenn Sie ba« fagen fönnen, finb Sie e« noch lange 
nicht." 

ÄiepenjToep jieht bie SDhmbwinfel herab unb fängt mit auf bem 9tiiden 
»erfdhränften ärmen an auf unb ab p gehen. 

,,SBa« ift oipmpifchfein?" fragt 3nge, bie ein ftarfe« ÜBtitgefübl für 
biete« junge 3Jtäbdjen p empfinben beginnt. 

„Sollen wir überhaupt noch lefen, ober nicht beffer über SJtoben ober 
franjöitfdje Slomane fprechen?" fRafael bttcft mit halbgefhloffenen äugen 
nach bem greunb hinüber. 

Stiepenjroep hält in feiner SBanberung inne. 

„SEBiefo benn nicht? 2Ba« ßaft Su benn?" 

„Saran bin ich mit meiner grage wohl fchulb." 3nge« ©efießt hat 
fid> mit brennenber Stöthe bebeeft. 

Äiepenjwep büdt ben fyreunb an unb wenbet [ich lädjelnb an ^nge. 
„Sie fragen, wa« olpmpifdhfein heißt, gnäbige $rau. Dlpmpifdj fein, 
heißt frei fein. Ohne Sanbe unb $effetn, ohne Sebenfen unb furcht, 
ohne ©rbenfehwere unb ©rbengefeße eine felbflleucßtenbe Sonne fein, ba« 
ift otpmpifd)." 

„©iebt’8 benn folche -Dlenfcßen auf ©rben?" 

„&ier flehen brei »or Sir, was fragft Su nodi." 

„äuh Su Einer? äber Su — Su hafi Sich bo<h gebunben?"" 

©r blidt fatt p ihr nieber. „2Benn »ornehme -Btenfchen unter ©e* 
ringere gehen, legen fte ihre Sprache unb Sitten ab unb geben geh fo wie 



12 ITCaria 3änttf<f;ef in ^riebenau bei Berlin. 

jene, bamit fic nerftanben werben. Grft fpäter feeren fic nrieber ju intern 
Gignen jurütf." 

Qttgc fühlt ihre £>anb ergriffen. Gntanuela mag wohl bie 9JUtleib§= 
lofigfeit .ftumfenS P Ijerb erfd)cinen, fie rietet einige freunblidje SBorte 
an 3nge. Sie batte erwartet, eine hohe, ü 6 eriegene fyrau ju finben, unb 
fanb ein »erwirricS ftinb. Vorwürfe gegen 3utnfen erbeben fi<b in i^r. — 

SlIpbonS Ipt wieber feine 2L'anberung begonnen. 

Gr benft nugenf<heinti<b an etwas weit GntfernteS. 2)a fängt Stafael 
p iefen an. 

GS ift bie ®id;tung ÄiepeujwepS, bie bemnädift im ®rucf erfd>einen, 
»otber aber noch öffentlich geiefen werben foH. 23aroneffe Gmanuela fennt 
fie unb borebt nicht fonberlicb p. 3nge fjöri fein (Sterbenswort, fie ift 
ganj in etwas SteueS nerfnnfen, in ein mächtiges Seib, baS feine fremben 
2Irme nach ibr auSftredt. 

3)ie guten, einfadien, alten Gltern, ibr trauüdfeS reifes unb boch 
anfptudiSloieS £>eim, bie Sdjaar ihrer jungen lieblichen fyreunbinnen, MeS 
bat fie bingegebeit, um biefem fDtann ju folgen, ber ihr wie bie Grfdjeiitung 
aus einer höheren SBett entgegentrat. Sie Me haben bie ftöpfe gefdjüttelt; 
aber fie war ja fo uw'innig in ihn uerliebt, ganj toll oer liebt! Sie, bie 
Heine, prte 3 nge, bie alle Sßettler unb ©ienftboten ihrer ©üte wegen an* 
beteten, bie als Inbegriff aller fdiüditernen Sliäbchenbaftigfeit galt, würbe 
ptöbtid) wie eine SJtanabe unb brofjte mit Selbftmorb, wenn fie ihn ihr 
nicht gaben. 2BaS b atte er beim beigetragen, um fie" fo JU nerjaubern? 
Gr batte fie ein paar SJfal länger angefdbaut, unb ihr, wenn fie in ©efcll* 
fdjaft pfainmentrafen, gejagt, bafj auf ihrer Seele ein bitter Schleier 
ruhte. Unb wie fie bcftürjt würbe, batte er mit balbgefdjloflenen Singen 
gelädielt unb Äinb! gefagt. 

Unb wie fie ilp fpäter bejebmoren batte, ihr Näheres über biefen 
Sdileier p fagen, ba fie fonft feine Stube fänbe, ba batte er mit feltfamer 
Stimme erwibert: 

„Saffcn Sie mich! 2Benn idi ihn lüftete, fönnte es Qfonen geben 
wie ben Sltenfdien, bie beS fjerrn 2lntlib erbliden: fie müffen fterben. 
®ie 2Babrbeit ift nicht für Me." 

Unb eS war fDtai, uitb bie Städte troffen oor Siebe unb 9)?onbf<bein 
unb junger Sebnfucbt, ba jagte fie 51 t iljm: 

„Sdi will gern fterben, lüften Sie ben Schleier, ber mir bie 2Bal|r* 
beit nerbirgt." 

®a batte er fidi über fie geneigt unb fie gefüfit. T>ie fOtutter ihrer 
greunbin, bereu ©äfte fie waren, batte cs gefeben . . . 

„2£>aS wirb nun?" war eS 3" ge in ihrer 23eftiirpng entfahren. 

Unb er ruhig mit grofjer Ucberlegenheit: „2?aS Sie roünfchen. Soll 
ich ju 3bren Gltent geben?" 


(Olympier. 13 

25a hatte fie unter feligem ©dhludhjen geflanttnelt: „3a, gehen ©ie ju 
ihnen." 

Unb bann bet Sohengrinmarfdh in ber Sirche, unb fie fein . . . 

Gr war nodh nidht lange fiter, unb bie Sßenigften fannten ihn. Gr 
batte in ber SBorftabt eine ßird(je gebaut, bie in ihren herben, an ben 
fibmudflofen Safilifaftit gemahnenbeit gornten bie Seute wenig anfpracf). 
3nge fümnterte fidh nidht um bie Urtheiie ber 2lnberen. 3h re Siebe &u 
ihm fieigerte ftdf) oon STag ju £ag, mährenb fein Sencfjmen gegen fie 
immer fälter würbe. Sei wem follte fie fi<h 9fuff(ärung, 9tatl) holen? 
3hren Gltem wollte fte nidht ben Triumph gönnnen, ihr fagen ju Eönnen : 
§aben mir nidht ungern unfere Ginwilligung ju biefer Serbinbung gegeben? 
äber 2)u woHteft ja unfere SBiabnungen nidht hören. Unb feine ffreunbe? 
3ft oon ihnen Serftänbnifj, $Ufe ju erwarten? 

©ie fieht heüntidfj auf Äiepenjwep. ©eine SHugen blidten gfeidhgiitig 
in bie g-erne. Gr macht ben Ginbrudl eines in jtdh ganj oerfunfenen 
Stennben, ber für Slnbere wenig Qntereffe hat. 

„Ueber Serge manbelt mein 3uh, aber höhere ©dhau erfebe idh nidht. 
$urdh Später manbelt mein ffufj, aber nidht näher fomme ich ber ÜRieberung. 

3n -Hädhten weil’ idh unb werbe nidht finfter, bie fdhrcienbe ©onne 
ber Tropen bräunt nidht mein Sib." 

fEiefe ©titte. SRafael fdhliefjt mit gemeffener ©eberbe bas £eft. 
®ann tritt er langfam oom fßobium herab. 

„SSemt es gefällig ifl, eine ©tärfung ju nehmen." Gmanuela folgt 
tiepenjwep. SRafael ift uorauSgefcf) ritten. 3 m ©peifejimmer fefcen fie fich 
an ben mit Slumen unb fdhwerem Silber gefdhmüdten 3Tifdh. Gin 3mbif? 
aus falten erlefenen Sederbiffen fleht bereit. 2J?an bebient fid) felbft. 
Seiner oerliert ein 2Bort. ©teben fie nodh unter betn Ginbruct ber ©ichtung 
ober thun fte nur fo? 

3nge erträgt bie Spannung nidht mehr. 

„©inb benn auch ©ie fo ernfthaft?" frägt fie in fomifdjer Ser= 
jtoeiflung bie Saroneffe. „9üemanb fpricht, icfj fomme mir wie eine um 
gefdhiefte Hausfrau oor, bie ihre ©äfte nidht unterhalten fann/'j 

Gmanuela hebt ben 5topf auf unb blidft fie guttuüthig an. „2)aS 
foDen ©ie nidht benfen. ©ie finb gerabe fo redht, wie ©ie finb, wir 
Stoberen haben nur — " 

„3n früheren Seiten modhte eS woljl Sraudh fein, bah bie ©äfte von 
ber $auffrau unterhalten würben, heute finb wir nidht mehr fo arm im 
Seifte, 3eber fpridjt, ober fdhweigt, mie’S ihm beliebt." 

3a, ba hat fie wieber eine Dummheit gemadht, bie gute 3nge! ©ie 
ftürjt ein ©las fRothwein hinab. SGBieber ©dhmeigen. 25anti beginnt 
ftiepenjmep ein ©efprädh über Südher unb SBerfe, bie ihr fremb finb. 
Äafael oertheibigt bie 2lnfidht eines SdhriftfteHerS, bah ber Serbrecher erft 
mit bem 2lugenblid gemein wirb, wo man ihn fajjt. ®enn bis bahin 


H IHatia 3anitfd;ef in (friebenau bei Serlin. 

fiat er ftcfj im Siedfit geglaubt. Kicpenjwep meint, biefer Slugenblidf märe 
fdfion mit bem güfilen eines VebiirfniffeS eingetreten, baS au her feinen 
SJfcgfidfiFeiten liegt. 

„Sadien «Sie gerne?" flüftert Qnge ju ©manuela hinüber. ®ie junge 
®ame fiefit fie oerbutjt an. 

3ft baS ein fonberbareS Keines ^Berföndfien! 3umfen mirb ifir immer 
räthfelfiafter. &at er fie ifirer Sdfiönfieit wegen genommen? ©r macht fo 
gar nidfit bcn ©itibrucf ber Verliebtheit. 3fireS ©eifteS roegen nahm er fie 
nicht, üftujj alfo ein anbereS Sötotin oorliegen. Slrme Keine 3nge! 

»3a, grau Runden, idfi mürbe gerne ladfien, aber idfi fxnbe, eS giebt 
io wenig ©runb baju." 

„2lber Sie" — jung ift fie eigentlich nicht, benft gnge bei fidfi, aber 
fdiön ift fie, „Sie finb bodfi noch su ^aufe, wo man feine Sorgen unb 
Kämpfe fennt." 

2>ie Varoncffe feufjt. „Sichten Sie? 3<h fann nur wieberholen, 
idfi habe wenig ©runb 511m Sachen. 2lber ich hoffe, baff idfi halb — 
wenigftenS lädieln werbe." 

„Stidfit nötfiig, ©manuela." Kiepenjwep hat ifire lefcten SBBorte gehört, 
„gm Ciijinp lächelt man jetbft nicht mehr, man hat 2lHeS unb ift gefüllt 
unb oerfteht. Sädfieln ift Vegefiren. £>aS neue ©efdfitedfit wirb nichts be* 
gehren." 

,,©S ift nicht leicht, nicfits ju begehren." 

„©ötttidfie Unbefümmertheit!" 

D wie fdjön ift Dtafael in bem Slugenblicf, ba er bie jwei SBorte 
auSfpridfit ! „3lber 3fir begehret ja fülle," ruft 3nge non plö^lidfier ©fers 
fudfit ergriffen. 

„©in echter Dlgmpier nicht mehr, ber läfjt 2WeS an lieh heran* 
fommen." 

„Unb ©uer .fjerj, ©uer fjerj?" 

,,^erj?" Stafael fiefit fie ironifdfi an. „SBir wollen Harmonie, grei* 
fieit. 2(lte abgeftorbene Sittengefetje, bie ber SBolijeiwadfitmeifter unb Sßfarrer 
unferen llroätem einpaufte, gelten für uns nidfit mehr." 

Harmonie? 3ft f> e baS, bie ba mit am Süfdfie fifct ? 

„Varoneffe, fagen Sie für mich etwas!" 

©ntanuela lädiclte fdiwacfi. „SBaS benn? 2Bir finb baS UebergangS* 
gefdfiledfit. 2öir ntüffen noch ein wenig leiben. Silber Dlpmpier .finb wir 
bod) fdfion, wenn wir audfi baS 2Beinen nodfi nidfit oerlemt haben." 

SRafaet erhebt fidfi. ®aS ©efprädfi fdfieint ifin ju langweilen. Sie 
gefien in bie Vibliotfief hinüber. 3nge lefint baS ©efidfit an bie genfter* 
fdfieibe. Db man niefit bumm werben muh, wenn man beftanbig ju hören 
befommt, bah man es fei? 3h*e SDJutter fanb fie nidfit bumm. greilidfi, 
bie gehörte auch nidfit 31t ben 31euen! . . . 



Olympier. 


\5 


IH. 

„Sertha! Siebe! 3n biefett Sagen habe idb eine gan 3 »erwunberlidfje 
Erfahrung gemalt. Seine non allen ©eiten für »erwähnt gehaltene unb 
früher auf £änben Getragene 3nge ifi ein »öKig »erlaffene«, einfame« 
©efchöpf. ©taub’ nidfjt, bafe ich ba« in einer traurigen ©timmung fdfjreibe, 
e« ift meine Kare ©rfenntnife. SJteinen ©Item mag idb midb au« leicht 
begreiflichen ©rünben nicht annertrauen, meine ©cfjulfreunbinnen finb 
junge, unerfahrene ÜDtäbdjen unb fönnnen mir feinen 9tath geben. Ser 
einzige 3Jtenfdb, ber mir bleibt, bifl Su. D fomm ju mir, bamit ich 
midh an Seiner Stuft au«flagen fann. Komm’ unb fag’ mir, ob idb 
wirtlich fo einfältig bin, wie er glaubt. 3$ weife ja, bafe mit nodh Siele« 
3 U meiner ©ntwidfelung fehlt. 2Bie lang ift’« benn her, bafe idh meinen 
aditjehnten ©eburt«tag gefeiert habe? 3<h will ja 3tHe« nadhholen. Söeifet 
Su, idh glaube, bie grauen, bie nur Siebe beftfeen, werben ihren -Kann 
nicht feffelu fönnen, benn an Siebe gewöhnt er fidfj, wie an ben warnt; 
haltenben Sßelj im äBinter. S« mufe wohl etwa« Rubere« fein, wa« ihn 
an ba« 2Beib feffelt. Äomrn unb hilf Seiner 3nge. 

Urfula war, nadhbem fie biefen ©rief hereingebradjt hatte, burdhau« 
nicht wieber f|inau«gegangen. ©ie war froh gewefen, eine Urfadhe ju 
haben, hercinjufommen. 2Benn Sertha am $lügel fafe, hatte fie fi<h nämlidh 
jebe (Störung »erboten. 

Unb fie fafe bie«mal fchon jum Ungebulbigwerben lang ba unb 
fpielte „wie ein Äranfe« ©dfjarpie für fidh jupfen würbe/' Unb babei war 
ihr ©efidht weife wie eine ßalfmauer. 

3e|t, ©ott fei Sanf! hatte fie mit bem traurigen ©efpiel aufgehört 
unb Ia§. 

„3a, ’« ift gut, Utfdhl." 

©ie meint, idh fann gehen. $äHt mir nidht ein. 

,,9ta, Fräulein Sertfea, ’§ i« nit gut. h fl b’ geglaubt, wenn ©ie 
wieber fommen, werben ©ie blühen wie früher, »or »ier, fünf Sahnen. 
Setweil fdhaun’« au«, wie bie ©dhwinbfudljt. gräulein Sertha, fein’« ge= 
fcheibt," ihre breite, furje &anb ftridh über Sertha« Schulter, „laffen’« 
mich ben Soctor holen, ©eben’«, bafe 3b»en wa« fehlt, i« ja ftdher. 
916er wa«, i« nit ftdher. Ser Soctor wirb’« gleich heraus haben. 6« 
fann wa« 3nnetli<heS fein, wa« gefdfjnitten werben mufe, wenn ber 3eit* 
punft »orüber i§, »erhärtet tidf)’« bann — " 

Sertha fprang auf. 

,,©in«, jwei, brei, linf«utn, marfdh'. ©eunft wirb hier nicht. Sein 
£iebling«tfeema: über Operationen ju reben, hab’ idh fatt. 3Jta<h’, bafe Su 
hinauSfommft, unb ftör* ntidh nidht." Urfchel reifte fidh auf. ©ie war nidht 
Heiner al§ ihre Herrin, aber breiter. 3hr ntännlidh biebere«, mit Seife 
gemafdhene« ©efidht färbte fidh tiefer. 

fforb tmb 'S üb. XGV. 283. 


2 



J6 IHarta Janttfdjef in ^ttebenau bei Berit«. 

„SBenn idh müßt, baß ©ie außer mir wem auf ber SBett hätten, gleid& 
ging idf). 2lber fo — ©eßenS, ©ie finb a armS ©djaferl, ja, ja, a gnäbige 
gräuln für b’ 2lnbent, für mi a armS ©diaferl. 3 ßob 3bafK Heb, 
Ivräutu Sertßa, unb id; mocfit glinen frifcl) feßen. ©ie fein fdfjön unb nodß 
nit alt, unb SfamtSbilber, I)ä, bie friegenS auf jeben ginger brei. 3<b" — ein 
pathetifdier $ieb auf ißre Sruft — „trau mi mit meineneununbmerjtggaljr — " 
„3weiunbfünfjig finb’S — " 

„noch genug greier ju finben, aber — " 

Sertßa wirft fidß auf ben Stlaoierftuht unb beginnt einen ranfdfjenben 
Starfdß ju fpieten. 

Urfdßet blüft fie etwas beteibigt an unb — wartet. 

„Sift ®u noch ba?" 

„gräutn Sertßa, oor ein paar Stagen ift unfern frühem ©dfjuflet feine 
grau geftorben — " 

,&<>r . 

„©ie bat ben ©dßforbut in ben Seinen gehabt, Siemanb ßat’S gemußt, 
weil fie’S oerßeimlidht hat; wie fie enblidh ben $octor gemfen haben, war’S 
ju fpät." 

„Steinft $>u, baß idh audh ©dbforbut" — 

„©potten’S nidht, gräutn Sertßa, fo lang’S noch nidht ju fpät iS. 
gieber haben ©ie — " 

„Satürlidb, baS gelbe, ich feß’S im ©piegel." 

„gräutn Sertßa, fein’S nit fo aufgeregt, feßenS, wenn idh ©ie fo 
aufgeregt feh, muß idh immer an bie ©djwämme benfen, bie wir in biefem 
©onuner im 2Batb gepflüdft haben." 

6s gehört ju Urfdjts SSnnberlicßfeiten, ®inge, bie nidht ben leifeften 
3ufammenbang haben, miteinanber in Serbinbung ju bringen, ©ie breitet 
jum Seifpiel baS SHfdjtudh über ben 5£ifdh unb fagt: „SSenn idh baS £ifdh= 
tudh aufleg’, muß idh immer an baS ©rbbeben bamals auf gSfiaS benfen." 
„Sßiefo benn?" 

„ga, eS iS ju gfpaffig. 2BaS iS ber Stenfcß! 3»« ^anbumbreßen 
tobt." ®en geßeimnißnotlen 3 u fammenhang jroifdfien bem Sifdhtudh unb 
bem ©rbbeben, ben fie entbedft hat, oerrätß fie nidht. Sroßbem ift fie baS 
gbeal aller ®ienftboten, unb feit fünfjeßn gaßren bei non glfenS. ©ämmt* 
lidße Surfdßen ihres Herren waren in fie nerliebt, aber fie ift als feufcße 
2lmajone ben fpfeilen ihrer Siebe entgangen. 

„ßeiratßen ift nur bann fdjön, wenn alle Sanfte jufammentreffen." 
Unb übrigens ßat’S baju immer nodh 3eit. SEenn fie erft ihr gräutein 
untergebracht wüßte! ®abei färbt fie fi<h bie £aare mit einer fdhredflidh 
bunflen ©auce unb ladjte ©atura in’S ©eficßt, als er junt jweiunbfünfjigfien 
Stale feine ©enfe um ißr £aupt fdfjwang. 

„2llfo wie fteßtS, barf i — " 

„©nblicß ßinauSgehen, jawohl." 



©lamptet. l? 

Sie fennt igr gröutein. SBenn es biefen ®on annimmt, bann giebt’S 
feinen ffiiberfprud) mehr. 

Steifnadfig tappft fte aus bem gimmer. 

Vertba lieg baS Heine Vrieflein nochmals burdb, ergebt gdb unb gebt 
auf unb nieber. 

2Ufo audb biefeS ftinb fc^on non Seib tjeimgcfuc^t 1 SBarunt nur? 
So jung, fo reijenb, non Uebergufj umgeben, unb bo<b nidbt glücflidb, 
ffiatum nur nicht? gg bie grau oerurtbeitt p leiben, bie grau, bie nur 
Siebe bat? Sertfja blicft grübelnb nor fi«f» bin. ®aS gintmer, in bem fie 
gdb aufbält, ift ein feb>r behaglicher Vaum. ©ebiegene fdjroere Vufjbaum* 
möbet, roertbnoKe alte ©emälbe, fein girlefanj, 2lO(eS ebrlidb, folibe, nrie 
ber ©barafter ihrer ganjen gamilie, roie fte felbft. Unb ifjr Vertrauter 
bort in ber ©dfe, ber Vöfenborfer. ©er roeifj MeS non if>r, roaS fonft 
Viemanb rneifj. Sie tritt an’S genfter, auf beffen 39 orbbrett blübenbe 
Vlumen geben, gft benn audb ge eine feuchter in? üBabrljaftig, fte auch. 

©ing fte nidbt tnie eine über SHIem Stebenbe, mit ftolj getragenem 
Kopfe umber? Unb ibr Vater fagte immer: „3Mne 39ertba roirb fdbroer 
einen 9Jlann ftnben, benn fie fann bie beigen 2lnfprüdbe erbeben unb 
erbebt ge audb." ©uter Vater! 2Benn er geahnt hätte, bafj ge feit 
gabren baS 3Klb eines ber egoigifdbgen -Dtenfcben im §erjen trug! Unb 
mit jener feften utttnanbelbaren ©reue, tnie bas Sßeib, baS über ben gatter* 
bagen grübling beS SebenS hinaus ig. 

SBeifj #org fetbg, tnie es mit ihr gebt? Vielleicht, nietlcic^t audb 
nidbt 3b« ©item tnaren mit ben feinen befreunbet. 2luS bem Verfebr 
ber beiben gatnilien entfpann gdb ein fteunbfdfjaglidbeS Verbäitnig jtnifdjen 
ben Äinbem. ©inen Slugenblid lang mochten bie Sitten tnobl bie glütflidbfte 
Sßfung für bie 3**fung ertnartet haben, ©a ftarb $err Vielfen. Vicht 
lange barauf bejog ^orft bie 3lfabemie in ÜDiundjen. 2HS er nadh gabren 
toieberfam, mar er ein 2tnberer geroorben. Vicht nur in feinem üleufern, 
audb in feinen SebenSanfdhauungen. — @r geriet^ in fege S3ejiebungen p 
einer ©ante, unb Vertba, bie ihm ftitt uub treu anbing, mürbe pr Volle 
einer „guten greunbin" nemrtbeitt. 

VlS fotdbe nahm ge fidh bann unb mann bie greibeit, ihm ihre 
Meinung über ©inge p fagen, bie ihr miggelen. 

®aS pafjte ihm nidbt 

©r lodferte audb baS lebte Vanb jroifdben ihnen Veiben. Vielleicht gehörte 
39ertba audb P jenen grauen, bie „nur Siebe" begfcen. Stuger ihrer 
fdbönen mugfalifdben Vegabuug, butte fie roenig beroorragenbe ©igenfdbagen. 
ggr 3Sermögen mar ein befdgeibeneS unb roarf gerabe fo tuet ginfen ab, 
ba§ ge baoon gut bürgerlich leben fonnte. 

Sie hätte gdb oftmals oerbeiratben fönnen, aber alle Veroerber maren 
uon ibt abgemiefen morben. ©abei maren bie gabre oergangen, unb ihr 
breifjigfter ©eburtstag berangenabt. 


2* 



18 IHaria 3 a n>tf<bet in <f*iebeitau bei Berlin. 

Sie muhte fidj nun roohl fagen, bah ihre Hoffnung auSfichtSloS mar. 
©ein 23erf;ältnifj ju jener grau beftanb nodj immer. 2 Benn fie fie bodj 
einmal fehen, fennen lernen fönnte! ©ie empfinbet faft ©eljnfudjt nach ihr, 
fie fühlt es beutlicf), fie mürbe fie nicht Raffen, nein, lieben mürbe fie fie, 
meil — et fie liebte. 

©ie muh lächeln über biefen anfcfjeinenben 2 Biberfprucf) in ftdj. Unb 
bodj, eS ift gar feiner. 

2ßä<f)ft bie grau, bie liebt, nidjt über alle ©renjen ihrer Statur, ihres 
©elbft hinaus, in’S 35>eite, ©rohe, ©öttlidie hinüber? 

©o lange 33erthaS SBater nodj lebte, hatte ihr bie geit, bie SAöglicfjfeit 
gefehlt, über baS ©cfjicffal ihrer Steigung nadhjugrübeln. ©er alte #err 
mit feinen fmnberterlei Anforberungen an ihre tödjterliche Siebe hotte fie 
beftänbig in Athem erhalten. 

geht ift fie allein; alle ©age, alle ©tunben gehören ihr, nur ihr. ©in 
gahr lang mar fie abmefenb geroefen. Sticht nur baS Seib über ben SSerlufi 
beS geliebten 33aterS, auch „bie Hoffnung, ben ju »ergeffen, ber ihr nidht 
beftimmt fdjien, hatte fie fortgetrieben. 

©ie ift miebergefontmen, geläuterter, aber mit uncerminberten ©efühlen 
für ihn, ben fie hotte oergeffen motten, ©ie gauberbinbe, bie auf gngeS 
jungen Singen liegt, bem geliebten SDtanne gegenüber, hoben bie ihren längfl 
uerloren. 

©ie erfennt $orftS ©chroädje unb IBerfommenheit, aber — fie liebt ihn. 

©ie ©tagif fo mancher hohe« grauenfeele. 

2Bie fott fie’S nur anftetten, „fie" ju fehen. 

©rauhen fallen bie erften ©dfneefloden. 

©ie grofje £offnungSlofigfeit beginnt. Dber nur für bie Oberflächlichen, 
bie in ben ©djneeflocfen nidht fdjon bie gornten ber nahenben griihtingS* 
blumen erfennen? 

2Bie fott fie’S nur anftetten? 2Bie nur? 

©in ©ebanfe burchfäbrt fie. güngft mar eine arme Stäherin bei ihr, 
bie ihr eine Anjaht Soofe jum Verlauf anbot. ©er ©rlöS fott ber grau 
einige Erleichterungen für ihre alten ©age oerfdjaffen. ©in ©ufcenb baoon 
hat SJertha felbft gleich genommen, bie anbem nerfprochen, an Sefannte ju 
»erlaufen. 

©a gäbe eS ja eine gute ©elegenljeit, mirflidj bie befte, jene ©ame 
fennen 311 lernen, ©ie mirb lieh in biefer Angelegenheit an fie menben. 

©er befte SSormanb. ©inb nicht auch ju ihr fchon ©amen mit ähnlichen 
Anliegen gefontmen? 

Alfo 3Jfuth ! SDluth! 

©ie mirft ein fchmarjeS ©eibenfleib, ihren ipetj über, »erfchleiert fidj 
bicht unb raagt fid) in’S ©ehneegetriebe hinaus. 

git ihrer Eonbitorei ftnbet fie im Abrefjbudj bie SBoIjnung ber ©ame 
angegeben, non ber ihr nur ber Siame befannt ift. ©ine ©rofdjfe bringt 



© lympicr. 


*9 


fie in bie bejeidgnete ©trage. 9Jtit ftopfenben ßerjen fteigt fic bie kreppe 
empor, jaubert, brüdft auf bie Stlingel unb wirb in einen ©aton geführt. 
Jtinbergefdgrei, Trubel, Dgüren werben jugefdgtagen, man gört laut unb 
geräufcgoolt ©efdgirr abräumen. ©ie gaben mögt eben erft gefriigftüdt, e« 
ift faum ein Ugr. Sertga wirb immer nerwunberter. ©ie gatte ficg bie 
Umgebung ber Seatrice igre« Dlpntpier« ägnlidg gebadgt wie bei Sutnfen. 
Stimmung, ©timmung, nadg ber ge 2llle biirften. $ier gerrf(gt feine. 
Da« SBogngemacg fönnte jebe reiche gleifdger«gattin bewognen. 6« ift 
beinage ber fßaneelfopgaftil mit nergolbeten ipapiermadgö.'Jtippe«. Stotger 
Slüfdg, ©piegelfdgränfe, ©teglampen mit ©dgärpen, bie Dapejirergänbe 
barum garnirt gaben. 

£org! £org! 

2Bie fdgön mug fie felbft fein, um ign über aU ba« ginweggfeiten ju 
taffen, benn — ein wenig lägt ber ©efdgmad bodg auf ben SJtenfdgen felbft 
fcgtiegen. 

©ie mug fegr fdgön fein. 

Sertga gerätg in einen SBirbel ber uerfdgiebenartiggen ©efügle. Da 
gegt bie gtügeltgüre auf. 

Sine faum mittelgroge ©eftalt mit oerärgertem, oergärmtem ©egdgte 
unb breit au«labenben lüften tritt gerein. Da« fornbtonbe, urfprüngli(g 
wogl im Staden ju einem 5tnoten nerfdgtungene $aar gat fidg gelöft unb 
nerrätg feine Dürftigfeit. Der ganje 2lnjug, ein borbeauprotger weiter 
©(glafrod, jeugt non Sernadgläffigung unb Unluft. 

3n Sertga regt fug neben ber tteberrafdgung ein ©efügl ber — fyreube. 
©ie fdgitt ftdg fcgtedgt, aber bie greube ift bodg ba. Diefe grau gier, fann 
igr felbft ja nidgt bie ©dgugriemen löfen. — 

$8?a« ge ju igr fügte? 

Da« unb ba« Anliegen. 

©ine — Settelei. 

grau Sirfenau tädgelt. 

D, ge fenne gräufein non glfen fegr gut. föätte fdgon öfter in 
©oncerten igre gerrlidge SHtgimme bewunbert. 3Mn ©ott, wa« bie ftinber 
geute wieber ungejogen ftnb! 

ggre eigenen? 

greilidg. Drei, ©in Sub unb jwei SJJäbet. 

SBertga wirb gtügenb rotg. 2Ba« foU ge entgegnen? 

Sünber gewägrten ein groge« ©liid, fie taffen ba« ©efügl ber Ser* 
einfamung in ©inem nidgt auffommen. 

gawogl, aber igr wären fte eine Sag. „®anj inidg ignen wibmen 
fann idg nidgt," fügt fie fjinju, „benn idg gäbe nodg niete anbere ©orgen, 
unb übergaupt eine SJtutter allein nermag audg nicgt ju erjiegen, ber Sub 
befonber« braudgte eine männlidge $anb." 



20 Warta 3 an 'tf<het in ^riebeitau bei Serlin. 

©« wirb if)t roo^C nichts übrig bleiben al« fie in eine @rjiehung«anftatt 
ju geben. ©amt reben fte non ber armen grau unb ben Soofen. ©amt 
ftürmt ein füfse« Keine« SJtäbdhen ton fieben Sahren herein unb rennt beim 
2lnbticf ber frentben ©ame fdjeu bapon. ©ie SJJutter ruft fte jurücf, fte 
fommt aber nicht. fßon braunen ©efdfjrei unb ©ejänf »erfdiiebener 
Stimmen. 

£ätte 33ertf)a fidf) am ©nbe in ber Slbreffe geirrt? 

Sie blicft fotfdfienb in ba« ©efidht ber $au«frau, bie ©onoerfation ju 
machen uerfucbt, um bie mit Dieter 3fa«jei<hnung öffentlich oft genannte 
©ame einige Minuten länger ju feffetn. 

©ie gornt ertjeifd^t e«, baff Sertlja enblich aufbridit. 

Sina 33irfenau nimmt einige Soofe in ©tttpfang. 58ertl)a wagt junt 
Schluff einen Kienen Salto mortale. 

„Sollte ber ©rlö« biefer Soofe für bie bringenbften Sebürfniffe ber 
armen Sitten nicht tiinreidjen, bann werbe ich mich mit grau Stielfen 
befpredjen, oielleidht malt fte ober ihr Sotjn — Sie fennen ja auch bie 
SJeiben! — ein ober ba« anbere Sächelchen, ba« man für bie Sinne noch 
lo«f<hlagen fann." 

Stertlia brauet nid;t bei ihren Sßorten bie Stide oon grau SMrfenau« 
©efidht roegroenben; grau SQirfenau benft nicht baran, roth ober oertegen 
ju werben. 

„©a hilft eher noch bie Sliutter al« ber Sohn, ©er — ber bücft 
fidh nicht, wenn ihm etwa« au« ber $anb fällt, fonbern läfjf« Stnbere für 
fidh aufheben." 

„So war er früher nicht," meint Sertha teidhthin, innerlich froh, ba« 
©efprädh bei ihm angelangt ju fehen. „Sdh lenne ihn fcfjon feit langen 
Satiren." 

„gdh weih, er hat mehr al« einmal oon Sh nen gefprodEjen." 

Sie blicft nodh immer ganj unterlegen au«. 

„S<h war fdion lange nidht mehr bort," fährt SBertha in bemfetben 
gleidhgiltig fein foUenben ©on fort, „idh ärgere mich jebe«mal, wenn ich bie 
alte SKutter, bie nodh baju leibenb ift, arbeiten fehe." 

„Sa, wa« foß fte benn thun?" 

Sina Sirfenau« ©efidht hat auf einmal einen brutalen 3lu«brud an* 
genommen. 

„SBenn Sie mit ihnen befreunbet finb, werben Sie bie SBerljältniffe 
fennen. ©r ift ja wie ein Sieb, burdh ba« ein ©olbfdhadht bunhfiefem 
würbe." 

Sie lächelt bitter unb betrachtet ihre Keinen blaffen £änbe. 

„®r arbeitet bodh." 

grau SBirfenau ladht auf. ©amt blicft fte 33ertha überlegen an. 
„Sie fcheinen ihn bodh nidht fo genau ju fennen, gnäbige« gräulein?" 

33ertf)a fühlt einen hrifjen Knebel in ihrer Sfehte. 



©lympter. 


2 \ 


„2öaS ich nodh tagen wollte — jürnen ©ie aber nicht über meine 
grage! g<h habe ghnen »orhin gefagt, bafj ich Ijöchftroahrfcfieintich bie 
Äinber fortgeben werbe — bann ift man allein unb — " fie machte [ich 
an ber Ctuafte beS gauteuils ju Raffen, „mürben ©ie mir — Unterricht 
im ©efang ert^eilen motten? gcfi ftcitte idfjon »or, mich an eine ©efangSs 
tehrerin ju roenben, »on ghnen wäre mir natürlich ber Unterricht lieber." 

33ertf)a nimmt bie Veränberung wahr, bie mit ihren gügen uorgeht. 
GtwaS ©dhwereS ringt in ihnen, ein graufameS 2Beh, baS fie ju »erbergen 
unb befämpfen fucht. 

gn biefem 2tugcnblicf fühlte gräulein oon glfen bie warme XtyxU 
nähme, bie ©üte, bie fie für biefe grau in fid) bereit gehalten hotte, mach 
werben, ©ie hotte ein herrliches, beoorjugteS ©efdjöpf ju finben gehofft 
unb fanb — eine Unglficfliche, bie ihr SDJitteib ermecfte. 

„geh gebe nadfj Vaters &obe feine Unterridhtsftunben mehr, aber mit 
ghnen will ich eine äuSnahme machen. $)odj GinS — " ihre SBlicfe 
richteten fidh feft auf grau Virfenau, „roeShalb motten ©ie biefen Unterricht 
nehmen? Verfolgen ©ie babei irgenb ein 3 lei?" 

„3n>ei fogar." Sina Virfenau jögert unb fenft ben ßopf. „Vielleicht 
fönnte idh — ich n>ei§ eS ja nicht — mir bur<h ben ©efang etwas jurüd= 
erobern, was ich ju nerlieren im Vegriff bin — " 

„Ginen 9Jtenf<hen?" unterbricht Vertha fie mit einer ihr felbft fremben 
9tüdfi<ht3lofigfeit. 

„(Sinen fittenfcijen unb — »ietteicht bin ich eines XageS im ©tanbe," 
fie ftreicht neriegen an ihrem rotfjen ©chlafrocf herab — „»ietteicht bin ich 
im ©tanbe, mir ein bischen ©elb mit Unterridhtsftunben ju »erbienen." 

Vertha fühlt es falt über fi<h begehen. 

„©urdfj ©efangftunben, in gbren fahren — unb bie Äinber?" 

„3bh was, bie!" ghre hellblauen äugen blifcen auf. „es ftnb brei 
SRenfdfjen, gnbioibuen für fidh felbft, was gehen fie mich an? geh habe 
gethan, was ich — " fie fioeft unb beginnt roieber mit ber Ctuafte ju 
fpielen. „es ift falfche Sentimentalität. ttttutter, ßinber, Vlut, Slngehörig* 
feit! gebet für fidh, gebet feines eignen ©lüdeS ©dhmieb. <§aut er 
baneben, nun, fo »erantmortet er es felbft. 3Jtag er dichter feiner eignen 
Dummheit fein . . 

S5aS fprach ßorft, benft Vertha. ©ie ift fein Gcfjo, bas Gd)0 beS 
DlpmpierS. 

„geh benfe anberS als ©ie. geh glaube an ©efeft unb 9)torat, an 
Vanbe beS VlutS, an Pflichten." 

grau Virfenau fieijt fie an. 2Bie glüdlidf) mag biefe erbrüdte ©e= 
bemütffigte fein, ihre fdjeinbare Ueberlegenheit »or biefer ftoljen graueiu 
feele ju beweifen. 

„ßiebeS gräulein »on glfen, über für} ober lang belehren ©ie fich 
bodh ju unferen änfidfiten. ©tauben ©ie’S mir, fehen ©ie, wenn ich 



22 ITtaria in ^uebeitau bei Berlin. 

an pflichten glaubte, haha!)®! geh fenne Stenfdjen, bie ihre ©Profite ge« 
brodjen haben, unb als man fie barüber jut Nebe ftellte, lasten fte ©tnem 
in’S ©efidjt unb fragten, rate etwas gebrochen werben lann, baS nid^t oor« 
fjanben wäre? 2BaS beißt fdjwören, fein ©^remnort geben? 2BaS heißt 
überhaupt (%e? ©ie fefjett, felbft in ben epcluftoften greifen oerweigern 
bie Scanner einanber bie ©enugthuung, wett ihnen ihr Sehen lieber ift, 
alö ein hohler Segriff." 

„SBenn ©ie weitere ©onfequenjen jiefien, werben ©ie halb auf un« 
liebfame ©ntbedungen ftofjen. 2BaS Reifet dreue?" ©ie bliden einanber 
in bie Singen. 

„2Ber glaubt benn auch noch an fie!" ringt eS ft<h heifer aus grau 
®trfenauS Stunbe. 

„dann fpredie ich ghnen mein Sebauent aus, benn glüdlid) fann 
biefe ißhilofophie nicht machen. Sßenn lein SBort mehr gilt, fein ©efefc 
mehr befteht, was foH uns benn oor atten Unbtlben frühen? SBenn 
ber 33egtiff Pflicht gefallen ift, bei was foHen wir benn diejenigen, bie 
ben fategorifdjen gmperatio nicht fennen, faffen, wenn fie unS fdhäbigen 
wollen?" 

„@S giebt nur greitjeit, Schönheit unb Harmonie, alles SInbere 
ift Süge." 

SBertha fenft bie SBimpern. ©ie fann in biefem Slugenbtid biefeS oer« 
jammerte, etenbe ©efdjöpf, bas bie iphrafen fdjlauer dreffiter nadhpapageit, 
nicht anbliden. 

„kommen ©ie Siittmod), gnäbige grau, Stittrooch Nachmittag, ba 
will ich gh re ©timme prüfen. Slhomftraße 12. Slbieu für heute, unb 
danf im Namen ber atmen grau." 

©ie eilt Ijaftig hinaus, ohne Sina SBirfenauS lebte SBorte ju oerftehen, 
bie ihr im gnnerften bewegt nadjblidt. 

IV. 

„©ins fann ich ®on mir fagen: geh habe nie ju ben Neigentrinfem 
gehört. Stan muh baS Sehen lehren, einen mit SSorjug ju behanbeln, bann 
gehorcht es." 

Nafaet fefcte ben fchweren fitbemen 58e<her an bie Sippen. 23ei ihrer 
allwöchentlichen 3ufammenfunft in feinem $aufe hatten fie es oereinbart, 
nur aus echtem, fünftlerifd; oerarbeitetem Stetall unb nur f dimere Söorbeauj« 
weine ju trinfen. ©ie ruhten an bem großen, mit Slumen unb eh« unb trinf« 
baren jjjcrrlichfeiten bebedten difd) in NafaelS SlrbeitSjimmer unb ergingen ftdj 
in ©efprädien. grauen würben ju biefen Slbenben nicht jugetaffen. Stand)« 
mal waren ihrer mehr, manchmal nur bie drei beifatmnen, ber Hausherr, 
£orft unb SllphonS. Sllphons fchien wie gewöhnlich anberSwo ju fein als 
ba, wo „fein Seib" ruhte. Nafael tauchte bie fchlanfen ginger in feinen 



01ympiet. 


23 


Sedber unb fpri£te ihm ein paar ©ropfen beS flüffigen ißurpurs in’S ©efidbt. 
„SSerlafj bie Sierte unb weite bei uns." 

„SIS ob idb’S nicht tE>äte!" er mifdbte bie tropfen nicht fort, „idj 
habe mich fogat eben mit ©einen ©orten befebäftigt. ©u fagft : baS Sehen 
tebren. ®a8 ifi eine fpbrafe." 

©enn bie Dlpmpier unter fidb waren, beljanbelten fie fidb gegenseitig 
ohne niet [Rücffidbten. 

„SJtein Sater war Hilfslehrer an einer ftnabenfdbule in einem 3Zcfte 
non 6000 Seelen. ©ir waren 13 Äinbet. ©amt märe mir ©elegenheit 
geworben, baS Sehen ju tebren? ©aS Seben teerte rnicb." ©r fuhr iieb 
über baS ftarf gelichtete buntle Haar. „3<h war frob, wenn ich als 
©pmnafiatftubent jmanjig Äreujer für eine UnterridbtSftunbe erhielt." 

,,©aS ifi ja gerabe bie SCbor^eit, biefes fidb 33efdf>eiben. Hätteft ©u 
fünfzig geforbert, man würbe fie ©ir lieber als bie zwanzig gegeben haben. 
3$ [teile $orberungen für meine Entwürfe, bajj ben guten Seuten baS 
Haar ju Serge fteigt. ©abureb, wenn fdbon bnrdb nichts SlttbereS, erwedfe 
idb bie Ueberjeugung in ben ©ummlöpfen, baff etwas ganz SefonbereS an 
mir fein muff." 

,,©u lotnmfl feiten in bie ©elegenbeit," warf Horft boshaft bin. 

„©artet nur, meine Seit fomrnt halb. 3<h werbe nodb niete ©a<hS= 
ferjen nerbrennen müffen," — bie Dltjmpier brannten an ihren Slbenben nur 
©achsticbter — „benot ich ©ombaumeifter werbe. Slber es b»inbert mich 
ja nidbtS, bie geifilge Steife meiner geitgenoffen abjumarten." 

„SfllerbingS," SlIpbonS lächelte, „es wartet fidb ganz bebagtidb in 
©einer Sage." 

„©eroifj, beSbalb habe idb Tw mir ja gefdbaffen." 

„Sag' baS nidbt," braufte Horfi auf, „unter uns gelten leine Gebens = 
arten, ©tüdl ^aft ©u gehabt, nidbt nur ben ©illen, ben ©u fo gern als 
Sauberjtab auSgiebft." 

Um SiafaelS Sippen judfte eS leife. „Sergifj nidbt, bafj idb nidbt 
nur ben SRammon erhalten habe." 

„•Run ja, ein ©efdböpf baju, baS ©h°n in ©einer Hanb ifi." 

„Ungefähr bas ©cbwierigfte, bas eS geben fann. 3<h bin fein Silb* 
hauer, um bei ber Sache ju bleiben: lein ©rjieher. 3Jtit ihr ginge es noch, 
aber bie Sitten, bie lann idb nicht mehr [utnmobeln. @S ift feine leichte 
Slufgabe, bie ich ba übernomtnen Ijabe, aber ich that eS meinen lünftleri- 
fdhen fielen Z u lieb." 

„©enn fie ©ich hörte," warf SllphonS ein. 

[Rafael lächelte, „©ann würbe ich ihr fagen: ©u hafi mich nicht oer= 
fianben, ©eine Dinen haben ©idb getäufdbt, ®u hafi eine Sifion gehabt." 

„Unb fie würbe fidb überzeugen taffen?" 

„Setbftoerftänblidb. So habe idb ne erzogen, fo muff man bie grauen 
erjiehen, bamit fie nicht ftören." 



2^ JTlaria 3 art * t f djef in Jrlebertau bei Berlin. 

gn biefem fünfte toaren alle ®rei einig, unb deiner roibetfpradb. 

3iuifdßeu fRafaetS ©rauen trat eine gatte. 

„2BaS meint gßr, iua-3 mir 9ltteS ju fc^affett gemadßt mürbe, roenn 
idß nid^t ©räben unb 2BäHe um muß gejogen Ijätte? ®er ©omirtßeit 
gegenüber nüßt nur GinS: unnahbar fein." 

„®iefer ©orficßtSmaßregetn bebarf icß atterbingS triebt." ätpßonS 
ridßtete bie auSbrucfSuollen äugen jur ®ccfe. ,,gcß roerbe muß nie »er* 
ßeiratßen. Sieber beim ©djeirt eines DeltämpdbenS bie ©tutß auf lieben 
©Sangen abiten, als bei ©Sacßsferäenfdbimmer GiSroälle auSjtnnen müffen, 
um ein ßarmtofeS ©efdßöpf in ®iftanj ju batten." 

Rafael erhob fuß aus feiner »otneßm [affigen Haltung. „®u fagft 
baS? Unter all’ meinen ©efannten lebt fein größerer SebenSgourmanb als 
®u. ©SeSßalb fotgft ®u nidbt meinem ©eifpiei? 2öeü ®u nur unter 
bem Ginbrucf »on ©enfationen leben fannft, bie atterbingS in einer Gbe 
aufbörten, fogar, menn ®u babei ®eine eignen 2Bege »erfolgteft. ®aS 
regelmäßige Gffen, bie ©orgentofigfeü, bie ©auberfeit beS $auSßattS ftimmen 
fdbon anberS." 

„©ielleidjt baft ®u nidbt unredbt." 

&orfl ärgerte biefe lafonifcbe guftimmung. 

„ga, ®u bift ber ©eredbnenbfte unter uns ®reien. ®u bringft es 
nid)t einmal ju einem echten redjten ©erßättniß mit einer grau. Gin 
gemiffeS ©anb märe bann ja ba. ®u roitlft oßne teifefte geffeln genießen. 
®u füffeft fie nur, erroedft in ißr ©tutßen, an benen ®u ®idb beraufeßft, 
ofjtie fie ju füllen. Unb eines ®ageS, menn ®u fürdßteft, baß ißre Sippen 
fidb bodb öffnen unb nach Gßrlicßfeit fdbreien tonnten, fcßidfft ®u fie falt 
unb ßöftieß »on ®ir. ®u f»aft fie ja „ßeitig" gehalten, ibr nidbtS UebleS 
jugefügt, fie fann rußig geben, ©ie fjat fein Jünb »on ®ir, nur eine — 
ruinirte ©eete." 

ätpßoitS jänbete fieß eine Gigarette an. 

„®u ßaft redbt, ebler ,§orfl, idß bin ein ^aüunfe. gdß geftebe ®ir, 
für midb ift bas Grobem einer ftoljen grauenfeete, bie ©eobadßtung ißrer 
Kämpfe, bis fie ben ganzen ©attaft ber berfömmtidben moratifdben ©ebenfen 
»on fidß abgeftreift bat, baS größere geft, atS bas änbere, roaS nadbfotgen 
fann. ®er äugenbtief, ba ißre ©eete frei alter füllen fuß »or mir ßüt= 
wirft, ift ber §ößepunft meines GntjüdfenS. ©ergiß meßt, baß idß ein 
®icßter bin unb anberS als ®u geartet." 

jporftS ©tim rötßete fidb- 

„SRatürUcß, idß bin nur ein föanbroerfer, ein trioiater ftleyer." 

„©tan fann ®ir nidbt naeßfagen, baß ®u »ief flepeft," Iadßte 
©afaet." 

„®ott fei ®anf, nein. SReine beften ©Uber finb bie, bie idß nidßt 
male, gcß roitt feßen, ob midb getnanb jtoingen fann, bie Offenbarungen 
in mir an ftretßi unb ©tetßi ju »erfdbroenben." 



01ympier. 


25 


„flein SWenfh/ wenn ®u nur ju leben fjafl." 

§orft jerpftüdfte neroöS eine Slume aus ber SSafe oor ft<h. 

„Unfereiner müßte hoch freie Saßn haben. 3h will ja feine 
befonberen ©enüffe, ich will bloS feine (Sorgen haben. 3h will meinen 
Äopf frei Ratten für aff baS, was in ihm brängt unb gäßrt. 3$ braune 
©elb, oief ©elb. ©ie Tapeten in ben ffJlietfjSrooIjnungen machen mich 
rafenb, bie kreppen, auf benen mir fretnbeS Solf swifchen bie Seine läuft, 
bringen mich um jebe Stimmung, i<fj fomme ju nichts burtf) biefeS ewige 
Sttroatten befferer $uftänbe." 

Stafael nicfte. 

„^a, ©u warteft fhon jiemlih lange, befonberS auf ©ih felbft. Seit 
ben fieben fahren, ba ®u bie 2lfabemie oertaffen f;aft, warteft ®u." 

„2Bir finb ja unter uns," fagte SSffphonS mit einem Slicf nach bem 
©hüroorhang, „hat ©ir benn grau Sirfenau nicht affe äußeren Sorgen 
abgenommen? Sie foff bodh fefjr oermögenb fein." 

„3a, baS glauben 2tffe. 3§re $leinü<hfeit inbeß war noch größer als 
ihr Vermögen. Sie hat fojufagen feiler um Reffet herausgegeben, nur 
um noch länger ihr liebes ©elb oerwahren ju bürfen. SllS fie fich bamals 
non ihrem SDtann fcheiben ließ, wohl in ber heimlichen SorauSfefcung, baß 
ich fie heitatßen würbe, muß fie ein ganj anfeßnUcheS Capital befeffen 
haben, &ätte fie mir gleich baS ©elb gegeben, ntit einer größeren Summe 
in ber #anb hätte ich für mich etwas beginnen fönnen. 9lber, wie gefagt, 
ihr ©eij, ihre ^jabfudjt hat meine glätte oereitelt unb mich um meine 
heften SKrbeitSjahre gebracht." 

©r hielt inne unb goß hajUg ben gnßalt feines Sehers hinab. 

SRafael erhob fich- SSenn £orft auf biefeS ©hema gebracht würbe, 
nerfiel er leiht in Sßeitfhweifigfeiten. Um affe weiteren Erörterungen ab-- 
jnfhneiben, fhlug 3tafael nor, ein wenig ffJtuftf ju machen. Cßne bie 
Antwort feiner ©äfte abjuwarten, ging er in’S ffJJufifjimmer nebenan unb 
feßte fich an bie Drgel, beren machtooffe ©öne halb ben Staunt burdj 5 
raufhten. 

©ie beiben Slnberen waren auf ihren ißläßen oerblieben. 

„SSeShalb bift ©u nicht roirflih enblich flug, Stielfen, unb nimmft 
©ir eine grau, bie ©ir etwas ©elb in’S $au8 bringt. Siehft ®u, ich 
habe ja bie Sebürfniffe eines griechifhen JBeifen, aber ©u mit ©einem 
heißen ©urft nach Sorgenloftgfeit, ißradjt, SupuS! 2BaS ift benn mit 
biefem gräulein oon 3lf e u? ©ie Saroneffe erjäljlte mir jüngft, baß man 
©uh Seibe in nahe Serbinbung brähte. Stecft ba etwas ©rnftereS 
baßinter?" 

„3lh ©ott, was bie Seute niht SffleS wiffen wollen! ©ie 3lfen ift 
eine greunbin meiner SRutter, tugenbßaft wie eine röinifhe Patrone, 
äußerlich: SrunhilbentppuS, bunfelhaarig, gerabe aff baS, was ih an einer 



26 OTaria 3 an 'tf<h*t itt ^Jriebenau bei Berlin. 

Srau nicfjt (eiben mag. UebrigenS bat fie gerabe fo »iet ©infommen, um 
jelbft baoon (eben ju fönnen." 

„9tb, baS ift etroaS KnbereS. ®aS muffte i<b niä)t." 

2luS bem Kebenraum braufte ber' SiegeSmarfh beS „Propheten". 
$orft »erjag baS ©efiht. 

„Sift ®u mit © einen ©bancen bei ber Saroneffe jufrieben? Me 
baft ©u baS nur fertig gebracht? ©iefe »ertrodneten alten 2lriftofraten. 
Uitb fie ift roirflih fhön, »oll »erftedtem geuer." 

„(Sprechen mir nicht baoon, augenblidlih bin ich ganj bingenommen 
»on if)t. ©olch bcrrlidfjcn Stolj bab’ ich noch nie fennen gelernt." 

&orft fal) ib« »on bet Seite an. Salb barauf erhob er fi<b unb 
brüdte ihm bie £anb. 

„©rüff ben Drgclfpieler »on mir, i<b miH geben, ich bin unruhig- 
©ie Kojen ba unb ©uer filberneS Sicht pafft nid)t ju meiner Stimmung. 
Slbieu." 

@r roarf braujfen ben -Kantel um fi<b nnb eilte in bie Kadjt. ©iefe 
beiben oont Schicffat mehr als er Segünftigten ärgerten ihn. 

©r mar eines echten rechten KeibeS, ber bitterfien -Kifjgunft fähig, 
obgleich er „Ctpmpier" mar. Seine Katur mar roenig complicirt. gür raffinirte 
©enüffe mar er unempfänglich. @r roünfhte fid; nur Keidftbum, niel Keidjtbum. 
©r gab auch gern, menn er batte, unb mar bann nicht geijig. ©r tonnte 
im Stanbe fein, feine alte -Kutter förmlich Jur Slrbeit ju peitfehen, grau 
Sirfenau bis auf’s Slut um ihr lefeteS ©elbftüd ju quälen, um einem 
greunb, ber ihn barutn erfudjt batte, ein ©arteben ju geben, ©r mar ein 
ftinb, egoiflifch, unbebadjt in feinen gorberungen, berb in allen Sleufferungen. 
Sein robuft gefunber -Kögen verbaute 2lHeS mit ber gleichen Sortrefflidjteit. 
©r hätte beffer jutn Sauer als jum Zünftler gepaßt. @r fanb auch nicht 
befonbere Suft baran, ein Stiid Seinroanb ju bemalen, er hätte lieber 
Säume abgefägt, fßferbe gebänbigt, mit 2Mbmenf<hen ft<h botumgetrieben. 
©r paffte nicht im ©eringften ju ben verfeinerten SebenSoirtuofen Kafael 
unb SllpbonS, bie er burch 3 u faÖ fennen gelernt batte. Kur ©ineS oerbanb 
ihn gemeinfant mit ihnen: er »erachtete roie fie jebeS Sanb, jebe Söffet, jebe 
etbifche 2lnforberung, jebe ©infhränfung ber perfönlichen Freiheit, jebeS 
9literfennen irgenb einer Autorität. Sonft mar er, mie gefagt, ein flinb, 
ein Mlber. Unb beSbalb muffte fie, bie roie feiten eine grau ÜKutter= 
inftincte bejah, i(;m gut fein. ©aS ©pflopenbafte in feinem Sßefen ju 
bäitbigen, mar SertbaS gugenbtraum geroefen. ©S mar bie fülle Hoffnung 
ihrer reiferen Sabre. 

Sie hoffte audj für feine ftunft baoon ©eroinn. 

©ie oben troftlofen Sorroürfe: fonnenarme Sanbf haften, in bie er 
irgenb eine empörte ©eflalt fteHte, etroa einen Arbeiter, ber bie Sauft gen 
Fimmel ballte, ober ein S r °letarierfinb, bas einer »orüberrollenben 
©quipage nahfpottet, mürben lichteren Shöpfungen roetdjen. 



Olympier. 


27 


Objroar fie im fetten 2Uter ttttt üjm flanb, füllte fte ft<fj iErrn roeit 
überlegen, ©ettjl bie lefete ©rfafirung Ijatte an iljren ©efüljlen für ifjn 
nidjts geänbert. ©ie fanb eä jroar ^öd^ft tfjöridit, a6er fie fonnte nidfit 
anberS, fte liebte Stiles, roa§ mit ifjm im gufammenljang ftonb, um feinet* 
roiHen. 

Ueber bie nähere 9tatur biefeS 3ufammenl)ang3 mit jener $rau mürbe 
fie rooljl halb 3lufEtärung erhalten. — 

3uoot fam Qnge baran. ( ®d,iu& folgt* 




m oitf*. 

Pott 

SClfreb £emerau. 

— (Ojarlottenburg. — 

in 26. Dctober 1900 wirb man baS 2lnben!en SWoltfeS feftlicb 
ju begehen haben; e3 ift ber bunbertfie ©eburtätag be8 großen 
Strategen, ben mir uor neun Sabren oerloren. SöiS an bie 
äufierfte ©renje beS menf<hlicben SebenS ift SUottfe gekritten, ebe nad) 
einem unenblicb reifen $afein ibn ber Xob rafch unb fdjmetjloä fortnabm. 

Sn einem 2Hter, ba bie Kräfte unb bie 2BirEfam!eit bei Sfaberen fcfion 
ücb minbern, bat er ben 3tubm gewonnen, ber feinen Flamen erbalten 
wirb in ber ©efdjidjte, ber ibm baS, was mir Unfterbtidjfeit nennen, ge= 
brad)t bat. 

2113 bie Schlacht non Stöniggräfc gefdjtagen mar, faßte et banfbaren 
^>erjen§ ben ©egen anerfennenb, ber fein $bun begleitete: ift fdjön, 

wenn ber &err einem ben SebenSabenb fo erhellt, wie er es bem Äönig 
unb oielen feiner ©enerate getban; auch idj bin jefet 66 Sabre alt, unb 
für mein Sßirfen in biefem Seben habe id) einen fo ^errlid^en Solm er* 
halten, wie wenige -äRenfdjen. 2Bir haben einen ffelbjug geführt, ber für 
ißreufeen, für ®eutfchlanb, für bie SBelt eine unermeßliche Sebeuiung bat. 
©ottes ©nabe bat unfer reblidjeä unb tbatfräftigeS Streben mit glorreichen 
Siegen belohnt. 2Bir alten Seute aus bem böbmifchen $elbjug fönnen 
un§ rühmen, welche barten Kämpfe wir auch in unjerem früheren Seben 
burchgefämpft haben, bennoeb beS ©BideS Schoßfinber ju fein." 

£>e§ ©lücfeS Sdjofjfinb mochte 9Mtfe {ich fpöter nennen, ba er ndj 
nid)t erinnerte ober erinnern wollte, wie ftreng unb rauh ib m bie Sabre 
bahingegangen waren, unb bah ber Schalt biefer langen Seit nur Arbeit, 
ben Körper unb ben ©eift anftrengenbe, ermübenbe Strbeit gewefen. ®e§ 



IlToltfe. 


29 


©lüde« Scßoßfinb mochte et fidh nennen, wenn er, beleihen feine 93er* 
bienfte oergeffenb, ni<fjt baran badjte, baß ba« ©lüd hoch nid)t allein jum 
©rfolge oetßiift, baß bodß nnr ein müßfeliger, befcßwerlidher 2Beg auf ben 
©ipfel führt. 

©in 3 u f°tt ttur, aber bodj immerhin merfwürbig ift eS, baß 39lüd)er 
forooßl at« SJioItfe in SJJedlenburg geboren mürben, ber tapfere Fiifjne ©rauf* 
ganger unb ber füll mägenbe unb roeife roagenbe Senfer ber Schladjt; baß 
Seibe, bie ftdfj in oerfcfjiebener ßinfidßt fo große Söerbienfte um ©eutfcßlanb 
erwarben, fcbon als Knaben ihre enge Heimat »erliefen ; baß 58eibe, ba bie 
{(einen 93erhältniffe baßeim fie brüdten unb ihrem SBeiterftreben feinen 
(Spielraum ju gewähren oermocßten, in fremben ©ienft traten; baß SBeibe 
bann nodh in jungen fahren, SSlüdßer aus bem fdbmebifdhen, SJtoltfe au« 
bem bänifdhen £eere in ba« preußifdje übertraten, ba« fie fpäter oon (Steg ju 
(Sieg führten. 2Ba« SBlüdßer im Stnfange be« ftaßrßunbert« begonnen, ba« 
bradhte am ©nbe beS Saßrßunbert« DJfottFe jum glüdlicßen Slbfdjluß. SBenn 
ber ©ine ba« beutfdhe Sanb oon ben granjofen fäuberte unb fie mit 
blutigen Köpfen heim über ben St^ein fanbte, fo gewann ber SInbere im 
SSerein mit 33i«mard mieber, wa« ber ©rbfeinb uor jwei ^ahrßunberten 
mit ©eroalt unb ©nterlift geraubt, unb erfüllte, ma« ber ©raum unb bie 
trügerifdje Hoffnung fo uieter 3aßre unb fo oieler $erjen war: bie 
©inigung ©eutfdhtanb«. ©er fräfüge 2lrm SBlüdjer«, ber Rüge Kopf 
SJtoltfe«, 93eibe teifteten ba« &ödhfte für ©eutfdhtanb« ©hre unb SJtadßt. 

SJtoltfe« SSater war auch SJUlitär, et ftarb al« bättifdher ©eneral* 
lieutenant. @r ift ein thatfräftiger unb gefdßeüer SJtann gewefen, beffen 
Sebßaftigfeit oft jur Unruhe würbe. 58i« in’« hohe 3lÜer hinauf blieb er 
eine ftattlidfje ©rfdheinung, behielt er fein oolle«, weiße« &aar, feinen 
martialifchen Schnurrbart, fein muntere« jooiale« SBefen. 2ßie fein Sohn, 
ber fpätere ffelbmarfdhaH, hatte er große Vorliebe für’« Steifen, ba« bamal« 
nodh mit erheblichen Sdßwierigfeiten uerfnüpft war. Seine Steifen madjte 
er im offenen fogenannten #olfteiner SBagen, oon einem Sdhitnmel gejogen, 
oon ihm felbft gefahren, unb oon einem ©iener begleitet. So fuhr er 
einmal oon Kiel nadß Saljbrunn, fogar nad) fßari« unb bem füblidhcn 
grranfreidß. ©ine Sorglofigfeit, weldhe alle ©inge be« äußeren £eben« be* 
traf, welche feinen Umgang ju einem angenehmen machte, beßerrfdjte ihn 
fo feßt, baß feine materiellen 33erhältniffe fidh bauemb oerfchledjterten. ©r 
hatte, wie et felbft fagte, nicht bie Kraft, fidh nad) ber ©ede ju ftreden; 
aber er erfreute fidh einer blüßenben ©efunbheit, eine« frohen $erjen«, fo 
baß e§ ißm, bem SDtitteUofen, gelang, eine glanjenbe Partie ju machen: 
er heirathete Henriette ißafcßen, eine Sübeder ißatriciertodjter. Stolj, un* 
naßßar, fdßön, war fte oon mittelgroßer fyigur; burdß ba« lodige, weiß ge* 
puberte f?aar, ben feftgefdfjloffenen SJtunb, bie gebogene Stafe, bie ernften 
geiftootten Slugen würbe ißr ©efidßt feßr cfjaraEteriftifcf). ©rnft, faft fhreng, 
nadß außen hin oerfdßloffert, war fte bodj im ©runbe feßr leibenfdßaftlidh; 



30 


Jllfrcb Semerau in Chatlottenburg. 


fie liebte SÖtufif unb bie ®idjtung, roaS fidj auf ihren <Sof)n $ettmutb 
forterbte; fie mar eine ffric^e fyrau, bie mehrere ©praßen gemanbt be^errfd^te. 
®ie ©be mar feine glüdliche, obwohl eS eine ÜReigungSbeiratb gewefen mar. 
©iner allmählichen inneren ©ntfrembung folgte fpäter bie äufjerlidje 
Trennung. 

3Id)t Äinber entfprangen biefer @be, fedjS ©ohne, jwei £öd)ter. 
.Qetlmutb, ber berübmtefte aus ber wcitoerjmeigten altmedlenburgifchen 
Familie ber 3Mtfe, mar ber britte ©obn, ber alle feine ©efdiwiftet mit 
SluSnabme feiner ©cbwefter UJtagbalena überlebte. 

©djon als Kinb fam ÜMtfe aus bem »äterlichen &auS, nadjbem er 
oorber bereits baS unftete Sehen feines SaterS tljeilenb, in wenigen fahren 
an »ier »erfdjiebenen Drten geweilt b a *tc- ®aS ©djidfal fdiien ihm bie 
Sföobttbat eines behaglichen Reimes nid)t gönnen ju motten. ®er elfjährige 
Knabe fam in baS SanbfabettenbauS nad) Kopenhagen jufammen mit feinem 
älteren Srubet gtife unb blieb hier fieben Sabre lang. Dbne Sermanbte 
unb Sefannte in einer fremben ©tabt »erbrachten fie bort eine freublofe 
Sugenb. ®ie Sebanblung war ftreng, fetbft hart, bie ©Ziehung eine 
wahrhaft fpartanifcbe; oon Siebe unb Sbednabnte merfte man feine ©pur, 
oon einer forgfamen ©rsiefjung in tnoralifcber Stiftung mar feine fRebe; 
ein oft ju £age tretenbeS 9Jitff trauen wirfte auf;erorbentli<h fchäblid) ; wenn 
auch bie Säbfiditen, bie eS beruorriefen, uieQeicht gut fein mochten, bie 
SBirfungen waren fcbäblicb. 2£ieber unb wieber nach nieten fahren flagt 
ÜRoltfe bitter in feinen Briefen über biefe unuermifdjbaren traurigen ©in= 
brüde feiner Sugenb, bie ihn »erfcbloffen unb einfam gemacht, fein ©elbffe 
bemuhtfein geminbert hätten. „®a3 einzig ©ute, was biefe Sebanblung 
mit jich brachte, war, bafj wir uns früh an ©ntbebrungen aller 2lrt ge= 
wohnen muhten." „®ie wahre .göflicbfeit unb ber feinfte SSeltton ift bie 
angeborene greunblidifeit eines moblwollenben ^»erjenS. Sei mir hot eine 
fdjlechte ©rsiebung unb eine $ugenb »oller ©ntbebrungen biefeS ©efüht oft 
erfiidt, öfter aud) bie 9leuf?erung beSfelben jurüdgebrängt, unb fo ftefje ich 
ba mit ber angelernten falten bocbmiitbigen tgöflichfeit, bie feiten Sentanb 
für fich gewinnt," fchreibt er als 3roeiunb»iersigjähriger an feine Sraut. 

®er Sanbfabett SDioItfe foH nad) ber ©djitberung eines Sugenbgenoffen 
ein fdjlanfer junger 9Renf<h gewefen fein mit »ollem blonben £aar unb 
gutmütbigen blauen Slugen, »on ftillem, aber freunblich entgegenfommenbem 
SSeien unb treuherzigen offenen StntttfseS, über beffen ernfte SJtienen in 
unbemadften ?lugenblicfen juiueiten ein 3 l *g non »erhaltener SBehntuth flog, 
©ein eifemer gleife unb energifefjer SBitle fd^redten »or feiner Aufgabe 
jurüd unb mufften fie mit fidjerer fjaitb ju erreichen. Sei feinen 
Kanteraben ftanb er in einem gewiffen 9tefpecte; er muhte bieS auch; 
niemals aber machte er »on feinem Uebergemübt unb Slnfehen ben geringften 
©ebrauch. ©efpräcbtg unb mittbeilfam im Serfebr, ernft jurüdhaltenb im 
Sienft unb bei ber Arbeit, befcelten ihn »orjugSweife ein unermüblidjer 



tltottfe. 


31 

Pflichteifer, eine faft beifpietlofe ©ewiffenfjaftigfeit. ©o beftanb er baS 
DffiäierSejamen glänjenb. Salb mufjte er jeboch eiufehen, bafj in ©äne* 
marf, beffen Hauptmacht bo<h in bet flotte beftanb, feines SleibenS nicfjt 
lange fein werbe, bafj er hier feine Gelegenheit finben würbe, feine ©aben 
ju entfalten, ©ein Gntfdjlufe würbe feft, als fein ©efudj, in bie ©arbe 
ju treten, abfehtägig belieben würbe. 

Gr trat in preufnfdje SJienfte. 2lu<h hier tt»at er fid) burdj gleifj 
unb Segabung fo Terror, bah er ju ber non Gtaufewifc geleiteten Ms 
gemeinen ftriegSfdjule in Serlin commanbirt würbe, bie er bis jum gahre 
1826 befugte; befonberS intereffirten ihn bie Sorträge beS berühmten 
©eographen Garl Witter über Grbfunbe unb ©efdjichte. «Dtoltfe lebte für 
fi<h, eingejogen, er war gezwungen baju als armer Sieutenant ohne einen 
Pfennig gulage, benn bas Vermögen bet Gltern war bis auf ein Keines 
Kapital, bas ber «Dtutter ju einem befdjeibenen Unterhalt biente, oerloren. 
5£ro|bent erübrigte 3Rottfe noch ©elb, um ?f3riüatunterrid;t in ben neueren 
©praßen nehmen, eine «Reife nadj ©afjbrunn antreteu ju fönnen. Serfehr 
mit ben Äameraben hatte ber junge, für ftolj geltenbe, wenig jugängtiche 
Sieutenant ni<ht, ber fo niel las. @S nimmt nicht SBunber, bafs bie 
©efunbheit ÜMtfeS in jener geit in golge ber geiftigen unb förperlidjen 
Ueberanftrengung litt. Son ber ßriegSfdmle würbe er, als man feine be« 
beutenben gäljigfeiten erfannt, nach granffurt gefchidt, um eine etwas t>et= 
wilberte fDimfionSfdjule in Drbnung $u bringen, unb als er fiel; biefer 
Aufgabe gut entlebigt, warb er im gahre 1828 in bie Mtheilung beS 
©eneralftabeS berufen, bie geographifdje Sermeffungen in ^ßofett unb 
©djlefien ju machen hatte. SJiefe gelbmefferthätigfeit brachte ihm bie 
mannigfaltigfien Sortheile. ©eine ©efunbheit befferte fi<h in golge ber 
täglichen pielftünbigen Bewegung in ber freien Suft, bie behaglichen 
Quartiere bei betn reichen Sanbabel trugen ebenfalls bas ihre baju bei, 
erhebliche gulagen ermöglichten ihm, ber in engen Serhältniffen gelebt 
hatte, nun ben ©einigen hm unb wieber Unterft Übungen jufommen ju 
taffen. Sor Mem aber war biefe gelbmefferthätigfeit eine ausgejeidjnete 
Vorübung für bie jufünftigen wichtigen Arbeiten in ber £ürfei unb ber römi= 
f<hen Gampagna, hier gewann er jenen raffen unb fcharfen 33lid für bie 
Sobennerhältniffe auSgebebnter ©chlachtfelber, ber ihm bann in ben fpäieren 
Kriegen fo förberlich war. 

©o »ergingen bie gahre siemlich eintönig unb geräufchfoS unter 
anftrengenben bienftlichen Arbeiten unb grünblichen ©tubien. gm gahre 1833 
würbe «Dtoltfe ipremiertieutenant unb jugleidj in ben großen ©eneralftab 
einrangirt, jwei gahre fpäter würbe er Hauptmann. ©o wäre er woI;l 
jweifeHoS bie militärifche Stufenleiter langfam höher geflotnmen, wenn nicht 
ein Greignifj eingetreten wäre, welkes, wenn auch nicht entfdjeibenb für 
fein Sehen, fo bo<h einfdjneibcnb genug gewefen ift. gm gahre 1835 
führte SRoltfe fein fogenannter „ÄönigSurlaub" auf feinet «Reife nach bem 
»sc» mb 60 ». xcv. m 3 



32 


Illfteb Semerau in <£t(a* IcJttnburg. 


Dfien nadj Gouftarttinopef, iuo er fich bem Oberbefehlshaber ber oSmattifdhen 
,§eere, bem allgemaltigen 3M)met GljoSref ©afdha, »orflellte, ber ibn munter 
unb ungejroungen burcb einen ®olmetf<her nach bem preufjifdhen Sanbmehr* 
fpftem befragte unb bie Sö ortref fli<^ fett ber preufjifdhen ^eereSeinridfjtungen 
fefjr rühmte. ©id)t lange banach trat ÜJtoltfe, ohne aus bem ©erbanbe beS 
preufjifchen feeres auSjufdheiben, mit Grlaubnifj griebrldh SBHhelmS III. in 
ben Dienfi ber Pforte auf unbeftimmte Seit. 

Gr hotte, als er nach Gonftantiuopel fant, nur bie Abfidht, ungefähr 
brei SBodjen hier ju »erbringen, er muffte nicht, bah er »or »ier fahren 
bie Heimat nidft micberfehen mürbe, liefen Aufenthalt im Orient hat uns 
ÜJtoltfe gef<hitbert in feinen ©riefen über Saftänbe unb ©egebenheüen in 
ber dürfet aus bem gahre 1835—1839," bem ©ejten, maS uns -Dtottfe, 
ber ©djriftfteHer, hintertaffeu hat. 

Sänger als jroei gahre »crroeilte er, fitrjere unb auSgebehntere AuS« 
flüge abgerechnet, in ber ^auptftabt beS großen türfifdfjen ©eidjeS. ©ie 
herrliche Sage GonftantinopelS preift er begeiflert, beS »ielgemunbenen 
©oSporuS malerifdje ©ergreihen, bie großen cppreffenberoachfenen SEobtenäcfer 
rings um bie (Stabt in ihrer grofjartig fdhötten Ginfamfeit, baS ©ifcen bei 
Kaffee unb SCfdbibuf in ©ujutbere unter ben breiten ©latanen, bie ©ofen* 
gärten ber tiirfifdjen ©rohen, »on benen man fo meit über baS ©teer 
biicfett fann; er fdhilbert uns bie engen »ielgemunbenen (Straffen, baS bunte 
Seben in ben ©ajaren, auf bem gifdj* unb ©emüfemarft, bie ©iofcheen 
unb SBafferleitungen, bie Käufer ber dürfen unb Armenier, bie Sage ber 
grauen unb ©flauen, bie bantafs in Gonftantinopei müthenbe ©eft, bie 
fdiledhte türfifctje ©ermaltung. GS entgeht ihm nichts, fdjarf beobadhtet er 
baS ©olfSteben, bie ©erhäitniffe beS SanbeS, er »ertieft fi<h in baS ®enfen 
unb Gmpfmben einer gänjlidh anberS gearteten, ben ©eboten beS Koran 
eifrig nadjftrebenben ©euölferung, er hebt lobenb heroor bie ÜCbierliebe beS 
dürfen, feine aus bem ©lauben an baS unabroenbbare ©dhicffal h ctt) ar= 
gehenbe gurcbtlofigfeit »or bem £obe. 

GhoSref ©afdja hatte ©tottfe bie Aufgabe übertragen, eine ausführliche 
©enffdjrift über bie ©euorbnung beS türfifdhen §eermefenS, über bie Gin* 
führung ber preujnfdjen Sanbmehrorbnung abjufaffen, Arbeiten, roeldhe jur 
»öttigen Sufriebeuheit beS firengen ©tinifterS auSjieten. ®ana<h nahm er 
ben ©lan ber geftungSroerfe ber ®arbaneHenftrahe unb ihre Ufer auf unb 
befic^tigte jufamnten mit bem ©rohmeifter ber Artillerie, $afij ©afdha, bie 
neuerbauten geftuugSmerfe »on ©arna am ©chmarjen ©teer. Gr hatte »on 
ber £auptftabt felbft einen ©lan aufjunehmen, ©orfdhläge jur 2Bieber= 
herftcHung ihrer ©efeftigungen, ju einer reidjUdjeren ©erforgung mit fEriut* 
maffer ju machen. Acht bis neun ©titnben täglich fofteten biefe Arbeiten. 

&er ©nltan ©tabmub II. fdhenfte bem preufjifchen ßauptmann groheS 
©ertrauen unb ermieS ihm »iele ©unft; auf einer ©eife nach ber am 
nteifien gefährbeten £)oitau* unb ©alfangrenje begleitete ©toltfe ben ©roh* 



moltfe. 


33 


herm. SEa^renb biefer ganjen ^eit bewies er eine raftlofe £bätigfeit, eine 
eiserne SluSbauer, ftrenge tpftid^ttreue, bie not feiner feine ©efunbfjeit 
gefähtbenben ober fein Seben bebrohenben ©efabr jurücffdhredte. SDtoltfe 
burdhftreifte 33orberaften bis jum ©uphrat unb Tigris unb machte enbtidh 
ben für bie £ürfei fo unglücflidhen ffelbpg gegen aWehenteb 9Hi »on 
Segppten mit. 2l(S er bann im Sluguft 1839 toieber in ©onftantinopel 
eintraf, mar fein gnäbiger ©önner -Dtahmub tobt; er befudjte, beoor er ans 
bem SRorgenlanbe nadjj ber Heimat aufbtad), bas ©rab biefeS ßerrfdherS, 
feinem 3lnbenfen bie treffenben 2Borte mibmenb: „Stube unb grieben fei 
mit feiner 2lfdje! (Sultan ÜJlabmub ijat ein tiefes Setb butdh’S Seben 
getragen: bie SBiebergeburt feines SBoifeS mar bie grofje Aufgabe feines 
übafeinS, unb baS SJtifjlingen biefeS ißtaneS fein £ob." 

®er Stadhfolger 3tbbut;S0tebfi^ib empfing 9Mtfe bulbreidh, bcfdfjenfte 
unb entliefe iF)tt ebrennoll. ®er plöfctid&e SBechfel beS ÄlimaS, oor 2Wem 
aber bie ungeheuren Slnftrengungen beS festen 3aFjreS übten nun ihre oer» 
berblicfee SEBirfung, ein gefährliches lieber befiel ihn, langfam nur genas er. 
SUs 9lnerfennung feiner ©ienfte erhielt er oon griebridh Sßilbelm III. ben Drben 
pour le märite; er mürbe sunt ©eueralftab beS vierten 2lrtneecorpS »erfefct. 

3Siele ©rfaferungen hotte er im Orient gefammelt, in allen Aufgaben 
ii<fe bemährt. 2BaS er am ©uphrat lernte, bot er lange fpäter im $)ienft 
feines SktertanbeS an ber Oftfee, ber ©Ibe, SRofel unb 2HaaS oerroertben 
fönnen. Seine Sehr» unb 2Banberjafere lagen jefct jurüd. ©r hotte nun 
ein reidjeS Seben hinter ftdh, er mar ein gereifter SJtann, beffen Slugen 
an fremben Fßerhältniffen ftdh gefdhärff hotten, beffen flrategifche Stenntniffe 
om ©uphrot mohl oerwertbet roaren. SDie^r noch als bisher auf feinen 
SBanberungen burdh bie afiatifdhe unb europäifdhe £ürfei hotte er felbft» 
ftänbig auftreten, rafdh unb ficf»er einen ©ntfdblufe faffen, richtig baS 
Terrain bezüglich taftifdher unb firategifdher SSerljältniffe beurtheilen 
gelernt bei jenen StecognoScirungen, bie ihn über ben Naurus, 2lntitauru8, 
©upferat unb Tigris führten, bei benen er nadh feiner eigenen Angabe etwa 
taufenb SDteilen p ißferbe prücflegte, bei jenen friegerifdhen ©reigniffen, 
bei benen er baS, maS bie 9tacE)tiiffigfeit unb Unfenntnife ber fßafdhaS »er» 
borben, burdh bie ^mprooifation einer Stunbe mieber p einem guten 
©nbe führen foHte. 9todh in fpäten Rohren fpradh 3JIoftfe gern »on feinen 
orientalifchen ©rinnerungen unb betonte mit berechtigter ©enugthuung, bafe 
»or ihm fein europäifdher SReifenber in jenen ©egenben ber mefopotamifdhen 
SBüfte geroefen, bafe in ber Seobadhtung beS ©urihbrudfiS beS ©uphrat burdh 
baS furbifdhe ©ebirge Xenopljon fein nädhfter Vorgänger fei. Um feine 
Sternen toieber p fräftigen, um fidfj oon ben Slnftrengungen unb 
©ntbehrungen, metdhe er im Orient erlitten, p erholen, ging er im Sommer 
1841 nadh $elgolanb, roo Slbolf Stahr ihn traf, bem bie hoho hogere 
©eftalt, bie fdhorfgejeidhneten ©eftdbtSpge beS mageren wettergebräunten 
9lntli$eS, ber fdEpnaHippige, feft gefdhlojfene 3)tunb, ber fdhroeigfame ©mft 

3 * 



34 


21 (f r eb Semerau in (Ofarlottett&urg. 


auffieten. „2ßoI;l fah man ihm an, bah er roirflich bie oft unglaublichen 
©trapasen burchgemacht haben muhte, oon benen er in feinen Briefen 
fprid^t, unb bie nur ein fiäijferner SBiHe unb eine non Qugenb auf 
gefparte (Gefunbljeit su ertragen ihn befähigt h^en fonnten. Gr mar 
bamals erft oierjig 3ahre alt, aber fein 2luSfel)en lieh ihn um naheju 
jeljn 3 a hre älter erfcbeinen. 2BaS an ihm befonberS auffiel, mar bie 
(Einfachheit unb fdjlidjte Siatürlidjfeit feinet ganjen SBefenS, beffen 3mficf= 
haltung eben nur als eine geroiffe angeborene ©djmeigfamfeit erfdnett." 

®ie nun folgenben ©icnftjahre ftnb ganj unb gar in 2fnfpru<h 
genommen burdj militärifche Pflichten unb ernfte Arbeiten, hin unb roieber 
gönnte ficfj SöJoltfe eine Steife jur Grholung, jur ©tärfung feiner (Gefunbheit, 
bie et allein ober mit feiner $rau ober einem feiner SBrüber ober Steffen 
inadhte. 2118 Slbfutant begleitete er ben Sßrinjen Heinrich nach Italien, nach 
beffen frühem £obe befugte er, in berfetben Gigenfcfjaft bei bem Kronprinzen 
griebridh SBilhelm thätig, ben englifchen, franjöfifchen unb ruffifchen $of. 
2lttmäblicb Komm er auf ber Seiter ber militärifcben Ghren ^öh»er ; im 
^afjve 1858 nmrbe er Gljef beS (Generalftabs. 3efet alfo mar er au bie 
©teile getreten, in ber er fo bebeutfant in bie (Gefdjicfe ber Sßölfer eingreifen 
foHte. SBorerft mar er freilich nur ein in Sßreuhen als fehr befähigt unb 
oerbieuftooll angefchener SDtilitär, ber flrcng unb geroiffenhaft feine Sßflicht 
that unb baSfelbe auch non feinen Untergebenen oerlangte. SMe 2Belt= 
gefdji<bte muhte uod) nichts oon ihm. SBtS bahin oergingen noch 
$ahte. 2lls ber Krieg gegen $>änemarf auSbrad), in bem es recht raenig 
(Gelegenheit gab, befoitbere ftrategifcfje gähigfeitett ju entfalten, nahm 
SDloltfe erft bebeutenben 2lntheil nad> ber Groberung ber ©üppeler (Sdhanjcn; 
fein tßlan mar ber Uebergaitg nach Sllfen. Silber auherhalb ber militärifchen 
Kreife mar fein Stame fauin befannt unb genannt, $n bem gelbjug gegen 
Defterreich geroann er bann ben Stulpn, ein grober gelbherr, in bem gegen 
$ranfrei<h ben Stuhrn, ber größte fvelbherr feiner 3 ß it ju fein. 

3unt erften SDiale nad; fünfunb}ioanjig fahren — fo lange 3eit mar 
oergangen feit ber für bie dürfen fo unglüdlidjen ©chlacht oon SRifib — 
mar es SDloltfe oergönnt, ju zeigen, maS er am Gupbrat gelernt. SDet 
glüdliche 2lu8gang beS fchlcSmigdjoifteinifdhen fffelbjugeS mar hoch oorjugS» 
roeife zujufdjt'eiben ben flug getroffenen Vorbereitungen beS föaupteS beS 
pteuhifdjen ©eneralftabeS, bem rool)l überlegten Sßlane beS UebergangeS 
nach 2Ufen befonberS, ber SBefefcung ftütlanbs, bem für ben §all, bah 
©änemarf hmdnäcfig einen ^rieben oerroeigert, beabfnhtigten SBerfuch, nach 
günen iiberjufeben. ®iefc bebeuteube Stheilnaljme SDtoltfeS an bem guten 
SiluSgang beS Krieges mürbe nicht allgemein befannt, et muhte ftch mit ber 
glänjenben 2lnerfennmtg feines Königs begnügen. Gr trug fi<h fogar mit 
bem (Gebauten, im fommenben gpühiahr feinen 2lbfdjieb ju nehmen, „rnenn 
nicht neue SBermicfelungcn eintreten". ®o<h halb fdjtieb er an feinen 
Sruber Slbolf : „GS ift eine ernfte 3«t. ®er Krieg ift unoermeiblich. 



moltfe. 


35 


3$ glaube nicht, bajj es in eine« 3Jtenfd;en ßanb liegt, tf»n ju nermeiben. 
Die ©efchicfe Deutfdfjlanbs werben ftd) fett oottjieljen. Der ©onberungS* 
trieb, welchen feit DacituS bie Deutzen bewahrt haben, führt jur ©nt= 
fdjeibung burdj ba8 ©dhmert . . . Der Jfatnpf wirb furchtbar werben. 
Deflerreidh hat gerüftet wie nie junor, unb and) wir fletlen unfcre ganje 
SRadht in’S gelb . . . -Köge ©ott uns ben ©ieg oerleiben, benn mit 
^teuften fällt Deutfdblanb." 

Der ebenfo gewaltige wie furje Jlrieg non 1866 jeigte bie gelbberrns 
6egabung SRoltfeS in ihrer ganjcn ©röfje. Der geiftige Senfer ber jwei* 
hunbertfünfjigtaufenb SKann, bie bamals in ben ifampf gegen Deflerreidh 
jogen, war ein fdjon betagter 3)tann, beffen großer gelbbermgeifl bie über; 
rafdhenb fchneHe 33eft feergrei f un g non ganj Utorbbeutfdjlanb plante, um bann, 
bie terfdhiebenen Dheile beS j&auptheereS in einen gewaltigen «Strom ju= 
fammen fCie&en taffenb, biefen in feiner ganjen SBudbt gegen ben geinb 
feinen nemidhtenben Sauf nehmen ju laffen. gwei 9tücffidhten nor 9lHem 
finb nadh SRoltfeS eigenen Sßorten für ben 2litSgang entfdheibenb geworben, 
bie urfprünglidbe $8ertheilung ber bieSfeitigen ©treitfreifte auf ben ner* 
fchiebenen ftriegStheatem unb ihre aSerfammlung auf bem ©d)ladhtfelbe. 
3n ben bebeutenbften Momenten jeigte üMtfe bie größte Äühnheit bei aller 
Storfidht, eine Kühnheit, bie befonberS auf bie Senntnijj ber ßeereSleiftungen 
ftdh grünbete unb auf baS Vertrauen, ba§ biefe Sciftungen im gegebenen 
§all mit ber ©röfje ber 9lnforberung wüdhfen. ©dhon ©neifenau hatte 
gefagt: „Das Äübnfle ift auch baS ©icberfle." 9Kit oerl;ältni§tnä^ig ge= 
ringer üjtülje war bie fdhwere Aufgabe gelöft, angeüdbts ber grojjen feinb* 
liehen 2lrmee non jwei ©eiten aus in’S ©ebiet beS geinbeS einjufatlen unb 
in baS gnnere beS SanbeS notjubringen. Das „Vereinte ©djlagen" folgte 
bem „©etrennt 9)tarfchiren" fogleicf) nach. SJtoltfeS 3 uoeT f*d)t bewährte 
f«h nottftänbig. Dnfj bie DbercomntanboS ber brei Slrmeen unb ihre 
Druppen ftets bereit waren, ben Ülnforbenmgen, welche ber ©eneralftab 
an ne ftetlte, bem Vertrauen, baS er in fte fette, ju entfpredhen, bafj bie 
gbee, welche bem ganjen gelbjugSplan ju ©runbe lag, nicht nur eine 
geiftreiche Dheorie, fonbem auch praftifd) burebjufübren, hatte beutlich ber 
©ieg non Äöniggräfc bewiefen. gn ber £auptfd;la<ht biefeS gelbjugS, bie 
lange unentfdfjicben ^in unb her wogte, brachte feine ©djwierigfeit, feine 
©efahr, feine augenblidfliche SluSftchtSlofigfeit SDtoltfe aus feiner unjerftör= 
baren 9tuhe. ©r weilte rneift in ber Stäbe bcS ßönigS, fprengte nur hi> 1 
unb wieber nor ju einem günfligeren 2luSfidf)tSpunft, wo er bem Verlaufe 
eines befonberS hifcigeu ÄampfcS beffer folgen fonntc, liefe lieh burd) bie in 
nädhfter Stäbe einfdjlagenben ©ranaten nidjt im ©eringftcit flöten unb oer* 
lor feinen SJtoment bie Hoffnung auf enbHdhen ©ieg; auf eine beforgte 
gtage beS ftönigS antwortete er furj unb ruhig: „Eure SJtajeftät gewinnen 
heute nicht nur bie ©dfjlacht, fonbem ben gelbjug." SBemt eS auch bei 
bem bis in’S Einjelne ausgearbeiteten SlriegSplan SMtfe fofort flar war. 



36 


2llfteb Semerau in £tja»tottenburg. 


tt>o bie Gntfcfeeibung läge, tno bemgentäfe bie Gruppen $ur Vorbereitung 
ihres ftratcgifdjcn 2tufmarf<heS fich aufjuftellen, in welcher Vertfeeilung fie 
aufjuntarfduren, uub roo fie ihren VereinigungSpunft ju finben Ratten, 
trifft man bodj nirgenbS in ben Scfc!)len beS ©eneralftabStjaupteS an bie 
Gontmanbanten je eine ffeinlidje Veoortnunbung, eine ganj genaue Vor« 
fdjrift für ben ju madienben fDiarfd); 3Jtoltfe giebt nur bie allgemeine 
©irectioe, e§ bet 5Cf»atfraft uitb Giufidjt ber Gontmanbanten überlaffenb, 
tote fie, bie an Ort unb ©teile bie ifjnen «otn Terrain, nont $einbe ent* 
gegcngcftellten ©dnmerigfeiten fennen ju lernen unb ju überroinben Ratten, 
baS 3iel am fdfnteüften nnb tcid)teften erreichten. Ueberad, bei Jlöniggräfe, 
mie bann fpäter bei ©raoelotte uub ©eban unb bent 3uge gegen Vourbafi, 
begegnet man bicfen allgemein unb fnapp gehaltenen Vefefelen. 3l(S ber 
furje gfelbjug fo gtiinsenb beenbet worben, fhrieb ÜDtoltfe, baS Gtgebnife 
besfelben furj jnfamntenfaffenb: „ffefct fennt ißreufeen fich. ©aS ift baS 
größte fRefultat beS Krieges." Von jtcfe aber fagte er nur: „3<fe habe 
meine fßflidjt gethan — weiter nichts." 

2luf ben Sorbeeren biefer grofeen Gefolge auSjuruhett, foffte -äRoltle 
nicht uergönnt fein. ©aS ?Berf, baS mit ber fRieberwerfung DefterreidhS 
begonnen, mürbe erft mit ber ffurüdmeifung ber $ranjofen noHenbet; bann 
erft burfte man hoffen, ©eutfdjlanb unter einem Äaifer ju einen. VereitS 
im Sßinter 1868 — 1869 mar ber genaue ÄriegSplan 9RoltfeS fertig, ber 
als nädjfteS $iel ber HeereSbemegungen feftfteHte, bie Hauptmacht beS 
geinbeS aufjufuc&en unb anjugreifen, mo man fie fänbe, ber non ben 
erften Vemegungen an als leitenben ©ebanfen baS Veftreben erfennen liefe, 
bie feinbliche Hauptmacht non ihrer Verbinbung mit fßariS in nörblicher 
fRicijtung abjubrängen. ©ie Vorarbeiten für ben ©ranSport unb 2Rarfd& 
ber jur Verfügung ftehenben nierhunbertnierunbadhtjigtaufenb 3Rann waren 
bis in’S Ginjelfte ausgeführt, fo bafe, wenn ber $rieg loSbradh unb bie ge» 
fantmte beutfehe SJiadEit aufgeboten mürbe, nichts weiter nötljig mar, als 
„baS ©atum beS erften 2RobitmacfeungStogS in bie non ber Gifenbahu- 
abtheitung im ©eneralftab für jeben einjelnen ©ruppentheil ausgearbeiteten 
9Rarfdfe* unb gafertableauf einjufügen unb fo ben ©ranSport beginnen ju 
laffen." ©er ©runbgebanfe non SRottfeS ÄriegSplan gegen $tanfrei<h 
mar ber fchon im fyetbjugSptan gegen Defterreidfe ju ©age getretene, bafe 
es nämlich nor Ment barauf anfomnte, fo rafdh unb georbnet als möglich 
bie einjelueit H«ercStbeite nach betn KriegSfchauplafe ju bewegen, bie 9trmee 
auf nid)t aUju ausgebehnter Sirtie in bebeuteitber ©tärfe aufmarfctiiren ju 
laffen. SBenn im Qafere 1860 Dberfdflefien ungebedt geblieben mar, ba 
nad) fDioltleS fixerer Ueberseuguitg ein etwa eingebrungener geinb burd) 
einen entfdjeibenben ©cfelag in Vöhtnen alsbalb jum 2Beid)cn gcnötfjigt 
würbe, fo tiefe er nun bie ganje ©chroarjwalblinie ohne Schüfe, ba ein 
Ginfall ber graujofen in ©übbeutfdftanb ohne jeben Grfolg bleiben mufete, 
wenn bie in ber ißfalj fteheube Hauptarmee einmal erft einen entfeheiben« 



moltfe. 


37 


ben Sieg erfochten, infolge ber ausgezeichneten 3)?ahregetn PtoltfeS fianben 
oierjehn Sage nat bet attobilmatung brei gtofje $eere am Sthein, in ber 
bairifeben Pfafj, am Sübenbe bet preufnften Stheinprouinj; unb halb 
mürben — ein guter Anfang — in brei Sagen brei ftegreidje Sttatten 
non i^nen gefdjlagen. 2BaS bei ben Seutften in fo hohem aJtahe not* 
banben unb ftliehlit ben gtücflidjen StuSgang bes Kriege» bebingte, bie 
Siterljeit, gefiigfeit, Stuhe, baS oöHige Bielbenmfjtfein ber beutften feeres- 
teitung, fehlte ben ffranjofen gänälit, mie benn auch feiner ihrer gelbherren 
aßoltfe getnadhfen mar, beffen fcfiarfer Perftanb nicht eher ruhte, bis er 
alle attöglitfeiten unb folgen einer gegebenen Sage burtbaefjt hotte unb 
mit ficb noUftänbig im Steinen mar, beffen „Porher*®urtbenfen" fo um* 
faffenb unb norherfehenb mar, bah ihn nichts im Kriege überrafchte, in beffen 
Sombtnationen bie gef)fer beS ffeinbeS bereits oorber oollfte Beachtung 
fanben. 

3n biefem Kriege geigte es fit, baff aJtoftfe ber größte Stratege feiner 
3eit mar. Keine ber Eigenftaften, bie man bei einem bebeutenben ffetbherm 
als ihm jufommenb unb eigentümlich nennt, mirb man bei ihm oermiffen : 
Porficht, ©djarfbtid, feltene Urtheilsfraft, perfönliteit aJtuth unb 3Jtutb, 
bie Perantmortung ju übernehmen, Ehrgeij im beften Sinn; baju fomrnt 
baS nt ftetS ©leitbleiben. Sie Erregung ber Schloßt muh fit an feiner 
Stühe mie bie SBogen am Reifen brechen; baju fomrnt baS Salent, feinen 
aBiffen mährenb beS ganjen Sehens frift unb ftarf ju erhalten; baju fomrnt 
bie 3 ur ü<fhaltung, bie Eigenftaft, feine Slbfitten oerbergen ju fönnen, 
feine 3^ e in unburdhbringficfieS Sunfel ju hüllen. Siefe lefcte fffäljigfeit 
aRottfeS fennt $eber, ber fonfi aut not fo wenig oon ihm roeifj. SJtan 
pflegte in Petlin ju fagen: „Sieben ift SaSfer, Stweigen ift 3Jtoltfe." 
Emen aufjerorbentliten Sinn für bie Perhältniffe beS SerrainS hat 3J?oltfe 
aUfeitig ju entroicfeln gemuht, unb in biefem Socalftnn fmb aut feine be= 
fonberen ^ntereffen unb Einlagen enthalten. Siefe Pegabung matte ihn 
jum ©eometer unb ©eographen, ju einem leibenftaftlidhen Kartenjeitner, 
ber frühere gorfter berichtigt unb bie roerthlofe, fehlerhafte Slrbeit feiner 
Vorgänger auf biefem ©ebiete burt eine fireng roiffenftaftlite unb roiffen* 
ftaftlit genaue erfefct. 9lber Sßottfe ift jugleit aut Topograph unb 
©eologe. Er fiubirt bie flimatiften Perhältniffe, unterfutt, maS gegen 
bie Kranfheiten fit thun liehe, melte biefe ©egenben heimfuten, mie bie 
Peft bie Sürfei, baS Sumpffieber bie Umgebungen StontS. Sein fo 
fjeroorragenb entroidfelter Socalftnn lägt ihn ein bebeutenbeS beftreibenbeS 
Salent entfalten: fo ftarf unb flar, mie er lieht, giebt er baS ©efehene 
mieber, gleitniel ob er grietifte Stuinen ober einen Petersburger palaft 
ftilbert. Er fteHt aber oftmals bar als gatmann b. h- als Saftifer: er 
fragt fit wohl, ob bie Peftaffenfjeit unb Sicfe ber aitanem eines SttoffeS 
Kcmonenftüffen mürben roiberftehen fönnen, ob eine Prüde Pebeutung als 
StücfjugSlinie habe. Sein Socalfinn matt ihn jum £iftorifer, junt Slrcgäo-- 



38 


2t(freb Semetau in «tttarlottenbnrg. 


logen. SRit beut tiefften ©inbtucf, ben bie Aaturumgebungen auf if)tt au«* 
üben, verbinbet ficß bei itjm bet ©inbrucf ihrer Unveränberlidffeit toährenb 
bet roHenben ^aßrlrnnberte. @t fagt in feinen „SBanbernngen um 9tom": 
„Von manchen ©egenben fann man behaupten, baß fie roäßrenb bet Saht; 
ßunberte nürflid) unveränbert geblieben finb. Da« ÜDieer mit bem fielen 
SBecßfcl feiner SBcHen [teilt fid) utt« mit bcrfelben großartigen ©infaebßeit 
bar, mie früher ben Argonauten. Die Gebuinen tränfen nodj ihre ^ßferbe 
nnb ßameele an benfelben Duellen, unb ihre beerben roeiben auf benfelben 
grünen Sßiefen, wie biejenigen Abraham« unb Vhihameb«. Die (Sbenen 
am mittleren ©uphrat bieten, fo befäet mit Gafaltblötfen, roie fie finb, bem 
SBanberer noch heute ba«felbe troftlofe Scßaufpiel, wie fie früher ben ©rens= 
roäd)tern be« römifeßen [Reiche« fidj jeigten, unb viele Dhäler um Qerufalem 
jeigen ficß fi<$erlicfj gerabe fo bem Auge, roie ber ©rlöfer fie fah, al« er 
auf ber Gtbe roanbelte." An einer anberen Stelle fdhreibt er einem greunb : 
„3n einer ftemflaren Aadjt fianb id; fürjüd) auf ben Ruinen be« alten 
[Römerfdßoffe« 3 e ugnta. Der ©uphrat funfeite tief unter mir in einer 
Gergflufl, unb beffen Graufen erfüllte bie Stille be« Abenb«. Da f dritten 
©pru« unb Alepanber, Xenophon, ©äfar unb Qulianu« im [Dionbfchein 
vorüber; gerabe non biefem fünfte hatten fie e« ganj fo gefehen; bemt 
bie Aatur ift hier non Stein unb neränbert [ich nicht." Sein Dalent, 
bie Gefcßteibungen ber Vergangenheit mit ben wirtlichen Dertlüßfeiten ju 
vergleichen, läßt ihn fieberet al« einen ben Dept fritiftrenben ^ß^ilotoqen 
j. V. bie Sage eine« alten SdiladitfetbeS beftimmen. Seine gäßigfeit, (ich 
bem ©inbruef einer Sanbfdiaft hinjugeben, fie nötlig in [ich aufjuneßmen, 
ift ungemein groß; er befißt bie Jtunft, in ein paar 3eilen ohne ein malenbe« 
Geiroort, allein burd) bie treffenbe 2Baf)l jebe« Auäbrud« ein Aaturgentälbe 
ju fftjjiren, ba« fi<ß un« fo einprägt, al« ob wir e« gefehen. 6r befaß 
ein bebeutenbe« fdjriftfteHerifdje« Dalent, ba« er Anfang« betätigte, um 
feine materiellen Verßältniffe aufjubeffem — freilich mit feinem befonberen 
©rfolg. ©« war ihm Gebürfniß, über feine ©ebanfen, über ba«, roa« ihn 
bewegte, in’« ßlare ju fomtnen. Au« biefem ©runbe fchrieb er, langfam 
unb forgfältig an bem SRiebergetegten feilenb, e« immer in eine ooßenbetere 
©eftalt hüHenb. Seine Spradje ift einfach, furj, gebanfenooH, feßön. 

Da« Gefte, roa« er un« in feiner ©igenfdhaft al« Scßriftfteller hinter* 
ließ, finb bie „Griefe über 3uftänbe unb Gegebenheiten in bet Dürtei au« 
ben fahren 1835 — 1839", welche er al« £auptmann veröffentlichte, ivelcße 
bamal« troß ber fo lobenben Vorrebe be« berühmten ©eogtapßen [Ritter, 
ber von ber in SBaßrljeit glänjenben ©rroeiterung ber geographifeßen Äennt* 
niffe fpra<h, faß unbenterft vorübergingen. ©« finb jroangtofe Vriefe, an 
beten Veröffentlichung SRoltfe, al« er fie fdjrieb, gar nicht gebaut hatte, 
unb bod) ober vielleicht gerabe be«l;atb finb fie }U vollenbeten Äunftroerten 
geworben, ©in feffetnber Stoff ift hier einfach unb groß beßanbelt. ©in 
vielseitig gcbilbeter SJRann voller Sdjarfficßtigfeit für bie ißn unigebenben 



moltfe. 


39 


SSerfjättniffe fditbert in flarer ^ßrofa, bie an ©oetbe’fdbe 2lnmutfj oftmals 
erinnert, feine Steifen im ÜJtorgentanbe; aus bem ©anjen aber leuchtet unb 
wärmt uns ein ntilber Junior, ber roie ein froher Stadbglanj über biefen 
©rinnerungen liegt. 

©S ifl nicht fo feßr wunberbar, baß biefer Sünftler mit ber fyeber 
audj ben 3ei<henfUft Jur fjaitb nahm noch in feinen alten Ctagen, ba er 
furjfichtig geworben, ©ein Seben lang Ijat er gern baS f cfjarf ©efdjaute 
mit bem Stift feftjufialten fidß bemütjt, gleicfwiel, ob es eine Sanbfdaft 
ober ein Porträt mar. Sluch mit Sßafferfarben unb Del l)at er fiel) oerfudjt. 

Stießt alle bebeutenben ©dfjriftfteHer ftnb bebeutenbe Stebner gewefen. 
Stör ber DeffentUdbfeit bot 2Mtfe feiten gefprodjen, feine Srinffpritdje 
äeid&neten fidß bureß eine faft fragmentarifdje Kürje aus. 2)ie wenigen Sieben 
im Steidßstag bebanbelten, wie man begreift, meiftenS militärifdbc fragen, 
©eine ganje ©nergie, ben Steicbtbum feines nielutnfaffenben SßiffenS nab>n 
er ju $ilfe, wenn es für bie Drganifation, für ben feften SBeftanb beS 
feeres einjutreten galt. ®urdß bie filarßeit ber Darftellung, ooKfomntene 
Seberrfdiung beS ©toffeS, teilte unb elegante gorm jeidjnen fidj biefe 
Stehen aus, ebenfo wie bureß ben SJiangel jeber ^ßfjrafe. ®a ifl nichts 
überflüffig, alles gehört ju einanber. 

©r war aber nidit nur ein großer gelbßerr, ©dbriftfteller unb Stebner, 
er war audß ein großer SJtenfdj. ©infacb unb befeßeiben, wie er war, bat ißn 
baS ©lücf nie eitel gemalt. 3m Qaljre 1871 oerberrlicßte Dslar oon Siebwiß 
ibn unb oerglid) ißn mit ben großen Scannern beS SlltertbumS. ®aS wies 
SJtoltfe 5 urü(f: „®iefe waren audb groß im Unglücf, wir bagegen hoben 
nur lauter glücllidbe ©reigniffe aufjuweifen gehabt. 2Jian mag baS 3 u fod, 
©lücf ober ©otteSfdßicfung nennen — bie SOtenfdben allein traten es nidßt, 
unb fo unenblidje Stefultate geben im SBefentlidjen aus SOevbältniffen beroor, 
über bie wir nidbt $err ftnb." @r war bebürfnißloS unb frei non Seibern 
feßaft im übten ©inn; er gab fidj ganj ber ©adje, ber er biente, bin, er 
trat hinter fie oöHig jurücf unb ging in ißr auf. @r boßte ben ©dein 
unb bie Unnatur, er war ohne Steib, notier Slnerfennung für frembeS SPer* 
bien ft. ©treng gegen fuß war er, nadbfidbtig gegen Slnbere, hilfsbereit, ein 

ftiHer SBobttböter. ©ein Siame wirb bleiben, ©r fleht in ber ©efdidjte 
neben SKSmarcf. 



Clara Cfcfjubi. 

(Eine fritifdfe Stubie. 

ÜOtt 

SMpfj Utofiut. 

— Sübcnbe b. Berlin. — 


Politiken Kämpfen, namentlich bie gragc um bie ftoatSrec&tlidje Stellung 
ju Schweben, unb baS mächtige Stingen ber neuen reatiftifdjen Schule, welche 
non ber Vergangenheit ntd^ts roiffen miß, bie fi<h nielmehr mit atten 
Wafern ihres gfühtenS unb ©enfeitS an bie unmittelbare ©egenwart an« 
Hämmert, befdjäftigen bie nteiflen ringenben unb ftrebenben ©eifter. So 
fehen mir benn, baß bie nonoegifchen dichter unb Schrift fleßer ihre Stoffe 
feiten aus ber ©ef<hi<hte ßhöpfen, fonbem refotut in’S noße 3Jtenf<henleben 
hineingreifen unb gefeßf<haftü<he fragen unb Siäthfel faft auSfchließlich 
jum ©egenflanb ihrer ©arfteßung wählen, ©ie fßfpcijologie beS SBeibeS 
ift eS, welche fie in erfter Sinie intereffirt, unb bie 3erglieberung beS 
Seelenlebens mit feinen nieten unerllärlichen unb unbewußten Vorgängen 
hat für fie ben höchften 9leij. 

Um fo intereffanter ift es, baß es gerabe eine norwegifh« ©arne fein 
mußte, weihe biefe fühlbare Südfe in ber mobernen norbifhen Sitteratur auSju« 
fußen berufen mar, aber au<h fie ift augenfcßeinlih non jenem pfpdjologifdjen 
fjluibum, baS in ben führenben geiftigen Greifen ihres VatertanbeS nor* 
herrfht, uorwiegenb beeinflußt morben; benn fie befdiäftigt fth mit ber 
Viograpßie unb @ef<^id)te nur infofern, als ihr baburdj ©elegenheit ge« 
boten wirb, bie Scfjidfale ber 3Jtärtprerinnen auf bem ©hrone, ber 


ormegen, baS Sanb ber gjorbs unb beS SReatiSmuS ä la 3bfen 
unb Vjörnftjerne Vjörnfon, ift lein günfliger Voben für bio« 
grapbifhe unb aefhihtliche ftorfhunaen. ©ie .Reit mit ihren 



<£lara dfdjubt. 


41 

$e(bimten int Gntfagen unb Selben, ber problematifdben Naturen, welche 
mehr ober weniger burcf) ißr SE^un unb Soffen ifrce 3eit aufgeregt haben, 
feelifcb ju erHären unb in fitttic^e 2 l 6 grünbe mit ber ^acfet ihrer Äritif 
hinein juleudfRen. 

3$ rebe ^ier oon Glara SEfdritbi, einer bo#ega 6 ten nonoegifdhcn 
Sdbriftftellerin, welche burd) jafttreid^e SBerfe, oon benen manche auch in’S 
©eutfdfe fiberfefct würben, bie atufmerffameit ber 3 «tgenoffen uielfadfi in 
äfofprudff genommen ^ot, unb bie eine foidte Gigenart in ber ffanbinaoifcfien 
©elebrtenroelt bitbet, baß Re es wollt oerbient, baß wir uns mit if>r ein* 
gebenbet befaffen. 

Glara Xfdßubi beult etwas oon ©ta caulap unb jugteid) — wie 
parabop bieS auch Hingen mag — oon Johannes Scberr. $n ber 3»= 
fantmenßellung unb Ütnorbnung beS Stoffes, ber Unterfucßung ber Urfadfien 
unb Folgen ber ßanblungen, bet Beleuchtung bet 3eitumRänbe unb ber 
Scbilberung ber auSfcblaggebenben ftactoren bat fie etwas rubigeS, Kares, 
falt abwägenbeS, wenn fie aber baS Unbewußte, baS Ueberrafdbenbe unb 
©rauRge uns oor bie Seele führen will, liebt fie es, fettene unb padfenbe 
Stebewenbungen ju gebraudben, 2 lntitbefen auf einanber ju häufen unb mit 
anelbotenbaftem Material ju arbeiten unb ju oerbtüffen. ®atin freilidb 
unterfdbeibet Re ft<b feßr ju ißrem Bortbeil oon bem fcfiraeijerifdjen Gultur* 
biftorifer, baß Re nie aufbört Sßeib 5 U fein, b. b- ftet§ ihre Aufgaben 
mit großem $£aft unb erftaunlidber ©efdbicfticbfeit ju Iöfen weiß. Sie 
gleidbt einem Gbirurgen, ber mit feiner SBimper jncft, unb beffen ^anb 
nidbt jittert, wenn es fidf um eine noch fo peintidbe Operation banbeit. 
3br Rttlicßer Gruft, ihre unentwegte Stube unb ber f)öf)€re ©efidbtSpunft, 
aus bem Re bie „Starrenfomöbie" ber SBelt betrachtet, oerleiben ihren $ar= 
fteHungen einen ganj eigenartigen, wir mödbten beinahe fagen pifantcn 
Steij. Qn Bejug auf bie ©tad)t ber Spradhe, beu barodfen Stil unb bie 
gepfefferte Stebeweife Reift fie freilidb hinter SobanneS Sdberr weit juriicf; 
audb inadbt Rdb bei ihr bie £enbenj bes Seßteren, „mittels 3«rftörung aller 
®ummbeitsf<btanfen unb aller ©öfeentempel für bie Gntwidelung freien 
Staurn unb offene Bahn" ju fdRaffett, nicht in fo aufbringlicber SGBeife 
bemerfbar. 

33or etwa anbertbalb Qabrjebnten begann Re ißre litterarifdbe Sauf* 
baßn, inbem fie im JJabre 1884 in ber „Nordisk Musiktidende“ in 
Ätißiania eine SebenSbefdhreibung ber in ihrem Batertaub fefjr gefeierten 
norwegifdben Sängerin 2lmanba Äolberup, beren Sehen unb SBirfen fo 
inaudbeS bemerfenSwertbe Problem bot, oeröffentlidite. Gin Fahr barauf 
oerfaßte Re ihr erReS Sßerf: „Kvindebevaegelsen, dens udvikling og 
nuvaerende Standpunkt“ („Sie Frauenbewegung, ihre Gntwidflung unb 
ißr gegenwärtiger Stanbpunft," äriftiania, Sllbert Gammermepcr), eine bödhft 
an}iebenb gefdbriebene ©efdbicbte ber Frauenbewegung auf ©tunb ber 5öe- 
ttufeung fef»t reichhaltigen ©taterials. 3 lue ' Saljte fpäter erfdjten aus ihrer 



^2 Slbolpty Kofyut in Sübenbe bei J3erfitt. 

geber: „Tre nutids kvinder' 1 („®tei grauen bet ©egenwart", — Köben- 
havn, Andr. Schou), enthalten!) bie ©iograpfeieen bet im ©orbergrunb bet 
grauenemancipation geftanbenen ©amen Gamilta Sollet, Sina 9Jtorgen= 
ftetn unb ©ertrub ©uil(aume»©dfead, lootin fidfe ifere ©egabung füt 
biograpfeifdfee ©arftellung bereits entfdfeeben funbgab. ©inen lebhaften ©r= 
folg featte uudfe if)t 2Berf: „Silhuetter“ ((Silhouetten), in bent fee einigen 
feeroorragenben unb intereffanten $rauengeftalten, wie ©iife fßatterfon« 
©onaparte, $anna Ducfeterlong, ©mma ©at)[, SDtagbalena ST^orefcn unb 
©ronning «Sophie (gleidjfalls bei 2tl6ert Gammermeper erfdfeienen), reipolle 
Sdjübcrungen angebeifjen liefe. <Scfeon feiet offenbarte fidfe innerfeaib eines 
feften feiftorifdfeen ©afentenS ifer fcfearfer ©lid füt alles ©fearafteriftifdfee unb 
ifet tiebeootleS ©ingefeen auf belebenbe ©etails. ©efonberS intereffant ift 
bie <5tffeouette, womit fee ifere <S<feroefter in SIpoHo, ©antilla ©oCet, eine 
(Scferoefter ^enrif SBergelanbS, jeicfeuet, weidfee ©dferiftftellerin gieidfe ifer oom 
König DScar II. »on Sdfeweben unb Norwegen, ber in feinem ©iöilüer» 
feäitnife befanntlidfe audfe ein begabter ©icfeter ift, mit ber golbenen 3RebaiHe 
„litteris et artibus“ auSgejeicfenet würbe. 

allgemeine ©eadfetung fanb fee ober erfe, als fee fidfe mit ben ©io= 
grapfeieen „tragifdfeer Königinnen" befafete unb §um erfeen 2ftale mit 
mutfeiger &aitb ben ©atlaft ber jafeireidfeen Sßorurtfeeiie, weidfee ©efeäffegfeit, 
fßarteileibenfdfeaft, 9ieib unb Klatfdfefudft jufammengetragen, ju befeitigen be» 
ferebt war. ®en ©erfudfe, weidfeen 2lbolf (Stofe r in ©eutfdfelanb madfete, 
a(S er bie römifdfeen ©aefarinnen von ben »ielen ©erbredfeen unb (Sdfeanb* 
tfeaten, bie man ifenen jugefdferieben, ju reinigen beferebt war, feat bie ©er» 
fafferin in ©ejug auf ntoberne ©aefarinnen unternommen, ofene jebodfe 
bei biefen ©ettungSerperimenten ber ©efdfeicfete ©ewait aujutfeun unb burdfe 
geifereidfee unb fcfeillernbc ßppotfeefen bie SBaferfeeit ju trüben, ©er barm» 
feerfege <Sinn beS SBeibeS, ber 2lbel ber ©efennung unb bie SBeidfefeeit ber 
©mpfenbung waren unb fenb bie ^auptmotiue, weidfee unfere (SdferiftfeeHerin 
leiteten unb leiten, womit nidfet behauptet werben foH, bafe ifere Sluffaffung 
immer bie ridfetige unb ber ©tanbpunft, ben fee einnimmt, ber allein be» 
redfetigte unb ein burdfeauS einwandfreier ift. 

■Dterfwürbigerweife war eS eine nocfe lebenbe ©aefarin, ber fee juerft 
ifere aufmerffamfeit juwaubte, nämtidfe bie ©pfaiferin ber granjofen, 
©ugenie, welche ber mobeme ©lutnrcfe im Vinterrod jum ©egenfeanb einer 
erfdfeöpfenben SebeitSbefdjreibung madfete. ®aS SBetf erfdfeien im $afere 1889 
unter betn ©itel: „Eugenie, Keiseriude af Frankrige, eu populaer 
fremstilling“ — Kjöbenhavn, Gyldendal, 329 S*) („©ugenie, KaHerin 
ber granjofen, eine populäre ©arftetlung"), mit betn ©ilbniffe ber Kaiferin 
©ugenie. 

*) Ivine cmtorifirtc tteberfefeimg au8 bent aorwegifdien erfdiien iit ber fo öerbienft» 
Bollen llitinerfalbibliotbcf uou 5|Mj. 'Jicdnm jr. in Seipjig (9tr. 2984 u. 2985) Bon ©riefe 
Mm, pfeuboupnt für Jrau HJatfjilbe ©rager. 



Clara (Efdjnbt. 


*3 


Klara £fd)ubi F>at bie unglücffelige unb fdjidfatSnolle Kaifetin ßitgenie 
nicht ettna beSl)al6 au$ bet ©alerie bet 3Jiärtt)rerinnen auf bem X^rone 
herausgegriffen, um ©etegenheit ju haben, ben miberroärtigen potitifdjen 
4?oft unb fonftigen Klatfch, bet ben ©unftfreiS beS peiten KaiferreidjS 
oergiftete, aufturoärmen unb breüjutreten; ihr 2lugenmerf roar oielntehr 
batauf gerietet, getoiffenhaft bie Sßahrheit ju erforfdjen unb, fotoeit eS in 
bet 9Jtacht beS Stenfcfjen liegt, bet ©ercdjtigfeit jum (Siege ju tierhelfen. 
2ßer fi<h an gefdjiditticher SDetailmalerei p erquitfen nerinag, wirb fi<h an 
bem fidleren 3 U 9/ womit bie ßanblung in bem Suche geführt inirb, unb 
an ben jahüofen feinen Kinjelljeiten erfreuen, inorauS ft<h bas oorrciegenb 
non bet rein menfd)lidjen ©eite erfaßte Silb bet ©jfaiferin pfammenfefet. 
$>aS fefjr umfangreiche, in unjöhtigen ©efdjid)tSioerfen, 3 e itwtgen, 3eit= 
f^tiften unb 2ft^it»en niebergelegte, jerftreute unb jum ^TFjeit ferner p 
gänglidje Staterial hnt fie mit großer Sorgfalt unb Umficht gefatnmelt unb 
mit ©efdjid unb ©efdfjmacf ju einem ebenfo lebenSoolIen als farbenprächtigen 
©efammtbilb ihrer ßelbin ju oer einigen nerftanben. 2BaS fte hier bietet, 
ijt mehr als ein blofeeS biographifche^ S'enfmal ber ©räfin non Stontijo 
unb ber Urheberin be$ beutfch^franjofifchen Krieges, eS ift pgleidj auch 
ein roerthnoller Seitrag jur ©efchichte beS jiueiten franjöfifchcn KaiferreidjeS 
unb ber Sapofeoniben überhaupt. 

Souis Sapoleon erfcheint ber norwegifchen Serfafferin nidjt fo fel)r 
als ein ißopanj, not bem bie getaufte SPett Qahrjehnte hinburdj gitterte, als 
nielmehr als ein fühner Abenteurer, beffen roagijalfige Serfudje uttglüdlid) 
enben mußten. Schon bei feinen SPerbungen um bie ©unft ber fdjöneit 
unb feurigen Anbalufterin jeigten ftdj feine SerftanbeSfräfte nicht gerabe in 
glänjenbem Sichte. SergebenS rietljen ihm feine Sertoanbten unb heften 
gfreunbe non einer Serbinbung mit ber $£od)ter einer anrüchigen Spelt* 
bame ab, nergebenS bat ihn auch bie iJJrinjeffin Stathilbe, bie fonft 
grofeen Kinflufe auf ihn ju üben pflegte, fußfällig, bie unpaffenbe Partie 
auftugeben unb in ©rmangelung einer giirftin fidj toenigftenS mit einer 
franjöftfchen ®ame, non altem, bem Solle theurem Samen p nermähten 
— feine Sinnlichfeit fiegte über fein gefunbeS Urtfteil, nnb biefe Refrath 
barg zugleich ben Keim att’ ber fpäteren unheilnoHen ©iftfaat in fidj, welche 
in ^tanfreidj fo üppig emporfefjofe unb eine Korruption ohne ©leidien ent* 
flehen liefe. Sein fchwanlenber unb roanfenber Kharafter, ber ftdj roährenb 
feiner ganjen SegierungSjeü geltenb machte, jeigte fi<h fdion bei ber ©nt* 
fefeeibung ber gtage, ob er bie berüefenbe Abenteurerin ober aber bie 
potnifdje Sürfün KjartorpSfa heirathen iollte. Um ben quäfenben 3weifeln 
ein ©nbe p machen, fragte er nämlich bie ftürftin Sienen, eine bem 
napoleonifcfeen ßoffreife angehörige, geiftnoHe ®ame, roer non ben Seiben 
norjujiehen fei, bie ftürftin KprtorpSfa ober fträulein Stontijo. Sie ent« 
fdjieb bie fyrage p ©unften ber Sefcteren, inbem fie in efpritnoller SPeife 
erroiberte: »Sire, wenn man mir bie 3Baf)l übertäfet, fo jiehe ich bie 



2Ibolpfy Kofyut iit SHbenbe bei Berlin. 

Gadjucbu (befanntlidb ein fpanifc^er ©ait}) ber 9Jiajurfa uor", unb -Napoleon 
betrachtete biefe 2lntwort al3 einen gittgerjeig be3 ©dfidfalä. Stuf biefe 
SBeife fab Gugenie ihre ebrgeijigften Sptäne mnnrfiidjt; au3 einem jtoei« 
heutigen ßalbbunfet ftieg fie jutn ^cüften ©lanje, jut fjödEiften fööbe empor. 
®ie 2Bett tag nun ju ihren güßeit. ©odb mar e3 nidjt bie bodbgeftimmte 
Gmpfiitbuug be3 befriebigten GljrgeijeS unb bc3 ©elbftgefübts be3 Gmpot= 
fömmling3, iuie bei -Napoleon, we(<be3 itjre (Seele erfüllte, fie be^errfd^te oiel 
mehr ein ganj auberer ©ebanfe; auf ben ginnen be3 ©tüdfö, mitten in alP ben 
geftlicbfeiteu, unter bem Subei bei Golfes unb bem ©lanje, ber fte umgab, 
befiel fie, tute Clara ©fdiubi erjäbtt, bie 2lbnuttg i^reS fommenben ©turje3. 
21(3 fie au3 ber Strebe fuhr, wo fte fidj mit bem ßaifer ber granjofen 
oermäbtt butte, fdjien e3 iljr, als fät;e fie unter ber 9Nenge bas gram- 
burdbfurdbte unb oerjerrte 2lntlifc 3Naria 2lntoinetten3. SBobin fte fid) 
aud) wenbete, erblidte fte biefe3 furchtbare ©efidit, unb e3 überfam fte ein 
angftootlcs ©efül)l, baff alle biefe Fracht unb ^errlidjfeit fcbtießlicb ein 
Gnbe mit Sdjreden nebmen werbe. 

©egen Gugenie übt bie Sßerfafferin ©eredjtigfeit. Sie !ann ber 
Gttfelin be8 fdjottifdjen Saufmamtö Strfpatrif eine gewiffe 29erounberung 
nicht oerfagen, unb fte gieljt ba3 gacit be3 £eben3 unb Treibens biefer 
grau, wellte weber leben nod; fterben fattn, mit ben Sßorten: „2113 ba3 
Saiferbiabent an ihrer ©time ftrablte, beneibete unb oerfolgte man fie, 
bie ©omenfrone, bie fie nunmehr trägt, oerleibt ihr felbft in geinbeSaugen 
©röße. 9Nan ^at oergeffen, baß ba3 ©efdjrei, wel<be3 ftd) über ihre 23er« 
fdimenbung3fud)t erhob, im ©runbe berechtigt war, baß fte Sillen ooran ber 
Ueppigfeit unb bem £upu3 tßorfdjub geleiftet, but e3 oergeffen, baß ihr 
Gifer für bie Sirdie fte fanatiftb gemacht, unb bie Keinen Unterfdbiebe ber 
djriftticben ©lauben3lel)re fie jene große ©leidbßeit überfehen ließen, baß 
beren 2lnbänger bo<b in3gefamntt Ghriften feien, ©er ©ef<bid)t3fcbreiber bet 
gufunft, beffen 23lid weber oon bem märchenhaften ©lanje be3 jweiten 
Staiferreidbe3 geblenbet, noch ootn 2Nitgefül)t für ba3 Unglüd ber SBUtroe 
unb HJtutter getrübt fein wirb, bürfte fie faum fo milbe wie bie heutige 
geit beurtheilen, boeb fidjerlith auth geredbter at3 jene 23erleumber, welche 
einft in ihrem Sanbe ©erüebte über fte au3ftreuten. Gr wirb Gnt= 
fdbulbigungen für ihre gebier finben, nidßt fo febr weil fie eine gotge ihrer 
Grjiebung unb fjerfunft, al3 weit fte ihre befferen Gigenfdbaften, oor 2Utem 
ihre 23armheräigfeit unb ihren unerfdbroefenen 2Kuth, nicht ju überwuchern 
oermod)ten. Gr wirb ferner erfennen, baß ihre Stellung al3 bie ©emahlin 
be3 Ufurpator3 2litforberungen im ©efolge butte, bie an eine geborene 
gürftin nidF»t geftellt werben, unb fie ihren fpiafc unter fchwierigen 23er« 
hältniffen au3füttte." 

Sn febr anjiehenber SEBeife febilbert bie 2lutorin bie 9Netl|obe, roie 
SDiabame Gugenie ba3 ©cepter auch im Reiche ber 2Nobe fdbwang, unb wie 
fie ber ganjen cioilifirten grauenwett falf<he3 £aar unb fatfebe gähne, lange 



(Llara (Efdjubi. 


^5 

©steppen, Herrenfragen unb Hwrenmandhetten, türfifd^e <SF»an)lS unb 
©rinolinen, ©aribalbibloufen unb bunte Unterröcfe, ben praftifchen „en- 
tout-cas“ unb baS unftdhtbare Hoarnefc im Houbumbrehen aufbrängte. 
ffiie ein fpannenbeS, neroenerfdhütternbeS ©rama lieft fidh baS cultur* 
gefdhidhtlidje Beitgemälbe, welches (Stara ©fdjubi entwirft, als bie Kataftrophe 
über bie SJiapoteoniben b»eretnbra<$. Kit ©rauen bewerfen wir bie Kluft 
jwifdben ben festen ©riumphen beS KaiferpaareS unb bem bobenlofen 91b- 
gtunb, in welkem bie ©lorie beS franjöfifdfjen KaiferreidheS unb mit if>r 
8flIeS untergegangen ift, beffen Söertuft bie ©pfaiferin, ber einft bie gaitje 
SEBeft su Büfjen lag, fpäter als bettelarm erfdjeinen läfjt. 

©ie fttilidhe gäulni^, welche bie Regierung 9tapoleonS III. jerfreffen, 
lennseidjnet unfere Sdhriftftetterin mit gerabesu ©aciteifdljem (Stift. 2llS 
$robe biefer ihrer Stuffaffung tefe man nur baS 18. Gapitel beS Suchet, 
worin ©ugenie als Seljerrfcherin ber Kobe uns oorgefüljrt wirb. ©ort 
heifjt es u. SSL: ,,©ie Kadjt, bie fte als Königin ber Kobe ausübte, ber 
Taumel ber ^ufcfudht, ber nach ihrem Sßorbi.lbe bie nieberften fo gut wie 
bie bödbften Klaffen erfaßte, würbe gefährlich unb oerljängnifmoll für bas 
Sott, ©ie Ißrahlfucht, ber leere (Schein unb bie hohle ©röfje, bie im 
Salafte ber ©uilerien baheim waren, trugen ihren SlnftecfungSftoff in jebcS 
HouS in fyranfretdh. ©ugenie fonnte bie Unthätigfeit, ju ber ihr Sßlafc 
auf bem ©brotte unb ihr ©efchledht fie oerurtheilten, nicht ertragen; iljr 
Hers fanb nicht genügenbe Stahrung, ihr ©eift nicht genügenbe Scfdjäftigung 
mit großen Aufgaben. So fudfjte fie benn in ©eringerem ©rfah- ©ie 
Sefriebtgung ihrer ©itelfeit würbe iljr eigentlicher SebenSgenufj, SupuS, 
Suh ihr ©lement. ©efeUigfeit, taufenberlei Kobetljorheiten serfplitterten 
ihre Kräfte. Sie wedhfelte fojufagen ihre heften Seelengaben in Scheibe* 
münsen um. Kernt fie jebodh an ber 2lrt unb Keife, wie baS fociale 
Sehen fi<h gefialtete, feineSwegS ohne Sdhulb ift, fo fällt ein ©heit ber 
Serantroortung bodj audh auf bie Beit unb bie ißerhältniffe, in benen fie 
lebte . . . SRafdj ©andere su machen, um fidh über bie Stelluug, in ber 
man geboren mar, emporsufdfjwingen, galt ben -Keiften als ihre hödhfte 
Sehens aufgabe. früher hotten anbere Sebingungen obgemaltet. ©er 
Klaff engeift hotte Beben innerhalb beS umfriebeten eigenen ©ebiets, beffen 
©rensen su überfdhreiten ungemein fdhwer war, feftgehalten. 3n ber Kaifer* 
Seit hingegen fah fidh jebe fräftige Begabung, fo fie ftch nur Napoleon an* 
fdjlofj, su ben ehrgeisigften Hoffnungen berechtigt, unb nur bie Unbebeutenb* 
heit fdhlofj oom ©rfolge aus . . . Hütten bie unteren Klaffen, bie thöricht 
genug mären, ber Kaiferin, wie bem Hofe, im ©rohen unb Kleinen MeS 
nadhsuäffett, nicht mehr fein wollen, als fie wirtlich waren, fie hotten nicht 
nur ihre ©elbfiadfitung, iljre SBiitbe beffer gewahrt, bie Kobe würbe auch 
oiel oon ihrer Kadht eingebüfit hoben. 2Bie jebodh bie QSerhältniffe fidh 
geflaltet fyxtttn, gaben bie oon ©ugenie auSgeftreuten KiHionen mehr 2lnlafj 
jut SBergeubung, als fte Segen im ©efotge hotten, ©er Hof/ ber nicht 



^6 2Xbo f pf) Kotyut in Siibenbe bei Berlin. 

eben fonberlid) auf feine SBiirbe hielt, jog ben Seidfttfinn im Solfe groß, 
unb ba3 gebanfenlofc ©änbelu mit Sagatellen f<hroä<hte grranfreiChä Kraft." 

Köfttidj finb manche Ijumoriftifc^e SNometite, melcbe man als ben 
„©reppcnmiß ber SBeltgefdjidjte" bejeitfjnen fönnte. $ier nur Gütiges 
baoon: ©inen bet gefeflfdjaftlidjen ©riumphe ber Kaiferin bübete bie 
„rövdrence circulaire“, nätnlidj ihre einjige Setbeugung unb ihr einjiget 
iädjelnber Slicf, mit bem fie fämnttliChe 2lnroefenbe jugleid) grüßte. ©er 
ehemalige amerifanifdje ©efanbte ber bereinigten Staaten in 9)?abrib 
fdjilbert biefen ©ric ber fofetten grau in folgenber braftifCher SBeife: 
„®ie Königin Sfabella fefcte ben ganjen Körper in Seroegung nnb nictte 
hierauf freunblicf) mit bem Kopfe, wie bie erftbefte SürgerSfrau, ihr folgte 
Gugenie. Sie fefjrte fid) mit ber größten 2lumuth juriid, ftemmte bie güße 
gegen ben Soben unb ftanb mie feftgenagett, ben Dberförper jurflCfbiegenb, 
um iijn fobann mit ber leidjteften jierlichften Seroegung non ber Seite nach 
»orn ju lehren, gleich einem Sdjroan, ber feinen £a(3 neigt. Ohne ftdj 
umjuroenben, jog fie fitß hierauf langfam bur<h bie ©ßüre jntücf. Sie 
brachte bei biefer ©elegeufjeit jene eigenartige SChroenfung mit bem Ober* 
förper, in meiner bie anbatufifdjen ©änjerinnen ganj unnachahmlich finb, 
mit »ollenbeter ÜNeifterfdjaft }ur 2lu3füf)rung." 

9lußcr bem raunberoollen §aar GugenieS galt namentlich ihr SäChetn, 
baS ben halbgeöffneten il'innb umfpielte, für ungemein reijenb. So mürbe 
benn ber offene Nhutb s Hiobe. ®a aber bie wenigften ^ßariferinnen eine 
©entüre befaßen, meldje fidj mit ber hoppelten ^Serienreife uteffen fonnte, 
bie jutit Sorfdjein !am, trenn Gugenie lächelte, ieiber hingegen umgelebrt 
bie ©amen nidjt feiten eine 3ahnreihe, bie einen Stich in’S ©eibliche 
ja Schmarjbraune hatte, offenbaren mußten, fleibete ba§ Säbeln nicht immer 
fo gut, alä utan’S oorauSgefeht hatte, ©ent muhte abgeholfen roerben, unb 
bie Seit ber fiinftlidjen 3äl)nc mar gefotnmeu. 

©a§ fdhötte, gläusenbc 9luge ber dJtonarchin erregte nicht tninber große 
Semuubcrung, ebenfo ihre belle, ttmnberbar frifche Hautfarbe. Um ihrem 
©oben ju ähneln, trachteten »orerft bie ©amen beS ^ofeS, fobann bie= 
jenigen beS Niittelftanbed, ber Schönheit beä ©eints burd) Schntinle nach* 
äußelfen, bie Augenbrauen mit EoSmetiidjen SDtitteln bunfel ju färben, unb 
ben Augen burch ben ©ebrauch ber giftigen Sellabonna übernatürlichen ©lanj 
ju nerleihen; unb ba bie Spanierin nad) ber Sitte ihrer SanbStnänninnen 
mit einem ff$infel ben Nanb ber Siber fdjmärjte, marett bie franjoftfehen 
©amen beftrebt, alsbalb baS ©Ieid;e ju tijun. 

Namentlich mar bie Grinoline epodjemadjenb in ber ©efdndjte ber 
Niobetoltßeiten; fie mar nicht allein xmgrn jiöS unb uupraftifCh, fonbern auch 
gefährlich. Gin unt)orfid;tige3 Serfangeu in baä Nab ber Grinoline oer= 
urfadjte gar manchen oerhängnißnotlen Sturj, unb gar manChe Sattettanjerin 
hat bant ihr Sranbnmuben, ja ben ©ob baoongetragen. Grfunben für 
g-iirftinnen, oor beneit ©ieitcr bie glügelthüren öffnen, benen fßagen unb 



Clara (Efdfubi. ^7 

©acaliere ben Sifc ^inf^teben, Tratte fie nie in befdbeibenere Sphären 
bringen foHen. 

®er etfien Äaifetinbiographie reihte ftdh na<b brei galjren eine jroeite 
mit gleichem ©rfolge an: „Kaiserinde Augusta, skildringer fra hoflivet 
i Berlin“ („Jiaiferin Slugufta, Säuberungen aus beni ßofleben in Getlin"), 
worin baS Seben unb SBirfen ber erften beutfdjen Äaiferin aus eigener 
2lnf<bauung mit IiebenoHem Gerftänbnifj für bie iperfönlicbteit unb ©igew 
arten ber ^obien grau bargejMt wirb. SBir erfahren ba fo manche reij- 
nolle Intimitäten, bie wir »ergebend in beit officietten ©ejd)id)tSmerfen 
fudhen mürben, benn ganj anbers als in ben 2)ienfdbenföpfen ber $of* 
hiftoriograpben unb ber officieHen unb offieiöfen ©htontqueure malt fidj in 
bem Äopfe biefet geiftnotten -Jiorwegerin bie 2Belt beS beutfehen ftaiferljofeS, 
beren SlUttelpunft ßaiferin 2lugufta fo lange geroefen. 

gu nodb erhöhtem ©rabe fanb man bie Gorjüge, bie man an ber 
Gerfafferin beS GudheS über ©ugenie fd^äften gelernt, in beren 1894 er= 
fdhienenem SBerf: „Marie Antoinettes ungdom“ („ÜJtarie 2tntoinettenS 
gugenb *") wieber. £ier fd&Ubert fie bie Triumphe, bie gehler unb grr= 
thümer, roetdhe bie in ftrahlenber Schönheit unb gugenb erfefjeinenbe £odjter 
SKaria Sherejta^, bie man aus politifdjen ©rünben mit bem ®aupljtn unb 
fpäteren 5tönig Subwig XVI. non granfreich »ermählt ^atte, mit einem 
fünfjährigen ÜDiartprium büfjen mufite. $ie ©eftalt 9)?aria 2lntoinetten3 
foroohl roie ihre Sdhidffale, weldje faft einjig in ber franjöfifdjen ©efdjid^te ba; 
flehen, mußten begreiflicher Steife baS pfydiologifdhe gntereffe Clara Xfdjubiö 
in hernorragenbem SJtafje erweden. ©erabe biefe uttglüdliche öfterreidjifche 
ftaifertodjter, bie fdion als fimfjchnjährigeS Äinb bem Goben ihres Slater» 
lanbeS entrüdt mürbe, um ben SDiittelpunft beS nerborbenen franjöflfd^en 
.fjofeS ju bilben, mar mie gefchaffen, ihr fdjriftftellerifdjes unb fritifdjeS 
Talent ju reijen. £ier jeigt fte ft<h als eine burcljauS berufene unb auS= 
erroählte ©efdjidjtsfchreiberin, beren ©runbfafe bas SBort ift: „sine ira et 
studio“. gnbem fte einerfeitS bie Sdjattenfeiten biefer gürftin hernorhebt, 
läfjt fte anbererfeüs aber audj beren Sichtfeiten jur ©eltung fomnten. Sie 
nertufdit nidht beren ißufc unb Spielfud)t, beren Seichtlebigteit unb Sßer= 
f^roenbungSluft, beren anftöfjige greunbfehaften mit nntoürbigen grauen 
unb beren nertrauten Umgang mit ebenfo unroürbigen SÖJämtem, aber fie 
hebt audj bie glänjenben ©igenfdhaften ber ÜBiärtprerin hernor, bie ihre Seiben 
mit beifpiellofem ßelbenmuth trug, bie in ben fritifdheften SebenSlagen um 
erfdjrodtene Kühnheit bewies, ihre Äinber mit rührenbfier 3ärtli<bfeit liebte 
unb nie aufhörte, fdjön, anmuthig unb begehrenswert ju fein. 

Sie berührt bie poUtifdjen Gegebenheiten nur in fo weit, als bieS 
nothwenbig ift, um nidht ben ©ang ber ©rääljlung ju unterbredhen; nicf»t 


*) 3n beutfdjer Ucberfeftung Don Dr. !getnricb öoit Senf. (5ßlj. 9leclamS UnitxrfaU 
bibfiothel 3487/88 in Seipjifl.) 

Korb wb 60b. XCV. 283. 


4 



^8 Zlbolpfj Kotjut in Sübcnbe bei 23e*ün. 

trocfette politifdhe Säten unb tjiftorii'cfje Bewertungen bietet fte uns, fonbetu 
fie fü^rt uns in großen 3» l J c n ei« ergreifenbeS ©tüd Stenfdhenteben ooll 
t>on Veränberuugen, finden unb SSeinen, greuben unb ßeiben oor. GS 
ift wof)l eines bec tehrreidhften Büdjer, wet<he je getrieben würben, biefeS 
33iidj über Staria 2lntoinettenS Sugenb, benn biefe tragifdhe $errf<herin ift 
eine erfdjütternbe ^cugin bnfür, wohin eine fehlerhafte Grjiefiung, angeborene 
Seühtlebigfeit unb bie SBevreumbungSfudjt führen lönnen. Clara Sfdjubi h«t 
cbenfowenig gefugt, bie Unoorfidhtigfeiten unb ©mtben ber Cefterreidjerin $u 
befdjönigen, als ihre guten, }Uitt Sljeil auSgejeidhneten Gigenfchaften ju unter» 
fchäRen. ®S rnufs ber Verfafferin jum Sühnte angeredfjnet werben, baff 
fie trofe ber oorhanbenen ungeheuren biographischen unb gefchidhtlidhen 
Stemoirenlitteratur über SBtarie SJlntoinette bennodh manches Seue $u Sage 
geförbert hat, woburdj bas überlieferte Bilb non ber iugenblidhen Kaifet» 
todhter oielfacEje Grgättjung unb Gorrectur Rnbet, unb oerfchiebene Gegeben» 
heilen an’S Sagesticht geförbert würben, welche ben ©dfjtüffet 3 U mehr als 
einer ihrer ^anblungen abgeben unb baju beitragen, baS teibenbe SBeib 
hinter ber Königin oon grantreich su erlernten. Gin tebenbigeS, färben» 
reidjeS unb anfdjauliöheS ©entälbe ihrer ^etbin in ben galjren ihres »er» 
hdttnifjmäfjlgen ©lücfeS, in anjietjenber unb feffetnber ©pradje oon ber erften 
bis 31 W lebten ©eite gefdjrieben, ift „ÜJiaric 2tntoinettenS gugenb". 

Sie Verfafferin ift eine unbebingte Verehrerin ber Kaiserin 3Jtaria 
Shetefia. ©ie 3 oHt ihrer Sugenb, ihrer Shatfraft unb ihrer politifdhen 
Vebeutung rotte ütnerfennung, aber Re bricht ben ©tab über alle lieber» 
licferungen, welche oon einem großen Ginftufj ber Kaiferin auf bie Gr$iehung 
ihrer Kinber erjähleu. 

2 lu<h ÜDiaria Slntoinette wuchs, obwohl fidh Stänner wie ©tudf unb 
SDtetaftafio in ihren Unterricht theitten, in Unmijjenheit heran. 3 roat 
pflegten bie Söchter ber Kaiferin bei feierlichen 2lnläffeit lateinifche Seben 
oorjulefen, aber bie Seute wufjten nur 3 U genau, baff bie jungen Grs» 
herjoginnen nicht ein 2Bort oon bem oerftanben, waS fie tafen. Sie 
Kaiferin war eben mit ©taatSgefchäften fo überhäuft, baR fie Reh mit ber 
Kinberersiehung nicht befaffen tonnte, aber Re oerfdhmähte eS bodjj nicht, ber 
2 Sett gegenüber als eine forgfame Viutter 311 gelten. Kamen heroorragenbe 
Sperfoneti nach Sßien, lub fie SDiaria Sherena in’S ©djtoR, unb bei folchen 
©elegenReiten jeigte fie fich int ©djoRe ihrer jahlreicben gamilie. ©ie legte 
Söertf) barauf, baR bie 3eitungen oon 3ett 3 U 3 e 't Berichte brachten, bie 
auf bie Begabung ber grinsen unb ‘prinjefftmten hittwiefen, unb baR baS 
fßublicunt an bie ©iite unb ben Berftanb ber faiferlidheu Kinber glaubte 
unb baoon fprad;. Sen Mangel an Bilbung fdhien bie Satur burdh bie 
oollenbete ©dhönheit, weihe fie ber fßrhgefftn oerlieh, wettmadhen 3 U wollen. 
3hre Slnmutlj oerfeRte anfänglich bie gransofen in einen Saumei ber 
Söegeifterung, als Re als blutjunges Stäbchen nach grantreich tarn, um bem 
Sauphin Subwig bie £anb sunt GRebunb 3 U reichen. Ginige Steilen oon 



Clata Cfdjubi. 


49 


GlplonS j. 33. fant ein Sanbpfarter mit feinen Spfarrfinbent, um bie Erjs 
berjogin ju Begrüben. Gr ^atte baS I;of)e Sieb ©atontoniS als £ejt für 
feine beabsichtigte Diebe gewählt, als er fie aber erblicfte, überwältigte ihn 
ihre ©d&önheit fo febr, baf; er nid^t weiter als ju ben erfien 2Borten fam. 
©ie inerfte bieS unb unterbrücfte ein Sachen, baS heroorbrechen wollte. Um 
ber SBerlegenfeeit beS armen Cannes ein Gilbe ju bereiten, ergriff fie if»n 
bei ber £anb unb nahm mit bem nieblidjften, banfbarften Säbeln bas 
33ouquet entgegen, bas er ihr f)in^ielt. liefet fanb ber ©eiftlic^c wobt nicht 
feine Diebe, aber feine ©eifleSgegenwart wieber: 

„3Jtabame," fagte er begeiftert, „wunbern ©ie fidj barüber nicht, wenn 
ntir mein ©ebäditnife untreu wirb. 23eim SXnbücE non fo niel SReij unb 
Schönheit würbe fetbft ©atomon fein hohes Sieb oergeffen unb aufgehört 
haben, an feine fjübfdje äegppterin ju benfen." 

Dlur ber 33räutigam, ber Sfronprinj, blieb fühl bei ihrem Empfange. 
Staunt baf) er, wie baS Hofceremoniell es nerlangte, einen Stufe auf ihre 
rechte Sßange hauchte. £botfä<bti<h uerfdjmähte er es bis ju Jtaifer gofefs II. 
benfwürbigem 33efu<h in SßariS, oon feinen ©attenreefeten ©ebrnud) ju 
machen. ®ie SDauphine war neben lange gab« bmburcfj nur bem Manien 
nach grau. 

2lls fi<h baS 33rautpaar nach ber Hod^eitStafel juriicfjog, geleitete 
Subwig feine junge grau bis 5 ur Sijüre beS 33rautgetnad)S. ®ort 
mfinfd&te er ihr eine gute Stacht unb uerfefjmanb. 

„g<h hoffe/ ©ie hoben gut gefdjtafen?" fagte er ihr am nädjften 
3Korgen. 

„©ehr gut," erwiberte biefe, „fein SJJenfdh ifi gefommen unb hat mich 
gefiört." 

Stein SBunber atfo, bafe Subwig XYI. 3eit feines SebenS atS Ehemann 
unter bem glud^e ber Säcberlichfeit titt, wiewohl er fpäter ber järtlichfte 
©atte unb SSater würbe. 

©efer reijoott unb intereffant ifi bie Stählung ber gntriguen, welche 
am fdjlüpfrigen Hofe SubwigS XV. gegen bie junge Erjhcraogin gefponnen 
würben, bie, ein heiteres Staturfinb, bie ladjertitfee Etifette beS „ancien 
rögime“ mit güfeen tretenb, ft<b unter ben Hoffdjranjen unb bejopften 
Verehrern gleich oom erfien 2lugenbticf an, als fie franjöfifche Suft 
athmete, niete geinbe nerfchaffte. ©ie begann fich über bie ©diranfen 
beS HofceremoniellS hinwegjufehen, bas wirfte abfüf)lenb auf bie ÜJtenge; 
fie gofe bie Sauge ihres ©potteS über bie Hüter unb Hüterinnen ber 
Etifette aus, unb baS erbitterte ben 2Ibel. Unbefamtt mit ben ©itten beS 
SafierlebenS, wie es Subwig XV. unb feine fdjänblichen ©enoffen führten, 
nermochte fie es lange nicht, bie mächtige Eourtifane ©räfin SDubarrt) nur 
eines SBorteS $u würbigen. ®iefer jweifetloS fpmpatbif<he 3 U Ü ber Erj« 
herjogin hotte jeboch ben unauSbleiblid)en Eonflict mit ber ©eliebten 
beS alten Königs jur golge. ©ie ftanb baburch fofort mitten im Sßartei= 

4* 



50 2Ibo(pf) Kof|tit in SBbenice bei Seeiin. 

getriebe unb »ermodjte fich tite mehr auf bem »on Sättfen umfponnenen 
23oben ihrer neuen Heimat fidjer ju füllen. Sßon Kabalen umringt, oon 
ihrem ©atten »erfchmäht, »on ihrer -Kutter forhoährenb gehofmeiftert, fudjte 
ihr liebebebürftigeS ßetj Sufetüffe hei greunbinnen, in beren SBalfe jeboch 
fie eine fehr ungtüdlidje £onb beroieS. SefonberS »erhängnifeooll für fie 
mürbe ihre ^reuttbfdjaft mit ber beutegierigen ©räfin ißolignac, roeldje, 
»on ber öffentlichen Keinung als ©enoffen ber ßafter unb Seibenfehaften 
ihrer fönigtidjen greunbin in ben Koth gejerrt, burd) ©aricaturen, (Spott; 
lieber unb Schmähfdjriften »erhöfent mürbe. 

gilt ben ©ulturffefeorifer ift es ungemein amüfant, an ber ßanb ber 
©fcfeubi’fchen ©arftellung ju conftatiren, baß bie Kobenarrheiten bet 
Spanierin Kontijo unb bie ber Defterreidjerin Katie Antoinette etwa 
ein gahrtjunbert früher ungefähr biefelben roaren. ©S gab Seiten, roo man 
bie Kronprinjeffen unb Königin ju feinem anberen ©efptädj als über ißufe 
unb Kleiber bringen fonnte. Sie unb ihre ©amen trugen ganje ©hümte 
»on glor, 33lumen, gebem mit gerauftem ßaar unb bajroifdjen einjelne 
Soden unb gledjten. grifuren, bie oft 30—40 3oß h 0( h waren, mürben 
arrangirt, um ganje 33iograpfeieen, einen botanifehen ©arten, lebenbe 
Silber, gbgllen, furj, bie unglaublich ften ©inge barjufteHen. gn bem 
$aat ber einen ©ante fal) man eine Sßiefe mit 2 Keinen Sätnmern, einen 
Ritten unb einen SBodj, SBinbmühlen u. ». A., bie anbere ©ame jeigte 
fich mit einem Kopfpufc, welcher bie fünf SBelttheile nebft Sonne, Konb unb 
Sternen barfiellte, bei ber britten mar ein Sonnenfchirm angebracht, ber fe<h 
öffnete ober fdflofe, je nad)bem es Sonne ober Schatten gab. ©ine »ierte 
©ame trug einen Sogei »on ©iamanten, ber mit ben glügeln über einer 
aufgefprungenen Stofe flatterte, im ßaar. Kan erfanb ©oiffüren »on allen 
Samen unb ju alten Anläjfen. © ie $erjogin »on ©hartreS jeigte fed) bei 
einem $offefte mit einem KriegSfehiffe famrnt Kaften unb Segeln; an 
einem anberen Abenb hatte ber grifeur ihren Keinen Sohn Submig ißh^ipp, 
raie er auf ben Knieen ber Amme fdjlief, in ihrem $aare allegorifch 
bargeftellt. ©er ßoffrifeur Seonarb liefe fed) „Acadbmicien des coiffares 
et des modes“ nennen, ©a alle »ornehmen ©amen jebod) biefen Künftler 
für fich hohen molften, mufeten fee fe<h fd)on frühseitig am Korgen ober 
am Abenb »or einem fotzen fefilühen ©age friferen laffen unb roaren ge; 
jroungen, bie ganje Sacht auf einem Stuhle ju fifeen, um nicht baS herrliche 
Kunftmerf ju »erberben. 

©ie Stellagen, bie man trug, hotten jur golge, bafe man bie 
©hüten höhet machen tnufete, bamit bie ©amen burefe biefelben gelangen 
fonnten. Audj bie Si'agen roaren nic^t hoch genug, man fab Käbchen unb 
grauen gefrümmt in ihren ©quipagen fefeen; bie ©inen fonnten nur fo 
fahren, inbent fee ben Kopf aus bem SBagenfenfter herauSfeedten, roährenb 
bie Anberen in ben Kutfdjen fnieten, um ihren Kopfpub ju fehonen. 
©ing man ju gufe, fo blieb man an ©ebüfdjen unb 33aumjroeigen hängen. 



Clara (Efcfjubf. 


5* 

813 bie ©djriftftetferin grau ton ©enliS Bei Soltaire in gerne? 
einen Sefudj machte, ging eS ißr wie Stbfatom : ißr £aar BlieB an ben 
Säumen im ißarf Bungen, als fie bem großen -Wanne entgegeneilen unb 
iEjn Begrüßen wollte. Sefanb man fid^ auf bem Salle, fo fonnte man faurn 
einen ©djritt machen, offne an Sampen unb Kronleudßter anjuftoßen. 

©aS Seifpiel, welkes ton -Warie Slntoinette gegeben würbe, wirlte 
auf alle ©tänbe fcßäbtitf) ein. ©ie ©amen ber terfdjiebenartigften 
©efeUßhaftsHaffen ahmten ißr nadj; fie 2llle wollten benfelben Kopfpufc, bie* 
felben gebern unb biefelben Slumenfränje fia&ert. ©ie Auslagen ber ©amen 
würben baburd) ungeheuer erljöfjt. ©ie Gßemänner unb Säter Wagten, unb 
Siele ftürjten ließ in ©cßulben. Unangenehme gamilienfcenen entflanben. 
3wift unb Uneinigfeit brach bei Gßeteuten aus, bie bisher in gutem Gin* 
terflänbniß gelebt Ratten, aber jeßt ihre ©Reibung befdjtoffen, unb 
bie öffentliche -Weinung wies immer unb immer auf bie Königin ton 
granfteidj als auf biejenige Bin, welche ihr ©efdjlecßt burd) ihr übles 
Seifpiel terbarb. 

Wodß ungtüdlidjer war bie Königin in ber Sßafjl ber -Warntet, welche 
fie ihre« SertrauenS würbigte. Unter ihnen hot ber ©raf ton 2lrtoi$, 
ein Sruber beS Königs, ihr am meiften gefdjabet. 

SllS fie eines WacßtS mit ihm allein tom ßoftßeater nach bem 
©<hloffe fuhr, würbe ihr auf ausbtüdlidjen Sefehl beS Königs bie Ginfahrt 
in baS ©ßot uerweigert. ©ie mußte wieber nadj bem ©heater jurüdfeßren 
unb gelangte erft nach tielen SBiberwärtigfeiten in ihre ©emädßer. 2(lS 
fie ftch beShalb bei ihrem ©atten befdjwerte, meinte er adjfeljudenb: 

w gdj terlange, baß alle Sewohner meines Kaufes ba fein follen, wenn 
idj ju Sette gehe." 

Kein SBunber alfo, wenn ber ©raf ton Srotence, bei ber ©aufe 
ber älteflen ©odjter beS 4?errfdjerpaareS, bie grage beS Garbinals, welchen 
Warnen man bem Kinb ju geben wünfche, auf ben ©rafen ton 2lrtoiS ab* 
jielenb, mit ber fdjamlofen Semerfung beantwortete: 

„©arum ^anbett es ftch junädjft noch nicht; tor 9lUem muß man 
wiffen, wer Sater unb -Wutter beS KinbeS finb." 

©ie SerfchwenbungSfucht ber $errf<herin, bie fie ^unberttaufenbe ton 
grancS auf Srillanten tergeuben ließ, wäßrenb baS Solf hungerte, unb ihre 
©pieHeibenfdjaft, welche ungeheure Dpfer forberte, nahmen fie fo in Sefchlag, 
baß fie barfiber baS 2Bohl unb äBeße ber granjofen unb bie wichtigften gragen 
ber fßolitif, Kunft unb Sitteratur aus bem Sluge terlor. Glara ©fdmbi weift 
nach, baß bie Sibliothefen ber Königin in SerfaillcS unb ©rianon faft aus* 
fdjließUh «uS Süchern unfittlidjen gnßalts beftanben haben, aber Soltaire, 
ben Wbgott ber granjofen, weigerte fie fich, ju feßen, ja, als bie Wation ißn 
im Th6atre Fran^ais faft unter Wofen erftidte, faß fie in ber näßen Dper 
unb bacßte nicht baran, baS ©djaufpielßaus ju befugen. 2lu<h ber jweite 
Siebling ber granjofen, ge an gacqueS Wouffeau, war ißr ebenfo 



52 2JboIplf Kofjut in Sübenbe bei Berlin. — - 

gleidjgiltig rote ber prft ber Satire. 9tur für Sufif hegte iie ptereffe. 
@3 roar bie einjige Kunft, roeldje fie in Sdiuß naßm. pr 9Mfter ©lud, 
ben ber ®irector ber ©roßen Cper won fßaris nadß ber franjöftfdjen 
£auptftabt tommen ließ, um bort bie Sorftellungen ju leiten, ijegte 
fie lebhafte Spmpatßieen, beim er loar für fte nidjt btoS ber große 
Gompouifi, foitbem audj eine Grimterung an ißt Satertanb nnb an ü)re 
Kinbßeit. 9llS feine „Phigenie in 9luliS" einftubirt unb aufgeführt 
rourbe, faß fie in ber fßofloge, rief „Staoo" unb applaubirte aus Seibes= 
fräften. 9lber audj in biefem fünfte batte fie Unglücf, benn baS Sßarifer 
ißublicum tßeilte nidßt ihren ©efdjntacf unb nahm ©luds 2Reijterroerf fatt 
auf. 9tHenfallS intereffirte fie fidj nod) für einen anberen Künfiler, ben 
berühmten Sanjer 9luguft SeftriS, ben ,,©ott beS SlanjeS", wie man ihn 
ju nennen beliebte. 

®ie Serfafferin fudjt ben Seroeis ju führen, baß baS unglüdlidje 
©beleben, roeldjcS bie Königin pßre ßinburdj mit ihrem fie oöllig üema<b= 
läffigenben ©atten ju führen gejrouugen roar, nidjt unroefentlidj baju bei* 
getragen hat, ihren ©ßarafter ungüuftig ju beeinßuffen, unb baß, als fie 
ÜJtutter rourbe unb enblidj in fidj gegangen roar, es ju fpät geroefen fei. 
Sie hotte bamals bereits längft alles Vertrauen eingebüßt. Sie ftanb auf 
einem fjiuloerfaffe, als bie berüchtigte „£alsbanbgefdßidjte" über fie herein* 
bradj. SDiefer glüßenbe pnfe führte jur ©yptofion, obfdjon fie an biefem 
ganjen unerhörten Scanbai unfdjulbig roar, aber Dtiemanb glaubte mehr an 
ihre Steinßeit. Son nun an roar fie oöllig oereinfamt. Ueberall faß ne 
fieß oon $aß oerfofgt. p fdjredlußen Krämpfen füßUe fte ißr Sdjidfal 
mit SJiefenfdjritten ßeraitnaßen. ©liicf unb pgenb hotten fie oerlaffen. 
®ie broßenben SEBolfen unb ben juneßmenben £aß beS SotfeS füßrt uns 
Glara Sfdjubi mit plaftifdjer 2lnfdßaulidjfeit oor 2lugen, inbent fie u. 91. 
fagt: „Keine SDJauer ift fo ßoefj, baß bie Serleumbmtg biefelbe näßt über« 
jpringen, fein IRaum fo oerborgen, baß fte barin nidjt einbringen, fein 
Sdjloß fo feft, baß ber SCratfcß es nießt öffnen fönnte. Serleumbmtg unb 
£ratf<ß ßalten ihren SiegeSjug burdj bie 2Belt; fie tanjen über bie STeppidße 
beS SchloffeS ßin, fie trippeln ber armen patt auf ber Straße nadj unb 
fdßleidjen fieß überall ein. Sie niften fidj in ©rabgetoölbe ein, trofcen @olb= 
fronen unb roftigen Schwertern, welche auf betn Sarfopßage rußen. ®ie 
3eit ßat bie Sorte auf ben golbbemaften Seidjenfteinen oertoifdjt, bie 
Spinne ißr 9Jeß barüber gefponnen. 9iur bie Serleutnbung, toelcße über 
baS Ülnbenfen beS Sdßlumtnemben fauft, feßeint ein eroigeS Sehen ju haben." 

jahrelang hatte ber Klatfcß rußeloS bie Königin oon panfreidj umfreift. 
Gr ßatte taufeitb ©eftalten angenommen. Salb hatte er fidß als fatirifdjeS 
Sieb gejeigt, halb roar er in geitfeßriften ober als pugfeßrift feigen unb 
fd)änbliißen pßalts aufgetaucht. 3Rarie 3lntoinettenS Sehen roar nicht nur 
in panfreidj, fonbem aud) bei allen fremben £öfeit ju einem Vornan ge; 
roorben. MeS 9Jlöglidje tourbe als Saffe totber fie gebraucht : Pr Heimat* 



Clara (Efd^ubi. 


53 


fanb, ihre Abfunft, ihre gamilie, il)te ©djönljeit, ihre greunbfdjaften unb 
ifjr ©efdbmacf. ©ie Grbe tont oorbereüet, ber AugenblicE toar geEommen, 
Re oon taufenb ©eiten ber }u bejubeln . . . Me ungefunben ©erüdite be« 
jtfäftigten jtd) mit ibr. ©ie tourbe burdjgebedjelt, roie es nur jemals eine 
fdböne unb beneibete grau getoorben. ©ie tourbe oerfolgt, roie nur jemals 
eine oerhafcte Königin oerfolgt roorben ift. ©atirifdje glugfthtiften über 
Re toutben fogar bent Könige unter bie ©eruiette geftcdt. Gr hörte feine 
jjamilie unb fcofleute 33efd)utbtgungen roiber fie murmeln. Gr fal) es an 
iflten SJtienen, bafi man ifm als ©bemann bebauerte. ©ie 93erleumbung 
fanb bei allen ©tänben Gingang. Sßotn gufje bcs ©broneS, too fie il;ren 
Urfprung hatte, nahm H e ib ren SBeg §u ben abeligen ©dilöffern, ben 
literarifeben ©alonS, bem ©trajjenoolf; roie eine anftecfenbe KranEbeit 50 g 
Re burcfj baS Sanb, ftditbar, too fie ftdj früher oerborgen gehalten hatte. 

Als Ghoifeul feiner 3 e ^ ®lntie Antoinette }ur ©emahlin beS franjöfi« 
fcfjen Kronprinjen gemalt, hatte er gemeint, ein S3anb beS griebenS jroifdjen 
ben Raufern $absburg unb Sourbon ju fd^lingen. ©eine Grroartungen 
nmrben jebodj fdjmer}lidj getäufc^t. ®aS 9Jtifitrauen berrfdjte fort: 2Jtarie 
Antoinette mürbe lebiglid) als ein ©pion in granfreicb jum Sortljeil ihrer 
ganrilie betrachtet, ©ie gehler ber Regierung rourben ihrem Ginflufj }u= 
gefdhrieben. ÜRan machte fie für baS ©teigen beS Ginen, bie Setirrungen beS 
Snberen, ben ©elbmangel im ©taate, ben ©teuerbrucf oeranttoortlkh. ©ie 
gnnje Sitterfeit, roeldje fich Suft machen wollte, ergo 6 ftdj über ihr &aupt. 
Salb foHte fie oon ber ©tätte fjtoroeggcführt roerben, bie fte oor Allen 
geliebt hatte. ®aS Saub fiel, ber ©omtner roar oorbei ; fie roanberte 
pifdjen roelEen 33 tattern; aud> ber ©ommer ihres Sehens roar oorüber; 
bie ©age ihres ©Ittcfs roaren }u Gnbe. 

©ieS toar bie Sage ber ©inge, an roel<he Glara ©fdjubi mit ihrem 
umfangteidhfien SBerE: „Marie Antoinette og revolutionen“ („SDtarie 
Sntomette unb bie Steoolution") (Köbenhavn, Gyldendal 1895, 337 S.*) 
anEnüpft. ©ie ©djilberungen ber Greigniffe, roeldje ben ©tut} beS fran}öftjdjen 
ftönigStljroneS begleiteten, beginnt mit berGröffnung ber Stationatoerfammlung; 
aber bie politifdjen Vorgänge roerben auch hier roieber nur foroeit berührt, 
als bieS }um Serftänbniß ber graufigen ©ragöbic, roorin SWarie Antoinette bie 
ergreifenbfte Stoffe fpielt, erforberlidj ift. ©clbftoerftänblid) ift bie Serfafferin 
auch bieSmal heroorragenb in ber ©arftellung padenber Gpifoben, roie }. 23. 
ber Grmorbung ber ^ßringeffin Samballe unb beS AbfchiebS SubroigS XVI. oon 
ben ©einigen. 2Bie ein rother gaben }ieljt fich burdj baS 23ud) ber ©es 
baute hin, baff bie gurcfjt oor einem gcroaltfamen ©obe, oon ber bie uns 
g,lüdUd)e ©odjter SJtoria ©herefiaS feit bem 5. Cctober 1789 bis }u ihrem 
entfefclidjen Gnbe mehr als oier gabre lang gequält rourbe, nichts }u be= 


*) Gtfdjien gleichfalls in beutfdjer Ueberjefcunß bon Dr. §cinridj boit fient bei 
% Jtecfam jr., Seipjig, Unio=23iW. Ar. 3733— 373C. 



5^ Hfcolpt) Kot)ut in Söbenbe bei Berlin. 

beuten hatte gegenüber ben niebrigen Vefchimpfungen, womit bie granjofen 
bie an Vergötterung gewöhnte Stau ununterbrochen »erfolgten, gegenüber ihrer 
Trennung uon ihrem (Satten, betn planmäßigen Verberben, bem man ihren 
Soßu preisgab, unb ben jaßllofen $>etnütbignngen, womit bie ru<hiofen 
VeoolutionSmänner an ber verhaßten Etuslänberin für jeben ihrer noch fo 
Keinen Qrrtbümer Rdj rächten, unb weiche in bem furchtbaren (Sange, ben 
Vtarie Slutoinctte am Veittag beS 16. Dctober 1793 jum Scßaffot unters 
nahm, ihren toürbigeit 2tbfd)luß fanb. 

Clara STfdjubi hat mit feinem pfpdjologifdjen Verftänbniß baS Vätßfel 
ber SLanblung ber in LebenSluft unb LebenSfreube bis jurn Uebermuth 
fdjwelgenben Königin AvanfreidjS, weiche mir in „Vtarie SlntoinetteS 
Sugenb" fennen gelernt, ju bem »ont Unglüd geläuterten hünenhaften 
V'eib unb ber ßingebenben liebevollen ©attin unb Vtutter in glütflichfter 
2r>eife geiöft. ©tünblidje Dueffenlenutniß, namentlich beS außerorbentlidj 
werthoolien VriefmecbfelS ber Königin, gefdjidte unb Kare ®iSpoütion beS 
überreichen Stoffes, gtifdje unb Lebenbigleit ber ©arftettung jeidjnen au<h 
biefeS Vud) aus. SDaSfelbe lieft fid; roie ein gefchidjtficher Vornan, ohne 
natürlich ein foldjer su fein. 

Ungemein woßlthuenb berührt es, baß bie Verfafferin beS genannten 
SEterleS uns bie Vtutter unb ©attin in befferem Lidjte jeigt unb fo manche 
früheren Srrthümer, bie fich in ben Viograpjjien unb ©eßhidjtsbüdjera mie 
eine emige Kranlheit fortpflanjen, berichtigt. 3e ttnglücflicher R<h die Königin 
fühlte, je mehr fie feinblidjen Eingriffen unb Schmähungen auSgefebt mar, 
befto inniger hing fie an ihren Kinbem. ®ie Vtutterliebe mar ihre fyreube 
unb gleichseitig ihr Kummer. Sie erinnerte Reh, mie ihre ÜRutter in 2Bien 
bie laiferlidjen Kinber ;u ben Verlaffeiten unb Kraulen mitgenommen hatte; 
jefct tßat fie baSfelbe mit ihren Kinbem. Sie nahm fie mit in bie Spitäler 
unb lehrte fie mit freunbliöhen unb tvöftenben V? orten ©oben austheilen. 

®er Heine Kronprinj, fo erjäl)lt Clara £fcßubi, mar ein hübfcheS Kinb 
mit feinen blauen Slugen, feinem langen gelrauften &aar, feinen frifehen, 
rothen SBangen unb feinem heiteren Lächeln, welches baS Unglüd in einen 
attju seitigeit Cntft »erroanbeln foUte. Viemanb lannte ihn beffer als feine 
Vtutter. Viemanb hatte feine fehler mit größerer Sfofmerlfamleit, aber 
and) Sliemanb feine anjiehenben Cigenfdaften beffer als Re Rubirt. 2luS= 
geriiftet mit einer angeborenen Gmpfäuglidjfeit für baS ©Ute, welche Vach* 
ficht empfahl, hatte er in feiner £eftigfeit unb in feiner Steigung junt 
Uugehorfant fdjroadje Seiten, bie mit Strenge beßanbelt werben mußten. 
Cinige reisenbe 3iige »on biefem Kitibe erjählt bie Slutorin: 

CiiteS ®ageS hatte Carl Lubroig Luft, ein Spielseug ju laufen, man 
hatte eS ihm aber wegen beS hohen ^reifes »erweigert. 

„25>enn id) mein ütbenbgebet bete," fagte er, „bann will ich ein Heines 
V'ort an ben lieben ©ott ßinsufügen, ob er nicht fo gütig fein wolle, mir 
SteidRhum ju fdjenfen." 



Clara Cfdjubi. 


55 


©er alte ©iener, bet ihn entKeibete, füllte fidj bemüfjigt, ihm eine 
.gureebtmeifung ju erteilen. 

„Sticht Stciditbum ift eS, um meldien ©ure Königliche Roheit ©ott 
bitten muffen, fonbem SBeiSbeit," fngt er. 

„SJtein lieber 3ofef," entgegnete ber ißrin}, „wenn ich fcfjon einmal 
im SSegriff bin, ju ©ott ju beten, fo fann ich iljtt fdjon ganj gut um 
23eibeS bitten." 

©ineS ©ageS überrafchte ber König feinen ©oljn, mäbrenb biefer be= 
fdjäftigt mar, ©olbftüde' in einem Keinen Koffer ju orbnen, ben if)m feine 
©ante ©lifabetb gefd^enft batte. 

„SBie, ©arl," fagte ber SBater mihoergnügt, „feborrft ©u ©elb ju= 
fammen mie bie ©eijbälfe?" 

©er Kronprinj errötbete, antroortete aber fcfmelt: 

„3a, 33ater, ich fc^arre ©elb jufammen, aber nur für bie armen 
Kinbet. SBenn Du fie fä^eft, mürbeft ®u auch SJtitleib mit ihnen haben." 

©er König umarmte ihn: 

„SBenn eS ftdf fo oerfjält, mein Kinb, bah ®u für bie Sinnen fparfl, 
bann nriH ich ©ir helfen, ©einen Koffer ju füllen." 

Sehr anjiebenb ift baS ©apitel, morin bie 33ejiebungen ber Königin 
ju bem „SSolfSgrafen" SJtirabeau beleuchtet merben. @ie übte bureb bie 
ÜDiadjt ihrer Sßerfönlichfeit, ben Sauber ibreS SBefenS unb ihr belbenbafteS 
Sbtürtprertbum tiefen ©inbrud auf ben blatternarbigen ÜDtarquiS mit ben 
leuäjtenben Slugen unb bem fraftooden Kopf aus, ber unter ber unermefslichen 
■ÖaarffiUe, melche an eine Böroemnäbne erinnerte, faft unnatürlich grob er* 
fchien. ©abei roeiff bie SSerfafferin auch fo manche Keinen intimen Süge ju 
erjäblen, melche in ber ernften unb büfteren ©arftellung eine angenehme 316= 
roecbStung bilben. £ier nur ein SBeifpiel. 

Stach ber erflen Unterrebung jroifchen SJtarie Slntoinette unb SJtirabeau 
fagte biefer, als er fi<h jurüdjog: „SBenn bie Kaiferin, 3b re erhabene 
ffltutter, einem ihrer Untert bauen bie ©bre ihrer ©egenmart ermieS, »erab= 
fdjtebete fie ihn nie, ohne ihm ihre £anb jum Kuffe ju reichen." ®ie 
Königin jog ihren ßanbfdmb aus unb reichte ihrem ©aft bie £anb. ©er 
SJfann ber Steootution fühle fie unb brach in bie SBorte aus: „©iefer Kuh 
rettet baS Königtum." SllS er ju feinem Steffen, ber oor bem Königs* 
fcblojj ihn ermartete, jurüdfatn, fagte er ju ihm: ,,©ie ift ein fchr grofjeS, 
febr ebleS unb febr unglücflicheS SBeib, SSictor, aber ich aterbc fie retten." 
Su betn ©rafen Bantarque fagte er: „©er König bat nur einen einzigen 
SStamt in feiner Stäbe, unb baS ifi bie Königin." 

Keine bwterlaffenen Sßapiere geben Sluffdjluh über bie ©efüble ber 
3)tärtgrerin auf bem ©brone beim £infdjeiben beS 23olfSfübretS. Beiber bat 
audb Stara ©fdjubi in biefer SScjiebung nichts SteueS beigebracht. Slber geroih 
haben bie ©loden, bie SJtirabeau in ber SMfraft feines Bebens unb auf ber 
#öfje feines ©influffes ju ©rabe läuteten, im Säumer ber Königin roebmutbs* 



56 ‘ 21feoIpf; Kogut in Sübenbe bei Berlin. 

ooH wibergegallt. AhnungSuolI gatte fie einige ÜJtonate normet geäußert: 
„3<h bin beffen genug, bajj idf et ft nad) KJHrabeau untergeben werbe." 

Söefonbere ©fanjpunfte be? Sidjubi’fd)en ABerfe? bitben bie beiben 
Gapitel: „starte Antoinette uor ©eriebt" unb „Ser fegte Sag bet jum Sobe 
Verurtgeilten." £ier jeigt fie bie ungfücffidbe ^errfigerin tn ihrer ganjen 
£ogeit unb SBiirbe al? gürftin unb grau, bie trog ber entfeglidjen Se* 
feibigungen unb SefCgimpfungen fid) aufredjt erhält unb burdb ihre ftolje 
unb uomegtne Haftung ihre blutgierigen äBiberfacger, bie ihr nad) bem 
Seben unb nach ihrer Gfjve trauten, moralifdj jerfdjmettert. 

•Dtarie Antoinette batte bie Auflage gehört, bie ber Staatsanwalt ber 
Kleoolution, gouquier^Sinotlle, gegen fie fchfeuberte, aber fie gab fein 3ei<hen 
non Sewcgung, wie ftemanb, ber an £>«§ gewöhnt ift, unb für ben bie 
Verleumbung ihre Sitterfeit nerloren bat. Selbfl als ber Anffäger fie auf 
gleiche Sinie mit KleroS fDiutter fteUte unb fie ber uamenlofen AbfCbeuliCg* 
feit befcgulbigte, ihr eigene? unmünbige? Kinb nerfübrt ju hoben, nerbfieb 
fie ruhig, unb nur ein AuSbrutf ber tiefften Verachtung fräufelte ihre Sippen. 

■Marie Antoinette ftanb auf, al? Sinnille bie Stimme erhob, um fie 
ju swingen, fid) gegenüber ber Anflage, bag fie ihren Sohn im ©efängnijj 
ju unnatürlichen AuSfdjweifuitgen nerleitet hätte, ju rechtfertigen; mit ber 
Majeftät ber Unfdjulb wanbte fie fich an bie im ©eriCgtSfaal Anwefenben: 

„ABemt ich biefe Anflage nicht beantwortet höbe," fo brach fte aus, 
„fo gefega!) bie?, weil bie Statur fid) weigert, eine fol<he Anfdjutbigung 
gegen eine Mutter ju tuiberlcgen. 3<h berufe mich ouf alle Mütter, bie 
gier jugegen finb!" Ser eble 3 orn in ihrem Vlicfe, bie Stötge be? ner= 
legten Schamgefühl?, bie ihre ABangen färbte, welche noch einen Augenblitf 
norher bie garbe be? Sobe? gejeigt hotte, eleftrifirte ba? Aubitorium. 
Ser Aufichrei ihre? ^erjen? würbe nerftanben, unb jene Stunbe würbe 
ber Sriumph ihrer langen Semütf)igung. Man hörte berjjerreigenbe? 
ABeinen feiten? Qener, bie fie noch uor Kurjern gehöhnt hatten. 6? würben 
Srohungen wiber ba? Sribunal auSgeftogen. Sie Sticgter erbebten, nicht 
einet war unter ihnen, ber nicht bie Vewegung ber Sugörer wie einen 
Sdhlag in’? ©efiCht entpfanb. 

Al? auf ihrem legten ©ange fich ber ©eifilidje an ihrer Seite auf 
ba? ungehobelte fQotjbrett fegte, fagte er: „Mabame, fegt ift ber AugenbliCf 
gefomnten, fich mit Mutl) ju bewaffnen." 

„Mutg," enuiberte Marie Antoinette, „ich habe mich fCgon feit Sängern 
bamit bewaffnet, e? ift nicht wahrfcgeinlidj, bag er mich h cu te uerlaffen 
wirb." 

Ser ©eift ber Königin fegwebte goeg über ben Verhöhnungen ber 
Menge, ihr Vlicf glitt über bie hogerfüllten Menfdjen gin. SoCg lajfen 
wir Glara Sfcgubi felbft ba? ABort: 

„Kleben ber Säule ber ^rei^ett ftanb ba? Schafott. Sie Königin 
fautmelte igre Kräfte. Sie ging ba? Vlutgerüft ginan mit einer Raffung, 



Clara Cfdjubt. 


57 


bie noch größer war als bie, womit fte ißt ©efängniß terlaffen, mit einer 
Stajeftät, bie nic^t geringer mar als bie, momit fie im ©lans ißrer Sergangem 
beit nom £ljrone ßerab ihre Untertßanen begrüßt ßatte. gnbem fie bie oberfte 
Stufe beS SdßaffotS betrat, gefdßaß es, baß fte unnerfeßenS bem S<ßarf* 
ricßter auf ben guß trat. ®er Slann ftieß einen ScßmerjenSruf aus, bie 
Königin manbte ft<h um. 2Uit auSgefucijtet -fjoflicßleit fagte fie ju ißm: 
„3$ bitte Sie um ©ntfcßutbigung, mein £err." Zubern fie ftraucßelte, 
batte fie einen ihrer Schüße oerloren. ®erfetbe mar auffaHenb Bein. (Sin 
Scann aus bem Solle ßob ißn auf unb rerwaßrte ißn als Reliquie. ®er 
Stiel ber jum £obe Seturtßeilten fucßte nodfj einmal ben Stempel, bann 
{niete fie nieber unb fpracß ein teßteS ©ebet. ©etroft ging fie bem 
£obe entgegen. ®er Scßarfricßter jitterte, als er bas Seil fallen taffen 
iottte. Ster Stinuten fpäter batte er fein Sßerl getßan, baS $aupt ber 
Königin fiel." 

Son ben 3Jlärtprerinnen ber Sourbons manbte fi<ß Glara 2;fcßubi ju 
ben grauengeftatten aus ber Sapoteonifcfjen 3eit. 2luS ber Seoolution er= 
bob rieb eine Siefengeftalt: ber große ©orfe, ber Sefieger ©uropaS; roemt 
nun auch leine ber grauen jene einflußreiche Stellung an feinem $ofe bei 
iejfen, melde Subroig XVI. feiner ©emaßlin eingeräumt ßatte, fo ßat boeß 
baS @roig-.3®eibticbe im ßeben SapoteonS eine meit größere Solle gefpielt, 
als man gewöhnlich anjuneßtnen geneigt ift; i<ß erinnere nur an feine jabt* 
reießen ©efiebten, foroie an bie Dielen geifioollen grauen, bie, mie j. S. 
grau Don Stael, ibm Dppofition machten, namentlich aber an bie 
bioerfen SJlitglieber feiner gamilie, an feine SKutter, Sätitia Samotino 
Suonaparte, feine erfte ©emaßlin Sofepßine unb feine jtueite, Starie 
fiouife, bie jmar als fperfönlicßfeit wenig bernorragenb mar, aber als 
Sölutter beS ÄönigS non Som unb ißre £reuloitgleit gegen ben gefallenen 
^errfdßer Sebeutung gemann, an feine fchöne, aber leicßtfinmge Scßroefter 
Sauline, an ©lifa, an bie ränletolle ©aroline unb an feine Stieftochter 
unb Schwägerin, Königin ßortenfe. Ueber alle biefe grauen Ijat unfere 
Schriftflellerin ßö<bft bemerlenSmertbe biograpßifche Stubien oeröffentlicht; bie 
roertbijollfte ifl jebenfaüs biejenige über „SapoleonS St ntter Sätitia"*). 

®ie meiflen SBerle, welche über ben großen Sapofeon gefeßrieben 
roorben finb, ßanbetn nur wenig non feiner Stutter, obfehon fte leineSroegS 
eine gewöhnliche grau mar. gn jaßtreiden Siedlern, welche fich mit bem 
©onfulat unb Jtaifertßum befdßaftigen, wirb ißt Same laum genannt. 
Setbft in füßierS’ berühmtem Sudß über Sapoteon I. in 20 Sänben fenbet 
man im ©anjen nicht meßr als eine ©rueffeite über Sätitia. ®er ©lanj 
beS ÄaiferS mar laum ßinreichenb, ißren Samen in einigen Siemoiren 
feftjußalten. Um fo meßr gebüßrt ber norroegifeßen gorfeßerin Slnerlennung, 
baß fie in einer eingeßenben unb erfeßöpfenben Schrift ein £ebenS= unb 


*) 3>eutfdj Don Heinrich üott Senf. Seipjig, Sßf). 'Jtectam jr. UniocrfaWBibliotljel. 



58 


21bo lpt1 Kotjut in SHbenbe bei Berlin. 


©fjarnfterbilb jener grau, welche fo frei non ^eucßelei unb £umbug tnar, 
uns entworfen ijat. gn gaßlreidhen frangöfifcßen Staßinen bot fie fleißig 
nadhgeforfdht unb fo manches wertbuotle ©ocutuent gu £age geförbert unb 
baburcß bie ©efdhidjtSfdEjreibung wefentlidß bereichert. Siefl man biefeS Such, 
fo begreift man baS ^ntereffe, roefcfjeS bie &elbin bei unferer Sßerfafferiti er* 
werfen mußte, benn mir lernen eine grau fennen, bie im ©lüd roie im 
Unglücl gleich erhaben unb faft unerreicht bafleßt unb bie burdj ihren 
perfönfidben -äNutl), ihre ßöuSlidjen £ugenben, ihre Siebe gut gnfet ihrer 
$äter, ihre Stufopferung für ihre fiinber, ißre Sefdheibenßeit im ©lange unb 
ihre unerfdhütterlicbe SRefignation toäbrenb ber horten Prüfungen ber 33or= 
febung einen ©ßrenplab unter ben grauen ber bamaligen geit oerbient. 
3Nan roirb gewiß baS SBort ihrer £ofbame, ber ^erjogin non SIbrantöä, 
unterfcßreiben: SNabame 23onaparte ift in meinen Stugen bie merfwürbigfte 
grau, bie idb gefannt habe, oermöge ihrer Seelenftärfe unb ihre« 3Jh»tbeS 
im Unglücf unb oermöge ihrer würbigen unb tactooHen gurüdhattung 
wäßrenb beS ÄummerS, »on bem fie beinahe 20 gaßre ttiebergebrüdt bafaß. 

£)ie norwegifcße greife nahm biefe Schrift über bie Stammmutter 
ber Stapoteoniben mit großem S3eifaH auf. So brachte 3 . 33 . bie ßetoor* 
ragenbfte litterarhiftorifcb=fritif<be geitfcßrift SfanbinaoienS, bie „Nordist 
Tidskrift“ (5. £>eft, gaßrg. 1899), aus ber gebet beS befannten norwegi* 
fdjen Sitterarbiftorifer fNpgß «000 eingebenben Gffatj über baS Such, bem 
mir beSßalb bie nachftehenbe Stelle entnehmen, weil baburcß erficfitlich ift, 
baß ber SluSfprudh: „Nemo propheta in patria“ ßi er nidßt gutrifft: 
„Stoßt bot Sätitia 33onaparte wefentlich nur eine geßbidßtlicbe SBebeutung 
als SNutter beS großen -Napoleon unb feiner unruhigen ©efcßroifler, aber 
burcß biefeS SBerhältniß p einigen ber ßauptperfonen tu jenem bebeutungs* 
oollen gefcßicbtlicben Scßaufpiel würbe ißr eigenes Scßidfal non ben nielen 
Umwälgungen jener geit mächtig beeinflußt. gn bö<hftem 3Naße gefpannt 
unb intereffirt folgt man nom Slnfang bis an’S ©nbe beS SucßeS ber burcß* 
geiftigten Scßilberung. Seßr begeicßnenb tritt gleidß bie gnbioibualität ber 
SNutter -Napoleons in ihrer crften fampf* unb mübeoollen ißeriobe p £age. 
©benfo augeneßm berührt bie Sdhilberung bet Sefonnenßeit unb rußigen 
Sßiirbe SätitiaS, als Napoleon auf bem ©ipfel feiner -Stacht unb ßerrlicß* 
feit ftanb. 9Nit wämtfier Slntljeitnaßme unb Söewunbemng folgen wir ihrem 
©efdjirf, als baS Unglücf über fie hereinbricht unb fie, niele gaßre in ©in* 
famfeit in 9tom lebenb, als eine waßre £elbin bie gaf)lrei<ßen Sdbidfals* 
fällige erträgt, bis ber £ob fie enblirf; non ißren feelifdßen Qualen erlöfl. 
gti einer Säuberung non -Napoleons -äNutter mußte felbftnerftänbtidh biefer 
felbft einen ßetoorragenben ißlah fmben. So erlernten wir ißn in feinem 
ganzen SBefen unb Raubein als Soßit unb SSruber. ®ie 93erfafferin ßat es 
meifterßaft nerftanben, gewiffe Seiten feines ©ßarafterS, bie bisher weniger 
beobachtet würben, uns non einer neuen Seite p geigen . . . 9Nit ißrer 
woßlbefannten, feftgejeid;iu’ten Sptaumäßigfeit beßerrfdßt ©lara fEfdfjubi audß 



£(ara (EfdfuK 


59 


bieSmal beit gewaltigen «Stoff. ®ie Sßerfonenseichnung ift ftdfjer funbamentirt 
burch ein ehtgehenbeS ©tubium bet 3eit, in welker bie fjanbefnben ©e= 
ftalten auftreten. 2BaS bie ßraft tmb 22ärme bet ©djilbemng betrifft, fo 
ift eS p<her, baff ihre Figuren leben, was bet b)ö<J)fte Triumph für febe 
Viograpbie ift. 5Die ©pracbe ift rufiig, natürlich unb elegant. ©3 tnufj 
ibr jutn Verbienft angeredjnet werben, bafj fie bur<h tbjre SBüd^er ben ©inn 
für gefcf)icbtli<be Seetüre beim publicum erwedt, nnb jwat ju einet 3eit, 
wo bie äpbetifebe SUteratur, bie fieute gelefen wirb, morgen fdfon vergeffen 
ift, unb bie bennodf bie geiftige Hauptnahrung beS ntobemen ©efdjleibts 
bitbet. 3<h fann nur baS Urtheil eines hemorragenben ©djriftftederS unb 
ßritiferS, beS beliebten ^ßaftorS in ©hriftiania unb MebacteurS non „For 
Kirhe og Kultur“, SEheobor Sllavenep, unterf<breiben, weither non Glara 
Sfcbubi behauptet b“t, baff fte „geprüfte unb gefieberte Realität in oottenbet 
fünftlerifcber fjorm" uns biete. 

®ie Verfafferin non „Napoleons -Mutter" bat fo manches Meue ober 
bodj wenigPenS Unbefannte aus bem ©taube ber 9trcf)ire bervorgebolt, was 
allgemeines ^ntereffe beanfpru<ben bürfte. Mamentlidj war fte glüdlich int 
Slufpnben beS Materials, welkes p<h auf bie -Mutter bezieht, wie fte ihren 
geftürjten großen ©obn not feinen mächtigen Verfolgern in ©dfjut$ nimmt. 
©0 fdbrieb 3 . V. bie „Mutter aller Schmerjen", wie fie ft cf) in einem 
8 riefe an ben ©arbinal ©onfalvi felbft bejeithnet, am 27. 3luguft 1818 
an bie in Sladjen uerfammelten Äaifer unb Könige einen Hefempfunbenen 
Vrief, worin fie an baS ©eredjtigfeitSgefübl unb baS ©rbarmen ber ©rofjen 
biefer ©rbe appedirt. S)ort ruft bie befütnmerte Mutter webtnütbig aus: 
„Äömten ©ie ihn (ben Äaifer Map oleon) in einer qualvollen Verbannung 
umfomtnen laffen, biefen ehemaligen Herrfcher, welcher, inbem er ber ©rojj* 
mutb feines ffreunbeS vertraute, ft<b in feine 3lnne warf? -Mein ©obn 
hätte ben Staifer von Deft erreich, feinen Schwiegervater, um eine 3uflud)tS= 
ftätte bitten fönnen. Gr hätte fich bem Jtaifcr von Mufjlanb überantworten 
fimnen, ber einmal fein ftreunb war. ©r hätte junt preujjifdjen Äönig 
fliehen fönnen, welcher bem VUtenben gegenüber beS früheren VünbniffeS 
fich ohne 3weifel erinnert haben würbe. Sott ©ngfanb baS Mecht befommen, 
ihn für baS Vertrauen su firafen, welches er biefem Sanb erwiefen h°t? 

Äaifer Mapoleon ip nicht mehr 3 U fürchten, ©r ift franf. 3Benn er auch 
gefunb, wenn er noch im Vefifee ber Hilfsmittel wäre, welche bie Vorfeffung 
f. 3 t. in feine Hänbe legte, fo würbe er hoch ben Vürgerfrieg verabfeheuett. 

34 bin -Mutter, unb baS Seben meines ©offnes iP mir tbeurer als 
mein eigenes . . . Saffen ©ie eine Mutter nicht vergebens Peljen, wenn 
fte ©ie gegen bie ©raufamfeit, welche man fo lange gegen ihren ©ofm 
geübt h at, anruft. 3m Mamen beffen, ber bie Varmherjigfeit ift, helfen 
©ie, bafj bie Dualen meines ©ohneS aufhören, helfen ©ie, baff er feine 
Freiheit wiebetbefomme. 3 <b flehe ©ott barum an unb ©ie, bie ©ie feine 
Steifoertreter auf ©rben ftnb ! 



60 


2Jbo(pt[ Kot}ut in Sübenbe bei Berlin. 


©ie Staatsintereffen haben ihre ©renjen; bie Stadjwett, welche bie 
llnfterblidjfeit oerleibt, beiouubert mehr als alles Slnbere ben ©befmuth beS 
Siegers." 

9)tit SluSnahme beS SorbS unb ber Saby ^oHaitb, roeldje bie ©e* 
fangenfchaft DiapoleonS milberteit, öffnete fte niemals einem ©nglänber ober 
einem anbereit Vertreter ber Städte, toelc^e betn Sünbniffe gegen ifjn an* 
gehörten, iljr £auS. Sie hegte einen unaustilgbaren £ah gegen bie 93er; 
folger ihres Sohnes. ©er fpätere Siapoteon III. badjte einen Slugenblidt 
baran, fidj in Stufjlanb jum KriegSbienfte ju metben. @r fleHte fidj feiner 
©rofomutter oor, um ihren Statt) ju oernehmen. 

„Reifst ©u nicht Stapoleon?" fragte fte. 

„ga," antwortete ihr ßnfet. 

„So muht ©u toiffen, toaS ©u ju tf)un haft!" erwiberte bie ©roh* 
mutter ftreng. 

2llS fie eines ©ageS am Gorfo itt 9tom theilnabm, wogten fo oiele 
9Kenftf)en auf unb nieber, bah ber Kutfdjer genötljigt toar, bie ißferbe im 
Sdjritt gehen ju taffen. 3 ,l) ei öfterreidjifdje Dffijiere in Uniform erfannten 
bas Eaiferlidje SSappen am 2Bagen. Sie näherten fi<h bemfelben, um hinein* 
jugudeit. Sätitia benterfte bieS. Sie ihrerfeits hotte bie ihr oerhafjte öftere 
reichifche Uniform toiebererfannt. Sie lieh baS genfier nieber unb fagte: 
„HJteine Herren, was wollen Sie oou ber SJiutter StapoleonS?" ©ie 
Dfjtjiere waren oerblüfft unb grühten ehrerbietigft. 

gm Saufe bes galjreS 1819 madjte DeflerreidjS $errfdjer einen 33e* 
fudj in 9iom. ©er ifklajjo SBonaparte war baS einzige ßauS, baS ihm 
ju ©fjren nidjt beleuchtet würbe. Kalt unb frnfter ftanb baS hohe ©ebäube 
am Gnbe bes GorfoS, unb 9iapoteonS 9Jtutter hatte bie galoufien aller 
genfter herunter julaff eit befohlen. ghre pflidjtoergeffene Schwiegertochter 
SJiarie Souife hatte ihren SBater auf feiner Steife begleitet. 2HS man ftc& 
ben Staaten bes ißapfteS näherte, machte ein Kammerherr bie Gpfaiferin 
barauf aufmerlfam, bah fie, falls fie mit nach 3tom folgte, wo Sätitia lebte, 
anfragen iaffen folle, ob ihrer Schwiegermutter ber 93efudj ber jweiten ©attin 
Napoleons angenehm wäre, ©er öfterreidjifche ©efanbte befam ben Stuftrag, 
fidj ju ber alten ©atue ju begeben, um ihre Stimmung ju erfordern 
„gljr ©efudj, fowie baS, was Sie mir mittheilen, überrafdjt mich * n 
ber ©hat," fagte grau Sätitia in ftrengem ©on ju ihm. „Sie beleibigen 
meine Schwiegertochter, wenn Sie fagen, bah fie auf ben Sanbftrahen 
Italiens herumfährt, ftatt fidj bei ihrem ©atten aufjubatten, bem SWärtyrer 
oou St. Helena, ©ie grau, oon ber Sie fprechen, fann nid)t meine 
Schwiegertochter fein. ©öS muh irgenb eine Sdjwinbterin fein, bie fich 
ohne 93ered)tigung ben Siapoleonifdjett Flamen beilegt." 

©ie Sßerfafferin fdjliefjt ihre Gljarafteriftif ber merfwürbigen grau mit 
ben SBorten: „Sltit ihrem italienifdjen 9luge, baS an baS Schöne fo gewöhnt 
war, unb baS nichts blenben tonnte, hatte fte ihren Sohn bis jum hödjften 



Clara Cfdjubt. 


6 \ 


Song emporfteigen feilen, uttb fie fanb baS fetbftoerftänblid». Selbft jein 
©ettie ermedfte ihre Vemmnberung nid)t, benn fie füllte, ba| es ans if»r 
fetbfl entfpringe. 2Bie jurüdgejogen bie SJtutter Napoleons auch in Sronf= 
reid) lebte, war fte nkfitsbeftomeniger eine Stau non überlegenem ©elfte 
unb non erhabenem ©jaralter . . . Sie trug ifjr Unglücf mit ebenfol^et 
9tuhe unb SBürbe, als fte in ihrer Qugenb bie Drohungen VooliS ertragen 
hatte. $n ihrer ©röfje hötte fie niemals ©itelfeit gezeigt; im Unglücf hörte 
man niemals ihre Klagen. ®iefe ftolje (Seele enthielt fi<h fogar, bie Flamen 
ihrer Setobe ju nennen . . 

©lara Sfdjubi arbeitet gegemnärtig an einem umfaffenben Vudje über 
bie Kaiferin ©lifabeth non Defterreicb, auch eine SJtärttjrerin auf bent £()ron, 
rooju ihr non hoher ©teile fehr niel neues Material jur Verfügung geftellt 
routbe. 

®ie SBerfe ber Verfafferin mürben nicht allein in’S ®eutfche, fonbem audj 
in’S SdjmebUd&e, Sranjöfifche unb ©nglifdje überfefct unb erfreuen ftd) in bem 
eigenen Vatertanbe ber S°rf<herin größter Verbreitung, ©eboren ronrbe fie 
am 9. (September 1856, als jüngfte S'odjter beS ©nbe a)lärj 1900 ner* 
florbeneu SdjiffSrbeberS unb ©utSbefifcerS «ßeter 5Sfcf)ubi in $£önSberg, non 
roo ihre ©Item 1862 nach VaHö neben ©hriftiaua, ihrem gegenmärtigen 
SlufenthattSort, überfiebelten. Urfprünglid» rooHte fie fich für bie Dper aus« 
bilben, jn meldjem 3*oecfe fie bei hemortagenben Sehkräften, roie bei 
IjJrofeffor ©uftan ©ngel in Verlin, ©efangSunterrid&t nahm. 2tuSgebehntc 
Reifen n ad) ®eutfd)lanb, Sronfreidj unb Italien, burdh bie Sd&meij, baS 
Stammlanb beS mit ihr nerroanbten alten 2IbelSgefdjleditS berer non Sfdjubi, 
burd) Voten unb Stonlanb ermedten in ihr lebhaftes Sntereffe für SBio= 
graphie» unb ©efchidjtsforfcbung, beffen Vettjätigung mir ihre uortrefflichen 
Vü<het ju nerbanfen hoben. 2JtehrmalS mar fte auf ben ©teeren großen 
©türmen unb ©efahren auSgefe|t. ©ine begeifterte Sreuitbin ber Statur, 
hat fie bie meiften Verge UiorroegenS erftommen unb auch in ber Sdjroeij 
mehrere hohe Seifen oft mitten im Sßinter befliegen, ©benfo eifrig 

hulbtgt fie bem Sport beS SdmnmmenS, unb es erregte oft in Vallö 
großes 2luffeben, als fte es magte, bei Ejocfjgefjertber See fi<h ben SBeHen 
onjunertrauen. 

Sin Storroegen hot fid) unfere SdjviftfteHerin als VortragSnieifierin 
gleichfalls einen ©amen gemocht, inbeut he in jahlreidjen Stabten litterar= 
hifiorifdje unb culturgef<büf)tlidje Vorträge mit grofjent ©rfotge gehalten hot. 

SBir hoffen, ber Verfafferin noch oft auf bem ©ebiete ber Sitteratur, 
bejro. einer Specialität betfelben, ber biographischen ©efdndjtsfdjreibung, ju 
begegnen. 




Hktjfcfye als Cfjeologe unb 2lntidjrift. 

üon 

JFr. hon Appeln ^ronfßotupf. 

— Berlin. — 

r Äurgcm erfdjien totcbcr einmal ein neues SBudj über „£>ie 
SßJjitofop^ie griebridj fRiefcfdj es"*), baS inbeffen nid^t ju 
ben 33ief=jU'.33ielen gehört, bie für unb toi b er ben fo ijeifj 
geliebten wie geleiten pfilofophen ju gelbe jieEjen, fonbem ju ben fBiebju= 
SBenigen, bie wirfUd» über 9iiefefd)e fjanbelrt. ©S fiammt non einem 
franäöfifdjen fßrofeffor, ber mit beutfcfjer Spraye unb (Sitte jebodj fo grünblich 
oertraut ift, bajj er uns neben biefem SSucfje über -Riefsfche aud) ein fotdjeS, 
freilich no<h ein weit umfangreicheres unb qrünblidiereS, über 9H<harb 
SBagner befeuert hat**), $a ich birect ober inbirect ber Iteberfefjer beiber 
SBüdfer bin, fo wirb man mir eine „buchftäblidje" ßenntnifc ihres Inhaltes 
ttidjt abfprechen bürfen; ich werbe midj freilich burdj biefe intime Stenntnifj 
am wenigften ju Slnpreifungen beiber SBüdfer oerleiten taffen, »ielmehr 
nehme ich baS erftere nur jum StuSgangSpunft meiner ^Betrachtung unb 
möchte bloS barauf hiugewiefen haben, bafj beibe SBerfe in hohem SDlafje 
objectio unb wiffenfehafttid) oorurtheüSloS, aber auch wieberutn nicht falt 
gefdfrieben ftnb unb burd) bie bequeme Ueberfichtlühfeit beS fouoerain be= 
herrfd;ten »Stoffes, fowie burdj bie auSbriicftidie S’enbenj, nur baS ©tojje, 
SlUgemeine, ^auptfädjiidje ju befianbetn, ftdj als populäre SBerfe im guten 


*) Jpenri üiditcitbcvficv, „Tie Sßtjitofoptjie fjrlw». 9?iet3fd)c8*. 2J!it ein« ©Ölleitung 
üon ©Ufabctfi 5'öruer=?tinjid)c. Trcgbeu unb ßeipjtß, Gart Sfteijjner, 1899. 

**) „Dtidjarb SBagner, ber Tidjtcr unb Genfer." ©in Sjanbbucb feines ßebenS unb 
©djaffcnS. Teutfd) poit 8?r. bon JDppettt=S3romfolt>gfi. ©benba. 



ifrtebridf als (Efyeologe nnb llntidjrift. 63 

Sinne be« SBorte« fennjeichnen. gclj ton fie iebent Äenner biefer beiben 
jüngfien beutfdßen ©eiftes^etben al« &anbbücßer, 9k<hf<hlagebücher, unb 
jebem 9H<htfenner al« bequeme ©infüßrung in bie ©eifteS= unb ©chaffen« : 
roelt beiber -JJlämter empfehlen unb bitte auch, an ber $nj«tfadjje, baß itjr 
Verfaffer fein ©eutfdßer ift, feinen 2lnftoß ju nehmen. „2Bir ©eutfcßen," 
fagt grau görfter=9tiefcf<he in ber Vorrebe be« über ifjren Vruber hanbefm 
ben Sucres treffenb, „flehen ber Veurtßeilung meinet Vruber« ju naße. lieber 
bie Vorgebirge ber ©Triften feiner Äritifer ober f. g. Verehrer unb 2lu«s 
beuter roirb un« jumeilen ber Vticf auf bie gimenßöbe feine« ©eifte« ge? 
nommen"; — roäßrenb ber ferner ©teßenbe bie fd»iefe Verfpectioe ber 
Vorbergrünbe nicf)t hat; er wirb immer nur bie großen Sinien be« Vcrg- 
juge« fehen unb roiebergeben. -Natürlich fann ein fo jufammenfaffenbe« 
Such menig „Neue«" geben, ba e« ja nicht bie Äraft eine« Nlifroffope«, 
fonbern bie einer ©amtnellinfe hat; gleichmoßl hat Sßrofeffor Sichtenberger 
im „Nnßang" auf eine eigenartige ©rfcßeinung aufmerffam gemacht: baß jur 
gleichen Seit n»ie Niefefcße jrnei franjöfifche Genfer ben ©ebanfen ber eroigen 
SSMeberfeßr be« ©leichen in genau berfelben SBeife gefaßt, roenn auch nicht 
ju ber moralifchen unb poetifeßen $öße erhoben hoben, roie e« burch Niefcfcße 
gefcheßen ifi, unb baß e« ficher ift, baß feiner ber brei Genfer non bem 
änberen gemußt hot baß alfo biefe gbee gleichsam in ber Suft gelegen 
hat. Slußerorbentlich freier unb fein ift nach meinem ©efüßl auch bie 
Seelen=2lnalpfe be« jungen Niefcfcße unb bie Veßanblung ber grage, mie 
ber gläubige ißroteftant unb Vfarrerfoßn jum unentroegten Sltßeiften mürbe, 
©in paar groben ßieroon möchte ich Sßnen, eße ich medias in res gehe, 
hoch noch geben. 

„©er gläubige ißroteftant, ber jener liberalen Nidjtung be« Sßroteftan* 
ti«mu« angehörte," fagt Ißrofeffor ßiebtenberger, „orbnet bie äSiffenfdßaft 
in feiner SBeife bem ©tauben unter, fonbern glaubt an eine (präftabilirte) 
Harmonie jmifchen ber Neligion unb ber unabhängigen Söiffenfdiaft. 311« 
er (Niefcfche) an ba« ©tubium ber -Natur, ber ©efeßiebte unb Vhifofopßie 
herantritt, ift e« ihm alfo erlaubt unb felbft geboten, oöHig unparteiifch 
nach ber Sßahrßeit ju trachten, ohne ben 3Men non »omherein baju 
anjuhalten, bie Vertheibigung ber Religion in ber SBiffenfcßaft ju fuchen 
— unb ju finben. ©ie freie gorfeßung, oerbunben mit ber lieber jeugung, 
baß biefe freie gorfeßung non felbft jur Religion führen muß, ift eine« 
ber charafteriftifcßeften Nlerfntale be« Vroteftanti«mu«, in ©onberßeit be« 
beutfeßen 5ßroteftanti«mu« oon heute*) . . ©erart ftellt ließ Niebfcße un« 
mäßrenb feiner ©chuljoßre bar; er oerfpürt ein „außerorbentlicße« Ver* 
langen, ba« SBiffen, eine Unioerfalbilbung ju ermerben"; er ftellt ft<h eine 


*) S?nf. benft natürlich an bie fedjjiger Sabre, bie einen laüib Strauß ju ben £eben= 
ben jäßlten, unb um bie e8 fidj hier hanbelt, nicht an ben DbfcurantiSmu?, ber heute 
ttieber geprebißt tnirb. 

9totb unb XCV. 283. 


o 



6^ v fr. Don ©ppeln-Btonif orosft in 23erltn. 

tätige Sifie ber oerfcbicbenen 2Biffenidmften auf, bie et fidj aneignen 
möchte, aber er fügt julefct t)irtju: „©och über 2tHe§ SMigion, bie ©runb; 
oefte beg SC'ijfeng." 9la<h unb nad) jebod) gerätb biefer ©taube an bie 
Harmonie jrotidten Religion unb SBiffenfdjaft in’g Scbroanfen. S m 
Sabre 1802, ein Sabr nad) feiner Gonfirmation, fchreibt er einen 
fonberbaren p^itofopttif dfjert Gffap über „Saturn unb ©efdjidjte" . . Gr fiebt 
barin ein, „bafc bag ganje Gbriftentbum it<h auf Sinnabnten grünbet. 
©ie Griftenj ©otteg, Unfterblid)feit, Sibelautorität u. a. werben immer 
problematifch bleiben" u. f. ra. Sein Gbriftentbum wirb halb jum 
reinen Spntboligmitg. ,,©ie ^aupfteljren beg Gbriftentbumg fpre<ben nur 
bie ©runbroabrbeiten beg menfdjlichen ßerjeng aug; fte finb Stjmbole . . 
Unter ferneren S'^cifeln unb Kämpfen wirb bie -Dienfcbbeit männlich; 
fie erfennt in iidi ben SUnfang, bie 2JUtte unb bag Gnbe ber ^Religion." 
3ia<b etwag mehr als brei Sauren bat DUefcfche ben entfdjeibenben ©dbritt 
getban; er b at erfannt, baff ber fDJenfd) jwifdjen jwei Gntfcbtüffen }u 
wählen bat: entweber er wählt ben ©lauben, ben ihm feine Vorfahren 
»ermaßt hoben, et fudit unb finbet in bem fubjectiuen ^Phänomen 
beg ©taubeng ben Sieben unb bie 9iube ber Seele, ober er wählt im 
©egentbeil ben einfamen unb fdbmerjenreidjen Sßfab beg gorfebeng, ber 
nicht ©lüd unb Rieben will, fonbem SBabrbeit um jeben fßreig. gür 
91iefefdf)e war bie fo gefteHte grage ® on »oruberein gelöft: er wäre feinen 
ftärfften gttftincten untreu geworben, wenn er nicht auf ben leichten 2Beg 
beg ©laubeng nerjiditet hätte, um ben „beroifdben" 25?eg ber gorföbung 
einjufdilagen. 

