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Full text of "Nord und Sued 1907 Bd120"

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€ine 6 e u t f d? e ZTT o n a t s f d? r if t 



^unöert3man3tgfter öanö. 



SJNt bcn «Portrait* oon: 
«Älberta oon «Puttfcamer, (Bbuarb (Engel, 
rattert oon Doris «Raab in «JJtünd>en, 
Antonio fto gc^aro, 
rabiert oon D. «Dl. $oIgapfl in «Dlündjen. 




25 r e ^ lau 

Sdjlefifdfe Budfbrntferei, Kunft. nnb Perlags-21nflalt 
o. 5. Sdjottlaen&er. 



3ntjalt bes \20. Banbes- 

3|amiar — jf eötuat — JCHäts 
1907. 



6€itC 

Dr. Wdfaxb Satyr in Berlin. 

(Eagespreffe unb IPiffenfcbaft 60 

Cfyr. Boecf in Bramfefo bei Hamburg. 
. Das bidjteriffbe Schaffen 30<t 

Dr. fjugo Böttger in Steglifc. 

politifdjer IKonatsbertdjt 125 27<* $17 

Colmar Brieger?tDafferr>ogel in Berlin. 

(Dito (Ecfmatin unb bas neue Kunftgeroerbe 376 

<£f?arlotte €ilersgaar6 

Klein»Hiamor. c£r3ätyung. 2lutorifterte Überfettung ans bem Däntf dpn 
oon <D. Heoentlonr 8^ 

Dr. Jjerman $ranf in Breslau. 



perfpefttoen bes neuzeitlichen tDeltfymbels in etljifcper Beleuchtung... 328 

Prof. Dr. £u6u>ig (Beiger in Berlin. 

£ubn>tg Börne (geftorben U-tfebruar *837). 70 y^xe nad? feinem (Eobe 205 



21. ^albert in Berlin. 

UTaria Hofen. Die (Befdjidjte einer EDinterliebe 293 

CeopoI6 Katfdjer in Berlin. 

(ßelinfttieit unb Zlmbibejtrte 259 

Dr. 2I6olf Kotyut in Saneberg bei Berlin. 

Briefe Zlbolf Stators an Parnljagen von €nfe unb Bettine pon 2Irnim ^06 

Prof. Dr. (Buftat? Krafauer in Breslau. 

Das altpremjifdje ^eer vox feinem gufammenbrncb, 92 2^0 

2Iuguft $t\ebrid} Kraufe in Breslau. 

Tlibcxta oon puttfamer . 46 

£iterarifdjer ITTonatsberidjt. Überfetjnngen 130 

bto. bto. Dorfgefa?icb,ten 279 

bto. bto. Homane <*23 

ZHite Kremni£ in BerlimtDilmersöorf. 

Siegerin §eit. Hornau \ \w 3^5 

Dr. 2Ttay Krieg in ^reiburg i. Br. 

Antonio foga33aros Homantrilogie 18 j 



3nbalt bes 120. Banbes. 

Seit« 

(Elfe Küftner in Sonn. 

Das Qe^cletb . . 23^ 

Dr. ffems £in6au in Berlin*(£fyarlottenburg. 

Don bem erften Derfiinber einer (Europäifdjen Union. (£'2fl>be rt.pterre) \ \6 
(Ebuarb (Engel 319 

3?. Heifer in Breslau. 

Unna Ularia wn Sdjürmann 2?; 

£>tt. Stauf d. ö. ZTtarc^ in IDien. 

Der 3tt«9ferrcrab U3 

ID. Slaoen^agen in Berlin. 

Über <8riea?enlanb, fein t?eer» nnb ^lottenwefen J9* 

IHaria Stona, Sdjlof StrsebotPifc OÖfterr.sSdjlejien). 

(Sebtdjte Wk 

. Dr. (Ernft Ceidpnann in ^ranffurt a. 2Tt. 

Dererbangsprob lerne 6? 

X. K. C. Cielo in Cilftt. 

(Bebtdjte 256 

Bibliographie W 285 <*27 

Biblioajaptyfdp tfott3en 138 289 432 

ÜberjWjt oer widftigjten gettf^riften^uffafee l<*2 290 



mit ben portraits Don: 
Zliberta ©on puttfamer, (gbnarb €ngel, 
rabiert oon Doris Haab in münden, 
Antonio <foga33aro, 
rabiert von 3. HT. §oi3apfl in münden. 




preis pro Qeft 2 Jt, pro Quartal (3 Qefte) 6 J$, pro ,3t#r (12 Qefte) 2$ Jt 

(5«tnn3*.prets1ij»e Hr. 5«w.) 



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58 




j9Sfn unfete g^öannenten! 



te bereits erfdjienenen Bände oon 



„Horb unb 5fl6* 

fönnen entoeöer in f omplett 6ro(($ierteu ober fein geftattöfftf* Bänöen 
von uns nadfbejogen weröen. Preis pro Banö (=3 Qefte) bro- 
friert 6 TXlatt, gebunden in feinftem £>riginal-£inbanö mit reichet 
<5olöpreffung unö Sc^mar$6rucf 8 ZlTarf. 

£in$elne Qefte, welche mir auf Perlangen, foroeit öer Dorrat 
reicht, ebenfalls liefern, foften 2 Ztlarf, 

Cbenfo liefern wie, wie bisher, gefdfmatfpolle 

^rtgtuaC « @mßcmööecßett 

im Stil öes je^tgen Qeft-Umfc^lags mit fdpDar$er unö ©olöpreffung 
aus englifd^er Ceinroanö, unö ftefyen folcfye $u Banö CXX (3anuar bis 
ItTärs 1907), arie au<$ $u öen früheren Bänöen I— CX1X ftets 
$ur Derfügung. — Der preis ift nur \ TXlavt 50 pf. pro öeefe. 
5u Befüllungen a>olle man üdf öes umftefyenöen Settels beöienen 
unö öenfelben, mit Unterfdfrift perfefyen, an öie Bud$anölung oöer 
fonftige Bezugsquelle einfenöen, öurcfy meiere öie #>rtfe$ungslfefte 
be$ogen roeröen. Tlud) ift öie unterjeicfynete Derlags^anölung gern 
bereit, gegen (Einfenöung öes Betrages (nebft 50 pf. für ^ranfatur) 
öas <5en>ünfd}te $u ejpeöieren. 
Breslau. 

Sdjlefifdje Budjörucferet, Kunfi* unö X?erlags-2lnftalt 
t>. 5. Sdjottlaenöer. 

(Beftefl3ettel amßeltenb.) 



'Bei ber ^Suc^^Kinblung t>on 



beffeüe i<$ £ierbur$ 

„Xlotb vmb Süb' 

6$lefiWe BudfrbtuAcrd, Äunft- u. Sterlogsaiiftalt o. 6. 6$ottlaenber in Breslau. 

<£&>l 93anb: . 



Elegant brofdfrtert jum greife oon 6.— pro <33anb (= 3 Äeffc) 
fein gebunben $um greife *>on SM 8.— pro 93anb. 

<$$>l Joeft: 



aunt «greife t>on 9Rt 2.— pro Äeft 
(Efpl. (Einbanbbede ju ( 3b, 



jum greife t>on 9Ht 1.50 pro <£>ecfc 

fBofymmg: 9tam«: 



Um gtfL red)t beutli$e Warnen*« unb fBofyumgsaitgabe nrttb erfud)t 



Ztotb vmb Süb> 



(Eine 6 e u t f dj e ZHonatsfcffrift 



CXX. Banb. — 3anuar 1906. — £jeft 358. 

(TOti einem Portrait tn tRabierunfl: 31 1 b c r t a oon <P u 1 1 & a m e r.) 




Sdjlefifdje Budjbrucf erei, Kunß* unb Derlags* SJnßalt 
©• S. Sdjottlaen&er. 



Januar [$07. 
3nljalt 

64* 



JTlite Kremnitj in Berlin4t>ilmersborf- 

Siegerin Seit Homan. I \ 

2Iuguji £riebrid} Kraufe in Breslau. 

mbetta von pnttfamer % ^6 

Dr, Hidjarb Bafyr in Berlin- 

tagespreffe unb UHffenf^aft 60 

Dr. <£rnjl (Leiermann in Jwnffurt a- 7X1. 

Pererbungsprobleme 67 

(Dfarlotte €ilersgaarb. 

Klein « Higmor. Cr^fang. 2lntortfierte Übecfefeung aus bem 
Dänifdjen von <D. Heoentlot» 8^ 

Prof- Dr. <5ujtou Krafauer in Breslau. 

Das altprenfjtfdje fjeer vor feinem gfafammeitbrnd} $2 

©tt. Stauf p. b. Tdav&t in IDien, 

Der 3nngferranb \\3 

Dr. Ejans Cinbau in Berlin^Ctjarlottenburg. 

Don bem erjten Derfflnber einer (Europätfdfen Union. (L'Abb£ 

St. Pierre) \\6 

Dr. §ugo 'Böttger in Steglifc. 

polüifdjer nTonatsberidjt 125 

2Iuguji £riebrid} Kraufe in Breslau. 

Cüerarifdjer Monatsbericht. Überfettungen . (30 

Bibliographie \3<t 

Oftaflenf(ü)rt. (fcrcjebnijje unb Beobachtungen eines 9taturforföetft in dtyna, 3apan 
uab (Eenlon. SBon Dr. Gratia Stoffetn. Ccfpjig uab Berlin, B. <B. Seubner. 

Bibliographie tlotijen (38 

Ubetfldft ber »tdttigjkn ^rfa>riften-3luffc1fee \<k2 



Qieqn ein Portrait: 2Uberta oon pnttfamer. 
Kabierung von Poris Kaab in OTflndjen. 



«ttorbanbSab* etfdyeint am Unfern* jebet Blonau in ßeften mit jt einet XaaftbeUage. 
— pret» pro <QaartaI (5 5efte) 6 ntarf. — 
2Ifle Bodftaablnngen nnb poflkmftalten nehmen jeberjeit BefteOaagea an. 



Ulle auf ben rebaf tioneden 3nljalt von unb £ttb" bejfigltdpn 

Senkungen ftnö ofoie Zlngabe eines Perfonennamens 5U richten an 6te 

Hebaftion pon „Äorti unll , j^fiti 44 , Breslau, 

Siefcenljufenerftr- U, (3, (5. 



Apollinaris 

Jährlicher Versandt: Flaschen und Krüge. 



IlaT^er::-, Breslau 




Siegerin Seit. 

Homan 

von 

$ttte #remm|, 

— 8erlht>tDilmersbprf. — 
I. 

fln! ßäl 111 ® mi ^ e ^ arotf)e $ err fä te Steftüraung: $etfa hätte ihrem 
Iii Zitier erflärt, fie mürbe nur ben Surften 2a§far £oIeabu 
IßiLibfei iieirotcn, feinen anbern. 

®em SBitten ihre§ beworbenen SBaterä gemäfe toar $etta in 2)re3ben 
erjogen toorben; fie hätte fidö bäher für manche 2)inge eine beutfd&e Stuf- 
faffung angeeignet, fo audf) biefe, bafc ein 3ftäbcfjen fidf) ihren ©atten felbft 
toählen bürfe. greilidj ging fie über bie beutfehe ©itte hittäuS — toie 
man meift tut, tt)enn man frembe (gebrauche annimmt — , fie toollte 
nicht abtoarten, bafc ber SWann um fie tt)erbe, fonbem beaeichnete ben, 
ben fie mit ihrer #ulb au beglütfen gebadjte. SBenn fie audE) bon Üßatur 
burdjauS nid&t unbefcheiben toar, fo hätte man fie bodf) bon früh an baran 
getoöhnt, fidj für ettoa§ 33efonbere§ %vl galten unb gebanfenloS bie $anb 
nach allem au§auftredfen, toa§ ihr gefiel. @ie toar ba§ fdf)önfte, reidftfte 
unb bornehmfte SKäbchen ber ©tobt. 

Sßach allgemein in SCsarigrab gangbarer Sfnfchauung fiel ihrem 
älteren 99ruber, in beffen #aufe fie Sfufnahme gefunben, bie Pflicht au, 
fie au Verheiraten. Stteyanber Siarodje toünfdjte auch bringenb feiner 
©djtoefter eine Jmffenbe Partie anzufachen, unb ba fich biele um bie 
reiaenbe ©rbin bewarben, toäre eigentlicf) nichts leichter getoefen. 9lun 
hatte fie fich aber einen auägetoahlt, an ben niemanb gebadet hatte, unb 
ber allem 3tnfcheine nach auch felbft gar nicht baran badjte, fich m ber< 

1* 



2 



mite Kremttift in Berlin. 



mählen. 2)aher bie Seftüraung. 2tferanber Sarocfje mar fdöh?terigen 
Sagen nidjt gemachten, ©eine grau, Sünna, tjatte auch bor nichts fo 
großen 3teft>eft tüte bor bem ShtfeergetDÖhnltchen unb qing ihm ftetS au§ 
bem SBege. 3»ann unb grau berftanben fid) mie in allem auch barin 
bottfommen, bafe fie bie breite ebene Sftittelftrafce be$ hergebrachten nicht 
gern berliefeen. @ie tuaren reid^, allgemein geartet unb bornehm. Stitel 
gab e§ in SCaarigrab nicht, fonft hätten SarodjeS ihrer #erfunft nach unb 
ihres alten SBefifceS toegen minbeftenS Stnfarudj auf einen gräflichen 
tnadjen fönnen. Sfber nur bie ©ohne, nicht einmal mehr bie (Snfel ber 
£errfdjer, bie etnft regiert hötten, bttrften einen SEitel führen; au&erbem 
taten eS nur noch einige auSIänbifche, jefet bort eingebürgerte gamilien. 
©onft toar eS ber^önt unb galt als lächerlich, fich ein StbelSpräbifat 31t 
geben ober eine Sirone über ben -Kamen au bruden. SaSfar 5toIeabu 
hatte noefj baS 9?edjt, fid) Sürft au nennen, unb bielleicht hotte baS ihm 
bon SÜnfang an einen befonberen Steig in ben Sfugen Kellas, bie aus bem 
titelfücfjtigen Seutfdjfanb fam, berftehen. 

^ebenfalls hatte fid) bie fiebaehnjährige @djöne entfdjfoffen, ihr $eraenS* 
geheimniS preiSaugeben unb au erfrören, feit fie „ihn" gefehen, höbe fie 
ihn geliebt, unb biefer ©r ti>ar ber 47 jährige SriegSminifter SaSfar 
£o!eabu. (gic erflärte ferner, er höbe ihr atoar nie ein 3eidjen feiner 
befonberen @unft gegeben, aber baS höbe ihr gerabc gefallen, fie trotte 
fidfj ihren gelben erft erobern! ©ans ohne ©inbrutf, fo meinte fie im 
Vertrauen, fei ihr ©ntgegenfommeu nicht geblieben. 3" Seginn beS 
SßinterS höbe er in ihr nur bie £otfiter eines berftorbenen greunbeS unb 
eine§ ber bielen hübfdjen SDfäbchen ber St'aarigraber ©efettfdjaft gefehen. 
Seit einiger 3eit aber tfaubere er überall mit ihr, unb fie höbe ihm 
gegenüber fein $ehl barauS gemacht, tote biel lieber fie mit ihm fpräche 
al§ mit ben faben jungen Herren tange, bie mehr an ihr Vermögen als 
an ihre Sßerfon bächten unb fich fchon berliebt ftettten, ehe fie fie orbent* 
lieh angefehen hätten, gürft SaSfar freilich höbe nod) anbereS im Siopfe 
als nur fie, befonberS bie „bumme SRoIitif". 2tHe älteren sperren ihres 
Greifes, toie auch ihr fflruber, befchäftigten fid) mit Sßolitif, b. h. fie gingen 
in ben Sanbtag, in ben Silub unb hötten abenbS ihre enbloS langen 
fcolitifdjen 3ufammenfünfte. 2>iefe „$o!itif" hielt #ella für ben größten 
geinb ihrer Siebe unb befchlofe baher, fich mit ihr bertraut au machen; 
fie IaS ade möglichen 3eitungen, fo toenig amüfant fie fie fanb. ®ie 
motlte ihre Nebenbuhlerin, bie Sßolitif, meiftern lernen. 

Sfleranber Sarodje trufete aber, fo gut toie bie ganße Jgarigraber 
©efettfdjaft, bafe gürft £o!eabu fich nicht nur ber SJMitif ttnbmeie, fonbern 
bafc eS eine eigene SetoanbtniS mit ihm hötte. SBar er auch' unbermählt, 
fo fah man ihn bod) nicht für frei an. Siefen Umftanb fonnte er aber 
unmöglich feiner jungen finblidjen ©djtoefter mitteilen, unb baS machte 
für ihn, ben ftetS Unentfdjloffenen, bie Sage fo -peinlich, ©in anberer 



Siegerin Seit. 



3 



SSruber hätte t>tetteicf)t gejagt: „Schlag* bir bie @adfje au§ bem ®opf, 
barauS fann ntd&t§ toerben," aber auch bagu hotte er nicht bie Energie. 
9he jagte er „ja" ober „nein", [onbern höchftenS „bielleicht", unb fchon 
ba6ei trat ihm ber Stngftfdömeife aitf bie Stirn, toeit e§ it)m tuiber bie 
SHatur toar, überhaupt ein eigenes Urteil abaugeben. #etta bagegen hotte 
einen fo auSgefprodjenen 9BilIen unb eine fo beftimmte Strt, ihn 511 mani* 
feftieren, baft er ihr am liebften beipflichtete. Sebe gntfdjeibung, bie er 
allein treffen foßte, machte iftn franf. 9hm toar e§ ein offene^ ©eheim* 
ni3, bafc Sa§far £oleabu§ ganacä $era an ber Saronin 2>almp hing — 
DaImo§ toaren italtenifdjer Slbftammung unb führten baljer noch einen 
Xitel, $ortenfe 2)almp§ ©atte hotte im crften $af)re fetner @he — beim 
®utfd)ieren junger Sßferbe auS bem eigenen ©eftüt — einen unglücFIichen 
Sturs getan, unb nach biefem ©tura toar er, toenn auch förperlich mieber 
hergefteßt, boch geiftig tranf, öoHfommen finbifdj, geblieben, ©eine grau 
hatte ihn aufopfernb gepflegt, ihn feiner Slnftalt anbertraut, fo oft man 
e§ ihr auch geraten; fie ttmfjte, niemanb toürbe ihn mit folcher Siebe 
unb Eingebung pflegen unb gerftreuen, toie fie e§ tat. @ie hotte ba§ 
Seben biefeS armen ffranfen auch no<h fo glücflid) geftaltet, tpie überhaupt 
möglich- Sie toar ein @ngel bon grau unb galt auch allgemein bafür. 
9?ur ein bunfler $unft tuar in ihrem Seben: Saäfar Xoleabu. ben 
Slugen ber meiften ft>ar bie§ aber nicht einmal ein bunffer $uuft! SEBar 
e§ nicht menfchlich/ toar e£ nicht begreiflich, baft bie junge grau, ber im- 
Seginn ihre§ Sebent fo ©djtoere3 auferlegt tourbe, fich nach einer ©tü&e 
unb einem Sicfytblidf fehnte? SBar e§ ihr toirflid) au berargen, bafj fie 
ber Siebe JColeabuS ©rtoiberung gefdjenft, bafe ihre Seele nach 33erftänb* 
ni§ unb Teilnahme leckte? Sa§far SMeabn toar fein gewöhnlicher 
SKann; ihm, befjen erfte unb einige Siebe fie mar, au toiberftehen, hätte 
feine an ihrer ©teile gefonnt. mar bon beiben ©eiten ein langer, 
fchöner Vornan gemefen. ©0 entfchieben fchon bamalS bie tonangebenben 
grauen ihrer Greife, fo htefc e§ noch je^t allgemein, feitbem bie§ SSerbift 
einmal abgegeben morben. 3Bar e§ nicht ebler, baft #ortenfe ben franfen 
■Kann pflegte, bem fie einft angetraut morben, al§ bafc fie bie ihr Dom 
©efefc gemattete ©Reibung forberte, ihn berlieft unb ben anbern heiratete? 
Sie ganae ©tabt mar fid) feit fahren barüber einig, bafj bie Saronin 
2>aImo recht gehanbelt habe. Sie hotte tfvat nie jemanb , bamd) gefragt, 
f onbern einfad) fo gehanbelt, tüte fie e£ ihrem guten $eraen uadj mufete. 
SBenn fie ©eelenfämpfe burchgemacfjt, fo mujtfe e§ hödjftenS einer; bor 
ben anbern mar fie fidjer unb felbftbemufet. Sie SBelt fah nur, bafe 
£oleabu faft täglich bei 33aron 2)almo borfuhr, nie aber fjatte man bie 
53aronin außerhalb ihreä £aufe§ mit gürft SaSfar gefehen, nie hatte fie 
ben 2fuf$ in fein $eim gefefet, fonbern jebe föüdfficht auf ben tarnen, 
ben fie trug, peinlich gemährt. 

. 2tleranber Sarod^e ging bie^ aüe§ im ©efpräch mit feiner grau 



^ flttte Kremnitj in Berlin. 

toieber burdj. SlmtaS Überaeugungen enbeten, toie bie ber meiften SDtenfdjen, 
fdjliefclidj mft bem ©ntfdjlufe, ba§ tun, tüa3 iljr t>erfönlicf> am beften 
pa^te: 2>a fie $etta möglidjft balb au§ Ujrem $aufe entfernen toottte, 
meinte fie, e3 fei eine tüittfürlidje 2lnnaljme, ba& SColeabuS greunbfd&aft 
für bie 93aromn 2)aImo tfjn am heiraten berljinbern tüürbe. Uhemanb 
Ijabe hinter bie Shiliffen geflaut; bie S3eaief)ung fei bietteidjt gang plcdo* 
nifd), unb au§gefdjIoffen fei e§ trofc £oIeabu§ reifen ^aljren nidEjt, bafe 
er angreifen unb fidj bermäljlen tüerbe, roenn fidfj iljm eine fo glänaenbe 
Partie barböte, ©r felbft tüar nid^t unbegütert, ober $etta§ SPZittionen 
tüürben jebem $aufe ©lana berleiljen. 

@o f)atte alfo 9tnno entfdjieben, bafe Sfltteycmber feiner (Sdjtüefter 
#anb bem Surften antragen fottte. 

$etta Ijatte fidj etngebtlbet, bie§ tüürbe fdjnett gefdjeljen, aber iljr 
»ruber liefe meftr al§ adE)t £age berftreidjen. SBäfjrenb biefer £qge 
machte fie fid) Mar, toie fidjer fie bi§J)er auf einen günftigen 9Tu§gang 
tf)re£ 9toman§ gerechnet Ijatte. 

3um erftenmal fragte fie fidj, toa§ fie tooljl tun tüürbe, tüenn iljre 
Erwartungen fid) nid)t erfüllen füllten? Sför tüar, al§ fälje fie in eine 
unenblidje Seere, unb bie ©ruft fdjnürte fid) iljr bor Stangigfeit au* 
fammen. 2Ba£ foUte bann tooljl derben? tüar, aB bliebe auf ©rben 
nidEjtä, toa§ itjr greube madjen fönnte, al§ tüäre i&r ganaeS Seben ein 
fa^Ie§ grofeeS 3Kai3ftoW>eIfeIb — Sangetoeile, nidf)t§ al§ öbe Sange- 
toeile bor iljr! Schlafen, effeu, Toilette mad&en, immer biefflben SJienfdjen, 
bie fidj gut gegen fie geigten, .toeil fie reiefj unb borueljm toar, unb bie 
fid) fdjledjt gegen iljre fleine greunbin .§ettt) ©reen benahmen, bie biel 
fdjöner unb beffer al§ fie, aber bettelarm tüar. 2)a§ l)atte fie ben 2)?enfd)en 
fdjon in ber Sßenfion nidjt beratenen, benn $ettt) ©reen tüar iljre befte 
Sfreunbin. Sßie eigen, bafe man iljr bon $inb an eingerebet Ijatte, fotüie 
fie in bie SBelt träte, tüürbe iljr ganae§ Seben ein raufd&enbeä geft fein. 
3för aber ttmren nur bie gefte fdjön erfdjienen, toenn fie gürft SaSfar 
ertoarten burfte, nur um itjn §atte fidj ba§ ganae Seben, toie fie £ettt) 
oft gefd&rieben, feit aWonaten gebreljt. SfHe§ öatte nur in beaug auf iljn 
SBert unb Steia gelobt, für it)n Ijotte fie Toilette gemalt unb fidf) ge= 
fd&müdt. 2lber e§ toar immer ein angenef)me^, nie ein fdjmeraljafteS 
©efü^I getoefen, nad& ifjm au^aufd&auen. Sefet, feitbem fie if)rem ©ruber 
i^r ®e^eimni§ anbertraut fyatte, tüar fie toie im gieber. SEBenn gürft 
SaSfar nun jebe STnnäfterung ablehnte? Sfleyanber tüürbe bie SInfragc 
getoife nid^t rid&tig ftetten, nid&t fo, tüte fie felbft e§ getan ^aben tüürbe. 
Sie Ijätte iljrem Sruber nid)t^ fagen foßen, fonbern fidö einmal ba£ $era 
faffen, mit Sa§far felbft au faretfjen. SBarum I)atte fie nidjt eine ber 
günftigen ©elegenljeiten ergriffen? 3- ^ ^ni borigen SWitttüodj, an 
3Inna§ ©mpfanö^abenb, aB fie mit gürft ^oleabu allein im roten SSouboir 



Siegerin Seit. 



5 



getoefen tt>ar unb er in feiner feinen, ettt>a§ ironifdfjen SIrt fie mit ihren 
aahlreicfjen Sfnbetern unb Semerbern genedft hfltte? SBie leidet hätte fie 
ihm ba, halb im Schera/ halb im ©ruft, feigen fönnen: „(Sie miffen ja 
genau, marum ich feinen meiner fogenannten SInbeter erhöre, ©ienoiffen 
nur au gut, toer mein %beci ift!" 

@3 überlief fie heife unb folt, toie fie fich borfteffte, bafc fie ihm ba§ 
in3 ©efidjt ijätte fagen fönnen! 3Sie fchön mufete e§ fein, ihn fo herauf 
auforbern unb ihm babei in bie Stugen au fehen. @r toar fo bornehm 
unb referbiert, e§ fchien ihr eigentlich unmöglich, bofe er ihr je geftatten 
roürbe, ihn aärtlich au berühren, unb fie fonnte fehr ftürmifch aärtltdö 
fein. SBenn fie erft feine grau toäre, toürbe fie e§ fi<h aber nicht 
nehmen laffen, ihn einmal au füffen. Natürlich nicht tüte 9tnna, bie 
ihren SKann manchmal bor aller fflelt füfete. #etta fanb ba3 tribial; 
fie moffte einen bornehmen 5£on in ihrer ©he beibehalten, fie tooffte ben 
2fürften nie mit „bu" bor dnberen anreben, fie hatte au biel Jftefaeft, 
faft eine ?(rt 3tngft, bor ihm. ©inen jungen 9P?ann, ben fie tute einen 
Schulbuben hätte behanbeln bürfen, hätte fie nicht geheiratet — nein, 
nie unb nimmer. 2fnna aanfte ihren ©atten förmlich au§ unb glaubte 
ihn bodj a« lieben! (Sie, $etta, begriff baä nicht, fie fonnte nur einen 
SWann heiraten, ber hoch über ihr ftanb, ber tabettoä unb in ädern ein 
SSorbilb mar, fo ba& fie ihn al§ #errn unb ©ebieter anerfannte ,. . . 

Unb tt)a3 für eine ttwnberfdjöne 3^^monie fottte ihre $odfjaett 
toerbeu, atte§ fottte fo feierlich hergehen, toie auf bem Theater! @r fo 
betoegung§Io§ unb grofe unb fdjlanf in feiner fchönen Uniform, fie mit 
einer unglaublich langen ©djlejxpe . . . Shr toar, aB läfe fie fdjon in 
ben ^Blättern bie Sefdjreibung ihrer Toilette unb ihrer ätherifdjen ©r* 
fcheinung. 3WuftergüItig bornehm mürben fie beibe ansehen, toie ein 
a3rautt>aar au§ bem Sßarifer gaubourg @t. (Sermain. Unb bornehm fottte 
auch ihre #au§haltung fein, ihre ©mpfangäabenbe 3. 33. ettoa§ feierlidj* 
langtoeilig, niri&t toie bei ihrem 93ruber, too e£ fo leicht, trofe atter ©rofc 
artigfeit, harmlo§*gemütIich tourbe. @ie beboraugte bie ©ranbeaaa, toie 
man fie ihr au3 grofeen englifchen Käufern befchrieben; $etti) ©reen 
fchtoärmte babon, obgleich fie fie nur au§ 93üchern fannte unb fid) ihr 
furae§ Seben lang erbärmlich burcfjgequält hatte. $ettt) ©reen fottte ihr 
eine SIrt $ofbame derben. 

II. 

9tlei*anber Saroche hatte nach langem #in unb #er einen SBeg ge= 
funben, feiner ©chtoefter SBunfch au erfüllen, unb ber SBeg fchien ihm 
atte Vorteile au bereinigen. Er ging nämlieft au Surft Saäfar aK au 
einem nahen, toenn auch jüngeren greunbe feinet berftorbenen S3ater§ 
unb teilte ihm mit, toie biel ©orgen ihm $etta§ 3ufunft bereite. 9iach 



6 



ITtire Kremnitj wi Berlin. 



biefer ©inteitung enttotcferte ficf) affeä gana natürlich; $etla hätte fidf) nach 
Strt öerWöhnter Siinber etwa§ Unmögliche^ in ben S?oj>f gefegt, unb 
^Qejanber bat fchlie&Iid) Surft ÖaSfar, er möge felbft ber eigenfinnigen 
Keinen* ©chwefter fagen, wie pfjantaftifch ba£ 3"fwnft§bilb fei, ba8 fie fidö 
erträitmt hatte. 

Sluf biefe Sßeife brauste gürft ßaSfar fidf) für 3 erfte gar nicht 
weiter aii§3iift)red)en, unb bie Angelegenheit ritzte jefct atotfchen ihm unb 
$eHa; Stteranber unb Sfnna Waren au3 bem erften treffen. 3Bar gürft 
Öa£far wirflicf) fo gönaßch unvorbereitet unb überrafrfit, Wie er fidf) bor 
SCIeranber geftellt hotte? #atte er ftcfi nicht felbft fd&on einige SWale ge= 
Wunbert, wie fehr ihn bie junge Schönheit anaog, bie fich fo fidjtlidj um 
it>n bemühte V $atte er nitfit im Saufe ber legten SWonatc, feitbem er 
auerft ben Sinn ihrer langen, bewunbernben SBIidfe fich gebeutet, etWa§ 
Iängft 33ergeffeneS empfimben? @§ War, al§ ob fein $erafdjlag feitbem 
rafdjer geworben unb bie SBelt lichter, aB ginge ihm bie 2frbeit letzter 
bon ber #anb, als läge ein SPZorgenglana über bem gangen Sage. SftfeS, 
wa§ gleidjgültig unb atttägltcfj gefdfjienen, befam einen neuen, ihm noch 
nicht gana berftänblidfjen Sinn, manchmal War ihm, al§ fei er nach langem 
Schlafe au gellerem SBeWujjtfein erWadjt. ©r lächelte öor ficf» hin, wenn 
er an irgenb eine finbliche, etwas breifte 9'fufeerung $etta§ badfite. Sie 
glaubte ja in ihrer jugenblichen Sicherheit, atte Singe hätten nur eine 
©ette unb $dq\: bie, Welche fip fah. @ana flar War er ficfj aber über 
ben ©inbrudf, ben $etta auf ihn gemalt, nicht geworben. @r war im 
halbbämmerigen UnterbeWufctfein feiner ©eele geblieben. 

$efct ^er, wo 3Hej;anber ßarod&e mit ihm gebrochen hatte, fragt* 
fidf) gürft ßaSfar zum erftenmal, ob er nidf)t im 93egriff ftünbe, eine SEor* 
heit a« begeben? @r Wufcte, bafe feine Unterrebung mit $eüa nur ba§ 
eine @nbe haben fonnte ; eigentlich hatte er ja feit Senaten inftinftib auf 
bie§ S'xel loSgefteuert — e£ fdfjmeidfjelte ihm unfagbar, bafe biefe£ bilbfchöne 
junge SBefen, bem bie ganae Sßelt au güfeen lag, ihn, ben ernften, älteren 
ÜWann zum hatten erforen. — SIber Wie oft hatte er üon ben Nachteilen 
einer ©f)e aiotfd&en Seuten fo berfchiebenen 9tlter§ gehört. 6r war faft 
breifetg £?ahre öfter als fie . . . 2)ie§ War ba§ einaige 93ebenfen, ba§ er 
erWog, baneben bie leife ©ene, bafe er in bie lächerliche gigur eines 
jungen ©hemannS fommen fottte. @£ war entfdjieben .peinlich; gewiffe 
3)inge ftehen einem in reifen Söh^n nidfjt, man mu^ fie in ber SuQenb 
abgemalt beben . . . 

@r fann nadö unb befcfjlofe, fidf) eöentuett im 3tu3lanbe trauen su 
[äffen, unb einige 2)?onate Urlaub m nehmen, ©eit Dielen S«hren hatte 
er ben ÜDiangel einer £äu§Iichfeit em|)funben; feine ©tedung befam ein 
cmbereS ©ewidf)t burch eine grau unb nun gar burdfi folcfje! SBäre §effa 
aehn S^re älter gewefen, fo wäre fie nach Vermögen unb $erfunft bie 



Siegerin $e\t. , 



ibeole 2eben3gefäf)rtin. Sfyre Sugeub fottte fdfjlie&lidj fein #inberni§ 
fein! — @r toar Sßolitifer unb griff uaefj bem ©rreidjbaren imb griff 
nud) fdfjnett gu. 5Die grage, ob er frei fei, legte er fidj überhaupt nidEjt 
öor; aud) nidit bie, ob er ein Unredjt an #etta begebe; fie Ijatte iljn Ja 
ertr»ät>It! @r fufjr fofort au if)r, um fie au§ üjrer gemifs peinlidEjen Un* 
getoi&ljeit a" befreien ... 

Reffet Ijatte fid) ben SBefdjeib if)re§ 93rubcr§, Surft Saäfar motte 
t>erfönltcf) mit iljr berfjanbefn, natürlich nidfjt anber§ beuten fönnen, benn 
aB bie ©rfüttung il)re§ 3ßunfd)e§. £)a§ 93Iut flieg iftr tjeife in bic 
SBangen, aber fie marf ben Slopf ftola in ben Staden: „9lun fomm I)er, 
Seben," fagte fie Ijal6laut, al§ ftünbe c3 bor tf)r, „jefct meiftere id6 
bid)!" 2Ba§ mürbe $eth) ©reen gu ifjr aB gürftin £oIeabu fagen?!! 

2)er näd&fte ©ebanfe galt ifyrer SCoilette. Sie muftte fidj in SSBeife 
fleiben, fo tyatte fie e§ fidj au§gebadjt. Sie fetf) Hjn in8 3inmier fommen 
— e§ mar faft, al§ Ijätte fie ba£ S3ilb in einer iffuftrierten Seitung be- 
reite einmal erblirft, fo ftar ftanb e3 bor iljr mit ber Unterfdjrift: „(Sine 
fürftlid&e 33raut" — (Sr träte ein unb fie ginge iljm entgegen ober um= 
gefeljrt: ba§ SHeib nutzte au§ meidjem, anfdjmiegenbem ©toffe fein, nur 
nidftt§ 5ftaufdjenbe§. 

@ie flingelte unb liefe ein meifeeS £udjf(eib au£ bem ©arberoben* 
Simnter bringen; al§ fie e£ bor fid) fal), gefielet ifjr nidjt, e§ mar feine 
SCbenbtoilette. ©ottte fie fid) au crepe de ehine entfdjliefjen? ©r fannte 
ba§ in grage fommenbe fffeib aber fdjon, unb fie muftte Ijeute etmas? 
gana Sefonbereä anlegen. %f)xe ©tirn aog fid) in galten, fie mottte bie 
Sammerfrau aur 9tebe ftetten, baft fie bod) nie ba3 Sßaffenbe fyabe, aU 
biefe iljr ein mit ©olbfpifcen befefcteS meifeeS SIeib braute, ba§ erft bor 
ätoei ©tunben bon einer großen girma aur Stnftdfjt gefdjicft morben toar. 
Sa, ba§ ging! 

mar fogar faft ba§ Siidfjtigc, e§ entfaradj beinah itjrem $f)antafie* 
bilbe, nur bie ©olbfpifcen ftörten fie. Sie -probierte ba£ ftleib an — 
natürlich Ratten ifjre gemifcigten Hoflieferanten e§ auf ibre ©eftalt be 
redjnet. 2)er ©dmitt mar munberbotl unb gab bie Sttufion ft e § Stoffes, 
ber nur um ifyren fdjlanfen STörper brapiert morben. $etta beraufdjte fidf) 
bor bem grofeen ©piegcl an fid) felbft. Sie faf) fidf) im ©eifte unten 
im großen ©aal, mo ein ©olafeuer im ®amin brannte unb rötlid^e 
Sinter auf if)r meifee§ ©emanb marf. 3för gegenüber ber fd^Ianfe fd^öne 
SJJann in feiner golbgeftidten Uniform mit ber unbergleicfjlicf) rul)igen 
©raaie feiner ätemegitngen! . . . 

Sa, fo mar ba§ Seben, mie fie e£ fid& geträumt, mie fie e§ fid) 
formen mottte, mie e£ fidö berlo^nte, gelebt m merben, mie fie e£ ge- 
nießen mottle, mit ftet§ erneuten ©cfiauern ber SBonne. 

Sie mar fertig; fie batte feinen ©djmutf angelegt, nur aB Saittem 
abfd)Iufe eine foftbare ©ürtelfd^natte, ein alte§ ©rbftüd in t^rer gamilie, 



8 



ntite Kremnttj in Berlin. 



bon bem fie mufcte, bafe c§ türfifdjen UrforungS fei. @3 foffte baä ®e= 
fd&enf eines ©ultan§ an einen ihrer Vorfahren getoefen fein, unb e§ ^tefe, . 
2ttenfdjenblut Hebe an jebem einseinen foftbaren ©teine. £effa liebte 
bie§ ©tüdf befonberS. SBenn fie e§ anlegte, ermedfte e§ in ihr ftet§ bie 
SBorfteffung, als fei fie ©ultanin: bor ihr f nieten ungesählte ©Haben, 
imb fie felbft beugte fidj nur bor einem einsigen, ihrem $errn über 
Sehen unb £ob! 2Bie oft hatte fie fid) ba§ im Seifte ausgemalt! 

©r foffte iefet nur fommen unb fid) ihr $amort holen! 

©ie ging boff bou ihren ftolsen £räumen im 3immer auf unb ab. 
Die Jungfer faf) fie bemunbernb an unb meinte, fie märe noch nie fo 
fdf)ön gett>efen. freilich füllte #effa in biefem 2tugenblicfe, aB mürben 
fid) alte SBunber ber SBelt bor il)r enthüllen, als täte fie ben erften 
©chritt in ein ßeben, ba§ reich an ungeahnten Emotionen fei, in bie fic 
fidf) ftüraen mofftc, mie in einen enblofen Osean. 2tffe^ bibrierte in ihr. 
£), ba§ herrliche Dafein, ba§ bor ihr lag! 

$effa f)örte ben bemunbernben SluSruf ber Jungfer ; ba£ arme 2)ing 
fdjmeichelte ihr immer unb rebete ihr ftet£ su SDhmbe — hätte fie t>Iök= 
lid) eine SranFtjeit fingiert, fo mürbe SBerta mit berfelben Überseugung 
gefdjmoren haben, ihre Herrin habe noch nie fo bleich unb elenb au£= 
gefehen! @§ tat ihr boch mohl 3« hören, bafc fie fdjön fei, fie hörte e£ 
freilich oft, too fie ging unb ftanb, boch e£ marb ihr nie ju biel. ©inen 
Sfagenbltcf überlegte fie, ob fie ber Öungfer f Q gen foffte, men unb ma§ 
fie ermarte; ber ©tola berbot e£ ihr aber. 

93erta fchien etma£ au miffen ober 3U ahnen. Unter bielen @nt« 
fchulbigungen brachte fie eine Sitte bor: $effa möchte bie Oürtelfdjnaffe 
abnehmen, an einem fold&en Sage fönnte fie ihr Unglücf bringen. 

$effa manbte fid) ihr ärgerlich 8". 

„2öa* ift bas für ein ©erebe! s Jiid)t§ bringt einem Unglücf, nur 
ber Aberglaube." 

„©näbige* gräulein haben mir felbft gefagt, c£ Hebe äRenfdjenblut 
au biefem ©efchmeibe, unb e§ f orber e immer mieber SWenfcheublut!" — 

„Unb marum auch nicht!" entgegnete fie fchneibenb fa[t. ©ie hatte 
nichts bagegen. 3Kenfd)cnbIut foffte um fic fliegen - mie einft um 
Helena! 

Da melbete ber Siener, bie gnäbige fyrau liefee bitten, Sürft CaSfar 
fei borgefahreu. 

Stnna mar burch ihren SDiann bon allem unterrichtet, moffte aber fo 
menig mie möglich mit biefer ihr unfontpathifdicn Beirat 511 tun haben 
unb hatte baher befd&Ioffen, fürs erfte nicht in ben ©alon $u gehen. 
JJürft SaSfar märe alt genug, um feine ©hrenbamc nötig 3» haben, be* 
merfte fie fpöttifch su ihrem 3Wanne. Sie felbft führe ftch jcbenfattS 
3u jung 3" einer foldEjen. 



Siegerin 5eit. 



9 



III. 

ßa§far Xoleabu ftanb tüirfltdö, aB $effa in ben großen gelben 
©alon eintrat, toie fie e§ ftdfi ausgebaut ^atte, am ®amin unb nodj bagu 
in einer fo eleganten Sßofe, aB foHte er gemalt werben; ibm mar fie 
aber natürlich Er E)atte augenfdEjeinlid) nidit ertoartet, baß iemanb bon 
ber Seite eintreten mürbe unb audj nidjt, baß fie, $effa, e§ fein mürbe. 
Überrafcf)t ging er if)r entgegen; fie naljm gang Heine, Iangfame Sd^ritte, 
um ben Steig biefer Sgene nid)t gu berberben. Sie fagte fid): bie§ fei 
qlfo nun bie erfte Begegnung. SdEjabe, bafe fie fidfj felbft in bem frönen 
SBilbe nid)t feben fonnte, unb feiner ba mar, e§ su fixieren. Sie mottte 
einen 89Iicf in ben großen Spiegel merfen, aber fie fonnte bie Slugen 
nidjt ergeben ... 

@§ mar botf) gang anberä, aB fie e§ fid) eben ausgemalt batte, fie 
füllte fogar, baß ein eifiger Stauer fie überlief unb tfjre ©lieber 
gitterten, aB fie nun in einem ber ßebnftüble borm geuer $£lafc ge- 
nommen öatte. 2Bie töricht bon tf)r, fid& fo bie fdjöne Stunbe felbft gu 
berberben! 3fn ©ebanfen f)atte fie iljm in ibrem 3immer fo ftolge unb 
großartige SBorte gefagt, unb jetst füllte fie fid) mie ein Sd}ulmäbcf)en 
bor ibm unb fanb feine Silbe ; fie befürd)tete, baß er fief) an ifjrer 93er» 
tegenbeit meiben- unb ladjelub, mie fdjon fo oft, auf fie fyernieberfefyen 
mürbe — benn er ftanb bod&aufgeridjtet if)r gegenüber. 21B fie aber 
enblid) ben ÜDiut fanb, gu ibm aufgubliden, fab fie einen anberen aB ben 
ermarteten 3lu£brutf in feinen 3tugen, gang etma§ 9teue§, ma§ fie er* 
flauem mad)te, ma§ Ujr faft ben Sltem raubte, ftanb in ibuen gefdjrieben 
— ma§ mar ba£ nur? SBa§ meinte er barmt? 2Bar er ifyr böfe? ©r 
f)atte ja Jrföfelid) gang anbere Slugen! 

3113 er fie bor fid& fab, begriff er nid)t, baß er fie fcfjon monate- 
lang gefeben, obne fid) ftar gu madjen, ma§ er für fie empfänbe! Unb 
menn e§ taufenbmal ein Unredjt, ja, eine £obfünbe gemefen märe, er 
öatte feine SBaftI, er mußte fie begeben, bie SeibenfdEjaft, bie finnlofe 
ßeibenfdjaft mar in ibm ermadjt; bor ibrer munberbaren Sd)önbeit ber= 
ging ibm $ören unb Seben. Unb fie Ijatte ibn gemäblt, ibn, unter all 
ben ©unberten, bie ibr gu güfecn lagen! — 9?ur fie nid&t erfdjreden, nur 
bie Stoffe meiterlpielen, in ber er if)r gefallen l)atte. @§ mäbrte nur 
roenige Sefunben, ba öatte er feine bolte Selbftbeberrfdjung mieberge* 
funben, unb er fal), mie bie 93efrcmbung au§ ibreu 3ÜQ^n mid) unb fie 
mieber frolj unb glüdlid) lächelte. — Sie fdjäfetc an ibm feine füljle 
Überlegenbeit, ba§ öatte fie ibm ja fd)on oft fdjergbaft gefagt. 

So rollte er fid) mit bottenbetcr Sidfjerbeit einen Stubl in ibre 
9?äf)e, unb anftatt gu ftammeln unb gu ftöbnen, fagte er ibr, fie miffe 
nidjt, ma£ fie ibm angetan burd) il)r rübreube$ Vertrauen; bie Eingabe 



10 



ITlite Kremnitj in Berlin. 



feines gangen Sebent mürbe nidjt genügen, um feinen Danf auSsubrüdten. 
SBürbig ber 6t)re, bie fic ifjm ermeifen motte, inbem fie fein $ers unb 
feine .©anb annähme, fönne er smar nie merben, fein SDiann fönne baS, 
aber er mürbe nur nod) baS eine 3^1 auf ©rbeu l)aben, itjre #ulb au er- 
obern unb äu berbienen ... 

SBenn eS aud) nad) Sßfjrafe Hang, maS er in feiner leifen ein= 
tönigen Stimme tfjr fo cinbringlidj fagte, fo mar eS bod) genau baS, maS 
£ella tu Slomanen gelefen unb maS fie ju fyören münfdjte. Die t>otI- 
eubete gform beS ftereottjpeu (SbelmannS liebte fie au il)m, unb Ijier bot 
er fie if)r. ©ine unbefdjreiblidje ©lücffeligfeit burdjflutctc fie, eS mar 
if)r beinah, als müffe fic auffcfjludjaeu bor innerer ©rregung, aber fie 
be^mang fid). Die ruhige Harmonie biefer @8cne fotltc nidjt geftört merbeu. 

Y @ie bürfen mir nidjt fo fdjöne Dinge fagen, mirftid) nid)t," er* 
miberte fie unb fd)üttette energifd) ben fleinen fdjön frifierten Siopf. 
,,3d) meift fefyr moljl, mie I)od) (Sie über mir ftef)cn, mic t>iel ffüger unb 
beffer Sie finb als idfi, aber nur einem SWannc, ber mein £err unb 
SWeifter ift, fann id) ..." fie ftotfte unb fe<3te bann, obgleidj if)re 
Stimme gitterte unb il)re $anb eiSfalt gemorben, meil fic nirfjt baS 
richtige Sßort fanb, „midi anbertraueu" fjinau. „Sieben" ober „fjeiraten" 
mar fie nidjt imftanbe gemefen, bor ifym auSaufpredjeu. Sie begriff gar 
nid&t, moI)er baS nur fam? Sftm 50g eine 2Bolfe bor bie Singen: bieS 
munberftolbe SBefen moffte mirflidj fein merben? äßieber mar ifjm, als 
übermanne ü)n fein ©efüljl, aber er übermanb eS Don neuem unb fagte, 
in ben ölten bäterlidjen £on berfaffenb: „Seit mann meift benn bie Heine 
9ftife $etla" — , fo nannte er fie fdjon lange fdjeraljaft — „ob id) md)t 
ein harter $err fein merbe?" 

3föm mar in biefem Stugenblidc mirflidj, als fönne er ifjr ein 
harter $err fein, als mürbe er fie erbarmungslos in feinen Strmen 
aerbrüefen, fie nie mieber frei laffen. — 9?ein, nein, bodj nidjt, nur 
ben Saum iljreS ©emanbeS mödjte er füffen; ben fleinen rofigen gufe, 
ben fie für immer auf feinen Spaden fefceu follte, einmal mit feinen 
Sippen berühren . . . 

Sie eraäf)Ite, mo fie itjn auerft gefel)en; feit SWonaten fpeidjerte fie 
bie Sdjäfce all biefer ©ebeimniffc auf; in ©ebanfen Ijatte fie if)m bieS 
alleS fdjon oft anbertraut: 5HS fie auS bem SluSIanb angefommen, mar 
er öufällig auf bem 33al)nIjofc gemefen, ba er bon einer Snfpeftion 
5urüdfel)rte. Db er eS mirflidj nidjt miffe? DaS Datum fönne er in 
jeber 3^tung nad)fd)lagen! 

@r entfanu fidj nidjt, fie bamalS erblicft 511 baben, aber fie l)atte eS 
fdion am nädjften Sage an $ettt) ©reen gefd&ricben, unb tfvav mit ben 
SBorten: „$dj bin meinem Sdjitffal begegnet! 8l)n ober feinen!" — 



Siegerin Seit. — \\ 

©r meinte, ba§ (Sdjidfal ftelle man fid) meift in bräuenber ®eftalt 
bor, er fühle fich gor nidjt öcfc^nietd^clt, ihr einen fo furchtbaren ©inbrud 
gemalt $u haben! (Sie lachte unb meinte, er motte nur hören, bafc feine 
(Schönheit il)r unter $unberten, ja JCaufenben aufgefaffen fei — e§ gäbe 
auch ntri^t feineSgleidjen! äRätmer feien nämlid) eigentlich biel eitler 
alS Stauen unb SDIäbchen . . . ©in bi&djen eitel fei fie freilich auch; fic 
motte einen fdjönen, einen bornehmen $eirn unb ©ebietef haben! . . . 

©r proteftierte gegen ihre ©itelfeit, fie fei fehlerlos, bon unfaßbarer 
Steinheit, unb er bat um ©rlaubniS, ihr fagen 311 bütfen, meldjen ©in* 
brud fie auf ihn gemacht f)abe unb mo er auerft gefühlt, baft fie für ihn 
mehr al§ Sehen ober £ob bebeute. — — $etta unterbrad) iljn, ba£ fei 
nur eine Sßhrafe, aber er mi5ge if)r nur eraählen, mie unbebeutenb, 
finbifdj unb ungefdjidt fie bamal§ getoefen fei. (Sie miffe fdjon, toobon 
er reben motte, bon ihrer ^Begegnung beim $offonaeri, too fie fid) fo 
töricht benommen unb gar nidjt§ au fagen getoufet, hätte, trofe feiner 
freunblidjen aufmunternben SBorte. 2tbenb§ im 93ett fei ihr erft etnge* 
fatten, toa§ fie hätte ertoibern fönnen unb fotten . . . 

@r fpratf) aber gar nicht bom $offonaert, er entfann fich feine§ 
3tugenblid£, too fie nicht ebenfo geiftreich tute beaaubernb getoefen fei, er 
badjte an einen Stbenb im Spater, im Othello mar e§ getoefen, ba hatte 
fie geäußert: fie glaube nicht an SWiftbcrftänbniffe atoifdjen Seilten, bic 
fich liebten . . . 

SBeldj einen eigenen ülang hatte ba§ SEBort „liebten" in feinem 
SDhmbe! ... Ob fie noch toiffe, toa§ fie babei über ©iferfucht gefagt höbe? 

$etta befann fich nicht gleich barauf; fie mürbe aber fehr rot, aB 
er ihr leife toieberholte, e§ fei ihm nichtig, toa§ fie barüber benfe, benn 
er mürbe fehr eiferfüchtig fein, fehr! . . . 

9hm fiel e§ ihr ein! Sie hatte einmal behauptet: toahre Siebe 
fdjlöffe nach ihrer SWeinung ©iferfucht au§. Sefet fottte fie geftehen, ob 
fie ba§ immer nod) glaube? ©r nahm ihre Heine gepflegte $anb — ein 
SBunber an SRatur unb $unft — in feine beiben $änbe, unb ba geftanb 
fie, leife attternb: nein, fie glaube nicht mehr, bafe toahre Siebe ©iferfucht 
au§fdjlöffe — menn er je eine anbere fo anfehauen fottte ober angefdjaut 
hätte mie fie in biefem Stugenblide, toürbe fie ihn unb bie anbere tot- 
fdjie&en — obgleich fic noch nie eine Sßiftole in ber $anb gehabt höbe! 

darüber mar er nun gana auf3erorbentIidj entaüdt, nämlich über 
bie 9tu§fidjt, totgefchoffen gu merben — unb mottte ihr eben fagen, toa§ 
er tun mürbe, menn je ein (Sterblicher magen fottte, ben (Saum ihre§ 
®leibe§ 51t berühren, aber ba unterbrach fie ihn fdjon : 2Jon ihrer 
Siebe fönnc er ftet§ überjeugt fein, fie habe ihn ja gemählt unb liebe ihn 
trief mehr ate er fie! 

; " ©he er antmorten fonnte, trat 3(nna in ben (Salon, unb nun be- 
gann ba§ Sionbentionettc. 



12 



ITTttc Kremnifc in Berlin. — r- 



@3 famen berfdjiebene ®äfte jur SRahlaeit, unb bie grofee Sßeuigfeit 
tourbc allen mitgeteilt. $eüa kartete fehnfüdfjtig auf einen 9tugenblid, 
too fie ihm unter bier Singen noch ettoag fefjr 2ßidfjtige§, toa§ ihr ba§ 
©era abbrüdte — e§ toar ihr ttrieber 31t ft)ät eingefallen — jagen fönntc. 
316er fdjlieftlidfj toar e3 ihr au<h fo gang redjt. SBenn fie nur mitanfehcn 
fonnte, tote tounberfchön er feine 9toHe bor ihr faielte! @r toar genau 
lüie immer, geiftreidj unb ironifd) im ©efpräch; er bergafe nicht einmal 
ben auf 10 Uhr angefefcten SPtfnifterrat. Sßufete er, baf$ er ger abe fo ihr 
am liebften toar, unb toottte er nur noch ba§ eine: il)r gefallen? 

einem STOonate ungefähr follte fd)on bie feierliche aSermählung 
ftattfinben; ba§ toar im Sauf be3 2D6enb§ ätoifdöen gürft ßaäfar unb 
Slleranber feftgefefet toorben. §eUa toav tt>unfchlo£ gtüdlidEj, al§ fie am 
2Ibenb mit rafdjen, energifchen ©dritten - in ihr ©djlafaimmer fam, um fid) 
bon S3erta mit gelohnter ©eidjidflichfeit entfleiben ju laffen. SDie ^nngfer 
hatte ihre untertänigften ©lüdtoünfche ausgebrochen, $ella hatte gar nicht 
hingehört, fo befangen mar fie bon ihrem @lüd§gefühl; fie fragte fich, ob e§ 
eine größere ©eligfeit geben fönntc, als bie, toeldfje fie burchflutete? Unb 
[0 follte nun ba£ gan^e Seben an feiner ©eite fein — e§ toar nicht 511 
faffeiK @ie fchrieb „gürftin ßaSfar £oleabu" auf einen Keinen 33lod, 
ber bor ihr auf bem JCoilettcntifdE) lag. ©ah „gürftin Helene SColeabu" 
ntd&t ettoa beffer au§? $>en Sünbernamen „$etla" hntrbe fie natürlich 
fallen laffen, Helene Hang biel toürbiger unb fear boch auch tf)r 5Eauf* 
name, obgleidj niemanb fie je fo genannt hatte. 

@ie toar eigentlich noch befonberS ftola, bafe ber gürft in ben 
Sßinifterrat gegangen fear ; e3 toar bornehm, nid)t biel äBefenä au§ einer 
SBerlobung au machen. 9?ur fleine Seute hoden immer anfammen, bie 
grau eines großen Staatsmanns fonnte boch nid)t crtoarten, ba& er ben 
3lbenb au ihren güfeen fernere! 

33erta hatte bie ©ürtelfchnallc bor ihre Herrin hingelegt, #etla 
bachte babei mit fich fräufelnben Sitten an ben Slberglauben bom 
SWenfchenblut, aber fie bachte auch an bie berühmten £oleabufchen Sutoelen, 
bon benen fie biel gehört, befonberS bon einem $alSbanb grofeer Sßerlen 
. . . Ob er eS ihr aum $ochaeit3tagc bringen tmirbe? hoffentlich fdfjon 
früher . . . Unb in biefer StuSfidjt fdjlief fie ein. 

Slleyanber unb Slnna SarodEje aber fchliefen gar nicht: biefe SBerlobung 
brohte fie mit ihren beften greunben an entatoeien. S)er ©inbrud, ben 
biefe geplante Sßerbinbung auf bie ganae @efellfd)aft gemacht an haben 
fdjien, toar ber benfbar ungünftigfte. 

IV. 

21IS gürft SaSfar am nächften SWittage bom SWinifterium in fein eigenes 
$auS — benn er hatte feine 2>ienfttoohnung — aurüdfehrte, toarb er fchon 
unten im glur bom Pförtner benadjrichtigt, bafe ber Liener SaronSDalmoS stoet- 



1 



Siegerin geit. 



*3 



mol bagetoefen fei unb ein S3iffett ber Saronin abgegeben habe. 3fürft 
SaSfar toachte toic au§ einem S£raume auf, unb ein imerHärltdfjeä $era< 
floaten erfd&redte ihn. @r toar feit atoet SEagen nid)t bort getoefen! 

Eiligen ©d)ritte§ ging er an feinen @d)reibtif<h unb Ia3 ben furzen 
SSrief: „Sieber Sfteunb, id) bitte ©ie, fobalb toie möglich bei un§ boraw* 
fahren, e8 ift un£ ein Unglüd augeftofeen. $ortenfe." 

@§ mufete irgenb ettoaS @dfjlimme§ gefchehen fein, er fah c§ an 
ber Schrift, an ber ganaen Strt be§ 33tlfett§ — follte ber einaige ©ohn 
erfremft ober geftorben fein? 

©r Ringelte nnb liefe ben SBagen ftrieber borfahren, um fich fofort 
au S)oImo§ a« begeben. Untertoeg§ badjte er an #effa, an feine nun 
ofpateHe Verlobung. SBie toürbe $ortenfe fie aufnehmen? ©ie tt>ar ja eine 
bernünftige grau . . . 

@djon an ber ©ieuerfdjaft im ©almofdEjen $aufe erfanntc er, bafe 
irgenb ettpa§ 2lufeergeti>öhnliche§ bor fief) gegangen toar; nichts bon ber 
fonft ba§ Sßoraimmer dEjarafterifierenbcn Stühe toar mehr borhanben. 
©er ®ammerbiener, ber eine 33ertrauen3ftelle im $aufe einnahm, flüftertc 
bem 2fnfommenben fofort an: „93ci einem $aar hätte ber $err ba§ 
ganae $au£ in 33ranb geftedt . . . ©id) felbft hat er arg angerichtet . . ." 

„aSte benn? 3Ba§ beim?" f tiefe ber gürft Ijerbor unb farang eilig 
bic Zreppen hinauf in ba§ ©djlafaimmer be§ 33aron§. 

9?od& c6e er e§ erreicht hotte, tarn ihm bie SBaronin toie berftört 
entgegen: „Saäfar," flüftertc fie mit Reiferer Stimme, „(Sott fei ©anf, 
bafe @ic enblidfj ba fiub, helfen ©ic mir, fdjaffen ©ie mir grofee ©ofen 
aMor^ium, id) fann ihn nicht leiben feften, atte£ anbere lieber!" ©ie 
brad) in SCränen au§. ,,©ie§ arme, unglüdlidje SBefen nadj einem folgen 
Sehen auch noch biefen qualboHen £ob! Sftein, ba§ fann id) nicht er- 
tragen, ©ie SSrate berftehen mid) nid)t, fie awden bie ®d)ultern unb 
fagen, ba§ bürften fie nicht! 3Ba§ fie nicht biirfen, barf id), barf baS 
menfd)Iid)c SWitleib, unb ©ie, SaSfar, ©ie toerben mir ^elfqn!" 

©ie Hämmerte fidj mit beiben $änben an feinen ärm unb fuhr 
fort: „3lm beften toäre e§, toir fönnten ihm ©hloroform geben, bamit er 
nicht mehr leibet -— er jammerte laut bor ©d&mera, unb ba§ fann id) nicht 
anhalten — £), toäre bo<h idE) boller S3ranbtounben unb nicht er . . . 
©o ein arme§ Sebetoefen, ba£ feine Vernunft bagegen einaufefcen ^atü" 

Öa§far fud^te bie iiberregte grau a« beruhigen, ober e§ toar nid&t 
möglid&, fie brängte t^n fort, bamit er tf)r meJ)r SDtor^^ium berfdfiaffen 
fottte. — ' 

gürft ßa§far hatte bem ®ammerbiener unten im Vorbeigehen ein 
3eid&en gemacht, fidö a« ihm auf ben SRürffifc be§ 3Bagen§ $u fefeen, 
bamit er ihm untertoeg§ eraählen föunte, tute bie§ Unglüdf eigentlich ge» 
flehen toäre. 



[<k mite Kremnitj in Berlin. 

©in unbegreiflicher 3wfoII! Die SBaronin hatte in ber grüh toie 
immer mit ' ihrem aKanne gefrühftürf t unb ficfj bann an ihre SEoilettc be= 
geben, bei* äßcirter toar beim Staufen geblieben, ber fo harmlos unb fttll- 
aufrieben toic immer getoefen toar. ©inen Slugenblid, ben ber SBärter 
ihn allein gelaffen, Fjatte er aber benufct, um mit feiner Sigarette — er 
raupte bon früh bis faät — bie ©arbine in 83ranb au fefeen. — @o 
nahm man toenigftenS an. ©S I)Qtte lichterloh gebrannt, als atte in 
folge eines marferfdjütternbcu @d)reiS ins 3^nier geftiirgt toaren. SDer 
SSaron ^abe, anftatt ficf) 3U retten, toie üor ©djred irr mitten in ben 
flammen geftanben. *©rft ber 93aronin fei eS gelungen, ihn herauSau- 
aiehen, ben 33ranb feiner Sieiber gu erftiden. ©ie felbft ftabe ätoei 
Sranbtounben babongettagen, ber Herr aber augenfdjeinlich grofee unb 
gefährliche, obgleid) bie 33aronin fidj bireft auf ihn getoorfen, um bie 
Stamme fdjneHer au erfticfen. — $>rei ärate feien fehr balb jur ©teile 
getoefen, ba bie Seute nach allen Himmelsrichtungen telefoniert hätten 
— bie S3aronin fei aber irrfinniger als ber Herr . . . 

21IS gürft SaSfar nach furaer Stbtoefenheit mit einer SWor^hium- 
Iöfung au ®a!moS anrücffehrte, traf er Hortenfe in ber gleidjen Stuf- 
regung an. £>ie Stränen rannen ihr übcrS ©efidjt, loährenb fie am 
93ette ihres SWanneS f niete unb immerfort feine $anb füfete. ©r lag 
ftöhnenb in einem burd) Betäubungsmittel herborgerufenen fehleren ©chlaf. 

,,©ie werfen ihn nur auf, Hortenfe," fagte SaSfar, nachbem er eine 
SBeile ruhig baneben geftanben. „Kommen ©ie einen STugenblicf inS 
Stfebenaimmer!" 

2)ie fonft fo ruhige, bernünftige grau mufcte bod) enblich au fid) 
fommen! ©ie fdjien aber nic^t fähig, etoaS anbereS au benfen als ba§ 
eine: toie fie ihrem ©atten bie Seiben erleichtern fonnte. Doch fdtfiefr 
lieh liefe fie fid) baau belegen, baS Sranfenaimmer auf einen Slugenblicf 
au berlaffen. SaSfar hatte unterbeS mit einem ber Strate gebrochen, ber 
ben ©influfj biefeS ©bofS auf baS nicht gefunbe Hera beS Kranfen für 
berhängniSbott hielt. BeftimmteS Iiefee fid) aber nicht fagen, biefer 3 U * 
ftanb fönne noch acht £age bauern. 

„2)aS bürfen ©ie nur nicht ber Baronin fagen, fie leibet mehr als 
ber Jtranfe," entgegnete SaSfar unb begab fidft au ihr. ©r fah eS flar 
bor fidj: biefe opfertoiffige grau, bie eS nicht bertrug, jemanb leiben au 
fehen, toürbc, ohne auch nur einen 9tugenblid bie ©djttrierigfeiten, bie 
bdbxitä) für fie entftehen fonnteir, au bebenfen, ihm Betäubungsmittel 
geben, bis er bon feinen Seiben erlöft toäre. STn bie Solgen badjte fie 
in ihrer ©üte nicht. Sie toürbe eS, offen unb ehrlid), toie fie toar, 
nie ableugnen. Stnflagc — ©eridjtSberhanblung, fenfationeHe Serteibi* 
gungSreben — baS fah er im ©eifte fdjon bor fid), unb ihm fchaubertc 
. . . 2>enn er badjic an fid) felbft babei, an ba§, toaS bie äöelt fagen 
ttriirbe . . . ©S toar fein ©eheimniS . . . ©r burfte ihr aud) nicht einen 



Siegerin geit. 



15 



Kröpfen 9ftort>f)ium mel)r berfdjoffen, eS mar fdjon fdrfimm genug, baß 
er ifjr ein 3fläf<f)df)en geholt, I)infort trollte er fie täufdjen, nidjtS als 
flareS SBaffer toollte er ifjr bringen! SBenn eS bie Seiben beS 33erlefcten 
aud) nid)t befd)ttrid)tigte, fo formte eS fein Seben bod) jebenfallS nid)t 
berfüraen. Unb iljm graute, im ©egenfafc su if)r, mcniger bor 93aron 
2)almoS Seiben als bor ben Solgen, bie #ortenfeS 2ftitleib nad) fid) 
aiefyen fönnten. 

Jportenfe ging jefet imftät in ifjren großen SalonS auf unb ab. 
SBeld) einen tragifdjen Slnblict boten bod) biefe grofeen Säte mit iEjrer 
bertoelften $rad)t; bie auSgebla&ten, fdjmertoattierten $amaftborI)änge 
auf biden, geraben ©olbleiften bor' ben fünf genftern, bie Sammet* 
tatfete, beren 9tot ebenfo bergilbt mar mie bie Seibe ber ©Crange unb 
Wobei, bcr altmobifd)e Xeppxä), ber ben gangen gufjbobcn bebedte! 2>ie 
Stimmung biefeS StaumeS, ber il)n, SaSfar, fo oft neben biefer grau gc= 
feftcn, baß er felbft ein Stütf beS SDiobiliarS gu bilben fd)ien, fyatte i^n 
nodi nie fo überwältigt. 3Mef)r als jtoanäig $af)re fjatten biefe 3"™ner 
unberänbert fo bageftaubcn. ©äfte maren f)ier nie getoefen, nur fie, bie 
jefct fo beratoeifelte #errin, if)r franfcr ©atte unb er felbft toaren fyeimifdj 
barin gemefen — fieimifdj, mie man eS fdjließlid) burd) ©cbraud) in 
frcmben Kleibern wirb. 2eS SSaronS gltcrn Rotten in ber großen SBelt 
gelebt unb fid) in iljren @?mj)fängen baS nad) bamaliger Slnfdjauung 
großartige $eim gebaut, in baS burd) bie junge fctjöne Sd)tt)iegertod)ter 
neuef Seben einaiefjen fottte. 93alb barauf mar alles fo fläglidj jufamtnen^ 
gebrochen. 2>ie fd)öne junge grau f)atte nur einen 33eruf: Pflegerin 
cinef ^bioten au fein. @S lebte it)r freilief) ein Sotjn, aber unter bem 
S)rud ber 33erl)äftniffc Ijatte fie ifyn frül) bon fid) geben müffen, benn er 
fonnte fie entbehren, fein SSater aber fonntc eS nid)t. 

9111 bieS 50g fdjnell unb jum erstenmal in biefer Serbinbung burd) 
SaSfarS Sinn, als er ber unftät in itjrcr ^eraenSangft bie 3wuner 
burd&meffenben grau toorttoS ben 2trm reidite. 

„333ie fonnte baS nur gefd)ef)cn! 3Sie fonnte fold) ein ituglüd ein- 
treten! Xer SWann (fie meinte ben äSärter) mar ftets auberläffig — 
einmal am £age mujj id) midj bod) tfuf leiben — id) fanu mirflid) nietjt 
bafür, baS fage id) mir immerfort, aber gana umfonft. £$d) mad)e mir 
bie furdjtbarften S3orroürfe. (SS ift meine Sdntlb, eS ift bod) meine 
Sd)ulb, baß er fo leiben muß! ^d) f)ätte eS bermeiben fönnen!" 

Sie toarf fid) in einen Siuf)l unb fd)lud)ate . . . 2Bie foltte er if)r 
in biefem 2tugenblitfe flar madjen, bafe cd bod) fdjliefelid) fein Unglüd 
fei, menn ein armer SKenfd), ber lange aufgehört fyatte, auredjmmgSfäfjig 
au fein, bom Seben crloft mürbe. Sie fd)ien für il)n übrigens nid)t ben 
%ob au fürchten, nur baS qualbolte Seiben. 

Untröftlic^ fufjr fie fort: 

„Konnte er benn nidjt an einem ^erafd^lag fanft einfc^lafeu? 

9l»tb unb 6üb. CXX. 358. 2 



\6 UTite Kremnitj in Berlin. 

ajiußte bie§ ©rä&Iid&e fommen? 3Sa§ Ijabe idj benn getan, um fo ge- 
f traft m tocr ben! SBar ba§ ganse Seben nidjt fdjon fcfttoer genug für 
it)n unb audj für mid)?" 

2ltte§, tt)a§ iljr burdj bie (Seele 30g, legte fie ttrie immer bor 
SaSfar blofe. 

33on neuem ftanb fie auf, e§ bulbete fie nid)t hier; fie mufcte $n 
tefyen, mufjtc fid) babon überseugen, bafc er nrirflid) nodfj in einem #alb= 
fcfjlaf lag. 

ßa§far ergriff feinen #ut. (Sie fuhr erfdjrorfen aufammen: „üftüffen 
(Sie fort? Um ©otteä toiffen, berlaffen (Sie mid) nicht! 8ft 3Winifter= 
rat? Ober Sanbtagäfifeung? 3<h toeife gar nid)t mehr, toeldje 5£age§aeit 
toir hoben? 33ier Uhr ... Um sef)n gefdjah ba§ UnglüdE ! (SdEjon fedj£ 
(Stunben finb feitbem berfloffen . . ." 

@r tonnte fie lüirflidj in ihrer SeratDeiflung nid)t attetn laffen, be- 
fonberä ba ber Traufe eben mieber' laut ftöhnte. (Sie Ifniete neben 
feinem 33ett nieber, ftreidjelte ihn unb fagte, bafe e§ gleich beffer werben 
mürbe, bafe fie ihn feinen 2tugenblid mehr berlie&e, baft SaSfar audj ba 
fei unb e3 ihm fo leib täte. 2Id), ma§ fagte fie nicht aHe§ in ihrem 
rührenben SKitleibe, im SSetoufetfein, bafe fdjon iE)re (Stimme ihn ftet3 
beruhigte, ßagfar ging bom $ranfenaimmer jurüdE in ben (Salon, fdjrieb 
auf it)rem (Sdjreibtifd) ein SBort, um fein 9?id)tfommen auf bem SKinifterium 
äu entfdjulbigen. Dann badjte er an $eHa. SSon biefem SEifdf) au§ if)r 
f ^reiben? s #eiu! ©r hatte berfarochen bei SarodjeS ju SRittag au faeifen, 
er founte e§ aber nicht in biefer (Stimmung, fonnte e§ überhaupt nicht, 
ehe nicht Sortenfe bon allem unterrichtet toar. Unb al§ er baran badjte, 
bafo er e§ if>r unter biefen Umftänben nicht mitteilen fönnte, bad&te er 
überhaupt surn erftenmal baxan, mie er e§ ihr mitteilen foCCte . . . 

Sn feinen Stugen mar e§ feit S^ten nur mehr innige greunbfdjaft, 
bie fie miteinanber berbanb; biefe greunbfdjaft toar freiließ auf bem 93oben 
einer hei&en Ceibenfdjaft ertoachfen . . . SBie er barüber nad^fann, mufcte 
er fidj gar nicht mehr 9tecf)enfd)aft abaugeben, feit mann bie Seibenfdjaft 
eigentlid) erlofdjen — unb ob fie auf beiben Seiten' toirfltdö erlofdjen 
mar ... 

2U3 er bor fünf Sauren aB ©efanbter im 3tu§Ianb gemefen, Rotten 
fie fidj nod) täglich gefdjrieben unb bie Trennung bitter empfunben. 
3um 3P?inifter ernannt, mar er miebergefommen. 2)ie- -parlamentarifd&en 
kämpfe, au benen fie lebhaft Sfnteil na^m, Ratten bie 3eit i^re§ 3u» 
fammenfein§ befeftränft; er Ijatte Wenige (Stunben für fie frei gehabt . . . 
SlHmäf)Iidf) tuaren fie met)r gute Sameraben al§ Siebe^Ieute getoorben. 

$t)m n?ar e§ bann erfdiienen, al§ fei gute Samerabfdftaft bie ifjr 

am meiften aufagenbe gorm iEjrer gegenfeitigen Sejicliung . . . Unb 
bennod)! 9Wit meldjem entaürfen, mit loie mäbdöenhafter ©lüdffeligfeit 



Siegerin geit. \7 

toar fie ihm bei jebem kommen entgegengeeilt! $atte nicht manchmal 
in ihren Slugen bie fchüdjterne grage gelegen: „(Sefalle ich bir nidjt 
mehr?" $atte er nicht gefüllt, bafe fic fid) mandjmal rounberte, ohne ie 
mit leifefter SWiene au berraten, bafe ihr bie neue gorm ber 33eaief)ung 
nidjt bie atlerlicbfte fei. 

Unb nun füllte er it)r mitteilen, bafc er fid) bermählen toürbe? 
©3 fdjien ihm plöfelid) unmöglich. SBie hotte er fidj nur berlo&en 
fönnen, ohne öorfjer mit ihr barüber au reben? ©§ toar ihm felbft un* 
ertoartet gekommen. 2Bie follte er e§ ihr fagen — unb toa§ toürbe fie 
ertoibern? konnte fie toie jebe anbere fagen: „^dj toünfdje $fönen 
©lüd"? Sßein, ba§ fonnte fie nicht, fie hotte noch nie ein banales 
SBort finnloS nachgekrochen — unb bielleicht toürbe fie ihm nicht einmal 
©üidt toünfdjen? Sügcn fonnte fie nicht! 

S^m tourbe fiebenb heife. 3Bürbe fie ihm in ihrer fpontanen Strt 
mit einem ^ufrelfchrei: „SBic fc^ön!" um ben #al3 faden? SWöglid) 
toäre eS, fie toar fo felbfttoS . . . ©r malte fid) bie S^ene au§; ba trat 
fic toieber ein. 

„SaSfar," rief fie, „beforgen Sie mir ©hloroform, er leibet Höllen- 
qualen, id) ertrag' e§ nicht!" — 

@r fprang auf: „®a£ gebt nidjt, ^ortenfe, (Sie miiffen auch an fidj 
benfeu ..." 

„Sin midj benfen?" unterbrach fie ihn bertounbert. „Stnmich? £sdj 
benfe ja aud) an mich, benn fein Seiben burdjfdjneibet mir ba£ $era." 

„916er toaS fönnte man fagen, toeldjeS -äKotto mürbe man Öbnen 
unterlegen, ©ortenfe? Sie toiffen, bafe bie SBelt nicht an fclbftlofe @üte 
glaubt!" 

©r fah ihr tief in bie 2tugen, unb fie erbla&te. „S3erf Presen (Sie 
mir, nidjt§ m tun, bis id) Shnen ben Softor 8ud)S Wide, ber ift nidjt 
nur ein Sfrat, fonbern auch ein SDtenfd)." 

SJIit flüchtigem ©rufte eilte er babon. Sie hotte ihn anfangt gar 
nicht berftanben, bann aber feine SBorte auf ihr gegenfeitigeS 33erbältniS 
bejogen. (Sie glaubte, er hätte anbeuten tooffen, bie 3Mt fönnte ihr 
unterlegen, bafj fie frei toerben trolle, um SaSfar au heiraten 

SBie fchredlich toar gerabe biefeS ajftfebcrftctnbniS in biefem Sfugenblide! ' 

©rft nach einigen ©tunben fehrte Surft SaSfar inS Salmofdje £auS 
Surüd. ©r hotte cS nidjt überS $era gebracht, nicht 511 $etla gu gehen, 
imb hotte e3 fo gut getroffen, bafc er fie inmitten beS bollen <SalonS 
einige 3^it allein hotte fpredjen fönnen. (Sie toar ihm mit auSgeftredten 
$änben bis an bie £üre entgegengeeilt unb hatte mit ihrer reiaenben 
5?atürlichfeit unb Ungeniertheit laut gefragt: „8ft e§ %l)\\en auch immer 
no<h nicht leib getoorben? Haben @ie fidj auch nicht über 3Zad)t eines 
anberen befonnen?" 

©S toar reiaenb, toie ftola fie barauf toar, ihn getoäljlt au hoben; 

9* 



\S — IHite tfremnitj tu Berlin. 

fie betonte e£ fo laut, bafe Sa^far fid) bang fragte, ob e£ gaua natürlich 
wäre, fo gern unb fo biel babon au fpredjen? Ob bie£ nidji eigentlich 
ein nxtf)re£, tiefet ©efühl au£fd)Iöffe? @d&ltefelid& tröftete er fid) bamit r 
bafe e§ bte ihr eigene, befonberä originelle 2Crt ber Siebe {ei. ^ebenfalte 
toar fie unttriberftehlid) in biefer fioxm, tote fie um it)n marb, mit bem 
fixeren £aft be£ SBeibeS, ba§ genau roeife, rocld& ein ©nabengefchenf 
jebeS ihrer SBorte für ben 3Wann ift, ben fie fief) auSerforen hat. 

Sange bei ihr 31t bleiben, getraute Saäfar fid) nicht. ©r eraählte 
ihr barum bon bem 33ranbungfü<f, ba£ feinem Setter Dalmo augeftofcen 
fei. Sie hatte fdjon babon gehört unb fanb e§ ganj natürlich, bafe er 
balb borthin aurüeffehrte. %l)\n tourbe e3 aber fehr fdjmer, e3 311 tun. 
er hotte eine merfroürbige 2tngft babor, aftein mit #ortenfe 311 fein. 

V. 

3u jeiner ©rleidjterung fah er mehrere SBagen im Xalmofdjeu $o\c r 
aU er einbog. 

Sm Saufe be3 Sßadjmittagö ^otte fid) bie .fiunbe öon bem Unfall be& 
33aron§ verbreitet. Natürlich ttmrbe ba£ ©reigniS berfdjiebentlid) fom* 
mentiert. %ui SDiunbe ber Seute \ianb e§ in enger SJeaiehung ju ber 
überrafchenben Verlobung be§ bergangenen 2tbenb£. 

2öer aber auch babon hörte, fuhr fofort am Unglüdf^öaufc bor, 
#ortenfe hatte atoar niemanb fehen sollen; bie nädjfteu SSertoanbten 
fragten aber gar nidjt um ©rlaubniä, fonbern gingen in ben Salon, 
toährenb bie gremben ihre harten abgaben. 

©ä toaren roohl jehn $erfonen, barunter fieben Samen, bie ihr Stecht 
ber 3ugef)örigfeit au biefem £aufe boburd) betonten, baft fie in flüfternber 
Unterhaltung im Salon aufammenfafcen. $ortenfe mar nur einmal auf 
einige SWinuten 31t ihnen hineingefommeu unb hatte fie flüdjtig umarmt, 
fonft fafe fie am Sager be§ jefct gegen 3lbenb bon hohem gieber ge= 
fchüttelten Slranfen. „SBenn er nur nicht leibet," ba£ toar ber cinaige 
Oebanfe, ber fie beherrschte. 2>er Söärter berfidjertc ihr ftets bon neuem, 
ber ßranfe habe fein Setbußtfein. Unb bennod) ftreid)eltc fie feine 
#änbe unb flüfterte ihm liebfofenbc SBorte 31t. Unb e§ toar nicht nur 
©inbilbung: ber Jon biefer ihm bertrauten meidjen Stimme ttrirfte felbft 
in ben Sieberträumen befd)ttrid)tigenb auf ihn. 

£ic aSerhxmbten im Salon toaren eigentlich lueuiger mit 2>almo al£ 
mit ber Srage bcfdjäftigt: „£)b $ortenfe bie Verlobung fchon nriigte unb 
luie fie ben Zrcubrud) tragen nriirbeV" ttur3 ehe Sa£far eintrat, hotte 
eine ber 2>amen ihr SSerbift abgegeben, $ortcnfe müffe c£ längft miffen, 
fie fähe ttrie ein ©efpenft aus, über £almo£ Unfall fönne fie unmöglich 
berart ihre Raffung bcrloren höben! (Sine anberc Sermanbte machteben 
©intoanb, £ortenfe fei immer eyaltiert getoefen, aber ber allgemeine ©in- 



Siegerin Seit. 



*9 



i>xud Wieb ber: fie betoeine ihr eigenes Unglüd, b. I). SaSfarS Untreue, 
in ben tränen, bie fcheinbar bem ©atten galten! 

SaSfar füllte bei feinem ©intreten peinlich genug, bafe man foeben 
t)on ihm gefprodjen höbe unb bafe feine Ütnfunft alle geniere. 3Wtt ge* 
toobnter Sicherheit rebete er aber fofort über baS furchtbare Ereignis unb 
betonte bie %vonk beS (5d)icffaIS, bafe eS gerabe biefem fo befonberS ge- 
hüteten ®ranfen auftbßen mu&te! 3BaS für einen Särm mürbe bie treffe 
idjlagen, märe fo etmaS in einer Stnftalt gefdjefjen! £ura, er Jrfaubertc 
fo lote immer; ein Zfyema reihte fid) ungeamungen an baS anbere, feine 
$aufe trat ein, unb bod) badjte er bie ganae 3eit: „2Benn biefe Seute 
nur fortgeben mofften!" Er mufete bereits, in melchen fenfationetlen 
formen bie ©efdndjte Don 2)aImoS Verbrennung burdj bie ©tabt lief. 
<?S £>tcfe allgemein: $ortenfe habe fid) ein SeibS antun motten, als fie 
SaSfarS Verlobung erfahren, ihr üttann fei baamifchen getreten, höbe ihr 
ben Stevolver entriffen — babei fei auf irgenb eine 2trt baS geuer ent* 
ftanben. Sc unmahrfdjeinlidjer eine ©efdjidjte, befto fdjnetter pflegte fie 
fidf> äu verbreiten. 

Sei ber großen 3^hl ber 33efannten, bie jefet in £ortenfeS $auS 
ein- unb ausgingen, fonnte eS nicht ausbleiben, bafe man vor ihr auch 
-einmal feine bevorftehenbe SSerheiratung ermähnte. Unb fie foHte fie boch 
nicht auS bem SKunbe dritter, fonbern Don ihm felbft erfahren, er mufete 
ihr erflären, rote aKeS fo unermartet gefornmen, tote er felbft nie baran 
gebacht hatte, fich au verheiraten, bis ber gunfe inS sßulverfafc gefallen . . 

SaSfar fah #etta mieber vor fich ftehen. Sa, ber gunfe hatte alles 
in ihm aur @i#Iofton gebracht, bie Vergangenheit mar Vertilgt, als hätte 
fie nie beftanben, bie etnaige Stealität mar ihm jefct biefer £raum Von 
Siebe unb Seibenfehaft . . . 2tber mie foHte er $ortenfe bie Xatfadje unter 
ben für fie fo entfefelidjen Umftänben mitteilen? (5S toar fchmer, 
aber gefdjehen mufjtc eS, benn in jebem Sfugenblid } lag bie üWöglidjfeit 
Dor, bafc jemanb ihm in ihrer ©egenroart einen ©lüdrounfd) aus* 
fprad). @r mufcte menigftenS verfucfjen, bie Seute aus bem $aufe au 
entfernen, bie albern bort herumfafeen, um bei ber Sataftro^he amoefenb 
3U fein. S)arum ftanb er auf unb ging reife inS Sranfenaimmer. 
^ortenfe nidte ihm mii ihren tieftraurigen Sfugen a"; er fah, bafc fein 
kommen einen (Strahl Von greube in fie gegoffen, er fah auch, baß ihre 
klugen munberbar fdjön maren, aber Vor attem beherrfchte ihn baS 
irürfenbe SSemufctfein, bafe er h^r, in biefer Sttmofahärc beS £obeS, ihr 
immöglich baS fagen fonnte, maS bodj fo nötig fd)ien. 3Kit jeber (Stunbe 
tourbe eS fdjtoerer für ihn unb aud) für fie. 

üßadj einer äßetle erhob fie fich guS ihrer fnieenben Sage, trat an 
ihn h^an unb 30g ihn in eine ©de beS 3immerS. „geh banfe Shnen," 
fagte fie, „bafe @ie mir SDoftor gudf)S fanbten, er hat ihm mirflid) ge- 
holfen. Iftun leibet er nicht mehr, unb nun trage ich cS auch fdjon beffer." 



20 



mite Kremnitj in Berlin. — 



6§ mar, aB tüollte fie ihn beruhigen, in ber 93orau§fefcung, ihr ßeiJ> 
bebrücfe auch ihn — mie einft! „Sftir ift nur hin unb mieber nod), aB 
überfiele mid) bie finnlofe Stngft! SDhiftte ba3 nodj fommen, ßaäfar,. 
mar e§ nicht fd^on genug, ma§ mir su tragen hatten?" 

3Ba§ fottte er ermibern? (£r fah fie mitleibig an unb fd)Iug ihr 
bor, ftd) nieberaulegen; babei 50g er feine Uhr herauf. (S§ mar beinah 
2ßitternad)t. 

„O nein/' mehrte fie ab, „folangc er mich brauchen fönnte, reicht 
meine Sraft." 

„SDer <3aIon brüben ift nod) Dotier ßeute," fuhr er fort, „bie £err* 
fd)aften fönnen Sutten bod) unmöglid) bie ganje 9?ad)t jur Saft fallen: 
motten?" 

@ie liefe fid) fagen, mer noch bort mar, unb bat ihn barauf, ben 
S3ermanbten mitäuteilen, jebe augenblicfliche ©efahr fei auSgefdjloffen, fie 
banfe für bie Teilnahme, fei aber bor affem ruhebebürftig. £>a ber 
2)oftor eben mieberfam unb bon ber SWöglidjfeit einer ©cnefung ft>rad) A 
fahen bie Sermanbten ein, bafc bie ermartete Sataftrofhe nod) nicht bebor- 
ftanb. ßaSfar brachte bie SDamen bi§ an ihre SBagen unb fefjrtc bann 
au $ortenfe äurücf. 

(5r hotte bie 2fbfid)t, mit ihr au machen, benn er mar feft überzeugt,, 
baft e§ be§ Sranfen lefcte 9laä)t fei. ©r fanb fich babei feIbftfo§ mt> 
aufoffernb mie immer. 

$ortenfe hatte fidj, meil bie Jtrate am Sranfenbett ihre Sonfultation 
abhielten, in ben jefct leeren, aber nodj hell erleuchteten Salon begeben, 
©ort faft fie, ben Soff surücfgelehnt, in einem ber großen ©effeL 
ßa§far fühlte, bafe ber richtige 2TugenbIict gefommen fei, um U)r 3U fagen A 
ma§ er auf bem $er&en hatte. @ie folgte mit meitgeöffneten 2tugen 
ben ßinien ber Simmerberfe; fie mar tobmübe unb bennodj fo überregt, 
aB mürbe fie nie mehr ein 2[uge fdjltefjen. Sie SIeibcr fdjtenen ihr 
fo lofe um ben fd)Ianfen Dörfer $u hängen, aB fei fie in menigen 
©tunben aufammengefaffen ; falfmeifj mar ba§ ©efidjt, faft mie ba£ einer 
5£oten, eingerahmt bon ihren tieffchmargen paaren. 

ßaäfar fah fie an, aB höbe er fie nod) nie gefehen, mit ben 9fugen 
cine§ prüfenben gremben. @r fah nicht bie feelifche ©djönheit auf ihrem 
2Intlife, nicht bie meidjen ßinien ihrer ©eftalt, er fah nur ba§ SSermelfte, 
Sersmeifelte, ba§ ber ©chmera ihr unb ihrer Haltung aufgebrüeft. Sie 
fdjien ihm eine alte grau, befonbcrS neben $ella, bie im ©eifte immer 
bor ihm ftanb. (Sie mürbe c3 felbft fühlen unb berftehen, bafe e§ für 
fie feine* 3«fwnft gab, unb bafe er unmöglich fid) an eine SSergangenheit 
feffeln fönnte! 

„SBarum fönnen mir nur bie gragc nad) bem SBarum nidjt laffen," 
fing fie p löblich an, mie laut benfenb. „Sic ift bod) ba§ Duälenbfte in 



Siegerin Seit. 



2\ 



unferer gangen ©iifteng! äBarttm gab un§ bie Statur, bie unfer Oefd&icf 
nidjt Ienfbarer mad)te, al§ ba§ i>er $f(angen, nid)t enttoeber bumfcfe 
9lefignation ober einen ©inblid in bie Sftottoenbigfeit unfereä SeibenS? 
Stber ba§ $öd)fte, tua§ toir berfteljen fernen, ift, bafc alle£ auf (Srben 
feine SBa^n berfolgt, unb e§ bafjer fo Diele fief) enbloS freugenbe, befeftbenbe 
33al)nen geben mufc. gebe berläuft, unbefümmert um bie anberen, nad) 
ifjren eigenen Urfadjen unb Sßirfungen . . . 23a3 einer glömme gu naf) 
fommt, brennt, ob e§ un§ lieb, ob e§ un3 feinb ift, ob e§ toertboll ober 
tt>ertlo§; Xvcß burdj einen ©turg gu galle fommt, toirb 3erfd)mettert ; 
unb ba§ Ungefähr, bafc midj aufterorbentlicfie ÜBegebenfteiten mehrere 
SWale trafen, ift in bem großen ©etoirre ber SWilliarben bon Urfadjen 
unb äßirfungen nidjt einmal ein bcad)ten§tocrter 3 u faff • • •" 

(Sic fd)toieg, al§ fotte er bejahen ober berneiuen. Slber cr_fagtc 
nidjt£, i£)m toaren ifyre ^Betrachtungen nidjt angenehm. 2)a ful)r fie~fort : 

„%tä fagt man fid), fagt e§ fid) taufenbmal mit Verftanb unb Ver- 
nunft, unb bodE) lebt ba§ ©efüljl b % cr eigenen Verantwortung tief im 
.«pergen. ^nuncr ift mir, al£ wäre id) an attem fdjulb, ti>a§ mid) trifft, 
aU I)ätie id) e£ bermeiben fönnen." 

„®a£ ift unnötige Selbftquälerci, £ortenfe! 2Ba§ gefdjieljt, gefd)icl)t 
unabtoenbbar," fiel er ein. 

„9?ein, nein," entgegnete fie unb farang auf — jefct lag nidjt§ 
SBerftelfteS auf il)r — „in biefem ,UnabtDenbbaren l bin audj id) ein 
©lement, unb idf) bin ettoa§ 3BanbIung§fät)igc§! $ätte id) iljn nie allein 
gelaffen!" 

@ie fdjludjgte laut auf unb eilie au§ bem 3i*mrier roieber sunt 
ßranfen. @§ toar, afö I)abe eine SKanie fie erfaßt; fie ttoffte fdjulb an 
feinem Unfall fein. . . . 

?tud) 2a§far toar aufgeftanben. SDie£ ft>or am (Snbe bod) ein 
günftiger Sfagenblid, um e§ il)r gu fagen? (Sie toar fo gang be= 
fd)äftigt mit bem (Sterbenben, baft e§ ifyr jefet faum einen ©inbrud 
madjen fönntc, erführe fie, bafs er fid) gu bermäljlen beabfid&tige. Unb 
fagen mufete er e£. Sie fam eben guriief unb fdjieu ettoaS rul)iger. 
„6r leibet nid)t" . . . fagte fie Ieife, „aber ba£ ©nbe ift audi nod) 
nidjt bei." 

@r fdjlang feinen Sfrm um iljre fdjlanfe (Schulter, toic er oft, ad), 
fo oft getan, unb fling mit il)r nad) alter ©ettoljnljeit burd) ba§ grofee 
3immer auf unb ab, nur bamit befdjäftigt, tüie er e§ tfjr mitteilen foflte. 

,,%ä) möd^te etft>a§ bon mir fagen, ^ortenfe," begann er. 

„Sßidjt jefet, o nidjt jefet, Sa§far/' unterbrad) fie iljn crfd)rorfen, 
,,id) toeife, baß bu mir baburd) Stroft unb ©tüfce geben tüißft! Sfber id& 
fann e§ in biefem 2lugenblirfe nidjt I)örcn. S)od) tief, tief im bergen 
berftedt lebt e§ unb trägt mid). 2afe bir ba§ genug fein, id) tDeift, bn 
berlafet mid^ nid^t, idö bertraue bir ja . . ." 



22 



mite Krcmnifc in Berlin. 



ßolter @cf)tt>eij5 trat ifyu auf bie (Stirn, unb er fdjtoanfte einen 
2tugenblid toic ein ftranfer . . . ,,$d) I)ätte jo gern mit bir öetüac^t, " 
ftiefe er Ijer au£, „aber mir mirb t>löfeltdf) fo fc^Icd)!, baf$ id) nad) £aufc 
mufc" . . . 

Sie toofltc ilm nid)t fortlaffeu, fie fal), bafe er litt, aber e§ bulbete 
if)n aud) feinen Slugenblidt länger I)ier, er glaubte of)umäd)tig 3U toerben. 
Gr ftürate förmlidj au§ bem $aufe in bie frifdje Suft. G3 tuar entfcU- 
Iid), bafe biefe grau in foldjer Slinbfjeit lebte, ba& fie nid)t feit S^tcn 
fdjou gefüllt I)attc, bafe feine Seibenfdjaft erlofdjen unb bie 3ärtlid&fett, 
bie er ifyr gab, nid)t3 aI3 ein 3tImofen toar! Gr liebte ifyren (Seift unb 
il)rc Seele, ja, aber fie I)atte feinen 9?eia mefjr für if)n. greilidj eine 9trt 
Siebe mar cS, mit ber er immer nod) an if)r fjing, unb biefe Siebe fonnte 
iljr niemanb tauben . . . 2>a§ toar e§, toaä er ifyr fagen toollte, nun tyatte 
er e§ gefunben, nun lüar enblid) in il)n felbft SUarfjeit gefommen! Gr 
ttriirbe fie natürlich nad) tuic t>or lieben, feine beborftefjertbe a3ermäf)lung 
ttmrbe an feiner 93eaiel)ung 31t ^ortenfe nidjts änbem unb ging fie 
bafyer eigentlid) nicf)t£ an! 

Sn biefer Überjengung begab er fid) nad) $aufe, fefete fid) an ben 
Sdjreibtifd) unb teilte #ortenfe brieflid) mit, baf$ er $effa Sarodje heiraten « 
Werbe unb überaengt fei, fie ttriirbe bie 2Bal)I biefeS reinen öolben 
3Sefcn$ billigen . . . 93i§fyer Ijabe er t>or ifjrem Seib unb üjrer Trauer 
nidjt t>on feinem @Iüd reben tootten . . . S^tfdjen ifrien beibcu bliebe 
atfe£ nnüeränbert, baS brause er nid)t erft au fagen, fie fei ja fein 
beffere* ^d), ber feftönfte Steil fetner eigenen SSergangcnljeit, ja er 
toiirbc fein Seben in jebem Jtugenblicfe gern Eingeben, toenn er ba§ ifjre 
baburd^ l)effer madjen fönnte . . . 

Sa§far £oleabn fjielt fid) für toofffommen aufrid)tig, aU er baS 
fdjrieb, c§ fdiicn iljm, aI3 tjabe er bie erlöfenben SBorte gefunben! Sföm 
felbft lüar fein inneres jebenfatt§ fonuenflar, unb feine 2lngftgefüf)Ie 
fefttoanben. Seine Siebe au $ortcnfe hmrbe ja in feiner SSeife burd) 
feine SSerlobung berührt. Dicfer @efid)t£punft toar ber rid)tige unb 
föl)ntc atte§ au3. Gr fuftr fort: GS gibt fcerfd)iebcne 3(rten öon Siebe, 
bie, fid) gleid) an äöert, nebeneinanber bcftefyen fönnen; er liefere bafür 
ben SktoeiS. 2>enn er liebe $ortenfe fo toaljr tute nur je, aber er liebe 
aud) bie fuftc feine 23Iume, bie fid) in fo riif)renber Eingebung if)m er* 
fdjloffen fyabe, unb bereu er mürbig au derben fyoffe, fotoeit ein 2>iann 
foldjer ffteinfteit überhaupt je toürbig fei. 

er bie£ au Rapier gebracht fyattc, fiel il)m eine Saft bom 
§eraen. Gr abreffierte ba^ ftubert unb flingelte, bamit ber S)rief fofort 
in il)rc ^änbe fäme. Gr l)attc ben 3^itbegriff verloren unb fam erft au 
fid), oK fein Mammerbicncr il)m iyö)l\ti) bemerfte, ee fei fd&on brei U^r 
nad)ts unb niemanb aufjer iöm mcftr mad). Sa§far ()änbigte \f)m nun 



Siegerin geit. 



23 



ben »rief au§ mit bem SBefeble, ifjn am aMorgen gur SBaromn 2>a(mo 
$u fd&idfcn. 

Unb in ötefer 9Zacf)t fonnte er rubig fdjlafen. 

VI. 

$orteufe tt)Qr im Salon fifcen geblieben, ate ^asfar fic fo Jrföfcftd) 
t>erlaffen. (Sie mar mübe üon bem langen, fcf)h)eren £age, unb einen 
Slugenblid lang fübtte fic nidji§ aB iljre ÜTiübigfeit unb berfiel in eine 
Strt SdEjIummer. greUid) bauerte biefer nur atoei ÜJiiuuten, bann fdfjrecftc 
fie mit einem beflemmenben, bie ganae 33ruft umfpanuenben 9fngftgefüf)I auf. 

„3Ba§ ift gefdjefjen? Um ©otteS mitten, ma§ ift gcfcfjeben?" fticfc 
fie fjalblaut Ijcröor. 92iemanb toar ba, ber ifyr bätte antmorten Fönnen. 
Sie tonnte eä aber aud) felbft fd^on, bie Erinnerung feierte bott aurüdF. 
Sie eilte in ba§ ßranfenaimmer, in bem (glauben, er märe £löt?Iid) ber* 
fdjieben. 2lber nein, er atmete nodj. Sie lehnte fid) an bie äBanb unb fab 
ibn an. „a3erfdf)ieben," fagte fie fid) traurig ; mic lange mar er eigentlid) 
jd)on tot! ®a£ SBefte an üjm toar Iängft nid)t me()r am Seben, roarum 
litt fie nur fo unerträglich Seine förperlidjen Sdf)mer3en maren ge- 
Iinbert, er atmete tfvav nod), aber er füllte nidjtS mebr. Sie bätte fid) 
in Stube unb Raffung mit bem, ma§ gefebeben, abfinben müffen, mober 
fam nur biefc mit fo quälenber J>bt)fifd)er Übelfeit berbunbene 9fngft, bie 
feine 23emunft in iljr auffpmmen ließ? SBeflcmmen Ijerannabenbe 
^obesfdjttnngen alle feiner ©mpfinbenben fo? Ober brobte ibr nod) 
ein anbereä Unbeil? 2öar ifjr SoI)n ettoa franf? 

gannt), bie alte SBirtfdjaftcrin, fyatte fid) ein $era gefaxt unb mar 
Ieife bis an bie £ürc be§ ftranfcnaimmerä gefommeu. Sie mar fdjon 
im £aufe bon $ortcnfe3 eitern ba£ gaftotum gemefen; für #ortenfe 
felbft erft Slinberfrau, bann Kammerfrau unb ftet£ Sertrante. 

Sie betete £ortenfc an, afle§, ma§ fic tat, toar gut unb ebel, ibrc§* 
gleiten gab cS nidjt auf erben. 2)afe Sannt) nidjt in£ 3ktt ging, menn 
ibre Herrin nod) nid)t fdjlief, mar uatnrlidj; fic ftriirtc aud) nid)t, baft 
fie 30 Igabre älter mar al£ bie Saronin. 2)a£. einaige, ma£ fie be- 
fdjäftigte, mar bie Sorge um $ortenfe. So öffnete fic bebutfam bie 
Stüre, ging mit ben trofc il)rc^ ftarfen ßcibcäumfangö Icifcn Sd)ritten 
auf fie au unb befdjmor ftc, fid) nicbcraulcgen. Unb nad) einigen 
einmänben geborgte #ortcufc fdjliefelid). Sannt) brachte fic a« 33ctt 
unb fefcte fid) ftatt ibrer in eine ßtfc bc$ .ttranfcuaimmerä, bereit fic 
3U rufen, meun bie leifefte Seränbcrung im 3nftanbe bc£ ftranfen 
eintreten fottte. 

2fB ber aWorgen anbrad), fafe Sannt) nod) immer ba; ber ftranfe 
Ijatte fidf) feit bem 9fbenb faum gcrüfjrt. 2)cr junge ?frat, ber mit bem 
ftranfenmärter gemadjt b^ttc, fpradj t?on ber SWöglid^feit, bafe ber 33aron 
ben Gbof überminben unb nod) genefen fönnc. gauut) fal) in biefer 3lu^* 



IHite Kremiufc in Berlin. 



ficht atoar nichts @uteS für ihre Herrin, ober ba fie roufcte, bafe e£ 
$ortcnfe in btefem Sfugenblicfe bodj aur ^Beruhigung bienen fonnte, begab 
Tie fich in ihr Sdjlafaimmer. 2)urd) bie Jungfer erfuhr fie, bafe bie 
33aronin bereits aufgemeeft morben: bor einer 33iertelftunbe habe man ihr 
einen eiligen 93rief bom Surften ßaSfar gebraut So flopfie Sanni) ge- 
troft an, aber ein, atocunal bergeblich, fchlieftficfj trat fie ein. 

$ortenfe lag im 93ett mit großen, ftarren Sfugen unb einem 9fuS* 
bruef, ttrie ganni) ihn noch nie gefehen. S-prachloS blieb fie ftel)en. „9Tch, 
Sie finb'S," fagte #ortenfe mühfam, aber bie Slugen ftarrten toeiter, als 
hatte fie nichts gejagt. Sannt) berichtete, maS fie eben gehört. (Sofort 
toar $ortenfc mit ben güfeen aus bem SBett hinaus. ,,©S gibt einen 
©ott im Gimmel/' fticfo fie hetbor, „er barf nicht fierben, barf nicht jefet 
fterben!" 

bemfelben Stugenblidfe flopfte eS ftarf an bie Xüre. $ortenfe 
hatte nur 3ät, fich fdhnett ein SKorgenfleib überwerfen 3U laffen, fo 
bringlidj verlangte man ©inlaß . . . ©S toar ber Strat, ber beftürat 
melbete, alles fei borüber, plöfelid) fei baS #era beS Staufen ftitfgc» 
ftanben. 

Ü)en ganaen £ag über ging eS : toie in einem X oubenfchlagc im 
©aufe ber 93aronin 2)aImo 3U. $unberte fuhren bor unb gaben ihre 
harten ab. SSorgelaffen mürbe feiner; niemanb brang bis au $ortcnfe 
burd); ben £oten burften bie Stäherftehenben fehen, bie Sebenbe nicht. Sie 
hatte eS Sannt) auf bie Seele gebunben, bafür au forgen, bafe niemanb 
fie beläftige, aber aud) toirflidj niemanb, unter feinem Sortoanbc! 2)ie 
Stugen ber Kammerfrau hatten nur mit einem 9tufblicf gefragt, bann 
hatte fie berftanben, bafe auch Surft SaSfar ntdf>t borgelaffen merben fotltc. 
Unb nun touftte Sannt), bafe eS fich noch um etroaS anbcreS hanbelte, 
als um ben £ob beS fdjtoachfinnigen $errn, um etmaS gana anbereS. . . . 

9fber toie toäre baS möglid)? 3hr ftanb ber Serftanb ftiff. . . . 

es mar 9tbenb gemorben. ^ortenfe ging in bem großen 3unmer, 
baS neben ihrem @d)Iafgemad) lag, auf unb ab. 93iSher toar fie gelähmt 
getoefen; jefct ttmrbe fie febenbig, unb mie ber £ag fdjtuanb, marb cS 
Sicht in ihr. Sie hatte toie ein hülflofeS 21er bisher um fich geftarrt, 
fie hatte gefcfjluchat unb gejammert unb fich bie $aare gerauft. S^fet er* 
machte bie Überlegung in ihr, unb fie tourbe toieber SKenfdj. SSßie toar 
eS möglich, bafe ihr, gerabe ihr baS gefdjehen fonnte? Sticht bie entfefc 
liehe SlataftrophC/ burd) bie fie frei geworben, gleidh nad) bem Jage, als 
er einer anbern baS SESort gegeben, befrfjäftigte fie jefet, nein, baS mar 
ein ^ufäfligeS, ein äußerliches 3ufammentreffen, aber baS innerliche 
baxan aernagte fie: 2ßte fonnte ber Sftann, ben fie liebte unb ber bodj 
einft fie aud) geliebt hatte, fid) einer anbern autuenben? ©S mar feine 
Srage mehr, eS toar eine ©eftrifjheit: er hatte eS gefonnt! S3or biefer 
Erfahrung ftanb fie tote aerfdjmettert, fie hatte ben Sern ihres SBefcnS 



' Siegerin §eit. 



25 



getroffen: mit ihrer eigenen $erfönlid)feit mar augfcid) Me ganje ibeale 
8Mt in ihr bcrnidjtet feorben, unb nun bcrfuchte fie, berfeunbet, ohn* 
mächtig, täjxpifch au ergrünbeu, feie ba£ hatte gefdfjehen fönnen? Sh^ 
fear, al§ fei ein Sßaturgefefc aufgehoben, aB fei bie (Sonne im £)ften 
nicbergegangen ; ihm hatte fie ja nodj mehr vertraut al§ ben Sftaturgefefcen 
nnb ber ©onne. 33Iinb hatte fie ihrer Siebe bertraut — unb e3 fear 
ein Irrtum gefeefen! 3)er 3Wann, ber fie geliebt, unb bem fie in hei&efter 
grauenliebe noch immer anhing, er hatte fid) einer anberen augefeanbt 
— nicht ettoa in borübergehenbem ©innenraufdj, nein, au efeiger, 
heiliger ©emeinfdjaft! Sittel anbere auf (Srben hätte ihr möglicher ge- 
fchienen aß ba§! Sie begriff e§ toirfltdö nicht, e§ gab feine ©rffärung 
bafür. — 3lber gesehen fear c3, e§ mar gefdjehen! 2ßie etfea§ Unge« 
heuerlidjeä, mit bem fie fich abfinben foCCte, baä fie aber berfdjlang, fo lag 
e£ über ihr. ©ie backte feeiter. SHeffeidjt mürbe fie bie SBunbe, bie 
ihrem $eraen gefdfjlagen morben, im Saufe ber Seiten berfeinben, bie 
Schmach fonnte fie nidjt berfeinben, nein, nie unb nimmer! ©ie felbft 
mit ihrer gan3en Vergangenheit fear entehrt feorben. Sittel, fea§ ihr 
heilig gefeefen, fanf in ben ©taub, feurbe gemein, ©ie hatte einge- 
feuraelt bie unumftöBfidje 2fnfid)t, bafe SKann unb grau fich nur bann 
einanber gang hingeben bürfen, gleidjbiel, ob nach ben ©efefeen ober 
außerhalb ihrer, feenn ba% ©efühl, ba£ fie jueinanber afeingt, ein bauern* 
be§, ein efeige§ ift. SBcnn bic füfee geffel nicht bi§ aum Sobe hielt, 
bann mar fie au§ Sug unb £rug gefdjmiebet, nicht au£ Siebe, bie ba§ 
Stecht gibt, fich über bie ©efefce au ftellen! 

9?ur feer für feine Siebe jeben 3tugenblicf au fterben bereit ift, barf 
e£ tragen, über Sonbention unb ©itte fortschreiten, ©ie fear boch eine 
ganae Sftau, ein 2Renfdj! ©ie gehörte nicht au ben Sibellen, bie nur 
fpielen unb fterben! 2)ie 9Crt ift auf ©rben freilich bielfad) bertreten, 
aber fie gehört ben (Elementen. 

Unb nun hatte er burch feine Jreulofifeit ihre Siebe au einer 
©ünbc, au einer ©emeinheit gcftcmpelt! 9?nn hatte er fie noch nach- 
träglich hinabgeaogen unb befubelt! ©ie fear ihm nicht bie eine, bie 
einaige gefeefen, fonbern eine unter anberen! ®a§ fonnte fie nidht über* 
leben. Stber, fea£ uod) meit furchtbarer fear: e§ gab feine aKöglidjfeit, 
e§ ungefchehen au madjen. £)b Icbenb ober tot — fie fear bie ©eliebte 
jenes 3Kanne£ gefeefen!! — 

£odj fear ba§ fdbliefelid) nicht nur eine Stuffaffung, eine SInficht ber 
SBelt? 2Bürbe fie bie nicht Überfeinben fönnen? 9Wad)te ihr bie etfea§ 
au§? ©efeife uidbt. Stber bor fich felbft fühlte fie fid) gefdjänbet. ©ie, 
bie nad) bem $Ödjfteu auf (Srben geftrebt, fear t>Iöfclich au &cn Unfeürbigen 
geftofeen, fear in ihren eigenen 2lugen berfemt . . . ©ie fehauerte zu* 
fammen; fie fühlte fich feie ein aerhaefter 3Burm, ber fid) noch ohnmächtig 



26 



Mite Krem tut} in Berlin. 



frümmt, rettung§Io§ bem Staub, ber 33erad)tung berfalten. 2>aran toar 
nid)t3 au änbcrn. . . . 

3l)re gro&e Siebe l)attc bisher iljre Seele aufgefüllt, fic roar i^r 
Stola, baS Unfterblidje, an ba§ fie geglaubt, geroefen! Unb nun roar fie 
ben ©efe^cn bc£ Sßerbens unb S3crgef)en£, rote ein Sing biefer äBett, 
unterroorfeu roorbeu. 

SBtc unerträglid), bor fid) felbft entwertet, gebemütigt baauftefjen. 
9hd)t einmal mit itjrcm Stute roufd) fie bie Staube bon fid) ab! 

äöie oft l)attc fic if)m gefagt, roenn er ftü^cr an il)r gearoeifelt 
Ijattc, itjre Siebe roärc ftärfer als ber Zob. . . . SCber if)r Sieben mar 
gegenftanbSloS geroorben, ba er ifjre @efüt)te, bie er erroetft unb an 
feiner Seibenfdjaft groß geäogen fyatte, nid)t met)r teilte! Sie liebte ifyn 
t)eute fo au£fd)tiefjlid) rote bor .all ben §al)rcn — ntd)t füfjlcr, nidjt 
rul)iger, nein, mit berfelben Seibenfdjaft: „Xn, bu, nid)t£ anbereS birgt 
bie Söelt als bid)!" — 

9Jid)t£ im Sebeu t)atte nod) äßert, nieftts beftanb oljne il)n, ofyne 
feine Siebe. 6r roar bas gunbament if)re£ galten 23orftcllung3bau£; 
fogar if)r Seijen, if)r #ören, il)r gül)lcn fdjicn mit if)tn bon il)r ge* 
rotdjen! Stile 2>icnfdjcn, aufeer il)m, roaren ibr roie leblofe ©egenftänbe 
geroefeu, £ifd)e, Stüfyle, Sdjränfe, bereit fie fidj bebiente, unb an benen 
fie fid) aud) mandjmal ftieft, bie il)r im SBege ftanben ober bie SBelt 
beforierten! 3iur Gr roar ber einige roirflid)e SPJenfd) für fic geroefen. 
9lod) ntcfyr, er roar ba£ Sid)t, burd) ba£ fie felbft bie ©egcnftänbc erft 
erfannte! — Unb nod) l)eute, roo er .plöfclid) tt)r untergegangen roar, 
mußte jie fid) fagen: er roar einzig, anber£ al£ alte anberen auf ©rben. 
9lber ba$ fagt jeber bon bem (Miebten — cS ift bie uralte irrtüm* 
lidje 2Bat)rf)eit ber Siebe. — 

£) bie Seibeufdjaft, bie furdjtbare Seibenfd)aft, bie altes betört 
unb baS 3cntrum beS eigenen Seins aus bem ^Hbibibiium fort in ba§ 
anbere, geliebte berlcgt! Söer il)r berfallen, roar eigeutlid) bon Slubeginn 
3um Xobe berurteilt. Unb bod) greifen bie töridjten üßenfdjen ben 
gtüdlid), ber bie SWitgift ber Scibenfdjaft auf ben Seben^roeg befommen 
— als fei ber glammentob fd)mcr3lo£, aB töte nid)t gerabe er out 
qualbollftcu. 

SBom erften Slugenblitfe an, roo fic feinen S3rief erhalten, ftanb cin£ 
in it)t* feft: bafj fic feinen Serrat nid)t überleben tonnte unb bürfte, baß 
it)r Seben berroirft roar. 9lber baS äöic utib äöaun roar it)r uod) nidjt 
burd) ben Sinn gegangen. £ic Mitteilung f)attc fic 31t fcl)r übcrroältigt. 
Sasfar, ber il)r bi^er fo eirrä mit il)r roie bie eigene Seele erfdjicnen, er 
l)attc fid) bon il)r lofgefagt unb roollte eine anbere 31t feinem jffieibe machen! 
Sie t)atte feinen SSricf im erften, auflobernben entfefcen entarocigeriffen unb 
berbrannt, al§ bürfe bic Sonne bicS Rapier nidjt befd)einen, aB fei ber 
Snfjatt berniditet, roenn ber SJricf nur erft 31t fd)roar3en gloden bcrfol)lt 



Siegerin §eit. 



27 



märe. 9(ber fic Gatte jebe£ SBort im $eraen behalten, e§ brannte nun 
in ihr fort . . . £), bie Schmach, bie er über fie gebracht hatte! Sie 
richtete fid) auf unb marf fid) bann mieber nieber. 

Unb jeber mu^te e§, jeber mürbe fie bemitleiben! ©inen 9tugen* 
blitf malte fie fid) bie unmürbige Stoffe au§, bie er ihr augemutet hätte: 
(Sie foffte ihn mieberfefjen unb bie aubere neben ihm. Sie foffte ben 
$o£f t)odb^aTten unb heucheln, heucheln bis an ihr ©nbe. Unb marum? 
aßeSroegen? Um Leiter 51t leben? ©in ßeben ohne Sonne! . . . 
9iein, ber Slranfe, bem fie ftdf) geopfert, mar tot, biefer 33eruf mar er* 
Iofchen, fie burfte fterben, benn ßaSfar mar ihr baS ctn3tg SBertboffe am 
ßeben getuefen; ihre gan$e geiftige ©riftena mitreite in ihm; für ihn 
I)atte fie gebadjt unb gelefen, für ihn auf äffen it>r erreichbaren ©ebteten 
ntenfdjlichen SBiffenS fid) unterrichtet, burdj ihn unb für if)n teilgenommen 
an ben pofittfdjen Seftrebungen ihrer Heimat £)l)ne ihn gab eS über* 
hau^t nichts, maS be£ 9ttmen3 mert mar . . . Sie hatte fein eigenes 
©ein, loSgelöft ton bem feinen, fie mar nur bie 9?uff hinter bem 3äf)ter 
gemefen — ber Wtann, ber fchreiben fonnte, fie foffe ruhig töeiterleben, 
ber h^tte nie geliebt, hatte auch nie gefühlt, ma£ er ihr mar! ^hni 
fdjten bie Siebe nur ein ©lühlidjt, baS fid) nach 93ebarf abbrehen lafet, 
ihm mar fie nie bie feurige ©lut beS SBulfanS gemefen, bie atteS uieber* 
macht, maS fid) ihr entgegenftefft, unb bie affein ba£ SafeinSredjt hat. 
Stöten hätte fie ihn eher fönnen, als ihn je mieber mit 3tugen fehen, 
je mieber feine geliebte Stimme hören . . . Stein, baS fonnte fie nie 
ttneber! Sie fagte gana unbemufjt mit lauter Stimme: „Wiemals!" 

9Wod)ten auch anbere ähnliches erbulbet haben, fie fonnte eS nicht. 
©S gibt ÜWenfehen, bie nicht feige finb, bie nicht alles auf ßrben hin= 
nehmen, fonberu bie laut fchrcien: „XieS nid)t, bieS bulbe id) nicht! 
#icr hört baS 9?edjt bon euch anbern auf, hier bin id), hier gelten nur 
meine eigenen ©efefce!" 

©r hatte fie bod) nie gefannt, baß er ihr baS au bieten magte. 
Sie foffte auf bemfelben ©rbbaffe mit ihm meiterleben, nad)bem er ihr 
bie Schmad) beS 23erratS angetan? SBie hatte er fid) baS möglich ge= 
bacht? Die gefchriebenen ©efefce ftrafen freilich nur ben SWeinetb, ber bor 
gremben öffentlich begangen mirb, nid)t ben SWeineib, ber an ben ßiebften 
unb Sttächften unter bier Stugen ftattfinbet, felbft menu er eingeftanben, 
menn er hunbertfad) mieberholt unb ermieftn ift. Stber mie muf$ eS im 
©emiffen eines SWanneS auSfehen, ber affeS bon einer grau auf £reu 
unb ®laubcn nimmt unb fid) nid)t flar macht, baß er nur burch beS 
Sebent Eingabe bafür fahlen fann? 

$attc ßaSfar benn nicht gemuftt, bafe fold) ein SBerfjältniS eingehen, 
heifet, fich für immer beS 9tecf)tS auf fid) felber begeben? 6r hätte fid) 
totfehießen foffen, menn er fie nid)t mehr liebte, baS mar ber einjige 
StuSmeg, ber ihm, meun er ein ©hrenmann, übrig geblieben. SBärc baS 



28 



ITCtte Kremnttj in Berlin. 



für fie leidster gcmefen? ©ie fann nach. %a[ 2)ann märe fie tönt 
ohne SBerameiflung inS Vichts gefolgt . . . Son ber uubemu&ten Ulatitr ge* 
tötet an merben, ift erträglicher als bon bemühter SBifffür fterben. — 
©S mar bunfel im 3ircimer gemorben. $ortenfe £rcf$te bie $anb 
bor bie 2tugen, unb fchmarae 2Bolfen fielen bor ihr niebcr, mie glor, ber 
um Seidjenmagen meht . . . ©ine unbegreifliche 2tngft bemächtigte fidj 
ihrer. SEBie grauenhaft ift bod) bie lange Stacht beS TobeS, aus ber eS 
fein ©machen gibt! 2)rüben lag ihr armer, erlöfter Sranfer, unb hier 
fie, bie ©rfdfjlagene! Umfonft fagte fie fich, baß fie nichts mehr fehen 
unb fühlen mürbe, menn fie erft mirflich tot, mie er; bie entfefeliche 
Übelfeit fteffte fich mieber ein mit einem ©efühl ber Sähmung. Slber 
fie burfte nidjt ruhen, fie burftc nicht mie anbere marten, bafe ein Un* 
gefähr fie bom Seben erlöfte, fie mufetc fich felbft befreien, nichts mürbe 
ihr erfoart. £), fönnte fie fich nur einfach hinlegen, bie Stugen fdjliefeen, 
unb eS märe bann borbei. 

VII. 

Schon mehrere 2J?ale hatte man Ieife an ber Tür gerüttelt. ©S 
mar fidjer Sannt), bie ihr Sicht bringen mollte. (2ie machte ba brausen 
für fie. ®urch $ortenfe aog ein h^ifecr Strom bon Siebe für bie 
rührenbe Treue unb Eingabe biefer aftenfdjenfeele, beren cinaiger Inhalt 
fie felbft mar, unb ber fie nun ihren Slbgott entreißen mürbe. Stber auch 
ein leifeS 2)?itleib mit fich felbft mollte fid) einftetlen. Sie fah fid) in bem 
Sichte, mie fie ihrer alten Wienerin erfdjien. 2>od) fie mieS bteS Sftitleib 
energifch awnief, e$ mar beräcfjtlich. Sie fprang auf unb öffnete bie Tür. 
Stufter ber fleinen berfchleierten Samt>e bradjte Sannt) auch ein Tele- 
gramm, baS fie forgfältig auS all ben Rimberten, bie eingelaufen maren, 
herauSgefucfjt unb gefunben hatte . . . 

©S mar bon #enri, bon $ortenfeS @ol)n. Serftohlen fah S^tm), 
mährenb fie eS ber 2)?utter reifte, auf biefe; unb maS fie fah, gefiel 
ihr nicht; aber auS feinem Sfrauentaft ging fie mortloS mieber fort. 
•Koch fonnte fie nichts tun, aber lange burfte bieS nicht bauern; fie mufete 
greunbe unb Sßermanbte au ihrer Herrin hineinlaffen, allein burfte biefe 
nicht nod) einen ganaen Jag bleiben. 

$ortcnfe erbrach baS Telegramm unb laS, baft ihr tief erfd)ütterter 
Sohn am übernächften Tage fdjon in Taarigrab eintreffen mürbe. ®er 
erfte ©ebanfe $orienfeS mar, baft Sannt) ihr bieS Telegramm abfichtlid), 
als eine Slrt ©cgengift gegen bie SSerameiflung fofort gebracht hotte. 
Sie fchüttelte leife ben Sopf: „£u irrft bich, SannV' fagte fie halblaut 
©inft, als er noch auf ihrem Sd&ofsc lag, ba hätte fie mohl atteS er* 
tragen, um ihn nidjt m miffen, einft, als feine fleinen füften 9trme fich 
um ihren jungen £alS fchlangen, ba hätte fie bie Söffe burdjmanbert, 



Siegerin Seit. 



29 



nur um if)n au fd)üfeen, um fein Däfern au behüten! . . . 2t6er iefct? . . 
<£r mar if)v fremb gemorben. SEBaS tön freute, berftanb fie nid)t, ma§ 
il)r mert mar, beradjtete er in jugenblidjer Übergebung, ßr mar nidjt 
iör Sinb, meber mit üjren 33oraügen nodj mit ifyren geilem. @r mar 
ba£ ©benbilb irgenb eine§ fetner SBotfaljren; fie Ijatte einen Seim belebt, 
<m bem fie felbft nidjt Seil Ijatte. 2)a§ ßinb, ba§ fie au§ ifjrem 93lute 
genährt, mar emberen ©eifteä al§ fie felbft. (Seelenlofe Vermittlerin bon 
einer Generation jur anberen mar fie bei biefem -Katutprobuft gemefen. 
S*)r ßinb, mie fie e§ fid) gemünfdjt, ba§ mit leibenfdjaftlidjer Siebe i&r 
angefangen I)ätte, bem fie 2Kutter, (Sdjmefter unb greunbin augleid) ftätte 
fein fönnen, ba£ affe§ mit iljr geteilt fötte, baä mar biefer fdjöne, ber- 
fdjtoffene, leibenfdjaftSlofe junge 2)?ann nicfjt, ber bem 93Iute nadj iljr 
©ofn mar. Oft fam er ifyr reifer unb fertiger bor, aB fie felbft mar. 
23ieffeidjt mürbe unter feinen Sftadjfommen einmal ba§ ®inb geboren 
tüerben, ba§ if)r $inb ber (Seele unb be§ @eifte§ märe! 3tber e§ mürbe 
bann ofjne fie burd)§ ßeben gefen, mie fie burd)§ ganje ©rben- 
luanbcrn fid) umfonft nadj il)m gefeint. 3Bie tragifd) fdjien ifr ba§ 
3Wenfd)enIo§: nie finben fidjlfjienieben bie, meldte fid) berftanben, fidj 
gegenfeitig ©Iüd gebracht hätten. . . . S)arum ift'§ ja fo leidjt $u fterben. 

$ortenfe Welt bie £>e£efdje immer nodj in ber $anb. (Sie Ijatte iljren 
©ebanfen bennodj eine anbere Stiftung gegeben; fie mar bodj nidjt fo 
allein unb Ijilfloä, mie fie fid) borljer gefüllt, fie f)atte einen (Sofjn! ©in 
töefifc ift eine SBaffe . . . $enri foffte fie räd)en! . . . (Sie ftanb auf, fie 
burdjmafc ba§ 3intmcr. Sie molltc fid) nidjt abfdiladjten laffen mie ein 
^utm, ofne gu auden, oljne au fd)reien — nein, menn fie ftürbe, fo 
foffte if»r S3Iut über iljn fommen! 9tuge um 9(uge, um 3^n! 

SJiie tjatte fie #!jnlid)e§ empfunben, mie ein SEßogen ging e§ burdj ifren 
ganaen Sörper. (Sie ftarb, bamit er litte! (Sie entflog allem, ma3 e£ 
an S3itterfeit unb Seib auf ©rben gab, bamit e§ affe§ über ifn fäme! 
^a, ba§ mar ber Xob, ber iljr aufagte, ein ftolaer, fefrer* Xobl SSon 
bem ©rouen ber fdfjmaraen 9?adjt empfanb fie nidjt$ mef)r, nur bom 
Striumplj beä ttbermunbenljaben§. SBunberbar leidet murbc if) r. 9tiemanb 
fonnte iljr meljr etmaS antun, fie mar allem entflofjen. 

(Sie fefete fid) nieber unb fdjrieb in ber erften ©rregung an Sa§far: 
„2)u benfft bieffeid)t, icfi bin geftorben, um mid) auö beinern 3Bege 
Sit räumen, bamit ber s #Iafc, ber mein mar bor (Sott unb ben SDlenfdjen, 
frei merbe für eine anbere? 2)ann f)aft bu mid) fdjledjt gefannt! %d) 
fterbe nur, um midj an bir au räd)en, lebenb f)ätte id& e3 nid^t bermod&t. 
Du faft mid) in§ $era getroffen, unb meifct bu, rooburd) am tiefften? 
S)afe bu nidjt einmal mufeteft, ma§ 2)u mir tateft, bafe bein SSerrat mid& 
tötet ..." 

SB&ie tärtd&t, fo etma§ nieberaufefreiben! @ie a^rrife ba§ 93Iott. 
SWan Ijanbelt, o^ne au reben, menn man cntfdjloffen ift. 3öortIo§, ol)ne 



50 



— IHtte Kremnttj in Berlin. 



9(bfd)teb tuoUte fie fdjeiben. SBic ba§ 33Iut ibr burd) btc 2fbern jagte — 
aber Mb mürbe e§ ftiff fteben„ balb mürbe fie e£ meiftern. -Sie emp» 
fanb ein ©efütjt ber geinbfeligfeit gegen ibr eigene^, fodjenbeS, braufen« 
beS öeben. 

Sie fieberte. . . . äßaä madjte c$, ibr ßot>f toar flar, fie tuufete, 
toa3 fie ibrem Sobne fdjreiben tooffte; atfe Briefe ßaäfarä, bie fie bisher 
aU ibr gröf3te§ Heiligtum aufbetoabrt battc, toollie fie ibm auäbänbigen 
Iaffen. @r fottte fie rädjen. Stber nid)t auf bie übliche, tribiale äßeife, 
intern er bern anbcrcn mit ber $iftole entgegenträte, nein, bei biefer 
9frt Stadje fiegt oft ber Sdjulbige! gab eine längere, feinere Stadje. 
©r fottte ba§ $era t>on 2a§far§ grau getoinnen, er fottte fid) bie Siebe 
$etta§ erringen nnb ben SKann, ber feine 3J?utter öerraten unb in ben 
Sob getrieben, bor atterTSBelt entehren. . . . 

SBie toobl tourbe ibr bei biefem ©ebanfen; fiaSfar fottte bie Cual 
erletben, bie er ibr angefügt, nnb er fottte toiffen, baft fie biefc Strafe 
über ibn berbängt Dattel 

©inen 9CugenbIirf fdjauberte fie bor fief) felbft. Sie fjatte fid) bieder 
boef) immer für gut gehalten? SBeffen ift benn ber SKenfcf) fäbig? 
Sbr fiel ba£ 2>id)tertt)ort ein: „$a£ £ier bc§ 2J?ut£, toie aufgeregt 
bon SBut, loirb felber 2But!" 3)a§ toar ibr gefebeben. Sie mar nid)t§ 
mebr al§ 5urücfget>ret5te Sßut — unb bie§ ©efübl entfprang ibrer beifeen 
verratenen ßiebe. 

VIII. 

(53 fear jefct 9?ad)t. Sannt) fab, bafe ibre Herrin nidjt aured)nung§* 
fäbig toar, aber fie toufete nun genau, mober. Sic S^afccn auf ben 
Säcbern fdjrien c£ au§; mie bätte fie eS nid)t erfabren fotfen! SBenn 
fie „$fam" aud) nie getraut, ba§ mar mebr, alz fie für möglid) geboten. 
9Bte fonnte -er fo mitleibSloS fein unb #ortenfe in einem foId)en Sfugen« 
Wide berlaffen? 

©in J>aar SKonate bätle er bodj marien formen! Sie ganje Stabt 
fragte fid): „2Ba§ mirb fie tun?" 3fud) Sannt) badete nidjtä anbere£ 
mebr ate ba£. Sic fdjlid) bie Xveppe biiicuif unb borgte an ber einen 
2ür, fie fdjlid) fie lieber binab, um bon einer anbcrcn Xxcppe au3 am 
Sd)Iaf8tmmer ju laufdien. 3Bie fie ben SWann bofete, ber bieS Unglürf 
auf bem (Setuiffcn batte! 9?ur Sine b^fete Rannt) nod) mebr: bie, um 
bie er e£ getan, bicä SWäbdjen, ba£ ibn burdb alfe ftünfte berüdt, unb 
ba£ ibm ibre $anb angeboten ftatte ! Xie ganse Stabt tmifete, bafe er 
fonft nie an eine $cirat gebadjt bätte. 

^n ^ortenfe^ 3i^nicr tourben Scftranftürcu auf unb augcfcbloffen, 
Rapiere aerriffen — e§ bcrrfd)te trenigftcuä nod) Scben brin; gann^ 
feblicb bie 2rcWe lieber binab, ba ertönte i)Iö^Iid) bie Klingel, bie fie 



Siegerin §ett. 



3* 



rief. Sie mufete nidjt, ob ftc fidj freuen fotfe ober nidjt, i&r aitterten 
ade ©lieber in bangem 33orgefül)l. 

£ortenfe lag in einen meifcen Sdjlafrocf gemicfelt mit funfeluben 
2tugen unb brennenben Sßangen auf tfjrem 33ett. Sie faf) fo jung au§ tote 
al3 3Köbdjen; eine merfroürbige Seränberung mar mit ifjr borgegangen, 
gannt) trat an fie fyeran unb füßte ifyre £anb; ertjob $ortenfe ben 
ßberförper unb umarmte bie Wienerin. 6§ gefdjal) jum erftenmal 
im Seben. 

„®u gute Seele/' jagte fie unb legte fidj bann lieber jurücf in 
bie Riffen, mäfyrenb gannt) su meinen begann. 2)ie £atfacf)e, bafc 
$ortenfe fie umarmt fyatte, jagte ber feinfinnigen grau mef)r aB alle§; 
bieS mar ein Jlbfdjieb für$ Seben. 2lffe3 mar borüber — - — 

9?acf) einer äBeile begann Sortenfe: „Wimm bie£ sßafet, um e§ 
faäter meinem So^ne einauljänbigen ..." 

„grau 33aronin," ftiefe Sannt) entfefct fjerauS. 

„Sei ftttr, bu mei&t, bafc e§ fein mufe ..." 

„9iein, nein, nein," ftö^nte btefe. 

„gann^ bu mirft mein Vertrauen nid)t äufd&anben madjen, bu bift 
treu, nidfjt mafjr, bi§ über ben £ob I)inau§<?" 

„5a, ta§ bin id), aber idj bin Diel älter al§ Sie, unb barum flefje 
idf) Sie an: warten Sie, märten Sie nur, e§ bergest, e3 fommen nod) 
beffere Seiten!" 

„3Ba§ fönnte fommen? 9iid)t3, baä mid) freut. 9?ur ber £ob. 
#ör' midf) an, icf) fefce übermenfd)lid)e§ SSertrauen in bief) ..." 

Sie Wienerin naftm fid) gufammen, aber bie Serameiflung mar 
ftärfer al£ atte§; fie fcf)lucf)ate fjeraaerbredjenb. 

„2)u barfft e§ nie jemanb fagen, aud) nidjt, menn fie bicf> bor 
<Serid)t ausfragen fotlten. 2>ie§ Sßafet ift nur für meinen Sotjn, unb 
bu gibft e§ iljm erft nadj meiner Seerbigung." 

Sannt} ftöf)nte laut bei bem SBorte, ©ortenfe fuftr unbefümmert fort: 

„Sd) laffe aud) anbere 93riefe surüdf, niemanb fommt meinetmegen 
in Ungemach, atte§ ift flar bargelegt. 9tbcr man mirb meine Sadjcn 
bieffeid&t berfiegeln, unb barum mufet bu fd)on fyeut nad&t bie§ $afet 
an bidj nehmen unb aufcertjalb be§ $aufe§ in Sid)erf)ett bringen — — 
— biefleicfjt au beiner Scftmefter?" 

„2lber ber junge #err," unterbraef) Sannt), „fjaben Sie gar fein 
SMitleib mit if)m?" 

„Kein, er braudjt mid) nidjt, er liebt mid) audj nidjt. . ." 

„grau 93aronin! . . ." 

„Unb menn man felbft nidjtS auf Erben mefjr liebt, getjört mau 
nid)t unter bie SKenfdjen . . ." 

„£), ®ie lieben fo biete, Sie lieben ja a(te§, Sftr ganacS Sein ift 

*otb unb 6flb. CXX. 358. $ 



32 



mite Kremnitj in Berlin. 



Siebe unb ©üte, Sie toiffen e§ nur nicf)t, e§ ift §eute oECe§ berfd&oben, 
umnadjtet toorben ..." 

ift atteg geftorben — mit ifcm" — ganmj tou&te h)ol)l, bajj 
i§re £errin nidjt ben tnirfttdö 5£oten meinte — „bie ©eele ift fort, nun 
folgt ber Körper gana naturgemäß" 

@ie fpradj e§ tvofjl meljr für fidf) aB für bie Wienerin. Dann 
glitt fie bom Bett hinunter, ergriff eine ßaffette — in ber fie fonft i&re 
SSorräte an Briefpapier au betoafyven pflegte, unb bie ie&t umbunben unb 
berfiegelt toar — , gab fie ber Wienerin in bie $anb unb fagte: 

„Sßun eile, nimm bie erfte befte ©rofd^fe unb bring bieg gu beiner 
©djtrefter" 

„Öd) Jonn grau Baronin nidjt allein Iaffen! Unb bort ift oKe§ 
Iängft berfd&Ioffen." 

$ortenfe madjte eine beratoeifelte ©ebärbe. — „Dann nimm e§ 
unten in bein Sintmer, in beine Sirupe, aber berfted'' e§ fidjer, bieffeid^t 
f)ält man #au§fudjung, toenn ba§ ©erid)t bie (Siegel anlegt." 

Die Dienerin fonnte barüber feinen Befdjeib geben, aber fie fagte: 
„Die§ ttrirb nie in jemanb§ ©änbe fommen aU in bie be§ jungen $errn, 
ba§ fdjtoöre id) S^nen heilig, belegen fönnen @ie rufjig fein." 

„Unb gib e§ meinem ©ofjne nid)t 51t früf)! 9tun geJj, unb fomm 
toieber, menn id) ffingle. $örft bu, nid)t au frül)!" 

„$errin" . . . fagte Sannt) in angftboll bittenbem SEon; $ortenfe 
fd)üttelte ben Sopf. ... 

Die alte ©etootmfjeit, il)r ben SCBillen au tun, fiegte. Sannt) ent- 
fernte fidj unb Ijörte, ttrie bie £üre hinter ifyr berfdjloffen tnurbe. @in 
(Sdjauer überlief fie. „©rofeer ©ott!" @ie fanf mit tränenüberftrömtem 
Stntlit^ auf ber SEreppe in bie Jtniee unb bat ben Herrgott, nichts 
©djIimmeS gefdjeljen au Iaffen, tßre Srau bor bem Äufeerfien au betrafen! 
®aum aber mar fie unten unb fiatte bie Raffelte berftedt, aI3 ifjre Stngft 
fie trieb, auf Rettung 51t finnen. . . . äßen fonnte fie Ijolen? 3Ba§ 
fonnte fie tun? $ortenfe Ijattc eine hrirflidje greunbin unter all ben bieten 
@d)ein*3rcunbinnen, au ber toottte fie, toottte grau SHeri au§ bem 
Bett ftolen unb Ijerfdjleppen. Sie burfte fidf) aber nid)t entfernen, 
$ortenfe fonnte fie rufen. @o fdjrieb fie ein paar SBorte auf einen 
Settel, toedte einen ®ned)t unb fdjidte ifyn eiligft au grau SRinifter SWeri. 

Sannt) tüu&te ein§: e§ Ijanbelte fidj nur barum, Seit au gewinnen. 
SKorgen toürbe $ortenfe e§ nidEjt meljr tun, morgen toürbe fie an ifjren 
©ofjn benfen unb fid) felbft toieber finben. . . . 

$ortenfe Ijatte fidj ein Sid)t angeaünbet, nadjbem Saunt? fie ber* 
Iaffen, unb tnar mit iljm in ba§ gro&e JBoIjnaimmer gegangen, ba§ neben 
iljrem ©djlafgemad) lag. Diefer Staunt toar i^r immer fo lieb getoefen. 
@ie fefcte fidj in ieben ©tufil, an ben fid) eine ©rinnerung fnüpfte — 
^ier featte er gefeffen, aB er i^r au§ $Iato überfe^te, bort Ratten fie 



Siegerin geit. 



33 



nebeneinanber, £anb in $anb, über feinen Photographien ciu% ©rieben* 
Ionb geträumt — bort hatte er fid) gefdjaufelt, al§ er ihr feine lefete 
Siebe borla§! ®ann ging fie auf unb ab, — noch bor wenigen SEagen 
mar fie hier an feinem 2lrm gegangen; fie trat an jebe§ ber fünf genfter. 
— äßie oft hatte fie hier ben erften gelben Streifen Sftorgenglana erblicft 
nnb ficf> feiner gefreut; jeber aufgehenbe Sag lodft fo berheifeungSboll! Uiod) 
mar e§ finfter, aber im ®eift fah fie ben SKorgen anbrechen. SBie eigen! 
®a3 erfte faf>Ie Sicht mürbe ade biefe SDinge, — fie fal) fidj um — bie 
£apcte, bie (Seffel, audj bie fleinen giguren unb SSafen, befdjeinen, nur fie 
mürbe e§ ntd&t mehr' erreichen, nie mehr! ©ine (Sehnfudjt nadj einem etn= 
Bigen Sonnenaufgang motlte fie befdjleidjen . . . SBie e§ hier mohl auSfah, 
menn ihr 9Iuge bie Oegenftänbe nidjt mehr ftreifte? Oenau fo? Smmer 
genau fo tt)ie jefet? SRur fie märe fort! Se£t fah fie fidj baamifdjen, 
bahinter, mie fie morgen fein mürbe, mit gefdjloffenen STugen, ftarren 
©Uebern/ im mei&en SWorgenf leibe. . . . Unfinn, ba§ mar ja gar nidjt 
mehr, nidjt§ mar mehr, menn fie e§ nidjt fah, ba alle§ nur in ihrer 
eigenen SSorftellung beftanb. 2tucf» tt)r Ungtücf mar nur in ihrer eigenen 
©tnbilbung borhanben; menn fie biefe bernidjtete, mar e§ audj fort. 2)arum 
tat fie e§ ja. 9?ur nidjt mit fidj felbft fentimental merben. (So biele 
SKiHiarben äBefeu finb gemefen unb bergangen; fie mar bodj nur eine§ 
unter ungähligen, ma§ grübelte fie über ihr ©ein unb Sftidjtfein? 2)?an 
merft'3 nidjt einmal im 2tmeifenhaufen, ob ein .paar 2)ufcenb mehr ober 
meniger finb. 