Gr war iid) ber übermenidjltdien Sebeutung biefeg Schritteg roll 
beroufet. 9lbet trobbem geidjaE) feine Soglöfung ohne gewaltfame Gr; 
fdiütterung. ©er 23ru cb war bei il;m feine ©hat ber Serfiörmtg, benn 
bag trabitioneHe Gbriftentbnm war feinen Snftincten oöHig angepafet . . . 
Unb anberepeitg batte fein Serftanb nie ben geringflen ©ruef auf feinen 
Snftinct augjuüben, um ihn jutn Serjidit auf feinen ©tauben jü jwingen. 
SPenn er bag Gbriftentbum aufgab, fo gefchah bieg nicht allein, weil 
©ott ihm togifdj wiberlegt fd;ien, fonbem oor Mem, weit fein religiöfer 
Snftinct ihm unterfagte, bei einem ©tauben fteben ju bleiben, ber iljm 
iHuforifd) uorlant. Gr warb budiftäblidj Sltbeift aug ^Religion, 
unb barum warb er eg aud) ohne Serjraeiflung unb ßerjengangfi." 

Sange Sabre Ijinburd) bat biefe retigiöfe ©runbftimutung fich freilich 
rein negatiu gcäuf?ert; in ber Seit com „QJJenfdjlidjen Mjmuenftblidjen* 
big jur „9)corgenrötbe" war SRiebfcbe gerabe^u nibiliflifch geftimmt; bantalg 
bat er fidi über bie „metapbpfiidien ©efübte" ber 2Renf<hen luftig gemacht, 
ja, oon allen ©emütbgbebürfniffen in eifigent $obne entfrembet. 2lber inbent 
er fich fo fdunerjbaft geraaltfam trau oben „fdjönen Gefühlen" freimachte, 
inbettt er fidi aug bem Sanne beg ©laubeng — beg ©laubeng feiner 
tbeotogifdjeu Vorfahren, ber ihm fo tief im Stute ftecEte, — non ©runb 



^tiebttd} Itiegfcfje als (O)eoloje unb 2t n t i cif r i ft. 65 

aus frei badite, inbein er fid) immer tiefer in bie Verneinung einbol)rte, 
erfannte er immer beutUcher bas pojttine inbioibueHe 3iel/ bent er juftreben 
müßte unb bem er fidj fcbon inftincti» jugewanbt batte, als er bie Schiffe 
hinter fidj »erbrannte. @r wollte nid)t, mie Schopenhauer, mit bent 
«bfoluten ijßefftmiSmuS enbigen, fonbern biefer foHte ibm als Sprungbrett ju 
einem neuem Optimismus bienen. VereitS bie „fröhliche SBiffenfdhaft" trägt 
jenes wunberoolle -Bfotto, baS bie Enteifung feiner Seele fiimbgiebt*), ein 
SJtotto, baS ben Sefet nid^t nur beS gleichen 5DietrumS roegen an bie 
braufenbe ^nbrunft beS GboralS „®ott beS Rimmels unb ber Erben" ge- 
mahnt, — unb ein glor uon buftigen, fonnigen ©ebidjten, ber biefeS Vud) 
umbliiht, legt am beften für ben neuen $erjenSfrühling 3 cu 9iüf5 ab. 2)aS 
»ierte Such ber g. SB- fdjße&t bereits mit ber ülnbeutung ber Sehre »on 
ber Ewigen SBieberfunft, jenem naturroiffenfdjaftlidjmiathematifdjen ÜDJpfiiciS« 
muS, ber, aus Kopf unb Seele jugfeicfi heroorgegangen, bie Krone feines 
„3aratf)ujtra" bilben foHte. 

®ie Sehre wirb erft je|t, mo bie 3kd)laß=23änbe erfdhienen ftnb, in 
ihrer »ollen Vebeutung flar (9tie($fd)e hatte bie wiffenfdjaftliche Darlegung 
ber SBiebertunft beS ©leid»en jwar feit 1882 geplant, jebodj nie auS= 
geführt, ba er fie naturt»iffenf<haftli<h funbiren unb auf bie Üttomenlebre 
ftü^en wollte, was jebocß jum S^eil in golge feinet Kranfheit, theits aus 
innerer Unmöglidjfeit unterblieb — ) unb wirft immer mehr unerwartetes 
Sicht auf bie pßilofophifdien 2leußerungen ber lebten 3 e 't; ja, fie ift ber 
spiritus rector berfelben unb nimmt »ielen eingeftreuten 2lbfonberlicßfeiten 
ben ©harafter beS Ungewadhfenen, Saunenhaften, fo baß biefe nun als »er= 
einjelte leud)tenbe SBolfen erfdjeinen, an benen ftdj eine große Sonne »er= 
räth, bie felbft noch unter bem ^orijonte ftetjt. Sie wirb jum unftditbaren 
Slngelpunfte feines ganjen SpftemS, »on bem aus er glaubte, bie ganje 
abenbiänbißhe Spt>ifofop!hie aus ben Singeln heben ju fönnen, ja felbft bie 
gart je abenblänbifdhe Sßelt. 2ln fte unb ihre Verlünbung benfenb — wie 
wir jeßt aus ben Vrudjfiüden junt „lebten 3arathuftra" wiffcn — fcbrieb er 
jene als 3rrfüinS*St)mptom ausgelegten SBorte an VranbeS: „Qdj fdhtüöre 
3huen ju, baß wir in jwei fahren bie 2Belt in Eonoulfionen haben werben. 
3dj bin ein Verhängniß." — SBorte, bie fid) aus feinem Spftem burdjauS 
logifdh unb nicht patßologifd) »erfteben taffen. Unb hoch fdjüttelt gerabe 
SranbeS, fein erfter großer Kritifer, beffen bänifdier Snoafion („griebrich 
9liebf<he, eine 2lbßanb(ung über ariftofratifdjen VabicaliStuuS", 1888) wir 
$)eutf<ben überhaupt erft bie Vefanntfdjaft weiterer Kreife mit 9liebfdie »er-- 
banfen, — um uns wieber einmal ju beweifen, baß wir 2llleS „Made in 


*) „Xet ®u mit bem glammenfpeere 
kleiner Seele ©iS jertbeilt, 

®aß fte braufenb ttnn junt SDleere 
3b rer böcbftett Hoffnung eilt: 


freier ftets unb ftets geftmber, 
eJrei im liebeooHften ÜJlufj: 
Sllfo »reif idi Seine äBunber, 
Sdjönfter 3aimariu8!" 


5* 



66 ;fr. con <Dppeln>8rontfomsf i in Serltn. 

Germany“ erft bann für noH an erlernten, tnenn ifent ber Stempel be« 
2lu«lanb« aufgebrüdrt ift, — feI6fi Sranbe«, fage icfe, fdfeüttelt ba« 
£aupt über 3aratfeuflra« „wenig überjeugenbe RlpfUf". 2ludfe fonft finbet 
biefe £efere nicfet« al« eifige Stblefenung, fei e«, bafe bie SInfeänger Riefefdfee« 
fie al« priefterlicfee« Rubiment „erflären", fei e«, bafe fie gar an feiner 
inteüectuellen Redfetfdfeaffenfeeit irre werben unb ber Meinung finb, feier wäre 
fein unerbittliche« SBiffen unb ©eroiffen bocfe non feinem ©efüfele „über* 
fdjwemmt" worben. Surj, bie „QfnteffectueHen", bie nadfe iEjreS Rteifter« 
Sefere bie Sauberfeit be« ©ewiffen« feocfefealten, beobadfeten in biefem fünfte 
ein nur ju berebte« Schweigen, roa« roenigften« foniel beweift, al« baß fte 
hier ein religiöfe« Problem wittern, mit bem ber Sntellect nodfe nicfet« 
anjufangeti weife, ©rtlärlidfe ift ja biefe Abneigung, felbft ber Bweifef an 
Riefefdfee« eigener ©ewiffenfeaftigfeit, ba er fefbfi immer ba« 3iel oerfolgte, 
feine Religion bejw. SDtoral leöiglicfe auf ©mpirie ju bauen unb alles Qn= 
commenfurable, alle „Stimmung«logif" — „bie« ift fo fcfeön ober fo grofe, 
bafe e« wafer fein mufe" — refpectnoll auf Gi« ju legen. Unb nun bat 
er feibft eine fupranaturaliftifcfee Sfeeorie, bie nor bem reinen Serftanbe 
fdfewetlidfe Staub fealten wirb, jum Scfelufeftein feine« £eben« 3 wecfe« gemalt, 
fei e«, bafe er bie gegenwärtige Gmpirie ber Rtenfdfefeeit für unjureicfeenb 
feielt, um fein 3^ J u erfüllen, unb fomrt, ba bie SBelt bocfe leben will 
unb ber moralifdfeen Drientirung nicfet entratfeen fann, bi« bie enbgiltige, 
allgemeine, Me« burcfebringenbe unb befttmmenbe SBaferfert gefunben ift, 
bie bem fßofitim«mu« at« feöcfefte« 3lel ber Rtenfcfefeeit oorfcfemebt, — ein 
prouiforifcfee« Rotfe*3beal aufjufteHen für nötfeig feiert, fo lange bi« ba« 
3beal ber $beafe au f rein empitifdfeem SSege gefunben ober bodfe wenigften« 
bewaferfeeitet fein wirb; fei e«, bafe er, in ber ©rfenntnife, bafe alle 
bi«feerigen Religionen unb Rtoralen nicfet auf Sernunftfcfelufe, fonbem auf 
Intuition, nicfet auf äi’eltbegriff, fonbem auf Sßeltftimmung berufet feaben, 
ju ber Mficfet neigte, bafe bie Sefere non ben erften unb lefeten Gingen 
unb bie ©onfeguenjen, bie fidfe barau« für unfer ßanbeln ergeben, audfe 
in 3«funft nidfet uont Serflanbe, fonbem uom 2BiHen ifere geftfefeung erfaferen 
würbe, worau« er für feinen galt bann bie Rufeanwenbung gemadfet feätte. 
3m ©runb leben ja aucfe bie QtiteHectueUen im Sanne einer metapfepfifdfeen 
Ueber 3 eugung, in fofem fie bie S$?aferfeeit al« feödfefte« @ut anfefeen unb 
ifer ungefdfeeut ifere ©efiifele, bie mit ifer nicfet in ©inflang ftefeen, jum 
Dpfer bringen. 2Iudfe fie feaben eine moralifdfee Drientirung über fidfe, audfe 
fie leben nidfet in ber feorijontlofen, objectiuen Realität, fonbem in ben „frudfet; 
baren ^orijonten" einiger „©runbirrtfeümer". Sie finb alfo im ©runbe 
audfe religiöfe ©eifter, unb e« würbe fidfe folglidfe nur um bie $rage feanbeln, 
ob ber religiöfe ^nftinct, ber fidfe bei ifenen im 3beale ber SBaferfeeit 
bocumentirt, — unb bie Gonfequettj barau«, bie Mteitung aller Rtoral 
au« bem ^erjett, unb nicfet au« bem Serftanbe, — nur al« Rubiment einer 
beit 2tufftrebenben nocfe nadfefcfeleppenben früfeeren Gntroicfetung«ftufe ju be= 



jJmbridj ZTiet}fd)e als (Etjeologe unb Zlnlicfjttjl. 67 

trauten, ober int ©egentheit eine conditio sine qua non, unb baS pofitU 
uiftitd&e gbeal fomit nur ein gbeal unter gbeaien, b. f). ein neuer meta= 
pljtjiifther SluSbrucf beS eitrig inenfd)li<hen Qnftirtcteä ifi. Dann freilich be; 
beutete bie Slblefmung ber SßieberfunftSibee non ©eiten ber „^ntettectuetten" 
feinen principietten, fonbetn nur einen grabuetlen ©egenfafe ju Siehfdie, etroa 
wie ber jtoifd^en Broteftanten unb Äatfjolifen, bie fidj int ©runbe ja bodi 
einig ftnb, unb nur im Stafjmen einer gleichen VorauSfehung habem. ©ie 
bilbeten bann mit i^tn jufammen eine neue GntroicfelungSftufe im Vergleich 
ju ben Ghriften aller Gonfeffionen. 

Die Grbe erreicht immer toieber benfelben ißunft ihrer Bahn, aber 
e$ ifi nicht berfetbe im SBeltatt. ©o fönnte man auch non oerfdjiebenen 
©ntnricfelungSreihen fagen: fte haben aße etroaS ©emeinfameS, unb bodj 
roieber ©runboerfdjiebeneS. Der ©tifter beS GhrifienthumS litt am Glenb 
ber Stenfdjheit, ber Prophet ber Groigen Söieberfunft an berGntartung 
beS Stenfchen. Sion hot Beibe als Böferoidjtcr unb Verbrecher oer= 
fhrieen, unb roenn man ben Sefeteren nid)t pljpfifch freujigte (man fonnte 
e$ nicht), fo bo<h moralifd). Stau hot Beibe als Dobfeinbe beS ©Uten 
gehaßt, roeil man oermeinte, baS ©ute ju haben, wie man feinen Grb; 
feinb wegen feiner anberen ©itten fjoht, als ob er gar leine ©itten 
hätte. Sur bah n<h in biefem gatte Stoffe gegen Stoffe roenbet unb bie 
Straft, b. h- bie Trägerin beS jufunftSreidjeren gbeals, fiegt, roähreitb in 
unferem gatte bie Brutalität einer jurüdgebliebenen Stoffe fich an bem 
fortgefhrittenen jufunftbringenben Ginjelnen oergreift, eine Brutalität, bie 
ihr Opfer erft jum Verbrecher machen muh, «tn fich felbft ju legaiifiren. 
Der Vergleich geht weiter. Dort ifi eS bie Ueberroinbung beS gubem 
t§ums burch baS Ghrifienthunt, eine Ueberroinbung, bie juft in bem lieber^ 
nmnbeuen ihren Scf)lüffel, ihre tieffte Sßurjel hot, b. h- baSfelbe ooraus= 
fefct; hier bie Uebenoinbung beS GhriftenthuntS — gattj theoretifch ge= 
iprohen, unb ohne irgenb eine blasphemifche Sbfidjt — bie toieberunt 
nur aus bem Ghriflenthum heraus oerftänblich wirb. „Stan fieht," fagt 
Siefcfdje einmal, „roaS eigentlich über ben chriftlidien ©ott gefiegt hot: bie 
djrifHidje Storalität felbft, ber immer ftrenger genommene Begriff ber 
SBaijrhaftigEeit, bie Beichtoäter^geinheit beS djriftlichen ©etoiffenS, überfeftt 
unb fublimirt jum roiffenfchaftlichen ©eroiffen, jur intettectuetten ©auber= 
feit um jeben Breis." Unb, fönnen mir hiojufügen, bie Sehre oom Ueber= 
menfehen unb ber Groigen SBieberfunft, baS „Dobt finb atte ©ötter, ituu 
rooflen mir, bah ber Uebermenfch lebe," fonnten nur uon einem ©pröfßing 
beS GhrifienthumS gelehrt merben. 2Sie Siefcfdje ft<h bie Gntftehung beS 
Uehermenfchen burch ©elbftaufhebung unb ©etbftüberroinbung beS Stenfdjen 
benft, fo fonnte feine Sehre nur aus ber ©etbftübenoinbung unb ©el6ft= 
aufhtbung beS GhrifienthumS heroorgehen. 

Gin befonberS tppifcher $ug biefer (mie jeber) Ueberroinbung, bet 
nh unferen Bergleichungen noch anreihen roitt, ift ber, bafj bie übertounbene 



68 $r. ron <DppeIii-33ronifon>sfi in Serlin. 

^pfjafe immer bie negatiue Kehrfeite' bet über fie fiegenben pofitioen ift. 
2öie aus bem jübifdjen .fjafj, einer negirenben ©igenfdjaft, bie chriftliche, 
actiue Siebe würbe, ebenio oertjätt eS fi<h mit ber Stellung beS 3)?enfcfjen 
ju ©ott, jttnt Sdjidfal, fsutn Unoermeiblichen (ober wie man bie 9iotlj* 
wenbigfeit fonft taufen miH) im (Sbriftentfjum imb in ber neuen SDforaflefjre. 
®aS ©(jriftentbum ift felbft in feinem i)öd)ften Vertreter, b. h- feinem 
Stifter — ba bie $öfje ja nie am ©nbe, fonbern ftets in ber Vlitte ober 
gar am ülnfang liegt — nie über baS ftumtne, paffioe ®ulben hinaus ge« 
fommen; barin liegt feine J!raft uitb feine Schwäche. („SBir wiffen, bafj 
®enen, bie ©ott lieben, alle ®inge jirnt Veften bienen.") ©iefem amor 
dei in ©otgatfyx fieijt baS amor fati beS an Vereinfamung, c§afj unb 
aiuflöfung — biefer furchtbaren, fief» gegenfeitig bebingenben Freiheit — 
leibenben SßE)ilofopl)ett gegenüber, aber mit bem Unteridjiebe, baf, biefer 
fid> felbft für ein Stüd SSerf)ärtgni§ hielt („Sarathuftra lochte fi<h noch jeben 
3ufatt in feinem ®opfe") unb juft in feinem Seiben bie Duelle neuer 
Stuten fanb. ®er grofje gortfehritt beS ©hriftenthumS roar unftreitig ber, 
bah eS bie ^einbeStiebe lehrte unb bie Vadie oerbot. @S negirte fomit 
eine bei ber älteren Vienfchbeit oorhanbene SReihe non Qnftinctcn, eS machte 
ben ÜRenfchen an Slffecten ärmer. 2lu<h 3<irathuftra oerbietet ji<h bie 9?acf)e; 
(„®afj ber Vienfeh erlöft werbe oon ber fRache, baS ifi mir bie Vriidc 5 ur 
höchften Hoffnung"), «her für ihn ift biefeS 9Üd)t=®h un feine Ueberwinbung, 
fein Si<hmnfrud)tbar=2Radjen mehr, fonbern eine erreichte Plattform unb 
©runbtage, auf ber ber Vienfeh ju höheren, minber unfruchtbaren ®h n ten, 
als benen beS fReffentimentS, frei wirb. 2lehnlich fleht eS mit ber Stellung 
ju Kirche unb Staat. ©h^ftuS, beffen Sehre ber Staat heute fo gern für 
ftdj befchlagnahmen möchte, inbem er ftch für ben „Schuh", ben er ihr ge* 
mährt, baS 9iedjt anmaft, fie feinen 3roeden bienfibar ju machen, flanb bem 
theofratifchen Subenthume ebenio feinbfid» gegenüber, mie ÜRielfche ber Staats* 
firche. ©hriftus wollte oon ber irbifefen ©erechtigfeit nichts roiffen, weil 
mir ja bod) alle Sünber ftnb („dichtet nicht, auf bajj 3hr nicht gerichtet 
werbet"); er wollte, bafj eine fo fiinbige ^rtftitution wie ber Staat auf* 
hörte; währenb SRiehfdje ben „neuen ©öhen" nur als Vottwerf ber fRücf* 
ftänbigfeit angreift, als „®ra<hen", ber mit ben 3«bnen brutaler Viadjt 
ben jefcigen Status quo erhält, bamit feine höheren SDafeinSformen entflehen 
fönnen. ©r will alfo bie Verneinung einer Verneinung, er miH bie Vienfchen 
ju höherer 2lctioüät frei machen. So lommt eS auch, bafj Schopenhauer 
unb SEagner bie leibenbe ©eftalt ©hrifli als höchften 2luSbrucf ber Vienfeh* 
lichfeit unb baS Viitleib als erfte ®ugenb anfahen; fie felbft waren über 
bie imitatio Christi, über baS Seiben ohne fRadjfucbt noch lange nicht 
hinaus, unb baS ^ödfte für fie war, VöfeS mit ©utem ju oergelten, 
(freilid) auch nur bem Vädjften, nicht aber ber „SEelt", ber SRatur, bie fie, 
weil fie ihnen Scib oerurfadjte, frifdimeg als böfe, als ^ammerthal oer* 
läfterten) — alfo auch nur eine Viobifi cation ber fRachfudjt, ein nobles 



^Jriebridj tlietjfdje als (Theologe nnb 2lnttdjrift. 69 

fReffentiment, baS immer noch itegatio ift, weil eS oon einem 2!f)äter 
(Uebeltbäter) abbängt. (StiefcfdbeS im „3aratimftra" befonberS fieroor- 
tretenbe Steigung, „biefe SBett" burcbweg gut 31t beiden, ju bejahen, ift, 
non biefem ©eficfitSpunfte auS gefeben, nur eine lebte Gotifequenj unb Ver= 
allgemeinerung biefer <hriftli<hen Ueberwinbung beS Sojen burrf) ©uteS.) 2Bo; 
gegen Stiebfdbe notbgebrungen bei einem jo negatioen ^beat nidbt jteben 
bleibt, nielmebr ju bent pofitioenSbealebeS actioen, fcböpferif<henUebermenf<ben, 
beS „aus ftdb rollenben Stabes" übergebt. Seite tarnen in ber ^Befreiung beS 
©eifteS nidbt weiter als bis jurn „freien ©eifte" unb „freien SBillen", ber 
'itb non ben Snftincten freigemadbt bat unb nicht ju tbun braucht, was 
fie rooHen, — eine negatioe, unfruchtbare Slugenb, beren äuperfte Gonfequenj 
Schopenhauer ganj logifdb siebt, toenn er bie abjolute Verneinung beS 
SBltlenS, ben baren StibiliSmuS prebigt. Unb bie Slugenb, bie ibm allein nodb 
bleibt, ift baS inftinctire 3D2itleiben, bie Aufopferung, baS vivre pour autrui, 
aljo inieberum eine Stegation, eine Vermehrung ber Sufboerneinenben Affecte, 
ber ©elbftoerleugnung, ber jielbewuhten jpftematifeben ©elbftoerannung unb 
SelbflfludE)t. Stiebjche hingegen, weit entfernt, ein Stücffall auf bie ©eite 
beS unfreien SßillenS, beS „Untermenjdbeu" ju fein, ber „bieSjeitS non ©ut 
unb Vöfe" ftebt, wie bie bomirte ©ebäffigfeit einiger feiner ©egtter be* 
bauptet b«t, fragt uns int ©egentbeil: woju ift ber 2i>iHe, ber ©eift frei 
geworben? SBelche pofitioett 3i e ^ e Binnen ilpn nun gefegt werben? 
SBieberum bie Verneinung einer Verneinung, bie Stuhbannacbung beS 
AibiliSmuS ju ©unften ber ;DtenfcbbeitS=Grböbung, bie abjolute Veiabung 
beS SebenS in ber Sehre ber Gwigen SBieberfunft, ber böcbften Sonnet 
eines roeltfreubigen DptimiStnuS. Unb ftatt ber Steligion beS menfefc 
lieben Seibens, ftatt beS Altruismus, prebigt er ben SnbioibualiSntuS, 
baS AuSleben ber fperföntichfeit, wobei ich wieber barauf bittweife, baß 
auch biefer SnbioibualiSmuS bie Verneinung einer Verneinung, bie ,,©elbft ; 
aufbebung beS Altruismus" ift. Unter bem oielen Unfittn, ben man 
auch ^eute nodb über Stiehfdbe lieft, nimmt ber Vorwurf beS GgoiSmuS, 
ber Siebloftgfeit, wohl bie erfte ©teile ein. Ginige, wie 3)lap Storbau, teben 
fogar oon einem 3urütfwolIen StiebfcbeS jutu ©tabium ber „Vlonben 
Veftie", — womit fie freilich nur baS Gine bemeifen, bah fie für baS 
Sbeal ber Ueberfittlicbfeit noch nicht reif finb, ba fie ja fürchten, in bie 
Unfitttidbfeit jurücfjufallen, wenn bie ber ©efittung noch bebiirftige, nodb 
nicht gejähmte Veftie freigelaffen wirb. — Aiebfdje, baS muh immer 
wieberbolt werben, fotange eS taube Dbren giebt, ift baS ©egentbeil eines 
„bomirten Ggoiften", ber nur an fidb benft. Gin fDlenfch, ben folcbe Siebe 
jur 3ufunft, jum „SUnberlanb" erfüllt, ber ben SDtenfdben fo grob, ftarf 
unb mächtig will, bah er baS ißräbicat „Uebermeufcb" oerbient, ift gewih 
fein ©etbftfüdbtling. Unb wenn er ©ut unb Vöfe jerbradb, fo gefdbab bieS 
nur, um neue SBertbe auf neue tafeln ju febreiben. Gr wollte gewih nicht 
baS brutale AuSleben beS ^albtbierS 3Jtenf<h, fonbern bie 3itfantmenfaffung 



<0 pon ©ppeln*Brontforo sfi in Berlin. 

aller Ätäfte, beit Uebergang bev blinben passio jur jielbewuhten aotio. 
2BaS ifjti »on bett 2lltruiften Reibet, ift nur baS Haushalten mit feiner 
Siebe; ftatt fie planlos an „ben Wählten" 511 »erfchleubem unb perlen »or 
bie Säue ju werfen, lehrt er bie fvernftenliebe, wie fein parabop poetifcher 
2luebruci lautet. Weit entfernt, 2lufopferuttg unb 2UtruiSmu3 ju negiren, 
weift er ihnen im ©egentheil höhere 3'eie an, bie biologifdjen Sinn haben, 
beanfprucht er bie Wenfhenliebe für ©enie unb 2Mb, für jenes, weil eS 
bie „Brücfe" junt Uebertnettfdjen ift, für biefeS, weil eS ben Wenfdjen ber 
ßufunft gebiert, ^ttfofem macht er etwas 2lef>nli<he3 aus ber ftranfen* 
wärter^eiigion beS 2lttruiSmuS, welche bie natürliche 2luSiefe freujt unb 
bas Glettb auf Geben erhält unb mehrt, wie ber ßatholiciSmuS beS Wittel = 
alters aus beut nicht weniger gefunbheitSgefährlichen Urdjriftenthum: biefer 
erhob nicht ben Krüppel unb 2tnSfätjigen, fottbem bie Wutter mit bem 
Sohne, Waria mit bem Slinbe, auf ben fCliron, conoertirte alfo ben bie 
Selection in grage ftetteitben ^uftinct in 2lrkerbaltenbem Sinne. 2Mxn 
es nebenher lehrte, ber Starte foüte auch bem Schwachen unb Un* 
recht leibenben feinen ritterlichen Schuf} nicht uerfagen, fo war biefer 
3mpcrati» mehr im ntoralifhen, als im focial-humanitären Sinne gebacht. 
©efe£t, baff es für ben Starten fchmadwoH (unb ein 3 e 'Äen »on 
Feigheit!) ift, fich an Schwachen ju »ergreifen, fo muh er, fchon um 
feine 9ioblejfe ju beweifen, bie Partei beS Schwächeren ergreifen; benn 
wenn er bem Unrecht gcttiiitbsfroh jufäfte, betätigte er es im ©runbe feines 
£erjenS unb tonnte felbft fo hanbetn, wogegen baS probatefte Wittel baS ift, 
ihm ein für alle Wal baS ©egentheil anjubefehlen. Qn biefem Sinne 
würbe auch 9tiebfd)e, wie aus fo »ieten feiner Sleufjerungen heroorgeht, bte 
Partei ber Schwächeren ergreifen, alfo unter Untftänben bie Selection treujen, 
wie er -ja auch »on ber reitt förperlich gebachten Selection mit Verachtung 
gefagt hat, fie confequeitt burhfüljren, wäre eine Worat für gteifdjerburfchen. 
3arathuftra nennt baS Witleib feine „lebte Sünbe", benn er weih feht 
wohl, bah feilte feelifcfje Wbleffe ihn leicht ju antibarwinifchen Storljeiten 
»erleiten fönnte; unb ©ott ift nach feiner Weinung an feinem Witleiben 
mit ben Wenfdjen erftieft. SBettn im Uebrigen baS Wittelatter ber Sünbe 
beS Witleibs auch fonft noch gefröhnt hat, fo war ein Heiner 2lberlah ber 
Selbftfucht einer fo überooHblütigen 3eit ein heilfameS fRegulati»; bei 
unferetn blutarmen ©efchlechte jeboch würbe bie gegenteilige Wirfung ein- 
treten; eben beSbalb müffen ftch »on ©runb aus mitleibige, attruiftifebe 
Seelen am meiften »or Witleib unb 2UtruiSmuS in 2l<ht nehmen, wenn 
ber Sdjopenbauerifche 9iihiUSntuS bei ihnen nicht jutn ©reignih werben fott. 
SDiefe 3citgefal)r rechtfertigt »ollauf WebfcijcS manchmal fcfyroffeS, farfafti; 
fcheS 2t6rat£>en »on ber 9iädtftenliebe; was aber foH man baju fagen, wenn 
blinbwüthige ©cgner einer neuen Weltoffenbarung fo tief in ben Schlamm 
beS paffes hinabgerathen, baf? fie bie Behauptung in Umlauf fefcen, Viebfche 
beantragte bie 2 lbfchaffung aller anftäitbigen ©efühle? 



^Jrtebrtd} tlve^fdje als (Eljeologc unb Tlntidjrift. 

Safe 9Kefcfdhe anbererfeits baS Sh jur 2l<hfe bcr moralifdjjen 2Belt 
madit, roirb Sebent oerftänbtich fein, ber »ont alten unb mittelalterlichen 
6hrifientf)um — nicht non bem mobemen ßbriftenthutn, baS nur eine 
langfame 2tgonie beffen ift, roaS man einft barunter oerftanb, — einen 
Keinen Segriff hot. ®iefeS alte 6£>riftentf)um fab im Snbimbuum gleich* 
falls bie 2ld)fe ber SBelt; eS jöditete in bem SeligfeitSglauben einen tranS= 
fcenbentalen ©goiSmuS, ber jmar feine 3)fenfcf)enopfer mehr im Sinne ber 
SBilben, roohl aber innere „ÜWenfdhenopfer unerhört" braute, ber ©ut, ©bre, 
ftinb unb 2öeib bahinfahren liefe, bamit baS Steidf) ©ottes ihm ficber märe, 
ber feine natürlichen Snftincte opferte, um einem Ijimmlifdjen ju fröfenen. 
„©nblidfj," fagt SJtiefcfche, „moS blieb noch übrig ju opfern? ÜDlufete man 
nidht einmal alles fCröftlidhe, tgeilige, föeilenbe, alle Hoffnung, allen ©tauben 
an jufünftige Seligfeiten unb ©erecbtigfeit opfern? üDtufete man nidht ©ott 
felbft opfern unb, aus ©rauf amfeit gegen fidh, baS Nichts anbeten? $ür 
bas 9li<htS ©ott opfern — biefeS paraboye äfttjfterium ber lebten ©raufam» 
feit blieb bem ©efdhtedht, baS jefct eben herauffonunt, aufgefpart." Unb 
nadh biefer lefeten „religiöfen ©raufamfeit", nachbent alle aufeermenfchlidhen 
Siele »ernicfetet mären, mufete ber tranSfcenbentale ©goiSmuS beS ©hriftem 
thumS auf fidh felbft jurüdfaHen, ben einft gebrochenen unb gefchänbeten 
SJSillen erheben moHen unb ben ibealen 9JJenf<hen, ben Uebermenfdhen, als 
Siel feiner . Sehnfucfet anfefeen. ©laubt man inbeffett, ein falter, niebriger 
©goiSmuS — unb in ber lanblüufigen 2SorfteHung oerfteht man unter GgoiSnntS 
nur biefen — mürbe fo inbrünftig über jtdh l)inausftrcbett mie 'Jiiefefdfje? 
©ieS oerntag nur bie tranSfcenbentale Selbftfudht beS 6l)riftenthumS, bie, 
nun fie ihr unmögliches SenfeitS hot fallen fehen, „biefer 2Be(t" roieber 
gut mürbe unb fidh baS mögliche Siel beS Uebermenfdhen fefcte. ©emöfent, 
in ©otteS SßiHen fidh 3 U fdhicfen, t>at fie fidh auch) in „©ottes £ob" gefügt; 
ber religiöfe ©runbtrieb ift geblieben, aber bie Siele hoben geroechfett. ®ie 
„Umroerthung" ift ber leitenbe ©ebanfe in SRiehfdfjeS ganjem Seben, nament- 
lich in feinem SebeuSroerf, bem Sorathuftra, unb noch mehr in beffen 
philofopljifdhem Sdhlufeftein, ber Sehre oon ber ©wigen SBieberfunft. „@rft 
am ©ingange ju biefer lebten ^tiilofophie mirb eS oöHig flat, bis ju 
welchem ©rabe es ber religiöfe ©runbinftinct mar, ber fein 2Befen unb 
©rfennen ftetS beherrfchte. Seine oerfdhiebenen iphüofophieen finb ihm eben 
fo oiele ©ott=Surrogate" (Sou 2lnbreaS=Salom6). 




IDetterleuchten. 

Dem 2Int>enFen ZTic%f djcs. 

ÜOU 

3!ofjatina 

— Hamburg. — 


S wingen wollte ich einen IPcltenfang, ba Famen bie 3 rr i^ter unb ftörten mir bie 
W (SebanFen, bas Sieb warb Stammeln. IPer wirb es rerfiehen? 

fanget mir bie 3 rr Hd?ter, Heben Seute, fo werbe id? fingen etn befferes 
Sieb. — 

3d? l^abe ein (Seftdjt gefe^cn, aus betn ITlecre Farn es t^eraufgeftiegen, ans bem 
llr-ITleere ber (SebanFen — 


Pas (Seftdjt bjie§ üietjfdje. 

llnb es beFam Ü3ne, rollenbe, grollenbe (Tone, wie natjenbes IPeltengewitter. 

2luf ben Sümpfen jitterten bie 3**Hchter unb nannten btefe döne — 
IPahnftmtl 

3<h aber fage <£urfj: es war bas gefunbe Sachen bes fdjaffenben (Seifies; er 
hatte ausgefdjlafen unb warb ftdj einer neuen, unerhörten geugungsfraft bewußt — 

Pa warb Hte^fchel 

Siehe, bas ITTorgenroth fteigt über bie Serge, fdjafft, baß bie Sonne aufgehe, fo 
werben bie 3 r *lichter ron felber rerlöfchen. 

— IParum foü ich allein fingen? — bahin fanF ber <Sebanfen*<5ebarer, bodj h a * 
er Samen gelaff cn ber IHenfchhcit. 

ITeue Barben werben Fommen unb fingen auf (Erben ben ^odjgefang: 

Pas Sieb ber §ufunft. 


II. 

Bochfluthl Stunnfluthl 
IPeite, wogenbe, ojfenc See! 

ftinaus, (Selicbter, fchau, wie bie ITTöwen fliegen, höffi Dn ih* Kathen? Sie 
taudjen bie Bruft in bie lüogen, wieber unb wieber nnb lachen. 


IDetterleucfyten. 


73 


£ag uns fortfliegen, wie Me irtöu>en, Du £ieber, benn pel^e, grog ift bas Ittcer, 
unb uferlos warb unfere ^reitjeit. 

£ag uns ladjen unb lag uns fliegen fernab in bas IDeite, wo ungeahnte 
Sdj 3 pfungs?räfte nod? bes (Bottes Darren, ber ifjnen (Dbem geben foll unb fie fiteren 
in ben Beigen ber Dinge, bas £eben 31t tan3en — motpan, wotjlaufl 

Die 3rrlidjter Fidjem unb 3ifdjen, aber ladjen Fönncn fie nidjt. 

Unb audj nidjt über bie Kleere fliegen — ber (Serudj reiner IDaffer ift 
itjnen 3umiber. 

— hinaus, (Beliebter I — 

Der Sturm fjat feinen beften (Bef eilen verloren, nun fäljrt er über bie Illeere 
unb branfet über bie Berge, ob er foldje Seele bes £ebens wieber gewinne, bie mit 
ilpn tan3e 3U Kampf unb £ug, bie mit itjm fege burdj ITCober unb Sumpf, ein (Sift 
nnb Sterben allen fdjleidjenben IDidjten! 

(Es fprang ein (Tropfen auf aus ber Ur*(Tiefe ber (Ewigfeit, Ijell unb golben 
fprang er in’s £eben, ba warb eine £}odrfIutfj bes (Beiftes geboren aus Kraft unb 
3aud?3en. 

5etjt wotp 3U, bag Feine Sünbflutfj baraus tterrorgetjc — weite ben guten £euten, 
bie Feine <Sr 3 ge gewonnen — pe traben pdj felbft gerietet. — 

TDie big Du fo halb ©ergangen, Du (Bolb tropfen, ber roll £eben fiitigl — 
IDar bie (Erbe fo burjtig? 0ber bie (EmigFeit eiferfiicbtig? — Sie traben Deine 
Kräfte 3U eilenbs getrunfen, unb Du felbft Ijaft itjnen nod? sugerufen: „IPotp bc« 
Fomm’s (Eu dj, 3 fc £iebettl" 

IDir aber trollen tjinansgiegen auf bie Uleere unb bas (Bolb fudjen, bas Du 
rerfdjwenbet ljag unb rerfdjüttet in alle fynmlidjen, flillen Kbgrünbe unb in alle 
braufenben (Tiefen bes £ebens. 

Unb trenn unfer Bedjer roll geworben, bann wollen mir Dir 3utrinFen nnb 
nodj im Dergetjen jaulen: 

„IDolf! befomm’s Dir, 0 £eben, 0 Sein, 0 €migfeitl" 
tDofp beFomm’s Dir! 


III. 

Km Stranbe fagen mir, Du unb idj, mir fagen auf bem (TrocFnen, mo alle rer« 
ftänbigen £eute ptjen. 

IDarum bift Du eingefdjlafen, (Beliebter, Du tjatteft ben Kopf in meinen 
Sdjoog gelegt, idj fafj in Dein Kngepdjt unb wollte Didj nidjt ft 3 ren, benn ber Schlaf 
ig tjeilig — 

Die groge Stille auf ruljenben (Tiefen. 

3 n mir aber fdjrieen bie lH 3 wen: Tjbtaus, hinaus 1 Unb idj folgte ifynen auf 
bas bewegte Uteer. tDofpn? — idj mugte es nidjt — wie lange — bas fyatt’ idj 
rergeffetu 

Uferlofe ^reifjeit, unermeglidje (Tiefen, JDogen, nnge3äljlte tDogen, mein 
Element. 

Denfenl 

(Bebanfel IDas big Du? 

Ueberreg gefunfener (BottätjnlidjFeit, ober geworbenes (Bott*<BIeidjfein? — 
(Böttlidj aber bift Du, 0 (BebanFe, ber Dielten entgegen — rergetjen lägt. — 



74 


^otjanna IDolff in Hamburg. 


^inbe bie Pfabe 3U ben (Eilanben ber guFunft, benn bic Jrelichter ftnb fein 
Zlii^c, fie mohnen auf ben Sümpfen, aber ben Hebel fönnen fte nimmer bnrd}bringen. 

^inbe bie pfabe 3a ben (Eilanben ber guFunft — tefj fab es burdj ben Hebel 
flimmern, hoch fürstete meine Seele bas <$rembe, Ungeheure, benn ich bin ein 
IDeib ! IDarum bift Du eingefchlafen, (beliebter, id? t^dtte Dir bas merbenbe £anb ge3eigt. 

Du aber liegeft mich allein fliegen, gehe, ba mürbe meinem f^erjen bange uor 
(EinfamFeit. — 

Das ift bie „Hahir" im ITCenfdjen, bie emig fort3eugenbe: ber (gebanFel 
Doch mu§ er „höher hinauf" 3eugen, fonft mirb feine ScfjöpferFraft ftinfenb nnb 
ein Sumpf, ba bie 3*rlicbter mohnen unb brüten. — 

*finbe bie pfabe 3U ben (Eilanben ber §ufnnft unb fäe £ebensfeime ungeahnten 
IDerbens. 

Schäme Dich auch nicht, meil Deine IDerFgatt fo enge ift, noch h a P immer 
£uft unb Baum gefdjaffen auf (Erben. 

— Bus fleiner Wolfe fährt 3umeilen ein groger Blitjl £ag bie Blitje bem 
Fimmel unb bie Irrlichter bem Sumpfe. 

— iDadj auf, (geliebter 1 

Bus ber Hacht geigt bas ITtorgcnroth, aus ber Wolfe nahet ber Blifcl 
(Es foll etmas geboren merben, aber nicht uom IDeibe. Die Hatur gehet 
f damaliger, bie (gebauten uerFünben groge Drehen — 

ttod? aber fah id? ben Ittamt nicht, ben ein unerhörtes tDunber fruchtbar machte. 
„®hne IDeib?" fragen bie Irrlichter — mein £ad}en fönnte eine IDelt ergäben 
— 3 hr Harren I 

Das geboren merben foll, bjeiget : 

„Das Sieb ber guFnnft" 
aber bas IDeib ift bes £iebes lebenbige Seele! 

IV. 

£ange oerganb ich bas £achen nicht, nun aber fage ich*, mer bas £achen nicht 
Fennt, uergefft nicht 3U leben! 

LDillft Du es lernen, (geliebter? 

hinter bufchigen Brauen hieß er es mohnen unb heroorblitjen auf bie Sümpfe 
in golbener £ugl 

(gefegnet fei'g Du, Hie^fche, göttlicher Bote! Dein €oangelium ift bie 0 ffen* 
barung himmlifcher JDeltfreube, fonft märe bie (Erbe in rerfchämter unb unoerfchämter 
(Erbärmlich Feit 3unt anbern HTal ertrunFen, mie ein Dich ertrinFt. 

Siehe, bie IDelt mar ein Sumpf groger CErübfal gemorben, ba ig Deine Sonne 
aufgeftiegen aus ben (Liefen, unb bas £eben ermachte unb f drittelte geh unb lachte ben 
Fimmel an mit Kinberaugen unb griff bie neuen, glän3enben IDunber unb (geheim* 
rtiffc ber IDelt unb fpielte mit ihnen, als mären es Kiefelgeine, rom Bache genommen. 

Hub bas £eben Fügte bie (EmigFeit unb fagte: Sinb mir nicht (Eines? — Du 
gehörft mir, unb ich bin Dein (Eigen — ba lächelte ber Dater im Fjimmel unb fprach 
feinen Segen, benn es mar nach feinem Fje^en gefächen. 

— „Hoch ift bas IDeib nicht ber ^Jreunbfchaft fähig" — fagg Du, 0 Hietjfche; 
haft Du bas £achen gehört? Das IDeib lernte lachen, follte bas IDetb nicht aud? 
^reunbfdjaft lernen? IDohlan, mohlaufl 

IDo gnb bie ITtänner, bie im IDeibe bas IDeib erlöfen? 



tDetterleudjten. 


75 


Wie fann bas IDeib mit Jreunbfdjaft nahen benen, bie felber nicht bcr ^*eunb* 
fd?aft faltig ftnb? 

IDeigt Du bic Bntwort, fo lettre mich, — wo nicht, fo erlaube, bag man Dich 
anslache, beim and* Du f^atteft Deine 3 rcli<hterl 

Sieh, bas IDeib t^at djeil gewonnen am Uebermenfchen; lag bie peitfdje 
$u fymfe, wenn Du 3 um IDeibe gehg, fage id? Dir, — benn bas IDeib will bie 
Bittemig feiner £iebe felber trinfen, unb bie peitfdje bewahrt es hn eignen (Sewanb I 
mich hat ber £iebge nie gefchlagen, bodj l^at er mid? in Freiheit ge 3 ogen unb 
nennt mid? feiner Seele ^Jreunb. 

Das IDetb ig wie ein ebles Bog, bodj bie Herren gnb rar geworben l — IDag* 
balg gen Knechten aber gehört bie peitfdje, von rechtswegen ber CCob. •- mögen benn 
bet IDeiber Knechte ben f}als brechen, ihre (Ehaten müffen ihr £otjn feinl 

— Buch Du tiatteft Deine 3 rr lichter, 0 tlietjfdje, meine Seele ig roll £eib 
baruber unb mug bodj lachen trotj bes £eibes. 

Seit Deinen IDorten bürfte ber Uebermenfch um einen rtridj geworfen fein, 
benn bie Kuh fann ben Bbler berichtigen I 

Siehe, bas IDeib gehört 3 um manne, unb Derftänbnig für ben mann hat allein 
bas IDeib — wenn aber an ben männern nichts 3 U rerftehen ift, tnie foll bas IDeib 
feine Aufgabe löfen? 

IDie foll bas IDeib männer gebären, trenn feine männer ba gnb? 

IDahrlich, Reichen unb IDunber muffen gefächen. — Ein mann mug erft 
männer gebären, fong werben gatt ber IDeiber Kühe warfen, bie Kälbern bas £eben 
geben, bereu bie (Erbe genug hat. 

Sürne mir nicht. Du (Sroger, Du warg bennod) bes IDeibes ^reunb. mit 
bem Kopfe fann ich Dir nicht begegnen, nnr mit bem (Semütbe rermag ich Dich 3 U 
erfaßen — Du wirft mich rergehen, ber Du IHenfchen nach ben Kräften bes f^e^ens 
3 u fdjätjen rerganben hag. 

V. 

JDollt 3h r ^*^n (Sorten fehen, lieben £eute? 
tDohlan, feht unferen (Sorten, ob er nicht fchön ig! 

(Es ig ein föglich Ding, immer 3 U Zweien fein, bas aber marb uns nicht 
gegeben. — 

Die 3rrlichter tan 3 en ihren Beigen auf bem Sumpfe: geiget mir «Eure (Särten, 
fo trill ich Eure <Jrenbe mit Barnen nennen. 

Seht, ich gehorche ihm ohne Sporn unb peitfehe, barum, bag er fo gütig unb 
fein Stirnen fo ebel ig — bodj fein §ümen fürchte ich i 

Er fagt meine Seele unb gellet ge neben geh, er bewahret meine Seele in bem 
tjeilio.thmrt feines tDillens, tnas fönnte bei ihm mich anfechten? 

Erheigt mich nicht laufen, wenn ich mübe bin, meinBacfen trug nie eine£aft bei ihm. 
Er reicht mir 3 U trinfen, wenn ich ih m einfebenfe; wenn er igt, giebt er mir 
gern bas bege (Eheil. 

Er weifet mir bie (Seheimniffe feines IDefens unb tbut mir funb bie (Tiefen 
feines IDillens unb lehrt mich fdjweigen — wie aber foll ich ftille bleiben, wenn bas 
§er 3 voll 3auch3en ig — Du Ejochgeliebter l 

Unfet (Sorten foll blühen, wie bie 3nfel ber Seligen; wir fangen unfere eignen 
(Eenfel, unb bie Schlangen gnben feine Stätte 3 U wohnen; ge fürchten unfere Bugen, 
bie einanber nicht Vorlagen. 





76 


3 ohanna tDolff in Hamburg. 


IDarum lügen, wenn man fidj gut i ft? £aßt bas £idjt bes €inen bie Schatten 
bes Kttberen uerfü^en, fo mirb ber Dunfelheit nicht 3 U uiel merben im (Sarten. 

£ernt ein Kleines, nämlich groß fein, immerbar merbenb. 

Die „(Sroßeit" finb biinn gefäet auf ber (Erbe, bas merft man am beften in 
bem (5 arten ber (Ehe. 

£aß uns effen uon ben Bäumen bes £ebens in unferem (Sarten; es ijt rtel 
£cbetibiges auf (Erben, aber bas £eben fehlt ihm. 

£aß uns cjfen t>on ben Bäumen bes £ebetts in unferem (Sarten, ba feine 
Schlangen fd?leid?en: 

ltnfere fruchte ftnb ihrem (Saumen tyxbc, barum mögen fie nicht bafelbft 
mohnen. 

Sie uerfuchtcn urtfere fruchte, aber fie befamen £eibgrimmen, ihre jungen ftarben, 
nun finb fie ans unferem (Sarten geflohen. 

Die 3**licht er un ^ -d?langen unb alle fleinen (Teufel ftnb uns gram gemorben f 
meil mir fo herbe fruchte bauen. — IDir aber lachen bes Uugejiefers unb effen nnfre 
fruchte felber. JDir haben einen f^onig, ben fie nicht fennen, ber liegt heimlich be* 
mahrt in unferem (Sarten. 

— Kuch ich fünbigte im fjerjett gegen bie Keufchheit (Sottes, unb (Sott fegnete 
mich: „Bie foll ich in Deinen Krmen fchlafen" — bas lernte ich mit Schme^en. 

Bitterniß mar ber Segen, bie HTorgenröthc meines £ebens mar (Iraner, alle 
3 rrlichter freuten ftch meines Ejerjeleibs. 

Kur 3 mar (Eure ^reube, 3^ r deinen IDichte — in Bitterniß lernte ich lachen 
unb bas £ebeit umfangen, mie man ben (Seliebten umfängt. 3 mmer noc ^ 

Kinber geboren, mie ber (Ehau aus ber IHorgertröthe. Die (EmigFeit mirft Sprößlinge 
an’s Ufer in milbe (Särten unb e^ieht ftch Könige aus Klober unb Unfraut. — ®b 
ich bleibe ober baron muß. 3 mmcr »wrbe ich ber ®bem fein Deiner Schöpferkräfte — 
Du ffodjgeliebterl 

(Es ift ein föftlich Ding, immer 5 U §meien fein, unb mirb bffiten gegeben, bie 
(Sott ftch fäjafften nach ihrem Bilbe. — 


VI. 

Du bift . . . geftorben, 0 Bietjfdje! 

Die £eucht?raft Deines (Seiftes ift erlofchen, bas €ine meiß ich. 

Kuf bem Kteere liegt eine große ^Jinfterniß, bie Schiffer ftoßen einanber unb 
miffen ben 0 rt nicht, ba fte lanben follen, bettn bie ^euerfäule marb hittmeggenommen 
ror ihrem Unuerftanbe. — Du ftiegeft auf gleichmie eine Schamröte in bem Kngejichte 
ber Klenfchheit; ihre Seele fchämte ftch nicht, barum nergingjt Du. 

0 baß fte ftch fchamen lernten l 

3 hr Kngeftcht müßte brennen, mie bie (Sluth ber fjölle, fo mürben fte bo<h 
£id]t haben, Deine Schönheit 3 U fehen, — nun aber empftnben fte Dich als Schmach 
unb Schaube. 

Du haft ihnen bas (Seftcht geblenbet, fo f dielten fte aud? bie Sonne „^infterniß". 

Du bift geftorben, 0 Bietfchel 

Sie merfen mit Steinen nach bem Ijorfte bes Kblers, mit Steinen, bie fte aus 
ber £uft greifen — menn er lebte, mürben fte ftch «> 0 hl hnten. 

(Scfegnet fei Dein Barne, Du ^ürft unb E)err im £ichtreiche ber (SebanFen, ben 
purpurmantel alter Königsbarbeit merfen mir über Dich — Deinen Barnen mollen 



IDetterleucgten. 


77 


wir unferen Kinbern lehren — mir mollen Deinen Hamen tragen in bas £anb, bas 
Du non gerrlidjen Bergen geffgaut gag, bas £anb ber gufunft! 

lieber bem ITteere liegt eine groge Stille. Der §om fcgläft in ben (Srünben, 
bie Stürme rügen auf ben Bergen, aber es f Riffen Kinber am Banbe unb madjen 
einen garfen £ärm. — Die Kinber merben ben Sturm aufmecfen — menn er non 
ben flögen gerabfägrt, merben bie IDogen brüllen unb bie Kinber ginausreigen auf 
bas ITTeer, bafelbft fönnen fie nicgt grünben. 

Sie merben fdjreien unb ertrinfen, mer fann ignen gelfen? — IDarum lernten 
fie nicgt fcgmimmen unb groge Skiffe bauen, bie folgen Sturm ausbaltenl 

3<g mag nicgt mognen am Banbe mie bie 3 rrlid?ter — lag uns ginausgiegen 
auf bie (Tiefe — auf ber (Tiefe mognt bas Scgmeigen. 

Das Kleine macgt niel £ärm, ber mogl uerftanben mirb, aber bas (Sroge rebet 
mit fremben jungen. — Du gag gerebet 3 U ignen mit fremben jungen, fo nennen 
fie Did? mit Becgt einen Harren 1 

IDer t^ieg Dicg IDeisgeit nerfünben im (ToHgaufe? 

Sielte, nun fcgicfen fie Dicg feibft 3 U ben 3* r ?nl 

Du famg 3 U ignen als ein ^eilenber, Du gatteg bie IDurjel ber (Sefunbgeit in 
Ijänben, ge aber mochten nicgt banon egen. 

Kd?, marum mugteg Du alfo uergegenl — Die 3 rr ^ c ^^ ec 3 ifü?en nor IPonne, 
bag Du fo gäglicg gemorben; fie fön neu bie Hatur nicgt begreifen. 

^reuef (Eucg nicgt 3 U früg, meine £ieben, — Scgmangerfcgaft ig nie eine Scgön* 
geit gemefen, bennoeg gält ge ein IDunber verborgen, — laffet uns beffen märten. 

Du mugteg ©ergeben, mie ein tflutterfom nergegt, bocg fege icg fcgon ben E)alm 
emporfpriegen, an bem OTänner ber gufunft reifen. 

Kls Kömlein bes Cebens gatte Dicg bie JTtenfcggeit empfangen in igrem Sdjooge, 
ge mirb gcg nocg ber Kegren freuen unb bas Körnlein preifen. 

Die (Emigfeit marf Dicg an’s Ufer in einen milben (Sarten, Domen unb Difteln 
maren Dein £ager, Deine (Sefpielen maren fcgleicgettbe 3 rru üf<ge — Du Sogn ber 
Sonne! — Du aber gag ge auf Bofen ber <Jreube gebettet, Du gag alle Scgätje bes 
Dafeins um Dicg gebreitet unb gag Deine (Sröge uerfcgmeitbct — 

(Etn £icgt, bas gcg felbg rerjegrt. 

YII. 

fjabe icg Dicg falfcg uerganben, 0 Hietjfcge, fo fcgilt micg, benn icg bin ein IDeib, 
unb Derganb ig mir menig gemorben. 

(Einen ITtann gäbe icg gefeiten anbeten, mie £ebenbiges nocg nie gebetet — unb 
ber ITtann gie§ Hietjfcge. 

2 luf ben Bergen manbelte er, auf ben gogen Bergen, ba feine Sümpfe gnb, er 
breitete feine £?änbe ber Sonne entgegen. 

(Er fcgritt burcg bie Kbgrüttbe, mie ein Sieger fcgreitet, fein 3 <*u<g 3 en erfcgrecfte 
bie ^ingernig — alle 3*^üü?ter mollten ror (Srauen nergegen. — 

3<g aber folgte igm über bie Berge unb manberte igm ttacg über bie Kbgrünbe, 
benn icg mollte feine Seele belaufcgenl 

3 <g martete, bag er beten foüe, aber er betete nicgt, — 
fein £eben mar Knbetung, 

feine Tjanblungen gegten brüngiger, benn pfalmen gegen, alle feine (Sebanfen 
maren ein £ieb in gögerem (Tgor. 



78 


3 ofyanna tDolff in Hamburg. 


„Kannjt Du (Sott banfett?" alfo fpradj garathuftra — gemi§, Du Schelm, beim 
id? banfc ja Üict 3 fd>e 1 Riefte, (Sott mußte fein, meil fein Bilbnifj gemorben. 

Kn ber (Stöße biefes Jrbtfcben freue idj mich ber unausfpred} liehen Ejerrlichfeit 
bes (Emigen. 

(Es mar bie 0 ffenbarung ber Scfoönf^eit bes (Emigen, bafj bie IHeitfchen mieber 
£uft Ijaben follten 3 ur (Emigfeit! 

(Sott tjat bie DTenfdjen für bie f^ötje gefd?ajfen; (Er mölbte fo fyodj ben ^immel, 
ft c follten 3 U ihm hinauf machfettl 

IDie follten mir uns nicht freuen, ba§ er fo hoch gefommen; auf, (affet uns ihm 
nachfolgeul ' 

(Er reicht feine fianb allen IDerbenben; in feiner Ejanb liegen (SemalMHagnete, 
bie uns 3 U ihm empor reißen. 

(Erfennet 3h r nun (Eure Krmuth, 3h r 3 rr ^^ cr i > 

3 hr fchöpfct ben tiefften Brunnen aus, hoch (Euer Sumpf mill nimmer 3 um 
Itteere merben. 

tDir aber fdjöpfen unb h a ^ c u bie ^iille für eine (Emigfeit t>oll IDerbens, 
IDadjfens, Kuffteigens — ob mir fommen ober gehen, h c ^ flingt unfer 3 a u^ 3 ^u: 
„IDohlatt, noch <Ein ITlall" 


YIII. 

Kls bas tDetterleuchten alfo gefungen, famen bie 3^lid?ter aus ben Sümpfen 
unb fieberten: „EPelch’ artiges £iebl (Ei ja, mir fennett bie One, bie Bietjfche ge* 
pfiffen hat." — 

Hecht follt 3hr hoben, 3h r fingen IDicbte, — gute fjorer fürmahr ftnb bie 
3 rrli<hter. 

Bie^fche hot gepfiffen, unb idf h a & e gefungen, es fehlt nur ein Kleines, fo lernte 
ich ba 3 U tatt 3 en — bas aber marb mir nicht gegeben. — 

(Es giebt alljeit Pögel, treidle £iebhaber ftnb rother Beeren, bie in fremben 
(Särten madjfen — Dein (Sarten ift ber fünfte — Deine Beeren leuchten mte 
Purpur, alle Pögel fommen geflogen unb me^ett ihren Schnabel; fte merben aber auf 
^Jeuer beißen unb ftch bie Schnäbel rerbrennen. 

Hber fag’ mir. Du ZDiffenber, mie millfi Du ben JTtann 3 « Eföhe e^iehen, menn 
bas IDeib am Boben liegt — ftnb fte nicht (Eines? 

Sie befchmn^en bas (Erbreich, bas mit £>eilanben fchmanger geht — erhebe fte 
Beibe unb lehre fic leben l 

£ehrc fte leben, baß unfere Beilanbe geboren merben, benn mir brauchen (Er* 
löfung l 

IDir bürften nach (SÖttevn, bie mir felber uns fd^affeti, aus langen Ueberminbungen 
bauen mir fjeiligthiimer — alfo lernen mir leben. 

Bod? hängt niel alter Koth am manne, noch liebt er bie Sümpfe — ba ift 
nichts 3 U leugnen. 

geige mir ben IHartn, ber über ftch felbft hinaus liebt unb ben gröjjern IHann, 
ber über bas IDeib hinaus liebt, fo follft Du auch bas IDeib flauen, bas über ben 
ITtann hinaus liebt in bie (Emigfeit unb mieber oon Hnfang — bas IDerbenbe. 

Sie treten ben Bobctt bes £cbcns mit ^ii§ett, hoch hält er bie Kräfte bes 
Kommettben unb ben mannigfachen (Sefd]macf bes IDadjfenben befchloffen in feinem 
Schooße. 



EDetterleudjten. 79 

0 »cid? gebulbiger Hoben 1 aber 3 ulet$t »irb er unfruchtbar uttb fpeit (Siftpgan 3 eu 
unb Unfraut. 

(Siftpgan 3 en mtb alles Höfe mügen fpeiett bie EDeiber, bie getretener Hoben 
gnb, — über Reifen fdjleifen follten fle ben (Tyrannen, ber ge 3 um Sieblings*Hog 
mad?t — fie aber fönnen gd? beffen nod? freuen 1 — 

EDie !?at man Did? getreten, Du lDerbe«Hoben, »ie Ijat man alle Deine (Sift* 
pjlan 3 en aufge»ecftl Der böfege Samen »ar ihnen nicf?t fd?limm genug, 
(ie faten il?n in Deinen 5d?oog mit 3aud?3en. 

Hafilisfen unb allerlei fletne (Teufel fäten fie unb »arten nun, 
bag ihnen junge (Sötter geboren »erben! 

0, biefe Qerren, bie 3 ur Ejohe erforen ftnb, nod? hängt ein (Se»id?t an if?nen, 
bas foü fie »öl?! im Hiebren galten. 

IDenn fie hinauf »ollen, müffen fte auf ihren Firmen bas EDeib heben — »ef?e, 
nod? fürd?ten biefe Herren bes IDeibes Sid?t*2lugen unb feine Sid?t*Seele; bie ^Jingernig 
ig ihnen bequemer. 

Dag ge gd? nicf?t fcf?ämen, 3 u fd?elten, bie IDigenben, »ann »erben ge fd?»eigen 
unb fold?e 5d?macf? feilen, bie Ungerechten 1 

(Es ig fein EDmtber, »enn ber ITlann bas EDeib liebt, benn (Ein IDeib ift bas 
IDürbigge bem Sdjaffenben — »ie aber mag bas IDeib ben IHann lieben unb gef? Der* 
fd?»enben, benn untergehen »ill es, bamit er lebe unb »ieber ba fei — 

3g bas nicht Siebe? 

EDafjrlid?, 3 um Sachen ig es, 3h r Kutfutfsoogel, »ie fein gngt 3h* bas eigne 
Sob — leiber fiinft es unb nid?t »enig, bas fagen Klle, bie bei (Eud? ge»efen. 

IDarum legt 3h* bie (Eier in frembe Heger? — Ser nt ge bod? felber ausbrüten, 
3hr Klugen, bie 3h* bas Heg fdjmäht, bas <Eud? Verberge gegeben — bod? 3h* f e 'b 
feige. — 

Sernet einen ^org bauen mit feinen unb reinen bjänben, einen f^org im Sid?te, 
»o bie Hbler häufen unb Sonne trinfen, — lagt bie Sümpfe 1 

Das EDeib ig franf Dom bjaud? ber Sümpfe — es »iH bie £?änbe fügen, bie 
bereit gnb 3 um f^eben, aber »o ig ber KÖnigs*tDille, ber über gd? unb bas EDeib 
hinaus lieben möcf?te?l — Hod? fc^täft (Enre Sef?nfud?tl — 

Elud? bas EDeib fennt bie groge 5ehnfud?t! — IDarum lacfjteg Du eben, Du 
groger Sad?er? 

Sott ich X)ir (Seheimnig fünben: 

3n Keufd?heit (Sötter gebären, bas ig bes IDeibes feligge 5ehnfud?tl 
3n Keufchheit (Sötte r gebären, bas ig ber Same für bas neue Sanb unb ber 
neue (Eon für bas neue Sieb. — 

EDad? auf, (geliebter! 

lieber giüe HTeere fommt es gegogen, »ie ITTÖmen giegen. — Das Seben ig 
auf gemalt unb fud?t eine ffeimgätte — lag uns ihm folgen 1 — 

Der Dlann foü im EDeib bas EDeib erlöfen — 

EDohlanl EDohlaufl 

— id? h^ c wir ben Siebgen »ad? gefügt aus tiefem (Eraum. 


Storb unb ©iib. XCV. 2S3. 


6 




Scfjubart urtb feine Coc^ter 3ulie. 

2Tlit ungebrueften Briefen un6 Berfen. 

Don 

fiubolf Jfraufe. 



— Stuttgart. — 

|o<$ feiten ift bei einem SJtenfdben baS ©ute unb Vöfe, bog 
©rofje unb kleine, bas ©bie unb ©emeine, baS ©eifHge unb 
Sinnliche fo bidfit bei einanber gelegen, fo febroer ju fdbeiben 
geroefen, ruie bei ©dbubart. 2Eie in allen feinen SebenSbejiebungen, fo 
bot er audb als ffamilienoberbaupt bie roiberfpredbenbften ©igenfdbaften ge* 
jeigt. ®r b°t bureb feinen Seidbtfinn bie ©einigen an ben 9ianb beS 
VerberbenS gebraut, er bat oft genug unerlaubte Vergnügungen außer bem 
.fjaufe gefudbt, unb bodb ift er jugleidb ein treu beforgter, ein järtlidb 
liebenber ©atte unb Vater geroefen. Unb jroar banbeit es ftdb babet nidbt 
blo« um ein seitliches fRacb einanber, fonbern um ein Vebeneinanber. SMe 
fßeriobe auf bem 2lfperg bejeidbnet atlerbingS einen geroiffen Umfdbroung: 
in feinem ©lenbe unb in bem baburdb beroorgerufenen 3uftanbe ber 3er* 
fnitfdbung bat er feine ©ünben eingefeben unb bereut, bie Trennung, bie 
©ntbebrung bat ihm ben Vefifc non 2Beib unb Jtinb befonberS roerttrooH 
erfdbeinen taffen. 3lber trofcbem bat er roeber auf feinem „Sammerberge" 
nodb nadb feiner Vefreiung bem ©dbroärmen ganj entfagen mögen, unb 
umgefebrt haben audb in feinem früheren Seben alle 2lb* unb SttuSfcbroeifungen 
ben Sinn für fvamilie unb gamilienglücf niemals ganj in ibm ju erftidfen 
uermodbt. 

Von 5 ftinbern, 3 ©öbnen unb 2 Pächtern, mit benen ftelene 
©dbubart im Saufe ber Sabre ihren ©atten befdbenfte, famen nur jroei }u 
fahren : ber ©obn Subroig unb bie Tochter Suliane, geroöhnlidb Sutie ge* 
nannt. $>iefe, am 16. Sali 1767 ju ©eislingen geboren, rourbe im 
Sabre 1777 nadb ber ©inferferung ihres Vaters oom föerjog ftarl »on 


Sdfubart nttb feine (EocRter 3ulie. 8f 

Sßürttemberg jur unentgeltlichen ©rjieRung in bie Stuttgarter Ecole des 
demoiselles berufen unb für bie Büfmeutaufbaljn beftimint. ®ie ©Itent, 
bie anfangs banon wenig erbaut waren, mufften gute ßfliene jum-böfen 
Spiele madRen. @S fehlte bent fßtäbdRen weber an gefänglichen ttodR an 
mimifdfjen ©alenten; nur iRre unfdjeinbare ©eftalt beeinträchtigte fpäter iRre 
©Raatererfolge. AuRerbem würbe fie burdR ihre ßJtitfdRülerin unb uertraute 
^reunbin 9toRna SSatletti, bie nadR ihrer ^(u<ht aus Stuttgart als Dpern-- 
bioa bie fßarifer bis p ihrer SBermäRlung mit einem ©rafen entjüden 
foQte, in Statten gefteßt. ßlacR SBoßenbung ihrer Stubien erhielt ^ulie 
fofort Aufteilung am Stuttgarter ßoftheater als Sängerin unb SdRaufpielerin 
mit einem QahreSgeRalte BOn 400 fl. (Später erlebte Re bie greube, baR 
ihr 33ater als artiftifdRer ©irector an bie SpiRe beS ^nftituts trat, bent 
fie angehörte. Am 11. Auguft 1788 oerReiratRete fi<h Sutie Schubart mit 
bem in ber StarlSfdfjule erjogenen unb beim Stuttgarter $ofordRefter an= 
geteilten ßofmuRfuS unb Geßiften ^oRamteS Kaufmann (1760 — 1834). 
Sie hatte juerft ben Antrag beS Bewerbers auSgefdRlagen, gab ihm aber 
fdjlieRlidR bodR baS Jawort. @S war wohl mehr eine SBernunftReiratR. 
SdRubart felbfl nahm an ber niebrigen ,§erfunft feines S<hwiegerfohneS 
AnftoR unb hielt auch auf beffen Stunft rti(f»t eben groRe Stüde, $n 
einem Briefe an feinen Sohn heifft er ihn einmal einen „nur medRanifdRen 
33aRgetger". Aber Kaufmann war ein btaoer 3JtenfdR non tabeflofer Auf; 
füRrung, ein fparfamer ßauSbalter, bem ScRubart bie ffäRigfeit ptraute, 
©apitalift p werben. Sefcterer wuRte folcRe GigenfdRaften oießeicRt gerabe 
beSRalb hoppelt p fdRäRen, weil er felbft wenig genug baoon befaß. So 
lag Juliens ©efdRid in guten ßänben. Sthubart freute Rd) no<h befonberS 
über bie fdRöne ßanbfdRrift feines SdRmiegerfoRnS, ber ihm barum Räufig 
als fßrioatfecretär bienen muRte. Am 10. Dctober 1791 brüdte Qulte bem 
tReueren SSater bie Augen p. Sie überlebte ihn nur um 10 SaRre. 2im 
17. 9Jtärj 1801 nerfdRieb Re im 84. SebenSjaRre p Stuttgart. Qhr ©atte 
Kaufmann befdjloR feine £age als Speifemeifter unb ßJtufdleRrer am Seminar 
ßßaulbronn. ©r ßiitterlieR eine einjige ©odRter, bie eine 3 e ü fang mit 
ber erft 1819 Reimgegangenen ©roRmutter $elene SdRubart in Tübingen 
Raufte unb bann im 3aRre 1817 griebricR ^einricR Stern (1790—1842), 
fjßrofeffot am Seminar SBlaubeuren, ReiratRete. &ier traf Re infolge einer 
merfroürbigen SdjicffalSfügung benfelben Sttofteroberamtmann Sdjoß nodR 
am Sehen, ber einft als ffirftlidjer SdRerge iRren ©roRoater unter ber 
2)taSfe ber greunbfdRaft auf württembergifcReS ©ebiet getocEt unb fo in’S 
Ungtüd gefiürjt Ratte; non ben 5 en R ern ihrer SBoRnung aus faR bie 
©nfelin in bie genfter beS ßaufeS hinein, wo ScRubart einR nerRaftet 
worben war. Stern fam nachmals als tReologifdRer UninerfitätSprofeffor 
nadR Tübingen, wo er AnfeRen unb bie SBereRrung feiner Schüler genoR. 
©er ©Re Sterns mit ber ©odRter Juliens entftammten ein SoRn unb jwei 
©ödRter, butdR bie ber SdRubart’fdRe Stamm in weiblidRer Sinie fortgepflanjt 

6 * 



82 


Hnbolf Kräng in Stuttgart. 


wirb, nadhbem er in männlicher fdjon mit bem Dobe non ©dhubartS un=> 
oermähit gebliebenem ©ohne Submig 1811 auSgeftorben ift. 

Äebren mir nun ju gulie jurttcf! Sie mar ber erflärte Siebling ihres 
SaterS, ber in ihr bie Büge feiner eignen 9tatur mieberfanb. Er hat bieS 
felbfl mieberhoit auSgefprodfjett, in Sriefen, in Serfen. gn einem Schreiben 
an feine grau oom 30. 9M 1783 fagt er einmal non ihr: „Der Engel! 
fo, badht’ idh, roivb fie werben, unb fo ift fte geworben, ©tröme mann* 
iidfjeS geuer in fie, fo fteht baS Silb Deines ÜJtannes leibhaftig in Deiner 
Dodhter ba." Unb befannt ift baS an fie gerichtete ©ebidjt, baS alfo beginnt: 

D Suite, mein @6eitbilb, 

i)htr faitfter noch unb nicht fo toilb, 

21 n feber Engelanmutlj reich, 

2tn ©rofcgcfüfjl bent SSater gleich! 

gulie glich ©dfjubart namentlich in ber für ihn befonberS cbarafterifti« 
fdhen Offenheit beS ganjen SEBefenS. Sie mar erjt 9 1 / 2 gahte alt, als fie 
burdh £erjog Earls ©ewaltftreidh beS SaterS beraubt würbe. 2M<hen 
Kummer muh es bem unglücftidhen ©efangenen bereitet hüben, ben Ipxan* 
wadhfenben Äinbern, an benen fein $erj fo järtlidh hing, in ben fahren, 
ba fidh ©eift unb ßharatter am entfdhiebenften entmicfetn, nidht ober bodj 
nur mangelhaft aus ber gerne Erjieher unb Silbner, Seüer unb Serather 
fein ju fönnen! gaft brei gahre lang foUten ©dhubartS Angehörige nichts 
birect oon ihm hören: erft gegen Gnbe 1780 burfte er an grau nnb Stinber 
fdhreiben, mährettb es ihm bem Attfcfjein nach non Anfang an geftattet war, 
Sriefe ber ©einigen ju empfangen. Dtadfj 8 V 2 jähriger graufamer Trennung 
fah ©chnbart enblidh am 4. guli 1785 SBeib unb Äinber wieber. Damals 
erft erhielten fie bie oft unb hei§ erflehte Erlaubnif?, ihn auf bent Afperg 
ju befuchen, unb bie freilich nur oorübergehenb wieber oereinigte gantilie »er? 
brachte 6 fetige Dage ; gulie war injwifdhen jur 18 jährigen gungfrau heran = 
gemachten. gn ben jwei galten, bie ©chubart noch auf ber geftung oerbringen 
muhte, burfte fie ihren Sefucf) beim Sater oon Beit ju Beit wieberholen. 

gn ber ungemein lebhaften Eotrefponbenj, bie ©chubart feit Enbe 1780 
oom Afperg aus mit feiner ©attin geführt hat, jeigt er ft<h für fein guldjjen 
ftets järtlidh beforgt. Er freut fidf», ba| ihre trefflichen ©oben, bie er 
gelegentlich audh überfdfjäht, oon gebermann gelobt werben, er will fdhon 
oon Äittb an „grojje mufifalifdhe unb theotralifdhe Dalente" an ihr entbedtt 
haben unb bebauert nur, bah « fie nidht fetbft in ihrem gadjje auSbilben 
nnb oor roelfdher Serweidhlichung bewahren fann. Er iji barauf bebaut, 
ihr ein eignes Gtaoier ju oerfchaffen; er mödhte bie Dheaterprologe, bie er 
jur Serljerrfichung feines beglichen Reinigers anfertigte, gern oon ihr 
beclatnirt wiffen. 3 u 3 teid^ aber macht ihre Sühnenlaufbahn ihm, ber bie 
©efafjren biefeS ©tanbeS genau fennt, emfte ©orgen. Ebenfo unjufrieben 
ift grau ©chubart bamit, bah bie Docfjter bei biefem Serufe bleibe unb 
oielleicht auch „einen 3)iann oon biefer brotlofen Äimft" befomnte. gm 



Sdfubart nnb feine (Lochtex Julie. 


83 


(September 1783 fdjeint ft<h ein 2luSroeg ju eröffnen, ©in reifer Schwerer, 
ein $err 33ibermann aus SBintertljur, wollte gutie in fein £auS nehmen, 
wie eine fEodjter baßen unb für bauerhafte ©rünbung ihres ©lüdeS forgen. 
6r tont }U Schubart auf ben Stfperg, ju grau Schubart nach Stuttgart: 
bie SBerljanblungen führten jebodE» nicht ;u bent geroünfcbten 3^- ®ie 
©ttern mußten bieS um fo mehr bebauetn, als bie gefürchtete ©efabt in 
ber ©eftalt beS £oftänjerS Schlotterbecf bereits näher getreten mär. @r 
lief bem SDtäbchen nach, unb Re ließ es ftch gefallen. 3CS Schubart bauon 
hörte, mar er außer fleh. Sieber fotte fie einen lahmen Schueiber, ats 
einen geflügelten SEänjer nehmen; lieber trolle er feine eigne Tochter morben, 
als fie mit einem nidjtStüürbigen Suftfpringer für 3 e ü unb ©wigfeit un= 
glütflicß machen. 2lber allmählich lenfte er ein — aus 2Jlüteib mit ber 
„liebeioüthigen" Tochter, bereu Sdjmerj ber weichherzige unb inconfequente 
SÜRann nicht ertragen fonnte. „Das arme gulcßett ift am ßerjen franf. 
SEenn fie nur ihr liebes £erj nicht an einen folgen Schlinget gehängt 
hätte!" läßt er ftch atn 21. Dctober 1784 ber grau gegenüber uemehmen. 
gaßrS barauf giebt er ju ber Sßerbinbung feinen feierlichen Segen, obgleich 
ihre 23ahl nicht junt SBeflen ausgefallen fei unb er nichts an Shtotterbecf 
finben fönne, roaS ißn ihrer Siebe roürbig mache; aber er wolle fte nicht 
jroingen, nicht an bem ^erjen beS guten ßinbeS rütteln, unb fdjUeßlich fei 
es bo<h feine SRißheirath, wenn bie Slctrice ben Sänjer nehme. Später 
räumt Schubart fogar ein, baß gulienS Siebhaber „ein allgemeines gutes 
3eugniß" habe; ein mittelmäßiger ftopf mache oft ein Sßeib glüeflicher, als 
ein SJtann non ben feurigften ©aben — eine SBeßauptmtg, beren 9ii<htigfeit 
Helene Schubart atlerbingS an ftch felbft fattfam erfahren hatte. SBruber 
Subwig fonnte fi<h bagegen mit ber Sßaßl feiner Schweflet burdjauS nicht 
befreunben. @r goß, roie f«h Schubart auSbrücft, „beftänbig Sbafefpeare’fche 
SarfaSmen über ben armen ScßlotterbecJ aus". Schließlich fam gulie bo<h 
noCß jur ©inficht, unb baS Sßerhältniß nmrbe aufgelöft. ®ie ©Item mochten 
erleichtert aufatßmen, als ftch in ber Sßerfon beS bieberen Kaufmann ein 
foliberer greier jeigte. 

Such mit gulie felbft hat Schub art oorn äSperg aus regen 93rtefroe<hfel 
gepflogen. fDauon jtnb bis jeßt nur einige wenige Stüde an biefem ober 
jenem Drte »eröffentlüht worben*). Unb boch lohnt es wohl ber Wxty, 

*) Stöhnlidj folgenbe Briefe SdfjubartB an Suite: 1. born 2. September 1788 (in 
SdfmorrB 2tr<hib für £itteraturgefcb. VI. 6. 891 unb XV. S. 156 f.); 2. Dom 15. Sult 
1785 (in £. u. 3. £artö 2>eutfcben 2Jtonat3blüttem I. S. 675); 3. Dom 30 Sali 1785 
(in ScbnorrB Slrcbib für 5?itteraturgefdb. VI. 389 f.); 4 Dom 1. Dctober 1785 (in 
Strauß ©efammelten Schriften 9 S. 158 f.); 5. bom ftritbiabr 1787 (ebenba S. 210 f.). 
33on ben Briefen SutienB an ben SSater ift nur einer gebrueft, unb gtoar ber Dom 
14 2fpril 1781 (bei Straub S. 15). $>ie hier &unt erften 2Me mitgetbeilten Söriefe 
unb ©ebiebte bat Straub für feine befannte Scbubart*$8iograpbie nicht aur Verfügung 
gehabt Sie ftnb erft bor Burgern cuiB bem 23efifee ber Sdjubart’fcben üftaebfommen in ben 
ber ft. öffentlichen S3ibIiotbe! in Stuttgart übergegangeit unb fo jugänglicb geworben. 



Hubolf Kraug in Stuttgart. 


8 ^ 


biefe ßorrefponbeng in größerem 9)?afeftabe unb Bufammenhange femten ju 
lernen, ©chubart felbft hat befanntlich gu ben Naturen gegählt, welche ihr 
Sefteä int perfönlidjen unb tnünblichen SBerfefjre geben, Drtefem fomrnt 
aber non allen fdjriftlidjen Steuerungen ber 33rief am nächfien. D)arum 
ift Sdjubart ein fo ungemein tebenbiger, anregenber, feffelnber 33rieff<hrei6er. 
$n feinem umfangreichen 33riefwed)fel ftnben ft<h nur wenige ©tüde aus 
feiner geber, bie man nicht ihrer inhaltlichen ober formalen 33orgüge wegen 
gerne lieft. 2(u<h feine Briefe an bie Tochter, aug benen gärtliche SBater* 
liebe unb rührenbe SSaterforge fpredjen, geniest man nicht ohne Vergnügen 
unb herili^e SC^eilna^me. @r hat baju meift Schreibpapier fleinften 
gormatg oenoenbet unb feine ohnehin gierige ©anb gur feinften SJUntatur* 
fchrift gejwungen, fo bag ft<h biefe Briefe auch äußerlich als Heine Stunfb 
werfe barfieHen. Juliens ÜBtittheitungen unb ©rgie^ungen erweden natürlich 
nicht baSfelbe ^ntereffe, jumal ba fie inhaltlich jiemlich einförmig unb 6e* 
beutunggtog ftnb. Smnterhm erfcheinen einige furge fßroben lefen3werth, 
weil fie eine gewanbte geber geführt hat, unb weil fi<h mich in ün*m 
fchwungoollen Stile bie befprochene 2Befengähnli<hfeit mit ihrem SBater 
offenbart. 

2Bir beginnen mit einem ©djerggebichte, bag Schubart an Qulie ge~ 
richtet hnben mufc, atö fte noch ^alb Slinb war. 


1. Sulzen, weine 
Siebe kleine, 
Väterlich 
©rii# id) Dich- 


3ht auf ©rben 
©leich P werben, 
Strebe Du 
Ohne föuh M . 


Slud) üiel füfee 
Seeleufüffe 

Scbidt Dir fein 
’g Sftütterlein. 

3bre Sptitbel 
©at fchou Söünbel 
©am gebreht 
Sriib uitb fpcit. 

Der Slmeife 
©leid)t iw ^leiffe 
’S 2ttütterlein. 

D wie fein! 


Spinbein breben, 
Striefen, nähen, 
Stehn aw ©erb 
3ft Wo» Werth. 

Du fannft fingen, 
Schergen, fpringen. 
Doch ift’8 nicht 
SBeiberpflicht 

Das ©auShalten 
Dreu öerwalten 
Scbidt für Dich 
Söeffer fid). 


$n ben October be£ Jahres 1783 fällt folgenber, „UReinem ^ubhen" 
überfchriebetier 33rief, gu beffen ©rflärung nur gefagt gu werben braucht, 
baß 2I6eifle Ijerjoglicher ßoncertmeifter unb Juliens Sehrer war. 

2. 3£ie ntid) Dein ÜBriefcbeu erfreute, liebS Sulchen, wie id) bie Spuren üon Dränen 
fügte, wowit Du ihn benegteft, wie id) unterw Sefen für Dich gu ©ott feufgte; bag be= 
greift nur ber — ber lieben fann. Sich, Du bift eben noch iwwer weht liebg Quldhen — 
itaif unb gut $abre nur fo fort, unb Du wirft auSWachfen gu einer herrlichen ^ffange 
iw ©arten weineg ©otteg. Ob ich mich auch freute, wenn ich Dich Wieber fähe? — 



Sdfnbart unb feine (£od}ter 3ulie. 


85 


Das fräßft Du? — Sich, fangen tourt)’ ich an Deinem £alfe unb toeinett unb fdjtoeigen. 
©ngel toitrben beit fc^iteUeren ©plagen unfrer SJhtlfe laufdjeit unb üerftummeit toürben ihre 
Warfen — biß beS SaterS erfter Saut, big ber Docpter erfter Saut ihre £arfen aufs 
neue beflügelte unb uitfer @iantnteln gu einem Sonncgefang erhöbe. — Do<h ich toitt 
Dich nicht üiet angreifen mit fo garten ©mpfinbungen. ©cnug — im £>itmnel febeit toir uns. 

Daß Du gerne ettoaS gu meiner Rettung beitrügeft, baS glaub ich Dir. Unb o tote 
gerne toottt t(fa meinem 3uld)en gu banfeit faben. Doch fat ©ott beit ^erfertob über 
mich befchloffen: toer toitt es hinbern? — Snbeffen üertrau unb bete fort, ©ott toirbs 
toohl machen. 3ft hoch ein beffereS Sebeit unb toer toeiß, tote halb toir ba gufammeit* 
fommen! — 

SSenn bie Sache in bet Sdjtoeig, tooüon Dir bie liebe SJhttter gefagt fat, reif ift; 
fo folge. Du toirft üiele ächte greunbe üon Deinem Stoter bafelbft antreffen. Sin Saoater, 
Dobler, &eß — lauter große unb fromme SMmter toitt ich Dich empfehlen. Stubiere 
nur btaf 

1) Deflamation — unb liß beßtoegen Deinen greunbtnneit gute 23iicher oft 
laut üor. 

2) grangöfifche Spradje im Spredjen, Seien unb Schreiben, ohne Dein 
üaterlänbifcfas ©efühl bamit gu üertoifchen. Schuberts Docßter muß beutfeß bleiben. 

8) ©efang. Solfeggir fleißig. 0ing nichts, tooöon Du nicht ben Dejt ücrfteßft. 
©infalt unb Neimigfeit laß Dir empfohlen fepn. 

4) ftlaüter. Slbeitte fann Dich hier allein leiten. 0piel alles mit SluSbrucf unb 
Slttmuth. ©etoöfjn Dir reinen gingerfag an. Sern nicht lauter Ntobefragen, foitbem 
auch S3acb’S Stücfe bortragen, ©etoößue Dich enblicß, Dir felbft affompagniren gu föitnen 
— adß, toarum bift Du nicht bei mirl — SSarum fann ich mein liebes Sulchen nidit 
felbft bilbenll — 

5) Siß unb ftubir eine gut getriebene SSeltgefcßidjte, SebenSbefcßretbuugcn 2 c. unb 
nicht immer Nomane, too Du bon ber toirflidjen SSelt auf 3beale — auf §imgefpinufter 
abfehtoeifft. 

6) $d$n 9 au<h gutoeiieit. 

7) lieber alles empfehl ich Dir bie Söibel gur täglichen Seftür. 0ie toirb Didh 
leiten auf ber 39aßn beS SebenS unb ber ©eift Stfu toirb Dir’S auslegen. 

golge Deiner ÜJhitter — fte ift eine oortreff liehe ttftutter unb laß Didh bon ihr in 
öfonomifeber SSeiSßeit leiten. 

0orge nicht, mein $inb, eS toirb Dir toohl gehen, ©ott toirb Dich feegnen! ©Item« 
feegen baft Du feßon. 

SSie ich mich fo ungern bon Dir loßreiffel O, Sulchen, 3ulchen, fo bete, fo ringe 
unb fampfe bann fort auf Deinem Nachtlager, in Deinen einfameit 0tuuben, baß ft<h 
mein eiferitex 3ammer enbe — mit greiheit ober Dob. 

Du tocißt’S, meine Dochter, mit toelcßer 3nbrunft ich Dich liebe — SUfo ohne 33er* 
ficherung, mit bem Sdhimmerblicf beS StatergefüßlS unb bott üon glühenbeit 0eegnungen 
für ^Didh bin ich Dein 

liebenber Skater 
0cbubart. 

Schreibe mir balb toteber. 

®er nädifte SBrief att bte „Jungfer ©cfiubart", ber t)ier mttgetljeUt 
roerben fott, ift am 29. Quli 1784 getrieben. £)er barin ermähnte $err 
r»on ßobe war Lieutenant bei ber tjerjoglictjen Utoblegarbe, ba8 gWulein 
»on Jöügel eine 2o$ter be3 ©enetals non ftügei, batnaligen Sommanbanten 
auf ^joljenafperg. 



86 


Rubolf Kräng in Stuttgart. 


3. Siebs Suldjett, 

$er £>err Pott §obe I)at bi e ©nabe gehabt, mir ein ©riefeben Pon 2>ir gu über* 
reichen. 3reutS mich hoch immer tief in ber Seele, toenn ich höre, bag 3)u gefunb bift 
unb in ber uttb ber Aftiott gute gortfdjritte machft. 

$iefe SBoche fegtet ich $)ir ein gang neues ^labier, fo gut ich S^S in meinen 
armfeeligen Umftaitbeu madjeit laffeit tonnte. ©et biefer Gelegenheit fc^reib ich 2^r toieber 
nnb fdjif 3)ir eimann ein mufifalifcgeS unb bramaturgifcgcS Uttioerfalpuloer, morgens unb 
abenbs 3 Mefferfpigett Poll eiitguitebmen. ©rtoarte gute SBürfuitg. 

©on mir jag ich nidjts. teilte Hoffnung hängt toie ein Scgtoerb an einer ®aar= 
fptge unb ich äittre barunter. 

S3ete geigig für mich 

deinen 

£i<h fo mtauSfprechlidj liebenben Später 
Scgubart. 

Schreib gutocilen an bie gnäbige fjrduleht SBilgelmine bon föügel. ©rüg unb $ug 
an teilte 9ftutter unb ben Subtoig. 

©ad) bem oben gefchitberten erften ©efuch, ben $ulie mit Mutter unb 
©ruber bem ©ater auf bem Afperg hatte abftatten bürfen, fchrieb jte, nach 
Stuttgart h^imgefehrt, am 11. Quli 1785: 

4. ©efter, 3 ärtlid) geliebteiter ©ater! 

SCBir finb ©ottlob! recht toogt hier angefommen, mürben aber freilich, toenn uns 
bie getoiffe öoffmtng, Sie red)t balb toieber bei uns gu fegen, nicht erhielte, fegr traurig 
fein, üftuit aber finb toir gang getroft, benn ber liebe ©ott hat fotoeit geholfen, er toirb 
auch toeiter helfen. 28ir toerben Sie getoig fo unbermutet bei uns fegen, als toir gu 
Sbnen tarnen. £), nie toitt ich bas ©ntgüfen pergeffen, toelcgeS ich immer fühlte, fo lang 
ich bet Shueit toar, unb jegt madje ich mir, inbem ich bie feligen Stunben, bie ich bei 
Sgnen gubrachte, toieber überbenfe, ein neues ©ergnügen. Smmer, immer beut’ id) an 
Sie unb an bie unauSfprecglicbe ©nabe, bie ich auf bem Afperg genoffen habe. £> mein 
lieber ©ater, alles, alles in Stuttgart freut fid) unauSfprecglicb auf Sie, befouberS meine 
lieben greunbinneit in ber ©cole. $>ie guten 2ftäbdjen empfingen mich mit einer 3reube, 
toie toenn ich fchott ein Sagr ausgetoefen toäre . . . 

$n ben fotgenben Monaten mar bie ©orrefponbenj jtmfchen ©ater unb 
5Cod)ter befouberS lebhaft, ©rfterer fonnte gar nicht genug ©riefe non 
feinem Siebling befommen, wie bas nächfte Stücf beroeift. ©on ben barin 
genannten ©erfonen gamifonirten Seutnant non Scharfenftein, ber befannte 
greunb Schillers unb ber Mater ScgubartS, Seutnant ©ingier unb ber 
gleichfalls aus Schillers ^ugenbgefchidjte befannte Seutnant Stapf auf bem 
Afperg, toagrenb &err non Scgeiblin (fd)n)äbifd; auSgefprocgen Scgeible) 
ScgubartS Mitgefangener unb einftiger Äerfernacgbar mar, bem biefer feine 
Autobiographie bur(h eine Deffnung unter bem Dfen bictirt gatte. 

5. Siebes 3uld)eit! fiogenafperg, beit 5. Auguft 1785. 

SSarum fegreibft $u mir fo tauge ui#? — ftaft $u ben ©aterfug empfangen? 

— Ad), ich hübe $id) fo lieb, bag es mir uuauSftehtid) ift, toenn ich lauge nichts non 
$ir göre uttb Iefe. Unfre fo füg geträumten fcofnungen beS balbigen SBieberfegenS 
fdjeinen ohnehin Perfcgtouuben gu fepn. äBir haben alfo nichts, als ben armfeeligen $roft 

— beS ©rieffchreibettS. £), Sulchen, Sulchen, bie beftäitbige ©ntfemung Don ©u<b foftet 
mich entfeglid) oiet. SSenu mein §erg ein 3<lfenftein toäre, fo 1011111* idi’S ertragen; 
aber fo ifts ein Stiicf Meitfcgenfleijch Poll Aeigbarfeit uttb bureg bie Abern fprigt ©lut, 
pon grigrr Segnfudjt gejagt. 



Sdfubart unb fefne (Tochter 3ulte. 


87 


Slber toaS ift au thun? 514 ich muß fdjon auSharren, big ©otteS £ülfsftunbe 
erfdjeint. SDlir ift uur bange um Seine 2ttutter, baß fic unter beu unaufhörlichen 
Saufcfjungen ihrer fehnfuchtSbolten Siebe erliegt. SaS brafe, herrliche 58eib! Sie id) fo 
mntg liebe uitb hoch nicht mit ihr leben fott. 

Mine ©efunbheit ift feit einigen Sagen ltnerträglid). 3d) gebrauche jejt ben 
Seittacher ©auerbrunnen. — ©ott gebe, mit ©rfolg. 514 wenn irfj nur eine beffere 
Vflcge hätte. — Sabet hab ich fo biel laftenbe @efd)äfte, baß icf) faft briniter erliege. 
— Ser liebe fiubtoig, biefer föftiie^e Sunge, erleichtert mir and) in ber ^-erne tneine 
Sftüben; baS ihm ©ott lohne! 

Sie ??räulen toirb baS Vudj behalten. 5fber Sn follteft nichts toegfdjenfen, toaS 
Sir anbre gefchenft höben* Unb su bem ift biß }uft ein bortreflicheS Such. Sodj eS 
fcheint, baS ßefen fei Seine (Sache nicht. 

3n ber 2Jhtfif bin ich Wohl mit Sir auf rieben; uur follteft Su Sir felber 
aftombagniren föraten, Sein attsu häufiges 5led)aen nnb Seufzen im Singen magft Su auch 
einfehranfen; eS ift gang unb gar toelfche Unart. SSernt Sn bocfi nur ©in 3at)r um 
mich Wäreft. — Vergeblicher Seufzer, mit Mriabett anbrer berf)and>t ! ! — 

^aft Su nicht ein paar 5lrien aus Sttomeo unb Suite für bie graulen? 

Sich grübt eine Schaar Mufdjen: SaS bortreffliche £iigelfdje ©attß, ©djarfenfteiit, 
ber 9M)ler Seines Vaters, $apf, ben Su gum förmlichen 5ltl)eiften umfdjufft unb 
ber braf ift. 

Vingler — $err b. Scheible — auch bie Mibgen alle auf meiner 
©rbtoarge. 

5ln Seine Valetti einen bentfehen Vibergrttß! 

Mt glühenber ßiebe umarmt Sich ber ©ettittS 

Seines leibettbett Vaters 

Schubart. 

SSie ftehtS um Sein ®etg? Ueber hießen groben 5lrtifel ein anbreSntal. 

Sie tefete ©eite beS SBogettS neunten bie bis jeßt gleichfalls nodj nidjt 
gebrudten SBerfe ein: 

6. Vete! 


3ulchett, bete mit gefalttteu Rauben, 

2JHt ber 5lnbad&t ftitrmenben ©etoalt! 
©ott, Su famtft beS Vaters Sammer ettben: 
514 fo enb ihn balb! 


Sulchen, bete für ber Butter £ebeit, 

Um ben Vntber, Seiner Siebe toerth! 
5WeS toirb ber fromme ©ott Sir geben, 
Ser Sich beten hört. 


Sulchen, bete auf su ©otteS §öhen, 

Sfrage bett, ber gerne 5tntwort giebt! 
„3Berb id) halb ben Vater toieber fehett, 
Ser mich glithenb liebt?" 


Sulchen, bete mit befonuten langen 

514 um ttufrer fihtffgen Sage 5tub! 
Valb toirb bann an meinem £>alfe hangen 
Butter, Vntber, Su. 


2US Antwort auf 33rief unb ©ebtdjt ©djubarts barf ein unbatirteS 
©<hret6en SuIienS gelten, worin es unter 2lnberetn Reifet: 

7. . . . 5luch heute ift toieber Oper, id) fann Shaeit aber hoch, Weil uttfre $robe 
ettoaS früh geenbigt ift, ein paar 3eilen fchreiben. O möchte id) fo glüdlidj fein, butd) 
felbige ifirett ©ram in ettoaS gu gerftraten! 5lber ich armes 9)täbd)en! Sä) bin freiltdi 
nicht im ftanb, meinen SBorteu eine fold)e Sfraft beiaulegen. O war’ id) ttur beiShnenJ 
Sch Wollte Sie folange füffen, Shnen oortrillent unb fdjmeicheltt, bis jebe trübe SSolfe 
oon Shrer ©time öerfdfjeucht Wäre. 5lber, mein Vater, Warum wollen ©ie auch gerabe 
iefet bie Hoffnung fiuten laffen, gu einer 3eit, wo wir mehr ©ruitb au hoffen haben als 
noch nie? D gewiß, gewiß Werben Wir halb baS ©ntgüdCeit beS 5Btcberfeheu8 fühlen, ber 
liebt ©ott, gerührt burch unfer 3(el)eu unb uttfre Shrüiten, toirb baS §erg unfrcS giirftett 
erweichen, uttb wir Werben unfern lieben Vater toieber umarmen .... 



88 


Kubolf Kraug in Stuttgart. 


2lm 3. September 1785 fanbte ©djubart roieberunt einen Srief an 
3ulie; bie betritt norfonunenbe griberife non £ügel ift bie ältefie %oä)ter 
beS ©eneralS. 

8. 0et nid)t büfe, ^ergenSiulcben, bag id) 35ir fo lange nt# fd^rteb. 2t# toemt ieber 
©ebaufe an £id) ein Sörief märe; fo miirbeft Qu in taufenbfadjen gormen meine Siebe 
gu Qit abgeftaltet pitbett! Slbcr id) bin oft fo trübfinnig, bag id) meine 0cbtoertnut 
nicht an £ein junges föerg — mie bie 0d)malbc ben SJtip an einen Vaßaft — bmffecfen 
mag. 0, liebe £oditer, bas etoige äBiebcrfäncn eines einigen gäben ©ramS fijut toebf, 
ftürgt in bittere 0#uennut, mifdjt alle Farben born 2ln[tjlig ber Statur unb löf# bie 
0teme au». 

35od) id) miß ie^t nicht in ben 35iffoitangeit beS Kummers toühlen, um 35ein gum 
VMaiit ber greube gemöbnteS [©ernüt] git berftimmen. Sieber miß td) QAt fagen, bafc 
golbne Jpofnung mid) nod) gmneilen umfdjrncbt uitb bag ße mid) öfters oom Hbgrmtbe 
berauslädjelt, in ben td) berfinfen mid. 

2Senn Qu, mie mir alle 2£elt fagt, bie L’Eeole batb berlaffett foßteft; fo miß ich 
35tr ein Memorial an ben £>ergog anffegeit, brittn 35u um meine Freiheit bitten foßft, 
um meinen Unterridjt geniegen gu fonnen. 0 mie feelig tooßen mir ba leben! Söittc 
nur um meine ©efunbbeit — ben lieben ©ott, ad), ben ©eher beS Sehens, ber greibeit 
nnb ber Srreube. 3>ann bleibft Qu einige 3^it bei mir unb mäblft fobann ben 3üngting 
für 3)ein £erg gefdjaffeu, ohne bag id) deinem lieben §crgen jemals 3toang antbun 
merbe. Snbeffen bitt ich $>td) hoch, mid) in deinen gebetmßen Slnltegen gum Vertrauten 
gu rnadjen; benn gemig bab id) bieg 3 l drauen Iängft um 35id) berbient. 

3um lebigett 0tanbe baft Qu feine Einlage. 3d) nnb Qtint Hebe Sßtutter merbett 
atfo bebadjt fepn, Xid) halb einem redjtfctaffenen tarnte angutrauen. Sich, toenn $u 
mir nicht unglüdflich trirft im ©beftanbe. 3» £ob legt t<b mid), toeitnS meinem 3*ßcb«t 
übet gtenge. Vom ©beftanb bängt alles ©lüf beS SebenS — oft ber ©toigfeit ab. ©in 
rud)tofer ©atte Oergiftet fein SBeib unb fd)lad)tet feiue eigenen ftinber mit bem Vtorbe 
meffer ab. 35ie meiblidje Statur ift fo epbeuartig, bag, menn pe feine Siebe pnben fann, pe 
traulich gu umfcblingett — ficb im bidften ©rbfcblamme fortmiubet. SBer alfo nicht tugenb* 
baft ift, nicht ©otteS greunb, nicht ©briftus g-reunb, ben mäble nid)t. ©r fcbleppt $icb 
an ben paaren, bitrd) taufenb SJiiftppigen in ben 2lbgrunb. 

Vergeib mir, liebes 3uld)en, bag ich tnS 2?toraIißren fam. SDtatn $erg iß fo boß 
Siebe gu 35tr, bag eS $id) eben gliicflicb miffen mikbte. 

£>ier, als SBeib, Butter, gefd)icfte Söcltbürgerin, ©briftin! 

35ort, als ©efpielimt beS SammeS, bie ihm nacbfolgt, mo er bingebtü 

35er Fräulein Srib[erife] habe bie Stoten gegeben. 0ie mirb ficb fetbft bebanfen. 
3ft gar ein herrliches, gutes, tief füblenbeS, anlagenoolleS 3-räuIein! 

Unb nun, 3uld)eu, maS Ieierft 35u auf bem Flügel? maS glufft Qu mit 35etner 
toitboßen ^eble? maS Iiefeft £n? maS füblft $u tief in ber 0eele? maS boP feit* 
bero für Stoßen gefpielt? SStit meinem ©rfolge? 

35er Vatetti febreib ich felbft. 3ebermamt gibt ihr ben Vorrang für 35ir im 
0ingen. 35ag 35u pe nicht brum beneibeft, bas ift gut, 3utd-,en, o bgS ift fdjön. 

Unb mm feegue £id) ©ott im Fimmel, ScfuS ber ^oebgebenebeite unb ber 0d)öpfers 
geift ieber guten ©abe, bie mie V?cttcrftral oom §immcl nieberftürgt, 9)tenfcbenfeelen 
trift uuD mie Opferfeuer bimntelait güft. — üDiit Siebe, 0ebnfudbt, unauSfprccbltcbcT 
SBarbeit bin id) 

35ein treuer Vater 
0d)ubart. 

Stuf baS Schreiben folgte — gleichfalls noch im ©eptember 1785 — 
abermals ein ©ebidjt, auf einem 33Untaturbogen mit überaus jierlichen 



Sdfubart uitb feine CCod^ter 3ulie. 


89 


®udjfta&eit Ijingemalt uttb in ein Gouoert üeinften gormateS gefiecft, 
ba3 bie äuffdjrift trägt: „©rufe an mein guldjett." $ie Sßerfe, benen 


eine befonbete ßompofition SdjubartS 
ift, tauten: 

9. Sulzen, Kein, lote Xu, 

Jftiegt ein Srief Xir gu. 

SBare biefer Srief 
2fu4 tote Xu, ttaio! 

3mmet fchtoebft Xu mir, 

Siebes 3ulchen, für; 

Xoch Xein 5ötib aus Xuft 
©chtoinbet in ber Soft. 

©ifc* ich am fllabier, 

Sich, fo ruf ich Xir: 

„Sulchen, ffeineS Xing, 

$?omm hoch ^er unb ftng!" 

2lber fürchterlich 
3ft eS ftitt um mich, 

Unb nur ©ehnfud&tSqual 
fiattt im oben ©aal. 

Xoch bie lichte 3*it» 

3ft bießeicht nicht toeit, 

25o Xu neben mir 
©ingft in’S ©olbflaoier. 


mit ber SSorf^rift „naio" angeljängt 

Saufdjenb fijt DJtoma 
Sei ber 2lrbeit ba; 

Xoch ihr 9ttutterblicf 
©ief)t nicht auf'S C^cftricf. 

2BaS ihr Slngftgebet 
SSeiueitb oft erfleht, 

©ieht fic nun erfüllt: 

2ftich unb Xich, mein Silb. 

Subtoig, froh unb bang, 

Sorcht auf ©otel unb ©ang, 

Seifer atmet er, 

Son (Srnpflubung fchtoer. 

aflandjen Slbenb fturnm 
©tfeett toir herum, 

Xrücfen uns bie Sanb 
Simmelhingetoanbt. 

2Jch, Xu golbne 3eit, 

SSärft Xu nimmer toeit, 

)So mein 3ul<hen mich 
tfüjjte tooratiglich! 


©in Schreiben Juliens an ©tfjubart oom 5. IJiooentber 1785 be- 
ginnt atfo: 

10. Sefter, teuerfter Saterl 

atehnwn @te mifS bodj ia nicht übel, bafl ich 3htten fo lange nicht gefefirieben 
habe; td) bachte immer, ich toürbe ein Sriefgen oon Shuen befomtnen, unb looUte eS alfo 
abtoarten; aber ich fe^c freilich, bafl eS bei 3h«u oieleit ©efcfjftften unmöglich ift. 
©eftem feierten toir unfereS dürften fltomenSXag; idP) betete recht herzlich für ihn, unb ach 
toie biel tyxilitytz tooßte ich für ihn beten, tuenn er mir meinen lieben Sater toieber 
fchenfte! 3<b hatte geftern nebft bem Serrn Süßer unb ber 2Jiabame Soli einen flkolog 
gu befiamieren; er toar üon bem §mn SProfeffor Samotte, aber nach aßgemeiner Sage 
nicht fefjr fchön. 3<h habe nichts baoon als meine fließe, fonft tooßte ich ihn 3hnen 
fehtefen. 2Bie fehr es mich lefethin betrübte, Oon bem (Sutgücfen, meinen Heben Sater 
toieber gu umarmen, aßein auSgefchloffen gu fein, toerbe ich Shuen getoifc nicht erft fagen 
bürfen, gumal ba ich immer ein toenig Soffuung hatte. XeStoegeit mocht’ ich 3hnen auch 
nicht fchreiben, fo lange meine aihttter unb Sruber bei 3hueit toareit; beim ich tonn mich 
unmöglich öerfteßen, ich hätte 3hnen meine SetrübniS fchilbern müffen unb hätte baburch 
nur 3h« 3«ube geftört .... 

3ur ©rflärung ber brei folgenben SBriefe ©djubarts an feine Xodfler 
fei 6emerft, bafe ein #err oon gorftner bamals Leutnant in bem auf bem 
Slfperg gamifonirenben J^nfanteriereaiment unb ber ermähnte £aug S°f 5 
inflrumentenmactyer in Stuttgart mar. 



90 


Hubolf Krauß in Stuttgart 


11. &obenaß>erg bcn 26. Stob. 1785. 

SergigS Sulchen, 

Mein ©eift füßt Sid) {eben Slugenblif unb toenn Su gutoeilen auffäbrft, toeil’S 
Sidj int £>ergen fügelt unb Su Sftäbe bon ©ott nach djntenber Siebe abnbeft, fo benfe: fya, 
meines Katers ©cift ioebt um mid). 

Seine Mutter — ad), Seine mir fo unauSfpred)li<b tbeure Mutter ift febr mit Sir 
gufrieben — unb bann bin id)’S aud)! — Unb ©ott fdjaut bom fthmnel ^erab, b*bt bte 
aHfdjattenbe JWedjte über Sein ftaupt unb feegnet Sieb. 

Sulchen, maS ließft Su? toaS fpielft Su? toaS fingft Su? — toaS lifpelt ber 
leifefie ©ebaufe Seines £>er^eitS?? — 3ld), gegen mid) fei feine fteucblerm. £ab i<b 
Sid) bodj fo unauSfpred)Iid) lieb. 

©rüß mir bie ©atletti unb fag ibr, baß mid) bie Mwbridjt bon ibr Sbräneit ge- 
foftet höbe. ©ebreib mir, tote alles gegangen ift. — SSarum nehmen eure ©eden — 
ibr L’ecole Mäbgen — all fo einen romantifdjen ©cbtmtng? — 3br träumt euch 
©Selten unb loacbeitb ftnbet ibr fie nicht. 

gorftner gebt gleich ab. 

Mit geflügelter gebet fag ich Sir alfo nnn — §erjenSj;uld)en, nädjft ©ott famt 
Sieb nichts mehr lieben, als Sein ©ater 

©djubart 

Db! — Miriaben ©rüß’ an Seine liebe — liebe — taufenbliebe Mutter! — 

12. fiobenafperg ben 14ten gebr. 86. 

Mein ftittb, 

£err Leutnant ftofntamt toirb Sir biefett ©rief überbringen. 28emt Seine liebe 
Mutter nod) in ©tuttgarbt ift, fo fömtte fte biß ©amftag mit gebuchtem Jperrn Leutnant 
bieljer fahren nnb, too möglich, Sich mitbringen. Seine Mutter aber fdfjreibt, Su fömtteft 
bor lauter ©efdjäfteu faum atbmen. ©Sas habt ihr bann gu tbun? — ©ringt ibr bo<b 
toenig neue ©tüfe aufs Sbeater unb eure ©iitgftüfe finb immer baS alte £t)rum ßarurn. 
Socb Pflicht unb Slmt gebt über ©lies. Sbu alfo immer Seine ©ebufbigfeit; nur febone 
mir Seine ©efunbljeit. 

Seine ©ruft ift gar nicht bie beftc; Su fingft immer fo briffer, baß Sir oft bie 
fdjönften Sböne berfprigen. 2ldj, ttjeitu id) Sieb boeb unterrichten bürfte, Su gute» $inb, 
eS fehlt Sir nod) manches, baS id) Sir geben fönnte. Sa Su mir fo unauSfpretblicb 
lieb bift: fo barf id) Sieb nicht erft bitten, fo Diel 3rit bei mir gugubringen, als eS Sir 
möglich ift. 

Seiner lieben ©alletti meinen beutfeben, fcrgentflcffuen ©ruß. ©ring fie batb bteber. 

Mein ©eift umfdjlingt ben Seinen, Su ©olbfäfer. 

Sein treuer ©ater 
©ebubart. 

ltnferm föergenSlubtuig ©ruß, Shiß unb ©aterSfecgen. ©ibat Ofternü 

13. Sen 27. Merg 86. 
£iebS Suldjeit, 

Mm loenb ich mich toieber gu Sir. ©efebäfte hoben mich in ettoaS bon Sir toeg 
gebräugt. Su liegft mir feljr am Jpergeit. Sftod) hab ich fein Sflabier für Sich unb baS 
ift boeb nöthiger, als mandjer ©djuifjcbnaf, mornit Su Sich berbrämft. 

©Sill itäcbfteitS au ben föaug Seinetbalben febreiben. Su mußt ein gortepiano 
haben, ©on meinem ©erbienfte miH ich Sir’S ja gerne befahlen. 

0 toie freue ich ntid), toenn Sn halb — toie ein Säublein flatterft — in ben 
fofenben 2lrtn Seines 

treuen ©aterS 
©ebubart. 

£>ofmauu, Ringler unb ©djarfeuftein grüßen Sid). 



Sdj abart un& feine (Tochter 3 nI ie« 9\ 

2)u liebes, fleineS 2)inglein, 
toenn ich eS fagen barf, 

©efchtoägig ift 2)ein 3ünglein 
unb teilte geber fcfjarf. 

3n biefem £(jone möcht* ich toohl länger mit $ir fpredfjen, benn ich mujj $)ir nur 
fagen, bafe mir $eine ©riefe — trog ihrer üttafetoeisheit — gar toohl gefallen. 21uch ift 
mifs lieb, bafc $>u $ein 2lmt mit greuben unb nicht mit ©eufgcn tljuft. D, toenn $u 
nur öfter« gu mir förneft! — §atte noch manches an $ir au fchnigen unb au hüben. 
2>od) hoff ich [halb gang unb] gar — mit fiaut unb £>aar — bei $ir gu febn. 

3uhel $a tootten toir pbel febnü — 

SDein treuer ©ater. 

6chubart.. 

2lu£ ber %t\i, ba Subwig ©dfjubart nadf) Serltn abgereift war, um 
in bie hanglet beS preupifdjjen SWinifierS ©rafen non £erfeberg einjutreten, 
flammt ein unbatirter 23rief Juliens: 

14 . * ©efter, teuerfter ©ater! 

Äönnte ich 3hnen hoch fagen, toie mich 3h« 3ufriebeuheit, bie 3ufriebeuhcit meiner 
lieben ©utter mit ©onne erfüllt! ©ächte ich Pe immer berbienen! Möchte nie ein 
Kummer meinettoegen in 3h« ©eele bringen! O nur gu biel hab’ ich Sie, teuerfte' 
©Item, fchon befiimmert, nur gu biel ©eufgcr auSgebrept! Slber ich toeip, bap fein 
©chatten mehr banon in 3h«r Seele gurücfgeblieben, bap ©ie mir längft bergiehen, ba 
fchon bergiehen, ba ich meine 3rrung noch nicht eingufehcn bcrmochte, bap ©ie mich mit 
einer Särtüchfeit lieben, bie nur toenige gu embpnben fähig ftnb. Biber auch ich (lieber 
©ott! $)u toeipfS), auch ich liebe ©ie über alles, toünfdje nichts fo fehnlich, als Shnen, 
befte ©Item, recht biel fjreube gu machen, unb bie Bibtoefenbeit meines lieben ©rubcrS in 
ettoaS gu berfüpen. ©ott totrb meinen ©oifafe fegnen, gang getoip. — ©einen heifeeften 
©unfch toiffen ©ie, befter ©ater; es ift unfer gemeiufchaftlicher: 3h« Freiheit, ©ein 
anberer, pdf) feft an biefen anfettenb, ift: eS recht toett in meiner Shmft gu bringen. Sen 
erften hoffe ich nächftenS erfüllt gu fepen, aber gu bem anbern fehe ich nur toenig ©ah« 
fdjrinlicbfeii Senn hier, too ich nie ettoaS anberS als unS höre, nie ettoaS, toorauS ich 
©efdjmad fammeln unb ben Unterfchieb gtoifchen unfrem unb anbrem ©efang einfehen 
lernte, h ier, too fo gang alle Blufmunterung fehlt, toie toill ich ba toeiter fommen? SIE' 
mein gleip (ber getoip ernftlich ift) tann mir toeiter nichts nüfcen, als bap id& toeuigfteus 
baS erhalte, toas ich Phon toeip, unb baS ift (eiber nicht gar gu biel . . . 

SDaS lefcte, wieberum mit feinem ©atum oerfehene ©djjriftftüd, ba£ 
hier mitgetheUt werben foH, ift ein (Schreiben Juliens an bie @ltern, worin 
fie ihrem ©ntjücfen über bie enblidh ihrem 23ater gefdfjenfte Freiheit berebten 
BluSbrucf oerleiht ©S mufc am 11. 3Jtai 1787 — bem Stage ber Se* 
freiung — ober unmittelbar barauf abgefapt fein, grau (Sdjubart weilte 
gerabe gum ©efudfj beS ©atten auf bem äfperg. 

15 . ©efte, teuerfte ©Item! 

Äaunt bermag icp’S, nur ein paar gufamrnenhängenbe ©orte biugufchreiben: bie 
greubc macht mich foradjloS, macht mich gittern. 3ch fott in toenig Sogen meinen lieben 
©ater umarmen! 3n Freiheit umarmen! D ber ©onnel ©ütiger, lieber ©ott, toie 
banf ich Sir! 3toar fann ich’S nicht mit ©orten, aber mein in greubentfjräneu 
fchtotmmenber ©lief ntup Sir mehr fagen, als mein fchtoacher ©unb eS föratte. 3ch 
erfuhr bie göttliche Nachricht geftem iuft in ber ftomöbie. 3<h toupte gar nicht mehr, 
toaS ich that, ich tonnte ni^tS mehr faft borbringeu, ich hätte laut bem ©ublitum gus 
mfen mögen: ©ein ©ater ift frei! 3ebermann niefte mir feinen ©lücfro unfeh bon beit 



92 


Hnbolf Kran§ in Stuttgart. 


Sippen 0 U, idj glaubte in Söonne gu bergeben. 2(ucb b«wte febieft alle aiugenbftcfe jernanb 
ber, mir ©liicf toiinfcben gu laffen. D auf ber gangen 2 BeIt giebt’S feinen gliicflicberen 
ÜRenfcben als mich! — SBenn’S nur ber gute ßubtoig fdbon toüfjte! ©ütiger (Sott! tote 
toirb er fiep freuen I 28o möglich, befte Butter, foQ alles in @tanb fommen, toaS 0 ie 
toünfdjen. Sföer machen @ie nur, ba& 0 ie halb fommen! 3 <b fann’S — (SJott toeife — 
faft nicht ertoarten. O fommen @ie, fommen @ie boc^ halb in bie Slrme 

Sbrer 

entgücften Suite. 

9Jiit biefem l)artnonif<f)en Älange enbet bie Gorrefponbenj jnrifdjen 
SBater unb $odf)ter. ®a SBeibe fortan für ©dEjubartS färglidfjen Sebenäreft 
räumlich nid^t mehr getrennt mürben, tag gu fchriftlidhent aSerfehr fein 
weiterer Sfafafc t>or. 





3ofjrt Husfitt. 

Don 

5#. iMmetgtooerffei:. 

— £onbon. — 

fobn StuSftn ift am 20. Januar im Sitter oon einunbachtjig 
Sauren geftorben, unb Englanb betrauert feinen oornebmften 
(Seift, feinen fünften Kämpfer auf äfthetifdjem unb et^if^em 
©ebiet. gut bie Stufjenroelt mar er fteilidj längfi fdtjou tobt, bie greife, 
gebeugte ißropbetengeftalt mit bent roallenben roeifjen £aar unb 33art, bie 
bis not ßurjetn in bem einfam frönen Eonifton ifir ftiHeS SBefen trieb, 
roar faum mehr als bie äußere Senate beS SJtanneS, ber über oierjig 
gaijre lang unter feinen SanbSleuten eine geiftige Dberberrfdjaft auSgeübt. 

Stujjertjatb ©nglanbs ahnt man nic^t, roaS DtuSfin für fein SSaterlanb 
bebeutet; man b°t roobl überall oon bem feinfinnigen 2Ieftf)etifer gehört, 
ber neue ©efejse beS «Sdiönen aufgeftellt bat, aber oon bem propbetif^en 
SSerfünber fociater gtieale roeif man im SluSlanbe oerbältnifmäfjig wenig, 
unb bodb fann nur ^Derjenige einen annäbernben Söegriff oon feiner 2Birf< 
famfeit erlangen, ber ibn in feiner hoppelten Sebeutung fennt. 2Bie feine 
einjigartigen ftunftfritifen bie Äraft befaßen, englif<be Äunft unb englif^eS 
Äunftbanbioerf neu ju beleben, fo gelang es feinen fociatreformatorifcben 
<Sdjriften, bie ©eroiffen ju erioeden unb ben mächtigen Umfbroung herbei* 
führen ju helfen, ber ftcb in ben lebten oierjig fahren in bem focialen 
Seben unb SDenfett EnglanbS geltenb gemacht bat. 

Er roar ein moralifdheS ©enie, roie bie mobeme SBelt fein jroeüeS 
fennt, unb roie Earlple, beffen jünger er ftcb nannte, fühlte er ji<b jut 
Gtjiebung ber geitgenoffen berufen; aber roabrenb jener feine 33otf<baft in 
mächtig rauben SBorten oorbradhte, erfc^tofe fi<b StuSfin mit feiner frpftafl* 
flaren, be*ien8roarmen unb bwreifjenb fdhönen ©pradöe bie ©emütber. 


94 21- U?ilmersboerffer in Sotibon. 

Unb biefe Spraye roar nur ber ©djjtüffel ju feinem Sßefen. 6 r roirfte 
nidjt burcfj baS gefdjriebene unb gefprodiene SBort allein, fonbem meljr 
nodj burdj bie SDtadfjt feiner ißerfßnlidjfett, bie ebenfo originell unb grofj, 
roie ebet unb liebenSroürbig mar. ©iefe reiche Sßerfön[idE»fett fefcte er ganj 
unb uotl für feine ftbeale ein; rüdbaltSloS unb ohne ©Tonung gab er fidi, 
unb ba§ gute iprincip, baS er fo berebt in allen feinen Vorträgen unb 
©Triften prebigte, trat burd) il;n in bie ©rfdbeinung. (St roibntete fein 
ganjeS ererbtet Vermögen non 200000 ißfunb ©terling ben ibealen 
Sroeden, bie er ju förbern firebte, unb »erjcbrte feine Störperfräfte in bem 
betten Söetnüben, Slnberen mitjutbeilen, roaS er felbft an geiftigen ©dbäfcen 
befafj. Sener edjte Arbeiter, non bem er oftmals fpridjt, ber fd^afft, roaS 
er liebt, unb erftrebt, 100311 fein $erj i^n treibt, ber feinen eignen ©in* 
gebungen, aber feinen ©onoentionen folgt, roeil er nidjt leere SBeiounberung, 
fonbem ©beilnabme erioeden toiH, baS mar er felbft. ©eine Statur mar 
frei oon eitler ©elbftgefätligfeit unb eitlem ©brgeij, er roar ein natoer, 
jittlicb reiner SJtenfdb, ber an 23erftanbeSfdiärfe unb analptifcbem ©eift ben 
beften ©entern gleidjfommt unb an ©iefe ber ©mpfinbung, an Straft ber 
Seibenfdjaft oon feinem 9)tenf<bbeitSfübrer übertroffen roirb. 

tlnfere glaubensarme Seit will im Mgemeinen nidfjtS mehr »om 
tropftet engeifte toiffen; bie moberne SJtenfdjbeit roirb, in bem ©efübl Ufret 
SJtünbigfeit, ben leibhaften ©cbriftftetlem gegenüber leidet ungebulbig; roenn 
aber (Sinet aufftebt, ber 311 lehren weift roie $obn StuSfin, bann erjroingt 
er fid^ bennocl) ©eljöt unb fiebert fidj bie Stadbfolge. 

©ein neuer ©laute roar fo fdjön, fo »oll gebeimniftooH erhabener 
SKöglidbfeiten, baft bie fersen aller ßoffenben ficO ibm juroanbten unb 
Stillung ifjret ©eftnfudjt bei iljni fugten. 

Sßo SInbere eingeriffen, ba baut er roieber auf, unb baS SWaterial 
ju feinem Steubau trägt er aus Statur unb Stunft, aus ©otteS unb 
SJtenfdjenroerf jufammen. 2 ßo immer er bie ©dfjönljeit fmbet, roo er ben 
©eift ber SBafjrljeit fpürt, ba greift er ju; fein orbnenber Serftanb fügt 
©ins in'S Slnbere, feitj, äftljetifdjer ©inn fcbmüdt alle ©Ijeile föftlicfj aus, 
unb baS ©anje rul)t auf feftgefügtem, einl)eitlidfjem gunbament. ©iefeS 
gunbament ift bie ©rfenntnift oon bem inneren Sßertb ber SJtenfdben unb 
ber ©inge, oon ber etbifdjen 23ebeutung aller Jtunft unb alles SebenS. 
2ln fid) ift biefe ©rfenntnift freilidf) uralt, neu aber ift StuSfinS 3lrt fie ju 
begrünben, beSljalb roirft fie rounberbar, roie jebe ©rftlingSfrudjt beS 
SJtenfdjeugeifteS. @r fjnt eine Steuroertfiung aller SBert^e nach feinen äftbetifdft 
etbifcfjen ©runbfäften, äuerft auf bem ©ebiet ber Äunft, bann aber auf 
bem beS gait 3 en nationalen Sehens oorgenontmen unb ift babei mit einer 
©iveetbeit, einem SRutfje oorgegangen, roie nur ©erjenige es »ermag, ber 
fein Siel ftets flar oor Slugen fieftt. 

©olftoi fagt in feiner ©cfirift „2BaS ift Stunjt": „Um ben ©inn unb 
bie 23ebeutung einer geroiffen menfcljliäjeu ©bätigfeit ju erfaffen, muft man 



3 o^n Husfitt. 


95 


oor aUcit Gingen biefe dhätigfeit in fi<h felbet, in iljrer Sib^ängigfeit non 
Urfadhen unb folgen, unb nicht nur hinfidhtlidfj beS ©enuffeS, ben mir non 
ihr empfangen, betrauten." Bon biefer 2lnfd&auung roar auch SHuSfin 
bei feinen Äunftbetradhtungen ausgegangen, unb rote SCotfioi roar er ju 
bem S<hlu& gelangt, bafj üunft überhaupt bie <SpradE>e beS menfdhlidhen 
©emütljeS fei. ©S ift beSbialb merfroürbig genug, bafj ber grofje ruffifdhe 
■Dcoralijt, ber ShtSfin lennt, in ber ermähnten Schrift, bie fo uiele ©itate 
aus ben SBerien ber Slefthetifer enthält, beS engtifdjen ©efimtungSgenoffen 
mit feinem SBort erroähnt. 

ShtSfin roar, burdh baS SBeftrebert, fidfj über Sinn unb Bebeutung ber 
ÄunfUhätigEeit im ooHen Umfange flar ju roerben, bahin gelangt, im 
fleinften dh e d e felbft baS ©anje ju erfennen, bie grofje SebenSeintjeit ju 
erfaffen. 3 n feinem SBerfe über SCrc^itectur „Seven Lamps of Archi- 
tecture“, baS er fdfjon im 3 a h te 1849 ' veröffentlichte, fchrieb er: „®S 
giebt feinen 3^0 menfchlidher Slrbeit, beffert bauernbe ©efe^e nidht eng 
uerroanbt wären mit benjenigen, welche jebe attbere 2lrt menfdhlid&er ®&ätig= 
feit beherrfdhen. 3a, noch weiter, je mehr mir irgettb eine ©ruppe biefer 
praftifdjen ©efefce oereinfachen unb feftfteüen, befto mehr roerben wir finben, 
bafj fie bie Sinic blojjer Benpanbtfchaft ober 2litalogie überfchreitet unb 
jum thatfädhlidhen SKuSbrudf eines enbgiltigen fReroS ber mächtigen ©efe|$c 
roirb, welche bie SBelt ber ÜJJoral beherrfdhen. 2Bie gering unb unbebeutenb 
eine £anblung an ftd& auch immer fein möge, roenn fie gut ooßbradht roirb, 
fo liegt etwas in ber Slrt, wie fie gef<hief)t, baS fie mit ben ebelflen formen 
männlicher dugenb in ©emeinfdhaft bringt, unb bie Söahrljeit, $efiigfeit 
unb 3Jtäfjigfeit, bie wir ehrfurchtSooH als roürbige ©igenfdhaften ber Seele 
anfehen, hoben einen oertretenben ober übertragenen ©influfj auf bie 
arbeiten ber $anb, bie Bewegungen beS ßötperS unb bie 9Ieufjerungen bes 
3nteUectS." die mädhtigen ©efefee, roeldhe bie SBelt ber ÜRoral beherrfdhen, 
fie waren ihm bie ©efefce bes Sehens ; biejentge Äunfi, welche fte oerleugnet, 
ift im BerfaH begriffen; jene Bölfer, in beren nationalem Sehen fte un= 
berfidfid&tigt bleiben, finb bem Untergang geweiht. 3« feinen funftfritifdhen, 
fowie in feinen nationalöfonomifdhen unb erjiehetifdhen SBerfen fudht er 
biefen feinen Stanbpunft auf ben oerfdjjiebenften ©ebieten an ber $anb 
ber dljatfadhen ju erläutern unb ju erflären, unb er bringt ju feinem 
gigantifdhen Unternehmen eine fo umfaffenbe Jfenntnife ber ffädher, bie er 
berührt, unb babei eine fo feherhafte ©infidht in ben ©eift faft alles Schaffens 
unb SßirfenS mit, bah ihm felbft diejenigen ihre Bewunderung nicht oer» 
fagen fönnen, beren ©runbanfcljauungen mit ben feinigen im birecten 
2Biberfprud& flehen. 

geft unb unerfchütterlidh fteht feine ibeale 2öeltanf<hauung auf bem 
Boben ber SBirflichfeit. 3“ beginn feiner Saufhahn, in feinem jroeiten 
Banbe Modem Painters, neigt er fidh wohl ber 9Jletapf)t)fif ju unb tritt 
bogmatifdh auf, aber fdhon in feinem nädfjften SJBerfe, ben Seven Lamps 

Korb unb ©üb. XCV. 233 . 7 



96 


21. IDilmersboerffer in Conbon. 


of Architecture, tjat et biefe Valjn oerlaffen, um fte nie roieber ju betreten, 
fernerhin fucht er 2BaI)rf)eit unb Sdpnljeit nidht mehr abftract ;u beftniren, 
fonbetn et jetgt, roie unb roo er fte gefunben unb roaS fie ißn geteert. Unb 
ebenfo macht er es auf roirtßfdhaftlichem ©ebiete; hiet giebt er fiel) non allem 
Anfang an nicht mit &tjpotl)efen unb Spftemen ab, er greift hinein in bas 
reale Seben; bie falfdfjen SBerthe fennt er an ihrer tobbvingenben, bie echten 
an ihrer Sehen fötbemben SBirlung, benn, roie er in feinem herrlichen 
Vudje Unto This Last fcßreibt: giebt leinen 9ieid)tbum giä baS Seben; 

bas Seben mit ad’ feinen Sdjäben ber Siebe, ber $reube unb ber Ve- 
rouitberung, unb baäjentge Sanb ifl baS reidhfte, baS bie größte Slnjahl 
ebter unb glüdlicher Vtenfchenlinber ernährt." 3n biefem Safee liegt ber 
Sern all’ feiner Sehren. 

2BorbSroortl)3 SBorte „We live by admiration, love and hope,“ bie 
JluStin fo oft anführte, bafs SJSiete glauben, er habe fte juerfl geäußert, er= 
fchienen ihm als bie Duinteffenj ber SBahrheit; für ihn roaren fte es jroeifeL 
(öS; roer feine 2Berfe tennt, ber roeiß, baß er aus biefen Duellen feine 
geiftige Währung fog, baß aff 1 fein «Schaffen hier entfprang. 9Wit feinen 
feinen, burdh $anb= unb ©ebanlenarbeit gefdhärften Sinnen fdjaut unb be= 
obac^tet er bie Sltatur im ©roßen unb im kleinen, ftubiert unb prüft er 
2Merei unb Strdfiitectur in Vergangenheit unb ©egenroart. ©ie Statur 
roirb ihm bie große Sehrmeifierin beS Sdjönen, in allem ftunjlfdhaffen finbet 
er baS ethtf^e ©efefc, unb in ihren SBerlen offenbart jtdj ihm bie Seele 
ber Qnbioibuen roie ber Völler. ©aß er ju feljen unb baS ©efehene mit= 
jutheilen oerftaub roie lein Slnberer, barin liegt fein unbeftrittenfieS Verbienft. 
©r thut bem Sefer in feinen Vüchern eine neue SBBett ber Sdfjönheit auf; 
feiue Selbftoergejfenheit, feine linbUdh reine greube reifen fort, man fteht 
mit feinen »erllärenben unb bodh fo fdjarfen Stugen unb fühlt mit feinem 
ungeftümen ©idjterherjen. Db er bie erhabene ©roßartigleit einer Stipern 
lanbfdjaft, ober bie jarte Sieblidfjleit einer Sßflanje fdiUbert, ob er über 
SBollettbilbungen ober ÄrpftatI=gormationen fchreibt, ob er gotif<he Drnamentil 
ober ein Vilb non ©unter befpridjt, ftets finbet er einen neuen ©efufjts* 
punlt, entbedt er einen neuen Schah, ber nidfjt nur feinem augenblidlidßen 
©egenftanb ungeahnte Vebeutung oerleiht, fonbern ben ©efammtroerth beS 
Sehens fteigert. 

Seine gähigleit, fid) in bie Seele beS feßaffenbett ÄünftlerS hinein* 
juleben, feine größten 3n>ede unb feine Heinften Slbfidjten ju errathen, roar 
einjigartig. @r befaß eine utnfaffenbe Äenntniß tünftlerifdjer ©eclmit, bie 
er fich nicht allein burdh Slnfdfjauen, fonbern burdh jahrelange, unenblidh 
gebulbige praltifdje Stubien angeeignet hatte. Seine Kare Selbfierlenntniß 
fagte ihm, baß ißm bie ©abe, bie er am hödhften fdjäbte, oerfagt roar, baß 
er fetbft nidht baju beftimmt roar, bie SBelt burdh große VUbroetle ju be= 
reidfern; fo befdfjieb er fidh benn, ben SBerlen Slnberer Slnerlennung ju »er* 
fdjaffen unb bie großen Schöpfungen ber Vergangenheit, bie jum ©heil ber 



3ofjit Husfin. 


97 


3erftörung anheimgefallen, ttacf) befteu Kräften für bie ©egenwart ju retten. 
3n feinem 33udie Mornings in Florence, baS ber getreue ^Begleiter ber 
Gnglänber geworben ift, bie f^orenj befugen, minbert er ben ©<haben, ben 
bie £anb beS pietätlofen 9teftaurirerS an ben greifen ber mittelalterlichen 
^Florentiner angerichtet, tnbem er ibn jebent tiebeoollen 33ef<hauer fenntlich 
macht unb biefem gleichzeitig bie -Kittel an bie £anb gießt, bie naioe 
Äunft iener frühen Keifter ju oerfteijen, fidf felbftftänbig in ihren reinen 
©eifi, in ihre heilige ©infalt ju »ertiefen. 3n feinen Stones of Yenice 
aber, bie Garlple eine ißrebigt in Steinen genannt, tf)ut er noch unenblidj 
mehr, benn noch rounberbarer als fein ©rf affen ber Äünftlerfeele, ift fein 
aSermögen, aus ben architectonifchen Schöpfungen ber Nationen ihren ©harafter, 
bie Stufe ihrer ethifdjeu Gntroidlung zu entziffern. Gr befcfireibt hier nicht 
nur bie mannigfaltige Schönheit reiner ©otif in einer Sßeife, bie fte Men 
fidjtbar macht, er läfjt nicht nur bie Fracht früh gotifher fßaläfte unb 
Kirchen in glänjenben SBortbilbern neu erflehen, fonbern er enthüllt auch 
bie ethifte Sebeutung biefer SBauwerfe einer anbern Seit unb eines Zolles, 
baS eine nationale Äunft im echten ©inne befafj, unb liefert in ben Stones 
of Yenice ein ebenfo originelles wie tief bebeutungSoolleS ©tüd ethifeftet 
©ulturgefchitte. 

©0 erhob er bie Äunftfritif ju einer eigenen Äunft, bie er allein be= 
fjerrfchte, unb es ift fein SBunber, bah eS ihm nicht nur gelungen ift, beim 
englifdjen publicum warmes $ntereffe unb ein tieferes Söerftänbnife für alle 
Äunft }u erweefen, fonbern baff fein Ginfluh auf bie Äünftler ein fo 
mächtig war, wie er noch nie non einem Äunfttheoretifer ausgegangen, 
©ein ©efdjmad würbe tonangebenb, fein Urtheit ©efefj. Gr hot bie S8e= 
beutung Gunters für bie SanbfdjaftSmalerei erwiefen unb bie ©ache ber 
anfangs fchwer oerfannten jungen engtifchen $rä=9tapbaeliten erfolgreich ju 
ber feinen gemacht, ©ie ardjiteftonifche Äunft, bie in Gnglanb einem 
rettungslofen ©iechthum oerfallen fchien, hat « aus ihrem ftarren ©<hlaf 
gerüttelt, inbem er in feiner fulminanten SÜBeife bie blinbe, gefdmiacflofe 
Stachafimung oerberbter SRenaiffance oerbammte unb feine Siebe unb Ste* 
wunberung für bie ©otif ber ganzen Station allmählich einjuftöfjen muffte; 
unb baS Äunfihanbwerf, baS jur Seit feines erften Auftretens in ganz 
Gnglanb »öttig brach lag, blühte unter bem Ginflufj feiner Sehren nicht 
allein in feinem Söaterlanbe, wo baS Uniuerfalgenie Söilliam KorriS feine 
SSorte in bie S^at umfe^te, lebenSfräfttg unb fpontan empor; auch in 
anberen Säubern, »ornehmlich in £>eutf<hlanb unb in ^Belgien, wo man im 
groffen fßublicum noch heute faum StuSfinS tarnen fennt, ging ber ©ame 
auf, ben er fo reichlich auSgeftreut. 

GS ift bezeichnenb für DtuSfinS Sebeutung, bah er, ber ©ohn eines 
reich geworbenen SBeinhänblerS, beffen 91 ame in feiner SBeife zu ben prioitegirten 
bet Sitteratur* unb Äunftwett gehörte, fich feine AuSnahmejtetlung unter 
ben Äunftfritifem fchon mit feinem GrftlingSwerfe, bem erften Sanbe non 

7* 



98 21. EDtlmersboerffer in £©nbon. 

Modem Painters fdjuf, ben er im 2tlter »on »ierunbjwanjig 3a|ren »er* 
öffenttidhte. 

©eine glüfjenbe 33ewunberung für ben SanbfdfjaftSmaler Sumer, ber 
uom publicum mit ftüjler ©leidhgiltigfeit uub non ber SageSfritif mit 
fleinlidjer ©ehäffigfeit belianbelt nmrbe, batte ihm ben eigentlichen 9lnlaff ju 
biefent Söudje gegeben, ©eine anfängliche 9lbfidjt mar geroefen, eine furje 
Entgegnung auf einen gegen Sumer gerichteten Angriff ju fdjreiben, ber in 
einer einflußreichen englifchen 3eitfd)rift gemadbt worben mar. 9Ü3 er aber 
an bie 9tu3fübrung biefeS 93orb«ben3 ging, ba würbe ihm bie »olle 
93ebeutung feines Unternehmens flar; er fiiblte, baff er ben Unterfcffieb 
jwifdhen guter unb fdjtedjter Äunft erft feftftetlen, baff er ben ©efchmacf beS 
IßublicumS erft läutern muffte, ehe er hoffen burfte, für Sumer« große 
Schöpfungen SBerftänbniff erweden ju fönnen. ©o würbe au« feiner 9?er* 
theibigungSfcffrift mit ber 3 e Ü ein fedhSbänbigeS 2öerf, in beffen erftem 
33anbe er bie ©runbprincipien alle« ÄiinfllerfdhaffenS niebertegt unb bie 
engßfdje Äunft ber bamaligen 3eit einer eingehenben Äritif unterwirft. 
Sa« Suchen nach SBaljrljeit, bie Siebe jur Statur fteHt er als erfte 
SBebingungen auf. 

„2ßenn irgeub ein moberne« Stunftroerf nachweislich bie Statur unb 
bie ewigen SBahrheiten jur 8afi3 h a t fo fpricfft es nur um fo mehr ju 
feinen ©unften, ift ein um fo filteret 33eweis feiner Straft, wenn es total 
»crfdiieben ift »on 9lHem, wa« »orber gefehen worben," fagt er in feiner 
Einleitung, um jene Stritifer ju entwaffnen, bie Sumers ißerbammungS* 
urtheil ju fpredhen glaubten, inbent fte ben SöeweiS befrachten, baff feine 
SJtal* unb AuffaffungSroeife fi<h »on aller früheren mtterfd&ieb. ©amt fügt 
er bei: 

„Originalität barf aber nie um ihrer felbft willen gefugt werben, 
foU fte nicht jur Verirrung führen; fte muff »ieiineht baS natürlidbe Er* 
gebniff eines eifrigen, unabhängigen StaturflubiumS fein." ©iefe Originalität, 
bie auf beut eifrigften, liebenoUften Staturftubium fußt, fanb er bei Sumer, 
ben er für ben größten SanbfdhaftSmater erflärte, welchen bie Sßelt bis $u 
jener 3eit fferoorgebradbt, eine 9lnfi<ht, bie heute »on »ielen @a<h»erftänbigen 
getheilt wirb; unb an SumerS SBerfen, für ben er fein Seben lang eine 
hingebenbe SOerehrung an ben Sag legte, erläuterte er »omehmlidh feine 
Äunftgefeffe, bie er felbft in erfter Sitrie ber Statur abgelaufdht. 9lber fcffon 
in biefent erften 33udje weift er beutlidj barauf hiu, baff berjenige in feinen 
2lugen noch fein Zünftler in beS SBorteS »oller Sebeutung ift, ber bie 
tttalerifdbe Sedjnif bel)crrfd;t. 

„äßenn Einer gelernt hot," fdjreibt er, „waS man im Allgemeinen 
unter ber ganjen ßunft ber SJtalerei »erfteht, baS heißt, bie Äunfl, irgenb 
einen natürlichen ©cgenftanb getreulich wieberjugeben, bann hat er erft bie 
Sprache gelernt, in welcher er feine ©ebanfen auSjubrüdfen gebenft. Er 



3ofyn Husfirt. 


99 


^at ebenfo viel baju geti&an, ein grofjer 3Jtaler ju werben, wie betjenige, 
ber gelernt bat, fi<h gramtnatifalifd) unb melobifcb auSjubrücfen, baju 
getban bat, ein grofjer Siebter ju werben." 

Unb wäbrenb feiner ganzen ferneren funftfritifdfjen Saufbabn vertritt 
er btefe feine 2tnf<hauung, bafj grofje ßunft jwar unbebingt auf Statur* 
wabrbeit beruhen, ft<b aber ju gebanfentiefer, erhabener Sdiönfjeit erbeben 
mufj, bafj nur berjenige ein ed^tcr ftünftler genannt ju werben oerbient, 
ber mit bem 2luge unb ber £anb beS 3J?aterS bie Sidjterfeete vereinigt, 
ober, wie er fetbft eS auSbrüdt: „Ser 9Bertf; eines StunftwerfeS bängt von 
ber ©röjje ber Seele ab, bie barauS fpridjt." 

Sfn ben Stnnalen ber ßitteraturgefchidjte bürften fid) nur wenig 33ei= 
fpiele bafür finben, baff baS ©rfttingSwerf eines jungen SdjriftfteßerS über 
einen berartigen ©egenflatib fofort einen mächtigen GinbrucE beroorbritigt, 
ber bauemb wirft, wie bi« ber galt war. Modern Painters würbe feftr 
halb nach feinem Grfcbeinen in allen inteßectueßen Greifen gelefen, überaß 
befprodben, unb man war nicht weniger überrafeijt von bem, was hier 
gejagt, als von ber 3lrt, wie es gefagt. würbe. StuSfin ift ber größte 
Steifter ber engtifeben ißrofa geworben, unb bie burdifiditige Klarheit, bie 
ftraft unb ber Schwung, fowie ber SBobßaut unb bie SBärme, bie feine 
fpäteren reifften SBerfe ju voßenbeten SJtuftem beS Stils machen, jeicfjneten 
auch fdjon bie Sdjreibroetfe beS erften VanbeS von Modern Painters aus; 
unb ber fform entfprecbenb war ber Sftbalt. 2Ber it»n las, bem würbe 
Kar, bafj bi« Güter fpra<b, ber bie Autorität beS ©enieS befafj, baS fein 
Urtijeit fiUjn bem ber ganjen SBelt entgegenfteßt, weil ibtn nidf)t nur bie 
tiefere Ginftdit gegeben ifi, fonbern audb jene unenblicbe gäbigfeit jur Gon* 
centration unb jur Veobadjtung, ber eS aßein gelingen fann, baS Steue 
$u finben unb barjulegen. Safj er auch non aßem Slnfang an ben voßen 
SWutb feiner Ueberjeugung befaft, bewies bie fdjonungStofe Är'itif, bie er an 
anerfaunten früb«en SJteiftern aßer Stuten übte, beren Ginflufj nadj feiner 
SJteinung verberbli<b gewirft batte. So erffärte er fübn, bafj bie befien 
unter ben englifchen SanbfchaftSmalem feiner Seit ber Statur näher fämen, 
als irgenb ein berühmter SReifler älterer Seit, unb bradjte fpreebenbe ^Belege 
für feine ^Behauptung bei, inbem er baS Sitte mit bem Steuen unb VeibeS 
mit ber Statur verglich- 

©r batte ftcb an Sode gebilbet unb batte von ihm, ben auch Scbopen* 
bauer als feinen Sebrmeifter befannte, bie Verachtung ber Schulweisheit, 
bie Jtlarbeit beS ©ebanfenS unb ber SluSbrudStoeife gelernt. Stets fudjte 
er nach SBabrbeit, unb was er als wahr erfannt, baS fprach « furchtlos 
aus. Safj StuSfinS Sßabrbeit bamals weit baoon entfernt war, voßgiltige 
2Baftrb«t ju fein, bafj fein ©eftcfitSfreiS ju eng, feine Grfabrung lüefenbaft 
waren, unb er bie Singe noch i« fet»r von bem befdjränften Stanbpunft 
fchottifchen SßteSbtjterianertbumS aus fab, in bem ihn feine fromme 

SJtutter ftreng exogen, bat er fetbft in fpäteren fahren fo beutlich 



*00 


21. tüilmersboerffer in Sottbon. 


empfunben, baf er jahrelang feine ©inmiHigung ju einer WeuauSgabe feiner 
erftcn Südjer »erweigerte, obgleich bie Verleger ihn baju brängten, weil 
baS publicum unabtäfiig banach »erlangte. ®ajj aber bie Schwachen 
biefer erften 33iicfjer reichlich aufgetoogen werben burch baS, was fie an 
origineller iöenfweife unb rationeller UrtheitSfraft $u bieten hoben, bafür 
fpricft eben am beutlidiften bie gute SBirfung, bie non ihnen ausgegangen. 
Sebauerlich ifl nur, bah man felbft in ©nglanb »on Seuten, beten Söorte 
ein gewiffeS ©ewidjt haben, oftmals StuSfinS »orfhneHe ^wgenburtbeile als 
feine enbgiltigen an führen unb lächerlich mailen hört, woburh fie bem 
Sßiffenben allerbingS nur ben Seroeis geben, bafj fie ftd} nicht bie 3Wühe 
genommen hoben, biejenigen feiner SBerfe ju lefen, in benen er feinen 
merthooHflen Seitrag jut ßunftfritif geliefert. 

©eine „Lectures on Architecture and Painting“, feine „Lectures 
on Art“, bie Sammlungen »on Sorträgen über ©culptur, bie er „Aratra 
Pentelici“ unb jene über ^joljfchnitt unb Äupferftid), bie er „Ariadne 
Florentina“ genannt, forme biejenigen über ftunfthanbwerf unb ardjitectos 
nifdje Dmamentif, benen er ben -Warnen „The Two Paths“ beigelegt, 
entflammen ber 3eit, ba er ftd) auf ber $öbe feiner geifligen Äraft befanb, 
unb in biefen Süchern, in benen glänjenbe Originalität fi<h auf umfaffenbfteS 
Sßiffen ftüfct, merben Äunftliebhaber, Äunfthanbwerfer unb Jtünftter bie 
reichfte Anregung finben. 

SfabererfeitS ift freilich nicht ju leugnen, bah burch baS Anlegen beS 
ethifc^cn 3Wahftabe3 fein Urtljeil fi<h niemals ju reiner Dbjectiuität erhoben 
hat; er lieh ben Jtunfterjeugniffen jener Nationen, in bereu @<haffen8geift 
er eingebrungen, jwar »olle ©eredjtigfeit roiberfahren, wo ihm aber baS 
richtige Serftänbnih für ben SolfScharafter fehlte, ba »erflanb er auch nicht 
genügenb ju würbigen. ©o fam es, bah et bie Sebeutung hoHänbifcher 
ftunft fein Sehen lang unterfdjäfct hat. 

Sßie »ollftänbig er jebocf) auch auf etljifdient ©ebiete feinen anfäng* 
liehen, befchränft religiöfen ©tanbpunft gegen einen freien, rein menf<hli<hen 
»ertaufcht hotte, beweifl fchlagenb fein Such „Queen of the Air“, in 
beffen Einleitung er fagt: „GS ift bie Aufgabe beS Geologen, bie Qrr* 
thümer beS SKtertljumS ju »erbammen, unb btejenige beS ißhifokflen, ©r* 
flaruitgcn bafür abjugehen: 3<h möchte ©ie nur bitten, fich mit ©ebulb 
unb ©tjmpathie in bie ©ebanfenwett »on 9Wenf<hen ju »erfenfen, bie ohne 
£abel in einem ®unfel lebten, baS fte nicht burdjbringen fonnten, unb 
möchte Sie baran erinnern, bah, wie geofj auch immer bie Shorheit fein 
möge, bie in ben SBorten liegt: ,eS giebt feinen ©ott‘, jene holdere unb 
tiefer liegenbe ^©Ejor^cit hoch noch un»erjeihlid)er ift, bie un« fagen macht: 
,eS giebt feinen ©ott als für mid)‘. ®aS Such ift eine Sammlung »on 
Sorträgen, wie bie weiften feiner fpäteren Sßerfe; er befpridit barm bie 
Sebeutung ber Slthene unb ber gried)if<hen -Dtpthen »on Suft unb SBolfen 
unb erläutert feine Slnfdjauung, bah ber gtiedjifchen ^Religion nicht 3ln* 



3ofitt HusFin. 


10 \ 

behmg bet ©ftinfteit, fonbern Anbetung ber aüeiäfjeit uitb ber Straft ju 
©runbe lag, baß wäfjrenb ftrer wahren Vlüftejeit niftt Venus, fonbern 
Athene urtb Apollo bie fiauptgötter ber ©rieften waren. ©eine gbee 
»on ber Vebeutung ber SRpften bat et in fotgenben inbaltsfftweren SBorten 
auSgebrüdt: „25er ©rab ber Anteiligen j eines 9Renfften bebingt bie Snefe 
ber Vebeutung feiner gäbet, nnb bie 2Rpfte einer einfältigen unb uti» 
roiffenben SRaffe fann naturgemäß nur wenig Inhalt haben. Deshalb ift 
bie große grage beim Sefen einer mpftifften Grjäblung ftets, niftt weiftet 
wilbe SSaibmann fie juerft geträumt, ober weifte finbiffte jtnffe fie juerft 
gefürfttet, fonbem weiftet Söeife fie juerft oottfomtnen ju erjäblen, welfteS 
flarfc Voll juerft ooHfommen banaft ju leben gewußt. Unb bie wahre 
Vebeutung einer 9 Rpfte ift biejenige, weifte ftr bie Nation, bie baran 
glaubt, in ftrer beften Vlüftejeit beilegt. ge weiter wir jurüdgehen, befto 
weniger Vebeutung werben wir ftnben, bis wir ju bent erften ©ebanfen» 
förnften fommen, baS allerbingS ffton ben Steim ber Ueberlieferung in 
ftrer »ollenbetften gorm enthält; aber nur fo wie ber ©amen bie Vlüfte 
einfftließt. 2Bäßrenb gntettigenj unb Seibenfftaft fift bei einer Staffe ent» 
widetn, umftammem fie bie geliebte, heilige Segenbe unb fiftren ftr fiets 
neue SRabrung $u, bis biefe allmähtift ^errlift fift entfaltet unter bem 
£auft ber reineren ©efiftle, ber reiferen ißhantafie." 

©eine hierauf folgenben Auslegungen grieftiffter 2Rpften ftnb »on 
wunberbaret ©ftönheit unb STiefe unb jeigen, wie SRuSfin es einjig oerftanb, 
baS etßiffte Vewußtfein ber ©egenwart mit ben ebelften größten ber 
Vergangenheit ju fpeifen. 2Ber baS Vuft lieft, ber wirb begreifen fönnen, 
baß er auft auf biefem gelbe in feinem Vaterlanbe ©ftule gemaftt unb 
bort ein beffereS, rein menfftlifteS Verftänbniß für bie ^Religionen ber 
Vergangenheit gejeitigt hat, als irgenb weifte wiffenfftaftlift trodene Aus» 
leguugen uermoftt hätten. 

3ur 3®it, ba er Jene Vorträge hielt, begnügte er fift längft niftt mehr 
bamit, bie Stunft in neue Vahnen ju weifen, fonbern er mühte fift ffton 
galjre lang, feinen forialen Sehren Anerfemtung ju oerfftaffen; unb biefeS 
3Rühen fftaffte ihm fo fftwereS Seiben, baß man ihn ju genen jählen muß, 
bie jur greube geboren waren unb bennoft ben Steift ber Vitterfeit bis 
jur SReige geleert haben, weil fie fift niftt entfftließen fonnten, ihr eigenes 
Seben ju leben, fonbern bie ©afte bet 2Renfftheit ju ber ihren maftten. 

An bem Gapitel „Von ber SRifttigfeit unb bem Seiben beS SebenS" 
glaubt unfer großer ©ftopenhauer ben fftlagenben Veweis für feine An» 
fftauung ju liefern, baß baS Seben niftt beS SebenS werft ift. ®er @e= 
baute, baß all’ bem Seiben, baS er graufam fftilbert, niftt abjutjelfen, 
oerfftafft ftm eine gewiffe traurige ©enugftuung, unb ba er, ber Unoer» 
beiratbete, bem ©ftidfat leinertei ©eißetn gegeben, ift er, in ben gfolir» 
mantel feines $effimiSmuS eingehüllt, niftt fo übel im ©tanbe, biefe 
fammetooHe SBelt philofophifft ju genießen. fRuSlin, bem großen Dptimiften, 



*02 


21. tDilmersboerffer ln £onbon. 


erging es gerabe umgefehrt. erfdjien baS Sehen burdjauS nidjt nichtig, 
er fanb eS fd&öit, bebeutungSool! unb beshatb lebenSroertl). 2Boht fab auch 
er ben Stampf unb baS Seiben, aber erfterer fdjien ihm, wenn er ber 
Ueberroinbung ber Katurfräfte ober ber geregten Sache galt, baS befte 
■Kittel jur @täf)lung ber Straft, unb lefctereS, wenn es unoermeibtich war 
unb ftanbljaft ertragen nmrbe, bie SBorfdjule ju ßetbenmuth unb Seelen; 
gröfje. ©er ungerechte Stampf, bie Unterbriicfung ber Sdjroadjen burd) 
bie «Starten unb bas 3luferlegen überflüffiger Seiben mären ihnt bagegen 
nicht unabänberlidje 93eroeife »on ber unoerbefferlichen Schteehtigfeit menf<h= 
ltdjer Katur, er fah barin oielmehr bie 3ei<h«t momentaner SBerirrung, 
ben Kangel eines führenben ©eiftes. ©iefe SfofdjauungSroeife raubte ihm, 
bem im reidften Kafe bie Straft oerlieben mar, fidh an jeber reinen greube 
mitjufreuen unb jebeS ed)te Seib mit ju empfinben, nach «ab nach alle 
persönliche 9tut)e, allen ©eelenftieben. ©aS ©efüljl ber 9?erantroortli<hfeit, 
bie reife grudjt unfereS moralifd)en 33erouhtfeinS, mar bei ihm jur haften 
©ntroidelung gelangt ju einer 3eit, ba man in feinem Sßaterlanbe ben 
Selbftjroed jur ©ugenb unb baS Laissez faire jum StegierungSprinctp 
erhoben hatte. 2luS biefem Swiefpalt erwuchs ihm ber tragifche (SonfUct. 

©r mar genufjfä^ig, mie nur fotdhe Kenfchen fmb, bereu fein aus= 
gebilbete Sinne unb hwuorragenbe SterftanbeSfräfte ihnen baS unenbliche 
9te«h alles ©mpfinbenS unb SßiffenS erfdjloffen; beSbalb tonnte er, trofcbem 
feine fdjottifdje f^amiliengefchi^te Spuren biftorifchen IßuritanertbumS auf» 
juroeifeu hat unb feine eigene Kutter eine Puritanerin oom reinften 
SBajfer mar, fi<h mit ben fahren, atlerbingS nicht ohne beifje Seelenfämpfe, 
oon ben lebten Sdjlacfen jener biifieren 2Beltanf<hauung befreien, ber bie 
greube fünbbaft erfdjeint. ®ie Ueberjeugung mar mehr unb mehr in ihm 
gereift, bah bie Stunft ber SlSfefe gegenüber ftebe, bah f<e ber fpontane 
SluSbrucf ber $reube, befonberS ber greube an ber Arbeit, fomit baS ©r= 
jcugnifj beS beften menfdilichen ©lüdeS fei. So tonnte er fagen: „2Benig 
©inge aujjer ber Stunft finb moralifch, benn roenn Sehen ohne 2lrbeit Sd&ulb 
ift, fo ift Slrbeit ohne Stunft ^Brutalität." ©ie Arbeit galt ihm als bie 
grojje ©rjiebrrin beS KenfchengefcbledjteS, in ber gfreube an ber Strbeit fah 
er ben Urfprung aller höheren nationalen Stunft, , in biefer bie Stufenleiter 
jur SBolfSoerebelung. $n bem Umftanbe, bah bie Arbeit in unferein 
Kafdjinenjeitalter entroürbigt, bah unter ber £errfdjaft beS KaterialiSmuS 
unb bem Qoche ber Kaffenprobuction bem gröjjten ©heile ber arbeitenben 
Kenfchheit ber reine greubenqueH felbftftänbigen SdjaffenS oerfdjfoffen 
morben, glaubte er ben Seroeis ju finben, bah bie oielgerüljtnte roirtbfchaft« 
liehe ©ntroidelung beS neunjebnten Qahrhunberts feinen ^ortfehritt, fonbern 
ben SerfaH anfünbigte. ©enn, mie ihm bie getreue SBiebergabe eines 
eblen Kenfdjen als höchfte Stunftteiftung erfchien, fo fah er in ber Serooflh 
fommnung, ber förperlidjen, geiftigen unb gentütblidjen Kräftigung foroohl 
beS ©injelnen mie ber ©efammtheit 3 ll, ed unb 3iel aller ©ioilifation ; 



3ofjn Husfirt. 


*03 


unb er folgte bet (Stimme feines mctfjnenbeit ©ewiffenS, baS ihm bie 
ferner nerantwortlidbe gübrerroHe aufbrängte, ihn wegtrieb non feinen 
frieblidben, beglüefenben Vefdbäftigungen mit 9iatur nnb ftunft unb ihn 
jroang, feine wamenbe fpropbetenftintme auf bem 2)tarftplafe beS SebenS 
ju ergeben, wo $eber baftenb feinen momentanen Vortfeeil fud)te, unb mo 
man ben fonberbaren Schwärmer, bem man willig jugefjört, als er fo 
fefibfefe non ftunft ju erjagen gemußt, i)öE)nenb ju nerfteben gab, bafe er 
jefet [ich hoffnungslos uerirrt. ©t aber liefe fiel) nidjt mefer non bem ein- 

gefdblagenen SBege weifen. Sein optimiftifdjer ©taube an baS ©ute im 

SRenfdben mar fo grofe roie feine Siebe, unb offne Bögetn fefete er 2lIleS 
baran, was fein mar, um biefeS ©ute 31 t werfen, ©r fab bie Verirrungen 
feiner mit immer fürchterlicherer Klarheit, unb manche «p^afen ber 
Vergangenheit, bie er aus ben Ueberreften ber ßunft unb ben SBerfen ber 
SBeifen fannte, erfefeienen ihm im Vergleich 3 ur ©egenwart fo fdbön, bafe 

er fte jurürfjurufen ftrebte. So warf er fidb fcfeliefetidb, eine tragifdfe 

£eroengeflalt, bem Strom ber Beit entgegen, unb wenn er aitrfj rtidfet ner- 
modfet feat, biefen Strom jurürfjutreiben, fo Eicit er ifen bodb mit $ilfe 
ber brängenben Votfe gejwungen, fein Vett 31 t erweitern. 

StuSftn unb ©arlple, bie in iEjren reifen Bahren eine bcrglirf^c ^reunb= 
fdfeaft nerbanb, haben fidb ein unuergänglicbeS Verbienft um ihr Vaterlanb 
allein fdbon babureb erworben, bafe fie bie beittofe Verwirrung listeten, 
bie bie Safeungen ber fogenannten flaffifdjen Vationatöfonomen in ben 
Stäpfen ber ©nglänber angerirfjtet. 93ian mufe fidb surürfoerfefeen in jene 
3eit, ba fte, bie fßraftifer unter ben Nationen, unb beS abftracten ©entenS 
ungewohnt, bie &ppotbefen eines Vicarbo birect in baS wirtbfdbaftlidbe 
Sehen ju übertragen gefudht, will man fidb einen Vegriff banon madhen, 
wie bringenbfie ber Viänner nom Sdbtage GarltjleS unb VuSfinS beburften, 
bie erlöfenb gewirft, ber ©ine, inbent er ben ©eift befreite, ber 2 lnbere, 
inbem er baS ©emüth befrudbtete. 

©ie SBaaren würben nur mehr nom Stanbpunft beS ©aufcbroertbeS 
hetradfetet, unb buy in the cheapest market, seil in the dearest war 
baS oherfte Vloralgefefe beS $anbets. ©er Arbeiter galt faum nodb als 
menfdhtidbeS SBefen, fo fefer hatte man fidb baran gewöhnt, ifen als „$janb", 
baS b^ifet, als blofee 2lrbettSfraft unb ©rjeuger beS SReicfetljumS anjufeben ; 
unb ber 9 teid)tbum felbft befianb für jene btinben Jiarfbeter mifenerftanbener 
©laubenSfafeungen in bem 2lnfeäufen non ©ütent. ©a war es benn freilich 
an ber 3«*/ baran ju erinnern, bafe bie SBaaren einen ©ebraudbSwerth unb 
ber Arbeiter eine Seele haben, bafe ber 3 leicf)tl)um non nationaler Ve= 
beutung, unb bafe bie 2trt feines Verbrauches beSfealb widbtiger, als feine 
Slnfatnmlung ift. 2111’ baS hat fRuSfin in feinem Vudje Unito This Last 
fo einbringlidb gethan, bafe man fcfetießlidb auf ihn hören mufete, fo feljr 
man fidb aut anfangs bagegen fträubte. ©ie Safeungen ber flafüfteit 
fRationalöfonomen werben hier non ihm mit logifd;er Scf»ärfe unb töbtlidbem 



21. IDiltnersboerffer in Eonbon. 

©arfaSmuS befprochen unb miberlegt; er läutert alle SüBerttjSegriffe, Inbem 
er, mie er in feiner Einleitung fdireibt, eine Definition beS VeichthumS im 
©inne non ißlato unb Xenoplfon, Cicero unb Hora} giebt, unb biefe De* 
finition ift für unfer moberneS Beben ebenfo bebeutungSnoU, wie bie Sßerfe 
jener SBeifen für bie alte SBelt geroefen. Gr »erlangt »on ben Veftfcenben 
©eredjtigfeit in allem Denfen, allem Dfjun; er fpridjt »on einem gelben: 
tbum beS HanbeiS, baS ben gabrifanten unb ben Kaufmann, burd) ben 
2lbel uneigemtüfciger ©efinnuitg, in ber SBerthfdjäfeung ber SBelt ho<h empor* 
beben mürbe; unb er jeigt, rcie fte, beren Veruf e8 ift, für bie Vebürfniffe 
ber 9)tenf<hbeit ju forgen, rceSljalb fte unentbehrlidier fmb als alle 2lnberen, 
ihre mähre Vebeutung erft baburd) erlangen fömtten, baff fte $u fegen* 
fpenbenben 33efef)l§I;abem ber 3trbeit, ju gelbherren beS griebenS mürben. 
Da3 Vudj, in bem StuSfin beut Denfen unb ©mpfinben ber ©egenmart 
unabfehbar meit »orauSgeeitt, gehört ju jenen foftbarften Vefifcthümem ber 
3Jlenfcbbeit, bie fte aHmäljlidj auf ben ©ipfet leiten, ber jefct nur ihren 
auSerlefenften Vertretern in Slugenblicfen ber Grleudjtung fühlbar mirb. 

Gr fcfirieb e§ fern »om SBeltgetriebe, in ber Ginfamfeit beS 3tlpen* 
minterS. Dortbin tjatte er fein tobeStraurigeS &erj geflüchtet, bem bie 
furdjtbare Gnttäufdiung in feinem perfönli<ben Beben, bie ihm gteidjjeitig 
bie grau unb ben greunb geraubt, blutenbe Sßunben geflogen. Diefe 
fcbmerjlicbfte Grfabrung, bie in jeber Heineren Seele bittere grud)t gejeitigt 
hätte, führte ihn ju gröberer ©elbftoergeffenljeit. ©tatt über bie Äränfung 
nadjjugrübeln, bie er felbft erfahren, fudjte er »on nun an mehr benn je, 
Sfnberen ©eredjtigfeit $u »erfdjaffen. Stber, fo groß er mar, er mar ein 
SDtenfdj, unb mer »ermödjte ju fagen, ob bie Heftigfeit, bie raftlofe Un* 
gebulb, bie ihn int fpäteren Verlaufe feiner reformatorifdjen Dhätigfeit 
»erjehrten, bie feine SBirfung abfdjmädjten unb ihm bem temporären SBahn* 
finn in bie 2lrme trieben, nidjt bodj mit bem, maS ihm perfönlich miber* 
fahren, in geroiffer Verbinbung ftehen. 

gn feinem Unto This Last ift jebodj »on altebem no<h feine ©pur 
ju ftnben. Gr felbft hat bas Vudj, baS Denjenigen, bie eS nidjt im 
Original ju lefen »ermögen, in ber f <hönen unb geroiffenhaften Ueberfetmng*) 
»on g. geis jugänglicf) ift, fein befteS genannt, unb es giebt in Gnglanb 
Beute, bie im gnnerften überjeugt finb, bah nur in ber Vibel SBorte 
eroiger SBeiSfjeit unb ©üte ju ftnben finb, äljntidj benen, bie hier geäufcert 
roerbett. VuSfin hatte bie »ier GffapS, bie bas Vu«h in feiner jefcigen 
gorttt auSmadjen, im galjre 1860 an feinen greunb Dljaderap, ben Ver* 
faffer »on Vanity Fair unb bamaligen Herausgeber beS Comhill Magazine, 
gefdjidt, mit ber Vitte, er möchte fie in feiner Seitfdjnft »eröffentlidjen. 


*) „2ßie wir toirtljfdmften unb arbeiten ntiiffen." SBerlag Herfc, ©trafeburg. 3m 
gleiten Skrlag Dom fclben Uebcrfefoer „2ßa8 Wir lieben unb pflegen muffen*, „SBege ptr 
Sanft", „2lpf)ori8men jur fiebenäwciäljeit". 



3ot}tt Rusfi n. 


105 


Siber fcßott bie erflen ©RapS erregten bei ben Sefent einen feieren ©turnt 
ber ©ntrüRung, baß SluSfin, ber bisherige Siebling beS gebilbeten engti= 
feßen ^ubticujnä, eS Rcß gefallen taffen mußte, bie testen ©ffatjS ungebrueft 
prfitf p erhalten. die SBett nannte ißn »on nun an einen ©freier, 
ganattfer unb Keßer; felbft feine ©Item, benen er ein fetten pflichttreuer, 
liebeootter ©obn gewefen, unb bie fein Ulußm begtüctt batte, »erftanben ißn 
nicht meßr unb trauerten um ißn, wie um einen Sertorenen; — fo ftanb 
er in ber Rürmifcßften «periobe feines Sehens ganj allein. 

&eute gehört Unto This Last in ©nglanb p ben getefenften Südjern 
ber ganjen Sitteratur; unb roie fein erfter Sanb Modern Painters baS 
Sreoier ber begabten jungen Zünftler feiner Seit warb, in bem &olmau 
&unt, -äJtittaiS unb 33urne«3oneS ißre erfte Anregung fanbeu; mie fein 
Sapitel On the Nature of Gothic, baS im jweiten 33attbe feiner Stones 
of Yenice enthalten ift, pm deytbueß 3 enet geworben ift, bie in ©ng= 
lanb bie Stttöglicßfeit p einer nationalen Kunß anbahnten, inbem fie ben 
Kunftßanbroerfer heranbilbeten; fo ift Unto This Last baS heilige Such 
derjenigen unter ben ©ebilbeten geworben, bie mit SRuSfin an baS ^errfdher* 
tßurn glauben, non bem er in ©efame unb SilieS, feinem prächtigen @r= 
jießungSbudje für bie männliche unb weiblicße Qugenb ber oberen Klaffen, 
in folgenben SBorten fpricht: ,,©S giebt nur ein £errfcßertßum, ein um 
»ermeiblicßeS unb ewiges, baS ßerrfcßertßum, baS auf bem ftärferen morali« 
feßen Semußtfein, auf bem flareren, gebanfentieferen ©eijteSjuftanb berußt, 
unb baS bie 3Jtacßt »erleißt, p führen unb p heben." ©rpßen ober 
ßerrfeßen, bie beiben SBorte waren ißm gleicßbebeutenb, unb er fagte: „er= 
jießen heißt nießt, bie Seute (eßren, was Re nießt wiffen, es heißt. Re R<ß 
betragen leßren, es ßeißt. Re lehren, ißren Körper unb ißre ©eele p ge« 
brauchen unb p beßerrfdjen". Unb nießt nur bie SJtänner füllten in ber 
non ißm angebeuteten SSBeife herrfeßen, fonbem aueß bie grauen; bie ©rfteren 
bureß tßre SBerfe, bie Seßteren bureß ißr SBirfen. deshalb foHte bie ©r* 
jießung ber ttJtäbcßen ebenfo ernR genommen werben, mie bie ber Knaben, 
unb roie ber 2Jtann nießt nur ©orge um ben eignen £erb tragen, fonbern 
bie ©aeße feines SanbeS, feines SSotfeS p ber feinen maeßen fottte, fo war 
es aueß bie ißfließt ber grau, banaeß p feßen, baß Drbnung unb gute 
©itte im ©taate ßerrfeßten, baß bem Soll bie üJtöglicßfeit p einem reineren, 
feßöneren Seben gegeben würbe. 3lber gerabe, weil er fo bureßbrungen 
baoon war, baß es in biefer ungleichen SBelt ßerrfeßer unb Seßerrfcßte 
geben mußte, war ißm nießts fo feßr »erßaßt, als eitles ©trebertßum, baS 
fein beffereS 3<ß ber „Religion beS SorwärtSlommenS" opfert unb IWecßte 
beanfprueßt, oßne bie bamit »erbunbenen ißRicßten erfüllen p wollen, ©agt 
er boeß p ©ingang feiner Slutobiograpßie, baß er »on jeßer bie größte 
Siebe für bie Könige gehabt unb eine Abneigung gegen Sitte empfunben 
ßabe, bie ißnen ben ©eßorfant p »erweigern fueßten; aber, fäßrt er fort, 
bie geliebten Seßrmeifter feiner Kinbßeit, #omer unb Sßalter ©cott hatten 



f06 21. n?iItn*tsboerffet in £onbon. 

ißm mcrfroürbige ^been über Könige beigebradßt, bie außer SDtobe gefommett 
fhtb. ©ie Ratten ißn geCetjrt, baß bie ßönige unb bie ÄönigSliebßaber 
ftets bie ßärtefte 2 trbeit traten unb beit geringen 2 oßn bafür nabmen, ja, 
baß bie Sefieit unter ifjtten fogar bereit tuaren, umfonft ju ^errfd^en unb 
511 bienen unb eS ißtem ©efolge überließen, 23eute unb Stußen ju tljeifen. 

Sßie er felbft feine SJtifiion geiftigen unb moralifdßen $errfdßertßumS 
auffaßte, geßt aus feinem Dpfermutße, aus ben übermenfdßUcßen 2 ln- 
ftrengungen ßeroor, bie er ntadßte, um feine Seßren über Jtunfi unb Sehen 
51 t »erbreiten. Cßne feine aufreibettben titterarifdjen Arbeiten, feine 
eingeßettben ßunfh unb 9 ?aturftubien aufjugeben, führte er nun nodß 
nebenbei bas Sieben eines 21'attberprebigerS unb »erfäumte feine ©etegenßeit, 
fieß überall bort »erneßmen $u taffen, 100 er nur bie geringfte Hoffnung 
ßegen burfte, baß feine Sßorte frusten fönnten. ©etbft burdß bie Gotre= 
fponbenj fudßte er fieß Gingang in bie £erjen ju »erfdßaffen, unb bie 
Slnjaßt »on Briefen, roelcße er an Seute aus allen ©tänben richtete, bie 
itjn um Statß angingen, ift fo groß, baß man benfen follte, fte allein ßätte 
faft genügt, feine 2lrbeitSjeit ju füllen. Gr erteilte audß »iele 3aßre 
tang in bem »on -Utaurice unb feinen Christian Socialists begrünbeten 
Working Men’s College mit feinem greunbe, bem SWater unb ©ießter 
Stoffetti jufamnten, ben 3 eicf>enunterricf)t, troßbem bie 3 been ber güßrer 
biefer Seroegung meitenroeit »on ben feinen tagen; er tßat eS aber, um 
ber ßanbroerferflaffe perfönlidß naße ju treten, um bem 33oDfe birect feine 
Itunftprincipien ju übermitteln, $ier füßrte er juerft, an ©teile ber 
fdßcmatifirten ißortagen, gleidß ju Seginn beS UnterridßteS baS Stbjeidßnen 
natürlidßer ißflattjenformen ein, eine 9Jtetßobe, bie jeßt in Gngtanb in allen 
SBolfSfdßnten Gingang gefunben ßat unb bem 3lufblüßen beS ÄunfißanbroetfS 
ju ©tttnbe liegt. 

2BaS er für Drforb geroefen, roo man ißn, troß feiner feßerifdßen 
2 lnfidßten auf roirtßfdßaftlidßem ©ebiete — poUtifcß »erßiett er fidß fein 
Sehen tang neutral — im ftaßre 1870 jum ßunftprofeffor ernannt ßatte, 
baS geßt aus ben 23eridßten berer, bie ißn bort gelannt unb geliebt, unb 
aus ben folgen feiner bortigen ©ßätigfcü ßernor. ©ie fonft fo füßlen 
engtifdßen ©tubenten ftrßmten in foldßer ÜDienge ju feinen Sßorträgen, baß 
er biefetben idßließiidß in bem Sheldoniau Theatre, bem größten Staunte, 
ben Dpforb aitfjuroeifen ßat, ßalten mußte, unb bereiteten ißnt, gegen aDe 
©itte, bei feinem Grfcßeinen ftetS einen ftiirmifdßen Gmpfang. ©eine 
3}ortragSroeife war immer iiberjeugenb, toeil, roaS er fpraeß, »ont &erjen 
fatn uitb, »ont fetter feiner eigenen 93egeifterung beraufdßt, mußte er mit 
einer Screbfantfeit ju fpredßen, bie auf junge SOtenfdßenßerjen unmiberfleßlidß 
roirlte. ©eine SJiacßt über jugettblidße ©emütßer roar benn audß eine un» 
begrenjte, unb biefe iDiacßt benußte er baju, bie männlidßen unb roeiblidßen 
©tubenten Cjforbs für feine fociaten Qbeale ju gewinnen; benn er 
befeßränfte ließ audß ßier nidßt auf baS Äunftfadß. ©iefeS teßrte er jeboeß 



3ofyit Husftrt. 


\07 


anfangs auf« ©eroiffenhaftefte, rote es feine Stellung oorfdjrieb, fobaß 
feine elften, fpäter unter bem SHtet Lectures on Art in Sudjform 
herauägegebenen Dpfotber SBorträge als feine beften funftfritifchen Arbeiten 
ju bejeidjnen ftnb. ®aS @nbe feiner ^rofefforen=Saufbaf)n fällt bagegen 
mit ber Seit jufammen, ba fein ©eift einer temporären Trübung unterlag, 
unb feine lebten SBorträge trugen unoerfennbare Spuren ber SBerroirrung 
an fid). $)ie Art aber, roie er juerft feine Sehren oon Runft unb Seben 
ju oerbinben mußte, gab ihm eine Stellung unter ber flubirenben Qugenb, 
roie fte oieHeidjt nodj nie ein Sekret befeffen. @r oerfucfite fnw nicht 
mehr unb nidßt weniger als baS &errf<hertf)um, baS er ben ©ebilbeten 
jufpradj, baS er oon ihnen oerlangte, ^eranjubilben, unb biefer SBerfudj ift 
ihm bis ju einem geroiffen ©rabe gelungen. Stmolb £otjnbee, ber geiftige 
Urheber ber im Dften oon Sonbon befinblidjen SBotfSunioerfität Toynbee 
HaU, mar bort fein Schüler, unb bie ganje mächtige ^Bewegung, bie bie 
gebildete engtifc^c Qugenb antrieb, im Dften oon Sonbon, roo fiel) oorher 
eines ber trofilofeften unb fürd^terlidßften Armenoiertel ber 2Belt befanb, 
ben arbeitenben Rlaffen bie Duellen ber Sitbung $u erfcbließen unb ben 
Sinnen SBeratßer unb Reifer ju werben, ift in erfter Sinie auf SRuSfinS 
$hätigfeit in Dpforb prüefpfübren. 

2Bie blinb ergeben ißm bie jungen Seute bort waren, erhellt aus bem 
Umftanb, baß er bie oerwöhnten Stubenten, bie nichts fürchten als bie 
Säcberlidhfeit, oermochte, unter feiner Seitung bie nothwenbig geworbene 
AuSbefferung einer Sanbftraße, bie jum Schaben ber Sßferbe unb 9Jlenfd>en 
oon ber ©emeinbe ßinauSgefchoben worben war, oorjunehmen. SBie mit 
allen anberen ®ingen, bie er unternahm, war es ihm auch mit feiner 
©traßen* AuSbefferung ooWomnten entfl; er lernte baju er ft tüchtig Steine 
Hopfen unb lehrte es bann bie Stubenten. liefern ganzen, anfeheinenb 
grillenhaften (Sinfatl, ber fo häufig mitleibig belächelt wirb, lag eine 
butchauS gefunbe Qbee ju ©runbe; SiuSfin wollte bie englifcfje Suaenb 
praftifch lehren, roaS er geprebigt hatte; baß ein Slieil ber jugenbli^en 
Rraft, bie jefet in Sports oergeubet wirb, fegenSreid) ju nufcbringenber 
Arbeit oerroenbet werben fönnte. 

Um ben Raufleuten p beroeifen, baß man ohne SWeclame unb bei 
abfolut reblidjem ©efchäftSoerfaßren bemtod) gute SEBaare mit Utufcen oer* 
laufen fönnte, machte er fogar in Sonbon einen £lj unb Raffeelaben 
auf, ber auch wirtlich rentirte; unb mit JQitfe oon 2Jtiß Dctaoia $iU 
fudjte er ben ^auSbeiißem ber Armenoiertel ein SBorbilb p fein, inbem er 
feinen an Unbemittelte oermietheten ©runbbeftfc nach tieften Rräften oer= 
befferte unb feinen SJlietbem bie Bafjlung beS ^auSjinfeS erleichterte. 

So wenig -Jlachahmer er h iw int Allgemeinen fanb, fo gering war 
oerbältnißmäßig auch ber ©rfotg, ben er mit feiner St. George’s Com- 
pany hatte. Qn feinem ßhönen Suche Time and Tide, baS aus feiner 
ßorrefponbenj mit einem intelligenten ^anb werter hetoorgegangen ift, legte 



J 08 il. tDilmersboerffer in £onbon* 

er feine ©ebanfen über Arbeit unb Verfeljr, ©rjiehung unb 9langunterf<hiebe, 
Vergnügungen unb VolfSfefte, furj, über StaatSweiSljeit im platoitifcben 
«Sinne nieber, unb biefe ©ebanfen, beren Vertoirftidfmng er »on ber Be* 
grünbung ber fogenannten St. ©eorgeS ßompant) erhoffte, »erfucfete er bann 
in ben Fürs Clavigera Briefen, welche nominell an bie 2lrbeiterfdjaft 
©nglanbS gerietet waren, weiter auSjuführen. 

©3 tfi nicht möglich, hier auf bie 3u>ecfe unb 3iele ber St. Georges 
Company näher einjugetien, bie in ihren Umriffen ben Utopien anberer 
Sd^wänner non Spiato bis auf nnfere £age gleichen. 9iur für} erwähnt 
fott werben, bafe 9htSfin burch bie 3JUtgtieber biefer Company feine 
Religion ber 2lrbeit, bie er fein Sehen lang geprebigt, }um tbatfräftigen 
Brincip erhoben fetjen wollte. @r forberte beShatb 2ttte, bie norgaben, 
feinen Sehren ©tauben }u fdbenfen, auf, bie überfüllten Stäbte ju neriaffen, 
wo ber Vaudh ber gabrifen ben Fimmel trübt unb bie menfcblidhen Be* 
haufungen fchwärjt, unb braufeen auf bem Sanbe, im 2tnbticf ber SRatur, 
bie Seele rein ju haben, burdh ber $änbe 3trbeit Äörper unb ©eift 
ju flöhten. 

3n biefen ©otonieen feiner jünger foltte bie 2tntnenbung ber Dampf* 
fraft, beren unheitfcfewere folgen SlrbeitStheitung unb Degeneration 
gewefen, auf baS geringste 3Jtafe rebucirt werben, unb bie jietberoufete 
Schaffenskraft, bie ihre SStrbeit froh beginnt unb gut ju ©nbe führt, foltte 
jur Söiebergeburt ber fünfte, ber Verjüngung ber 9Jfenfcf)t)eit führen. 

Die St. George’s Company, fpäter St. George’s Guild genannt, ift 
wirftidh gegrünbet worben unb befleht noch t>eute fort. 2tu3 fremben 
•Kitteln finb ungefähr 700 Vfunb Sterling ju ben gonbs berfetben bepljtt 
worben; IRuSfin fetbft hat aus eigenen Kitteln in ber SRäfee »on Sheffietb 
baS fogenannte Guild Museum errichtet, baS er mit Schäften alter Slrt 
auSgeftattet, unb hat überhaupt mit »ollen ßänben ©etb unb 2trbeitS fraft 
bafür gegeben. Dafe bie Kitgliebfdhaft troftbem eine geringe, unb ber 
©rfolg fein nennenSwerther war, hat ihn aufs S<hmerjti<hfte enttäufdht. 
2lu3 feinen Fors Clavigera’ Briefen fpredhen immer beutticher fein 3°m 
unb feine Drauer über biefen Kifeerfotg, bis fchtiefetidh bie hoffnungStofe 
Schwermuth eines ©eifteSfranfen barin jurn 3luSbrudf fommt, ber ©tüdE= 
fetigfeit genug für eine SBelt gefät ju haben glaubte unb bie tobbringenbe 
Saat ber Verjweiflung für ftdfe emporwachfen lieht. 

Die Fors Clavigera Briefe liegen heute gefammelt in acht Bänben 
oor unb gehören }U bem ©rofeartigften, bem ©rgreifenbften, was bie eng* 
lifche Brofa*Sitteratur bejiftt. ÜJiit gewaltigen ©eifleSbtifeen werben ^ier 
alle Verhättniffe unb Dinge beleuchtet. Stile Schleier unb KaSfeit burdh* 
bringenb tieft ber trauembe Seher hi« iu ber Seele feines VoIfeS; er flnbet 
Bilber unb ©teicfjniffe, bie feinen Korten überwältigenbe Äraft »erleihen 
unb alte ©renjen beS Begrifflidjen erweitern. Die $erj* unb ©ebanfen* 
lofigfeit, baS teere Scheinleben ber oberen klaffen, baS erbrüdfenbe ©lenb 



3ofyn Husfiit. 


109 


uitb bie SSerfommenbeit ber unteren flögen ihm ©rauen ein, aber trofcbem 
glaubt unb f»offt er bis sutefct — bis SBabnfinn ihm bie Sltrfe trübt. — 
Später, als er roteber genefen, befcftenfte er bie SBelt mit noch einem 
2 Berf, »on bem bet britte ®anb, 3 war fdjon läng ft getrieben, aber erfi 
fürjticb veröffentlicht morben ift; eS Reifet Präterita unb ift bie ©efdjicbte 
feines SebenS. ©r ^at mit biefein Suche feinen Sefern eine lefete Ueber= 
rafdjung bereitet; bet leiste ©rjabterton, in bem es getrieben, ift »on 
unnachahmlicher ©rajie, unb bie 2 lrt, wie ber gewaltige, fchwergebeugte 
SBettuerbejferer tjier mit beiter (ärfjelnbem $umor, mit feiner Selbftironie 
»on ben ©rlebniffen feiner Jtinbfjeit, ben ©efüfüen unb ©rfabrungen feiner 
Sugenb erjäblt, wirft ergreifenb unb bringt itjrt Sitten, bie ihn vorher nur 
aus feinen SBerfen fannten, menftfilicf) nabe; er erfdjliefjt hier feine berj= 
genrinnenbe ißerföntichfeit. 3Jtan fiebt ibn, wie er, baS einzige Kinb einer 
altemben ttJtutter, bie in ihrer fßuritanerweife ihre fieifje Siebe unter gered)t= 
famer Strenge nerbirgt, berjenSeinfam feine Kinbbeit »erträumt; wie ec 
ohne Spieljeug, ohne ättterSgenoffen feine 5Eage am fünfter beS büfteren 
Sonboner Kaufes »erbringt, wo er SltteS fiebt, Stiles beobachtet, weil fein 
©eift früh rege ift unb überall Stabrung furfjt. 2J?an glaubt ihm, wenn 
er, feinem banfbaren £erjen folgenb, anbeutet, baff er bie SluSbilbung 
feines »ielgerübmten Stiles unb feine eminente gäbigfeit ju flauen ben 
SJtafjregeln feiner ftrengen SJtuttec »erbanft, bie ibn, fobalb er richtig lefen 
fonnte, allmählich bie gan je Sibel auSwenbig lernen liefj unb ibn jwang, 
fttb feine 33efcf)äftigungen felbft ju fuchen. @r nimmt ben Sefer mit, wenn 
er als Knabe mit feinen ©Item SBagenreifen buch ganj ©nglanb macht, 
unb lebrt ibn feinen SSater fennen, auf beffen ©rabftein er als böcbfteS 
Sob bie 2Borte fcbrieb: „ 6 r war ein burcbauS rebtüher Kaufmann." ®ie. 
ttBagenreifen waren eigentlich ©efcbäftäreifen biefeS SSaterS, auf welchen 
er für feinen Sberr^Sßein, ben reinften unb beften, ber im vereinigten 
Königreich ju hoben war, in ben fßroDinjftäbten unb auf ben ©chlöffem 
ber ©rofjen beS SanbeS Kunben anwarb; aber fie werben gleichseitig für 
ben funftoerfiänbigen unb feinfinnigen SJtann ju wittfommenen ©elegenbeiten, 
baS Serftänbnifc beS SoIjneS für alles Schöne ju werfen, unb StuSfin 
jeigt, wie biefer Sobn erft im SSaterlanbe unb bann in ber Schwei} unb 
in Italien, wo er fpäter oft »iele SJtonate »erbringt, alles Schöne mit 
burftigen Sinnen unb erfenntlicher Seele aufnimmt. 

©ann erjäblt er launig »on ber großen Siebe, bie ibn mit fiebjebn 
fahren für bie fdjöne fünfjebnjäbrige Tochter »on feines SBaterS fransöfU 
fdbem ©brilb«ber erfaßte, bie fi<h einige Sabre barauf mit einem franjöftfchen 
Dfnjier »erbeiratbete, beren luftiges Spötterlächeln aber, mit bem fte all’ 
fein etwas pebantifch emjteS ttttüben um ihre ©unft aufnabm, ihm »orber 
faft baS £er$ gebrochen hätte, ©r berichtet über feine Dyforber Stubenten* 
tage, wo er im SBerfeb* mit Kametaben bie Seibftjufriebenbeit abftreifte, 
bie bewunbembe ©Itemliebe in ihm gezüchtet hotte, unb er fchont weber 



HO 2J. IPtlmersboerffer in tonbon. 

fettic eigenen Schwächen, nod) biejenigeu feiner ©Item; aber non ben 
teueren fpridjt er mit jener MeS »erftehenben Siebe, bie er bei feiner 
SJeurtljeitung Stnberer ftets bewies. 

Qtn weiteren Sertaufe geftattet er bem Sefer nodj mannen tiefen 
Ginblicf in bie GntwicfelungSgefchichte feinet ©eifteS unb ©emütljeS. Gin 
jeber ©ab, ben er fein Seben lang getrieben, bezeugt, baf? SReligiofität 
bie ©runbtage feines ganjen SBefenS mar, unb aus biefer lutobiographie 
gebt bemot, wie er fi<b ftufenweife über ben engen ßitdjenglauben erhoben 
bat, bis bie SReligion ber reinften 3JJenf<henliebe fein $erj erfüllte unb er 
in ber reblichen Ülrbeit, im felbfbergeffenen 3JJenf<f»enbienft ben einjig 
roabren ©otteSbienft erfannte. lebten Sanbe non Präterita fc^reibt er: 
„3<h überzeuge mid) täglich mehr, baf* ©otteS ^rieben in ben pflicht* 
getreuen unb milben ßerjen ber arbeitenben 2lrmen rubt, unb bah bie 
einzige unueränberlidie $orm reiner Religion in nüblidjer Slrbeit, treuer 
Siebe unb unbefdjränfter ©eberfreube behebt." Unb weiterhin fagt er, 
biefe ©eite feinet 2öefenS gewiffermafeen abfddiefienb, ber alte ©taubenS* 
fab ber jübif<ben ^Religion, ber erflärt, bah bie Singe, welche freubig unb 
rechtlich getban, ftets mit ber £ilfe unb im ©elfte ©otteS getban werben, 
habe mehr unb mehr fein &erj beberrfdjt. Qe mehr er fidj ober in feinen 
33ericf;ten feiner SReifeseit nähert, befto weniger fpridjt er non ft<h; b°t er 
bodj fein SefteS aus jener 3eit ber 2Belt fdion längft gegeben. Gr ge* 
benft bagegen aller guten unb gerechten 3Jtenf<hen, benen er auf feinem 
SebenSweg begegnete, unb er nerftebt es, ihnen f)iet ein Senfmal }u 
feben, baS ihnen bie ©tpupatbie ber SRad^wett fidiert. SaS Such Hingt 
aus in banfbarer 3lnerfennung beffen, was er in feinem Seben ©Utes er* 
fahren, unb wie man ihn aus feinen früheren Sfidjem oerebreit unb be* 
wunbern gelernt, fo muff biefeS, fein Sermächtnih, Siebe weefen. 

„Offenbarung ift GntbflHung ber ©eele," fagt Gmerfon; 9tuSfin Etat 
in feinen Sßerfen unb Slja ten feine reine, grofje ©eele enthüllt, bie uoll 
göttlicher SBeiSljeit, ooH göttlicher Siebe mar, unb nicht in bem, was er 
erreicht, fonbern in feinem Seifpiet, in ber Anregung, bie er gegeben, 
liegt feine Sebeutung. ©r b a t es felbft in ben 2Borten auSgefprochen: 
„Mn edjter ©djüler uon mir wirb je ein 9tuSfinianer fein; er wirb nicht 
mir, fonbern ben ^nftincten feiner ©eele unb ber Seitung feines ©djöpferS 
folgen." 

3nt gebruav beS »origen Jahres, als 9tuSfin feinen adjtjigften ©eburtS* 
tag feierte, brachte ihm bie gaitje englifche Nation, brachten ihm feine jabl* 
reichen Serounberer im 3luSlanbe, ju benen and) bie »ermittwete Königin »on 
Italien gehört, ihre $ulbigungen bar; unb es erhob fidj feine ©timme, bie 
nicht feines fRuljmeS, feines SobeS »oH gemefen wäre. SEber beutlidjer als 
alle ©hrenbejeigungen, alle bloßen SobeSworte fpricht bie Shatfache, bah 
in ©nglaitb für feine Sucher jährlich bie ©umme »on 4000 Sßfunb ©ter* 
fing ausgegeben wirb, bah fie auherbem in ben SolfSbibliothefen, an bie 



3ofin HusFtn. 


et fie groftentheil« »erfdfienft hat, fortnmhrenb in bert ^änben bet Sefer 
nnb. ©r hat feine SBüd^er in ben lefeten fünfunbjtoanjig fahren felbft 
»erlegt; $ur 3 e ü, ba er fein ererbte« Vermögen für öffentlüije S^ede f|tn= 
gab, fonnte er aber nodfi nicht ahnen, baft er fidE) in ihnen ein fo grofte« 
einfontmen gefi<ftert hatte, benn fein Seferfrei« hat fidh ftetig erweitert. 
311« er neulidh fiarb, wollte man ihm in ber 2Beftminfter*2lbtei ein nationale« 
Segräbnift geben; er aber hatte gewünfcht, einfant, wie er julefet gelebt, 
in feinem Sonifion ju ruhen, wo ihm bie h^Ü^enbe Siebe theurec 3ln= 
gehöriger ben Seben«abenb fanft »erfdhönt hatte, wo • ber $immel unb bie 
Süfte, »on benen er ju fagen wuftte wie fein Slnberer, über feinen ©rabe«- 
hügel sieben. Qm $£obe warb ihm noch eine lebte ©enugthuung ju S^cil, 
ba« SBahrtucf), ba« feinen ©arg bebecfte, war in ber ^anbweberei ber 
©t. ©eorgeS ©uilb ju fieSwid gewebt worben. 

9Son ben ißraftifem be« Seben« hört man allerorten fagen: 9tu«fin« 
3bee »om Seben war ein SCraurn. $ft benn aber unfet Seben felbft nicht 
audh ei” bräunt, ber un« fdfjön ober wüft, erhaben ober gemein erfdfjeint, 
je nadjbem wir ihn au«julegen vermögen? 2Bann aber wirb bie 9Renf<h« 
heit einen Breiten finben, ber ihr ben SErautn be« Seben« }u beuten weift 
wie ^oftn 3tu«fin? 



36 Ort ©Ab. XCV. 283. 


8 




(ßebidjte. 

Don 

3inHa $C. Raubet. 

Deutfcfy pon €ltfabetfy £anbmamt. 

— Breslau. — 

fern. 

$flr Itlptjönf e X>. 

Pon einem alten großen £}aus idj träume, 

3n beffen tDinfeln tiefes Sdjwetgen wofyit; 
din luftig Dadj befdjirmt bie weiten Bäume, 

Uuf büftern JTtauern bidjter (Epfyen thront. 

’s iß Sommer. 3 n ^ er fenßerläben Spalten 
£iegt mancher t?alm rom Beßbau tßn rerirrt; 

3m weiten ^elbe, 3 wifdjen dannen galten 
Die Bienen (Ernte, unb bie (Eaube girrt. 

3m alten £aubgang fid^ bie Düfte mifdjen 
Bus reifem 0bft unb bidjtem dfyymian; 

IDie Bebel wallt (Erinnerung ba 3 wifdjen 
Unb ßefyt ans jeber (Ecfe traut midj an. 

Ejier fpielt 1 idj auf bem (Srasplatj 3 wifdjen Blühen 
Unb pßücfte bann bes ^liebers Dolbenjicr. 
f}ier meiner 3 n 9 cn & erße dräume glühten, 

Un langen (lagen lernt 1 idj fdjauen fßet. 

0 Sommerabenbe roll 3 arter döne, 

Doll IDaßerraufdjen, füßem Dogellieb, 

3d? fet^e (Euren (Slans unb dure Sdjijne 
3m deidj ßd? fpiegeln 3 wifd?en ljoljem Hieb. 


r 


(Schichte. 


U3 


IHebr als beit Strom, ber auf ben botjen tDogen 
Des £ebens £ärm taut raufdjenb mit ftdj fnbrt, 
£ieb’ tdf bett ftitten (Duefl, von IHoos un^ogen, 
Unb welfes £aub, rom Sonnenjtrabl berührt, 


(Ein Boot umgebenb, beffen Huber ruben. 


Ijerfiftgetianften. 

IPas in uns fdjläft, will Httes einft erwägen 
3n (Lagen Reiter ober fdjwerbebrücft. 

©b es im Schatten fang, ob’s glänjt im Somtenladjen , 
Derfdjeudjte Dägel — Blumen ungepjfiicft. 

Doch ob bie (Lage einer nadf bem anbern 
Hustöfdfen ihren rofgen Dämmerfchein — 

Hidjt Klang nodj Duft nertoren weiter wanbent; 

Der jfomme Itturtb, bte Seele, fd?tte§t jte ein. 

<Sar mancher £ebenstraum !am nicht 3ur Blüthe, 

IDeil 3U ©tel Sonne feinen Keim erfticft; 

JDie oft in einem böfFenben (Semüthe 
fjat ^rofieshaudj bie gotb’ne Saat gefnieft. 

Dann, wenn bie 3 ugenb unb ber £en3 ©ergangen, 

3 n foldjen Seelen Duft unb Klang erfleht. 

§u fpät, 3U fpät für wahres ^rüblingsprangen; 

(Ein flagenb £ieb burdf weife Blätter weht. 



[ 


f 


8 * 


2Jlbert Hofffjacf. 

Proben unb JJnnterfungen. 

Don 

C^ans ICfnbau. 

— donfiantinopel. — 

RSja» mir guuäd)ft in Stoff&adfö (Schichten aufficl unb bcn auffaffcnbcn 'Sinnen 
|§|J| fcbmeicbelte, mar ber liebliche SöohlKang feiner Sßerfe. $a» ftrömt unb rauftet 
bafitn tone bie plätfcbembe SBafferbabn einer Karen ©ebirg&quelle, üflhifif in btc Seele 
fpielenb ohne Unterlaß 

$a» jtttnlicbe behagen ber guten Dteime tohrb bureb bie tounberbare fjiitte gefreigert, 
unb fo leicht gleiten fte über bie Schnelle unfere» S&tom&tfetn», weil ber gartefte StbbtbmuS 
fie btneinträgt in unfer geiftige» ©rieben unb ©rfaffett. 2) er Steint, biefe alte fdjöne ©r* 
finbung fingenber Seelen, toirb hier auf» Xiefftc auSgefoftet. $a» glodfenreine ©tttfareeben 
am ©nbe ber Strobl«, ba» fid) ganj ungefünftelt, melobifcb einfteUt im gluffe ber 
fortgefefcten bidjterifcben Diebe, erfebeint fo fjolb unb gerunbet, fo entröeft aller ©rbenfebroere. 
2Bie ein Muffen, baöon febon bie ebttoürbige S3tbel fbridjt, berührt un» toobl eine gute 
Slnttoort. — $ie guten — aumal bie trielen guten didmt befifcen benfelben 3auber; nur 
ift e» fytx nicht ein berftanbe&mäfetge» ©egrü&en ber ©ongrueng, ba» un» erfreut, fonbem 
eine unterhalb ber Ueberleguitg tourgelnbe ©efriebtgung, toelcbe bureb ben SBecbfel bon 
Spannung unb £öfuitg unterhalten toirb. 


Baüabe Dom Heiter*). 


$ie grübe fdjlägt bie Slugen auf. 
$>er Leiter trabt in mmtterm Stauf. 
3n buntem 3ug begleiten 
3b« taufenb 9Jt5gIid)feiten, 
©efdhmücft mit feibneit 23änbern 
Unb fd)itternben ©etoänbern, 

Unb in ben SJiicnen allen 
$)er SBunfcb ib«t au gefallen. 

So trägt fte SJiorgentoinbe» §aucb, 
SSerbetfeung lachen 3Jhmb unb Slug. 


©r reitet bureb ben grünen fßlan. 

3)ie Sdhönen um ihn fliebn unb nahn. 
SBie biel er auch mag wählen, 

Stur eine fann er toäblen. 

Unb al» er fie gefunben, 

Sinb alle ring» toerfebtounben, 

Sinb alle toeggeblafeit 
Unb leer ber grüne Stafen. 

Unb nur bie eine fdjtoebt b*tp, 

Scbtoingt bor ihn ftcb auf» $ferb im Stu. 


*) Xie ©ebiebte bon Sllbert Dtoffbacf ftnb foeben in einer bon Sfrana &ein febr 
gartfmnig tttuftrirten Slu&gabe erfebienen. 



Ulbert Hofft \ad. 


U5 


Unb txne fte feinen Jpals umfaßt, 

$alt er entgücft bie warme Saft 
Unb ftreicßelt auf unb nieber 
Xurdß’S ftleib bte feinen ©lieber 
Unb trinft Dom rotten ©tunbe 
XeS fiebenS fuße tobe. 

SticßtS SlnbreS Witt er ßaben, 
fiäßt frifd) fein Stövlein traben. 

Xa& trägt fte weit in’« £anb hinein, 
Xen SSeg weift ißm ber ©oratenfeßein. 

Unb DortoärtS geht eS lange grift, 
©iS er bie Slnbera both Dermißt. 

©r ftauitt, baß bie beim Seiten 
3ßn nun nießt mehr begleiten, 

Stießt loefenb um ihn feßweben 
Unb leichte güße heben, 

Xaß nur bte feßöne kleine 
©on allen je# bie ©eine, 

Xie fein Umßerfpahn feßou Derbrießt, 
Xie füffeitb ihm bie klugen feßließt. 

©on oben fteil bie ©oittte fengt, 

©r fbnrt, Was laftenb an ihm hängt. 
3ht ©äuptlein mit ben ftänben 
Söill fanft er Don fuß Wenben, 

Xie ©lieber, bie fieß feßmiegen, 

©ang faeßt bei ©eite biegen, 

Xen Firmen fieß entwinben, 

Xie gar gw feft ißn binben, 

Unb als ein froß befreiter ©tarnt 
©rgreifen, Was er mag unb fann. 


Xa fteß! Sie rafeßer tauben glttg 
Staßt wteber fieß ber bunte 3ng 
Xer taufettb ©töglicßfeiten, 

Xie feßnett Doriibergtciten 
Unb, Witt er eine faffen, 

©icß nießt meßr halten laffen. 

Sin feinen Störper ftreift er, 

3n leere JOüftc greift er. 

gort finb fie! Stur auf feinem ©cßoß 

SBirb uuterbeß bie kleine groß. 

Xer lange Stitt, bie fdjwere i'aft 
©taeßt feßon fein Stößlein ftolpem faft. 
Xa fpriugt fie rafdj Dom ©ferbe, 

Sicht ißn fieß tta<ß gur ©rbe. 

©ie rei(ßeit fteß bie föänbe 
Unb Wanbern burcß’S ©eläitbe. 

Xanit rußt fie miib Dom ©ange 
ÜJtit ißm am SöalbeSßange — 

©iS ißrer SÖangen ©lang Derbleicßt, 
SllS ©cßcmeit blaß fie Don ißm weießt. 

©leicß einer rotßen ©d)eibe feßwaub 
®ie ©onne ßinter’m ©ergeSraitb. 

Stirn ftnfeit näcßt’ge ©cßatten 
Sluf einen ßeben&jatten. 

©iS taufenb moeßt’ er gäßleit, 

Stur einmal tonnt* er wäßlen, 

©inmal gu Stoß fieß ßebett 
Unb aueß nur einmal leben. 

Xie Stacßt Derbunfelt fein ©efidjt; 

Ob er geftorben, weiß icß nießt. 


Sin bie tangenben 3«ngfrauen beS ©otticeHi gemaßnen mieß bie feßwebenben ©täglich* 
fetten in ber Stoffßacffcßen ©attabe. Xie poetifeße ©ifion ift gang wunberfam lieblicß. ©S 
ift ein £ebenSbilb Wie ein fcßicffalfüubenbeS XafeinSwappen. Xer Steiter, baS bift Xu! 
Sfocß Xu mußt wählen, unb aueß Xu glaubft, baß bie Xinge hätten attberS fommen 
fömten, als fte gefommen ftnb — Stun ßaft Xu geßaitbelt, nun ßaft Xu Xicß entfcßloffen. 
Xeine Xßat ift unfrei geworbenes ©efeßeßen, unb Xu reiteft weiter, reiteft auf einem 
ctngtgen ©fabe. — fteitte ©total mag Xir bie Slttegorie auf’S £>erg brüden. ©ie ift 
feießt ttnb luftig, ein ©ebanfettbing, baS Xicß umgaufeltt barf unb erfreuen, Wenn Xu 
mit reinem ©emütße greube trinfen fannft. — ©ehr ßarmloS ift biefer ©eratß im Slit* 
blitf gartgeftalteter ©ebilbe. Xen gutappenben gingern wirb er flugs entwifdjen. ©S um* 
fjrielt Xicß ber Steig pßantafieDotler ©erfnüpfuitgen nur bei ßeiterer fiaune, bei ungetrübtem 
WolfenTofem Fimmel. 

©inen anbern Steiter ßat uns Sllbrecßt Xürer gefcßeitft, einen büfteren Stitter, ber 
bergan gießt mit bem getreuen §unbe. 3n ber gerne ragt bie ©urg, unb Xob unb 
Xeufet fönnen ißm nicßtS anßabett. XieS ßerrlidße ©thnmungSbilb XiirerS, baS ber 
Stupferfticß in fauberfter SluSfüßrung bem Sluge anbot, möcßte icß mit ber ©allabe Dom 
Steiter Dergleichen, unb fo Dergleichen, baß icß nießt etwa bem einen ober bem anbern ben 
Storgug gönnte, benn fonft Wäre meinem ©ergleicße beffer ein ©tiißlftein um beit ftals 
SU binben. — ©eint ©ergleicßen foH boeß nur ©uteS ßerauSfommen uitb nidjt Stegation 
ober ©eeinträcßtigung. 



ffans £inbau in <£onßantinopel. 


U6 


$aS Bilb boit $ürer geigt ben Menfdjen als ritterlichen Kämpfer, nicht als ®c* 
ttiefjenben. Unbefümmert um £ob unb Xeufd, beren f ehemaliger Begleitung er nicht ent* 
ratpen tarnt, siebt er getroft feinet 2ÖegeS. 3>er SBeg, baS ift ber ©egen, baS ift ber Xroft, 
bie Bflichtenbahn! (§S ift eine ©trafje üorpanben, auf ber eS oormärtS geht, Ja auftoärtg 
trofc Xob unb Xeufel. Xer Söeg ift alles, unb überall fonft fein §etl ju ermarten. 
©toifepe SMtanfcpauung, chriftlicpeS Mittelalter 1 

WnberS Woffpacf. ©ine bößig aitbere Meinung Don ber 2öelt unb Don ben gingen 
fpiegelt fich in ber ©egenmart, ber auferftanbene Wittife, ber ©pifur ben Obern eingiebt 
2litcp hie* ein Weiter, auch er in Begleitung aßegorifeper Sßefen, auch er auf einem gang* 
baren ©träfclein. Sibex ber Weiter greift nach einer ber halben 3ungfrauen, bie ihm baS 
©eleite geben, unb er berfcpliefet nicht fein Wuge gegen bie Wnlocfungen ber htmrniifchen 
Umgebung. ©r freut fich biefer liebreiscitben ©efeßfepaft uitb 
„trinft bom rothen Munbe 
$>eS Gebens füfce ftunbe. 

Wichts Wnbreg miß er haben, 

£äfjt frifch fein Wöfelein traben." 

Unb nun, man bemerfe ben rbbthmifchen Umfdpmung im Bergbau: 

„$aS trägt fie meit iit’S £anb hinein, 

Xeit 2 Beg meift ihm ber ©onnenfehein." 

ftürmapr, bas flingt ein toenig anberS als bie ©boralmußf, bie man ftch §u bem 
Xürer’fcpen Bilbe borfteflen mochte. $a meift bem Witter nicht ber ©onnenfehein ben 
2Beg, fonbent tropiglich miß er meiter unbehelligt bon beit üblen Berführera. $en Witter 
^ürerg treibt eifente ©emalt beS SBißenS üormärtS, aber unfer Weiter ift mit feinem er* 
mahlten ©Iücf traulich befchäftigt, unb er fepaut Reh noch nach neuen Sfraiben um. SBelch' 
fouuige ßebenSluft unb mie unfittlicp nach mittelalterlicher Meinung! 

2lber hier mie bort gefchiebt am ©nbe ein ©IeicpeS. Wur mufe man eg anberg 
auSbrücfen. Bei ben ©laubenSpelben mirb ber treu befchrittene 2Beg sum ftotgen ©egeng* 
heile, für ben Sünger ©pifurS muR es auch eine Xreue geben, eine leichtere Xreue freilich, 
beinahe eine unfreimißige Xreue. 

*©r ftaunt, bafc bie beim Weiten 
3 hn nun nicht mehr begleiten, 

Wicht locfenb um ihn fchmeben 
Unb leichte güfee heben, 

$afj nur bie fepöne kleine 
Bon aßen jefct bic ©eine, 

$ie fein Umherfpähn fchon üerbriefct, 

2 )ie füffenb ihm bie Wugen fdjtiefet." 

©o oft ich bie Berfe citire, mu& i<b auf’S Weue ben SBoplflang bemunbern. Unb 
mag für eine fimßich lebenbige Wßegorie ung befeuert ift! 

*$ie fein Umherfpähn fchon berbriefet, 

£ie füffenb ihm bie Slugen fdjliefct." 

3ebeg SSort ift föftlidh unb mie Mebaißenprägung pingefefct* 2tu<h bie StuSführung 
beS ©emälbeS in ber formalen Behanblung fcheint mir beit Bergteich mit $ürerS ooß= 
enbeter ©riffelfunft 31 t ertauben. 

„Bon oben fteil bie ©onne fengt. 

©r fpürt, mag laftenb an ihm hängt . . 

liefet Weiter empfängt in ber Befcpranfung nidjt baS $eil. Xaufenbaratig möchte 
er aß bie bunten Möglichfeiten rechts unb UnfS erpafchen, hoch . . . 

„ 2 ln feinen Körper ftreift er, 

3 n leere ßiifte greift er . . ." 



albert Hoff ad. — 


U7 


Uitb bann nabt baS ©nbc. ©S ift nicht öon einem einigen ßeben bie Siebe, 31t bem 
ber ©xbentoanbcl als Slufftieg biente, aber auch nicht öon einem enbgiiltigen ftinfehetben. 
Xerlet beftimmte SSorte toiberftreiten bem (Reifte hoher Kultur, ©ang leicht unb luftig, 
tote ße begonnen, entfehtoinbet unb öerfltngt bie batlabe Pom Leiter. 

„©leid) einer rotfjen Scheibe fchmatib 
X>ie (Sonne hmter’m bergeSranb. 

Shut finfen ndcht’ge Schatten 
Sluf einen £ebeitSfatten. 
bis taufenb mocht’ er gählen, 

Siur einmal tonnt’ er mahlen, 

©inmal 3U Stoß ßd) heben 
Unb auch nur einmal leben. 

X)ie Stacht üerbunfelt fein ©eßdjt; 

Ob er geftorben, toeiß ich nicht* 

So löft ßd) bie 93iflon in Slnmuth auf, unb toas gurüdbleibt, ift nicht fchntergenber 
£rt, fonbem tote eS ßch für taS echte ftunfttoerf gegtemt, innerlich befreienb. SJlan hat 
tn ber ©efolgfchaft ber bichterifdhen Sprache baS Spiel ber eigenen ©ebanfenbetoeguitg 
genoffen, unb baS fchtoerßüffige ©inerlei uitferer fonftigeit Xenfgetoohnfjeiteu ift gelodert 
unb gehoben toorben burch eine geftaltenbe SJtoifterhanb ber SMcptfunft. 

3n ähnlicher SSeife hat auch ber X)ürer’fche Stidh auf uns gemirft. ©erabe bie 
gurüdblcibenben bilber ftnb am eljeften miteinauber 3U üergleichen. ©leid) einem traft* 
oollen X)uraccorb fteht SUbredjt 2)ürerS Siitterftimmung oor ber Seele, unb er oerflingt 
tuunbergart in einem anberSfarbigen Slbfchluß, bem Stoffhad’fchen Steitergebilbe, baS einem 
Sftollaccorbe ähnelt. 

X>ur unb 2MI! StoiciSmuS unb ©pifuräiSmuS, jebe ber beiben SluSbeugungen 
unferer ©eßnnungSlaufbahn, fcheinen in hoher berfläruug ihr Sinnbilb gefunben gu 
haben. X>ie Xhatfache, baß ber ßebenbe einmal 3ur ^krfönlicbfeit erftarrt, unb ob er 
fdion ßd> frei glaubt, hoch angetoiefen ift, gu thun, toaS er fittlich einbeutig in jebem 
SUtgenblide oorgefchrieben ßnbet, toirb hüben toie brüben gugeftanben. Slber baS moralifche 
ßkithaS beS ©htiftenmenf^en bort fiefjt in ber Slbfehr oon Xob unb Xeufel ben einen 
feften SSeg gum Seelenbeile, toährenb bie gmanglofe £iebeStoeiSf)eit hier, nachbem einmal 
getoählt ift, ben 28eg als etioaS SelbftöerftänblicheS unb beinahe betrübliches, aber ohne 
Surchtgebattfcn einfehlägt, feufgenb, baß ber SSeg eben hoch beftimmt ift. So glüdlich 
fdjön bünft biefem SleiterSmann bie toeite, freie SSelt. 


Der Dorl>ang. 

Sticht üermag ich bie SSunber gu fchilbent# 
X)ie ben ftaunenben Slugen gefcbeb’n, 

$a bebedt mit fchimmernben bilbern 


3<h bin eine Straße gegangen 
3n’s unbefannte ßanb; 

©ine ®ede fah ich ba hangen 
Ouer über ben SSeg gefpannt. 

©inem borhang gleich toar bie Xede; 
3ch lenfte fürber ben Schritt, 

Unb immer borauS eine Strede 
Schtoebte ber borhang mit. 

S)er borhang mit golbfdhtoerem Saume, 
3n farbigen Seiben geftidt, 
©ebeimnißoolt hing er im Staunte: 

SH e Schöneres bab* ich erblidt! 

Xie gfarben, bie glühenb entbrennen, 

Sie machten mir trunfen ben Sinn; 
Xoch halb auch mocht' ich erfetmett 
Figuren unb Sturmen barm. 


Sie ben hangenben Xeppich gefeh'n. 
Xütrdj bie oberen Selber im blauen 
Stritt golbner ©eftirne Jpeer, 

Unb unten fdjnob um bie grauen 
©efteine baS fchäumenbe SJteer. 

3nmitten fah heiter id) prangen 
©in menfchentoimmelnb ©efilb, 

SDod) nicht im Xobe befangen 
SSie fterblicher SJieifter ©ebilb: 

3n ieber ©eftalt toar betoegmig, 
Sie ftrömten gum Steigen herbei, 
bon »armer ßiebeSerregung 
©rflang in ben ßüften ibr Schrei. 



U8 


l?aiis £inbau in <£onftantinopel. 


9ftit Xrauergeicben umfcbattet 
©ab fern ein ©entäuer herbor. 

SBtcI Xauger trug man ermattet 
hinein burch baS offene Xhor. 

$>ort ergriffen im ^unfein fte §üube, 

Xit beftatteten fdntell Re gur SW* — 
$od) ber Zeigen nahm nimmer ein ©ttbe, 
2)enn Steue ftetS eilten ^ingiu 

9Jiid& aber betrübte ber Zeigen, 

Sich fchrecfte ber langer SooS. 

Sohl umßng fte baS emige ©chmeigen 
3n ber fjinfterniß eifigem ©djooß! 

Ob auch Slnbere mürben entboten, 

Sn bie Sücfe gu treten für fte, 

SaS half eS ben fcbluntmernben lobten, 
$>aß ber Zeigen nun enbete nie? 

3dj fenfte bie ©liefe mit ©rauen, 

S)eS SleigenS ba hatt’ id) genug. — 

Stur, hinter beit Vorhang gu flauen, 

£ie ©eele ©erlangen noch trug. 

3ch rief: „SaS gu feh’n er mir meigert, 
3ft beffer, als maS er mir geigt!" — 

Unb ben ©djritt gum Saufe gefteigert, 

$ab’ ich enbtich beit Vorhang erreicht. 

Uitb gemagt mar es gleich unb gefchehen: 
©einen ©aum er bub ich gefcfjminb. 

O Singen, maS habt 3h* gefehen? 

Ober maret 3br plötjlid) blinb? 

Ober toart 3br plö&lid) gebleitbet 
©om ©tral)l eines reineren SichtS? 

3urüdf hab’ ich ftarr mich gemenbet, 

$enn hinter bem Vorhang mar — nichts! 

9M)t8 bab’ i(h gefehen bahiitter, 
iRur in’S Seere bermodjt’ ich gu fdjau’it! 
Xa befielen mir Stoft unb Sinter 
2)eS SebenS blühenbe Slu’n. 

Uitb eS riß in ©türmen baS Setter 
©on ©tamm unb ©taube bie 3ter. 

©or bem Siorbminb fauften bie ©Iätter 
©ermelft im oben Gebier. 


Unb ich l aß in fturamä: Verloren, 

£ie ©eele gum Xobe bang. 

Xa bemahm ich nah meinen Ohren 
©ine ©timme, bie feltfam Gang. 

S)ie ©timme fprach ernft unb erhaben, 

£och aud) tröftenb unb bäterlid) milb: 
„SaS Xu fuchteft, baS fannft Xu nicht haben, 
Vernimm beim, maS eingig $ir gilt! 

„©o lange Xix Sltb*m unb Seben 
Xk fterblichen Slugcn umtoehn, 

Sirb nie ftch ber Vorhang erheben, 

Unb außer ihm toirft $u nichts fehn! 

Xk ©teme mirft Xu nicht ftreifen, 

Sie hoch aud) fliege $ein fPfeil. 

Xu mirft nicht baS ©ange begreifen, 
Sobon $)u felber ber £beil. 

,,©ei fromm brum in böfen Sagen, 

SaS Re bringen, ergieb $ich bretn! 

©ei banfbar in guten Xagen, 

XtuV nidht, es muffe fo fein! 

©ei gut! Unb feiner berliere 
$urd) $id) einen Sidjtftrabl nur! 

Saß Sftenfcben fegnen unb Xhiere 
deines £)afeinS flüchtige ©pur! 

*©ei mahr! SaS im innerften Sefen 
Sticht eigen unb gang £)ir entfpricht, 

2>aS laß auch äußerlich lefen 
3n hruchelnben 3JUenen $)u nicht! 

©ei bulbfant! ©in jebeS ©emüthe 
©erfteht nur ben eigenen Xon. 

©ntftromt ihm nur lautere ©üte, 

©o laß Xix gefallen ihn fdjon! 

„©alt heut 2)ich auch Trauer mit ihren 
©djrnargmehenben ©chleiern umfpannt: 
SUd)tS fann Reh unb Stiemanb berlieren, 
Set! Silles in emiger £anb. 

Xtx ©trom fließt ununterbrochen, 

Stur bie Sette gerrinnet fofort. 

©iele Sorte merben gefpro^en, 

$och nie baS leßte Sort!" 


Xtx Vorhang, baS ift bie Seit, unb bas, maS bahinter ift, baS bleibt uns ber* 
borgen. 2)ie gange Seit, fomeit mir ihrer gemafjr toerben, in ©liefen unb 23nen, in 
allen ©inneSmahntehmititgeit, in ©efühten unb in ©ebattfen, SltteS ift ber ©orhang, unb 
außer ihm ift nichts in ber ©rfdjeinung gegeben. — Slber marum ein ©orhang? 3>aS 
©Ub iR überaus treffenb. ©leid) einem ©erbang, ber, mie mir auch mtS in ©emegung 
feheu, immer uns öorfeßmebt, begleitet unferen unbefannten SebenSmeg eine ©orftdlung 
bon bem erblicften 3afammenf)aitg ber ^inge. ©S ift bie emig anhaftenbe, nie abfitreifbare 
Slußenmelt, mie mir Re ahnen, fühlen unb {eben, baS gefammte 9Hcht=3<h. — Unb 
mie mir hinter einem räumlidjen ©orbange ftetS iHaum oorauSfe^en, ben mir mahmehmen 


Ulbert Hoff hatf. 


U9 


mürben, tocitn mir bie Slusficbt frei Ratten, toenn etma ber Vorhang aufgezogen mürbe, 
fo haben bie SRenfcben zu allen 3«iten bunter ber SBirflidjfeit, tote fte uns erfd)eint, eine 
gebetmnifmolle 2ftad)t angenommen, Don ber fle meinten, bah fte hinter bem (Sichtbaren 
unfiebtbar gelegen fei. Unb batten fle nun einmal in fühnem ©ebanfenfprunge bie 
SBirflidjfeit bitrd) etmaS ergänzt, Don bem zu behaupten mar, ba& eS nicht mit ber ficht* 
baren 23elt ibentifdj, fonbern irgenbtoie anberS geartet, aber boeb momöglid) noch mefent= 
lieber fei, als bie mirflichc örfcheinungSfphäre, bann mar e§ ja ganz leicht möglich, biefeö 
überftnnliche SBefen als SSefen fcblecbtbin zu behanbeln unb eS unter Umftänbcn auch mohl 
gar zu leugnen, als ob man etmaS zum leugnen in Wahrheit oorfäubc. — liefen 
©ebanfengaitg ober biefe SSeltanfdhauung fpiegelt 'Jtoffhacf in feinem ©ebichte, unb er lä&t 
ben Vorhang lüften. 

„O Slugen, maS bubt ihr gefehett? 

Ober maret ihr plöfclich blinb? 

Ober mart ihr ptöplich geblenbet 

Vom Strahl eine» reineren ßicptS?* 

mirb bie SRöglicbfeit offen gelaffen, bah Dietteidjt hoch etmaS hinter bem Vor* 
bang für anberS geartete 2lugen erblicfbar märe. — 2Jtit biefer fchmanfenben Stimmung 
tonn ftcb ber SWcnfcb ieboch nicht auf Die $auer zufrieben geben. „Sem Süchtigen ift 
biefe Vklt nicht ftumm." 2luf ben Staueraccorb ber getäufchten Hoffnung, etmaS hinter 
bem Vorhang zu eiblicfen, beffen cparafteriftifche öigenfdjaft eS ia gerabe fein foH, bah 
eben nichts aufjer ihm erblicft merben fann, folgt, mie zu ermarteit mar, ber oemünftige 
Xroft unb ber echte, ber DorbangSlofe ©laube. öS ift ja im ©ruube unangebracht, baS 
Vilb beS Vorhangs, baS für bie gefcpilberte Vkftmeinung pafete, noch länger zu behalten, 
fobalb einmal erftärt ift, bah hinter bem Vorhang nichts fei. 3ft nidjts bahinter, fo ift 
eS eben auch fein Vorhang mehr; benn eS fehlt baS tertium comparationis. Ser 
Vorhang oerhüHt etmaS UnficptbareS. XieS Unficbtbare bilbete ben Xroft einer IWeihe 
Don ©enerationen; mirb eS angezmeifelt ober geleugnet, fo Verliert fid) auch baS un= 
zureicbenbe ©üb Dom, Schein unb SBefen ober .tem unb Schale ober maS mir ettoa 
fonft noch mit unphilofoppifcper Verallgemeinerung bem 2111 für ein ©leidmih fefcen 
mögen. — öS bleibt aber übrig bie fittiiehe 28:1t in ihrer tiefften Jperrlicbfeit unb un* 
ergrünblichen Harmonie. 

Unb nun ift ber echte, bleibenbe Xroft gefunben, ber tiefer murzelt, als bie üDtenfcpeit = 
bilber murzeln fönnen, nun ift baS SBort auszufpreeben, „baS fle fotten taffen ftapn," baS 
allein auSrcicpt, ganz allein, um bie öbelften zu ftärfen, baS 2Bort unb ber ©cbaitfe, ber, 
menn einmal Oorbanben, alles SSeitcre auSfcpliefzt unb ohne Unlauterfeit beS Herzens aud) 
nicht burch trübes Vpantaftezeug berbrängt unb öerbunfelt merben fann — bie Uitenb= 
liebfeit ber SBelt, bie Unenblicpfeit, bie, mie ©oetpe fagt, ben ©eiftern, mürbig tief zu 
fdxui’n, unbegrenztes Vertrauen einflöht. 

3efct mirb nicht mehr bänglich unb zmeifefnb gemimmert: 

„3b* Slugen, loaS habt ihr gefehen?" 

Ser Vorhang berfepminbet — bieS ©leicpnih genügt ber reiferen 28eltanfcpauung 
nicht mehr — unb bie bernepmenbe 2lufmerffamfeit hört eine Stimme: Sei gut! Sei 
mabr! Sei bulbfam! üftun [mirb ^bie 2ßeispeit zur Königin ber SBett. 2Ran lefe bie 
lebten brei Strophen beS Btoffhacffcpen ©ebidjteS, fie enthalten ihre fcplidjten ßepren. 



Die betöm Qammttts. 

Srjäglung. 

Don 

<§>. 25flEfng*$ouIb*). 

— £en? (Ereudjarb (H. Dcpon). — 


HlfcSSSH* feinem Austritt aus bem fDJoor bei ©abouer Stigbe ftürjt 
ildg ber Sßltmt in jägern galle burdg eine ©dglucgt, beren fettige 
WS%M SBänbe mit B^ergeidien befianben ftnb. Qm Qrügling mifdgt 
fidg baS lieblidgfte ©olbgrün mit bem jarteflen ©übergrau in garotonifdger 
SEeife. 2lber bei bem regenbogenartigen SEedgfel ber garben ift »ielleidgt 
bie fdgönfte fßgafe bie beS 2luguft, wenn baS üWarfdglanb über ben Säumen 
tJoDL vom blügenben ßaibefraut bebecft ifi; bann ifi es, als ob £imbeer* 
cröme über bie Reifen gegoffen toäre unb bie $änge ginabftrömte, jebe 
©palte burdgfliejjenb, feben $el8blo<f betleibenb, über jebe SbbadEjung fidg 
auSbreitenb, jebe tagte ßügelftelle färbenb, baS ©anje überwölbt »om ftlbrigen 
blauen £itnmel. 

&ier unb ba fdgiefit ein Sufdg ©tedgginfier wie eine flamme burdg 
ben blafjrotgen SKantel, ber fo rein unb jart wie eines -KäbdgenS SBangen* 
rötge ift. ©iefelbe rofige SBoge fliegt hinunter unb ginein in baS ©idgem 
Untergolj unb fdgiebt baS üppige gamfraut gintoeg unb ginab; unb biefeS, 
aus bem ©dgug ber bunfelgrünen ©idgen an ben gtufj gebrängt, ift bereits 
»on groft ober »orjeitigem Stbfterben ergriffen unb fdgillert in allen SWancen 
»om faftigen ©rün bis }um alten ©olb. 

Unten braufi ber ^ßfrim fdgäumenb über Reifen gin, gier mit feinem 
©prügn bie fmaragbene SWooSbedfe eines gelSblodeS tränfenb, bort in einen 
$eidg fdgäumenb, ben bie fdgroarjleibige Forelle burdgfdgiegt, unb bie SBurjetn 
beS grogen JtönigSfamS fügfenb, ber godg unb üppig am Uferranbe mit 


*) Slutoriftrte Uebtrfcßung »on Oscar 2BiIba*©n8lau. 


Die Selben ^ammetts. \2 \ 

feiner jefct oott entfalteten jimmetfarbenen Sölüttje ragt. Auf einem Steine 
unter bem gamlraut lauert ber £önig?fifd>er auf eine gorelte, bie Hein 
genug, um feine Beute ju werben, unb bie SBad^ftetje auf einem flacfeen 
Steine mitten im Stoffe nimmt ein Bab, ohne fidj um Babrung ju be= 
müfeen, ba bie winjigen Blöden in bitten Scbaaren in ber Suft tanjen, 
wie Stäubten in bet Sonne. 

®er mastige Setfen, ber fteü au? bem Stofe emporfdjiefet, ift ber 
ferner 5 Stein, unb er bejeidinet bie Bereinigung be? spipm unb be? 
Bteaop. 

Stof ber anberen Seite be? Stoffe? ift ber Abfall weniger fäfe. Giite 
Brüde überquert bie oereinigten ©ewäffer unb erHimmt ba? -Dioorufer 
nad) Sfeaugb ju, beffen füfen emporftrebenber granitner Jtirdjtburm feine 
Spifce in ben Fimmel bohrt. 

©erabe am 3 u f ammen ft u fe ber ©ewäjfer ftnnb eine föütte, ©reitofen 
genannt, unb ju ber 3 «t, in ber unfere @efd)id)te fpielt, war fie oon 
einem Gfeepaar tarnen? #ammett bewohnt. 

3ob $ammett war ein Btann oon über 70 Subrot; et trug ben Ropf 
nadj einer Seite geneigt unb butte eine fpibe 9iafe, oon beren Gnbe Stirn, 
Ahmb unb Äinn in einem SBinfel oon 60 ©rab jurüdwidjen, wa? iljm 
ba? Au?fefeen eine? Bogel? gab. Bogeiartig war aud) bie Art unb SBeife, 
wie er umherfeüpfte, ben Äopf rudartig oon einer Seite jur anberen herum; 
warf unb mit ben Armen ftfelttg. $n feinen Keinen Aeuglein lag etwa? 
Sifttge?; tiefe Sinien jogen fid) oon ben beiben Bafenfliigetn feerab unb 
begegneten fxcfe unter bem ßinn, wa? feinen Bügen einen farbonifdjen, bös- 
artigen Au?brud gab. 

Sein SBeib Bell ßamtnett war ein feübfdie?, tunblicfee?, babei fräftig 
gebaute? SBeib; ifere ®efid)t?farbe warfrifdj; Augenbrauen unb ßauptfeaar 
oon ber Sutbe be? ©erftenjuder?; ba? ftet? glatt gefirid^ene &aar befielt 
audj im oorgerüdteren Alter — übrigen? war Bell 15 3«bre jünger al? 
ihr ©atte — feinen ©lanj bei — Alle? in Allem war Bell Rammelt ein 
nette? SBeib<ben. Sie war peinlid) fauber in ihrer Äleibung unb an ihrem 
ßörper. 

@? war ber Äummer ihre? ©afein?, bafe $ob ein fauinfeliger unb 
unorbentüdjer SJtenfdj war. Gr mufete fauber gemalt unb jurecbt gefefet 
unb mit ©ewalt jur Drbnung angebalten werben. Unb BeU war gerabe 
bie rechte %ta\i baju, Sob gehörig im 3 u 3 e to butte«. Sie freute üdj 
niöbt, ihre 3mtge fräftig unb au?bauernb ju gebraudjen. unb Bob blieb 
bie Antwort nid)t fdjulbtg. Gr machte plöfclidje fdjarfe ©egenftöfee unb 
oerflanb e? mit ein paar wenigen SBorten, bie er jwifcben ihre Sentenjen 
fdjofe, fein SBeib }U treffen unb ju oerwunben, wo fie am empfinblidiften 
war. ©iefe Gntgegnungen oerfchulbeten e? allein, bafe Bett immer böfer, 
erregter, ausfälliger, eyaltirter würbe; aber fie gewährten Qob Grleidjterung 
unb befriebigten feine Bo?beit. — Gin Sieb war e?, ba? Bob ju fingen 



\22 5. 8 aring-öoulb iu £en> CEtendjarb {XX. Deoon). 

ober ju pfeifen ober mit ben gingern auf ben ©ifd) ju trommeln liebte, 
womit er fie ganj befonberS fränfte. 

33eoor gfabeHa Rammelt aus einem belebten unb fröhlichen StadbbarS* 
borfe gob als fein 2 Beib in bie einfatn im SBalbe am giufje eines großen 
Seitens gelegene &ütte gefolgt, roar fie eine lieblidfie, fdtmucEe ©inte ge* 
inefen, bie als ©euatterin 3 U ©auffeiem febr begehrt roar, unb bie 
eine fßaffion für Seidienbegänguiffe batte. Stiemanb in einer ber umher 
liegenben ©etneinben fonnte fterben, ol)ne bajj gfabella $ammett jur 8 e= 
erbigung ging unb »erfcbroenberifch über ber ©ruft unb roä&renb ber feier= 
liefen ^anblung, bie ©taub jum ©taube unb fttfdje jur Slfdje gefeilte, 
©brauen »ergojj. 

33ei einer foldben ©elegenfjeit begleitete ein junger ©djlächter gfabeHa 
nach ^aufe. @r roar einer ber ©argträger geroefen unb prangte in feinen 
glänsenbften febroa^en 93einfleibern, mit feinem roeijjefien ©afdjentucf), mit 
feinem feierlidhften ©rauergefidbt unb mit ben blänlften ©tiefein. — gob 
E>atte es iidj in ben Kopf gefetjt, eiferfüdjtig ju fein, unb machte 5ün= 
beutungen, bafj 23ell eS weiter mit bem ©cfgtädfjter tjnlte. ©r meinte, bafs 
fte if>r gleifdj ron tljm nur bejege, um mit ihm jcbeSmal ju flirten, roemt 
ber gleifcbroagen an ber ©Ijaugljbrücfe hielt; bajj baS „£ 0 ! ^ 0 !" beS 
©djtäd)terS oon ber Sküde ber weniger eine Slufforberung roar, b era uS" 
äufommen unb eine Keule auSjumälilen ober Äalbaunen einjufaufen, als 
oieftnebr eine ©inlabung ju einem tete-ä-tete. 

®aS roar nun 30 Sabre fyer, unb nun roar ber ©cbläd&ter »erbeiratbet 
unb butte ein ©ufcenb Kinber, unb 33 eü batte bei einem halben ©ufcenb 
fßatben geftanben unb an ben ©räbern »on breien, bie geftorben roaren, 
©bränen »ergoffen. ©er Sd)läd)ter fam nid&t mehr mit feinem Sßagen; 
jeftt tbat eS fein ©oljn. 

9li<btSbeftoroeniger gab ber ©dhläcbtet beftänbigen 3htlafj ju 3anf unb 
©treit jroifeben gob unb feinem SBeibe; unb obroobl letzteres feit einigen 
gabren ficb »on tleinen gamilienfeftlichfeiten fern hielt, hörte Sab boeb 
nicht auf, fie bei jeber ©elegenbeit als ein »ergnfigungSfücbttgeS grauem 
jimtner 31 t fdbmäben. Unb als jarte Slnbeutung, bafj er etwas gegen fie 
habe, pflegte gob, wenn er nicht f preßen unb fte bod) ärgern wollte, bie 
SJtelobie beS Siebes „®eS Sitten SBeib bleibt nicht 3 U &auS" ju fummen, 
3 U trommeln ober 31 t pfeifen. Unb biefeS Sieb batte in ber ©hat etwas 
Slufrei 3 enbeS — roenigftenS für 33eH &ammett. 

®aS Sieb würbe niemals »oDftänbig in ihrer ©egenroart gelungen. 
©S fam brudbftücfroeife heraus unb rourbe mit Slnfpietungen auf ben 
fdftwarjgefleibeten ©djläcbter, bie mit Sieim unb SWetrum nicht überein* 
ftimmten, interpolirt: 

XeS Sitten 2Beit> bleibt nirfjt ju £>au8, 

Sie iurfit fid) brauben 3 e ituertreib ; 

Sic (äßt bent Wcmatjl — bie Stnodjen bom SBtafjt, — 



Die beiben ^ammetts. 


123 


(&ier würbe interpolirt: 

„©egogen öom tremernben 0chläd)ter") 

Das faftigfte fyleifdj nimmt baS SSeib. 

®ut ©ffen munbet ihr 
Unb fdjäumenb £onigbier, 

60 lebt fie ftob babiit 
9Jttt ewig friterm 0tnn. 

Den Eliten liefe fie im 23ett allein 
Unb ging gum ledern 2ttittagbrob; 

©efleibet fo fein, fie tränt rotfrn 2Betn, 

3ht 2lntli6 glühte fo rotfr 
0te langte. rntb fie bref)? ftch, 

Unb tote cm Sßfau fie bläht fi<h 
Unb fang: „3?rei lebt fo gar unb gang 
DaS 2öeib allein be$ alten 9}tann8. 

Der $Hte froch aus bem Sette facht, 

©inen 0tein legt er über bie Dhür 

Unb fafe unb hielt 2Bad)t unb lacht’ unb lacht’ 

Unb lacht’ fi<b gu Dobe fchter. 

2118 fbät fie toieberfehrt, 

Der 0tein frmieberfährt, 

3fr auf ben Schabet fcfrug, 

Da halt* ba8 2Seib genug i 

Unb nun liefe Qob, mit ben Knöcheln auf ben Difch ^ämmentb unb 
mit ben Qüfeen trampelnb, ein wahres 9tottenfeuer losbrechen, währenb er 
ben ©hör brüllte: 

„Der 2ltte hat fein SSeib im £>au8, 

DaS braufeen geht nadj 3eitt>ertreib. 

3uchheifea! hunah! — 0ie tft nicht mehr ba, 

De8 2llten leichtfertiges SSeibl" 

Qu biefer traurigen SGBeife waren breifeig Qafere bahingegangen, 
währenb welker bie beiben ©alten es in ber Qäfeigfeit, einanber gu oer- 
munben unb in 2Buth gu oerfefcen, gur 2Jteifterf<haft gebraut hatten, 
©chliefelich tonnten 33eibe es nicht mehr ertragen. 9Jacfe einem anbauemben 
©efedjt, baS ununterbrochen brei Dage unb brei -Mächte in ©ang gewefen, — 
als Qeber non ihnen fich wunb unb matt, germürbt unb fd^merjgefoltert 
fühlte — als bie Stimmung auf beiben Seiten bis jur ©eifeglüfehifce ge- 
fieigert war, — ba tarnen 35eibe gu gleicher Beit gu bem Scfetufe, ber baS Biel 
beS blaftrten SBeltmanneS ifl: bafe baS Seben nicht wertfe ifi, gelebt gu werben. 

„Q<h werbe einen Selbftmorb begehen/' fdjrie Qob. 

„D)aS werbe ich thun; eS ifi bie einjige SRöglichteit, ©iefe los gu, 
werben/' freifchte 33eU. 

„©eh 1 gum gteifcher unb leih" ®ir feinen Steuer/' f)öt;nte Qob. 

„©eh" unb erfiiefe im Schmufe," fpottete 33ell. 

„3<h will nichts mehr non ®ir hören/' wüth ete Qob. 



S. 8artng-<ßouIb in £en> (Erenrfjarb (ZT. Deoon). 


[ 2 * 


„Utib idj nichts non ®ir," gab 33eH jurüdf. 

„34 werbe mid) }u ©obe jungem." 

„®aS werbe icfe tfeun," fagte 3°b- 

tfeue es aber nid^t im £aufe, bamit ®u ©üij nid^t an bem 
Stnblid ergöfeen fannft," fagte 33ett. 

„©feu’ eS, wo ©u millft, aber tl)u* eS," antwortete $ob. 

„34 werbe in ben Sßalb über ben gtufe geben," fagte 35ett, „unb 
bort fterben." 

„9tein, baS wirft ©u nicht; ber ^CeifdEier wirb fommen unb ©idj 
fpeifen, wie bie SWaben ben Gliafe. 34 miß bortbin." 

„©ann ttettere id) auf ben ©ewer-Stein." 

„Meinetwegen — nur fort!'' 

«So nerliefeen bie beiben Unglüdflidjen baS £au8, ber ©ne biefe, ber 
3lnbere jene Dichtung einfdilagenb, 3eber feft entf<btoffen }um ©elbftmorb 
burd) ©ttbaitung non Währung. grau 4?ammett ftetterte auf ben ©ipfel 
beS ®emer=©teines unb warf fidj bort, feudfeenb unb etfeifet, in baS §aibe- 
graS. $err £ammett tjiipfte wie ein 33ogel in bem glufebette beS fpiym 
non ©tein ju ©tein, bis er baS anbere Ufer erreicht, bann frodj er tief 
in bas Unterbot} hinein unb bettete fidj in baS garnfraut. Seit $ammett 
war febr erfcfeöpft; fie war fo erhifet unb ihr 2ltbem fo für}, bafe es ibr 
ein wirftidher ©enufe war, in bem ^aibefraut }u liegen, in bie ©iefe beS 
^imtnets }u fdhauen mit bem ©ebanfen, baff fie bort ihrem ©atten 
nimmer begegnen mürbe. GS war ein fßlafe, ber für fte referoirt war. 

9BaS war fie bodh für ein geplagtes ©efdfeßpf gewefen! ©reifeig 
Safere lang war fie baS Sßeib beS gemeinen, boshaften, etenben, alten 
3ob gewefen; hatte für ihn gearbeitet, geftidt, gewafdhen, gebadfen unb 
bafür nid)ts als Sßerwünfdhung unb ©4mäfeung geerntet. 

SBeSbatb batte fie ihn genommen? 

2Bie — wenn fie ^»ammett nidf)t gebeiratbet hätte? 2Bar es nidjjt 
mögtidh, bafe ber fyleifctjer — „D nur nidht an ben ^teifdjer benfen," 
fagte Seil. „Gr ift mir fo fern wie jener mitbe, liebliche ©tern," unb 
fie beutete auf bie 23enuS, bie fidj eben über bem £ori}ont zeigte, bemt 
ber Sag ging }ur Stufte. „GS ift eine ©ünbe, an ben gleifcfeer i u 
benfen," fuhr 23eH fort, „id) ftebe jetit an bet ©dhweHe ber Gwigfeit." 

©ie ftredte bie .fjanb aus, pfliidte ein paar £eibelbeeren unb ftedfte 
fie in ben Munb. 

fffiaS hat 3°b mir }itgefefet wegen beS gleif4«8 bie ganjen breifeig 
Safere hinburdh, unb idfe bin fidjer, bafe i<b ihm feine SBeranlaffung ba}U 
gab — baS helfet, wenn matt’S nid)t allju genau nimmt; aber er hätte 
wohl barüber hiuwegfehen fönnen, in breifeig Saferen! ©ie Männer unb 
unnernünftig; bie grauen finb arme, bulbenbe Märtyrerinnen." 

GS begann ju bunfeln. ©er SBeften ftanb in gotbiger ©tuth, unb 
fdjarf unb flat hoben Tiefe non ifet bie ©pifeen ber GomiffesMoore ab. 



Die betben Ejammetts. 


125 


„2ßir befommen morgen Siegen," Tagte 33cß, „bie GorniRpSpißen 
jinb fo Har. . . . $Du lieber ßimmel! Sßenn id Jüngers fterben foU, fo 
mödte tdj eS bod lieber troden tfjun. ’S wirb fdredlid unangenehm fein, 
wenn Siegen !ommt." — 

Sie ©lutß mürbe fdroäder. ©ne bernfteinfarbene SSolte bunfelte, 
nerlor ihr ©otb unb roanbelte Rd in 33lei. 

„D jemineß!" fagte grau Rammelt, fi<f» auffetjenb. „gobS Sonntags^ 
bemb; ba ift ja ein großes ©tüd auSgeriffen; unb eS ift tiicfjt auSgebeffert." 
©ie legte fiel) mieber gurüd. „2BaS fümmert’S midi," Tagte fie gu fid) 
felbft. „®ort, mobin gob gebt, braudit er roabrfdieinlid) bergleiden nidt." 
gür eine S5?eile beruhigte Re ber ©ebanfe, aber nur für eine SBeile. ©ie 
fefcte fid mieber auf. „gd müßte mid aber Tdämen, roenn nad meinem 
Sobe bie Seute gobs $emb mit einem Sode finben — gerriffen unb nidt 
auSgebeffert. Unb gob mirb nidt aufbören, mid Im &immelreid megen 
be§ gerriffenen fjembeä gu quälen, — baS beißt, falls mir bort einanber 
begegnen, roooor unS ©ott beroabren möge!" 

©ie marf Rd gurüd in’S ^aibefraut. 

Sie Sömmerung brad herein, bie ©onne mar untergegangen. Ser 
Sßau begann gu faßen, unb 33efl Rammelt fröftelte. ©ne Seit lang lag 
Re gang Riß ba, bin unb mieber feufgenb unb mit 33ebauern baran benfenb, 
baß fte biefen Stacfjmittag ihre gerooßnte Söffe Sßee nidt gu ftd genommen 
unb baßer fo gar nidt redjt für ben ^ungertob uorbereitet mar, — ba 
fußt ißr plößlid ein ©ebanfe roie bie ©piße eines ©tilets burd baS ^»im. 

„^errjeb!" fagte fte, inbem fie fid jäh aufridtete, „bie Kanindem 
paftete in ber ©peifefammer!" 

Seß blieb einige SKinuten halb aufgeridtet, uor Kalte unb innerer Seere 
jittemb, unb ihre ©ebanfen befdäftigten fid mit ber föftliden Äanindenpaftete. 

„2BaS tßun?" fragte 33eH. „<SS liegt ein ©eroitter in ber Suft, unb 
Re hält fid gang geroiß nidt bis gu unferem Segräbniß. gd redne brei 
Sage auf unferen $ungertob, mithin etma fünf Sage, bis man uns be= 
erbigt. 33iS baßin ßält Rd bie KanindenpaRete auf feinen gaß." 

SBelde StuSßdjt! ©ie »erfdeudte ein SJtarienfäferden, baS über ißr 
©efidßt frod, unb fdüttelte ein anbereS aus ißrem ^aar. — 

„gd madc eine gute haftete — baS barf id fagen. @S märe eine 
©dßanbe unb eine ©ünbe, menn bie Kanindenpaftete fdledt merben foßte. 
Unb menn id auS ber Sßelt geße, fo foß eS nidt mit bclaftetem ©eroiffett 
gefdeßen — unb belaRet märe es, roenn bie Kanindenpafiete oor bem S3e= 
gräbniß »erberben foßte." 

©ie gog Rd in Rd gufammen. 

„(Es ift bitter falt — au! ba habe id ja ©tedginfter in bie &anb 
befommen! Sßut nidtS — aber — bie Kanindenpaftete!" 

©ie arbeitete Rd auf bie Kniee. 
gn ißrer ßütte mar Süßt! . . . 



126 s. Baring=(ßoulb tu £ tm (Erendjarb (El. Decon). 

„2Ber finb bie ©ottoerbammten, bie bei uns einbrechen, währenb wir 
uns für bie ©wigfeit oorbereiten?" fragte Seil jammert in größter 6r« 
regung. ,,gd) würbe mich nidjt rounbem, wenn fie über bie Kaninchen* 
paftete Verfielen. Sta wartet, ich werbe Sud) baS Vergnügen »erfaßten." 

Schneller, als fie beraufgefomnteu, lief bie grau ben Seroerftein hinab 
unb hielt nicht an, bis fie bie &ütte erreicht hotte, ©ie riß bie ®hür 
auf, plante in bie Küche hinein — Stiemanb war brin — ftürjte in bie 
©peifefammer unb — fanb gob bort, ber babei war, bie Sanindjenpaftete 
ohne 3Jteffer, ©abet ober fiöffel — nur mit ben gingern — ju uerjehren. 

„Su grauhaariger alter ©<huft!" fdjrie fte. „Su fdmtufcigcr, ge* 
meiner Kerl — wie fannft Su Sich unterließen — !" 

Unb hier mag ber ©cßleier fallen über bie ©eene gemeinfdhaftlidjer 
gegenfeitiger 2lnftagen unb getneinfdinftlicben SertilgenS ber Kanindjenpaftete. 

©ine 3eit lang gab — wie man fich benfen fann — bie Kaninchens 
paftete ©toff ju Sticheleien jwifchen bem ©bepaar, fie trat an bie ©teile 
beS ©<hlädjter3 oon ©hangt). Sie golge war eine Uneinigfeit, bie um 
nidhtS bet früheren nachgab, unb nach fechs Monaten mar bie gegenfeitige 
Abneigung fo ftarf unb bas ©efühl beS UnglüdS fo heftig, baß Setl nrieber 
bie 2lbfi<ht funbgab, ftch felbfi ju tobten, bieS fötal nicht bur<h junger, 
fonbem bureß bie fiebere unb fcfmetler wirfenbe fötetßobe beS ©rßängenS. 
©ie fonnte ben Slerger über ihres fötannes Senehmen, feine ^erjlojtgfeit, 
feine fpißen Sieben, feine ©eringfehäßung ihres ©harafterS, bie oöHige 5KuS= 
uefitstofigfeit auf ©rlöfung in biefer 2S?elt nicht länger ertragen. 

Saftig einen feften ©trief ergreifenb, flog fie aus bem 3 immer nüt 
ber ©rflärung, baß fie fidh an bem Slpfelbaum hinter bem ©chroeineftatl 
erhängen werbe, unb baß fte bie Verantwortung für ihren Stob auf gob 
wälje, ber ihrem Safein MeS genommen, was eS erträglich hätte machen 
fönnen. SDtit roüb wogenber Stuft, mit ftürmifcß ftopfenbem $erjen unb 
brennenbem £irn warf Seil bie Sßür hinter fuh ju unb f<hritt über ben 
hinteren $of. 

SaS ©dhwein, baS fie fommen hörte, grunjte. 

„Stein — fein Sab! Su baft es f<hon gehabt!" fagte grau £ammett 
bitter. „Unb wer Sir morgen Seinen ©irner geben wirb — ©ott allein 
weiß eS." ©ie fianb einen 2Iugenblicf füll. „Ünb was für ©<hmuf} Sir 
gob in ben ©iiner thuu mag, baS weiß auch nur ©ott." 

gn ber füllen Stbenbluft machte fich ber Suft beS ©djroeineftaOS ftarf 
bemerflicß. 

Seil trat hinein unb bad)te: „3um lebten fötal riech’ i<h einen 
©chweineftall. Sort, wohin ich gehe, giebt eS feine ©dhweine." Sann 
trat fie jurücf, um noch einmal ben ©erudß einjujiehen, — nid)t, baß ber 
Suft eines ©cßweineftalleS befonberS angenehm wäre; aber ber Sötenfch 
fcßäßt, was er oerlieten fofl unb nimmer, nimmer, nimmer roieberfieht. 



Dte betben fjammetts. [27 

„3h werbe feine non Suren fhwarjen Sßürften mehr effen," fagte 
grau £ammett, als baS ©hwein roieber grunjte. „go 6 wirb fie öde 
haben unb genießen — bis jum Ueberbruß." 

©ie ging hinaus, jum Slpfelbaum, unb tnarf baS Snbe beS ©trids 
über ben einjigen brauchbaren 2lft. 

„2lber icf) fef)’ ni<^t redjt, wie ich eS machen famt," fagte fte . . . 
„3h braune eine dornte, auf bie icf) midi fteUe . . . 3$ habe eS noch 
nie bisher gethan, unb fo gefet eS Sinem nicf>t gleich non ber $anb, wie 
es foHte." 

©ie ging in einen 2lnbau, wo fi<h ein leeres gafe befanb, befreite es 
nicht ohne Wüfee non bem fßlunber, ber es belaftete, unb rollte eS burcfe 
ben £of jum Apfelbaum. 

„3<h bin bo<h neugierig, ob ber 2lft halten wirb," fagte 33ed. „3h 
erinnere mich, baß es im nergangenen $al)re in manchen Dbftgärten eine 
foldhe Wenge non Slepfeln gab, bah bie grceige brachen." 

©ie fledte baS gafe auf — aber nun erroieS es fid) fhwierig, es ju 
befteigen. ©a baS gafe leicht unb fie fcfewer mar, fiel es mit ihr um, als 
fie nerfudjte, hinauf ju flettern. 2Bie eine ftabe auf ben ©oben beS gaffeS 
ju fpringen, ging über ihre Kräfte. 

„3h werbe mir einen ©tuhl holen," fagte fie. „2luf anbere SEBeife 
fomm’ ih im Sehen nicht hinauf." 

©ie fehrte in’S $auS juriid, ben ©trid um ben ,§a(S; unb als 
orbentticheS SBeib Ejielt fie baS Snbe feodj unb liefe es nidjt fcfeteppen. 

3ob fafe mit brennenber pfeife, breitbeinig, bie &änbe auSgebreitet, 
um fo niel als möglich non ber SEBärme aufjufattgen, nor bem Reiter. Sr 
hatte eS nun ganj für fid». 

Sr fdjaute ji<h um, unb ohne bie fßfeife herauSjunehmen, fdfob er fie 
mit ber .Qunge in ben einen Wuitbrninfel unb fagte burdj ben anbern: 

„2BaS — noch nicht gehängt?" 

„3h fann’S nicht ohne ben Schemel," erroiberte fie. „Unb, gob, 
benfe baran, baS ©cfeweinefleifh einjupöfeln. SS liegt brei Jßodjen im 
©alj, unb menn ©u eS nicht jebeit ©ag menbeft unb mit Safe übergiefet, 
fo f>ölt es ft<h nicht." 

„©<hon gut," fagte $ob. „©et)’ nur unb hänge ©ich. 3h werbe 
fhon an baS ©hinein benfen." 

„©u abgebrühter, fühllofer £unb!" fhrie Seil mfitfeenb unb lief, ben 
Schemel mitnehmenb, aus bem £aufe. 2US iie ben 2lpfelbauin erreidit, 
ftellte fte ben ©hemel neben baS gafe, unb nadi einigen erfolglofen 2tu= 
ftrengungen brachte fie es fertig, fih auf bem gafeboben im ©leihgewicfet 
ju behaupten. 9tun warf fie ben ©trief über ben 2lft, unb baS Snbe beS 
©triefs ergreifenb, fprang fie ab. 

3fete Saft rife ifer fofort baS ©auenbe aus ber £anb, unb fie gerietfe 
in fifeenber Haltung, ftarf gefdnittelt, unter baS gafe. 

3!otb unb 6 üb. XCV. 283. 


9 



128 5. 23aring<®outt> in £en> (Lrenttjarb (H. Deoon). 

®urd)rüttelt, erfdiredt, oertefct, feuchte fte nad) Suft — unb bemerfte 
über fidj itjrctt ©atten, ber babei mar, ben ©trid oon ihrem £alfe gu löfett. 
@r raubte noch. 

,,©u ©anS!" jagte er. „2Beifet ®u nidit, bafe itf» oerfprexhen habe, 
baS Äalb morgen gu deinem gleif<her in ©haugh gu bringen? ®agu 
braune itf» ben ©trief." 

grau £mmmett fprang mit einem ©ehret auf. 

„5Bie, gob! ®u bift nic^t herauSgefommen, um midj oom ®obe gu 
retten, fonbem um ben alten ©trid für baS Äalb gu nehmen? geh werte 
®id) (ehren, ®ein 9'Beib fo wenig febäfeen." 

gn einem 9lu hatte fie ben ©trid oom £alfe, batte gob mit ber 
einen $anb ergriffen unb bearbeitete mit ber anberen ihn nacljbtüdlid) mit 
bem &au. 

©ie war oon SBeiben ber ©tärfere, unfireitig ber männlichere iEbeii. 
gob fprang, wanb fid), flehte, fdjroor — oergebenS! ®er ©trid 
wirbelte unb fiel. 

@r budte, wehrte ftd) unb f<hrie: 

„Safe ab, SBeH!" 

„Safe ab! wirflidj! Stlio ®u famft nad) bem ©trid, nid>t weit ®u 
®ein 2Bcib liebteft unb fd)äbteft, fonbem weit ®u ihn für baS Jtalb 
brauditefi. geh werbe SMd) lehren, Sein 2Beib lieben unb jdjäfcen." 

„geh will ja, ich will!" fdhrie gob fpringenb. „2l<h, Seil, ®u tfeuft 
mir furchtbar weh. 2l<h, hör* auf. geh bin iebredlid) empfmbtiefe um bie 
Senben." 

„geh will — wenn $Du erftärfi, bafe ®u aus Siebe heraus famfl — 
aus Siebe — unb nidit aus anberem ©runbe." 

„2l<b ©ott ja! äluS Siebe — Siebe ■>— aus feinem anberen ©tunbe. 
©ehtage mieh tobt, wenn icb’S nieht aus Siebe thnt." 

„Unb wirft mieh fehlen!" 

„Unb werbe ©idj jdtähen höher bemt echtes ©otb." 

„Sieben unb fdjäfeen — 33eibeS!" 

„Sieben unb fcfeäfcen!" wieberhotte gob. 

„Unb adegeit!" 

„95iS gum &obe!" fagte gob. 

6r ^ielt fein 2Bort. 6r fonnte nieht anberS. 

9Benn er irgenb einmal bie Neigung geigte, auf 2lbmege gu geraden, 
auf ben ©cfelächter angufpielen, an eine gewiffe ©aite gu rühre«, gu 
miberfpredjen, unfauber an feinem Seibe, unfdjidlidj in feinem SSerfealten, 
auffäfcig in ©ebanfen, 2Bort ober 3Tf)ot gu fein, fo fdjaute 33eH nur auf 
einen ©trid, ber an einem 9tagel hing — ««b gob lehrte fofort auf ben 
ißfab beS ©ehorfamS unb ber SiebenSwürbigfeit gurüd. ©o geftaltete fidj ber 
lefcte 2tbfdjnitt biefeS ©belebens erfreulieher als fein 2lnfang unb feine SfJHtte. 


i 

l 




3Huftrirte Bibliographie. 



J V .' y ^Ku^taibS^u^iift ließt auf bem 2Saffer. £teS fflüerlttfje 23ort 
be 0i ,mt bcutfdicn Bolfe mehr unb mehr in 5$etfdj unb Blut 
V überleben. $aS äßeltmeer, früher inte fo fern unb fremb, rnirb 

img nactl UU ^ liacl ) * 11 c ” ieT ätoeiten fteimat tote bem (£nglänber; 
\ » unb bis tief in’S Biniteitlanb hinein ift baS 3tttcreffe für alles 

Maritime ein fo inteitfiües, baß nicht tn gu ferner 3 c ü baS Ber= 
ftänbniö in nautifdhen Gingen in $eutfd)lanb nicht biel toeniger verbreitet fein mirb 
toie bet unferen angelfächftfdjen Lettern. 3ln SSerfen, bie biefem Sutereffe Rechnung 
tragen unb ertoünfdjte Belehrung bieten, ift getuifc fein SJtoitgel; toenn auch üor ber 
ipattb nach biefer Dichtung hin nicht gu Viel gefcbeben fann; — baS oorliegenbe Bud) 
teuft nun unfere Blide nicht auf baS gro&e SBeltmcer, eS erzählt nicht boit geioal= 
tigen eifeitgepanserten ftriegSfchiffen, ftolgeit ftauffahrteifahrem unb fdjtmmntenben 
9HefettpaIäften, nicht von überfeei|d)eu £änbern; — eS fdnibert nur eilte gahrt in heimifdien 
©etoaffem in bent beufbar befcheibenfteu gahrgeuge, einem einfachen tftuberboot. £a* 
burch toirb bieS 28erf, baS uns lehrt, über bem Blid auf baS ©rofje unb fjerite nicht 
baS kleine uttb -ftaheliegenbe gu öergeffeit, eine roerthbolle ©rgäugung gu jener reid) 
blühcnben £ittcratur, bie mir um fo freubiger begrü&eit, als an berartigeit @r= 
fcheinungen auf bem Biichermarfte gcmif* fein lleberfiufc ift. 2)er Berfaffer, ©portS= 
man, Zünftler unb ©djriftfteller, trat im Suni 1895 in feinem fleineit Boote üon 
©tralau bei Berlin aus eine gahrt an, bie ihn fpree=, höuel=, elbabmärts über öamburg= 
Brunsbüttel gum bamals noch nid)t officiell cröffneteit 9?orb=Oftfee=(5<mal führte. (£r 


9 * 


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SttuftratioitÄprobe au&: „(Sine etnt>icnfaf)rt". 5Bon Otto Sßrofeen. 
Stuttgart, S)«utfd>e S3 erlagSsMttftalt. 


toofjttte ben fYcftlic^feitc« bcr ©analeröffitung bei — auf bereu Säuberung er, toa£ mir 
nt<ht bebauern, üergichtet; er bringt in bie Öucheitmälber Ofi^oIfteinS etn; vertraut (td) 
mit feiner ^ufcfchale bcn SSogeit ber Oftfee an, befucht ßiibecf, Jftafcebitrg, Söi&mar, be« 
fährt bie SBafferläufe uub (Seen SJiecflenburgS unb fe&rt mit reicher fünftlerifder Ausbeute 
nach &aufe gurüd. S&elche fjütte üoit lanbfchaftlichen Steifen biefeS norbifche giachlanb, 
meid) munberttolle 27tottoe beut Zünftler biefe ibtyttifche 9totur, btefe Stäbte, Stäbtchen unb 
meltfrembeu träumenben ?Jkden bieten, lernen mir entgiicft aus ben fjebergetchnungen unb 


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3Uuftrirte Bibliographie. 


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Äoftleffi^en btcfcS SöucbeS fettnen. Die bicfcit 3etkn betgegebeiteu groben mögen babon 
unb bon ber bortrefflic^en Slrt, in toeldjer Otto groben, ber Zünftler, feine fdjöne 2luf= 
gäbe gelöft bat, eine Jöorftettung geben. Slber auch mit ber freber meife ber 3ei<bner 
gettxmDt nmgugeben; unb ein frifdjer §umor ift eine loof)Itf)uenbe äöürje feiner Steife* 
ftbüberuitg, bie eine uns fo nabe unb rei^botte unb bocb fo unbefannte 2öelt erfdjlte&t. 



3auftratton»pro6e au»: „®iite ©tubfeitfaftrt". ©on Otto ©ro&en. 
Stuttgart, ieutfdje ®erIag»*fflnftaU. 


Sitten Siaturfreunben fei biefeS fcböne, auf’S ©ebiegenfte auSgeftattete 22erf, baS be« 
fonberS in ben Greifen ber ^reunbe beS SöafferfportS bielen Slnflattg finben bürfte, marm 
empfohlen. — 1 — 


Zur modernen Dramaturgie. 

©tubien unb Sfritifen über bag beutfdje Dbeater. SSon öligen 3a bei. Olbenbitrg unb 
ßeipgig, ©cbulse’fdje ftofbucbbanbluug, 51. ©cbtoarb. 

511» reife» fd&öne» ©rgebnifc langjähriger 23efcbäftigung mit bem Deuter, feinen 
Siebtem unb auSiibenben Zünftlern bat uns @ugen 3a&el ein grö&ereS SBerf „3ur 
tnobernen Dramaturgie 4 ' bewert, beffen gtoeiter, baS Slu&Ianb bebanbelnber Dbetl, 
bereits erfc^tenen ift, tnäbrenb ber elfte S3anb über baS beutfebe Dbeater nunmebr borliegt. 
Sabel ift, inte befannt, feit mehreren 3ab^ebnten als litterarifdPjer 3-euittetonift unb 
Äritifer an ber berliner „SiationaUeitung" tbätig unb bat boit biefer berborragenben 
©teile aus bie (Snttnicfelung ber moberuen fiitteratur mit forgfältig prüfenbem 23li<f, ein* 


\52 


ZTorb unb Sub. 


gehcnbem SerftänbniR unb treuer Eingabe an ben ©egeitftanb beobachtet; er formte feine 
Arbeiten auf ber ©runblage einer umfaffenben Silbung anferbaueu unb Re mit ungemein 
ftiliftifcher ©etoanbtfjeit auSfiibreu. ©erabe bie „9tatü>natgeitung* legt SSertlj barauf, 
baR ihre Feuilletons auch üor bem Sorurn ber Sßiffenfdjaft befiehlt fbnnen; bort hat 
toeniqer bie gierltcRe Klauberei, bie leicht gur oberfläc{)lid)en unb flüchtigen Seljanblung beS 
(Stoffes berleitet, als ber grünbliche, auch bem Fachmann genügende Effap feine Stätte. 
2öenn 3abel nun jept feine gum grof 3 eit XfKtt boit ber „Sfationalgcitung* beröffentlichten 
.^ritifen unb Eharafteriftifen fammelt, fichtet unb bearbeitet, fo fomrnt ihm für bie 3u= 
fammeuftelluug biefer gerftreitten Arbeiten gu einem Suche eben bie £hatjache gu gute, 
baR ihnen nicht baS Gefeit ber EintagSfritif anhaftet; fonbern baR fie fdjon in ber Stagen 
Leitung als grütibltdie, audi bas £>iftorifd)e bcrücffichtigenbe bramaturgifcRe Stubien er= 
fdjieiten finb. 0ie befriebigeit baS toiffcnfc^aftlidje SebiiTfniR beS LeferS unb erfreuen ihn 
qlcidigeitig burch bie Slnntuth ber Furnt, mit ber 3°bel feine ©oben barbietet. £iefe 
Uluffäfce finb mit einem toarmen ©efühl für bie Sad;e, ber fte bienen, gefchrieben; t)tcr 
fpridjt ein SJiauu, ber fich bem 0tubiitm beS XheaterS als eine Lebensaufgabe getoibmet 
hat, unb beffen Slnfchauungen übrigens aus bem ©runbe noch befottbere Beachtung ber* 
bienen, toeil 3abel aud) praftiftfj bem Später näher getreten ift; auch als bramatifcher 
0chriflfteller hat er ben 3auber beS LampenlidRS au Reh erproben lönneiu 

$er Rarfe Saitb (544 0.) beginnt mit einem intereffanten Sluffafc über bie Sfunft 
beS Vortrages, bie, tote 3 Q M mit s Jfrä)t ausführt, auf bent mobernen Xheater fo fehr 
uemad)läffigt toirb; unb cS betoeift einen echt pabagogifeben SÖXicf, toenn ber Serfaffer 
anregt, baR bie Shutft beS guten Sprechens unb getoanbten SortragenS nicht allein bom 
0d)aufpieler, fonbern boit 3ebermanu, ber im öffentlichen Leben fteht, geübt toerben foOte; 
ia, er legt bie pflege jener fünfte auch ben 0chulen an’S £erg, ba eine toohlgebilbete unb 
fchöite Sprache einer ber toichtigfteu Factoren auf bem LebettStoege fei. 9Hit groRer 
Lebenbigfeit unb 2lnfd]aulid)feit toeiR uns 3abel bie bebeutenbeit fßerfönlichfeiten ber 
Litteratur unb Schaufpielfunft in plaftifd)er $?raft bor unS erfteheu gu taffen, mag er 
nun bei Sefpredjung boit Sertljolb SluerbadjS SftachlaR bie originelle 2lrt fchilbem, in 
ber Reh ber fd)toäbifd)e dichter gab, ober mag ec unS in bie öäuSlicpfeit Start SBerberS 
führen, beS feinfinnigen 2lefthetiferS, bem er mit befottberer Liebe unb Verehrung gugethan 
ift unb beffen Lebensarbeit er in groben flaren 3^0^ barfteUt. 2)en hertorragenben 
iramatifem unferer 3eü gegenüber nimmt 3abet eine gaitg felbftftänbige Stellung eht: 
er toürbigt Söilbenbruch unb Subermann eingehenb unb mit ftarfer Sympathie für ihre 
bidjterifchen 3nbibibualitäten, toährenb er Reh bei ber umfangreichen ©harafteriftif ipaupt* 
mannS boit einfettiger fritiflofer Ueberfchäfeung ebenfo freiguhalten fudjt, toie bon parteiifcher 
Slburtheilung. SSer ber mobernen Dichtung als Stritifer näher tritt, ber toirb nicht 
umhin fönneu, fid) gugleid) gum Kampfe gu rüften, unb gerabe ber Sftitifer ift am 
toenigften bagu auf ber SBelt, um Eompromiffe gu fchliefeen; für ihn toie für ieben 
Streiter gilt ber 2M)nruf „Farbe befennen". &aS thut 3^cl ohne Scheu, auch toenn 
er fich im ©egenfafce gu einer groben 3 a W feiner (Sollegen toeib, unb bas tft immerhin 
ber Slnerfeunung toerth. — SBilbranbtS tiefRmtigem, farbenreichem Schaufpiel „$er Reiftet 
bon Salmpra" toirb ein ganges ©apitei getoibmet, ebenfo mehreren Oranten bon $aul 
Ltnbau, ftulba unb L'Slrronge; in einem (Sapitel ^SBiener Slutoren" toerben etngelne S&erfe 
oon Otaimunb, ^eftrop, 5lngettgntoer unb ber teueren: ^arltoeis, Samplet, ^öurefharb, 
S3ahr, 2:aoib, ^ofmamtSthal unb ©bermann behanbelt. 3mmer ftrebt 3kibel mit gutem 
©efingen bar n ad), feinem Lcfer Silber gu geben unb ihm ben ©egenftanb anfchaulich gu 
rnadien. Um uitS üon bem SSirfen ber Meininger gu ergählen, führt er unS in bie 
Stabt beS ©eorg felbft, in baS 2:hfater unb baS ScftfoR, unb er berfäumt auch 

nicht, uns baS ©rabbenfmal ©hronegfs gu geigen. @tn Luftfpicl boit ®einrid) Lee w ^aS 
©jameit Ä hat ftant auf bie Sühne gebradjt, unb 3abel benuRt biefe Slnregung fofort, 
um aus bem reid)en Schale feiner Stubien unb Erfahrungen eine intereffante Arbeit 
„Staut auf ber Sühne unb im Leben* gufammenguftellen. SefonberS feffelnb ift bie &ethc 
bou ^ünftlerportraits, bie 3abel in einem Eapitcl bereinigt; baS Rnb mit gartem Stifte 
gegeichnete Eab in etsftü cf cfjeit ber EharaftertfimugSfunft, bie alle ©röRen unfereS beutfehen 
XhcaterS, bie SBolter, SJattertourger, Sonnenthal, Saumcifter, Saafe, ©amap, Engels, 
Sotlmer, 2JtatfotoSfp unb .faing in Lebensfülle bor unS erftebett IäRt. So bietet Eugen 
3abel3 bramaturgifcheS 2Berf, baS nun in gtoei Sänben borliegt, ein reiches unb nahegu 
botlftänbigeS Material gur ©efd)id)te beS mobernen XheaterS, unb eS toirb 3<ben, ber fich 
mit mobemer Litteratur befchaftigt, auf baS Lebhaftefte interefRren muffen. ls. 



8ibliograpt|if d}e Hotten. 


{33 


Bibliographifcbe Hotnett. 


fl» Stille frei 3aJ^mtHertd. tftücficbau 
auf f)unbert 3djre geiftiger (Gntmicfelung, 
bciauigegeben öon Dr. 5ßau( 23orn* 
ftein. Banb III. 3ubeit uitb 3ubcns 
thum itu 19.3<th*hunbert. BonDr. 
0. Bernfelb. Berlin, 0. (Gronbad). 

Unmittfürltch regt bad (Gnbe bed 3Gbr s 
hunbcTti, gu beffen bebeutfamften, aller* 
bingi auch unerfreulicpften (Gifdjeinungeit 
Xbeobalb 3fegler in feinem Buche „'Sit 
geifttgen unb foctalen Sfwfl 611 bed 19. 3ubT s 
hunbertd" ben 2lntiiemitidmud gäblt, mehr 
beim je gu Betrachtungen über 3uben unb 
3ubenthunt an. Um fo mehr, aß ba£ 19. 
3abrbunbert für bai 3ubenthum non böeöfter 
Bebcutung getoorbeu ift unb ben 3uben uad) 
langen Kämpfen bie (Gmancipation gebradit 
bat 3n bem ooiliegenben Buche unter* 
nimmt ei Dr. 0. Beruf elo, ein (Gefammt* 
bilb ber 3uben unb ber (Gntaucflung beö 
Subenthumi in $eutfd)foub mähren* bed 
19. 3ahrbunberti gu bieten, toomit felbft* 
oerftänblich eine Betrachtung ber gort* 
entroicflung ber audlänbiicpen 3»ben eng 
oerfitfipft ift. $)er Berfaffer weiß ein gang 
befonber* anfchauliched Bilb non bem Gingen 
ber 3u ben nach (Gleichberedjtigung unö oon 
ben IReformbeftrebungen im 0d)oße bed 
Subenthum» gu gebeu; er berücffid)tigt aber 
in feiner StarfteUung, wenn auch nicht oer= 
tarnt toerben baif, baß ber 0d)toerpunft 
ber (Gntmicfelung bed Subenthumd früher 
gu fueöen ift, bie neue unb neuefte 3eit boch 
aflgu toeniff. 3« ben »ubtigfien (Kapiteln 
ber (Gulturgefchtchte ber beutfehen 3uben im 
19. Safrbunbert gehört unftrettig ihre 
thätige 2lntheilnahme unb Mitmirtung an 
bem 2ludbau ber beutfehen Miffenfdjaft, ihr 
(Einfluß auf ftunft unb ßitteratur. MoUte 
ber Betfaffer biefe rühmlichfte 0eüe ber 
gfortentmicfelung bei Subenthumd, ioie ed 
tbatjächiieh gefchehen ift. gängiid) audjd)ließen, 
unb mar eg feine 2lbfuht, bad 3ubeuthum 
im 19. Subrbunbert wm religiöfen unb 
pdüifchen 0tanbpunfte gu bebanbeln, fo 
fann mau bie Aufgabe auch nicht als oöUig 
gelöft betrauten. Männer toie Itagarud 
unb ber bor Bürgern oerftorbene 0ieinthal, 
bie ©egrünbung ber Bölferpfpchotogie, einer 
neuen SBiffenfchaft, bie gerabe für bad 
Subenthum bon 3ntereffe ift, hätten un* 
bebingt ermähnt merben müffen. 2lUerbiugd 
hinberte ber aJttgu taxg bemeffene iRaum eine 
mettere 2luigeftaltung bed Merfchend, aber 
troftbem hätte ber Berfaffer bie Mitmirfung 
ber 3uben an bem Aufbau unb ber 2iud* 
geftaltung bei S&ufchen SReiched, bie 


parlameutarifd)e £hätigfeit Bambergerd unb 
itadferd, bie begeifterte Sheitnabme ber 
3uben an ben beutfdjen (rin beit* friegen, 
toorüber ftatiftifdjed Material üorliegt, unb 
ütele anbere bebeutfame (Grfcöeinnngeit ge* 
biihrenb beroorhebeu müffen. 2lnbcrerfeitd 
batte eine furge (Grtuähnung aud) ber 3iouid* 
rnud oerbient, eine Belegung, mit ber man 
rechnen muß, troebem itjr bie übertoiegenbe 
Mehrheit mie and) ber 0d)i*eiber biefer 
3eilen oöllig fernftebt. Bielleid)t nimmt 
£>ert Dr. Bentfelb (Gelegenheit, ben über* 
reid)en 0toff, ben gerabe bai 3ubentl)um 
im 19. 3ubrf)unbert bietet, in einem gioeiten 
Bäubeben möglidift gu erfchöpfeit uud fomit 
eine (rrgängung gu bem oorliegenbeii Budje 
gu geben, bai in ber (Gegemoart oon toirf lid) 
actueUem Sntereffe ift 

E. N. 

©ar dreißig 3ahrcn. (^rimterung an 
bai Sfrieg^iabr 1870/71. 

9Haitfe«ttfhum: Bilber aud Moltfei ficben 
unb feiner 3eit. Breslau, 0chlefifche 
Berlag i= N ilnftalt o. 0. 0chott= 
laenber. 

fö'i ift eine getoife gliicfliche 3bee ber 
Bcrlagdbanblung, jene gro&e 3cit, bie nun 
brei 3<*hrgcbnte hinter uns liegt, unb bad 
fiebett bes grofeen 0d)lacbtenbenferd, beffen 
hnnbertjäbrtgen (Geburtstag mir iit biejem 
3abre feiern, lebiglid) im Bilbe uribergu* 
fpiegeln. ^iefe 6I)ronifen ohne Morte — 
an Sejt enthält — abgefeben oon ben 
Bilbenmterfdiriften — bad erft auf= 
geführten SUbum lebiglicb ein ©ebicht oon 
jüsfar SBilba, bad gmeite eine fttrge (Gin= 
Leitung in Brofa — ^ufen bem Befchaiter 
auf bie einfad)fte unb jdjneUfte Bkife aUe 
bie bebeutjamen (Sreigniffe aud ber Merbc» 
geit bed ieutjdieu Dieid)ed unb and bem 
&ebettdgang bed großen löeerfübrerd in’d 
(Gebächtniß, ittbem fie gugleich einen 
fünftlerifdien (Genuß getoäbren. 2ad ^friegs= 
album enthält Bilber ^aifer Milhelmd, Der 
beutfehen dürften unb Verführer, Star* 
ftellungen oott 0d)lachten unb bebeutfamer 
militärijcher unb politifcher Borgänge 
ioäbrenb bed Sfrieged, baiteben manche ($pi* 
jobe unb maudied ^Inefboten* unb (Genre* 
hafte. $5ie tarnen heroorragenber Militär* 
unb $)iftorienmaler finb hier oertreten, u. 2t. 
(G. Bleibtreu, (Sroftd, (G. Junten, 
IR. fötötel, ^och, (Grich Mattfdjaß, 
21. be DteuoiHe, Zf). 9tod)ott, 6. JRöchling, 
0. 0et)moursXhomad, 21. oon Memer. 



ZTorfc unb 5üb. 


XaS 2Mtfe=2übum enthält außer gabt* 
reichen SBilbniffen 2Mtfes auS ben oer* 
fdjicbenfteit Lebensaltern — baritntcr 
befonberS intcreffaitt baS ihn als bäuifeften 
©abetten barftclleube — Silber feiner 
©Itern unb reiner (Gattin, 2lbbilbuugen 
bet Stätten feiner Xhätigfeit — befonberS 
als ©utSberr non ©reifau imb bamit Der« 
buitbeit in feinen rein menfchlkheu ©igen* 
fdiaften lenteit mir ihn in gasreichen 
trefflidjen Zeichnungen oon L. Mettmann 
lernten. $ie ftattlid)e Weibe bet Silber 
fiifjrt unS non ber (Geburt be» ©eiben — 
bie Weprobuctioit beS bicfelbe betreffenben 
23latteS aus bent ftirdreubudie non ^atd)tm 
mirt> befonbereS Sntereffe erregen — burd) 
bie Ocrfdjiebetieu LebenSpbafen bis ju ber 
großartigen Jeier beS 90. (Geburtstages uttb 
gum Sterbebett 9MtleS; unb am Sdiluffe 
oertoeilt uiifer 331icf bei ber ^Betrachtung 
ber XobteumaSfe, bie jdjärfer unb reiner 
als bie SBilber beS Lebens bte ©äfaren* 
linten biefeS SiutlifceS miebergiebt. 

©S ift gu erwarten, baß bie beibeit 
reidibaltigen Silber = ©bronifen bei ihrem 
mäßigen greife üicle Jreunbe ftnbett 
merben. — a. 

©utenber g, SBon $. (G. 53 0 cf e n b e i m er. 
$rucl uttb Verlag ber Wiaiitger &er* 
lagSanftalt unb 2>ruclerci 21.*©. 
2Maing, 1900. 

2lu8 2lnlaß ber glängeitb üerlaitfenen 
Seiet beS fünfhunbertjähngen (Geburtstags 
(GutenbergS bat im Aufträge ber fyeftleitung 
ber rübmlidjft bekannte Wiainger Laub* 
geriditSbirector Dr. 23ocfenbeimer eine für 
toeitere Greife beftimmte Sdirift über beit 
©rfinber ber Vucbbruclerfimft, fein Leben 
unb fein 2Birfeu oeröffeutlid)t. Siefelbe ift 
mit einer 2lngabl anderer Slrbeiteit Oon 
üMnger Sdiriftftellern itt einem üorttebm 
auSgeftatteten, ber ^Bedeutung ber Feier 
entfprecbeuöen 23anb bereinigt unb barf mobl 
als ein VolfSbud) im befferen Sinne beS 
SSorteS begeid)tiet merben. 2Benn foebeit 
gefagt mürbe, baß BoclcubeinterS LXrbeit 
für bte Weiteren Streife beftintmt fei, fo 
barf barauS nicht gefolgert merben, baß 
ber SBcrfaffer aus gioeiter ober gar britter 
©and gefd/öpft habe ttitb nidjt gu beit 
Duellen guriiefgegangen fei. $aS (Gegen* 
tbeil ift ber Sali. ©8 ift eine ber ©aupt* 
aufgaben beS VerfafferS gelbefcit, au bie 
Duellen bie fd)arfe fritifebe Sonde angulegen. 
$>ie berfcbiebeiteit Urfitttben, bie fid) auf 
(Guteuberg beziehen, bat Bocfcnbeinter einer 
juriftifeben ftritil unterzogen, bie gu bem 
böcbft merlmürbigett ©rgebuiß führt, baß 


man bislang auf biefern ©ebietc mit bem 
fritifeben 2fleffcr üiel gu toentg gearbeitet 
bat. (GS ift überaus intereffant, baß bie 
©chtbeit Don Urfunben, bte mit Wüclficbt 
auf bie barin beurfimbeten rechtlichen 33er« 
baltniffe unmöglich echt fein tonnen, fo 
lange überhaupt nid)t aitgegmrifelt mürbe. 
iBocfenbeimer oerbinbet ein feßr umfaffenbeS 
biftorifd)eS Sßiffen mit juriftifcher Schärfe, 
unb feine Arbeit über ©utenberg geigt fo 
recht, mie ungemein erfprießlicb eS für ben 
©iftorifer ift, menn er auch über umfang* 
reiche juriftifdjc ftenntnifFe oerfügt. 8luf 
bie ©itigelbeitcn ber Sdjrift tann hier nicht 
eilig egangeit loerben; biefelbe ift in frifcher, 
baber lebendiger £arftellung oerfaßt uitbmtrb 
and) oon bemienigen gern gclefen loerben, 
meldien bie fpeciftfdi juriftifche Duettentritif 
nicht befoitberS intereffirt. Xie ©utenberg« 
forfdmng, bie bureb baS 9Mnger Jeft eine 
neue Belebung erfahren hat, toirb aber an 
ber Socfeuheimer’fcben Arbeit unb ihren 
gebuiffeit, Oor 2lllem ben uegatioeit, nicht 
oorübergehen Tonnen, ein bleibeitber SBerth 
ift berfclbeit ficher, unb ber SBerfaffer hat ficb 
aufrid)tigen 3>aut bafür oerbient, baß er 
ben unechten Veftanbtbeil beS Duetten* 
materials mit geübter, ficherer ©anb auf^ 
beefte. F. 

Vater flRatevmtS. Vornan aus bem 
fediSgehntcn 3ahrbunbert oon Slbolf 
©auSrath (©eorge Xaplor). Leipgig, 
© tr jel. 

©S fcheint, als ob 2lbolf ©auSrath, Oer 
Vrofeffor für .(tirdiengefcbicbte in ©eibelberg 
— als Üiomanfchriftftetter befanuter unter 
bem Dtamctt ©eorge ^aplor — ben Richter 
immer mehr hinter ben ©eiehrten gurücf« 
treten gu Iaffeit beabfi^tigt; toenigftenS ift 
bieS itt feinem lebten Dtoman „Vater 
OMaternuS" offenbar ber 3fatt. Von bem 
hoben biditerifchen Sftounge, ber beS ÄutorS 
erfte belletriftifche SBerfe „5lntiitou8" unb 
„Stlotia* ausgeichnete, ift im „Vater Stttater« 
nuS" nur in einzelnen Scenen ettoaS gu 
fpiireit; fouft behält gumeift ber beOorragenbe 
SXird)cngefd)ichtSlehrer baS SBort, ber uns 
bie SBerlobberung unb Verfumpftbeit ber 
fatholifcheit Kirche, bie tiefe fittlicbe ©erunter* 
getommenheit beS ÄloftertoefenS im 16. 
3ahrhunbcrt leimen lehrt unb gur SBetoeiS* 
fiihrung hterfür bie Jabel gn feinem Vornan 
erfotmen hat. 3^aß fomit oon einer eigent* 
lidheit epifd)en Spannung innerhalb ber 
Fortführung ber ©anblung, Oon einer rein* 
menfcblichen 2lntheilnahmc für bemt ©e* 
ftaltcn nid)t oiel bie ^iebe feilt lann, ift 
leicht erllärlid). 2)er ©elb beS VucheS ift 



Bibliograpfiifdje Hotten. 


Pater üftatentuS, ein junger Sluguftiiter» 
Pföndj, bet emgieht in Sttom, ber einigen 
6tabt, um, erfüllt non ©laubenSeifcr, ijier 
Vergebung feiner ©ünben gu erflehen — 
toa$ er fleht, toas er erlebt, fteht in greüftera 
28ibcrfprudj gu feiner echten ©ottergebenbeit 
unb grömmigfeit. 2Iufcer ibm ftebt in ber 
Stätte ber $anbluitg SftifobemuS, ein Qube, 
ber bie Xaitfe batte über fid) ergeben laffen, 
um bei einer ber bieten 3»benberfoIgungen 
baS Sehen gu retten, unb feine Xocbter 
Piarietta, bie int föersen ben alten ©lauben 
an ben ©ott ihrer Säter unb feine ©ebote 
treu betoaljrt. 9JHt bem ©d)icffal biefer 
©eftalten, bie hiftorifcp treu in ©harafter 
unb SSefcn, aber bed) nur als ©ebilbe beS 
©efdjidjtsfunbigen, nicht bon ber Schaffend 
traft eines Richters ergeugt, bor uns treten, 
bat bie Sabel beS SudjeS gumeifi gu tbun. 
23obl erleben mir ntit ihnen erfdiütternbe 
0cenen, bie unfere Slntheilnahme toacfjrufen; 
aber balb bäten mir boch nur toieber ben 
Jorfcher fprecheit; mir bergeffeit ben Xidjter 
unb folgen mit lebhaftem 3ntereffe bem 
tünftlerifcben Slufbau, bnreh ben ber ©etebrte 
uns beftimmte gnftänbe einer längft ber- 
gattgenen Seit erlernten lehrt. Slbolf 
§auSrath bat uns mit feinem „Pater 
2ttaternuS" einen uenen Setoeis feiner 
flTOBen ©elebrfamfeit unb feiner fdjrift« 
Merifdjen flunft, aber nicht feines dichter» 
thumS gegeben. A. W. 

8tebbcnftümtc. Silber aus bem ruffifeheit 
Beben bon ©taniSlauS SucaS. 
Stuttgart unb Seipgig, XeutfdjeSers 
IagSanftalt. 

Xer Serfaffer beS borliegeitben SudjeS, 
ber eS in oerhältntfjmäüig furger 3ät uer* 
ftanben hat, ftch bie ungetheilte ©unft beS 
SefepublicumS gu ertoerben, bietet imS hier 
eine litterarifche ©abe, bie toieberum, toie 
Won einige frühere, ben grofeen Sorgug 
bat, bafi fie ©elbftgefdiauteS nnb ©elbfts 
erlebtes in poetif<her sibflärung enthält unb 
bie SebenStoahrpeit ber Spuren ebenfo 
toenig bermiffen läfet, toie bie becente unb 
gefällige Sorm ber Xarftellung. XaS toill 
befagen, bafe ber 2lutor mit feinem gefunbeit 
Realismus gerabe fo toeit geht, tote bie 
ftrenge ©enfur ber heutigen ßefetoelt eS ihm 
geftattet ©in toeiterer Sorgug, ber bortoeg 
©rtodpnung berbient, ift bie frifdje unb 
überaus anfdjaulidje ^aturfchilberung, 
mittelft bereu uns ber Serfaffer in bie 
0ccnerie ber tufftfehen ©teppeulanbfehaft gu 
berfefcen toeifj. SBir lernen bie trofc ihrer 
©intönigfeit überaus reigbotte Banbfdjaft im 
Sommer unb itn SBtnter fennen, unb toer 


*35 

nur über ein Süufdjett Phautafie berfügt, 
tann fid) nach ben BucaS’fdjen ©diilbentttgeit 
ein getreues Silb bon ben ©teppengegenbeu 
beS öftlidjen 9t Urlaubs machen. SefottbcrS 
bie granbtofe ©djönheit, bie beS 2iUnterS 
Herrfdjaft biefer enblofen ©bene berleil)t, 
toirb in feffelnber Steife gefdiilbert 

XaS ruffifdje i'eben unb bie rufftfdhe 
©cfellfdjaft feunt ber Serfaffer aus bem 
©runbe; feine feine Seobad)tuitgSgabc, ber 
bie fleinfteit 3üße nicht entgehen, ift oft 
überrafebenb, unb bie Xppen, bie er uns 
borführt, fiitb Sleifd) unb Slitt, baS er 
felfaft gefdjaitt hat, toemt er auef) für bie 
©eftaltung feiner Sabel ab unb gu bie 
Phantafie gu Hilft genommen haben mag. 
©tuen befonbereit 9teig toeifc er feinen ©r= 
gählungett baburdi gu berleibett, bafe er 
burch gefdjicfte parallelen bie ©runb= 
berfchiebenheit ber ruffifchen uttb ber 
bentfeben BebeuSanfdjauuug bem Befer an* 
febanlid) macht. 

XaS Sud) umfaßt hier ©rgählttngen: 
„Xte berfaufte Srau", „Xuratfdpf", 
„Btuupa, ber §afe" uttb „3toci Siäbdjett". 
Xiefelbeit mpeit tiidjt alle gang auf gleicher 
Höhe. Xi e bollenbetfte ift gtoeifelloS 
„Xuratfdjof", toeldje einen nur in ber 
höheren ntfftfcöen ©cfeUfdjaft mögltd)en 
toeiblicben ©barafter fd)ilbert. @otoobl bie 
Hauptfigur als aud) bie gablreidjeit 9tebeit= 
ftguren fiitb mit grober 0d)cirfe uttb $Har= 
beit gegeid)itet; aud) berfteht cS der Serfaffer, 
feine ©rgäblung mit einem föftlidjeit Humor 
gu toi'trgeit; an paffenben ©teilen fehlt fogar 
eine treffenbe ©atire nicht. „Xie berfaufte 
Srau" enthält äbitlidte, nicht ntiuber fein 
gegeidjnete Xppen, toäbrettb in ,,^nmpa, 
ber Hofe" ber 3lutor uns in bie Sftctfe ber 
ntfrtfchen Sauent unb Sabrifarbeiter führt, 
beren Sehen unb Xreiben er ebenfo gut be= 
obadhtet hat, als baS ber höheren ©efeH= 
fd)aft. frier ift eS, too er befonberS bnreh 
lebeuSuolte ©d)ilberuug ber tointerlichen 
©teppe überrafd)t unb feffelt. „3toei 
Räbchen" fdjeint utiS toegett feiner Sreite 
uttb toegeit beS nicht red)t befriebigettben 
©dihtffes baS am toenigften gelungene 
©tücf beS Stiches gtt fein ; boch fehlen auch 
hier bie intereffaitten 3üge nid)t. 2WeS in 
Slllem ift bas Sud) feljr IcfenStoerth, unb 
toir empfehlen eS angelegcntlid)ft jebem 
Sreuttbe einer getoählten Scctiire. J. G. 

Sohn tut* Quelle oon 

5?atharitta 3delmann (Ä. ^Rinhart). 

XreSben, S^arl ^ietfener. 

©inen getoattigen, erfchütternben ©toff, 
beffen erfd)öpfenbe ©eftaltung einen gangen 



*36 


ttorb unb Süb. 


Siebter öon elementarer Straft ber Reiben« 
fdiaft unb tiefgrihtbiger Sßfpcbologie er* 
forbert, pat in biefem 53ud}e eine toeiblicfje 
Hanb ?^ii formen gejucht. (£itt SHeift, ein 
Otto iiuburig toären bie ÜJtanner getuejen, 
ben gelben btefer Grgäblnng, ber fid) »um 
s Jiid)ter über ben 2>ater auftoirft unb gugleid) 
ba§ Urtfjeil an ihm ooüftrecft, ben eblen 
Verbrecher unb ^atermörber, »u gehalten. 

^itclmann’S Xalettt fonnte eine folche 
Aufgabe nur halb gelingen, immerbin ift 
ihre fceiftung in mancher Hiitficbt beachtend 
toertb, unb menn fie nicht jene (bemalt unb 
aualptifdie geinbeit ber ©celettmalerei, bie 
ber SBortüitrf erforbert, bcmäbrt ftat, fornuß 
man ihr bod) gugeben, baß fte bie 2ftotiDe 
für bie ungeheuerliche $ljat beS gelben, bie 
aus ben burdb ben Oeiditftrm beS Katers 
üerfchulbeten unerträglichen ?yamilienoerhälts 
niffen unb ber leibeiifdiaftlidjcit Grrepbarfctt 
einer ibeat angelegten 3ünglingS|'eele fließen, 
forgfaltig unb übergeugeiib genug flargelegt 
bat. Ghlobtoig Half fiebt feinen au bereit 
3luStoeg. üon ÜÖtotter unb Gefcfjmifterit bas 
burch baS ftamilintpaupt heraufbefdnuorene 
materielle Herberten unb oom 3*ater felbft 
bie brohenbe entchrenbe ©djmad) abgmoenben, 
als burdi bertXob besiegteren, Gh: opfert 
fid) für bie ©einen, iubem er ben Später aus 
bem Hinterhalt tobtet. 2)aß baS Opfer aber 
nidjt nur halben ©egen ober gar Unfegen 
ftifte, muß er baS noch größere bringen, 
bie 2: hat in fich gu oerf^liefeen unb bie 


©ühue, nach ber feine gemarterte ©cele 
oerlangt, ftd) oerfagen. @o trägt ber inner* 
lieh 3ro:iffaie bie Jßaft eines unerträglichen 
TafeinS toeiter, bis ihm ber beuifd)*frangö* 
ftfdje ftrieg bie getminfdjte Gelegenheit bietet, 
fein ieben für eine heilige ©adjie hingugeben 
unb auf bem Sterbebette feine Seele burch 
bie an einen Jfreunb gerichtete Reichte feiner 
Sdjulb gu erleichtern. 2>ie IJtobelle hält 
ben JOefer burch gefchieften Slufbau, ber im 
Söunbe mit bem fcharf gugefpißtat Dialoge 
unb leibenfchaftlich bemegten Scencn oft 
eine bramatifche SBitftmg übt, bis »um Höhe» 
punft, ber üerbretherifdjen £pat beS $elbcn, 
im Sanne, bann aber flaut baS Sntereffe 
beS ^efers ab, ba eS ber Serfafferin nicht 
geglüeft ift, bie feelifche 3etrüttung beS 
Helben, in bem naturgemäß, nadjbem bie 
Seibenfchaft ihr 3iel erreicht hat unb bamit 
oerraucht ift, ber pfpdjifdje unb moralifche 
Umfchlag erfolgt, mit bec Gmbringlid)feit 
bargufteüen, toeldje bie 2$eilnahme beS ßeferS 
für ben Unglücflichen in bem bon ber 33er* 
fafferin erftrebten 2Jtoße erregt unb feftbält 
©o legt man baS Such mit bem Gefühl 
aus ber Hanb, baß hier Gegenftanb unb 
äBirfitng ciitanber nicht üoll entfprechen, 
baß bie Serfafferin, ob fie uns auch oft ge* 
paeft unb ergriffen hat, uns nicht in icne 
mächtige Grfchütterung Oerfeßt hat, meid* in 
ber Größe unb Sragif biefeS SorlourfS 
üerborgen liegt. 0. W. 


L'ebersicht der wichtigsten Zeitschriften- Aufsätze 

von Ernst Weiland-Lübeck. 


AbkUraingen: B. u. W. = Bühne und Welt. — D. Be. = Deutsche Revue. — D. Ba. = Deutsche 
Rundschau. — G. == Gesellschaft. - LL = Internationale Litteraturberichte- — Kr. = Kritik. 
— Ku. — Kunstwart. — Kultur. — L. E. = Das litterarische Echo. — N. = Nation. — N. D. 
Bu. = Neue Deutsche Rundschau. — N. u. S. = Nord uud Süd. — B. U. = Reclams Uni- 
versum. — T. = Türmer. — V. A KL M. = Velhagen & Klasings Monatshefte. — W. Ru. = 
Wiener Rundschau. — Z. = Zukunft — Z. f. B. = Zeitschrift für Bücherfreunde. — Zeit. 


Andersens Jugend. Von 0. Stauf v. d. March. 
T. II. 11. 

Bach, Johann Sebastian. Von K. Storch. 
T. VMK 11. 

- Von R. Batka. Kn. XIII. 20. 

Betz, Franz +. Von C. Droste. B. u. W. 11.23. 

Benziger- Wahlmann, Eleonore. B. u. W. 

II. 22. 

Björnsterne Björn so n. Von G. Brandes. 
B. u. W. n. 22. 

Buddhas Leben und Lehre. Von A. Hart- 
mann. Kr. 100. 

Bühneziästhetik, moderne. Von Anton 
Lindner. W. Ru. IV, 15. 

Chinajammer, Der. — Die waiire Sclmld und 
die rechte Sühne. Von M. Adler. Kr. 101. 


Chinesenkrieg, Der. Von Lynkeus. Z. VIII. 

44. 

Christians, Budolf, (Berliner Bühnenkünstler 
XIII.) Von E. Thiessen. B. u. W . II. 21. 
Deutsche Litteratur des XIX. Jahrh. 

Von A. Drews. W. Ru. IV, 16. 
Engländerei in der deutschen Sprache, 
Die. Von E. Brausewetter. I. L. VII. 6. 
Erdmessung, Die neuere. Von F. R. Helmert. 
D. Rn. 1900. a 

„Erbförster 1 *, Der eiste Entwurf des. Neb«t 
ungedruckten Briefen Otto Ludwigs. Heraus- 
gegeben v. H. H. Houben. B. u. W. II. 22. 

Frankreichs literarischem Leben, Aus. 

Von E. Meyer. 1. L. VIL 14. 



Bibltog 


Französische Lyriker. Von S. Mehring. 
L. E. n. 22. 

Frivolität und Egoismus, Znr Physiologie 
der. Von Heinrich Pudor. W. Rn. IV, 15. 
Gerechtigkeit, Das Mysterium der. Von 
Maurice Maeterlinck. W. Ru. IV, 14, 1 5. 
Goethebund und seine Zukunft, Der. 
D. Re. 1900. & 

H ä ndel f est im Krystall-Polast zu Syden- 
ha.no, Das. Von W. J. Brand. B. u. W. 
IL 22. 

Handelsinte ressen in China, Deutsche. 

Von A. Charpentier. V. & Kl. M. XIV. 12. 
Hase, Karl von. Von E. Franken. Z. VIII. 
47 . 

Heimatkunst. Von F. Servaes. Z. VIII. 47. 
He l d , Franz. Von L. Jacobowski. G. XVI. 
März I. 

Heyse, Paul. Von V' Rath. I. L. VII. 6. 

Hygiene als Obliegenheit des Staates, Die. 

Von G. Bizzozero. D. Re. 1900. 8. 
Internationale Kunst in Paris. Von R. de 
Gourmont. W. Rn. IV. IG. 

Kants Idee des ewigen Friedens — eine 
Ironie P Von K. Ritter. Kr. 191. 
Kretschmer, Edmund. Von A. Kotut. B. u. 
W. IL 23. 

Kultur, persönliche und sachliche. Von 
G. Simmel. N. D. Ru. XI. 7. 

Kunst und Kapitalismus. Von Leo Berg. 

Z. VI TL 43. 

Kunst und Handwerk, Strömungen in. 

Von 0. Eckmann. N. D. Ru. XI. 7. 
Lagerlöf, Selma. (Schwe-drns moderne 
Dichterin.) Von 0. Levertin. Zeit 285. 

Laube-Erinnerungen . Von C. Sontaa. L. E. 
IL 21. 

Lesen und Bildung. Von A. Bettellieim. 
L. EL IL 21. 

Liebknecht, Wilhelm. Von P. Nathan. 
N. 1900. 45. 

Litteratur und Armee. Von L. Jaeobowski. 
N. 1900. 42/43. 

Litteratur im Königreich Sachsen, Die. 

Von H. A. Krüger. L. E. II. 22. 
Litteratur, die neugriechische, der Gegen- 
wart. I. L. VII. 6. 

Luorez, Etwas vom alten. Von A. Mein- 
hardt N. 1900. 45. 

Malayische Mythen. Von Marx Möller. B. n. 
W. II. 22. 

Michael Kohlhas-Stoff auf der Bühne, 
Der. Von E. Wolff (Schluss). B. u. W. II. 21. 
Moltke. Von A. Semerau. N. u. S. 1900 Octob. 
Multatuli, Ein holländischer Dichterphilo- 
soph. Von E. Cotten. I. L. VII. 15. 
Musikalisches aus Paris. Von L. Schmidt. 
B. u. W. II. 23. 

Nietzsche-Ausgabe, Die. Von E. Homeffer. 
Zeit 304. 


rappte. \37 


Nietzsche als Theologe. Von F. v. Opi*‘ln- 
Bionik'.wski. N. u. S. 19(0 October. 

Fr. Nietzsche und Heinr. von Steins 
Briefwechsel. Von E. Förster-Nietzsche. 
N. D Ru. XI. 7. 

Papst thum und Heren wahn. Von Giaf 
v. Hocnsbrocch. D. Re. 1900. 8. 

Pflanzer seele, Die. Von A. Nagel. Kr. 190. 
Philosophie, Die deutsche und ein fran- 
zösischer Lyriker. Von S. Mehring. 
N. 1900. 42. 

Beim, Allerhand über den. Von E. Holzner. 
N. 15XO. 40. 

Bevolution und Resignation als Kunst- 
Piincipien. Von W. Madjeia. G. XVI. 
Mürz II. 

Roffhack, Albert. Von H. Lindau. N. u. 8. 

19C0 October. 

Rnakin. John. Von A. Wilmei>d<>erfVer. N. u. 
S. 1900 Oe! ober. 

Schauspieler-Biographie, Eine. (Ludwig 
Gabillon.) Von M. Üarr. B. u. W. II. 23. 
Schauspielhaus in Hamburg, Das 
deutsche. Von H. E. Wallsee. V. & Kl. M. 
XIV. 12. 

Schiller-Festspiele in Düsseldorf, Die. Von 

J. v. Wildem adt. B. u. W. II. 2J. 
Schubart und seine Tochter Julie. Mit 
ungeilruekten Briefen und Versen. Von 
R. Krams. N. u. S. 11XX) October. 
Secession, Die Berliner. Von R. Klein. G. 
XVI. Aug. I. 

Serao, Mathilde. Von E. Gagliaidi. N. 1900. 
44. 

Theater. Kölner Stadttheater. V» m. II. Von 
H. Eschelbach. B. u. W. II. 22. 

— Pariser Theater-Saison 1899/1900, Die. I. 
Von B. Petzold. B. u. W. II. 22. 

— Wiener Theatern, Von den. IV. Von A. 
Lindner. B. u. W. II. 22. 

— Hannover. Das Theater zu. Von W. K. Satfeini. 
B. u. W. II. 23. 

— Dresdener Oper 1899/1900, Die, Von L. 
Haitinann. B. u. W. II. 23. 

— Londoner Season, Von der. Von E. Freund. 
B. u. W. II. 23. 

„Torgauer Haide“ Die. (Von Otto Ludwig). 

Von W. Golther. B. u. W. II. 21. 

Tachudi, Clara. Von A. Kohur. N. u. 8. 
UX0 October. 

Urheberrecht und Buchhandel in scciall- 
stischer Beleuchtung. Von R L. Prager. 
Ru. XIV. 21. 

Verwandlungen. Von Jolius Stört. N. D. 
Ru. XI. 8. 

Wandertruppen. Von R. M’sch. B. u. W. 
II. 21. 

Weltlitteratur und die Gegenwart, Die 

Von R. M. Meyer. D. Ru. 1 9(0. 8. 

Wie ich Lnstapieldichter wurde. Bekennt- 
nisse von Gust. v. Moser. B. u. W. II. 23. 


Eingegangene Bücher. Besprechung nach Auswahl der Redaction Vorbehalten. 


Ans fremden Znngen. Eine Halbmonats- 
schrift für die moderne Roman- und Novellen- 
litteratur des Auslands. X. Jahrgang. 1900. 
Heft 15. 16. Stuttgart, Deutsche Verlags- 
Anstalt. 

Bli**, Paul, Des Uebels Wurzel. Roman. 
Orlginal-Unischlagzeichnnng von Paul W. Ehr- 
hardt. (Collection Tiefen bach Bd. 9), Leipzig, 
C. F. Tiefenbach, Sep.-Cto. 


Branden, Georg, Aesthetische Studien, l’eber- 
setzt von Alfred Förster. Chailottenburg, 
H. Barsdoif. 

Bruns Margarethe, Die Lieder des werdenden 
Weibes. Minden, J. C. C. Bruns’ Verlag. 
Carpe diem (Nütze den Tag) Horaz, Oden I. 

11, 8. Leipzig, Julius Klinkhardt. 
Crome-Pchwlening, C-, Im Bühnen- Zwielicht. 
Roman. (Collection „Brillant, Band 11). 
Leipzig, C. F. Tiefenbach, Sep.-Cto. 



1 38 


Horb unb Süb. 


Ewert, Dr. Max, Erinnerungen von Willibald 
Alexis. (Aus dem neunzehnten Jahrhundert. 
Briefe und Aufzeichnungen. Hcrausgegeben 
von Karl Emil Franzos.) Berlin, Coneordia 
Deutsche Verlags-Anstalt. 

Herzog-, Rudolf, Komödien des Lebens. 
Dresden, E. Pierson. 

Huberti, Ludwig:, Dr. jur., Ha ndels* Akademie. 
Kaufmämrsche Wochenschrift. VI. Jalirg. 
1KW. Heft H». 12. VII. Jahr- 1900. Heft .‘11. 
Leipzig. Dr. jur. Ludwig Huberti. 

Joseph, Karl, Franz von Sickimren. Histori- 
sches Trauerspiel in fünf Aufzügen. OlTen- 
baeh a. M. E. Kaufholz & Co. (.1. Scherz). 

Kipling:, Rudyard, Diener der Künitrin. Auto* 
risirte Bearbeitung von Curt Abel-Musgrave. 
Mit 4 Illustrationen und dem Bilde Rudyard 
Kiplings. Freiburg i. Br., Friedrich Ernst 
Felisenfeld. 

Krauschner. Irma, Gedichte. Mit Bild der 
Verfasserin. Dresden. E. Pierson. 

Kretzer, Max, Ein verschlossener Mensch. 
Roman. Zweite Aufla-e. Mit einem Bilde 
des Verfassers. Dresden, E. Pierson. 

Kiihnlein, Heinrich, Otto Ludwigs Kampf 
gegen Schiller. Eine dramaturgische Kritik. 
Mit dem Bilde Otto Ludwi-s. Leipzig, 
Connnissions - Verlag von Gustav Fock, 
G. m. b. 11. 

Lasear-Cohn, Prof. Dr., Die Chemie im 
täglichen Leben. Gemeinverstiindliebe Vor 
träge. Vierte verbesserte Aullage. Mit 22 
Abbildungen im Text. Hamburg, Leopold 
Voss. 

Lohmeyer, Julias, Zur See, mein Volk! Die 
besten See-, Flotfen-Lieder und Meerespoesien 
fiii Haus und Schule, vaterländische Vereine 
und Feste. Im Aufträge der Freien Ver- 
einigung für Flottenvoi trüge herausgegeben. 
Leipzig, Breitkopf & Härtel. 

Luoas, Stanislaus, Der Dämon. Roman aus 
dem russischen Nihilistenlebcn. Dresden, 
E. Pierson. 


Mehring, Sigmar, Die französische Lyrik im 
10. Jahrhundert Mit eigenen Uebertragunaen. 
Grossenliain u. Leipzig, Baumert & Ronge. 

Nossig-Prochnik, Dr. Felicie, Zur Soe.o logi- 
schen Methodenlehre mit besonderer Rücksicht 
auf Herbert Spencer. (Berner Studien zur 
Philosophie nnd ihrer Geschichte. Bd. XXIII. 
Herausgegeben von Dr. Ludwig Stein.) Bern, 
C. Sturzenegger. 

Preis - Verzeichnis« über Blumenzwiebeln, 
Knollengewächse, Sämereien zur Herbstau>- 
saat und Frühtreiberei, Pllanzen etc. No. 
1900. Quedlinburg, Pape & Bergmann. 

Schlaf, Johannes, In Dingsda. Zweite Aull. 
Minden, J. C. C. Bruns’ Verlag. 

Schriftsteller- und Journalisten-Kalender 
für das Jahr 1901. Herausgeg. von Emil 
Thomas. Leipzig, Verlag von Walther Fidler. 

Schupp. Ambros, & I., r Die Mucker“. Eine 
Erzählung aus dem Leben der deutschen 

Colonien Brasilien* in dei Gegenwart Pader- 
born, Bon ifacius- Di uckerei. 

Spielmann, Dr. C., Die Taiping-Revolution iu 
China. (1800—1804). Ein Capitel der mensch- 
lichen Tragikomödie. Nebst einem IVkr- 

blick über Geschichte und Entwickelung 
Chinas. Halle a. S., Hermann Gescnius. 

Stave, Ludwig, Verrathene Liebe! (La 
pauvrette. Siegfrieds Tod.) Zwei Novellen. 

(Collection „Brillant 11 , Bd. 10.) Leipzig, 

C. F. Tiefenbach, Sep.-Cto. 

Stryienski, Casimir, Reise der Gräfin Potocka- 
Wonsowicz nach Italien 18*_*C» — 27. Mit nocL 
bisher unverölfentlichten Briefen der Königin 
Caroline v. Neapel, der Königin Katharina v. 
Westfalen u. A. Uebertrag. v. Oskar Marschall 
von Bieberstein. Mit Anhang: Das^Tagebuch 
der Gräfin Franziska Krasinska 175D — 17C2. 
Veröffentlicht von Olymp Chodzko. Nach der 
französischen Uebersetzung bearbeitet von 
Konrad Fisclier. Mit vielen Illustrationen. 
Leipzig, Heinrich 8chmidt & Carl Günther. 

Werner, Richard Maria, Vollendete und 
Ringende. Dichter u. Dichtungeu der Neuzeit- 
Mit neunzehn Porträts. Minden, J. C. C. 
Bruns’ Verlag. 


Rebigirt unter Derantroortlichfeit bes Herausgeber». 

Sdjleflfcfje Sndjbrud’erei, Kunfl* unb £>erlags>24nflalt o. S. Sd?ott!atnber, 8re*to*- 
Unberechtigter nadjbrucf aus bem 3nfialt biefer geitfdjrift unterlagt. lleberfetjungsrecht D0tbelpw ,B * 





Szhw^MäcsiV^^v 5 ^ ::Vu ? ' r ; ei- e ' s ^ . n h B r ^ol au . 



£ ine 6 e u t f d? c 


21t o n a i s )\i) r t f t. 


f?or Jusgc^d'c:! 


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ptuil £iitbcnt. 


X’"V. i^aub. — iTorcinfcer . fvff 284. 

<m " einem pmirmt -n SdNnm.t : <p .. -r , ■ , . 



2? r f s f a u 

-^lüfiföe Pnctbrutferei, Knnft* unb 1'.,, » , 
ü. r. :? cbotti aertber. 



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c ; >. Ar:;!*j-r; : 7Hö^;v:i: Ji iuf v Säotc 1 *fid?rn r 3resldu: , 


Tiotb unb Siib. 


Eine beutfd?<> m o it a t s f d? r i f t 


^erausgegeben 


üon 

Paul £trtbau. 


XCV. 23anb. — ZTooember J900* — ^eft 284. 

fUlit einem portrait in Rabirung: <5eneralfelbmarfc$all <Sraf IPalberfee.) 



25re£lau 

S<if lef t f <^e Badfbrurferei, Kunfl» nitli üerlags>21ttfialt 
p. 5. Sdjottlaenber. 



©fympier. 

Hooelle. 

Don 

— ^nebenan b. Berlin. — 

(Sc^ruß.) 


H M litt einem fetteren Säbeln um btc frönen Sippen trat fie in 
m fl bas nilfarbene ©mpfangSsimmer. 

„Slotbe $aare finb mobern, ob auch rotbe 2lugen, bejroeiffe 
id). Stomm in bie Grefe ba unb beichte. 2 tber ohne frönen, wenn ich 
bitten barf." 

Sie liefen fi<h unter bem elfenbeinbraunen Salbadjin nieber, unb ^nge 
begann — oon ber testen kremiere 3U fpredjen. Sie roar um ein 
3 Rerflidje§ fäiter. ' 

33 ertf)a erftaunte. 

2Ba£ benn I08 fei? Cb fie ibr etrnaS SööfeS getban hätte? 33 er= 
fdjiebene 2 Iu 3 fliid)te, bann nmrbe ber Tbee gebraut. Tann fenfjtc 3nge 
ein paar 3 JJat tief unb 30g ibr meines, mit echten Spifcen befefcteS 
Tüdjlein beraub. Unb beinahe märe auf ein Stücfdjen Sueben, baS fie 
eben jum 9 Wunb führen rooHte, eine große Tbräne getropft, fo ptßßlicb 
»erließ fie ifjre Sebertfdjung. 

föatte ©erttja fie nidjt 5roei, 3toei uotte Tage märten Iaffen, beoor fie 
gefommen mar? 

Fräulein oon Qlfen erfdjten fid) als fdbroere Sünberin unb 30g bie 
bitterlich Sdilucbsenbe an ihre Sruft. 

„Sebent bo<h, Schab, baß noch 2lnbere meiner bebürfen, bie mirflichen 
@runb 3um SBeinen hoben. Tu baft boeb, ernftbaft genommen, feinen." 

9 ticht, nicht? $atte fftafael ihr nicht jüngft oorgeroorfen, baß fie 
anfinge, brutal bief 3U toerben? ©ine ftrau bürfe nie mehr miegen als 

10* 



HO UTarta 3 an *tf c ß e f «* ^tiebenan bei Berlin. 

jweiunbfünfjig Kilo. ©eit jüngRßin effe Re faft nicßtS nteßr, tränfe nur 
©ßce, unb bas märe feßr traurig, benn ißine, ißre £öcßin, fodje fo 
ßimmlifcß. 

33ertßa fprang auf. 3nge faßte fie an ben Rauben. „SBoßin, woßin 
Rßon?" 

„5MoS nacß ber Küdße, um ®ir ein Seefjtea! mit ©i ju befteden." 
„Um ©ott! Keinen Sijfen, feinen SBiffen baoon. Sieber tangfam ju 
©runbe geßen als ißm mißfallen." 

„Slber ©ott im Fimmel, ein ©tüdcßen fvleiftß — " 

„0 idj fenne baö! 3« leßter 3 e ü ftubire itß StaßrungSpßpüologie 
unb weiß feßr gut, was ftarf, was fdjtanf ma<ßt. Stein, nein, taufenbmal 
lieber fterben, als ißm mißfallen. SJebenfe nur, wenn idj ißm audj nod> 
wiberluß mürbe, aud) baS noch!" 

„Sllfo ®u miHft oerßungern?" SSertßa blidte fie unwillig an. 
„IBerßungern? ©ott, man oerßungert nidßt fo fdjnell, unb waßrßaftig 
ißm ju ©efaHen — " 

„Stun, »erßungere im grieben!" gräufein non Slfen erßob Rcß. 
„aSertßa!" 

„Stein, waßrßaftig, ®u bift wirflid) ju bumml" 

Sütit biefen Söorten eilte fyräulein non Qlfen ßinauS, feßrte aber auf 
bem ©orribor roieber um. 

$nge faß ganj gebrodßen in ißrer ©de. 

SBertßa blieb oor ißr fteßen unb ßielt ißr eine ißrebigt. ©ogar laut 
würbe fie in ißrem ©ifer. 

ipiößlidß öffnete ficß ber ©ßüroorßang, unb Stafael blidte fragenb unb 
uerwunbert ßerein. 

SQertßa errötßete über ißre Sebßaftigfeit, bann warf Re fdßneU gefaßt 
baS fjaupt in ben Staden. Unb auf 3nge beutenb: „©ießt Re nidjt etenb 
auS, jantmerooH, wie ein ©felett, fcßminbfüditig? ©ben beiditete fie mir, 
waS fie gegejfen ßabe. ©aS ift ja langfamer ©elbftmorb. $err 3umfen, 
wie fönnen ©ie bas bullten, ober gar — unterftüßen ?" 

$nge etfißraf fo ßeftig übet bie ißt unerßört bünfenbe Äüßnßeit ber 
ftreunbin, baß Re nad) edßter Sadfifdtart eS uorjog, gerfengelb ju geben, 
©ie lief aus bem ^initiier. @r blidte ißr acßfeljudenb nad). 

,,©a prebigett ©ie umfonft, gnäbigeS Fräulein." Unb er bemerfte 
mit ßeintlidjet SHerrounberung, wie feßön 53ertßa in ißrer ©rregung auSfaß, 
Re, bie er bis jetrt für eine ältlidje pßlegmatifdße ©nme geßalten ßatte. 

„©ie ift ein Kinb, £err 3umfen, nimmt jebe 3ßrer Sleußerungen 
gleid) als 53efeßl auf." 

„©aS weiß Stiemanb beffer als icfi." 

„Unb Re ßat ©ie fo unenblid) lieb." 

„SaS wiinRßen ©ie mir bamit anjubeuten ?" 


Olympier. Hl 

„®aß ©ie gut ju ifyc fein fotlen, ihre 9taimtät übet ihren inneren 
SBertfi überfein mögen — " 

„D bitte, ich bin fein ©tjrann! -Klag fie effen, ober nicht effen, wie'g 
ihr beliebt" 

„^a, aber — bodj mir ftefjt nicht im ©eriugften bag 9te<ht ju — 
entfdjulbigen ©ie mich, leert 3umjen!" ©ie neigte leidjt ben Äopf unb 
' entfernte lief). 

©raußen auf beut ©orribor rief fie leife 3nge§ Ulanten. SRiemanb 
antroortete. 

9hm, bann bleibt mir nichts atibereg übrig als ju geben, backte fie 
unmutbig. 

Utafaelg lugen »erfolgten fie. ©iefe ljotf)inüt[)igen, fiegegbewußten, 
überlegenen lugen, ©plagen hätte fie ibn für feinen triumphirenben Slicf 
fönnen. ©u fiebft fa, wag fie für eine ©ang ift! 

@3 giebt URenßhen, benen bie ©abe eigen, IKe, bie in ihre 9Jät)e 
fommen, burdj ben Schein eigener Ueberlegenbeit in Sßerwirrung ju feßen, 
bag ©efüßl itjreS Unroerthg in ihnen ju erzeugen, fie unfidjer ju ma<ben. 
3u biefen Siebengtuütbigen gehörte auch Sfafael. 

©ir müßte auf ben $opf getreten werben, faltberjiger ©goift, bachte 
Sertba, inbem fie leichtfüßig ihrem £aufe jufebritt. 

Unb auf einmal fing fie an ju lachen. 

©ie ßhalt ft<h hetjlog, aber fie lachte bod>, unb non £erjen. SBag 
mar bie SBelt fo fomifdi! SEelcfe ©umme unnöthiger Seiben! 2Bie fchön 
fönnte e§ boch bienieben fein ohne bie fetbftgefchaffenen Ctualen ber 
9Jtenf<hen! 

„®nä gräuln, eg wartet eine grau auf 3bnen!" 

„©ine grau?" 

„Qa, fo ein bifferl bidlich unb »erfcbleiert. 2Jian möcht fie fißeln, 
bamit fie pip fagt. ©ie rebet fein 2Bort. 3$ h fl b’ gleich an ben au& 
gefpannten SBagen brunten im £of benfen müffen." 

„®u bift ein SBlißmäbl ! Ich i a > bag wirb wohl grau Sirfenau fein, 
’g ift ja beute SOtittwod)." 

VI. 

©ie hatte »erfcf)ü<btert an bem ©ßürpfoften gelehnt. SBertßa bot ihr 
bie 4janb unb nötbigte fie fßtaß ju nehmen. Unb bann begann fie über 
SBetter unb Sßeibnacßtgeinfäufe ju reben. 

grau Sirfenau antwortete jerftreut unb hielt in einem fort bie lugen 
auf fie geheftet. 

SBiffen ©ie benn nicht, woju i<h herbeftellt bin? ©g gilt eine 
wichtige ©ntfeßeibung. 3<h erwarte faum bie SDtinute. 

„3«, i<h weiß fchon," antwortete Sertßa laut auf biefe lugenfprache 
— „aber ©ie jittem ju heftig unb finb ju aufgeregt. SBerben ©ie erft 



1^2 JTtaria 3 an *tfd?e? in jjrie&enan bei Seelin. 

ruhig. ©rjäblen Sie mir etwas. Sehen Sie meine Slumen ba auf bem 
genfterbrett an. 2ttle§ felbftgejogene. Sie Vpajintben treiben fchon, als ob 
Januar märe. 33erubigen Sie fid) bo<b, liebe ftrau 33irfenau. SticfetS 
fdbabet ber «Stimme mehr als Stufregung." 

„3a, wenn man fid) nad) ^Belieben beruhigen fönnte!" 

„(Sin wenig bodjj. Unb — überfcfeä|en Sie ni<f»t bie Sfortfjeite, bie 
3I)nen eine felbft noch fo gute Stimme einbrittgen fönnte?" 

2ina SHrfenau fdmttelte ben Jlopf, „Stein, nein, gewife nidfet. Sehen 
Sie, idt) t)abe fefeon SlUeS erwogen. SIber' — mein können reid)t nach 
feiner Seite bin aus. 3<h ftamme aus einer wot)lt)abenben ÄaufmannS» 
familie, wo man bie Södhter nidjts lernen liefe, als ein wenig granjöfifdb 
partiren, etwas (Stainer Wimpern, oieffeiebt nodj nad) gebrudten SRufters 
bogen jeidlmen. S)tir wäre auch bie (Sinfeitigfcit biefer ©rjiebung nie jutn 
SBewufetfein gefommen, benn id) war ja für’S Sehen »erforgt. 3dj butte 
einem wofelfeabenben 2)tann, ber eine fidjere gufunft befafe, meine Vanb 
gereift. SIber Sie als — feine greuitbin werben ja baS SBeitere wiffen." 

SÖertEja tjob baS gefenfte ©efid)t auf. „SBeniger als Sie oorauSfefeen. 
Heber feine Slngetegenbeiten pflegt er nie ju fpredjen." 

„Stun, idb lernte ifen auf einem SJtaSfenfeft fennen. ©inen SJtonat 
fpäter featte er mid) baoon iiberjeugt, bafe idb in einer ungtfidflidben, 
meiner unwürbigen ©fee lebe. SMrfenau oerftänbe midb nidjt unb fo weiter, 
©r war febr mel um mich unb eröffnete mir eine ganj neue SBelt. SJtein 
SJtann liefe ifen gewähren, benn er war feine mifetrauifdbe Statur." 

„©rjäfjten Sie lieber nicht weiter, wenn eS Sie aufregt!" 

„Sld), nun bin id) fdfion babei." Sie ftreifte bie $anbfd)ube ab, als 
ob fie fo beffer fortfoferen fönnte. „6rft nadb geraumer 3eit begann 

er ju nterfen. 3d) bat ibn um Sdbeibung unb Verausgabe meiner etter* 
lidben SJlitgift. @r ging wie ein Srunfener ju unferem Siotar, aber bie 
Sacfec sog ftcfi nodb lange bin, weit er mir — oerjeiben wollte. @S gab 
fcfirecflidbe Scenen. @r uom Vaufe aus an fleinbiirgerlidbe, aber feödbft ge* 
orbnete Serbältniffe gewöhnt, wufete fid) in bem SBirbel, ber über ihn 
bereingebroefeen war, nicht jureefet ju finben. ©r beging gefcfeäftlidbe S3er= 
ftöfee, oertor grofee Summen in feiner Vingenommenbeit non anberert 
®ingen, bie fd)taue Speculanten fofort für jicb auSnüfeten. Sdbtiefetidb 
würbe i<h frei, ©r trat eine Steife nad) ©büe an, wo er ©efdbäftSner* 
binbungen butte. EDie Äinber blieben einftweilen mir überlaffen. 

Stad) oier Rubren ftebe ich — nor ber Stotl)wenbigfeit, mir nerbieneu 
ju miiffen." 

Sie fenfte ben Jtopf. SSertfea atl)mete fdbwer. 

„Vabcn Sie benn baS ©apitat angegriffen?" 

„,3uerft nur inein’S — bann aud) baS ber Äinber." 

„SIber weshalb l;eiratf)et er Sie nicht, ba Sie ihm bodb SllleS geopfert 
haben." 



Olympier. 


«8 

„Gr benft nicht baran; er beburfte ja nur einer ftüfeenben £anb. 
©in jungeg Stäbchen fann nicht geben, wie eg mag, ba war bie grau 
bequemer." 

„kannten (Sie benn nid>t biefe ©epflogenbeit gewiffer Scanner, in 
gewiffen Äreifen?" 

„D nein, gräulein non glfen. g<h befafe fo wenig 2 Bett= unb 
Stenfdienfenntnife. Unb bann giaubte ich Upn jebeg äi>ort. Gr fab fo 

ehrlich aus." 

„Unb rebete non — Siebe?" 

„Von ewiger fogar." 

Vertba jitterte; biefeg Stanneg Söilbnife trug fie in ihrem &erjen! 

Stein brennenber Seib, als ihn, ben man liebt, oerad)teu ju muffen. 

„Unb weigert er fich gerabesu, gljnen feinen Santen 3U geben?" 

„grüher unterbrach er mich immer fürs, wenn id) banon anfing. ®ag 
wäre nidf>t für freie Sienfcben. greie Stenfdjen blieben einanber auch ohne 
ben golbenen Steifen gut. gebt uerbietet er mir fogar, ihn feben 311 
wollen. Gr fefet feinen gufe mehr in meine SBoljnung. gcfe befifce ja 
nichtg mehr, unb an mir felbft mar ihm nie etwas gelegen, wie ich jcfet 
crfenne." 

„grau Virfenau!" 93ertba ergriff bie eisfalten £änbe ber Unglück 
lieben, „werfen Sie fich gbrem Staun 3U güfeen, oieHeidjt oergiebt er 
gbnen 3um ^weiten Stal. $bun ©ie’g gbrer Stiuber wegen!" 

„Steinern Stann 3U güfeen?" Sie faltete bie £mube. „ 2 lber hoben 
Sie eg benn nie erjäbten gehört? ©leid) am 3weiteu fEag nach feiner 
9 tütffef)r oon ber Steife hat er fich bag Sehen genommen." 

33 eibe fdjwiegen. 

3 tad» einer Sßeile meinte Vertba tonto§: „Unb toenn’g mit beni 

Singen nicht geht, wag werben Sie bann tbun?" 

„geh weife nicht." 

„Unb fagten Sie niefet, Sie hofften, abgefehen oon bent pefuniären 
Stoment, auch noch giinftigen Ginflufe auf ihn aug3uüben?" 

„Sch fefteit Sie! 2 >a ich gbnen fefeon fo oiel anoertraut habe, fann 
ich gbnen auch noch bag Sefete anoertrauen. Seit einiger geit hat er fich 
an ein jungeg Stäbchen gehängt, geh siehe ihn eben gar nicht mehr an. 
Vielleicht wenn iefe irgenb eine gertigfeit beiäfee, ©ott, ber Stenfd) fommt 
in feiner Verzweiflung auf alle möglichen Slugfunftgmittel." 

Stuf Vertfeag blaffe SSangen war Vurpurrötbe getreten. Sie hatte ihm 
biefe grau ba oer3ieben. Sie er3ählte nicht triumphirenb oon feiner Siebe, 
oon ihrem ©lüd. Vielleicht würbe fie — ihm fie ba nicht oersieben haben. 

Unb nun foHte eine neue Steigung bie gan3e Vergangenheit unb Meg, 
wag eng mit ihr oerfnüpft war, in ihm oerbrängen? 

Stit glänsenben 2 lugen ftanb Vertha auf unb öffnete ihren glügel. 
Ginige perlenbe Säufe, bann bat fie grau Virfenau heranjutreten. 



1^$ tTtaria 3 an **f < *? e ^ * rt d*»ebenau bei Berlin. 

3« ttjrer SBruft Eämpften bie oerfdjiebenartigften ©mpRnbungen, ne 
unterbrüdte alle in biefetn Sugenblicf, fte wollte nid^tS anbereS als biefer 
amten grau Reifen. 2Benn nur ein günfdien «Stimme ober muRfalifd* 
©egabung in ihr lag, rooHte fie es liegen unb nähren. 


Sie quälten Rd) ©eibe. ©eibe Ratten rotbe SBangen belomtnen, 
©eiber Stirnen waren feucht. 

©ine jerfprungene Saite ober ein ©öglein, baS am ©rfrieren ift unb 
noch einmal leife, Reifer auffdireit . . . 

©ertlja fdfwieg unb fenfte traurig ben Äopf. Sie füllte ihre £änbe 
ergriffen. 

„9tid&tS?" 

„©ein. Sber fomnten Sie halb ju mir. ©ieffeMEjt erftnnen mir 
etwas SitbereS. 3<h neunte großen — mehr Sntljeil als Sie alpten, an 
3bnen." 

Sina Sirlenau wanfte aus bem $auS auf bie Strafe hinaus. 

SBohitt? 

©ie 3 u f un f t lobt, bie ©ergangenbeit nichts mehr als eine berj* 
jerreifjenbe ©rinnerung. 

2Benn er wenigftenS nid)t fo brutal gefdjloffen hätte ! 2Benn er lieber 
— gebeutelt hätte l ©r hätte ja behaupten fönnen, mächtige Seibenfdjaft 
für eine Snbere habe ihn ergriffen, ober Sehnliches. 

Sber er hatte ihr gefagt: 3 TO «f«hen uns ift eS aus. 2Bir haben ein* 
anbet nichts mehr }U fagen, nichts mehr ju geben, nichts hoffen ju laffen. 
GS hat fi<h überlebt. ©eh ©eine SBege, unb la§ mich bie meinigen 
gehn. Unb bas in bem Sugenblid, ba fie ihr lefcteS ©elbftüd geroedjjelt 
hatte. 

©r hatte ihr alle SBertbe ber 3Jtenfd)en unwerth gemacht, felbft ihre 
Äinber hat er ihr oerleibet. ©un ba fie ärmer benn bie ärmfte ©ettlerin, 
geiftig unb phqfifch, baftanb, gab er ihr ben Sbfdjieb. SBaS, um ©otteS* 
willen! follte fte beginnen? SBie alle jene grauen bie für geiftige gnter* 
effen wenig übrig haben, weil fie ihr £auptintereffe, ihre ganje ©rwartung, 
ihre Hoffnung auf eine Äarte gefefet haben: ben 3Jlann, ben fie lieben, 
fo fanb auch Re eine unbefdjreiblidje ©roftlofigfeit unb Seere in Rdj, ba 
biefe eine ©lüefsfarte fie getäufcht hatte. 

Sn Selbftmorb badete fie nicht, baju war fie ju wenig romantifch 
oeranlagt. 

Sie fd)teppte fid) ja $orftS ©tutter unb ergriff in ftummer ©er* 
jweiflung ihre £änbe. 

,,©r ift nicht ju §aufe." ©ie alte ©ame fah Re feinbfelig an. 

„grüher war er immer ju £aufe." 

„©ine reife grau wie Sie mufcte biefen SuSgang ber ©inge oorauS* 
fehen." 



(D lympier. 


H5 


„@r roiberfpradh mir ftets, wenn ich üleljntidheS prophejeite." 
grau Steifen erhob fiel) fjeftig. „2luch bas mußten Sie oerfteßen, 
wenn Sie nadhgebadfjt Ratten; aber Sie höben nie nacßgebadht. 3$ be* 
greife nicht, roie mein Soßn bas 2IHe3 fo lange ertragen fonnte." 

grau Vielfen haßte Sina Sirfenau, bie fie als Verführerin $orft§ 
betrachtete. ttßenn fie bamals mit ifjrem bummen ©elb unb ihrer 9ia<h* 
giebigfeit nicht auf feinem SebenSplan erschienen märe, pietteidfjt märe fdhon 
längfi aus ihm ©troaS geworben. 28ar fie’S nidEit geroefen, bie ben fdfjroadhen 
Seiten feiner Diatur Sorfdfjub geleiftet hotte? 

„2BeSbalb mar idh ihm gut genug, fo lange er noch ©elb bei mir 
mußte?" 

®ie oermeinten 3lugen richteten ftch brofjenb auf bas feine ©eficht ber 
alten £>ame. 

„2Ba3 geht mich baS an? Sie höben ihm oermutl;tidh ebenfo roie 
gßre Siebe, 3h* ©elb nachgeroorfen." 

„Sie irren feßr. ©r hot midß fpftematifdß ausgeplünbert, unter bem 
hinroeis, wenn bie SBett fein ©enie erfennt unb — bejaht, mir 2ltteS 
roiebererftatten ju moffen. Sei ißm mar baS jweite 2Bort: ©elb, ©elb 
unb roieber ©elb. 9tun fleh’ idh ba mit meinen ftinbern, eine Settierin. 
©r foH midß minbeftenS — ehrlidb machen unb mir feinen Flamen geben, 
oielleidht ftnbe idh bann leichter irgenb eine Sefdhäftigung." 

grau Diietfen fcßlug empört bie hänbe jufammen. „2Bie? So roeit 
treiben Sie 3ßre Unoerfdhämtßeit? Sie ßeiratßen? Sie! Um ©otteS* 
mitten! ©ine grau, bie ihren Kann in ben £ob getrieben hat — " 

„Um roeffentroillen?" 

„®ie ißre Stinber oernadßläffiqt — " 

„Unt roeffentroillen?" 

„Scßroeigen Sie oon meinem Soßn! ©in Kenfdß roie er ift berechtigt 
ju tßun, was er für gut holt. ®aS Spiel hat lange genug gebauert." 
„Spiet? 2B«r ißm all baS Spiel?" 

„haben Sie gemeint, baß es ißin ©rnft roäre? Stetten Sie fidh bodh 
nidßt fo albern!" 

„6r hat meine ©jiflenj oernidhtet." 

„Sebeutenben Kenfdßen ift eS erlaubt, anberS ju ßanbeln als ge* 
wohnlichen. ®em ShiSnahmemenfdfjen ift 3l(IeS geflattet, oerfleßen Sie? 
■Keinen Sie, baß er auf 3ßre paar Silberlinge 3tücffi<f)t nehmen fann? 
®aß er gßretroegen oielleidht fein junges jufunftsreiches Sehen opfern ober 
oerfrüppeln roirb?" 

„siber eS ifl ja gar nicht möglich, baß er mich jefct oerläßt, roo er 
mir ätteS genommen hat! So geroiffentoS fann er nidßt ßanbeln !" 

©ie 3lugen ber alten grau Mißten auf. 

„©eroiffen? ©i, idh benfe, baS Sfßort roäre gfjnen ganj unbefannt? 
Dber lehrt 3ßr, wenn ©uer Sortheil bebrängt roirb, plößtidß roieber ju 



JTlarta 3 a **itfdjeF in ^riebenau bet Berlin. 

bcn alten ©öttem jurücf? 3efet, nadfebent ©ie- liefe jut , freien Siebe' be* 
fannten, motten Sie plöfelicfe gebeiratbet fein. Unb nadfebent ©ie felbft ge* 
jeigt haben, bafe 3fenen ber Söegriff ©eroiffen fremb ift, gebrauchen ©ie 
ibn plöfelidfe als DtettungSanfer, an ben ©ie ficfe Kammern möchten. 

Setdfee Siberfprüdfee, mel<be Unf larbeit! Schämen ©ie tiefe unb »er*, 
taffen ©ie mich gefättigft, ich möchte attein fein, unb fann 3fenen gar 
nicht nüfecn." 

,,©ie haben roobt mit ihm »on meinem ©elbe gelebt, beSfealb »er* 
tbeibigen ©ie feine £anblungSroeife." 

SJlit biefen Sorten »erliefe fte bas gimmer. Saturn fottte fie »ot* 
nebm bleiben, roenn bie 2lnbern um fie fo gemein roaren. Stuf ber kreppe 
überlegte fie, ob er roirflidb nicht ju £aufe mar, ober fi<h nur »erleugnen 
liefe? Db er »ietteicht bei ifer mar, ber ttieuen? fftadfe ttieicfetbum batte 
bie nicht auSgefefeen, aber jung unb frifcfe festen fie ju fein. Sina batte 
fte jtoeimat mit iljm auf ber ©trafee getroffen, ©ie irrte burefe bie bunfeln* 
ben ©affen, »erlaffen, gebemütbigt, ohne £>alt »on innen unb aufeen, nach 
&aufe. 


VII. 

Sei ihr mar er nicht, er mar bei fJiafael geroefen. 

Senn er in irgenb einer ©a<he fdferoanfenb ober nicht ganj flar mar, 
ober fi<h roeichere ©eftifefe in ifem regten, flüchtete er ju biefem falten, be* 
rechnenben Ggoiften, bem bie ÜDienfdfeen nichts roeiter als Schahfiguren 
fdfeienen, bie man nach ^Belieben »erfefeen fonnte. 

Senn man bie ©enefis »on 9iafaelS Serbegang befdfereiben fottte, 
miifete man fo beginnen: 

3m ülnfang batte er eine gerabe tttafe. Unb bie Senfeben fanben 
ihn fcfeön. Unb als er bieS ju bemerfen begann, fing er an Jtapital 
barauS ju fdfelagen. ©eine ©Item, fdfelidfete SiirgerSteute, liefeen ifen früh 
geroähren, benn fie fannten feine Schlauheit, feinen Scharfblick ber jebe, 
bie geringfte ©ituation für liefe auSjubeuten »erftanb. 

3n einer Sejiefeuitg roar er roirflicfe genial, ©r roufete roie fein 
3roeiter bie 3been 2lnberer auSjunufeen unb auf ihnen roeiterjubauen. 
fDc'an rourbe fcfeliefeticfe ganj »erroirrt unb unterfefeieb nicht mehr, roaS feine 
eigenen, roaS frembe roaren. Unb er roufete fi<h berart ju geben, bafe ifen 
ttZiemanb anjugreifen raagte. ©r roar flug roie ber ®a»ib beS 2tlten 
fEeftamentS. Unb gleich biefem befafe er ©ebulb unb 2luSbauer. Senn 
bie Sefeauptung ftimmt, bafe jeber Senfdfe eine Seibenfcfeaft befifeen mufe, 
fo roar’S bei ifein ber ©fergeij. SiSfeer hatte er auch SltteS eneiefet, roaS 
ifem beS GrreicfeenS roertb f (feien. 3 m Sehen unb in ber Siebe. • 

®ie 3 ra uen fielen ifem roie Süthen ju güfeen, bie ber grüfetingS* 
roinb »on ben Säumen fdfeüttelt. 



Hoch, nieber, jung, alt, feine fcböne gerabe 9tafe übte 3 “nberfraft 
aus. Unb er batte |t<h langfam baran geroöfntt, roaS er forberte, ju 
erhalten. 

©eine f<hroerrei<hen ©chroiegerettern oergolbeten bie (Strafe, über 
bie er fdiritt, fie fefbft blieben babei ganj befdjeiben unb anfpruibStoS im 
Wintergrün b, benn er tiatte ihnen gleich baS Verhältnih rerbeutlicbt, in- 
bem er ju ihnen 311 ftefjen roünfdhte. Qnge mar für ihn niefit nie! mehr 
als ein fdjöner Papagei, ber genau baS nachiprad), roaS er ibnt uorfagte. 
(Sr hätte fi<b gerounbert, roenn es nicht fo getreten träte, benn er ntar ge= 
ntöhnt, im SBeibe baS ©cho beS SJianneS ju feljett. 2llle biefe Verhältniffe 
trugen baju bei, ihn noch felbftifcher unb eigenberouffter 31 t machen. ©0 
mahlte er fdjtau ju feinem Umgang ÜJlenfbhen, bie focial eine ©tufe unter 
ihm ftanben! @r liebte es immer unb überall ber Ueberlegene, ber 
©ebenbe, ber 9JtUtelpunft ju fein, ©ine felbftfjerrlicfte üftanneSnatur hätte 
er nie neben fi<h gebulbet. 

2 ltS Worft ihn neriaffen hatte, eilte er fort, um einen fyreunb aufju» 
fuchen. an ber ©de einer ©trahe laut ihm Stiepenjroet) entgegen. 

„©ehft ®u roeit? 3 <h begleite ©ich ein ©tüd." 

„3<h? Sch h abe fein beftimmteS 3tel ttor, ich trübere." 

Veibe lasten unb gingen nebeneinanber hin. 

„®u oerlierft ©eine SünglingSnatur nicht, roenn gleich fi<h ©ein 
Scheitel lichtet. 2BaS macht ©eine 2lrbeit? ©rfdheint fie enblidh?" 

„Um ihretroiHen roilbere ich ja. 3dj muh eine $rage beantroortet 
haben, eher — " 

„aus bem ÜJhtnbe einer reinen Sungfrau — " 

„2lüS bem -Dtunb eines nahten ÜDiäbetS, baS htet in ber ©egenb 
roohnt." 

„Sffiieber eine Slnbere?" 

„ach boch bie ©dtetje, tton ber ©inen fpreche ich nicht." 

„föennt fte ©eine — grageluft?" 

„ 2 Bie meinft ®u?" 

„SBeSfjalb holft ®u nicht bei ihr bie antroort?" 

,,©ie ift ju tragifd), ju hoch/ nicht naht genug." 

„Vielleicht fann ich ®>ir bie grage beantroorten." 

„Haft ®u ©igarren bei ©ir?" 

„Vitte." 9?afael reichte if)tn bie Gigarrentafche hin, aus ber er eine 
entnahm unb anjünbete. 

„ÜJtit ihr ift mir übrigens etroaS aergerlidieS paffirt. Dbfchon fie 
meine art mit grauen ju tterfehren fennt, obidhon ich iihr unjählige 9Me 
ertlärt habe, bah mich nur baS ©eelifche am 2Beibe intereffirt, muh üe 
boch anbere Hoffnungen gehegt haben." 

„®u fagteft, glaub ich, einmal, bah fie nicht befonberS roohl* 
habenb fei." 



ITtaria 3anitfd)ef in jriebenan bet Berlin. 


H8 


„So gut roie gar nicht. geh Märte fie nodß einmal über ißre jagßaft 
geäußerten Srrtßümer auf. Um ©otteSroillen, nur baS nicht! 3dß bin 
fein brutaler fDienfcß, ber ein SBeib nimmt, roenn fidß baS 2ßeib mir nicht 
freiroiHig — " 

„Slnbietet — " 

„Siein, fagen mir, in bie 2trme fdßmiegt." 

„Slennft Su ben SDlann brutal, ber fidß ein 2Mb, baS ißm gefällt, 
felbftberrlidh nimmt?" 

„Sn meinen 2lugen ift er ein ©dhtäcßter." 

„2lber roarunt benn? £ör, 2HpßonS, untereinanber machen mir feine 
glaufen, ©u bift ein ganj abgefeimter ©cßurfe." 

„9Jiein (Sott, ba§ hat mir ber gute Joorft fd>on jüngflljin gejagt." 

„&at er’S? $DaS roar nett oon ihm." 

„geh oerfteß’ nicht, weshalb gbr 3lHe auf mir ßerumhacft. Slnfidßten 
ju befämpfen ift blbfinnig. ^cber hat bie feinigen. SrftenS geßt’S mir 
roirflidh weniger um bie fUtufcßel ber 2?enuS, als um fie feCbft: bie dßaoS= 
enttaucfjte ©eele, jroeitenS roenn ich mich fäjon mit ber fDtufdjel jurecht= 
finben foH, muß fie mir freunblidß unb grajiöS roie ®u oorßin fo fdßön 
fagteft ,angeboten‘ werben. Sä) bin nun einmal feine ©cblädhternatur." 

„3lber eine junge Same, — unb aus biefen Streifen, Su bift 
rooljt toll." 

„Slun gut, iä» «erlange ja nicht meljr, id) begnüge mich mit bem 
©enuß, in ißre ftoljen 2lugen ju bticfen. 2lber um für} ju fein: jte ßat 
realer gebaut. 2s>ie es bei unferen SßarabiefeSträumen fortoerblieb 

nnb nicht weiter fam, im ©runbe roeil fie auf ein brutales ©infdhreiten 
meinerfeits, unb ich auf ißr ©ntgegeitfommen wartete, ba roarf fie eines 
SageS ben ftoljen Stopf in ben Siacfen — roaS hatte ich benn nur gleich 
oerbrodßen? Nichtig, ich hatte fie aus Uebermuth in ben flehten ginger 
gebijfen — " 

„£m," räufperte fidh Siafael — 

„unb fagte pathetifcß: ,3llpbonS, baß idh Sir’S gefteße: 3$ höbe nur 
Seine ©eele lieb, idh habe nur Seine ©eele begehrt, laß meinen Keinen 
ginger in 3tuß.‘ Sabei faß fie midh fcßlau unb fromm roie ber Satan 
an. ©ie hat mich burdß jehaut, unb bamit idh bie Sßüre nicht fdhließe oor 
unangenehmen 23erpflicßtuugen, bie mir eine ju roeitgeßenbe gärtlidßfeit 
auferlegen fönute, ift fie ntir juoorgcfommen. ©igentlidß ärgerlich, oon einer 
grau burdhfcßaut unb übertrumpft ju roerben . . ." 

„Slun oerfteße idh, aber hier ift SiaoenoroS SBoßnung — gßr fcib 
natürlidh «erftimmt gegen einanber." 

„33erftimmt? kleine Siebe baoon." 

©ie oerabfchiebeten ftdß oon einanber. 

Siaoenoiü toar oor einer SBiertelftunbe ausgegangen, unb SRafael fam 
gleich roieber ßerab. 



(Olympier. 


H9 


@r fpät»tc nadE) Äiepenjroep, fall ihn aber nicht mehr. ©r ging auf 
Umroegen nach £aufe jurücf. 

gn ber 3iähe feiner SBohnung fah et eine £>otie ©eftalt in oomehmer 
Gattung fich entgegentommen. ©r richtete fidh höher auf. 

«Sie roar’S. 

„©Uten Ülbenb, mein gnäbigeS ^räutein !" 

Sein blonber Stopf neigte ficf» tief. Sie nicfte ihnt flüchtig ju. ghre 
3tugen hatten ihn halb trofcig, halb geringfdjäßig entgegengeblicft. @t fühlte 
fein $erj aufflopfen, blieb flehen unb.fah ihr nadf). ©r fonnte fidh faum 
erinnern, baS jemals gethan ju haben, brauchte er benn ©inet nadh» 
jufehen? Siefen fie ihnt nicht gehorfam jur Seite, rcenn er eS überhaupt 
ber 3Jiühe roerth fanb, für ©ine fidh S u intereffiren? ®iefe Qlfen fdhlug 
ihm jebeSmat gleidhfam mit ihren Slicfen in’S ©efidfjt. ©r fühlte fidh 
empört unb jugleid) angenehm berührt. Sie raar eine guno burdh uni» 
burdh- Unmöglidh, baf? fie jemals ben rohen ©efeHen §orft geliebt hatte! 
Unmöglich! 

Db fie bei feiner grau geroefen? 2BaS fonnte fie eigentlich für guter» 
effe an biefem ©änScfien nehmen? 

Stam fie benn audh — iljretroegen? ©in Schauer burdhlief ihn. ©r 
ftanb nodh auf berfelben Stelle unb ftarrte in bie bunfle Strafe hinab. 

9Benn baS mögtidh märe! 

Unb baS alte, falte, fiegeSgeroiffe Sächeln ging über fein ©eftdht. Sludh 
bie! Me! 

Dben trat er bei gnge ein. Sie roar fehr roth, feljt oerroeint. 

„ 2 ?ar gräulein t»on glfen hier*" 

„ga," ftiefj fie furj heraus unb fehrte fidh «m. 

@r fah fie oerbuht an. 2BaS fiel ihr ein, ihm fo 5 U antroorten? Sie 
roanbte fidh ihm roieber ju unb fah ihn mit ihren Stinberaugen finjter an. 
©r mufjte unroillfürlidh lächeln. 

©S ftanb ihr unroiberftehlidh fomifdh, roenn fie eine foldhe -Btiene 

annahm. 

Ohne ein weiteres SBort entfernte er fich. 2U3 fie feine Sdhritte im 
Jiebenjimmer oerhallen hörte, ftürjte fie ihm nadh unb roarf fidh an feine 
23ruft 

VIII. 

gn Sertlja hatte Sina SirfenauS Sdfjicffal bie tieffte Sfheilnaljme er» 
roeeft. Uebet ihr ©tenb oergafe fie ihre Sdjulb. Sie grübelte, roie fie hier 
helfen fonnte. SßenigftenS äußerlich. £>iefe atme, alternbe grau, fo gar 
nicht jur Sünberin gefchaffen, nur burdh ihre Sefchvänftheit unb bie 
fdhfaue 9tuSnufeungSfunft eines Slnberen auf Slbroege gebradht, that ihr innig 
leib. 9 Benn fie bie -Büttel bajit befeffen hätte, fie roürbe bie Stinber fantmt 
ber 9 JJutter nadh irgenb einem ibpHifdh gelegenen, weit entfernten SDrt 



J50 ITtarta 3<*nitf6ef in ^rtebenau Bei Berlin. 

gebracht haben. Sie -Kutter brauchte nid^t nach ©efcbaftigung auSjufpäben, 
fie batte genug bei ben kleinen nadbjubolen unb ju erjieben. 

An ben fßtan, burcb ©efangSunterridht Erwerb ju ftnben, burfte nidbt 
weiter gebaut werben. 

grau 23irfenau beiafs wcber Stimme noch mufifalifcbeS Talent. Unb 
anbcre Erwerbsquellen? 

23ertl)a grübelte befiänbig barüber nach. Einem bunflen, inftinctioen 
©efüljl nach, glaubte fie, eine gewiffe fßerantwortlicbfeit für bie grau ju 
befißen, bie ber Kann, ber ihr innerlich fo nabe ftanb, ju ©tunbe 
gerietet bjatte. 

AßerbingS, ihre Siebe ju ihm batte unter SinaS Eröffnungen fcbmerj* 
baft gelitten. Sie hätte ftcb nor ihm auf bie Äniee werfen unb ihn 
befdhwören mögen, beS guten Sterns in lieh nicht ju »ergeffen. ®enn an 
ben glaubte fie unentwegt. Sonberbar. 3bre ganjen Vorwürfe richteten 
fi<b nid)t mehr gegen ihn, fonbern gegen bie — Kutter. 2BeSbatb batte 
fie ibn nidht ernfter erjogen? 2BeSf)alb gebrauchte fie ftets baS blöbftnnige 
Sügenwort non ber „Ertramoral", bie bie ©ereeßtigfeit für baS ©enie 
erfunben bat. SBenn fie eine befonbere für ben AuSnabmemenfdben bat, 
bann fönnte es nur eine ftrengere unb anfpruchSoottere fein. ®enn würben 
bem Außergewöhnlichen nicht auch außergewöhnliche ©aben uerlieben, bie er 
höher auSäunüben bat, als ber Anbete? 

könnte fie £orft bodh einmal allein, ganj allein, ohne bie Kutter 
fpredßen. Sie legte fi<h glübenbe SBorte juredßt, bie fie U)m fagen würbe, 
bie ihn bis in’S ^erj treffen foHten. Db fie au<b, wenn fie ihn leibhaftig 
nor fich gehabt hätte, fo gefprodien haben würbe? 

3)iittc Aooember würben mehrere große Oratorien aufgeführt, in benen 
fie bie weibliche £auptpartie j U fingen hatte. ES gab niete groben, niete 
©änge, mancherlei Aufregungen. 

Eines AacßmittagS, es begann fdßon ju bunfeln, als fie fich auf bem 
Aadibaufeweg befanb, fab fte jwei ©eftalten nor fich begehen, bie ihre ganje 
Auftnerffamfeit gefangen nahmen. 

®er Kann im langen, bunflen ©ehtodf, mit bem ungleichen, halb 
fdjncflen, halb tangfamen ©ang, war ^orft. 28er aber war bie ®nme? 
Sina 33irfenau war’S nidht. ES war feine fraulidh entwicfelte ©eftalt. Ein 
claftifdjer Schritt, ein fchmaler Aücfen, über ber ganjen gigur etwas 
^ugeublicfj'-Uebermrtthig^ätijelnbeS. SScrtha fühlte ihre 2Bangen erglühen. 
3orn, Empörung, Angft unb eine gülle noch anberer ihr bunfler ©efiihle 
erwarten in ihr. ®urdß ein Keines, gefeßieft auSgeführteS Kanöuet 

gelang es ihr, bie Seihen auf fich jufommen ju taffen unb fo bie ®ame 
in Augenfdhein ju nehmen. Ein füßeS ©efidhtchen, wie rofige Apfelbtüthen 
im grühting. Afcßblonbe Södfcben umringelten bie niebere weiße Stirne, 
unter ber jwei hellblaue große Augen neugierig fieghaft in bie 28elt lachten. 


I 



Olympier. f5l 

3m Slugenblid als 33ertbo »orüberfchritt, brüdte er gerabe ihren 2lrm an 
ftd) unb raunte ihr etwas ju. 

33ertba fühlte ben ©oben unter ftdj wanfen. 

Stun war Stiles auS. 

Hier batte bie Statur gefprodjen. ©egen biefe Sprache müffen alle non 
SKenfd^cn erbauten ©rünbe oerftumnten. 2luch für fie felbft war SllleS 
aus. Sie erfannte, baj? unter bem ffeuer beS Gbelmutbä, mit bem fie ibm 
2ina nerjteben hotte, bo<h uiel, ntel Hoffnung, Hoffnung für fi<h felbft ner= 
6orgen mar. — 

Stoch immer, na<b Stttem ! . . . 

Sie raubte, bafj ein gunfe ber Schönheit, beS Unangetaftcten in ibm 
glomm, unb ben bot te fie für fi<b hoben raollen. 

3tun hotte biefen Junten, biefeS junge &eUe in ihm, eine Stnbere 
erhalten. 

Ser grühting hotte ben Frühling in ihm eingefaben, unb fte ranften 
Reh umeinanber unb würben SBlumen unb ©lüd aus ihrer güHe er* 
fchaffen .... 

SSertho fühlte ihre S3ruft non Schlucken erfdhüttert. 

SSerloreneS Sehen, nergebene, thörichte Hoffnungen, MeS norüber, 
aus 

$n ihrem bumpfen Scbmerjgefübl bahineilenb, merfte fie eS nicht, 
welchen 2Beg fie einfehlug. 

Sie burdjfreujte frembe fßorflabtgaffen, irrte an ©arten norüber, 
ftberfchritt bie 33rüde, bie ben glu{j überfpannt. ©nblidj fühlte fie ihre 
Subfohlen brennen, blieb fielen unb erfannte bie frembe Umgebung, in bie 
fie geratljen war. 

Sie febrte um. Stach Houfe! Stach Houfe? 

ftamt fie mit biefen wilben fiebernben Slnflagen gegen ©ott unb bie 
SBelt unb lieh felbft, in baS fülle, ihr heilige Heim jurüdfehren, über bem 
ber Segen beS SSaterS fchwebt, beffen Stolj fie war? .... 

Sunfle Stebel finfen über bie Strafen, bie ©aSlaternen finb wie mit 
einem biditen Soleier umgeben, fo wie bei oomebmen Seicbenbegängniffen. 
@S wirb ruhiger unb ruhiger, gramer weniger gufcgänger. Sie Saben 
mit ihren erleuchteten Auslagen werben gefdtloffen. 

gn ben Houfern erlöfdien bie Sichter. gerne üirdhthurmgloden ner= 
ffinben eine norgerüdte Stunbe. Stur fie eilt noch hin wie gejagt non 
innerer Bewegung. 

Sie wähnt fidj noch weit braufjen in frember SSorftabt, unb fteht 
plötzlich uor ihrem HouS. ©in matter rofiger Schimmer fällt »on ihren 
genftem auf ben ©ürgerfteig. 

Urfula hot bie Sarnpe hiueingetragen unb ben Sifch gebedt. Ser 
glfigel fteht geöffnet. 



<52 ITE acta 3anitfdjef in ^rtebenau bei Seriin. 

Ueber bem <£df>rei6tifcf) baä SBitb beä prächtigen alten Solbaten, blidt 
in bie Stube unb fdieint ju fragen: SBo bleibt beute mein Stinb? 2Ba8 
bat eS in SladRt unb SRebet ju Raffen? SertRa! SertRa! 

Sie [ebnt RdR auffdRludRjenb an bie SJlauer ihre« $aufe8. 3®/ roaS 
bat fie in SladRt unb Siebet ju fcRaffen? 

Sie wagt nidRt mit ihrem &afj ReintäufeRren. 

3a, warum tjafftift ®u benn? 2BeiI ein SJlenfdR ber Berechnung ben 
2ßeg jur Statur jurüdgefunben Rat? 

Unb fie will ihm greunbin fein, ihn lieben? 

SJtüRte Re ficf) nicht gerabe bari'tber freuen. Ober ift fie eine ©goiftin 
wie Sitte? Um nidjtS beffer als bie Slnbern, bie beftänbig nur an fid) 
benfen. 

Stein, Re will Rdh freuen. Re will fein wie bie Blumen auf bem 
3elbe, bie ihre Stopfe nach oben Reben, 5 ur Sonne, junt SidRt, jur Freiheit. 

Steine ©ngRerjigfeit, fein fleinlidReä Siebten . . . 

StadR einigen SJtinuten leRnt fie oben in ihrem Seffet am Schreib s 
tifdfji unb blidt, wieber ruRig unb flar in fid» geworben, in ba8 fcRöne alte 
©eRcRt, ba3 it»r non ber 2Sanb entgegenjulächeln fdReint! So bift ®u bie, 
bie idR lieb Rabe, meine ©odRter, ein edRteS wacfereö Solbatenfinb . . . 

IX. 

Unruhige Sßolfen am $orijont. Salb Siegen, halb Reiter, ©ie 
SJtarftweiber bieten fleine weifje SüfdRelcRen SdjneeglöddRen jum Ser* 
fauf aus. 

SlocR ift er fetbft nicRt ba, ber uon Sitten feRnfucRtig erwartete 
3rüRting, aber feine $erolbe blafen bereits fcRmettemb »on affen Seiten 
in’3 Sanb. Frühling ! griiRling! 

„SBarum (äfft ©u ©idR fo feiten feRen, meine fleine, ganj Spmbol 
geworbene 3nge?" 

„SBarum, warum? . . . Soff idR waRr fein?" 

„Slatürlich follft ©u baä." 

„SBeil ®u mir immer — fo weR tRufi. Slber troRbem — ganj 
non ®ir laffen fann id) nidRt." 

Sie fafjen in BertRaS SBoRnjimmer auf bem breiten weicRen SopRa. 
©urd) bie offen ftcRenben ^"enfter brang ber ©lan$, bie fffiärme ber SKärj^ 
fonne herein. 

„3<R ©ir weh? Slber willft ©u benn nidRt Offenheit, wiffft ©u 
benn nidRt StatRfdjläge?" 

3nge fenfte ba» abgeRärnite ©efidRt. „3a, aber nidRt fo fpartanifdR 
Rarte." 

„Stommft ©u mit ©einer S>eicRReit weit?" 

„Gtroa mit ber £>ärte?" 



Olympier. 


{53 


„SBeil ©u fte unflug anwenbeft. fjärte otjrte SBiirbe wirft abftofienb. 
©ir mangelt eins, beffen baS 2Beib nid^t entratben tann: ©ir mangelt ber 
Stolj. ®u bift immer jtät^cEjen non «gieilbronn. ga, b°b er &err, nein, 
hoher §err! ®aS ift für ©einen — gerabe für ©einen üöiann oon 
Uebel." 

„3a, tdj wei|. ©eSbafb febwärmt er fo für ®icfj. ©r nennt ©idh 
3«no. 3<b bin eine ©ans für if)n. 2lber mir liegt ©eine gunobaftigteit 
ni<bt. ©t fagt, er wäre immer ftolä, wenn ©u ju uns fämft. Seiber 
lommft ©u fo fetten, befonbetS in lefeter Beit. S'b möchte ibm gern baS 
©lüd gönnen. 2BeSbatb J>a6t 3br ©udb triebt früher gefannt?" 

„Snge!" 

„SBerjeib mir!" ©ie lernte baS Köpfchen an bie ©dfjulter ber 
gteunbin. „3<b bin eiferfücbtig auf ©idj." 

„©o nimm baS oon mir, was ibm gefällt." 

„2BaS ift eS?" 

,,©u weifjt’S ja. 3 ur ücfbattung, ein gewiffeS ©elbftbewufjtfein. 2tlS 
©u bamals anfingft — wat’S nicht Anfang Sßinter? — ibm bewußter ju 
begegnen, wäre 2lfleS gut geworben. 22enn ©u aber nach jebem ftoljen 
SEßort, baS feine ironifdh geringfdhäfeige 2lrt in bie ©ebranten weifen foll 
— ihm gteidh wieber reumütig um ben £ats fäUft, was foll ftdb ba jum 
Sejferen entwicfeln?" 

„D SBertba! wenn ®u wüfjteft!" 

„2 BaS benn, meine f leine ©urteltaube? ©u oerbungerft tangfam aus 
Siebe ju ihm, ©u färbft ®ir bie |>aare, ®u fefeeft fo ju fagen ©einen 
©Item ben ©tubl oor bie ©büre, weil er fte langweilig fiubet, ®u wagft 
faum bas £auS ju oertaffen, weil es möglich fein tonnte, ba| er nadj 
®ir ju mfen gerubte, ©u oerfebrft mit SOlenfdhen, bie ©ir antipatbifdfj 
ftnb, weit er befreunbet mit ihnen ift, was fehlt noch, um ihn jufrieben 
ju machen?" 

„2Benn ®u wü|teft — " 

„(Sä wäre ihm oieHridjt angenehm, wenn ®u fein fjauS oerliefjeft — " 

©ie- junge grau juette jufammen. „Hiebe nicht fo ©djrectlicbeS ! ©S 
ift — es ift — a<b, i<b fann’S ©ir nicht fagen." 

„£at er — befugt ihn eine ©ante?" 

„@ine ©ame? 9BaS für eine ©ame?" 

„9tun, icb meinte nur, eine, auf bie ®u — eiferfücbtig fein fönntefl." 

„Hiein, es ift etwas ÜlnbeteS. ©enfe ©ir — früher — ad&, fott 
idh’S ©ir witflidj fagen?" 

„©ag’S, wenn’S ©id& erleidhtert, idh fchliege bie 2lugen." 

„®u ©ute! . . . 2ltfo weiht ®u, ju 2lnfang, ganj ju 2lnfang — 
wenn er järtlicb P mir war, ba lag fo etwas barin — etwas ^eiliges 
mö<bt’ idh fagen. Qn biefen ©tunben lam er ganj weidh unb anberS ju 
mir. ©r Kiffte midh, wie man einen jungen 23ogel Kiffen würbe, ben 
Stob ttnb XCV. 284 . 11 



UTatia 3 an ^tf <^ef in ^tiefcenau bei Berlin. 

man nicht aufweden, bem man nicht web tbmt möchte. Sn biefett ©tunben 
»erlangte er feine Klugheit non mir, weifet ©u. Unb tnenn id) mich ju^ 
roeilen über 9J?and)cS fchämte, jum Seifpiel über meine ©(buttem, bie 
bamats fo furchtbar mager maren, ba lächelte er rounbetbar gütig unb 
ftridj mit feiner lieben $anb tiebfofenb übet fie unb »erjiefe mir, bafe i<h 
ein fo bürftigeS ©ing mar. Unb jefet," fd)lu<h}te fte auf — „jefet hoben 
feine £änbe bie 2lnbad)t »erlernt, jene ©tunben finb anberS geworben ; 
tnenn id) auf einen weicheren 33lid »on ihm an feine Stuft fliege. Da 
jögert er, jaubert er, ein 3ug beS ©elangweittfeinS gebt über fein ©ejtdit 
unb bann — bodb — bo<b — " 

Sertba ergriff fte an ben .fjänben. „Unb ©u bift alfo immer bereit, 
jeber leifeften Stegung feiner £amte ju folgen? 35,'enn er ©ich ,wei<h‘ an* 
blieft, wirfft ®u ©ich ihm gleich in bie 2lrme? Qnge, Soge!" 

„SJtein ©ott, wie benn fonft? 3<h — " 

„©ei mhig, fei ruhig." Sertha ging heftig burcb’S 3' mmeic unb 
blieb »or Snge flehen. 

„$öre, i<h propfeejeie ©ir eins. Senor baS gohr herum ift, hot er 
fuh gattj »on ©ir abgefehrt, wenn ©u nicht anberS wirft Sreite bie 
£>änbe unter feine güte, bamit fie ben Soben nicht ju berühren brauchen, 
er wirb’S ©ir nicht banfen. ©chenfe ihm in ©emuth unb Unterwürfigfeit 
Äinber, er wirb es ©ir nicht banfen. dauere ©ag unb SRadjt auf feiner 
©chweHe, wie eine ©flanin »or bem ©ema<he ihres j&erm, bamit ©u jeben 
feiner SBünfche belaufdjeit unb erfüllen fannft, er banffs ©ir ni<ht. ©rete 
©einen grauenfiot} mit güfeen, fei ihm ju willen, wenn er winft, er roirb’S 
©ir nicht banfen. Slber »erfuche einmal feiner befpotifdjen fjerrfchfucht, feinem 
mit allen ©ingen fpietenben SBiHen, feiner ©elbftanbetung ben hohen 2Biber* 
ftanb eines feines SBertljeS bewußten SBeibeS entgegen ju fe|en, unb er 
wirb ©ich — liebe n lernen." 

„2l<h Sertfea, wie fott ich baS?" 

„®u mußt für eine Seit lang weg »on ihm. gort ju ©einen ©Item, 
ober wohin ®u fonft willft. ©r mufe ©ich entbehren, ©eine bemüthige 
Eingebung »ergeffen lernen, bann trittft ®u ihm eines ©ageS entgegen, 
felbftherrlich unb bewufet ber ©naben, bie eine reine grau bem fchenft, ben 
fie liebt." 

„Sch fott ihn »erlaffen? SUber baS ift ja unmöglich." 

„Sift ®u nicht fchou beim Seiten angelangt? Siebfofungen ohne — 
Slnbadit? S<h bin nidjt »erheiratbet, aber ich fühle mit ©ir bie 9tötfee 
ber ©djam auf meinen SBangen brennen — " 

S'ige warf fich an ihre Sruft. „®u, baS tfeut weh, feerjjerreifeenber 
tfjut fein Seib weh, »erfteljft ©u ? ©ir wäre fo etwas nie gefaben, »or 
©ir würbe er fnien — " 

„SBarum? SBeit ich nicht »or ilpn fniete. ©iehft ®u benn baS 
3llteS nidjt ein, ®u Kiub ®u? Unb fiefjft ®u nicht ein, bafe eine grau 



«Olympier. ^55 

tiid^t immer ja fagen barf? bafj fie geijen mit fidb muff, unb ifyrc SJtenfchen* 
mürbe felbjl iferer Siebe nicht opfern barf?" 

„ 2 Bof)in aber foHte ich benn geben? benn — wenn i<b bei ibm bleibe, 
änbere ich micbt nicht, ba« meife id>, baju beberrfdbt er mich ju febr. $u 
meinen ©Item fann i<b nidbt geben, ba« iiebft ®u ein. Qeber mürbe an* 
nehmen, idb hätte midb mit ihm ent 3 weit." 

„3«h reife im (Sommer in’« ©ebirge. 2Babrf<beinlid^ nadb Slorarl* 
berg in ein einfame« Steft, ba« mein SBater febr gern mochte, begleite midb." 
„Steh 23er tba, menn ich’« Könnte!" 

„316er mürbe es ®it andb nüfcen? ©iebft ®n bie SBeroeggrünbe audb 
ein, bie tcb ®it anfftbre, ober — " 

„®ott ja, idb fühle, baf ®u — " 

„Sott ich mit 9tafaet reben, bah er ©idb mit mir täjjt?" 

„Stein, nein, tbu’« nidbt!" Unb bann ein teifeS, traurige«: „Ober 
tbu'S bo<§." 

X. 

©r lag auf feiner Ottomane, al« fie nadb fur 3 em Klopfen bei ihm 
eintrat. Äeine feierliche Slnmelbung, fie mottte ihn überrafdben. 

®a« piolette Sidbt übergofj fein ©eiidbt mit märchenhaften garben. 
6 r fprang erfdbrecft auf. 

„©ie — gräulein pon iglfen!" 

„Saffen «Sie ben (Stuhl, idb fefee ntidb nidbt. 3<h möchte blo« eine 
furje grage an «Sie richten." 

„Stur eine furse?" ©r blictte fie oielfagenb an. 23ertba lädbelte 
ein roenig. 

„SBürben Sie e« febr fc^merjlidb empfmben, menn — gbre grau 
Sie oertiefje?" 

„SJteine grau midb oerlaffen?" ©r oergafj feine $ofe unb machte ein 
überrafdbte« ®ef«ht. ,,©a« — ba« fann ftch roohl niemal« ereignen. 
SBie meinen ©ie e«? 2 tber bitte — " 

„Stein, idb geh® mit gbret ©rlaubnife lieber auf unb nieber." 

©ie roujjte, baft er beim ©ifcen feine meifjen &änbe in ba« blonbe 
#aar oergrub, baff feine fdbroarjen ©ammetärmel mie breffirte fjmtbe 
waren, bie allerlei SJtähdben machten, ®a« mar ihr roibermärtig. ©0 
muffte er au« ßöflidbfeit ebenfall« flehen, ehrlich unb nüchtern auf beiben 
güfeen flehen, ohne SBerjauberungäoerfudbe. 

„Sllfo ©ie glauben nidbt, bafj 3 b®® grau ©ie oetlaffen fönnte?" 
„Offen geflanben — ich oerflebe nicht ganj — " 

„ 2 Hfo um ©ie nicht ju lange ju quälen — idb 9 ®b® in ®ine ©ommer* 
frifdbe, unb gnge befifct ben helfe®« 9Sunf<b, mich ju begleiten, magt aber 
nicht, fleh 3 b«en mitjutbeilen, meil jte meint, ihre Slbroefenbeit mürbe oon 
3 bnen ju fdbmerjUdb empfunben merben." 

11* 



J56 IKaria tn ^tiebettau bet Berlin. 

„©o, fo. ©efieit ©ie für lange fort?" 

„Sie 3eitbauer habe idb noch nid^t genau beftimmt. Sllfo furj unb - 
gut, fönnen ©ie fief) oon ihr trennen? ©ie freut fich furchtbar barauf, 
mal unter SJtenfdben ju fornmen, ihre Siebtidhfeit ein wenig berounbert ju 
fefien, unb fo weiter unb fo weiter, ©ie lebt hier ja wie eine Stonne." 

„$at fie fi<h beftagt?" (Sr fdjlug bie Slugen jur Seele auf. 1 

„Seltagt? ©ott bewahre! 3$ will mich jerftreuen, unb fte fott mit» 
halten." I 

„©ie wollen fid) jerftreuen. 3<h badete immer, ©ie — " er fdjwieg 
mit jenem bebeutungSnolIen 331icf »on norfiin. 

„©ie f (feinen lein SJtenfdhenfenner ju fein, $err 3 um f cn - SBü 
grauen finb ganj anberS, als ©ie »orauSfefcen. Sodh anberS." 

„SMnen ©ie? £m! SaS wäre ja feijr angenehm. 33effer liebet» 
rafdfjungen — als Sangeweile." 

„Sticht wahr? SeShalö — alfo ©ie geflatten gnge, ©ie ju »erlaffen?" 

(Sr juefte bie ©dhultern. „©ewifj, weshalb nicht, wenn eS 3h r 
SSunfcf) ift." 

„SDtein SSunfdh? Stein, es ift gügeS SBunfdf). ©ie will mich be» 
gleiten." 

„Vergeben ©ie, bie J^nitiatioe ift unbebingt »on ghnen ausgegangen. 
SJteine grau lann nie ben SBunfdh geäußert haben, eine Steife ohne midh 
ju madhen." 

3dh weife ja, bah ®u fefir fchöne 91ugen haft, Su braudhft midh gar 
nidht fo ftegeSficher anjufehen. 33ertf»a blidtte ihn itonifdh an. 

„ßamt nidht? SBiefo?" 

„SBiefo? 2Beil es ihr Ueberwinbung foftet, audh nur bie ©trafje 
ohne ntidh ju betreten." 

„©eben ©ie, ba bringe idfj ghnen gteidh bie erfte Ueberrafdbung. 3hre 
grau ift nie »ergnügter, als wenn ihr StäSdjen ein wenig greiheit wittert. 

Unb gar etliche Sßochen ohne SJtann auf bem Sanb ju fein, erfdheint ihr 
ein himmlifdhes SBergnügen." 

„SBerjeihen ©ie, idh glaube, ©ie fdherjen." 

(Sr faht es nidht, ber j&ieb auf feine (Sitelleit fifct. 3tun foQ er audh 
ben jweiten erhalten. 

„SBeShalb foH idh fdherjen? ©eben ©ie, föerr guntfett, gnge ift jung, 
fdhön, »oH Slnrecfit auf baS Seben. ©ie finb älter, ernfi, immer — ich 
möchte fagen, in einer feierlichen ©timmung. SaS muh einem Äinbe wie 
ihr — auf bie Sauer — »ergeben ©ie! langweilig werben! Stein, fagen 
würbe fie es ghnen nie, benn fie blidft ja mit (Shrfurdht wie ju einem 
Sßater ju ghnen auf." 33ertlja wufjte, bah er neununbjwanjig gaf)re alt 
war. ©ie that fo, als ob fie bie alten ^olsfdhnitte in ber -Etappe auf bem 
Sifcfj aufmertfam betrachtete. 



©lymple». J57 

6ine Sßeite fptacfeen 33eibe fein SBort. ©eine Slugen waren unftd^er 
auf fie gerietet. 

©urdhfdhaue ich ©ich, ©u toeiöCid^er Sucifer? ©pridhft ©u ju ©einen 
©uttften? SBiHft ©u meinen ©tauben an fie erfdhüttern, um rntr’S leidster 
jtu machen, mich ®ir ju nähern? D, foldjer Hilfsmittel bebarf eS nicht, 
®u fd&öne Schlaue. 

2Bir ftnb ja Dlpmpier. Slber eS mar grob eingefäbelt. ©ehr grob, 
©afür foffft ©u ein wenig büfeen. SBir ftnb nicht immer in feierlicher 
©timmung, SoShafte. 

SBirft ©u nicht errötben, unnahbare Königin, wenn man ©ich an 
eine gewiffe -Jtieberlage ber SßergangenEjeit erinnert? ©oppett hoch an; 
jufdblagett, wenn man ©ich tro| ihrer in ©naben aufnimmt, Keines 
SJtäbchen, benn baS bift ®u bodh, baS feib 3b* alle. 

„2Penn Sie uorjieben ju ftetjen, mein gnäbigeS ^vräutein, fo erlauben 
Sie, bafe ich iptafe nehme." 

©r ftrecfte ft<b malerifdj in ben hochlehnigen ©effel aus unb flaute 
oontebm läffig ju ihr auf. 

„ÜJtöge 3 n 9 e gehen, ich weife fie ja in guter £ut. Slber fo halb 
reifen ©ie gewife nicht, ©ie, als £orftS gute greuttbin, werben bodh baS 
©nbe feines ißroceffeS abwarten wollen." 

©ie that ihm ben ©efatten, bei &orftS ©twähnung ju erröthen. 

„ißrocefe? 3<h weife »on feinem." 

„SBaferbaftig nicht? grau 33irfenau hat bodh einen ißrocefe gegen ihn 
angeftrengt. @S hanbelt fidh, glaube idh, um ©elbangelegenbeiten ober 
2lehnti<heS ..." 

„®a8 wäre tfeöridbt uon ihr," fagte SBertha ruhig. 

„3a, idh ftnbe eS auch, um fo mehr, als fie bie ©treitigfeit gerabe 
in einem Slugenblicf anfängt, wo ein neues ©lücf üjm ju winfen beginnt." 

©r fah Sertfea burdfjbringenb an. ,,©ie wiffen bodh, er hat ein wunber= 
ffifeeS «Stäbchen fennen gelernt, bas er febr liebt." 

,,©ott fei ©anf!" oerfefete 33ertha innig. 

@S ift, wie idh »orausfefete, badhte er bei ft<h, längft alle ©efühte für 
ihn erlofcfeen. ©ie fehnt ft<h nach Steuern. 

„©ieSmal ift’S feine alternbe ©ante, fonbem ein junges, frifdheS 
Sehen, ©in bebeutfamer Unterfdfjieb, ob eine grau breifeig ober adhtjefen 
gafere jähtt. 3Jtit ber einen umarmt man bie S3ergangenheit, mit ber 
anberen bie gufunft." 

„©elbftoerfiänblidh." ©ie neigte ben Äopf ju ihm herab, „©eben 
Sie, idh fann 3hnen nidht befdhreiben, wie innig ich «*idh übet ßorflS 
Stüdffehr jur Statur, jur ©efunbbeit freue. SludE», bafe bieSmal feine anberen 
gntereffen mitfpredhen. ®aS Stäbchen geht ärmlich gefleibet, es fdheint 
nichts weniger als wofetbabenb ju fein." 

„Stein, bas ift es gewife nicht," ftimmte er ironifdh bei. 



158 Hlaria 3 an itf<bef in ftiebenau bei Berlin. 

„Unb bal giebt mir Hoffnung für £orftl innere SBanblung. ©ie 
wiffen ja — if)re ©timme oibrirte ein wenig, „bajj er mir nicht gfeiChgiltig 
ift. 3$ maChe fein &ef)l baraul. 3$ »erfahre mit ihm feit — ©ott, 
feit meinen Äinberjaljren faft. Sßir trafen uni in ©efeUfdjaften, bei meinen, 
bei feinen Eltern, ©ein Vater mar ein Stegimentlfamerab bei meinigen. 
Saburd), bafs er früh ftarb unb bie SJtutter allein feine Erhebung über* 
nahm, fanben bie Jteime ber Slütffidjtllofigfait, bei Egoilmul, bie wohl 
non fel)cr in ihm gelegen Ratten, nod) leichtere Entroidlung. 3 U bem, mal 
er jefct geworben ift, haben bie 3°h« auf ber 3lfabemie, ba er fern non 
uni mar, ben ©runb gelegt. Er muff bort mit feltfamen 3Jtenf<ben oer* 
febrt haben. — 9)tir gegenüber fiat er bie &etjli<bfait bei 3»geubfreunbel 
ganj nertoren. Er weicht mir aul, obgleich er roiffen mfifcte, bafj ich nie 
aufgebört habe, ihm gut ju fein." 

„3efct finb ©ie’l ihm bocb nicht mehr. 3^t ift boCh Sfllel norüber." 

3hre Vlicte tauften in einanber. 

„SEöte fann fo etwa! norüber fein, wenn el einmal ba war? Stein, 
#err 3 um f e »/ el ift ni<ht norüber. 3<h bin burch feine Verirrungen nur 
noch fefter an ihn gefeffelt. 3<h litt um ihn, i<h gitterte für ihn, unb nun 
habe ich mich, o, fo unendlich habe i<h mich über ihn gefreut 1" . . . 

3hre Slugen leuchteten ihm in fo fetbftlofer ©üte unb SBärme ent* 
gegen, bafj er allen £obn in fich erfterben fühlte. Er begann ben 3trthum 
einpiehen, in bem er einen Stugenblicf lang befangen gemefen mar. 2Bar 
biefer $orft nicht ein Starr, eine folChe Siebe non fich }u weifen? . . . 

„Unb bal 3lllel oertrauen ©ie mir an? SBenn iCh nun auf — unrichtige 
Vermuthungen fäme, ober fChleChten ©ebrauCh non 3h rem ©eftänbnijj machte?" 

„Sal würbe mich ruhig taffen, ,§err 3uinfen." ©ie fChaute ihm frei 
in’l ©efiCht. „©tauben ©ie nidjt, bafj iCh 3hnen etwal mitgetheilt habe, 
wal nicht fdjon Viele wiffen." 

„Sal ift niCht wahr," rief er aufftehenb, in feiner Eigenliebe oerlefct. 

„SJtiCh flimmert nicht, wal bie Slnberen non mir benfen, nur, wal 

ich felbft non mir beule. Slbieu!" 

* * 

* 

„SBo warft Su fo enblol lange?" 

3nge blicfte forfdjenb in Verttjal firahtenbe Slugen. ©ie hatte in 
fieberhafter Ungebutb auf ne gewartet. „Unb welhalb glühen Seine 
SBangen fo?" 

„3Ch habe non ihm gefprodjen, ben iCh lieb habe." 

„©o ift’l alfo boCh wafjr, wal iCh einmal gehört habe! Sinne, arme 
Vertha!" 

„SBal, Sinne? Unfinn! 9Jtach’ ©eine Steifeuorbereitungen. SBir gehen 
in ein paar SBoChen. Er nertraut 'Sich mir an." 

©ie eilte fort. Unterwegl fielen ihr Stafaetl SBorte non $rau Virfenaul 
fßrocefj ein. 



©lympter. \59 

2ßaS follte baS fjcifectt ? ®aS mar ja barer Unfinn. ©ie richtete 
ihre ©dritte nach SinaS SBohnung. ©S war fcfion längft ifjre Slbfid&t ge« 
roefen, bie grau ju befugen. 9lun wollte fie’S nidjt länger mehr auffchieben. 

©ie fanb fie wie baS erfte SJlal in einem oernacfiläffigten -äJtorgenanjug. 
ghr @efid)t war nod) »ergrämter, unb ein frember 2luSbrucf, ber Bertha 
erfchrecfte, fpradfe aus ifjm. 

,,gdfe will ihm fein neues SiebeSglüdf ein wenig ftören." 

„216 er woju benn? 2Bemt ©ie fi<h mit ihm bereits auSeinanbergefefct 
haben. Saffen ©ie ihn bod) feine SBege gehen. ©türjen ©ie ihn nicht in 
neue ©orgen." 

„©ie jtnb wohl non ihm gefdjidt?" 

Bertha ergriff tiebeooll bie &änbe ber SCufgcregten. „Sieben ©ie 
feinen Unfinn, gute grau Birfenau. gef) höbe feit Sßochen fein 2Bort mit 
ihm gemedhfelt. geh wunbere mich nur über ghr falfcfeeS Vorgehen. SBoher 
foüfe er roofel bie -Kittel jur Tilgung feiner ©djulb an ©ie hewehmen?" 

„$aS ift nicht meine Sache, bas fann ja fie arrangiren." 

„geh glaube, fie ift noch mittellofer als er." 

„Schöne Bagage alle jufammen." ©eit ber lebte ßoffnungSjiraljl oon 
ihr gewichen war, batte fie alle Haltung »erloren. 

„Renten ©ie hoch lieber an bie gufunft, grau Birfenau. Saffen 
Sie bas Bergangene. Ueberlegen ©ie, ob ich ghnen nicht irgenbwie nüb= 
lieh fein fönnte." 

Sina Birfenau fchüttelte ben Kopf. „geh banfe ghnen, gräulein non 
3lfen! SGBiffen ©ie, ich höbe fefjon 3lHeS erwogen, gort wiH ich nicht. 
3<h wiH ihm recht oft begegnen, wenn er mit ihr geht, baS wirb baS ©liicf 
meiner fünftigen SEage bilben. Bielleicht fpäter in Sumpen — " 

„Slber tiebfte grau — " 

„^ebenfalls aber foH er mich fehen, was iljn febeS 9)tal in gute 
Saune »erfefcen wirb, gier bie Kinber, bas helfet ben Knaben unb baS 
eine ber aJiäbefjen, will eine meiner Berwanbten BenfionSgelb in eine ©r= 
jiehungSanfialt bejahen. ®aS anbere -Käbchen ift jtoölf gahre, wir beibe 
werben unS fchon burchjubringen wiffen. geh bin noch nicht alt. SBenn 
ich auch ihm nicht mehr gefiel, anbere finben mich nodh nicht fo übel. Unb 
bie Kleine wächft auch heran." 

Bertfeo fchouerte. „Sie wiffen nicht, was ©ie reben. Kommen ©ie 
bod) jur Bernunft. @S ift ein fernerer, boppelter Sdflag, ber ©ie traf, 
a6er ©ie brauchen ji<h nodh nicht ganj oerloren ju geben, ©ie bürfen es 
nicht, ber Kinber wegen." 

„2l<h ja, bie Kinber, immer fie! 2)aß id) halb wahnfinnig oot — " 
fte fnirfdhte bie gähne jufammen. 

„©eien ©ie milb, grau Birfenau. ©ie haben ja auch — bamalS! 
— ein £erj töbtlich wertest, wunbert ©ie jefct bie Bergeltung?" 

„gdh räche ihn mit, haben ©ie feine ©orge." 



160 OTatia 3 a >i»tf<hef in ^riebeitan bei Berlin. 

„2Bit unb feine vernunftlofen ©ef$öpfe, grau Birfenau, ni$t allein 
ber ÜJtamt, au$ bie grau trägt bie Beantwortung für $ten 3rrtf(ttm/ 

„91$ roaä! 3$ weih, baff i$ oljne Uw nie bas geworben märe, mal 
i$ jefet werbe. Qa, gefeit ©ie nur, ©ie tfiun beffer baran. ©ie finb ein 
behütetes gräulein, ba§ feine Slbnung bavon i>at, was ein 9Beib leiben 
fann. — " 

„Stein, i$ f»abe feine 9U)nung baoon." Sertfja f$ritt fjinauö. ©3 
war ifjr web }um ©terben . . . 


XI. 

„91$ biefer f$recfli$e äBilbba$, weshalb brauft er nur? Unb biefe 
gelfenwänbe, an benen immer unb ewig brohenbe SBolfenungeljeuer bangen. 
SWan erfticft faft vor ©rauen ..." 

„9lber 3nge! ©ieb bo$ bie fjetrli$en Farben biefer SBolfenungeheuer. 
Balb rotb wie brennenbe ©äulen aus SBalbaHa, halb f$warj unb büfter 
wie eine nabenbe ©intflutb, halb bur$fi$tig wie ©$leier, bur$ bie man 
ben hoben biauen £immel erfennt. Unb bie majefiätif $en Berge mit ihren 
glibernben ©$neefelbern, auf benen bie 9lbenbfonne fo jauberhaft rubt. 
Unb ber ©pringinSfelb, ber tofenbe junge 33 a$ ba, ber erft vor Äußern 
bur$ ©$neelawinen feine Sßaffer erhielt, baS SflleS ift bo$ fo f$ön, fo 
erhaben unb gar ni$t jum $viir$ten." 

„Unb 9lbenbs, wenn bie g-inftemib aus ben ©$lu$ten frie$t unb wir 
o allein mit biefer frentben 33auernfamilie . . ." 

„91$, biefe fffinjternib ift ja voll ©teme, voll geheimer 3ärtti$feit, 
bah ®u baS 9lfleS ni$t empfinbefl!" 

„3$ hob’ bie ©oitne unb bie 33lumen fo lieb . . ." 

„33 lief ba in’S 2$al hinab, ba ruht fie no$ unten unb vergolbet bie 
fleinen Jütten." 

3nge vertieft fi$ in baS traumf$öne 33ilb ju ihren frühen. 33ertba 
beginnt necfif$ mit ihrer bunften füfen ©timme ju fingen: „Stur wer bie 
©ehnfu$t fennt, weih, waS i$ leibe . . ." 

©ie la$en unb gehen einanber umf$(ungen haltenb in baS f$mucfe 
£auS am tofenben 33a$, wo ber Bergführer ©$waiger ihnen jwei ©tuben 
überlaffen h«t- Sttge muh ber hier henf$enben Stühle wegen wollene 
Jlleiber unb S)iäntel tragen. 

©ie ma$t }u bem 9lHen ein unglü<Hi$e8 ©efid^t. Bertha labt Tie 
viel allein. 9lhfi$tli$. 

Bertha ift voE Trieben in biefer gewaltigen emften Statur, bie über 
baS ©injeiempfinben hinweg hebt. 5Die ©wigfeit f$aut mit falten groben 
9lugen ben weihen Bergen über bie ©$ulter . . . 

SBarum feib ihr 9Jtenf$en ni$t grob wie i$, ft$ erbarmenb beS 
Äleinen, bejfen, ber weint, felbft aber über allen $hränen fteht. SBarum 



Olympier, 


wollt ihr Sftutter, nur immer Äinb fein? bin bie große 3Ser= 
traute, bie SlHeS oerflebt, bur4f4aut, {»egt, nährt, fetbft aber ni(f»t§ für 
fidj begehrt. 94 bin gtüdtidj. SBarum feib ibr nicf)t gtüdiidj. 

$ragt eu4! . . • 

„Seg Sein Slonbföpfl an meine 33 ruft SB ein’, wein’ Si4 aug." 

„94 bin fo neriaffen. füt»le mich tobtelenb." 

„Seoor Su fürbft, fag’g mir. 9n einer halben Stunbe ift gepadt." 

„Su la<bft ju meiner Seräweiflung." 

„94 fann ni4t anberg alg baju la4en. 94 la4e ia au4 über 
mi4. ©eh in beit Sßalb, leg Sid) in’g 2Roo3 unb fcbliejj bie 9lugen. 
Ober jteig auf bie £öben unb öffne fte weit" . . . 

3uerft 24ränenftimmungen, bie Unruhe beg Äinbeg, bag, allein ge* 
lajfen, ni4t weiß, mag eg beginnen fotl. Sann bie bleierne Sangeineile 
f4on mit einem Son in’g Rubigerwerben. Sann ein tiefeg 2lufatbmen 
unb — 3iugenauff4lagen . . . 

83ertba fiebt bag Meg mit beobadtenbem Slid unb freut R4 über 
3uge. — 

©ie haben Selbe fein Su4, ni4tg jum Sefen bei fi4- Sertlja bat 
mit fi4 fetbft genug ju tbun, unb non 9 n S e nerlangt fie ein tnenig grau* 
fam, baß fie einmal „nadjjubenfen" anfange, ©ie unternehmen weite, 
ni4t ganj gefabrfofe ©pajiergänge über Reifen unb ©cfneefelbet, in frembe 
Sßäter. 2Benn 9uge ju ermatten im 33egriff ift, muntert fie 33ertbag berb* 
bumoriftif4e Surecbttneifung inieber auf. 

©ie beginnt fetbftftänbiger ju werben unb — an ft4 ju glauben. 
Sie hört nkbt immer ihre ©infalt betonen, im ©egentbeil, bie greunbin 
fteüt 3nmutbungen an fie, tnie man fte nur an tü4tige, ftuge fDJenfcfien 
fteUen fann. 9b r blaffe», magereg ©efid»t4en, ber Suft unb ©onne aug* 
gefegt, nimmt eine tiefere 9arbe an. Sie £aare finb roieber golbig wie 
früher. Ser f4male Körper roirb ftoljer unb trägt bewußter ben jungen 
Jlopf. — 

3ln Regentagen bleiben fie in ber ©tube. Sann reben fte bummeg 
3eug wie jwei JUnber, bah bie Säuerin braußen am $erb über ihr über* 
mütbigeg Sa4en ben Slopf f4üttett. 2tber Sertßa weiß fetbft biefen $arm* 
lofigfeiten ein Äörn4en ©ebatt ju geben, ©ineg Sageg oertraut ihr 9 iu je 
ein grofeeg ©ebeitnniß an. ©ie bat fi4 mit bem 2Bilbba4 auggeföbnt. 

„Su toirft feine ©timme nod» tiebgeroinnen wie bie Seiner SRutter. 
Sie ganje Ratur hier wirft Su liebgewonnen unb Si4 ungern oon ihr 
trennen." 

Saran jweifelt nun 9age. Sie fennt ©inen, ber ihr mehr ift alg 
alle föerclidjfeit hier. 

Sertba ahnt ihren ©ebanfengang unb tä4elt. Unb ihr eigeneg Seib, 
bag, wenn au<b beberrf4t, gebunben bur4 bie Äraft ber 6infi4t unb beg 
SSitteng, bodb weiter f4mer3t, judt heißer in ihr auf . . . 



\62 


tHaria 3«nitfdjcf in ^nebenan bet Berlin. 


3a, Ujr Slottbföpfl bat’g gut. «Sie lefjrt eg bag ©lücf ju ergeben. 
Sie felbft ift augficbtslog . . . Qmmer ber Ggoigmug! ©ag Seinen nadj 
Selbftbcfriebigung! 

2lts ob eä nicht fdjon ein polier ©ennjj wäre, gut fein }u bfirfen! 
Üttelleidjt ber t)5d)fte! . . . 


XII. 

©ag erfte ©eroitter ging nieber. 

©a ftanb er unter ber ©büre, geblenbet uon ben judenben Stilen 
über feinem fjjaupt, betäubt oon bent ©rollen beg ©onnerg, bem ljunbert= 
fa<$eg Gdjo antwortete. 

„Sie finb erftaunt — " 

„3nge! 3nge!" 

Sie flog ^erbei unb bebeefte balbobnitiädjtig oor Ueberrafdhung unb 
3reube feinen triefenben ÜDtantel mit Äüffen. 

Sertlja ging leife jur ©hüte. 

Gr eilte ibr nach unb faßte fte ungepni an ben #änben. „Stein, 
Sie füllen bleiben. Sie foHen bleiben." ©ag war nidjt ißofe. — 

„Seljen Sie fie bodj an. Stad) fed)g SBodjen!" 

Sein SBlicf ftreifte gleidhgiltig über $nge. 

„Sie fiebt gut aug." 

®a abnte SBertba, um weffentwitlen er gefommen war. — Sie fenfte 
ben ßopf. Unb jum jweiten SDtat rifj fie um 3ngeg willen bie Sßunbe 
ibreg ^erjeng auf. 

„2Bie gebt eg — £orft?" 

Gin fdjarfeg, bäftlidieg Sädieln. Sllfo b o cf( nod), noch immer! . . 

„2T'ie eg £orft gebt? Gr bat fidj oerlobt." 

3nge legte beit Sinn um bie greuttbin. 33ertlja machte fi<b frei. 

„@ott fei ©an!!" 

Siebt, fie foH nicht triumplpren, bafc ihre mpftifeben ©ebete um fein 
©utwerben Grbötung gefunben haben . . . 

„Stidjt mit bem flehten I;übfcftett SDiäbdjen, Fräulein oon 3If cn - 9Wit 
Gmilie 3 a fobp." 

3nge mad)te eine Bewegung beg Sdjredeng. 

„SDlit — bie ©ante ift mir nidjt befannt." 

„3iid)t befannt? SBie fönnen Sie bag fagen?" Gr fprach tangfam, 
jebeg SBort fdftarf wie ein ÜDieffer. 

„Sie fentten bod) Gmilie 3 n fobp, bie immer im 21'ägelchen gefahren 
wirb, bie ©aubftnimnc, fie foH auch ein wenig blbbünnig, aber — febr 
reidj fein." Gr febmieg. 3llg er jeboefj feinevlei Bewegung auf SBertbag 
ruhigem ©dicht wabntabm, feßte er nod) bin.pt : 

„2Bie idj erjäblen hörte, hätte bie ^odjteit fdjon ftattfinben fallen, — 
er geht feljc ftünnifdh in’g geug, aber bie SBerroanbten machten allerlei 



©lymptet. J63 

©chwierigfeiten. Stun hat er ifjre Vebenfen überwunben. Qn biefen Sagen 
ftnbet bie Vermählung ftatt." 

„2Bie wunbetlid)," fagte Vertfea geladen. Unb battn leidjtljiit: „9iun 
a6er entlebigen Sie fi<h 3ieS naffen SJlontetS. Qnge wirb für 3h te Ve 
quemlichfeit forgett." 

9)iit ber SBürbe einer Königin neigte iie ben Kopf »or ihm, unb 
fdiritt, ihren Umgang uni werfenb, hinauf! 

Unb ba uerroanbelte ficf) ber Siegen, wie es oft im ©ebirgc uorfommt, 
in Schnee unb bebecfte ifjr &aar unb mad;te es weife . . . 


Gr fanerte wie ein Sieb auf einen 2lugenbtid beS SllleinfeinS mit 
ihr. Unb als am nädjften Sag ein fotd^er eintrat, fab fie feine 2lugen mit 
fieberhafter Spannung auf fid& gerietet. 

„Slun h«6en Sie bocf) nur mehr Verachtung für ihn?" 

„Verachtung? 2Bie fann ein Dtgmpier plotjüdf) moralifch beurtheilen 
toollen? Qdh uerachte ihn weber, nodj habe ich aufgefjört ihn ju lieben? 
3a, ich liebe ihn noch beifeer, ich werbe um feinetroiHen noch inniger auf 
bie ©nabe ©otteS uertrauen . . ." 

Sa oerftummte Slafaet. 

3lm nächften Sag framte er einige Veweggrünbe ans, bie ihn leiber 
pängen, fofort wieber abjureifen. 

3nge blieb gefaxt. Gr hotte fich auf fentimentale Scenen oon ihr 
»orbereitet unb mar offenbar erftaunt, bafe fie feinem Vorhaben feine Gim 
roänbe entgegenfefcte. Gr würbigte fie eines längeren VlideS unb fanb fie 
in SBirflichfeit ueränbert. Samit fie nur ja nidjt glaube, fie gefiele ihm 
etwa, fagte er nach feinet flüchtigen SJtufterung, „Su fiehft ja fcfeeufelid) in 
biefen SBotttappen aus." 

Unb nun ereignete fich baS SEßunberbare. Slnftatt wie früher gefränft 
ober auf’s Sieffte befhämt ju werben, jucfte fie gleichmütig bie Schultern. 

„$ier oben trägt man nichts SlnbereS, nnb ich möchte auch nicht 
frieren." 

Gi, ei, wie ftug baS flang! „Unb Sein £aar fief»t auch fdjeufelih aus." 

3ie SEBangen färbten fidh für einen Slugenblicf fjötjer, aber ne ent= 
gegnete nur ein gleidjgiltigeS: „So?" 

Gr »erliefe ganj froftig, traurig unb »erwunbert jugleidj über ad’ baS 
9leue, baS ihm jutn erften SM in einer fyrauenfeele entgegeutrat, baS 
ßaus bes VergfüfererS. 

„2Bann febrft Sit jurfief?" fragte er fdjon im SEBägelcfeen, baS ihn 
nach bem Vafenljof im Shal bringen füllte. 

$nge wollte heftig etwas entgegnen, ba fühlte fie VerthaS Vlidc 
auf fi<h. 

„Schreib 1 mir, wenn Su mich wfinfdjeft." 

Gr lüftete ben £ut. ,,©ut, baS folt gefhefeen." 



JTtatia ^anitfdjef in ^tiebenan bei Berlin. 

©ein tefcter SBlid fudjte anbere 2Iugen, aber fdmere SBitnpem tagen 
barauf . . . 

„Gr liebt ©id)," ßaudte gnge, 23ertba untfdlingenb. 

„Gr Hebt meine ©eele unb ©einen Seib. 3$ roiH ©ir ja meine 
©eele geben, bamit ©u gliidlidj wirft. Stimm aitS ibr, mag ®u farmft, 
mag ©n magft, mein SSefteS roiH id) ©ir geben . . ." 

XIII. 

Gr i^r fd^reiben, baß fie fomnten möge! Stiematg mürbe er bag ge; 
tban haben. 

©don Scrtbag megen uicfjt, unb bann besbalb nic^t, meit er baburd 
befannt batte, baß er ©ebnfudt rtadf) iljr entpfinbe, ober ihrer bebürfe. 

2 Bar fte iljm in SBirflidfeit etmag? 

Ginen 9)tann mie ibn reijle itjre Unfdmlb, ihre Staioität ni<f)t. Gr 
fattb ba§ felbftoerftänblid) bei — feiner grau, ©elbftoerftänblid mie bie 
Slnbetung, bie fie ibnt entgcgenbradte. 28ie ihre gugenb, ihre ©dönbeit. 
Gr beroertbete fid) fel;r bod, beStjatb fanb er bag SBcfte für fid nur fetbft; 
oerftänblidj. 

2 lber aug biefer roibrigen 22 eibraudatmofpbäre bentug, in bie ibn bie 
grauen erhoben batten, empfanb er oft, in feinen heften Slugenbliden, eine 
tiefe ©ebnfudt nad einem SJtenfden mit eignen 3 ä 0 en / n 'tt einer eignen 
gnbioibualität, nad) einer grau, bie ftärfer, ftoljer, fetbftberrlicfjer alg er 
mar. ©o febut fid ber tut Supug SBermeidHdte nad einem ©tüd ©dmarj; 
brob, bag il;m fdjiuadbaftere Slofl ju fein oerfpridt, alg bie gemobnten 
Sederbiffen. 

Sertba! Gntpfinbungen aug feiner ßinberjeit Überfamen ihn, menn 
er an fie badte. 2 llg ob er beten fönnte t>or itjr. gb^e inneren güge 
oermengten fid mit gngeg äußeren. Gnbiid mußte er nidt mehr, mie bag 
gauberbilb b'^ß, bag feine fpf>antafie in bie oiotette ©ämmerung feineg 
2 trbeitg 3 Ünmerg trug. 

33ertl)a=gnge! . . . 

©tunbentang tag er finnenb unb in üd fdauenb auf bem ©opßa, 
eingebiiltt in bie üBolfen feiner ^aoanna. 3 un)e 'l en P°dte eg ihn bann, 
unb er mnrf fid) an feinen Strbeitgtifd. @ie foHte ihn adten, berounbem 
lernen, ©ie mürbe ja all’ bag Sleue in feinen ©döpfungen begreifen, 
©ie foHte ihm folgen alg fein gläubiger günger burd bie ®b orc ber neuen 
SSelt. hinterher fanten bie Slnbern, bie fid) fdmer überjeugen ließen, 
©aß bie Gigenart feiner arditectonifden Gntroürfe ütuffeben erregen, fid 
©eltung oerfdaffen mürbe, baran jmeifelte er nidt. Gr mußte, mie SL'iele 
fid beniüßt batten, eigne Sinien 3 U finben, aber er mar bag lebte ©lieb 
biefer fielen, unb bie gefdidte fßermertbung aller ihrer Gombinationen tag 
in feinen §änbeit unb fonnte iljn jum Gntbeder tnaden. 



®lympter. 


*65 


©3 war ein (preiSauSfchreiben an affe fachlich SQet^eiligten ergangen, 
©eutfchlanbs ßauptflabt foffte einen ®otn erhalten, ber affe übrigen 33au- 
roerfe burch Urfprünglichfeit feinet formen, burch Sinienabel unb (Dtajeftät 
überragen foffte. 

SBenn er, ber güngfte, im SBettbewerb fiegte! 

©r oerfdjlofj ft<h in fein $auS unb arbeitete, ©eiten baff ein 33e* 
fanntcr bie Klingel an feiner SBofjnung jog. -Kit jweien non ihnen hatte 
er faft ganj gebroden. 

©ineS ©ageS mar ßorfl ju ifjm gefommen unb hatte ihm mit glänjen* 
ben lugen fein „®lüc!" mitget^eilt. ©ie «Kutter non itjr, eine felbft noch 
lebensluftige grau, bie burch ben guftanb ber ©ocbter jur Äranfenpflegerin 
oerurtheilt war, war’S b»auptfä<f»tid^ gewefen, bie feine Bewerbung unter* 
ftüfet hatte. 

„®ie ganje gamilie, nicht nur bie 5fodjter fdieint blöbftnnig ju fein," 
ijatte fftafael ironifdj gefagt. Unb &orft mar barauf in ©ifer gerathen. 

©milie l)öre ein wenig feiner unb laffe ein fischen beim ©preßen, 
aber non Stöbfinn fei feine ©pur bei ihr. Sind; fjätte fie eine recht nette 
gigur unb fönne ganj gut geben, ©ie litte nur an einer finbifdien 2Ingft 
not (Pferben, weswegen jte bet Wiener in bein 2BägeId)en ausfahre. ©ott, 
man fönne mit ibr feine geiftreidje Gonoerfation machen, aber baS tbäte 
bodj nichts. ©ie wäre ein gutes Äinb, baS leidjt jufrieben ju erhalten fei. 
©ie (Kutter ginge nach ber $od»}eit für ein paar gahre auf Steifen, ©ine 
rounberbare grau übrigens. Soff Serftänbnifj für bie Äunft. ©ie wirb 
ihm bei ber Ginrichtung feines Ateliers befjütfticf) fein. SBafjrfd^eintic^ wirb 
(ie bie Sßiffa faufen, in ber fie bie festen gahre gewohnt hoben. 

,,©u mufjt mich überhaupt bemnädjft ju ihnen begleiten," fdjlofj er 
feinen begeifierten Sericht. 

Kafael hotte ihn fühl angefehen. 2BaS ihm einfiele! Steifer hätte er 
ju ihm gehalten, obgleich bie 2Bege, bie er gegangen wäre, nicht immer 
fpmpatbifdje waren. Sttber weiter feinen ©cfiritt. „Stach ©einer £od)seit 
werben wir uns fremb fein" Unb auf &orftS nerwunberten Slid: „@S 
giebt ©inge, bie für mid) unter einen gewiffen (Paragraphen beS ©traf* 
gefe^bucheS gehören. 2lber Iaffen wir baS. ©u wirft auch ohne mich 
fertig werben." 

„hoffentlich!" horfts ©time hotte fi<h tiefer gefärbt. „Serftehen 
thu’ ich ia non aff bem fein 2Bort. geh höbe mich in ber «Sache ooff* 
lommen correct benommen, geh höbe bei bet -Kutter um bie hanb ber 
©od)ter angeholten." 

„2113 ob’s nicht auch correct honbelnbe ©djutfen gäbe! ffßir hoben 
uns untereinanber ja nie bie 3i?afirf>eit oorenthalten." 

„©u holt fRedit, in ber 2Baf)l ber 2Borte waren wir nie befonbetS 
oorfiditig, aber oieffeidit wiffft ®u bie ©ewogenheit hoben, ©ich beutlicher 
ju erflären." 



J66 OTatta 3 aw Uf<h e f ln ^tte&tnan frei Berlin. 

„®u ha ft bie dutter ju gemimten gefugt, bamit ®u bic ditgift bet 
©ochtcr erfiättft. dit bet Vlöbfinnigen wirft ©u ©ich halb abgefunben 
haben." 

„©emifj, es fällt mir nic^t ein, ju feugnen, bafj eS mir mehr lim bie 
ditgift, als um bie Softer geht. benfe, wir finb Dlpmpier," fefcte 
er ironifdj fthtju, „bie über fleinliche Vebenfen hinmegfehen unb bie dittel, 
bie fte ihren Rieten näher bringen fönnen, f)erne^men, wo fte fte eben ftnben. 
Um bie Meinung engljcrjiger 3 ??oratricf)ter haben wir ja nie gefragt." 

„dan braudjt nicht immer moratifdj ju hanbeln, aber bie SteftbetÜ 
mufi gewahrt bleiben." 

„Slefthetif, baf>! Unfere 9 leftl>etif mailen wir uns fetbft. ©ie meinige 
befiehlt mir, oor 2 lHem aus meinen trioialen «Sorgen bwauSjufommen. 
UebrigenS, wie ich fefje, bin ich ber ©injige, ber ben Flamen ber Un* 
beftimmerten, ben er trägt, mit Stecht führt. Sh* Slnberen ftedt trofc ©uret 
fßrotefte im Sitten. deinetwegen oerfumpft mit @urer dorat." 

„©ein ebler ©ifer ift unnöthig, bie Uebrigen, oor Sillen Äiepenjwep, 
werben Schritt mit ©it halten." 

„dacht mich fehr ftolj, befonberS uon bem groften Spmbolifer." 
„©eftern haben fie bie Vatoneffe in eine föeilanftalt gebracht." 

$orft mad)te eine ^Bewegung beS ©rftaunenS. 

„dahrljaftig? ®en ©rfotg hätte ich ihm nicht jugetraut. Verrüdt, 
wirtlich oerrüeft?" 

„So gut wie baS!" 

„Sft nicht möglich. Stein, ich famt’S nicht glauben. Sie fchien hoch 
fo flar, fo oernünftig ju fein, war auch nidjt mehr bie Süngfte." 

„6r Ijat fie burch feine Halbheit entnerut, ba war bann guter Voben 
für geiftige ftraufheitsfeime." 

£otft judte bie Siebteln. „der fann ihn übrigens oerbamnten? 
denn bie Slrt, mit Stauen ju oerfehren, ihn befriebigt — " 

„SlHerbingS, bie Verantwortung für fo etioaS gehört, ähnlich wie 
©ein gaH, mehr oor ben fßfpchiater als oor ben Stichler." 

„®u wirft immer liebenSwitrbiger." 

„ 3 ch h^be feinen ©mnb, anberS jn reben, als ich empfinbe. gür 
einen dann, ber wie Äiepensmep Ijattbelt, giebt’S nur eine Sejeidjnung." 

„®u bift tttoralifdh geworben wie alle Seute, bie ihr Schäfchen im 
©roefnen haben." 

„3<h fange an 51t entbetfen, bafj es nur Krüppel unb Äranfe finb, 
denfdicn, bie etwas 31t oerbergen haben, bie unter bie daSfe ber ©ötter 
fd)lüpfen." 

„^ch battfe ®ir für bie nieten fdpneidjethaften ©hren'titet, bie ich 
heute erhalten habe, denn ®u übrigens meinft, bafj ich &i<h um ©eine 
weitere §reunbf<haft anbetteln werbe, irrft ©u ©ich-" 



' ©lympler. \67 

„SaS thäte mir auch leib, beim — " 

„©8 wäre »ergebenS, nicht maf)r? ©eljab’ Sich wobt, erhabner 
Dlgmpier." 

Stafael hotte f«h ruf»ig feinem Sifdj mit ben 3IrbeitSentmürfen ju= 
geroenbet. SaS log ihm triel an biefem unftäten rafttofen 9Jtenf<hen, ber 
erft »on ba ab tieferes Sntereffe itjm abgemonnen fiattc, als 33erthoS 
Neigung für iEjn ihm befannt mürbe. Unb rnas lag ihm an bem gafel* 
han$ ßiepenjmep, beffen ffeben mit feinen fjocfiftiegenben Sichtungen in fo 
grellem ©egenfafe ftanb? Qm ©runbe genommen mar feine greunbfchaft 
für SBeibe eine fefjr lodere unb burdjouS nicht mtrjeledjte gemefen. ©inige 
Infdjauungen, bie Tie gemeinfdfaftticf) theilten, butten fie jufammen geführt. 
3)aS 23anb jerrifj eben fo leicht als es gefnüpft mar. Ser Sßerluft biefer 
beiben 'JJtenfchen mürbe feine Sücfe in iijm bmtertaffen, baS fühlte er. 

©r mürbe einfamer unb einfamer. 

Stur juroeilen ftrich 33ertha=^nge burdj’S gimnter, leife unb fühl, mit 
grofjen oerftehenben 3lugen, tief roie bie ber 3iatur, bie in ©otteS 83au* 
plane ©inficht Etat . . . 

Unb er fchtoh bie Siber unb ftammelte: 

„33ertha=3nge! Sertha^nge!" . . . 

XIV. 

$n ber Stäbe ber SohanniSnadit roar’S, als er ben erften SBrief uon 
feiner grau erhielt. 

©r hotte ihr noch immer nicht gefdjrieben, baf? fie fommen möge. @r 
würbe eS auch nicht, unb trenn ber Sinter barüber hereinbräche . . . 

Siefer Srofc ober ©tolj ooit ihr imponirte ihm übrigens, ohne baff 
er ft<b Neffen bemüht mar. 

Qn ihrem SBrief theilte fie ihm mit, bah fie unb SBertlja »on ihrem 
SJtontafonetbal aus, in baS fie auch roieber jurüeffehren rootlten, eine Eieine 
Steife über Stegen} unb ©onftanj in ben <S<broar}walb machen mürben . . 

©in ©efühl beS UnntuthS flieg in ihm auf. ©r fud;te es ju be= 
herrfhen, aber eS gelang ihm fehlest, ©r empfanb bie erften Stegungen 
einer qualenben ©iferfucht. Stuf roelche roit Seiben mar er eiferfücfitig? 
SBaren eS benn 3roei? 2l<b, marunt maren fie S3eibe nicht ©ine? 6r 
antwortete, mit SDtühe einen gleichgiltigen Son fudjenb, er roünfchc ihr »iel 
Vergnügen unb gutes Setter, ©nbe Stuguft möge fie jebenfaUS mieber im 
edjmeijerbaus fein, benn eS fönnte ber gaH eintreten, bah Sefannte fie 
befudjten. 

2ÖS ber SBrief abgefhieft mar, ärgerte er ft<h, bah er baS gefhriebcit 
hatte. SeShalb hotte er"S nur getljan? Um irgenb einen £alt, einen 
3ügel ju hoben, an bem er fie faffen fonnte. Senn ihr fdjreiben: Äomm! 
niemals! 



f68 IKaria 3 a «'tfd?*f in ^tlebenan bei Berlin. 

®iefeS iljr freies in ber 2Mt Hetumreifen mißfiel ihm fehr. Aber 
hatte er nicht felbfl feine Erlaubnih baju gegeben? ©amals roar’S grühling 
geroefen. 2Bie feitfant hatte fih in ber nerijäUni&tnäfeig furjen 3*^ um 
ihn SUIeS geänberl. Eines ©ageS ^atte er bie 9la<hricht non HotftS SBer* 
ntäijlung erhalten, furje 3eit barauf erfuhr er, bafj bie alte grau SRielfen 
einein ©hlaganfaB erlegen fei. 

AlphoitS fab man nirgenbs, er motzte wohl ber ©tabt feiner ©iege 
für einige 3eit ben 9iücfen geteert haben. 

gngeS Eltern weilten an ber ©ee. 

•Kitte Auguft, als eS ihm in ben -Kauern ju fhroül ju werben be* 
gann, pacfte er baS Kötfjigfte ein unb reifte ab. 3unäd)fi na<b Saben* 
Saben. 

Er ftreifte in ben SBälbern umber unb fanb, bafj ibm StUeS befannt 
mar, obwohl er nie ba geweilt batte. ®ie Aufmerff amfeit ber grauen, 
bie ibm hier wie überall folgte, nmrbe ibm jum erften 2JM täftig. Er 
meinte nur an feine Arbeitspläne ju benfen, unb bafj er, weit ibm gerabe 
fein befferer Aufenthaltsort eingefallen roar, ^ierber gereift märe. 

©hon nach einer S>o<he begann er fi<h unbehaglich ju fühlen. £rofe 
ber utelen anroefenben ßurgäfte fpürte er eine grofje Verlaffenheit unb Debe 
um fi<f). Seht erft mürbe ihm ffar, bah er bie ganje 3«t über Qemanb 
gefudjt hatte. — 

Er marf fiel) in ben 3ug, ber ihn nach Eonftanj brachte. 

5Dort, am Ufer beS blauen ©eeS atbmete er erleichtert auf. Sie 
rothgolbnen Sonnenuntergänge erinnerten ihn an VerthaS Haar, nein, eS 
roar ia gngeS. $Die bunflen, geheitunifjpoflen 9täd)te mit ihrem ßeuebten 
in ber 2Hefe an ihre Augen. 

33ertba=gnge! 

Höh unb ftolj unb unnahbar roie bie fhneegefrönten ©ipfel bort 
brüben roar fie. Et fdjroelgte in ftoljen ©teihniffen, mit benen er fte 
fhmücfte. Er träumte, bah fie iljn an ber Hanb über ben ©ee führte, 
©ie fonnte baS, fie roar ja rounbermächtig in ihrer gottjtarfen fiiebe. 
33ertba=3nge!" . . . 

Eines -KorgenS ftanb er im ©hiff, baS ihn nach Sregenj hinüber* 
brachte, ©ein Hers, baS er fonft immer in fo guter 3u<bt hielt, war un* 
geberbig geworben unb flopfte jum 3erfpringen. ®ie Serge rächen näher 
unb näher. Unb bann hörte man Körner fdjmettern unb militärifche 
©ignale. — 

Am Ufer manöorirten ©otbaten. Er roar in Defterreid). 

Er fefete fi<h auf bie Veranba beS Habsburger Hofes unb träumte in 
bie ©onne hinaus. 

gern hinter ihm lag bie Heimat, bie Vergangenheit, ©omtnerbüfte 
wehten non ben Höhen herab. Es würbe ihm eigentümlich ju SDhtth, 
ftiB unb feiertäglich. AnberS als fonft. Als ob etwas neu in feinem 



Olympier. 


169 


Seben beginnen müfjte. 3a, er batte ben SBunfcb, bajj etroaS neu barin 
rourbe. 2öaS benn? 3lm Snbe er felbft? Sßarunt? SEar er nidfit ein 
gcmjer SJtenfdb geroefen, ftrebfani, ehrgeizig, flug, ein iütenfcbenfenner? 

Da Jam fie über bie blauen SBeHen gegangen. 

©ieb’ midb an, roie f<$ltcf)t id) bin. 3dj habe nichts als meine Ur* 
fprünglidbfeü. Unb mit ber habe ich Dieb in 33anbe gefdblagen. Du fannft 
anftatt Urfprünglicbfeit aud) — SbrKdbfeit fagen. Du fannft and) Kraft 
ftatt beffen fagen. Denn Kraft ift ©elbftbebauptung. SBie? Du ©elbft* 
bebauptung? .fjaft Du benn ein ©elbft? 2 Bar nicht Stiles an Dir ißofe, 
üDtanierirtheit, 2lnlebnen? SBietteidjt bift Du feine eigne Bnbioibualität 
unb borgteft Dir be§t»atb bie SJtaSfen Bener, bie Dir irgenbroie im Seben 
imponirt haben? ißtüfe Dieb! 

tanjte fcbiliemb über baS blaue ÜBaffer bi«. 

St oerfanf in ©ebanfen. St oerfolgte feine eignen ©puren bis in 
bie frübeften Kinberjabre hinein. 

Bmmer baS grobe 3<b, baS gd) als -äDtittelpunft, um ben iidj Stiles 
breben muffte. Unb immer bas iBeroufftfein ber 33eoorjugung, bie forbembe, 
alles für f«b forbernbe ©elbftfudbt. Unb im Senm&tfein, bie 2lufmerffam* 
feit ber ütnberen auf fidb gelenft 5 U haben, bie ißofe. 92o begannen bie 
©renjen feines eignen SSefenS, feiner roirftidben ©efübte, beS fDJenfcben, ber 
9ßerfönlid)feit in ihm? . . . 