SDWt feften (Schritten ging fie über ben fleinen glur in§ nädjfte 3inimer, 
ipo ihr armer ®ranfer, bem fie smanatg Söhre (Sonnenfdjein unb 33or« 
feijung gemefen, nodj unberänbert, fo, mie er geftorben, erlöft ba lag. 
<Sie füfete ihm bie falte (Stirn unb ftreidjelte über feine $anb. SfBie 
burfte fie flagen über ein berlorene§ SDafein, menn fie boef» einem Sflfit- 
leibcnben über ba§ fdjmere @rbent>ilgem fortgeholfen hatte? 9iein, ihr 
Sieben mar gefegnet gemefen, unb menn e§ nid&t einmal gang bierjig 
Öahre gemährt hatte, fo mar e§ bod) föftlidj gemefen. (Sie hotte fidj 
immer bor ben SSier^ig gefürdjtet, e3 mar ihr eine fo unfdjöne, un^oetifdje 
3al)l/ mie gut, nun hatte fie fie an Sfafaen menigften§ nie erreicht. 

(Sie ergriff bie glafdjen mit 2ttort>huim, bie nodj am fflette ihre§ 
5D?anne§ ftanben — fie hatte einmal gehört, bie SBirfung be§ ©tjanfali 
mürbe befdjleunigt, menn man Vorher 3Wort>hinm genommen. (Sie mollte 
fo fchnelt mie möglid) über ben 5£obe§famt>f fortfommen. ßtymfali 
befafe fie nodj au§ ber ®rieg§aeit. ®amal3 hatte ßa§far e§ ihr gebracht 
unb babei gefagt: man miffe nie, ma§ gefchähe, bie Seiten feien unruhig, 
©cfahr brohe, unb lebenb bürfe feine fd)öne grau in bie $änbe ber 
93afd)ibufuf§ fallen! @ie badete an jene (Stunbe surüdf; bamaB, bor gehn 
Sahren, hötte er fie mohl nod) fd)ön gefunben unb fid) für fie geängftigt? 
Unb fchliefelid) mar nun er felbft — fie mufete lächeln — ber fflafchtbufuf, 

8* 



3* 



ITXtte Kremnitj in Berlin. 



ber fie in ben Xob trieb! SBie bie Seiten affe§ berfdjieben unb berbrebenf 
Sittel, ma§ für fie gemefen, fpradj nun gegen fie in feiner Seele. 
Unb fo traurig lädjelnb löfte fie ba§ ©ift in SBaffer unb fab nach ber 
Uhr — e§ mar furg bor 3mei. Sie Idjlof} bie £üren mieber auf, legte 
fid) auf ihr 93ett, brüefte ftarf mebreremal auf bie Klingel, bie baratt 
befeftigt mar, unb fdjlucfte ba§ ©ift gierig hinunter. — 

311$ gannt) mit attternben Snieen bie £reppen hinauf inä Limmer 
ftürate, mar alle§ borüber, ba§ $era fdjlug nicht mehr. 

Unten ftingelte e§, mie um £ote au ermetfen Natalie SWeri mar 
e§, bie au ihrer Sugenbfreunbin ftürate, bie e§ nidjt glauben mottte, aud> 
aU fie bie ftarre $anb hielt. Sief), märe fie fünf SKinuten eher ge- 
fommen! — 

Die böfe SEßett meinte, grau 9ftert habe eigentlich Xoleabu auch öe* 
liebt, jebenfattS ftiefe fie jefet fo leibenfdjaftlid): „ber SWörber" berbor, al§ 
fpräcfje eigener $afe, nicht allein Sftitgefübl au§ ibr. Dabei ftettte fie 
33elebung3berfudje an. Sie batte bie Stranfenpflege erlernt, unb nichts 
blieb unberfuebt. Die Diener maren nach äratlidjer $ülfe in alle Steile 
ber ©tobt gefanbt, ba§ #au§ mar tagbell erleuchtet, ber Sßoliaeibireftor 
felbft erfebien, benn bie gan3e Strafte mar alarmiert, ebe ber SWorgen 
graute. %m #aufe berrfebte ein mirreS Durdfjeinanber ber aablreichen 
Dienftleute, mabreS ©ntfefeen bei bielen, bie au biefem alten SBojarenge* 
fdjlecbt in Seaiebung geftanben hatten. Da§ ©erirfjt befcblagnabmte bic 
am SBett ftebenben fjlafdöen unb bie borgefunbenen Söriefe, überall mürben 
Siegel angelegt. Seife flüfterte man bon ber 9?otmenbigfeit einer 
Slutopfie. — Sie aber, bie unglütfliebe grau, mar bem fieben unb feinen 
Sdjredfen entflohen; ganmj berftanb fie in biefen Stunben. SBie ent* 
fefclid) fonnte bodb ba3 ßeben fein! ßauter fich miberftreitenbe ©efüble 
unb ^ntereffen. 

IX. 

^m ßanbtage mar bor brei Jagen bom ^übter ber Cppofition eine 
fenfationelle Interpellation megen SelbftmorbS eine§ Solbaten eingebracht 
morben. Da bie fjrift au ihrer SBeanimortung abgelaufen mar, mufete 
ber SriegSminifter beute feinem ©egner Siebe ftehen. 6r perfönlid) mar 
ficherlich in feiner SBeife für biefc§ SWanneS Job bcranimortlich &x machen, 
menn ber 93erametflung3aft auch burefi eine Ungeredbtigfeit hervorgerufen 
morben mar — foldje Unglüdföfäfle fommen letber in allen beeren bor. 
Die Settungen mie bie Vertreter ber Cppofition im ßanbtage führten 
jebod) fchon lange eine Sprache, al§ hätte ber ihnen umfompatbifebe 
ßaäfar Joleabu perfönlicb biefen Satt au beranimorten, als müfete bie 
Regierung augenblidflicb aurüeftreten, ba ihr ganae§ Softem nun gebranb* 
marft baftebe. (53 mar bie mittfommene SÜBaffe 3U einem SPorftofe gegen 



Siegerin geit. 



35 



Sie Sßartei, bie fich am Stuber befanb; an ben armen ©olbaten, ber bie 
SSeranlaffung jum Siebeturnier geben fottte, bachte man faum mehr. 

3)a biefe Interpellation £age nadj ihrer Verlobung ftattfanb, 
tpar $ella natürlich entfchloffen, ber Sanbtag§berhanblung beiautoohnen, 
ja, fie füllte fidf) gehoben burtf) ben Oebanfen, bafe fie „baau gehörte". 
SaSfar tjatte tfoav fdf»on früher ihr gegenüber bieje ganje Stngelegenheit 
mit fpöttifdfjem Säbeln abgetan, aber ihr SJruber meinte, e§ toürbe eine 
intereffante Sifcung toerben. 9Zach Stnficfjt ber £)ppofition§aeitungen ftar 
ber forrefte hochmütige ®rieg§rninifter eine SIrt Verbrecher. 

2tl§ $e£la mit ihrer @<hroägerin Stnna, bie fich für bie beborftehenbe 
IRebcfchlacht mit 3?iechfläfchcf)en unb einem großen @acf S3onbon3 ge- 
wappnet ^atte, in ben <5aal trat, toar SaSfar SEoteabu noch ni<f)t einge- 
troffen; bie übrigen SWimfter aber toaren boffaählig berfammelt. $eHa 
tpar etroaä enttäufcht bon ber 9Mf Übertretung; fie hatte fidf) bie 33er* 
fammlung feierlicher, ba§ ©anae großartiger borgeftellt. 2lnna aber, bie 
nicht aum erftenmal ba mar, bemerkte eine ungewöhnliche Unruhe. SBar 
c§ nur, toeil ber ®rieg§mimfter fich berfpätete unb man bie§ bon (Seite 
ber Stbgeorbneten aB eine Iftichtachtung beutete? $eüa mufterte hoch* 
mutigen a3Iide§ bie ganae SBerfammlung, bie ^oumaliftentribüne — hier 
machte man bie fogenannte Sßeltgefchichte? g§ festen ihr lächerlich. 

©ine S3iertelftunbe fpäter aB fonft eröffnete ber $räfibent bie 
©ifcung, berfünbete bie S&tgeäorbnunß — eben jene Interpellation — 
bann ftanb einer ber SDtinifter — e§ toar SReri — auf unb erflärte, ber 
ÄriegSminifter mürbe fofort erfdjeinen, man t)abe fdjon nach ihm gefcfjicft. 
©in Deputierter meinte halblaut, £oleabu§ eleganter SBagen — eine 
sjielfdjeibe be§ Spottet — fei bielleicht aufammengebrochen, unb in eine 
3)rofcfjfe fönne ein fo bornehmer Sffiann boch nicht fteigen — xoc& man 
tuie einen 2Bifc belachte. 9lber ba3 Sachen hörte balb auf, man flüfterte 
etoa§, unb bie§ glüftern, ba§ immer weitere greife ergriff, bilbete fdjliefc 
lieh eine Slrt Sltmofphäre, ttrie eine Slauch» ober ©taubtoolfe, bie burdf) 
ben ©aal fchtoebte. $ella§ Sippen hatten fich gefräufelt, aB fie bie 
olbeme S3emerfung über be§ gürften äBagen bernommen hatte, iefct be- 
gannen ihre SBangen gu glühen, aB ihr ©ruber mit fdjlecfjt berhehltem 
©ntfefcen an bie Xribüne herantrat unb feiner ßrau ettt>a§ auflüfterte. 

„S3a§ ift gefchehen?" fragte ©etta fcfjnett. 

„SfächtS," entgegneten Slnna unb Stlejanber nrie auf SSerabrebung. 

„SBarum Iäfet Sfürft ßo§far auf fich toarten?" fuhr $eHa ungebulbig 
fort, „ihm ift toohl ein Unglüdt augeftofeen?" 

„Slber ich bitte bidfj," fagte 2Hejanber, „er ttrirb im Sttugenblicf hier 
fein. @ei boch fein $inb!" — 

Stuf ber anbeten Seite ber Tribüne" ftanben atoei sperren. $etta 
hörte beutlich in ihrem erregten ©efprädj ben tarnen ber Saronin 



36 



mite 



Kremnit} in Berlin. 



2>oImo unb ben 2a§far3 — adj, nun mufete fie Sefcfjeib, fein Setter 

Salmo,. beffen Unglüd if)r fdE)on borgefterrt ben SSefud) be§ Verlobten 

geraubt, unb ber geftern geftorben mar, ftanb in irgenb einer SSegielnmg 
gu biefer SSeraögerung. 

3)a§ Protofoll ber legten ©ifcung mar beriefen morben, barauf 
einige ber eingegangenen Petitionen; ber größere Zeil ber Stbgeorbneten 
E)atte fid) in bie (Sänge begeben, um au raudjen, einige, bie auf ifyren 
Plänen geblieben, erlebigten ifyre Pribatforrefponbenaen . . . ©nblidj ging 
eine f)örbare Semegung burd) ba3 £au§, ade fefjrten in ben ©aal %uvi\d 
— ber StriegSminiftcr mar borgefafjren. §efet trat er fdjon ein. 
£etta atmete auf. 

Gr mar in 3toil geFleibet, elegant mie immer, aber e§ fdjien ifir, 
x aB hielte er fid) weniger ftraff, al§ fäfye er um biele %cil)ve älter au£ 
al£ fonft. Eine tiefe Saite, bie fie nod) nie bemerft fyatte, 30g fid) bon 
ben Stugen 3um SDlunbc fyerab, unb bie 3bigenl)öf)Ien fdjienen biel gröfeer 
geworben. @ab ifym nur bie 33eleud)tung be§ ©aale£ ein fo anbereä 
3lu§fel)en? Gr f)atte bie fleine Sur, bie 51t feinem ©i^c auf ber SMinifter* 
banf führte, langfam geöffnet, fid) gegen feine Kollegen berbeugt, einige 
SBorte mit bem SKinifterpräfibenten gemedjfelt unb fafe nun äufammen* 
gefunfen, fdjeinbar teilnaftmlog ba, mäfjrenb ber Siebner feine ^ntetpetta* 
tion enimidelte. 2)iefer fpradj bon ber Tribüne unb mit großer heftig- 
feit; er mar fo maf$Io§ in feinen Singriffen, bafe $ettq Öuft befam, ben 
©aal 3U berlaffen. 2)a3 mar ja unerhört, menn eiu 9Wenfd), ber nid)t 
einmal gut gefleibet mar unb Stornieren unb ©eften mie ein Straßenfeger 
ljatte, fidö erlaubte, gegen einen borneljmen £errn eine foldje ©.pratfie ju 
füfjren! Slnna artete nidjt auf baä, ma§ er fagte, er gehörte niefit gu 
if)re§ SRanneS Partei, ©ie afe einen Sonbon nad) bem anberen. ©ella 
aber geriet immer mefjr aufter fid), aB biefem ©freier aud) nod) 33eifaff 
gesollt mürbe. 

SaSfar Xoleabu faß nod) immer bcmegung§lo3 auf feiner ÜWtnifter* 
banf. 3Kan Ijatte if)m Papier unb SÖIeiftift auf fein Pult gelegt, falte 
er fid) einige Punfte ber Siebe aur Grmiberung notieren mollte. Gr be* 
nufcte fie aber nidjt, e3- fdjien fogar, al§ adjte er überhaupt nid)t auf bie 
SBorte, al§ hielte er bie Stugen gefdjloffen ober ftarre in bie gerne . . . 
Gr Ijörte mirflid) nur bie§ eine SBort: „©elbftmorb" beutlid), er fal) e£ 
fogar immer bor fid), menn ber Stebner e£ mieber in ben ©aal fdjleuberte* 
Sn ©cfjriftaeicfjen fdjmebte e£ in ber ßuft, aber unter ifyncn lag, ma§ er 
eben erblidt, ma§ er nie meljr bergeffen mürbe, ma§ er faft nod) beut» 
fidjer füllte alä fein eigene^ Gntfefcen: §ortcnfe lag ba, falt unb fteif. 
©tunben maren fd)on bergangen, feit fie ben Ickten Sftemaug getan, 
feiner Ijatte i^n benac^rid)tigt, sufäüig mar er, mie cinft alltäglid), bei 
i^r borgefaljren, ba ^atte er c§ erfahren, guerft au§ bem SJJunbe eine£ 



Siegerin §eit. 



37 



2)iener§ ... tüte irr mar er Ijinaufgeftürät ... bog $au§ mar boll mie 
ein aWarftpIafc. ©3 fonnte nid^t maf)r fein! 2)ie Seute Ratten gefagt, 
fie l)abe ba3 2Kort)f)ium genommen, ba§ für ben $errn berfdfjrieben 
morben, ober er mufcte e§ beffer, bieg Wkovpftum mar SBoffer gemefen, 
fonnte nidjt töten — unb bod) mar fie tot — fett faft seljn Stunben 
. . . ©r machte eä fadj nidjt flar, er fonnte e§ nidjt faffen, aber er füllte, 
bafe eine furdjtbare Saft auf ifyn gefallen. 

2Bie mar e§ nur möglid), bafe fie iljm ba§ antat? 3ßa£ er if)r an- 
getan, ba§ bebaefite er nidjt; allein ba§, ma§ fie if)m burd) ifjren Seföft* 
morb bor ber äBelt augefügt! %fyn befdjäftigte nur bie Sage, in bie tfjr 
Job iljn gebraut öatte. 

6r mar ber Sfngegriffene, ber unfdjulbig Seibenbe; er fyafcte fie 
trföfclid) mie eine geinbin. ^f)r 5£ob, ein lefeter S3emei§ iljrer grofeen 
Siebe, bie er berfd)mäf)t, rüfjrte i^n nidjt etma, im ©egenteil, er empörte 
it)u, er fanb iftn unmoralifdj, feige, ©r fat) in ifym nicf)t§ al§ einen 
Sdjadfoug gegen if)n. 

. . . Sie I)ätte rutjig meiierleben fönnen, ifym mar fie nicfjt im 
3Sege. ©r fjatte e§ iljr ja fdjriftlid) auSeinanbergefefct, bafc fie ifym immer 
nod) ba£felbe mar mie einft . . . 

3Bie ftanb er nun ba bor ber ganjen 3Mt? äöte auf ber Sfnflage* 
banf fafe er f)ier, unb ba§ SBort „SWorb" fdjmebte burd) ben Kaum, 
©leidj einem SWörbcr mürbe er gerietet, unb fdjmeigenb muffte er e§ er- 
bulben; er burfte fid) ntdf)t einmal berteibigen. 

$atte fie gebadet, er mürbe bei iörem iobe in Siebe bergaugener 
Softre gebenfen, il)r eine £räne nadjmeinen in ©rinnerung an bie Reifte 
©emeinfdjaft, bte fie einft berbunben fyatteV %m ©egenteil! ©r fludjte 
ifjr, benn atte§, ma3 Siebe gemefen, mar mit ber tieuen Seibenfcfyaft für 
£ella fdjon umgefd)lagcn unb iefct in bireften SBibermitten berfefyrt. 

©r führte, bafc äffe f)ter im ©aale e3 mußten. 2)ie 9Jad)rid)t ifyreS 
£obe§ muftte fid) mie ein Sauffeuer berbreitet f)aben, ade miefen mit 
Singern auf ifjn. 9tid)t ma£ bort bon ber Tribüne gefprodjen mürbe, 
bel)crrfd)te bie (Stimmung, fonbeert ba£, mag in beu fersen ber SNenfdjen 
lebte, eine blinbe, unbernünftige geinbfdjaft gegen if)n, eine ©mf>örung 
berer, bie nur bie Hälfte ober etma§ galfdjeS mufeten. Unb biefe geinb* 
fdjaft mud£)§ an, ba fie fid) nidjt offen geigen, ba feiner garbe befennen 
burfte. 3Ba§ ber SRebner bort pomphaft fagte, gab nur ben SSormanb 
baau Ijer, er meinte etma§ anbereS, gans ctroaS anbereS, ba§ je^t frene- 
tifd) apt>Iaubiert mürbe, ^aben bie Jfoten benn immer red^tV ©^ gab 
feinen SWann in biefer SSerfammlung, ber if)n nid)t in biefem 5tugenblidte 
mttIeib§Io§ berbammte; er mar für fie atte, biefe $l}arifäer, bie meit 
me^r im Seben gefünbigt c\l% er, ein Verräter, ein SSerfemtcr, unb fie, 
$ortenfe, mar baran fd^ulb. SBie er fie fjafete! 

Sein Slad^bar fragte iEjn, ob er fofort antworten motte, ober ob er 



38 



JTUte Kremiütj in Berlin. 



hmnfdje, bafc borher eine f leine $aufe eintrete? Der Sanbtag toäre 
feF>r erregt. ©in SWnrmetn be* Unmitten3, 9lu§rufe nrie: „Unerhört, 
ganj unerhört!" fdfjienen immer lauter ju »erben; ber Stebner mürbe 
lebhaft beglütfroünfcht: noch nie I)abe er fo glücHid) gerebet, ba» SDiinifte» 
rium loäre gerietet, fein moralifdjcS Stnfehen bollftänbtg bernichtet, noch 
I)ente müffe e3 feine ©ntlaffung einreichen. ... 

ßaäcar antwortete feinen $ottegen ruhig: ©ine Sßaufe? SBogu? 
©r toiffe feit Sßochen, toa§ über biefen gall 31t fagen märe, imb wolle 
jofort antworten . . . 

$efet, tt)o e§ galt 5U Ijanbeln, mar ihm nidjt mehr bange bor biefer 
beweglichen 2Raffcuftimmung, bor ßeuten, bic er überfal) unb beradjtete. 
©r ftanb auf. Der fdjöne fdjlanfc 9Kann mit bem müben, regung&fofcn 
©efidjt unb ber aufredeten Haltung überragte bie meiften, wenn er auch 
nur bon feiner fanm erhöhten SWinifterbanf au£ fpradj. ßautlofe Stiffe 
herrfdjte. Die ungewöhnliche ©rregung gab fidj nur barin funb, bafc bie 
meiften Slbgeorbneten nicht auf ihren Spiäfeen fafccn, fonbern in bem freien 
Sftaum gtuifd^en Tribüne unb 9»inifterbanf ftanben. 

2Rit feiner leifen, aber beutlichen Stimme craählte ber Sßinifter 
aHe§, Wa§ über ben Saß 3" fagen War. Der 3uruf „ßauter!", ber 
mehrmals ertönte, machte and) nicht ben geringften ©inbrud auf ihn. 
©r gab eine furse Darftellung bc§ ©reigniffeS, bie 23erfid)erung genauefter 
Prüfung unb Seftrafung ber Schutbigen. ©r berfarach aud), fobiel 
an ber oberften 33ehörbe läge, mürbe jebe SESieberljoIung eine§ foldfjen 
Salles au§gefd)loffen fein. Dann ging er auf bie bei biefer ©elegcnheit 
gemachten atigemeinen Singriffe beS SBorrebnerS gegen bie fogenannte 
Unmoralität ber Regierung über. Igefct fdjieu e§, al£ ob er Wifeig, fogar 
farfaftifd) Würbe, ©inige lachten; er füllte, bafc er $err ber feinblidjen 
Sttmofahäre Würbe, er gebrauchte feine 3Wad)t — noch eine SKinutc, unb 
ber Sieg Wäre fein gewefen — ba flog mit einem üßale ba§ SBort: 
„SNephifto" laut, giftig, Wie ein Sßfcil au§ ben Leihen ber ©cgner. 
Dafe biefer SlWann mit foltern $ohn hier SBifee mad)en fonnte über ben 
Selbftmorb — ba§ War gu t>tel! SBat e§ nicht fein College SMeri ge* 
wefen, ber ba§ SBort gefagt? SBer e£ auerft gerufen, wufete niemanb, 
aber bonnernb, Wie ein ©rlöfungSwort mürbe c§ Don einem ©hör bon 
Stimmen Wieberholt: „3Kejrf)ifto!" — Sie sifd)ten e§ jefct förmlich 
herau§. . . . 

Der ßanbtagSpräfibent flingelte, berwieS bic Unterbrechung, ber 
SWinifterfcräfibent neben ßaöcar Soleabu würbe unruhig. Die $tfcföpfe 
ber eigenen gartet gingen augenfdjeinlid) mit ber Oppofition gegen ben 
ihnen unforn^athifchen SriegSminifter in unüberlegter Sagbluft bor, nur 
ber Stimmung be§ 3Xugenblid§ frönenb. 

$ella toar eiSfalt geworben, ihr Stola bäumte fid) auf; auch ttxir 
c§ bie erfte SBirflichfeit in ihrem Dafein. Die Saene erinnerte fie an 



Siegerin Seit. 



39 



eine ber franaöfifdjeu 9tebolution. Sie§ mar fdjon 9tufruhr, menn man 
einen SJlmifter unterbrach unb il)n foanfagen totfd)rie! (Sie hätte am 
ftebften gleich auf bie Schreier gefdjoffen. ©elbft 2tnna Sarodje hörte mit 
bem SBonboneffen auf; fie merfte, hier ging etroa§ Ungemöhnlid)e§ 
bor, fie fürdjtete fid) bor jcbem lauten äBorte unb fah beunruhigt auf 
ihren STOann. Siefer tat, ba , er nid)t mufete, tvtö man eigentlich in 
folcher Sage tun fott, nichts ; er berharrte mäu§d)enftiff auf feinem Sßlafce. 

2lnna hrieberholte in ihrer S3eflemmung aum atoanaigften SPiale: 
„SBären mir bocf) lieber %u £aufe geblieben!" 

£etta sucfte berädjtlidj bie (Schultern. 

Son ber .^ournaliftentribüne au§ mar $etta fchon lange in§ 2tuge 
gefaxt morben. ßine obffure 3citung hatte bort bie Stunbe gemalt, 
fettgebrucft ftanb obenan: 

„(Sefffationetter (Selbftmorb," unb ätoar mit fo grofeen Settern, bafe 
bie Samen nicht umhin fonnten, e§ gu bemerfen. ©iner ber ^ourua* 
Iiftcn hotte bie 2tufmerffamfeit feiner Sottegen auf $etta gelenft. 3ftan 
geigte fie fid) berftohlen. (Sie felbft hotte, folange Sa§car fpradj, nichts 
babon bemerft, aber Slnna, bie anfangt mit leifem 9Zeib geglaubt hotte, 
e§ hctnble fich um ihrer (Sdfjmägerin (Schönheit, berftaub £löfclidj, bafe bie 
SlufmerffamEeit ber fünftigen grau be§ angegriffenen SRinifterS galt. 
2Bie fonnte nur ber 2:0b cine§ einfadjen (Solbaten fo biel Sluffeheu machen! 
SBarum fottte ber 2Renf<h fid) nicht totfdjiefeen, menn er ßuft bagu ber* 
fbürtc? Sa§ einzig Unangenehme für 9tttna lag barin, bafe fie fich in 
eine Sage begeben hotte, in bie fie mirflidj nidjt gehörte. SBenn ba§, 
ma§ ihr 2ßann ihr borher jugeflüftert hotte, mahr fein fottte. . . . 

9fl§ ber 9t uf: „2ße£hifto" 31m t atoeiten unb brittcn 9ftale im ©bor 
ertönte, berftummte ber SriegSminifter. @r richtete fich hoch auf, liefe 
feine Slitfe tfuei (Sefunben lang mit unberfennbarer SBerachtung über bie 
ßeute fchtueifen, nahm bann feinen £ut, bebedtc fich, unb ohue fich auch 
nut bon feinen Sottegen 31t berabfdjieben, berliefe er in einer blöfclid) 
eingetretenen, ermartungSbotten (Stiffe ben (Saal. (Sotoie fein (Schritt 
berhattt mar, erhob fich ein $öffcnlärm, man lachte, man fdjrie, man 
applaubierte rafenb, ber ffleifatt galt feinem gortgehen. Ser Sßräfibent 
Hingelte gana ohne ©rfolg, ba hob er fura entfdjloffen bie (Sifeung für 
eine SBiertelftunbe auf. $ätie jefet, tt)ie beabfichtigt, einer au§ ben Leihen 
ber ©oubernementalen ben Slntrag geftettt: bef riebigt burd) bie ©rflärungen 
be§ 2Winiftcr3 ginge ber Sanbtag aur £age§orbnung über, fo märe bie 
SKotton mahrfdjeinlidj abgelehnt morben. @rft mufete eine $aufe ein* 
treten, bamit bie grofeen Siinbcr fid) auf fid) felbft befannen. 

Sie SWinifter hotten ben (Saal berlaffen unb fich in ih* 3"™ner 
aurücfgeaogen. Safe £oleabu fofort feine (Sntlaffung einreichen mufete, 
toar felbftberftänblich, bafe aber ba§ ganae 9ftinifterium baau berbflidjtet 
märe, mürbe lebhaft beftritten. Sie fühlten fich nicht folibarifdj: 63 mar 



40 ITXtte Kremnitj in Berlin. 

nidjt einmal bi3 gu einem 2Nij3trauen£botum gefommen. SBenn ber 
SriegSminifter burdf) unberechenbare ©inflüffe trföfclid) unmöglich gemorben, 
fo mar boch bie parlamentarifche Sage ber gartet baburdj nicht toeiter 
gefd)mäd)t. 

X. 

äBährenb feine Kollegen über bie burd) ihn gefd&affene Sage bebat- 
Herten, fuhr ßa§far nach $aufe. ßr hatte burd)au§ nicht ba§ ©efüljl 
einer i^m angefügten ®ränfung. 2Ba§ ging e£ ihn an, menn anbere 
fid) nnanftänbig benahmen? ©eine 5J?ofition mar burd) bie Staftlofigfeit 
ber ©egner nur ftärfer gemorben; fie Ratten fid) felbft in§ Unred)t ge= 
fefet unb ihm bor ber öffentlichen SDteinung einen 2)ienft erliefen. £ätte 
er gemufct, bafe Jpeffa bort gemcfen, mürbe er anberS geurteilt haben; 
bie ©cpnentribüne lag gegen ba§ Sicht; bon feinem ©ifce au£ fonnte er 
niemanb bort erfennen. Unb feine GSebanfen maren eben bei $effa, 
fragen mürbe fie fidjer, memt aud) nur fo nebenher, tüte bie ©ifcung 
berlaufen. @r faßte fofort ben Entfchlufe, ihr nicftt^ barüber mitattteilen. 
Sie mar ein ®inb unb baburc^ mohltuenb. ©ie in bie politifdjen Slämfcfe 
einaumethen, brachte ihm feinen Stufen, möglidjermcife tat e§ ihr aber 
bireft Stbbrud). äßa§ ihm aber an il)r gefiel, mar eben ihre Unbefangen* 
heit, ihr abgegrenster ©eftd)t§fret§, ihre iugenblidje, au§ Unmiffenfjeit 
herborgehenbe ©idjerheit; fie lebte in einer 3Mt, bie mit feiner Söirf* 
Iid)feit nidjtä gu tun hatte, unb entführte ihn in if)re SBelt. £a§ 
burftc nie aufhören. 2Ba3 öing ihn eigentlich aHe§ anbere nod) an, 
menn er nur £effa behielte ? 9ltte§ ©lüdf, aller ©lana be§ Sebent, ber 
grofee Stauf d) ber Statur, mürben ihm burdf) fie! .... Stur nicht ben 
$opf berlieren! . . . Stur fidler unb bemufet auf ba£ 3id lo£fteuern: 
möglidjft balb äffe Stechte an fie geltenb au machen. . . . 

3u $au£ angelangt, fefcte er fein 2tbfd)ieb§gefuch auf unb fuhr bann 
in§ ©djlofc. 33on bort aus toollte er mieber in§ 2)almofdje $au§. &ie 
unborfidjtige £ortenfe hatte tt)omögIid) ade ihre unb feine $at>ierc ün- 
bernid&tet aurücfgelaffen. ©r empfanb bei biefem ©cbanfen einen mähren 
groftfehauer. . . . Stein, folcher Soweit hielt er fie, felbft in ber größten 
©rregung, nicht für fähig! S^boch etma§ anbereä fiel ihm augleid) ein: 
ob bie Sßoliaei eine 2lutot>fie berlangen mürbe? SBie entfefclid), mie 
unerträglich — ihm fdjttrinbelte, benn bor feinen Singen fah er t>lö#idj 
einen fdjlanfen grauenförper baliegen, aber #effa mar bie ©elbft* 
mörberin, nicht $ortenfe, unb e§ ftanb ihm eine ©aene bor Stugen, ge- 
nau mie jene§ meit verbreitete Silb: bie^ junge ©d^önheit unter bem 
©egiermeffer be§ Anatomen. . . . 

6r rife bie £üre feinet SBagenö auf, h^b irr bor ©ntfefeen, aber 
bann befann er fidö unb fchlug fie mieber 31t: Stur nicht feine eif erneu 
Sterben berlieren! SBie fonnte eine SBahnborfteffung ihn fo berfolgen? 
@r burfte nicht mie bie meiften im 3tugenblide ber 3Infpannung berfagen! 



I 



Siegerin geit. ^( 

3>er Slutfcher hielt an, ba er fid) bie brüSfe ^Bewegung jeineö $ertn 
nicht hatte erflären formen, unb fofort fammelten ftch 33orübergehenbe um 
ben Sßagen. SaSfar famen unroittf ürltd^ bie ßärmfaenen beS ßanbtageS hrieber 
in£ ©ebädjtniS, unb roährenb ber Säagen meiterfuhr, fragte er fid), roaS 
fic bort eigentlich gefdjrieen hatten? „2Bephifto!" 2)iefe SSeaeidmung mürbe 
ihm nun für ben SReft beS Sebent bleiben, bie fieute hielten fidj augenfdjeinlich 
für fehr geiftreidj, fie gefunben 3U haben; morgen mürbe er fie bidfgebrudEt 
als Überschrift ber ßeitartifel in ben meiften Leitungen finben, tothefcen 
toürben fie ben StuSbrudf, bis etmaS 9?eueS ihn berbrängte. . . . SBie maren 
bie Scute gerabc auf bie Seaeicfjnung SDiephifto berfaffen? @r fah in ben 
Keinen (Spiegel, ber amifdjett ben genftern beS Soup6S hing. SWan fonnte 
feine ftarfen Augenbrauen toohl breieefig finben; baS fleifchlofe ©eficht, bie 
fdjroeren öiber, fomic baS 83lau4djtoara ber tief in ber Stirn angemachfenen 
£aare mochten manche an ben Verführer beS Sauft, mie er auf fleinen 
Sühnen bargeftetlt toirb, erinnern. . . Slber er hatte ficherlid) nidjtS bon 
einem 9Jiej)hifto an ftdf> ; bie SKenfdjen marenihw bor allen Singen biet 
au gleichgültig, Diel au Verächtlich, als baß er fich mit ihnen abgegeben 
hätte. %l\m auliebe fonnten fie alle in ben Gimmel fommen, er roottte 
feine Seele ihm abfpenftig madjen. 2)er SBagen hielt am Schloß; ber 
^Sortier ftürate herauf um ihm ben Schlag au öffnen — ob ber ihn 
auch für ben ©ottfeibeiunS hielt unb barum fo befouberS bienftbeftiffen mar? 

2)er Surft empfing feinen SWintfter fehr freunblidj, lieb fich ^Bericht 
über bie Vorgänge im ßanbtage erftatten, brüefte bie 3uberfidjt aus, bafe 
feine bemährte ßraft trofc biefeS 3toifä)enfaffS ber Regierung erhalten 
bliebe, unb entliefe ihn bann mit einem marinen £änbebrucf. 93iS au bem 
für ben 3lbcnb anberaumten 2Kimfterrat mürbe bie Angelegenheit piel* 
leid)t fdjon in ein neues Stabium getreten fein. 2)iefe 3mifdjenfäfle 
hätten meift ein furaeS Ceben, unb niemanb hielte fich lange mit ihnen 
auf . . . Sürft 2aSfar berabfcfjiebctc fich, toarf bem Sortier, i>er ihm in 
ben SBagen half, ben Sefehl: „93aron 2>almo" au, unb „93aron 2)almo" 
hörte er ihn laut aum ®utfd)er gemanbt mieberholen. Gr fühlte peinlich 
genau, fo regungslos fein ©eficht auch blieb, maS biefe bciben'aWänner 
bei bem tarnen bachten, feine fdjarfc Slerbenanfpanmmg vermittelte ihm 
altes. Ein mahrer Strom bon ^afe gegen ^ortenfe, bie ihm baS an- 
getan, brach aus feinem Innern heraus, fie hatte ihm bie ÜJfaSfe beS 
unnahbaren 5WanneS abgeriffen, ihn in bie 9?otte gebrängt, auf feine 
(Sicherheit 33ebad)t haben au müffen, ihn mit fich felbft unb feiner Ver- 
gangenheit entatoeit! Sd)on ber ©ebanfe, für feine Sicherheit forgen au 
müffen, empörte ihn. %fyx hatte er fein ganaeS Seben rücfhaltloS an* 
bertraut, unb fo hatte fie eS ihm gelohnt! 2Öo toaren feine Sricfc, in 
benen er fidj maffcnloS bor ihr hingeftredft? ©ein Stola bäumte fid) 
immer mehr, feine tabellofe Sorreftheit mar angetaftet, bielleidji bernichtet 
— unb in welchem Slugenbltde! ©erabe mo er aum erften 3Me im 



I 



^2 mite Hremnitj in Berlin. 

Seben liebte, ©r hotte an ben menigen Sfllönnern gehört, bie fett faft 
atoemaig Sohren im öffentlichen Seben ftanben, ohne bafc £a& unb 9ieü> 
iftnen auch nur ba§ geringfte anhoben fonnten, bie nie in eine atoeibentige 
Sragc üermidfelt toorben maren. 2)?afetto§ mar er bisher geblieben, unb 
nun mußte fie ihn mit einem nieberen 33erbacf)t befd)tr>eren, unb er mufete 
feinen eigenen Briefen nachjagen, toeil in ihnen ®tnge ftanben, bie ihn 
in jeber JBeife bloßftetfen würben, menn fie in bie .§änbe be£ Söhnet, 
be§ 93mber§ ober gor be§ ©eridjtS fielen. 

2tm (gnbe mar e§ fdjon an fpät? 9(m ßnbc mar fofort auf alle ihre 
Srieffd&aften 93efd)Iag gelegt morben, um ben ©runb ihres (SelbftmorbeS 
au entbeden unb ben 93erbad)t eine§ äftorbcS au^anfchliefeen? . . . 63 
fuhr ihm burth ben Sopf, bofc man in ber aügettofen öffentlichen SWeinung 
fchlie&Iich fogar annehmen mürbe, er hötte ihren Xob öeranla&t. . . . Gr 
hörte bie tarnen fpöttifrfj fich anflüftern: „£ortenfe ftarb boch gerabe anr 
rechten 3eit für ihn — ein merfmürbigcS gufammentreffen!" SKon 
fönntc auch glauben, fie höbe ihm gebroht, höbe SBaffen gegen ihn in ber 
$anb gehabt . . . SBie oft hotte er ähnliche Sfnfchulbigungen gehört unb 
gelefen. G£ gab ja fo Diele urteilälofe (Schmäfcer, unb je unmahrfdjein* 
fdjeinlicher etma§ ift, befto leichter glaubt e§ bie SWenge. 

Unb bieä mar nicht einmal unmahrfd&einlich, e§ hätte fogar eintreten 
fönnen. S)ie öffentliche (Stimmung toar gegen ihn, man beneibete ihn 
um ba3 ©lüdf, $effa heimanführen, er mu&te auf feiner $ut bleiben. 
SEBie mürbe fie e§ ertragen, bie ftolae Sieine, erführe fie, bafe er, ihr 
SÜbgott, in foldjer (Sache in ben SWunb ber Seute gefommen! ®a£ burfte 
nie geschehen, nie burfte er für fie etma§ t>on feiner Sicherheit unb 
©ottähnlidEjfeit einbüßen. 

Gr mußte fdjnett etmaä tun, um ba§ an Derhinbern ... er fann 
nach, er mufete einen SBeg finben, ber e§ ihm ermögiid&te, felber barüber 
au machen/ bafc niemanb magte, ihr über feine SSergangenheit an fpredjen 
— ihr Sruber mar fo entfchlufeloä, bafc auf ihn nicht an rennen mar 
. . . 6r dachte fich eine STOöglichfeit au§. . . . 

SBährenb er hiermit befchäftigt mar, fuhr er in ben SSorgarten be§ 
©almofd&en $aufe3 ein. 2)ie 55ferbe mieherten auf bem meinen S3oben; 
mie oft hotten fie ba§ auch früher getan, unb mie gern hotte er $ortenfe 
eraählt, ba& felbft feine güdjfe fich freuten, menn e§ an ihr ginge! 9fu§ 
ollem unb jebem hotte er einen Slumenftraufe gemunben, um ihn ihr an 
Süfeen an legen — unb bo§ mar fein Cohn gemejen, ba§, ma§ er heute 
burchanmachen hotte! C, biefe unbanfbare grau, ber er fein ganaeä 
Seben geopfert hotte! . . . 

SDer SBogen hielt an. 

2)a3 $au£ mar boff t>on Seibtragenben, bie Sairen ftanben offen, 
man ging bort au§ unb ein mie in einem Sßoftamte. 



Siegerin Seit. 



43 



gürft Ütötax erfannte SortenfeS ©ruber, ber gleich einem Haus- 
herrn bie @äfte im großen ©aale empfing. Sßie eigen, grembe, bie 
feiten ihren gufe borthin gefegt, jd^altcten iefct, nur meit fie SStut^ber* 
toanbte maren, in biefen Stäumen, tt)äf)r<mb er hinfort mie geächtet fein 
mürbe." — gut, bafe eS ihm höchft gleichgültig mar — nein, mehr als 
gleichgültig; er hafjte biefe ©emäcfjer, fie erinnerten ihn an Sinechtfchaft, 
an ©rniebrigung! Sein Verhältnis au Hortenfe mar einfach unmoratifch 
gemefen. SBie recht hatte bod) bie Sitte, folcfje 33eaiehungen als Sünbe 
au berbammen unb au verfolgen. $e(Ia bagegen, bie feine legitime grau 
merben fottte, liebte er mit heiliger Siebe, fie fd&Ioft in fief) attcS, roaS ebel 
unb hoch mar. Sr hatte bie Sünbe enblich bon fid) abgefdjüttelt, er mar 
Sur Feinheit, in ber allein baS mahre ©lücf liegt, burdjgebrungen. Hier, 
an biefen ©emäcfjern Hebte Sd)ulb unb ßeibenfehaft — ihn efelte babor. 
®ott fei 2)anf, baß er fid) babon getöft unb errettet hatte! SBie befreit 
öurfte er aufatmen. 

9?adjbem er bem Sruber fein SBeiteib auSgebrücft unb ihm bie Hanb, 
bie biefer mit unmerffidjem Sögern nahm, gefchüttett hatte, fragte er, 
mann fein ÜJicffe Henri anfäme? 

„äWorgen," htefe eS. 

„Schon morgen," mieberholte er gebanfentoS unb erfuhr ferner, 
bafe baS ®erid)t ben au ben Sohn abreffterten Srief nur beschlagnahmt, 
nicht eröffnet habe; bei feiner Jtnfunft mürbe er ihm auSgefjänbigt merben 
. . . ättan nähme überhaupt jebe Strt Sftücffidjt; 2Winifter SKeri habe atte 
nötigen Stritte getan — ber fei ein mahrer greunb. — — SaSfar 
ftettte fid), als berftehe er bie in biefen SBorten enthaltene Spifce nicht. 

2)iefeS @efid)ter! 

Sie hatte alfo einen 23rief an Henri guriicfgelaffen. 2BaS märe fie 
in ihrer mafelofen öeibenfehafttichfeit, in ihrer ganzen Seelenniebrigfeit 
nicht imftanbe gemefen, ihrem Sohne 31t fchreiben! — Unb ihr £ob 
fefete unter jebeS ihrer SBorte nodf) baS Siegel ber SBahrheit . . . 2)iefe 
Heuchlerin! — 2aSfar empfanb bon neuem einen ftarfen Schminbel . . . 

©erabc mürbe ein fürfttidier Sfbjutani gemelbet, ber ben Hinter- 
bliebenen baS Seileib beS HofeS übermitteln fottte ; SaSfar bcnufcte biefen 
Sfugenblicf, um unbemerft in SortenfeS fteineS Souboir 3U gelangen, baS 
burch eine befonbere £ret>t>e mit ben unteren Räumen berbnnben mar. 
Hier flingelte er breimal — breimal l)ief3 einft „Sannt)". 3Bie lange 
fcfjien eS her, baft er anlegt hier geflingelt hatte! SBürbe fie fommen 
auf ben alten SftnfV (Sr martete nur einen Jtugenbticf, bann trat fie 
ein, mit ftarren 2tugen, entftetttem @efid)t — fie hatte mohf gegfaubt, 
ein ©efaenft riefe fieV 2Jiehr jebenfattS als bor ihm hätte fie auch bann 
nidjt aufammenfehretfen fönnen. ßaSfar hatte ihr bie Hanb reichen, mit 
ihr reben motten, aber bor biefem SfuSbrucf ihres ©efidjtS mußte er 
eine anbere i'afttf einfchlagen. 



mite Kremnifc 



in Berlin. 



©r fragte fühl, wo feine Sriefe Wären. 

(Sie auefte bie Steffeln unb meinte au§Weidjenb, atleS fei fdjon emt 
■Morgen berfiegelt Worben. 

„£)ie Baronin pflegte fie bodj in biefem Keinen ©cfjreibtifdj mtfait» 
bewahren," fuhr er fort. 

„Sdj Weife e§ nidjt," berfidjerte fie nod) einmal. 

5£rofc it)te§ unbeweglichen ©efid)t§ fah er, ba& fie nidjt bie äBahr- 
I>eit fagte, unb in einer nerböfen Erregung, bie ihm in normalen Seiten 
fremb War, erbraä) er ba§ @erid)t£fiegel, ba er ben ©djlüffel fteden 
fah, unb öffnete bie Zm be3 fleinen 9tofofo-@dfyreibtifche§. Wie gädjer 
waren leer. 

„$at bie 33aronin geftern S3riefe berbrannt?" fuhr er in ungewohnter 
$efttgfeit bie alte grau an. 

„Scfj tueife e§ nicht," Wieberholte fie Wie eine leblofe SKafdjine, 
Wanbte ihm ben 9tüden unb bcrliefe ba§ 3™™^. 

©inen Hugenblicf glaubte er, ber Schred unb ber ©d&mers um bie 
geliebte Herrin hätten SanntjS @eifte§!räfte beeinträchtigt, aber plöfelid) 
berftanb er, baft fie ihn brennenb haute. 33or allen Singen hätte er 
biefe wiberlidje, aber fluge $erfon fid) nicht 3ur Seinbin machen bürfen. 
Gr öffnete bie fleinen Schubfächer be§ ©djreibtifdjeS ; noch ehe er fie 
burchfucht, fam ?$annt) mit einem 2>iener wieber. 

„Sd) tDÜnfrf)te nur bor S^wn 3U fonftatieren, bafc 3rürft SaSfar 
ba§ @ericht§fiegel erbrochen hat, id) felbft fönnte fonft angefchulbigt 
werben," fagte fie. 

ßaSfar wembte fid) langfam ihr 3U unb mafe fie mit einem 93Iid 
hod)mütiger Verachtung. „Sdj werbe bireft 3ur ^olijei fahren unb ben 
33efehl erteilen, hier affe§ Wieber su berfiegeln — Sie bergeffen Wohl, 
mit wem Sie fpredjen?" 

3um ©iener gewanbt, forberte er eine brennenbe Ser^e unb eine 
©tange ©iegeflad, 50g feinen Sting bom Singer unb crfefcte bie er* 
brocheuen ©iegel. 

„2>erweil genügt mein eigenes $etfd)aft," meinte er hochmütig. 

Sanni) flaute ihm nad), al§ er ba§ 3wtroer berlaffen, unb fefete bie, 
trofc ihrer Sfchre nod) tabelloS Weiften 3äf)ne feft aufeinanber. „SSenn 
ber Herrgott ben ftrafloS ausgehen läßt, bann ... ja, bann tue ich felbft 
ein übriges ..." murmelte fie halblaut in faffungSIofer Erregung. 23 ie 
hatte $ortenfe ben (Schürfen lieben fönnen, ben Fonntc man bod) nur 
haffen! 

fiaSfar ioleabu War 311m ^oliäeigebäubc gefahren. £er 3)ireftor 
War gerabe nicht anwefenb unb ber Unterbeamte, wenn auch höchft bebot, 
bod) nicht fofort bereit, btefcS 5D?inifter§ — ber nicht fein SSorgefefcter 
War — Sefehl nachsufommen. Gr fanb bie Sfiiäfludjt, baft er WcnigftenS 
um einen fd)riftlid)en 93cfef)l bitten müffe, um fid) 311 beden. Soleabu 



Siegerin §eit. 



«5 



ergriff arg!o§ bie geber unb fdfjricb nieber, er böte, fofort bie (Siegel 
im 33oubotr ber 33aronin 2)aImo tum neuem anaulegen, ba er stoei f)obe 
erbrechen muffen. Siachbern ihm bie fchleunige 9lu§fühnmg augefagt 
toorben mar, toarf er ftch ttrieber in feinen SBogen. ©r verfolgte iefet 
nur noch ben eben aufgetauchten ©ebanfen, baf$ $eHa fo balb tote mög« 
Iid) bie @tabt berlaffen fotfte, bamit fie nichts erführe . . . Stuf feiner 
©ntlaffung mufcte er beftefjen, um für bie nädjften SDlonate frei au fein. 
2ffle§, iüa§ nicht £etla betraf, ft>ar für ben Stugenblidf nebenfächlich — 
nur £etta burfte ihm nt<f)t entfdjlüpfen. 

ber $oliaeibireftor auf feinem Stmte eintraf unb ba§ bon Soleabu 
unteraeichnete @d)riftftücf borfanb, ttmnberte er fid) über bie namenfofe 
Unt>orfid)tigfeit be§ $rieg§minifter§. ©r ftedte ba§ Sßatrier al§ Surio* 
fum in feine eigene 5£afdje, um e§ feinem ©hef, bem ätfinifter be3 
inneren, fo balb aU möglich 31t geigen . . . S3iellei<f)t, fo badjte er, toäre 
e§ noch beffer, toenn er e§ morgen früh bei ber Hftelbung bem dürften 
unterbreitete? @r fud^te fdjon lange nach einer (Gelegenheit, um feine 
Talente bort oben in§ richtige Sicht au fefeen. 3Md) funbamentaleS 
Sntereffe mu&te JColeabu an ben Raineren ber Saronin SDalmo gehabt 
haben, um fold) eine Unborfichtigfeit au begehen, gerabe er, ber aurütf* 
haltenbe, überlegte Sftann! 

5Dahinter ftecfte natürlich 'noch ettoaS anbereS . . . 2)er SBerbadjt, 
baß bie- Saronin nicht freitoiffig au§ bem Seben gefdjieben fei, lag ttrirf- 
Iich auf ber $anb . . . ber grüh hatte bie ganje (Stobt ihn ausge- 
brochen, ^ebenfalls fönne man SEoleabu alles zutrauen, man brauche 
ja nur bie Sfagen biefeS 3Wet>hifto anaufehen. . . . 

(3rortfefcung folgt.) 



21lfcerta von puttfamer. 




Don 

jUtöuft ^riebrid) £raitfe/ 

— Breslau. — 

[a§ $abr 1885 bebeutet eimm SBenbepunft in ber ©cfdjidjte 
ber beutfcben Siteratur. üftan toanbte fidj bon ber füfelidj* 
tueibifdben Sfttype&poefie, bon ber Sufcenfdfjeibenltjrif unb ber 
Verlogenen &flffecfräna<f)en=$eHetriftif ber gamilienblätter af> .unb for* 
berte energifd) unb im neu ertt>ad)ten S3emuf3tfein nationalen 3Bertc£ 
bon ber mobernen £id)tung neue, Grone 8iefc/ man „moHte eine $oefie 
bon germanifdjer Urtoüdtfigfeit, eine $oefie boll tebenbiger ©ubjef* 
tibität in gorm unb ©ebalt, boff neuer Sbeen unb SCBeltempfinbungen". 
8In ber Sdjmette bc* Safcreä 1885, furj bor bem aBeif)nad}t§fefte 1884 
erfebien eine Jlutbologie befonberer 2Irt, bie fid): „SDioberne ^idjter- 
ßfyaraftere" nannte unb bon SBübelm 2lrent herausgegeben tourbe. 
©ermann Gonrabt unb Savl ©encfcfl bitten tönenbe (Einleitungen gc= 
fdjrtebeu, in benen fie ber Xicbtung ibrer 3eit unb bereu Vertretern 
ben gebbebanbfebub binmarfen. .SBir it>ifien, bafe mit biefem Bucfte bon 
einer talentbollen Scbar junger Siebter, bie bon ernftem SBolfen unb 
ebrltdjer, ftarfer Begeiferung für bie eMen unb boben Slufgaben ber 
3)td)tfunft erfüßt mar, mit bifl ßärm, mit mandjer Stnmafiung unb 
einigen SRücffidjtSlofigfeitcn gegen bie ältere (Generation — toie ba§ 
fo ^ugenbart ift — jene befanntc „Stcbolution in ber Siteratur" £roffa= 
miert mürbe, bereit giibrer bie beiben ©art maren, unb beren Pro- 
gramm $m*r Bleibtren fcfjrieb. Gin Biertcljabr fpäter fammelte 
©einrieb ©ort bie Mitarbeiter an ber 9fntboIogie um eine neue Seit* 
fcfjrift, bie er „Berliner aWonatS&efte für ßiteratur, ftritif unb Sbcater" 
nannte, $n biefer etmaS lärmtootten, ungebärbigen 23ilbetftürmer|d)ai: 



Iiiberta von puttfamer. 



begegnen toir einer Dichterin, bie man f)ter nicht bermuten toürbe, toeil 
ihr ganaeS SBefen, ba§ jebem 9tabifali£mu£ abfjolb, bem oder fiärm 
autoiber, tt>eil ba£ ganae 33ifb ifjrer bornehmen Sßerfönlichfeit, baä toir 
au§ if>ren 3)i<htung<en geminneu, jo gar nicht pa\\en nritt in 
ben Stammen biefer ©etoegung. 33) weine äUberia bon Sßuttfamer. 
Slber menn man bebeuft, toie fompathifch ber jungen 2>t<hterin, 
bie in ihrer fötnft nad) bem 2lu3brucf beffen judjte, toa§ au 
$öd)ftem unb SLiefftem in ber 2)fenf<hhett§feele lebte, bie ^teale unb 
ba£ ftrebenbe 93emühen biefer fraftgenialifchen greifbar fein mufete, 
fann man berftehen, ttrie e3 fam, bafe fie mit in ihre Steigen geaogen 
tourbe; auch fie hotte, toie biefe „lieben ftrebenben 8lnbern" — fo 
nennt fie in einer SBibmung an ben ©rafen Sdjacf au feinem 70. @e* 
burtätage ihre ©enoffen — a^ei föftficfje SBanberbegleiter : 33egeifterung 
unb Streben. 

2>te @ntoicHung ber 33ett>egung aber, %um 9ZaturaIi£mu3 hin, gegen 
ben in ihren SJüdjern an fo mondän Steifen ein in ber gonaen 2trt ihrer 
Sßerfönlichfeit begrünbetea SBiberftreben bemerfbar brirb, fyit fie nicht 
mitgemacht, toenn fie fid) aud) ihrem (finffufe nicht gana hat entaiehen 
fönnen unb toobl auch nicht hat entaiehen tootfen. Sie ift mit offenen 
©innen, empfänglich für aHe§ ©bie unb Schöne in ber SüBelt, ihrer 
eignen ©ntoitflung nachgegangen, unbefümmert um ba§ treiben ber 
anbern, unbefümmert auch barum, ob ba§, toaä ihre hohe Seele erfüllte, 
ber 3eit gefiel ober nicht, unb bat mit ©mfigfeit unb SEreue an ber 
^Bereicherung unb SSoHenbung ihrer Sßerfönlidjfeit gearbeitet. £a§ 
bomehme, glänaenbe ©efelffchoftSIeben, au tem bie höh« Steifung ihres 
©atten, ber StaatSfefretär bon ©Ifafe-Äothringen mar, fie a^ong, hat 
fie nicht Verflachen, nicht beräu&erlichen fönnen; fie ift auch im licht» 
erfüllten Saal unb in Iadjenber SRunbe fremb unb eihfam geblieben. 
Sn ihrem ©ebichtbanbe: „SEfforbe unb ©efänge" gefleht fie, toa§ mitten 
im lauten Steigen ber Sreube ouf ftilfen ©ahnen fte abjeits führf, tt>a§ 
ihr fo oft, „toenn ringS ba§ ßeben lacht, ben hocfjentrütften 33ficf in§ 
Srembe gibt": 

„$a8 ift }enc Sfligelmacht, 

dlad) Sternen, bie man jugcnblang geliebt, 

3u ftreben, ^eig mit aller Gräfte @d)ttmnQ! 

S)a8 ftnb bie glüflct ber Skgeifterong, 

S)cr ®rang, ba8 ärbifcfie gu überfdjtoetfen, 

3Me J&tmmef p berühren, $1 begreifen! ..." 
tiefer 2)rang hot fie auf ber ©rbe fremb gemacht; fern aber unb 
unberührt bon affem Sttufeenfeben, boffaog fiel) in ben ©rünben ihrer 
Seele, nur ihr felbft betoufct, bie SBottenbung ihrer $erfönlid)feit unb 
hat fo bie ©nteieflung genommen, bie $einrid> $art in ben oben er- 
mähnten „berliner 2ftonat§heften" ihr borau§fagte, al§ er ihren erften 
©ebuhibanb: Richtungen" befarach, ber in jenem SRebotutionSjahr er- 

9ittb mb 6üb. CXX. 868. 4: 



^8 Jluguft ^riebridj Kraufe in Breslau. 

fdjien. &art fdjrieb bamalS : „Ön STIberta bort $uttfamer bat ber ©eniuS 
ber 3«it boK unb gana ©eftalt angenommen, unb menn, mie idj glaube, 
bic fitjrif bon beute unb morgen bie SBorbotin einer neuen ©podje 
untrer Siteratur ift, bann gehört audEj Sllberta bon Sßuttfamer au ben 
grofeen unb glänaenben ©rfdjeinungen ibrer S£age." 

SBer bie bier fitjrifbänbe iiberblitft, in benen Sllberto bon Sßuttfamer 
ben mannigfaltigen 9ieicfjturn ibrer $unft bor unS ausgebreitet bat, unb 
babei bie großen ßinien ibreS SßefenS in il)rer (SntmidTCung berfolgt, 
inufe mit SBetounberung &emerfen, mie treu bic 2>id£jterin ficf) felbft ge* 
blieben ift. ©djon in iljrem It>rifdf»en (Srftling offenbart fid> unS ibr 
^erfönlidjfeitSbilb, mie mir eS beute itubcr ©eele tragen, unfertig frei* 
lief) unb unentoitfelt, mie ein fiinberbilb in beutfamen ßinien unter 
bem ©djleier ber Sfugenb un £ Unfertigfeit bod) fdjon bie 3üoe &eS 
©rmadjfenen meift. 2Bof)I fönnte biefe Statfadje bamit erflärt merben, 
bafc fie erft mit 36 Sölden, i n einem STIter, in bem fo mandjer 2>idjter 
fid& fdjon ausgegeben bat, ibren erfteu ®eb\ä}tbanb beröffentlidbte unb 
bafe ibre ftrenge ©elbftfritif, bie fie alles bernidjten liefe, maS bor 
biefen 2>idjtungen entftanben mar, fie binberte halbfertiges unb minber 
SBoHenbeteS aufaunebmen. 3Iber mir tt>iH fdjeinen, aB lägen bie Iefeten 
Urfadjett biefer ©rfdjeinung, ber mir nur bei menigen SDicf)tern in fo 
auffälliger SBeife begegnen, tiefer unb in ifjrent SBefen begrünbet. 

Sn ben SBerfen biefer 2>i<f)terin ift ein feierlidjeS, ein bobeitSbotteS 
©djreiten, ein t>riefterlid)er ®ong beS 9W#)tf)muS, in bem bie ©idjerbeit 
unb Stube ibrer $erfönlidj<feit let)t, in bem fidj ibre barmonifdbe unb 
in [xäj felbft fidEjere Staft offenbart. SDtefe ®raft unb ©idjerbeit ift in 
ibrem ©Raffen, fotueit eS offen bor unS liegt, bon Anbeginn. S)a ift 
feine UnftdE>erbeit unb fein Umbertaften, fein ©traudjeln unb ©türaeu 
bei iTjrem geraben STufftieg 51t ben £öfym ber 3SoHenbung, fie finbet 
ben SEßeg, erft mobl, toetl er im Slbnen ibrer ©eele ift, bann aber finfen 
immer mebr bie ©dreier bon ibren 3lugen, unb fie erfennt unb finbet 
ibn in bemühter Älarbeit. 2)aS gibt ibreT ganzen (Sntmidlung biefe 
Stube unb ©tetigfeit, bie unS, U)enn mir fie beute überfdEjauen, mit 33e* 
munberung erfüllt. SBir merben feben, mie lebt biefe bornebme dlufye 
unb ©idjerbeit ibr Sßefen, mie fie im tiefften ©runbe ibrer ©eele fcer- 
muraelt ift unb ibr jenes $immelaugemanbte gibt, baS unS mie priefter- 
liebe ©ebärbe anmutet. 



Sfflberta bon Sßuttfamer ift bie £ocbter eines preufeifdben SlffefforS. 
Sbt SSater ift ibr — er ftarb brei Tionate bor ibrer ©eburt — als 
bodjgebilbeter unb aud) fimftlerijd) bodb beranlagter 9ftann gefdbilbert 
morben. ©ie mürbe am 5. äTfcu 1849 in @rofe=@(ogau geboren, ift alfo 
ein ^inb unferer lieben heimatprobins ©d)Icfien. Sb re S^genb aber 
berlebte fie in 93erlin, mobin fie fcfjon im britten SebenSjabre fam. §\ex 



lllbexta von puttfamer. ^9 

boflsog fich im Greife bieler SBertoanbten unb unter ber 5Bormunbf<haft 
beS p'hantafieboHen Staatsanwalts ©tarling ihre (Sraiehung. Sn ber 
föniglichen ©Itfafcetljfdfyule unb unter bem ®ireftor gerbinanb Stanfe, 
bem SSruber ßeopolb b. 3lanfeS, erhielt fie eine trefflidje SSilbung. 2)a* 
neben genoffen ihre mufifalifchen diente eine grünbliche SluSbilbung, 
ihrer umfangreichen @o;pranftimme tuurbe italienifche unb beut]"(^e Spü- 
lung auteil, unb auch baS ßlabierfjriel ttnirbe flei&ig geübt. 2>er be« 
fannte langjährige SDlufiffritifer ber -Kationalaeitung, ber erblinbete 
Dr. Otto ©umprecht gewann ben ftärfften ©influfe auf ihren SBilbungS* 
gang. §n ihrem ©ebidjtbanbe „Offenbarungen" fyat fie ihm in ber 
2>id)tung: „3>er blinbe gührer" ihren 2>anf genribmet unb mit Warmer 
£eralicf)feit befannt, wie biel er ihr gewefen, au Welchen 3iden er fte 
geführt. 

$>em ©oben SSerlinS felbft aber War ihre bornehme, bem Sauten 
unb Sttufbringlid&en abgeneigte Statur fremb, ^Berlin ift ihr niemals 
#eimat geworben. 21IS ©iebaebnjährige lernte fie auf einem S3aH in 
grauftabt ben fiteiSridjter Sßagumlian bon puttfamer fennen unb ber- 
mahlte fichbalb barauf mit ihm. ©atte ftanb mitten im j>olitif(hen 
Seben, War feit 1867 nationalliberales SDWtglieb beS SttbgeorbnetenhaufeS, 
fett 1869 27HigIieb beS ^Reichstages unb Würbe nach bem Kriege Ober« 
IanbeSgeridjtSrat in bem neu gewonnenen 9teid)SIanbe C^füfe-Sothringen, 
wo er bie häufte ©taffei ber ©taatSftellungen erreichte unb 14 Sa&re 
bis aum $erbfte 1901 als ©taatsfefretär Wirfte. 5DaS ©Ifafe ift ber 
^Dichterin aur feiten ©eimat geworben. $n feinen ©oben, in feine 
Sage unb ©efchidjte, in feine auS beutfdjen unb romanifchen (Elementen 
eigentümlich gemifdjte Kultur tjat fie alle Sßuraeln ihres SBefenS ein* 
getrieben, auS ihnen fyzt fie ihäfte unb ©äfie gelogen, bie, in ben Silbern 
ihres norbbeutfdjen SßefenS geflärt unb bergeiftigt, jene feine unb eigen- 
artige 93Iüte bornehmften ©eifteS trieben, bie unS auS allen ihren Sa- 
hnigen entgegenleudjtet. ©ie felbft §at banfbar beim 2Ibf<hieb bon 
i^rem geliebten ©Ifafc — nach ber SDemiffion ihres ©atten im %afyre 
1901 fiebelte fie nach 33aben*33aben über — aum 3luSbrudf gebracht, 
wie biel fie ihrer aweiten Heimat au banfen h<>t. 

®S gewährt eigenartigen ©enufe, biefe allmähliche gegenfeitige 
3>ur<hbringung bur<h tE>re ©ebicfjtbänbe au berfolgen. %n ben „Sich* 
hingen" erinnert nur ein einziges ©ebidjt, unb auch nur gana äußerlich/ 
baran, bafe Sflberta bon puttfamer im @lfa& lebt, bie „$erbftwanberung 
mit ©oethe". 2TuS allen ihren ©ebichten aber, befonberS auS ihren 
^aturftimmungSbilbern ftrichi auS ber herben Sinie ihrer S^ichnung, 
auS bem ftrengen Kolorit, baS uorbieutfdje SDBefeu ber 2i(htcrin. %n 
ben ffcäteren ©ebi(htbänben aber tr>erben biefe Sinien Reicher unb ebler, 
bie 3ei<hnw"Ö tritt hinter bem Kolorit aurüdf, baS immer mehr an 2eb> 
haftigfeit unb fieuchtfraft ber Farben geminnt. GS fommt füblicfjer 

4* 



50 auguß $riebttdj Kroafc in Breslau. 

©lang in ihre SBerfe, unb im le&ten ©ebichtbanbe gar, in „Senfett be£ 
SarmS", ermaßt in ihnen ein meicheä füfeeS ©ingen unb Clingen, fie 
iretben au SWufif. ©o berjdjmilat fidt> in ihren Sichtungen fübbeutfdje 
SBärme unb Sarbigfeit mit ber norbbeutfehen $raft unb Strenge ber 
3eidjnung au föftlidjen Silbern. Siefe Eigenart fommt gang befonberS 
ihren eljäffifchen Saflaben äugute. ©<hon ba£ atoeite (ätebidjtbudj : 
„Slfforbe unb ©efänge" braute in ben „SOBetfeen ©eftalten im ©Ifafe" 
ein ©ebicht, für ba£ bie Sichterin ben ©toff au§ ber ©agertmelt be§ 
©Ifajj entnommen fyxt 3Wit einem elfäffifchen SaltabenbudE), bem 1399 
erschienenen SJanbe „21 u£ 58 er gange nh ei ten" (SBerlag bon 
©chlefier unb ©djtoeiftjarbt in ©trafeburg) h<*t fie bon ihrer $miten 
Heimat Slbfchieb genommen, unb biefe Sichtungen bemetjen, fcne innig 
unb feft fie fidj eingetouraclt t)at in ihren reiben ©oben. 

Siefeä ©ichberfenfen in ©age unb ©efdjichte, biefe§ ^inffüdjteu in 
eine Sergangenheit, boll ©röße unb Sraft, baä toir nid>t blofe in 
biefem. elfäffifchen SBaflabenbud) au beobachten ©elegenheit haben, beutet 
auf einen befonberen SBefen^aug ber Sichterin, benn 3tlberta bon Sßutt* 
famer ift feine geborene Sattabenbidjterin, unb toenn auch ihren SBallaben 
tttaft unb Sßlaftif unb auch jene grofce Sinie nicht fehlt, bie toir in biefen 
Sichtungen au finben gelohnt finb, fo gehören fie boch nicht au beut 
heften, tyaä fie gefchaffen hat, unb nicht au ben 33eften, bie unfere Siterdtur 
befifct. galten forir biefen $ang, in bie ©efdjichte ober ©age geworbene 
SBergangenheit au flutten, aufammen mit ber Seitlofigfeit ihrer übrigen 
Sichtungen, in benen fo toenig bon bem kämpfen unb fingen, bon 
ben ©ebanfen unb Stimmungen au merfen ift, bie unfere Qeit erfüllen, 
fo fommen toir auf eine SBefenärigentümlichfeit ber Sichterin, bie 
ihrem ganaen SEBerf djarafteriftifdjeä ©epräge gibt: bie £eben£frembheit. 

Sfn einer autobiographischen ©fi6ae> bie baä „Siterarifche @<ho" ber» 
öff entlichte, berietet Sllberta bon Sßuttfamer bon ihrer £Hnbe£art: „3$ 
bin auch immer ein feltfam nad)benfliche§ 5Hnb g-emefen. ©etollt, ge* 
jubelt habe ich nie au§ tiefglütffeligem $eraen, fonbern idj habe, mehr * 
abfeitS ftehenb, ben ©fielen augefchaut unb fie teie bunte, finnige Silber 
auf mich ttrirfen Iaffen. Sine gana rein geftimmte $eiterfeit höbe ich 
immer nur in ber (Sinfamfeit finben fönnen unb im ©eniefeen bon 
•Jtatur unb — Südjern. SBeil ich bie puppen bon je toeniger liebte 
al3 meine üttärchen* unb ©efchichtenbücher, unb meil man ba§ unfinbtich 
fanb unb mich be§halb fchalt, betonte fich mein $ang aur Slbfonberung 
bon ben ,33ielaubielen' nur noch intenfiber. -Kein heifeer Srang nach 
äßiffen, gorfchen unb geiftig tiefem ©rfennen bon ber Sßelt ber ©r« 
fcheinungen unb begriffe fanb nicht feine boHe 33efriebigung auf ben 
äBegen ber SJilbung, bie höhere Spulen unb bebeutenbt ©tnaellehrer 
mich führten. $ch fudjte mir ©onbetipege unb tranf au£ aßen föft» 
liehen OueHen, bie mehr abfeitS ober auä f<hti>er erreid^barer SCiefe fpru- 



2Ilberta ©ott puttfamer. — 5\ 

belten. SJJbilofopbie unb (^fdjicbtfcbreibnng habe ich neben i>er 3)icfjt* 
fünft ftetä am innigften geliebt; toie überhaupt eine Neigung 5U forreftem, 
elftem Senfen innig bereint ift mit fdjtoärmerifcber 33egeifterung unb 
^Betätigung im Steinbichterifdjen." So toie in ihrer iftuberaeit ben 
Spielen ibrer ^ugen'bgenoffen, bat fie immer auch ben ©fielen unb 
Steigen be§ Sebent augefehen, unb toenn fid> auch manchmal ber SBunfd) 
regte, an ibnen teilnehmen, fo baf$ fie in bem fchon gitterten 3Bib- 
mungSgebicbt an grau b. £>. bitter flagt: $Docb ab ba§ 3iel toir finben 
bon bem 2Beg, ba§ ift% toa§ „wich benfen Reifet ba, too ich leben 
fotftel" e§ bat fie 'bocfj nie in bie Reiben be§ 2eben§ getrieben. Unb 
am Iiebften ^at Tie Me bunten Steigen beB £eben§ in (Spiegeln gefcfjaut, 
unb in ben Spiegeln ber Sage unb ©efcbidjte, rote in ben Spiegeln ber 
^ßbilofopbie nnb 3>id)tung. 

TOdjer böben ber ©infamen, bie in ben dtoetgen be§ blühenben 
3flieberbaume§ 'faß, ober unter bem STpfeTbaume ibre§ StabtgartenS 
lag, ba§ Seben gan^ erfefct, SRcircbenbücber erft, bie ibr t>on ädern 
SBunberbaren unb ©ebetmniSboflen eraäbtten, bie ba§ Seben, ba§ 'brausen 
auf ben Strafen 93erlin§ braubete, nidjt ^u bieten bermocbte, bie 
beiligen unb feltfamen Sagen ber ©bba fpäterbin, bie eine SBelt bor ibr 
erfteben liefe, bie mit ©öttermunb au ibr fpradj. Sage unb ©efdjicbte 
toaren ibr Sebrerinnen unb setgten ibr bie großen unb ewigen Linien 
be§ Sebent ba& fie barüber afle§ steine unb STOtäglidje bergafe unb 
mehr unb mehr in ber SJergangcnbeit lebte al§ in ber lebenbigen unb 
bfatbollen ©egentoart. ttnb bie f üblen, bämpfenben Schleier ber 5Ber= 
gangenbeit legten fidj auch über ibre Seele, fie beimpften bie SBärme 
ibre§ 33Iute3, fie bunfelten ibren 93Iicf, fie bingen fieb bor ba§ Seben, 
ba& feine Suntbeit fie nicht bertrirrte unb fein Särm feine ber leifeften 
Stimmen überfcfjrie, bie in ibrer Seele toaefj tour&en, fie bunfelten 
bie SJilber, bie ibre Sd&öpferfraft geftaTtete, unb gaben ibrer ©idjtung 
bornebme Stube, feierlichem ©rbobenfein unb jene priefterlicbe ©ebärbe, 
bie immer bon ber Erbe toeg in etoige fernen beutet unb nadj grofeen 
Sbealen bie SKrme breitet. 

3Mefe§ ftete Seben in ber SSergangenbeit, bie alle§ Meine, atfe£ 
Stiebrige unb ©emeine ber SBergeffenbeit anbeimfatten unb nur ©röfte 
unb ßraft unb nur bie einfachen nnb großen Sinien be§ @ef<heben§ be- 
geben lä&t, bat ibren 93Iicf fo an bie großen 3üge be§ Sebent getoöbnt, 
ba& ba§ Seben unb treiben ber ©egentoart fie mit leifem SB.ibertoitten 
erfüllt. Sie toeife ba6 felbft unb geftebt in ibrem Beitlieb: „Offen* 
barungSnächte", baä fieb in ben „Offenbarungen" (Stuttgart, 
3f. ®. Eottafcfje Bucbbanblung Nachfolger) finbet: 

„SMeicbt, tocil in bem toüften 6ptcl ber 2)tnfle 
SJon bewt tef) meine igeimat nic^t me^r finbe, 
mtrf) binanf in ihre ©pfjärenringe. . 



52 2lugufi ^riebridf Kraule in Breslau. 

Unb toemt au» SBotfen mitternadf)t& bie Sßinbe 
(£rftxtcf)en, flingt e8 mir toic große SSorte." 

3>ann feljren bie ©elfter ber SBergangenljeit, bann fefiren btc ©roßen 
vergangener Seiten, ©ofraieS, $Iato unb ©pifur, ©firiftuä unb @oetf>e 
bei iljr ein, befragen ba§ $eute, in bem afle Spuren iljreä SBirfenä ber* 
roifd&t fdjeinen, unb geigen t^r bie großen Shtien be§ 9BeItgefdf)eIjen§, 
bie großen ^beerte ber ihmft, ber $ߧiIofopf)ie, be§ SebenS. %fot uttb 
ifjren @rfd)einungen treten mandje bittere 3Borte über bie ©cgentoart, 
bie alle I)oc)en Stele bergeffen au ^aben fdjeine, auf bie Sippen, @oetI)e 
Ragt: 

„$>od) fanb id) meljr bie ©mite nxid), als <Seelen. 
3fjr %ü$m fd)ien mir mir ein franteS Quälen, 
Söetoegung ofjnc 3Jtoß, ein fiebrig §efcen — 
- 9JHr fdjeint, ftatt ©öttern bienen fte nur ©öfcen." 

9fud) ©ofrate§ unb $tato beflagen, baß ber mobernen 3*it, bie 
ibr 2)enfen ein unmögliches SEräumen genannt f)at, nidjt meljr bon 
fdfjönen STOaßen beättmngen, *nidfyt mefjr t)on ^erngefunbem burdjbrungen 
fei, unb @pifur befdjtoert fief), baß man feine £el)re bon ber ©lüdf* 
feligfett auf ßrben fo gauj$ unb gar berfebrt f)abe. 

$>ie lefete <£rfcf)einung, SfjriftuS, flagt, baß bie SIßsuetfrigen unb 
SHtauentgüdfren tfjn 311 bodj entrüeft, baß fte ifjn in ben (Glauben gebannt 
unb aller lebenbigen SBirfungen im SJolfe beraubt Ijaben. 

SBof)l müljt fieft bie 2>i<fjterin geretfjt au fein unb gefteljt, baß in 
all biefetn SBirren unb 3)unflen ber Seit ein ©ären unb Sftingen fein 
fönne nact) neuen gbealen, aber fte toenbet ftd& bocfi mit einer ©efte 
beS 2BibertDtflen§ bon aßem mobernen Seben ab: 

„$a8 (Stxmgelhtm ber ^rflit&feir, 

Stög tft ber arme 8fa8brudf ber 3ett! 

Sfhir toa& fie mit i&ren ©innen erfeimen, 

Sta^u tootten fie fi# gläubig befemteti. 

©ine Stit iffa, bie mefjr verneint als fd&afft, 

$a& ift fo in ftunft unb SSiffenfcfiaft, 

Unb fo in ßeben unb Religion. 

SSenig ftrifc&e unb ftraft — oiel fpöttelnber $ofm, 

Siel Umftura, öiel ©udjen unb wenig fttnben, 

©in äiellofe» ßöfen unb urieber Öinben! 

©5 ift ein 3fe(jtf)unbert üon toilbem ©ären, 

$od) feiner af>nt, toa8 e3 fömtte gebären!" 

3faft nie fonft tritt bie neue 3eit, ba§ moberne Öeben in itjre SSerfe, 
unb nie lautet e§ mit fjeflen ©locfen, unb immer nur, trenn e8 einmal 
ruft, bumpf unb fd^n>er. 9?id&t bloß in ifjrem ©rfennen unb Sühlen, 
t^re ganje Äunft ift eine foldje 3lbfage an bie fleine SSirflid&feit ber 
©egentuart. SBie im Seben, fo fud)t fte aud) in ber ßunft nad^ ber 
großen Stnie, naä) ©irigfeitö^armonie unb ftrebt banaef), fie in iljren 
2)id^tungen lebenbig Horben 3U laffen. Matrum mußte iE>r aud^ bie 28irf* 



Tlibexta von puttfamer. 



53 



fidjfeitSfunft ber „aKoberne" — idj braudje nur ungern biefe§ SBort — 
bie ffunft ber fteinen Sinie, Sßiberttnffen unb Sfbfdjeu einfföfeen. SDtebr 
aU einmal loenbet fie fid) flogen ba§ ®unftprin3ip be£ 9laturafiSmu§ 
unb gegen ben ©eift ber 3cit, ber biefeS Shtnftprinstp geboren bat. 
SKit fdjarfer 9fbfage toenbet fie fidj t>on biefer ®uuft ab, ibr STuge 
vermag f)inter ben bieten fTeinen Sinien ber 2)arfteffung nid)t bie gro&e 
fiinie be§ ßebenS 31t feben, bie e§ in bem Vergangenen, in Sage unb 
©efdjidjte fo rafdfj unb fidler erfaftt, unb forbert betrugt in ber £hmft 
eine in§ $beafe berffärte &arfteffung be§ SBabren, baS nidjt immer 
bfofe im SBirfltd^en unb in anbern Räumen aB in ber SBirfiidjfeit 
fdjmufcigen ©äffen 3U fudjcn fei. %n ibren „£>ffenbarung§näd)ten" 
läßt fie ©oetfje befennen: 

„9htr, hier btc $>tnge Gärt in» 3bcal 

$)er fd&afft bcn ^irgcnfd^ctn, bcn (Sötterftmljl, 

2>er tocgebeutcnb über allem S^rcn 

3ur ßöfung laugtet in bett^toffesminen!" 

Sbre SIbfage an ba§ Seben unb an bie Stunft ber ©egentoart ift aber, 
toie man leidet meinen fönnte, nid)t eine 2fbfage an ba§ Ceben über- 
bauet unb entfpringt nur einer Sfbneignng ifjrcr bornebmen 9iatur 
gegen affe§ fiebrige unb ©emeiue, gegen nmrffofe Sdjtoädje unb feben^ 
3erftörenbe Verneinung, gegen Sinnengier unb bie cflc Sfagb nadj ©ofb, 
bie ber ©egentoart ibren djarafteriftifdjen Stempel aufgeprägt 31t baben 
fdbeinen. SBobf mag auf bem ©runbe ibre§ £er3en§, ba§ immer alfeä 
Saute unb jebe raufdjenbc Suft gemieben unb lieber ©infamfeit unb 
erbebenben ©efübfen fid) bingegeben bat, eine leite Sfngft bor ber berben 
Äraft be§ Sebent toobnen unb fie gittern gemadjt Ijaben, tute bte 33raut 
3ittert bor ber feibenfdjaftridjen ®raft be§ ©etiebten, bie fie toittenloS 
mad)t unb ibm gan3 3U eigen 3tniugt. Sfber erfüllt toar ibre Seele 
trofc beffen immer bon iener ftiüen, ftarfen (£brfurdf)t bor bem Seben, 
bie ba£ Seben böber teertet af§ äffen fprubefnben Überfdftixmg. llnb 
barum toirft in ibrer Shinft eine tuarme Sebenäfreube, ein innige§ 
SebenSerfaffen unb fiilft bie 3fbcrn ibrer marmorn eifdjeinenben 3)idfh 
tungen mit puffenbem ßebenSbfnt. ©oetbe ift barum andi ber ©ott 
ibreä 2eben§, bor bem fie fid) neigt af$ bor bem ©otte be§ Sebent fefbft 
unb bem fie bient in ibrem Scbcn unb in ibrer ®unft. Sie geftebt: 
„3fm ebeften bon äffen Didjtern ber Weltliteratur bin id) 311 ©oetbe in 
ein nabe§ 33erbäftm§ getreten, 3Me Siebe 31t ibm unb bie (£rfenntni§ 
feinet ©eniu§ baben mid) burd) äffe geiftigen (SnttiucflungSpbafen faft 
bon ber Sinber3eit an gefeitet, unb bie Spuren fofrfier liebenben ©r* 
fenntnte finb toobf audb in off meinem Staffen unb ßebeu erfid)tfid)." 
e§ fpriebt für biefe§ ftarfe ©rfiifftfein ibre§ $er3en§ bon ber Süffe 
unb Scbönbeit be§ Sebent bafe fie in ibrer 3ug<mb 3U bem abftrafteren 



5% 2lnguft friefcridj Kraufe in Breslau. 

Sdjiller unb au feiner rbetorifd&en Jhtnft in fein redjte§ SBerbältniS 
fommen fonnte. 

SReben ©oetbe fttfb e§ bie ©riecfjen, bie al§ Sterne über intern 
ßeben unb ibrer itunft ftrablen, 6eiben bie SBeibe geben unb au $öben 
ber ©nttoicflung locfen. Smmer toieber greift fte au ten ber griedjifcfyen 
•Jfttytbologie entftammenben grofeen Symbolen ber SRatur* unb Seelen* 
fräfte, fo fdjon rein äufeerlidj ibre SJorliebe für ben #etteni§mu3 offen» 
barenb. Sie toeife aber audj tf)re Seele unb ibre ®icbtungen mit bem 
©eifte ber ©riedjen au erfüllen. Sn ibren Strogen ift tterbattene 
$raft, fdjöne£ SKafe ber Setoegung unb ein ftrablenber ©Tana. Sbre 
£)idf)tungen muten an ttne gried>ifd)e lempeTbauten in toei&er, marmorner 
Sdjönbeit unb ebler ßinfacbbcit. Unb in bieten ^eiligen ©allen brennt 
bie reine, gerate %m $öbe fteigenbe D^ferffamme ber 33egeifterung 
für atte§ Sdjöne unb ©bie, brennt bie ©pferflamme frcubtger Sebent 
gläubigfeit unb einer fcbönen Hoffnung fd)önerer SebenSmöglidfyfeiten, 
al§ bie ©egemoart fie bietet. $n tbnen toaltet btefe grau mit einem 
t>on ebler SBenfcWicb'fcit unb fcinftem, tiefftem (Jmpfinben erfüllten £eraen 
al§ Sßrieftertn ber ©ottbeit, bie über allem Sebeti tbront unb alle§ 
Seben a« ficf) ruft aur $öbe be§ etoigen Siebtel. 



9fu§ bem lauten Öeben, ba§ bie SMdfjterin nie geliebt bat, flüdjtete 
fid& fdjon ba§ ®inb gerne in bie Stiffe unb.au ber reinen ©röfce ber 
SRatur. $a tourben G?toigfeit£ftimmen aueb in bem ®inberberaen fdfjon 
laut unb rebeten in ibm in bertoorrenen Sönen, ienen ba§ SWäbcben 
fo gerne natfjfann, Heber naebfann, al§ bem Siebe, baä braufeen auf 
ben ©äffen ba§ Seben fang. 3" bem $aufe, in bem STI&erta mit ibrer 
SDfutter toobnte unb ba§ ibrer ©rofemutter eigen toar, geborte ein für 
berliner SSerbäFtniffe großer unb fdjöner ©arten, ^räcbtige Nußbäume 
breiteten ibre mädjtigen fronen au§ unb tourben bie berfdjtotegenen 
Stätten ibrer bodjfliegenben ©ebanfen unb träume. „3Bte ein freier 
33ogeI," fo eraäblt fie in ber febon aitierten autobiogra#)if<ben Sftaae, 
,,bab' id£j mieb in ibren Steigen gefdjaufelt unb befonberä ein alter 
^Iteberbaum bot in feinen fnorrigen 3toeigen bod) oben gcoifäen ben 
©lütenbüfdjeln eine ßaube, in bie id) gerne mit meinen 93üdjern flüditete." 
Smmer unb immer toieber febrt bie Srinnerung an btefe ftiße (Stätte, 
bie ibr fo tiefen unb feiigen ©enufe bot, au ibr aurücf unb finbet bidj- 
terifefien STuSbrutf in allen ibren ©ebitfjtbüdjern, fo nacbbaltig unb tief 
maren bie Stimmungen, bie er ibr gefebenft bat. So toirb biefer fdjatten* 
reidje Stabtgarten im fiaufe ber %af)ve ibr affmäblidj 8«m Symbol ibrer 
Sugenb, un 5 f öftlid^ toeife fte Don ibrem „©ntfdbtounbenen ©arten" a« 
eraäblen. 

®a toar audj ein alter 2£pfelbaum mit golbbräunlidbem ©eatoeig 
unb bunfelm ßaub, ber ftreute, toenn ba§ Sinb mit toatbenben äugen 



2Hberta von puttfamer. 



55 



träumen!) im ©rafe barunter lag, feine roten Slüten über e8 nieber. 
Stenn tourben alte ©ötterfagen ber @bba in iftrer Sßbantafie Iebenbig,* 
unb fie füllte fidj — fo tueife fie in bem fdjlidjten, mannen ©ebtdjt:. 
„SKein Apfelbaum" au ersäblen — al§ 9?orne, bie am gufee ber SBelt* 
efd&e E)O0ÖraftI fifet unb auf ba§ feltfame Staufdjen ber $afein§queHe 
unb ibrer taufenb Jftätfelfragen Iaufdftt. So toufete fie al§ Sinb fdjon 
in begnabetften Stunben fid) Ieibenfdjaftlidj in bie SWatur au Vertiefen, 
gana mit ibr ein§ unb fie felbft au toerben. ®arum aud) ift btefer alte, 
fdjattenreidje ©tabtgarten unb finb bie gelber unb SBälber, burdj bie 
fie in föftlidjen Serientagen bei Sefucben auf ben ©ütern ber SBertoanbt» 
fdbaft ftreifen burfte, bie Ritter ibrer erften bicbterifcben träume unb 
©eftalten getoefen. 

3uerft bat fie ber 9?atnr bofl Settmnberung unb in Sffnbadjt ber* 
funfen gegenübergcftanben. SBic eine Seterin unb mit toeit geöffneten 
Sfugen, al§ fönnten fie bie ^itlfc ber S'djönbeit nidjt faffen, bie in 
Sinien unb Farben auf fie einftiirmte. %\ ber Statur Perforierte fid) 
ibr bie ©cbönbeit felbft, unb mit sagen "Striaen berfud)te ifir ©riffel 
ibren Linien naebaugeben, in taftenben SSerfudjen mübte fieb ber Sßinfel, 
ibre Serben in ba§ Silb 3u bannen. 9Benn fie in gar mandjem ©ebidjte 
ibrer erften beiben Säribe nodj abbängig ift bon SBorfcilbern, bie bie 
ßiteratur ibrer 3eit um fie ber aufgeftelft batte, toenn fie nidjt feiten 
nodj fid) nidjt frei madjen fonrite bon ßonbention unb Sdjablone — - 
in ibren SWaturbilbern ift fie faft immer fie felbft, ba finbet fie fo flaren, 
berbeinfacben 2Tu§brucf für djarafteriftifdie Stimmungen, tnie in bem 
„ttorbifdjen grübling", toie in „TorfeSftiffe". 3Wit atf ibrer ftrablen- 
ben unb beimlidjen Sdjönbeit bat fie bie Üftatur in ibr betenbe§ #era 
aufgenommen unb fbiegelf fie rein unb tnarm in ibren ©ebiebten toiber. 
Sfber fie unb bie 9?atur ba§ ftuirt man bodj hinter biefen Silbern — 
finb nodj atoei. 3toei liebe ©eftrielen tuobl, bie fid) beralidj lieben, bie 
fidj an ben $änben faffen nnb eine SBeiTe miteinanber feiig finb, bie 
fid) aber bod) immer toieber loSlaffen nnb toeit au§einanber müffen. 
£a§ faürt man am beutlidjften, menn fie, ftatt bie 9?atur in fid) ttriber* 
Aufwiegeln, fid) in ber ftatur fpiegelt, toenn fie bie 9?atur sum Silbe 
ibrer $eraen§ftimmungen madjt. 3lber immer fidjerer frirb fie in ibrem 
S3erbältni§ jur 9?<itur, immer inniger febmiegt fid) bie STngcbetete in 
ibr #era binein, unb e$ gefdjicbt, bafe ibre Silber — fo in ben „(Tbaraf- 
terlanbfdjaften" — fidj m großen ©emälben bon gewaltiger ©rö&e au§* 
toadjfen, in benen G?ttrigfeit§aug ift. 9fber e§ ift in biefem ibrem 93er* 
bältniS nodj ettt>a§ toie eine beimlidje Scbeu, fid) gang aufaugeben unb 
in 5er 9?atur unteraugeben, ftrie bie ©eliebte tnobl iftre Seele nad) 
trautem SBerben unb in begnabeten Stunben bem Sftanne gibt, ater 
erft nadb langer, innigfter ©emeinfebaft gan^ in ibm auf« unb unter- 
gebt. 2>iefe munberfame gegenfeitige ^urebbringung, biefe§ gänalidje 



56 2Iugu ft (frtebrtd? Kraufe in Breslau. — 

Sid)finfenlaffen in biefe ^eiliöe ©ottljeit, bie allen Sterblichen ibr §qv% 
tveit öffnet, fie liebenb unb erlöfenb &u umfcblicfeen, bat Sllberta b. $utt* 
.famer erft in ibrem legten ®cbtc^fbonbe unb nur in toenigen ©ebbten 
gefunben. (&$ ift nicbt blofe,. baft in ibrem 33ilbc bie Sinien fd)miegfamer, 
bie Sorben boller unb' reidjcr teerten, ibre ganje Seele ttrirb in ben 
93ifbern toad) rtric: „SSerlafftmer ©orten", „Wotturno", „^refto", ,,©rau* 
fame Sterne", unb man \x>cift uidjt mebr: rebet bic 9?<itur ober rebet 
bie Seele ber Xidjterin? 

Sßte ba§ nad)benffame, fdjenc fiinb gar oft bon ben Spielen feiner 
Sugenbgenoffen ^inlrveö in feine liebe (Jinfamfcit unb 3U feinen treueften 
©efäbrtcn, ben 53iid&€ru geflüchtet mar, fo bat bic 2>idjterin audj fpäter 
gar oft au§ bem lauten ©ang bc§ Sebent fidj in bie Ginfamfeit tbre§ 
Wersens aurüdgeaogen. 9fudj in biefer ibr eigenften SD&elt gab e§ ^etfec 
unb bittere kämpfe, aber fie ttmrben mit jener eblen Stitterlidjfeit ge= 
fübrt, bereu bie kämpfe bc£ Sebent oft fo bar finb. Unb e§ uxiren 
kämpfe um X>te bödtften Swfr/ in benen aueb iebe 9JicberIage dn Sieg 
ift. 9tDfe§, tr>a§ fie bom fieben unb bureb ba§ Seben erfnbr — unb e§ 
toar ibr nid&t§ 3U Flein unb gering, unb alles? nict>t 31t grofe - nabm 
fie in fid) auf unb verarbeitete e§ in fidi, bafe e§ ibr Stufe 311 böberer 
SSoIIenbung tnerben nutf3te. 

2luf ben menigen 93ilbern STIberta bon ^uttfamers, benen luir in 
3eitfdjriften begegnen, leuchtet un3 au§ ben reinen, im Profil faft grieebifdb 
anmutenben 3ügen bie eble unb bobe Seele biefer feltenen Srau ent= 
gegen. 35er ^crbgefd^Toffcnc 3Wunb betoabrt febeu bie ©ebeimniffe be§ 
£eraen£, bie leicht emporge3ogenen 33rauen geben bem 8Tntli($ jene3 
fdjeue SPertounbern ber SebenSfrembbeit, ba$ mie ein Staunen über alle 
Unaulänglidjfeiten be£ Sebent ift. 3n ben 9fugeu leudbtet eine ernfte, 
tiefe Schwermut unb ift ein ©Ian3 barin, trie nur tiefe unb Flarc 
SBaffer ibn fennen. ©iefe Selber ftimmen fo 00113 iiberein mit beut 
33ilbe ber Seele, ba§ nn$ au§ ben Ticbhmgen cntgegenftrablt unb nric 
if)re 3?erfe e§ febilberu: 

„3$ toeife, teft toax ein ängfrtg etnfam tftub 
Wt fonbcrbarcn/bcttnaüofcn Sbigen, 
$)te motten toeuig toofjl au ftröf)(id)fetu 
Unb befto mefjr 31t Traum unb Tränen taugen." 

SBie feine, nnficbtbare Schleier bon ungetoeinten Xräncn bangt 
e3 über beut fragenben unb forfdjenben 23Iicf ibrer ?higen unb bangt 
e§ über ibren 2id)tungen. Sehr feiten baben ibre SScrfe betten Mang, 
e§ ift in ibnen ein bunfleä £önen, afö fangen ein tiefer, nie berttmn-- 
bener Scbmer3 unb bielc, biefe tränen mit. ^>I)rc SPhitter glaubte, ben 
eigentümlich febtoermütigen linterton, ber bureb ba£ gan3e ßebeu ber 
Xicbterin aueb bureb feine gIan3boflften Seiten unb and) burd) ibr ge^ 



21 Iberta von ptittfamer. 



57 



famteS bidjterifdjeS Sdjaffen anflingt, au§ bem tragifdjen Umftanb er» 
Haren au foHen, ba& tyre Seele im Sdjmera um ben £ob be§ ^etfe- 
geliebten ©atten bor ber ©eburt be§ IftnbeS nur in büfteren 58or» 
fteffungen unb ©efüblen gelebt fmbe. ®iefe 3lnlage mögen #eraen§* 
erie&niffe fdjmerälidjfter 9Trt, bie ber $idjterin ftarf unb tief cmpfinbenbe 
Seele bte aum ©runbe erfdjüttern mufeten, nodj berftärft unb Vertieft 
(rnben. 2)cd) toenn audj nodj in ftitten Sftädjten tt>einenb berfagteS 
©iüdf irre§ Stufen burd) -Jiadjt unb SBeitcn au ifjr fenbet, bafe fie oft 
Don ifjrem Äiffen auffäfjrt unb I)inau3 laufet in ba3 2)unfel, burd) ba§ 
großäugig bie emigen Sterne au il)r uieberfefien, fo I)at biefe beitnlidj 
gehütet« SeTmfudjt fie bennodj nid)t au tränenreidjer Sdjmcrafeligfeit 
geführt. SDenn baS SJcxb be§ $craen§, bic Seljnfudjt ibrer Seele nadj 
boHem SWenfdjenglüdf bat fie nur reidjer gemocht unb tfjr $era bem 
Ceben gana geöffnet: 

„Unb tfrab*, toeil idi be$ ßebenS ßetben tannte, 
SSar'S, ba& ht fjödjfter $afein8luft id> brannte. 4 ' 

SCiefere Sd>mer3en aber füllten ibre Seele, aT§ ber Sdjmcra um 
fcerlpreneS SugenbgTüdf : 

„$o<fc ob ba8 3tct totr finben üon bem 2Bea, 
Ob totr, aebfenbet, fdnretten tfmt boritäer. 
Ober, toenn toir ba8 ©öd&fte motten faffen, 
Un8 tief öerirren in ber $ftufcfmno ©offen, 
$a$ ba« ift bie totlbe OTHeTfraae,' 
$te tembotf mir erfüllt bie (£rben+aae, 
3>a8 W«, nxtö mir beu Sedier quelTnber ftreube 
2*om burffqm ÜThtnb reifet, tnemt id) trinfen tootfte, 
- üfleht toarme« ßndien jftf) erftarrt aum fieibe, 
ÜTHdö benfen fieifit, ba, too t<fi leben fottte!" 

©§ erfüllt ifjr Sera ba§ bittere ©cfübl ber llnaulönglidjfcit ber 
eignen Äräfte ben hohen 3Wfen be§ Strebend unb jenen gewaltigen 
SDlädjten gegenüber, benen unfer SBoIIen unb Sein ^IfIo§ Eingegeben 
ift; e§ ift in il)r ein tt)ilbe§ STufTebnen ber ^nbibibualitöt gegen biefeS 
#ingegebenfein, jener nngebärbig fidj regenbe @?rbaltung§trieb be§ $n* 
bit>ibuumS, ba$ fidj mit leibenfdjaftlidjer Straft gegen ein STufgeben 
im 2TH fträubt, ba§ au§ eigner JJraft feine SEBege fudjen unb nidjt 
blinber Sd)icffal§mädite ®t>ielb<ill fein frill. Sie bat in tljren „S)i(5' 
hingen" ein fdjöne6 93ilb für bie gefunben, benen ein gütige^ ©efdftid 
Sd^neHfraft eingeboren Ijat bafe fie nidit an ber (Srbc t)üften unb immer 
toieber gur ^ö^e ftreben mögen. Sie fcergleidtf fie mit einem Sali, 
ier, aur $ö^e ftrebenb, immer iricber Dom Säjicffal fterabge^orfen 
toirb: „So stuifdien Sonnen unb bem Staube fenft unb liebt ber 33aH 
fid& taumelnb auf unb ab/' unb: „atfe§ Sein ift fürd)terltcf)e§ Spiel". (5^ 
martert ibr ^er3 bie ®rfenntni§: „Ta§ fflTüif be§ ift ni^t be§ 
SBeltaHS 3ieH" ^iefe ©ebanfen machen fie ernft unb im tiefften .^r^en 



58 Hnguf* tfnebrtdf Kranfe tn Breslau. 

erbeben, ba& bie Stylen derben unb sittern unb bie 9tugen fdbmera* 
öoU fragenb in getnen ftarren, bie fein menfctjttd&er 93lidf burrfjmifet. 

hinter fid& toctfe bie 3>icf)terin eine 3Mt, in ber afle§ ©dEjein unb 
Süge ift, bie am <3innenfäIIigen b<ingt unb nid)t§ ttnffen toitl Don ben 
mei&Ieucfjtenben girnenböben be§ ^bealS, in bcr ®ier unb Seibenfd&aft 
toilbe Steigentänae führen, ein ©oborn, auf ba§ ber göttlidbe geuerregen 
nieberfäfft. 9tn affer <£d)önbeit, bie um fie aufblü&t erfennt fie „ba§ 
®ain§aeidjen be§ (Sraucnä, bem bie Sebenbigften toeid&en", unb lüeife: 
„®a§ $errlicfjfte ift bem (Sefefe berfaffen, ber Xob fefet an afle Sdfjön* 
beit bie ßraffen". Unb bor ficf) fiebt fie eine öbe, graufame ßeere; 
„b tnter bem Seben grinft ber Sdjrcdfen; ba$ ©erippe ber Ceere au§ 
taufenb 33erftedfen". 

<£§ ift ber alte ©rbenfampf ättrifcfcn bem ©rfaffen be§ Sebent 
in feiner ©djönbeit burdb ba§ & e f ii b I unb bem SB i f f e n: äffe ©dEjön» 
fteit bergebt! 2Ba§ bann? audj in ifjr Mx\äi geworben. ÜDer Stoteftxrft, 
ber fidft in bem fiinbc feijon funb tat, in bem eine Steigung au fon* 
fretem, elftem £enfen innig bereint ift mit fdyiflärmerifd&er 93egeifterung 
unb ^Betätigung im Steinbidöterifdjen, ber Sftuefpalt atoifeften SSerftanb 
unb (Sefübl bat ibr bie bitterften kämpfe gebrad&t unb äffe Gimmel 
burdb Slüeifel aerriffen. 

Süber ibr SReffftuiSmuS ift nid&t lebenberneinenb unb fdbmerafelig; 
fie toeife nicfjtS bon jenem fraftlofen SMtfd&meraeln, ba§ bie £iytbe 
faltet unb büftern 3Tuge§ aufiebt, toie bie £inge geben. Sbrer ©eele 
ift ©dforrnngfraft eingeboren, bie Sdftuungfraft be§ 9SHffen§, unb fo 
finbet fie andö bie Sßkge bom Öeib biefer (?rbe unb au§ ibres eigenen #eraen§ 
■Kot: bie (frlöfung burd) bie £at! 9tur jag ringt fiefi biefer ©ebanfe 
au§ ibrer <SeeIe empor, unb erft in ifjrem legten ®ebi<ijtbanbe meife fie 
ibm fcbüdfjternen 9Tu§brucf au berfeiben: „Steife beine ®raft empor aur 
SWacfjt, oW ob bir Oötter ibre 9frme böten! Unb fenfe nidjt ber 9tot 
bein mübe§ $aupt!" Unb au£ bfiibenben ^aftanienatoeigen bort fie 
im mitternädjtigen vsebtoeigen ba§ leife raunenbe Sieb ber 3e\t: 

m . . . $te ba btü&n unb leben, 
©offen ftrf) bem (Segentoärt'gen fiebert, 

Unb bie Rammen, bie in Seelen glühen, 
©offen nidjt öerlobem nnb t>erft>rül)en. 

folgen foffen fie bem ßebenStoerben, 

$enn: im Unterlaffen liegt betö ©terben . . 

$ier liegen bie STufä^e %n einer 3Beiter- unb #öberentoidflung 
ibrer 3BeItanfd^auung au§ ben büftern Scfjrecfniffen, in bie ba§ SBiffen 
fie geftürat, au§ bem lrirfung§Iofen ©rgriffenfein bon ber ©djönbeit 
beS Sebent, ba§ bod& lieber in 3^>eifel unb Qualen enbet, binauf zum 
aSoIIbetoufetfein ber firaft, zum bödöften 9fu§fcben affer lebenbigen 
Seelenfräfte in feiiger Ieben= unb toertefdfjaffenber 3:at. 



Liberia con pnttfamer. 



59 



©o erfahrt un§ bie Shtnft 2Hberta bon IßuttfamerS als ftarfe unb 
reine SRenfd&IjeitSfunft, geläutert in perfönlid&em Seib, geflärt in per« 
fönlidfjem ©Iü<f, ober in Seib unb ©lüdf, bie feit Urbeginn ber 3ftenfcf)= 
^eit 5£eil finb. @S ift eine Äunft be3 liebenben ©rfaffenä alles Outen 
unb ©Sötten, ba§ in SWenfdfienfeelen lebt, gebogen unb gepflegt im 
eigenften $eraen unb getränft mit bem SSIute be§ eigenen Sebent, eine 
priefterlid&e ihmft be§ ©faubenä unb be§ @ebete§ au ben eitrigen 
Sbeolen. 

Unb bodj nidjt @tnigfeit§funft, bie über bie 3*it I)inau§ unb in 
bie 3«funft beutet unb Skfytmx toeift. Qmax befennt bie SDidjterin 
in ben „CffenbarungSnädjten" ber ©rfdjeinung ©oetlje: 

__ „$u toeifjt, bafe id) bem geben öott gehöre, 

£a& id& ba« öfot ber 3cit ed)t ^ulfcnb füfjle 
. ttab alle tfjre feinffcn ©timmen fcöre." 

5Bon ben Stimmungen unb entoidflungen iTjrer Seit ober ift nidjtS 
in i&rem SGBerf, unb tt>o etoaä ift, nrie in ben „Offenbarungänädjten", 
nur al§ Sritif unb nidjt alz fdjöpferifdjeS Stauen. @§ ift eine aü%u grofce 
Siebe für bie SBergangentjeit in if)r unb eine leife JBeradjhmg ityrer 
3«it, fie lebt im 3tü<ftoärt§fd)auen unb nidjt im SortoärtStoanbeln, unb 
iarin birgt fidj bie ©efaljr, bafe ba§ SBerf ber Sßuttfamer nidjt ettrig 
fein tarirb, nur beftimmt: feine 3^it Iebenbig ju fein unb banadj überlebt 
unb banadj bergeffen au toerben, benn eS rädjt fidj: toer feine Qtit ber* 
ad&tet unb bie (£tt>igfeit3Iinte nidjt erfennt, bie tu iljr lebt, über ben 
fdjreitet fie f)imt)eg. 

Sßie id) aber fdjon seigte, toeift ber lefcte ©ebidjtbanb ber $utt= 
famer SInfäfce su neuen ©ntttridlungen iljrer SBeltanfdjauung unb alfo 
audj ifcrer ifunft, unb e§ fönnte gefdjeljen, bafc iefct, too in ber ©iiße 
gurüdFgegogenen Sebent, bie ber 2)idjterin nun gefdjettft ift, i^re föft* 
Iidjften ©aben reifen unb fie audj SSBorte finbet für ba§ Sftaufdjen unb 
Staunen iljrer 3eii, ba§ um fie f>er rebet unb gehört fein toiH in Siebe 
unb ©Ijrfurdjt. Unb e§ fönnte gefdjeljen, bafe fie bann bem Slufe folgt, 
ben fie in ifjrem 3*itliebe buvä) ben SPhtnb beä SBelt^eilanbS an fidj 
ergeben Iäfet: 

„®efj ljiu in biefen 3toeifd8taflen, 

a^od& fülle bie Sßelt nidjt mit toefjen klagen! 

Stufe fte auf §u begeiftertem fliegen, 

2Rtt bem ©etfte ber 6$önfjett Iefjre fie ftegen! 

Stfel fmb nod) toaä), bie mid& berffrljen, — 

$>ie ©blen mufet bu fudjen gefjen, 

Unb fte^e ftarf mit tarnen unb fünbe 

Ott öeryigten SSelt : ba8 GRM o^ne 3ünbe! 



Von 

Dr. gttdjarb 3$a0r. 

— Berlin. — 




K treffe tft für bie äJiffenfdjaft «radjlanb. 3lb unb an f)Qt 
5er Ijrftorijdje Sinn, ber in unferem SBolfe lebt, \vofjl ben 
j ;inen ober anbern getrieben, fid) 9led)eufdjaft 51t geben über 



2lufänge unb SBerben jener mandjmal gerühmten unb nod) öfters Der* 
läfterten ^nftitution, ot)\\e bie unfer heutiger gefeßfdjaftlid)er unb ftaat- 
Iid)er Organismus bod) nun einmal nidjt beufbar märe. 2Bir Ijaben 
baS treffliche 93udj bon Solomon, baS in manchem «Stücf ein Standard 
work ift; betrieben — aumal aus ben Iefeten Söhren — allerlei fleifeige 
SWonogra^ien über einzelne ^fjafen ber 3eitungSgefdfidjte; bie teert* 
boltften barunter toofjl folc^e, bie if)re (Sntfteljung ben Jubiläen unferer 
grofeen SBlätter (im 9teid)e ftrie im beutfdjen SluSlanb) öerbanfen. 215er 
baS tedjnifdje unb mettjobifdje ©lement ber S^itung in iljrer ttjpifdjen 
@rfd>einung gu etfaffen fat man bislang faum ernftlid) berfu<f)t. SSor 
brei ^a^ren fjat ber SBiener @mil Säbl in einem guten unb fingen SBudj 
fid) um eine fold>e <2t)ftematif bemüht. 61* f>at bie Sßedjfelbeaieljungen 
ättufdjen Kultur unb treffe aufgeseigt unb mit t>iel ©efdjirf unb einem 
anfefjnlicfjeu (Selefjrtenfleife bie (Stellung umriffeu, bie im ©eifteS* unb 
SBirtfdjaftSleben eines 93olfeS bie treffe einnimmt. Stber fein SBeifpiel 
f)at bisher feine Sttadjfolge geüuerft, uni fein jünger ift bem Pionier 
in bie 33rad>e nadjgeaogeu. ?ln beutfdjen Umberfitäten toerben, ba 
bie SWobe cS 311 verlangen fdjeint, neuerbingS allerlei 3?orIefungen über 
SournaliSmuS augefiinbigt; aber eS ift beaeidjnenb, baf3 bie t>erfd>ie- 
benften £iSaiplinen ftcf> um bie Materie ftreiteu. Xort ift'S ein ©er« 



(Eagespreffe unb IPiffenfdjaft. 6\ 

manift, ber im Nebenamt über 3eitungStpefen lieft, bier ein $iftorifer, 
bereinaelt toobl audö ein 9iationaIöfonom; nodj immer alfo toarb nidjt 
einmal barüber Übereinftimmung erhielt, bafc bie treffe (unb nidjt blofe, 
meil fie aud) ein SBerfebrSgetoerbe ift) in ben organifdjcn 3ufammen- 
bang ber StaatStoiffenfcbaften gehört unb nur aus ibm tyxauZ mii 
■Kufcen traftiert toerben fann. 

Sür biefe 33ernadjläffigung bat bie treffe fid) freilicb rebandjiert; 
fie ift, bon faärlicben STuSwtbmen abgefeben, bis auf ben blutigen SCag 
über bie SWafeen umüiffenfdjaftlidj geblieben. ©S gibt ßeute, bie baS 
für redjt unb billig bölten. $d) babe einmal ben ©befrebafteur eines 
grofeen baitfrtftäbtifdjen SBlatteS gefannt; ber lebrte: Sßolitif — alfo 
audj baS Slrttfelfdjreiben über fie — fei eine ®unft, unb J)telt fid) für einen 
SKinftler, toeil er feine 2IuSbilbung einft in ber Unterfefunba abge* 
fdjloffen bötte. Unb ßöbl meint: jnfblijtfttfdjer unb ^ffenfdjaftlidjer 
Setrieb ftünben 31t einanber in unberföbnlidjem ©egenfafc; „bie Sßiffen» 
fdjaft fudjt: fie fud)t £atfacben, 3ufammenbänge, ©efefee. 2)er ^hibliaift 
fudjt nidjt, für ibn ftebt bon bornberein bie Scblufefolgerung feft, %u 
ber er gelangen foll, unb toaS er fudjt, ift nur ber bialeftifdje 2Beg, mif 
toelcbem et ben fiefer au biefer ISonflufion fübren toirb." Stn einer 
anberen ©teile aber nennt er bie in ber treffe üblkbe SßrasiS mit einem 
SBort Sfnton SDJengerS bie „einfeitige SBabrfjeit". 3ßet bie treffe un- 
befangen beobadjtet, ftnrb Ieiber zugeben nutffen: in bielen Säßen ift 
baS fo. S5kr in ben SDienft eines 33latteS tritt, ber übernimmt häufig 
genug mit bem STrbeitSbertrag audj fo unb fo biel feftftebenbe ©djlufr 
folgerungen. SCBie immer bie 2)inge in 2Birflid)feit liegen mögen, für 
ibn ttrirb eS auf beftimmte fragen binfort bloß bie ein für aHemal 
gefunbene 3lntoort geben; immer nur jene eine „einfeitige SBabrbeit", 
bie er an jebem neuen borgen t>on neuem in fein Sßublifum binein- 
aufcbreien bat. 2tber biefe betrüblich 9tegel fennt bodj aud) ibre StoS* 
nabmen, unb bie SluSnabmen toären aablreidber, toenn bie $refeleute 
ttriffenfdjaftlidj 5U arbeiten gelernt f)ätten. 3Wan toenbe mir nidjt ein, 
ba& Stftualität baS SCBefen ber treffe auSmacbe unb bei ber £afi, au 
ber fie verurteile, jebe irgenbtuie bebätf)tige SRetijobif fidj bon felbft 
verbiete. 2)aS ift bo(b nur balb rid)tig. 2tud> im ^reftbetrieb gleist 
nidjt ieber Stag bem anbem. SBer nacb 2Kitternadjt ein bierfpaltigeS 
SfeuiUeton über bie neuefte $remi&re au fcbreiben bot, barf freilieft 
fein ©innierer fein, unb toer noeb eine bßlbe Stunbe bor 9?ebaftionS= 
feblufe einen fterbenben ober abgebenben Staatsmann in einem Seit» 
artifel „ttmrbigen" foll, ttnrb fein Urteil niebt mit ber füblen Sorgfalt 
eines auS ber ©djule StanfeS ftammenben £iftoriferS fdjöpfen fönnen. 
Sfber biefe ©tunben intenfibfter Slftualität finb feltener, als ber aufeer* 
balb beS Betriebes ©tebenbe glauben mag. Sßor allem fommt ber be= 
bauerlicbe unb am legten ©nbe gerabe^u mörberifebe 3^ang au über* 



62 



Dr. Htdjarb Bafyr in Berlin. 



eiltet älrbeit bei bem großen ©ebiet ber fogenannten „gragen" über- 
hau£t nicht in S)etrad>t. „gragen" finb immer bauerhaft; ihre ©rör* 
terung be^nt fich burd) äüodjeu, Monate, mitunter burd) Sa^re, unb 
mer au ihnen fich fcernehmen au laffen tuünfdjt, iuirb faft immer 3^it 
fyaben, fein SBotum in Stühe boraubereiten unb 3U begrünben. SBie lauge 
toätjrt aum Seifpiel nun jdjon bie 2>i£fu}fiou über bi<e Schiffahrt** 
abgaben auf natürlichen Strömen! Unb ift ber Streit über greihaubel 
unb Sd)ufeaotf/ Subuftrie* unb 3(grarftaat, ber bie S2ßi[fenfd&aft jo 
lange erfüllt fyat, nid)t noch immer uuau£getragen! Selbft eine 93e* 
tt>egung auf bem Slrbeit£marft, etoa ein Streif im 3tuhrrebier ober 
eine Stuäf-perrung in ber 9ftetalünbuftrie, pflegt nicht mit betäubenber 
Sßlöfeüdjfeit über un3 hereinbrechen. 8n allen biefen fällen aber 
bietet fid) bem gettriffenhaften fßublistfteu, ber bie Schtorierigfeiten be3 
Problems au erfennen bermag, faum eine anbere äJiethobe, al£ bie auch 
fonft in ber -Kationaläfonomie üblich ift. Sluch ber Sßubliaift nrirb fid) 
bei beriet fragen aunäd)ft über ben Stanb ber gorfchung unterrichten 
muffen, ttrirb bann — mit SBorfidjt natürlidj — bie Statiftif heran* 
äiehen unb fchließlid) bie einanber giegenüberftebenbeu Sarfteüun^en 
unb £age£meinungeu nach ihrem CueUemoert au prüfen haben: ob eä 
bie Slnfchauungen ber Parteien finb, ob abgeleitete, unb trenn, Don toem 
fie beeinflußt ttmrben. Selbftt>erftänblid) toirb biefer Sßroaeß in ber 
Leitung nicht mit ber Sßröaifion ber nrifjenfchaftlidjen gorfdjung burd)» 
geführt toerben fönnen; bie äßage, auf ber einem ber 2>etaillift ben 
täglichen $au£bebarf auttriegt, fcrirb eben nie bie ©enauigfeit ber @olb* 
loage erreichen. Stber eine ungefähre SSorfteUung t)on bem (Smft be3 
$roblem£ toirb auch ber S£age§jchriftfteHer, fofern er nur gefällig unb 
mit ©efehmaef au fcfjreiben toeiß, feinem Sßublifum Vermitteln fönnen; 
eine leife 3lhmmg toenigftenä ber Wehmütigen @rfenntni§, bie öiefleidht 
ba£ reiffte SSefifetum be£ mobernen 3Kenfdjen ift — baß in biejer SBelt 
ber 39ebingtheiten in SSkiE)r^eit nur ba§ 3telatibi|"dje 33ürgerred;t hat- 
äftan toirb mir Äeopolb t>. dtanh entgegenhalten, ber gelehrt hätte: 
„SDie periobifche treffe ift ihrer -Katur nach parteiifch unb Verlangt 
gleichfam auch bie Parteinahme bes ßeferS." Stber man überfieht babei, 
baß ber Safe be£ SlltmeifterS einer fo gana anberS gearteten Qe\t ent- 
ftammte. 3)ie 2ftad)t ber ■Jttchtäal&parteipreffe ift in unteren SEagen 
gebrochen; e£ ift eine ganae Stnaahl großer unb einflußreidjer 33lätter 
aufgefommen (ich benfe babet nicht an bie 2lnaeiger;preffe), bie fidj mit 
Slbfidjt unb äJcttmßtfein ihr Sßublifum foaufagen a^Wcn ben Parteien 
fud)t; baneben gibt e£ angefehene Organe — ich felbft h<*be bie ®hre 
einem foldhen anaugehören — bie fich auch innerhalb be£ s $arteirahmen§ 
ihren greimut unb ba£ SHccht ber eigenen ®ritif loahren. 9tun brüden 
freilid) aud& hier bie ^ntereffeit ber ßeferfdjaft mit einer mitunter 
gerabeau unheimlid^en aßud&t auf bie geüung. Sie Parteiprograrnmc 



(Eagespreffe unb Xütf f enf d^af t. 



63 



allerbingS firtb ein menig berblafet, unb if>re ©etoalt über bie ©emüter 
hat fid) berringert. 2>afür &v\r\Qt ber loirtfdjaftliche ^ntereffenftreit 
"fie in 93anben, unb ein fdjier bämonifd)er #afe ift emporgefdjoffen gegen 
alles, ttxtS fid) ber nach SBoraugSrattoneu hafdjenbeu (Sigenfudjt ent- 
gegenauftemmen fdjeint. STuf biefen Sttfern ift bann jene blöbc S3er- 
achtung aller ©iffertfchaftlichleit aufgemachten, bic unferem heutigen 
politischen ^Betrieb ihr unerfreulich banaufifd)e§ Gepräge leiht. 2J?an 
fräufelt bie Sippen über jeben, ber au§ ber 3füIIe umfaffenber ßennt* 
niffe über eine grage au fpredjen magt. Kur bie ^genannten ,,93raf« 
ttfer" merben noch auf bem SMarft beS politischen SebenS gehört; 
menn fdjon biefe >$raftifer nad) ©uftab ßohnS bitter äfcenbcm 
9Bort ihre ©erufung im Kamen ber $rasi§ au reben häufig 
genug blofe babon herleiten, baft fie bon ber Xbeorie nid^tö ber= 
ftehen. Slber Don biefem geräufchbollen Sßiberftreit ber mirtfchaftlidjen 
Sntereffen 'merben gerabe bie Seute, bie berufsmäßig in bie Scitungen 
fdjreiben, für ihre $erfon fo gut mie gar nid)t berührt. Sie gehören 
burdjtoeg jener breiten @d)id)t an, bie man unter bem 93cgriff ber 
liberalen 93erufe aufammenaufaffen pflegt. Sie fjaben tneber 9tr noch 
&alm, iftnen rauchen feine Hochöfen unb feine gabriffdjornfteinc, unb 
bie banale £atfache, baft baS #emb einem allemal näher ift aB ber Kotf, 
brauchte fie ober aum minbeften ihre übermiegenbe SKebrbeit noch nicht 
am freien SluSblirf au hinbern. Unb bennod) geben fie fidj fo leicht ben 
aiBirtfchaftSfoterien gefangen; trofcbem helfen fic reblich baau, baft in 
einem faum noch au überbietenben SKaftc ba§ Schlagwort bie foaial* 
mtb mirtfdjaftspolitiiche XiSfuifion beherrscht; baft Sirtome, bie Don ber 
3forfd>ung längft über 93orb getoorfen mürben, immer mieber ehr» 
fürchtig bor ber Kation frieren geführt merben unb in ber Kegel, 
maS man fo öffentlich STOeinung heifet, hinter unferer bermaligen 
toiffenfchaftlicfjeit @rfenntni§ um ein SKenfchenalter aurüdgebliebeu au 
fein fcheint. Sft'S böfer JBitte? SIngefreffene ßharaftcre gibt'S in jebem 
23eruf unb bereinaelt mag auch ber mohl borbanben fein. Slber im 
allgemeinen mirb man fagen fönnen: gerabe nach ber Kichtung hat 
bie beutfdje treffe fich immer fauber gehalten. Xie 93cfted)ung bon 
^Subliaiften gehört gottlob bei uns 311 Sanbe nod) nicht au ben SWitteln 
beS politischen SleinfriegS, unb aud) jene milbere gorm, bafe irgenb 
ein armer Teufel mit einem SBIitf auf grau unb Sinbev feufat: „ü *aut 
vivre" unb aähnefnirfd)enb nieberfchreibt, maS er auS £eraenSgrunbc 
t>erbammt, ift überaus feiten. $n neunjig bon hunbert Säflen glauben 
bre Seute gana ehrlich, toaS fie berfünben; glauben an aH bic alters^ 
grauen Schiagioorte; nehmen $ina unb Suna ihre £ufecnbargumente 
bon ben Sippen unb mahnen allen GrnfteS, toenn fic mit ©cbatter 
Schneiber unb ^anbfehuhmacher in bem feid)ten 93ach ber 2?uIgäröfonomie 
plätfdö.ern, gegenüber einer berftiegenen unb bem Icbcnbigcn Ccbcn cnt= 

»otb ttnb 0nb CXX. »58. 5 



6^ Dr. Htdjarb Ba^r tn Berlin. 

ftembeten äBifienftfjaft bem „gefunben üßenfdEjenbetftanb" au feinem 3terf)t 
au betljelfen. 2>a§ ift% toa§ auf ben ©tanb unfetet politifdjen 
fuffion fo betfyeetenb eingettitft fyat; ba§ aptiotiftifdje 2)enfen, ba§ ja 
nur eine anbete* gorm be£ gejunben 2Kenfd)enbetftünbe§ ift, ^at fie 
niebetgeaogen. 

@£ ift nid&t leidjt übet biefe £>inge unbefangen 31t reben. Qu tet 
treffe fefjlt e£ nocf) meniget al§ in anbeten fteien Setufen an gegen* 
feitigem $afe unb SKifegunft, an @ifetfüd)teleien unb Äabale. Slbet 
mann immet einet an offenbate ®d)äben unfeteä SeitungSttefenä gu 
tii^ten toagt, fdjliefeen fid& ttrie auf ein Saubextoovt bie Siethen; bet 
füfytenbe $ubliatft Reifet plöfelid) in übetfttömenbet ©efüljl&pätme ben 
fcfyäbtgften Seilentepottet Skubet, unb alle befeelt nut nod) bet eine 
feutige äßunfdj, mit beteinten fitäften ben „Slngtiff auf bie Steife" 
autürfauVoetfen. 3Bir fyaben ba§ alle§ nod) bot ein paat 2Wonoten erlebt, 
aU bie 5£ifcf)= unb @djiff§gefptäcf>e be§ ®aifer§ mit bem glüdfyaften 33er- 
jdjleifeer bet „(S&ocolat -äJtenier" befannt toutfcen. Unb bod) öatte bet 
ßaifet in bet £au:ptfad)e butä^anZ tecfjt ge^bt. ©3 ift in bet Zat ein 
Unfug, bafe ßcute, bie häufig genug übet feinen anbeten 3onb§ ber« 
fügen. alz ein an fid) fef)r fd)äfebare§ äu&ereä Sformtafent unbefümmett 
auf bie -Ration loggelaffen toerben, fie au belebten unb au'fü&ren. 3Kan 
fyat im ©ommet fo biel bon bem 5£alent getebet, ba§ fid) felbet 93of)n 
btecfye; bon bem Gramen, ba§ bet Soutualift täglicf) unb ftünblidj bot 
bet Öffentlidjfeit abaulegen Jjabe, unb mie fein SBetleget fid) auf bie 
ÜDauet mit einem unfähigen STOitatbeitet befteunben toetbe. 2lbet man 
betgafe im fjeifeen 3ltem einet ebelen Seibenfdjaft bet aSinfentoaljtljeit, 
bafe untet ©Iinben fdjon bet ©inäugige bet gebotene Sönig fein fann. 
Sa, tpenn e£ fid) burd& bie 33anf um $tinaen au§ (Senielanb Ijanbelte. 
2>a3 ®enie au aügeln toäte f efbf tt) er ftän Mtd& 33etmeffenljeit; ba§ attrunett 
fid) fd)on ftaft eigenen 9ted)t§ ba§ ßeben^flofe, auf bem e3 fid£> unb 
un§ 3" neuen Ufetn fütjtt. Slbet in bet gtofeen SKe^taa^I finb toir 
3eitung§Ieute bod) blofe #anbto>etfet (idj gebe au: ®unftf)anbtt>etfet 
unb manchmal xvol)l aud) red^t talentbolle), unb unfere ßebenäaufgabe 
bleibt, ben aufgefteidjetten ©olbbottat in Heinen gefälligen ©tütfen 
untet ba§ SSoIf au btingen. 9?un loeife idö tool)l, bafe man au<^ aufeet- 
fyalb bet Unibetfitäten geiftige Sefifetümet fammeln fann unb bafe e§ 
noäj anbete ÜRittel gibt, fict) batübet au^aMüdfert, al§ ben affigen 8^"9 
bet ©yamina, in benen oft getabe bie feinften Äöpfe betfagen. $tü» 
fungen toenben fidfy nun einmal immet an ben ©utdjfdEmitt. me^t 
abet bet SoutnaIi§mu§ bie legten SRefte be§ So^metumS abfttetft unb 
aum teguläten 33etuf toitb; je toeniget bei bem troctjfenben ©ebarf 
unb ben fteigenben Slnfatikfyen feine Jftei^en an etgänaen nod) bet Qu* 
lauf ftatfet Begabungen genügen fann, bie fi(^ in feine <3d>abIone fügen 
mögen, obet (h>aB nü^t Ianbbefannte ®inge au befd&öntgen!) oudö 



(Eagespreffe uttfc EDiff enf dfaf t. 65 

ier ©eftfjeiterten, bie fidj bei iljrem ©djiffbrud) erinnern, bafe fie einft 
im beutfdjen 2luffafe eine gute 9Zote erbielten, um fo bringlidjer toixb 
i>ie 9Zotti)enbigfeit, aucf) ba3 IDletier beS ^ournaliften auf ben 2)urdj- 
fcbnitt einaufteflen. Sftatürlidb ift baS „allgemein« Stebafteurejamen" 
Unfinn. ©ine grofee Rettung ift ein fo fomjrtiaierter, fo funftbott ber* 
äftelter »au, baS $rinaip ber Arbeitsteilung f)at bei ibm in fo toeitem 
Umfange ©eltung, bafe e£ fdjledjtbiu unmöglid) toäre, für ade an i&m 
©<baffenben bie gleidjen 33ebingungen au ftipulieren. Sfber ä^nlidjeä 
toieberbolt fid) ja tr>o^I aud> auf taufenb anberen fiebenSgebieten. 3Iud) 
an unteren @\»mnafien ttrirfen ftubierte unb unftubierte ßebrer au* 
fammen, unb jebe gabrif fennt neben ibten Ingenieuren bon #odjfd)ut= 
bilbung fo unb fo bief aubere, bie nur ein £ed)nifum burdjltefen. 
2Ber irgenbtoo in einem begonnenen ßanbftäbtdjen mit iHeifter, ©d)ere 
unb ber gütigen 3Witrt)iffung beS £errn ßanbratS ein ^rei^blatt rebigiert, 
bon bem ft>irb man gettrife, ttne £reitfd)fe einmal Rottete, nid)t biel 
ntebr aB bie Shtnft bcS ßefenS unb ©djreibenS forbern bürfen. 2Tud) 
toer an einem fyauptftäbtrfdjen Organ über bie Iofalen ©reigniffe, ben 
©port ober bie unpolitifdje ©^ronif toadjt, toirb nidjt unbebingt mit ber 
flanken Silbung MefeS ©äfuIumS auSgerüftet au fein brausen. Sfber 
bon ben Scannern, bie au einer bod)£ebiIbeten Nation berufsmäßig 
über baS ©tolaefte unb ^eiltgfte, tt>a8 toir baben, über unferen ©taat 
3u reben fidfj bermeffeu, toirb man je länger je mef)r bedangen müffen, 
bafc fie fid) aud> mit ben Sffiiffcnfdjaften bom ©iaat bertraut mad)ten. 
®afe fie erfennen lernten, toie unfer ©taat tourbe unb tüte anbere ber- 
gingen; bafe ibnen fein Slufbau in Sßirtfdjaft unb 3tedjt in jebem 
Slugenblidf präfeut ift; bafe fie 'bie organifdren 3ufammenbänge ber 
2?off§tt>irtfd)aft überleben, unb toenn'S not tut, aud) toiffenfdjaftlid) au 
arbeiten bermögen. gebt nid)t an, bafe. über bie tiefften Probleme 
unfereS ftaatlidjen unb gefelffdjaf tilgen 3ufammcnleben§ bobeitöboü 
unb mit ebelem ©elbftgefübl ßeute au ©ericfyt fifcen, bereu gan$e 
Segitimation in einem aufädig nid)t gefdjtoänaten Streitfc^fefoHeg ober 
einem Slegifterfdjranf bott bergilbter gournalliteratur beftebt; bafe über 
frembe Staatsmänner uni SSölfer aburteilt, toer nie bie ©renaen ber 
engen Heimat berlaffen. $e bebeutfamer bie 3eitung für ba§ geiftige 
Seben ber Nation toirb, um fo Weniger ift bie Reform bi^r abautoeifen. 

Unb eine§ £age§ toirb fie aud> fommen. 2>en 3Beg, ben bie 6b^- 
mifer, bie 3abn= unb Xierärate befdjritten b^ben, merben früber ober 
fjxiter auä) bie ^ebafteure geben müffen. Unb bann merben fie ein- 
feben, tuie febr fie b\$fyv fidb inS eigene JJIeifdb fdjnitten. Sb^c foaiale 
Stellung tpirb ftdj mit bem SKoment beben, Wo ber SRebafteur ein afa= 
bemifdjer 93eruf ift tüte anbere aud). 3lber and) unfer gemeines 
SBefen b>irb bie n>of)Itätigen Solgen faüren. ^eute fübren bie ernft- 
haften ^ubli^iften gegen bie übeilüu^ernbe ©ebärbenfpäberei, gegen 

5* 



66 Dr. Hidjarb 23afjr in Berlin. 

bie ^aqb nadj unbeträdjttWfjen Informationen unb bcn Unfug ber btplo- 
matifd&en 9tedjerd>eure einen fd&ier au3fidjt§lofen Sam;pf. 2)a3 toirb 
bcffer toerbeu, menn ber in ßolleg unb Seminar eingepflanzte frititd)* 
Sinn unb bie tum bort überfornmene 2ftetf)obe erft Gemeingut aller 
Stebaftionen fein toirb. Unb in meitem Sogen merben ben guberiidtf* 
ltdjen <2ä)lagtoorten t>on ©ebatter Sdjneiber unb #anbfd>uljmarf)er bann 
au#meidE)en, bie in einbringenben Stubien ba§ 5ßroblematrfc^e in ben 
Singen au erfaffen lernten. SKur toenn £age§pref|e unb SBtffenfd&aft 
ficf) t>ermäl)len, fönuen bie Sournaliften, bie freute gu gut stoei dritteln 
burd) i§r üerantmortungSfdjmere^ unb bürbereicfjeS 2>afein ein @efüf)t 
unfcerbienter ,8urü<ffefcung fdjlejxpen, derben, ma§ fie bodj fein toollen: 
bie Sefjrer unb Saienprcbiger ber 9?ation. 




UevevbungspvobUnw. 



Von 

Dr. grttft leirfimann. 

— jranffurt a. in. — 

a§ man 33ererbung nennt, ift ein Konglomerat bon allen mög- 
lichen Sragen. tmirbe fdjtoer fein, fie äße bor einem 
weiteren Greife aufänroUcn. . (£o gilt e§ aß erfte§, ba§ 
Xljema abgugren^en unb beftimmte gragefteüungen su gewinnen. 

©anj allgemein läfet fidj SBererbung befinieren al§ bie S&itfadje, 
iafc Organismen -Wadjfommen hervorbringen, bie ifmen in hohem @rabe 
äfjnlidj finb: bie jungen ber Siafce finb immer tuteber Äafcen. 

Silber fogleicf) taudjt, tpenn man ficf) einen 5&urf biefer Stiere bor- 
ftefft, bie ©rinnerung baran auf, bafe fie, untereinanber unb mit ( ber 
IWutter berglidfjen, immerhin recht berfchieben auSfehen. £>ie SKutter 
fjatte bielleicht ein graues gell, unter ben jungen finben fidj foldje, bie 
fdjmarg unb toetfe geflecft, auch gang fdj-marg, gelb ober grau urtb fd/toarg 
meliert finb. 33ei genauem SBergleid) ergibt ficf), bafe fie alle untereinanber 
3ft>ar fehr ähnlich aber burdjauä nicht gleich finb. 

Stoei ^Beobachtungen liegen alfo bor. SDie eine geht baljin, bafe 
2>er 5£t)t>u§ ber Strt bon ©efdjlecht gu ©efdjlecht toeitergegeben toirb, 'ber 
onbere geigt, bafe biefer Xt)p inbibibuelter ober, tüte man fagt, fluftu- 
ierenber Variation unterliegt. 

<B ift a^ne loeitereS flar, bafe e3 fidj bei ber erften ©rfcheinung um 
eine SSererbung§frage hanbelt. Säber audh bie gtoeite fällt unter biefen 
@eft<ht3punft. 2tfan erfennt ba§, tnenn man an folgenbeS benft. 2>ie 
Äinber ber STCenfdjen geigen in ihrem Sufeern unb in ihrem Sfiarafter 




68 Dr. <£mft (Leiermann in ^rattffnrt a. IH. 

immer eine SDtifdjung eiteriger SWerfmale. SEßenn un3 ba§ ftinb Don 
33efannten toorgefleHt toirb, {o betradjten toir e§ faft als Sßflidjt, fofort 
ju fonftatieren, e§ Ijabe gana bie Slugen be§ SJaterS unb bie 9tafe ber 
■Uhttter. $ier toirb nun naib borauSgefefct, bafe e3 beiben ©Itern mög- 
lich fei, einen ©influfe auf bie ©eftaltung be£ $tnbe§ ausüben, if)re 
eigenen -Uterfmale in irgenb einer SSeife auf jenes au übertragen. 
Unb offenbar ift biefe ©rfdjeinung, baft närnlid) Sinber niemals 
bie genaue Sopie eine§ ifyrer beiben Eltern finb, bafe fie, an jebem 
Don if)nen gemeffen, gettnffe 2lbtoeid)ungen aufteilen, eben auf Ver- 
erbung aurütfaufübren. @§ fragt fiefj nur, ob fidj ettoa§ barüber au§* 
fagen läfet, toie biefe bon beiben ©Itern ausgeübte 93eeinfluffung be& 
i?inbe§ auftanbe fommt. SBorauf beruht e£, bafc im Sinbe inbibibuefle 
SSefonberBjeiten beiber eitern autage treten fönnen? 

2>a§ finb nun atoei gana beftimmte Probleme, benen toir un§ auf 
biefe ä&eife gegenübergefteHt fefjen. ®a£ erfte lautet: 3Bie erflärt 
e 3 f i d) , ba& f i d) ber 91 r 1 1 1) pu § bou © e f cf) I e d) t au © e - 
fdjledjt bererbt? alwtte Reifet: 333 i e erflärt e§ fid), 

bafe f i dj iniubibuelle S3efon bereiten beiber (Eltern 
auf bie •Kadjfommen bererben fönnen? 

3u biefen beiben gragen follen fid& bie folgenben Seilen äufeem. 
SBietteidjt ift e§ nidjt Diel, n>a3 bie gorfdjung 31t ibrer Slufbettung bi^^er 
geleiftet bat. ©idjerlidj ift e£ nid)t genug. SDemtod) lotjnt e§ ber -UKUje, 
ba§ wenige au erfahren, unb eä ift aud) gut, bie ©renaen au fennen, 
bor benen ber menfcfylidje ©eift nodj immer £alt ma$t. 

I. 

S)ie äftnlid&feit atoifdjen ©Itern unb Sßadbfommen 
ift eine fo alltäglid&e grfd&einung, bafe getoife mandjer nie auf ben @e- 
banfen berfaüen möchte, f)ier liege ein Problem bor. 9ßa§ ift natürlid&er, 
felbftberftänblidjer, als bafe bie 5hif) ein ®alb aur SEBelt bringt! @ä 
toäre abfurb au benfen, bafe überhaupt eine anbere 2Jiöglid>feit borläge. 
Sebodj, toenn man fragt, loarum e§ benn fo böflig aufeerfjalb be£ 33ereid|£ 
be§ Sßorfteübaren liege, bafe eftoa au§ bem ©i eine§ £uf)n§ ein junger 
SIbler auäfriedje, fo mürbe e§ toof)I nidftt gana leidjt fein, "barauf eine 
IjalbtoegS l>laufible SIntirort au geben. Unb barüber bürfte man fidE> 
nid/t einmal ftnmbern. 3)enn e§ gibt faum ein grö&ereä Stätfel, aB 
e§ ber Vorgang be§ ewigen Srei^Iauf§ lebenber 3Befen ift. 3Bie fieft 
organifierte Materie immer felbft erneut, in unabfebbaren Steigen Sri* 
bibibuum au§ ^nbibibuum f)erborge()t, jebe§ einaelne ba^infd&toinbet 
ba§ ©anae aber, bie 9Irt, ba§ Scbenbe au§ ber ©migfeit a» fommen 
unb in alle ©toigfeit %vl bauern fd&cint, erbaben über allen SBanbel ber 
SSergänglid^feit, immer unb unter allen Umftänben fidj gleiifi bleibend 
babor ftebt &cr menfd&Iid)e Vcrftaub ftiH. G§ ift ibm ein SBunber, unb 



Dererbungsprobleme. 



69 



bie iSvaQZ nad) bem gureidjenben ©runbe biefer ©rfdjeinung finbet feine 
Slntoort. 

S&enben roir bie ©liefe Don biefem gewaltigen Silbe ab. S)ie 
Sorfd&ung mufc fid) ja an bag ©ingeine unb ©infame ^ftcn; am Ursprung 
beginnt fie bie STrbeit, unb erft im Sufammenfliefeen all ber 2Bäfferd)en 
ffegießer unb fpcgieHfter Unterfud&ungen ttrirb fdfjliefelidE) ber breit 
unb tief flutenbe <Strom tt>irfltdf;en ©rfenneng. Su ben Anfängen beg 
Sebent alfo gilt eg binabgufteigen unb Umfd&au gu galten, ob fid) hier 
nid)t ein afynenber ©inblicf gewinnen Iäfet. 33ießeid)t geben jene fieinen, 
einfachen Organismen, bie man Urmefen ober $rotogoen nennt, unferm 
fudfjenben äßiffen fei eg aud} fpärlidje Nahrung. SBie alfo betoerf- 
ftefligen biefc Stierdjcn ifjre Sortpflangung, toie geht bort bag Sehen 
öon einer ©eneration auf bie anbere über? 

©g ift befannt genug, bafe $rotogoen ein 3 ellige SBefen finb. 
3>ag Element, aug beffen taufenb* unb miflionenfadfyer 3ufantmenfefeung 
fidj alle f)öf)eren Sßflangen unb 5£iere aufbauen, tritt in ihnen in felbft- 
ftänbiger Unabhängigfeit auf. ©ine eingige, meift mifroffojrifdj fleine 
3eße lebt f)ier ihr Sonberleben, boßbringt aß bie bertoicfelten Stiftungen, 
ofme bie Seben nidjt ßeben toäre. Sie betoegt ficb, reagiert auf bie 
"mannigfacbften Sfeige, affimiliert unb biffimiliert, toädEjft unb — pflangt 
fid> fort. Unb bieg gefdjieht nun auf fehr einfache 3lrt: fie teilt fid;- 
in gtoei Hälften. Seobadjtet man foldje Tierchen längere Seit, fo Fann 
man bem Vorgang beitoohnen, fo oft man toünfdjt. SKan fieht bann 
eÜDa, toie eineg ber raftlog umherfdjtoimmenben ober friedjenben SBefen 
ftiH fteht, fich abrunbet unb giemlich fdjneß im Squator burd) eine bon 
ber SJSeripfyerie gum 3cntrum fortfdjreitenbe ©infurchung halbiert toirb. 
Sft bieg gefdjehen, fo nehmen bie beiben SEodjtertierchen jebeg für fich 
alöbalb bie Sebengmeife ber SWutter auf, beginnen fid) gu betoegen, gu 
nähren unb gu toadjfen, big jebeg etoa bie ©röfee feiner einfügen üfiutter 
erreicht ^at. 2>ann toieberholt fid) an ihm ber eben befcfjriebene Vor- 
gang, unb fo geht eg ohne Unterbrechung in alle ©toigfeit fort, Teilung 
folgt auf SEeilung. 