Stls er fdbon an fidb ju rerjroeifetn anfangen roollte, riefs in ibm: 
Mn, bafc Du fie liebfl, ift ©ernähr bafür, baff Du bodb ein Signet biß. 
2Ber na<b bem Söeften bie Slrme aufftreeft, ift fein Saroenmenfcb, es roäre 
benn auch biefe Siebe nur SJfaSferei. Unb bab fte baS nidjt roar, fühlte 
er an ber tiefen, quälenben Unjufriebenbeit mit fidb, an ber ©eligfeit, 
roenn er an fie badite, an bem nerjehrenben ©efiUjf ber ©ebnfucfjt nadfj 
ihr . . . Unb plöfclidb oerroanbelten ftdb bie beiben Köpfe, ber blonbe unb 
ber bunfle ju einem mit groben, leudbtenben 3 ü 0 en. 

3db bin bie Statur. Komm ju mir, ißngmäe! Du baft midb nur 
non ferne fennen gelernt, fomm, roenn Du SJtutl) baft, au meine 33rujt, 
unb trinf, trinf, bamit Du enblidb erroadbfen roerbeft! . . . 

Sr fdbauerte jufammen unb bebnte bie feligmi'tben, non bet ©onne 
burdbtränften ©lieber. 

* * * 

* 

SSier ©tunben fpäter ftanb er nor bem ©dpoeijerbauS. 

Sine fcblanfe, üppige grau mit golbenem, tief in bie ©tim herein* 
faHenbem $aar, trat ihm auf ber ©dbroeHe entgegen. 

©ie hatte fein StBägelcfjen ben ©erpentinroeg berauffommen feben unb 
bie paar ÜJiinuten Beit benäht, um fidb ju faffen. 

Sr brüdlte ihre ibm entgegengeftredte ßaitb, beren Bittern ihm in ber 
eignen SStufregung entging. 3?or feinen ülugen fpielten Siebter. St roar 

Korb 63b. XCT. 281. 12 



J70 ntaria 3anitfd}ef in ^nebenan bet Setltit. — — 

nicht ganj fidjer, roar eS 3nge, roar eS Sertlja, bie ilpn ba »oranfchritt 
burd) bie SjauStliüt in bie niebere Sauernftube unb ihn neben fi<h an ben 
alten ^ofjtifcfi jum 2tuSrahen einlub. Gr fab in ba« junge ©eiidjt, bcffcn 
3üge bie Sonne mit einem leichten Sronjeton gefärbt batte. 3 ro ei blaue 
Siugen gingen roll ftumnten ©lanjeS an i^m. — 

Unb bann fab er fi<b in ber Stube um, nach ber Seiten . . . 
$nge folgte feinen fudjenben 2lugen unb errietb ibn. 

„Sie ift oor brei ©agen nad) ber Schroeiä abgereift." 

Gr judte jufammen. 2Sar fie »or ibtn geflohen ?j 
„Sie fürdjtete ben angefiinbigten Sefuch. 2Ber roeifj, wer eS fei, bat 
fie gemeint." 

©ie Sdjlaue! . . . 

2lber fie ift ja hier, hier gegenüber mit ihren tiefen grofjen 2lugen. 
„©u bift geroadjfen," fagte er, ben fchlanfen Sinien ihres ÄörpetS 
fotgenb. 

„©er Sommer bat’S getban." 

2Bie fretttb fie lächelt, anberS als fonfi. Sßeb liegt in bem fiädieln 
unb viel SerfddoffeneS. Gr gebt in ber Stube auf unb nieber, bann tritt 
er su ibr unb blicft fie an. 

Sticht nor ihm tjingefniet roie fonft, bie 2lrme um ihn fchlingenb, fein 
Subelfdirei, nicht einmal ein Äug. Gr? Gr mar nie ber gebenbe, immer 
ber empfangende ©heil. SL\?eit fie .fo finbifcb ftürmifdj unb freigebig roar. 
Gr ftebt wie erroartenb nor ihr. Unb fie fenft bie 2lugen, bamit er bas 
Ueberfliefjen ber Siebe in ihnen nid)t bemerfe . . . 

„©eben wir hinaus." ©aS ift roieber ber alte berrifche ©on. 

Sie roanbeln fchroeigenb am 2lbhang beS SärdjenroalbS hin, über beffen 
bunflen Umriffen roeifje Sdjneegipfel fidbtbar roerben. £äber freien, ein 
2lbter roiegt ficb langfam in ber Suft. ©er Sa<h geht tief unb ruhig bin, 
fie haben fein 23ett erroeitert, unb et lärmt nicht mehr . . . 

■Dtit läffiger 33eroegung greift Stafael nach 3ngeS 2lrm, um He an fi<h 
ju sieben. Sie ficht ihn ruhig an. Seine £>anb finft bevab. 

Unb roieber ein fdnneigenbeS Eingehen. — 

©ie Sdiatten roerben blauer, bie Schneefelber oben beginnen in rounber* 
fatnen ©luthen ju brennen. 3h>n n)irb fonbcrbar wie noch nie in feinem 
Seben ju SJtuth, meid) roirb ihm ju ÜDJutb, traurig . . . 

Gr febrt um, fie folgt ihm fcbroeigenb. 

Giitmal uerlangfamt er feinen Schritt unb blicft fie non ber Seite an. 
3bre Stauen fiitb leicht emporgesogen roie »on ftarfer innerer Spannung. 
QngesSertba, räthfelhafteS ©efdjöpf, roaS roiUft ©u eigentlich? 

©er Sergfühver unb feine ffrau bebienen bie Selben. Sie bringen 
if»r SefteS aus ftiidje unb Steller herein. Sie haben ganje jroei ©algferjen 
unb eine Petroleumlampe angejünbet, bie reine Illumination für ihre 
Segriffe. 



01ympter. 

SRafaet unb gnge ftfeen an bcm fauber gebecften ©if<b unb bemühen 
lief), ntc^t ftumm 5 U fein. 

„Unb rote gebt es grau Sirfenau?" fragt fte, „Sertba bat mir non 
ibr SJiancbeS erjäbtt. $at üe ficb aufgerafft?" 

©r fcfiüttelt ben ßopf unb antwortet nidjt. 

,,©u fdhroeigft? Sßarum, roa§ ift aus ibr geworben? 9iebe bodj!" 

„®a§, roooon man mit einer ©ame nicfjt fprid^t." 

„®a3 arme 28eib!" 

gröber wäre fie in Stbfibeu abgebrochen, jefct fagt fie: baS arme 
SBeib! SertbaS grofjeS mitleibenbeS ^erj! 

©ie Hausherren gehn jur Stube, bie Äerjen brennen herab, immer 
tiefer, tiefer, ©ann »erlöfcben fie qualmenb. Stur noch baS Säntpcben . . . 
©r bat fibon bie Iängfte geit ftumm bagefeffen, Ifie unb ba einen »er* 
ftoblenen, träumerifiben Slicf auf fie rid)tenb. gebt erbebt er fi<b. ©ie 33er* 
binbungStbür jwifdben ben beiben gimmern ftebt offen, gnge blidt ihn an. 

„SJtöcbteft ©u jur Stube geben?" 

„ga, idE) bin mübe." 

©ie ftebt 00 m ©ifibe auf. „g<b roerbe nebenan! übernachten. Stimm 
mit bem ©tübeben hier fürlieb, gür baS Stötbigfte b»at grau ©djroaiger 
geforgt. ©d)laf roobl!" 

©r entgegnet fein SBort. ©ie entfernt ficb tangfam nadj bem Sieben* 
jimmer. 

Stach einer SBeile ift’S ibr, als ob fie ibn fpreeben hörte. ©ie öffnet 
bie ©büre. 

„©uebft ©u etwas?" 

®a er feine Antwort giebt, tritt fie an ibn heran unb roieberbolt 
ihre grage. 

©r fafjt berrifcb ibre £anb. 

„®u wirft hier bleiben." 

®a fiebt fte ibn mit fanftem traurigen SlicJ an, gebt hinaus unb 
fdjliefjt leife bie ©büre hinter fidf. gn ihrer Kammer »ergräbt fie baS 
©efiebt in’S Riffen, bamit er ihr ©djludjsen nicht hört. 

D. ©ott! 2luf ben Änien möchte fie bie ganje Stacht »or ihm liegen 
unb feine Silbern jüge bewarben, aber — fie barf’S ja nidht um ihrer Seiber 
©lücf willen. 2llS fie ihm gehorchte in hingebungsvoller bemütbiger Siebe, 
war er ihrer fiberbrüffig unb fatt geworben, ©r felbft but fte auf ben 
®eg beS SBiberfianbeS, ber Ueberlegettbcit gebrängt. @r felbft b at bie 
%tung in ihr erroeeft, betfi eS Staturen giebt, bie nur baS fdhwer ju ©r* 
merbenbe reijt, unb bafi man biefe bureb ©<^licl)tf)eit unb entgegen* 
fommenbe Hingebung roeber feffelt noch beglüeft. 

Seicht wirb fie es nicht an feiner ©eite buben, benn fie wirb ihr 
eigenftes Sßefen unterbrüefen ober in anbere gornten giefien muffen. 
3ber was würbe fte nicht tbun, um (ich feine Steigung ;u fiebern? 

12 * 



\~2 matia * n drlcöettan bei Berlin. 

©itte Slacht, bie fein ©nbe nehmen will. 

@r hat bie 2lugen grofj geöffnet unb benft über baS SJtpfterium beS 
gtauenherjenS nad). $iefeS grauenherjenS. SBirb er eS ergrünben? 
Zweifellos, wenn er ruhiger geworben ifi. (Sä fann ja aber auch nur, 
benft er bei fidi, eine Saune non ihr fein, obgleich er nie Saunen bei ihr 
fennen gelernt fiat . . . 

®e3 SRorgenS öffnet et furj bie Sbüte. ^nge im Maffblauen lofen 
ßteib lehnt am genfter unb blidt in bie ©enge hinein. ©r judt bei ihrem 
2lnblicf jufammen, beficrrfcbt fid) aber. 

,,3<f) reife in einer ©tunbe." 

©ie bat ihm bie-ganb jumSrufj hingcftredt, et f<beint fte nicht ju bemerfen. 
„3n einer ©tunbe fc^on? ©a muff id) mid) febr fputen." $h r ©e* 
fi<bt ift erbiafit. 

„®u ®i<h? 2BeSf)atb? ®aS ift nid)t nötf»ig." 

„SBünfdjeft ®u, bafj idb hier bfeibe?" 

„3<h münfche gar nichts." 

„®ann reife ich felbftrerftänblid) mit nach $aufe." 

3luS ^Pflichtgefühl, groflt’S in ihm auf . . . 

3?ad) anbertbalb ©tunben faufen fie in bem Keinen Sauemroägiein 
ihres Hausherrn thalabmärts. 

©ie ift blaff unb einer Ohnmacht nahe. 2Bar fie ju fd^roff gegen 
ihn? £at fie ihr ©orhaben ungefdiidt burdjgeführt? 

©ie legt ihre tpanb leife auf feine. 

„SBeShalb gehft 2)u eigentlich fdion fort? @S ift boch noch fo fcpön. 
3n ein paar SBodjen, ja, ba fann’S hier oben fchon fchlimm fein, ©egen 
©nbe ©eptember fängt ber SBinter an unb bauert oft bis 3uni. ©ie er* 
jähten, in manchem 3 a hr wollte es gar nidjt tbauen. 2Benn bann ber 
gtübfing — bie ©rbe hier will immer non Steuern non ihm geworben fein, 
fonft nerfdiliefjt fte ihre ©turnen, ihr ^erj . . . menn er bann um fte 
wirbt unb — unb — " 3hre ©tintme ift non SBort ju SQSort leifer ge* 
worben, ihr Stopf finft jurüd . . . 

„3nge!" 

®r neigt fich erfdiredt über fie. „SßaS ftammelteft ®u ba? 2Ba& 
haft $u?" 

Unb wie fie bie SBimpetn langfam unter feiner fjürforge auffdjlägt, 
ba ift’S ihm, als läfe er aus ihren 2lugen: SBirb um mich! 

©r hat noch nie um ein SBSeib ju werben nöthig gehabt . . . 

XV. 

©iotette Sidjtftrönte taudjen ihr weifjeS Stteib in geheimnifeooHe färben, 
©ie fteht auf feiner ©Zweite, einen ©rief in ber £anb. 

,,©on ihr?" 

„©on ihr. £ier, lies ihn." 


©lympier. 


*73 


„SieS ihn mit oor, er ift an ®i<fe gerietet. ftommt fte?" 

,,3c£) reife in ben nädjften ©agen nach Gnglanb. ®ie alten greunbe 
meines SBaterS, mit benen ich rnidb oerabrebet, geben für einige 
3 U ihrer ©ocfeter, bie bort oerbeiratbet ift. 3$ fdbtiefee micfe ihnen an. 
SBann ich mieberfomme, fann i<b nidbt beftimmen. 9Keine 3fnge, bie ©u 
ein ©heil oon mir felbft geworben bift, bleibe feft unb unroanlbar in 
2ltlem, maS ®u als baS Steckte erfennen gelernt feaft. höbet mir unS 
felbft fdbäfeen, um fo höher fdjäfcen ro ir bie, bie mir lieben. Sieh, weil 
idj mich hoch fteffe, fann i<b ben nidbt oerroerfen, ber mir trofe all’ feiner 
©efunfenheit nidbt gleidbgiltig ift. Äönnte mein #erj für einen ganj 33er* 
lorenen empftnben? 23tetteicf)t Hehl es, ©u weifet ja, ein reines $ nutetu 
berj ift heHfefeenb — oietteidjt fleht es einen ©ag in ber 3 u ^ un ft öa er 
fi<b aus bem 33ann alles ßleintidben befreit . . . 3$ warte, too idb audb 
bin, ob baheim, ob in ber grembe, auf biefen ©ag. Unb fpHte ich oor 
feinem Gemeinen fterben, bann bebauere mi<h nidbt. SEBeldb’ gtüdflidbereS 
SooS fann Gtnem ju ©heil werben, als bie Grfüllung feines liebften 
SBunfctjeS ermatten ju bürfen? Sie oon Stunbe ju Stunbe ju erhoffen 
in fefter, oertrauenber 3 u °erfidbt?" 

9tafaet legte feine &anb auf ben ßopf ber Sefenben. 

„Siebft ®u fo ftarf roie fte?" 

„9todb ftärfer," mottte fte auffubeln. 3lber fie bejwang ftdb. 

„3(db — weife es nidbt." 

„3nge, liebft ®u fo ftarf wie fte?" 

„Safe mein Seben bie Antwort barauf fein." 

Sie blidfte ihm grofe unb ftolj in bie 2lugen. 

Unb ba mufete er’S: ber £err in ihm hatte feine tfjjrrin gefunben . . . 



<SeneralfeI6marfcf?aH (ßraf IDalberfee. 

«Eine Cebensffijje. 

Dort 

iVüljarb Eernfn. 

— DarmftaM. — 

„3$ $abe Bit fftr bcn gaff eine» Ätiege» gut ftiiljnmfl einer Ännee 
in JluSficöt genommen . . 

SMtterfjödjfter Gabinetabcfefjl be» Äaifer» unb Äönig» 2BiI$etm H 
toom 2. Februar 1891. 

«Einleitung. 

®ie gräflich SBalberfee’fcbe Familie. 

3 bat ben Königen non ißteujjen niemals an bodjoitgefebenen 
gamilien gefehlt, welche non altem nicht preujjifdjen Herfommen 
bent SRufe be3 fremben SJlonarchen folgten unb (ich unter ben 
gütigen be3 fcfnoarjtDeifjen 2lblerS nieberliejjen. Sie bewahrheiten bierburch 
ben befannten Spruch ber Sitten: Ubi bene, ibi patria unb bewiefen in 
ber Siegel bur<h oft überrafdhenbe Seiftungen, befonberS ihrer beranwadbfenben 
männlichen üDlitglieber, bafj bie Äönige flug baran gebanbelt batten, berartigeS 
frembe3 SBlut in bas Sanb ju jteEjen. Unb auch ber junge SlacbroudjS 
pflegte bei folcher Slcclimatifation roobl ju gebeiben unb fich »ortrefflidh ju 
entroicfeln. ©ine berartige ffamilie roar au«b bie 2Balberfee’f<he, bie au3 
bem Herjogtbum 2lnf)a[t=$effau berftammenbe. ©3 mar Äönig griebridh 
2Bilbelm II., melier fchon im Herbft be3 Qabre3 1786 — alfo wenige 
SJlonate ttacf> feiner Shtoitbefteigung — bie genannte Familie in fein Sanb 
berief unb ihr unter bem 15. Dctober 1786 ben ©rafenftanb »erlieb. 3m 
Saufe be3 folgenben 3«brf)unbert3 finb nun au3 ber neuen gräflichen 
gamilie mehrere bo«b&erübmte Heerführer, bejw. ©enerale ober Staats* 
männet beroorgegangen, bie ihren Slawen in bem neugeroäfjlten Staate ju 
hoben ©bren gebraut hoben. 




cSeneralfelbtnarfdjall cSraf Olalberfee. (75 

2ßir oerzeichnen oon ihnen fjiet jroei kanten: 

1. fyranz Heinrich ©raf t>on SBalberfee, ge6. am 25. 2lpril 1791, 
gefl. am 16. Januar 1873 ju SreStau in bem Ejo^ert 2l(ter oon faft 82 fahren. 
6t mürbe ©eneral ber Gaoallerie unb 1856 Gommanbirenber ©eneral beS 
V. SlrmeecorpS; fpäter — in ben fahren 1864—70 — mar er ©ouoerneur 
pon Berlin. 3tach feiner ißenfionirung oeriegte er feinen SBohnfifc oon 
Berlin nach 23reSlau, roo er auch, mie fo eben bemerft, gefiorben ift. 

Heber ihn, ber nur 7 Qahre bie mistige Stelle eines Gommanbitenben 
©enerals beS 5. SlrmeecorpS befleibete, h at ber fpätere ©eneratfelbmarfdbatt 
©raf n. 31 oon, ber unter ihm bie 20. 3nfanterie=SBrigabe in ißofen befehligte 
(in ber 3«t oom 26. 3uni 1856 bis 22. Siooember 1 858), ft<h in folgenber 
hödhfi günftiger SBeife auSgefprodien: ,,©ie ©efetlfdbaft (ißofenS), lebiglieh 
eine DffijierSs unb löeamtengefellfcfjaft, . . entfdhäbigt uns menigftenS ni<f)t 
burcb eine gemiffe, faft übertriebene Sebhaftigfeit beS gefetligen Süerfe^rS. ©iefer 
lefetere geht, mie ich jjoffe, einer neuen unb angenehmen ©ejialtung entgegen 
burdh ben ©influh, ben baS $auS unfereS neuen contmanbirenben ©enerals 
barauf natürlich auSüben muh." Unb an berfelben Stelle Reifet es gleich 
barauf: „33ei biefer ©elegenheit mag eingefdhaltet merben, bah bie Gr= 
Wartungen, melche 3toon oon bem moblthätigen Ginfluh beS neuen 
commanbirenben ©enerals (©raf SBalberfee) unb feiner aflfeitig als fehr 
bebeutenb gefdjilberten ©emablin für bie ißofener 3Ser^ältniffe fjegte, fi<h in 
ben nächften fahren in oollftem SDtahe erfüllten. Gr felbft unb bie Seinen 
haben roährenb beS roohlthuenben 23erfehrS im SBatberfee’fchen $aufe 
befonberS oiele 2lnnehmli<hfeiten unb S3emeife ^erjltcfert SBohlmoHenS 
empfangen, fo bah he fich beffen ftets in mariner ©anfbarfeit erinnerten"*). 

2. griebrieh ©raf oon SBalberfee, geb. am 21. 3üli 1795, 
geft am 15. Januar 1864 als ©enerabSeutenant }. ©. in ißotsbam. 
©erfelbe hot ft<h iw ben fahren 1854—58 als preuhifchet JtriegSminifter 
fomie als SDHlitärfcbriftftetler roeit befannt gemacht unb hohen Stuf ermorben. 
Sitterarifch gefchah bieS befonberS burdh smei noch heute mit Specht gefehlte 
9JUlitärlehrbü<her, bie unter bem Spanien „©er Heine SBalberfee" unb „©er 
grohe SBalberfee" im beutfdhen SReichäfjeere fehr oerbreitet roorben jtnb. 
(©er erftere führt ben genaueren ©Titel: „Seitfaben für ben ©ienflunterridfjt 
beS ^nfanteriften." Gr erlebte im Qahre 1900 bie 136. Auflage, 
mährenb ber lefctere jum Seitfaben für bie £anb beS Unteroffiziers beftimmt 
tfl unb im Qfahre 1892 in feiner 19. Auflage erfdhien.) ©iefe Schriften 
fennzeichnen fidh burdh eiue befiimmte Sichtung ihres Inhalts, fo bah man 
im preuhifdfjen &eer nodh um bie UJtitte ber fechjiger ^ahre oon einer 
„SBalberfee’fchen SDtethobe" ebenfo allgemein fpradf), mie etroa 20 3af>re 


*) 3?fll. „©enltoürbtgte Iten auB bem Seben beS @enetal=3relbmarfd|aU& 
ÄriegSminifterS Grafen ö. 3toon. Sammlung oon Briefen, Schriftftücfen imb 
Grtimerungoi." I. S3anb. Söreälau 1892. ©buarb Jreioenbt, ©. 306. 



— <Sebt)art> gjernin in Dacmfiabt. 

nadjber ton ber nicfjt tueniger befannten 2lu§biIbungä^2RetE>obe für bie 
Infanterie bei ©enerall gerb. n. 9tobr. 

2lttl ber ©be bei ©rafen ffranj Heinrich non ©atberfee ftnb 
nur Bier Söhne entfproffen, bie ficb fämmttidj bem Sienft bei SSatertanbel 
— brei bem $eerel=, einer bem Seebien ft — gewibmet fabelt. ©I ftnb 
folgenbe: 1. ©eorg, geboren am 22. Dctober 1824, gefallen am breifjigften 
Dctober 1870 all Dberft unb Gommanbeur bei Königin 2lugufta;©renabier= 
9tegimentl 3tr. 2 in bem @efed)t bei £e 33ourget. 6c mar ein aul= 
gejeicbneter Dffijier. 6in 2Ritfämp fer ber brei preufjifcben gelbjüge 1864, 
1866 unb 1870 unb 71, batte er ben Krieg 1864 gegen ©änemarl in 
einer nortrefflidien offieiöfen SarfteHung befdirieben*), mar juerft in ber Sdjtacbt 
bei ©ranelotte-St. ißrinat am 18. Stuguft 1870 ferner nerwunbet worben 
unb mürbe bann, all er, faum geteilt, feinem Regiment nadjgeeilt mar, uor 
5ßaril non bem töbtlicben 33tei einel Gbaffepot=©ewebrl getroffen. 6r 
batte furj torber erft fein 46. Sebenljabr jurüdgelegt. 

2. ®er jroeite Sobn griebri<b mürbe am 17. Sec. 1829 geboren. 
2lucb er trat jung in bal $eer, in weldiem er eine Ijobe Stelle erreid^t 
bat; all ©enerat=£eutenant ift er jur Silpo'ition geftellt morben. 

3. Ültfreb ©raf SBBalberfee, ber britte Sobn, ift am 8. 2lprit 1832 
ju ^ßotlbam geboren. ÜDtit ihm, bem gelben unferer SarfteHung, werben 
mir uni febr halb aulfdiliefslicb ju befdjäftigen haben. 

4. gtanj, ber nierte unb lebte Sobn feiner ffamilie, mürbe am 
17. -Jlonember 1835 geboren, ©r trat all {freiwilliger in bie Kaiferlidje 
Kriegsflotte unb ftefjt gegenwärtig all ©ontre-2lbmiral ä la suite ber 
SWarine. 

2luS ben bilber non uni gemalten 2luffübrungen bürfte leidit ju er= 
fennen fein, wie tooblbefdjaffen bie gräflich ©alberfee’fcbe g-amilie mar. 
Sie gehörte mit einem ©orte ju jenen, weldje bal junge 4)olj jmedmäfeig 
pflegten, aul welchem bereinft preufjifche Heerführer gefdjnifct werben follten. 


©eburt unb Saufe. — Knaben* unb Kabettenjabre. 

6! war an einem fdjönen grüblingltage bei ^abrel 1832 — am 
8. 2lpril — , all bem bantaligen Dberftleutenant unb Gommanbeur bei 
^Regimentes ©arbel bu Gorp! granj ©rafen non ©alberfee unb feiner 
©emablin, ber ©räfin Sertba, einer geborenen non Hünerbein, ber nor* 
bin genannte britte Sobn geboren mürbe. Gr empfing nach bem Sauf* 
regifter ber Königlichen H°f 5 anb ©arnifonfirche ju fßotlbam bie ^eilige 
Saufe am 10. 3M unb in berfelben bie nier 9Jamen Sllfreb Subroig Garl 


*) ©enauer Xitel: „35er Krieg gegen Xänemart imSabre 1864, bearbeitet 
non ©. ®r. SB., I. preiifj. ©eneralftab8=Dffiäier ber öerbünbeten Strmee. 2Hit SQetlagen, 
Karten unb Spiänen." 2. Auflage. S3erlin, 1865. Sllejanber Xnntfer, IgL JpofbudfjbänUer. 


(ßeneralf elbmarfcfjaU <5raf IPalberfee. \ 7 7 

.fjeinridj. Stiebt weniger als 10 Saufpat^en batte er, 5 ntämtlidje unb 
5 roeiblidje, e$ waren folgenbe: 

1. $err Dberft n. ißrittwiß, 

2. * s n. BobewilS, 

8. * SJtajor n. Siodjoro, 

4. s * n. Dftau, 

5. s Stittmeifter n. Unruh, 

6. grau ©räfin n. SBalberfee, geb. ©räfin ju Slnfiatt, 

7. s s * s * * n. 2ltnenSteben. 

8. * * * * * * n. Sßebelt, 

9. * n. Bteper, 

10. * n. Soewenflau*). 

grob unb munter wuchs ber förpertidj woblgebilbete, geifiig aufgewecfte 
Änabe beton. Gr würbe genau, wie bas in einer nornebtnen attpreufeifc^en 
DffijierSfamilie üblich war, unb nach bem SBorbitb feiner jwei älteren 
Brüber non bem Bater ftreng, non ber -Kutter fanft unb mit norjugSweifer 
Gntmictelung ber ©emütbSejgenfdiaften erjogen. 2)abei bewegte er fi<h fdjon 
non früh auf in ber freien, in BotSbam fo fdjönen ©otteSnatur, ba ber 
Bater ihm faft nöflige greibeit in ber förperlidjen Bewegung liefe, non ber 
SBabrfeeit beS ja auch ben Stilen fdbon befannten «Spruches tief burd)brungen, 
bafe mens sana in corpore sano bauptfächtidj gebeiben tönne. 

grübjeitig würbe ber junge ©raf Üllfreb mit bem etwa 6 SDtonate 
älteren Brinjen griebridj SBilbelm non ^ßreufeen, bem fpäteren Jtaifer 
griebrich, befannt, ju beffen ©efpielener wäbrenb beffen «Sommeraufentbalt 
auf ©djlofe Babelsberg öfters berangejogen würbe. <So gehört er nebfi 
ben 2UterSgenoffen Stubolf n. 3aftrow un j) gjbotf ©raf n. $önigSmarf, 
mit benen ber Brötj ben Gpercierunterridfit tbeilte, ben jeber preufeifche 
Btinj erhält, noch benor er im Stlter non jet;n gabren in baS $eer ein* 
gefteüt wirb, ju ben ©pießameraben beS einjigen ©obneS beS ißrinjen non 
Breufeen, unb es wirb erjäljlt, bafe bie Knaben in ihrem welterftürmenben 
Strange gan$ wacfer miteinanber gerungen, fid) im SBettfampf auf ber Grbe 
gewäljt unb gar mawhe Beule bei folcpcn -DJeffungen ber gegenfeitigen 
ftraft banongetragen hoben, ^ebenfalls hoben berartige gegnerifdie Uebungen 
bie Äörper ber jugenblidien Boyer frühzeitig geftäfelt unb für fpätere 2(n= 
ftrengungen abgehärtet. 

Stun follte aber aud» bie geiftige 3nd)t nidbt nernacbläffigt werben, 
grfibjeitig fam ber Änabe Sllfreb auf baS Bahamer ftabettenbauS unb 
befucbte hier bie unteren Älaffen ber ßauptpftanzftätte beS StaehwucbfeS beS 
preufeifdjen DffijierScorpS. «Später würbe er in baS, barnals in ber Steuert 
griebricbftrafee belegene ÄabettencorpS nach Berlin überführt, wo er 


*) Stadj einer amtlichen Süicttfjeilung be8 fioffüfterS Blöfc ber ffiönifllidben $of= 
unb ©amifonfirdK ju $otebam botn 22. Slug. 1900. 



J78 (Sebfyarb in Darmftabt. 

ben Hauptgrunb ju feinen fpäteren retten Kenntniffen als Dffijier unb 
©enerat [egen foHte. 

3u jener 3«t jählte bie Hauptfabettenanftalt ju Berlin — jefct in 
©rofbfiidjterfelbe — jroar rtiefjt einen fo jatjIreicEjen SBefud^ wie gegen! 
wärtig, aber bafür gar manche Ijeranroacbfetibe erlefene Kraft. 2Bir nennen 
als fotd^e f)ier namentlich folgenbe, bie {ich fdfmeü jufammenfanben unb 
fdjon als Knaben unb Jünglinge befreunbet mürben: 33ronfart o. Schellen* 
borff, v. 33ranbenftein unb 58erbt) bu SSernoiS (bie 3 AbtheilungSdhefS 
beS ©eneralftabeS im großen Hauptquartier non 1870/71), Sßilhetm non 
Nofe unb SStlfreb ©raf SBalberfee. lieber jene 3cit — ber Hauptfadje 
nach bie 3 a h re 1847 — 50 — h at uns ein Angehöriger biefeS KreifeS 
folgenbe Aufjeichnung gegeben: „. . . 2L'ir ®rei (bie erftgenannten 
fpäteren AbtheilungS*©hefS) mären non unferen Kinberjahren an aus bent 
KabettencorpS fe^r befreunbet. «Schon bort hatten mir, obgleich oer* 
fdliebenen Compagnien angehörenb, jufammen mit Alfreb SSalberfee 
unb bent leiber ju früh »etftorbenen griebridh SBUhelm non Nofc 
(1866 ju 83rünn an ber Cholera nerftorben) gemeinfhaftltcf) Kriegfpiel ge» 
trieben, welches fehr ba(b baS Qntereffe unterer ©tjieher fo tneit roadhtief, 
bafj biefe bie non uns auf eigene Hanb unternommene SSefdjäfUgung be= 
günftigten*). 

®ie Umgeftaltung beS KabettencorpS nach ben föniglidfjen 83er* 
orbnungen beS SalireS 1844 unb nach ben non ©eneralmajor n. 33eloro 
gegebenen „©runzligen ber Drganifation non 1844" halte manche 83er» 
änberungen unb 33erbefferungen in bem Sehrpfan biefer militärifchen Haupt* 
Iehranftalt jur golge gehabt. Aus biefen Neuerungen jog ber junge ©raf 
Alfreb SBalberfee mit feinen näheren ©efährten ben heften Nutjen; fte 
waren ftets beftrebt, ihre Kenntniffe unter Anleitung ihrer tüchtigen Sebrer 
ju nermehren unb fonnten fomit, als ©electaner jum ©intritt in baS 
Heer wohinorbereitet, am ©chlufc ihres AuSbilbungScurfuS biefen wichtigen 
Schritt thun. $ür SBalberfee trat biefer bebeutungSooDe Augenblicf im 
Sommer beS SafireS 1850 ein. Nachbem er noch ben 33erliner ©trafjen* 
fampf oom 18./19. 3J?ärg 1848 als Kabett erlebt unb auch ben oorläufigen 
Um$ug beS alten KabettencorpS oon 83 erlin nach fßotsbam mitgemacht 
hatte, fehrte er, fobalb im Nooember beSfelben Jahres burdh ©eneral 
ffreiherrn v. äßranget wieber Drbnung in bie mehrere SWonate bem 
(TerroriSmuS einer übel beratenen 83ol!Smenge freigegebene Hauptftabt 
gebraut worben war, wieber in bie Anftatt bet Neuen KönigSftrafje 
jurücf. Sn ben fahren 1849 unb 50 folgte er in ben Hörfälen mit 
erneutem gleifj ben 33orträgen feiner 3?orgefej$ten, beftanb mit Aus* 
jeiebnung fein CffijierSepamen unb würbe fobann — 18 S a h re alt — 


*) 3Jtan ogt.: „3m nrofjen Hauptquartier 1870/71. SPetfönßdje <Sr« 
innerungen an SSerbt) bu BernoiS." Söertin 1895. 6. AHttlcr unb @ohn, <s. 25. 



(Senetalf elbmatf djall Cßraf CDalberfee. 

mit patent uom 7. (September 1850 als ©econb=ßteutenant im ©arbe* 
Artillerie*9tegiment angefteHt. 3ung, gefunb unb geifteSfrifch gebaute ber 
jufünftige ©eneral fräftig feine Schwingen ju regen, um ftdj aufwärts ju 
Atmungen, bem SSorbitb feines SaterS, feines DbeimS unb feiner älteren 
Stüber entfpre<f,enb. Gr batte bisher feine ©d&ulbigfeit getban, inbem er 
ficb ju einem tüchtigen 9Ritglieb einer gührergefellfchaft beranbilbete, non 
ber einft fjärft SiSmarcE ben nötigen AuSfpruch getban bat: „©en preußifchen 
Dffijier mailt uns fRiemanb nach," welchen AuSfpruch auch fdjon ber ©olbaten* 
fenner Kaifer fRicolauS I. gegenüber bem König fjfriebrich SBilbetm IV. 
betätigte in ben SOSorten: „3Rit meinen ©olbaten unb ® einen Dffijieren 
lönnte man bie Sßelt erobern!" Stunmebr trug er wirtlich bie DffijietS* 
Gpauletten unb ben golbgefticften SBaffenrodC ber ©arbe=ArtiHerie. 

©ie erften jwei ^aljrje^ntc militärischer ©ienjtjeit. 

©ie gelbjüge 1864 unb 1866. 

9to<b immer fjerrfdbte Unrube; fte nemuxhte einen ©ieferblicEenben über 
ben Grnft ber bamaligen nicht btamegjutäufchen. 3«» ©pätherbft beS 
SaßteS 1850 batte es ganj ben Anfdjein, als werbe ein gefährlicher Krieg 
jwifdjen Sreufeen einer* unb Defterreicfj mit Sapent unb SBürttemberg 
anbererfeits ausbrechen, ®hatfä<hli<h erfolgte am 6. fRonember beS ge* 
nannten SaßreS bie 9Robilma<hung beS preußifdfjen ßeereS, wiche fchon 
etwa 3 3Ronate fpäter jur Abrüfiung unb fobann jur befannten Dtmü|er 
Gonoention führte. 

Unfer junger ©arbe*Artillerie*2eutenant würbe non biefen militärifchen 
£änbetn nicht siel gewahr: er befuchte in ben fahren 1850 — 52 bie 
Bereinigte Artillerie* unb 3ngenieurf<hule (bamats noch Unter ben Sinben) 
unb bereicherte feine gadjfenntniffe als jünger ber „heiligen Sarbara". 
®S gelang ihm halb, ficb jur ©eltung ju bringen: fdfion im ^aßre 1858 
würbe er AbtheilungS*Abjutant in feinem Regiment, unb im ^aßre 
1857/58 leiftete er ©ienft als $euermerfs*2eutenant. Unb als in ben 
letztgenannten fahren bie für alle 5 3ahre norgefchriebene 3nfpecrton beS 
beutfehen SunbeSßeereS norgenommen würbe , batte Seutenant ©raf 
SBalberfee bie ®hre, bem ©efolge beS ©eneratleutenants b. ^ermann, 
GommanbeurS ber 3. ©ü>iüon, angefchloffen ju werben, welcher bas fönigl. 
württembergifche SunbeScontingent ju besichtigen bie Aufgabe erhielt, ©er 
junge Dffijier fanb bei Söfung biefer Aufgabe ©elegenbeit, fein fritifdbeS 
Auge ju üben, benn eS würben bei biefem Anlaß jablreiche SRonita namhaft 
gemacht, an benen SBürttemberg mit 4 betheiligt war. „Sei biefer SRe* 
gierung — fo wirb berichtet — würben namentlich wieber bie Infanterie 
unb bie mangelhaften «Reglements getabelt*)." 

*) 3}gl. bie «Schrift: „$>ie Station unb ber SöunbeStag", ein Beitrag jur 
beutfdjen (Sefchicfite Bon Start Qfifcber, ßeipjig, 1880, 3?ueS’ SBerlag, &. 244. 



J80 (ßcbljarö §erntn in Datmßabt. 

Bis jum Satire 1860 bauerte fein Gotnntanbo als Abjutant ber 
1. ArtiHerie=3nfpection. Am 31. SDiai 1859 mar feine Beförberung jum 
Bremier*Sieutenant erfolgt, bocb fc^on im nächftfolgenbcn $ahre mürbe er 
jur Dienftleiftung beim SBeftfälifdjen UtanemSiegiment 9lr. 5 auf bie 3«* 
non 5 9Jionaten befehligt unb hotte bort Gelegenheit, feine ftetS fd)on mit 
Vorliebe gepflegte 9teitfertigfeit 3 U nernollfommnen. ©r mar faum 30 3 a h re 
alt, als er jum ^»auptutann beförbert mürbe, am 8 . Januar 1862, unb 
fpäter erfolgte noch eine 3 urücfbatirung feines Patents als folget, nämlich 
auf ben 31. 9Jtai 1859. 

Als ber beutfd)*bänif<he Krieg von 1864 aufbrach, riiette er als 6 l)ef 
einer reitenben Batterie beS ©arbecorpS in'S gelb, mährenb fein älterer 
® ruber ©eorg — mie bereits oben angeführt — gleichzeitig als 2 Rajor 
unb ältefter ©eneralftabsoffijier im Hauptquartier beS Brinjen griebridj 
Karl thätig mar. ©r mürbe fpäter ©hef ber ©arbe*Hanbn'erfS=©ompagnie' 
unb blieb als fold&er bis ju ihrer Auflöfung an beren ©pifce, bo<b bot [ich 
ihm feine ©elegenheit ju friegerifdjer Aufzeichnung in biefem SBinter* unb 
©ommer*gelbjuge. $n bie Hrnnat jurüdgefetirt, mürbe er am 25. April 
1865 als Abjutant jum ©eneralfelbjeugtneifter unb ©hef ber Artillerie, 
©r. Königt. H°h e tt bem i)3rinjen Karl non B reu f3 en befohlen unb blieb 
in biefer Stellung bis jutn 16. guli 1866. Als britter Abjutant — 
neben ben ÜDiajorS n. ©rharbt unb n. Helben=@arnoroSfi — unb 
ä Ja suite beS btanbenburgifchen gelb*ArtilIerie=9iegimentS 9lr. 3 ftehenb, 
in roelcheS Regiment er am 12. December 1865 nerfefct morben mar, 
machte Haupttnann ©raf SBalberfee ben gelbjug 1866 in Böhmen unb 
3Jcäf)ren mit unb nahm an ber ©ntfd)eibung§fd)la<ht non Königgräb (3. 3uli), 
fomie an ber Befchiefjung ber geftung non Königgräfc am 4. guli 2 Tl>eiC. 9io<h 
im Saufe biefeS getbjugeS — um bie ÜDlitte guli — mürbe er jum ©enerat* 
ftab ber Armee commanbirt unb bem großen ©eneralftab jugctheilt; am 
28. guli empfing er bie 9RajorS:©pautetten. Auch « gehörte ju bem 
„ftoljen 3 u 3 e *> ben, mie bas preufjifdje ©eneralftabSmerf über ben ?Jetb= 
jug 1866 in Dentfd)lanb berichtet, König SB it heim an einem f «honen 
©eptembertage in ber Hauptftabt Berlin unter bem 3 uru f ot ner jahüofen 
SJlenge bur<h bie ununterbrochene Doppelreihe ber Trophäen bis nor fein 
©djlojj führte*). 

Unter bem 30. Cctober 1866 mürbe -Btajor ©raf SBalberfee bem 
neu errichteten @eneral=Gommanbo beS X. ArmeecorpS in Hannoner über* 
miefen. gn biefer ©tellung unb getragen non bem befonberen SBoljl* 
mollen beS ©eneral*©ounerneurS, ©cnerals n. S3oigtS*9H)eh, ber an bem 
gleichen Dage, unter Beibehaltung feiner ©tellung in Hannoner, jum 
commanbireuben ©eneral beS X. ArmeecorpS ernannt morben mar, mar 
©raf SBalberfee mit thätig bei ber Ueberführung beS ehemaligen König* 


*) „ffelbjug 1866* @. 728. 


(Seneralf elbmarfcfyall (Sraf IDalberfee. 

reidjs ^anrtooer in bie neuen, burcf> ben 2luSgang beS Krieges oon 1860 
gefdhaffettert SerhältitifTe. hierbei hatte er jugteidfj ©eleqenhett, politifdh* 
biplomatifcfje gähigfeiten in rieh ju entwideln, benn er erwarb ftdj nicht 
nur einen tiefen ©inblicf in alle 3 ro eige ber SanbeSoerwaltung, fonbem er 
trat auch burdh feine oieloerjweigte Thätigfeü in nähere Sejieljungen ju 
$annooeranern non poiitifdjer Sebeutung wie Sennigfen unb ÜDiiquel, 
fowie ju bem Kanjler beS Aorbbeutfdjen SunbeS, beut ©rafen Dtto non Sis* 
ntard. 9?ach oerfdhiebenen Stiftungen hi« feiftete ber junge ÜJtajor feinem 
Saterianbe bie erfpriejjlidjften ®ienfie. ®iefe fanien jut Kenntnifj beS 
Königs 2öühelm unb hotten bie $olge, bah ber reidibefähigte unb wohl* 
erprobte ©eneraiftabl=Dffijier nom 30. Februar 1870 ab ber preufjifdjen 
Sotfchaft in Saris als 9Jtiütär--2lttad)6 beigegeben würbe. 

®em beutfdh-franjöfifchen Kriege non 1870 — 71 gingen ©reigniffe unb 
SBerathungen oorauS, bei weldfien bem ©rafen 2B alberfee eine wichtige 
unb oerantwortung$reid)e £f)ötigfeit befdjieben fein foüte. @r jeigt ftcfj 
gang feinen Aufgaben gewachten, — er, ber am 2. 3Rai 1870 jum 
glflgei:2lbjutanten feines Königs ernannte ©tabSoffijier. 2llS bie fpanifdhe 
Shroncanbibatur beS Sßrinjen non ^ohenjoitern fidh ju einer hrennenben 
politifdhen $rage erweiterte, befanb er iich gerabe in Sab @mS, um fidh 
bei bem König SSilheltn ju melben. @r traf jur feiben ßeit bort ein, als 
©raf Senebetti, ber franjöfifdje ©efanbte, am 9. 3uli feine erfte Aubtenj 
in biefer fyrage bei König SBiihelm gehabt hatte*). 

SDie Seohachtungen, weidhe bamats ©raf SBalberfee als 2Jtilitär« 
Süttadhö ber preu&ifden ©efanbtfchaft in Saris gemadht hatte, waren böchfl 
werthnoü. MerbingS war er erft wenige -Bionote nor 2luSbru<h beS Krieges 
nadh granfreidh gefommen, jebodh hatte er biefe furje $eit fo gut jum 
Kenneniemen ber frangönfcben Gruppen benufct, bah er ein im Allgemeinen 
richtiges Urtheil über biefelben ju fällen oermodjte. 2Bie er in einem im 


*) lieber jene Sage mirb im ©mellten fffolgenbeS bon bem @eb. föofratb ©dnteiber 
berietet, ba8 gwar in bem befanntrn muntern ©rfjneiber’idien Tone abgefaßt ift, jebod) 
febr mahrfdeinlidj tlingt. Ter 2?or(efer ber prenhifeben Könige febreibt: „ Ta ber 
frangöfifdie ©efanbte an biefem Tage (9. 3uli) gnr Königlichen Tafel eingelaben ltmrbe, 
fo Wirb ber König ihm nrbl gefegt haben: „©fugen Sie ftef) nidt, lieber Senebetti, 
effen Sie beute einen i'öffel Suppe mit 3Jtir, unb morgen motten mir meiter baiübet 
reben. Aber erft abfüblen!" 91 un famen aber g'eichgcitig Stadiridjtcn aus SPariS unb 
oon allen ©eiten, bah bie jjrangofcn gang ernftlieb an einen Krieg mit fßreuhen bädjten 
unb gang offen SBorbereitungcn baut träfen. Ter 3lügel=2lbiutant Cbcrft (er mürbe erft 
am 25. 3nti 1870 Cberftlieutena i t, b. SB.) ©raf SSatberfee fam au8 SßatiS jurücf 
unb ergäbtte, bah e8 bieSmat mirftid) emft gu fein fcbeiite, bah taS Kbaffepot=®emebr ber 
frangöfifeben Snfanterie noch beffer fei mie unfexe preitgifdie 3ünbnabet, unb bafs fte grofee 
SRofinen mit einem anberen ®efd)ii& im ©ade hätten, meldieS ©emebrfugeln mie Kartätfcben 
fdjiehe unb „SDtitraitleufe“ genannt merbe, morauf ber König fpagieren unb 2lbenb8 in’8 
Theater ging, alfo feine befenberen Angeidjen Bon SBeforgnifj fpüren lieh.“ 

(Agl. „Kaifer SSilbelm, militärifebe £eben8befcbreibung 1867— 1871 Port 
ß. ©ebne Iber, Serlin, 1875“, © 38. 



*82 


(Sebtjarb §crnin in Darmjtabt. 


$uli 1870 burdj Jlönig SBilhetm oon üjm »erlangten Senate, ber bie 
fyed^troeife bet franjöfifdjen Slrmee beljanbette unb burd) Umbrucf beit 
preujjifdhen Gruppenführern befannt gegeben routbe, näher auSgeffihrt hat, 
war man in gratifvetd) fett ber Ginführung beS .fjintentaberS ju ber lieber* 
jeugung gelangt, bafi bie bisher angewanbte StofjtaEtiE, bie in Italien 1859 
unb in GänemarE 1864 jum (Siege geführt hatte, in Söhnten aber 1866 
®or bem ^ätibnabelgeroehr jufatnmengebrodien mar, nicht mehr betbehalten 
werben bürfe. „9Kan wirb" — fo fdjrieb ©raf 2Ba Iberfee im 3ahr 1870 

— „ftets ber taftifchen Gefenfioe ben Sorjug geben, alfo auf bem (Schlacht* 
felbe fidj angreifen taffen. SDtan fudht bie Gntfdjeibung allein im geuergefedjt." 
Giefe Slnfcfiauung hatte natürlich if) re 9lüdwirEung auf bie Gaftif, beren 
fämmtlidje formen auf bie noHEommenfte SKuSnuhung ber SeiftungSfätngEeit 
beS ©ewehrS hinftreben. £ierju fdjien bie reine £ineartaftif baS befte 
IDlittel ju fein, roeit fie erlaubte, möglidjft »iele ©eweljre in Ghätigfeit ju 
fe^en. ©raf SBalberfee fagte fdion bamalS ftarfehenb »orauS, baft bie 
beplopirten jweigliebrigen SataiHone auf fehr bebeutenbe Gntfernungen — 
bereits non 1500 bis 1200 (Sdjritt an — baS geuer eröffnen unb SJtunition 
wahrhaft »erfdjwenben würben. 

Giefe Srophejeiung ift budjfläbtich eingetroffen. GaS franjöfifdje 
Satailton bejeidjnet ber Serid)t als einen fdjwerfäHigen Körper ohne lebenS* 
fähige ©lieberung, ber nur auf ^Bewegungen im ©aitjen gefault unb bem 
preufnidien — audj abgefchen »on ben StärEeoerhältniffen — unter feinen 
Umftänben gewadgen fei. Gie ©eneräte feien gefdfult, bie Günfionen, bie 
aus 12 Infanterie* unb 1 3äger*Satailion befielen, ju bewegen. Gine 
Ghcilung ber Gioifionen in Sluantgarbe, ©roS tc. fei nidht }U erwarten; 
fie würben in ber Sieget in jwei Greffen in baS ©efed)t treten, baS 
erfte oollftänbig entwicEelt unb meift je eine Stigabe in jebem Greffen 
haben. 

Gie Gaoalteric — fo meinte ©raf ÜBalberfee — wirb ftdh niemals 
junt Singriff auf bie preufsifche Infanterie entfdhliefjen, aufjer in ben lefcten 
Slugeubliden eines Kampfes. (Giefer galt ift bann fpäter wirEtidh ein* 
getreten, fo bei 3JcorSbrumt*2B5rtf), Seban ic.). <Sie erfdjeint ihm auf 
gefdjloffeneS 33orwärtSreiten cingeübt, entbehrt bagegen jebe Seweglidjfeit 
unb IDlauöorirfähigEeit. 

Gie fyelbartilteric — ftetS eine Glitemaffe ber franjöftfdjen Slrmec 

— evfdjeint bagegen bem beutfdjen 23eobad;ter ber preufiifchen in Sejug auf 
SJlanöorirfiihigfeit überlegen, jebodi webet an 3“$/ uod> an Grefffidjerheit 
gewadjfen. Gie 5Diitrailleufen*Satterien werben bis ju 1500 Sdjritt als 
non guter SBirEung bejeidmet. 

SluS allen biefen Seobadjtungen jog ©raf SEßatberfee ben (Sdjlnfj: 
Gie $rau;ofen werben fiel), wenn fie aud) offenfto »orgehen foHten, auf bem 
<Sd)lad)tfelb bod) lieber angreifen laffen als felbft angreifen. Gr empfiehlt 
bentgegemiber für bie GaftiE bcS preufjifdien feeres foigenbe fDtafjregeln : 



(Senetalfelbmarfdjall (Sraf IPalberfee. (83 

1. Sie freie Ebene möglidjft ju »ermeiben („in coupirtem Terrain »er« 
fd^toinbct bie Ungleichheit bet Infanterie =33eronffnung unb fommt 
unfere bei weitem größere üJianöurirfäijigfeit unb bie Anteiligen} 
unferer Offiziere }ur »ollen ©eltung"); 

2. ba§ Anfanterie=geuergefe(ht auf Entfernungen »on 1000 ©chritt bis 
500 ©dfjritt, roo bie Ue6 erlegenfjeit be§ S()affepot:©eroebr3 jut ©eltung 
fommt, }u »ermeiben; alfo bem geinbe, wenn e» fein fann, fdhnetl 
auf ben Seih }u geben unb baä ©efedjt auf nähere Entfernungen }u 
führen; 

3. grobe Sirailleur:©<hroärme auf}ulöfen; 

4. ben geinb nid^t in ber gront, fonbem in ber glanfe anju: 
greifen*); 

5. bie Eaoallerie »or ber ©dhladfjt }ur Beunruhigung beä geinbe» unb 
befonberä feiner glanfen unb be3 3iücfen3 }u uertnenben; 

6. bie Eaoallerie in ber ©djjlacht jurilrfsutjalten unb für ben testen 
SJtoment auf}uhcben; 

7. ber franjöftfdhen Eaoatterte gegenüber }u manöoriren, aber in ber 
gront ihr mögliche gefcfjloffen entgegenjutreten; 

8. bie . SioifionS'-Batterien nicht »ereinjelt, fonbem »on »omhercin »er: 
einigt — rooburch fie immer bann ber Artillerie einer fraujöüfdjen 
Sünfton bei roeitem überlegen fein roerben — unb mögtidhft früh}eitig 
}u »erroenben; 

9. bie Eorp§= Artillerie fiets fdjnett }ur £anb ju haben; 

10. ÜJtitrailleufemBatterien gegenüber Entfernungen unter 1500 Schritte 
ju »ermeiben. 

Diefer Bericht ift »om 18. AM 1870, alfo einen Sag »or Heber: 
gäbe ber fran}öftfd)en ßriegSerftärung in Berlin, batirt. ©eine Stürje roar 
bie natürliche gotge beä DiangelS an 3e»t, bie bem Berfaffer }u feinem 
Auffafce gelaffen roorben roar. 2Ber bie taftifdfjen Srfdheinungen be3 gelb: 
}uge3 1870/71 mit ben hierin erteilten Sehren etroaS genauer »ergleicht, 
roie roir ba3 »orI)in in einem gaH ju thun oerfucht haben, ber roirb bie 
Beroeife für bie 9U<htigfeit ber Beobachtungen unb Borfchläge beS ©rafen 
SBalberfee faft überall »or fidh haben. ES ging ihm aber nidht fo roie 
bem franjöüfd^en 9Ri(itair:2lttad)6 bei ber Berliner ©efanbtfdjaft , bem 
Dberft (Stoffel, beffen SBahmehmungen unb fRatbfchläge bem preujnfdjen 
£eere gegenüber an ber ©eine einfach unbeachtet blieben. 


*) Siefen tokbtigen ©runbfab tiatte fdjon ©eneral öon ©oeben in ben Sreffen 
bon föffingen (10. 3uU 1866) unb Aicbaffcnburg (14. Sutt 1866) mit beftem ©rfolg 
jur Antoenbung gebraut. 21 ucfi mürbe befanntlidi bie Srfiladit Don (6raücIotte=3t. SPriöat 
(18. Auguft 1870) burdj ben gliiiflidten Angriff beS fran^öfifefven regten fjlügels feiten» 
be8 bamaligen Stronprinjeu Albert bon Sadjfen ihrer (Sntidjeibnng entgegen» 
geführt. 



<5ebt(atb §ernin in Darmjlabt. 


m 

TaS große ßriegSjaßr 1870/71. 

2lm 25. guli 1870 jum Cberftleutenant beförbert unb bem großen 
Hauptquartier jugetfieilt, jog ©raf SBalberfee in ben beutf<h*fransöftf<hen 
Ärieg. ©r naßm an mehreren Schlachten X^eil, fo an bet »on St. Sßrioat 
am 18. Sluguft, Veaumont am 30. Sluguft unb Seban am 1. September; 
auch wohnte er uom 19. September an ber Ginfdjtießung unb Setagerung »on 
VariS mit mannigfachen bamit »erbuubenen 2luSfaßgefechten bei. ©r ge- 
hörte mit ben Dberftfeutenants ». Vronfart, ». Vranbenjiein unb 
». Verbp jur erften Staffel beS großen Hauptquartiers, befidjtigte mit bem 
letztgenannten fcfjon am 26. unb 30. September ben größten 21 feil ber 
GernirungSlinie unb blieb bem Vrennpunfte bet wichtigen ©ntfcßeibungen, 
welche in ben befannten Vtoltfe’fdjen „Tirectioen" jum 2tuSbrucf ge= 
langte, ftets nahe. 

9tun aber fam eine ©etegenheit, in welcher Dberftteutenant ©raf 
SBalberfee fein ungewöhnliches militär=biplomatif<heS ©efdjicf jeigen foHte. 

Saffen wir hierüber einen fcharfen Genfer unb Äritifer, ben befannten 
3Jtititärf<hriftfteßer H au Pt m ann grth H°enig in Berlin, berichten, ©r / 

fchreibt: ' 

„GS ift ein ©rfahtungSgefefc, baß trotz Telegraphen unb fonftiger Vcr* | 

fehrSmittel am fnherfien ©inljeßigfeit ber Sluffaffungen bei jwei weit »on | 

einanber getrennten Armeen erjielt wirb, inbem man ben SBeg beS J 

perfönlichen VetfehrS einfdjlägt. Tiefer 2Beg bietet außerbem ben Vortßeil, l 

bah beftehenbe „grictionen" nicht nur nicht erweitert, fonbern beigelegt I 

werben fönnen; freilich hängt bann 2lßeS »on bem Tact unb bet ©iniicht J 

ber Vermittler ab. Ter Monarch befanb fi<h, weit alle gäben in feine ( 

Hanb münbeten, bauernb in ber Sage, mehr ober weniger ju »ermitteln, 
2ftiß»erftänbniffe ober gar grictionen beijulegen, unb wenn einfi bie ©e* 
fdjichte beS groben Hauptquartiers »on 1870/71 gefchrieben wirb, welche 
jweifeßoS ben anjiehenbften Theil ber ©ef<hi<hte biefes groben ÄriegeS 
Hübet, bann wirb baS 23ilb Jtönig SBilhelmS wegen feiner fieten unb 
glüdlidjen Vermittlung aßen ißienfchen »on ©mpfinbung unb UrtheilSfraft | 
noch ®iet theurer werben, als es fdhon ift. Ter ßönig erwog in berartigen 
fritifchen 2lugenb(iden bie ©igenfchaften ber Vtämter feiner Umgebung, 
welche et naturgemäß am beften fennen gelernt h®Ue, in Vejug auf 
fchwierige Sonberaufgaben unb pflegte für belicate Aufträge bie geeignete 
ißerfoit mit jener Sicherheit ju treffen, welche aus feiner tiefen ßJtenfdten« 
fenntniß, ber Verüdiidjtigung menfd)lid)er ©igenheiten unb ber richtigen ( 

Stuffaffung aßer Verhältniffe entfprang. Siegierenber gürft eines großen . 

SanbeS, oberfte Spi(3e ber StaatSpolitif unb ber Heerfühnmg, war biefer ’ 

Monarch in feiner reinen unb fdjlidtten ©röße frei »on jeber perfönlichen i 

Giferfucht. Gr ging bem Sßefen ber Tinge auf ben ©runb, »erfolgte I 

immer bas 9lßgemeinwof)l unb fanb ftets ben richtigen 30tann unb für * 


I 


«Senetalfelömarfrfjall <Staf IDalberf ee. 185 

iE»n bie geeignete gorm, fo bafj febe Hanbtung, ebet gebaut unb auf baS 
2lttgemeinred)t beregnet, oerfö^nte unb geroann. 

2Bäf)renb beS 23. 9Jooentber fdieint im Könige nach bem 93ortrage 
ber <Sntfcf)tu& gereift ju fein, einen Dfftjier aus feiner Umgebung nach 
ißitbioierS ju entfenben, iebod) erft am 24. -Rooember mürbe ber -äJionardj 
über bie Saht beS DffijierS fdbtüfüg. 9tn biefem Sage tl)eilte ber Dberft 
oon 2llbebr)ll bem Dberftleutenant ©rafeit Satberfee mit, baff ber 
König if»n jum ißrinjeu fyriebridj Kart fenben motte, unb er ficb ju 
fofortiger Slbreife bereit batten möge, ®(eidi barauf mürbe ©raf Salbet* 
fee junt Könige bcfdfjieben *)." 

©3 mürbe b«t ju meit führen, mollten mir näher auf bie ©injettjeiten 
biefer müitärifcfcbiplomatifdien 2Riffion eingeben. Sir nerroeifen auf baS 
Hoenig’fdje DneHemoerf unb bemerten nur, baf; aus ben Grfotgen alt- 
gemein befannt gemorben ift, mit meinem Gifer unb ©efcbicf ©raf 
Salberfee feine Aufgabe gelöft b«t. ©5 ift ebenfo befannt, bafj ber; 
felbe fytügebSlbjutant beS botbfetigen Königs Silbe tut eine ihm fpäter 
übertragene Aufgabe in ganj äbnlidj*gtücflid)er Seife ju ©itbe geführt rjat, 
als er ju 3lnfang Januar 1871 ben Dberft non KrenSfi in ber 
©igenfdbcft als ©bef beS ©eneratftabeS beS XIII. 2lrmeecorpS erfebte. 

2luf biefe Seife mürbe ©raf Salberfee s Hiitfämpfer ber ©djfacbt 
non SBeaune ta ÜRotanbe (28. ÜRooember) unb jrnei Sage fpäter beS 
©efedjtS bei SRontbarraiS, ferner ber DoppebSdjtacbt non £oignp=tpouprp 
(2. Secember) unb ber rcedjfetuollen ©d)[ad)ten um ben SPenb oon DrteanS 
(3., 4. u. 5. Secember); bann folgten nodb bie ©ct)tad)ten non 39eaugencp 
unb ©rauant (11. Secentber) unb baS ©efecbt bei üßenböme (16. Secember). 
fRatb 33erfaitIeS jurüdgefebrt, mürbe er $euge t> er fcfjönen SeibnacbtSfcier, 
roetdbe bie ©eneratftabs-- Dffijiere ber 1. ©taffel beS Hauptquartiers oer* 
anfiatteten. 

9Int Krönungstage — 18. Januar 1871 — mürbe ©raf Salberfee 
burdb eine Seförberung jum Dberft auSgeseidmet (er fiatte fauni fediS 
HRonate fang ben SRang eines DberftteutenantS beftcibet!), nacbbent er noch 
in ber breitägigen ©d)la<bt bei 2e 2)tanS — 10. bis 12. Januar 1871 — 
unb and) im ©efecbt bei SlleuQon — 15. Januar — mitgefämpft hotte* 
Säbrenb ber lebten eutfdbeibenben Sage beS Krieges mar bann ©raf 
Salberfee in 2’erfaitteS anroefenb. 9US bort am 26. Februar ber 
iprätiminar^riebe unterjeidfnet morben mar, mürbe er jum ©bef beS ©tabeS 
beS ©eneratS uon Kamefe ernannt, bem ber nunmehrige Kaifer Silbettn 
baS micbtige Statt eines „©ommanbanten oon ißaris" übertragen I)atte, 
roäbrenb Hauptmann uon ißrittroib aß ißlabtuajor tbätig fein follte. 

*) 3Ran öergt. baS 2Berf: „®er SBoIfStrieg an ber fioire im &erbft 1870, 
narf) amtlichen (Quellen unb banbirfjriftlirfieu Stufjeidmungen Don ÜRitfämpfem", bargefteüi 
oon 3rtb Hoenig, I. 33anb, äöertin 1893 (©. i'iirtlcr n. ©otjn) 2. 335 u. folg. 

«Olk unk ent). XCV. 284. 13 



t86 <8 ebparb §etniit in Z>armftabt. 

So fam es, bajj ber glügeHübjutant ©raf SBalberfee, roeldjer fcpon bei 
beginn beS gelbjugeS eine in mehrfacher ^inficht bebeutfame Stolle gefpielt 
batte, autb in ben testen SBodjen biefeS Krieges in hmmrragenber Stellung 
tfjätig roar. Gr begab ft dt am Tage beS GinjugS ber beutfdjen Gruppen 
in Paris — 1. 9)tär$ 1871 — in ben ^nbufiriesPalaft auf ben Gtpfäü 
idben Silbern, um non ben SJtaireS bie DuartierbiHetS für bie eitirücfenben 
beutfdben Truppen in Ginpfang ju nehmen, unb ritt bann nach ber auf 
1 Uljr angefefcten parnbe oor Kaifer SBilpelm auf bent berühmten Songdjamp 
im ©efotge beS ©enerals non kantete in Paris ein, nadjbem ber Sefctere 
einen STOcit bet Truppen am Triumphbogen an fi<h b a tte norbeibefitiren 
laffen. Freitag, ben 8. SJtätj 1871 nerliefe ©raf SBalberfee all einer 
ber testen beutfdben Offiziere Paris burdh bie Porte Tauplgne*). ©efchmücft 
mit bem Gifernen Krcuje 2. u. 1. Klaffe, feljrte Dberft ©raf SBalberfee 
in bie Heimat juriict, bod) fonnte er fid) hier feiner langen Stube erfreuen, 
benn fdjon roenige SBodien nad) bem ^ranffurter $riebenSfd)luffe — am 
12. $uni — mürbe er mit ber Stellung eines Eaiferticfjen ©efcpäftSträgerS 
bei ber franjofifchen Stepublif betraut unb nahm roieber feinen Aufenthalt 
in Paris. 

Tie griebenSthätigfeit im Truppenbienft unb im ©eneralftabe. 

Stun begann eine längere griebenStljätigfeit. ©raf SBalberfee fühlte 
ielbft, bah er ftd) nad) 2lbfd)Iufi beS Krieges im praftifdjen fjrontbienft 
fortbilben tuüffe, um mieber nähere fyühtung mit ber Truppe ju nehmen 
unb fid) 3 ur Ausfüllung oon höheren Gommanboftetlen gefdjicft ju machen. 
Unter bem 24. ftuni 1871 erfolgte feine Gmennung jum Gomntanbeur 
beS 1. hannoo. Ulauen-StegimentS Str. 18, bod) blieb er föniglidier fflügeU 
Slbfutant unb bis jum 23. Sluguft auch ber Gotnmanbantur in Paris fju- 
geteilt. Gr brachte fein Stegiment auf eine hohe Stufe taftifdjer 2luSs 
bilbung unb befonbetS aud) ber Steitfunft. Schon im folgenben Qahre mar 
©raf SBalberfee in bie unmittelbare Stäbe beS KaiferS SBilhelnt I. he- 
fohlen, unb jroar jnr fpeciellen Tienftleiftung roährenb ber Kaifermanöuet 
(oom 5. — 12. Septbr. 1872), roie er auch leinen aüerhöchften Kriegsherrn 
auf beffen Steife nach Petersburg im $af)re 1873 — 23. Slpril bis 13. Sftai 
— ju begleiten hatte. Gbenfo roohnte ©raf 3B alberfee im 3ahre 1876 im 
©efolge beS KaiferS ben im Slnguft ftattfinbenben großen £erbftübungen 
beS V. unb VI. SlrmeecorpS bei; et befleibete bantals bie Stelle eines 
©eneralftabsdiefs beS X. SlnneecorpS, meldje ihm am 9. Tecember 1873 
übertragen roorben mar. 


*) StäpcreS über biefen ?(nfentpatt ber beutfdjen Truppen in fßariS finbet fiep in 
ber Scprift: „£rei Tage in T 5 nri§ (1.— 3. fMrj 1871). StuS bem Tagebucpc non 
<S. b. 'TirittiiHp) u. Qj(affron). SDiit 1 Iitfiogropf). Stijse. SSefottberer Slbbrucf au« ber 
.Slttgem. ÜJiitit.»3tß." Tanuftabt 1882, 3eruin." 



cSeneralfelbmarfcfjalt <ß*af JDalberfee. 187 

2lm 6. SabteStage ber Schlacht oon ©raoelotte=St. Sßrioat — 18. Sluguft 
1876 — würbe ©raf SBalberfee jum ©eneratmajor beförbert. ©r würbe 
bann baju auSerfetjen, bie oom 14. bis 28. 2luguft beöfetben Sabre« ftatP 
finbenben 23rigabe--©percitien ber 19. ©aoaderie*33rigabe ju leiten, unb erhielt 
einige SBodben fpäter ben ebrenooden Auftrag, ben ültanooem be« 12. unb 3. 
©orp« ber franjöfifdben 2trmee beijuroobnen, welche in ber ^cit oom 16.Septbr. 
bi« 14. Dctober abgebalten mürben, hierbei hatte er ©elegenbeit roabt- 
junebmen, welche taftifdben Sottfcbritte ba« franjöfifdbe £>eer — la nouvelle 
arm6e — feit bem beutfdb'franjöfifdben Kriege gemalt batte, wa« für üjn, 
ber biefelbe 2lrmee oon früheren Sabten ber fo genau fannte, hoppelt 
intereffant fein muffte. 

Sn bet Solgejeit erhielt ©raf SBalberfee mannigfadbe (Gelegenheit, feine 
fdbon bi« babin fo oielfeitigen militärifdben Kenntniffe ju erroeitern unb ju 
betätigen. So leitete er im Sabre 1880 eine größere SeftungSübung in 
ber -Habe oon Königsberg, welche oom 81. Sali bi« 17. üluguft bauerte, 
unb im folgenben 2Jtonat fdbon ftanb er an ber Spifce ber Dffijiere feine« 
©eneralftab«, mit bem er bie ©eneralftabSreife feine« ©orp« machte, nadb- 
bem er fürs oorber am 18. September jum ©enetalmajor ä la suite be« 
Kaifer« ernannt morben mar. ©ann famen noch weitere 2lu«jeicbnungen. 
So würbe er im Sabre 1881 baju beftimmt, ben groben Slottentnanöoem 
bei Kiel in ben Sagen oom 16. — 18. September beijuwobnen, unb am 
27. ©ecember be«felben Sabre« ernannte ihn Kaifer SB it beim, unter $Be= 
laffung in bem S3erbältni§ be« ©eneral« ä la suite Sr. ÜWajeftöt, junt 
©eneralguartiermeifter. ©antit war er bie rechte $anb be« ©bef« be« 
©eneralftab« ber Slrmee, be« ©rafen oon Sftoltfe, geworben unb batte 
eine Stufe ber militärifdben Hierarchie beftiegen, meldbe für feine ganje 
fernere SBirffamfeit oon entfdbeibenber 35ebeutung fidb ermeifen fodte. 

Unter bentfelben 27. ©ecember batte Kaifer SB il beim ba« oon 
SDtoltfe bereit« am 12. Stooember eingereidfjte 2tbf<hieb«gefu<h burdb ein 
äufjerft gnäbige« ©abinet«fd)reiben beantwortet, worin u. 21. folgenbe Stelle 
oorfomntt: „ . . S<h fann baber weber jejst, nodb überhaupt jemal«, in 
©emäbrung be« 2lbfcbiebe« für Sie eingeben, aber idb bin mit Sreuben 
bereit. Sie in Sb*en umfangreichen ©ienftgefcbäften nadb ader SRöglidbfeit 
ju erleichtern unb habe baber auch gern Sbrein SBunfdb um guweifung 
eine« ©eneralquartiermeifter« burdb eine anbermeitige Drbre oom heutigen 
Sage entfprodben*)." 

3u biefem ©eneral-Duartiermeifter würbe oom Selbmarfcbad ©rafen 
Sftoltfe felbft ©eneral ©raf SBalberfee oorgefdblagen. ©r trat thatfäch- 
lidb an be« ©rfteren Stede, wenn auch 33? o 1 1 f e bem Slatnen nadb ©bef 
be« ©eneralftab« ber Sltmee blieb, bet fomit für feinen SebenSabenb ent* 


*) 2JgI. „tfelbmarfcban SDtoltle*, »on 23t a g 2. Hieil: 23teifter jnfire 

1867—81, SebenSabtnb. Berlin 1900, Jpofmamt unb Gotitp. @. 625. 

13 * 



*88 


(Sebfyarb §crnin in Darmßabt. 


laftet uitb für bie ganj großen ©ntfdjeibungen oorbehalten blieb. 2lm 
11. ftuni 1882 würbe 3B atberf ec jurn ©eneraUSeutenant beförbert. 

GS folgten nun einige oerljältnifnitafüg ruhige Tienftjahre. ©raf 
25 alberfee bemühte fidj mit regem Gifer unb beftern Grfolg, in bie fyuß= 
ftapfen feinet oortrefflihen SehrmeifierS, beS ©reifen Sötoltfe, ju treten, 
ben er als Sorbilb aller militärifdien unb menf<hlid)en Tugenben gleich 
feßr oereljrte; babei mar er ftets beftrebt, ben immer mehr ftd) erweitern; 
ben 2Inforberungen ber Gentralftelle für ben ©eneralftabsbienft gerecht ju 
werben, hotte er bo<h in ber ÜJtoltfe’fehen <2dmle arbeiten unb befonberS 
fehnetl arbeiten gelernt. Tabei überiah er nicht, fidi auch im praftifchen 
2Jiititärbienft einen fortlaufenben lleberblid ju oerfchaffen unb feinen eignen 
Rörper fortroährenb $u fdiulen unb abjußärten. Raifer SBilhelnt I. er« 
roieS ihm bie leßte ©nabe an feinem 88. ©eburtstag (22. SJIäTj 1885), 
inbem er ihn unter Selaffung in feiner Gigenfchaft als ©eneralquartier* 
meifter ju feinem ©eneral^lbjntanten beförberte. 2llS folcber erroieS ©raf 
2Balberfee feinem unoergefjlichen Raifer unb $errn ben letjten Tienft, als 
er am 3tad)mittag beS 16. 2)Järj 1888 ber Seifeßung beSfelben im 
■Btaufoleum ju Gßarlottenburg beiwohnte. 

Sßier 2Bod>en fpäter — am 14. 2lpril — würbe ©raf SBalberfee 
jum ©eneral ber Gaoallerie beförbert unb zwar burdj Raifer ffriebrich III., 
ben bamals febon tobtfranfen dürften. 3 roc i Monate tpäter folgte er ber 
Seiche and) biefeS ho#egabten Sftonarden, — feines Qfugenbgefpielen in 
ben ißotsbamer ^»ofgärten, mit welchem er, wie wir fdion oben be= 
tnerften, manchen munteren Rnabenftreid) ansgeführt, manches herzhafte 
2lbenteuer glüdlicb beftanben hatte. ^Cief trauernb gebachte er biefer Skr« 
gangenheit. 

Ten Thron feiner Seifer beftieg nunmehr Raifer SBilljelm II., bem 
©raf SBalberfee febon währettb ber 3«it, in welcher er wäljrenb ber 9te= 
gierung feines SaterS unb ©roßoaterS »erfebiebene TruppencontmanboS in 
Serlin unb ifßotsbam geführt hatte, nahe getreten war. 316er auch in nicht 
militärifdien 2lngc(egenbeiten hatte ber neue Raiter fdhon als Srinj unb 
Rronprinj ben ©eneralquarticrmeifter burch perfönlidjeS Vertrauen auS= 
gezeichnet. <So hatte ber Seßtere auf ben SBunfcfj beS Grfteren fdhon am 
28. Dtooember 1887 in feiner ^Berliner SBoIptung eine non bem tJJrinjen 
unb feiner ©eniahlin befnehte Serfammlnng oeranftaltet, welche bie 3roede 
ber berliner Stabtmiffion förbern iollte. Tiefe Serfammfung würbe bamals 
nielfach mißbeutet, unb biete falfchen 2luS(egungen felbfi in bem 9?eujabrS* 
wunich ber ^Berliner £oß unb Toinprebigcr jum SluSbrud gebracht, fo baß 
ber tprinj am 3. Januar 1888 in feine Slntmort u. 21. folgenbe fdjarfe 
Semerfung einfließen ließ: „Tie non Qhuen erwähnten 2)iißbeutungen, 
weldie mein Gintreten für bas SBoßl ber geiftig unb lörperlich ÜHothleiben* 
ben tielfnd) heroorgemfen hat, haben mich fchmerjlidj berührt; fie werben 
mich aber nicht abhalten, bem Sorbitb unferS erhabenen RaiferS unb meines 



(Seneralfelbmarfdjall (Sraf XDalberfee. J89 

teuren SBaterS folgenb, unbeirrt non politifden ißarteibeftrebungen, ftetä 
jur Hebung beS 2£otjteS oller Sotbteibenben nach Kräften beantragen." 

9tm io. Sluguft 1888, nadjbem getbmarfdatt ©raf Siottfe fein 
le|teS 2lbfd)iebSgefud eingereidit unb oon ber Stellung eines Gf)ef3 beS 
©eneratftabS ber 2trmee jurüdgetreten war, rourbe ©raf SBalberfee ju 
feinem Sadjfotger ernannt. 3 u flt e ^ beförberte it»n Kaifer SBittjetm II., 
bent er ftets fdon persona gratissima gewefen war, ju feinem ©enerat; 
SIbjutanten unb erwies ü)m im folgenben galpre eine weitere SluSjeidjitung 
baburd), bafj er iljn ä la suite beS 1. fjannoo. UlaneiuSiegimentS Jtr. 13 
ftettte, meines wäfirenb ber Kaifer;Stanöper 1889 in jßannooer ben Kaifer 
gutn G£)ef ermatten t)at unb feitEjer ben Samen „KönigSrittanemSegiment 
Sr. 13" führt. 

©ie griebenSthätigfeit als contmanbirenben ©enerat 
beS IX. SlrmeecorpS unb ©enerat; 3fnf pecteur ber IX. 9lrtnee; 

gnfpection. 

Sun aber gefdat) etwas Unerwartetes. 2lm 2. gebntar 1891 warb 
©raf äBalberfee als Sadfotger beS ©enerais ». SeSjcjpnSfi pnt com* 
manbirenben ©enerat beS 9. 2lrmeecorpS ernannt. Sei bem erften Kenntnis 
empfange biefer Sadridt reifte ber ©raf fein ©nttaffungSgefud ein, fpäter 
natjm er febodj auf ©rängen feines Katfertiden Herren baS ©enerat 
commanbo an. gn bem ©mennungSfdreiben tjieg eS: „gd fiabe Sie für 
ben galt eines Krieges jur güfjrung einer 2lrmee in 2luSfid)t genommen 
unb eradjte eS jit biefem 3 roe de, ba Sie feit tanger 3 e ’t bent ©ruppen; 
bienft entzogen worben fihb, im gntereffe ber 2lrmee für geboten. Sie 
junädjft an bie Spike eines StnneecorpS p ftetten, wo Sie gkte oortreff; 
Uden gührer;©igenfdafteu pr ©cttung 311 bringen in ber Sage fein werben. 
©S wirb Stir feljr fdwer, Sie bamit als ©hcf beS ©eneratftabS oerlieren p 
foflen ; inbeffen tjalte gd Siid für uerpfüdjtet, Steine bieSbepgliden perfön; 
tiden SBünfde ben eben erwähnten gntereffen ber 2 trmee unterporbnen." 

©S wirb eintendtenb erfdeinen, bafj in biefer neuen ©mennung baS 
©egentheit einer Seförberung gefunben werben fonnte, benn wätirenb ber 
©£)ef beS ©eneratftabS ber Srmee in einem Kriegsfälle — wie bieS bei 
Stottfe 1866 unb befonberS 1870/71 wirftid ber galt war — bie Seitung 
ber Operationen alter £eere in feiner ^anb hat, fottte nun ©raf 2Batber= 
fee in einem fotden roieberfehrenben gatte fjödftenS über eine Strmee bie 
gütjrung ermatten. Stau nahm bamats in eingewei£)ten Kreifen allgemein 
an, baff bie Urfaden beS immerhin auffaEenben SBedfetS ttjeitS perfönlide, 
theils mititärifdc unb politifde gewefen feien, ©er ftets feinen Stonarden 
treu gehorfatne ©raf SBalberfee unterwarf fid bem SBiBen feines Mer; 
bödften Kriegsherrn unb »erabfdjiebete fid bereits am 4. gebruar »on ben 
^errett beS großen ©eneratftabS. ©a fein Sadfotger nod) nidt ernannt 
war, fo übertrug er bie ©efdäfte ben $änben beS, im Kriege wie im 



190 (Sebtjarb gernttt in Datmßabt. 

grieben bewährten Dberq uartiermeifierS ©eneral=£eutnantS ©rafen S d) t i e f f e n, 
bet bann auch einige SCage fpäter feine neue SefiaHung empfing, hierauf 
ridjtete fid) ©raf Watberfeein Slltona häuslich ein unb machte aud) — roaS 
mit t)ier auSbrüdlid) ermähnen wollen — am 11. 2Jtärj feinem nunmehrigen 
Radjbar, bem dürften SiSmard in ^riebridjSruh einen Sefud), ben biefet 
am 26. 3J?är§ in Slltona ju ertoibem ftcb beeilte. Wir fügen ferner hinju, 
baff ©raf Walberfee perfönlid) am 14. $uni 1892 bem dürften ©rüfee 
überbradite, roeldje ibnt ßaifer Sllepanber III. non Rußlanb in Äiel 
furj norljer für benfelben aufgetragen butte. 

2ln ber Spiße beS 9. RrmeecorpS fteljenb, roar ber neue conimanbirenbe 
©eneral fortroäbrenb barauf bebacbt, biefen nörbli<hen 5t()eil ber beutfdjen 
Wehrmacht fdjarf unb fdjneibig ju erhalten. Sei ber ©eburtStagSfeier beS 
ÄaiferS im folgen ben ^ahre — 27. Januar 1893 — nahm ©raf Walber* 
fee 2lnlajj, in feinem £rinffprud) jum 2luSbrud ju bringen: er gäbe fid) ber 
Hoffnung bin, baff ber Wiberftanb gegen bie gorberungen beS ßaiferS in 
Setreff ber neuen £eereSnerftärfung glüdlid) überinunbeu inerbe, „bie ber 
ßaifer auf ©runb reiflicher 2lbwägung aller Serhältniffe unb beS RatheS 
erfahrener Rtänner einzig jur ©rhaltung beS gfriebenS gefteHt" buhe. 

3nt 3ub r « 1895 fanben große ÄaifersRtanöner in Sommern ftatt, an 
benen ber Jtaifer $ranj Qofeph non DefterreidpUngarn, ber Stönig 
Sllbert non Sachfen, bie Snnjen Seopolb unb Rubotf non Sapern, 
ber ©raf Sictor ©manuel non £urin als ©äfie theilnabtnen. ®iefe- 
■Dtanöner erregten befanntlidj fo fet»r ben Seifall beS Defterreichifdjen 
ÄaiferS, baff er am 11. September, gleich nach ber grojjen Uebung bei 
©otbißow, bem Staifer Wilhelm II. fdmftlid) feine fjohe 9lnerfennung aus* 
fpradj unb ihn bat, als Inhaber jtneier öfterteid)ifdjer Regimenter bie 
Uniform eines ©eneralS ber Ganallerie ber f. u. f. Slrmee tragen ju wollen. 
Jlaifer Wilhelm II. war feinerfeits fo hoch non ben Stiftungen beS ©eneralS 
©rafen non Walberfee befriebigt, bah er ihn am 12. September junt 
©eneraMDberft ber Ganallerie mit bem Range eines gelbmarfd;aHS 
ernannte. 

©ine weitere SluSjeidmung würbe biefem im ftaljr 1897 ju Sheil, inbem 
er nad) ber ©ntbinbung beS ©enerali^elbmarfdjalls ©rafen non Stumen* 
tfjal non ber Stelle eines ©eneral^ufpecteurS ber III. 3(rmee=3nfpection 
Cöannoner) ju beffen Radifolger ernannt würbe. SDiefe Hrmee^fpection 
umfaßt befanntlicf) baS VII., VIII., XI., fowie baS XIII. ($. Württemberg.) 
3lrmcecorpS. ®aju fam bie fernere ©hre, bafj ©raf Walberfee, ber 
fdion feine erften ®ienftjahre als Dffijier ber 9lrtillerie gewibmet hotte, 
jum Gljef beS SdjleSwigfdien gelbartiüerie^RegimentS Rr. 9 ernannt worben 
war. ©nblid) folgte unter bem 6. SERai 1900 feine Seförberung jutn 
©eneral^elbmaridtaU. 

Unb biefer Wann, bieier im ©eneralftab, im Waffenbienft ber ©anallerie 
unb gelbartillerie fo praftifd) erfahrene ©eneral war eS, ber, als eS ftd) 



(Setteralfelbmarfdjall <$raf IPalberfee, \ 9 \ 

um bie Stettenbefefcung beg Dbercotnmanbog in Dftafien Ejaubeltc, am 
12. SCuguft 1900 burcf) Kaifer SBilbelm II. als Oberbefehlshaber an bie 
Spifce einet 2lrmee geftellt würbe, reelle je|t auggejogen ift, um in Sfjina 
bie Üiube triebet berjuftellen. 

©raf SBalberfee ift feit bem 14. 2lpril 1874 »erbeiratbet. 6r »er= 
mahlte ftcb — bantalS im 43. SebenSjahre fteljenb — mit einer SImerifanerin 
ÜJtarie See, ©odjter beS 9ientnerS ®a»ib See ju üRemsSJorf, weldje in 
erfter ©h e mit bem dürften »on SJioer 5ßrinjen griebrid) »on Schleswig^ 
.ÖolfteinsSonberburg*2luguftenburg, ber am 2. ^uii 1805 ftarb, 
»erbeiratbet mar. ©ie (Slje beS ©rafen SBalberfee ift finberloS geblieben. 

(Ernennung sum Oberbefehlshaber in Dftafien. — Schluff. 

31m 12. 2tuguft b. 3- hat, wie »orbin beincrft, bie (Ernennung beS 
©rafen SBalberfee jum Oberbefehlshaber „ber »ereinigten ©ruppen ber 
ciöiüfirten SBelt in Dftafien", toie Kaifer SBilhclm fidh auSgebrücft fjatte, 
in Homburg a. b. $öbe ftattgefunben, unb fhon am 29. 2luguft t»at ber 
©raf mit feinem Stabe »on Sßerün aus bie Steife nach Dftafien angetreten. 
2Bir bürfen banfbar unb mit Stolj erfüllt fein ob ber Aufgabe, bte ibtn 
mit feinen ©ruppen juge fallen ift. ©aS l) Q t SRicntanb trcffenber auSs 
geiproeben als Se. SDiajeftät ber Kaifer unb König SBilhelm II. in ber 9Ib= 
fcfiiebSrebe, bie er im Königlichen Stcfibenjfcbloffe ju Kaffel am 18. Sluguft 
an ben getbrnarfdiall unb feinen Stab gehalten bat, worin eg tt. 21. beifjt 
wie folgt: „ . . 3um 3ei<hen 3bver SBürbe überreiche id) Sljnen am 
heutigen ©age ben gelbmarf<hallftab, inbem 3<b hoffe, bah Sie ihn führen 
werben mit ber altgewohnten griffe, mit ber Sicherheit, bie Sie immer 
entwidelt haben in wichtigen 2lugenblicfen, unb »or allen Dingen mit ber 
SBorfebung, ohne beren £»itfe felbft ber befte Solbat nichts ju reiften im 
Stanbe ift. 3h fdjließe mit bem SBunfche, bah (Eurer (SyceHenj be= 

fcfneben fein möge, bie 2lufgabe, welcher 2lrt fie auch feiu möge, ob lang= 
wierig, ob fhneU, ob blutig ober nicht, fo ju leiften, wie Sie eg wünfdjen 
werben, unb wie wir alle ohne 2luSnabme eg wiinfcfjen, bie wir 3hnen 
unfere ©rappen an»ertraut haben! . ." 

Unb fo wünfhen wir bem ©eneralfelbmarfchall ©rafen ». SBalberfee, 
bah bag SBort beg beutfhen ©id)terS auch bei ihm eine SSahrljeit werbe, 
wenn er fingt: 

©r jiefjt nach 2Beft unb Dften, 

3iel)t nach Dtorb unb Süb, 

Saßt bie Klinge nicht »erroften, 

Sie im Streite gtiifjt. 

Unb in Sitter 'JJiunbc lebte 
Seines StamenS £ob, 

Sah öor ihm ber fyciub erbebte 
Unb »oll fjfurdit jerftob! 




Die IDeltmädjte unb bie ÜMtfpradjm. 

Don 

ÖatI il^aldtct. 

— £cip5>g. — 

ie Brunft ift menfhticben Slugen ceridjtojjen, fic faitn auf bem 
©ebiet ber fogenannten Teilung ber Grbe bem beutichen SßotE 
unb aitberen Nationen fo manche erfreuliche ober unerfreuliche 
Ueberrafchung bringen. ®robbem treten feit ber Steujeit, ja, juni S^eÜ 
fogar feit bem 2lttertl)um unb iDtittelalter, geroiffe ©ntmidlungätenbenjen 
mehr ober tninber beutlich [jeroor. 

3« Defterrei^Ungarn finb bie ©ennanifirungSbeftrebungen 3ofeph§ II. 
unb ber S3ad)’id)en iperiobe nicht geglücft, aber oiele Sänber ber ©egenroart, 
einfdhtiefeüdh Italiens, ber bereinigten (Staaten unb Gbinaö, finb „National» 
ftaaten". 3n numerifdjer bejiebung überroiegt eine Siationalität ftarf, 
obgleidj ©t)ina unter ber grembfjerrfdjaft ber bianbfcbu fteE»t. 2lnbererfeit8 
3eigt fid) faft überall in ber 2Bett eine ®enbenj ber örtlichen SBölfer« 
mifdjung, nicht immer beS ©onnubiumä. 2tud) &ibet wirb feine 2lb* 
gefdhtoffenheit nicht einig behaupten fönnen. ®ie fpanifche ©olonialpolitif 
mar fo epclufio, monopoliftifcb, cbauoiniftifch, baff felbfl fßortugiefen in 
ÜJieyifo ungern ober gar nicht gebutbet mürben. $n mannen ©egenben 
ber bereinigten Staaten unb 2luftralien3 finb bie ©ingeborenen einfach au& 
gerottet morben. ®rohbetu giebt es he u 4 utQ fl e oudf > n borb; unb Süb« 
anterifa roie in Suftralien frembe Elemente non roeifjer, fdhioarjer ober 
geiber Hautfarbe. ®ie Gingeborenen 3luftraIienS finb nielleicht bem Unter« 
gange oerfallen, aber manche cinitifirte, jum 2l<f erbau übergegangene 
3nbianerftämme foHen gut gebeiben. 3m 18. unb 19. Qahrbunbert hoi 
bie franjöfifche, öfterreichifdje, ruffifche ©enfur bie ©infuhr liberaler Schriften 
»ergeblidj }u nerhinbern nerfucht. ®ie californifchen, nicht furjroeg als 




Die Weltmächte unb bie Weltfpradjen. 

engherjig ju bejeidjttenben ©efefce gegen bie ©hiuefeneinwanberung finb 
häufig umgangen worben u. f. w. Dies Ginbringcn frentber 2 )ienfd;en, 
33 ücber, 3 been erinnert an bie befannten naturmiffeufdboftticben Sehren non 
ber GnboSmofe unb GyoSmofe. SluSwauberungSoerbote finb nicht fetten 
umgangen worben, 5 . 33. 511 t 3eit ber ©ragonaben SubwigS XIV. 

3n Gngtanb war eS fcf)ou int 18. 3ahrl;uubert übtid;, non ©ernteten 
unb ©egengewid) ten auf bem ©ebiete ber inneren fßotitif, checks and 
counterchecks, 0011 checks and balances, 511 reben. Slehntidi war unb 
ift ber 2tuSbrucf europäifcheS ©teidigemicht fehr übtid). ®ie wirtliche ober 
uenueinttiche Uebermadit eines (Staates hat bie SEeitbenj, ©cgencoali= 
tionen heroorsurufen, wie 5 . 33. Hart V., fßhitipp II., Subwig XIV., 
•Jtapoleon I. unb SlicotanS 1. erfahren haben. Sdioit bie btojjc Gyiftenj 
anberer ©rofzftaaten wirft wie ein ©egengemid;t, and) abgesehen non ihren 
Strtneen, HriegSftotten, etwaigen 33iinbniffen. 

3tid;t bloS bie Staaten, fonbern auch bie Spr ad; eit fämpfen mit 
eittanber. Stuf ©runb ber ®aten £übbe=SchteibenS, HotbS u. St.*) höbe 
id; fotgenbe Säbelte berechnet: 

3 unaf)me 

Sprache 3 e itrauw um i^rocent 

£n3 ©uglifcfje 1800—1880 546,6 

£a$ SHuififdje 1803—1885 200,0 

$a 8 3Zeiitfef)e 1800 — 1880 84,2 

$a 8 fyran jöfifdie 1800—1880 26,4 ' 

SDie abfotuten unb retatinen 3 a hten besiehe« fid; auf bie SJieufchen, 
für wetdie bie betreffenbe 3«nge officieDte SonbeSfpradje war ober ift. Sie, 
bie 3af)ten, ftnb natürlich mit fo manchen Horntein Sats s u »erftel;en. 
Hnsähtige 9tid;tbeutfd;e aller Grbtheite finb im Stanbe, beutfehe 23üd)er unb 
3citungen 311 tefen, wenn fie bie 3«nge SuttjerS, ©oetbeS, SdiitterS, 
33iSmarcfS, SlioItfeS aud) nid;t immer geläufig fnredien fönnen. Stiele 
Stmeritaner, Siuffen jc. ftubiren in ®eutfd;lanb. Sdhticfflidb ift 5 « beamten, 
baf? bie beutfdie Gotonialpotitif erft aus bem 3 ah r e 1884 batirt. Sßenn 
bie üblichen, nagen Schätzungen ber 33enölferung Gt)inaS annä(;ernb riditig 
finb, fo wäre bie djineiifche Sprad;e noch nerbreiteter als bie engtifche. 
3ene Schätzungen fönnen aber niet ju ho<h fein. 3 U niebrig finb fie 
f^wertidh- 

Stuf einem ©tobuS ift ein beträchtlicher Shell ber Grbe mit ber fyarbe 
beS britifchen 2ßettreid;S angeftridhen. fDarauS barf man inbefz nicht 
fchtiefzen, bafz Gngtanb befonbers su beneiben ift. ©egenwärtig genießen 
bie engtifdien Sßaaren in ©anaba SBorsugSsölte, nichtigere 3öDe. ®aS ift 
aber eine SluSnahme. 3« ber Sieget müffen engtifdhe fßrobucte in ben 
Gotonien, 3 . 33. in Sluftralien, eben fo niet 3°tt johlen, wie anbere, 5 . 33. 

*) Sgl. auch Dtofdjer, Stjftcm ber SZoltöunrtbfcbaft, Sb. 1, § 260, SJote 4, too 
bie abfoluten 3 ablen (ejcluffoe für SRufilanb) ftefjen. 



Karl EDalcfcr in £eip3tg. 


W 

beutfdje SBaaren. 3n Dftinbien fönnett fi<b jüngere Soßne beS StbelS unb 
ber ©entrt; mit erlaubten ober unerlaubten btitteln nod) beute bebeutenbe 
Vermögen machen , aber ber englifdje Staat, Steuerzahler, gabrifant, 
Arbeiter, als folcber, hat wenig buhen oont Sefitse QnbienS. ©ie ber= 
einfttge SoSlöfung GanabaS, SuftralienS, SübafrifaS, ift eine bloße 5 ra 9 e 
ber 3 e 'i- 3m Gaptanbe beftebt bie SJtehrbeit ber beoölferung aus tief 
erbitterten ^oüänbern, in Saitaba fptelt baS franjoftfcbe Clement eine große 
Stolle. 3n buftralien giebt eS and) 3ren, ©eutfdje, ^ranjofen. ®aS 
Stammlanb, baS fogen. bereinigte, aus ©nglanb, 2BateS, Scßottlanb, 3*’ 
lanb beftebenbe Königreich ftebt nicfjt btoS ben bereinigten Staaten unb 
bern europaifcbcn Stußlanb, fonbern and) beut ©eutßhen Steife, Deßerreicß= 
Ungarn, granfreidj an 91real unb beoölferung mehr ober minber nach. 
©aS beißt: bie englifdje, eines btaffeuabfaßeS bebürftige 3nbußrte bat einen 
relatin Keinen inneren btarft. ©rot} ber Stotljwenbigfeit ber ©jportinbuftrie 
ift aber unter fonft gleichen Umftänben ber inlänbifdic 3Ibfaß beut auS; 
märtigen uorjugieben. ©aS SuSlanb lann fidj j. b. burdj boße ScbußjöHe 
prol)ibitwartig abfcßließen. ©aju fomnten bie irifdje Scßmierigfeit, bie 
$rage beS SiitualiSmnS (ber fatbolifircnben Stiftung innerhalb ber Staate 
fird^e) unb anbere 3Jöt()e auf bem ©ebiet bet inneren unb auswärtigen 
boütif. 3c nieljr ©nglanb, fnrjftdjtiger SEScife, feine Kräfte in Sübafrifa 
feftgelegt bat, wo es ein „neues 3rfanb" gefcßaffen bat, befto weniger fann 
eS in ©Ijina mit Stußlanb concurriren. Sehnlich bebauerte Napoleon III. 
1866 unb 1870 feßr, fidj auf baS nteyifanifdje Sbenteuer eingetaffen 
ju Ijaben. 

©ie bereinigtenStaaten haben auf ihrem alten ©ebiet, auf ©uba 
unb ben ^Philippinen mit fo manchen Sdroierigfeiten ju fäntpfen, aber 
ihre auswärtige Sage ift bodj weit günftiger, als biejcnige ©nglanbs. ©ie 
weiften ©eutfdjen fpredjen eben fo gut, ober nodj beffer englifd). btandje 
urfprünglich beutfdje Familien follen baS ©eutfcße fogar ganj »erlernt haben, 
aber oon einem Untergänge beS amerifanifchett ©eutfditbumS fann nid)t bie 
Siebe fein. ©ie „3owa Tribüne" wies 1899 mit ftatiftifdjen ©aten auf 
bie foloffate 3unahme ber beutfdjen treffe Ijiit. Sehnlich conftatirte ber 
befaunte englifdje ipublicift Ss>. ©. Steab im SJtai 1900 in feiner Review 
of Reviews, baß baS „beutfdje botum" heute bei ben SBaßlen nod) mehr 
in’S ®eroid)t fällt, als baS „irifche botum". ©aS bezieht ftdß in erfier 
Sinie auf bie ipräfibentenmaljlen, aber audj auf bie StaatS= unb ©emeinbe* 
wählen. ©aS 9Sort Kinbergarten ift in bie englifdi-amerifanifdje Sprache 
übergegangen. 3 n ©an Francisco hat nach bancroft ber beutßhe 
Sonntag über ben englifch-puritanifchen gefiegt. Sehnlich fmb im Dften 
bie proteftantifdien unb fatholifdjen ©eutfdjen, gleich ben 3 rc u, gegen ben 
puritanifdjen Sonntag, ©ie heften beänner ber Sngloamerifancr finb 
warme greunbe ber beutfehen ©ultur. ©S giebt jwar angloanterifanifche, 
irifdie :c. $cinbe beS ©eutfchtbumS, ne fönnen aber in ber Sieget nicht 



Die IDettmädjte unb bie tüeltfpeadjen. 


195 


Diel fdßaben, weil bic ©eutfdßen fidj fonft bei ben nädßften äBaßlen rädjen 
würben, Selbft manche 3ten, flSolen k . erfennen ben großen Außen beS 
UnterridßtS im ©eutfdßen an. 

®ie fteinen gifdße werben oon ben großen fyifdßen oerfcßtungen, aber 
iin Seben ber Staaten oerßält es ficf) nidßt immer äßnlid). ©ie ffanbi- 
naoifdßen Staaten, Portugal, ^ollanb, 33elgien unb bie Sdjweij befteßen 
j. 93. nodß ßeute fort. Stetjnlicf» ift eS möglich, baß bie fübamerifani* 
[eben Staaten ihre Unabbängigfeit behaupten werben, aber bie 3ufantmens 
feßung ber 33eoölfcrung wirb ficb »orau3fi<fitItd) im Saufe ber 3eit febr 
änbern. 3 n ©übbrafilien giebt es oiele ©eutfdße. 3n fparaguag ift baS 
potnif<be Gletnent üerßältnißmäßig ftarf oertreten. Äacß Argentinien ünb 
niete 3t a ^ enc v' eingewanbert. Auch Spanier, gtanjofen unb Anbere, 3 . 33. 
rufüfeße unb tumänifeße QSraeliten, finb gefommen. ©ie Ginwanberung 
ber Angloamerifaner, Gngtätiber, ©eutfdften ift bis jeßt fdßroacb. Sie fann 
jebodß bereinft febr fteigen, befonberS, wenn fie non capitalfräftigen, gut 
geleiteten, nationalen ober internationalen Actieugeieflfcßaften in bie £anb 
genommen wirb. 33ei ben Seßteren müßten natürlid) auch einflußreiche 
Sübamerifaner oerfdßtebener 33erufSf(affen, länblidje ©runbeigentßfimer unb 
Stäbter, beteiligt werben. Gin gewiffeS 3 u ' a ntmengeßen ber norbameri= 
fanifeßen, engtifdßen, beutfdben ffkoteftanten SübamerifaS ift febr moßl benfbar: 
in ein unb berfetben Eircße ober Gapetle fann 5 . 33. abwecßfelnb englifd) 
unb beutfdß, oiettekßt aud; fpanifdj ober portugiefifcf) geprebigt werben. 

©er AuSbrudt SRuffificirung fdßehtt in 3Befteuropa unb anberSwo 
nicht feiten mißoerftanben 31 t werben. $n ginntanb fpradßen bie ©e* 
bilbeten früßer fdjwebifd). Seit einigen ^aßrjeßnten würbe biefe 3 ull 3 e erft 
non ber ftnnif<hen, bann audß oon ber ruffifeßen Spradje meßr ober minber 
jurüefgebrängt, aber fie ift feineSwegS auSgeftorben. 1898 gab es 87 
fdßmebifdße, 129 finnifdße, 5 fcßwebifdßsfinnifcße Journale. 3 n ben fogn. 
baltifdßen ißrouinjen befießt baS ©eutfeße nodß ßeute als Jamilienfpracße, 
audß als Eitdßenfpradje beS beutfeßen Abels unb 33ürgcrtßumS fort. Aeßnlidß 
oerßält eS fidß in Sittauen unb in ben fogn. 3ßeicßfel'.©ouoernementS 
mit ber pnlnifcßen Spradie. Auf allen ruffifdßen ©pmnafien unb ItnU 
Deputaten Wirb aud) bie bcntfdje Spradje geleßrt. 33ie(e fRuffen finb warme 
greunbe ber beutfdjen Gultur. ©ie große, fünfjeßnbäubige Ausgabe ber 
©. Sßebet’fdßen SBettgefdßidßte ift 3 . 58. in’S SRufftfdße itberfeßt worben. 

Seit 1756 unb 1853 baßen ficb bie focialen 3uftänbe AußlanbS feßr 
Deränbert. ©amatS waren bie Magnaten bie mädjtigfte Pfaffe, föeute 

finb bie großen $abrifanten, Eaufleute, 33anfierS, furj, bie großen 
GapUatiften bie mäcßtigfte Eiaffe. Sie mürben bei einem Eriege gegen 
Gnglanb, ooHenbS bei einem Eriege gegen ben ©reibunb, feßr riet per« 
Heren, unb aueß in Außtanb ßört in ©elbfadßen bie ©emütßticßfeit auf. 
AuS foldßen unb anbeten ©rünben finb biefe 3ufunftsfriege nur möglich, 
feineSwegS fo fidßer, wie inandße Eannegießer glauben. fRuffifcße, franjöfifcße 



196 Karl tüalcfer in £eipji<j. 

unb anbere Stimmen haben wieberholt bie Nnficht geäußert, bas aftatifche 
Nufelanb werbe ficb bercinft vom europäiidien Nufelanb abtöfen. G. $aumant 
vertrat j. 33. 1898 in ber Revue de Paris biefe Nieinung. ÜDtan ntufe 
inbcfe beachten, bafe ber größte Sheit Sibiriens biinn bevölfert ift, unb 
bafe bicS Sanb, gleich Surfeftan, burd) bie Grridjtung einer 3ottgtenje gegen 
baS europciifdie Nufelanb fetjr gefdjäbigt werben würbe. 

3m Seutfchen Neidje unb in Defterrei<h»Ungarn ift bie flennt* 
nife ber bcutfcfecn Sprache weit verbreiteter, als eS nach ber biofeen 
NationalitätSftatiftif fdjeint. GS giebt viele Idolen, Sfchedjen, ÜKagparen tc., 
bie mehr ober rninber gut, 511 m STfieit vortrefflich, beutfch fprechen. Qn 
NorbfcfeteSwig bringt bas Seutüfethum vor. GS t»at in Glfafe=2othringen 
unb ber Sdnueij mit bem fyranjöfifdjeu, in Sübtirol mit bem 3talieni]cben 
ju fämpfen. 

Seit ben 1840er Söhre ift wiebcrholt bie grage einer 2 lrt 3olk 
eiitigung äwiidjen ^Deutfdfetanb einerfeits, Defterreich=Ungarn anberers 
feits erörtert worben*). SaS SabafSmonopol fann im Seutfchen Neicfje 
nidjt eingeführt, in Defterreidj unb Ungarn nidjt abgefchafft werben. Ntan 
fönnte inbefe für Sabaf, Sabafsfabrifate, eventuell aud) für einige anbere 
Ül'aaren, eine fogenannte Sroifdfenjolllinie beibehalten. Ntan fann von 
veridnebenen wirthfdjaftlidien unb politifdjen Stanbpunften aus baS 
bereinige 3 uftanbefommen ber ßolleinigung für wohrfcfeeinlid) ober un= 
wahrfcheinlid) holten; aber man fann nidjt leugnen, bafe fie bem Seutf<h= 
thum beS Neides, DefterreidiS unb Ungarns großen Nufeen bringen würbe. 
Siefe SBaljrheit wirb von allen Parteien beiber flaiferftaaten, felbft von 
ben ©egnern ber 3i 1 fleinigungS=3bee, mit Nedit anerfannt. 

SaS 3 tocif inberh;ftem vieler franjöfif d>er dauern f)at ju einer 
ftarfen Ginwanbentng frember, befonberS belgifd)=malIoniid)er unb italienifcher 
Arbeiter geführt. 1896 machten alle $rentben 2,66 iprocent ber gefammten 
Stevölferung aus. Sie franjöftfdie Golonialpolitif Ijat in Algerien, ber 
Safeara unb anberSwo eine bemerfenSwerthe Nüljrigfeit an ben Jag gelegt. 
Stoßbein fagt ein befanitteS Sdjerjmort, bie Slevölferung einer franjöfifchen 
Golottie beftehe Ijouptfadilid) ouS Cffijieren, Solbaten, Beamten, 
Ncftaurateuren unb ißugma darinnen. Sarin liegt etwas Nichtiges. 

Namentlich mit bem bciuertidjen Glement pflegt eS fchmadi beftellt ju fein. 
1896 überftieg in Sllgcrien bie 3°hl ber nichtfranjofifchen Guropäer bie 
3al)l ber franjöfifdjett Staatsangehörigen. Sie Spanier fpielen als Stöbter 
unb Sanbwirtlje eine bebeutenbe Nolle. 

3Sott; ben übrigen Pänbern ber Grbe fei fnw ber flürje holber ab» 
gefehen. Nur von ber fogenannten gelben ©efahr, von Ghina unb 

*) ißerfll. a l cf e r , Sie grage ber 3°üeinigunfl mit Oefterreich'Ungam, Seipjig, 

1892, iltofjbcrg. (Sin 3vü= unb ftanbetSbünbitife mit Seutfdjtanb. töerljanblunflen ber 
©efetlichaft öfterreidiifdjer 25otfSmirtbc in ben tfelcr.aroerfammlnnflen Vom 23. unb 
30. 3auuar, 6. unb 13. gebruar 1900. SBieit, 1900, 2t. b. 3iom. 



Uie rDeltmädjte unb btc tDcttfpradjen. \*)7 

ftapan fei fchliefjtid) tiodj bie Siebe. .Renner Chinas behaupten, bie 

fvrembenbebe gebe »cm renctionären, in ihren ©elb« unb Sliachtintereffen 
bebrofden Beamten unb (Mehrten aus, ber Raufmannflanb fyibe bagegen 
ein wichtiges ^ntereffe am frieblicben Raubet unb berfehr mit bcn fyremben. 
GS giebt ferner unter ben Gingeborenen fatboüfcbe unb proteftantifche 
Ghriften, reforutfreunblicbe, frembenfreunbliche beamte :c. ©ie mititärifebe, 
politifche, geiftige Ueberwinbung ber $rembenfeinbe, ber fogenannten SBojrer 
unb Slnberer, fann ^abrjebnte ober ftahrhunberte (?) erforbern, aber 
fchtiefjlich muß bie moberne Gnltur fiegen. ©egen bie »ereinte SJfadbt 
GuropaS, ber bereinigten Staaten unb Japans fönnen bie boper auf bie 
©auer nicht auffoinnten. ©iefe Rümpfe bfirften im Saufe ber $eit be= 
beutfame roirthfchaftlidie unb politische folgen haben. Schon jefet, im 
$uli 1900, ift ber Silberpreis, jutu ©heil Toofit burd) börfenfpeculationen, 
junt ©heil «bet auch in golge ber »erfiärften Siadifrage Chinas geftiegen. 
Studfj bie Rohtenpreife, bie Schiffsfrachten unb ber 3inSfufe bürften fteigen; 
natürlich unter ber borauSfeßunq, bafj ftärfere ©egentenbenjen fehlen. 2ln 
foldje Sftöglidjfeiten ntufj man jebcnfaHS beulen. Die Siqrbomerifaner haben 
j\. b. begonnen, Rolflen nach Guropa, bis nach ©achten hin, auSjuführen. 
Gin blich auf eine Rarte »on 3lfien jeigt, bah §ranfrcid), Gnglanb unb 
»oHenbS Siufjlanb bei ber bacificirung Chinas weit mehr interefürt finb, 
als bie Staaten beS ©reibunbcS. Sßenn ein großer ©heil ber £anb= unb 
Seemacht SiufjlanbS, GnglanbS, fyranfreichS in 2lfien gebunben ift, fo 
fönnen biefe Staaten in Guropa unb anberSroo laum eine eptreme ^ßolittf 
befolgen, beutfdic unb anbere 3 ntere fi en faum »erleben, ©ie in China 
»on beutfehen, ruffifdien, franjöfifdjen, englifchen, amerilaniichen ic. 2ßaffen= 
genoffen gemeinfam unter ferneren Cpfem erfochtenen Siege toerben eine 
gemiffe Slnnäherung bieier großen Stationen jur fvolge hoben. bian barf 
bie Sache nicht überfchäßen, aber ohne bebeutung ift fie bod) nicht. ©aS 
Slnbenfen an bie preufnfdj ; ruffiid)e b>affengenoffenf<haft »on 1813 i(l j. b. 
noch beute in Siu&lanb lebenbig. 

Gine diinefifdie SJiaffeneinwaubcrung nad) Guropa ift faum benfbar, 
fie fönnte üherbieS in mirffamer 2£eife »erboten werben. Sibirien, 
Sluftralien, Sübatncrifa, »ielleidt auch SJiittel* unb Sübafrifa, fönnten eher 
»on einer folgen Ginroanberung bebroht werben. 

Schon in ben 1890er fahren fprachen europdifche Siationalöfonomcn 
bie befürchtung aus, China werbe ber europäifdien ^nbuftrie früher ober 
fpäter eine gefährliche Goncnrrens bereiten, ©iefe bchauptung enthalt 
einen wahren Rem. ©ie Seibeninbuftrie fann bie chiuefifchc SJiitbcmcrbung 
empfinben, »ielleicbt auch bie baumwollinbuftrie. Slian barf bie Sadie 
tnbefj nicht ju tragifch, Rc peffimiftifch nehmen, billige 2lrbeitS(öl)ne finb 
nur ein gactor beS RoftenpreifeS ber SL'aaren, tn ber Siegel nicht einmal 
ber wichtigfie. Selbft in China bürften ferner bie SlrbeitSlöhne fteigen. 
Sioch waf»rf<heinlid)er ift ein allmähliches, ftarfeS Steigen ber graddfäfee 



19 ^ Katl EDalcfei in £eip3tg. 

bcr ®ampf; unb ©egetfdiiffe, beim bie greife bet ftogten wie ber 33au* 
materialien unb bie Arbeitslöhne ^aben bie £enbenj, ju fteigen. 35ie 
grofje 33erf<Ijiebenljeit beS europäifdjen unb ö^inefifd^en ©efdimacfeS wirft 
ferner wie eine Strt gottfrranfe, unb im fdjtimmften gatte bfirfte man auf 
bem geftlanbe, oietteidjt fogar in ©nglanb, ju Sdjufejötten gegen bie 
<binefif<ben Sßaaren greifen. 9tod) weniger als bie £eytilinbuftrie bat bie 
©ifeninbuftrie ju fürsten. Socomotioen, pflüge zc. ftnb j. 39. fdfjwere 
ober fperrige ©fiter. UebetbieS würben bie nieten üJtittionen 6f)inaS felbft 
ben größten £t|eil ihrer gnbuftrieprobude «erbrausen, unb auch ben 
europäifdjen unb amerifanifdien gnbuftrietten unb Äaujleuten »iel ju »er* 
bienen geben. ®as ©efagte gilt, mit Sßeränberung beS ju 3Jeränbernben, 
audj oon ber inbuftrieHen Goncurrenj gapanS. 

Sturj, bie AuSjlcfiten ber SDeutfctjen beS 9tei<f)eS unb ber übrigen 2Belt 
bfirften weit beffer fein, als ©iejenigen glauben, weldje bie -äJladfjt unb 
£eiftungSfäf)igfeit ber ©ngtänber ober Amerikaner, ber ttiuffenj ober 
Gbinefen überfragen, bie ßultur unb ben ÄinberreiTtlmm beS beutfdjm 
Golfes unterfdjägen. ©S werben alle Stage Jlnaben geboren, fagt ber 2Ht= 
meifter ©oetge. 



€in öcutfd]cs XTCebium. 

Beiträge jur Pfydjologie 6er IReöten unb Spiritiften. 

Don 

€ridj ^ofin. 


— Breslau. — 

D Oljputfdjlanb ift arm an bebeutenben Webten. SEBol)! ift bie 3al)t 
H rhyj ber „(Spredas unb Sdjreibmebien" in ftänbigem 3unef)nten be= 
ISJgljl griffen unb auch Talente für SHfdirüden trifft inan häufig an. 
SBitflid) fjertwrragenbe Webien finb jebod) beute noch ebenfo feiten, wie in 
ber llaffifdfen fßeriobe beS beutfdjen DccultiSmuS. Sie 9HIe tbeilen ein 
«Sdjidfal: fie fommen in Wöbe, nterben enttarnt unb finfen in’S Weer ber 
9tamenlofen jurücf, aus bem fie auf furje 3eit emporgetaudjt tnaren *). 
9lur ibr 2lnbenfen lebt in fpiritiftifdjen 3ettf<briften fort, um bort einer 
Ijerofiratifdfen Unfterblidjfeit tbeilbaftig jn werben. Um fo erflärlidier ift 
eS, bafj baS Sluftaudjen eines neuen WebiuntS für ben «Spiritismus ein 
©reignifj bebeutet. Wan fann ftdj baber bie greube oorfteHen, als nach 
ben norangegangenen ©ntlaroungen ber beften Webien, im $abre 1890 ein 
Webium auftaudjte, beffen Begabung felbft bie Seiftungen ber amerifanifdien 
Webien in Statten fteHte. 2Benn mir ben jaljtreidjen SBeriditen barüber 


*) 33on fäntmtlidini pbnftfattjcf)cn Webien TcutfdilanbS, bie in bie ßeffentliebfeit 
getreten finb, finb nur ätoei niefit beS SetrugeS besichtigt: iyrmi Win na Temmler 
unb bie femme masquee. (h'ftere — jur ^eit in SMmerifa — ift nie non tniffen* 
fdiaftiicben Steifen geprüft tnorbcn. 3bre TranScenbentaI=5|3hotographien haben fid) liad] 
ben neueften Unterfudiungen ber ©efellfchaft für pindiifdje ftorfdmng ju JöreSfau als 
«sdltoinbel ertnicfen. Tie femme masquee — unter bem 'Tfeubomim .nerbirgt fid) eine 
Tarne ber Berliner ©efettfdjaft — ift fein profeffioneüeS Webium. (SS Wäre feftr er= 
tnünfdit, bafj fie ftcf) tpiffenfd)aftlid)enS3eobad)tungen unterftellte. Tie Seridite beS Dr. (Sgbert 
WüHer übet fie Eönnen bei ber befannten fitititlofigfeit ihres SkrfafferB nicht ernft 
genommen toerben. 



200 


<£ridj in Breslan. 


©lauben f Renten, fo finb feine mebiumiftifcfjen fyäljigfeiten in ber Sbat 
oujjergerocljnlicbe: ©elfter reben unb fcfjreiben burd) basfelbe, fie roeröeu 
gelegentlich fiditbar unb werben bann non 3 u i$mtern als oerftorbene 33er = 
roanbte wieberertannt. Sie ©pecialität biefeS 9M>iumS aber finb 
„Blumenapporte". 3lnt tickten Sage fallen 33lumen baufenweife auf baS 
9)iebium berab ober werben oon ifjm in rätt)felt;after Seife aus ber ßuft 
gegriffen. 2Jtan nennt es baljer fdf)Ie<$t£)in „SaS Blumenmebium". 

lieber feine Caufbaljn ift nur wenig ju berieten*). 

Sie ÄeffelfdjmiebSfrau 2lnna 21 u g u ft e 2t o t E) e geb. — bas ift 
ber Barne beS BtebiumS — würbe am 8. (September 1850 in 2fltenburg 
(©adjfen) geboren. Badj ihren eigenen Angaben jeigten fid) fdjon in ihrer 
Sinbljeit mebiale ©abcn. 3!i rc Saufbafin als profeffionelleS Sebium begann 
jebodj erft int Qabre 1890. ©ie ging — wie fie felbft erflärte — feitbem 
überall als SDlebium bin, wohin fie gerufen würbe, „jebod) nur gu ßeuten, 
bie baS Siffen Ijaben unb eingeweiljt finb". 2luf ihren Säuberungen be« 
fudjte fie Berlin, ßeipjig, SreSben, Sien, ©dbroarsenberg, Breitenbrunn, 
3widau, baS ©rjgebirge, Bobinen u. n. a. Orte. 3 n ber fßreffe begegnen 
wir ibr jurn erften fötal i. 3 . 1893. 3 m folgenben 3 a b rc befcbulbigt 
man fie beS Betrugen, was jebocf) nidf)t binbert, baß fie ihre Sljätigfeit 
halb wieber aufnimmt. 3m Qaljre 1896 begicbt fie fid) unter ben ©dhuf) 
eines früheren 3ournaliften unb Kaufmanns 3- (geboren 1862), ber fie 
oon nun an als ihr 3mprefario **) auf ihren Säuberungen begleitet. 
Unter feinem irbifdien unb unter bern überirbifd)en ©djub eines GontroU 
geifteS***), ber „fjricba beißt, früh ba ift unb fyriebe bringt" t), jiebt fie 
bur<b bie beut (dien Sanbe, um im geheimen gamilienfreife ihre Sunbet ju 
wirten. 9lm 29. 2)iai 1897 oerurtbeilte fie baS ©djöffengeridjt 3rotdau 
wegen groben UnfugS+f). Ser ffkoceß bietet eine 3üDe intereffanter 
©injelbeiten. 3 rau 9t- roßt Jur fyeier eines 25jährigen ^ebammenjubiläumS 
oon einer Hebamme eingetaben worben, um ben ©äften etwas ju bieten, 
©ie fanb jebocf) nid)t ungetbeilten Beifall, man witterte Betrug, unb fo 
tarn bie ©adie an bie Deffentlidifeit. SaS eiblid)e ©utadliten beS fad)cer= 
ftänbigen 2lr}teS war oernicbtenb. GS fpradj ftdb ununtwunben für be= 
wußten Betrug aus. 3« ber fpiritiftifdben fßreffe griff man swar biefeS 
©utadjten an, oerfdjwieg aber bie oerbäditigen Borgänge bei ber ©ifcung. 


*) Um alles ißerfönlidje ju ticrmcibeu, finb bie 9?amen ber übrigen Beteiligten 
fdjoinmgBfjalber tueggelaffen. 2Ber fid) bafiir intercffirt, ftiibet fie in ben citirten du eilen. 

**) •V't’rr 3- fährt ben Briefmedjfel beS 9JI., arrangirt bie Sifcungen unb ift beffen 
BePollmiiditigter. 9!adt feinen Hingaben timt er eB anB ibealen SDtotiben. 

***) „Gontrolgeift" ift ber ftänbige Sdmfcgeift beS 3JiebiuntB. Sie Bejeidjnung ift 
amerifnnifdien llrfprungä. 

t) Sp. Bl. 1897, <3. 103. 

•ft) Siird) bie Tvveunblicfjfeit ber SlmtSgericftte Gfjemnife unb 3'i'itfau ftanben mir 
bie Sieten jur Verfügung — cf. and) Spirit. Blätter 1897 S. 55, 67, 106. 



<£iit bentfdjes IHebium. 


20 \ 


3ugleich routbe eine geriefte fpreheatttpagne eröffnet, bie in trollen Sönen 
bas Sieb non f^rau SR.’ö Geleit fang. Sie, bie utfpriinglich nur non 
ben „-Heuen ©pirituatiftifeben 33Iättem" beS amerifauifeften SßunberboctorS 
Gpriap protegiert mürbe, erobert im 3 . 1898 bie „Sßfpdje", bie „3eitfchrift 
beS SBereinS für roijfenfchaftlicben DccultiSmuS in 2Bien", unb bie 
Feilgenbauer’fche „Seitfdjrift für «Spiritismus". 3b« Gefolge machten, bie 
Seridfjte mcljren fief», ^unberte, ja, roie ein 33eri<ht behauptet, Saufenbe*) 
febroören auf ihre Gdjtheit, man preift fie als beutfdje Gufapia**), unb 
enblidj erlangt fie bie Feuertaufe. Gin SProfeffor — aÜerbingS „professeur 
d’honneur“ eines jmeifelfjaften franjöfifdjen ^nftituteS — fteüt it>r in 
aller Form baS Siplont als SDIebium aus***). 

Für mich, ber R<b feit 3 a brett cutturgefd^td^tüdE) unb pfpdjologifd) mit 
bent ÜHebiumiSmuS in £f) c °rie unb ^ßrayis befdhäftigt, mar eS natürlich 
fehl erroünfdjt, biefe merfroürbige Frou fennen ju lernen. Seiber hotte 
bieS feine «Sdjmierigfeitcn. SDlein mieberljolteS Anerbieten, F rau Stotfye 
fotte einer roiffenfcbaftlichen Gommiffion ©jungen gemiibren — felbfttror* 
ftänblid) gegen ^oJ»eS Honorar — mürbe mit ber Segrünbung abgelehnt, 
Frau fRotfie gebe nur „ernften Fomilicncirfeln", nicht aber gelehrten 
Gommiffionen ©jungen. Gute baprifdje pft)<bologif<he ©efetlfcbaft tfjeüte 
mein ©djid'fat. Um fo erfreuter mar id), als mich im 3 a bre 1899 ein 
überjeugter ©piritift ju 2 ©jungen mit F rau 9iotf)e eiitlub. Sie 

©i|ungen trugen ftreng prioaten GIjaratter. Sie Sfieitnetimer oerp Richteten 
ft<h ju ©tiüfdiroeigen unb ber 3>nprefario, ber ein RkotocoH bariiber auf: 
nahm, oerfuherte, bah beffen 3nbolt nicht veröffentlicht roerben mürbe. 
Seiber mürbe biefeS Abfommen nidftt gehalten. RWit SBiffeu beS 3ntprefarioS 
»eröffentlidjte ein Sheilnehmer einen 23ericfjt, ber bie fßrotocotte in ver= 
fügtet F orm enthielt. Siefer Bericht f) entließt bie Sl)atfa<hen — roenn 
auch unberouhtft) — in gröblicher Jßeife. SieS beftimmt mich, nun auch 
meinerfeitS heroorjutreten. Uebet allen perfönlidien Siüdficfiten fleht bie 
ißflidjt jur SBahrheit. Äein geroiffenhafter -Dtenfch barf bulben, bah ber 
2 Belt 3Här<hen als SBahrljeiten aufgetifdfit merben, roenn er roeih, bah biefe 
angeblichen SSabrbeiten ^Härchen finb. ©egen Säufdiungen, jutnat roenn 
Re mit bent geitigjlen fpielen, hot man 9ted)t unb Pflicht energifch einju» 
fchreitenftt)- 

Siefe fpftidjt jur äBafjrheit gebietet aber auch, bah bei ber 33 e: 


*) @p. 33latt 1897 @. 143. 

**) Gufapia fßaldbino, ein berühmtes neapolitanifdjeS SDtebium, mit bem Hiebet, 
AtperS, ©cbrenckjlo&ing, Sombrofo, ©cbtapareKi, bu Sßrel u. n. a. ejperimentirten. 

***) Feilgenbauer 1899, @. 363. 
t) SBiener 3<-’itfcbnft Ar. 2. 

ft) $>er SJerfaffer ift ein burcbauS ebrenWertber ©finrafier, ber bona fide banbeit, 
t+t) Hoch in leyter ©tunbe machten Frau H. uabeftebenbe Streife mehrfach Sierfudje, 
bie JBeröffentlMbung m oerbinbem. 

9torb unb ®flb. XCV. 284. 


14 



202 


€ridj 23oljn tn Sreslaa. 


urt Leitung ber Entfachen mit peinlich ft er ©eroiffenfiaftigfeit oorgegangen 
roirb. ©in Urtheit, bas ftdh auf bie Stefultate ber 39reSlauer ©jungen 
befdhränfte, märe lücfcnfjaft. 9)ian batf rticfjt oergeffen, bajj hunberte oon 
Beugen, barunter bie meiften Sfheilnebmer an ben 33reSlauer ©jungen, 
für bie ©djtEieit beä ÜJtebiumS eingetreten finb. B eu fl cn aber fdhafft man 
nicht baburcß aus ber 28elt, baß man fie ignorirt! gd) habe baßer AHeS, 
roaS je ü6er grau 9t. reröffentlid^t mürbe, 3ur Seurtßeilung ßerangesogen. 
®ie Arbeit verfällt bamad) in 8 ^eite: 

I. ®ie Sreälauer ©ifcungen a. nadj meiner Beobachtung b. nach bem 

Bericht beS gmprefarioS. 

II. Stritif ber fonftigen Senate über grau ERott)e. 

III. ®aS ©rgebniß. 

2Jtan roirb mir oielleicßt ben Borrourf machen, baff ich mitunter in 
bie 3Bürbigung oon Arbeiten eintrete, bie unter bem 9tioeau roiffenfdßafts 
ließet ftritif fteben unb nicht beanfprucßen fönnen, emft genommen ju 
roerben. 3 roe if e ^°bne gehört bie ÜMeßrjahl ber Berichte barunter, fErofcbem 
hielt ich mich ju biefer kritif oerpflicßtet. gn fpiritiftifdhen Greifen trumpft 
man — unb oft mit 9tecf>t — barauf, baß bie StBiffenfd^aft ficf) ihnen 
gegenüber mit ignorirenbem Achfeljuden begnüge. £Hefer ©inroanb muß 
oon oomberein abgefißnitten roerben. gebet Angeflagte hat ein 9tedf)t, bafi 
man feine Beugen oemimmt — um roie oiel mehr ein ÜJtebium in einer fo 
oerroidelten ©ad)e! £ann tritt aber noch ein weiterer ©runb ßinju. £>ie 
Atethobif unb bie 9tefultate biefer Arbeit gehen über baS gntereffe beS 
©injelfaHS h^ nauS - Bum erften 9)tal in ®eutf<blanb — unb oictteidjt 
überhaupt — roirb eine Unterfucßung ber gefammten SCbätigfeit eines 
SDtebiumS in allen ©injelßeiten oorgenommen. S)iefe Unterfuchung trifft 
ben fEppuS offeubarungSfpiritiftifdjer ©rperimente. ©ie ift einmal 
nothroenbig unb nicht roiebet. Auf ©runb ihrer 9tefuttate roirb man über 
ben DffenbarungSfpiritiSmuS jur £ageSorbnung übergehen fönnen. Stur 
als Dbject für bie Unterfucßungen beS GulturßiftoriferS ober fßfpcßiaterS 
roirb er fünftig in grage fommen. 

I. £ßeil. 

I. öerkfjt über 2 Sitzungen am 16. u. 17. ZTCärj ^ 899 in Breslau. 

SDie ©ißungeit, bie grau 3t. in BreSlau gab, fanben im ©alon ihres 
©aftgeberS ftatt, in beffen SMjnung fie roährenb ihres Aufenthaltes roohnte. 

Bcoor idh jur ©cßilberung ber ©ifcungen übergehe, fdhicfe idh einige 
Bewertungen über bie ^heilnehmer ooraus. Am meiften interefftrt natur= 
gemäß baS SDtebium. Bian braudjt fein Btenfcßenfenner 3U fein, um bie 
außergewöhnliche grau heraus ju erfeitnen. 2Bie fie fo bafteßt mit geifter* 
haft bleichen, oerfallenen Bögen, baS unnatürlich aufgeriffene Auge träumenb 
in bie gerne gerietet, ruft fie einen feltfamen ©inbrud heroor. @S ift eine 



<£ltt beutfcfjes JTteMum. 


203 


einfache, ftiffe grau; aber fie fiat fßerfönftcfifeit. Seim Sprechen gewinnt 
fic fidjttich; ber gemütfjficfje fädjftfdje Sialect, bie fjerjlidje Ginfacfheit ifjreS 
2luftretenS taffen baS Seltfame »ergeffen unb tjintertaffon einen burdjauS 
fpinpatfifdien Ginbrad. gljre Seweguugen finb gewanbt, bocfi natürlich, 
baS bid^t anliegeitbe 5tteib ift einfad) unb fdjntudlos. Sie fo nieten Sdjaus 
fpicfent unb Safdjcnfpielern anfiaftenbe ipofe feljtt nötfig. Sie £()ei(nef)iner 
an ben Sißungen — bei jeher Silmng mochten eS ca. 15 fein — waren 
junt überroiegenben S^eif Samen. Sie waren nont gmprefario beS 
StebiumS nad) genauefter gnftruction beS ©aftgeberS auSgewählt worben 
unb baber weiften» gläubige Spiritiften ober folcbe, bie eS werben wollten. 
Stit meiner 2luSnabme perfügte fein ©inniger über fpeciefle miffenfdjaftlidie 
Sorbitbung in bem fraglichen ©ebiete. ^näbefonbere war id; allein mit 
Safd)enfpielerei nertraut. Siele Sljeilneljiner befanben ficb in fo fodjgrabigcr 
Grregung, bajj nüchterne Seobaditungcn ifrerfeits auSgefdjl offen waren. 3n 
beiben Sibungen wecffelten fte auf auSbriicfticben 2Bunf<h beS gmprefarioS, 
„bamit baS erhabene ©nangeliutn in möglidift große Greife bringe." 

SBäfirenb ber Sitzungen brannte intenfioeS ©aSglühticft. 3Jlau 
gruppirte fidj berartig um einen grofjen Sifd) f)evnm, baf? junädift ein 
RreiS — barunter baS ÜJlebium — bicht gebrängt am Sifdje faf;. hinter 
if)m faßen oerflreut bie anberen Sheituebmer, unter itjnen ber gmprefario, 
ber baS SJtebium »oit feinem "ißlatje aus ftets im Singe behalten fonnte. 
hinter bem Stebium faf Siemanb. 2US Sadibarn wählte fid) baS Slebium 
auSfdjließlich Samen, für bie eS fpinpatfiurte. Sur einmal machte eS 
bie unten gefdülberte 2luSnabnte. 

Ser Sifd) war mit einer ferneren, faft bis au ben Soben reidienben 
Sede befangen. Saburd) war eS unmöglich, ju beobachten, waS unter 
bem Sifdje oorging. gnSbefonbere waren bie gitfje beS StebiumS ftets ber 
Gontrolle entjogen. Stein Sßuufcb, bie Sede 3 U entfernen, würbe nicht 
erfüllt, ba nach ben 2lngabeu beS gmprefario ber polirte Sifd) baS Siebium 
blenbe. 

Sagegen würbe oor ber Sibitng eine Unterfudiung beS SifdjeS unb 
ber Umgebung auSbriidlid) feitenS beS gntprefarioS gewünfeft. Sie 
Iperfott beS SiebiumS blieb jeboch non biefer Unterfudjung auSgefd)loffen. 

Sergegenwärtigen toir uns bie Stellung bcs StebiuntS am Sifdje, fo 
ergiebt ftd) gotgenbeS: Sichtbar war nur ber Cberförper. Son oorn 
war ber übrige Körper burd) ben Sifd) gebedt, feitwärts burd) bie Kleiber 
ber Sadibariunen, bie au baS Kleib grau S.’S ftreiften. Sh^ Süden 
fonnte überhaupt nicht beobadjtet werben. 

Solange baS Stebium am Sifd) faß, war alfo eine SeobadjtUng 
fefeinbar nur für feine Sadjbarn möglich. 2(her aud) bieS trifft nid)t ju. 

gdj hatte in ber 1. Sifcung in ber jweiten Seife gefeffen unb trofc 
SBedifel beS ^JtafeeS bie Unmöglichfeit erfannt, alle |>anblungcn beS StebiumS 
jU beobachten. Sarauf überrafdjte man midj in ber 2. Sipung mit ber 

14 * 



20 \ 


(Ertd? Boljn in Breslau. 


Dtittheilung, man Ijabe mir, um mir meine Beobachtung ju erteiltem, 
ben regten ^3la| neben bem Dtebiunt eingeräumt. ®ie Situation mar nun 


folgenbe: 




O 2Rebium. 
O 2><rate. 


O o o o o o 
3mf>refaTio. o 0 


3dj fafj auf einem ©opfja unb jroar berartig jroifchen bie Sehne unb 
meine 9ia<hbarin eingefeilt, baff ich nur mit SMfye bie 9lrme beroegen 
fonnte. ®id)t baneben, nur burch baS lEifchbein getrennt, faf} bas Dlebium. 
Dt eine Stellung mar betngemäfj bie benfbar ungünftigfie, ba fiel) bie linfe 
©eite be§ DtebiumS unb fein Unterförper ber Kontrolle entjog. 9tun roar 
aber gerabe bie Beobachtung bet linfen ©eite ber fpringenbe 5ßunft. 
®enn nur auf ber linfen ©eite traten bie „2lpporte" ein. 3$ 
bat bafier unter einem unauffälligem Borroanbe, auf ber linfen ©eite be$ 
DtebiumS ipiafe nehmen ju bürfen. ®a§ Dtebium fhroieg »erlegen; auch 
ber ^mprefario fdiien peinlich berührt unb erflärte fhliefjlih, man müffe 
fid) bem ©ontroügeift fügen, ber für mich ben regten Blafe beftimmt 
hätte. 3<f) fügte tnid) in baö Unnermeiblidie unb ben GontroHgeifl. 

®ie ©jungen fefbft trugen ben Gl)arafter uon SrbauungSftunben »er* 
bunben mit ber Borführung »on SBunbem feitenS beS DtebiumS. 

3Sor Beginn ber BorfteHung forberte ber Qmptefario bie Zweifler* 
auf, fi<h ju entfernen, unb »erbot gleichzeitig, ohne fein SBiffen Beriete 
über bie ©jungen ju »erbffenttidjen, roa3 als Berle^ung beS ©aftredjts 
betrachtet roerben mü|te. 2lu<h rourbe auSbrüdlih »erboten, fragen an baS 
Dtebium ju richten ober e§ ohne SBiffen be§ ^mprefario ju amtroHiren. 

9ta<h biefen ©iherheitämaferegeln rourbe gebetet, unb bie ©ifcung begann. 
Slopflaute ertönten, baS Diebium fiel in Trance, Blumen famen auf 
räthfelfiafte ÜBeife jum Borfhein, Seiftet rebeten — furj, in roirrem $Dur<h* 
einanber folgten bie unten näher betriebenen Bhänome. ©abei ^errfd&te 
rege Unterhaltung unter ben Slnroefenben, bie oft in lautes ©taunen aus* 
brachen, ihre Blähe »erliefen unb bie Stpporte anftaunten. 2Bäf>renb fie bie 
apportirten Blumen betrachteten unb ihre Slufmerffamfeit abgelenft roar, trat 
bann plöfclih ein neuer Slpport ein. 

Stach etroa jroei ©tunben fcfilofs man bie Sfabaht mit ©ebet. Das 
Dtebium entfernte fi<h fofort allein auf einige Dtinuten in ein Stebenjimmer. 

2luS bem ©efagten ergiebt fi«h, bah bie ©elegenheit für tafhenfpielerifhe 
©ricS nid)t günftigcr fein fonnte, falls Qemanb fofche »orführen roollte. ©8 
ergiebt fidj ferner, baff eine »oUftänbige Beobachtung beS SJtebiumS burch 
beffen Dtafinabmen unmöglich gemacht roar. Qdj fdncfe bieS »oran, um bie 




€in beutfdjes ntebium. 


205 


Ntangethaftigleit meines SSeridfjteS ju entfcliulbigen. ©in fotdjer 33er id^t 
follte bie Sorgänge Ntinute für ÜHiinute regiftriren, geroiffermahen eine 
^Photographie ber 33orgänge liefern. Unter ben obroaltenben Umftänben 
mar bieS auSgefcljloffen, ba i<h mir feinerlei Stufjeicljnungen roahrenb ber 
©jungen machen fonnte. Stets beobachtet, muhte ich unauffällig unter 
benlbar ungünftigen 33ebingungen baS in günfligfier Sage arbeitenbe 
Ntebium beobachten. ©S blieb alfo nichts übrig, als in ber 9tad&t nach 
jeber Sifsung ben 33ericht nach bern ©ebädfjtnifj auSjuarbeiten. Sei bem 
33eridfjte über bie erfte Sifcung mürbe ich burch einen ^Tfieilneljmer (einen 
Slrjt) unter ftüfct, ber mir atsbalb ben Sericht burchfah unb tieftätigte. ®a 
beibe Sifcungen in berfelben SBeife oertiefen, jinb fte in golgenbem jufatnmen« 
gefaxt. 

A. fpfpehifd&e Phänomene. 

SBäbrenb ber Sifcungen mie außerhalb berfelben fällt grau 9t. febr 
oft plöfclich itt einen fcbeinbaren Sdjlofjuftanb, ber mit frampfartigen 
3ucfungen ber ©ytremitäten eingeleitet unb befd^loffen roirb. ©erfetbe roirb 
intermittirenb oon normalen SBachjuftänben unterbrochen, fo bah „trance“ 
— fo nennt baS Ntebium biefen 3*»ftanb — unb normaler 3«ftanb roechfeln. 
33eibeS geht mitunter faum merftich in einanbcr über. SBährenb beS „trance“ 
hat baS Ntebium oolle 33eroegti<h!eit, öffnet gelegentlidh bie 2lugen unb hat 
©ehörempftnbung. 9Jlan tann baher mit ihm eine Unterhaltung pflegen. 
Nachträglich behauptet baS SDtebium, leine ©rinnerung an Vorgänge roährenb 
beS „trance“ ju haben*). 

grgenb eine 2lnamnefe, ^Prüfungen auf Slnäfthefie, $pperäfthefie, 
Slnalgefte u. bergt, mar nicht möglidj. ©S muhte baher ^ingefteUt bleiben, 
ob ein hbfterifd&er, hp(lero=epileptifcher, h#cro=hppnotifdher bejro. „trance“« 
guftanb, ober Simulation oortag. 

gn biefem 3 u h an b tritt ein fcheinbarer 2Be<hfel ber ißetfönlichEeit ein. 
Slngeblid&e ©eifter, mie Suther, 3roingti, Saifer griebrich II., Sötiig Subroig 
oon 33apem, „griebdfjen", Br. glentming, ein 33ergmann, Stebiger, Ser« 
roanbte unb greunbe ber Slnroefenben unterhalten fi<h burch baS Ntebium 
mit ihnen. $>aS Stuftreten einet neuen 3ßeriönlidE)feit roirb oon einem neuen 
trance«3ufianb begleitet. S)er SBedhfet erforbert taum eine Ntinute. ®aS 
Ntebium entroidtett babei eine lebhafte SDtimil unb ©eften. ©eine mobulationS« 
fähige Stimme pajjt ft<h in ber Stimmlage ben Nöllen an. ®ie ©eclamation 
ift ausgezeichnet, bie ©arftellung oon Jtinbem inSbefonbere meifterhaft. 

SlnbererfeitS leibet bie SDarfteHung an ©d(ia b f onenhaf t igf eit. 2Ba8 grau 
9t. barfletlt, jinb tppifche giguren, bie jeber gnbioibualifirung entbehren. 


*) tfrühet war fie anbertr Slnfidjt. 3m 3wicfauer Sßrocefe erflärte fit: SBenn idj 
in ben Schlaf öerf allen war, fann id) mid) allemal Ijinterijcr befinnen, bah Slumen ge« 
falten flnb. 



206 


(£rtcb Botjn in Breslau. 


<Sie reben ausnahmslos, gteid;, weiter $eit fie entftanmten, in bemfelben 
Stile, meiftenS iit Werfen, unb mit bemfelben fädjftfd^en ©ialect. ©er 
gnbalt if;rer Sieben befielt aus frommen Sentenjen*), aus benen man 
Stiles unb 9tid;tS entnehmen fann. ©er Siebeftrom mirb mitunter burdi 
einige profaifclje SÖrocfen unterbrochen, roeitn ben ©eift baS ©ebädrtntft int 
Stich ju taffen fdbeint. ©iefeS SOialtjeur traf u. 21. König Subwig, ber 
mit fjoljtcr ©rabcSftimme fein Sünbenbefenntnijj (in ©erfen!) auf eine 
©änfetfängcrntelobie abfang. 

Offenbares iped) h attc baS SRebinnt mit feinen gbentitätsbeweifen ©et: 
ftorbener. ©a manifeftirte fich junächft mein treuer SeibfuchS, ber wenige 
©age oor ben Sitzungen geftorben mar. ©er arme Kerl! 2BaS hätte er 
für erftaunte 2lugen gemadft, wenn er biefe Garricatur gefeljen hatte, bic 
baS ÜDiebiutn aus ihm machte! SKT feinen £umor fdjien er uergeffen ju 
haben; er fonnte fi<h nur auf baS erinnern, waS baS SJiebium burd) mich 
muffte. Unter frommen ©etheuerungen behauptete er fchliefslid), einen jer= 
riffenen Siod anjuljabcn. 2lls ich barob nicht wenig erftaunte, belehrte mich 
ber gntprefario, baff bieS wohl „geiftig" gemeint fei. 

Siodj augenfälliger war fotgenbeS ©orfommnijj. ©ei ber erften Sifeung 
war u. 21. £err Dr. med. beffen Sdjwcfter uttb ©lütter anwefenb. 
Sebtere würbe non einem „©eift" angerebet, fo baff fie überrafdjt auSrief: 
„©ift ©u eS, ©ufcha!" — „3a, liebe ©lütter," antwortete freubig ber 
©eift, „unb ba ift ja auch meine Schwefter unb mein ©ruber!" ©ie 
allgemeine 9tüf;rung, bie biefer GrfennungSfcene folgte, würbe leiber jäh 
unterbrochen, grau £>. erfinde nämlidj, ©uid;a fei nicht ihre ©odjter, 
fortbern — ihre äi>irtl)fd)afterin gemefen. ©er gntprefario war empört 

unb würbe gegen bie alte ©amc unhöflich, ©ie peinliche Scene würbe 
inbejj burch „griebchen" beenbigt, bic als Deus ex machina burd) baS 
©tebium erflarte: „Sille feien ©ruber unb Sdmicftem, ein jeber ber 2ln= 
wefenben feine ©lütter, ba es ein SBaifeufinb fei." ©unfel ift ber Siebe 
Sinn! 

gn jroei gällen erfannten inbeffen Slnwefenbe bie ©erflorbenen wieber. 
3tt einem gallc waren es jmei greife ©amen, bie roährenb ber ganjen 
Sitwng mit naffen Singen bafafjen unb aus einigen inbifferenten aßorten 
eine ©erftorbene roiebererfennen wollten; .int jmeiten galt behauptete ein 
hellfehenber „SJlagnetifeur", ben ©eift feiner ©ante unter bem ©if<h fifeen 
ju fe[;en. ®a ich nidjt hellfehenb bin, formte id; ben ©eift nicht mat)t= 
nehmen. 

Stur wenig ©Sorte über bie ©iaguofe einer Kranfheit burch baS ©lebiutn. 
©iefe, manchen Somnambulen eigenthümlidie gäfjigfeit behauptete auch 
grau 9i. jtt haben. Sie befd;ranfte fid; jebod; barauf, einem &errn, ber 


*) „ lieber ttbifd)=imtttbcrl)ar unb poetifd) botje SBorte in bottenbeten SHeimen* nennt 
iie ein Slugenjeuge. gcilgenfraucr 1899, 3. 262. 


(Ein beutfdjes IHebinm. 


207 


ießr franf auSfaF), ju erfären, er fei magenfranf. ©aS ftimmte. @S barf 
jebocß nid)t unerwähnt bleiben, baß ber ©aftgebcr, ber bem SDtebium un* 
bebingteS Bertrauen fcßentte, non ber Krantt;eit unterrichtet war unb in 
feiner BertrauenSfeligfeit bei ber 3luffteHung ber ©aftlifte biefen Umftanb 
rcotjl erjä^tt haben fonnte. 

B. iptmfifatifdje omene. 

Klopflaute. ©ie Klopflaute erflangen oorjugSroeife am 3lnfang ber 
©ißung, auch roäßrenb ber trance*9tcben. ©ie fefeen aus, wenn bie 21uf- 
merffamfeit beS SJtebium anberroeitig fef>r in Sünfprucß genommen ift. gßre 
Klangfärbung ift bie eines lauten ©icfenS ober IßocfienS. ©ie finb an bie 
näcßfte STtafje beS SDtebium gebunben unb hören auf, roenn fidl» baS SDtebium 
nom ©ifcße entfernt. gcß fonnte fie forooßl im ©ifcße, rote (in ber jroeiten 
©ißuug) am ©opfja hören (fdheinbar in ber Sehne), ©eroößnlicß ertönen 
Sie im ©ifdje. gn ber jroeiten ©ifcung lenfte baS SDtebium mit freunb* 
ließet Bereitroilliafeit meine Slufmerffamfeit befonberS barauf hin, unb fudßte 
mich oon her ®<ßtbeit ju überjeugen. ÜBolIte fie einen Saut an einer be« 
Stimmten ©teile ßerportufen, fo berührte Re biefelbe einen Slugenblid. ©rohbem 
ihr ©rflingen am ©opha frappirte, mar es leiber nicht möglich, eine ejacte 
Beobachtung anjufteHen, ba bie güße beS SDtebiutu unter bem ©ifcß un* 
Sichtbar mären unb ber gmprefario fieß neben baS SDtebium ftellte. 

31 pp orte. ©ie Slpporte *) bilben baS Bbänomen, bem grau 9t. ihren 
9tuf als SJtebium oerbanft. 9ta<h ber 9luSfage beS BtebiumS unb feiner 
Slnßänget fommen fie baburch ju ©tanbe, baß unsichtbare ©eifter bem 
fötebium Blumen unb anbere ©egenftänbe aus ber Suft überreichen. gn 
meiner 2lnroefenheit fpielte Sich ber Borgang jebocß in anberec SBeife ab. 
gm Mgemeinen gilt golgenbeS: ©ie 3lpporte fanben außerhalb ber ©ißung 
(j. B. beim ©ffen), mie roährenb ber ganjen ©ißung, in leßterem gatte 
feßr häufig, ftatt ©aS -Btebium fißt babei entmeber oor bem SEifcß ober 
fteßt auf unb mifeßt fieß unter bie SInroefcnben. ©ie treten plößlicß unb 
unerroartet ein. 2Benn man jeboeß einige fötale bie Beroegungen beS 
SJtebiumS gefeßen hat, fann man ungefähr bas ©intreten eines 3lpporteS 
porßerfeben. ©aS SKebium öffnet babei faft ftetS bie 3lugen. Dperirt eS 
am SEifcß, fo nerfeßminben oor bem Slpporte ftetS bie &änbe unterhalb 
beS perbedten SEifcßeS. 

SlnbetS, roenn es ohne ©ifcß arbeitet. ©S feßreitet bann unerroartet 
auf eine Berfon ju, bureßbohrt fie faScinirenb mit weit aufgeriffenen 
Slugen unb rebet fortroäßrenb auf fie loS. ©ie £änbe beroegen Sich mit 
laienhafter ©efcßroinbigleit ßin unb ßer, fo baß es nie möglich ift, beibe 


*) „SIpport" bebeutet in ber occultiftifcßen Terminologie baS ,'öerb eibringen eines 
©egenftanbeS auf übetfittnlidje Sffleife. 



208 (Ertdj Bofyn ttt Bresfan. 

£änbe gleichseitig ju beobachten. Qm Ginjelnen fpielten fid) bie Stpporte 
mie folgt ab: 

Stpport einer (SEiriftuSf igur. 2Bir fafeen beim Slbenbeffen in reger 
Unterhaltung, als ich bemerfte, mie baS SRebium bie linfe $anb unter 
beut ©ifch oerfdjroinben liefe, iptöfetich fuhr eS mit einem fRuCf empor 
unb hielt eine Keine GhriftuöRgur in ber £>anb, mie jie gerabe in jenen 
^agen in ben Bojaren fäuftidj mar. ©rofebem bie Stoberen in Qolge ber 
Unterhaltung auf baS ERebium nicht geachtet hatten, behaupteten Re, feine 
£>anb fei leer gemefen. SReine Siachbarin begann oor Qreube ju beten. 

Slpport oon ©olbftaub. (2. ©ifcung.) SBäfjrenb bie Slnmefenben 
mit apportirten Blumen befchäftigt finb, führt baS ERebiutn unerroartet bie 
&anb an ben ERunb unb bläft gegen bie Qinger, roobei ©olbftaub heraus; 
fällt. ©rofc feiner Behauptung, ben ©taub aus bem ERunbe geblafen ju 
haben, finb feine Sippen ohne ein ©täubchen. 

Slpporten oon Amuletten. Unter Stornierten oerfteht baS ERebium 
©laSfjerjen unb Keine ERünjen mit Kleeblättern, („©rilbpfeerjen, ©lücfö; 
freujer"), bie man als Stoffänger trägt. Sie finb nach feinen Angaben »on 
ben ©ciftern mit „electro^magnetifdjer Kraft" gefättigt. beiläufig bemerft 
mar es Bajarmaare, bie ju jener Qeit gerabe mobern mar. Sei ihrem 
Slpport bebarf baS ERebium nicht beS ©ifdieS. Unter ben Stotoefenbeu 
umhergehenb, h^ntirt es jncfenb unb „fafcenhaft" mit ben ^änben hetmw/ 
fo bafe man fie nicht fdjarf beobachten fanu. Kurj oor bem Slpport finb 
bie Qinger gefrümmt, fo bafe bas &anbinnere oerbeeft ift. Qe|t erft 
ftreett es ben Slrm aus, öffnet bie $anb unb hält barin ein Storniert. 
Ginige ERale Reten Re — mie aus Ungefchicflidjfeit — ju Boben. 2luf; 
fällig mar es, bafe baS ERebium einmal — am ©Chtufe ber ©ifcung — 
ben SBunfch eines tperrn nad) einem Storniert nicht gleich erfüllen fonnte, 
fonbem fich junäChft aEein in ein SJebenjimmer begab. 9ladh feiner Etfitf; 
fehr probudrte es fofort ein Storniert. Sto ben Slpporten hafteten menige 
©limmerRäubdhen. 

Slpport oon Blumen. Qrau fR. mirb oon ihren Stoffängern mit 
Sorliebe „baS Blutnenmebium" genannt. ERan hat ihr biefen Ghrennamen 
beigelegt, meil bie Blumenapporte bei ihr in beifpieEoS ooEenbeter Qomt 
auftreten. EiaCh meinen Beobachtungen blieb inbeffen aud) hier bie SBirf; 
lidjfeit hinter ben ©djilberungen jurüd. 

©aS ERebium arbeitete auSfdjliefelich mit ©eefung. GS benufete baju 
ben ©ifcfj ober eine $erfon. Qn ber 2. ©ifcung hatte ich Gelegenheit, 
baS ERanöoer am ©ifdj genau ju beobachten. ERcine Beobachtungen in ber 
1. ©ifcuitg mürben baburd; beftätigt. SlEe Blumenapporte treten auf ber 
linfen ©eite beS ERebiumS ein. Qn allen folgen QäEen, bie iCh beob; 
achten fonnte, uerfdjmanb bie linfe $anb jmifchen feinem Kleibe unb 
bem feiner Stadibarin. ©ort hantirt baS ERebium einige SlugenbliCfe 
herum unb jietjt bann Blumen Ijeruor. EBäljrenb eS biefe bereit hielt. 


< 2 iit beutfcfjes ITtebinm. 


209 


ftarrte e3 bie 2lnroe[enben an unb ftredt bann plöblicfj bie £anb mit ben 
Blumen empor. geh fann mit abfoluter ©eroifcheit behaupten, baf 
baS 9Webium nie bie .fjanb über bem 'Xifctj leer batte. 

©inmal fonnte id) ben Vorgang befonberS genau beobachten. $>ie 
Hufe 4?anb oerfd»roanb am Stleibe unb ba3 3Jiebium hielt längere 3eit ab= 
roartenb einige Blumen bereit, ^ßlötiticl) 30g e3 fie bann Ijeroor unb ftrecfte 
fie in ber Suft. 

2lnber3 operirte e3 in einem sroeiten gatte. @3 biirfte fid), ftedte ben 
Stopf unter ben £if<h, roirtbfchaftete barunter längere gcit herum unb 
brachte bann Blumen jnm Borfdjein, bie ibm ein ©eift unter bem lEifd) 
gereift hätte. 63 mar bie3 ber SPorfatt, bei bem ber -Diagnctifeur ben 
©eift feiner £ante erfannte. — gn mehreren gälten, in benen baS ÜBtebium 
bie Blumen in ber $anb hotte, behaupteten einige 2lnroefenbe, genau be« 
obachtet ju hoben, bafj bie Blumen non ber ©ecfe herab in bie leeren 
£änbe be8 SJtebtum gefallen feien. 6in grrthutn meiner feit 3 mar nöttig 
auSgefdjloffen. 

2tnber3 ntanipulirt baS SBebiuui, menn e3, unter ben 2lnroefenben 
ftehenb, ohne Siifch arbeitet, hierbei benufct e3 Büden ober Stopf einer 
Sperfon als ©edung*). ©3 mirthidjaftet junädjft in ber oben gefdiitberten 
SBeife mit ben §änben herum. 2)iit ber jufammengcfrümmtcn $anb greift 
e3 bann hinter ben Stopf ober Bilden, roorauf e3 nach meiteren 9Jlantpula= 
tionen einige Blumen hernorjieht. ©ie 2lpporte roerben au3nahm3lo3 mit 
©leganj ausgeführt. Beulinge miiffen baburdj frappirt roerben. 

®ie Blumen roaren meiftenS jufammengebrüdt. ©er größte ©heil 
beftanb aus Blumen mit horten Blättern (forbeer, Belfenblätter). (Sie 
roaren auffällig nah. ©ne Blüthe, bie ich am Sdjtufj ber 1. Sifcung 
erhielt, mar jebod) gan3 cerroelft. ®ie Beenge ber Blumen mar nicht be= 
fonberS grofj. 

Bpport eines £anbfdjuh3: gn ber 1. Sifcung hatte i<h baS 
Btebium mieberholt erfudht, mir einen ©egenftanb aus meiner entfernten 
SBofmung ju apportiren. ®ie ©eifter roittfahrten jeboch meiner Bitte 
nicht. ®a hielt in ber 2. Sifcung baS Blebium plöfelidh einen alten £anb= 
fdhuh in ber #anb, ben ich als mein ©igcnthum auerfannte. ©er Gontrofl= 
geift behauptete, ich hätte ihn auf ber Strafte uerloren. 2(13 id; in meinem 
Uebersieher im ©ntree — 3U bem baS ttftebium fortmährenb gutritt 
hatte, controHirte, fehlte ein Spanbfdjuh. — ©a3 weifte gntereffe bot 
für mich bie 

©irecte Schrift. (2. Sibung.) ®a3 BJebium behauptet nämlidj, 
baf; ©eifter burdf) feine Straft in nerfdiloffenen Büchern Sdjriftscidjen her- 
norrufen. gn meiner ©egenroart bebieuten fie fid) babei 3meier Btetljoben : 


*) $)er Vorgang erinnert 011 ba« befannte Xaidk'nfpieler[imjtfui(f, bei bem ber 
ftiinfller einer ißerfon Cigarren au« ber 'Jtafe sieht. 



2*0 


€rid? Bot^n tn Breslan. 


1. ©ag 9J?ebium blätterte in einem ©efangbucf), aug bem e§ gebetet 
batte, fßlöfelidh Happte eg bagfetbe ju, fegte meine fjanb barauf — 
elje idb wufete, um wag eg fich banbett — unb fdjob bie feinige 
barunter. @3 fragte mit bem ftingemaget beg Zeigefingers barauf 
herum, worauf fofort bie 2lnwefenben behaupteten, fie hörten ©dhreib= 
geräufdh im 33ucf). ©ag 3DJebium berichtigte biefen Srrthum nid^t, 
fonbent öffnete bag Sudb, auf beffen ^nnenfcite nun mit Sleiftift ge» 
fcfjrieben ftanb: „(Sott grüfe ©ich, lieber gfreunb." Angeblich rührte 
ber 3lutograph von meinem nerftorbencn greunbe her. 

2. SS?ährenb idb mich unterhalte,- macht fich bag SDtebium ptöfclidh ön 
meiner 3acfe ju fdhaffen. (St;e idb mir nodb erflären fonnte, wag eg 
eigenttidb beabfichtigte, fuhr es in bie ©eitentafcfee unb jog meinen 
•Jiotijfatenber heroor. 9Jtit beibeit föänben hielt eg ihn nun unter 
ben uerljattgenen ©ifdl). ©ort bewegte eg fidb tangere 3eit herum; 
bie 3lrnte, ber ganje Dberförper, rücfte hin unb her. ©nbl'dh fdbien 
eg fertig ju fein, ergriff meine Senfe unb führte fie unter ben ©if<h 
auf bag Such, ©a ich feine £>anb berührte, conftatirte idb, bafi eg 
auf bem Sinbanb herumfrafete. SBieber riefen bie Stnwefenben: „@g 
fdbreibt." -Jlun würbe bag Such herfürgejogen unb geöffnet, ©a 
fanb ftdb benn an einer ©teile, wo bag Such »on fetbft aufftappte, 
weit Stätter berauggeriffen waren, nebenftehenbe ©chrift*). 

Utacfe Stugfage beg SDiebium hatte mein armer greunb mit biefen 
mpftifcfeen 3ei<hen „©rüfe ©ott, lieber greunb" fdbreiben wollen. 

Seudjten ber Ringer. 9ia<h ber 2. ©ifeung liefe mich bag 3Jtebiunt 
in bag oerbunfette fKebensimtuer rufen, ©ort geigte eg mir eine feiner £änbe, 
beren gingerfpifeen bläulich leuchteten. Seuchtenbe ©ämpfe fliegen baoon 
auf unb oerbreiteten einen erfticfenben fpbogphorgeruch. 9tacb ca. 2 HJtinuten 
hörte bag Seudhten auf. ©ie anbere jpanb leuchtete überhaupt nicht. 

©ag finb bie ©featfadhen. ©ewiffenfeaft beobachtet unb ebenfo 
gewijfenhaft wiebergegeben, werben fie bie ©runblage für bag fünftige 
Urtfeeil abgeben. 

Seoor ich ju biefem fcfereite, ift eg jebodh meine tpfticfet, bie HJlomente 
anjuführen, bie fcfeeinbar meine Dbjectinität in fyrage ftetten. ÜDteine 3tn* 
fidfjt wirb nämlich nur non 3 ©heitnefemem, einem Strgte, beffen Üliutter 
unb ©cfewefter getheilt. ©ie übrigen Stnwefenben finb ganj anberer 2lnfi<fet. 
©ie haben 2 uom ^mprefario oerfafete Driginatberidhte unterjeicfenet, bie 
fpäter in oerfürjter fyomt non einem ©heilnehmer mit SBiffen beg Smprefariog 
im ©rucf neröffentlidht unb faft wörtlich aug bem Driginalbericljt beg 
^mprefario abgcfdhrieben finb. ©er Sefer mag fich aug bem ^olgenben 
felhft ein Silb banon machen. 


*) 3<b gebe fie iw Orifltttal toieber, Weil icfi fpäter auf bie grapfiologiftfje Stnalpfe 

eingehe. 



€tn beutfdjes HTebtum. 


2U 

barf leiber — au3 urheberredjtlidjen SBerljättniffen — nur ben ge= 
brucEten unb oerfürsten Beridjt wiebergeben. ®a§ ift feilt bebauerlich, ba 
ber ungebrucfte Beridjt tuet lehrreicher ift. 'Beim ©rucE fiat man nämlidj 
alle auf bie ©elfter bejüglidien ©teilen weggelaffen, fo j. 33. bie SSenbung 



„non nnficfitbarer ©eite" ftets burdj „Straftmittel" erfebt. Qim ©rud 
fehlt ber $>anf ber Sfieilneljmer an bie ©eifter, ber fid; im Criginat fo 
flafitfd) ausnimmt. ©3 fehlen bie Berfidferangen, bah on ber (M)tbeit ber 
Phänomene unb am 2Birfen ber lieben ©eifter fein B^eifel geblieben fei. 
SBenn man bie Driginal4ßrotocoHe lieft, Fiat man ben ©inbrud, bah F>ior 
wirtlich ©eifter gefpuft haben muffen, wenn auch oielleidft nur in manchen 




2\2 


(gridj Boljn in Breslau. 


köpfen; fte fmb förntlid) barauf jugefdjnitten, als SeroeiSmittel ju bienen. 
Seim ©rucf liefe man biefe plumpen Semerfungen weg, wnb gab bem 
©anjen einen mel)t obfecticen Slnftrid). Sin Solgenben finb bie aus ben 
Dtiginat^rotocoHen entnommenen ©teilen breit gebrudt. 

„Stau Slnna . . . folgte am 16. SRärj b . ,% ber Ginlabung ber ifer 
befreunbeten Samilie Ä. in SreSlau. Äaum mar fee StadjmittagS in ber 
SBofjnung eingetroffen unb batte am fEifdje $lafe genommen, ba fielen über 
bem ßopfe beS SRebiumS {»inroeg frifcbe Seildien unb Sdjneeglöddjen, ganj 
feudjt, mit aBurjeln unb anfeaftenber Grbe, roie foeben aus ber Grbe ent* 
nomnten, auf ben fEtfd) nieber. 

Stau Slnna oerblieb fortmäferenb in ber SBofenung in ©efeßfdjaft. 
Slm SIbenbe fanb bei uns eine ©ifeung ftatt, ju roeld&er 10 fßerfonen ge* 
laben maren. ©aS 3i m »ter unb bie SRöbelftüde mürben juoor unterfudjt, 
fobann nafem baS SRebium gefeHig im Greife ber Slnroefenben fßlafe. SRan 
pereinigte ju Seginn ber ©ifcung bie ©ebanfen burdj eine Slnbad&tSfibung, 
unb baS SRebium oerfanf in einen ©d)laf, morauf Sieben teligiöfen 
ftnljattS, jur SRenfdjenliebe ermaljnenb, burcfc baS SRebium jum 
SluSbrude famen. ©er Serfdiiebenfjeit beS SnfealteS ber Sieben unb ber 
©timmenunterfdiiebe entfprecfeenb, mürben bie SRittljeitungen als Pom 
Sleformator Sroingli, ©icbter Sleumarf, einem Äinbe Stieben ic. feerrüferenb 
bejeidjnet. 

®aS SRebium griff, allen fidjtbar, über bem feellerleud&teten 
©ifdj in bie fiuft, unb es mttrben ifem pon unfid&tbaren ftraft* 
mittein Sfifdjel pon tljaufrifdjen, unperfe^rten Seilcfeen, 
Stefeba, Slattgeroäd&fen, ©pajint^etr, Pulpen mit Änollen unb 
anfeaftenber Grbe übergeben. ®ie ©laSfeerjdjen quollen über 
bem ©ifdje roie aus einer fleinen SBolfe oon ©laSfltmmer 
feerpor unb mürben oom SRebium gefafet unb ben ©beitneljmern 
als ©pmbole überreidjt. Slumen mürben audj oon ber ©eite 
bergebradjt. Stad) Stngabe ber fErancereben hätten fämmtlidje 
©egenftänbe einen eleftrifd>*magnetifd>en fßrocefe burdjgemacht, 
unb e§ roofene ihnen eine biomagnetifdie Kraft inne. Gin ®h*it* 
nefemer mürbe oon bem im ©rance befinblidjen SRebium ofene porfeerige 
Eingabe ober Slnfrage roegeit feines SRagenleibenS mit magnetifdjen ©trieben 
befeanbelt. 

3lm 17. SRätj fanb unter gleichen Sebingungen roie porfeer in Sin* 
roefenfeeit oon 20 ijjerfonen eine jroeite ©ifeung ftatt. SBäferenb ber ©rance* 
reben erhob fid) baS SRebium unb begab fid) ju einigen Girfel* 
tbeilnebmern, benfelben Statfefdjläge in poetifdjer Sorm ert^eitenb, 
inbem fidj gleidjjeitig einige ber ooHenbetften Ueberbringungen 
(Slpporte) uolljogen. ®aS SRebium griff, por ber oon ihm an* 
gerebeten ißerfon ftefeenb, in bie Suft unb entnahm bie pon un* 
f id^tbaren Rraftmitteln überbradjten fleinen ©egenftänbe, roetdje 


€in beutfd)es ntebium. 


213 


ben betreffenben fperföntidbfeiten als ©rinnerungSjeichen (att= 
geblidh Amuletts) überreicht würben. Superbem fanben in 
3n>ifchenräumen 33lumenapporte gatt, wobei bie 33lumen tpeils bem 
ajlebiutn in bie £anb gereicht würben, tfjeits birect auf ben ©ifd) 
unb hinter bem SRfiden ber Snwefeuben nieberfielen. ©ine ©ame 
oerficEjerte, baS ßeranfdjweben ber Stumen oom genfter bet beobadfitet ju 
haben. gn ben ©rancereben würbe bebeutet, bap biefe üJianifeftationen 
ben 3>oed hätten, baS SBirfen non geiftigen SEBefen fiditbar ju 
oeranf (baulichen unb ju beweifen, bap audb bie jeweilig betehrenben unb 
erbauenben SEBorte eine Seherjigung oerbienten." 

©iefe ißrotocolle fmb in ber Driginalfaffung oom gmprefario oerfapt 
unb würben auf feinen SBunfdp uon ben meiften ©beilnebtnern unterjeicfmet. 

©Utes ift Kar: ©iefe 33ericf»te wiberfpredien bem meinigen in jeber 
9lidbtung. SBährenb biefer bie Sßorgänge fehr oerbäcfjtig erf (feinen läpt, 
bilben jene ein glänjenbeS 3 eu Ptfs für bie wuuberbaren gäbigf eiten grau 
SRotbeS. ©hrenwerthe, jum ©peil gebilbete Herren unb ©amen, an beten 
ÜBahrheitSliebe nicpt ber geringfie groeifel auffommen fann, höben fie unter« 
jeidjnet. 3 eu flai& Rept gegen 3^ugitt§, 23evidjt gegen Bericht, unb bodp 
fann nur eines bie SBahrpett enthaften. Unb weiter! ©aufenbe oon 
3eugen haben in anberen ©ipungen biefelben gängigen ©inbrüde empfangen 
unb oerpfänben uns ihr SBort für bie SBahrpeit ihrer 3luSfage. ©ollen 
wir Re ber Süge jeipen? ©oUte nicht baS SBort fo Sßiefer mehr wiegen 
afs baS meinige? 

©ie ©eredptigfeit oerlangt es, bag wir oor unfereut enbgiltigen Ur* 
tpeil junädhR biefe grage prüfen. 2Bit müffen 2IHeS, was bisher über 
grau 31. oeröffentlidpt ift, auf feinen SBertp unterfudben unb fehen, wie 
pdp ihr 33ilb im Nahmen biefer Unterfudpung barfielfen wirb. 9iid)tS märe 
ungerechter, als biefe Aufgabe als quantitö nögligeable ju behanbeln. ©arum, 
bah eine ©hatfache für uns neu ift, hört Re nidjt auf ©batfadpe ju fein. 
3ft ein einjigeS mebiumiftifdheS Phänomen bei grau 91 einwanbsfrei feft= 
gepellt, fo wiegt biefes ein ©anbforn fdhwerer als baS 3Jteer unferer 
bisherigen ©rfaprungen. Sine poRtioe ©hatfadhe wirb burdh taufenb negatioe 
nicht aus ber SBelt gefd^afft. ©arum betone ich eS: Söir jinb ©flauen 
ber ©patfadpen unb werben uns ihnen beugen. SXber idh fepe pinju: 9tur 
oor ©patfadpen, nicht oor ißpantapegebilben, bie man für ©patfadpen 
auSgiebt 

©ie Prüfung biefer ^Berichte hat aber noch ein höhere gntereffe. 
grau 9t. gilt berjeit als baS bebeutenbfte ÜJJebium ©eutfdplanbs. ©ie 
ift baS ^BarabeRüd beS beutfdpen DffenbarungS»©piritiSmuS*). ©ie 33er= 

*) Um 3rrthömer ju oermeibett, fei goIgenbeS bcmerft: l'iit mebiutniftifdien 
tUbanomenen tarnt man Rh oon oerfdjicbenen ©tanbpunfteti aus befcfcäftiflert. Tic 
©piritiften fehen barin oon Pomperem bie SBirfung bon ©eiftem, ober folgern fie barauS. 
Unter DffenbarungSfpirttiften öerftebe ich bie erfte ©ruppe. ©ie bilben bas Saienelement 



<Ertdj Botin in Breslau. 


2H 

öffenttidjungen übet fie ftettcn ben St)puS bcr Senate bar, mit betten 
er feine Behauptungen ftütü, fic finb baS, roaS er aK bemeiSfräftige 
mtb eraftc Beobachtungen au^giebt. 3tire ßrittf trifft baljer bie gattje 
roiffenfdjaftlicfie 9Jietf)obif ber breiten Blaffe ber ©piritiften. Sie eröffnet 
weiteren Äreifen in biefe ^Sfeubo=3'3iffenfd)aft einen ©inbtief, bei bem e§ 
fict) jeigen wirb, wie man in fpiritiftifcfjen Greifen mit SSabrfteit unb 
StBiffenidfjaft umgebt. 

Sd)[ief;lidi bürfte biefe Jlritif and) »ont Stanbpunft ber toiffenfdftaft; 
Iidjctt ÜDtethobif au» triebt ohne gntereffe fein. ®er nott mir eingefchtagene 
2 Beg ift ein neuer. Dtodj nie Ijnt man ben Bcrfudj gemalt, biegefamtnte 
Sitteratur über ein -Dlebium an ber föaub. ber Quellen in allen ©injelheiten 
burdjpriifcn. Blau fjäit eS meiftenS nidjt ber Blühe roertf), fi<3b biefer 
jeitraubenben unb fdmnerigen Brbeit ju unterbieten. ©S ift freilich nicht 
gebermannS ©efdmiacf, „im ©d)tamm uad) ©otbförnem ju fudiett". 
(©<hreitcf=Bohtng). 2 Ber aber fürditet, fid) bie ©tacös 311 befchtnufcen, ber 
foHte überhaupt bie &änbe aus bem Spiet (affen. 


II. £l)cil. 

Kritif ber einfdjlägigen Cittcratur. 

Heber grau 3t. finb bisher 38 Berichte neröffenttidjt worben, bie 
über 70 Sifeungen referiren*). 34 baoon fpredien fich für, 4 gegen 


in biefer SStffenfdjaft. Unter ben Wiffenfchaftlidien ©piritiften hat eS auSge* 
jeidjnete Welcfirte wie Sombrofo, ©roofess, £obgfon, bu Brei, Stffäfof. 91 uf biefe 
3Utn tje il borji'tglidjen krbeiten fiitbet mein Urttjeit feine 2tn= 

Wcn'bung. Tie Offetibaruugsfpir iti fteu finb eine weit öerbreitete ©ecte, bie aber be= 
hauptet, auf wiffenfdxiftlid)cm 23 oben 31t ftehen. Sbtc beutfd)en Organe waren früher: 
1. „Sicht mehr Sicht", 2. „Diene fpiritiftifdje Bliitter", 3. „ Sicht be3 SenfeitS", 4. „3>er 
©predgaal". $ur 3eit befujcn fie fotgeitbe 3dtid)rifteit ; 1. „<So8"=Bertin, 2. „fßft)d)e"= 
Söerliit, 3. (feilgcnhauerS „3eitfd)rift für 3piriti8mu8"=(5ölu, 4. „Snternationate SBIdtter 
für 3piriti8mu8"=5Diünd)cn, 5. „Ter @piritift*=3üricb, 6. „Sid)tftrabten"=9 , tcbraSfa. 
23e3Üglid) ber Terminologie oerweife id) im Uebrigcn auf meine Strbeit: „Ter Begriff be8 
Siipernormaicn in ber Bfbdjologie". Bipcbtfcbe ©tubien. Seipsig 1899. Blettn ich 
int fyotgenben boit ©piritiften fprcche, fo meine ich ftetS bamit bie OffenbarungS* 
©piritiften. 

*) Um bie '.Nachprüfung 3U ermöglichen, gebe id) ein Sterjeidjitih biefer Berichte: 
©pir. Blätter 1893 3. 201. 

= = 1894 = 128, 151, 152, 203, 204. 

= = 1895 = 30. 

= = 1896 = 107, 183. 

= = 1897 . 55, 07, 100, 87, 103, 114, 143. 

= = 1898 = 27, 69, 110, 140, 143. 

Ueberfümt. 2Mt 1894 3. 163, 105. 

Seilgenbauer 1898 ©. 122, 167, 149, 246. 

= = 1899 = 100, 262, 350, (cfr. and) Sßftjche 1899 VU ©. 8). 363, 387. 

= = 1900 = 35. 



€iit beutfdfes Ittebium. 2f5 

ihre 9Jiebiumität auS. £>aS SJtifjoerhättnifj ift, augenfällig unb fdjeint ju 
©unften grau 9t.S ju fpredjen. SBic fo oft, trügt ber ©djein. 

prüfen mir nämlich, auf welchen 3 e drauin fid) bie fBeridjte oertFjeilen, 
fo ergiebt fidj gotgenbeS: Bis jum Auftreten beS gmprefarioS *), eines 
früheren ^oumatiften, finb 

innerhalb 4 Sauren 1 1 Berichte, baruntcr 4 ungünftige »eröffentlidjt. 

SRadh feinem Sluftreten äitbert fid) baS 33itb. 
gnnerbalb 3 gahren werben 27 ^Berichte, barunter 0 ungünftige ge» 
brudt. Unter biefen 27 Seridjten flammen 8 aus ber gebet- beS gm= 
prefarioS. ®iefe ©tatiftif beroeift fdjlagenb, bafj non bem ülugenblide an, 
too eine gefdiidte ^»anb im ©piete ift, nur günftige ^Berichte erfdjeinen; fie 
beroeift ferner, baß faft Vs biefer ^Berichte oom gmprefario oerfafjt ift! 
Gntroeber haben alfo in biefem 3 e ^ raiim nur günftige ©ifcungen ftatt» 
gefunben, ober man hat bie 3Ser5ffenttid^ung ungünftiger 9iefultate jielbe= 
mufet unterbrüdt. gür beibe SDiöglichfeiten liegen SlnhaltSpunfte oo.r. 

2Btr fatjen bereits, bafc grau 91. »or roiffenfchaftlidjen Greifen feine 
©jungen giebt. g<b taffe bie 2Jiotioe unberührt unb halte mich an bie 
Shatfad)e. gljr SßirfungSfreiS befdjrätift fi<h alfo auf Säten**) unb, toenn 
mir uns an bie Senate hatten, auf gläubige Saien. gn SBreStau forberte 
man 3weifler gerabeju jum 3Serlaffen beS SofaleS auf. Grmägt man aber 
anbererfeits, bah bie Beobachtung ber bei grau 91. ju Sage tretenben 
@rf<heinungen fetjr compticirt ift, fo fann es nicht SSunber nehmen, wenn 
nur günftige 9tefultate erjiett werben. 

SBeiterhin febeint es aber, ats ob man ber 2ßal)rbeit fünftlidj ben 
SJtunb fiopft. gn 33reStau rocnigftenS oerpfiiehtete man bie Sjjeitnehmer 
$um ©tittfdjweigen unb veröffentlichte bann einen 33cridjt, ber grobe 6nt< 


Sßfodje 1898 ©. 169, 170, 186, VI. @. 10. 

- 1899 * 113, 150, 162, 188. 

« 1900 = 69. 

2Bien 1898 9Jr. 1. 

* 1899 » 2. (abgebrueft: gcilgenbaner ©. 387. — ©o3 ©. 87.) 

Stufcerbem würben jur 8eurtbeilnng beS 3mprefario3 iiiinmtlidjc Don ihm in fpirit. 
3eitfd)riften Deröffentlidjten 2trtitet burdigeprüft. Die 3<djl ber ©iöungen tonnte 
nur annäfjemb beftimmt werben, ba Diele iöeridüte Jeine genauen Stngaben entfalten. 

Durdigefcben würben im ©an§en 45 8iinbe 3eitfct)riften feit 1893, Water er= 
fdjiettene Dom Sage if)rc8 ©rfdjeineitS an. ©i finb bieS folgenbe 3dtfd)riften: 1. 5J?ft)d)i= 
f che ©tubien. 2. Ueberfittnlicbc 31? eit. 3. 5? i p dt e. 4. Speofopbifdje 9tunbfdjau. 
5. ©pbinj. 6. 3 e itfd)rift für Senologie. 7. Diene fpiritualiftifcbe 8tätter. 
8. geilgenljauerS „3eitfd)rift für Spiritismus*. 9. ©öS. 10. fDHttbei» 
lungen beS wiffenfdjaftlidien 8ereinS für DccultiSmuS ju SSieit. 11. guter» 
nationale 3 e itfd)rift für Spiritismus. 12. Sidjtftraljlen. 

*) ©pir. 81. 1896, ©. 107. 

**) grau 91. erflärte felbft, „nur Seuteit, bie bas üBiffen tjaben unb eingetoeifü fmb," 
Sifeungen gu geben. 



2J6 €rtd} Boßn in Breslau. 

ftettungen ber S^atfai$en enthielt. ®iefer Bericht würbe ausbrücflich com 
$mprefario burcßgefeßen. 

Schließlich erflärt noch ein SRoment, baS außerhalb beS SDlebiumS 
liegt, baS IDafein ber oieien günftigen Senate. ®in £f)eil ber fpiritiftU 
f<hen ißreffe befleißigt ficf) gegen bie ©egner eines £oneS, ber ben Schimpfereien 
ber fcfjlimmflen politifdhen 2Binfelblätter ebenbürtig ift. 2Bo 2Baffen fehlen, 
greift man jutn Sdjmuß. $Diefe treffe «erfolgt eine beftimmte Senbenj. 
2Bo aber SCeitbenjen herrfdjen, läßt inan bie SBaßtheit als 2tf<henbröbel in 
ber ftücße. 3ft es ba munberbar, raenn mancher bie Suft cerliert, ft<h mit 
folcf>en ©egnem Ijerumjubatgen unb ein golbeneS Schweigen bem Sieben 
»orjießt? 

®ie Gjriftenj cormiegenb günftiger Senate beroeift atfo nichts ju 
©unften beS 3JtebiumS, ße fcljeint cielmeßr ßunfiprobuct ju fein. 

immerhin finb biefe 34 Berichte ba. SJlögen auch 8 bacon ber 
geber beS intereffirten ^mprefarioS entftammen, fo bleiben bod) 26 Sendete 
con iferfonen übrig, bie fdjeinbar fein ^ntereffe jur Sache haben. 3lHeS hängt 
baher bacon ab, welche Beweisfraft biefen Berichten innewohnt. 3fnbent ich 
bie 4 ungünftigen Berichte corläufig aus bem Spiel laffe, uitterfuche ich 
junädjft bie 34 günftigen Berichte nach folgenbett ©eficßtSpunften: 

1. Sinb bie Berichte als folche wiffenfdjaftliche Arbeiten? 

2. Sinb bie barin berichteten £h at f a< $en miffenfdjaftlich feftgefiettt? 

Bunft 1 befdjäftigt fid) alfo mit ber ÜDtethobif ber Berichte, 5punft 2 

mit ber SRethobif ber Beobachtungen*). 


3ebe ®arfteHung »on Beobachtungen fietlt eine geiftige Slrbeit bar, 
beren SBerth con ben gäßigfeiten iljreS BerfafferS abhängig ift. 3ft eä 
fchon fehwer, genau 51t beobachten, fo ift eS noch fdjroieriget, bie Beob- 
achtungen fo barjufiellen, baß ber Bericht ein Spiegetbilb ber SBirHichfeit 
ift. SBähreub wir eS bei ber Beobachtung mit einer recepticen fEßätigfeit 
ju tfjun hoben, liegt bei ber Bericßterftattuug ein reprobucticeS Schaffen 
cor, baS naturgemäß bie ©efaßt einer Bermißhung fubfecticer 3lnfi<hten 
mit objecticen £l)«tfadien mit ft<h bringt, ^n ber £ß at Pflegen Saien 
ftatt einer Befdjreibung beS Sßirflidjen, meiftenS eine Sdjilberung ihrer 
3lnfid;ten bacon ju geben. 9Rit ber ßomplicirtljeit ber £halfa<hen fteigt 
bie Schwierigfeit ihrer ©arftetlung. 21! an fpricht baher mit Siecht non 
einer Jlunft beS SReferirenS. Sßir wiffen, baß fie bureß Uebung gelernt 
werben muß, baß fie eine Schulung corauSfeßt unb baß bie Slnfprüdje an 

*) 25er ftdj fiiv bic attgentctiten ®efidit?pim!te intereffirt, öcrglcidje Seßmanu, 
„9lbcrglaube unb 3a n & erc !". «on bent id) jebod) in ©injelßeiten, namentlich in ber 
@t)ftematt( abloeicße. ferner bitte ich ju oergleichen: Dr. @ridj 23 0 ß lt : „®n cigenthüms 
lieber fjall Oon automatifeber Sdjrift" (SJtethobit ber 23erid)terftattung). Xerfelbe: Rritit 
oon £ebtnnnnS , '.Aberglaube unb 3auberei". Sßfodjifcbe Stubieu 1899. 



(Ein bentfcfyes ItTebium. 


2 {? 


bie aSotBitbuncj fteigen, fe oertoitfelter bie ju befd&reibertben Dhatfadien frnb. 
2luS biefem äbbängfeitSoerhältniß ergiebt n<h bie große Bebeutung fad)« 
gemäßer Darftellung. Gin fdjtecfjter Bericht fann bie befte Dljatfadje ihrer 
Bebeutung entfleiben. Dte SBelt ber Dhatfadjen wirb gerabeju in bie 
£anb beS DarfteilerS gelegt, um barin bieibenbe ©eftaltung anjuneßmen 
ober als Debelbilb su jcrrinnen. $ür ben oorliegenben $ail aber ergiebt 
jtd), boß bei ber Gomplicirtheit ber Dßatfachen nur Beridjte oon grünblich 
»orgebilbeten unb befähigten iperfonen SBertf) haben werben. DaS Bilb, 
baS mir auS ben Berichten gewinnen, fpricht aber gerabe für baS ©egen« 
theil. Die DarfteHer finb nicht nur ungebilbet, fonbern fo oollgepfropft mit 
abergläubifdjen BorfteHungen, baß man mitunter geneigt ift, an geiftige 
Defecte ju glauben. Dtit wenigen 25>orten möchte ich pnädjft auf einige 
2leußerlid|feiten f)intt>eifert. 

Die Autoren finb ausnahmslos unbefannte Saien. Dicht ein (Steiget 
fann burch wiffenichaftlidie Seiftung ober Borbitbung 2lnfpru<h auf Be* 
achtung machen, Selbft in fpiritiftifdjen Greifen finb es unbefannte 
©roßen*). 

2tQeS hängt baher baoon ab, ob fie burch ihre 2lrbeiten ben mangeln* 
ben Befähigungsnachweis erbringen. Damit fieht es freilich fdjlimm aus. 
Dian fehe fiel) nur baS 2leußere biefer Berichte an! 

Sie lefen fich wieSegenben unb nicht wie fachgemäße Säuberungen 
tbatfä<hlid)?r Borgänge. Daturfchilberungen, ©efühlSergüffe, (Schimpfereien 
gegen ßirdje unb Sßiffenfdjaft, fromme Ermahnungen unb thatfächlidje Be* 
fdjretfmngen wirbeln in wilber flucht burcheinauber. So hat j. B. ein 
Bericht**) folgenben Inhalt: 

1. 2leußere Betanlaffung ju einem 2luSfluge. 2. Baturfdjilberung. 
3. Phänomen. 4. Erngeßenbe ScßUberung beS ©ebirgSpanoramaS. 
5. Urtßeil über bie ißerfon beS DfebiumS. 6. Phänomen. 7. Batur* 

fdjilberung, ©efüßtSerguß. 8. fPhänomen. 9. StimmungSbilb. 10. fßljä* 
nomen. 11. Danf an bie ©elfter. 12. Der Berfaffer erwähnt, baß man 
ihn bisweilen für fcßmachföpftg halte. 13. StimmungSbilb. 14. Er* 
mahnungen. 

SlUeS baS wirb mit behaglicher Breite im Don einer frommen Segenbe 
etjäßlt. 

Bejeichnenb ift eS, baß fein einziger Bericht eine Angabe enthält, 
wie lange bie Beobadjtungen unb bie 2lbfaffung beS Berichtes auSeinanber 
liegen. Diefe Slngabe ift aber non größter SBidjtigfcit, ba bei ber Säuberung 
complicirter Dßatfadjen fdfon nach wenigen Dagen ft<h ©ebädjtnißfehler unb 


*) Eine StuSnaljnte machen bie beiben 2Biener öeridjte, bie ich gefonbert beljanble. 
Da8 fjolgenbe finbet baher auf fie nicht Stntoenbung. 

**) Sßfpche VI @. 10. 

Korb unb e&b. XCT. 284. 


15 



2*8 


<£rtdj Botjn tn Breslau. 


©rinnerungStäufd)ungen einfdjtcicfjen. ©S fäieint, als ob bie Scripte erft 
längere 3 e ü nacf ben ©jungen »erfaßt mürben*). 

$iefe fDiangelhaftigfeit ift nur ein 2luSfluR beS fallen fßrincipeS: 
IRefultate ju berieten unb nicht ben SBeg, auf bem Re gewonnen 
mürben. ÜDtan berietet, baR Blumen gebraut mürben, baR ©Triften ent; 
ftanben unb ©eifter crfdEiienen Rnb — roie baS 2lHeS aber gegeben ift, 
baS mag fiel) ber Sefer felbft beuten! ©ine fßrüfung ber gefammten Beriete 
ergiebt, baR Re lüctenljnft unb unootlftänbig finb**). 

fDiefer Mangel beroeift bie Unroiffenfjeit ber Berfaffer in ben 
©rforberniffen roiffenfdiaftlicber STarflelhtng. 5)er 2Bijfenfd)aft ift mit 
Befultaten nidjtä gebient; Re mitl miffen, roie Re ju ©tanbe gefommen 
finb. Bon roeldjer Bebeutung gerabe bie ©rroäfjnung aller ©injelReiten ift, 
jeigt beifpielSroeife eine Bergleidjung ber g.'fdjen ®arflellung mit ber 
meinigen. 

SDie ooHe ©rfenntniR ber Stöertljl oftgf eit ber Beriete ergiebt Rd) aber, 
wenn mir, uns oon ber äuReren gorm abroenbettb, aus ihrem pofitiuen 
gnhalt ein Bilb ber geiftigen Berföntidjfeit ber Berfaffer unb itjrer 2trbeitS* 
meife entwerfen. $>ie Berfaffer finb iftofonen, für bie bie tljatfädilidje 
grage roie bie ©rflärungSfrage erlebigt finb. ©ie finb »on 
»ornRerein überzeugt, baR 2llleS, maS bei grau SRotbe ju £age 
tritt, i'tberfinnlidj unb auf ©eifter surüdjuführen ift. 

®iefeS Urtbeil ift auSfdjlaggebenb für bie Bemerkung ber Beruhte, unb 
ich werbe baljer ben Beweis bafür ju erbringen hoben. 

Bejeicfmenb ift fcfion bie ©ingangSformel. 5Da ReiRt es gewöhnlich : 
„baS rühntlichft unb jur ©enüge anerfannte „gottbegnabete"***) fDlebium" 
habe ©ifcungen gegeben. 2J?an hält olfo feine Gditheit für eine längft com 
ftatirte 2nf»atfa<f»e. ©inseine Berfaffer aber beftätigen biefe Stuffaffung 
auSbrüdlidj. „®ie Ueberjeugung bricht R<h gelneterifd) Bahn," — net; 
Reifert man — „baR nur Unroiffenheit, gntereffenfudit unb notorifhe Bosheit 


*) Bei einigen Berichten ift menigftenS ungefähr bie 3 dt ber Sitzungen angegeben, 
üftntiirlid) ift anbererfeit» nicht bie 3 eit ber $rucftegung mit jener ber Sfieberfdjrift 
ibentifrf). ®od) lag bie B flicht bor, bieS Berfjatten aufjuKäreitJ 
Beifpiefe: 




Sifeunfl: 

£)rucfleguu 0 : 

SD. 331. 

1898 8 . 201 , 

? 

Sftad) mehreren Monaten. 

0p. 331. 

1894 5 152, 

Sanuar 

21 ufluft. 

8 p. 331. 

1895 - 30, 

sftoöember 

Saituar. 

fteilgenfjancr 

1898 = 122, 

Saituar 

21 prtl. 


1898 = 10, 

Slufluft 

October. 

8 p. 331. 

1898 = 69, 

fyebruar 

2 (prit. 

«fo* 

1899 = 188, 

Saiuiar 

SulU 


**) 3mei Berichte (<3p. BI. 1898, <S. 140. — 2Bien 1898 @. 4) ermähnen au3= 
bri'tcfticf), baß nid)t alle Borgäuge be[d)rieben morben finb. 

***) Seifgcnfjauer 1900, ©. 35. 


(Ein beutfdjes nTeb'ium. 


219 


berartig lebiglidj menfchenoerebelnbe 33eranftaltungen oerurtbeilen famt*)." 
„SRotheS mebiumiftifche gäfngfeiten" feien non £aufenben anerfannt. ES 6e- 
fteEje „bie unleugbare, wenn aucf) nur wenigen Eingeweihten befannte ’ZfyaU 
fad)e baff Schwefter 9t. non Statur au§ jum SBerfjeuge ©otteS auSerwäblt 
ift" **). SSon ihren fßrobuctioncn Reifst eS, bah „in einroanbsfreierer SBeife 
überhaupt nid)t epperimentirt werben föitne ***)." DaS (äfjt tief bücfen! 
©a ifl eS benn nur logifcf), wenn nad) jweifcIEjafteften SRefultaten erfiärt 
wirb, „bah rüdficbtlich ber Echtheit ber ^Phänomene jeber $weifel fliigetnber 
Ueber!ritif auSgefdjtoffen fei,"t) unb bann bie böfe Sßiffenfchaft fehlest 
gemacht ft) wirb. 

9Jtan hebt fcbon hieraus, bah bie SBerfaffer nicht gerabe fritifdfe Sföpfe 
ftnb. «Sie finb aber auch unlogifche ßöpfe. 3<h miß mich nicht bei 
Jtleinigfeiten aufhalten. So finbet man j. 58. in ber £batfache, baff 
3?rau 9t. telepatl)ifch einen 33ranb wahrnimmt, ben QbentitätSbeweiS 
eines ©eifteSftt), in ber S^^atfad^e, bah Blumen im warmen 3immer nah 
finb, ben „unantaftbaren ^Beweis für bie Echtheit ber fpl)änomene*t)". 
ÜMe 9täffe ber 33lumen wirb ohne SBettereS für Siegen ober SCh au 
erfiärt **f). 

®aS ftnb Äleinigfeiten, bie nur einen S^eil ber Berichte treffen. 
£t)pif<h ift aber allen ^Berichten, bah bie SBerfaffer nicht jwifcben 5Tt)at' 
fache unb Urtheil ju unterfcheiben oermogen, unb bah fie ausnahmslos 
bie ©eifterbppotljefe als ShntheftanbSmerfmal auffaffen. So unglaublich 
eS ift, fo ift eS bocfj wahr: Äein einjiger Bericht macht ben 33erfudj, 
bie ^Phänomene burdj etwas anbereS als ©eifter ju erflärenü 2Jtan fcheint 
anbere Erflärungen nicht ju fennen ober für unmöglich ju holten. Sie 
SBeridjte finb in ber leibenfdjaftlichen Senbenj gefduiehen, mögtichft wunber* 
bares ju erjäbten unb Slnbeten biefe Ueberjeugung aufjubrängen. $<h 
werbe im golgenben ben 33eweiS aus ben Duellen erbringen. 

SBiH man eine Sljatfadje berid)ten, fo gef (hiebt eS in ber 2Beife, bah 
man erjählt „bie lieben geiftigen ^reunbe", „baS berjige Eontrollgeiftchen (!)", 
„bie geiftigen 33rüber unb Schweftern", ober „baS liebe griebchen" hätten 
bur<h „Schwefier Stothe" etwas gethan. „Sille SJiittel" — erjählt man 
beifpielSweife — „boten bie lieben geiftigen fyreunbe auf, um, an £>erj 


*) Sfilgeitbauer 1899, 3. 100. 

**) ©p. S9L 1898, 0. 143. 

***) fjetlflenbauer 1898, ©. 167. 

t) 0p. 231. 1893, 0.201. 5!a8 Sftebiitm jog in feiner Säöffnung unter feinem 
5Cifdjc Humen lierOot. 

ff) 0p. 331. 1897, ©. 103. — fteilgenfjauer 1898, 0. 246. 
ttt) ©»• ®L 1897, 0. 87. 

*f) ®fod)e 1899, 0. 188. 

**t) ©p. 33t. 1897, 0. 103. — 1898, 0. 110. fyeilgenfi. 1898, 0. 246 
SPftjdfie 1899, ©. 188. — 1900, 0. 69. Sßien 1898, 0. 2. 


15 * 



220 


(Ertdj Sot^n in Breslan. 


unb Serjtanb appettirenb, bie SiebeSfunfen neu auSjuftreuen*)". @8 cer» 
lohnt fidj ber ttJiühe, bicfer „inifTenfcfjafttid^en" ÜRetljobif im Gi^elnen 
nadiäuge^ett. 2Bie fietten bie Spiritifien pfpchifdje ©rfiheinungen bar? 

gättt baS ©tebium in Bübingen, fo trägt ein ©eift an bem „Trance" 
bie Schutb. 9)?an erjählt uns, baß es in folgern gatte fof ort bem 33er* 
faffer flar geroefen fei, „bafj ein neuer ©eift feinen ©intritt bemerk 
fiettigte**)." Setbficerftänblich behält er 3Je<f)t unb b)at bie ©enugtbuung 
ben ©eift ju belehren. ®aS ttttebium brauet nur ein paar SBorte ju 
fpredjen, „fo unterliegt es feinem groeifel, bafj eine cor furjem SSerftorbene 
. . . con bem -Dtebium Sefife ergriffen hatte***). ®iefe Sermutfiung mirb 
ebenfalls nachträglich beftätigt. 2lm abenteuerlicljften ift ber folgenbe 
33erid)t+): 5)aS SDiebium befugte mit einem ©hepaare unb bem gmprefario 
ein Schloff: Kaum mar man eingetreten, fo cerförperte fidj ber ©eift ber 
Surggräfht ©milie. „gn glühenben SBorfen fprach fie ihren ®anf aus 
für bie ©nabe, meldje ihr burch beS .§öchfien gügung ju gemorben. 
Sie gefianb unS, bafj hier eiet ©räfjtidjeS cerübt morben fei, bah bie 
SBelt fie für eine fromme grau gehalten habe, bah fie inbeffen, roährenb 
unten ©otteSbienft abgebalten morben fei, oben Sufibarfeiten unb Orgien 
gefeiert höbe." Seim Serlaffen beS Schloff es fefct fid) ber ©eift mit ben 
übrigen in ben SSagen, auf bem Soct nimmt „ein geiftiger fRoffelenfer in 
alterthümlichem ©ofiiim" fßlafc, unb bie ganje ©efettfehaft fährt cergnügt 
roeitcr. 2ltS ®anf für bie ©rlöfung ftört ©räfin ©milie bie nächtliche dtuhe 
ihrer ©rlöfer burch groben Unfug. Sapienti sat! 

2BaS ben pfpdjifihen Phänomenen recht ift, ift ben pfjpfifalifcben 
billig, „©eiftige greunbe" bringen ein Süd) lein ft)/ Slumen ober einen 
Sleiftift — trofcbem ihn ber Seridjterftatter in feiner SSohnung cergejfen 
hatte, ju ber bas -DJebium Zutritt hottettt). Sie finb es, bie Klopflaute 
fjeroorbringen, finb bie Schuftigen, roenn gemanb glafchen unb ©läfer 
mnmirft*t). (!) haften ©laSflimmer am Kleibe beS StttebiumS, fo finb 
fie bei ber fDfaterialifation con ©laSfugcln „cietteidjt burch 2lbforbirung" 
jurücfgeblieben**+). 

Sehr lehrreich ift fotgenbeS 33orfommnifj***t). grau 91 pftüdt ein 
Sträufjdjen, baS fie plö|lid) cerfdjroinben läßt. ®er Serid)t fährt fort: 
„Ueber bie gortnafmte be§ SträufjtfienS, bie ich fogteidj (!) geiftiger Gins 


*) 0p. 231. 1897, 0. 114. 

**) 0p. S81. 1897, 0. 87. 0p. sei. 1896, 0. 183. 

***) Sft'tjdie 1898, 0. 10. 
t) SBft)d)c 1898, 0. 140. 
ft) geilfjettfiaitcr 1898, 0. 246. 
ttt) Sp. SBl. 1898, 0. 140. 

*t) SBlpd e 1899, 0. 113. 

**t) Scilflenfjaiter 1899, 0. 262. 

***t) SeiDdjc 1898, 0. 171. 



<£tn beutfdjes nTcbium. 


22 1 

roirtung jufcßrieb, roar icß einigermaßen betroffen unb fürstete, baß ber 
betreffenbe ©eift unjufrieben über bie Störung unb baö Sßflüden ber 
SBeilcßen, baö Sträußcßeit entführt habe." 

Sllö ein anbereS SDtal grau SR. einen feßr jroeifelßaften SRofenapport 
beroerffteHigt, bentcrft ber SBerfaffer baju: „®ie SRofen ftanben in ißrem 
Urfein in einem ©arten . . . 3ßr Stbbilb ober SUbfdjein — ißr jroeiteS 
©ein ober itjr SBegriff mürbe non ben ©eiftern materialifirt*)." ©in 
tnateriaUrtrter Söegriff bürfte bie begriffe ber SDieiften überfteigen. 

35?er noch weitere 33eifpiele fucßt, nehme einen beliebigen S)(ot^e=33ericf)t 
jur £anb. SDtan fönnte bei itjrer Seetüre oerfueßt fein, an eine epibemifeße 
parauoia spiritistica ju benfett. 

3mei ©ruppeit non Söeridjten beanfprueßen eine befonbere SBeljanblung : 
©ie beS igntprefarioS unb bie Söiener SBeridjte. Xiefe tjeben fieß nortßeiU 
ßaft, jene im gegenteiligen Sinne ab. 

SBtan follte meinen, baß bie SBeridjte beö gmprefarioö befonberen 
SSertß ßaben, roeil er feit mehreren Qaßren in ber Sage mar, ftänbig 
grau SRotße beobachten ju fönnen. Um fo mistiger ift eä, fieß ein SBilb 
non feiner geiftigen Sßerjönlicßfeit an ber £>anb ber 33ericßte ju maßen **). 
©3 läßt fi<b in wenigen Porten jufammenfaffen: $err 3. fleht fo nöHig 
unter bem ©influß ber ©eiftergläubigfeit, baß nüchterne SBeobadjtungen 
non ißm nießt ju erwarten finb. 3n pjpßologifchen Sachen ift er ein 
fritiflofer Ignorant, ©eine Berichte erweden ben ©inbruef, baß ihr 33er = 
faffer in roljftem Aberglauben befangen unb unfähig ift, in feinen 39eob= 
Achtungen SEßirflidjfeit unb abergläubifeße SBorftetlungen ju trennen. 

&err 3 . ift mit ben ©eiftern fo gut befannt, baß er in ber Sage ift, 
unö eine SRaturgefcßicbte berfelben 5 U geben***). ©a erfahren mir äBunber* 
binge. ©ie ©eifter haben eine Art ^ßierardjie, in ber ©cßußgeifler, ©nget 
oerfeßiebener Sphären, römifcßdatholifcße ©eifter, „bunfle 2i?efen", SRecf* 
(Spott* unb Sßoltergeifter oorfommen. Seßtere jießen naß bem Sütebium 
auä, „roie ein ©cßroarm SBefpen nach einer füßen grüßt". Sie offenbaren 
fieß bureß baS „©eifterroerf jeug" , bem bei biefer gefäßrlißen SJRifiion 
„©otteöfraft jur ©eite fteßt, bamit e$ naß ben jurüdgelegten Kämpfen alö 
griebenöengel jroifßen bem ©ieöfeits unb genfeitä bienen barf". 33on 
folcßen mittelalterlichen SBorfteHungen geßt $err 3- bei ber Sßilberung 


*) 3p. »I. 1893, 3. 201. 

**) 3h Permertbe abftcßtlih nicht pribate Stenuhriffe, um alles 'Perfönlidje $u 
Perm eiben. 3ur ©parafterifirunfl führe idj nur an, ba& Bor einigen 3ahren ftere 3- 
eine anonpme unhöfliche ffarte an mich richtete, beren Urheber ich Kip ermittelte. — 
3ut SSeurtheilung mürben fämmüiche »on 3- in fpiritiftifdjen 3«tf<hriften beröffent* 
lichte Strbeiten benäht. föefonberä bitte ich 3 11 Pergleichen: 3p. 831. 1898, 3. 22, 84, 
51. — geilgenhauer 1899, 3. 97, 113, 118. 

•**) geilgenbauer 1899, 3. 99, 113, 118. 



222 


(Ertdj Bofjn tit Breslau. 


SWotße’fdjer Dßatfadjen aus. 2US ftcß eine Befannte ben guß »erfitaudjt, 
trägt ein „bunfleS 2Be)en" bie ©cßulb baran*). @S gelang jebodß „burcfj 
eine mehrfach magnetifcße Beßanblung mit ©ebet", „baS betreffenbe SBefen 
non jener ©efinnungSfreunbin ju entfernen", roeldßeS ftd) nun an ©djtoefler 
SW. anßeftete, „ein Unglücf für fte planenb". 

$n einem ähnlichen $ade**) erflären bie ©eifler, bic ßranfßeit eines 
jungen SWamteS fei „bunfler geiftiger Beeinfluffung" jujufchreiben. Die 
curiofe Beßanblung burdj 3. unb SWotße enbete fdjließlidj bamit, baß man 
fcßleunigft einen 2trjt in 2lnfpru<h naßm. 

©rroägt man, baß naturgemäß ber ^mprefario ein ftarfeS Qntereffe 
an feinem 3)iebium bat, fo roirb man nicht geneigt fein, feinen @r* . 
jäßlungen großen Sßertß jujufdßreiben. 

©tmaS erfreulicher ift bie Seetüre ber Sßiener Berichte***), ©inb jie 
aueß toeit »on roiffenfdbaftlidier Darftedung entfernt, fo erfreut bodj roenigftenS 
baS ehrliche Streben, roiffenfcßaftlidj brauchbare Berichte ju liefern. 3dj 
neßme ben umfaffenben „©efammtbericßt" ooran. 

Diefer ©efammtberiebt ift ein ©ptract aus B*otofoden über ätoanjig 
©ißungen mit 230 B^rfonen, bie ber Qmprefario bem SBiener Berfaffer 
jur Berfügung (teilte. 2luS ben Brotofoden unb bie roießtigfien Bßänomene 
fpftematifd) jufammengeftedt. Daraus folgt: 

1. Die Unterlagen beS ©efammtbericßteS finb non einer B^f 011 06* 
liefert, bic B art ®i ift- 2. ©in Bericht, ber nur beliebige Dßatfacßen aus 
anberen Berichten ßerauSgreift, ift für bie 2lrt unb SBeife beS gujianbe* 
fommenS biefer Dßatfadjen oßne Beroeisfraft. 3. Der SBertß beS ©efammt* 
berichteS ift oom 2Bertß ber Duellen abhängig. Die B*üfung ber Duellen 
ergiebt aber, baß ber Berfaffer feine Äritif in biefer (Wichtung geübt ßat. 

©S läßt fi<h nämlich naeßmeifen, baß u. 21. folgenbe 3 Berußte »er* 
roenbet mürben: ©p. BI. 1897, ©. 103. — ©p. Bl. 1896, ©. 183 
(»on 3entfcß), BÜ)d)e "VI. dir. 1 . Diefe 3 Berichte finb mertßlofe 
©rjäßluugen oßne BemeiSfraft. SWicßtSbeftoroeniger bat fie ber Ber* 
faffer ohne jebe Äritif als Duellen benußt. Daraus folgt, baß er bei 
feiner 2(rbeit fritifloS »orgegangen ift. ÜWag barum biefe Arbeit äußer* 
ließ ftjflematifcß aufgebaut fein — Unglaubmürbigfeiten roerben nicht bureß 
©ummirung glaubroürbig. 

Der faeßliebfte Bericht ift jener auS bem 3aßre 1898. ©r ßält (t<h 
feßeinbar in ben ©renjen ber reinen Beobachtung, oßne ©rflärungen ju 
bringen, ©ein SEertß mirb baßer baoon abßängen, ob bie Beobachtungen 
fachgemäß erfolgt unb bargeftedt finb. BeibeS ift nicht ber gad. Der 


*) 8p. 23t. 1897, 8. 143. 

**) fßftdje 1898, 8. 186. 

***) 2Bien 1898 u. 3?fi)die 1899, 8. 130, 162. Seßterer Sericfit ift abgebrudt bei 
fycUflcnfxnier 1899, 8. 120, elfterer hn 1. Saßrgang ber „Snternat. SSIätter*. 



<£in beutfdjes HTebtum. 


223 


Bericht entbehrt ber ©etailS; nad) bett eignen Angaben würbe eine 
möglich ft für je ©.prftellung angeroenbet; „in golge bcffen mußten niete 
Umftänbe, welche bie UeberfinnlidjEeit ber ©hatfachen noch mehr gejeigt 
batten, weggetaffen werben". ©a man an BerbadjtSmomente überhaupt 
nid)t gebaut batte, bürfte man fie wobt noch eher weggetaffen haben. 3$ 
möchte hier fdjon ermähnen*), baß bie Beobachtungen unter ähnlichen 33er* 
hättniffen ftattfanben, roie in Breslau. ©er Bcridjt felbft liefert ben 
fchlagenben Beweis, baß bie Hingabe, „bas HJtebium fonnte hx feinen Be= 
megungen non allen ©eiten genau beobaditet werben," nicht ben ©hatiadjen 
entfpridjt. ©emt an einer ©ißung waren nicht weniger als 16— 32tßerfonen 
— barunter ber gntprefario — anwefenb, unb bas SUebiunt arbeitete 
jum ©beit mit ©ifdE). ©er Berfaffer giebt fogar fetbft ju (©. 3), bafj 
einige Borfälle nid)t orbentlich beobachtet werben fonnten. Grwägt man 
noch, baß . über bie Borbilbuug ber ©heilnehmer jebe Hingabe fehlt, baff 
wir alfo nicht wiffen, ob biefelben überhaupt fähig waren, niid)tern ju 
beobachten, fo werben wir aud) ^ier ju bem Schluffe fommen, bafs ber 
Bericht jeber BeweiSfraft entbehrt. 

©amit neriaffe id) biefeS Gapitel. ©ie 34 giinftigen Berichte über 
grau 91. finb — baS ftebt nun feft — werthtofe, grüfitentbeits tenbenjiöfc 
Grjählungen ohne jebe BeweiSfraft. 3 U glauben, iie fönnten irgenbmie bie 
Gd)theit beS BtebiumS barthun, ift eine eben fo traurige ©elbftübeifdhäßung 
wie lächerliche Unterfdiäbung ber Vernunft anberer H)ienfd)en. gelte Be* 
richte ftellen aber ben ©rjpuS fpiritiftifcher 9teferirfun|'t ba. ©aS finb bie 
Arbeiten, bie man ben glänjenben Seiftungen unferer ©eiehrten norjieht, 
baS bie 3eugenauSfagett, auf ©runb beren man bie eracte SBiffenfchaft nor 
bem gotum ber SBahrheit anflagt! 