Da§ äßefentliche liegt in folgenbem: hat ein eingeßigeg SBefen ein 
beftimmteg SJtofe erreicht, fo gerfäßt eg in gtoei Steile, bie toieber jenem 
beftimmten 3Wafee guftreben, um fich aufg neue gu teilen. 2tug einer 
3efle toetben immer gmei, inbem eine genau gleiche Verteilung aßeg 
beffen, tr>ag jene befafe, auf biefe erfolgt. Slnfangg finb bie gmei 5£od^ter- 
gellen natürlid^ fleiner alg iJjre SWutter; aber bag ift audö ber eingige, 
aUbalb berfcftminbenbe Unterfd^ieb ber beiben ©enerationen. §m übrigen 
gleid&en fie fid^ DoIIfommen. S)afe bei bem befdftriebenen 9Wobug ber 
3fortt)fIangung überliau^t irgenb etoag anbereg ^eraugfommett fönnte, 
U)irb bißigertoeife niemanb erwarten, ©eben toir nun bem eingeüigen 
SBefen, bog toir beobachtet haben, einen 9?amen, eg beifre etoa Amöba 



70 Dr. €rnft (Leiermann in ^ranffart a. IR. 

proteus ober Paramaeciuiu caudatum, fo toirb man jagen biirfen: 
bafe auS einer Sfmöbe immer lieber Stmöben Ijerborge^en, fann nicht 
tounbernehmeu. SBie follte eS anberS fein, ba fid, bodj bie erfte ©ene* 
ration einfach gur gleiten auSmächft. #ier finb bie jungen im SDioment 
ihrer ©ntftehung gerabeju ibentifd) mit ihrer 9Kutter; baSfelbe aber 
fann umitöglid) t)on fid) felbft t>erfd)ieben gebaut toerben. 

Der Übergang ber ben 3lrt=Stg;puS repräfentierenben (Sigenfchaften 
bon einer ©eneration auf bie anbere fcollgieht fich bei einseitigen ßrga* 
niSmen burd) S^iteilnng. SBoHte man fragen, nxirum benn überfjau-pt 
folche SSermehrung ftattfinbe, fo mag ettoa auf folgenbeS hingenriefen 
toerben : Sebenbe SBefen t>ermögen nur gu befielen, inbem fie fortnxthren* 
ben SubftangauStaufd) unterhalten. Ohne Unterlaß befeitigen fie Stoffe 
aus i^rem Körper, ohne Unterlaß auch erfefcen fic ben Slu^faÜ bur(h 
anbere, bie fie aufnehmen, So ftellt fid) Seben bar als ein ununter* 
brodln burd) ben 5lötper organifdjer 2Befen hinburdjgeheuber (Strom 
t>on SubftanjteUchen ; ohne Stofftoedjfel toäre Sebcn unbenfbar. 9tun 
ift eS eine burchgefjenbS au beobadjtenbe £atfadje, baft Organismen 
toährenb einer beftimmten Sßeriobe ihres 2)afeinS mehr Stoffe auf* 
nehmen, als fie abgeben ; folange fie baS tun, nehmen fie an Umfang %u, 
fie toadjfen. SßachStum toieberum ift nicht ohne ©renken; eS gibt ein 
bcftimmteS 2ßajimalma6, baS nicht Übertritten toerben fann, ohne bafe 
ber £)rgant§mu§ Schaben erlitte, in ber SüuSübung feiner Samftioncn 
geftört mürbe, abftürbe. 2Bitt er baS bermeiben unb ift Stofftoechfel 
mit Stoffgunahme unbermtoblid) berbunben, fo bleibt fein anberer 
SfuStoeg als ber, ben baS ^ßrotogoon einklagt: eS mufe fid) teilen unb 
auf biefe SBeife bon feinem eiabarras de richesse befreien, gort« 
i)flan5itng toäre alfo im legten ©runbc nid,tS als bie gludjt bor ben 
berberbfidjen SBirfungen eines fich unaufhaltfam fteigernben SßachStumS. 
#at bie Stmöbe baS SRarimalmaB ber ©injeßigfeit erreicht, fo berteilt 
fie fid) auf gtoei 3eßen; fo fiebert fie fich bie gortepfteng, in ber fie 
fonft ernftlidj bebroht toärc. Die SEßeitergabe ber SpegieScharaftere bon 
einer ©eneration an bie anbere, als toeldje fich hierbei SBcrerbung mani* 
feftiert, ift alfo Iefctfid) nur ein 5£eiIprobIem, aber eS ift bentlich, bafj fid) 
bie Srage ber SScrerbung hier gänzlich in bie ber gort-pflangung auf= 
Iöft. S3or ihr aber macht bie gorfdjung $alt, benn fie höt bisher nicht 
ernftlich in Süngriff genommen, ben gurei^enben ©runb bafür gu ent* 
beden, taarum Seben an ben immer fid) toieberholenben Kreislauf ber 
©enerationen gebunben fein fofl. 

Sehen mir in ber SSercrbung bie Sßeitergabe ber 2frtd)araftere bon 
©eneration an ©eneration, fo möchte toohl biefer Vorgang bei einseitigen 
IBefen bem SSerftönbniS feine Sdjtoierigfeiten bieten, bie unüberttrinbridj 
toaren. 33ie[ge[Iige SBefen, inSbefoubcre höhere Ziere unb mit ihnen 
ber 2ftenfd), fdieinen fich aber toefentlid) anberS au berhalten. SHIein 



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Üererbungsprobleme. 7\ 

eben baS fragt fidj, ob fid) nidjt bietteicljt eine 23rüde fd)lagen Uefee, 
bie bie fompliaierten SSer^ältniffc ber Säugetiere mit bem einfädln 
Vorgang ber Sßrotoaoenteilung berbänbe. 

Sei ber Sucfje natf/ folgern 3ftifdjcnglieb faßt ber 93Iidf auf ge* 
ttnffe Organismen, beren Slörper tfüax fdfan auS fielen &eüen auf* 
Qebaut ift, bie aber bodj nodj, mit ben Ijödjftentmidelten äßefen berglidjen, 
4>rimitit>e SBerljältniffe barbieten. @S finb Organismen, bie im tt>efent= 
lidjen einem Sdjlaudfje gleiten, beffen eines (£nbe gefdjloffen ift. ®ie 
Öffnung bient als -Uhtnb, buref) ben bie -Raffung in ben £of)Iraum, 
ben „SKagen" gelangt. SWandjem mag ber aierlidje ©iifetoafferpoIt)p, bie 
„$9bra" befannt fein, bie unfere Xtitfy* betoölfert unb mit Ujren feinen 
langen Straten Heine iirebfe unb 2Btmt>ertier<feen einfängt, ban benen 
fie fidj näf)rt. 2ln fold; einer $t)bra getoafjrt man fetyr f)äufig eine Heine 
Änof-pe, bie auS iljrer Seite fyerborftrofet. 3uerft nur eine faum merf- 
lid&e #ertoorireibung ber ftörpermanb, tturb fie balb fdjlanfer, nimmt 
beftimmtere ©eftalt an unb mädtft fidj ju einem Keinen Stbleger beS 
SWuttertiereS auS; er tut am borberen (Snbe feinen SKunb auf unb um* 
gibt iljn mit einem Saraus Heiner Sangarme: fdjliefolidj madjt er fidj 
t)on ber äßutter loS unb beginnt auf eigene Sauft ben ßampf um 
feine @£iftena. 

Solche 33ermef)rung burdj Snofpenbilbung ftct>t ber Sßrotoaoenteilung 
nidjt fern. Sttud) bei üjr Jjanbelt eS fief) um nidfjtS aB 3^ÖteiIung. 2tn 
irgenb einer Stefle beS $t)braIetbeS ift eine QflLt im S3egriff, baS if)r 
gefegte SDlajj beS SßadjStumS su überfdjreiten; fie mufe fid, teilen. 2Iudj 
ber $t)brafört>er Ijat eine ©renge, bie er nidjt überfdjreiten barf; er 
fann nidjt unbefdjränft tücle fetten beherbergen. So mufc er benn, 
ttrirb feiner SaffungSfraft ju t>iel augemutet, bie Überflüffigen abgeben: 
fie treten ein toenig über bie Oberfläche beS Körpers herfcor unb bilben 
bamit ben aHererften SInfang beS neuen SBefenS. 2)a ftat nun, toaS 
an überfdjüffiger Sraft burdj ben ©rnäfjrungSftrom bem £iere augefüfjrt 
tturb, einen bequemen SluStoeg: Teilung folgt auf Teilung, Qtilz reif)t 
fid) an 3eHe, bis enblidj bie finof^e fid) aum Keinen $olt)t>en auSgeftaltet 
hat, ber fidj bom Stamme beS Muttertieres loSmüdjt unb fortan fein 
Sonberbafein führt. %m ©runbe ift baS aßeS t>on bem ©ebaren ein« 
fettiger Organismen nicht fo fehr berfdjieben: nur baS SluSeinanber- 
treten ber 5EeilungSt>robufte unterbleibt, bie 3^Ien bilben einen feften 
SJerbanb. 

greilidj ift gerabe hiermit ein SDtoment fcon tiefeinfdjneibenber 93e* 
beutung berfnüpft. SDenn toährenb cS bei ber $rotoaoenforti>flanaung 
faum borfteßbar toar, Irie fidj ber Slrtt^uS bom 2>hittertier etoa 
n i t auf beffen 2)erit>ate übertragen foHte, tritt bei ber $^braf nofjmng 
Sum erften Sßale baS 9tätfel ber auf eine beftimmte Sorm aielenben @nt- 
njicflung auf. SEßarum ge^t aus ben überflüffigen 3etten nid^t ein 



72 Dr. (grnft (Edelmann in ^Jranffurt a. IH. 

regellofer #aufe ^eröor? äBarum geftaltet fidj üu£ ti&nen gerabe ttrieber 
ein SBefen, ba3 fid) fofort aB Stobra erfennen unb beftimmeu Iä&t? 2>a£ 
finb fragen, bie fid) ben am Slnfang btefer 2Tu§führungen aufgeworfenen 
&ugefetten; tute bort, fo fe£)It audj hier bie Slnttoort. 3)a§ Problem beä 
gormatiben liegt noch immer ttrie in einem 93udje mit fieben Siegeln 
berfcfjloffen. 

Unb ba§ gleiche 93efenntni3 toürbe abgulegen fein, menn ettoa 
nun bte leeren £iere ber eben angetrxtnbten $etrüdjtung§tt>eife unter* 
morfen toürben. Sftidjt fd^n>er fällt e§ freilich, bon ber ®nofpe ber 
$t)bra au bem ©mbrtjo im mütterlidjen ßeibe 3U gelangen. Sßar e3 bort 
ein ©Iement ier äufeeren «Schicht, au§ ber ©enerationen bon Soffen 
hervorgingen, um fid} nach aufeen f)in 3um neuen £)rganBmu§ aufju- 
bauen, fo ift e§ hier eine im Innern be§ Äörperä geborgene 3eße, 
ba§ mütterliche (?i, au§ bem a£f jene jahUofen Keinen SBefen entfpringen, 
bie ben Körper be£ toerbenben CrganBmu§ 3ufammenfefeen. Unb ttrie 
ba§ @i im Innern ruht, fo boUäieht fid) bort auch feine (Sntttricflung, 
bi§ fie jene $öhe erreicht bie bem jungen erlaubt, an§ Sicht be§ Xage§ 
3U treten. %\x\ ^xin^xp ift h^r aHeS ttrie bei ber fnoffcenben #t)bra. 
£er ganse 33erlauf unb äufeere Hergang bon ber erften Teilung be§ 
@ie§ bB 3ur SßoHenbung ber Srucht fann erforfdjt merben unb ift im 
toefentlidjen befannt. Sfber ba§ alle§ gibt feinen Stuffcfjufe barüber, 
toa£ e§ eigentlich ift, ba3 bie 3^n 3tningt, biefe ober jene ©eftalt an* 
aunehmen, biefer ober jener 3)iffcrenaientng fid) gu unterhielten. Hub 
baran hängt e§ bod), bafe au£ ber $bbra bie £t)bra unb au§ bem 
2tfenfd)en ber 3Kenfdj herborgeht. 2>ie Srage nadj ber Sßeitergabe ber 
Slrtdjaraftere bon ©efdjledjt 311 ©efdfclecht, ba§ ift aber ber Inbegriff 
aller 33ererbung§fragen, fällt 3ufommen mit bem Problem be§ fidh in 
etoigem ®reBlauf felbft erseugenben unb formenben Sebent. ©0 toirb 
fie auch — toenn überhaupt — nur gelöft toerben, toenn bon biefer $rage 
ber fragen aller Sebenäfunbe ber t>erbüllenbe Soleier hintoeggenommen 
toirb. 

II. 

$roto3oenteiIung unb $t)brafnofpung beseidjnet man aB unge« 
fchlechtliche ober be^etatibe SSermehrung; fie ift bei einfach organifierten 
SBefen gewöhnlich. 2)od> tritt audj bei ihnen fd)on jene 2lrt ber gort* 
Dflanaung, iDenn auch nur gelegentlich, auf, bie bei ben höheren Bieren 
unb $ffan3en faft au3fd)liefelicfy herricht: bie gefd^Ied&tliche SSermehrung. 

SBorin befteht ba§ 2Iu§3eichnenbe biefer 3fortl?fIan3ung§art? ®§ 
finb 3 e i 3cHen, burd) beren 9Serfdhmel3ung ber ©runbftein unb 3Iu§- 
gang^unft für ba§ neue Sfnbibibunm gefdhaffen mirb. ©i unb ©amen* 
3eße müffen fid) bereinigen, bamit eine ©ntoicflung einfe^en fönne. 
^ene§, bie mütterliche 3^^^, hat bte gähigfeit berloren, fich fpontan 



— Dererbnttgsprobleme. 73 

3U teilen; erft burd) bie Aufnahme ber Spermie, bie bem 33ater ent- 
ftammt, ermirbt e£ fid) bie 9ftögli<hfeit 3urücf, in bie ©nttoidlung ein- 
zutreten, fturg nadjbem fid) bie beiben Seimaetlen bereinigt haben, 
leitet ba£ „befruchtete ©i" ben Sßrosefe ber 3eßteilungen ein. 

Sdjon ber Sefunb, ba& bie S3ilbung eines neuen Snbtknbuumä 
Don gtoei gejd)led)tlid) bifferenaierten fetten abhängig gemacht ift, toeift 
borauf hin, bafe beibe eitern beffen SluSgeftaltung tüerben beeinfluffen 
fönnen. 2)ie erfte 3efle, mit beren Jteilung ber ®eim in bie ©ntftricflung 
eintritt, ift ia in gana eigentlichem (Sinne ein ©raeugniS bäterlid>er 
unb mütterlicher $erfunft. Stber eS liegt naf)e, fid) ber SWeinung f)in* 
3ugeben, bafe trofebem ber SWutter ein überttriegenber ©influfe auftehe. 
2)ie ©iaefle ift unter aßen Umftänben biel taufenbmal gröfcer als bie 
Spermie, ©elbft für Stiere, beren ©ier höchft arm an Sottet unb baher 
ttrinaig Hein finb, trifft baS 3u. £>er (Seeigel 3. 23. probuaiert berartige 
©ier, beren Surdjmeffer ettua einem mit fehr 3ugeft>ifetem SBleiftift 
gemalten feinen $ünf tdjen gleich fommt; fie finb eben noch mit bloßem 
äuge fidjtbar. Unb bodj toirb ber ©amenseHe beSfelben 5£iere£ bon 
einem ©elehrten nur etttxt ber 500000fte £eil biefeS 33oIumen£ 3uge- 
fprochen. nun fdjon folcher Unterfdjieb in ber ©röfee ber <3e* 
fchledjt&probufte bebeutenb genug, fo trirb er gerabeau riefenhaft bei 
allen ben Organismen, bie fo botterreiche ©ier hervorbringen, ftrie 3. 33. 
bie Sögel. 3Bäf)renb nun bie (Samensefle biefer Stiere ni<ftt toefentlid) 
grö&er ift, ttrie i)ie be£ (Seeigels, Verhalten fid) i>ie Eier, bie hier ttrie 
bort eine einige 3eße barfteßen, gan3 anberS: baS kühner* ober gar 
baS (Straußenei ift um biele SWißionen mal gröfeer als baS ©i beS <See- 
igelS. SBoßte man nun baS 33erf)äItniS ber SSoIumina bei ben ®e- 
fchled)tS3eflen ber SSögel sahlenmäfeig auSbrüden, fo n>ürbe eine gana 
abenteuerlidje Strahl t>on üftuflen bem ©iner folgen müffen. 

Unter biefen Umftänben hot ber ©ebanfe einer ftarfen flßräbalenj 
ber STOutter in ber Vererbung ettoaS SSeftedjenbeS. 2)a3u fommt, bafe 
fidj bei bieten Organismen ber Äeim in unmittelbarer 9lbhängigfeit 
bon ber Üßutter entmicfelt unb fid) erft auS ber Sßerbinbung mit ihr löft, 
menn er relatib meit in ber SluSbilbung fortgefdjritten ift. 2)ennod) 
fyat bie 3orid>ung untoiberleglid/ nachgetoiefen, bafc Sßater unb SDhitter 
hinfidjtlidj ber Übertragbarfeit ihrer Dualitäten auf bie 9tad)fommen 
t)ößig gleichgefteßt finb. Skibe ©Itern fyahen an fidj biefelbe SRöglidöfeit, 
ihre inbiöibueßen SSefonberbeiten bem Spröfeling tfjrer Sßerbinbung 
aufaitbrütfen. SBie fann baS gesehen? 

3>ie einaige ©elegenheit baau ift gegeben, toenn fidö ©i- unb ©perma* 
aeße bereinigen, ©oß ber SSater mirflich feine befonberen SWerfmale 
bererben fönnen, fo müffen biefe in ber bon ihm ftammenben Opernta* 
3eße irgenbmie angelegt fein. 2>enn ift biefe einmal mit bem ©i ber- 
fthmolaen, bann gibt eS feinen SBeg mehr, auf bem er ben toerbenben 



7^ Dr. £rnft (Ectdjmattn in <$ranffnrt a. OT. 

Organismus erreichen fönnte. 80 ift eS benn geboten, ben SBorgang 
bcr 3*Köeretnigung genauer au betrauten, um herauSaufinben, ob fid) 
nicht SlnhaltSpunfte bafür gewinnen Iaffen, Vorauf bie ©leidjheit beS 
elterlichen ©influffeS beruht. 2)ie SBorgänge, um bie eS ftdE) hier Rubelt, 
fiub äufcerft aarter unb feiner 9iatur; fie fönnen nur mifroffopifd, unter 
Stntrenbung ftarfcr 3i)fteme ftubiert merben. £ier fann eS nur barauf 
anfommen, baS Slüertnefentlichfte herborauheben. 

?ttte SeÜen unb fo aud) bie ©efchledjtSaetten befifcen einen „Kern", 
ber fid) als ein heHeS Slawen auS bem umgebenben SJJrotopIaSma 
heraushebt. SDer Sern ift für bie SBererbungSfrage ber ttridjtigfte Steil 
ber Sette. «Betrautet man baS ©inbringen ber Spermie in baS ©i, 
fo fieht man, tüie jene alSbalb nach ihrer Xufnahnte in baS ©i beträchtlich 
an SBoIumen annimmt, bis fie bem gifern böltig gleidjt: fie fteüt in ber 
Xat nichts anbereS bar als einen Sern; toaS fonft nod) aur 3efle gehört, 
ift auf ein SWinimum rebuaiert unb fommt faum in Betracht. £ie 
SSerfchmelaung öon ©i* unb ©amenaetfe ift mithin eine 93erfd)melaung 
\t)xev Kerne. 

Sei biefer Sachlage ttrirb fid, baS ^ntcreffe barauf rkhten, au 
erfahren, toaS benn biefe Kerne enthalten. Sie umfchHegen mehrere 
33eftanbteüe, toon benen aber nur einer l)'\ev bon SBichtigfctt ift. ©r 
fommt befonberS beutlich aur Stnfdjauung, menn fich ein Sern teilt. 2>aS 
gefdjief)t jebeSmal bann, n>enn fich and) bie 3eÜe teilt: mit jeber 3eQ s 
teilung mufe ja eine Kernteilung berbunben fein. 39ei foTdjer ©elegen* 
heit fieht man alfo Heine Stäbchen, bie aus minaigen tote perlen an* 
einanber gereiften Körperchen aufammengefefct finb. SDtan hat ihnen, 
n>eil fie bie ©igcnfdjaft befi^en, getoiffe garbftoffe befonberS gut anau* 
nehmen, ben -Kamen ©hramofomen (Chroma gried). Sarbe) gegeben. 
Solche ©htomofornen treten nun immer in einer gana beftimmten 2ln* 
aat)l auf, bie für alle Sellen einer organifdjen 9frt ttjpifd) ift: eS gibt 
Organismen, bercn Sellen fämtüd/ bier ©htomofomcn enthalten, anbere 
haben acht ober fedföeljn ober bierunbainanaig ufro. © i n a i g unb 
allein bie KeimaeHen befifcen nur bie $älfic ber 
ttyptfdjen 3öhl. $aben totr eS alfo mit einem £iere au tun, für 
baS adjt bie djarafteriftifche @hromofomenaal)l ift, fo finben fi<h im 
unbefruchteten ©i ebenfo toie in bcr SpermaaeHe nur je bier biefer ©le* 
mente. ©rft burdj bie ^Bereinigung ber beiben © e * 
fchlechtSaellen, bei ber ihre Kerne berfchmelaen, tvixb 
bie 1 9 p i f d) e 3 <> f) I mieberf)ergeftellt. $eber ber beiben 
Kerne führe in unferem Salle bier chromatifdje Stäbchen mit fid), fo bafe 
baS „befrutf ; tete ©i", beffen Kern aus 6i= unb Spermafern herbor» 
gegangen ift, ftrieber acht ©hromofornen enthält. 

SBenn nun toirflid) ber mütterliche unb ber bäterlidje Organismus 
gleiten ©influfe auf bie ©eftaltung beS jungen fjaben foflen, fo ift au 



üercrbungsproblemc. 



75 



bermuteu, baß bie ©fyromofomen beffen Präger ober aftittler feien, betin 
fie finb ba£ ©inaige, maS aur SBilbung be§ SeimeS bon ben beiben ©Itern 
in genau gleicher 3af)I unb SDtaffe beigefteuert toirb. 

916er finb bie ©fjromofomen toirflid) bie Präger ber SBererbung? 
Siefe Srage barf man ^eute aufc>erfid)tlidj bejafjen. üftüftielige unb a. 
aufeerorbentlidj ingeniöfe experimentelle Unterfudjungcn Ijaben eS in 
f)oF)em ©rabe maf)rfd>einlidj gemadjt, bafc bie 9Irtd)araftere mittels ber 
djromatifdjen <5ubftana bon einer ©encration auf bie anbere übertragen 
merben. ©S fei nur auf eine Jtatfac^e fyingemiefen, bie überaeugenb ttrirft: 
93cfeitigt man aus bem Sern eines ScimeS eines ober mehrere ber d)ro« 
matifdjen Elemente, fo nimmt beffen ©nftüicflung niemals einen nor- 
malen SScrlauf; eS treten ftetS $efcfte ober t>atf)oIogifd)e 33er* 
änberungen auf, in beren Sofge ber Seim auf frühen Stabien abftirbt. 
gür biefe ©rfdjeinung Iäfet fid) eine ©rflärung nur geben, toenn man 
annimmt, baj$ bie auS bem Sern entfernten ©fjromofomcn bie 2Tnfogcn 
für eben jene ©igenfdjaften enthalten fjaben, bie ber patljologifd) gemor* 
bene Seim bermiffen läßt. 3>aS fteifet ntd^t§ anbereS, als bafc Sßer* 
erbung an djromatifdje ©ubftana gebunben ift, beftimmter nodj, bafe jebeS v 
einaelne ber djromatifd>en ©lemente eine ^nbibibualität barfteüt: nicf)t 
ettaa ift ber gange Som*>fer ber Strtmerfmale in jebem bon ifinen an* 
gelegt, fonbern beftimmte ©igenfdjaften finb an beftimmte djromatifdje 
Stäbchen gebunben. Sreilidj ift nicf;t für iebeS Organ ein ganaeS ©fyro* 
mofom berfügbar: eS mürbe ja fd)on angebeutet, bafe fidj Heinere ©in* 
Reiten an iljnen unterfdjeiben Iaffen unb eS fteljt nidjtS im Sßege, audj 
biefe toieber als Somplere aufaufaffen. 

Sdtfiefelid), unb baS ift für bie ftier ^u beljanbelnbe <$ragc baS 
äBidjtigfte: jebe ber beiben ©efd)IedjtSaetten enthält bie jur 2tuSbilbung 
eine3 normalen ^nbibibuumS nötigen ßfjromofomen fdjon für firf) aflein. 
3Kan fann ein unbefrudjteteS ©t burd) eine beftimmte 33e£)anblung 
t>eranlaffen, in bie ©ntoidlung einautreten, bie unter günftigen Ilm* 
ftänben bis gur Sßrobuftion eines ganzen unb normalen Öugeubau* 
ftanbeS füljrt; eS ift audj möglicfj auS einer SpermageHe ein gIeid;eS 
Siefultat au eratelen, oljne bafe fid) beren Sern mit einem ©ifern bereinigt 
Öätte. SSeibe Experimente betoeifen, baft jebe ber beiben @efdjled)ts* 
gellen in ber falben für bie SIrt tijpifdjen 6fjromofomenaaf)I fdjon afle 
Anlagen befifct, bie aur SluSbilbung eines normalen SpröfelingS nötig 
finb. SDarauS folgt unmittelbar, ba% baS ©i nad) ber 99cfrud)tung, bei 
ber fid) ja bie Serne unb bamit aud) bie ©Ijromofomcn einer müttcr* 
Ii^en unb einer t)äterlid>en ©enitalseße t>creinigen, smet SererbungS' 
fomt)Ieye in fidj birgt: jeber gefd^Ie^tlid) erseugte Organismus ent« 
f-pringt alfo einer 3eße, in beren Slern iebeS 3lrtmcrfmal burd) atpei 
3tnlagen t>ertreten ift, toon benen immer bie eine Horn SSater, bie anbere 
Don ber -Mutter ftetrüljrt. 



76 Dr. €rnß (Eeidjmann in (franffurt a. HT. 

@in einfaches 33eifatel mag &ur meiteren ©rläuterung bienen. SEßenn 
rotblüfjenbe mit meifjblühenben ©rbfcn gefreut merben, fo blüht her 
SJaftarb rot. @r tut ba£ einerlei, in meldjer Stiftung bie Sreujung 
erfolgt, ob alfo ber Sßollenftaub bon ber rotblühenben auf bie meiB* 
blühenbe ^flanje gebraut mürbe ober umgefehrt. 2>er <£d)lub, ber hieraus 
5u aiehen ift, geht bahin, bafc fomohl in ber männlichen mie in ber toeib» 
liefen Stirnseite ber rotblühenben (Srbfe baS SDierfmal ihrer 2farbe an* 
gelegt fei: $oHenfern mie ©tselle mufe bie SInlage „9tot" beherbergen. 
SBäre cS nicht fo, bann fönnte ber 23aftarb auS rotblühenber unb toeife* 
blühenber ©rbfe nicht jebeSmal rot blühen, ob nun feine SHutter 
ober fein SSater 33lumen biefer garbe befafe. ®ie ©leidjheit beS (Erfolges 
bei medjfelfeitiger Sircuaung atoingt su ber Sinnahme, bafc bie SInlage 
für baS beftimmte SWerfmal ber 33lütenfarbe in jeber ber beiben ®e» 
fchledjtSaellen Vertreten ift. 

SIber baS ^ntereffe an bem gefdjilberten 33aftarbierungSe£t)eriment 
ift mit biefer fionftatierung noch nicht erfchöpft. gm allgemeinen er- 
martet man, auS einer Sreuaung einen „SWifchling" fjerborgeben 8U 
fehen. SBarum blüt)t ber ©rbfenbaftarb rot unb nidjt etma rofa, maS 
einer Kombination bon rot unb meife entffcrechen mürbe? $ier liegt 
in ber £at ein Problem bor, beifen fiöfung bon grofeer 93ebeutung fein 
mürbe. @S ift flar, baf$ bie SeimaeHen ber mei&blühenben (Erbfenraffe 
binfufjtlid) ber SInlage beS SJterfmalS „meifje 93lütenfarbe" genau fo 
gefteQt fein müffen, mie eS für jene ber rotblühenben ©rbfe geforbert 
mürbe: in ieber bon ihnen ift bie meifee 33lütenfarbc burch eine Anlage 
bertreten. 93ei ber 33efrudjtnng fommen nun, ba eS fid> ja um eine 
Steugung ber rotblühenben ©rbfe mit ber mei&blühenben hcmbelt, bie 
beiben Anlagen für bie Slütenfarben gufammen; ber Sern ber befruch- 
teten eigeHe enthält eine SInlage für „3tot" unb eine für „SBeife" — 
bennodr Wüht bie ^ftanje, bie auS foldjer Seite entftebt, immer rot unb 
niemals meife. 3)ie SInlage für bie rote 93lütenfarbe läfet bie anbere 
nicht auffommen, fie unterbrüdft fie: man bcaeidjnet baher baS burdy fie 
vertretene 9fterFmaI als baS „bominierenbe" gegenüber bem „reaeffiben" 
ober aurüdfmeichenben anbern 3Werfmal. SBarum hier „3tot" über 
„SBeife" bominiert, ift nicht su fagen. SIber ber gaff ift lehrreid), meil 
er seigt, mie unter Umftänbcn SKcrfmale eines ber beiben Ottern in bem 
ffinbe böHig auSgefdjaltet fein fönnen, obgleid) fie boch ber SInlage nad) 
im Seim, ja auch, mie fidj noch aeigen mirb, im auSgemad&fenen $nbi= 
bibuum borhanben ftnb. 

2>em rotblühenben ©rbfenbaftarb fei ba§ $robuft einer anbern 
Sreusung an bie <Seite geftetft, ba§ fitf) ganj anber§ berhält. Mirabilis 
Jalapa fommt ebenfalls in einer meifeblühenben unb einer rotblühenben 
SSartetät bor mie bie ©rbfe. SIber ber 93aftarb hat hetfrofenrote Blüten: 
er fteht alfo in ber Witte a^fdjen feinen ©ftern: beren 9?lütenfarben 



Dererbungsprobleme. 



77 



rofenrot unb toeife treten bei tbm au ftettrofa aufümmen. #ier bominiert 
feines ber beiben JWerfmale; fie finb gleid) ftarf, fo bafe auS iftrer Kom- 
bination eine gnrifd&en ben elterlichen Sorben ftefjenbe 33lüte berbor- 
geftt. SDer ©aftarb bon HttirabiliS bilbet ba8 ©nbglieb einer Steifte, bie 
mit bem ©rbfenbaftarb beginnt; atoifcften beiben gibt e3 eine grofje gaftl 
aller möglidjen Übergänge, bie bartun, ba& ficft ba3 SBerftältniS atoifdjen 
bominierenbem unb reaeffibem SWerfmal bis gur völligen ©leidjberetft* 
tigung beiber in üllmäftlidjer Stbftufung berfdjieben fann, SBelcfter 
Saftor aber für feine ^Regelung beftimmenb ift, liegt bur<ftau3 im 
SDunfeln. 

®ie 33aftarbierung3berfucfte, beren ©rgebniffe bisher bargeftettt 
tourben, jeigten Stoeierlei. einmal ging au§ iftnen fterDor, bafe iebcB 
SRerfmal jebe§ ber ©Item ber Anlage nacft in ber KeimaeHe borftanben 
fein mufc. 3tl§ bie materiellen ©runblagen hierfür bieten fidj nun 
unge^mungen bie ©ftromofomen bar. %n iftnen ftnb bie elterluften 
SKerfmale aB ber Anlage nacft re^räfentiert au benfen. Smax geftt e§ 
nicftt an, für iebeä SWerfmal ein ganjeS ©ftromofomen in 2tnfprucft ju 
nehmen, aber e§ ift fcfton ertoäftnt toorben, bafe bie cftromatifcften @täb<f,en 
au§ Heineren Kört>erdjen aufgebaut finb, bie mieberum zerlegbar fein 
fönnten. @o fteftt benn nicfttS im SBege, bie ©ftromofomen als bie 
Präger ber SKerfmaBanlagen gu betrauten. Unb ba ber Kern ber 
beftudjteten ©iaelle, ttrie gezeigt tourbe, eine Vereinigung bäterlicfter 
unb mütterlidjer ©ftromofomen barfteHt, fo finb in iftnen aud) bie fub* 
ftantieHen Unterlagen für bie Vertretung jebe£ SKerfmaB jebe§ ber 
beiben ©Item entbecft. £)ie au§ ben SaftarbierungSberfucften abau* 
leitenden tfteoretifdjen Sorberungen toerben alfo burdj bie motpftologifcften 
93efunbe boßauf erfüllt; beibe fteften in beftem ©inHang. 9Zicftt fo be* 
friebigcnb fteflt fidj ba3 slueite Ergebnis be§ SBaftarbierungäe^perimentS 
bar. $ier fann eine Statfadje nur einfach fonftatiert toerben, oftne bafe 
eine toeitere 8urücffüftrung möglid) toäre. @§ geigt fidj nämlidj, bafe 
ficft bie analogen STOerfmaBanlagen feftr berfcftieben gegeneinanber ber» 
ftalten fönnen: einmal bominiert eine Slnlage bottftänbig über bie ent* 
ftrecftenbe be§ entgegengefefcten ©efdjlccfttS, ba§ anbere SWal fombinieren 
fie ficft au einem SDtittleren, unb baatoifcften finb alle möglidjen Über- 
gänge einsufdjieben. 

STn biefen Stefultaten fönnte man ficft genügen laffen. 2)ie Srage, 
Vorauf e§ berufte, bafe beibe ©Itern bie SWöglidjfeit ftaben, iftre ©igen» 
fdftaften auf ben ©Jnröfcling gu übertragen, ift bi§ gu einem gemiffen 
©rabe gelöft. 3>enn bie 3tnteort lautet: ®er 93ater fotooftl toie bie 
SD?utter fteuern in benCftromofomen iftrer @efdjledjt§aellenferne ben ganzen 
fiomt>Iey iftrer eigenen 2RerfmaBanIagen sum 3Tufbau be§ neuen §n* 
bibibuum§ bei. %cbe elterlidie 93efonberI)ett ift im Kern ber Keimaefle 
ret>räfentiert unb bat infolgebeffen aud) bie SWönlicfifeit, in bem toerben* 



78 Dr. €rnft (Eeicfymanu in ,-franffutt a. ITT. 

ben £)rgani£mu3 aur ©nitoitflung fommen. Safe bie§ nicht immer 
gejdjiebt bafe ba§ ftinb nicht eine genaue SRittelfteflung in allen elter- 
lichen Qualitäten einnimmt, ift eine £atfadje, für bie borläufig feine 
plaufible ©rflärung gegeben Horben fann. <5ie ttnberfpridht aber ber 
anbern nidf)t, bafe binfidjtlich ber Übertragung ihrer (£igenfd)aften auf ba§ 
Äinb bie ©ftern potentiell gleidjgeftettt finb. 

®ie fireuaung§berfud)e getoähren aber bei eitoa§ tieferem ©ingehen 
Stuffchluß über toeitere 93ererbung3:phänomene bon erheblichem ^ntereffe. 
©3 fei baher folgenbeS nod> berichtet. 2>urdj bie ffreusung bon Mirabili» 
Jalapa alba mit Mirabilis Jalapa rosea entftanb ein rofa blühenber 
SBaftarb. Xiefcr roerbc nun rein toeitergejüchtet inbem jör 33e« 
ftäubung fein eigener Rotten berioenbet toirb. SBte ft>irb toohl bie au§ 
bem ©amen be£ fo behanbelten 33aftarb3 h<?rborgebenbc ©eneration au$- 
fehen? SBirb fic aus fangen befteben, bie nur rofa 93Iüten tragen 
tote beibe ©Item? 3Wan möchte ba3 ertoarten. Slber bie ÜEBirflidj* 
feit entflicht bem nicht. Unter ben 9iadjfommen be§ rein geaüdjteten 
93aftarb3 fanben fich Sßflanjen mit meiften, mit roten unb mit rofa 93Iütcn. 
Sft ba§ fchon auffattenb, fo mag ber Umftanb noch mehr ©rftaunen 
berborrufen, bafj, mie bie 3öblung ergab, unter jebeämal bier $flanaen 
immer eine toeife, eine rot unb gmei rofa blühten. Sßenn nun biefe 
$tueite ©eneration burch haucht fortgepflanat tourbe, fo lieferten bie 
ireifeblühenben unb bie rotblühenben Sßflanaen lauter 9?adjfommen ihrer 
Jarbe; bie rofablühenben aber erzeugten eine ©encration, bie fidh genau 
fo bcrhielt toie bie borhergehenbe: auch I)ier traten bie brei Färbungen 
in bem a3erfjältni§ bon 1:1:2 auf. £a§felbe ©rgebniS fam bei allen 
weiteren SSerfudhen beraub. 

Natürlich läfet fich biefe§ ©tperiment audj mit bem rotblühenben 
©rbfenbaftarb anfteßen. SBurbe er burch Selbftbeftäubung heiter ge* 
züchtet, fo traten unter feinen 9?ad)fommen toei&blühenbe unb rotblühenbe 
sßflanaen auf; e£ fanben fich unter je bier $flanaen brei mit roten 
unb eine mit taeifeen 93Iüten. 2ie meifeblübenbc eraeugte bei Steinsucht 
gleiche 9lad)fommen; bie rotblühenben behielten fidh berfchieben: immer 
eine unter brei ^ffanaen hatte nur rotblühenbe 2lbfömmltnge, atoei ba* 
gegen toieberbolten ba$ Spiel ber borigen ©eneration, inbem unter ihren 
9?ad)fommen meifeblühenbe mit rotblühenben im 93erbältni§ bon 1 : 3 
gemifcht toaren. £ie§ Stefultat bei ben ©rbfen ähnelt alfo bem bei 
9ftirabili§ eraiclten in hohem ©rabe; man mirb bereite bermuten, bafe 
ber Unterfchicb burch bie £ominana be§ 2ßerFmaI§ „Slot" im gaHe ber 
©rbfen bebingt ift. 

3Ba§ aber aunäcbft unb gana unmittelbar au§ ben befdjriebenen 
SBerfudhen berborIeud,tet, ift bie SEatfache, bafe fidh bie Anlagen für rote 
unb toeif3C Sliitenfarbc in bem 33aftarb ber erften ©eneration nidht etma 
aufgehoben haben. £er Satt liegt bei ben ©rbfen flarer. Da fyaitc fidh 



Dererbungsprobleme. 



79 



gezeigt, bafe bie Slnlage für toeifee Slütenfarbe tu bem fireu3uug£« 
t>robuft erfter ©eneration boüftänbig unterbrütft ttmr; e£ fdjien, als ob 
fie berfchtounben märe. 92un ober tritt fic in ber atpeiten ©eneration 
trieber berbor; benn hier blüht jebe bicrte $flanse mieber meife, mie e£ 
ber eine ihrer ©rofteltern getan hatte. 3Me Slnlage für bie toeifee 
'Blütenfarbe fann alfo in bem Saftarb erfter ©eneration nicht beseitigt 
korben fein; fie bfieb nur latent, ftmrbe aber an &eimftc(Ien, au§ benen, 
bie folgend ©eneration ibren Urfarung nahm, meitergegeben unb fam 
bier 3ur Entfaltung. 23eim 90?irabili§ SöIot)a=a3aftarb berbält e3 fid) 
gan3 ähnlich. 2>ie Anlagen für „3?ot" unb „SBeiß" haben fid) auch hier, 
troto beS rofa blübenben 33aftarb§ -erfter ©eneration, felbftänbig er« 
batten: bie stueite ©eneration meift ja $flau3en auf, in benen fie rein 
3ur Srfdjeinung fommen. 

2>a3 grofee ^ntcreffe, baS ben jefct mitgeteilten 2atfacf)en inne* 
xvofynt, liegt barin, bafe ^i-er an ganj einfachen SSerbältniffen flar gemacht 
tvivb, toie fid) ein STOerfmal bon ©rofeeltern auf En f ei ver- 
erben fann, ohne bafe c§ in ber elterlichen ©eneration hervortritt. 
9Son ben 3ur ®reu3ung bertoanbten Erbfen blübte bie eine meife, bie 
anberc rot; alle Spröfslinge biefer SSerbinbung trugen rote Slüten, unb 
bennodj tau<f,te unter bereu rein gejüdjteten 9?ad)fommen bie meifee 
93lütenfarbe be§ einen ber ©roßeltern triebet* auf. 2)ie 3rorf(f)ung bat 
eine Erflärung für biefe rnerfttriirbige Erfdbeinung gefnnben. Um fie 
3U berftehen, ift e§ nötig, bie ©enefi§ ber Steinbeilen etma§ näher 31t 
betrachten. Schon febr früh, unter Umftänben unmittelbar nad) ber 
erfteu Seilung be§ befruchteten Ei§ läfet fieb erfennen, mclcbe ber ent- 
ftebenben 3etlen 311111 Slufbau be§ S?ört>er§ bertuanbt derben unb toclcfte 
ber 8ortt>ftan3ung bienen folten. E§ ift eine ber munberfamften Er* 
fdbeinungen organifchen Sebent, toie innig bie ©encrationen ineinanber 
greifen. Äaum ift ber erftc Schritt 3ur Entttncflung eine§ neuen ^nbi= 
bibuum§ getan, ba tnerben fdjon in ibm bie Elemente gebilbet, au§ benen 
ba§ folgenbe ©efcbledjt feinen Urfprung nehmen foll. So betrachtet ift 
nicht ber ®ötper be§ Crgani3mu§, fei er noch fo hoch bifferensiert unb 
auf§ feinfte ausgebaut, ba3 eigentlich 95Md)tige, fonbern bie ficimaellen 
finb e§, um beren Erhaltung toillen all jene§ ba 311 fein fdjeint: fie finb 
bie Präger be§ Sebent, an fie ift Sein ober SRitfitfein gebunben. SBäbrenb 
nun bie übrigen Selten ficf> eifrig bermebren, fich bifferen3teren unb ein 
Organ nad) bem anbern au§ ihnen fich bUbet, bleiben bie Kleinheiten 
ftet§ für fich/ f eft 3ufammengefd)loffen; fie nehmen an 3abl 311, werben 
bin unb her gefchoben, bi£ fie im au§gcbilbeten Sörper an bic Stelle 
gelangen, bie ihnen beftimmt ift. £ier bleiben fie liegen unb bilben nun 
ein befonbere§ Organ, bie fieimbrüfe. Unb nun gebt eine tiefgreifenbe 
SBanblung mit ihnen bor. 93i§ber haben fie fich bon ben förderlichen 
gellen nur etma burch ihre ©röne ansgejeidmet. 3brcr ßonftitution 

»otb unb 6ftb. CXX. 358. 6 



80 Dr. (Ernft (Leiermann in ^ranffurt a. ITC. 

nad) maren fie nidjt toefentlic^ bon tfmen berfchieben, bor aHem Rotten 
(ie ixocft nicht bie ^Befähigung, in bic Sntoicflung einautreten, fie maren 
nod) „unreif". Slber jefct imteraiehen fie fid^ einem SProaefe, in beffen 
©erlauf fie eine neue gorm unb einen neuen %rif)<üt gemiunen: fie 
reifen. 

8n ben Sufammenhang ber fym behanbelten gragen greift ber 
Steifung&prosefe tief ein. Er betrifft nämlich in erfter ßinie bie ©ubftana, 
bie ficf) al£ ben SEräger ber SSererbung charafterifiert ^atte. ES ift fdjon 
ermähnt toorben, bafe bie reifen ©efchledjtSgeHen nur bie $älfte jener 
3af)l cfjromatifcher Elemente befifcen, bie al§ für bie 9trt typifch in ben 
übrigen Sellen gefunben mirb. 25a ba§ beftudjtete Ei au§ ber Ber- 
einigung ber S?erne ameier ©efdjledjt^aellen Ijerborgeljt, fo hat biefe§ 
bie normale 8af)l. Unb ba§ gletdje gilt für alle feine Slbfömmlinge; 
bei ieber 3^ßteilung teilt fid) audj ber Kern mit feinem gangen Sn£)alt 
fo, bafe jebe§ einzelne Element fidj fpaltet unb bie eine Hälfte biefem, 
bie anbere jenem ffcrm augeteilt ttrirb. Sluch bie Keimaetten berhalten 
ficf) in biefer SEBeife bi§ su bem STugenblicf ber Reifung. Sf* biefer ge* 
fommen, fo verringern fie bie $al)l ihrer G^romofomen um bie $älfte. 
3Bie ba§ gefchieht, fann hier im einaelnen nicht au§einanbergefefct merben. 
ES mufe aber ermähnt merben, bafe ber Vorgang nad) gang beftimmten 
Regeln berläuft, bie ein gang beftimmteS SRefultat herbeiführen. SDieB 
befteht in folgenbem: SBie fdjon gefagt mürbe, enthält jebe reife Keim- 
äelte ben für bie StuSbilbung eines normalen ÖnbiVibuumS notigen 3tn* 
lagenfomples einmal; er ift repräfentiert burch eine gana beftimmte 
Sa^l unb KonfteHation ber <hromatifd)en Elemente. 3)ie unreifen Keim- 
8eHen befifcen biefen Komplex atoeirrtal, toie alle anberen Qeüen be§ 
Körpers auch: jebe Slnlage ift boj>i>elt Vertreten, in einem mütterlidjen 
unb in einem analogen väterlichen Ehtomofom. <SoH nun burd> bie 
Reifung bie Ehtontofomensahl auf bie Hälfte rebuaiert merben, fo 
fönnte e§ gana miHfürlicfj fo gefdjehen, bafe beliebige Sl)romofomen 
au£ bem Kern auSgeftofeen mürben. SDabei mürbe e§ notmenbigertoeife 
borfommen, bafc be£ öfteren gmei analoge ßliromofomen, alfo fold&e, 
bic forrefponbierenbe SInlagen enthalten, au§ bem Kern entfernt iDÜriven. 
SDann märe bie betroffene Slnlage im Sern ber ©efd)ledjt§3elle über- 
haupt nicht mehr borfjanben, unb menn biefe nun in bie Enttoidlung 
einträte, fo mürbe ber aus ihr h^rborgehenbe, Keim ber SWerfmale ent* 
behren, bie in jenen auSgeftofeenen ©htomofomen angelegt maren. 9Wit 
anberen SBortcu: bie Entmicflung mürbe bathologifd) berlaufen. SDiefer 
Ebentualität aber mufe borgebeugt fein. 

Sn ber 5Cat finb aufeerorbentlich finnreiche Einrichtungen borf)anben, 
burch bie getoährleiftet mirb, bafe bei ber ®h*omofomenrebuftion bie 
Kombination, an beren SBorljanbenfein normale Entmidflung gebunben 
ift, nicht serftört mirb. 3»an fönnte fich benfen, biefer Effeft tüerbe 



Dererbungsprobleme. S\ 

baburdj erreicht, baft enttoeber bie fämtlidhen bitterlichen ober bie fämt- 
Iid^en bon ber äftutter ftammenben djromatifdhen Elemente in corpore 
befeitigt mürben: fo bliebe eben eine Kombination übrig. 2>ann mürbe 
bie reife ©efchledhtägelle gans biefelbe 9InIagen=Kombination enthalten 
mie ber eine ihrer beiben Eltern; fie mürbe nur eine SBieberhoIung ber 
mütterlichen ober ber bäterlidhen @efdhled)t§3elle barfteßen. SDaS aber 
tnürbe ben eigentlichen gmedf gefchledttlidjer gortpflan&ung, ber in ber 
Herbeiführung inbibibueller SDiifdjung liegt, gum 5£eil aufheben, ba ja 
in ben Keimzellen be§ Ktnbe§ bie ©Item mieber .unberänbert auf- 
erftünben. 3Ba§ mufe alfo ba§ SRefuItat ber ©bromofomenrebuftion fein, 
menn all biefen gorberungen Rechnung getragen merben foß? E§ <mirb, 
fo lautet bie STntttort, bafür geforgt fein müffen, bafe bie im Kern ber 
reifen ©efdhlecfjtääelle berbleibenbe halbe Shtomofomenaahl eine au§ 
bitterlichen unb mütterlichen (Elementen gemifchte, aber bodh ben boH» 
ftänbigen 9tnlagenfomt>Ie£ entbaltenbe Kombination barfteHt. Unb ba§ 
ift auf gans einfädle SBeife au erreichen, ift nur nötig, bafc bon ben 
beiben jebe§mal analogen Eh^omofomen unter allen Umftänben immer 
ba§ eine, fei e§ ba§ bäterlidfje, fei e§ ba3 mütterliche, >mie e§ ber 3ufatt 
fügt, im Kerne jurüdfbleibt. S)ie halbe &btomofomenaahI, bie fidj nadh 
ber SRebuftion in ber reifen ©efdjlechtäaelle borfinbet, umfdhliefct bann 
amar bie botlftänbige Kombination aller STOerfmal^anlagen, aber biefe 
felbft ftammen in gänalich miHfürlidjer 3Kifdhung bie einen bom 33ater, 
bie anbern bon ber SKutter. 2>ie reife ©efdhledjtäaelle befifct nunmehr 
in bem Sfugenblidt, ba fie fidh au einem neuen Örtbibibuum ^ entmidfeln 
bereit ift, in ihren chromatifchen Elementen bie Vermittler bon äfterf- 
malen fomohl be§ 3Sater§ mie ber SKutter be§ SnbibibuumS, gu beffen 
Körper fie gehört. Kommt biefe Seile aur Entmidflung, ma§ baburch 
geflieht, ba& fie fidh ntit einer anbern Keimzelle bereinigt, fo mirb ba£ 
neue Snbibibuum SDterfmale aufmeifen, bie auf feine beiberfeitigen 
(ärofeeltem gurüdfgehen. <Sinb biefe infolge ihrer 2)ominana bereits 
in ben ©Item herborgetreten, fo mirb man nur bon einer $fmlichfeit 
mit biefen reben unb fidh über ba§ Phänomen nidht meiter erftaunen. 
<2inb aber einige biefer SKerFmaBanlagen in ber elterlichen ©eneration 
infolge ihrer SRegeffibität latent geblieben, bann aber burdh bie bei ber 
©hromofomenrebuftion eintretenbe ©Haltung ber 2)?erfmal§i>aare bon 
ber bominierenben Stnlage befreit morben, fo bafe fie in ber britten (Ge- 
neration fidh mieber aur ©eltung bringen fonnten, bann fteht man ber 
fiet* 3?ermunberung erregenben Erfdjeinung gegenüber, bafc ein Kinb 
in irgenb einem SWerfmal feinem Orofebater ober feiner ©roftmutter 
gleicht, ©elbftberftänblidh finbet ba§ STuftreten einer Eigenfdhaft, bie 
nodh meiter in ber SSorfahrenreihe gurüdHiegt, auf biefelbe Slrt feine 
Erflärung. 9tud& braucht faum gefagt au merben, bafe unter „SKerf- 
malen" förderliche unb geiftige Dualitäten inbegriffen finb. 



82 • Dr. (Erttfi Cetdjmann in franffurt a. ITT. 

SBirft man bon l)ier einen 33Ii<f auf bie gefdjilberten 93aftarbierung3= 
berfudje aurütf, fo erfdjeinen fie jefet bem 33erftanbni§ tx>eit augänglicfyer 
al§ aubor. 2>ie rotblüftenbe unb bie treifoblüfyenbe Gnrbfe ^ifeß bie erfte 
©enerqtion; au3 t£)rer Sreuaung ging aB atoeite ©eneration ber rot» 
blüftenbe 33aftarb fyerbor; au§ beffen ©elbftbefrudjtung entftanb bie 
britte ©eneration, bei ber auf brei rotblüfjenbe immer eine toeiftblüfjenbe 
Sßflanae fam. &ie ameite ©eneration enthält bie 3KerfmaBanlagen ber 
erften ©eneration gemifdjt; bon bem 2tnlagent>aar, ba§ bie SDterfmale 
ber garbe enthalt, bominiert rot, toeift bleibt latent: bie atoeite ©eneration 
btüljt alfo rot. 3Me @efd)Ied)t§aettcn biefeS 93aftarb§ machen inatoifdjeu 
beu Steifitng^roaefe burdfy; bei ber (Sljromofomenrebuftion derben bie 
Sfnlagenpaare getrennt. Dabei gerät bon bem 2lnlagejtt>aar ber 3arbe„ 
bejfen einer ^Jaarling rote, i>er anbere 'toei&e Slütenfarbe bermittelt, 
ber eine in biefe, ber anbete in jene Seite. Snfolgc biefer SDlerfmal* 
fpaltung enthält nun jebe ber entftanbenen jur ©nttoidlung bereiten,, 
reifen ©enitalaeHen nur nodj enttoeber bie Stnlage „9tot" ober bie 9ln= 
läge „SBeift". SCBerben biefe Stütn untereinanber aur a&reinigung ge* 
bradjt, \va$ bei @elbftbcfrud)tung gejdjiefjt, fo leljrt bie 3Saf)rjd)einIid)= 
feitäredjnung, baft einmal „SEBeife" mit „$Sk\b", einmal „Slot" mit „3?ot M 
unb atoeimal „SßeiB" mit „Slot" aufammentreffen mufe. Samit ftimmt 
bie Seobadjtung überein. "Denn im erften galt toirb fidj au§ bem Seim 
eine meifeblüfjenbe, im atoeiten eine rotblüftenbe $flanae entiricfeln; ber* 
einigt fid) eine Qclte mit ber STnlage „Slot" unb eine foldje mit ber An- 
lage „Sßeife", bann ttnrb eine rotblüljenbe Grrbfe entfielen, toeil ja „Slot" 
ba£ bominierenbe SWcrfmal ift. <So fommt bemi eine ©eneration au* 
ftanbe, bei ber unter immer bier ^flanaen eine meife blitzt, iuäfyrenb 
brei rote Blüten tragen; bon biefen aber enthält eine bie Stnlage für 
„Slot" hoppelt, bom $?ater unb bon ber 97lutter f>er, folcf,e ^flanaen 
bringen nur nodj rotblüftenbe Sladjfommen fyerbor; $m\ bagegen gleichen 
bem erften Saftarb, ba in ifmen fotuol)! bie Slnfage für „Slot" tote bie 
für „äBcife" repräfentiert ift, fie bereiten fid) bemgemäfe audj t)titfidötltd5 
ifjrer Jlbfömmlinge tüte jener. Xer toeifeblübenbe 2eil ber britten ©e= 
neration fann ein befonbcres? ^ntereffe für fid) in STni^rnd) nehmen, toeif 
er ba§ einfad)fte S&eifpiel für ben häufig borfommenben 3faH barftellt, 
toie fid) ein SDterfmal bon bem ©rofebater ober ber ©ro&mutter auf ben 
ßnfel bererbt. @3 ift bie bei ber Sleifung ber ©efd)Ied)t^ßen ein« 
tretenbe Ebromofornenrebuftion, burd) bie jene Spaltung ber 3Rerfma(3* 
anlagen erreicht nürb, auf ber c§ beruht, baft ein SWerfmal in ber ©nfcl= 
generation mieber fyerbortritt, ba§ in ber ©Iterngcneration latent toar. 

6§ ift oftue weiteres berftänblid), bafe aud) bie Vererbung inbt- 
bibneller Gigeutürnlicfjfeiten au£ irgenb einer ©eneration ber SSorfa'bren- 
reifte ficf, biefer 93ctrad)tungämeife unterorbnet. Sftfe nod) fo toilffürlidft 
crfdjeinenben gaffe bon 33ererbunncn Iaffen fidi au§ ben bargefteüten 



Pererbungsprobleme. 83 

SBerbältniffen tljeoretifdj ableiten. SBüfete man, trobon bie Sonunans 
unb Jteacffibität eltcrlid&er SDierfmale abfängt fo läge bie unmittelbar 
jjiraftifdje 33ebeutung btefer gorfd)ung§ergebuiffe flar autage. 3>cnn j-cbe 
ge|d)led)tlid)e gortyflanaung fäfet fid) al£ 93aftarbiernng betradjten — 
befifct bod) jeber ber Eltern, mögen fte fid& audj nod) fo fefyr ähneln, be* 
ftimmte S3efouberf)€iten, bereu Slnlageu bei ber 93efrudjtung auf ben 
9iad)fommen übergeben. Sft nun freiließ ba§ SBerbalten ber analogen 
SWerfmalSanlagen aueinanber in feiner 2lbf)ängigfeit nod; unaufgeflärt, 
fo {>eftebt bodj Hoffnung, bafe bie gorfdjung mit ber Reit aud) b^rüber 
einiges Sid)t verbreiten ttnrb. 3^ifßHo§ mürbe fte bamit einen aufeer* 
ortentlidjen gortfdjritt nidjt nur in ber @rfenntni§, fonbern aud) jur 
ölütflidjeren 2lu§geftaltung ber 83ebingungen mifcreS SCafeinS berbei* 
führen. 




(Ersetzung 

gflarfotte fifersgaartf. 

2Iutorifterte Überfefcung ans bem Dänifdjen poii (D. Heoentloir. 

ott, tote reiaenb fie ift ! " fagten aße ßeute in ber ©tabt bon 
kr fleinen 3?igmor Tarifen. Unb rei^enb mar fie aud) mit 
ifjren langen bloriben Äocfen unb Ijunmelblauen Slugen. 2>a3U 
toar fie artig unb nwlileraogen, nrie toenige. 

©ie Fniyte immer, it>enn fie grüßte, unb ging ftitte unb manierlid) 
i§re£ 2Bege§. 9£ie Ijörte man fie laut Ia#en ober ßärm machen, nur 
ein aßerliebfteS Sädjeln fpielte um iljren -ühmb. — $a, fie tuar toirflid) 
rei^enb. 

Sitte Samen ber ©tabt toaren ganj begeiftert Don üj.r. ©ie fonnte 
fiefj nidjt auf ber ©trafen zeigen, ofyne eine ganae ©d)ar junger Samen 
um fid) 3u berfammeln. ©ie fügten unb ftreidjelten fie, gaben it)r 
SruftBucfer imb .ftridjen ifjr über bie toeidfyen bloriben Soden. 5ßon 
Sttunb gu SWunb erflang bie grage: „gft fie nid)t füfe? Sft fie nidjt 
retsenb?" 

2Beg burd) bie ©tabt glidi einem magren SCrtumpIföuge. 3Kan 
Ijätte glauben fotten, fie toäre eine fleine Sßrinaeffin, unb bodj toar 
Stigmor nur bie Softer ber einfachen SBätferStoittue Tarifen. 

Sie 3eiten finb nun einmal, Oott fei Sauf, bemofratifd). 90fan 
toeife ba§ ©djöne unb SBoIjleraogenc 31t fdjäfeen, felbft tt>enn e§ au& 
bem befd)eibenen $äu§djen armer ßeute fommt. 

Unb 3Wabam Sarifen berftanb itjr Slütf ju ttuirbigen . . . Ijatte 
unfer Herrgott il)r ein jo reiaenbeS Sinb gefdjenft, toottte fie audj ba§ 
iljre tun, e§ 311 Ijegen unb au pflegen. . . . 93on feiner Oeburt an Ijatte fie 
ba§ ®efül)l, bafe il)r mit biefem STinbe eine befoubere @a6e anver- 
traut fei. 




Klein»&igmor. 



85 



Sic forgte gleid) bafür, baft baä Sinb einen angemeffenen tarnen 
erhielt, SRigmor loar einer ber feinften dornen, bie ÜRabam S?atffen 
fannte. Sie norbifdjen tnaren ja augenblidflich mobern. Unb SRabam 
Äarlfen tuottte auf ber #öhe fein, #arriet, JRofa unb bergleichen hoch- 
trabenbe dornen famen ihr entfe&lid) gewöhnlich bor. 

<5benfo mit ber SIeibung. @ut foßte afagmor angezogen fein, 
gut unb gefdjmacfooß, aber nicht überlaben. SWabam Tarifen hatte felbft 
bor ihrer £eirat in bornehmen Käufern gebient. Sie toufete genau, 
toie e§ fein mußte. 

3m Sommer ging SRigmor ftet§ in einfachen toeißen Sleibern; ober 
e£ war tneber ein glecf noch eine gälte baran au fefyen, benn bie Steine 
tvat immer ftiß unb artig. SKaöarn üarlfen mußte manche 9?ad)t 5u 
£iUfe nehmen, um bie Sleibdjen au tnafchen. Sfber tt>a§ tut eine SKutter 
nidjt für ihr Sinb, befonberä für einen fo retaenben Engel. 

9tigmor trug in einem aierlidjen, fleinen Sorbe bie befteflten Shidjeu 
in bie feinften Familien ber Stabt — auf bieft Sßeife nmrbe fie guerft 
mit ihnen befannt. 

Sie Samen toaren entaücft, toenn fie ba§ aßerliebfte Sinb im 
tt)eißen bleibe fo anmutig Fnijen unb fo befdjeiben lächeln fal)en. Sie 
begnügten fid) nicht bamit, ihr ben geforberten $rei3 &n beaablen. 9lein, 
fie nahmen fie mit in§ Sßohnaimmer unb ließen fie auf ihren Sammet» 
ftühlen fifeen. £$a, e£ fam fogar fcor, baß fie gum Srühftücf eingelaben 
ttmrbe. Unb e§ toar ba§ reine SBergnügen, SRigmor einaulaben, fie aß 
fo nett unb a^etitlid). Sie hatte nicht eine einige fd)Ied)te Singe* 
ftiohnheit. 

5<*, bie 2lmtmännin mußte gu ihrer Sd>anbe geftehen, baß ihre 
eigenen Sinber nicht annähernb fo manierlidj aßen, nrieiDol)! fie ihnen 
ein f ranaöfifdje Sonne hielt . . . §a, SRigmor toar tT>a£>r^aftig gut baran I 

Sie alte, reiche SBitoe Safperfen Iub SRigmor fogar ^um Saffee 
ein. ÜRan benfe, SRigmor gana allein jum Saffee! . . . Unb bie alte 
Same hatte ihren Spaß an bem frönen, altflugen Sinbe. 

9hm miß ich eraählen, toie e§ fam, baß SRigmor in bie ©efeßfdhaft 
eingeführt tourbe. Senn fie machte ridjtige Sinbcrgefeßfdjaften mit, 
beim Stabtbogt, beim Slmtmann unb bei ben reichen Saufleuten. Ser 
grau be3 gabrifanten #otft gebührt bie (Sbrc, juerft auf ben ©ebanfen 
gefommen au fein. 

Stigmor toar am SSormittage mit Stidjen bei #olft£ gctoefen. 2lm 
SRadjmittag gaben fie eine große $inbergefeßfd)aft. grau ^olft hatte 
felbft bie Sud^en abgenommen unb 3?igmor in bie Stube geholt, aU e§ 
i^r plöfelidh einfiel Wie nü^Iidh e§ für ihre fünf recht ttrilben unb unge- 
aogenen Sinber fein trürbe, einmal au fehen, tok artig unb manierlich 
fidj ba§ Sinb armer Seute benehmen fönne. 

Unb Brau ^olft Uxir nicht biejenige, fid) lange a» befinnen, ioenn 



86 <£fjarlotte €üersgaarb. 

fie einmal einen entfchlufe gefafet hatte. £>hne tueitereS lub fic fleht 
Stigmor jum Nachmittage ein. 

Söährenb bte kleine nad) #aufe lief, um ihrer SDlutter bie frohe 
3ladjrid)t 31t fcerfünben, rief grau $olft ihre fünf Sinber au fidj unb 
frrad): 

„Siebe ftinber, id) toill eud) heute eine frohe Überrafchung beretten. 
Sht tvifct, bafe it>r nicht ftola unb hodjmütig fein bürft, toenn @ott eud) 
aucfy einen guten $lafc im ßebcn angeliriefen ^ot. 2Benn toir in ben 
unteren Staffen Siuber mit angeborener 33ilbung unb tt>irflid>er Schön* 
§eit treffen, follen toir fie au un§ heraufaiehen unb au unfereägleidjen 
machen. Sd) habe bei eud) eine getoiffe Neigung beobad>tet, eud) 
groifdjen ärmfidje Sinber an mifchen. ^d) Und eud) belegen nicht tabeln, 
aber ihr t>erftel)t nicht bie rechte SluStoahl an treffen. Xarum toitt id) 
nun eurem £rieb entgegenfommen unb ihn in bie rechte Sahn leiten. 
3u biefem Qiveä habe ich bie fleine SRigmor Sarlfen a« heute nadjmtttag 
eingelaben . . . ttriü id) eud) lagen, liebe ftiuber, ihr fönut tnef 
Don biefem fleinen Sftäbchen lernen." 

Stbcr ba gefdjah ba£ Unglaubliche! Slnftatt ihrer guten SButtcr 

freubeftrahtenb um ben §aU au faüen, ftanben bie ftinber ftumm unb 
berbriefelid) ba, bi£ enblid) ber ülteftc Änabe, £an£, bie £änbe tief in 
bie #ofentafd)en fcergraben, in bie ÜBorte ausbrach: „38a3 follen toir hier 
mit ber Settelprinaefftul" Unb Sulie fieberte unb tagte: „Sie tut 
immer fo loidjtig unb gegiert, fie fann nid)t einmal orbentlid) ladjen." 
— %a, es? ging fo meit, baft ber fleine ftarl Sofann bat, bann möge 
feine SWutter bod) lieber bie gine aus bem Hinterhof einlaben, bie fei 
immer fo faafeig! 

Xie Sine au§ beut Hinterhof! ©rofter ©ott! . . . grau $oIft tourbe 
ernftlidj böfe! £)ie£ ungezogene, ttrilbe aWäbdjen, ba£ ebeufo fdytoara 
au^fah, tote fein SSater, ber Sdjmieb, unb ba§ bie ÜJianieren eine£ un= 
geratenen ©üben hatte . . . Sa, bie ftinber — bie fttnber! 

316er ba£ fam bon biefem abfd)eulid}en Hinterhof — ber reine 9Ser= 
berb für bie Sinbcr. Sie rverbot ihnen ftrenge, je toieber mit ben 
Sinbern be§ Sdjmiebö in ^Berührung au fommen. 

Xie ganae 5reube, bie fie ben ftinbern augebad)t hatte, enbete 
bamit, bafe fie alle üerbriefelid) in bie ßinberftubc auriidtroflten. 

Sa, Sinber finb nun einmal unbanfbare ©efdjöpfe, bie bie &ür* 
forge ihrer guten Eltern nicht au tnürbigen tinffen. 

Sßon jefct an ftmrbe c§ SRobe, bie fleine Stigmor au edlen Äinber* 
gefellfchaftcn einaulaben, unb e§ bauexte nicht lange, fo bilbete fie überall 
ben aWittelpunft berfelben. £a£ f>eifet . . . tva% bie ©rtoachfenen betraf. 
Sie fiifeten unb liebfoften fie um bie SBette unb lobten ihre fdjöneu 
Soden. 33ei ben Stnbern madjte fie loeniger ©liirf. STber mein ©ott, 
ntan fann t>on benen and) ntd)t Diel 3Serftanb verlangen. 



KUin»Hi<jmor. 



87 



%a, ba£ maren olücflid^e £age für Siigmor unb Wlabanx Sarlfen. 

3lber mie alte§ auf biefer SBelt fcergänglid) ift, jo aud) biejes. ®ie 
fcfjönen £age nahmen ein @nbe. 

2l(§ 9tigmor f>eraMt>ud)§, glätteten fid) i^re ßocfcn mef)r unb mebr, 
unb ber Slugenbticf fam, too ÜDlabam ftarlfen ficf) genötigt fa^, ba£ £aar 
be§ ßinbeS in einen gans getoöfjnüd&en $op\ $u fledjten. 

Sie verlor baburd) etmaä bon bem 2lu£fef)en eine§ Engeld, aber 
SWabam Tarifen tröftete fid) bannt, bafe ba& Sinb bod) immer nodj fein 
anaief)ettbeS S&efen f)abe. £aä mar bod) menigften§ ettt>a§, ma£ mit 
ben §a§ren nid)t abnahm. 

3toar mar 9tigmor£ SSJefen nid)t gana frei öon äöid&tigfeit, aber 
mein @ott, bas mar bod) fein SSunber, mo man immer fo oiel aus bem 
ftinbe gemacht fyatte. 

£Hein*9ligmor mar nun fo grof3, bafe fie in bie Sdjule gefjen mufete. 
Slber in metdjeV 

SWabam Tarifen ftatte bie gröfete Suft, fie in bie allerfeinfte Scfjule 
ier Stabt su fdjicfen, mo man ©tjmnaftif unb granaöfifd) lernte. Slber 
bas mar umnenfdjlid) teuer, unb fie fyatte Slngft, bafe iljr Selb uid)t 
bü^u reiben mürbe. 

Sie bacfjte an 9tigmor£ triele greunbe, bejonber§ an grau $olft. 
Sie mar ja bie erfte, bie fid) für b<t§ ffeinc SDläbdjen intereffiert fyatte. 

äftabam Tarifen 30g ifjr fd)marae§ fileib an unb ging mit flopfeit* 
bem $eraen gu grau $o(ft. 

Sie mar baijeim unb nötigte SDJabam Slarlfen mit großer $erab= 
Iaffung ins SBofjnaimmer. Xk Süfee ber einfachen SBäderätaritmc Der* 
fanfen in bem meinen Ztppiä). 

27iein @ott, bad)te fie, mie fie fid) umjaf), mie ift e£ £>ier fdjön. 
$ier mar alfo if)r Heiner 2ftäbd)en aus- unb eingegangen. %a, e§ gab 
bod) maf)rf)aftig nod) gute SKenfcfyen. Unb SRabam Tarifen fanbte ein 
ftummeS 3>anfgebet aum Gimmel für alt ba£ Olüdt, ba§ ifynen mii>er* 
fahren mar. 

grau #oift bat fie $la^ 511 nehmen, unb SWabam Tarifen fefcte fidj 
auf ben äufeetften 5Ranb eine£ Sammetftuf)fe§ unb rücftc mit i^rem 9lm 
liegen Ijerauä. Sie motfte mit grau $olft, bie fo freunblid)e§ Sntereffe 
für $leim9tigmor 'betoriefett, beraten, in meldte Sdjule fie ba§ Slinb fdjicfen 
foHe. Sie fei ja nidjt reid), obgleid) fie e£ fid) fauer merben laffe. 58on 
ber 3reifdjule fönne aber bod> nid)t bie 9?ebe fein, unb bie 9?oIf£fd)uIe 
gefalle i£)r auc^ burd)au3 nid&t. Sie fei fo gemifdjt, unb SRigmor mürt)c 
ba fo oiel ^ajsft^ed.ju fe^en unb ju f)ören befommen. Sie mürbe aud) 
gerne fefjen, bafe Jftigmor etit>a§ Orbentlid^eö lernte. 

grau $o!ft mad)te ein fe^r bebenflid^eg @efi(^t. „Iga, Sie fabelt 
redjt, SKabam Tarifen, e§ ift toirf £icf> eine fdjmierige Srage. ^Denn S^re 
SRigmor ift fein gemöl)nlid)e§ fiinb." 



88 



<£t|arlotte (Eilersgaarb. 



„9tein, ba3 ift fie ntrf)t/' Jagte 3Wabam Tarifen, „fie ift ber reine, 
fleine Enget . . . unb bann all ber feine Umgang, ben fie getjabt f)at! 
©ie unb bie anberen bornefjmen Seute in ber ©tabt finb ja \o unbe* 
fd&reiblid) gut gu ityr getoefen." 

„Set/ ia, gute 2)labam Tarifen/' fagte grau $oIft beinal) gerüfjrt 
über ifyre eigene (Sitte; „toir fyaben ba§ Sebeu eine£ nidöt mit ®IMZ* 
giitern gesegneten Sinbe§ gerne ein toenig erweitern tootlen, um fo mef)t\ 
ba bie£ £inb e£ fo gang unb gar berbiente. STber ©ie tyaben redjt, 
bie 33otf£fcfyute ift nidf)t§ für $f)re Sftigmor, obgleich ber Unterridjt bort ja 

nid^t fcf)Ied£)t ift. 2Bir müffen un£ etma§ anbereS au^benfen 

8efct t)abe idj'3! — 2Ba§ fagen ©ie ä" gräulein ^enfenS @cf)ule? S)ie 
©Hüterinnen lernen bort fet)r gut #anbarbeit, unb obgleich bie Schule 
nur bon Sinbern beffer gefteHter Eltern befugt toirb, glaube id) nidjt, 
bajj e£ mel)r foftet, aB gtoei SDtarf im SRonat. ©o biet toerben ©ie too^I 
übrig fjaben, unb follte e3 einmal fdytoer galten, fo fommen ©ie ruf)ig 
3U un£, SWabam Tarifen. Sie follen feine get)lbitte tun." 

Sftabam Tarifen erftidtte einen ©eufger; fie hatte fid) mit ber fütjnen 
Hoffnung getragen, grau $oIft toerbe anbieten, Sligmor auf it)re Soften 
in biefefbe feine ©djute gu fdjicfen, bie iljre eigenen ftinber befud)ten. 
Stber fie fafete fidj unb banfte grau $oIft für itjre greunblidjfeit. 

Stuf bem Sftüdtoeg faf) fie felbft ein, bafj fie 311 fjod) geftrefct hatte, 
grau $oTft tvax bodj feljr freunblidj gemefen, unb e£ gibt nun einmal 
@ianbe£unterfdjiebe in ber SBelt. (ES toar getoife am heften fo. grau- 
lein $fenfen3 ©djute toar allgemein angefehen, fie tourbe bon allen 
Sinbern befudjt, bereu ©Item SBert auf orbenttidjen Umgang legten, aber 
bod) nicht ba£ hohe ©djutgelb bejahen fonnten. 8um 93eift)iel bie beiben 
Keinen Wäbdpn bom 3oßaffiftenten. %a, e3 toar ttrirftid) ntd^t fo übel. 
Unb bann bie fdjönen £anbarbeiten ! Sie lernten bort Sunftftitferei, 
engtifche ©tieferei, Däfern unb girieren. ©he 3Wabam Tarifen l)eimfam, 
ttxtr fie böltig mit ber ©djule auSgeföhnt. 

§efct begann ein neuer Slbfd&nitt in &Iein=9ligmor§ Sehen, ©ie 
füllte fidj nicht recht toohl in ber ©efett|df)aft ber ©djulfameraben, füllte 
fidj gteidjfam über fie erhaben. Seine unter ihnen hatte ja fo feine 
33efanntfd&aften, mie fie. 3)enn im Anfang ifjrer ©Hulgeit ^üurbe fie 
mitunter nodfy gu 3lmtmann8, 93ürgermeifter§, ^oIft§ unb all ben anberen 
eingelaben. 

Slber in bem 2»afee, tvk bie Sodfen fid> glätteten, glitt JRigmor mefjr 
unb immer me^r au3 ben feinen Käufern ^erau§, unb fd&Iiefclidfj bergafe 
man gan^ unb gar fie eingulabeu. 

SDSenn bann bie Sameraben nedfenb fagten: „#eute abenb ift grofee 
SinbergefeDfd&aft bei SfmtmannS, bu mufet tvofy rechtzeitig au§ ber ©d^ule 
Surüdffommen, um bief) umsufleiben," — ging e§ n>ie ein ©tid^ burd^ 



Klein-Htgmor. 



89 



ihr fleineä Sinberhera. @ie 30g fidj allmählich fdjeu in fid> aurürf. SDa§ 
©anae mar t^r fo rätfelhaft, fo unberftänbltd). 

SBie fam e§ nur, bafe bie jungen ©amen ber ©tabt nun an ihr 
borbeiftürmten, ohne fie au füffen, tme früher? ©ogar, toenn fic ihnen 
fd)on au§ toeiter ©nifernung aulädfyelte, flogen fie an ihr borbei, ohne 
ftehen au bleiben ober audj nur ihren Snir mit einem Sopfniden au 
ernribern. 

%m Anfang bertraute fie fid) ber SWutter an unb fd>üttete ihren 
Summer unb ihre enttäufdfjungen bor ihr au§. Slber SWabam Sarifen 
berftanb fie nidjt . . . <2ie fagte, bie Sßelt fei nun einmal fo. Sflan 
miiffe fid) barein finben unb noch obenbrein banfbar fein, bafe man e§ 
jahrelang fo gut gehabt habe. 5Da£ fei mehr, al§ man e§ in ihrer 
Seben^fteHung eigentlich berlangen fönne. 

@§ fei ber (£rnft be§ Sebent, fügte SWabam Tarifen hinau, bex Siein* 
SRigmor nun entgegentrete. STber folange fie nodj ein behaglidje§ 
£eim f)abe, fei fein ©runb aur Slage borhanben. 3Bie biele gäbe e§, 
benen e§ biel fd^Xed^ter ging. 

2>a§ fonnte SRigmor nidjt begreifen. SDer (Srnft be§ Sebent mufete 
ettoaä fef)r ©d)lirnme§ fein. 9?ad)i unb 2ag grübelte fie über bie 33er* 
änberung ihre§ ©djitffaB nad). 63 griff fie an. @ie tourbe gan3 
blüfe unb nahm fidjtlid) ab. 

Seiner hätte in bem langaufgefchoffenen, ^of)Itt)angigen 3Wäbdjen 
mit ber glatten, blonben gledjte auf bem Jtütfen bie einft fo ftrahlenbe, 
rotbadfige, golblodige Heine SRigmor hriebererfannt. 

Sluch in ihrer Sleibung bar eine merflidje SSeränberung bor* 
gegangen. 2)a§ früher fo aterltcf) gefleibete Sinb fah jefet oft gekauft 
unb unorbentlidj au§ ... bie SKutter tat toobl, toa§ in ihren Gräften 
ftanb, um Stigmor fauber unb orbentlidj eu holten, aber ba§ Sinb 
felbft fefcte ihren Bemühungen eine ttmnberbare Stumpfheit unb ©leid)*- 
gültigfeit entgegen. 

8B Sftigmor 5tt>ölf Öahre alt irar, tourbe fie eine§ £age§ mit 
Suchen aur alten Srau Safperfen gefdjidt- 2>ie SBitoe ^atte toohl 
Iängft ihre Seibenfdjaft für ba§ fdjöne Sinb bergeffen. Slber toähreub 
Stigmor im SSorgimmer ftanb unb auf ba§ ©elb martete, ftürmten bie 
Erinnerungen plöfclidj auf fie ein unb trieben ihr bie heißen JEränen in 
bie Sttugen. Sie büdjte an bie Seit, al§ grau Safaerfen fo freunblich 
au ihr tear, aB fie miteinanber in ber feinen, behaglichen '©tube fafeen 
unb Saffee tranfen. 

STdj, tvenn fie ba§ nur noch ein einaige§ SWal erleben bürfte! 

®a§ 9Käbchen fam mit beut ©elbe herein. Dtigmor fah fchüchtem 
au ihr auf. ©ine ftumme SSitte lag in ben feud)ten Slugen. 

„aBa§ fehlt bir benn, Sinb?" fagte ba§ SlWäbchen, ba§ ie^t erft auf 
ien traurigen 2ru£bmtf be§ flcinen ©efi<hte§ aufmerffam n>urbe. 



90 



£fiarloite (EUersgaarb. 



,,3ld£), \ä) möchte fo gerne, fo gerne — " ftammelte Stigmor, „mit 
grau Safperfen f-elbft fpr^en." 

„äSarnm benn nid)t," fagte baä 2Käbd)en freunblicfy. „SBiflft bu 
um etma3 bitten, fo mirft bu bei grau Safperfen ein milligeS Dfjr 
finben; fie t)at ein gutes #era." 

grau ftafperfen trat jefct auä ber £ür unb fragte bermuubert, ma£ 
i>a£ Sinb benn motte. 21(3 SRigmor iljre frembe, abmartenbe Haltung 
fal), berlor fie allen 2Rut. 3ögernb unb furd)tfam braute fie bie SBorte 
fjerbor : 

„3t<f), liebe grau Aafperfen, laben ©ie mirf) bod) nod) ein einziges 
2Ral jum ftaffee ein." 

grau $afperfen mar anfangt gana fpracfjloä t>or ©rftaunen ü&er 
5Rigmor§ munberlitfjen ©infalt, aber bann fagte fie mit gutmütigem 
Sädjeln: „$err ©ott, ftinb, eine £affe Kaffee möcf)teft bu fo gerne fyaben! 
Sa, bie fei bir t>on &eraen gegönnt. @ef)e nur mit bem SDläbcfjen 
in bie SHidje; fie mirb fdf)on für bidfy forgen." 

grau' ®af{>erfen moüte nun in if)r Sanier äurücfifefjren, aber mer 
befd&reibt i^r @rftaunen, al§ SRigmor, ftatt banfenb mit bem 2Räbcf)en 
in bie fiüd>e au ge^en, mit föeuem, entfefctem 2tu§brucf gur £üre f)inau§= 
ftürgte, of)ne auef) nur Äebemof)l au fagen. 

9?acfy biefer ©efd)id£)te mürbe mieber eine 3eitfanQ in ben feinen 
©amilien ber ©tabt bon 3?igmor gefprod>en. %n einer grofeen ©efell» 
feftaft bei $olft§ er^äfjlte grau Safperfen bon bem tuuuberlidjen 33e* 
tragen be§ ®inbe3. 

grau #olft mar fo betrübt über bie 33eränberung, bie mit SRigmor 
Vorgegangen mar, unb bie anberen 2>amen teilten if)r Sebauern. 

„SBir fjaben fie bod) alte gern gehabt," fagte grau £olft. 

„Sie gehörte in gemiffer SBeife au un£," fügte eine anbere ber 
©amen f)inau. 

„Sä) glaubte mirflidf), e§ mürbe efcmaS au£ it)r Serben, " fagte bie 
älmtmännin. „<3ie hatte eine gemiffe angeborene Steinzeit. Stber man 
fiefjt einmal ttneber, bafe atte§ auf bie @raief)ung anfommt. SBabam 
Tarifen — ©ott betuaf)re — fie ift ja ehrbar genug, aber immerhin 
eine gana einfache, gemöljnlidje $erfon." 



3Wein4Rigmor follte ber Stabt inbeffen nxdjt lange mef)r Stulafe 
Bur ©orge geben. SRadj jenem £age, mo fie bon grau Safperfen tycim- 
geftürat fam, fal) man fie nid)t mefjr läcfieln. 3)ie äRutter faf) mit 
$Hmmer, baß if)r SHnb bon SEag au Xaq mefyr if)r gutes 2lu£fef)en berlor, 
unb fragte fd^liefelidE) einen Strat um SRat. 

@r fagte, 9?igmor mad^fe au fdjneß. SRabam Tarifen folle fie nur 
tüdEjttg mit anberen Sinbern herumtoben Iaffen, ba§ iwrbe i^r fd^on 



Kfeitt'Higmor. 



91 



gut tun. Sttgmor mit anbeten Sinbern herumtoben! SMdjer ©ebanfe! 
3Wtt melden Sinbern foltte fte toobl toben unb fpielen? 

3)ie Sfameraben toaren ja fyart unb unbarmberaig mit ibr unb Ratten 
nur Spott unb 9?edfereien für fie. 

So blieb 9tigmor lieber babeim in ibrem Sßinfel, im Stübcfjen tfjrcr 
SDhitter ftfcen. #ier faß fie unb grübelte ftunbenlang. 

©nblid) blieb fie in ibrem Sette liegen. Unb an einem berrtidjen 
Sommermorgen, al3 bie Sögel brauBcn jubelten, fcf)Iief fie ftiüe ein. 

SJtabam Tarifen fyatte lange geahnt, bafj ibr Sinb 31t gut unb Hug 
für btefc 3Mt toar, unb bodj fam ba3 ©übe ibr roie ein« fcbmeralicbe 
Übcrrafcbung. 

Um ben Stomen ber Stabt ©eredjtigfeit wiberfabren 31t laffen, muß 
man augeben, bafc bie ganae unglücflicbe ^Jcriobe in JRtgmorS Seben 
mit einem Sdjlage bergeffen festen. Sie entfannen fidj ifjrer nur noeft 
al3 be£ füfeen SngeBfinbeS mit ben golbenen Soden. Unb e§ tuar 
ibnen allen fofort ftar, bafe J)ier ettua§ gefdjeben mitffe. 

„Senn im ©runbe toar e§ baä ®inb ber ganaen Stabt," fagten bie 
Samen. 

„%q, unfer alfer ftinb," fagte grau §o!ft. 

SWon bilbete ein Samenfomitee unb maebte uueuMicbe S3orfd)Iägc. 
©nblid) befd&lofe man, bk Soften ber 93eerbigung au tragen, unb stoar 
follte biefe fo fein, fo fein Serben, ttne man e§ ^ier in ber Stabt noeb 
nie erlebt batte. 

SBeifegefleibete Heine SBäbcben fottten bor bem Sarge bergeben 
unb SBIumen ftreuün. ©£ foHte eine Seier in ber Sirdje ftattfinben, unb 
bie jungen Samen ber Stabt toottten einen 9lbfdjieb§grufe fingen. 

Ser Sarg toar mit 33Iumen überlaben; ber Pfarrer rebete fo fdfjön 
bon bem fleinen ©ngel, ber eine furae 3eit bier unter un§ getoeilt b<*bc 
unb nun bon ®ott in bie bimmlifdie #errlid)feit aurütfgerufen fei. 

SDlabam Tarifen mar tief gerührt unb feterlid) geftimmt unb toar 
fkb ganj flar barüber, toie banfbar fie fein müffe; aber al§ fie in ibr 
leeret Stübdjen aunieffam, füllte fie fieb unau§ft>red)Iid) einfam unb 
berfaffen. 



Das altpveu$tfd}efyeevvoY feinem «gufammmbruetj. 



Von 

«Jfrof. Dr. $u(ttt» Juaftauer. 

— - Breslau. — 

griberiaianifcfye 2frmee War in ben legten atoei ^af) reuten 
£>re§ 93efte^eng feine§toeg£ bie ftarre, unbett>egte -tUMfe, aI3 
1 Me fie nad) ber bergebradjten 9luffaffung erfdjeint. 2)ie Heeres- 
leitung unternahm, toenn auef) obne bie rechte ©ntjdjiebenbeit, allerlei 
33erfucf)e, bie ©djeiben, bie fie erfanni Ejotte, 51t beseitigen ober ft>enigften§ 
milbern. 5Die toidjtigften militärifdjen fragen 'ber Seit mürben in 
amtlichen Beratungen unb in literarifdjen gelben lebhaft erörtert. Sftodj 
behielten strar bie 2Inf)önger be£ Sfltcn bie ßbertjanb, aber bie Vertreter 
be§ 3ortfd)ritte§ festen unentmegi ben ®am:pf fort. @d)on bollgog fid) 
in bem erleud)tetften Greife ber SIrmee bie geiftige Ummäläung, au§ 
ber nad) bem ^rieben t>on StSIfit bie folgenfätoerc Umgeftaltung be§ 
$eere$ Jjerborgefcn foHte. SWandie grunblegenben §been ber Sieform 
entftanben bereits bor bem 3ufanimenbrud) in jahrelanger (Srtoäguug 
unb Prüfung. S3efonber£ toav e£ Sdjarnborft, ber auf bie militärifdjen 
©rrungenfdjaften ber neuen Seit, auf bie ferneren ©ebredjen be§ alten 
$eertoefen§ in. SBort unb Sdjrtft immer mieber ^inipieS. 

3>a§ ©runbiibel ber preu&ifdjen Slrmec, mit bem ibre ärgften Stäben 
gufammenbingen, lag in ben 3Iu§Iänbern, bie ibren Kern, il)ren ftän* 
bigen ©tamm bilbeten. @ie werben t>on ben gätgenoffen in ben büfterften 
garben gejdjübert, al§ ber 9fu§Uuirf aller Sänber, aB eine ($e)eHfd)aft 
t>on SBagabunben, Xrunfenbolben unb SwfttfjäuSIern. gtiXcrbiitoS ftedt 
in foldjen Urteilen, bie meift unter bem ©inbrud be3 furchtbaren Qu* 
fammenbrucf)2 ber 9Irmce gefätft mürben, ein gut £eil Übertreibung. 
?Iber immerbin befanben fid) unter ben STitSlfinbern, feitbem infolge ber 
grofeen SBcrlnfte bc§ ficbenjäbrigen .firiegeS ba§ fittlidje Moment bei ber 




Das altpreugifdfe Qeer cor feinem g ifammenbrudj. 9^ 

2lu£mabl be§ (SrfafceS gurüdtrat, biele Schiffbrüchige unb STuägeftofeene 
ber bürgerlichen ®efellfdfyaft. -ftid&t menige unter ihnen nahmen ba§ 
$anbgelb nur, um e§ $u bertrinfen, unb Ratten bann feinen anbern @e» 
banfen, al§ pu^ureifeen unb ba§ gleiche 5D?anöber in anbern Slrmeen 
aufführen, ober fie fugten bureb Siebftahl unb betrug il)r farge§ <£in= 
fommen su bergröfeern. Rott) gab e§ unter ben Stu^Iänbern au<h beffere 
Elemente. Sie Sßerber Rotten ftc burdj allerlei Siften in§ ©arn gelodft. 
SKicfjt feiten mürben bie jungen Seute al§ S3ebiente gemietet, um erft 
in ber ©arnifon it)re mirfliebe 33eftimmung gu erfahren. 3xr>ax mürben 
folebe Schliche unb Sniffe unter ber milberen Regierung griebrich SBil* 
belm§ II. berboten, bodj ohne @rfoIg. Sie £reufeif<hen 3ftenfdjenjäger 
fonnten auf ihre unfaubern fünfte jefet meniger benn je belichten, benn 
bie Sßerbung geftaltete fidj immer fdfjmieriger, ba ibre Sk^itte bureb bie 
jüngfte politifcbe ©ntmieflung mebr unb mebr eingeengt mürben. 3>ur<h 
bie Teilungen $oIen3, bie (Sinaiebung ber geiftlicben gürftentümer unb 
SReicfjSftäbte SeutfdjlanbS unb bie ©infiibrung ber Sonffription in ben 
meltlicfjen Staaten be§ beutfcfyen Süben£ hatte fie ibre ergiebigften @e= 
biete berloren. ^ 

Sßenn bie StuSIänber einer beftänbigen ©rgänaung beburften, fo 
trug bie ftarFe Sefertion bie ^auptfcbulb baxün. Sie %u bereiten ober 
menigftenS au befebränfen, mar bie febmierigfte Srieben§aufgabe ber 
#eere§Ieiiung. Siefem Abel fonnten aber meber bie meitgebenbftcn 5Bor- 
fid)t§maferegeln, noch bie bärteften Strafen fteuern. Sie unauberläffigften 
STuSIänber burften nicht bie S?aferne, geichmeige benn bie Stabt ber* 
laffen; bei Stag unb SftadEjt mürben fie auf§ fd&ärffte bemaebt. 2Iucb bie 
guberläffigeren, bie fieb auf ben Strafeen unb in ben SBirt^bäufern be= 
toegen burften, unterlagen einer beftänbigen Stufficbt; gingen fie au§ 
bem £ore, fo hatte jeber, ber fie auf ber Sanbftrafee traf, ba§ Siecht, 
fie nach ibrem Sßaffe %ix fragen. Sßenn tro^bem ein Solbat entmifebte, 
fo mürbe burdfj einen Särmfchufe bie fflebölferung ber benachbarten Dörfer 
aur Verfolgung be§ glücbtüngS aufgeboten. Sie 5D?itmiffer unb 3Rit= 
belfer be§ 2Tu3reifeer§ mürben mie biefer mit Spießruten geaüdötigt. 
Socb gab e§ unter ben 2Tu§Iänbern mabre SBirtuofen ber Sefertion, 
bie ibre f<f)Iaueften SBäcbter überltfteten ; anberen aber berlieb ibr un-- 
mürbige§ ßo§ jenen Whxt ber SBeramciflung, ben feine Strafe abfebredfen 
fonnte. ©erabe bie unaufhörliche Übermachung febeint nicht feiten aur 
Sefertion f#tau§geforbert au haben, beun am frf)mcralicf)ften bermifeten 
bie Solbaten bie greibeit ber 93emegnng. $ür biefe 3Innabme fpriebt 
ber SBerfudj be§ ©eneralS SBilbau, ben 99ot)en in feinen ©rinnerungen 
ermäbut. <£r geftöttete nämlidft a»ni (Fntfe^en feiner £kmj)tleute ben 
Sofbaten, bie Stabt o^ne $afe unb obne Stegleitung au berlaffen, meil 
man ben SSerteibigern be§ SBaterIanbe§ ein foIcbe§ SSertrauen fd^ulbig 
märe. Sein meitf>eraige§ ©ntgegenfornmen mürbe burtb ben erfolg 



9^ p™f. ür. (guftap Krafaner in Breslau. 

gerechtfertigt: tu feinem 9tegimente gehörten bie ShiSreifter 51t ben fer» 
tenen Sluänaftmeu. 

©in Seil ber StuSIänber mar mit ber neuen Retinal fo bertuadn'en, 
bafe er nur geringe Neigung aur ^ef^rtion ftatte. ßr beftanb au£ ben 
beurlaubten, bic man grehnädjter nannte, ba fie bom SBacfttbienft be- 
freit mareu. Sftre 3aftf foffte ettoa ein drittel ber getarnten Slu£länber 
betragen, mürbe aber oft genug auf bie Hälfte unb nod) über biefe 
ftinau£ erftöftt. Sie trieben in ber ©arnifon ober tooftl aud) in. ben 
benachbarten Orten ein $anbtt>erf ober irgenb eine anbere Hantierung 
unb befaften SBeib unb fiinb. £after bürgerten fie fid) böflig ein unb 
tourien iftrer cigcntlid^n 93eftimmung entfrembet. Obmoftl 33eruf£* 
folbaten, bangten fie bor beut ßrieg, ber iftr ©infommen berfürate unb 
iftren £5amilien ben ©rnäftrer entzog. 2o bilbeten bie $unbertc bon 
grauen unb Äinbern, bie fief) bei ben ^Regimentern ansammelten, ein 
I)ebenflid)e§ Stnftängfel ber SIrmee, baö iftre ©dftfogfertigfeit ber« 
minberte. 

£a3 Slu£tänberft)ftcm ftatte fid) überlebt, immer flarer unb fdjärfer 
traten feine Sdjattenfeiten fterbor. Scfton in ben leisten §aftren grieb* 
rid)§ be§ ©roften maren fcfttüere fifagen über bie gremben im £eere 
an ber £age3orbnung. 2>er bertraute SRatgeber be§ Sronprinsen, 
SBöflner, berlangte iftre bödige Entfernung au§ ber SIrmee, aber für 
eine fo grunfrftüraenbe 3J?aferege(, bie eine gänalidje Umgeftaltung be§ 
Heeren bebeutet fteitte, mar bie 3^it nod) ntdftt gefommen. 2>e£ftalb be- 
gnügten fidj anbere bamit, eine Serminberung ber SluSIänber bi£ ^ur 
Raffte iftreä 93eftanbe§ $u münfeften: nur bie äuberläffigften foQte man 
beibeftalten unb ifinen eine größere greifteit getoäftren. Sfber aueft biefe 
gemäßigte gorberung fanb bei ben überzeugten Anhängern be§ SHteu 
einen entfdjiebenen SSiberftanb: einerfeitä erfeftienen iftnen bie klagen 
über bic gremben ftarf übertrieben, anbrerfeit§ motltcn fie an ben 
©runblagen ber nad) iftrer Slnficfit beften aller Slrmeen nidjt rütteln 
laffen. blieb nun ber Sern be£ £ecre§ unberänbert, fo mar bamtt 
meiteren ^Reformen ber ftärffte Jliegel borgefdjo&en. Neuerungen bou 
größerer Jragtoeite, tt)ie bie SWilberung ber ftrieg§3udjt, bie ginfüftruug 
be§ 9tequifition§ft)ftem§ unb bie Umgeftaltung ber ©efeefttiform ttmrben 
au§ bem ©runbe abgelehnt, meil fie bie ©efaftr ber 2)efertion fteigerteu. 

Die 2Iu3fänber allein bilbeten ba§ ftcftenbe $ecr, benn nur fie taten 
in iftrer Sfteftrftcit ba§ ganae $<iftr £ienft. 2Rit iftnen mar eine SRilia 
bereinigt, bie au§ ben ^nlünbern beftanb. ?IB nämlid) griebrtdft 3Bü= 
ftelm T. bie 3aftl ber £ruwen berboppelte, iftre SiabreS aueft im grieben 
immer äufammenftielt unb an bie förderliche üidjtigfeit ber (Solbaten 
erftöftte Slnforbcrungcn ftedte, reidjte bic Sßerbung für Die ©rgönjung 
ber SIrmee nidftt meftr au§. Xe^ftalb faft er fieft gesmungen, su ben @in= 
rid)tungen ber 3WiIi^ be^ nur in .Qrieg^eiten aufamtnenberufnen 



Das altpreujjifdfe fjeer cor feinem gufammenbrudj. $5 

33olf*aufgebot3, feine 3uflucf)t gu nehmen, ©r entlehnte t^r ben Orunö- 
tafo ber allgemeinen SBeljrjjfltdjt, ben er mit bem $inWeife auf baS 
göttliche unb menfiijlid&e Siedet in ben nadfjbrüdflid&fteu SEBorten ber* 
fünbete. $n SBirflicfjfeit aber befdfjränfte er burd) allerlei ©semptionen, 
mcfjt nur fogialer, fonbern audf) örtlicher Slrt ben 2)ienftgWang auf bie 
unterften SHaffen, befonber§ be§ flad&en ßanbeS. 2)er Slbel fam feiner 
äSe^tpflid&t im £)ffigierfort>§ nadf); bie Oberen Greife be§ Bürger* 
ftanbe§ aber, Beamte, Saufleute, gabrifanten, Würben au§ Sftücffidjt auf 
ibre uuüberwinblid&e ^eereSfdjeu unb auf bie Wirtfdfjaftttdfje Blüte be3 
SanbeS gänglidft befreit. <3o ^nqte Sriebridö SBil^elm I. bie ben Som- 
pagnie(f)ef§ erteilte ©rlaubniS, bie junge 3Wannfdf)aft gu' „enrollieren", 
ttadfj 3D?ögli(f)feit ein. Sriebricf) ber (Srofee bermebrte nodf), obwohl er 
Don ben Borgügeu einer nur au§ ^nlänbern gufammengefefeten Slrmee 
böttig burdjörungen War, bie Saf)l unb ben Umfang ber ©jemptionen, 
um bie 2lrbeii3fräfte ber burdj ben langen Srieg entt)ölferten Sßrobingen 
gu fcfjonen. Befonber§ fud£)te er fie ber Snbuftrie, in ber er bie #au£t- 
queße für ba§ Wirifd&aftlidfje ©ebenen $reu&en§ erblidfte, unbermin- 
berf au erhalten. Unter feinem 9?adE)foIger würbe gWar burdE) eine neue 
Santonorbnung Wieberum ber (Srunbfafc ber allgemeinen Sffiebrpfttcljt 
mit wofyßüngenben SBorten berfünbet; trofcbem erfolgte eine lange 
SleUje bon Befreiungen, bie fidf) auf bie fyöfjeren ©djicfjten ber Oefett- 
fdjaft, auf äße größeren ©täbte urtb gange Sanbfdjaften, bor allem 
bie ©auptfi^e ber §nbuftrie erftredEten. ÜberbieS geigte bie bürger- 
te Verwaltung immer mef)r bie ÜReigung, al§ Anwalt ber erwerben» 
ben klaffen in einem gäben JJantpfe gegen bie SKilitärbe^örben ben 
$rei§ ber ©jimierten gu erweitern. Bei folgen Äonfliften mußten, 
gumal unter ber frieblid&en Stegierung griebridf) SBiI^eIm§ III., bie Sor- 
berungen be§ £>eere§ faft ftet§ bor ben Sffnfprüd&en be§ 3BirtfdE)aft§Ieben3 
gurüdftreten. 

3Mefe Haltung ber BerWaItung3bef)örben bängt mit ben red&tlid&en 
Befd&ränfungen gufammen, benen bie ^nlänber mä^renb ber gwangig 
3fabre, bie fie bem #eere angehörten, unterworfen Waren. <So burften 
fie erft nadEj bem Stblauf ber langen Seit länblid&e (Srunbftürfe erwerben. 
XeZfyalb galt biefe§ @t)ftem al$ ein arge§ $emmni§ für bie ©ntwieflung 
be§ länblidjen SRäbrftanbeS. 2tber aud£) bon militärifcfyer Seite erfuhr 
e§ eine fcfjarfe Sritif, benn bie Erleichterungen, bie e§ gewährte, er* 
fcfjwerten bie Slu^bilbung ber ©olbaten. 2)ie Sfrlänber blieben nämlid& 
aB Siefruten ftatt be§ urf^rüngli(h borgefd^riebenen S^bt^ nur etoa 
10 SEBod^en unter ber gaf)ne unb Würben f^äter iebe§ gweite %afyt gu 
einer furgen Übung eingegogen, fo bafe fie im gangen ni<$t mehr aß 
gWangig SWonate unter ben SBaffen bienten. ©§ Würbe ba^er eine Ver- 
längerung ber 3Tu§biIbung§geit, Wenigften§ bie unberfürgte SBieber^er« 
fteHung be§ Stefrutenia^re§ gewünfdöt. Slud) Würbe burd& bie fteten 

5totb unb SÜD. CXX. 358. 7 



96 prof. Dr, <5üftax> Krafauer in Breslau. 

unb umfaffenben Beurlaubungen bie ATrteö^bereitfdöaft ber SIrmee arg 
gefährbet. 2)a nämlid) in griebenäseiten bie Sompagnte nicht mehr 
aB 40 bi§ 50 2)?ann unter ben äßaffen öatte, alfo bte fei Weitem 
überwiegenbc SOlebrbeit be§ &cere§ im Kriegsfall erft einberufen nnb 
lieber eingewöhnt Werben mufetc, fo crforberte bie SPtobififierung eine 
3U Tange Seit, ein bebenflidjeS SWoment ber Schwäche angefidjtS eines 
fdjlagfertigen ©egnerS, ber bie Überrumpelungen liebte. unter- 
blieb aber jebc, auch bte gcringfügigfte Umgeftaltung biefeS ©t)ftem§, 
teils aus unongebrad)ter ©parfamfeit, teils aus gewohnter @djeu bor 
jeber tiefer eingreifenben (Störung beS Erwerbslebens. 

£ic Snlänber bilbcten alfo nach Wie bor eine blofee SDiilia; aber, 
Wenn fic and) in militärischer SRoutine hinter ben SluSlänbern surüd* 
ftanbcn, fo (teilten fie boch ben gnberläffigeren Zeil beS #eereS bar. 
©ie zeigten fid), obwohl fich fd)on bter unb ba in ihren Steigen eine 
fteigenbe Unsufriebenbeit über bte 93egünftigung ber oberen Klaffen 
regte, im gangen Willig, treu unb nur feiten gut Sefertion geneigt. 
SDod) mit ben SluSIänbern bereinigt fonnten fie nicfjt immer bor bereu 
berberblidjem (Sinflufj bewahrt Werben, eine Spenge „gereifter Ver- 
führer" Todte fie in ihre Sftefce. 9Tudj würben fie berfelben entwür= 
bigenben unb entfittlidjcnben KriegSaucbt unterworfen tt>ie bie Sremben. 

Diefe KriegSaudjt erfdjien toic ein Überbleibfel einer längft ber* 
gangenen Seit, nod) gänalid) unberührt bon ber Slufflärung unb ber 
Humanität beS ÖabrhunbertS. SÜHe bie ©dju^webren beS StechtS, 
bte bie moberne ©efetjgebung ber bürgerlichen ©efeEfchoft gu gewähren 
begann, Würben ben ©olbaten borentbalten. ©S beftanb in ber 3trmee 
Weber eine fprgfältige Slbftufung ber ©trafen na<h bem ©rabe ber 33er* 
geben, noch eine gleidjmäfeige £>anbbabung ber 3n<htmittel. @o War 
eS möglidj, bafe ein geringfügiger gebier im 2>ienft bisweilen fdjWeret 
als SDiebftabI gerügt Würbe, baft biefelbe SCrt ber Verfehlung eine böllig 
berfdjiebene Beurteilung unb ©übne fanb. ©ie $öbe ber ©träfe hing 
in bieten SäHen bon bem SEentperament unb ber 33übungSftufe ber 
SSorgefefeten ab. ®ie ^Mehrheit ber Offiziere neigte aber bon $auS auS 
au fdjonungSIofer $ärte, in ber fie burdj bte fittliche 33erfommenbeit 
eine§ £eilS ber SluSlänber noch beftärft Würbe, ©egenüber biefem 
Slbfchaum ber -Ulenfcbbeit btelt fie fi<h gu jeber 2luSf<hreitung berechtigt, 
o^ne gu bebenfen, baft fie baS ©efübl ber SOtenfcbenwürbe in biefen 
Unglüdlidfjen bottenbS gertrat unb fie erft recht bem 33erbre<hen in bie 
Slrme trieb. 

§n ber 3trmee beftanb noch ungebrochen bps ©Aftern ber $rügel* 
ftrafen, bereu entwürbigenbe SEBirfung burdj bte öffentliche SoIIftredhing 
gefteigert Würbe; fdjtoere greiheit§ftrafen Würben gemiebeu, um nicht 
bie mit grofeen Soften angeworbenen Sremben längere 3^it bem &ienfte 
5U cntjiehen. 3Wit ber 93efugni§, ©todhiebe 3U erteilen, trieben Diele 



Pas altpreujjifdje Jjeer x>ot feinem gttfammenbrtidj. 9? 

33or gefegte ben fdjänblidjften Ußi&braucij. ftmai erliefe griebrid) 
£elm II. ba§ 5Berbot, mehr al§ 30 ©djläge ohne ftanbre(f>tlid)c§ ©r- 
fenntni§ gu berfjängen. Slber toelcfjer ©ffigter befolgte e§ in bent 
3>ünfel feiner -Kachtbollfornmenheit ober in gorniger ©rregmtg! ©3 
fjnelten fidj noch immer auf ben ©yergierplä^en bie entpörenbften ©genen 
ab. 3)en ©ipfel unmen]d)üd)er $ärte erreichte ba£ militärifche ©traf* 
foftem in bem ©pieferutenlaufen. 3)ie -Ofttfehanblung be£ Verurteilten 
burd) bie Äameraben, fein gerfleifdjter, blutübcrftrömter Jtütfen, fein 
„toinfelnbeS 2Ingftgefd)ret", fein 3ufammenbrechen, bie barfdjen SSefehle 
ber ßffigiere, bie tro^bem bie ©olbaten gu fräftigerem 3nfd)Iagen an- 
trieben, all biefe§ gab ein fo entfefcliche§ ©djaufaier, bafc bie umftehenbe 
SKenge in bie höchfte ©rregung geriet. Offigiere bon garterem (£mip> 
finben berliefeen ben grontbienft, um nicht ba3 grä&Iidje $enferamt 
übernehmen gu muffen. 2>iefe fcfymähliche SJeftrafung toar nidjt etoa 
eine feltene 9tu§nahme; na<f) einem guberläffigen 3eugni§ au§ bem 
legten 9?egierung§iabre 3rriebrid)§ be§ ©rofeen Ratten fie gtoei drittel 
fcer 2tu§Iänber ber berliner ©arnifon erlitten. Über eine nidjt geringe 
3üfjl öon ©olbaten mufete fie toieberholt berhängt toerben. Unb ber 
burd) einen folgen ©djintpf entehrte burfte toeiter be§ Königs 3tod 
tragen, bie Sameraben mußten ihn ferner in ihren Siefen bulben. 
SBie Tonnte )"idj angeficf)t3 einer folgen (Srniebrigung ein ftoIge§ 
©elbftgefühl in ben ©olbaten enttoideln, unb tx>tc mufete ber gange 
Starxb in ber öffentlichen 9ldjtung finfen! 

hieben ben Sßrügelftrafen hotten bie £aftftrafen nur eine geringe 
Stebeutung, gumal fie nach 33ot)en§ SPfitteilung fo läffig gehanbhabt 
tourben, bafe fie bem Qmdt ber Slbfchrerfung burchauS nicht entfaradjen. 
2>ie ©efangenen, bie gemeinfam in einer äBadjtftube untergebracht 
tourben, hatten feine fdömerc Entbehrung gu tragen; fie burften irinFen, 
rauchen, faielen, nach £ergen§Iuft plaubern. Slber noch bebenflidjer 
mufete e§ erfdjeinen, bafe burd) ba§ ungeftörte 33eifammenfein bie alten 
abgefeimten ©ofbaten bie befte ©elegenheit hatten, an ben jungen, 
noch nicht gang berberbten Sameraben bte ^Jäbagogif be§ SafterS gu 
üben. 

©elbft innerhalb biefe§ gurüdgebliebenen unb berfehrten ©traf* 
ft)ftem£ gelang e§ einigen einfidjtigen SSorgefc^ten, milbe 3Wäfeigung 
imb befonnene ©erechtigfeit gu betätigen. S3efonber§ gab ber Selb« 
mürfdjall SKöHenborf, ber ©ouberneur bon SBerlin, obtoohl fonft einer 
ber eifrigften SSerteibiger ber alten SIrmee, ba§ fdiöne Seifaiel ebler 
SWenfdjlichfeit. SSor allem ermahnte er bie ßffigiere, gegenüber ben gur 
itbung eingegogenen Sfnlänbern ©ebulb unb 9?uhe an ben Stag gu legen, 
fie burdj bernünftigeS 3ureben, burch gelaffene§ SSerbeffern ihrer Sfe^Ier 
auf ben redeten äßeg gu führen. (Sine fdjonenbe 33ehanblung ber 
Sanbeäfinber liefeen fidö auch anbere ©enerale angelegen fein, jebodj blieb 

7* 



98 Prof. Dr. (ßußao Krafauer in Breslau. 

biefeS 93emühen ohne rechten @rfolg. Sffienn noch einem 3ah r hunbert, 
ba£ bem $eere eine menfdjliche ©efefcgebung unb ein toefenilich ber* 
befferteS ©eri<ht§berfahren gebracht hat, e3 noch immer nicht gelungen 
ift, bie ©olbaten gegen rohe SKi&hanblungen f<hü£en, um toie biel 
fchtoieriger n>ar bie Aufgabe unter einem brafonifchen ©trafredjt unb 
in einer au§ ©ölbnern unb ben niebrigften 33oIf3fIaffen gebilbeten Strmee! 
Xrofebem Ite&en fidj bie SSorfam^fer ber Humanität unter ben öffiaieren 
nicht entmutigen. SDer Oberft ©rattert fefeie e§ burch, ba& feine 
©olbaten für Segler, bie fie bei ben militärtf<hen Übungen machten, 
nicht mehr geprügelt tmirben, unb toenn fie fich bei Serat fo toaefer 
hielten, fo toar bie§ nicht jum minbeften ihrer einstigen SBe^anblung 
au berbanfen. STuct) einer ber ^Reformatoren be§ preu&ifdjen £eere3, 
ber treffliche SBotyen, betrat bamaB biefe 23ahn. @r hatte früh erfannt, 
ba& man bie jungen ©olbaten mit ,,©üte unb ©elinbigfeit" behanbeln 
muffe, trenn fie bie fchtoierigen Übungen begreifen unb nicht, fobalb fie 
unter ba§ ©etoeht träten, „bie 33efinnung berlieren" foHten. S)e§^a(b 
fchaffte er in feiner ®om{>agme bie förderliche güchtigung beim ©jer« 
gieren ab, unb boefj tr>ar fie nicht „bie Iefcte im Regiment", ©eine 35or- 
gefegten fpenbeten ihm im ©egenteil reichet Sob, unb er ertoarb ftch 
augleidj bie guneigung feiner Untergebenen, bie ihm „noch mehr 
inert toar". 

33ot>en fam auch fdjon Sur Überzeugung, bafe ba§ ganae militärifche 
©traffoftem einer grünblichen Umgeftaltung" bebürfe. ©o untergog er 
e3 einer Äritif, bie fid) augleid) burch ruhige ©acfjltchfeit unb einen 
toarmen, Verglichen Xon anzeichnete, unb beröffentlichte fie um bie 
St&enbe be§ SafjrhunberB in ben „Sttnnalen ber preufeifchen ÜRonarchte". 
©r metft in feinem Stuffafc ber mitttärifcfjen ©efefegebung bor allem bie 
Aufgabe au, „ben freien Slufflug militärifdjer Xugenben au beförbern". 
S)e§^alb müffe fie auf ba§ ©hrgefühl ber ©olbaten etnaumirfen fud&en 
unb müffe bie ©trafen nicht nur nach ber 3Irt ber ÜBergefjungen, 
fonbern auch nach ber SIrt ber ^nbibibuen fdjarf au§einanberhalten. 
2lu§ biefem ©runbe berlangt er audj bie fparfamfte STntrjenbung ber 
förmlichen 3ü^tigung. 93efonber§ toenbet er ftch gegen ba3 ©äffen* 
laufen, ba§ ben ©olbaten bor fith felbft erniebrige, bem ganzen ©tanbe 
bie Sichtung be§ 3Mfe§ raube, aller 2ftenfchlichfeit £ohn fpredhe. 2H§ 
atoetfmäfeigfte ©träfe erf(heint ihm bie ©inaelbaft, bie ben ©efangenen 
bon aller 33erfühtung entferne, ihm ©elegenheit gebe, „in ber ©titte 
ber ©infamfeit bie ®ette feiner 33ergehungen au überbenfen", unb ben 
33orfafc ber Stefferung herbeiführe, ber „fo beffer haften bleibe, al§ toenn 
ihn ©Jrie&ruten . . . eingebleut hätten." STud) befürwortet er bie 
Einführung ehrenber unb fdjänbenber 3Tbaeichen, bte trefflich geeignet 
lüären, %uv Xugenb anau|>ornen unb bon bem ßafter abaufd&redfen. 

biefen Ausführungen berlieh 93ot)en ben STnfichten unb SBünfdhen 



Das altprcugifdje Qeer por feinem gufammenbrudj. 99 

2lu§brurf, bie bon allen forigefdjritteneren (Elementen be£ Offiaterfor^ 
vertreten tourben. ©o hatte fd^on bor einer geraumen Seit ber ßberft 
Don £>ieritfe in ber ©djrift „gragmente ü6er bie 33erebelung ber ©ol- 
baten 0 bie berfehrte ©ehanblung ber ©olbaten gerügt bie fie „au 
©Haben, au feelenlofen Stutomaten" erniebrige, bie „man nur burd) 
©eifeel unb ©träfe aur Erfüllung ihrer Sßfltdjten antreiben fönne". 
SDtan follte „ihnen bielmeht jenen @nthufia§mu§ einflößen, ber nicht 
feiten einjig unb allein grofce SDinge bettrirfe". 9tu<h bie SDenffdjrift be§ 
OberftleutnantS Secoq, bie auf bie Anregung be§ Sönig§ griebrid) 
SBilhelm III. aurüdgeht, betont mit aller ©ntfehiebenheit, bafe eine 
tebiglidj auf unerbittlidje Strenge begrünbete 3)t§ait>Iin oft nur an einem 
feibenen gaben hänge. 3>er SBerfaffer toünfchte eine Shrieg§aud)t, bie in 
erfter SMnie auf fittlichen gunbamenten ruhe: man folle ben ©olbaten 
ßiebe für ßönig, ©taat, Dfftaiere einflößen, t^re Sage fo geftalten, bafe 
fie mit ihrem 3"ftanbe aufrieben toären. 

Smmer gebieterifdjer Verlangte ber (Seift ber 3rit &i e aftilberung 
ber Srieg§aud)t, aumal fie im fdjroffen äBiberfarudj aum ©efefebuch ber 
bürgerlichen ©efefffdjaft, bem allgemeinen ßanbredjt, ftanb. toar 
bodj ein unerträglicher 3uftanb, bafe ein Untertan toegen be§ gleidjen 
33ergehen§ al§ ©olbat au ©pieferuten unb bietteidji furae Seit barauf, 
toenn er au§ bem £eere auägefdjieben toar, au einer greiheitöftrafe 
terurteilt tourbe. SDeSfmlb befahl ber König nicht lange bor ber 
©flacht bei %ena eine Umarbeitung ber Srieg§artifel. 

Sttuch bie materielle ßage ber ©otbaten erhetfdjte eine burdjgreifenbe 
Umgeftaltung, aber bie Kraft beS alten ©taateS berfagte auch hier, 
©chon unter griebrid) bem ©rofeen tourbe über ben fna:pt>en ©orb unb 
bie unaureidjenbe ©rnährung ber Zvnppen Klage geführt. S)iefer Übel- 
ftanb berfdjlimmerte fich noch infolge ber affgemeinen $rei§fteigerung 
unter feinen Nachfolgern. 3Wan begnügte fich oiex mit einer gering- 
fügigen Sfufbefferung, bie in feinem rechten 33erf)ältni§ aum 33ebürfni3 
ftanb. (Sinft toar, toie SecoqS SDenffdjrift augführt, ber ©olbat befter 
geftefft aI3 ber Tagelöhner, ^efet aber toar er infolge ber 93erteuerung 
ber ßebenSbebürfniffe auf einen Sftebenertoerb angetoiefen. SEßenn er 
jebodj an einem Orte ftanb, an bem bie ©elegenheit au einem foldjen 
Serbienft fehlte, mufete er barben. SDie materielle Sage ber Truppen 
toar fo fläglich, bafe man in einer amtlichen Denffdjrifi fogar bie Be- 
fürchtung ansprechen fonnte, bei einem Kriege mit granfreich würben 
alle 9Tu§Iänber au bem t>ier beffer besorgten $eere be3 geinbeS über- 
laufen. 3)er ©eneral Sourbtere beaeidjnet in einer 2>enffdjrift, bie er 
über biefen ©egenftnnb einreichte, bie 9?ot ber ©olbaten aU ein „namen- 
Iofe§ ©lenb". ©r verlangte beShalb toenigftenS eine 93rotauIage für 
fie. Süber tote fofften in einem egoiftifchen ©efd)Iecht, bem bie Opfer- 
ttriHigfeit für ben ©taat fo gänalich mangelte, unter einer ^Regierung, 



\00 P*of. D*. (ßujlap Krafauer in Breslau. 

bie jebe ©rtwhung bei Steuern au meiben judjte, um nicht bie öffent- 
liche 2tteinung %u verftimmen, bie wenn aud) geringfügigen Littel für 
ein folcheä SWehrbebürfniö be£ #eere3 bejdjafft werben! (Sourbiere 
fd^lug eine ftärfere 93elaftung ber ©runbbefifcer vor, bereu einnahmen 
fid) in Acn legten 30 ^aljren verboppelt hätten. Unb um bem SBor* 
Wurf entgegen, bafe er eine Abgabe empfehle, bte ü)n felbft nicht 
treffen würbe, erflärte er fich bereit, fein 33ermögen in länblicfyem 
äöefifc anaulegen. Unb in ber Xat aetgte fid) griebrid) SBilhelm III. 
bereit, ben Slbel gur ©runbfteuer heranauaiehen. 2>a trat aber ber 
©eneral Siüdjel, ber mititärifche Mentor be§ $önig3, aB Serteibiger 
beä bebrohten Staubet auf. Schon festen fid) einige ritterfchaftliche 
SBerbänbe, befonberS ber Siurmarf, %ux Sßehr; fie liefen in einer Öw* 
mebiateingabe an i>en SWonarchen auf bie verbrieften Siedete ber Stäube 
hin. So unterliefe e$ ber ®önig, ba§ ©runbfteuerVorrecht be3 SlbeB 
anautaften. S)ie Scheu vor gröftern Opfern für ben Staat, aumal für 
bie Strmee führte fogar %u bem jeltfamen 23orfd)Iage, ba§ ftehenbe $eer 
au verringern, um fo bie Littel für irie Slufbefferung be£ Solbeä au 
gewinnen, ©rft nach langwierigen 2$erl)anblungen in ber für bie £eere£* 
angelegensten eingelegten Sommiffion, erft nad) Überminbung eineä 
ftarfen SBiberftanbeS gelang e£, eine bürftige Solb* unb Sörotaulage 
für bie Xxuppm burdjaufefcen. Aber nach wie vor hcrrfdjte ein grofeeS 
©lenb unter ben Solbaten, befonberä unter ben verheirateten. %fäxz 
Sinber Waren fo fd)led)t ernährt, baft Viele Von Üjnen fdjon früh hin- 
wegftarben, bie Überlebcnben aber nur feiten für ben väterlichen 33entf 
fräftig genug Waren. 2>ie nteiften von ihnen iudjten 93efcf)äftigung in 
ben gabrifen, Wovor bamal£ noch bie fleinbürgerlichen klaffen gurüdf» 
fdjrafen. Qimv hatte ber ©encral SWobicf) bie ©ewäfjrung von ©r* 
aiehung^gelbern an bie Solbaienfinber burchgefefct, ein SSerbienft, ba§ 
ein Sdjarnhorft höhet fchäfcte, at§ bie widjtigfte militärifche Stat. 2Bohl 
nahmen fich einaelnc humane Cffiaiere unb gelbprebiger milbtätig 
ihrer an, auch griff bie Armenpflege ber Stäbte hilfsbereit ein, aber alt 
bie§ fonnte bie arge 9?ot biefeä Proletariats nur Wenig milbern. 

©in noch traurigeres? Sdjirffal hatten bie ÖnValiben. Sie gürforge 
für fie War unter griebrid) bem ©rofeen noch Völlig unaulänglid). ©ine 
Serorbnung griebridj 2Bilhelm£ II. gibt au, bafe viele Von ihnen ihren 
Unterhalt erbetteln mußten; noch unter feiner Siegierung gab e3 allein 
im ßammerbeairf SlWinben über 1800 unverforgte §nValiben. 2)iefer 
$önig erft grünbete für fie eine fiaffe, au ber er felbft iährlidj eine 
gröfeere Summe fpenbete unb jeber Cffiaier einen monatlichen Beitrag 
aahlen mu&te. Sluch glaubte man ben ^nValiben fo Wenig Sichtung au 
fchulben, bafe man fein 93ebenfen trug, fie mit ben 3Kilitärfträflingen 
au ßompagnieen in Vereinigen. SDJan jah fie eben Wie biefe nur al§ 
unnüfee 9?ebenglieber ber Slrmee an unb, um fie nidjt gana unverwenbet 



Das altpreufjifcfye Qeer vox feinem gufammenbrudj. \0\ 

5u laifett, bürbete man ifjnen toofyl bie SluSbilbuug ber Siefruten auf. 
3ur 93efeitigung biefer imgefjeucrüdjen ßinrid)tung btburfte eä felbft 
nad) bem Sufarnmenbrucf) bei %cna erft eines ausfübrlidjen ©utadjtenS 
aus ©neifenauS geber, ber mit marfigen Sßorien bie mürbelofe 3k= 
banblung ber ^nbaliben geifeelte. 

63 3eigt fidö aud) in Meiern Satte, mie meit man in Greußen bor 
ber ftataftro^be trofc aller frönen Sßorte über ben Seruf ber 3Saterlanb§= 
berteibiger bon ber SHSertfdjäfcimg be£ (SoIbatcnftanbeS entfernt mar. 
Xie 2lrmee galt bielmebr al§ eine Sfrt bon Strafanftaft, eine Sluffaffnng, 
bie felbft bei ben 8taat£bd)örben gang unb gäbe mar. SBenn fie bie 
Befreiung eines Untertanen bom ®rieg£bienft burcfigefe^t Ratten, fo 
fügten fie mobl bie 93eftimmung fyn?>u, bafe er, menn er lieberlid) mürbe, 
in ba§ £eer eintreten foHtc. 2)ie gemeinen Solbaten erfd)ieneu eben 
al§ eine feelenlofe SWaffe, bie, ber 3lot unb ber ©etoalt gebordjenb, 
in ben ®am£f gebt, eine Stnfidjt, bie felbft ein 2d>arnf)orft nodj einige 
Sfafyre bor ber @djlad)t bei Öena gegen Söerenborft t>ertrat, ber in feinen 
berühmten „93ctradjtungen über bie SriegSfunft" et)rgefü&I unb $atrio* 
tiSmuS aB bie treibenben Wäd)tc be£ SriegeS bcaeidfjnct fjatte. ®o 
entbehrte benn ba§ &eer ber ibealen ©runblage; e§ rubte nidjt auf bem 
©ebanfen ber 33aterIanbSberteibignng, menn aud) biefer mit nad)brücf* 
Heben Sßorten bom £f)rone au£ berfünbet rourbe. 

Sftur bie Organifation be3 OfffiaierforpS murmelte in einem böberen, 
ebleren triebe, ber aber nidjt bem Staate, fonbern nur bem Sftonardjen 
galt, in ber rittcrlidfjen SebnStreuc. So mar e§ faft auSfdtfieftlidj au£ 
bem Sttbel aufammengefefct, ber im STIIeinbefi^ biefer Eingebung für ben 
&rieg§berrn erfdjicn. 5Da§ Ubergemicfit, ba§ biefer <Stcinb fdjon unter 
griebrid) I. im £)ff>aierfor:p§ erlangt fyatte, erfuhr unter griebrid) 
SBilbelm I. eine meitere SSerftärfung, obmof)! er nodj Uuteroffiaiere ?>u 
fieutnanti beförberte. @rfi griebrid) ber ©rofte fcf»Tofe bon beffen Steigen 
bie Sftotüre grunbfäfclid) au§, benn er febrieb attein bem 2lbel ba§ für 
einen Offizier unerläfelid)e @I)rgefüf)[ au. Slud) mar bie Stctfung, bie 
er biefem ©tanbe im £eere getoäbrte, ja nur bie ßonfcquena ber bon 
ibm bi§ gum äußerften gefteigerten ftänbifdjen ©lieber ung in Staat 
unb ©efeflfdjaft. 2>ie Sunfer, bie über bie untertänigen 93auern ge= 
boten, mußten nun einmal aU ifjre geeignetften 3ud)tmeifter im £>eerc 
gelten. 3>er ®önig ging in ber £urd)fübrung feines ©runbfafeeS fo meit, 
bafe er ben Offizieren bie ßfjc mit nicbtabligen grauen, ja ben Umgang 
mit Slngebörigen anberer ©täube berbot. §n ber -Kot be£ fiebenjäljrigen 
ÄrtegeS beförberte er aud) 93ürgerlid)c, aber nad) bem grieben berab* 
fd^iebete er fie rücffidjtSloS ober bebielt fie nur in ben ^Regimentern b-ei, 
bie al§ minbermertig galten; t>on ben gelbregimentern blieben fie au§« 
gefd&Ioffen. Sfn Wefer griberiaianifd^en Strabition magten feine Sftadj* 
folger trofe ber fteigenben 93ebeutung, bie ber britte tSianb für baS 



102 



prof. Dn <8uftao Krafauer in Breslau. 



geiftige ßeben ber Station getoann, nicht 311 rütteln. äBofrl gab e§ fura 
bor bem 3ufamrrienbruch ' gegen 700 nidjtablige öffiaiere in ber Slrmee, 
ober nur in untergeorbneten S£rupj>engattungen unb untergeorbneten 
«Stellungen. 

griebrich ber (Sro&e burdjbrach in feiner Abneigung gegen bie SRotüre 
fogar ben nationalen Sljarafter be§ ©ffiaierforjtö. 2)en bürgerlichen 
be§ eigenen 2anbe£ 30g er frembe 9lblige bor. Unter biefen befanb fich 
mancher ber beutfdjen ©brache faft gänalid) Unfunbige, ber feine befehle 
in einem lächerlichen Kaubcrtoelfch erteilte, unb mancher ehrlofe Stbenteurer, 
ber ben preufcifdjen -Kamen fdjänbete. 33otyen hat in feinen Erinnerungen 
«einige Vertreter biefe£ 5£t)pu§ gar anfchaulidj gefdjilbert, nrie ben ©eneral 
3rabrat, einen mobernen ©rafen bon ©leiten, ben ©eneral STmaubrifc, 
ber fein Sebenfen trug, au§ bem bifthöflidjen $alai§ in Sßultuäf bie 
beften äWöbel für bie eigene Einrichtung 3U entführen, ober ben ©berften 
©aefult), ben Sftagtjaren, ber fid) im geinbcSlan'be bie fdjamlofeften Er- 
greifungen unb Sßlünberungen geftattete. Erft griebridj SBilhelm II., 
ber König, ber im STOinifterrate aufrief: „2Bir finb 2)eutfche unb tootten 
e§ bleiben!" .ging baran, bem ßffiaierforpä feinen nationalen ßf)arafter 
ttueberaugeben. 

SDie auäfchliefeliche 3ulaffung be§ SlbeB aum £)ffiaierfotp§ eraeugte 
in beffen Steigen einen unerträglichen @tanbe§f)od&mut. Unter Sriebridj 
bem (Srofcen tagten e§ bie Herren bom 2)egen, felbft hohe SSeamte grob* 
lieh au befchimpfen, auch mafcte fi<h ba§ SDHIitär bei ©treitigfeiten mit 
bürgerlichen ba§ alleinige Entfd)eibung§redjt an. ®er Sßäfjrftanb ertrug 
aunädjft biefe Übergriffe toie ein unbermeiblid)e§ ©chicffal. ©eine ge* 
bulbige gügfamfeit fdjtüanb erft infolge ber freiheitlid)en Seluegung be§ 
•KachbarlanbeS. ^e^t fragte e§ fogar ba§ 23olf, ba§ eiuft fo gefürchtete 
SKilitär l)erau§aufor bem. ©djon mürben btetoeilen ©ffiaiere unb SBadjen 
beleibigt, ein unter bem großen König gana unbefannteä Vergehen. 2>ie 
aufftänbifchen <5<hneibergefellen 93reslau§ berhöfjnten gerabeju bie 
Xrujxpen, banf ber fdjlaffen Haltung ber behörben, bie bodj im (Srunbe 
fdftfedjt berhehlter 9tebolution§furdjt entsprang. Sie bürgerlichen aetgten 
jeftt ein biel reiabarere§ Ehrgefühl. SBagte e§ ein Seutnant, einen 
©tubenten mit „er" anaureben, fo fonnte er nidjt nur eine Eroberung 
in berfelben geringfdjäfcigeu Sorm, fonbern aud) ein Eintreten ber 
ganaen Korporation für t&r brfeibigteS SKitglieb getnärtigen. Sßun ber- 
Ioren auch bie ßffiaiere unter griebridj SBilhelm III. ben 9tüdff)alt, auf 
ben fie aur 3eit Sriebrich§ beä ©roften gepocht hatten. 2)er bürgerliift 
gefinnte König erliefe jene gel)armfd)te Verfügung, in ber er i^nen be- 
greiflich machte, bafe e§ ber -ftährftanb fei, ber burch feine STrbeit bie 
Slnnee erhalte, unb baher bie ^erauöforberung biefe§ <£tanbe§ mit aller 
entfehiebenheit berbot. Sßohl mochten je^t biele SSorgefe^te mit empfinb- 
licher Strenge gegen ben militärifchen Übermut borgehen; tt>enigftenS 



|U N I V E n 3 : T ,• j 

Dos aftpreujjifdje fjeer vov feinem gufammenbrudj. {03 

behauptet ©charnhorft, baß ein ©ffigier, „menn er mit bem 33ürger. 
Streit befam unb tridjt gleid& nad>gab, menn er gegen bie 3ibiIobrigfeit 
einen fleinen gehler machte, meit ftärfer als ber ^Bürger bei gleid>em 
Vergehen beftraft" mürbe. £rofcbem gelang e§ nicht, ben ßieblingS* 
fport heißblütiger SeutnantS böüig gu unterbrüdfen, gumal e£ in ber 
Wrmee immer noch hohe Herren gab, bie ihn in ©<f)ufc nahmen. „(B 
mürben," mie S3otyen in feinen Erinnerungen ergäbt, „oft ©treitigfeiten 
ättnfchen Sibil unb SWilitär befannt, in bem bie ©ffigiere nid&t fo ftreng, 
als fie eS berbienten, beftraft, bin unb lieber fogar burdj parteiifche SSor* 
gefefcte befdjüfct mürben. 2)ieS ergeußte biel böfeS 39lut." 2)ie heftige 
©Innung gmifdfjen Sibil unb SKilitär blieb befielen. 

2)ie SBereingetung beS ©ffigierfotpS mürbe t>on beffen einfid&tigen 
STOitgliebern tief beflagt. 3>er ©berft ©ieridfe ermahnte in feinen 
Srogmentcn feine jungen 5?ameraben gu liebenSmürbiger 33efdjeibenbeit 
im Umgang mit ben übrigen ©tänben; ber ©olbat fei ja audj nur SKenfdj 
unb 93ürger unb bürfe fid) beSbalb bon feinem SJttibürger nidjt ho<*)* 
mütig trennen, ©oldje Mahnungen mußten jeboch mirfungSIoS ber* 
hatten, folange baS ©ffigierforpS auS einer beborredjteten ®afte beftanb. 
STber fdjon erhoben fid) auS beffen eigenen Steigen gemid)tigc Stimmen 
für bie unbefdjränfte 3ufaffung ber ^Bürgerlichen. 3>er SKajor bon 
Änefcbedf erblicfte barin baS befte SRittel, nicht allein bie beiben ©tänbe 
gu berföhnen, fonbern audj bie 33ilbung ber Offiziere gu fjeben. 

SDann mußte aber audj mit ber Einrichtung gebrochen merben, baß 
bie ©ffigiere bem »§eere fdjon in einem SebenSalter angehörten, in bem 
fie fid) faum bie Elemente beS SBiffenS hatten aneignen fönnen. ®ie 
Sunfer ober Sreiforborale Ieifteten bereits als Shtaben bon 13 galten 
ben gabneneib. 93on biefem Seitpunfte an mürben fie burdj ben SDienft 
böttig in Stntyrudj genommen, fo baß nur toenige unter ihnen noch ben 
Strieb gu geiftiger gortbilbung geigten. ES mürbe barüber geflagt, 
baß ihnen ohne Stüdffidjt auf ihren unentmidEelten ßorper biefelben 3ln- 
ftrengungen mie ben ©emeinen gugemutet mürben. ^t)te unangenehmfte 
93flidjt beftanb aber in ber 2luffid)t über bie unguberläffigen StuSlänber; 
einmal in jebcr SBodje mußte ber Sanier fie übernehmen. ®ann galt 
eS, ben gangen £ag bis gum fbäten Slbenb immer mieber burdj bie 
©traßen gu eilen unb aud) bie SBirtSbäufer gu burdjfucijen, um ein 2luS* 
reißen gu berbüten. 3u ton fd&meren 3Tnforberungen be§ SDienfteS ge- 
feilte fidö noch bismeilen eine unglimt)flid&e S3ehanblung. ®ie 33orgefefcten 
burften fogar bie Sw^ifer mit ber fladfren Glinge gültigen. 2tudj in ihrer 
33efoIbung unterfdhieben fid) bie greiforporale nur menig bon ben 
©emeinen. ®amit ^ing e£ gufammen, baß fie gu einem Unteroffigier 
ober ©olbaten in SBohnung unb ßoft gegeben mürben, ©o famen bie 
fünftigen Offigiere in gu nahe Berührung mit ben roheften ©Iementen 
be§ ^JeereS unb fonnten nidjt immer bem berberblidjen einfluffe biefer 



prof. Dr. (Sn{lao Krafauer in Breslau. 



argen Umgebung nnberftefjen. ©emeine 3>enfung£art, Slbftumpfung 
be§ ©f>rgefül)B, entnerbeube Softer ttmd)feu au§ biefem Soben fjerbor. 
$3ot)en erinnerte fid) gmar gern jener Seit, bie ibm einen (£inblitf in 
bie 23erf)ältmffe ber nieberen Slawen getnäbrte, aber nur toenige feiner 
Äameraben toaren fd)ou früf) fo gefeftigt, nrie biefe tief fittlidje unb 
augleid) fo toannljeraige Sftatur, bie gegen alleä Unlautere gefeit mar 
unb mitten tu ber äSertoorfenbeit nod) ben eblen menfdjlidjeu Sern fanb. 

Sie Sunfer liefen fid) fd)ou 1 bi£ 2 %al)xe t bebor fic ben galjnen* 
eib leifteten, in bie ßiften ber Dtegimenter eintragen, taeil it)nen biefe 
3eit für bie Seförberung angeredjnet tuurbe. 2>a§ Slbancement richtete 
fid) im ganaeu unb großen nad) bem Xienftalter. SBäbrenb griebrid) 
ber ©rofee feit bem fiebenjät)rigen ftriege über i>ie gübrerftetlen ber 
Strmec bom ßberften an nad) freiem ©rmeffen verfügte, fo bafe er jelbft 
fo berbiente ©enerale mie Siethen unb £auenfcien jüngeren 33efel)l£* 
fjabern unterorbnete, lenften feine ■ftadtfolger in bie Don ifjm burd)* 
brxxfyene irabition mieber ein. SBid) man bon bem ©runbfaö ber Sin» 
ciennttät ab, bann entfdjteben gar oft 9?et>otismu£ unb &onne$ion. 3lid)t 
Wenige £>berften unb ©enerale waren burd) untuürbige Sriedjerei empor* 
gefommen. Slud) ^errfdjte über bie ©rforberniffe eine£ beeren CffigierS 
an ber leitenben Stelle eine gang irrige Slnfdjauung. s JSBcr fid) in ben 
fünften beä 2)rill3 unb ber Sßarabe an^\d)mte unb eine borteilljafte 
äufeere @rfd)einung unb gefellfdjaftlidjen Sd)liff bamit t>erbanb, erfdjien 
griebrid) SBiltyelm III. al£ ber geeignetfte 9iegiment£d)ef. Slüe fort* 
gefd)ritteueren 2Jiitglicber beä Stanbeä mufeteu in einer fold)en S3eför* 
berung£art bie größte ©efabr für £eer urtf> Staat erbliden. £en ent« 
fd)iebenften SKortfüljrer fie in Sdjarnfjorft. <Bd\on früf) bertrat 

er Jbie 2lnficf)t, bafe ba* Stufrüden ber Cffisiere fid) bor allem nad) ben 
burd) eine Prüfung 5U ern>eifenbcn ftenntniffen unb nad) ber militärifdjen 
Stücijtigfeit rieten müffe. S3ereit3 in bem Sluffafe „Über bie ©ntoidelung 
ber allgemeinen Urfadjen be£ @lüde$ ber granaofen in ben 3tebolution£* 
friegen", ben er im Saf)te 1797 im militärifdjen Journal beröffentlid)te, 
berlangte er fofortige 33erabfdjiebung ber 93efebBt)aber, bie fidj beim 
Sßanöber ober im Kriege untüdjtig aeigen, bagegen SJelofynung, außer* 
orbentlicfje 33eförberung berjenigen, bie fid) burd) Sdjarfblid unb Gut* 
fd)loffenbeit berbortun. „$e gefäbrlidjer eine böbere Stelle ift," fäbrt 
er fort, „befto traniger bat fie bon Stepotiämuä unb onberen itneivlen 
SRadjftellungen su befürd&ten, befto metjr ftebt fie bem üBfrmne bon 
polieren ©efüf)len, bon innerem SBetDuBtfein feiner Gräfte unb bon 
Energie offen." Sn äl)nlidöcm Sinne faricfjt er fidö in feiner im %a1)Tt 
1806 berfafeten 2>enffdjrift über bie erri<$tung einer Sftationatmilia au§. 
Studö fym eifert er gegen ben (Sinflufe ber „firied)erei unb ßonnerion" 
auf bie 93eförberunß ber Offiziere unb befürwortet baä rücffidöt^lofefte 
SSorgefien gegen bie gübrer, bie nid^t auf ber £öf)e ibrer STufgabe fielen; 



Das altpreufjifdfe fc^eer oor feinem §ufammenbuidj. \Oo 

er forbert ifjre Entfernung au£ bem £eere bor bem StuSmarfdj gegen 
ben geinb. Stud) Stoßen befd)aftigte fid) nodj fürs bor bem Sufammen- 
brudEj eingetyenb mit biefer grage unb berfa&te über fie eine 2)enf= 
fdjrift, bie er tuahrfd&einlid) bem Könige einreidEjen toollte. ©r fdjlug 
eine 3^legung ber militärifdjen ßaufba£)n in brei Slbfdjnitte bor, ben 
erfien bis sunt Hauptmann, ben Seiten bis zum Stabsoffizier, ben britten 
bis sum ©eneral. ^nnertjalb ber einseinen Stufen toünfd)te er ein 
äufrücfen nad) bem 2>ienftalter, bie ©eförberung in bie tjöfyere Stufe 
mad&te er aber bon einer Prüfung abhängig, bie fief) jeboef) nidjt auf ben 
©ttoeiS gebädjtniSmäßigeu SöiffeuS, fonberu ttrirflidjer militärifdjer 
Stüdjttgfeit rieten follte. 2ludj er vertrat mit aller (Sntfdjiebenfjeit bie 
Slnfidjt, bafc bei bem Slbancemeut ber Offiziere ber ©runbfafe „getüöfyn* 
lieber unb tt>eid)licfyer JÖiltigfeit" jd)tt>cigeu tnüfie. „Xer Schüfe beS 
SSaterlanbeS," erflärt er, „bicS ift ber einsige große 3ü>ccf eines ftet)en= 
ben £eereS, unb inbem bie 3udjt unabläjfig baf)in mirfen muß, bie ein* 
seinen SKitglieber ber Korporation für jenen erhabenen ©ebanfen mitten 
im grieben burd) (Sf}te unb gurd)t zu enttyufiaSmieren, fönnen feine 
futxütcrnen 9tütffid)ten, jelbft tueun fic ficf> im räufcfycnben (Setuanbe 
erborgter 3Wenfd)Iicf)fett berfjüllt seigen, anmafeenb il)r ben 2Beg bor* 
seidjnen tooüen." 

SBenu baS Slufrütfen lebiglid) burd) ben „Sdjub ber Satire" erfolgen 
fonnte, fo fehlte ber SWefyrfjeit ber Offiziere ber ttnrffamfte Slntrieb, fid) 
allgemeine unb fad)lid)e Sienntuiffe su ermerben. £od) regte fief) immer* 
f)in unter ben jüngeren äftitglicbern beS Staubet ein ftärfereS 33ilbungS= 
bebürfniS. SEer mäcfjttge Sluffdjtuung, ben baS geiftige Seben ber Nation 
in ben legten 3fat)rzef)uten genommen, begann aud) tu biefem ftreife 
baS rotje 33anaujcntum surürfsubrängeu. mehrte fid) bie 3^1)1 
Offiziere, bie mit lebhafter Teilnahme bem SiegeSzuge ber beutfdjen 
3)id)iung unb aud) ben gortfdjritten ber beutfdjen äBiffenfdjaft folgten. 
Sdjou fud)ten einzelne unter ifjnen if)ren SBiffenSburft an ber reichen 
ßuelle ber Uniberfitäten zw bef riebigen; zu &antS Hörern gefeilten fid) 
<mdj jünger beS 3MarS. 2ftit tiefer 93efd)amung empfanben eS biefe 
ftrefefamen ©lemente, bafe ber erfte Staub ^ßreufeenS megen feiner 9iütf« 
"ftänbtgfeit berfpottet wmbe. Slud) bie Heeresleitung erfannte bie Sftot- 
toenbigfeit, ein fenntniSrcidjcreS OffizierfotpS zu gewinnen, bod) be» 
gnügte fie fief^ auf biefem ©ebiete mit einem gelegentlichen Eingreifen, 
toie e£ baS augenblicflidje 93ebürfniS gerabe verlangte. 3« einer um= 
faffenben Organifation beS Unterrtd>tSn)cfenS ber 3lrmee auS einem 
©uffe fonnte fie fidj uidjt entfdöliefeen. SJefonberS mußte ifjre gürforge 
für bie gortbilbung ber greiforporale als unzureid^enb erfd^einen. 2)ie 
3Ke^r^ett ber Sunfer, bie auf bem öanbe erzogen n?ar, zeigte eine fold&e 
UniDiffen^eit, bafe sunädjft i^re Untertoeifung in ben 3lnfangSgrünben 
erfolgen mufete. 3" biefem gtoedfe errichteten loo^l einige SHegimentS» 



[06 Prof. Dr. <8nftat> Krafauer in Breslau. 

d)ef§ UnierridjtSfurfe bei ihren £ru:w>enteUen, aber ihr Vorgehen fanb 
feine allgemeine SJlachahmung. SDa regte fidj ber SBunfdj, bafe bie $eere^ 
leitung biete toicfjiige Angelegenheit nicht bem guten SSBiHen Iber ©berften 
unb ©enerale überlaffe, foitbern einheitlich unb planmäßig foldje Spulen 
für bie ganae Armee begrünbe. Aber mie fo oft in bem Iefeten Safjr- 
aehnt bor bem 3ujammenbruch bermodjte aud) bieSmal bie Regierung 
für ba§ neue 93ebürfni£ nicht neue Hilfsquellen au finben. (Sie be* 
gnügte fich mit einem -Kotbehelf; bie gelb^rebiger mürben berpflidjtet, 
bie gfretfotporale im beutfdjen Stil, in @efd)id)te, ©eograp^ie, 3Wathe* 
matif an unterrichten. 2>a ihnen jebod) bie nötige Autorität gegenüber 
ben jungen ©belleuten mangelte, mußten öffiaiere bie Stuf fidjt über* 
nehmen. Aber meber bie militärifchen Seiter, nodj bie geiftlidjen Sehrer 
aeigten ben recfjten ©ifer in ber Erfüllung ihrer nebenamtlichen Aufgabe. 
Audf) bie ©djulen, bie für <bie fadjlidje gortbilbung ber Off iaiere beftimmt 
ftxtren, fteeften nod) in ben Anfängen ber ©ntoidfelung unb ließen ben 
«planmäßigen Aufbau unb bie' einheitliche Seitung bermiffen. Sie ®runb- 
lage hatte 3friebridj ber ©roße gefdjaffen; er hatte in ben Hauptorten 
ber Sßrobinaen $urfe für bie Untertoeifung in ber £errain= unb S3e- 
feftigungSlehre eingerichtet, ben 3tt>eigen ber SlriegSFunft, mit beren 
Hülfe er fich in ber legten Sßeriobe be§ fieben jährigen Krieges gegen 
übermächtige ©egner behauptet hatte. SMefe Äurfe famen aber nur 
einem Keinen SEeil ber SDffiaiere augute; bon jebem Regiment mürben 
in ber Siegel nidjt mehr qW airoci SeutnantS angelaufen. S)ann hatte 
griebridj aBilhelm II. a^ar für bie S^aialmaffen, für ba£ Ingenieur» 
mefen unb bie Artillerie, Afabemieen gegrünbet, aber eine allgemeine 
militärifdhe Hochfdjule, „bie Afabemie für Offiaiere", tourbe erft auf 
ba£ ^Betreiben ©chamhorftS errietet, ber augleidj if>r £>ireftor unb ihr 
herborragenbfter Sefyvev tmtrbc. @r hielt bie Vorträge über Üaftif unb 
Strategie, in beuen er bon friegSgefdjidjtlichen Veifpielen ausging, bie 
er mit foldjem ©efdjid behanbelte, baß fidj nicht nur bie einaelnen 
Vorgänge mit boHer Anfchaulidjfeit bor ben Hörern entttridelten, fonbern 
fich ihnen and) bie allgemeinen ©runbfä^e ttne bon jelbft ergaben. S)abei 
toürbigte er immer ben befonberen Saft mit böHiger Unbefangenheit, 
ba§ hochmütige SD?etftern ber Vergangenheit lag ihm fern; auch mieb er - 
aßeS ©gftematifieren unb ©djablonifieren. 3^gleic^ untermieS er bie 
jungen ßffiaiere in ber Herftettung bon Plänen unb ©ntmürfen, bie 
fich auf „bie mirHidjc -Ratur" bcaogen, unb er berftanb e§, bie 33e* 
Brechung biefer Arbeiten aufs nufcbringenbfte au geftalten. AIS echter 
$äbagoge befolgte er immer ben ©runbfafe, nidjt ein fertiges Sßiffen mit- 
guteilen, fonbern bie ©elbfttätigfeit feiner <2d)ülcr anauregen, fte burd) 
ihr eigenes 2>enfen auf ben richtigen SEBeg au führen. 2>urd) biefe 
mufterhafte STOethobe hat er in ben menigen Sahren, in benen er bie 
Afabemie leitete, eine 9?eihe trefflicher ©ffiaiere herangebilbet, unter 



Das altpreujjtfdje f}eer por feinem gufammen&rudj. \0? 

iljnen auef) ben baf)nbredjenben Genfer auf bem ©ebiete ber &rieg§- 
miffenfcfjaft, ©laufemifc, ber if)n ben SSater feines ©eifteS nennt, ©djarn* 
fmrft begrünbete audEj, um einen heiteren ®rei§ bon ßamerabetr für bie 
93ehanblung frieg^tDiffenfd&aftltdöcr ©egenftänbe au geminnen, bie „mili* 
tärifdje ©efeflfdEjaft". Sinnen menigen ^fahren erreichte fie eine ftatt- 
lid&e Slnaafrl bon 3Witgliebern unb bereinigte in ihrer SWitte bie gälten 
Serteibiger ber alten unb bie entfd)iebenen SSorfämpfer ber neuen 
Sftidjtung, unter ihnen fdjon faft aße bie sufünftigen Reformatoren beä 
#eere§. @o famen in ihren 93erhanblungen bie militärifchen Stögen, 
bie bie Qtit betaegten, unter lebhaftem gür unb SBiber jum 3tu§trag. 
Unb mandje Erörterung marf greße Streiflichter auf bie ärgften Schaben 
be§ £eere§ unb ttang fdjon mie eine büftere Sühnung be§ nahen 58er* 
hängnifieS. SDie ©efeßfdjaft entfaltete eine rege 5tätigfeit: e§ mürben 
Vorträge gehalten, neue literarifdje ©rfdjeinungen befarodjen, Sßrete* 
aufgaben gefteßt, unb fo grofe mar bie Satjl ber eingefanbten Stuffäfec, 
ba& ber 23efdjlufe gefafet mürbe, ju ihrer 33eröffentlidhung eine Stit> 
fcfjrift au griinben, ba§ „Serlinifdje militärifd>e Sournal"; er foflte 
aber nidjt mehr &ur 2lu§führung fommen. 

©in mie ftarfer 93ilbung§brang fidö aud) im Cffoerforpä regte, er 
befd&ränfte fidj bodj auf bie SRinberheit be§ StanbeS; bie SWehrheit ber« 
Ior in ber (Snge unb SDürftigfeit ifjreä Sebent bie Sdjmungfraft be§ 
@eifte§, bie fidj I)öE)ere 3iele ftedt. _@in glänaenbeä ©Ienb darrte ber 
jungen ©beüeute, bie nidjt bon #au§ au§ begütert maren, auf ben erften 
Stufen ihrer militärifdjen Saufbahn. 2>enn ber Solb mar trofe feiner 
0 @rF)öf)ung unter griebridj SBilhelm II. immer noch fehr farg, %n einer 
3eit, al§ bie Sebenäanfprüdje infolge be§ mirtfdjaftlidjen SluffdjmungS 
eine bebeutenbe Steigerung erfuhren. 9lu<h trat in ber gegen bie be- 
jahrten Offiziere aßgu bulbfamen griebenSarmee ein bofligeS Stodfen 
be§ 2tbancement§ ein. Smx famen manche SBorgefefete ben jüngeren 
Äameraben burd^ bie ©emährung bon greitifdjen 31t #ülfe, aber biefe 
SBergünftigung mufete jeber ebler emtfinbenben unb felbftbemu&ten 
9?atur mie eine ©rniebrigung erfdjeinen. So erflärt e§ fidj, ba& biefe 
£)ffiaiere in ber 3>enffchrift ßecoq§, bie gugleidj über ba£ ©Ienb ber 
Solbaten flagt, aB bie bebürftigften ©lieber ber SSrmee beseidjnet merben. 
9Iudj hebt fie ben engen 3ufammenhang gmifdöen ber mirtfchaftlidhen 
SRot unb ber geiftigen Siücfftänbigfeit fo bieler Cffijiere fierbor; man 
foße fie beffer fteßen, bamit „fie felbft auf ©Übung etma§ menben unb 
bie ©efeßfd&aft gebilbeter SKenfd&en fud^en fönnen". (£rft burdö bie @r* 
nennung sum ©tab^fat)itän famen fie in eine günftigere Sage, benn 
mit biefer Steßung maren grofee 9Zebeneinfünfte berbunben. Urfprüng- 
IidF} mar nämlidö ber ^au^tmann ber güfirer einer SffiaffenfdEiar, ber fid) 
mit feinen Äeuten einem Sürften berbang. ®amit hängt bie gro&e 
©elbftänbigfett gufammen, bie einft jebe ßomt>agnie in ber 5BermaItung 



\0S Prof, Dr. (Suftau Krafaner in Breslau. 

ihrer toirtfdjaftltdjen 2tngclegenheiten befeffen hatte. $efet mar fic tfoav 
mefentlidj eingefdjränft, aber e§ bot fid) immer nod) ben £aut>tleuten 
unb SHttmeifiern maud)c ©elegenheit 31t erlaubtem unb unerlaubtem 
Nebcnermerb. 2o tieften fie einen anfehnlidjen Xeil ber ihnen ange= 
miefenen S&erbegelber in ihre Saffe ffiefeen; fie ftellten nämlidj ftatt ber 
teureren Solbaten aus bem 9ieid) ruffifd^e Überläufer ein, ober fie Heften 
heimatlofe Seute in ihrem STanton aufgreifen unb smangen fie 3um 
£>eere£bienft. Studj sogen fie au§ ber Einrichtung ber greimädjter, bereu 
Solb fic 3urüdbe()alten burften, groften 33orteiI, benn fie trugen fein 
SBebenfen, mehr 2tu3Iänber, als ihnen geftattet mar, 31t beurlauben, ob* 
mohl infolgebeffen bie übrigen sum Stäben ber Slrmee mit äBachtbienft 
überbürbet Würben. 2>en ärgften Sftiftbrauch trieben fie aber mit ber 
Seforgung ber fleinen 2)fontierung3ftütfe, mie Sd>uhe, £embe, £aB* 
binbe, für bie ihnen eine beftimmte (Summe auSgefefct mar; fie Iieften 
biefe 5Heibungsftürfe über bie Vorgefdjriebene 3eÜ hinaus tragen ober 
verlangten ihre Slnfdjaffung t>on ben Solbaten. So mürbe, mie SJotjen 
e§ au§brütft, ber $a{>itän ober ber SRittmeifter, ber ein SSater feiner 
Seute fein follte, „ein muchernber Srämer", ber bie Siebe feiner Unter* 
gebenen unb bie Sichtung ber übrigen Stäube verlor. ®iefe veralteten 
^nftitutionen unb i>ic übliche Sfrt ihrer 2tu§beutung führten su einer 
bebenflidjen 2lbftum£fung beS fittlidhen @cfühl3 ber ßffisiere, viele 
„fonft brave äftänner" beteiligten fidj an bem gemiffenlofen treiben; nur 
menige verurteilten e§ entfdjiebeu. So feft hatte fid) biefer 3ftiftbrancf) 
eingemurselt, baft noch mährenb ber Belagerung Von Dolberg einige 
jQauptteute ihre Solbaten Vom Sienfte befreiten, um bereu ©olb ein* 
anhalten. 2>er ©eminn auä bem Nebenerwerb mar fo grofe, baft er gar 
oft ba§ fefte ©ehalt überftieg. ߣ ftanben ihm aber fernere Saften 
gegenüber, mie Belagen an STbiutanten, Stelbprebiger, ©hirurgen. 3>er 
Staat trug alfo Fein 93ebenfen, 33ert>flicf)tungen, bie er felbft erfüllen 
foiltc, auf bie ßompagniechefS abäumälsen unb bamit an ihrem unrecht* 
mäftigen ©eminne teilnehmen. ®a§ veraltete 3Birtfdjaft§ft)ftem ber 
3Irmee hatte aber eine nodj flimmere Solge: e§ entfrembete viele 
£)ffi3iere ihrer eigentlichen SBeftimmung. Senn bie SRebeneinnahmen 
fielen im Kriege meg, fver Inhaber ber Somvagnie fah fid) bann nur 
auf feinen Solb angemiejen, Von bem er noch erhöhte SluSgabcu 3U be* 
ftreiten hatte, eine biiftere STusficht, bie feinen -Kut, feine 5tatenluft 
niefrerfchlagen mufttc. äBobl mürbe bie SSerfc^rtfiett biefer Einrichtung 
in ihrer ganzen unheilvollen 93ebcntung erfannt, unb ihre Stbfdjaffung 
fomohl au§ ben Seihen bc§ $eere£ al§ aud) Von bürgerlidjer Seite 
verlangt, aber 31t einer fo burchgreifeuben Neuerung, bie geharnifchte 
93efd)merben unb einen erbitterten SüMberftanb hervorgerufen hätte, fonnte 
fich ba§ alte $reuften nicht mehr aufraffen. Grft nad) bem Srieben von 
Silfit gelang e§, auch biefe Sieform burdföufefeen; (Sdjarnhorft unb 



Pas altpreufjifcfye §eer oor feinem gitfammentnrud}. J09 

©neifenau legten bor aKem barauf einen groften SEBert, baft Solbaten 
unb Offiziere in StiegSaeiten burdj 3ulagen bebeutenb beffer als im 
^rieben gefteflt ttmrben. 

®er Nebenerwerb ber SlompagniedjefS, ber fdjroffe Unterfdjiebe 
beS (SinfommenS fdjuf, bie fidj nidjt mit ber SIbftufung ber militärtfdhen 
Saufbahn bedften, mufete bte foaiale Sluft innerhalb beS ©ffiaierforpS 
noch erweitern. Sttudj auf biefe abiige ®örperfd)aft hatte in einer Qext 
gefteigerten SEBohllebenS ber ©^genfafc ber SermögenSVerhältniffe einen 
aerfe&enben ©influfe ausgeübt, baS ©emeingefühl beS StanbeS surücf* 
gebrängt fel'bft hochmütige Slbfonberung im gefelligen Umgange eraeugt. 
SDaS treue 3wfammenf)alten ber ®amerdben, ihr hilfsbereites ©inftehen 
füreinanber, toaren im Sdfytoinben begriffen. Shre Steigen erfchienen tt>ie 
in ätoei Sager gehalten: hüben Übergebung unb ©enufefudjt, briiben 
unter bem S)rucfe ber SDürftigfeit gar oft 'Dumpfheit unb SSerbroffen* 
heit. Siefer tiefe SUb follte in ben SCagen ber ©ntfdjeibung unb beS 
3ufammenbrudjS einen unheilvollen (Sinfluft auf ben Serlauf ber ©r* 
eigniffe ausüben; er erfdjtoerte baS 3ufan™tentt>irfen im Kampfe, be* 
fdjleunigte bie Sluflöfung auf bem JRüdfjuge. gmmer lieber trat toährenb 
jener unheilvollen &it im OffiaierforpS ber SKangel an innerer (Einheit 
unb ©efdjioffenheit hervor; nicht feiten geigten fidj unVerhütlt fdjnöbe 
Selbftfudjt unb Völlige ©leidjgültigfeit gegen bie ©enoffen beS UnglüdfS. 

®ie SSerbroffenfjeit, bie fidj bieler Offijiere bemächtigt E>atte, hing 
auch mit ber unerfreulichen 3lrt beS 2)ienfteS aufammen. Suft unb 
Siebe aum Sterufe hotten nach einer Stufaeidjnung griebridj SBilhclmS III. 
auS bem Anfange feiner Stegicrung merftidj unter ihnen abgenommen. 
Sie mufeten fidj ja mit SluSnahme ber furzen ©reraieraeit im grühiafjr, 
in ber audj bie beurlaubten Snlänber unb bie Sreitoächter unter bie 
SBaffen traten, baS ganae 3fahr immer lieber mit berfelben fleinen 
3cthl Von StuSlcinbern plagen, bie meift toiberttrillig unb geatoungen ihre 
Pflicht erfüllten. Schon ber ftete 2?crfehr mit biefer anrüchigen ©efett* 
fdfjaft toar gana baau angetan, ihnen ihr Stagetoerf au Verleiben. SEeldjcS 
abftumpfenbe, geifttötenbe einerlei bot auch ihre Sehrauf gäbe barl 
Über hunbert ©etoehrgriffe ttmrben eingeübt, auf baS fdjnurgerabe Sftar* 
frieren ttmrbe ein foldher SBert gelegt, bafe ber führenbe Unteroffiaier 
fidj einer 9trt von Slftrolab bebienen muftte. „3Wafd)inenhafte Stegel- 
mä&igfeit", „automatenhafte ^räaifion" galten als baS hödjfte 8^1 ber 
militärifdjen 3tuSbilbung. 3itflleidj trieb bie „Sftilitäräfthetif", bie ihr 
^beal in einer unbebingten ©leidjförmigfeit erblidfte, bie feltfamften 
99lüten; ber ®öntg felbft toar Völlig in ihren Stnfdjauungen befangen, 
bie „6galit£" beaeidjnete er als „bie Schönheit beS SDiilitärS". SDaS 
#eer jdfjien eben Vor allem bie Stufgabe au höben, glänaenbe unb rau* 
fdhenbe 23orfteHungen tu geben, baS Singe burch „©legana" unb „Sym- 
metrie" au befriebigen. SMc eigentlichen gelbbienftübungen traten immer 



\\0 P*of. Dr. <ßuftao Krafauer in Breslau. 

mehr in ben #intergrunb, flc galten alä „unfolbatifdje ©epflogenheiten". 
3>e§halb mußten bte Struppen mannen 3lnforberungen gegenüber, bie im 
Kriege an fie herantraten, böllig berfagen. @o bereiteten ihnen in ben 
legten £agen bor ber ©ntfdfyeibung bie SluffteCung bon gelbtoachen unb 
bie Silbung bon ©eiienpatrouiflen toährenb beä 2)larf<he§ bie größten 
©djurierigfeiten. ©ine gänzliche SSerfennung ber militärifchen Aufgabe 
aeigte fid) auch in ber übertriebenen Strenge unb ber lächerlichen Sßein- 
Iidjfeit, mit ber bie SBorfchriften über Reibung unb $aartra<ht ber 
Struppen burdjgefüfjrt tourben. ©in fleiner Segler gegen bie 3tnaug£* 
onbnung tüurbe toohl mit 50 ©iodtfdjlägen beftraft. Selbft in ben 
brangboflcn Stagen, fura bor bem 3ufammenbruche, tourbe auf fo unbe- 
beutenbe Singe geachtet, ©ogar ber SJönig fümmerte fi<h bamal£ noch" 
trofe büfterer Stauungen unb unheifoerfünbenber Slnaeidjen um nichtige 
äußerlichfeiten. 33ot)en eraählt in {einen ©rinnerungeu einen bafür recht 
beaeidjnenben SSorgang. ©r toar bei bem ©inauge in SEßeimar bamit 
befdjäftigt, bie Sßrobiant* unb ©epädfmagen, bie fidj au einem labtyrin* 
thifdjen Änäuet geftaut Ratten, au or&nen, um ben 2Beg für bie Xruppen 
frei au machen. 2>a löfte fi<h fein 3opfbanb, unb feine £aare flatterten 
ungefeffelt über feinen Stüdfen. S)iefer Stnblicf ftörte ben Slönig fb fehr, 
baß er eigene einen Slbjutanten abfanbte, um ben Offizier auf ba§ 
aSorfd&riftStoibrige feiner äußeren ©rfcheinung aufmerffam tu machen. 

mag e§ nicht leugnen/' bemerft Söotjen im 2tnfd)Iuß an biefe 3JHt* 
teilung, „baß bie§ bei meiner Slrt, ben Ärieg anaufehen, eine umm* 
genehme ©mpfinbung bei mir herbor brachte." 

2)iefe Stiftung be§ 30ttlitär£ auf ba§ kleinliche unb äußerliche hatte 
in bem legten ^afjraeljnt bie entfdjiebenften Singriffe erfahren. 3ftänner 
. au§ entgcgengefefcten ßagern, Sdjarnhorft, ber SBorfämpfer ber fielen* 
ben #eere, unb 93erenhorft, ihr heftigfter ©egner, ftimmten in bem 33er» 
bammung^urteil über ba§ <^d)eimr>efen ber alten Strmee überein. ©cham* 
horft tvanbte fidj fdjon in ben erften Sluffäfcen, bie er a^r SSerteibigung 
be§ ftehenben £eere3 fdjrieb, gegen ben übel angebrachten ©ifer, mit 
bem bie Gruppen nur für bie $arabe abgerichtet ttntrben. habe 
fdfjon lange geglaubt/' erflärte er, „baß burdj bie übertriebene äufmerf- 
famfeit auf ba3 äußere ber ©olbat bon feiner eigentlichen 93eftimmung 
entfernt toürbe, baß baburdj ein nachteiliger $Ii§ in ein ®orp§ Struppen 
fid) einfchleidje. Slann man ihnen nicht für nüfclidE^e 5Dinge ein point 
d'houneur ertoetfen? . . . ©§ fommt nur barauf an, baß bie SBorgefefcten 
jene Sßointiflen berachten; ber ©eringere bilbet fid) nach benen, bie im 
Slnfehen ftehen." 8n feinem Sluffafce über bie Ur fache be§ ©Iüdt§ ber 
granaofen, in bem er auch SSerbefferungSborfchläge für bie ftehenbe 
Slrmee macht bringt er auf eine Umgeftaltung beS ©ienfteS; man folle 
fich auf ba§ für ben ßrieg unbebtngt ?fottt)enbige befdjränfen, folche 
®inge tuie ba§ Verhalten auf Borpoften, ^atrouiDengänge, Slefogno§* 



Das altprengtfdfe fjeer cor feinem gufammenbrudf. \\\' 

eieren immer ttrieber einüben. ®ie Sorfcfyläge, bie er bamaU al§ ©djrtft* 
fteHer mad&te, fudjte er einige $abre fpäter in ber preu&ifdjen Strmee 
tmrdEjzufefcen. SKit bem ©djreiben, in bem er ftdö bereit erflärte, ber 
Berufung nacb Sßreufeen zu folgen, überfanbte er griebritij SBilbelm III. 
sugleidfo eine 3)enfid)rift über bie Gruppenübungen. 3>er ffönig äu&erte 
XDofy feine 3ufriebenbeit mit ©djarnborftS Darlegungen, bodf) bing fein 
#erj au febr an bem glängenben glitter ber Sßarabe, al3 bafe er ernftlidfr 
an ber IjergefcradEjten 2trt be* £)ienfte§ bätte rütteln tuollen. S)iefe 
©udfjt ber alten 9Trmee, fief) mit ttrinbigen SDingen abzuplagen, nennt 
Serenborft „baä Sieber ber JHeinigfeiten". 6r betont befonberS iie 
oößige SBertlofigfeit aller jener fdEjtoierigen unb blenbenben Übungen für 
ben firieg. „2Ba§ bem Offizier", erFIärte er, „bie gröbften SSermcife unb 
bem gemeinen SWanne bie berbften ©erläge zuziebt, ift gerabe ba§, tt>a§ 
im ©ruft nie gebraucht toerben fann." 8lu<f) Änefebedfö berühmte 3>enf- 
fdEjrift über bie Silbung einer Sanbmiliz geftaltet fidEj zu einer Äritif aß 
ber „griebenSfünfte" be§ ftefjenben £eere§, bie er bon bem SBolfSaufgebot 
fernzuhalten fudjt, ber „Eleganz", ber „Sßebanterie", ber „grofeen ©e« 
gtoungenbeit unb mabrlidft zum reellen ßrieg§bienft nidEjt nötigen Sßünft* 
lidEjfeit ber ©etoe^rbanbbabung unb 33ett)egungen, bie bem fcodj einmal 
felbftänbig geborenen HWenfd^en in bem 83erbättni§ aß ©olbat iebe ©elbft« 
ftänbigfeit raubt." @r verurteilt alfo bie bt^erige militärifcfje Unter- 
toeifung ntd&t nur toegen ifyrer Stiftung auf ben äufeeren ©ä)ein unb 
ber für ben Krieg unnötigen Übungen, fonbern audj toegen ber 9lbrid)tung 
4er ©olbaten zu einem unfreien ©liebe ber SRaffe, unb bamit trifft er 
ben Äarbinalpunft, in bem bie alte Strmee binter ber mobernen ©nt- 
ttridflung zurürfgebliefien ttxtr. 

3>enn biefe lief boeb im toefentticfjen auf *bie ©ntfeffelung be§ 
bibtbuumä binauS. 2)ie Unterorbnung unter ben JfreiS, in ben bie 
®eburt ben einzelnen fteQt, foßte aufhören ; loBgelöft bon ben ©djranf en 
ber Körper fdjaft, be§ <5taribe%, follte er feine Kräfte ungebemmt ent- 
falten. 3Ba§ bie ßofung ber geiftigen 33etoegung faft eines ganzen 
§abrbunbert§ getoefen toar, ba§ fudjte bie große SRebolution zu 
toirflidfjen. Sludö ber ©olbat follte bon nun an nid&t lebtglitf) al§ ein 
toillenlofeS SBerfzeug innerbalb feiner Abteilung bertoenbet toerben, 
fonbern e§ follte ibm midfj geftattet fein, im gelbe nadj feinem eigenen 
Grrmeffen zu banbeln, borzugeben ober zurücfzutoeid&en, 2>e<fung zu fudjen 
unb zu feuern, ftrie e§ ibm ber 9lugenblidf gebot. %m greibeitSfriege 
ber ^Bereinigten Staaten Ejatte fieb zum erften SKale bie Üferlegenbeit 
ber inbibibueHen Kampfe§tt>eife über bie militärifebe SDtaffenbreffur ge- 
zeigt; ben fd&neU eingeübten Sanbleuten toar eS gelungen, aB ©djüfeen 
im z^rftreuten ©efeebt bie in gefd^Ioffenen Sinien borrücf enben " 93eruf 
frieger au3 bem gelbe zu fd&lagen. £>iefe Stampfe§toeife, bie fi(b auf ben 
©eift freier Eingebung grünbet, loie er nur nationalen beeren eigen ift, 

ftort unb 6fi>. CXX. 358. 8 



\\2 prof. Dr. <guftat> ICraraner in Breslau. 

fanb aber erft ben redeten 39oben für ü)re ©nttmdttung in ben Strmeen bcr 
8tet>oIution, bie bic gefamte SBoIfSfraft gegen ben Angriff be§ alten 
®uro£a aufbot. SDie flammenbe 83egeifterimg unb ber glüfyenbe #a&, 
öon benen ieber einzelne unter ben üriegern erfüllt toar, famen be* 
fonber§ in bem aerftreuten ®efedjt sur Oeltung. ®ie ©cfjüfeen bilbeten 
bie totrf famfte unb gefürdjtetfte SESaffe ier granaofen ; mit unerfdjrocfenem 
2Wute unb säljer 93e^arrlidöfeit gingen fie immer toieber gegen ben geinb 
öor. <5ie äridjen nur surüdf, um t>on neuem ju erfd)etnen, unb hielten 
ben ©egner beftänbig in 2ltem. @djarnI)orft fjat fie toäljrenb ber 33e* 
Iagerung ber Keinen belgijd^en geftung SRenin, an beren SBerieibigung 
er einen fo glorreidjen Slnteil genommen, betounbem gelernt, unb er 
fommt in feiner Unterfudjung über bie ©rfolge ber gransofen au bein 
@rgebni§: „@§ ift eine auSgemadjte Sßaljrljeit, ba& bie franaöfifd&eu 
StiraitleurS ben größten £eil bcr Stffären in biefem Kriege entfdjieben 
fjaben." 



(6*lu& folgt.) 



Der 3ungfcrrcwk 

Von 

— IPien. — 

Das nwr ber IHarfgraf Bretistav, ber fjerr im IHäftrerlanb, 
<Db feines 21rmes ȟber Kraft 21dfifles 3ubenannt, 
Der ritt im fdjtedjten Knecb,tesn>ams bereinft in Sdnpeinfnrt ein, 
SdfOTf3»rta, fei's audj mit <8en>alt, 30m Bleibe pdf 3U frei'n. 

Dorm Klofter im (Sebüfäj verjtedt fein Volt er lagern lieg 
Unb ging als Klojterfnedjt burdjs (Eor mit Ho§ unb 33gerfpieg, 
3m Schatten eines £inbenbaums jetjunb im £)of er ftet^t, 
<5leid} wie ein Königsaar 3U fcban'n, ber ans nadj Beute fpät^t. 

€in ftiger OTaienabenb war's, anf ßof unb ^ecf unb ^ag 
Des tyngewelften (Eages Hot gletdj einem fjaudje tag, 
€in würdiger Duft fdnr»ang ftdj 311 (Eal, unb tn ben Hofen tief 
Die Hacbttgatt voll gartlidjreit unb Sefmfndjt flagenb rief. 

Sieb, 3U ergelm vom (Eagewerf im Itnben 21benbltandf, 

§og in ben par! ber Sdjweftern Scbar unb mit ben frommen audj 

gugleidj bie fflaibe, anvertraut ber treuen gudft unb £?ut 

3u lehren unb 3U leiten milb bas junge €belblut. 

2In ber äbtiffin Seite fdjritt (Sraf (Dttens Kinb gemad? 
.Unb wie ein munt'rer Bienenfdnrarm bie anbern ljintennad|, 
Unb {Überfalles Cadjen Hang unb Sdjäfern weit Innern 
3n bie xrielfjofbe Dämmerung ©off Duft unb Sternenfdjein. 

Da pfiff ber tWirtel tyodj vom (Eurm bie adjte 21benbjhmb*, 

Unb mafmenb rief 3um €ngelgrnß ber Kloftergtotfen UTunb, 

Unb jählings fdjwieg bie Sdjar unb fdjlug ein Kren3 unb eilt' etnpo» 

Die Staffeln ins Kapellenfyws 3nm frommen 21benbcb,or. 

8* 



<Dtt. Stauf ü. b. ntardf in lüien. 

Siebjr bu ben Qabidjt, wie er gier ob feiner Beute f reift 
Unb blitjgleia? bann fjernieberfälirt, mit IKadjt fle an fia) reißt? 
Der Hlarfgraf flog mitfamt bem Hog anf (gräfin Jutta 3U 
Unb fagte fie unb f prang hinauf unb jagt* von bann' im £lu, 

, Sprados ftonb ba unb finnbetäubt rom Sdjrecf , fo wilb unb jadj, 
3m 2Iugenb(irf bie gan3e Sdjar unb friert' bem Dreiften nadj. 
Dann aber fdjofl weit in bie Hunb' ein irr unb wirr (ßefebrei: 
„(gntfiirjrung! ^reoell Safrilegl gerbet unb fplftl herbei I" 

€in Hufen, Kennen überaß, pedjpfannen, <f acrein lolm, 
Unb Kned)te, IKägbe brttngten ftdj 3nm üogt von fjimmelsfron, 
€in fragen, Deuten, unb bann flirrt ber Pogt 3um (Eore bjn 
Unb brüllt: J?aflof}! bie gngbrücf tyxfyl mir naeff! mir fat?en Um! 

3n »üben Sägen frürmt er cor unb fdjwingt ben mudjtigen Speer, 
3tyn früt3t ber Crog bet Knecr/te nadj mit mancherlei (Semet^r, 
Unb tobenb jagt fynbann ber Cmpp, bie Köpfe tief gefenft 
(Sleidj wie 3um Stög bem Heiter nadf, ber ju(t ins Burgtor fdjmenft. 

3m Imfeu ?lrme tjält er feft an fldj gebrüeft bie Ulaib, 

Unb in ber redeten blHjt fein Sdjmert 3U £jieb unb Stög bereit, 

Da fpringt von redjts unb fpringt von linfs je ein <5efeQ tf^n an, 

(Er tymt nadj rechts unb tput nadj linfs, unb frrarfs iß frei bie Balm. 

Unb in bes (Eormegs bunflen Sdflunb taucht ifco Hog nnb $elb, 

fjett wiehert auf ber eble Happ' — er wittert freies £elb — 

IDas ftölmt unb ädftt mit einem OTal? — bie Brüde xxxinh unb fdjmanft 

Cangfam hinauf unb — »etil — ber Dogt ift juft ana? angelangt. 

Unb mirft ben Spieg. ber faufenb fätjrt bnreb, 3 uttas Sdfleiertudf, 
Da tjebt fief? in ben Bügeln fyodj mit einem nrilben £ludf 
Der IHarfgraf unb tfaut hinter pdf nnb fdmanbenb weiter flirrt 
Der maefre fjengft bem gmielicr/t 3U, bas immer fleiner wirb. 

Unb als er fam 3um Cor, mar faft gefperrt bie Ktofterburg, 
Da fdnuang ber £Jelb fein Sdjmert unb tyeb — bie Kette mittenburdf, 
tlaaj Dorn unb rüermarts fdflug ein Stücf mit bonnernbem <5eroD, 
Die fcrjwere Brücfe mie ein Klofc 3mn (ßrunbe nieberfdpH. 

Jlnfmieljerte 3um anbernmal gar frohgemut bas Hog 
Unb redte jia> unb ftreefte ftcfj, unb brüber meg es febog 
mit einem einigen Sage fd?ier hinaus ins freie £anb, 
VOo Bfetislavs (Befolge fdjon roll ^an^en fyirrenb ftanb. 

Unb jnbelnb marb ber £jelb begrügt wn feinem treuen Bann, 
Unb raffelnb ging bie frorje ^atjrt gen ITläfyrerlanb Ijinbann, 
0b Stod unb Stein, *burcff Korn unb Dorn, im meigen Sternenfeuern, 
Unb 3ornig fyallten, Ijeulten meit Sturmglocfen fyinterbrein. 



Der 3nngferraub. 

Mitb fdppädpr, immer fäw'dd)et matb ber raufte fyeifre fyiU, 
33is bajj 3nlefct nur nod} erflang ber Hoffefyufe Sdpll, 
Unb als jidf von ber Cagerftatt ert^ob ber junge (Tag. 
Don fymmelsfron bie Kloftcrburg in metter ^erne lag. 

Da fprang von feinem müben Hofj fjerr Bretislat) 3U (Lql 
Unb beugte tief 3um <Sru§ fein Knie vor feinem (Ebgematjl: 
„ffctl bir, Ijeil bir, Dieltraute bu, nimm biefes Hingleiii t^in 
Unb tperbe meine (Sräfin tplb, balb meine fjer3oginl" 



Port bem erften Vevfünbev einer (Europäifdjen 

Union» 

(L'Abbä St. Pierre.) 
Don 

Dr. <$ctit0 Einbau- 

— Berlins&iatlottenburg. — 

Die Qtoftcn (Bcbonfttn kommen out bem $cc|cr. 

OflMOCItOXOHCS. 

I gibt mancherlei ©iege, ©iege be§ ©d)tt>erte3, be£ ©eifteS, 
ber Überlegenheit be§ redjnenben 5Berftanbe§, ber ©rofjmut 
unb Siebe. SDie Schönheit be§ ©iege§ Iäfet fid) biefleidjt 
allein am 3uftanbe be§ Unterliegenben bemeffen, ä^nlidö tote bie toirf- 
lidje erftnriefelidjfeit einer STnttrort an ihrem SlufflärungSgehatt unb 
nicht an ihrem blenbenben ©lanae. @3 gibt eine Slrt &u fiegen, bei ber 
alle #ä&Iichfeiten be£ Unterliegenben aufgeseilt 8^ toerben fcheinen in 
ben ßidfjt- unb Siebe3flammen be§ bleibenb ©tarieren. 2>a3 SBernich- 
tungätoerte liefert folgen Stuntmen nur ben fchäfebaren SBremtftoff. 

STJenfchen, bie fo ju fiegen berftehen, gelten freilich nidjt immer 
bei ßebaeiten aB bie boraüglidjften Parteiführer ober gelbherren. 3>ie 
Heine blinbe SWenfchenaftronomie braucht Seit, um bie unauSIBfchlichen 
©trahlen leudjtenber ©eftalten ju erblicfen. 3)ie ßidfjtquellen im ©eifteS« 
Ieben blifcen in bie gerne mit anfdjtoeHenbem gfunfeln toie bie Seudjt- 
turmSfeuer. §n ber Sftähe untertreiben fie fid) toenig bon ber Um- 
gebung. 

Srtc eble SriebenSfunft, SWife^Itigfeiten im fteime su erftidfen, 
toufeten 2rran$oi§ be @ale8 unb -fticole 3« Pflegen. @te hatten gelernt, 
Giftige Sragen gleidjfam tote Pfeile im gliegen aufjuhalten, ehe bie- 
felben ettoa SKenfdjenfeelen beriefen fonnten. S)ie fingen Seilen ber 
brieflichen Slnttoort be8 Eiligen Srana auf ein lauernbeS Slnliegen 
bilben noch heute ben ©egenftanb einer hellen SSetounberung bei aßen, bie 




Pon oem erjten Derfünoer einer (Europätfdjen Union. \[ 7 

im SBelaufchen ber feinblidjen Sftieberlagen auf ba$ Iirtbe 9Hdjtt>erIefcen 
S&ert legen. 

©in S3ilb 5Eiaian£ ftettt ©hnftuS bar, tote er auf bie t>erfängliche 
grage nadj ber Berechtigung be£ 3in3grofdjen§ feine hitnmlifdj auS- 
toeidjenbe STntoort gibt. Sftan getoahrt bie etoaS bleiche, feine $anb 
be£ sarten 3>enfer§, bie ftiH beutende ©iegerhanb, bie ia£ Stnfinnen 
beS grofeen, ftarffnochigen ©efeüen, ber ben Seudjtenben berbunfetn, 
in bie Enge hatte treiben motten, aurüefmeift ohne allen ©chmera, fach- 
gemäß, fyvvliä). 

2)a£ SBHb aeigt einen @ieg be% einfältigen #eraen£ über ben ränfe« 
bollen, groben SJerftanb. ®d^Iagfertigfeit unb ©eifteSgegenmart finb 
arme Sßorte für baS fo biel höhere, ba£ fich hier abhielt. ©3 ift 
$eraen£gegenn>art, ©egentrart b>e§ ©öttlidjen im SDienfdjen, 
— SBettmfetfein ©otteS. 

§n ben 2Tugen ber bamaligen SMt mar ber fo Slntoortenbe fchtoer* 
Iid) ein £immeI£bote, hrie er bielen heute erfdjeint. SBfcnn 2tnatoIe grance 
mit gefd)id)tlicf,en ©eherblidEen un§ SßauIuS als ein an fleinen, ben 
ftolaen Slömern lädjerlichen unb t>erä<^tlid^en Suben au fdjilbern unb eS 
toahrfdjeinlich au machen toeife, ba& SßontiuS $üatuS bie ®reuaigung 
beS ©tifterS ber cfjriftlichen Steligion balb als einen untoefentlichen 
Umftanb — eine ber bieten, bieten gleichgültigen 3?egierungSertebigungen 
beS ehemaligen SanbpflegerS — auS bem ©ebädjtniS berloren hat, fo 
gibt unS biefer feine ßünftler unb 3Kenf(^enfenner ben ©chlüffel %um 
SBerftänbniS mannet gefdyidjtlidjen SBertoanblungen. ®te StuhmeS* 
erheßung ift t>on biStoeiten unenthüttbaren Solgeerfcheinungett ausge- 
gangen. S)ie Iebenben 9P?enf<hen pflegen fidj bie 83ilbniffe ihrer Iängft 
entfdjlafenen ©eelenfreunbe au bergolben unb au t>erflären; unb bie 
Iängfte StuhmeSunfterblichfeit befifct toohl ber, ben bie ©eifter ber fernen 
3ufunft am längften als ihreSgleidj-en füllen toerben. 

©oUten bie fdjtoädjlidjen ^ilofo^ifd&en 83aumeifter aur ©inleitung 
unb Anbahnung beS (bieten ober allen) ©rfreulidjen untoirffamer als 
bie madjtboHen politifdjen. #anblanger ben SSölfern Reifen? — Sittel 
Urteilen toirft ein ©rfjerftein in bie beweglichen, SBert unb ©etuid^t ab* 
toägenben Skalen beS unabläffigen ©eridjteS, ber SBeltentoidflung. 

©in Sttejanber ber ©rofte, ein ©äfar, ein SDMtfe gelten bielfadj 
als SWitteltmnfte ber liebenben Setrunberung, fdjon bon ihrem ßeben 
an. ©S finb Äraftgeftalten, bie fid) bicHeid>t auch m eraieherifd&en SBohl- 
taten eignen. @elegentlid& hebt au<h toohl ein ©chriftfteKer foldjeft 
Stebling burd& feine berebelnbe Siebe nodj in neue ©öhen. atleyanbet 
totrb für 2ttontaigne unb bie ihn glaufcenb Iefen ein ftrahlenber gelben» 
menfeh/ ©äfar ber ÜRormalmann für SWommfen; in ßuther fdjeint ©uftab 
gre^tag ben Inbegriff baterlänbifdjer ihraft unb ©röfee a« erblidten. 



{\8 Dr. £jans Ctnbau in 53erlin«£tfarlotteitburg. 

Unb umgefe^rt fdjmiebet fidj ber ©öfcenaerljämmerer geiftoott öer* 
fü^rcrifdö bie 3crr6ilbntff€ feine§ ©ofrateä unb feineä $laton surct^t. 

2)enn tief in unfer innerfteS Heben hinein langen bie £änbe ber 
unbergeffenen SEoten, im ©lücflid&en : un§ unb benen, bie un§ folgen, 
gum ©eelentyeile, im ©glimmen: un§ unb benen, bie un§ erbliden, jum 
Älugtoerben für fpäter. 3lHe§ ßeben ift ein langes ätforalerproben, unb 
bie Sbeen, bie au§ ber SJiatur ber jeweiligen Sage erfüllen, fie blühen 
immer auf3 neue mit Unbertoelfii<ijfeit§gelüften. ©ie fdjtoeben ürie 
@oetf)e§ SDidEjtermorte immer Ieife flopfenb an ber $immel§türe unb 
erbitten fid) ein ett>ige§ ßeben. §n fo!d£>en glefcgebeten um§ S)ajein Doli- 
aie^n bie §been ifyre geiftige ®efdjid&te. 

©ollen toir am Überleben ber maljrfjaft 33Ieiben§n>erten ätoeifeln? 



©Iaubenb ober sttJeifelnb, im $anbeln tooHen mir jebenfallä ber 
befeljlenben ©timme unferer perfönlicf,en 2Bünfd&e folgen. 3>ie bleiben** 
ften unb bie allen toiHfommenften Anliegen Serben au$ toof)I am längften 
iljre SieblingSgeftalten in ben ©ötterfälen be§ JRuljmeä bulben. S<f) 
glaube, ber §alb t>erfd)oHene Vorläufer ber politifd&en griebenSbefcegung, 
ber oft berladjte unb lieben&xmrbige 2tbb6 ©t. Sßierre gehört au foldjen 
©eftaltcn; er ift bie lebenbige SSerförperung einer finblid&en, toaffenlofen 
^ilofop^enfeele — integer vitae — ein ÜWann „fyedb ^ilofot)^ fcalb 
Ularr". SBoItaire, ber fidE} in feiner geiftfprüf)enben Sßeife ber 9tnftd)ten 
be3 3tbb£ bebiente, um au3 tfinen getegentlidj gunfen ju fdtfagen, 
mürbe ben frieblicfjen Xolftoi ja f)eute längft gteidjermafcen betiteln. 

Sn ^ermann £ettner§ 2iteraturgefdE)i<f)te be§ acfjtaetjnten §af>r» 
&unbert§ Reifet eS, ba§ SBefen be§ lieben, fd&märmerifd&en 8lbb4 toürbe 
am beften baburd) beaeid&net, bafe bon iljm ber franaöfifdjen ©pradfje ba3 
SBort „bienfaisaüce" geblieben ift. (£r liebte in ©efprädjen unb 
©Triften ben ©afc au toieberf)olen : „2>a§ $immelreidj gehört iDO^Ituen- 
ben ©eelen." (Le paradis est aux bienfaisants.) 

#ettner§ S3emerfung ift fo Jjübjd), bafe eS einem beinahe leib tut, 
baran bie ergänaenbe Sericfjiigung au fdjlie&en : fdjon bei älteren ©dfjrift» 
fteüern, a- 33. bei bem alten SBalaac (1597—1654), finbe ftdj bie§ Heine 
SBörtlein. — 

Berber toeityt bem 9lbb6 ©t. gierte in ber iBrieffammlung „Sur 
JBeförberung ber Humanität" ebelflingenbe Sailen, ©r fteHt i^n mit 
©omeniuS aufatnmen, ber audj meinte: „SDlenfdfyenregierang fei bie Jhmft 
ber ffünfte; ifjr 3toe<f fei griebe. SDlitljin aeugen alle Kriege unb 
Unorbnungen ber menfdölidöen ©efeUfdjaft, bafe biefe Jhinft nodö nitfjt ba 
fei; toeber %u regieren nodf) regiert a« derben ttriifeten bie SHenfdjen; 



Von bem erften Derfünber einer €nropäifdjen Union. M9 

bon meldten SBerberbniffen er fomo^I 5k Urfad&en als bic ©dfjänblidtfeit 
unb ben ©d&aben flar Vorlegt." Werbet nennt (SomeniuS „unteren 
,@t. Pierre". — 2fflein ber 21666 @t. Pierre, ber ein granaofe War, gehört 
audf) unS, er gehört allen SSöIfern. 

©er geber beS <£E)arleS*3r<$n6e (ber grieblid&el) ©afiel, 21666 be 
©aint*$ßierre ift einer ber allererften mit ber berwunberlidfjften 2tuSbauer 
ausgetüftelten 93orfd)Iäge &um SBölferfrieben entfloffen. SBom 1. Sep- 
tember 1711 batiert eine ©fi^e bagu. %m %af)te 1712 War in Äöln 
fein Surf) erfdE)ienen: „M&noires pour rendre la Paix perp^toelle en 
Europe" („SDenffdjrift gur Einführung eines fiänbigen europäifdjen 
griebenS"), wnb ber ©rfolg biefer ©djrift ermutigte ben SBerfaffer, if)r im 
folgenben Saläre ein größeres 2Berf folgen su Iaffen, ben bielgenannten 
„Projet", ber in Utred&t bei 2Tntoine ©Routen in tfmi 33änben erfdjien. 
§m Saftre 1716 fam nodt) ein britter 93anb, ber einige Erweiterungen 
unb Snberungen enthält, I}insu. 

SDer 21666 bon ©aint»$ierre (1658—1743) ^at eine lange 3lei&e 
t>on gemeinnützigen 3)enffdE)rifien beröffentlid&t. ©dfjon mit 20 Sauren 
befd)äftigte i^n ein Sßlan, bie 2tnsal# ber Sfted&tSftreitigfeiten au ber* 
fleinern, bod) Würbe bieS 93iidE)Iein erft 1725 in $ariS herausgegeben. 
®r war im 3af)re 1695 in bie Acad^mie frangaise aufgenommen 
Worien, burfte in biefer erlau<f)tcn SBerfammlung aber nadE) feiner 216- 
hanblung „sur la polysynodie", einer $enffdjrift mit fonftitutionellen 
SJorfdjlägen unb Wagf)alfigen Urteilen über SubwigS XIV. Regierung, 
nidfjt länger bleiben. Suftig ift su fe^en, ba% eine Sobrebc auf ben 2lbb6 
(bon $r6boft=$araboI) bon berfelben 2lfabemie / bie ifm einft berftiefe, 
gefrönt Würbe. Sn ber 2tfabemie f)ielt if)m auef) b'2nembert gebruar 
1775 einen So&gefang. 

Sie SBielfeitigfett feiner Iö6Iidf)en S3eftre6ungen Wäre nur burd& 
eine boßftänbige 2lufsäI)Iung ber bielen beralteten 3>enffcf)riften, Sßor- 
fdjläge unb 2l6J)anbIungen au beranf<f,auli<l)en: gegen SueßunWefen, 
^Sro^effe, ginansmifeftänbe ufw. ©t. Sßierre war ein Vorläufer bqc 
gewaltigen rebolutionären ^Bewegung im bamaligen feubalen granfreid), 
ein „solliciteur pour le bien public", wie man i§n genannt §at; baS 
quälenb böfe OcWiffen feiner Seit. 

©r ftammte auS einer alten abiigen gamilie. „II est homme de 
qualite", fdjrieb fein SSerleger ©dEjouien unb glaubte burdE) 33eleud)tunß 
einiger borne^mer gamilienmitglieber bem SEBerfe beS 21666 ju 6Ienben- 
■berem ©lange berfjelfen su foHen. — Einer ein Hein Wenig unfretmb« 
litten, aber ü6erauS luftigen unb genialen ©arftellung beS 21666 be* 
gegnen Wir in ßa SrutjöreS „(Hjarafteren". 

es ift SKonfieur SKopfe, ber ätfann, ber in eine ©efettfdjaft tritt 
unb fidj irgenb Wofjin fefet, o^ne barauf su adEjten, bafe er ben %la% 
einnimmt, ber für eine ^odjgeftettte 5ßerfönlid)feit beftimmt ift, — ber, 



\20 



Dr. *?atts Ctnbau ttt 33erltn*£ fyatlottenburg. 



ohne au merfen, ba& er ein ©efpräch unterbricht, gu fpredjen beginnt, 
ohne SBerlegenbeit unb ernft bleibenb, toenn alle über ihn lachen. — 
©S fehlte ihm äiir botten ©rbenmenfdjlichfeit bie namentlich bei 
einem granaofen empfinbltdh bermifete Eigenfchaft, fich burd> ben leifen 
©pott ber Umtoelt leiten unb Ienfen au Iaffen. SBeil er feinen Sinn für 
©pott befafe, ift er zeitlebens ein ©onberling geblieben — ben eleganten 
Äeuten, bie mit eleganter 83Iinbheit gefdjlagen toaren, etoig ein äfienfch 
im fchlechtfifeenben ©efetlfchaftSanauge, benen, bie ihn mit ftiller Stützung- 
über feine eble (Sinfalt unb lauteren ©efinnungen getoähren liefeen, eine 
©elegenheit freunblidEjen SächelnS, jenes feelenreinigenben SädjelnS, 
über beffen befreienbe äBirfung noch feine StriftotelifdEjen Sehren au 
lefen finb. 

Unbeirrt fpradj baS SKännlein bon allen Sbeen, bie feinen hüfS* 
freubigen Sinn erfüllten. @r fprad) ungelenf unb tt>ar gefeßfchaftS* 
unmöglich langweilig. SlHein biefer auffallenbe SKangel an Er- 
sieh ung burd) ©pott fann bieS tvofyl erflären unb entfdjul« 
bigen. — 

8HS ber glänaenbe Äünftler Sa iBrutjfere ben albernen SDtopfe in feinen 
fdjlimmen, golbenen SMenfchenfäfig eingefperrt hatte, er, ber in un- 
seligen Einfällen fchitfernbe, lachenbe ©djriftftellerfönig einen fala- 
lofen, armfeligen, efpritberlaffenen ©infaltSmenfchen — ba gefdjah bod) 
baS ßiebenStoürbige, bafe ber bon folgen ©pottpfeilen unberfehrt ge- 
bliebene SWann bem auf allen menfdjlidjen ©üelfeitspfaben ©ebilbeten 
unb klugen eine 8lnttoort gab, beren ©lühen unb Sendeten auf einen 
©ieg in unbergleid)lid)en Siegionen f^Itefeen Iaffen mag. 

S)er 2tbb£ hatte bon ber ftiHen, tyxtlifytn SiebeSfreube gefprod&en, 
mit ber jemanb aufgenommen tuerbe, bon bem allgemein befannt fei, 
er fönne bon allen Sßerfönlicfjfeiten nur bie halben ©eiten für ber Siebe 
toert halten .... 

©ainte»33eube bemerft in feiner nadjbenflichen Sttt tu biefer 9lnt« 
toort: „2)aS #era finbet biStoeilen bergleichen SBenbungen, bie fogar 
fieghaft gegen ben ©eift finb!" — 

* * 

©o toar biefer ältefte STntoärter auf ben Nobelpreis befchaffen, fein 
©änger unb fein #elb, ein S)on Quichotte mit fdjtoachen ©liebern; an 
ihm mar nichts genial als baS £era; aber — fagt ber toeiSheitSboüfte 
ber granaofen: Le coeur fait tout: le reste est inutile. 3fa, Sa Fontaine 
fagt ähnliches au toieberholten äMen. A qui donner le prix? Au 
coeur, si l'on m'ea croit — Unb toeldjen toertbotleu SßreiS fann ber 
SWenfdj erhalten aufeer jener etuig fich berjüngenben Siebe, bie ber Än- 



Don fcem erften Derfünber einer ßuropäif djen Union. — \2\ 

blitf be§ unbergänglich ßiebenStoürbigen audj in ber glütflidjen Stach- 
melt beranlaffen mufe! 

So tear bicfer 2Dtann. — Unb baS äßerf? 

St. Sßierre mill ben bleibenben Säölferfrieben auf einer europäifdjeu 
Staatengefellfchaft begrünben. 3unädjft hatte er an eine ätergefeöfchaf- 
tung ber ganaen 99tenfchheit gebadjt. ®eine gnmbfäfclidhen Überlegungen 
hielten ihn bon fo toeitfliegenben SBorfdEjlägen %uxM, allein bie leb- 
haften 33ebenfen, burch folgen $lan aud) mit ben a3orfcf,lägen in ihren 
berhältniSmäfeig leichter erlangbaren Seilen ©efahr au laufen unb allen 
3&>eiflern baS ©anje unfidjer erfcfjeinen gu laffen. So gelangte er au 
feiner Stufftellung einer <^riftli<^en europäifdfyen JBölfer* 
union. 

©£ mar um bie Qext, als man fid) in Utredjt um einen grieben 
bon moglidtfier S)auerhaftigfeit bemühte. Sie SBerbünbeten münfchten 
fidj bor franaöfifdjer SBergetoaltigung in SteligionS* unb StaatSangelegen» 
Reiten ju flutten unb in ihrer mirtfd)aftlidf>en @ntmidtlung unberfdjloffen 
3u entfalten. 2>er 2lbb£ St. Pierre mar 1712 bei ber SriebenSfdjliefeung 
neben bem gefdjulten flerifalen Staatsmann ßarbinal SPtelchior bon 
Sßolignac jugegen getoefen, neben Sßolignac, biefem literarifdjen Sein' 
fdjmecfer unb fdjarfblicfenben ^Diplomaten, ben bie @efchichtSfd)reiber als 
//gelegentlich hetcmSforbernben £oneS fähig", allein „für gemöhnlidj 
geglätteten SBefenS" fchilbern. (9?oorben.) Sieben biefem flugen 
SDtplomaten ber bamaligen 3eit fah man ben ph<*ntafiebollen ^bealifteu 
toanbetn. 

2>er 8lbb6 mar beS ©laubenS, bafe man entmeber bie Äraft beS 
Starfen au berfleinern ober ben Schmählichen au ftärfen fyabe, unb 
für biefen lefcteren 2Beg möchte er fiefj entfd)lie&en. 

2ßit flaren klängen mohltoollenber Überlegung trägt er fein Sprüdj* 
lein bor. Schon in ben £itelmorten glaubte er mit einem hellen SCone 
ber bölligen ©enriftheit, ber Vertrauen einflößen fönnte, fich bernehmen 
laffen ju foHen, um nur ja nicht etma burch eine übelangebrachte 33e= 
fdjeibenheit ber heiligen Sadje fdjäblidj su fein. S)ie lange Steihe ber 
Argumente für ben grieben, für bie ©rreichbarfeit beS berlangten Qu* 
ftanbeS, gegen alle ©inmänbe miber bie geplanten äRöglichfeiten füllen 
bie folgenben btelen fleißigen QexUn. 

älHen borläufigen Verträgen fehlten bie boUftänbigen Sicherheiten; 
benn bie Staaten lebten noch nicht in einer geregelten ©efeöfdjaft unter 
ber £errfcfjaft eines für ieben unbebingt berbinblidhen SBölferrechtS. ©in 
Staaten*Staat mürbe bem einaelnen Staate erft jene fidjere @£iften& 
berleihen, bie bie Staaten ben ©inselnen erhalten laffen. 9?ur eine 
überlegene ©etoalt fönne für bie Sünbigfeit aller Verträge bürgen. 
S)te gurcht bor bem ©efefee, baS im ©runbe alten nüfclidj fei, linbere bie 
fieibenfd&aften unb gefährlidjen ©elüfte ber ©inaelnen. S^U^en $er- 



\22 Dr, ßatts Cinban in Serltti'£tiarlottenburg. 

fönen, bie nicht SDtitglieöer einer auf guten ©efefcen gegrünbeten hin* 
länglich ftarfen unb bauernben ©efettfd^aft toären, fönnten 3ted)t3an- 
f^riid^c niemals bollfommen erlöfchen. 

Sur Slufrechterhaltung be§ griebenS biente bisher ba§ @lei<hgefc>id,t§« 
oerhältniS. 2>a fonnte e§ ftd) jebodj immer nur um einen labilen 
Suftanb Ijanbeln, bei bem fdjon bie fleinften SKi&hettigfeiten eine au£- 
gleitenbe Sagenberfdjiebung befürchten liefeen. 83ei gleichen ©einölten 
bilben aubem bte Surdjtborftellungen einer 9iieberlage fein genügenbei 
©egengetoidht gegen aßerfjanb trügerifd^e Sodungen. 2)ie Sßflanjung 
eines foliben 33ölferberbanbe£ itmrbe einen ftabilen ©leidjgettrichtS« 
juftanb einleiten, unb bte SHugfjeit toürbe, toie e§ bie ©eftalten in 
©oetheä Sauft II. fambolifd) fchilbern, bie beiben gefährlichften unb 
fchlimmften Sftenfdjenfeinbe — gurcht unb Hoffnung — feffeln unb ben 
ßebenben fernhalten. 

gür feinen Staatenbunbe&plan toifl @t. Pierre befonberS gtoei Um- 
ftänbe ft)red)en laffen: ba§ SSoriilb 3>eutfchlanb3 (1712! soctetä Ger- 
maniquel) — ein SSorbilb, ba§ nicht lange mehr berlodenb luirfen 
foHte — unb bie angebliche 5latfad)C, bafe Heinrich ber ©ro&e (IV.) 
bon granfreid) benfelben s $lan gefaßt unb bamalS bon bielen Seiten 
beifälligen 83ejcheib erhalten habe. 

2)iefelben ©rünbe unb Littel, bie jur 93ilbung ber beutfdjen 
©taatengefeflfdyaft geführt haben, gelten auch für bie SBilbung ber all- 
gemeinen djriftlichen SBölferbereinigung. Um fi<h über bie SDlöglidjfeiten 
einer folchen SSunbeSglieberung ju belehren, möge man ba§ Schtoeiaer 
Sanb, Belgien, bor allem aber 2>eutfd)Ianb betrachten, ba e£ fi<h h^r 
um ein 23orbiIb bon nicht mehr fleinem SDlafefiabe hanble. — 

S)ie unbefangene Steflerion&pftjdjologie beä 18. Sah^hunbertS, baS 
forttoährenbe #ineinglauben bernünftiger ÜberlegungSgrünbe unb 9?üfe- 
Iid)feit£ertDägungen in bie gefchidjtlidje ©nttoidTung, fpielt in ben @r- 
örterungen be3 bortrefflichen STbb6 bereits bie 9iolIe, bie fie in fo bielen 
folgenben gefdjidjtltchen StarfteHungen ber Slufflärung^seit noch fpielen 
foEte. — 6?r hegt ben ©Iairben, bafe bie SBergegentoärtigung eine£ realen 
9?ufcen§ in bielen gälten bie unüberttrinblid)ften #inberniffe beifeite 
.geräumt habe. Unb baä gelinge nicht etoa einer übermenfchlid>eh 3Bei§* 
heit, fonbern — meint @t. Pierre — fdhon einem normalen ©rabe bon 
ßebenSeinfidjt. 

<5t. Sßierre gehört äu ben ettoaS ängftlidjen ^erolben aller Haren 
£)rbnung£beftrebungen. 9?id)t bom^fret fich entfaltenben SBiberftreite ber 
menfdjlichen SßißenSregungen berfpridjt er fid) glutfliäjen 2lufftieg. (£r 
traut ber bernünftigen Seiehrung unb ^Regulierung fehr biel 3U. ©r 
lebt in einer eigentümlichen Überfdjäfcung be§ ©influffeS bon $enf* 
fdjriften, toa£ aßerbingS bei einem SBerfaffer bon jahlreichen 3>enffchriften 
am @nbe nicht aHäu auffaßenb fcheinen fönnte. &x meint, nur ber 



Don bem erften Perfünoer einer €uropätfdjen Union. \23 

Stieg fei fcf,ulb baran, ba& man fid) fo toenig um bie guten, flei&igen 
SDenffdjriften fümmere. gäflt bie Stblenfung burdj ben Krieg fort, fo 
toürben bic SBohltooflenben mit ungefchmälerten ©eifieägaben ihre Slugen 
auf bie flugen, fleinen 2)enffchriften lenfen, unb mit folchen 3)enffcf)riften 

— meint @t. Pierre — fei aufeerorbenilich biel ju erlangen. 

SRidjtä toürbe a« 39- in leuchtenberem SDia&e ^um ©lüde be§ SBoIfeS 
unb ber gürften beitragen, al§ toenn man ba§ ©eheimni§ auSfinbig 
machen fönnte, bie ÜRenfdjen au beranlaffen, an ihr eignes S3efte3 au 
benfen, fidj in ihrer Sage gu berboflfommnen unb täglich mehr ihrem 
@Iüdt§3uftanbe aufauhelfen. 3>er ©tein ber äßeifen fei hier s« finben.. 
Sftan mü&te ben Surften bie berfdjiebenen ©rabe ber ^Befähigung bei 
aßen Setoerbern um bie öffentlichen Shnter erfennbar machen fönnen. 
©a§ Problem ber üDienfchenerfenntniä ift burd; Senffdjrtften, 
benen nur ein bauernber griebe bie redete 3Kufee getoährt, au löfen! — 

Sn allen ©täbten toimmeln bie bielen fchriftfteflerifdjen Talente, 
bie fid) mit Wohltätigen Weiterungen abgeben fottten. 2Sa§ beranlafet, 
bafj folgen Snteßigenaen ba§ Sufammenttrirfen in ber Iäftigften äßeife 
erfchtoert toirb? SDer allen (Sinflang ftörenbe Krieg! %m lieben grieben 
toürben fidj nicht nur mehr fleine 2)enffdjriften fdjreiben, fonbern bor 
aßem aud> mehr fleine 2)enffdjriften Iefen unb bergleichen Iaffen. — 

Unermüblidj ift ber gute 3lbb6 im enblofen ^Beleuchten unb Klar- 
fteßen ber 3)inge bon aßen möglichen Seiten. @r fdjöpft bie 33er- 
teibigung feiner Sebenäanfchauung auS ben berfäiebenften entlegenften 
Überlegungen. ift erfinberifche ^^antafie berliehen im #erau§- 

Hügeln bon allen möglid>en ©intoänben fotoohl txrie in beren glänaenber 
SBiberlegung. ©r rennt btel offene SEüren ein mit einer btetoeilen 
furameiligen, feiten nadjlaffenben Seibenfc^aft. Wlan toürbe ihn heute 
im unhöflichen SBaterlanbe einen fdjlimmen „raseur" fdjelten — toenn 
man fid) angelegen fein Iaffen tooßte, fo unehrerbietige Säfterungen gegen 
einen heiligen -Kann au fchleubern. 

@§ ift auf bie Sänge, aB erflinge un§ bie ©timme eines frommen 
©itrfieblerS, ber fid) boHftänbig abgefdjloffen hat bon bem totlben, toirre- 
boßen treiben be3 ®rbenleben§. äBohl umfchlingt er bie weltlichen $n- 
tereffen aller Herren unb Sänber, aber e3 ift bodj eigen bamit befteßt. 
ettoaS S3eltenfern€§, KtnbltcheS fcheint in feiner ganaen SIrt unb äBeife 
au liegen, erhaben unjnraftifrf), großartig bon 9?ebeln unb SBoIfen um- 
hüllt, allein bom Haren SebenSfinn berlaffcn, fo fdjlau unb ftirnrunaelnb 
nridjtigtuenb er fich audj anfteflen mag. 3>er ©nttourf aum etoigen 
grieben ift im ©runbe einer beschaulichen 9Wönd)§arbeit a« bergleichen 

— ohne gühlung mit ben boßen, lebenbigen $D?ögIid)feiten be§ Slßtagö 
in fonntäglidjen ^eraenStoallungen boßenbet. Stuf folgen blättern mag 
toohl ba§ Sicht erbenferner (Sterne in tounberboßer SIbgeflärtheit glänaen 
unb gleiten; aßetn in ber toirflichcn ©rbcntnelt mufete ba3 Süd^Iein nod6 



Dr. ^ans £inbau in Berlin« <£fyarlottenburg. 

in ben nädjtlid&en @d)o& ber Erbe aurücffinfen ofyte ^olttifd^c golgen. 
5Darf barum aber nidjt bodj bte alte finnige Sage ma^r bleiben, bafe e§ 
unbefdfroltenen $änben gelingt, ©djäfce au §eben? ©inb bergleid&en 
fcfjlummembe §been n j^t bod) Äöftlidjfeiten, aucf) toenn fie nodj fo oft 

am ftä&Iernen realen ©adjberl^alt aerfdjeflen foßten? 

— £>a Itegen nun bie alten Meinen 33üdjlein; taufenbmal nriberlegt 
unb gurüdfgettnefen, blül)t ber ©eift bodj im ftillen in ber ewigen @nt* 
hridttung fort. @r blüljt unb buftet aB ein freiließ feineSglei^en bor- 
eilenbe§ Sßflänalein. @t. $ierre§ 93ud) trägt bte Snfdjrift: Gloria in 
excelsis Deo et in terra pax. SBie fieibnia mit feiner Stljeobicee Ijot 
fidj ber Stbb^ ©t. Sßierre im Problem berftiegen. — Sttietn baä Gloria 
in excelsis ttrirb nidjt mit bem (Solbfd&nitt auf foldfcn ^Blättern er- 
blaffen. 



poIitifdKr 2TTonatsbertcf}t. 



Von 

Dr. ^ttgo gfötfger, 

Sttitgliet) bes <Rei$6tags. 
_ — Stegltfc. — 

wfl£J Dm Die Söftre^tüenbe fpuft in ber internationalen Sßolitif toieber 
AWä ö ba§ SKaroffoproblem herum mit einem grofeen ©e- 
l^jäÜal folge bon Snarmnachridjten unb galfdjmelbungen, unb aller* 
hanb beunruhtgenben ^ro^eseiungen tft bamit Xüt unb SEor geöffnet. 
3Bir fifeen bei btefer grage au bout du banc unb Vorläufig siemlidj 
taeit bom Schüfe; immerhin hat auch unfere Diplomatie hier toidjtige 
Slufgaben gu erfüllen, bamit bie fpanifch'-franaöfifche „Beruhigung^* 
aftion" nicht einen fleinen SMifrieg enifeffelt. Waä) ber 3llgecira§* 
afte höben granfreicfj unb Spanien ben Slufirag, bie $oIisei in acht 
#afenftäbten SftaroffoS au^uüben. ©blt>ohI nun aber biefe Slfte noch 
nicht t)on allen dächten ratifiziert Horben ift, haben fid) bo<h fchon 
Spanien unb granfreid) an bie STrbeit begeben, ba§ bon 3^it 311 8*it 
Don Unruhen hetmgefudjte Sanb unter europäifche Sßoltaeiaufftcht ju 
[teilen. Sie erflären bie Situation für fo Fritifdj, bafe fie bem Sultan, 
bem SKagahen unb bem 2lufrührer 9tai§ Uli mit einer glottenbemon* 
ftration ein« heilfame ßefyre geben müßten. Beibe Nationen haben 
barum Sdjiffe nach langer getieft, nadjbem borher bie europäifd&e 
Sßreffe mit Übertreibenben Nachrichten t)on ber gefährlichen Sage ber 
©uropaer in SBaroFfo angefüllt toorben toar. Sn biefem grofeen ßanbe 
finb freilich bie 3uftänbe niemals bööig normal; bie Stämme fdjlagen 
unb bertragen fich unb fangen bon neuem &änbel an. 3>abei höben 
jebod) bisher bie europäifchen @efchäft§Ieute immer noch ihre Sit* 
lereffen felbftänbig 311 fahren berftanben. SBenn jefct granfreich unb 
Spanten ba§ ^oligeiamt nicht burdföuführen bermögen ohne glotten- 
bemonftration unb ohne Beunruhigung bon gans Europa, fo hat man 
ihnen offenbar gunFiionen angemutet, too^u bie Kräfte fehlen. S)ie 
gegenwärtige SKtion, bei ber Spanien toohl nur bie 9?oHe be§ guten 
Jlameraben fpielt, ber fid) fpäter ben Sflhinb toifdjen barf, hat belegen 
Me STufmerffamfeit ber SJWidjte lieber auf ba§ maroffanifthe Problem 



\26 



Dr. £?ugo 3öttger in Steglifc. 



geridjtet, Weil bei biefer Sßoliäetauffidjt mit nadjfolgenber glottenan- 
fammlung bor langer unb enblidjer Sanbung in langer baS SBeifaiel 
bon £uni§ unb ägtypten brofjenb in ba§ @efid)t§felb ber internationalen 
^olitif rüdt. Studft in Sgt)$>ten unb 5£uni§ foffte urfprüngltd) nur be* 
ntonftriert unb dlufye für bie Europäer gefd>affen Werben, unb am ©nbe 
blieben ©ngranb in ätggpten unb granfrcidf) in StuniS Heben. Die 93al- 
gereien ber 27?aroffaner finb nid)t fo tragifdj ju nehmen, bafc fidj bavauZ 
eine 5tunifiaierung 2)laroffo§ gu ergeben braudjte, unb Rais Uli, ben bie 
granjofen als Räuberfjauptmann unb Revolutionär beseidfjnen, fdjeint 
weit efyer ein Rufjeftifter ars baS (Gegenteil ju fein, ©r Wirb Wotyl in 
ber SßastfiäierungSarbeit für baS ßanb mefyr Ieiften, als bie fpamfcfc 
frangöfifcfje ©idjerljeitSpoliaei, bie Unruhen in üWaroffo §aben mufe, 
um iljre ©rjftensbereditigung bor bem eurobäifdjen Sorum %u er* 
Weifen. Die beiben in grage fommenben SDtädjte fiaben an bie übrigen 
©ignatarmädjte ber StlgeciraSfonfereng eine aufflärenbe -Kote gefdjidft, 
bie bon Deutfdjlanb einfad) gu ben SIften genommen worben ift, weil 
man fid) bei unS ein enbgültigeS Urteil nodj bbrbefjält. 

Sfn ber ö ft e r r e i dj i f d) e n Delegation f)at ber neue SDtinifter 
beS Auswärtigen, 93aron bon Sle^rent^al, ©rflärungen über bie aus- 
wärtige Sßolitif abgegeben, bie bie geftigfeti beS DreibunbS bartun 
follten unb im übrigen fo frieblidj wie möglich lauteten. SefonberS 
Warme SBorte fanb ber SKinifter für Rufjlanb, baS ja, wie eS fdjeint, 
Sur 3eit bon allen SKädjten minbeftenS platonifdje Unterftüfcung erfährt. 
Ru&lanb erweift fid) in ber europäifdjcn 9Wädjtet>erteiIung eben als 
fonferbatibeS ©lement unentbeljrltdfj. Rtoar gibt eS ja ReibungSmög* 
Iidjfeiten 3Wifd)en Öfterreid^Ungarn unb Rufelanb, nämlid) bie Salfan* 
frage. Slber inbem Rufclanb genügenb mit feinem inneren Stufbau 
5u tun finbet unb anbererfeitS bie öfterreidfiifdje Seitung ber ma^e- 
bonifdjen Reformen jebenfattS nichts ÜberftürjenbeS an fid) Ijat, fo ift 
baS ffierfjältniS #Wifdjen Üfterreidj unb Rufelanb ben Darlegungen beS 
93aronS bon 2Tef)rentf)aI cntfaredjenb ungeftört unb bortrefflidj au 
nennen. 

tBei uns in Deutfdjlanb Waren bie ßolontalbebatten, mit 
benen ber Iefete 3Wonat beS SfrÖteS parlamentarifdj bei unS eingeleitet 
Würbe, reief) an ©enfationen. <£S ftanbelte fid) babei in erfter Sinie um 
ben 9ladjtragS=@tai für Deutfd)»@übweftafrifa; aber barüber 
Würbe am Wenigften in ber fed)Stägigen Debatte berfanbelt. XeilS 
mußten bie folonialen DenFfdjriften beS neuen ^olonialbireftorS Wern- 
burg bie Soften ber Unterljältung tragen, teils würbe im ©tile ber 
fornmerlidEjen $refeau§Iaffungen weiter „enthüllt" unb an ber Dtö« 
frebitierung unferer ßolonialjjolitif mit ben gälten ^oefclau, 3Siftuba, 
Meters jc. gearbeitet. (?§ fam babei au einem fdjarfen 3"fömmenftofe 
be§ ßoIoniarbirdftorS mit bem 3entrum; bie neue ©^eHenj bedfte ba$ 
treiben gewiffer SRiffionen unb ber bamit gufammenftängenben fleri- 
falen Partei bei un§ auf, weld^e SMonialffanbale fünftlidj aufbaufeften 
unb fonferbieren, um fie in bem für fie geeigneten 9lugenblidf als 
t»oIitifd&e SßreffionSmittel gu benü^en. Der STnwalt biefer Greife int 



Poltttfcfyer IHouatsbertdjt. 



^27 



8?eidj§tag, ber 2tbg. 9toeren, befannt öurd) beit bocf)enttt)itfelten Sitt- 
Iicf)feit3betrieb, berfudfte buxäj unglaubliche ©robbeiten bie neue Äraft 
etnaufd£)üd)tern. 2)iefe jebod), fefunbiert bom ß^ef ber SReid^^fanaFei 
unb ft>äter getieft burd> ben "9leid)§f analer felbft, marf beu alten $<ir* 
lamentSftrategen au§ offen Sßofitionen unb eroberte fiel) im #anbum» 
breben bie @t)mj)atf)ien niebt nur be§ fjofycu $aufe§, fonbern aud) beä 
23olfe§, mobei er augleitf) beut 3entrum an bebauten ©elegen^eit fanb, 
bafe feine Stnmafeungen niebt nnerfc^öt>flidö fein bürfen. £ie politifdjen 
golgen be§ 9ienfontre§ finb nod) niebt Hat* ju überfeben, aber allgemein 
ttrirb bie fräftige 3Tu£f:pratf)e al£ beilfam unb als ©ettrinn gefebäfet. 
Sadjlidj toar bei beu Debatten toeiter nodj bon 33elang, baf$ erftenä 
ber Solonialbireftor erflären fonnte, e3 fei mit äffen SPlonopolber* 
trägen geräumt toorben, unb gtreiten^ bafe bie freifinnige Solf^artei 
burdö ben 3lbg. 3Wüffer«3»einingen ifjre 33ereitfc^aft mitteilen liefe, bem* 
nädjft mebr aB bi^^er pofitib nnb förbernb an ber ftolonialpolitif mit» 
Sirtnirfen, alfo bie £rabition Sfticfjter unb SWüffer-Sagan berlaffen au 
tuollen, ol)ne natürlich auf ba& SRedfjt einer energifcfjen SJritif au ber- 
aidjten. ©idjerlid) ein SBefdfjluft, ber ber Partei neue ®t)tn:patbien au» 
tnenben toirb, fall§ er tttdfit ein menig au tpät fommt. Sur bie £oli 3 
Hiebe Sßarieifonfteffation bebeutet er bie ^folierung ber Soaialbemo- 
fratie, bie nunmebr „enblicfy alfein" bie gabne ber abfotuten kolonial» 
feinbfebaft f)od)bält. 3)er Äotonialbireftor bcitte entfprecfjenb feiner 
faufmänmfdfjen Sßrobeniena mit einer möglid)ft grünblidfjen gnbentur* 
mtfnobnte ba§ ©efcfjäft eröffnet, mit einer Önbentur, bie audf) febr bor= 
gefdjrittene ©oaictlpolitifer bon ber bolfäftnrtfdjaftlidjen 93ebeutnng 
unferer Scbufcgebiete überaeugen fonnte. ©r fjattc e§ aiffenimäfjig bar* 
geftellt, bafe toir in unferm ©cfyufcgebiete runb 370 SWiltionen Wlatl an 
beutfdjem 9ieid)3=, SotporaiionS* unb ^ribatfapital inbeftiert bfl&en, unb 
er batte ferner ben 9laäfcoe\% au erbringen berfudit, bafe ber ^atrital- 
tuert ber folonialen $robuftion fid) auf etttxi 620 Millionen SWarf 
belaufe. Sftag nun an biefen Stedjmingen audf) ber £)fcttnü§mu§ ein 
tt>enig beteiligt fein, fo ttrirb baburef) borf> nichts an ber £atfad)e ge* 
änbert, bafe bie Sdjufcgebiete f(bled)terbing§ unentbebrlidj finb für unferc 
Nation, bie iäbrlicb ettoa um 1 ÜUiiffion ©intDobner toäcbft nnb gerabe 
Ijinfidjtlicf) ber folonialen JRobftoffe in ftarfe Slbbängigfeit bom 2tu§- 
lanive geraten ift. 3Me a^eite £enffcbrift beleud)tete bie finanaieffe 
Seite unferer Soloniatyolitif unb fteffte feft, bafj bie ßinnabnien unferer 
afrifanifeben »efi^ungen bon 18S8 bi§ 1906 im 2)urd)fcfinitt 61 ^ro^ent 
ber STuBgaben gebedt bö^en. ©ünftigere finanaieffe ©rgebniffe nament- 
lieb in ©übtoeft fönnten Wh, fo refolbierte bie £enffcbrift, nur burdb 
ben rationellen 2Tu3bau unfere^ (£ifenbabnmefen§ eraielen. 3unätf)ft 
tv'xvb barum bie Sortfübrung be£ @ifenbabnbau§ 2überi^budöt^eet= 
man^boop geforbert. 2)iefe ^ofition unb bie Summen für bie Struppen- 
berpflegung — affeä in affem girfa 30 3Willionen SJJarf — gaben alz* 
bann ber 93ubgetfommifiion ©elegenbeit, interne 2Tufid)Iüffe über bie 
Sage in Slfrifa in (?mt)fang au nebmen nnb fid) bafür mit 9(bftrid)en 
au rebandjieren. 



<Roxb unb 6iib. CXX. 358. 



9 



\28 



Dr. i?ugo Ööttger in Steg! ig. 



£ie foaialpolttifdf» bebeut jamfte Slufgabe be£ beutjdjen itteichstagä 
in biefer ©effion ift bie Regelung ber 3ted)t£fähigfeit b e r 
33 e r u f £ v e r € i n e. (53 foll bamit ben beruflichen Organisationen 
bei* Slrbeiter unb Sirbettgeber ber 9ted)täVerfehr erleichtert unb bie Stecht*« 
fidjerfjeit erfrört derben. 3)ie befonber§ marfanten (Srfdjeinungen beä 
©efefeentlourfä finb bie Söefdjränfung ber 3ted)t§fäbigfeit auf bie ge* 
ioerblidjen Serufävereine, toelche lebiglich tt)irtfd)aftlid)e Qirxde Ver= 
folgen, fobann eine fachgemäße Siegelung ber $erein£augehörigfeit für 
ben einaeluen, bannt bie S3erein£augebörigfeit nid)t aurn brüdenbcn 
SSereinäatoange tnirb, ferner bie #aftbarmad)ung ber Vereine für ben 
©djaben, ben ihr 33orftanb burdj gefegtoibrige ©anbiungen begebt, unb 
fchlie&lich bie ©ntgie^ung ber JRedöl^fä^igfeit ber Vereine in ben Sailen, 
bafe bie ©taat§fidjerf)eit, bie SSerforgung ber Allgemeinheit mit Sicht 
unb SBaffer ober 3Menf<henleben burd) einen ©treif in ©efahr geraten. 
&ie ©oaialbemofratie Verttmrf ohne n>citerc§ bie ganje SSorlage aB ein 
Siaupenneft Von reaftionären (SinfäÜen unb fdjob bie ©chatte auf ba§ 
roeitabliegenbe gelb ber grage eine§ ftoalition§red)te§ für bie fianb- 
arbeiter; bie Partei Verweigerte mit anberen SBorten aud) Ijier bie SJiit« 
arbeit. £ie Stechte ift bagegen merftuiirbig entf)ufia§miert für ben ©nt- 
ttmrf, tnäfjrenb bie übrigen Parteien fid) toefentliche 33erbefferungen burdj 
bie Stommiftionäberatung vorbehalten unb ettoaigen 2Tu§flüffen eine§ 
$oliaeigeifte§ ben 3Beg in bie ©ejefcgebung verftellen toollen. ©öffent- 
lich gelingt e§, bie nottoenbigen SSerbefferungen Vorzunehmen unb, nadh 
bem feit Öabraehnten bie 9tedjt§fähigFeit ber $8eruf§Vcreine verlangt 
iDorben ift, 31t Verbinfvern, bafe ba§ ©cfefc noch im ©afen fdjeitert. Ob 
bie SSerföhnungSaftion al§bann ben Vom ©rafen SßofabotoSfg ange- 
ftrebten 3^erf erreichen toirb, nämlid) bie bem grieben bienenben 9lr* 
beitervereine 3U ftärfen unb bementfarechenb ber Utopie unb bem Sana* 
ti§mu£ in ber Slrbeiterbetoegung 93oben abzugewinnen, ba§ mag bie 
3ufunft lehren. 

£er preufeifd]=beutfche Staat hat mit 93er|öf)nung3verfud)en nicht 
immer gleichmäßig ©türf gehabt; be§ ift ber am £otenfonntag bahin- 
gefchiebene (Srabifchof von $ofen, glorian Von ©tabletoSFi ein 
unalüeifelhafter 3euge. @r toar al§ Nachfolger £inber§ in ber 3^it ber 
Gat»rivifchen präftabilierten Harmonie in Greußen berufen morben; 
er höt auch erft Verfugt bie ^Jolenfrage in ein glattere^ Sabrtoaffer au 
bringen, ©ogleich verlor er aber an Vertrauen bei ber fcolnifd&en $rte» 
benta, unb nun fiufjte er burch forcierten 5ßoloni§mu§ Verloren gegangene 
©tympatbien lieber einzubringen. 9tadj ber t>reußifchen Seite bedte 
ihn ja bie 3entrum§t>artei, unb bie ©aaetta 93acfjem$Fi, au beutfd) 
ßötnifche 93olf§aeitung. ©0 gebiel) benn unter ihm bie $rot>aganba ber 
©eiftlichfeit bi§ au jenem ßinberfreuaaug unferer Jage, ber mohl ba§ 
©öchfte an 9?erquidung Von Sßolitif unb Religion unb Von flerifal= 
polnifcher Slgitation barftellt, tt>a§ auäaubenfcn ift. ©tablem^fi ift Vom 
©d&aupla^ abgetreten in bem 3lugenblid, tuo bie preufeifche ^Regierung 
eine fcharfe Stbrechnung mit ihm Vornehmen mu&te, toollte fie nicht in 
ber Oftmarf fapitulieren. Unter folchen Umftänben ift bie Srage nach 



— - poüttfdfer OTonatsbertdjt. ; \2ty 

bem 9iadjf olger bon erstem politifdjen ^ntereffe; ber neue (Srabifdjof 
muß ben ©runbfafc unserer ©dbulpolitif : Slnmenbung Der beutfd)en 
2prad>e im JlteligionSunterridjt, mo fie berftanbeu ttnrb, anerfennen. 
Sinbet fidj in biefer grage nid)t fogteid) eine 93erftänbigung mit bem 
SJatifan, fo branden mir 6ie @ad)e nidjt au überftüraen. 2Ber marten 
fann, fommt aud) auredjt. 

£aS ift fein unangebrachter Optimismus, t>on bem aur 3eit biel 
bei unS bte Siebe ift, fonbern ein einfadjeS ©ebot ber Slugbeit gegen- 
über einer 9ftacf>t, bk bie $unft beS SBartenS bis aum ridbtigen 2lugen= 
blicf au einem ©Aftern erhoben bat. Ad vocem Optimismus mürbe 
eS t>on ber öffentlidjen 3Keinung febr bemerft, bafe fid) ^aifer 323 x 1- 
t) e I m II. in einer Unterrebung mit bem ©djriftfteHer ©angbofer, maS 
bie ^oliiif angebt, fdjranfenloS au biefer 2&eltanfd>auung befannt bat. 
2aS gab 31t fielen (Erörterungen 2fnlaft, bie faft fämtlid) barauf binauS* 
famen, baß au einem foldjen Optimismus fomobl internationale ßage 
als aud) (Stimmung unb SSerbältniffe im JReidje feine feften ^anbbaben 
böten. 5Die Sßirfung ber faiferlicften SluSlaffung mar alfo mi-eber einmal 
eine böttig anbere, als ber Saifer mabrfdjeinlid) ermartet fjatte, benn bie 
Sdymarafeberei rnill jefet fein ©nbe uebmen. Unb befonberS laut tönen 
bie klagen über baS p e r f ö n I i d) e dl e g i in e n t, mit anbeten SBorten 
über baS äierfagen einer auSreidjenben 3Kinifterberantoortlidjfeit. Surft 
SSülomS 33emüben, fonftitutionefl, arfo £anb in $anb mit ben $arla» 
menten unb (SelbftbermaltungSorganen 31t regieren unb Sßolitif 31t 
niad)en, merbe all3u bäufig burdj faiferlidje ©ntfdjliefeungen obne atte 
gübfungnabme mit ben 2J?iniftern, mit SunbeSrat unb SieidjStag burd)^ 
freuat. 2>aS ©mpfinben ift in ber £at ftarf unb gana gemift nidjt un- 
befestigt; ber Präger ber ftrone gebt fdimeren ßonfliften entgegen, 
menn ibn nid)t feine State red)taeittg auf bie Stärfe foldier ©mpfinbungen 
im SBoIfe aufmerffam madjen. 3öo baS nid)t in auSreidjenbem SKafee 
gefdjiebt, bat baS Parlament bie boppelte $fHd)t, auf bie offenfunbigen 
5sd)äben biNptoeifen, unb baS ift le^tfjtn mit anerfennenS»merter 
ßot>aIität unb mit bornebmem greimut bom 9Ibg. SBaffermann im 
3leid)Stage beforgt morben. 2BaS im übrigen bie grage beS Optimismus 
in ber Sßolitif angebt, fo ift bodj mobl fo biel ricfitig, bafe obne eine 
gefunbe £ofiS babon fein baltbareS ^Biaai^- unb ©efettfdbaftSleben mög* 
Iidb ift. ®enn bie 2lnfid)t bon bem abfohlten Übergemidjt beS SeibenS 
über baS ®Iiid beS ßebenS, baS ift ber $cffimiSmuS, jene Sebre, bafe 
baS ©Iütf baS blofee momentane STuSfefcen beS SeibenS fei, ift 3ur 
©runblage irgenb meldjer ^Jolitif, bie auf pofitibe ©rgebniffe absielt, 
nidbt 3U gebrauten. 2 : arum mirb man als ^olitifer immer bei t>otter 5tn- 
erfennung beS SBerkS ber Srttif, menn man bie Sßabl bat amifd^n Op= 
timiSmuS unb SßefitmiSmuS, gleid) bem Äaifer bk erftere SBeltan- 
fd)auung begünftigen, unb in biefem Seifien muift man aud) bem 
bentfdjen 93aterlanbe ein gebeibltcbeS neues ,^abr 1907 münfdjen. 



9* 



Htevavtfd\ev 2]\onatsbevid}L 

Von 

&U$nft gvitMOf $tüuft (Breslau). 
ÜberfeJ-mngen. 

(Sujtao af (Beijerjtam: „Kann Braubts Cranm." — Knub tjjortö: „groer 
lüelten." — 2lgnes fjenningfen: „Die wer Siebften oes £rtrtfttan <Eneoofl> 
Branbr." — £. be 3°«9 : grauen, bte ben Huf oernommen." — <fr<*u3 £jerc3eg: 
„Die Sdjoüe." — Catherine dectl (Erturjton: „Der fytv 2Jbgeorbnete." — 
Beatrice fjarraban: „Kattyirine <frenfrtam." — ^iona Hlacleob: „VOxtib nnb 
IPoge." — „3nt Heid? ber (Träume." — Upton Sinclair: „Der Sumpf." — 
<E. XI. XDeftcott: „Dactb fjarnm." — ^enry Würger: „Die Boheme." — 
<£laube (farrere: „"Kulturmenfct/en. 11 — Hene Ba3in: „Die blaue Kricfente." — 
„Sdywtftet pascale." — £eo Balet: „3m Banne ber Berufung," — Antonio 
iJoga33aro: „Der ^eilige." 

I^kie ftärffte Seetnifuffuttg ^at unfere beutftfie ßiteratur ii: ben legten beiben S<"K S 
101 geinten burd) bte norbifajen Völler erfahren, eine JBeetnffaffung, ber ftcr> fotooljl 
MS/ in ©ingeffeiftungen, als aud) in geioiffen ienbengen ber (Sefamt^eit nadrfpüren 
lä&t. 9ttaa. btefe JBeeinffuffung aua) erft möglich geworben fein burd) bie bornefjmen, 
äftfjetifdjen ^Qualitäten ber neueren ffanbtnabifd)en $id)tuttg, torrtfatn unb einbringlidj 
rourbe fie nur burd) ba8 rounberfame, iutuitiöe (Srfaffcn ber 3nbtotbitalpft)d)e in afien, 
aud) ifjren fubtilfteu unb berborgenften Regungen. $agu fbmmt nod) ein edjt germantfdj 
anmutenbeS unb unfer (Smpfinben barum befonberS fr)in)xitr)tfcr) berüfjrenbeS 9ftaturgefiu)I, 
ba$ bie ftitten Seen unb bunöen SSälber, ba» 23aum unb ölume unb Strauß öon innen 
berattS gu befeefcn toetfi unb ben $id)tungeu einen toetdjen Iorifdjen ©ntnbton gibt, ber 
ttne ein ÜDftttönen ber SRatur in ben Stimmungen ber (&n#Ipfwr)c ift. 

SSir erinnern uns aber, bafe bei nid)t roeirigen franbtnabifdjen $td)tern biefeS tief tte 
#rfdjöpfen pfacbtfdjen £eben8 berbunben ift mit tiner geunffen ßebeuS- beffer gefagt: üBirfc 
Itdrtettefrembfjeit, mit einem leifen ariftofratifdjen ^ibmmtten gegen ba« Öeben ber Sftaffe 
unb bie grofien fogtaleu (Strömungen. £ie$ fällt uns befonberS auf bei bem neuen 33ud)e 
®uftabaf ©eticrftamS.: „&artn öranbts Xraum", ba8 in borgüglicber, bon©ertrub 
Sngeborg ttlett. beforgter Uberfefcung in <§. SrifdjerS Verlag in Berlin erfd)ienen ift $ie 
einradje §anbtung füprt uns ben alten Stonffift gtoifdjen ©Kern unb Srinbern bor. 2Ragnu& 
23raubt, ber lefcte feine» ©efa^Ie^teg, fte^t m flnangieffem Dlutn, unb nur burd) bieä&ilfe 
feines NadjbaxS üermag er fid) gu retten. S)iefer liebt (Säcilte, bie ältere Xoo^ter BranbtS, 
unb begehrt, obne feine Jpitfe babon abhängig gu maä^en, bereu £anb, unb ^ranbt ^üt 
e3 für feine ©^renpffiebt, biefen Antrag anjune^men. (Säcilie abeT fträubt ftd) unb Riebt 
gu it)rer ©ro&mutter. ber fädjbax fpäter um bie 3üngfte, ^arin, wirbt, bie eine 
beimlidje ßtebe im, bergen trägt, opfert biefe i^ren füfeen 3ugenbtraum um ibreö S3ater^ 
tottten, ben ber älteren Ungeljorfam gan^ üergrämt unb alt gemadit bat. iiefe Äarrn 
bat ber 3)ia)ter mit ber gangen ßtebe unb 3unigfeit feine» .^ergenS gegeidntet unb einen 
tounberfameu §aua^ bon ^Pocfie über fie gebreitet. SSie in biefer SBerfonnenen unb ^tnb* 
Iia)en fidj gang attma^Iia^ bie Sanblung botfgieljt bom Xraum gum SSadjen, ba$ ^at ber 
^uftter mit einbringtieber OWeiftcrfaxift barguftetten üerftanben. 3u ber 9frt aber, toie er 
bie ®efa)id)te ber ^eKäugigen, felbfrftajeren Gäcilie, bie bem Bitten beS SkterS t^ren eigenen 
entgegenfeöt, mir befjanbelt, fomeit es für Marius QJefdjtdjte nottoenbtg ift, geigt Tub, toie 



£iterarifdjer Hlpttatsberidjt* ^ 3 

fefjr ©eiierflam beftrebt ift, bem aus bcm SBege gu getyen, toaS unfcrer 3*ft baS Suteref* 
jantere geroefen toäre, unb toie er gang in bem Slbfeitigen unb 3*itfremben aufgebt. 2)arum 
aud) f)at ber $)idjter bie §anblung toofjl in bie 3«t um bie SSenbe beS 18. gum 19. 
Safjrljunbert gelegt. @o ift „toin SranbtS Xraum" ein ftitfeS unb garteS, manchem 
trielletd)t ein su ftitfeS unb garteS Söudf) getoorben, ein SttmmungSbilb oon Seltener SSer* 
träumtfjett unb 3nnigfeit. 

3n feinem Vornan: „3toei SBelten" (2feel SuncferS Verlag in (Stuttgart) fyat 
t>er $>äne $nub §jortö gtoei berfdjiebene SSelten, gtoei entgegeugefefete ftultureu in gtoei 
Sftenfdjen gur $aritettung gebracht, bie etoig fid) angießen um tfjrer ©egenfäöüd&feit toilleu 
imb bod) nie gang inetnanoer aufgeben, nie in ungetrübtem ©Uicfe gang einanber geboren 
fömten. 3»ifd)eii ben gtoei 2)tenfd)en biefer ©efdjidjte firidt fid) ber uralte Äampf gtoifdOeu 
Kultur unb Barbarei, gtoifdjen SBeiSfjett unb Äraft, gtoifdjen SntetteftualiSmuS unb 
3mpuIftoität ab. @r mit feinem gro&en SBiffen unb femer bofjen Kultur repräsentiert baS 
befdjauenbe ©erneut, bie Sßelt ber söetradjtung, bereu Vertreter oor lauter 23etradjtung unb 
2öeiSf)eit nidjt gum £anbeln fommen fomten. 3n tfjr bagegen berförpert fid) bie 2Selt ber 
$f>antafie unb (Stimmung, bei tyr ift ber 2Beg gtotfcfjen ^Beobachtung unb &anblung ber 
tenfbar fürgefte, bon tfjr gefjen barum alle ($ntfc&(üffe aus. (Sie lebt im SHeidje ber 
€xf>öpferifd)en, im 9kid&e ber ftunft. §jortö geigt in einfacher fcanblung, toie biefe beiben 
3Dinge: §anblung uub s8etrad)tuug, $caft unb SeiSfjeit ooneinanber enttoicfelt unb — 
öoneinanber üergefjrt toerben. Sßotjl fdjetnt bei biefem $>icf)ter bie 28eis(jeit ber geftaltenben 
ftraft überlegen gu fein, gegen ben Si)lu& fjin toirb feine SDarftetfung um oieleS abftrafter; 
Vit erfte ©Ufte aber ift mit einbringlidjer £ebenbigfeit bargeftefft, unb man barf begierig 
fein, tote ftart fein fiinftlerifc&eS ©eftaltungSoermögen ftij an einem SSerfe bctoeifeit bürfte, 
in bem baS £eben ftärfer gu feinem $ed)t fäme. 

(Sine bei toeitem größere Unmittelbarfeit unb ftraft ber Starfteffung bift^t Signet 
enningfen. 3n ifjrem Vornan: „®ie oier ßiebften beS (Sfjriftiau (Sneoolb 
raubt" (2ljel 3unfer, (Stuttgart) fdjilbert fie eine beftimmte 2lrt erotifc&er Sttenfdjen, 
bie ifjre gang: Umgebung mit bem 3auber ifjrcr ßiebenStoürbtgfeit gu getoinnen unb gu 
fcefjerrfcfien tt)iffen. biefem ^uc^e feinen SSert unb einen eigenen 3auber öerlei^t, bag ift 
überaus feine pfocljologtfdje SerftänbniS feiner Serfafferiu, baS in bie öerfterftefteu 
liefen ber ©ie(e mit jenem feinen ©pürfmn gu bringen loeiß, Den nur berufene befi^en. 
Wit ift faft gu öiel %'ncöologie in bem 23ud), unb bie ^anblung erfd)cint gu oft als 
nebenfädjlid) unb entrütft. 

SSeniger ber föimft als ber moberuen ^auenbetoegung guliebe fd^rieb eine §ottäuberiu: 
<i. be 3ong Dan löeef en 2)onf i^ren s Jtoman: „jrauen, bie iben s Jluf Demom« 
men". (Goncorbia, 2)eittfcfje S3erlagS=5lnftalt, 93crlin W.) Unb bie Srauenfrage ift baS 
Problem, baS üon atten Seiten beleucfjtet unb berebet tüirb. Leiber öiel gu biel berebet 
toirb. 4)ie SSerfafferiu ^at uergeffen, ba6 in einem Vornan ber 2)ic^ter öor attem ßebeu 
%u geben fyat unb nid)t ^ompenbiumStoeiS^eit. WM fid) jemanb tfjeorcttfd) über bie 
grauenfrage orientieren, fo greift er lieber gu grünblidjereu Üöerfen als einem Dtoman, loitt 
aber jemanb fe^cn, tote baS Problem ber g^uenfräge unter ben oerfdjtebenften ßebenSbe* 
bingungen ©eftalt genrimtt, fo oerlangt er nad) lebenbigem ßeben unb nic^t nad) einer 
abgeftanbenen iöiic^ertoeiS^eit, bie fid) in fyuubert tarnen unb 3<«)fen austobt unb jebeS 
Iebenbige 3ntereffe totfcftlägt. 

SBtrnt 3-rang ^ercgegS Vornan: „5)ie (Stolle 1 ' (SSien, ©arl Slonegen) nidftt 
aus bem Uugarifd)en ins $eutfdje überfe^t toorben toüre, ioürben loir feinen SSerluft gu 
äeflaaen fyübtti ®S toirb uns bariu bie ©efd^id^te eines ungarifc^en (SbelmanneS ergäbt, 
t)er tu einer 9lad)t fein ganges 2?ennögat unb fein (Jamitiengut oerfpielt unb fid^ burd) 
«in fieben ber Slrbeit entfü^nt, fo baß er am (Snbe fein ®ut toieber gurüdfertoerben famt. 
S)iefe fianblung ift mit fold)er ßäffigfeit, fo toenig lebenbig unb eiubring(id) ergäbt unb 
romanhaft auSgepufet, bafe man toenig ftxtvfot au bem Jöudje bat. 

featfjerine (Secil X^urftonS Cornau: w Xer ^err Slbgeorbuete" ((5gon 
??leifc^el k ^o„ ^Berlin W.) ift ein S3u4 baS reeftt gtoiefpältige ©mpfinbungen ^eroomtft. 
1&lan toeife nic^t, foll man fid) barüber ärgern, in toeld^ raffinierter SSeife ber SenfationS« 
aef^maef eines oerbilbeten ßefepublifums, baS in ©nglanb unb Slmerifa genau fo oiel* 
fepRg unb nimmerfatt fein fott toie in 2)eutfd)lanb, auSgenüfet toirb, ober fott man fteft 
freuen, bafj bieS toenigftenS mit fo oiel fünftlerifc^em Vermögen, mit einer foldf) oerblüf= 
fenben Äraft ber pfodfologtfd^ SWotioierung gefd^ie^t ScbeufattS ioerben gunäd^ft bie 
£efer auf it)re 9^nung fommen, bie bei ifjrer I^eftüre fid) über ben Stoff nid)t gu er? 



\32 augujt tfriebricb Kraufe in Breslau. 

beben öermögeu ober nicht ergeben tooffen. Sollte es aber baS Scbicffal toollen, ba& nadj 
btefem 33ucbe jetnanb greift, ber mehr in t^m fudjt als ben Stoff, ber toirb nicht gerabe 
über verlorene 3eü Bageu haben, benn cS ift intereffant gu beobachten, toie ein ftatfer 
©ei|t biefen Stoff belebt unb äffe bie üu&erlidjen 2BiIIfürIirf|feiten imb Unrnöglicbfeiten 
Dergeffen maebt. 

$or Safyctxx erfebien in beutfeber Uberfefcung baS #ucb einer englifebeu Sdjriftftelferin, 
bie fieb Seatrice fcarraban nannte, XtefeS 23ucb hatte einen Xitel öoff toeiebeu 
fyrifeben ftlangeS, ber begierig maebte, eS gu Iefen, unb ber getoife niebt toenig ginn 
©rfolae beS Vornan» beitrug. 3d) habe es bamals aueb gelefen, aber mir ift beute 
bon bem Snfy&t mcfjt mehr totcl in ber Erinnerung, Xamit toiff icb niebt fagen, ba& ber 
9toman nichts toert toar, jebenfalls aber ioar ber ©iubruef niebt ftarf genug, um nadjbaltig 
gu fein. Xer Xitel aber ift mir geblieben unb ift noeb maucbeS 2M in meiner Seele 
anfgetüoebt unb hatte immer jenen boffeu bunflen ftlang ürie baS erfte 2M, als id) ibn 
borte. 3cb meine ben SRoman: „Schiffe, bie nadjtö ftcb begegnen". $on biefer Xidjterin 
ift jefet ein neuer 9toman in» Xeutfcbe übertragen toorben: „^atbarine Srenfbam" 
(3- & (S. SrunS, 2ttinben i SB.), ber toeniger burd) feinen Xitel blenbet, bafür aber 
um fo tiefer toirfen bürfte. ($8 ift ein ftarfeS unb frifcbeS 23ucb, baS bie Xidjterin im» 
in bie ©anb gibt. Sie bat in biefem Sftoman einen 5rauentppuS geftaltet, ben man niebt 
leicbt aus bem ©cbädjtniS oerlieren toirb: gerabe, einfacb, gütigen ^er^eitS unb Haren 
$erftanbeS unb begabt mit jenem füllen, ftarfen (Smpfiubeu, baS fieb alles gu eigen gnringt. 
Xer Vornan bebanbelt ein eigenartiges Problem, baS an baS tteffte, gebeimfte (frleben ber 
9ftenfcben rüljrt. Xie gange Xarftellung ift oon bem füllen, bomebmen, eblcn ©eifte einer 
in fieb reiben unb fraftooffen $erfönlid)feit burebbrongen unb entbehrt ebenfo toenig ber 
Jyrifdje unb £ebenbigfeit, als beS ©langes im SluSbrucf unb lanbfdjaftlicbeu Kolorit. 

ÜDian bat fid) in Ghtglanb unb aueb anberStoo lange ben töopf gerbroeben, toer 
giona Sflacleob fei, unb bat bergeblicb oerfuebt, ben Schleier gu lüften, ben biefe $erfön* 
lidjfeit über fid) gebreitet hatte, bis ber Xob allen Neugierigen offenbarte, ba& fieb binter biefem 
$feubonimt ber fürglid) oerftorbene englifebe Scbriftfteller SSilliam Sbarp oerborgeu hatte. 
(£S ift eine fdtene unb barum toöbl feltfam aumutenbe (Srfcbeinung, baft ein Xidjter mit 
foleber ftonfequeng feine ^rfönlicbfeit binter feinem SBerf berbirgt. Sei Sharp mag es 
aber mebr getoefeu fein, als allgu geringes ©efallen an fäfyxt unb afathmeSertoeifungen, bic 
ibn beraulafet haben, fein ©ebeimniS fo tool)l gu betoabren, eS mag ibn ju btefem überaus 
befdjeibeuen SunW^en feiner $erfon baS ^etoufttfein getrieben haben, baft in ihm intb 
burd) ihn bie grofte, einfame mtb feltfame Natur feines SanbeS, feiner feltifcben ^etmat 
biebtet; er mag ftdj mehr als 2Mium gefühlt haben, in bem fieb.biefe größte unb 
urgetoaltigfte Xichterin offenbarte, benn als öigenfcböpfer. Xiefe rübrenbe, ftitte 33efcbeibens 
beit ebrt biefen 3flamt faft ebenfo hoch toie fein SSerf. XiefeS SSerf, oon bem uns in 
beutfeber Überfefeung oon S B. 3)icn jioei Bücher: „SSwtb unb Boge" unb „3m Netcb 
ber X räume" (Eugen XiebeüdjS, 3«ia 1905) oorliegen, ift fein geringes. 3nbenbeiben 
eben ermähnten ©ücbern derben ©efühlc unb Slbmutgen laut, oon benen unfere oon £ärm 
unb i2uft unb fieibenfebaft betäubten Seelen nichts mehr totffen, ©efüble unb Stirn-» 
mungen, für bie es feine Sorte gibt, bie aber in unfern bergen 2luferftebung feiern, 
toerni hnr biefe Xicbrungen lefen, unb bie tüte feltfame Xröume aus einer befferen 3ctt ber 
9Jlenfajbeit finb, ba bie 9)lenfdieu noch niebt loSgeriffen toaren Oom mütterlieben Söoben. Unb 
ein fteuffloeb n)irb in unS ioacb nach SSinb unb 2Mb unb SBoge, nach jenem EinSfeiu 
mit ber Natur, baS hrir heute nicht mehr femten. Unb barum toobl toirfen bieie iöücber 
ioie eine Offenbarung auf unS: fte öffnen ©liefe in deiche, bie doU einer tounberfamen imb 
febtoermütigen Schönheit fmb r fie laffen fiaute tixteh toerben, bie aus bem Snnerften ber 
SSkltbinge emporzuquellen fcheinen. öS ftnb ©ücber, bie eine ftille .traft auszuüben, bie eine 
Sehnfucbt ioacb gu halten oermögeu nach einer beloufeten SSieberbereiniguug mit ber IJ'latur. 

23on offen amerifanifeben Romanen DeS üergangenen 3abreS bat Upton SiuclairS 
Vornan aus ben Gbifogoer Scbtaebtbäufern: W X er Sumpf um feiner gro&eu fc^ialeu 
^ebeutung toiffen baS größte Sluffeben erregt. XaS SBerf liegt jefet aud) in beutfeber 
Uberfefcung bor, bie im Berlage oon Slbolf Sponbolg in fcaunoöer erfebtenen ift. SBer 
biefes büftere ©emälbe auf fid) toirfen lä&t, ioirb balb erfetmen, bafe bie ungebeure 
ilUrtung biefes Ruches in Hmerifa, bie in ber 2lbfafegiffer oon 1 SOlillion föjemplaren noch 
nicht einmal in ihrer toabren ©ebeutung gum 5luSbrucf fommt, toefeittlidi beeinffufet tourbe 
bureb feine füuftlerifcben Cualitäten. 3d) bin übergeugt, bafe gerabe bie realiftifcb toabre 
Xarftellung beS bis bahin faft unbefannten ^erfafferS, bie überall bie 9ftenfeben mib ihr 



£iterarifcfjer HTonatsbertcfyt. \33 

£o& reben lagt unb niemals bon fokalen Ittaben unterbrochen nrirb, bic Slufmerffant* 
fett bcr gebtlbeten SSelt auf bie ©emeinjdftNichfeit beS gieifchtruftS getoenbet unb au 
Unterfnchungen unb 2Raßregeln geführt, bic für bte 3ufunft eine Stenberung besprechen; 
baS Buch SinclairS toirft tote bte 2)arftellung bon Selbfterlebmffeu, unb es beruht auch 
tatfächlich auf folgen, £er dichter hat, ehe er baS Berf färieb, bie Serfjältmffe fo 
etngehenb unb bon offen leiten aus ftubiert, baß bie £ebenSechthett feine» BilbeS fchou 
baburch berbürgt erfdjeint. 

©inen gleichfalls ungeheuren ©rfolg, freilich nur im buchhänblerifchen Sinne, hat 
ein Vornan aufeutoeifeu, ber unter befonberS tragifdjen Umftänben abgefaßt ttmrbe. 
(S. 91. SSeftcott öottenbete feinen Vornan: „$abib fiarum, SlmerifaS ungefrönter Stönig" 
(£eonh. Simiou 9fabf., Berlin) auf bem Sterbebette, SSenn biefem prächtigen Buche aücfj 
bie fokale Bebeutung beS borigen mangelt, fo tft eS bemtoch ein echt amerifanifcheS Bud>, 
unb Stabtb partim, ber XtjjmS jener 2fmerifaner, „bie ihrem Baterlaube zu höchfter 2Äad)t 
unb Reichtum berholfen haben". (SS ift biel fonniger $umor tu bem Buche, unb feiner 
toirb eS aus ber §anb legen, ohne fich an feiner SJrifdje unb feiner Urtoüdjfigfeit erfreut ju haben. 

$te frauäöftfche Literatur ift in biefem Bericht weniger burd) marfaute üfteuerfdjei- 
mtngen, als bielmehr burd) bie Sfteuüberfefcung eine» älteren ÜDteiftern>erfeS bertreten. ©e* 
meint finb £enrt) Bürgers Svenen aus bem 5ßarifer Äüuftlerieben: „$ie Boheme". 
(SS tft nicht nottoenbig, erft noch ein langes £oblieb biefen genialen Sdjilberungen aus bem 
£eben eines immer gelbbebürftigen, immer leichtfinutyen, aber auch immer bergttügten 
MünftferbölfdjeuS gu fingen. £er SufekBerlag in ßeibäig, ber fich baS Berbienft btefer 
9Jeuau8gabe nicht hat entgehen laffen, hat baS SBerf tmtnberbotf auSgeftattet. 

$er Xitel: „STulturmenfchen" (Bubapeft, Verlag bon®. ©rimm), beu ein junger 
frangöfifcher dichter: ' (51 a übe Jyarrere feinem Montan gegeben hat, ift nur ironifdj $u 
berfteben. (§r fchilbert in feinem fonberbareu, bizarren, aber itt äffen feinen Xeileu 
intereffauteu Budje baS £eben unb bte Sittenloftgfett jener ftolonifatoreu, bie auf bem 
heißen Boben SübaftenS bie Kultur ihres BaterlanbeS öertreten foKeit. 3ch famt h^r 
nicht auf bie große folonialpolitifche Bebeutung biefeS s JiomanS eingehen, nur fobiel fei ge* 
fagt, baß ber dichter, ber als Marineoffizier feine Beobachtungen au Ort unb Stelle hat 
machen fönnen, mit ftarfem funftlerifchem Bermögen, baS an Borbitberu (toie 3ola unb 
Xolftoi) fich gebtlbet hat, ein fo farbiges, lebenbtgeS Multttrbilb gu geben bermeebte, baß 
tonr meinen, biefeS entnerbenbe, bemoralifierenbe £eben jener Xropenmenfdjen, bie fid) meift 
aus folchen ölementeit refrutieren, bie tu ihrem Söaterlanbe Schiffbnid) gelitten habeit, aus 
nächster 9^ähe mit angufefien. £aS Buch fJarrereS ift ein lehneidjeS Buch für jeben 
.sTolonialpolttifer, es ift aoer auch *w überaus ethifdjeS Buch, unb toenn bie 5lfabemie 
©oncourt es mit ihrem greife bon 5000 ^ancS auszeichnete, fo loar toofjl neben beu 
ftarfeu äfthetifcheu Cualttäten beS föomanS fein fultureller ©ert auSfchlaggebenb. 

5GS ber bebeutenbfte Vertreter ber fbegiftfeh fatholifchen Literatur beS heutigen ftranf* 
reieb gilt.^ene Ba3in, bon bem ber 3of . ftöfelidje Berlag in tfeinbteu an?ei Romane in 
beutfdjer llberfefeung hctauSbrittc^t: w ^ie blaue ^rtcfeiite* unb „Schtoefter $PaScale". 
^agin tft ohne 3^cifel ein fetner, finniger ftunftler, bem befonberS ibbKifche ©enrebilber 
trefflich gelingen. Sich habe mich aber bergeb(id) bemüht, in fetnett fonft fo gut unb mit 
einem feinen fünftlerifchen Maßhalten gefdjriebeuen Romanen ©röße unb Bebeutung ju 
entbeefen. (Sbenfo tüenig bermag ber Vornan eines jtmgen ^otläubifd^u "^riefterS £eo 
Balet: „3m Banne ber Berufung" (im gleichen Berlage erfd)teneu) bie SBagfchale 
ber fatholifchen Belletriftif burd) fein fmtftlertfcheS Schtbergetoicht bebeutenb junt Sinfen 31t 
bringen, tberat bamit auch uicht geleugnet toerbeu fotf, baß manche gut bargefteHten Svenen, 
maitche feinen pfbehologifchen SÖlotibierungen toohl su tntereffieren bermögen. 3h^n fünft* 
lerifchen ^ötounft hat bie fatljolifche Weltliteratur ohne 3*oti[d in bem neuen Romane 
5lntonto SoflagsaroS: „$er §eilige" (3Küud)en, ©eorg 3)Mer) erreicht, einen 
§öh^>wnft, ber nicht nur relatib, fonbent auch abfolut als ein bebeutenber aujufehett ift. 
(Is tft mir als ^roteftant unb als Seutfdjer freilich n^cht möglich, mich gcnt3 in ben ©e* 
mütSsuftaub ber bon ^oga^aro gefchilberten ^eformfatholifen unb in feine SHeformtbeeu 
htueinpfühlen, tro^bem ftehe ich nicht an, biefem SSerf um feiner glängeuben bichterifdjeu 
Borjüge eine fjohe Bebeutung äuguerfennen, eine äfthetifch tote etfu'fch bei loeitem höhere 
Bebeutung als ben um fo bteleS „objeftiberen" Romanen ber Baronin §anbeteDtaföetti. 
9(ber eben, n>eil btefer Vornan bon fo hoher Bebeutung für ben ftatboligiSmuS unb feine 
befte fieiftung auf bem ©ebiet ber mobenten Literatur ift,- hat bie fatljolifche ftirche iljn 
auf ben 3itber, gefegt. 



3Huftrierte Bibliographie 



Cftftfteitfafivt. ßrgebuiffe unb ^Beobachtungen eines SftaturrorfcfyerS in 
(5f)ina, oapait unb (Seutou. $on Dr. ftxanz $of!eiu. — 3JHt ja()Ircid)cit 
Slbbübungeu im %t£t unb auf 18 Xafeln, foroie mit 4 Marten. — L'eipgifl imb 
iöerün, (M. Xcubner. 

3n bcu legten- 3^^ren ift bic Literatur über ben fernen Often erljeblicf) anaetoaefrfeu. 
£a§ fjat ficfi mo^benntfjt ber Sßerfaffer bei 2lbfaffuna, feines 2Berfe8 öorgeljalten; c3 fomtte 



— "1 




3m ßafen oon «Oiftfotia Hongkong). 
Hus: „Oftafienfa&rt". Son Dr. <Jfran3 Coffein. — ßei|>3ig unb Berlin, 93. © leubner. 



3Uuftrierte Bibliographie. \3o 

tyu ba2 aber nidjt fyinbern, feine eigenen, als sRaturforfdjer auf einer Stubienreife nadj 
Oftaficn empfangeneu (£inbrücfe unb ©rlebniffe niebergiifa^reiben unb ber Deffentlidjfeit %u 
übergeben. Sie u tu ber 33orrebe betont, itootfte er in ber 2lnffaffung üon Sftatur unb 
3Jicttfd)6eit burdjauS fubjeftiü üerfafjren unb glaubte um fo meljr baburd) baS allgemeine 
Sntereffe anzuregen, als über bie (Srforfdjung ber 9totur, im Speziellen über bie Xieffee* 
fauna im fernen Often bisher üerfjaltniSmä&ig tuenig berietet toorben ift. 2(u8 bem 
überreich Stoff, ben ber SBerfaffer in 22 ftapiteln bearbeitet ftat, fann l)ier natürlia) 
nur (£in$elue$ Oerüorgefjoben toerben. — - 3>ie 9tei|"e ging im (Sommer 1904 üon 2ftünd)eit 
üv& über Neapel unb an 23orb beS „^rinjen £einridf burd) ben Suesfaual, ben ber 
äkrfaffer als eine ber nridjtigften unb fdjärfften ©renken ber Xterüerbreitmtg beseitetet, 
nad) bem Subifdjen Dgean. 3ftit bem Xurcbftid) beS SuejfanalS mar nidjt nur für 
ben Be(tt)anbel eine ©rofctat, foubern aud) für bie Xiertoelt ein folgenreidjeS ©reigniS 
gefdjefjen, benn tote bie Sdjiffe geljett unb fommen, nehmen aua) bie Xiere t^rc 
^Säuberungen üor. Snfolge SajiffbrudjS beS „^rin^en £eiirriaV' bei $oint be ©alle 
mufcte auf bem fraitäöfifdjeu ißoftbampfer „^olunefieu" bie ffaljrt fortaefefet toerben. (£r= 
toäfjnenStoert ift b:r (Sittbrucf, ben bie ftauptftabt ber franj'öfifdjeii Kolonie in (iodjiudfiina 




T)tx „«unb - Don 6bangf)at com 9Bufungflu& gef«fjen. 
Bus: „Oltaftenfatyrt". Ston Dr. 3fiatt3 "Doflein. — ßdp3tg unb Berlin, ©. <B. leubner. 



— Saigon — burd) ifjre unenblidjeu Alleen unb JüouküarbS mit mächtigen, faiattenfpenbenbwt 
Zäunten auf beit tHeifenben ausübt $aS &oteI, in toeldiem ber SSerfaffer abgeftiegen, loar 
äfntlid) gebaut toie bie meiften tropifdjen ©aftf)äufer, red)t gut unb elegant angelegt, aber 
fdjmufcig geilten. 2(uS ber uädjften Umgebung ber Stabt fei beS botanifdjeu ©artend 
flebadjt, in hxldjem aud) eine Sammlung lebenber, einljeimifdjer Xiere uutergebradjt ift 
unb ber in feineu entfernteren Xeilen tounberüotte ©nippen alter Dtiefenbäume aufloeift. 
3)aS Strafjenbilb üon Saigon iuirb nidjt üon 2lnamiten, fonbent üon (Sfjinefeu beljerrfdjt. 
S3ti ber geringen $aljl üon (Europäern loirft bie 9Wenge üon Cafes, ^ier^ufern unb 
XhtgeltangelS gcrabeju ftaunenerregenb. $er SSerfaffer gibt eiue intereffante Sdjüberung 
üon bem, ben (Europäer oft abftofjenbeu ©ro&ftabtleben Saigons. Seiter ging eS nad) 
(Sfjina, itad) ber Sufel ßougfong mit ifjren malerifdjeu formen. $er $eaf, bie l)öd)fte 
<5jrfje6ung ber 3nfel, ben&t biefelben Ilmriffe toie bie Söerge ber SWiüiera, unb bie Stabt 
Stftoria baut fid) nrie ©enua unb Neapel an ben 2lbl)äugen beS 83ergeS auf. (S. 2lbb.) 
Söeim fianben fällt fofort baS europäifa> l'eben unb Xreiben auf. 3fn ben gepflafterten 
Strafeeu entlang gießen fid) ftolonnaben unb ßäben, in beneu bie ^robufte üon 5lfien, 
Slmerifa unb ©uropa ftilgeboten toerbeu. SBiftoria gäljlt 200 000 (Hmoo^uer unb genießt 
ben traurigen 9hifjm, bie bidjtbeüölfertfte Stabt ber (5rbe 311 fein. Jsnipofant finb bie Anlagen 



\36 tlorb unb 5üb. 

cm ben Slbbängeu be3 $eate. &ou fiongfong ans unternahm bcr sßerfaffcr 2fu3flüae nad) 
.Siantou unb SRafao uitb fdjilbert ßanb unb ßeute bafclbft Xic oom ^erfaffer in feintinniger 
Seife gemachten 23eobad)tunflett finb ^öd^ft bemerfenStoert. Sic ftemter (S^inaS tftm 
oerftdjerten, bat er in Danton ba8 d)inefifd)e £eben, tuenigftenS ba& ©rofeftabtleben 
nod) in bcr ibcalften unb unberübrteften ftotm gefefjeu. 3>a& aber bort aud) fdjon bic neue 
3cit mit 3)tad)t einjitateljen beginnt, bat bcr SBerfaffer am beutlid)ften in ben Straßen 
bemertt, in beneu mit europilifdjeu unb amerifauifeben ^robuften gebanbelt toirb. $ou 
.Stanton nad) §ongtong jurücfgefebrt, mu&te ber SScrfaffer feine &bftd)t, an ber iapanifdieu 
Sfüfte ßotuugeu unb Xieffeene^üge §u unternebmen, infolge beS bamatö gerabe ftattftnbeuben 
SeefriegS stmfdjen SHufefaiib unb 3apan aufgeben. 33ei bcr toeitereu Srafjrt iourbe in ben 
SSufungflu& eingebogen unb in Sljanaai gclanbet. Sebon aus weiter JJerne bieten Stobt unb 
£afen einen unerwarteten, merfmürbigen 9lnbltcf bar. N 3)can glaubt, uiefit in (Sbina fein, 
fonbem fid) einer £>afenftabt 9torbamerifa8 ober (Europa» su nähern. £er ftlufe liegt ootf euro* 
päifcber Dampfer, unb mau fiebt am Ufer eine enblofc SHeibe oon ^läften liegen, toeldje ben 
# Sunb" üou 3f)angai btlben. (S. 9lbbilb.) — (Bcf)t man üou biefem mobern angelegten 




Strafte in 7)o&oIjama n>äf)r«nb ber Ciaogangfeter. 
Hus: „Oftafienfafjrt" Stoti Dr. 3rran3 Doflein. — Ceip3ig unD «erlin, ©. <B. leubner. 



Stabtteil in bie (Sbinefenftabt öon Sbangai, fo empfangt mau toieber bie ©inbrifcfe be3 
alten (Sfjina. (Sine fteile, ^of>e Stabtmauer umfdjtteftt bic fdjmutjige, ftinfenbe Stabt mit 
ibren engen, bmtflen ©äffen. 3nt 2luguft 1904 oerltcfj ber i*erfaffer Sbangai, baS ibm eine 
SBorfdjuIe für ba8 Ski*ftänbnts öon 3apau getoefen. aller 3Jlnd)t würbe er au bie 
fd)icbte beS DftenB erinnert, weldje bie (Sntwidfielung 3<Uxin8 \)ki mebr beeinflu&t, al« wir in ber 
neueftcu 3eit in (Europa in bcr Wegel annebmen. $er gebilbete Japaner bangt mit feinem 
ganzen Stfrjen am d)inefifd)en Rittertum ; auf biefeS f übren bie toiebtigften SBur^eln feiner 
Multur guriief. £a8 näcbfte laugerfebnte 3iel toar für ben SSerfaffer Wagafafi unb ?)ofobama, 
wo er fid) erufter naturtoiffenfdiaftdcber Arbeit bingeben wollte. 2Ba8 er über bic erften 
in 3apan empfangenen (Sinbrücfe fdjreibt, ift bödjft iutereffant. Q-retlid) begeguete er bc= 
äüglicb ber für fetne naturtoiffenfdjaftlicbeu Arbeiten $i treffenben (§inricf)tung unb 9lu8= 
rüftung grofeeu Sdjtoierigfeiten, bie gunäcfjft übertDUuben toerbeu mu&ten. SSäljrenb feiner 
^Impefenbeit in ?Jofobaina traf bic 9cadjrid)t t>on bem 3iege bcr Japaner bei Ciootjang 
eiir, ber bie (Simuobner gnr S3orbcreitung_ bcr Siegesfeier in fieberhafte Unntbe öerfe^te. 
Xer ißöbel öon ?)ofobama unb Xofio befanb fieb tagelang in eiuem fortgefe^ten Siegel 



| 3 l * u ft*i* r t e Bibliographie. J3? 

! taumel. SCit bcr AuSfchmücfung ber(3tabt hatte fid^ jebermann beteiligt, unb fo boten bte 

Straften ein buntes, fd)ön gefdjmücfteS 2lu8fehen. (S. Abbilb.) $abei ^errf^te überaft 
Drbnung, alle 9Jlenfchen toareu IjarmtoS unb vergnügt. — (§8 folgen nun Säuberungen 
über einen SluSflug ins SHifujen unb an bie 33ud)t uou <3enbai, über ben 3btfent$alt bei 
japanifchen 3tfa)ern, in Slburatfubo, in ber (Sagamtbucht unb bie tu legerer auf bem ©e* 
biete ber iieffeefaima borgenommenen Arbeiten, 3n einem befonberen ausführlichen 
Kapitel be^anbelt ber SBerfaffer bie Xieffeefifcheret, fotoie bie föaffeftjpen, bie Stoma unb 
gfora auf ber §albinfel SJliura. 23aS ber &erfaffer über bie Xieffeefauna unb ihre ©r* 
forfdnmg erörtert, beaufprucht in f)ol)em Sftafje natimütfferrfdjaftlicbeS Qntcrcffc $)ie in 
ber Jgauptftabt £ofio t?om ^krfaffer gemalten eigenen :öeobachtungen, fotoie feine bortigen 
(Mebniffe hat er, mit fpegiellem Slugenmert auf baS neue 3apan, in entern befonberen 
Mapitel betrieben. (Sifenbahneu, baS ©rrafeenleben, bie Uuioerfität in Xofio, bie iapanifche 
Armee toerben in beu ftreis näherer ^Betrachtung gegogeu. 3u ben ftauptftratjeu £ofio8 




33crfcetjrsrei$c Strafe* in Zofeio. 
Bus: „Oftafienfafyrt". 93on Dr. 3rran3 Doflein. — Cnpflig unb Berlin, 8. <B- leubntr. 



hat ba$ (Strafeenteben laum noch einen Jgauch orieutalifchen ©eprägeS. Alles brängt unb 
haftet. (6. Abbilb.) Sftach einer öefpredjung ber Schuloerhältuiffe in 3apan folgt nod) 
bie SBefchreibung ber Steife in» ^wtonegebirge, femer ^Betrachtungen über 9tatur unb Sfttnft, 
über ben Abfd)ieb Don oapan mit einer ©eurteüimg ber bortigen Söeuölferung, fotoie über 
bie oon bort brohenbe gelbe ©efafjr. 2)ie Dtücffahrt oon 3apan ging über üftagafafi unb 
(Setrfon nad) ber europäifdjen fyimai. £en Aufenthalt in (Set)lon befchreibt ber Sßerfaffcr 
in ben Iefeten 5 Kapiteln, bie m etbnographifcher unb naturtoiffeufdjaftlicher Ziehung fchr 
fdjafebare Aufzeichnungen enthalten, (kx gähtt baS föochtanb oon (Setjldn gu ben fünften 
ßanbfc^aftSbilbeni ber ©rbe unb namentlich bie „(Sifenbabnfabrt oon ßolombo in bie 93erge 
hinein gehört gu ben gro&eu ©euüffen, toetdje beS SelttoanbererS harren." — $aS um= 
fangreiche 28erf (497 <5.) ift oorgüglid) auSgeftattet unb am (Schluß mit Anmerfungeu 
forme mit einem iHegifter öerfeheu. 33ei ber oortrefflidhen XarfteflungStoeife beS SBerfafferS, 
burch bie baS 3utereffe beS ßefers bis ginn <3d)lu& angeregt unb gefeffelt toirb, fei auf 
baS 2Serf hiermit befonberS aufmerffam gemadjt unb baSfelbe toarm empfohlen. K. 



Horb uttb 

^cufmüibiufctteit Des Surften $trto&una $u &olkit(ri)C'S<$il(tit0£?fivft 3m 

Auftrage beS ^ringen ^Uerauber m ^beitlolje^SdnttmgSfürft fcrauSgegeben bon 
ftriebrid) (SurtiuS. Stuttgart unb iieipsig, 2)eutfd)e BerlagS * Slnfrdt 2 Bbe. 
440 unb 565 @. 

ftürft (£f)fobtDtg ßol)eiüo&e pattc im 2Wär3 1901 ben JperauSgeber aufgeforbert, töu 
bei ber geplanten Bearbeitung feiner SKemotren gu unterftüfcen. ©ein $ob bereitete bie 
5luSfü&rung btcfcS planes, unb eS tourben nunmehr im Auftrag beS ^rinjen Söejanber, 
ber bie Beifügung über ben bäterlidjen Kadjlaö erhielt, bie ijinterlaffenen Sütfeeidntungcn, 
„fotoeit fie *ur Beröffentltd)itng geeignet finb, gemäö bem Sitten beS (Sntfcttfafenen* 
publiziert. ($S ift baS Koljmaterial für eine ^utobiograpfjie: tagebudjartige Widmungen, 
bie fett bem 3afjre 1806 in fortlaufenber Keif)e borliegen, Storrefponbenaen, 2lbfdjriftat 
unb ®on§epte oon Berichten, Keben, 3cttung8artifeln unb Briefen. Kur iunS bon tat« 
fädt)ltcf)en Kotigen für baS BerftcinbniS beS Gebotenen unentbe^rlid) fdjien, ift im Zt%t 
ober Koten fjittäitgefügt tuorben. 2lud) ein $erfoneirregtfter ift bem 2$erfe beigegeben, 

Sie Sfofaeiäntungen erftreefen fid) über bie 3eit oon 1836—1901. 2lnS ben 3<#ren 
ber Ket^Sfanalerfdlaft finb „aus unabtueisbaren Kücffidjten" nur toenige s 2luS3üge mitge* 
teilt; für bie früfjere 3ctt aber Ijaben ber Herausgeber unb fein Sluftraggeber nid)t geglaubt, 
trgenbtoeldje Kürfftdjten bei ber SluStoaljl beS gur Beröfcntlidumg ©eeigneten nehmen ju 
muffen. 2)te ftarfe SnbiSfretion, bie in ber s $ubli!atü)n ber 2luf3eidumngen aus ben 
3af)ren 1888—94 liegt, Ijat mit Kettet giemlio) einftimmig bie frfjarffte Verurteilung ge= 
funben. (§S toar in ^reufeen unb 2>eutfd)lanb bisher in ber £at nicr)t übliaj, bie üer= 
rraulidjften ©efprädje mit bem regierenben 3Jtonard)en in foldjer SSeife gu öeröffentlidjen, 
unb es ift bringenb gu tuimfa^en, ba& bie Sßublifation in biefer Begiefjmtg nidjt 8djule 
madjeu toirb. 

311S #ftorifdje Ouclle finb bie Senrbürbigfeiten uatürlid) bom gröftten Sert, ba 
fie burdtfoeg gleid^eitige STufseidmungen unb Slftenftücfe enthalten. 2>enuod) ift ber SSert 
ber eingelnen Sßartieen naturgemä& ein fefjr berfdjtebener. Bofjl am nridjtigften ftnb bie 
^Materialien aus ber (Spodje beS baurifdjen 3ftinifteriumS (1867—1870), tDäfntnb bie 
Stufjcidjnungen ber fpäteren 3ctt bod) bielfad) ftlatfd) enthalten. Ktd)t gum toemgftcn 
gilt baS für mandje &uf$eid)nungen, bie ben fyürften BiSma?tf betreffen, freilief) finb 
autf) biefe Sßartieen infofent bon einem getuiffen 23ert, als fie ben foloffalen Kibeauunter* 
fdn'eb 3toifd)en BiSmartf unb ben dii minoruni gentium anzeigen. 

gür bie Beurteilung ber *ßerfönlid)!eit öofjenloljeS . ioirb man gerabe bei biefen 
$artieen nid)t 'au6er ad)t Iaffen bürfen, baß er otelfad) bloß ©ebörteS nieberfd)reibt, oftuc 
felbft bap Stellung gu nehmen, unb baß er felbft üieleS jebenfallS bon ber Beroffcnt« 
lia^ung ausgenommen fyaben toürbe. 

©ne auSfüf)rlia}ere SSürbigung beS SBerfeS unb beS 3)himeS behalten toir uns für 
fpäter bor. Ernst Salzer. 



3iMiograpfji 

Sunt $diuiitaitett ,$um Oefffduont 

s Jieifebilber bon SBaul £inbenberg. 

Berlin, falb. 2)ümmler. 
(SS finb bortrefflid)e Keifebilber, bie ber 
Berfaffer in ber ihm eigenen genxmbten unb 
anstebenben @d)reibtoeife bem fiefer borfüfirt. 
Sie Keife gef)t teils gu SSaffer, teils gu 
£anb, bon ber SDnauquelle guttädjft bis 
SBien, aisbann über (Serbien nad) bem 
(Suropäifdjen SSetterioinfel, nadj ©alonifi, 
23obena, SKonaftir, über ftonftantinopel nad) 
Äleinafien unb guriief burdj Bulgarien unb 
Serbien nad) Kumänien, loo bie Keife ab* 
fdjlicfet. Ueberatt f^ilbert ber Berfaffer in 
ijödjft anfpred)enber SSctfc fianb unb fieute 



fd)c Tlotitftx. 

imb berfnüpft hiermit infolge feiner Be= 
fanntfdjaft in ^odjfte^enben Steifen aueft 
intereffante Kefle^ionen auf politifdjem (ge- 
biet. K. 

Äamcvuncv Vatiatiett. Bon ($b erwarb 
oon Sa)fopp. Berlin, Sinfelmamt 
unb 6bl)ne. 

S)er bereits burdj feine w }»lamenmer 
Sfi^en* befannt geworbene Berfaffer liefert 
in bem borliegenben Buc^e gleid)fam eine 
??ortfefeung unb (Srgämung ber in ben 
Sftföen niebergelegten ©diilberungen über 
baS £eben unb Xreiben in unferen toeft* 
afrifanifa^en Kolonien. @S Rubelt fid) babei 



Bibliograph 

nid)t um tt)iffenfd)aftlid)e Erörterungen, 
fonberu um (SrgäMungen üou (Srlebniffen, 
bie bcr Serfaffer ht angiefteuber SBeife gu 
fdjtlbern öerfte&t. öefonberS ift baS lefcte 
Stapttel: „im ßanbe bcr Söafofo" als inter* 
cffant öeroorgubeben, ba bcr ÜBerfaffer längere 
3eit als Kaufmann in biefem Sftegerftamme 
gugebradjt fjat. 28ie bic öorgenannten 
„Gfätitn", toerben aud) bic „Bananen* bem 
SSerfaffer fidjerlid) öiele Sreunbe gufübren. 

K. 

Meuefte Vvmee-StntcUittta. «ottftänbige 
Ueberfidbt uitb UnterfunftSlifte beS ge= 
famten beutfd)en 9teid)Sf)ecrcS, bcr .taiter* 
lidien 2)torine unb beS oftafiatifeben 
2>etadjements nebft Angabe bcr ßfjefs 
unb Siommanbeure, bcr öegirfsfomman* 
boS tt. f. to. — 208 Slnbang: eine 
^untbrucftafel unb bie SfriegSartifel für 
baS §ccr. — ^Bearbeitet naefc amrlidjeu 
Ouellen. — 157. StufCaqc nad) bem 
(Staube öom 1. Slprit 1906. — SBerlin, 
(Sdjröber. 

Sebent, bcr mit bem Speere in aeidjäft* 
lieber SÖegiebung ftefjt ober fieb für bie Slrmee 
tntcreffiert, ift 91er ein toertoolleS !iftacr)fa)lage* 
büdtfein geliefert, ba» bei feiner lleberfid)t= 
Iidjfeit beS 3nijalS beftenS empfohlen fei. 

K. 