9tun beabfidjtige ich feineSwegS, midf) mit biefem Urtheil um bie 
Prüfung ber ©hatfachen herumjubrüden. gm ©egentheil! gene Beridjte 
enthalten ein erbrüdenbeS ©hatfadhenmaterial, unb bie 9J i an gel Ijaf tigf eit ber 
Berichte beweift nichts für ober gegen bie barin aufgeführten ©hatfachen, 
©ie ©ereebtigfeit nerlangt nietmehr auch l)ier eine genaue Prüfung, ber ich 
mich um fo liebet unterjiehe, als bahei gragen non principielter 9tatur 
behanbett werben, auch nad) biefer 9tid)tung hin finb jene Berichte tppifdh- 
©ie geben ein getreues 33ilb banon, wie man in ber breiten HJJaffe ber 
©piritiften „erperimentirt" unb „beobaditet", wie jene „jwcifelfreien" unb 
„unwiberleglichen" ©hatfachen auSfehen, auf benen ftdi ber 33au einer neuen 
2ßettanf<hauung erheben fotl. 

9Bir müffen bei biefer Prüfung jmeiertei unterfudhen: 1. bie ob jec- 
tinen Bebingungen, unter benen bie ^Phänomene beobachtet würben. 2. ©ie 
fubjectinen Bebingungen, b. h- ber feelifdje 3 u ftanb, in weldhem bie 
©heilnehmer fidh bei ihren Beobachtungen befanben. 


*) Sachlich gehört bieS in ben folgenben ©heil. 



22^ <£ridj Bol;« in Breslau. 

Sie ißbänomene treten entroeber fpontan bei ©pa}iergängen u. bgt. 
ober im Verlauf »on ©jungen auf. ©harafteriftiicE) ,ift in beiben fallen 
bie iptöfclidjfeit ihres StuftretenS. lieber ihre Beobachtung außerhalb 
ber ©ifcungen fann ich mich für} faffen. 2Benn bei @pa}iergängen baS 
SRebiutn plöhtidj eine Blume in ber &anb f)ätt — roie riete Berichte er= 
rannen — fo ift eS auSgefcbtoffen, ein Urtfjeil barüber abpgeben, roie bie 
Blume }um SBorfcfiein gefommen ift. Dber wenn beim Slbenbeffen bas 
3Jfebium mitten in ber Unterhaltung eine ©hriftuSfigur h^öorjteht, fo fann 
fein 2Jtenf<fj mit gutem ©eroijfen ein 3eugni§ für ben überfinnlidjen Urs 
fprung beS Phänomens abgeben. Sie Stufmerffamfeit ift anberroeitig 
abgelenft, unb ohne Ülufmerffamfeit fann man nicht beobachten. 

SfaberS bei ©jungen, £ier fann bie Fehlerquelle felbft bei ber 
Blöfclichfeit ber Phänomene burch fimtgemäfje Borridjtungen auSgefdjaltet 
werben. SaS ift jebodj bei ben 3Rothe=©ifcungen nicht ber Fall. Siefe 
©ifcungen bienen nicht roiffenfchafttichen, fonbern religiöfen 3 ro edfen. ©ie 
ftnb 2lnbad)tSüöungen, bei benen }ur Betätigung ber fpiritiftifchen 
Sehren baS SDtebium fcheinbare SBunber roirft. Ser Verlauf ber ©ifcungen 
ift ttfpifdj: Sie „Briiber unb ©dhroeftern" »erfammeln fidh int engften 
Streife unb eröffnen bie ©ifeuitg mit ©ebet*), bamit „nur guten ©eiftem 
ber ©intritt erfcf)Ioffen wirb**). Sie Feiertidhfeit roirb erhöht, trenn „ber 
attgütige Bater beftimmt hat," baff bie ©ifcung als SBeihnadjtäfeier***) 
abgehattcn roirb. Sann beginnt ba§ tDiebium in Slction }u treten, ©S 
forgt roährenb biefer „©tunben ber 2Beihe"f) burch 2lpporte u. bgt. für 
bie Unterhaltung ber 2lnroefenben. Ser ©dhlufj ift tppifdj: 

„Ülufeerorbentlich gerührt »on bem aufopferungSnoüen Bemühen ber 
lieben Fenfeitigen, uns roieber un}roeibeutige Beroeife »on ihrem nur burch 
bie Siebe bictirten Sßalten }u geben, fdfjtoffen roir unfere ©irfet mit innigem 
Sanf gegen ©ott, burch beffen gnäbige 3 u l°ff un 9 uns bie erbauungS»oHc 
©tunbe }u Sheit rourbe"++)* 

©eroöhnüch fchliefjen ftdh noch Sanffagungen an baS ÜJlebium unb 
beffen Fmprefario, ber bei ben ©ifeungen ftets anroefenb ift, barant+f). 
Bon ber 3trt unb 23eife, roie baS 3)iebium im ©in}etnen }u SBerfe geht, 
giebt mein Bericht ein genaues BUb. 

Unter fotchen objectinen Bebingungen roirb eine Beobachtung faft }ur 
Unmögtichfeit gemacht. Ser Beweis für bie ©dhtheit eines ÜJtebiumS fann 


*) 6p. 581. 1897, 6. 103. Seite. 1898, 6. 246. 6p. 58t. 1898, 6. 27, 69. 
5ßft)d)e 1899, 6. 113. Seite. 1899, 6. 100, 262. 1900, 6. 35. SßMje 1900, 6. 69. 

**) Seite- 1898, 6. 246. 

***) Seile. 1899, 6. 100. 1900, 6. 35. 

t) 5ßft)ct)e 1899, 6. 113. Seite. 1899, 6. 100. 
tt) Seite. 1898, 6. 122. 

ttt) Seite- 1898, 6. 246. — 1900, 6. 36. 6p. 58t. 1898, 6. 110. 



(Ein beutfcbes IHcbtum. 


225 


unter foldjen Bebingungen niefit geführt werben. Kirche ttnb Saboratorium 
fchtiefjen ft<h ebenfo aus rote 9lnbad)t unb Sßiffenfchaft. 

2Jtan wirb mir nietteidjt einroenben, trofc biefer ungünfttgen Be= 
bingungen fönne ein gefdjulter Beobachter nach meiner eignen Behauptung 
benttocf) einzelne roert^ootte 3d)atfad)en feflfteCten. ©eroifi! S5ie ^eiine^mer 
an biefen ©ifcungen roaren aber offenbar alles anbere als gefaulte Be« 
obacf)ter. 3<h lege fein entfdjeibenbeS ©ewidjt barauf, bajj fie jum ^Cljei t 
£anbroerfer, Siaufleute, Bergleute*) u. bgl. waren, ober barauf, bafi nur 
3 roei Bial ein 2lfabemifer als Sbeilnebmcr erroäbnt roirb — allerbingS mit 
bem 3ufafe, er fei überzeugter ©piritift bejro. mebial veranlagt**); — auch 
ber ©octorenljut fd)üfct nicht oor Xborbeit. @S ift »oUftänbig falfdf», ju 
glauben, 9lerjte unb anbere 2lfabemifer feien bie berufenen Stichler in biefem 
©ebiet. ®er SDtebiumiSmuS erforbert genau roie jeber 3 n,e >g ber Bfr)<ho* 
logie ein ©pecial=©tubium. 2Ser nicht utnfaffenbe pfpdjologifdje ßennts 
ttiffe, genauefte ßenntnifi ber einfdjlägigen Sitteratur, praftifdie ©rfatirung 
unb Borbilbung in ber f£afdjenfpieterei befifct***), beffen Berichte werben ftets 
mit 3 TOe tf e l aufäunel)tnen fein. ®arutn finb bie Berichte ber officieUen 
©egner meiftenS eben fo wertlos, wie bie ber Anhänger. GS fann gar 
nicht genug baoor gewarnt werben, ben „gefunben SJtenfchenoerftanb" unb 
bie „wiffenfhaftlidje Borbilbung" als genügenb für bie Beurteilung biefer 
©rfcheinungen ju erachten; fie finb eine BotauSfefcung, aber nicht bie 
33orauSfefcung. 2Ber ftd) bamit begnügt, wirb tidjer ein Cpfer bcS ©etbft* 
betrugeS ober beS Betruges 2lnberer. 

Unter ben 5Ct)eiIneh>meru ber 3tothe=©ifcungen ift feine einjige ißerfon et= 
mahnt, bie über biefe fpecielleBorbilbung oerfügte. 2ßir erfahren im©egentheil, 
bajs Ufr SDtauget an Borbilbung öfter burdj Gigenfchaften ausgefüllt ift, bie 
fie eher für religiöfe Gfftafen als für nüchterne Beobachtung präbiSponirten. 

3n ihrer SBeltauffaffung finb es meiftenS langjährige ©piritiftenf), 
treue fyreunbe beS 3)tebiumS++), furj „fie haben einen gewiffen Steifes 
grab in ber ©eiftwiffenfdjaft, beffen fid) mancher unferer ©eiehrten nicht 
-rühmen fannfti)". Btan wirb biefe treffliche Bewertung rüdhaltloS be= 
ftättgen fönnen. 2BaS bie „Brüber" jufammentreibt, ift weniger roijfen* 
fehaftlidjer gorfdjungSgeift, als ber „®rang nach hormonifchem Beifammen* 
fein*+)". ®enn bort, „wo harmlos unb unberoufjt iich ^erj an £erj 
fchliefjt", pflegen bie heften Phänomene einjutreten**t). $aS Hingt recht 

*) <3p. SSL 1895, @. 30. Sßfocfje 1899, 188. 

**) <3p. 291. 1898, <5. 110. - Geigenbauer 1900, @. 35. 

***) ®8 empfiehlt fid) paljer bas 3ufa«nmenarbeiten mehrerer Specialiften. 
t) <Sp. SSI 1894, @. 204. <3p. BI. 1896, 107, 180. Geitflenb. 1898, @. 122, 
246, 140. Sßfodfe 1898, <3. 10. <3p. 391. 1898, <3. 27. Sp. Bl. 1898, 3. 69. 

+t) Bfocbe 1898, <3. 10. 
ttt) @P- SSI 1898, <3. 27. 

*+) Seilfl. 1898, <3. 140. 

**f) ©p. Bl. 1898, ©. 140. 



226 


<£rtdj Bofyn in Breslau. 


ptaufibel. SBähreitb bet Sißung fteigert ficf) biefcr ßuftanb entfpredjenb . 
2Jtan muß fid) oorfteßen, bafj ber größte 5tßeil bet ©hcRuehmer gierig auf 
Erlernungen hofft, bie gleichzeitig »on angenehmem ©rufet begleitet finb- 
(Spannung, $urd)t, Erwartung erfaßen bie ©emittier unb machen fid) fdjließ* 
lidj in lautem 3fubel — raie id) eS felbft erlebte — Suft. ©ie Berichte 
finb gerabeju flajRfd). Sie erjäf)len, roie ließ ber Anroefenben „eine Art 
SßeihnadjtSftimmung*)" ober „loeitjenotle, tiefemfte Stimmung**)" be= 
mäßigte, raie fie fid) „not freubigem Erftaunen faum faffen fonnten ***)", 
unb raie „baS rouitberbare SSHrfen ber lieben ©eifter, ber Ijerjigen Senb* 
boten beS liöd)ften AfeifterS, in beren ©hötigfeit ßd) »on Aeuem feine 
mad)t funbgiebt, baS 2j>eil)e»olIe biefeS Aufenthaltes »oUenbetef)". 

©a ift es benn fein SBunber, roenn ben lieben ©eiftern „fdjneH alle 
^erjen jugeraenbet finb ft)", unb roenn ein Bericht befennt, baß „alle An* 
roefenben faum je einen ßölteren ©rab ber Begeifterung empfunben hotten, 
als in ©efeUfdfaft unferer lieben Sdiroefter Annaftt)“- 2Ber nodj irgenb 
jroeifelt, roirb fortgeriffen*+) , »nun bridjt in S'hränen auS**f), unb 
fchließlidj glaubt man felbft 311 ben ©eiftern ju gehören. So roenigftenS 
behauptet ein Beridjt ***+): 

„3n fo innigem SBerfehr mit ben Sieben fühlten mir uns porüber« 
gehen!) roie 31t ihnen gehörig, ja, als ob roir einige ber ^jjrigen wären 
unb frei mit ihnen oerfeijren fönnten." 

©er neuefte Söeridjt (geilgenhauer 1900, S. 36) fdjließt mit ben be- 
3eicfjnenben SSorten: „Als id) hodjbeglüdt heimwärts eilte, fant mir un= 
roitlfürlidj bie SBeihnadjtSbotfdhaft in ben Sinn: Siehe, id) oerfünbige (Such 
große fvteube, benn End) ift (aud)) heute (nodh) ber J^eitanb geboren", 
^eilige Einfalt! 

2Bie fotche Beobachter in SBirflidifeit beoba<hten, fann man Reh benfen. 
gulfdje -Diethobif unb BeobadjtungSfchler bei ben Unternehmungen fönnen 
gar nidjt auSbleiben. 

Bon roiffcnfdmftlidier UUethobif fann fd)on beSroegen feine 3tebc fein, 
roeil baS SJcebium gefliffentlid) eine foldje uerljinbert. ©odj fdjeint ntiri 
unter baS ÜDcebium einige Eontrollmaßregcln 31t geftatten. ©aS finb bann 
jene „ftrengen ijSrüfungSfißungcn" beren unanfechtbare Sfefultate in bie 
SBelt hiuauSpofaunt roerben. Seiber hoben roir ein fpiritiftifd)eS 3eug= 


*) fteilg. 1898, 0. 122. — 1900, 0. 35. 

**) ®p. SSL 1898, 0. 27. 

***) Sycilfl. 1899, 246. 

• t) S|MUd;e 1898, ©. 10. (VI.) 
tt) @P. S3I. 1897, ©. 103. 
ttt) SßiPdje 1899, 0. 188. 

*f) 0p. 33t. 1897, 0. 103. 

**t) SPröche 1900, 0. 69. 

***i) SPrädje 1898, 0. 10. 



<£tn bentfdjes HTcbtum. 


227 


niß barüber, wie e§ eigenttid^ babei jugetjt. Qm galjre 1894 taudbten 
bebenflicfje 3 ro eifel an ffrau SRot^c auf. 2 Jfcm arrangirte bähet eine 
„ftrenge sprüfunglfifcung" uitb ber Girfetteiter oerfafcte einen flammenben 
©eridbt barüber. 31(3 e3 jur Unterfdjrift fam, idjwenEte ein ibeilnebmer 
nach bent anbeten ab, unb felbft ber ©täoaier bet ©piritifien, ber amerifa* 
nifcije SBunbermann Gpriap, wagte ni<bt ben 33eridE)t wegen bet gämmerlidb* 
feit biefer „SßrüfungSfifeung", abjubrudfen*). $n einem aitberen gatle lag 
bie Unterfudiung in &änben non ^anbwetfetfrauen **). Ueber bie gatce, 
bie -Dtöbel not ber ©ifcung su unterfudben ***), brauche i<b wob( fein 
2 Bort 5 U oerlieren. 

Um nidbt meine Sefer ju ennüben, will id) einen einjigen gaUf) 
f)erau3greifen, bet al3 befonberä überjeugenb bargeftettt wirb. 

gn einer ©ifcung braute ba3 3JJebium plöfelich ein 33üd}[cin bernor. 
SDian unterfudbte e3 unb fanb e3 (eer. SUann legte es 3 emanb (ba§ 
•Dtebium?) auf ben SEifdb. ®er (EontroHgcift hielt mnäcbft eine Slnfpradje, 
ihm folgte ein anberet ©eift, unb nach einer Sßaufe ergriff enblidh ba3 
SDJebium ba3 33udb — e3 fonnte e<3 längft oertaufcijt hoben! — , man hörte 
©cbreibgeräufdb unb fanb 2 ©ebidjte barin. (Per SBerfaffer bemerft baju: 
„geh mufe gefteben, bah id) tro(j großer 58ertrautl)eit mit bern eyperi* 
menteden Spiritismus unb meinen r»ieljät)rigen ©rfal)ruugen bierin noch 
nte fol<b oollenbeten Shatfadben an« bem genfeit3 non birecten ©ebriften* 
unb 33lumen=3lpporten gegenüber geftanben habe. gn ©egenwart berartiger 
unumftöjjlidber 33eweife muf} bod) aller ©inwanb fdjwinben." 3Ba3 muf; 
ber ©lüdlidie für SBorftcllungen non SBeweifen bobentt)! 

gntereffant ift eS, bie SBeobadbtungöfehler ber Sfyifoehmet ju 
conftatiren. ®ie 33re3(auer ©ifcungen waren barin febr lehrreidj. SEenn 
$. SB. ba§ SDJebium eine SBlume emporbielt, behaupteten bie 2lnwefenben, e3 
habe fie au3 ber Euft gegriffen. 3 a, einige befdbrooren, fie hotten gefeben, 
wie bie SBlume fid) langfam ber leeren £anb näherte! Ober fie erjäblten, 
bie ©laäberjen feien au 3 einer ©limmerwolfe Ijemorgequollen, trofcbem in 
Sßirflidbfeit nur wenige glimmereben nachträglich baran bemerft würben. 
3 roei ältere ©amen liefen fidb baburdb büpiren, bafj grau 31. im 5 tone 
einer nerftorbenen SBerwanbten ju ihnen fpradh; unb hoch jeigte ber an* 
geblicfje SGerwanbte nidbt bie geringfien gnbmbualifirungämerfmale. — 
2ludb ©ebör3täufdbungen famen nor. 3113 ba3 SUtebium am 33u<f)bedel 
fragte, rief man „e3 febreibt," unb al3 e3 behauptete, fid) mit einem 
— unfidbtbaren — ©eift ju unterhalten, hörte eine $ame ba3 glüftern. 
geh conftatirte fofort, bafj biefes glüftern ba3 ©eräufdb ber ©trafjenbahn 


*) @t>. SM. 1894, 6. 203. 

**) @p. Söt. 1895, S. 30. 

***) Sßftdje 1899, @. 113. geitgenfauer 1899, S. 262. 
t) geilgenbauer 1898, 246. 

tt) gaft gleich ift bie Sdjilbcrung ber neueften ©ißung. geilgenbauet 1900, ©. 35. 



228 


€rtdj Botin tn Breslau. 


mar! &amt es ba nod) SBunber neunten, toettn ein ©heiluehmer behauptete, 
ber ©eift feiner feligett ©ante fifce unter bem ©ifdje unb reiche Blumen 
herauf? g<h fannte ben ü)tann. Gr litt an bem SBahne, mit ©eiftem 
ju oerfefjren, unb behauptete, ©ifdjrüden entftehe baburd), bafj ber ©eift 
feiner Xante unter bem ©ifdj fifce unb ihn in bie Suft hebe! 

GS ift nmhrfdheinlidh, bafj fotche Beobaä)tungSfef)ter aud) bei anberen 
5tothe«©ifcungen oorfontmen. SBenn nlfo bie Berichte »on ganj unglaub« 
lidjen Beobachtungen fprechen, fo biirfen mir uns über ihren äBerth feinen 
gllufionen hiugeben. 

©arübetf, bafj bie ©heitnehnter überhaupt nicht jroifdien ©hatfache unb 
Urtheil ju unterfdjeiben uermögen, habe ich mich bereits oben auSgefprodjen. 

geh refümire: ©ie ©ifcungen mit grau 5t. finb inSgefammt in fo 
baarfträubenber SEBeife inicenirt, baß non einer BeroeiSfraft nicht bie 
Siebe fein fann. ©ie Berichte barüber alfo aud) finb in biefer Bejieljung 
roerthloS. 

©amit ift reiner ©ifd) gemacht. Bisher ift fein einjiger Beweis er* 
bracht, bafj grau 5totl)e ein SJtebium ift. Um fo berechtigter finb mit 
nunmehr ju ber grage, ob etroa Bcmeife bafür oorliegen, bafj grau 5tothe 
fich pofitiu beS Betruges fdjutbig gemacht hat. ©iefe Bemeife aber 
finb oorhanben. 

©ie 4 Beridjte, bie grau 5t. beS Betruges befdjutbigen, finb an unb 
für fich fei«« ÜDtufterleiftungen. gn bem einen wirb nur furj ermähnt, 
16 iperfonen hätten fi<h für theilroeifen Betrug auSgef prodien*), in einem 
anberen berichtet man, grau 5t. habe bie Blumen unter bem 5tod h erü0r ' 
gejogen**). gd) lege auf foldie allgemeine Bewertungen menig ©enridht. 
©ie bemeifen nur, bah man felbft in ftrenggläubigen Greifen Berbadit 
fchöpfte. ©agegen finb bie beiben anberen Berichte***) beroeisfräftig. ©ie 
finb jroar lüdenhaft gearbeitet; bod) rühren bie «Beobachtungen oon 
praftifch unb theoretifd) oorgebilbeten ©piritiften tyz, unb bie Betrügereien 
finb berartig grob unb plump, bafj ein grrtbunt auSgefdjtoffen ift. 

©er erfte Bericht fpricht fuh über ©ifcungen Slnfang 1894 aus. Gin 
$err 5t. ermähnt folgenbe Betrügereien: 

1. grau 5totl)e fajj &errn 5t. gegenüber am ©ifdj. ipiöfetidj rutfehte 
rudmeife bie ©djublabe h« l ‘auS. £err 5t. griff ju unb fafete baS 
nadj bem ©ifcf)faften ju roageredjt auSgeftredte Bein ber grau 5tothe. 


*) ©p. 331. 1894, <5. 128. ©er bamalige 9tebncteur brofjt betn 2Jlebium mit bem 
Oieridit. ©ein Stadifolger fdireibt 2 Satire botauf (©p. 33L 1896, ©. 108), nur non 
gefiäffifler ©eite fei grau 9i. be3 Betruges besidjtigt! Tempora mutantur! 

**) ©p. 891. 1894, ©. 152. 3« bem 3'i’icfaiter Sßroctü fprad) fid) eine 3^9^ 
cUjnlidj nuS. £>err 3. oerlünbete, „cs mürben rom SDteereSftranb SKufcbeln“ apportirt 
merben (!). grau 33. büefte fid), unb e-i fielen — beuor fie apportirte — aus Berfeben 
einige berfetben unter ihrem ©ib ;u 33obeu! 

***) Ue. 2B. 1894, ©. 165, 163. 136. 


€tn beutfdjes IHcbium. 


229 


2. grau 91. foHte mebiumiftifdfe ©egenftanbe in ein Käftcfeen bringen, ba3 
mit 2 9ßapierftreifen jugeüebt mar. 21(3 fie fid^ unbeobadfetet glaubte, 
braute fie ihre 2lrme hinter ben Etüden, ftreifte 2 9tinge 00m ginger 
unb »erfudfete ben ©edel ju öffnen. ©abei jerri^ fie einen fßaptet« 
ftreifen unb liefe nun bie 9tinge in baS Käftcfeen gleiten. 

B. Sei ber 2)taterialifationöfefeung mürbe grau 9t. unbemerft beobachtet, 
^»err 9t. fafe nun, mie grau 9t. com Stufet aufftanb, jum Sorfeang 
trat unb einen meifeen Stoff, ber 3U einer grofeen Suppe geformt mar 
mit bem lirtfen (!) 2lrnt au3 ber Sorfeangfpalte feiett. ©urdfe Sfeo3pfeot= 
tupfen maren baran 2tugen, 9tafe unb 9Jtunb angebeutet, grau 9t. 
mar babei nöttig roadfe. — &err 9t. ermähnt, bafe in einer 9teifee non 
3ufcferiften biefe 2Bafernefemungen beftätigt mürben. 

Stuf nodj gröberen Sdmnnbeleien ertappte man fee in Hamburg. 
£ier roie3 man gotgenbeS nacfe: 

1. ©in Körbdfeen mit fünftlidjen Slumen, ba3 grau 9t. „apportirte", 
featte fie norfeer in einem Saben getauft. 

2. grau 9t. featte im ©orfett leichten glorftoff nerftedt, auf meldfeem 
mit Sfeo^pfeortupfen fDtunb, 9tafe unb 2lugcn marfirt maren. tiefer 
glorftoff unb eine baju gehörige Sdrnur mürben in iferem ©orfett bei 
einer Unterfudfeunq norgefunben. ©ie Sdfenur biente baju, an bem 
Körper be8 ©eifte3 ben nötfeigen Kopf abjugrenjen. ©er Körper mürbe 
au3 einer ©ede geformt, bie grau 9t. unter bem Sorgeben, fie friere, 
in’3 ©abinet nafem. lieber bie ©ede 30g fie ben glorftoff unb bann 
mürbe burd) 3 u f am menfcfenüren ber Kopf feergeftellt. ©in paar un= 
gefdfeidte ißfeogpfeortupfen oerooüftänbigten ben ©eife. grau 9t. geigte 
fidfe bann im Sorfeange unb birigirte mit auSgeferedtem 2lrm bie 
Suppe, ©ine SBlifelidfetaufnafeme geigt beutlicfe biefe Sdferoinbeleien. 

2Sor ben Sifeungen mürbe grau 9t. oberfläcfetidfe unterfudfet, bodfe 
ging fie regetmäfeig nacfe ber Unterfudfeung auf 3 Klofett unb bulbete 
feine Segteitung. 9tadfe beenbeter Sifeung liefe fie fidfe nicfet untere 
fudfeen, fonbern flürmte in ifer 3i"tmer unb »erfrodfe fidfe im Sett. 

3. gn einer Sifeung mürben 2 ifkpierbogen „apportirt". 2113 man fee 
unterfudfeen mollte, liefe bie3 grau 9t. nidfet 3U, fdferaubte bie Sampe 
feerunter unb madjte fdtneU mit bem ginger einer ©ame Scfereib= 
beroegungen barauf. ©ie ©eifter erflärten nadfefeer, ber $err, ber 
biefe Unterfud)ung nomefemen mollte, featte Sier getrunfen, miffe 
nidfet, roa3 er rebe, unb feöre bie Sifeung! 

©iefe Seridfete beroeifen folgenbe3: 1. grau 9t. feat mcfereremal3 be= 
trogen, ©iefer Setrug mar funftgemäfe unb raffinirt oorbereitet. grau 9t. 
ift alfo eines rafpnirten SetrugeS fäfeig. 2. ©featfacfeen, bie in anberen 
Seriefeten al3 mebiumiftifdfe beseidfenet merben, fenb in biefen Sifeungen 
feetrfigerifdfe feeroorgerufen roorben. 3. ©iefer 9tadferoei3 gelang in Hamburg 



230 


€rtcfj Soff« tn Breslau. 


erft, al§ man baS Sföebium fef)t eingehenb unterfudlite. 9ladfj bent eigenen 
©eftäubniffe beS Hamburger VeridfiteS mären frühere Unterfudjjungen burdh 
ein Hamern Goutitö nur oberflädjlid). 

III. fEljeil. 

Das Urteil. 

9Iach biefen Vorarbeiten fönnen mir enblidh an bie Veurtheilung ber 
SBreStauer (Sitzungen Ijcrontreten. Sind) liier merben mir Stritt für 
Stritt »orfdfjreitettb, bem Vtcbium nolle ©ereebtigfeit roiberfa^ren taffen. 
2Bir müffen baran feftijatten, bafe aus ber £t)atfadf)e, baß baS 9JIebinm 
früher betrogen hat, tiod) nidjt folgt, bafj eS jefet ebenfalls betrügt. 23er 
einmal lügt, bem pflegt man jmat nidfjt ju glauben; bodf) fann er trofcbcm 
beim jroeiten 9)tal bie SBahrljeit gefagt b ß 6en. 3S>oHte man annehmen, 
baf? ieber Vtenfd), ber einmal betrogen Ijat, immer betrügt, fo biefee baS 
SRedEjt unb Sogif mit giifjen treten. 2Bir müffen atfo au 3 ben Gr fahr ungen, 
bie in VreSlau gemacht roorben ftnb, bie grage fetbftftänbig ju löfen fudjen. 

gebeut Äenner ber einfdjlägigen fThötfachen muf? GineS auffallen: 
grau 3i. arbeitet unter ben Vebingungen eines SdfdjenfpielerS *), nicht 
unter benen eines VJebiumS. ®ie Safdienfpieler mie bie fDIebien ftnb 
in it)ren Vorführungen an befümmte ©efefce gebunben, bie für Veibe jum 
SCheit 1 oerfdiieben fiitb. ®ie Vebingungcn für mebiumiftifche Phänomene 
ergeben fich aus ihrer 2lbl)ängigfeit oon bem ©eelenjuftanb beS VtebiumS*). 

Vor 2ltlem muh fiel) baSfelbe in „harmonifdfer Stimmung" befinben. 
Gs »erlangt ©unfelheit, einen fleinen, nidbt roedbfetnben fßerfonenfreis 
unb 9hibe. 9iad) ben Sifcungen ift es erfchöpft unb bebarf baher ber Gr= 


*) 3<h bitte folgenbe Pitteratur ju ücrgleidien: Stuart 6. (Jumberlanb. ®e* 
fndier aus bem SenfeitS. VreSlatt 1885. — 31. Gumberlanb (tpfeubomjm!). Ter 
GlperimentaLSpiritift. — 6, 3 11 f) r. Sie 2)tagie im Salon. Stuttgart. — Uriartc. 
Sie 2?iagie beS 19. SafirfjunbertS als Si'unft unb als ©e^eimtoiffenfdfjaft. Verlin 1897. 
— Urtarte. lieber Die TricS ber Slutifpiritiften unb ber unef»rlicE)en HJtebien. lieber). 
2Belt 1897, S. 144. — Signor Saltarino. ffabrenb Voll. Seidig 1895, S. 67 n. 
SIBillmann. ©ntbiiUungen über baS Treiben ber Spiritiften. — 2Billmanu. 9Jtobeme 
äßunber (3. Sluflage). — Sfiiillmann. 3Uuftrirte 3Jlagifd)e Vibliotpef. 6. SBanb. — 
Süillmann. Sie 3a»bcriuc(t. 3ßuftrirteS 2)!onatsiournal 1894 — 1899. — Teffoir. 
3ur Vibdjologie ber Tafchenfpielerfunft. i'cipdfl 1893 in Stelle (Vfeubonpm) Vtodiolog. 
Stilen. — Pebmattn. Slberglaube unb Sm'bcrei. S. 537. — §of fmann. Modern 
Magic. Poubon 1893, 7. Stuft. — 3t. Ipobgfon. M. Daveys imitations by 
conjuring. Proceedings of S. P. E. Vol. 8. London 1892. — ® u fßret. Stubien 
aus bem (liebtet ber (Mcbeimiuiffenidjafteu. 1S90. 2. !öaub, (Jap. 9 , S. 200. — Tn 
Sßrel. Tie Sntlnrbung ber Vtebien. Ueberf. SBelt 1896, S. 15, 81. — 3« Dergleichen 
ift audi bie Pittcratur über bie (yutlarbung ber Gufapia Valabino. JJJftidüfcfje Stubien 
unb Ueberf. SBelt 1896. 

*) 3d) laffe eS babingcftellt, ob eS überhaupt mebiumiftifdj-fupranormalc (Jrfeheinungen 
giebt unb nehme biefelben nur hhpothetifch an. 



(Ein beutfd)es ntebium. 


23 \ 

tjolung. ®a eg bic Phänomene nicht roidfürUd) beroorbringen fann, finb 
SRißerfolge unaugbleib(i<b. ge ftärfer baS Phänomen, um fo feltencr 
ftänbige Gefolge. 

2tnberS ber f£afcbenfpieler. ©r bringt feine probuctionen willfürlid) 
beroor unb b>at batjer feine PHßerfolge ju uerjeidmen. ©eine pfycbologifdje 
Aufgabe befteijt f>auptfäcftft<fi barin, bie 2lufmerffamfeit ber 3ufdjauer ab* 
jutenfen. ®a ihm baS bei einem gfeicEjen publicum erfißwert wirb, »er= 
langt er, baß bie gnfdjauer medifeln unb mögtidfjft jabtreid) finb. ©§ ift 
leidjter, SSiefe ju täufcben, als 2Benige*). Unruhe beS publicumg ift ihm 
aug bem gleiten ©runbe förberlidfi. Sicht ober fDunfel fpielen für ihn 
feine Polle. 

©in Plitf auf grau P.’g ©ißungen — in Sreglau wie anberSwo — 
jeigt, baß fie alle ©efeße beg 3Rebiumigmug auf ben $opf ftettt. ©ie 
arbeitet bei btenbenbem Siebt, »erlangt, baß ber ftheifuebmerfreig we<bfelt, 
wirb butdi beffen Samt nidEjt geftört unb ift nad) ben ©ißungen ni<bt er= 
fd)öpft. ©ie bewirft ferner ihre pbßfifalifdijen ©rfdjeinungen nur, wenn 
bie Slufrnerffamfeit ber Sdjeilnebmer nicht auf ihre Perfon gerietet ift. 
©dbließlidb ift eg au<ß auffallenb, baß bie 2lnwefenbeit beg gtnprefatiog 
eine conditio sine qua non für bie ©ißungen ift, unb baß fie wiffen= 
fcbaftlidier ©ontrolle unjugänglicb ift. 

Plan wirb mir »ielleicßt golgenbeg eimoenben: SBenn grau 3t audj 
unter ben objectinen Pebingungen ber ^afdjenfpieler arbeitet, fo ift bamit 
nodj nicht beroiefen, baß fie bie gäbigfeit jur STaf dfjenfpieterei befißt. ®iefet 
©inroanb ift jebod) hinfällig. 

Um fEafcbenfpieler ju fein, muß man jroeierlei befißen: 1. bie gäbigfeit, 
auf Sttnbere fuggefii» einjuwirfen, 2. gewiffe tecbnifdje gäbigfeiten. ®ie 

leßtere Soraugfeßung wirb »on Saien meifteng überßbäßt. gn Sßirflicbfeit 
fällt bie tecßnifdje ©djutung rceit weniger in’g ©ewtdjt, wie bie pfpd)o= 
logifdje Begabung**). Sei grau Potbe befcbränft ficb bie tecftnifdje gertigfeit 
auf bie armfeligften Äunftgriffe. ©ie bat ein fo fleineg Programm, baß 
fie oßne ben Diimbug beg PtebiumS gar nicht wagen fönnte, bamit »or bie 
Deffentlicbfeit ju treten, gbre wenigen £ricS übt fie bereits 10 gabre lang, 
fo baß eg nicht wunberbar ift, baß fie fie fcbtießlidj mit ©ieganj unb ©idher* 
beit augfübrt. 

Unterftüßt wirb fie aber burd) ihr pjpdjologifdjeg Talent, ©ie hat 
offenbar ben ©tauben an fi<b felbft — bie erfte Sorbebingung für einen 


*) SlnbererfeitS toieberljolt ber fEafdjenfpieler an einem Slbeub feinen fEric niemals, 
toäljrenb grau Plotfye bieS tfjat. grau Dl. fließt ficfj eben ein fo urtljeilSlofcS Publicum 
aus, baß fie if)m SllleS sumntfjen tann. 3ubem bebiitgt bie Slnnntl) ihres Programms 
bie 2 Bieberf)olmt 0 . 

**) Jie allgemeine SSitbung ift felbfrocrftanblidi Siebenfache. 3d> ferme einen 
ttorjüglidjen Slntifpiritiften, ber nidjt orbentlich fdireiben fann. ®ie größten fEafdjenfpieler 
befaßen nur toenig Pitbung. (SluSuahmen: ftoubin, Gomte, SEorrini). 



232 


<£rid; Soljrt irt Breslau. 


guten ©afdjenfpieler. gßr Auftreten ift jubem Vertrauen erroedenb, bet 
gebeimnißoolle 3Rtm6uiä beS Ueberfinntichen fcßafft ißr non »omberein eine 
magifdie Atmofpßäre, fie befi^t fdjaufpielerifdjeS latent, furj, fte ift außer* 
gewöhnlich baju »eranlagt, auf anbere fuggefti» ju wirfen. 2Ber biefe 
einfad^e grau unb ißr fjerjtidjcS SSefen unuorbereitet fennen lernt, ber wirb 
ft<h nur fcbwer »orftellen fönnen, einen raffinirten ©afdienfpieler »or iid) 
ju haben*). 9)iit biefen ©aben aber ß nt grau 5R. »on Anfang an baS 
Spiel gewonnen. 

®ie äßirfung ifjreä Auftretens wirb baburd) ficbergeftellt, baß fte fidt 
einen fuggeftibten gufdjauerfreis fc^afft. ©arin bat fie einen unfchäßbaren 
SSortbeil »or anberen ©afdjenfpieiern »orauS: ©iefe führen ihre ©ticS 
gebermann »or, grau Diotbe roäljlt fid) ibr publicum. Sie fleHt jubem 
SBebingungen, bie eine (Sntbecfung ber ©ricS faft unmöglich madjen, roäbrenb 
ber gute ©aßhenfpieler bieg nie in biefem Umfange tbut. grau 91. mürbe 
in gachfreifen nur als unbebeutenbe ©ilettantin betrautet werben. 

geh roenbe mi<b nun ju ben einjelnen Phänomenen, wobei ich aus 
gwedmäßigfeitSgrünben mit ben pbpfifalifchen ©rfcbeinungen beginne **). 
grau 9t. arbeitet babei nach 2 SOtethoben: 9ta<h ber älteren, bie einen 
©ifdj als ©ecfung benufct***), unb nadj ber neueren (er. 1840 »on Söiljatba 
gricfel eingefübrten), bie fdjeinbar ohne ©ecfung arbeitet, gn biefen 
gällen benußt fie eine anbere Perfon als ©ecfung. ®ie ©ecfung bur<b 
ben ©ifch ift febr plump, ba baS ÜJtebium auSbrüdlidj eine ©ede »erlangt. 
Seitwärts becft eS jtd) burtft bie Kleiber ber eng neben ihm fißenben 
©beilnebmer. 

Pejeidjnenber SBeife beoorjugt es ©amen, ba ihre Kleiber beffere 
©ecfung gewähren unb ©amen leichtgläubiger als Herren ju fein pflegen. 
SBon ber 33etrugSbppotbefe aus betrachtet, wirb eS auch erflärlich, roarunt 
baS -Dtebium mir »erweigerte, auf feiner linfen Seite piaß p nehmen, 
©enn nur auf ber linfen Seite treten bie Apporte ein. 

®ie ÜJlöbelunterfuchung ift eine garce. 2BaS nicht unterfucht 
würbe, finb bie Kleiber ber grau 3?. SBerbädjtig ift fcßließlich nod), bah 
grau 3t. fi<h fofort nach ber Sitzung in ein Stebenjimmer entfernt. — 
Außer biefen allgemeinen SterbachtSmomenten treten bei ben einjelnen 
Phänomenen noch befonbere hinju. 

es ift »erbädjtig, baß baS SJtebium bei Apporten bie Augen öffnet. 
Offenbar tbut eS bies, um bie ©beilnebmer beffer beobachten p fönnen. 
9)tit großer ©ewanbtheit »erhinbert eS ftetS, baß man beibe tjjänbe gleich* 


*) 3dj (omme auf biefeit Punft Wetter unten nochmals ju iprecljett. 

**) Pfpche 1899, 188. 

***) Ter »erbangene fEifdj würbe fdjon »ott Stöbert fjoubtn — bem genialjhn 
Stafdjenfpieler aller 3 e üen — befeitigt. 


(Ein beutfdjes Itlebium. 


233 


jeitig ftef)t, unb forgt burdß ©predben, burdßbohrenbeS älnbltcfen 2 c. bafür, 
baß bic Slufmerffamfeit baoon abgelenft wirb. 

®a8 ÜDtebium ergreift ferner bie ©egenftänbe nicht aus bet Suft, 
fonbem fiätt fie unter bem ©ifcfj bereit, ©iefelben ©eifter, bie behaupten, 
fte aus bet Suft ju jaubern, müffen alfo Sügner fein, ba fie fie nur unter 
bem ©ifdß bw»orjujaubern cermögen, ffiarum lügen fte? gßre 33Iumen 
ftnb flatfdhenaß; nietteidit um fte frifdß ju erhalten? ©ie 3lmutette finb 
50=iPf.-Saäar^2Baate, bie gerobe mobem ift. ©inb ©eifier auch an bie 
3)tobe gebunben*)? 

9tedf)t plump ift bie £ercorbringung ber birecten ©dhrift. grau 9t. 
arbeitet nadß 3 ÜJtetboben. gm erften galt mar baS ©efangbudh roohl 
corher präparirt, baS Äraren mit bem 9tagel foüte baS ©chreibgeräufdb 
imitiren. gm 2. gatte nahm grau. 9t. alterbingS mein 9totijbudfj. 33ecor 
fte aber meine &anb barauf legte, manipulirte fie bamit längere geit unter 
bem ©ifcß h erum - geht fchrieb fie unb nicht fpäter, roo fie mit bem 
9taget barauf trabte. ©aß fie aber bie ©dhrift fetbft anfertigte, betoeiji 
außer ben begieitenben Umftänben zweierlei: 

1. ©ie ©dßrift befinbet fich an ber ©teile, roo baS 9totijbudh oon felbft 
aufftappte, roeil Blätter ßerauSgeriffen waren. 

2. ©ie graphologifdje 3lnalpfe läßt ben ©chroinbet fofort erfennen. ©ie 
2Borte flehen unter, nidht neben einanber, um ein ©ureßeinanber» 
©dhreiben ju cerhüten. ©ie ©c^irift ift fteil, jufammengequetfeßt ober 
cerjerrt, bie unterfteu SBorte unterließ. g-^unft unb u=$afen 
fehlen, roeit beim ©dhreiben ohne gubilfenaßme ber 2lugen bie 
ridhtige ©teile cerfehlt wirb. ©er oerroenbete Sleifttft ift ein fehr 
roeidher. — ©ppifdij ift audh fü et hie 33enu|ung ber liefen &anb. 
Studß bei früheren ©ißungen bebiente fidh grau 9t. ihrer ju biefem 
groeefe**). 

©ie britte 9Jtetßobe hat grau 9t- in Sresfau nidht angeroenbet. ©ie 
befleht barin, baß fie felbfl ein leeres fßapier apportirt, baS nadh einiger 
geit befdhrieben ifl. ©er ©ric berußt auf SBerroedjfelung jroeier gleidh aus* 
feßenber 33üdßer ober ißapierbogen. 2Bte roir faßen, cerßinberte fie in 
Hamburg eine Unterfudßung beS ißapierS. 9tedßt bebenflidh erfdßeint in 
biefem Sidßte auch fotgenbeS Sßorfommniß***). gn einer ©ißung rourbe ein 
unbefdßriebeneS 8ucß apportirt. 9tadß einiger geit fanben fidß 17 (!) 
Strophen eines frommen Siebes barin. ©er SBeridßt betont auSbrüdEtidij, 
baß bie ©ebanfen biefeS ©ebidßteS roeber bem 9Jtebium nodß einem 
ber ©ßeilneßmer angeßörten. ©ie gtonie beS ©dßicffals wollte es Ieiber, 


*) $as SRebiutn behauptet freilich, »ein geiftiger 33 ruber, ber auf ©rben bie ©IaS= 
btäferei betrieben hat", fabricire bie (SlaSfugeln. 6p. 23t. 1896, €5. 107. 

**) @p. SS(. 1897, 6. 103. ÜBten 8. geilg. 1898, 6. 122 ff. 

***) geilgenhauer 1898, 6. 122, 149. 

Jlotb unb Silb. XCV. 284. 


16 



<Eridf 23oRn in Sreslan. 


234 

baR eine Sefetin ber 3eitfdRrift, in ber biefe« SBunber oeröffentlidRt würbe, 
bie Gntbedung rnadRte, baR biefe« Sieb — einem gebrudften ©ebelbudR 
entflammte! 

G« fei nur furj benterft, baR biefe tEric« non feinem guten StafdRen* 
fpieler in io plumper gönn mehr angeroenbet werben. 

Ueber bie Stopf taute täflt iidR fein Urtbeit fällen. gdR leugne nidRt, 
baR Re feRr frappirenb waren. 2)odR fpridRt Siele« für tEafdRenfpielerei. 
®ie Saute waren an bie näcbfte SläRe be« SRebium« gebunben, ba« Ret« 
bebaut war, fidR möglidRft naRe an ben SUifdR ju feRen. ©8 Rinberte bie 
SßegnaRnte ber $ede unb Ratte bie güRe ftet« oerborgen. Sei ber groRen 
©dRwierigfeü, ©dRaHempfinbungen ju lofatiftren, fonnte unter folgen Um* 
ftänben non irgenb einem Seroeife niefjt bie Siebe fein. 

gaffe idR meine SluSfüRrungen jufammen, fo fomme idR ju fotgenbem 
Urteil: ®ie fogenannten „pRpfifalifdRen SßRaenomene" werben 
non grau SRotRe burdR Safdjenfpielerei al« SRadRaRmung 
mebiumiftifdjer SRRaenomene ReroorgebradRt. 

gdR wettbe nticR nun ju ben pfpcRifdjen GrfdReinungen. Ueber iRte 
Grftärung burdR bie ©eiflerRppotRefe ..braudRe id) woRt fein 2Bort ju net* 
lieren. 2Ber in fotzen fdjabtonenRaften ®arfteßungen oRne gnbioibualität 
bie Offenbarung non ©eiftern ReRt, fteRt unter bem SRioeau jene« Säuern, 
ber baS Srett nor feinem Kopfe für bie wirftidie 2Belt Rätt. Stur furj möchte 
id) barauf Rinweifen, baR grau SRotRe ein beftimmteS ^Repertoire Rat. ®er 
Sergntann, ber ein Sieb fingt, taucRt fdion 1896 auf*); ebenfo Rngt König 
Subwig non Sapern fdRoit feit 4 gaRren fein gamnterlieb **). 3Kit feiner Gr= 
löfuitg fcReint es atfo etwa« langfatn ju geRen, wa« um fo merfwürbiger 
iR, al« anbere ©eifter — idR erinnere an bie famofe Surggräfin — fcRon 
burdR einmalige Gonfuttation be§ SJtebiumS geReitt würben, gwingli ***) unb 
fRaul glemmiitgt) gcRören ebenfall« jum ftänbigen SRepertoire. Som Gontroll: 
geift griebdRen ift ba« felbflnerftänblidj. 

®ie einjige grage, um bie e« fi<R Ranbelt, iR bie, ob ber angeblüRe 
^raum*3uftanb fimuürt ober ein patRotogifcRer guftanb (etwa ^»pfterie, 
#pftero:@pitepfie, oöer ,§pReroRppnofe) ift. gdR Rabe bereit« oben be» 
merft, baR eine Unterfud)ung nidRt norgenommen werben fonnte. 2>a« 
©utacRten im gwidauer ijkocefl täRt un« leiber audR im ©tidR. ©ie 
fotgenbe ©iagnofe trägt bemgemäR RppotRetifdRen GRarafter. 

gcR. neige ber 3lnfld)t ju, baR ber trance-3uftanb nidRt Rmulirt, 
fonbern franfRaft ift. grau SR. ift äuRerlicR eine SRuine unb audR in 
iRrer Umgebung galt fie als fd)wer franfe grau. S)ie „trance-guflänbe" 

*) 3p. SSI. 1896 3. 107 — SBieu 3. 3. 

**) 3p. SSI. 1896 3. 107. 

***) Sßfijdje 1899 3. 113. 

t) Sp. 331. 1897 3. 103. — «Pfodjc 1899 3. 113. — 1900 3. 69. — 

geilgenRauer 1900 3. 35. 



<£in bentfdjes OTebium. 


235 


tnadhen bett ©inbrudf l)t)fterif^er Unfälle*). gd£j Tjabe fefjr tnele berartige 
Äranfe beobachtet, bereit 3 u Ranb ooti ärjtticher ©eite all £pfterie bia- 
gnoRicirt rourbe, nnb fantt nur feRfteHen, bafj ber trance-^uftanb grau 
iRot^eö ihnen oöMg gleißt. Betrachten mir grau Stothe at! tppRerica, 
fo töR fic^ ba! complicirte Betruglprobtem feffr einfach auf. 2Bir Ratten 
e3 bann mit feiner predfjnunglfähigen Betrügerin, fonbern mit einer 
pathologifctjen ©dhroinbletin**) p tljun. 

®egen beroufjten Betrug (oom ©tanbpunft ber 3 u re<$ n ung!fähigfeit) 
fpricfft pnächft ba! perföntidfje Auftreten grau Stothel. Sie macht ben 
©inbrucf einer ehrlichen grau, bie oöttig non ihren rounberbaren ©igen= 
fd^aften fiberjeugt ift. ©o mar auch ihr Auftreten im 3 o>itfauer $rojefj. 

©ort erbot fie R<h fcfiliejslidj, ben Stiftern eine ißrobeRfcung p geben. 
©>a! ift entroeber ein Reichen ^ö^fter gre^eit — unb hiergegen fpricht 
bie ganje ißerföntidhfeit bei SJtebiuml, — ober ber Slulbrucf bei feften 
©tauben! an fi<h fetbft. 2 Ber je mit bem Berbredjerttjum p tffun gehabt 
hat, roetR, baR fotche perföntidfje Momente nicht p unterflögen finb. 

©egen bemuRten Betrug fpricf)t aber aud) ba! geilen bei ©erahnt« 
motinl. ©er profefjtonelle ©auner fudfjt not SlUem ©etb h^aulp« 
fd) tagen, unb icR habe nach biefer StidfRung bei SJtebien reiche Erfahrungen 
gefammett. grau SRot^e f cf eint jebodh in ben meiften gälten unentgeltlich 
ihrer ©adhe p bienen, ©ie profitirt rootjt bie Steife unb ben Unterhalt, 
fcfjeint aber im Uebrigen Honorar nicht p nehmen, ©in foldhet gbeatü* 
mul ift einem bemühten ©dhroinbter nidht pptrauen. 

©dEjtiefjUcfj fdheint mir nodh fotgenbe ©hatfacRe für ©etbftbetrug 5 U 
fpredhen. gn einem Berichte***) roirb ersäfjtt, grau St. habe erfahren, 
bah fidh eine greunbin ben guR oerftaudRt habe, grau St. fei biefen ®e= 
bauten nidht mehr lo! geroorben, er habe auf ihr mie ein ©rudf getaftet 
unb fdfjlieRlidh p bem feften ©tauben geführt, fie roerbe oerungtücfen. 
Beim ^inabfteigen einer ©reppe fei fie hingeftürjt unb habe Reh benfetben 
guR »erRaudfR, mie bie greunbin. — ©ie ©efdfiidhte fdheint raafjr p fein, 
©ie beroeift, baR bei grau St. bie SlutofuggeRion eine berartige ^öRe er* 
reicht hat, baR Re fetbR auf Äoften non Unluftgefühten ^anbtungen 
aullöft. — 

Stehmen mir nun an, grau St. fei eine ^»pfterica, fo täRt Rdh bie 
patRotogifdRe ©dhroinbetei au! ©pmptomen ber £pRerie abteiten. 9Bir 
brauchen nur an bie ©uggeftionlempfänglidhfeit ber ^pRerifdRen unb ihren 


*) cf. ©ctbrücf. ©ie patfjotogifdje £üge. Stuttgart 1891. 

**) ©er tn ber 1. Sipung antoefenbe Strjt fmlt grau 9t. für eine §t)fterica, bie 
SlnfäHe fimulirt. gut bie pfpdjotogifcbe Seurtfjeilmig ift biefe JlblDeicfjung un* 
erpeblid). 

***) ©p. 33t. 1897 S. 143. ©er S3erid)t führt natürlich SlHeS auf böfe ©eifter 
gurücf. 


16 * 



236 


<£rtd? Botjn in Breslau. 


Ißang jur Süge benfen. danach mürbe fid) baS pfpcbotogifdje Problem 
etma folgenbermahen löfen: 

grau 9i. teibet an hvftaifdjen Unfällen*), ©ie wohnt in einet 
©egenb, bte tont DffenbarungSfpmtiSmuS feit galten terfeudjt ift unb 
in bet bie mebiumiftifdien f^uftänbe enbetnifdj finb. gn fpiritiftifchen 
Eirfeln cntmidelte ficf) ibrc &pfterie unb befam burdf ben Einfluß ber Um* 
gebung eine fpeciell fpiritiftifdje gärbung. ©ie felbft unb ibjre Umgebung 
hielten bie E»i;fterifc^en 9tnfäUe für trance*3u[tänbe, unb fo nmrbe in ihr 
ber ©laube erroecft, fie fei -Bcebium**). 9lun betrachten eS bie fpiritifii* 
fchen Eitfel als ihre Slufgabe, pbvmfalifdje -Dlebien ju entwideht, ba biefc 
am bemeisfräfttgften finb. SDiefe ©uggeftion, tetbunben mit bem &ang 
ber £pftcriidjen ju fdjwittbeln, erwecfte in grau 9t. ben Orieb, pbpftfalihbe 
^Phiättontette hernorjubringen. ©etricbcn non biefem Eranfbaften 2Bunf<be, 
nerübte fte ihre erften Betrügereien. 9Jtit bem Erfolg mud)S ihr -öang ju 
weiteren ©dbroinbeleien. 23?äbrenb fie felbft fuggeftin auf ihre Umgebung 
mirft, wirft bet ©laube berfelben als neue ©uggeflion auf baS SWebium 
jurücf. gbr 9t“f nerbreitet heb, bie Offerten mehren hd), unb aus bem 
Erfolge jieht bie Jtranfe ben ©djlufj, baff fie ein echtes 9Jtebium fei. 

Oiefer ©laube wirb um fo tntenftter, als et burdj fdieinbare Obat* 
fachen beftätigt wirb. Oie fßerfüntichfeitsfpaltung im „trance=3uftanb" 
muh ihr, ber ungebilbeten grau, als ©eifieroffenbatung etfdjeinen. gene 
Vfeubo*©eifter aber terfünben ihr, fie fei ein Sßerfjseug ©otteS, unb fie 
glaubt ihnen um fo mehr, als fie ja fonft annehmen mühte, fie belüge fid) 
felbft. ©o entwicfelt fich aus pftxbifcb abnormen guftänben, aus ©uggefti* 
büität unb bem $attg jur Süge baS, was non jeher 2Bunberthäter gemacht 
hat: ber ©laube an fid) felbft. 

Unter biefem ©efidjtspunft erflärt fid) auch biefe mimifdie Veranlagung 
grau 9t.S unb bie Etcgauj ihrer Vorführungen, ©obalb fie not bem 
fßublicum ftcl)t, erhält bie 2lutofuggeftion bie böcbfte straft: £ier fleht 
MeS auf bem ©pictc, hier muh fie ihre SBunberfraft beweifen. OaS 
fdhaufpielerifdje Oatent ber $pfterifdhen***) wirb auf’S 2leuherfte concentrirt, 
ihr gefammteS Oenfen auf bie eine VorfteUung monoibeifirt: ihre OricS 
überjeugenb ju gehalten. Oie golge (nerton ift, bah fie Seihungen toll* 
bringt, bie iljr im machen 3 u hanb unmöglich fein würben. 

föi'ein ©efammturtheil lautet bemgemäh - . grau 9t. ift roahtfdjeinlicb 
eine pathologifdie Schwinblerin unb feine bemühte, juredjnungS* 
fähige Betrügerin. — ©anj ju entwirren ift baS Problem torläufig 


*) 3fire JBc&nnbtnng, fie fei fdjou als fiinb ©lumenntebium gettefen, ift Wohl eine 
retroactioe £talIucination. 

**) 3d) hatte ©clegenljeit, bei auberen „äJtebien* biefen <5nttoicfIung8gang ju 
beobachten. 

***) (iiugebenbe IJnteriudjungen in bem monumentalen liierte ton SHodwS: Les Senti- 
ments, la musique ct le geste. ©renoble 1000. I ! rei8 30 grc§. 


(Ein beutfdjes ItTebium. 


237 


nidEjt. Bießeicft liegen aßmählicfe Uebergänge vom beraubten <S<$röinbet 
bis jum pathologifdfjen Symptom t»or. 

Bon fpiritiftifc^er Seite roirb man mir oießeidit entgegenbatten, icb 
hätte nicht ben BeroeiS erbracht, bah grau 9t. fein ÜJtebium fei. Das 
habe ich aßerbingS nidbt getljan. Gin betartiger BeroeiS ift logifcb unmög= 
li dh- SBenn gemanb behauptet, er habe geheime Strafte, fo fann ich bie» 
allgemein eben fo roenig roiberlegen, wie bie Behauptung, baff auf bem 
■Utonbe unfidhtbare 2Befen roohnen. Sogifdh fann ich feine Angaben nur in 
ben gälten toiberlegen, roo er felbft ben BeroeiS bafi'tr antritt. grau 9t. 
fann alfo möglicher Sßeife ein ßJtebium fein — nur hat fie eS bis jeßt 
nicht betoiefen. Da bie 9luSlöfung tnebiumiftifcher gähigfeiten burdh patho- 
logifche guflänbe bebingt ift, fo mürbe eine berartig pfpifiifdj abnorme 9tatur 
fogar mehr als anbere baju biSponirt fein. 

Die oorftehenben Unterfudfjungen haben uns eine Dragifomöbie 
bunflen Aberglaubens oorgeführt. 2öir fahen, bah es falfch ift, bie 
(Sdhulb baran aßein auf baS ÜJtebium ju fcf)ieben. Die eigentlich« @<hulb 
trifft oielmehr bie DffenbarungSfpiritiften. Die Gpiftenj berartiger 9taturen 
«ne grau 9t. finbet ihre Grflärung nur, menn mir fie nicht als 3ufaß, 
fonbern als Spmptome auffaffen. Unter gefunben guftänben fönnen 
bpfierifdfje Stranfe nur unbebeutenben Ginfluh geroinnen; bamit iie äu SEßunber« 
thätern geftempelt roerben, muffen franfhafte cuttureße Bebingungen oorliegen. 
9tur im Sumpfe pflegen grrlidhter ju erfcf)einen. Diefe Bebingungen 
bietet ber DffenbarungSfpiritiSmuS. 9Jtit bem gortfdfjritt bet 2Biffenf<haft 
ift er als eine Afterroiffenfdhaft heran gemachten, bie mehr unb mehr Ginfluh 
auf bie SDtaffen geroinnt. Gr prunft mit fdh einbaren Dhatfachen unb großen 
28 orten, unb bie 9Jtaffe „glaubt nur an bie ©öfter, bie groben Samt 
in ber 2Belt machen". (9tiefcfcbe.) 2Bo er ben Schritt hrnfegt, tritt er 
bie 28iffenf<haft nieber, unb Dornen fproffen unter ihrem guhtritt auf. 

SDtan muh bem DffenbarungS=SpiritiSmuS ben Bcrmurf machen, bah 
er bie ÜJtaffen jum Aberglauben »erführt, bie ÜDtebien gefunbheitlich ruinirt 
nnb bie SBiffenfchaft bis auf’s ißteffer befämpft. Das finb feine Annahmen, 
fonbern nacfte Dhatfad&en. 9Jtan nehme bie biesbejüglidhe treffe jur £anb, 
unb man mirb ein BUb bauon befommen, roelchen grauenooßen Aberglauben 
«tan bort als 2Babrbeit feil hält. 

Die Grjiehung ber äJtebien ift eine £eranbilbung jum Sdhroinbel unb 
jum fieberen 9tuin. gdh habe felbft jahlreidh ©elegenheit gehabt, bie Dpfer 
folget „AuSbilbung" fennen }U lernen. Auch grau 9t. fdheint ein foldheS 
•Dpfer ju fein. 2Benn fte einft ihre »erlorene ©efunbheit beflagt unb 
«ießeidht im grrenhaufe enbet, fo mag fte fi<h bei ben Spiritiften bebanfen. 
Die gröfjten geinbe ber -äJtebien ftnb bie Spiritiften! gn melcher 2Beife 
ber DffenbarnngS'SpiritiSmuS bie 2Biffenfd&aft befämpft, barüber brauche 
idh mof)l feine SBorte ju »erlieten. 

Das roahrhaft Dragifche aber ift, bah bie meiften Spiritiften nicht 



238 


<£vtd) Botin in Breslau. 


Setrüger, fonbern Setrogene ftnb. 3hr 3anati«mu« ift irregeleiteter 

3beali«mu«. Sie opfern ihm oft Sennegen unb Sßerfon unb ahnen nicht, 
bafj itjre Dpfer nuhlo« ftnb, tneit fie einem falfhen groeefe bienen, ©o 
geht mannet im Sumpfe ju ©runbe, ber ba« Sicht fudhte. 

Todh foH man nicht »erlernten, baff aucf) bie Vertreter ber SBiffen* 
fdhaft nicht ohne ©dhulb ftnb. Sie haben lange 3«t ben ibeaten junger 
ber SJtaffe mit materialiftifdfjen Steinen fättigen motten, unb ba fie iljm 
ben Duett oerfagten, trieben fie fie jum Sumpfe. Tie unbelannten 
pfpdhifdhen Grfcheinmtgen mürben einft oon ihnen als unmöglich erachtet. 
So fiel ber Schah in bie £änbe ber Settier, bie gierig banadfj griffen. 
Tenn ein Schah liegt hier für ben Sinologen, ben Sfpdhiater unb ben 
Gulturh ifior if er »ergraben, mag er audh nodh fo tief im Schmuhe liegen! 
SB er je biefem ©ebiete näher tritt, roirb erftaunt fein über bie Sülle »on 
Problemen, bie nur auf ba« -Dtorgentidit ber SBiffenfchaft harre«, um jum 
Sehen ju erroadhen. $ätte bie SBiffenfchaft früher ihre culturette Slufgabe 
begriffen, fo hätte fie bie flamme, bie heut ihre Tempel ju jerftören broht, 
jum fegnenben Sichte umgeftaltet. 

©8 mar ein Unglüdf, baff bie Phänomene be« 2Jtebiumi2mu« »on 
Slnfang an jum Spielbatt fämpfenber Parteien gemacht mürben fiatt jum 
Problem, ba« Sitte in gemeinfamer Slrbeit ju löfen fudhen, Qeber an feinem 
ridhtigen Sßlatse. Sdhulb fanben mir Bisher auf beiben Seiten, unb jebe 
Sdjulb mürbe ein Tom auf bem SBege ber SBaljrheit. SlBer ich benfe 
mit 3o(a: „La \'6rit6 est en marche et rien n’arretera.“ 


Stadhtrag. 

SBährenb beS Trucfe« biefer Slrbeit hat bie »on grau gfothe heruorgerufene 
Seroegung eine intereffante SBenbung genommen, grau tttothe ift bem Singriff, 
ber ihr befannt mar, juoorgefommen unb hat fdjjon im Sorau« »erfudht, fidh 
»or ihren Slnhängern ju rechtfertigen. Tie SM unb SBeife, roie fte bie« 
thut, ift dharafteriftifdh für bie »erjroeifelten SJtittel, mit benen fte fämpft. 
Sie roirft trübe Streiflichter auf bie ©efammtheit ber CffenbarungSfpiritiflen. 

3hr erfter Trumph mar bie ©rünbung eine« Sunbe« ju ihrem 
Schuhe. Spnbifate ftnb ja feit Trepfu« mobern — marum fottte man 
nicht bem ©eift, ber 3eit Stedfmung tragen? „Gontmifnon für ttftebienfchuh" 
nennt fid) biefe ©rünbung. 3« einem ftammenben Slufruf*) forbert man 
bie Spiritiflen auf, jum Schuh ber „SBerfjeuge ©otte«", ber „©eifter* 
roerfjeuge" jufammenjutreten, um fte »or ihren ©egnem ju fdhühen. 3it«s 
befonbere bebürfe grau SHothe, biefe „eble grau", biefe« „leuchtenbe S3ei* 
fpiel",beren „jur ©enüge atteftirte Steinheit feine Schmähungen »erbunlefn 
fönnen," be« ©djuhe«. 3« biefem Tone geht e« roeiter. Siatürlih merben 
ben ©eguern bie fhmuhigften SDtotiue untergefhoben. 


*) SBien 1900 S. 49. SPfodje 220. gtilg. 129. 


€tn &eutfd?es JTtebium. 


239 


geh feinte baS Sieb, idb fennc ben ©ert, idb fenne audfj ben Berfaffer. 
©iefe armfelige SDtadhe uerrätf» auf jebet Seile bie £>anb i^reS SdfjöpferS, 
ber eS natürlich oorjog, Sttnbere in’S geuer }u fdfjicfen. 

2llS jroeiter Stumpf tourbe eine „SprüfmtgSfihung"*) auSgefpielt. Sffiäre 
grau SH. etwas baran gelegen, fidh roirflidjer roiffenfcfiaftlidfier ^Prüfung ju 
unterteilen, fo hätte ite fid) an gadfjteute rote ©ejfoir, Scf)reudf=5Rohing 
u. a. geroenbet. (Sie roar »orfichtiger. Sie wählte fiel) ein Gomit6, oor 
bem jie beS GrfolgeS fidler fein fonnte. ghr ©dfiarfblicf täufdljte ite nicht. 

afeufeerlic^ betradfjtet, fcfjeint biefe BrüfungSfifcung unter ben eyacteften 
Bebingungen fiattgefunben ju Ejaben. grau SH. rourbe nur ber Sifcung bis 
auf’« fjemb burdjfu<ijt, jog bann frentbe Kleiber an unb arbeitete bei »ollem 
Si<f)t. ©rofcbem erfolgten jafjlreicbe 2lpporte. Sogar bie obligate GljrituSs 
ftatue fehlte nicht. Sieht man ftch aber baS iprotofott näher an, fo merft 
man halb, bah Sitte» nath bem alten SDtufter jugefdbnitten ift. 

SEenn an einer Sifcung 25 sperfonen unb ber gmprefario theilnehmen, 
fo fann oon einer genauen Beobachtung aller ©Ijeilnehmer nidht bie SHebe 
fein, umforoeniger wenn bie Gorona fidh fotgenbermahen sufammenfefet: 
13 ©amen, 6 Herren aus bem offenbarungSfpirititifdhen BereinS ^Pftjdhe, 
ber feit fahren grau SRothe protegirt, 1 Stttagnetifeur (berfelbe, ber grau SH. 
afe ttRebium biplomirte), ber gmprefario unb 5 unbekannte Herren. Sott 
man berartige SRidEiter in einer fo fdEmnerigen Sache für competent eradhten? 
®aS 3Rebium arbeitete nadh bem alten SHecept: Begangener ©ifdfj, Gontroh 
geift unb gmprefario, bie beiben unoermeiblicfien ©amen als SHadEibarinnen. 
©a unter folgen Bebingungen bem Sdhroinbel ©hür unb ©hot offen fleht, 
hängt bie BeroeiSfraft ber Sttpporte baoon ab, ob bie ©urdhfudhung beS 
3RebiumS genau roar. ©iefe Unterfucfjung ruhte in ben £änben »on »ier 
©amen, barunter jroei Spiritiftinnen. Gine foldpe Unterfudfiung burdh 
©amen ift immer jroeifelhaft, unb auf fie allein ben SBerth eines Gyperi* 
menteS teilen it tljöridfjt. gm »orliegenben gatte roar fie aber auch un* 
genau: SDtunb, £aare, 2Idhfelt»öfjen, bie Deffnungen beS Unterleibes rourben 
nidht geprüft. SDlan fage nidht etroa, bat bieS übertüffig fei. Gs ift nidht 
bas erte 9Hal, bat beuttdhe SDtebien (SchrapS, Bemharb) an nidht näher 
ju befdjreibenben Stetten ihr ^anbroerfjeug cerborgen hielten. Selbt roenn 
übrigens grau SR. bei ber ©urdhfudhung Blumen nidht bei t<h führte, 
hatte te bodh Gelegenheit, te ft<h roährenb ber Sitsung juflecfen ju laffen. 

2lts britter ©rümpf folgte eine „BrüfungSfifcung" oor bem fpiritiftifcfjen 
Berein „GoS"**). ©aS Sprotofott entsteht fich roiffenfcfjaftlidher ©isfuffion. 

Sitte biefe Sttladhinationen beroeifen nur baS Gine: ©ah baS SDtebium 
einer eyacten ^Prüfung aus bem Sffiege geht. Sie flieht ihre SRidhter, roeil 
fie te fürchtet. — 


*) «foefc 1900, ©. 124. SBiett 76. geilfl. 177. 

**) @08 49. 




(Bötterbämmerung. 

Don 

€. jfl&ebert. 

— ^ilbburgfyaufen. — 

IDofjnt broljenb nidjt auf nacftcm Reifen 
mit ifjren Hatfjfelf ragen eine Sprint ? 

£>. Dogrl« 

Surturs Söljne 3ogen tjeran, 

(Es t|atte ber ^Jenrirmolf ftdj losgerijfen. 

Die Haben umfdjrieen bas fjaupt IDafoaters. 

Die nTibgarbfdjlange recfte ben Hopf 
heraus aus ben IDellen unb fdjleuberte 
Den Jammer (Eljors 3uriicf in bie Jjanb 
Des Donnergottes. 

Ct|or ftieg 3um (Efyrone IDafoaters empor 
Unb rief: 

£?el jteljt nor bem Ctjore ber fjölle 
Unb fdjaut, ob mir halb fommen. 

£ofe, itjr Soijn, oert|öt|nt uns. 

HTir bäudjt, bie (Sötterbämm’rnng 
(Entfeffelt bie ^einbe ber Ufen. 

las in ben Sternen ben Stur3 IDalljallas. 

IPas mollen mir tljun? 

„Uns mehren." 
tDetfren? IDomit? 

„ITtit Sdjmert unb Jammer, mit fjieb unb Stoß, 

„lUit Uüem, mas nii^t unb fdjäbigt 
„Huf (Erben, in Jjimmel unb ^öüe, 

„EDenn’s aud? mit gähnen unb Hägeln m&re." 

Den Jammer fdjleuberte bie lUibgarbfdjlange 


(Sötterbämmerung. 


2*1 


gurücf in meine !}anb. 

„Sdjleubere ihn nod? einmal, bis Du 
©ber bie Solange bas £eben lägt. 

„©ber nimm bie £ift 3U bjilfe." 

Darin ijt £ofe uns überlegen. 

„So erfdjlage Surtur <£ud? Beibe!" 

©btyn ftütjte bas Ejaupt auf bie fjanb, 

Dann fprang er empor: 

„So mill id? (Eud? 3eigem 
„IDie ein (Sott ben Teufel fängt, 

„^olgt mir!" 

Soll ^eimbal, ber EDädjter, nid?t mit? 

Der mei§, mo er fteeft. 

„Das foH er." 

Die (Söttet fdjritten tynab t>on IDalhalla , 
JDoban noran. 

Unb als jie traten auf Bifröfts Stufen, 

Da brach bie Brücfe 3ufammen. 

Die (Sötter ftanben uermunbert ftill 
Unb fprangen bann an’s anbre Ufer 
Unb fliegen hinab 3ur €rbe. 

Da barften bie Berge, es barjten bie Burgen, 
€s raften bie ID eilen bes IHeeres. 

Unb bie Sterblinge ftarben: ITlillionen im IHeer, 
UTilliarben im Baud?e ber adftenben (Erbe. 

Die flammen lobten 3um Fimmel empor. 

Unb mos bie (Sötter nertyiten wollten. 

Das fdjufen fte felbjl. — So ftraft bas Sdjicffal 
Die Sünben ber IHenfdjen, ja ber h<>h ßn (Sötter, 
Wenn fafter, (Ereubrud? unb (Eobesfünben 
ITtenf d?en unb (Sötter nerberben. 

Unb bie h<>h en 3um Sterben beflimmten (Sötter 
Stritten hinab 3um hawenben lUeere, 

Das itjrer lad?te. 

Sie wateten hinein bis an ben £?als, 

Bis über ben Kopf, 

Die EDelle wief?, bod? bunter ihnen 
Sdflug fte fpottenb mieber 3ufammen. 

Da fuhr ein Blife ben (Söttern um’s Ejaupt 
Unb traf ben tDoban, 

Doch ber ftanb flarr unb ftumm — unb lad?te. 

Dann bliefte er gelaffen auf bie £uft 
Unb fab brei Hiefenweiber bort fteben, 

Die ragten mit bem ^aupt an bie Sonne. 

(Ein röthlidjer Baud? wie von riefelnbem Blut 
füllte bie Biefenleiber ein. 

Unb fte fpradjen bonnertönig: 

„Den allfebenben, allmächtigen Bornen 



2\2 


<E. Dienert in f^ilbburghaufen. 


„ijügen fidj ITlenfchen, fügen ft dj (Sötterl 
„We r nicht ftcfj gefügt ber fahre 3ur fjell" 

— Dahin mollten mir eben fdjon felbjt. 

Die Schicffalfdjmeftern nerfchmanben. 

Unb bie (Sötter gingen unb fugten ein Sdjiff 
Unb fliegen ein unb fuhren in’s flleer, 

Unb fprangen bann über Borb unb nerfchmanben 
3 n ber (Liefe bes flaffenben Ubgrunbs. 

Unb Chor fdjlug hart atfs Chor ber fjölle. 

Uuf fprang es. Uuffprang bie £}öllenfürjlin. 

Uuff prangen bie Ceufel, bie (lobten. 

— Doch fein (Eon mar ringsum 3U hören, 

Uls bas €djo, bas in ben <Jelf enf lüften 
Caumelnb miberhallte. 

Unb IDoban fpradf 3ur £jel: 

„tüo ijt Dein Sohn, ber £ügner £ofe?" 

Sud?’ it|nl 

„Such’ ihn, fudj’ ihn, — fuch’ itjnl" 

Ejallt’ es mieber non ben ^elfenmänben. 

Die (Sötter bnrdffuchten bie gan3e fjölle 
Unb fanben nichts, als — %lgi unb Sigrun. 

©bljin minfte. Sie traten näher. 

„^olgt mirl 3hr feib erlöft. 

„Vergeben ijt (Eure Sdjnlb. 

„(Es haben Unbere mehr gefünbigt." 

(Sefünbigt, rief bas <Ed}0, 

„Die (Sötter am meijten," fprach Ejel. 

Um meijten, fdjrie bas €d?o* 

„ — Dn follft bas fjeer ber Cinherjer mehren." 

Sprad? IDoban 3U ^elgi. 

Cinherjer mehren. Der Dämm'rung mehren, hafal 
„^olge mir, fjelbl" 

^Jolg* ihm nicht, %lb! 

„hinauf an's £ichtl" 

— hinaus, Du tDichtl 
Die (Sötter fchritten hinaus: 

Das Chor ber ^ölle fdjlug 3U, 

Dag es mie Crbbeben 
3 m Berge miberflang. 

Das (Echo mieberholte bas Krachen 
3n ben ^elfenthälern bes ITteeres, 

Dag bie ^ifche jtarben unb bie Schiffe uerfanfen. 

Unb auf ber (Dbermelt nahm ber Bruber bes (Echos, 
Der Uffe, bas fjohngelädjter ber fjolle auf 
Unb fdjrie es in alle lüelt hinaus, 

Dag ber ITlonb, bie Sonne nnb bie Sterne 

Sich fcbüttelten unb lachten 

Der entthronten, jetjt fterblichen (Sötter. 



(Sötterbömmerung. 


2^3 


Hub Me flohen gingen 3ttm Ejanfe £ofes 
Unb fragten bie ^rau: „Wo i(t ber Böfe?* 

— Sucht ihnl mar bie Untmort. 

Unb fte fudjten unb fanben ihn nicht. 

Da wollten bie jornigen (Sötter 
Des (Eenfels EDeib er fc^ lagen. 

Sie lachte ihrer unb fpradj: 

3<h bin unjterblidjer als Sdjlagt 3UI 

Da fdjämten ftdj bie Herren bes Rimmels 
Unb gingen uon bannen 
Unb fndften in ber gan3en Welt 
Den £ügner unb (Teufel £ofe. 

Unb wohin fte Famen, ba mürben fie 
Derlacht, gefcholten, bebroht. 

3 n Ejimmel unb €rbe entbrannte ber Uufruhr, 

IHenfdjen, Kiefen unb nichtige gmerge 
Schwangen bie EDaffen. 

Da hörten bie (SÖtter plöfclich ein Saufen, 

(Ein Branfen, ein Sdjnanben unb giften, 

Dann fallen fie ein £ohen, ein Bauchen. 

Sie fahen glühenbe ^euergiganten 

3n ber EDaberlohe bie EDaffe fdjwingen. — 

— Das waren Surturs milbe (Sefellen: — 

Die (Sötterbämmrung mar ba. 

Unb ein Kampf begann, 

EDie feit Urbeginn 
Die EDelt noch feinen fah, 

Don bem bie Sänger fingen werben 
3 n olle (Emigfeit. 

Unb als bie brei tobtmunben fjimmelsherren 
Um Boben lagen. 

Da erfdjienen bie Bornen mieber unb fpradjen: 

„Des allfehenben Sdjicffals ewiger Safcung 
<$üge ber OTenfch fidj, fühlt er ben ^unfen 
(göttlicher Kraft auch gahren im Blute, 

Unb gäb’ ihm ein (Sott auch 3U üben fein Umt. 

Bun liegen als £eichen, bie leben follten, 
gum £eben erftanb, was 3U fterben beftimmt. 
Qimmel unb (Erbe liegen anf ewig 
3 m €ife erftarrt, im (Eife begraben, 

Die Kuh Uubnmla leeft langfam ein Kalb 
Uus bem (Eife heruor: bie neue (Erbe, 

Unb nach Ueonen emfiger Urbeit 
(Srünt anf ber (Sorten (Ebens. 


-(§>X@ 




(Erklungen ber Suaheli. 

Ton 

Öofiert 

— EDürjburg. — 

Jjie mächtig auSgreifenbe 2ßiftenfcE>aft ber VolfSfunbe, bie fidb auch 
in Seutfdjlanb, mo fte in ben Sagen Berbers ihren 2lnfang 
nahm unb jur 3 e ' 1 ber Vomantif ihre erften föftlidjen 
grüßte, ©rimmS 9)iärä)en unb Uhlanbs VolfSlieber, reifen fab, bie itdj 
alfo in ihrer Heimat jetit mit (Sifer mieber ju regen beginnt unb I)ie unb 
ba neue Vereine jur Sammlung unb Verarbeitung beS oolfsthümlidjen 
SDiaterialS erfteben läfet, teuft bie Söticfe ihrer Singer ganj non fetbft auch 
auf ferne Sänber unb Stämme, bie fo ganj anbere SebenSbebingungen, 
Sitten unb ©ulturjuftänbe tmben als mir, unb boä) burdj ein mächtiges 
Vanb mit unferm Senfen unb güblen rerbunben finb, ein Vanb, baS 
rootjt bie ganje alte SBelt umfdblingt: bie in ihrem Sterne gemeinfame, je 
nach ben befonberen 2luSgeftaltungen, Beaten unb Verbinbungen ber 
Gljarattere unb -Dtotine nationalnnbioibueH gefärbte VolfSpoefie. 

iDtärdhen unb Sagen, Spriäiroörter unb Vättjfel tauben in faft 
gleicher gorm oft an ben entfernteften fünften ber Grbe auf unb unb 
babei hoch fo fpecieH gehalten, bafj fidj bie naheliegenbe, philiftröfe Gr= 
flärung nom unabhängigen ©ntftehen an oerfchiebenen fünften bec (Srbe 
als baS enoeift, roaS fie ift, als eine billige Ventäntelung ber eignen Um 
roiffeitheit. greitidj gehört ber ÜDiuth unb bie Unbeftodhenljeit eines echten 
©eiehrten, mie ©afton IßariS, baju, offen einjugeftehen: „SBoher biefe 
Uebereinftimmung rührt — mir miffen eS nicht." ©lüdlidjenoeife brauchen 
mir nidht binjujufügen: „mir roerben eS nie miffen." -Weben ber VolfSfunbe 
gehen ja ©bnologie unb Gulturgefdiichte h er unb jeigen immer neue Ve= 
jiehungen jroifchen ben einjclneit Völfern auf. Seit ben Sagen beS Drien* 



(Er3ä^Iungen ber Suaheli. 


2^5 


taliften Df)- Sen fei), ber 1859 eine Ueberfeßung bei fßantfdjatantra, 
eines bebeutenben inbifdien SKärdjenbucheS, mit einet ganj trefflichen ©in* 
teitung Verausgab, wiffen mir, baß ft<h bie große -Kaffe ber Äerneiemente 
unferer 2l?är<hen ebenfo wie bie allmählich angeglieberten ©injeljüge in ben 
großen ÜJlärchen* unb -Jtooeffenfammlungen ber bubbßiftifchen Sitteratur 
toiebetftnben, unb es ift jum minbcften feljr wahrfdjeinlich, baß unfere 
SollSniärdien in gewiffem ©inn anf biefe inbifcßen jutüdgeßen. Sticht, als 
mären biefe ©rjäßlungen nun alle bort entftanben, auSgebacßt, aus bem 
KidjtS ßeroorgerufen. Ter lebhafte 2luStauf<h jmifchen Solls* unb ftunfl* 
Iitteratur, toie mir ißn in Deutfdjlanb oor 9lHem im fecßjebnten Sfaßrhunbert 
beobachten fönnen, wirb auch in 3fnbien fiattgefunben buben; oerfcßiebene 
Stämme werben bie Urfeime ber fDtärcßen beigefteuert buben, bie nun 
unter ben föänben geteerter Sriefter ju religiöfen, non SßeiSbeitSfprfichett 
triefenben ©rjäblungScpflen ftch auSwucbfen. Tie aderwicßtigfte ©rfdjeinung, 
bie bann biefen ftunflprobucten jur weiteren Setbreitung oerhalf, war bie 
märchenhafte Serbreitung beS $Slam burch ganj Korbafrifa nach ©uropu. 
£ier ßaben wir ben Arabern unenblidj oiel ju oerbanfen. ©ie buben auch 
bie faft fcfjon erftarrenben -Kärchen ju neuem Sehen erroedt, mit mußum* 
mebanifcßer ©inntic^feit burcßwämtt unb ihnen Sicht unb fyarbe »erliehen. 
©ewöhnlich unterläßt man bie wichtige Solle ber arabifchen Sitteratur unb 
noch mehr ben ungeheuren ©influß arabifdjer ©ultur auf bie afritanifche 
Seoölferung, oor 2HIem bie Santuneger ber Dftfüfte. ©rwägen mir bie 
■Dtögtiddeit, baß ein unb berfelbe 9JJär<henfem einmal längs ber mubam* 
mebanifchen Sorbfiifle SfrifaS burch ©panien, beffen SolfsFunbe leibet 
fo im 2trgen liegt, nach fffranFreidj, Deutfdjlanb u. f. m. brang unb fidj 
mit jener munberbaren ©djnelligleit oerbreitete, bie uns an biefen 
Sieblingen beS SotfeS in Grftaunen feßt, unb gleich jeitig auch mit 

anbem Dichtungen ju jenen Kegerflämmen gelangte, fo ifl es woßl 
erftärlidj, wenn wir ein Säthfelmärcßen ber ©uaheli etwa im fernen 
gKedlenburg mteberftnben, oon allen bajmifchen auftretenben Serfionen 
ganj abgefehen. Den Seweis liefert eine Summer beS oortrefflichen 
SanbeS oon Slärchen unb ©rjäßlungen ber ©uaheli, bie ber Seiner beS 
©uaheli am ©eminar für orientalifche ©pracben ju Serlin ©.. Selten in 
ftitgerecßten Ueberfeßungen nach ben früher fcfiott oeröffentlichten Originalen 
herausgegeben bat*). ©a heißt es etwa: „@S jog ein Sfann aus auf 
Seifen. 2lls er an einen 2Beg Jam, mar ba ein Saum mit oielen Sögeln. 
@r fprach: , Triebe fei mit ©ucf), ißt hunbert Sögel. 1 3ene Sögel er* 
roiberten ben ©ruß unb fagten: ,2ßir finb nicht oöllig hunbert; wir brauchen 
noch biefelbe Snjaht wie wir unb bie Hälfte oon uns, unb ein Siertel 
oon uns, unb wenn Du bann noch Inujutrittji, bann wirb baS ^unbcrt 
ooH fein. 1 Sämlich bie ba auf bem Saum faßen, baS waren fecßSunb* 


*) Söerlag Bon SS. ©pentann ln Stuttgart unb Söerlin. 1898. 



2^6 


Hobert petfdj in EDürjburg. 


breißig SSögct, baju 36 unb 18 unb 9 unb ber, ber ihnen ben ©ruß 
entbot, macht hunbert.‘" Unb in SJledlenburg heißt eS: „©e Soß*) be 
fielt na’n ©oS’ftall**) rin unb fed^t: guten Sag, ihr hunbert ©äuf eiein! 
Sie, fecf)t be ©ant***), noch mal jo oäl, un benn noch h a l& mal fo t>äl, 
uit benn nodh oirtel mal fo oäl, unb ©u Soß of noch to, benn fünb bat 
hunnert. 2ßooäl ©öS’ roiern in’n Stall?" (36.) 

GS ift reiht bejeidmenb, bah «tan in ©eutfd)lanb ben fyudjS als 
neugierigen, mohl au<h auf bie fetten ©änStein etwas lüfternen fraget 
eingeführt hat: bie ganje Scene hat baburcfj etwas SebenbigereS erhalten, 
©er Stieger liebt eS, troß aller Socalfarbe, bie er als eihter Siaturfohn bem 
überlieferten Stoffe oerleibt, bem ©egenftanbe eine geweihte 2lHgemein* 
giltigleit ju oerleihen. So berichtet er benn bloS oon einem Sieifenben. 
Ginen gudjs hätte er faum einführen fönnen, jum minbeflen nicht mit bem 
Seigefdjmacf beS Siftigen, toie benn bei uns bie Grtoähnung beS fyucßfeS 
ihn heroorruft; benn bie Stelle unfereS Sieinele oertritt bei ben Suaheli, 
ja bei ben Siegern überhaupt, ber £afe. ©em roilben, gefräßigen, aber 
bummen SBolfe entfpriiht bei ihnen bie £päne. Siaturoöller lieben ja bie 
©hietrfabel; gleidhfam als Vorübung bramatifiher ©arjiellung legen fie ben 
©liieren (harafteriftifdhe ^anblungen unb Sieben bei, toie fte bem fdjarf 
ausgeprägten SSefen jebeS einjelnen entfpreihen. Siiiht immer itnb biefe 
3laturbeoba<htungen ftichhaltig. ©ie äußere Grfd&einung oerbinbet ft<h mit 
gewiffen Sorftellungen pbpfiognomifcber 2lrt ju falfihen Silbern oon ber 
Seele ber Sbiete. So hält man ben £afen für fihlau, weil er große, 
lluge Slugen h a t unb beftänbig ben SJiunb, wie jum Sprechen, bewegt 
2113 ©efanbter be3 Söroen, be3 Königs ber ©biete, macht er fidh unbequem 
unb rettet jidj oor Strafe, inbem er ihm in einem Srunnen fein Spiegel* 
bilb jeigt; ber Söwe will fein Gbenbilb angreifen unb ertrinft. Dber er 
fdjwinbelt auf einer Steife ber Spälte bie gemeinfatne SSegjehrung ab. 
Feigheit, ©ummheit, Gitelfeit taffen biefe immer ben Äürjeren jießen. So 
fpielt fie benn auch bie Stolle unferer $träbe in ber gäbet, inbem fie ein 
gehörntes ©hier tobtet, fein ©emeih auffegt unb fidj fo }u einer Ser* 
fammtung ber gehörnten ©biere begiebt, um an bem gefimabte theil* 
jimehmen. ®od) fdpneljt bie Sonne baS 2Bad)3, mit bem bie falfchen 
körnet angellebt finb, unb fie wirb mit Sdhimpf unb Sdjanbe baoon* 
gejagt. 

Gin flugeS ©hm - übemnnbet ein ftarfeS — £ift ift übet ©eroalt, wie 
©emalt oor Siecht geht; baS ift es, was fo oiele ©bierfabeln prebigen. 
Gin 2lffe fdjließt mit einem Seoparben greunbfdiaft. ©er fdjlaue Stffe, ber 
für feinen mächtigen Sefdiüber einen Saum erflettern muß, um nah 


*) gu*8. 

**) ©iinfeftatt. 

***) ©änjerief). 



<£r3ät]lungeit ber Suaheli. 


2^7 


Reinheit auSjufdhauen, fiefjt, wie bet Seoparbe gierig ein paar Stutstropfen, 
bie bem fügten Kletterer entfallen, auflecft unb ruft herab: „gdh f)abe micf) 
nach allen ©eiten umgefdhaut, idfj habe nidfjts geinblicheS bemerft; aber 
son unten, com Saume tjer, broljt ©efahr, bort fieht’S friegerifdh aus." 

®iefe 9lntroort ift ed&t orientatifdh — bUblid). Stoch ftärfer tritt bieS 
heroor, roenn eine grau ihren ültann cor jroei ÄriegSfdhaaren ber geinbe 
roamt, bie im ©ebirge con unten unb oben gegen ihn heran Riehen: „&e 
®>u, wenn eine ©pinne baut, roo pflegt fie hi nau ^ 5 ufommen?" ®er 
9Jtann fpridht: ,,©ie baut oben unb unten f)iit," meidet nadfj ber ^Dritte 
aus unb roirb gerettet. 

greitidh ift es nidfjt immer gerathen, ben 9iath einer grau ju befolgen, 
audh roenn er gut erfdEjeint. ®iefe Siegel ertheilte ein Häuptling feinen 
Unterthanen. Einer con ihnen roitt auf einem ©pajiergange feiner grau 
®atteln pftücfen, roirb con ihr gewarnt, einen morfdhen Broeig ju befteigen, 
befolgt aber, ben SBorten beS ©ultanS gernäjj, ihren Statt) nidht, fällt ju 
Soben unb liegt ohne Serouhtfein bort. ®ie herbeieitenben 2Bädf)ter halten 
ihn für tobt unb nehmen bie grau jür ©träfe für ben ©attelbiebftaljl mit 
fort, roährenb ber fDtann entfommt. 

$ier hat bie grau, freüidh in guter 91b ficht, einen Siath ertheilt, ber 
nur burdh bie Umftänbe cerhängnihcoll ift. güt ben erften 9tugenblidf 
hatte fie entfdhieben Siecht, bas SBeiterfehen aber, baS Ueberfdhauen ber 
golgen ihres StatljeS ift ihr als grau nidht gegeben, ©ie ift übrigens eine 
ber bejien ihres ©efchledhteS. gm 9lllgemeinen ift bie grau im SWärdEjen 
beS ©uaheli ein felbftfüdfitigeS, bummfthlaueS, gieriges unb roollüftigeS ©e= 
fdhöpf, bie es mit bem jungen greier um feiner ©eftalt, mit bem alten 
um feines ©elbeS roiffen hält, ©ie nimmt es mit brei SJiännern auf, bie 
fie fdfjtiehtidh alle als ®ummföpfe jum Seften hat. ©inen 92eifen cerführt 
fie jurn SiebeSgenuffe, inbem fie fidh franf fietlt, ihn als 9lrjt rufen läfjt 
unb ihm einen beraufdfjenben ®ranf beibringt. Unb ein Rüger ©reis fagt 
aus, bah, fo gut roie im £aufe beS gauten immer JeungerSnott) unb 
in bem beS ©reifes immer Äranfheit IjerrfcEite, audh w einem £aufe, roo 
jroei SBeiber roären, ber Ärieg nicht aufhörte. ®abei ift fie in ber Siegel 
gelehrter als ber SJlann, fte ftubirt ben Äoran unb bie Bauberbitcher, fie 
erfennt barin, bah ber arme ^äuptlingSfoljn fie liebt, tommt audh auf 
©dhleidhroegen ju ihm unb genieht feine Siebe, bie tpeirath aber fctjlägt fte 
ihm, feiner 9lrmuth wegen, runbroeg ab. 9lls er aber in ber gerne fein 
©lücf gemadht hat unb als reidher ©uttan heimlommt, läuft fie ihm nadh 
unb entgeht faum einer fdhimpflidhen 9lbroeifung. ©ine 9lnbere roirb burdh 
ihren ©eliebten unb feine beiben Srüber mit übernatürlidhen 9JtitteIn com 
®obe erroedft, um bann — ben reichen Sater ber brei Srüber ju heirathen. 
^ingebenbe Siebe unb ®reue ift äuherft fetten, unb roo fie ber Sorfung jum 
©he&mdhe roiberfteht, ift baS 2Beib meift nur beShalb treu, weit ber in 
SluSftdht ftehenbe Sohn ju gering ift. ©rft im 9llter, roenn bie Seiben» 



2*8 


Bobcrt petfd} in IDntjbnrg. 


fdhaften »erraud)t fmb, treten bie befferen ©igenfdfjaften ber grau ju ©age. 
33ot SlUem ihr üJtitteib geigt fiefj bann, fie £)iift bem Unglücflidljen, aber 
beseidhnenberweife weift wieder in SiebeSljänbetn. ghre ©chwafchaftigfeit 
freilich bleibt bis in’S biöd^fte Sitter gleich groh, unb eine ©reifin bringt 
ihren ipflegefohn, ben fie über MeS liebt, baburdh in ©efaljr, bag fie (ich 
nicht enthalten fann, alle feine träume bem ©ultan ju hinterbringen. 

©iefe pefümiftifdje geidhnung ber grau ift natürlich nicht fo lehr ben 
Jtaturoölfern eigen, als ben islamitifdhen Arabern, beren ©uttur überhaupt 
ben ßintergrunb für bie meiften biefer «Diärdhen abgiebt. 2Benn bie auf« 
tretenben ©eefahrer ißortugiefen fmb — woher fottte ihr SRame p ben 
©uahelinegern gebrungen fein, als non Arabien? 2lu<h mancher Slberglaube, 
mawfie ©dhicflicfifeitSregel weift auf ben femitifchen Orient. ©er 3Jtann, 
ber gewettet h«t, er lönne noch fpielen wie bie Kinber, »ediert feine 
SSette: „®amt aber fah er, wie bie Kinber ihre ©emänber ablegten unb 
alle naeft gingen; er tonnte jedoch feine Kleiber nicht auSjiehen, benn er 
war hoch ein erwachsener «Dtann. 6r war übermunben unb zahlte bie 
hunbert STFjaler." SSeniger ängfllidfj nimmt man es bei ber grau. Ohne 
SßeitereS muh fie »or bem dichter ihre &ülle fallen laffen, um ihren 3“’ 
ftanb ju offenbaren. Unb bie »ornehme ©ochter beS ©uahetihäuptlingS 
geht jwar gewöhnlich nach arabifcher ©itte »oll befleibet einher, wenn eS 
ihr aber barauf anfommt, ihrem Partner im ©chachfpiel, bem 33effier ihres 
SBaterS, bie ©inne ju nerwirren, fo fcheut fie fi<h nicht, ein Kleib nach 
ber 2ftobe ber ©uaheli anjujiehen, b. h- ein blojjeS Senbentudf), unb auch 
bieS Iaht fie am anberen Jage fort unb erfcheint, nur mit einer perlen« 
fd»nur um bie lüften nerfehen. 

2ßaS bie ©harafteriftiE anlangt, fo ift fie weit entfernt, inbinibuett 
ju »erfahren, was ja auch gar nicht im ©inne beS 3Jtär<henS liegt. Sippen 
treten auf, — bie grauen hüben wir fchon fennen gelernt, — wir fehen 
etwa ben 9?eidjen hartherzig unb weichlich, ben Slrmen gutmütig unb jlarl 
Unter ben männlichen ©harafteren tr itt höchftenS noch, nadh echt orientalifdher 
«Seife, ber tluge «Richter heroor. ©eine Klugheit äufjert fic^ eben meift 
barin, bah er, wie ber König ©alomo, nicht bloS ein tüchtiger SRedhtS« 
gelehrter, fonbern »or 2IUem auch ein grober «Dtenfdhen* unb $er$cttSfenner 
ift, ber audh mit ben SebenSgewohnheiten feiner Untergebenen »ertraut fein 
muh. ©ine ©Ela»in wirb baburif) »on ber greien unterfchieben, bah fte 
ihr ©ffen auch im ©unfein finbet, währenb bie »ornehme ©ante fidh gar 
nicht ju helfen weih- ©ine ©efdbidEjte aber ift beShalb befonberS merfroürbig, 
weil fie einem weit »erbreiteten «DlärchenttjpnS angehört, ben unfer 
©hamiffo in rufftfdher gorm fennen gelernt unb in bem ©ebicht »om 
„Urtheil beS ©chemjäfa" »erarbeitet hat. ®ie ©uaheli erzählen »on einem 
«ütanne «RamenS «Dtuhemebi, ber fi<h, gleichzeitig mit einem S3etter, eine 
giege lauft, gener bringt ihm nun, als bie beiben 3ie9 ß U gefdhladhtet 
finb, ben Kopf ber feinigen unb fagt: „geh gebe ©ir ben Kopf meiner 


(£r3cit{ lutt gen ber Suaheli. 2^9 

Stege, gieb ©u mir ben ©einigen." $n ber Meinung, baf? es ftd) um 
ben Kopf feiner Siege gedübelt fiabe, roiHißt Dtuhemebi ein, Setter aber 
fielet ihm nach bem Sehen unb oerlangt fein eignes tßaupt. ®a Dluhemebi 
bieS Verlangen jurödroeift, alfo bem SSortlaut ber Slbmadjung nicht nach* 
fommt, fo forbert iljn ber Slnbere oor ben Dichter ©biri („©eredjtigfeit"). 
Unterwegs bot er baS ltnglüd, oon einem ©ocoSbaum, ben er erfteigt, mn 
ftdfj ju ftärfen, berabjnftnrjen nnb im ffade eine alte ^rau ju erfdjtagen. 
©>eren Sohn fdjtiefjt ftdj nun ben Seiben an, um ebenfalls oor bem Dichter 
©ütine ju oerlangen. ®aju fommt fd)liehli<h noch ein 9J?ann, beffen 3?rau 
SDuljemebi nach bem Aberglauben ber Suaheli burch ben ©eruch eines 
£ufineS, baS er ft<h bereitet, um iijre Sdjwangerfdjaft bringt. ©er Dichter 
oerfudjt junäd^ft, bie Anfläger burch Anerbieten eines Sühngelbes ju be* 
ruhigen, bo<h oergeblid), fie ade bringen auf SDMjeinebiS ©ob. ®a ent* 
fc^eibet benn ©biri, bah ber fetter beS Angeflagten biefetu ben Kopf nehmen 
folle, ihm aber bei ©obeSftrafe nidjt bie Seele nehmen biirfe. Sefcfjämt 
ntuh er oon bannen sieben. Dian fieht, bah Ijier baS Shplocfmotio oor* 
liegt. ®em Smeiten wirb anheim gefteilt, oon einer gleich tiofjen ©ocoS* 
patme, wie Diuhemebi, herabjufpringett unb biefen im gaH su tobten. 
®a er aber bei biefem Sprunge fein Seben risfirt, fo ift er froh, bent 
UrtheilSfpruch gu entfommen, inbem et fidj fdjleunigft jur Derföljnung herbei* 
läfjt. ©etn ©ritten giebt ©biri baburd; Dedit, baß er bem Dtuljemebi be* 
fiehlt, jener Stau roieber ju ihrer ©djwangerfchaft ju oerhelfen. Natürlich 
ift ber ©bemann nichts roeniger als einoerftanben mit biefem Sorfdjlag, 
unb Diubemebi geht frei aus. 

2Bir fahen f<hon mehrfach Diotioe, bie uns aus ben Dicirdjen, fabeln 
unb Dooetten ber abenblänbifdjen SBötfer toohlbefannt finb, bei ben Sua* 
heli auftauchen. Dur einiges befonberS Sntereffante, bem Kenner ber 
©rimm’fdjen Diärchenfammlung befonberS Vertraute fei noch herausgehoben. 
SBenn einmal baS liebe Dotf)fäppd)en unb feine ©rohmutter, baS anbere 
Dtal bie fechS ©eislein aus bem Saudje beS SBolfeS lebenbig herausgeholt 
werben, fo töbtet im Suahelimärdjen ein tapferer Sünglittg ein Ungeheuer, 
baS bie ganse Seoölferung eines DrteS, ben geftrengen Sultan nicht aus* 
genommen, oerfpeifi h°i/ ttnb bie ganje ©efellfdjaft fpagiert wohlbehalten 
aus bem Serfted hetoor. ©erfelbe ißrinj finbet ein £aar, baS ihn in 
foldje SiebeSgluth oerfefct, bah er bie Jungfrau, ber es gehört, um jeben 
fßreis befifcen muh — ein uralter Dicirdjensug, ber f<hon in einer wunber* 
ootlen Stelle unfereS mittelljochbeutfdjen „©riftan" oon ©ottfrieb oon 
Strahburg auftaucht, ©a fleht ber König Diarfe, wie ein Saar ©auben 
flber*S Dteer geflogen fointiten unb ein herrliches Dtcibchenhaar fallen laffen, 
unb er entfdjliejjt fi<h, bie su heiraten, ber bieS £aar gehöre. Sn einem 
anbern Diätdjen sieben brei Srüber aus, um für ihren in fdjwerer SebenS* 
gefahr fdjwebenben Sater bie ©rontmel mit bem fiebenfadjen Klang ju 
holen, baS emsige 2JHttel, baS ihn retten fann; ber Süngfte, ber fich in 

3! otb nnb Siib. XCV. 284. 17 



250 


Hobert peifdj in tDfirj&urg. 


ernfter «Sorge um baS Beben feines SöaterS abtnüßt unb baS ftleinob unter 
großen ©efaßren erringt, toirb unterwegs oon feinen Vrübem in’S SBaffer 
geworfen, feines SdbuheS beraubt unb nur bureb überaatürlidhe $ilfe ge* 
rettet unb feiner Segnung tßeilbaßig — ift baS nicht baS SJiärchen non 
ben brei StönigSfoßnen, bie auSjiehen, um für ihren franlen Vater baS 
„SBaffer beS Bebens" ju boten? ©aju tommt, baß überhaupt ber „befte 
gfingfte" eine tppifeße ©eßalt unferer europäifeßen VolfSmärchen iß. Unb 
weiter — in bemfelben SJlärdßen wirb ber &elb non einer gutmütigen 
Sitten nor ben Gütern ber 3 au bertrommel, ben böfen ©eißem, nerßedt; fie 
aber wittern ihn unb iprecEjen: „Sßaram iß tn er ein anberer ©erueb im 
Haufe? Vießeicßt haft ©u gemanb nerßedt? gß ein -Dlenfdbenftnb hierher* 
gefommen in biefeS Haus?" u. f. w. SBem ßele babei nicht baS ©äum* 
UngSmärcßen ein? Slber au<b bie banf baren ©hiere unferer Vlärdben treten 
auf, bie bem gelben, ber fie aus ©belmutf) einmal aus fdjwerer ©efahr 
errettete, in unangenehmen Sßer^ättniffen Hilfe bringen, etwa als Slmeifen 
©etreibearten auSeinanberfudßen, wie fcßon im antifen SJiärdßen non Slmor 
unb Spfpd) e / woraus im „Slfdhenbröbel" mitteibige tauben würben, ober 
als fpredßenbe ©ßiere ihren Vatß ertheilen. So helfen benn audß bei ben 
Suaheli bie gifeße einem ungtüdiidßen Siebenben, ber fie immer fleißig 
gefüttert hot, inbem fte ihm oerrathen, wie bie tßroben ber SBeiSheit ju 
löfen feien, bie feinem mit ©uminheit reidh gefegneten Häuptling aufgelegt 
werben. Stuf biefem SBege befommt er bann bie geliebte SEod&ter biefeS 
Häuptlings jur grau. 

©iefe groben werben genügen, ©er Stil unb' bie ©ompoßtion fmb 
natürtidh nadh einer Ueberfefcung nidht gut ju beurtßeiten. ©ennodf» hot 
Velben bas Drientalifdße oft beutlidh heroorflingen taffen. 3Jiit ©in* 
[eitungen hött man ficb fetten auf, bodh heißt es etwa: „9iunmehr folgt 
eine ©efdhidhte, bie wir fchon non unferen Vorfahren gehört hotten." ©her 
ßnb Schlüffe beliebt: „©aS ift mein Bericht über biefe ©rjählung, Re hot 
einen tiefen Sinn." UebrigenS bringt ber Schluß ttidßt immer bie Pointe, 
ja, bei mandher ©rjäßtung fann man fotdhe überhaupt nidht Rnben. Studß 
im gmtern ber SJlärdhen iß bie SJtotinirung, nor Slßem bie feelifdfje, redht 
bürftig. gn bas Hers ber houbetnben tperfonen fdhauen wir feiten; was 
Re benfen, baS fagen fie, wie benn baS SBort „benfen" in triefen Sr* 
jäßtungen überhaupt fetten iß. SJUt fößtidher Slainität wirb non einer 
5taße erjäßtt, bie eine unnorfidhtige Hausfrau jur SBädfjterin ihrer VratRfche 
madht. Statürtidh läuft ber Stahe baS SBaffer im SJhmbe jufammen: 
„Schließlich fpradß fie: ,g<b werbe fie effen.‘ SllS bie grau erwachte, ent* 
bedte Re, baß in bem ©opf nichts mehr brin mar." ©S iß alfo nidht bie 
Honbtung beS greffenS felbft erjähtt, fonbern ihre Vorbereitung unb ihre 
SBirtung, unb bie feelifdße VorauSfefcung ift wieber in Siebe aufgelöß. 
SBer bie europäifeße VolfSpoefie genauer fennt, weiß, baß biefe ©arfteßungS* 
weife mehr bie beS VolfSliebeS, als beS -Märchens ift VeibeS fließt bei 



€tjäljlnttgen bet 5naf)eli 


25 \ 


ben Sßaturoötfem nodj mehr in einanber über. UebrigenS ift aud) baS 
SKärdjen triebt bie einjige ©idjtungSgattung, bie ber Suaheli mit Vorliebe 
pflegt. üReben ben eben ermähnten Vedjenaufgaben treibt «Seihet *) au<h 
Sprichwörter mit. 

SBie weit bie Suaheli bie arabifdien 3Jlär<Jjen in it>r nationales ®e« 
roanb gefleibet unb fie jich jum ©gentium gemalt hoben, ift ferner ju 
lagen, ba mir ja nicht wiffen, in meiner gönn fte bie Originale ju hören 
betonen. Vielleicht bringt jefct manches beutfehe ifiärcben §u ben Suaheli 
in ©eutf<h ; Oftofrifa. 2ßie „3llabbin unb bie SBunbertampe" im 9iorben 
unfereS VaterianbeS „oerpommert" oorfommt, fo merben fie oieHeicht einmal 
unfer Vothläppchen „oernegern". ©er glüdlidje gorfdjer fpäterer ©age 
roirb bann reifes SWaterial hoben, um bie eigenflen ©äuge ihres ©elftes 
ju erfennen — ein ©eroinn für bie Völferpfpdhologie überhaupt. 


*) ©efdpdjten nnb Sieb« b« 2lfri!aner. 1896. 


Dr. darf, 6er angebliche £an6esnerräther. 

Perfönlidje (Erinnerungen. 

Don 

JftacI SSIinb. 

— Sonbort. — 



en geinben ber fiibafrifanifdfen $reiftaaten, bie jefct ju englifefeen 
ÄrowSlnfteblungen feerabgebrüdt werben fotten, ifl Dtiemanb 
uerhafeter, al« Dr. ©auin 23. ©lart, ber bisherige Vertreter ber 
fdjottifd^ert ©raffdjaft ©aitfenefe im Unterbaute unb ehemalige Gonful ber 
£ran«uaal=9lepublif. 9Jian liefe iljit an mehreren Orten feinet ÜBafeU 
bejirfeS gewiffertnafeen ©pieferutfeen laufen, unb er inufete ficb uor perfudjten 
©ewaltthätigfeiten flüchten. 

(Sine oorläufige 2lntwort auf biefe SPöbelhcfee feat er bureb 3$er* 
öffentlidiung eine« Keinen SBerfe« gegeben: „$Dcr amtliche ©djriftroedjfel 
3 roifd)en ben 9iegierungen non ©rofebritannien, ber ©übafrifanifdien 
9?epublif unb bem Dranje^reiftaat." 3" feunbert ©eiten giebt ba« Sucfe 
alle feauptfädilicEien, auf bie Skrfeanblungen »or bem Kriege bejüglidjen 
Urfunbcn. 25er barau« nicht erfennt ober nicht erfennen roiH, mie plan» 
inäfeig bie Regierung ju Pretoria burd) $emt ©hamberlaht jum 3^ cn 
be« Schwerte« gejmungen nntrbe, bem ift ntdjt ju helfen. 

2Begen eine« in Pretoria gefunbenen SSriefe« foH Dr. ©fort jefet jum 
£odj* unb Sanbeäoerrätljer geftempelt merben. freilich gefdjielit ba« mtr 
in ber gegen ihn mfitfeenben „3ingo"»^reffe. ©inen 9?id)ter jQieffrevä, ben 
man fo eben auf ber Sonboner 23üf)ne in „9lett © wpn" »©djaufpielen am 
mörberifdien SBubenroerfe fiefet, giebt e« glücflicher SBeife heute in ©nglaitb 
nidjt. £ier fei eine« feödjft bemerfen«werttjen Umfianbe« ermähnt, ber auf 
bie 23ered)tiguitg ber Regierung ju Pretoria, ba« Ultimatum uom 9. Dctober 
u. 3- 5« erlaffen, rolle« ©dtfaglidjt wirft. 


Dr. ClatB, angebliche Sanbesaerrättjer. 


253 


@3 ift bei beit Prüfungen ber Dledjtsbeflifjenen an englifdjen ^ocfi- 
fdjulen eine ftebenbe ©eroobnbeit, auch fragen übet fdfroebenbe, bas 
Sölferredjt betreffenbe ©ageSangelegenbeiteit an fie 51 t rieten. ©ieStnal 
würbe in Dyforb bie grage jener ©djlufiaufforberung 00 m 9. Dctober 1899 
mit beteingejogen. ©iitftimmig erhärten ba bie ©tubenteu: „©aS Ulti= 
matum fei oollfommen g eredEjtf ertigt gcroefen, weit es 00 m 
©efidjtSpunfte beS SölferredjteS feinen benf 6 ar ftärferen ©runb jur 
ÄriegSerflärung (casus belli) gebe, als b aS 2lnbäufen non ©treitfräften 
beS ©egnerS an ber ©renje mit feinbiicfier ?i&fic^t." ©er mit ber 
Prüfung betraute Stedjtslebrer, ber ben Vorfall beridjtct, erachtet bie 
Sttntroorten ber jungen Seute als unwiberleglidj uub als einen Söeitjei« 
ihrer ©ewijfenbaftigfeit in öffentlichen Rechtsfragen. 

©teiebwie ber conferoatioe ©eljeime Qrtfüjrath (Cuieen’S ©ounfet") 
©ir ©buarb Glarfe, bat ber benfel&en ©itel füfjrenbe Sorb Goleribge, 
ber ©obn beS berühmten oerftorbenen Sorb^DberridjterS, feine Uebcrjeugung 
babin auSgefpro<ben: es habe roeber ber Vertrag non 1884, no<b feibft ber 
oon 1881, ber englifc^en Regierung bas geringfte Recht erteilt, fid» in bie 
inneren Slngelegenbeiten non ©rattSoaal mit ©ewalt eiitsumifdjen. Se» 
fanntlidb b fl t ©bamberlain felöfl bieS nod) 189G, ttatb bem Stamefon’fdjen 
greibeuterjuge, in ben fdjärfften Porten anerfannt. ÜDian weif), weldje 
©inflüffe ihn na<bträgli(b bewogen, eine plöplichc Untfebt ju uottjiehen uitb 
einen Ärieg berbeijufübren, gegen ben er bamals auf» ©ringenbfte geroamt 
unb ben er als eine bie fdjroerften ©efabren für GngfanbS 3 u ^ un fl in fidj 
bergenbe, grunbuerroerflidie Unternehmung bejeidmet hatte. 

9luS biefer ©djilberung ergiebt fich eigentlich fdjoit, roo ber wirfticbe 
„ßanbeSoerratb" gefudjt werben fönnte. 2ßaS nun l)r. ©larf betrifft, mit 
bem idj feit halb jwanjig fahren befannt unb befreunbet bin, fo mögen 
bie folgenden ©batfa<ben für fich fpredjen. 

3<b lernte ihn juerfi fennett, als hier ein „3luSfd)uf; für bie Unab= 
bängigfeit oon ©ranSoaal" gegriinbet rourbc. ©aS war oor ber ©djladjt 
am 2 )labf<bttba» 4 jüget. ©labftone, ber 1880 ber Führer ber Dppofition 
geroefen, hatte fidj auf’s ßlarfte für bas Redit ber Suren auf Sßieber» 
berfleHung ber unter ©ifraeliS SWiniftcrium 1877 burd; plöpliche Ucber= 
rennung geftürjten Republik auSgefprodjeu. Salb barauf gelangte ©labftone 
an bie fßremierfdjaft. ©a fein SBort nicht eingelöft würbe, fo griffen 
bie Sürger oon ©ranSoaal gu ben SBaffen. Steuer üluSfdmfj foUte in 

ßonbon bie Seroegnng ju ©unften bcS gehäuften SolfSrcdjteS leiten. 

Sn ber erften ©ifcung unfcreS 21uSfd;uffeS führte ber greife ©ir 
©hartes ©reoeltjan, ber frühere Statthalter non -DlabraS unb ginanj- 
minifter oon Schien, ben Sorfiü. ©r ift ber Sater beS befaitnten ehe» 
maligen IßarlamentSmitgtiebeS unb ©efdjichtfdireibcrS ©ir ©eorge ©reuelpan, 
ben roir oor jroei fahren als einen liebenSmiirbigen ÜJiann auf feinem 
frönen ßanbfifce in ÜHortbumberlaub fennen (ernten. 



254 


Karl BUitb in £onbon. 


©er ©übafrifanifdien 3Repu6tif war, nadj ißrem geroaltfamen 2tn= 
fcßtuffe an bie englifdjen KromSefifcungen, ber 9tame ,,©ranSuaak©ebiet" 
beigelegt worben, i<h beantragte gleich in ber erften ©ifcung: eS fei bie 
Unabhängigfeit bes SanbeS unter betn alten Flamen ber ,,©übafrifanifd>en 
9iepubUf" wieberfierjuftellen. ©a warnte ©ir GharleS ©teoelpan ängftlid), 
man möge nid)t ju weit gelten; es fönne fonft für bie 2tuSfdiuß--'Dtitglieber 
perföntid) große ©efal)r entfielen. Dr. darf fpradj fidi über ben genannten 
ißunft feßr uorfidjtig, fdjroanfenb, ja faß ableßnenb aus. 2tudj anbere 
3Jtitg lieber fdjienen unentfdiloffen. i<f) beljarrte bei meiner 2lnfid>t, mit 
bem Semerfen, baß nur bie unbebingte SBieberberftedung ber ßtepubtif 
fünftigen Reibungen uorbeugen fönne. 

©ir Charles ©renelpan erfdiien fdjon bei ber zweiten ©ißung nid)t 
mehr. ©er uon mir gefteHte Antrag würbe inbeffen nachträglich infofent 
angenommen, als in ben oon bem StuSfdjuffe erlaffenen ©dhriftftüden ber 
SüiSbrud „©übafrifanifdje Siepublif" gebraust würbe. 

©o gefdjah eS auch in ber uon mir entworfenen „internationalen 
iufcßrift", bie ton ben ßeruorragenbften Männern ber 2Biffenfdjaft, uon 
©diriftftellem, ©enfern, ©iäitem, SolfSwirthen unb IßarlamentSmitgliebem 
ber 3?ieberlanbe, ©eutfcfilanbs, DefterreidjsUngarnS, granfreichS, italienS 
u. f. w. unterzeichnet würbe, unb bie ich mit einem Segleitfdjreiben an 
ben GabinetSmlnifter ioßn Sright iiberfanbte. Gr antwortete barauf 
in befriebigenbfter Sßeife. Salb nacfjljer würbe ber Sertrag uon 1881 ab« 
gefdjloffen. in if»n war jebodj, anfiatt ber bisherigen ^Bezeichnung 
„©ranSoaal-.©ebiet" nur non einem ,,©ranSuaal=©taate" bie IRebe, unb 
CnglanbS Oberhoheit („©uzeraintp") würbe uorbehalten. 

Dr. darf trat fpäter als 2lbgeorbneter an ©teile beS mtr ebenfalls be> 
freunbeten ©ir ©olem adße Sinclair, beS ©djloßljerrn non ©hurSo, ber im 
Kriege uon 1870—71 fo tapfer in ber „©inteS" für ©eutfdhlanb eintrat 
unb auch auf beutfdjer ©eite bei ber pflege ber Serwunbeten unb Krattfen 
auf ben ©djladjtfelbera in ^ranfreid) gute ©teufte teiftete, in’S Unterhaus 
ein. iür Serbefferungen ber Sobengefefcgebung ju ©unften ber Klein; 
päd)ter in ben fchottifdjen ,§od)lanben wirfte Dr. darf mit ©ifer. Oft 
traf id) mit ißm in ber „Sonboner ©äuebSgeridjtS; unb iriebenS;©efeflf<haft" 
als Sltitglicb beS 3MzugS;2tuSfd)uffeS jufammen; ebettfo in anberen politi* 
fdjen Vereinen fortfdhrittlidier 2lrt. 

in ber ©djiebSgeriditS; unb iriebenS;©efeHfd)aft haften wir, bis ju 
meinem cublid)en SluStritte, heiße Kämpfe gegen biejenigen ju befielen, bie 
unabläfftg bei ben iahrcSuerfanunlungen eine „elfäjRf<hdothringif<be irage" 
auf bie ©ageSorbnung ju bringen iudjteit. iufammen mit Dr. darf unb 
einigen Slnbercn gelang es mir, bieS ju uer()inbern, bis zulefct baS Stuf* 
tauchen ruffenfreunbticher Seftrebungen in jener ©efeUfdjaft meine ©ebulb 
erfdhöpfte unb ich austrat 



Dr. darf, bet angebliche Cait&esüerrätffer. 255 

Qm Vertrage oon 1884 mürbe enblidfj ber 9tame ber ©übafriEanifcfien 
SRepubliE roieber ^ergeflellt unb bie Oberhoheit ber englifdhen Grotte 
geftridhen. Sßährenb ber, titele -Dtonate (oon 1883—1884) anbauembeit 
biplomatifd&en Berhanblungen mar ber erneuerte SranSoaat=2IuSfdbuf5 abermals 
thätig geroefen. 9Jtit bem ißräftbenten Krüger, bem ©eneral ©mit (bem 
Sieger am 9M>fd)uba*i0ügel) unb bem UnterricbtS^IRinifter Su Soit, bie 
nadj 2lbfd>luf3 beS Vertrages aud) Berlin befugten, mar ich barnals oft 
pfammen; unter Stnberem $u Süd) bei Dr. GlarE. 2tucf) QonEheer »an 
BloElanb mar jugegen, ber nachher in ßollanb unb anberen Staaten bie 
©übafritanifdje StepubliE als Gonful oertrat. 

Dr. GlarE ift „Seetotaller". Kein geiftigeS ©eträttE erfdiien bei ibm 
auf ber Safel. Ser fßräftbent Krüger litt barunter ohne 3 a,e ifel nicht, 
äudj er gilt als Seetotaller, unb er trän! feine 3)tildj bei Süd) mit Be* 
bagen. SDiefe SJlifd^ung oon SDJitdh mit gleich, ©emüfe unb füfjen ©peifen 
bünfte mir allerbingS gefunbheitSroibrig; allein Qeber bat feinen eigenen 
©efdjmad. 

Qn Sonbon übernahm Dr. GlarE baS Gonfulat für bie roieber fiergeftellte 
©übafriEanifche SRepublil; bodh ohne ©ehatt. Saft im Vertrage oon 1884 
ber beEannte 9Ibfcfinitt IV, bie Verträge ber fRepubliE mit grembmäd)ten 
betreffenb, fielen geblieben mar, batte ich oorber bei unferen oertraulidhen 
Unterrebungen als einen stimmen gebier getabelt. Qdj fprad) meine 
Ueberjeugung aus, man roerbe in Gnglanb barauS roieber DberljoheitSredhte 
ju begrünben fu<ben, trofc ber ©treicbung ber „©ujeränetät". 3Ran ent* 
gegnete mir: Sie ©a<be fei unbebeutenb; bie SRepubliE roerbe mit gremb* 
mädhten menig ju tbun haben; man roolle baS ©rreid)te ni<^t nach all ben 
langen Berhanblungen aufs ©piel fefcen u. bgl. m. Qd) roieberbolte in* 
beffen meine SBarnung nodj eine halbe ©tunbe oor Unterjeichnung beS 
Vertrages, als mir im ©aftbofe ber SranSoaal»2lborbnung ber englifdje 
unb b°ttänbif<be Sept beS Vertrages mitgetbcilt rourbe. Sie fpäteren 
Greigniffe haben gejeigt, bajj bie ÜBamung roobl am Sßlafee map. 

Qm Flamen ber 3lborbnung überfanbte mir ber -Diinifter Su SCoit oor 
ihrer SIbreife ein ehrenbeS SanEeSfdjreiben für alle gefdhehenen Bemühungen. 
Sie Hoffnung mar barin auSgefprodjen, bah ber jungen 3iepubliE audh in 
QuEunft bie gleiche Obforge meinerfeits ju Sheil merben roürbe. 

Grjtaunt mar idh nun, als eines SageS in ber „SimeS" ein ©djreiben 
oon Dr. GlarE erfdjien, morin er, obroohl Gonful ber BepubliE, einer Ber* 
bünbung oon gaitj ©üb*3lfriEa, einfdhliejjlid) SranSoaalS unb bes Oranje» 
greiftaateS, unter britifdber glagge baS 2Bort rebete. ©o äußerte fid) ber 
3JJann, ben man heute jum SanbeSoerräther ftempeln mödhte! ©elbft* 
oerftänblidh Eonnte idh ntit ihm in biefem fünfte nidht übereinftimmen, unb 
idh gab meine gegnerifdbe Meinung ju erEennen. 

2ln Dr.. GtarfS ©teile rourbe fpäter $err SJtontagu SEBEjite als 
BerufS=6onful ernannt. ( Gr ift Gnglänber oon ©eburt, aber Bürger oon 



256 


Karl 33Iinb in £onbon. 


©ranSuaal geworben. SJtit ihm habe ich ebenfalls freunbfd^aftliö^ öfters 
verfchrt. 2ltS bie Sturmwotfen im vorigen Safere am politifcfeen ©efidjts« 
freife erfefeienen, bemühte fidj Dr. Glarf burdfe öffentHd^e Sieben für Gr= 
fealtung beS $rieben3, fo 3 um 33eifptet bei ber auf bem Trafalgar Square 
unter freiem ftimmel angefagten SJtaffenverfammlung, bei ber ich ebenfalls 
jugegen mar, unb wo es mit bem ©ebritll eines erfauften Sanfeagels, 
mit Stein-- unb SJteffermerfen fo fd)litnm juging, bafe bie Serfammlung 
gefprengt mürbe. 

Slbennals mürbe ber ©ranSoaal:9(uSf<hufe erneuert. &ier jeigte fich 
Dr. Glarf jum britten SDiale übergemäfeigt, ja, auffatlenb bereit, #emt 
Gfeambertain entgegenjufomnten, obwohl es auf ber #anb lag, ba§ biefer, 
nad) jebem erlangten 3 u 9 eftänbniffe, immer roieber höhere Sortierungen 
fteDlen mürbe unb es il)m lebiglidj barauf anlam, bie Stegierung ju Pretoria 
jum 3iehen beS Saniertes ju reijen unb ju jwingen. 

3d) fonnte mir Dr. Glarfs Haltung nicht erftären unb führte fomohl 
mit bem ©ranSvaat«2luSfdjujfe, in ben ich nneber eingetreten mar, als auch 
mit Dr. Glarf Sriefwechfet bari'tber. ©er SluSfcfeufe erflärte fi<h als nicht ver« 
antwortlich für baS, roaS ein SJtitglieb außerhalb ber Sifeungen als Stebner 
fage. ©ie Slutmorten beS mir befreunbeten SJtamteS waren inbeffen nicht 
befriebigenb. Unb ba er bod) bie Seele beS SluSfcfeuffeS fchien, fo jeigte 
id) meinen Austritt an unb veröffentlichte in einer Steifee englifdier unb 
amerifanifchet ÜDionatSfdjriften Slbfeanblungen ber entfehicbenften 2lrt gegen 
bie Gbatnberlain’fdje ^ßolitif. 

Seitbem ift feftgeftetlt worben, bafe Dr. Glarf bamafS wieberholt ver« 
traulnfee Unterrebungen mit Ghantberlain gehabt halte/ bem er von ber 
3eit feiner Bewerbung um einen 2fbgeorbnctenfife in Gaitfenefe feer »er« 
pflid)tet war. ©iefe Unterrebungen fonnten ju feinem 3tele führen, ba 
Gfeamberlain — wie ich bieS ju Dr. Glarf von 9lnfang an auSgefprocfeen 
hatte — unbebingt auf ben Krieg loS arbeitete, ©leicfemohl liefe fi<h 
Dr. Glarf eine 3eit lang beeinfluffen unb rebete einmal ben Sorfdjlägen 
GhaniberlainS baS Sffiort, unter abfälligen Semerfungen über Krüger. 

©anj geittäfe feiner ftets vorfidfetig taftenben Haltung fchrieb Dr. Glarf 
in bem vielberufenen Sriefe nach Pretoria: ,,©ie Sefefeung ber ißäffe burch 
bie Suren würbe wohl bei Kriegsausbruch von augenblidlidhem Stufeen 
fein; allein ber ©influfe eines folgen SorgefeenS auf bie Stimmung in 
©nglanb würbe fdjlimme folgen nad) fi<h jieljen." ©afe bie ißäffe befefct 
werben würben, verftanb fid) gewife von felbft, unb bie betreffenbe 9leufeerung 
enthielt wahrlich nicht fowoht einen Statfe, als vielmehr bie Erwähnung 
einer unausbleiblichen ©featfadje. ©aS ergiebt fid) auch aus bem Stach * 
fafec, in welchem gewife fein SanbeSverratfe, fonbent eher eine Slbmafenung 
enthalten ift. 

©en freien Sürgcrn ber Stcpublif blieb feine anbere 2ßafel, als vor« 
jubringen, um fidj ihrer Uuabl)ängigfeit ju wehren. Einem Sßunber gleicht 



Dr. darf, bet angebliche £ait&esoerrätf}er. 257 

es, bafj eine Seoötferung, bie nidjt jaljlreidber ift, als bie einet engtifdjen 
Äleinjtabt, nod) {jeute bet SBeltmadit, bie eine }efyn* ober jwanjigfad) 
größere ©treitmadjt in'S $elb geführt bot, forooTjC im Dranje=$reiftaat, als 
au<h in bet ©übafrifanifcben ÜRepubtif, nad» einem Safte beS Kampfes nodj 
immer bie ©pifce bietet — wieberbolt fogat in nädjfter ÜHäfie ber ^aupt; 
ftäbte biefer SRepublifen! ©inb ba bie neuen 2luSbrücfe: „®ie Dranje^u^ 
StnRebelung" nnb „®ie ©ranSoaab2lnRebelung", eigentlich am $lafc? 

(Sngtanb fdjafjt fidf in ©übafrifa ein jweiteS Srtanb, beoötfert oon 
einem SBolfSftamme, ber nidit, wie bie Sren, englifd) fpridit, unb ber ju 
bem $affe, ben bie 3Kel)rjaht ber Sten gegen (Snglanb empfinbet, nodj 
eine jähe 2luSbauer im Kampfe entmidett, bie bereinft, wenn baS SBeltreidj 
einmal einen grofsen Krieg mit woflgerüfteten grembmäditen ju befteben 
bat, Rbwer mit ins ©ewidit fallen mirb. ©den bodj bie neueften, alles 
33ötferre<i)teS fpottenben 23erorbnungen beS Heerführers in ©übafrifa eine 
mabre ©racfenfaat beS SngtimmS unter ben 9tiebergeswungenen! 

©en Bürgern ber beiben $reiftaaten liegt gefefelidh bie allgemeine 
2ßebrpfliä)t ob, wenn baS Aufgebot an fie ergebt, folgen Re ibnt nidjt, 
fo fann ihnen gefebtid) burdj ihre Mitbürger ber ©tanbreditstob brobeit. 
©ibroören jie aber ben butd) Sorb SRobertS oon ihnen geforberten 9ieutra= 
litätS;@ib, fo mailen Re Rd) eines ftrafbaren Verbrechens gegen ibr Vater* 
lanb fdjutbig. ©diwörcn Re ibn nidjt, fo foHen Re als Kriegsgefangene über 
■Dteer nadf ©t. Helena ober Setjlon abgeführt werben. (Sine fc^öne 2Baf»l! 

2Bo ift je in ber ©efdndjte ©leides oorgefommen? 

Sftan benfe ft<b bie gtanjofen ober 9tuffen, ober S3eibe jufammen, 
hätten Reh SonbonS unb noif» eines roeiteren ©feiles oon (Snglanb be* 
mädjtigt; eS beftünbe in biefem Sanbe bie allgemeine Vkfrpflidjt; unb ber 
Oberbefehlshaber beS eingebrungenen feeres erliefe eine foldje Verorbnung 
für Stiftung eines 9teutratitätS*(SibeS, ober er erflärte gar bie Viirger beS 
Vereinigten Königreichs für Untertbanen feines dürften! 

Hat ni<ht Gfamberlaitt nod) 1896 in amtlichen ©djriftftiiden bie füb* 
afrifanifdhe SRepublif als einen „fremben ©taat", eine „Srembmadjt", 
förmli(h anerfannt? 28ie? wenn etwa ©eutfdjlanb, beffen Heer 1871 
halb $ranfreidj befefet hielt, oon ben Bürgern beS SanbeS einen 9teutr«litätS= 
(Sib geforbert ober fie gar ju Unterthanen erflärt hätte? 2Ran brauet bie 
Vergleichung nur ju ji eben, um bas Ungeheuerliche ber Vorgänge in ben 
fübafrifanifdien $reiftaaten ju empfittben. 

SBenn VJänner mie Dr. darf, ber jeft feinen ülbgeorbnetenfifc bei ben 
dieuwaflen oerloren f»at, unb 3tnbere, halb mit mehr, halb mit weniger (Snt* 
fefiebenheit, R<b gegen fold^e Untbat auflehnen, fo begeben fie nicht Hoch* ober 
SanbeSoerrath- 9lein, Re banbetn lebiglidl) nach ben ©eboten ber VtenfcflidjEeit, 
beS VedjteS unb ber ©erechtigfeit, bie anfs ©cfmad)oof(fte oerlebt ju buben 
bereinft Snglanb — bem wir gewijj nie Unheil, foitbem ftetS nur SBofl* 
ergehen angewünfdit hoben — wahrlich tbcucr fann ju ftehen fommen. 




Sulamitb. 

€tne biblifcfye tlooelle. 

Don 

<$uftab 3Iäget. 

— Berlin. — 

„Unb emig mirb Dein £ciben bauern, IDeibl* 

So fdjlog ber meife tyrtenpatrlard} 

Jn b*if5** IDüfte feine Ubenbprebigt 
Unb fab gen IDejien, mo bie Sonne fanf, 

(Ein rotier Ball, in rotbe (Slutb getauft. 

Sein Uuge glühte, burdj bie gelbe Ejaut 
Der magern tDange flimmerte es rotb, 

Unb 3omig 3itterten bie fdjmalen £ippen 
Don feinen IDorten nodj. (Es mar ein IDeib 
Des bejien Wirten por md?t langer Seit 
§um Badjbarjtamm geflogen, benn fte fanb 
Jn feinen gelten ihren (Ehebrecher; 

Doch floh ber (Sram mit ihr, fie flecht 1 unb ftarb 
Uuf frember ITlatte, aber jebe tladjt 
Umflog ihr (Seift mchflagenb ihre Sippe, 

Unb jeben Ubcnb fd}lo§ ber Patriarch 
IHit bittern IDorten feine Ubenbprcbigt: 

„Unb emig mirb Dein £eiben bauern, IDeib l" 


Hadjbenfenb fa§ bei ben Uameelen noch, 

(Db biefen IDorten, Sulamitb, bie Junge, 

Unb ftarrte in bie £uft. Schien Hadfts ber monb 
Unb traf fein £icbt bie junge Sulamitb, 

So 3itterte ber falte Strahl, es fab 

Das meifje £icbt bas Urbilb reinfter Schönheit 





Sulamith. 


259 


Die fjirten aber, bie fid? EDeifung polten 
Don Sulamith» ber patriardjentochter, 

§u täglichen (Sefdjäften, hüben an 

flammeln unb 3U flottem, fall it^r Kuge 
Des IKäbchens Kuge. (Einer freilich, einer 
Der braunen Flirten fog bie Straften auf 
Unb gab fie ber 3urücf, von ber fte Famen. 

(Es war fein Etame 3abal, unb fein Dater 
Befaß bie Königswürbe feines Stammes, 

Unb wie es Sitte, bient er in ber ^rembe, 

Doch feiner Krbeit leuchteten 3wei Sonnen, 

Des (Eags (Seflirn unb Sulamith, bie 3 unge, 

Unb fchnefl verging ber fdjweren Krbeit §eit. 

* 

3erufalem. — €s Hegt auf feinen Dächern 
Die flitte tTacfjt, nur heöer EDächterrnf 
€rtönt 3eitweilig in ben engen Straßen, 

Doch um bte Königsburg ertönt Fein laut, 

Die IDachen flehen auf ben Speer geflößt. 

Ittit mattem leuchten flimmert wohl ein Stern 
3 n einem (Eifenhelm, ein weißer Burnus 
Derräth auch hie* unb ba bie ernjten Krieger, 
lautlos unb regungslos bewachen fie 
Die JTtauern §ions, König Davibs Burg. — 

Der 3 nben großer König fteht ben (Eob 
Kn feinem lager fielen, es weichet nicht, 

EDie fonfl, ber (Eob bem Drohen biefes Königs. 

€r fleht unb h<***t, halb Fommt ber KugenblicF, 

Den, ftärFer als ber König, (Sott beftimmt. 

(Sebulbig wie ein treuer Bote h<***t 
Der fchlichte (Eob auf biefen Kugenblicf. — 

Drei IHänner weilen noch in bem (Semach, 

Der Krjt, ber Fjohepriejler unb ber ^elbherr. 

Des Königs ^reunbe nennen ftcfj bie Drei, 

Unb unverfudjt blieb immer ihre ^reunbfchaft 
^ür ihren König, alfo finb es ^reunbe. 

Dem lager nahet UTaöuch jeßt, ber Kr5t, 

Unb läßt bes Königs Kthem feine £}anb 
Berühren, langfam nicFt fein fjaupt, er neigt 
5um ©h re Dauibs ftch, er fpricht, nun hebt 
Die feuchten 2 lugenliber König Davib. 

Der Kr3t fpricht wleber, winFt bem ^elbherrn 3U, 
Dem E^ohenpriefter, Beibe nahen fi dj 
Dem lager Davibs, 3e&er fpricht 3U ihm, 

Der König feuf3t. „(Es muß fein," brängt ber Kr3t, 
„Die §eit enteilt, unb morgen — " „morgen?" feufßt 
Der FranFe König, „morgen fühlt Dein leib 
Der 3 « 9 ^ SonnenFuß 3U feinem Ejeill" 



260 


(Suftao 3^9 er in Berlin. 


So locft ber Ur 3 t, ber ^felbberr nicft, ber priefter, 

Unb feine feudjten Ungenliber bebt 

Der franfe König. „3a, er rnill," raunt ItTaffud}, 

„ttun eile, <Jelbberr Kaleb, eile, eile!" 

Der ^elbberr ging, ber König fenf 3 t, bann fdjläft er. 
(Es fcbmeigt ber f^obepriejter unb ber TXt$t. 

Die laue Badjtluft t^ebt bes ^enfiers deppidj, 
Unl]örbar ftreift fte Daotbs trifte Stirn, 

UnbÖrbar fiebert audj ber fd}lid?te (Eob. 

* * * 

(Enblofe IDüfte. IDie ein grünes Blatt 
(Ergebt ftdj bie 0 afe aus bem Sanb, 

Unb meiße gelte lendeten burd? bas <5rün. 

Der patriardj ftebt neben feinem Boß 
Bereit 3 um Uuffprung, IDaffen trägt fein Seib, 

Unb feine £}anb t^ält feft bes Boffes fjaar. 

Unftatt bes Stabes tragen fdjarfe £an 3 en 
Die Wirten, iljrc Bugen haften feft 
Buf ihrem fjerrn, gewärtig bes Befehls. 

IDinbfdjnell rollt eine IDolfe IDüfienfiaub 
Dem Säger 3 U. (Es bröhnt unb flirrt unb bli^t 
Bus ihrem Dunft; bie flirten märten ftumm, 

Stumm l^arrt ber patriardj. Die IDolfe naht, 

Bn ber 0afe Banb löft fie ftdj auf, 

Unb eine f leine Beiterfcfyaar fprengt an. 

„lüillfommen, Kaleb!" ruft ber patriardj, 

Unb Kaleb: „bjeil unb Königs <$ruß Dir, Saphat. 
fjeil Dir unb Deinem Stamm, es fegnet Did? 

3 ef|oual]! IDo weilt Sulamith, fte wirb, 

Des Königs IDeib noch heute, fd^miiefet fte. 

Die Buserwählte meines Ejerrn unb Königs!" 

(Eief beugt fein weißes Ejaupt ber Patriarch, 

Der König will es, alfo fragt er nicht. 

Dod? Kaleb greift nach feiner £}anb unb fprid^t: 
„Schwer franft ber König in 3evufalem, 

IDir fürchten Blies, bod? ein reines Kinb, 

Bus ebler gudjt, bas nie ber Stabte Suft 
3n ihren Bufeit tranf, fie rettet ihn, 

IDenn fte in Siebe halb fein Säger tljeilt. 

So will es ITtaHud?, Dauibs größter Br 3 t. 

Oeil Dir, id> f^be Sulamith erwählt, 

Unb biefe Badjt fielet fte als Königin. 

(Eragt bie (Sefd^enfe in ihr gelt 1111 b prüft fie!" — — 
Die (feuer praffeln, Säntmer breiten fidj 
Unb junge gicflein fdjmorenb an bem Spieß. 

Buf Skalen häufen ftcb bie ^riidjte auf, 

Unb aus ben Krügen buf tet bas (Setränf. 
gutn IKabl natjt Sulamith, Kaleb fpringt auf: 



Sulamith. 


26 \ 


„Beim em’gen (Bott, bas ig bie Schönheit felbgl" 

(Er fniet unb fügt bett breiten purpurfaum 
21m Kleibe Sulamitffs, bes Königs Kleib. 

Unb Sulamith ? XOet fragt ein Kinb, ein IDeib, 

ZT a<h feinem ZDiöen. Sulamith ergebt 
3h* fdjönes Zluge; eine TDelt roll (Slücf 
Birgt biefes Zluge, tjordj, je^t fpricht pe aud?: 

„3<h »iß D** folgen, Kaleb." £angfam fenft 
Das Zluge Pdj. Der feuchte <Slan 3 bes Zluges, 

(Er fammelt pd* jti einer grogen perle, 

Sie 3 ittert an ber ZDimper, fallt, — bas <5ras 
Dermunbert pdf, — feit mann fällt Wittags (Et|au? 

(Ein fdjnefler Zlbfdjieb. (Eine fjanb nur ruht 
(Etn TDeildjen länger in bes IHäbdjens £?anb. 

„Zludj idf bin einmal König," güftert 3 a &ol. 

Smet Zlugenpaare fudfen pdf, umfog 
Dom IDügenminb bemegt pdf fad?t bas Zjaar 
Der beiben Xnenfdjen. 3^* fpridyt Sulamith 
gmet ZDorte nodj. Smei böfe ZOorte pnb es, 

ZDenn pe 3 mei b^erjen trennen: „£ebe mobil" 
ZOinbfd^neö rollt eine JDolfc tDüftengaub 
Dom £ager fort, es brötjnt unb blitjt aus ihr; 

Sie löft pdf auf am fernen Zjor^ont, 

Doch bie (Dafe liegt in feiger Bub’. 

* * * 

Die ftifle ZTadjt liegt auf 3 e rufalem. 

Zlm £ager feines grogen Königs gebt 
Sein groger 2lr3t unb hält ben bürren Zirm 
Des pedjen (Breifes lange IDeile fcbon. 

IDie langfam fdjleicht ber träge purpurftrom 
Durch Dauibs £eib, ber 2 ir 3 t erfchricft unb fragt 
Den £}obenpriefter: „IDo bleibt Kaleb, (freunb? 

Kaum füblt mein Ringer noch bes KranFen Blut, 

(Er ptrbt, Fommt Kaleb biefe Stunbe nicht I" 

ZTocb tönt bas angguoll laut gef proebne ZDort, 

Zlls Kaleb eintritt. „(Enblicb, enblicb, Kaleb I" 

Haft UTallucb freubig, unb fein Zluge fudjt 
Die 3ttngfrau. „Bei ben grauen lieg i<b pe," 

Sprint Kaleb. „Bafenb ging ber beige Bitt, 

Sie braucht (Erholung, Bäber, Salben, Kleiber l" 

„ZDas nod?!" ruft fpöttifch UTallnch, „mie pe fprang 
Dom Bog in Deinen Zirm, fo brauch’ idj pe! 

IDiö i<h ein IHäbcben, bas nach Bifam riecht, 

<Beh* ich 3 wm ITTäFler. Schnell 3 ur Stelle fei 
Dein IDügenFleinob. Sicher fliegt ihr puls 
ZToch milb nom tollen Bitt burefj ihren £eib. 

ZToch trägt ihr Körper jenen milben Duft 
Don Steppenblumen, Schafen, Siegen, pferben, 



262 


(Suftap 3 ^ 9 ^« in Berlin. 


Den i<h fo fdjon mir als Kr3nei gebaut. 

Unb puls unb Duft unb 3ugenb foll 3ugle«h 
(Etnmirfen auf bes Kranfen ftillen (Seift. 

Kufregenb heilfam, alfo mill i<h esl" 

Unb Kaleb ging unb brachte Sulamith* 

Da ftanb fte im (Semach, es legt ber 2Xrjt 
Kuf ihre Schulter feine f dentale £janb 
Unb fpricht ein leifcs IDort: „(Entfleibe Didj." 
(Sehorfam folgt bie 3 ungfran. * £eife pjiertt 
Die IHämter unter ftd?, bann 3ieht ber Urji 
Den bunfeln Soleier pon ber Kmpel £idjt. 

Hun t^ebt er nochmals feine fd^male fjanb, 

Bef gattet feine Kugen, fteht — unb fdjmeigt. 

€s fdjmeigt ber fjofyepriefter unb ber felbfjerr, 
Dergagen fte ben König? — Sulamith 
Stellt nacft im £id^tfdjein ba ber golbnen Kmpel, 
<San3 nacft. — So fah gemig bie 3 n 9enb aus, 

Da fte por Seiten aus bes Schöpfers fjanb, 

Kls (Ep a auf bie junge (Erbe ftieg 
Unb (Eben erjt 3um magren (Eben machte. 

Den Kopf neigt Sulamith, ihr langes Ejaar, 
Bothbraun pon färbe, fyat ftdj aufgelöji; 

EDie bunfle (Sluth umftrahlt es Upen £eib, 

€s funfeit, fni(tert; — floh ein feiger Strahl 

Der tDiiftenfonne in bie Königsburg 

Unb 3äl]mt’ erfdjrocfen f^ier fein grelles £idjt? 

Des Uläbdjetts Bugen ftarren auf bas Bett 
Des franfen Königs, melier IDeife löft 
Die ftumme Sprache biefer Bugen auf? 

Der 3arte Bufen mögt in milber fjafi, 

(Setrieben burdj bes §ev$er\s tollen Schlag, 

Deg bumpfe döne Hiemanb unterbricht. 

Hur fte erjählen in bem fcffmülen Baum 
Don Bllem, mas bas IHäb<henher3 perlor, 

Begrub, bemeinte, troftlos, millenlos. 

(Ein tiefes Konten geht burdj bas (Semach, 

Die IHänner grübeln, felbft ber fühle Ur3t, 

Starrt länger, als es fein Beruf erlaubt, 
t?artnäcfig auf bie 3nngfrau, feine Ejanb 
Umfchliegt fein Kinn, unb langfam nicft fein Qaupt. 
Dod? unbemerft h^b eine 3nnglingshanb 
Den ferneren depp ich an ber hohen ^ür. 

Smei Bugen flammten 3U ber 3 «ngfrau £eib 
Hur einen Bugenblicf, bann fiel ber Dorhang 
Unhörbar mieber, unb unhörbar ging 
Der Sohn unb (Erbe Dapibs, Salomo. 

3n bem (Semach führt tHalluch jetjt, ber Ur3t, 

Des Patriarchen dodjter hin 3um Bett 





263 


Des alten Königs, unb er f priemt 3 u ifyr: 

„Don nielen ©aufenb bijt Du auserlefen 
§um tDeibe König Datribs, tyrn 3um bjeil, 

So tjofft fein Heidj, 3 eru f a i em unb »«• 

3 efyot>afi fegnet Dtdj unb Deinen Pater, 

Unb wie in alter Seit einfi Kbrafjam, 

Sein Kinb gefyorfam 3um Kltare trug, 

KIs bejtes ©pfer feines weiten £anbes, 

Da es fein (Sott befahl, fo fieigft audj Du, 
mit Deines Paters IPitten, als ein ©pfer, 

Knf ben Kltar non weichen Purpurfiffen, 

Den eine 3 an 9 f rau nur a is U?eib ©erlägt 1 " 

3 m Bett liegt Sulamitft. Der ^elbtjerr ging, 

Der fjoljepriefier unb 3ulet$t ber Kr3t, 

Badjbem oerfdjleiert er ber Kmpel £id?t. 

Drei gingen, bennodj blieben brei ßurücf, 

Der König, Sulamitf}, ber fdflidjte ©ob. 

IPer fdjweigt am tiefften woty non biefen Drei? 

* * * 

Die ftiUe ZIadft liegt auf 3 eru f a ^ m » 

€s fdjwanb bie mitternadjt, fdjon funfeit auf 
Km bunfeln Ejimmel befl ber IHorgenftern, 

Da flirrt an einem ITCauerftein ein Pfeil, 

Das €djo weeft ein langer EDadjeruf, 

Dem Kntwort wirb. S®*i IPad^en naiven ftdj. 

„3<i? f a *t cs beutlidj, wie ein mann erwuchs 
Kus jener maueräinne, unb ba fdjo§ idjl" 

€r3ät^lt bie erfte EDadje. Beibe fdjreiten 
Den weiten Burghof ab 3um Ittauerranb. 

Sie finben nidjts. „Du fabft ein ETadjtgefpenfU" 

Bannt fadjt ber 3weite EPädjter. ^ebev madjt 
(Ein tteimltd} Seiten gegen böfe Sdjatten 
Unb tritt in feinen IPinfel. 3 m (Semad? 

Des franfen Königs t^ebt ftd? Sulamitb 
Uns einem ©raum uom weiten Kiffen auf. 

Unf{etm(id) beutlidj freilidj war ber ©raum, 

Sogar bas leife Pfeifen Ijörte fte, 
mit bem fie 3 a ^i m ber EDiijtenfteimat, 

IPenn Köes fdjlief, aus tfyrem Seite locfte 
Unb mit tf^r pon ber frönen Suftmft fprad? 

Unb gute ZIadft if^r fagte, fiinbenlos. 

Da pfeift es wieber leife, — Sulamitfj 

Sdjricft auf unb fielet — unb „3abal, 3abal" fyaudjt fte. 

€r fielet cor iljr, fte fpringt uom £ager auf 

Unb fdjwanft unb fällt, fanft lägt fte 3 a ^ a is Krm 

S» Boben gleiten, auf bem fyoben ©eppidj, 

Da finbet 3 a & a l feine Sulamitfy, 

£Jei§ fangt fldf ITCunb an Utunb in wilber fjajt, 



264 


(ßuftao 3 äger in Berlin. 


Unb toll tobt fjerj an F}er3 in bumpfen (Tönen. 

Hur fte e^ählen in bcm fdjunilen Baum, 
tDie tiefe £iebc nimmermehr entfagt 
Unb baß noch Feine (Trennung Breiten fcffuf, 

Die tiefe £iebc nicht bc3toungen hätte. — 

Der FranFe Bönig fd?lägt bie Bugen auf. 

(Er träumte auch — ben letjten (Tranm — bie 3 u 9 en & 
IDar bei ihm, unb als £}irt im TDeibelanb 
(Erging er fich mit feinem liebften IHäbchen. 

Dann ruhten fte im (Srafe. Dauib lächelt 
Unb jiiitjt fich tnühfam auf ben morfchen Brm, 

Die trüben Bugen fuchen im (Bemach, 

Sein IHunb nnü IHalluch rufen, hoch er fdftueigt 
Unb lächelt tuieber; fiißer, füger (Traum, 

Du millft nicht fchtuinben, mohh fo bleibe noch. 

(Er ftnFt 3urücF noch lächelnb, glücFlich, froh, 
tDie einft in ferner, golbner 3 n 9 en &3 c 't, 

Unb ba er ein (Befegneter bcs £}errn, 

So fcheint es (Sott ber rechte BugenblicF, 

Dag er bie reine Seele nucber rufe, 

(Er minFt bcm (Tob, ber (Tob erf dauert, tief 
Beugt fich ber Unfichtbarc, unb fein ^aucfj 
Berührt ben großen Bönig Darib. 

* * * 

3 m (Dften tagt es, ba hebt Salomo, 

Bach ruhelofer Badjt ben ferneren (Teppich 
§ur (Thür bes Bönigs^immcrs facht empor. 

3 n grauen Bebel füllen bas (Bemach 

Der Bmpel fchmaches £icf}t unb UTorgenbämmer. 

(Er fpäht 5unt Bett; bort ift es tobtenftill, 

Doch 3ittert Doppelathem burch ben Baum 
Dom Boben 3U ber bunFeln DecFe auf. 

Bun fieht er Sulamith, fielet 3abal auch, 

TDie auf bcs (Teppichs Blumen Brufi an Bruft 
3 m Schlaf bie Beiben fich umfangen h^ten. 

§um Bett bes Paters fehreitet Salomo, 

Unb Daoibs ftilles heit’res Bngeftcht 

Sagt Blies ihm. Still Fniet er uor ber £eidje, 

(Ein Bönig, betenb ror bcm tobten Bönig, 

Sieht er ber eignen gufunft FjerrlichFeit 
3 n biefer Stunbe nor bem jungen Blicf? 

3n tiefen athmet hmtcr ihm 

Die heiße £iebe burch ben flillen Baum 
Unb meeft aus feinem Beten Salomo. 

(Er tritt 3U Sulamith unb 3 ^^t h* n 
Unb hält mit fich unb ber philofophic 
Dor Beiber Schlaf ein lautlos Smiegefpräch. 

Doch bie Philofophic laßt ihn im Stich 



Snlamitt}. 


265 


Unb madjt bcm ungewollten ZTeibe piatj. 

Des jungen Königs (Jug werft 3 ü ^ al au f* 

3äfy FHnbet bes (Erwachten tDeliernf, 

Dag er bes (Eages 3 ammcr 9 an 3 erfaßt. 

IDilb rollt fein glüfjenb Kugc, Fennt er boefy 
Kus manchem Kricgs 3 ug König Daribs Sofyn. 

Zimt reidjt er 3 encm tro^ig feine bjanb, 

„ 3 d? bin ein Königsfotin, wie Du," fo tro^t er, 
„ 3 dj bin ein König," lächelt Salomo; 

„3n biefer ZIadjt ftarb König Daoib, ftarb, 

3 nbeg fein IDeib als <£t}ebred?erin 
3n Deinen Zirmen girrte, fdjweige, 3 a ^ a ^ 

Die liebe foll and? Didj entfdjulbigen, 

Sie war Dir ^üt|rerin in biefer ZTadjt, 

Dor iljr fdgit$t Feine Ittauer, möge Dicfy, 

So treu wie liebe, Hoffnung l^cimgeletten." 

3abal will fpredjen, aber Salomo, 
geigt fdjweigenb auf ben (Eeppidj, Sulamitfy 
Schläft forglos weiter, wie bie 3 u 9 cn & fäläft. 
„Komm, 3abal," brängt ber König, 3 a & a l leert 
3n biefem Zlugenblirf ben rollen Keldj 
Der Bitternig bes lebens langfam aus, 

€rfpart bleibt tyrn Fein (Eropfen. „3abal, fomml" 
IHalint Salomo, wilb glühen 3 a & aI s Zlugen, 

ZDie rotfye Zlugen eines IDüffenlöwen, 

Der Beute wittert. König Salomo 
Bewadjt tt^n feft. (Er fpridjt 3 um britten IHal: 
„Komm, 3 a &all < ' Unb es tönt wie fernes (Srollen 
Des IDüftenlöwen, welcher Beute ({eifert, 

Unb 3 abal gefyt; ein löwe weidet bem anbern, 

Unb wieber rufyt in tje^rem Doppelfdjweigeit 
Des (Eobes unb bes Sdjlafes bas (Semadj. 

Dodj jet$t werft Sulamitt| ein ferner Sdjrei; 

£r traf itjr bjer 3 , unb ge fäfyrt jätj empor. 

Sie ijt allein, — allein, — unffcimlidj liegt 
3m IHorgenbSmmer bort bes Königs Bett, 

Unb brofyenb fpridjt 3 U iffr bie IDitFlidjFeit. 

Sie fließt hinaus, unb „ 3 abal, 3 a ^ a ^" nift fte. 

Der EDanbbeFleibung bunt burdjwirFter Stoff 
Derfdjlingt tfyr 3 ammern, enblos fdjeint ber EDeg 
Der breiten (Sänge, bie ifyr ^ug burdjeilt; 

€in groger pradjtfaal tjält fte enblid? auf, 

Derwirrt, erfdföpft unb Feudjenb fyält fte fidj 
Km fjolfen Bogenfenjter, nor tljr liegt 
3 crufalem in blauem IKorgenbuft, 

Unb frifdje luft ffrömt Ftifylenb auf fte ein. 

Sie beugt fidf weit hinaus unb atttmet tief 
Unb fyordjt. €in rauhes Ulämterladjen fdjallt 

9^orb unb ©üb. XCV. 284. 


18 



266 


(Suftao 3äger in Berlin. 


(Empor, nun tjört fte: „^ollah, Bacfjtgefpenft 
Pon ^leifch unb Blut, Pu fpuFji mohl nimmermehr!" 
Sic fie^t h^ab. Pa unten, abgrunbtief, 

Uuf meinen ^JelfenFltppen läuft bie XTlauer 
Per Königsburg. gmei IPachen (preßen bort 
Unb beuten lachenb auf ben fcharfen Stein; 

Port liegt ein XTtenfch, aus feinem XTlunbe fliegt 
(Ein bünnes rothes Bächlein. Sulamith 
Starrt unoermanbt hinab, bie »ergeht. 

Sie ftarrt noch immer, fchmeigenb, thränenlos. 

3m ©ften glüht ber £?tmmel, Salomo 
<fanb Sulamith im h^h en Köntgsfaal. 

„3ft hier ber piatj, mo meines Paters IPeib 
tTach ältlichem Befcbluß permeilen foll?" 

So fragt er je^t bie bleiche Sulamith- 
Pie IPeib gemorbne 3 un 9fran abe r fpradp 
„Klein piatj tft nicht beim König, nicht bet Pir, 

Peff golbnes Kleib ben Königsfohn cerräth; 

Port unten ift mein piafc, bei jenem £eichnam, 

Per lebenb 3 a bal hieß. IPer fragte mich 
tnit einer Silbe nur um meinen JPillen? 

3<h mar gehorfam, boch mein junges 
Bethörte mich in einer heißen Stuube, 

Unb ich bereue nicht. XTtein armes b?irn, 

€s fonnte nicht mehr benfen, übermübet, 

Pon ängstlicher (SebanFenjagb erfchöpft, 

Pergag es Ulles, auch bie Pflicht." (Es fchmieg 
Pie bleiche Sulamith, boch Salomo 
£ieß Feinen Blicf ron ihrer meißen Schönheit. 
IPollüftig quälte er fte fort, er fprach : 

„3ch laffe UUes gelten, boch bie Unbern, 

Pie richten anbers mie mein junger Kopf, 

Penn Pu bift eine (Ehebrecherin 1" 

Unb Sulamith fanF bebenb in bie Kniee. 

3m 0ften ging bie heil’ge Sonne auf, 

(Ein golbner Ball, in golbne (Sluth getaucht. 

Pa fah bie XPiifienheimat Sulamith, 

Sah ihren Pater, hörte feine XPorte, 

Pie bittern XPorte feiner Ubenbprebigt, 

Pie eine (Ehebrecherin rerbammten, 

XPenn roth im XPeften tief bie Sonne fanF. 

Poch in ber Hacht umflog ber (Lobten (Seift 

XPehFIagcnb ihre Sippe. Sulamith 

Schrie auf entfett, t>ou fchma^er furcht getrieben, 

3h r naefter £eib erbebte in ber Sonne. 

mit feinem golbtien Kleib bebccfte fte 

Per junge König, aber ihre 6anb 

Stieß ihn 3 urücf, ba lächelt Salomo 


Sulamith. 


Unb fpridjt: „3dj liebe Dtcfjl" Doch Sulamith 
Starrt aus bem (Jenaer auf bert weißen Reifen. 

Unb höh** fieigt bie Sonne, jet$t ertönt 
Dom b^t^cn gelt Kluft F unb (£t|or ber priefter. 
Sanft 3 tef>t bes frommen Siebes ITTelobie 
herüber 3 U ber tiotjen Köntgsburg, 

Unb wieber naht ber König Sulamith. 

€in feines Säbeln liegt um feinen munb, 

(Er fetmt bie IDirFung eines frommen Siebes, 

(Es löft bes £}er 3 ens (Dual unb ftimmt oerföhnlicb, 
Unb Sulamith ift nod? fo jung, er fpridjt: 

„3 n biefer tTacfyt, als bei Dir war, 

Starb König Daoib, beffen EDeib Du btft 
Dor (Sott unb Ittenfcben, arg mär* ber Derbacbt, 
Der auf ihm ruhte, blieb am Seben 3^^- 
(Sott wollte feinen (Eob, bie ftille ZTacfyt 
Unb ich, fonji Hiemanb weiß oon €urer Sünbe. 

€r jtarb als ein (Seredjter, aber Dir 

EDtrb Teilung burdj bie Seit benn Du mußt leben 

$ir Deinen t?errn unb König, Salomo. 

Hmt meißle 3 wifcfjen mir unb jenem (Eobten!" 

Da fdjien es Sulamith. als hörte fie 
Uus weiter ^erne ihres Daters JDorte: 

„Unb ewig wirb Dein Seiben bauern, EPeib!" 

£in tiefer Seufßer jHeg aus ihrer Bruft; 

3hr fdfönes Kntlitj wanbte ft dj sum König 
Unb prüfte feine Süge; fah ihr Kuge 
prophetifch ihres Hamens (Slorie? 

Unb langfam, langfam h°b fte ihre Ejanb. 

Da reichte feine Ejanb ber junge König 

Der bleichen Sulamith, fein Kuge fragte 

3hr Uuge, h<*f* Du fchon gewählt? Da fpradj 

Die IDeib geworbene 3nngfrau leife EPorte, 

Unhörbar fajt, melobifch boeb, es Flang 

EDie jener Sang ber franfen Hachtigall, 

mit bem für immer fte rom ^rühliug fchieb; 

„tüas will ich th un » i<h mu 6 Eid? lieben, fomml" 

Unb feine Ejerritt Fußte Salomo; 

EPas fie ihm war, befirtgt bas hohe Sieb. 




$er ©djneeberg über bem Sßoffenmeere, am borgen be$ 15. Stoöember 1893. 
Wufna&me bon Dr. Äoftcrflg. 


3Huftrirte Bibliographie. 


Btc Photographie im $iettf*e He* $ittttttel0fitttHe utiH Hie Aufgabe Her Berg« 
obferoatovien. S3on Dr. ©arl flofterfifc. Atit 23 3ttufitattonen unb 2 Xafclit 
in ©elioaraoüre. SSien, (Sari ©erolbS Soßn. 

3« golfle ber großen tJortfcftritte, bie in ben lebten 3aßren in ber $edmif beB 
PßotographirenS gemacht toorben ftnb, hat fich bie Photographie auf faft allen ftorfcßungS* 
gebieten gu einem unentbehrlichen Hilfsmittel ßerauSgebilbet. Namentlich in ber Aftroitomie 
ftnb überrafchenbe ©ntbeefungen mit £>ilfe ber Photographie gemacht toorben unb biirften 
noch toeitere toertbüoUe (^rrungenf haften, bie fich auf bie ©rgrünbung beS Baues be£ 
äSeltattS beziehen, gu ertoarten fein, freilich finb mit ber Aftropbotograpßie auch getoiffe 
Schtoierigfeiten berfnüpft, gu baten in erfter Bittie bie Unruhe ber ßuft unb in golge 
beffen baS mehr ober minber ftarfe 3ittem ber eingelneit Bilbptutfte gehört; biefetn Uebel* 
ftanb fleht inbefe ber Portheil gegenüber, baß baS pbotograpßifche Fernrohr mit einer großen 
Sicherheit unb ©jaetheit arbeitet, toie folcße bei perföitlicßer Beobachtung fchtoer gu erreichen 
ift. — 9lad) einer allgemeinen Befpreeßung ber Photographie im 3)ienfte ber $immdSs 
Photographie, bie überhaupt erft bttreß Einführung ber Xrocfenplatten möglich getoorben 
ift, geht ber Perfaffer auf bie fpecietten (Gebiete über unb erörtert bie Photographie 
ber Sonne, ber Planeten unb Trabanten, ber Afteroiben, ber floateten, ber SWeteste, ber 
JJijfterne, ber Stcrnfbfteme unb Diebel. H^ran aitfchließenb toerben bie großen tmb über* 
rafchenben Erfolge ber Photographie in Perbinbung mit ber fpectrakanalptifdien Beobachtung 
heroorgehoben. SDttrrf) bie lefctere finb hinfichtlich ber geftftelluug ber phbfifeßen (Sonftitution 
ber Sisftemfpfteme, ber Spectraltppen ber Sfisfteme unb ber ©igenbetoegung ber Iepterat 
mefetttlicße Sfartfcßritte gemacht toorben. — 2>n oom Perfaffer Dr. flofterfiß conftruirten 
Apparat gur photographifchen Aufnahme Oon Stemfcßituppen geben gtpei ber biefer Be* 
fpreeßung beigefügten Bilber toieber, gu beren Erläuterung mir bie gugeßörige Bcfcßreibung 
ber Brofcßüre entnehmen. 

Auf brei Statiben, Ai, A«, A 3 (6. 0. 270, g?ig. 1 unb 2), ift ein (Srunbbrett B, 
beffen Stabilität bur<ß ein in C angeßangteS ©cioicßt (einige 3rcgclftciitc> berftärtt toirb, 
ftarr befeftigt unb mittelft einer ßibeüe ßorigontal gefteüt. Um eine Perticalaje D ßori* 
gontal breßbar ift bamit, ber Polhöße beS BeobacßtungSorteS entfprecßenb, ein paraHaftifdßer 
3toijcßcntheiI E, F, G oerbuttben, ber aus einem ßorigontalen, auf bem ©runbbrette 
fcßletfenben Brette unb gtoei ftarfen, feft mit biefetn Brette oerfeßraubten fcolgbreiecfen 


3 lluftrirte Bibliographie. 269 

befielt. Stuf ber Slequatorebene beS paraltattifdjen 3 to ifdjentheileS ift ein Sörett a feft 
aufgefchraubt, baS bie ©runbebene für bie »eitere 2lnorbnung beS SlpparateS bilbet. 

Sbt f biefern ©rette liegt nämlich, um bie ©ola^e H in Diectafccnfion brehbar, baS 
Slcquatorbrett b, auf meinem bie beiben ©amerabretter ci unb cg, mit Schliftfübrungeit 
in Xcclination üerfteflbar, montirt finb. 3ebeg biefer ©retter trägt gtori, auf ben ©rettem 
brebbare (Camera I, II, EU, IY. ©ei bem Oon Dr. oermenbeten Apparate mar bie 
©amera IV ettoaS tiefer montirt als in ber 3eidbnung angegeben, um bie ©affetten be* 
quemer toedjfeln p tonnen; aus bem gleichen ©runbe mürben aueb bie üier©amera8 nicht 
auSeinanberfcbauenb, fonbern gegeneinanbetfebauenb montirt. 3ebe ©amera iuurbe mit 
einem einfachen Sucher aus ©arton für birecte ©tfur oerfeben (ein folcher in ftig. 2, 
©amera IV gezeichnet), ber auch toährenb ber ©jpofition jeben Slugeitblicf bie ©ontrole 
über bie richtige ©inftellung, fo»ie auch bie ©ntfdjeibung ber grage geftattet, ob ein 
Meteor burch baS ©efichtSfelb eines ber oier Apparate gegangen ift. 



UftrojJljOfttaltfc&e» Dbfettoatorium iit D’CB&afla (ftonfotysStiftung). 

«ufi: Dr. SatlÄofterfife*- ©öotograp&ie im Xienfte fest $immeI8funbe unb bic Äufgabe ber ©erg* 
Dbferbatorien". SSien, Sari ®erolb»@obn. 

Wacbbem baS ©runbbrett horizontal geftettt unb ber parallattifche S^ifchcntheil im 
Sfteribtau orientirt ift, »erben bie oier ©ameraS fo eingeftellt, baft ihre ©ilofelber toie 
bic oier Duabranten eines recbüoinfligen ©oorbinatenfaftemS aneinanberftoften, ieboch mit 
theiltoeifem Uebergreifen ber föänDer. Xcr 2Jiittelpunft beS zu beobaeptenben gelbes muft 
bamt bei ben Suchern in ben Oier inneren, auf ben oier ©iftrfcpeiben, alfo in ben oier 
dufteren ©efen ber Quabranten erfcheirten (JJig. 3). Xer 2Binfel, ben bie beiben ©amera* 
bretter, fo»ie ber SBinfel, ben bie optifchen 5ljen }e zweier auf einem ©amerabrett raon= 
tirten Apparate mit etnanber einfcplteften, ift gleich bem nufcbaren ©tlbioinfel ber Der* 
toenbeten Dbjectioe, abzüglich ber burd) baS thetltoeife Uebergreifen ber ©ilber beioirften 
©erminberung unb betrug bei ben Oou Dr. Stcfterfifc Oertoenbeten ©oigtlänber#orträtlinfen 
eüoaS über 24°, fo baft er mit §ilfe biefer Slnorbitung am Fimmel ein 3^Ib beftreühen 
tonnte, baS in linearer StuSbehnung einem ©eitchtStoinfel oon runb 50° entfprad). 

©ine Serie oon ie oier ©latten (Schleuftner) würbe immer je eine halbe Stunbe 
lang gleichzeitig ejponirt. 2ßar ein Meteor burch baS ©efichtSfelb gegangen, fo tourben 
bie DbiectiOe mit einem, einerfetts an ber Oberfante beS erften ©amerabretteS, anberer* 


270 


ZTorb uub Süb. 


feitS an einem entfpredjenb langen ©tabe befeftigten (Einfteßtuche für einige ©ecunbeti 
öerbecft, fo bafe in ben ©trichfpuren ber bei bem ftillftebenben Separate tomäergiehenben 
gfafteme furge Unterbrechungen entftanben, toeldje in ©erbinbung mit ben 3ritangaben 
beS ©eobachtungSprotofollS eine genaue ©eftimmung ber fdjeinbaren ©ahn jener Stteteore 
geftatten, beren ©puren ftd) auf einer ©latte etngegeidjnet haben. 

Erofc ber geringen Sntenfitat ber im Sftoöember 1899 beobachteten Meteore gelang 
Dr. ftofterfip hoch bie Aufnahme einiger ©ternfehuuppen*), ein (Erfolg, ben er nicht 
minber ber auSgegeichneten Dualität ber ©oigtlänber’fchen Dbiecttoe, toie ber gtoecfmafeigeu 
©norbramg bei non ihm conftruirten Apparates gu bauten hat; eines ohne bas anberc 
hätte fein ^ef ultat ergeben.**) 

3)ie gut auSgeftattete unb mit hübfehen übbilbungen Oerfehene ©rofdjüre ift bie 
©Übergabe eines fettettS beS ©erfafferS in ber Wiener ©hotograplifdjen ©efettfehaft am 
18. fjebruar b. 3. gehaltenen ©ortragS. 3um ©d)lu& hat ber Serfaffer 12 Gutachten 



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Apparat jur pbotograpplfäen Aufnahme bon Dr. (Sari Äoftcrflfc. 

Äu8: Dr. (Sari ftoflcrfip: „$ie »botograp&te im SMenfte ber $tmtneISCunbe trab bieHufgobe ber »erg» 
Obferbatorten". SBien, <5atl©erolbB 6o$n. 


üon gachgetehrten DefterreichS, ^eutfchlanbs unb ©merttaS über bas ©roject ber 
(Errichtung einer ©temtoarte auf bem ©ebtteeberg beigefügt. SDltt bemfelben ift er bereits 
öor gtoei 3ahren auf ©runb eigener ©eobachtung unb ©tubien, fotoie angeregt burch 
bie grofeartigen (Erfolge ber amerifanifchen ©ergobfertxitorien, oor bie Deffentlichfeit 
getreten. — 

2>ie biefem Referat beigegebenen 3Huftrationen oerbemfen mir bem freunblichen 
(Entgegenlommen ber ©botographifchen ©efellfdjaft in SSien, in beren bon föe* 
gierungSrath 2 . ©djranf herausgegebenem unb geleitetem Organ, ber „©botograpbi* 
fchen (Eorrefponbeng" bie jefct alS©rofchüre oorliegenbe ©bjjanblung beS Dr. flofterftp 


*) (»lettben.) 

**) 8BUC man eht noeft gröberes Selb am fctmmel befireiepen, fo tarnt man neun analog mtgeorbnete 
Dbiecttbe bertoenben u. f. tx>. 





31 luftrirte Bibliographie. 


27 \ 

guerft beröffentli<f)t toorben ift. 2Bir nehmen bie Gelegenheit toahr, auf biefeS ausgezeichnete 
3fa#latt empfehlenb pinzutoeifen, baS ebenfotoopl bie toiffenfc^af titele als auch bie fünft* 
lerifdje «Seite ber Photographie umfafet unb alle technifchen Steuerungen regiftrirt, zugleich 
burch Proben ihre SeiftungSfähigfeit oeranfcpaulicbenb. 3n ben uns öorliegenben §eften 



©t«ntfd)nuppen-?lpparat öoit Dr. ftofterue. (Jöeobad&tung ber Änbromebibenl899. 

Station $ottfc$ad& 91*0.) 

9fn$: Dr. Sari flofierftp: „®fe sp&otograp$ie im SMenfte ber ätmmersfunbe unb bie Aufgabe berSBetg« 
DbferPatorlen". SBien, Sari ©erolb» ©obn. 


ftnben fiep Aufnahmen bon h^toorragenber Schönheit, bie betoeifen, loie toeit bie Photo* 
grappie über ihre urfprüngliche Aufgabe, ein blo&eS Slbbtlb ber äSirttidjfeit meebantfeh git 
liefern, ptitauSgetoachfen ift; bie bariegen, bafe fte in bie Sphäre ber ftunft fiep erhoben 
hat refp. erhoben toerben !ann unb toohl im Stanbe ift, nicht nur ba§ Obiect, fonbern 
zugleich bie tnbiüibuette Sluffaffung beSfeiben burch ein ^ünftlerauge toieberjugeben. 

K. W. 



272 


Horb unb Süb. 


Bibltoaraphifche Kotigen. 


Horblidfjt. Dbrnan Don ©lifabeth 
©nabe. XreSben uitb £eipgig, 5?arl 
Sftetfener. 

SBicberpolt fchon haben mir in biefen 
heften bet fchriftftellerifdjen Vebeuhntg oon 
©lifabeth ©nabe gebacht, unb jebe ibvet 
neuen (Schöpfungen giebt uns anbere ©rünbe 
für unfa aiterfennenbeS Urtheil. 2lud) ber 
jiingfte, obengenannte Vornan ber Xichterin 
ift in mannigfacher Vegiehuug ein beroor* 
ragenbeS Vud), obgleich mir eS nicht als 
ihr bcfteS betrachten fönnen. ©liiabetb 
©nabe fteht hier öiel mehr auf bem Voben 
ber SBirflicbfeit, als in ihren früheren 
Romanen; fie fefjafft biefeS 9M nicf)t bie 
fcelifchen ©onflicte aus ihren ©eftalten 
heraus, fouberu fte entnimmt fic ber ßeit, 
fdjafft für bereit äBiberfprüdje getoiffer® 
mähen nur Xnpeit. Slber gerabe baS febeint 
bie Xid)teriit in ihrer ©igenart unfrei ge= 
macht gu haben: loir Pcrntiffen loenigftenS 
biefeS 2Jtol in ben ftauptperfoiten jene in* 
bioibuelleit 3üge, bie innere manne 6pm* 
pathie fonft Don oomherein machgerufen; 
mir fönnen meber ben ^rofeffor 9teubranbt 
trofc feiner trefflichen ©igenfdjaften, noch fein 
reigenbcS SBeib ftathe fo lieb haben, als 
bicS fonft ©lifabeth ©nabe für ihre 
s Utenfd)en herborruft. ©in gmeifadier ©on* 
flict gelangt in „9torblid)t" (marum baS 
Vud) fo heifet, ift uns übrigens nnerftublid)) 
^n bid)terifd)em 2litStrage. 3« überaus 
glüeflidjer ©he leben ber Sßrofcffor unb 
$ätpe, bis fie entbeeft, bah ihr ©atte ein 
craffer Slthcift fei, ber nicht einmal mahreitb 
ber heiligen ©eremoitie ihrer Xrauuttg 
etmaS bou befeligenber ©otteSnähe empfun= 
ben habel Xas ift bem frommen, firdjlid) 
erlogenen ftätbdien ein ©reuel! Xiefer 
Viamt, ihr ©atte, behauptet, baf$ er ©ott 
unb bie Religion nicht braudie; bau er feft 
auf bem hobelt ber 2Biffenfchaft ftehe, unb 
biefe alle fragen, alle 3meifel ihm beants 
morte; feine 2lnfd)auuugen hätten fid) burd) 
ihre £cfjren gu einem ©an gen gefügt, fein 
9lih hiitburd) crfchiittere ben ©Ieichmuth, 
ben für alle Vorfommniffe beS £ebenS gerabe 
jenes ©aufalitätSgefcfc erzeugt, baS bie 
2Biffeitfd)aft bictirtl Sfäthcpen fchüttelt über 
alles baS traurig ben ftopf; aber fie mill 
nun aus eigener Slnfchauung femten lernen, 
maS fo biel lauter unb eiubringlidier ihrem 
©atten erflungen, als bie ^riefte r morte Don 
ber Hansel, als ber ©oangelifteu heilige 
2lnfgeid)imngcn ! Hub üe ftubirt unb ftubirt, 
bis — fie jebe ftreube au bem Xafein 
üerliert; prebigt ber ©laube, fiiitbet bie 


SBiffcnfdjaft: 2Sabrpeit? ftätheheu toitt Pom 
£eben fdjeiben; fie fann nicht toeiter leben 
ohne ©ott! 3m lefcten Stugcitblidße ringt 
fte ber ©atte bem Xobe ab; in einer 
Sfteroenbeilanftalt finbet fte bann allmählich 
Teilung unb ihren ©ott mieber. — Sn* 
gmifdjen aber ift 9ieubranbt fiep felbft treu ge= 
blieben; raftloS, unerfchütterlicp forfcht unb 
arbeitet er meiter. ©üblich, enblicp ift’S 
erreicht! XaS Dtefultat feines langjährigen 
0tubiumS; gahUofer fchlaflofer Oiädjte; ber 
höchften fßotengirung feiner geiftigen Straft, 
in biefem gläfcpchen mar eS enthalten, unb 
§cil, unabfchbareS §eil follte beffen Snpalt 
ber Sfteufchbeit bringen! XaS mar fein 
streben, baS mar fein ©hrgeig feit Pielen 
Sahren; o! bie 9totur ift gefchmäfcig, man 
muh fie nur gu belaufcben Perfteljen! ©r, 
ber Sßrofeffor Dieiibranbt hat eS Perftanben, 
uitb Unfterblidjfeit, anbere mie bie im 
§immel ba broben, mirb fein Xheil merben! 
2Benn er nur erft am Sflenfcpen erproben 
biirfte, maS alle Xhicr=©jperimente fchon * 
ermiefeit haben! 2lber, freilich, eS fteht baS 
©efep bamiberl 3 ebt gerabe fommt ber 

Shiabe ihm in beit SSeg, ber ihm für fein 
©Epcrimcnt fo fepr geeignet erfcheint; maS 
thut'S, baji er gegen ben 2Men ber Butter 
hanbelt, bah et baS ftinb faft gmingen muh, 
ihm gu SSillen gu fein — bem ®eil ber 
Vtenfcpbcit gilt’S, ba ift nicht bie $luS= 
führung, fonbent baS 3aubern ein Unrecht. 

— „Vorbei! 3u Drbnuug!" ruft er 
triuraphirenb, hod) fein ftaupt in bie ^öpe 
hebcub, „unb gar nicht mep pat’S gethan, 
nicht mahr, Xu ©olbjunge?" — baS ftinb 
autroortetc nicht; baS SUnb mar tobtl — 

XaS geliebte 2Beib im 3rrenhaufe; fein 
beilbrittgcnbcs ©erum oielleid)t ein ©ift — 
ba empfanb ber ^rofeffor 9teubranbt hoch 
einen tiefen Dtife burch feine Slnfchauungen 
gehen; 2lUeS, mas er muhte, mopon er 
überzeugt gemefen, mar ihm ein 6tucfmerf 
gemorben! — Xie ©efchidhte Pon bem 
reltgionslofen fßrofeffor unb feiner *religiofen 
3rau mirb uns mit oollenbetem Jtingefühl, 
mit jener echt fünftlerifchen Veranlagung, 
burch Slnmuth gu erfreuen, burch feelifcpe 
Vertiefung gu erfdjiittern, maS VeibeS 
©lifabeth ©nabe als ©chriftftellerin femis 
geidmet, ergählt; bennod) ift bie Xichteri« 
uns biefeS 9M ein unbefinirbareS ©tmaS 
fchulbig geblieben. äBeniger als fonft be* 
friebigt auch bas ©pifobifchc; ba ift bie 
Xichterin bodh redht häufig bem ©efallen 
am Ueberfdimänglidjen erlegen. 

A. W. 



23ibliograpttifd}e nötigen. 


273 


ftemtimorol. Noman PonSrn ft 2Bid)crt. 

XreSben unb Seipgig, $arl Nei&ner. 

2Sir rechnen ©ruft SBidjert gu beit beften 
beutfdjen ©rgäbtem — nicht gu bert beroor* 
ragenbfien Xicbtern; um ein r tätiger $oct 
gu fein, ift er üiel gu griinblicb; batgupiel 
Surifteitblut in feinen 2lbern! Xer uns 
üorliegenbe Cornau aber ift in ber geinbeit 
ber 23ebanblung eines febr beiflen XbemaS, 
in ber pfpcbologifchen Vertiefung Pon beffen 
gür unb SBiber eine meifterlicbe 0cböpfuug. 
C^ine febr febwierige grage bat fid^ ©ruft 
2Sichert gu bidjterifcber SluSgeftaltimg ge« 
Wählt. „Sft eine grobe Siebe möglich, ioenn 
bie Achtung fehlt?" 3WeifelloS fottte öon 
NetbtS Wegen bie grage auf beibe ©efcblcdjter 
Söegug haben; Wie aberunfere coitoentioneHe 
Oftoral mm einmal befcbaffcit ift, glorificirt 
ben Ntonn, was bie grau fdjoit als eine 
Verworfene erfebeinen labt. 2luS ber bier= 
bureb ergwuitgeiten ©htfeitigfeit feiner 23e* 
toeisfübnmg heraus bat SBic^ert loobl ben 
Xitel feines VudjeS gewählt. ©ine geiftig 
boeborganiftrte, eble, temperamentpolle grau, 
bie ©räftn Sfolbe, -gerätb in bie traurige 
Sage, lieben unb — ben ©eliebteu Peracbten 
$n ntitffcn! üJtit allen ihren ftarfeu Ver* 
ftanbcSfräften , Wehrt fie fid) gegen ihr 
0djicffal, beim für fie ift jene graqe 
n priori feine fraget Nur ben 2Jtaun, ben 
fie achtet, fann bie ed)te grau aueb wahr* 
i>aft lieben! 2llfo Wäre ibr ©efiibl für ben 
Nittmeifter greiberrit Pon Rippen bie toabre 
Siebe nicht? 2lber wenn fid) nun in uns 
— ohne unferen, ja fetbft gegen unferen 
Sßillen, etwas fo gewaltig regt, bab fein 
aubereS ©mpfiitben baiteben mehr Sßlap bat, 
auch unfer ganges Xeufen auSfüllt, uitb 
wenn biefeS ©twaS Vegug bat auf ein 
2ßefen beS aitberen ©efcblecbteS, in beffen 
Nähe Wir gu einem gang neuen 9ftenfd)en 
werben; beffen Vlicf unfer 23lut gum Greifen 
bringt, beffen 23erübrung wonnige 0djauer 
entfeffelt, pon bem uns bie böcbfte 2Boitne 
beS XafeinS berguriibren febeittt, eines Xa= 
feinS, baS wir boeb ieben 2lugenblicf bereit 
finb, in bie 0cbange gu fdjlageit, Wenn eS 
baS 2Bobl jenes 2BefeitS erbeifcht — ift baS 
2llfe& nicht bie Wahre Siebe? 0o war baS 
©mpfinbeit ber ©räfin Sfolbe, unb jeber 
3weifel erftarb: fie liebte jenen Ntonn, 
wie eht SSeib ihrer 2lrt nur eingig lieben 
fatnt, uitb biefer 9Jtattn War bodj im ©ruitbe 
nichts als ein SSüftting. 0te liebte ihn 
bis gur 0imtloflgfeit unb war fid) boeb 
biefer 0innlofigfeit PoUftäitbig betoufct; aber 
bann mu&te ihre Siebe bod) ein patbo* 
logifcber 3uftanb fein? 2ßie fann benn 
eine grau ihres ©leidjen bie brennenbe 


0ebnfud)t hegen, 2llIeS, 2MeS für einen 
ÜDfann tbun gu wollen, ben fie eigentlich 
Peracbtet? — ©S War bie lebte Hoffnung ber 
©räfin 3foIbe, baß ihre Siebe 3rcfinn fei. 
Unb fie ging gu einem berporrageitben 
Sßfpcbiater unb fdjilberte ihm ben 3aftanb 
ihrer „greunbin" — ber gelehrte ®err 
Rüttelte ben topf ob folcb’ gewaltigen 
feelifcben 0turmeS, unb manch bebenflid)er 
23lid ftreifte bte ©räfin; aber gu helfen 
— permodjte er nicht! Unb fo oollgog ftcb 
baS Verhängnis. 0ie fonnte nicht länger 
wiberfteben; bie Seibenfdjaft bewies ihre 
0elbftherrlicbfeit — Sfolbe Würbe baS 
2ßeib XetlcfS, ohne ftaatlicbe ober fird)lid)e 
Segitimation. 2)ie ©he War ihr ein gu 
heiliges Vanb; baS burfte mit einem SDtanne, 
ben fie nid)t ad^ten fonnte, nicht in Söetradjt 
fommeu; aber Wenn fie für ihre Siebe alle 
trabitionellen ©rengen beS Erlaubten über* 
fdiritt, Wen fümmerte baS! Unb baS 
2Mb in ihr erhob fid), gleidifant perjüngt 
unb geflärt aus ber befriebigteu ßeibeit* 
fchaft, bie ihr, beffen war fie ficb Poll be* 
Wufet, fein 2iaufcb, fonbem eine heilige 
0ad)e war, uitb beswegen PieHeicbt — 
and) ihm heilig würbe! Xem war nicht 
fo. Xetlef War bie Eingabe ber grauen 
gewöhnt; er unterfebieb nicht gwifeben 
geiler ©ier unb bödjftem SiebeSopfer — 
arme 3folbe! 23alb war ber Xraitm aus* 
geträumt; bafe fte als eine 2Badjenbe noch 
weiter leben fönnte, barait baebte fie nicht 
einen 2lugenblicf. 

2Sir wieberboleit: ©ruft 2öicbert bat 
baS Problem meifterbaft bebanbelt; pfpebo* 
logifd) faft imautaftbar — bis gulept; gu* 
lept Will uns fdjeiuen, als ob Sfolbe, bie 
mutboolle 0treiterin für eine ewige 9)toral, 
für bie bödjftc SBeiblidjfcit, ber citlturetten 
(Einrichtung, was bie 3uftitution ber b*u* 
tigen ©he boeb nur ift, eine gar gu 
grofce Vebeutung beimi|t; befonberS ba in 
allen 23etrad)tungen hierüber Pon ber Silbung 
ber gamilie niemals bie JHebe ift. — 
„^errenmoral* ift ein febr emftbafteS 23ud), 
über baS itadjgubenfen einen hoben 2lnretg 
gewährt. A. W. 

^aiifev Shemättnev. $on SRarcel 
V rep oft 2lutorifirte Ueberfe^ung aus 
bem graugöfifdjcit pon g. ©räfitt gu 
MePentlow. SRlt 19 Sttuftrationeu 
ooit ©bwarb Xböitt). 3Jtüucbeit, 
2llbert Sangen. 

Söci jebem neuen Söucfjc ooit 2Jtarcel 
VrePoft wirb uns immer pon Steuern be* 
Witfet, wie Piel gerabe biefer 0chriftfteller an 
bichterifcher Söirfung ber ©igenart feiner 
Nationalität perbaittt — in Pielen feiner 



ITorb unb Süb. 


21 \ 

93iicÖcr ift e8 zeitiger ber £t$ter Sßreboft, 
als ber Sottblukgraitsofe, ber biefen ihren 
betonteren SRetä berleiljt. $ie „Sßartfer 
Ehemänner" ftnb ftoffttcf) toirtticß als ein 
redjt fabeS ©ud) gu bezeichnen! Setrogen 
toerben fte natürlich alle, bie glücßiden 
2)länner ber SPariferimten, jene £ulbtnnen, bie 
totr ja aus einem anberett ipreboft’fdjen Suche 
gerate in ihren ehelichen Sorgügeit genau 
femten gelernt, unb außerbem erfahren mir 
burch bie Seidhte aus bert Sllfoöen recht Oiel 
UnfdjöneS, bagaberallerbingS iitSreüoft’fcher 
@chilberung nur pifant, niemals anftößig 
totrft. Sreooft als 6prad)fünftler — bas 
ift in feinen mciften Suchern baS ©ebcimniß 
feiner großen ©rfotge! SBäfjrenb uns g. S. 
in bem öorliegenbeit Suche bie bieten Saria= 
tioiten über baS eine Xtjema fdjließlidfj längs 
toeilig mürben, gerathen mir immer unb 
immer toieber in ben Samt beS ©rgählerS. 
sticht toa$ Sßreüoft berietet, fottbem toie 


er eS berichtet, ift nahegu intoergtetcblid). 
£>iefe ©ragte in ber £arftettung ; bte gern* 
heit, in ber bie gäben ber $anblung 
auSgefponnen, fo baß ber bürftigfte @toff 
faft cptfcfjen ©barafter empfängt; bie @e= 
fd)icf(id)fett, bie getoagteften Situationen, bie 
heifelften Xhemata gang ungtoeibeutig unb 
bennoch becent gu behattbeln, baS SltteS ift 
Sreöofts 5EReifterfdhaft, bie aber, toie fdjon 
bemerft, ihren Sföüjrboben nicht nur in feinem 
großen latent, fonbem eben auch in ber 
frangöftfehen Sprache unb ht ber frangöft= 
fcbeit ©eifteSart befi^t SSir oerneinen eS 
abfolut, baß bie franzöftfdje ßitteratur burch 
biefeS Sreooft’fche Such eine ^Bereicherung 
erfahren; aber amüfant ift e£, baS föttnen 
toir als ehrlicher Äritifer nicht leugnen. 
£ie baS Such itfuftrirenben Sfiggen oon 
©btoarb Xh’önt) gereichen biefem gtt be= 
fonberem Schmucf. A. W. 



von Ernst Weiland-Lübeck. 


Abkürzungen: B. u. W. = Bühne und Welt. — D. Be. = Deutsche Revue. — D.R u. = Deutsche 
Rundschau. — G. = Gesellschaft. — I. I* = Internationale Litteraturberichte. — Kr. = Kritik. 
— Ko. = Kunstart. — Kultur. — I«. E. = Das litterarische Echo — N. — Nation. — I* = 
Lotse. — N. D. Ru. = Neue Deutsche Rundschau. — N. u. S, = Nord und Süd. — B. TT. = 
Reclams Universum. — T. = Türmer. — V. 6s Kl. M. = Velhagen & Klasings Monatshefte. — 
W. Bu. = Wiener Rundschau. — Z. = Zukunft — Z. f. B. = Zeitschrift für Bücherfreunde. — Zeit. 


Aesthetik der Gasse. Von A. Lindner. W. 
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Berliner Secession. Von H. Haberfeld. Zeit. 
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Bernhard, Sarah, in der C&ricatur. Von 

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Blaue Blume, Die. Von Ricarda Huch. 
W. Ru. IV. 18. 

Bonn, Ferdinand. Von Edm. W. Braun. 
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Chinesische Frage, Die. Von M. v. Brandt. 
D. Ru. 1900. 12. 

Chinesische Krieg, Der. Von Werner. 
D. Re. 1900. Sept. 

Deutsche Verfassungsgeschichte. Von 

H. F. Helmolt. Z. VIII. 50. 

Dostojewski, Th. Von E. Hennequin. G. XVL 
Sept. II. 

Ebner - Eschenbach , Marie von. Von 

W. Bölsche. D. Ru. 1900. 12. 

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— Von E. Heilborn. N. 19(0. 50. 

— Von Th. Sehttcklng. L. E. II. 23. 

— Aus dem Lei>en von. Von A. Bettelheim. 
D. Ru. 1900. 12. 

Eisenbahn, Die sibirische. Von E. Zabel. 

D. Ru. 1900. 12. 

England, Das heutige. Von K. Brunne. 
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Englische Bühne, Die. Von W. F. Brand. 
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Germanische Litteratur, Eine neuent- 
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Gobelins, Die Ethik der. Von R. Kassner. 
W. Ru. IV. 18. 

Goethe-Monat, Im. Von M. G. Conrad. G.XV1. 
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Goethe und die Predigt. Von Cbr. Rogge. 
T. III. 1. 

Goethe als Ehemann. Von W. Bode. Zeit. 

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feinde und ihre Rolle in. Von H. Türck. 
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Hofer, Andreas , und Honnay r. Von 

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Hohenfels, Stella. Von M. Kecker. B. u. W. 
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Orientalischer Dichterlohn. Von T. Kellen. 

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Oesterreichischen Dichtem , Von. Von 

H. H. Houben. G. XVI. Sept. I. 

Flatens Tagebücher. Von J. Hart. L. E. II. 24. 
Preussen und Russland im ersten Viertel 
des neunzehnten Jahrhunderts. Von 

P. BaiUeu. D. Ru. 1900. 12. 

Raimund. Ein verschollenes Stück R.’s. 

(Moisasurs Zauberfluch). B. n. W. II. 24. 
Beolame, Die. Von A. Emminghaus. N. 1900. 49. 
Reger, Man. Von G. Göhler. Ku. XHI. 25. 
Reim und Rhythmus. Von E. Steiger. 

L. E. U. 23. 


Richter, Hans. Von M. Graf. Z. VIII. 46. 
Riehl, w. EL, als Erzähler. Von C. V. Susan. 
L. E. n. 24. 

Russischen Schauspielkunst, Der Vater 
der. (Fjodor Wolkow). Von Alex. v. Rein- 
holdt. B. u. W. II. 24. 

Schule der Zukunft, Die. Von F. Better. 
T. IU. 1. 

Seoeasion der Bühne. Von A. Gold. Zeit. 306. 
Booialismus in Grossbritannien, Der. Von 

A. Hamon. G. XVI. Aug. II. Sept. I. 
Suaheli, Erzählungen der. Von R. Petscli. 

N. u. S. 1900. Nov. 

Theater. Berlin. Von den Berliner Theatern 
1900/1901. I. Von H. Stümke. B u. W. III. 1. 

— Hamburg, Das Deutsche Schauspielhaus 
in H. Von H. Stümeke. B. u. W. III. 1. 

— (Orange.) Vom französischen Bayreuth. 
Von P. Ehlers. B. u. W. II. 21. 

— Wien. Das Leopoldstädter Theater in W. 
u. sein Theater-AJmanach. Von A. Schlosser. 

B. u. W. II. 21. 

Tod und Jenseits im klassischen Alter- 
thnxn. Von E. Eckstein. T. HL 
Ungarische Litteratur , Neuere. Von 
H. Glücksmann. L. E. II. 24. 
Volkserziehung des 20. Jahrhunderts, 
Einige Gedanken über die. Von H. 
Schiller. D. Re. 1900. Sept. 

Waldersee, Graf. Von Gebh. Zernin. N. u. S. 
1900 Nov. 

Weltmächte und die Weltsprachen. Die. 

Von K. Walcker. N. u. S. 1900. Nov. 

Werder, Karl, Eine Erinnerung an. Von 

F. Laban. D. Ru. 1900. 12. 

Wiecke, Paul, Von O. Francke. B. u. W. II. 
24. 

W irthschaftliohe Concurrenz, Das Wesen 
der. Von G. Schmoller. L. L 
Zeichenunterricht als ästhetisches Er- 
ziehungsmittel. Von I. Folnesics. L. I. 
Zeitungswesen im 16. und 17. Jahr- 
hundert, Deutsches. Von M. Beyer. 
Kultur. I. & 


Eingegangene Bücher. Besprechung nach Auswahl der Redaction Vorbehalten. 


Armee und Marine. Illustrirte Wochenschrift. 
Jahrgang I. Heft 1 u. 2. Berlin, Boll und 
Pickardt. 

Aua fremden Zungen. Halbmonatsschrift für 
die moderne Roman- und Novellenlitteratur 
des Auslandes. Zehnter Jahrgang. 1900. Heft 
17, 18. Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt. 

Baer, Julius, Eine beschränkte Frau. Tragi- 
komödie an einem Tage und in drei Acten. 
Dresden, E. Piersons Verlag. 

Baldauf, Grete, Die Lieder des Mädchens aus 
dem Volke. Mit dem Bilde der Dichterin. 
Dresden, E. Piersons Verlag. 

Bartels« Wanda von. Die Hölle. Schauspiel 
ln drei Acten und einem Nachspiel Leipzig, 
H. W. Theodor Dieter. 

Bernhard, Marie. Ein Gottesmann. Roman. 
Bd. 1. 2. Dresden, E. Piersons Verlag. 

Biesendahl, Carl, Dichtungen aus Württem- 
bergs Vergangenheit. II. Bändchen. Stutt- 
gart, Glaser & Sulz. 

Bötticher, Georg, Lieder eines Landstreifers. 
Leipzig, R. Maeder. 

Brausewetter, Ernst, Knecht Ruprecht. Hin- 
strirtea Jahrbuch für Knaben und Mädchen 
jeden Alters. Köln a. Rh., Schafstein & Co. 


Bülow, Frieda Freiin von, Abendkinder. 

Roman. Dresden, Carl Reissner. 

Chiger, Siegmund, Bericht über die Aus- 
stellung für Krankenpflege zu Berlin 1899. 
Berlin, Oswald Seehagens Verlag. (Martin 
Hoet'er.) 

Dahn, Felix, Am Hof Herrn Karls. Vier Er- 
zählungen. I. Die Freibitte. H. Der Liebe 
Mass. HL Einhart und Emma. IV. Herrn 
Karls Recht (Kleine Romane aus der Völker- 
wanderung, Bd. XI.) Leipzig, Breitkopf und 
Härtel. 

— Gedichte. Auswahl des Verfassers. Leipzig, 
Breitkopf & Härtel 

Fahrten und Abenteuer des Herrn Steckel- 
bein. Eine wunderbare und ergötzliche 
Historie. Nach Zeichnungen von Rudolf 
Töpfler. In Reimen von Julius Keil. 5. Aufl. 
Leipzig. F. A. Brockhaus. 

Federn, Karl. Neun Essays. Berlin, Gebrüder 
Paetel. 

Friedrich, Ernst, John Bull und die Buren. 

Ein hochbegeistertes Heldengedicht. Zweiter 
Theil. Mit einem Anhang „Burenlieder“. 

Dresden, E. Piersons Verlag. 



276 


Horb unb 5fib. 


Gardini, Dr. Carlo, In der Sternenbanner- 
Republik. ReLseorinuerungen. Mit 41 Illu- 
strationen und einer Karte der vereinigten 
Staaten von Nordamerika. Nach der zweiten 
Auflage des italienischen Originals von 
M. Rumbauer. Oldenburg, Schulze’sche Hof- 
buchhdlg. 

Geiger, Ludwig, Das junge Deutschland und 
die preussische Censur. Nach ungedruckten 
archivalischen Quellen. Berlin, Gebrüder 
Paetel. 

Gnade, Elisabeth, Bergauf. Cedichte. Dresden, 
Carl Reissner. 

Gutfreund, Ernst, Leo Freymann. Sociales 
Zeitbild in vier Aufzügen. Wien, M, Breiten- 
stein. 

Guttzeit,Johannes, Der neue Mensch. Deutsches 
Saminel- und SUlineblatt. I. Halbjahrg. Mai 
u. Juni 1900. Heft 2. u. 3. Loschwitz, Joh. 
Guttzeit. 

Gyp, Bijou. Roman. Einzig berechtigte TTeber- 
setzung von Emma Richter. Dresden, Hein- 
rich Minden. 

Hauffs Werke. TextaMruck der Illustrirten 
Pracht -Ausgabe, herausgegeben von Dr. 
Cä^ar Flaischlen. Stutigait, Deutsche 

Verlags -Anstalt. 

Hechinger, F., Königin Mode. Novellen. 

Berlin, Karl Siogismuiid. 

Heilbronn, Ernst, Novalis, der Romantiker. 
Berlin, Georg Reimer. 

«— Novalis Schriften. Kritische Ncuausgabe auf 
Grund des handschriftliclien Nachlasses. 
Erster und zweiter Theil. Berlin, Georg 
Reimer. 

Homeffer, Emst, Gedächtnissrede auf Fiiedr. 
Nietzsche gehalten an seinem Sarge bei der 
Trauerfeier im Nietzsche- Archiv zu Weimar 
am 27. August 1900. Göttingen, Franz 
Wunder. 

Itzerott, Marie, Frau Ada. Dramatische 
Studie in einem Act. Oldenburg, Schulze- 
sche Hofbuchdhlg. 

Jahrhundert, Das neunzehnte, in Bildnissen. 
Mit Anderen herausg. von Carl Werckmeister. 
Lfg. 54. 55. Berlin, Photographische Gesell- 
schaft. 

Jurasohek. Prof. Dr. Fr. von, Otto Hübners 
Geographisch-statistische Tabellen aller 
Länder der Erde 49. Ausgabe für das 
Jahr 1900. Fiaukfurt a. M., Heinrich Keller. 

Klein-Hattingen , Oskar, Das Lirhcslrben 
Hölderlins, Lenaus, Heines. Bei lin, Feld. 
DUmmlers Verlagsbuchhandlung. 

Kohut, Dr. Adolph, Berühmte israelitische 
Mäuner und Flauen in der CQlturgescliichte 
der Menschheit. Lebens- und Charakterbilder 
aus Vergangenheit und Gegenwart, Ein 
Handbuch für Haus und Familie mit zahl- 
reichen Porträts und sonstigen Illustrationen. 
Heft 2. Leipzig-Reudnitz, A. H. Paync. 

Krauss, P., Karte von Ost-China mit öpecial- 
darstel hingen der Provinzen Tschili und 
Schautung, des unteren Peiho Laufes sowie 
Plänen von Peking , Tientsin, Taku, Tsingtau, 
Seliangai, Kanton und Hongkong. Leipzig, 
Bibliographisches Institut, 

Kunad, Paul, Aphorismen. Dresden, E. Pier- 
sons Verlag. 


Lenz, Leo, Schwüle Nächte. Dramencyklus. 
Dresden, C. Reissner. 

Linke, Oskar, Milesische Märchen. Zweite 
Auflage. Dresden, Carl Reissner. 

Man teuffei, Ursula Zöge von, Zar linken 
Hand. Roman. Bd. 1/2. Dresden, E. Pier- 
sons Verlag. 

Menge, Georg, Karen. Eine Sylter Geschichte. 
Halle a./S., 0. Hendel. 

Muret-Sanders encyklopüdisches Wörterbuch 
der englischen und deutschen Sprache. Mit 
Angabe der Aussprache nach dem phoneti- 
schen System der Methode Toussaint-Langen- 
scheidt. Theil II (Deut>ch-Englisch) Lfg! 18. 
Berlin, LangenscheidCsche Verlagsbuch- 
handlung. 

Niemann, Johanna, Die beiden Republiken. 
Vaterländischer Roman. Zweite Auflage. 
Dresden, Carl Reissner. 

Planitz, Ernst Edler von der, Ein Köuigs- 
Märchen. Mit Titelbild und Illustrationen im 
Text. Sechste Aull. Berlin, A. Piehler & Cu. 
Platzhoff, Eduard, Ern es t Renan. Ein 

Lebensbild. (Männer der Zeit. Lebensbilder 
hervorragender Persönlichkeiten der Gegen- 
wart uud jüngsten Vergangenheit. IX. Bd.) 
Dresden, Carl Reissner. 

Froelss, Robert, Kurzgefasste Geschichte der 
deutschen Schauspielkunst von den Anfängen 
bis 1850 nach den Ergebnissen der heutigen 
Forschung. Leipzig, F. A. Berger. 
Reininger, Robert, Kants Lehre vom inneren 
Sinn und seine Theorie der Erfahrung. 
Wien, Wilhelm Braumüller. 

Riehter, Mil, Moderne Reclamekunst. Mit drei- 
zehn Illustrationen und Texterklärungen. 
Wien, A. Hartlebens Verlag. 

Schaukal, Richard, Sehnsucht. München, 
Verlag der Deutsch- Französischen Rund- 
schau. 

Schäfer, Rudolf, Tragische Novellen. Drei 
KUnstlergesehichten. Dresden, E. Piersons 
Verlag. 

Sohmidt & Günthers „Illustrirte Weltbiblio- 
thek“. Hi*ft 1. China, Peking und Tientsin 
mit 59 Illustrationen. Leipzig, Heinrich 
Schmidt & Carl Günther. 

Schulze-Smit, Bernhardine, Arkadien und 
andere Novellen. Dresden, Carl Reissner. 
Sergejenko, P., Wie Leo Tolstoi lebt und ar- 
beitet. Deutsch von Heinrich Stüiucke. 
Leipzig, Georg Wigand. 

Steller, Konrad Guntav, Gedenkblätter. 

Dichtungen. Dresden, E. Piersons Verlag. 
Striedinger, Ivo, Das Künstlerhaus in München. 

München, Commissionsverlag, L. Werner. 
Telmann, Konrad, Was ist Wahrheit? Roman. 

Bd. 1. Dresden, Carl Reissner. 

Waohler, Ernst, Deutsche Zeitschrift. XIV. 
Jahrgang des Deutschen Wochenblattes. 
Nationale Rundschau fllr Politik uud Volks- 
wirtschaft, Litteratur und Kunst. XIV. 
Jahrgang. October 1900. Heft 1. Berlin, 
Gose & TetzlalV. 

Wielands Werke, mit Wielands Leben, 
Bildniss nnd Facsimile, Einleitungen und er- 
läuternden Anmerkungen, herausgegeben von 
Professor Dr. G. Klee. Leipzig, Bibliogr. 
Institut. 


Rebigirt unter t>eranto>ortlid?feit bes Herausgebers. 

Sdjleflfcfje öud?brucferei, Rurtfi» unb Derlags*21nflalt d. 5. Sdjottlaenbtr, Breslau. 
Unberedjtigter lladfbrud aus bem 3nbalt biefer geitfdfrift unterfagt. Ueberfrfeungsrtdft oorbebalten. 





foiviouJ. tii^/UJlS' 


2Torö uni 1 3 üb. 

ine 6 <? u t f d) c 211 o n a t ; * ,r i • 


^orausaogcbcn 


Paul Einbau. 


XGV. — iiccembcr | ( jt *0. — Jvft 2 '-~- 

. IMUt otirc*u portrntt :n Krtfnnunj : ilcfar?' UI m !■ i> ? 




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33 r r s ( a u 

rd}lcfi*djc i? n .+> b vuifcrei, l{unjt< nn6 Ofi'-i.; : ••■• .! 
t>. 5. rdjottlaenber. 




IhiJ^nL HMhldf 


■ V- 


Itorö imb 5ii5. 


€inc öeutfcfye ZU o n a t s f dj v i f t 


£)erausgegebeit 


von 

Paul £tnbau. 


XCV. Banb. — Dcccmbcr J900- — fjcft 285. 

OHit einem portrait in Rabirunij : Ridjarb Ulutl^er.) 



r t $ I a u 

S<J(iefifd}« Bndjbtuderei, Kuitjl- unb Dcrlags.Mnftalt 
v. 5. Sdfotilaenber. 




Die ßolcfymn. 

Culturbilö aus öcm Kaufafus. 

Don 

^tani^lau^ üuea^. 

— Breslau. — 

I 

ev fteitierne Äeffel, auf beffen ©runbe ©iflis, bie ^auptftabt ©üb» 
SlaufafienS, liegt, ftrömte eine unerträgliche giße ans; bie Stopft« 
foitne brütete auf ihm, unb bie Suft barin flimmerte roie bie 
über einem offenen geuer. Sn ben ©ifenbatjnmaggonS roar’S noch fchliinmer; 
beSßalb blieben alle gahrgäftc auf beut Satjnfteig unb fliegen erft ein, als 
baS geidjen Jur Slbfaljrt gegeben mürbe. 9llS ber $ug ftd) in Seroegung 
feßte, tjatte $eber baS ©efitljl, als fei in ber .gölte eine ©bür nad) außen 
geöffnet rnorben, burdb bie mir ©rlöften entjdilüpfen fonnten, um enblidb 
einen freien Slthentjug in frifefter Suft ju tßuu. 

es ift in ben erften dRovgenftitnben, als mir Suchet, bie alte Königs« 
ftabt ©rufienS, erreichen. Sie befteljt jeßt größtenteils aus iHrdfeit unb 
SUöftem; non fern burd) bie bäntmerige Morgenluft betrachtet, feßen mir 
nur ihre -wlilreidjen kuppeln, ißre nergolbeten Knäufe unb Äreuje, bie frei 
in ber Suft ju fdjmebcn fdjetnen unb einer §ata SJiorgana gleichen, 
©ann aber führt uns baS ©ampfrof? ben Sergen ©uriens ju, ber roeft« 
öfttidjeu Sßafferfdjeibe bcS fiibtidjeu ßaufafuSlaubeS, baS ©ßal ber .ftura 
ßinauf, roo unS juerft ein fanftgemcdteS gügeHanb umfängt, bem malb« 
gefrönte .gößen folgen, bie (jie unb ba non b^arren fyelSpartien unterbrodien 
roerben, roäßrenb mir felbft in ber lieblichen fylußnieberung bahineilen, 
unter uns baS S raufen beS SergiuafferS, über uns baS 9taufd;en un= 
berührter $orfte. 

2Bunberfd)ön ift biefeS Sanb, eS oereinigt uralte Gultur mit un« 
entroeihter Urfprünglühfeit. ©S geigt nicht bie rauhe, ben Sßirfungen ber 




278 


Stanislaus £ucas in Breslau. 