VruMcra bei ßftettftfivtiafeit 

(£tne red)t8gefdrid)tlid)e unb genealogifdje 
(Stubie bon Dr. jur. Otto JJreiberr 
oon hungern. 3ftünd)eu unb Seidig, 
fR. $iper & (So. 
©eftüfct auf grimblidje Sad)fenntniS unb 
frei öon jebem Vorurteil (teilt bcr Verfaffer 
bcr öorliegenben (Schrift bic ©ntioicfelung 
ber (ibenbürtigfeit in $eutfdjfanb bar, ,,0011 
bcr 3*it an, too Tie als föedjt in baS £eben 
beS gangen Golfes eingriff, bis fjeute, 100 
fie baS $rfoileg toeniger gamilien ift". 2ln 
bcr £anb bcr ©rgebmffe bcr neueftcu ®e* 
f4tt6töforf4ungunbumfaffcnber genealogifdjer 
€>tubien tt>cift er übergeugenb nad), bafc eS 
tu $eutfd)laub in ältcften 3citcu ein bc- 
ftimmteS @cu)obnbeit8reä)t gegeben bat, baS 
bic ©benbihrtigfeitsfrage gang affgemein 
regelte. £>ann f)at fieft baS ©eltungSgebiet 
biefcS ©efefeeS allmäljlidj oerringert, nid)t 
TäumTtd), fonbern burd) Verringerung beS 
^rfonenfreifeS, für ben es galt. (Shtblid) ift 
cS buref) bie SßragiS immer häufiger bura> 
brocken toorben. 9ttit bcr Vcrfdjiebung bcr 
3Wad&tocrWItniffc, mit bem SSadrfen beS 
bemofratifdjen (£mpfinbcnS Ijat es enblitf) 
feine Mgcmetngültigfeit fclbft für ben 511= 
famrnengefdjmolgenen ftreis, für ben es galt, 
ocrlorcn unb befteftt fteute nur nod) als 



fdje Hoti3eu. 139 

©auSgefefe einzelner Simulien.. 3)ie ©fcs 
befeftränfungen, benen bic männlidjcn WliU 
glieber ber metften Familien be8 beutigen 
2tbefö in QinW auf bic fterfunft t^rer 
©emaölinneu untertoorfeu fmb, beruften inbeS 
auf ganj oerfa^iebeuartigen, öielfad) infon« 
fequenten unb ftnnlofcn £>au8gefefcen. 3)ic 
moberne $ßraEiS ftat fid) loicbcrftolt felbft 
über bic libcralften derartigen ©bcnbürtigfeitS* 
forberungen ftiniücggcfcöt, fo bafe biefe £)au2s 
gefe^e nid)t meftr als ein logifeft befriebigenber 
S^icbcrfdjlag bcS tatfäd^licften 9iea)tc8 er* 
fdjeinen fönuen. 3McfcS Ergebnis ber Unter* 
iudutngeu beS Srftni. öon hungern ftimmt 
burc^auS mit ben Mi anberen SorWcrn 
feftgeftettten Xatfarfien übercin, bie borliegeubc 
Sdirift fjat aber ben SSor^ug, baß fie baS 
toeit jcrflrcutc SJlaterial in einer einfteitlicfteu 
Söctraa^tung gufammeufafet unb bie ©ben« 
bürtigfeitsfrage auf ®nmb eigener (Stubien 
m einer abfdiliefjenbeu fiöfung bringt. @S 
ift eine gdjrift, an ber tatfäcftlia) bie ftrttif 
iud)ts auSgufe^cn finbeu iuirb. O. K. 

^ad 3vauettlnailre(6t $ou @Iifa 
3cftcnftäufer. öcrUn W 35, «erlag 
Don ^arl Xunfer. 

(Sine ber eifrigften unb begeiftertften 
unter ben rabifaieu «ertreterimten ber 
ft-rauenbeiDegung, bie bereits mit einer Reifte 
fcftr beaa^tcnSmerter @d)riftcn über bie 
©tetaiftellung Oer grauen, tnSbcfoubcre auf 
politifdjem ©ebiete beroorgetreten ift, oerlangt 
mit ber gangen $raft unb SSärme iftrer 
Überzeugung in bem oor uns Iiegcnben 
Jöüc^ciu für bie beutfdjen grauen uncin» 
gefdjränftcS SSaWrcdjt. 8elbft biejenigen 
grauen, bie ben otanbpunft ber «erfafferin 
uid)t teilen, müffeu iftr oollftc STnerfenuung 
für bie .^Iarbeit, mit bcr fie iftre Plnficfttcn 
enttoicfelt, sotten. R. N. 

&einvi$ ftetne. Seht fiebeu, fein ©ftarafter 
unb feine SScrfe. «on ©eturtef) Leiter. 
2." Auflage. S)nrdjgcfcftcn oon Dr. 3(nton 
2of)t. min, 3. S3ad)em. 
^a6 bic Slbfjanblung bereits in gtoeitcr 
Auflage oorliegt, fpridit febon gu iftren 
©unftcu, toenu man bebenft, ba& fold)c 
©ingelf4riftcn im allgemeinen leiber nur in 
3?ad)freifen Sntcrcffc crioecfcn, nniftrenb fj^ 
baS gro^c $ublüum meiftcnS mit ben ^io* 
grapsen begnügt, bic bcr Herausgeber ben 
„äßerfen" Dorauffitrft. ^)ie oorlicgenbe Stb* 
fjanbliutg üerbteut bic tociteftc Verbreitung: 
ber «erfaffer bat eiugcbenbc ^tubien gemadit 
unb bic neueftcu 6d)riftcn ber ?yad)ltteratur 
fterangegogen. (5S ift nidjt leidjt, bei einer 
fo umftrittenen $crfönlid)fcit loie ^tinc oöllig 
sine ira et studio gu fdjreiben; maud)eS, 



\V) Horb 

iua8 er gefdjaffen hat, ift unftrettig berarr, 
bafc cS mehr nach Vorliebe ober 2Ömeigung, 
als nach ftreug fünftlerifchen ©runbfäfcen 
beurteilt »erben fann; man toirb ihm öfters 
in ber Sache redt)t, in ber fjorm unrecht 
geben, anbererfeits bie gform betounbern, 
aber ben ©egenftanb ablehnen, ftier hat es 
nun ber SBerfaffer berftanben, in burdbauS 
ruhiger, bornehmer unb fachlicher Seife ohne 
jebe fdjarfe Üßolemif eine ©renge §u finben, 
bte ©egner tote greunbe ©eine», toemt fic 
fte auch nicht immer als richtig anerfemten, 
iebenfallS aber beachten muffen. Referent 
'gehört nicht gu ben ©egnern feines uub 
toünfcht, bafe feine ©Triften ftcb in ieber 
&au8bibliotbef borfänben, baneben aber auch 
unbebingt bie borliegenbe ©iocjrapbie beS 
Richters bon Slnton 2ohr. H. Sch. 

JNeift itti* Ute «mttanttf. Eon ©ruft 
^at)fa. (3prfd)ungen gur neueren 
itfteraturgefchicbte. herausgegeben oon 
Dr. ftranä Sfluncfer. Jöanb XXXL) 
Berlin, ^leranber 2)uucfer. 
Qu ben $)id}teru, an benen bie*9)Httoelt 
Siemlicb gleichgültig ober ablebnenb borüber= 
ging unb bie erft unfere M toürbigen 
beginnt, gehört ©einriß bon Ktlcift. ©ine 
flanae SReihe bon ©Triften ift in ben legten 
■Sohren erfdneuen, bie ben Siebter dou ben 
berfchiebenften ©eficbtSpunften betrachten, 
teils im 3ufammenhauge einer beftimmten 
literarifchen Dichtung, teils im befonberen, 
wie a. 23. Sftahmer oom pf^dt)opatr)ifrf)cn 
Stanbpunfte aus. 2)aS borliegenbe 33uch 
bon ©ruft ftatjfa fudftt bie fjfraflc 311 löfeu, 
loeWjen ^lafc bon SHeift in ber Vornan« 
tif einnimmt $>er SScrfaffcr gebt bei feiner 
ilnterfucfjung mit f eltener Cbjeftibität bor; 
er begnügt fich nicht bamit, ben dichter 
nur aus feinen SBerfen ju beurteilen, fon= 
bem gebt feiner ©nttoieflung nach, befprtebt 
feineu SSerfehr mit ben beiben Schlegel, 
Xiecf, bem „romantifchen" ftaturforfchcr 
©. «Schubert, bem „romantifeben" 9Mer 
&artinarot, Slbam 3)lüller, bem 9Jtttrebafteur 
beS „^böbuS" u. a. $ann gibt er uns 
«in auf toiffenfehaftlicher ©mnblage be= 
ruhenbeS Sftlb bon beS Richters 2Belt= unb 
ftunftanfehauung, fafet bann feinen ©harafter, 
SebenSlauf unb £ob gufammen mib ge* 
langt am ©nbe &u bem (Ergebnis, bafc man 
Stfeift ben Sttomantifern nicht äugefcllen 
barf. — $aS 23u4 baS ber SSerf. feljr 
betreiben als einen „Serfuch" beseidjncr, 
oerbiente toofjl eine eingefjenbere SSirrbt* 
tjunci, als an biefer (Stelle möglich ift. ©S 
fei jebem SBerefjrer ftleifts gum SBerftänbniS 
beS Sftenfchen unb Richters angelegentlich 
empfohlen. H. Sch. 



Siib. 



8a\U\\b<t$&. ©ine fitere ©efehiebte aus 
Berlin W. $on Robert 3)Hfcb. 
6. Xaufeub mit afifofttarionen b. Balter 
©aSpari. — Berlin, „©armonie", SBer* 
lagSgefellfchaft für Literatur unb Äunft. 
3)ie übertoältigenbe ftomtf, burch bie 
einftenS StinbeS erfte iöuchholjiaben fo 
grofee Triumphe feierten, ift 2ftifch allerbiijgs 
nicht in gleichem 9Jlafee ju eigen ; bafür ent^ 
fchäbigt er burch ben frrafferen 3Mfammen* 
hang unb einheitlicheren Aufbau feiner @e* 
fchichte, fotoie burch bie fjülle trefflich unb 
amüfant gefchilberter ©cftalten. £rofc aller 
humoriftifchen Öergrö6erung unb Vergrabe* 
ntng ihrer Eigenheiten ftnb fic boch nicht 
gu 3^ilbern getoorben, fonbem ftehen als 
lebenSooUe &)pen aus bem berliner 8ütger= 
turne öor bem fiefer: nd»en bem ftarf 
braftifchen ©eighalfe Mtenbach fdbft oor 
allem bie föftlich uub fein gezeichnete gipr 
ber Xante ©harlotte, bis hinab gu bem nur 
epifobenfjaft anftretenben, aber nahmoahren 
©injShrigen $Lfy{tT%. Qtx @ang ber £ani>= 
lung ift ein burchauS logifcher unb fpannen» 
ber. ©ine größere ©umorcSfe mit all biefen 
^orgügen gahlt h^«t mehr beim Je gu ben 
Seltenheiten unb röirb oon jebem, ber aus 
ben Sorgen beS OTtagS Slufhetterung uub 
©rholung nicht bei bizarren Stunlorigfeiten, 
fonbem bei einem gebiegenen SBerfe fucht, 
freubig begrübt toerben. Unb bie ^iibfcf>c 
HuSftattung unb bie ergöfclichen 3ttuftra= 
tionen laffen baSSÖuchalS ein ebenfo originelles 
toie überall gern toillrommeneS ^eftgefchenf 
erfcheinen. S. B. 

^olntfchc (^cfchtAteit. »01t £eopolb 
bon Sacher sSÖiaf och. 2. 2luffage. 
S3reSlau, Schleftfche SkrlagSanftalt 0. 
S. Schottlaenber. 

Sacher-aWafoch ift m ßebgeiten toie nach 
feinem Xobe oid gelobt, aber auch t)iel an» 
gefetnbet loorben; in bem uns in gtociter 
Sluflage porliwenben öanbe, ber elf C^r« 
gdhlungen enthält, finben toir alle feine 
SBorgüge ohne {eine geh^r. 5luf gumeift 
hiftorifchem §intergrunbe fchilbert er in an* 
fchaulichfter SSeife baS fieben, ©mpfinben 
unb ^anbeln ber farmatifchen ^Raffe, unb 
toir folgen ihm gern, ob er uns an ben 
MönigShof ober in baS fiager bä: w toilbat 
grauen" führt, um fo mehr, als feine fonft 
ettoaS fchlüpferige $lrt in biefen ©rgithlungen 
gang bermieben ift. R. N. 

Sud 8foff<iviism cittcS WcnMcit. (©in 
SSermächtniS.) Son Dagobert bon ©er= 
harbt 5lmt)ntor. ßeiftig, 2Mther 
ffiebler. 



Öibliograpliifcfje XTo^en. 



„Der (Strom ber 3eit führt ®o!b mit 
ftd). SSafcbe bir au« ben SRiebcrfcblägen 
biefeS Stromes täglich ein loingigeS ©ölte 
förndjeu au«, imb bu hrirft mählich reich 
toerben an feelifeben (Sd&dfeen.^ tiefer gute 
9iat, ben uns 3). ü. ©. 51. auf 6. 19 
feines SöucbeS gibt, ift üon ihm felbft befolgt 
toorben. Das ©loffarium ift ein ebleS, 
tDertüolleS SkrmäcbtniS beS fünfunbftebgig- 
iäbrtgen Dichters. (58 enthalt lautere, in 
lemgiäbriger (Erfahrung gereifte unb erprobte 
ßtbenStoeiSheit, bereu (&ban!enreicbtum, 
frei üon Dalmigblb, üon jeber fatfdjen, er* 
quälten (Mtreicbdei ift. 3- „Bir 
grübeln gu üiel unb lachen 51t toenig, meil 
urir nach SSeiSbeit ftreben. föchte 2Sciör)eit 
crftkft uitfruebtbareS ©rübeln unb gebt 
lacbenb bureb ßeben unb (Sterben." „Der 
Stngelpunft aller politifeben 93etoegungen ift 
baS 9Rem unb Dein; ber 5lngelpunft ber 
Pbilofopbifcben: Schein unb Sein." „Die 
cdjtc liebenbe grau ioftt fieb felbft opfern, 
bie unechte \mä, ba& fieb anbere für fie 
opfern." „SBittft bu jemanbeS formale 
(shrgiebung fennen lernen, fo ife mit ihm; 
toifift bu fein Xemperament fennen lernen, 
fo trinf mit ihm; feinen ©harafter, fo fpiele 
mit ihm um ©elb; feine geiftige S3tlbung, 
fo bisputiere mit ihm." N. 
Ocrbft- Scbaufptel üon (Srnft $008. 
^Berlin, „jQarmonie", 3krlag8gefeflfc^aft 
für ßiteratur unb ftunft. 

(Sin (£inafter, mit Sßoefie unb Stimmung 
für fünf 2lfte. ßeiber auch mit foüiel 
feanblung. Das itimmt bem Drama feine 
SSirfnngSfraft unb bürfte ihm bie 93ühne 
üerfd)Iief$eit. &ber eS ift triebt bie Aufgabe 
beS ftrttiferS, gu prophezeien. @r bat baS 
$kd)t, gu fonftattereu, gu analnfieren. Unb 
ba mufe gefagt fein: SSirft ber Anfang h>abr 
unb ergreifenb, iuerat ber ftedjtSantiwIt ©raun 
fagt: „3cb mag jene grauen nicht, bie im 
Hlter gu mir paffen toürben, ich bin nicht 
mübe genug für fie . . . fte reiben uns 
bie $änbe über bie ßeidje ihrer Vergangen* 
heit" . . . finb bie ©eftalteu ber ßitti unb 
beS $rof. färaft gut unb gefunb gefeben, fo 
toirft ber Sohn utobert unb feine Butter 
(£Ife ettwS fdicmenbaft; man begreift faum 
ben Sd)lu&: „Deine Sinne loerben nimmer 
blühen . . . aber bie Siebe, bie über bie 
Sinne unb über ben 3nftiitft gebt." 

Schabe um bie Cfcntoricfelung, bie bem 
Dichter aus ben i&änben geglitten ift. (Sr 
üerftebt fünftlerifcb gu formen unb biebterifeb 
gu gcftalten. SSer baS 2htcb Heft, toirb 
fieb freuen, toirb geniefcen, auch toenn er 
ihm bie SSirfungSfraft als Drama toirb 
abfpreeben muffen. A. Haibert. 



Scivfcett. SReue ©ebio^te üon 2to geller. 

— Berlin W. ^i&armonie' 1 , S3erlag&= 
gefeHfcbaft für ßiteratur unb Shtnft. 

2. hat bereits burd) feine w 35olfö* 
lieber" betoiefen, ba& er loie 2(mo §013 
benft: „Die Sßoefie ift feine Sgfü&e, fie 
brennt niebt tüte ein ßampenboebt, unb nia^ts 
gilt uns ein £opf üoll ©rü<je, toenn fie 
baS §erg nidht toeid) gefodit." ®r gebort 
loeber gu ben tiefen, müben ©efüblsftammlern 
noeb gu ben fpfytti, e^entrifdjen Strttften* 
lürifern; er liebt baS (£infad)e, ,^lare, ©e= 
funbe, ©emütüotte. Seine ®ebtcr)te toirfen, 
toie alles SSa^re unb SBarmhergige, befreienb. 
3n wenigen h»hlfltngenben Herfen entrollen 
fie ein beitereS ober ernfteS ßcbenSbilb. 
3. ®S ift fo ftüX Der ^ianift. 3n 
(Stoigfeit §lmen. SolfSlieb. fcätt' bie grau 
9)hitter . . . 2So \<b mein &erg üergeffen. 
«Warie. 3m »olfSton. N. 

Sem Weere m. ^aa^gelaffene ©ebidjte 
üon ©ruft SAerenberg. 3JHt einem 
»ilbniS beS DidjterS. ©Iberfelb, 21. 
3Jlartini u. ©rüttefien. 
Die $hiter(affenfd)aft beS befamiten 
patriotifdjen ©Iberfelber Sßoeten ift uiebt 
gro&, reibt ftd) aber feinen früheren toarm- 
bergigen Dichtungen toürbtg aiu Der 
$itel unb bie 3ufantmenftellung rübren üon 
& Scb. felbft ^r. (Sr beabfiebtigte, bie 
Sammlung in loenigen Sabren gu üer- 
mebren, tourbe jeboeb bureb ben Dob an ber 
SluSfübrung biefeS planes gelnnbert. Das 
in bie brei Slbfdjnitte: Stimmungen — 33er= 
mifebte (Sebidjte — 3eitgebicbte geteilte öücb= 
lein entpt baber nicbtS 9?linbertoertigeS, 
fonbern nur, toag ber 2(utor lüftete unb für 
lüürbig eraebtete. N. 

3RuftfaIii*cv 6aud- nuü 8rd»iilien- 
ttfmatta« für baö 3abr 1907. 

(§armonie*ftalenber7. 3ohraanfl). 

— Berlin, „iparraome'', SBerlagSgefeUfcbaft 
für ßiteratur unb ^unft. 

Der üorliegeube Scibrgang beS befannten 
unb beliebten ftalenberS ift in ftarf üer* 
größertem gormate erfebienen; er ift teiaV 
baltiger, eleganter unb intereffanter als je. 
t&ox allem fällt bie prächtige unb reiche 
3lluftrierung ins 2luge, bie mehr als 
75 Porträts, 50 8fo)ttenbilber, ca. 30 Sgenen* 
aufnabmen aus mobemen Opern unb Dpe= 
retten K. bietet 5lu* bie 5lrtifel felbft 
finb geeignet, nicht nur mufifalifcbe, fonbern 
bie tüeiteften Greife gu intereffteren ; eS feien 
nur folgenbe ermähnt: Stöbert Schumann 
unb baS Dheater; Das Schloft ber 5lbelina 
$attt; Sticharb Strauß* Salome; Die 
ftinbergett ßorfeingS; öttoaS über neue 



H2 



Horb uno 5 üb. 



Operetten; SRojart. gSemttmr luxf) fjutgu* 
fügen, ba& ber. UnlerfjaltwtflSteil eine län> 
gere mufifalifd&c 9boette „£tc SBenuä öon 
Olim" au« ber fteber (Sntft üon SBoIsogen» 
enthält, fo bürfte ber öotte öetoeiS erbrad&t 
fein, baft ber £armome=föaleitber e8 in 
^rDorraflenbem SDto&e üerbtent, öott alten 
inufif* tmb tfjeaterltebeubeit Familien be* 
fonberö berikrTt<6ttgt au tocrben. y, 
Xaö grofte gBeteVaituvama ber Sfteifeu, 
2lbenteuer, SSimber, ©ntbecfungen unb 
üulturtaten in SSort unb 53tlb. (Stu 
3al)rbuc5 für atte ©ebilbeten. VL Safjr* 
gang. 1907. — Söerliit unb Stuttgart, 
2S. 6t>emamt. 

$er neue 3afwit£ biefeS SSerfeS, baS 
als prddjtige unb mifcücfje ©abe ftxgieff für 
bte reifere Sugenb fidfj fdym toeite 5(ner= 
fennung ertoorben bat, übertrifft an Sfteicfc 
^attigfeit unb 2Sert bcr einzelnen ^Beiträge 
nod) bie früheren ©änbe. 8elbft bie metjr 
nobeHiftifdj gehaltenen ©r^^lungen — Slben* 
teuer« unb $eifegefd)i(fjten unb bergl. — 
geben eine ftüHe be8 ^elc^renben unb 
SBiffcitötocrtcii, toie benu überhaupt bie Sd)ilbe* 
rungett üon £anb unb ßeuten ber öerfdjie* 
benften örbaegenben einen gro§cu Xeil beS 
3ul)olte8 bilben. hieran fd)üe&en ftd) 
naturtmffenfdpftticfa $(rtifel unb, beutjutage 
öon gansj befonberem 3ntereffe, (old)e über 
bie Sortfdjritte iu SSiffenf^aft unb Xedjmf, 
tote „$ie neueften 9iorb* unb (Süfywlar* 
egpebttümen" Don Dr. ©. $iercfö, „$>te 
(frtttokfeltmg ber ßofomottoe", „$ie (£nt* 



tüirfelung be8 lenf6aren &uftfd)tffeS\ ©djmt 
biefe fur^e 5(nbeutung be« 3n&alte8 bürfte 
genügen, um gu geigett, Daß baS SBud) eine 
auch für beu (^rnxüöfcnen geeignete ßeftürc 
%u getwüjren öermag. S. B. 

ttoettelt tut* 3ogaeli. Abenteuer iu ben: 
3cftt»eiaerbergen. S3on 3* na SSaffi* 
tteto. — *rei8 3 üttf. — Söern, 
<yrancfe. 

2Sie in ber gefamten Literatur mad)t 
fid) aud) auf bem Öebiete ber Sugenbfdfjrtften 
eine immer gefteigertere ^robuftüm geltenb. 
$a& fi<6 banmter üieleS 9JHnbertoertige be» 
finbet, barf nirfit uwnbenteljmen. Unter 
ben lüirüicb &übfä)eu unb banfei&toerten 9&u* 
erfdjemungeu ber Testen sjett aber treffen 
toir auf ein ftxfrft originelle», prächtige» 
Söilberbucf): „Skeneli unb 3oflB*ft" tom 3wa 
SSafplietü. (S8 föübert in furjen öerSc^en 
unb iu launiger SSetfe bie (MebnijTe ber 
beiben Keinen ©efdjtotfter Srcnelt unb 
Soggeli auf ihrer ^penfaljrt, mit äffen 
JJreubeu unb ßeiben, Keinen unb grofeen 
©efahren, bie ^rfoachfenen eine toirtüdje 
©ebirgSreife mit fidj bringt, fogar mit einem 
oeritablen, bodfj glikflich üerlaufenben Stöfturj 
beim öbelioeiftfuchen. 2)ie Silber ftnb 
fünftlerifch^gefchmacfooll ausgeführt, h^mo* 
riftifch unb bem finblichen @eifte trefflich 
aitgepafet. Unfere kleinen ioerben an bem 
Suche ihre rechte Jyreube haben, bie Silber 
immer unb immer toieber betrachten unb 
bie nieblichen, leicht fa&lichen föeime balb 
auStoenbig toiffen. S. B. 



Übersicht der wichtigsten Zeitsehriften-Anf Sätze. 



„AsthetiBoha Weltanachanang** und JEx- 
siehong* durch die Kunst . Von Theo- 
dor Lipps. Deutschland V, 1 (Oktober 1906). 

Amerikas Sturm- und Uraneperiode, 
Aua. Von Beda Prilipp. Preußische Jahr- 
bücher 126. 2 (Noreinber 1906). 

(Antike Philosophie.) — Das treibende 
Prinzip in der Bntwiokelung der 
antiken Philosophie und Beligion. 
Von Prof. Dr. Arthur Drews. Preusslsche 
Jahrbücher 126, 2 (November 1906). 

Bayreuth und die religiöse Entwioke- 
lun? unserer Zeit. Von Tina Pfeiffer- 
Raimund. Das Blaubuch J, 44 (8. November 
1906). 

Belgische Bildhauer der Gegenwart. 

Von Paul Schumann. Die Kunst VIII, 2 

(November 1906). 
Bernstorfls, Die. Die Grenzboten 65, 44 

(1. November 1906). 
Brahms und das Volkslied. Von Dr. von 

Graevenltz. Deutsche Rundschau 33, 2 

(November 1906). 
Britischen Inseln und die Briten, Die. 

Von Prof. Dr. Alfred Kirchhoff. Deutsche 

Rundschau für Geographie und Statistik. 
. 29, 1 u. 2 (Oktober u. November 1906). 



Dehxnel, Richard. Von Gustav Landauer. 
Das Blaubuch I, 43 (1. November 1906). 

Francesco da Bant' Agata. Von Wilhelm 
Bode. Kunst und Künstler V, 2 (Novem- 
ber 1906). 

Friede von Altranstadt, Der. Von Konrad 

Sturmhoefel. 1. Die Grentboten 65, 47 

(22. November 1906). 
Oanghorer, Ludwig. Von Karl Fuchs. 

Deutschland V, l (Oktober 1906). 
Goethes Kindergestalten. Von Augost 

Hackemann. (Teil II). Deutschland IV, 12 

(8eptember 1906). 
Heyse, Paul, und Italien. Von Victor Klem- 

perer. Bühne und Welt IX, 4 (November 

1906). 

Huysmanns, J.-K. Von Fiiedrich v. Oppeln- 
Bronikowski. Aus fremden Zungen XVI 
(1906), 19. 

Keyserling, Graf Eduard. Von Kurt 
Martens. Das literarische Echo. IX, 5 
(Dezember 1906). 

König Wilhelm und Biamarok in 
Gastein 1863. Ein neuer Beitrag zur 
Kritik der „Gedanken und Erinnerungen". 
Von Max Lenz. Deutsche Rundschau 33, 2 
(November IMG). 



• 8i6(tograplt{fdte Roheit. 



Konzertkunst. . Von A. Jaumann. Deutsch- 
laad V, }J (November 190«). 

Kultur- und Sittenbild auB dem 18. Jahr- 
hundert, Ein. Von Ernst Consent ins. 
Deutschland V, 2 (November 1906). 

Levertia, Oeoar. Von Marie Franzos. Das 
Blaubuch I, 45 (15. November 1906). 

Ifaria Stuart. Die Katastrophe und die 
Kassetten brlefe, 1566— 156a Von Lady 
Blrnnerhassett. IV. Deutsche Rundschau 
H3. 2 (November 1936). 

Meuniers religiöse Bildwerke. Von Georg 
Treu. Kunst wart 20, 3 November 1906). 

Mittelalterliohen Drama, Vom. Von Prof. 
W. Wetz. Preusslsche Jahrbücher 126, 2 
(November 1916). 

Mitterwurser, Friedrich. Von Anton Lindner. 
Bahne unl Welt IX, 1 (Oktober 19%). 

Munthe, Gerhard, und seine Arbeit für 
die künstle riaohe Kultur Norwegens. 
Von Andreas Aubert. Die Kunst VIII 2 
(November 1906). 

Das neunsehnte Jahrhundert im 8piegel 
der klassischen Dichtung des acht- 
zehnten. Von Bernhard Supban. Deutsche 
Rundschau 38, 2 (November 19J6). 

Oper der bebenden, Die. Von Wilhelm 
Kleefeld. IV. Französische Neu-Roinantlk. 
Bühne und Welt. IX, 4 November 1936). 

(Papst Gregor VIL) — Die Niederlage 
Papst Gregors VIL in Canossa, ihre 



Ursachen und Folgen. Essay von Karl 
Bruno Halse. Deutschland V, 2 (Nov. 1906). 

Personenselbstfahrer in militärischer 
Benutzung. Von W. Stavenhagen. Die 
militärische Welt. II, 7 (Oktober 1906). 

Plotin und Hegel. Von A. Döring. Preussl- 
sche Jahrbücher 126, 2 (November 1906). 

Benaissanoe der Marionette, Die. Von 
Paul Legband. Das literarische Echo. IX 
4 (November 1906). 

Rossetti, Dante Gabriel. Von OttoL. Jirlczek. 
Hochland IV, 2 (November 1906). 

Sohiessen aus Kttstenbatterien gegen 
Kriegsschiffe, Über das. Von W. 
Stavenhagen. Mitteilungen über Gegenstände 
des Artillerie- u. Genlewesens. 1906,10. 

Schiller, Charlotte von. Von Amanda Sonnen- 
fels. (Fortsetzung.) Magazin fllr Literatur 
des In- u. Auslandes 77, 1 (Oktober 1906). 

Sohumann, Robert, und Richard Wagner. 
Von Kurt Mey. Bühne und Welt. IX, 1 
(Oktober 190G). 

Stadtebilder aus dem Nordwesten von 
Nordamerika. Auf Grund eigener Reisen 
von Prof. Dr. A. Oppei. Deutsche Rundschau 
für Geographie und Statistik. 29, 3 (Dez. 1906). 

Traum und Kunst. Von Arthur Bonus. 
Kunstwart -20, 4 (November 1900). 

van de Velde, Henry. Von Karl Schettler. 
Kunst und Künstler V, 2 (November 1906). 

Weimar und Jena. Von Karl Lamprecht. 
Kunst wart 20, 3 (November 1906). 



Eingegangene Bücher. Besprechung nach 

Aus Natur und Geisteswelt Sammlung 
wissenschaftlich - gemeinverständlicher Dar- 
stellungen. Bändchen 87 und 118. Leipzig, 
B. G. TVubner. 

Bertsch, Hugo, Bilderbogen aus meinem Leben. 
Stuttgart, J. O. Coltasche Buchhdlg. Nachf. 

Bjoernson, Ityoernstyerne, Mary. Roman. 
Einzige berecntlgte Übersetzung aus dem 
Norwegischen von Cläre Greverus-Mjoen. 
München, Albert Langen. 

Boden, Friedrich, Über Moral und Religion 
vom 8landpunkt der Geschichte und der 
Kunst. Ein Beitrag zur Philosophie der 
Persönlichkeit. Hamburg, Otto Meissners 
Verlag. 

Boelioke, Walter, Über Freiheit und Liebe, 
Freude und Freundschaft. Zwei Essays. 
Berlin, Modernes Verlagsbureau, Curt Wigand. 

Bölsehe, Wilhelm, Was ist die Natur? Ber- 
lin, Geoiv Bondi. 

Bötfoher, Karl, Drei menschliche Tragikomö- 
dien. Einakterzyklus. Wegen Pi-essvergehen. 
— Dämonen. — Die berühmte Tragödie. 
Lelpzig-Ptötteiitz, Max Zieger. 

Brand, Karl, Festungs-Jeremlad^n eines ehe- 
maligen Feuerwerkers. Gedichte. Ober- 
hausen (Rhld ), Karl Brand. 

Brandes, Georg, Erinnerungen. Kindheit und 
Jugend München, Albert Langen. 

Buchner, Dr. Wilhelm, Leitfaden der Kunst- 
geschichte. Für höhere Lehranstalten und 
zum Selbstunterricht. Mit 281 In den Text 
eingedruckten Abbildungen. 10., sehr be- 
reicherte Auflage. Essen, G. D. Baedeker. 

Buber, Martin, Die Geschichte des Rabbi 
Nachmann. Frankfurt a. M., Literarische. 
Anstalt. Rütten & Loening. 

Gharon. Monatsschrift. Dicht unp, Philosophie, 
Darstellung. Herausgeber Rudolf Pannwitz 
und Otto zur Linde. III. Jahrgang. Heft 6 
und 7. Leipzig, Charonverlag K. G. Th. 
8cheffer. 

ftotb unb 6flb. CXX. 358. 



Auswahl der Redaktion vorbehalten. 

Cottasche Handbibliothek Nr. 131-140. 

Stuttgart, J. G. Cottasche Buchhandlung 
Nachfolger. 

Croner, Else, Fontanes Frauengestalten. Ber- 
lin, F. Fontane & Co. 

Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlod- 
wig zu Hohen! ohe-Schillingsfur st. 

Im Auftrage des Prinzen Alexander zu 
Ilohenlobe-SchUlingsfürst herausgegeben von 
Friedrich Curtius. 2 Bände. Mit zwei Bild- 
nlssei. 4. Abdruck. Stuttgart, Deutsclie 
Verlags- Anstalt. 

Diez, Prof. Dr. Max, Allgemeine Ästhetik. 
(Sammlung Göschen.) Leipzig, G. J. Göschen. 

Doberenz-Eberlein, M., Goldhaar. Roman. 
Berlin, Moiernes Verlagsbureau, Curt Wigand. 

Drachmann, Holger, Kirche und Orgel 
Eine Dorf-Elegie. Einzige berechtigte Über- 
setzung aus dem Dänischen. München, 
Albert Langen. 

Drescher, Dr. Adolf, Kosmisches Leben Im 
Werden und Vergehen. Spiralnebel und 
Sternhaufen. Ein Vortrag. Mainz, Kom- 
missionsverlag Hermann QuasthofT. 

Edel, Edmund. Berlin W. Ein paar Kapitel 
von d*r Oberfläche. Berlin, Boll & Plckardt. 

Edwardson, Harald, Woher kam das Leben ? 
Eine Abhandlung Uber die Herkunft, Ent- 
stehung und das Vergehen des Lebens. 
Mähr.-Ostrau, R. Papauschek. 

Ehrenberg, Hermann, Handbuch der Kunst- 
geschichte. 6. Auflage, mit 314 In den Text 
gedruckten Abbildungen vollständig neu be- 
arbeitet. Leipzig, J. J. Weber. 

Eisler, Dr. Rudolf, Geschichte der Wissen- 
schaften. (Webers Illustrierte Handbücher 
Band 256.) Leipzig, J. J. Weber. 

Endres, Dr. Jos. Ant., Honorius Augusto- 
dunensis. Beitiag zur Geschichte des geisti- 
gen Lebens im 12. Jahrhundert. Kempten 
Jos. Köselsche Buchhandlung. 

10 



Horb nnb Sfio. 



Erdmann -Jesnitser, Selms, Bekenntnisse 
eines jungen Mannes. Novellen. lierlin, 
Egon Flelschel & Co. 

Etzel, Theodor, Der Rohrspatz. Ein reues 
Fahelbuch. Mit Zeichnungen von C. 0. 
Petersen. München, Albert Langen. 

Falk, Freya, BiUten. Berlin, Modernes Ver- 
lagsbureau, Curt Wigand. 

Feder-Zeichnen. Vorlagen Ton K. Walter. 
Heft 1. Ravensburg, Otto Maler. 

Fellner, Bruno, Verkauft! Lebensbild In 
vier Aufzügen. Berlin, Modernes Verlags- 
bureauj Curt Wigand. 

Feucht, Paul, Wegwarte. Neues Fabel- A-B-C. 
Berlin, Modernes Verlagsbnreau. Curt Wigand. 

Findlater, Hary, Susan Crawford. Roman. 
Einzig autorisierte Übersetzung aus dem 
Englischen von E. v. Kraatz. Berlin, Albeit 
Goldschmidt. 

Fischer, Mathilde, Im Zeichen der Sitte. 
Novelle. Berlin, Modernes Verlagsbureau, 
Curt Wigand. 

Friedens -Blätter. Monatsschrift zur Pflege 
des religiösen Lebens u. Friedens. XI. Jahrg. 
Heft 2. November 1906. WUrzburg, Göbel 
und Scherer. rHelnr. Klemmer.) 

Fries, Carl, Gedichte. Berlin, Modernes Ver- 
lagsbureau, Curt Wigand. 

Fuchs-Liska, Robert, Blinde Scheiben. Ein 
8kizzenbuch In Vers und Prosa, Berlin, 
Modernes Verlagsbureau, Curt Wigand. 

Galland, Georg» Die Perleninsel. Eine nor- 
dische Mär. Buchschmuck von Franz 
Stassen, Leipzig, Abel & Müller. 

Ganghof er, Ludwig, Damian Zagg. 1. bis 
12. Tausend. Stuttgart, Adolf Bonz & Comp. 

Gjellerup, Karl, Der Pilger Kamanita. Ein 
Legenden-Roman. 1. u. 2. Tausend. Frank- 
furt a. M., Llterar. Anstalt, Rütten n. Loenlng. 

Goethe - Kalender auf das Jahr 1907. 
Göttingen, Dicterich. 

Goethes samtliohe Werke. Jubiläums-Aus- 
gabe in vierzig Bänden. 29. Band. Stutt- 
gart, J. G. Cottasche Buchhandlung Nacbf. 

Gregorovius, Ferdinand, Lucrezla Borgia. 
Nach Urkunden und Korrespondenzen Huer 
eigenen Zeit. Mit einer Tafel und drei 
Facsimllebeilagen. 4. Auflage. Stuttgart, 
J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger. 

Grelle, Frido., BUhne und Welt. Schauspiel 
in vier Akten. Berlin, Modernes Verlags- 
bureau, Curt Wigand. 

Gumppenberg, Hanns von, Das teutsche 
Dichterrosa in allen Gargarten vorgeritten. 
München, (ieorg D. W. Callwey. 

Gurlitt, Ludwig, Erziehung zur Mannhaftig- 
keit. 3. Auflage. Berlin, Concordia, Deutsche 
Verlags-Anstalt, Hennann Ehbock. 

Hamsun, Knut, Unter dem Halbmond. Reise- 
bilder aus der Türkei. Einzige berechtigte 
Übersetzung aus dem Norwegischen von 
Gertrud Ingeborg Klett München, Albert 
Langen. 

Harmonie-Kalender 1907. Musikalischer 
Haas- und Familieri-Almanach für das Jahr 
1907. Berlin, Harmonie. Verlagsgesellschaft 
für Literatur und Kunst. 

Heller, O., Lulgla Merelli. Erzählung etc. 
Berlin. A'.bert Goldschmidt. 

Hesse-Risch, Marie Luise, Hans von Degen- 
berg. Historischer Roman aus dem XV. Jahr- 
hundert. Marburg, N. G. Elwert. 

Hoos, Ernst, Herbst. Schauspiel. Berlin, 
„Harmonie", Verlagsgesellschaft für Literatur 
und Kunst. 

Hornig, F., Über Berg und Tal. Gedichte. 
• Leipzig, Max Altmann. 



Hübner, Otto R., Lichte Sommertage. Eine 
neue Sammlnng dichterischer Gebilde. Dres- 
den, C. A. Kochs Verlag. 

Huoh, Budolf, Komödianten des Lebens. Ro- 
man. Berlin, Egon Flelschel & Co. 

— Friedrieh, Mao. Ein Roman. Berlin, S. 
Fischer. 

Jekyll, Gertrude, Wald und Garten. Ans dem 
Englischen übersetzt von Gertrud v. Sanden. 
Leipzig, Julias Baedeker. 

Immermanns Werke. 5 Bände. Heraosg. 
von Harry Maync. Kritisch durchgesehene 
und erläuterte Ausgabe. Leipzig, Biblio- 
graphisches Institut. 

Joel, Kate, Fiübllngs-Einzug. Singspiel für 
14-20 Kinder im Alter von 6—10 Jahren. 
Mit vier Abbildungen. Zürich, Artist. Insti- 
tut Orell Füssli. 

— Jahreswende. Einakter mit anschliessendem 
Reigen für 7 oder 15 Kinder. Mit drei Ab- 
bildungen und Musik. Zürich, Artist. Insti- 
tut Orell Füssli. 

— Ein Küchenabenteuer. Kleiner Einakter mit 
Musik für 8 Kinder. Zürich, Artist. Institut 
Orell Ftt«li. 

— In der Rumpelkammer. Kleines Lustspiel 
für 20 Kinder von 6—12 Jahren. Mit einer 
Abbildung. Zürich, Artist. Astltut Orell 
Füssli. 

Keokeis, Gustav, Von jungen Menschen. Eine 
Erzählung. Frankfurt a. M., Moritz Diester- 
weg. 

Keller, Helen, Optimismus. Ein Glaubensbe- 
kenntnis. Autorisiert. Deutsch von Dr. Ru- 
dolf Lautenbach. 10. Auflage. Stuttgart, 
Robert Lutz. 

— Heinrich, Streber. Roman. Berlin, Egon 
Flelschel & Co. 

Kiefer, Wendel, Ft-ueht- fröhlicher Kling- Klang 
Magdeburg-N„ R. Zacharlas. 

Kirchner, J., Kindheitsglaube und Liebesglück. 
Ein Beitrag zur Lebensgescblchte des schle- 
slschen Dichters J. Chr. Günther. Berlin, 
Modernes Verlaesbureau, Curt Wigand. 

Klingebeil, Hermann, Höchste Güter. Streif- 
zllge eines Wahl heitsuchers. Berlin, Conrad 
Skopnik. 

Kling-Klang-Gloria, Deutsche Volks- und 
Kinderlieder aa«gewählt und in Musik ge- 
setzt von W. La liier, illustriert von H. 
Lefler und J. Urban. Wien, F. Tempsky. 

Klose, Bernh., Siaike Nerven, Frischer Geist, 
Überströmende Lebensfreude durch Willens- 
übungen. Magdeburg-N, R. Zacharlas. 

Koch, Max, Richard Wagner. I. Teil. 
1813-1842. Mit drei Abbildungen. Berlin, 
Ernst Hof mann & Co. 

Konrad, Karl, Eninchli. Götter- und Helden- 
lieder. Berlin, Modernes Verlagsbureau, Curt 
Wigand. 

Kunstachats. Per. Die Geschichte der Kunst 
In Ihren Meisterwerken. Lieferung 37-80 
Stuttgart, W. Sneinann. 

Kürschners Staats-, Hof- und Kom- 
munal- Hand buch des Reichs und 
der Einaelstaaten. Bearbeitet von Ger- 
haid Reuter. 1907. Mit Portrüts, Flaggen-, 
Wappen- und Ordcnstafeln. München, E. 
Eitel. 

Lasswits, Kurd, Was ist Kultur ? Ein Vor- 
trag. Leipzig, B. Elischer Nachfolger. 

Leixner, Otto von, Die letzte Peile. Auf- 
zeit hnungen aus dem 17. Jahrhundert. Leip- 
zig, Georg Wigand. 

Littmann, Leo, Gedanken In Liedern. Er- 
lebtes und Durchlebtes in Gedichten. Leip- 
zig, C. Grumbach. 

Loosli, C. A., BUmpliz und die Welt. Btimp- 
liz Bern, A. Bentell. 



Btbliogra 



Lombard, Louis, Betrachtungen eines ameri- 
kanischen TonkQnstlers. Einzig berechtigte 
Ubersetzung des amerikanischen Originals. 
Berlin. Modernes Verlagsbureau. CurtWlgand. 

Marti, Frita, Die Schule der Leidenschaft. 
Roman. Berlin, Gebrüder Paetel. 

Maisenbach, M. von, 8chicksal. Drama- 
tische Dichtung. Berlin, Modernes Verlags- 
buieau, Curt Wigand. 

Melde, M., Gunnlöd. E'n dramatisches Ge- 
dicht Wien, Wilhelm BraumUUer. 

Mentschel, Theo, Elbkläoge. Ein Lieder- 
Zyklus. Berlin, Mod. Verlagsbur., Curt Wigand. 

Meroler, D., Psychologie. I. Band. Aus dem 
Französischen Ubersetzt von L. Habrich. 
Kempten, J09. Köselsche Buchhandlung. 

Merriok, Leonard, Die Sünde. Einzig auto- 
risierte Übersetzung aus dein Englischen von 
Anna Kellner. Berlin, Albert Goldschmidt. 

Meyers Historisoh-geoffraphisoher Ka- 
lender für 1907. Elfter Jahrgang. Leip- 
zig. Bibliographisches Institut. 

Meyers Kleines Xonversations-Lexibon. 
7. gänzlich neubearbeitete und vermehrte 
Auflage. Mehr als 130000 Artikel und Nach- 
weise auf Uber 6000 Selten Text mit etwa 
580 Illustrationstafeln (darunter 56 Farben- 
drucktafeln und 110 Karten und Pläne) 
und etwa 100 Textbeilagen. Erster Band. 
Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut. 

Mlohaella, Karin, Der. Mönch gebt auf die 
Wiese. Berechtigte Übersetzung aus dem 
Dänischen von Mathilde Mann. Stuttgart, 
Axel Junckers Verlag. 

Misch, Robert, Kaltenbachs. Eine heitere Ge- 
schichte aus Berlin W. Neue illustrierte 
Ausgabe. 6. Tausend. Berlin, „Harmonie 44 , 
Verlagsgesellschaft für Literatur und Kunst. 

Mitteilungen der Musikalienhandlung: 
Breitkopf & Härtel. Leipzig. 

Möbius, P. J., Über Scheffels Krankheit. Mit 
einem Anhang: Kritische Bemerkungen Uber 
Pathographle. Halle a. d. S., Carl Marhold. 

Moll« Dr. med. Albert« Der Hvpnotismus. 
Mit Elnscbluss der Hauptpunkte der Psycho- 
therapie und des Okkultismus. 4. vermehrte 
Auflage. Berlin, Fischers medizin. Buchhdlg. 

Musik-Mappe, Die. Eine Sammlung von Ori- 
ginal-Kompositionen moderner Meister nebst 
einer Textbeilage und weiteren vier Gratis- 
Notenbeigaben. Band I. Heft 26. Salonstticke. 
Leipzig, W. Vobach & Co. 

Najmijer, Marie v M Hildegund. An neben 
von Tharau. — Der Goldschuh. Dramati- 
scher Nachlass. Wien. Wilhelm BraumUUer. 

Naumann, Qustav, Vom Lärm auf dunkeln 
Gasten. Berlin, 8. Fischer. 

Nebelong, Edith, Madame Gioconda. Koman. 
Stuttgart, Axel Juncker. 

Olfers, Sibylle von, Etwas von den Wurzel- 
klndern. Ein neues Bilderbuch. Esslingen, 
J. F. 8chrelber. 

Oxnpteda, Georg Freiherr von, Ein GlUcks- 
junge. Roman. Berlin, Egon Fleische! u. Comp. 

Ortmann, Reinhold, Reine Hände. Novelle. 
Berlin, Albert Goldachmidt. 

Oertsen, Georg- von. Aus den Papieren eines 
GrUblers. Freiburg (Baden ), J. BlelefeldsVerlag. 
— Memoiren des Zufalls. Freiburg iBaden), 
J. Bielefelds Verlag. 

Paap, W. A., Max Dannenberg. Roman. 
Minden 1. W., J. C. C. Bruns. 

Palten, Robert, Vom „Dr. Hons u und andere 
"Wiener Geschichtein und Gedichtein für alle 
Freunde echten Wiener Humors. Band 1—2. 
2. Auflage. Berlin, Modernes Verlagsbureau, 
Curt Wigand. 

Perfall, Karl von. Um die Familie. Roman. 
Berlin, Egon Fleische! & Co. 



Pistorius, Friti, Aus den Ungl Uckstegen 
von 1800. Kriegserlebnisse eines preussischen 
Jungen. Berlin, Trowitzsch & Sohn. 

Popper, W., Kleine Münze. Skizzen und Para- 
beln. Berlin, Modernes Verlagsbureau, Curt 
Wigand. 

Presber, Rudolf. Von Kindern und jungen 
Hunden. 1. Auflage. Berlin, Concordia, 
Deutsche Verlags-Anstalt, Hermann Ehbock. 

Prydz, Alvilde, Das gelobte Land. Roman. 
Allein berechtigte deutsche Ausgabe von 
Heinrich Zschalig. Dresden, Heinrich 
Minden. 

Reloke, Der eigene Ton. Roman. Berlin, 

Egon Fleischel & Co. 
Revel, H. A., Ihr Problem. Die Geschichte 

des sexuellen Problems Einer. 1.— 2. Aufl 

Leipzig, Scholz & Maerter. 
Reventlow, Graf B., Kaiser Wilhelm II. und 

die Byzantiner. 8. Auflage. München, J. P 

Lehmanns Verlag. 
Roda Roda, Eines Esels Kinnbacke. Schwänke 

und Schnurren. Satiren und Gleichnisse. 

München, Albert Langen. 
Böhrig-, Karl, Unter der Fahne des ersten 

Napoleon. Altenburg, S.-A., Stephan Geibel 

Verlag. 

Rudloff, Eriob, Vom Wege. Gedichte. Magde- 
burg- N., R. Zacharias. 

Rundschau, Deutsohe, für Geographie und 
Statistik. Unter Mitwirkung anderer 
herausgegeben von Prof. Dr. Friedrich Um- 
lauft. XXIX. Jahrgang. Heft 3. Wien, A . 
Hartlebens Verlag. 

Salter, Siegbevt, Anekdoten aus dem Leben 
berühmter Männer. Band II: Die Roth- 
schilds. Berlin, Arnold Heyne. 
— Anekdoten aus dem Leben berühmter Männer. 
Band III: Ferdinand Lassalle. Berlin, Arnold 
Hey i.e. 

Schanz, Frida, Gedichte. Gesamtausgabe. 
Bielefeld, Velhagen & Klasing. 

Schlaf, Johanne«, Kritik der Talneschen 
Kunst theorle. Wien, Akademischer Verlag. 

Sohlioht, Freiherr von, Mobil. Roman. Mün- 
chen, Albert Langen. 

Schmidtbonn, Wilhelm, Der Heilsbringer. 
Eine Legende von heute. Berlin, Egon 
Fleischel & Co. 

Sohr oeder, (X, Unter sengender Sonne. Roman. 
Dresden, C. Heinrich. 

Sohubart, Arthur, Hochlandskämpfe. Ge- 
schichten. Stuttgart, Adolf Bonz & Co. 

SchulUky, O. (Wiesbaden.), Schauspiele 4. Bd. 
Mainzer Verlags- Anstalt u. Druckerei A.-G. 

Schweiger-Leronenfeld, A. Freiherr von, 
. Kulturgeschichte. Werden und Vergehen im 
Völkerleben. Mit 41 Tafeln und 614 Text- 
Abbildungen. In 40 Lieferungen. Liefe- 
rung 31—35. Wien, A. Hartlebens Verlag 

Seewald, Wilhelm von, Geschick und Wille. 
Morena. Familien Tragödie in fünf Aufzügen. 
Berlin, Modernes Verlagsbureau, Curt Wigand. 

Semmiff, Berta Jeanne, Silhouetten. Alten- 
burg, Stephan Geibel. 

Sieburg, Erich, Verlorene Spiele. Drei Studien. 
Berlin, Modernes Verlagsbureau, CurtWlgand 

Sienkiewics, Heinrich, Auf dem Felde der 
Ehre. Roman aus der Zeit des Königs Jobann 
Sobleski. Mit 6 Vollbildern von B. Konrad. 
Graz, Verlagsbuchhandlung „Styrlu". 

Sinclair, TJpton, Der Industriebaron. Ge- 
schichte eines amerikanischen Millionärs. 
Autorisierte Ubersetzimg aus dem Amerika- 
nischen. Hannover, Adolf Sponholtz Verlag. 

Sommer, Anna, Helmweh. Roman. 2 Bde- 
Berlln, Gebr. Paetel. 

Bpexnanns Alpen-Kalender für 1807 
Stuttgart, W. Spemanu. 

10* 



* — ttorb unb »flfc. — -> 



Spemanns Kunst- Kalender für 1907« 

Stuttgart, W. Spemann. 

Spemanns historischer Medixinel-Ka- 
lender fttr 1907. Bearbeitet von Prof. 
Dr. J. Pagcl und Prof. Dr. J. Schwalbe in 
Berlin. Stuttgart, W. Spemann. 

Spiess, Karl von, Von den Ufern des Lebens. 
Wien, Akademischer Verlag. 

Steffen« E., Sternschnuppen. Hundert Bilder, 
Skizzen und Gedanken. Berlin, Modernes 
Verlagsbureau, Curt Wigand. 

Steflremann, Die als Opfer fallen. Roman. Ber- 
lin, Egon Fleischel & Co. 

Stein der Weisen, Der. 19. Jahrgang 1906. 
Heft 22. Wien, A. llartlebens Verlag. 

Strauss und Torney, Lulu von, Der Hof 
am Brink. Das Meerminne ke. Zwei Ge- 
schichten. Berlin, Egon Fleischel & Co. 

Streuvels, Stijn, Soramerland. Novellen. Auto- 
risierte Übersetzung aus dem Vlämischen 
von Martha Sommer. Minden i. W., J. C. C. 
Bruns. 

Susmann, Walter, Gedichte. Stuttgart, Axel 
Juncker. 

Tradnotenr, Le. Halbmonatsschrift zum Stu- 
dium der franzosischen and deutschen Sprache. 
XIV. Jahrgang. No. 19. 20. 21. 22. La 
Chaux-de-Fonds (Schweiz). 

Translator, The. Halbmonatsschrift zum 
Studium der englischen und deutschen 
Sprache. III. 1906. No. 19. 20 . 21. 22. La 
Chaux-de-Fonds (Schweiz). 

Über das eheliehe Glück. Erfahrungen, 
Reflexionen und Ratschläge eines Arztes. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann. 

Verne, Julias, Der Goldvulkan. Autorisierte 
Ausgabe. 2 Bde. (Kollektion Verne. Bd. 89.) 
Wien, A. Hartlebens Verlag. 

Viereck, Georg: Sylvester, Ninlveh und an- 
dere Gedichte. Stuttgart, J. G. Cottasohe 
Buchhandlang Nachflgr. 



Volland, Hans, Eigner Herd. Eine Sitten- 
geschichte. Berlin, Modernes Verlags bureau, 
Curt Wigand. 

Vorwerk, Dietrich, Wipfelrauschen. Gedichte. 
Stuttgart. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachf. 

Wagner, Christian, Warmbronn. Ein Blumen - 
strauss. Gedichte. Mit BUdrrn. Schwäb.- 
Hall, Wilhelm Germans Verlag. 

Wassiliew, Zlna, Vrenell und Joggeli. Aben- 
teuer In den Schweizerbergen. Ein buntes 
Bilderbuch von 24 Quartseiten. Bern, 
A. Francke. 

Wegner-Zell, Bertha, Lebende Bilder. Ge- 
schichten fUr die Jugend. Mit 4 farbigen 
Vollbildern unü andern Illustrationen. Stutt- 
gart, Levy & Müller. 

Welts, Hans, Gott und die Götter. Ein nor- 
disches Lied. Berlin, Modernes Verlags- 
bureau, Curt Wigand. 

Werkkunst, Die. II. Jahrgang. Heft 1. 2. 
Berlin, Otto 8alle. 

Wied, Gustav, Tanzmäuse. Ein Satyrroman. 
Autorisierte Übersetzung von Ida Anders. 
Stuttgart, Axel Juncker. 

Wilde, Oscar, Dorian Grays Bildnis. Deutsch 
von Felix Paul Greve. (10. — 1 2. Tausend.) 
Neue, billige Ausgabe. Minden i. W., J. C. 
C. Bruns Verlag. 

Wulften, Staatsanwalt Dr. Erich, Ibsens 
Nora vor dem Straf rieh ter und Psychiater. 
Halle a. 8., Carl Marhold. 
— Kriminalpsychologie und Psychopathologie in 
Schillers Räubern. Halle a. 8.. Carl Marhold. 

Zabel, Rudolf, Meine Hochzeitsreise durch 
Korea während des russisch-japanischen 
Krieges. Mit Titelbild, einer Karte und 
200 Abbildungen im Text, zumeist nach 
eigenen Aufnahmen des Verfassers. Alten- 
burg, S.-A., Stephan Geibel. 

ZiUenius, Der Wille. Berlin, Modernes 
lagsbureau, Curt Wigand. 



Ver- 



3eranhDortIi$er «Rebafcteur: Dr. enbrfus Bru* in Srestau. 
6$Icfiföe 9u$orudterei, Äunft« unb ttctlaafrttnftalt o. 6. S^ottlaenoer, Breslau. 
Unbetcd)ttgter 9taa)bnufc aus bem Dn^alt Wcfer 3eitfd)rift unterfagt. Überfefeunasrefy oorbeftalien 




TCoxb unb Süb. 



V t u e £> e u t f dj e nionatsfdjrtft. 



• XX. öanb. — ^cbruar I<j)Or. — fjcft öfty 

<9BÜ einem 'Portrait in Olafcierung : 51 n t o n i u 7r o cj a 3 3 a r o.) 



Breslau 

0. 5. Sdjottlaenber. 



Horb unb Süb* 



(Eine öeutfdje Znonatsfcfjrtft. 



CXX. Bant). — $ebruar J907. — Ejeft 359- 

(SNt einem Vortrat* in ftaoierung: Antonio <?oga33aro.) 




Sdjlefifdje Bndf brnef erei, Knnft- unb Derlags» 2lnfialt 
o. 5. Sdjottlaenber. 



Siegerin Seit. 




Hörnern 
von 

— Berltn*lPilmersborf. — 
(3foTtft|ttttg.) 
XT. 

[er regierenbe gürft hatte eigentlich ber SInficht gehulbigt, beä 
IriegSminifterS @ntlaffung§gefuch müffe abgelehnt toerben. 
iaäfar $:oIeabu toar i^m ftjmpat^tfcfj, er hielt itjn auch für 
einen auSgeaeidjneten SBinifter ; fofftc ber Staat ihn toegen einer Siebet 
affaire berlieren ? @§ fpraef) bocf> eigentlich nur für £o!eabu3 SSebeutung 
unb SßerfönlichFeit, toenn bie reichfte ©rbin be§ 2anbe§ fidj fo in it>it 
verliebt hatte, bafe fie ihn um feine $anb gebeten, unb toeun eine Der« 
nünftige grau fich feinettoegen umbrachte. 

9ftinifterrate herrfchte freilich eine anbere Stuffaffung ber grage ; 
2Weri, ber SWinifter be§ Innern, meinte, e§ Fönne toährenb ber SSeerbigungS* 
feier ju Strafecnbemonftrationen fommen, tt>enn Soleabu SDlimfter bliebe. 
®ie öffentliche SKeinung fei fehr erregt unb nenne ihn unberhohlen ben 
perfiben SWörber ber SBaronin 2>almo. ^ebenfalls ttriirbe er, SDieri, auch 
nicht eine Stunbe länger Sloftege eines Xoleabu bleiben. — 2)a§ Hang 
ernft, aber SDteri mar ein ^eifefporn unb fagte leicht ein SBort au biel. 

3Me übrigen 2Winifter brüeften ihre Slntipathie aahmer, aber bennoch 
aiemlich beutlich au3, fo fchob ber gürft bie ©ntfeheibung herauf, ©eine 
eigene Meinung toar aber ftarf erfchüttert toorben, unb er begann mit 
ber ÜRöglichfeit gu rechnen, bafc SEoleabu erfefct toerben müftte, bietteicfjt 
fonnte feine Kraft inbeffen in einer anberen (Stellung ber Regierung 
erhalten bleiben. 

3Beit unentfehiebener aB ber gürft mar ba§ ©hepaar Saroche. (Sie 
quälten fich, fett fie bom (Selbftmorb ber 93aronin Dalmo erfahren, bamit, 

11* 



H8 — — mite Kremnifc in Berlin. 

ob fic £>effa gegenüber bie im Umlauf befinblichen ©erüchte erttmbnen 
fottten? 2tnna mürbe bie SSerlobung am Rebften aufgelöft haben. SarocheS 
füllten fidj imfdjulbig an allem 9$orgefatlenen, aber fie Ratten baS ganje 
ßbium au tragen; in jebem Slicf lafen fie einen 33orttmrf. 

3tteyanber hatte nicht gemußt, roie er aus bem Sanbtage. fommen 
foffte, fo peinlich mar ihm ber SCuftritt gemefen, 2tnna mar fogar bon 
einem ^ournaliften, als fie in ihren SBagen hatte fteigen motten, faft beletbigt 
morben. @ut, bafe einige sjSoliatften herbeigeeilt unb ben SBeg frei ge- 
halten halten. 93iS jefct fchob $e(Ia bieS alles auf eine rein politifche 
©rregung, fie hielt eS 1 für erbitterten $arteifampf, unb eS erfüllte fie 
mit einem beraufdjenben äBohlgefühf, baf$ aurf) fie, als Fünftige grau 
eines herborragenben (Staatsmannes, fo Diel 93icf)ttgfeit erlangt habe. 
Sollte man $effa in biefem ©lauben laffen? 

53iS 3um 2tbenb fonnte baS Ehepaar 3U feinem ©ntfcfjluffe fommen ; 
als aber bie Sfbenbseitungen hereingebracht mürben unb in jeber eine 
neue, unangenehme Xftrfion beS „neueften ©fanbalS" enthalten tt)ar, ftieg 
ihre Erregung. Ohne bafc man tarnen nannte, mürbe bie Verlobung 
£oIeabuS als SSeranlaffung gum ©elbftmorb ber Sarontn hingeftefft. 2lnna 
erflärte, SaSfar bürfe fürS erfte nicht 31t ihnen inS $auS fommen, baS 
fei man ber öffentlichen Meinung fdjulbig. $n bemfelben 2tugenbli<fe 
fuhr aber fein SBagen fdjon bor. SarodfreS maren fo berblüfft, bafe fie 
faum bie ©eifteSgegenmart hatten, bie ben SDftmfter mütenb angreifenben 
3eitungen unter bie herabmattenbe 2)edfe eines 3£ifdjeS $u merfen. 

2tud) nicht bie gertngfte ©pur beS Erlebten toar im 2lntlifc beS 
gürften ju entbeefen; er fah genau fo auS roie bor brei Jagen. 3)em 
Ehepaar Sarodje fiel eine Saft bom bergen, eS tüar faft, als hätten fic 
bie SanbtagSfifeung unb bie 3eitungSartifel nur geträumt, gürft SaSfar 
meinte, er entfänne fid) faum eines fo falten gebruar; nur einmal, aber 
eS fei freilich *fdjon lange her, hätien er unb fein Sruber gerabe am 
2Ifchermitttoodj einen grofeen Schneemann berfertigt . . . Übrigens er- 
innere ihn bie ©tatue, bie bort hinten in ber Etfe ftchc, unb bie er 3um 
erftenmal betrachte, in Haltung unb S&toegung peinlich an jenen ©djnee» 
mann! %nna proteftierte, ettoaS ge3ttmngen lachenb, gegen bieS Urteil, 
nannte ihn einen Sarbaren, ba er baS SKeiftertoerf eines jungen, bon 
ihr protegierten SünftlerS einem Schneemann bergfidje! . . . Ulatürlid) 
bradjte SaSfar baS ©efpräch auf ^eHa, feine lichte Herrin, follte fie au 
allen Eigenfdjaften aud) noch bie liebenSroürbigfte ber grau — immer 31t 
fpät 3U fommen, befifcen? Ober mußten bie puppen erft 3U 93ett ge- 
bracht merben, ehe bie junge $ame 3itm Sffen erfd)iene? 

2tnna meinte, Spott toäre hier gar nicht angebracht, fie hätte ihre 
SieblingSpuppen noch mit in bie Ehe gebracht, unb $effa habe in einem 
berborgenen Sßtnfet ihres §er3enS ficher noch mehr, als er ahne, für bie 
füfeen Sieblingc ihrer SKnbheit übrig. 



Siegerin geit. 



bemfelben Slugenblitf trat fie ein; fie hatte au§ Siinberet, bie fie 
für fcrifcig hielt unb bie it>r großen ©paj3 gemalt hatte, eine fdötüar^e 
Toilette angelegt. 

„Sd) traure aun meinen SDtinifter," rief fie mit ihrer unftriberfteh* 
liefen ©idjerheit unb machte ihm eine tiefe Verbeugung. „9fber ©ie 
toerben bie Seute bod) Slaifon lehren — nieberfchießen mufe man bie 
©chreier!" 

2ln ber STOiene ber ©efdjtoifter merfte fie, baft fie irgenb eine tounbc 
©teile berührt, unb fuhr nun bofcfcelt lebhaft fort: ,,%d) hielt ©ic bisher 
für einen SBenfdjen, Surft Sa§far, toenn audj für einen befonberä t>ott= 
fommenen! ^efci habe id) erfahren, bafe @ie unerreichbar über un§ ftehen, 
bafe bie #ötfc Shnen I)ulbigt! 9?un toerb' id) mid) bemühen, eine Seufelin 
3u tt>erben! Unb bann tooffen tt>ir bereint bie SBelt regieren, gänglitf) 
unbefümmert um bie Starren, bie fid) felbft entleiben." 

©in eifiger #aud) fuhr burdjS 3immer. 2ßa§ toufetc fie? 

„SWife #effa," fagte SaSfar fdjnetl mit eratoungener 9tuhe, „tote 
fonnten ©ie in einen fo toenig für 2)amen berechneten Staunt tute 
ben Sanbtag gehen?" 

„Um ©ie 5U benmniem," unterbrach fie ihn. 

@r fuhr unentwegt fort: „SDlir ift nichts fo guttriber toie grauen, 
bie fid) für Sßolitif intereffieren — unb nun gar 9Käbd)en! SBenn ©ie 
mid) mit Shrer ©nabe aud) ferner bertoöhnen unb auf meine SBünfdje 
9tüdfid)t nehmen tooHen, SWife Setta, fo tun ©ie hinfort, aß gäbe e£ 
fein ©ebäube, ba§ 2Kinifterium ober Sanbtag heifet!" 

Shr tt>ar, aB ob eine fefte #anb fie ergreife, unb nie toar er ihr 
fo anbetungStoürbig erfdjienen Wie in biefem Hugenblide. 

S)a§ toar ein 2Hann, ein ©ebicter! (£§ toar ba§ hödjfte grauenglücf, 
fidj Don einer fo ftarfen £anb führen au laffen, er toürbe alle geinbe 
meiftern. 

„•TOujj id) mich nun unlieben?" fragte fie tt>ie ein gefdjotteneä 
JKnb, „ober barf id) fo bleiben?" 

@r lächelte berföhnt ; fie fonnte au§ ihm bod) machen, toa§ fie toollte, 
gut, bafc fie e§ nicht ahnte. 93effer aber noch toar, bafc fie nicht ahnte, 
toa§ ber D^ofition gegen ihn jugrunbe lag! ©r ftettte fid) bor, bafe 
bte§ temt>eramentüoHe ®inb afle§ erfahren fonnte — fie toürbe feinen 
2lugenblid äögern, fid), t)on ihm lo^gufagen, ihn au berbammen! Stber 
bor ihren feufdjen SWäbdtenohren fonnte man feine 93e3iehung au #ortenfe 
boch nicht ermähnen? SarodjeS felbft hatten Igntereffc baran, fie totau* 
fdjtoeigen. 

SaSfar bat fie, in biefer rciaenben Toilette gu bleiben; er nähme an, 
fie habe bie aarte 9lufmerffamfcit, bie gamilientrauer, bie burd) ben Zob 
feines 3Setter§ 3)aImo unb ben feiner grau über ihn gefommen, äu 
teilen, obgleich er nod) nid)t ba§ 9?cd)t hätte, fie barum 3u bitten. 



\50 IlTite Kremnitj in Berlin. 

SHejranber blieb mit offenem SRunbe bor biefer Sicherheit, bor Mefem 
gefettfdjaftlichen £afte SaSfarS. 3Inna ergriff mit toeiblidjer Klugheit baS 
SftettungStau unb fpradj mit ihm über baS tragifdje ©reigniS; ihr traten 
babet bie Sränen in bie Stugen: toeld) furchtbarer Schlag für ben Sohn, 
beibe eitern äugleich 5« berlieren, ber arme junge SWann. 

#ella nahm nun an ber Unterhaltung teil; als fleineS Stäbchen 
hatte fie mit $enri 2)almo SCanaftunbe gehabt, er toar immer ihr be* 
fonberer greunb unb Vertrauter getuefen, obgleich Diel älter als fie! . . 
Viel älter? (SS fiel ßaSfar unangenehm auf, ttrie jung $e(Ia, aß nun 
mit töbli(her Sicherheit berechnet ttmrbe, $enri fei faft bier S^hte älter 
— in ben ßinberjahren erfcheine baS fchloertoiegenb. $eda meinte 
fdjergenb: „Vier bamalS toar mehr als breifeig iefct!" ßaSfar fragte, ob 
baS ettoa heifeen folle, f in feinen fahren falle man toieber in bie JHnb* 
heit. ©etta entgegnete: er toiffe nur ju genau, baß fie ihn gar nicht 
hätte Heben fönnen, toenn er ihresgleichen getoefen toäre . . . 2Tnna 
fprach bon Henris fdjrecflich langer gahrt, bon Reifen überhaupt 
unb fragte fchliefelich, toohin ßaSfar feine Sod^eitSreife machen tooffe. 
(Sr entgegnete, feinen Steigungen entfpredje bic in ^arigrab übliche groft* 
artige ^odfoeitSfeier mit fofortiger Slbreife nicht, fein Sbeal fei, borher 
fortreifen unb eine Trauung auf einer ©efanbtfdfjaft in 3Bien ober ?ßari§. 

Stnna toar feinfühlig, too eS ihr eigenes Öntereffe galt; nichts 
fonnte ihr erttmnfdjter fein, als toenn biefe ^odföeit im SffuSlanbe ftatt* 
fänbe. Sie ging begeiftert auf ßaSfarS SBorte ein, fttmmte ihm gang 
bei, auch fie hätte fidfj eigentlich eine fleine ftitte .©odöaeit im 2tuSlanbe 
getoünfcht, aber ihre eitern toären au fonbentionell getoefen. Stleranber 
fiel ein, ihre ^odfoeit toäre aber eine befonberS fdjöne getoefen — 2lnna 
ftiefe ihn unter bem Stifche an, er merfte eS aber nicht. 

#ella hatte ftch bisher eine grofce Sdjauftellung, fotoohl bei ber 
ftanbeSamtlidjen toie bei ber firchlichen Trauung, getoünfdjt, aber ßaSfarS 
Vorfchfag, ber toie ein plöfclidjer ©infaH Hang, gefiel ihr. SBährenb beS 
SinerS tourbe er fdjerähaft auSgefponnen, aber ehe ber Stbenb verronnen, 
toar alles feftgefefct unb #effa begeiftert bon ber geplanten ^odfoeitSfeier 
in bem ihr unbefannten $ariS. gür ihre Toiletten, für SluSftattung unb 
GHnridjtung fonnte eS feinen befferen Ort geben. Schließlich begriff fie 
nicht, bafe fie je ettoaS anbereS getoünfcfjt hatte. ®er ftiQavo tt)ürbe atoci 
Spalten mit ihrer SCrauung füllen, unb toeldj anbern SBiberhaff toürbe 
fein Bericht finben als ein in Xaarigrab gebrudter! ßaSfar toar genial; 
fie toar überfchäumenb bor greube unb ftimmte in jugenblidjer Ungebulb 
bafür, bafe man möglidjft balb abreife. (5S toäre bie richtige Stnttoort 
auf bie beletbigenbe |®ammerberhanblung. 3lber ßaSfar toünfdjte nid)t, 
baft bie Stbreife in ben Stugen irgenb eines 2Benfcf)en ben ßhcir öfter einer 
f?Iud)t befam. Gr überlegte: bie Veerbigung beS Salmofchen ©hepaareS 
toar auf Sonnabenb feftgefefct. Sßenn ßarodjeS benfelben STOittag ab« 



Siegerin Jett. 



reiften, toar e§ aeitig genug. Käme e§ ju (Stra&enfunbgebungen toährenb 
ber ©eerbigung, ber er iebenfalB beitoohnen mu&te, fo toar $eda fchon 
imtertoegS. 3Ba3 fie baPon erführe, fönnte man al§ 3eitung§getoäfch 
hinftetten. Sfnfolgebeffen meinte er feiner SBraut gegenüber, eine gar au 
plöfclidje Trennung toürbe ihm au fchmeralid) fallen, er bäte boch nod) um 
einige Jage be§ @Iüdf3. Sie fei augenfcfjeinlicf) ein fleiner @i§aa£fen. 

©inen Slugenblicf ftarfer ©nttäufdjung Perfpürte #eHa, aU fie im 
Saufe be§ OefprädjS erfuhr, SaSfar habe feine ©ntlaffung al§ STOinifter 
eingereiht. (Sie fuhr förrnlidj auf, ba§ fei feige, toenn man bor folgen 
Singriffen awrüdfftriche! SaSfar toieberholte feine 93itte, feine reiaenbe 
93raut möge fid) nid^t mit politifd&en fingen ben ÜWagen perberbeh. ©r 
fah, bafe fie bitter entlaufest toar, unb fragte fich bang, ob feine (Stellung 
ihr lieber getoefen aB feine $erfon? (Sollte ihr phantaftifdjer Jiopf fid) 
eine polittfd) einflußreiche Stolle getoünfdjt haben? (Sollte irbifdje, toelt* 
lidje ^Berechnung in feinen SebenStraum t)ineingeft»telt haben? 

$etta empfanb feine 3ured)ttoeifung bie§mal nicht als einen Sonnigen 
«Schauer, fie lehnte fid) bagegen auf. 33or allem aber empörte e§ fie, 
baft er nicht 2Jttnifter geblieben, ihr toar, al§ muffe fie meinen. (Sie 
fonntc e§ nicht vertragen, ihn unterliegen 511 fehen! 

„3$ mödjte nicht SaSfar £oIeabu§ grau fein," fagte 2lnna gu ihrem 
aKanne, al§ fie beibe allein geblieben toaren. 

„ SBarurn nicht," entgegnete er höchft erftaunt, „er ift ja über alle 
9Wcfcen verliebt in $etta!" 

„SJerliebt Pietteidjt, aber id) glaube, er hat überhaupt fein $era!" 
meinte fie mit einer bei ihr nicht häufigen 6ntfd)iebenheit. „(Sieh, toir 
alle tpiffen ja nur au genau, toie er mit ber armen $ortenfe ftanb, fie ift 
nod) nid)t Pierunbatoanaig ©tunben tot, unb er benft überhaupt nicht 
mehr an fie. S<h verlange getoifc nicht, bafc man einer grau etoig 
nachtrauere, aber bie§ ift mir iu ct)nifdj!" 

SHejanber toar anberer 9fteimmg; er hotte au§ Sa§far§ benehmen 
nur erfehen, bafe atDifd^en Zoleabu unb $ortenfe eine rein Pertoanbtfdjaft* 
Iidje 3«neigung beftanben höbe, nichts anbereS. „Shr grauen feib alle 
romantifch unb bilbet euch ein, ba§ ganae Seben brehe fid) um Siebe unb 
Seibenfehaft," fdf)Iofe er feine (Srtoiberung, „bainxvd) kerbet ihr furafidjtig 
unb einfeitig!" @r ttwr in ber greube, baß feiner (Scfjtoefter ©odfoeit 
im 3tu§Ianbe ftottfinben fottte, gana gefprädjig geworben. 

SßidjtS fonnte ihm angenehmer fein, aud) in rein praftifdjer 33e= 
aiehung. Obgleich, ober toeil er iehr begütert toar, gab Saroche ungern 
größere (Summen für unnötige ®tnge au§ unb hatte fid) fdjon in pein* 
lidjer S3erfegenheit üor feinem eigenen @emiffen befunben, ob er bie 
^ochaeit auf feine ober #e(Ia3 Soften ausrichten fottte. 9hm fiel biefe 
<Sd)toierigfeit überhaupt fort, unb Sa§far§ SSorfd)Iag einer Trauung im 
SluSlanbe fchien eine toahre (Srlöfung. 9?id)t§ ift fo angenehm toic Xaft, 



\52 mite Kremnit$ tu Berlin. 

Sa3far§ Xaft mar allen Sagen geroadjfen, unb Stnna fonnte biefen gart- 
füfylenben SDlann IjeraloS nennen! 

XII. 

9latürlid) Ratten fidf) biele am 93aI}nf)ofe eingefunben, um ben jungen 
©almo 31t empfangen ; bie meiften au§ toirflidjer Seilnafyme, mand) einer 
aber rnid) au§ Neugier imb ©enfationSluft. SDamcn unb Herren, mcljr 
alz breifeig Sßerfonen, bie i£)tn üertoanbt toaren, ftanben auf bem Sßerron 
flüfternb aufammen; eine alte ©rofttante toetnte laut bor Erregung: 
„2ßie toirb ber arme Sunge c$ ertragen! 2)enft nur btc§ Sinb! So 
pßfcltd) ift atle§ für il)n borbei!" 25te ganje (Stobt fbrad) Ijeute nodj 
meljr al§ geftern bon ®almo§, fie toaren ba3 ©reigni§ be§ SEageS. 

#enri Ijatte fd&on untertoegS telegraj)f)ifd) bie !ftad)ricf)t bon einer 
grfranfung feiner SKutter erhalten, einige ©tunben fpäter bie i§re§ Stb* 
lebend. @r faftte e§ aber nid)t, eS fd)ien au biel; atoei Unglürf§fälle 
innerhalb bon bierunbatoanaig ©tunben! @§ toar il)m, al£ fei er nur 
im 5traum. Soft atoölf ©tunben tt)ar er in biefer Serfaffung auf ber 
©ifenbaön toeitergefafyren ; er mußte nidjt, ob SBodjen, SCage ober nur 
©tunben »ergangen, feitöem er bie lefcte $ftadjrid)t erhalten — er füllte 
fid) hrie eine 3ftafd)ine ober toie ein ©türf $013. 

3H§ er am 93al)nl)of feine Onfet, Xanten, Settern, ©oufinen, alte 
Sreunbe be§ $aufe§ erblidte, alle mit bem 2tbaeidjen tiefer 5£rauer, bradfj 
er, naä)bem er fyalb irren 2luge§ fie angeftarrt, lautlo§ aufammen. 
©igen, bafe ba§ 9tufeerlid)fte, $rej>J)fdE)leier, ein ©l)ao§ fdjtoaraer ©eftalten, 
bertoeinte grauengefid&ter, il)n um bie lefcte Äraft, mit ber er fid» bisher 
aufredjt gehalten, braute, ©r Ijatte im ganzen Seben niemanb i§m Slafye* 
ftefyenben verloren. 2H§ er au§ ber Ol)nmad)t ertoedt, immer nodj im 
eifenba^ncoitp^, all bie befannten ©efidjter um fid) fat), ftarrte er toie 
bon ©innen auf fie. Unb babei ttmfjte er ba§ ©cfjlimmfte, ben frei- 
willigen Zob ber 3Wuttcr, nod) nidjt. 6r fd)ien aud) nid)t imftanbe, nod) 
ettoaS 3U erfaffen. 

9luf feinet CnfelS 3lrm geftüfct, bcrliefe er ben Sßaggon — ein 
großer ®rei§ bon Neugierigen ^atte fid) um bie burd) ifyre SrauerFleibung 
erfenntlidje ©d&ar ber 3ugef)örigen gebitbet, unb c§ ging toie SPhtrmeln 
burd) bie 3Wenge. „Ser arme junge 9ftann!" unb „3o bleid) unb 
fd)ön!" @r merfte nidjtS bon affem; man umarmte ilm, bie $amen 
unb felbft triele Herren toeinten, feine Xräne trat in fein großes? 
fd)roarae§ 9tuge; mad)§gelb, aber f)odöaufgericl|tet in feiner gangen jugenb- 
liefen 3d)lanff)ett betüegte er fid) bon einem aum anbern — e§ tt>ar 
rein ntccl)anifd). ©d)liefelid) fafe er im SBagen mit feinem £>nfel. G§ 
mar bor^er unter ben SSerttmnbten abgcmad)t toorben, bafj er mit bem 
93ruber ber SHuttcr in§ 3:rauert)au§ fahren follte, unb unterh>eg§ fotte 
er ba§ 9?ottt>enbige erfahren . . . „Sftod) mc^r?" fragte fid) .^enri, al§ 



Siegerin Seit. 



\53 



ber ßnfel bie cinleitenben SBorte gefprodjen. „SBaS fonnte eS beim 
eigentlich nod) geben?" „STfleS Vermögen berloren unb öffentlidje 
©djanbe," fuhr ihm burd) ben halb irren Sinn. §a, Qibt immer 
nod) mehr an Unglütf, immer nod) mehr, toenn man eS erfdjöpft au 
haben meint, nur baS ©lüd ift leicht erfd)öt>ft, ift gang fladj; „gana 
fiadj," murmelte er bor fid) hin. 2)er Onfel glaubte einen Slugenblitf, 
ber Öunge fprädje irre, aber er merfte balb, bafe er mit genannterer 
Stufmerffamfeit ihm folgte. Unb bod) fdjien er nicht 5U üerftehen, fdjien 
e§ nidjt su faffen, bafe feine SWutter freiwillig auS bem ßeben gefdjieben 
fei! !ghm fehlte ein 9ting in ber Sette, feine Öogif Vertagte, er fonnte 
ben (Sprung t>on feiner bisherigen Stuffaffung in eine fo anberc 2BirfIich~ 
feit nicht mad)en! . . 33ei ben 3^GifeIn feines Stoffen fing ber Cnfel an, 
bon ben 33erbachtSgrünben au fpredjen, Pon ben ©erüdjten, toeldje bie 
(Stabt burdjfdjtoirrten. Öunge ©emüter neigen aum ©lauben an @e* 
heimniSPotteS. @S toar ein SWorb, fein (Selbftmorb! 2)aS ftanb in 
Henris Seele feft. Öhm toar, als fähe er im ©unfcl ber Siadjt Per* 
mummte ©eftalten bie Hintertreppe %u feiner SWutter ©djlafaimmer 
hinauffd)Ieid)en — gebungene 2ftörber, ttric er fie in Stljeaterftütfen er* 
Wirft, unb nun fam er, ber (Sohn, um fie au rädjen . . . 

?tber roer fonnte ein Öntereffe an ihrem £obe haben? SDaS SBIut 
ftieg ihm in bie SBangen; er toar ein anbercr, als er aus bem SBagen 
auSftieg unb bie £reppe hinaufeilte . . . Unten im großen ©aal er- 
wartete ihn ber Sßoliaeibireftor, ber ihm ben gleid) befd)Iagnahmten SBrief 
feiner SKutter nun feierlid) unb bor 3^ u öcn ouShänbigen wollte. Slber 
$enri war eben lieber aufammengebrochen — bie cntfeeltc Hülle beiber 
©Item, baS War %\\ piel, eS xoeix felbft für Srcmbe überWältigenb, bieS 
5totenhauS in feiner büftern $rad)t, in ein SCreibhauS Perwanbclt! 

@S war fein junger üttann, eS war ein hülflofeS Sinb, baS hinten 
im Keinen S3ouboir in ber alten Sannt) 9frmen lag. 

„SWama fann eS nicht frei tri ffig getan haben/' ftöhnte er. „SS ift 
ein SKorb; liebe einaige Sannt), fie ift gemorbet worben!" 

Sannt) fagte nicht ja noch nein. Sh* Hera aog fid) aufammen: ©, 
hätte Horienfe bieS gefehen, bieS arme, fdjmeraPerWirrte fiinb! 2>ann 
flöfete fie ihm flüffige Nahrung ein, fpradj aärtlidje SBorte unb fagte 
fchliefelid): „Sßarte nur noch eine halbe Stunbe, bann finb bie anbern 
fort, bann bürfeit mir Weinen unb f lagen! ©eh hinunter, fei SWamaS 
tapferer @ohn, baS ba unten ift ja ®omöbic, fptele fie au 6nbe!" . . . 

äBie bie einfache grau in ihrer grofjen Siebe bie ridjtigen SBorte fanb! 

©r permodjte eS, fid) aufauraffen, er ging mitten burch all bie 
fdjwaraen ©eftalten, jebem, ber ihm bie Hanb auSftredte, fie banfbar 
fchüttelnb, hinab au ber feierlidjen Übergabe beS SricfeS, auf bie ei'gent* 
Iidi bie ganae Stabt in (Spannung Wartete. 

Henri öffnete mit aitternber Hanb baS berftegelte Suöert, ber 



{5% IHtte Kremntfc tn Berlin. 

SBoliaeibireftor reidjte ihm ein SKeffer — aber er hatte e3 fdjon aufge* 
rtffen. @r Ia§, er Ia§ ameimal bie eine befdjriebene Seite, bie ihm ba3 
Unbegreifliche erflären follte. 

©r tonfete, ba& atte erwarteten, er foffe e§ laut lefen. Stber ihm 
ftieg etma§ in bie Kehle, ihm mürbe fo merfmürbig au Sinn, er öffnete 
bie Sippen — fein Saut toottte fich löfen. 6§ mar ein Krampf; er 
fdjlucfte unb fdjludte, er fanb feine (Stimme, feinen Zon. — Sie hatte 
e§ freimittig getan! ©rofeer ©ott! 

So ^ reichte er mortloä bem Sßolijeibireftor feiner SRutter 93rief. 
tiefer überflog erft einmal rafd) ben Inhalt. @§ mar eine atemlofe 
Stille im ©aale, hnnberte hatten fid) hineingebrängt. #enri fah, hörte 
unb fühlte nichts. @r flaute nur immer gerabeau§, mo fid) etma§ be* 
megte, irgenb etmaS, ©ott meifs ma§. 3Bar e§ ein Schleier am £ut einer 
Same, mar e3 ber Sßenbel einer Uhr — e§ ging immer hin unb her, 
her unb hin. 

Ser Sörief ber 93aronin Salmo mürbe nun sur öffentlidjen SJennt' 
ni§ genommen, atoei Schreiber fopierten ihn — halblaut fa§ ber Sßoliaei* 
bireftor; nein, e3 mar feiner SKutter SSruber. Ser Slopf mar ihm gauj 
fteif im Spaden gemorben, $cnri fonnte ihn nicht menben. (5r hörte je^t 
ba§ einfache SBort, ba§ ihm bie Raffung geraubt: „2)iein geliebter Sohn". 
SBic oft hatte fie ihn fo angerebet, mic oft — unb nun Hang e§ fo 
gans anber§, nun mar e§ ba§ lefcte SM unb brang au ihm bon jenfeit§ 
be§ @rabe§ . . . ©ro&e tränen fammelten fid) in feinen 2lugen, aber er 
fonnte fid) nicht rühren, um fie fortaumifchen, fie rollten über bie 
bleiben SBangen, benn bie 2lugen blieften immer noch ftarr auf ba§, ma3 
fich ba hinten'betoegte — immer hin unb her, her unb hin. #atte er 
cttoaS fagen fönrien, hätten feine Sippen mohl geformt: „$in unb her, 
her unb hin." @§ mar ihm, als ob er ba§ fagen mußte. 

grau SWeri, fetner 9Butter greunbin, ftanb in ber erften Steide ber 
Samen, bie ba§ Limmer anfüllten. Sic manbte feinen SSIid bon $enri. 
9Bie hatte #ortenfe je fagen fönnen, ihr Sohn habe fein $ers! Ober 
hatte er e§ jefct, mo e£ au fpät mar, erft gefunben? Sßaren fein ©erj 
unb feine Seele erft in biefer Stunbe geboren ober menigenS entmidelt 
morben? Sie§ arme, bon Schmers jermarterte junge Sfntlifc — man 
mufcte meinen, menn man e§ anfah! 

„SWein geliebter Sohn! 
^5<f) habe Sir ben Sdjmera angetan, bon Sir 51t geben, um Sir ben 
größeren Schmers meinet langfamen, qualbollen £obe§ au erfparen. Seit 
bem borigen Sommer meift id>, bafe id) eine unheilbare Äranfheit in mir 
trage; ich habe e§ mir in Sßien unb $ßari§ bon anerfannten Arsten be* 
ftätigen Iaffen. Solange Sein 33ater mid) brauchte, habe id) nicht an 
mich gebadjt, jefet benfe ich an mid). Slber auch an Sich unb befdjfeuntgc 



Siegerin §eit. 



^55 



meine ©rlöfung. 2)u bift freilidj noch fehr jung, mein heißgeliebte^ 
SHnb" — toieber festen e§ $enri, al£ müffe er auffchluchaen, aber ber 
ßramjtf in feiner ®ehle hielt quolbott an — „aber deiner eitern treue 
Sreunbe toerben auch ®id) nicht berlaffen. Unter ihnen ift ber treuefte 
Saäfar £oIeabu, an ihn bertueife ich ®idj!" . . . SBie ein lautet Staunen 
ging e§ burdj bie S3erfammelien. Jpenri merfte jebodj nidjt§ babon — 
„STuf ihn fannft bu bauen toie auf ben Herrgott im Gimmel. £oIcabu 
hat burd) mehr al§ atoanaig %at)te mit Seinem SSatcr unb mir greub 
unb Seib geteilt; er toirb auch über ©einer Öugenb toadjen. ^hnt lege 
id) Sich an§ #era" . . . Sann famen furge SIngaben über S3ermögen§* 
beftimmungen, bie alte gannty tpurbe ihm nodj empfohlen, unb fdjliefclidj 
tourbe bie Unterfchrift „Seine Sich namenlos liebenbe üDfutter #ortenfc 
Salmo" beriefen. 

$enri ftanb noch immer regung§Io3 ba, aber bie (Spannung hrid) 
au§ feinen 3üßen. Silier SIntoefenben hotte fiefj eine mehr ober minber 
grofee Überrafdjung bemächtigt. Ser Inhalt be§ 93riefe§ braute bie 
meiften in ftarfe SBetoegung, unb man beamtete faum, baft $enri lieber 
nach oben gegangen rt)ar. ©inige äußerten laut ihre ©ntrüftung, baß ber 
93rief nicht eher geöffnet, bafj bie öffentliche STOeinung irre geführt, Soleabu 
bireft berbädjtigt höbe, grau ÜDteri erfah au§ biefen Seilen nur eine 
unangebrachte ©rofemut ihrer greunbin, fie erflärtc laut, für fie toürbc 
ßa§far immer ber STOörber bon $ortenfe bleiben, ©ine atocite Same 
efftafierte fid) über bie eble Stote: „$ja, ba§ ift grauenliebe! ©terbenb 
entfdjulbigt fie noch ben geliebten SDlörber!" — 

93ei ben gernerftehenben madjte fich ein ftarfe§ GJefühl bon (Snt* 
täufdjung geltenb. 3ftan f)atte ettuaä 3enfationeffe£ ertoartet, für bie 
morgige Seerbigung toaren grofee SDtanifeftationen in StuSficht genommen 
— nun hotten bie feinen rechten SSortoanb! Sfi^erbem empfanben 'biele 
ein ©efühl bon Demütigung; fie hotten fid) einc§ groben ^rrtum§ 
fcftulbig gemalt, al§ fie ßa§far Xoleabu in Sicht unb 93aun getan. 

Sn ber t>einlichften ßage befanb fich ber ^oliaeibireftor. ©r hotte, 
ttrie er beabfichtigt, toirflidj am nämlidjen SKorgen bei feiner Sftelbung 
bem gürften ba§ Schriftftüd borgelegt, burch ba§ Soleabtt anerfannte, bie 
©erid)t§fiegel erbrodjen au hoben. ©§ hotte entfehieben ©inbrutf gemacht, 
toenn ber gürft auch, bornehm unb aurüdhaltenb tote immer, fofort mit 
93eftimmtheit gefagt hotte: SBenn JEoIeabu fich auch entfehieben in ber 
gorm berfehlt höbe, ber SSetoeggrunb, ber ihn au fold) auf$erorbentlid)em 
(Schritt getrieben höbe, fönne nur in einer 9tüdfid)t auf bie Serftorbene 
liegen. Ser Sßoliaeibireftor hotte barauf betont, bie öffentliche 9Wcinung 
beaichte ihn unberhohlen al§ ben lüenigften^ morolifdj Schäbigen. 

©eitbem hotte ber gürft, toenn aud& in jchmeichelhaften formen, ba§ 
. @ntlaffung§gefuch be§ aWinifter§ angenommen. Xer ^Soliaeibircftor rt)uf3te, 
ba^ fein Sofument ben 3Iu§f(hIog gegeben, ©oflte er je^t bem gürften 



156 ITlttc Kremnitj in Berlin. 

bie neuefte $ljafe, in bie bie (Sadje getreten, melben? Stein, lieber nid)t. 
1>enn ba§ gaftum, £o!eobu bie (Siegel erbrodjen Ijatte, blieb bod) 
beftcfyen. 2Ba§ $ortenfe in einer legten ironifdjen Saune, ober in ©bei* 
mut, mie grau Sfteri meinte, audj niebergefdjrieben fjatte, fein gaftum 
mürbe boburd) umgeftoften. 2tn bie gabcl ifjrcr Siranftjeit glaubte 
niemanb. 

XIII. 

(?$ mar fpät am SCöenb. 8a3far Xoleabu tjatte e§ nidjt für rid)tig 
gehalten, 31t $enri$ Gmpfanfl in§ 2)aImofd)e §au8 au gelten, ßr mürbe 
tön ja bei ber 33eerbigung fefyen. Sie ©erüdjtc, tpeld&c bie ©tobt Teil 
brei lagen burd)fd)mirrten, Ratten fid) 51t einer feinbfeligcn 2Ttmoft>fyäre 
t>crbid)tet, bie er gar nidjt mefyr ignorieren fonntc. 6§ mar ein (Sport 
gemorben, ben unfompatlnfdjcn Sftinifter totaufjefcen. SBenn nur erft 
$c(Ia über bie ©renae mar, fonntc gcfdjefycn, ma£ mollte. 3lber h>a£ 
foCCtc fdblieftlid) gefdjefjenV 93om Sftebcn ginn #anbeln ift für bie meiften 
ein gar metter SBcg. ©0 mürbe fid) gar md)t§ ereignen, mie meift, menn 
bie 3ctutngcn (Sott meift ma§ angefünbigt fjatten. Xiefe gräftlidje 
Sitte, baft alle Seibtragenben 5U guft folgen muftten, bot atoar einc]Ieid)te 
#anbf)abe für eine perfönlidje Seleibigung, unb ber fdfjmufcige <Sd)nec 
eine mifffommene SBaffe . . . 

2a er gern aB ©ejanbter nad) Petersburg geljen moßte, muftte er 
ttorfidjtig fein. £etta muftte fidj im Stammen einer offiaietten Stellung 
befonberS fd)ön machen. fehlte il)r freilief) nodj red)t triel an melt* 
lidjer (Sraiefyung, aber einen befferen Seljrmeifter fonnte fie fdfjmer finben. 
9?ur burften bie £afilofigfcitcn anbercr ifym feinen ©tridfj burd) bie 
9ted)nung madjen. ©erabe il)m, bem foreften STOanne, muftte fo etmaS 
brofyen! 

ßr ging in feinem großen 9[rbcit§ahnmer auf unb ab . — er ftellte 
fid) $etfa fd)on bort öor, atte ©ebanfen fdftmeiften immer au iftr, fo oft 
er fie auf gaftifd)C§ fonaentrieren motltc — auf bie 93eerbigung, auf bie 
brcimal t»erffncf)tc grau, ber er aB Öeibtragenber folgen muftte, meil 
man ifm fonft ber getgbett aeü)_en mürbe. Unb biefeS S3orurteiI§ megen 
muftte er fidfj bieffeidjt einem 3fffront auSfcfccn, ber i^m feine ganae 3" = 
fünft foften fonnte. 23i§f)er I)atte er bod) ftetS ?lu£megc gefunben. gür 
ifjn gab c§ feine unentmirrbaren knoten; ma§ gefcfylungen, liefe fid) and) 
eutfdjlingen. greiltd), f)icr mar eine ber (Sehlingen, $ortenfe, feinem 
SBiffen entrüdt unb lieft fid£) nid)t meftr atotngen; att fein #aft madjte 
fie ibm nid)t mcljr bienftbar. 28a3 fonnte morgen gefdjefjen? ... Gr 
malte fid) bie (Saene beutlid) au§: feine Uniform mürbe ifjn fenntlid) 
madjen . . . ?fud) ein XueK fonnte in ber Weiteren Solge entfteften, benn 
ba§ isolf, ba§ gegen i^n fd)rie, mar nicf)t foaial, nur politifd) „S3oIf 

Unb aß ba§ gerabe, 'el)C fein Öeben begann; ben eben angefefcten 
S3ed)cr, .§ctta, mottte man ibm t>on ben burftigen Ci^pcn reiften. %f)m 



Siegerin geit. 



*57 



festen, aß fei er überhaupt mit biefer jungen Seibenfdjaft erft Sftenfdj 
gemorben, aB habe er nie geahnt, ma§ Siebe unb @ehnfud)t feien. s Jiicht£ 
grühere£ hatte 93ebeutung gehabt, atte§ maren nur bie £inberniffe borm 
3iel gemefen. Sscty hatte er e3 errcid^t, hatte gewonnen, ©in gieber 
nad) £etta begehrte ihn, er ftafete att bie blöben gormen, bie nodj srotfdfjcn 
ihnen ftanben, auin erften 3M fah er, bafc formen Wöbe fein fönnen. 
Sfber gerabe bie gönnen maren immer feine ©tärfe gemefen, fein ^Jan^er, 
ihrer mufetc er fidj bebienen. 

©r fefete fid) ftin unb fann. 2)ie öffentlid)c SDieinung be3eid)nete ihn 
al§ beranttoortlid) für ben Selbftmorb ber Soronin, bem ©ohne fonnte ba§ 
3U Chren fommen. äöie töricht mar er bod) gemefen, fid) nidjt gleich 
#enri§ berfichert 3U haben . . . $$m ftieg förmlich ba§ S3Iut in ben 
Stop], unb er griff mit ber #anb an bie (Stirn. 3Barum mar er bem 
jungen nicht entgegen gefahren? @r mar burd) feine Seibenfdjaft für 
&etta bod) fdjon benebelt, hatte baä einzige, ma§ if)m 3U tun übrig ge* 
blieben mar, nicht getan. 9hm mar e§ au fpät. $n bemfelben 9fugen« 
6Iicf mar ihm, al£ höre er ein IeifeS klingeln, ein unheimliches ©rauen 
erfaßte ihn, ehe er fief) bon ihm erholt, ftiirjtc ein Meiner, junger 
2Kenfd) in3 3i ni nier unb bireft auf ihn 31t. „£)nfcl 2a§far." 

§m erften Sfugenblide mar ber ©ebanfe an ein 3fttcntat ihm burd) 
ben $opf geflogen, benn er hat ba§ hohläugige, überregte ©eficht nicht 
erf annt. 

$enri ftatte einen langen Sampf mit fid) gefämpft, feitbem er feiner 
SMutter lefcte SBorte, bie ihn an Sa3far £o!eabu bermiefen, getefen hatte. 
(So nah ihm ganmj ftanb, barüber fonnte er mit ihr nicht fprechen. CS 
mar eigentlich ba§. ©eheimniS feinet Sebent, feinet bcrfd)loffenen 
(SharafterS, bie§ eigentümliche, innerliche SBerhältniS 31t SaSfar Joleabu. 
@r liebte ihn mit fo eiferfüchtiger Siebe, bafe bic£ ©efühl bie gorm beS 
i>affe§ annahm. @r toarf ihm im fersen bor, er habe 3roifd)en ihm 
unb fetner SWutter geftanben, unb bod) mar er eigentlid) nur eiferfüchiig, 
baft er bei Sa§far meniger ©eltung hatte aß fie. SaSfar mar für ihn 
ein ÜDtänneribeal, er mottte bon ihm geliebt fein, unb bod) beneibete er 
if)n um att ba§, ma§ er an ihm betounberte, fudjte c* bor anbern 
herabaufefeen. Sftan hätte fein ©efühl eine berfannte, unglütflidje Siebe 
nennen fönnen, benn #enri badete bei allem an SaSfar, jebe§ feiner 
SBorte hat eine befonbere SBichtigfeit. ©r pflegte fid) oft au§3umalen, 
ba% biefen intereffanten ÜDtann etma§ ©djtoereS befallen fofftc, bafe er 
fein Vermögen bcrlieren, bon Säubern angegriffen ober fonft einer ©efahr 
jh SßJaffcr ober- 3U Sanbe auSgefefct fein fonnte, unb bann mottte er, 
©enri, ihn retten unb ihm fagen, er fei glüeflid), fein Sebcn unb Sein 
ihm 3" opfern. 

9lun fd&ien foldh ein Slug'enblid gefommen — aber unter mic gräf> 
lid^en Umftänben. ©einer aKutter 23ruber h^tte ihm mitgeteilt, eine 



\5S 



IHitc Kremnifc in Berlin. 



jwlitifdje Grregung, bie firf) toegen einer Sommerbebatte ber <5tabt be* 
mädjtigt f)abe, ttritrbe, ba e§ fid) urfprünglid) um einen ©elbftmorb ge 
fjanbelt, mit bem Unglüd im Salmofdjen #aufe 3ufammengetoorfen. 
9Man ertoartc Semonftrationen gegen ben SDiinifter unb tootttc biefe bei 
©elegenfyeit ber Söeerbigung machen. Stuf $enri toar feit feiner Slnfunft 
fo biel eingeftürmt, bafe er nidjt nad) weiteren ©rHärungen geforfdjt, 
fonbern nur ben ©inbrud behalten, e§ brofjen SaSfar ©efafyren. ©r 
toollte 31t if)tn, ifjm fetner äJhttter lefcte Beilen bringen unb U)m einmal 
alles? fagen, tt>a§ er für i^n ba£ Seben lang gefüllt fjabe. 2tber bunfel 
mufete e£ fein, bei 2agc§lidjt fonnte er für ba§, toaS ü)m ba§ $era ab» 
brüefte, feine äßorte finben. 

Kun toar e§ ftuit am Slbenb, unb nun toar er ba 

,,3d) bringe bir SD?amaS lefcien ©rufe/' ftiefe $enri, bor Erregung 
jittcrub fyerbor unb 50g £ortenfe§ 93rtef au§ feiner 33rufttafd)e. 

2a3far§ ftarrcs ©cftdjt blieb unbetoeglid). Stber toasl toar ba§? ©r 
ftredfte bte $anb au§ unb la§ e£, la§, toasl il)n betraf, bafe bie £ote if)tt 
für ben treueften greunb erflärte, iljren Soljn an il)n bertoieä! . . . . 
SSeld) angenehme Überrafdjung — bie Dinge fingen an, fitf) an bie 
richtige Stelle 311 fdjieben. 

Seinen 2tugenblirf fjielt er ber Zoten SSort für Ironie, fein ©c- 
ttriffensbife burdfoudte it)tt. Stein, eine h)o£)ltätigc SBärme burdjlief feinen 
gansen .vlörper. ©S toar toaljr, boßfommen roafjr, toa£ fie nieberge* 
fd)rieben: er toar ber treueftc greuub ber ®almo§ geluefen! ©ott fei 
2anf, baß fie jbie£ im redeten Slugenblid borm Sterben nod) betont 
Ijattc! Sic arme grau ftatte fidj in einem SCugenbltrfe franftjafter ©r* 
regung über ba§ 33ranbunglürf if)re§ ©atten ben Xob gegeben — an 
il)re eigene ftranfljeit 3U glauben, fiel ifyu ferner. ?Iber al£ fie ben 
ÖeraroetflungSaft getan, toar fie geiftig nirfjt gan3 normal getoeferu So 
ettoa» fommt teidjt bei fouft equilibrterten Staturen bor, toenn subiel auf 
fie einftürmt. 

(Sr erflärte es? $enri: feine 2Wutter fei ber ZypnZ einer equilibrierten 
Scatur getoefen — ebenfo biel #er3 ttrie Äo-pf, ein gana unbergtetdjlidjer, 
feltener SWenfcf)! — 3Wan fyabc bod) bafür geforgt, bafe il)r rüljrenber 
©rief — fo redjt ein Srief, ttrie nur fie ifjn fdjreiben fonnte — fdjon 
in ben 2lbcnbblättcrn beröffentlidrt toerbc? ©§ fei nötig, benn bie 
unglaublichen, il)re $erfönlid)feit entftellenben ©erüdjte burdjeilten bic 
Stabt . . . 

Gr la$ ben 33ricf nod) einmal. SZun tvax alles? erflärt, nun luar 
ein Slip bon iftm genommen! Slatürlidö fo erfannte er feine bereite 
greunbm mieber. 2)ic§ tvat ^ortenfe, nrie fie leibte unb lebte. „Sldj, 
^unge/' fagte er erfd)üttert, „folcfi eine Srau trägt bie @rbe nxäjt 3imt 
SiDcitenmal!" fuf)r er fort, ,,^abe mir ben unfeligen (Stritt nur 

an^ einer förderlichen Sepreffton erflärt. ©ie fam in bie Saljre, 



Siegerin geii 



(59 



treldje für grauen gefährliche finb — fo um bie SBieratg herum — unb 
in einem befonberS unfeligen Slugeublid mnfete ba£ ©d^idCfal trotten, bafe 
bein SSater fich SBranbtounben susog. ®u hoft ihre rührenbe, ihre einaige 
©etoiffenhaftigfeit gefannt. Sie warf fich bor, nic^t adjtfam genug ge- 
treten $u fein, bte ©d)ttlb an bem Unfatt gu tragen. Siefe @d)ulb 
fteigerte fich in ihr 5um Unerträglichen, üftun mufete burch bie 2Wor{>huim= 
löfungen auch noch eine leichte (Selegenheit fich barbieten, einen flüdjtigcn 
©ebanfen aufführen. E§ ift entfefelid), bon tt>a§ für Meinen 3ufäffig* 
feiten foldf) ein Unglücf oft abhängt . . . !3<h tonn e§ mir affe£ erflären 

— aber begreifen fann id) e£ nicht." Er bebedtc feine 2tugen mit 
ber £anb. 

$enri fafe ba, tüährenb ßa§far auf unb ab ging. %a, ba§ toar ber 
Cnfel Xoleabu, tt)ie er ihn immer gefannt. ÜDlit jebem ©afce, ben er 
ausbrach, marfierte er bie innere Entfernung aroifdjen fich unb ihm. 
#enri hatte ein peinlich flareä ©efühl babon, bafc ^ter bon einer @rofc 
mut gegen ben Stngegriffenen . feine 3tebe fein fonnte. ©iefer SDfann 
ftanb immer über ben anbern, unantaftbar, immer gab er, nie nahm er, 
ftet§ behielt er fein ftarfeS ©elbftbettnt&tfein.; 

#enri hotte baran [gebucht, ihm feinen, be§ Söhnet, ©djufc beim 
ßeichenbegängniS anjubieten. Er toagte e§ faum mehr. Er fonnte fein 
ängebot nur fo brehen, als ob er, #enri, um bie S3ergünftigung bäte, 
ßa§far in fetner Jiähe äu höben. 

Sofort überblicfte Sa§far äffe Vorteile, bie e§ ihm böte, neben bem 
©ohne ber Entfdjlafenen ber geierlidjfeit beiautpofmen. @o fagte er 
nach furaem Sebenfen: „2)u höft recht, $enri, ich toar beinen ©Item, 
trenn auch nicht bem 2Mute fo bod) bem Jperaen nach, ber Siebfte nächft 
bir. S<h nehme beinen SBorfäjIag an; ich folge neben bir unb fteige, 
fotme trir au§ ber ©tabt, in beinen Sßagen . . ." 

®arauf flingelte SaSfar unb ätoang §enri, einen Smbifc su ftd) au 
nehmen; feelifdje Erregungen beraehren bie förperlidje ®raft boffftänbtg. 
2>ann fbrach er bon anberen Singen. 

S§ trurbe $enri allmählich a« ©tnn, als fiele ein £obe£bann bon 
ihm, al§ fei bte ganae SBelt nodj nicht, tt>ie e§ ihm in ben legten 
©tunben gefchienen, untergegangen. S)ie ruhige Sicherheit Sa3far§ tat 
ihm in feiner namenlofen Erfd)ütterung toohler benn je. 3)ie Öugcnb 
in ihm brängte bon ber SBeratoeiflung fort. Er toagte e§ felbft, anbere 
®inge au berühren. Shnt fiel ein, ttxt§ fetner STOutter Sruber ihm im 
Sauf ber Sahrt eraählt — Joleabu fei im begriff, fich au berheiraten 

— unb fo fagte er plöfclid): „2)u bift mit ber fleinett $cffa Saroche 
berlobt — tüte mid) ba§ freut!" 

„Die Reine $cffa!" 2)a8. Hang peinlid) in 2a§far§ Chr. Stber 
er fagte fich, ba bte grofee 3(Iter£bifferena str>tfd&cn ihm unb #effa fein 



\60 



IHitc Kremnttj in Berlin. 



munber *ßunft fei, müffe er fid) hüten, eine &u:bfinblid)feit au geigen, 
etma§ äit fudjen, mo nidjt$ gemeint mar. 

®a SaSfar fdjmieg, fuf>r $enri fort: „33ie hätte SDtama fiel) ge- 
freut! ©ie hotte £ella immer befonberS gern, nannte fie gern ein 
CngeBföpfdjen." — 

(S§ burchaudte SaSfar nrie bautalS, al£ $effa geäußert I)atte, #enri 
fei in ber -tanaftunbe ihr 9ln6eter gemefen, befonberS af§ er jefct lädfjelnb 
hinaufefcte: „2)a§ 6ngeBföt>fdjen mar aber ein red)te§ eingebilbeteS 
Seufeldjen im ©runbe." SaSfar amang fidf) auef) au einem Säbeln. 
9?icf)t§ mar natürlicher, al§ baß $inber beSfelben Jireife§ fid) mit ihren 
Romainen nannten. 

9?ur mit «§etta befdjäftigt, hotte £a§far bie Stuffaffung, ^ortenfe 
mürbe fid) über biefe Verlobung gefreut hoben, gar nicht meiter beachtet 
©djließlid) mürbe er e§ felbft noch glauben! 

gr mar ber Xoten nid)t mct)r feinbltcf) gefinnt; er hotte borhin fo 
fd)önc SBortc über fie gebrochen, bie ihm felbft noch int Ohre Hangen. 
Sie hatte ihm außerbem Seranlaffung gegeben, fid) großmütig au aeigen, 
unb ba§ hatte feine Stimmung mefentlid) gebeffert. @r hatte in biefem 
s XugenbIide $enri förmlich lieb unb befdjäftigte fid) mit feiner 3ufunft. 
9?atürlid) müffe er Diplomat merben, ba er im britten ©tubienjaljr mar, 
fonnte er im näd)ften %oi)t fdjon eintreten. 

XIV. 

(S§ fdjien $enri einen Sfugeubtid, afö märe ber ganae 5£ag ein 
fchmerer £raurn gemefen, alB mürbe fein Unglüd bon ihm genommen. 
Sfter aB er aufftanb unb ba§ leere elterliche £au§, ber ©aal mit ben 
beiben ©argen Jrföfclidj toieber im (Seifte bor ihm auftauchten, mußte er 
laut aufftöhnen. 

„üJJein armer §unge, immer bormärtS; nur bormärt§, nie aurüd- 
fdjauen," jagte SaSfar unb umarmte ihn flüdjtig. „SBenn ber morgige 
SCag erft borbei ift, fannft bu mieber Sicht fehen — unb bergiß nie 
3Mama§ Iefete SBorte — fortan mußt bu in mir SSater unb SKutter fehen." 

mar eine $hrofe in ÖaSfarS SRitnb, aber in £enri§ £>ht toar 
c§ eine ganae 3ufunft, bie fich bor ihm entrollte, ©erube biefer be- 
neibete, bemunberte, gehaßte unb geliebte -Kann foKte ühm hinfort ba£ 
9?ächfte auf ßrben fein — fo fagte er fid), al§ er im 2)unfel ber Käufer 
mie* gejagt in ba§ au§geftorbene $eim aurürffehrte. 

gannt) wartete auf ihn. %n banden ©orgen hotte fie feit ©tunben 
mie erftarrt am genfter geftanbeu. — SBohin fonnte ber §unge ge- 
gangen fein? ßntfefeüdjc Silber ftiegen bor ihr auf — immer mar ihr, 
al§ fähe fie fein rote§ Slut meit braußen auf bem gelbe, mo ber ©d)nee 
nod) lag, auf bie meiße ßrrbenbede rinnen. 3>nimer toor ihr, al§ fei 



Siegerin Seit. — — \6\ 

affeS nun aufammengebrodjen, aB müffe fie Unglüdfeltge allein ade, ine 
ite geliebt, überleben! 

63 tourbe fpäter unb fpäter. (Sie überlegte, bafe ettoaS gefchehen 
nüiffe. Da fa£> fie ihn mit feinem fchneffen, febernben (Sdjritt in ben 
#of einbiegen. 3u gufe unb ihr $unge! ©in (Strom bon Siebe burd)< 
flutete fie. 3t6er fie burfte ihm nicht entgegengehen, ba§ hätte ihn triel- 
Ieid)t bor ben Stenern geniert. Oben toartete fie auf ihn, führte ihn 
in fein alte§ (Sdjiafaimnter, in bem ber (Sdjranf mit all feinem (Spiel» 
aeug noch ftanb, fogar fein Heiner SBtdarb. dorthin brachte fie ihm 
ben 2ee. 

2tber er luolfte ntd)B genießen, er fagte ihr, roo ' er getoefen unb 
baß er bei 5£oleabu ettoaä gegeffen habe. 

■ Shr märe betnah ber Steiler au$ ber §anb gefallen — fie bad)te 
an $ortenfe£ lefcteS SGBort, „gib e£ ihm nicht ju früh." ' 9?od) burfte fie 
nichts fagen. Unb aB nun #cnri anfing, ihr au eraählen, hrie gut 
Cnfel ßaäfar gegen ihn getoefen, tüte glücflid) er fei, btefen greunb auf 
grben au befifeen, ba fe^te fich Sannt) in einen Sehnftuhl, befreuaigte ftd) 
heimlich unb ftarrte bor fich hin. . £enri beachtete e£ nid)t. (Sr mufete 
feine «Sachen, bie Sannt) auägepadt hatte, infpiateren; er mußte bte 
3:rauergert>änber, bte fie ihm beftefft hatte, anprobieren. ®ie fletntiche 
Äufeerlidjfeit mufete befprodjen toerben, taufenberiet hatte er au fragen, 
unb fie nahm feine befehle entgegen, freilich mobiftaierte fie fie fteB, 
fo bafe e£ manchmal anber§ Hang, aB er e§ gefagt ... 

©nblidj, gegen gtüei Uhr nad)B tuar er fo toett, baft fie hoffen 
fonnte, er merbe fd)lafen, unb ba ging fie mit all ihren (Seelenqualen in 
t§r 3ironter. 

(Sie hafete Sa§far £olcabu, aber toeit mehr noch liebte fie ihren 
jungen. «Sein SBohl toar jefet ihr einziger 2cben§atoecf. (Sie hatte 
^ortenfe gefdjtooren, bafe fie ihrem ©ohne ben großen Saften — fidjer- 
lieh 2a§far§ Briefe — au^hänbigen toürbe — „aber nicht 3U früh!" — 
Unb tpa§ toürbe bann gesehen? gannl) fah nur ein§ aB golge: £enrB 
Untergang! . SaSfar toar mädjtiger unb gefdjicfter in ben äBaffen toie im 
SBort. 28er ihn fich a^m Setnbe mad)te, toar berlorcn. (Sie, für ihre 
^Serfon, toollte gern fterben, toenn fie fich baburch an ihm rädjen fönnte. 
9lber #enri, ihr 3funge, nein! 

2Ba§ follte fie nun tun? (Sie fafc unfdjlüffig ba, aB ein heftiges 
klingeln fie au ihm rief. 

$enri hatte gehofft, er mürbe fd)lafen fönnen, aber fchon nad) fünf 
SKtnuten letfen (Schlummert toadjte er ttrieber auf. Unb nun toar e§ 
ihm, aB fei er überhaupt aum erftenmal, feit ba§ Unglücf ihn getroffen 
Ijatte, gana bei fidj. @3 War entfe^ltch, tva% ihn befallen hatte, feine 
ganae 8ufunft hatte er innerlid) auf fetner 9Wutter aufgebaut, unb nun 
toax fie, bie ©runblage aller feiner $läne, ihm entaogen. @r toar fein 

Hotb tmb 60b. CXX. 859. 12 



{62 Ulite Kremnitj in Berlin. 

3Ürttid)er ©oljn getaefen, ba§ fiel iljm mit sermalmenbem Stetoufetfein 
aufs $era. Sfber eigentlich bod) nur, roeil er immer auf iljre fyeifje 
ßiebe gebaut, bie bie 33afi£ feines ßebenS. mar. Wtcrn banft nie für bie 
fiuft, bie man atmet. ©ie hatte fcielteid)t nidjt einmal geahnt, toetd&en 
3Bert jeber Sag if>re§ SafeinS für ihn hatte, fonft hätte fie eS nicht toer* 
fürjen fönnen. 

Unb neben feiner 93erameiflung, feinen ©etbftanflageu ermadjte eine 
2ttt Unmilten gegen fie, bafe fie fein ^erg md)t burdhfdjaut, bafe fie fid) 
btfrd) feine fühle Stufjertichfeit Ijatte tauften Iaffen, bafe fie nidjt ftüger 
als er felbft gemefen. Stdö, er hatte ja nur auf ben SCag gemattet, mo 
er ihr mürbe fagen fönnen: „9?un bin id) etmaS, nun toill id) bir mehr 
fein, als je ein ©ohn feiner SDhttter gemefen! $)ein Seben, baS fo 
grenzenlos traurig mar, foH ©lanä unb ^ugenb burd) mid) erlangen!" 

Sie oft hätte er fid) baS ausgemalt, baft er nadj feinem legten 
©xamen ihr baS fagen mürbe! Unb mm hatte fie nicht gekartet, hatte 
geglaubt, ihm entbehrlidj 3U fein, unb afteS mar umfonft gemefen . . . 

Gr ftöhnte laut; er breite baS Sidjt an — feine Qual mar uner* 
träglid)! Gr t>telt fie nidjt aus . . . SBaS fotttc er machen? 2BaS hm 
nur SWenfdjen, um fid) fcon folgen 3uftänben ber Stngft 3U befreien? 
GS mar einfad) unmöglid) fo meiter gu leben, ihm festen, als müffe er 
erftiden. 2tn folgern ßeib mufe man fterben, mufc baS £era brechen! — 

Gr mußte fid) nid)t gu raten; er ffingelte, mie als Sinb, nad) 
Sannt). Unb als ftc fam, marf er fid) in ihre Strme unb fagte, er 
fönne eS nidjt aushalten . . . 

Sie rebete ihm au, fidj mieber niebergulegen, unb rüdte fid) bann einen 
©tuhl neben fein 93ett. Sie beQann ihm allerlei gu erjählen: aus feiner 
aWutter S^Ö^nb, aus fetner eigenen SÜnbheit. Stile bummen Streiche, 
bie er als Snabe gemadjt, aß feine ffeinen ©chalfhaftigfeiten fdjien fie 
im ©ebädjtniS bematjrt su haben . . . 

Unb er mußte lächeln. Gin $aud) jener mohltättgen Stühe ber 
Jünbergeit flog über fein @efid)t, unb allmäf)lid) füllte fid) baS gange 
Simmer mit fomügen Silbern . . . 

Unb immer, menn er bavan benfen moltte, bafe born aufgebahrt 
alte§ tag, maS fein Seben ausgemacht, fiel ber alten Sinberfrau etmaS 
SßeueS ein, unb fie fprach baöon, bafe er batb heiraten müffe, fie feljne 
fidj banad), feine Sinber im 2trm ju tragen. Gr müffe diele $inber 
fiaben, ein ganse§ $au§ t>oH, ba§ grofee (Scbäube rufe in alten Gden 
banad). Unb er täfelte mübe: Ob fie ettra fd^on eine grau für ifjn 
mitBte? 9?etn, bie fotte er fetber fudjen, bie märe nidöt ferner su finben. 
;/ ©ct)r fdjmer/' meinte er, „benn, fie^ft bu, Sfann^, id) bin anberS al§ 
bie anbern, als meine ^ameraben . . . beraettle midö nid^t, idj marte 
auf bie grofee Seibenfdjaft!" 

„2)aS t)ab' ic^ aud& nie anberS üon SKamaS Sangen ertoartet," ent« 



Siegerin gett. \63 

gegnete fie. „<5ü)qxx broudEjt fie nidjt" au fein, nur gut, fdjredlidj gut, 
£enri!" 

Unb al% ber STOorgen graute, toar er toirfltdj eingefd&Iummert. 
gannty rührte fidf) nicf)t, um tf)n nidfyt au ftören, aber i^re (Sebanfen 
toanberten, unb au§ il)ren 2lugen rannen bie JEränen. 

$)ie§ tpar ber lefete @t>rofe a^eier gamifien, bie fie beibe treu ge- 
liebt, benen fie fjingebenb gebient fjatte — #ortenfe§ SJruber toar finber- 
Io§. 38a§ fonnte fie nur tun, um bie§ fdjöne STOenfdjenfinb glüdlidfj au 
madjen? 9Bie fonnte fie iljn behüten? 2)ie 93otfd)aft feiner ÜWutter, tfjr 
33erft>re<ijen an bie £ote, a(Ie§ berbla&te. @ie tooHte bie fdjtoere @ünbe 
be§ 38ortbrucf}§ im 3e'nfeit8 gern büfeen, alle§ tüottte fie auf fid) nehmen, 
toenn fie bie§ Slinb nur bor neuem ßeib betoaljren fönnte! 

£), Ijätte £ortenfe iljn fo gefefjen, fie ftätte iljn nie berlaffen fönnen ! 
3Ba§ bermodjte fie, Sannt), bie ungebilbete grau, für tf)n %u tun? 3Bie 
fonnte fie ifjm raten, roa§ nufete üjre Siebe tfjm im fernen Sparte, in 
ber grofeen Söeft, in bie feine SWutter iljm l)ätte folgen fönnen? 

Unb menn gannt) nun einen Irrtum beginge unb bem lieben 
jungen unmiffenttid) gerabe baburd) fd)abete, bafe fie il)n behüten toottte? 

einem üttärdjen ^atte fie einmal ettoaä äf)nlidfje§ gelefen. — SBenn 
ba§, toa§ feine SKutter ifjm in jener 9?acf)t anbertraut fyatte, %u feinem 
SBeften märe? Sannt) rief fidj $ortenfe§ 3«ftanb zmüdl $ljr ©efüljl 
täufdjte fie nidjt, ifjre Herrin mar bamalS unauredjnungäfäljig gemefen. 
9£id)t§ @ute§, nid)t§ SBeifeS, nicfjt§ 2)tütterlid)e§ fonnte fie in jener 
9iad)t itjrem armen ©oljne gefdfjrieben baben. — £eute fd)on mürbe fie 
felbft e§ aurüdnebmen; bie gefränfte ätfenfdjenfeele batte bamal§ nadf) 
Stadje gefdjrien. Sannt) füllte e3 i^r nad). 

Stber bie Stadje mürbe nie auf ben Ijeralofen ©Surfen, ber fie ber* 
raten batte, fallen. ©oldje 9Menf<f)en fönnen gar nid)t getroffen toerben, 
ba fie fein Organ %um ßeiben, feinen Sinn für @ercd)tigfeit ^aben. 
äuf $enri felbft mürbe neuer ©djmera fatfen! . . . 

Unb tote finblid) fab er au§, als er eben im @d)Iafe bie 93rauen 
aufammenaog. . . . S<*nm) mufete jefct, toa§ fie tun fodte: SSernidjten 
fonnte fie £ortenfe§ Segat nod) nidjt, bodj in bie #änbe tf)re§ @of)ne§ 
ttmrbe fie e§ audfj nid)t legen. — 

XV. 

@§ mar beinah, aB bätte ber SDtifcerfolg, ben bie ©egner JoreabuS 
bi^er beraeid^nen mußten, ben $afe gegen iftn berboWelt. 

®ie 93eerbigung be§ Solmofc^en ©f)et>aare§ toar of)ne ben geringften 
3toifd)enfaH berlaufen — - ^ämifdje 3eitung§artifel betonten nur, 2oIeabu 
ftätte bod) nid)t gesagt, fid) in Uniform im ©efolge su aeigen, fonbern 
^obe fid& fc^eu in ©ibüfleiber berfrodjen. — entfpraci) nid)t einmal 
ber SBaljr^eit, mürbe aber allgemein geglaubt. 

12* 



164 



nute Kremnife in Berlin. 



©inige £age nad) ber feierlichen 93eftattung toar er abgereift unb 
$ivax in Begleitung £enri DalmoS, ber feine Stubien in $ari§ been« 
bigen fottte. 

$enri hatte jtüar fchon lange feine Suft, bie fogenannten politifdjen 
SBiffenfdjaften unb bie ^uriSprubenä heiter 311 ftubieren. ©r füllte fich 
unroiberftehfid) gu ben Sßaturttriffenfchafteu Eingesogen, £oIcabu hatte ihm 
aber energifd) abgeraten, noch jefct, * m dritten ©tubienjahre, fürs t>or 
bem Schlußesamen umsufatteln. 

Drei SSodjen nach ber Dalmofdjen SSeerbigung brad)te ber gigaro 
bie Sefdjreibung ber glänaenben 33ermählung§feier gürft ßaäfar £o!ea* 
bu§ mit $effa ßaroche. (Sie mürbe in S^arigrab biel gelefen unb fom* 
menticrt unb fachte ade 9?eibgefüf)Ie <m. 5D?an ttmftte eigentlich nicht, 
tuen bon ben beiben man mit ben toenigft fd)meid)clhaften Söeitoorten 
beehren fottte. G£ fd)ien cmpörenb, baft biefem * getoiffenlofen -Manne 
atte£ burdjgehen, atte§ gelingen fottte! Unb bie§ freche, eingebilbete 
SJiäbdjen fottte jebcr Saune, jcbem einfalle frönen bürfen, nur toeil fit 
reich unb fchön? Senn bafo ihre fogenannte ßcibenfdjaft für SEoIeabu 
nid)t§ aB Weltliche ©itelfeit mar, ftanb bei atten ihren greunben feft. 
grcmbc fahen flar, \va% ihr felbft nie sunt aSetoufetfein gefommen tuar. 

Unb toie *>rofcig ihre Toilette — ein Damaftfleib, auf bem mit 
Silber Orangenblüten gefticft — fie gebärbete fid) wie eine regierenbe 
gürftin! Der $rei£ trat fogar im gigaro angegeben — breisehntaufenb 
granf. — Da§ fah ihr ähnlid). £ätte fie nicht ein§, fo meinten bie 
milbhersigen SReiber, für gmeitaufcnb tragen unb bie Differenz ben 
Strmen fdjenfen fönncn? 

Der 5poÜ3eibireftor hielt biefen Jfugenblicf allgemeiner moralifcher 
©mpörung gegen Xoleabu für günftig, um gegen ihn eine Sfftion ciii3ii- 
Ieiten. Der gürft hatte ihm tfvav ben SRat gegeben, im ^ntereffe ber 
Partei unb be§ ßanbeS ba§ Dofument, ba§ ßa§far 2oIeabu fompromit« 
tierte, nicht heiter 3U geigen ober gu bcnufeen. 9iber fdtfiefelich tt>ar ein 
9iat fein Sefchl, unb man braudjte ihm nid)t golge su leiften. Der 
gürft hätte fid) toohl gehütet, in einer fo unfauberen Angelegenheit 
irgenb eine beftimmte SBittenääufterung su tun. Wlcin hätte ihm fofort 
borgetoorfen, Soleabu gu beborgugen. 2Bar bodj einer ber ©rünbe, 
roarum gürft ßaSfar fo befonber§ gehafet ttmrbe, ber, baß er für einen 
erftärten ßiebling be§ &ofe§ galt. Der ^oligeibireftor hielt biefe @e* 
legenheit alfo für eine recht günftige, um einmal öffentlid) fid) feiner 
großen Unabhängigfeit 3U rühmen unb feinen SBürgerftoIg bor gürften* 
thronen &u betoeifen. 

£oIeabu hatte fid) neben attem anberu auch noch cine§ 2)H&braud)§ 
ber 9lmt§ge'roalt fdjulbig gemadjt, beim er fear aftiber ÄtiegSminifter 
getuefcn, al§ er ben 93efehl erteilte, bie bou ihm erbrochenen ©erid)t£* 
fiegel im SBouboir ber Baronin Dalmo neu anäulegen! . . . SWan barf 



Siegerin 3eit. \65 

nie großmütig gegen einen geinb fein, fagte fidj ber Sßotiaeibireftor ; 
SaSfar mar fein geinb, befonberS feitbem ftcf) ba§ @erüd)t berbreitete, 
er fei 311m ©efanbten in (St. Petersburg in 2lu§fid)t genommen. ®ic 
©palten im gigaro über bie glänaenbe 23ermählung3feier feien fdjon in 
$inblid baranf in fo anerfennenbem Xone gefd)rieben. 9?un hatte ber 
^oliaeibireftor einen Sdjmiegerfohn, für ben er fid) fdjon lange um bieten 
glänaenben Soften bemarb. 9tu£ allen biefen ©rünben ging er jum 
SWinifter be$ S^nern 3J?eri unb geigte ihm pribatim ba§ bon £oleabu 
unterfdjriebene £ofument, teilte ifjm 3ugleid) mit, baß er bie (Staats* 
annxrttfdjaft 3U benadjridjtigen gebähte. 3Ba§ SPIeri 51t einer fofortigen 
93erbreihmg burd) bie treffe meine? SDteri befann fid) nid)t lange, er 
hielt iebe SBeranlaffung £oteabu au fdjaben für mitlfommen, ihm fd)ierl 
eine SJeröffentlidjung be§ 2)ofument3 burd) bie £age§3eitungen ba§ einaig 
fid)ere 3Wittcl, um bie Staatäanmaltfdjaft au einem SSorgehen gegen ben 
angefehenen 2Wann au bringen. Sie mar fonft imftanbe, au§ purer 
geigheit fid) burd) ein borgefdjobeneS $arteiintc reffe 3U becfen, um ber 
eingereichten ßlage feine golge 31t geben. ?fber SDfcri hielt ben 9lugen> 
Wirf für fd)led)t gemählt. Gr bat, nod) etmaS au marten. S)er grüh* 
Iing ftanb bor ber 2ür, ber Sanbtag mar bertagt, ^ebcr bad)te an feine 
eigenen .^ntereffen. §m $erbft, fura bor Segiun ber Sßinterfeffion 
mußte bie Sfftion gegen £oleabu beginnen. 3tber bann mußten fofort 
einige mud)tige Schläge geführt unb ,er poliiifd) ein für allemal tot 
gemalt roerbeu. 3ftit biefem ©ofumente fonnte er auf bie 9lnflagebanf 
geaerrt merben, eoentueff, I)efete mau ftarf, mar eine ©efängniäftrafc 
möglich. 3)ann märe er bernichtet, bie 3Ka£fe mar ihm, bem Sorreften, für 
immer abgeriffen. 9?ur marten muß man fönnen! 2Ba§ gemein ift, bofumen* 
tiert fid) fdjließlich bon felbft, ohne baß greunb ober geinb baau beitragen. 

xvr. 

$ella hatte mährcnb ber Qeit ihrer SSerlobung immer gebacht: mie 
muß e§ fein, menn bie Sdjeibemanb einmal fällt, menn bu bi§ au§ 
feinfte Stab be3 großartigen ©etriebeS in beineS gelben 93ruft bliden 
fannft! SBic muß e§ fein, menn er fid) einmal gehen läßt, menn alle 
<2d)leufen feines Innern fich öffnen! Slber fie martete bergeblid) auf 
biefen Slugenblid. Gr fdjerate galant mit ihr, er mußte immer etmaS au 
fngen, über jebe Sleinigfeit beS XageS unb ber Stunbe, aber er mar 
ihr fremb, mie in ben erften £agen ihrer 53efanntfd)aft. £er $rofpeft 
öffnete fid) nie in unergrünbliche fernen. 

2)a3, maS fie ermartet hatte, bicS Überkronten, Überfluten bon all 
bem, ma£ er ein Seben lang für fie aufgefpeidjert haben follte — ba£ 
fnm unb fam nidjt! Sie hatte fich mit ihrer greunbin $cttl) ©reeu 
mehr a« fagen, als er fid) mit ihr. Gr liebte nur bie Xingc an ihr, auf 
bie fie fein ©emidjt legte, bie fie für unmeientlid) hielt. Sht mar feine 



[66 



ITlite Kremniij in Berlin. 



3u ollen ©tunben be§ £age§ begebrenbe £eibenfd>aft mancbmal gutoiber, 
fte liefe ietne 3ärtltc^feit nid)t immer gern über fidj ergeben. Unb toenn 
er e§ merfte, nabm er e§ ibr fo übel, bafe er tagelang febtoeigfam unb 
toerftimmt blieb, bi§ fie ba£ nidjt ertrug unb ibm Särtltd^feiten benebelte, 
bie fie ni<f)t emtfanb. Stber e§ toar ba§ einzige SWittel, ibn auSguföbnen. 
(Sie Ijatte fid) einen $errn getoünfebt, aber fie füllte fteb Deriefet, jebe§* 
mal, toenn er irgenb ettoa§, n>a§ fie fagte ober tat, nidfjt triftig fanb. 
Sie toar natürfid) in gefettfdfjaftlieben gönnen ni<f)t fo abgefdfjliffen toie 
er, fie fyatte fidfj fogar barauf gugute getan, fidj niebt allen gu beugen. 
SDWt Ieifem ©pott verlangte er, aB er einmal einen ettoas formlofen 
SJrief Don ibr gu ©efiebt befam, bafe fie jebe£ ©ebreiben ibm borlege — 
ba fie feinen 9?amen trage, füble er fidE) für fie fcerantoortlidf). ©r blieb 
ftet§ freunblid), toenn er folebe SSorfdjriften machte, aber fie füllte fieb 
gebemütigt. SKatürlieb gab eä baneben triele ©tunben, too fte mafeloS 
ftolg toar, feine grau gu fein. 2tber ibre ©idjerbeit fyatte fie ettoa§ t>er- 
Ioren, unb ibre ©rtoartungen toaren niebt erfüllt toorben. ©ie feinte fid> 
nad) ber $eimfebr, nad) ber 9toHe, bie fie fielen toottte. Unter trier 
Slugen gürftin Sloleabu fein, f>atte toenig Steig. Sfbet toenn fie über 
feine politifdje ©tettung, über ben 3citpunft ber 2tnfunft in Sgarigrab 
ettoaS erfahren toottte, merfte fie, bafc ibr SReidE) enge ©rengen batte. 

©ie beobadjtete, bafc er fie biel lieber batte, toenn fie mit ibrem 
Keinen gufe ungebulbig aufftamtjfte, al§ toenn fie bie fcernünftigften 
$5inge rebete. ©otlte fie tfjren SD?ann 3U boeb genommen böben? 
©oUte er toirflidj niebt mebr (Srnft baben aB all bie anbern, öon 
benen fie gebort unb gelefen, bie ibre beften Übersendungen binot>fem 
um bie gtoeifelbaftefte SBeiblicbfeit? 9iein, fold) einen ©ebanfen 
fonnte fie niebt ertragen, ©ie toollte niebt nur ein fdfjöneS unb an» 
giebcnbe§ SBeib fein — bafe fie ba§ n>ar, fdjien ibr felbftoerftänblid) — 
fic tDottte emd) ein ganger SDtenfdj für ibn fein, ©ie toar bodj flug 
unb gebtlbet. 

2)iand)mal berglidj fie ben ßaSfar, ber im vergangenen SBinter in 
ibrer ©inbilbung gelebt batte, mit bem, beffen ©attin fie nun tt>ar. ©ie 
fanb faum eine 93erbinbung§brütfe gtoifeben ibrer Sßorftellung unb ber 
Realität. Unb bafc bie ©cbulb tman in ibr felbft liegen fönnte, festen 
ibr auSgefdjloffen. 

Sa§far liebte fte auf feine SCrt, mandjmal febien ibr, obgleicb feine 
SSeranlaffung bagu borlag, al£ fei e§ eine ©tbetto*3trt, eine büftere, faft 
febmergbafte Seibenfd&aft, bie immer nadj ettnaS Unmögliebem bürftet. 

9lein, bie Siebe, bie fie geträumt unb einmal für ibn su empfinben 
geglaubt, bie in bwnberttaufenb fleinen SEro^fen beraufdjenben 2)uft in 
ba§ Seben. träufelt, bie b^tte unb fannte er nid)t! S)ie feine toar ibr 
bebrüdenb, febien ibr unpoetifd), febauerlicb, brutal, bo(I ©rbenfdjlDere. 

©ie botte mit $ettt) in enb!o§ langen 3lbenbgeft>räd)en feftgefefet, 



Siegerin gett. ' (67 

toie fie ftdf) ifjren £au3f)alt einauridf)ten geborte. SDie 33illa &ei ©enf, 
in ber fte baä erfte $eim betrat, fear aber bottftänbig möbliert unb 
SaSfarS ®ammerbiener aB £au§I)ofmeifter tabelloä. @ie modf)te iljn aber 
nidjt leiben unb jagte fd)on in ben erften Sagen iljre§ bortigen SCxifent- 
öafte§ w if)rem Spanne, fic fönne biefen #arem§toädjter — benn al§ 
foldjer erfdjienc er ibr — bmäjctuZ nidjt Vertragen. @ie toar überaeugt, 
bieje Äußerung toürbe genügen, um bie fofortige ©ntlaffung be§ S)iener§ 
8u betoirfen — fo fjatte fic fid) toenigftenS ben ©influfc einer angebeteten 
grau borgefteHt! $br ©tirnrunaeln imb Sippenf räufeln fottte über Sob 
unb Seben i^rer Untergebenen entfdjeiben. 

Stber bie SBirflidjfeit bot ein anbereS 93ilb. 2)er $au3f)ofmeifter 
blieb im 9tmte, obgleidj fie iljn $arem§toäd)ter genannt. 2ff§ fie e§ jum 
ameitenmal tat, entgegnete ßaäfar, ber SDtann ftefye feit stoangig ^afyren 
in feinem SMenfte unb erfreue fidfj feine§ botfen 2}ertrauen§. 

2>amit Ijielt er bie @adje für erlebigt, aber fie fam bei einer britten 
©elegenljeit auf fie jurüdE. 3Wit überlegener 9hd)e ertoiberte er, inbem 
er nid&t einmal t>on feiner 3eüung auffaft, er möge fo finbifdje Segeid)- 
nungen nidjt leiben. 6§ fei einer borneljmen grau audE) nidjt ganj 
toürbig, fo oft baSfelbe w fagen, nod) bagu, toenn e§ jeben ®eift£ 
ermangle. 

$etta toar bunfelrot getoorben, fie Ijielt biefe 93emerfung für einen 
moralifdjen Sßeitfdjenljieb, er aber Ia§ ruljig toeiter. ©eine 93üd)er toaren 
il)r fdjon gana autoiber; fie E)ätte lieber ben Sag mit iljm bertänbelt; 
toenn aber feine Seibenfd)aft raftete, fanb er nidjt biel ju fagen, toar 
fogar gern allein. 

(Sie feinte fidj nadf) Setftreuungen, nad) ber grofeen Sßelt, nadj 
raufdjenben geften, nad& täglicher 2tbtoe<f)flung, nad) SDtenfdjen. ©r toottte 
bort bleiben, bi§ er aum ©efanbten ernannt fei. @r ertoäftnte nidjt§ 
babon #etta gegenüber, tou&te aber, bafc bie (Srnennung fic freuen toürbe. 
3för ganjer Sinn ftanb nad) ©lana unb toeltlid)em ©rfolg. ©ie 23e* 
fdjreibung eines ®oftümfefte§ an irgenb einem #ofe fonnte fie atüei», 
breimal lefen. @r füllte feine £äbagogifdje Slber in fidj, um fie über bie 
9iidjtigfeit ber SBelt aufauflären. ©lauben toürbe fie iljm ja bod) nid)t 
— erft bie S^t)re toürben fie e§ lehren. 

Sßandjmal fiel e§ iljm fd)toer, fie nid)t für gana oberflädtfidj au 
galten. Ober fannte er fie nidjt? ßeibenfdjaftlidfjer al§ je toar er in fie 
berliebt, unb er fagte fidj, man fönne eben nidjt atte§ bon einer grau 
bedangen. 2)a £ella bie unerfättlidfje, unftiHbare ©ier in jiljm au^Iöfte 
unb im ©etoä^ren immer nod^ reiaboller tourbe, fo burfte er nidE)t baneben 
nod^ ©eelen* unb ©eifteSübereinftimmung berlangen! 

3um erften 3WaIe badjte er an ^ortenfe; fie Ijatte nie ettoa§ ber* 
mi%t, toenn er bei it>r getoefen toar. Slber er berfd^eud^te bie (Erinnerung, 
©r öatte aud& feine 3^it baau, benn an bemfelben Sage traf bie SenadE)- 



\6S tlttte Kremni^ in Berlin. 

ridjtigung au§ Sjarigrob ein, bafc er megen SDtifcbraudjS ber 9lmt§getoalt 
angeffagt fei. Sie 3eitungen brauten zugleich faffimiliert feinen 93efehl, 
bie bon ihm erbrodjenen (Siegel im 93oubotr ber Saronin 2)almo neu 
anzulegen. 

2tugenfdjeinlid) mar e§ ein SBorftofe gegen ihn, eine politifdje §ntrige, 
beren SDtottb er fofort burchfdjaute; feine Ernennung fotltc im legten 
2tugenblirfe noch hintertrieben merben. 