^abreSjeüen unterworfene Schönheit beS nörblid^en ftaufafuSlanbeS, es et* 
fdjrecft nidjt burd) bie roilbe ©ranbiofität feiner 33erglanbf<$aft, wie ber 
ÄaufafuS felbft; bie entfefctid) traurigen Stapbtbafteppen beS DfienS festen hier, 
unb ©teinfetber wie in Armenien giebt’S nicht. SlingSum gmchtbarfeit, 
ibpüifdier gtieben. ©er tiefgrünbige ©dbwarjboben wirb non fediSfpännigen 
Ddjfenpflügen bearbeitet, fchmude ©rufinierinnen finb in ben ©einbergen 
befdiäftigt, aus frieblidjen ©örfem fteigt Stauch empor, unb bie Vergfuppen 
finb gefrönt non romantifcben Stoinen nerfatlener Vurgen unb GafteHe, bie 
an frühere geubaljeiten erinnern. 

ftdj nerweile am offenen fünfter meines ©aggonS, frifdje VergeSluft 
umfächelt mich, unb ich fann mich nicht fatt fehen. SJtir gegenüber fi|t 
mein Steifegefäljrte ißilfin, ein junger SJtann non adjtunbjwanjig fahren, 
ber ununterbrochen mir etwas oorfdiroafct, worauf ich inbefj nicht höre, ba 
ich genug i u fehen unb ju Finnen habe. Unb bodj habe ich mich herzlich 
gefreut, als ich ib*u jufällig auf bem ©olowinSfij^rofpect in Tiflis be- 
gegnete, er mir um ben ßals fiel, mich abfüjjte unb fortwährenb fragte: 
„©beuerfler ©oßege, welches ©diidfal führt ©ie mir in ben ©eg!" bafj 
bie Seute nerwunbert liehen blieben. 

ißiöin ift grofi unb wohlgenährt; fein runbeS ©eficht jeigt in feinen 
unteren Partien flaoifdjen ©ppus, aber bie niebrige, nach oben ficb »er= 
engernbe ©tim unb bie winjige abgeftumpfte Siafe, non ber eigentlich nur 
jrnei Söcher Seugnijj ablegen, unoerfälfcht mongolifchen. ©enft man Feh 
baju furjgefchoreneS rotheS £aar unb gelbe ©ommerfproffen, fo wirb man 
jugeben, baß ber junge SJtann weber ju ben fchönen noch gefcheit auSfehenben 
Seuten gehörte unb bah es fein ©unber war, wenn ber Vefdjauer biefer 
ißhpfiofluamic unwillfürlich lächeln muhte. ©roßbem fühlte man für ihn 
©pntpathie, benn er bejah baS, was bie Stoffen fo gern für fid) in 3ln= 
fpmdl nehmen, nämlich eine fogenannte „breite Statur", ©enn er feine 
Offenheit unb Vieberfeit bis auf bie ©pifec trieb, würbe er wohl manchmal 
etwas berb, blieb aber babei gutmütbig; boch wer geglaubt hätte, ihn beS= 
halb leicht nehmen ju bürfen, würbe fuh bitter getäufcht haben, benn er 
war im Umgang mit SJtenfdjen fehr fd&arfftchtig, in Vehanblung non ©e= 
fchäften fehr umfiditig, fo ju jagen gerieben. ©roß feiner Qugenb burfte 
man in ihm einen unoerfälfditen Vertreter beS rufftfehen VürgerthumS 
fehen, ber, obgleich ©obn eines SJHHionärS, baS Arbeiten noch nicht aufs 
gegeben hatte unb beSbulb eines foliben ©ßarafterS nicht entbehrte. 

SBor jwet faßten war er im ©ouoemement ©harfow in bie 3 u cf er = 
fabrif gefommen, in ber ich Ingenieur war, um einige taufenb ©entner 
SMaffe für bie ^Brennereien ber SJtoSfauer jyirma ^ßilfin unb ©öhne ju 
faufen. ©a ich bie Vertretung beS abwefeitben ©irectorS hatte, führte ich 
mit ihm bie Verßanblungen. ©aS wirb nach rufjifcher ©itte nicht fdjnell 
abgethan, benn er wottte bie SMaffe möglicfjft billig haben, wäljrenb ich 
naturgemäß bie ^ntereffen meines ©ßefs wahrnahm. Seber ©chritt, ben 



Die Koldjiertn. 


279 


roh: unä näherten, routbe gewiff ermaßen atS eine gewonnene ©chla<ht 
betrautet, bie burdj ein $ejt gefeiert roerben mußte. 3<h l)iett ihn »ier 
©age, führte ihn Sei allen Dberbeamten ein, gab aucE) felbft einen Herren* 
abenb mit Äartenfpiel, ©efang, Jtofaftanj bei 3i e hh a rmonifamuftf unb 

unenblidjen Sibationen unb Tratte enblidj mit ihm adjtjigtaufenb ^ub 

Welaffe abgefdjlojfen. 9iatürlidj lub er midi audj ju fid) ein. @r 

baute gerabe eine große Brennerei, bie erfte für ÜJielaff eoerarbeitung. ©aS 
©edmifdje fiberließ er Monteuren, roeil er nichts ba»on »erftanb, roar aber 
bei ber 2lSnaf)me fehr fdjwierig, inbem er auf feinem ©(Sein beftanb, b. h- 
bie »olle tedjnifdie Seiftung besjenigen »erlangte, was ihm im Verträge »er* 
fprodjen roorben roar. ©ie abminiftratioen ©efdjäfte aber hatte er 
»öllig in feiner $anb j. 33. bie großen ©infäufe »on 3Jtaterialien aller 2lrt, 
unb er biSponirte mit foldj routinirter ©efdiäftsfenntniß, baß idj in 9ln= 
betracht feiner Sugenb in ©rftaunen gerietf). S<h fagte ihm barfiber manches 
Schmeichelhafte, worüber er fidj fo freute, baß er mich feitbem feinen 
„©ollegen" nannte, roaS jweifelloS für midi eine @£»re fein follte. 

„©eben ©ie, oereßrtefter College/' fprad) er ju mir, „ißapafcha 
OPapadjen), 9Jtapim ©erafjtmoroitfd), »erfolgen baS ^ßrinctp, nie etwas ju 
thun, was ju thun ftd) nicht ber ÜBlüIje lohnt; jcbe Arbeit muß etwas 
SohnenbeS einbringen. tiefem Sßrincip haben es Ißapafdia ju »erbanfen, 
baß fte aus einem armen ißrtfafditfdiif (fiabenbiener) ein mehrfacher 9Mionär 
geworben jinb. 2Bir ftnb »ier 33rfiber, »on benen ich ber jfingfte bin. ©er 
ältefte, Sffai ÜJtayimitfch, »erwaltet bie brei 33rennereien im ©ouuernement 
SHoSfau, ber jroeite, ©amoil 9)tapimitf<h, bie brei 33rennereien im 3Bolga= 
gebiet, ber britte, ©aniil ©tapimitfch, unfere brei 33rettnereien hier im 
©üben. Sebent »on uns geben ipapafcßa, fobalb bie 3eit fommt, baS 
nötßige ©elb, um fid) Sanb ju taufen unb Brennereien ju bauen, bann 
fu$en ihm 9Jtamafd)a (ÜJtamadjen) ein fdjmucfeS 2Beib, unb er ift felbffc 
ftänbig, baS heißt, Bapafdja behalten bie Oberleitung, ber ©pirituSoerfauf 
geht nur burdi ihre ßanb, benn wir eyportiren nad) Sibirien unb ©urteftan, 
unb jefct wollen wir audi noch bie ©fitfei erobern, ©ie älteren Srüber 
rnüffen immer bie jüngeren antemen, beSbalb fehen ©ie mich biefe 33rennerei, 
bie meinem Stüber ©aniil gehört, bauen, benn bemnächft roerben ^apafdha 
aud) mit, ©amfon ÜJtayimitfch, feinem Süngften, bie nöthigen ©elber geben, 
um mich felbftftänbtg ju machen." 

©aS waren echt großruffifdje ©efchäftSprincipien. ©er 33eftfc ober 
ba§ ©rbe wirb »on Men getneinfani bearbeitet unb ber ©ewinn gleich oer= 
theilt. Qch fah Sßilfin, ber »iel herumreifte, nod) oft, nie aber hätte ich 
erwartet, ihm in ©ifliS auf ber ©traße ju begegnen, ©eine fragen be* 
antroortete ich mit ber ©egenfrage, was er hier »orhabe. 

„3ßapafdha haben mir befohlen, im ÄaulafuS mir Sanb genug ju 
taufen, um brei 33rennereien ju erridhten, bamit ich nicht ärmer als meine 
33rüber bin. Unb SWamafdia »erfolgen bie 2ß>ft<ht, mich bemnächfl ju »er* 



280 


Stanislaus £ucas in JSrcsIau. 


heiratheit. 21 'ir wollen näutlidj au-3 beut liier maffentjnft wachfenben unb 
billigen 2M-3 Spiritu? brennen unb bann ben (Syport ttad) SJiefopotamien 
unb Verfielt in unfere .fjanb nehmen." 

Siefer ipian war ebenfo einfach at-3 grofeartig, unb icfi betraditefe mir 
ba-3 fimple ©efidit biefe§ jungen 9)?enfd)en, bcr ihn auSfüljren foiite. (Sr 
fcbieit fid) bceljaib nidjt nie! ©ebanfen ju madieit, ipapafdia unb ÜDiaiitafcha 
wollten c-3 ja fo haben. Seine IDiicite war völlig forglo-3 nttb »errietfe nur 
^ntereffe an mir. „2Öa-3 fudjen Sie eigentiid) hier?" fragte er tiiid). 

3<h erflärte, bah id) feinen anberen 3 n, o<f »erfolge, at-5 2Mt unb 
Süenfdjett 511 fehen, unb erjähtte, wo ich fchou überall gewefen. 

„Unb wo woben Sie nun in» ?" fragte er weiter. „Senn hoffentlich 
»erfolgen Sie ttid)t bie Ütbiidjt, in biefent fjötlifcfien Sadofett hier fid) 5 U 
einer 2 >iroge (haftete) »erbacfeit 511 taffen." 

„ 3 d) reife nach Koldji?." 

,, 9 iad) ftoldu??" wicbertjotte er »errounbert. ,, 9 iad) üotefei-? ... wo 
liegt bettn ba§?" Sabei 50 g er fgnftig fein Diotijbud) unb fudjte unter 
feinen tlJotijen. „Sdj foge Shnen, biefer Äaufafu-3 ift ein fettfamc-3 Stücf 
2Sett : hunbert Sauber, fünfhunbert Sötfer, taufenb Sprachen, juitt größeren 
Sbeit tatarifdj — ba fotl ein (Shriftenmenfch fid) juredjtfinben. Sfcfeort! 
(Settfel) in meiner Dieiferoute geht ein foldjc? Sattb nid)t verzeichnet." 

„9tber Samfoit Stayimitjd), haben Sie betttt niemals von ftoldji? uttb 
ben SIrgonauteu gehört?" 

„Seufel, Sie verfemten mich, College, wenn Sie mich für fo gelehrt 
hatten. ?(ber ja bod), e? ift mir fo, war id) bod) audj einmal auf bettt 
©gmitaiiitm," rief er, fid) bcfiuncub. „,(totd)i§ . . . Siolchi-? . . . regierte 
bort nidjt ein alter 3 nt, bcr ein golbtte-3 Stieß befaß, unb tiefe nidjt ber- 
fclbc 3nr feinen Scfewicgerfolju Sra<hen 3 äbne fiten, wa? mahrjdjeintid) nur 
9)!ai-3förtter waren, bie hoch gaitj bie Jyorm uoit 3 ‘thuen hoben?" 

Sebtere Semerfung fattt mir gar nicht fo übet vor, uttb idj half ihm 
au? ber Verlegenheit, ittbent idh fagte: „Sa-? alte Jtoldn-? heißt jefet 2){ins 
gretien uttb gehört 51111 t ©ouventement .ftutaiS." 

„21h, ba-3 hätten Sie mir gfeid) tagen fotleit!" rief er, abermal-? in 
feinem Suche nachfehetib. „Schon Sie, hier fteljt'-? : Äutai-5, bcr frudit- 
barfte S ob eit int' ÄaufafttS, gaitj für i'iaiScuttur gefdiaffett. 2 l(fo bortfjin 
wollen Sic? Sann hoben wir ja einen Steg, unb wir föntten ilpt ätifammen 
titadieu." 

2)!ir war’-? rcdjt, bentt ich fauitte ihn al? guten Dicifegefährteti. Unb wenn 
er and) Diaturfchönheiten nicht ba-Jfelbe ^utereffe wie ich eittgcgenbradtfe, fo 
war er bod) ein i'ieitfd) mit fdinrfen 2 lugcn unb offenem .(topf, ber ntandje-? 
2 lttbere iah, toa -3 mir uid)t nttfgefallen wäre. 

Uttb jefet fafeeit wir eiitanbcr gegenüber in einem (Sifcnbahnabtheit, 
auf beut Stege ttad) ftoldji-?. Sod) war id) mit ihm überein gcfoimiien, 
in ©ori bett 3 U S 5 » »erlaffen, um » 01 t bort au? erft bie Sroglobptcnftabt 



Die Koldjieritt. 28 { 

UpliS*3i<he ju befugen unb bann per 2Mjfe unS nach bem aufbtüfjenben 
©dbwefelbabe Sorfhom }U begeben. 

pitfin fab non attebem, was fi<b ringsum fo reichlich ju feben bot, 
nur bie SHaiSfelber. ®ie freuten ibn aufjerorbentlich, unb er tief bei ihrem 
Slnblid: „D, ber KaufafuS hat eine Bufunft! Sis in Sllepanbropol in 
Armenien bin id) gewefen — nichts los. ©eljr gut bagegen bot mir’S 
in Kadbetien gefallen, 100 ich beinahe Sufi gehabt hätte, meinen alten plan, 
aus SBein ©ognac ju machen, wieber aufjunebmen. 3Bir werben ja noch 
feben. Jßier bat ber alte 3ar non KoldbiS mit feiner SDracbenfaat entfliehen 
ein gutes SBerf nerrid)tet! Sefajj ber nicht auch eine Tochter, bie SJtebea 
hieb? ©ebenfen Sie noch unferer SJtebea, bie mit nergangeneS $abr 
ber Krim fennen lernten, non bet ©ie fagten, fie habe ben 2Bud;S ber 
Pinie unb baS Sluge ber ©ajeHe?" 

Sßir taufdjten einige angenehme ©rinnerungen aus, betreffenb eine 
fdböne, junge Stau, bie aus bent KaufafuS flammte, ber mir in Salta 
begegnet roaren, unb an bie er, tnie ntir’S fdbien, fein ^erj nerloren 
batte, unb äußerten Seibe ben Sßunfdj, ber 3 u faß möchte fte uns 
wieber in ben SSeg führen. Salb aber fprang er non biefem £b em a 
ab, inbem er beri<btete, wie papafdha, bie mäbrenb beS Krieges niel im 
KaufafuS gereift wären, ihm geraden hätten, täglich eine 2M)l}eit non 
©binin ju halten, um nicht nom Sieber angefallen ju werben. 3)abei jog 
er eine Schachtel aus ber SBeftentafdje, bie mit Gljininfapfeln gefüllt war. 
®tefe SorftdbtSmajjregel war febr nothwenbig, aber — er batte fie bei feiner 
an’S pöbelhafte ftreifenben ©efunbljeit fein einziges 3Ral anjuroenben brauchen. 
$enn Sötamafdha batten ihm beim 2lbfdjteb ein geweihtes Silb ber 9Jtutter* 
gotteS non Swerien am ben &als gehängt. Unb er griff hinter feinen 
Äragen unb $og ba an einem golbnen Kettchen eine fleine golbne 9JlebailIe 
mit bem Silbe biefer -BtuttergotteS bennor, beffen Original fidh im Kreml 
ju SJtoSfau befinbet, wohin es aus Swerien, bem alten Sberia unb {ewigen 
©rufien, gefommen ift. pilfht war ein guter ©üljn; er hatte beiben ©Item 
gefolgt unb war beSbalb gefunb geblieben. 

Snbefj begann ihn bie ewig fdböne ©egenb, nieHeidit auch meine ©im 
fitbigfeit ju langweilen, unb er ftanb auf, unt einen ©pa}iergang burdb ben 
ganjen 3ug ju machen. 311S er wieberfam, berichtete er: „®ie britte Klaffe 
ifl überfüllt, man möchte fagen mit lauter Stänbergefinbel, wenn es nicht 
f<hon befannt wäre, bajj im KaufafuS bie Seute alle wie Stäuber auSfehen. 
$>ie erfle Klaffe ooUftänbig feer, fo bafj bie ©onbucteure auf ben ©ammet* 
polftera Karten fpielen. $n ber }weiten Klaffe in jebem ülbtbeil ein 
Paffagier, ©eben ©ie ftch einmal bort ben ^errn an," fuhr er feine 
Stimme fenfenb fort, „gleicht ber nidht einem geräucherten SadhS? ®aS 
ift ein Armenier. 2Xcf), wie ich biefe ©orte nidht leiben mag!" 

@anj allein in einer ©de fafj ein alter £err, ber trofc ber enormen 
$i|e einen fdhwatjen ©ehrod tmg, ber ihm bis unter bie Knie reichte; baS 



282 


Stanislaus £ncas in Sreslan. 


^aar unb ber ftadjlichte 23art waren grau gemifeht, unb feilte ©efidjtSfarbe glich 
— um mich weniger braftifch als Sßitfin auSjubrücfen — berjenigen einer 
getrachteten hattet, fo rot-braun unb jugleich gtänjenb war fte. ©er ^err 
mochte beut KaufmannSftanb augehören unb fab woblhabenb aus. SBenn 
^pitfin feine Abneigung gegen ihn äußerte, fo butte baS feinen ©runb in 
bem angeborenen £ajj ber ruffifctjen Kaufleute gegen bie Armenier, bie ihre 
ärgften Goncurrenten finb. ©enn ein (Sprichwort fagt: baff jehn 3fuben 
non einem ©riechen an ©cbiaubeit übertroffen würben, bah aber ein Armenier 
noch über jeljn ©riechen ginge. 

„3<h bin wahrhaftig fein 2lboniS, bo<h fo was non ^jäfjlichfeit fottte 
in ber 2Mt uerboten werben, ©eruhen Sie hoch geföttigft biefe ungeheure 
9tafe ju betrachten!" rief ißilfin gieichfatu im 9ceib ber befihlofen Klaffe; 
benit feine 9tat'e war beinahe gar nicht norhanben. „2lmohj (wohlan), ich 
werbe auf Koften biefeS alten 33urfchen fpajieren fahren!" 

2luf Kofien QemanbeS „fpajieren fahren'' helfet in einfaches ©eutfch 
überfeht, ^etnanben anulfen. ®aS nerftanb ipilfin mit Seuten, bie ihm 
wenig imponirten, auSgcjeichnet. 

„£ej, ©aSpabin," rief er, fidj unnerfroren nor ben Armenier hin= 
fefcenb, „wollt 3h r mir nicht eine ^anbnoU frifcher Snft oerfaufen? Sch 
geb’ (Such bafür ben ganzen S3erg Ülrarat! ff inbet 3b r nicht auch, bah eS 
nerbantmt helfe ift?" 

S<h fob, wie ber Armenier mit einem einzigen ptüfenben S3lid ben 
jungen Süann in’S 2luge fafete, mit würbiger Slrtigfeit eine Antwort gab 
unb ihn bann fo in ein ©efpräch nermicfctte, bafi alle Scherbe aufhörten 
unb nur noch non ©efdjäften bie 9lebe war. 

®aS bauerte eine ganje SBcile, bis fßilfin mir jurief: „(Sollege, 
fommen ©ie hoch her. ©iefer fjerr ift Seither non Sergwerfen unb jQodfc 
öfen unb möchte gern Sbee SDteinung hören." 

(SS fteflte fi<h heraus, bah ber Slrmenier, ein früherer 2lboocat, jebt 
©rohgrunbbefiber fei, beffen ©üter theils bei KutaiS, theils bei Sorffeom 
lagen. Gr tub Spilfin, ber 2anb laufen wollte, ein, feine ©üter in 2lugew 
fcfeein ju nehmen, unb mich, ber ich Ingenieur bin, feine inbuftriellen SBerfe 
ju beficfetigen; in ©ori erwarte ihn fein 2?agen, ber uns nach Sorfhom 
bringen würbe, unb bort, in feinem £oufe, foHten wir uns feiner ©aft 
freunbfchaft bebieneu, fo lange eS uns beliebte. 

®aS MeS toar in feljr fiebenSwürbiger 2Beife unb in einem uorjüg-- 
liehen 9luffif<h »orgebracfit, aber eS war ju viel 3l^erei babei, unb fein 
Stic! fehlen mir lauerab. Gr hotte offenbar ein egoiflifcheS Qnterejfe an 
uns, er wollte uns Seibe auSnuben. ®a wir unS aber fo wie fo auf 
bem 2t>ege nach Sortljom befaitben, fo fonnte uns baS Verbieten recht 
fein. 2llS ich erflärte, ich wolle burchauS bie ©roglobptenftabt bei ©ori 
befichtigeu, unb Spilfitt mich unterftütjte, jeigte er wieber, wieoiel ihm an 
unS gelegen war, inbem er uns jwar ju bebenfen anheim gab, bafe 



Die Koldjierttt. 


283 


barüber ber Stbenb fommen würbe, aber gleich juoorfommenb l)injufügte, 
er werbe ein gutes Stachtguartier auSfinbig machen, ltnb am nächten £age 
fönnten wir befto gemächlicher feine Vefißungen, bie noch ror Vorfljom 
tagen, anfehen. 

2ßit unterbradien alfo in bern frcunblichen Vergftäbtdjen ©ori bie 
5at»rt. $iefe ©tabt fofl in ber ©efebichte ©rufienS einft eine große Stolle 
gefpielt haben, jefct befteht fie gerabe nur aus einer Straffe, bie aber burd) 
ihre tauberen, bemalten, mit originell gefdjnifcten Stationen unb ©allericn 
oerfeßenen Käufer äußerft anheimelnb wirft. 2Bir mietbeten ißferbe unb 
Jüljrer unb ritten zunädfft nach ©ori8*3iche, einer alterthümlichen ^eftung 
aus bern fiebenten Saßrhunbert, bie auf einem faxten gelSplateau liegt, 
beffen SBänbe fdbroff nadb ber Kura unb ber Siadßwa abfallen. 9luf bern 
oollfiänbig fablen iftlateau fehlt felbft ber fpärlidffte ©raSwudjS, aber biefe 
SluSftdjt! Stur ber teife $lug wilber tauben ober baS &ufchen auf* 
gefdßeuchter ©ibedjfen unterbridjt bie heilige ©title hier oben. ®aS parabiefifdie 
2^bal ju unferen Hüffen, überreich gefcf)mitcft burd) eine üppige Vegetation, 
ift einjig in feiner Schönheit, felbft baS befungene Kajfdjaurthal, baS idj, 
uom ©arjalpaß fomntenb, fo feljr bewunbert, bleibt biuter biefem mit allen 
Sieijen einer füblußen Statur auSgeflatteten Stbale jurfief, baS fidb, gleid) 
einem buntfarbenen Stiefenteppidh bingelagert, nad) ©üben ju in einer 
grünen &öbe oerliert, wiibrenb nad) Dften unb Sterben ßto beS KaufafuS 
Stiefen SBadie halten, anjufdhauen wie Könige, beren erhabene Häupter mit 
fchneeigem 35iabem gefrönt finb. 

©in zweiter Stitt führt uns nach ber wunberfamen £rog(obi)tenftabt 
Upli3*3i<he, jieben SBerft unterhalb non ©ori. ©trabo oerfebt bie 
SEroglobgten nadh bern nörblidjen KaufafuS, wo fie am fyluffe föupponaS 
(Kuban) in $öf)len wohnen, ^ebenfalls würbe bie Sroglobptenfiabt non 
UpliS=3td)e non einem Volle errichtet, baS fidj auf ber tiefften ©ulturftufe 
befanb, beutlidhe ©puren weifen aber barauf hin, baff auch fpätere bod)* 
cimliftrte ©efdhlechter biefe in ihrer Slrt einzige ©tätte beoölferten. ®urd) 
fahle, jerriffene Reifen führt uns ber 2Beg nach bem fDotfe gleidjen 
StamenS. Vraufenb unb fdjäumenb wätjt fi<h bie Kura ju feinen fyüjfen, 
wähtenb auf ber anberen ©eite eine fdjroffe, gelbe $el3wanb fich erhebt, 
in beren innerem, oier ©todwerfe über einanber, fid) bie £vog(obi)tenftabt 
befinbet, beren größter Xheil für Vefucber unzugänglich ift unb beren Zu- 
gänge gleich Slugenßöhlen in einem fEobtenfopfe, bie äußere glatte gels* 
manb büfter unterbrechen. 

®urch eine gewunbene, mutbenartige fyclSrinne gelangen wir in baS 
erfte ©todwerf, baS bie ©ingeborenen ben „Vajar" nennen, benn in ber 
£b<rt fcheinen bie in ben ©tein gehauenen fleirten ©emädfjer Säben unb 
©dhänfen gewefen ju fein. Klopfenben lierjenS burdffdjreiten wir mehrere 
gewölbeartige Stäume unb betreten bann einen großen ©aal, beffen $cde 
mit Stafetten gefchmüdft unb burdf) fünftlidf) mtSgeßauene Präger, bie gleich* 



284 


Stanislaus £ucas in Breslau. 


fant hölzerne ©ragebalfen »orfteHert fotlen, unterbrochen ift, tpäljtenb nad^ 
bcibcn ©eiten 3ugäitge $tt aitberen Simment fid) öffnen, ©er ©oben jeigt 
niedrere Vertiefungen, bie nad) 9Xrt eines QiupluviumS als äSafferbetjälter 
bienten, in bie SBättbe eingciaffeite Jtifdjcn faßten roahrfcheinlidj bie £«uS: 
gerätlje bergen unb fteinernc Väufe Sagerftätten Dorftellen. Uebet eine 
©reppe in baS jroeite Stodiverf gelangt, öffnet fid) abermals ein großer 
Staunt, beffen SleufjereS eine 9lrt fyroitton fdjmüdt, ber freie ^ßlatt not 
bentfelben, gerabe über beut Sßbgruitbe, fotfte cntioeber eine ©erraffe ober 
einen Valcon barftetlen. ©ie ©ede beS Saales felbft ift funftveid) aus* 
gehauen, Vretter nad)aljmcub, bie auf Sailen ruhen, inmitten biefer 
fteinernen Sefjaufung ftauben vor Seimtuberung aud) rvir wie verfeinert. 
üBcffeu £änbe Ratten biefe SBerfe gcfdjaffenV 9tid)t ungefchladjte Gpflopcn 
errichteten biefe beugen einer altheüenifcbcn Kunftepodje. SSeldjen ßweden 
biente biefeS büfter erhabene 2lfi)i‘? SBar eS ein $eibenteinpet ober ber 
Valaft einen $errfdjerS? Reine fyufdrift giebt uns Ülntroort. 5hn britten 
Stodtverf fiitben nur abermals smei Säle, in benen fid) mit Meinen Steinen 
funftgercdjt gebaute Sdjornfteiite befinben, unb julefet erbliden mir bie 
SRefte einer altdjriftfidien Rirdie. Gin raeüer plapartiger Staunt ift 

von einer 9lrt Saubeit in arabifdjem Stil umgeben, fchlanfe Säulen mit 
Spifcbögen bilben 3 11 gängc, unb ein grofjeS 3i' nmer jeigt ein flreuj* 
geivölbe, beffen Sd)luf$ burd) eine mit reichem Gapitäl gefdpttüdte Säule 
geftiiht tvirb. 

•Weit einem ©entifd) von ©rauen unb Dteugier folgen mir unferen 
fföhrent, bie ein mangelhaftes Stuffifd) fpredjen, roeShalb ber Slrmenter ben 
©oltnetfdjer fpielt. 2£ir burd)fd)reiten Gorribore, Säle unb gimmer, bie 
fein Gilbe ju nehmen fdjeinett, obfd)on tvir faunt ben jehitteit ©heil 5 U feljen 
bcfoiumen. ©er Schein ber fyadelit ftört Guten unb fylebenttäufe auf, aus 
fchivatjer $öl)tung fladert uttS ein Sicht entgegen; es finb Ritten unt ein 
fveucr, tveldie biefe Staunte als 3 u d uc 0t'oort für fieft unb ihre beerben be* 
mitten. Schafgehlöf unb Vfedern ber 3iegen empfängt unS, burch bie 
So der, bie tvir von unten fallen, btiden mir tiefathutenb itt’S fyreie. 
Schroinbelitb ift bie £>öl)c, mtb mohlgeboroen mußten fidj hier biejenigen 
fühlen, welche fyurebt vor böfen fßtenfdjen unb zitieren hertrieb. 2lber einen 
jämmerlichen Slitblid boten bie an ben fyetfettvorfpriingen Ijäitgenben niebrigen 
Saften (Jütten) im Vergleiche $u biefer uujerftörbaren ©rogtobptenflabt, bereu 
©rüuber fid) mit ihr ein croigeS ©enfmat gefebt. ©in ©enfmal, emig aber 
fchredlid) traurig, maf)neitb an bie Vcrgäitglid)feit utenfd)lid)er ©efdjlecbter, 
ein übermältigeuber Gontraft ju ber ftets fid) verjüngenben, in ihren fdjöttften 
Slcijcn prangenben ülufjeumelt. 9)tit feltfamen ©efül)ten traten mir ben 
•Kiidfmeg an, bie geheimitif, volle ©roglobptcnftabt mit ihren ungelöften 
9iätl)feltt hinter uns laffeitb, um itt beut jroifdjen pittoreSfen fyelSpartien, 
alten Sttrgen, Klaftern uttb Stuinen materifd) gelegenen Slteni bie trüben 
Grintierungcn an biefe unterirbifchen SBohnftätten ju oergeffen. 



Die Kolcfyierut. 


285 


©er Slrmenier, ber fid) fpjotr ©areliemitfdj nannte unb I)ier niillig 3U 
Haufe war, führte uns in einen fdjmucfen ©ud)an (GafthauS), ber ganj wie 
ein ©djmeiserbauS auSfal). gn bem geigengarten baijintcr nannten wir unier 
9lbenbbrob ein itnb plauberten bei einem Schlauche 2Pein noch lange. ' 21 or 
bei» ©d)lafengef)en jagte fpilfin 31t mir: „(Md) fdjeint er 51t fein, unb ge= 
fdjeit ift er auch, aber bodj uidjt gefd^eit genug, um mich bumnt 5U machen . 
Sidjer roitt er mir etwas anfdjmieren, bodj ba nerfennt er midj. 9ta, ich 
habe bod» 2(ugen im Kopfe, um ben 2Berth feines „Gutes" tariren ju 
föttnen." Unb auf meine grage nach bem gamiliennamen beS 2lrmcnierS 
fuhr er fort: „Hören Sie, biefe Slrmenier haben in ihrer Sdjafsfpradje 

fo uttauSfpredjlidje «Hauten, baff «pjotr ©areliemitfdj uns noHfommeu 
genügen fanit." 

2(tn anberen borgen in ber griihe roiiteu mir in bem bequemen 
Phaeton beS SlrmenierS bem nur einige ämaujig Söerft fiiblidj geiegenen, 
bitrdh feine Schwefelquellen berühmten Sabeort 23orffjom 31t. Gütige 2Perft »01 
bem Orte befanben fid) bie inbufiriellenSPerfe uufereS GaftfreuubcS. 2Pir fahen 
hier einige Hochöfen, eine Glashütte unb einige Kohlengruben, wo in fehr 
primitiner SPeife gearbeitet würbe, ©er 23eh(jer mochte inbeg babei gut 
oerbienen, bemt im KaufafuS giebt eS fehr wenig begleichen gnbuftrie. 
2Pie i<h aber bem Slrtuenicr erläuterte, bafs mit einigen hmtberttaufenb 
«Rubel Ginlage hier «Dlillionen herauSgewirthfdiaftet werben lönuten, blifcten 
feine 2lugen habgierig auf, unb ich muffte ihm MeS fehr genau auS-- 
cinanberfcfceu. 

©aS hatte ftunbenlang gewährt, unb mir fanten erft gegen 2fbenb nach 
SBorfhom, wo unS baS fehr noble HauS beS 9lrmcnierS nicht wenig imponirte. 
Gin ©iettcr mclbcte ihm etwas, worauf er fid) bei uitS entfdjulbigte, feine 
grau fei in fleiiter Gefeflfdiaft bei ber GrofcfiirftiwStatthalterin, unb wir 
mühten baS Slbenbbrob leiber ohne fie entnehmen. SPottt SlrbeitSjimutcr 
unfereS äPirtheS übcrblidteit wir bie ganje GnfUabe non Bintmern, ^erren- 
3inmiet, Spcifcjimmer, Salon, ©antenjimmer, an ber Hinterfront befattb 
fidi eine grojse SJeranba mtb bahinter ein weitauSgebchntcr, in üppigftent 
Grün prattgenber Garten. Unb was bie Hauptfadie war, bie gange Ginnch* 
tuug, bie SDGöbel, baS 2lrrangcment beS ©ifdjcS nerriethen guten Gefdimacf. 

2Pir hatten uitS fdiott auf unfeve Bimmer jurüdgejogen, bie eine 
Galerie uerbanb, bie aufiett um baS gatt3e HauS herumlief, fpilfiit unb 
id) taufdjten unfere Ginbrüde aus. ,,©aS MeS gleicht bem Heim eines 
GranbfeigneurS," fagte id). 

fPilfin, ber fiel; nicht iinpouiren (affen wollte, fchwefelte: „«Ra, wenn 
feine grau fo fdjött ift wie er, wirb fie eine B' ci 'öe beS grojjfürftlidjcn 
HofeS fein." 

GS war fdjott «Diitternadjt, als eine Gguipage angeraffelt faut, neben 
beren Sdilage ein «Diann ritt, non bem wir in ber ©unfelheit nur bie 
flatternben Slermel, bie fid) non einer athletischen Geftalt loSjUlöfen fd)ienen. 



286 


Stanislaus Eucas in Sreslau. 


crfennen tonnten; tpa^rf^eintic^ roar’S ein tofafenofftjier beS grohfürfU 
lieben ^ofe8. 

„Gbic!" meinte fßilfiit f»atb fpöttifdj, halb imponirt. „ 3 <h bin nur 
neugiirig, ob biefe grofje $Dame geruhen roirb, uns morgen su empfangen." 

®aS Frühftücf mürbe uns aufs Bitumer gebraut. ®ann ^otte uns 
ipjotr £arelicnntfdj ju einem ©pajiergang ab; feine grau pflege bis 12 Uhr 
SU ruhen, erft um jmei mürbe gefpeift. ®iefer Moment, ben mir mit 
9ieugier unb Ungebulb ermatteten, fant enblidj heran, unb ba fragte uns 
erft unfer SEßirtb nach unferen Familiennamen, bie mir ibm ebenforoenig 
als er uns ben feinigen gejagt batten. SBir nannten fie, «ergaben aber 
im ®range bet ©rmartung, auf ben feinigen ljinjitf>5ren. 

3m ©alon empfing uns eine rounberf<böne Frau non bödbftenS jroanjig 
Fahren. Sei unferein Anblic! machte baS fiädheltt auf ihren flafftfchen Fügen 
bent AuSbrud ber Ueberrafdjung fptafc. 

Unb mir maren oerblüfft roie ©djutjungen. 9tod) niemals hatte fßilfin 
fo ein buntmeS ©efidjt gemacht, als er mich uermunbert anfah unb ju 
fragen fdjien: „3fl baS nicht unfere 9Hebea?" 

Unb mein ©efidjtSauSbrud mochte and) nicht riet fdjlauer fein, 
benn beinahe - hätte idj (aut ausgerufen: „®aS ift ja bie herrliche Frau 
Ajarianj!" 


II. 

Stabe cor einem 3 n h r c hatte mir Ipilfin folgenben Srief aus ber 
Slritn gefchrieben. 

„■Dtan fagt, oerehrungSroürbiget College, bah id) jn ben Attentätern 
auf bie 9Kenfd)beit 5 U jäblen bin, raeil ich — ©djnapS fabricire. Uebel= 
moDenbe behaupten fogar, bah biefe ©orte oott 3)lenf<hen mit bem Teufel 
im Sunbe ftebe, bem fie bie armen ©eelen jutreibe, nad)bem fie biefelben 
»orfier mit Sranntmein bufelig gemacht hat! Unb bo<h fühle i<h mich an 
allebem unfchulbig, mie ein Äiifen aus bem ©i; benn bie üDienfchheü miB 
nun einmal ihre &erjftnrfung haben. 2Benn alfo baS $auS ^ßilPin unb 
©öt)ne nicht bafüt forgt, fo tbun’S Aitbere. TaS märe fdjabe. ®enn fßapafcha, 
bie nie ctmaS tbun, roaS fi<h nicht lohnt, fagen immer: moju fich ben Vor- 
tbeil entgehen lafjen? 

„3n Verfolgung meiner ©elbftftänbigfeitSbeftrebungen bereife ich bie 
Jtrim, um einen Drt auSfinbig ju machen, allmo burch meine ^Bemühungen 
neues £>eil ber burftigen 9)ienfd)heit erroadjfen lönnte, — mit einem 2 Borte, 
ich »erfolge ben Vlan, aus SBeintrauben ©ognac $u erjeugen. ®ie böfen 
Fangen muffen nunmehr fdjmeigen, maS? 2)enn giebt man einem armen 
Teufel einen billigen ©chnapS, fo heißt’S gleich, man fei ein ©eelenoergifter; 
bietet man aber ben anftänbigen Seuten einen theuren Gognac an, fo 
foinmt’S nod) fo heraus, als fei man ein 2Bot|ltbäter ber -Dtenfdjheit, bie, 
burd) bie moberne Gultur gefdnoächt, eines SßieberbelebungSmittelS bebürfe. 



Die Kold^terin. 


287 


„Stlfo, idh im in ber ftrim umher unb fotnme auch nach Salta, roo 
idh uttferen gemeinfamen greunb Sjubobratitfdh mit feiner grau finbe. 3$ 
habe midh beS SBieberfehenS aufridhtig gefreut. (Sr weniger; benn feit bem 
bewußten 2Bobfb©urniet, roo ich ben alten Sttalabjej (Sieden) niebertranf, 
fann er mich nid)t rectjt leiben, unb feine gelehrte grau auch nidjt. D, 
biefe gelehrten SBeibfen ... na, lafjt mich in Stuhl 

„©ro^bem er mir alle 3Xugenblicfe »erfichert, baß ich rool)t manchmal 
was ©efdheüeS fage, baS SJteifte aber Dummheit fei, fo giebt er mir benttocfj 
ben Auftrag, an Sie ju fdjreibett. 25er gute SJtann oerfennt mich- ©enn 
nun meint er roahrfdfjeinlidh, nadhbem er mir oorher jebe ©ngelSjunge 
abgefprocfjen, ich h abe einem (Snget eine Sdhroungfeber aus bem glügel 
geriffen, um Sie fdfjriftlidh ju etwas ju überreben. 33on Shnen aber hat 
er bie befte SJteinung, benn er lagt »on glmen: mitunter brädjten Sie es 
fertig, fi<fj ju oerlieben, mitunter auch nicht, immer aber oerftänben Sie 
fid& auf baS SBerounbern! Sllfo, fommen Sie tyex unb berounbem Sie! 

„Sefinbet fich nämlidh hier ein SBeib . . . fage unb fdjreibe Shnen: 
ein SBeib! ... Sie ift jung, reidfj, fdiön unb aus bem KaufafuS — baS 
genügte ber gelehrten grau Bjubobratitfd), eine ganje SÜpthologie um fie 
ju fpinnen unb ihr ben Stauten „Sttebea" ju geben, weil bort hinten in 
Sften einmal ein grauenjimtner biefeS StamenS gelebt haben foH, bie »er« 
fdhiebene Beute uerjauberte. Unfere SJtebea Ejat’^ gleichfalls mit einem 
Sauber ju thun, baS tnerft man an Sjubobratitfdh unb Slnbereit, bie Sitte 
in fie uerliebt ftnb, ohne inbef? ©egenliebe ju finben. 3hm »erfefet mir 
Sjubobratitfdh bei jeher ©elegenheit Stippenftöjje unb fagt: „(ßorroärts, Spilfin, 
oerfudjen Sie Shr ©lücf, offenbar roartet man auf Sie!" ©er gute SJtann 
oerfennt mich nun einmal. ©entt ich beule ja gar nicht baran. ©rftenS 
mürbe bie rounberfdf)öne SJtebea fidj in eine SSifage, roie bie meinige, niemals 
uergaffen, jroeitenS roäre ein ernfteS SSerhältnifj gegen meine anerjogenen 
Sßrincipien. ©enn Sßapafdha fagen mir immer: „SJtein Sohn Santfon 
SJtapimitfdh, laffe ©idh mit einem SBeibe niemals länger als einen ©ag 
ein!" Unb SJtamafdja haben tnidh mit ©bränen utnannt unb gebeten: 
„Samfon SJtapimitf db, mein junger gatfe, mein guter 3)tatabje§, fdhone 
©eine gugenb. gdfj erroähle ©ir ein SBeibcben, baS ©ir alle anberen 
grauen erfefcen foll." 2Bie foll man ba nicht folgen? D, idh habe ißapafdfja 
unb SJtamafdja immer gefolgt. 

„Stur ©iner ift hier, ben idb im SBerbadfjte geheimen ©tüds habe. ©aS 
heifet, nur einen SSerbacljt, ohne eine Spur oon SeroeiS; benn idt beide 
immer, jroei fo hertlidhe SJtenfdhen gehören jufamtnen, baS itriH bie Statur 
einfadh fo haben. Slber fommen Sie bodfj felbft uttb urtheilen Sie, Sie 
werben uon gh ren greunben mit Ungebutb erroartet." — 

©ine gahrt nach ber Krim, bie reiste mich, jumat idh nodh nicht bort 
geroefen roar unb bie Steife nicht länger als oierunb$roansig Stunben 
mährte. Qdh nahm furjen Urlaub unb madhte midh auf ben 2Beg. 



288 


Stcntislans £ucas in Breslau. 


Die eintönigen, burdj feine ©obenmelle unterbrochenen Ebenen beS 
©ouocrnements Sbfaterinoflaw unb Daurien jeigten eine braune Färbung, 
als h^tte ein Steppenbranb hier gemütbet. Es ift ber fruhtbarfte ©oben 
von Europa, bte ©.'ebenernte ift eingebeituft, unb auf ber tifhgtatten S'lähe 
ber nogaifcben Steppe bewegen fid) fteine Sebetoefen, bie gleidjfant wie 
Schwärme oon fliegen fid; barauf uiebergetaffen: baS finb Scljafberben, bie 
befaitnten idjwarjwottigen Printer Sdinfe, manchmal punberttaufenb Stüd 
beifammen, bie hier ©Muter unb Sommer auf ber 2Beibe bleiben. Dann 
fommt bie Saubenge von ©erefop, bie fo fhmal ift, bafj man baS 3)leet 
ju beiben Seiten ficht, unb nun folgt wieber ein eintöniges $odjplateau, 
in beffen ©litte wie eine ©crle in weiter grauer ©tufdjel baS alte ©affhi; 
Sarai liegt. Sage unb Dichtung haben bie Drummer feiner Ehan^aläfte 
oerflärt, unb bie itiebrigen Datarenhäufer liegen ibtjUifh im Shatten 
wilber 2(prifofenbäunte. Unb jept nur twh jwei Stuuben Eifenbabnfaprt, 
ba hören wir einen bauten burcij bie Eonbucteure auSrufen, einen Stauten, 
ber einft in Europa jahrelang tagtidj in 2111er ©tunb war: Sewaftopol! 

3h halte mich inbefj l)ier nidjt auf, fonbern fahre im Söagen auf ber 
herrlichen Epauffee nah Salta weiter, redjts ben fdjtmmemben fßontuS, linfs 
r eben b efräns teS getfeuegeftabe. Unb baS faubere fdjöne Salta fiept mit feinen 
fladjen Raufern, bie oon ©alerten unb berauben umgeben unb oon Epbeu 
utnranft finb, einem Stäbtcben ber Dlioiera ähnlich, fo farbeugefättigt liegt 
es in ber Sonne ba, fo balfatuifh ift bie Suft gemürjt, bie oon 2lfieuS 
Äüften Ijenoeljt. 

fDt'ein ErftcS war, Sjubobratitfh aufjuftihcn. Der Siiefe brühte mich 
an feine ©ruft, baf? mir bie Stippen fradjten. „©otubtfhh," rief er in 
feiner breiten, gemüthlihen 2lrt, „wir bleiben Iper, benn eS ift pier ju 
fhön, wir föniten oon hier uid)t mehr fort,, benn wir haben oon ben 
Srüdjten . . . ooit was für Stühlen haben wir gcgcffcit, Stafia?" 

Die gelehrte Stau oerfeljlte nicht, bereitmilligft ju ermibern: „©leihfam 
oon ben Stühten ber Sotopljageu." 

„So ift eS," beftätigte er mit betuftigtem Sähcln. „Sh begreife nur 
nidjt, toie mau fiep oon pier entführen taffen fann, waS fhou oorgefomnten 
feilt foH . . . wie piefj bodj bie flaffifdje Dame, StafiaS" 

„Sppigenie! ... Sa, bie feprtc auh in ipre Heimat jurüd, nadj beut 
gottgeliebtcn .öellaS," beleprte S r au Sjubobratitfh pödjft fdjulmcifterlidj. 

2luf ber Stranbpromenabe ging eS feljr tebpaft ju, obgleich bie ^>oh ; 
faifott erft im Dctober jur Seit ber 2Beitttraubenlefe ftattfmbet, benn bann 
bitbet bie Draubcnfur ben hauptfädjlichften Swcrf beS piefigen 2lufcntpalts. 
©tan fap oiet elegante ©tenfdjen, unb bie SSeifeit ber ÄurfapeHe flutbeten 
weit itt’S DJicet hinaus, beffen ©Jetten, gleidjfant ein Edjo, fcpmeihelnb ben 
Straub fdjlugen. 

tgier begegneten wir ber Dame, bie Sratt Sjubobratitfh ,,©tebea" ge= 
itaitut patte, unb bie in SBaprpeit Datnara Seaflijewna Stjarianj piep. 



Die Koldjterttt. 


289 


©ine ältere ®ame biente ihr als ©efettfdjafterin. Wirtin, ber feine „breite 
Statur" überall befunben ju müffen glaubte, umarmte mich jubelub. ©in 
junger, fC&mälhtiger £>err, SEroSfin, Otffeffor beim fBejirtSgeridjt, ging ber 
jungen grau nicht uon ber ©eite. 

Slad> bett erften hergebrachten StebenSarten, bie ber füorftetlung folgten, 
gingen mir paarweife weiter, idj mit beut ©(jepaar Ljubobratitfcfe julefet. 
®ie grau nahm fofort baS SBort. 

„®er Stame Sljatianj ift amtenifdj. SöaEjrfc^einfidj tjat fie ihren 
SJlann, ber Slbuocat in ftutaiS fein fotl, wegen feines SteiChtljumS gefjeirathet. 
©ie ift eine Mdjietin; ihr Stame, ihre wunberbare ©djönheit, ber ganje 
poetifcfee 3 auber, ber fie umgiebt, fagt es," 

gd) plante gleidj mit bem heraus, was mir am meiftcn auffiel: 
„$Dafe ber SJtann feine junge, fdjöne grau fo allein in beu ©eebäbern 
herumreifen läfet, ift jum SOtinbeften eigen tbüudidj." 

„@r hot eben SSertrauen ju feiner grau," antwortete fie rafdj, „unb 
biefeS Vertrauen ift, wie wir bemerft hoben, iljrerfeitS immer nur gerecht- 
fertigt worben." 

Slber Ljubobratitfdj, ber feines 3 e rcljenS griebenSridjter ift, warf 
etwas aufgebracht ein: „ 2 Benn biefer SJianit uor meinem Stichterftuljl Älage 
führen wollte, bafe ihm geittanb fein SBeib geflöhten — id) würbe ben 
bummen SRenfcfeen noch beftrafen, weil er burdj feine Unadjtfamfeit ©elegen* 
heit ju $)iebftaljl gegeben!" 

2Bir faßen Sille jufamnten in ben Slnlagen uor bem Drchefter, als 
plöfclich ein wahrer ©nafsfohn uor uns erfefeien. ®er griebenSridjter ftedte 
ihn als ben ©ohn eines feiner gugenbfreunbe uor: Seloferow, 3 eu0tl 
flonftantinitfdj, Lieutenant im Leibgarbe=G(jeualierregiment. 

©r mochte wenig über günfunbäwaujig alt fein, feine gigur, bie über 
fedjS gufe tnafe, mar baS SMEomntenfte, was man fidj uon männlidjem 
Äörperbau beulen lonnte, ber enganliegeube Mittel, b. lj- ber weifeleinene 
gnterimSrod hob fie beftenS heruor, baS ©efidjt fd)ien aus SRarmor ge« 
meifeelt, fo regelmäfeig waren feine güge unb uon fo gleidjiniifeig weifeer 
garbe feine $aut, bie ^aare unb ber h'ibfdje ©dmurrbart IjeU unb glänjenb 
wie gebleichtes Stoggenftroh. ©r reichte Sillen bie tganb , auch grau 
Stjarianj. SDiefe unterbradj einen Slugenblid iljr ©efpräCh mit beut Slffeffor 
unb fah ben Lieutenant mit unbewegten Slttgen an. Ridjts uerrieth bie 
33eiben, unb boCh hotte geber, glaube id), ebenfo wie ich baS ©efüljt, bafe 
btefe beiben SJtenfChenfinber 51 t eiuanber gehörten. 

Slnt Slbettb uereinigte uns ein ©ouper, wobei wir uns beit Printer 
Lafette, ben beften Sßein bcS ©übuferS, tnunben liefeeit. ©aS ©Ijepoar 
LjubobratitfCh feellte tabei bie Stepräfeutauten ber ©olibität uor, bodj ber 
eigentliche SJtittelpunft beS GonuioiuutS, um ben fiCh SllleS, wenn and) nidit 
bemertbar, brehte, bilbete bie fd) 6 ne grau Sljarianj. gfjr flaffifcfeeS ©efiCht 
gerieth beim Sprechen in leichte Bewegung, was feinretfeenb wirlte; es be= 



290 


Stanislaus £ncas in Breslau. 


burfte feinet feelifehett Anregung, um ihre fehroarjen Sttugeit leuchten ju 
taffen, benn fte funfetten fdjon bei jebetn 2luf= unb ttlieberfettfen ihrer lang- 
befehatteten Sßimpern. gigur, ftleibung unb Sene^tnen mären ^o^elegant, 
man merfte, ba0 fte bie Grjieljung einer großen ©ante genoffen. 3f)re 
(Stimme mar ein fetir meiner 2Ut, unb ba fie ju fprechen liebte, fo befanb 
fidj ber 3“hörer fortmährenb gleühfemt im Saune biefer angenehmen 
Stimme, benn Sitte« fdpieg untoiltfürlieh, fobalb fte fech nerneljmen liefe, 
pilfin hatte fdjon ttfedjt gehabt, als er mir fehrieb, bafe Me in fee »er» 
liebt feien, ©er Sebemann Sjubobratitfdj jeigte bas in ber attmobifeh 
ritterlichen SEBeife alter Herren, bie marfiren motten, bafe fte no<h ein £erj 
haben, ©er Iffeffor ©roSfin fdEjmadfetete bie fdjöne grau an, bafe e$ jum 
Grbartnen mar, er jerfehmotj fehiet in ©Iiidf, roenn fte mit ihm fpra<h, 
unb machte eine SJiiene jutn gfirchten, menn fie fidj }u einem Mtberen 
mattbte. pilfin hielt fe<h ungeheuer correct; er fpielte nicht ben Ser* 
liebten, jeigte aber offen feine Serounberung burch oerfdhiebene Ülufmerffemu 
feiten unb burdfe Verbeugungen, bie ebenfo tief roie ungefCfeiCft roaren. 2luS 
Seloferoro aber mürbe ich ni<ht recht flug. 

„gn Mlerhelm unb Patger mufe er beitt jungen 2ldjitt gleichen!" 
flüfterte mir grau Sjubobratitfd) oon einer Seite ju, roährenb non ber 
attberen mir ber griebenSricf)ter in'« Dhr raunte: „Met einem blafirten 
2tdjitt, ber, ber Fimmel toeife aus roeldjem ©runbe, baS SiebeSfehlachtfelb 
meibet. Seine Pufje ber frönen ßolchierin gegenüber finbe Wh empörenb!" 
©featjächtidj machte Seloferoro ben ©inbru«! ber Slafertljeit, ober er mar ein 
phlegmatifer. Gr modhte am Petersburger $ofe mit meiblidjen Schön: 
heiteti oermöfmt morben fein, obgleich ich bejmeifelte, ob et auch bort ein 
SBeib gefuttben, baS äufeerlidj fo nottfommen mar, mie grau Sljarianj. 
Gr fpradj unb fah fee immer nur bann an, menn es unumgänglich noth= 
mcnbig mar; niel lieber fdjien er fidj mit ttRännent ju unterhalten, heut 
mar ich berjenige, an ben er ft<h h a uptfäd)[idj mattbte. Unb ber Plamt, 
ber einer ber hödjfeen unb reichten gamilien bes SanbeS angehörte, bem 
in ber Petersburger ©efettfehaft jebe ©elegenljeit geboten morben, burdj 
MSfoften aller ©eniiffe blafirt ju merben, gab fi<h mir gegenüber als ber 
einfaChfte, natürlichfee Vfenfeh- ©urdj Grjiehung merben biefe ruffefchen 
Slriftotraten Gultuniteitfehen oon feinfter Slütlje, innerlich bleiben ffe bie 
9latimueufd)en, bie fie oon SXttbeginn maren. Seine mafeootten Se- 
mcgungen liefjen niemals ben Gittflufe einer oornehnten Grjiehung nermiffen, 
fein ©efedjt trug ben Stempel ber ©utmütlfegfeit, nur eine gälte jmifdhen 
ben 2lugeitbrauen jeugte oon einer Scibenfehaftlichfeit, bie, menn einmal 
gemecft, möglidienoeife jur ©emaltthätigfeit geneigt mar. Gine djeualereSfc, 
oertrauenenoecfenbe, ftjmpathifehe Perfönlidjfeit, tnufet^er auf grauen grofeen 
Gittbrucf ittadhen; beshalb rief es bei Unparteiifdjen eine förmliche Gnfc 
riiftung Ijeruor, ihn ein gteicbmiithigeS SBefen ba jur Schau tragen ju 
fchett, too man ihm lieber bas ©liicf eilte« GrobererS gegönnt hätte. 



Die Koldjieriit. 


291 

lls mir in wunberfdliöner -Dtonbfdheinnadht nod(j ßaufe gingen, befanb 
ftdfj 33eloferom neben föccax Ijarianj. @S war eine echt füblid^e ÜDionbnadht, 
beren 2idjt bie ©eftalten plaftifdj bet»ortreten lägt. Unb ba fiel es mir 
fo redjt in bie lugen, meid)’ herrliches ißaar bie Söeiben waren. 

fßilfin faßte midh unter ben Irm unb raunte mit etwas erregter 
(Stimme: „Sie benfen jefct ganj baSfelbe, was icß benfe. Seloferom ift 
ber, non bem idj Alpten f(^rieb. 3<f) habe ihn im ilerbadht, baf? er be* 
reitS unter bem Sauber 9JtebcaS fleht. GS fann audh gar nid)t anberS fein. 
UDiefeS herrlidje -äJtenfdhenpaar fann nid^t gleidhgiltig an einanber »orüber* 
laufen, bie müffen einanber in bie Irme finfen!" 

3$ legte midh aufs beobachten, fonnte aber nor ber $anb nidjts be= 
merfen. 

Im folgenben £age malten wir eine luSfahrt nadh ben ©dßlöffern. 
2Bir fliegen bie ßerrtid^e Sehne beS 3ail«*£>ag hinan, wo baS Schloff beS 
dürften SBoronjow, beS Söefi^erS all biefer SBeinbetge ringsum, liegt, baS 
berrlidhe llupfa, baS mit feinem tmumfdjen Stil inmitten feiner Gppreffen* 
baine einem morgenlänbifdfjen fEraumbilb gleißt. Unb ringsum reben« 
befränjte Seinen, wo baS Äinb granfretdhs, bie borbeauprebe, reift unb 
if»r angeborenes $euer mit ber ftraft biefeS fetten bobenS nereinigt. 
SBeiterfjin liegt baS liebliche Drianba, unb näher bem -UteereSufer baS 
faiferliche Simabia, baS mir inbeb nicht betreten burften, ba bie faiferlidie 
fyamtlie hier wohnte. 

„Sehen Sie, baS haben 2tUeS bie SRuffen ßernorgebradht ! " fpradj bie 
aßruffifdie fßatriotin grau Sjubobratitfch }u mir. „bor hadert fahren 
gehörte biefeS Sanb noch ben Notaren, unb ba burfte hier fein SBeinftodf 
madhfen." 

ln einem ber nächften Ibenbe wohnten mir einer fReunion bei. 
beloferom unb audh i<h tanjten abwechfelnb mit $rau Ijarianj. ®er 
Iffeffor, bet nießt tanjte, »erging »or Giferfudht unb lerger; midh be= 
trachtete er überhaupt als Itmofphäre, gerabe wie ber bogel Straub, ber 
ben, »on bem er ©efaljr fürstet, nicht fehen miß. Unb babei war id) »öttig 
unfdhulbig. ipilfin ging umher, anfcfjeinenb teibenfdhaftlos, neibloS, aber mit 
offenen lugen nnb gefunbem Urtheil. Gr machte midh auf baS fßaar 
währenb ber quadrille monstre aufmerffam. beloferom tanjte ungemein 
elegant unb edft höftfdj, bie Mdhierin »oll angeborener ©rajie. Unb ba 
fah ich, wie ber gleidhmäbig bleibe lEon ihrer SBangen »on rofiger ©luth 
burdibrodhen würbe, wie ihre Sippen fidfj burftig aufth«ten unb ihre lugen 
fo eigentümlich fdhitterten, als wenn Sonnenftrahlen fidh in einem SEhau« 
tropfen bredhen . . . 

„Sßeldher 2BudhS, weldhe lugen!" raunte mir ber griebenSrtdhter ju. 
„Sßiffen Sie, wenn man biefeS wunberfdhöne 2Beib »or meinen 9Wcf)terftuhl 
fdhleppte unb irgenb einer Sftnbe antlagte — idh würbe, fattS fie midh fo 
anfähe, fie audh als Sdhulbige freifpredhen!" 

*otb mtb 64b. ZCT. 285. 


20 



292 


Stanislaus £uras in Breslau. 


Doge unb Stöchte gingen worüber, fte glichen SRärchenträumen; xnet 
ju früh f^lug mir bie Stunbe beS SObfcIjiebS. 2HS ich ba»on fpracfj, rief 
qßiÖin ganj unnermittett: 

„3$ habe einen ©ebanEen!" 

,,2lf), <Ste haben einen ©ebanEen?" fogte Sjubobratitßh ironifch, benn 
er Eonnte ©ilEin nit^t leiben, fettbetn ihn ber einmal niebergetrunEen. 
„Das ift ein SBunber ©ottes!" 

spilCitt erwiberte ruhig: „@ie oerEennen mich, Sajar SHatmejeroitfcf)." 

Stber bie freunbtid^e grau SKjarianj Eant bem jungen 9)lann, ber ihr 
immer fo große Hochachtung bewies, ju £Ufe unb jagte: „©Ute, ©amfon 
SJtajimitfch, jagen ©ie bod) ghren ©ebanEen." 

©ilEin machte 3tUen ben ©orfdjlag, mich bis ©ewaftopol ju begleiten, 
unb jroar jur ©ee, baS fei eine fehr fchöne gahtt. 

Diefer ©orfdjlag mürbe allerfeits angenommen. 3lm ineifien begeiflerte 
fuh bafür DroSEin, ber, feitbem ich abjureifen gebadete, mein bejier greunb 
geworben mar. 

Der Kämpfer trug uns über bie blaue gluth beS heut fo gaftlichen 
©ontuS. SBir Rhwammen wie auf einem ruhigen glujfe, unb baS 
terraffenförmig anfteigenbe Ufer glich einem riefigen SBafferfall, beffen grüne 
gluthen auf uns juftürjten. SBährenb bie güße beS über 1500 SReter 
hohen gaita«Dag8 baS SJleer befpült, umranEen feine Änie bie SBeinberge 
oon SKaffanbra unb SfeDanit, umEräitjen feine lüften bunEle ©inien* 
walbungen, ber mächtige Stttcfen aber ift Eahl unb flimmert in blenbenber 
Sßeiße. Sßie ein ©efdjmeibe »on oielfarbigem ©betgeftein, welches brei 
©olitäre fdjmücfen, jog Reh biefe Äüfte hin. Die minaretartigen Stürme 
»on 3HupEa gleichen bemantnen Slabeln; Otianba ift burch feine Orangem 
haine gleidhfam ä jour gefaßt; unb Siroabia, ach Siwabia, eS liegt unter 
feinen Halmen wie eine orientatißhe Schöne, bie ihren glänjenbflen ©djrnucf 
angelegt hat. 

geh inenbete mich plößlidj, unt meinen SReif egef ährten eine beiounbernbe 
©emertung ju machen — t;inter mir Ranben Damara graElijwna unb ©elo« 
forow. gf)re Stiele waren in einanber getaucht. SBie bie hellblaue ©ee 
ringsum bie ©onne glänjenb wiberfpiegelte, fo leuchteten bie Slugen ber 
jungen grau; bie feinen waren fo bunEet wie Slachtfdjaiten; aber in beiben 
lag ber SBiberfdjeiit ber 3)2är<henpra<ht — nicht ber »on brühen, bie Re 
in biefem Slugenblid nicht fahen, fonbem ber, bie in ihren ©eelen gleich 
einem gauberbilb aufftieg. ... geh hatte auf ben ©tunb ihrer ©eelen 
geflaut. 

©ilb auf ©ilb biefeS wunberjehönen ©anoramaS rollte Reh »or uns 
ab, jenfeits bet lieblichen Sucht »on ©alaElawa fahen wir bie laßlen Höhen 
»on gnEerman, bereu gelfenwänbe »on Södjiern burchbrochen Rnb, — ben 
gugängen ju einftigen Droglobptenftäbten, bie man in bie 3eit ber ©Driften« 
»erfolgungen »erfefct. Slun macht ber Dampfer eine SBenbung nach SWotben 



Pie KoId(ietin. 293 

um ba« Gap ©jerfone«, unb mir fahren in bic fünfteilige Sat non 
©eroaftopol ein, beren fcfjroffe Ufer auf un« ju faßen broljen. 

©ne in Reifen gehauene fefjr breite kreppe, bie beutiidje ©puren be« 
Sombarbement« jeigt, führt ju ber terraffenförmig anfieigenben ©tabt 
hinauf, bie t^eittoeife noch in Krümmern (iegt. ©ie macht einen traurigen 
©nbrucf, ben ©nbrud eines nerfaßenen Äirdhhof«, melden bie jaljlreicfjen 
Senfmale ber gelben, bie hier ben ©djlad)tentob gefunben, noch oerjlärfett. 
©n ©agen bringt un« übet fmnbertfacf) burdhroühtte« Terrain nach bent 
®taladhoro=fturgan, ber feinen 9tamen non einem rufitfehen ßRatrofen führt 
unb ihn bann meitergegeben hat al« ^erjogStitel für einen franjöfifd^en 
3J?arf<halI. Son ben unteren ©agen be« nrieber hergefteüten, jufammen* 
gesoffenen Sturmes überfehen mir bie ganje ©egenb, too einjt £>unbert= 
taufenbe hier eine beifpießofe Selagerung, bort eine ebenfo beifpießofe Ser« 
theibigung geführt. SRingSum ift ber Soben non Srancheen, ©olf«gräbeit 
unb Sombentödhern burdjmühlt. ©ie niel Slut unb frönen ftnb hier ge* 
floffen! Unb moju? grau Siubobratitfdh, bie attrufitfdhe Patriotin, ftetlte 
mit einer geroiffen Sefriebigung biefe grage unb fnüpfte baran politifdhe 
©rörterungen. Ser griebenSricfiter aber mar hier in feinem ©erneut; bort 
brühen, auf ben gelbern non gnferman, h a üe ber frühere Dffijier bie 
geuertaufe erhalten. 

„Benon flonfiantinitfdh," roanbte er fidh nach Seloferoro um, „bort 
brühen mürbe Sein Sater an meiner ©eite nermunbet!" 

Seloferoro fianb mit Samara graflijerona nor einem franjöfifdhen 
Senfmal, meldieS bie gnfehrift trug: 

Unis pour la victoire, 

Reimis par la mort — 

Du soldat c’est la gloiro, 

Des braves c’est le sort.' 

©öhrenb er ihr bie gnfehrift norla«, berührten fich ihre ©dbuttem, 
unb ihr gegenfeitiger Slthem mehte fie an. <53 fah au«, als ob jte fidh ein 
fehr tiefe« ©eheünnifj anjunertrauen hätten, roer roeifj, ob er muffte, ina« 
er la«, unb fie fdhien nicht ben ©orten ju laufdfjen, mohl aber feiner 
Stimme. ^Silfin blinjelte fie mit feinen Keinen 2u<h«augen non ber ©eite an. 

Sjubobratitfdh roanbte fich iw ©fer ab unb gab un« folgenbe ©cf)iU 
berung jum Seften: 

„Unfer £ufaren*9legiment ftanb in gront unb glaubte fidh fo fidjer au« 
ber ©dhujjiinie, bafi mir unfere ^Pfeifen ftopften unb fd)led)te ©ifce über bie 
granjofen ju machen begannen, bie fich au« ihren Stauseen nicht heroor* 
roagen moHten. 9iedht« non un« erfcfjien e« plötslidh mie ein rothe« ©eroölf, 
ba« mar bie englifdhe©anatterie. ©ir loderten fdhoit unfere©äbel unb glaubten, 
baff eine Stttade enbUdh 9lbroedh«lung in ba« langroeilige ©efefneffe bringen 
roüvbe — ja, hot ftch ma«. Unfere ftartätfdhen begannen unter ben ©tg* 
länbem aufjuräumen, baff e« fdhon nicht mehr anftänbig mar — glaubt 

20 * 



29$ Stanislaus £ucas In Breslau. 

gftr, ©aSpaba, baß bie Gnglänber jurüdgingen? Die Dicfföpfe ließen ft<$ 
alle nieberfnatlen, was aHerbingS eine große ©hre für fte mar. 9hm be; 
gannen mir neibifdj ju werben, «nb unfere ©<hnaujbärte fdjimpften weib; 
lidj, eS fei eine nerfludjte ÜJtobe geworben in biefent Kriege, einanber nur 
immer aus ber gerne ju tractiren. ©erabe als foHten ne 9tecf)t bemalten, 
taufte ba oor uns eine rotlje Sinie auf, gnfanterifien in türfifdjer Äleibung, 
oon benen niete eine Äaße auf bem Dontifter trugen. „Äoftja," fage ich 
ju meinem greunbe, bem Sieutenant Seloferow, „bie DeufelSferlS wollen 
wof)l mit ihren Äaßen unfere fßferbe witb machen." Der belehrte midi, 
baß eS 3uanen feien, unb jum Spott begannen unfere ßufaren ju miauen. 
2luf acßthunbett Stritt fingen fte an }u fließen. 2Bir riffen fdjön bie 
3tugen auf, als wir bie blauen Söhnen um unfere Dfjren pfeifen hörten. 
Unfere Schießprügel reiften nur auf niertjunbert Stritt — unb bie treffen 
auf ad)tf)unbert! Diefe Sfufinffpnp Jiatten’S mit ber unreinen fDtadjt, fagten 
unfere SUtgebienten, als fie bie Äaßen faf»en unb bie Äugeln fpürten. Da 
fällt ein fßfetb, bort fällt ein fDtann, unb wir fielen ba, wie £afen im 
Dreiben. 2lber unfer Gommanbeur fagt: „Utpbjata (Äinber), wir ftnb nid>t 
fdilecfiter als bie Gnglänber — fdfließt Gudj!" Unb wir traten in bie 
Süden unb fonnten beuttidj fef»en, wie fie uns aufs 3wt nahmen. „Äoftfa," 
fage ich ju Seloferow, „wenn baS ber ganjc Ärieg fein fott, fo mag ihn 
ber Deufel holen, geh hotte rnidj auf eine flotte ßauerei fd^on fo gefreut." 
SEBie er mir Antwort geben will, fommt ihm Sötut aus bem -Dtunbe. 
„Äoftja, ©olubtfdiif !" fdjreie ich, „Du bift oerwunbet!" Gr fleht midi an, 
als wenn er nidjts müßte. 2lber ber SBadjtmeifter, ein alter fßraltifer, 
ruft ißm ju: „Schnell hinter bie gront, Guer SBohlgeboren, ehe 3ßr um; 
fallt!" Unb Äoftja hat gerabe nod) 3«it, jurn Serbanbplafce ju reiten, wo 
er tßatfädilidj umfätlt. 9tun aber geht uns bie ©ebulb aus. Cßne ein 
Gomntanbo abjumarten, werben bie 3ü0el loder gelaffen, bie 9tößlein wiffen, 
was fte ju thun hoben . . . fßafdiotl! Ural Die 3uooen fallen auch fofort 
ju Soben, als hätte fie unfer Ura untgebfafen, unb unfere Stößlein feßen 
elegant über fte hirttueg; benn gßr müßt wiffen, fo ein fßferb hat Serftanb 
unb £erj, es wirb einem 9Jfenfd>en niemals obfidjtlidj etwas ju Selbe thun. 
fpiößtich befomnten wir aber geuer oon hinten. Dort liegen bie 3uaoen 
auf bem Saud) unb fließen fröhlich in uns hinein, unb bie Äafeen auf 
ihren Dorniftern machen frumrne Sudel unb grinfen unS an. GS blei6t 
uns nichts übrig, als unferen 2Beg burdj biefeS ^öUenfeuer jurüdjunehmen, 
wobei unfere Stoffe abermals elegant, wie eS Reh für ruffifdje Stoffe, bie 
feinen 9Jteuf<hen treten wollen, gejiemt, über 3naoen unb Äaßen hinweg; 
feben. 2llS wir uns enblidj, nadjbem wir ben britten 9)tann auf bem 
fßtaße gelaffen, gefaimnclt, beginnt ein fdredlidjeS gluchen unb SBettem. 
„GS giebt feinen ehrlichen Ärieg mehr!" flogen bie Ginen. 2lnbere rufen 
ingrimmig: „Du fpudft in bie &anb unb höltft ben Säbel feft, als woHteft 
Du bie Äöpfe nur fo fliegen machen — unb houft Södjer in bie Suft, 



Die Koldjierin. 


295 


nichts weiter!" 23iele heuten uor SButh: „Erbarmt Euch, uitfcr ruffifher 
Sruber farnpft tüofjt gegen 3JZetxfd)ett, bo<h nicht gegen bie unreine SJtacht! 
£abt 3fer bie oerfluchten Kafeen gelegen mit bent gefträubten £aar? TaS 
ftnb feine natürlichen Kafeen!" Unb als jum Slücfjug gebtaien wirb, oer* 
fi<^em bie £aubegen noch immer, bafe es nidjt mit ridjtigen Gingen 
juginge." 

Sjubobratitfdj batte, non feinen Erinnerungen fortgeriffen, einen berb 
folbatifhen Ton angefcfelagen, ber »ereint mit feiner Saune in biefern 
SJtilieu febr wirft e. 2Bir folgten feinen Ausführungen mit gefpanntem 
^ntereffe, wie er jefet bie SSertheibigung unb ben ©türm auf ben SKatadjow 
febitberte. Tag unb Stacht hätten bie Kanonen gebonnert, ber Thurm unb 
bie Stebouten feien nur noch ein Trümmerhaufen geroefett, unb ba bie 
Stoffen bennodj nicht teilen, legten bie $ranjofen SJtinen an. Einmal oer= 
ging einem rufftfhen Bataillon bo<h bie ©ebulb, nur als gielfcfeeibe für 
©cfiie&übungen ju bienen, unb es brach unter einem plöfclicfeen Smpulfe 
bemor, um bie feinblichen ©(hüben aus ben Trancheen &u oertreiben. 
„SJtan ruft ihnen unfererfeits roamenb ju: „Mina!“ (SJtine). Tie bieberen 
Krieger aber mußten nicht, toaS eine Offline ift, oerftehen falfcfe unb geben 
jur Antwort: „SBir gehen nicht mima (juriief), wir gehen nur oorwärtS ! 
fßafdholl! Ural" Tie SJtine ging los, unb fie flogen in bie Suft." 

SBir gelangten auf ben Kirchhof im -Korben ber ©tabt, ber auf einem 
hoben Sßtateau gelegen ift, non bem man eine pradjtoolle AuSficht genießt 
über ©tabt, Sanb unb SIteer. 3n feiner SJtitte erhebt fi<h eine neue 
Stirne ton ber originellen $orm einer ippramibe. 3n ihr befinbet fich bas 
©rabmal beS dürften ©ortfehafow unb oieler anberen ©eneräle, unb ringsum 
in ben SJtaffengräbern erwarten hunberttaufenb gefallene ©olbaten bie lebte 
Steoeille. Sie mögen hier wohl ruhen, „beS 3iu(;meS hochgeehrte Starren" 
— wie grau Sjubobratitfdj 23pron citirte — im ©hatten ber Eppreffen 
unb Trauerbirfen. SJcandieS ©rabmal ift eingefunfen, manches geborften, 
manche ©äule umgeftürjt. StidjtS fann bie erhabene Traurigfeit biefeS 
DrteS wiebergeben, feinen ergreifenben Eontraft ju ber Umgebung: hier 
SBerwefung, .gerftörung, ringsum bie fhaffenbe, lacfeenbe Statur.* 

Sjubobratitfch unb nicht rninber feine gelehrte grau befprachen mit 
uns biefe graufig erhabene Epopöe, bie hier ber SJtcnfdjengeift gebichtet, als 
ft<h Sßilfin, ber bislang gefdjmiegen, plöplich hören liefe: „$a, ja, fo h«t 
fih Alles jugetragen." 

„Ah, Plfin giebt ju, bafe fich AHeS fo jugetragen/' oerfäumte £juho= 
bratitfeh nicht, ihn ju ironifiren. „SBofeer mögen ©ie nur biefe Kenntnife 
haben, mein Kleiner?" 

„SSon fßapafha!" 

„@o? SBar 3hc iPapafdja im Krimfriege? Unb als was benn?" 

„AIS ©hnapStieferant!" 



296 


Stanislaus £ucas in Breslau. 


„Teufel, ba [jat er geroih mehr Veute nach $aufe gebraut, als mir 
2lnberen! 3ft’S nicht fo?" 

„ißapafdba pflegen ftd& batüber nicht auSjulaffen. ®o<h roie t<h fie 
feitnc — ifSapafdba unternehmen nie etroaS, maS feinen ©eroimt bringt/' 

„©iefe ©dbnapSritter hoben uns bamaB ein ©entifdb pon fünfgrabigem 
Vranntroein mit aufgelöftetn Pfeffer aB märmenben unb ftärfenben ©rauf 
»erfauft! . . . ©er ©eufel wirb fie bafür holen!" rief Sjubobratitfdb fehr 
ooit oben herab, 

3)iit erhabener 5Ruf>c erroiberte ber SJtittionärSfobn: „Sajar SJtatroeje* 
roitfdb — ©ie oerfennen baS $auS Sßilfin unb ©ohne." — 

©inige Söochen fpäter fah ich ^Jitfin, ber mir berichtete, baff er feine 
Milane in ber Krim aufgegeben, baS Sanb fei für ihn ju Rein, um ftdh 
bort gehörig entfalten ju fönnen. „9lber eine anbere ©ntbedfung habe ich 
gemacht," fuhr er fort. „Veloferoro unb unfere 3Kebea baben’S mit ein* 
anber! 91B ich auf irgenb einer ©tation in ben 3ug, ber non ©eroaftopol 
fommt, einfteige unb nach meiner ©emohnljeit burcf) ben ganjen ©rain 
gehe, fdjiebe ich bie ©hören eines SftbtheiB erfter Klaffe auf, um ein Stube = 
pläfcdben für mich ju fudhen. SBen fef)e idh! Veloferoro in ©ioil hält bie 
£änbe unferer fchönen SJtebea, unb fie lächelt ihn fo lieblich an, aB hätte 
er ihr bie fchönftc ©efdhichte non ber SL'elt erjähtt! 3 dfj biScret bie ©bür 
fofort mieber ju, fo bafi fie mich nicht gefehen haben. 2Boju baS järtlidhe 
tete-ä-tete ftöreit? greue mich hcr^tidh, bah idh 9te<ht behalten unb bah 
bie Veiben, bie unbebingt ju einanber gehören, fidh nun gefunben haben." 

@S juefte fo etgenthümlidh um feine Sippen, bah es mir jur ©eroih= 
heit rourbe, roaS idh bislang nur geahnt: er liebte bie fcljöne Koldbierin, 
ohne füb’S eingeftehen 511 motten. Vielleicht mar er fi<h auch barüber Rar, 
bah er mit feiner „Vifage" nietuaB ©nabe oor ihren 9lugen finben mürbe, 
unb ba erfüllte es ihn mit einer roenn auch fdhmerjlidhen Vefriebigung, 
menn fie ihre Siebe einem fdhenfte, ben er biefeS ©lücfs für mürbiger aB 
fidh felbft hielt. 

Unb halb barauf erjählte mit ber griebenSridhter, bah ber Slffeffor 
©roSfin nur immer bie Koldbierin im Kopfe habe unb fo jerftreut fei, bah 
er alle ©pifcbuben, bie er objHurtbeiten habe, ftatt nadh ©ibirien in ben 
KaufafuS oerfebiefe. 

„©ie ©umtnen haben immer baS gröhte ©lüdf!" rief er in fomifd&em 
©timm. „©in ©fei uon ©bemann, ber feine junge grau ttttonate lang 
allein im Sabe läht, muh baS ©lüct haben, bah biefet jungen fdhönen grau 
nur SJtänner begegnen, bie feinen ©inbruef auf fie machen, unb ber einjige, 
ber ihr gefährlich merben fönnte, muh ein Wegmatiler fein, ben man 
felbft mit Prügel nicht auS feiner Stube bringt!" 

3dl) oermunberte mich bah über biefe Siebe, benn fie ging t>on einem 
■Dtanne aus, ber fidh immer rühmte, fein ganjeS Vermögen auf baS 
©tubium beS Sehens unb bet SJlenfdben ausgegeben ju haben. 



Pie Koldjierin. 


297 


II L 

Unb nun gewannen nur unerwartet einen Gtnblicf in bie Serbält* 
niffe ber jungen grau, bie un$ bislang fo gebeimnifjnotl gefeierten Ratten. 

„GoHege, ’S ift nibt jum ©tauben!" rief ffSitfin manchmal förmlib 
entrüfiet. „©iefeS jugenbfböne SBeib unb biefer geräuberte SabS — 
baljinter muff ein ßauber fteefen! SBaljrfbeinlib b fl t w, ber reib ge= 
TOorbene fßarnenu, üe, bie aus guter, aber nerarmter gantilie fein muff, 
mit bem ©lanje feines nieten ©etbeS an fib gebrabt. @0 was non un* 
gleibetn ©hepaar bube ib bob nob nibt gefeben. Sbauen Sie üb btoS 
einmal feine ungeheure Stafe an; üe gleibt einem Kupferbergwerk 2Bie 
fann man fo eine Stafe haben!" 

Unb fßilfin griff nab feiner eigenen, um üb ju überzeugen, baff üe 
beinahe nibt norhanben fei, unb im Stillen Setradhtungen barüber anju= 
{teilen, wie ungleib bie Statut ihre ©aben nertheilt. 

äber ber ©ebanfe, bie fböne Kotbierin beünbe üb iw* Skfifce beS 
fbeufeliben Armeniers, nerfehte ihn in eine fortmährenbe fülle Sßutb. 

„3Bo iü benn biefer ®ummfopf Setoferow? SBeSbatb entführt er üe 
nibt?" rief er in fomifber Serjweiflung. Sein &afj gegen bereu ©atten 
ging in ’S Unbeimlidhe. 

gn ber £bat, ein ungletbereS ©hepaar tonnte es nibt geben. 
Sljarianj behanbelte jwar feine grau mit näterlidjjer SJtilbe unb Stabübt, nur 
feine lauernben, üed&onben SUde geüelen mir babei nibt. Sie flanb 
gefettfbaftüb über ihm, SeweiS, bah üe am grofjfürjtlidhen £ofe beliebt 
mar. Stabbem ftb ihre erfte Ueberrafbung gelegt, plauberte üe unbefangen 
über unfere Grlebniffe in galta, wobei wir uns hüteten, ben Statuen 
Seloferow auSjufpreben ; unb fie fdhien üb feiner aub nibt mehr ju er* 
imtern. Sljarianj befunbete über unfere frühere Sefanntfbaft grofje greube, 
ohne nab ben näheren Umüänben ju fragen; biefe Serlanaffung fbten ihm 
rebt, eine nob ßtöfjere ©orbiatität jroifben fib unb uns, befonberS fßitfin, 
herbeijuführen. @r nahm ben jungen SJtann oöHig in Slttfprub, pries bie 
grubtbarfeit beS hieftgen SobenS, befonberS für SJtaiS, unb nerfprab ihm, 
ihn nab einer grofjfürftliben Brennerei ju führen, bie gleibfaÜS mit 
SJiaiS brenne. 

ÜEBir tranfen nab bem ®iner unferen Kaffee auf ber Seranba, roelbe 
zwei riefige Spfotnoren ftanfirten. ©in h°heS, foloffal üppiges 2Bein= 
fpalier jog üb non einem ©nbe beS feht üefen ©artenS jum anberen; 
rebts unb Unis ftanben geigen, Dlinen, ©itronen unb Orangenbäume, 
bie hintere Seite würbe burb eine Siebe h°her ©ppreffen abgegrenjt. 
9lber norn nor bem Salfon breitete üb ein gut gepflegter Slumengarten 
aus, ber jejst in notier Stofenprabt ftanb, benn Stofen fab man tn*r 
allenthalben, non Stödten, bie fleinen Säumen gliben, bis ju bjoften ©e* 
bflfdhen, in benen ein SDtenfb nöllig nerfbtninben formte. 



298 


Stanislaus Üucas in Breslau. 


„®ie SHofe xfl meine SieblingSblume," fpradh ju mir Samara 
Sraflijerona, „ich iann fte nirgenbs rniffen, idh mujj fie überall fehen unb 
i^ren ®eru<h einatljnten fönnen." Unb in ber Shat befanben fidj in jebem 
Sintmer Bofenfträufje, fo bafj alle Bäume mit ihrem SBoljlgerudh erfüllt 
mären. 

$>a ©efdhäftsleute, roenn fte einmal ein ©efdfjäft planen, für nichts 
mehr als biefeS ju hohen ftnb, fo mar ipilfin fchon am folgenben Sage 
mit Sljarianj nach Stchaljtg gefahren, ber ÄreiSftabt non Borffjom, roo fich 
bie grofjfürftlidhe BiaiSbrennerei befanb, nm biefe ju heutigen. 3 <h blieb 
juriicf, ba ich »orjog, ben Babeort fennen ju lernen, rooju idh ben gaitjen 
Vormittag 3 e ü hotte, benn bie grau beS Kaufes fam not jroölf Uhr nicht 
jum Borfdhein. Btit meinem getbfiecher auSgerüftet 50 g idh los. ®aS 
$l)ol, burdjj roeldheS ftdh bie Ättra fdhäumenb roäljt, ijt roeit, am fernen 
^orijont umfäumen es hohe Bergfetten, es bilbet inbefj feine gleiche ©bene, 
fonbern ijt non beroalbeten bügeln unb Berglehnen burchjogen, in bie 
jahlreidhe Billen, mandhe banon non palaflartiger ©röfje eingebaut ftnb. 
Seitbent ber ©rofjfürfts@tatthalter beS ÄaufafuS fyvc fidh angefauft unb 
angebaut hot, ifi ber Ort ju tofdher Blüthe gelangt 

Batürlidh thut bie Regierung fehr niel. 5DaS ÄurljauS, bie Bäber, 
bie öffentlichen Anlagen ftnb non einer ©rojjartigfeit unb Spracht, bie nidht 
halb irgenbmo in folgern Btafje ju finben ift. 2lm bemerfenSroerthefien 
ftnb aber bie Billen beS ©rofjfürften unb bie aller ber ©rofjen unb 
Beiden, bie feinem Beifptel gefolgt ftnb. ®iefe Billen jeigen einen ÜJiifcij- 
ftU aller Seiten unb ©ulturepodfjen beS Orients, fo ungefähr fann idh wir 
ben Bauftil ber macebonifdfjen Seit benfen, bie eine Berfdhmeljung non 
£eHenenthum unb Barbarenthnm barfteHte. ®ie ßircljen, bie bie Buffen 
überall, roo fte hinfommen, mit grofjer Bracht bauen, ftnb natürlich 
btjjantinifdh; non ben Billen ftnb bie einen rein flafftfcfj, anbere im 
italienifchen ©afaftil, nodh anbere jeigen Benaiffance; hier ftreben unter 
rieftgen Dtioenbäumen atabifdhe ©pifcbögen, bie non fdhlanfen ©äuldhen ge= 
tragen ftnb, empor, bort erheben ftdh bie compacten formen eines Baues 
nadh altperfifdher 2 lrt. ©teilt man fidh baju ben nornehmen 2 lnfiri<h nor, 
ben Borfhom burclj bie 2lnroefenheit beS ©rofjfürften unb fo nieler ©rofjen 
hat, bie hier einen grojjen Bheil beS gahreS roeilen unb ben Ort geroiffer- 
maften jut SanbeSrefibeuj madhen, fo fann man fiel) benfen, roie frappirenb 
biefe noble ©ulturftätte roirfett mttfj inmitten eines SanbeS, baS bei all 
feiner Baturfchönheit eigentlidh roilb unb barbarifdh ifi. 

3<h hotte tnidh oon ber £auptftrafce entfernt unb Bebenroege ein* 
gefdhlagen, ba roo bie ©arten auSntünben unb baS ©rün fiiblicher Baums 
arten bichter roirb. SäitgS einer Sehne erftreefte ftdh rechts ein Oliuens 

roalb, linfs ber grofje ©arten einer BiHa; ein ©tiidf tiefer im Dlioens 
roalbe fal; ich jroei gefattelte Bferbe grafen, bie ein Äofaf, ber lang am 
Boben lag unb gemächlich rauchte, am 3ügel b>ielt. Offenbar ermattete er 



Die Koldjteritt. 


299 


gemanben, bet in bet Stäbe fpajieren ging ober junt 33eTucf) war. @in 
©tfid Toeiterfjin fefcte idb mid) unter einen bet riefigen «Stämme, benn uon 
hier auä tiatte idj einen pradjtuoHen S3Iicf über Sorfbom. ®a böre id) 
bie Stoffe fdmubern, ein Sofalenoffijier tritt aus einem uerftecften 
Sßförttben ber SBiHa nnb reitet nad) meiner Stiftung. ®r mar ganj in 
©d>artadj, uergolbete fßatronenbalter glärtjten auf feiner 33ruft, unb non einer 
fo pradjtuollen ©eftalt, mie id) fie nur einmal gefeben. „®aS ift ja 
aSeloferoro!" benfe idj. 2Bie er an mir uorüberfauft, fieE»t er aud) mid), 
menbet fidj aber fdntell jur ©eite, läfjt fein Stob einige mübe ©äfse machen 
ünb uerfcbroinbet. „Sei ©ott, baS ift Seloferoro, unb er — roitt mich 
nidjt feilen," fage id) mir, unb fofort entroidelt fidj bei mir eine gaitje 
©ebanfenreibe. 

g<b richte meinen gelbftedjer auf bie Sifla, aus ber er burd) baS 
£interpförtd)en getreten. Sticbtig, baS ift bie SSilla Stjarianj. gcb erfenne 
fie an ber Steibe bober Gppreffen, an ben beiben riefigen ©tjfoutoren bei 
ber Seranba, an bem grufinifiben ©til mit plattem ©ad) unb ber ©alerie 
ringsum, ©er Sefudj trug ben Stempel ber $eimti<bfeit; roabrfdjeinli<b 
jtnb bie Sormittage ber fdjönen grau Seloferoro gemibntet. 

£eute fpeife id) mit grau Sljarianj allein, gd) bcobadjte fie; fie ift 
unbefangen, aber bie leidjte Stötbe ihrer 9Iugen fdieint mir auf »ergoffene 
©bränen ju beuten, ©egen Slbenb fommen ^ßilfin unb ber £ausberr an. 
©rfterer ift uöllig entbufiaSmirt. „®ie ©adie mit bem SJtaiSbremten gebt 
prächtig. gcb bin feft cntfcbloffen, baS Angebot beS Armeniers anjunebmen 
unb mich b'er anjufaufen!" Sljarianj flieht bie Siebe mie &onigfeint uon 
ben Sippen, nur bah mir fein ®on etroaS ju paftoral Hingt. ©r lobt be= 
fonberS feine beiben Gomplepe in SJtingreiien, uon benen er einen gern 
uerlanfen tnödjte. 

gd) roeih nicht, mie eS tarn, bah fßilfin iidj plötjtid) an grau Sljarianj 
mit ber grage manbte, ob fie nie etroaS uon Seloferoro gebärt habe. 

Dbne bie geringfte Seriegenbeit antmortet bie junge grau: „©eit 
SJtonaten febe ich ibn jeben ®ag, benn er ftcfjt hier im Gonuoi beS ©roh 5 
f iirften 5 ©tattbalterS. " 

©aS ©efiebt, mit bem mid) ipilfin anfab, n>ar unbejablbar, i<b batte 
beinabe auf(a<hen muffen. 

gebt begann Sljarianj mit miberlicdjer ©albung bie Sorjüge SeloferoroS 
beroorjuijeben, in bem er feinen beften greunb febe. SBoranf ber biebere 
ijßilfin bie Slbfidjt uerlauten lieh, Seloferom morgen ju befugen, ba er ibn 
fpredjen müffe. 

„<5t ift beut auf Urlaub nad; Stufjlanb abgereift," fagte grau Sljarianj 
mit leidet bebenber ©titnme. 

• 2ÜS mir in unferen gimmern roaren, rief fßilfin fidb jufrieben bie 
$änbe reibenb: „®a haben ©ie’S! ®r ift ber befte greunb biefeS mit 
Delblättcm brei SM ©eräud)erten! ©aS gefällt mir fo. ©troaS tuirb 


300 


Stanislaus £ucas in Breslau. 


fdjon braus werben! Senn wenn ein alter bäfelidber 93urf<be ein junges, 
fdböneS SBeib an fid) fettet — bas ift Unrecht nnb nerbieut ©träfe!" 

g<b gütete mich, ihm ju fagen, was idj beut gefeben hatte. 

Am folgenben Sage fpratb ber ungebnlbige Sßitfin banon, morgen 
nadb aJtingrelien ju reifen. SHjarians fefete fidb ibnt natürlich nid^t entgegen, 
unb mir war’S ancb redbt, benn mein Urlaub reifte nic^t mehr weit bin. 
Sa äußerte ganj unerwartet Samara graflijewna ben SBunfd), fie wolle 
mit uns reifen, um in ÄutaiS ibt bortigeS ©ommerwobnbauS mit bem 
prächtigen Slofengarten ju bejieben. 

3dj faß mit grau Ajarianj im erfien SBagen, ^ßitfin folgte mit bem 
Armenier im jweiten. Gs plauberte ftd) mit ber jungen grau gut, julefct 
lenfte idh baS ©efpräd) auf SBeloferow. Grft war fie feljr unbefangen; als 
i<b aber, nicht ohne Abfidji, ibn mit SobeSerhebungen bebaute, fonnte 
i<b bemerfen, wie ibr gleidjmäfeig jarter Seint ftd»' flutbartig mit feiner 
SRötbe itberjog, bie nerfdbwanb unb wieberfebrte, unb wie ihre bunflen 
Augen aufleucbteten. gbre Stimme begann ju wanfen, unb julefct weinte 
fte; bajwifcben bemühte fie frcfi, ju ladben, aber bie Sbränen lehrten immer 
wieber. 

Um ibr Seit, fidb ju fainmeln, ju laffen, beugte idj mich aus bem 
SBagen unb winfte ben nadbfolgenben fßilfin unb Ajarianj ju. Sann be* 
gann idh non ber ©dfjönbeit ihrer Heimat ju fpredben, unb fie rief: „Adb, 
idh fönnte tneine Heimat nicht für immer nertajfen!" SBorauf bie faunt 
erflicften Sbränen wieber auSbradben. 

„■Dlebea," batte fie grau 2 jubobratüf<b genannt, wobt nur besbalb, 
weil fie aus einem Sanbe ftammte, baS im Altertum ÄoldfjiS biefe. Aber 
eine -Btebeanatur war bie junge grau ganj geroife nidht. @ie fdbien mir 
ein fanfteS, lebenSfreubigeS SBefen, baS bie SSerbältniffe, ber Fimmel weife 
auf weldhe SBeife, in einen Gonflict gebradht, bem fie, wie eS fdbien, nidht 
gewadhfen war. Srofe ihres SRabenbaarS unb ihrer foblfdhwarjen Augen 
batte fie nichts SätnonifdbeS, ihre ©efidfjtSjüge waren weich, »nie biejenigen 
paffioer Gbaraftere, unb ihr Sädheln jeugte non einer ©utmfithigfeit unb 
£erjenSgüte, bie fftiemanbent 5 U nabe treten wollte, ©ie fämpfte, fo wie 
idj fie nadb bem, was idh wufete, beurteilen fonnte, jwifdfeen fßflidbt unb 
Siebe. 2Bar fie oieHeicfjt non Seloferow, ber auf Urlaub gegangen, oer= 
laffen worben? 

gn ©ori befteigen wir wieber bie Gifenbahn. Sangfam fdhleppt uns 
ber gug auf bie £öbe beS ©furanuSßaffeS. Gin fßftff, er rollt fdjneUer, • unb 
id) eile auf bie Plattform, um baS Sanb beffer flauen $u fßnnen, beffen 
üppige Aaturfdjönbeiten alles bisher ©efebene übertreffen — StoldfuS! 

Senn int Sanbe beS golbenen SJliefeeS befinbe idh midb, wohin einft 
über baS ungaftlidje 3Jteer ju rubern eS bie Argonauten nicht oerbroffen! 
fRaufdjenbe Urwälber bcbecfen eS, unb fabelhaft frudhtbar mufe eS fein, banon 
jeugt baS riefenbafte ©eäft feiner Sßalnufebäume unb Gbelfaftanien, feiner 



Ute Kold)tetin. 


30 \ 


Del* uttb geigenbäume, bie, von SBcinrebcn unb 6pf>eu umranlt, burch 
Sianen gu einem unentwirrbaren, unburchbringlichen ©angen uerbunben ftnb, 
baä beweifen feine wogenben BtoiSfelber. 

©in gefprädjiger rufitfeher 3amfd)tfcE)if (Kutfcber) bringt mich non ber 
©ifenbabnftation nac^ Kutate, ber £auptftabt BtingrelienS unb ber am 
grengenben ©ebiete gmeretien unb Abcbaften. Stellt iene herrliche Burg* 
ruine. nicht ben einft ^o^ragenben Königäpalaft be3 Sleeteä bar? llitb 
biefeö melan<holif<h bewegte 2Wai3felb, flüftert eS un3 nidjt baS ©ebeintniß 
gu, baß an biefer Stelle einft bie iDra^enfaat auägeßreut würbe? Stufig 
nad) ßürnufdjer £balfabrt wäljt ber 9tion feine frpftaUflaren gtutben 
gwifeßen grünenben Ufern — eä ift ber alte BhoßJ, unb non ben verbed= 
lofen Barten auf feinem dtüden ift bie größte wol)l Argo, bas bunfle 2fteer= 
fdjiff, baS fflnfjig Boar £elbenarme fortbewegten. $n bie weiße Sfdjabta 
(Ueberwurf) lofe eingebüllt, baß bie fcßlanlen gierlicben ©lieber allenthalben 
lenntlich finb, fdjreite» bie Stäbchen aus bem Bolle baber. ©ine ©ranat* 
blüthe fieeft hinter bem Dhr, bie fdjwatgeu §aare hängen ihnen tief in bie 
Augen, ben fdjmalhalftgen 2Bafferfrug batanciren fie auf bem £aupt unb 
wiegen ft<h babei gragiöö in ben lüften — finb fie ni<ht alle com ©efdiledjte 
ber 3Webea? 

2Bir fahren über ben weiten Starttplaß, wo riefige Betonen ihre 
Schatten werfen, wir holten nor einem ftattlidjen £aufe, ba8 in üppigßem 
©rün förmlich ertrinft, wir glauben nicht anberö, alä baß König Aeeteä 
mit feiner jauberfunbigen Softer heroortreten unb un« begrüßen müßte, 
aber — „£ötel be Trance!" fdjreit ber 3amf<htfd)if in ruffifdjer Auäfprache, 
unb ein Schwarm befradter Kellner fragt in einem ©ußenb oerßhiebener 
Sprachen nach unferen SBünfchen. Unb ich, ben ba8 Bewußtfein, mich in 
KotdjiS gu befinben, förmlich »ergaubert hotte, bin plößlich entjaubert. 

Agariang bietet un§ gwar ©aftfreunbfehoft in feinem $aufe in ber 
Stabt an; ba er aber jeßt non feinen ©eßhäßen allju eingenommen iß, fo 
jiehe id» ben Aufenthalt im $ötel be grance »or, unb Büti« fdjKeßt ficb 
mir an, weil er oon bem Armenier unabhängiger bleiben will. Agariang 
begleitet barauf feine grau nach beren „SRofenbauS" oor ber Stabt. 

Sdhon ben nächften Sag fährt IßUfin mit Agariang nach Drpiri, bem ©ute 
be$ Seßteren, baS er bem Stuften »erlaufen möchte. Unb ich gehe mich umfehen. 

Um bie herrliche Umgebung oon KutaiS mit einem Blide iiberßhauen 
gu lönnen, befteige ich ben ruinenbebedten Burgberg am rechten Ufer beS 
3tion, über ben eine fehr fdiön gebaute Brüde führt. 3wifdjen bichten 
©ärten, in benen ^ßfirftd^e unb Stanbetn reifen, immer als 3«! bie büfter 
romantifchen krümmer einer alten Kirche »or Augen, gelange id) in 
Rurgem auf bie &ölje. SBunberfatn melancholifch wirten biefe Stuinen auf 
ben Beßhauer. Säulen unb Bogenreße finb oon bichtem ©pljeu utw 
fdßlungen, ber liebenb biefe traurigen Sengen einer herrlichen Bergangenbeit 
bebedt, unb aus ben llaffenben Stiffen fprießen überall SDtprten heroor, wie 



302 


rtanislaus £ttcas in Breslau. 


Dobtenfränze, bie bahingegangene ©röfje jum testen Stal fdjmüden. ©roffartig 
muff biefer Dom einft gewefen fein, bie umgeftürjten Säulenftümpfe, bie 
bpzantinifdien ©apitäle, baS t^eitroeife no<^ erhaltene Slattraerf ber SBänbe 
zeugen baoon. 2llS biefeS Sanb nod) unter ber &errfd)aft ber Spzantiner 
ftanb, muff wohl bie Gultur t)ier i^re ebelften Stützen getrieben hüben ; 
aber wie oiel traurige Babrhunberte gebörten baju, um 2WeS baS ju oer* 
niditen unb Buftänbe ^erb eiju fütjre n , bie gegenwärtig in roieber befferen 
Beiten faum benfbar finb. 9lf« bie bluffen nor wenig über fmnbert 
Bahren baS Sanb jum erften ©iate betraten, fanb baS fleine GorpS 
Soibaten feine SBege burdj bie Urwälber unb Sümpfe unb broljte föungerS 
ju fterben, unb bie dürften beS SanbeS, bie über 33ettfer herrfdjtcn, ner^ 
fdjafften ficb baburd) ©infünfte, baß fie ihre burdb ©d)ßnheit berühmten 
Untertanen an bie Dürfei als Sflaoen oerfauften. Darin befielt eben 
bie hohe culturoerbreitenbe 3RoUc ber bluffen in Slfien, bafj fie foldjen 
Buftänben ein rafdjeS ©nbe bereiten. 

Son ber Burgruine aus genieße id) ein Panorama, non bem idb mid) 
fdjwet toSjureifien nermag. Sreit ^ingelagert bebnt fid) bie Stabt ju 
beiben Seiten beS Sion, ein einjiger ©arten, aus bem nur bin unb 
wieber ein Dad) heroorlugt, unb ringsum ift bas Dl)al non walbbebedten 
Sergen umfdjloffen. Son Sorben bricht aus pittoreSfen BelSformationen 
ber Sion tjernor, um im Süben ber Stabt ruhig in ber fruchtbaren 
©bene baljinsuftiefeen, znufchen Urwätbern oerfchwinbenb, aus beren grünem 
©runbe fein filberner Spiegel bann unb wann bernorblißt, um weithin am 
Horizonte als blaufdiimniembeS Sanb fid) ju nerlieren. 

Durd) bie Straffen ber Stabt flanirenb, werbe ich burdj bie Se= 
wunberung gehemmt, bie id) ben einzelnen non Schlingpflanzen gänzlich 
nerbedten Raufern zollen muff. Sie gleichen Souquet.S non ©ranaten, 
Sorbeern unb IDlioen, zwifdjen bie golbige Sübfrüd)te Sbroedislung 
bringen, fie gleichen Heftern in blüljenbe ©ebüfd)e hiueingebaut , unb 
beneibenSwerth fommen mir bie fröhlichen 9Jtenf<hen batin nor. Diefe 
Blora ringsum — fie wäre baS ©ntjüden eines SotaniferS. B n hem non 
SSafferläufen burd)jogenen Stabtparf mit feinen zierlichen Srüden, breiten 
Baf)r=, Seit= unb Spazierwegen luftwanbelt eine bunte Stenge. Steift 
fhtb Nationaltrachten oertreten, fogar bie oomebmen ©ingeborenen, Damen 
unb Herren, nerfchmäheu fie nicht, tragen aber zum Beiden angenommener 
©ioilifation ©lacöhanbfdjulje. 

Nod) intereffanter ift baS niebrige Solf — welch aufferorbentlidj 
fdjöner Stenfä)enfd)tag, Stänner wie Brauen! 2Bie ho<hgefd)äßt bie 
Schönheit ber Sefeteren immer war, beweift ber Umftanb, bah fie noch in 
ben fünfziger Bahren biefeS BahrhunbertS z u bßdjften greifen in ber 
Dürfet fäuflich gefudjt waren. SefoitberS bie ©urier zeichnen fi<h burch 
ntalerifch fdtöne Dradjtcn unb ftolze Haltung aus. ©in funftnott brapirteS 
Duch ober auch ein Safdjlif bebedt baS £aupt, eine eng anliegenbe, mit 



*D ie Koldjieritt. 


303 


Satronenhattem auf bcr Stuft befefcte, fchroarje Sfdjerle|la umfchlie|t ben 
gefdjmeibigen Dberlörper, pralle, mit filbernen ©alonS befehle £ofen bie 
Seine, ein breiter türfifcfier ©harol umfd)lie|t bie lüften als ©ürtel, 
roorin oiel loftbares alte« ©eroaffen ftedt, roäEjrettb ben fDtantel filberue 
ober fupferne 3i errat ^ en fdnnüden. 

3fufjert)a[b ber ©tabt, auf betn SBege nach ber ©ifenbahnftation, tag 
baS SanbbauS, welches grau Sljarianj ifjr „StofenbauS" nannte. ©s 
biente biefen bauten ooltauf; benn rings umgaben eS Stofen, eS tag unter 
benfetben förmlich begraben. Ringsum jog fidj eine §ede roilber Stofen, 
bereu Keine Stützen Tautropfen glichen; am föaufe empor ranften fid) an 
Spalieren roei|e unb rothe Stofen, bie bis auf baS platte $adj Ketterten 
unb oon beffen Staube roie ©uirlanben nieberhingen, an benen bie Stützen 
glühten, fo ba| biefe ©üben bunten Sümpfen glichen, geber ©ang in 
bern nicht Keinen ©arten mar oon Stofen eingefaßt, eS gab ba Stpfen* 
alleen, Stofenbögen, StofenboSquetS, Stofenlauben in allen garbenabtßnungen 
biefer Slumenart; bie einfjeitnifdjen Slrten toechfelten ab mit ben auSlänbi* 
fdjen, fünfttich gejüc^teten. g<h fal) bie gelbe SJtarfdjalkStiel neben ber 
gro|en btafjrofa Safrance, bie blutrote ^uebla ftadj prächtig ab oon ber 
fdjneeroeilen SJtalmaifon. Unb inmitten biefeS Stofen fjaitiS ftanb fte, ein 
©üblanbslinb, eine Softer biefeS gefährlichen SobenS, fdjlan! roie eine 
Siane feiner Urroälbet, bie präditigfte Slütbe unter all biefen Stützen, 
bereu ©üfte fie umgaben, mie Dpferbiifte eine ©chutsgöttin. SSeiter nach 
hinten mar ein Drangenhain; feine golbigen grüdfte fd)ienen mir bie Slepfet 
ber $eSperiben, toeld)e bie ©tödlichen, bie hier roohnen, SllleS nergeffen 
taffen. SMefeS StofenhauS glich einem Stefl, baS bie jauberfunbige SDtebea 
gefdjaffen, um ft<h oor ben Slugen ber 2Belt ju »erbergen . . . 

Sen folgenben Sag fam Sßilftn an unb rief gan 5 glüdlich: „©ollege, 
idh höbe Drpiti getauft ! gebntaufenb ©eSjatinen, barunter breitaufenb in 
©uttur unb fiebentaufenb Urroalb. Son erfteren foftet bie ©eSjatine 
breilig Stubel, nom SBatbe jefjn Stubel, madjt jufammen 160000 Stubel — 
ein Sutierbrot! Unb bo<h hohe ich noch sehntaufenb Stubel heruntergehanbelt, 
benn ber Strmenier foll nicht benfen, ba| er einem Stuffen überlegen ift, 
roenn er auch über hunbert guben geht. @r braucht nämlich baar ©elb, 
benn feitbem ©ie ihm ghren ißlan in Setreff feiner Serg= unb $üttenroerfe 
entmidelt, lä|t es ihm leine Stutze, burch &ineinlegen grö|eren Setriebs* 
capitatS bie SMionen, bie bort heraus ju nnrtljfcbaften finb, ju geminnen. 
gdi natürlich lege in Drpiri eine 9MS*Srentterei an, baS ©rfte aber ift, 
ba| ich ben Urroalb ejploitire. Sort giebt eS nämlich ©teineichen, in 
beren ©chatten fdjon bie berou|ten ©<hafe mit bem golbenen Slie| geroeibet 
haben müffen. g<h lege alfo mitten im SMbe ein Sampfiägegatter an 
unb nerbinbe eS burch eine ^ferbebafm mit bem gluffe. geh mache 
Sailen, Sretter, ©djroellen, Selegraphen* unb ©ruben^ol}, flö|e eS ben 
Stion hinab, betabe bamit ein @d)iff int ©dhroarjen Wieere unb fenbe eS 



30^ Stantslans £ucas in Breslau. 

nadR Italien ober granfreidR. Sie füllen feRen, rote id» aus bem Sßalbe, 
ber tntdR nur Rebenjigtaufenb foRet, eine 2Jtittion RerauSwirtRfdRafte! D, 
ber StaufafuS Rat eine Sufunft!" 

@r fdRroefette mir nodR uiel vor, aber aus aflebent fonnte idR erfeRen, 
weldR fpeculatioer Stopf er war, unb rote er ben 2lrmenier Reteinjulegen 
tradRtete. ©en folgenben ©ag wollte er roieber mit Sljarianj nadR ©amtrebi 
fahren, bem jroeiten ©Ute beS SeRteren, um audR biefeS ju beRdRHgett. 
©er Armenier entfdRulbigte RdR bei mir, baR er RdR fo wenig mir roibmen 
fönnte. ©a ertlärte feine grau. Re wolle nadR bem Älofter ©elatp RdR b& 
geben, unb idR folle Re begleiten. Unb 2ljarianj äuRerte barüber feine 
Sefriebigung nadR ber SEBeife järtRdRer SüRnenoäter. 

©er uns RinfaRrenbe, jttbifdRe JtutfdRer unterfdRieb RdR in ©pradRe unb 
Stleibung burdR nidRtS oon einem ©ingeborenen, nur winjige SöcfcRen an 
ben DRren oerrietRen feine 3lbRammung. fßradRtoofl iR bie gaRrt burdt) 
bie riefigen SBälber, in beren unburdRbringlidRem ©üfidRt Dörfer oerfledt 
Hegen, beren ©afein nur mandRmal baS SträRen eines £aRneS erraten 
läRt, unb auf RoRem Serge liegt baS berühmte ÄloRer aus bem jeRnten 
gaRrRunbert mit feinen jaRHofen »ergolbeten Stuppelfnöpfen unb Äreujen, 
anjufdRauen wie eine wunberfame Stlippe inmitten beS grflnwogenben 
SüieereS ber Urwälber. ßerrlidR iR Rier bie 2IuSRdRt auf ben fcRnee= 
bebedtten StaufafuS unb ben weitraufdRenben ißonteupin. ©aS StloRer, 
eines ber größten unb berüRmteften 2lltertRümer ©ruRenS, befleRt aus 
einer ©ruppe non Streben in reidbem bpjantinifdRen ©til, bie innen übers 
reidb mit Ornamenten nerjiert unb mit loRbaren SReliquienfdRreinen an* 
gefüllt Rnb. 

©dRroarjoerfdRleierte ÜDtöndRe mit ebrroürbigen Särten jeigten uns be= 
fonberS bie ^iftorifd^en Reliquien, ©dRenfungen »on Sßaffen, Stleibem unb 
anberen Stoftbarfeiten ber befannteften gare ©ruRenS aus bem jroölften, 
breijeRnten unb oierjeRnten gaRrRunbert, weldRe grofje SereRrung genießen. 
®ie meiften biefer SttltertRümer Rnb bem 2lnbenfen ber 3 flr ' n Komata 
geweiRt, beren Regierung im breijebnten gaRrRunbert ben $öRepunft beS 
SRuRmeS unb ber ©röRe ©ruRenS barftellt. Unb unfere ©amara fniete 
oor ben mit ©dRmucf überlabenen Slltären, betete unb weinte, ©ie 
opferte jaRIreidRe 2BadR3lidRter unb warf in alle DpferfäRen ©elb. Unb 
als fidR ein ©efang a capella erRob, ReRr unb jugleidR lieblidR, baS gleRen 
ber armen SttenfcRenfinber ju iRrem RimntlifdRem Sater ju ergreifenbem 
SluSbnuf bringenb, ba weinte unb betete Re nodR meRr. ©raußen, als 
wir roieber bie Slidfe in baS Sanb ringsum taudRten, pRüdtte Re non 
einem alten ©emäuer einen ÜJiprtenjroeig, ben Re mit SBeRmutR be= 
tradRtete, inbem Re feufjte: „2ldR, wenn idR meine Jpeimat auf immer net» 
laffen müRte ... idR würbe nidRt weiter leben fönnen." 

ÜJtir fdRien’S, als wenn bie junge grau mit einem Rarten ©ntfcRluR 
fämpfte, fonR Ratte idR mir biefe Seroeg tReit nidRt etflären fönnen, bie 



Die Koldjietitt. 


305 


immer bann heroorbradh, roemt idh mein ©rttjücfen über bie Schönheit biefeS 
SanbeS äußerte. Unb atä wir roieber in ihrem SiofenhauS anlangten, 
blieb fte inmitten ihrer Blumen träumend fielen unb fagte: „-Steine ge* 
liebten Slofen, roo mürbe ich euch in foldher güUe unb foldjer Fracht 
mieberfinben!" 

ißilfin, ber benfelben Slbenb roieberlatn, äufjerte, er merbe Samtrebi 
noch nicht laufen, fonbern ben Strmenier erfl no<f» tüchtig brücten, bamit 
er es billiger taffe. „©3 ftnb fe<h§taufenb SeSjatinen nahe bei ÄutaiS, 
bauon »iertaufenb noch fruchtbareren WiaiSbobenS, als in Drpiri. SXber 
biefer jehnmal burdh alle Siauchfänge ber £ölle gegangene Armenier bilbet 
fi<h ein, idfj merbe ihm für baS ganje ©ut eine 33iertelmiUion jatjten. ©r 
uerlennt mich. ©erabe bie Hälfte geb’ ich, nicht mehr. ®enn bie bortige 
gieberluft nehme i<h ^öctiflenä umfonfi in Äauf. ©r roirb fdfjon noch 
baateS ©elb brauchen, märten mir ab." 

Qn ber £aft, in ber beibe ©efdhäftsteute ihre Angelegenheit betrieben, 
ber ©ine um ju oerlaufen, ber Anbere um ju laufen, Söeibe um ein 
©efdhäft ju machen, baS ihren . Sßünfdhen entfprad^, befdfjloffen fte, ben 
folgenben £ag nadfj Tiflis ju reifen, roo alle gortnalitäten burdh Sljarianj 
geregelt roerben foHten, roä^tenb Sßilfin ben ftauffcfjiHing in ber SteidhSbanf 
beponiren mottte. geh fonnte ihre Stücffehr, bie üieHeicfjt erft in fünf ober 
fedf>3 plagen erfolgen foßte, nicht abroarten, benn ich mufete midh auf ben 
2ßeg madhen. 2öir nahmen alfo SKbfdjieb, unb meine Abreife foDte mit 
bem 3uge erfolgen, ber um brei Uhr -Morgens nadh ißoti geht, oon mo 
aus midh ei« Kämpfer über baS Schroarje -Meer bringen foHte. 

3lm Spätnachmittag beSfelben SCageS begab ich midh in ba$ Stofen* 
hauS, um grau Ajarianj meinen AbfchiebSbefudh ju madhen. geh burdh* 
fdhritt langfam ben ©arten, nodh einmal einen 23licf -auf biefen rounber= 
baren Stofenhain roerfenb, ben idh mohl nirgenbs ln foidher ißracht unb 
Ueppigleit finben $u fönnen glaubte. £)a3 £au3 fdhien roie auSgeftorben, 
eine btüdfenbe Sdhroüle, bie Siegen oerlfinbete, lagerte über bem ©arten, 
bafj bie Slofen matt ihre ftöpfe fenlten. geh lam an einer Saube oon 
Theerofen oorbei unb glaubte Sdhludhjen ju hören, gnbem idh meine 
93ticfe auf baS innere ber Saube ridhtete, fah idh jntei ©eftalten in inniger 
Umarmung. Samara gralUjerona in ihrer farbenreichen mingrelif<hen 
Siationattradht, lehnte ihr ßaupt an bie Schulter eines SJianneS in mobentem 
©ioil, beffen ©efidht idh nicht fehen lonnte, in bem idh aber an ber oor* 
jüglidfjen ©eflalt Seloferom erlannte. So fdfjneU mie möglich rooHte idh 
mich entfernen. 

Aber 33eloferoro latn mir fdjon nadh. 

„ftamt ich Sie in einer Stunbe unter oier Augen fpredhen, StaniStaro 
gjobororoitfdh?" rebete er mich an, als menn roeiter nichts oorgefaHen märe. 

„©eroifj, 3«wn Äonftantinitfdh. kommen Sie aber bejiimmt in’S 
^ötel be grance, benn idh reife um ÜJHttemadht ab." 



306 


Stanislaus £ncas tn Breslau. 


„3$ will benfelben 3«9 benüjsen unb hoffe, bafj tuir jufantmen reifen," 
fagte er mit einer SDiiene, als fei baS ein grojjer ©ntfdjlufj. 

Alfo mar er bo<h noch nicht abgereift unb f<f>ien hierher ju einem 
lebten SienbejoouS gefommen. Söahrfcijeinlich wollte er ft<h meiner SiS« 
cretion uerftchern, benn er hatte gewif} non grau Ajarianj gehört, baff ich 
nod) hier fei, unb bah i<h ihn leicht fehen fömtte. 

6r !am ju-mir unb ging ohne Umftänbe auf bie Angelegenheit ein. 

„Sie werben jefet nicht mehr im Bum fei fein, wie ich mit Samara 
graflijewna ftehe, benn Sie haben mich jwei 3M in Situationen, in 
SBorfhom unb hier, gefeljen, bie ju ©ebanfen Aniah geben." 

3<h entfdhulbigte mich wegen beS SSorfaHS non norhin, eS fei nicht 
meine Abfidht gewefen, inbiScret ju fein. 

„3dj nerlange non glmen feine ©tflärung," fuhr er fort, „fonbern 
bin nielmehr hergefommen, gljnen eine ©rfläruitg ju geben, jumal ich, offen 
gefagt. Sie um Unterftü|ung in einer Angelegenheit bitten möchte, bie nicht 
allein mich, fonbern auch eine Same betrifft, ber Sie gewif} 3h*e Sichtung 
nicht nerfagen werben." 

9ta<h biefer wuchtigen Vorreöe fonnte ich mir benfen, bah i<h nun 
über 9)lan<heS Auffchluh erhalten würbe, was mir bislang einigetmahen 
räthfelhaft erfchienen. 

„Sie werben baS, was ich 3h uen 5« lagen habe," fuhr er fort, „in 
einem anbem Sicht fefjen, wenn Sie ben SebenSgang Samara grafUjeronaS 
wiffen. Sie ift eine geborene SRingrelierin unb Sochter beS $erro ©ir 
golabje, ber ©ouuemements-gngenieur in ÄutaiS war, mithin jur höhere« 
33eaintenf<haft gehörte. Auf einem ©ute bei SBorfhom, baS fein übrigens 
fo werthlofeS ©igentljum war, bah er nicht einmal beffen ßoljbefiänbe oer= 
werthen fonnte, entbedte ©irgolabje eines SageS Steinfohlen unb ©fern 
erje, welcher Umftanb ihn als gadhmann oeranlafjte, bort ein $üttenwerf 
anjulegen. Sa er nicht tnel baare SHittel befafj, fo hatte ihm ber Aboocat 
Ajarianj ju biefem gmecf breihigtaufenb Sfubel geliehen. Sie Sache ging 
gut, ©irgolabje fuhr fort, nach ben SBobenfchäfcen biefeS jungfräulichen 
SanbeS ju muthen, unb oergröherte feine Unternehmungen immer mehr, 
©r ftarb aber an einer SMaria, bie er bei feinen 3Ruthungen inmitten 
ber fiebergefchwängerten Urwälber fich jugejogen hatte, unb feine einzige 
©rbin war fein bamals selmjährigeS Södjterchen Samara. 3 um SSormunb 
beS ßinbeS, beffen Sltutter auch Tiidjt mehr lebte, fefcte er Ajarianj ein, 
mit bem er lange befreunbet gewefen, beffen heroorragenbe ©efdhäftsfenntnih 
er fannte, unb ber auch ber geeignetfte ÜRann feinen, bie im Aufblühen be- 
griffenen Unternehmungen unb Sßerfe erfolgreich }u abntiniftriren, jutnal 
er ja jelbft ein nicht geringes Capital brin ftecfen hatte. Ser Verftorbene 
hätte auch feine beffere 3Bal)t treffen fönnen. ©irgolabjcS inbuftrielle 2Betfe 
nahmen unter feiner Verwaltung einen bebeutenben Auffchwung, unb Samara 
burfte mit ber 3eit eine feljr reiche ©rbin werben. 



Die KoId)ieritt. 


307 


„SaS fall ber fchlaue 2l}arisn j wabrfcbeinlicb bei feiten ein unb grünbete 
barauf, pmal er um biefe 3eit gerabe SBittroer würbe, feinen ißlan. gnbent 
er bie Keine Samara bem Snftitut ber abeligen gräulein in ßbarfoiu pr @r* 
jiebung übergab, entjog er fte allen ©inflüffen ihrer Umgebung, baS Sinb 
fannte unb fab nur noch ihn, ber ber 2Saife gegenüber fi<h als ber järt* 
lichfle, beforgtefte Vater erwies, ber für MeS forgte, non bem alles ©ute 
auSging. Saburch batte er ft<h eine bantbare ßinbeSfeele gefd^affen, bie 
völlig in feiner ©eroalt mar. 2lts gräulein ©irgolabje fiebje()u igabre alt 
geworben, batte ibr ber fchlaue Armenier planmäßig ihr Meinfein in ber 
SBett, bie Saft ber Verwaltung ißreS Vermögens, baS bei unüorfidjtiger 
Verwaltung leidet in nichts jerfließeit tonnte, bie ©efabren, bie mit ihrer 
gugenb, SebetxSflellung, Verbättniffen unb Vermögen oerbnnben wären, fo 
glaubwürbig barpfleHen gewußt, baß fie fi<b nicht viel befann, feine ihr 
angebotene §anb pm ©bebunb anpnebtnen. Erbarmen ©ie fleh, man 
tann baS o erflehen. ©ie foHte hinaus in bie SBelt, in ber fie teinen 

einigen 3Tienf<fien tannte — außer Sljarianj; fie foHte ißr fcbroierigeS ©rbe 
antreten, baS fein Vlenfcb p oermalten muhte — außer Slsarianj. 3b r 
Meinfein tarn ihr jefet erfl pm Vewußtfein, ihre Verlaffenheit ängftigte 
fie, unb ber SBittroer SÜprianj tonnte fte in feinem &aufe nicht anberS auf* 
nehmen, außer als feine ©attin. Unb ba glaubte fie in ihrer Unroiffen* 
beit unb Unfchulb baS gnftitut mit bem elterlichen £aus P oertaußhen, 
benn Sljarianj batte fie immer nur als järtlichen Vater p betrachten 
gelernt." 

„2Hfo fo oerhält fich bie Sache!" unterbrach ich ihn. „Unb ich glaubte 
immer, baS Vermögen märe auf feiner ©eite geroefen, unb fie hätte ilju 
als armes Vläbcben geheirathet." 

„Süchtig betrautet gehörte bem Armenier bamals fchon ber größte Sbeil 
beS ©irgoiabje’fcben ©rbeS. Senn er hatte natürlich feinen urfprünglicben 
3lntheil oon breißigtaufenb Slubeln riefig anroachfen taffen, ba er ber be* 
ooUmächtigte Vermalter mar, ber bie Sßerfe jmeifelloS gehoben batte. SBenn 
Qemanb ben ftnäuel hätte entroirren, b. b- eine ©rbßhaftSregulirung herbei* 
führen moHen, bann mürbe bie Erbin mabrfcheinlidb mit leeren $änben auSge* 
gangen fein, benn ©ie bürfen nicht oergeffen, baß Slprianj ein Armenier ift." 

„2Kb, hie arme grau!" 

„3uerft ging 2lHeS fehr gut, unb eigentlich geht auch jeßl noch MeS 
auSgejeichnet. Senn Üljarianj, ber nur Verlangen nach bem Vermögen 
feiner grau batte, fpiett bie Volle beS järtlichen Vaters weiter unb läßt 
feiner grau bie größtmöglichste greibeit. Vacbbetn ihn ihr Vermögen pm 
reichen 3Jlann gemacht, nachbem bie ©he mit ihr feine oerbächtigen Viani* 
pulationen pgebecft, foH nun ihre ©cfjönEjeit unb Vilbung feinen ©hrgeij 
befriebigen helfen. Senn ber ißaroenu ift ebrgeijig, er möchte einen Sitel, 
noch lieber einen Drben erlangen, ©ie haben gefeben, welcher ©unft bie 
junge grau fleh am &ofe beS ©roßfürften*©tattbalterS erfreut, ©r fpielt 

Starb nab Süb. XCV. 285. 21 



308 


Stanislaus £ucas in Sreslau. 


baneben eine traurige gigur, er ift eben nur ber SJtann feiner grau, aber 
baS fümntert itjn nicht, wenn er nur feinem 3iel« näher fommt. Sticht 
allein, bah ihm Sieferungen juertheilt werben, man fdjafft ihm auch nod» 
anbere Bortljeite, weil man bie Qnbuftrie in biefem Sanbe tyben will; 
f<hon h tt i er bem ©rohfürften Vortrag bariiber halten muffen." 

2Bit ia§en bei einer glafdje 2Bein. ©S mar injroifchen finfiete Stacht 
geworben, benn in biefen ©egenben brid)t bie Stacht unnermittelt, ohne 
jeben Uebergang non Dämmerung herein. 3 u ben» ftieg ein ©ewitter auf, 
baS eine unerträgliche Schwüle nor ft<h hertrieb. gefct erfolgten plöfelidj 
fo heftige SCBinbftöfje, bah wir eiligft bie genfter fdjliefjen muhten. Uitb 
bann fam eS unter grellen Sötifeen unb furchtbarem Donnerrollen hemieber 
wie ein Sßolfenbrud), ber 2IHe§ wegjufchwemmen brohte. 3<h äujjerte 
meine SBeforgnih- 2Iber Beloferow, ber bie Statur biefeS SanbeS fchon 
fannte, beruhigte mich mit ber beflitnmten Sleuherung, bah biefe heftigen 
©ewitter nicht lange bauerten. 

„Sta, wenn eS uns nur nicht an ber 2Ibreife hinbert," fagte ich. 

„@S wirb uns nicht hinbern, eS barf uns nicht hinbern!" fagte er in 
fo entfchloffenem Done, als wenn non biefer Slbreife wer weih was ab* 
hinge, that einen großen Schlurf unb fam wieber auf feine ©tjählung jurürf. 

„3<h fah Samara jum erften SJtale in ber Dper in Petersburg, wo 
fie fi<h mit ihrem ÜJtanne gerabe aufhielt. Den ©inbrud, ben ihre Schönheit 
auf mich machte, lann ich 3hnen nicht fdfilbem, genug, er entfdneb über 
mein Sehen. g<h lieh mid} bem ungleichen ©bepaar oorfteHen, unb SHjarianj, 
ber fuh an Seute ber groben 2Belt gern heranbrängt, fomtte mit für bie 
©hre, bie ich ihm erwies, nicht genug banfen. ©r oergafj natürlich auch 
nicht feinen Bortheil, benn ich muhte ihm auf ©runb meiner SBerbinbungen 
nach oben jur erfolgreichen Slbwirfelung eines ©efchäfteS oerhelfen, wegen 
beffen er nach Petersburg gefommen war. ©iferfudjt fehlen er nicht ju 
lernten. Bon ihm felbft ging fogar ber Borfdilag aus, Dantara folle ihrer 
©efunbheit wegen einige SKonate in galta jubringen, unb mich bat er, 
feiner grau bort ©efeßfdjaft ju leiften, benn er fei gerabe in biefer 3eü 
mit ©efchäften überhäuft." 

„Donnerwetter!" fonnte ich mich nicht enthalten, ju rufen, „bie Sache 
würbe Sbnen bequem gemacht!" 

„Db ber Slrmenier bamals fchon wuhte, wie es jwifdjen feiner grau 
unb mir ftanb, fann ich nicht behaupten," fuhr er fort. „3118 Sie uns in 
galta faben, fpielte ich meine Stoße als ©teichgittiger mit oielent ©rfolge, 
nur um bie junge grau nicht ju compromittiren. Such ift eS wieberum 
bet ©ebanfe beS Armeniers gewefen, bah i<h in ben ©onooi beS ©rohfürften* 
Statthalters eintrat, wo ich ih m auf feine Sitten mancherlei Dienfte leiften 
muhte, ©rft Samara fanb mit bem geingefüht beS SEBeibeS heraus, bah 
wir in ben Sllugen beffen, ber ihr ©atte flieh/ nichts als 3tffem in feinen 
Berechnungen waren. Seitbem fie liebte, waren ihr bie 2lugen aufgegangen 



Die Koldjierln. 


309 


über bie 33attbe, in bie Me eigene UnerfaRrenReit unb bie £interlift iRreS 
früheren SBormunbS Re gefcRtagen. Unb nun nodR bie ©ntbedEung, baR et 
2ltteS errietR unb Sülles bulbete, fo lange es iRnt in feine SRedRnung paRte. 
SÜBeldRe ©dRntadR! SSon biefem 2lugenblicfe roaren mir entfdRloffen, biefc 
geffeln, fei es mit ©üte, fei es mit ©eroalt, ju fprengen. ©utroittig 
wirb er in eine ©(Reibung nidRt mittigen, benn et braudRt feine grau ober 
oielmeRr beren ©dRönReit. @3 bleibt alfo nichts übrig, als eine ©Rat* 
fadRe ju f (Raffen, bie iRnt beroeift, baR feine grau ni<Rt mittenS ift, 
fidR roeiter miRbraucRen ju taffen. ©antata reift Reute mit mir ab. 
©ann roitt fie Sljarianj iRr ganjeS SBermögen anbieten, roenn er in bie 
©(Reibung roittigt, unb 'mir merben bann SJtann unb grau. ©ottte ber 
Armenier niiRt barauf eingeRen, bann Reife idR mit meinem SBermögen nadR; 
fottte baä nidRt genügen, fo feRe idR meine SBerbinbungen nadR oben in 
33eroegung. ©ie ©(Reibung muR burdRgefeRt merben, ©amara muR meine 
grau merben!" 

@r ging mit aufgeregten ©dRritten auf unb ab. Unb idR erroäRnte, 
baR ©amara graflijemna ber 2lbfdRieb oon iRrer fdRönen Heimat fcRr 
fdRmer merben mürbe. Re Ränge allem 3lnfdRein nadR mit ganjer ©eele 
baran. 

@r blieb oot mir ReRen unb fagte: „©eRen ©ie, aucR idR laufe ein 
groReS SRiRco, aucR idR muR Dpfer bringen. gdR merbe aus ber 2lrmee 
austreten müffen, unb menn idR eine gefdRiebene grau ReiratRe, fomme icR 
mit meiner gamilie auSeinanber unb merbe aus ben RoRen unb RödRften 
Greifen, in benen idR bislang ju leben gerooRnt mar, oerbannt. 2lber ber 
KaulafuS iR ein Sanb, mo baS ©raS übet geroiffe ©reigniffe oiel fdRnetter 
unb oiel üppiger als anberSroo mädRft. ©rft muR ©amara meine grau 
fein, baS Uebrige mirb RdR Rnben." 

gdR betradRtete feine fraRootte ©eftalt unb feinen 2lntinou8fopf. ©r 
madRte nidRt ben ©inbrudf jener Sebemänner, bie mit ben .fjerjen ber 
grauen fpielen unb beren Unglitc! als einen ©riumpR iRrer SJtännlidRfeit 
auffaffen. ©emiR geRörte er ju jenen Staturen, bie fidR nur langfam er* 
märmen, bei benen aber bie SeibenfdRaft, einmal ermecft, fefter fiRt, ebenfo 
mie eine ÄranfReit gerabe in einem unberüRrten Körper bie gröRten SBer* 
Reerungen anridRtet. ©r »mar eRrlidR, unb idR glaubte iRnt, baR er 2ltteS 
fo tRun mürbe, mie er RdR’S oorgenomtnett, oRne fidR burdR bie fdRroierigRen 
ftittberniffe abfdRredfen ju laffen. 

Unb nun bat er midR, idR fotte iRnt bei SluSfiiRrung feines Reutigen 
planes meine UnterftüRung geroäRren. @r Rabe mit ©amara oerabrebet. 
Re jroifdRen jroölf unb ein URr int StofenRaufe abjuRolen, im ©alon merbe 
SidRt fein, aucR Rabe er einen ©cRlüjfel ju ber ©Rür ber SBeranba. ©er 
gnnfdRtfcRif, ben idR gemietRet, fotte uuS nadR bem SaRnRofe bringen, mo 
idR bie junge grau, bie man nidRt leidRt erfennen mürbe, unter meinen 
©dRuR neRmen fottte, benn er, ben man leidRter erfennen fönnte, würbe 

21 * 



3*0 


Stanislaus £acas in Srestau. 


ftch mit beit SReifenorbereitungen befhüftigen uttb ftd& fo anflellen, als 
gehöre er nid^t ju uns. 

©ine Entführung! Wan erlebt begleichen nicht alle Sage! SBeSbulb 
alfo foHte id) ben Siebenben rtid^t beit ©efallen tbun, um ben midi Seloferoro 
angirtg, ba t'ich bie Sache eigentlich ganj non feibft machte. — 

Um Wittemad)t fuhren mir mit bem j^ainfdfitldhif ab. 3$ butte nur 
einen Koffer, 33eloferoro gar nichts, fein ©epäd mar bereits nach ißoti auf 
ben Sampfer gefdjidt. Ser liegen batte aufgebört, aber ber fette fchtuatje 
33oben fi<b in eine pedpbe Waffe oerroanbelt, unb ba es fo finfler ge: 
roorben, ba§ mir bie £anb trat ben Slugen nicht faben, lonnten bie ^ßferbe 
nur im (Schritt geben. Wir paffirten bie SRionbrüde, unmeit babinter lag 
baS IRofenbauS. Wir fuhren oorbei, faben im Salon Siebt unb blieben ein 
Stüd rceiterbiij butten, mo mir auSftiegen, Seloferoro, um in ba« £auS 
ju geben, i<b, um an ber Pforte ju märten. 

©3 mar eine rounberbar ftiHe, rabenbunfle SRacht unb bie Suft nach 
bem Stegen mit balfamitdjen Stiften förmlich gefättigt, roie in ben Sropen. 
2ln ben blättern hingen bide ^Regentropfen, man hörte bin unb toieber 
ihr gludfenbeS SRieberfaHen, unb non bem SRofenbain her fam uon 3 e ü 
ju 3 e ü eine roabre Wolfe betäubenben Stofenbufte«, als butten bunbert: 
taufenb Slumenfelche ftdh geöffnet. 3 roe i fünfter unb bie ©laStbür beS 
Salons maren erleuchtet. 3<h beobachtete SBetoferoro bur<h meinen gelb: 
flecber, i<b fob ib n on ber ©laStbür flehen unb hörte ihn mehrere SJtale 
Hopfen; aber es rührte ftdh nichts. „Wabridieinlicb ift bie junge grau ein: 
gefdjtafen," badjte ich unb fab nach ber Uhr; es mar fdhon eins. Stun 
öffnete Setoferoro leife bie Sbür unb blieb in ber Deffnung berfelben lange 
regungslos flehen; ich fab feine bunfle Silhouette fidj oon bem beleuchteten 
inneren abbeben. ©r trat ein, bie Sbfir hinter ftdh offen laffenb. 

3$ martete unb martete oergebenS. 

Sollte fi<b bie Kotebierin roeigern, ihre Heimat }U oerlaffen? Sollte 
itdh bie fanfte junge grau ben golgen ihres Schrittes nicht gemachten fühlen? 

3<h mürbe ungebulbig, boeb rooHte ich nicht fo inbiScret fein unb 
Seloferoro nachgeben. ©3 mürbe jmei Uhr, unb ber 3ng gebt unt brei 
Uhr. Wir butten einige Werft bis jum Sabnbofe unb fonnten nur Schritt 
fahren; alfo bie bö<bfte 3 e it- 

©3 blieb MeS fo ftiH, als fdhtafe ber fRofenbain ringsum, als fchlafe 
baS 9fofenbauS, als fcbliefen feine Semobner. 

3cb entfdilob mid) ertblid), ba bte Sbür immer noch offen fianb, feibft 
nachjufcljen, unb betrat ben Salon, ©r mar, obgleidh feine Sbür nach ber 
iteranba feit einer Stunbe offen ftanb, noch fo non Stofenbuft erfüllt, baf; 
eS mich förmlich betäubte. 

SRingSutn Stofen, an allen genftem, auf allen Sifchen, unb ber gaitje 
gujjboben banon bebedt. 


Die Koldjtertit. 


3U 

9luf einer ©oueßette tag oÖHig rate jum Sluägeßen angefleibet, bie feßöne 
Äolcßieritt. Sieben ißr fniete SSeioferoro, bie ©tim gegen ißre &anb gepreßt 

3ßr Saget war ganj mit jerpflficften Stofenblättern Bebeeft, ju ißren 
■Öäupten ftanben große Souqueto, ißre 9tecßte rußte auf ißrem ^erjen unb 
hielt ein Sträußchen weißer Stofen. 

Stotße, weiße, gelbe, rofa Stofen . . . fie batten ifjre Seelen au§* 
gehaucht unb mit ißren lüften autf) bie Seele ißrer Königin baoon* 
geführt ... 


©rei ©age fpäter führt mich bie ©ifenbaßn bureß bie Sümpfe beS 
Stiem nach ber fjafenftabt $oti. SBoßin ift baä herrliche Mcßiä, beffen 
3auber noch oor wenigen Stunben auf mich gewirft! (Sinige taufenb junger 
©ufalppten, bie man hierher oerpflanjt, um bie Suft oon gieberbünften 
ju reinigen, taffen ahnen, baß, wenn fie ließ ju ihrer ©ßurmböhe werben 
entwirfelt hoben, auch hier bie Statur nicht ohne Sieije fein wirb. 9lber 
jefet iß hier fein Sehen, jeßt ift hier MeS traurig. 

Selofetow ftarrt hinaus, aber er fieht nichts. 

SDtit SDlühe hatte ich ihn non ber Seidje feiner ©eiiebten fortgebraeßt. 
Stur ber Hinweis, baß unfere Situation eine feßiefe fei unb baß wir bie 
Söerftorbene compromittiren fönnten, »ermodjte ißn ju bewegen, wenigftenS 
in ben ©arten ju gehen unb bie ©ljür wieber ju fcßließen, wäßrenb ich 
bie mir befannte ©ienerfcßaft weefen ging: c§ fei noch Sicht im Salon, 
SBeloferom unb ich feien auf bem Sßege junt Sahnhof, oielleicht fei bie 
Herrin noch ju fpreeßen, wenn nicht, fo foöe man ißt unfere lefcten ©rüße 
befteüen. 

©ie ©ienerfchaft wunberte fich, baß noch Sicht im Salon fein follte. 
SllSbalb entftanb eine große Unruhe, ich hörte laufen, rufen, weinen unb 
betrat ben Salon, um baS ju feßen, was icß feßon wußte, ©S würbe nach 
9lerjten gefchieft, ich telegrapßirte an Sljarian* unb ^ßiHin. 

2Benn ©amara graftijewna mit 2Cbfi<ßt fich hätte ben ©ob bureß 
Slumenbuft geben wollen, fie hätte es nidjt beffer anfteHen fönnen. Sieh 
leicht mar es fo, uieüeicßt brachte fte es nicht über fich, ihre Heimat ju 
»erlaffen, bodj wahrfcßeinlicber ift es, baß bie Umftänbe hier »erßängnißooH 
würben. Sie wollte oon ißren geliebten Stofen Slbfcßieb nehmen unb fieHte 
fte überall auf unb ftreute fie überall umher, ©ann fam baS ©emitter, 
unb fie mußte ©ßür unb genfter fchließen. Um bie ,8eit träumenb hiitjm 
bringen, legte fie ließ mitten unter ißren Stofen nieber unb oerftel um 
merflich in eine Setäubung, au$ ber es fein ©rwaeßen gab . . . 

Slaffelnb würben bie Slnfer gelichtet, wogenpeitfdßenb feßte feeß ber 
©ampfer in Bewegung, ©er blaußhimnternbe, gaftlicße ißonteupitt trägt 
uns ieife wiegenb auf feinem Stiiclen baßin; in weiter gerne begleitet uns 
bie jerflüftete gelfenfüfte, unb über ißr tßürmt fuß in feßweigenb emfler 



S\2 


Stanislaus £ucas in Breslau. 


Sttafeftät, fdjneeleudjtenb, gletfberblinfenb, bie htotmelanftrebenben ©pifcen 
getauft in rofige Slbenbrothgluth, ber Kaufafu«. G« würbe Slbenb, (jöljer 
flieg ba« ©untet ber Stadjt, 5ühe, Selb, ©«buttern ber liefen mit ihrem 
hbwarjen SJtantel eintjüttenb, nur bie Häupter ftraljlen nodj in ©über mit 
rotfiem ©otbe, gleich gigantifd&en Slttären, auf benen eine Dpferftamme 
brennt, ©ann oerfchwanb Gine« nadj bem Stöberen, glei<bfam in bie 
Unterwelt oerftnfenb, nur bie bödjfte ©pifce giäbte nodj, anjufd&auen wie 
ein Karfuntet in ber Krone eine« König«, ©er Kaufafu« grüßte jum 
lefcten 3Ral, unb i<b oermodjte meine Slugen nicht abjuwenben. 2£ie oiel 
SBunber batte ich gef cbaut! Groigen ©djnee unb ewige« freuet, parabiefifdie 
©egenben unb unterirbifibe SBohnftätten, bie menfdjtidje @<bönheit in ihrer 
uottenbetjlen $orm unb bie 8eibenf<baften ber Grbenttober — ein Sanb, 
in bem bunbert 33ötter wohnen unb bunbert ©praßen Hingen. 

®ie ©terne flimmern am tieffdbwarjen Fimmel, fübli<b taue ttladjt 
umgiebt midj, unb SBoblgerüdje, tjergeljaucbit non 3lfien« Küflen, betäuben 
mich faft, eintönig fd»tagen bie tßontuSwetten ben 33orb: ©batatta, ©balatta! 
iPbo«pborif(b flimmert ba« Kietwaffer, raufdjenb f (bäumen bie Sßelten am 
8ug, ba« ©<biff ftrebt bem Sanbe ju, wo einfl Spljigenie im ©djufce ber 
©ötter lebte — i<b aber träume no<b immer oom Kaufafu«. 

Stur SBetoferow träumte oon Slnberem. Gr fab nidjt«. ©enn er flarrte 
in bie halb purpurnen, halb ajumen, batb ftpgifd) fdhwarjen SBelten. 

* 

Gin 3abr fpäter fdjrieb mir pStta: 

„SSerebrtefter Gottege! G« fc^eint, al« wenn bie f<böne ffrau Stjarianj 
nur be«balb biefe Sßett oertaffen, um mi<b jum Grben ihrer ©Üter ju 
utadben. ©enn tbatfädjtidb bin i<b iefet im Söefifce faft alle« beffen, wa« 
einft ihr 33ater ihr tjinterlaffen batte. 2Bir waren immer ber naioen 
SJteinung gewefen, bah ber Armenier ber reiche SDtann war, ber mit 
feinem ©etbe ihre $ugenb unb ©djönbeü getauft; unb nun ift fie bodb 
bie reiche Grbin unb er ber Grbfdjteicber. Kaum war fie begraben, al« fidfj 
ein ©ufcenb Seute melbeten, bie alle ben Stamen ©irgolabje trugen unb 
Grbanfprfi<be erhoben. ®a tarnen fie aber bei Stjarianj, ber ficket feine 
bunbert $abre in ©atan« 3tau<bfammer gehangen, fdjön an. Sitte« gehöre 
ihm, nichts habe ber alte ©irgolabje hintertaffen al« ©djulben, au<b habe 
er mit feiner $rau in ©ütergemeinfbaft gelebt. ®ie armen Seute muhten 
abjiehen, ein ©tüd, bah fie feto ©elb jum fptocefftren hatten, fie würben 
Sitte« oerloren haben, benn Sljarianj ift ni<bt allein Slrtneniet, fonbem oben: 
brein no<b Slboocat. ©ann bot er mir gefchwinb bie ^errfdhaft ©amtrebi 
an. 3<b that fo, at« wenn i<b fie nicht brau<ben tonnte, unb brüctte ihn 

auf biefe SBeife auf bie Hälfte be« Kaufpreise« Ijerunter. ©ie. fe<b«: 

taufenb ©effiatiuen habe ich für 120000 Stubel befomnten — ein 33utter= 
brot, wa«? 



Die Koldjierin. 


3(3 


„SBiffen Sie, Gottege, roenn idh ben Warnt mit ber ungeheuren 9iafe 
an betreiben 9lafe herumführen famt, fo ift nttr’S eine $erjenSluft! Unb 
roenn idh ben flehen Wal ©eräudherten ein achtes Wat in meiner Sßeife 
antäudhern fönnte, idh mürbe glauben, ein gutes äöerf nerridfjtet ju haben! 

„©er Armenier braucht nämlich fortroährenb Selb, benn ihn reitet ein 
©eufei, ben Sie, »erehrtefter Gottege, il)tn in Sferer Unfcfjutb auf ben &als 
gebest hoben. Gr roitt attjufcfenett bie Wittionen, bie in feinen Serg* unb 
fjütten=2Berfen jroeifettoS liegen, hevanSholen, SttleS aus reiner Habgier. 
®aS ©elb für Drpiri unb Satntrcbi Ijat er bereits hineingeftecft, baS that 
ihm nidht leib; aber Fachleute, bie etroas »erflehen, bie er aber h«b 
honoriren tnüfete, fidh ju engagiren, ^irtbert ihn fein ©eij. 5htn bot er 
mir feine &errf<fiaft bei Sorfhom an. 3cfe liefe ihn jappeln, bis er mir 
bie ©effjatine für jefe n 9iube( übcrliefe. 3$ fefee es nodh fommen, bafe ihm 
ber 2lthem auSgeht, unb bafe er mich um meitere £üfe angeben roirb. 
Gr »erfennt midh! Natürlich roerbe idh ihm baS ©elb geben, aber nur, 
um ihn — roie bei uns ber ÜluSbrud tautet — „ abproürgen" ! 2Bie 
genau idh biefen 2lugenblidt berechnet höbe, beroeift, bafe idh bereits mit 
9totfef<hilb, bem Seftfeer ber grofeen ^etroteumroerfe in Safu, eine Gompagnie 
jur Grploitirung ber Sorffeomer Werfe im ©eheinten gegrünbet höbe.* 
„Sie fragen »emmnbert, meShalb idh ben Armenier fo hoffe? GrftenS, 
Gottege, roeit er eine fo grofee 9iafe hot. 3roeitenS, weil, mag man mir 
fagen, roaS man will, ber poetifcfee ©ob unferer Webea, bie er in bie 
Gfee mit ihm locfte, weil er ihr Grbe nur ju feinen ©unften »erroenbet 
hatte, fein 2Berf beS 3 u fottS geroefen! ©er fdheufeticfee Armenier hat ihre 
Sugenb gemorbet, unb fte t>ot nidht länger leben motten! Sie troffen, mie 
leibenfdhoftloS idh bin — unb bodh mar bie fcfeBne Äolcfeietin ©iejenige, 
metdhe midh bie guten ©runbfäfee SapafcfjaS unb bie Sitten WamafdhaS 
hätte »ergeffen madhen fönnen! Sie hot midh gefcfeont — ©anf fei ihr 
bafür! Wenn es aber ein Wittel gäbe, fie in’S Seben jurüdfjurufen, bann 
roürbe ich Drpiri, ©amtrebi unb Sorfhom ihr ju $üfeen legen ... bei ©ott! 

„®odh baS Sdhicffal hat befdfeloffen, bafe idh bort WaiS=Sremtereien 
baue, ©enn ißapafcfea finb mit mir fefer jufrieben unb hoben mir eine 
Willion jur Verfügung geftettt. Unb Wamafdjja fdhreiben mir, bafe bie 
Sr aut meiner fdjjon horre. 3<h roerbe alfo meine glitterroochen im „Siofen- 
feauS" »erleben unb im Winter baS noble $eim in Sorfboitt berechnen, 
als ein unumfchtänfter ruffifcfeer Gutturträger im ÄaufafuS. Unb bann 
roitt idh baran gehen, biefeS gefegnete Sanb für baS 4jauS ißilfin unb 
Söhne ju erobern! ©em ©eufelsfohn »on Armenier aber foll nur fein 
Äupferbergroerf »on fttafe bleiben. D, ber ÄaufafuS hot eine 3ufunft!" 



Htcfyarö ZTCutfyer. 


^aul ffifEfenfelb. 

— Sreslau. — 

nter beit neun ©djroeftern oom iftarnaf} befinben fidb Urania unb 
«Bo. Broei SGßtff cti f c^aften in engem ®unbe mit ben «ünften. 
©ie -Kufe ber ©ternfunbe fomrnt für uns fiter nidbt in 33e; 
tradbt, aber «lio interefjirt uns befonberS. ©er äftljetifdje ©eift ber 
©riedben reifte bie SSerfünberin oergangener unb gegenmärtiger 9tubnte& 
t baten bei ben «ünftterinnen ein. ©aS gefdbab bamals unb mar nur ju 
einer 3«ü möglich, roo Äunft unb SBiffenfdbaft burdb ba§ foftbare SBanb 
einer großen, einheitlichen, fünfiferifd)en 3Beitanfdbauung jufammengeljalten 
mürben. Sorenjo SJtagnifico unb Seo X. mürben fpäter bie SBiebererroeder 
ber uerfd^rounbenen beltenifcben ^errlidifeit. ©ie frönen ©age ©riedbenlanbs 
finb nun oorüber. ©er Seift ber lieben ftJtobernen miß non einer 33erföbnung 
ber beiben Sulturfactoren nichts roiffen. Sie liegen faft beftänbig mit 
einanber in Streit unb forbern ben mobemen 9)ienfdEien mit auf ben 
«atnpfplafc. 2luS biefem 3roiefpa(t refultirt jum ©beit feine eigentümliche 
&altloügfeit, 3 er fpWterung unb ©ebunbenbeit. ©aS auffcbäumenbe ©em= 
perament ber freien «ünftlematur fudjjt bie Ueffeln pbitiftröfer SBefdbränfung 
ju fprengen. ©ie ftarfpulurenbe Subfectioität bäumt fidb gegen bie fältle, 
nüdbterne Objectinität ber $acb=2Biffenf<baftler auf. — ©er SRembranbt* 
©eutfdbe, ein tppifdbeS Opfer foldber 33efdbränfung unb 23efdbrän!tbeit, fafjt 
feine ©ebanfen über bie £iftorie in folgenbe SBorte: ,,©a3 2Baffer ber 
Dbjectimtät ift gut; aber ber Sßein ber Segeifterung barf audb nidbt fehlen; 
93eibeS mit einanber erft giebt bie rechte 2Rifcf)ung. Ohne ©ntbufiaSmuS ift, 
nadb ©oetbe, eine «unft ni<bt bentbar; unb fo audb nidbt bie «unft ber 
©efdbidbtäfcbreibung. Bb*®* bisherigen 2lrt »on Objectioität fehlt ^äirftg 


Hidjarb IHuttjer. 


3*5 


baS fo unentbehrliche ©egengewicßt einer entfpredjenben ftarEen Subjedhntät; 
auch f»ier herrfdjte bis jeßt inebr Serftanb als Seele. ©ie logifcße ©nt- 
roidelung ber ©ßatfadjen erfcfiöpft bie Aufgabe beS ©ef<hicbtsf<hreiber$ ; 
©tbif ift ntebr als SogiE. Sei aber Schärfe unb Klarheit ber Seobadßtung 
wie ©arfteHuug ift etwas ©onlofeS, garbtofeS, ja etwas geiftig ©harnEter- 
IofeS in bet ©efdji<f)tsf<ijteibung'; fie zeichnet weit mef»r, als baß fie malt; 
unb es ift bodj nicht ju leugnen, b aß bieS gerabe fo feljr zur Aufgabe beS 
©efchidjtSfdjreiberS gehört wie $enes. ©aS tiefe ißatßoS ber ©efinnung, 
baS »olle ©infefcen ber überzeugten Serfönlid)feit fehlt . . ." 

Son je tobte fid) ber Kampf jwifdben Dbjediuität unb Subjec* 
tinität in ber ^ß^tlofopljie aus. Schopenhauer fdhien ihr enblich bie er* 
löfenbe SBenbung jur Kunft gegeben ju höben, als [ich jene nüchterne, 
materielle SBeltanfdiauung Sahn brach, bie fo »erberblidh für bie freie 
Kunftentfaltung ju werben brohte. fDJan erinnere fi<h nnr beS 2luSfpru<heS 
eines ber ©elebrten biefer Seit, welcher ©oetfje allen ©mfteS tabelte, baß 
gauft nicht fchtießticß beutfdjer UninerfitätSprofeffor unb ©ret heben feine 
Frau würbe . . . ©a Eam SRiebfdje, ber große lleberwinber ber beerben- 
tbiermoral unb 2BiffenSEleinErämerei, ber Slpoftel einer neuen Kunftcultur, 
ber SerEünber ber großen freien fßerfönlidifeit. „©er fDienfd) an unb für 
fid)" tritt in ben Sorbergrunb beS SntereffcS; auch in ber Kunftbetradßtung 
beginnt eine antßropocentrifdie Regung, Gßarafteriftifd) bafiir ftnb bie 
SBorte beS SDtanneS, beffen ÜRame über meiner aiuSfüßrung fteßt: „Glicht 
tuaS ber Künftler folt, barf für uns maßgebenb fein, fonbern was er 
will." äbgefeßen ba»on, baß biefer Sab allen äftbetifdhen Laufereien bie 
Spiße bietet, bilbet er bie Duinteffenz ber echten jeitgenüffifeben Kunft* 
fritiE . . . ©a wären wir ja nun enblich am Siel, anfeheinenb nach weit* 
fdjweifigen Slbweidiungen. ©och ><h gab Eeiue jener beliebten allgemeinen 
Anleitungen, fonbern, tbeils unbewußt, eine Gypofition meines ©ßemaS. 
3<h wollte bie ©eifteSrichtung entwicfeln unb charaEterifiren, aus ber heraus 
bie mobeme Kunftgefdjid)tSfd)reibung 2)JutberS ju »erftehen ift unb bie 2ln= 
fchauungSweife ber entgegengefeßten Strömung banebenftellen, ber baS Ser; 
ftänbniß bafür »erfchloffen bleiben muß ... — 28aS -äJtutber jufammen 
mit ben wenigen anberen „ÜJtoberncn" »on ben geftrengen äl'iffenfdbaftlern 
trennt, finb bie großen Eünftlerifdhen Dualitäten, bie pfpchologifcße Sertiefung 
in bie Dbjecte ihrer KritiE, baS äftßetifcb faft lleberfeine, man Eann fagen 
„©ichterifcße". fRiebfdje hat mit feiner „©eburt ber ©ragöbie" ben fßhit° 5 
logen gezeigt, was aus einem feßeinbar ganz tobten SDiaterial gemacht werben 
Eann, wenn ber frifdje, belcbenbe Dbent eines KünftlergeifieS hineingehaucht 
wirb. 2Ran Eann ihm gegenüber bie SBorte gebrauten, bie Safari auf 
©imabue anmenbet: „©ureß iß« ift mehr Siebe in bie Kunft geEommen" 
— gemeint ift bie ftarre, in troefnem Schematismus befangene bpjantinifche 
Kunft. ©aSfelbe wie »on bem Florentiner SDieifter Eönnte man »on SRutljer 
fagen, wenn er meßr 2lrdjäologe wäre. S3aS würbe er 2tßeS aus bem an* 



5\6 


Pani Hiefenfelb tn Breslau. 


fdfjeinenb fo fpröben Stoff herauSgeholt haben, toieoiel näher hätte et Sitte« 
bie Grjeugniffe ber Hellenen gebradjt, beten rafftnirte Gultur unb liebet* 
Slefthetif in uns ©egenTOarfeSRenfd&en fo oerwanbte Döne erflingen taffen. 
@($abe! 2t6et feine UnterlaffungSfünbe ift teicfjt ju erftären. Das eigentliche 
©ebiet 9RutherS ift bie SRaletei unb mu| es fein. Sie befifct in böserem 
©rabe bie Gigenfd&aft Stimmungen auSjubrüdfen als bie tßlaftif unb ift 
perfönlid&er, temperamentooHer, feinerfütjtenb, netoöfer als biefe. Sdhtiefjlidh 
eignet fidh bie SRaletei wegen ihrer Sielgeftaltung beffer baju, bie 3eitfeele 
ju ftubiren als bie Silbhauerei. Die 3eitfeele — ! Sie ift ber SluSgang«* 

punft ber SJtutljet’fdjen ttunftbetra^tung. SJtan fann ibr als ÜJiotto bie 
Si'orte ShafefpeateS betgeben: „Die ttunft ift bet Spiegel, bie abgefürjte 
Ghrontf ihrer 3 «t." gum Seroeife für bie Stidjtigfeü beS SafceS roirb 
eine gälte beS Stein^iftorifchen, beS 3MfS* unb Gulturgefd|ji<f)tli(fien heran* 
gejogen, bie ben Uneingeweihten in Staunen fefeen bürfte. Sßor Slttem 
benufet SJi'uther bie Sitteratur unb teligiöfe Strömung, um bie 3eitftimtnung 
ju charafterifiren, aus ber bie oerfdhiebenen ttunftprobucte entftehen. ®ie 
fünfHetifdfjc ©enefis — wie überhaupt bie jeber Gntmidfetung — »oHjiebt 
fief) für ihn nach betn Sßrocefj bet 5Reaction. Diefet ©ebanfe, biefeS Streben 
GntwidfetungStenbenjen ju geben, biefer 3ug in’S ©rofje beftimmt SRutljer 
baju, immer einen allumfaffenben Bufammenhang barjnftetten. So ift feine 
„Äunft beS 19ten gahrhunberts" bie ©ebanfen* unb ©efühlSencpttopäbie 
ber SJtoberne überhaupt, bie „©efchidite bet SRalerei", fomeit fie bis jefct 
oorliegt, bie GntwicfelungSbarfleHung ber gefammten d&riftlidhen gultur unb 
Sßfpdbotogie. Slehntidje Dhemen nadh SRuther’fdhem Sinne mären beifpiels* 
roeife: ©efd&id&te ber Stile, bie ju jeigen hätte, ba§ eine jebe Beit ihren 
eigenen djarafteriftifdjen StU hat unb haben muff, „fßfpdjotogie beS 
SßortraitS", beten Stufgabe es märe ju »eranfdjautidben, mie in ben SBilb* 
niffen bie oerfd&iebenen Gpod&en unb SJtenfdhenfdhläge fidh roieberfpiegeln, 
eine „ißfpdjologie ber 3Robe", bie baSfelbe auf baS ©ebiet ber Gofiüme ju 
übertragen hätte u. f. ro. — 39ei feiner feiner 39etradhtungen trennt -äRuther 
bie dhtonologifdben oon ben nationalen ©efid&tSpunften, er behanbelt nie bie 
Sunftmerfe eines einjetnen SotfeS loSgetöft non ben anberen, fonbera bie 
malerifdhen ißrobucte aller jugleidh in bem grofjen Stahmen ber 3®it, bie 
alien Dbeilen ber cioitifirten Grbe ein eigenes, charafteriftifcheS ©epräge 
oerleiht. Die Stile, gehen burdh bie SBelt, im ißrincip finb fie gleidher Slrt 
unb erfahren nur Keine etljnographifdbe SRüancen. Die confequente StuS* 
fiihrung biefeS ©ebanfenS geftattet bie S3etradhtnng ber oerfdhiebenen 
9tational=$ünfie ju ein unb berfelben 3eit unb eröffnet intereffante ©inblicfe 
in ihren Sufammenhang. GS ift bies ein ÄunfifoSmopolitiSmuS, ber bie 
^Betrachtung ber SRalerei au» bem ©eifte ihrer Beit heraus ohne Semadfj* 
täffigung oölferpfijdbotogifdber Documente ermöglidht ... GS ift ein geroaltiger 
Sau, ben Sttuther oor unferen Slugcn entftehen läfjt. StlS gefd&idfter Slrdhiteft 
oerwenbet er audh ^Rohmaterial, baS ihm Slnbere auf baS ©erüft reidhen. 



Rldjarb ITlntljet. 


3f7 


burdj ihn aber erft bie rechte Form erhält. 3ludE» mannet fertige, fdjöne 
©tein ift babei, er verwendet ihn aui rein praftifdien ©rünben. $ann 
er bod) feinem ßaufe bloß jur $ierbe gereichen. ©r fet&ft ift ei, ber bai 
SJtaterial fo anjuotbnen weiß, baß ein ßorrlichei ©ebäube vom Grbboben 
emporragt. Stber ber größte 23)eil ber Steine beftebt aus eigenen Jyunben, 
einfach beißalb, weil fein ©teinbrudj ber Seit fie in folget SMenbung 
birgt. Unb SRuther ift ein leibenfdjaftlicßer Sineralog, bai ift bie föauptfadje. 
@r liebt ben ßcllglißemben S3riUanten ebenfo rote ben batten, falten ©ranit, 
er beoorjugt ben wei<hfd)immernben Slmetljpft nicht vor bem berben Jtiefet 
ftein. Sille oerebrt er fie gleich ohne fRüdfidjt auf Farbe ober gorm, alle 
Äünflter fdjließt er mit ber naioen Fteube bei S3egeifterten in fein £erj, 
fobalb fie bie eine ©runbforberung erfüllen: ©djte fßerfönlidjfeiten, roabre 
fünftlerifdje Fnbivibualitäten ju fein. £>at erft einer bie Feuerprobe be* 
ftanben, bann nimmt ber Jfjelb audj alle Sterte bei ©tarfen für fi<b in 
Slnfprudj. ©r forbert, baß man fid) in feine ©eele oerfenfe, um baraui 
ifjr Ur«@igenei horvorjuhoten. Unb ganj befonbere Sluibriitfe foüen bafür 
geprägt werben, Sporte, bie getabe ibn unb feinen Slnberen äiarafterifiten. 
Slud) in biefer 2^eorie ber Trennung liegt roteber etroai fpeciftftb SJtobernei. 
Sin ihre praftiftbe 93etbätigung, einei ber fcfjroierigften Unternehmen, werben 
fid) nur bie ©rößten getrauen bürfen. — 

Sir leben in einer 3ett ber äftßetifdjen ^Revolutionen; wir feben ja 
bie 3Raler, Gomponiften, fDramatifer, Sprifer nach neuen Formen unb Slni- 
brüefen ringen, ba fid) bie alten jur Offenbarung ihrer unauifpred)(id)en 
©efühle unb ©ebanfen nicht ju eignen feßienen. Unb bo<h liegt no<h fo 
SBielei in ben liefen ber Äünftlerfeele verborgen, bai nicht an bie Ober- 
fläche fann. ©ine ewige große ©pmphonie von Farben, Sorten unb fEönen 
möchte man componiren, aber ei ift immer noch ein SRefibuum in bem 
trabitionetl „heitren" Jtünftler, ein Unauifpredjlidjei, £ragifd)'Sefctei . . . 
Sehnlich ergeht ei ber Äritif. ®ai armfetige, blaffe Sort foU auibniden, 
ivai ber fCßat Dual genug verurfadjte. SDtan muß alfo, wie idj oben fagte, 
roenigfteni fpmphonifdj ju geftalten verfiehen, bie einzelnen fd)üd)ternen, 
unbebeutenben 5Eöne ju raufdjenben Harmonien anroadjfen laffen. SRuther 
fühlt öiefe SRothtvenbigfeit beutlidj. ©r äußerte j. 33. einmal : „®ai 33ilb 
biefei SReifteri verlangt gerabeju ein Ueberfeßen in SRufif, bie bann 
vielleicht einen paffenben ©rfafc für bie Unjulänglidifeit bei Sortei bieten 
würbe . . ." Sludj bie fötaler ei felbft wirb ßerangejogen, um auf ver= 
gteießenbem Sege ©rjeugniffe ihrer Äunft ju djarafterifiren. Ober ei ift 
bai fßortrait bei SRaleri oft genug ein fidjerer Führer in bent Sabprintf) 
feiner fötufe . . . aber lange nid)t immer ftellen fid) bem Äritifer folcße 
ßinberaiffe entgegen. SRuther ftnbet genug eigene Sluibrüde prägnantefter 
©harafteriftif. Vermöge einiger weniger ©pitheta, bie ben fRagel auf ben 
Äopf treffen, wirb ber empfängliche fiefer ober 3 u hörer unwiberftehli<h m 
ben 33ann bei betreffenben Äünftler=föHlieui gejogen. ©elbftverftänbli 



318 


Pani Hiefenfelb in Breslau. 


farnt unb muff fi<h bcr Kritifer ber ihm ju ©ebote ftehenben, für ihn 
braud)baren Hilfsmittel bebienen. ÜJtuther entnimmt ber jeitgenöffifchen 
Sitteratur ober ber Tichtfunft anberer ©pochen Sitate, giebt ihnen ju* 
meilen uerf<$iebene ©tgänjungen bei, formt fte in feiner Sßeife um, bis 
fidj bie 2ßorte jur ©harafteriftif eines ttfleifterS ober feiner SBerfe ju 
eignen fdieinen. granj SiSjt j. 33. fanb für ben ©timmungS* unb gbeen* 
gebalt non Kaulbad)S „£unnenfd)la<ht" eine herrliche SOtufif. Tie Aufgabe 
jebeS Siebercotnponiften ifi eS, auf einen gegebenen Tept, beffen Tidjter er 
nur in ben feltenfiten gatten ift, eine paffenbe Stttufif ju fdjreiben, welche 
bie ©efühte unb ©ebanfen beS Poeten mieberjugeben bat. ttHd)tS SlnbereS 
tbut ftttuther. ©r übcrfefet Silber in 3Borte unb legt baburd) ben Keim 
ju einer neuen herrlichen, bis jefet nodj namenlofen Kunft. Sulgo roirb fie 
Plagiat genannt. Todj mit ber SBortbilbnerei ift bie Xbätigfeü beS Se* 
urtbeilerS nicht erfdjöpft, er muff ein ebenfo bebeutenber Sßfpdjolog fein. 
SDtutber ift ein hetoorragenber ©eelen*2lnalptifer. SiS in bie feinfien Steile löft 
er baS gnnere eines Sttenfdjen auf unb jeigt, raie fein ganjeS Temperament 
nach immanenten ©efefcen feine ganj beftimmte Kunft fünften muffte. TaS 
Siographifdje bient nur als äuffereS ^ilfginittet. ©S finbet feine nothwenbige 
nützliche 2lnmenbung bei ber Teutung ber Silber eines 3JteifierS aus feinem 
•JJtilieu heraus, ober wenn eS ju jeigen gilt, wie geroiffe gugenbeinbrücfe 
ober ©reigniffe unb äBanblungen fpäterer %e\t beftimmenb auf feine Kunft 
mirften. 

„Tie biographifdie Klein*9lrbeit ift ja gemiff nerbienftoott, bo<h feines* 
megS unfer giet- 2ßir waren bisher nodj ju febr befangen im Siograplji* 
f<hen, miffenf<haftli<h : Kritifchen unb »ernadjläffigten fo bie äfthetifdie unb 
pfpd)ologif<be SBürbigung. Tie wenigen Südier, bie non biefer gomt ab» 
wichen, galten ber rein miffenfdjaftlidjen Kunftbefdjreibung als äftbetifdber 
TilettantiSinuS, ber mit geiftreidjen ^jppotfjefen arbeitet, gefct jtnb mir 
ja glüdlich barüber hinaus, fo ju urtbeilen. 3Jtan muff nor allem ein geift* 
notter itttann fein, um über einen Künftler ju fdjreiben; bie nriffenfdjaftlidje 
Silbung allein genügt nicht." Taju bemerfe ich 6lo&: Seiber nnb mir 
immer noih nicht ganj oon bem alten ©tanbpunft loSgefommen. fRodj 
lange nicht Sitte aus ber groffen ©djaar ber Siehjumielen haben fich ju 
ben £öben wahrer Kunftbetrachtung aufgefchwungen. Unb man muh auch 
noch mehr fein als ein geiftreidjer ÜDtann. 3JJan muh eben felbft ein 
©tüd nom Künftler in fich fühlen unb bie feelifchen fßroceffe, welche ihn ju 
feinen SBerfeit antrieben, in ber eigenen Stuft fidf wenigftenS fchwach noä* 
jiehen gcfpi'trt haben. 

Taff SDtutfjer biefe Sebingung nottfommen erfüllt, beweift jebe ©eite 
aus feinen Süchern, jeber ©ah feiner Sorträge. SBer fich eins feiner 
Gapitel über Tijian, ttJtichelangelo, tttethel, ©chwinbt, geuerbad), Södlin, 
u. o. 91. burchlieft, wirb inerten, bah atteS mit bem eigenen ^erjblut ge* 
fchrieben ift, bah hinter bem „fßrofeffor" ein grober reprobuctioer Künftler 


Kidjatb Ittutfier. 


319 


erfdjeint. SDJuther f)at ganj unb gar nichts oon bem fenilen ©ocenten* 
SppuS. britten Vanbe feiner Stunft beS 19. SabrhunbertS finbet ftc^ 
ber ©a&: „3n ber Äunfl, wenn man aufrichtig ift, fmb einmal bie 

jungen ^auptfacfie, weil fte allein bie 3“^^ oerftchern, ohne welche bie 
Vergangenheit halb ftirbt." @8 finb bieS bie Sorte eines tapfren ©treiterS 
in bem ferneren Kampfe warmen Sehens gegen tobte Srabition. StirgenbS 
oietleicht tritt feine 3ugenbli<hfeit, feine impulftoe ©lafticität fo beutfidE» ju 
Sage wie im münblidien Vortrag. ÜJtan lann barauf mit einer Variante 
bie ©oethe’fdfjen VaHabennerfe anwenben: „©ie fpradf) ;u ihm, fte fang 
ju ihm; ba waidS um ihn gefdjehn." ©eine lefete Vorlefung über 3JK<hel* 
angeto j. V. war im ©tanbe jene S)iont)foä--©timmung beroorjurufen, bie 
eine Aufführung beS tarntet, ber $ebba ©abler, ber Veethooen’fchen D-moll 
©infonie ober 6oriolan«Duoertüre heraufjubefchwören oermag. ©er lieber* 
f<hu§ an Semperament unb ©enfitioität beS Vortragenbett ift ihm auf 
bem ©efidjt ju tefen, aus feinen Sorten herauSjuhören unb fdE»cint fidj in 
ben neroöS oibrirenben fjingerfpifeen entlaben ju wollen. @r gehört ju 
}enen fubtilen, imprefftottiflifd&en ©timmungSfünfttem , wie wir fte an 
SJtaupaffant, ©ehntel, ©<hlaf, ^ofmannSthal haben- Aber auch feine 
Qbeaie finb bie grojjen ©infamen, bie gigantifchen Duerföpfe unb fraft* 
leibenben Varod*©enieS, beren Verfiänbnifj uns ber $eroen--ßult SHefefcheS 
erfchloffen hat ©och trofe aller Atobernität oerfällt -Dtuther nie in baS 
intereffante lefcte ©tabium ber üftobemften, in bie ©ecabence. ©aju ift 
bad) oiel ju oiel gefunber -Dtenfchenoerflanb in ihm, ein oiel ju ftarfer unb 
geraber Sille, ber bem Aeroenfieber ber i^ahrbunbertmenbe ein ^eitfameS 
©egengift bereitet. SRuther ftettt fo bie Verförperung ber Harmonie jwifchen 
ftunft unb Siffenfchaft, ©mpfinben unb Verftanb, ©eele unb ©eijl bar. 
©r ift baS lebenbige Veifpiel bafür, wie Stecht bie ©riechen hatten, ber 
Älio ihren Sobnftfc auf bem ißamafj anjuweifen. 




Silhouetten aus bem Seelenleben. 

Don 

jfranft. 

— pentcm (£trlanb). — 

ömten mir oon beut etwas loiffen, was wir nidit roijfen? 
©ofrateS Fiat einmal biefe grage bejaht mit bem 2luSfprud): 
er wiffe, was er nicijt wiffe! wofel in bem ©inne, bafe in ber 
©efammtfeeit beS ©ewufeten bie ©ren jen beS nicfjt ©ewufeten gletdjfam ’ als 
eingefeütlter ©egenftanb not ober in uns Kegen, wie cinft ber jeug= 
umwicfelte ©tein ftatt beS $euS im Sftagen beS ÄronoS ober wie auf Sank 
farten bie ©renjen beS Unbefannten innerhalb ber befannten lefeten Sotten 
beS @rforfd)ten liegen unb weife gelajfen finb, feö#en3 ©injelneS in’S Um 
erforfebte feineinpunftirt ober mit gtagejeidjen oerfefeen ifi ober wie am 
©temfeimmel bas Unbefannte, bie UnenbKdjfeit mit oor uns liegt. 

2lber baS ißarabopon ootn SBiffen beffen, was man nidjt weife, Ijat 
aud) noch einen tieferen ©inn als ben einer biofeen SegriffSunterfdnebung 
ber Stbgrenjung beS Ungewufeten gegen baS ©ewufete patt beS Um 
gewufeten fetber. 

©odj fteigen wir herunter auf bie öffentlichen ©trafeen unb ©erneim 
plätje beS gewöfeulidjen SebenS: oielleicEjt bafe wir baS ©eftcfit beS Um 
befannten im ©ewübl wieberfinben; baS ©eficfjt beS Unbefannten, ben 
wir baran fennen, bafe er uns fremb ift; wie jener Sogifprofeffor bem 
oerfpäteten ©emefternadjjügler fagte: ,,©ie fmb ber &err SJtüUer?" — „3a, 
aber wie fennen ©ie tnid)?" — „©ans einfach oermöge meiner Sogif, alle 
2lnberen fenne ich fefecm, ©ie nidjt, folglich fenne üfe ©ie." 

©)er ©trafeenoerfefer im ntenfcfelidjen ©eetenleben ftnb bie SßorfieUungen. 
Sunte ©djautäben, grell erleuchtet, groben beffen, was ganj Qnnen ift. 





Silhouetten ans &em Seelenleben. 


32 { 

pbaniaftifch aufgepufct, ttjeitö verftaubt uitb fotmenli<btterbli<ben, tbeüs 
bejfer, tbeils fcf)(ecf>ter, als im Sßaarenraum aufgeftapelt. ftann ber SJtenfch 
völlig gleichseitig uttb völlig gleid; ftarf jroeiertei benfen? jroei ©ebanfen, jroei 
SorfMungen völlig jugteidjj haben? Stein, böchftenS fömten fotdje jroei in uit* 
enblidj Keinem 3eitraum auf einanbet folgen, fo baff bie rüdffc^auenbe 
Sergegenroärtigung ben trennenben Jeaarftric^ vergibt. Stur in biefem 
Sinne tootjl lefett mir bei ben Sitten, baff QutiuS Gäfar auf mehrere ®inge 
jugteicb fein Süugenmerf habe geiftig rieten fönnen. $ft ber ÜDtenfd) je 
ohne Sorftetlungen? etwa toie ber belle Äreis, auf bem bie Silber ber 
Laterna magica erfcheinen, leer bleibt, big bog jroeite Silb fomrnt, nachbem 
baä erfte vorüber? — Stein! ebe eS babin fomrnt, erfaßt uns bie gölten* 
angft ber Sangenroeite, tritt ber 3 roan 9 ein, etroaS benfen ju müjfen! 
Söilig roeifjeS ©ejuhtsfetb ift f<bon ber SBabnfinn. Unb SBabnfinn ift 
fdjon bie Signatur ber verlängerten ©injeljeHenbaft. 

Stein, ber normale SJtenfch tragt in fub ein eraigeS Panorama vorbei* 
jtebenber Silber, nie feinS, nie jroei Silber aufeinander. ©S finbet ftetiger 
SorfteHungSverlauf ftatt, tbeils mit, tbeils ohne bie 3 u 9°ben, roeldje bie 
Sinne aus ber jeweiligen Sfofjenroelt in bie Camera obscura unferes 
©ebirnS leiten, $>a bie Sorftetlungen gleicbfam ben fetten Stabm von ber 
SEabmebmung abfdiöpfen, unb biefeS Slbrabmen bas Sorrent beS SJtenfdjen 
vor bem Sbier ift, fo feben roir von ber SJtifchung mit ben SBabr* 
nebmungen vorläufig ganj ab, verlaffen alfo biefe Strafe, welche aus ber 
Stabt hinaus in bie äußere grüne Statut führt, unb febren nach bem 
Stabtgeroübl ber SorfteHungen jurücf, — benn roer hätte niemals, von 
ber Schönheit eines SttuSfichtSpunfteS überragt, ganj Sluge, fi<h felber unb 
fein Quälen unb Sehnen vergejfenb, bageftanben unb roäre bann nicht, 
roäbtenb ber Slicf in bie SBeite ftd» vertiert, mit einer Träumerei in 
feiner eigenen Seele roieber aufgeroacht? SBir febren alfo bo<b in bie 
Stabt jurüd Unb ebenfo wollen roir, bie Slrme gefreujt unb ben Slicf 
mecbanifdj auf einen ©egenftanb geheftet, uns ben SJfenfdjen vorftellen, roie 
et bem Spiel feines SorfteHungSverlaufeS folgt. 

9Bie rounberbar roebt ber ft<b jufammen! Sergangene Silber, ferne 
©eftalten, 3«fu«ftSpläne, Suftfdjlöffer, furj ein SJtofaif beS ©eroefenen unb 
beffen pbantaftevolle SInroenbung auf bie 3t*funft fiub beffen Qnfjatt. ®a 
liegt hoch unroiberfteblüh uabe, bie SBellen in*S SJteer unb bie SBaffer* 
tropfen ju Seglern ber Süfte umgeformt aus bem SJteere auf ihrem Stunb* 
gang von ben Sergen roieber in’S SJteer verfolgen ju wollen, „beS 
SJtenfcben Seele gleichet bem SSaffet." ©8 ftnb ja unenblic^e Sorfiellungen, 
unb wo follten fie berfommen, wenn fie nicht in uns wären? Unb ber 
Sltlgeift bat auch ben Slermften mit biefen unenblichen Schäden befchenft. 
SHber welchen ©efe|en folgen bie Sorftetlungen? unb wie befchroören roir 
bie ©eifier in öben Stunben? haben roir 3J?a<bt über fie? fönnen roir fte 
jroingen, im geftgeroanb vor uns ju erfcheinen ftatt im SlrbeitSftttel? 



322 


£?. $xant in peritau (£tolanb.) — 


3hm fd[jon f)ter geigt uns ein 33tid in’S Sehen, baß fot<^ed 3ufd)auen 
jutn Sßellenfpiel unfereS SBorfieflungSoerlaufeS ein felteneS Vergnügen fei, 
I)ört fdbneff auf, ein Vergnügen ju fein, unb wirft, junt ßang auSgebilbet, 
fchäblidj unb erfcfjlaftenb. 

®aS Sehen forbert riet mehr gehieterifch eine bewußte iRegelung beS 
iBorftcttungSoerlaufeS. Stile ©iSciplin beS ©eifteS, alles Semen, altes 2tuf= 
werfen auf benfetben ©egettflanb ift bie oorfä(jli(fie Siegelung be§ 5%= 
ftellungSoertaufeS. können wir baS wirf lief)? minbeftenS nur fo lange, als 
ber ©eift nicht ermübct! ©amt tritt ©efährbung ein, bann mfiffen wir 
baS ©egentheil oom ©idEnfammeln oometjinen, wir müffen uns jerftreuen. 
3eber bürfte ficf» aus ber Schulzeit ber fdfjredlidhen Slugenblidfe erinnern, 
wo ber befte 2Me, benfen, faffen, aufmerfen ju wollen, fo ohnmächtig 
blieb, wie bie ©eljbewegung gegen ben Drfan. ©ie 33orftellungen jer= 
ftreuter 3lrt unb eigener Saune fdjteidjen ba herum, halb oerftedt, halb 
hier, halb ba hinter ben 33üf<f)en bemortugenb, wie baS SBilb not ber 
©djiihenlinie, wenit bie Treiber ben SBalb burd)flappevn. — Unb manches 
©abelSwort beS SehrerS fiel, ohne baß es möglich war, eine moralifdhe 9Ser< 
fd)ulbmtg aufjufpüren. 

Ueber biefe Klippen hinwegjufommen, jwifdhen Trägheit unb 3)Jöbig- 
feit ju unterfcßeiben, baS war fdiroer! ©ie Seiftung war unenbltdh fdhwer, 
ber ©rfolg unenblicf) groß, bie Sheilleiftung aber minbeftenS ohne ent- 
fpredhenben SCheil am ©rfolg. ©in Stäthfel, baS nidht gelöft, eine ©teile in 
einem freut ben ©dhriftfteiler, bie nicht oerftanben, eine mathematifdhe Stuf« 
gäbe, bie nidht überwunben, eine geftern memorirte ©adhe, bie heut nicht 
mehr gegenwärtig, bieS SlUeS finb 33eifpiefe, wo bie größte SRfihe unb ißein 
einer ©heiUeiftung uns ohne jebe Sefriebigung läßt unb feinem ©heil* 
erfolg entfpridht. Kur}, es wäre bem moralifchen ©efühl entfpredhenb, 
wenn baS Semen an biefen fritifdhen fünften theilbar, leidfjter unb, je 
nun, audh ber ©rfolg theilbar, immerhin geringer, aber erjwingbar bliebe. 
SßaS hi^ im. Kleinen jtdh abfpielt, im Staunen ber ©dfjute unb beS SerttenS, 
baS wieberholt fich im Breiten unb ©roßen, im natürlichen Verlauf beS 
titenfchlichen ©ehirntehenS überhaupt, ©ie Statur hot ben SJtenfdjjen mit 
% bem $roange »erfehen, ewig aus ben SBahraehmungen bie Silhouetten 
(bie SlorfteHungen) auSjufdhneibett, biefe Hättdjen im ©eelenfacf auffpeichem 
}u müffen unb in Rädchen unb Sailen (Slnfdhauungen) in bie Stepoiitorien 
($beeit) auf}ufd)idfjten. StaftloS langt bie ©eele biefe Slorftellungen, nadh 
©efejjen, bie wir niefjt feinten, in einem 3ufammenhang, ber fich nidht ein= 
fehen läßt, heraus unb läßt fie ftetig wie ben ©anb in ber ©anbufjr »or 
bem ©udlodh nuferer ©eele (bem S3ewußtfein) herunterrinnen. Unb bodj 
erutübet biefer Vorgang fo enorm, baß bie Statur, um ben ÜRenfdjen oor 
bem SSahnfinn ju fdhüßen — ben SBorfteHungSoerlauf alltägtidh burdh ben 
©chlaf unterbrich Sluch ber SBorftellungSnerlauf eines ©ageS wäre für 
ben SDtenfdhen ju »ieL Ginjelhaft, erzwungene ©infamfeit ftnb fünftliche 



S iH^oue tt ert aus bem reeletil eben. 


323 


Herbeiführungen biefeS graufamen BuftanbeS. genügen Untertreibungen 
Reinerer Art: burd) bie Sprache finb jte gefdjafjen. Ter üJtenfdj ift ein 
gefeHigeS Sßefen, unb bie $lud)t oor bem bämonifChen gwange beS @nt= 
pfinbenS biefeS notijroenbig eintretcnben SorfteHungSoerlaufeS treibt bie 
SJfenfChen fChwafcenb jn einanber. Kant (in feiner Anthropologie) feist bie 
3af)l ber ©rajien (3) unb SDtufen (9) als ©reitjen, wäbrenb in ber 
SJUfere beS fleinbürgerlid)en Sehens oft ein ganjer großer Stammtifdj 
faurn auSreiCht, ben Armen bie ^ßein ju erleichtern, ben eigenen Sor* 
fieflungSnerlauf jroang^raeife beobadjten ju müffen. 

Sei ben Qnbogermanen geht baS „SltenfCh" entfpredjenbe SBurjelwort 
auf bie SorfteHung „Tenftfiiere" guriicf ; unb bie Statur (jat in ber 
in baS Hirngefäfj einen Tenffaften non fo furihtbarer Söirfung eingefügt, 
wie fie etwa bie eteftrifche Seitung bei unredjter Sehanblung hen>or= 
fpringen lägt. 

Siadfibem foldjer ©eftalt auS bem gewöhnlichen Sehen, auS ben 
Träumereien beS aJJenfCfjen, aus feinem Semen auf ber Schulbanf, aus 
feinem 2ßa<hen unb Schlafen, aus feiner ©infamfeit unb ©efeUigfeit 
genügenb anfdjauliCheS SDtaterial ^erbeigebradht ift, bürfte es niiht fdhroer 
fein, Sßofto ju faffen unb jur eigentlichen ^Betrachtung überjugehen. 

2BaS oorhin mit nieten Seifpielen erläutert warb, foU hier in 
prägnanter SBeife ber Sctrad)tung als ©efammteS ju ©runbe gelegt, alfo 
mit einer im gewöhnlichen Sehen nicht oorfommenben unb baher gewiffer* 
tnafsen unrichtig übertriebenen AuSfdjUefitiChfeit üorgebradjt werben. 

Ter SRenfCh gleiChfam träumerifCh am Sadje lagemb, roie ber Knabe, 
unb ben Slumen ber Sorftetlung im Strome beS SeitnertaufeS jufChauenb. 
Ter fUZenfch ift jwar Sefifcer eines unenblidicn SorratheS non Sor* 
fteöungen, aber er fteht gewiffennafjen ju tief, um über bie Stänber biefeS 
SafitnS, bie SChweBe beS SewufjtfeinS himtberfcbauen ju fönnen. ©r 

nimmt, fo ju fagen, baju eine abwartenbe Stellung ein, wie etwa Sraut* 
leute ju ben Kinbern, bie fie fpäter ^aben werben ober hoben fönnten. 
Dber man fann fagen, es fpiegelt fich ^ier bas Scrljältnif} beS ©efamrnt* 
geifleS jum ©injetgeifi (Seele) wieber. Alle benfbaren ©ebanfen in ben 
köpfen aller SDtenfChen ünb fo etwa bie Träume ber ©ottheit, beren fie 
bis jum ©rwaChen fi<h fpielenb hingiebt. 

Alle Sorfteflungen, bie noch nid)t über bie SChwetle beS SewufstfeinS 
gelangt finb, müffen »orläufig als baS 9tid)t--2BifJen gelten. SBiffen wir 
hiemon nun wirfliCh nid)ts? gar nichts? Sft’S etwa ohne Sebeutung, 
baß flatt eines SBufteS metaphpfifdier Streitigfeiten, wie fie in ben 
©elehrtenföpfen unb ©elehrtenftuben fiCh finben, vielmehr gleich ben 
majeftätifchen weiten SBolfen eines $unitageS langfam bie äßeltreligionen, 
eine jebe bas Sptnbol ungejäfilter Seelen, über bie SBeltbühne fjinjichcn? 
2Bo tommen fie her? SBagen bie jeweiligen Sefenner beren nur eine als 
aus bem Kopfe eines einzelnen phpfifdjen -DfenfChen howorgegangen ju he» 

»Ort nt* Silk. XCV. 285. 22 


l 



32Cf Ij. <Jranf iit perrtan (Ciolattb). 

trauten? — ®te frembeti roohl — bie eigene Steügion nid^t! — ®afs 
©pradhen ba finb, beren ©rfinbung fidh fein ©injelner rühmt, unb bie finb 
bod) Too^t nicht jroifchen ben Köpfen bet Seute entfianben? ®aß ücb 
SBolfSfeele, SBolfSgeift, ^iftorifdje Qbeen, eine genteinfame 2Beltgef<hichte hüben 
fann, unb bet ©injehte weif? boef) nid^tä, bet Stadhhar rennt jum Stadhhar, 
nur um ju erfahren, maS im £>örf<hen nörgelt, unb geber erjählt mal 
SlnbereS, grau gama führt 2HIe an? 

SJtüffen mir alfo bod) roofjl etroaS oon ben Gingen roiffen, oon benen 
mir nichts miffen? 

©ine ^Betrachtung ber ©tufen beS ©idh*erinnermmoEen8, baS Stad^ 
benfeu bis hin jum Sluffinben beS ©efudjten, bienen hier als Seifpiel. 6$ 
ift aber flar, baß fi<h an ber IDiScufiion nur bie mit ©rfotg hetljeUigen 
fönnen, roeldje ein Mittel ftnben, mit bem ginger gemeinfdjaftlidj auf bem 
felben geiftigen Vorgang ju beuten, ber als ©rfahrungSthatfadje unferer 
Behauptung ju ©rmtbe liegt. 

©efcen mir ben gaU, gemanb habe ein SEßort, eine 3al)l/ einen Stamen, 
einen Drt, furj etroaS für ihn non ungeheurer SBidjtigfeit, maS fidh nicht 
mehr befchaffen läßt, oergeffen. ©ine namentofe Unruhe erfaßt ihn, er 
fudht im buntlen ©eelenfad hin unb her. ®a aber fornrnt ein 3eitpunft, 
mo ihm baS ©efndhte bereits roie eine ju fangenbe Statte in einem pecß: 
bunflen Heine« Staunt immer über bie taftenben §änbe fpringt. SlUe bie* 
jenigen nun, welche nadh ihrer ©elbjterfahrung beiftimmen, baß es einen 
geitpunft giebt, roo über ben ©udhenben plöfclidj eine Stuhe fommt unb er 
fidh fagt: „Sott fei ®anf, ich roerbe baS ©efudhte Rnben fönnen", — alle 
biefe merben auch barin beiftimmen müffen, baß hiermit ein fdjroacheS Sei» 
fpiel gefunben ift, eine gormel, unter ber man fidh annähernb anfdhaulicb 
machen fann, baS SÖßiffen non einet ©adhe, einer Borftettung, bie unter ber 
©dhroelle beS SeroußtfeinS ifl gemer: bei Sefung ber SebenSfdhidffale 
großer SJtämter, bie ja häufig, non ben ehtfamen Säufen aller bürgerlichen 
SebenSberufSarten mit roahrem $ohn auSgefdhloffen unb als ju Slllem uw 
fähig erachtet, fommt uns ber tbeilnehmenbe ©ebanfe, baß nur ein not» 
aßnenbeS SBiffen fünftigen ©dhaffenS foldhe SJtärtprer unter ben spbiliflem 
bur<h Stacht jum Sicht geführt hat. geh meine burdh bie Stacht ber 
banfen, bie noch jenfeits ber ©dhroeEe beS BeroußtfeinS roaren, benn biefe 
Stacht ift fternenlofer, als bie Stacht ber Stidhtanerfennung feitens einer 
bomirten SJtenge. „Boraßnen" ift nur ein 2Bort! 2Bie eS in ben lichten 
©eetenräuinen ber 33eften, in ben ©ebanfenmerffiätten ber SJteifler auSfteht, 
ob fie uns außer bem fertigen 2Berf andh bie SJtaterialrefle unb bie 2Berf= 
jeuge norroeifen fönnen — unb rooflen, baS ift eine anbere grage. 

gebenfaBS haben mir hier nädbft ber ©ingangS gegebenen, eine jmeite 
gornt ber Bejahung unferer ©arbinalfrage. ga, bie ganje grage geht auf 
eine Slitfgabe hinaus, uns unferer ©eele, bie mir ja ftetS nur an bem 
©eibenfäbdtien ber BorfteHung — unb auch ba roitb unfere Beobachtung 



Silhouetten aus bem Seelenleben. 


325 


oft unterbrochen — ^erumtanjen feßen, möglich ft in ihrer Totalität bewußt 
$u werben. Dber mit anberen SBorten: aus ber Sorftetlung unferer Sor= 
Rettungen b. i. ber «Seele bie Sorftellung jenes SafftnS, in bem bie 33lumen 
Rbmimmen, $u gewinnen, b. b- bie Seele in bie ^oten§ bei ©eiftel ju 
erbeben, können wir bteS auch nur mit einem günfctien, fo ftnb wir 
begeifiert. 

* * 

* 

(Sine 2lufgabe! fagten wir. Sein ganjeS Seben fjinburtf) ließt fidj ber 
®tenf<b — unb wenn audj mit fo oielen Unterbrechungen — immer mit 
feinen SSorftettungen befdßäftigt, ob fte ißn quälen ober erfreuen, ©odj ift 
nicht ju »erlernten, baß pomphaften, einer ibealiftifcßen Stimmung ent* 
fprungenen Scblagwörtern nicht attjuoiet ju trauen ift. 2Bir laffen baßer 
bie Jorberung ber ©rßebung ber Seele jur geiftigen Ißotenj oorerft jur 
Seite, um no<ß eine anbere, fetir belebte Seitenftraße auf unferem Sparer* 
gang burcß bie Stabt beS praftifdjen Sebent einjufcßtagen. 

Süß nach ber Sammlung jur Arbeit im nötigen ftttoment $u }et= 
ftreuen, mar eine nötige 33orftdjt beim Semen, unb leßtereS würbe als 
ber oorfäßlich geregelte SBorjtettungSoerlauf bejeidjnet. 2lucß bie SRatur leitet 
baS 33orftettungSleben in entfprecßenber SBeife, nur feinen bie ^Bezeichnungen 
umgefebrt anwenbbar, inbem baS müfjige Spiel ber näc^tlteEien Sammlung, 
bie .Betreuung aber bem roadjen ©age jufommt. 3m normalen Scßlaf 
fallen bie SEBa^rme^mungen weg. ©ie SBorftettungen allein bleiben übrig. 
®aä !ann fdjoti ohne Sdjlaf am fytten ©age ftattfinben; wir nennen biefen 
3uftanb baßer auch ein ©räumen (mit offenen 2lugen) unb bie Slblenfung: 
ein ©rwacßen. Umgefebrt fwt ber Sd)laf fein SBacßen mit gefcßloffenen 
2lugen, einen 33orftettung3oerlauf: baS ©räumen, üluSfübrtidjeS hierüber 
fei einer befonberen ©arfteHung oorbebalten, f)ier fei für unfer ©bema nur 
ein Seitenweg berührt: bas flaffifdß geworbene 33eifpiel beS fdjlafenben 
3)iatrofen in ber fid) locfemben unb ftürjenben Hängematte, ülebnltcße 
93eifpiele foHte ein jeher ungläubige ©bomaS aus feiner eigenen ©rfaßrung 
aufjufpüren fid) bemühen. Sei heftiger förperlidjer Bewegung auf ber 3agb, 
auf ber Steife (ju 5JJferbe), beim angefirengten Sßacfen oor einem Umjuge, 
bei einer ferneren Jtranfenpflege u. a. pflegt ber SJtoment beS improoiürten 
©infcßlafenS, befonberS in iärmenber Umgebung, beim ©rmadjen uns am 
leidjteften ben ©raum jurücfsurufen unb uni ben Beweis ju erbringen, 
bafe in einer befannten unb meßbaren 3eit lange BorftettungSreiben bur<h= 
laufen ftnb. Qn ©obeSgefaßr firtbet äbnlidhe fdjnette Ülbßafpelung ber ©e= 
banfen ftatt, unb im SJtoment oor bem Sterben Rhein t — wenn bie'Stna* 
logie ber SBiebererinnerung nach gefährlichen ftranf beiten anwenbbar fein 
foUte — eine rafenbfdmeHe ©ebattfenberoegung jtattjufinben. Stebmen tpir 
nodj binju, baß BorftettungScomplepe Qbeen) blibäbntidj in baS Bewußtfein 
treten ober fallen, (wir nennen fie baßer „©infälle"), fo ergiebt ft<h hieraus 

22 * 



326 


£j. (Jranf tn Pernau (£i»Ianb). 


bie bo<hroahrf<beinlübe 33ermuthung, bafs bie tranfcenbente, (wir meinen 
ber beobadjtenben ©rfahrung entriidte) 33orfteßungSgef<iminbigfeit eine größere, 
im ©eifteSlcben jenfeits ber ©djroeße beS S3erouf?tfeinS oießeid)t jeitloS ift. 
Unb roirflidj erfdjeinen uns bie feltcnen glüdlidien ©tunben einer ®is= 
poütion ju tieffter unb fruc^tbarfter SDtebitation bei rüdfchauenber ©rinnerung 
als jeitloS. Unb bieS füEjrt ju ber aßerbingS abfiruS flingenben 33er = 
mutbung, bafj beim normalen aßtäglid&en trögen 33orfteßungSoerlauf, ber 
meiftenS für’S praEtifcbe 33erufsteben auSreid^t bejro.: ein -Kehr ber 3lrbeit 
(Ausführung non 3BiflenSacten) fdiäblidb fein mürbe, bie fich ablöfenben 
33orfteßungen, bem Tiden ber Ubr oergleidjbar, bie 3Jteffer ber 3eit finb, 
bafj aber ber 33orfießungSoerlauf ober ein ihm Analoges unter ber ©diroefle 
beS SJeroujjtfeinS jeitloS ift, gteicfjfam 93licfe auf 33ilber ohne SBorte. Stant 
febrte bie ©ache um, erfanb bie gbeaütät ber 3®ü unb nannte fte bie 
gorm ber inneren Anfdiauung. — T>ieS mirb immer am praftifchen Seben 
eine untiebfame Gorrectur finben. Tenn roenn fidj gemanb j. 33. nur mit 
ruhiger 33efonnenbeit fagt, ba§ feine ßftutter nor ihm bageroefen ifi, fo bleibt 
bodj für bie 3eit etroaS jmifclien ben gnbioibuen ©eienbeS übrig, baS audj 
ba ift, ohne als Attribut beS fich innerlich anfchauenben einzelnen SDtenfchen, 
alfo tebiglich als feine ibeale £eroorbringung auftreten ju müffen. 2Bir 
fönnen baher nur fagen: baS intenfioe eigerttlidfie geiftige Seben ift jeitloS, 
boch buben mir im praftifcben Seben meiftenS feine 3eit baju. ©ine ab- 
fdbeulidbe gronie ber Aßtäglidifeit! 

Seiber aber giebt eS im 5DJenf eben leben Augenblide, mo mir uns bodfi 
bie 3eü baju nehmen müffen, unferen 33eruf, unfer ABtagSleben unters 
brechen unb eine ganj anbere SebenSart einfdßagen müffen, nämlidb roenn 
roir franf finb. 

Unfere ganje moberne ©ultur, aufgebaut auf ©rfabrungeu, auf 3ähl«t 
unb fDteffen, unfere Unterroerfung ber Statur unb ihrer Äräfte, unfere eracten 
Staturroiffenfdhaften, beren Theorie bie ÜßrapiS, bereu fßrapiS bie Theorie 
alle Tage bestätigt, roiH ju folcben Träumereien aßerbingS garniert paffen, 
©ie gehören nicht in’S neunjehnte galjrbunbert. ©anj auf biefem ©tanb= 
punft ftehenb finb aber einige Atänner ber 2Biffenf<haft, unb noch baju 
einer ft<h flets im roßen gortfdjritt beroegenben Station (novarum rerum 
cupidi fagte ©ajuS gutiuS ©äfar) angehörenb, geroiffermafjen burdj eine 
gronie beS ©djidfals über einige Thatfadjen geftolpert, bie ihnen burdj ihre 
ßranfen afltäglich nor Augen geführt rourben. S53ir meinen ©harcot, 33inet 
u. a. an ber Äranfenanftalt ©atpetriere. gbre h#erif<hen Äranfen gaben 
ihnen Stäthfel ju rathen, ju beren Söfung baS ©cblagroort ber Annahme 
eine? hoppelten 33erouf3tfeinS auftaudjte. Ohne SJtühe etfennen roir hierin 
eine brüte gönn ber möglichen 33ebeutung ber ©ingangS gefteßten grage, 
ob mir non bem etroaS roiffen fönnen, roonon mir nichts roiffen. 

©efefet, es fäme ein geüalter, mo bie SfMerei fo nerpönt wäre, bafj 
Stiemanb mehr malen, Stiemanb baS SJtalen lernen, üben rooßte, bafj bie 



Silhouetten ans bem Seelenleben. 


327 


Seute »ergäben auf bieS latent su achten, fo mürbe es auch — bis ju 
einem geroiffen ©rabe, aufbören, ba su fein, ober bodj bie 3 a bl berer, bie 
es, objectio genommen, bitten, mürbe fi«3E» oetminbern, oieHeidü oerfhrohtben. 
Ebenfo ift benfbar, baff ein gattjeS geitatter, roelheS feinen Sinn für 
Selbftbeobahtung einer Jteifje ursprünglich aus franfbafter 2lnlage betoom 
gebenber Stäthfel beS Seelenlebens bat, nicht nur bie ^Beobachtung hierfür 
oerlöre, fonbem auch bie Eigenfcbaften, bie ju beobachten finb, felber. &aben 
mir ferner ein Siecht, unS oor ber ©efabr märchenhafter £irngefpinnfte bur<h 
ben Eompafs ber Erfahrung unb ber Sogif ju fiebern, fo tritt eben in 
manchen geitattem, mangels geeigneter Dbjecte ber Erfahrung, in ber am 
gebeuteten 9ü<f>tung ein vaeuum ein. 

aSergebtidb feben mir uns habet nach geeignetem ErfahrungSmaterial 
in unferem burch unb burch realiftifhen geitatter für jene Stahtfeiten unfereS 
©eifteSlebenS um. 

2Bir mitffen in biefem Sinne baber ber Eingangsfrage bie allein 
logifche 33eantroortung geben, bah toir über bie ©renjen unfereS SBiffenS 
bieSfeit ber Scbroette beS SeroujjtfeinS nicht hiuauS, fonbern nur Silhouetten 
in’S Schroarje fchneiben fönnen. Es fjat aber nie an einer faft abgöttifchen 
Verehrung für biejenigen führenbeit ©eifter ber SBötfcr gefehlt, bie als 
inutbige Taucher aus jener fdfjroarjen ©iefe perlen hetroorholten. ©iefe 
fDtänner felber, mie beten Umgebung, griffen ftets ju Scbtagroörtem, bie 
auf eine genau fo parobore ©eifteSbiSpofition fhliefjen laffen, mie fte in 
ber ©ngangSfrage liegt. StamenloS unb roortloS baber fheinen bie Seiben 
beS ©enies. Keine Srücfe führt oom rebtichften bemühten, logifh geleiteten 
gteijj hiu }ur Seiftung beS ©eniuS. ©ine unnennbare Sehnfucht unb 
SDtelancfjolie ift ibnt an ber Stirn gefchrieben. 

Stennen mir biefen guftiub bie Erhebung beS Seetifchen jum ©eiftigen 
unb feben bie SBeranlaffung in ben ©egenfafc ber armen Seele, bie am 
<Seibenfäb<hen lauter einzelner bünner 3?orftettungen mie an einem ©algen 
fchmebt, ju jenem unenblichen fReihhum ber möglichen SSorftellungen, fo 
entbeefen mit in bem Streben nach ©enufj, nah Vergnügen, nah 3 er5 
ftreuung, nah ©efeHigfeit nur ben nieberen ©rab biefer glüht oor ber 
langen SBeite unb 3lrmfetigfeit. Siegt aber in biefem Streben nur ber 
SBunfh beS fjingelangenS jurn befferen 3h/ ju einer ©gänjung biefer 
bünnen ©njelbeit, fo ift im böhften ©rabe frappirenb, bah bie Statur felber 
fih biefeS ®rangeS jur emigen Erneuerung unb ^Befruchtung ber 33om 
ftellungSherbe bemähtigt b a t/ inbem fie ben Unterfhieb ber ©efhtehter 
fhuf, einen emigen Kreislauf beS SpmbolS eines EntfUebenS jum Slnberen. 

3n ben Anfängen, in ber fnofpenben Siebe trägt ein jeber bas ©enie, 
ben ©eniuS in fih- 2tmor unb fßfyhe! ©ah hier bie Statur mit frembem 
Kalbe pflügt, lehrt ein SBlidf auf’s Sehen. Die Statur benujjt eine ©gern 
tbümlihfeit beS Seelenlebens, um ben Egoismus ju brehen. SSiettcid^t 
ÜRiemanb h«t biefe gronie bejfer in epigrammatifher Kürje, unbeabhhtigt 



328 


£j. <franf in Petitan (£io la n t>). 


wiebergegebcn, als liefert. — Su meine Seele, Su mein ßerj — meine 
2Belt, in ber id) febwebe, — wer?, mo? Sie ©eliebte mtjweifelbaft, grau 
Rüdert? — nein baS beifere gd>! Jßarurn fdbuf ®ott bie 2Selt? 
auS Siebe! 

©ntbalten mir uns fomit, als reiner ißrioatfadje, aud) aller Deutungen, 
bie auS unferem realen SerouBtfein für bie ©fiftenj, bie gorm, bie 93e* 
wegungSgefebe beS „Unbewufcten" fließen fönnten, baS ©ine ift {ebenfalls 
nid)t roegäuleugnen, bafj bie ©egenfäfce in unferer geiftigen SageSbiSpojitüm 
non ber langen 2Beite bis $u bem febnfücbtigen Sdnounge ber Seele beS 
Verliebten, beS KiinftlerS, beS Ißbilofop^en, beS religiös ©rbauten aud) in bem 
Seben beS “UrbierpliilifterS ein buntpfeS ©efüfjt für ben eigentlichen SBertlj 
beS gd)3 Nachrufen. Rtandjinal menigftenS. ©S ift ferner gamidit ein* 
jufeljen, wie irgenb ein Gulturjuftanb fo tief geroefen fein tollte, um bie 
SBeften ihres VolfeS, ihres 3 e i talter§ ®wt ber Reflexion über biefe Urtljaf* 
fadjen beS Seelenlebens abgel)alten ju haben. Sa ift nor Sltlem bie 
gormung ber 2Babrnebmung, ber Ginbrücie ju Sßorfteffungen burd) bie 
Stopfung ber Sprache, ba finb bie Religionen, ba bie Künfte — menn 
feine anbere, fo bie ipoefie. 

2Öol)l aber fönnen unb müffen bie fpradjlidien nnb togifd)en Rtittel in 
ber Sarftellung folcher Seelennorgängc il)re ®eid)idbte haben. 

SSietleidbt nur bem Siebter ift es gefiattet, burdj bie ftammelnbe 
Spraye bittburd) uralte Sbatfadjen beS Seelenlebens ju offenbaren. Könnten 
fonft bie ©pen aus bet Kinberjeit, baS Siebeslieb aus ber gfinglingSjeit, 
bie Rtärdien* Sagen* unb Rlptbenwelt ber Vorjeit ben „Gulturfortfdjritt" 
überbauern? Rid)t nur baS, fonbern fragen mir uns efjrlid), wirb bie 
ißoefie ber Reujeit — als beten uomebmfte unb eigenartig^ Schöpfung 
wir wobl ben Roman anfptedjen bürfen — fidj äbnlidjet Sauet tübmen 
fönnen? gn ber Sfjat, nicht nur Vorgänge in ber Ratur unb ©efdjidite, 
fonbent aud) unmittelbar etnpfunbene Sljatfacben beS Seelenleben« fdjetnen 
bie Rtptbologien bet träumenben VotfSfeele erfüllt ju hoben. 

Ser SppuS bet älteften RJärcbett befdbriinft ficb nidjt auf ben Kampf mit 
bem fabelhaften Untbier, einer tQiibr«, einem ©inliorn, Riefen, böfen gauberer, 
Srndtcn — barin ftedt bereits eine biftorifdie gortbilbung ber Sage jutn 
gelben, ber eine ©efabr für 2tnbere beseitigt, ber ©uttur, Drbnung, Gr* 
finbungen, ©rlöfung für bie Rtenfdjen bringt, wie Ruftem, SbefeuS, 
&erfulcS, IßrometbeuS, Siegfrieb — fonbern baS böfe Jöefen, baS ben 
Schab, bie Ißrinjeffin bewacht, ftebt irgenb im Sienft einer höheren 2Kad»t, 
wirb bureb eine Sift, eine gaubetformel, einen gefdjenften ober gefunbenen 
SaliSntan für ben Singreifer Ieidjter überwunben, als es anfangs ben 9ln* 
fdein batte, ©ine frühere gute Sbat, ein gutes ©lücf, ein fübner Rtutt), 
ein liebenolleS ©inbringen in bie Ratur, ein barmberjigeS Verhalten gegen 
ein unfcbeinlidjeS Sl)icr gaben baS 33efte baju, nidjt ber Kampf mit &ilfe 
beS guten SdjwertS, beS feften ^anjerS, beS breffirten RoffeS, beS trainirten 



Silhouetten aus bem Seelenleben. 