©r mufete fofort nad) Taarigrab, aber feine grau burfte md)t mit 
ihm reifen. 9Ba§ er bor ber ©he gefürchtet hatte, fürdjtete er iefct nodj 
mehr. (Sie foffte bon feinen früheren ^Beziehungen zu $ortenfe nidjt£ 
erfahren, ©r mufete fie hier Iaffen unb ihr bie unau3ftehltd)e engfifche 
greunbin zur ©efefffdjaft fommen Iaffen. (So fd)led)t beren ©influfe, er 
mar beffer al§ ba§, tua§ fie allein ausbrüten fönnte — zumal, menn fie 
etma$ erführe. ©r fannte jefet ihren ©igenmillen unb Xrofc unb glaubte 
nicht mehr an ihre Siebe. «Sic muffte gar nicht, ma£ Siebe mar, bemühte 
e§ auch bermett nicht. 2lber mehe ihm, menn fie einmal zur ©rfenntntä 
fam. ©r fnirfdjte mit ben gähnen, ©rmürgen mürbe er ben, ber ihr 
gefiel, gaftifd) foHte unb fonnte fie ihm nidjt berloren gehen, hrie eine 
Stürfin mürbe er fie behüten . . . Slber jefet muftte er fort, trofc allem. 

XVII. 

Saäfär teilte feiner grau faft mie etma§ 9?ebenfäd)lichcS beim Srüh« 
ftüd mit, baß er mid)tige Telegramme erhalten unb auf einige Tage nach 
%arigrab fahren müffe. $ctla mar fo überrafd)t, bafe fie bie Srage, in 
meldjer Angelegenheit er reifen müffe, faft brohenb fyerborftiefe, jebenfattä 
in feiner liebenSmürbigen gorm. (Sie mollte nid)t immer mie ein ®inb 
behanbelt fein, bem man nur bie boffenbete JEatfadje mitteilt. 

ßr entgegnete, e§ hcmble fich um t>olitifd)C 2)tnge, bie für fie fein 
Sntereffe hätten. 

„2öa£ fott benn für mtd) Öntereffe höben, menn nidjt einmal 2Tn* 
gelegenheiten, bie bid) bon mir fortrufen/' fagte fie lebhaft, ärgerlicher 
über fid) felbft afö über ihn, ba fie fid) in bie Sage gebracht hatte, eine 
Stbmeifung zu erfahren. 

//Sä) fühle mich gefdjmeichelt, menn e§ bir fo fehler fällt, mich ein 
paar Tage zu entbehren/' berfefcte er mit feiner formellen Unnahbarfeit, 
bie ihn mie ein ganger umhüllen fonnte unb bor ber fie fich immer ge* 
bemütigt fühlte. 

„So nimm mid) mit." 

©r hotte eine Sülle zarter 2lu§flüd)te. 

,,%d) fann in einer (Stunbe reifefertig fein" . . . meinte fie, brin* 
genber merbenb. 

ßr lächelte fie an. (Sie fah fo befonberS fd)ön in ihrem ©ifer au£, 
unb baS 5D?orgenlicht ftanb ihrer Öugenb fo gut. 



Siegerin 3>eit. J69 

„3)u ^aft äffe guten ©igenfdjaften," antwortete er auämeidjenb. 

%f)v ftieg ber Ärger immer mefyr au Sot>f unb SCränen in bte 
2fugen. „£)a§ foff Siebe fein!" fagte fie fid) bitter, aber laut jagte fie 
nod) nidjt§. 

3)a3 finblidje ©djmoflen ftanb iljr fefjr gut. 33on if)r au müffen, 
mar i^m ein magrer ©djmera. ©ie mar fo gana bie grau, um einen 
SRnnn bon ©innen au bringen. 

6r ftanb auf, fcfjlang feinen 9lrm um fie unb 30g fie neben fidj 
auf ben Dttoan. 

(Sie Ijafcte e£, gefüßt au merben, toenn fie gerabe ärgerlidj mar, 
fie Wehrte fidj mit $änben unb güfeen, unb mit bem 33ormanb, fie Ijöre 
be§ 3)iener§ ©djritt auf bem glur, enttoanb fie fidj feinem 3lrm. 

2)a badete fie t>Io#id) an ben Xag iljrer SBerlobung, tüte fie e§ fidj 
faum Ijatte borfteffen fönnen, bafe fie je tragen mürbe, iljn aärtlidj &u 
berühren. — Unb jefct entaog fie fid) unter jebem SSormanb feinen Qdtt* 
Iid)feiten. (Se^örte fie ettoa au ben grauen, bie nur ba§ reijt, tx>a§ fie 
nidjt Ijaben? Sie, menn e£ iljnen auteil gemorben, iljm feinen SBert 
mefjr geben? ©ie fjatte in Romanen t>on folgen SBefen gelefen. 3Bie 
fdjrecflid), menn fie au ifjnert gehören foHte. Sie moffte fidj gana gemife 
änbcrn, fo motfte fie nid&t fein, fonbern toie eine ibeale Brau, treu unb 
beftänbig. 2lber fie trug nidjt allein bie ©djulb, aud) er. 

2Benn er iljr meljr 3eit liefte, fid) nadj iljm au fernen, fo mürbe 
alles beffer fein; toenn er ftunbenlang mit iljr fdjerate, i^r ben ®of 
madjte mie al§ 93erfobter, bann fönrüe fie aud) biefc füfeen, unbeftimmten 
©efüfjle für iljn Ijabeu, mie bamaB. 9tbcr er • erftidte jebe feimenbe 
©mpfinbung burdj ein Übermafe feiner 3ärtlidjfeit, bie fie nun einmal, 
fobiel 9ftüljc fie fid) gab, banfbar bafür au fein, nidjt leiben modjte. 
Darin fonnte fie fidj beim beften SBiffen nidjt änbern. @§ mar if)r 
fdjretflid), menn feine Sfugen biefen fremben, meltberlorenen 9tu3brud bc* 
famcn. Slber fagen fonnte fie iljm ba§ nidjt. Sßaren alle SWähncr fo, 
bann frfjienen il)r bie grauen fdjlimm barau. ©ine unenblidje Siluft lag 
atoifdjen SWann unb SBeib. 3Ba§ fie unter Siebe berftanb, mar ettoa§ 
gana anbere§, aU ma§ er fo nannte. Unb barum mar fie nidjt fo glütf* 
lid), mie fie gebad)t Ijatte, bafe fie fein müfete. — Der Straum toar 3er* 
ftoben. 

Unb nun reifte er ab, obgleidj $effa fid) borgenommen Ijatte, fie 
moflte in ber lebten Stunbe bie ©emalt ifjre§ (Sinfluffe§ unb feine Siebe 
baran erproben: ob er bliebe ober fie menigften§ mitnähme. 

©r nannte es finbifd), aB fie Ieife begann, e§ läge i^r biel batan, 
er möge ifjr biefen ®cfatten tun. ©ie erinnerte iljn baxan, mie er gefagt, 
fein ganae§ Seben läge in iljrer §anb. ©ie Ijabe bi^^er geglaubt, bie gc* 
liebtefte grau auf ©rben 311 fein — unb nun fdjlage er ifyr bie erfte 
ernfttjafte 93itte ab. 



\70 



Hüte Kremnife in Berlin. 



toar merfttriirbig, ttrie gut fie ade gärtlidjen 33erfpred)ungen auf* 
gefoeicfyert t)atte unb il)m nun bortoarf. — ©r entgegnete: ttjr @ebäd)tni§ 
madje tf)n ftolg. — Sßie fie aber heftiger unb heftiger ttmrbe, al§ er nur 
Säcfjeln unb h>o!)ItDolIenben ©pott für fie ^atte, ttmrbe er ernft: sunt 
(Streiten gehörten gtoei, in feinem 3ßörterbucf)e ftünbe ba§ SBort nid)t, 
er ttriirbe fid) nie einer Same gegenüber fo tnel bergeben. 

Sie bat nod) einmal, bann ftiefj fie eine Srofjung au§: ttmrbe 
nie ttrieber gttrifdjen i^nen werben, tüte e£ getoefen fei, fie fönne ba§ nid)t 
bergeffen . . . äöa§ bie SBelt benfen ttmrbe, tt>enn er fie nad) fo fnrgen 
SKonaten ber @f)e allein liefte, er bemütige fie . . . 

©r berfucf)te e§ nod) einmal mit Sernunftgrünben, politifdje 9tüd- 
fid)ten . . . 

Sa§ erbitterte fie gang: gür einen liebenben (Satten gebe e§ feine 
polttifdjen 3lüdficf)ten, toenn feine grau im Spiele fei, fie glaube nidjt 
baran, er berberge if)r eth)a§ . . . 

Sa§far meinte, fie fei ein reigenbeS Sinb, aber Ijeute bod) gu fefjr 
Sinb, er tootte roarten, bi§ fie fid) totebergefunben. . . 

„DttemaB," ftiefe fie IjerauS, toäljrenb er ba§ 3iwwer berlicfe. Sie 
toeinte bor Qovn unb 3etfnirfd^ung, fie t)atte bie gange Seljle bott bon 
Singen, bie fie Ujm fagen tüoHtc. Sa§ fotlte Siebe fein? @o fal) bie 
9tüdfid)t au§, bie ein Wlaxvx feiner grau fdjulbete! $ätte fie ba§ gettmfet 
— aber roa§ rocifs ein SWäbdjen bon Siebe. 

©inen Sfugenblid Ijoffte fie nodj, er ttriirbe feine 2tbreife berfdjieben, 
er ttriirbe nad) einer foId)en ©gene nidjt fie berlaffen fönnen. $n Sftomanen 
Ijatte fie oft gelefen, tt>a§ SRänner, bie ttrirflid) lieben, tun. — Sie er» 
kartete, bafe er ben Sßagen, ber bor ber 5Eür ftanb, fortfdjidte, in§ 
3immer träte unb bor ifyr nieberf niete mit ben SBorten: „Die gange 
SBelt ift nid)t fo biel teert mie eine 2xänc bon bir. 2tCfe§ mag gu- 
grunbe geljen, toenn bu mir nur nidjt gürhft!" 

SBogu toar fie benn fd)ön unb berüdenb, toenn nidjt ttienigftenS ifcr 
SKann atte§ in if)r fat>? 

2tber nicf>t§ bergleid)en gefdjal). @r glaubte toomöglidj, er müffe fie 
ergießen. 

Sie Ijordjtc, bann fal) fie burd) bie ©arbine auf ben SSortjof. Ser 
Safai trug ba§ Sfreifegepäcf in ben gleiten Sßagen, ber Sammerbiener 
fuljr bamit borau. 9iun trat SaSfar au§ bem $au§; ber @d)Iag ttmrbe 
aufgeriffen, ber Siener fprang auf ben 93od. 

(Sinen 2fugenblid glaubte fie, e§ fönne nid)t möglich fein. Sfber eS 
toav möglid)! ©r fuf)r gum S3aI)nI)of obne Weiteren 2tbfd)ieb. 2TIle3 93Iut 
ftieg it)r in ben SioDf: Sa§ fonnte unb toottte fie nid)t bulben! 

@ie rafte in i^r 3itnmer, flingelte ber Sammerfrau, befteffte einen 
SBagen unb gog fidf) mit 2Binbe§etIe an. Ser gürft f)abe ettoa§ bergeffen, 
fie müffe il)m nad)fal)ren. Sie Sammerfrau fagte nidjt, bafe e§ fc^on gu 



* Siegerin geit. 



ft>ät fei ; Tie fagte, ba fie toeltflug mar, ihrer Herrin nie ettt>a§, ft>a3 
biefe ntd&t hören motzte. 

@o fuhr $etta aum Bahnhof, ohne recht au miffen, ma§ fie SaSfar 
fagen VooIIte, nur um ihn au fränfen, bon ihm gefeiten au toerben. 

<Da§ gelang ihr aud). 3)er 3ug, 6er ihn babon trug, mar " stoar 
fdfjon in 93efc>egung, al§ fie auf ben Perron eilte, er fah fie aber nodh, 
unb e§ mürbe ihm fdhtoara bor Stugen . . . 

#etta ftanb bann atiein, preßte bie Si^en aufeinanber, toarf ben 
$o£f in ben 9?aden unb hielt fid) für eine gereifte Sömin. 

XVIII. 

ßaäfar hatte, aB er bor feiner #odjaeit in $ari§ längeren Auf- 
enthalt nahm, abfidjtlidj bermieben, $enri mit #ella aufammenaubringen. 
3)e3 jungen SDtanneS tiefe JErauer bot ihm ben nötigen Sortoanb; aber 
$enri empfanb e§ fdhtoer. SSon einer (Smlabung anr $ochaeit mu&te 
natürlich auch SCbftanb genommen toerben. $enri mohnte ber firdjlidjcn 
Zrauung bennodf) in ber 27?enge bei, e§ märe ihm au unnatürlich erfdjienen, 
fern $u bleiben. #ella§ Schönheit madjte einen großen ©inbrud auf 
ihn, — fie hatte bie Ieudjtenbc ßieblicfjfeit ber SSIonbinen, bie burd) alle 
Warften fpuft. @o bornehm ber fdjtoarae, frfjlanfe SKann in ber 
©eneraBuniform neben ihr auSfah, #enri mufete bod) an ben auf Soleabu 
jefet allgemein angemanbten 8bi8bru<f ,,9Ke£hifto'' benfen. Unb ein ©e- 
fühl bon geinbfehaft gegen ihn crtoadjte. SBar c§ Uieib? SBar e3 lieber 
ber alte ©roll? Vielleicht mar e§ mehr, $enri mar jefct gunnit, als 
muffe er atte§ abftreifen, ma§ ihn an ben Sttann banb, beffen Säten nie 
feinen SBorten entforadhen. (Sin ©ntfdhlufe, mit bem er lange fdjon ge- 
zielt hatte, reifte in ihm. 6r mollte nidjt aur politifdjen ©efolgfdjaft 
jenes -DlanneS gehören. 3 U feinen ©egnern überaugehen, märe taftloS 
gemefen, unb irgenbmic mufete er Stellung au ihm nehmen. Sßottte er 
fidh ber 9?otmenbigfeit entaiehen, gab e§ für ihn nur ein§: 9ioch jefct im 
britten Sahre feine juribifdjen *unb ftaatsmiffenfchaftlichen ©tnbien auf- 
geben unb fidh eine anbere Saufbahn fudjen. 

S)ie 9?aturmiffenfdjaften hatten ihn ftetS angeaogen. Unb jefct, mo 
er ein ©rauen bor allem Vergangenen entyfanb, fid) atiein unb loSgelöft 
fühlte, fing er mieber an, fidh eine 3ufunft mie ©armin au träumen. 
S3on flein auf hatten ihn §nfeften unb Käfer befonberS intereffiert; er 
hatte fdjon feine SSonne bamit erfdhredt, ba& er alles ©ctier liebebott auf- 
fammelte unb in ber #anb trug. S)a er großenteils auf bem ©ute auf* 
getoadjfen, hielt man bieS für ben ©influfe ber Umgebung. 3lber ba§ 
Sntereffe mar auch in ber ©tabt, toar auch in fpäteren S^h^en geblieben. 
Unter bem ©inbrude ber legten ©reigniffe, eigentlid) im ©efühl, fidj 
SColeabu entfremben au tooffen, tot er bie erften ©dhritte aur SSertuirf* 
lichung. 



172 



Mite Kremnttj in Berlin. 



Ohne irgenb jemanb um 9tat gu fragen, fattelte er um. 

gür ihn war eS gu einer Kraftprobe bor feinem eigenen ©ewiffen 
geworben. Gr freute fid) biefer erften, bofumentierten Selbftänbigfeit 
uub warf fid) mit Übereifer in bie neue 3trbett, mit einem ungefannteu 
©enufe an ad bem, baS fie ihm barbot. 2tB unabhängiger ©rofcgrunb- 
befi^er riSfierte er eigentlich nur in feinen eigenen 2tugen etwas. 

Smmer mit bem ßebenSgange SarwinS bor feinem ©eifte, bernahm 
er burd) Stubiengenoffen mit Gntgüden, bafc in anberthalb fahren eine 
Sübpolaretpebition bon granfreid) auSgerüftet werben fotlte. 

9ttf fein Streben war barauf gerietet, an ihr teilnehmen gu fönnen. 
2>ic nötige ©efunbheit unb Kraft, aud) genügenbe SWittel Ijatte er; würbe 
er aber in anberthalb fahren fo weit fein, auch an ben Wiffenfchaftfidjen 
Strbeiten teilnehmen gu fönnen? 

üWan madite bem fompathifchen unb fleißigen StuSlänber an mafe* 
gebenber Stelle Hoffnung. 

Unb nun fing er an, feine SBerlaffenhett nicht mehr gu fühlen. $n 
ihm lebte eine Hoffnung, ein fefteS Siel %fom toor, als fülle feine Seele 
fidi bon neuem, als befäme baS ßeben einen ungeahnten Sinn, er ahnte 
eine innere 3ufriebenheit, bie er bisher fo fdjwer bermiftte. C, wäre bie 
Ginfidjt bod) früher in ihm erwacht, baf$ bie Tretmühle, in bie er fid) 
gebanfenloS begeben, nur weil eS bie Strabition fo mit fid) bradfjte, ihn 
gu einem unfähigen, ungufriebenen 2ftenfd)cn gemacht hotte. 

SBaS hätte er feiner 2J?utter fein fönnen, wenn er überhaupt etwas 
gewefen märe. — Gr hotte fich iht immer nur berfd)loffen, berftimmt 
gegeigt. — SBenn er gurüdbadjte, fah er fid) immer nur unauSftehlid), 
nie tiebenSwürbig ober banfbar. (Sie hotte ihn mit ©üte überhäuft — 
er h^tte alles hingenommen, als gebühre eS ihm. ©in 2Beh umfing ihn, 
baS er 9?ene nannte, unb baS er nur in eifrigfter Strbett erftiden fonnie. 
9lber mandje 9iad^t erroadjte er bor Sehnen — er hotte bon ihr ge- 
träumt. 9td), als fie lebte, hotte er fie nie fo geliebt nrie jefct. 

Seiner üttutter Sruber fdjrieb ihm, er müffe in Soht unb SEag ben 
Kreis, in bem bie gamiliengüter lagen, im ßanbtage bertreten. 

Gr antwortete auSmeidjenb, in Soht unb £ag hoffte er, wo anbers 
gu fein, unb ihm fdjauberte bor ber Gnge jener heimatlichen ©efidjtStnmfte. 
Gr hörte ein Kolleg über Stnatomie unb ihm War oft, als hätte er bisher 
bon ßeben unb SBelt nichts berftanben, als fei er ein SEräumer gewefen, 
bem fid) bie 2Birflid)feit jefet erfd)lofe. 

Unb natürlich War ihm gugteid), als müffe er neue 2>afeinSformen 
finben, als horrteu hunberttaufenb unerflärte £atfad)en feines SDenfenS, 
feiner Arbeit, um erforfcht unb in bie SBiffenfdjaft eingeführt gu werben. 

Sann fragte er fich wohl manchmal, wenn er tobmübe auS bem 
Segierfaal fam, ob baS neue Sein, baS ihn jefet gang erfüllte, Wirflid) 
nur in Oppofition gu ßaSfar £oleabu in ihm erftanben, ob bie Gr- 



Siegerin Seit. \75 

fchütterung über ber 9Wutter furchtbaren Zob ihn erft aufgerüttelt habe? 
6r mußte eS nicht, er tou&te nur, bafe er gu etft>a§ gang 9?eueni aufge* 
macht mar. ©r fannte nichts aB feine Strbeit, nahm an nid)t§ anberem 
Sfntereffe, begriff feine 3tItcr3genof|"en nicht, bie ihre foftbare 3ei* fort- 
marfen um nichtige, fdjale 3erftreuungen, too fo biete 9Wenfd)enleben 
nicht auSreidjen mürben, unt atleä ©ebadjte nad)gubenfen. 

gr ftmrte nicht, bafc e3 (Sommer gemorben. SBo aubere Serien 
machten, arbeitete er berboppelt, fro^ ber geringeren fionfurreng. $>te 
Sübpolarerpebition ftanb bor ihm al§ fein $iet; er geidjnete fid) bor 
aßen ©enoffen nicht nur burd) größeren Sfteife, fonbern burdj eine faft 
unbegreiflich fdfjnelle gfaffung^fraft, in ber er ben Sßeftlänbern tueit über* 
legen mar, au§. Unb ein feinem Stlter borau^eilenber praftifdjer Sinn 
fiel allgemein auf. Sa, er toar ein SKanu gemorben in jungen Sahren. 

XIX. 

2)a§ grofee 2)aImofdje $au£ lag berlaffen ba. %m S3orf)of tendierte 
©ra§ unb Unfraut fo £)od) gmifdjen ben Steinen, bafe e£ teie ein Selb 
im SBinbe mogte. @§ galt allgemein für ein fd)Ied)te§ Omen, menn bie 
öräfer e§ gu foldjer $öhe brachten. 9tber gannt) ließ e£ gefchehen. Sie 
forgte für $au£ unb @inrid)tung, lüftete unb fäuberte bort unaufhörlich; 
ber $of beunruhigte fie nidjt. 2)a $enri ihr atle§ überlaffen, hatte fie 
in hmi§hölterifdjer @ 0 rge um fein S3ermögeu, ba§ fie gern bermehren 
tüofttc, ade 2)ienftleute bi§ auf ein 3Mäbd)en entlaffen. Sie mußte, gmet 
Grntejahre maren fd)Ied)t getoefen, unb ba§ gange Xalmofche Vermögen 
beftanb in Stegenfdjaften. Sparfamfeit mar alfo angebracht. 

©en gangen Jag machte fie fid) im #aufe gu fchaffen, aber bie 
9?äd)te mürben ihr lang unb immer länger. (?£ mar eigen: nicht nur 
in ben erften SBodjen, aud) jefct, nach SWonaten nod), machte fie ottnäd&t- 
lich bie £obe§ftunbe ihrer Herrin bon neuem burd). Unb mit jeber 
5Rad)t Iaftete ber DrudE jene§ nicht eingelegten SSerfprcchenS mehr auf 
ihrem Sinne. 

Sie hatte anfangt, mit fidjerem ©efühl, morin ihre $ßflid)t lag, 
$enri ba§ Öegat feiner ÜWutter borenthalten. Sie mar noch übergeugt, 
#ortenfe fytibe in einer bem ^rrfinn bermanbten Überregung bamal§ 33e- 
fchlüffe gefaßt, bie ihrer gangen äBefenheit fremb getoefen. Sei £age 
mieberholte Sannt) fid) ftet§ bon neuem, baf$ fie im (Seifte ber £reue ge* 
hanbelt, toenn fie auch Söort ihre§ Sd)tt>ur§ gebrochen. SIber bei 
9Jad)t! Seine Sogif hielt ftanb. $hr flarer, unberbilbeter 93erftanb 
fdjmanb, fomie bie Sonne untergegangen. Dann regte fich etma§ in ihr ; 
fie mußte nicht ma§. 28ie ein ph*)fifd)er Krampf am bergen begann e§, 
mie eine namenlofe Sfngft j>adte c§ fie. 

3«erft hatte fi c gemeint, ein förperficheS ßeiben befiele fie, unb hotte 



\7<\ mite Kremntfc in Berlin. 

fid) babei flar gemadjt, bafe fie fdf)on über fiebaig S^re alt unb jeben 
Stag fterben fönnte . . . Sollte fie $ortenfe§ Äaffette öorher bernidjten? 

3ln fid) felbft backte gannt) nie; fie tyatte nur für ihre $errfdjaft 
gelebt; auch ihr Xob hatte nur in bejug auf biefe SBert Sie ging in 
il)rcr geliebten Herrin 5£obe$ainuner, ftellte fidj an ba§ Sager, too fie 
bamaB geftanben, al§ fönne i^r babnrd^ eine Eingebung fommen. 

Silber nur ein neue§ ©rauen ermadEjte. 

(Sie fal) ©efaenfter mit macfjen Slugen, fah ihrem $enri ein Un- 
glütf nahen unb mufete e§ nidjt ju bannen. 2>ie SBänbe fdjienen ihr 
ßeben su geroinnen imb etroaä suauraunen . . . 

9htr ba§ burfte nicht gefdjehen! 3)iefer lefcte Sprofe tum allem, tt>a£ 
fie geliebt, burfte nidjt augrunbe gehen. @r mufete am Seben bleiben unb 
9?ad)fommen haben; cnblich mufcte etma§ bon (Srbenglüd unb ©rben- 
fegen in bie§ arme, bon Seib Derfolgte $au§ fommen. 

2fannt) badete nichts anbereS mehr aU $enri§ 3uftmft; fie 
marterte Wir @et)irn, tx>ie fie cttoa§ für ihn tun fönnte. 2tlle§, toa§ baB 
ganae ßeben lang an Ijeifeer ©tut in ihr gefchtummert hatte, ertoadjte 
für bie§ $inb ihrer #ortenfe. 

SBar e§ nicht graufam, bafe fie auSerfehen Horben, feinen grieben 
au ftören? ©r fdjrieb ihr fo fd)öne ©riefe, er mar plöfelidj ein Sttann 
geworben. $a§ SBetmt&tfcm ber eigenen 23eranttoortung, be§ nidjt un- 
bebeutenben 33efifee§ unb nodf) irgenb etoa§, roa§ Sannt) unbeftimmt 
fühlte, Fjatte iljn fo biel älter aB feine !§ahre gemacht. Sßenn er je in 
SBerfudjung gemefen, ein leichtfinniger 27?enfd) au ftcrben, fo toar ba3 für 
immer abgetan, ganng fürdjtete etma§ anbereB: baft er nicht glüdlidj 
merben fönnte. 

Sed)£ Monate unb mehr maren nach #ortenfe§ £ob bergangen, aU 
eine neue 3*ntung§fefybe über bie Strt ihre§ StblcbenS ausbrach. Stile 
Ratten bie Sadjc für aufgeflärt unb erlebigt gehalten; nun fdjienen pYofy 
fid) neue Xatfadjen an§ Sicht au fommen. 

gannt), bie feine 3ettungen Ia§, erfuhr c§ zueilt burd) ihrer SdEjtoefter 
SWann. ©iefer fam eines £age§ au ihr wnb meinte, fie mürbe toofj! 
nädöfteng mieber ^efudj bon ben Herren be§ ®eridjt§ befommen; in ber 
„SEBa^r^eit" fjeitten ®inge geftanben, bie ein ©infdjreiten ber Suftia obfolut 
notmenbig nmdjten. 

G§ fam aber fdjlimmer. ©ine§ 3Worgen§ befam fie felbft eine 33or« 
labung; fie follte in ©adjen ber erbrochenen Siegel ansagen. 

a3i§f)er tjatte fie fidö oft flar gemadjt, bafe tyx £afc gegen ÖaSfar 
lange nid)t fo ftarf toar mie if)re 2lngft um $enri. Sie f)ätte SColeabu 
atle§ bergeben fönnen, toenn er nur jefct ein aufrichtiger 3freunb beB 
@oI)ne§ ber toten grau gemorben märe. @§ hatte ihr fogar einmal 
burd) bie Seele geaudt, ob fie nicht ettua bie SBaffen, bie fie in ber $anb 



Siegerin geir. \75 

t)atte, tljm felbft ausliefern foffte. SBenn er bafür heilig berforäcfje, $enrt 
au fdjüfcen? ... 

2)od) etmaS marnte fte. 2BaS mar baS tjetltgfte 93erft>redjen aus 
btefem SThmbe, ber $ortenfe fo oft belogen fyatte, mert! SBer bte SDtutter 
in ben £ob getrieben, mürbe audj ben ©oljn mttleibSIoS auS bem Sßege 
räumen. -Hit 93ttten ober mit ©rofctmtt mar bei biefem garten Sdjfüdjtler 
ntdjtS auSäurtdjten. @r mufete 2tngft Ijaben. Stur bann mar bei ifjm 
etmaS 311 erlangen. Stngft für fid), für feine eigene, t)on tljm fo tbealt« 
fterte Sßerfon! 

gamtt) badete fdjon fett SBodjen faum etmaS anbereS als bte S3rtef« 
faffette. ©dfyßef fte, fo träumte fte, baft man fte tljr geftoljlen Ijabe, unb 
fufjr mit lautem ©djret auf. 9?ad)t für 9tad)t toanberte fte burcij bte 
leeren 3i mnlcr / um bermetntltdje 3)tebc unb Gftnbredjer 3U überrafdjen. 
SBet btefer 9tuI)eIoftgfett fdjmanb tf)r oft ber 3ettbegriff. @ie fat) #ortenfe 
al§ Stnb. Sie faun über ba§ jammerbotte ®afetn btefer fd)önen -Dtenfdjen* 
Wüte nad), fte empörte fidj gegen baS ©djtdffal, baS $ortenfe biet ber* 
ft>rod)en, ntd)tS gehalten Ijatte. 

Unb immer mieber brad) ber ©ine Reifte SBimfd) auS gannt)S fersen: 
SBeniafteuS ben testen ©proft ber gamtlie fottte ba§ Unglüd berfdjonen. 

Unb nun fam btefe 33orIabung bor ©ertdjt. gür fie, bte altmobifdje 
grau beS SolfS, ftanb eines fcft: ßteber als borS ©ertdjt ginge fte in 
ben £ob. ®tc @d)madj, bort öffentltdj fidj zeigen, etmaS befdjmören 51t 
müffen, mürbe fte ntd)t überleben, gür fie mar ©ertdjt, ©efängmS, 
golter ein unb baSfetbe. 9ttd)t mit amölf Sßferben mürbe fte, eine in 
©fjren ergraute grau, fidj in baS büftere, unljeimlidöe ©ebäube gießen 
laffen. ©ut, bafe btefe 33enad)rid)ttgung if>r bret äBodjen t)or bem £er* 
mute augeftetlt morben mar, fo ^atte fte S^it, fidj mit $enrt barüber ju 
berftänbtgen. Sie tjiett baS ©anae für einen böfen ©treidj, ben gürft 
SaSfar tJjr auS 3tadje geftnett ^atte. 

316er bte grofee grage: maS fotfte mit $ortenfeS ßegat gefdf)ef)en, 
mar jefct afut gemorben, unb fie fyatte ntemanb, mit bem fie fid) beraten 
fonnte. 2fuS fidj felbft mufete fte eS entfdjeiben. Unb iljr £im mar 
fdjon mte munb bon bem emigen Überlegen, bon ad bem, maS fie be* 
benfen unb beredjnen muftte, efye fte einen ©rfjrttt tat. Unb fie füllte 
fid) fo engftd)ttg, fo meltunfunbtg. ^mmer fa^ fie bor fid) eine Shtgel 
rotten, bte fie fjättc anhalten fönnen, bte nun ©ott meife, meldte Sttdjtung 
nafem unb ben ©inen &u Xobe traf, ben fie fjätte bemal)ren motten. — 

XX. 

#enri mar bietleid^t nodö unangenehmer berührt aB SaSfar ^oleabu 
ober bie alte gannt), als iljm bte erfte S^ttung mit feiner SWutter Stamen 
bor 2tugen fam. 2)ie gefamte treffe feiner Heimat fdjleuberte bie 
entfe^Iidöe Slnflage bcS ©iftmorbS an ber Baronin 2)aImo bem Urheber 



{76 



mite tfremnitj in Berlin. 



in§ ©efidjt. §n berfelben <5tunbe erhielt er ein aufgeregte^ Sdjreiben bon 
Sannt), ba§ in ifym ben 33erbad)t ermecfte, als fei feine gute 9[Ite irrfinnig 
getoorben. Sie befdjmor ifjn, tjeimaufommen. 

SftidjtS fonnte ifym in biefem Sfugenblirfe fdjredtlidjer fein. Gr mar 
mitten in feinen anatomifdjen Übungen, ade Sorlefungcn Ratten — e3 
mar Stnfang ©ftober — begonnen, unb nun mufete er affe§ im Stid) 
laffen unb follte surütf, au£ feiner Strbeit fort, in ba§ alte, imfjeimlidje 
Seben. Sdf)on jefet, bei ber ©rinnerung, legte e§ fid) mie ein 9ft|) auf 
feine S3ruft. £5, nur ba§ nidjt, nur nidjt mcfyr ba§ Slbgefdtfoffene, 33er* 
gangene, ba§ fo beängftigenb bie fdjmaraen ©Urningen um feine Seele 
gelegt, Selbft bor ben Steinen feinet @Iternf)aufe3 graute e§ if)tn beim 
blo&en ©ebanfen. 3B3aS er bort burdjlitten, ermadjte in 3ef)nfad)er 
Stärfe. 3Bie furdjtbar mar bod) bie büftre, unljcimlidje 33ergangenJ)eit, 
bie bie Sängen mieber nad> itjm au§ftrecfte. Sonnte er benn nid)t neu 
beginnen, ben 2Ctp be§ Sterbend unb 9J?orben§ gana abfd)ütteln? @r 
Ia§ einige ber ifjm überfanbten 3 e ^ n 0 en / unb t§n fröftelte, menn ifym 
aud) ba§ S3Iut bor ber Sdjmadj biefer Öffentlidjfeit in bie Stirn ftieg. 
2lfte feine ßanb§teute unb nod) mandje anbere mürben f)cute ba£felbe 
tefen. ©3 mar nidjt möglich, baß er fid) paffte behielte, oU ginge if)n 
ber Sftame, ben er trug, nidjt§ an. 

2tt§ er bie Stnflagen gegen ioleabu gelefcn, mar tf)m aud) etma§ 
anbereS nidjt mefyr möglid): an SaSfarS Unfdjulb au glauben! 2)a§ 
Dofument mar faffimiliert miebergegeben. 3rccifeI§oI)ne ^atte £oleobu 
e3 gefdjrieben unb bamit sugeftanben, im Souboir ber Saronin 2)aImo 
bie Siegel erbrochen au I)aben. SBoau? ©in Sdjttrinbel mottte $enri 
befallen, bod) er beE)errfcf»te itm. 9?ur fein SWifjtrauen. SKißtrauen ift 
unbornef)m, entehrt ben, ber e§ Ijegt. Sid)er f)atte er nur im ^ntcreffc 
ber £oten irgenb ettvaZ bernid)ten ober fudjen motten. S3ieffeid)t nur 
ben ©runb if)re3 entfetjlidjen 6ntfcf)Iuffe3V Unb baß er, £enri, bon 
biefem ^ntermeaao nüt ben @erid)t§fiegeln nid)t§ erfahren Ijatte, fonnte 
3ufa(I, reiner 3ufaß fein . . . 3?ur fein fränfenbeS 9J?ißtrauen. 

$enri mußte fid) mit Xoleabu in§ ©inbcrnefjmen fetsen, um ben 
Sturm au bannen. 33tetteid)t mar ba§ brieflid) möglicf), bietleid)t burd) 
eine furae Steife. 2)ie lange gafjrt nad) £a<rcigrab tooffte er fo gern 
bermeiben. SBa3 fottte er, ba er bamaB nid)t anmefenb getoefen, aud) 
bei biefen J)eiulid)cn Scrfjanblungen. ßa§far Soleabu mürbe fid) fdjon 
felbft au berteibigen miffen. . . 

§enri befaß leiber ßa§far§ augenblicflidje 3lbreffe nid&t. ©r mußte 
mol)t, baß er nad) feiner a3ermät)Iung bie üblidöe italienifdöe Steife ange* 
treten t)atte, ater ntd)t, mo er jefet meilte. ®ie 3^it luar i^m im ©ifer 
für feine neue SBiffenfd)aft fo fdjneft bergangen, baß e§ i^m SÖiüöe machte, 
au glauben, fieben 9Monate feien über§ Sanb geaogen, feit jener ©odfoeitS- 



Siegerin geit. \?7 

feter unb mefyr aU adjt feit ben entfefelidjen ©retgniffen, bie ifjn inner« 
lief) umgestaltet hatten. 

$enri fufyr %nt ©efanbtfdjaft unb erfuhr bort, baft gürft Saäfar eine 
SSttta bei ©enf belogen, um toafyrfdjeinlidE) ben ganzen SBtnter bort 
berbringen. £)ie Herren auf ber ©efanbtfdjaft Ratten bie neuefte Sfanbal- 
3lffaire au3 ber Heimat aud) eben gelefen; $enri emt>fanb es an ber ber* 
legenen 3lrt, mit ber fie il)m Ijatb Inucrnb StuSfunft erteilten. 2)ad)ten 
fie, er motte bon Stoleabu Sledfjenfdjaft f orbern? ^ebenfalls toar £enri 
nicfjt imftanbe, ein erflärenbeS Sßort au äufeern ; er nctfjm ben 33efdjeib 
auf feine grage I)in unb berabfdjtebete fidf) fofort. 3Bie ^einlief) feine 
Soge getoorben, empfanb er jum erftenmal. 2ldj, fönnte er nur erft 
§erau§ au§ biefer Sffielt, bie il)n bebrüefte, l)inau§ auf ben tueiten Ogean, 
auf ein unerfdjöpflidjeä gelb be§ ©rforfdjenS. 

6r fafcte ben (Sntfdjluft, mit bem nädjften QuQe nad) ©enf au fahren; 
fdjriftlicf) toufete er nid)t§ ju madjen. Sßerfönlicf) fonnte er bie bro^enben 
SBolfen bietteicfjt nodj berfdjeudjen unb ®larf)eit in bie Sage, tt>enigften§ 
in feine eigene 3tuffaffung, bringen. 

#etta fam t>on einer langen Stuart Ijeim, aB il)r $enri 3)almo§ 
JSarte überreicht unb augleidj beftettt tourbe, ber #err fei fdjon t)or einer 
Otunbe bergeblid) ba getoefen unb toarte jefct im (Salon. @r fei eilig, 
fo Ijabe er gefagt, unb miiffe am Sttenb fortreifen, ©a er ben Surften 
nidjt meljr angetroffen, bäte er bie gürftin um eine Unterrebung. 

$enri f)atte untoittfürlid) an einen häufig ttrieberf)olten SCraum benfen 
müffen, in bem ber ©efopjrte immer ba§ faft Grrreidjte berfd)tt>inben fielet, 
al§ er erfuhr, Xoleabu fei bierunbstoanaig ©tunben bor feiner Slnfunft 
nad) X^axiqvab abgereift. * 92ur um einen furzen £ag au ft>ät fam er. 
(Sollte ba§ aftifjgefdjicf if)n abringen motten, aud) ben leiten, fo gern 
t>ermiebenen äBeg au madjen? S3orf)er tüoffte er jebenfattö berfudjen, ob 
bie junge grau ifjrn nidjt 9Iu§funft, bietteidjt fogar genügenbe (Srflärungen 
5U geben imftanbe mar. 

SBie lange mar e§ l)er, bafe er fie gefeljen? 2ttinbeften§ acf)t ^re! 
Ob fie iljn erfennen mürbe? @r hätte fie an ihrem $od)aeit§tage toohl 
nidjt erfannt, er hatte nicht einmal 3üge bon Sthnlidjfeit mit ber Keinen 
£etta gefunben. 

3tl§ fie aber jefet, ohne £ut unb 2ttantel abaunehnten, in§ 3intmer 
ftürate unb beibe $änbe ihm hinftredenb: „#enri ®almo" rief, „mirf- 
lid) fienri 3)almo?" ba glich fie bodj n>ieber bem 2anaftunben*2Wäbd)en. 

$etta märe t)ietteid^t in einer anberen Stimmung, bietteidjt nod& 
bor ad)t 3£agen, fel)r tüiirbig unb gnäbig*l)erablaffenb bem greunbe au§ 
ber ®inbl)eit entgegengefommen. Sie tvax eine iljrer Saune ftarf unter- 
worfene grau. S3ierunban>anaig Stunben attein, mit ©roll gegen ü)ren 
SWann unb bei ftarfer SangetDeile Ratten fie faft aärtlid) gegen ben erften 
Sefudjer geftimmt, ber if)r unbermutet in§ $au§ fam. 

»ort nnb 6üb. CXX. 359. 13 



\7S mite Kremnitj in Berlin. 

„916er (Sie fjoben fid) ja gar nid)t beränbert," faßte fie nadj üjrer 
ersten Segrüfeung. „9lur noeb ein btfedfjen feböner finb (Sie getoorben! 
@ine förmliche beaut6!" [tiefe fie ladjenb I)erau§. 

„35a§ Hingt mie $obn au§ Syrern Sflhmbe," fiel er ein. 

„3fdj toottte mir felbft nidjt gu nabe treten, meifc fdjon, ba& idj 
fdjört bin! greif mid) nur, bafe (Sie audj gut au§feben! 3P?eift toerben 
fd)öne Knaben bäBltdje SKänner. $d) erwartete (Sie mit einer langen 
unb au breiten 9?afe, mit biden Sufelijtyen unb berarttgen (Sdjeu&fidjfeiten 
hrieberaufinben! Unb bäfjfidje SWenfdjen mag id) gar nid)t leiben," 
Btoitfdiertc fie weiter. 

(Sie mar mafjloä fofett, aber nod) mebr fdjön unb be^avtbevvbl 
SBelcbe Stimme! — 

Sßie foECtc er bor biefer gee bie fd)redlid)e grage ftetten, bie ibm 
auf ber (Seele brannte? 

„^d) bin red)t frof), baß mein SWann berreift ift," fubr fie fort, 
„benn er bätte un§ nid)t fünf SKinuten allein gelaffen. — ©r ift bföb= 
finnig eiferfücbtig — alte üttänner mit jungen grauen finb ba§ immer!" 

„(So! @inb fie ba§?" entgegnete er fpöttifdj. „(Sie fmb ja in ber 
@f)c fdjneff meife geworben!" 

„2tdj, id) mar biel meifer, b. b- impertinenter, ebe id) heiratete; 
©djabe, baft (Sie mid) bamal§ nid)t gefannt I>aben. — 2ftein üWann bat 
midj fdjon febr gebudt . . . 9Iber nun legen (Sie ab! (Sie muffen 
natürlidj bei mir effen!" 

SBäbrenbbem ftatte fie fd)on geffingelt unb marf üjrerfeit§ §ut, 
<Sd)Ieicr, #anbfd)ub, 33oa, $ade t>on fid) unb jeben ©egenftanb in eine 
anbere ©de be£ 3i mmer ^/ glüdfelig mie ein ffinb, in feinem aufmerf« 
famen 93Itcfe 33emunberung 31t lefen. 

„DaS Urbilb ber Slofetterie", fagte er fidj, mäbrenb er laut ibre 
2)incr=@inlabung ablcbnte; er fei nid)t in Toilette. (Sie entgegnete, er 
müffe bleiben, fie mürbe fid) ibm ju ©efaffen aud) nid)t umhieben. Die 
Kammerfrau fam unterbeffen, fudjte a£fe fortgemorfenen ©egenftanbe 
fammen unb entfernte fid) fdjmeigenb. @§ mar, aB ob ibr Eintritt ^etta 
ernfter geftimmt bättc, benn faum batte bie £ür fid) gefdjloffen, aB fie 
fagte: 

„£>, $enri, nrie biel ift bod) gefebeben, feitbem mir aufammen SHnber 
maren!" tuurbe gana beife bei ibr er unbermuteten 33ertrauli<f)feit, 

befonberS al§ fie ibm plöfelid) bie £anb reidjte. „;£a§ (Sdjidfal bat (Sie 
gar 51t fjart getroffen — beibe ©Item beinab an bemfelben Sage!" — 

Sie mar bod) feine ®ofette, mie ^atte er ba§ nur benfen fönnen! 
(Sie mar ein Kinb! 9tber nun fubr fie fort, fo fladj, baft e§ ibm 
meb tat: 

„©eben (Sie, id) bin beneibenSmert! SJitr ftarben bie Eltern fo 
früb, bafe idj nidjtS babon meift. $d) babe nodj nie einen £oten 



Siegerin gctt. 



\79 



beroeint — unb einen Sebenben erft redjt nicht! 3)amal§ hätte id) Sie 
gern gefprodjen, ich glaube, id) ^ätte Shnen burdj mein SWitgefühl ge- 
holfen! (Stauben (Sie, bafe ieber fidj ba£ einbilbet? Ober glauben @ie, 
baß toir auSerjehen finb, Sreunbe su Serben? . . . Seit idj bamaU 
hörte, tüte namenlos erfdjüttert unb troftloS @ie getoefen, feinte id) mich, 
@ie gu fehen!" 

@r mar ergriffen unb berlegen, auch etroaS unwillig über ihre 2Trt 
unb SBetfe, in bie er fidj gar nicht finben fonnte, atte§ gu berühren. 
SDber er mar auch benommen bon ihrer unbefdjreiblidjen ©djönheit unb 
ihrer Oragie. — @o intim ^atte nod) nie eine junge grau mit ihm ge* 
krochen — unb bafe ©djönljeit fo fd&ön fein fonnte, hatte er auch nod) 
nidjt gemußt. 6r fonnte bie Slugen nicht bon ihr nehmen — biefe 
Sorben, biefer (Slang — biefe fleinen, toeifeen 3ähne! 

„Sehen @ie," fuhr fie fort — er laufdjte, ob fie nicht nod) einmal 
„£enri" fagte — e§ mar fo füfe gemefen unb hatte ihn fo ftolg unb heiß 
gemacht. — „Sehen Sie, mir SDJenfcfjen errichten au biele fünftliche 
©djeibemönbe gmifcfjen einanber! Ijdbe mir borgenommen, bagegen 
anguftürmen! @ie ttriffen bodj, ftrie id) mich berheiratet habe?" 

@r mußte nidjt, baß e§ mit ihrer #eirat eine befonbere 93emanbtni§ 
gehabt hätte . . . 

„2lber ba§ miffen äße bei un§ baheim. — ^at ©enfation ge- 
macht! ^dj habe midj etnfadh um meinen Sttann beworben, er beulte 
nicht bavcin gu h^itaten, meine 33ertoanbten fanben ihn gu alt. . . 8d) 
hotte mich aber fterbfidj in ihn berliebt unb fah nicht ein, nxtrum id) 
toarten foffte, bis eine anbere mir guborfam? 3Ba§ idj haben miH, 
nehme id) mir einfach!" 

SSon ihrer SBortfüIjnheit ongeftedt, fragte er, ob fie benn nod) 
immer fterblich berliebt fei? @r errötete, als er e£ herausgebracht. 

„9ial" entgegnete fie. „9iadj fieben SWonaten @he gibt e§ fdjon 
mandje ©nttaufdfjung!" @ie badete an ifjre§ 9Wanne§ SIbreife unb fuhr 
etmoS bitter fort: „©lauben @ie mir, unter un§ gefagt, eS ift nicht biel 
bran an ber fogenannten Siebe . . . Vorher bitbet man fich @ott meiß 
taa§ ein! 3tber ich bin jefet eine alte erfahrene grau!" 

SBäre eS nicht fo finblidj, fo brollig gemefen, e§ hätte ihn beriefet. 
®od) Iachenb — unb mit meldjem filbernen Sachen! — mie alles aus 
biefem ®irfdfjenmunbe hermtSfam — fonnte e§ nid)t anberS al§ reigboll 
hrirfen. #enri ©alrno mar im Segriff gu bergeffen, gu meldjem 3rc>edE 
er in bie£ $aud gefommen, als fie fortplauberte. @ie fpradj ohne 2luf- 
hören, mie mit fidj feföft, faum eine ©ntgegnung ermartenb. 

„2)aS mar alfo bie erfte ©djeibetoanb, bie id) einriß, unb feitbem 
ich berheiratet bin, gebe idj mir baS SRedjt, allen Seuten inS @efidf>t 31t 
fagen, ob fie mir gefallen ober nicht . . . 3fft baS nicht bernünftig?" 
„£)aS ift nicht gerabe £)nfel SaSfarS 2trt." 

13* 



mite Kremniij in Berlin. 



„ßnfcl? kennen @ie ihn ßnfet?" Sie fcfjütielte fidj bor Sad)en. 
„gr ift boä) meines 93ater§ Setter!" 

„®a müffen (Sie Xante an mir feigen! Sßie reiaenb! Eigentlich 
müfeten tuir auch gleich SSruberfchaft trinfen!" 

$eHa füllte erft jefet, tüte fdjänblich fie fid) in lefcter 3^it gelang* 
toeilt hatte. @ie fanb mit ihrem SWanne nie einen ©efprädjSftoff, fie 
mufcte ihn immer erft mühfam fucfjen, unb bann mar ber i$aten bod) 
gleich hrieber abgeriffen! Sftit $enri geriet fie bom #unbertften in§ 
5Eaufenbfte. @eB>ft trenn er ihr feine Slntroort gab, Ia§ fie in feinen 
3tugen, tüaS ber 3TOunb nicht formte — ba& ihm atte§, tpa§ fie fagte, su 
#erjen ging unb eine ©rleuchtung fdjten! Unb fie mufete e§ fid) felbft 
gefielen: fo Hug tüte heute tüar fie nicht oft. 3Ba§ ihr nicht aHe§ ein- 
fiel! SBie bie Sffiorte fid) gefdjitit aneinanber reiften. 2tlle£ pafete an* 
fammett, fie tüar förmlidj berebt. Unb toa3 hatte fie i£)m atte3 an fagen. 
©§ tüar elf Uhr, ehe einer bon beiben gemerft, bafc bie -Kadjt eingebrochen. 

#enri roufete nidjt mehr, bafc er am 2ß>enb f)atte tüetter reifen 
tootten. ®eine SInbeutung über ben Stped feinet 39efuch§ toar if)tn ent* 
fahren, er I)atte ihn eigentlich ganj bergeffen ... 

SBerfunfen, tüie bie Seit feiner erften ßinbheit, bon ber er tüufete,' bafe 
er' fie burdjlebt Ijaben mufete, bie aber feine Erinnerung feftgehalten, festen 
ihm tföfeltcf) fein ganae§ bi§hertge§ Sieben, ©etüife, er,, $enri 2>almo, toar 
im ©Kernhaus aufgemachten, hatte in SßariS ftubtert, F)atte einmal etoaS 
SurchtbareS burdjlitten, tüar bann faft glüdffich in feinem neuen, mit 
fieberhaftem Eifer aufgenotnmenen ©tubium getüefen. 3lber au fidj ge» 
fommen toar er erft in biefer beraufchenben 2ftmoft>hä*e, im 2>uft btefeä 
2Bintergarten§. SBie toeit hinter ihm lag affeS anbere. $ier hatte für ihn 
bie SebenSquetle anerft gejrfätfdjert . . . ©ine Duette? Sa, nun tou&te er, 
tüie ihre ©timme, tüie fie felbft tüirfte! ©leidf) einer Quelle — melobifdfj, 
frifdf), hell. SDtan tüurbe nie fatt btefe§ T füfeen 9?aturlaut§. 

31m nächften SWorgen um aehn Uhr follte er lieber bei ihr* fein. 
3ehn Uhr hatte fie angefefct, bamit fie bie große 9hmbfahrt auf bem 
@ee anfatnmen machen fonnten. Sehn Uhr tüäre ihr fonft an früh ge* 
tüefen — fie fcfjlief gern lange . . . @r fah fie in ber golbenen SBiege 
liegen tüie ein geenfinb unb fchlofc fchnetl bie 2tugen. 3Bie inbi§fret, 
tüie unaart bon ihm, ihr toeiter an folgen in ©ebanfen, afö fie erlaubte. 

Stlfo morgen um aehn Uhr früh, ©r unb fie allein unter gremben, 
unerfannt unb einen ganaen langen £ag . . . 

(6*bi| folgt.) 



Antonio 5ogct33aros Komantrilogic. 



Don 

Dr. 3Kax imeg. 

— - ^retbnrg t. Br. — 




ennt ihr bie 9lbgrünbe ber Seele? §abt ibr fdjon fdjtoinbelnb 
Öinabgcbltcft? gurdjtbarer unb büfterer finb bie Klüfte, 
bie Scfjlünbe biefer Unterwelt al§ bte ber §ö£te. 



ßennt tf)r bte Kampfe ber Seele? £abt ibr fie ftunnn unb einfam 
gefämpft? Unbeimlidjer finb fie al§ bte nädjtlidjen Sdjtadjten jagenber 
©elfterer« in ben ßüften, au ftoiiblen ber finb fie al£ ber Streit ber 
Glemente im Sdjo&e ber ©rbe. 

Äennt ibr bte 9?öte ber Seele? Seib ibr etnfant in ber Ofinfterni^ 
gefeffen, ba eudj (Sott geftorben mar? £abt ibr ibn bernommen, ben 
graufen Sdjrei: SKein ©ott, mein ©ott, toarum ^aft bu midj bertaffen? 

31m getüaltigften, am fd)retfUd)ften, am größten tft bie Seele, tt>enn 
fie mit ibrem ©otte ringt. 

$ennt i^r bte Sftäufdje ber Seele, ibre (Sntaütfungen? SQjnt iE>r 
ibren mächtigen Stuffdjttmng, ibren febnfutfjt£t>oIIen ging nadj ben 
£öben ber $öben, tnenn fie 2Tb[erfd)ttringen breitet? 

D, Tafet mir nid)t füble Sßetfe t>on ber Seele reben, laftt mir einen 
— 3) i d) t e r t>on ibr reben ! 

©in Sidjter ber Seele, ibrer Stbgrünbe, ibrer kämpfe, ibrer 9?öte 7 
ibrer Stäufd&e unb ©ntsüdungen tft Strato nio gogaa^ato. 

Sie ftreiten ftd) um ibn. Sfltyftifer unb greibenfer, liberale unb 
ftrenge Slatbolifen jerren an ibm unb reflamieren ibn aB ben Öbnöcn 
ober fto&en ibn mit Gnttrüftung t>on fid). 2Ba§ foH ba§ Sßarteigcfläff 
um biefen SWann? erregt @fel. Sie lärmen unb saufen unb feifen, 
ftatt in ftummer ©btfurdbt gu fdjauen unb su laufeben, luenn eines 
Xtrf)ter§ £erj blutet unb blutenb fingt unb geftaltct. 



\S2 Dr. ITtar Krieg in ^reiburg i. 23r. 

i$OQa%%avo ift im ©ruwbe eine tragifcfye ©rfdEjeinung, trofc ad feiner 
SBeltfreubigfeit, trofe feines begeifterten ©laubenS an eine ftrablenbe 
■KenfcbbeitSgufunft, trofe oHeS grarbengauberS feiner Schöpfungen 
eine trdgifcbe @rfd)einung. 

©djon über bie Oberfläche feiner ©idjtungen gittert ein melan* 
djolifdjer £aud). STber auf bem ©runbe finbet fi<h baS Setben. 6§ ift 
ba£ tiefe Seiben aller jener, beren &erg fidj Ieibenfdjaftlidj an ben 
©lauben unb feine mtyftifdjen SSonnen flammert, toäbrenb ber Seift 
ungeftüm unb freibeitSburftig an ben ftarren ®<branfen bes XogmoS 
rüttelt. 

2>em begeifterten Kämpfer für einen „fortfdjrittlidfjen'' ^atboli^ 
siSmuS nrirb e£ tocfyl niemals 511m flaren SBetoufttfein f ommen, bafe er auf 
einem verlorenen Soften ftefjt., £>ie ungeheuren Sftffe, bie in feiner aus 
bogmatifdjen SBorfteüungen unb mobernen Öbeen feltfam gemifduen 
SBeltanfdjauung Hüffen, überfpringt feine bid)terif<he 33egeifterung, fein 
füblidjeS Temperament ohne bie geringfte <2djtoierigfeit. 2fls erflärter 
Anhänger ber (SnttoicflungSlebre glaubt er auch an eine unbegrenzte 
©ntlricfeIung§fäf)igFeit beS SlatboIiatSmuS, ber bod) in allem, toaS baS 
£>ogma angebt mefentlid) ftarr ift unb jene „Säuterung beS ©laubenS", 
bon ber goga^aro träumt, feiner 9?atur nadj au£fd)Iie&t. §mmer 
miebcr haben freiere, Fübnere ©eifter, bie aber baS innere nü)ftifd>e Seben 
ber Sirdje liebten unb fief) beSbalb bon ihr nicht trennen Wollten, 95er* 
fud>e in jener Sichtung gemad)t, immer Wieber f)at bie fircblicbe Autorität 
fie sut'ücfgetDiefen. Sogagsaro felbft ift eS nid)t beffer ergangen, als 
StoSmini unb ©djell. ©r bat fidf) fdjWeigenb unterworfen unb nur 
blöber, berftänbniSIofer garaitiSmuS fönnte ibm barauS einen Vorwurf 
machen. (Sr bat gebanbelt, Wie er mufete, benn fein ^et^e^ $era ift unb 
bleibt fatbolifd). <Sv Wirb nicht aufboren, au fämpfen unb ju hoffen, 
aber auf bem tiefften ©runbe feiner Seele bämmert bod) eine Slbnung 
bon ber #offnungSIofigfeit feiner Sache unb wirft über fein ganjeS 
SebensWerf ibren bleichen, tragifdjen Schein. 



Sn unferer Se\t ber Slbwenbung bom Naturalismus unb beS 3luf* 
fommenS romantifdj-religiöfer Stimmungen Wirb 8ogaaaaro§ fdjwär- 
merifdjer Spiritualismus auch außerhalb ber pofitib=djriftIid)en Greife 
bielen WiHfommen fein. ®er Spiritualismus gogaaaaroS fteltt einen 
eigentümlichen SSerfudj bar, ben ©ualiSmuS bon ©eift unb äftaterie 
burdj bie ©ntwirfelungSIebre 51X überwinben. ©er Siebter glaubt näm- 
lid), bafe baS 3icl beS aßeltprojeffeS eine wadjfenbe „SSerfeinerung ber 
Sßaterie", eine ftetige Erhöhung ber SWadfjt be§ ©eifteS fei. Natürlid) 
offenbart fidö biefe SntlridelungStenbenj bor allem am SKenfcben, bem 



Antonio ^ogc^aros Homatttrtlogte. \83 

Jräger be§ ©eifte§ innerhalb ber materiellen JBelt, unb beim SDlenfdjen 
tDieber bor allem in b e r organifchen (Sphäre, too fidf) ©eift unb 3feifd) 
befonberS geheimmäbott berühren, in ber ©efdjledjtBfphäre. 9iad) bem 
„©efefc unenblidjen §ortfdjritt§" fann auch bie ©attung Sftenfch nidjt 
ftarr bleiben, fonbern mufe fidö au einer höheren ©attung toeiter ent* 
toitfeln, unb toie auä bem fe^uetfen SCrieb ber Stiere bie menfdjliche Siebe 
hervorgegangen ift, fo mufe fidj biefe s u einer „noch nnbefannten fünf* 
tigen gorm ber ©mpfinbung" berflären. £>iefe§ natürlid)e 33ert>off- 
fommnungSftreben, biefe „progreffibe Energie ber 3lrt" berförpert fich 
nach ber intereffanten £t)pothefe be§ $rofeffor§ <SeIba im „^eiligen" 
in ber chriftlicfjen Släfefe. SBährenb ber SBfet burdj ba§ Opfer feiner 
®eufdjheit einfad) ©ott au ehren meint, förbert er ben äßeltplan, inbem 
er burd) feine Entfagung „bem geiftigen Element bie SPföglidytett bor» 
bereitet fich eine höhere . . . 2>afein§form gu Raffen". Stber auch bie 
burch Entfagung bergeiftigte ©efdjledjtSliebe felbft bilbet ein toidjtigeS 
görberung§mittel bei jenem Emporfteigen ber SDienfdföeit au übermenfeh* 
liefen #öf)en. %n jenen feltenen gälten, tvo bie Siebe ber ©efdf)le<f)ter 
au einer rein feelifdjen Seibenfdjaft fich berflärt, reifet fie mächtig toie 
fein anberer Stffeft bie Siebenben au ©ott empor, ©ine folche ent- 
fagenbe ©eelenliebe bilbet ba£ 5Ehema be3 9toman§ „SDaniele Corti§". 

Ascensioni umane hat Sogaaaaro bie (Sammlung Don Stuffäfcen 
genannt, in benen er biefe mtjftifdjen $been entoidelt; er hätte auch 
feine im „^eiligen" gipfelnbe SRomantrilogie fo überfdyreiben fönnen. 
E§ finb Ascensioni umane, „Sebenäläufe in auffteigenber Sinte". ©in 
Sftcifter ber <SeeIenfdjifberung legt hier ba§ geheimnteboffe Sabtyrinth 
fämpfenber ,<SeeIen unferen Süden blofe, ^etgt un§ Sftenfdjen, bie au§ 
ben STbgrünben ber ©ottberfaffenhett, be§ 3&>eiftI3, icr 93erfudjung, 
be§ tiefften SeibenS fidj bem ^beal entgegenringen. 2Kag biefe§ $beal 
auch ein einfeitigeS, bogmatifch gebunbene§ fein, genug, e§ ift ein Öbeal. 

25a§ 33orft>ier: Sßiccolo SKonbo Hntico, bie fleine 2BeIt ber guten 
alten &il 3m ©eifte fehe ich ihn toieber, ben ©djauplafc biefer Keinen 
SBelt, ben tmmberfamen Suganer (See. 3Beld>e Erinnerungen ftürmten 
auf mich ein, al§ ich ben Stoman burchblätterte! . . . 5£ie SDttttagSglut 
über ben IidEjtbioIett fchimmernben Sergen, ber bunfelglühenbe, farben- 
prächtige STbenbhimmel, ba§ fühne Profil be§ Sftonte (Salbatore, ber 
im aWonbticht glifeembe, ruhenbe <See, ba3 geifterhaft hufdjenbe Sicht 
be§ <S<heimoerfer§ ber SoIItüächter t>on Sßorleaaa! 8llbogafio, £>ria, 
San STOamettel $feber biefer -Kamen bünft mich ein lieblicher ©rufe. 

Sn biefem frieblichen Salfolba, in biefem t>er!orenen StBelttüinfel 
fann ioohl nur ein $bt)H fpielen. Qtvax fünbigt fid) gleidö in ben 



\8% Dr. UTay Krieg in £ retbarg i. 23r. 

erften Sapiteln Sturm unb ®amt>f an; aber als ba§ junge Sßaar in 
ber fleinen SJißa gu ©ria glüdlid) inftattiert ift, fcfyeint aHe§ Siebe unb 
triebe au atmen. Unb bod) enthält bie iunge @f>e bie ßeime eines 
@eelenbrama§. 3>on gfranco SDtaironi, eine abiige, toeltfreubige 
®ünftlernatur, fdjönf)eit£burftig, impulfib unb Ieibenfdjaftlid), aber nid)t 
fefjr toillenSftarf, mit borteiegenbem Sßljantafieleben, bon naiber, unge* 
Iäuterter, firdjlid) ftreng gebunbener Sfteligiofität; feine ©attin Suifa 
ftolg unb ftarf, bon fdfjarfem 93erftanbe, bem ba§ toarme #era nidjt 
©djtoeigen 3u gebieten t>ermag, audj toenn e§ fid) um ifjr Siebfte£ 
Ijanbelt, 514m reltgiöfen ©feptigiSmuS neigenb, bon einem unerbittlichen 
®ered)tigfeit§ftnn erfüllt, ßeibenfdjaftlidje Neigung I)öt bie beiben gu- 
fammengefüljrt, f)at fie ben erbitterten SBiberftanb ber reichen "abeB« 
ftolgen ©roßmutter SKaironiS unb bie fdEtfießlidje Enterbung für nid)t§ 
adjtcn laffen. 5£rofcbem füf)It 2)on gtanco halb, baß fidf) ba§ ^erg feiner 
grau mit feinem beften, ftolgeften Steil if)m entgietjt, baß fie feine reit» 
giöfen ^beale nidjt teilt, baß fie mit einer gegriffen füfjlen Überlegen» 
f)eit feine ©djtoädjen ftar burd>fd)ant. Sßor allem mißbilligt fie feine 
Untätigfeit. ©ie begreift nidjt, ftrie er in bem bebaglidjen ©tilleben 
bon öria fid) gang nur ber SDtufif unb ben SBIumen ttnbmen fann, ftatt 
für bie ©adje be§ bon £fterretd) gefne<f)teten SBaterfanbeS au arbeiten. 
Silber bie§ ©tilleben ttrirb balb graufam geftört. 2)ie ttnrtfdjaftlidje 
@jciften3 be§ $aare§ bridjt aufammen, 3)on granco muß ba§ traulidje 
9?eft berlaffen, um braußen in ber SBelt Sirbett gu fudjen. 31I§ ber 
glü^enbe Patriot, ber er ift, befd)Iießt er nad) £urin au gefjen. ©ora 
Öuifa§ $era ift ob biefer trtöfelidj ertoad)ten Energie be§ ©atten freubig 
belegt. ®a füljrt ein unfelige§ 27ttßberftänbni§ aftrifdjen ben ©atten 
am SSorabenb ber Slbreife eine Ärife fjerbei. Suifa mad)t ftd) in einer 
offenen SffuSfaradje Suft unb beftätigt iljrem SWanne, toa§ biefer fdfjon 
ISngft geahnt bat, baß trofe aller fjeralidjen Siebe bie ©runbberfdjieben« 
beit iljrer SBelt* unb fieben§anfdjauung, befonberS auf religiöfem ©ebiet, 
eine ©d>eibeh>aub gttrifdjen i^nen gu errid&ten brol^t. 2>on g^^nco§ 
©igenliebe ift tief berrtmnbet, um fo me^r, al§ er tt>oI)I fü^It, tnie be* 
grünbet Suifaä 33orteurf ift, bafe fein Seben feinem ©Iauben nid&t 
enlfpredje. Qu i^rem tiefften ©dömer^e jdjeibet er am anbern 
SJlorgen mit ©roll im ^er^en. %n Znvirx ge^t in bem aU 
Sournalift I)art um bie ©nftenj ringenben SKanne eine tiefgreifenbe 
Umn>anblung bor fidj. S)ie übertriebenen ©elbftDortnürfe in feinen 
©riefen rühren Suifa auf§ innigfte. 8ftanco§ größter Kummer ift bie 
religiöfe ©fepfiS feiner grau unb ber fcfilimme Einfluß, ben fie ebentueH 
auf bie ©rgiebung feine§ geliebten Xöd)terdöen§ SWaria üben fönnte. 

2)a trifft ba§ ftiffe Sanb^au§ gu Oria ein fürdjterlidfier ©d&Iag. 
Suifa§ ©roll gegen bie alte SJiard&efa Crfola, Sranco§ ©roßmutter, 
tnirb burd^ unbebad&t jugetragene Äußerungen 31t Ieibenfd)aftli(hem $affe 



Antonio $o$a$iaxos Komantnlogie. \S5 

gefteigert, unb fie bejdfjliefet, an ber boäbaften 2flten @fcred)tigfeit ju 
üben. Sie URardjefa ttrirb an einem ber nädjften 5£age £>ria paffieren. 
ßuifa toitf ibr auf offener Strafte entgegentreten unb ibr offen ben 
firieg toegen eines unterfdjlagenen SCeftamentä anfünbigen. 

3tuf Meiern $öbe#unft be$ 9?oman§ Iäfet gogaaaaro aüe äBunber 
feiner ffunft fpielen! Sie toadnenbe Sdjtnüle be£ berbänguiSbotten 
2:age3, ba§ über bem See langfam betaufaiebeni>e ©ettritter, SJuifaS 
Aufregung, ibr enblidjeä #inau3ftüraen in ba§ Io§bred)enbe Untoetter, 
unbefümmert um 93lifc unb Sonner unb flatfdöenben Stegen, obne einen 
©ebanfen an ibr geliebte^ JHnb, ba£ obne Sluffidjt jurüd bleibt gana 
bon ibrem Ieibenfcbaftlidjen ©eredjtigfeitägefübl Eingenommen — ba§ 
alleä ift fortreifeenb gefdjilbert. Sann, in bem Slugenblirf, tuo fie ber 
boshaften JJeirobin 2tug' in 2lug' gegenitberftebt, beratoeifelte Sdjreie 
beranftüraenber SBeiber: „Sora Suifa! (Sora Suifa!" Öbr Sinb, tf)re 
füfce fleine SWaria ift in einem unbettmcfjten SKoment im See ertrunfen. 

Sie nun folgenbe ©jene, ber ftarre, ttmbnfinnige Sd)mera ber un* 
glüdflidjen SKutter fud)t an tragifdjer 3Burf)t in ber Weltliteratur ibre§* 
gleichen. CuifaS ftolae, tobtounbe Seele bäumt fidj in titanifd>em £rofc 
gegen (Sott auf: „(Sott ift fdjled)t!" Sie tiefe 9tacf)t ber ©ottberlaffen» 
beit bridfjt über fie berein, tt>äbrenb Sranco in mtyftifdjem Stuffdjtmutg 
fidj unter ber ftrafenben $anb @otte§ bemütigt unb burdj ben Sdjlag 
eine Stärfung feinet ©laubenä erfährt. 

2uifa§ Sieben gebt nun monatelang in ber Trauer um ibr tote§ 
SHnb auf. Sie füf)It ibr #era au Stein erftarren, <uuf) bie Siebe aum 
©atten barau§ meiden. Sa bricfjt ber £rieg bon 1859 au§, granco 
eilt au ben }riemontefifd)en gabnen unb txnH fein SBeib borber nod) 
einmal feben. Sie treffen fid) auf ber %)ola 33ella, unb in einer ergrei* 
fenben Saene fdjmtlat ba§ @i§ um SuifaS £era. 

$iccolo SWonbo 3tntico ift SogaaaaroS 2)?eiftertoerf. Sftirgcnbg fonft 
in feinen Schöpfungen finbet fidfj ein foId^eS ßbenmafe ber SSerbältniffe 
im äufbau be§ ©anaen, eine fo lebenbige ©eftaltenfütte, ein fo pv'äcf)* 
tiger, aufteilen berber Junior neben ber garteften It)rifd^en Stimmung. 
Sie SReinbeit bis fünftlerifdjen Sinbrudg ttrirb burdj feinerlei 2lbfid)t* 
lidjfeiten geftört. ©ine ftarfe $arteilid)feit gegen ba§ berba&te Öfter» 
teid) mttfe man bem Patrioten Sogaaaöro augute bolten. Sa§ Sz\i* 
foforit ift borjüglid) getroffen: bte bumpfe Sdjtnüle bor bem 9?ationaI= 
ftieg bon 1850, bie fieberbafte Stxmnung unb Iobernbe 93egeifterung 
ber Patrioten, ba§ Sieben unb treiben ber glüdjtlinge in Jturin. Sa» 
neben ba§ beicbaulid^e Stillleben be§ 9SöIIcben§ bon 3SaIfoIba in ber 
guten alten 3*ü: icb erinnere an bie föftlid)e Säuberung ber Sd&Ieien= 
fifdjer. Sie ßofalfarben finb autt>eilen etoa§ ?>n fräftig b^tau^gefommen, 
bom Sialeft mad&t ber Siebter für meinen ©efdjmadf entfebieben einen 
5U reidjlidjen ©ebraud). SWit befonberer Siebe- malt Sogaaaaro bic 



\S6 Dr. mag Krieg in ^reiburg i. 23r. 

dlatux feiner atoeiten Heimat: „bie tragifcf)en 33erge", ben See in allen 
Stimmungen, in SWonMidjt unb Sonnenglana, in ©ettntterfturm unb 
feierltd)€r dlnlje, am Sommerabenb unb in ber SSintemadjt. 

SSor allem aber toelcfye Sftenfdjen! SBie lebenSboH in ber leifeften 
äteteegung, nnb bis au bot unbetbeutenbften Nebenfiguren fycvabl £er 
£auj>tafaent liegt ftrie überall bei gogaaaato auf ber ttafjrbaft brama* 
tifdjen Sebanblung beS Seelenlebens. @r ift fein moberner 2lnalr)ft, 
ber bie Seele auf bem SeaiertifdEje ^erfafert unb unS triumpljierenb 
Zeile unb Zeücfjen bortoeift, toäbrenb er baS Iebenbige ©anae tötet. 
SogaBjaro gibt ben gefjeimniSbollen, unmittelbaren (Sinbrucf beS boüen 
Sebent. 2Bir leiben, fämpfen, jubeln, irren mit feinen 3Nenfd)en. 2er 
Stiegel ifjrer Seele liegt bor unS ausgebreitet, flar unb — unergrütib* 
liefj. Sie finb unS aum ©reifen nalj unb — unfaßbar. 

Sogagjaro gibt unS Seelen b r a m e n, nid)t blofee StimmungS* 
bilber. Seine SWenfdjen entttricfeln, manbeln fidj, ba ift ttrirflid)e ©e* 
u:egung, innere #anblung. %m tiefften ©runbe finb bie Sonflifte 
religiös gefärbt. Sic fämpfenbe Seele ift in fteter 23eaief)ung ju ©ott 
gefefyen, fie ringt mit ibm, fie berliert unb finbet if)n. Seiern mit 
geringem religiösem SSerftänbniS unb ^ntereffe toirb be§^alb bas lieffte 
bei gogaaaaro berfdjloffen bleiben. 



3nt Sortgang ber £rilogic gewinnt bie religiöfe gärbung immer 
mef)r an Öntenfität, bis fie enblidj im „'^eiligen" alles beberrfd)t. 

2er SJoman ^iccolo Sftonbo SWoberno, „®ie Keine SBelt ber 
neuen Seit", fteflt $iero SWaironi, ben Solln grancoS unb SuiiaS in 
ben aWittefyunft. ®aS feelifdje ©rbe ber ©Item biSponiert if)n bon 
bornberein au fdjtoeren ßämfcfen. 2)enn in ibm berbinbet fid) ba» tiefe 
religiöfe 93ebiirfniS unb baS Reifte 93lut beS SBaterS mit ber SBerftanbeS» 
fdjärfc unb bem grüblerifdjen $ang ber SKutter. 

Sftadj bem frühen SEobe ber ©Item im £aufe beS -Iftardjefe Scremin, 
bei SScrtoanbtcn feiner Urgroßmutter aufgetoadjfen, beiratet er notf) feF>r 
jung bie £od)ter feiner Pflegeeltern, bie natf) furaer @be in fdjtoere 
©eifteSftörung berföHt unb in eine Stnftalt gebracht werben mujj. Streng 
fatbolifd) eraogen, befleißigt fidj ber junge -Kann eines peinlidjen 
3ölibatS unb trauert fdjtoärmerifd) um baS berlorene SKteib. 9£adj unb 
nadj aber erlöfdjen bie fünftlidj gebegten aörtli$en (Smpfinbungen für 
bie frranfe böHig unb feine fräftige Sinnlidjfeit beginnt fidj ungeftüm 
au regen. Xie baburefi berborgerufenen kämpfe derben burdj ©lanben£« 
ameifel berfdjeirft, bie ber STnblicf ber in fonfeffioneüem gormaliSmuS 
erftarrten, fleinlidj engberaigen unb praftifdj unfruchtbaren Steligiofität 



Antonio $o%as$atos Homantrilogie. 187 

feiner Umgebung nährt. Stber Me fd^toerftc 33erfud>ung tritt in ©eftalt 
einer fdjönen geiftbollen grau, Seanne 3>effalle, an ihn heran*, bie t)on 
ihrem rohen trunffüdjtigen (Satten getrennt lebt. §n ihrer feibenfdjaft* 
lieben Offenheit gibt fie ihm balb gang beutlidj 8« t>erftef)cn, bafe fie 
ihn liebt unb entfdtfoffen ift, if)it an fid) au Fetten. SBerameifelni öffnet 
Sßiero fein £erä bem ebrtoürbigen ^Srieftergreife £on ©uifeppe gIore§, 
einem greunbe feiner ©Item, in einem ergreifenben 93efenntni§. üftadj 
fd^perem innerem ®ampf entfdjliefet er fid), bem State bes priefterlidben 
greunte§ entfpredjenb, fiefj betn ©influfe Seanne§ für immer 51t ent« 
sieben. SDa tritt fie if)tn beim 33efud> beä aufgehobenen ®Iofter§ Sßraglia, 
an einem £)rt, too er fchon öfter religiöfen Straft gefunben bat imb ihn 
auch jefet toieber fucfjt, in ihrer ganzen berüefenben Sd)önl)eit entgegen, 
gang eingefüllt gleidjfam in bic 2ltmofbbäre ihrer Seibenfehaft. 2SoH 
naiben £ro&e§ gegen einen ©ott, ber ihn fo unbillig berfuebt derben 
läfet, tt>o er Sdjufc erhofft tjat, toirft er ben ©lauben bon fid) unb ergibt 
fid) bem füfeen 3auber ber SSerfucfjertn. 2ie ©aene im Slofter gehört 
äum geinften, 3arteften unb genrigften, ira§ Sfogaaaaro geschrieben bat. 
9hm ift aber beseidjnenbertpeiie ^eanneS mächtige, ihr ganaeS SEBefen 
burd)bringenbe fieibenfdjaft rein feelifdjer Sftatur. SttDe finnlidjen 2iebe§» 
freuben erregen ihr, fdjon infolge ber bon ihrem SWanne empfangenen 
ttribertoärtigen ßinbrütfe, ©fei. Sie f)ält baber bei aller feelifcben Ein- 
gabe ben immer ungeftümer brängenben SWaironi unerbittlid) in 
©dEjranfen, feine§meg§ ettna infolge rcIigiö§*moraIifcber 3?ebenfen, benn 
fie ift bitrd) unb burdj ©feptiferiu, fonbern eben infolge jene§ 2Biber= 
n)iüen§ ibrer ftoljen, eblen, feingeiftigen Statur. £a» $ht unb $er 
be§ eigentümlichen $BerhäItniffe§ läfet fid) I)ter nidjt näber verfolgen, 
©nblidj, in einem Slugenblid, too fie ben fchtoanfenben ©eliebten au 
berlieren fürchtet, entfdjlieftt fie fidj innerlich 3u bem fdjtoeren Opfer 
ber völligen Eingabe, unb SWaironi ift nahe baran, fidh ihr burdj beffen 
Sinnahme enbgültig &u berbinben, aß er burdh ein Telegramm feiner 
©djtoiegermutter an ba§ Sterbebett feinet 2Beibe§ gerufen ttrirb, beren 
©eift bor bem ©djeiben au§ ber Umnachtung ertoadjt ift. 

Unter ben (Sinbriitfen be§ ®terbeaimmer§, im SIngefidjt ber t>on ihm 
einft geliebten grau, bie jur ^eiligen berflärt erfd&eint, fehrt $iero 
plöfclidj ber nie ganj erlofdjene ©laube feiner Sinbbeit anrücf. (Sine 
formlidhe ©fftafe ber @otte§febnfudjt überfällt ihn, unb toäbrenb Son 
©tufeppeä SReffe fieht er in einer blifeartigen 93ifion fein fünftigeä 
Seben unb feinen Zob: ©ott ruft ihn gur 93nfte unb böHigen ßntfagung, 
überträgt ihm bann eine grofee reformatorifche SWiffion in feiner ®ird)e, 
unb fd^iefelid^ ftirbt er im 93enebiftinerfleib. 5Der borfidjtige Xon 
©iufeppe atoetfelt ^unäd^ft an bem übernatürlichen ßh^after ber SSifion, 
aber $iero glaubt nadh fur^em ©dhtoanfen in ber innerften Seele uuer- 
fd&ütterlidö baran unb h^nbelt banadi, inbem er feinen gansen bon ber 



\S8 Dr. Iltaj Krieg in tfretburg i. Br. 

©rofjmutter ererbten Reichtum in Me £änbe be§ greifen ^riefterS legt 
unb bann au3 ber SQBelt berfdjtoinbet. 

©inen ©auptreia biefeg SlornanS, b£r fonft ntd^t unbebenflidhe 
Sdfymädhen fyat, bilbet bie ©eftalt Seanne 2)effaHe§, ihre tounbertoott 
herausgearbeitete, hödfjft eigenartige Snbitribualität unb ihre feltfame 
tragijdjc Seelenliebe. 2)ie Siebeäfaenen hauchen bei aller SDiäfretion 
ber gorrn ben heißen Sütem echter ßeibenfdhaft. Überhaupt ift alles 
©eeltfdje nicht minber öolfenbet al§ in ?ßiccolo SJKonbo 2tntico, ttmhrenb 
ßfompofition, 3ftilieubarfteHung unb epifobifcfjeä Steitoerf entfdhieben 
abfallen. 5Die ©cfjilberung be§ fleinlichen 5£reiben§ ber SIerifalen in 
einem benetifdhen Stäbtdjen, att' ber armfeligen Intrigen, be§ ®Iatfches, 
ber geiftigen £be eine§ berfnödjerten fionfeffionaIi£mu§ entbehrt nid^t 
fattrifdöer Reinheiten, ermübet aber burch ihre breite, bie jur 23)e* 
beutung be§ ©egenftanbeS in feinem 33erf)ältni§ fteht. Sfudj fonft ift 
eine bebenflidje SDtenge nid&t immer fehr intereffanter &etail§ angebracht, 
unb manchmal fteüt fidh fdhlecht-erbingS bie Sangetoeile ein. eine ber 
befien, menfdhlich fd&önften ©eftalten 3rogaaa<*ro3 ift bte be§ 2)on ©iufe^e 
glore*, be§ $riefter§ nadh bem $eraen @otte§ mit feiner innigen 
mt)ftifd)en grömmigfeit unb feiner fdhlichtcn barmheraigeu ©üte. 



3m britten 9toman, bem fdEjneU berühmt geworbenen „Santo", 
macht gogaaaaro ben hödhft merfttmrbigen SBerfuch, un§ Sßiero SWaironi, 
ben ©eliebten Scanne Steffafleä, al§ bie 33erför:perung feinet %bzaU 
eine§ moberneu ©eiligen boraufteHen. 2)rei Safjte lang bleibt er ber= 
fcfjotten, lebt er berborgen im Sßilgerhofpia be§ ®lofter§ (Santa Scolaftica 
au 8ubiaco als ©ehilfe be§ @ärtner§ unter ber geiftlid&en Seitung be§ 
23enebiftiner§ 2>on Elemente in ftrengfter Sföfefe, feine Seit B^uifd^en 
förderlicher Slrbeit, Stubien unb religiöfen Übungen teilenb. ©eine 
Fenint, fein eifer, feine mtrftifche ©lut gereichen aßen, bie mit ihm in 
Berührung fommen, gur (Srbauung, gegen ben eintritt in ben Drben 
jeboch empfinbet er eine entfdhiebene Abneigung. Sßrofeffor ©elba, ber 
religiöfe Genfer, ber toährenb be§ SommerS in Subiaco Wohnt, burch 
feine grau unb b-eren ©dfjwefter, eine intime greunbin Scannet, mit 
bereu ®efdf)idhte befannt gemacht hält ®on Slemente für aWoironi. 
Scanne erfährt bon biefer Vermutung, eilt herbei, fieht fura nach ihrer 
Stnfunft ben Wahren SWaironi in ber ^Begleitung be§ 3Wönch§ ,unb er* 
Fennt ihn. 2>iefe entbedfung berfefct fie in eine mächtige erregung. 
SCcr ©eliebte ift alfo nicht Wönü) geworben, fie felbft ift burch ben Stob 
ihres 2Wanne§ frei, jefct barf fie toieber hoffen. SDiaironi ober 33enebetto, 
Wie er fidh ie^t nennen Iäfet, bleibt bei S^anneS Sftnblicf im ©efühl 
feiner innigen 93ereinigung mit Ehriftu§ gana ruhig. SRadEj einer im 



Antonio ^Jogc^aros Homantrilogte. 189 

©ebet unb unter furchtbaren, fiegreidj beftanbenen 33erfu<hungen in ber 
93ergtoübni§ über bem SHofter berbracfjten Stacht Wirb er bom neuen 
9tbt einer fdjarfen Prüfung untersogen unb au§ bem Slofter getoiejen, 
iebod) mit ber ©rlaubniS, ba§ Äleib eine§ ßaieribruberS an tragen, 
äluf bem 3Bege nach bem einfamen 33ergborf Senne, wohin er mit 
©mpfehlungen S)on @Iemente§ an ben bortigen ©ralmefter geht be* 
gegnet er S^nne in ©acro ©:peco. Seim StnblidE be§ gewaltig ber* 
änberten ©eliebten berliert fie iebe Hoffnung. 33enebetto nimmt ihr 
bor i>em Slltare ba§ SBerfprechen ab, fich SBerfen ber 33armheraigfeit 
3u Wibmen unb [ich ihm nie mehr au nähern, Wogegen er berfpridjt, 
fie au einer beftimmten, nicht aßau fernen ©tunbe au fid) rufen au 'Wollen; 
er meint feine £obe§ftunbe. 

Sn ber Umgegenb bricht man balb allgemein bon bem „^eiligen 
öon ^ennc", to§ SBolf fieht in ihm einen SBunbertäter unb bringt ihm 
irofc feinet 5ßrotefte§ &ranfe, bafe er fie heile, ©eine geinbe nennen 
ihn einen ®efcer unb 5BoIf£berführer. @ie bringen eä fo weit, bafe ihm 
ba§ aKönch^fteib abgenommen unb er auch au§ feiner weltfernen Sufludjt 
in ^enne bertrieben wirb. SKachbem er im £aufe ©elbaä ein fdymereä 
Sieber burchgemacht, folgt er einer unWiberftehlichen inneren ©timme, 
bie ihn nach 9tom ruft. ®ort lebt er al§ ©ehiffe beä ©ärtnerä in ber 
SSilla be§ berühmten ©hitnrgen 3Wat)ba, ber ihn bei ©elba§ fennen 
gelernt h&t. ©in fleiner ®rei§ bon Anhängern unb ©chülern fammelt 
fich um ihn, benen er in regelmäßigen 3ufammenfünften Vorträge 
über ba§ SBefen be§ ®athoIiai3mu§ hält unb bie er an SDlitarbeitern 
an feiner reformatorifchen 9Wi))ibn fich heranauaiehen fudjt. Seine 
geinbe finb unter beffen auch h^r nicht müfeig. Senebetto hat eine 
Slubiena E>eim Zapfte, unb bie „Sntranfigenti" befürchten, bafe biefer 
unter feinen ©influfo geraten fonnte. ©r foll baher um jeben $rei§ 
bon 9tom entfernt Werben. Sie feinbliche Partei im Sßatifan fcheut fich 
nicht, baau fogar bie #ilfe ber Regierung in Aufbruch an nehmen, ber 
ein unWürbiger #anbel borgefchlagen wirb. Söenebetto im fiefieren @e= 
fühl feiner ©enbung läßt fich burch bie SInbrohung eine§ ©trafproaeffeg 
nicht einfchüdjtern unb bleibt. 2>em SDlinifter be§ Innern hält er eine 
berbe ©trafarebigt. ©ein Iängft gefchwädjter, a^ter Körper hält jebodj 
ber STSfefe unb ben Aufregungen nicht ftanb, unb er ftirbt nach einem 
ergreifenben 2lbfchieb bon greunben unb ©chülern ben SEob eine§ 
^eiligen, ©terbenb hält er Spanne ba§ Sruaifiy hin, ba§ fie leiben* 
fdjaftlich füfet, fich fo enblich bem ©lauben be§ ©eliebten gefangen 
gebenb. 

®ein 3^ifel, bafe e§ Sogaaa^ro um einen „mobernen" ^eiligen 
au tun ift. ©ine geWiffe Stfobififation be§ trabitioneüen firtfilidjen 
SbealS liegt ficher in feiner 2lbfid)t. Aber man Würbe fid) fcfiwer 
täufchen, Wenn man nun etwa einen 5tt)pu§ erwartete, ben bie ©cgner 



\90 



Dr. IHaj Krieg in ^retburg i. 33r. 



be£ Satfjoliat^mu» auf ben <SrfjtIb ergeben fönnten. ©3 ^anbclt fid^ 
um feine tuefetrtltdje SWobififation be£ fat^oltj^-fird^id^en $beal£. ® xc 
gugrunbelicgenbe ethifdje 2hiffaffung ift burd(jau£ bie orthobo^e: baä 
@ott gebraute ©pfer be§ eigenen ©elbft in 2)emut, Sirmut, ©ehorfam, 
fteufchbeit. SBenn 33enebetto jum Zapfte fagt: „©eute lüiffcn nur toenige 
©Triften, baß Religion nicht Jjaujrtfadjlid) 3uftimmung beä SSerftanieS 
gu griffen Sormeln ber äBahrheit ift fonbern bafe fie h&"#fächlwh 
©anbeln unb ßeben nach biefer SBahrbeit ift/' fo mag ba§ mannen 
ßeuten red^t gefährlich Hingen, e§ ift aber im ©runbe nichts al§ bcr 
uralte 9?uf alter ©eiligen unb religiöfen Reformer nach einer toirffamen 
^Betätigung be§ ©t>angelium§, feineBtoeg§ etoa Sluflöfung ber Sieligion 
in SWoral. $a, Sogaasaro bat fogar ausgiebig bafür geforgt, bafe 
feinem ©eiligen ba§ <5df)theit£fiegel be§ Übernatürlichen, baS SBunber* 
bare nicht fehle. 9Iuf feine Äranfenbeilnngen, t)on benen ba§ SSoIF 
faricfjt, ift stoar Leiter fein Sßert su legen; er felbft glaubt nicht baran. 
STber bie tounberbare Berufung burd) jene 9?ifion, bie inneren «Stimmen, 
bie ihn leiten, bie übernatürliche Rührung im 93atifan, too er im ginftem, 
ohne jebe CrientierungSmöglichfeit allein gelaffen, bo<h ficher sunt Zapfte 
gefangt! SSenn 33enebetto eftna§ franfbaft Überreiztet bat, toenn ihn 
in Slugenblicfen mtjftifcber Sraltation ba§ Sieber fd&üttelt unb ihm bie 
SBefinnung 311 rauben broht, fo ift auch .ba§ nichts au§fd>liefeli<h 3Ko* 
berneS; recht fciele ©eilige alter unb neuerer Seit geigen befanntlich 
mehr ober toeniger zahlreiche ©tjm^rfome au§ bem $tanfbeit§bilbe 
be§ ©t)fterifer£ unb 3?eurafthenifer§. dagegen hat ber Dichter feinem 
„.©eiligen" n>of)I baburdj einen (Stich in§ Sftoberne geben tollen, bafc 
er ihn e§ ablehnen Iäfet, ^riefter unb aftönch 3U merben. 3Hcht als 
ob 93enebetto DrinztyieH gegen ba§ 5D?önchtum ettta§ einsutoenben hätte. 
Siber er fühlt inftinftit), bafe ba§ Älofter nicht ber 2tu§gang&punft ber 
großen religiöfen Reform fein fann. Die alten Crben, „in trabitionelle 
Sormen eingefchtoffen", haben ihren ©influfe auf bie SSelt eingebüßt. 
Der 2lnftofe mufe toon ben Caien ausgehen. STudh Don (Elemente ift 
überzeugt, bafe ber ©eilige ber gufunft, fc cr gfteffiaS ber fircfjlid&en Er- 
neuerung ein Saie fein toirb. Unb hier beginnt nun aGerbingä baS 
JBebenflidje. Den ©eiligen ©enebetto fonnte fich bie firdjliche ßrthoborie 
allenfalls gefallen Iaffen, ben Reformator mufete fie abseifen. 

Gine reformatorifche 9Iftion be§ SaientumB, toie fie gogagsaro im 
3Iuge hat, fann e§ innerhalb ber fatholifchen ^irdfte nicht geben. <Sein 
©cgriff uon ber Stcttung be§ ßaientum§ in ber fiirche ift in ber Xat 
unfatholifdft. Denn nach ihm fönnte unb müfetc bie Saientoelt unter 
Umftänben einen erneuernben, reftifisierenben ßinflufe auf bie ©ierarchie 
unb bie in beren ^efife befinbli(he firdMithe Xrabition üben, nach ihm 
fönnte unb müfete auch bie ßaientoeft, unabhängig t>on ber ©ierarctjie, 
eine CucÜe religiöfer 3Bahrbcit fein. Dic§ aber tniberf^rcht bireft ber 



Antonio $o$a$$axos HomantrÜogte. \9l 

ortfjobosen Setjre. SDie fortfdfjrittlidjen Satljolifen gogaasaroS aner= 
fennen ätoar auSbrücflidE) bie Slutorität ber #ierard£)ie, berfidfyern üjren 
unberbrüdjlidjen ©ef)orfam gegen Mefelbe unb erflören, bafe bie eigent* 
licfje SDurd^fii^rung ber Reform au£fd)liefeltä) @adje ber gefefemäfeigen 
firdjtidfjen Organe fei. daneben aber ftef)t if)re Stuffajfung, bafe bieje 
£terardf)ie in einem Suftanb geiftiger ©rftarrung begriffen ift, bafe fie 
borberf)anb fein Sluge für bie ©dfniben unb gorberungen ber ©egen* 
toart unb für bie SMrne ber 3ufunft l)at, ja bafe fie biefe Seime unter- 
brüdft. Unter ben Singen biefer ^krard&ie Ijat fidj aßmäfylid) ein Qu- 
ftanb in ber Stirpe fjerauSgebilbet, ber an SJebenflidjfeit nidf)t£ gu 
toünfdjen übrig läfet. „^eiliger SSater, bie Sircfje ift franf!" ruft 33ene= 
betto bem $at>fte gu. Unb baS 93ilb biefer Sranffyeit, ba£ er entroßt, 
ift tea&rlidT büfter genug. SBier böfe ©eifter £)aben fitf) eingeniftet, 
ber ©eift ber Süge, ber £errt<f>fud£jt be£ ÄleruS, ber $abfuc$t, ber Un* 
bemeglidjfeit. Sei ber genaueren @d)ilberung biefeS Quartetts toerben 
getniifen Seilten fo em^finbüdöe Singe gejagt bafe fair ben ßärm, ben 
fie gegen ben 3Md)ter erhoben Ijaben, immerhin begreifen: ®a toirb bor 
allem jene feige, ärmltcfye Slngft bor ber Sßiffenjdjaft unb bem ©eifte 
gebranbmarft, bie „feine ß^rfurd^t bor ber nidjtreligiöfen 3BaI)rl)eit Ijat, 
fürrfjtet, bafe bie SBafjr^eit bie 2Baf)rf)eit gerftöre, ©ott ttriber ©ott fefet". 
„SJudfjftabenanbeter, iroßen fie ©rtoacfjfene 311 einer Sinberfoft ätoingen, 
bie bie ©rtoadjfcnen gurücTmeifen." 35a toirb ferner gegen bie Slnmafeung 
jener $riefter proteftiert, bie fid) in unbefugter SBeife attrifd>en ©ott unb 
bie Seelen brängen, in ifirer (Sigenfdjafi als Vermittler bie Seelen be= 
fjerrfcfjen unb audj aufeerfxrfb beS religiöfen ©ebietS tfyre Slutorität 
geftenb matten tooflen. ®a mirb geeifert miber „bie ganatifer ber 
Vergangenheit, bie aßeS in ber Sirdfje unberänberlidf) f)aben motten 
bis auf bie gormen ber püpftlicfyen @$)rad)e, bis auf bie ^almentoebel . . . 
bis auf bie finnlofen 5£rabitionen, bie eS einem $arbinal verbieten, 3U 
gnfe auSäugefjen." 

goga^aroS „Santo" f>at europäifdjeS Stuffeijen erregt; immerhin 
eine merfnriirbige £atfadf)e bei .einem Stoman, ber auS einer Igbeentoelt 
f^erauS geidfjaffen ift, bon ber fief) moberneS 33orfteflen unb ©mtfinben 
immer weiter entfernt. Qum Zeil fjanMt eS fidj \a um einen SenfationS* 
erfolg: Sftandje Seute mochten fidf) .unter einem „mobernen ^eiligen" 
irgenb etoaS UngefjeuerlidjeS borfteflen, irgenb ein perberfeS 3toüter* 
gefdjöpf; baS mufete man fidö bodj anfeuert! ©id^er ftanb sunäd^ft ba§ 
ftofflid^e ^ntereffe im 93orbergrunb. ©er 9ieformfatf)oIi3i§mu§ ift nun 
einmal aftueß. 

2Tn fid^ ift ber ©egenftanb 3tDeifeüo§ eine§ bxil)ren Sid&ter§ toürbig: 
S)a§ ©inbringen moberner Strömungen in ben Organismus ber fon= 
ferbatibften @etfte£mad)t beS SlbenblanbeS. SSeld^e inneren unb öufeeren 
Äonflifte! SBeld^e ®eelenfämt>fe! 3BeId^ ? iDitnberlid^e ©ärungen in 



\92 



Dr. IKar, Krieg in Jfrciburg i. 23r. — 



bem aufgeftörten religiöfen Sietou fctfein ! äBeldj' feltfame SBerjcitfingungen 
unb Kombinationen be3 Stlten unb Sieuen! greilidf) toer fiter rein als 
Mnftler geftalten hriß, mufe über dem Stoff ftefjen, barf ni$t felbft in 
bie religiöfe 33e*t>egung berjtridfelt lein; benn fonft toirb fein SBerf im« 
toiHfürlkf) gum Programm, gur £enbengfcfyrift toerien. 

SogaggaroS „Santo" ift fein fjarmomfdfyeS Slunftmerf. 2>er Ein» 
brucf be£ erf<f)ütternben Seelen gemälbeS brirb fcurd) §äufige£ t>erfönlid)- 
IeJ)ri)afte§ ^erbortreten be§ ®idjter§ empfinblid) geftört. 2>a rebet bann 
nidf)t mel)r 33enebetto, foniern gogaggaro, ba ttrirb ber „£eilige" lebiglid) 
gum S&efytfel ber perfönltcfjen SlnfdEjauungen, Sefcijtoerben, S&ünid&e be§ 

2) id)ter§. Unb bie betreffenden Sieben finb gum 5teil bon einer red)t 
fatalen Sänge. SBielfcw© gettrife geiftboll, intereffant, ftiltftifd) unb rljeto- 
rifd) glängenb, aber bom fünftlerifcfjen Stanbpimft au§ I)ödE)ft ftöreni. 

3tedf)t glüdtticf) unb im gangen innerhalb ber ®rengen einer fünft» 
lerifd&en 3>arfteIIung gehalten ift bie Eljarafteriftif &er berfd&iebenen 
Stidfjtungen ber Steformpartei, bie Sogaggaro anläfelid) ber SBerfammlung 
bei Selba gibt. 2)a finb gunädftt bie ^ntelleftuellen, bie geiftige Strifto» 
fratie ber Partei: ber geiftoolle, borneljme religiöfe 2>enfer Selba, ber 
garte, bon ben 5Damen bcrtoöfmte Sßrofeffor £ane, ber ungeftüme SBfet 
aWinucct. ^f)nen gegenüber ber feeleneifrige $ater Salbati, ber eine 
borhriegenb inteöeftuell gefarBte Süftion bewirft unb bor allem eine 
moralifefc Erneuerung, „eine Trangi§Fanif<f)e 5tat" berlangt; er bertritt 
ba§ bemofratifdje Element. Sftnföen beiben ber milbe 2>on Elemente, 
ber ba§ S&eredjtigte beiber 9tidf)tungen bereinigen mörfjte. Sobiel 
(Spieker, fobiel fdjarf ausgeprägte Efiarafterföpfe! Ein feinblid&eS 
Element, ber toeltmännifdje, fribole 9lbb6 3D?arinier bringt Seben in bie 
Chatte. 

3tve\ gewaltige Vorteile bringt bem 2>icf)ter feine enge per- 
fönlidje SSerfnüpfung mit bem ©egenftanb: bie glüfjenbe mtjftifdje 
93egeifterung unb ba§ tiefe innere Erleben be§ SargefteHten. 
So erreicht Ijier gogaggaro§ SeelenFunft ungeahnte $öf>epunfte. 

3) ie SBerfudfrung be§ ^eiligen in ber 3BiIbni§ üf>er Santa 
Scolaftica ift ein SDJeifterftüdf pftjtjcfjologifdfter 33ergegentt>ärtigung. 
Sgenen entrollen fid&, bie un§ in iljrer garbenglut mitten in bie Sdjtoin- 
gungen ber grofeen religiöfen 33etoegungen be§ SWittelalterS berfefcen: 
ber „^eilige", tote er „unter ber toeiften S&olfe be§ blübenben STpfel- 
baum§" in feicrltcfjer 3ftittag§ftunbe gu einer bergüdften, feeliidfj tief auf- 
gefüllten ÜDJenge rebet. 

Sie @efdf>i<f)te be§ „^eiligen" mit ifiren ftitten unb lauten kämpfen 
begleitet unb bur<i)FIingt b?re ein n>eftmütig gcbämffter, toeid&er SRoH^ 
afforb Spanne 2)effaHe§ tragifcfjc Siebe. Seit fie bie le^te Hoffnung, 
ben ©eliebten je gu befi^en, aufgeben mufete, berfolgt fie au§ ber gerne 
feine Scfjicffale mit leibenfdjaftlidöer ^eilnalime. Sie ertappt fiefj batet, 



Antonio <$oga33aros £omantnlogie. \ty3 

ia& fie trofc aß* it)re§ rabifalen ©feptiaiSmuS feine Sntereffen au ben 
irrigen mod)t. SEie ein ©djufcgeift toad&t fie über ihm, funbfdhaftet bie 
Stnfd^Iäge feiner geinbe au§ unb Iäfet ihn tuarnen. Slber mit unfäg- 
lidEjem ©chmera mufe fie fehen, öJie feine @efunbh«it fichtlich verfällt. 
SBalb foll fie nitijt einmal mehr ben Stroft haben, ihn noch auf ber ©rbe 
3U toiffen. 3>ann fommt rafch ba§ @nbe. ®ie legten ©aenen, toie ihr ©etoa 
ben Stuf be§ ©eliebten überbringt, tote fie su ihm eilt, finb bon einem 
tounberboH tiefen, innigen (Stnpfinben burdfoittert, ba§ in feiner ver- 
haltenen Seibenfdjaft um fo mäd£)tiger toirft. 

2)ie ergreifenbe ©terbefaene be§ „^eiligen" atmet ben grieben unb 
bie felige <Sfoigfeit§hoffnung be£ ©laubenS. ©etoife foH nadfj beS $Did£)ter£ 
3tbficht im äußeren ©rliegen iE>re§ 5Cräger§ bie ©ad&e triumpfjieren. 
SlHein ich fann mir nicht Reifen, ich hatte beim Sefen be§ SlomanS bie 
©m^finbung, einer JCragöbie beiautoohnen, einer ljämlidjen JCragöbie, 
bie gleichfam tmber ben SBiHen ihre§ ©idjterä gana Ieife unb unmerflich 
bie fcerhängniäboHe SBenbung nimmt. Unb fo erhielt für mich ber SCob 
be§ „^eiligen" fambolifche Stebeuhtng.. 




9torb unb 6üb. CXX. 359. 



14 



Über (Bviedimlanb, fein §eev* unö JIottcntDcfcn. 

Von 

^9. Stat>enßagett. 

— Berlin. — 

äs £reta=9ßrobIem unb bie neueren 3ertoürfniffe mit Bulgarien 
uni> ber SCürfei lenfen bie polttrfdje Slufmerffamfeit nneber ein* 
mal auf ba§ Slönigrcidö ©riedjenlanb, fein £eer unb feine 
Kriegsflotte. $ene§ eigenartige Öänber = §nbit)ibuum ber fübeuro- 
päifdjen £albinfel, ba§ ibr ben Stamen gegeben unb fd)on nicfjt mebr 
8U Mittelen rofca, toenigftenä geogra}rf)ifcf), geregnet derben fann, ob* 
tvofy e§ ber 2d)aut>Iafc ber un§ audj beute nod) mächtig beeinfluffenben 
antifen Sultur gemefen, bat in feiner über 3000 jährigen ©efd)id)te gar 
oft baS übrige Europa bejcfjäftigt. SBie Diel mebr in unfern £agen 
be§ bewaffneten grieben§, too gerabe bie SSalfanlänber sunt SBetter* 
toinfel be§ Kontinents geworben finb unb fid) in ben legten SDlonaten 
eine beunrul)igenbe Semegung unter a\V ibren Stämmen unb Stationen 
bemerfbar gemad)t bot. 

©in ©ebirgSIanb bon febr mannigfadjer ßberflädjenbefdjaffenbeit, 
tritt ©riedjenlanb in jeber $infid)t in gerabc^u gegenfäfelidjen £I)arafter 
5u bem $auptför$>er, an ben e§ fid) nad) ©üben anfefct. S3or allem ift 
e§ bie innige a3ermifd)ung bon 3P?eer unb &inb, bie SBedrfelbeaiebung 
ätoifcben ben tiefeinbringenben unb fid) beratoeigenben blauen 2ßeere3« 
Jburfjten unb ben fablen unb fteilen @ebirg§tt)änben bon oft trmnber* 
barer garbenpradjt, bie ba§ eigenartige unb ben #auptreia ber grie» 
djifd)cn Sanbfdjaft auSmadien. §e mef)r toir nad) ©üben fommen, um 
fo gröf5er mirb bie Sluflöfung in $albinfeln unb Snfeln, je ftärfer ber 
fulturettc tnic fümatifdje ©egenfafc atoifd)en ben einaelnen Steilen unb 
Steilcftcn biefe§ einzig baftebenben Sanbe§. 2fber and) an ber Oftfette 
ift bie 3crtriimnierung eine gewaltige, e$ liegen ibr 483 Snfelri bor, 
tnäbrenb bie SBeftfeite gefd)Ioffener ift, immerbin nodj 116 ©ifanbe befifct, 
baruntcr 4 bon beträc&tlidjcr ©röfje unb .fiüftennabe, auf einem unter* 
feeifdjen Södel innerbalb ber 200 Weter ßinie aufgebaut. 3Bir baben 
e§ alfo mit einem ©ebirgSlanbe bon bortoiegenb maritimem 




Uber (Briedjenlanb, fein £Jeer- unb Jlottenroefen. \<)5 

(££)arafter au tun, beffen Stirn bie O ft f e 1 t c tft, too bie retchften Suchten 
unb £äfen ftd) öffnen, bagegen Steilfüften ben Äanbberfehr erfdjtoeren, 
ttxihrenb e§ bem SBeften ben 9tücfen f-e^rt — einer 2trt ^albafien. 
Sie fcfjmale, niebrige ßanbaunge bon ®orintf) berbinbet aber Oft mit 
SBeft unb in weiterer Stnie mit Stalten, fo bafc ber euro$>äifche 
i n f I u getoaf)rt bleibt. 2)a bie mannigfaltige Sitftengeftalhtng 
ber to i d> t i g ft e 3**g ber Sanbeänatur tft, fo ift auch ber Sfteugrteche, 
toie fdjon fein 33orfaf)r, bon ferbft burdj unb burd) Seemann ge» 
tnorben, in beffen Seben ba§ SWeer, auf ba§ er angettriefen tft, bie e n t * 
fcheibenbfte 9lotte fpielt. %v& um fo mehr, aU e§ im Innern be& 
Sanbe§ an natürlichen SRtttelpunften fehlt; ber Staat tft aufgelöft in 
eine grofee 3<*f)I 3« politifd&em unb ttrirtfdjaftlichem Sonberleben 
neigenbe, Heine abgefdfyloffene ©aue unb Kantone, too bie SPlaffe be§ 
SSolfeS in Dörfern lebt, beren Slnlage an ba§ 33orhanbenfein bon 
Duellen gefnü^ft ift, unb bie über bie ©ebtrge "]üfmx berfefjren fönnen, 
alfo nur bie See unb iljre Suchten al§ gemetnfame§ Sanb fjaben. 
$ter finben fie auch fjauptfädjltch 9?<t^rung unb ©rtoerb, ba ba§ Sanbe§= 
innere toenig ergiebig tft. Sebeutenb finb baher S ch i f f f a h r t unb 
gfifdfteret, erheblich unb wtjlwiti) bie # a n b e I § f I o 1 1 e, Jjaupt* 
fächltch Segler, aber auch biele SDamtfer, bie befonberä in ben $äfen 
be§ öftfichen SKittelmeeres bon Obeffa bi§ SKalta ben örtlichen 33erfehr 
betoirft. 2>ie etfinogra^^ifdien SSer^ältniffe finb äiemlidj ein* 
förmig. Stufeer ben KTfbanefen unb SEßTachen gibt e§ nur 9ieugriechen, 
bie bie STOeljrheit ber <£intoof)ner btlben. ift ein SPiifchboIf auS 
heffenifdjen, albaneftfdjen, btyaantintfdjen, namentlich auch flatnifchen 
Elementen, benen aber auch germanifcfje unb italienische Söeftanbteile 
augefügt finb. StefeS SSolf befibt biele altgried)iftf)c Eigenschaften im 
guten tote im böfen Sinne. tft Don bunfelfarbigem S^uS, fchlanf, 
fjager, mittelgroß, för$>erltch toie getftig fefjr betoeglicfj, mefjr sähe aB 
fräftig. SHe grauen finb bielfach eble unb fchöne ©eftalten, namentlich 
auf ben Snfeln. $Da§ Familienleben tft gut unb fittenftreng. ©te 
STcrtoen itnb SITbanefen finb bagegen blonb, fe^r fräftig, aber auch fehler* 
fälliger, tooQen im übrigen burchauS ©riechen fein, dürfen fommen 
nur bereinaelt al§ ©rofjgrunbbefifcer ober al§ ^anbtoerfer bor, ber* 
fchminben aber immer me^r, unb auch bie noch in ben ©ebirgen al§ 
nomabtfierenbe Birten borfommenben, romantfeh ft>red^enben SBIachen 
tnerben immer me^r aufgefaugt bon ben 9?eugricd)en. 

93et bem au§geaet(hneten S3oIf§fd^uItt>efen unb ber Begabung be§ 
SSoIF^ ift bie 3öf)I ber SSfnal^höbeten berhältntSmäfetg gering, iebenfaH§ 
ntebriger, aB in trgenb einem Sanbe ber Salfanhalbtnjel ober Oft- 
eurot)a§, etloa fo groß ttrie in Stalten. ®aburcfj toirb ber ©ried^e in S5er= 
binbung mit feinem Sinn für $airbcl unb Schtfffahrt a^nt toirflichen 
Kulturträger im Orient, ©r liebt auch ©efang unb SEana 

14* 



— - W. Stacenfiagen in Berlin. — 



unb fd^öne 33oIMteber. SBeniger ^rborrag^nb ift bie höhere 93ilbung, 
fchltmm ber ©influfe ber $albbilbung, bie befonberS in treffe unb Sßar* 
lament ^errfd^t. traurig Waren bie finanaiellen Söerhältniffe, bie 
©elbnot unb ftarfe S3erf<hulbung, bie 1893 aum ©taatSbanfrott führten, 
fo bafe bem ginanaminifterium je ein Vertreter ber fedj£ europäifd)en 
©rofemädtfe al§ SJStglteb einer internationalen ginansfontroHe bei- 
gegeben ttmrbe, um bie eurojxiifdjen Igntereffen ju tealjren. ©ro& finb 
be^öcrlb aud) bie ©teuerlaften. Ignbeffen hüben fid& bie griedjifdjen 
Sinanaen feiger gehoben. 2)er $au$halt fltbt feit Sauren 3Mehrein* 
nahmen, unb ba§ 3Igio ift Don 75% auf 8% gefaEfen. -Dloral urtb 
SBohlftanb leiben feht unter ben üblen @igenfd>aften beä SBoIf§, befonberä 
bem $arteigetriebe, ber SSeftedjlicftfeit unb Untoiffenheit ber ftet§ toedjfeln* 
ben 33eamten in bem gan$ txtrlamentarifd}, bon einer Cammer au£ 
177 Slbgeorbneten regierten <Btaat. SMe Offijiere finb au§ ber Cammer 
entfernt toorben. 2>em Sftonarchen finb burd) bie SBerfaffung bie $änbe 
bottftänbig gebunben. 

immerhin finb bie fulturetten gortfdjritte trofc ber uncr« 
quitflidjen politifdjen SSerhältniffe unb be§ traurigen 3uftanbe§, in ben 
ba£ Sanb nadj ben 3reiheit§friegen berfaflen toar, e r h e b I i dj, fo ba&, 
bei ber ßeben§fraft be§ 5BoIfe§ imb ba nodj biel jungfräulicher, be- 
fruchtbarer 33oben ba ift bie Brunft eine grofee fein fann. 

©ie griedjifdje St r m e e ift natürlich ein ©piegelbilb be§ griechifdjen 
33oIf3. 5Erofe ber hohen ^Begabung, bem 93ilbung3trieb, ber 93oterIanb§- 
liebe, Unternetymungäruft, ©enügfamfeit unb bem Opfermut, oft antifer 
©rö&e ber ©efinnung be3 Qrinaelnen ift ba§ ©anae mit ben @<häben 
behaftet, bie 400 jährige Snedjtfdjaft unter ba§ £>§manenjoch, anbauernbe 
SWi&mirtfc^aft unb SBerfdjuIbung unb ftarfe Siaffenmifdfung sugleidj mit 
ben Ulationalfehlern ber ©itelfeit, ©rofcfaredjeret unb ©elbfiüberhebung. 
Unauberläffigfeit, bis aur berüchtigten fides graeca oft gefteigert, be§ 
SßarteigeifteS unb ber religiöfen Unbulbfamfeit, ber #änbelfudjt unb t>o!i* 
tifdjen Streitigfeiten im öffentlichen Sehen fotoie ber fraffen GrrtoerbSgier 
im SBolfe ober richtiger unter ben fjerrfdjenben klaffen ber £albgebilbeten 
eraeugt haben. 5Die 3ahl ber toirflidj ©ebilbeten ift babei allmählich 
aurüdgegangen, unb in ben fonft gefitnben unteren klaffen ber 33e* 
bölferung f^ttfdjen noch biel Umoiffenhett, Aberglauben, Arbeits» 
untüdjtigfeit unb gaulheit. ßbtoohl bie ©rieben auerft bon allen 
93alfanbölfern fid) bon ber Stürfenbebrütfung befreit haben unb felb* 
ftänbig tourben, haben fie be§ ©eutfdjen gaümeretjerS SRat: „Seib mächtig 
unb einig, habt glotte, &eer, geuerftröme, ^nbuftrie unb ©orb!" fdjlcdjt 
befolgt unb nicht gehalten, ma§ bie 5?biIheHenen einft bon ihnen er« 
hofften. £a§ ^eer blieb ftet§.ein§ ber rüdftänbigften unb am toenigften 
frieg§bereiten &uTopa%, nü^te bie allerbingS burd& bie fchftoeren 
kämpfe in ben 93efreiung§friegen fehr geflächte 58oI.f§fraft fd)Ied&t 



Uber (Srtedjcnlanb, fein Qeer* unb f .lottenroefen. 

aus, tt>ar mangelhaft bestoaffnet unb unaureidjenb auSgerüftet unb um 
fo me^r im Verfall, als ber ©taatSfötper faft aHer finanaietten Hilfs- 
mittel beraubt mar unb bie Neigung beS ©riechen auf bie See geht, ber 
Slrmee baher toenig ©gmjKtthie im Volfe auteil tourbe. 2Bie fchon 
ber ruffifcf)»türfi|che Ärieg 1877/78 grofee ©chtoädjen beS $eem>ejen^ 
anS Sicht braute, befonberS auch in ber Süfjrung, fo bafe ber eigene 
ÄriegSminifter ftäter fagen fonnte: „Drei Viertel ber Offiziere haben 
ihre Pflicht nicht erfüllt/' fo erttrieS ber tefcte griechifch'türfifdje ®rieg 
bie Unfähigfeit ber oberften Heeresleitung, toie bie Unsulänglichfeit 
ber Organisation unb ber militärifchen Durdjbilbung. DaS Heer ber* 
fagte: bie auSgegeicfjnete türfifche SlrtiHerie unb bie glänaenb ber* 
menbete oSmanifdje Reiterei fatoie bie richtig eingreifenben Sieferben 
unter ©bhem ^ßaf^a brachten ben ®rieg rafefj 8ur @ntf<heibung. 
©riechenlanb erlitt eine fehr fdjtoere Sftieberlage, große Verlufte an 
ITOcnfchen unb Sanb unb geriet in förmlidje 3errüttung. @S loar ein 
gänglidher 3 u f et m m e n b r u d). 

Dennoch ift anguerfemten, bafc ber ©taat fich balb aufgerafft fyat, 
ernftlid) an ber Steuorbnung beS ©anaen, bor allem beS §wxe%, gear- 
beitet hat, um bie SanbeSberteibigung unter großen Opfern auf neu- 
zeitliche ©runblagen au ftefien. @o entftanb nach grofeen Sßrefefämpfen 
unb Stebefcfjlachten 1904 ein neues 9teorganifationSgefefe, 
baS ©nbe 1908 gur boUftänbigen Durchführung gelangt fein toirb, nach« 
bem finanatelle ©rünbe bisher STuffd^nb erforbert haben. 

Sie SBebrberfaffung beruht auf ben 2BehrQefefe€n bon 1882, 
1887, 1896 unb namentlich bem ©efefc bom 4. §uni 1904. @S befteht 
allgemeine SBehrpflicht. Sie Dienftfcfluht bamvt 30 %afytt (bom 
21. bis gum 51. gahre einfcfjliefclich) unb $oav 2 Söhre im ftehenben 
Heere, 10 in beffen 3teferbe, 10 in ber 9?ationalgarbe (5£erritorialarntee), 
8 in ihrer 9tefert>e. Die auSgeloften Übersähligen Dienftyflichtigen 
foftrie bie toegen ©chtträchlichfeit 2)tinbertauglichen ober bie als gamilien- 
ftüfee nicht ©ingefteHten finb gehalten, 6 üRonate im ftehenben Heete 
bea*t>. ber Steferbe au bienen, Vorauf fie gegen eine Slbgabe bon 100 
bis 1000, burchfehnittlich 160 Drachmen, aur Verfügung beurlaubt toerben, 
be^tt). bie gamilienerhalter gegen eine 5Caje bon 160 bis 305 Drachmen 
in bie üftationalgarbc übertreten. Verheiratete bienen 6 SDlonate in 
ber 9iefert>e unb fönnen bann gegen eine Slbgabe bon 300 Drachmen 
beurlaubt toerben, Untaugliche leiften 3 30?onate 3luShilfebknft im 
ftehenben Heere unb tterben barauf gegen 3ählung bon 100 Drachmen 
entlaffen. @iniährig»8refarillige fyaben 1000 Drachmen ©teuer au ent- 
richten, enblid) bleibt ein ganj fleiner ^rojentfafe bon gamilienfür* 
forgern unb Verheirateten gana frei bom aftiben Dienft unb tritt gleich 
in bie ÜRationalgarbe. Die ^ßräfenaftärfe toirb jährlich burdj bie Kammern 
ftftgefefet. 



ID. Starentjagen tn Berlin. 



Oberfter^riegSIierr unb SBef ef)I§^aber bon #eer unb glotte 
ift ber ßönig. SDurdfr ©efefe bom 20. 3. (12. 4.) 1900 ift baä #eer im 
grieben unter ben 33efeI)I einc§ ßberfommanbanten (®eneralleutnant£) 
gefictlt, ber augleid) ©eneralinfpefteur ber Strmee tft sur Qext ber 
Äronprtua bon ©rted&enlanb. 

§m 8f r i e b e n betrug biSfjer bie ©ottftärf e be§ #eere§ (bon ber 
ber ttrirHtd&e »eftanb erljeblidj aftmcfr) 2025 ßffiaiere, 26 790 Unter* 
offiaiere unb äKannfdjaften — bon benen 6300 aur Verfügung bom 
3ftinifter für bie Seit bom 1. Suni bis 1. Sftobember beurlaubt toerben 
— unb 4500 $ferbe unb Sftaultiere. tt)irb ober fünftig auf eine 
©efamtfopfftärfe bon 30 870 2Wann gerechnet. E§ fotten nämlidf) jffl&r* 
Iid) 18 900 9tefruten (= 0,8% ter löebölferung) eingesogen toerben, 
bon benen fid) aber erfabrungämäfetg 30% etoa ber ©eftettung§pflicf)t 
entaiefjen, fo bafe hrirflid) nur 13 600 SWann (= 0,56% ber ©iTüoolmer* 
aafil) aur (SinfteHung gelangen. S5a§ mactjt bei 2 gabrgängen be3 
ftef^nben $eere§ 27 200 ®öpfe au§, tooau nocf) 3670 Cffiaiere, ^Beamte 
unb Unteroffiaiere fommen, ft>orau§ fi<f) obige @tärfe bon 30 870 köpfen 
ergibt. 

2)ie ST r m e e gliebert fidj nadj bem ©efefc bom 20. 6. 1905 in 
3 Sibifionen mit gufammen 36 S&ataiffonen Infanterie, 18 ©drmabronen 
beato. ÄabreS ffaballerie, 33 Batterien Artillerie, 12 ted&nifd&en Äom« 
pagnieen, 1 gcw^c^rfompagnie, 3 SCrainfompagnieen, 1 SKrfenaK 
1 @eftüt§fompagnie fotoie bie ©enbarmerie. 

SDiefe Struppen finb, toenn audj ntdjt gang glekfjmäfeig, auf bie 
brei 2»ilitärbeäirfe ßariffa (I.), Sitten (II.) unb SKiffoIungfr (III.) 
berteilt, in beren jebem alfo eine ^nfanteriebibifion ftef)t, toäbrenb bie 
nidjt im SDibifion&berbaube beftnblicfjen Gruppen ber 2. Infanterie* 
bibifion in Sitten beigegeben finb. 

Sie 2)tilitärbeairfe finb augleicf) ©rfafcgebiete, inbem ba3 
fogenannte 9tegionaIft)ftem ftreng burcfjgcfübrt ift. Unter ber Settung 
i>e§ ®tbtfion§fommanbeur§ ift jeber 93e$irf in 4 Unterbeairfe, ben gn* 
fanterieregtmentern entfpredfyenb, mit je 1 Stefrutierungäbureau einge* 
teilt. 2)ie 3lu^ebung§!ommiffionen finb jäfjrlid) bom 1. guni bt§ 1. $uli 
tätig. 

2>ie äxtneebertnaltung liegt bem Sriegäminiftertum ob 
(©eneral £ b e o f o t i §), ba§ fidf> bafür in 14 Abteilungen gliebert, beren 
mehrere in Unterabteilungen jerfaHen, ttrie 3. 2J. bie für ben @eneral= 
ftab§bienft in Statiftif, Stopograpbie unb !Kacf)ritf>teMt>efen. 

2)a§ ©eneraIftab§forp§ ift neu gefd&affen unb beftebt au§ 
bem ©rofcen ©eneralftab, mit 1 ©eneral ober ©bcrften aU Gbcf, ber 
bem 2Irmee=£)berfommanio unterteilt ift, ber ©sneralftabSabteüung 
be§ Srieg§minifterium§ unb ben Sruppen^eneralftäben bei ben 3 2)ibi= 
fionen. @r ergänjt fi<f) au§ SeutnantS, bie entoeber eine au§Iänbtfcfte 



Über (ßriedjcnlanb , fein $eer« unb <$lotten»efen. \99 

ShriegSf)od)fd>ule erfolgreich befucht ober eine Prüfung beftanben Sofien, 
5 Sahre aftto, batoon 3 bei ber Zvnppe gebient haben unb eine frembe 
Sprache beherrfchen. 9la<h einer gelungenen S)ienftleiftung beim ©eneral* 
ftabe erfolgt bie (Ernennung sunt nrirflichen ©eneralftabSoffiaier, ber in 
iebem SDienftgrab ttneber geitoeife in ben £rupt>enbienft feiner eigenen 
ober einer fremben SBaffe surüeftreten mufe. 

Stüter 3ufammenhang mit ber 2trmee4BeäirfSeinteiIung ftehen 
ferner in Sitten: bie 2lrtillerie*Önf:peftion, bie 2>ireftion für ba£ 
ärtitterie=2Jtoterial, baS ©eneralbepot für Kriegsmaterial, bie ©encral* 
Sntenbantur ber Armee, bann bie berfchiebenen SMIitärfc^uIen. ^n 
Äorfu befinbet fidj eine SSorbereitungSfchule für ^nfanterieoffistere, 
in 31 a u p I i a baS 2trtiHerie*2trfenaI. 

35a£ OffiäierforpS ergänzt fi<h toie folgt : bie a f t i b c n 
€ f f i 3 i e r e: 1. 2luS ber SriegSfchule ber (Slpiben (im $ataft SIfferoffion) 
mit 160 3ögltngen unb 3, für Artillerie unb ©enie 5 $<rf)rgängen, an 
ber bie türfifdje Sprache obligatorifcfjer ße^rgegenftanb ift. ©er AuS* 
tritt nad) erfolgreichem 93e|"ud) gefdjieht als Unterleutnants, bie sunädjft 
in bie £ruppe fommen unb erft nadj minbcftenS 2 jährigem 2)ienft ein 
ftommanbo, 3. 93. gur Steitfdjule, jur Artillerie» unb Snfanterie=®d)ie§- 
fdjule, aur ^ngenieur-Sdjule erhatten fönnen bon f)öd)ften§ 4 jäfjrtger 
£auer, tnorauf fte hrieber für tocnigftenS 2 ^ül)re in bie gront 3urücf* 
treten müffen. gür ^nfanterieoffiaiere ift bie a3orbcreitungSfchule in 
ßorfu. 2. AuS früheren Steferbeoffisieren bc$w. erfolgreichen 
S3efuchern ber 3iefert)e»€ffiäierfcf)ule. 3. AuS ben beften Uitterofft« 
3ierf<hülern, iebod) nur für Infanterie unb Äabatlerie (ber Sehr* 
gang bau^vt 3 Sahre, unb eS ift $lafc für 100 3üglinge). 

®ie 9teferbeoffi3iere gehen auS ber #teferbc»£)f f isierfchule 
in Äorfu (16 monatiger ShtrfuS, ettoa 3 Sftonate im Jruppenbienft,) 
unb au§ Offizieren beS StuheftanbeS herbor. Sie fünnen crforberlidjen 
gaHS bis ju 40 lagen ®auer im 5D?anöber eingebogen toerben. 

3>aS £)ffi3ierforpS toar bisher 3iemlich überaltert, ba bie (Snt- 
laffung nur auf ©runb gerichtlicher Verurteilung toegen eines 33er- 
bredjenS erfolgen fonnte. 2ie ©enerate bienten mehr als 50 $ahre. $ie 
©ebühren pnb toohl bie niebrigften ©uropaS. 33iel Einfluft auf ben 
©eift übt bie leibige Sßolitif, ein förebSfchaben für iebcS OffijierforpS. 

2)ie SDibifion gliebert fidj in 2 ^nfanteriebrigaben, 1 S!aballerie= 
regiment, 1 gelbartiHerieregimeiit, 1 ©cniebataillon, 1 Srainfompagnie, 
1 SanitätSfompagnte unb 1 SDlufifforpS. 33ei ber Athener (2.) Sibifion 
befinben fi<h aufeerbem 2 Abteilungen ©ebirgSartillerte unb 1 Abteilung 
fchtoerer Artillerie. 

S)ie Infanterie, im ganjen 6 33rigaben mit 12 ^Regimentern 
3u 2 ^Bataillonen unb 1 ®abre=23ataiHon, fotoie 6 ©baonenbataitlone, 
sufantmen 36 SJataillone (je 18 Offijiere, 520 SKann), babon 24 au 



200 



W. StavenfyaQen in Berlin. 



4 $omt>agnieen, 6 ©baonenbataiHone (Säö^r au gufe, 20 Offiziere, 550 
3Kann) au 4 ®omt>agnieen, ift nodj mit bem 11 Sftittimeter ©raSgetoeljr 
1874, alfo einem fjeute gänalidj veralteten ©inaeftaber mit 3>egenbaionett, 
bewaffnet. @£ foll jebodj ba3 ofterreidjifdjje 6,5 SDiiHimeter 3BannItd)er* 
©<^önau=2Bef)rIabe*@eape^r 1903 bemnäcfrft eingeführt toerben. @ben 
finb 100000 @tüdf bei ber ©teurer SBaffenfabrif beftelft Horben, bie bis 
@nbe Sfcöniar 1908 au liefern finb, bc^u 12 -ättillionen Patronen. Seber 
3Wann f)at 120 Patronen, 1 $nfanterief:paten unb £ornifter. £>te S3e- 
Heibung befielt au§ einem bunfelblauen SBaffenrocf mit rotem Sragen 
unb folgen Auffd)Iägen, Ijeßblauen 93einfleibern unb blauem Stäppi. 
®ie ©bgonen tragen bie toeifce -Kationaltradjt*) mit bunfelblauem Über- 
wurf unb einem gej mit roter Ouafte. 

3>ie SJaballerie ift in 3 Regimenter 5U 4 ©cfjtoabronen unb 
2 Offiaier§fabre§ für gtoei toeitere <£§fabron§, aufammen alfo in 12 
@§fabron§ (5 Offoiere, 128 9Kann, 121 $ferbe) unb 6 ®abre§ ge* 
gliebert. @ie ift mit Säbel, Sange unb @ra§=®arabiner bewaffnet unb 
befifct SBodffättel. §f)re bunfelgrüne £ufarenattila f)at rote SBefäfce unb 
toeifee ©djnüre, baju trägt ber 3teiter bunfelblaue Seinfleiber, fjofje 
©tiefei, fattrie ein grünet @äppi mit fueifeem 33ufdj. 

2)ie Artillerie ift in 3 2relb*9tegimenter 5U je 3 Abteilungen 
mit 2 bekannten Batterien, aufammen 18 bekannte ^Batterien (4 Offi- 
ziere, 122 3Kann, 6 ©efdjüfce, 64 Sßferbe) unb atoar borläufig nod) 75 
unb 87 SWißimeter Stujtyfdje gelbgefdjüfee, ferner 3 Sfbteilungen mit 
je 2 unbekannten Batterien, alfo 6 unbekannte Batterien formiert. 
SBeiter 2 Abteilungen ©ebirgSartiflerie au 3 ^Batterien, alfo 6 Batterien 
(4 Offnere, 110 3Wann, 37 Sßferbe unb dotiere) au je 6—75 SWißimeter 
®ruW>fd)en @ebirg§fanonen. ©nblidj eine Abteilung fdjtoerer Artillerie 
mit 3 Batterien (5 Offiaiere, 121 SKann, 65 $ferbe) 3U je 6 ©efd)üfeen. 
3u biefen 33 Batterien gehört nod) eine 3^ug= ober Arfenalfompagnie. 
Eine Umbetoaffnung mit ^djnellfeuergefdriifeeu nadj bem in (Sffen er- 
probten unb angefertigten <St)ftem be§ Oberften 2t)fabi§ fte^t bebor, 
betfv. ift begonnen. 2)ie Sefleibung beftefit au§ einem bunfelblauen 
JRod mit »einfleib unb @äppx. 

®ie 5£edjnifd)en Zv Uppen fefcen fid) au§ 3 ©eniebataillonen, 
iebe§ au 2 Pionier-, 1 Sßontonier* unb 1 SEclegra$>f)enf om£agnie . au- 
fammen, fotute 3 ®abre§ für je atoei toeitere ©eniefompagnieen. 5Me 
S3efleibung, Au§rüftung unb Sktoaffnung ift im allgemeinen bie ber 
Infanterie. ®ie 23efeftigungen finb 3 ©eniebireftionen unterteilt, 
ebenfo bie in allen bebeutenberen Orten unb auf Unfein beftnblidjen 
Stationen braljtlofer SMegrapbte/ fofern fie nidjt mit ber SWarine, beren 

*) 3ruftanelTa mit breitem Seihen* ober ßcbergürtel unb ©amafdjen. Sto^u ein 
OTantcI au3 roeifeer @d)aftooffe im SSinter. Auf ben 3nfeln $um#>ofe mit £eibbtnbe, 
Werne, reid) ßefttefte 3acfen mit laugen Ijängenben Ärmeln. 



Über (Sriedfettlanb, fein fjeer« unb ^Jlottenioefen. 20V 

&rieg§f<htffe ebenfalls gunfenauärüftung hüben, in näheren SSegiehungen 
fielen. 

3>er SC r a i n befteht au§ 3- Komjxtgmeen, bie ungureichenb finb. 
gbenfo gibt e§ 3~@anität§* (Kranfenträger«) Komjxignieen mit 
3 ßagaretien erfter unb 3 foldjen Reiter Klaff*, bann eine felbftönbige 
geuertoehrfompagnie unb bie 3Wiütär * Wt u f i f f o r p £ , für 
beren 9ia<hn>ucf)£ eine Sftufiffchufe befielt. 

Sie ©enbarmerte gliebert fi<h in 16 SSrigaben au Sßferbe unb 
210 folcher gu 3rufe. 

Scr gan^e ^oliaeibienft ift ber vervierfachten ©äptfcmann* 
fd>aft anvertraut morben. 

Xaä ^rttenbanätoefen ift gänalidj unaureidjenb, hat auch bei 
allen SWobilmachungen Verfaßt, ebenfo ttrie ber Kranfcn* unb SBerttmn* 
betenbienft. 

Sie 2anbe§t)ferbeäucht- fteht auf niebrigfter ©tufe. %x\» 
folgebeffen ift audj bie Siemontierimg faft bie fchtoädjfte ©eite beä #eere£. 
25a§ griechische $ferb, Hein unb entartet, toenn auch jcf>r genügfam, 
ift für bie KaVatferie menig, für bie SlrtiHerie gar nicht geeignet. 9iur 
ba§ $eere§fuhrtt>efen finbet einige brauchbare 3ugt>ferbe fottrie 3D?auI« 
tiere. 9ia<hbem nun ba§ einige ftaatlicfje ©efiüt gu SttrgoS fdjon feit 
einem 2Reuf<f)enaIter eingegangen ift, bleibt bie SIrmee faft oudf^Ite^Iic^ 
auf baä SluSIanb angetoiefen, toa§ namentlich im Kriegsfälle, fdjon ber 
toeiten SCran^orte liegen, bebenflich ift. Sie meiften Stiere fommen 
au§ Ungarn, Stlgier, SWauIefel auch au§ Italien. 

28a§ bie befonberS im 2RobiIma<hung§fafle fo toichtigen 3Bege« 
tferhältntffe anlangt, fo fteHt- fid) bie SRatur be§ ßanbeS, befonberS 
ber gebirge Sharafter, bem (Straßenbau entgegen, gang abgefefjen baVon, 
bafe ba3 3fteer baS eiement ber 33etoohner ift. 93i§ Vor furgem gab . 
e§ noch fo gut tote feine ßanbftraßen, ba ihr 33au unb ihre Unter- 
haltung su fchtoierig toaren, größere natürliche SDtittetyunfte fehlen unb 
bie ©ee hinreidjenb vermittelt, Sßerfonen unb SBaren tourben ju Sßferbe 
ober SPfauItier beförbert. 9Tm fchlimmften fah e§ im SßeloponneS au§/ 
etoa§ beffer in ÜDttttel* unb 9?orbgrtecfjenIanb, fchon au§ ftrategifchen 
©rünben, am Vorteilhafteren auf ben jonifchen Unfein, immerhin finb 
erhebliche 93aufummen ausgegeben, boch fehlt bie forgföltige Unter- 
haltung ber etoa 4000 Kilometer ©trafeen. 2lber auch von @ i f e n * 
bahnen ift ba§ Sanb nur toenig burdfoogen, nur ber $eIo$>onne§, 
Sittifa, Söotien, 5£heffalien unb Sffetolien befi&en folche, meift fchmal* 
faurige. $m gangen toaren 1905 1100 .Kilometer im Setriebe 
(1,6 Kilometer auf 1 Chiabrat* Kilometer). SBor allem aber 
fehlt ber Stnfchluß an ba§ mitteleuropäifche Sttefc. Sie türfifchen 
Sahnen enben in ©alonifi, einem für Sam^fer ungeeigneten 
^afen, ber namentlich für ben ©ilüerfehr gang unsulängli($ ift. SBeit 



202 



K>. Staüentjagen in Berlin. 



beffer liegen bie 93erl)ältniffe im SßiräuS, too bie größten £ampffdE)tffe 
anlegen fönnen. Salb aber toirb bie Südfe burdfj eine Stnie Salonift* 
$träu3 gefd&Ioffen fein, unb bann fteljt ba§ fianb mit (Suropa in enger 
33al)nberbinbung. STudj ba§ Sßafferftrafeennefc ift unbebeutenb. 
3>ie Srlüffe fönnen nur bon geringem SBert fein, tocil fie infolge iljreä 
furzen ßaufeS unb ftarfen SaH§ nid^t fd&iffbar ftnb unb btelfadj im 
Pommer auStrodfnen, im SBtnter ju reifeenben ©iefebäd&en toerben. 
Selbft ber bebeutenbfte gluft, ber 2ld&eloo£, ift feine militärifd)e SBaffer« 
ftrafee. SBidjtig tft bagegen ber 6,34 Kilometer lange ©eefcfjtfffabrtä* 
fanal, ber bon 2ttf)ett über bie 80 ÜReter hohe Skmbenge bon Sorinfh 
führt, bie ftafytt nad) ber Slbria um 325 Kilometer Fürst unb ben 3Beg 
fotoohl bon ben toefteuropäifdhen SRätften ttrie bon Sonftanttnopel unb 
ben #äfen be§ Sdjtoar&en SWeereS nadj ber grtetfjifdhcn £auptftabt er« 
leichtert, bor allem aber bie ©efahren befetttgt, toeldje häufige Stürme 
ben Seefahrern bei ihrer Steife um ba§ Sap SWatapan brachten. 2lud) 
ba§ $ o ft « unbSEelegraphentoefen ftnb befriebigenb, 1905 gab 
e§ 10 000 Silometer Telegraphen, 1500 Kilometer gernfpredher, au benen 
neuerbingä noch bie gunfenftationen fommen. 9ludj gibt e3 an 500 
Sßoftämter. 

SBo§ bie amtliche 2anbe3aufnabme anlangt, bie heute burdj 
bie geograpbtfdje Abteilung be§ Slrieg§miniftertum§ bewirft toirb, fo 
ift bie ©runblage au ihr burdf) öfterreidjifdje ßffiatere, bor allem ben 
fieiter biefer SDiiffton, ben um bie ©eobäfie überhaupt bod^berbienten 
ßberftleutnant Heinrich föartl gelegt toorben. @r ^at bor altem bie 
Triangulation be3 SaiVbeä bewirft, bie Äatafterbermeffung eingeleitet 
unb bie 2ftappierung£arbeiten begonnen, ©r trollte bie 2RefetifdEjauf* 
nahmen in 1 : 20 000 ausgeführt fehen (nur toichtige ©elänbeabfdhnitte, 
Stäbte 2c. in 1 : 10 000) unb bie 33obenbarftellung buref) #öhenfurben 
(nur, too biefe nicht ausreichen, in 33ergftrkhen) bettrirfen laffen. 93i§* 
her bot ber griedjifd&e ©eneralftab auf biefer ©runblage eine fiarte bon 
Tbeffalten 1 : 50 000 erfdfjeinen laffen. 3lu§ älterer 3^tt fei al§ mtli* 
tärifd) toichtig unter ben aabireidjen ®artentoerfen über ba§ intereffante 
Sanb nur ber jmangtgblättrigen „Carte de la Gr£ce" 1 : 200 000 ge* 
baeftt, bie 1852 ba§ franaöfifdje D£p6t de la Guerre hcrfteltte, ein topo* 
grapbtfcfjeS 2ßeiftern>erf, fo lüefenhaft unb unbefriebigenb auch grofte 
Teile beSfelben, gumal bei ber ©tle ber Aufnahmen, auffielen. ßbtoohl 
über ein halbes !gabrhunbert fdjon alt, bleibt fie bodj neben ber öfter- 
reidjifdjen ©eneralfarte 1 : 300 000, einteilten pribaten Arbeiten au§ 
fpäterer 3eit (befonberS ben preufeifcfjen ©eneratftabSaufnahmen unter 
Saupcrt über Stttifa 1 : 100 000) bie ©runblage unferer topograpbtfcfjen 
Kenntnis ©riechenlanbS. Sie umfaßt ba£ ganae geftlanb bis au ben 
©olfen bon 9lrta unb SBolo unb ben 3lrd)ipel unb fußt binftdfttlid^ ber 
Snfeltoelt meift auf englifd^en Seefarten. 9Tuch bie 1878 bom grtechtfehen 



Über (ßriedjenlanb, fein $eer* unb $ lotteniref en. 203 

©eneralftab herausgegebene „Karte bon ©jriruS unb 5ö&effaKcn" 
1 : 420 000 in griedjifdjer ©djrift, au ber audj ein febr IebrreidjeS fta- 
tiftifdjeS SBerf gehört, fei no<b erwäbnt. 

Satire 1906 fanben, (tote „SeS (SftubioS 2RilitareS" berieten, 
5um «rften SDtale feit bem legten Kriege -Dtanöber unter fieitung beS 
Kronprinaen ftatt, unb fivav awifdjen #Wei gemifdjten 93rigaben in bem 
Siaum SSelufa, Krebafara unb ©latia, 30 Tage lang. 

3>er griecf)ij<f>e $eer eSbauSbalt BcKef fieb 1905 auf 20 186 730 
SJracbmen (granfS), bei 118 699 761 beS ©efamtbubgetS. giir 1907 finb 
55 SKiUionen ©rahmen ausgeworfen, babon 13V 2 Millionen für neue 
©efcbüfce, ebenfobiel für SBefdjaffung bon Sßferben unb SKaulefeln unb 
12 ÜDüÖionen für SBefeftigungen, £rain= unb SanitätSWefen. 

Sm Kriege werben bie brei griebenSbibifionen burd) eine Sin- 
ga^I bon Sfteferbe« unb S£erritoriaItru;pt>en auf 6 gelbbibifionen t>er- 
ftarft. SDlan barf bie eigentlicbe gelbarmec (ftebenbeS £eer unb 9?e- 
ferfce) bei 12 Sof)rgängen (2Rannfdbaften toom 21. bis 32. Safere einfdjl.) 
unb 20% Abgang auf 115—120 000 2Kann beranfdjlagen, wobei natür- 
lich bie ©tnbeiten ftärfer als im grieben finb. So befielt 5. 93. baS 
SnfanteriebataiHou bann auS 22 ©ffijieren ^ 1080 Sßann, bie gelb- 
batterie bat eine KriegSftärfe bon 5 ©frieren, 193 ÜDlann, 162 $ferben, 
6 ©efdjüfcen, 9 befjxmnten SBagen, bie Sdjtoabron 5 £>ffiaiere, 145 
Sttann, 150 $ferbe. $ierau fommt bann bie Territorialarmee mit 
8 Ergangen (bom 33. bis 41. SebenSjabre) mit etwa 77 000 SKann, 
bann bie 10 ^afjrgäng-e tbrer 9teferbe, bie au 93efafcungS= unb ^oliaet- 
äWetfen beftimmt ift, enblicfj bie (Srfafcforumtionen, meldje auS jungen 
•Könnern bom 17. bis 21. SebenSjabr fid) aufammenfefcen. 2>ie ©rieben 
betrauten 250000 Utfann als bödjft erregbare KriegSftärfe, Wobei auf 
äablreidje 3IuSIänber unb ^freiwillige geregnet wirb. 

SBeit größeres gntereffe als bem ßanbbeere bot man bon jeber ber 
Kriegsmarine augeWanbt, ba ber größte Jteil ber 33eWobner auf 
bem unb bom 3D?eere lebt, aller SSerfetjr unb $anbel fid) faft auSfdjließ« 
Iidj bis bor furaem bort boHaog, foWobl mit ber STußen» Wie mit ber 
Snnentoelt. ©0 toedtfelboH audj bie ©efdjicfe beS ßanbeS in feiner 
langen ©efdjid)te getoefen, ftetS War ber faronifdje ©olf bei* 93renn- 
jmnft feines maritimen SebenS Wie ber griedjifdjen Kultur überbauet. 
So mußte aud) biet bie £auptftabt liegen unb ben ©barafter einer See» 
ftabt erhalten. §n neuefter 3^tt ift baber audj ber ^iraeuS wieber in 
feine alten gefdjidjtlidjen Siedete getreten als ber erfte Seebafen ©rieben* 
lanbS unb ber britte im SDtittelmeer (unmittelbar binter SWarfciHe unb 
©emta), baS $aut»tarfenal audj feiner Kriegsflotte, einmal wegen feiner 
6tgenftf)aft als $afen 2ftbenS, ber 1834 an Stelle JiautfiaS wieber ge- 
tretenen alten #au{>tftabt, unb Wegen feiner trefflieben, teifweife auf 
fünftli<f)cm SBege gewonnenen Söefdjaffenbeit. ®enn er ift für bie 



20^ ED, rtaüenbagen in Berlin. 

größten Sd&iffe augänglidf), bie Sfieerenge atotfdfcn Sreftlanb unb ben 
Küften ber reidf) geglieberten Snfel @afatmd göDä^rt einer großen 
Kriegsflotte fid&eren SInfergrunb. Hafenbahnen fcerbinben i&n mit 

bem 30?tttel{>unft grtedjifdjen SebenS, 2Tthen, baS baburd) immer mehr 
baS Erbe 93rinbifiS übernimmt. ©S txnrb ber große UmfdfjlagSfjafen 
für ben Sßerfonen*, $oft* unb Gilberfehr atoifd&en Europa, 2tgt)pten 
unb SfnMen, toobur<ij eS in 33erbinbung mit feiner gentrolen Sage an 
ben natürlichen SBerfehrStoegen ©riechenlanbS unb als fein fultureller 
unb nationaler 3J?itteIpunft aud) eine erhebliche firategifche 93ebeutung 
bcfifct. Sieben ihm fommt nur noch SßatraS im SßeloponneS als toid)- 
tigfter Ausfuhrhafen unb SPFünbung ber SchiffSlinien bon Italien unb 
trieft für bie £anbelS* roic bie Kriegsflotte in 33etradjt, fottne <St)ta 
(HermupoIiS), eine mittlere Klgfa'beninfel, längere 3^it fogar ber 
SRittelpunft ber <5d)ifffahrt, jefct aber hinter bem SßiräuS gurücf- 
iretmb. SDie griechifdje Sdftifffahrt verfügt über 250 Dampfer unb ift 
jefet bie jmeite im SRittefmeer, gleicfj nach ©nglanb folgenb. 3)ie StuS* 
ficht ift borhanben, bafe fic aud) bie britifdje Slagge fdtfagen ttrirb. 

£ie Kriegsmarine fteht unter bem 5D?arineminifterium fotoie 
ben einzelnen $afenfommanboS. Sie ergänat fid) anS Sreittilltgen, 
bann burtf) StuSIofung auS ben SBctoohnern ber ©eegemeinben. 3)aS 
CffiaierforpS geht auS ber Sftarineafabcmie im SßiräuS heröor. <£S toar 
1905 ftarf: 186 Offiziere (1 SBiae-Stbmiral, 25 Konterabmiräle, aehn 
Kapitäne sur See, 16 gregattenfatritäne, 20 Korbettenfajritäne, fünfzig 
ßeutnantS aur See, 44 gä^nrid&e, 48 Unterleutnants), bann 38 In- 
genieure, 36 (Sanitätsoffiziere, 119 93eamte. ^ierju famen 881 Unter* 
offijiere, 300 Reiser, 2200 SKatrofen, 420 Arbeiter. 

3fn ©Riffen toaren 1905 borhanben: 11 ga^euge bon 20 709 
Stonnen, 28 480 inbiaierten Sßferbefräften, 130 ©efdjüfcen, 9 Sancier* 
röhren, 2087 3J?ann S3efafcung. ©arunter finb herborauljeben: 4 Küften- 
fcanaer (1889—90) unb $Dar: SBaffileuS ©eorgioS, $t)bra, Spetfai, 
Sßfara unb 1 Kreuaer, fotoie 6 Kanonenboote (1880—84). Anwerbern 
finb 15 £orpeboboote Don 35 — 85 SEonnen, Schul« unb SBadjtfdjiffe, 
StranSportfahraeuge, SEorpeboIeger k. au nennen. 4 5torpebojäger finb 
in Stettin, 4 in ©nglanb erbaut. 

3>er ©rieche ift ein guter Seemann, bon ruhmbotter ©efdjichte. 
SKan benfe nur an bie Seeheiben SftiauIiS unb Kanaris, 33otaariS unb 
KolofotroniS, Dom 3TItertum gana au fdjtoeigen, unb an bie 5Bernidjtung 
ber türfifdjen Seemadjt 1827 bei 9?abarin, gemeinfam mit ben Schuk- 
mähten. 3Iud) bie Sübanefen, befonberS bie t>on Stobra unb Sphafia, 
bie im griedjifdjen grafyeitSfampf eine bebeutenbe SftoHe hielten, finb 
auSgeaeicfjnete Seefahrer. 5D?it SBertrauen blicft baher baS SSoff auf feine 
5D?arine, tro^ i^rer nid&t mehr mobernen Sefd^affen^eit, n>eil feeerpro6te 
SWänner hinter ben cifernen SdöiffStr>änben ftefjen! 



$u6u?ig Börne 

(gejtorben 12. Jebraar *837) 
70 3 a ^? rc na * Mnem (Tobe. 
Von 

S^rof. Dr. 4ubtt)tg feiger. 

— Berlin. — 
I. 

Ijfl^jltoei SDJenfdjenalter (70 S^re) bedeuten im Sftadjleben eine§ 
kutfcfyen <2d)riftfte[Ier§ aufeerorbentlid) biet. SBie menige 
KiggJ ftefyen bann ttrirflidj nod) auf ber £eben£taf el ber Nation ober 
aud) nur ber ©ebilbeten. 2Wan barf nid)t gut Entgegnung biefeä @afce§ 
auf ©Ritter f)intt>eifen, ber 100 %af)ve nad> feinem S£obe mit lauteften 
SBorten als ein gortttrirfenber, ia al§ ein ßebenft>enbenber begrüßt 
mürbe, nodj toeniger auf ©oetlje, in beffen SBirfen unb Seben man 
umfomeljr einbringen lebhaft bemüht ift, je längere Seit nad) feinem 
Eingang gefätawuben ift. 3IIIerbing3 barf man aud) sur Sefräftigung 
ber borgetragenen Sfteinung nidjt auf bie fletneren ©eifter ejemplif iateren, 
felbft nid)t auf bie, bie eines feljr ftarfen (SintagSerfoIgS fiefj erfreuten. 
S>enn fie, mögen fie nun au 33örne§ 3«itgenoffen gehören ober gar lange 
nad) ifym ba§ geitlidje gefegnet I)aben, ftnfa oft fcf)on jefct berfdjtounben, 
al§ tt>ären fie nie getoefen. 333er lieft fyeute nod) SWaj SBalbau (geft. 
1855), ber bei feinem erften Auftreten unb fein furae§ Seben ?)inburd) 
als ein Iid)tft>enbenber ©tern bon ben Seften begrübt tourbe? 2Bof)in 
ift bie grofee ©etneinbe bon 33ertt)oIb Sffuerbad) geraten, über beffen 
fterblid&e Überrefte fid> erft bor 25 Söhren (20. gebruar 1882) ber 
©taH&ügel toolbte? (Sibt e§ audj nur nodj toenige (Setreue au§ ber 
ungeheueren ©efolgfdjaft bon Sannt) Setoalb, bon ber man bor nodj 
nid)t 20 Sauren (geft. STuguft 1888) ettrigen 9Ibfd)ieb naljm? 

SBeibe ertoäljnten klaffen bon ©djriftfteüern finb au einem 33ergleidje 
mit 33örne nidjt ^eranauaieljen. 3>enn bei ben erfteren t)anbelt e§ fid) 



206 P*of. Dr. Cubung (Beiger in Berlin. 

um Scanner aHererften @rabe§, um Heroen, bie für alle 3eit gelebt $u 
haben fdjeinen, bei festeren um ©cfjriftfteller brüten 9tange§, einer immer 
noch gana rentablen ©ifcreihe, benn im literarischen SGBelttfjeater gibt 
e§ auch einen t)ielbeneibeten vierten Slang, felbft eine bon ben gana 
kleinen mit Verlangen erftrebte (Salerie. SOtit 99öme müffen SDZänner 
atoeiten 9?ange§ in 33ergleich gefegt toerben, feine ganj unfterblkben 
hoben SDteifter, aber ©dfjriftftetter, bte nicht nur für ihre Qext etnxrä 
botffommen 9leue§ brauten, fonbern al§ $fabfinber unb 3ßegtt>eifer äff* 
gemein anetfannt unb gepriefen tuurben. 5Die§ fann bon 33örne feiner 
leugnen: er bat bie politifche ©atire in Xeutfdjlanb in£ Sehen gerufen 
unb mürbe bon ben 3^ttgenoffen bejubelt, nachgeahmt, aitiert, — eine 
ganse (Generation ftanb unter "feinem Sann, fo bafe Julian ©cbmibt, 
ber ifjn burd)au§ rittet fanonifierte, nodj 1853 fagen fonnte: „93örnc§ 
©influfe auf unfere Sugenb ift ungebeuer." 

3£ro£bem ift fein ©djicffal ein gana anbereS, al§ ba§ ber gleichzeitigen 
Scanner beweiben 3iange3, 5. 93. UblanbS ober #eine§. 2Bie bürftig ift 
bie 93efd)äftigung mit ihm, tnenn man bagegen bie ben Ie^teren getoibmete 
in§ Sfuge faftt. 2>en bielfacben (SefamtauSgaben ber SBerfe jener ftebt 
bei 93örne faum ein halbes Sufcenb gegenüber; mäfjrenb einselne 9Berfe, 
felbft profaifdhe ©cfjilberungen $eine§ noch in ber neueren 3^tt in 
©inaelauflagen ausgegeben tourben, ift e§ niemals borgefommen, bafe 
eine ©inaelfcbrift 93örneS nadj feinem 5£obe in einer neuen 9tu§gabe ber< 
öffentlich mürbe. 9Sergleicf)t man 3. 99. in ben SabteSberi<i}ten für 
neuere beutfd)e Siteratur bie 3abl 'ber 99örne getoibmeten Triften' unb 
STuffä^e mit benen, bie irgenb einen gleichwertigen unb gleichseitigen 
©tfjriftftetter aum £)bjeft haben, fo finbet man fie unglaublich gering; 
ja, bie einem Saube 31t feinem Säfulartage gettnbmeten Sßublifationen 
in 93u<bform, SB odjcnf Triften unb SEagc§aeitungen bürften bie 99örne 
gu bem Reichen £age geleibten minbeftenS um baS 3ebnfacbe über« 
fcbreiten. 

STuctj bie 9Serbreitung feiner ©cbriften ift aufeerorbentlidj gering. 
Scfi habe bor ettt>a 10 fahren bei ben SSerlegern 33örnef<ijer ©Triften 
eine Umfrage beranftaltet unb babei erfahren, bafe bte feit 1884 etfftierenbe 
biHigfte unb infolgebeffen gangbarfte Seidiger 2lu3gabe jährlich in 
minbeftenS 280, bödjftenS -540 ©yemplaren berfauft tourbe, — eine ge* 
rabeau lächerlich fleine 3abl toenn man einen toirflid) gelefenen ©djrift* 
fteffer .bagegen hält, ©ine Anfrage bei ©ortimentern ergab ein noch 
Möglicheres 9tefultat. ©ine biel befdjäftigte 93erliner 93ucbbänblung be* 
fannte, feit fahren fein (Syemplar abgefegt au haben, unb eine ber meift 
befdjäftigten in granffurt, tt>o unfer ©chriftfteller immer nexb baS ber= 
bältniSmä&ig gröfete SJhiMifum hat, gab bie 3ahl 7 als SurchfdjnittSaabl 
ber jährlirfj bon ihr t>erfauften eremt>Iare an. 

9?un ift im lieben Seutfchtanb ber 93erfauf Don ©Triften nidftt immer 



Ctt&wit} Börne. 



207 



5er gana ridjtige ©rabmeffer für beren Äeftüre. 2Bie e§ biete äftobe* 
bürfjer gibt, bie ftarf gefauft toerben, obne bodf) gur allgemeinen ftemttmä 
ber Käufer 311 gelangen, fo gibt e§ audj fold&e, bie bon £anb gu 
£anb geben, obne baß fid) übermäßig biel Siebbaber finben, bie fie in 
tbre SBibliotöcf einftetten. ^nbeffen aud) biefen 5£roft muß man ben 
Sörneberebrern rauben. 2föan muß e3 leiber befennen, feine Schriften 
merben toeber gefauft, nodj gelefen. 

Unb aud) ber Iefcte 5troftgrunb fyält bei S3örne nidjt ©tidj. SSabrenb 
mandjem bom ^ublifum ©emiebenen in ben ßiteraiurbiftorifern ein 
Städler erfdjeint, bie ben SBergeffenen au§ feiner Sunfelbeit erbeben unb 
bie, toenn aud) bergeblid>e Sfnftrengung madjen, tfjn ber -Dtenge auf* 
aubrängen, ftfjtoeigen bie ^Berufenen entmeber gana, aber geben bie erfte 
Stimme in bem Sdfjimpffonaert ab. SDenn um 93örne tobt ntdEjt einmal 
ein Streit mie um $eine. SBäbrenb über ba§ Senfmal unb ben SHad)* 
rubm biefeS ungeaogenen SieblingS ber ©raaien Settwnberer unb (Segnet 
beftig ftreiten, jeber nod) fo ungebärbig auftretenben Sdjmäbfdjrift l)eff- 
tönenbe 33erteibigung§reben auf bem guße folgen, bernimmt man bei 
SBörne fein SSettfonaert ber 23erberrlidjer unb SJerleumber, fonbern nur 
ben einmütigen äJiißflang ber SCabler. ©erfelbe Julian Sdjmibt, ber 
1853 unferen Sdjriftfteller auäfübrlidj .bebanbelte, obne ibn burd>au§ 
au loben, ging in feinem umgearbeiteten SBerfe 1896 mit furjer Übel= 
rebe über ibn bintoeg; in ben meiften Siteraturgefdjidjten figuriert er 
aB eine fdjnell abautuenbe Nebenfigur. 9Wan fann bon einer graufamen 
Energie be§ $affe§ fpreeben, bie fidf) tfjrn sugemenbet bat unb bie befonberS 
lebhaft nad) bem großen nationalen STuffdjtounge bon 1870, feit bem 
ftarfen SBieberertoacben be§ £eutfdjtum§ getoorben ift. Sftidtf bloß unfere 
Siteraturgefdjicbten mit menigen SluSnabmen ftimmen in biefen SBeberuf 
ein, fonbern audj unfere großen SSerfe über poütifdje ©efdjidjte baten bie§ 
toegtoerfenbe Urteil allgemein gemadjt. Sdjon ©ettrinuS' Söebanblung 
unfere§ Sd)riftftefler§ Ia§ fidj toie eine STnflagefdjrif t ; £reitfdjfe§ Urteil 
ift ba§ flammenbe 5ßIaibok)er eines Staatsanwalts, baS nidjt einmal 
tnilbernbe Umftänbe für ben Sffngeflagten fennt. Sbnlidj bat nnter 
ben Siterarbiftorifern ®arl ©oebefe in feinem meitberbreiteten unb maß= 
gebenben ©runbriß 93i3rne unter benjenigen genannt, bie am meiften baju 
beigetragen bätten, bie bcittfd>e Spradje au berberben, unb er tt>ill ibn nur 
al§ §umoriften gelten Iaffen. Unter ben größeren allgemeinen SBerfeu 
ber neueren 3eit getoäbrt ibm 9i. Tl. SD?et>er nur eine bebingte 9Tn* 
erfennung, bagegen fared>en Stubolf ©ottfcball, 2IIfreb Stern unb ©eorg 
23ranbe§ bon ibm mit großer SBärme. 93ei ber 3Kenge febodj erfebeint 
ba§ Urteil ber ©enannten al§ getrübt, m'il ©ottfd&aü als ßiberaler ber= 
bä<bttgt tüirb, bie brei anberen aber, roeil fie bon $uben ftammen, al§ 
befangen abgelebnt n>erben. 

SEßenn man alfo auä) fagen muß, baß S3örne ber gegenmörtigen @e» 



208 P*of. Dr. £ubn>ig (Beiger in Berlin. 

neration unbefanni unb bon ben toenigen, bie ifyn fennen Vorgeben, 
berfannt ift, fo foß bodj 5er SBerfudj gefragt derben, iljn unbefangen 
ju feriirbigen, bon einer fdjled&t unterrichteten SJladfjtoelt an ein« beffer 
gu unier rid&tenbe au ajxpeßieren. 

Sörne hat fein 33udj getrieben. %n bem SSortoort ju ber erften 
SluSgabe feiner ©Triften (1828) madjt er fidf) luftig barüber, baß ber 
Verleger feine Arbeiten al§ Sdjriften ober Sßerfe beaeidfjuet. „£dj fjabe 
feine SBerfe gefdjrieben, idj fyabe nur meine Seber berfudjt auf biefem, 
auf jenem Rapiere." Sn biefem ©eftänbniS fteljt er feinen ÜWangel, 
benn er fährt fort: „3Ba3 iffS? @tn Sud* ift 2Bein im gaffe, ein SBIatt 
SBein in ber gfafd£)e — toenn äBein ift Ijier unb bort, toer trinfen ttrill, 
muß ba3 gaß bodj anaapfen, toer lefen toxU, muß ba§ Kapitel teilen." 

@o jebodj fteht bie ©adfje nid)t. 83örne fdjrieb fein 33udj, toeil ihm 
bie gähtgfeit abging ein ©anaeS au fdjaffen. 63 fehlte ihm erftenS bie 
©rünblidjfeit beä SßiffenS. @r ift aiemlich unbefümmert feine Untoriffen» 
^eit au aeigen. S§ fommt nicht feiten t>or, bafe er in feinen aum 2)rud 
beftinimten Briefen fagt: „2)a§ toeife ich nicht, muß barüber uac^beufen." 
Ober toenn er einmal fagt: „Sfragen <Sie mich bodj einmal, toa§ bie 
3)oftrinär§ eigentlich bebeuten? §dj toeife e§ felbft nicht redjt, möä)te 
mich banaä) erfunbigen unb Öhnen babon fchreiben." SDiefe Ungr ünb« 
KdEjfeit tritt auch barin fyerfcor, bafe er e§ für außerorbentlidj leidet hält, 
ßenntniffe, bie er nidjt befifet, fidj m fcerfdjaffen. „Igdj totH auch fucfjen 
in bie ihinfi einaubringen, bie mir bis jefct fremb mar," fdjreibt er 
1831. Unb ba er merft, bafe er bon bem £edjnifdjen nidjt§ berftehe, 
fpafet er: „Sdj madje midj über mich felbft luftig, tote idj öfferntlidö 
über ßunft fpredje . . . idj toerbe biefe Untrriffenljeit, tote mandje anbere, 
burdj rote, grüne, gelbe Sßorte au fcerbedfen miffen." ©ber aB er einmal 
bem ©ebanfen näljer tritt ein SBerf über bie franaöftfdje 9tet>oIution 
au fchreiben, benft er an lebenbige Duellen (bie nodj lebenben Stebo* 
lutionäre) unb bie toten (bie fdjriftlidfjen Sofumente), toirb orbentltdj 
gerührt in ber göee, fiefi al§ ^iftorifer a« fefjen, unb mad^t fid& barüber 
luftig; aber im Orunbe ift e§ bodö bie (SrfenntntS ber Unfä^igfeit unb 
bie SCrauer barüber. 

3*t>eiten3: @§ fef)It i^m an (Stetigfeit unb ^leife. fiobreben auf feine 
Sfaulfteit loedftfeln in feinen Vertrauten Sufeerungen mit beren SSertei- 
bigung, Von feiner frühen ^wgenb an bi§ au feinem STIter; bie beiben 
grauen aber, toeld^e ben größten Einfluß auf i^n übten unb bie einaigen 
maren, bie ben SWitt Ratten, i^m feine Seljter t)orauh>erfen : Henriette 
^era unb Jeanette S3Bof)I, Serben nid^t mübe biefen Sedier au befämpfen. 
@§ mar ni$t ettr>a ba§ 93ef)ageit be§ ©eniefeen§, bie Sreube am SRüßig- 
geöen, fonbem bie ttnluft am Sd^retben, unb geiDtß mar biefe ^Cräg^eit 
mit beranlafet burdj feine förderliche ©d&mäd^e unb burdj bie $ränflid&= 
feit, bie tf)tn a«itleben§ anhaftete. 



fubwig Börne. 



209 



2)ritten§ : 3föm fehlte Me ftrenge ®ritif. bin ein geborener 

9latuxpf)ilo\otö," fagt er einmal; einen „Staturfritifer" nennt er 1idj 
an anderer ©teile; betbe SBorte befagen toofy, bafe er nidjt imftanbe 
mar, mit forgfältiger, getoiffenfjafter Prüfung, bie ba§ gür unb SBiber 
abwog, an bie ®tnge f)erangutreten unb in fie I)ineingugel)en, fonbern 
ba& er eS feinem Warfen SBerftanbe gutraute, beim erften änblid bie ©adjen 
gu burdjbringen. 2)a§ erfennt er XDöfyl felbft in ben SBorten an: 
§abe ein glücflidjeS 8fl}nbung3bermögen, ba§ mid) Slinben auf ben redjten 
3Beg füt>rt." 

$Bterten§: $fjm feljlt bie (Sabe ber ßontpofition. 2>iefer SWangel 
tritt am beutfidfften in feiner ^auptfd&rtf t : „©riefe au3 $ari§" f)erbor. 
Wlan meife jeftt, ba& biefe§ SBerf ttrirflidj gefdjriebene ©riefe enthält, 
bie urfarüngltd) gar nid)t gur SBeröffentlidjung befttmmt toaren. ©in 
©djriftfteüer aber, ber foldfyc ©riefe gu einem ßorjmB fammelt, $ätte 
e§ fidj gur $flid)t matten miiffen, oljne bie ©ntftel)ung§art ber 9tb* 
fdjmtte gang gu bertoifdjen, biefe gu einem ttrirflufyen ©angen gu ber- 
einigen: er tjätie bie gufamtnengetiörigen SMnge bereinigen, bü§ rein 
SJterfönlidje bollfommen tilgen, bie berfcfjiebenartigen ©eftanbteile gu einer 
ginfceit berbtnben miiffen. 9?irgenb§ bxelleidjt tritt ber 2KangeI an ®om» 
fcofitionStalent fo Ijerbor, al§ gerabe in ben SJSarifer ©riefen. 



Unter ©örne§ ©djriften fann man eine Slngal)! klaffen unter* 
Reiben, erftenä bie Sßobellen, gtt>eiten§ bie Sieben, brittenS Sweater» 
fritifen, btertenS ©fig&en, fünftens äftljetifcfye 2lbl)anblungen, fed>ften§ 
£wnortftifdj=©atirifd)e§, fiebentenS 5ßoKtif<f)e3. 

©rftenS: ©öme ift fein @?rgäf)Ier. ©r vermag toeber ftxmnenbe 
©toffe gu erfinben, nodj* ba§ ©rfunbene toirfungSbott gu geftalten. Sa^er 
finb feine Sßobellen, g. ©. „ber Stoman" ber „!5anu§temt>el" gtoar an- 
mutig unb unter^altenb, aber bodj eigentlufj meljr Stfobelletten ober 9tn* 
fäfee gu ©rgä^Iungen als ttrirfüdje -KobeHen. SDer „SfanuStempel" W 
eine atterliebfte ©figge efyelidjer ©erftimmung unb ©erföfmimg: ba3 
offene £iird>en be§ £)fen§ bebeutet Shrieg, ba§ gefdjloffene ^rieben. 
Sfber e3 ift bodj meljr bie STnbeutung einer luftigen fjumoriftifcfyen Sbee, 
aB beren Stuäfüljrung. 2)er Vornan: ein Oberft ttrirb feineB @Iauben§ 
megen (er ift gube) bon feiner ©raut berfcljmäfyt, ift, gang abgefefjen 
babon, bafe e3 eine Stenben^ergäljlung ift, unausgeführt, unborbereitet 
unb läfet, fo fefyc er babunfj rü^rt, bafe man Me tiefe, innere @m:p- 
finbung be§ ©rgä^Ier^ burd&flingen f)ört, ftrenge ©fyaraftertftif ber §an* 
belnben bermiffen. SSon ^erborragenbem SEBerte finb befonber§ gtoet 
STrbeiten, bie in biefem Sufammenfjang crtoäf)nt n>erben fönnen: ber 
©fefünftler, ber 9iarr im tueifeen ©djtoan. Sodö fönnte man gtoetfeln, 

«Rott unb 6üb CXX. 359. 15 



2{0 prof. Dr. Cubwig (Seiger in Berlin. 

ob fie toirflidj unter bte rein eraäftfenben Stüde einaureihen finb, benn 
fie geben traniger @rfunbene§ nrieber, aB Beobachtetet, fie eraäljlen nicht 
eigentlich fonbern fie befdjreiben; bor aßen fingen mifdjen fie fo biele 
t»oIitifd&e Betrachtungen unb fattrtfd&e ^Bewertungen in bie eigentliche 
@raäl)lung, baß fie aufjer biefer Slrt noch einem anberen @enre -ange* 
frören. 

3n>eiten§: 33on Sieben ift nur bie eine, bie £enfrebe auf $ean $aul 
befannt, Me am 2. £eaember 1825 in ber granffurter Soge bon bem 
Pfarrer &trdjner beriefen ttmrbe. Sdjon biefe Jatfadje, bafj bie bon 
Börne berfa&te 3?ebe burdj einen aabern beriefen ttmrbe, — eine Xat= 
fache, bie toofjl in bem fchtoachen Organ Börnes, bietleicht aud) in fetner 
Sdjiidjternfjeit eine ©rflärung finbet — macht ftufcig. Stber beim Sefen 
erfennt man beutlidj, bafe e§ fid) fiter nidjt eigentlich um eine Siebe, 
efyer um ein oratorifdjeS 'Sßrunfftütf, um einen tooljlauägearbeiteten 
2Tuffat| fjanbelt, ber anfällig borgetragen tourbe. 3Wan erfennt in jebem 
Safe ben be§ $fteben§ Ungctt>of)nten unb nur be§ Schreibens Äunbigen. 
Störenb finb gar mandje trafen, auch fdjledjte Silber, ttrie etoa ba§ 
folgenbe: „bie Stufen be§ StltarB fteigen auf unb nieber". 2tT§ Iitera* 
rifdjeS £enfmal bagegen ift bie 3tebe bon I)öd)fter Bebentung. Sie 
bezeugt bie SDanfbarfeit be§ Schülers für ben üßetfter, toenn mau auch 
fe&r unrecht f)at, Börne auSfdjlieftlich als $umoriften, als bloßen Sftad)= 
treter ^an SßauIS su bezeichnen. Sie gibt eine finnige Sßürbigung beS 
2)id)terS ber 9?atur, feiner „@tett)öf)nIicf)Feit" im beften Sinne, fetner 
Sittlidjfeit, feiner greiheit beS £enfenS unb güblenS unb gipfelt in beut 
merFtoürbigen BefenntniS: ber dichter fei ntdjt alten geftorben, fonbern 
nur toenigen, aber eS toerbe eine Seit fommen, ba er allen geboren 
toerben unb bon alten betüeint toerben toürbe. 

drittens: £ie Jfjeaterfritifen, bie Eauptfächtidj in ber „Sßage" 
beröffentlidjt Hmrben, bilben bie heute bieffeidjt befanntefte STbteilung 
ber Schriften. Bei bramaturgifdjen Arbeiten liegt ber Bergteich mit 
ßeffing nafje. Bei biefem ift bie &auptfad)e ber burdjbringenbe Ber* 
\taub, bie (Mebrfamfeit, bie bie Stoffe ber Dramen burd) bie SBelt* 
Itteratur berfolgt, bie BüfmenfenntntS, bie baS tedjnifche ©efchid ber 
STutoren prüft, ber allgemeine bramatifche ©efidjtSpunft, nach bem bie 
(Sefeüe bramatifdjer gnftnitfetung aufgeftefft unb bie ®id)ter in bem 
Streite sftnfdjen engtiftf>em unb franaöftfdjem ©efchmatf auf bie rechte 
gartet Eingeleitet toerben. 

Bon folchen ^enbengen ift Börne frei. Sludj auf feine £heater* 
frittfen läftt fid) baS bon ihm gelegentlich angeführte SBort ann>enben 
„ich bin ein fefjr fchled)ter Sfribent, fobalb id) nicht au§ bem £eraen 
fd&reibe". 3Tuch ftehen feine Xheaterreferate im ^Dienfte feiner polittfchen 
Übergeugung: fie finb SKittel in feinem Kampfe für politifche greiheit 
gegen ttjrannifd^e S3ebormunbuug unb SBifffür. ®ie ßeiftungen ber 



Subung Börne. 



2<hauft)ieler beurteilt er feiten, 5a er üble Erfahrungen öamit machte. 
Seine ©tärfe liegt in 5er toifeigen 'Inhaltsangabe 5er Stüde, in «5er geift* 
reichen Hervorhebung öramattfd>er SRängel, in 5er begeifterten Sob- 
preifung echter, bichterifdjer Schönheiten, ©r bat bon ungeheuer biel 
Unbeöeutenöbetten au re5en, unö manchmal lobt er tt>obt SHtcfjtigeB, ttrie 
ßuftft>iele bon Stetgentefcb, über 5ie 5ie Sftadjtoelt fdfjneß hinweggegangen 
ift, 5och hat er bieten 5amal§ $odhget)riefene in feinem Urttoert erfannt. 
©r toar einet 5er erften, 5er fid> mit 5er größten ©ntfdöiebenfyeit gegen 
5k ®chitffaf35ichtung auäfprad) un5 in fehr bemerfen&toerten 9teaenfionen 
Houtoalö bon feinem %fyvon entfette unö 5er über 5en öamaB noch biel 
gepriefenen ^fflauö öa§ SBernichtungäurteil faradj: feine Dramen feien 
bon 5er fladtften glad)beit, bon fa5eftem ©efdjmacf. £>a§ hrirFIid) 
93eöeutenöe toeife er trefflich berau35ufin5en unö lebhaft ju greifen, 
©enrife hat er S^fjißer nicht immer nach SSeröienft anerfannt, namentlich 
meil er in feiner großen 9lt?aenfton über SBilhelm £eß öen :poIitifd)en 
©eftcht&punEi au fehr h^rborörängte ; manche alfeu ©eftrenge haben ihm 
audh beröatfjt, öafe er in bollern ©rufte öen @afc brauet: „SBeld) ein 
tiefer, tiefer Srunnen bofl Flarer, frifeber, erquidfenöer Saune ift Sofcebue, 
xveldj ein toobltätigeS ©efebenf öe£ ^immeB." gür öie toirflid) ©roßen 
finöet er aber öie fchönften äBorte, 3. 23. über SPfoaart, <Sbafef:peare, Hein» 
rieh b. SHeift. (£r toirö nicht müöe, bon öer unerreichten ©röße öe§ 
britifd)en 2)icbter§ au farechen, ohne in öiefen Sobreöen oft ©efagteS 
einfach su toieöerholen. 

<£r braucht über üflloaart öen fdhönen ©afc: ,,©ibt e3 ein überfinn* 
Iicfje§ Sanö, mo man in £önen bricht — öie -Dtetfter öer ®unft führen 
gueb hinauf, inöem fie Sud) erheben: nur SDloaart allein aeigt un§ öen 
Gimmel, au öem anöere em^ortragen müffen, in unferer iröifdyen 93ruft." 
§e\x\v\cf) bon SHeift aber toüröigte er au einer Seit, in öer nur fehr 
trenige ihn erfannten, öenn fdfjon 1819 tat er über $äfbcfjen bon Heilbronn 
ben 3Tu§ft>ruch: „®iefe3 ©cbaufonel ift ein ©öelftein, nicht uMpert an öer 
Ärone öe§ britifeben 2)icbterFönig§ au glänaen." 

©rfcfjeint er öurdö le^teren 3Tu§fpru<fi faft roie ein IDfoöerner, fo ber* 
ficht er fonft ©runöfäfee, öie unferen SWoöernen feineSfrucgS genehm 
finö. 3Wit Hinblicf auf öie @d)itffal§tragööie führte er aum 33eiffciel öen 
Safc au§, öaß eine Stanfbeit (äBabnfinn) nicht CueHe öe§ tragifdjen 
©efebidfö fein öürfe. SWit eben folcfjer ©ntfd^ieöenheit taeibrt er fid) 
öagegen, öaß öa§ Häßliche ©egenftanö öramatifeber 99ehanölung fein 
öürfe. 63 öürfe, fo fagt er einmal, öie häßliche 9?atur nidbt fo getreu 
auf öie 93ühne gebracht toeröen, unö ein anöere§ 9WaI: „2>a§ ift gegen 
alle (Erfahrung, tt>enigften§ gegen alle fchöne Erfahrung, unö öiefe aflein 
öarf öer JKinftler nad&bilöen." 

Unö enölich berteiöigt er gegen öen roben 9?aturali§mu§, öer 5a-- 
mal§ erft in öen Sfnfängen toar, öodh aber fdjon öa§ Seben in feiner 

15* 



2\2 P*of. Dr. £ub»ig (Seiger in Berlin. 

nadften SBirflidjfeit barftetten toottte, ben ©afc: „2luf ber 33üf)ne foll 
ber üßenfdj eine (Stufe böf)er fteljen al§ im Sieben." 

2)ie bierte, fünfte unb fedjfte Abteilung: ©fiaaen, äftfjetifd&e 2tb* 
hanblungen, £umoriftifd& • ©atirtfcheS muffen aufammen behanbeli 
toerben, benn fie gelten au fehr ineinanber über, aB bafe jebe Abteilung 
befonberä betrautet toerben fönute. Sa, man möcfjte atoetfeln, ob ifmen 
riid)t bie fiebente Abteilung: SßolttifdjeS angefd)Ioffen toerben mü&te, ba 
fidfy in noch höherem ©rabe toie in ben bramaturgifchen Sirberten politifdhe 
Slnflrielungen Überott finben, ja manche ber Meinen ©tubien burdhauS 
polittfdf) genahnt toerben müffen. S)ie ©fiasen finb teil§ beutfd&en, teiB 
franaöfifchen UrfarungS. 2>ie lefeteren fann man aB unbebingte SWeifter* 
ftüdfe beaeidfmen. 3luf feinen ^Sanierungen in ber ©tobt unb in ber 
Umgebung erblidft ber ©äjriftftetter ©eltfameä, ©eifterfrifchenbeB, £era> 
erfreuenbeS, er befdfjreibt e§, ttrie er e§ fieht, er plaubert in anmutigfter 
Steife, er unterrid&tet, ohne belehren ju tollen unb ohne je in ben 
Ston eines ©chuImeifterS 3U t>erfatten; anfdfyaulich unb anmutig finb 
biefe 93efdfjreibungen einer neuen Stelt, ohne iemalB in überflüffigeä 
$atho§ gu berfatten ober burth iKinftelei ben liebenStoürbigen ©inbrucf 
3U berberben. SDiefe $arifer ©fiaaen ber erften 8eit gemäßen bietteidfjt 
unter aüen ©Triften 33örne§ ben reinften ©enufe, toeil fie nod) entfernt 
bon ber S3itterfeit ber faäteren %at)xe jene echt fransöfifd^e ©rasie ber= 
raten, bie in beutfchen ©driften nur fo feiten anzutreffen ift. 3n ihnen 
fpielt bie Stteratur, bie seitgenöffifdje unb bie ältere, eine berbältni§* 
mä&ig geringe 3lotte; aber man mufe in unmittelbarem 3lnfd&IuB an fie 
bie Iiterarifdhen Stetten ertoähnen, bie fi<h überaus aahlreidö in ben fpä* 
teren $arifer Briefen finben. @ie finb bon bem atterhödEjften Sßert unb 
berraten eine fo innige unb trefflidf) au&gebrüdtte Verehrung ber ©rofeen 
Ergangener 3ßiten, 3. 93. 2ftoItere§, eine fo feine Kenntnis be§ 18. 5ah* s 
bunbertS, bor allem 93oItaire§, unb eine fo grofee Vertrautheit mit ber 
Siteratur be§ 19. (Valaac, 95. $ugo, ©eorge ©anb), bafe man fchtoer 
ber Verfudjung torberftehen fann, ganae ©teilen ausschreiben. 9lur 
ein SBort über Stouffeau fei hier angeführt: „9touffeau ^atte ein beutfd&eS 
$era unb einen britifchen ©eift, fransöfrfdj toar nichts an ihm al§ bie 
Sprache," unb ein anbereS merftoürbtge§ SBort: „®ie ©efdjid&te säblt 
grofee STOenfd^en, fie finb 3legifter ber Vergangenheit : fo (Soetlje unb 
©dritter; fie aäF)It ftrieber anbere, bie finb Snhalt§t)er3eidöniffe ber 3ufunft: 
jo Seffing unb Voltaire." ^Derartige Iiterarifd^e 93emerfungen finben fid& 
neben ©prüfen attgemeiner Strt, befonber§ au$ in ben 3It)hori8men 
unb in bem SEagebudje, ba§ man gerabeau eine STbred^nung mit 
©oefbe nennen fann. ®iefe geinbfdöaft gegen ©oetfye, bie bietteicf^t burd6 
bie 9it(f)tbeantmortung ber febr bornebm gehaltenen Slufforberung aur 
SKitarbeit an ber „Stege" (10. SKai 1818) feitenS be§ £)It)m^ier§ beftärft 
ttntrbe, ift gevoife nid^t, Wie man in törichter 3£etfe berfud^t bat, burd) 



f ubroig Borne. 



2{3 



9?eib au erflären, fonbern fie ift aimädjfi ttohl eine golge be§ ©egen* 
fafceS ber Sangen gegen bie Sitten, ber fid) in ben berfchiebenfien Sßerioben 
ber Siteratur funbgibt; ben Stürmern unb ®rängern ttxir bte in fidj 
gefeftete SCßeife be§ Patriarchen bon 3Behnar unangenehm, ja gerabegu 
Ijaffenätoert. SSor allen Singen richtete fidö gegen ©oethe SörneS poIi= 
tifdjer @ifer: bem Striftof raten nnb 2)?onar<htften trat ber 2>emofrat unb 
gürftenhaffer, bem Unpolitifchen ber gegenüber, ber bie ^olitif bon feiner 
^Betrachtung entfernen fonnte. Qu ben befonberen Auflagen, bte ber 
Sßolenüfer gegen ben Altmeifter erhob, gehören bie aSortrürfe gegen bie 
Jtleinlidjfeiten unb StÜtäglidjfeiten im SdjilIer*@oethef<Ijen Srieftoedftel, 
bte ßlage über ©oetheS SBangel an SBife, bie getoiB unberechtigte S3e« 
hauptung, ©oetfje habe fein ©emüt befeffen, unb ber jetenfaEtö nid^t 
allgemein richtige Safe: ihm habe ber Sinn für Freiheit gefehlt. S)er 
eigentliche ©runb be§ ©egenfafeeä ift aber toeber ein religtöfer, nod) au§= 
fcfffiefelid) ein polittfcfyer, fonbern ein äfthetifcfjer : ber Autor, ber ftdj bon 
bem' Augenblicfe leiten liefe, in beffen ganger SdjriftfteHerei ba§ grag* 
mentarifdje, Sprunghafte ein #auptcfjarafteriftifum bifbet, empfinbet un- 
angenehm bie „aufgenötigte Stühe, bie tyrannifche Orbnung, bie fyoUän* 
bifcf>e SRetnlidhfeit be§ Stil*". 3Wan fann biefc aßi&berftänbniffe fehr be* 
Hagen, unb bie Schärfe, mit ber 93örne auftrat, auf§ äufeerfte mife» 
billigen, man hat aber fein SRedfjt, toegen biefer ©oethefeinbfdjaft 93örne 
niebrige unb entehrenbe -ätfotibe unterjufdjieben. 

Sie ©figaen beutfchen Inhalts, namentlich bie ber atoanaiger Sahre, 
galten fid) mehr aß bie franeöfifdjen bon literarifdjen Anfpielungen fern; 
fie geben treffenbe ®ulturfd)ilberungen unb humoriftifdje Silber au§ 
bem beutfchen ffeinftaattichen fieben. ©a§ befte Seifpiel bafür ift 
rt)ohI bie „Sonographie ber beutfchen Sßoftfdmecfe ; ^Beitrag gur Statur» 
gcfd^id^te ber SDtoIIuSfen unb Xeftaceen" 1821. Eine trocfene Inhalts- 
angabe fann ber Anmut unb SiebenStoürbigfeit ber Sfisse nicht gerecht 
toerben. ift bie 33efdjreibung einer 5ßoftfahrt bon granffurt nach 
Stuttgart, mit Spöttereien über ba§ elpige galten ber Sfytfdje, mit 
mancherlei SBifeen, Selbftperfiflagen unb luftiger SarfteHung berjdjie« 
bener Stypen: ber £odföeit§reifenben, ber Surner, ber Öransofen. ®a§ 
©anae ift burdjtränft bon politifdjer lenbeng: Auftreten gegen ^Beamten* 
ttritlfür, gegen bie 3erriffenheit 2>eutfd)Ianb§, gegen bie Unarten unb 
Unmanieren ber fogenannten SCeutonen. 

@ar manchmal berfudjte 33örne fid) über ben £umor aussprechen; 
ffoex foldje Stellen, bie eine au§ ber Denfrebe auf %tan $aul, bie anbere 
auS bem Auffafc „^umoral^athologie" finb bielleid)t am beften geeignet, 
ba§ Sßefen biefeS §umor§ bargulegen. ®ie eine lautet: „2)er $umor 
ift feine ©abe be§ ®ctfte§, er ift eine ©abe be£ §ex%en%. @r ift bie 
£ugen-b felbft, brie ein reidö begabtes £ers fie Tehrenb übt, toetl e§ fie 
nid^t übenb lehren barf. 2er ^umorift ift ber Hofnarr be§ Königs ber 



2\\ P*of. Dr. £ubn>ig (Seiger in Berlin. 

Stiere, in einer fdjledjten Seit tto bie SBabrbeit nid)t tönen barf nrie 
eine beiliße ©lodfe, too man iljr nur ibr Schellengeläute vergibt, toeil 
man e§ öerad>tet, toetl man e§ belädjelt. Ser $umortft löft bie Sanbe 
bon ben grüßen be§ Saturnä, fefet bem SFlat>en ben §ut be§ #errn auf 
unb fcerfünbigt ba§ faturnalifdfje geft, too ber ©eift ba§ &era bebient 
unb ba£ #era ben ©etft t>erff>ottet." Sie anbere bat folgenben SEßortraut: 
„Ser gefunbe unb lebengfrifdje £umor atmet frei unb ftöf>nt nidjt mit 
enger 93ruft. ©r Fennt bie Trauer, aber nur über frembe Sdbmeraen, 
nidjt über eigene. Er berührt bie SBurcbe nid>t, bie er nidjt beilen. 
fann, unb reiat fie nie bergebenä. <£r fiebt öon ber $öbe auf atte 
STOenfdjen berab, nidf)t au£ £odbmut, fonbern, um alte feine Sinber mit 
einem 33Iicfe au überfein. 35kt§ fidj liebt, trennt er, um bie Neigung 31t 
berftärfen. 3Ba§ fidj ^afet, bereinigt er, nidjt um ben #aber, um bie 
SBerföIjnung berbetaufübren. . . . @r stel)t ben Gimmel erbtoärtä, nidjt 
um iljn su befdjmutjen, fonbern um bie ßrbe 3U rxrflären. 6r fennt 
nidjtS $afeli<i)e§, bodj berfdjönt er e§, um e§ gefälliger 3U madjen. . . . 
©r erbebt ba§ fiebrige unb erniebrigt ba§ £of>e, nidjt au§ %to% ober 
um au bemütigen, fonbern um beibe§ gleid) au fefcen, tt>eil nur Siebe 
tft, too @Iei<bbeit. . . . Stet§ rettenb, Iinbernb, beilenb, t>erlefct er iidj 
felbft mit fdbarfem Solcfie, um ben 33ertt>unbeten Iädbelnb au aeigen, 
baß foldje Verlegungen nidEjt töblidj feien . . . Ser Seift ber Siebe baudbt 
fort unb fort au§ ibm, aHe§ beförbernb; er treibt ba§ Sdjiff, trenn e§ 
bie @ef obren be§ 2)?eere§, unb fübrt e§ jurüd, trenn e§ ben $afen fudjt." 

SBäbrenb bie Keinen bumoriftifdjen Silber faft fämtlidj großen 
©eifaH berbienen, fann man bie großen fatirifdjen Selbaüge nidbt unbe* 
bingt loben. SJhifter ber ^olernif ber graufamen, aber funffooff 
gefügten Satire erfd^einen bie kämpfe gegen bie ©egner ber Sßartfer 
93riefe unb bor allen fingen ba§ groß auSgefübrte: 2WenaeI, ber gran- 
3ofenfreffer, o6gIeid& aud) bier mandje tnt^Iofe S3emerfung fidb finbet; 
fobalö febod) ba§ fittlidje $atbo§ burdjbrid)t, ttrirb biefe Satire au einer 
ber marfigften unb gettridjtigften Äußerungen. Sagegen fann tdj bem 
bielgerübmten $äring§falat, ber Satire gegen ä&illibalb STIerte unb 
fpeaieß bem eigentlichen Sdjim^flmörterlerifon feinen fonberlidjen @e» 
fcfrnacf abgewinnen; n>irflid>en SBitj t>erra~ten nur bie ftarf farifierten 
Steffen, in benen ber begeifterte ©mpfang gefdjilbert trjirb, ben Döring 
unb anbere ^ournaliften bem Fü^nen ^5oIemifer in ©erlin auteil toerben 
ließen. 

SIm n:idjtigften unb beftrittenften ift 93örne a(§ ^JJoIitifer. Sie 
btefe§ ©ebiet betreffenben 3Tuffö^e feiner erften 3dtjdjrift „Sie 3Bage /J 
mad&ten in Seutfd&Ianb ba§ unge^euerft-e ?Iuffeben: eine berartige füljne 
3fu§ft)radöe freifinniger Sorberungen, einen foldjen $o^n gegen bie 3enfur, 
eine fo ftarfe äuffefinung gegen Sefpoti§mu§ unb greibeiBunterbriicfung 
batte man bi^^er niemaf§ üernommen. greilidö fehlte e§ an ben üblidben 



£ ubipig Börne. 



2*5 



Quälereien nidfjt: S^nfurljemmniffe, löeftrafung, felbft greif)eit§* 
beraubung; aber gerabe biefe £emmniffe bermefirten ben 9ht§m be& 
8d}riftfteller§ unb beförderten bie 8iege£laufbal)n feiner 3?itfdf)rift unb 
feinet §been ftatt fie auf anhalten ober gar au t>er nieten. Seitbem tft 
33örne ununterbrochen al§ politifdfyer ©äjriftfteHer tätig, benn faum eine 
ber borf)in ertoäfjnten Schriften tft oljne politifdfje Söemerfungen ; felbft 
bie Jfyeaterfritifen toerben oft genug au politifd&en Äeitartifeln ober 
geben minbeften& Staum gu politifcijen (£ntrefilet§. ^nbeffen nidjt bie 
ätoanaiger %af)te, fonbern ber Anfang ber breifeiger beaeidjnet feinen 
£öf>e:punft al£ politischen ©djriftfteller. SBo^I f)ört er in beni britten 
^af)rael)nt nie auf, bie 3?eaftion au Verurteilen, bie traurige Skiffen* 
f)eit 2)eutfc^Ianb§ au beflagen, auf bie Unbill au fdjelten, bie faft aller- 
toärt§ ben §uben auteil tourbe, bie Unterbrüdfung [eber freiljeitlidEjeu 
Siegung innerhalb 2>eutfdjlanb3 mit füfjnem greimut au rügen, unb auf 
bie auswärtigen 2fteif)eit§regungen triumpljierenb l)inautt>cifen. £ie nach- 
haltige SBirfung aber, bie er auf bie ganae junge (Generation ausübte, 
begann mit ber franaöftfchen ^ulirebolution, loäfjrenb ihn ber griedjifcfye 
SreifjeitSFampf in geringerem SWafee intereffiert unb bie polnifche 5fte= 
Solution au einer fühleren 9lnteilnahme al§ bie tneiften anberen Sentfchen 
beranlafet. ©efttufc ift 33örne fein nüdjtemer ^olitifer; e§ fefjlt iljm 
biele§, um ein unbebingter Sefjrmeifter au fein. Seine £auptftärfe 
liegt im Regieren, toährenb e§ bem beftimmenben Sßolitifer beffer an« 
geftanben hätte, birefte unb praftifche pofitibe SBorfchläge au madjen. 
@in ernfte§ Stubium ber politifdjen Sachlage gef)t ihm ab, er 
Iäfet häufig bie gi-ünbliche Unterfuchung ber Cuetten bermiffen, 
au§ benen er fdfjöpft; er glaubt jebem (Sterüchte, ba§ iljm oft bon toenig 
fenntni§reidf)en <Seitcn augetragen ttrirb; ftatt fidfj ben rufjigen ©rtoä* 
gungen hinzugeben: ber 93erücffidfjtigung ber bort)anbenen 3uftänbe unb 
bem ^intoeife auf ein fdjnell unb fidler erreichbare^ 3iel, ergebt er fi<h 
in utopiftifchen SluSmalungen unb forbert häufig ein, für ben ernften 
$olitifer unmögliches, finbif<h=trofcige§ <£ntiüeber*£)ber. 916er er ift 
bon einer fo reinen, unb man braucht ba§ Sßort nicht au fcheuen, feufchen 
grciheitäliebe erfüllt, feine ätufeerungen atmen einen fo hohen ^bealiä* 
mu§, bafc man alte bie ertoäljnten SWängel gern in ben Stauf nimmt unb 
in if)m ben #erolb einer neuen 3dt unb einer grofeen politifchen SJe» 
toegung erfennt. 2ftan hat e§ ihm totelfarf) übel genommen, baft er 
beftänbig über bie beutfcfjen #ofräte fpöttelt, bie £uobeafürften mit 
äfcenber Sauge übergießt unb bie 3>eutfdfyen ein SSebientenbolf fctjilt. 
Stber mit UnredEjt. ®enn biefe (Spöttereien unb ©djimpfreben gehen 
treber herbor au§ hochmütiger ©elbftbefpiegelung unb freiem 93effer- 
toiffentoollen, fonbern fic fjaben ii&re CueHe in ebler <2d^am über bie 
erbärmlidöen 3uftänbe feinet 5BaterIanbe§, gegenüber ber Erhebung 
anberer Cölfer, unb in ber (Sntrüftung über ben aurüdfgebliebenen 3u- 



2\6 P*of. Dr. £ »bang (Setger in Berlin. 

ftanb ber beiben füfjrenben beuten (Staaten: Sßreu&en irnb Öfterreidj, 
im 9$ergleid)e ju ber gefunden Stegung fleinerer ©taaten unb ber frönen 
©ntotdflimG einaelner au§Iänbif<f)en 3teid)e. 9?idjt8 falfdjer aI3 ber SBor* 
fcmrf, er fei ein 2)eutfcfjenbaffer getoefen unb „fein natoer, fanatifd&er 
£);ptimi3mn§" babe aKe§ ^uälänbifdje für ^errlidö unb ben SDeutfdjen 
unerreichbar angefefjen. (Serabe feine innige Siebe au 2>eutfdjlanb, feilte 
fd>on früh, tt>ett früher al§ bei anberen, ^ertoortretenbe ©rfenntni§ Don 
ber $reufeen gebübrenben Süfjrerfcbaft in S)eutfd&Ianb erfcre&t ibm bie 
bitterften klagen über bie augenblidflicfjen t>reufeifd)en 3uftänbe unb über 
ben fläglidfcn ®eft>otiSmu§, ber bon üfterreid) auf Sßreufeen unb auf 
gong 3>eutfcfylanb ausgeübt toirb. ©er SDl<mn, ber fcbon früb bie 3nm» 
gofen ein SBeiberfcoIf nonnte unb frinaufügte: „bie Sfranaofen baben einige 
Jugenben unb alle Sfebler be§ toeiblidjen (3fofdfjled)te3," ber, trenn er 
einen red)t loben luollte, bon ibm fagte „er bot einen beutfdjen $o£f urtb 
ein franaöfifdjeS #era", ber fcbon 1818 ben 8tu§ft>rucb hxtgte „CDeutfdö- 
lanb ift nur in ^reufjen", barf nidjt au einem blinben SJettnmberer atteä 
SranaofifdEjen unb nod) t)iel toentger au einem absoluten ®eutfd)enbaffer 
geftemj)elt toerbcn. 2TB er einmal in einer franaöfifdjen 8äjrift IaS: 
„SWdjt übel für einen 2>eutfdjen", ba ttmrbe er toon edjt teutonifcbem 
3orn ergriffen — benn e§ ift ungered)t, bie folgenbe Stufeerung etoa 
nur al§ #obn aufauf äffen — unb rief au§: „SBartet nur! Sßenn ttnr 
einmal ba£ ©Ifaft lieber §aben, Sotbringen, SBurgunb unb euren Äönig 
aum ©rafen bon $ari§ gemacfjt — ba trerben brir eud) &\Qen, bafe ttnr 
toifciger finb, als üjr!" ©r ift toie ein SSoter, ber fem ®inb beftraft mit 
blutenbem #eraen, ber aber an ber 3ufunft feineä £inbe§ nid>t nur nicftt 
beratoeifelt, fonbern fidjer auf fie bofft, tocil er in bem SWnbe bie 5?eime 
für ben fräftigen äftcmn erblicft. 

Siebe au prebigen, ttrirb er nicbt mübe: „©brfurcfyt ift bie Seib* 
toad&e ber Könige getoefen, gurdjt toar e§, ©etrobnbeit ift e3, Siebe ttnrb 
e§ fein!" ©r feb'nte fidj nad) Siebe unb genofe fie bod) fo tranig, er 
festen ben $a& au t>rebigen unb berftetfte unter biefem £oben bod) 
nur feine Siebe3febnfud>t: „Öebe ©tunbe bem £affe bergeubet, ift eine 
©toigfeit ber Siebe entaogen." 

©r ftrebt nadj 2Ba^r^ofttgfett. ©r freut fidj mit ber greunbin, bie 
aeitleben§ fein guter @eniu§ (toar, über ben ©rfolg feiner Sßarifer ©riefe, 
nidjt ettoa trail iximit fein ©brgeia befriebigt, feine 93ebeutung anerfannt 
unb fein 9tubm t>erbreitet ir>irb, fonbern, toie er fagt: fd&e barau§ 
lieber, tnie U^enig @runb ba§ ^era bebarf, um au gefallen; bafc bie 
3Iufri(btigfeit immer betragt unb bafe man ber 35Jabrböftigfeit felber 
ben 3)?angel ber SSabrbeit tx?raeibt. ®enn irjeife i<fj eS niebt, ttne oft idj 
mW^ geirrt boben fann? Steife idb e§ niebt, bafe taufenb Sefer anberer 
3Weinung finb, aB id^? 3Iber fie feben, fie f üblen, bafe \<fy meine @e- 



£ubn>ig Borne. 



2\7 



finnung treu auSgefprpchen, unb barum finb fie aufrieben mit mir unb 
glauben mir, toenn fie auch meinen Sieben nicht glauben." 

©etoife toar er ein Sßarteimann, aber fjöfjer aB bie 3ugehörigfeit 
3u einer Partei ftanb ihm bie SMbfamfeit. „£)ie Sßhüofothie ift bie 
toahre, bie, bafe fie bie toahre bleibe, nidjt nötig hat, eine anbere Sügen 
3u (trafen. 2)er (Staube ift ber redete, ber, bafe er ber redete bleibe, 
nicht geaftmngen ift, einen anberen irrgläubig au finben." 

SBahrfjaftigfeit, Siebe unb 3>ulbfamfeit fönnen recht toohl auch bie 
gigenfehaften be§ SeibenS genannt derben; ber tätige Sföann toerlangt 
unb bebarf mehr. 2lber auch ben tätigen ermahnt SBöme unb atoar 
jur greibeit unb ©elbftbefreiung. Stenn bie greiheit ift ihm feine 
©hnmeI§tod)ter, bie t>on felbft au§ ihrer $öbe aum STOenfchen ^erab« 
fteigt, fonbern eine 93raut ober eine 2iege§beute, bie errungen toerben 
tnufe. 2>aher tt>el)rt er fiefj gegen ben ©*>ru(h: „2>er Stfenfch benft, (Sott 
lenft!" SBenn @ott allein Ienfe, fo Iaffe er ben SKenfchen ben Äofcf ber* 
Iieren; au§ eigener Sraft müffe fith ber SMenfch erleben; „$ilf bir felbft, 
bann toirb bir ber Gimmel Reifen; bem Strogen unb geigen aber leiht 
@otl nicht feine Jhraft, fonbern er üerläfet ihn." So toenig aber (Sott ben 
SRenfchen retten fann, fo toenig einer ben anberen, fonbern jeber nur 
fidf) felbft. „(Sin berroftet ©djilb flehte %ut ©onne: ,©onne erleuchte 
mich'. 5Da fpradj bie Sonne aum Schübe: ,©<hilb reinige bid&V 



II. 

23örne§ 9t a dö I a fe. 

33orne§ SdEjriften erfd&ienen toäbrenb feinet Sebent in einer einaigen 
autorifierten 2lu§gabe, in acht 33änben Hamburg 182&— 1830. ©iefe 
©bition enthält bie 'bramaturgifcfjen ©tubien, Sluffäfce, ©fiaaen, @r- 
aä^Iungen, 5£agebud£>. 3H§ 93anb 9—14 folgten bie ^ßarifer Briefe; biefen 
fdjlofj ftch al§ 15. 93anb 3WenaeI, ber granaofenfreffer an. 3)ie fcfjon Dör- 
fer in beutfdfjen unb franaöfifchen 3«itfchriften erfdfyienenen 9Iuffäfee finb 
bei 39örne§ ßebaeiten nicht g-efammett, fonbern tourben nach feinem 5£obe 
al§ 16. unb 17. 93anb herausgegeben. 

55ie Eigentümer be§ StfadEjIaffeä, grau Jeanette StraufcSBohl, bon 
ber gleich noch ein SBort au fagen ift, unb ihr (Satte ©alomon ©traufe 
bereicherten burch #inaufügung einaelner S»genbfd&riften bie fünf» 
bönbige, Stuttgart im Srobhagfdjen Berlage Veröffentlichte SluSgabe 
unb gaben ber a^ölfbönbigen 2Tu§gabe (granffurt a. 2R./1862) manche 
SSerbefferungen unb 3ufä£e. Seine ber anberen feither erfchienenen 
2Tu£gaben bat irgen-btoie ben Sftachlaf; benufet. 

dagegen haben bie fetjon genannten SSefifeer ber geiftigen hinter = 
laffenfehaft unfereS ©dfjriftfteHerS unter bem SCitel: Stachgelaffene 
©chriften (SKannheim 1844—47) fecfjS S3änbe herausgegeben. SDiefe ent- 



2\S Prof. Dr. f ubmig (Seiger in Berlin. 

halten zahlreiche fleine Stuffä^e, bie in beri'dfjiebenen 3eitfd>riften ge* 
brudft, nidjt in bie SC&erfc aufgenommen waten, ferner eine ftattliche 
Steide bon ©figsen, bie fid) nur EjanbfdörtftlidE) erhalten fjaben, enblidj 
Diele ©teilen au§ ben $arifer ©riefen, bie abfidjtlid) beim %vnd au3» 
gelaffen toorben toaren. Shr ©auptoert unb ihr hauptfäd)lid)er Inhalt 
befteht inbeffen in einer 3hi&raf)I ber ©riefe, bie £>öme an feine £eraenä* 
freunbin Jeanette 3Bol)I bon 1820—1833 fdjrieb. Siefe Wu&vaty muß, 
l'o umfänglich fie aud> geraten ift, bodj aB ungenügenb unb millfürlid^ 
bejeidjnet derben. $enn fte Iäfet nidjt nur fefjr Diele ©riefe bott« 
ftänbig au§, fonbern unterbrücft auch sahllofe Stellen, au§ benen baä 
©erhältniS beiber Sßerfonen erft red)t ^erüorgefit, unb aufeerorbentlid} 
biele Minderungen, in benen fid) ©örne offen über Prionen unb guftänbe 
ausgesprochen f>at. SBie toenig bie gebrudten Briefe ben mirflidj ge* 
fdjriebenen entfpredjen, fann man auä ber ©eröffentlidjung: ,,©öme§ 
berliner ©riefe an grau Jeanette 2BohI au§ bem %al)T 1828" erfehen, 
bie icf) ©erlin 1905 ebiert ^abe. 

Sn bie SBerfe toaren &oei fleine Sluffäfce über %ui>cxi aufgenommen; 
eine $ttn&at)I anberer Sluffäfee unb gragmente über bie ^uben in granf* 
furt a. SO?.- unb bie §uben im allgemeinen hat ©ottlieb knappet* 
3lrnbt in ber bon mir herausgegebenen „3eitid)rift für bie ©efcfyidhte 
ber %uben in ®eutfd)Ianb" beröffentlidjt. 

2)odj birgt ber Stadjlafe unen blich bie! mef)r. Gr enthält bie fämt« 
liehen ©riefe im Original, bie ©örne an Jeanette SBohl fchrieb. 2>aau 
gehört bor allem ba§ bottftänbigc SWanuffript ber ^arifer ©riefe. S)cr 
3laä)lab enthält ferner eine grofee 2lu3ahl Sonate bon ©örne§ ©riefen 
an ©erfdjiebene, ©ebichte, Fragmente bon Sttuffäfcen, 9tedjnung3-9ioti3en» 
büdjer, (Stubien 31t einer ©ejdjidjte ber fransöfifdjen 9ieooIution, 3Tu§* 
3Üge au§ ©üdjern mit bielfachen SRanbbemerfungen, ein #eft, baä bie 
©efannten au§ ben fahren 1831 ff. bezeichnet unb bie einzelnen Stamen 
mit längeren unb fm^eren biographischen Seiten berfieljt. ©nblidj einige 
©riefe, bie ©örne empfing, bon ©erlegern, ©erehrern, JJfreunben uni 
©efinnung§genoffen. 

SDiefer 9lachlaf5 foH 311m erften 3WaIe in einer grofeen 3lu?gabe bon 
©öt?ne§ SBerfen, bie bom #erbft 1907 an in 12 ©änben bei bem ©erleger 
biefer 3eitfdjrift ierfd>einen fott, bewertet tuerben. Um einen fteinen 
©orgefdjmadf biefeS 9?ad>Iaffe§ 3U geben, teile id> im folgenben einige 
toenige groben mit. 

1. ©örne unb Jeanette 355 0 h I. 
Jeanette SBohl ift am 16. Oftober 1783 geboren unb am 27. 9?o* 
bember 1861 geftorben. Sie berheiratete fidj im Satire 1805, tnurbe aber 
nach toenigen fahren bon bem ihr ungleichen unb unebenbiirtigen SKanne 
gefchieben. Sie lernte ©örne im SBinter 1816/17 fennen, befreunbete 



inbtptg Börne. 



219 



fich mit ihm, berfehrte auf£ innigfte mit ifym, „ folange er 
in granffurt toeilte, nnb trat mit ihm in einen 93rieftt>ed)fel, 
ber bom 10. 9iotoember 1820 bi§ sunt 14. 9lobember 1833 
bauerte. 2)ie 93riefe 83örne£ finb, toie ermähnt, bi§het nur brudjftücf- 
toeife gebrudt; fic f ollen Wortgetreu in ber bereite angedeuteten neuen 
Ausgabe jum STbbrutf gelangen. SSon ben Briefen %zanetten% befafe 
man bi^ bor gan^ fur&er 3eit nur menige groben, bie ©ottlieb Schnarr» 
Strnbt in feiner ausgezeichneten ßbarafteriftif ber merftoürbigeu grau 
borgelegt hatte; @nbe Sejember 1906 ift eine 2fu&ft>af>I biefer 33riefe, bie 
ba£ Gfjarafteriftifdje gefd&idt het&ottreten Iäfet, beröffentlidjt toorben 
(herausgegeben bon ©. SDtenfcel, 93erlin, Fontane 1907). 

Jeanette ift feine übermäßig geiftreiche, uod) biet meniger eine 
gelehrte grau, aber berftänbig, toifcig, lernbegierig, funftberftänbig unb 
funftgeübt unb bor allem eine 33irtuofin in ber greunbfdjaft. Sic "ift 
SBörneS guter ©eniuS bon bem Anfange ifjr^r 33efanntfd)aft an bis gu 
bera frühen £obe beS SdhriftfteHerS getoefen, hat fein Slnbenfen treu 
bewahrt unb ftdö nicht bamit begnügt, ihm in ihrem $er$en einen mahr» 
haften Kultus gu bereiten, fonbern mar unermüblid) beftrebt, für feinen 
Sfadjrufjm gu Jorgen. 

Solange 33örne lebte, Würbe er bon if)r geförbert unb in feinem 
ganzen Schaffen mit größter Ergebenheit begleitet. SGSie faäter bem 
£oien, fo bezeugte fie bem Sebenben Waht hafte SSerehrung. Sie be* 
tounberte baS metfte, toaS er fc^ri-eb, ohne immer feine SInfidjt gu teilen. 
§n i^rer bielfeitigen, bon ihm angeregten, oft gerabegu geleiteten Seftüre 
unterwirft fie fich nid&t blinblingS feinem Urteil, fonbern toagt eS eine 
eigene SPteimmg ju flögen, bon ber fie fidj nicht immer burch feine mit 
©ruft ober S^ott bor getragenen SBiberlegungen abbringen läfet. $a 
fie fttmmt feinem Urteile nicht immer au, berfucht fogar'eine 3eitlang 
feinen heftigen, geWift unbegrünbeten 3orn gegen ©oethe su bämpfen. 
Stber auch bem 3auber, ben SSörne auf fie ausübt, gibt fie fid> Weber be« 
bingungSIoS noch urteilSIoS hin. Sie besucht bielmehr fich flar über 
fein SBefen gu Werben, ja unternimmt eS, ihn 5u charafterifieren. (Sie 
fällt einmal baS bemerfenSWerte Urteil, bafe in feinen Schriften „eigent- 
lich nicht beutfeher, fonbern mehr frangöfifcher unb orientalifcher ©eift 
fei, WaS fich barin aufreche". Sie fud)i feine berfchiebenen fdjrift* 
fteQertfchen $erioben au unterfd>eiben: eine $ean $aulfd>e @t>oche, in 
ber er echt beutfd), unb eine franaöfifdje, in ber er bem &eutfcfjen mehr 
entfrembet fei. Sie bergleicht ihn geWif; nicht unrichtig in Sfcradje, 
gorm unb S)enfen mit bem granjofen ß. ©ourier: fdjon fie erfennt 
richtig, bafc für 93örneS ©igenart nid)t bie grofee 91bhanblung, fonbern 
ba§ Sfisäenhafte, Sfyhoriftifche, befonber§ bie gorm be§ 5£agebud)3 unb 
ber 33riefe geeignet fei. 

Sie bifbet fich nid^t ein, ihn boHfommen leiten ju tooflen, ift aber 



220 P*of. Dr. fubrotg (Seiger in Berlin. 

borf) ber SDleiruing, bafe fie ba£ Nichtige erfennt, unb mö(f)te if)n aur goIg= 
famfeit geimöhnen. ©efd&iefjt bie£ fd£)on in beaug auf feine fdfjrift* 
ftellerifdjen Arbeiten, fo nodj mef)r in betreff feiner Lebensführung. <Sie ber* 
folgt für ifm bie berfchiebenften $Iäne: fie rat if)m 9tebafteur beS -morgen* 
blattS au toerben, ermuntert ihn, feine ioumoIiftif<hen 33eaiehungen auS= 
aunufeen, ja bemüht fi<h, ifm aur SSetoerbung um bie ©teile eines 33ibtio* 
thefarS in granffurt au feeranlaffen. @ie unterrichtet ihn über Sranf* 
furter ©reigniffe unb fucht buref) ärtitteilungen über politifcfje SSorgänge 
ihm @toff au feinen Briefen au geben, freili<h nicht mit bem ©hrgeia, 
feine O^finnung unb ®arfteffung§^T>eife au beftimmen. 3>enn toie fie buref) 
feinen jKinflufe ausgebreitetes IiterarifcheS ^ntereffe gewonnen ^at, fo 
ftärft fie burefj fein SBorbilb i^re :poIitifdE)e Neigung. Shre politiiehe 
Stnfid^t iDtrb noch mehr als bie beS SreunbeS burdj baS ©efühl geleitet; 
ba^er ^at fie geringeres Sntereffe für bie innerbeutfehen t)oIitifd&en 
S3er^ältniffe unb auch nichi iene flammenbe S3egeifterung für bie fran= 
aöfifd^e 9leüoIution, in ber eS fidEj bo<h toefentl'uh um bie Strt beS Sfte- 
gimentS, um politifcfje SSerfaffung honbelt; ihr lebfjaftefteS SKitgefühl, 
ja SPHtleib, gilt ben unterbrüeften SBöIfem, ben ©riecfjen unb ^Jolen; 
biefen gegenüber ift ihre 3uneigung getoife ftärfer tute bie iljreS greunbeS. 

S3or allem mahnt fie ihn beftänbig aur STrbeit; fie ift unaufhörlid) 
beftrebt, ihn aur Senufeung feines XoIentS au ermuntern; fie finbet 
immer neue ^Beübungen, xfyxi an bie Erfüllung feiner SSer^flichtungen, 
a. 99. ben STbonnenten ber „SBage" gegenüber au erinnern. Stber fobalb 
er, ber ftetS au klagen bereite, nur ein toenig leibet ober au leiben 
borgibt, ift fie fofort mit ihren SBeifungen bei ber £anb, baft er fich 
nidEjt au feljr anftrenge, unb mit ihrer gurdftt er fönne franf toerben; 
bann ttrirb auS ber aum gleift STnfpornenben eine SWafmerin aur £räg* 
heit unb aum *@enuffe beS SebenS. 

<S\e f)ätte fich toof)I g€ttle&cn§ mit einer aörtlid^en greunfofehaft 
begnügt; für ihn jebod) toaren bie Sßerioben beS 33egeI)renS unb ber 
Seibenfdfjaft häufig. @ie (toiberftanb lange, allmählich liefe fie ftd) burdj 
fein Sitten ertoeidjen. @<f>on im Sa^re 1822 Würben bie öon ihm ent= 
tnorfenen #eirat3t>Iäife nid^t ööQig abgemiefen; im Igafjre 1828 toar biefe 
^bee bei beiben feft; eS fd^eint, bafe 93örneS immer größer unb gefä^r* 
lieber luerbenbe ^ränflid&feit, bie infolge einer Beirat leidet au einer 
Äataftro£f)e hätte führen fönnen, bie 2Tu£füf)rung biefer Päne befinittt) 
befeitigte. S)urd& brefen i^ren ©ntf<hlufe, bem audE) er fd^Iiefeli^ beitrat, 
tourbe inbeffen bie greunbfdftaft nid^t fcernidEjtet, ja nid^t einmal geftört. 
Sa, biete 3freurtbf<fjaft ertntg auefi bie prtefte $robe: S^anettenS 35er- 
ijeiratung mit einem t)iel jüngeren SWanne, ©alomon ©traufe, ber buvä) 
bie 3SereI)rung für 33öme mit ihr aufammengefü^rt, eine tiefe ißtigung 
au ifjr fofete unb fie enblidf) heiratete. 3uerft tniberfe^te fidö 95örne biefem 
^eiratS^Iane mit tnilber unb hartnädfiger ©iferfud)t, affmäblidö gab er 



£ttbu>ig Börne. 



22 \ 



nadj unb ttmrbe beut (Satten fetner greunbin, ber aud> ifym ftetä ein 
refpeftooHer greunb Wieb, aufs freunbf<f)aftlid)fte ergeben. @§ Ijat fidj 
ein Srief erhalten, in bem Jeanette üjrem fünftigen (Satten ba§ Saloort 
gibt, nur unter ber 33ebingung, ba& fie toie biäfyer für ifjren berühmten 
greunb forgen nnb arbeiten, für ifjn leben, ja in feiner ÜRäfye too^nen fönne, 
ein fdjöneS, aud> tyerrlid) au§gebrü<fte£SDenfmaI aufofcferrtber greunbfdjaft. 

STber audj 33öme§ 8TnteiIna§me an ber greunbin ift faft unbergleidj* 
lidE). 2ßie er auf feine SInfarüdje beratet unb einem anbern ben Sßlafc 
überlädt, ben er lange für fidf> begehrt batte, bezeugt einen toatjren 
$eroi§mu§. 3Bie bie greunbin ifjm beftänbig SBettnmbcrung unb 33er- 
efjrung sollt, fo er iT)r eine ftete, nie abnefymenbe, efjer toacfjfeube Siebe 
unb ^nnigfeit. @r öerftedti feine Sßeidjljeit oft unter foltern, biStreilen 
unter fpöttifdjen SluSbrücfen, aber burd) alle feine ©riefe giebt eine bi§- 
meilen franffjafte ©etmfudjt nad) ber (Seliebten, ba§ Setim&tfein, bafc 
nur fie iT)n gana berftelje, ba§ @eftänlbni§, bafe er obne fie nid>t leben, 
nidjt glücflidj fein fönne. 

3ur @rfenntni§ biefeS garte eigenartigen 93erf)ältniffe§ feien J)ier 
einige gang unbefannte böd)ft djarafteriftifdfje ©tütfe au§ ber frühen Qeit 
ber 93efanntfdjaft abgebrutft, t)on benen nur ein§, unfere Kummer b, 
in ber „granff. 3tg." 1894 bereits beröffentltdjt tnar. 2>ie (Sebidjte, 
bie freilidj burd) if)re ©ünben gegen ba£ -Kehrum nur beftätigen, ba& 
93örne fein $oet tt>ar, brücfen mit innigem (Sefüfjl feine 3ärtüd)feit 
für bie geliebte greunbin au3. 

a) 

2lua) gefteru fomen 6ie nid)t, imb (Sic fatten uu8 bodb baS ©lud @e toiebergu* 
fefon, fo fidfjer ljoffen laffcn. 9ldf), treuere greunbin, toie midf) biefe Trennung oon Sfjiten 
fd&mergt, id) toiff es oud) uid&t einmal oerfudjen, btefeS mit aSorten auSgubrürfen. 22etm 
idi nur toenigftenS Wdjieb oon 3^neit fjfttte nehmen fonnen. Unb befugen tonn man 
@ie nidit bei 3*»*r Sdjtoefter? 9Wd)t eine fleine üttinute? 9tid)t auf fo lange als id() 
3eit braudje, Sutten meinen Kummer unb meine greube p geigen? 9iur ein einziges 
Bort üon ber lieben §anb gefdfjrteben, bie idf) fo lange nidf)t fjabe füffen bürfen, tote 
glüdflid) l#tte e8 mid) gemalt. Sie toofften e8 nid&t, unb oieffeidjt Ratten Sie rea^t, e8 
3U unterTaffen, e8 ^ätte mid& bod^ nirfjt gefättigt ßiebe ^reunbin, idf) Ijabe e8 in biefen 
^agen S^rer 5fbtoefem>it mit «Sa^recfen erfahren, toie unentbe^rlid^ 8ie für meine 8Ruf)e 
getoorben Tmb — mit Sdjredfen, beim ift e§ nid^t üjöridbt, [fein ©Iücf an ein (Sut gu 
bmben, W ntd^t uns gehört, unb unS in iebem IttugenblidC entzogen toerben faim? Unb 
toenn biefe» fo ift, bin idf) bann tud&t auefi ein £ljor? Ob i* eiu %ijox fei ober nic^t, 
möd&te idf) e8 in ben S3Iidfen meiner greunbtn (efen, toenn fte toieberfefje! 5(ber toie 
unbanfbar id& bin. Mt toeld^er 9)2ifbe unb ©utfjmütfjigfeit ^aben @ie nicfjt fdjon meine 
greunbfd&aft unb t^re 3tu8brücfe gebulbet, unb nun bringe idf) Sutten üietteicf)t ba8 Jjeim* 
fidje ©efeö auf, meine toärmere Neigung oon fidft abtoetfen %u müffen. — 3^re ^imm* 
Iifdfje ©eefe, bie 8ie ni4t einmal einen (SfcradrfefjTer §u öerabfd^ieben, über fid) oermögen 
— adf) oergeben <Sie meine Offenheit meiner Sertotmtng. üftur ber (SdEimerg öon 3^neu 
getrennt ju feint, gab mir audf) ben Whttt), biefen (Sd&merg in feiner gangen ©rö&e gu 
fdjflbern. iarum eilen @ie/ gurüdfgufe^ren. ©ie toerben aueft bann gtoar nidjt toeniger 
geliebt, aber mit foldfjen ©eftänbniffen toeniger beunruhigt toerben. (Sie feljett, bafe 3^r 
S3ort!)eiI f)ier mit bem meintgen üerfnü^ft ift. 2(0), toäre e8 immer fo! 



222 



prof. Dr. f ubtDtg (Seiger in Berlin. 



SBerat Sie audj beute nidjt nadj £aufe fommen, unb toenn ict) nidjt git 3&nen 
lommen barf, ©unten €>ie 3fjrem f?reunbc ben $roft einer einigen Salt berfagen? 

3dj füffe in meinenr bergen taufenbmal bie £anb, Don ber id& mein (gfikf gu emj>= 
fangen ober meine Skr^eifjintg ju erbetteln fjabe. 

Dr. »arudj. 

b) $td)ten leljrt bie ßiebe nur. 

23emt feelige S&ergeffenfjeit 

3)e3 (Sd)(ummer8 meine 2tugen fliegt, 

Unb ber Strom bunfeter 3^tt 

3aubentb mir borübersiefjt; 

SSenn ba8 fier* mit toilben <5djffigen 

Xobet in ber ftiCCen 9tadjt, 

Unb ein nie gefügte» Siegen 

2Jtfdj mir felbft unfenuttid) mad>t — 

2Röd)te bie» toofjl ßiebe fetnt? 

9Mn, e8 ift beS ©immete 6djtoitfe 

Unb beS aJionbcS Sfömmerföem, 

äBeldjer ängftlidje ©efüffre 

9ftir in bem Söufen toetft; 

3ft bie 9)ttkfe bie mid) fttdfjt, 

Unb aus bem Schlafe neeft — 

Stöer ßiebe ift e8 nid)t. 

2Bemt id) in bes 5tbenb8 flitze 

SBanble auf ber ftitten 3*ur, 

9tod) gebanfenlofem 3kk> 

$a8 leife Sieben ber Stotor 

9ttir fo berftänbtid) toirb, 

*ftad)tigaften ntid) umtönen 

2>ie ßerdje mid) umfd&mirrt, 

füllet fid) meht 23licf mit Xfjränen — 

Söäre biefeS ßiebe nid)t? 

9lein e8 ift be8 ftrüfling* 3ttifbe 

£>ie au allen Sefen foridjt 

SR ein (Sott, ben toir im Silbe 

Seine» SSerfeS frolj berefjren, 

3ft be8 ßebenS 3auberfid)t 

SSelrfjeS un8 bie SÖIumcn lehren — 

STber ßiebe ift e8 nidjt. 

@üj tdj fdjtoetgenb ifjr *ur (seite, 
<sd)u)eigenb, beim h)ie Kirnt* id) jagen 
SBeldje eteme RUTer ftreube 
greunbtid) mir im Smtern tagen! 
SBemt id) büftrer SBelt entfdjtoinbe 1 
Unb frolj meine» ßebenS Bafjrfjeit 
9hrr in ifjren liefen finbe 
SrugtoS unb ht lidjter SHarfjeit — 
Db tooty biefeS ßiebe fei? 
Rehi, e3 ift ber Slnmutfj ßäd)len 
Unb ber 6d)önbeit 3auberei 
2öcT(r)e mid) in träume fädjlen; 



£nbn>tg Börne. 



223 



@8 ift t^res ^ergciti» Sttilbe 
2BeId&e meine (Starrheit bricht, 
3f>rer ftebe füfe' ©ebilfc — 
Slber ßiebe ift es nicf>t. 

SSenn 5ft)potto feine fieser 
Sreunbltcf) ladtfenb mir ßetoäfjret, 
@idj ber 2Jhife frei unb freier 
6djüd)terne (Sntyftnbwtß narret; 
SSemt id) fityn mit ftolgen (Saiten 
Draultdfi toie mit ftreunben fpiele, 
2Reine SSoimen, meine ßetben 
3m ©efmtße ftrieberfüljle — 
©aßet ob bieg ßiebe ift? 
Staubenb ßiebt un» ßtebe alles 
Wä) befugte toaste* ßift, 
ßädjlet greunbe meine» gaffe«! 
©udj erlernt* id& mit feötfcn, 
3auberfräfte ber 9totur, 
SSeldje Raffen, toeld&e tobten — 
Diäten lefjrt bie £iebe' nur. 

o) 

Die na# SBeft unb Often toofjnen, 
Humen, 9Renfd&en affer 3onen, 
(Jrüd)te *Rorb= unb ©übßebofjren, 
föotfje Stangen, fraufe 97tofjren. 
Süfeer (Sd&Iaß ber g^ad&ttgaU, 
Der ®)äne ßrimmer /Schall, 
6rrenßer ©ruft, ßiebßefofe, 
£o§e $alm', füge «ofe 
@arß unb SSieße, Dob unb ßeben, 
SSaS fie nehmen, toa8 fte ßeben. 
<^ad)t=6tfaf)ren, toeidjßebettet, 
&ter öerlo&ren, bort ßerettet; 
2Bie fid) ©IM gu Wufy ßefefft, 
Der geiße ftürgt in feinem Seit 
Subentücfe unb (Sfjriftenlift, 
SBaS 9)?enfd6 ßetoefen, toaS er ift. 
Samtf ber ftreifjeit, (Sbtbeßierbe, 
3)länuerf^mad) unb 2Jtömteraierbe, 
Der £iebe ©lüdf, ber Siebe Shratmer. 
SSadje älaßen, griebensfcfjlummer. 
ftinftrer @iferfucf)t (gefahren, 
ßiebenbe, bie ftdj entyaaren. 
©ift unb Dold&e, 3uußenfticf), 
Der Sertöumbunß 9totterfdjlicf). 
SBettlerfjütte, <5cf)Io6 unb Xfjurm, 
DfjaleSftüle, 23erße3fturm, 
@*mer3=©eläc^ter, £uftßetmmmer, 
tonen*, föofc, S3eild&en=3c^immer. 
SSetfe Marren, toHe SSeife, 



22^ P*of. Dr. Snbmig (Seiger in Berlin. 

g-Itnf im <§dj(af unb Iafjm gur Steife. 
<3d&icffal8 Sdfjtoert imb 3ttfaH& @J»tt, 
(Sngel, Xeufek^ött' unb (Sott. 
2Ritleib'8 S^rän' in ©ersenSttotf), 
Xröftung gegeu bittem £ob. 
ßuftgefdjtoäa 3« fafcn Sagen, 
6d&neHer SBij auf alle fragen 
3Ba8 ben 9ttenf<f>en treibt unb fjinbert, 
Stauben unb toaS (Sc&mergen utinbert; 
*ftarren=föeben, fluge @prüdje, 
anuttefs Seegen, SBaterS SXäd&c. 
fetten ©eifte» offne Söriefe, 
tränier <^toärmer Stätfrfeltiefe. 
©reifes ßocfen, 9ttäbdjeunmngen, 
SBinterfd&nee unb 2M*$erIangen. 
SBte eS (Sud) gefällt fo tfntt, 
(Snbe gut ift alles gut. 
2)er Somöbie ber 3*nmgen, 
£)e8 Xratt'rfpiefö SSertoirrungen 
@tttt ju $ob, Särrn um ftidjtö 
ßeer pt'S (Si8, betreten bri^fs. 
£uffge Sßeiber, ftanbefömänner, 
3Me unb bie ber SSaare Senner 
%m$m atte mSf ber Sieb', 
3*m S3ettler S^tr', ©Wen! bem $>ieb. 
^intermäfjrd&en, @ommernad)tötraum, 
2Sa3 3fjr mottet, fdjafft 3cit unb SRaum. 
©d&iffbrudfj, Sturm unb Sonnettfcfjein, 
^iu)Ienb SBaffer, fteuertoein. 
»itt're £ieb' unerhört 
Salfdje Sieb' bie betört 

$er ©eliebten fü&er ftufc 

SHleft — S&afefjjeare'S ©enie&! 
Unb beS greunbeS ftetS gebenf 
$er 2Hr bringt fo reitf) ©efdjenf. 
2Jtorgen8 6 Ufjr, am 4. be8 9)tonat8, 
toorin Sie am toenigften geliebt toerbeu. 1821. 

d) 

$ur&er Unterridjt für meine £od)ter 3eanette, tote fie fid) bei bem i&r 
beborftef>enben 2JHttagSeffen gu üerfjalten f>abe, um ben 9tuf eine» tooljl* 
erlogenen grauengimmerS surüdgulaffen. 

Siebe £od>ter! 

$a ®u je^t in bie Saljre trittft too ein 27täbd)en anfängt bie eurojpäifdje 8fafmer!s 
famfeit ju erregen, unb too man iljr {eben Stritt nadjmi&t, fo toirft $)u öon 2)ehtem be* 
forgten, £i<$ gärtlid) Iiebenben SSater getoife mit Stauf bie Regeln aufnehmen, bie er für 
£id) bei deinem heutigen öffentlid&en (Srfd&einen enttoorfen fjat. 3$ fann nur Iura feint, 
ober ba too meine föebe ber (Erläuterung bebarf, toirft 2)u fte bei deinem §?reunbe bem 
Dr. S3öme finben. tiefem lieben jungen 2Jtonn lannft $u 2)id) überhaupt in aßen atoeifek 
haften Sagen beS ßebenS anvertrauen. (Sr liebt $>id), er ad)tet 2)id), unb id) toäre ber 
glütflidrfte SSater, toenn teilte Neigung meinen SSünfdjen entforäd&e. 



£nbn>tg Borne. 225 

3uerft fei auf Steinen $ufc bebaut. 2ttan fann auf bte fcb'önfte ber eigenen fötpers 
fielen ©eftalt entforecbenbfte 5trt angegogen fetm, unb bennod) in einer ©efeKfdjaft auffalleub 
erfebeinen. 3ebe Serfammlung oon 3?rauengtmmern hat ihre Xonleiter, man fann nach 
©cfallcn fyxfy ober niebrig auf berfelben fteben, mau fann einfad) ober glängenb geßeibet 
fegn, mau fann aber ohne 2Jci8flang gu erregen, nieftt in einer anbern Xonart auftreten: 
man barf fein 9JloHffeib angaben, toemt bie Übrigen in Xur baftfcen. XiefeS abgeregnet 
ftebt Xir am beften an, loa» Xir guerft als baS S3efte einfällt. Sobalb bie ©itelfeit gu 
toäblen anfängt toirb baS ©efiebt für Schöne ftumpf unb ber Sinn für» Sd)tdlicbe bertoirrt 
gemalt, (£tn himmelblaues ffleib müßte Xir feböu aufteilen, bie Stoben man trägt 
fotten ettoaS oaterlänbifcbeS fyübtn. 

So gejwgt barfft Xu triebt allein über bie Straße gehen. Ohne bie GKufaffung eine» 
SftanneS toürbeft Xu ausfegen, toie ein berlohrner Demant, ben jeber glaubt finben gu bürfen. 
SBenn Xu Xicb gegen Dr. Söörne mit mehr 2fafmcrffamteit unb Schonung betragen hätteft, 
fo toürbe er fidj getoiß ein Sergirogen barauS gemalt haben, Xidj gu begleiten*). Stber 
Xu fjaft biefen lieben jungen 3Jiamt fcöon fo oft gefränft, baß id) fel)r baran gtoeifle, baß er 
fid) bagu üerfteben toirb. Snbeffen fannft Xu es öerfudjen. Xu mußt es aber bafjin gu 
bringen fueben, baß er Xir auf ber (Straße ben 3lrm reicht. (§S fiefjt fc^r häßlich aus 
toeun ein Xoftor unb ein ©ngel getrennt neben einanber berlaufeu. 

Xa bei bem ftefte getoiß alle» fehr glängenb toirb eingerichtet fetyn, fo fei nur auf 
Xeiner $uth, baß Xu beim (Eintreten ins ©efettfrtjaftgghnmer nicht auSrufft : ach toie febön! 
3toar toirft Xu bie» öon manchem ber foäter fommt als Xu, fagen hören, allein baS hat 
eine anbere SSebeutung. 

Suche es gu öermeiben, baß Xu nicht gtoifdfoen gtoei §erren am Xifdje gu fifcen 
fömmft. (Sin fo gute» unb artiges 9ftäbdjen toie Xu, muß ftd& in biefer Sage nur Dein* 
lieb füblen; beim fie toirb gegen ieben gleich aufmerffam fet)n toollen, unb ba es unmöglich 
ift, Ftd) nicht oon einem mebr angezogen 3« Wen als bom 5lnbern, fo toirb man gtoifdjen 
Neigung unb Pflicht, toie beim fja^ren auf botyeriaem 2öege, beftäubig bin* unb berge* 
toorfen. 3n allem nur nicht bierin barfft Xu ben Dr. Sööme gu 9tathe gießen, befrage 
oielmebr Xeine eigenen noch gang jungen Erfahrungen hierüber; fte toerbeu Xir fagen, baß 
mau in einem folgen Kampfe triebt fiegen föime, baß man ihm barum auStoeicbeu müffe. 

(Sffe nicht gu üiel, liebe Xoa^ter; baS ift Xein eingiger Sfe^ler, Xu bift eine große 
öfrefferin. Ein gefitteteS JJrauengimmer fotC nie junger geigen. Xem 9)lanne ift (Sffen 
ein ftnnlicbeS, bem SBeibe barf eS nur ein äftbetifd)e3 Vergnügen fetjn. 9^ur einige ßerfers 
biffen barf fie gu fieb nehmen. XaS gemeine S3ebürfniS foll fie in ber ©infamfeit befries 
bigen. SBenig 9HnWf4 gefalgeneS, feinen Senf! XaS mad)t Xurft. (SS giebt 
nichts toiberlichereS als ein bürftenbeS 3rauengimmer. Serfchmachte lieber ehe Xu gn 
trinfen forberft, unb erfahre babei, toaS es für ein ©efühl ift — berfd&macbteu. 

©jffe nicht oon folgen Steifen, bie Xu nicht gang toergebren fannft, imb oontoelchen 
Xu getoiffe Xheile, als Knochen, ©räthe, gurücflaffen mußt, hinter einem, mit Ueberbleibfeln 
uitoerbaulicher Sachen angehäuften Xeller, toirb auch baS gartefte ©efch'ö|3f fid) toie ein 
§ufar ausnehmen. 

SSeim Xu noch einmal Slumenfohl effen möchteft, aber fiehft, baß feiner mehr auf 
ber Schiiffel ift, fo frage ben Dr. 23'önte toie man fid) w tiefem ftalle 3U oerhalten habe, 
gfür mich Ungelehrten ift biefe Aufgabe gu ho4 

Xhcile feine 23onbon8 mit Xeoifen an Xeine 9hchbam aus, man fann nid)t toiffen 
toaS barin ftchL 

^nü^fe feine neue 23efamttfd)aften an, bamit Xu bie älteren Schulben XeineS §ergenS 
pünfüich bcgahlen fannft. 

3n ber Unterhaltung fei fein unb toifcig. Xein Ütadjbar fönnte Xir fagen: 2Jcabe* 



*) XaS Drig. beißt beutlich: „befleiben" ; boch mußte biefer Schreibfehler geäubert 
toerben. 

»oib trab 6üb CXX. 359. 16 



226 Prof. Dr. £ubn>tg (Setger in Berlin. 

motfette id& tyht biet gegeffen, aber mit üofferem fcergen als HJtagen öerfoffe ich ben Xtfc§; 
barauf ertoiebere 3)u: ®a8 feiert gefäitigte #erg berbtent nid)t, bafj man e» fätttge. 
@r: eine fo reigenbe töchin tme (Sie fmbet immer hungrige (Säfte. $u: ber junger tft 
ber befte ftoch. @r: tote meinen @ie ba8? S)u: ich bitte Shneu. @r: Slber 9Robe- 
motfeffe . . . $u: ßaffe Se mer main' 2Jtotuche. <$r: befehle @e an (Stücfdje Shiche? 

lötete ben Sahnftod&er ben $u felbft gebraust fjaft feinem anbem an, unb fteefe Feine 
filbeme ßöffel ein: baS fdjtcft fi<h nicht. 

®otmne SCbenbS girr gehörigen 3ett nach £aufe, um bie ©egenfüfeler be8 SBoKgrabenS 
8U beleuchten. £)ein ameritanifd&er $>oftor »artet mit ber größten ©efjnfudjt auf 2)id}. 

ßaa^e rridtjt, lädrjle; effe nicht, effele. 

3« ©egentoart Ruberer barf ein grrauengtmmer nur gum Xrocfnen ber fronen ba§ 
©chnupftud) gebrauten. 

föebe mit Scannern mir immer öon fingen bie $u nicht berftehft, beim ba& nx@ 
ein gfrauengimmer öerfteht, intereffiert feinen SJairat. 

©ei nicht gu HebatStoürbig. £ob ift £ob; ob einer in SSaffer ober 9M>era ertrinfe, 
ba» ift atteB ein». 

ßiebe benienigen am meiften, ber ©ich am meiften liebt 

§at 2)ein Sftachbar bie Ungef#cßichfeit gehabt, baS SaCgfafe umguftofeen, fo fei artig 
imö fage ihm: man mu& e8 3^ IIcn bergeihen, @ie verbrauchen biel babon gu Shrer Unter» 
Haltung. ©agt er barauf: äftabemoifeße e8 tommt 3bnen nicht gu, mich einen Serf ajtoen= 
ber gu nennen, bann fagft $u: ba& idj nicht toiifrtel*) 

2. 23örne3 2C b r e f fent>eraei<ijni3. 

©in merfmürbtge§ £eft be§ 9iad£)Iaffe3 ift ein« ßifte feiner 83e* 
fannten, ein ööQig etgenhänbig geschriebenes $eft, ba3 al§ einatge 39e* 
aeidfjnung öon 33örne§ $anb bie Sßorte trägt: „angefangen 2krben=93abcn, 
September 1831". ©3 umfafet 38 gefdhrtebene Seiten unb enthält ©in* 
aeidhnungen bis sum %at)vv 1834, ofjne redete ©rbnung, obne SSoUftän&ig« 
feit, aud) ohne ba§ <2treben bie benannten au djarafterifteren, boeb bat 
e§ aufeerorbentlidjen biograpf)if<ben SBert, unb toenn e§ audf) feineätoeg* 
einen öottftänbigen Sfbbrucf t>erbknt, fo mögen etnaelne 9?ottäen bier 
mitgeteilt imerben. 33on 33efannteren werben genannt unb mit gana furjen 
biograpbifdön SRacbricbten begleitet: SSirtf), <3ieben^>feifer (beibe tßefannte 
öom ^ambacber 3f^ft ber), ©cbönlein, ttoei 93rüber (Seiner, Xroyler, 
Snell, 3Woffe, SSinet, ©lümer unb feine grau (Sbarfotte (bon ber 
Ie^teren tnerben atoei Stomane „2ie graue 9lonne" unb „£ie 2rel)be ber 
©egenfönige" genannt unb al§ unbebeutenb beaeid^net), Stapfer. 

©letcf) bie erfte ^ier firiebergegebene 9?otia geigt, tt>ie mentg ber 
©d&riftftefler beftrebt mar, über bie etnaelnen ^erfonen alfe§ a" faß^n, 
ma§ er tuufete, benn ber gleicb au SRcnnenbc gehörte au SSörneS guten 
93efannten, unb bie berliner «riefe 1828 finb botf Don 5Rotiaen über t^n 
unb feine grau: 

Dtobert, ßubtoi'g t 

gegennxlrtig ((September 1831) in 23aben=23aben, n>o er fieb. gu etabfiren gebenft. — Schrieb 
im Sflorgenblatt hn SBinter 31—32 ^Briefe eine« Serftorbenen, barin einen WxtM gegen 
meine $arifer Söriefc. Starb im Suli 1832 in 23aben unb balb barauf feine grau. 



*) $aS eigenhänbige SJiffr., offenbar Fragment, bat toeber Unterfajrift noch treffe. 



£ubn>ig Börne. 



227 



ftranffr, ffriebridf) 

ehemals Vud)I)änbIer in Stuttgart unb Wm&n. Sebent er feine fianblung öerfauft, 
' ging er hn geling 1831 nadfr $ariS mit angeblich beutf(fcreöofotionären 3*«*«/ in 
©efeUfdjaft &on fcauptmamt Säjbolb. 3* fpradj fte auf ibrer Steife in ftarlSrulje, 
«pril 1831. ©eflentoärtig (September 1831) nodf) in $ari8, föne ßafltte 29. — Sßo&nt 
iefrt 8hte Xrond&et Itto. 14. pres la Madeleine. Stefjt in Serbinbung mit ber Sßortfjei 
ber jungen föepubtffoner in SßariS. SBarmer topf. ©straöagante Sßolttif, föftematifdfjem 
SerroriSmuS ljulbigenb. ßeibenfdjaftlid). (Sott aus feiner öerfauften S3ud)^anblung 
80000 fJL gesogen haben. SSerliefj im gebruar 1832 SßariS unb ging nadj 3)eutfdSanb. 
&idt fid) im Sommer 1832 in Stuttgart auf. Safj ifjn in 23aben unb Sfceuftabt. SBurbe 
hn 8?ebruar 1833 in Stuttgart arretirt, gufolge einer Ärhninalunterfud&ung, angeblich 
toegen bemagogifdjer Umtriebe mit Xübinger Stubenten unb Verbreitung öerbotener 
S3iw^cr. 3m 2M toieber freigegeben. 

3enotoie§, ©eorg 

aus ßtttfjauen. Vor etnw 15 Safyxtn ^tdt er fid) mit mehreren anberen frangöfU 
fdjen Verbannten in graitffurt auf. 3m Sommer 1831 fam er mit feiner fjrau (einer 
(Snglänbertn), unb einem 12 irrigen So^ne aus erfter (Sfje nad) $aris. ®t reifte unter 
bem Flamen (Sonftantin unb gab bor nad) Sßolen gu geljen. 3^tgte mir eine 81rt 3n* 
ftruftion öom SbriegSmimfterium in SßariS, toorin ifjm mehrere Aufträge nad) Jßolen ge« 
geben tourben. 2>ie Suftruftion toar nidf)t unterfd&rieben. ®r geigte toenig 8uft am 
Kampfe ber $oIen teügunef)uten. " 9tad) ettoa gtoei SJtonaten febrte er nad) ©oben gurücf 
unb ergäbe, er fei in SfteSlau öerratljen toorben. @r ^abe gtoet SJtonaie bort unter 
$oligetaufftdfjt geftanben unb toare nad) Unterfudjung feiner Sßapiere gurücfgefdjicft toorben. 
(£r machte mtdfj mit SMubotoSft befamtt. 3JHtte September reifte 3« nad) $aris. (Shtft 
im Stoöember traf id) ifjn in ^ßartö auf ber Strafe. ($r fagte mir, erft feit einigen 
Sagen fei er angefommen. SBurbe mir in SßariS öon Sßolen als Slbentfjeurer geföübert, 
beton öon biefen 6000 fjr. mit einer 2JHffton nadjj Sßofen, bie er aber tttd^t ausgeführt. 
1832—33 in SßariS. 

Stottecf, öon 

fcofrat unb ^rofeffor in Bfreiburg. 1831 3ttitgtieb ber Öabifd&en Stänbe. ßernte if)n 
Sftnrff 1831 in tolsrufje fettnen. Söoljnte bort bei Shmtmerlafai ftempf, Amalien* 
frra&e 11. — Stebafteur ber allgemeinen polittfdjjen Sfanalen. ßub mid) feljr bringenb 
ein baran gu arbeiten. — - Sah ihn im 3uli 1832 in greiburg. — SSegen feiner prfiti* 
fdfjen ©eftnmmg feiner Sßrofeffur entfegk 

fjtöbel, ftriebrich SSiihehn Sluguft 
Vorfte^er einer ©rgiehungSanftalt in fteilfjau bei föubolftabt. ®am im Sommer 1831 in 
©efefffdjaft beS Sd)ttt)ber öon fjranffurt auf einer Steife nad) ber Sdjtoeifc bnrd^ 93aben, 
too idj ü)n lennen lernte. 23egeiftert öon feinen 3been §ur attgememen (Srgiefjung für 
Humanität. ®ab mir gtoei S3roc^üren: .^urdfereifenbe, bem beutf^en !(£I)arafter er« 
fdppfenb genügenbe ©rgie^ung" 1821. „lieber beutfdfje ©rgiebung überhaupt unb über 
baS attgeraeine 3)eutfd^e ber G^ie^ngSanftatt in ^eil^au inSbefonbere" 1822. &at eine 
neue ^rgie^ungSanftalt auf bem Sd)(of3 SBartenfce am Sempad^er See im Danton Sutern 
gem«nfdjaftlid& mit Sd&. öon SBartenfee getriftet. S3efanntmad&ung öom 3. Slugnft 1831 
in ber ^ffgemeinen Stuttgarter 3«tung öom 11. September. 

SRaufcöenblatt, Dr. öon 
gebürtig aus §ilbe8ljeim. 3nxmgtger. 2Bar Dr. legens in (Böttingen, als im SBinter 
1830 bie föeöiiution in ©öttingen auSbrad^, bereu ©(harter er einer toar. 3?Iüdfjtete ftdt> 
barauf unb ging nad& Strasburg in bie grembenlegion gu treten. 3tn 51pril 1831 lernte 
id) ü)n unb ben Dr. Scfjufter auf meiner Otücfreife öon $aris in S3ar le $uc fennen. Später 

16* 



228 



Prof. Dr. £ubtt)ig (Setger 



in Berlin. 



ging er nad[> Belgien, nafjm im 2luguft am fjclbgugc gegen bie ftottihtber als greitoülifler 
teil. 9tad) 3erftreuung ber belgifdfjen 2lrmee feljrte er nacb Strasburg surücf, too idj xfyi 
auf metner Steife nadj SJktriS, ben 19. September toieberfab. — Sdjeint guter Stopf. 
£atfräfttg, lebhaft, nidjt ofnte ^fjantafie. — SBar 3ftai 1832 auf bem ©ambadjer 
fJcfL — ©ing fpäter nad& £ieftal, too er fidj als Slbbofat aufnehmen Ucfe- SBar einer 
ber Slnfü^rer bei ber granffurter Serfd&toörung am 3. Slpril 33. glüdWete fid) nad> 
Strasburg, too td) Ujn traf, ging üon ba nad& ßieftal gurücf. 

gfranef, ^ermann 

aus ^Breslau, fiernte ifjn ^uerft bor 3—4 3tu)ren in Sab (SmS fenuen, too er mit Sttutter 
unb Sdfjtoefter einige 23odf)en subradfjte. (£r fpielte bort an ber S3anL ßiterarifd) {je* 
bilbet STatfiffenner. Sntimer fjreunb bon §oItei unb Stöbert in Berlin. 3m £erbft 
1830 fam er nacb $ari8, too er im September 1831 nod) toar. S3om jaste milieii. 
Neigung su biplomatifcber Haltung unb 3untdf^altung. Statt unb bebäcbtig. SSoljut Ouat 
9JlaIaguai 21. Scbeutt bermögenb. <£r fjat feinen Sater mebr. Sein Sruber toar 
iöanfier in SreSlau. — Sprint fefjr liberal. 3fi traue ifjm nidf)t, fann toenigftenS ntdjt 
ftug aus ifjm toerben. 3n feinen politifdjen ©efprädf)en fdjeint er niefit immer eigener 
©ebanfenbafjn ju folgen. @r geigt ettoaS 5faSf)ordjenbeS. SSar im SSinter 32 nodj in 
$aris. tarn im 3ult 1832 nacb söaben. — $m September toar er in ftranffurt. 
SSirtter 32/33 in $artS. — 3m Sommer 1832 lieferte er Xfjeaterberidfjte in bie 
Europe litteraire. 

2Kaltifc bon @. Ä. ftreiljerr. 
Serfaffer beS „©elafiuS ber graue äßanberer", toobon idf) im Üftorgenblatte eine 
ftritif gefebrieben (ftc^c meine bennifebten Sdjrif ten 7ter Xfyti). ©ebürtig aus Oftpreufcen. 
grüner lebte er in ^Berlin. $ort brad&te er ein ßuftfpiel „ber alte Stubent" auf baS 
Sönigftäbtifcbe (53örne fd^reibt irrtihnlicb £önigfteimfd)e) £beater. $)ie barin borfommenben 
Stnfpielungen auf bie alte Unabbängtgfeit dolens tourben bei ber 2Xuffübrung bon ben 
jungen polmfcben Stubenten mit folebem ©nt^uftaSmuS aufgenommen, bafe SDtaltifc burd) einen 
itabinetsbefebl aus ben preufjifdjen Staaten berbamtt tourbe unb innerbalb 8 Sagen baS 
£anb öcrlaffcn mu&te, Seitbem bielt er ftcb (bier Saljre) in Hamburg auf. £ort gab 
er nacb ber polmfcben Sftebolutiou ein ©ebidjt „Sßotonia" berauS, toelcbeS ftreng »erboten 
tourbe. 2lu8 $urd)t beSbalb arretirt %u toerben, ging er (äuguft 1831) nacb $ariS, too 
er mieb am 5. Dttober jum erften 9Me befuebte. SSertoa^fen, boeb anfd&einenb itarf unb 
träftig. SUtSbrucfSöDtteS ®efi#. Sluf meine ertodbute £rittf beS ©elafiuS ^atte er ju 
feiner 3ett eine guhneinenbe ©rtotbenmg in einem öffentlidf)en SBIattc bruefen laffen. 

©arnier, Dr. 

aus Staftabt, too feine 9)totter lebt. Sein öerftorbener Sater toar ©afttoirt. Sein Dnfel 
ift nodf) bort. Seit einigen 3tab*en tu SßariS, too er ftdf}, tote er fagt, mit Erlernung 
neuer Spraken unb fonftigen ßiteraturgegenftdnben befd&äftigt. 3m SSinter iaso/31 fal) 
unb fprad^ icb t^n oft in SßariS. 3m Oftober 1831 traf id) i^n bort toieber. ©etoo^n- 
lidjer 9Kcnfrf> unb topf. 2ftag ein mauvais sujet fein. S)er 23ud6bänbTer fjrattfb fagte 
mir, er fjabe 700 ffr. üon tbm geborgt unb nt^t juri'tdfbegablt. ©amier geftanb mir baS 
aueb ein, fagte mir aber, er ljabe literarifdje 5lrbetten bafür gu leiften oerfproeben. ©e^ 
mit ßeine, 3)onborf um unb lebt auf Vertrautem fjuße mit einem Sefretär beS ^onig* 
Itdjen Slbjutanten ShtminL (?) §at feit üorigem Sinter falfdf)e Slugen befommen. 
Sd^rieb 3lrtifel über beutfebe $lngelegen^etten in bem National, tennt ÜJiauguin. — 
Siorrefponbirt im ^reifimtigen. SSar fcr)r tätig beim $arifer beutfd&en $re&t)erein. Sftetfie 
Februar 1833 nad) 2)eutf(blanb, angeblidf) 5lfttonärS für eine neue franä'öftfdfje 3«tung 
^u fudöen, bie ©amier=$ag6s grimben tottt. — Soll einer 3citungSnad)ricbt gufolge nadb 
ben ftranffurter Unnt^en im iöabifdden arretirt toorben fet)n. — SSurbe nad^ einigen 



-*5 



Subnng Börne. — ,% 229 

Senaten toieber freigegeben. — SSirb Don allen feinen Befannten für einen Verräter ge* 
fjalten. SSoIfrum, fein SBcrtrantcr, ber Don allen feinen Umtrieben tmi&te unb fie gum 
Xftril leitete, erfffirte ifjn fclbft bofür. 

Saboie, 

Stböofat in 3«wbrücfen. (Siner ber 2)treftoren beS $te&bcreinS. ßernte ifnt im äBtnter 
1831/32 in $ari3 fennem Sprad) it)it beim §ambac^er fteft. ??lüd)tete fief) balo barauf 
nad) 'aflefc. — Sßinter 1832 big 33 in SßariS. Arbeitet für bie Stetfar^itung, baS 2luS* 
Ianb, ßiterarifdjeS ftonöevfationSblatt 2C. — 1833/34 in SßariS. £at fidf) gang Don mir 
äimtägejogen. Befudfjt mid) faft gar nidjt mefjr, toaS er früher oft getrau. $u&erte mir 
als id) im £erbft ^erfam, er fjdtte eine Stelle in Sßien fjaben tonnen, ©in anbereS 
9)lal: er fjabe £uft nad) SSien %n reifen. Sefjr in ©elbnot unb Bonbüxmt. Ob er toofjl 
als Slgent ber öfterreidfjifdjen Regierung gedornten toorben? 

Sdf)üler, 

Slbüofat in 3"*ibrüden. (Sfjef beS Sßre&oereinS unb ber liberalen Partei in Jftfjeinbaiern. 
2ftitglieb ber baqrifdjen Stänbeüerfammlung. ßernte ifjn beim fcambadjer fjeft rennen. — 
Sßidjtete fief) bei ber SReaftion nad) SJfcfc, (too) nafje bei feine Sdjtoiegermutter ein ©ut 
fyit — Saf) ifnt bort im 3?riu)ling 1833. — tot ben folgenben Sommer nadfj SltoriS 
unb blieb bort im SSinter 1833/34. S3efd)äftigt fid) eifrig mit 9 f laturtoiffenfd6aften unb 
3Jtebisim §ört bte bort einfdjlogenben (Sourfe. £at fidf) üon aller Sßolitif gurüdgegogen. 
3d) fe^e iljn toenig. Steint ein braöer 9Jtomt gu fein. 

ßaube, £einrid(j 

iunger Sdjriftfteller. ©ebofjren in preu&ifdf) Sdjlcfien. 1833 in ßeiD§ig. £at bte 
N Jtebaftion ber beim Söudj^änker ßeopolb 23of$ erfdjeinenben 3^itung für bie elegante 
28elt, unb beS bamit berbunbenen ßiterarurblatteS übernommen. Schrieb mir nad) SßartS 
b. b. fieipgig 19. 3anuar bittet midfj um Arbeiten für genanntes fiitteraturblatt. 3n 
einem bciliegenben 3cttcld)cn bietet mir 33of$ ein aufeerorbentlid&eS ©onorar an. 
ßaube fdjitfte mir sitgleidg ein 23ud) $olen, ober baS neue 3afrbunbert I. XeiL 1833. 
Orürtf). 28. torn'fdje Söud^^anblung. — (Sampe §atte mir biefen ßaube früher fd&on als 
einen toofjlbenfenben 9ftamt empfohlen. 

SBenebet) 

aus ®)ttn. 3m 3al>re 1832 Stubent in i&eibelberg unb Mtarbeiter am SSädjter am 
SKfjetn. SJ^acr) bem &ambadf)er fjefte tourbc er oon ben S3atern reflamtrt, ausgeliefert, 
entforang aus gtoei ©efängniffen unb flüchtete fidf) nad) Strasburg, too idf) tr)n im §erbfte 
32 unb im Sfyrtl 1833 forad). Söefam bie SSetfung Strasburg gu oerlaffen als ?Jolge 
ber fjranffurter Unruhen unb gebaute nadj) SlancQ gu ge^en. — S3on bort fam er im 
SBinter 1833/34 nad) SfkiriS. 3d) fing 3U ber 3^it an i^jm gu mistrauen. 

2BoIfrum 

aus §of in Baiern. 3u«ger Wimm, feit mehreren 3a^rcn in $aris. 3-riifjer ©anbels* 
fommiS bafelbft. 3u Serbinbung mit ben republifanifc^en ^ßartfteien in SßariS. Xptig bei 
ber bortigen beutfd)=patriotifd)en ©efellfdjaft. 91acf) ben ftranffurter ©reigniffen lüurben in 
gkiriS feine Rapiere unterfudjt. 3m 3uli 33 tottrbe er mit mehreren ^tauBofeu arretirt; 
aus gfranfreic^ öertoiefen' ging nad) Trüffel. — ©übe fjebruar 1834 fam er Ijeimlidf) auf 
einige £age nad) $artS unb befudjte mid^ einmal. — §at in SßariS einen iüngerat 
»ruber ber gärbergefeE ift. 

Spanier, Dr. 

aus ßeipaig. !Reffe 3ean üßaul'S, beffen Xodjter er ge^eirat^et. 3ur 3eit beS XobeS 3ean 
$aulS fdjrieb er mir bei (Gelegenheit metner S)enfrebe auf 3- % einen Brief oon 
Bat)reut&. — 3m Sartre 1833 bcbt3icrtc er mir fein ßeben 3. mit einer langen 3u* 



230 P*of. Dr. £ubiüt(j (Setger in Berlin. 

ciflitunfl. — 3m SBinter 1833/34 fom er uafi $arto, n auS tfurdjt in Steutfdjfonb in 
poütifdje Unterfudjung §u fotmnen. $ort gibt er eine Überfefeung einer polnifdjcn <3e* 
fdtfdjte 6erau8 unb eine ©togropljie berühmter 38raeltten flemeinfc^aftli^ mit fierrn 
öon ©reja. 

3. 93 r ie f € an ©örne. 

SKtt fo toenig Sorgfalt unfer Sdjriftfteller {eine eigenen ftongepte 
unb 2)fanuffrij)te aufhob, fo toenig 3Kü^e er fidj gab, bie t>on if)m ab« 
getieften ©riefe au regiftrieren unb gu fongijrieren, fo geringe Sorgfalt 
fcermenbete er aud) barauf, bie empfangenen ©riefe aufoufyeben.- 2>enn, 
ba nad) feinem -£obe infolge ber forgfältigen £ut, in bie fein •Jiacfu r a& 
tarn, nidjt§ entfernt unb t>ernid)tet tourbe, fo müffen infolge feiner 9tad)» 
läffigfeit ober be§ geringen SBerteS, ben er auf foldje Sd>rtftftü<fe legte, 
2>ufcenbe ober Hunberte gar nidjt aufgehoben roorben fein. 9?ur bie 
©riefe ber Jeanette SBo&I £>at er mit ber größten Sorgfalt gebammelt, 
fonft finb nur bie ©riefe ber ©ottaferjen ©udjfyanblung in einem gaScifel 
bereinigt, aufeerbem mehrere 2)ufcenb ©riefe öerfdjiebener $erfonen auf- 
betoaf)rt, bie jefct im SRadjlafe in djronologifdjer Solge aneinanber gereift 
finb. 2)en Slnfang madjen einige ©riefe be§ au3 ben Sugenbepifteln 
an Henriette Hera befannten ^ugenbfreunbe§ ©roffing au£ ben Öarjren 
1806, 1807, 1812. Sie eigentliche ©riefreihe beginnt aber erft am 5. 9?o* 
üember 1819 unb fdjlie&t mit bem 12. 9tot>ember 1836; bie gange $orre* 
fponbeng, bie unfer Sßubliaift al§ Herausgeber ber äöage mit feineu 
aWitarbettem, Abonnenten unb Sritifern geführt I)at, ift bollftänbig 
verloren. 

Unter ben ©rieffdjreibern finb gunätfift ©udjhänbler vertreten: Hoff» 
mann in SBeimar, ©erleger be§ Itterarifdjen SBod>enbIatt§, ©rocffjauS 
in Seidig, ©ietoeg in ©raunfcfjtoetg, SBinter in ©eibelberg, bie meiften 
beftrebt, ben ^ubligiften für ihre ©Iätter au gewinnen, ©on ©eHetriften 
unb befannteren Sdjriftftellern feien angeführt: SKüHner, S. Slobert, 
ß. ©parier, Stapel, $i&Q, g. ©. Stmmermann, äefthetifer in Hamburg 
(ber ber ©ermittler 3Jtr>ifd>en ©örne unb bem ©udyhänbler Sampe nxtr), 
Heinrich Äurg, @. SM. ßettinger. ©on Sranffurtern, bie (3&i"djäftlid)e3 
für ben Sanbämann beforgten, aud) politifd) meift auf feiner <Seite 
ftanben, feien hervorgehoben : Stiebe!, 9*einganum, Dr. ©otbfdjmibt, 
t>gn ^Jolittf ern : SBeldfer unb 3ta§paü. 

©ine Herausgabe aller biefer ©riefe trjäre ein hödrft törid)te§ Unter« 
fangen, ba bie toenigften literarischen SBert befifeen, triele nur einen ge* 
toiffen Sftufcen für ©örneä ©iograpT)te gettäfiren; hier feien al§ eine Heine 
$robe nur gmei feftr merftoürbige ©riefe Sßolfgang SKengeB mitgeteilt, 
be§ befannten HiftoriferS unb StttiferS, ber toährenb ber in iüngfter 
3eit t)iel befprodjenen ©podje be§ jungen Seutfdjlanb eine fo tnenig be- 
neibenStoerte SRoffe hielte. S)iefe ©riefe tDeidjen burd& il)ren freunbfcfjaft- 



£ubn>tg Börne. 



23 ( 



liehen Xon unb bie hohe SSerebrung, öer fie 2lu§bru<f geben, fo braftifch 
ab Don ber groben Abfertigung, bie SBörne bem Srieffdjreiber #t>ei $abre 
fpäter öffentlich sutetl toerben liefe, bafc fie fdjon au§ biefem ©ninbe eine 
SBefanntmachung rechtfertigen. 3>ie Stegiebungen atoifchen ben beiben 
SWännern toaren aiemlich ölten 2>atum§. @cfjon am 13. ^uli 1827 frug 
SRenael an, ob SBörne für ba§ Siteraturblatt SBalter "Scotts Napoleon 
besprechen iDoHte, befannte ben Sluffafc gegen bie ^Berliner Jahrbücher für 
nriffenfchaftliche ®ritif mit Vergnügen gelefen au haben amb fünbigte fein 
SBerf über beutfdje Siteratur an (ba§ er bann am 15. September ttnrflidj 
ü&erfanbte, ohne eine JRegenfion 51t erbitten), mit folgenben SBorten: 
„&a ich nicht gtoetfle, bafe unfere 2lnfichten öielf ach übereinftimmen." 
9ia<h biefem 93rief ift eine achtjährige $aufe. 1835 läfet ficft äßenael 
bann in ben folgenben jtoei ausführlichen uni hö<hft merftruirbigen 
(Schreiben öernehmen, 311 'beren ErFIärung im (Sin^elnen ich öer SHirae 
halber auf mein 33u<h „35a§ junge SDeutfcfjlanb unb bie preuftifche 3^nf«r", 
Berlin 1903, bertoeifen möchte. 

Scrc^rtcftcr! 1 

3n ber Mq. 3- faben ©utfoto u. Sßienbarg angefihtbtgt, ©ie'unb fceine, (Sjwgier, 
SB. ö. <Sdjulg 2C feQen 3/Ktarbciter ber $eutf<hen kernte. Zernien (Sie biefen ©. u. 2B.? 
(£8 ftnb bie cfyirafterlofeften <Sd)urfen, bie }e bie^<Smme befchienen bat £>urch üjren 
tarnen toollen fie ber Iiberalenjßart^et tun: ein Hettbtoerf bonnadjen, fo toie fie auf ber 
anberen «Seite burd) bie ÜKamen ©oetije unb &egef unb inbem fie öiel preufeifd&e Untoerft* 
t&tSEro fefforen ebenfalls als ihre DJtttarbeiter angeben, bie Regierung befielen toollen. 
3fin 37toranft bie fdjmufeigfte, iljre SPpIttif bie gtoetbeutigfte. SSetra fte bie liberalen 
contyromtttirt haben, toerben fte jUtoertöfftg als Staegaten enbigen. SCtte» toar erftaimt, 
Sie, ber Sie ähnlich erft gegen §ehte aufgetreten ftnb mit biefen ebrtofen Stoben in SBer* 
binbung p feben. Bulben <Sie nicht, ba& man 3§ren im Söaterlanbe öon aßen toacfereu 
Scannern b<xh berefjrten tarnen mißbraucht, galten (Sie biefe moraüfche uub Jjolittfdje 
S3efubclnng öon ftd^. föei&en @ie 3fjren ebeln ÜJtamen öon bem Oranger toieber herunter, 
an ben ihn fcuren unb ©üben ber fd)Ied)teften Sdtegorien angeheftet höben. SBemt (Sie 
Sich bier compromittirt, toitrbe fiehte in» f?äuft(hen lachen. (Sie ftnb 311 toürbig, gu grofc, 
gu cünfequent, um 3foren gtinben unb falfdjen fjreunben eine folc^e <S(habenfreube gu 
bereiten. J 

3u untoanbelbarer ßiebe 

Sfyc 3)ten3el. 

(Stuttgart 5. 9fot>. 1835. 

SBcrchrteftcr §enl 

Seit langer 3*it Jomtte td& feine rufjtge 8tunbe finben, um einem üUtomte, toie (Bit 
ftnb # einen öernünfttgen 93rief %u fchreiben. Stile £age bie ermübenbften Ianbftänbif(hen 
(Sifcungen; mein ßit. Slatt, bie 2. Sluflage meiner beutfd&en Siteratur, bie 3. meiner 
©efcftfchte ber $)eutfd(jen 2c. S5a6 (Sie ettoa» für bie beffere ^enntnife unferer ßit. in 
granfreith t^un toollen, freut mi<h öon ganger Seele. (Sie föttnen es ni<ht (Souftn, ber 
nur burd) ben <S(haum ber berliner aSorne^migfeit geftreift ift, nidjt §eine, ber uns eigent- 
lieb SßreiS gibt. Ob Sie bie S&üfytt öon beutf<hen Verlegern erhalten toerben ntufe \d> 
freilich begtoeifetn. <B\t fennen bie Stengftli^fett bie bei uns öortoaltet. %tx 1. u. 2. 
93anb meiner ßit. ift fertig. 3* hätte fte fdjmt mit ber $oft gefdjtcft, toenn ich Sie 
nicht mit bem $orto bätte beläftigen toollen. Scfjreiben Sie mir bo$, mit toeld&er ©e« 



232 P*of* I>*. £nbmtg (Seiger in Berlin. 

Iegenf)ett man 3bnen am beften ©ücber fc^tefen larat? 3f)r ferner Sfrtifd über bte 
mtlna ift im Sit. Statt abgebrueft. 

SSeldje SSenbung bie Sacbe bcS iuiiflen 2>eutfd)Ianb genommen bat, werben Sie 
bureb bie 3eitung erfahren fjaben. 

©ufefow fpt peceavi angefttmmt, feine gfreunbe beSabouirt, unb mottte allein eine 
neue 3«W()rift bet) ben Herren ^arrentrapp »erlegen unb in ber iöunbeSbrutferei bruefen 
laffen. 2fa<b foff er eine ßobljubelnbe (Sbaracteriftif eines großen Diplomaten gerüftet ge» 
babt faten, man bat if)m in Berlin nid)t re^t getraut, unb fo weife er nid>t, roeldje 
$ßartf)ei er ergreifen wirb. 9JHr ift biefe 3^teutigfett mebr afö anbere oerba&t Die 
£eute foßen fid) beftimmt erfßiren ob fie 9Jtärh)rer tfjreS 3förrattSmu8 ober ob fte föeue* 
gaten toerben motten. 

Die Stellung we&be Sie ©eine gegenüber eingenommen Ifaben, u. 3fr $lan, bie 
(Sljre ber beuten ßiteratur, bie gugleidf) unfere SRationalebre ift, in SßariB aufregt §n er* 
galten, beftätigt auf eine fo erfreute SSeife, was id) immer große» unb gute» üon 3*men 
gebaut unb gefagt, baß id) nur ben SSunfd) binaugufügen fjabe es möge gwifeben un$ 
immer Kar bleiben. Unfere 2faftd)ten oariiren in einigelt fünften, boa) lieber in (einem 
Sßuntt ber ©bre. Drofc 3fre5 3orne8 üerratben Sie beinabe auf jeber Seite 3b*« 
Scbriften, baß Sie mit ganzer Seele an Dcutfdtfanb unb feiner (Sfjre fingen. 

3§r Unwillen ift bod) nur ber gehäufter Siebe. ©3 toäre mir unerträgtid), wenn 
ein frangofifcbeS Sntereffe ober aueb nur ein franä&fifdfjer ©efdnnacf fidt) äwifebat uns fteEte. 
Sie finb ein Deutfdjer, fjier ift 3f)re Spradje, Sfre 3fr föubm. (Sie oerüeren wie 
2tntäu8 3fre fttaft, fomie Sie, b. f). 3fr @eift, biefen 23oben oerläßt. 3eigen Sie nidtf 
bloS unb ©ingeroeibten unb negatto, fonbern für ba8 SSolf unb pofitto, baß Sie Deutfcb^ 
lanb lieben, unb bie ^efrung, bie Sfrten jeber ebk Deutfdjc sollt totrb unenblicb gunebmen, 
toäbrenb Sie fernm etwas für ftranfreidj, unb ^tattfeeie^ gar nid)t8 für Sie tfrm tarnt. 

SBon Deutfdjlanb fann id) Sfaen md>tö febreiben, was Sie nid&t fdjon bureb bie 
Seitung müßten, auf unferem ßanbtage babe idj eine SubenemancipationS Söitt eingebraebt, 
um föottedf, ber mir mit einer Dfjat im entgegengefeöten Sinne antwortet, wieber mit 
einer Dbat gu antworten, ©oben Sie meine ®efd&id)te ber Deutfdjen febon gelefen, wo 
ntcfr fo fdjicfe icb fie Sfatn gu. 

Wlit ben beften SSünfcben für 3fre ©efunbbeit unb unwanbeCbarer Siebe 

3fr ^cngel 

Stuttgart, 17. De*. 1835. 

yKtt bkfer Heilten 9ltt£n)af)[ fäen bie 9WittetIungen au§ 23örue3 
5Rad)IaB abgebro^cn. %d) fcerfyefjle mir ntd^t, bafe bie Stüdfe niä)t lauter 
perlen ftnb, aber tef) I)atte fein Stecht, ber gtofeen, neuen 3fu§gabe öor= 
zugreifen unb ^radörfteUen, 3. S3. au3 ben ©riefen an S^^nettc SBorjl 
mttautetlen, bie einen tntegrierenben Steftanbteü biefer neuen ©bition 
au -bUben beftimmt finb. 9lüe mitgeteilten Stüde aber finb, luenn icf) 
mief) ntdjt irre, ^öcrjft cfjarafteriftifd). £ie an Jeanette 35So()[ gerichteten 
Briefe unb @ebicr)te finb fo üoll t)on Stnmut, erfüllt üon feinem äötfc, 
burcrjbrungen rjon innigfter 2Inf)änglicfyfeit für bie grau, ber fie beftimmt 
finb, bafe fie if)rc§ ©inbruefö getnife ntd^t berfe^fen werben. Sie 9ln3= 
3Üge au§ bem Siottibudö machen ben Sefer mit einer STnsa^l intereffauter 
2)Jänner befannt; aurf) bei if)n<?n ift gcrabe ba§ $erfönlic()e üon Softem 
Sntereffe, bie 9[rt, mie Sörne feine Ginbrücfe fierrjorf^bt, feine ©3= 
3icfiungen 31t bem S3ctreffenben in ben SSorbergrunb ftetlt. 

SSon gans befonberer 93ebcutung finb bte ©riefe bon SKenael: fie 



£ubn>tg Borne. 



233 



atmen förmlid) 3ärtlid)feit, fic laffen trofc einselner barin borfornmen* 
Der berben Stuäbrütfe fauni afjnen, bafe 5er Sdjreiber biefer eine faft 
toeiblidje (Srgebenfjeit au£brüdenben 23riefe berfelbe ift, täte ber äftenael, 
ber fo raul) unb rof) in bie Sdjidfale ber jungen SDlänner eingriff, bie 
man als bie äftitglieber be£ „jungen 2)eutfd)lanb3" beaetdjnet. 9?id)t 
nur belegen ftnb unfere SBriefe fo toid)tig, jonbern toegen ber 8lrt, in 
ber ber 33rieffd)reiber 33örne§ politifdje Stellung beurteilt. Stenn irgenb 
einer, fo tuar SKeujel ein ©ermane, lt)ie er im 93ud)e ftanb, ein SKann, 
ber fid) burd) feinen SiberaliSmuS nid)t ju ein"er 93ert>errlid)ung 5e3 
2lu£Ianbe£ fyinreifeen liefe/ bielrnefjr äufterft empfiablid) toar gegen jebe 
S3erlefcuug, gegen bie geringfte #erabfe£ung beutfdjen Sinnes. 2&enn 
ein foldjer SJiann nidjt etoa bor ben ^arifer Briefen, fonbern mehrere 
Satire nad> iljrem (Srfdjeinen 93örne gerabe al§ 2)eutfd)en fjodjftellt, 
tt>cnn er ifm jur Sortierung feiner <2cf)riftfteHerei ermahnt unb in ifym 
gerabesu einen ©efinnungSgenoffen fief)t, fo follte biefer Umftanb benen 
$u benfen geben, bie,. fid) al£ $äd)ter be3 &eutfd)tum§ gebärbeub, in 33örne 
einen SBaterlanbSlofen ober 93aterlanb3t>erräter fefyen. 2>enn Wlen%el 
fdjrieb nur uu§ reiner unbeftodjener Screening, nidjt etoa au§ (Sigennufc: 
33örnc fonnte il)m nid^t förbetlid) fein, er toar ein äiernlid) träger WiU 
arbeiter be§ bon bem Stuttgarter Sournaliften herausgegebenen Site= 
raturblatteS unb F)atte fid) ifym al£ Sritifer feiner ©Triften nie nüfelicf» 
enriefen. Xarum ttriegt fein 3eugni£ um fo fdpi>erer unb berbient bie 
entfd)iebenfte 23ead)tung. 

Unb io mögen aud> biefe Stüde au§ bem 9iad)Iafe unb bie ifynen bor= 
angefteöte SBürbigung be§ füfjnen SdjriftfteflerS baau beitragen, if)n auS 
ber SSergeffenljeit unb ber 33erad)tung, in bie er ungeredjtertoeife geraten 
ift, tjerborsugiefien. 



Don 

gffe £fi(ht«r. 

— Bonn. — 

|m ©arten blühen bie blauen §ri§. — %r\$, — bie buften 

fo füfe unb fo traurig! Unb wie fidj tljr ®uft blaß gum 

Sfenfter I>ereinfdjleid)t, fo ift e§, al§ flüftre er Iei§ 5U bir, — 

bom $ er gel ei b f{rrid)t er. — Öri§, — buften fo füfe unb fo 
traurig. 




$n ber alten fleinen Stabt, bie fo frieblid) fid) an bie Serge 
fdjmiegt unb gu beren Seite ber nimmer raften-be Sflufe borbeiraufdjt, 
ber Slufe, beffen SEBeflen alt« SWären fingen unb raufdien, ba lebte einft 
ein junger 33urfd), ein frifdjer SefeHe. ©r faf) fo offen in bie SMt 
hinein, fo fröblid) Tasten feine 2Iugen, unb toer if)n traf, inenn er, 
tüdjttg auSfdjreitenb, burdj gelber unb SBälber ttxmberte, ein Siebdjen 
bor fid) f)in träriernb, ber meinte, ber groljfinn felbft fei ifim begegnet. 

3II§ ein SHinftler lebte er in ber Ziabt, unb meit über bieferbe 
f)inau§, fo jung er nod) tuar, nxiren in Sirenen unb Sdjlöffern bie 
SOBerfe, bie in feinem ßopfe unb burefi feine $anb entftanben, su finben, 
SBerfe bon foldjer Sieblidtfeit unb £>eiterfeit, — luftige, fingenbe (Sngel 
äumeift, mufi^ierenbe SiebcSgötter ober Iad>enbe SHnber, — Sßerfe, bie 
gans ioic er felbft ben Raubet be§ grofyfinn§ au§ftraf)Iten. ©roßeS unb 
5£iefe§, @ett)altige§, ft>a§ bie Seele aufrührt unb erfd>üttert, ba§ fyattc 
er nodj nidjt berfudit, — mie er felbft audj fo leidet burd) ba* Seben 
ging, mit fid) unb ber SBelt aufrieben. Unb felbft ba§, tt>a§ suerft toofil 
al% fjödjfteS ©liitf unb als ttefftcS 2Bef) bie 9Wenfd>enbruft burdfoittert : 



Das I?et3elet&. 



235 



„bie Siebe", — aud) fie hatte if)m nur leichthin gelächelt. #ier unb ba 
entgudfte ihn Wohl ein fd)öne£ ©efidjt, ^ier unb ba gelüftete e§ ibn ein 
wenig tiefer au feben in bie Slugen, bie ibn jo warm anfchauteu, unb 
n>enn er btaufeen mar i>e£ Sonntag^, tro Me Sugenb taugte, beS Sommerä 
im greien unter ben hohen, alten 23äumen, — er tankte mit Snft unb 
greube. Slber bafe er fein &erg barum Eingegeben, aü fein Sinnen 
unb ®enfen if)m geraubt, nur fühlenb unb benfenb ber ©inen unb bafe 
fie fein derben müffe, fo füllte er nicht, — unb er wollte e3 aud) nicht. 
3®ie etwas Säftigem faft ging er bem au£ bem 3Bege, er wollte Weitet 
fo fdjaffen wie bisher, fid) freuen be£ forglofen, lad&enben Sebent, 
faäter, ja fpäter würbe er ficfj ein SBeib nehmen unb glücflicf) fein. So 
backte er fich'3 unb fo, meinte er, fei ihm toom $öd)ften beftimmt au leben, 
unb fo beftimmte er felbft fein Siel auf @rben. reiften fid) 
Seiten auf 3eiten, Sfrübling unb Sommer, bem Sommer folgte ber 
$erbft unb ihm ber fülle äBinter, unb wicber ber grüf)ling, unb fie 
reichten fid) bie .§änbe unb Würben au einer laugen 9tcibe. 2Bot)l 
breißig unb mehr Sommer fonnte er gäblen, faft er bie 3eit fcine§ 
Sebent entlang. Smmer gleich waren fid) bie $abre geblieben, immer 
glängten fie ihm fröf)lidj entgegen, blieb rüdfblicfenb fein 3tuge auf ibnen 
haften, — fein eingigeä ftrablte heller, beller burdj große, überftrömenbe 
Sreube, feinet festen bunfler wie baä anbere, — imnfler burdj Schmers 
ober Seib. 

©inftenS nun lag ber äBinter im «Sterben, fd)on \tanb Wartenb ber 
grühling, um fein Sfteidj gu übernebmen. Slber ber SBinter war ein 
<Starfer, nicht fo leicht gab er fid) anf. 2Käd)tige, tiefe 9ltemgüge, bie 
al§ wilbe Stürme bie SBelt burdjbrauften, geigten an, welche Straft nodj 
in ihm fteefte. SBie im Stampf ftredfte er fid) unb fdjüttelte e£ ibn, — 
al£ fpäte $älte, als ungeheure^, t>erf:pätete§ Schneetreiben geilte e§ 
fich auf ber ©rbe, — bi§ bann bod) fein Sßille gum Seben gebrochen war 
unb er tot balag unb ber grübling, ber Seuge biefeä legten furcht- 
baren S?amJ)fe§ geiwefen, tief trauernb um ben SDtädjtigen baftanb. 
Sangfam erft überwanb er bie Scbretfen, bie biefer £obe§famt>f ibm ge- 
geben, unb langfam aber unüberwinblid) begann bann bie Sebcn^Iuft 
in ibm gu erwachen. 

Die Sonne fdjien Warm unb werfte ringsum aHe§ fdilafcnbe Seben 
gu blühenber Suft. £>a wanberte einftenS aud) unfer greunb, ber frohe 
$ünftler, burd) bie SBelt. ©r wanberte über blumige SBieicn, burd) ben 
ertnachenben SBalb, immer im warmen Siebte ber Sonne baf)in. £odj 
al§ bie Sonne fanf unb ber Gimmel Wie flüffigeS @olb auffenebtetc unb 
ba§ ®olb fidj ergofe über blühenbe 3^eige, ba fd)ien weitbin bie ladjenbe 
Sffielt be§ grühling§ gu erfchauern, im Sd)eine be§ 9Tbenb§ ftanb fie wie 
in füfeer, abnenber SSeflommenbeit unb wartete ber lieblichen SSunber, 
bie bie S^ad^t ihr offenbafen wollte. Xa nun bie Sonne Derging, fo 



236 



(Elfe Küftner in Bonn. 



maubte aud£) unfer greunb feine ©dritte fteimtocirts. SBie ein 9leue§, 
fcoller Süße uni> ©efjnfudjt, fal) er faft ftaunenb bie brängenbe (SdEjönljeit 
be§ grüf)ling§, an if)m rebenb mit lodfenbcr (Spradje. SBBic ertoadEjenb 
faf) er fidj um. 33or ifjm Jjer auf bem $fabe gingen üftäbcrjen, bie 
blüfjenbe 33Iumen, ßinber be§ 3früf)Iing§, in ben $önben trugen. @ine§ 
bon Ujnen fjörte er ein Sieb fingen, füfe unb iung Hang il)re Stimme 
bi£ ^n if)m, unb auf bie Sßorte laufdjenb, Ijörte er, tva% fie fang: 

3)kht ßiebfter ift ein füfyner, ein prächtiger §elb, 
SBilb ftünnt er auf bem föoffe ßwft bur* bie SSeli. 
Sein ßatfjeu tft Sonne, fein 2ftantet ber flattert im SBinb, 
3m Letten bricht ba8 £er§ er mand) fernem fönb. 

So reitenb fafj er mid) einft am 2Bege ftelnt, 

3df) Satte ftofen gepfli'uft, — föofen, glutrot unb fcfjon, 

$ie trollt* idj ifp reiben, — ifjm — mein §erge e8 gittert in SSomten, 

Ta fjat er mid) gu ftd) aufs Sßferb genommen. 

®tbt bem SRob bann bie Sporen, bafc e8 ioiß) ftdf) aufbäumt, 

§ei, tüte fliegt e8 baljin, — e8 raft unb fd&äumt. 