329 


©oggenpaareS. 'J?ein! Gin guter ©riff, ein füfjneS Grratfjen — furj bie 
Tt)atfa<fien beS Seelenlebens, bie ben ^nflinct beS ©eniuS für baS Nichtige, 
baS teilte &er»orbringen anbeuten, alfo bie ©inge, bie 33eharrlid)feit, gleifi 
unb Talent fo fefjr ain ©enie berounbert unb — beneibet! Unb roäfirenb 
wir ben SHomanfjelben mit einer geroiffen Grnüditerung auf ber testen Seite 
in bie SIHtäglidjfeit »erabfdjieben, audi rooljl mit einem Seufjer nod) eiro 
mal in bie früheren Seiten beS ©elefenen jurücf blättern, fo fiefjt es tjier 
gauj anberS aus! ©er Sdjafc, bie fßriujefiin ift gewonnen, ber ©rache 
für immer er|d)lagen, ber 3“W^erer für ewig unfcfjäbticf) geinad)t. „Unb 
fie lebten herrlich unb in greuben, unb wenn fie nidjt geftorben finb, fo 
leben fie fjeute nod)." 

©enie unb SBabnfinn roofinen 2Banb an SBanb! Gin tiefer Snjliuct 
ber taftenben, noch mit ber Statur eng sitfammenlebenben SiolEöfeele bltcft mit 
frommer Sdjeu auf bie ©eifteSfranfen. Gs lägt bieS »on ferne ahnen, 
bag bie 33otfSfeele eine nur im ©ieSfeitS ber SBeiuufjtfeinSfcfjroelle eiro 
getretene Sßerroirrung annimmt, roäbrenb jenfeits ber Sdiroelle beroegenbe 
Gentren liegen, benen bodj nod» eine Sebeutung jufommt. ÜJlufif foll 
fieitenb roirfen, beun Sflufif »erjiditet ja ebenfalls auf einen 33orfteUungS* 
»erlauf, fcfjeint ü<h unmittelbar, ohne baS ÜJi'ebium notl)roenbiger unb jroifcfien 
Mehreren gleidjmähig herworgebradjter ilorfteHungen an baS ScnfeitS ber 
33orftettungSroelt ju roenben! 

5tun, beffer als biefe ^ünmetstocbter, bie 2)iufü, fann rooljl nichts 
Seugnifj ablegen 00 m ©elfte ber Seiten. 2luf ber einen Seite — roir 
leben ja auf foldjer logifdj unb empirifdj burchleudjteten Gulturlröhc — 
muh 2ftufif ja etroaS ©eftimntteS bebeuten! i'can lefe nur bie ©edel ber 
9totenhefte, fcfion ber Itjrifdien, gefdjmcige benn ber bramatifd)cu! Unb roir 
haben ja aud) baS Sieb, ©er ©onfiinftler muh nur ben mufdalifdien ©e= 
banfen, baS üttotiu, recht jum 2luSbrud bringen! unb bie 3uf)örer fid) nur 
in biefe 3b een einleben fönnen. ®ie ©ertroorte helfen nad). GpoS, Sprit, 
©rama — 2tUeS ift ba. — 2luf ber anberen Seite fühlt bod) jeber Uro 
befangene, bah ber SKanget ber SRothroenbigfeit ber Grjeugung biefer in’S 
SBerouhtfein fallenben 33eftimmtl)eiten fid) nidjt auSreidienb aus bem Stumpf* 
l'inn ber öörer erflären läht. s Diit anberen SBorten, man fann ehrlicher 
SBeife nicht immer ben Gotnponiften unb bie fjöter fdjelten, roenn fie nicht 
beim ißrobuciren einer beftimmten üütufif ben ©ang einer Sallabe, ober ben 
SBaffengang eines gelben, ober eine „Scene am Kamin" ober ben ©ob 
eines beftimmten ©rohen »on felbft fo beiden, wie im ©erthud) ober ber 
Ueberfdirift ju lefen. Seichter roirb fcfion jugegehen, bah SDlufiE nidit SSor* 
ftellungen, aber roohl ganj beftimmte Gmpftnbungen heroortufe, unb biefe 
roenigftenS mittelbar auf etroa ähnliche 2>orftelIungen auch bei einer iSiel* 
heit ber ^öter hinleiten. SBenn ÜJfufit ©hränen in’S 9Iuge lodt, eine 
heitere Impfenbe ©anjftimmung erzeugt, tobuerachtenb unb muthig ftimmt, 
religiös erhebt, fehnfüchtige ©ebanfen nach nerlorenem ©lüd bem fernen 



330 


£}. ;Jranf in pernau (Stülanb). 


Sief», Suftfdjlöffer von Stulpn unb ©hr* wachruft, fo ift ba fdjon etwas Se= 
ftimmteS, unb wir benfen 3uverfid)tlich, bah fcfjtoerlidj bei einer SJiufif bet 
©ine tacken, ber Slnbere meinen werbe. — 3lud) an ©Ijeorien fehlt es nicht, 
©ie überrafdienbe ©ntbedung gemiffer 33er^äCtniffe ber SdiwingungSjabfen 
ber ©öne, Dber- unb Untertöne, Klangfarbe — geben ju benfen. ®a§ 
Serhältnifj von 5Dfetobie unb Harmonie nod) mehr. Unb Schopenhauer, 
ber wahrlich nie an Kleinmuth in ber Sertheibigung beffen litt, von beffen 
SBabrtjeit er burdhbrungen, fiat feine Sttufiftbeorie mit aller Sfeferoe por* 
getragen, Selbft nidjt 2)iuftfer, muffte er fügten, baff feine SCijeorie baS 
eigentlich 3Jfufifalifdje, bie SBirfung beS einjelnen ©oneS nicht erflärt hat- 
— Sietteidit fteljen bie Säume ju bidjt. 28ir fehen ben SBalb nicht. 

SJtufif h°t eine ©efd)id;te! ®ie Theorie baut immer compücirtere 
©onroirfungeu auf, unfere mobernen Sternen bebfirfen baS. ©3 ift ja in 
3111er ©ebäditnih, mit welchen Kämpfen bie föhnen Steuerungen SBagnerS 
ba§ gelb eroberten. 2Benn wir Sliuftf erwarten, finb unfere Sinne fchon 
gefpannt, geriditet. 2£ir machen bereits jmifchen ©eräufch, Saut in ber 
Statur einerfeits unb (Kunft=)2Jtuüf anbererfeits einen foldjen Unterfchieb, 
bah ber ©efang beS SogelS fein ©efang, baS 3luf= unb 2lbftngen be$ 
febarfen SBittbeS, baS ©rotten beS ©onners, feine ©öne finb, bah wir viel* 
mehr fagen: ber 3Jtufif fehle baS ©orrelatin ber Siachahmung aus ber Statur! 
unb bie Kunftäftbetif madjt ftuhenb twr biefer 3lu3nahme Halt, welche bie 
SJtufif von fämmtlichen übrigen Künfien fdjeibe. ®a3 Klappern unb 
trommeln jur orientalifchen SJtufif (ben melobifchen ©ept Worten) madjt uns 
Kopffchütteln, unb bie 2lfiaten hören in unferem Dperordiefter ein finnlofeS, 
unangenehmes ©eräuich. Unb hoch ift ber Slfiat tief bewegt unb ergriffen, 
ober ju finblicher gröhlidifeit von feiner SJtufif hingeriffen! Unb fie 
bewegt ihn hoch! 

3wifdjen biefen ©renjpfählen unb barüber hinaus freilich muh bie ©e= 
fhichte ber SJtufif überfdiaut werben. 3luS ber ©hurmhöhe eines Seethopen’* 
fehen Streichquartetts, einer SBagner’fchen Dper fönnen feine attgemeinen 
^Cficorien abftrahirt werben. SBir mrtffen auf bie phpftfdie ©eräufch wirfung 
juritdgehen, fie ift in ber Statur porljanben, fie hat einen ©mpfhtbuugS 5 
merth, unb beffen allgemeine Prägung ift nadjbenflicheS Hinhorchen, eine 
ttäumerifebe, febnfücbtige Stimmung, ©infames Saufeben ift erfte 33e- 
bingung. SJtenfdienumgebung ftört, jerfireut, beleibigt. ®e r rechte ©enufe 
beginnt mit ©ntrüdtfein aus ber SJtenfdienumgebung. Unter folchen Sor= 
bebingungen beginnt bie Statur bereits mit ihren ©önen eine SBirfung ju 
erjielen. Statur im weiteren Sinn, im ©egenfafc jum ©oncertfaal mit 
numerirten ißläben unb einer unmöglichen 3ltmofpf)äre. — ©ie beden, 
hohen ©öne beS SJtorgenwinbeS an ber Surgruine auf bem Serge, ber 
flagenbe fonore Saut einer fernen menfd)li<hen Stimme in einfamer 2Balb- 
gegenb, bet Sodruf ber Haubenlerche in ober ©ebirgSnacht, wenn ber SJtonb 
hinter ben Sergriefen uerfinft, bas fanfte Säufeln beS SBinbeS in ben 



Silhouetten ans bem Seelenleben. 331 

göfjrertroätbern, ober baS fyofye Staufden beS fyrüEttingätftaunainbeB über’m 
fdjneeigen ©arten F»od) in ben Süften, baS Etagen beS Sturmes über ber 
fdjottifden ^aibe, ber langfam erfterbenbe über bie Sader ber nädjttidjen 
©tabt iiinjitternbe Son beS festen ©lodenfdlageS, baS inelandolifde wie 
©d^dsen eines nerlaffenen SJtäbdenS flingenbe ©etön ber nieberfattenben 
tropfen in ber SJteereSgrotte — bie ©ricdett nannten es bas Klagen ber 
•Jlereiben um ShetiS’ Sotjn — bas ©eräufd ber nieberperienben Sröpfdjen 
in ber Wöhle beS WötfelbergeS — bieS alles finb Vorbereitungen ber utufi- 
falifden ©mpfinbung, ja biefe fdtjon fetbft — $irtenpfeife unb mit Saiten 
befpannter ßoljlraum — Verüben einer gefpannten gläcfje auf einem Stahmen 
— bis in bie ätteften Sagen hinein — SMif! SRptfjen über bie SBirfung 
biefer erften unb einfachen 3Jiufif — in überfdroängtiden 3lnSbrücfen. 

Stun, qualitatin liegt in allem Siefen bereits neben bem Sautroerth 
beS ©eräufdfjeS ber ©tnpftnbungSroertf) beS Sötte?, ©ine unbeftimntte feljn= 
füdtige Stiftung ber Seele nad) innen; ein Slbbitb ihres Verhaltens am 
Ufer jenes SJteereS, aus bem uns bie Vorfteüungen juflie^en, eine Sehn« 
fudht nad bem, toaS in uns ift unb wir hoch nidjt haben, mie nahe mir 
es uns audj fühlen. 

SBenn hier eingeroanbt wirb, bah SJtufif im mobernen Sinne beS 
SBorteS uns nidt nur melandolifdj ober nadbenflid rnade, unb nad ben 
eigens banad eingeridteten Veifpielen bie theilroeife SBtrfung jur Vers 
tuerthung beS mufifatifden ©inbrudeS überhaupt beftimmt werbe, fo 
ntüffen mir uns erinnern, bah minbeftenS bie Weiterleit, baS Sadcn, weil 
auf VegtifflideS unb SnteßectuetleS angeroiefen, ber mufifatifden SSirfung 
überhaupt fernbleibt; bah baS Vereid beS ©ehörfinnS bem ©emüth näher 
fteht, als ber fältere bem Verflanb jugeroanbte ©efidtsfmn, unb bah und 5 
benflid aufgelegt fein fdon ein Schritt jurn SJtelandolifdfein ift. 

23enn mir aud bei ber SJtufiftheorie batauf nerjidten, biefer bie Straft 
irgenb einer Verjtnnlidung unb Cffeubaruug unfereS Seelenlebens jenfeits 
ber VerouhtfeinSfdmelle jujufpreden, fo ift bem uneradtet bie ©injigartigs 
feit ber -Dtufif unter ben fünften bod ein wertbootleS Veifpiel. ©elingt 
eS uns nämlid, ein allgemeines Slnatogon ju ber oon einem ntufifalifdeu 
©Hnbrud hingenommenen heftig beroegten Seele ju benfen, fo hätten mir 
eine meitere Qbrmulirung eines SBiffenS non bem, maS mir nidt miffen. 
®ann hätten mir ja ein nidt mehr ganj unbeftimmteS ©troaS, fogar einen 
tnerthnollen, im VerouhtfeinSbereid Uegenben Vefifc, obgleid ihnt bie begriff* 
licRe unb oorfteHungSmähige Seite abgeht. Sie Sade mirb nielleidt nod 
beutlider, roenn mir fagen: bie ntoberne mufifalifde 3bee mit ihrem ©nts 
femtfein non Slbbübern in ber Statur (eine Sadlage, burd bie üd SJtufif 
non allen fünften ju trennen fdeint), nerhalte fid jurn allgemeinen ©ttt; 
pfinbungSroerth ber Saute, ber Stimmen in ber Statur, wie SthpthmuS 
unb Steimgeftingelc, non benen ftd bod ebenfo unmöglich behaupten läht, 
bah Re baS SBefen ber fßoefie auSmaden, jur Voefie felber. 



332 


ff. jfranf in petnau (tiolanb). 


3)iit einem anberen (Symbol jur S)arftettung biefet Stimmung, wi|fen 
ju motten, wa« mir nidE)t roiffen, bat un« bie romantifdf)e ©djule befdjenft; 
fie fingt non bev blauen SEBunberblume, beten $>uft ben ganjen SMtraura 
erfüllt. 2lebnli<b mie bie Statur ben Stumen garbe uub ®uft oerliebef 
bat, ohne bafj ftdb begreifen läfjt, ma« fte fetber banon haben, ba ibne| 
bie Drgane jur SBabrnebmung Seiber febien, ifo ift uns SJtenfcben bie u4 
nertilgbare Sebnfucbt eingepftanjt, bie nur einen Sinn bat unter Sorauä* 
fefcung eine« äßefen«, ba« fie — benfen mir un« jroei Stufen [tiefer toie 
bie Slumen — feben unb einatbmen, ft<b ibter freuen fann. 

Renten mir un« bie Schwelle beS SetoufjtfeinS als Schwelle be$ 
Tempel« beS unbefannten ©otteS, fo halfen wir, bap ein neuer SßauluS 
aufftebt unb mit glammenfdjrift über bie £empefpforte fdjreibt: 

„S)em ©enius." 





Das ÜMträtfjfel. 

E»on 

^agofiett tonn #erfjatbt>3Cmyntot. 


— Potsbam. — 


ür 3 eben, bet eine reifere SebenSerfabrung beftfet unb fi<h an 
ben Raunen unb ©chlagbäumen, mit benen unfet ©rfenntnif^ 
gebiet ein für alle 2Jfal umgeben ift, fd^on tüchtig nmnbgeflofjen 
bat, b°t c* immer einen faft fomifdien 23 eigef<hmad, wenn jugenblidbe 
£immelsftürmer non einet Söfung beS ffielträtbfeis fabutiren unb fi<h allen 
©rnfteS einbilben, fte fönnten biefe Söfung burcb baä 3urecbtmadjen irgenb 


eines SGBortfalates tbatfä<hlt<h etjroingen. ®a fcbtnäben fie non einer Ueber= 
nnnbung beS ^Dualismus, non ber ©rringung eines monijtif(ben <St«nb-- 
punfteS, auf bem fie bie nur fcbeinbaren ©egenfäfce non ©eift unb 3 Jtaterie, 
©ott unb SBelt, jn einem einjigeu, alle SBiberfprücbe befeitigenben Utbegtiff 
Sufammenfaffen, unb glauben nun SBunbet roaS getban ju haben, inbem fie 
nicht abnen, bafj fte für bas Utätbfel roiebet nur ein neues Sßort gefegt 
haben, in bem alle jene, nie unb nimmer 51t erbroffelnben ©egenfäfce einge= 


fapfelt liegen, tnie bie Trichinen in einet ©pecffeite. fjat uns benn ©pinoja 
ober ©oetbe ober fjädel au<b nur um einen 3 oH ber Söfung beS großen 
©pbinyrätbfelS näher gebracht? 3 >ft benn bie SHatur*Sß^itofop^te beS geift* 
teilen, aber manchmal pbaittafUfcben unb non ©chiuanfungen nicht ganj 
freien ©ruft ^ädfel einen Pfifferling mehr tnertb, als irgenb eine platt 
materialijtifche ©tofffeligfeitslebre? 3 « jebem fogenannten SJtoniSmuS fteden 
immer tnieber bie bualiftifdben ©egenfäfce, unb man fönnte ©en, ber baS 


nicht fiebt unb erfennt, eigentlich um feine bartlofe ÜRainetät beneiben. 


SBenn uns ein ©efebrter unb fforfcher ttrie föäcfet non ber ©nttnicfelung 
ber ©ipbonopboren ober non arabifdjen Korallen erjäblt, wenn er uns feine 



33^ Dagobert con cßertiarbt-hmyntor in potsbain. 

ißlanftomStubien uorträgt, bann folgen mit willig unb battfbar bem fcharf 
beobadjtenbcn Dlatnrforfdjer unb beugen uns anerfennenb oor feinet ©e-. 
wiffenhaftigfeit unb Begabung; wenn er uns einen Stammbaum bes 
SOJenfdjengefdjledjteS entwirft, bewunbern wir nodj immer fein mannigfaltige* 
Siffen, aber in biefe 33ewunberung mifdit fidj fcf)on ein reifes URifftrauen, 
ob nid^t fiter unb ba bie ißhantafte beS ©elehrten ein wenig burchgegangen 
unb ob nidjt gclegentftdj ber Sunfdj ber SJater beS ©cbanfenS geweien 
fei; wenn er uns aber 5. 58. ben -BtoniSmuS als 39anb swifdjen ^Religion 
unb Siffenfdjaft ju erweifett fudjt, bann fühlen wir, b aff er ben Stoben 
epacter fyorfdjuug »erlaffen unb fi<h auf baS ©einet rein fubjecttoer 
Speculationcn begeben bat, auf bem wir unS, wenn wir auch nur natur- 
miffenfdjaftlidje Saien finb, ibnt bodj »ötlig gewad)fen füllen unb burdjauS 
nid)t tttebr nötl)ig haben, etwa »or bem überlegenen Siffen beS ©elenden 
bie Segel ju ftreidjeit. Unb fo gebt eS uns nid)t nur ©ruft Jßäcfel, fonbem 
ffebem gegenüber, ber fid) mit Sdilagwörtern unb ^ß^rafen aus bem 'großen 
Septfon ber pt)iIofopl)ii<hen gadjfpradje an baS Selträthfel heranäupirfdjen 
»erfticbt unb, wenn er auch felbft nicht ju einer Söfung gelangt, uns etwa 
glauben madjen will, bajj baS neue 3ahrl)unbert mit feinen fidjer ju er* 
wartenbcu weiteren Gntbedungen auf naturwiffenfchaftlidiem ©ebiete un- 
äweifeltjaft bie erfebnte Söfung eittwanbsfrei bringen werbe. Soldie ißrophe- 
jeiuttgeu finb thöridjteS Wefthwäb, unreife 3luSfprüd)e jugettblidier ißhantaften, 
bie fidj an ben Sorten jener Siebter ^bilofopljen beraufdh haben unb bie 
ba gänjlid) »ergaben, baff ber fyorfdjer auf tranSfcenbentalem ©ebiete einem 
Äinbe gleicht, baS in einer Sfiußfdhale auf bem Dcean fdjwimmt unb mit 
einem 5ßeitfd)enfdmür<hen »01t etwa einem 2Jteter Sänge bie fEiefe bes 
SeltmeerS auSlothen will. ®aS funbamentale Selträthfel wirb nie unb 
nimmermehr »on 9Jtenfd;en, bie bie Grbe bewohnen, gelöft werben, ^ädel 
giebt jwar ju, baß fidj bie ©egenfäße beS EheiSmuS unb fßantheiSmuS, 
bes iUtaliStuuS unb 9Jie<h«niSmuS bis jur Berührung einanber nähern, 
— unb weither tiefer ®enfenbe hat baS ni<ht längft jugegeben? benn es 
finb ja nur ©egenfäbe, bie in unferer Slnfdjauung unb nicht im Objecte 
felbft liegen — wenn er aber hofft, bah bie wadjfenbe 9tatur«@rfenntnifj 
beS jwanjigften ^aljrhunberts aud) nur irgenb etwas jur 2luSgleicfmng biefer 
Wegen füge burdi 2lusbilbung bes reinen Zionismus beitragen toerbe, fo ift 
bieS ficher eine tritgerifdie Hoffnung. Sir finb, fo lange wir 3J?enicben 
finb, eben nidjt in ber Sage, aus unferer $aut ju fchlüpfen ober uitS auf 
bie eigenen Schultern 3U fteigen; wir feljen baS grofie 9täthfel, baS mit 
Sternen* unb iliildiftratfemSetteru an ben fMmmelS=$Dotn gefdjrieben ifi, 
aber auch ber fcharffinnigfte Äeilfchriftenbeuter fann biefe leuchtenben gierte 
glppljen niemals entziffern. So wenig wir je im Stanbe fein werben, 
©ott 31t erfeitnen unb 511 befiniren, fo wenig werben wir je baS Selträthfel 
beuten, benn ©ott uub Seit finb »ieHeidjt wieber hur jwei »erfdjiebene 
Seiten eines unb beSfelben 9iätl)felS, ein Zionismus, ber eben fein rechter 



Das IDelträtfyfel. 


3 35 


SWoniSmuS ift, roeif er für unfere menfdbtWben ©inneS* unb 2 lnfcbauungS* 
organe fofort roieber in jroei Rafften auseinanberfäüt. 

@o fiat iid) aud) ber alljeit gebanfenreidie ^u(iu§ .g>art in feinein 
„®er neue ©ott" ber Söfung biefeS ijßroblemeS näf)cr ju fommen bemüht, 
aber auch er bat nur oeratocfit, uns längft 23 efannteS 311 roiebetbolen, otjtie 
bie Söfung ju finben. 3 n einer Strtifelreitje „®ie 2 £elträtbfel unb bie 
mobeme Laturroiffcnfchaft" lonmtt er auf bie uralte unb oon feinem ®enfer 
mehr beftrittene ®batfacbe juriicf, bafi affe bie ©egcnfä|e, an bie mir feit 
3 ajjrtaufenben glauben, fi<h in Sabrbeit aufbeben, bafj mir immer baSfelbe 
nur mit anberen Sorten fagen, bajj ber eigentliche ®ämon aller Sieber* 
fprüche unb geinbfdjaften in unferem ©ebirn nfce. 3°/ ®u lieber ©ott, 
baS miffen mir ja längft, aber eben meif es fo ift, weil mir unfet ©ebirn 
nicht umarbeiten fönnen unb fein anbereS gorfcbungSinftrument befifien, beS* 
halb ift eine ifJropbejeiung, bafj bet alte (Streit ber ©egenfäfce mit ihrer 
oolffommenen SOerföbnung enben roerbe, eine trügerifche unb roiberfpridit 
ber Sogif, benn roenn unfer ®enfen unb unfere ©inne oetfcbiebene Sege 
geben, roenn uns unfer ÜDenforgan eine anbere Seit oorfpiegeft, als bie-S 
unfere ©inne tbun, roenn ®enffraft unb ©inneSfraft immer miteinanber 
im Kampfe liegen, bann oermögen mir roobt jeitroeife jene uralten ©egen* 
fäfce im ©eifie ju oerföbnen, unfere ©inne roerben fie aber immer roieber 
oon feuern jurn Seben erroeden, b. b- ber tbeoretifch erffügelte LfoniSmuS 
wirb praftifch immer roieber jutn alten ®ualiSmu§ auSeinanberflaffen. 
©0 lange baS menfcbticbe ©ebirn nicht oon ©runb au» umgeänbert roirb, 
fo lange bleiben roir trofc aller frönen Lebensarten fo ober fo, im bua* 
Iiftif<ben ©umpfe ftecfen; roir miffen, bag ba§ Organ, mit bem mir baS 
2Belträtbfef auffdiliefjen möchten, ein unbrauchbarer ©cblüffef ift, unb ba 
fofl unS fein ißbifofopb unb fein LaturforWber roeis machen mollen, bafj 
biefer ©chtüffel burdj ein paar bodjtrabenbe, aber innerlich ieere Lebens* 
arten plöbfid) paffenb gemacht roerben fann. ®em Selträtbfel mirb auch 
ba§ jroanjigfte Qabrbunbert ben ©dreier nidit 00m Sfngefidbte jieben. ®er 
fDtenfch fann nicht einmal baS Lätbfef beS ÜLifrofoSmoS Iöfen, gefd)roeige 
benn baS beS -DfafrofoSmoS. ®aS Lätbfel beS LfifrofoSntoS? 3 a, fo 
möchte Wb baS unergrünblid)e Ltpfterium nennen, bem ba§ 3nbioibuum 
feine leibliche ©yiftenj oerbanft unb baS ba Urfadje ift, bah ber Äampf 
ber leibenben 3 Jtenf<hbeit immer roieber in neuen Lieni<bengeid)fed)tern oon 
00m anbebt: bie gef<ble<htlid>e Siebe. 3 ft es benn nicht ein unergrünb* 
lidbeS ©ebeiitmife, ein ooHfommeneS Sunber am lichten ®age, baß ber 
fämpfenbe unb leibenbe Llenfch, burch baS Sunbfieber be§ ©eins erfchöpft, 
nicht babin flrebt, bafj bie Dual ein @nbe habe unb baf; er, ohne Lach* 
fommen ju binterlaffen, bereinft 00m ßampfplafce oerfdiroinbe? ©tatt beffen 
nimmt er fich eine ®beliebfte unb fcbafft eine mehrfache ffortfetwng beS 
leibenben 3 «bioibuutnS in ben feinem Gfiebuob entfprojfenen Jtinbern. 
^freilich, mit rollern Seroufjtfein unb rollet 2f6fid)ttid)feit fommt biefe 



336 Dagobert oon (ßerl!arbt<ymY«tor in potsbam. 

©ontinuation beS SebenSfampfeS nicht $u Staube; »ielmehr uerfeßt bie 
Statur erft ben -DienfChen in jenen himmelhoch jau^enben Staufch beS 
fterjenS unb bet Sinne, ben mir eben bie Siebe nennen. Qn biefem 
SRaufdje gebt jebe nüchterne ©rwägung ber Dhatfachen, jebeS Sebenfen unb 
jebe3urüdbaltung / ja fogar, ber fonft fo allgewaltige SelbfterhaltungStrieb unter 
unb eS oottjieht fc<h jenes SBunber aller SBunbet, baß ber nach Seibfreißeit 
unb nach ©lüd fehnfüchtig oerlangetibe SJtenfCh allerlei Unruhe, Äampf unb 
9lotb freubig unb bereitwillig auf f«h nimmt, wenn er glaubt, nur auf 
biefem SBege an baS 3iel feiner SBünfChe, jum SSefife beS geliebten ©egew 
flanbeS, gelangen ju lönnen. $a, jenes SBunber beS SJtifrofoSmoS bemirft 
fogar baS fcheinbar Unbegreifliche, baß im SJtenfchen ber Drieb jur Selbffe 
aufopferung erwacht, baß fich befonberS baS SBeib riidhaltloS mit Seib unb 
Seele bem ©eliebten Ijmgiebt unb, um bie gbrtfeßung beS SebenSfampfeS 
in einem neuen ^nbioibuum ftcher ju fieUen, nicht feiten bewußt in ben 
Dob geht. SBer fann jenes 3Jhjfterium ber Siebe auSbeuten, baS ben 
3Jlenfchen in einen SBirbelfturm t>on SBonne unb Seligfeit »erfeßt, fo baß 
er blinb unb taub wirb gegen alle ©inwänbe einer faltblfitig erwägenben 
SebenSprajnS? SBer hat jenes SBunber erbacht? wer bewirft es tagtäglich 
in jaßllofen ©yemplaren ber anbertßalb SJtilliarben lebenber SJtenfchen? Die 
Statur? $ft mit biefer Antwort nicht ein neues Stätßfel aufgegeben? fann 
fte etwa Qemanben befriebigen, wenn er nicht gerabeju ein fßlattfopf 
unb unfähig ju jebcr philofophifcßen Steflejion ift? Unb wenn wir nicht 
einmal biefeS Stäthfel beS UJtifrofoSmoS ju löfen »ermögen, wirb eS uns ba 
jemals gelingen, jenem uralten SBelträtfjfel. auch nur um einen goß beS 
VerftänbniffeS naher ju fommen? SBie ein riefenßafter eisumpanjerter 
UrweltSgipfel ftarrt uns baS ©eheimniß beS SBeltproceffeS an; ameifenflein 
ftehen wir uor feinem granitnen, bis in bie SBolfen reiChenben SBunberbau, 
unb feine Sogif unb feine Reinheit beS ©eifteS liefert uns bie Steigeifen, 
um an feinen fenfredhten, eiSpolirten SBänben emporjuflimnten. SBit muffen 
uns befdheiben unb einfehen lernen, baß jenes oon Schwärmern unb um 
reifen Äöpfen fo oft befpöttelte unb als tßöricbter AgnofticiSmuS uerurtheilte 
SBort DuboiS StepmonbS, Ijienieben immer feine ©iltigfeit hüben wirb: 
„Ignorabimus in aeternum.“ 

SBie fehr ft<h übrigens gerabe baS philofophifch nicht gefaulte unb ft<h 
gern burch fogenannte Autoritäten imponiren laffenbe publicum manchen 
(Erörterungen Rädels gegenüber ju hüten hat, baS möchten wir hier noch 
juleßt burch bie Veurtßeilung barthun, bie ber unbefiritten hoChoerbiente unb 
geiftreiche ißrofeffor burch ben befonnenfien unb fcßärfflen Genfer ber ©egen* 
wart, burch ©b. u. lg artmann (in beffen ©efChichte ber SJtetapbpitf") erfährt, 
.partmann gefteht bem gorfCher $ädel einen breifadhen gfortfCfjritt über 
53ü<hner hinaus bereitwillig ju, erftenS in ber hplojoißifChen 93erlebenbigung 
unb Verinnerlichung beS SJlaterialiSmuS, jweitenS in ber Durchführung 
beS ©ntwidelungSbegriffeS auf bem ©cbiete ber organifchen Statur unb 



Das IDelträtfjfel. 


337 


brittenS in ber ©rfenntniß rittet Stufenbaues non ;Qnbioibualitäten, aber 
ebenfo unwiberlegtid» toetft £artmann nad), baß &ädel ptinctpiett in einem 
rein medjanijUfdjen antiteleotogif d^en 3)taterialiSmuS fteden geblieben ift, ben 
er troß beS TualiSmuS non Äraft unb Stoff unb trog ber Scheit ber 
©tfdieinungSfpbären (SJtedjaniSmuS unb ©mpfinbung) merfwfirbigerweife 
SRoniSmuS nenne, bloS rocit er bie Teleologie leugnet. Auch mir erlernten 
ein hohes Serbienft Rädels barin, baff er bent begriffe ber ©ntwidlung 
in ber organif^en Statur jum Siege oerholfen fiat, aber burdj biefen Sieg 
erhält bie Teleologie (nadj ftartmann) eine unioerfett eoolutioniflifdie Be* 
beutung — ein ©rfolg, ben gerabe &ädet, ber alle Teleologie leugnet, toeber 
beabfid)tigt, nodi oorausgefehen hat. 

2Bie unjuoertäffig aber auch anbererfeitS $ädel burdj feine naturwiffen* 
fdjaftlidje ©infeitigfeit wirb, ja, roie er gerabe burd) biefe ©infeitigfeit als 
Bbilofopß Sdjiffbrud) leibet, baä weift ßartmann beS Defteren nad) in feiner 
„©efdjidjte ber SJtetaphpfif". Tie Staturwiffenfdwft habe ben SBeltproceß 
nur unter bem caufalen, med)anifd)en ©eftdjtSpunfte aufjufaffen; bie lieber* 
fdjägung ber Staturroiffenfdiaft, welche feine SEiffenfchaft über biefe an* 
ertenne, fdnne besßafb felbftoerftänblidj auch feinen anberen ©eitdjtSpunft 
als ben ihrigen unb leine anbere Art non SBeltgefeglidjfeit anerfennen, als 
biejenige, bie gerabe nur ihr Arbeitsgebiet auSmadjt. hierin liegt bie ©in* 
feitigfeit uttb Sefdjränfung Rädels, bie aber mit einem Umfdjtmmge beS 
3eitgeifteS, ber bereits begonnen habe, non fetbft roieber fcbwinben werbe. 
©S ftedfen in £ädel jahlreicße, auch ber flüdhtigjten Betrachtung in bie 
Augen fptingenbe Sßiberfprüdje. So fennt er u. a. feine ftttetaphpfif hinter 
ber Sßhpßf/ obwohl bodi bie Shpfd nur bas rein medianifdie ©efdjehen ju 
untersuchen hat, nidjt aber baS ©mpftnben unb 2Botten unb nicht bie 3u= 
fammenhänge beS äußerlichen unb innerlichen ©rfdjeinungSgebieteS mit* 
einanber unb mit bem in Selben erfdjeinenben Jßefen. ferner nermifdit 
er wittfürlidj ganj oerfdjtebene Begriffe; fein ÜDfoniSmuS greift, nad) &art* 
mann, über feine eigentliche Sebeutung als foSmonomifdier SJtoniSmuS hin* 
über in bie Bebeutung ber SbentitätSpljtlofophie unb fd^iHert manchmal 
fogar in einen ontologifchen Zionismus im Sinne einer naturatijtifdien 
2flI*©inheitS*fiehre hinüber, befonberS in poetifchen ©itaten. Tie wedjfetnben 
Stanbpunfte, bie $ädel einjunehmen oertnag, bejeidjnet &artmann in 
treffenber, beinahe brottiger SBeife, wenn er fagt: £ätfel ift ontologifdjer 
Bluralift, inbem er bie Statur als eine Bielheit oon getrennten Subftanjen 
auffaßt, metaphpfifcher Tualift, inbem er in jeher ©injelfubfianj jtoei 
oerbunbene metaphpfifdje Brincipien (Straft unb Stoff) annimmt, pljäno* 
menaler Tualift, inbem er jwei oerfdjiebene ©ebiete ber ©rfdjeinung 
(äußeres mechanifches ©efdjehen unb inneres ©mpfinben unb SSotten) an* 
erfennt, .jjptojoift, inbem er jebern Theil ber fDtaterie Belebtheit unb Be* 
feeltßeit jufdireibt, 3fbentitätSphilofoph, infofem er ben ©runb beiber 
©rfcheinungSgcbiete in ein unb berfelben Art oon Subftanjen fucht, foS* 



338 


Dagobert con (5ert)arbt>2Imyntor in potsbam. 


monomifdjer fDionift, inbem er bie teleologifdje ©efefemäffigfeit in bet 
2Belt leugnet unb nur bie caufale gelten läfft, unb 2Ji e cf) a n i ft, inbem er 
alles caufale ©efdjehen als tnecf)anifd)e Vorgänge jwifdien materiellen ©heilchen 
anfief)t. ©aS ift ein artiger Stedbrief! ©er gebulbige Sefer, ber aus 
folcbem Sßanbämonium frembfprad)lid)er gadtauSbrüde nad) feinem geliebten 
unb ihm geläufigeren ©eutfdj prüdfefint, möge mir baS ©itat nerjei^en. 
@r erfie^t aber audj I)ier, baff eS gerabe baS SooS ber 5ßt)ilofop^cn ift, immer 
wieber burd) einen anberen ?ßl)iIofopt)en wiberlegt unb theilweife ad absurdum 
geführt ju werben. ©ie letztere unbeftreitbare unb unutuftö ff liehe ©etuife^eit, 
bie mir erfämpfen fönnen, ift bie, baff mir nid^ts wiffen unb baff ein 
25?efen, baS auch nur einen 3ipfd oorn Sdjleier beS SBelträtfffelS ju lüften 
uermödjte, auf bem Planeten ©rbe niemals geboren werben wirb. $e höbet 
ein ©enfer fteht, um fo befdjeibener ift er, um fo bereitwilliger wirb er 
biefe ©hatfache jugeben. 

Sofjnt fi<h, wenn bem fo ift, bann überhaupt nod; alles fyorfd)en unb 
©rübeln, befonberS bie rein metaphpfifdie Speculation? So fragt wohl 
ffltandjer unb ift bereit, bie leitete als etwas gänjlidj UeberflüffigeS ju er» 
Hären unb ju »erwerfen. 3Sor biefem uoreiligen Sdjluffe foK aber hier auS« 
brüdtid) gewarnt werben, ©er ©rfenntnifftrieb ift ein anthropologifdieS 
Phänomen: er (äfft fidfi nidjt unterbrüden unb wirb immer, wie junger 
unb ©urft, befriebigt fein wollen. $a — wirb man »ieHeidjt einweitben 
— wenn man bodj aber niemals an’S 3iel gelangt, warum foll man bann 
nod) ferner fudjen? ®ie Antwort barauf würbe lauten: ©aS Suchen« 
SBoHen hängt ja garnidit »on uns ab; wir ntüffen fudjen unb forfdien, 
weil wir 5D?ettfdien finb, weil unS ber ©rieb jum Suchen angeboren ift. 
©ann treiben wir aber — lautet ein neuer ©inwanb — ja eine ganj 
überflüffige unb auSuditSlofe Sad;e. fjalt! rufen wir benen jn, bie fotd»e 
©inwenbung madien, woher wollt 3h r roiffen, baff ©uer bemühen übet« 
flüffig fei? 3h r ma &t ©udj ja ba ein Urtheil über ben SBeltproceff an, 
non bem 3ht foeben nod) jugegcben habt, bafj 3h r nimmermehr be« 
greifen unb niemals ben Schleier non feinem ©effeintniff lüften werbet. 
So lange ber üDieitfdj atljmet, fo lange ftrebt er — baS ift feine 23e« 
ftimmung; fo lange er ftrebt, fo lange irrt er, beim errare humanum est. 
23ift ©u ein fDlenid), ein rechter SDJenfd), fo ilrebe nur muthig weiter unb 
befelige ®id) bnrdi Streben, ©eine menfdjliche Seftimmung; bift ©u aber 
ein ©hör, ein red)tcr ©hör, bann pofaune ben ©utgläubigen ans, ©u 
habeft baS SBelträthfel getöft ober ©u werbeft eS nädjftenS löfen ober eS 
werbe im Saufe biefeS QfalnhunbertS ober QatjrtaufenbS fidjer gelöft werben; 
nidjt einmal bie ©utgläubigen werben ©ir ©tauben fdieitfen. äBer in 
biefer ©hatfadje einen SBiberfprudi finbet, bem erwibem wir: baS ganje 
menfdilidje Sein ftedt ooH feffeinbaren ÜBiberfpriidjen; wer in biefer 3luf« 
faffung einen tßeffimiStnuS finbet, bem fagen wir: in biefem fßcfjtmiSmuS 
ftedt ein wunberffiff fchntedenber optimiftifefjer Rem, man muff nur bie 



Das tt>e(trät(tfeJ. 


339 


SKittfoafoe geroechfeft tiabcn, um if)it ju betfeen unb ju fdjmeden. fettes 
unerforfdjUche £., jene ©leidjung beS n= ©rabes (n = unenblich), bic mir 
nicht ju löfen oermögen unb beSfealb ©ott nennen, fxe ift für uns baS 
Kelträthfel, unb mir jtnb nicht mehr finblicfe genug, nach ben Sternen 
greifen unb biefeS erhabene SRätfefel löfen ju roollen. Ker aber beefealb 
glauben füllte, bafe bie Ketaphfif ein überrounbenet Stanbpunft fei, ber 
mürbe bie menfchtiche Statur unb ihre SBebürfniffe arg oerfennen. Sen 
lebenbigen SDRenfcijen locft eS immer roieber, bent Sdjroinbel ju trofcen unb 
ben Kid binabtaucfeen ju taffen in bie tiefften Siefen ber ureroigen SSett- 
gefeeimniffe, unb roenn aucf) fein Cursficf)tiqe3 Sluge biefe Siefen nie er* 
grünbet, fcfeon baS fimtenbe unb forfcEjenbe Schauen bringt ifem Segen unb 
giebt ihm bie ©eroifebeit, bafe hinter ber fidjtbaren 9latur ein UnficbtbareS 
maltet, ju bem er ftcfe im ©elfte roie ein ßinb ju feinem Ißater oertrauenb 
retten fann aus allen 3löthen unb 3meifeln biefeS furjen ©rbenlebenS. 

Safe mir übrigens fonft bem Semüfeen beS ehrlich unb tapfer nach 
Grfenntnife ftrebenben USerfafferS ber „Kelträthfel" aus oollem ^erjen bei* 
ftimmen, baS glauben mir nicht erft noch auSbrüd'ltch oerfidtern ju füllen. 
9iur feine Hoffnung, bur<h bie ©ntmidlung feiner fogenannten moniftifchen 
5ßh^°fophiC/ roenn auch nur ein Sdjerflein jur Söfung ber Kelträthel bei* 
getragen ju t)aben, müffen mir als gänzlich unbegrünbet jurüdroeifen. 
Kenn mir auch biefeS ober jenes ber einft oott Su Sois SJepmonb auf* 
gefteHten fteben Kelträthfel heut als gelöft ober befeitigt anerfennen mofften; 
roenn roir auch ohne Weiteres jujugeben bereit finb, bafe 5 . 10 . jroedmäfeige 
©inricfetungen rein mechanifd), ohne jroedtfeätige Urfachen, entfielen fönnen, 
unb bafe ber Äampf um’S Safein ber grofee „jiiehtenbe ©ott" ift, ber ohne 
abf.cfet neue formen burch natürliche SluSlefe fchafft — auch bann ift baS 
Kelträthfel, baS grofee unb einige, baS SRäthfel kat exochen, baS ©otteS* 
Problem, roeber gelöfl noch befeitigt, fonbern nur roeiter jurüdgefefeoben; eS 
bleibt feortnädig unb unoeränbert hinter ber emigen unb feferanfentofen 
Subftanj oerborgen, unb biefe zeitlich unb räumlich unbegrenzte ©ubftanj, 
ijl fte nicht fetbft roieber ein fRätfefel, ein Kunber, ein unauSbenfbareS 
Sing, eine SBerlegenfeeitSphrafe beS gorfcfeerS? Kie fagt hoch Schiller in 
ben „Korten beS Kahns"? 

35 it ferferft ben (Dein in ein tönenb SSort, 

Tod) bet freie nxinbelt int ©turnte fort. — 



«web unb 60b. XCV. 286. 


23 




Delos uttö Ctnos. 

<£tnc antifc unb eine moberne IDaüfatjriftätte in ©riecfyenlanb. 

Don 

5HboIf datier. 

— <5raj. — 

: £albinfel Attifa enbet in ein 60 -Dieter IjoljeS, tafelförmig 
abgeplattetes Vorgebirge, baS aus ©limmerfdjiefer unb frpftaHinu 
feiern Ralfe befteht, in benen (Sifenocfer unb 2Jlaladjit ju fEage 
liegen, ©eine {teilen, nietfaä) jerriffenen SBänbe unb einige oorgelagerte 
Rlippen ergeben ftdj in ber bunten $ra<ht roeifjlidjer, gelber, röthlidfer unb 
grüner, fcfjarf non einanber abgelebter £öne aus bem -Dleer. Sttuf ber 
oberen $iädje ragen blenbenb roeifj in baS burdjfid)tiqe Vlau beS füblidjen 
Rimmels elf 6 3Jieter fjolje ©äulen non einem burdf) Ausgrabungen blob 5 
gelegten breiftufigen Unterbau empor. 9ta<h itjnen trägt bie ©teile ihren 
heutigen Flamen: 6ap RolonnäS, baS ©äulenoorgebirge; im Alterthum hief) 
fte ©Union. 

®er fDtarmortempel, ber bie Anhöhe frönte, mar feit bem 6nbe beS 
5. ^ahrhunberts n. 6hr. ein SBahrjeithen für bie ©djiffer: hier lag bie 
©infahrt in ben faronifchen Aieerbufen, in roenig ©tunben mar bei gutem 
SBinbe ber ^ßunft erreicht, non bem man bie Sanjenfpifce ber ehernen 
Roloffalftatue ber ©öttin auf ber Vurg non Athen juerft aufbli|en fah. 
2Bie bie Ausgrabungen auf ber £öhe non ©union gejeigt haben, ftanb hier 
fdjon im 6. 3ahnf»unbert n. 61). ein Tempel aus geringioerthigem ©tein, 
anf beffen gunbantenten ber fpätere 2Jiarmorbau errichtet roorben ifi. ©in 
nodh älteres, noch primitioereS $ei(igthum, nieHeicht bloS ein Altar roirb 
biefem älteften Tempel norangegangen fein. SDer ©ott, ju bem bie ©riechen 
hier feit ben früheften 3 tf iten gebetet haben, nmr ber meerbeherrfchenbe 
ißojeibon. ©ein 6ult an biefer ©teile, an ber auch gemanbte ©egler mit ben 






Delos uni Ciitos. 5^1 

wedhfelnben SBinben unb SJteereSftrötnungen ju fämpfen haben, ift bnrch 
bie SluSgrabungen im lebten 3ahre erwiefen. 

3roifdjen leudjtenb hellgrünen niebrigen Sträudjent hinburdf), an mit 
bunten Slumen birfjt befehlen gleden oorüber, erfteigt man in wenig 
Minuten bie $öhe, non bet fiel) eine unoetgleicblidj fdjöne unb weite 3iunb- 
fdfjau aufthut. 

3m Siorboften über ben Sergwerfsbejirf non Saurion ragt bie f<f)nec= 
bebetfte ©übfpifce non ©uböa, bie Dd)a heroor. 3 ro ifd)en tyr unb bein 
geftlanb non 311 Ufa ftretft [ich bie lange gnfel UMtonifi. Durdjj eine 
breite SJteereSftrahe non einanber getrennt, sieben not uns nach ©iiboften 
jwei Steilen non gnfeln. Die eine, fernere frfjeint eine gortfefcung ©uböaS 
ju bilben; fie umfafjt 3tnbroS, DinoS unb baS non ©union aus nodh nid)t 
futjtbare SJipfonoS. Die jweite nähere 3ieihe erfdjeint wie eine gortfefcung 
ber attifdfjen ^albinfel felbft; fie befiehl aus JteoS, Dhermia (JtpthnoS), 
©eriphoS unb bem ferne am fübli<ben ^orijont noch beutlich erfennbaren 
3MoS. 3®rt, buftig, ftieberfarbig unb blau heben uch in reijnoUen Um= 
tiffen biefe ^rtfcln non bem betten J&intmel ab, ju unferen gühen unb 
jwifdhen ihnen reeft fidh baS Dieet. Der gewohnte ©inbrud non fyefttairb 
unb SBaffer ift in fein ©egentheil nerfebrt: luftig, (eidht, faft burdjfidjtig 
erfdheint alles fefte Canb, fdhwer, maffig, gläujenb wie blauer ©tahl unb, 
wo SBolfenfdjatten liegen, wie Sölei flarrt bie ©ee. 3Bir flehen nor ber 
©infahrt in bie gried>ifcfje gnfelroelt ber Stpflaben. 

Der Dampfer nimmt feinen ©urS in bie breite ©trafje, bie beibe 
gnfelfetten trennt. Üiacfj furjer 3eit taudjen in ihrer üötitte wieber neue 
gnfeln auf: ©paroS unb ©pra, biefes heute ber -Biittelpunft bes £anbels 
im ägäifd)en SJleere, mit einem ftattlidien, bie Serglphe hiuanfteigenben 
^auptort, ber, wie baS moberue Silben erft feit bem griedjifdhen Un- 
abhängigfeitsfriege entftanben, gleidh biefem ein Seroeis ift, bah bie ftäbte= 
bilbenbe Straft ber alten lettenen audh unter ihren Stadifommen nod) fort= 
lebt. Son ©pra aus erblidft man am ^orijont bie langgeftredten, weih 5 
fdhimmemben bis 1100 unb 770 SJJeter anfteigenben ©ebirge non StaroS 
unb SßaroS. ©ie fdhliehen »orläufig bas Silb nach ©üben ab unb entjiehen 
uns ben SCnblief einer jweiten unb britten, nodb füblidher, ebenfalls quer 
über unferen 2Beg »on SBeften nadh Dften ftreidhenben dteifye oon tafeln. 

©ine foldhe SJtannigfaltigfeit grober unb Heiner SJleerbctfen, wie hier fo 
jahlreidhe ©olfe unb jfjalbinfeln, biefe aufs ^ödhfte gefteigerte ©lieberung 
ber SJteere unb Sänber finbet fidh fonft nirgenbs im SHittelmeere, fo reid) 
eS audh anberwärts an ähnlichen ©rfdheinuitgen ift. Die ©eologie lehrt 
uns beren ©rünbe tennen. ©in oerwidett gebautes gebirgiges geftlanb, 
beffen Stämme unb galten hauptfädhlidh in weftöftlidher Stidhtung oerliefen, 
würbe burdh ©inbrüdhe äertrümmert unb ift grohentheilS in’S SJteer oer= 
funfen. Diefe ©inbrüdhe, bie baS geftlanb in eine gnfelwelt jerlegt haben, 
fanben quer ju ber 9ii<htung ber ©elürgSfämme unb gatten ftatt, woburd) 

23 * 



S42 


Hbotf Bauer in <Sra3. 


bie Uftannigfaltigfeit unb Abwechslung ber Sanbfd&aftsbilber bebingt tfi 
3^re eigenartige Schönheit »erwäg feine Sefdhreibung wieberjugeben. 

955er auf DitjfonoS jufteuernb baS 2Iuge nach ©üben rietet, bemerft, 
bajj allmählich eine 2lnja£>[ bunfier gefärbter, niebriger £üge( wie große 
fcfnuiinmenbe ©djoKen non bem bahinterliegenben RapoS jtdh abbeben, unb 
wie fdhlicfjtidh an beren 955eftenbe ein unfcbeinbareS gnfetchen fich lo^töft, 
baS non jenen bügeln butdj eine fcfimale ©urdhfahrt getrennt ift. ®aS 
finb bie beiben jeßt Allein* unb ©rojpjDUoS, im Altertum ®eloS unb 
üiijenaia genannten Qnfeln, bie Heinere non beiben, bie ©eburtsftätte 
StpoIIonS, bi§ jur 3 er ft&cung ihres £eiligthum8 88 ». ©hr. ftetS »on 
SEaufenbeit »on pilgern befugt, ber beuorjugte SBattfabrtdort erft ber 
gnfelgriechen un b Jüleinafiaten, fpäter ein religiöfer SJtittelpunft faft ber 
ganjen bamals befannten 955elt. ®aS ©ilanb nabe ju unferer Sinfen, baS 
bunt, fleHenroeife begrünt, mit jahtreichen 2Binbmül)len unb mehreren freunb» 
liehen Drtf (haften befefct ift, fättt burdb eine weithin (tdjjtbare fdhneeroeijje Äird&e 
mit einem hohe” ©todenthurm auf. ©3 ift £inoS unb bie Äirdje ber 
©oangeliftria, feit ben jwanjiger fahren unfereS ^b^hunbertS ber be» 
rübmtefte SBaHfahrtSort, foweit ©riechen roobnen. 

Rach einer Unterbrechung »on faft 2000 fahren ift alfo unweit eines 
religiöfen ÜDtittelpunfteS ber alten lettenen unb bes heßeniRrten Römer* 
reiches abermals ein retigiöfeS ©entrum ber neugriedbifdben ©briften ent» 
ftanben. Von ber £afenbudjt bes alten $>eloS aus erfennt man bei gutem 
9S5etter mit freiem 3lnge bie $it<he unb ben ^bwm »on XinoS ; es bot 
nur eine Heine örtliche Verfdfjiebung ftattgefunben, als bie SRuttergotteS an 
Apollons ©teile getreten ift. gm ©tauben unb im ©ultus finb an beiben 
©tätten bemerfenSwertbe Uebereinftimntungen ju beobachten, bie in ben ur* 
fprünglidhften, gabrtaufenbe unb Religionen überbauernben, nationalen unb 
allgemeinen menfdblidhen ©igenfdhaften begrfinbet finb, in ihrer befonberen 
gönn aber mit nterfmürbiger 93eftänbigfeit an biefe ©teile gebunben er-, 
fdheinen. 

liefern ©inbrud »ermag fidh wohl fein SE^eitnehntcr ber „gnfetreife" 
ju entjieben, bie unter 2ö. £>örpfelbs Seitung »on bem beutfefjen arcfiäo* 
logifdjcn gnftitut in Athen alljährlidh 3lnfang ÜDtai »eranfialtet wirb, wobei 
an jwei aufeinanber folgenben Sagen SinoS befudht wirb unb bie ©rflärung 
ber Ausgrabungen auf ®eloS ftattfinbet. ©S »ertofmt jtd& jebodh, ben aß» 
gemeinen ©inbrud ju »ertiefen, bie ©ef<hi<hte »on Selos unb ben für 
immer erlofdjeiten ©lanj feiner gefte neben bie ©riinbung ber Äirdhe ber 
Goangeliftria unb bie Iper alljährlich gefeierten ißanigpriS ju fteßen unb fo 
Vergangenheit unb ©egenwart ju einem anfdhaulichen ©anjen ju »et* 
bittben. 

Sie ältefte litterarifdhe ßunbe »on Selos bieten einige Verfe ber 
Dbpffee, bie bem ftebenten gahrhuitbert ». ©hr. angehören. 3« feiner 
Anfpracfje »ergleicht ber fdf)iffbrü<hige CbpffeuS 955u<hS unb Schönheit ber 



Delos nnb (Tinos. 


3^3 

SRaufifaa mit bem Sdiöjjling ber Palme, bie er einft auf feiner gahrt in 
©eloS bei bem Sitar SpoHottS gefefjen. git nid;t mel fpäterer 3^it als 
biefe Serfe, gegen Enbe beS ftebenten galjrbunberts, ifi ferner aus ber Ser= 
arbeitung mehrerer älterer, urfprünglidj non einanber unabhängiger 9Be= 
fianbtheile baS nod) erhaltene ©ebidjt eines 9if>npioben entftanben: ber im 
Slltertfjum Corner halb äugefcbriebene, halb ihm abgebrochene ,§t;mnuS auf 
SpoHon. ©arin wirb ein ©empel beS ©otteS auf ©eloS unb werben bei 
biefem neranftaltete gtofje gelte ermähnt. 

Eines ber Stüde, aus benen bieS ©ebidjt fid) jufammenfebt, enthält 
bie Stiftungsleg enbe beS belifdien &eitigthumS, bie riihrenbe ©iditung non 
einem SBeibe, baS einem göttlidjen Kinb baS Sehen fdhenfen foü unb »er= 
gebenS um Aufnahme ftetienb überall umherirrt, bis ©eloS, bie ärmliche 
unfdheinbare gnfef, fid) bereit finbet, SpoßonS ©eburtSftätte ju werben. 
2tuf grüner SBiefe unter einer Palme wirb baS Änäblein geboren, non 
©öttinnen gebabet unb in jarte Sinnen mit golbenem Sanbe genudelt. 
9Rit 3tmbrofia unb SReftar genährt, erhebt fidj Spott als ©ott, jerfprengt 
feine geffeln unb ruft ben ftaunenben Pflegerinnen unb ber erfreuten 
SWutter ju: 

„Stein foH fein bie Seier, mein ber Sogen! ©en Sienfchen foQ mein 
SprudE» oetfünben geuä’ wahrhaftigen fRathfdhlujj!" 

©olbeneS Sicht ftrahlt über ©eloS, ba ber 3cuSfohn na<h ber £öhe 
beS SergeS ÄpnthoS Ijinanfieigt. 

Unb hietauf fdljilbett ber ©idftfer bie geftfeier. Sudfj anbere Tempel 
unb heilige &aine nennt Spotton fein eigen, bo<h am meiften freut er fidh 
an ©eloS. töier nerfamtneln ftdh bie goner, bie lange ©ewänber tragen, 
mit ihren jüdhtigen grauen unb Äinbera, beS ©otteS gebenfenb erfreuen fie 
fidh an gauftfämpfen, ©änjen unb ©efängen. 2Ber bie anmuthigen, fdfjön 
gegürteten grauen unb bie fühnen Stänner, ihre fdjnetten Schiffe unb bie 
nieten ©djäfce fieht, ber muh - fie für ©ötter halten, ftrahlenb in ewiger 
gugenb. ©odf) baS größte unoergänglidhe SBunber finb bie belifdfjen Stäbchen, 
bie ©ienetimten beS femtreffenben ©otteS, bie Spott, Seto unb bie pfeil= 
frohe Artemis befingen, Sieber jum ©ebädhtnifi oon Männern unb grauen 
ber Sorjeit anfiimmen unb bie fdjauenbe Stenge erfreuen, inbem fie aller 
Söttet Sprachen, Stufif unb ©anjweifen nadhahmen. 

©erfelben geit wie biefe ©iditungeu auf Spotton unb ber Stitte beS 
fedfjften gahrfjunberts d. Ghr. gehören bie älteften SBeihegefdhenfe unb gn» 
fdhriften an, bie non ben granjofen bei ben feit 1873 oeranfialteten SuS= 
grabungen auf ©eloS gefunben worben finb. Eines ift uom Staate ber 
■Jtajrier geftiftet, anbere finb ©aben napifctjer unb cf)üfcf)er Zünftler. Such 
ber hotnerifdhe tßptnnuS giebt fid) als baS 2Berf eines btinben Sängers 
aus @hio3, unb als ber Serfaffer ber belifdfjen Eultlieber galt im fünften 
gahrhunbert ber Spfier Dien, ©ie ältefte litterarifche unb monumentale 
Ueberliefetung, bie wir beft|en, hat alfo bereits ein non ben benachbarten 



21bo( f Bauer in <Sra3. 


3W 

3nfe(n unb in Äleinafien oerebrteS &eiligtl)um unb eine »on habet befdjicfte 
Jyeftfeier jut BorauSfcbuitg, fie fennt $>elo8 nur als ben religiöfen 9Äittef= 
punft bet ionifchen ©rieten, benen eS als bie ©eburtsftätte SttpotlonS unb 
ber Artemis galt. $aju fann jeboch ©eloS erft allmählich geworben fein; 
bie Anfänge bes ©ulteS, bie urfprünglidje Sluffaffung beS tiier »erehrten 
©otteS lebten uns roeber bie älteften SBeiljegaben, nod) bie ©idjtung beS 
beßenifdjen BtittelalterS fennen. ©er homerifdje £pmnu8 »erfolgt bereits 
ben h«nbgreiflid)en 3mecf, in bie Ueberlieferungen oon betn ju ©eloS, in 
©elplji, in Böotien unb als SDteergott, als ©elphinioS, oerebrten 2tpotton 
©inbeit unb Bufammenbang ju bringen, baS geft ber 3nfelgrie<ben auf 
©eloS unb bie ©eburtslegenbe bafelbft ftnb für beffen Berfaffer ebenfo bes 
reits etwas ©egebeneS, roie ber weithin reichenbe 9tubm beS DrafelS 
ju Delphi. 

9tur einen flüchtigen SBlidf in noch frühere au f ©eloS laffen 

uns bie uorgefd)id)tli<he ülrdiäologie unb bie mptbologifchen Ueberlieferungen 
tbun. Sie lehren fibereinftimmenb, bah wrfprünglicb auf ©eloS gerabe 
wie in ©elphi ein bie 3 u funft »erfünbenber (Sott an einer Stelle oerebrt 
worben ift, an ber ein natürlicher ftelSfpalt eine Berbinbnng mit ben 
furchtbaren unb gebeitnnifwoHen Mächten ber Unterwelt ju »ermitteln fchien. 

SKuf halber ^>öE>e bes Berges ÄpntboS beftnbet fi<h in ©eloS, eine 
Biertelftunbe fleilen SlnftiegeS »on bem Späteren ©empelbejirf unb ben 
anberen heiligen Btalftätten entfernt, eine Keine #öble in bem Berge, bie 
bereits in »orgefcbicbtlicber 3eit burch einen Borbau erweitert unb mit 
einem primitioen Steinbach »erfeben worben ift. $ier ift bie ältefte DrafeS 
ftätte ber Qnfel, fie liegt wie ber grobe ^elsfpalt in Delphi außerhalb beS 
fpäteren apoUinifchett ©empelbejirfeS, ber auf ©eloS um bie heilige Balme, 
bie ©eburtsftiitte bes 3euSfol)neS, entftanb unb norbweftlich »on ÄpnthoS in 
bem ebenen ©heile ber 3nfet anfgebecft worben iit. 3n ©eloS bat fi<h 
aber, anberS als in ©elphi, feine Äunbe baoon erhalten, bah hier »or 
Slpoll eine anbere ©ottbcit Drafel ertbeilte; war bieS ber gaH, fo ift 
bie ©rinnerung baran burch bie glänjenbe ©ntfaltung beS 2lpoHonculteS 
früh in Bergeffenljeit geratben. 

SBäbrenb nun in Delphi 2lpoHon als ber bie 3 l| f un ft »erfünbenbe 
©ott »on ber uralten Drafelftätte Befits ergriffen bat unb weithin berühmt 
geworben ift, hören wir fautn ein ober baS anbere fötal baoon, bajj feine 
Briefter auf ©eloS ben Befragenbeit bie 3ufunft entfchleiert hätten; webet 
Drafel noch fjeiluttgSwunber, bie an anberen Drten beS alten ©riedjenlanb 
jaf)treid)e Befudjer anlocften, haben für ©eloS in gefdjiditlicher 3eit irgenb 
merfbare Bebeutung gehabt, nur als bie heilige ©eburtsftätte SlpoHonS 
ift eS berühmt unb ju einem religiöfen ÜJtittelpunfte geworben. 

©ie 3»fel bietet anfdbeincitb nichts, was eine Solche ©ntwidelung hätte 
förbern fönnen. Sie hat nicht einmal geniigenbeS ©rinfwaffer: eine einjige 
Duelle an ihrem 'Jtorbenbe flieht baS ganje 3aljr. ©er QnopoS, beffen 


Delos unt> (Einos. 


3^5 


oom ÄptßoS ft<b ßwubfenfenbeS 33ett noch beutlidj erfemtbar ift, fann nur 
nach ftarfem Siegen jur SBinterSjeit corüfrergebenb gefüllt geroefen fein. 
®ur<h bie Ausgrabungen ftnb jablreidbe ©ifterneit allerorten auf ber ifftifel 
feftgefteüt worben, fie beroeifen, baß ©eloS im Altertum ebenfo roafferarm 
geroefen ift wie beute unb fammt bem benachbarten Sitjenaia an fidj nur 
ganj wenige SJtenfdjen bat ernähren fönnen. ©o fonnte bie moberne 
gorfdjung leidet auf bie ©rflärung cerfallen, baß ber SJJptboS con bet ©e= 
burt Apollons auf ®eloS [ich erft gebilbet bube, als bas unroirtblidbe, con 
jeber potitifdfjen Stelle con contberein auSgefdfjloffene unb jum reltgiöfen 
SJUttelpunft eben batunt befonberS geeignete $)eloS con ben ionifdben 
Soloniften jur Stätte ibreS StationalbeiligtbumeS beftimmt rourbe, unb baß 
er lebiglidb ben 3roe<f batte, biefe SBaßl mptbologifcb ju rechtfertigen. 

AuSreidbenb erftärt fdbeint bamit roeber bie urfprüngltche SEabl no<b 
bie großartige ©ntroicfetung beS J^eiligtbumS, bie feiner ©rünbung an biefer 
©teile gefolgt ift. hierbei müffen befonbere Umftänbe roenigftenS förbentb, 
cießcidbt aber audb gerabeju ceranlaffenb geroirft buben, ©ie laffen fidb, 
wenn audb nur tbeitroeife, nodb erfennen. 

©inen Sorjug butte baS arme unroirtblidbe SDeloS: es lag im SJlittel* 
punft ber gtiecf>if<ben Unfein, etwa bulbroegS jroifdben bem griecbifcben $eft= 
lanb unb Äleinafien, unb eS b«tte jroei corjüglidbe £äfen. 

f?ür ©eget* unb Siuberfcbiffe ift bas griedjifdbe SJleer, con furjen 
Unterbrechungen abgefeben, roäbrenb beS ganjen ^ubreS nidjt leicht ju be> 
fahren. 3 U ben überall gefiirdbteten tßerbfb, hinter« unb grübjabrftürmen, 
burdb bie früher Ardbäologen oftmals auf ihrem SBege nadb ©üben, nach 
SJHloS ober ©antorin, erfaßt unb bis £ba foS unb SemnoS nadb Sterben 
cerfdblagen roorben finb, fommen hier bie heftigen fommerlidben Stetöroinbe, 
bie ©tefien ber Alten, bie in cergangenen Sabrjeljnten jablreidbe Steifenbe 
£age, ja SBodben lang in nadb Sterben offenen liafenbuchten feftgeftalten 
haben, ©etbft bie ©dbraubenbampfer einer griedbifdben ©efellfdbaft, bie 
beute ben 93erfeftr jroifdben ben $auptorten ber Unfein cermittelt, oerfpäten 
ftdb bei ftürmifdbem Sßetter gelegentlich um ein bis jroei £age. 

9fn ber norbfüblidben ®ur<hfabrt aber jroifdben ©roß* unb 5tlein=®ftoS 
liegen jroei Klippen, bie Steeomatiaria, bie größere non beiben gerabe an 
ber fdbmalften ©teile beS ©unbeS; fte becfen gegen Storbroeften jroei Suchten 
ber Sufel £>eloS, bie, wie Sßurtfdb benterft, fanbigen ©tranb unb guten 
Adetgrunb buben, ©egen Sßeften unb Dften bieten bie beiben 3)itoS ge; 
nunnten Unfein felbft cortrefflidften ©dbuß. ®iefe ^Durchfahrt enthält atfo, 
ba bie eine nadb ©üben, bie anbere nach Sterben offen ift, jroei Kammern, 
burcb bie man mit jebem Sßinbe in bie ^afenbucfften einfaljren unb fie 
roieber cerlaffen fann. 

£rofc feiner Aermtidfjfeit ift alfo ®eloS ber con ber Statur cor= 
gejeidhnete SerfebrSmittelpnnft ber griedbifdben ^nfelroelt unb barunt auch 
ju beren retigiöfem SJJittelpunft geroorben. ©S butte freilich nimmermehr 



346 


2Jt>olf Bauer in CSvaj. 


baju werben fönnen offne ben feften ©tauben ber Hellenen an bie SBirftidj* 
feit ber in ber ©rünbungStegenbe erjagten Seifigen 83egebenheiten, ohne ben 
©tauben an bie $eiligfeit ber Stätte. Solche rein ibeette Äräfte wirfen 
in ber gefcfndjttidjen ©ntwicfelung mit ganj berfelben realen -BtadEft mie 
bie günftige geograpt)if<$e Sage unb 2lnbere3, was mir feben, meffen unb 
wägen fönnen. 

So mögen wir uns auSbenfen, bah in oorhomerifdfer $eit an ber 
gelSgrotte beS 5ltjnt^oS eine wenig befannte orafelfpenbenbe ©ottbeit, bafe 
fpäter an ber Stelle beS heiligen SejirfeS non wenigen gamilien, bie bie 
$nfel bewohnten, bei einem 2lltar am gufee einer ißalme, eines auf ben 
ftpftaben nietteid)t noch fettenen SBaumeS, bie ©eburtSftätte 2lpolIon3 nerebrt 
worben ift, ber nun au<b als ber Drafelfpenber in ber ^et3böt)te galt, ^n 
bem &afen ber Qnfel mögen oftmals Schiffer, non ben benachbarten Qnfetn 
unb non weiter berfommenb, nor Sturm unb Unwetter 3uffrCf)t unb aus 
©obeSnotf) ©rrettung gefunben hoben. Sie banften biefe bem ©otte ber 
3nfel burch ©ebet unb aBeihegefdjenfe unb nerfünbeten feinen SRuIjm nach 
ihrer gtücfli<hen £eimfehr. ©ine ftuge Sßriefierfc^aft an bem £eiligtljum 
fetbft mag baS ihrige ju beffen töergröfeerung hinjugethan hoben. So ge= 
wann bie Gultftätte ihren erfien, über bie nädjjte 9ta<hbarf<haft hinaus* 
reidjenben ©influfj. Stber erfi burch bie ftarfe retigiöfe unb litterarifdje 
Bewegung, beren SRieberfdhlag fi<h in ber epifdhen Dichtung erholten hat, 
ift bie betifdje StiftungSlegenbe ju allgemeiner Slnerfetmung gelangt: ©eloS 
würbe jetjt unter ben gasreichen SBerefjrungSftätten 2tpolIon3 fpecieH als ber 
Ort feiner ©eburt betrachtet. ®ie geftfpiele, bie hier begangen würben, 
traten früh f$ on in ben SSorbergrunb, bilbeten bie 2tnjief)ung für jaljlreiche 
33efu<her unb würben im ©uttus baS herrfdjenbe ©lement @3 ift fehr 
wafirf<heinli<h, bah bie im honterifdfen £pmnu3 neben ben oolf3thümlichen 
gauftfämpfen erwähnten ©höre unb ©änje ber betifdhen Räbchen bie 
©rünbungStegenbe felbft jum Inhalt gehabt haben, bah wie fonft öfter, fo 
auch im Gultu3 non ©eloS ba3 Seiben ber ©öttermutter unb ihres Sohnes, 
ihr Umherirren an jahlreidjen Orten mimifch bargefieHt unb ihr Sieg im 
Siebe gefeiert worben ift 2lu3 gleichartigen Bräuchen beim ©ionpfoScutte 
in 3ltl)en hot fi<h bie fdjönfte Bliithe ber attifchen Sitteratur, baS ©rama 
entfaltet. 

®ie gefchidjtliche Äunbe über baS achte unb fiebente Qohrhunbert ift 
niel ju bürftig, als bah man oerfudjen fönnte, auch ouS ben politifcfjen 
SSerhältniffen ber Seit eine ©rflärung ju gewinnen für baS rafdje Stuf« 
blühen beS betifdhen ^eiligthumS unb bie Beranftaltung fo glänjenber gfefte, 
wie fie ber homerifdje ßpntnuS fchilbert. ©ineS hot babei ftcherlich mit 1 
gewirft: ber nationale ©harafter beS ©ötterglaubenS ber Hellenen, burch ben 
fie wie bie heutigen griediifcfien Ortlfobopen fief) nicht bloS als eine religiöfe, 
fonbem auch als eine nationale ©emeinfdjaft gegen bie Barbaren abfchloffen 
unb unterfchieben. ®ie allgemeine Slnerfennung ber ßeiligfeit non ©etoS, 



Delos anb Cinos. 


3^7 


feine SBerehrung als bie ©eburtSftätte SSpoHoS unb ber SlrtemiS, bie feit 
bem ©nbe beS nebenten QaßrbunbertS unbeftritten finb, beweifen, meid/ 
ft arte, pofitio fd&affenbe religiöfe unb jugteidß toerbenbe straft jener ^ßeriobe 
gtiedjtfdjet ©efcßid)te inneroohnte, bie für uns burdj baS ^omctif<^e GpoS 
oertreten ift. 2BaS in QSrael Propheten, in anberen Religionen priefter; 
liehe Ginflüffe geleiftet haben, ift in £elIaS baS 2Berf oon ©intern gewefen. 
2htdj ber 3lpott, ber auf ®eloS geboren toarb unb bort, wie es fdjeint, 
ben büfteren alten Gült einer aus bem Grbfpalt weisfagenben unterirbifcßen 
©ottßeit abgelöft unb aufgefogen bat, ber lidbtfpenbenbe &elb, unter beffen 
Schritten füeloS golbig erglänjt, ba er jur alten Drafelftätte fnnanfdjreitet, 
ber Dlpmpier, bem ju Gbren frobe fyefte gefeiert werben, ift eine Sdjöpfung 
biefer für uns namenlofen Sänger. Siegreich haben jte bie alten graufigen 
SBorftellungen übertounben. Rur an abgelegenen, bem 33erfef)r mit ber Heimat 
beS GpoS, mit Äleinafien, unjugänglidjen Drten haben biefe fid» erhalten, 
fo in ben Sergen SlrfabienS äpollon als ber in SESolfSgeftalt oerehrte Se= 
jchüßer ber beerben unb in SeufaS ein 2lpoHon, bem Sfltenfchenopfer bar« 
gebracht roorben finb. 

Seit bem 2lnfang beS 6. SaßrhunbertS ift aber ju ben bas ©ebeihen 
oon ©eloS förbemben Umftänben auch noch ber binjugetreten, bah rocit; 
fdhauenbe Sßolitifer bie ßeiligfeit ber 3nfel «ab baS bort gefeierte geft in 
baS Sereieh ihrer Gombinationen jogen. £)aS ift im 3eita(ter ber fEprannen 
gefdjehen. 

©eftüfct auf friegerifdje Grfolge, getragen oon ber 3uneigung beS mit 
ber 9lbelSherrf<haft unjuftiebenen SolfeS erhoben fid) in ©riechenlanb unb 
auf ben Qnfeln allenthalben mährenb beS 6. 3ahrf)unberts einjelne ehrgeijige 
ülbelige, nahmen oon ben alten ftöitigSburgen Seüfc unb hcrrfdjten, roie 
bie ©riechen fagen, als Üijrannen. ©amals haben bie gried)ifdjen Staaten 
jum erften 2M auSroärtige ^ßolitif im großen Stil getrieben. Gin 
griedjifdjeS Staatenfpftem fdjloß fi<h unter ber Rührung biefer dürften troß 
mancher Rioalitäten jufammen, um fich ben ©roßmädjten beS Drients, 
ben Hegpptern unb fjkrfem gegenüber halten ju fönnen. Schon waren 
ja bie fßerfer bis an bie Äüfte StleinafienS oorgebrungen unb hatten bie 
gried)if<ben Golonien bafelbft unterworfen. 

3wei biefer fTprannen, ^ßififtratuS oon 2lthen unb Sßofi;frate§ oon 
Samos haben ben ©ebanfen gefaßt, bie ftarfe einigenbe Jtraft beS belifdjen 
gefteS unb feines £eiligtljumS ihren politifd;en 3roecEen bienftbar ju machen. 
Seit Solon gehörte 2ltßen jweifetloS ju ben Staaten, bie regelmäßig eine 
Theorie, eine geftgefanbtfdjaft oon Staatswegen, auf einem Schiffe nach 
®eloS aborbneten. SEBie weit oor Solon SlthenS Teilnahme jurüefgeht, 
ift nicht ju ermitteln; bie 3ltl)ener fetbft hatten fpäter ein großes 3ntereffe 
baran, ihren Ginfluß auf ®eloS als in bie Urjeit jnrücfreidjenb barjufteHen, 
unb ße haben bähet bie Gntfenbung ber erften Theorie mit ben Ahnherren 
ihres eigenen StaatSwefenS in Serbinbung gebracht. So hat man in ber 



3^8 


2lbo If Bauer in <Sra 3 . 


attifdEjen Uc 6 cr(iefcruttg fpäteflenS feit ber $tii ber ^ififtratiben burdj 
fünftlich hergeftettte, quafimpthifche Sejicbungeit fef)r reale &errf<haftSgelüfle 
ju begrfinben unb ju rechtfertigen gefugt. 2l(te ober neue Sprüche unb 
Drafel bejeugten übetbieS, bafe ©eloS als ©eburtsftätte SlpolIonS rein unb 
heilig fein muffe, darauf ftüfete fi<h ifMfiftratuS bei feiner ©inmifdjung, 
inbem er gemäfe biefen Sprüchen bie Snfel reinigte, b. h. foroeit ber SMicf 
non bent heiligen Sejirf reifte, ben Soben burdjmühten, alle norhanbenen 
Selchen auSgraben unb an entfernteren Stellen roieber befiatten liefe. Sn 
biefer bem Drte unb ber alterthfimlidjen 3 e it angenteffenen Sorm nottjog 
Tuh ber erfie SSerfud) 2lthenS, auf ©eloS unb burch ©eloS im ägäifefeen 
3Reer feinen polüifdjen ©tnflufe jur ©eltung ju bringen. ©er SJtehrjabl 
ber „Seitgenoffen galt unjroeifelhaft $ififtratoS' SBorgehen als ein gott* 
gefälliges 2 Serf, bei ihm felber wirb man auch in foldjen religiöfen Gingen 
roeltlidhe Seroeggrünbe annehmen biirfen, benn mit ber ©rünbung eines 
föeiligthumS beS ptjthifc^en 9lpotton unb bes otpmpifdjen 3euS in Slthen hat 
er ben 6 ult biefer beiben berühmteren ©ottheiten bes fßelopomteS unb SMitteb 
gtlechenlanbs ben ©täubigen in 2 lthen felbft ermöglichen unb feine S$ater= 
ftabt won ben auswärtigen ©ultftätten unabhängig machen motten. 

9ltl)en hat feit ijiififtratus nie mehr bauernb barauf nerjidjtet, ©eloS, 
feine 33ewohner, öaS Seft unb feine SBeranftaltung non ft<h abhängig ju 
erhalten. -Wicht erft feit ©heniiftofles unb feit ben ißerferWegen, fonbern 
feit ben ©prannen ftrebt es nach ber &errfdjaft auf bem fttJeere unb nach 
ber Unabhängigfeit non ben übrigen Staaten beS grietfeifdien SeftlanbeS ; 
bieS fpri<|t [ich in bem nerfefeiebenen Verhalten bes SpiftflratuS gegenüber 
ben grofeen GultuSmittelpunften feiner Seit, Delphi unb Dlpmpia einerfeits 
unb ©eloS anbererfeits, beutlich aus. 

9)iit biefen Seftrebungen 9lthenS metteifernb, hat SpolpfrateS non 
SatuoS bie $nfel 9tben«ia, bie er erobert hatte, ben ©eliern unb ihrem 
&eiligthum gefchenft. ©ur<h eine eherne Jtette feffelte er 9thenaia an 
©eloS, um bie ewige ©auer feiner Stiftung für ben ©ott finnfättig 
ju machen. 

©te ber Seit nach nächften Berichte über ©eloS betreffen ben 3 u g 
ber Werfer unter ©atis unb 3lrtapherneS im Sabre 490 n. 6 h- 9M) ber 
ißlünberung non 9laroS burch bie Sßerfer flohen bie ©elier nach ©enoS 
hinüber, mürben aber non ben im $afen non ©eloS anfemben perftfehen 
Selbherren juriiefberufen. ©atiS nerficherte fee feiner unb beS ißerfetfönigS 
gröfeten @t)rfurd)t nor ben ©ottheiten ber ftnfel, geftattete feinen ©ruppen 
nur auf Jtfjenaia 51 c lanben, begab fi<h mit feinem ©efolge in feftlichem 
3uge nach ©eloS unb nerbrannte auf bem Sttltar SlpottonS 300 ©eroi<hts= 
talente 28eihrau<h. ©iefc ©rjählung 4?erobotS ift non mobernen Äritifern 
als ungefdjichtlich nerroorfeit unb bie Schonung non ©eloS burch ben Um= 
ftanb crflärt worben, bafe bie $ n fel nd) ben Verfem freimittig unterworfen 
habe, ©aju liegt fein ©runb nor, bie (Üefd)id)te an |id) ift feine ©rfinbung. 


Delos unb (Tinos. 


3*9 

unb jte bebarf feinet anberen als ber bei öerobot gegebenen Slotimrung, 
im ©ütjelnen ift fie freilich non ben Deliem auSgefchmücft, um ben Stuf 
ber öeiligfeit ihrer Qnfel ju erhöben. 9ia<h ber 2lbfaf)rt ber Sßerfer 
foa DeloS, in GrfüHung eines alten Spruches, feit Stenfchengebenfen jmn 
erften Stal audb non einem Grbbeben erfchfittert morben fein als ein 
©ötterjeidfjen beS ben öellenen benorftebenben Unheiles. Güte anbere, eben» 
falls alte Ueberlieferung, ber um biefe 3«ü ^ßinbar SluSbrucf gegeben hot, 
befagte, bah bie gnfel bis jut ©eburt 2lpoHonS auf bent Sfeere umher» 
getrieben höbe unb erft non 3euS mit nier Stufen gefeftigt mürbe, um 
Seto aufjunehmen, unb bah fie non ba ab erft DeloS, b. h- bie Gtfchienene 
ober ©eoffenbarte genannt morben fei. SSiele anbere ähnliche Grjählungen 
non Seiten unb SBunbem, bie ii<h ouf DeloS begeben hotten, mögen noch 
im Umlauf geroefen fein, mir fennen nur bie roenigen, bie jufäffig in ber 
litterarifchen Ueberlieferung Aufnahme gefunben hoben: fo bie märchenhafte, 
mit bem Slpoflocult auf DeloS in 3 u fommenhang gebrachte unb ebenfalls 
ju ^erobotS 3eit bereits auf ber Qnfel recipirte Grjählung non ben öpper» 
boräern, einem ißriejteroolf beS 2lpollon unb ber SlrtemiS, baS im h°h en 
Sorben feinen SBohnftfc hotte. gn bem Stafje, als Slpoßon ben Sichtgott» 
heiten beigejählt unb als folche nerehrt mürbe, traten auf biefe feine Gigen» 
fchaft bejiehbare mptljifdbe 3i'0o io ber Ueberlieferung hernor. Stan erjäfjlt 
baher non feiner jeitroeiligen Sbmefenheit an ben Stätten feiner Verehrung 
unb feiert feine jährliche SBieberfehr bur<h bie Darbringung ber Grftünge 
ber grüd&te. 

Denn mit ber ©eftalt, bie baS GpoS gefd&affen hotte, fonnten fi<h 
immer mieber neue 3%ß »erbinben, bie neränberten Slnfdjauungen unb 
retigiöfen 33ebürfniffen entfprachen. Dies ift gefcfjehen, fo lange bie 
religiöfen 2lnf<hauungen noch im gluffe maren unb bie fchöpferifd&e Straft 
ber ©riechen fi<h audh auf biefem ©ebiete betfjätigt hat. Die poetifchen 
Schöpfungen ber epifchen Dichter hoben trob ihrer ftarfen SBirfung bennoch 
nicht als bogmatifche Sßorftettungen geroirft, bei ben ©riechen hot feine ein» 
heitlich unb l)ierar<hif<h geglieberte ^riefterfcijaft bem freien Schaffen beS 
religiöfen DrtebeS jemals geffeln angelegt unb baburch beffen Grftarrung 
bemirft. StuSfcbliefslichfeit feines DienfteS forbert fein griechifcher ©ott non 
feinen Sefennem, nicht einmal an ber heiligen Stätte feiner ©eburt. So 
fonnte ft<h auf Delos nicht nur ein öeiligthum ber Strtemis unb Seto 
neben bem Dempel SlpottoS in bem heiligen 23ejirf erheben, fonbent audh 
auf bem ©ipfet beS 33ergeS ÄpnthoS ein £eiligtbum beS 3«uS unb ber 
Sltbena entliehen, unb ben griechifdhen fonnten in noch fpäterer 3eit felbft un» 
griedhifdhe ©ottheiten beigefeilt merben. Schon öerobot beobachtete auf DeloS 
eigenthfimliche Dpferbräud&e thrafifdher unb päonifcher grauen in bem 
SlrtemiSbeiligtbum unb an bem außerhalb bei einem Delbaum gelegenen 
©rabmale jroeier Stäbchen, bie nadh ber Sage bie erfien ©oben ber öppe r» 
boräer nach DeloS gebracht hatten. 



350 


2lboIf Bauer in (Sraj. 


Stoch entfdhiebener als bisher, raieberum oon 2ttl»en beoormunbet, ttmrbe 
$eloS in bie Politiken Kombinationen nach ben Siegen non Salamis unb 
sptatää unb ber glucht ber Werfer aus ©riechenlattb einbejogen. ®ie 
atljenifdje ©emofratie bat unmittelbar nach biefen Krfotgert bie burdh bie 
inneren Kämpfe unb burdfj ben Ueberfalt ber ißerfer abgeriffenen gäben 
ber ©rofjmadhtpolitif ber £prannen toieber aufgenommen. ®elo8 mürbe 
jum religiöfen unb politifdjen SJtittelpunfte beS 33unbeS, ben aitfjen jur 
gortfefcung ber ißerferfriege mit ben gnfelgriccfjen abfchfofj. ©ie Beiträge 
ber SDtitgtieber mürben im StpoDotempet als KriegSfdhafc aufgebäuft unb 
non atljenifchen Beamten oerwaltet. £ier fanb alljährlich bie äferfammlung 
ber 33unbeSabgefanbten ftatt. 216er fcbon im gahre 455 nahm Sttthen ben 
KriegSfdjafc oon ®cloS meg unb übergab ü)n ber £ut feiner Surggöttin, 
bie ein Sechsigftel aller eintaufenben ©elber als 2lufberoaf)rung3gebül)r für 
ihren eigenen Sdhafc erhielt. ®ie Slbgefanbten ber aJunbeSgenojfen, bie 
iefct Unterthanen 9ltbenS geroorben maren, fanten nicht mehr nach ®eloS, 
fonbem überbradhten ben Tribut nach 2ltben. ®ie ®elier, bie bisher aus 
ber SSerfnüpfung ber ^Religion mit ber Sßolitif nur Sfortheile gejogen hatten, 
lernten nun bie Kehrfeite biefeS aSerhältniffeS fennen. 

®eloS felbft freilich mar unb blieb als bie fettige Stätte 2lpoHonS 
non jeber £ributabgabe befreit, fo groß auch ber ajefifc beS ©otteS mar, 
aber Slthen übte bie ^ßroftafie b. h- bie a3orfteherfdfjaft bei bem ^eiligthum, 
unb bie SBeranftaltung ber geftfpiele burdh befonberS abgeorbnete a3eamte 
oiel nncbbrüctlidljer aus. gm SBinter beS gahreS 426/25 o. Kf)r. fnüpften 
bie Stthener noch einmal ganj unmittelbar an bas SBorbilb an, baS ißifijtratuS 
gegeben hatte. SBieber mürben alte Dtafel aus bem Staube ber S3er= 
gangenheit heroorgejogen, bie Steinigung ber gnfel butch ^ßififtratuS mürbe 
für ungeniigenb erflärt, abermals unb nicht blos in Sehweite ootu heiligen 
SJejirf, fonbem auf ber ganjen gnfel mürben bie ©räber geöffnet, alle a3e= 
ftatteten nach Sthenaia überbracht unb oerfügt, bafj in Jfjinfunft fein menfdfk 
iicheS SEBefen auf ber gnfel jur Sßelt fommen ober fterben bürfe. gugletch 
richteten bie StttF;ener neben bem bisher alljährlich gefeierten gefte eine neue, 
alle oier gahre fich roieberholenbe geftfeier, bie großen $elien, ein unb 
fügten ju ben bisher üblichen Kampffpielen als Steuerung ißferberenuen 
hinju. 

KS barf angenommen werben, bafj ber aSefudjj beS gefteS nachgelaffen 
hatte, feit ®eloS nicht mehr SRUtelpunft beS attifdfien SeebunbeS geroefen 
ift. 3ltfjcn fdjtieb jefet alljährlich in ber a3olfSoerfammlung ben unterthänigen 
Stabten unb gnfcln burdh £anbntehr bie ^»öhe beS Tributes oor, es 
hcnfdhte auf SiayoS unb SamoS, baS einft unter fßolpfrateS mit 

ißififtratuS um ben ntafjgebenben Ginflufj auf $eloS gerungen hatte. S)aS 
gufammenftrömen ber ©riechen oon Kleinajien unb oon ben gnfeln, bie 
theils ju betn religiöfen geft, theils jum 35efu<he ber bamit oerbunbenen 
SDtcffc nadh SDeloS famen, bot jebo<h ben Slthenem ju grofje ajortheile, bie 


Delos nnb (Einos. 


35 \ 

üBeranftattung beg f^eftcS burd) feine Vertreter mar ein fo bequeme« unb 
wirffanteg SJtütel, feine SÜIac^t allen ©heilnehmern augenfcheinlid) ju machen, 
ba§ bie leitenben ißolitifer bet ©emofratie beffen ©erfaß unmöglich gleich* 
giltig jufehen fonnten. ©ie Steftaurafion ooHjog fid) in benfelben religiöfen 
formen, bie ipififtratu« gewählt ^atte; ihre Sßieberhotung ift ber ftärffte 
Seweig, ba§ bie übermiegenbe SWehrjaht ber ©riechen auch «nt ©nbe beg 
fünften Sahrhunbertg trofe ber ©opbiften unb trotz ber Slufflätung in ben 
höheren Greifen an bem religiöfen ©lauten ber S3äter nicht irre ge* 
worben war. 

SHIein ber wiffenfchaftliche $orf<hunggtrieb war einmal erwacht, unb 
biefe 5 weite Reinigung oon ©etog barf als bie ältefte Sluggrabung auf ber 
Qnfel bezeichnet werben, benn ©hufpbibeg, ber fic mit erlebte unb uns baoon 
berichtet, hat babei gemachte ©eobad)tungen, unbefümmert um Spott unb 
feine heilige ©eburtgftätte, alg ©ef<hid)tgfocf<her ju rein wiffenfdiaftlichen 
©<hlfijfen benufet, ja nur um ihretwillen überhaupt ben Vorgang erwähnt. 
Sei ber £ätfte ber Seftatteten fanb man SBaffen unb fie felbft in ber 
SBeife beigefefet, wie fie bei ben Rarem im ©üben Rteinafieng üblich waren, 
©arin erfennt Shufpbibe« einen ©emeig für bie Stidjtigfeit ber Snficht, 
baft oor ben Hellenen Rarer auch bie ftnfeln beg ägäifchen SJteereg be- 
wohnt hätten. ®a jüngft auf Sthenaia bie ©teile aufgefunben worben ift, 
an ber bie bamal« übertragenen ©obten wieber beigefefct würben, fo wirb 
fi<h oictleidjt feftftetlen taffen, ob bie moberne Srdjäologie ben ©d)lufj be§ 
©hufpbibeg billigen fann, ober ob fie ihn oerwerfen muff. 

Sßenige 3 abre fpäter hat ber Slthener Stifiag, ein geiftig anberg oer: 
anlagter 3eitgenoffe beg ©hufpbibeg, bem Spott oon ©etog eine eherne Saline 
alg S5Beihegef<henf geftiftet unb ber ©empetoerwaltung Siegenfchaften im 
SBerthe oon 10 000 ©rachmen mit ber SBibmung gefchenft, bah oon beren 
ßrtrag an ben gefttagen greitifch für bie ©heilnehmer gewährt werbe. 
©ot<he öffentliche ©ewirthungen, Dpferfchtnäufe unb bamit oerbunbene ©er= 
gnügungen ber gejlgäfte haben gewig fchon in frühefter 3 ?it zugleich 
mit ben gauft= unb Stinglämpfen ftattgefunben unb mit einen Snjiehunqg' 
punft für bie zahlreichen ©efucher beg belifchen fvefteg gebilbet; fo erwähnt 
fchon £erobot einen ©peifefaal ber ©ewohner oon Reo« in ber Stälje beg 
Slrtemigheiliqthuntg in bem hefigen Sejir! oon ©elog. Stifiag hat aber 
auch alg Seiter ber attifchen $eftgefanbtfdjaft biefe in ganz befonberg feier« 
liehet Sugflattung nach ®elog binübergeführt. gür gewöhnlich bertfdjte beim 
Sanben ber geftfdjiffe im fpafen arge Unorbnung unb ärgerlidjeg ©rängen 
ber ©Mitnehmer, wag Stiemanb SBunber nehmen wirb, ber griechifdje 
©arfenführer ber ©egenwart fennen gelernt hat. Stifiag brachte eine jer= 
legbare, auf feine Roften angefertigte ©rüde aug Stljen mit, lanbete Stacht« 
auf einer ber beiben Rtippen in ber SDtitte beg ©unbeg jwifchen ©elog 
unb Sthenaia, fefcte bie ©rüde jufantmen unb zog am SJtorgen ju 5 u f$ 
unb in fdjönfter Drbnung an ber ©pifce ber ffeftgefanbtfchaft im tßafen 



352 


llbolf Bauet in <Sra 3 . 


ein unb ftieg bie fßrocefitonSftrafie f)iuan jum Tempel, um ba$ Dpfer bar= 
jubriitgen unb betn ©otte einen golbenen Kraus ju meinen. 

Stifias, ebenfo bureb feinen Steidjtbum wie burd) feine grömmigfeit 
befannt, mar unzweifelhaft beS wegen oom atbenifdjen Solfe mit bet gübnmg 
bet geftgefanbtfcbaft betraut worben, unt ben üblen Ginbrucf ju oerwifd)en, 
ben ba3 gewalttbätige Gingreifen Slt^cnS bei ber Steinigung ber ^nfel im 
Sabre 426/25 gemacht batte. Allein fürs banadi gewannen in Sitten nrieber 
jene bie Dberljanb, bie unbefümmert um religiöfe Sebenfen unb bie Stüct 
ficht auf bie £eiligfeit beS DrteS lebiglicb Athen« $errf<baft auf ber Snfel 
jur ©eltung bringen wollten. Schon im Sabre 421 o. Gfjr. würben aber: 
mal« unter bem SBorwanb einer Steinigung alle ®etier oertrieben, jie fanben 
in Klehtafien bei einem perftfeben Satrapen Aufnahme unb Suftudjt Sm 
Kriege erlittene 3,'erlufte unb bie Mahnungen be« Drafel« in Delphi, beffen 
fßriefterfebaft bie Wiener be« Sottet in ber Schwefterfirdje nicht int Stiebe 
liefe, beftimmten jwnr bie Athener na<b S n b reS frift bie SJertriebenen wieber 
jurüctjuberufen, aber ®clo« blieb oollftänbig oon Sttben abhängig. Sei bem 
oon Athen eingerichteten, alle oier Sabre ft<h wieberbolenben fyefte weibte 
ber Staat rcgetmäjjtg bem ©otte einen golbenen Kraus, wie bie« fdjon 
Siifia« getban batte. Sein Sßerth war je nach ber günftigen ober un= 
günftigen ginanjlage Athen« gröber ober geringer. 

Stad? bem 3ufantntenbrucb be« attifdjen Steid)e« 404 o. Gb. erhielten 
bie SDelier oon ben Spartanern oorübergebenb bie greibeit gefdienft. SJtit 
bem balbigen Grftarfeit ber S)tad)t Athen« oerloren fie jeboeb ihre Selbfl- 
ftänbigfeit abermals, oergeblicb fudjten fie fßbrltpp non SJtafebonien 3 U ihren 
©unften su ftimmen. 

Grft am Gnbe be« 4. Sabrbunbert« würben üe wieber frei, unb bamit 
beginnt eine jweite ©lanjjeit für ba« ^eiligtbum. $Delo« jog jefct au« bem 
lebhaften internationalen Serfebr Stuben, ber feit Alejanber bem ©rohen 
bie SJtittelmeerlänber einanber näher brachte, ®elo 8 ift nun nicht nur eine 
SBallfabrtSjlätte ber ©rieten, fonbern au« ber ganjen SBelt, oon fronen 
unb Jütten ftrömten bie SBeibegaben babitf jufammen. 

®iefe Steigerung feiner Sebeutung unb feiner Ginnahmen batte iicE» 
febon in ber lebten 3 dt ber athenifchen 4?errfdjaft geltenb gemalt. 33ereit« 
bamal« haben bie SDelier unter anberen auch ben Führer einer farthagifchen 
©efanbtfd)aft, bie ben König oon Aegppten unb bie Athener für ein 33ünb= 
nift gegen ben Tyrannen oon Sprafu« gewinnen follte, bureb eine Gfjren* 
infehrift um feiner Serbienfte willen belohnt Auch einem König oon Sibon 
unb '|U)önifien würbe bamal« bie gleiche Gbre ju £bei(. Son ben ungefähr 
2000 Saf<briften aber, bie bie Ausgrabungen ber gtanjofen ju fEage ge= 
förbert haben, gehören bie meiften ber 3«it ber Unabbängigfeit ber fDelier 
oon Athen an. SDtit größter ©enauigfeit würbe oon ben £empelbef)örben 
auf Stein Such geführt über bie in bem $eiligtbum aufgeftapelten S<bä|e, 
über alte Ginfünfte unb Ausgaben ber fEempelfaffen. $er ©ott oon fEeloS 


Delos nnti (Einos. 


353 


war ber Sanfhalter für bic benachbarten Unfein unb nahm jefm oom 
$unbert als 3ir»fen, feilt Sefih auf ©eloS unb Sthenaia war oerpachtet, 
Strafgelber würben eingetrieben, unb gegen fäumige Schulbner ift man mit 
Grecution norgegangen. 

An ber Sßenbe beS eierten unb britten QahrljunbertS ». Gh- bilbeten 
unter bem Ißrotectorat ber ägpptifchen Könige bie Unfein beS ägäifchen 
SWeeteS nochmals einen Staatenbunb, beffen ft<h bie flugen Ißtolemäer in 
bem Kampf um ben Sefifc beS feftlänbifchen £eflaS gegen -Stafebonien be- 
dienten. ©eloS mar auch in biefem 53unbe eine beoorjugte Stelle jugebadjt. 
Seine SJKtgtieber, bie fi<h ber nominellen Freiheit b. h- ber Unabhängig« 
feit in allen inneren Angelegenheiten erfreuten, tagten abroechfelnb auf ©eloS 
imb auf ©inoS. ©iefe 3nfelgrie<f>en oerehrten ißtolemäus L juerfi als 
©ott, auf ©eloS rourbe ihm ein Altar errietet, unb geftfpiele ftnb ihm ju 
Ghren gefeiert worben. 3Jtit bem wadjfenben Ginfluh ber Ptolemäer auf 
ben Ktjflaben hängt ber Sau eines ^eiligthumS jufammen, oon bem an« 
fehnlidje Stelle erhalten finb. SJtit $fis, SerapiS unb bem neuen rettenben 
©otte SßtolemäuS thellten je|t bie alten ©ötter ©riedfjenlanbS ihr Anfehen 
an biefer Stätte, ©er alepanbrinifdje ©idhter KaHimachoS uerfafjte einen 
t&gmnus auf ben belif<f>en Apoll, in bem er bie alten StiftungSlegenben bem 
©efdjmacfe ber entfprechenb behanbelte. Gin neues SBunber, bas jefct 
ben Sefuchent ber 3nfel gezeigt nmrbe, ift ebenfalls ber AuSbrucE ber engen 
Serbinbung oon ©eloS mit Aegppten. SJian behauptete, baß ber oont 
KrptthoS entfpringenbe 3nopoS in einer geheimnifjootlen Serbinbung mit bem 
Stil flehe, fo jroar, bah J u beginn ber Ueberidhmemmung in Aegppten auch 
fein Sett auf ©eloS fi<h mit SBaffer fülle. 

©em #eitigthum hat biefer SBanbel ber 3eiten nur Sortheile gebraut. 
Sieghaft beherrfcfjte bie hetlenifchc Gultur bamals bie ganje SBelt, Allen, 
bie oon ihr erfüllt waren, galt ©eloS als heilige Stätte. Unter bem 3ei<hen 
bes ShithelleniSmuS ooKjog ftdf) au<h StomS Ginmifcfiung in bie Serhältniffe 
beS DflenS. Solange bie römifdie GroberungSpolitif baraus 93ort heile jiehen 
fonnte, fpielten fi<h bie Herren beS SBeftenS als Stefdfjüher ber ©riechen 
auf. Alle Stömer oon Stamen unb Anfehen, jener ©. QuinctiuS glamininuS, 
ber ben ©riechen auf bem QfthmuS oon Korinth bie Freiheit oerfünbet 
hatte, zahlreiche SJtitglieber ber gamitie ber Scipionen, aber auch ber König 
SDtaffiniffa oon Stumibien befeftenften bas £>eiligthum. ©ie häufigen Gr« 
roähnungen italifcher, phönififdher unb fleinafiatifcher Kaufherren in ben $n« 
fchriften beweifen, wie wichtig ber treffliche £afen als 3roifchenftation bes 
föanbels jwifchen Drient unb Dccibent geworben war. 

©aran änberte auch ber Umflanb nichts, bah bie Stömer, um ©eloS 
ju jtrafen, im 3ahre 167 o. Ghr. noch einmal bie Athener ju Herren ber 
gnfel machten, ©iefe hüben bamals bie ©eliet oertrieben, bie fleh nun an 
ber Storbfüfle beS SßeloponneS nieberliehen unb nicht mehr in bie Heimat 
jurüdgefehrt ftnb. 22aS bie Stömer mit einer $anb genommen hotten, ge« 



35 <* 


21bo(f Bauer tn <ßr 05. 


währten fie, wenn auch nid)t mehr bett ©eliem, fo bod^ ©eloS halb batauf | 
mit bet anbeten: um SlboboS ju fdfäbigen, malten fie bie Bnfel jum {Jrei: S 

hafen. Sitten fehlte jut toitflicEjen Sluöübung feiner $errf<f>aft bie SRadjt, 
unb al§ 146 o. Gf)t. SDtummiuS Rorintb jerftört butte, nabmen oollenbs 
alle ißrobucte beS Orients, bie ber römifdje SupuS confumirte, ibten 2Beg 
über ©eloS, bamals ift eS auch einer ber größten Sflanenmärfte geworben. j 
Bwar oeranftalteten noch einige angefiebelte Sltbener bie fyefte ju ©ßren 
SIpolIonS, allein auSfdjtaggelienb waren je&t bie auf ber Bnfel anfäjfigen 
Stötner, bie großen Raufleute aus Sllepanbria, aus Slntiodiia am DronteS, 
aus &erafleia am Sdjwatjen ÜDieere unb aus allen größeren fleinaftatif 
unb fprifeßen Stäbten. 

©er ftarfe Bufaß an Römern in ber internationalen Golonie, bie je|t 
bie Bnfel bewohnte unb &anbel3gefdjäfte betrieb, l;at es bewirft, baß ©eloS 
in bem Rriege beS RönigS HJiitljrabateS non IßontuS fi<b für Stont erflärte. 

Bm Baßre 88 0 . 6b- eroberten bie ftefbberren beS SJiithrabateS bie Bnfel, 

20 000 SJtenfdfen, bie bamals auf ©eloS unb 9?E>enaia gewohnt haben foQen, 
würben getöbtet, bas £eiligtbunt unb bie Stabt würben geplünbert unb i 
jerftört, bie fämmtlidjen S<bäße geraubt. 2BaS ließ erhalten batte, t»er* 
nieteten 69 t>. Gb r - We Seeräuber. Unter ben Raifern fpielt ©eloS feine 
Stoße mehr, nur oerbältnißmäßig wenige Bnfcßriften ftamnten aus biefer 
Beit. 2113 in ber SJtitte beS jroeiten ^a^r^it ri berts nach 6br. Sßaufanias 
in ©riedjentanb reifte, war ©eloS menfcbenleer. I 

2113 menfcßenleere ©inöbe wirb es in allen Steifebefdjreibungen genannt, 
bie feit bem 15. Bahrßunbert wieber oorliegen. Heber ber Grbe war 
feßon im 17. B a b r bunbert ni<bt t>iel mehr non 2lltertbümern erhalten 
als in bem unfrigen, beoor bie Branjofen mit ben 2luSgrabungen 
begonnen haben, ©amals bat ein oenetianifeber ißrooebitore ber ju ©oben 
geftürjten Rotojfalftatue beS 2lpoH, ben bie Stapler im (iebenten ober fedbften 
Babrbunbert n. 6br. geweiht hatten, bas ©efießt abfägen taffen unb eS 
afs Stnbenfen mit nach Italien genommen. ©ie Stefte ber ©enfmäler 
bienten für bie umliegenben Bnfeln als Steinbrucß, bis 1822 hotten bie 
dürfen mit Vorliebe non hier ben SJtarmor für bie ©rabfteine ihrer Brrieb* 
böfe. Defen, in benen befonberS bet SDtarmor ber Sculpturen ju Ralf 
nerbrannt worben ift, ftnb bis 1841 auf ©eloS im Setrieb gewefen, einzelne 
©nglänber nerübten Runftraub gleidß Serres, ber auch ^ier gehäuft hatte. 

©er $afen jwifeßen ©eloS unb Sthenaia ift heute bie Quarantaines 
ftation für bas benachbarte SJtpfonoS, baS beißt, er ift nöUig terlaffen. 

©ie brei Duabratfilometer große Bnfel ift eine ©inöbe, fo wüft unb traurig 
wie feine anbere ©rümmerftätte attgrieeßifeßer fieiligthümer. Stänbig bewohnt 
fie ein alter ©riedie, ber SEäcßter ber ülttertbümer, ein paar Wirten oermeilen 
furje Beit im B ö b re mit ihren Schafen, nörblicß com RpntßoS ift eine uw 
feßeinbare Stieberung, in ber non Seuten aus SJtpfonoS ein paar bürftige 
Streifen mit ©erfte bebaut fiitb. Rein Saum, fo weit baS 2luge reicht, fein 


Delos uttb (Etnos. 


355 


lebenbeS SBefen außer jablreihen ©ibehfen unb einer Art non Kleinfhmetter* 
lingen. ©er f^rüIjtingäpCor ift nur non furjer ©auer, bann »erborren bie 
SentiSfuSfträuher unb ©iftuSrofen, bie giftige Atraunrourjet, ©hpmian, 
3Jtoi)U unb ©ifteln. 

Unb trofc biefer fürchterlichen Serroüftung haben bie 3f>htE)unberte feit 
88 ». ©Ijr. biä auf heute baS bod) nicht ganj »ernidjten fönnen, roaS bie 
früheren gefhaffen haben. 9todj fieht man ben runben heiligen (See mit 
feiner ©infaffung non Stein, ben ©ijeogniS im fehlten unb ^erobot im 
fünften ^ahrhunbert ermähnen. 3roifdhen ben Schutthügeln, bie bei Den 
regettofen franjöfifhen Ausgrabungen aufgehäuft morben Rnb, »erfolgt man 
bie SRefle ber gepfiafterten ißrocefftonSftraße unb erfennt bie ftunbamente 
unb einjelne Stüde beS Oberbaues oou zahlreichen Sauten, baoon »ietteidjt 
brei ©empel beS Apoll, einige Sdiafchöufer roaren. ©in fonberbareS marmornes 
©ebäube aus heHeniftifher Seit, mit Stierföpfen an Stelle ber Säulen* 
capitetle, bas als Stall ober als Sdjtadjthatte für bie ^jefatomben gebient 
haben mag, ift erträglich erhalten, nörblidj pon beffen Schmalfeite fteht ber 
Unterbau beS £örneraltareS, ber aus ben rechten Römern ber gefhladjteten 
Opferthiere aufgethürmt mar. ©er heilige Sejirf umfaßt eine fflädje »on 
brei gebaren, fteht alfo jroifhen bem »on ©elphi (2'5 ha) unb bent »on 
Dlpmpia (4 ha) bejüglih ber ©röße in ber 9Ritte. Außerhalb beSfelben 
liegt ber ©borbau ißbilippä V. »on 9Rafebonien aus bem ©nbe beS britten 
porchriftlihen SabrbunbertS. Auf ber Rorbbälfte ber Snfel erheben fih bie 
Uebetrejie ber 2Rarftanlage, einer -Rennbahn unb eines ©pmnafiums, bie 
einft ein Sßalb »on Statuen fhmüdte, hiev flehen roohlerhaltene Käufer 
aus römifher Seit mit SlRofaiffußböben, -äRarmorroänben unb hü&fhem 
©tudberourf in ben SBohnräunten. Auf bem füblidjen ©heil ber Snfel 
iinb bie bemerfenSroerthen Ueberrefte beS ©heaterS erhalten. Son ber 
©piße beS 106 SReter hohen KptfjoS, ber in ber SRitte ber $nfel, aber an 
bereu Dftranb ft<h erhebt, genießt man einen herrlichen Slid meit in bie 
gtunbe. Roh erreiht bas Auge im -Rorben bie fhneebebedte Oha auf 
@uböa, mährenb im Süben SoS unb bie harafteriftifhen Umriffe ber füb* 
lihflen ber Kpflaben, beS »ulfanifhen ©hera (Santorin) fichtbar roerben. 
3m 'Offen erfheinen bie ber fleinafiatifhen Küfte »orgetagerten Snfeln 6f)ioS 
unb 3faria, unb mit beroaffnetem Auge erfennt man ein Stüdhen Klein* 
afienS felbft, bie fjöhen bei §alifamaffoS. £ier oben »erfleht man, baß 
ÄattintahoS, ber ©ihter beS ApottonbpmituS aus alepanbrinifdjer Seit, ©eloS 
baS £erj ber Kpflaben bat nennen fönnen. 

Sein Schlag fleht für immer fülle; bahingeflürjt, jertrümmert, »er* 
unehrt ift baS §eiligtbum, ©eloS ift mieberum, maS es geroefen, ehe Apollo 
geboren roarb: „öbe, rinberloS, ohne SBein unb taufenb anbere fßflanjen ent* 
bebrenb", mie es im homerifhen &tjmnuS heißt. ©rfüHt hat fih, maS ©eloS 
befürchtet, menn eS Apollon »erlaffen: eine Steinroftfte liegt bie 3nfel ba, um* 
raufht »on ben Sßogen, ber ÜReerpolppen unb fhipatjen Robben Sefjaufung. — 

Wort unb e«b. XCV. 286 . 24 



356 


21b o 1 f Bauer in <Sra 3 . 


Sie StiftungSlegenbe von SeloS ift uns in bem fdjimmernben Q>t 
roanbe einer Sichtung beS 7. ^aljrhunbertS n. (SE>r. überliefert, bie 
StiftungSlegenbe von SinoS ftel)t in einer lateinifd^ getriebenen ®octor; 
biffertation 5 U lefen, bie ein ©rieche von biefer $nfel, ein $err 3Kotato^, 
im 3 n bte 1855 ber ©öttinger philofopbifdien fjacultät überrett b«t. 

Ser Söater beS SerfafferS roar ju ber 3eit, ba ft baS aöunbet be- 
gab, fßriefter auf SinoS unb l)at, roie ber Sohn berietet, StdeS mit er* 
lebt. 3« ber DJähe beS &afenorteS, ber nach bem Sdjifferpatron, bem 
heiligen 92ifolaoS, b)ier roie fonft oft ber cbriftlidie 3?ad)folger eine# alt: 
griedjiten fpofeibon, benannt ift, befanb fid) ein 92onnenflofter. ißelagia, 
ein burch ^römmi gleit auSgejeidmeteS fDtitglieb biefeS GonpenteS, fab im 
^aljre 1822 im Sraume eine roeibgelleibete ©eftalt, bie ihr befahl, bab 
man im ©arten eine# geroiffen SopataS, ber bamals etwa fünf SJinuten 
2BegeS non ber Stabt entfernt roar, nach einem alten, bort verborgenen 
Silbe mit ber Sarftellung ber Setfünbigung -Dtariä nad)qraben folle. 
Sie 92ontie erjählte 91ientanbem von bem Sraum, auf ben fie felbft fein 
©eroid)t legte. Grft als ihr baSfetbe Sraumbilb jum jroeiten 9J2ale er- 
fdjien unb ben Drt noch genauer bejeidmete, machte fie baoon 5D2ittfieilung, 
fanb aber feinen ©lauben. Sa erfdfiien iljr bie ©eftalt jurn britten 9)2 ate 
nun broljenb, unb mit erneuten Sitten fefcte ffJelagia burd), bab 92adj* 
grabungen gemäht rourben. 3J2an fanb jeboeb nichts unb wollte baber bie 
92ad)forfd)ungen fhon aufgeben. 92un fam bie 92onne felbft jur Stelle, 
erfannte fogieid), bab man an einem unrichtigen Orte na<hgefud)t batte, 
bejei^nete einen anberen S)ßitnft als ben richtigen, unb in fünfter geit 
ftieh ein fdiliditer 2lrbeiter jroifhen Grbfhollen auf ein Stüd jpolj, auf 
bem ber Grjeugel ©abricl gemalt roar. Salb fanb man auch bie baju 
gehörige Sarftellung 9J2ariaS unb bie 9)2auerrefte einer Keinen Kirche. GS 
rourbe befhloffen, biefe roicber berjuftellen unb ba# Silb barin unterjro 
bringen. Selagia aber, auf im Sraum erhaltene SSeifungen geftütjt, rer» 
langte ben Sau einer groben prächtigen $irdje, auf ben fid) iebod) bie 
Siniotcn au# 2J2angel an 2)2itteln nicht einlieben. 92un brobte bie 92oime, 
bab SinoS von ber fßeft roerbe heintgefucht roerben. Shatfählidj fdjleppten 
baib bavauf vor ben Sürfen flüchtige ©riehen bie $ranf()cit ein, unb nun 
erft entfchloffen fidi bie Seroolmer ber ^refef, für baS rounberbar gefunbene 
Silb ber Gpaugeliftria, b. h- ber 9)2utter ©otteS von ber Serfüitbigung, eine 
groge, präditige flirdje ja bauen. 

Gine Siritil bcS Inhaltes biefer Segenbe ift nicht nöthig; roie fid» bie 
Sache jugetragen hat, ift barauS unfdnoer ju entnehmen. $m ^aljre 1836 
finb auf ber 3ufel Sbera, roie 92ob in feinen $nfelreifen er^atjlt, ebenfalls 
auf ©runb bcS SraumcS eines alten Sanern ebenfo erfolgreiche SRach^ 
grabungen nadi einer alten Rirdje unb einem ^eiligenbilb oeranftattet 
roorben. 21it biefer Stelle, bei Sßeriffa, hatte ein -DteereSauStritt im ^abre 
1650 92uinen blobgelegt, bie roieber rerfdjiittet roorben waren, bie Äunbe 



Delos unb (Einos. 


35? 


ihres VorbanbenfeinS batte ficf» bei ben Seuten als tnünbtidje Hebern 
Ueferung erbalten, unb ber Sauer batte 9ioh ftfjon ein 3al)r früher 1835 
gu beteben gefugt, bi« eine Ausgrabung ju machen. fRofj fonnte barauf 
nicht eingeben; im fotgenben Qabre aber erreichte ber $Dlann mit feinem 
^raum bei ben gläubigen £b«äem in ben benachbarten Dörfern feinen 
3mecf. Solche nmnberbare träume fpiclen aud) beute noch in ber gried)i= 
fcben ©efellfchaft eine grofje 9ioHe. So brachten im vergangenen griibjabr 
bie 3eitungen in Athen bie Nachricht, bah bie Tochter beS Vertreters ber 
italienifdhen SchifffabrtSgefeQfdhaft Tylorio unb Jiubattino im ißiräuS burcb 
heftige Scbmerjen in ben ^änben am Glanierfpiel gebinbert morben fei. 
®a erfchien ihr bie heilige Sarbara im Traume unb befahl ihr, in einet 
beftimmten ftirdje eine Anjabl von 2Bad)Sfcr,cen ju roeiben. AIS baS 
•Stäbchen bieS getban batte, mich baS Hebet non ihr, unb fie fonnte ihre 
©anierübungen fortfcfcen. ©iefer bis beute in ber Senölferung unner« 
roüftlidhe Aberglaube ift fchon febr alt; um nur an ein befannteS Seifpiel 
ju erinnern, bie Gppofition, bie cgcrobot ber ©efdjichte beS XerpeSjugeS 
gegen ©riedjenlanb giebt, ift auf einer folgen £raumcrjäblung aufgebaut, 
bie in ber nrieberbolten ©rfd^einung beSfetben SCraumbitbeS bas gleiche 
9Jtotin ber Steigerung enthält, roie bie ©rjäblung non ben träumen ber 
iltonne Sßelagia auf £inoS. 

üSenn man aber bebenft, bah budiftäbtid) alle griechifchen 3ufetn unb 
baS geftlanb noH finb non Grjäblungen tnunberbarer Silbaufjtnbungen, bah 
fotche aHentbalben halb bem ÜJieere, halb ber Grbe entfliegen finb, fo j. 33. 
1836 auf Sbera unb ÜJJapoS, 1837 auf SeripboS, 1843 auf ÄafoS, bah 
jablreiche Silöfter beSbalb ißbaneromeiti, baS Grfdiienene ober ©eoffenbarte 
heihen, roie im Altertbum bie beiben Unfein ©etoS unb bas füblidb non 
Xtyxa gelegene Anapbi, bah aber bie Sebeutung all biefer &eiligtbümer 
faft nie über bie nädjfte Aadjbarfchttft binauSreid)t, fo forbert bie Sbatfadie 
eine Grflärung, roeSbalb gerabe ber 3luhm ber Gnangetiftria non XinoS 
fich in fo furjer 3 C H fo tneit verbreitet bat. 

SDen auSfchlaggebenben ©runb hierfür lehrt uns ein Heiner AnadjroniS; 
mus nerfteben, ber in ber offäcieüen ©riinbungSlegenbe enthalten ift. Allen 
älteren 9iei fenben, bie 21noS noch iu ben breifnger fahren befucht haben, 
fo j. 33. 2. 9iof> unb SranbiS, ift bamalS berichtet roorben, bah baS 33ilb 
im 3abre 1824 aufgefunben roorben fei. $n ber -Bütte beS 3abrbunbertS 
aber, fo auch bei -BtofdjatoS, ift beffen Auffinbung in’S 3a hr 1822, in 
neuefter 3«it wirb fie auf ben 25. SJtärj alten Stiles beS 3abreS 1821 
verlegt, unb fomit baS SBunber auf SinoS bis auf 3al)r unb £ag mit 
ber erften Grbebung ber ©riechen in ipatraS gegen bie SEürfenberrfdjaft in 
engfte Sejiebung gebracht. ®er Sag ift überbieS nach bem griechifchen 
Äalenber baS $eft 2Jtariä Verfünbigung, ber GnangeliSmoS. So ift ein 
finnnoller unb roirffamer ßufamuienfjang mit einem groben fachlichen fvefte 
unb einem politifchen ©ebächtuihtage EjergefteHt, bie alljährlich im gangen 

2 t 



358 


2Ibolf Bauer in <Sra 3 . 


Sonbe mit ©epränge gefeiert werben. ©iefer £ag ift jugleidh ber ber 
großen 95?atlfa^rt, baS £auptfeft non £inoS. 

®ie tjatfaefje aifo, bafj noch wäfirenb beS Krieges gegen bie dürfen, 
wenige Saljre nad) 1824, aus ©riechenlanb, Äleinaften unb non reichen, 
in ber ©iafpora lebenben ©riechen fo niele Spettben nach £ino8 floffen, 
baß bie große Äirdbe £?at erbaut werben tonnen, ift in ber Segenbe burdj 
bie jeitliche Serfcßiebung beS ©reigniffeS, baS baju ben 2lnftoß gab, noch 
wirtfamer geftaitet. SMeS ift ein ebenfo bewußter unb beabjicEjtigter ©in* 
griff in bie lErabition wie bie Sefjauptung ber Sltßener, baß ©rifpdhthon 
ober £f)efeu§ bie ©rften gewefen feien, bie eine geftgefanbtfdjaft nach ®eloS 
non Staats wegen entfenbet hätten, womit fie ihre $errfcfiaftSanfprü<he 
burdf angeblich uralten 3lntl)eil an ber Seranftaltung beS gefteS ju recht- 
fertigen fudjten. 

SBenn aber aud) biefe ©injelßeit in ber ofßcieHen ©rünbungSlegenbe 
non j£inoS bent wahren Verlauf ber ©reigniffe nicht entfpridft, fo hot 
bennod) biefe wunberbare Sfoffinbung eines wunberthätigen SBilbeS eben 
batum ben Shtlmt aller anberen in turjer 3 e >t iiberftrahlt, weil fie mit 
ben SefreiungSfriegen gegen bie dürfen, mit einer ftarten religiöfen unb 
nationalen Bewegung im griedjifdhen Solle jufammenfiel, bie reich an 
blutigen unb wedjfelooHen Kämpfen war. 

®ie griedhifchen ißriefter, bie fßappabeS, gelten in ben 2lugen ber 
reifenben SEefteuropäer unb oor bem gorum ber dhriftlidßen Theologen 
anberer ©onfeffionen als fdhmußig unb unwiffenb. Sie mögen barin Siecht 
haben, ebenfo unbeftreitbar aber ift, baß fie, hoch unb niebrig, währenb 
ber türfifchen ^errfchaft unb im UnabhängigfeitStrieg in ben nationalen 
Seftrebungen beS SolfeS ganj unb gar aufgegangen finb. ®er Sifdhof non 
fPatraS fiat ben SDioraiten bas erfte 3ctdßen jur ©rßebung gegeben unb 
ihre fyahnen geweiht, unb ber Sultan hot ben 83 jährigen ^Patriarchen oon 
©onftantinopel in feinem priefterlidjen Drnat über bent GingangStßore ber 
ßirdje nadf) bem ©otteSbienft aufhängen laffen, weil er wußte, wer feine 
gefährlidhften ©egner unter ben iphanarioten waren. ©S fann alfo nicht 
SBunber nehmen, baß ein in biefen bewegten Klagen oon ber fpriefterfdfiaft 
auf £inoS verbreiteter Seridjt über bie wunberbare Sluffinbung eines 
SilbeS ber ©oangeliftria unb über SBunber, bie es gewirft habe, jaßlreidie 
©läubige in ber gaitjen griecßifdhen SBelt gefunben hot. 

2lbcr audh bie gefdbieftefte priefterlidße unb weltliche ißropaganba allein 
hätte SlinoS bod) niemals su bem machen fönnen, was eS heute iß, wenn 
bie Sage ber $nfel inmitten ber Spflaben nicht ebenfo gfinflig wäre, wie 
es bie beS benachbarten ®eloS im 2lltertl)um gewefen ift. 2Bie im 
homerifdhen $pmnu3 bie 3ottet* oon Äleinafien unb ben Unfein als bie 
jahlreidjften Sefudher beS SlpolIonheiligtliumeS genannt werben, fo finb es 
audh heute bie fmfelgriecßcn unb bie aus Äleinafien, bie noch unter 
tiirüfdier £errfdf)aft ftehen, bie am sahlreichften bie fßanigtjris oon SEinoS 



Delos unb Ginos. 


359 


beliefen. 35>enn fich bie 3ufunftSträume ber ©rieten, bie SOefi^ergrcifung 
©onftantinopelS unb ber Küfte KleinafienS, wenigftenS SmpmaS unb feines 
©ebieteS, oerwirflidjen füllten, bann erft wirb ber SGBaHfaljrtSort auf ©inoS 
recfjt eigentlich im ÜDlittelpunft ber griecfiifdien S5?ett liegen. ©er prächtige 
Unterbau aus SRarntorftufen, auf bem bie Kirche ber ©nangeliftria fidj 
tjeute ergebt, ift aus Steinen gefügt, bie non ben Siuinen non ©eloS 
flammen. SJtan fiat fie bet Vequemlidifeit wegen in ben 3 roa n 3 >getiaf)ten 
noit bort herübergeholt, aber bamit ift jugleicp unbeabfiebtigt eine finnuotle 
2lnfnüpfung ber ©egenwart 'an bie Vergangenheit norgenommen worben: 
©inoS ifl beute, wenigftenS a(S refigiöfer 9)ttttelpunft roieberum baS £>erj 
ber Kgflaben, an 2fpolIouS Stelle ift bie ^ßanagia getreten. 

®ie beiben ^äfett non ©inoS, bei ^agioS JiifofaoS unb ber jweite 
an ber Sflorbfüjle halten freilich mit benen non ©eloS feinen Vergleich aus, 
beibe ftnb offene Vudjten, bie eine bem Süb= bie anbere bem Votbroinb 
auSgefefct. Mein feit bem Sllterthum haben fidj bie ScbiffahrtSbebingungen 
erheblich neränbert; für moberne Schiffe haben fie ben einen Vad)tl)eil, baff 
biefe ihres beträdittidien ©iefgattgeS wegen nicht nahe ber Küfte anfern 
fönnen, weshalb auch bei ber SiMebereröffnung ber Vriidje auf Verbe 
antico befonbere Einlagen jur Verfrachtung ber Vlöcfe nöthig gemefen ftnb. 

3m ben lebt nerfloffencn Sahrhunberten ift aber gerabe biefe tlngus 
änglidhfeit ber 3»fel ihren Vemohnem non Vortheil gewefen, he fonnten jwar 
ihre ^anbelsbejiehungett unfehwer aufredit erhalten, fiub aber non fretnben, 
befonberS ton titrfifdien Kriegsflotten fo gut wie gang nerfdhont geblieben. 
3n ihrer Mgefdiloffeuheit haben fie fiel) ruhig unb gebeihlid) cntwicfelt, unb 
bieS ift ber ©ntftehung unb bem raffen SBachStbum beS djriftlidjen 3BaU= 
fahrtSorteS feljr förberlid) gewefen. 

3n bem ^ttfelbuitbc gttr 3eit ber Ptolemäer erfdieint ©inoS fdhon 
gleichberechtigt neben ©eloS, feine Vertreter tagen jährlich abmcchfelnb in 
bem ißofeibonheiligthttm, baS an ber Stelle beS heutigen &afenorteS gelegen 
war, unb in bem ülpollobeitigthum auf ©eloS. ©in in ber Mthologie 
erhaltenes ©ebidjt bagegen, baS aus ber 3 e ‘t nach ber fßlünberung non 
©eloS flammt, fdjliefet bereits mit ber ff rage: „Welcher ber 2Jienfd)en hatte 
wohl ©eloS gehofft ober als ©enoS gu fehen". So lange nor ber ©rünbung 
beS tnobernen ^eiligtbumS ergab hd) bereits unwitlfürlich ein Vergleich 
gerabe bieferj beiben benachbarten Qnfeln im ÜJlittelpunfte ber Kpflaben. 
Von 1207 — 1714 war ©inoS im Vefife VenebigS, nenetianifdjer ©influfj 
ift in ber Vauart ;ber älteren Käufer non fjagioS VifolaoS ebenfo gu er= 
femten, wie barin, bah bis gur 3eit ber ffreiheitsfriege bie 3«hl ber ortbo= 
bopen unb tömifdicn ©hriften fi«h ungefähr bie Söage gehalten hat. 2ln 
ben Kämpfen ber Venetianer gegen bie ©ürfen haben fid) bie ©inioten, 
bie auch birect unter tiirfifchen Angriffen gu (eiben hatten, wieberholt be= 
theiligt. Von 1714 bis 1821 war bie Qnfet türfifch unb gafilte einen 
©ribut ton 70000 ffranfen an ben Sultan. SBenn biefer auch gelegene 



360 


Ztbolf Battet in <5raj. 


lidj rüdiidt^log eingelrieben rourbe, fo beftanb bod im ©anjen bie türfifcfie 
£errfdaft auf Tinos mehr bem Aamen nad at« in bet Thal. Tie jQfn = 
botenj bet türfifden Seßörben mar gelegentlid fo arg, baß 3ahre »ergingen, 
ohne bafs bet ßapitärofßafda aud nur auf ber $nfel erfdienen märe, um 
ben Tribut einjufjeben. Tie Tinioten mürben oon felbftgeroähtten Seamten 
regiert, ganj in ber 3trt ber altgriediiden Aepublifen auf ben Unfein unb 
an ben Äüflen SlleinafienS. TaS SBcrhältniß biefer Stabte ju bem perft= 
fdjen ©roßfönig in Sufa ift im Altertum im Uebrigen in ber Siegel ebenfo 
frei gemefen roie b aä ber Tinioten 5 um Sultan roäljrenb ber bunbert Qaljre 
feiner $errfdaft im ägäifden AJeere. $8or Ment litt ber SBoßlftanb ber 
$nfel unter ber türfifdjen &errfdaft nidit im Alinbeften; forooljl ber ©ng- 
länber Spon, ber 1675 nod) unter oenctianifdjer ßerrfdaft Tino£ befugte, 
al3 ber $ranjofe ©tioifeul, ber bunbert Sfnbre fpäter baljitt fam, ftnb über 
ben 9ieid)tF)itm, foroie über ben $teiß ber Scinobner be§ SobeS roll. Tie 
3ud)t ber Seibenraupen unb ba§ Spinnen ber Seibe, foroie bie Anfertigung 
non Seibenroaren für ben 33ebarf ber ganjen Seoante bilbeten bie ftärffte 
(Sinnabmequelle ber Tinioten, bie nidit nur bie eigne, fonbern aud bie 
Seibe be3 benad)barten Anbros nerarbeiteien. Tie 3 n H muß febr bidEjt 
benölfert gemefen fein, ba beibe Aeifenbe erjälilett, baß rnie nod E)ente fo 
fdon bamalä niele 33erool)ner, junge Aiänner roie Atäbden, in ber grembe 
ihren 3Serbienft fudten. TinoS tnar fo reid), baß ei in ben fahren 1822 
bis 1826 über 20000 fpanifde Tljaler ju bem AationalfonbS unb 3 ur 
Rührung bei Krieges gegen bie Tiirfen beitragen fonnte. Tie Abfdüttelung 
ber türfifden &errfdaft oolljog fid ber Saubeit entfpredcnb, mit ber fte 
getjanbfiabt morben mar. Am 31. Atärj alten Stilei im 3aßre 1821 
mürbe auf Antrag einei gemiffen IßalamariS ber türfifde 9Kdter, ber 
Slabi, feiertid nerjagt unb bie Qnfet für frei erflärt. Sie hatte roäljrenb 
bei Äriegei nidt im AJinbeften ju leiben, ein einjigei Alal lanbete eine 
türfifde flotte auf ihrer gahrt nach £pbra furje 3ett unb feuerte einige 
unfdäblide 23oniben ab. Tiefe giinftigen Sdidjale non Tinos haben un= 
jroeifelhaft aud) ju bem ©cbeiljen ber 1824 erbauten SöaHfahrtilirde bei- 
getragen, bie Tinioten itaren reid genug, um roenigfteni ben ©runbftein 
ju ber großen Äirde ju legen, roie bie Aonne ipelagia unb, roer hinter 
ihr ftanb, nerlangten. 

Aui bem fdötten einheimifden AJarmor haben Saumeifter aui Stnprna 
bie fiirde mit ihren Säulen, kuppeln unb Tbürmden, ben hohen burcb= 
brodenen ©lodentburm unb bie famtnt ber ftitde burdj eine Atauer ein- 
gefdloffenen, um eine große £ofaitlage angeorbneten Aebengebäube erriditet. 
3m mobern griedjifdmrientalifdien Stil gehalten, erinnert fte allerbingS 
ein roenig an bie 3uderbätferard»tectur aus Tragant, rnadt aber als ©anjeS 
leine üble SIBirfuug. Ter breifdifftge 33au ber üirde felbft ift im Innern 
überlaben mit foftbaren 2ßeif)egefd)enfen. Tie 3!onoftafiS, b. h- bie 2Banb, 
bie ben Altar bem Aublid ber Aubädtigen entjiebt, ift bebedt mit gefdmad« 



Eofen ßeiligenbUbent, oon betten nur bie ©efidftter unb fjänbe fidjjtbar finb; 
alles Uebrige ift burcE) fdhroereS getriebenes Silberblecli oerhüHt, baS mit 
ebten «Steinen befefct ift. Einige biefer SBeihegefdhenfe, foroie bie foftbaren 
Stutereien , bie baneben unb bajwifchen aufgehängt finb, flammen aus 
jRufctanb. Sie finb tute bie gatbettbruäbilber beS 3 n «n unb ber ftarewna, 
bie man auf ben griec&ifdjen Unfein in ben Vauerahäufern fiefjt, bie fidjt* 
baren Stnjeidfjen ber ruffifdhen Verfudhe, auf ©runb beS gemeinfamen finb' 
liehen VefenntniffeS politifdhe fßropagaitba in ©riecfjenlanb ju treiben; 
ruffifcf)er Vermittlung haben feit 1774 im ^rieben non Stübfchüf*Mnarbfcbe 
bie ©rieten bie Freiheit ihres reUgiöfen VefenntniffeS unter ber türfifcfien 
ßerrfchaft ju banfen gehabt. 

Sin ben SBänben ber Kirche hängen jablreidhe grofje Nahmen, mit 
bunfelrothem Sammet befpannt, auf betn niete Heinere SBeihegefdjenfe aus 
granirtem Sitberbled) aufgeheftet finb, bie übtidhe 3' et audh fathotifdier 
SBaHfahrtSfinhen: menfchUdhe ©liebtnajjen, Schiffe, Raufer, ©arfteKungen 
non Spieren, befonberS häufig ganje menfchtiche giguren, Manien in Steif* 
roden, Herren in Sctjnallenfcbuben. Sie finb nach betn Vtufter älterer 
europäifdher Goftümbitber non betn Shwftroerth ber SMbogen uttferer Slinber 
gearbeitet. Stuf ben neueften SBibtitungen biefer Slrt tnerben bie SBeihen* 
ben als SJfobeaffen bavgeftellt, wie mir fie in unferen SBifcblättern ju fehen 
gemohnt finb. ®er gänjliche Verfall ber $unft unb beS ßunfthanbwerfeS 
bei ben mobemen ©riechen ift an biefer Stelle befonberS auffattenb, bie 
in fo nieler §inficht an bie SIntife erinnert, beS glänjenben SdhntudeS 
fünftlerifd) gearbeiteter Slnatheme aber nöltig entbehrt, bie auf ©etoS unb 
anberroärts nodh in ihren ftägtidhen Sieften unfere Vemunberung erregen. 

Sin bie Ätrcbe fdjtiehen fidf) roeittäufige ©ebäube mit Saubengängen 
unb Soggien. Sie enthalten bie SBohnungen ber fßriefter, ginnnet unb 
SJiaffenquartiere für franfe fpilger. ©in Spital für Sinne, ein ©tjmnafmm 
unb brei VoIfSfdfiuten merben oon ber ftirdje erhalten unb foften ben Staat 
nichts, SBaifenfinber werben aus ihrem Vermögen unterftüfct, unb jungen 
Seuten Stipenbien junt Vefuch auSroärtiger Unioerfitäten nerlictjen. Gin 
£ract biefer ©ebäube enthält eine SBacljSferjenfabrif, bie burch eine grofje 
griedhifdhe Sluffdhrift ebenfo unbefangen als Ginnahmequelte bejeidjitet tuirb, 
mie bie reidhen ©elbeinfünfte baburdh finnfäUig »or bie Stugen jebeS Ve* 
fudherS treten, bah jmifdhen je jroei Säulen in ber Sirche felbft riefige 
einbrudhs* unb feuerfidhere ©etbfdhräufe aufgcftctlt finb, bie bie beutfdhe 
Sluffdhrift tragen: „Stilgemeine SBiener Äaffenfabrif". Gin juoertäffiger 
Verichterftatter, bet mit betn StuSfchuj} jur Veranftaltung beS §auptfefteS 
gute perföntidhe Vejiehungen hatte, giebt an, bah bie Spcnben, bie bei 
biefem Stnfafc in wenig Stagen eingingen, einen SBerth oon faft einer 
halben SWilKon SJtart hatten. 

$iefe «SdhaufteHung firchlidhen SteidhthumS erinnert unwiflfürlich an 
bie ^nfdhriften mit ben Stempelinuentaren unb ber jährlidhen Vilanj ber 



362 


y&olf Bauet iit ©ras. 


©elbgefdjöfte beS Slpotlon non ©eloS. ©ie griednfche Sßriefterfchaft legt in 
folgen, für unfer Empftnben etwas fjeifiett ©ingen im Sllterthum wie in 
bet ©egenwart bie gleiche Unbefangenheit an ben ©ag, benn bie ©riechen 
waten unb finb ein £anbel3tolf. Veidjtbum ju erwerben, Sfftadjt unb 9lm 
fefjcn p gewinnen, wirb nUfeitig erftrebt, welches baS Eapital ifi, bas 
gute Sinfen abwirft, ift gleidsgiltig. ©iefer föanbetSgeift unb Ertterbäfinn 
beftiinmt wie baS tägliche Sehen, fo auch bie Stuffaffung beS Verbältniffes 
swtfchen ©ott unb 9)?enfdieu in alter wie in neuer geit. ©ie göttlidbc 
•üJtutter 2lpolIonS terfprießt im fjmneriftfien £gmnu$ ber $nfel ©eloS, baß 
ihr Sohn baS Eilanb ftets »or allen anberen Orten ehren werbe. Slber 
nicht früher ift baS mißtrauifdie ©eloS bereit, SlpoHonS ©eburtsflätte 
SU werben, als bi« bie ©öttin jur Vefräftigung ben Ijeitigften ©ib mit 
2(nrufung ber Erbe, beS Rimmels unb bet 2Baffer beS Stpp gefebworen §ai. 

£. 9?oß erjäljlt ton einem alten Sdjroammfischer aus ßalpmnoS, ber 
als junger 5D!ann einft in feinem mühfeligen unb gefährlichen Veruf in 
einem Keinen Voote fidj ton brei 2'Jalfifchen bebroht fah. Sn feiner Slngfi 
gelobt er ber iDiuttergotteS ton ©inoS jroei fpanifeße ©hater. Um jn be= 
weifen, baff cS ihm batuit ernft fei, griff er in bie ©afdje, unb wie ein 
Käufer, ber beim ßanbeln ben lebten ©rümpf ausfpielt, legte er bie groei 
blanfen ©Ijaler fid)tbar auf bie Vanf feines Schiffes. 

©ie alten Hellenen haben aber burd) bie SluffieDung ton Äunftwerfen 
in ben heiK<?en Vejirfen ihrer ©ötter ©tauben unb SIberglauben gleichmäßig 
oerftärt, fie haben auch biefer projaifdien 2luffaffung beS VerljältniffcS 
swifd)en ©ott unb SDlenfdjen eine höhere SBeihe S u geben terftanben. 3luS 
ben 3nfd)riften ihrer Slnatfjeme finb uns wahrhaft poetifdfe Variationen bes 
fot<h’ ptaftifebem Rechnen entsprungenen ©ebanfenS ' erhalten , baff ber 
SBeihenbe für bie Stiftung beS SBeihegefcfienfeS eine ©egenteiftung ton ben 
©öttern erwarte, ©iefetbe fünftlerifche Vegabung ber lettenen hat au<h 
in ihrer ©efd)i<htf<hreibung unübertroffene Sßirfungen ersieht unb in ihrer 
©idjtung fidi am Ijücbften entfaltet. Sie war feinem anberen Volfe he* 
fliehen, fie fehlt auch ben ntobernen ©riechen, unb batum ift ber StuSbnid 
gleichartiger 2lnfchauungeu in ber ©egenwart unb in ber Vergangenheit fo 
wesentlich oerfcfjieben. 

Sn bem großen £ofraum nor ber SBaHfaljrtSfirdje ton ©inoS hefinbet 
ftch eine fdsöne marmorne Vrunnenanfage, bie ein reicher ©ürfe auS ©anf= 
barfeit für feine wunberbare Errettung ber fßanagia ber ©riechen gefiiftet 
hat, gerabe wie einft ber fßerfer ©atis auf ber Fahrt gegen £eCa£ bem 
belifdsen 2tpoUo feine Verehrung bezeugt hat. 

SinfS ton ber großen Freitreppe, bie sur Äirdje hiaanführt, ifl ber 
Eingang in eine feßwad; erleuchtete niebrige ftrppta. ©aS ifl bie Stelle, 
an ber baS wunberthätige Vilb gefunben würbe. S n bie fübliche 3Jfauer 
ber Ärppta finb bie 3iefte einer mehrere Schichten enthaltenben alten Duaber= 
mauet aufgenommen, auf bie man beim Vau ber Etangeliftria geftoßen ift. 



Delos unb dtnos. 


363 


©)rei an berfetben Stelle gefunbene 5tefte oon Statuen beroeifen, baß fict) 
hier fdjon ein antifer Sau befunben bat. $n beut Ültarmorfußboben ber 
Jlrppta befinbet ftdj ein freiSrunbeS Öodj, in baS ein SappaS mit einer 
2Sad)3ferje non oben fjineinteudjtet. Unweit baoon ift eine Keine Quelle 
bureß einen HJtarmoroorbau gefaßt. SefonbereS ift fclbftoerftänblidj nidbt 
ju feßen, bie heilige Stätte ift nidjt einmal auffällig webet non 92atur noch 
burdj 3«tljat non Stenßhenhanb. ©leid) unfdieinbar finb jahlreiche SBunber-- 
fiätten beS SKtertßumS : baS ©reisadittal beS ^>ofeibon auf ber 2IfropotiS 
uon Sitten, ber Saljquell im Grerfjtßeion, bie $ö(jle nott Gleufis uttb bie 
©rotte auf ©eloS. 9htr ber gelsipalt in ©elpßi, att beffen 2(uSgang bie 
faftalifiße Quelle entfpringt, ober bie Sd)(ud)t hinter bem 2ltnphiaraoS= 
heiligthutn non DropoS, mit ben wilb burebeinattber fiegenben Slöden, 
jroifdjen benen [ich ber Sach ßinburdtswättgt, tpirfen auf ben mobernen 
Sieifenben fo ftarf, baß mau unmittelbar begreift, weshalb im Slltertlmm 
gerabe an biefe Stätte ein Gült angefnüpft hot. ©er ©laubige bradite 
unb bringt aber an alle biefe heiligen ÜRale, bie baS erfehnte $iel kaufen: 
ber waren unb finb, 2WeS in ficb mit, er bebarf feiner auffälligen unb 
ftarfer. SinneSeinbriitfe non ber Stelle ielbft, an ber fidj baS SBunber be- 
heben hat. 

©ineS aber ift itothwettbig, bamit ihr 9iubm fich tierbreite unb wadße: 
burdj jeitmeilige Slnfatnmlungen großer Waffen unb bamit oerbunbene 
©cßauftellungen im GultuS muffen bie frommen Gmpfinbungen ber Ginäelnen 
oeroielfacbt unb gefteigert werben, ©arum mußte jfidj über ber unfd)ein= 
baren -JMftätte nott ©inoS eine große Jtirdje erheben wie in 9ltljen bie 
^Prachtbauten auf ber SlfropoliS unb bie jahlreidien Tempel auf ©eloS. 
©arum gehört audj bie SanigpriS, baS befonbere flireßenfeft, notßwenbig 
ju bem Slüfijeug eines großen SMfahrtSorteS: bie Sanatßenäen in ültljen, 
bie großen unb fleinen ©eliett' auf ©eloS, in ©inoS baS große geft |attt 
25. 3Jtärj, baS fleine am 15. ülitguft alten Stiles. 

Gifenbahnen uttb ©antpffcfjiffe paffen ßhledit ju SBattfaßrtSorten. GS 
ntuß ein oiel eigenartigere^ unb ftimmungSoollereS Silb getoefen fein, 
wenn in früheren Jahrzehnten bie weite Stuhl oon £agioS -JtifotaoS .mit 
ftch brängenben Segelfdiiffen aller 2lrt angefüllt war. £eute bringen ooll- 
gepfropfte Kämpfer bie ÜDtehrjaßl ber SBatlfaßrer bahitt. ©ie gebrudte 
Sifte ber wunberbaren Teilungen, bie unter bie Slbreifenben als Sfnbenfen 
»ertßeilt wirb, ftört ebenfo bie Jllufion, wie baS ©rängen ber 2Igenten, 
bie nadj beenbetem fjefte ihre Seute fo rafd) als möglich an Sorb treiben, 
©liefe Sifte muß nothgebrungen fdftoit oor ber ipanigpris ’gefeßt unb ab- 
gejogen werben; mitunter, wenn nod) Sorratß oorßanben ift, wirb bie Sifte 
oont Sorjahre oertßeilt. ©ie ©efteilten felhft werben im ^jofpital ber 
Stirdße jurüdbeßalten unb reifen erft fpäter ab. ^ßovtraits ber Segnabeten 
mit ißrent Flamen unb ihrer Siographie werben als Jtcclame für ©inoS in 
pan} ©rietßenlanb oerfauft. 2tls Portrait einet geheilten blinbeit Jrau, 



36^ 21bolf Bauer in <ßra 3 . 

rodelte ein ^oljfc^neiber unter anberem bie befannte 23üfte einer atttifen 
Slthena, bie mit ißren offenen Slugen ohne Slugenfterne ihm als geeignete 
©arftellung einer 33linben gefeßienen batte, darunter feßte er einen 
ntobernen griedjifdjen Stamen unb eine SebenSgefdjidhte. 

So forgt eine gefeßidte unb menfdhenfunbige ^rieiterfdbaft im herein 
mit bem gläubigen Sinne ber Pilger unb unterftüßt oon ben ©rfinbungen 
ber Sieujeit bafür, baß ber alte Stuf ber heiligen Stätte burclj bie eyort= 
bauer ber 2Bunber erhalten bleibt, bie fieß an ihr begeben. ©ieS mar 
auch im Slltertßum nidht anberS. Sluf ©eloS haben atterbiugS J^eilungS; 
rounber feine Stolle gefpielt, eine befto größere, um nur ein SSeifpiet anju« 
führen, in bem 2lSflepioSl;eiligtbum ju ©pibauroS. &ier mürben im britten 
gahrßunbert o. (Shr. große Steintafeln aufgeftellt, bie 39eridjte über nmnber= 
bare Teilungen enthielten. Stiele berfelben haben bie augenfdjeinlidje 
©enbeitj, ben rege geworbenen ^weifet an ber SMmadit beS ©otteS ju be= 
fäntpfen, einige liefern fdilagenbe Sinologien ju ©rfdjeinungen, bie heß in 
ber ©efdjidite ber 2$unber oon ©inoS beobad)tcn laffen. 

©er Schwammfifdier aus Sfalpmnos, oon bem Stoß erjäßtt, hält eS 
für nöthig, bie SJtuttergotteS ju überjeugen, baß es ihm mit feinem ©elöbniß 
ernft fei, barutn legt er feine jroei ©baler auf bie SdHffSbanf. ©en Sßrieftern 
in ©pibauroS war es ebenfalls befannt, baß foldje 33erfptecbungen nidht 
immer gehalten worben finb. So nahmen ne in baS Sßerjei^niß ber 
wunberbaren Teilungen mehrere Grjählungeit auf, beren SDtoral baßin lautet, 
baß man SlSflepioS nidht um fein Honorar prellen bürfe. ©in gebranb: 
marfter Sflaue 4>a»baroS war burdh ben ©ott non feinen 33ranbmalen be« 
freit worben, @r beauftragte einen gewiffen ©dheboroS, baS oerfprodtene 
©elbgefdheuf ju überbringen, baS biefer aber oeruntreute. ©a befam er 
beS SSanbaroS Sranbmal auf bie Stirne unb nodh anbere 3eidßen baju. 
©benfo ergoßt eS einem geheilten SÖIinben, ber, weil er fein Honorar johlt, 
baS 2lugenlidf)t wieber verliert, bann aber nadß 33egleidjung feiner Scßulb 
abermals geheilt wirb. 

©. ©eSdhamp erjählt in feinem 33udje über baS moberne ©riedhenlanb 
nach athenifeßen 3 e il ,in gSnadbtidbten, baß ein armer Arbeiter SUßanaftoS 
ÄßanßiS feiner grau baS Steifegelb jur SSattfaßrt nadh ©inoS oerfagte unb 
ließ babei ju ©otteStäfteruugen Ijinreißen ließ. SllSbalb erblaßte er, feine 
Äniee begannen ju jittern, et ftürjte jur ©rbe unb oerlor bie Stimme. 
Solchem Unglauben unb bem Steifet an ber SBunberfraft beS ©otteS treten 
anbere ber SBunbergefdhidjten oon ©pibauroS entgegen. Slmbrofta oon Sftßen, 
bie wegen 23linbljeit nach ©pibauroS gefontmen mar, fpottet über bie im 
t&eiligtßum aufgefteHten Berichte, ©a fie bie Stadht im ©etnpel jubringt, 
wirb ihr befohlen, jum Slnbenfen an ihre ©ßorßeit bem ©otte ein filberueS 
Sdßwein ju ftiften, unb hierauf wirb fie oon ißrer Stlinbßeit geheilt. Sind) 
bie Steugier wirb beftraft. SllS einft bie ftranfen in bem 4?eiligtßum eim 
gcfcßlafen waren, wo ißnen im ©raume Reifungen gegeben ober bie $furen 



Delos unb (Ottos. 


365 


an ihnen norgenomnten würben, fticg ein Sorwifciger auf einen Saum unb 
faf), fi<f) nornfiber beugenb, in baS AHerljeiligfie hinein, er fiel nont Saum 
unb fällig fid) beibe Augen aus, warb aber non bem mitleibigen ©otte 
geteilt. SBirfliche 3J?enfdjenfreuublid)feit tritt neben fdiamtofem Setrag unb 
©elbfdjneiberei in biefer infchriftlidjen «Sammlung antifer wunbetbarer 
Teilungen ju Sage. 

Auch auf SinoS ift SetbeS nereint. Sie Einblicbe grömntigfeit ber 
SöaUfahret erleibet burd) ben Srag, ber geübt wirb, feinen Schaben. SBeft* 
europäifdie Sefucher ber ißanigpris nehmen aber beren Sdnlberang meift 
jum Anlab, um über ben abfonberlidien £ang ber mobemen ©riechen junt 
Aberglauben ftdj auSjulaffen. 

Sie gtofeett Spenben, bie AifiaS bem belifchen 2lpotlo geftiftet bat, 
werben in mand^n ©efchichtsbüchern als AuSfluh feiner frommen ©efinnung 
angeführt. ©in paar Qahre f pater hat AiliaS, aus ber gleichen ©cifteS* 
nerfaffung heraus hanbelnb, miber alle militärifche Sernunft, einer SRonbeS* 
finftemijj wegen neun Sage im £afen »on SurafuS uermeiit unb fo ben 
Untergang feiner glotte unb feines £eereS herbeigeführt. Safür pflegt 
man aber feinen Aberglauben nerantwortlid) ju machen. äbäbretib beS Krieges 
ber ©riechen gegen bie dürfen ift es mieberhott oorgefontmen, bah fßalifaren* 
führet fich bie hefte ©elegenheit ju erfolgreichen Sßaffenthaten haben entgehen 
laffen, weil ber Schulterfnodjen beS am Abenb oorher rerjehrten SammeS 
burdh’S Sicht befehen unheilbringenbe Sinien jeigte. 2Benn aus bemfelben 
©runbe Kapitäne non Segelfchiffeti bie gahrt anjutreten ober fortjufehen 
fich weigerten, bann iinb neuere Aeifcnbe auf ben Aberglauben ber ©riechen 
ganj befonberS fdited)t ju fprechen. 

Sie ©renje jwifdjen grömmigfeit unb Aberglauben fdieint alfo fdjwer 
ju finben unb, wo fie gejogen wirb, non lehr fubjcctinen Grwägungen ab* 
hängig ju fein, ©in Unterfchieb äwifdjen Atterthum unb ©egenwart beftefjt 
augenfcheinlidj nicht, ja bie Uebereinfiimmung geht noch weiter. 2Ber fich 
über ben Aberglauben ber alten unb neuen ©riechen erhaben biinft unb auf 
bie unwiffenben unb gewinnfüditigen fßriefter non SinoS fdjitt, wer fich 
im Sefifc einer reineren unb höheren Auffaffung nou ©otteSbienft bäucht unb 
mitteibig auf biefe SBaHfahrer herabfieht, ber follte bebenfen, bah biefelben 
Ueberjeugungen auch auf ber anberen Seite norhanben ftnb. Siefe aber* 
gläubigen ©riechen haben für alle Sefenncr einer anberen als ber orthoboren 
chrifllichen Sehre ebenfalls nur baS ©efühl beS SOütteibeS unb ber ©ering* 
fchä^ung, fie betrachten alle AnberSgläubigen als armfelige, nerlorene unb 
unmiffenbe Reiben! Sie alten ©riechen haben über bie Sarbaren nicht 
anberS gebacht. 

3ur groben fpanigpriS auf SinoS . fommen bie 2BaUfaI)rer meift fdjon 
einige Sage not bem 25. SRärj, AJänner, grauen unb Kinber, ©efunbe 
unb Kranfe, auf Schiffen an, oft non Atufifanten begleitet, gebet bringt 
bie für bie ©nangeliftria beftimmten ©efch eitle mit fid), bie Steifen ©elb 



366 


2lb o If Bauer in < 8103 . 


unb foftbare ©oben, bie 3ltmen Keines ©Ubergerätb, ©adfSfwben, SSrote, 
(Sieflüget, Stimmer unb $rü<btc. 33tS ju 45 000 beträgt bie «Ba^l ber 
Spitger in biefen wenigen Stagen, ©ine eigene ©ommiffton non Vertrauens^ 
perfonen aus ber Vevölferung ift, um Unterf<bleif fiintanju^alten, nebft 
Vertretern ber Spriefterfcfjaft mit ber Uebernabme ber ©oben am ©ingang 
ber Kirdje betraut. 3lber auch bie ©inioten non $agioS SRifolaoS nerbienen 
an ben ©atlfabrern füt’S ganje Qahr. ®ie fteben bei ihren SanbSleuten 
in bem Stuf hohe greife }U madjen, unb ein Spridiwort fagt, wenn ©u 
jum gefte nadj ©inoS gebft, fo tbue ©elb in ©einen Veutel unb rechne 
nidjt nach, wenn ©u es auSgiebft. 

Silier verfügbare 9taum in ben nte()rftödigen Raufern, felbft beren flache 
©ädier finb non gremben befetjt, obwobt jeber nur foniel fßlafc beanfprudjt, 
um fi<b auf ben mitgebtadjten ©eden Vad)tS auSftreden }U Binnen. ©ie 
Leitung fudjenben Oranten finb bemüht, in ben ©ebäuben unb ©fingen in 
ber 9tti()c ber Kirche, in biefer felbft ober in ber Krppta, nabe bem fyunbs 
ort bcS VilbeS, bie 9tadjt ju verbringen, unb bennodb bleibt vielen nur ein 
3lufentl)alt im freien übrig. 

$n unb aufjer bem heiligen Vejirf oerfaufen bie ©inioten ben Vebarf 
für biefe jnbtreidien ©(haaren, ©ie in ©eloS feit frübefter 3eit, fo ift 
jefct auf ©inoS mit ber V Q nigpriS eine VJeffe verbunben. ©a werben 
feilgeboten ©opien beS VilbeS ber ©vangeliftria unb anbere Jfjeitigenbilber, 
Kerzen, filberne ©eibegaben, bunte Vertenfdmüre mit unb ohne Heine 
perlenbefticfte ©äddjen, bie angeblich 6'rbe von ber heiligen ©ttitte enthalten 
unb als Slmutetc für Vicnidjen, ÜDtauttEiiere unb Vferbe gefuebt finb. ©a= 
neben finb grofie ©engen eigentbümlidj geformter gläf<h<hen }u haben, um 
baS ©aff er von ber heiligen Duelle in ber Krppta unb baS Del nach §auie 
mitjunebmen, bas bie Vriefter verlaufen. Slufjerbalb ber flauer werben 
SebenSmittet aller 3lrt, eirtEjeimifdfie ©eibenarbeiten unb ©trobfledjtereien, 
furj alles SDtöglidje bis herab }u alten Kleibern unb ßüten aufgeftapelt, 
ein rechtes ^abrmarfttreiben mit ben babei üblichen @<haufteHungen ent« 
widelt fidj. 

fyür befonberS gnabenreid) gilt ber ©inpfang ber ©aufe in ber Kirdie 
ber ©vangeliftria. Viele Viütter, bie ihre Kinber ba}u berbeibringen, 
haben ber ViuttergotteS foviet Kerjeu gelobt, als baS ©ewidjt beS Kiitb<henS 
beträgt. ©S wirb bann bei ben Ket}enverfäufern auf eine ©agfdhale gelegt 
unb auf ber anberen budjftäblid) mit Kerjen aufgewogen. Ktanfe aller 3lrt, 
befonberS }al)lreiche Vtinbe fueben auf ©inoS Teilung, ©ie verfammetn fidf 
meift in ber Kirche vor einem ©itter, aus bem aroinatifdjer diaudj bervorbringt, 
unb ftarren mit gtan}lofen 3(ugen nach ber Stelle, von ber ber ©erudj auS= 
ftrömt. 3lu<h im Slbaton, im Slflerbeiligften von ©pibauroS bat bei ben 
Teilungen unb bem nächtlichen ©empetfdjtaf, bet Qncubation, baS Verbrennen 
aroinatifd)er ©ubftanjen eine Volle gefpielt. ©ie im Slltertbum in 
©pibauroS unb im 3lmpf)iaraoSbeiligtbum ju DropoS, fo bringen jefct noch 



Delos uitb (Etnps. 


367 


in ©inos niele Teilung ©udjenbe bie ganje 9iaä)t in ber Krppta ober in 
ber Kirche ju, beS SBunberS gewärtig, baS auch an ihnen gegeben foff. 

©aS heilige SBilb, baS [ich in nichts non gewöhnlichen ^eiligenhitbem 
in mobernen griechifchen Kirchen unterfcheibet, hefanb fidj früher in ber 
Krypta, jefct ift es auf einer Art Sfßutt jur Sinfen beS ©inganges in ber 
Kirche felbft aufgeftetlt. 3iur baS ©eficht ber ißanagia unb baS beS ©rj'- 
engels ift fichthar, alles Anbeve becft ein ioftbareS gutteral aus ©otbbled), 
baS reich mit ©belfteineu befe^t ift. jährlich einmal am ©age Wariä 
SBerfünbigung wirb es aus feiner ^gütte genommen, an bie es mit 2Ba<bS 
befefligt ift, unb hierauf jwei= bis breimal mit ©olle, bie in SBaffer ge* 
taucht ift, gewafdjen. Aud) biefe ©erenwnie, ju ber nur wenige befonberS 
freigebige ©penber ober angefehene grembe als 3uf<hauer jugelaffen werben, 
hat in ähnlichen ©ultgebräudjen beS Altertums ihr Sßorbilb. Die SBadhS; 
ftücfchen, mit benen baS 33ilb befeftigt war, baS SBaffer unb bie Sßotte, 
mit ber eS gewafchen würbe, gelten als befonberS bekräftig unb werben 
an SBenor&ugte nerfauft. ©er häuften ©nabe, beS wirffamften unb barum 
auch foftfpieligjten Heilmittels werben biejenigen tljeilhaft, beren Haupt 
bie fßriefter mit betn heiligen Silbe berühren; für niete Sölinbe ift bieS 
bie leiste Hoffnung, baS Augenlicht ju erlangen. 

lieber bem 33ilbe hängt non ber ©ecfe herab eine gotbene DeHampe 
mit tothen Sichtern, baS Anathem eines reifen athenischen ©abalfabrilanten. 
®aS Del biefer Sampe gilt um ber fteten 3tähe beS SBunberbilbeS willen 
ebenfalls für heitfam, unb ein Wann hat oollauf ju thun, bie ihm non ben 
SBaBfahrera bargereichten SBollftüde barein ju tauchen. 

SBenn bie ©läubigen ihrer religiöfen Pflicht ©enüge gethan haben, 
wenn bie ©oben überreicht, baS ©elöbnifj erfüllt, bie Anbacht verrichtet 
unb bie geipenbeten Kerjen nerbrannt finb, bann lehren bie Pilger nach 
HagioS SRifolaoS jurücf unb begehen ben ju jeber griedhifdien fßanigpris 
gehörenben weltlichen ©heil beS gefteS. ©in nach ifklifaren weife am 
©piefe gebratenes Samm, wenn bie gaflenjeit beffen ©enufs nicht nerbietet, 
wirb in größerer ©efellfchaft nerjehrt, Sieber werben gefungen, unb es wirb 
ber ©prtoS getanjt, bamit auch biefe Analogie ju bem uralten ApoHonfefte 
auf ©elos nicht fehle. 

Wit feierlich emften ©efichtem — ©auerampferntiene hat ein attifcher 
Komifer beS fünften gahrfmnberts o. ©hr. biefen AuSbrucf genannt — 
fdjreiten jwei ©dritte nor, einen jurürf, ftdj an ben Hänben faffenb, non 
einem SBortänjer ober einer SBortänjerin am rechten glügel mittelft eines 
beiberfeits angefafiten ©afdjentudheS geführt, fJieihen non Weibchen unb 
grauen in nielfachen SBinbungen auf unb nieber. Aehnlidie ©anjr eigen, 
mitunter auch »an Surften ausgeführt, beren SBortäujer bann burd) 
allerlei ©prünge unb Körpernerbrehitngen fidj tjervorthut, bei berfelben 
fchmermüthigen Wuftfbegleitung fann man an ben griechifchen Dftertagen 
an oielen Drten, befonberS in Wegara, fehen. Kein 3ug non gröhtidjleit 



368 


2lb ol f Bauer in <Sra 3 . 


erhellt bie ©ertötet ber Vetheiligten; biefer San* ift leine Unterhaltung für 
Vurfdße unb Wäbcßen, fonbem eine GultuShanblung, wenn er aud) fyeute 
nicht mehr unmittelbar mit bem ©uttuä »erbunben ift. 3Ba8 ^omer an 
grauen unb Wäbdjen preift, roaS an ben feltfam trippelnben Schritten ber 
Wäbdjen im geftjug beS ^arttjenonfriefeä auffällt, eine ganj befonbere 2lrt 
jücbtiger fchamhafter Haltung, bie in ©riedjentanb non bem SBeibe in ber 
Deffentlidhfeit »erlangt mürbe unb noch »erlangt roirb, tornrnt bei biefen 
®änjen ber grauen unb Wäbdjen jum 2lu8brud. ©ine sßrocefnon, 
bei ber baS munberthätige 33ilb feierlich umhergetragen roirb, befdjließt 
ba§ geft. 

gn ber gorm beS chriftlidjen ©ultuS auf ®ino8 hat füh ein [tarier 
heibmfcljer unb antiler ©infdjlag erhalten, ©r ift überhaupt bem <Süben 
unb auch ben romanifdien Böllern eigenthümlid). ®arauS ergiebt fidh eine 
(Schlußfolgerung für bie griedjifdje Vergangenheit. ®ie unnergteidjtichen 
Äunftroerfe, bie ben Vurghiigel »on 2ltf)en fchmüden, roaS roir oon IßerifleS 
hören unb in ber Sitteratur feiner geit lefen, erroedt ben ©tauben, als 
ob bie ©riechen in ber jroeiten Hälfte be§ fünften gahrßunberteS ». ©hr., 
roenigftenS bie 2ltßener, in ihrer überroiegenben SKehrßeit eine £öhe ber 
©ultur, eine Kleinheit tmb greiheit ber ainfcßauungen errungen hätten, roie 
nie ju»or unb auch fpäter niemals roieber. liefet ©inbrud ift faljcß. 
SDie Stenge berer, bie jum ^ßanatEienäenfeft ben SBeg burcß bie ^ßroptjläen 
hinangeftiegen, bie Stenge berer, bie nach bem heiligen ®elo8 geroaflfahrtet 
finb, roaren be§fel6en ©eifteS Jtinber roie bie armen Vtinben unb Äratden, 
bie heute jur Vauagia »on ®ino£ jießen. 9tur roenige SluSerlefene hüben 
ließ über bie 2lnfdjauungen ber Waffe erhoben, auf fie unb ihre Seifiungen 
ift ber eroige SBertß jener ßeit befchränlt. Sie haben, roaS ber femitifdhe 
unb arifdje Orient nid)t vermochte, ber 3ulunft errungen: bie Äunft uno 
bie Vhilofophie, 2i>iffenfd)aft unb geiftige greiheit. 
f? ©inen biefer wenigen hat aber bie Waffe ber Sltljenet jum ®obe »er= 
urtheilt, weil er bie gugenb »erberbe unb anbete ©ötter lehre, als bie ber 
Staat anerlannte. gm ©roßen befchränlt unb geroiffenßaft im Äleinen 
haben fie bie irbifdjen unb bie heiligen Saßungen in biefem ijkoceß gleich 
ftrenge beobachtet. ®em »ont attifdjen ©efchroomengeridhte »erurtheüten 
SofrateS ift ber Schierlingsbecher nicht eher bargereidjt roorben, beoor nicht 
baS mit ber geftgefanbtid)aft jur ^Sanigpris nach ®eto8 entfenbete heilige 
Sdjiff toiebev nach 2ltßen juriitfgefehrt roar. liefern 2luff<hub beS UrtheilS 
banft bie Wenfchheit ipfatonS ^Dialog: Vßaebon ober »on ber Unfterblicß» 
feit ber Seele. 



21us öer Seelmgefcfjtdjte 6cr 3ugenö. 

Üon 

^ans ^rfjmlblnin?. 

— Berlin* £}alenfee. — 



. . . chaque äge a nne täche ä remplir pour lui-meme, et une autre 
relative ä Tage qul vient aprts lul. 

Mme. Necker de Saussure. 

i. 

ie meiften erwachfenen 2Jlenfchen haben (üetegexi^eit, ein ober baS 
anbere menfchticije SBefen in feiner ©ntwidtung »on ber ©eburt 
bis jur »öttigen Steife ju beobachten. Ueber ben babei her»or= 
tretenben inbteibueHen Serfdfjiebenheiten fielen, nur feiten but<h Abnormitäten 
ein wenig »eränbert, »erfchoben, »erringert, bie großen gemeinfanten 3 üge, 
bie biefer ©ntwidfelung ein tppifdfjeS ©epräge geben. 3RiHionenmal haben 
fie fi<h in ber SBelt »or ben Augen ber jeweils älteren ©enerationen wieber« 
holt; unb wie bie allgemeine (Erfahrung beS 3Jtenfc£)en »om ÜJtenfdfjen eine 
allenthalben »erbreitete populäre ißfpdhologie ergiebt, unentbehrlich für bie 
^ßrariS beS täglichen SebenS, fo hat auch jene fpecielle (Erfahrung »om 
heranwadhfenben 3Jtenf<hen eine fpecielle ißfpdhologie ber ©ntwicfelung beS 
©injelmenfchen abgelagert, burdh bie in uns Allen mehr ober minber unbeut* 
tidhe Silber »on ber «Sache »orhanben ftnb, beftenfaHs fo weit brauchbar, 
bah wir bem Spielen beS SfinbeS, bem Sollen beS jungen in ben Riegel« 
jahren, bem Schmachten beS SadfftfcheS u. f. w. mit mehr ober weniger 
Serftänbnifj unb 3tadhii<ht unb Anpaffung entgegenfommen. 

SBenn man jebodh »iele an foldhen ©rfahrungen reiche 2 Jtenf<hen, 
$fx)<hologen beS Alltags, ohne SGBeitereS aufforberte, ihre (Erfahrungen ju 
präcijiten unb in gefdhtoffenen beutlühen Silbern »on ber menfchlichen ©nt« 
wicfelung jufammenjufleHen, fo würbe man fchmetlich AuSfünfte befommen, 
bie theoretifdh brauchbar finb, ja bie auch nur fo »iel geftigfeit haben, bah 
ftdh auf fic praftifche SDtahregeln, 3 . S. für bie ißäbagogif, aufbauen liehen. 
3JZan »erfudhe nur etwa, »on mehreren Alenfchen beS fogenannten praftifchen 




370 


^ans Sdjmibfuns in 23erltn*£jalenfee. 


SebenS, foweit fie nicßt fd^ort an ein theoretisch oerfeinerteS ©enfen gewöhnt 
finb, eine einigermaßen brauchbare Stntroort auf bie grage geben ju [affen, 
was bie logenannten glegeljaßre feien, mit welchen SebenSjaßren jte ßcß 
abgrenjen, unb mit welchen fonftigen 3ügen ber ©ntwicfelung fte in 3 U ' 
fammenfiang ftefien : man wirb fßwerlid) antworten erhalten, bie auch nur 
annäßernb übereinftimmen, unb bie in einigermaßen befriebigenber SBeife 
ein näheres BUb non ber Sache geben. 

Sfllein auch tßeoretifcß gefißulte -Btenfcßen bieten in folgen gälten wenig 
3uoerläßiges. BeifpielSweife liegt uns eine ©arjteßung ber „glegeliaßre" 
not unb jwar an einer Stelle, bie in berlei ©ingen gerabeju als ein für 
weite Greife maßgebenber ausbrucf ber gegenwärtigen SBißenfcßaft unb 
wiffenfchaftlichen ßJrapiS gelten fann: in fßeinS „©ncpflopäbifchem $anb* 
buch ber Bäbagogif" (non bem ißäbagogifer unb praftifcßen ßföbagogen 
©. Äöjle in Gannftabt). £ier werben bie glegeljaßre f<hle<htweg ben 
fahren ber gefdjfec^tlicfjen ©ntwicfelung, ber fogenannten Pubertät, gleich* 
gefefct unb bis in ein jieniticß tiofjeg alter hinauf gerechnet, fogar bis in 
ben anfang ber swanjiger 3aßre. ©in auch nur einigermaßen flareS Bilb 
fommt babei nicht heraus — unb tonnte bei einer folcfjen 3fneinanber* 
feßiebung jweier ©rfcßeinungSfreife auch garnidjt reißt ßerauSfommen. 2Boßl 
aber wirb u. a. felbft baS focialbemofratifcßen Vereinen juftrömenbe publicum 
ebenfalls auf bie glegelfaßre jurücfgefiihrt. 

©S würbe nicht feßwer fein, nodß eine 9leifje ähnlicher Belege bafür 
aufjusäßlen, wie unjuoerläffig meiftenS bie oßneßin geringe Sitteratur iß, 
bie fibh mit biefen ©ingen beschäftigt, unb bann noch einige auSnaßmen 
aufjujählen. gm Verlauf ber künftigen Beschäftigung mit biefem ©egenftanb 
wirb es aHerbingS auch nötßig werben, eine erfeßöpfenbe Ueberftcßt über 
baS ju geben, was bisher burd) eine nähere Beschäftigung mit bem ©ßema 
ju ©age geförbert worben iß; an biefer Stelle jeboeß tommen gelehrte Be* 
jiehungen nur gelegentlich in Betracht. > 

gn Ginein ipunft freilich bürfte eS fofort nötßig fein, mit ber nor* 
liegenbett Sitteratur unfereS ©ebieteS fojufagen anjubinben: in bem fünfte 
nämtieß, baß fie fich um bie wißtigfte ©rfeßeinung unb tiefftgreifenbe SBanblung 
innerhalb ber gelammten gugenbjeit meiftenS mehr ober minber feßeu 
ßerumbrüctt: um bie sogenannte Pubertät, bie 3Jlannbarwerbung ober ©es 
fcßlecßtsreife. ©aß fie in ber ©hat fo widßtig unb tiefgreifenb iß, wirb 
faum beftritten werben; baß es anbererfeitS eine wichtige unb in unfer 
©enfen unb Raubein bejüglicß biefer ©inge tief eingreifenbe grage iß, wie 
weit wir bie betreffenben ©hat faßen fernen lernen unb auch, wie weit 
wir unfer Berßalten ihnen anpaßen, wirb ebenfalls faum beßritten werben, 
gn Sffiirflicßfcit wißen wir äwar woljl ade, baß es t»ier eine gewichtige 
2i>anblung giebt, unb haben auch eine ungefähre BorßeHung baoon, um 
was es fi<ß ßanbclt; bodi eine reinliche Befcßteibung all beßeu, waS 
hier gefdiießt, unb gar eine tlnterfcßeibung beßen, waS baoon auf ben egaupt* 



2tus ber Seelen gefd;id)te bet 3 u 9 en ^- 371 

punft, auf jene befannte ©efditedjtäteränberung jurücfgeht, ton bem, ttaS 
nur eben biefer AlterSftufe, tießeicbt lebiglicf) ben barauf entfaHenben 33e= 
fonbertjeiten unferer Gultur eigen ift, bürften tjinroiber roofjt allen unferen 
ftenntniffen fehlen. Gbenfo perfäumen mir feines ttegS, jenen SBanblungen 
in unfevent Verhalten einige Stedmung ju tragen: anbere Sleiber, anbere 
Anreben, felbft anbere 9tedjtSnerf|ättniffe roerbeit ben gugenbjabren nad) unb 
benen tot jener SSanblung (nieiftenS genauer nad) unb »or beut beginn 
ber SBanblung) jugebilligt; felbft bie obere ©renje bet allgemeinen (Scfjul- 
pflid)t bürfte burcf) biefen Ginfdjnitt in bie ^ugenbjeit mitbeftimmt fein; 
im Uebrigen aber leibet unfer päbagogifdjeS Verhalten gegen bie gugenb 
mefentlidj unter einer ©leidjgiltigfeit gegen biefen Giufdjnitt. $Die lieber* 
gänge in unferent Sd)utn»efen non einer Sdjulfiufe jut anberen fallen in 
terfefiebene geitpunfte beS gugenbalterS, 3 . SB. ber ton ber Glementarfdjule 
jum ©pmnafium etwa in ’S jefjnte SebenSjabr, ber tont ©pmnaftum jur 
Uniterfität in baS Gnbe beS jroeiten Sehens jab^eljntS; in’S 14., 15. SebenS* 
jafjr fällt faum einer ton folgen mistigeren tlebergängen unfereS Schul* 
trefenS. 

AtterbingS: bet SebenSeinfcbnitt ber ©efd)led)tSreife ift lein fo fefter 
ißunft, ba& mit ihm in ganj gleichmäßiger SSeife geredjnet merben fann. 
GrftenS banbeit eS ftd) ja nidjt nur um ein einmaliges Greigniß, fonbern 
aud) um einen länger bauernben GntroicflungSoorgang; jmeitenS ift felbft 
ber beginn biefeS Vorgangs, ganj abgefefien baoon, baß i(>n bei ber 
männlichen gugenb fein fdjarf befiimmteS Greigniß barftedt, seitlich rcd)t 
teränberlidj. Smmerljin geljt biefe SSeränberlid^feit nicf)t aßjuroeit: es 
fommen gan} greifbare ©urSfdjnitte heraus, unb bie allgemeinen Stet* 
idjiebenljeiten biefer ®urd)fdjnitte bei terfdjiebenen fBölfern, auf ocrfd)iebenen 
Gulturftufen u. bgl. tn. fiitb ebenfalls gut erfennbar. 

Sänbtidje unb überhaupt culturetl unreifere Slerbältniffe bürften int 
Allgemeinen ben Gintritt ber fßubertät terfpäten, ftäbtifebe unb überhaupt 
culturetl reifere fBerhättniffe bürften ihn im Allgemeinen terfrühen. gfür 
bie ©egemnart inirb ber ®tt r<f)fd)nitt aller gälte ton betn 1 ßf»i^ftotogen 
£enfen bahin gefdiäßt, bah beim toeihlidien ©efd)ledjt bie Pubertät etma 
mit bent tollenbeten 14., beim männlichen @efd)(ed)t etma mit bem toll= 
enbeten 15. gaßr eintrete; eine Sdjäßung, ber man immerhin bie ater* 
muthung entgegenfteHen fann, baß bie ®urdjfd)mtfe nod) etroaS niebriger 
liegen. S'aS Gnbe biefeS gefammten GntiticflungSnorgangeS bürfte beim 
toeibtidjen ©efd)ledjt in’S 17., beim männlichen ®efd)ted)t in etroaS fpätere 
Saßve fallen. — 

gn befonberS gemiStiger 2i>eiie fontmen bie ©diäbungen eines foteben 
®urd)fd>nittS 311 m AuSbrud in ben culturgefdjid)tlidjen Ginricbtunaen, bie 
fid) auf biefeS GntroidlungSftabiuin ftiißen. gu ben tielgerühmten clafhfdjett 
Seiftungen ber Segrünber unferer getmaniftiidjen äßiffenfcbaft gehört 
SBilhelm 2BadernagelS inhaltSreide flehte Stfirift tont gabt 1862: „Sie 

»orb unb ©ttb. XCV. 285. 25 



372 I}ans r<f}mibfnn 3 in J3crlin>£jalenfee. 

Lebensalter." &ier roerben bie gefdudfittid) ^eroorgetreterten ©nt Leitungen 
ber menfdhlidjen LebenSjeü unb bie auf LebenSeinfdhnitte bafirten Gultur; 
einridjtungen bargelegt, furnier roieber zeigen ficb ©aten, bie auf beit 
SßubertätSeinfdmitt tjtnroeifen, feien es nun bie 14 ober auch 16, 17 erften 
Lebensjahre beS röuüfdjen puer, ober bie Grtljeilung ber männlichen ©oga 
mit ooUenbetem 16., fpäter im 15. Lebensjahr, ober beS ^ippofrateS unb 
2lnberer 2lnfcfcung ber Änabenjeit in bie zweiten fteben ^atjre beS SebenS. 
©rei „hauptfädjlidjfte SJiarffteine ber Unterfdjeibung unb beS SDiaßeS" 
mad)en fich babei immer roieber gcltenb: „baS Qaljr, mit roeldbetrt bie 
ftinbljeit fcbliefct" (man fpridjt audj furj oon ber Ißeriobe beS 3abn= 
roed;fels), „baS ^ a b r / mit welchem bie ©efdjledhtSreife entroeber anbebt 
ober fidh »oHenbet, unb enblidh baS, in meinem baS ©reifenalter feinen 
2lttfang nimmt." 2ludh baS ftirdhenredht unb beutfdhe Siebte anertennen 
bie Bebeutung beS fünfzehnten, eoentuett oierjehnten Jahres burch ben 
Beginn ber Anrechnung", afterbingS bei -Diäbchen mit einer BerfriUjung 
oon brei fahren. 

Sollten mir uns in weitere ^tftorifcfie Ueberblide eintajfen, fo mürben 
mir in ber uns intereffirenben ^auptfache unb mit ben menigen fpäter 
oorjuführenben 2luSnabmen fdjroerlidb etwas SBefentlidjeS baju lernen unb 
oorroiegenb nur roieber ju ber Jllage gezwungen fein, roie feljr baS über 
biefcn ©cgenftanb bisher litterarifd) ©eleiftete enttäufdjt. Beffer roirb es 
oorerft fein, }u bem uns 9lHen im ©röbften befannten ©hatbeftanb, als 
ju bem Ginbrud, ben baS junge SBefen ooin erften ©intritt ber ©efd»ledjts= 
reife an modit, prüdjufehren unb ju oerfuchen, roie roeit fidh biefer ©in» 
brud in feine (Elemente jertegen läfjt. Siurj alfo: burdj welche feelifeben 
Gigentbümlidjfeiten feunjei ebnet fidh ber -Kenfdj in ber Pubertät? 

©ürfen mir bie ganze Breite ber mannigfachen 2 lntroorten, bie hier 3 U 
geben roären, in eine ftiappe ©arftetlung beffen jufantmenfaffen, roaS uns 
baS fRicfitige fdheint, fo ergiebt fidh ffolgenbeS. GrftenS mären in ben 
ungefähr anbertbalb oorangehenben ©ecennien eines inbioibuellen menfdhlid^en 
Lebens oor 2lllem bie ©innesempfhtbungen, bann bie IReprobuctionen beS 
Gmpfunbeneu unb bie an biefeS gefnüpften Beurteilungen unb natürlidi 
and) ©cfüble unb Begcbrungcu jur Gntfaltung gelangt (abgefeben oon ber 
2lnnabme, bafc ber ©eruebfinn fid) erft fpäter 3 U feiner relatioen BolHommero 
beit entroidle); bie lebten (fahre biefeS geüraumS roaren inSbefonbere bie 
golbeitc $eit beS ©ebäcbtniffeS, fpecieH beS leisten BiemorirenS geroefen. 
Gine für baS gefantmte menfd)li<be Leben jureicbenbe BoHfommenbeit beS 
Seelenlebens ift aber bamit noch lange nicht erreicht. GS fehlt oor 901cm 
bie 2 lu§reifnng beffen, roa? man, mit einer furzen, bilbtidbcn unb bod) recht 
gut treffeubeu Bezeichnung , bie „höheren ©eelenfräfte" ober auch bie 
„höheren ©eifteSfräfte" nennt. GS ift bamit all baS gemeint, roaS fidh au f 
jenen elementaren Leitungen aufbaut. ©aS Gombiniren ber Grinnerungen 
51 t neuen ©eftalten; baS 2(bftrahiren, Glaffificiren u. f. ro.; baS Beurteilen 



2lns her Seelengefdjidjte ber Jugenb. 373 

nicht meßr bto« oon einjetnen EmpfinbungSinhatten, fonbern t»on tuannig* 
faltigeren ©rfeßeinungen unb fpecietl ba« ÜBürbigen berfelben al« oerfeßiebent* 
ließ roertbcotter unb wertßtofer Objecte (ba« fogenannte SBertßen), wofür 
gern bie StuSbrütfe „Urtßeil" im engeren Sinn unb „SBerftanb" gebraust 
werben, obfdßon ba« fpecififc^ Sogifcße nicht eben in biefer 3 eit feine befte 
Entfaltung $u nehmen fcfjeint; bie gäßigfeit, Mftßetifdße« al« foldße« ju 
genießen; ferner ba« ©rßeben ber 33egeßrungen au« bloßen Trieben, bann 
au« Sßünfdßen unb au« „Strebungen" forootjt ju „Seibenfcßaften" als auch 
ju ber bereit« weitgreifenben gform be« „SBolIenS"; weiterhin jene eigen- 
tßümlicße STßätigfeit ober gäßigEcit, bie at« ein fpeäfifcße« 3 ll fammenroirlen 
oon Urtheit unb SBille ben tarnen „Vernunft" ju befommen pflegt; enblidj 
ber im engeren Sinn fo genannte „Eharafter". Me biefen „höheren" 
Seiftungen roaeßfen, naeßbetn bie erfte kinbßeit oorüber ift, bem SJienfcßen 
im Verlauf ber ganjen Qugenbjeit unb je nach 33erßältniffeit auch noch be« 
reifen SebenSalter« fietig ju. Sie finben fteß jum £ßeil, namentlich bei 
ben „altflugen" SluSnaßmen, fdßon oor ber Pubertät; mit biefer jeboeß 
fcheinen fle fich erft fo recht uott unb befdßleunigt ju entfalten. s Jhtr bie 
eine grage, wie weit biefe Entfaltung nidjt bto« mit ber ©efdßtechtSreife 
uor fich geht/ fonbern auch gerabeju burch fie bebingt wirb (faß« nicht 
gar eine ganj anber«artige Ißßtlofopbie auch biefe« körperliche oon jenem 
©eijtigen bebingt fein läßt) : biefe gfrage wirb fo lange nicht recht ju 
beantworten fein, bi« nicht eine größere 3 aßl oon gälten einer feßr oer* 
frühten ober einer fehr oerfpäteten ©eßßiecßtSreife erfennen läßt, ob bie 
Entfaltung jener „höheren" kräfte oon einer folgen abnormen jeitUhen 
93erfcßiebung fich unabhängig jeigt ober aber weuigften« einigermaßen 
parallel mit ihr geht, ©arf an biefer Stelle eine SSorauSfage gewagt 
werben, fo ift e« bie, baß oon einem berartigen 3 ufamtnenßang für biefen 
*Punft recht wenig ju tnerfen fein werbe. 

3 weiten« fdfjeiben fich bie ^ugenbjeit nach bem fpubertätsbeginn unb 
bie oor bem Ißubertätsbeginn babnreb, baß oorßer bie mehr paffioen unb 
reprobuctioen, nachher bie mehr felbfttßätigen unb probuctioen Seiftungen 
»orßerrfdßen. 3 « bem 3Waß, al« jene „höheren kräfte" an ließ fcfion mehr 
2 tctioe« barbieten> al« bie ihnen 5 U ©runbe liegenben nieberen, in eben 
bem üßtaß nähert fich unfere jefcige Scheibung ber oorigen an. S3or 
Mem tritt, wie furj oorßer ba« ©ebäcßtniß, fo jeßt bie kraft in ihre 
golbene 3 eit ein, bie man mit einem manchmal recht umftrittenen SluSbrudt 
bie „probuctioe ©inbilbungSfraft" genannt hat. lieber bie rein „reprobuctioe 
©inbilbungSfraft", über ba« bloße Gonibiniren oon Erinnerungen unb 
über ba« ©lei<hgewi<ht jwifdjen ber Ginbitbung«fraft unb ben Sinnen 
ßinau« ringt ließ ein felbftftänbige« Sßßantafiefptel empor unb mit ihm ein 
intim nacßffißlenbe« 3 ntereffe Qn ebenfolcßen Sßhantafiefcfiöpfungen Mberer. 
ES beginnt bie „®icßteriti§" : Sprif wirb feiber gemacht unb wirb auch 
gleichwie SRomanpoefie ebenfo oerfcßlungen, wie oorßer etwa kriegSgefdßicßten 

25* 



37^ Ejans Sdjmtbfunj in 3SerItn-£jalenfee. 

oerfdilungen würben. 2ln bem nothwenbigen gufammenhang biefer ©>anblung 
mit bet ©ubertätSwanblung bütfte fdjwerlid) ju jweifeln fein. 

©rittenS. ©aß mit ber Pubertät bei beiben ©efd)leditem auch) bie 
©iSpofition jur Siebe im eigentlich erotifdjen Sinne fid) entwidelt, unb 
baß mit biefer ©iSpofition hinüber theilweife bie bisher ermähnten ®igcn= 
tfjümürfjteiten in innerer ©etfnüpfung ftehen, bebarf wohl nur einer ©r= 
wähnung. 

©Sichtiger für uns ift bieS, bafj wieberum in gufammenhang bamit 
jene merfwürbige Sentimentalität unb ©Seltfchmerjlichfeit biefeS SebenSalierS 
auftritt, jene« fd)inad)tenbe Anhängen an einfamen ©efübten unb 
Stimmungen weicher unb trauriger 3trt (ein ©egenftücf ju ber robufteren 
3eit ber ^Cegeljatjre), unb bafj fid) bamit jenes wof)lbefannte pathetifche 
Seinen nad) etwas Unbeftimmtem, gement oerbünbet, ©eibe getragen burd) 
einen träumerischen &ang, wie ihn bie fchon erwähnte probuctioe ©ns 
bilbungSfraft begünftigt. ßurj alfo baS, was man häufig bie „©oinantif" 
ber gugenb nennt. 2ln biefe, wie alle nötigen burdjauS normale unb in 
ben „©renjen beS ©efunben" oeränberlicbe ©rfdjeinung fdjliefet fid) unter 
Umftänben eine abnorme ober franfhafte Steigerung berfelben an; unter 
Umftänben: b. h- wenn pathologifdje ©ebingungen bajutreten — bie 
©ubertät an fidj ift eben fo wenig wie anbere ©ntwidelungSftabien etroaS 
Abnormes ober gar SfranfhafteS. SBer ju einer ©eifteeflörung neigt, ht* 
fonberheit juv ©ielandjoiie, non bem ift in biefetn 3Uter mehr als auf 
anberen AlterSftufen ein „Ausbruch" biefer SHeigung ju befürchten. ©aS 
jehrenbe Heimweh („SJoftalgic"), eine fpecietle Siebenform jenes SefjnenS 
nad) etwas gemem, tritt hier befonberS häufig unb inteniio auf. Uebers 
haupt fteigem jt<h bie „mächtigen ©efühlStöne", bie in biefer 3eit meift 
bie neu juftrömenben ungewohnten ©ewufstfeinsinhalte begleiten, leicht ju Ab* 
normitäten. ©inen Ueberblicf über biefeS gefamtnte „©ubertätsirrefein" h®t 
ber ©fpchiater ©f). Siehe« in ©eins „©nct)f(opäbifd)em £anbbudj ber ©äbas 
gogif" unter bem eben genannten Schlagwort gegeben, gm Allgemeinen aber 
bürfte biefer britte ©untt einerfeits fid) oorwiegenb nur auf bie erfte 
©ubertätSjeit bejichen unb anbererfeits bem fpäter ju erwähnenben 3ug 
ber &offnuug§freubigfcit ber gugenb feinen 2l6btu<h ttjun. 

©ine jufammenfciffenbe Untertreibung ber ©ubertätSs unb ber, etwa 
mit ben guriften fo ju nennenben, gmpubertätS-geit h at ber ©erfnffer 
biefer geile« anberSwo unter bem ©efidjtSpunft ju geben rcrfucht, baß 
non -twei befannten unb in befanntcr ©Seife jur Abfürjung beffen, roaS 
man meint, brauchbaren Sdjfagworten baS beS „©ealiSmuS" auf bie »orhers 
gchenbe uitb baS beS „gbealientuS" auf bie nachfolgenbe gugenbjcit ans 
gewenbet wirb, gut ©enaueren fiitb eS bort fieben ©unfte. ©rftenS fteht 
bem „©SirflidifeitSfinn" beS gmpubertätSalterS im ©ubertätSalter be:r 
©rieb beS ©ScrtljenS gegenüber; jweiteuS bem reprobuctiuen Seelenleben 
bort baS probuctioe Ijier; brittenS bem bortigen oorwiegenb birecten, 


2lus bet Seelengefdjidjte bet 3 u 9 en &- 375 

gerabeauS gehenben ftntereffe t)ier }unt großen S^eit ein inbirecteS, auf 
Umroegen geljenbeS Qntereffe; oiertenS bem 3^9 nach ©cncretem unb 2tn^ 
fchaulidjem bort ein abftracter 3ug hier; fünftens bem früheren 33orherrf<hen 
ber 2lußenroeit ein fpätereS 23orherrf<hen ber Innenwelt; fed)StenS bem 
Einblicken ©pieliinn eine oerhaltnifjmäfjige ©leidjgiltigfeit gegen baS Spiel 
tn ber eigentlichen 3ugenbjeit; enblid) fiebentenS einer leichteren 3ugängli<h= 
feit beS ÄinbeS für einen als „mechanisch" }u bejeichnenbm ©ehorfam eine 
leichtere 3ugängfi<hfeit ber reifenben J^ugenb für einen „jnbiciöfen" unb 
äumal einen „ingeniöfen" ©ehorfam. 

II. 

Ueberblicfen mir für} bie bisherigen 2lttläufe }U einer oergfeichenben 
Seelenfunbe ber »erfchiebenen 2llterSftufen, fo treten, wie fcbon gesagt, 
wenig für uns brauchbare gemeinfame 3üge als ©harafteriftif biefer Ueber= 
gangSjeit heroor. 2lm eheften roirb noch bie „geiftige ©ährung", bie SoSs 
föfung non ber Autorität, ber natürliche £rieb }ur Setbftftänbigfeit unb 
©elbftthätigfeit u. bgl. mehr keroorgeboben, roomit auch bie entfcheibenbe 2luS= 
bilbung ber ißhbüognomie um biefe 3 e ’t tn 3nfammenhang gebraut mirb. 
5Der grofce Seelenfenner 2lriftoteleS hat u. 21. einen Vergleich }wif<hen $ugenb 
unb 2ltter, atterbingS nur in groben Umriffen, gejogen, bei bem bie $enn= 
jeichnung ber Qugenb anfcheinenb am efjeften bie 3eit }roifchen bem ©intritt 
ber Pubertät unb bem ©nbe beS SBachSthumS meint. $n ftür}e imb bie 
@igentf)ümli<hfeiten, bie er ber $ugenb Q [g gegenfä|jli<h jum 2((ter jufchreiht, 
folgenbe. 2?or 2lHem tritt als feelifcher Söefth ber 3ugenb baS heroor, was 
ftdfj für unS als &o<hfinntgfeit ober ©ro§her}igfeit ober als ©rofjjügigfeit beS 
feelifchen Sehens bejeidhnen läfjt, im ©egenfafc }ur Äleinherjigfeit, }um $leim 
muth beS höheren 2llterS. ®amit fteht weiterhin in 3nfammenhang bie 
Selbfllofigfeit ber Qugenb gegenüber ber ©etbftliebe beS 2llterS; bann bie 
23orliebe jener für baS ©bie, für baS äfthetiich unb ethifch 2Berth»oHe 
(wörtlich: baS Schöne), gegenüber ber Neigung beS 2llter3 }um 9lüfclichen; 
ebenfo fommt bort baS in 23etracht, was an fich ober fchtechtweg gut ift, 
hier baS, was für bie betreffenbe fJJerfon gut ift. ©ine weitere 33e= 
fchreibung ber jugenblichen Senfweife ergiebt, was wir für} baS ©ogmatndhe 
nennen lönnen. — 2Birb man nun auch biefen nur eben ungefähren 
©barafteriftifen feinen befonberen theoretischen 2Berth beilegen, fo laffen 
fte it<h boch als eine beachtenSwerthe 2lnregung für bie ijßäbngogif be= 
trachten; eine folcke ©inwirfung auf bie reife Sugenb, bie jene ©igen- 
thümlichfeiten nicht berücffichtigt, nicht »erwerthet, bie fie nicht »or gefähr* 
liehen Uebertreibungen behütet, wirb einer entwicfeltcn ipäbagogif nicht 
würbig fein. 

. Schriftfteller, bie ba}u gelangen, bie fcelifche Sefcfjaffenheit ber uns 
hier tnterefjirenben 2llterSftufe }u femt}ei<hnen, holten fich oorwiegenb nur 



376 fjatts £d}mtbfun 3 in 23erlitt»£}aleitfee. 

ati eine ober bie mibere ©igenthütnlidhfeü, ober fie fpredien mehr nur im 
Ungefähren uon ber bem jungen fDJenfcben eröffneten neuen 2Belt. So 
fpridjt $ean ^5aul in feinem päbagogifchen SBerf, in ber „Seoana", uon 
ber Seit/ » ro ° ber £>at6= unb ©ritteljüngüng (ober baS SRäbdjen) feine 
neue 9lmerifaS=2BeIt beS ©efdjtedjtS entbedt", oon ber 3«* »ber geifUgen 
JsrüEjIingSftürme" mit ihrem ©egengeroic^t gegen biefe: ben „©tunbeu ber 
fdjönften bräunte, ber Sbeale, bet höchften 33egeifterung für alles ©rojjc", 
unb räth bein „erjiehenben ffiädjter", er fotte baS eine ihm noch Jur 3?er= 
fügung ftehenbe ©egengemidit bem jungen ßerjen jufügen: „nämlidj ben 
Ropf; b. h- fpare auf bahin irgenb eine neue SEPiffenfdfjaft, irgenb ein 
Siet ergreifenber Sfjätigfeit, irgenb eine neue SebenSbaljn auf"; ein 9tath, 
ber bejüglid) beS UnterrichtSrocfenS bie Folgerung in fi<h enthält, in biefe 
Seit ber $ugenb einen Uebergang oon einer nieberen ju einer höhnen 
Schulftufe ju oerlegen, $ean ißaul hat nun aud) in einem feiner SFtomane, 
in ben „glegeljahren", ein ©tücf 3ugenbpfi)d)ologie bidjterifd) bargeflellt; 
meldie ©ntroicfelungSftufen babei fpeciett gemeint ftnb, mürbe erft eine 
nähere Malpfe biefeö 31'erfeS lehren. Sa ber „Seoana" fpridjt Sean tßaul 
auSbrücflich oon ben „Äinbern in ber unmannbaren unb gflegeljeit" unb 
jroar in bem ©inne, bajj bamit ganj ftreng bie 2IlterSftufe oor ber 
Pubertät gemeint ift. Mfdieinenb roirb babei oon ber unmannbaren 3«t 
bejüglid) ber 2Jtäbd)en unb oon ber gtegetjeit bezüglich ber Änaben ge= 
fprodjen; eine MsbrucfSmeife, bie alfo oerhinbert, bie fjtegelja^rc ben 
Sahren beS „33a<Jfifd)eS" an bie ©eite ju [teilen. 

©ine befonbers breite ©arftellung ift bem Sugenbalter, namentlich 
bem meiblidien, geroibmet morben oon ber franjöftfcben ©djriftftellerin 3iecfer 
be ©auffure in ihrem breibänbigen 2Berf „L’6ducation progressive ou 
4tude du cours de la vie“. j&ier ftnb bie einjelnen 2llterSftufen je in 
einer befonberen ^Betrachtung bargeftcDt. Mein and) hier fommt es gu 
feiner geniigenben ißräcifion in ber S3efdjreibung ber Sfjatjadhen, felbfi ab» 
gefehen oon bem ftarf fühlbaren religiöfen Swg ber ©atfteüung, ber mit 
bem grofjen ©influjj ber flöfterlidien ©rjiehung in granfreidj jufammen* 
hängen bürfte. 2hi<h ber treffenbe ©ah, ben mir unferen Seilen als SDfotto 
oorangefteHt, fdjeint in jenem 35?erf nicht fo eingehenb burchgeführt ju merbeit, 
mie er es oerbienen mürbe, roie er aber oielieicht aud) erft auf ©runb 
neuerer gorfdiungen burchgeführt nJ erben fönnte. $n ber Sehanbtung bim 
fßubertätSjcit, jenes „SuftanbeS einer gtuctuation", fommt eS ber 2Ser> 
fafferin, menigftenS für baS roeiblid^e ©efdjtedjt, junädjfl barauf an, beiß 
hier bie jugcnblidje ©eele fi«h felber finbet, unb baß ein erhöhtes 3nw;* 
merben ber ©piftenj bem jungen SHenfdien eine unbefannte 2Belt eröffnst 
(Alors Tarne se reconnait: un Sentiment do l’existence, plus fort, plus 
profond, plus intime, ouvre ä la jeune personne un monde inconnu“). 
$)ies gilt alfo für baS Mer oon 16 bis 18 fahren, Don jj er SBeirfafferin als 
adolescence bejeidmet. 2Jlit 18 Sahnen beginnt bie eigentliche Qugenb, 


21ns bet 5eelengefd)id}te ber 3ugcnb. 


377 


jeunesse, unb enbigt bie planmäßig überlegte ©rjiehung, obfdion eine ©r= 
jiehung überhaupt (b. i. hier: SBerooßfommnung beS JnbipibuuntS) ftetig non 
ber ©eburt bis }um Dob geben foüe. Die Seit gerabe not bem fritifdfien 
Uebergang toirb bejüglich ber ©Jäbchen fo gefdhilbert, bafs wir barin bie 
Jlegeljahre roieberfinben („une pdtulance excessive“ u. f. w.), unb 5ioar 
ntit einer ganj fdjarfen Unterfcheibung non ber fontmenben Seit beS „instinct 
de pudeur“ mit feinen „secrets avertissements“. 

3llS ein beutfcheS ©egenftücf ju jenem fran§öfifc^en SBerf barf bie 
„©rjiehungSleljre" non Jr. £. ©fjr. Sdhwarj bejeidjnet werben, bie, juerft 
1802 erfdiienen, ju ben bebeutenbften Seifhingen in ber ©efdjid&te ber 
S-'äbagogif gehört. 3tudfj fie nimmt 9tüdficf)t anf bie Steibe ber jugenbli<ben 
GntwidlungSftufen; fie bietet immerbin einiges ißräcifere jur ©rfenntnijj 
ber fraglichen SßerfdE)iebenfieiten (baS mir benn au<b junt Dheil im Vorigen 
nerroertbet haben), aber immer no<b niei IDloralifirenbeS. 2lHein audj auS 
ibr wirb, tner ju einer folcheti ©rfemttnifj unb ju ihren Shtwenbungen ge* 
langen will, manche nähere Jörberung feiner ©inficht fdjöpfett; fo wenn 
bie UebergangSperiobe u. 31. charafterifirt wirb burcf» „eine Unbeftimmt« 
heit ber Straft, welche jtdf> utehr in baS Jnnere jurüdfjujieben fcheint, g(eid> 
fam um fo im ©eifte, wie im Körper, an fyeftigfeit ju gewinnen". $Bou 
bem, was hier weiterhin als bie Abweichungen" erfdjeint, ju benen baS 
Jünglingsalter neigt, bürftc bie ber .§eftigfeit unb beS Jähzorns nod) 
am eheften als eine greifbare ©igentf)ümlid&Eeit biefer SllterSftufe gelten 
tonnen. 

©ine in erfreulicher SGeife präcife, aber hinwiber bod) einfeitige Dar* 
fteßung beS feelifdjen SuftanbeS in ber fraglichen Seit h°t Jriebridj ißaulfen 
(in einem 2lrtifel beS erwähnten ©ncpflopäbifcben £>anbbud)eS) gegeben. 
Jhm ifi biefe SllterSftufe bie ber „3luftlärung". 2Bie eS im Sehen ber 
Göltet eine allgemeine ©ntwidtungSftufe, eben bie ber Slufflärung giebt, fo 
gebe eS eine foldf»e aud) im Sehen beS ©injelnen. 2Bar baS unmünbige 
2Befen in ben ungefähr erften jroei Septennien beS Sehens ftets oon frembem 
2Bißen geleitet, E»atte eS mit fremben ©ebanfen gebadit .unb biefeS Ster« 
hältnii fo ohne SSeitereS hiugenommen, fo trete nun, in engem Sufamnten* 
hang mit ber Gntwicflung beS leiblichen Organismus, jietnlidh plöblid) eine 
tiefgreifenbe SBanblung ein: „ber SEiße beginnt (ich gegen bie frembe 
Autorität ju fperren unb Selbftftänbigfeit ju forbern, unb ebenfo »erlangt 
ber SSerflanb baS Siecht, mit eigenen ©ebanfen bie 'Dinge ju benfen." Die 
©ntbedfung oon bisher unbefannten Gingen „giebt bem 3>erftanbe beS an* 
gebenben Jünglings eine Slidhtung auf Steifet unb Kritif, bie bem Knaben 
ftemb ift. ©r oerfudht nun überaß, hinter bie Dünge ju fommen, jweifelnb, 
06 man nicht auch tu anberen Stütfen ben Unmünbigen mit tänfehenben 
tReben hiugehalten habe." „So nimmt baS Denfen leicht eine 9üd)tnng 
auf aßgemeines Siäfonniren unb Siegiren." Daraus aber erhebt ft<h unter 
günftigen Umftänben „ber männliche Drang, bie SBahrljeit ju fudfjen", unb 



378 f^ans rcfjm«bfun 3 in 8etlin>^alcnfee. 

roaS fonft ben 33eftanb beS reifen SllterS au^macfjt. $aß eS jum ^iitroeg; 
helfen über jene fritifdje ffSeriobe einer befonberen GrjiehungSfunft bebarf, 
wirb hier in begreiflicher, aber gegenüber ber fonftigen 93ernacf)läifigung 
biefer päbagogifhen Slufgaben nicht eben felbftoerftänbtihe» 2Beife ettergifh 
betont. 

(Sine gortfefcung beö UeberblidS über bie SSerfucfye, biefer SllterSftufe 
eine beftimmtere Grfenntniß abjugeroinnen, fütjrt uns ju ber £erauSarbeitung 
uon nod) jroei anfcheiuenb richtig beobachteten Gigenthümlidifeiten : bei 

aSanbelbarfeit unb ber gefteigerten Sleijbarleit in bem Seelenjuftanb ber 
heranreifenben ^ugenb. „®ie biefem Sllter eigent^ümtid^e SBanbelbarfeit ber 
Steigungen, GntfhUeßungen unb 33eftrebungen" wirb ben>orgeboben »on 
©. 23a ur in bem Slrtifel „Gntroidlung" in £. 21. SdmtibS „GnctiKopäbie 
ber ißäbagogif"; ein iljit ergänjenber Slrtifel „GntroidlungSperiobe" »or* 
Si. Äöljler tommt mit früheren SluSführungen »on uns infofern überein, 
als er fagt: „gür baS innere Sehen biefer 2llterSftufe ift bie Dichtung auf 
baS $beale Slaturgefefc." S3eibe SarfteQungen fehen roieberum bie Hubert ätS 1 
periobe mit ben gleget* unb 33acf fi f <5 jcfjren gleich. — S5a3 9J?erfmat einer 
„gefteigerten Sieijbarfeit", baS aKerbingS roieberum einer genaueren Gr= 
läutcrung bebürfte, roirb als ßennjeidmung ber ißubertätSjeit gelegentlich 
in einer fleinen Stubie betont, bie roieberum äljnlid; roie baS SBerf ber 
fyrau Sieder im ©nnjeit mehr moralifhc als pfpdbologifhe 2lbfid)ten »erfolgt. 
Ser ipbagoge G. Senfe Fiat in einer „^Betrachtung für Schule unb Gltero-- 
haus" über „SaS GntroidlungSalter unferer männlichen Qugenb" feinen 
guten Slatfefhlägen eine allerbingS mehr äußerliche Seichreibung biefeS Gnt- 
roidlungSalterS »orauSgefdjidt, auS ber aber einigermaßen präcis nur eben 
biefeS SJierfmal einer gefteigerten SieijbarFeit, unb jroar ohne nähere 33 e= 
ftinunungcn, tjeroortrctt. 

$n jüngfter 3«it hohen fpfpholegen unb fßäbagogen ein bereits feit 
längerem beftcfecnbeS, nah ben neueften 3ufammenftellungen litterarifd) bis 
in’S 3ahr 1787 juriidreidjenbeS f^orfcßungSgebiet genauer ju pflegen be* 
gönnen: baS Stubium ber .RinbeSfeele. GS ^anbelt üh babei bauptfäd&lich 
um bie 3 c ü/ in ber fidj bie elementarften Shätigfeiten unb SiSpofitionen 
ber Seele entfalten, unb in ber bie enge unb leiht erfennbare 33erbinbung 
biefeS Seelenlebens mit bem leiblichen Sehen bie ffbrfhung burdf bie ber 
Slüffenfhaft »oin leiblichen Seben eigenen 23ortfeeile bereihert; aFfo »or 
SlUem um bie erftcn brei Sabre bcS Sehens, ^nfonberßeit bot fih bieier 
fvorfhuitgSsroeig in Slmerifa entfaltet, unb ba roieber »omehinlih an ber 
GlarMlnioerfität in SSorcefter (SJlaff.) unter ben 33emühungen beS ißfpcbo: 
logen Stanlcp t&aH, »on beffen einjetnen 33eobahtungSergebniffen jefet 
manheS auch burd) bie ütaqcSjeitungen befannt roirb. $n 33erlin h a * hie 
neue „3eitfhrift für päbaqogifhe ^ßfijhologic" ganj befonberS aud) biefeS 
2hema i» ihr '■Programm aufgenommen. Slußerbem befiehl hi« 1 c * n 
herein für SUnberpfpchologie, ähnlich angelegt roie ber Sonboner 3roeig= 



Jtns bet 5ecleitgefdnd)te bet 3 n 9* n &. 


379 


oerein beS „‘öritifdien 23erbanbeS für KinbeSforfdbung". ©er berliner 
Söeretn fe|t als feinen 3roed „bie Erforfdiung ber geiftigen EntroicflHng 
ber Kinber" an; ber Sonboner herein greift infofetn weiter, als er nid)t 
nur baS KinbbeitS=, fonbern aud) baS eigentliche Qugenbalter in feine 
23>ätigleit einbesießt. Er will bie hier in 33etradjt lommenben IjSerfonett 
tntereffiren für „bie fpfteinatifdje ^Beobachtung non Kinbern unb jungen 
Leuten, mit bem 3i®ed, einen befferen Einblid in bie Dtatur beS KinbeS 
ju gewinnen unb für humanere unb wiffenfdiaftlicbere UTfetßoben jur 39e* 
ßanblung ber Sugenb ju forgen." 9tät)ere§ über biefe ^rogramntr(Sr= 
Weiterung ber KinbeSforfdßung, beS „child-study“, ift unä allerbingS nodj 
nid)t befannt; fie fdjeint aud) innerhalb biefer gansen mobernen gorf(^ungä= 
arbeit uereinjeit bgsufteßen. 


III. 

Unb bodj brängt fo SSieles im jetzigen 3 u ßanb ber Ißäbagogif auf 
biefe Programm: Erweiterung bin. i<or Stttem bie in ißt felber liegenbe 
©enben}, fid) in bet 3iid)tung beffen, was man bie Klitterung ber Sd)ul= 
ftufen nennen fönute, non unten nad) oben ju erweitern. Sie bat fid) 
als ißäbagogif ber unterften Sdmtftufe, als SPolfSidbulpäbagogif, feit längerem 
feft unb breit entwidelt, bat bann ihre 2(nwenbung auf bie boßeren Spulen, 
bie fürs fo i u nennenbe ©pmnafiatpäbagogif, feit einiger 3eit wenigftenS 
halbwegs entfalten föitnen unb befibt neueftenS fräftige SBeriudje, ben ißr 
nodß faft gans feblenben ©ßeil, bie .fjodiidntfpäbagogif, s u fdiaffen. ?yür 
aQe biefe neuen 2lntäufe bebarf fie einer grünbtidjen Kenntniß ber 23e^ 
fcßaffenßeit aller in 33etrad)t fommenben 2llterSftufen, inSbefonbre berer, bie 
auf baS — immerbin fdjon einigermaßen befannte — 2llter ber eigertt- 
licßen, im engeren Sinn unmünbigen Kinbßeit folgen. SJeßmen wir ein 
SBeifpiel gans aus bem praftifdjen UnterridjtSleben. 3In ßoßen Schulen 
wirb, sumal beim naturroiffenfdjaftlidjen, mebicinifdien, aud> f unft wißen = 
fdjaftlidien Unterricht, über eine mangelnbe 2luSbilbung ber gäßigfeit junger 
Leute, richtig su feßen, geflagt. ©aß eine foldje 2luSbilbung, ein berartigeS 
©ebenlernen nötßig ift, unb jwar nor bem ßodbfcßulmäßigen Stubium, 
barüber wirb wobt allgemeine Uebereinftimmung betrieben. 2lnberS ftebt 
eS mit ber grage, in weld)em Lebensalter biefeS Sebenlemen am natür« 
liebften gefdjießt, unb an welcher Stelle es in bie Klitterung ber Scbulftufcn 
am sroedmäßigften einjureißen iß. ©aS nun, was wir im früheren über 
bie geiftigen Serßältniße beS SDienfchen nor unb nach bem IßubertätSeintritt 
aefagt, ftiinint gut sufammen mit bem unS befannt geworbenen 9iatßfd)(age 
eines auch päbagogifdj intereffirten SßaturforfdjerS: banaeß wäre jenes Sehern 
lernen entfdjieben in bie norwiegenb recepline, bie 2lußenwelt nerßältniß- 
mäßig treu aufnebntenbe unb wiebergebenbe KinbeSjeit nor ber Pubertät 
ju neriegen. $n 3 u fa« 1 uienl)atig bamit barf rooßl aud) ber SBerfudß beS 



380 


£ 7 a n s Sdjmibfunj in Berltn-Ejalenfee. 


BerfafferS biefer 3etlen ermähnt werben, bie fogenannte ©pmnaftalfrage 
babutd) ju „löfen", baß ber £auptftamm beS realiftifdßen BÜbungSftoffeS 
cor, bet $auptflamm beS ibealiftifcßen BÜbungSftoffeS — um biefe füllen 
Sdjlagworte jur Berflänbigung ju benüßen — nadj ber Pubertät gepflegt 
werbe; alfo eine (Srfeßung beS „Sntroeber= Dber" burd) ein -Jtadjeinanber. 


58licfeit mir auf bie f)iet foroof»! aus anbeten Duellen mitgetßeilten 
als aud) non unS felber gegebenen Betreibungen jürücf, fo ift bodj immer* 
bin 2luSfid)t oorßanben, über bie ©cßroierigfeiten ber ©ache unb über bie 
Boreiligfeiten ber Autoren im 3ufaimnenwerfen beS Berfßebenen unb im 
©rflären beS geftgeftellten hinaus ju einem Karen Ueberblicf ju gelangen. 
Bor 2tHem fcßeint eS widßtig ju fein, bie Grfd;einung ber fogenannten Siegel* 
jal)re oon ber beS eigentlichen BubertätSübergangeS ju fdßeiben, fo fefjr es 
aud) bei ben mciften Betrachtern biefer Dinge üblich ift, beibe jeitUcfi gleich 
unb als ©runb unb golge anjufeßen. So oiet mir feßen fönnen, 
beginnt beim männlichen ©efd)led)t bie „glegcljeit" bereits eine geraume 
3eit oor ber Bubertät unb bauert je nach Umftänben nodh jum Dßeil in 
biefe hinein, ohne jebodj oon ihr abhängig 3 U fein — oieltneßr fdßeint uns 
fogar ein ©egenfaß jwifchen ber Intimität beS erroadhenben ©efdjledjts* 
gefüßts unb bern fo garnidjt intimen SBefen beS glegelthumS ju be= 
fteßen. DiefeS jeigt ft als äufammengefeßt aus 3ügen ber Derbheit, beS 
Uebennuths, beS DroßeS unb jroar forootjl im Denfen unb Sprechen als 
auch — rooßl am auffälligen — in ben Bewegungen ber Grtremitäten; 
ber häuSlidhe $reiS reid»t für ben 2tusbrucf ber übermäßigen SebenSfraft 
in ben 2lrmen unb Beinen nicht ju unb muff burd) ben Äreis ber „Straße" 
erweitert werben, fo baß fich ber „glegel" junt „©affenfungen" fleigert. 
Sür baS weiblidfe ©efeßteebt bürfte bieS alles im 2öefentlid)en ebenfalls 
gelten, nur mit einer begreiflichen 2 lbfdjraäcf)ung; allein um fo fchärfev tritt 
hier ber ©egenfaß auf swifeßen ber früheren 3*11/ ba auch baS Sötäbßn 
fich einigermaßen burd» lebhafte Bewegungen feiner ©ptremitäten auStoHt, 
unb ber bem BnbertätSeintritt folgenben 3eit, in ber gerabe biefe Ueppig* 
feit ber Bewegungen fosufagen gebroden wirb. Der weibliche „Siegel" iß 
in biefer Bejießung feßarf ju unterfeßeiben oon bem „Badfifdj" : bort baS 
ganje SUnb, ßier ßalb Jfinb, halb reifer Bieufd). immerhin fönnen unb 
müffen in biefe fpätere 3 eit 3 *>Ö e jener früheren ßineinbauem. 

Die grage nun, worauf bie erwähnten (Sigenfdßaften ber glegeljeit jurüd» 
3 ufüßren feien, läßt iidß junäcßft beantworten burdß ben allgemeinen $in* 
weis barauf, baß mit bem Stelter* unb dieiferwetben überhaupt aud) eine 
ioldße Belobe einmal fommeit müffe. Qm Befonberen aber fdjeint es uns, 
baß bie Sebhaftigfeit beS SBachStßuinS in biefer 3«*/ baS woßlbefannte 
„2luffd)ießen" beS jugenblidjen StörperS, dieije auf ißn auSübt, bie ftdß bann 
als bie im Borigen bejdjriebenen ©igentßümlicßfeiten beS ent* 



2lus ber 5e elengef dj idjte ber 3 u 9 en &* 


38 \ 


laben, ©iefe ©rflärung gilt einerfcitö forooht für baS männliche als für 
baS roeiblidie ©efdjtecht unb Ijält anbererfeits bie ju erflärenben 2hatfac£>en 
unabhängig oon ber eigentlichen ©eidflecbtSentroicfelung. Natürlich muff 
jenes „SUtffdnefjen" mit bem ^Beginn ber Pubertät burdjauS nidfjt ju ©nbe 
fein; namentlich beim männlichen ©efdiledtf bürfte eS nodh ein gutes ©tuet 
weit fortbauern. ®ann bleiben bie älteren, bie „3;legel"*@igenfd)aften 
neben ben neuen, ben ißubertäts=©igenfhaften beftehen, gerathen aber 
natürlich mit biefen, bie }u ihnen ja großenteils gegenfäfclidj l'inb, in Su- 
fammenftoß unb in ein halb feinblidjeS, halb auSgleidjenbeS ©piel, baS ju 
ber roiberfpru<hSoollen 9Dlifd)ung in biefer ©ntmidelungSperiobe ber jungen 
©eele ein befonbereS ©tücf beiträgt, ©ofern beim roeiblicfien ©efd)led)t ber 
3uftanb oor unb ber 3 ll ftanb n ad) bem fritifdjen ißunft, abgefehen oon 
©timmungSänberungen für} oorher, fid) fchärfer fheiben, roirb hinroiber 
jene§ ©egeneinanberroirfen belanglofer, baS 5teue überwältigt fdmeUer baS 
Sitte, als bieS beim Jüngling ge|d)ief)t, unb ber ungefähre Slbfdjlufj beS 
SluSreifenS gefcfjieht auch aus biefem ©runbe hi« fdjueller (etwa mit bem 
18. 3ahr ober noch früher), beim männlichen ©efchlecht entfprechenb lang- 
famer (mit einem $in}iehen oiellekbt bis }um Slnfang ber 20 er 3ahre, 
baS aber nicht überfd)ät$t roerben barf). ©o befommt bie theoretifhe 33e= 
tradhtung unb praftifdie Beachtung biefer $>inge beim Jüngling länger ju 
thun als bei ber Jungfrau. 

innerhalb biefeS uon SBiberftreiten erfüllten 3 u f*anbeS bebarf alfo 
bas Dteue, baS ber „Stadjftegeljeit" fpecijifd) (Sigene, einer enblicfien 
genaueren SBejdjreibung unb bann einer Unterfdjeibung beffen, roaS baran 
auf ben ©efchledjtäroanbel }urücfgel)t, unb beffen, roaS baoon unabhängig 
unb nur ©ad>e beS oorgefchrittenen SHlbungSproceffeS überhaupt ift. Sßon 
ben brei ^auptmerfmafen, bie mir babei heroorgefjoben hatten: bem ©nt» 
falten beffen, roaS für} bie höheren ©eelenfräfte }u nennen ift, bann bem 
föeroortreten beS ißrobuctioen unb fdjließlidj bem fo }u fagen romantifcfjen 
3«g ber 3«genb, erfchienen uns bainats nur bie }roei lefcten als 3ei<hen 
beS ißubertätSübergangeS als folgen. 2BaS bann im golgenben noch non 
oerfdhiebenen ©eiten her }ur ©rroeiterung ber ßenntnifj biefer Siachflegeljeit 
beigebradht mürbe: bie „ibealiftifdjen" 3üge gegenüber ben „realiftifdjen" 
»on früher ober bie 9tid)tung auf baS 3beale, bann baS ©treben nach 
©el6ftftänbigfeit, bie „Slufflärung", ferner bie äßanbelbarfeit unb bie 
9fei}barfeit (auch £eftigfeit :c.) beS ©eelenlebenS in biefer 3eit, enblidj 
baS „©ichfinben", baS biefe ©ntroidelungSftufe femt}eichnen foH: baS SlUeS 
roirb rooht nicht oor einer genaueren Raffung biefer ©harafteriftifen unb 
einer ©dheibung ihrer 3ugef)örigfett }ur früheren ober }ur fpäteren SllterSftufe 
unb hier fjitnoiber }U ber ißubertätSentroicflung ober bloS }um SllterSfort» 
fdhritt überhaupt theoretifdj unb praftifdj braud)bar roerben. ®aS hier als 
Sbealismus bejeidjuete jerfätlt megen ber SJtehrbeutigfeit biefeS SluSbrucfS 
in ein Siinbel ein}elner 3üge; baS Streben nach ©elbftftänbigfeit ift oer» 



382 — — tts Sdjmibfnii 3 in 23crlin*^alcnfcc. 

mutl)li(h bem fytcgelalter in böserem 9JJa§ eigen als bem ißubertätSalter, 
ba§ »ielmehr in ber Straft einer liebeuollen Eingebung feinen Sßorgdnger 
übertreffen bürfte. hingegen feinen unS bie jroei, »erhältnißmäßig präciS 
ju faffenben ©fcßeinungen ber SBanbelbarfeit uitb ber SReijbarfeit unb bie 
aHerbingS weniger präciS p faffenbe, aber bo<h richtig gefühlte beS ©id)» 
finbeitS noch am eßeften unb birecteften auf bie Uiadjflegeljeit unb auf bie 
(ßubertätSgrunblage biefer Beit htttpbeuten. 

Ades f)ier über bie fragliche Beit ©efagte giß junächfi im Allgemeinen 
»on beiben ©ef<hled)tern, aber bod) mehr »out männlichen als »om weib; 
lidjen. ®ie (Eigenarten biefeS gegenüber jenem machen jwar bie 93er* 
fd)iebenheit ber fpäteren »on ber früheren 3m* gröber bei ihm als beim 
anberen ©efchlecßt; allein tro|bem muh »on unferer allgemeinen Sefdhreibung 
ber SßubertätSftufe für baS weiblidie ©efdbledbt etwas abgejogen werben. 
BnSbefonbere ift baS „fjkobuctiue" naturgemäß hier weniger p erwarten 
als bort; aber auch baS ©treben nach ©elbflftänbigfeit bürfte, foweit eS 
überhaupt in biefe 3eit h^eingehört, bei ber weiblichen Qugenb geringer 
fein als bei ber männlichen. (Die weiblichen ©genfehaßen nun, auf bie 
biefe (Berfcßiebenbeiten prüdfgeßen, werben hinwiber ber weiblichen (ßubertätS- 
ftufe pofitioe 3 1( Ö e »crleifjen, bie ber männlichen fehlen, ©ne jttreichenbe 
fpeciette S3ef<hreibung »on ihnen »ertniffen wir noch; »orläufig gilt ber be* 
fannte Aante „SBabffifch" an ©teile einer folgen Sefdfjreibung. 

93 Jan d)ent wirb nun AUeS, waS wir hier pt 39ef<hreibung unb ©= 
flärang ber fraglichen (Dinge, alfo rein theoretifcß, »orgebracht hohen, recht 
gleichgiltig erfcheinen gegenüber ben Anwenbungen, bie ba»on für bas 
praftifdje Seben p machen finb, inSbefonbere für 'bie (Srjießung im HauS 
unb in ber ©chule. 23or Allem wollen ©tem ober ihre Vertreter wiffen, 
wie fie fi<h eben jenen neuen ©fcheinungen gegenüber, bie bei ber ihnen 
anoertrauten Bugenb heroorbrechen, unb bie beinahe ben ©nbruef oon 
fRäthfelaufgaben machen, »erhalten foHen. (Die Anweifungen, bie wir 
barüber geben möchten, laffen ficb wohl in ben einen bteifachen SRatß p* 
fantmenfaffen: wahrhaftig, fdjonenb unb naturgemäß »orpgeßen. SDJit ber 
2$ahrbaftigfeit muß atlerbingS ooller (Ernft gemacht werben; Halbheiten finb 
hier uotauSuditlicß fdjlitnmet als birecte Unwahrheiten. Jöerljeimlichungen 
unb gar (ßerßüllungen fonnten bem ftinbeSalter gegenüber, auch wenn fie 
an fi<h nicht p empfehlen waren, boch wenigftenS einigermaßen leicht burch- 
geführt werben; bem fpätereit Alter mit feinem SBebürfniß nadh ©rfaffen 
ber eben jefct fich crfchließenben 2Belt unb nach „Aufklärung" wiberfprechen 
fie fo, baß fie einen Stampf ßeraufbefchwören, in welchem fie über furj 
ober lang unterliegen ntüffen. ©cßonenb foll unfer Verhalten gegen biefe 
Bugenb natürlich nidjt in bem ©inn einer SBerroeidblid&ung fein, fonbem 
»ielmeßt in bem ©inn, baß bie SteimungSoorgänge innerhalb biefeS fecli- 
f<hen BuftanbeS »or Hemmungen aller Art bewahrt bleiben. (DaS ganje 
Unfertige biefer Beit muß als foldjeS behanbelt unb einer normalen ©it* 



2Ius ber Scclengc fd^idjte ber 383 

widfelung übertaffen ober entgegengefübrt, nicht wie ein ^fertiges betaftet 
werben. ^nSbefonbere gilt bieS non ben ^ätigfeiten, ju benen bie am 
meiften in Umbilbung unb iffiacbstbum befinblidjen fiörpertbeile in 3ln= 
fprudj genommen werben, (Solche finb »or Slllem bie Stinimorgane ; baS 
©ingen fott wäljrenb biefer $eit (auch beim Stäbchen) gänjlidb eingeftefft 
werben; u. bergt, m. ®ie gorberung beS Saturgeniäfjen geht nor 9Wem 
bafjin, alles ©efünftelte in ber ©inwirfung auf ben jungen Stenfchen ju 
oermeiben. Stauche befonberS ftug fdjeinenbe päbagogifche 33etnühungen, 
8- 33. bie „oeranftalteten Situationen", wie fie u. 3t. bei Souffeau cor« 
tommen, ergeben bodj nur Stünftelungen, bie minbeftenS übcrftüffig finb. 
Such bie 3$emact)täfugung beS erften 33eftanbtl)eileS unfereS obigen 3tatb= 
fdhlageS, b. i. ber SBahrhaftigfeit, füEjrt ju fotzen Äünftelungen, unb 
anbererfeits tragen hinwibet biefe bei jur 33egänfiigung ber Unroabrhaftigs 
feit. ®ie wicbtigfte «Stelle für bie Befolgung beS SatheS com natur= 
gemäßen 33orgef)en bürfte bie fctjon erwähnte ftlitterung ber Sdfmlftufen 
fein. ®em jungen SBefen, in feinen fo wefenttüh nerfdfnebenen 3Ser* 
faffungen oor unb nach bem fritifdhen Uebergang, ein unb biefetbe Sdbut- 
wett jumutben, jumat aber baS ftinb mit bem für bie eigentticfje Qugenb 
paffenben 33ilbungSftoff betaftcn unb bod) babei ^inroiber baS oerfäumen, 
woju gerabe baS ÄinbljeitSafter oorjüglidh angetegt ift — atfo fürs: bie 
mehr ibeatiftifd^en 33ilbungSftoffe oer frühen unb bie mehr realiftifdfien oer« 
fpäten — baS ift eine ber ftärffien Unnatürtichfeiten unferer ©ultur. 

, Stoch ein 3ug ber eigentlichen ^ugenbjeit war in unferen ÜDarftettungen 
nur eben eingefdjloffen. ©S ift ber, über bie weltfdjmerslichen 3tnnmnblungeit 
batb binauSfommenbe 3 U 9 ber $offnungSfreubigfeit gegenüber bem, was 
fomnten wirb. Stoch baS fiinb lebte mehr in feiner ©egenwart, unb ber 
reife Stenfch tbut eS erft recht. 33eim ^eranreifenben ^nbimbuum ber 
erften ©efdfjtecbtSseit fpifet fi<h ber größte £heil feinet SebenS unb 5ß>ebenS 
auf bie 3ufunft ju. tiefer 3 lI g muff in ber 33et)anblung unferer Qugenb 
ebenfalls beamtet unb tiebeootl gepflegt werben, bis bann ber, baS ©nbe 
ber $E?acf)StbuniSjeit charafterifirenbe „33ru<h" ober „Stij?" fommt, ber — ans 
gefiditS getaufter Qltunonen — über bie 3ufunftSfeligfeit ber 3ugenb hinaus 
bem reifen Seben entgegenführt unb ebenfalls fowoht noch einer ©rforfdiung 
beS Shatfächlidjen, als einer eigenen ftunft ber erjieherifdfjen pflege bebarf. 
Stag bieS einer eigenen 53etracbtung oerbteiben; fie wirb mit 9lnberent 
baju führen, für ben bisher weitaus am wenigften beachteten £heil ber 
©rjiehung, für ihren Stbfdiluf bei ber bie höcbfte SfuSbitbung fudhenben 
.^iigenb, bie 9(ufmertfatnfeit ju fdhaffen, bie bafür heute tiodf» in fo bebauer= 
lieber 2z>eife fehlt. ©S honbelt fi<h Wer um bie bitbenbe ©inwirfung, bie 
nadh ben gegebenen Sßer h ättnifTen jumeift auf unferen &o<bfd)ulen not fi<h 
geht, unb beren ifrajis unb Theorie baher fchlecbtweg, wie fefjon erwähnt, 
als .£>odjfd)utpäbagogif bezeichnet wirb, fyiir fie ift eine pflege ber 
Sugenbpfphologie oon ber ißubertätsftufe an bis jum ©nbe ber 3Ba<hSs 



38^ £jans 5d}mibfun3 in Bcrlin-^alenfee. 

t^um^jeit ganj befonberä erforberlidj, unb bie görberung ber einen non 
biefen beiben 2tngelegenbeiten wirb ber ^örberung ber anberen ju ©ute 
fomrnen. 

gür ben gelammten Verlauf ber feelifd^en ©ntroidlung be3 3Menf<ben 
aber mag un£ etn alter ©innfprud) in (Erinnerung fomrnen, ber ba lautet: 

$cm ftinbe nicht ben füfecn ©lauben, 

$te Hoffnung nicht bem Sünßling rauben, 

2)em Spanne 9)hith unb Xbatfraft nähren, 

5>em ©reife ftitte 9toft ßetoähren: 

finb ber 2ftenfd}beit ftille ${ltd)ten, 

Sftad) ihnen tirirb bie ©ottheit richten. 



ßfinftferfeclc. 

Port 

3. Jütten. 

— (Etlfit. — 


olf (Strömet mar auägegangen, um SRube unb Grbolung gu fud^en, 
unb befanb ficb plöfelicb im bidtjteften SJtenfdjenftrome. 6t fannte 
no<b fo roentg bie Umgebung non Berlin, obgleidj et feit Qa^ren 
in bet Stabt lebte, bafj er ratf)(o§ fi<b fragte, tnaö roofjt eine folcfje Sin« 
gieljungSfraft auf all bie Seute ausüben mochte. Sa fdjob fid) eine $anb 
in feinen Sinn, unb eine laute, fröfjlidbe Stimme fagte: „Sllfo aud) einmal 
fjier brauien, £err ^tofeffor, ba§ ift nernünftig non 3^ncn. Urlauben 
(Sie mir, 3f>nen bei biefet ©etegenbeit gleid) jur Ernennung gu gratuliren!" 

6lje noch Strönier feinen Sauf Ijatte auSfpredben fönneu, fuhr SRedjtS« 
anrcalt Gberbarb lebhaft fort: „Sie biirfen ftolg fein — fo jung fc^on 
Sßrofejfor an bet ^odjfdjute! Sie Ijaben’ä freilich auch nerbient. 3<b »et« 
fäume fein Goncert, in bem ich Sie fjöten fann." 

„SJtan erfährt nidjt überall foldj’ liebenSroüvbige SBeurtbeitung, ißrofeffor 
Sinnenberger — “ 

„Steib, SJUfjgunft, taffen Sie fid)’3 nid)t anfecf)ten. SaS ift bet Jfantpf 
ums Safein, er treibt aud; giftige SJlfitben. — Slber ich benfe. Sie wollen 
gu ßentpel, fid) bie SBeluftigungen be3 Golfes einmal anfeben," unterbrach 
er ftdj, ba Stromer am Gingange gunt Socal norüber ruhig feinen SBeg 
fortfetste. 

Ser fßrofejfor fab erftaunt um fid). SBabrbattig, bie» hinein feinen 
bet gange SJtenfcbenftrom gu münben. llnfcblüfftg blieb et fteben unb fagte 
gögernb: „^dj bin hier unbefannt, netmcibe gern jebeS ©ebränge." 

„Slber bet ©arten unb ba§ Sanglocal finb feljenäroertb," meinte 
Gberbarb überrebenb. „Sie rnüffen bod) auch mi'tbe unb burftig fein." 



386 


3. £jntten in (EUfit. 


£alb roibermillig begleitete SRolf ©trömer beit 9tedbt?anwalt. ©er 
©arten, ba? mußte er }ugeben, mar wunberfdjön, unb e? tbat wobt, unter 
bicht belaubten Säumen ju wanbeln, nachdem man fooiet £ifce unb ©taub 
gefdbludft. Gbetbarb ^atte mit funbigem Btid einen befonber? günftigen 
Blaß entbedt unb jugleid) bem ßeHner Auftrag gegeben, }wei ©affen 
Kaffee ju bringen, fobaß fcf)on nach einer Siertelffunbe ber ijkofeffor et= 
frifebt unb geftärft jugeben mußte, e? fei feine- üble 3bee gewefen, b^ 
einjufebren. 9iacb einer Sßeile fdjiug ber Hindere oor: „9lun wollen mir 
un? nodj ein wenig im ©aale ben ©an} anfeben." 

©er Srofeffor fträubte fidb. „Qdj mitt 3b nen nidbt ^irtbertid) fein, 
lieber ©bewarb, aber laffen ©ie mich rubig bto «Dein. 3d> raffe nodb eine 
SEBeilc unb febre bann }ur ©tabt jurüd." 

©aoon wollte ber UledjtjSamoalt nicht? roiffen. „SCBenn ©ie wirtlich 
jum erffen fötale hier unb, fo müffen ©ie fidb bodb au<b ba? eigenartige 
©reiben ba brinnen anfeben. — 3Wutlj, SJiutb, ce n’est que le premier 
pas qui coute.‘‘ 

£a<benb febob er habet feinen Hlrut bureb ben SRotf ©trömer? unb 
fef;te audj bie?mal feinen Süllen burd). freilich, al? beim Betreten 
be? großen ©aale? £>iße unb £ärm ihnen entgegenfcfilugcn, fdiien e?, al? 
wolle ber fßrofeffor bodb nodb bie fflucbt ergreifen, aber e? bedurfte feiner 
Hlnftrengung ton ©eiten ©berbarb?, bieS }u oerbinbern — ba? beforgten 
ein paar fräftige Bogeuftreidbe, bie eben einfeßten, um eine neue 9funbe im 
©anje }u begleiten. 

„2Ba? ift ba??" fragte ©trömer ftußenb. 

„©onft wirb f)ier nach Gtaoier getanjt, aber ba ber gewöhnliche 
©pieler erfranft ift, bat für ein paar SBodjen ein ©eiger fein 3lmt über« 
nommen. SEie mir fdjeint, fein fdbfedjter ©aufdb." 

©3 erfolgte feine Antwort, unb ba? ©ebränge riß halb ben Begleiter 
oon feiner ©eite. 9ta<f) einem oergeblicben Berfudb, ibn wieber }u erreichen, 
wanbte fidb ©berbarb ben ©anjenben }u unb fpäbte mit unteroeljmenben 
3lugen nad) einer geeigneten Partnerin au?. ©r glaubte, ein gute? SBerf 
getban }U haben, inbent er ben ffjrofeffor, ber, wie ^ebemtann wußte, nur 
feiner Äunft lebte unb darüber ©efelligfeit unb ©efunbbeit oemadbläffigte, 
in ba? muntere ©reiben hier gelocft batte, unb ahnte nidjt, wie wenig jener 
feinen Erwartungen entfpradb. 

fyür ©trömer befaßen weber ©an} nodb ©än}erinncn 9ln}iebung?fraft, 
nur nadb ber ©eige hörte er unb biefem oollen, ffarfen ©on, ber felbff in 
bem ©ebrumtne unb ©ewirre runbunt }ur ©eltung fam. ©ie Sienfdben; 
menge trennte ihn oon bem ©pieler unb oerbarg ihm beffen Hlnblidf. 9tur 
mübfam fonnte er neb oorwärt?fdiieben, um einen günffigereit ffßlafe }u er= 
langen, ©a icbmieg bie ©fufif, bie Saare löffen fidb, unb neue traten }um 
©anje an. ©er ©eiger oeränberte feine Stellung, ©trömer blicfte birect 
in fein ©eficfjt unb fuhr betroffen jurücf. ©inen ÜHoment fdbwanfte er, ob 



KüttjUerfeele. 


387 


er oorwärtsftreben, beS ©pielerS Sttufmerffamfeit auf fid) teufen foHte, aber 
bann überliefe er fidj willenlos bem ©etriebe, baS einet mächtigen §luth ; 
welle gleich, ibn wieber jum ©ingange beS ©aaleS jurücffüfirte. £ier fefete 
et fidj jur 2Behr unb rettete ficb in eine genfternifcbe. ©ein niemals 
blühenbeS ©eficfjt mar ooUftänbig farblos geworben, fein 3ltf>em ging 
ferner. ®ieS SBieberfehen — gerabe jefet — wenige £age nach feiner ©r= 
nennnng! 

©r war wie betäubt, unb bo<h rang ficb halb ein ©ebanfe aus bem 
•EHrrfal feiner ©mpfinbungen heroor: er mflffe erfahren, ob er fi<b at<h 
feiner 5£äufdhung ^tngebe. ©inen oorbeiftürjenben Seltner erfaßte et am 
2lrm unb legte ibm bie grage na<b bem tarnen beS ©eigerS oor. 

„fytans Urbani!" SDamit tauchte ber 2Jtann wieber im ©ewübt unter, 
bem ißrofeffor feine 3eit ju weiteren fragen laffenb. ®iefer hätte awb 
nicht jo fdfjnell bie Raffung baju gefunben, ber Diatne fchien wie ein ©<htag 
auf ihn gemirft ju hoben. 

©rft nach einer SBeile hotte er ftdfj foweit gefammett, bafj er mit alten 
Kräften fireben fonnte, ben ©arten ju gewinnen. ®o<h wibmete er weber 
ben frönen Säumen einen Vlicf, noch bem ©efährten, ber ihn hierher 
geführt, einen ©ebanfen, fonbetn fchritt gefenften $aupteS auf bie Sanbs 
ftrafee hinaus. — 

Slrofe ber ftarfen ©rmübung, mit ber er am fpäten 2lben b baheiin eintraf, 
fanb er in biejer ÜRacfjt nicht oiet ©dhtaf. ©eifter ber Vergangenheit, bie 
ft$ oft fdjon geregt, waren erwacht unb liefeen fich nidht, wie früher fo 
manches 3Jtat, jur fRuhe bringen. ®aS ©eficht hotte es ihm angethon, in 
baS er heute einen Vlicf geworfen. 2ß«S hatten bie 14 Qaljre, in benen 
er f^ronj Urbani nicht gefehen unb nichts oon ihm gehört hotte, aus bem 
fdhmärmerifdhen Jünglinge gemacht! ©in Slugenblidf hotte genügt, ihm bie 
©ef<hi<hte biefet ^ahre ftar ju legen: Kämpfe um’S tägliche Vrob, Gingen 
um ben ©rfolg unb langfameS Unterliegen. 2lber trofc unleugbarer ©puren 
uoit Verfall, trofc ber ein wenig glafigen Slugen, bie auch oon 2llfobolgenuf} 
fpradhen, welch ein ©piet nodh immer, welch’ wilbe ©enialität, welche Kraft 
in febetn Vogenftrich! ®aS war es, was bie Künftlerfeele SRolf ©trömerS 
padfte unb an feinem ©ewiffen rüttelte. 

®ama(S, als gtanj ihm halb Eeljrer, halb fyreunb gewefen, hotte 
3folf noch nichts oon ber Vegabung, bie in ihm felber ftecfte, gewußt, benn 
in feinem £eimatftäbt<hen wob im ©Itemhoufe hotte er nie ©elegenljeit 
gehabt, gute fBtufif ju hören. 2lHeS, was er oon Anregung geitoffen, war 
ihm oon granj Urbani gefommen, biefem armen Knaben aus finberreidjer 
Familie, beffen ganje ©eele nach SDtufif ledjjte, nur für fblujtf ju athmen 
fdhien. Unb was in ihm lebte, hatte er allmählich auf 5Rolf übertragen, 
ber burdh ihn erft fein eigenes latent entbedte. ©S muhte auch ein 
heroorragenbeS fein, fonft hätte alle fyörberung, bie er burdh feine wohl= 
hobenben ©Itern erfuhr, nicht fotd)e Früchte tragen fönnen. 

9lotb unb Silb. XCV. 285. 26 


588 


3. fjutten in (Eilfit. 


2ßaS für flotte felige ©tunben waren baS gewefen, wenn er mit 
grcma jufammen in 2Rufif* unb 3ufunftSf)offnungen gefdiroelgt batte! 26er 
bann entwidette fid) ein brennenber Ghrgeij in if)tn; et wollte eS nicht nur 
bem greunbe gleich tf)un, er rooHte ihn überholen, unb mit bem Grfolge 
mud)S baS böfe ©efüfil unb oergiftete mehr unb mehr feine (Seele. SBenn 
er es gewollt, wenn er recht innig feine Gltent barutn gebeten, fte hätten 
in ihrer greube an feiner Gntmidelung fidh auch beS armen «Ra<hbatfna6en 
angenommen; aber er hatte eS nicht gemollt. Gr hörte, er fühlte e$, bafe 
bie Sluffajfung granj Urbanis bie genialere mar, barum mufete er weitigflenS 
in technisier £infi<ht ihn überflügeln, unb eS gelang feinem unerntüblichen 
gleifj, feiner Eingebung. — SBBie bie 3tbf cfiiebs ftunbe oor feiner (Seele 
ftanb, als ber fyteunb ihn jiefeen fah nach bem 3iet »on Seiber ©ehnfudjt, 
nach Serlin, unb baheim bleiben muhte im 2lrbeit3jo<h! 

©rft in Serlin, in biefer ihm neuen 2ßelt, bei emfier airbeit, ©chmelgen 
in erhabenfter «Dtufif, mar tangfam bie Jtünftferfeete in «Rolf ©trömer er* 
macht. Sie roanbelte allmählich feinen höflichen leibe nfd^a f tlichen Ghrgei} 
in einen ebteren um unb liefe ihm fein ßanbeln granj gegenüber in feiner 
ganjen Serwerflichfeit erfcheinen. 2Iber biefer ißrocefe hatte ?u lange ge* 
bauert, benn als er jum erften 2Rale feine ©Item nach bem fyreunbe 
fragte, beffen beibe einjige Sriefe er unbeantwortet gelaffen, erfuhr er, 
bafe man im ©täbtehen nichts mehr non ber ganjen gamilie wüfete. «Rolf 
©trömer hatte fuh babei beruhigt; eS mar nicht feine ©d>ulb, wenn er 
feine gute 2lbfi<ht nicht hatte ausführen lönnen. ©aS Sehen unb ©treben 
nahm ihn auch ftar! in änfprud). Gr hatte mit ©laus feine ©tubien 
abfoloirt, fein «Rame marb ehrenooll unter ben heften ber «Reilbenj genannt, 
feine Goncerte befafeen bie gröfete SlnjiehungSfraft, unb nun mar ihm auch 
noch bur<h feine Grnemtung jum Sehrer am Gonferoatorium ein fefentidier 
SBunfch erfüllt morben. äber fchon in biefen fyreubenbedjer mar ein 
SBermuthStropfen gefallen. Gr hatte erfahren, bafe «ßrofeffor 2lnnenberger, 
biefer greife König ber ©eiger, ihm bie höchfte ©enialität abgefprodien hatte, 
unb mährenb feine ftreunbe bieS als einen StuSflufe eiferfüchtigen ©rotteS 
non bem ftnfenben ©terne gegen ben neu auftaudjenben anfahen, mufete 
er felbft, bafe jener «Recht hätte. Gs gab etmaS, baS er nicht erreichen 
fonnte, fo fefer feine ©eele banadj oerlangte, baS ihm in feinen ©räumen 
oorfdjwebte unb bem er boch nicht in ©önen ©eftalt ju geben oermodjte. 
— 3n biefer ©timmung hatte et granj Utbani roiebergefehen unb aus 
beffen Huffpielen juin ©anje eS herausgehört, ber hätte es erreicht, roaS er 
felbft oergebtid) erftrebt, ber märe bei ähnlich reicher görberung oieDeicht ber 
gröfete Rünftler feiner 3eit geworben. $n biefer «Rächt wollte feine Gnt* 
fchulbigung oor «Rolfs ©trömerS gefchärftem feelifchem Stid fianbhalten. Gr 
hatte eine ©ünbe begangen an bem ^eiligften, maS eS gab. Gr hatte aus 
ben niebrigften, felbftfüchtigften Seroeggrünben eine ©eele, ein ©alent }u ©runbe 
gehen lajfen, für baS er fich hätte oerantroortlich fühlen mflffen. 3ßar eS 



Kün jUetrfeele. 


389 


nodfj gut ju machen, bie« g-urcijtbare? ©r mußte e« oerfuhen, mußte all 
feine Kräfte baranfeßen, wenn er noch jemals fi<h frof) unb glücflih fügten 
foflte. Keine Seit wollte er mehr oerfäumen, fdfjon morgen granj auffudhen. 
UJtit biefent ©ntfdfjluß fanb er noch ein paar ©tunben Schlafe«, aber er 
wachte unerguicft auf. ©ein Kopf roar bumpf, unb feine Getuen, bie in 
lebtet $eit hm fdjon manchmal ©orgen gemalt Ratten, oibrirten un= 
heimlich- — 

©er SBormittag roar burcl) bie -fjochfchule in Slnfprudh genommen, aber 
fhon sur 23e«perftunbe machte ft<h ftlolf auf ben Sßeg ju bem alten greunbe. 
fyaft eine ©tunbe batte er ju fahren, unb bann bauerte eS noch eine ge* 
raume Sßeile, bis er ba« nötige -fjauä gefunben unb bie fünf Steppen 
emporgeflommen roar. ©ans erfdfjöpft fam er oben an, roo eine gefdhriebene 
Äarte an einer ©hfit ihm Bewies, baß er roentgften« fein Siel erreicht 
batte. 3luf fein Klopfen antwortete ein brummige« „herein", unb gleich 
barauf ftanb er grans Urbani gegenüber, ber {)alb entfleibet anf feinem 
33ette lag unb roenig geneigt freien, feine Jluhe su unterbrechen, ©er 2ln* 
blief eine« fo fein gefleibeten fijerrn trieb ihn aber boch empor, er murmelte 
ein paar Sßorte ber ©ntfhulbigung unb roanbte feinem 33efu<her ben 
9?ücfen, um feinen Slnsug in Drbnung su Bringen. 

„güt mich brauchft ®u nicht große ©oilette su machen, grans." 

©er Sfogerebete fuhr herum unb bliefte ben ©precher näher an. „9totf, 
®u hier — ich hätte ©ie wirflidb nicht erwartet." 

©trömer legte ißm bie &anb auf bie ©chulter. „3<h . erfuhr erft 
gefiern oon ©einer Stnroefenheit in Berlin, unb ®u Reift, ich Bin heut fchon 
ju ®ir gefommen. ©a« uerbient boch rooht eine freunbliche Begrüßung." 

„©« ift nur," murmelte ber 3lnbere unftcher, ,,©u Bift ein großer 
4?err unb Künftler geworben, unb mit mir fteht e« fdjtecht." 

„2Bie lange Bift ®u fchon hier?" 

,,©o an bie sroei $ahre, e« fönnen auch brei fein. 

,,©o lange fchon? SBarum haft ®u ©ich nicht gleich on utich 
geroanbt?" 

©in finftcrer 33licf ftreifte ben ^ragenben. „3<h hatte feinen ©runb, 
uiel Vertrauen in ©ich su fe|en, ba ®u meine 33 riefe unBeantroortet ge* 
taffen, fein 2eBen«seidhen mir gegeben hatteft, — mir, ber ich barauf 
wartete, wie ein sum ©obe Serurtheilter auf feine S3egnabigung." 

„§rans, fei nicht hart su mir," bat ©trömer fanft, „wirf bem 
•äJtanne nicht oot, was ber Knabe gefünbigt. 33ebenfe, wie bie große ©tabt 
auf mich wirfte, mich beraufefrfe, wie bie ©tubien mich angriffen unb er* 
mübeten. Unb bann hatteft ®u bie Heimat terlaffen, ohne mich ober 
meine ©Itern su Benachrichtigen, fobaß idh Ba« 33eriäumte gar nicht gut 
machen fonnte." 

$rans Urbani« 33licfe würben milber. „3h habe ®ir oieHeiht Unreht 
getßan, 3tolf, aber fo wie ich Bie ©a<he anfah, wie fie mih gefränft hatte, 

26 * 



390 


3* fjutten in Cilfit. 


wäre id) liebet in’S SBaffer gegangen, als baß id» oon ©ir £ilfe unb 
Unterftüßung erbeten fjätte. SBenn ich ©idf) in ©einen Goncerten t>örte 
unb baS publicum ©ir fjulbigert faf), bann locfte eS mid) nicht, wie ein 
23ettler an ©ich heranjutreten." 

,,©u hotteft mich fcbon gefehen unb gehört!" 

„®aS tl)ut man hoch um ber alten greunbfcfjaft willen, unb eS ift 
auch bilbenb, bie beriiEjmteften Zünftler 3 U hören." 

„SBillft ©u mich föhnen, graus?" 

„@ott bewahre mich! SBenn eS mit auch felbfl manchmal wie ein 
©raum «orfatn, bah bem ich bie erften SBegriffe beS Spiels beigebracht 
hatte, ba oben ftanbeft, beronnbert unb bejubelt, unb ich ba hinten Rßen 
muhte, fo gering, bah ich eS nicht wagte, ©idh anjufpredfjen — idh hübe 
©ein aSerbienft hoch anerfannt, ©ir ©einen Erfolg gegönnt, ©u fannfi 
ja nichts bafür, bah idh ein ^edjoogel bin, unb bah ®u mich ganj «er* 
geffen hatteft — " 

„Sah bie alten ©efdfjichten rufm," bat Strömet hcrjtic^. „£ätteft 
©u ©id) gleich nadh ©einer Slnfunft in Berlin an midh gemanbt, ©u 
hätteft gemerft, bah eS nidht ber fvaU war. Slber eS ifl nodh 3®ü für 
mich, eS ©ir 3 U beweifen. ©u foHft nicht ©ein Sebenlang jutn ©anje 
auffpieten." 

„©Böiger weiht ©u baoon ?" fuhr ber Slnbere auf. 

« 3 <h jagte ©ir ja, id) hotte erft geftern erfahren, bah in SBerlin 
feieft; ich mar bei Tempel, mochte ©idh bort nidht anfpredhen, ermittelte erft 
heut ©eine Slbreffe." 

Urbani lehnte ftdh mit erbetteltem ©teidhmuth in feinen Stuhl jurüd. 
„ 3 tun wirft ©u oerftehen, weshalb ©u mich fo mübe antrafcft, benn nur 
Sdhlaftrunlenheit war’S, wenn idh $i<h nicht gleich erfannte. ES ift 
eigentlich ein elettbeS Seben, aber man gewöhnt ftdh baran unb «erlangt 
julefct nichts 33effcreS mehr." 

„©u foUteft aber unb ©u barfft höhere 3lnfprüd)e ftellen, $ranä. ©ine 
furje 3 e it guten UnterridgtS, Sluebilbung auf unferer Jfjodbfdhule — " 

Urbani hotte ftdh aufgeridhtet, unb feine Singen funfeiten. „SBenn baS 
möglidh wäre — " aber bann erlofch ber ©lanj, unb hdh wieber jurück 
lehnenb, fagte er bitter: „3efct ift eS 3 U fpät baju — wenn baS früher 
gefontmen wäre!" 

9tolf judte juiamnten, baS SBort traf ihn an feiner wunbeften Stelle, 
aber er fafete fidj fdfjneU unb fagte' Igerjlicf» iiberrebenb: „93on ju fpät 
barfft ©u nicht fpredgen. 3 d> hörte ©ich geftern unb muhte ©ich be- 
wunbern, troft all ber ungiinftigen Umftänbe, unter benen ®u bie ©eige 
hanbl)abteft." 

„ 3 d) glaube fclbft, eS hätte aus mir etwas werben fönnen," meinte 
ber Slnbeve gebanfemwtt. ©ann fuhr er mit wilbem 33lidf auf. „ES ift 
3 U fpät, fage id) ©ir, ich famt nicht mehr «on SUmofen leben, mich «or 


I 


Künftlcrfeele. 


39 t 


Autoritäten bücfen. J^fcf) habe meine ©elbftftänbigfeit 3 U treuer crfauft, als 
ba§ i<fj fie noch aufgeben fönnte. 93or jroötf, oor acht fahren noch — ba 
märe es etwas AnbereS gewefen." 

„Aein, fo entfoinmft ®u mir nicht/' unterbrach ihn ber ^Srofeffor in 
tieffter ©rregung. ,,©u fottft mich hören unb wirft meinen Lianen bei= 
ftimmen. ®u warft früher mein Seiner, Iah mih jefet ben deinen fein, 
junächft prioatim unb nachher noch ein 3 af)r auf ber ^odhiä)u(e, fchon um 
©eines 9tenomtn£S willen; bann bift ®u ba angclaugt, roo ich ©ich haben 
miH — auf ber $öhe, fyranj, auf ber Äünft(eri)üfje." 

©eine SBorte blieben niht ohne Ginbrud auf ben fyreunb, trotibem 
3 ögerte biefer. „GS banbett fih nicht btoS um ben Unterricht, fRolf, ich muh 
auch leben bie 3al)re über, unb nur baS Auffpielen jum ®ait 3 fhafft mir 
bie -Kittel baju. 33eibe3 Iaht fich aber nicht oereinen — ®u weiht nicht, 
wie ber Aufenthalt in Kneipen unb ©anjlocalen ben Kenfhen her* 
unterbringt." 

„ 3 tehe ju mir, ^raitj, unb Iah eä ©ih nicht anfechten, ein, jtoei 
Sabre baS Aotlpoenbige ton mir anjunehmen. 3h oerbanfe ®ir mehr, 
als ich 2 >ir jemals geben fann. SBenn ich früher bie Pflicht ber ©anfbar* 
feit oemahlaffigte, gieb mir bie Köglidifeit, eS gut ju mähen." 

3n UrbaniS 3ügen arbeitete es, unb feine 33ruft hob unb fenfte fih 
ftürmifh- ©hon hoffte SRolf, gefiegt ju haben, ba lieh jener ben Kopf 
finfen unb fagte bitter: „GS get)t niht, ih fann fooiet oon ©ir niht an= 
nehmen, ba ih niht einmal weih, ob ih jefct noh folher Arbeit fähig 
wäre, genug ernfte 9tuf)e bafür hätte." 

„SSerfudje es wenigftenS." 

„Auf ©eine Kofteu?" 

„©aS barf ©ih nicht brücfeit. ©enfe, ©u hätteft eine Grbfhaft 
gemäht, bürfteft nun frei über bie Kittel ju ©einer AuSbilbung oerfügen." 

„3a, wenn eS mein ©elb, wirf lief) mein ©elb wäre!" fagte Urbani 
mit leuhtenben Augen. „Aber woju folhe iphantafien? 3d) fann 'niht 
mehr in Abhängigfeit leben." 

„S3on einer folhen ift garniefjt bie Siebe." 

„®u bijl hartnädig," grollte ber Anbere unb warf fih mürrifh auf 
feinem ©tuhl hotum. „SBenn ih ®ir fage: ih mag niht, ih toiH meine 
Stube haben unb bie Freiheit, auf eigene £anb ju ©ruube 311 gehen — " 

„ffrans!" 

„Sah mih!" Urbani fprang auf unb flampfte mit bem 3ujj: „3$ 
mag niht, ih toiH niht." 

„®u bift mübe," fagte ©trömer fih auh erhebenb, „oerseih, bah ih 
©ih im ©hlafe ftörte. 3 $ fomnte wieber, unb bann wirft ®u einfehen, 
bah ih cS gut mit ©ir meine." 

Dljne fih burdj baS finftere ©efiht beS 3-reunbeS abfhrecfen $u taffen, 
ergriff er beffen £anb unb oerabfhiebete fih mit einem feften ©rüde. 



392 


3- fjntten in (Eilftt. 


Silier rote er bie kreppe hmabftieg unb auf bem ganjen $eimroege roar 
feine Stint umroölft, uttb feine Stimmung mar fcferoer bebrücft. 33ergeben§ 
fagte er fid^, er habe Sldeg verfug granj 5« äberreben, unb trage alfo 
feine 33erantroortung mehr — fein ©eroiffen liefe bag nicht gelten, ©r 
roufete, beS greunbeg 39itterfeit mar berechtigt, unb roemt er mitgeholfen 
hatte, ben fröhlichen, ijod)ftrebenben ©efeüen fo traurig umjuroanbeln, 
fo mufete er auch unabläfftg baran arbeiten, ihm Vertrauen ju feinen 
gähigfeiten, ju feinem ©Ifidf, ihm ^rieben unb greubigfeit roieberjugeben. 

S5en ganjen Slbenb unb bie 9iadE)t hinburdfj roäljte er fchmere ©ebanlen 
in feinem tßira, unb beS SJtorgenS lag er fiebernb im 33ett, unfähig, ficf) 
ju erheben. ®ie beforgte SEßirtfjin fcijiclte nach einem Strafe, ber ihn ftarf 
erfüllet fatib, aber befonberg Sponung ber Sternen ihm anempfahl. 

„Sin unb für fiel) eine ganj geringfügige Sache," fagte er beruhigenb, 
„hoch fönnte leicht eine ©omplication eintreten, roenn Sie ft<h roeiterhin fo 
roenig Stulje gönnten tnie bisher." 

„Unb tnelche folgen fönnte eine fot<he hoben?" 

„®ag märe nicht leicht ju nehmen. Sie mürben bie Slugübung öftrer 
Äunft, ja, 3h r Sehen auf’g Spiel fefcen, menn Sie meine 33erorbnungen nicht 
befolgten." 

3)Iit bem SCrofte, bafe eg bei rechter Schonung nichtg auf fi<h habe, 
empfahl fi<h ber Slrjt, unb ber fßrofeffor mufete fi<h entfchliefeen, feine 
Stunben im Gonferoatorium abfagen $u taffen, ©ine tiefe Sliebergefdjlagens 
heit hatte ficf» feiner bemächtigt. Sßenn roirflidj ber Slrjt Stecht hätte — 
mie fotlte er leben, ohne feine ftunft augjuüben, roie fterben, ohne feine 
Schulb gefühnt ju haben! So oft fchon, roenn oöHige ©rfehöpfung, Unlufl 
ju aller Slrbeit ihn überfontmen, eine peinigenbe, nernöfe Unruhe in feinem 
Körper gebebt hatte, roar eg ihm burch ben Sinn gegangen, bafe eg beffer 
fei, mit bem ganjen Sehen ein ©itbe ju machen, alg ftetg oor fommenben 
Schrecfniffen ju jittern ober nur ju oegetiren ; aber jefct — nein, jefet burfte 
er nicht an fi<h, nicht an feine Stube benfeu, ehe er nicht einen SOtenfchen, 
einen ßünftler ber SBett gerettet. 

®ie SRittel beg Slrjtcg roirften allmählich beruhigenb auf Stolf Stromer. 
@r liefe fi<h Rapier unb 33leiftift reichen, fchrieb ein paar Sßorte, bie er 
couoertirte unb fcfjnell ju beförbern bat. ®ann oerfiel er roieber ben 
früheren ©ebanfen, big ein leichter Schlummer ihn baoon erlöfte. @g roar 
fchon Slbenb, alg er burch ein Klopfen an feiner £bfir*erroa<hte. greubig 
überrafcht fah er Stechtganroalt ©berharb eintreten. 

©r ftreefte iljm bie £anb entgegen, „töerjlich roiHfommen. 3<h hatte 
nicht ju hoffen geroagt, bafe Sie mich noch heute auffuchen mürben." 

„3hre 33itte flang fo bringenb, unb ich hatte ben Slbenb frei. Slber 
mag machen Sie für ©efcf)i<hten, &err ißrofeffor? SJtufe ich glauben, bafe 
meine Entführung ju Tempel 3hoen fo f<hle<hte fyrüchte getragen hat?" 



Kiiit jilerfcele. 


393 


„•Rein, machen Sie jidb barüber feine Sorten, £err fRecbtSanmalt; 
roaS beute jum SluSbrud) gefommen ift, bat mir roofjl fdbon lange in ben 
©liebern gelegen. SDer 3lrjt bat mir jroar 9Rutb jugefprocben, aber aus 
feinen SBorten ging beutlidj genug beroor, baf er fein rechtes 3utrauen ju 
meiner 3tatur bat. 35 aS gab mir ju benfen unb — furj unb gut, ich 
mitt mein 35eftament madben." 

©bewarb, ber mittlerroeile am SBett be» ffkofefforS ißlab genommen, 
fragte bejtürjt: „Sie fühlen fidb ernftlidb franf?" 

Stromer lädbette berubigenb. „“Riebt toie ein SEobeScanbibat, aber eS 
mürbe mir eine ©rlekbterung bereiten, geroiffe Veftimmungen auf alle ffÖUe 
getroffen ju haben. 3Ran ftirbt ja am SEeftamentinacben nidbt." 

„3<b ftebe jur Verfügung." 3)amit griff ber IRedbtSanroatt in feine 
Vrujltafdbe, als roolle er Schreibmaterial beroorjieben. 

„Sie müffen midb erft anbören," mehrte ber fßrofeffor biefer Vor« 
bereitung. „3db habe midb au Sie gemanbt, lieber ©berbarb, meil idb Sie 
ftets, trobbem mir uns feiten feben, für meinen greunb gebalten habe unb 
für einen ehrlichen 9Rann, bem ein SBort gtei<b ©elöbnif? ift." 

„3«b baffe. Sie haben ftdb in mir nidbt getäufdbt." 

„9BaS idb 3bnen anjuoertrauen habe, muß, folange idb lebe, toie 
Seidbtgebeimnifs für Sie fein, bodb überlaffe i<b es 3btent ©rmeffen, roaS 
Sie nadb meinem £obe bamit anfangen motten." @r madbte eine fßaufe, 
unb erft als ber Stnbere fidb oott Spannung über ihn gebeugt batte, begann 
er non ffranj Urbani ju fpredben. @r febonte fidb nidbt, als er fein Ver« 
fdbulben gegen ben greunb ftarlegte, unb fdblojj feinen ^Bericht: „Sie feben, 
es mirb mir nidbt leidbt gemacht, mein Unrecht ju fübnen, bodb mürbe idb 
ohne ben blutigen Jfranfbeitsfatt bie Hoffnung nicht aufgegeben haben, gratis 
umjufUmmen unb meiner £ilfe geneigt ju machen. 9tun aber ift mir 
bange barutn geroorben, unb baber mitt idb mein Vermögen, an baS 9hemanb 
fonft einen Slnfprudb ju erbeben bat, auf alle gcille bem greunbe oermadben, 
unb Sie, lieber ©berbarb, fotten nidbt nur baS SEeftament auffefcen, fonbem 
audb bie Verpflichtung übernehmen, bafür ju forgen, ba§ granj bie ©rbfdbaft 
antritt unb in bem Sinne »erroenbet, in bem idb f' e ihm biuterlaffe." 

„2BaS in meinen .Prüften fleht, fott gefdbeben," fagte tief beroegt ber 
9tedbtSanmalt, „bodb bin idb überjeugt, Sie feben in biefem Sttugenblid ju 
fdbroarj. 9Bie 3b r Verfehlen Sbnen jefct als Verbrechen erfdbeint, fo audb 
ein oorübergebenbeS Seiben als tobbringenbe Äranfbeit. 3<b baffe. Sie 
roerben balb oott Stotj unb greube 3bren Schübling in 3bmt Spuren 
roanbeln feben — maS midb natürlich nidbt oerbinbern barf, gb r « SBünfdbe 
oottftänbig ju erfüllen." 

„So bitte ich Sie, baS 9tötf)ige aufjufeben unb ju befümmen, mann 
ich Sie auffudben barf, um meine Unterschrift ju geben." 

„Sott idb nicht lieber fyxt omnien?" 



3 . Jütten in (Eilftt. 


394 


„SBarum? 34 fjoffe morgen fdion meine SIrbeit mieber oufjunef^men. 
©in Sieberanfall fjat midi umgeroorfen, nun er oorüber, roill i4 noch mein 
Seben fo gut raie möglich auSitufcen." 

„Sie ftnb ieidjtfinnig." 

„Stur geijig mit meiner nielieidit fnappen Beit." 

©S mar mitttermeite fpat geroorben, unb ber Sted&täanroalt erbot u4 
noch alte für baä ©cftament erforbcrlidjen ©aten. ©aun ging er, fo emft 
geftiinmt mie feiten in feinem Seben unb ooB nod) größerer $o4a4tun9 
für Stolf Stromer, als er fie fdion bisher entpfunben. 

©er ißrofeffor fonnte roirflüf) am folgenben ©age feinen ißffüfjten na<fe 
geben. Gr füllte fid) no4 ein roenig fdjroa4, aber fieberfrei, unb eS batte 
ilnn im 33ett aud) feine Stube gelaffen, 9ta4mittagS fudjte er mieber 
ff ran j Urbani auf, ber fid) oergeblidh bemühte, eä nidit merfen ju laffen, 
roie bicfe Slufmerffamfeit ifm freute unb ihm fdjmeidjelte. ©rofcbem fam 
Stolf feinem Biele niefit näher, benn fobalb er non feinen planen für ben 
ffreunb anfing, febrte biefcr feine rauhe ©eite heraus unb blieb babei, e§ 
fei für ihn ju fpät, nad) hädifier ftünftlerf4aft ju fireben. 2ludj meitere 
Sefudjc hatten feinen bafferen Grfolg, bod) lieh ft4 ber ißrofeffor baburdj 
nidit abfdirecfen unb oerlebte beit größten ©heil feiner freien Beit mit fyrans 
jufamnten. 34» gegenüber jeigte er fid) fletS heiter unb forgloä, roährenb 
er fonft ungeroöljnli4 fdjroeigfam roar unb fein ftanfeS SluSfeljen ffreunbe 
unb ©djüler beunruhigte. 

Gtroa jroei Söodien nad; feiner erften Begegnung mit S ran J fu*te 
Stolf ©trönter im Gonfcruatoriuin ^irofeffor Stnnenberger auf, ben er fonft, 
fo fehr er ihn als Mnftlcr berouuberte bo4 gern nermieb. 

„34 habe eine grofee Sitte an ©ie, £err ^ßrofeffor." 

©in roenig befrembet blidte ber alte $err feinen Sefudjer an, fagte 
aber föftid), baß er ju feiner Verfügung ftänbe. 

„34 mödjte 3hr Urtljeil erbitten, ba idf) bem meinen nidjt re4t traue, 
©in ffreunb non mir unb mein erfter, glei4attriger Sehrer, hält ftdj hier 
in Scrlin auf unb nergeubet fein fdjöneS ©alent — i4 mö4te fafi fagen, 
©enie — beim SXuffpielen junt ©anje. 34 roürbe ihn gern feinen trübe 
feligen Serhältniffen entreißen, tnö4te nur oorber roiffen, ob ©ie feine 33e» 
gabung fo groß finben, roie i4 fie neranf4lage." 

„£nn, hm, baS ma4t 3h l 'ent &erjen alle ©hre, $err ©ollege, aber in 
biefem Sitter unb ftarf nerbummett, roie i4 nerntuthe — baS hiefee bodf> 
roohl 2'3affer mit einem ©iebe fc^öpfen. ©ie benfen natürli4 an unfete 
$o4f4ule, aber für fol4e Seute giebt es feine ffreiftellen, unb roenn er 
ben ScbenSunterhalt babei felbft nerbienen mufe — " 

„©aoon biirfte bann natiirli4 nidjt mehr bie Siebe fein, ©ie 

pecuniäre ©eite ber Slngelegenficit ift ganj mein ©heit. ©3 hanbelt ftdi 
nur barum, 3h r Wtthcil ju hören, £>ert ißrofeffor, unb roenn baSfetbe fi4 



— Künftlerfcele. 395 

mit bem meinen becft, burd) öh r 2 Bort meinem greunbe 9)iuth ju neuem 
©treten ju geben." 

Ser alte $err Eniff feine ein wenig furjfehtigen Slugen jufamtnen unb 
betrachtete ©trömer fo fdjatf, als fätje er il;n junt erften SMe. 

„Sllfo wirflidj nur mein Urtfjeil, unb ©ie wollen alle Saften tragen, 
um ^£>rem ©hüfcling ju helfen, aucf) bie moralifdjen — oergeffen ©ie bie 
nicht, $err College, — bann, ja, bann möchte id; ihn wirtlich hören, aber 
am liebften, ohne bah et etwas baoon weife. 

„(SS liefee feh anberS fhwer machen," meinte 3iolf jögemb, „aber 
ihn im Sanjlocal oon £empel ju hören, Eann man Qfjnen bod) nicht 5 m 
muthen, £err ißrofeffor." 

Sinnenberger fchtnunjelte behaglich. „Sla, .jjerr College, warum fallen 
wir nicht einmal wieber jung fein? ©eben wir alfo 511 Tempel unb fehen 
uns Öhren ©hüfcling an." 

„Öh weife niht, wie ih öh'ien banfen fotl, aber möglicherweife fpielt 
Urbani nur noch einmal bort, ba ber erfranfte Glaoierfpteler, ben er 
oertritt, halb wieber hetgefteHt fein wirb." 

,,©ut, fahren wir alfo am nähften ©onntag heraus. Sitte, holen ©ie 
mich uw 5 Uhr ab, ßollege, ih tonnte cS fonft oergeffen, unb fein 
SBort oon meiner Slbfeht }u öE> reiu fjtaunbe." 

9iolf ©trömer gab baS Serfpredjen unb hielt eS natürlich auch, fo 
fhwer eS ihn anfam. 9lur einmal warf er fpu: „SBenn Su nähften 
©onntag wirftih junt lebten ÜHale bei ^empel fpielen foUteft, f?ranä, fo 
jeig’ ihnen wenigftenS, was ©ie an Sir gehabt haben, ©in paar Seute im 
Socal werben feh boh barauf oerfteljen." Cb biefer Hinweis auf frud)t= 
baren Soben gefallen war, fonnte jRolf bem Sßefen beS greunbeS niht am 
merfen, aber eS gelang ihm, jenem für ben Sag feine ©eige aufjubrängen, 

Slm nähften ©onntag war herrliches SEBetter unb Sprofeffor Slnnenberger 
in befter Saune. Sa fie fih oerfpätet hollen, hielten fie fid> niht lange 
im freien auf, fonbern gingen halb in’S Socal. ©S war gerabe S Q ufe 
im Sanje, bie fie benutzten, um in bem Stebenraum, ber nur burh Pfeiler 
oon bem Sanjfaale getrennt mar, ißläfee in ber 9iähe beS ©eigerS ju fudjen. 
@S wäre ihnen niht [gelungen, wenn man fie niht erfannt unb ihnen 
bereitwillig jwei ©tühle eingeräumt hätte, ©ie fafeen faunt, als bie 9Wufit 
wieber begann. Sinnenberger blicfte einmal grofe anf unb fhlofe bann feine 
Slugen, um ungeftört laufdien ju fönnen. SlolfS ^erj fdjlug anfangs fo 
laut, als gelte eS bie ©ntfheibung feines eigenen ©hihfalS, aber halb wih 
feine Unruhe. 9Jtad)te eS bie werthoolle ©eige ober hatte fein 9tatlj boh 
gewirft? — ihm fhien eS, als fei ber greunb feiten in fo guter ©timmung 
gewefen, als hätte heute feine fjjanb eine ganj befonberS geniale ßraft. SBaS 
er aus ben einfachen ÜMobien mähte, bie hier als Sanjmufif üblih waren! 
Öefct ftodte ber Sogen, eine furje ißaufe trat ein. Sßrofeffor Sinnenberger 
öffnete einmal bie Slugen, fhlofe fee aber wieber ohne ein SBort gefprodjen 



396 


3« ßutten in (Etlfit. 


gu haben, uttb nerharrte jo nod wäßrenb beS nädften SfjeileS. 21(3 audj 
biefer beettbet mar, reifte er (Strömet über bert Sifd hinüber feine .fjanb. 

„Sie Ejaben Dtedjt ; um breS Talent märe eS gu fdabe. Sitte, machen 
Sie mich in ber nädften i$aufe mit 3f^rem fyreunbe befannt." 

grang Urbani glaubte gu träumen, als -Rolf ifjn 2lnnenberger gufüljrte, 
als er bem SDteifter, ben er feit feinen früßeften Kinbertagen als Sorbilb 
unb 3beal uereßrt tjatte, iu’S 2luge bUcfen burfte, unb biefer ibm äSorte 
ber 2lnerfennung fagte, iljnt gurebete, fid grünbliden URufifftunben ju 
mibnten, unb dm jebe ff-örberung gufagte. Sann rief ißn bie Pflicht gurücf, 
um weiter $um Sange aufgufpieleit, unb Siolf befielt nur geit, dm „auf 
SSieberfeljen morgen" gugurufen. 

3n gehobener Stimmung fefjrte Strömer 2lbenbS in fein £eim gurüdf . 
3f»m etfdteit es gang unmöglidb, baß granj aud jefct nod feine .pilfe 
gurücfmeifen folltc, unb er wollte fdon über it>rt unb feine gortfd^rüte 
madjen, mit ifmt gu ben nocf; nidjt erreichten $öhen ber Äunft empor* 
fiteben. 9tun er entlüfteten ©emiffenS wieber freubig in’S Sehen blicfen 
fonnte, wollte er aud etwas für feine ©efunbßeit tl)un, feine 9teruen 
ftärfen, bamit bieS fjäblid^e, bekommene ©efüßl auffjörte, baS d n fo oft 
erfdrecft. 

Dtocf) ehe er am nächften Sage gur £odfd)ule ging, fdrieb er an ein 
paar greunbe, barunter 9ted)tSanroalt ©berßarb, unb bat fie, fi<h 2lbenbä 
im ^Burggrafen eingufinben, um einen angeßenben Zünftler fennen gu 
lernen unb auf fein 2Bof)l ein ©la§ SBein gu trinfen. — UladmittagS 
fudte er wieber grätig auf, fanb ihn in ernfter, glücflidjjer Stimmung unb 
begann fofort über bie 3ufunft mit ißm gu fpred)en. „Um Sir ben 
Stritt in baS neue Sehen gu erleid tern, will id SUfj h eu t 2lbenb gleidf» 
mit ein paar Leuten, bie üd für SDtufif intereffiren unb Sir behilflich 
fein fönnen, befannt maden." 

grang war oon ber gbee entgücft, als aber 9tolf auf feinen alten 
Sorfdtag guriidfant, er möge gang gu ihm gießen, blieb er babei, baß 
er fein 2llmofen anneßnten fönne. „ga , oor gehn gaßren wäre id 
oietleidt nod harmlos genug bngu gewefcn, aber jefet nidt mehr. Su 
braudft Sir um mid aud) feine Sorgen gu maden; feit ber 2Beihejhmbe, 
ba 2lnnenberger mid ermutßigt, bin id gefeit unb fann mein 3iel erteiden, 
aud wenn id mid feßr einfdränfe unb baS 28enige, baS id brau<de, burd 
Sohnarbeit tierbienen muß." 

„Um ©otteSwiEen, grang, oergiß nidt, was Su felbft mir über baS 
föerabgießenbe folder Sanglocale gefagt ßaft; unb bie Kunfl forbert einen 
gangen 'JRenfden, feinen Körper unb feine Seele, wenn fie dm dre fßatme 
reiden foll." 

„2lHeS fott ifjr gehören, was fomntt es auf ein oereinjelteS 2luffpielen 
an? — SaS ©efüßl pecuniärer 2lbl)ängigfeit würbe mid mehr brücfen. 
Sßenn gßr mir nur eine greiftetle am ©onfernatorium erwirfen Könntet." 



KiinjUerfeele. 397 

,,©aS gefd)ie^t jroeifeßoS, barübet ntacf» ©ir feine Sorgen, aber baS 
Anbere — 

,,©a»on fdhroeig, roenu ©u mir nicht ben gölten ©ag »erleiben roißft," 
unterbrach ißn granj gereist. 

gär eine Steile trat Nolf ferner at^menb an’S genßer, bann manbte 
er fid^ roieber in’S gimmer jurüdf. „©u tßuft immer, at§ rnoüte idf ©ir 
Sßohlthaten aufbräitgen, granj, unb vergißt ganj bie anbere Seite ber 
Angelegenheit, gef) weiß, baß alle Auslagen, bie ich jefct für ©idh mache, 
gut angelegtes Kapital finb, unb außerbem — ich möchte lieber auf ©ich 
als meinen Schüler ftolj fein biirfen, als baß idf» fpäter ©ich als Neben- 
buhler ju fürdhten hätte." 

lieber beS Angerebeten ©eficfjt tief ein 3 Uf f cn / unb tangiam ner= 
roanbetten fidh feine gtifl 6 - AtteS Bittere, Ißürrifche, ©ebriicfte »erfdfjroanb 
batauS, unb feine Stimme bebte »or Nüßrung, als er fagte: ,,©u biß 

tuirflidh ein guter SNenfdh, Nolf, unb idh banfe ©ir für Alles, n>aS ©u 

an mir getjjan haft unb noch tfjurt roißft, aber nun fyaht auch noch bas 

SBertrauen ju mir, baß idh uorroärts fomme unb mein 3iel erreidhen roerbe, 

ohne mir Saßen aufjulaben, für bie meine Sdhultem nicht gebaut ßnb." 

NolfS ©eßdßt erhellte fidh nicht bei ben immer offener unb böslicher 
gefprodhenen SBorten, aber er »erfudfße audh feine ©cgenrebe mehr. Nur 
beS greunbeS $anb brücfte er unb befpradh noch GinigeS bejüglidh ber 
abenblidhen gufammenfunß, ehe er ß<h »erabfdhiebete. Als er fdhon bie 
©hür ^ ber fjanb hatte, manbte er fidh noch einmal jurücf. „geh fann 
jefct meine ©eige nicht mitnehmen; bitte, bringe fie mir hont in ben 
Burggrafen." 

Bor einer Stunbe mar ein jugenblidß elaftifd(:er Niann bie fünf ©reppen 
emporgeßiegen, ein tief gebeugter fdhlidh ße jeßt hinab. Gr fah auch auf 
ber Straße nicht auf, oergaß ber ipferbcbahnroagen ju achten unb mürbe 
erß burdh eine ftarfe Grmübung baran erinnert, baß er ben halben S3eg 
fdhon ju guß jurücfgelegt hatte, ©a rief er eine norüberfahrenbe ©rofdfjfe 
an, um auch roeiter allein ju bleiben. GS roühtte unb gährte in ihm. 3u 
beS greunbeS £offnungSfreubig!eit fonnte er ßdfj nicht auffdhmingen. Gr iß 
ju alt baju, fagte er fidh roieber unb roieber, unb roenn er auch fernerhin 
in Kneipen auffpielen muß, fo »erfaßt er »on Neuem feinen ©äntonen, unb 
Gfel unb Neue »erfperren ihm ben 2Beg aufwärts. Nur ein uoßer Brudh mit 
ber Befangenheit, ausreidhenbe Alittel unb »ießeicfß eine große Grfchütterung 
fönuen ihm noch helfen. Gin Schauer lief bem ©rübelnben über ben Seih, 
unb er faßte nach feinem &erjen. Jßie es roieber fdhlägt, ber Arjt hat 
Necht mß feinen Beforgniffen, unb bann trat eS ihm in leifem SNurmetn 
auf bie Sippen: „Gr ober idh, er ober idh." Gnbtidfj hielt bie ©rofdhfe, 
unb Nolf üherjeugte fleh, baß er fdhon in jroei Stunben im Burggrafen 
eintreffen müffe. ©ie grage feiner SBirthin, ob er etroaS genießen rooße, 
»emeinte er unb ging mit auf ben Nüdfen gelegten Armen im 3inttnet auf 



398 


3. Jütten in (Eilfii. 


unb ab. 91ur manchmal blieb er mir feinen 9Joten fielen unb liefe feine 
Slide fo liebetioll über fie gleiten, als feien fte etmaS SebenbigeS, tfem fefjr 
2Tt)eure§. 3llS bie Stunbe ber 3ufammenfunft fi<b näherte, mad)te er mit 
grofeer Sorgfalt Toilette. Sor bem Spiegel bliette er fdfeaef in fein ge* 
fpannt unb biifter i()m entgegenftarrenbcS Slntlife, ftrid» fid) glättenb über 
bie 3 üge unb murmelte: „ 2 )iutb, 3Jiutt) ! Sorfid)tl" unb niieber nach einer 
3'3ei(e: „Du bift ein Ijarter ©laubiger, granj Urbani, aber ein £unbS* 
fott, wer feine Sdutlben nidjt bejahrt." — 

Obgleich ber ißrofeffor nicht barait jroeifelte, bafe ©berfearb feiner ©im 
labung folgen mürbe, tjotte er il)n bod), ba fein 2ßeg an beffen Sßofenung 
oorbeiführte, ab unb erjählte ifem mit ©enugtljuung non bem geftrigen 
©age. ©aitn erfunbigte fief) ber 9ied)tSanroalt nach feinem Sefinben. 

„ 3 cfe füllte mich and» beute nod) rcdjt leibenb, aber ber gute SBille fotl 
ja fooiel tljun ; id) merbe es überminben, benn id) habe Pflichten gegen 
fyranj. ©3 märe mir aber bod) eine grofee Serubigung, roenn Sie, lieber 
ftrcunb, mir noch einmal jufagen möchten, im fyalle granj einmal ohne 
micb bafteben foHte, fid; feiner anjunebnten." 

©berbarb brüdte ihm bie £mnb, fonnte fid) aber nicht enthalten, an 
fein Serfpredjeit bie Sitte 3 U fnüpfeit, Stromer möge forgfältiger mit feiner 
©efunbbeit umgeben. 

„Selbftocrfiäitblicfe jefet mehr als je, ba ich ein 3i^ l) a & e / uur 
mit Äraft unb ffrifdjc erreicht merbeit fanit." — 

©er Slbcnb «erlief auf’s Sd)önfte. ©ie allgemeiite heitere Stimmung 
roirfte günftig auf ffraitj. ©r liefe fid) übereben, auf SRolfS ©eige einige 
Stüde oorjutragen, unb fpielte fo biureifeenb, bafe fclbft biefe ÜJfänner, 
benen feine ted)uifd)eit 2 Rängc( nicht oerborgen blieben, begeiftert roaren unb 
i()m eine grofee 3'dunft propbejeiten. — @S mar fd)on heller fDtorgen, als 
bie Herren ben ^cimmeg antraten, unb gerabe 9iolf Stromer, fonfl ber 
Solibefte, b fl üe immer mieber ben ülufbrud) feinauSgejögert unb noch ein 
©laS 2?eiu auf baS 2Bol)l beS jufünftigeu Sternes am Jtunjifeimmel 
getrunfen. 

©ine furje Strede gingen er, ©berbarb unb Urbani jufammen, bann 
tnufete Sefeterer fid) oon ben 2 tnberen trennen. 9iolf fdfelug ifetn auf bie 
Schultern unb fagte luftig: „3<h feilte ©ir böfe fein, Jranj, toeil ©u 
meine iöünfdje mifeadjteft, aber ich fann es nicht, ©u bift ein ganjer ÄerL 
9lur bafe ©u meiner ©mpfebtung ©bre machft, bitte id) mir aus," unb 
einen 3lugenbtid fpäter rief er bem fvortfdjreitenben nach: „Stramm nehmen 
merbe ich ©id) fdoit, ©u iollft fefecn, mar für ein ftrenger Sehrer ich 
fein fann." 

2 >or ©berfearbs ©büre ftanben fie einen 2 tugenblid ftiH, unb ber 
iprofeffor blidte fo ernft unb befdjmüreub in baS ©efidjt beS 9lecfet8anmaltS, 
bafe biefer ben ©ebanfeit, ber 2 Iubere habe ein rnenig ju oiel getrunfen, 
mieber aufgeben ntufete, bagegen auf eine ülnrebe martete. fRolf fagte aber 


Künftlerf eele. 


399 


nur abgebroden: „granj barf auf feinen fjnll nod einmal in einet Äneipe 
jum Sanje fpielen, bas märe fein Siuin. 3 c ht in tiefer Beit ber $8e« 
geifierung mufe er aus all ben alten SPerf)ä[tniffen loSgelöft werben, fonft ift 
es ju fpät." Oarnit nicfte er ©berbarb ju unb ging fcfmett non bannen. 

2 lm nädften Sliorgen cerbreitete fidf) burd) Berlin eine Sfunbe, bie felbft 
in ber SJUHionenftabt erfdütternb toirfte: 3« ber Stüorgenfrühe fiatte man 
bidt am ©anal bie Seide Sßrofeffor ©trömcrS gefunben. 2tHe EDtutfemafeungen, 
bie fid) an ben plöfeliden Oob hätten fniipfen fönnen, mürben baburd) ab* 
gefdnitten, bafe bie 3lerjte nadj ber ©ection erflärten, ein ^erjfdjtag hätte 
ben ÄünfHer bahingerafft, unb fein Oob fei bei ber fvanfen 33efdaffenheit 
feiner inneren Organe nur eine $rage ber nädften 3cit geroefen, bod hohe 
mahrfdjeinlid) ber ungemohnte SBeingenuß unb bie Aufregung ber lebten 
■Jiadt ihn befdteunigt. 

©0 tief beroegt SiedtSanroalt ©berharb bie ‘Jladridt aufnahm, ihn wollte 
es bod als ein ©lücf bebänfen, bafe es fo gefommen mar, benn je mehr 
er Mem nadfamt, was er mit Stolf ©trömer in ber testen £eit gefproden, 
um fo gebieterifder brängte fid ihm bie Ueberjeugung auf, baft ber £>etj= 
fcfelog $enem einen furchtbaren ©dritt erfpart höbe. 2 Bie fam er bort in 
bie Stahe beS SPafferS? ©ewife mar et lange umhergeirrt, immer mit ber 
bangen fjfrage, ob er bem fyreunbe, an bem er fid cerfünbigt, aud baS 
lefete, große Opfer bringen muffe, unb ba hatte eine mitbe §anb im rechten 
2lugenb(id fein unruhcotteS $erj 1 'tiH fiefien geheifeen unb ihm batnit erft 
bie colle ©ühne ermöglicht. Tenn cietleidt nur roenige ©ecunben fpäter, 
unb ber Oob hätte ein anbereS SluSfehen gehabt — natürtid ein Unglütfs« 
fall, mie bie Sterjte unb alte Seute gefagt hätten, boppelt erflärlid, ba ber 
23erftorbene offenbar im diaufd) con feinen fyreunben gefdieben — aber 
fdmer ju beroeiien, befonberS ffranj Urbani, ber um {eben SßreiS cor einem 
folden SBerbadte b ernährt merben inufete, bamit er bie materielle hinter* 
iaffenfdaft beS fyreunbeS annähme. 'Oie moralifde ©rbfdaft Stoffs hatte 
Gberfearb felbfi anjutreten, unb um baS im collen Umfange ju fönnen, 
fudte er fdon am nädften Oage ißrofeffor Sinnenberger auf unb hatte 
eine lange, tief ernfte Unterrebung mit ihm, bie bamit enbete, bafe ber 
alte £err beroegt fagte: „$d höbe ihm bis cor Äurjem Unrecht gethan, 
id hätte ifem nie fo ciel £er$en3roämte unb ein fo jarteS ©ewiffen ju= 
getraut." — 

Me, bie ber großen Orauerfeier für ben ciel 311 früh bahingerafften 
Zünftler beiwohnten, befunbeten fpäter, ben ergreifenbften ©inbrucf habe es 
gemadt, als nad ber Siebe beS ©eifttiden ber greife Sinnenberger an ben 
©arg getreten fei unb wie 3 U bem Oobten, aber bod cernehmlid für alle 
3lnroefenben, gefagt hohe: „ 3 ft Oeine fjnnb aud nidt immer Oeinem 
hödften, begeifterten Sßollen gefolgt, eine edte, wahre Jlünftferfeele hotteft 
Ou bod, unb eS fott uns Pflicht unb ©h re lein, Oein 33ermädtniß an- 
3 utreten." 




3m ©ften. 

Don 

&ale£ca <£oma£t5eta£ftl 

— Breslau. — 

3m ®ften mölbt ft dj ein golbnes (Eljor, 

(Ein fcfyönes IDeib fcfjaut grufjenb Ijeroor 
Unb minft mit feiner t^anb. 

3<fy fenite es gut. 3^ nannte es mein. 

— Hun rnanbre id? lange fdjon allein 
Durcfy öbes £anb. 

IDcfyl Da§ td? ben Sd^lüffel 3 um golbnen (El^or 
Huf ber milben 3 a 9& nadj bem (ßläcf oerlor. 


Didjt neben mir auf fdjmalem Hain 
Schreitet ein feltfam ITtütterlein, 

Ejat ^lügel fpinnmebgrau. 

(Es fiiitjt ftd? auf einen bürrcn Stab. 

— (Eiefneigenb nal^m’ id? mein Ejntdjen ab — 
Da fpridjt bie Ulte fdjlau: 

„3^? meifj, mo ber Sdjlüffel liegt, 

D ergraben unter Schutt unb Staub, 

Don Hofen unb weitem Sorbeerlanb, 

Unter Be^en, bie lange permobert ftnb, 

Unter (Epfyeu, ber ben (Eob umfpinnt. 

Darüber ragt ein fdjtparjer Stein, 

Unb feuf 3 enb 3 iefyt porbei ber IDinb. 

(Ein böfer 5®erg foll ^üter fein; 

Den fyat nod? Keiner beftegt. 


3 m (D ft c tt. 


V>\ 


£aß ruf?en, was begraben ruf?t! 

Wo märmte je nerlof d?ne (Slutf?? 

tüas fud?ji Du, Harr? Komm Du mit mir! 

Die ftille Heimat 3 eig' id? Dir, 

Dort iji bie Hu^*, bie cmige Huf?*I 
3d? bette Did? gut, 

ITtit meinen klügeln becf’ id? Did? 3U." 

„tjab’ Danf, Du derbes lUntterlein, 

Dod? bitt' id? Did?, 3 iei?’ t^übfd? allein, 

3d? mag’ bcn Kampf um bie Sd? öne« 

Drei ^reunbe meiß id?, bie fjaben mir nie 
3t?re (Ereue nerfagt — id? rufe fte, 

Der ^rofytatur €belföl?ne. 

Kommt, IDagemutf?! Kumpan fjumor! 

£eid?tfüßige £uftl — bie id? erfor. 

Den §merg. ben iiberminben mir. 

Den golbnen Sdjlüffel finben mir! 

Dann foli es geben ein großes ^ejt, 

Die hungrigen alle finb meine (Saft’, 

Bis breimal bie Sonne ftnft. 

Drauf 3ieV id? jaud? 3 enb mein Kleinob t?error, 

Unb fprenge gen ©ften 3 um golbnen (D?or — 
Dahinter bie 3 u 9 en & winft. 

Das IHütterlein im meißen £?aar 
mit ffoggefpanntem Sd?mingenpaar — 

Steigt auf, com Sturm umtojt. 

Unb ein Beftegter, Fampfesfd?mad?, 

§iei?t fturmgetrieben ber Ulten nad?. 

3n Had?t nerjinft ber ®fi. 



^äfyrmcmrt (Eob. 

2TtoDeIIette. 


Suliug Ü5^ ^aarljau£. 

— Seipstg. — 

[gBSjber^alb ber alten 9tbeinftabt ©t ©car, etma in halber £>öbe beS VergeS, Keateine 
mSmAl Villa, bereu fcblanfeS ©rfertbürmeben ber gu $bal gabrenbe fdjon mabrnimmt, 
fobalb baS ©ebiff bie ©tromfrümmuug beim £urlcpfelfen puffert bat 2)ie Villa beftebt 
aus einem älteren, im anfpreebenben ©tile ber alten rbeinifeben ßanbbäufer aufgefiibrten 
§auptbau, ber in früheren Seiten mabrfdjeinlicb einmal als Weiterbaus gebient bot, unb 
einem neueren unb eleganteren ©eitengebäube, gu bem eben jenes Xbürmcben gebart 
$aS Slntoefen febeint feit 3abren unbemobnt gu fein ober bon feinem jefetgen Veftfecr nur 
gelegentlich für menige Xage befuebt gu merben. $ie grünen genftertäben bleiben ge* 
fdfjloffen, unb an ben hoben gefttagen, ba fonft in ber bortigen ©egenb boeb jebeS $anS 
im glaggenfcfemucfe prangt, mebt Proben meber gabne noch SBimpeL Unb bo<b toar baS 
einfame Raubbaus bort am Vergbauge einft eine ©tätte fröblicben Gebens, entern erlefenett 
Wreife toegen feiner febönen £age ebenfo lieb unb toertb mie tregen ber ©aftlicfefeit feines 
VefefcerS, ber alljährlich um bie Vfengftgeit hier im toabren ©inne beS SBorteS gu refebtren 
unb einen gangen ©of bott intereffanten Dftenjcben um ftcb gu üerfammeln pflegte. Waum 
mar bie glagge in ben S5?appenfarbeit beS alten nieberrbeinifeben Waufmatm8gefd)ie<bte8 
au ber gabnenftange beS XbürmcbenS gutn 3ei<ben, bafe §err ©elberlanb unb gantilie 
ihr’ SuSculum begogen hätten, emporgeftiegen, fo [teilten fid) auch febon bie getoobnten 
ißfingftgäfte ein: Düffelborfer 3Mer, Wölner Wuttftfreunbe, Voimer ©eleferte unb noch 
mancher Slnbere, ber nur beit StocbmeiS geiftiger Sntercffen gu erbringen brauste, um 3^6 
gu ftnben. SDie ©aftlicbfeit, bie bort oben geübt mürbe, mar für SBirtb unb greunbe bie 
benfbar beauemfte, ba fie Sebent geftattete, unbefümmert um bie 5lnberen fernen eigenen 
2ßeg gu geben, öorauSgefefct, bafe er ftcb gu ben ©auptmabfgetten pünftlicfe einfänb. SScr 
eS nicht öorgog, auf ben ^erraffen beS ©artenB im bequemen Sftobrfeffel liegenb bie un* 
öergleidjlicbe SfuSfitfet auf baS ^beintbal unb bie gegenüberliegenben ^Burgruinen gtt ge* 
niefeen ober ficb auf ben febattigen SSalbpfaben gu ergeben, für ben gab eS, toerat er 
gefettige Vergnügungen Porgog, Wegelbabn, ViHarb unb ©ebiefeftanb ober, menn er emftere 
Anregung liebte, eine flehte, aber gut gemäblte Vibliotfjef unb eine nicht minber bortreff* 


^äljrmann (Lob. 


403 


lidje Sammlung römifcher unb fränfifcher Slltertbümer. giir ftreunbe geiftigcr ©eitüffe 
anberer 2lrt mar ein bantalS gerabegu berühmter Seinfeßer üorhanben, als beffen 
Specialitclt ein ©nghößer galt, oon bem ein ftranffurter Kenner heute noch ersähen foß. 

2lm Borabenbe beS fßfingftfefteS 187 . b)atte fidj bie ©efeflfdjaft mieber ooßgählig 
eingefunben. ßftan erftaunte baher nicht menig, als ber ©auSherr bem Wiener ben Auftrag 
gab, gum NachmittagSfcfcneßguge nach 0t. ©oarShaufen hinübergufahren unb einen Weiteren 
©aft abguholen. SfiCuf bte neugierigen fragen einiger gremtbe, bie gerabe gugegen maren, 
batte er nur ein geheimnifjüoßeS fächeln als Slntmort, unb ebeufomenig mar aus grau 
©elberlanb unb ihren antnulfjigen Töchtern mehr herauSgubefommen als bie Slnbeuhmg, 
bafe eS fi(b um eine befonbere Ueberrafdjung hanble, bie nicht üorgeitig üerrathen merbett 
falle. Befannßidj Pflegen auch entftere Naturen, meint fie, ihrer gehöhnten Befchäftiaung 
entriffen, in Reibern, 0omnterfrifcben ober Bißeggiaturen planlos in ben Tag hineinleben, 
febr leicht einem Slnfaße acuter Neugier gu erliegen, unb fo fahen bemt bie Bfingftgäfte 
ber Bißa ihre ©ebulb auf eine harte Brobe gefteilt. 3« m Ueberflufc mar ber fo febnlicb 
ertoartete Unbefannte, gerabe als bie ©efeßfehaft beim ^f>ee fafc, unbemerft in’S ©aitS 
gefeblüpft unb blieb ben gangen Nachmittag unfichtbar. ©röfcer als fonft mar beute bie 
3abl berer, bte auf ber Beranba oerfantmelt blieben, unb felbft ein junger SanbfchaftS* 
maler, ber am borgen noch 3ebem ergdhlt hatte, er mürbe beit Nbenb gum goreßenangeln 
benufcen, fanb plöfclich, bafe er unbebingt eine Slquareßffigge ber Burg föafc entmerfen 
muffe. Tie menigett, bie ficb Don ihren gebahnten ©jeurfiouen nicht hotten gurücfhalten 
taffen, fteßten ficb fettiger als fonft mieber ein uitb machten aus ihrer ©nttäufchung fein 
©ehl, als fte üott ben 3«rücfgebliebenen erfuhren, bafe fid) ber geheimitifeüoße ©aft immer 
noch nicht gegeigt habe. 21« ber Slbenbtafei nahmen aufeer ber übrigen ©efeßfehaft einige 
gute Befamtte beS Hausherrn aus 0t. ©oar Theil, barunter ein penfionirter Niajor, Oon 
bem man behauptete, baß er nur megeit feiner gertigfeit im Bomlen=2infet}en gelaben 
mürbe. Bei Tifd) ereignete ficb nichts UitgemöbniidieS. Ter tauge Suntabenb geftattete, 
baS Ntohl ohne fitnftliche Beleuchtung eingunehmen. Tefto erftaunter maren bie ©dfte, als 
©err ©elberlattb fie nach aufgehobener Tafel in ben Beraubafaal führte, mo ber geöffnete 
glügel unb mehrere Notenpulte mit brennenben bergen auf einen itt SluSftcht fteheitbeit 
mufifalifchen ©enufe hmmiefen. ©icr fanb man aitdi beit Dflajor, ber ficb geitig üoit Tifd) 
fortgefcblichen hatte, in ber angenehmen Nction beS BomlefofteuS. Tie üerftäitbnifmoßeit 
Blicfe, bie er mit bem ©auShemt mechfelte, Iiefeen barauf fdjlicfeen, bafe er in baS ®e= 
heimniö eütgemeibt fei 511S Slße Blafc gefunben hatten, unb bic Töchter beS ©aufeS 
bamit begannen, ben föftltch nach Salberbbeeren buftenbeit Tran! gu crebeitgeu, legte ber 
Ntajor beit 0techheber beifeite unb üerfchmaitb auf eilt 3eid)cit ©elberlanbs im Neben* 
gimmer. ©ine Minute fpater febrte er gurücf — am Nrme eilte fdjlaitfe Tarne im eins 
fachen grauen Ncifecoftüm. Ser üon ben ©iiften in ber mufifalifchen Seit gu ©aufe 
mar, bem fonnte bie Tarne nicht frernb fein, unb in ber That ging ber Name Slitgelifa 
0embach üon ßttunb gu ßftuttb, noch ehe ber ©aftgeber bie berühmte 0ängerin üorgefteßt 
unb bie SiebcnSmürbigfeit gepriefeit hatte, mit ber fie ftd) bereit gefunben, ihre Neife gum 
Nieberrhetnifchen Niufitfefte in 0t. ©oarSbaufett gu unterbredjen unb ber fleinen intimen 
grühlingSfeier bie häufte fünftterifche Seihe gu geben. Tie Tina lehnte beit Tanf, ber 
ihr oon aßen 0eiten gefpenbet mürbe, mit ber Bemerfitng ab, fie felbft fei froh, bem 
hetfeen ©ifenbahncoupe auf einige 0tunbeit eittroitneit gu feilt, mtb entfdjulbigte ihr fpäteS 
©rfiheinen in ber ©efeßfehaft bamit, ba& fte ficb üon beit Nitftrengungeit ber langen gafjrt 
erft habe erholen müffen, ehe fte, bem Sunfcpe beS ©auSherrn eutfprechenb, bie Nachficht 
ber ©errfchaften für ben Vortrag eines fleinen Siebes in Nitfpruch nehmen moße. 0te 
trat unbefangen, als fei fte hier gu ©aufe, att beit Notenftiinber, fudhte unter ben Niufifalien 
nach einer geeigneten Sßiece, üerftänbigte ftch mit ber älteren Tod)ter beS ©aufeS, einer 
trefflichen $taniftin, über bie Begleitung unb fang mit muitberbarer Nltftimme geTbirtanb 
©ülerS herrliche ©ompofition beS Blateu’fdjen ©ebi^teS w 3it ber Nadit". Tie Sirfung 
beS SiebeS auf bie ©örer mar unbefchreibiich, ungleid) größer unb nad)haltiger, als fte 

27 


moxb unb ©ub. XCV. 285. 



Julius H. fjaarpaus in Ceipgtg. 


<K>* 

beim ©ortrage im (Soncertfaale hätte fein fönnen, ba fie Wer burch ben Steig ber Oert» 
liebfett unb ben 3auber beS 2lugettblicfB unterfiiifet mürbe. Dur dj bie toeitgeöffneten 
©laStbüreu beS ©erattbafaaleS flutbete bie milbe Luft beS SuniabenbS, getoürgt mit bem 
Dufte ber Stofen unb Linbenblütben unb häufig belebt burch einen fühlen &aud), ber 
Pont Cheine ober aus ben ©eitentbälern emporftieg. drunten am Ufer tagen bie Käufer 
oon ©t. ©oarBbaufen im Slbenbfrieben, unb bie erleuchteten genfter Siegelten ftch als 
röthltche Siebter auf ber glatten 2Bafferf(äd)e. ©ang aus ber gerne Hang baS ©Iocfdjen 
üon SBeümid) herüber, unb aus ber Xiefe sogen Pont Decfe eine» Dampfer« bie inelfthmnig 
gelungenen ©Seifen eines ^heinliebeS herauf. Die ©efeUfcbaft ftanb unter bem ©aitne 
btejer ©tnbriiefe, unb eS mährte eine ©Seite, ehe bie §änbe Reh rührten, ber ©ängerin 
Söeifatt gu fpettben. Diefe fd)ien ein feines ©efübl bafür su haben, ba& bie aflfletneine 
©egctfteruitg, bie ihr ©efang entfeffeltc, nicht sunt menigften auf äufeere Umftäube gurücf» 
suführen fei, mit benen fie bei Ausübung ihrer tunft fonft nicht gu rechnen hatte. ©Seit 
eutfemt, hierüber berftimmt gu werben, toufete fie aus ber Situation ©ortbeil §u sieben, 
inbem fte ihr Programm ber ©timmung ber $örer attpafete unb guuächft noch jmei 
Sieber fang, bie girnt Ertrag in lauer ©ommernacht mie gefchaffen fchtenen: BeethoöenS 
„©belaibe" unb ©cputnannS „Lotosblume", Der Beifall fteigerte R<h, menn bieS über» 
paupt möglich war, unb ber 2ftajor liefe es Rd) nicht nehmen, ein #odj auf bie föhtfilerin 
auSjubringen. Sind) hierbei forgte ber 3ufall toieber für einen befonberen Effect, beim 
gerabe in bem 5lugenblicf, ba Sille baS frifcp gefüllte ©IaS erhoben, mürben brüben auf 
ber $afe brei ©öllerfcbiiffe gelöft. Damit mar freilich ber ©amt gebrochen; bie elegifche 
©timmung fdjlug piöfeli d) in eine allgemeine Luftigfeit um, unb baS in ber ©ile hnpro» 
üifirte ©treicpquartett, baS fich nun hören liefe, hatte einen feptoereu ©taub, mit feinen 
Darbietungen bie ©ufmerffamfeit ber ©efellfcpaft 3 u feffetn. Dennoch liefe ftdh Slngelifa 
nicht lange nötpigen, noch einmal an ben glügel su treten. 3n bem ©emufetfem, bafe 
fte jefet allein auf ihre ftunft attgemiefeit fei, legte fie in SttignonB ©epttfuchtslieb baS 
Söefte, was fte an (rinpfinbttng unb^tedjnifchem können befafe. @S gelang ihr in ber 
Dbat, bie ©eeleit ber 3ubörer nod) einmal in ihre ©emalt gu befommen. Shm ertoariete 
man, fie mürbe als lefete 3ugabc eine heitere Slrie fingen, aber fei eS, bafe bie toieber 
einmal betätigte ©rfeuntnife, and) ber befte Zünftler fei nur ein ©flaoe gufäUiger Sleufeer» 
lichfeiten, fie traurig ftimmte, fei eS, bafe fte ber Eingebung einer Laune folgte: fie toäblte 
©djubertS eritfteS Lieb „Der Dob unb baS SRäbcfeen". gür btefe ©abe toar bie ®e= 
fellfdjaft nicht mehr recht empfänglich, unb bie ©ängerin fühlte, bafe ber Applaus, ber 
ihr bafür gesollt mürbe, mehr ein ©uSbrucf ber ftöflicpfett als ein 3«dheu echter ©es 
geifterutig mar. Die peinliche ßmpfinbung, bie Re babei befcplicb, mudjS, als ber äßajor 
plöfetid) mit einem mächtigen Lorbeerfrange erfchien unb ihr bettfelben mit einer nicht 
gatts fattelfeften Siebe überreichte. 

©te felbft unb bie meiften ©itmefeitben empfanben eS als eine ©efreiuug, bafe ftd» 
bie ©efellfdiaft jefet in etugelne Gruppen auflöfte unb nach unb nach auf bie Dcrraffe 
unb in ben (harten hinaustrat Unter beit ©äften, bie mährenb ber SJiufifPorträge fein 
©uge Pon ©ngcüfaS fd)laufer ©eftalt abgemanbt hatten, befanb Reh ein junger Äuuft= 
hiftorifer. (Sr hatte früher bie ©bfidjt gehabt, SRaler gu merben, mufete aber, mie fo 
Piele, bie bittere Erfahrung machen, bafe feine ©egabuitg feiner Neigung bei ©kitem nicht 
entfprad), unb mar, unt fo menigftenS im ©ereile feiner ftiUen Liebe gu bleiben, 
reftguirenb gu feinem jefeigen ©erufe iibergegangett. ©r befanb ftd) auch leiblich tooW 
babei, nur menn er gelegentlid) 3enge raufepenber ©rfotge hrnibe, mie Re ber aus» 
übenbe Zünftler, nie aber ber im ©ttllett arbeitenbe ©eleprte erntet, empfanb er Oon 
Sieuem ben ©cputerg feiner alten ^ergensmunbe. ©o erging eS ihm auch heute toieber. 
Slber btcSmal gefeilte ftd) gu bem bitteren ©efüble ein angenehmeres: fein fünftlerifch ge» 
fchulteB Sluge hatte, mährenb bie ©ängerin am Snftrumente ftanb, einen ©enufe empfemben, 
ber feinem oöllig umnufifalifdieu Ohre bei foldjen ©clegenheiten immer üerfagt blieb. 
Das mar für ihn ©runb genug, bie SMhe beS fchönen SeibeS aufgufuchen um, toerat 



405 


^äfyrmantt <£ ob. 

möglich, eine Unterhaltung mit Slngelifa angutnüpfen. ©r mar fonft im »erfehr mit 
®amen nicht gerabe geWanbt, aber jept festen er einer Eingebung gu folgen, als er tn 
ben ©aal gurücteilte, unter ben bort umhetliegenben ©arberobeftücfen ein leichtes meines 
ÜRofiaittud) ausmähtte unb eS ber ftünftlerin mit bem fcintoeife, ba& bie fühle Stachtluft 
ibr febaben rönne, ohne meitere görmlichleiten um bie ©<bultern legte. 

aingelifa m»r an folcfje 2lufmerffamfeiten gu febr gemöbnt, um in bem Benehmen 
be8 jungen 3Jtanne8 ettoaS BefonbereB gu finben, unb ging mit berfelben ©elbjtBerftänblichfeit 
auf feinen Sotfdjlag ein, pr hödjften ©artenterraffe emporgufteigen unb Don bort ben 
SSIict auf ben ßurlepfelfen p geniefeen, über bem jept gerabe ber 2Jlonb ftanb. Witter* 
nacht mar fdion oorüber, baS Jibeintbal lag in tiefem ©dpeigen, nur ba8 Jtachtboot, 
ba8 bei ber Sfjalfahrt eben bie enge gelfenftrafee pafftrte, rneefte mit feinem Staber» 
geftampf ba8 ©djo ber Shalfchludjt lieber ber Baut in ber ©trommitte lag ein biinner 
STiebetfcfjIeier, ber tbalmärtB immer förperhafter mürbe unb fidb eitblicb mit ben au8 bem 
§afenbacfethale htnabgieljenben «Melmaffen Bereinigte. 2lu8 biefem Sunftmeere tauchten 
bie «mauern ber Studie StfjeinfelS mit ihren langen genfterreiljer unb ShurmftiimPfen 
wie ein ©efpenjterfchlofe empor. Ser Slnblicf mar fo iiberrafdjenb, bafe bie beibett jungen 
SRenfcfien, bie an ber Serraffenntauer leimten, eine gange SBeile ben ©inbruef ber ©cenerie 
auf fid) mirfen liefen, ehe fie SBorte fanben, um fitf» gegenfeitig auf biefe ober jene 
©tngelhett anfmerffant gu machen. Unb nun tarn bie Unterhaltung in iylufe. 3uerft be= 
Wegte fie fid) im breiten gahrtoaffer ber conbentioneUen ©ouBerfation, bann aber ging fie 
allgemach auf bie beiberfeitigen perfönlieben 3ntereffen ein. 3»r nidjt geringen Ueber» 
rafdjung be8 jungen ffunfthiftoriferS entpuppte fid) bie ©ängeriu a!8 ein SSJeib Bon fühlet 
Befonnenljett unb Harem Sölicf, neben bem er mit feinen 3Hufionen unb gelegentlichen 
(Sentimentalitäten fid) beinahe fnabenbaft Borfam. 2118 fie über bie fiunft, über bie 2luf» 
gaben unb 3iele be8 SünftlerS fpradjen, fonnte er fid) nicht enthalten, 2lngelifa fein ßerj 
auSpfchütten unb ihr p fagen, mie er fte um ben ßorbeer beneibe, mit bem fie, mo fie 
auch erfdjiene, überhäuft mürbe, ©ie hörte ihm p, ohne ihn p unterbrechen, bann aber 
legte fie ihre fjanb auf feinen Slrm, fah ihm eine SBeile ruhig in’8 @efid)t unb fagte 
nicht ohne eine leife Bitterfeit: „2Beitn ©ie müßten, mie id) ben Sorbeer hoffe 1 Sie 
harten falten Blätter mit ihrem fdjarfen Suft haben etwas SeflentmenbeS für mich, fie 
erinnern mich an Seidjeitbegängnife unb g-riebhofSgrüfte. 2Ba8 mürbe ich barum gegeben 
haben, menn man mir oorhin ftatt be8 entfeplicfeen SBagenrabeS au8 Sorbeerlaub eine 
einige Stofe gereicht hätte!" ©r mollte etmaS p ©unften beS SorbeerS etmibern, ba 
famen anbere SuftWanbelnbe auf bie Serraffe, unb ehe fie noch recht muhten, mie ihnen 
gefchah, fahen fie f«h getrennt unb in irgeub ein gleichfliltigeS ©efpräch gegogeit. 

2118 man Bernahm, bafi bie SHinftlerin ben gegen Bier Uhr Worgenä burd) ©t. ©oar8« 
häufen fommenben ffrühpg bemtpen molle, um nach Süffelborf meiter p fahren, befdjlofe 
man, auf bie Stachtruhe p Bersidjten unb ber 2Ibreifenben bi8 pr lleberf afjrts ftette ba8 
©eleit p geben. 23i8 p ber für ben 2lufbnich feftgefepten ©tunbe hatte man noch einige 
3eit Bor fid), bet SDtajor längte alfo noch einmal bie Bornle an, unb 2lllc8 Berfammelte 
fid) miebet im Beraitbafaale, mo fid) jept ein harmlos fröhliches ©elage entmidelte, mie 
man e8 nur am Stpetn fenni ©elbft 2lngelifa, bie als Sodlter fälterer Breiten bem ihr 
ungemohnten ©etriebc mit einigem Befremben pgefdhaut hatte, mürbe fdjliefelidj Bon ber 
SUuSgelaffenheit ihrer Umgebung angefteeft, meigerte fid) aber eutfepieben, noch ein Sieb 
gum Seiten git geben, ©in Bonner ^Philologe, ber, mie eS fdjien, fein befonberer fjreunb 
ber eblen fjratt Wufifa mar, pflichtete ihr bei unb meinte, man folte e8 bei bem Schubert* 
fchen Siebe bemenbeit taffen, unb belegte feine 2lnfidjt mit bem Hafftfcpen ©itat „mors 
ultima linea rerum“. 

©nblich erinnerte ber Wajor baran, bnfj e8 an ber 3eit fei, Sräulein ©embad) gut 
gähre gu geleiten. Sie Heine §anbtafdje ber Same mar halb girr ©teile, man leerte ba3 
©laS unb fchidte f«h an, baS $au8 gu Bertaffen, um ben 2Seg gur ©tabt eingufdjlagen. 
Schon mar ein Sljeil ba ©efetlichaft btaufeen, ba gebaepte ber junge Shinfthiftorifer be3 

27 * 



^06 3ulius ^aarfjaus in £eip 3 tg. 

auf ber ©artenterraffe geführten ©efprächB. Schnell teilte er ben Uebrigen mit, toie fehr 
bie SHiuftlerin bie Nofen liebe, unb meinte, e§ fei vielleicht angebracht, ihr gum Slbfchiebe 
einen »ofenftrauß gu überreichen. $er 3uftimmung beB ©auBherm glaubte man ficher 311 fern, 
unb fo begann man benn in aller <5ile ben ©arten gu plünbern, Sillein bie SfoSbeute fefeien 
ben ©nthufiaften bei SBeitem nicht reich genug; einer ber Herren auB St @oar, beffen 
»efiöung faum einige hmibert (Schritte unterhalb beB ©elberlaub’fcfeen SlntoefenB lag, ftelüe 
auch feinen NofenRor noch 3 ur Verfügung, man dürfte unb fchnitt auch hier, toaB Reh 
beim 3toitterlid)t beB leicht Verfcfeleierten SJionbeB unb beB anbredjenben Borgens alB ftofe 
erfennen liefe, unb ftiirmte enblicfe, ba bie 3eit brängte, unb bie Sängerin mit ihren Be» 
gleitem längft am Nfeeinufer angerommen fein rnufete, fdjtoer belaben mit ber buftigen, 
thaufenchten £aft, bie ftiüe Strafee gur lleberfafjrtBftelle hinunter. 

&ier hatte fid) ingtoifchen eine feltfame Scene abgefpielt Ta ber Heine Schrauben* 
bampfer, ber ben Bcrfehr gtoifchen St. ©oar unb St ©oarBhaufen vermittelt, gu fo 
geitiger Stunbe noch nicht fuhr, am bieBfeitigen Ufer auch fein Schiffer gur Stelle toar, 
ber einen ber bort angefetteten Stöhne hatte feinübemtbent fönnen, fo hatte man ben Ber* 
iuch gemadjt, einen gährmann von ber anberen Seite herüber gu rufen. Ttr auf bem 
SSaffer liegenbe Nebel toar mittlertoeile fo bicht getoorben, bafe bie Nufenben faum an 
einen ©rfolg ihrer Bemühungen gu glauben toagten. Xennoch Vernahm man nad) einiger 
Seit Nuberfdiläge unb baB Blätfdjern beB SSafferB an ben Söcmbungen eineB gahrgeugeB. 
Noch einige 3JUnuten, unb ein Nad)en ftiefe an’S Ufer. 3>er Schiffer, ber ihn hinüber- 
gebracht hatte, fprang auf ben StieB, hielt baB fchmale Boot mit ber fiinfen gurücf unb 
half mit ber Nedjten Slngelifa beim ©iufteigen. SllIeB baB gefchah fo fchncll, bafe feiner 
ber Slntoefenben ben Nlann genauer in’B Singe gu faffen vermochte. SltlerbingB toar auch 
bie höchfte ©ile geboten, toemt man ben Bahnhof noch reefetgeitig erreichen tooüte. ©erabe 
toar ber Nachen vom Ufer abgeftofeen, alB bie Nadjgügler mit ihrer SlbfdjiebBgabe beim 
SanbungSpIafee eintrafen. Wlan rief bem gälRmann gu, noch einmal angulegen. ©r 
anttoortete mit einem Reiferen £ad)en unb machte nicht ben geringften Berfudj, biefer 2luf= 
forberung gu entfprechen. $aB Keine Boot entfernte fid) immer toeiter vom Ufer. 
Slngelifa ftanb hoch aufgerichtet am Stern unb toinfte ben 3arücfbleibenben mit ihrem 
Xüchlein SlbfdjiebBgrüfee gu. $a raffte fich ber junge ©eiehrte auf, fafete feinen Nofen* 
jtraufe mit ber Siebten, holte toeit auB unb fcfeleuberte ihn bem ®ahne nach. $ie Slnbem 
folgten feinem Bcifpiele. SNcut fab, toie bie ftünftlerin fuh über Borb beugte, um bie 
fchtoimmenben Blumenfpenben anfgufifchen. Slber Re trieben offenbar gu toeit vom Aachen 
entfernt in beffen SMmaffer bahin, toenigftenB tonnte man, fo lange baB gfafergeug nicht 
gänglich im Siebe! verfchtounben toar, nicht bemerten, bafe bie Slnftrengungen beB 2ftäbd)enB, 
in ben Befifc ber Noten gu gelangen, von ©rfolg begleitet getoefen toären. $ic ©efeüfchaft 
blieb noch eine Söeile am Ufer Rehen unb Verfnd)te mit bem Sluge ben toogenben 
Schtoaben in ber Dichtung, bie ber Sfahn eingefdjlagen hatte, git burefebringem StlB bieB 
nicht gelang, ging man, ftiüer alB man gefommen, nach ber Billa gurücf. 


31m Nachmittage traf ein Telegramm auB Düffelborf ein, in bem angefragt tourbe, 
toann Fräulein Sembacfe abgereift fei. Sftan habe fie bort Vergeblich ertoartet. Nun be* 
mächtigte fich ber ©äfte ber Billa ©elberlanb eine bange SUjnung. SJtan forfdite am 
Bahnhofe Von St. ©oarBhaufen nach, ob eine 3)ame in grauem Neifefteibe ben grrüfjgug 
benu&t habe. SBeber ber StationBüoxfteher noch bie Unterbeamten tooHten eine folche ge= 
fehen haben. £)b Re mit einem fpäteren 3age gefahren fei, liefe Reh beB ftarfen fßfhigft* 
VerfehrB toegen nicht ermitteln. Sftan verfuchtc nun ben gährmann toieberguRnbeit. Slber 
feltfamer Söeife toiberfpradjen ficfi bie Befchreibungen, bie SlngelifaB Begleiter Von biefem 
enttoarfen, fo fehr, bafe eB unmöglich toar, auch nur ben geringften Slnhalt gur 3benti= 
Rciruitg beB NianneB gu befomnten. Tex ©ine Verfidjerte, eB fein ein ©reiB mit hohlen 
Söangen unb ttefliegenben Slugeit getoefen, toährenb ein Slnberer Reh nicht auBrcbeit liefe. 



Fährmann (Lob. 


^07 


er fyibt einen fräftigen S3urfdien mit blübenbem 2lntlifc gef eben. 2ttan gab baber jeben 
SBerfucb, ben Ziffer anSfinbtg ju machen, atö nufclo« auf. 2lm aitberen borgen mürben 
Die S3etoobner be8 fianbbaufeS bureb bie Sttacbridjt aformirt, in ben SBeiben unterhalb 
St. ©oarSbaufen fei eine grauenletcbe angetrieben. $err (Selberlanb unb brei feiner (Safte 
begaben ficb fofort an bie gunbfteEe, mo ber ßeiebnam unter ben tief berabbangenben 
heften berfteeft unb toorn feiebten SSaffer umfpielt auf bem toei&en Sanbe lag. 3Jian bog 
bie .3ü)eige guriief unb erfannte in ber fdjeinbar frieblicb fcblummemben grauengeftalt bie 
Sängerin. 2)ie feftgefebtoffeue Rechte hielt eine bunfelrotbe föofe; Wen umgaben fte. 
SMe Strömung bfttte mit ber ßeicbe aueb bie ber fiebenben beftimmte SSIutnenfeenbe an'£ 
Ufer gefoult. 9)ton gab fte ber Xobten mit in'« (Srab. ^Ber ber gabrmann gemein, 
bat Wiemanb erfahren. 




3üuftrirte Bibliographie. 


Seutftic BürgerUÄe Einfamilienhaus* Eine Sammlung oon (hittoürfcu 
beutfcher Slrchiteften für Einfamtlienhäufer beS gebilbeten SJHttelftanbeS. 3n fcdjS 
Slbtheilungen. SllS (Sfrgebniß eines Don ihm Deranftalteten SBettbetoeibeS 
gegeben Don Sluguit Ester, Slrdjiteft in Bafing bei München. 2Jüt 130 Xafeln 
fotoie furger Einleitung bei ieber Slbtheilung. ßeipgig, Berfog Don Baumgärtner* 
Budjhaublung. 

©egen bie fafemenartigen ÜDliethShäufer ber ©roßftabt beginnt fich enblidj auch bei 
uns — nadjbem uns baS SluSlanb in ber SßohnungSfrage, bie Don fo eminent focialer unb 
fünftlerifcher Bebeutung ift, Dorangefdjritten ift — eine tfjatfräftigere gefunbe SReaction gettenb 
gu madjen. $aS Einfamilienhaus, baS an bem ftolgen englifd)en SluSfpruch my home — 
my castle nic^t minber als ein beneibeuStoertbeS 3 floß bürgerlicher greiheit Slnthetl hat, 
mirb auch bei uns mehr unb mehr als ein *3^1 auf’* Snnigfte 3 « toünfchen" empfunden; 
unb gerabe in ben gebilbeten Greifen, in benen mit ber greubc am eigenen Befifc fid) ein nach 
Bethätigung Derlangenber inbiDibueller SchönheitSfinn Derbinbet, bem meift bie befdnränftai 
Mittel hinbemb entgegenftehen. $)a mag man oft mit bem ©efühl ungefüllter Sehnfudjt 
jene Bauten unb 3nterieurS betrachten, in benen bie außer mit fünftlerifchem Sinn auch 
mit ©lücfSgütern ©efegneten ihren pcrfönlidbften ©efehmaef bis in’S Eingelne mibergu« 

S in bermögen, ihrer Umgebung ben Stempel ihres ©eifteS aufbrüefenb. Sin Ein* 
ienhäufern biefer Slrt fehlt es in $eutfd)tanb nicht, unb an tüchtigen Sfrchitefteu fotoie 
Borlagentoerfen, bie ben nad) herrfchaftlid[)en SBohnhäufent Bertangenben anregenb unb 
rathenb gu $>ienften ftehen, gleichfalls nicht, dagegen toar für bie Befriebigung ber 
gleichen Slnfprüdje feitenS Singehöriger beS gebilbeten äRittelftcmbeS nichts gefdjcfjen. Um 
fo toiüfommener toirb man baher ein SBerf begrüßen, baS feinen Sntereffen nach biefer 
Dichtung hi« Rechnung trägt unb bie Aufgabe löft, mit befdjräuften Mitteln ein bem 
praftifdjen Bebürfniß toie bem fimftlerifchen ©efehmaef biefeS StanbeS genügenbes £etm: 
ein beutfdjeS bürgerliches Einfamilienhaus gu fdjaffen. $er toohlbefcmnte SWünchner 
Slrdjiteft Slug. Ester hat baS Berbienft, ben entfdfjeibenben Schritt in biefer 2tngelegen= 
heit gethan unb fie in gluß gebracht gu hohem £urch ein BreiSauSfchTeiben hat er 
bie grage, toaS ben Slntheil beS Slrdjitefteu an ihr anbelangt, gur £öfung gebracht Er 
hatte für fein bürgerliches Einfamilienhaus bie beträchtliche Slngahl berienigeu im Sluge, 
bie in großen Stäbten 400—1200 SJtorf 2Jiietbe gahlen; eS ift als £eim gebacht für 
Brioat* unb Staatsbeamte, ©efchäftsleute, fogenannte Keine Rentiers, Zünftler 2 c. 
demnach nahm er, ben Derfchiebenen Siaumbebürfniffen gemäß, 6 Slrten Don 2Bohm 
gebäuben an: 1. brei Qimmtx unb Gliche; 2. Dier 3imnter unb £üdje; 3. fünf Heinere 
3immer, Sbüche unb eine Kammer; 4. fünf Heinere 3' mme t $üd)e unb mehrere 


Hrcfjtteft SabiDtfl Stabler, ©erlitt 

8ua: (Jjter: „©ihrgeTlic$e ©infamilienbäufer". Hbtf). I. ©erlag boit 8. ©aumgärtner* 
©itcflbanblung, ßeipsfg. 


Scfjnitt. 




Horb unb Süb. 


<k\o 

Kammern; 5. toobnlicbe $tele, fünf gröfecrc 3tmmer, ftücbe unb Kammern; 6. toobnltdjc 
$)iele, fec^S größere 3immer, ftüd&e unb Kammern. 

2)anad) gerfällt ba£ borüegenbe 23erf, baS Diefuttat be$ 5ßreiSau&fcbreiben&, in 6 2lb* 
tf)eilungen. £ie bont fterau&geber angefefcten 3fta&e für bie Iftaume feien fcter für bie 
erfte unb Iefcte 2lbtbeilung, atfo für baä fteinfte unb baS größte Sobngebäube toteber* 
gegeben. 3ür ein $au8 mit 3 3intmern unb ftüdje: Sobngimmer ca. 16 qm, Sdjla 
Stornier 16 qm; tleinereS 6d)lafsimmer 9—10 qm, $?iid)e 9—10 qm; fetter 6—7 qm. 
Siebte Höbe beS öhrbgefcboffeS 2,80 m, beS DbergefdjoffeS 2,40 m. $ür ein ®auS mit 
toobnlid&er $)iele, 6 3totmern, föicbe unb Kammern: Sobngimmer 22—25 qm; (£mpfang£= 
Stornier 18—20 qm; hier Scblafjimmer bon je 22— 25, 18—20, 13—15 u. 11— 13 qm; 



Ärdjiteft ßubtoig ©tabter, ©erlta. 

Hu«: ®jter: „ ©Ärgerliche ®imaminent)äufer". 86t&. IV. ©erlag bon H. ©aumgärtner* 
©udjbanblung, ßetyjlg. 


®tele minbeftenS 12 qm; flüd&e 10—12 qm; Heller 18—20 qm. Siebte Höbe beS (£rb* 
gefcboffeS 3,00 m, beS DbergefdjoffeS 2,80 m. 

(Sine reigbolle Slrcbitectur — unb gtoar eine foldje, bie bem ©ebäube ben ©barafter 
eines SanbbaufeS, nicht einer ftäbtifeben SSiüa berleibt — tourbe geforbert; habet aber 
fottte bie SRögliebfeit billiger fierftellung im 2Iuge bebalten toerben; toeSbalb eine tbrnt* 
liebft einfadje ©runbrißform geboten toar. ferner tourbe eine fparfame Sttoenbung non 
Häuflein unb SPufcformen unb SKücfficbtnabme barauf, b aß bie Ausführung audj bon 
toeniger gefebulten ^anbtoerfem, toie fte auf bem Sanbe gur Verfügung flehen, in bott* 
lommener Seife möglich fei, anembfoblen. $)ie Käufer füllten im Aeußem bewußt toerben; 
bie mäßige Antoenbung bon 23atfftetoüerblenbem toar nicht auSgefcbloffen. (Somblicirte 
Ichformen toaren gu bermeiben, bei Aufbauten toar auf einen einfachen SDacbfdjluß SRücf* 
ficht gu nehmen. 23ei allen Käufern toaren eingebaute föinbfänge ober SorbäuScben oor= 





©rbgefdjotj. 


Obergefdjofc. 








Zlorb unb 5üb. 


*\2 

^ufefjen; ©rfer, Balcone, Terraffen unb Borhalten fonrtten in mäßiger SSeifegur Slnmenbung 
fommen u. f. m. 2In bem 2Bettbemerb beteiligten fid) 150 3lrd)iteften, oon benen gegen 
500 Pläne etngcfanbt mürben. Tie oon bem Preisgericht, beftepenb aus ben Slrdjitcften 
3lug. ©£ter unb Paul Pfamt, bem ftäbtifdjen Bauamtmann St ^odjeber unb bem Prof, 
greiperm £einr. ö. 0dimibt, beS PretieS, begtu. lobenber ©rmähnung ober SlntaufS für 
miirbig erachteten ©ntmiirfe nebft anberen, bereit BerÖffentlichung fiep burd) btefen ober 
jenen Borgug rechtfertigte, fotote einigen außerhalb beS SSettbemerbeS ftepenben aithangS* 
meife beigefügten, befonbcrS beachteusmertpen ©ntmiirfen aus bem ©steffepen Atelier, liegen 
nun in 6 Robben, entipredjenb ben ermähnten 6 2lbtf)eitungcn, entpaltenb 180 tafeln 
(gunt Tpeil in garbenbrutf) bor. Tiefe Tafeln geben nicht nur bie perfpectiöifcpen 2lnfid)ten, 
fonbern auch bie ©runbriffe unb Duerfcpnitte. Ter braftifche 3üerth biefer Borlagen toirb 
baburch noch erhöht, baft gu jebem ©ntmurf baS (Gutachten ber Preisrichter, baS SWänget 
unb Borgüge fenngeid)net, beigefügt ift. 

SBir fügen biefer Bejpredntng ein paar preisgefrönte ©ntmiirfe beS 9lrd)iteften 
Submig Stabter, Berlin, ans 2lbtp. I unb IV. bei, fomie einen an bem SSettbetoerb 
nicht betheiligt gemefenen ©ntmurf beS Slrcpitefteu phtagel aus bem ©jter’fcpcn Atelier gu 
3tbtp. VI. bem lederen fei ermähnt, bafg ber §erftellungSpreiS für -äftünepen auf 
14500 9)iarf Oeranfdilagt ift. 

gür bie grage beS bürgerlichen gamilienfjauieS ift bamit ein grunblegenbeS SScrf 
gefchaffen, baS deiner, ber tpeoretifei) ober praftifd) fiep mit ihr befaffen toitt, unbeachtet 
taffen batf. gür 21rd)itcften, Bairmeifter, Bauunternehmer, an bie eS ftcf) natürlich in 
erfter Üteipe menbet, ift eS üoit höcpftem SSertpe; aber auch ber Saie, ber ein eigenes 
Qeim foldjer 3lrt fid) gu fehaffen in ber Sage unb geneigt ift, unb ber felbft auf bie 
prafttfehe unb ardjiteftonifche ©eftaltung auf ©ruitb eigener ftenntnife unb eigenen ©e* 
fehmaefs ©influfc üben miU, toirb eS mit ©eminn unb Sßufcen gu fftatpe giehen. 

©S fei noch peroorgepoben, bafc bie Abteilungen beS mertpöotten SSerfeS auch 
eiitgeln gu haben finb. ©S fei hiermit angelegentlich empfohlen. —1— 


Die 0e$cbidm der jungen Rennte Tticbs 
m Inkob Wassermann*). 

Tie eigenthümliche SBirfung beS 3}tärd-enS, für baS felbft mir fo halb poffnungS* 
mübe 3öglinge ber herben ©rfahrungsmelt glücflicher 23eife nie alt genug toerben, beruht 
fchliefelich nur in bem Tone ber ©emt|pei*t, mit bem eS Urtmögltcpfeiten als gefepehen 
ergäplt — Unmöglidjfeiten, bie unfer BefteS finb: SBünfcpe, beren Feinheit, 0epnen, beffen 
£>öpe ihre Unerfüllbarfett unb Unerreicpbarfeit in fich tragen, öon benen nur bie SSenigften 
miffen, bafc fte um fo mehr an 0d)önbeit öerliereit mürben, je mehr fte an SBirflichfeit 
gemönneit. s Mv finb mohl reifer gemorben burch Ausmeffeit ber uns gu ©ebote ftehenbcu 
Seiten, aber felbft in ben meiteften finben mir nicht baS ©lücf ber löftlichen ©nge unfereS 
frühen ©laubenS. Tamm finb mir boep fcplie&iid) herglicp froh, toenn unS baS SJiärcpen 
eine entgiiefenbe ilnmögli<pfeit gu glauben gtoingt, um nicht bimfbar für bie ©ernalt gu 
fein, mit ber eS uns in baS Traumtanb oerfept. 

Tiefen felbeit Qmang gum ©tauben an eine liebe Unmahrfcpeinlichfeit übte 3a!ob 
2Baffermann, ber bis jept felbft in ben SitteraturcafeS nur hin unb toieber genannt 
morben, öor einiger 3eit mit einer im 0hnpliciffimuS erfdiienenen ©rgäplung auf mich 
aus. ©ine feltene ^raft lag in ihr; bie gange ©rgäptong mar nid)t oiel länger als eine 
0eite beS genannten. Blattes, unb bod) genügte bem Ticpter bie lurge 3eit, in ber man 
biefe überflog, um ben ßefer fo in feinen BannfreiS gu giepen, bafc er eben eine lln» 
möglidjfeit miterlebte: ©in Söienfcp gerbri^t fein bisheriges Sehen, baS ihm unmöglich 
gemorben, gerreifjt feine ©ntmidelung, unb aus ben @tücfeu unb gefoen fdjtoeifet er ein 
neues gufammeit, in bem er gu reftlofer Befriebigung gelangt 

©S ift ein begtücfeitber ©ebanfe, ein Sehen in ber tanpelfammer ftt ben Sumpen* 
faften megmerfen gu föniteu unb bie (Schöpfung eines neuen gu öoflbringen. Sit ber 


*) Bertag bou 0. gifdjer, Berlin 1900. 


Bibliographie. ^\3 

Sirflidjfeit fprengt icbod) baS einmal Erlebte, än&erlidj 2lbgetfjane beit ßumpcnfaften unb 
ift unb bleibt ber untoillfommene, uitoerbrängbare Vegletter unterer Sanberuttgen. 

©eit ber ©tunbe, für bie mid) Saffermann bieS üergeffen ließ, behielt id) ihn bantbar 
hn ©ebäcbtnifc; unb toenn auch feine wenigen Seife, bie bis bahin erjchieiten mären, bei 
adern grofeen Talent, baS [ich in ihnen offenbarte, meine ©rmarhiitgeit nicht oöllig er* 
füllten, fo Iöfte er alle Verfprechen ein, als er in ber erfteit £>älfte beu feiern ber 
„9feuen Xeutfchett flhtnbfdiau" bie ©efdiichte ber inngen Senate Fud)S" eräählte, einen 
Vornan, ber jefct in Buchform Sebent 3 itgängig ift. 

Senate Fud)S ift bie üornehme, feltfam fdjöne Xodjter eines fo reichen unb an= 
gegebenen beutfchen Sfabrifanten, baft fid) ein baprifdier ftergog mit ihr aus ber ihm 
möglichen Siebe üerlobt unb bie 3üclt barüber nicht mehr au^er Raffung gerät!), als toenn 
fte in einem Valafte ber fjiftl) Sloenue geboren märe. 

Renatens Ster ift nicht angegeben; aber sur Seit, Wo bie Zahlung beginnt, biirfte 
fte ätoangig 3ahre alt fein. XaS ift baS tödliche Ster, too bas ©udjen nad) nie gelöfter 
fragen 2lnttoort baS £eben ber Vefiett ausfüllt, bent Ci'ineit fein fraglicher Slbfcblufc, bem 
2 lnberen fein fxagtoürbiger 3 nl}alt. Senate hatte oor einigen fahren ein junges Stäbchen 
lieb getoonnen, mit ber fie gemeinfam italieitifdjen Unterridit erhielt, unb Senate burfte 
bie greunbin eines XageS nicht mehr feinten, benu üe toar fäupicf) getoorben. XaS gab 
Renatens Xettfen bie Dichtung, ihrem ©mpfinben bie Farbe. Sie ift es, baft s Mibd)en 
fleh oerfaufen? Sie famt eS fein? ©ittb eS flechte Sftäbdieu? ©inb fie mit 9ied)t fo 
üerachtet? bleibt nichts mehr non bem, was fie ft über tuaren? 3ft cS oergebenS, fie 
$u retten, ober foll man fte garnidit retten? Ser ift ©djulb, bah fie fo mürben, unb 
tft eS ein Verbrechen, fo 31 t fein? 3Jlir ift, als ob ich plötzlich febeit fönnte. Xod) fehe 
ich lauter unerflärliche Xinge, unb ich mein nidit, ob id) fchen barf, ober ob ich thtiit 
ntuft, als fei ich blinb." Xie unheimliche Xuitfelbeit, in bie fie mit biefer Frage fdiaut, 
ätoingt fie, ihr näher gu treten, unb fo gelangt fte mie mit einem ftitcf auf einen aitberen 
erhöhten ©tanbpuuft, oon bem aus fie über bie Vebingungeu ihrer ©cfeUfdjaft fteht unb 
fortan frei nur benen ihres eigenen Seins folgt. 

©ie erfennt, ba& biefeit einfadien, urfprünglicheren Vebiugungeit bie abgeleiteten, 
mannigfach abhängigen beS gersogS nicht entfprechen. ©in junger Sflattn, Stielm 
Sanberer, ber bie ©abe befibt, mit Sorten bie £iicfeu im Sufammenhang ber Xinge mit 
unferem Xenfen unb ©mpfinben aitSjuftopfen, ertoirbt leicht ihr Vertrauen, unb ba er 
menigftenS sunädjft gefchmacfooll genug ift, fid) ihrem Feingefühl anjitfehntiegen unb mie 
fte nicht mit lauten Sorten 3 U nennen, maS fie als ihr VefteS mit ber Seihe beS Uit= 
auSgefprochenen umgiebt, Wecft er ihre ©cfiihle. 

©ie bertraute fid) bem 2}tanue an, ben fie nicht bürgerlich an fid) fchmtebete, Weil 
fte ihm feine Verpflichtungen auferlegen wollte. Vei biefem ©utfdjluffc oerharrte fie auch, 
mie fehr auch Sanberer in ber ^orgenfrifche ihrer Siebe baju bräugte; aber biefe fonnte 
nicht bauern. ©r mar ficher nid)t meniger merth als bie Vielen, oielleicht überragte er 
bie SWeiften fogar ein wenig; 31 t beu ©injigen gehörte er nid)t — unb bem ©emöhultchen 
liegt baS ©emeine 31 t nah. 21 iS bie aufjeren Verhältuiffe ihn bebräugten, mürbe er sunt 
Vetrüger. 3m ©efiihle feiner ©eriugmerthigfeit tritt bie F ll ?d)t an ihn hcian, Senate 3 U 
berlieren. Xäglich üerwunbete er fie, er nahm fie fid) mie feinen „©egenftanb", unb immer 
bebräugter oon feinem fie entehrenbeit Furdügebattfen, erbrad) er eines XageS ihren 
©chreibtifch uttb las ihre Vriefe. 211S er bie Xfjat leugnete, »erlieft ihn Senate. 

ÜJhtn beginnt ihre Säuberung burch alle Xraurigfeiten, jegliche Xriibung. Senate, 
bie ftnbltcheit ßer^enS gegangen mar, Vegeifteritng 31 t fudien, fanb nur ©itttäufdjungeit. 
3h« ^eele fdjlief ein, unb „wenn bie ©eele einer Frau fd)läft, geht fte burd) baS lieben 
mie burch einen tiefen Xraunt, tutb ihre $anb greift nad) anbereu £äubeit, welche fie 
herunterstehen miiffen". 

Xer ßänbe, bie nach Senate griffen, mürben immer mehr. 3n ben Xagen mit 
2 lnfefm Sanberer l)attc fieft Dtenate gefcheut, oor einem F^mben, ber fie befudjt hatte, 
ben Kronleuchter anjusünben, meil ihr ihr ©chamgefiihl einrebetc, bie Vemegung mit bem 
2lrm in bie $öhe entfleibe fie in ben 2lugen btefeS Faunes ; fdjlicfelich trieben fie bie 
©rbärmlichfeiteu fo meit, bafe fie ihren Körper in einem Variete sur ©d)au ftcUte. Xte 
überaÄ burch bie VoSljeit unb Äleinlichfeit Vertriebene famtte fein ©eim mehr, unb in= 
ftinctio buefte fie fid) nt icbett ©chlupfminfel, ber fid) ihr hot. 

Staate, bie oom j^uptS umgeben mar, empfanb nie Vebürfnih nach ihm; eS maren 
nidht Slnfprüche, bie fie in bie ftielräume beS Gebens sogen; beim fte beanfpruchte nicht 



tlorb unb 5üb. 


W 

als bie ü^otpburft. Slttein fic toar aus beit Shoren bcr ©tfellfcbaft getreten, unb 
biefe fiatteu lief) hinter ihr mie hinter jeber Slnberen, bie — gleicbüiel auB meteben ©rünben 
— einen Schritt über bie ©itge b eS hergebrachten gemagt batte, bröbnenb gefdjloffen. 
9hm irrte fic itt bcr SBilbitifz umher. Sie grattfige 9iad)t tarn mit ihren fd^recf&aften 
Mufeit, unb bie Irrlichter zogen bie Uebermiibete in Sumpf unb Schlamm. 

Senate fdjlief. 3n bem müften, fdnoeren Sraum, mo fte ftcb als Sarietebarftettcriu 
erblicft, fehrieft fie plößlid) auf unb menbet ftd) nach einer anberen Seite, gortan matte 
fie gädjer itt einer gabrif, Sag ein, Sag aus, non früb bis 2lbenbS, imnteT am felben 
s ^ta^e. Um fid) ein marnteS ^intmer oerfdjaffen gu fömtett, fpielte fte bte Mächte btu- 
burd) in einer Samencapelle auf einem Glauier beit SBiener v 4*biliftern bte beliebteren 
$iernteIobien oor. 3n beit Sagen ber Sebitfucbt hätte fte 2?cetbooenS lefete Sonate 
gefpielt. — 

l£*S ift nid)t nur baS ftd) immer mehr Perbiiftembe Scbtcffal Renatens, baS fte unB 
lieben leiht, 2Nand)en üietleidit gegen feinen SBiüeit; ihre bobe ©eftalt umftie&t ein unfag* 
barer 3äuber einer ^eufebbeit, toie ber ber Matur. Unfere Siebe zu ihr toäcbft uttB fo 
tief hinein, bafj mir nie, auch nid)t bei all beit 2lbftiirgen in bte fcbtotnbelnbften Siefen, 
baS Vertrauen oerliereit, fie fäme nidit toieber beit empor. £>ier aber fchreit unfere Siebe 
aitgftooll aut. Sie fürd)terlid)e ©Qualität immer gleich eintöniger, medjantfeber Arbeit 
am Sage, bie nod) fiirrfjterlicbcre, loeit läcberlidje beS ©affenbauerS bei Macht taffen rntB 
für Senate fürchten. 

9lm ©itbe beS fo oerbrad)ten ÜÖinterS brach Senate betou&tloS gnfammen. Sie 
äußere ^eranlaffuttg mar ber ^erluft eines huitbeS, ben ihr Söauberer im beginne ibreB 
3ufamnteitlebeitS gefdieitft batte. SaS finge Sbter, baS fte in alten gäbrlichfeiten Der* 
ftebenb begleitet, bie troftloB ftarrenbe, ltueitblicbe ©iitfamfeit ihr oerengert batte, üerlieft 
fie auf einem Spaziergang. Sie gange Macht fucl)t Senate nach ihm; bte tiefftc SÖe= 
triibitifc erzeugt ibr furditbare itffioiten, iit beneit fie in groteSfcr SSergerrung ihre biS= 
berigen meitfdilicbcn SebenBbegletter erblicft. Sie ©rfdjöpfte fitiben am Mtorgen bie 
Sfrbeiterimien am gabriftbore. 

SUIeit 3ttbel beS hergeitS, ben baS horttfignal in ber fterferfeene beS gibelioS er= 
fdiütternb auslöft, entpfinben mir ^ter mieber. Senate ermad)te, unb fte fanb ftcb „toobl 
beraubt, aber nicht ärmer gemorben". 

©S ift fo muitberfcböu, mie fie ftcb ftitbet. Mm borgen nach jener fdjrecflicfcen 
Macht trifft Senate ein junges Stäbchen, eine alte 23efanntc, faft greunbin, bie fic gu 
bereu iöruber nach Mtäbreu begleitet, bcr bort zufammengebroeben toaT, meit er fein herg 
in merftbätiger Siebe gu leibenbeit üMenfdjen gu febr üer braucht batte. Mgatbon ©eper, 
tote fein Marne ift, fagt ihr: „Sie fiitb blinb gemefeit, haben eine Sanberung angetreten, 
haben ben Mbgrunb nicht gefebeit, ber lieben 3b«nt Schritt fidj beftänbig öffnete. Sie 
haben öertraut, meil Sie erfüllt toaren oom 2Beg, oom üBeg allein. Sie haben fid) aufs 
bemabrt, t)aben nicht mit eigenen Sippen gerebet, nidjt mit eigenen hänben gefühlt, nur 
gelitten mit eigener Seele. haben fid) aufbemabrt für baS ferne 3id allein, ohne gu 
miffen, ia, ohne gtt glauben. 

Sann ergäblte fte ihm einfach unb mabr ihr Seben. Unb als fie bamtt fertig toar, 
fd)ioieg fie guerft ein menig, plö^lich aber fam es ihr oor, als ob baS ©erg in ihrer 83ruft 
fid) gu bemegeit anfirtg, als ob bie buitfien genfter biefeS Raumes einen tauttoB fcheuen 
Saug auSfübrten. ©tmaS fam über fte mie ber Stucf einer übergetoaltigen Ungereibttgs 
feit, uttb bie bhfjeftett Sbräneit, bie fie je gemeint, feit fte benfen unb entpfinben fonitte, 
entquollen ihrem Smtern. 2Bie oen einem ftarfeit 5lrm gebrochen, fanf fte gufammen unb 
meinte, als ob all ihr Seben fid) in biefen bittern Strom ergie&en fottte." 

SXgatboit mirb ber ^ater ihres Sohnes, bem er felbft in ber örautnaebt, bie für 
ihn gur SobeSnadjt gemorben, beit tarnen ^iöeatnS" gegeben batte. Ütenate blieb beim 
©rabe beS ©atten mobnen, bort gebar unb ergog fie ihm feinem SSillen gemäft ben Sohn, 
fern üon Sitten, rein mie ^arfifal, unb itt ihm erjebaute fie baS kommen eines neuen ©es 
fd)ted)tS, „baS ftarf mar bttrd) bie Söeftimmung gur Siebe". — 

Siefe Angaben über ben Stoff, and) nicht im geringften über ben gangen Snl^alt 
oerratben mobl, baß ber Montan äSaffermannS ein gutes 33ncb ift, aber eB ift mehr — 
ein shmftmerf. 

9tur ein febtoadjer SBiberfchein ber föftlicb feinen Sprache, bie an 3acobfen ers 
innert, leuchtet mobl aus einzelnen mörtlicb angeführten Stellen, aber eS fehlt bie nie 
unterbrochene ©tckbntäfjigfeit biefer in ihrer llitaufbringlicbfett fo febönen SMelobie. 



Bibliographie. 


415 

Sir ftnb jeboc^ fchon fo gemofjnt morbett, biefe föfllidjeit ©efdhenfe 311 empfangen, 
bafl mir fie forbern. SaS bieS Serf jeboch befoitberS auSgeidptet, ift bie raffinirt Der» 
t'tedte ftunft, mit ber ber Didfler ©efdjehniffe, bie fich faum in einem £ebett Dereiuigen, 
in ihrer fttappen Siufetnanberfolge ein» aus bem anberit natnrnothmenbig herausmadpeit 
läfet. ®anj feiten and) fbtbeit mir felbft heute noch bei einem Deutfdieit bie ftraffe 
3ähmung ber ©rgählerfrenbe. Stein graben mirb angeiponnen unter ben Dielen, Dielen, ber 
gut Erhöhung beS garbenreidjthumS bem ©angen unlöslich Dermebt, nicht hülfe es git» 
fammenguhalten : fein becoratioeS tttanfentoerf, baS nicht gum conftructiDen SBeftanbtheil 
mürbe, baS iöangerüft Derbecfcnb, ohne bie ©benmä&igfeit unb Schönheit beS 23aueS ben 
Süden gu entgiehen. 

@0 ift ber meite ftaunt, in bem fid) Renatens ©utmidlung bcmegt. 9Jterfmürbig 
ift bei ber gütte lebeitbig gemorbener ©eftalten, bie fie umgiebt — bie 3ahl ber Serfoneit 
in biefem Vornan biirfte faum Heiner als bie in einem SalgacS fein — bafl Diele biefcr 
Serfonen unter bemfelbeu tarnen, fogar ein Dpeil ber ©rlebniffe aus anbereit Serfett 
SaffermannS ftammen. Da bieS nicht ntaugelnber bichterifdjer 3eugungSfraft gugefchrieben 
merbcn fann, fo bleibt als einzige ©rßärung eine fo eigentbümlidje £iebe beS DidjterS 
gu feinen ©efdjöpfen, b afg er fid) nicht mit 2lbfd)lufe feines ScrfeS Don ihnen los» 
gureiflett Dermag. 

Diefe 3nnigfeit beS fchaffeitben ttWeitfdjen mag Diel bagu beitragen, bajj felbft bie» 
jenigen, bie fich alles ftofflichen SohlgefallenS am Stunftmerf entäuflert haben, feinen ©e» 
hüben h^rglid) nahe fommen — baS s Dieufd)lidie bleibt uns fdjlie&lid) hoch immer baS 
Utöchfte. Drofcbem ift es immer mieber ber Zünftler, ber uns gmingt gur *üebe. — 

Unb baS ift ein muthiger Stüitftler, bem mir hier begegnen, ©in füitftlerifd)eS 
Sageftüd ift gleid) ber Slnfang. 9)lit ber trodnen 0adiIid)feit beS ^oügeibefnnb mirb 
ein hüfllidjer StraflenDorgang ergdhlt: 2luS einem ®auS fommt fdjreiettb ein DöUig itadteS, 
junges Säbchen auf bie gur 3eit gerabe fehr belebte Stra&e geftürgt; bort ftittt fie be» 
mufetloS gufammen unb bleibt eine Seile im fid) natürlich fofort bilbenben Raufen ber 
©affer liegen, bis enblich ein ©ittfdjloffener fie mit Hilfe eines DtadjahmungSbereiteu in baS 
Hinterhaus trägt, nadjbem er einen SJtantel über fie gebreitet. Sährenb noch bie s J)tü&ig= 
ganger ben Sdjauplafc umftehen unb Sauberer — er ift ber ©ntfcploffenc gemefen — Don 
Erfüllung ber @elbftüerftäublid)feit gurüdfehrt, famen gmei Damen bie Dreppe beS Sorber= 
haufeS herab, „eine fdjlanfe, blaffe, Doritehme unb eine plebejifch ladjenbe, fdjmaöenbe. 
Sauberer mürbe fehr aufmerffam burd) beit intenfio abgefehrten, tief grüblcrifchen 2IuS= 
brud im ©eficht ber ©ineit, bie er Don feiner ^Begleiterin Senate nennen hörte." Die 
Damen fliegen in einen Sagen unb fuhren baoon. 

Ser magt, geminnt. Der £efer beantwortet bie brutal naturaliftifche H^auS* 
forberung mit 3utereffe, mit Sohlmotten für Sauberer, ber ben peinlichen Auftritt ab* 
gefürgt hat, unb ein füfleS Sinnen feimt ihm für Senate, bie toeit abfteht Don ben üttüflig/ 
gängern unb unberührt Don allen Häftlid) feiten fdjnell Durch fie hinburd)_fd)ieitet, unt fie 
hinter fich gu laffen. Dem Dichter aber, ber fo unheimlich mahr ift, bafl er bie Siber* 
märtigfeit nicht fdjeut, finb mir bereit, baS Ütärdjcn, baS er uitS ergählt, gu glauben. 
Seil ber Dichter es auf fo realem Sobeu — ber ©rbgeruch ftrömt überall heruor — fich 
entmideln laflt, geben mir uitS priifungSloS bem 3^uber Renatens hin, bem feltfant Dor= 
nehmen Seibe, baS niebere ©reigitifie unbefledt burchfdjreitet, ohne bafe fie ihr auljaftenbes, 
forttouchernbeS ©rlebitifl mürben. 

Sir lieben biefe grau, bie trodeiten gufceS über Sumpf unb Schlamm geht, bereu 
SISbeftfeele uimerfehrt bleibt im geuer beS Gebens — mir lieben fie, nicht um ber jt'iebe beS 
Dichters mitten, nicht nur begmuitgeit burd) feine ftunft, bie fie mit allen ftöftlichfeiten 
fdhmüdt, mir lieben fte int lebten ©ruitbe unb glauben, meil mir uns lieben^— uitfer 
Hoffen lieben, bettn mir gehen ben gleichen Seg mie Senate burch ben Staub ber 
5ebenSftra&e — Sir 2tüe 


Herman 3acobfou. 



tlorb unb 5üb. 


^16 


Bibliographifdje Hothm. 


Sie laiping-DePöIutiön in Etjina 

(1850—1864.) ©in Kapitel ber meitfd)* 
liehen 2ragifomöbte. Debft einem Hebers 
blicf über Eefd)id)te unb Eittwideluitg 
Ehiita». Söoit Dr. E. Spielmann. — 
£alle a. S., Hermann Eefeniit». 

2ie gegenwärtigen Sirreu in Ef)ina 
haben al»balb bie Sitteratur über ba» grofee 
oftafiatifdje Deich, über feine gefdiid)tlid)c 
EntWicfelung, über ba» Saitb felbft unb 
feine ©eWohtier in ©eweguitg gefegt. 21n 
berartigen Sdjriften tf t gegemuartig fein 
üDangel, ätmtal and) bie 2agc»litteratur aur 
Orientirung ihrer Sefer fich biefeS Stoffe» 
bemächtigt bat. 2a» oorliegeube 2öert ift 
noch oor b:m ©egitm bc» bie»maligen 2luf= 
ftanbe» Oerfafet Worben unb erwähnt lederen 
nur in einer furzen Dachfchrift. 2er ©er* 
faffer fchilbert hauptfädüid) bie gerabe oor 
50 Sabreu im diiuefifdieit Deich au»* 
gebrodene 2titptng*DeOolutioit, bie über ein 
3ahrj>ehnt anhielt unb wobei bie religiöfe 
Organisation mit ber politifchen öanb in 
§aitb ging. 3hr Eitb$iel mar ber Sturg 
ber tatarifdien 2Jtantfd)Us2bnaftic, fowte 
bie Deformirung Ehiita» auf religiöjem, 
focialem unb politifchem Gebiet, mährenb 
bie gegenwärtige ©ewegung, unterftüfet Pon 
ber Regierung, fid) in beu ©orertt organu 
firt bat unb fid) gegen bie fyremben richtet. 
Dach einer etwas umftäublidjen Einleitung 
über ba» Dationalgefühl, ben etbiicbeit uud 
unetbifcben E*goi»mu», nebft einem be.wg= 
lieben Düdblicf auf bie üerfd)iebenen Golfer* 
ftämme unb Nationen, oom Dlterthum bi» 
in bie Deit$eit, beginnt ber ©erfaffer feine 
eigentlidie Arbeit mit ber ©efd)id)te Ehiita». 
3n beit erften Dbfdmttteit febilbert er ein» 
gebenb ba» djinefifdje ©olf nad) feinen 
EharaftcreigenfdKiften, feinen religtöfen ®e* 
brauchen, fowie nadi ieinem Staat»* unb 
Sfamilienleben. 2nrd) beu @tur§ ber Dting* 
2pnaftic fam 1044 bie tatarifdie Dtontfdw* 
2pnaftie an’» Silber, bie bi» auf ben heutigen 
2ag ben 2broit tntte fx*t. ÜJiit bem 4. Db* 
fd)nitt beginnt bie Sdiilberiutg be» ßeben» 
£>ung», bes Anführer» ber fpäteren mäditigen 
Staat&umwälaung, ber 2atping^)tcOolution, 
2aiwiug benannt burd) bie neu p bc* 
griinbenbe 2t)uaftie (2ai=ping tienfwe: 
„^iwmlii'dje» Deid) be» allgemeinen 5'rie= 
ben»"). Du ber £>anb eine» reichen Cuelleit* 
material» entwirft ber ©erfaffer ein anfehau* 
lidie» ©ilt> biefer großartigen, ba» gan^e 
Htcid) tief erfdiütternben Umfturpewegung. 
3»erft auf religiöfer ©afi» beruheitb, ergriff 
bie Bewegung fehr halb ba» fociale unb 


polttifdje Eebiet. 2er b«tfchenben Dtoittfdju* 
2pnaftie hatten bie 2ai=ping Xobfeinbfchaft 
gefchworen. E» fei hi« heroorgehoben, ba& 
bie Europäer öon ben SDantfchu, Wie iefct 
noch, „frembe 2eufel", Pon ben 2at*ping 
jebodj „frembe ©rüber" genannt würben. 
2a» religiöfe Sehen ber 2ai=piitg fowie 
ihre Safeungen, bie fid) an ba» Ehriften* 
thum anlehnten, Werben näh« befebriebtn. 
3n Wetteren Dbfdmitten Werben bie Kämpfe 
ber 2ai-ping gegen bie 2Jtantfd)u=2pnaftie 
fowie ba» fcbliefeliche Eingreifen ber gran* 
äofen unb Englänber, ber letzteren unter 
Eorbott gefdjilbert, ber fchliefelid) bie ent* 
fcheibenbe Söenbung herheiführte. 2üe 2ai= 
ping oerfcf)Wanben al» friegführenbe Partei 
Pom ©oben ber Eefd)t<hte, ohne bafe man 
Weife, wa» au» ihren fyührem geworben ift. 
2er ©erfaffer tritt Warm für bie 2ai*ptng= 
iHePolutiott ein unb hält biefe grofee repo« 
lutioitäre ©ewegung wohl für lmterbrücft, 
aber nid^t für erbrüdt. — 3n einem inter« 
effanten Schlufeabf^nitt beleuchtet er nach 
perfchiebenen Dichtungen hin bie 2hätigfeit 
ber 2ai=ping, Pon benert bie 21u»tänber nicht» 
befürchten gehabt haben, unb rath ben 
Mächten Europa», ftd) in ehten neuen ©ürger= 
frieg in Ehina ni^t etnäumifefeen, fonbem 
ben 2tngen ihren Sauf «;u laffen. Dach 
feiner Slttftdjt Würbe bie frembcnfeinbltche 
Deaction oon heute faum erfolgt fein, Wenn 
bamal» bie 2ai*ping ben fchliefelicheu Steg 
baPongetragen hätten, wa» aber burd? bte 
Einntifchuitg ber Englänber pereitelt Worben 
ift. — 3ur beffereit Ueberficht Würbe e» 
fid) empfohlen haben, bem ©ud) eht 3«* 
halt»=©ergeid)ntfe, georbnet nach Eapiteln 
mit furger lleberfchrift, betsugeben. 

K. 

©alfötrathten au» bem Schwär jwalb. 

^eratt»gegeben Pon 3ohanne» El ch^ 
lepp. Dtit ©orwort oon Dr. ftan»= 
Jacob, ^reiburg i. ©r., Sohanne» 
Eldilepp» §of*©uch= unb SFunffe 
perlag. — 

Öeff ifche» tvachtenbiuh Pon 3 e r b i n a nb 
3ufti. Marburg, D. E. Elwertlchc 
©erlag»bu^hanblung. ßiefet. 1. 
Um bte Erhaltung bcr ©oltÄtradjt, im 
wetteren Sinne ber Oolföthümlichen Eigen* 
art, bie fid) in Reibung, Sitte unb Sprache 
bocumentirt, ift man, feitbem bie Eefahr 
ihre» Sd)Wittben» einerfeit» unb ihr äftbeti* 
fcher, ailturhiftorifdjer, in geWiffem Simte 
auch ethifcher SSerth — benn tu bem geft* 
halten am Sitten, ©ernährten, &tftortf<hen 
unb Slblehnen be» Eitelfett unb DeuerungS* 


Btbliograpfytfcfje tlotigen. 


fud)t befriebigenben 9Jtobifd)en liegt ober 
fann menigfteuS ein etf)ifdje& Ptoment 
liegen — uns gum Pewu&tfein gefommen, 
eifrig beforgt Ob btefe lobenswerten Pe* 
ftrebitngen, an benen äünftler unb Eelehrte, | 
Alle, bie für baS SnbiPibuelle im PolfSleben 
in biefer nad) langweiliger Eleichmacperei 
brängenbert 3*it Auge unb £erg befifcen, 
hödjfteS Sntereffe haben, bauernb Erfolg 
haben werben, ift fraglich, Wagen wir faum 
3 U hoffen- Nichts befto weniger möge man 
thim, Was gethan werben fann, oolfsthüm* 
liehe Eigenheiten, fofern fte fich nicht im 
Eegenfa*} au bet unS nothwenbigen politU 
fchen Einheit unb Einigfeit ftellen — beim 
ieiber fehlt eS auch an folgen nicht — 
fpeeiell bie oolfStbümlichc £rach t gu erhalten. 
Unb Wenn man mit Pebauem fürchtet, bafe 
es nufcloS fein werbe, fo wirb mau um fo 
mehr bie ^Berechtigung folcher Pkrfe gu* 
geftehen, bie baS nod) Porhanbene für bie 
3ufunft feftguhalten beftimmt ftitb. 2BaS 
mit bem ©djwinben ber PolfStradjt 
Pertoren gehen würbe, erfennen Wir ans 
bem ooit 3o banne S Eidjlepp auf 
Anregung unb unter protection bes Erofe* 
bergogS $riebrtd) Pon Paben berauSgegebeiten 
Album ber „Pol f Straften aus 
bem ©d)WargWalb\ 3n 25 Aquarellen, 
bie auch nt ber föeprobuction oortrefflid) 
wirlen — hat ber 9Mer Sffel bie per* 
fchiebenen ©ct)Wargwalb*Xrad)ten nad) ber 
üftatur Wiebergegeben unb gwar rticfjt in 
eingelnen fteifen Eoftümfiguien, fonbem gu* 
meift in anmutigen, genrebilbartigen 
Eruppenbitbem. 

Pfcnn aud) Einzelnes in btefen brachten 
gewife nicht unfereit ©d)önbeitSfinu be* 
friebigen fann — Wie g. P. bie topf* refp. 
chUnberartigen ftopfbebedungen ber Pinte* 
rinnen aus ©chönwalb bei Xriberg uitb aus 
ber Paar — fo ftnb hoch im Allgemeinen 
biefe PolfStradjten fo reigpoll, fo malerifch, 
bafe man nur mit fcbmerglicbftem Pebauern 
an ihren broheitben Untergang beiden fann. 

Dr. ftanSjacob hat baS hübfdie 2öerf, 
beffen Preis oon 10 2ttf. mäßig gu neunen 
ift, burch ein Warmes unb fernigeS Por* 
Wort eingeleitet. 

Ein jffierf oerwaubter Art — freilid) 
Weit großer angelegt — ift baS bon ft er* 
binanb Sit ftt als erfte ber Peröffent* 
lichungen ber hiftorifchen Eommtffion für 
Reffen unbSSalbed im Perlage ber 9t. E. El* 
w er t’fcben PerlagSbudjhanblmtg in Marburg 
herausgegebene föeffifche £rad)tenbud), 
Pon bem uns bie erfte Lieferung Porliegt 
3)iefelbe enthält neben ber Einleitung („AU* 
gemeines über bie Xradjt") 8 aus bem 


W 

Eraphifdjen 3nftitut 3nliuS $linff)arbt in 
Seipgig h^tbor gegangene IitbographifdK 

ftarbenbrude in Eroßfolio nach Pont Per* 
faffer b^geftellten Aquarellen. SDer Per- 
| faffer hat fich bie Aufgabe gefteUt — Wie 
er am (Schluffe ber Einleitung bemerft — 
nicht nur ben Augug ber Sanbleute genau 
nad) ber 9totur abgubilben, fonbem auch 
eine Aehnlidifeit beS EeficßtS gu erreichen, 
auch bie ©tidereien unb ben fonfttgen©d)mud 
fo forgfältig wiebergugeben, baß bie Per* 
fertigungsweife erfemtbar fei. 

Xer Zünftler fteht bei ihm burcßauS im 
$)ienfte beS ftorfdjerS; es ftnb Wtffenfcßaft* 
liehe Eoftümbilber, bie er bietet. Auf jebem 
Platte fmb nicht nur bie entfprechenben Orte, 
fonbem fogar bie 9tamcn ber conterfeiten 
Perfönlichfciteu angegeben. 3)ie acht Pilber 
beS erften §efteS bieten neben brachten aus 
Eifenhaufen, ©eelbad), Elnbattfen, Pötten* 
horn, SöommelShaufen, kalbern, bie genauen 
9tachbiibunqeit gweier Prufttücher aus 
9Jtorn8haufen unb ©teinperf. 

28tr werben auf bieS werthPoUe Unter* 
nehmen nach Eingang weiterer §efte gurüd* 
fommen. 0. W. 

Äm Oöfe Ocvrtt ftarlö. PierErgäblintgen 
non fte lij 3) ahn. I. $ie ftreibitte. 
II. $er Siebe 9)taß. III. Einhart unb 
Emma. IV. föerrn JTtarlS Aecht. Seipgig, 
$)rud unb Perlag pou Preitfopf unb 
©ärtel. 1900. 

$tc bieSjährige 2Seifjnad)tSgabe beS 
®id)terS iuirb feinen gabireichen Perebrmt 
unb namentlich Perehrerinnen fchr Will* 
fommen fein. ES finb Pier Heinere Er* 
gäßlungen, bie mtS in bie 3 e ü unb au ben 
£>or Ataris beS Eroßeit oerfefecn, ben fie unS 
üon liebeuSwürbig meitfdiltdter ©eite fennett 
lehren. £er Richter fagt felbft, baß er ur* 
fprüitgltd) ,^arl ben Eröffn gebaut habe; 
txife jebod), je tiefer er in baS ©tubium 
feiner 3^tt unb feines EharafterS einbraug, 
biefer ^a& fid) aUmähli^ in Pewunbentng, 
Perehruug unb Siebe oerwanbelt habe. Pon 
biefer Pewttnberung unb Siebe finb bie Por* 
liegeitben Pier Ergahluugeu burdjbrungeit, 
burchwärmt unb biirdleuditet. ©ie geigen 
bie uiweränberte .^Taft unb Eragie ber 
Xahn’jd)eH 9Jiufe unb finbbabei flott ergäbtt 
unb fiinftlerifd) abgenmbet. ^)en Porgug 
Würben wir Wegen ber prächtigen ftigur 
beS Paulus £iacomiS ber erften Ergähluitg 
geben, aber bas ift Eefd)madSfad)e, unb eS 
follen bamm bie anbereu brei nicht als 
minberwerthig bezeichnet Werben. 

3n bemfelben Perlage unb in berfelben 
befannten eleganten AuSftattung fiitb er 
fchienen: 



3fc(fg $af)itd Seftidjtc. 2luStoal)l beS 
2*erfafferS. 

<£>ier ift in einem SÖaitbe pereinigt baS 
33efte, toas in ben üerfd)iebeiteit ©ebiebt* 
fammlungeit XahuS jerftreut ift. ©S toar 
ein baiifeitStoertbcS Unternehmen beS &er= 
legerS, auf biefe ÜBetfc ein ©efammtbilb 
ber reichen Iprtfcben 3nbioibualität beS 
XidjterS gu geben, ber als einer ber be* 
beutenbften Vertreter ber älteren (Generation 
gelten muß. iHeid) befaitet ift bie £eier 
XaljuS, er toeiß bie garteften mtb fräftig* 
ften Xöite mit gleicher ÜDieifterfcbaft angu* 
fcf)fagen. ©S ift fyev nicht ber Ort, in’S 
©ingelne gu geben nub bie befannteu 2$or* 
güge ber Xabn’fcben Xid)ttoeife pott 
feuern gu begrünbeit, eS foll nur auf baS 
33ttcb als auf eine feböne ltnb bebeutenbe 
©rfcbeimmg btugetoiefen toerbeit. 

— e. 

9Natt$ev(ri neue Hef#f.#f» &ou 

Uiuboarb Kipling, llcberfept oon 
£eopolb Üiitbau. 3^eite Auflage, 
gontane, Berlin, 1900. 
üftkbt Sebent ift eS Pergönttt, bei jebern 
(Griffe in baS bolle 2)teiifd)enlebcit gemäß 
ber (Goetbe’idieit SBcifung „Sitte reff aitteS" gu 
Xage gu förberit. 29er eS ber fiel) t, ift ein 
Xidjtcr, mtb bie echten Xicbter finb beute 
tuie ebebem febr feiten, obtoobl bod) baS 
bolle 2Jteufrficnlebeit nicht fehlt, unb bie ©e= 
legenbeit, iDtcrftoürbtgeS toabrgimebmen, oft 
genug geboten toirb. — UitS leiber fehlt eS 
eben nur an ben Organen, bas 2lufbebeitSs 
tberthe bichterifch gu erfaffen. 

3unt (Gliicf ift ber (Genuß aufgefpeicberter 
Schäle auf biefent (Gebiete itid)t fo febtoer 
toie bie probuctibe iieifttmg, mtb toer bie 
„mancherlei neuen (Gefcbichteu" bcS be* 
beutenbeit englifd)eit ©rgäblerS SHplittg lieft, 
bem tritt fo bicl Weites uitb grifdjcS Por’S 
^luge, baß er toobl felber ein Xicbter gu 
toerben bermeiitt unb fouftige 3 l ^ a ntmeu= 
hänge, bie er getoahr toirb, mit einem neu 
belebten Sittereffe für alles ÜJtcnfdjlidie Per= 
folgen toirb. (Gerabe tote (Witter bie Statur 
mit oerjiütgteu klugen aitjdiaut, toeuit ihm 
ber Slublicf ebler itunfttoerfc beS UtalerS 
ober ^ilbiters ober SÖaumeifterS bat Sinn 
für bisher nnbeadjtete Schönheiten unb 
barmoitifche Srrettbeu getoeeft hat. 

Xie borliegeube Sammlung Kipling» 
fdier ©rgäblungen geiebnet fich burch eine 
Sülle großer fieiftungen auf bem (Gebiete 
ber SchÜbenmg, ber phantafieoollen ©e= 
ftaltimg mtb lebeuStoabrer Seelemitalcrei 
aus. 29cit entfernt bott fentimcntalcr &prif 
glcidit Kiplings poetifdje tUiufc einem 
blübcnbeit hilft* unb tuiirgreidjen 29albe, ber 


ftcb in üppigem Sßrangen auslebt, gefunbeS 
Xafein fortpffangeub, uub madjtoofl an* 
gufchauen. 

3Jtag er uns feinen tounberfamen Ur= 
toalbmenfdjen oorfübrett, ben einfamen Zeucht* 
tburmmächter, bett (Galeerenftrafling, beit 
euglifcheu Solbaten ober bie SBobltbaterinnen 
ber (Gunntfon Street — , immer febeit gange 
toirfltcbe 3)ienfd)en Oor uns auf, unb eS 
fehlt in ber munteren ebararteriftifeben 
SStebergabe auch eine — ich mochte tagen 
— pbilofophifcbc Seinbeit nicht, ein faft tat* 
nterflicheS Spmpatbiftren mit ber mann* 
haften Sbraft unb ein ebenfo gebampfteS 
leiben mit allem irbifeben 3ammer, unb tn 
fleiufter XofiS, aber unentbehrlich toirffant: 
bie Sroitte beS ftarfen XenferS, ein ItebenS* 
toürbigeS ßäcbeln. 3m (Gangen loirb man 
jeboeb launt einen mobernen Xicbter nennen 
fömten, ber toeitiger „fubjectio", imgetoobnten 
Simte biefeS SBorteS, erfebeint, als ftubparb 
Kipling. ©r fd)eint Pöttig tnt Object, baS 
er malt, öerfcbumitben gu fein. 

Xte febönfte ©rgäbluitg biefer Samm* 
luitg ift nad) meinem (Gefdjmacte: grauen* 
lieb. Xer Stoff mag in feiner (Gruubform 
fo alt fein toie bie SJlenfcbengefchicbte, eS ift 
bas Xbema: Xoit 3uan. 2Bie aber hier 
Kipling eine Pöllig eigene ©eftalt fdtaftt, 
toie er baS Solbateitleben mit meifterbafter 
toortfarger Sicherheit binmalt unb am ©nbe 
eine unenoartet großartige Stimmung gu 
ertoeefen Perftebt, baS ift pnn unPergeßlidbcr 
SBebcutitng. 2Jtait legt baS 23ud) erfebüttert 
aus ber $>aitb. Xiefe 2lrbeit ift in ihrer 
itngcfünftelten Xragif ergreifeitb toabr toie 
bas liebe ßeben felbft. 

H. L. 

tic Weife ttt’ö tlltne. $on Otto 
N Jt o q u e 1 1 e. 9ttit £eiiograoüre nach bem 
Origiitalgemälbe Pon SProfeffot ©bnu 
^anolbt. l^eipgig, Robert iöaum. 

Xiefe bisher uttbefannt gebliebene 
gäbluitg beS Por brei Sabrett babingefebiebenen 
XichterS pon „2BalbmeifterS 23rautfahrt Ä 
barf nicht mit gu ftreitgem fritifeben 35taße 
gemeffen toerbeit, Pon oornberein toirb man 
uid)t ertoarten, baß fte mtS ben Xicbter Pon 
einer neuen, nod) ungefannten Seite geigt; 
aber fie ift aud) bem 23eften, toaS 9toquette 
auf ergäbleitbem ©ebiete gefdjaffen, nicht 
gleichguftetten. Xie fituftlidje Otomantif, mtt 
toeld)er ber §elb ber ©rgäblung bie Steife 
ber romantifd) peranlagten ©eiiebten un= 
erfannt gu umgeben toeiß, bie er bann aber 
nidit baburd), fonbern burch eine ent* 
fdilcffene 9}taimeStbat erringt, lebt auch in 
bem iöitdje felbft; fie toirb nicht ad absurdum 
geführt gu ©unften ber ^oefie beS 29irf* 



Sibliograpttifdje Hotten. 


licken. 3 n jebem fjattc Wttc fich bet 
©runbgebanfe mit größerer Vertiefung unb 
meniger äu&erlichem Jpumor behanbeln 
laffeit. 3 ft bie ®rgablung ntcf)t gerabe be* 
beutenb, fo entbehrt fie bod) nicht ber ge* 
fälligen ftiliftifchen gornt, bie man bei 
^oquette ertoarten barf, unb einzelner 
grasiöfet ober Itjrifd) = ftimmungSüoller 
©teilen. £aS Vefte au bem ^übfd» aus= 
geftatteten mit einer &eliograüüre gefchmücften 
Vüchlein ftnb bie eingefügten ©ebidjte. 

0. W. 

$ctevl. ©ine öuubegefdjidjte. Von 

£)ffip©djubin. Verlin, ©ebr. Vaetel. 

Oftip ©djubin (£ola ftierfdjner), bie 
rühmlichft bcfannte ©djriftftellcrin, erzählt 
uns biefeS Wal nicht eine ihrer ftetS fo 
feffelnben Wenfdjengefchicbten, fouberit bie 
reigenbfte aller ^unbegefcpicbten! Wahrhaftig, 
Veterl, ber ölbförnmling ber ftatja uitb beS 
Vcterl, eiltet reiitblütigen ruffifdfjeit ©teppen* 
hunbes, ift ein intereffauterer s JtomanbeIb, 
als fo mancher gmeibeinige©ef<hlechtsbruber; 
unb nicht mir bie beibcn dichten ber 
Dichterin, für bie baS Vüchleüt gefchriebeu 
ift, toerben Wohlgefallen an Spcterlö Gebens- 
laufe finbeu, fonbent 2lUe, bie biefeit femieu 
lernen, unb auch nicht nur bie 2lIterS= 
genoffen oon „ 2 litttie" unb „fiiesl", fonbent 
fogar emfthafte Wenfdjett, bie, jemehr fie fich 
in ber Welt umgefcpaut, befto mehr bie 
&unbe lieben gelernt haben, llebrigeuS 
Freuet ftd) VeterlS ©efd)id)te toieberholt fehr 
intim mit Vorgängen itt bem ©djloffe 
Wottplaifir, beffen Veftöcr feinen brei 
^inbern eine gtneite Wutter oon feinen 
Reifen mit heimgebracht, bie ein gelehrtes 
Wäbdjen gemefett, baS eigentlich in 3ürid) 
beit Xoctorhut ertoerben mollte unb jefct, 
gegiert mit bem Würbeseichett ber grauen, 
mit bem ftäubcheit, entfdjloffeit toar: 
bie „Oerlobbertc" Wirthfdtaft im Jperreithaufc 
unb bie „üemadjläffigte" ©rsiebung ber ftinber, 
theoretifch, ftrict nach beit Regeln ber 
Wiffenfchaft, 31 t beffent unb su Wufter* 
refultateu su führen! Wie bann bie ge= 
lehrte ©djlo&herriit einfebeit lentt, ba& 
„(StmaS man bod) auch bem lieben ©ott 
überlaffen mujj", geht aClerbingS bie §uttbe* 
gefehlte eigentlich gar nichts au; ba hat 
bie Dichterin unS in furgcr, ergreifender 
Weife toieber einmal barthun looüeit, ba& 
ohne ßiebe fein £eben gebeiheit faitn, unb 
bas ift ihr überseugeitb, baS ©äuge in einen 
höheren ©efichtsminfel bringettb, gelungen. 

A. W. 

3m ^ittblicf auf bas WeibnachtSfeft 
mögen einige als geftgeidjeitfe em* 

ftorb unb 6 ft b. XCV. 265. 


w 

pfeblenStoertbe Werfe, bereu eiugeheitbe 
Würbigung jefct aus Wangel an Maunt nub 
3 eit nicht möglich uitb baher oertagt ioerbeit 
mufe, toenigftettS noch furge ©rmähnung in 
biefem ftefte finbeu. 3m Verlage oon $. 
g. $oepler, £eipgig, erfdjien: „$aS 

©cplofe beS SiberiuS nub aitbere 
Sftömerbauten auf ©apri", bargeftettt 
Oon @. Weicparbt (VreiS 10.00 Warf). 
$aS Wert ift oornehmlid) ber S)arftelluug 
ber größten ber 12 Villen, bie XiberütS 
nadh $acitu§ auf ber 3 nfel ©apri befeffeit 
hat, ber Villa 3ooiS, üont Volf noch heute 
Villa Ximberio genannt, getoibtnet; nur 
nebenbei merbett noch einige attbere Villen 
berührt, um baS Vilb über baS antife 
©apri, beffen entfchtounbene £>errlid)feit beS 
JperanSgeberS ©tift unb Wort üor uns 
loieber erfteheit lä&t, bis gu einem getoiffen 
©rabe abgurunben. $aS Wert ift mit 
fdjönen 3 llitftrationen — üoit benen mir im 
nächften^efte einiger einer ausführlicheren Ve* 
fpred&ung beigeben toerbeit — mit 2 itel= 
Föpfen unb iHanbfeiften gefchmiicft. 2litS 
bem Vibliographifchcn Snftitut itt 
l^eipsig ift eine SHeibe toerthooller miffcn* 
fchaftlicher V«blicationen, bie zugleich burd) 
ihre 2luSftattung su Vrachtloerfen geftempelt 
toerben, h^^oorgegaitgeu. 2 >a ift juitächft 
ju nennen: ber erfte Vanb einer neuen all* 
gemeinen ftunftgefdjicbte : w ©efd)id)tc ber 
^unft aller 3 c it^n uitb Völfer", 
bereu Verfaffer ber beftenS befaitnte ^reS* 
bener ^unfthiftorifcr V^of. Dr. Äarl Woer • 
mann ift; aus bem oorlicgenben erfteu 
Vanbe, ber bie Shtnft Oor= uitb au 6 erdhrift= 
lieber Völfer behanbelt, mit 615 Slbbilbuitgen 
im Xejtr 15 tafeln in garbenbruef unb 
35 Xafelit in .^olsfchuitt unb 2:onähung 
gefchmücft ift unb für fich ein abgefchloffeneS 
©attseS bilbet (Vr. 17.00 2)JF.), toerben mir 
in unferem nächften ipefte unteren £efem 
£ert* unb 3üuftrationSproben oorführeit; 
ferner erfdjiett als üierter Xf>eil ber ,,©amm= 
Iung illuftrirter fiitteraturgefchichte" bie toott 
Vrof. Dr. Hermann ©uchier unb Vtof. 
Dr. 2lb. Virch s ßirfchfelb üerfafete „©e = 
fchichtc ber fraitsöfifdhen i^itteratur" 
üoit ben äitefteit 3 ^i ten bis sur 
©egenmart" (Vr. 16 Wf.) ebenfalls mit 
reichem Viltjerfdjmucf, barunter mehrere 
farbige Xafelit, auSgcftattet. 

3n feinem fünften 3af)tgange (für 1901) 
liegt „2JteperS hiftorifd)er©eographi= 
feper Äalenber" (Vr. 2,00 9)tf.) oor, 
ber neben hiftorifchen unb geographifchen 
3Uuftrationen, bieSmal auch naturmiffen= 
fdjaftliche 3 ßuftrationen bietet unb in ber 
Slusmahl berfelben, mie auch i« feinem tejrt* 
28 



^20 £torb u 

lieben Sbeil, bem üott einem Slftronomen 
üon gadj bearbeiteten .Slalenbarium, ber 
2lu8toaf)l ber Zitate in PerS uitb Profa, in 
beit biftorifcbeit XageSu otigen überall bie bei 
beit PcröffcntUcfjungcn be£ Söiblioqr. Suftitutö 
gctoobnte ©orgfalt uitb toiffenfcbaftlicbe ®e* 
biegenbeit offenbart. ©nblid) ift and) bie 
Meibe Dom 2Wct)cr§ Älaf fifcr«2lu8= 
aab eit üermeljrt toorben burd) eine neue 
Bearbeitung ooit BBielanbä Söerfen, bie 
in hier Pänbeit (geb. 8 bie fäönften 
uiib lebenSfäbigfteit 25id)tnitgen SBielanbS 
cntbält; nämlid) „Oberon", „2ttufarion", 
„©u;t unb $ lärdjen", „£a§ SBintermärdjeu" 
„©aitbalin", „©erott", „Peroontc" unb 
einige aitbere cpifdje £icbtungen, ferner bie 
Montane „2lgatbon" uitb „2>te Mbberiten", 
fotoie bie toeitigeit Itjrifdjcn ©ebidjte 23ies 
iaitb§. 25 er ©eratrögeber Prof. Dr. 
©. $Iee bat eine fnappe Piograpbie 2Bies 
laitbö, beffen bortrefflid) anSgefü&rteS Pilb 
bem erfteu Patibe oorangeftettt ift, foloie 
©inleitnngen git beit etngelnen Söerfen unb 
erlänternbe guftnoteu beigefteuert. 

£ie S)eutfd)c Perlag3=2lnftalt 
bat ihren billigeu ciubänbigeit 2ln$gaben 


nb 5üb. 


ber SSerfe ©oetbeB, Sd)iller3, feines unb 
SbafefpercS eine foldje bon £auffä 
Söerfen, ein Xe^tabbrucf ber ittuftrirten 
Prachtausgabe, angereibt. 2lu8 biefer ftnb 
aud) beS Herausgebers Dr. (Säfar 
gtaifdjlen biograpfjtfdje ©fig^e unb ©r= 
Iäuterungen gu ben etngelnen SBertat über= 
nommen toorbeit. 2)er 864 6. umfaffenbe, 
mit bem Portrait beS 2)idjter3 gefd)mücfte 
Panb foftet nur 8.00 2Rf. — 

(Sin prächtiges ©efebenf für bie toetbltdje 
Sugettb ift Peate SabaSfobuS luftige 
PenftonSgefdhicbte „Mutfj bon fJelSecf '* 
(PreSlau, ©djlefifdje PerlapS* 
Slnftalt o. 3. ©cbottlaenber.) 3Me 
Perfafferin berftefjt ftd) auf ben ©efdjntacf 
ber Padfifdje toie SSenige, fo bafc ihr Pud) 
Den befamtten ßiebltngm ber toetblicben 
ßefer biefeS SllterS ftarfe Goncurreng 
machen bürfte; boeb fann aud) ber ©r= 
toaebfene an bem frifeben liebenStmirbigen 
Humor beS PudjeS ftd) berglid) erfreuen. Xer 
gefcbmadöoUe (Sinbaitb, bie bübfeben 3llitftra- 
tionen toerben bagu beitragen, bem Pucfo 
(preis geb. 5.00 2Jtt.) gablreidje greunbinnen 
gu toerben. 


von Ernst Weiland-Lübeck. 


Abkürzungen: B. u. W. = HUhne und Welt. — D. Re. = Deutsche Revue. — D. Ru. = Deutzie 
Rundschau. — • G. = Gesellschaft-. — I. L. -- luternationale Li tteratur berichte. — Kr. = Kritik. 
— Kultur. — L. E. = Das litteiarische Echo. — N. Nation. — N. D. Ru. = Neue Deutsche 
RumNchau. — N. u. 8. — Nord und Sttd. — T. = Türmer. — V. & Kl. M. = Velhagen & 
Kiasings Monatshefte. — W.Ru. = Wiener Rundschau. — Z. = Zukunft — Z. f. B. = Zeitschrift 

für Bücherfreunde. — Zeit. 


Anzengruber, Ludwig-. Von .1. .1. David. 
B. u. W. II J. 2. 

Berlin lm October und November 1806 

D. Re. XXVII. 1. 

Bibliophilen, Die. John Bellingbam Inglis. 
Von 0. von Schleinitz. Z. f. B. IV 7. 

Berlins Vorherrschaft. Von E. Schlaikjer. 
L. E. III. 2. 

Bücherliebhaberei. Von Ph. Rath. Z. IX. 2. 
Chinesen, Zur Charakteristik der. Von Lady 
Blennerluisset. D. Re. XXVII. 

Delos und Tinos. Eine antike und eine 
moderne Wallfahrtsstätte. Von A. Bauer. 
X. u. 8. 11*00. Dee. 

Dortmund - Emskanal und seine Bedeu- 
tung, Der. Von I Bilde. V. & Kl. M. XV. 2. 
Ebner -Eschenbach, Marie von, und Louise 
Fran<?ois. Von A. Botteiheim. D. Re. 
XXVII. l. 

Englische Romane. Von M. Meyerfeld. L. 

E. III. 2. 

Finlands Dichter. Von A. Geifer. L. E. 
111 . 2 . 


Fitger, Arthur. Nachkläu^e zum 60. Geburt>- 
tu^. Von H. StUmckc. B. u. W. IL 5. 
Frauenbewegung, Bürgerliche und prole- 
tarische. Von L. Fuld. Kr. 193. 

Goethes Faust, Zwei der grössten Menschen- 
feinde und ihre Rolle in. Von H. Tiirck. 
(Forts, u. Schluss). B. u. W. III. 2. 
Gutenbergfeier, Festschriften zur. Von 

F. \ou Zobeltitz. Z. f. B. IV. 7. 

Ibsens Komödie der Liebe. Von E. Brause - 
wetter. I. L. 1900. 21. 

Inkunabelsignete, Einige unreproduoirte 

IV. Von A. Schubert. Z f. B. IV. 7. 
Irving, Sir Henry. Von Herrn. Conrad. 
B. u. W. III. 2. 

Karikatur. Zur Geschichte der neueren deut- 
schen K. I. Bis zur Napoleonisclien Zeit. 
Von G. Hermann. Z. f. B. IV. 7. 

Kipling, Der neue. Von F. (iraz. Zeit 317. 
Kunst und Sinnlichkeit. Von L. Berg. Z. 
IX. 2. 

Kunstbetrachtung. Von F. Servaes. X. 1>. 
Rn. XI. 10. 





Künstlerische Gewerbe auf der Weltaus- 
stellung 1 , Das. Von J. Meier-Graefe. Z. 316. 
Liebespr oblexn , Gedanken Uber das. Von 

L. A. Salomä. N. D. Ru. XI. 10. 

Lindner, Amanda. (Berliner Bühnenkünstler. 

Von E. Vely. B. u. W. II. 3. 

Liszt, Franz, Rieh. Warner u. die Fürstin 
Carolyne Savn- Wittgenstein. Von E. Kloss. 
B. u. W. II. 3. 

Lofkadio Heam. Volksglaube und Volks- 
sitte in Japan. Von M. von Brandt. D. 
Re. XXVII. 1 

Menschen und Bürger. Von J. Havemann. 
Kr. 103. 

Musiksohwindel. Von A. Ludwig. G. XVI. 
Oct. II. 

Muther, Richard. Von P. Riesenfeld. N. n. S. 
1900. Dec. 

Fr* Nietzsche, Die Wahrheit über. Von 

P. Neussen. W. Ru. IV. 20. 

Nietssches Tod. Von G. Hirschfeld. N. D. 
Ru. XI. 10. 

— Auf. Von P. von Oppeln-Bronikowski. G. 
XVI. Oct. I. 

Physiologie des Geschmackes. Von Aug. 

Strindberg. W. Ru. IV. 19. 
Physiologische Schwachsinn des Weibes, 
Der. Von S. P. Altmann. Kr. 193. 
Psychologische Denkschrift in der Heil- 
kunde, Die. Von 0. Biuswanger. D. Re. 
XXVII. 1. 




Religion, Deutsche. Von K. Jentseh. Z. 
IX. 2. 

A. R i mb aud. Von Oskar Panizza. W. Ru. 

IV. 19. 

Roman, Der historische. Von R. Pappritz. 

I. L. 1900. 20. 

Romantik. Worin kann die alte Romantik der 
Neuromantik zum Vorbild dienen? Von II. 
Friedrieh. I. L. 1900. 22. 

Seelengeachichte der Jugend, Aus der. 

Von H. Sehmidknnz. N. u. S. 1900. Dec. 
Seelenleben, Silhouetten aus dem. Von 11. 
Frank. N. u. S. 1900. Dee. 

Sigbjörn Obstfelder. Von Gunar lleiberg. 
W. Ru. IV. 20. 

Sinn des Lebens, Ueber den. Vou Leo 

Tolstoi. W. Ru. IV, 19. 

SociaJdem okratische Zolldebatte. Vou G. 

Bernhard. C. XVI. Oet. II. 

Theater. Berliner Theatern 1900/1901. Von den. 

II. III. Von H. Stümcke. B. u. W. III. 2. 3. 
Paris. Die Theater und Cabarets der Pariser 

Weltausstellung. Von B. Petzold. B. u. W. 

III. 3. 

Welträthsel, Das. Von Dagobert v. Gerhardt - 
Amyntur. N. u. 8. l'.HH). Dec. 

Türken, Die. Von H. Geizer. Z. IX. 3. 
Turnen und Sport. Von E. Neuendortl'. Z. 
IX. 2. 

Zumbusch, Caspar von. Von C. von Vim-enti. 

V. &. Kl. M. XV. 2. 


Eingegangene Bücher. Besprechung nach Auswahl der Redaction Vorbehalten. 


Aus fremden Zungen. Halbmonatsschrift für 
die moderne Roman- und No veilen litteratur 
des Auslandes. Zehnter Jahrgang. 1900. Heft 
19, 20. Stuttgart. Deutsche Verlags-Anstalt. 

Bölart, Hans, Richard Wagner in Zürich. 
Bd. I. Musikalische Studien. Leipzig, Hermann 
Seemann Nachf. 

Bleibtreu, Karl, Byrons Gcheimniss. Drama 
in 5 Acten. Zürich, Th. Schröter. 

Brandt, M. von, Dreiunddreissig Jahre in 
Ost-Indien. Erinnerungen eines deutschen 
Diplomaten. In 3 Bänden. Bd. I. Leipzig, 
Georg Wigand. 

Bruns, Max, Laterna Magica. (Ein Anti- 
Phantasus.) Minden, J. C. C. Bruns Verlag. 

Byron, Lord, Manfred. Dramatisches Gedicht 
Leipzig, Hermann Seemann Nachf. 

Diederich, Ihr. Benno, Alphonse Daudet, sein 
Laiben und seine Werke. Berlin, C. A. 
Schwetschke & Sohn. 

Eelbo, Bruno, Die Sprüche des guten Meisters. 
Leipzig, C. F. Anielangs Verlag. 

Excellenda e U ni ver salidade da Cultura 
Germanica. Discurso. Pronunciado pelo 
Dr. Egas Moniz B. de Aragäo A 10 de Marco 
de. 1900 por occasiäo de tomar posse da 
cadeira de lingua allcma. Bahia, Imprensa 
Eicon omica. 16 — Rua Nova das Princezas. 

Fischer, Emst, Der deutsche Michel, Richard 
Rösicke, Professor Sclunoller und die Social- 
demokratie. Letztes Wort zur Aufklärung 
für das Volk. Berlin, Gose & Tetz iah. 

Florenz, Prof. Dr. EL, Japanische Dramen. 
Terakoya uud Asagao. Leipzig, C. F. Arne- 
langs Verlag. 

Francs, Baoul, Der Werth der Wissenschaft. 
Freie Gedanken eines Naturforschers. 
Dresden, Carl Reissner. 

Frapan, Ilse, Wehrlose. Novellen. Berlin, Ge- 
brüder Paetel. 

Frohmut, M., Bergwaldsweben. Skizzen und 
Märchen. Leipzig, Richard Wöpke. 


Frommei, Otto, Fluthwellen. Neue Gedichte. 

Heidelberg. Carl Winters rnivers.-Buehh. 
Garner, R. L., Die Sprache der Alien. Aus 
dem Englischen übersetzt und herausgegeben 
von Prof. Dr. William Marshall. Autorisirte 
Ausgabe. Leipzig, Hermann Seemann Nachf. 
Girndt, Otto, Die Schlacht bei Torgau. Schau- 
spiel in fünf Acten. Oldeuburg, SclnilzeWlie 
Hof-Buchdhlg. 

Grazie, M. E. delle, Schlagende Wetter. 
Drama in vier Acten. Zweite Aullage. 
Leipzig, Breitkopf & Härtel. 

Wilb. Haacke und Wilh. Kubnert, Das 

Thierleben der Erde. K. und 9. Lieferung. 
Berlin, Martin Oldenbotirg. 

Henckell, Karl, Neues Leben. Dichtungen 
(1899—1900) Bildei schmuck von Fidus. 
Zürich, Karl Henckell & Co. 

Herzl, Theodor, Philosophische Erzählungen. 
Berlin, Gebrüder Paetel. 

Hirsch. Gideon M., Neunzehntes oder zwan- 
zigstes Jahrhundert ? Zeitrechmingsfragt n. 
Mit einem Anhang: Zuschrift des Directers 
der Berliner Sternwarte, Geh. R.-R. Piof. Dr. 
W. Förster. Breslau, Commissions-Verlag von 
Preu. ss & Jünger. 

Hoffmann, Hans, Der eiserne Rittmeister. 
Roman. Zweite Auflage. Band I und II. 
Berlin. Gebrüder Paetel. 

Hüke, Frieda, Frau Fama. Novellen. Dresden, 
E. Piersons Verlag. 

Hummel, G. L., Cnltur-Skizzen aus China. 
Berlin, Gose & TetzlalT. 

Jaenicke, Karl, Herzog Heinrich IV. von 
Breslau. Historischer Roman. Breslau, 
Willi. Gottl. Korn. 

Ilgres, F. Walther, Blätter aus dem Leben 
und Dichten eines Verschollenen. Zum 100. 
Geburtstag von Ernst Ortlepp (1. August 
1800 bis 14. Juni 1801) theilweisc nach un- 
veröffentlichten Handschriften und seltenen 
Drucken. München, Deutsche Buchhandlung. 

28 * 



\22 


Horb unb 5ü b. 


Kurz, Isolde, Von dazumal. Erzählungen. 
Berlin, Gebrüder Paetel. 

Laicus, Philipp, Zur rechten Stunde. Eine 
Erzählung aus dem amerikanischen Pflanzer- 
leben. Frei nach dein Englischen des Kapt. 
May ne Reid. Mühlheim, Martin Hegncr. 

Lee, Sidney, William Shakespeare. Sein 
Leben und seine Werke. Rechtmässige 
deutsche Uebersetzung. Durchgesehen und 
eingeleitet von Prof. Dr. Richard Willker. 
Leipzig, Georg Wigand. 

Lenz, Leo, Schwüle Nächte. Dresden, Carl 
Reissner. 

Lichtenatein (Lichtstem) Dr. A., Lotze und 
Wundt. Eine vergleichende philosophische 
Studie. (Berner Studien zur Philosophie 
und ihrer Geschichte. Band XXIV. Heraus- 
gegeben von Prof. Dr. Ludwig Stein). Bern, 
0 Sturzenegger. 

Louys Pierre, Die Abenteuer des Königs Pausol. 
Roman. Autorisirte Uebersetzting von Armin 
Schwarz. Budapest, G. Grimm. 

— Die Lieder der Bilitis. Nach der aus dem 
Griechischen besorgten T T ebersetzung ver- 
deutscht von Franz Wagenhofen. Budapest, 
G. Grimm. 

— Idyllen. (Eine neue Wonne. — Das Häus- 
chen am Nil. — Byblis. — Leda. — Ariadne.) 
Uebersetzt von Armin Schwarz Budapest, 
G. Grimm. 

Meyer, Dr. Adolf, Wesen und Geschichte der 
Theorie vom Mikro- und Makrokosmos. 
(Berner Studien zur Philosophie und ihrer 
Geschichte Band XXV. Herausgegeben von 
Piof. Dr. Ludwig Stein.) Bein, C. Sturzen- 

_ egger. 

Meyers historiach-g: 00 graphischer Kalen- 
der auf das Jahr 1900. Leipzig, Bibliogr. 
Institut. 

Mohr, Mary, L. F., Nachklang. Gesammelte 
Gedichte. Leipzig, Richard Wöpke. 

Monographien zur Weltgreacniohte. In 
Verbindung mit Anderen herausgegeben von 
Prof. Ed. Heyck. XU. 'Die Kreuzzüge und 
das heilige Land. Von Prof. Ed. Heyck. Mit 
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Müller, Leonhard, Badische Landtags- 
geschichte. Zweiter Tlieil: 18*20 bis 1825. 
Berlin, Rosenbaum & llait 

Müller, Oberst a. D. von, Will Deutschland 
die Ostmarken behaupten oder nicht ? 
Berlin, Gose & Tetz lall . 

Müller-Bohn, Herrn., Kaiser Friedrich der 
Gütige. Vaterländisches Ehrenbuch. Hcrausg. 
Von Paul Kittel. Mit 24 Kunstbeilagen in 
Schwarz- und Farbendruck, 500 authentischen 
Abbildungen im Text u. 8 Facsimiicbeilauen. 
Berlin, P. Kittel. 

Nollau, Hermann, Die Liebesburg. Eine 
Strandnovelle. Leipzig, Richard Wöpke. 


Philo vom Walde, Leute-Noth. Erzählung. 

Giossenhain, Baumei t &, Ronge. 
Babenlechner, Dr. Michael M., llamer- 
lings Werse Volks-Ausgabe in 4 Bänden. 
Mit einem Geleitwort von Peter Rosegger 
Erster Band. Lfg. 1. Hamburg , Verlags, 
anstatt u. Druckerei A.-G. (vorm. J. F. 
Richter.' 

Roquette, Otto, Die Reise in’s Blaue. Zweites 
Tausend. Mit Heliogravüre nach dem Original- 
Gemälde von Prof. Edm. Kanoldt. Leipzig, 
Robert Baum. 

Schäfer, Wilhelm, Wilhelm Sliakespeare. 

Schauspiel aus der Renaissancezeit Englands 
in drei Aufzügen. Zürich, Emil CottLs Wwe. 
Schmidt & Günther« Illustrirte Weltbibliothek 
Heft II. China. Tien-tsin, Hongkong und 
Kanton. Mit 54 Illustrationen. Leipzig, 
Schmidt & Günther. 

Schneider, Max, Schneeschuh und Rennwolf 
und Ihr praktischer Gebrauch. Mit 6*2 ln 
den Text gedruckten Abbildungen. Dritte 
vollst. neu bearb. Aufl. Berlin, Winter- 
sportverlag. 

Sonderabdruck aus der Zeitschrift „Die 
Cultur“, berausg. von der Oesterreichischen 
Leo-Gesellscliaft in Wien. Selbstverlag. 
Hermann Suchier und Adolf Birch- 
Hirachfbld, Geschichte der Französischen 
Litteratur von den ältesten Zeiten bis zur 
Gegenwart. Leipzig, Bibliogr. Institut. 
Vierordt, Heinrich, Fresken. Neue Dichtungen. 

Heidelberg, Carl Winters Univers.-Buchh. 
Vilmar, A. F. C., Geschichte der deutschen 
Nationallitteratur. 25. (Jubiläums-) Auflage. 
Mit einer Fortsetzung: Die deutsche National- 
litteratur vom Tode Goethes bis zur Gegen- 
wart“ von Adolf Stern. Marburg, N. G. 
Elwert’sche Verlagsbuchh. 

Vom Holzballe. Ein Roman aus dem balti- 
schen Leben von ***. Leipzig, Richard 
Wöpke. 

Weatermanna illuatrixte deutaohe Monats- 
hefte für das gesammte geistige Leben der 
Gegenwart 45. Jahrgang. November 1900. 
Heft 560. Braunschweig, George Westermann. 
Wohlbrüok, Olga, Im Dunkel. Novellen. 

Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus. 

Wolff, Harrlot, Gedichte. Elberfeld, Gebrüder 
Roth. 

Wright, William, The Beginn er. Ein Lehr- 
buch der englischen Sprache zur schnellen 
Erlernung derselben durch Selbstunterricht, 
System : Repeater, Berlin, Rosenbaum 

& Hart 

Zöllner, H., Achilleus. Roman. Dresden. E. 

Piersons VeiJag. 

Zeltler, JuUu«, Nietzsches Aesthetik. *2. 
Tausend. Leipzig, Hermann Seemann Nacbf. 


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5d?Ieflfd?e Sucfjbrmftret, Munfl« unb üerlags*2inflalt d. 5. Sdjöttlaenber, Breslau. 
Unberedfligter Itadjbrutf aus bem 3nf}alt biefer 5eitfd?cift unterfagt. Ueberfebnngsrtdit uörbeljalteit. 




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schreibt in „ Therapeutischen Monatsheften Juni 1896. 

„ Ein derartig brauchbares Wasser ist 
„ Für längere Trinkeuren, 

„ Zur Regulirung des Stoffwechsels, 

„ Bei Fettleibigkeit, chronischen Obstipationen, 

,, Bei Hämorrhoidalleiden 
„ Als besonders geeignet zu empfehlen.“ 


Professor Dr. LANCEREAUX, Paris, Mitglied der 

„ Aeademie de Medecine erklärte am 4 Febr. 1899. 

„ Gerade dieses Wasser eignet sich am Besten 
„ Für die Behandlung chronischer Verstopfung, 
„Verdient eine Ausnahmestellung 
„in der hydrologischen Therapeutik.“ 


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3ulius B. £)aarl^aus in €eip3ig. 

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Bibliographie 408 

Buguft <£jter: „Bas Beutfcfye Bürgerliche Cinfamillenhaus.* Cclpjig, Derlag oon 
Baumgartners BudjhanMung. 

Bibliographifdje Hotten 4^6 

Ueberfidjt ber nndjtigften gettfdfriften» 2 Jnffät 3 e patt (Ernft IPeilanb'Siibecf . . . . ^20 

Qier 3 u ein Portrait: Hidjarb JTt u tti er. 

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RICHEMENT ILLTJSTRÜE. 

«Avec eile, on sait tout, tout de suite* (Alex. Dumas fils), car «LA REVUE 
est extrSmement bien faite et constitue une des lectures les plus interessantes, 
les plus passionnantes > (Francisque Sarcey); « rien n’est plus utile que ce 
resume de l’esprit humain » (E. Zola); « eile a conquis une Situation brillante 
et preponderante parmi les grandes revues fran<?aises et etrangeres » (Les Dtbats); 
« LA REVUE publie des itudes Magistrates » (Figaro) ; etc. 

La Revue paralt le 1 er et le 15 de chaque mois et ne publie 
que des articles inSdits signös par les plus grands noms franqais et 
Strangers. 

La Revue publie 6galement les analyses des meilleurs articles 
parus dans les pöriodiques du monde entier, caricatures poli- 
tiques, des r omans et nouvelles , demiöres inventions et d§- 
coavertes, etc., etc. 

La collection annuelle de La Revue forme une vraie encyclop6die 
die 4 gros volumes, cornös d’environ 1500 gravures et contenant 
plus de 400 articles, 6tudes, romans, etc. 

La Abonnäs refjoivent nos de nombreuses primes de valeur. 
(Detnander Prospedus .) 

On s’abonne sans frais dans tous les bureaux de poste de la France et 
de l’etranger chez tous les principaux libraires du monde entier et dans les 

bureaux de La Revue. 

Räd&ction et Administration : 12, AVENUE BE L’OPI^RA, PARIS. 







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Ein märkisches Caltnrbild aas der Zeit des ersten Hohenzollern. 

2 Bände. 4. Auflage. Geheftet Mk. 10. — ; gebunden Mk. 12. — . 

Beide Kornane beruhen auf gründlichen Studien, ohne dass nach Art des 
archaistischen Kornans gelehrte Excurse den jx>etischen Eindruck durchbrechen oder 
gar rein moderne Gefühle in das entlegene Kostüm gekleidet sind. Im Gegentheil 
ist es gerade das Leben der behandelten Zeiten, das der Dichter uns nahezu bringen 
beflissen ist. Man könnte der Erzählung stellenweise ein mächtigeres 
Anschwellen der Accorde wünschen, könnte auch den Charakter des Hohenzollern 
gern etwas individueller vom Idealbild eines starken und milden, gerechten 
Bürsten entfernt sehen; aber man folgt der Darstellung mit dauerndem Interesse 
und fortgesetzter Bereicherung nicht nur an culturgeschichtlichen Einblicken, 
sondern auch an poetischem Genuss. Ja, wenn wir beide Werke zasammenrücken, 
weitet sich die Handlung zu dem einheitlich geschlossenen Bilde vom Uebergang des 
Mittelalters zur Neuzeit. Nur der Dichter ist fähig, ein solch lebendiges, ein wirkliches 
Bild zu entrollen: nur er vermag, um einen einheitlichen Helden zu concentriren, 
was der Historiker in voller Breite und systematischer Gliederung wiedergeben 
müsste; nur er vermag grundsätzlich aus der Zeitseele zu entwickeln, was der 
Historiker nur rein thatsächlich vermelden kann, falls nicht auch er — ein Dichter 
ist. Darum wünschten wir diesen von vaterländischem und doch nirgends auf- 
dringlich tendenziösem Geist erfüllten geschichtlichen Komauen eine weitere Fort- 
setzung auch über die folgenden Jahrhunderte deutschen Lebens. An empfänglichen 
Lesern fehlt es solchen nationallitterarischen Unternehmungen heute gewiss 
nicht mehr. Professor Dr. Eugen Wolff. 


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hat bie Derfafferin gefummelt imb gefdneft su einem (Sa^en uerarbeitet: Cuftige penflonsftreta»e unb lragi« 
fomifdjes lUiftgefchicf. mäbchenfreunbfchaf t, Schwärmerei för ben intereffanten Center unb frafc gegen bie 
mißgflnftige altjungfräulidjc Cebrerin, <£onbitorei»©enflfye, dan3flunben, IHasfcnball, Penfions-H>eit)nao?tss 
frier, Schülerliebe — enblich Polterabenb unb l7od?3eit. 


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Diefer Roman ift wohl bas bef!e lüerf ber namentlich in weiblichen Greifen mit Recht Rochge* 
fefjägten €r3äblerin, beren anmutfyige Begabung unb feinfinnig uorneRme Dortragstueifc bei ben Cefem 
bes gebilbeten publieums ben reichten Beifall ftnben. Die fielbin bes „fmiberöslein" ift eine fympatl)if<h 
ge3eichnete OTäbchengeflalt »orneRmer Kbfunft; iRr Dater flirbt, fle bleibt arm unb tritt mutRig ein in 
ben Kampf ums Dafein; unenblicRe Ceiben begegnen ihr; hoch bas rauRe ScRtcftal, beffen ScRilberung bie 
üerfafferin auf ber £)öRe iRrer Rinreifjenben Kunfl 3eigt, flingt in einen uerföRnenben ScRIu§ aus. 


„^tbcriteleiit" ift ein &ud), bn§ imbebeuftid) jeher gfrau unb jebent reiferen "J 

9Jiäbd)en in bie §anb gegeben toerben famt; betreibe eignet fid) in öeroorragenber 2Beife * 

5ii ©efdjenf^toecfeu. * 

3u bejidjen burd> aUe ©u^^anbtuttöen bc* 3n unb ^tubtonbeb. > 


ir.4frfr.frfr b. 3. 3d)oiilacn&ev iu ^veytau. 

: . . 


Ge$cben(cwer(ce für die Trauenweit. 


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frauenlieder von ^sbanna 

(Erneute unb ueränbeite Auflage. 

12 %. dDctao. iw Ijodjelegnntem ©riginal- pradjtbanb 
mit (Bkilbfdjmtt gebunben $lk. 4.—. 

. . . Die Didjtertn bringt in hie Cvrif ettoas mit, toas heutjutagc gar feiten 
geroorben ift: Ceibenfdjaft, tftnreifjcrtbe, bithvrambifcfce, tftnimclboch jnncbjenbe unb 
$u (tobe betrübte Ceibenfcfjnft. Sie fingt non faft nichts 2 Inbcrem als (Einem (Segen* 
ftanbe: Don ber Ciebe. Uber ihr (Sefang, ihre £uft am Singen, ihr Heidjtbum an 
£inf<Sllcn, an jenen fernen unb thöricfjten €itifötten, bte ben nüchternen menfehen 
fo gar nicht, bem «Empfänglichen aber fo fehr gefallen, fcheint ebenfo unerfcfröpflich 
311 fein, n>ie bie Ciebe unb bie Ceibenfchaft felbft. €s ifi fdjeinbar eine enblofc OTciobic, 
j welche „namenlos" fingt, aber es ift bo<h nicht immer biefelbc lUclobie, tmb fie beraufcht mit ihren Ctebcnt, 
wie fie felbft oom göttlichen <£ros beraufcht ift. Das ift im (Srunbe bas EDclcntltchftf, was man uort biefen 
«Schichten aus 3 ufagcn hat. Penn baft fie ihre Ceibenfchaft auf uns nur barch eine fchöne .form übertragen 
fönnen, bajj „namenlos" ihre <SerüI?Ie als ein urfprünglicher, nach feinem Dorbilbc fdjietenbcr Dichter 
bar ft eilt: ba§ fie im Übel unb in ber Unmuth ibj^es €mpftnbens, riicf 7 t aber in ber fpradjlichen 
Heuerungsfucht, wie fo uiele anbere gebilbete Sänger, ben eigentlichen 5 aa ^ cr ^ rer befitjt: bas 
ntujj fich uon felbft uerfteben, fonft ift überhaupt eine folcf? mitreiftenbe tthrfung nicht möglich- 

„Heue $reie Prcffc", ll>ien. 

Die er|te Auflage biefer (föebidjte ift in anbertljalb faljrcn »ergriffen gnuefen 
— Deroets genug für bie Deliebttjeit betreiben, jumal bie äusffattung foroteber 3nljalt 
1 bes Dudjes bebeutenbe tferbefferungen erfahren Ijabeit. 



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cirtcs reifen ITlamtrs, — eines Didiers, ber uns einen Shcf in 
fein reiches 3 uuculebcn gewährt. 

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, nns: IPas bes lllenfdtcit f>er 3 an unb £eib, (Mlcf unb 

CCraucr, £icbe ttub Sd»mcr 3 , Sohnfudjt uttb Iwffcn crfcbflrtert unb 
bewegt, — Ellies bas ift in brr cblcn Spradje eines cd»ten 
Didjtcrs in biefen Poejicu meborqclcqt. 

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au ben (Ecrt bes Z3udjes au unb Dfrieit]en bemfelbrn einen 
eigenartigen Sd?mucf. 


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turkestan und 
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Von 


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©rtap. 

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hilbcr erfdjlicpen uns bic (Po 
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uns bttrdt lebenbe unb padertbc 
Scbilbmmgcn bie rcijoollcrt *£rs 
feheinungen orientaIifd»rn Per* 
fetyrs*, l ; anbds* unb priunts 
lebens fertnen. Hlit gefcfydter 
f'anb entfdjieiert uns ber Per: 
taffer bic Statten. we!d;>e. 
beberft mit bem Scharten 
orietitalifcher Jtbqefchloffenbctt 
uni SeltfamFeit, bisher nur oem 
beoorjugten Hlcnfdjen ber 
n?eftlid?cn Cultur in 2 lugenfd?$in 
genommen werben fonnten. 

3 cber, ber biefes Pud» 3 ur 
fmnb nimmt, wirb barm bes 
3 ntercfTanten genug fhtben: brr 
belehrte unb dorfchcr, welcher 
bett culturgefchicbthchen Spuren, 
ben Sitten unb (Petuobnbeitcn 
ber PöIFcr nadjgcbt, ber 3 n- 
buftriellc unb Kaufmann, 
welchem bie fteigenbe iVbentung 
bes Orients 3 ur Cmhliefinng 
neuer Kbi'anqucllen nadjgewiefen 
n»irb, ber ‘Küuftler, welchem 
Tiaturfchönbeiten wem tun- 
reifjenber Schönheit nnb prad?t 
offenbart werben, ber 5 r, ' li nb 
einer ahwod?sIungsreid>en unb 
aurcgntbeit treture, welche frei 
ift uoit jeber fd^iperfdlltgen ober 
gar gelehrten 2 lrt unb nidjr jtim 
llVuigften bie r e i f c r e lugenb. 
welcher in nuterhalteubcr unb 
feffclnbcrJDeife bic geographnche 
nnb i)olfsgefchtd»tI:d»e 23r= 
bcutung perftetts, (Lurfeüarts 
unb ber QTürfci in biefemlPerrc 
por Kuqen geführt tntrb, beffett 
IPcrtl) bnrd? 3 tu ei 
©rientirungsfarten Der: 
D0lljli3nbigt utirb. 


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1815—1840. $imfnnb£toan*ig Sabre bentfdjcr &ef<bi<bte. Dom IDiener (Eongreß 
bis 3 um (Ehromned}fcl in Preußen. 2 Banbe. fjodjeleg. brofdj. ITlf. 7. — ; 
fein gebb. ITlf. 10 .—. 

1840—1870 Preiftig Sabre beutfrijer &ef<bi<b tc. Dom (Tbromoedjfel in 
Preußen bis 3 m Bufricbtung bes beutfdj. Kaifertfyums. ITlit ein. Bücfblid auf 
bie geit t»on 1815— l, 8 $ 0 . Üierte oermehrte (©olt$-)9ltt$gabe. 2 Bbe. €leg. 
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SWein Sehen nnb ein Stört 3eitgef<bid)te 1812—1866. (Eine <£rgän 3 ung 5 U 
bes Derfaffers „Dreißig 3 a b rc beutfdjcr (Sefd^id^te". ITlit bem Portrait bes 
Derfaffers. 2 Bänbe. (Elegant brofdjirt ITlf. 10 .— ; fein gebunben ITlf. 13. — . 
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Anfang Dezember 194*9 erscheint: 

ZWEI MENSCHENALTER. 


Briefe und Erinnerungen herausgegeben vpn Adelheid von Schorn. 

~ , , \ 

Dieses Memoirenwerk umfasst die Erlebnisse und B^iefschätze der bekannten Schomschen 
Familie, die im Mittelpunkt des Weimarer Kunstlebdns stand. Es ist ein Kulturbild von 
den tOer Jahren bis zu unsem Tagen. Von wichtigen Briefautoren, die darin auftreten, 
erwähnen wir: Herzogin Helene v. Orleans, Friedreh Ruckert, Berthold Auerbach, 

Ludwig Bechstein, Peter Cornelius, Edda v. Kalb Franz Kugler, Joachim Raff, 
Heinrich v. Stein und vor allem 

Liszt und die Fürstin Wittgenstein, 

von der eine grosse Anzahl der wertvollsten Briefe über Lisst zum ersten Mal mitgeteilt werden. 
Vornehme Ausstattung mit Porträts. 

Ittidconformat, etwa ttt Druckseiten. Preis geh. etwa Mk. 10.—, gtf. etwa Mk. 12.—. 



Soeben erschien: 


ARTHUR SCHNITZLERS 

ANATOL“ 




illustriert von M. COSCHELL 


Das berühmteste Werk Arthur Schnitzlers, der Cyklus »Anatol", 
erschien soeben in einer neuen, von M. Coscheli mit 41 ebenso 
graziösen als charakteristischen Bildern illustrierten Ausgabe. Dieselbe 
ist sehr elegant und geschmackvoll ausgestattet und eignet sich in 
hervorragender Weise als Geschepkwerk. 

J. V. Widman schrieb im »Berner Bund" über Anatol: »Etwas 
so Pikantes und zugleich Geistreiches wie diesen »Anatol" sollte man 
gar nicht mit Tinte rezensieren, man müsste die Feder vielmehr in 
Champagner tauchen . . ... Es ist so etwas darin von dem 
infernalischen Witz der französischen Sittenromane des vorigen Jahr- 
hunderts." 

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Olaf Liljekrans. 

‘Hl. Bd. : Die Helden auf Helgeland. (Nor- 
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Die Kronprätendenten. 

IV. Bd.: Brand- Peer Oynt. 

•v. Bd.: Kaiser und Galiläer. 

•vi. Bd.: Der Bund der Jugend. Stützen der 
Gesellschaft. Ein Puppenheim. 
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DIE ERZIEHUNG ZUR !EHE. 

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