Unb er fTüftert: „$idfj erfefjnt' idj, bu bift mir g?ran kirnte." 

SSilb preßt er ans £erg midfj, — füffenb, — mir berge&n faft bie Sinne. 

3n Sonn' unb ßuft fprengen'toir fjin burdf) bie SSelt fo toeit, 

3d) bin fein, unb er liebt mid), — of), ftänb' fte ftitt bod), bie 3ctt! 

2ldf), fdfjon fei)' idj ba» (5nbe, fein &erg mir toirb talt, 

(5r fdfjaut um fid), eg locfen anbre, tooljl öergifct er midf) balb. 

Unb ioemt bann burdj ben nädjttgen 2BaIb wir reiten, 
Stamt laff tdj ftttt üom Stoffe midfj gleiten. 
Seine £ufe gertreten mein arme£ &erg, 
ßeiä fommt toofjl ber Xob'unb nimmt allen Sdfjmerg. 

So f)örtc er bie 9Wäbd)enftinuue in ber Stille ber Siunbe fingen, 
flagenb üerflangen bie legten Sßorte. 9fod) einmal |>rad) er fie üor fid) 
f)in: „Sets fommt mof)I ber £ob unb nimmt allen Sdjmera," unb al§ 
er Ijeimfam fpät am Stbenb, mar er feltiam unruhig in feinem ^nnern 
mie nie auttor unb mod)te nidjt an Sdjlafcn benfen. Sange nod) fafe 
er am offenen Sanfter, fd>mer laftete bie manne Suft be§ 3fritf)Iing§ 
auf ibm, — ober ift c§ nid)t bie grüfjlingöluft? — Saft n>ef)t e§ if)n 
an mie ber füfec Sftcm ber Siebe, (£r fül)!t, mie bie betäubenben S3Iütcn= 
büftc, bie aum Senftcr fyereinaogen, fid) brüctenb auf feine Sinne legten, 
— ober finb e£ nicf)t bie Sliitenbüfte? — Äommt fo bie Siebe nietjt au 
ifjm, ihn 311 berauftften mit ifjrem fitfecn, fctjmercn Tuft? — gern öörtc 
er bas Maufd>en be£ Strömt, — ob^r mar c§ nic^t ber Strom, ber 
raufd)te? - 9?aujd)tc c§ nid)t Innter il)m, neben ifmt? — grfcfyrecft bliefte 
er fid) um unb faf) eine l)ol)e ©eftalt neben fid) fteljen, eine grau, — 
unb mic er fie ftaunenb anfielt, erfennt er fie, mit feinen ben>eglid>cn 



Das $er3eletb. 



237 



Sinnen füfjlt er eS, — er tuufete e§: ba§ Seben xft e§, loa* neben 
ibm ftebt, ba§ S e b e u, tt>a3 ibn au£ tiefen, ernften 9lugen anfdjaut. 
Unb bte 'Stimme be§ Sebent borte er, nrie e§ ibm jagte: „Sit mtfet mid) 
fdjledjt, — nidjt genug macbft bu au£ bir, bu, ber bu einer meiner 
Sieblinge bift. %d) babc fo ©rofee§ in bid) gelegt, bu foüteft ©rofte§ 
unb SdjöneS Raffen. Sieb babe id) au§getoäblt in ben ftrete berer, 
bie mir belfen foffen bie SWenfdjen su ermetfen. $d) ö^b bir bie Säbig» 
feit, alle £öben ber £öben 3U erflimmen, alle Ztefen ber Ziefc 311 er* 
flauen, unb bu follteft fie bir 31t eigen madjen, bie $öbc tnie bie -tiefe, 
um fic ben SWenfdjeit 31t seigen, ibr &et*3 ersittem 31t (allen in SSoune 
unb Scbmers. Sie Siebe ift e§, bie id) bir 3cigte, fie folltc fic bid) 
fjniren laffcn alte Suft unb al(c§ 3Beb ber Sßelt. SSeißt bu cd niebt, 
burd) tua§ fic fo groft geworben finb, alle bie Oroftcn ber äBclt, ade bie 
Sänger unb 93itbner. 2ltle§ Sd)öne ber 2Belt ift nur gefdjaffen im 
Sunbe mit ibr, mit ber Siebe. — Sie $äffte beineS Sebent ift fd)on 
Vergangen, mie tuenig baft bu fie genügt, güblft bu e£ niebt fcfbft in bir 
ringen? — 3Jlu% idf> erft e£ bir fagen? — £örft bu nidjt bie Stimme in 
beinern Innern, ttrie fie e£ bir 3uflüftcrt? Sieb bid) um auf bem 33kg 
beine£ Sebent, bie Siebe toirb bir begegnen, in ben $änben tragenb ben 
23ed)cr ber Suft, — fte toirb ibn bir rcid)en, — trinfe barauS, unb 
bu toirft bineinfeben in ba§ Sdxiffen ber 3Mt, t>or bem bu blinb marft 
bi§ jet$t, bu iüirft fie boren bie Stimme ber -Jfatur, ber ©mig^Sdiaffen» 
ben. Ser Xximf au§ bem S3ed)er ber Siebe mirb bir toie gtiibenbcä 
geuer burdj beine 3Tbern fliegen, bu mirft erft bu fclbft, bu mirft ba$, 
tt)03U id) bidj gesollt! Sod) einc§ nodj: $üte bid), 3U baftig 311 trinfen, 
büte bid) unb trinfe nid)t 31t tricl. Senn ttriffc: unten am ©oben be§ 
39edjer§ ber Siebe, be£ 39ed)er§, au§ bem bu bie Suft trinfft, ba rubt 

ba§ £er3eleib, unb ba§ #er3elcib, ba§ tut Diel treber, al$ alle 

bie übrigen Sdjtneraen ber 2Mt, alle, bie bu mir bir benfen fannft, 
— ba§ ^erseleib ift t>iel bitterer noeb als ber Zob. $iitc bid)!" 

„$üte bidj!" flang e§ nod) h)ie ein SBinbbaud). ^ib fab er fid) 
um, niemanb mar bei ibm, er mar alkin, — aber id^rner laftetc bie manne 
Suft be§ Srübling§ auf ibm, betäubenb atmete er bie füft 311m genfter 
bereinsiebenben glieberbüfte, fern fterte er ben Strom rattfd>cn, — in 
feiner 9?äbe nur, unten im febmeigenben, näd)tlid)cn ©arten, ba begann 
flagenb bie 9tad)tiga(l, — unb ibm mollte ber Sd)laf nid)t fommen 
biefe 9laä)t. 

Sflö ber 9Jforgen graute, ba fanb er ibn übertoadit unb mübe, mit 
einer feltfamcn JRubelofigfeit im Innern. Unb audj tagsüber bei feinen 
Strbeiten, bie ibn fonft immer alles Dergeffen lie|3en, and) ba fanb er fid) 
felbft nid)t mieber. §iumer meinte er neben fidj bie Stimme bc§ Sebent 
3U bören, ba§ ibm fagte: f ,Sd)lecbt nufet bu midj au§, — bu maebft niebt 
genug au§ bir, bu, einer ber Sicblingc be§ Sebent," — unb bic Arbeit 



238 



(Elfe Kaftner in Bonn. 



toottte rüdjt {(Raffen, unluftig iljrn nicf)t3 3tec£)te§ mefjr gelingen. Uni) 
in ben -Jtädfjten lieber ftanb baä Seben ba, im Xraume, bei if)m: „Sie 
Siebe fefjlt bir, fie ttrirb bidj grofe madjen, — bie Siebe!" — S)a litt 
e3 Üjn nidjt länger meljr in bem engen Stäbtdjen, alles legte fid) if>m 
briitfenb, beengenb Quf bie 93ruft. ©r toollte fort, f)inauä in bie SBelt, 
toanbern auf ber Strafte be3 Sebent. Unb fo toanberte er bur<$ ben 
ertoadjenben SDlorgen, burd) ben finfenben Stbenb, faf), toie lieblich ber 
Sriifjling. 2a füfjrt il)n ber 33eg burd) ben grünenben SBalb, — bor 
fid) fjer meint er ein füfeeS Singen su Ijören. Unb ber SBalb f>ört 
auf, ein ftitleä Xai nimmt if)n auf, — bor fid) meint er 
ein f)elle§ Seudjten 511 fefyen. 2lße3 roirb fcfjöner, toie ein 
fcfjöner, blütjenber ©arten, — unb toie er fief) toenbet, ttrie er meint, 
ein ^fab fütyre bortljin, bort, too bie SRofen blühen, bie fo ftarf buften, 
— ba, mie er fid) toenbet, ba ftef)t fie bor ifjm. „3)a§ ift bie Siebe," 
fo fä^rt e£ if)tn nod) burd) ben Sinn, „bie Siebe," — unb in feligem 
Staunen ficljt er fie an. ®afe fie fo fdjön, tnie fonnte er e§ af)ncn, ja, 
er füllte e£, ba£ Seben fjat redjt, er badete ber SBorte be§ Sebent, 
bie Siebe mufete iljm gehören, ©in Sidjt ging au£ bon if)r, fo ftraf)Ienb 
unb f)ett, faft ifm blenbenb, al§ fäf)e er in bie 3Jiittag£fonne, — um fie 
meftte eS mie Xiifte ber Jttofen unb Silien, fo f iife unb fdjtoer, unb ftlänge 
fjörtc er bie Suft burdföiefyen, bie fief) balb fd)tt>er ttrie ba§ SBraufen ber 
Orgel, balb lieblid) bie Sinne umfd)meid)elnb unb erregenb an fein Oftr 
legten. Unb fie lädjelt il)n an, — ba§ §ex?> fcodjt ifjm in ber 33ruft, fo 
rafenb, mit fold&er ©efdjiimibigfeit, bafe er fdfjtoinbelnb fidj if)r ju güfeen 
toirft. 3ftm mar'§, baß er badjte: „Sßie t)ab' id) bie Seit bergeubet, — 
bab' id) nid)t gelebt urie ein SLauber! — 9iid)t§ ^abe idj bernommen bi§ 
jefct bon ben klängen ber Seligfett/' unb bitter fefcte er fyinau: „unb 
meinte, id) f)örte alle£, e£ toar mir genug. Sßaren fie nid&t ftumpf, 
meine Sinne? Dber buften biefe SMütcn füfeer I)ier, ift if)r 3tei$ fdfjtoüler 
unb ftärfer nrie ber anberer SBlumen, bie id) bi§ jefct fannte? Unb toar 
id) nid)t bünb? %d), ber id£) meinte, ein ^riefter ber Sdjönfjeit au fein, 
einer, ber felbft Sc^öne§ fd^affen tollte, of), id) toufete nid^t^ bon Sd&ön* 
Jjeit bi§ jefet, bon Sd^ön^eit unb Sieblidjfeit," unb in Silber, unbän» 
biger Scftnfuc^t ftredt er ber Siebe bie Sinne entgegen. 2Bie ein Ijeftigee 
Sieber raft e§ burdö feinen fiörper, ein brennenber ®urft ertoad^t in i^m, 
bie 3unge tnirb it)in troden, il)n bürftet e§, au§ bem 93e<t)er ber Siebe 
3U trinfen, bie füfee Suft barau^ au trinfen. ©ierig toitt er bie $anb 
banad) ftreden, — er gebenft nid)t mel)r ber SBorte, ber SBarnung be§ 
Sebent, bafe unten im 33ed>er ba^ ^eraeleib rulje. 2ie fdfttoellenbeu 
klänge, bie betäubenben Xüfte nehmen i^m ba§ Senfen, — er fielet, tok 
bie Siebe ifjni Iäd>elt, unb bie§ Sädjeln ift nne ber ftärffte @Ian3 ber 
3Wittag$fonne, bem fid) fein Stuge entoöl)nt, er blenbet fein Sttuge! 
©ierig, jä^ greift er ju, ben S3ed)er iljr faft entreifeenb, er reifet 



Das £?er3eletb. 



239 



ifjn an fid), tv'xä iljn fidEj in attterniem ©erlangen an bie Sippen 
füfjren, unb in ber ftolpernben &aft ber Setoegung, tote geblenbet fcom 

ftratjlenben Sitzte, ba berfdjüttet er ben 93edf)er, bie Suft 

berjdjüttet er, unb nur ba£ Sefete, baS $eraeleib fommt au if)m. 

2>a3 Se£tc im 93edjer, auS bem er bie Suft trinfen tooflte, ba§ #erae« 
leib fam ifjm. 9lur menige Kröpfen baöon famen ifjm auf bie 
Sippen, fie brennen unb fdymeraen if)n, bafe er ttrie in silbern Sd&merae 
laut auffdjreit. — Unb bie übrigen tropfen be£ $eraeleib§ entfließen 
bem S3edf)er, fließen an feinen Kleibern §erab unb bleiben bor ifjm, xoo 
er im Sd)tnera ftöfynenb f)ingefunfen ift, an bem @rafe Rängen, — toie 
Sträuen erft, nid)t biel mefjr unb nid)t gröfeer. Stber ba£ $eraeteib, 
ba§ fiärfer ift toie alle bie Sdjmeraen ber SQBelt, e£ toädjft, e£ ttrirb 
gröfeer, immer größer, — toie eine Duette finb bie üDeuigen tropfen, eine 
Duelle unenbtidjen SeibS. Sie riefelt ununterbrodjen, fie toädjft, — 
ein SBad) erft, ein Stufe, e£ reifet ifm mit fort. 9iod) berfudjt er fid) 
5U galten, — aber ber Stufe fdjurillt an toie ein mächtiger Strom, ber 
mit rafenber Sraft unb bumpf unb fdjauerlid) raufdjenb baf)inftrömt, 
immer toeiter hinein in bie 3)unfelf)eit, hinein in bie finftere 9?ad>t. <Sv 
fielet fid) barin im Strom, fjilfeflefjenb ftredft er nodf> einmal bie £änbc 
l)ert>or — unb meiter totrb er gefdjleubert, bis ifjm bie Sinne fcfytoinben, 
bis baS £eraeteib feinen ftörper aerfdjeüt an einem mädjtigen gelSblotf, 

bis ber Zob i§n in feine Slrme nimmt unb ifm mit feinem SDlantel 

gubceft, n?ie eine -Kutter it)r $inb. 

Unb baS Seben, baS toartenb feinem Siebling jugefe^en, toartenb, 
tt>aS eS nodj auS iljm machen fonnte, — fefjenb, tüte er feine SDlafmung 
bergeffenb auef) baS ßeraeteib bergafe unb nur ber Suft gebenfenb gierig 
ben Sedier berfdjüttete, — eS ging toeiter feines SBegeS. SBiel finb feine 
ßtnber, grofe bie Qaf)l feiner Siebtinge, — ft>of)l toar eS fd&abe um ben 

einen. bod) toaS ift ifjm ber einaetne, — ein anberer tritt an 

feine Stelle, — unb rufjig, auS feinen ernften Slugen lädjelnb, fdjreitet 
baS Seben tueiter. 

* * 

§m ©arten blühen bie blamn %r\%. — £riS, bie buften fo füfe unb 
}o traurig. — Unb toie fidj if)r SDuft blafe gum genfter Ijereinfcfjleidjt, 
fo ift eS, als flüftre er leiS au bir, — bom ^eraeteib fpridjt er. 
SriS/ bie buften fo füfe unb fo traurig. 



Das ältpveu$tfd\e§mvov feinem <^ufammenbrudf* 




Von 

^rof. Dr. $nftav £wftatter. 

— Breslau. — 
(S$luß.) 

| nterbeffen batte aud) ba§ prcußifdje £eer feine SiampfeS» 
toeife umaugeftalten gefügt, griebrief) ber ©rofee er« 
fannte fdjon bie Unaulänglicbfeit ber reinen 8inear= 
taftif unb bie Sftoünenbigfeit einer beweglicheren Srf)Iad)torbmtng. 
Er gettxmn bereits? bie Überzeugung, bafe ber Stnfturm ber ge» 
fd&Ioffenen Snfanterielinien ber Unterftütmng burd) eine größere 
9Inaaf)l leidjten, außer 9leiö nnb ©lieb t>orrüdenben gufefcolfg 
bebiirfe. ^n feiner Slnucbt beftärften tön nod) bie Erfolge ber amertfa« 
nifdjen 2d)iit$en. Er befcbloß baber bie Errichtung ton greiregimentern 
unb nafjm mehrere Offiziere, bie bie neue ©efedjBart jenfeitS be§ SMt* 
meereS fennen gelernt, in feinen Xienft. £amit roie§ er ber näd)ften 
Enttoitflung be* preu&ifcöcn £eere§ ben SBcg. Unter Sriebricö Sßil* 
beim II. erfolgte benn aud) bie 33egriinbung Don atDan3ig ßüfilier* 
bataiüonen, bie 33-ermebrung ber Seiger, bie 9Iusbilbung öon Sdjüfcen 
im serftratten ©efcdjt; für ibre Untertucifung in ber Xerrainbcnufcung, 
im Scfyleidien, filettern, SSerfchtoinben unb SBieberauftancben ttmrben 
bie trefflichften 9Sorfd)riften gegeben. Sfber bie Steuerung, bie fo tneloer* 
beifeenb begann, geriet balb in£ Stoden, bilbetc fie ja einen frembariigen 
SBeftanbteil in bem ©efüge ber alten Jfrmee. Xic 3^)1 ber Sduifcen blieb 
auf je jefm für bie Kompagnie befdjränft; bie Übung ber güfiüere im 
Xiraiüieren nntrbe immer mebr t>ernad)Iäfiigt. 93ergeben3 nntrbe iotnobl 
in ber SMilitärliterahtr, mie in amtlichen Xenffdjriftcn immer tmeber auf 
bie bobe 9?ebeutung bc$ ^erftrenten ©efccöts bingeroiefen. 



Das altprenfjifdje £}eer ror feinem §nfammenbrudj. 



2<k\ 



2lud) auf Meiern ©ebiete trat ©djamhorft" aB ber 33orfämt>fer be3 
Stteuen auf, ohne jebodj einen völligen SSruch mit bem Sttlten au t>ei> 
langen. <5d)on in feiner Uuterfudjüng über bie Erfolge ber granaofen 
empfahl er bie SBertoenbung be£ britten ©Iiebe§ ber Infanterie für ba§ 
aerftreute ©efedjt, toährenb bie beiben erften ©lieber bie bisherige 5taftif 
beibehalten follten, toeil fie ben SSorteil gewährte, ben ©egner „mit Ver- 
einter Wlaä)t anau greifen unb über beu Raufen au toerfen". 3>iefe 
Neuerung erfdjien ihm fo bringend baft er fie gleich bei feinem Eintritt 
in bie preuftifdfje Sürmee bem Äönig an§ £era fegte, griebridEj SBilhelm 
lobte toohl ®d)arnhorft§ SBorfdjIag, fügte fidfj jebod) ben ©egengrünben 
feiner militärifchen Statgeber, bie nur in ber Sineartaftif ba§ $eil er* 
blieften. 3>er aähe STieberfadjfe liefe fid) burd) biefen SDJifeerfoIg nicht 
entmutigen. @§ gefdjah toohl auf feine Anregung, baf$ bie militärifdfje 
©efellfdjaft im $ahre 1S04 bie $rei§aufgabe fteßte: „Soll bie Sinien* 
infanterie gum S)ienfte ber leisten ober aum Seiten ä la d^bandade 
abgerichtet Serben?" @ie ttmrbe t>on S3otjen gelöft, ber fidj fdEjon feit 
bem polnifdjen gelbsuge, in bem ba§ leidste preufeifdje gufjöolf nicht 
einmal aum SSorpoftengefedjt ausgereicht hatte, etngehenb mit biefem 
©egenftaifb befdjäftigte. #atte er bamaB nur bie SSerftärfung ber be» 
fonberen, für ben ®d)üt$enfampf beftimmten Truppengattung getoünfd)t, 
fo hatte er fid) inatmfdjen au ber Strifidjt befefjrt, bafe auch bie Sinien* 
infanterie mit biefer ©efedjtSart vertraut fein müffe. §n feiner SßreiS* 
arbeit geht er von ber Erfahrung au§, bafj „jebeS ^Bataillon im Saufe 
beS SrelbaugS ebenfotoobl in ein Terrain als in eine Sage Verttridfelt 
toerben fann, in bem ein geuergefedjt ber Tiraißeure baS einjig 3tn= 
toenbbare ift", inSbefotfbere aber betont er, bafe bie Tiraitfeure fi(h basu 
eignen, bie gefdjloffene Sinie bor ber verttrirrenben unb verljeerenben 
SBirfung beS SßelotonfeuerS 31t fdjüfcen. @o fommt er au ber Solgerung, 
bie mit ©djarnhorftS gorberung übereinftimmt, baS britte ©lieb ber 
Infanterie fei im aerftreuten ©efecht au üben, ©egen biefen SSorfdjlag 
regte fid) aber in ber militärifdjen ©efeüfchaft ein lebhafter SBiberfprudj. 
Sie Anhänger beS Stlten beftritten feine SJuSführbarfeit, erflärten eS 
für unmöglich, baS f$ufeVoIf gugleich im Sinien* unb im ©djüfcenfampfe 
auSaubilben. STIIerbingS fonnte biefe Neuerung nur bann 3U gebeihlicher 
SBirffamfeit gelangen, toenn bie SSerfaffung ber Strmee grünblid) umge- 
ftaltet ttmrbe. <£in #eer, baS mit einem Sern bon ©etnorbenen, bie 
ftet§ gur 3>efertion bereit toaren, eine berbant), bie fidj au§ bem 
gebrüdteften, rüdfftänbigften Steile ber Nation ergänate, entbehrte 
fotoohl ber Snöe^Iöffigfeit, al§ audfi ber Stegfamfeit, bie für eine weitere 
SIu§behnung be§ aerftreuten ©efedjtä unerläfelidj traren. 

S5ie neue SCaftif fefete eine Slrmee borau§, in ber bie getarnte Jhaft 
ber Nation Vertreten tvax, in ber ber ©eift ber ganzen Nation maltete. 
3)er Sführer eines foldjen ^eere§ fonnte gleid^forn auS bem ©oHen 

ftorb unb 6flb. GXX. 359. 17 



2^2 Prof. Dr. (ßuftat) Krafauer in Breslau. 

fdf)ö£fen, bie Süden, bie 5er Kampf in feine Steigen rife, fdjnett tr>iei>er 
auffüllen, unb fo fonnte er ungeftümer borgel)en al§ bte ©egner, benen 
e§ fd^toer ttmrbe, gro&e Serlufte au ergangen, ©r fonnte jener fünftlidjen 
Stfanöber entraten, mit benen bie gelbfyerren be§ alten ©urojxi bie (Snt* 
fdjeibung Ijerbeigufüfjren fudjten; geraben SßegeS fdjritt er auf fein 3^1 
3u, leitete bon bornf>erein ade, aSetoegungen feiner $eere§teile mit ber 
Sfbfidjt, bem geinbe bie SdE)Iad)t aufauatoingen, unb ,fud)te burd) bie 93er= 
einigung überlegener SWaffen ben Steg an fid) gu retten. So murmelte 
bie neue Strategie ttrie bie neue Zahlt in ber nationalen £eere§organi* 
fation. 

$n ber preufeifdjen Slrmee Ijerrfdjten, obmof)! ftdft idjon Ijier unb ba 
in einzelnen tf)eoretif<fjen STuSfüfirungen unb £):peration§:pIänen eine 
ftarfe Stnnätjerung an bie moberne Kriegführung jetgte, obmoljl xE)r be< 
aeidjncnbftcr 3ug mit bofler Klarheit erfannt ift, nodj bie 2tnfdjauungen 
ber alten Strategie bor. toar eine fraftlofe „blutarme" Sefbljerrn* 
fünft, bie in all ifjren Hügelnben 99eretf)nungen bie lebenbigen Kräfte, 
bie im Kampfe mirfen, 31t toenig berücffidjtigte. ®er Krieg erfd)ien itjr 
mie „eine höflidjft auSaufjrielenbe Sdjadfaartie". Sie berief fid) toobl 
auf Sriebrid) ben ©rofeen, jebod) ntcfjt auf ben mageluftigen gelben, 
ber im ungeftümen Slngriff bie Cntfdjeibung fud)te, fonbern auf ben 
allaett borfidjtigen SPJeifter ber ifjm burefj bie eridjöpfung feiner Hilfs- 
mittel aufgegangenen Sefenfibe. £odj meit f)öber [teilte fie bie Krieg* 
füftrung ber grinsen Heinrich unb gerbinanb, bie if)r al§ ba§ ^bcal 
einer befjutfamen unb aurüdffyaltenben, rein berftanbeSmäfeigen unb 
affe§ blinbe llugefäfir au£fd)Iiefeenben Strategie galt. £enn biefe gelb-- 
Ijerrnfunft ftfjien fidfj am beften mit ben mtffen)djaftlid)en ©runbfätjen 
3U betfen, bie bamalS im preufoifdjen ©eneralftab bie £>bert)anb fetten, 
bie be|onber§ ber UnglüdSmann bon Sena unb ^renglau, Sftaffenbad), 
tiertrat. Tie SBebeutung ber SWatljematif unb ber £errainlebre für 
bie Kriegführung mürbe maftloS überfdiäfct. £er JhtSgang eines 3fell>* 
gugeS erfefiien Don beftimmten SBinfeln ber DperationSlinien, bon be- 
stimmten Stellungen abhängig. 2J?an ging barin fo toeit, baft man 
bie Söefe^ung gemiffer bem ©ebirge borgelagertet, aber bon ihm ge- 
trennter £>ühen aß bie fid>erftc 93ürgfdjaft be§ GrfoIgeS anfab. SWaffen= 
bad) hielt bie Stellung auf bem Ettersberg bei JBeimar gleichfam für 
einen 3au&crfd)[üffel bc§ Sieges. 9htn toar ber ©eneral-Quartiermeifter 
i>e§ dürften Hohenlohe allerbingS ein bertoorrener ^antaft, aber auch 
gang nüchterne unb befonnenc 9Wänner Ratten fid) in biefe fertfamen 
$irngefpinfte berrannt. 3Iud) unter|d)ät$tc man bie 8flfil, 2J?affe, 
Jwil griebrid) ber ©rofte feine Siege über ©eguer getronnen, bie ibm 
an Streitfragen überlegen maren. 9Wan bertrat fogar bie STnfidöt, bafe 
ein £ccr, menn c§ eine beftimmte Stärfe überfd)reite, feine Sdbfag« 
fertigfeit berminbere. ferner beging biefe Strategie ben geiler, bie 



Pas altpreugtfd^e Qeer por feinem Sufammenbrudj. 2^3 

Struppen über weite 9?äume au bezetteln, um dn möglidhft grofee§ Oebiet 
bor ben Angriffen be§ JJeinbeS 31t bedfen. infolge ier bielen 316* 
aWeigungen mar bann bie #auptarmee bem Stofee be§ ©egner§ nicht 
gewadhfen, bodj galt bie§ um fo unbebenflidher, al§ man ia, unbelebt 
burch bie Kriegführung 9?apoIeon§, immer noch an ber SDleinung feft* 
hielt, ohne eine offene gelbfcijladfjt nur burch gefchidfte Ebolutionen, 
burd) „richtig berechnete" 3Jiärfche einen gelbaug gewinnen %u 
fönnen. 

ftlafftfdje 93eifi>iele für bie Slnfdjauungen biefer veralteten Strategie 
bilben bie rnilitärifdhen 2)i§,pofitionen, bie ^reufeen bei bem brohenben 
3ufammenftoft mit granfreidj traf. ®er bon bem $eraog bon S3raun* 
fd&toeiö entworfene ©|>eration§£lan bom 1. 9?ot>ember 1805 ging bon 
ber SDföglidjfeit au§, »ben fchon in ba§ #era ber öfterreichifefien ßanbe ein= 
gebrungenen geinb ohne Stampf, nur burch bie SDiacht be§ 3Kanöber§ 
auf ba§ Iinfe Stbcinufer jurüclaubrängen unb ihn allein baburd^ su 
einem für bk SSerbiinbeten günftigen S^^ben 51t ätningen. Sttefcr 
Sßlan ift nid)t minber für bie Unterfdjäfcung ber SWaffe beaeicfjnenb; ba§ 
&eer, ba§ für ben Widf)tigften Seil ber STufgabe, für ben 93orfto& nach 
ber £onau, beftimmt war, foHte nur au§ ber #älfte ber Srupben be* 
ftehen. STucfj mürben bie Streitfrage fo bezettelt, bafe fie noch ©nbe 
^aember, in einer 3eit, in ber fie jeben Sag aum So§fdhIagen bereit 
fein mufeten, in eine $au:ptarmee, bier Beobachtung^* unb brei 3?eferbe» 
forp§ aerfblittert, bon ©berfchlefien bi§ nach Sßeftfalen hin ftanben. 
Sabet hatte man in ben Ieitenben Kreifen be§ breufeifchen $eere§ bie 
militärifche Eigenart be§ fjelbherrn Napoleon Wohl begriffen. Den 
faringenben $unft feiner Strategie fennaeichnete nach ber Schlacht bei 
STufterlife mit aller Klarheit unb Sdjärfe eine £enFf<hrift, beren 2Ser= 
faffer, ber Sftajor bon Sftauch, ber militärifdjen Umgebung be§ Königs 
angehörte. Sie berWarf ben $Ian einer 3Mberfion nach 'bem oberen 
SD?ain unb forberte ben SBormarfdEj nach Böhmen. „®a e§ bie ©eWohn- 
heit SRapoIeonS ift/' fo lautet bie Begrünbung, „beftänbig in SWaffe 
aufautreten unb feinen Unterhalt au§ bem Sanbe ju Riehen, fo macht 
er fidh nur Wenig Sorge um feine Berbinbungen. tiefer 9Trt, ben 
Krieg 5U führen, mufe man eine faft gleiche laftif entgegenfefeen. 
ift unbebingt erforberlidj, fich 8n fonaentrieren, in ber gront unb in ber 
SWaffe anaugreifen, ohne fi<fj auf ba§ gelehrte Sftanöber, Wie bie Um- 
gehung be§ ©egnerS ufw. einaulaffen." 9lu§ biefen richtigen Erwägungen 
Sieht er aber ben falfchen Scfjlufs, bafe bie Hälfte ber Sru^ben für ben 
SSormarfd) nach Böhmen genüge. Selbft Scfjarnborft T)at mit ben Orunb- 
fäfcen ber alten 3felbl>errnfunft noch nicht gänzlich gebrochen, ©r hat, 
tt>ie feine Borlefungen über Saftif unb Strategie betoeifen, Wohl bie S3er= 
Fehrtheiten ber SKilitärgeometrie unb ber Sd&achft>icItbeorie be§ Ktiege§ 
fcharf erfannt, aber bie Konzentration ber 5D?affen noch nicht in ihrer 

17* 



2^ prof. Dr. (gujlao Krafauer in Breslau. 

botten Stebeutung toürbtgen gelernt. ©3 tvat am 22. ^xrli 1806, al£ er 
in einer Äonferena unter bem Sßorft^ be§ $eraog§ t>on 33raunid)tt>eig 
eine Slufftettung ber Zvuppen borfd£)Iug, bie bie gegenteilige Unter- 
ftüfcung ber einzelnen Slrmeen böllig auSfcftfofe. SDenn e§ fam if)m nidji 
lebiglicfj barauf an, ba££eer aum(£ntfcf)eibung§fam:pfe au fammeln, fonbern 
er toottte aurf) -Jfieberfatijfen, baä i§m bebroljt fcfjien, bor bem &einbe 
fdfjüfcen; alfo bie Sanbbetfung faielte in feinen militärii'djen ©rtoägungen 
noäj eine toefentlidje 9toHe. ©rft aß bie (Sefafyr immer näf)er rücfte, 
rang er fid) ju ber (SinfidEjt burcf), ba& eine ftraffere Sufammenfaffung 
ber 5£ruW>en erfolgen müffe. 3" bemfelben @rgebnt§ gelangte and) 
33o^en in bem O-peration^Ian, ben er in jenen JCagen, in benen bie 
S)inge auf ber ©dmeibe be3 @djtoerte§ ftanben, au§ feiner oftpreu&ifcfjen 
®arnifon bem Könige einfanbte. @r fixtrnte nämlicfj bor einer 23er* 
settelung be§ $eere§ aum Smde ber Sanbbecfung; bie Dom geinbe be» 
fefeten Sßrobinaen tnären leidet lieber äu getoinnen, menn erft ber ©ieg 
im offenen gelbe gewonnen märe. Brögbern fd&Iug er bie 33ilbung 
Bmeier ftarfer gIügeIfor£§ sum ©dfjufee £annober3 unb 33raunfcf)toeig§ 
einerfeit§, @<ijlefien§ anbrerfeii§ bor. @o toar tt>oI)I bie neue ®rieg£* 
fünft in tf)rem ^ernpunft erfafet, bodj gewannen, toenn e§ fidE) um bie 
entfdfyeibenben SBorfcfjläge unb SBefdjlüffe f)anbelte, bie alten ©runbfäfee 
immer toieber bie Ober^anb. 

SBeldfyen Ufufeen Ijätte aber felbft bie ftrafffte ^ongentration einer 
3Irmee bringen fönnen, beren atoecfmäfeige SSertoenbung in ber @d)Iad)t 
nacfy ber ganaen 2trt ifjrer SSorbereitung fraglict) erfd&einen mufcte! SBie 
bie -Oftanitoer in Sßreufeen getmnbljabt hntrben, gaben fie feine§tt>eg§ ein 
33ilb be§ toirflid&en ®ampfe§. ®ie H>aren „mit <SuW)ofitionen über- 
laben", für allerlei 2)?öglicf)feiten berechnet, bie im ©rnftfalte au§g<i* 
fcf^Ioffen toaren. STudjttmrbe jebe geringfügige ßinaelljeit biefer Übungen 
im borau§ beftimmt, fo bafe fie für bie 3füf)rer, für bie Cffiaiere rridjt 
eine ©d^ule mititärifdjer ©elbftänbtgfeit, ©eifteSgegentoart, ©ntfdjloffen» 
f>ett bilben fonnten. S)aS <s<J)toergett>id£)t 'ber SKanöber lag in ber fd&neüen 
unb jmnftlidfyen STuSfüIjrung ber fünftlicfjften unb bemidfeltften Sbolu» 
tionen. „@§ ift jefct tt>of)I ausgemalt, bafc bie ©tärfe ber Infanterie in 
ber gertigfeit beftetjt, toomit fie ©bolutionen ausübt; je gröfeer bie 
ßinte ift, mit ber man eine ©bolution ofym 2Infto6 ausführt, je beffer 
ift baS $eer geübt, unb mid) beud^t, man fonnte bkfe ^tigfeit awm 
SDIafeftab iljrer @üte annehmen." S)iefe§ SBer turteil, ba§ ber junge 
S3ot)en bor geraumer nkbergefd&rieben, tr>ar je^t no<fj in ber 3Irmee 
ba§ fjerrfd&enbe, unb fo tüurben benn bur<fj raftlofe Übung gana erftaun* 
Iid&e Seiftungen in ber STu§fü^rung ber fdjttterigften 93en)egungen unb 
SBenbungen eraielt. @ie äugten fid& im glänaenbften 2id&t bei ben 35er- 
Itner ^erbftmanobern, in benen ftdö ein^eimtfd&e Offiatere ou§ aKen 
Steilen ber !D?onarcf)ie unb aud& biele fremblänbifdfye einfanben. Äber 



Pas altpreufjifdfe Qeer por feinem §ufammenbrudj. 2^5 

biefe biel bettntnberten Wlawtev, fo toohltuenb für bog ^reu&ifdje ©elbft» 
gefühl, toaren nidfjt3 aB blenbenbe ©djauftettungen, bie aB Borbereitung 
für bic ©djladjt einen geringen SBert befa&en. Sn ben Sßrobingen fanben 
foldEje Übungen nur in befdjränftem Umfang« ftatt; e§ onerierten gu 
fleine £eere§teile gegeneinanber, unb e§ tourbe bem 3ufammemi>irfen 
berfdjiebener £ruW>engattungen gemäfc ben Anforderungen berfcfjiebenen 
©elänbe§ gu toenig Beachtung gefdEjenft. 

Sie gange Hohlheit unb Unfruchtbarfeit Mefer 2trt bon -Dtanitoern 
tourbe bon fcfjarfblicfenben UKännern früh erfannt unb verurteilt, 
©charnhorft Erlangte in feiner ttrieberholt angeführten Unterfucfjung 
über bie ©rfolge ber grangofen, biefe Übungen foHten bem 5?tiege fo 
treu bleiben, „aB e£ bie 9?atur ber <Sad)e nur irgenbttrie geftattet", fie 
follten befonber§ geigen, „iDte bie berfchiebenen Staffen fiefy gegenfeitig 
unterftüfcen unb im 8tffammenhang einen (streif ausführen"; bor allem 
aber ttrie§ er auf ben großen Sßufeen einer ftrengen, bon ©trafen be= 
gleiteten Beurteilung hin. SDer 3KUitärfdöriftfteHer 3). b. Büloto, ber 
ttnfctge ©pötter, erteilt biefen -UJanöbern ba§ ironifdhe ßob, baft fie gemäfe 
ben äftfjetifdjen ©runbfäfeen @oetbe§ unb @d)itter§ ettt>a§ in fid^ Boll* 
enbeteS barfteHten, ihren Qtoed in fiefj hätten, nämlich „auf bem @£er* 
gierplafc gu glängen". SNit treffenben SBorten tourben fie auch in einer 
bem Könige eingefanbten 2)enffcf)rift gegeißelt, beren Berfaffer fidh nitfjt 
nannte. „9Wan fudjt," fo lautet biefe Sritif, „in ber Iabkjrinthifchen 
Berttncfelung unb 2luflöfung ber SRanöber eine ©tärfe, bie bem Sßefen 
bev Kriegführung gänglich entgegenläuft, bie 3eitöerfdE>'tt)enbung fti r b 
unb einem beterminierten, mit Sicherheit borttmrBgehenben Setnb fdf)öne 
©elegenheit gu glängenben Unternehmungen bereitet. £)urdj biefe 
Stidjtung derben SßreufeenS #eere untätig tätig fein unb auf bem SEßege 
bitterer Belehrung erft bon neuem ficf> belehren müffen." 3lhnung§t)oIIe 
SBorte: bie bittere Belehrung follte erft ein böfliger gufammenbruch 
bringen. 

2>iefe SBarnungen berhaCten ungehört. 2)ie ^reufeifdhe Heeres- 
leitung hegte bie guberfidhtlid&e Hoffnung, mit ber burdfj bie SWanöber 
erlangten Sftafcfjheit unb ©elenfigfeit ber gefdjloffenen Sinien auch gegen= 
über ber beränberten &rieg§toeife beftehen, auch bie ©djü&enfchtDärme 
unb bie tiefen Kolonnen i>e§ ®egner§ überttrinben gu fönnen. StHerbing§ 
hatte fie, um bie Betoeglichfeit ber alten S^ladtforbnung gu fteigern, 
eine GErrungenfcfjaft ber neuen £aftif angenommen, ©cfjarnhorft hotte 
nämlich fchon in feiner Unterfud&ung über bie ©rfolge ber grangofen, 
jenem 3trfenal fruchtbarer Anregungen, auf ben großen Borteil hinge* 
toiefen, ben bie grangofen ber ®lieberung in $ibifionen berbanften, unb 
hatte biefe balb nach feinem eintritt in bie ^reufeifd&e Armee in einer 
Senffdjrift bringenb empfohlen. Aber erft in ben fahren 1805 unb 
1806 burdfjgeführt, hatte fie fich nicht böllig einbürgern fönnen unb be§* 



2^6 Prof. Dr. (Buftac Krafaner in Breslau. 

halb bie Sdjlagfertigfeit be§ £eere3 mehr gehemmt al£ geförbert. 2ßan 
berfannte and) ine eigentliche Beftimmung bief^r au§ allen äBaffen» 
gattungen anfammengefefcten $eere£einheiten. Sfnftatt fie „in ange« 
meffener Entfernung öoneinarlber" aufäufteßen, um innert bie SKöglid)* 
feit au gefahren, in botter Selbftän bigfeit „au gemeinsamem Qxoede 
aufammen %u toirfen", reihte man fie „nach altem ©ebraud) STrm an 
2lrm toie auf bem SJkrabetrfafce" auf. Sur eine folche ©Iieberung, bie 
eine getoiffe Freiheit ber BetDegung borauäfefct, fcar eben fein Sianm 
in einer Strmee, bie auf bem ©runbfafc ftarrer Unterorbnung beruhte. 
3)ie Bereinigung biefer ©egenfäfee mufete neue Reibungen hervorrufen, 
bie Unficfjerheit unb bie Bertoirrung in ben Ieitenben Greifen nodj er* 
höhen. Studf» mürben gegen S<fjatnhorft3 2tbfid)t bie £at>aflerie unb bie 
Artillerie in foldjer «Stärfe auf bie einaefnen £itrifionen üerteilt unb 
in foldhem ©rabe serf^Iittert, bafe ihre Bermenbung in grofeen SWaffen 
erfdjtoert mar. Sdjliefelid) tuurben biefe £eere§einheiten in ber boüen 
Entfaltung ihrer Bett>egfid)feit burd) ba3 fd)tt>erfällige unb unbeholfene 
Betpflegungätoefen ber alten SIrmee gehinbert. 

2ludj auf biefem ©ebtete toar bie $eere§Ieitung burd) bie trüben 
Erfahrungen in ben Kriegen griebrid) Sßilhelmä II. unbelehrt geblieben, 
hatte ben berechtigten Befferung§t>orf<f)Iägen miberftrebt. 3unächft 
mangelte bem BerpflegungSmefen ein geübtes Beamtentum, ba§ fdjon 
im ^rieben für feine Aufgabe borbereitet mar; erft im Beginne be§ 
$tiege3 ttmrbe e§ unb gtoar feineätuegä mit ftrenger Sorgfalt aufammen* 
gefefet. ©8 fanben fid) in ihm biele unauberläffige, beftechlid>e Elemente 
aufammen, fo bafe bie Sieferanten für ihre betrügerüchen Mnfte ben 
meiteften Spielraum hotten. S"fotgebeffen ftanb bie ©üte ber Ber» 
Biegung nicht in bem rechten Berhältniffe aur ©röfee bc§ Softenauf* 
tt>anb§. 2)a§ ©runbübel lag aber in ber $erbeifd)affung ber Sebent 
mittel au§ ber Heimat, benn fie berlangfamte bie Belegung ber Slrmee, 
mad)te fie Don ben großen $rot>iantfoIonnen abhängig. Übrigen^ 
ermieä fid) bie fcofle 2>urd)führung biefer $eere§t>erforgung aB unmög* 
lid); einen anfehnfichen Zeil be§ Bebarfä mußte man untertt>eg§, in 
greunbe£= ober 3einbe§Ianb gemimten, hierbei tourbe aber gegen bie 
Bet)ölferung eine 9lücffid)t unb Schonung geübt, bie bie Armee auf3 
fdjtoerfte fdjäbigte. 2ßan liefe lieber bie Gruppen hungern, al§ bafe man 
fid) ber borfjanbencn Borräte nach bem $rieg§red)t bemächtigte. 5>ar= 
benbe Sotbaten mürben in ben ©ftobertagen be§ Söbreä 1800, al£ fie 
bie äufeerfte 3lot surn $Iünbern trieb, blutig gefdtfagen. Ein Sttajor 
ber ©arbe liefe fclbft bem Sßrinacn Sfuguft feine fd&ärffte 3KifebiHigung 
aufrechen, aB biefer feiner erfchöpften Abteilung bie Seben^mittel, bie- 
bie Bauern nicht gutmütig hergeben roottten, mit ©emalt oerfdjaffte. %o<b 
maren . folche 3lu§fd)reitungen ganj feltene 3lu§nahmen. Ein Dberft 
fonnte mit Stola barauf hinlDeifen, bafe feine barbenben Untergebenen, 



Zkis altpreugifdje ^eer vox feinem gufammenbrudj. 2^7 

obmohl auf einem Sohlfefbe ftehenb, nicf)t einen einzigen ßohlfopf ge= 
nommen Ratten. £ie 33et>ölferung öergalt aber biefeä meitgehenbe 6nt= 
gegenfomnten mit einer fehr unfreunblid&en Haltung gegen baS STCilitär, 
n>ie§ felbft beffen bittigfie SBünfche fchroff aurürf. £iefe§ feftfame SBer* 
häüni£ ätPtfc^en äßehr* unb Stährftanb unb Me fdjmerfättige SSerforgung 
au£ ber Heimat Ratten aur golge, baß in ben ScfjladEjteu, bie über 
SßreußenS ©efdEjid entfdfjieben, größere ober Heinere £ruppenmaffeu 
fochten, bie tagelang böttig unaureicfyenb genährt maren unb beäfyalb 
in einem Sräfteguftanb befanben, ber ihren 3Kut unb iJ)re StuSbauer 
herabftimmte. 

Sluch maren bie Solbaten für ben gefbbienft ungenügenb auägerüftet: 
bie Uniform mar bor allem auf ben fchönen Schein beregnet unb infolge 
be§ fleinlidfjen Sparfoftemä unb ber fdjnöben ©eminnfucht ber Sompagnie» 
cf>ef£ auf£ fnappfte bemeffen. 33efonber3 fottte fich ba§ gehlen oon 
SRänteln al£ ein arger Übelftanb herauäftellen, trenn bie äöagen, auf 
ienen bie 3elte untergebracht maren, bei ben $in= unb #ermärfchen 
aurüdf blieben. 80 entbehrten bie Truppen in ben S3in>af§ ber Df tober» 
nackte be§ $ahre3 1806 be£ regten SchufceS gegen bie Unbilben ber 
SBitterung. Stoburdj mürbe ihre ©efunbbeit gefdfjäbigt unb ihre Schlag 
fertigfeit noch mehr herabgefefct. 

2)ie Iangfame unb unpünftlidEje 93eförberung ber Seben§mittel unb 
be£ (Sepädfö hing audE) mit ber oerfeTjrten Stnorbnung be3 33orfpann* 
bienfte§ aufammen. SDiefe Saft mar gana ungleichmäßig Verteilt; bie 
Dörfer an ben Straßen maren mit ber Stellung üon guhren überbürbet, 
mährenb bie ferner liegenben faft frei ausgingen. Slucf) famen nicht atte 
Truppenteile in gleicher SBeiie au ihrem Stechte; bie fpäter be£ 353ege3 
Bogen, erlangten $ferbe unb SBagen nur mit Sftühe unb üftot. 

S)er mädfjtige Troß, ben bie Sßrobiantf olonnen unb bie mit ben 
Selten bepaeften SBagen bilbeten, mürbe infolge ber SBermeichüchung unb 
be£ Stanbe§bünfel§ ber Offiaiere noch vergrößert, ^eber Infanterie« 
leutnant aog hoch au 9*oß inS'gelb unb verlangte noch ein $ferb aur 
33eförberung feinet @epäcf§. Xie Sompagniecfjefä beanspruchten gar 
4 bi§ 5 $ferbe; Qelt, gelbbett, Ti|ch unb Stuhl erachteten fie aU unum- 
gänglich nötig für ihre Srieg§au£rüftung. §e höher bie Cffiaiere, befto 
meniger moHten fie bor bem geinbe bie SSequemlichfeit be§ griebenS, ba£ 
häusliche Rehagen entbehren. SBenn fie auch in ihrer SSermeichlichung 
nicht fo meit gingen, mie e§ bie gama unb eine bo§h<*fte ftritif nach 
bem 3ufammenbruch behaupteten, fo trieben fie e§ immerhin arg genug, 
©ine anfehnliche 8ieihe bon Sßagen mürbe mit ihren koffern unb Siften 
belohn, auch ihre ©quipagen mußten ihnen folgen. SDianche Offiaiere 
nahmen fogar ihre grauen unb Sinber mit. 

2Tffe biefe Übelftänbe traten ichon mährenb ber SRüftungen be§ 
$ahre§ 1805 fo ftörenb herDor, baß bie einsichtigen Greife ber 9Irmee 



2^8 P*of. Dr. (ßufiaü Krafauer in Breslau. 

bringenb eine 33erminberung be§ 5£roffe§ toünfdhten. ähtd) ber ®önig 
berhehlte e§ fid) nidht, tote nötig e§ toäre, bie SBetoeglidhfeit be§ $eere§ 
nach franäöfifdjem SBorbilbe erhöhen, unb Verlangte über bkfe Srage 
ein ©utadjten be£ ©berfriegSföHegiumS. Slber tok fefjr $atte er fidf) 
getäufdht, toenn er bon ben alten ©eneralen, bie ihm al§ bie hödhfte 23er* 
för^erung militärifcfjer Erfahrung erfdjknen, ein erleuchtetet Urteil er» 
toartete ! Sie überreizten ihm ba§ berüchtigte ^romemorta bom $uni bes 
§ahre3 1806, in bem ffe fidh gegen eine 3tef orm, tok er fie toünfdhte, mit @rrt* 
fdhkbenheit auSfaradjen. „SDen Stegtmentern bie B^Ite ober ben £>ffi= 
äieren bie 5fteit= unb Sßadfpferbe übaunehmen, fdheint ßana gegen ben 
eigentlichen (Seift ber Urmee gu fein unb dürfte eljer nachteilige Solgert 
haben." „(Sbenfo nottoenbig ift ber Hrmee ba§ 33äcferei* unb SRehlfuhr- 
toefen; bie bei ber franaöfifcfjen Sffrmee eingeführte SSerpflegungäart 
möchte fidh nicht mit ©rfolg nachahmen laffen," in bkfen Säfeen gipfelte 
bie 3)enffdhrift be§ ®offegium£. hatte alfo nodh ben traurigen Thxt, 
fich auf ben ©eift ber preu&ifchen Sfrmee gu berufen, um ein bebroI)te§ 
SBorredjt ber ©ffiskre au fdhüfeen. S)er (Seift, auf ben e§ in bkfem 
gatte einzig unb allein hintoetfen fonnte, toar bodh nur ber hodfanütige 
Staubet unb ®aftengeift, ber eine fo ttefe Muft atoifdhen ben Solbaten 
unb ihren abiigen gührern gefdjaffen ^atte. 9htr toenige unter ben 
ßffiäieren hatten ben fchlidhten 53ürgerfinn eine§ 33ot)en, ber im %at)re 
1805, aB fdhon bie grage ber Sßerminberung be§ £roffe§ bie ©emüter 
befdjäftigte, eine gufrtoanberung nadh SSerTtn unternahm, um bem legten 
?ßrunfmanöber ber alten 2lrmee beijutoohnen. So befunbete er burdf) 
fein 33eifpiel, ba% ein preufeifdher ©ffiakr, ohne feiner ©hre ettoa§ ju 
bergeben, auf ber Sanbftrafte ju guft gehen unb feinen Xornifter felbft 
tragen fönne. 

®ie ftarr fonferbatibe Haltung be§ £)berfrkg£foIIegium§ erflürt fidh 
fdhon au§ ber SIrt feiner 3ufammenfefcung. £)k leitenben Stellungen in 
biefer 93ehörbe hotten hohe im langen ©ienft ergraute Offiziere inne, 
fo überzeugte Vertreter ber alten Xrabition ber STrmee, baf$ fie fdhon 
ben leifeften 3^>eifcl an ber SBortrefflicfjfeit beS $eere§ tote ein SSerbredhen 
betradhteten. ein frifdheS Sßirfen unb Schaffen, ein rüftige§ 33ortoärt§= 
fdhreiten toar bon it)nen nidht gu ertoarten. Sttnftatt beffen gingen fte in 
bem ßleinigfeit§fram ber Schrei bftube, in ber peinlichen Beobachtung ber 
$ienftformen, in ber eiferfüdfjtigen Sßahrung ihrer ffompetens böllig auf. 
{?§ toaren ftarre 35ureaufraten, bie, ber SBirflidhfeit entfrembet, nur in 
ben 2Iften lebten. 2ftit toeldher Suft man aber aud^ in biefer 33eljörbe 
regiftrierte unb numerierte, gerabe bie toidhtigften SSeraeid^niffe, bie fpäter* 
hin bei ber Steorganifation be§ $eere§ gebraucht tourben, mangelten, 
toie bie ber aftiben Offiziere, ber befolbeten JEruppen, ber Sßaffen unb 
9tu§rüftung^gegenftänbe. 2Iber unbebeutenbe 2)inge, bie fur^erhanb 
hätten erlebigt toerben fönnen, tourben mit einem großen Sfuftoanb bon 



Das altpreujjifdje ^eer wr fernem gufammenbradj. 2^9 

Sßajrier unb Stinte bebanbelt. ©3 gefeilten fidj nocfj bie fdjttrierigen 33 er* 
banbtungen mit ben 8foü&ebörben l)in$u, bie in ber Slunft, ba§ Oering« 
fügige aufgubaufdjen unb bie ©ntfdjeibungen binäuäiefjen, ber 3JHIitär= 
bebörbe ebenbürtig toaren. ©o entoidfelte fidj ein umftänbltcber ®e* 
fdjäftSgang, burd) ben bie bringenbften Sttn^elegen^eiten über ^abr unb 
5Eag berfdEtfeppt tourben. ®aber blieb, gumal bei ber Äargbeü ber Sftittel, 
ber langgehegte $Ian, ba§ $eer burd) eine 33oIBbetoaffmmg gu ber* 
ftärfen, unausgeführt, unb baber ging bie 9Tu§rüftung be£ #eere§ immer 
mehr gurücf. Sie preufeifcbe SIrmee hätte im ^abre 1806 ba§ fdEjledjtefte 
©etoebr. Sm S^ugbaufe $u Berlin ftmrbe ttobl, toie (Haufettrifc eraäblt, 
„jeber ©trief, jeber 9?agcl aufbewahrt", „aber ©tridfe unb 9^ägel toaren 
gleich unbrauchbar". SKm fträflicbften tturben bic .geftungen bernad)» 
läffigt. 

3für bie Snftanbbaltung ober ben SluSbau ber 3ßerfe gefdjab toenig 
ober nid)t§; fie erhielten fcblecfyte, ftbon aufgereihte @efd)üfce, bie bei 
längerem ©ebraudj aerfarangen, eS feblte an $anbtt>erf3« unb ©djana* 
3eug, fürs an allem, toa§ für eine längere SBerteibigung nötig toar. 
„@§ ift fdfjäriblidj, ttrie fdtfetbt bie Seftung t>erfeben toar," Mefe SBorte 
©neifenauS, bie fieb auf Dolberg belieben, treffen mebr ober toeniger 
für alle 93otttt>erfe be§ SanbeS au. SWdjt beffer ftanb e§ mit ben 93efebl8* 
babern unb Sefafeungen ber gefhmgen. !gene toaren im langen Sienft 
fcerbraudjt unb aermürbt, einzelne fogar toegen untoürbigen 33erbalten§ 
<*u§ ber gelbarmee entlaffen. ®iefe beftanben auS minbertoertigen 
£rut>t>enteifen, bie immer nodj als gut genug für ibre Aufgabe galten. 
SBeber bie trüben Erfahrungen ber SloalitionSFriege, in benen bie 33er« 
bünbeten ibre toidf)tigften 33oIÜt>erfe nach furaem SBiberftanbe verloren, 
no<b bie einbringlicbften SBarnungen t>on fadjfunbiger ©eite Fonnten bie 
^eereSIeitung beftimmen, ben geftungen eine regere Sürforge sugu* 
toenben. ©fcurloS gingen an ibr bie Erörterungen borüber, bie über 
triefen ©egenftanb in ber militärifcben ©efellfcbaft ftattfanben. Sie 
©efeüfdjaft ftellte nämlich bie Preisfrage: „SBorin liegen bie Urfadfjen 
be§ geringen SßiberftanbeS ber geftungen in neueren 3eiten?" Unb ber 
Sngenieurleutnant SReicbe trieS in ber Söfung ber Slufgabe auf alle bie 
Übdftänbe fyin, bie oben gefcbilbert ttmrben, bie Unfäfrigfeit ber Common- 
bauten, bie ©eringtoertigfeit ber Zruppen, bie mangelhafte SSerforgung 
in gfriebenSjeiten. ©eine Sßorte Hangen ttrie „eine 33orauSt>erfünbigung 
ber fdfjredflidjen Äataftropb^", ber faft alle {jreu&ifd&en Sfefhingen erliegen 
follten. 

S)ie ©d&Iaffbeit, bie fidf) in ber SSertnaltung be§ i©eertt>efenS äeigte, 
bing in ibrem legten ©runbe mit bem iäben SRüdfgange be§ preufeifdfyen 
iJönigtumS gufammen. ©eit bem 5£obe 3friebri(b be§ ©rofeen batte bie 
Strmee bie lebenbige Äraft berloren, bie fie trofe fcfyoerer ©ebre<ben 
bur(h eine allgegenlDärtige ttbertraebung, ftete Slnflxtnnung unb un* 



250 P*of. Dr. <Buj*a© Krafauer in Breslau. 

erbtttlid^e (Strenge auf ber $öbe ibrer Aufgabe gehalten ^atte. SDlit 
überraftijenber <S<f)ärfe tjatte fdEjon ber grangofe ©uibert in feinem ,,afl* 
gemeinen 33erfudj einer Staftif" über biefeä- SBerfjältutö ättrifdEjen bem 
großen Röntge unb feinem #cere geurteilt. „äBenn nadj bem £obe 
biefe§ Surften/' }o lauten feine SBorte, „beffen ©enie allein ba£ unöoü* 
fommene ©ebäube fetner #eere&t>erfaffung aufredet erhält, ein fdjtoad&er 
ftönig jofyne 5£alente fommen follte, fo tuirb man biefe et)^emere 2Radf)t 
in bie ©J>f>äre aurüdffinfen feben, bie ibre ttrirflidjen SWittel if>r antoeifen, 
unb bietteidf)t tirirb fte bann einige $af)räebnte be§ 9tu^me§ teuer be- 
gablen." 

Unb in ber Zat begann fcfjon unter bem fcijtoad&en Äönig, ber bem 
grofeen griebridEj folgte, ein fdjnetter SßerfaB. griebrieb SBilfyelm II. er- 
liefe gtrar eine SReÜje öon 33erorbnungen, burefj bie er feine Rumäne ®e> 
finnung befunbete. ©r fucfyte bie Staubeit be£ bienftlidfjen %on%, bie 
#ärte ber £rieg§gucfjt su milbern, ben 93ilbung3ftanb unb bie SBefolbung 
ber Offiziere au beben, bie materielle 2age ber ©emeinen ju beffern. 
Studf) toar er beftrebt, in ber 3ufammenfefcung ber 3trmee unb in ber 
©efedjtäform ben Söebürfniffen ber SReugeit entgegenaufommen. STber 
feine toofjlgemetnten Verfügungen Würben nidjt alle tatfräftig burdj* 
geführt, unb e§ toaren meift f>al&e SJia&regeln, bie ben f<ijabf)aften Sau 
nid&t ftüfeen fonnten. SugleidE) gefäfjrbete er burdf) fein Seifpiel bie 
fittlidfjen ©runblagen be£ £eere£; er befafe nicfjt einmal bie £raft, e§ bem 
©influffe ber untoürbigen grau, toon ber er fidE) beberrfdjen ließ, ööttig gu 
entheben. 21m berberbtidjften aber toirfte er auf bie 2lrmee burtf) feine 
Iäffige 2tufficf)t unb feine toeitgebenbe SRacfyficbt. Sie 93flid)tberfäumniffe 
unb 2lu§fcfjreitungen, befonberS ber flogen Herren ttmrben gar mübe be» 
urteilt. (So Iodferten fidj bie 93anbe ber 3u<fjt; ba§ ©efübl ber Verant- 
wortung begann ju fdfytoinben, ©rfdjlaffung unb 33ertt>eidE)Iicfiung ergriffen 
immer weitere Streife. 

9iod£> ungünftiger geftaltete pdf) bie ©ntoitflung be§ leeres unter 
feinem 9iadE)folger. griebridE) SBilbelm III. seigte tt>ol)l ein lebbafteS 
^ntereffe für militärifebe Singe, aber biefeS galt befonberS ben fiünften 
ber $arabe unb ber äufeeren ©rfcfjetnung ber Solbaten. ©ern ever^ierte 
unb fommanbierte er fclfaft bie 5Erupt>en unb tixmbte bem fileinfram 
be§ Sritt£ eine übertriebene Stufmerffamfeit au. gür bie Uniformen 
erfann er mancherlei 3Seränberungcn, burdf) bie er toeber ifjre Sdf)önbeit 
nodE) ibte praftifebe 33raudf)barfcit erf)Sf)te. „SBir amüfieren un§," fdjrieb 
bamaB ber farfaftifd&e Oberpräfibent öon Stein, „mit fiunftftücfen ber 
militärifdjen Sangmeifterei unb Sd^neiberei, unb unfer Staat bort auf, 
ein mtlitärifeber Staat su fein, unb betloanbelt fidf) in einen e^er^ierenben 
unb fdöreibenben." Slber mitten unter biefen tuinbigen Siebbabereien 
entgingen bem fritifcfjen 93Iicfe be^ .Qönig§ bie fdbmeren ©ebred^en be§ 
^eertt>eien§ nicfyt. 2BciI)renb nodö alle SSSelt an bie Unübertrefflid)feit 



Das aUprcugifdje £jeer cot feinem gufammenbrndj. 25 \ 

ber Slrmee glaubte, mar fein JBertrauen au ihrer 3Biberftanb£fraft bereits 
lief erschüttert. <Sr erfannte mobl auch in biefem ober jenem fjaße i)ie 
SWittel unb SBege ber 93efferung, aber bei biefem Surften lag eine tiefe 
IHuft amifdfren ber ridjtigen <SinfidE)t unb bem richtigen $anbeln. 3unäd)ft 
hemmte ihn bie Scheu, feine Untertanen ftärfer au belaften, fo bafe ftfjon 
au§ biefem ©runbe bie SReugeftaltungen mifelingen mu&ten, bie größere 
Summen erforberten. SSor allem alier fcheiterten feine $läne an ber 
Slrt, mie fie in§ SBerf gefefet murbtfn. Sluf bie 93efpredjungen unb Be- 
ratungen im engeren unb ,meiteren Streife folgten bie 9Serf)anbIungen 
attrifdjen ben derfdjiebenen SBehörben; bie ©ntmürfe, SDenffd^riften unb 
Söefcheibe häuften fid). $eber äBiberfprud), jebe abireicfyenbe SReinung 
machte ben ®önig, nrie er nun einmal geartet mar, ftufcig unb bebenflid). 
So blieben feine tuoblmeinenben Slbfidjten aum großen £eil unausgeführt. 

©inen laichen SSerlauf nahm aud) ber mandEjeä %al)t erlogene 
Sßtan einer militärifdjen -Keufdjöpfung, ber 93egrünbung einer Sanbmilia. 
£iefe Angelegenheit mürbe ber „Snxmebiat-aiHIitär-Srganifationg- 
Äommiffion" übermiefen, bie fdjon im §af)re 1795 nach ber @rmerbung 
ber polnifdfren ©ebiete eingefe^t morben mar, um aunäcbft über bie 33er« 
ftärfung be§ ©renaicbufceä im Dften au beraten. Unter ben ©ntmürfen, 
bie jefct ber ftommiffton unterbreitet mürben, aeidjnete fid) burdj SBeite 
be§ Slicfeä unb Schärfe be£ Urteil ber bc§ SWajorS üon bem Stncfebecf 
au§, be§ bamaligen Slbjutanten bc§ ©enerals bon Siüdjel. ßr teilte ba§ 
SSoIf^aufgebot in amei ©ruppen ein, in bie 33aterlanb3referöe unb in bie 
Sßroüinaial* ober ebrenlegionen. Sene foüte nidjt allein ben beimaß 
Iidjen Soben öerteibigen, fonbern auch bie Selbarmee oerftärfen, biefe 
follten ba3 Sanb nur gegen ben einbringenben geinb fdjü^en. ftuefebeef 
badete eine SKilia in grofeartigftem SWaßftabe au fdjaffen. £ie SSater- 
lanbäreferbe allein bereitete er auf 128 000 SKann, ben $romnaial- 
legionen trollte er alle irgenbttne bienftfäbigen Seute aumeifen. £ie 
militärifebe Untermeifung biefer 2d>aren follte fid) in atx>ei mefentlicben 
fünften öon ber Slu^bifbung be§ ftebenben &eere§ unterfebetben: alle§ 
Sßarabemäfeige au^fdjltefsen unb fid) auf bie für ben firieg unbebingt 
natoenbigen Übungen befdjränfen, nicht für ben £ampf in gefdjlofienen 
SKaffen, fonbern mehr für ba£ a^rftreute ©efedjt Vorbereiten, ftnefebeef 
erfannte aber auch, bafe ba§ 33olf Sauf gebot nur bann feine dolle Sraft 
entmidteln fönne, tDenn augleid) ber 33oIf§geift Derebelt mürbe. 2rf)ule 
unb 5ßreffe müfeten baber aufammenmirfen, um bie SSaterlanbSIiebe 
ausbreiten, bie Untertanen in ber Überaeugung au befeftigcii, baß 
ibr ^utereffe fidö mit bem beö Staates betfe. Dann mürben fie mit 
grbfeerer Dpfemißigfeit ibre ^flidöt ßegen 5| e ©efamtbeit erfüllen. 2o 
trat ftuefebeef in einen fd^arfen ©egenfafc au ber berrfd^enben Slnfdbau« 
ung, bafe ber Srieg nur bie Sadje be§ ßanbe§bcrrn fei, bafe bie bürger- 
liche Seuölferung in biefem galle gleid^fam ben unbeteiligten 3ufd)auer 



252 P^of. Dr. (Suftao Krafauer in Breslau. 

gu fielen habe. Überhaupt ftanb 5er gange @nttourf in einem fo id>nei= 
benben SBiberjprudje gu ben militärifchen unb politischen Stnfdjauungen 
ber Slommiffion, bafc feine Slnna^me auSgefdjloffen toar. (Sie toieS 
ebenfotoobl bie inbibibueCe ShiSbrlbung ber ©olbaten toie bie Stefebung 
beS Patriotismus burdh ©<hule unb treffe gurücf. desgleichen bermarf 
fie bie milbere 3)ehanilung ber Krieger, 'bie 5?nefebe<f für feine 9$olfS= 
toebr berlangte; bie Slbfcfjaffung ber b^ten militärifchen ©trafen be* 
geidEjnete fie als beftenflicb mit ber föftlichen Söegrüntmng, bafe ber 
©olbat nun einmal an fie getoöbnt toäre. Slucf) n>ar fie eine entfcbiebene 
©egnerin einer fo soften SJHIig, nrie ^nefebecf fie ttmnfcfjte. SteSfjalb 
griff fie auf einen (Sntttmrf SRüchelS gurüdf, ber bie SBoIfSbCtoaffnung 
auf 50000 2Kann, ,„toaS fcfjon eine anfebnlid&e Sraft ift", befdjränfen 
unb ihr lebiglich bie Aufgabe einer SJefafcungStruppe gutoeifen tooßte. %n 
biefem ©inne arbeitete fie nun ben 5Borfd)Iag auS, ben fie bem Könige 
unterbreitete. @S bauerte aber infolge ber ©inforberung neuer ©utachten, 
ber SBergögerungen burch baS föniglidje Sabinett, ber ©intoenbungen beS 
©eneralbireftoriumS noch brei ^at)x^ f ehe btefe Slugelegenbeit gum 2Tb« 
fdftfufe gelangte, ©rft 14 Jage bor ber ©cblacbt t)on §ena erging an bie 
Kammern baS Stunbfdjretben über bie 2luffteßung bon 78 ßanbreferbe* 
SataiHonen. 

35ie J&ebeutenbfte unter ben 2>enffcbriften über bie ©rünbung einer 
ÜDKlig hat ©d&arnborft berfaftt unb im STpril 1806 bem $ergog bon 
Sraunfdjtoeig unb bem ©eneralabjutanten Steift überreizt, ©ie über* 
trifft alle übrigen burcf) ben mächtigen STuSbrudf, ben feine bofje fittlicbe 
Äraft in ihr gefunben bat. ©charnljorft bat bie gange ©röfce ber ©efafjr 
erfannt, 'bie bem SSaterTaube brobt. @r ift übergeugt, bafe eS in näcftfter 
Seit einen Sampf auf Sieben unb Job für bie Unabbängigfeit $reufeen§ 
gu fübren gilt. 3)a aber baS ftehenbe £ecr für eine folche Aufgabe nicht 
ausreicht, berlangt er bie SBetoaffnung beS gefamten SSolfeS im toeiteften 
Sinne beS SBorteS. @r fpricfjt fich gegen eine f leine ÜDtilig auS, ttüe fie 
bie preufeijehe ßanbreferbe barftellte. „9tur bie gange -Kacht/' erflärt 
er, „fann imponieren unb gu grofeen Stefultaten führen." Sßeil aber 
bie SSoIfStoehr einen rein nationalen ßharafter fragen foß, fdtfiefet er 
bie Polen beS preufeifchen ©taatS bon ihr auS. ©r beranfdjlagt bie 
SWilia auf 300 000 STCann, fo bafe ftdfj bie gefamten Streitfrage PreufeenS 
einfchliefelicfj beS ftehenben $eereS auf 520000 SKann belaufen foHten. 
SBer follte nun ben Oberbefehl über biefe gewaltige Stacht übernehmen ? 
©charnhorft geftebt, baft Preufeen feinen grofeen -Dtann Sftapoleon ent* 
gegenfteßen Fönne, aber er bertritt bie itbergeugung, ba& in einem 
SSertcibignngSfriege, an beffen STuSgang jeber eingeTne auS bem 33oIfe 
einen lebhaften SlnteÜ nehme, bie ©ntfebeibung toeniger bon bem ©enie 
beS gührerS als bon ben fittlidöen Gräften ber ©efamtheit, bem allge' 
meinen 3BiHen abhänge. "3>enn „Xapferfeit, STufopferung, ©tanbhaftig' 



— 1 — Das altpreugifdje ^cer »or feinem gufammcnbrudj. 253 

fett finb bte ©runbpf eiler eineS JBoIfeS; toenn für biefe unfer #era nicht 
mehr fcfjlägt, fo finb toir fdf)on Verloren, aud) felbft in bem Saufe grofeer 
Siege." 33ei ber -Kühe ber ©efahr brang Sdjarnhorft auf bie balbige 
Einrichtung ber 9£ational=!IßiIia ; aber bie Jjreufeifdje Sßolitif erblicfte, 
unbelehrt burd) bie trüben Erfahrungen ber jüngften Qext, nach ftrie oor 
baS #eil in einem untätigen 9tbtt>arten, in einem fd)toätf)Iid)en Surücf* 
meinen. 

2)er frudjtbarfte ©ebanfe ber 2>enffdjrift SdjarnhorftS befteht in 
bem Verlangen ber allgemeinen, ber auSnabmSlofen Sßehrpflicht für 
bie 9?ationaImiIia. SDie Sorberung, bafe, ttrie eS Serenhorft in feinen 
^Betrachtungen auSbrücft, jeber Staatsbürger augleidj StaatSfcerteibiger 
fein fottte, hatte in bem legten Safwhnt eine fteigenbe 3lnaahl bon Sin* 
hängern unter ben Offizieren gefunben. 2Tuch in bem erlefenfien Greife 
ber ßffiaiere, ber militärifdjen ©efellfchaft, tourbe ber unermeftlidje S3or- 
teil hervorgehoben, ben ihre SernrirHidjung bem £eere bringen toürbe. 
Ebenfo traten hohe Staatsbeamte für fie ein. Sfeber ©utgefinnte müffe 
ben Untertanen, fchrieb bamalS ber ßberpräfibent bon Stein, bie Pflicht 
einprägen, bie Selbftänbigfeit unb Uratbhängigfeit beS Staates 
au fdjüfcen; biefeS müffe fogar 5U einem ©egenftanbe ber -Kationaler* 
ätehung gemalt toerben. Unb als er bie Stammlifie beS ^reufeifdjen 
$eereS laS, erregte eS fein entfd)iebeneS awi&fallen, bafe noch 2 1 /, 3ttiü. 
Eintoohner fantonfrei toären. Sßon bemfelben ©efid)iStmnfte ttrie Stein 
läfet fiefj 93ot)en in feiner Sluffaffung ber allgemeinen 2Behrt>fKd)t leiten; 
er erblicft in ihr Joor allem ein ©ebot ber @eredjtig!eit, aber auch baS 
einaige SDZittel, bie tiefe STuft atoifdjen #eer unb SSolf au überbrüdfen. 
„Öd) glaube," fo lautet eine Slufaeidjnung beS oftpreufeifdjen §aupt* 
mannS aus jener 3eit, >M% feine anbere Exemtion im ®antontoefen 
ftattfinben follte, als bafe man für ausgezeichnete ®ienfte höchftenS bem 
SBater erlaubte, einen Sohn ju befreien." ES tourbe fogar fchon ber 
©ebanfe ausgebrochen, au beffen aSertoirflidjung 93ot)en als erfter £reu< 
feifcher ÄriegSminifter ben ©runb legen foCte. ©in greunb S<$arnhorfiS, 
bon ber ®edfen, begrünbete biefen ©ebanfen in feinem SEBerfe „Über baS 
SSerhältniS beS #riegSftanbeS aum 3ti>ecfe beS Staates", Er befdjränfte 
bie allgemeine Sßehr^flicht nicht auf bie ÄricgSaeit, riid)i auf bie üflilia, 
fonbern er ftellte bie gorberung auf, „baS gefamte 5BoIf burch bie 
griebenSfdjuIe beS ftehenben #eereS gehen an laffen". 

S)ie übertoiegenbe SMehrheit ber Offiaiere erblicfte aber in foldjen 
Plänen eine grofee ©efahr für bie t>reu&ifdje Sttrmee. %n biefer Sttuf* 
faffung ttmrbe fie burd& ihr Urteil über baS franaöfifd&e 33oIfSheer noch 
beftärft. "Sßach ihter Anficht hatte fidf) bie Sttrmee, ber griebrid) ber ©rofee 
bie 9?ieberlage bon SRofcbach bereitet hotte, burdh ihte nationale Um- 
geftaltung burchauS nicht au ihrem SSorteil beränbert. Selbft burd& bie 
glänaenben Erfolge bon Ulm unb Sttufterlife ließen fich bie ©egner einer 



25^ P*of. Dr. <guj*ao Krofauer in Breslau. 

bolf^tümlidfyen Sieform nicht eine§ befferen belehren, maren ia biefe Siege 
über bte ßfterreichet unb Stuften gemonnen toorben. ®afe bie franaöfifdje 
Slrmee fich mit ber preuftiidjen nicht mefjen fönne, mar ihre unerfdjütter* 
liehe Überzeugung. 3" biefem ©rgebniä gelangte auch ein Stuffafe, ber 
bamaB in ber 2Winert)a Don Slrdjenhola erfdjien. Xer SScrfaffer fudf)te 
bie gepriefenften SBoraüge be3 franaöftfchen $eere£ ihreä 9iimbu§ au 
entfteiben: ba§ äiraitfeurgefecht unb ba§ 3lequifition§foftein hätten ficf> 
nur unter befonber§ günfttgen Umftänben bemährt; jene£ müffe in ber 
eben«, bieieS in einem unfruchtbaren Sarrbe üöllig fcerfagen. Sogar 
bte gelbherrngröfje Sftapoleonä betraget er mit recht fritifdjen Slugen; 
er fann in ben ßriegäplänen be£ Dorfen nichts StufeerorbentlicheS ent» 
ieefen, nur beffen hohe Energie erfennt er an, ameifelt iebod) nicht, bafe 
bie preufeifchen gührer fich ihm barin gemachten a^ö^n mürben. Selbft 
bie militärifd)e ©efellfchaft, in ber i>och auch bie teuerer aahlreidj t>er* 
treten maren, hatte in einer Debatte, bie auä Slntafe ber 33ejefcung 
£annot>er§ burch Napoleon ftattfanb, ein öhnlid)e§ Sßerbift über bie fran* 
5Öfifcf)e Slrmee gefällt. Unb ätoar hatte bamalä Sdjarnhorft ben «in- 
leitenben Vortrag gehalten. 2>iefer öffiaier, ber bie militärischen @r« 
rungenfehaften ber 9tefcolution fo hoch fchäfete, geftani) bennod) bem preu- 
feigen #eere eine Seihe fieg&erheifeenber SSorgüge au: bie flraffe 3ud>t 
unb ßrbnung, bie 3Bud)t im Singriff gefchlojfener äftaffen, bie eblere Slrt 
be£ £>ffiaierforp§. £a ift e§ nicht ju toertounbern, bafc fich bie Greife, 
bie fich at3 @rbpäd)ter ber alten preuftifchen £rabitionen betrachteten, 
über bie granaofen in ben berbften SluSbrüden ingrimmigfter SBeradEjtung 
ergingen. Ratten bie .preufeifdEjeu Offigiere ©elegenheit, bie gremben 
au§ nächfter 9lähe au beobachten, mie in £annoüer im ^ahre 1805, bann 
mar freier Stnblicf nur geeignet, ihre @iege§boffnungen au fteigern; 
benn bie auä ber Schule ber Stefcofution hervorgegangenen unb nur 
für ben ftrieg auögebilbeten Gruppen machten auf bie preufcifchen 
Sßarabefolbaten ben ©inbruef ber XSermilberung unb Sudjtlofigfeit. „gn 
brei Sttonaten," Schrieb bamalS ber STOajor don Kampfe an ^nefeberf, 
„pettfdfjen mir bie SJerlS mit glpei Xritteil gorce über ben Sthein, barauf 
mette ich meine Seligfeit. finb immer noch bie alten Stofebacher, 
menn man fie nur auf§ Seber geht." 

Xiefe SSerblenbung hätte allein fchon jeien 33er fud) einer fcurch* 
greifenben militärifchen Sieform lähmen müffen. Sfber felbft bie @in= 
fidfjtigften unter tben Offizieren münfdjten eine 33efferung nur in ein* 
seinen ftmeigen bc§ $eermefen§. 2)afe ber Slrmee nur burefj eine böHige 
Steugeftaltung helfen fei, biefer ©ebanfe lag auch ben fortge* 
fd)rittcnften Greifen bößig fern. Unb boä) befanb fie fid) in einer 58er- 
faffung, bafe fie entlx>eber in ihren mefentfid&ften Einrichtungen unöer« 
änbert bleiben ober bon ©runb auf erneuert merben mußte. Xenn alle 
©lieber biefe§ 93aue§ maren fo innig miteinanber berfnüpft, bafe, menn 



r 



Das altpreufjifdje tyev »or feinem gufammenbrud}. 255 

biefer ober jener Zeil burd) einen jeitgentäfeeren »erfefet trerben foßte, 
ba£ @an^c sufammenauftüraen broljte. So toar ja eine Umgeftaltung 
ber ftrteeäa-ucftt, ber ©efedjtäform unb beä SBerpflegungätoefenS un* 
burd)füf)rbar, folange bie 2tu§tänber ben Sern be§ £eere§ bilbeten. %t)te 
SBerabfd&tebung aber, ifyre böHtge (Srfefcung burdj $nläni>er ftätte ba£ 
6nbe ber alten 2lrmee bebeutet. Slucf) ftanb ba§ $eertt>efen in einem 
engen 3uiammenl)ange mit ber <Staat%> unb ©efellfdjaftSorbnung, mit 
ber ftänbifdjen ©lie'berung SßreufjenS. ©ine Verlängerung ber Sienftaeit 
ber Snlönber frebrofjte, ba if)re 2>urd)füf)rung erf)öf)te Wttttel verlangte, 
bie <2teuerfcorred)te be£ 3lbel§ unb mufete augleidj fein a3erfügung3red)t 
über bie Slrbeitäfraft ber untertänigen dauern befd^ränfen. 3lm em£fin'b= 
liefrften aber fjätte if)n bie unbefdjränfte 3utaffung ber 23ürgerlid)en su 
ben Offisierftetten getroffen. SBeldjen toeitgreifenben ©influfe Ijätte 
gar erft bie <5infüf)rung ber allgemeinen 3ßel)rt)flid}t auf Staat unb ©e* 
feßfdjaft ausgeübt! Sie mufete aum Umftura ber gefamten ftänbiftf^en 
©rbnung, aur 33efcitigung ifyrer trennenben unb Ijemmenben Sdjranfen 
führen; 'benn fie fetjte ein allgemeine^, gleid)beredjtigte§ Staatsbürgertum 
t>orau§. So fonnte eine Reform be§ &eere3 nidjt ol)ne bie Umgeftaltung 
bon Staat unb OefeCCfd^aft erfolgen. Slber bie alten militärifdjen unb 
t>oIttifdöen Snftitutionen behaupteten fidj noef) mit foldfjer Sö^tgfeit, baß 
nur ber jäfje 3uia™wenbrucf) ben Sftaum für einen Sleubau fd&affen 
fonnte. 



Von 

JU % tiefo. 

— (Eilftt. - 

2Iuf nacfytumlfiifltem 33oote. 

f^eimgety's anf nadjtumtiiilltem 33oote, 
Per (Säjte Sonntagsjubel fd?u>eigt; 
5dju>ar3 über mir aus runbem Sdjlote 
Des Haukes KnäuettPolFe fteigt. 

£jeim gefjt es auf bemfelben bluffe, 
Der mid} beim erjien ^rüfjrotffug 
hinaus 3um fdjmelgenben (Senuffe 
Der golbgetönten £erne trug. 

Diefelben Ufer feV idf mieber. 

Hur tjat jtdj tief ir^r (Srfln permummt; 

Die roten Sippen ityrer lieber 

Sinb in ber (fiufternis oerjhimmt. 

Unb Stimmen, bie mit mir gefprodjen 
3m IHorgenfdjein, umfallen midj 
t>on füllen Bänfen nrie gebrodjen 
So fremb unb n>elf unb nmnberlidj. 

Selbf* bie (ßebanfen, bie id? backte 
3m ^rütyidjt, frifdj mie IKaienmalb — 
VOetfn um ben Kiel tyn mie üermadjte, 
Perlor'ne Sdjäume bleidf unb alt. 

Sä>n flingt bte grofje XPanbermeife 
Por mir in Duft unb DunFel aus, 
Unb nidjts als faim begehrt bie Heife 
3n all bem müben Häberbraus . . . 



(Sebtdjte. 



257 



Dafyeim. 

(Empor längs grauen, ausgetreten Stiegen! 

Per Boben bämmert, eine Cäre Fnarrt: 
mein altes gimmer öffnet ftcb, perfdjroiegen, 
Dorm ifenfter ftdj Bertraute IDipfel wiegen — 

Unb hinter mir pergrollt bie (ßrogftabtfatirt. 

Die rDanbnfjr träumt, pon Spinngetpeb' umfdjlungen, 
Zlun flöV id? fte empor 3U neuem fauf! — 

Sie fdppmgt. Sie fdjlägt. Unb n?ie tyr <5ru§ erflnngen, 

2lus ftoubigeu (Eden jtetfn (Erinnerungen 
IHtt ftillen, großen Kinberaugen auf. 

Unb regt ftdj's nidjt, tuie wenn ein lüunfd} mich, riefe? — 
Derfonnen fram' id} aus bem Büdjerfpmb 

(Ein Bünbel £jefte, Bilber, rofa Briefe, 

Sdfon angegilbt, unb bodj, aus ifjrer (Tiefe 

IHidj nodj ein 3arter (Dwmianbuft umrinnt. 

Unb nueber lef icb,, roas idj einjt gefdjrieben: 

Doli Sdmörfelfdppung — mein erftes £en3gebid?tl — 
2lus bnnfeln Hammen lädjeln meine £ tebeu 
2luf meinen (Eifa?: „IDir fmb bir treu geblieben" . . . 
Unb meine 3*»genb tjebt itjr 21ngefia?t. 

3dj bin bat^eim unb nueber gan3 mein eigen. 

Derfdjolf nes fieigt empor mit leifem Schritt. 
IKein Blatt erglän3t. Unb fdjöne Schatten neigen 
Sidj über meine Schulter bnrd} bas Sdnpeigen, 

Unb längft perfärbte £ippen lefen mit. 

Spätfommer. 

Bepor mir ruttf bie blaue Jinßernis 

Des IHorgentraums ein IDipfelraufa? 3erri§, 

Spürt* id? aus einem bunten (£an3 pon Stimmen 

(Ein »unberliaVs tüort Ijerüberglimmcn : 

„Du mätmtefi Stunben — unb es mürben 3atire" — 

3d? ladete laut, ^fort mit ber leisten IDare! — 

Poch, mie idj tyute ftürme, ftii^e, fyifte, 

(Es Frän3t midj etwas mie mit bnfierm IHofm . . . 

2lnlorft mid? bas Klarier. (Tief bebt bie (Eajte, 
2lus IDetimutstpeiten irrt ein bunfler (Eon . . . 
0 £jer3l 2X>ie fjaben (Sroges mir gewollt! — 
Jtorb unb 6ftö. CXX. 359. 18 



258 



K. <E. tEielo in (Eilfit. 



Dn fy>rd# ... So l^ttefi Du Did? ausgerollt? — 
Pergag Dein 5tol3? — Dein Sommer blag ©erfdfäumt, 
3n bumpfem Dämmer faum ein €djo träumt, 
fltein fjer3? — 

€in lüinb nrätyt mir im feuchten §aare 
Unb lüftet falt bes <$enjters falbes £aub: 
„Du nxilmtejt Stunben — unb es umrben Jaijwl" — 
Unb mübe Blätter riefeln in ben Staub. 



(Bdinftfptt unö Tlmbibeztvie. 



Von 

— Berlin. — 




eber biefe^ tfibagogifdf) unb naturmiffenfdöaftltdö nridjtige (Stoff* 
gebiet, ba§ i<f) fett SaFjraefynten verfolge unb befcanble, 
liegen mir mehrere neuere SSeröffentlidjungen tiid&riger gaef)» 



männer Dor: 

1. Dr. grife SuebbedtenS: 3*e<f)t§= unb Sinf&mnbigfeit. 2ttit elf 
gigureu. Seidig, SBilFjelnt ©ngelmann. 

2. £ie gefdjulte #anb unb bie Slmbibertrie. S5on Dr. St. Jhipfer» 
fdjmtö. Ü7i.*@d)önberg, grana Slatrif. 

3. Dr. 31. Jhipferfcfjmib : Singer* unb #anbfertigfeit ((njeiro£äbie). 
2ttit 50 SBuftrattoncm »erlin, Wlax 3UdE)ter. 

4. 93IoomfieIb 93are: Bimanual training. (21bf)anbliwg im 
„international ©tubio".) 

5. About righthandedness. By Dr. Andrew Wilson. (Äapitel 
in feinem Shicfje „The light side of science". London, James 
Bowden.) 

2Bäf)renb bie ©Triften öon grifc 2uebbcdfen§ unb 3tnbrelü SBtlfon 
lebiglidE) bie tf)eoretifd6*it)iffenfdöaftIidjen ©eiten ber einf<f)Iägigen fragen 
befpreefien, derben in ben übrigen ®d)riften F)cmt)tfäcf)Iid) bie eraiefjlid^ 
praftifcfjen WtfclidjfeitSfeiten sur @£rad)e gebracht. Sa nun in aller* 
lefcter Seit in mehreren Sänbern berfcfjiebentlicf) Schritte getan toorben 
finb, bie auf eine SSertoirflicfjung getoiffer guter SBorfdWäge I)inficf)tlidi 
be§ £ofe£eIbänbigfeit^Unterricfit§ abaielen, benufee icfj gern ben Stnlafj, 
auf ben, autf) an ftdf» fcfjon fef)r intereffanten ©egenftanb an biefer Stette 
Burüdtaufommen. ^d) greife ber 33otfftänbigFeit balber babei anefi auf 
frühere Sfutoren aurüdf. 

18* 



260 



feopolb Kaifdjer in Berlin. 



®er 2Kenfd) beboraugt bei allen midjtigeren Verrichtungen bie red)te 
bor ber Unten £anb. 2Jiit ber SRed^ten hält er ba§ @df)toert, bie SSerf* 
aeuge, bie geber, mit ihr fdjüttelt er anberen bie Siedjte, fie benutzt er 
aum (SeftiMieren, aum ©egnen, bei allerlei 3eremonien ufto. 9TB 
@f)rent>Iak gilt ber $lafc gur SRed&ten. 2)er ;£eutfd)e unb ber granaofe 
nennen einen Ungefdjicften „linfifdy, unb in mehreren anberen Sprachen 
ift „Unbebolfenbeit" gteidjbebeutenb mit „©elinftbeit". 2)a§ englifche 
„sinister" — unbeilboH (böfe) bebeutet im Sateinifdjen „Iinf§bänbig". 

2|omo§ £arlt)le fd>rieb fura bor feinem 5£obe: „2Mch merf* 
tnürbig beboraugte SioHc bodh bie redete $anb bei ber ganaen SBienfchbeü 
fjrielt! 3Bir haben e§ ba maljrfcheinlich mit ber abfolut älteften menfd)= 
liehen ©inridjtung au tun. bin neugierig, ob e§ irgenb ein SSoIf 
gibt, ba§ atoifdjen ben beiben £änben feinen Untertrieb macht. . . . 
SBarum gerabe bie 9ledjte gemäblt mürbe, ift eine unlösbare grage, beren 
STufmerfen nicht lohnt, e§ fei benn, bafe man fie mie ein Stjrtfel be= 
banble. Sßafjrfcfjeinlicf) rührt» bie @adje bon £Säm$)fergemobnbettcn f)er, 
benn bie Stedfjte fchüfet ba§ $era unb beffen Umgebung am beften unb 
ift aitrn Sdjilbfangen am geeignetften." 

3Ba§ ber „Söeife bon ß^elfea" aß eine 9trt unlösbaren SÄätfelS be- 
trachtete, haben biele feitberige gorfdjer für febr ergrünbenSmert ge- 
halten. Sn^befonbere ber Ijerborragenbe ©elefjrte © i r Daniel 
28 i I f o n, ber benn audEj eine tfaufible Slufflärung beibringt, unb amar 
in feinem bor etma 14 bis 15 fahren erfchienenen bortrefflidjen SBerf 
„Lefthandedness" („2>ic ©elinftbeit"), in meldhem er, ber fefbcr Iinfö» 
bänbig mar, bie ©rgebniffe tbeoretifdjer Unterfudjungen mit benen pvat- 
tifdjer Beobachtungen an fich felbft bereinigte. 

Sefünntlidj gibt e§ biele gelinfte Seute — mober rührt bie£? 3ft 
ber allgemeine ©ebraudj ber Stechten Iebiglid) bie eingemuraelte, bererbte 
golge einer uralten ©emobnbeit ber 2J?enfdjen? Ober beruht er auf 
natürlichen, alfo mehr ober minber unabänberlid>en Urfadjen :pb*)fifd)er, 
fonftitutioneßer 9Irt? Um hier Slarbeit au fdjaffen, mufe man aunädhft 
unterfueben, in meldjem SWafe bie 9ted)i£bänbigfeit borgeberrfd)t bat unb 
noch borberrfdjt, beaiebungSmeife, ob e§ je eine 3eit gab, in meteber 
bie beiben £änbe einanber gteichgeftellt maren, ober ob bie§ überhaupt 
nie ber gall mar. ®er 1883 berftorbene berühmte Sftomancier SbarleS 
9?eabe, ber beibe £änbe gleich gefdjidt benufcen berftanb unb mit 
Stecht eifrig für bie ©raiefjung ber Sugenb a^r praftifdjen Stoeibänbig* 
feit eintrat, erflärte fid) in feinem 93ud)e „3)er fünftige aWenfd^" für bie 
erftere SInnabme (bafe früher fein Unterfd)ieb gemacht mürbe) unb be» 
bauptete, bafe e§ noch je^t barbarifchc Stämme gebe, benen bie 93ebor= 
augung einer ,ganb unbefannt fei. hiernach märe bie SBeboraugung alfo 
ein ©rgebni§ fünftlid)er, fräter ererbter 2fngemöhnung. Sir Daniel 
Sßilfon, ber bem ©egenftanb ein langjähriges Stubium mibmete, ift 



(Selttif tfyett unb 2Imbit>e£tric. 



26\ 



feinerfeits au gong anberen @d)Iüffen gelangt aB SReabe, imb aWar auf 
©runb ardjäologifdjer, paläontologifdjer, :$ilologif<f}er, geologtfd&er unb 
gefdöirfjtlid^er Sorjdjungen. 

3Ba§ bie öorgefdjidjtlidjen $öl)tenbeWoI)ner au§ ber ©teinaeit betrifft, 
fo waren biefelbeu nadj SEBilfon, ber iljre geuerftein^Eßerfaeuge auf ba§ 
forgfältigfte geprüft Ijat, mit feltenen 2tu§naf>men red)Bf)änbig. ®a§= 
felbe folgerte er au§ satilreid^en Slnbeutungen in allen befannt geworbenen 
älteften unb prirnitibften ®£radjen, foWte in antifen $anbfd)riften. S)er 
Umftanb, bafe eine JReifje t>on orientalifdjen @{>radjen — barunter ba§ 
^ebräifdje — ni<f)t öon ItnB nad) red)B, fonbern umgefefjrt gefdjrieben 
Werben, fönntejm erften 2rugenblitf auf ©elinftfjeit fd)Iieften laffen, allein 
nähere Unterfud)ung Wiberlegi biefe Sßermutung. $ene ©djriften finb 
nämlidj nidfjt fortlaufend ba§ Reifet bie 93ud)ftaben werben nicfjt mitein* 
anber berbunben, bleiben tuelmefjr getrennt, fo bafe e§ gerabeau natur= 
gemäßer ift, bafe fie mit ber 5Red)ten gefcfjrieben werben, einige alt» 
ägt)t>tifd>e Xenfmäler fdjetnen bei oberflächlicher 93etrad)tung auf ©elinft* 
fjeit Ijinaubeutcn; eingefjenbeS Stubium ergibt aber, bafc ba§ irrig ift. 
SBäljrenb näm[idj ein redjBf)änbiger ®ünftler ba§ ©efidjt eine§ ^rofiB, 
ba§ er aeidjnet, begreiflidjerWeife linB anbringen Wirb, aeigen manche 
ägtjptifdje SReliefS nad) reäjB geWanbte ©efidjter; aber bie Urfadje ift 
nicfjt in etwaiger ©elinftljeit ber betreffenben SSilb^auer zu fudjen, 
fonbern in ardjiteftonifdjen (£ffeftrü<ffid)ten. 9fudj bort, Wo eine ©eftalt 
eine Seber ober ein Schwert in ber Stufen Ijält, haben wir e§ nur mit 
2fu§naf)men au tun, Weld)e lebiglid) auf SRücffidjten ber Symmetrie ober 
$erfpeftit>e aurücfaufüljren finb. SBo berartige Erwägungen unnötig 
waren, f inbet fidj ftet§ bie 9?ed)te beborgugt. Seaüglid) ber auf eine 
längft entfdjWunbene ffultur ^inweifenben aentralamerifanifdjen £>enf= 
mäler ift gu bemerfen, bafe bie fteinernen ©eftalten aumeift nadj Iinf§ 
blidfen, alfo öon redjBfjänbigen Sünftlern gemeiftctt worben fein bürften. 

Sur ba§ STIter unb bie Allgemeinheit ber 9ied)Bhänbigfeit farechen 
aud) einaelne 99eaeid)nungen ber $immeBgegenben in berfdjiebenen 
Sprachen. So %um 93eift>iel bebeutet ba§ fjcbrätfd^e SBort „jamin" fo= 
Wohl „Süben" aB aud) „redjte $anb". 2>a3 @leid)e gilt öon beut 
fanSfritifdjen „;£affdjina", beffen Ableitungen Wir in ben meiften inbo= 
europäischen Sprachen finben, unb ähnlichem begegnen wir aud) anber- 
wärB. Siefe 2)oppeIbebeutung rührt bafcon her, baft bie betreffenben 
SSölfer fid) burdj bie SRidjtung be§ (Sonnenaufganges orientierten unb 
babei ben ©üben natürtid) %\iv SRed^ten fjatten. 2Tu§ allebem folgert 
SBilfon, bafe bie SRed^B^änbigfcit fein Sufatt, feine blofee ©ewofinfjeit, 
fonbern in unferer pf)t)fifd)en unb geiftigen 5Ratur begrnnbet ift. SBenn 
alfo bie Singein unb filinfen ber Jiiren, bie Sßinbungen bc§ Sorfaiet)er§, 
bie 3wfammenfteflung ber 2d)ere unb taufenb anbere ®inge auf bie 
SRedite beredjnet finb, fo fiabe ba§ feine triftigen Urfadjen. 



262 Ceopolb Katfdjer in Berlin. 

SDiefe Folgerung eine§ natürlichen @runbe§ brachte @ir 2). SSilfon 
bagu, bie ©ntbecfung ber SBefcbaffenbeit be§felben anauftreben. §n biefem 
Sßunft fcerrfd&t große SWeinungäberfdjiebenbeit. SBäbrenb aum Seifpiel 
ber berborragenbe STnatom 39 ar da g bor einigen S^en bie 3Infid)t 
auSfpradEj, baß ber Iinfen @eite be§ Körpers S3Iut in geringerer üftenge 
unb minber regelmäßig aufließe aB ber redjten — ba bie Slbern ber 
Iinfen (Seite bie große $JM§aber burdjqueren müffen, um jur 93Iutfammer 
5U gelangen — , berfodjt ber ©laägotoer UniberfttätSprofeffor 9ud|anan 
bie Sebre, bie 3tecbt§bänbigfeit fei bebingt burdj medbanifcbe ©efefce, 
meldte mit bem 33au unb ber Sage ber ©ingetoeibe aufammenbängen ; fo 
babe bie rechte Sunge brei, bie linfe bloß $m\ Sflügel; auch liege bie 
Seber, ba§ fdjtoerfte Organ be§ $$öTpev$, rechte. Dr. @trut^er§ 
fucht bie Shicbananfcbe X^eorie baburtf) au befräfiigen, baß er ba§ 
©ettncfjt ber redjt§ bon ber SKebianaber Iiegenben ©ingetoeibe für um 
22 s / 4 Unaen (airfa 670 ©ramm) fdjtoerer erflärt, al§ bie Iinf§feittgen. 
Slber bie genannten ©elebrten gaben, beaiefyungätoeife geben felber au, 
baß ihre STnfdfjauungen nicht hinreichen, alle einfdjlägigen ©rfcbeinungen 
5U erFIären. Sßilfon räumt ber Einrichtung ber (Singetoeibe timav. einigen 
Einfluß ein, fudjt aber ben ^auptgrunb anber§too, in bem 33erbältni§ 
atotfdfjen ben £änben unb bem ©ebirn. 2)ie beiben £albfugeln be§ 
lefeteren arbeiten befanptlidj in entgegengefefcten Stiftungen — al§ 
äRütetymnfte ber Serben- unb ber 3Ku§feIfraft, toobei bie linfe £alb* 
fugel bie redete JJörperfeite beeinflußt unb umgefebrt. !K u n ift aber 
b a § linfe $ i r n größer unb getounbener a I £ baS 
rechte; auch empfängt e§ feinen 33Iutauftrom unmittelbarer. 33roca 
fanb bei 40 ©ebirnen ben Iinfen SBorberlappen fdjtoerer aB ben redeten, 
unb S3ot)b eraielte mit ber Prüfung bon 500 ©ebirnen baSfelbe Ergebnis. 
9Tu§ aHebem mürbe betborgeben, baß bort too ©elinftbeit bor« 
b an ben, auSnabmStoeife bie redete $irnfeite fernerer ift 
al§ bie linfe. Segreiflicfjertoeife fudjte SBilfon nach einer ©elegenbeit 
aur praftifcfjen Erprobung biefer Schlußfolgerung. 9?ad£) mehrjährigem 
äßarten bot ficb eine foldje burdj ben Zob eines unberbefferlidEj IinfS« 
bänbigen ©olbaten in Toronto (ßanaba). £ie 9Ibtt)iegung be§ ©ebimä 
ergab ein fdjtoerereS ©etoift ber redeten $albfugel. 

SBor neun bi§ aebn fahren fteHte Dr. SRofenberger eine originelle 
Stbeorte auf, inbem er ba§ Überwiegen ber redeten $anb in 3«fantmen* 
bang brachte mit ber fd&einbaren 99etoegung ber ©eftirne, bem Orien« 
tierungSbebürfniS be§ SDienfcben im Staume unb ber barauS ficb ergeben^ 
ben Sßottoenbtgfeit ber fünftlidben ©d&eibung be§ 5?ört>er§ in aroet 
aftjmmctrtfd&e Hälften, eine linfe, negatibe, unb eine redete, pofitibe; 
ferner mit bem Umftanbe, baß ber nacb born au§geftredfte 9Irm beS 
(atüedf§ Orientierung nadj ber ®onne ffauenben) 93ett)obner§ böberer 
^Breiten ber nörblifen ^albfugel beffer in ber Sage ift, Rotations* 



(Selinf tljeit unb 2lmbibe$trte. 263 

betoegungen int ©inne be£ (Sonnenunterganges anzuführen, al§ ber 
linfe. STbgefehen bon anberen Unbxihrfd&einlidfjfeiten, bürften Sftofen» 
bergerS JBermutungen fdfjon barum berfehlt fein, toeü für bie ber norb* 
hemifahärif<f>en 9tedEjt§hänbigfeit notoenbig entfarechenbe SinBablentfung 
auf ber füblidfjen £albfugel auch nicht bie geringften SBetoeifc borhanben 
finb. Sftidfjt beffer fteht e§ mit einem @rflärung§berfu<h, ben ein 
3tnont>mu3 bor längerer 3eü in ber Sßarifer „Sftature" machte. S)anadj 
fott ber ©äugling häufiger an bie ftärfer enttoidEelte rechte -Uhttterbruft 
gelegt toerben, fomit ber rechte SIrm, toeil weniger beengt in ber Sage 
fein, öfter fponiane 83efc>egungen auszuführen unb fo früher ju erftarfen, 
aB ber linfe. 2)ie Sehrbücher ber Stnaiomie toiffen bat>on nid&i§; per* 
fönliche ©rfunbigungen bei Fachleuten ergaben gum SEeil negatibe§, gum 
Seil gegenteiliges 9lefultat. ©benfottenig xft bie ^tjpot^efe nachautoeifen, 
bafe bie $inber in ber Sugenb mehr auf bem redeten al§ auf bem Iinfen 
8trm getragen toerben. 

SKadfj 93 o I f fteht „bie ftärfere Ernährung ber Iinfen $imhälfte, 
toeldje ba§ Sfterbenaentrum für bie redete $ört>erhälfte ift," mit ber Sted^tS- 
hänbigfeit in 23eaiehung. 9?ach Sierbliet „nimmt auch ba§ Serben* 
ftjfiem an ber Symmetrie teil". S3ufdf)an fd&reibt in einem Sluffafc 
(„Umfchau" 1902): „Seim ertoachfenen SDlenfchen ift in ben toeitauS 
meiften 3fäHen bie redjte $ör$)erbälfte ftärfer entttridfelt, toobei ba§ 
linfe Sein eine 2tu§nahme macht. . . . Sie gähigfeit be§ 9?erbenft)ftem3 
ift immer auf ber gleichen (Seite erhöht, too bie Gmttoidfelung ber ©lieb* 
tna&en bie ftärfere toar. 9?iemaB ift ein 3techtfer mit feinem @ehör, feiner 
©ehfrafi ufto. ein Sinffer. Sfacf) bie 5fted£jt§» unb Sinf§hänbigfeit ift 
angeboren, unb man ift nicht imftanbe, burch ©raiehung einen Sinffer 
3U einem Sftedfjtfer gu machen unb umgefehrt." 

3)ie „Sttngeborenheit" leugnen mehrere anbere gorfdjer; audh toirb 
ttrieberholt behauptet, bafe man einen Sinffer au einem Siechtfer machen 
fönne. Unter ben tum ben beutfdjen Straten Sang ft ein unb $edE)t 
unterfuchten aahlreicfjen 9techt§* unb StnfSbänbern be^anb fich ein junger 
©olbat, ber urfarünglich gelinft toar unb fiefj bei Erlernung feine§ 
£anbtoerf§ unb fjxiter toährenb be§ 30?ilitärbienfte§ ben borttiegenben 
©ebrauefj ber Sinfen — aHerbingS mit 2ftübe — abgetoöhnt hatte unb 
feit Sohren flott mit ber Siechten arbeitete, immerhin bebiente er fidft, 
fo oft er befonberer ©efdjicflidhfeit beburfte, ber .Sinfen. 9iicf)t nur 
burdh Sttngetoöhnung, fonbern auch burdh f)ty|motifdE)e ©uggeftion fdEjeint 
man bie SinfShänbigfeit lo§ toerben au fönnen. ©inen einfehlägigen 
SBerfudj machte ein 3trgt mit einer bierjährigen ©elinften. %n ber $t)jmofe 
hmrbe bie redete ^anb be§ ÄinbeS gefafet unb man befahl 'if)m, bon nun 
an nur mehr biefe au gebrauten. Sie SEBirfung ber ©uggeftion tuar 
eine überrafchenbe, ba ba§ SRäbdhen bon je^t an häufiger bie redete ^anb 
au gebrauten begann unb feit ber nadft wenigen 5tagen borgenommenen 



26^ Seopolb Katfdjer tu Berlin. 

brüten ©i^ung bauernb redjtöE)änbig War unb geblieben ift. „©ans ab= 
gefe&en," Ijeifet e§ in einem Referate ber „SBiener flinifdjen SBodjen- 
fcfjrift", „t>on bem ttjerapeutifdjen ©rfolge, ift biefer Sali beSfyalb bon 
befonberem Sntereffe, weil au§ bem ©ffefte ber 33e!)anblung einer Sinfä* 
fyänbigfeit burdj ©uggeftion bie Satfadje fid£)ergefteHt au fein fdfjeint, ba& 
audj ba, wo fid) bie Sinf^anbigfett gleid) im SHnbeSalter entwidtelt hat, 
urfarünglidE) eine gleichwertige Anlage beiber #irnf)emif;pf)ären befteljen 
fann. SDiefer gaH fpridjt aber nidjt nur gegen ba§ Übergewidjt ber 
redeten £irnljälfte aU Urfacfye ber SinfSfjänbigfeit, fonbern audj bafür, 
bafe e3 jebenfallS ber (Sraieljung möglich fein mufe, gleich bon ^Beginn an 
einer Sinf§hänbigfeit boraubeugen." 

23ead£)titng berbienen folgenbe Ausführungen, Welche ein Ungenannter 
bor mehreren ^afjren in ber „granffurter 3eitung" beröffentlidjte unb 
Weld)e an bie Leiter oben erwähnte ©arlt>lefcf)e SBermutung erinnern: 
„Xk Sßrciponberana ber redeten £anb ift eben nichts uranfängtidj ©e= 
gebeneS, fonbern eine grrungenfdjaft ber ® u 1 1 u r, ein 9t e= 
fultat ber f ort fdjr eitenben förderlichen unb 
geiftigen ©ifferenaierttng unb Arbeitsteilung. AIS 
ber SKenfdj gum HJienfdjen Warb, als. ber 93au feines SörperS ihn be* 
tätigte unb aWang, aufredet au geben, t>atte bie rechte $anb wohl biefelbe 
33ebeutung Wte bie Iinfe. Sßäßrenb ben Seinen unb giifeen, als ben 
Organen ber Sortbewegung, gleiche Siedjte unb Pflichten bis heute 3U* 
fommen, fdjieb fid) bie &ur reicheren Entfaltung beftimmte Slätigfeit ber 
Arme unb #änbe alfo, bafe ber linf en £anb mehr bie p a f f i b e, haltenbe, 
fd)ü&enbe, ber rechten bie a f t i b e, aufaffenbe, angreifende 9?oIte anfiel. 
2)ie Sßräponberang ber red)ten $anb bürfte bon £auS auS fogar eine 
fefunbäre Grfdjeinung fein: bie 9?otwenbigfeit, int. ®ampf gegen 
Sftenfdj unb Slier ben ebelften 3£eil beS ®'6rpQT%, baS $ e r 3, burd) bie 
bewehrte ober unbewehrte fiinfe au fdjüfcen, Würbe auf allerniebrigfter 
SMturftufe — ®ambf War bamalS bie Öofnng; für bie .Orientierung 
forgte ber urmenfd)Iidje ^nftinft beffer, als baS Anfchauen ber ©e* 
ftirne — bie S3eranlaffung, ®eule unb 93eil, SKeffer unb @t>iefe in bie 
Stedjte au nehmen. SDiefe ©eWobnheit übertrug fid) auf frieblidje 23e= 
fd&äftigungen. (Seit jenen £agen fceginnenben SftenfchentumS ^at fidi, 
aud) nad&bem bie primäre Urfadfte größtenteils weggefallen, ba§ Über- 
gewicht ber redeten ^anb burd^ 33 e r erbung unb ©rgieljung unter 
ben ^ulturbölfern immer me^r f)erau§gebilbet unb befeftigt. 93ei 5Ratur= 
bölfern bagegen tritt biefe Xifferenaierung auweilen nodft Ijeute Weniger 
beutlid^ Ijeröor, wie benn audö aum Jeil bei benfelben bie (sdjeibung 
ber borberen bon ben Hinteren ©liebmafeen minber fdjarf burd&gefü^rt 
ift (©reiffufe). ^n äljnlidfier SJage befinben fid& unfere Jlinber, bie aum 
©ebraudje unb aur FonbentioncHen ^ö^erwertung ber SRedöten gerabeju 
eraogen Werben müffen. §n Tester ßinie bilbet alfo bie Organifation 



<Selin!ttfeit nub 2ImbK>e jtrie. 



265 



bcö mcnfdjlidjen üörj>er^: öie Sage be§ ^erjen^ vielleicht auch 
mittrirf enb öie 93efchaffenhett ber Slorta, fcerbunben mtt33eäiehungen 
ö e £ SP? e n f e n jur 2lufeentt>elt, bie primäre SBeranlaffung sur 
fräftigeren Grnttpidelung be£ redeten 2trme§, gur größeren ©efdjidffidfyfeit 
ber redeten $anb; Fulturelle gaftoren Famen hiwt." 

Sdj menbe mi<i) nunmehr 3U ben eingangs auf gesägten neueften 
©Triften über ben ©egenftanb. Eine gang neue Theorie fteHt Dr. 
STnbrelt) SBilfon auf. 3tnfnüt>fenb an bie £atfadhe, bafe bie bie 
93eti>egungen be§ regten 9trme§ beherrfdjenben 3entren bid)i neben bem 
Sfcrachaentrum ber Iinfen $irnhälfte liegen, fragt er: „Qfft e£ nicht 
toahrfdheinlich, bafe bie Überlegenheit unferer rechten Sörperhälfte in 
ihrem 3Badf)3tum gleiten Schritt gehalten hat mit ber ©nttoitfelung ber 
Sprache?" ©r leugnet ba§ Verborgenen ber 9ted)t3bänbigfeit au§ ber 
anbauernben Übung im ©ebraudf) ber Siechten öon ßinbbeit auf unb be> 
trachtet fie al§ ein GrgebniS ber ©Solution au§ ber Toppelbanbigfeit 
herau§. gür bie ßinfSbänbigfeit, toeldjer Daniel SBilfon ein eigenes 53ud) 
getoibmet hatte, bringt Slnbrem Sßilfon feine ©rflärung bei. 

Defto dngebenber finb bie Von SuebbedenS beigebradöten @r= 
flärungen fotoohl für bie ©elinftheit als aud) für bie SRechtShänbigfeit. 
DaS Such biefeS STrate^ ift bie ttriffenfchaftlidj tuertbollfte affer bisherigen 
Schriften über ben ©egenftanb unb bürfte berufen fein, grunbtegenb 31t 
tnirfen. Die S3ehanblung ber Sache burch S. ift eine burdjtoeg anatomifche, 
unb atnar eine t>iel 311 ftreng faßliche, als baft in Einern für ein größeres 
Sßublifum berechneten 3tuffat3 näher in bie ©inaelheiten eingegangen 
toerben fönute. Daher fann id) ^ter, fo bodfyintereffant baS 93ud) auch in 
allen teilen fei, nur bie Sdjlüffc unb Grgebniffe berütffichtigen, 31t betten 
ber 2?crfaffer nach grünblichen gorfchungen gelangt. 2er rote gaben, 
ber fich burdö feine Darlegungen 3ieht, ift bie abfolute SBertoerfung ber 
SWöglichfeit, bafe bie StechtS- beam. SinfSbänbigfcit auf STngemöhnung 
beruhen fönne. Unter anberem fagt er, „ohne toeitereS unhaltbar" fei 
bie Sluffaffung, ba& ber 99?enfch bei urfprünglid) gleicher gunftion beiber 
^emif^hüren beS ©ehirnS bie Mitarbeit ber einen immer mehr ein* 
fchränfe unb fidj an ben ausgiebigeren ©ebraudj ber einen #anb ge- 
wöhne. Sdjon bie anatomifdfje £atfadje, baf$ baS 3entrum für bie 
SpradimuSfulatur nur auf einer Seite beS ©ehirnS — bei ben 9?ecf)tfern 
blofe auf ber Iinfen Seite — 3U boHfommcner Gntftridelung fommt, 
fdjliefte bie 9?id)tigfeit ber Slugetoühmiug ber 9?ed)tSbänbigfeit anS. 

8. toenbet fich gegen bie verbreitete 9Weinung, als fyanbU eS fidö bei 
ber ßinfShänbigfeit um eine auf bie #anb befdjränFte ©rfcheinung. 
Vielmehr fomme babei bie t>E)t)fioIogifdie 33efd&affenheit ber gansen Iinfen 
Seite in Setracfjt, bie bei ben fiinffern bie gleichen STOerfmale aufteilt 
ttrie bei ben SRechtfern bie rechte. Diefe £hefe, tocld^c 2. im Detail au 
befräftigen berfudjt, bilbet, in 3Serbinbung mit bem auch bon 93oIf unb 



266 CcopoPt Katfdjer in Berlin. 

Sierbliet bejahten SBorwiegen ber Unten $imhälfte gegenüber ber 
redeten al3 £auj)terßärung§grunb ber 9techt§hänbigfeit, ben ©runbaug 
fetner 3forfchung§ergebmffe. Set ihrer Verfechtung gtc^t er aufeer ber 
$anb, bem 8lrm unb bem $irn aud) ba§ 9tücfgrat, ba£ O^r, ba§ Sprechen, 
ba§ Sehen, ben Schlaf, bie feelifchen Vorgänge, bie ganze SKu^fuIatur 
nfw. zur Unterfudjung heran, am au^fü^rltdfjften jebodh ba§ Stuge. Surcfj 
zahlreiche Beobachtungen ift er bazu gelangt, bte SinfShänbigfeit in ber 
Siegel an einer Erweiterung ber linfen Pupille ju erfennen. Sie ba3 
STuge betreffenben SDlitteilungen fiub bte WiffenfdEjaftlid) widjtigften unb 
gebiegenften be§*S3uche§. 

2. betont, bafe auch £5 a m e £ üftarf 93 a l b w i n „bie ^räbalenj 
ber linfen #irnbälfte" für bie natürliche Urfadfje be§ SBorherrfdjenä ber 
9lecht£hänbigfeit hält unb er führt au£ bem 33uche biefe§ hervorragen« 
ben Erforfdjer3 ber ©eifteäentwicfelung be§ SiinbeS intereffante SSerfud&e 
an, bie 33. mit feiner eigenen Xochter in beren früheftem Sllter aufteilte. 
3unächft liefe er ba£ Slinb nicht immer auf bemfelben Strme tragen. 
Sann brachte er e§ bom feierten bi§ sehnten SWonat täglich zu einer 
beftimmten 3eit in eine bequeme fifcenbe Stellung unb liefe e§ nach 
ben berfdjiebcnften ©cgenftänben greifen, $n biefer Seit fanb er gar 
feine Bevorzugung einer #anb, Wobei atterbingS ju beachten ift, bafe bem 
$inbe babei noch feinerlci SD?u§feIanftrengung zugemutet Würbe. So= 
balb nun bie bi§her innegehaltene Entfernung bon 10 Qoft auf 12 biä 15 
bergröfeert Würbe, äufeerte bie kleine fofort eine aufecrorbentlidfje Vor* 
liebe für bie rechte $anb. Sßährenb fie bei ben 33erfu<hen be§ erften 
3eitabfcf)nitte§ 577 mal mit ber rechten, 568 mal mit ber linfen unb 
1042 mal mit beiben £>änben zugleich zugegriffen hatte, benufete fie in 
ber zweiten $eriobe bei ber gröfeeren Entfernung ber ©egenftänbe bei 
80 23erfudjen 74 mal bie rechte, bagegen nur 5 mal bie linfe $anb unb 
nur ein einiges 9Wal beibe £änbe zugleich. 33et einer Entfernung bon 
1?» bi§ 15 3oÜ bebiente fie fich beim ©reifen überhaupt nur noch ber 
rechten $anb. 93ei SSerfchicbungen nach linf§ griff bie rechte $anb mit 
um fo gröfeerer SInftrengung in ben Bereich ber linfen über, wäfjrenb 
bie linfe noch Weniger gebraucht würbe. 

Sie 3ted£)t§hänbigen fcfjlafen auntetft nur auf ber rechten Seite gut 
unb befommen, nathbem fie auf ber linfen biet fcfjWerer eingefchlafen, 
bann häufig unangenehme £räume, zuweilen auch Stlbbrücfen. Sie 
©etinften bagegen fchlafen geWöhnliä) nur auf ber linfen Seite gut. Sei 
biefen ift ber höhere Blutbrucf in ber rechten, bei jenen ber in ber linfen 
ffopfhälfte bie Urfache. Unb ähnlich entfpridjt nach S., Wie gefagt, bie 
Befd&affenheit ber linfen Seite bei ben Sinffern in allen Einzelheiten ber 
ber reihten bei ben Rechtlern. ,,§cf) war verblüfft," fcfjreibt 2. auf ©runb 
cine§ reichen 93eobachtung§material§, „bi§ zu welchem ©rabe eine ftber* 
einftimmung zwifdfyen beiben 3uftänben wie zmifchen einem ©egenftanb 



(Seltnf tljeit unb 2lmbtbe$trte. 



267 



unb feinem ©Jriegelbilb nadfoutoeifen mar." ©rofceS ©erntet legt er bei 
ber ©elinftheit auch auf bie.SBererbung. ©r gibt SDaten unb Tabellen, 
auS benen baS häufige SBorfommen ber SinfShänbigfeit in einer unb 
berfelben gfamilie in Dielen gaffen herborgebt. #infidjtlidj ber ©elinftheit 
bei (Sdjulfinbern bemerft er unter anberem: „%n ber (Schute geigt fidj 
in ber Siegel balb, ob man eS mit einem SinfShänber 31t tun bat, unb 
gmar auffaffenbertoeife häufig beim ©treiben. 2&enn fie aud) oft mit 
bieler 3Wübe bie ber 3led)tShänbigfeit angepaßten (Sdjriftgüge mit ber 
rechten #anb fdjreiben lernen, fo hat bodj ein grofeer SEeil bon ihnen bie 
Sfteigung, fidj babei ber linfen gu bebienen. (Später, tt>enn fie merfen, 
ba% eS fidj f<hled)t gegen bie (Spifce ber geber febreibt, fangen fie biel* 
fad) an, t)on rechts nach IinfS in fogenannter (Spiegelfdjrift au 
fdjreiben, toobei fie bei einem berbältniSmäftig febr geringen Sffuftoanb 
Don Übung manchmal eine auffällige ©eläufigfeit erlangen. . . . Sine 
linfSbänbige fd)tt>achfinnige (Schülerin im 3llter öon 12 fahren gab auf 
bie 2Tufforberung, ibren 93or= unb Swnamen mit ber linfen $anb su 
fdjreiben, biefelben in ©piegelfdjrift toieber, unb als tf)i* eine Sirdje mit 
bem SEurm nach IinfS unb bem $aufe nach redjtS borgegeidmet tourbc, 
fing fie mit ber linfen $anb bon rechts an unb brachte guerft ben Xurm, 
bann nach IinfS gebenb baS £auS aufs Rapier. (Sie hatte in ber <SdjuIe 
redjtSbänbig richtig fdjreiben toie aud> ftridfen gelernt; boeb berfiel fie 
geittoeilig auch barauf, mit ber linfen $anb gu ftriden. (Sie ftrirfte 
bann, anftatt bon bem SDftttelpunfte nach IinfS, bon biefem aus nach redytS 
gebenb. hierbei nahm fie ben Stoben auf bie redete §anb (ftatt ime 
üblidj auf bie linfe) unb gab burdy SBerbrebung beSfelben ber SWafdje 
eine ber normalen entgegenlaufenbe 3tidjtung. (Soldje gäffe bon Spiegel* 
ftridfen — in berfelben «Schule toar früber fd)on einer beobachtet toorbeu 
— bürften feiten fein. ^ebenfalls aber betoeifen fie, toelcbe tedjnifihen 
©djmierigfeiten bie SinfSbänbigfeit felbft bei (Scbttadjfinnigen inftinftib 
gu übertrrinben bermag, um fid) gur ©eltung gu bringen." 

SBaS bie 3af)I ber ©elinf ten betrifft, fo loirb fie bon g I e d) f i g auf 
nur 3, bon 33 i e r b I i e t aber auf 22 $rogent gefcbäfct. 3Me SBabrbeit 
bürfte auch hier in ber SDtitte liegen. @S gibt mebr SinfSbänbige, als 
man gewöhnlich annimmt, jebod) toobl fdjtoerlid) mebr als 10 $rogent. 
SJiSher bat nod) niemanb umfaffenbe, fidj auf SEaufenbe erftreefenbe 
(Statiftifen auffteffen fönnen — unb nur foldje mürben berläfelidj fein — 
meil fein gorfdjer mebr als §unbexte beobachtet unb berglicben hat. 
Seiber toirb bie ©elinftheit bon bielen untoiffenben Sehrern unb Srgten 
für eine üble ^mbergetoofmbeit gehalten, bie man nötigenfalls mit 
©etoali befeitigen muffe, ©ang ftnnloS Serben bie feltfamften 30iittel 
angemenbet, um ben bodj böffig harmlofen bormiegenben ©ebraud} ber 
ßinfen gu unterbrüden — meift ohne jeben ©rfolg. biefem 33elang 
fd^reibt ÄuebbedenS: 



268 £eopolb Kaifdjer in Berlin. 

„9JieIe meiner 2inf§bänber Haßten über bie unberbicnten 3üd)* 

tigungen, bie ibnen ifjre Gngenbeit in ber ^ugenb eingetragen 

Später, im praftifdjen Seben, bätten fie erft red^t erfannt, wie unberechtigt 
nirfit nur überflüffig, bie Strenge ber ©raieber getoefen fei, benn e§ 
fei ibnen gerabe im S3eruf bie gäbigfeit ber linfen &anb oft genug 
jugute gefommen, unb fie feien bäufig von anberen barum beneibet 
toorben. S§ ift aud> in ber Xat nidjt einaufeben, toarum man jemanbem 
einen befonberä gefdjicften ©ebraud) ber linfen #anb abgetoöbnen foHte. 
§m ©egenteil — abgefeben bavon, baß gerabe im Sffrbeitcrftanbe 33er* 
lefcungen ber redjten £anb, nacb benen bie linfe ergänjenb eintreten 
muß, nidjt feiten finb, ließe fid) unfdjtoer nadjmeifen, baß in Dielen 
berufen, ob fie nun bloße Äußerungen ber roben ®raft ober befonbere§ 
©efdjicf unb angelernte Sertigfeit erforbern, fdjon mit Stücffidjt auf bie 
©rmübung einer $anb ber 93cfifc einer gleiten ebenfo brauchbaren t>on 
bobem SBerte ift. Säußerbem gibt e§ viele ©elegenbeiten, too ber ©ebraudj 
ber linfen $ar\b gerabeau notoenbig trirb. . . . 2Ran foCfte alfo bie 
Sinf§bänbigfeit au möglicher SSoHfornmenbeit au§bilben. 9tn ben ©e- 
braudj ber 9ted)ten gemöbnen toir un§ gang t>on felbft; für einen Vor- 
toiegenben ©ebraud) ber linfen bagegen befteben fo gut trie feine äußeren 
SSorbebingungen." 

Unb bi^mit bätten tüir ben Übergang gefunben 31t bem verbicnft« 
lidjen ^aupttbema ber brei anberen Vorliegenben (Sdjrif ten (üftr. 2, 3, 4) : 
bie planmäßige, aielbetoußte 9tu§bilbung ber linfen £anb bebuf§ 6r* 
langung größerer 2frbeit§fraft unb Stärfung ber linfen Sörperbälfte. 
SDie ^ulturmenfdjbeit täte toirflid) gut, ber linfen $anb mebr 33cadjtung 
31t fdjenfen. 3BeI($<ir Unfinn, bie obnebin fo geringe a3ertoenbung ber 
Sinfen burdj gebanfenlofe 2tbfidjtlid)feit nodj mebr au verringern! Sem 
flcinen Sinb, toenn e3 unttnflfürlidj bie Sinfe 3um §änbefdjütteln unb au 
anberen a3errid)tungen benu&t, Verbietet man bie§ töricbtertoeife unb 
madjt c§ fo Von Vornberein redjt§bänbig, ftatt im ©egenteil barauf au§< 
augeben, baß e§ Von Anfang betoußt lerne, Von b e i b e n $änben einen 
möglicbft gleidjmäßigen ©ebraud) 31t madjen. 2ft a n m a cft c b e m ü b e r* 
lieferten 33 or urteil gegen bie linfe #anb ein ®nbe! 
fiiinftler, Scbriftftelfer, Srate, ©djreiber, Solbaten, Arbeiter jeber 3lrt 
ttnirben ungemein an .firaft geminnen, toäre bie Soppelbänbigfeit im 
(£d)tvax\Q. 3ßie bie Singe jefct liegen, finb bie bloß ©clinften gegenüber 
ben bloß StedjtSbänbigen gerabeau im 9Sortc.il, benn fie — unb nur fie — 
finb eigentltdj boppelbänbig, ba infolge ber üblidjen Verfeblien ©raiebung 
aueb ibre 9tcd)tc atemlid) auSgebilbet ift, ttmbrenb bie Sinfe bei ibnen 
fid) von Siatur fünf aeigt. 3ftöcbten Scbule unb §au§ balb veranlaßt 
toerben, fiefi bie foftematifd&e 2hi§bübung ber Vernadtfäffigten Sinfen %ut 
Aufgabe 31t ftcflen — einer Slufgabe, bie au ben attemriebtigften ber 
mobernen ^äbagogif geboren folfte. 3Kan Taffe bie Kinber jebe ^anb 



(ßcünftttett unb 2Imbibejtrie. 269 

nad) 33elteben gebrauchen unb fef)c bireft barauf, bafe fie bie Sinfe ffeifeig 
üben. 

Siefen bon mir feit langem berfodjtenen Stanb{muft nehmen and) 
93 a r e unb ®uj>ferf<hmib ein. 3tudE) fie finb ber SDleinung, bafe ein 
grofeer 5£eil ber medjanifchen Sirbett, bie gumeift auäfdjliefelid) mit ber 
Stedten gefdjieht, ebenfo gut mit ber ßinfen getan toerben fönnte, toenn 
biefe genug geübt toäre, unb bafe eine folche Spülung einen (Setoinn für 
bie allgemeine SeiftungSfäljigfeii bebeuten toürbe. Offenbar fönnte ein 
2lrbettenber weniger rafcf) ermüben, tnenn er in bie Sage fäme, bcibe 
$ärtbe abn>ecf)felnb gu benufceit. SWengel malte mit beiben Rauben 
gleich gefdjicft — mit ber redeten in £l, mit ber linfen in Sßafferfarben. 
Königin SSiftoria fdjrieb unb jeicfmete mit beiben #änbcn gleich 
gut. 93et Slmbibertrie toürbe bie eramungene SKuße megfatfen, toeldje 
bei einhänbern im gälte bon Verlegungen ufto. fo oft noteenbig toirb, 
namentlich auch beim Schreiben, 3ei<hnen unb 3Walen. S3eaüglicf) be§ 
UnterridjtS in ber bilbenben Sunft tritt ber englifcf)e Sunftlefjrer 33 a r e 
(9lr. 4) entfdjieben für bie 2lu£bilbung beiber $änbe ein. Slud) bie 
9?ü£licf)feit ber StDei^änbigfeit in bieten anberen Arbeitsgebieten betont 
er nadjbrütflicfj; er fchä^t bie 3at)l ber ©etoerbe, #anbtoerfe unb fonftigen 
93ef<häftigungen, bei benen bie $>ot>:peIl)anbfertigfeit eine toicfjtige Stoße 
fptelt, etnfdjliefelich SMufif unb @t)irurgie, auf 240. 2Bäf)renb in ben 
meiften Säubern ber $anbfertigfett§unterridjt auf bie 9tedjte befdjränft 
Weibt, finb nach 33are3 3WitteiIungen ©ngtanb unb bie Union auf bem 
beften SBege, bie 2lmbibertrie einaubürgern. „Sie Schüler toerben 
gefefjrt, auf bie Söanbtafet große Greife in einem 3^9 3^ aeidjnen — 
abmechfelnb mit ber einen unb ber anberen &anb. SWufter Serben aud) 
mit beiben #änben augleich geaeichnet. SSertricMte Sormen toerben um' 
gebreljt unb rechte toie finfS aur Übung bc£ SlugenmafeeS nadjgebilbet." 
Sn ben Sdjuten bon $f)ilabel:pf)ia tourbe ber bimanueffe Unterricht fefion 
t>or 18 bis 19 $at)ren eingeführt, unb atoar erfolgt berfelbe I)aut>tfärf)licf 
mittels SBanbtafelaeichmmS, ßefymformenS unb ^otafctjuifeenS. ^eber 
fotefc Sef)rgang bauert bei einem falben Sag toödjentlidj stnet ^abre. 
„Sßeit entfernt ben Sortgang ber übrigen Stubien au Ijemmen, ertoeift 
fich biefer ®urS fef)r nüfctidj, inbem er bie Haltung, ben ßbarafter unb 
ben ©eift ber Sinber erheblich berbeffert," bemerft 93arc. 

STudj in Seutfchtanb toirb jefct ber StuSbilbung ber linfen $anb 
enbtid) größere Slufmerffamfeit augetoenbet. Sie fiinber muffen bereits 
bietfad) allerlei giguren auerft mit ber einen, bann mit ber anberea 
£anb ofme jebe Untcrftü^ung bcS SlrmeS auf bie Sßaniitafel aeichiwn, 
tt>a§ gar fcftr anr fitäftigung ber SKuSfetn beS linfen 2lrmcS beiträgt. 
3n ben #anbft>crff<hulen lernen bie Schüler baS Sägen, pöbeln, Lämmern 
ufto. mit beiben Rauben gleich gut au fcoüfübren. Sarauf, bafe biefe 
gute @acf)e in SeutlWanb aflgemeiner verbreitet, in £)fterreicf)4lngarn 



270 



£eopolb Katfdjer in Berlin. 



aber — too fie noch gana neu ift — überhaupt erft eingeführt toerbe, 
arbeitet ®u:pf erfdfjmib, ein öfterreidjifdjer 2lrat, f)tn (SJir. 2 unb 3). 
Sn fetner „£f)eoretifd)':praftifcf}en Slnleitung sur ©rhaliung unb 3lu£* 
bilbung einer bollfommenen Singer* unb $anbfertigfeit" behanbelt e~ 
bortoiegenb — unb in äufterft banfenStoerter SBeife — bie 2lu§btlbung 
ber £änbe unb Ringer im allgemeinen mitteB ft)ftematifdjer p^fiolo* 
gifdjer 33efjelfe, toährenb bie Stmbibejtrie, toenngleidj betont, eine SReben* 
rolle ftrielt. dagegen ift bie ätoeite Schrift auSfdjliefelid) biefem (Segen- 
'[tanb getoibmet, ber t>on allen Seiten — ber anatomifdjen, ber päbago* 
gifdjen, ber F)t)gienifd)en 2C. — tnapp, aber flar beleuchtet toirb. ®. hebt 
bie fctjon bon 2uebbecfen§, Store, meiner SBenigfeit unb anberen betonten 
SSorteile ber 2lmbibe£trie herbor, bertoeift besüglid) ber -Mittel $u ihrer 
Erreichung auf fein gröfeereä S3ud) (eben -Rr. 2) unb gieht, ft>a§ bielleicht 
noch niemanb bor ihm getan, auch ben Schreibmafd)inen*Unterricht in 
ben 33ereidj feiner Setrachtungen. @r fefet fich für eine bernünftige, 
tnraftifdje Reform be£felben auf ©runb einer rationellen Singerau^bilbung 
ein unb bertritt bie Sftotoenbigfeit ber Senufeung beiber $änbe auch hier, 
bamit bie gegenwärtig nur fehr unbollfommen ausgenutzte Seiftung£= 
fähigfeit ber 9Wafd)ine auf§ hoffte gefteigert toerben fönne. Unter £inmei§ 
auf bie intereffanten SJeröffentlichungen be§ befanntcn Sachmannes Otto 
33urghagen gibt ®. behersigenStoerte einfcfjlägige SBinfe. 2er 
ScfjIu&fatJ ber 23rofcf)üre lautet: „Singer« unb $anbfertigfeit fann nur 
burd) ft)ftcmatifcfie ©tjmnaftif ber Singer unb $änbe, nie burch rohe 
9?aturgt}mnaftif erreidjt toerben, unb baher mufo um fo ftrenger ber 
Unterricht in ber .?lmbibertrie' an biefe§ ^rinsifi fi<f) halten, toeil ja 
hier noch bie Sditoierigfeit ber Übung mit ber Unfen $anb hinauf ommt." 

25>emt in §a£an bie fiinber mit beiben Rauben fdjreiben, aeidjnen 
2c. lernen, toarum foHte e§ frei un§ nicht möglich fein?! 33efonber§ 
rafrf) toirb, nebenbei bemerft, ba§ Schreiben mit ber Iinfen £anb 
erlernt. SBer einen 3Konat lang täglich fünfmal ba§ Sllpha&et mit ber 
Sinfen 31t fchreiben berfucht, ttrirb fchon 2Td)ten§ft>erte§ Ieiften. ShufidheS 
gilt bom 9?äf)en. Übrigen^ habe ich bor §ahr unb Xag Schritte getan, um 
bie Slitfmerffamfeit fotoohl ber öfterreichifdren al§ auch ber ungarifchen 
Unterridjtsbertoaltung nacftbrücflid) auf bie SRatfamfeit ber Einführung 
ber £oW)e!hänbigfcit3=3Iu§biIbung 311 lenfen, unb in ©ngfanb befteht 
feit 1903 ein großer unb eifrig tätiger herein gur Sörberung be§ £opt>eI 
f)änbigfeit§=Unterrid)te. ^öffentlich trägt biefer mein Sluffafc recht biel 
■\uv görberung ber Reform bei! 



2lnna Htarta uon Sdjürmann, 

Von 

Stetfler. 

— Breslau. — 

8 ift ein toeit verbreiteter Irrtum, als fei erft bie jtücttc Raffte be8 neunge^nteu 
3abrbunbert8 bem geiftigen (Streben ber fjrauen günftig getoefeu. (Sdjon im 
ftebgefotten imb ad)tgeljnten 3af)ri)unbert §at ber BilbungSbrang ber fronen itnb 
ibr Xrieb nad) literarifd)er Betätigung einen feltenen ©tyepunft erreidjt. Unna Flavia öon 
(Sdjürmann, ein Wfofytn öon öornebmer ßerfunft, eine ber merftoürbigften Srauencrf^ei* 
nungen ber 23eltgefd)id)te, famt getroft bie erfte Borfämpferin ber Frauenbewegung genannt 
toerben; fie ift im fiebäefntten 3nWunbert mit füttern Freimut für tyr eigenes ©efdjledjt 
eingetreten, iubem fie für biefeS ba8 Sttecbt auf Bübung »erlangte. 

2H8 iod)ter eine? abeligen gelehrten SfteberlanberS unb einer beutfdjen Butter aus 
angefebener Emilie, erblicfte Slnna OJtoria öon 6d)ürmaun am 5. Stobember 1607 
ftöln, tooljin ifjre 5lngebb'rigeu tuäfjrenb be8 fpanifdjen SftiegS öon 2lnttoerpen übergefiebelt 
toaren, ba8 Siebt ber SSett. Sdjon frübaetttg geigte ba8 SHnb gro&e Begabung gepaart 
mit unbezähmbarem SBiffenSburft. 2ttit brei 3af)reu fonnte fie lefen unb lernte ben .§eibel= 
berger ftatedn'SmuS auStoenbig; fedjSjäbrig überrafd)te fie bie 3fjtigeit burd) ifjre ftunft* 
fertigfeit Blumen unb gfiguren ou8 Rapier ^u fdjneiben, mit ad)t 3af)«n fonnte fie ftidfen, 
unb balb barauf batte fte fidj bie Shtnft Bilber 31t frfmifcen in bobem SJtofee angeeignet. 
Snbem fie bem llnterridjte ibrer Brüber beitoebnte, ^atte fie faft fpieleub baS ßateinifrfje 
erlernt. 2Ö8 fie 1615 ifjreit Bater nad) lltred)t begleitete, erregte bie Bilbung unb ©elebr* 
famfeit be8 tfinbeg grofieS berechtigtes Sluffeben. 

9ftd)t nur ein leibenfdjaftlidjer $rang nacb Spradjfemttniffen ertoadjte in ibr, fo 
baft fte öom ßateimfdjen balb gum ©panifdjen, Stolienifdjen, %um ®nglifdjen, 5^ieberlän= 
bifd)eit, £ebräifd)en, d^albätfdieit, Slrabifdjen, (StjrifaKn, ©ried)ifd)en unb Xürftfdjen über* 
ging, fie befaö aud) nod) fe^r grünblidje fteimtmffe in Slftronomie, ©efcbidjte, (Srbfuube, 
^ilofop^te unb Geologie, ebenfo blieben ibr bie jftaturtoiffenfcbaften unb bie Anatomie 
mdjt fremb. GS toar alfo natürlid), ba& man baS iunge Sftäbdjen, baS burd) fo reidjeS 
öielfeitiges SBiffen glänzte unb mit beröorragenben ©elebrten in lateinifdjer (Spradje über 
Pbilofopbifcbe Xbemata fourefponbierte, „baS SBimbcr ibrer 3*ti" unb „ben 9htl)m ibreS 
©efcblecbteS" nannte. 3" «tt«t biefen Borkigen gefeilte fid) nod) eine bobe 3Weifterid)aft 
in ber SJhtfif. 




272 



— — H. Heiffer in Breslau. 



Utrecht toar mittlertoetle bcr SSofjuort bcr Emilie gctoorben, unb bte ©iutoeibung 
bcr bortigen Umöerfttät 1636 gab bcr gelehrten 3ungfrau ©elegenfceit mit lateinifdjen 
®ebtd)ten an btc Dffentlidjfett gu treten. 3fr burdj ifre SBegiefrutgen gu ben erften tarnen 
bcr bamaligen nteberlänbifcbett ßtteratur fa>n feftbegrünbeter Sftuljm üerbreitete ftd) balb 
nacb gfranfreidj, (Snglanb, £eittfd)lanb, }a fdbft nad) 3taltcn unb ©jxinien. 

$)ie Staliencrin ßueretia SDlarlnctCi ftatte um jene 3«* baö Problem bcr Stomas 
bilbung, tote es btc sflenaiffance aufftettte, beljanbelt; befebetbener ^atte fd)on btc ^ronaofm 
ättarie bc SarS ©ournen über bie ,,©reid)beit bcr 3Jtönner unb grauen* gefef rieben. 2)ie 
9WeberKhtbcrin fdjränft ifre 2lnft>rüdje nod) mefr ein nnb gibt ifrten in bem 1641 er* 
fefrenenen 33ud)e: „Über ba3 ©tubium bcr grauen" eine fjaffung, bie and) uns billig 
erfdjeinen toirb. 6ie bemerft ju biefer grage: „(Srftlid) folleu bic ^igfeiten pm ©tu* 
bhtm toirflidf) üorfjanben fein, nur befouberS begabte, nur üon anberen $ffia)ten freie grauen, 
befonberä aber Sungfrauen, fjaben ba3 9ted)t, aber and) ba3 üolle föetfr, bie SSiffenfd&aften 
ftd) anzueignen. tJerner foH bie materielle £age ber Emilie bic nötigen §tlf&mittel bieten, 
bann aber foll fid) bie grau burrf) baS (Stubiimt toeber an ben Übungen ber Slnbadjt, 
nod) an ben bäuSlidjeu 23efd)äftigungeu frnbern Iaffen." ©ans befonberg anmutig fmb 
mefrere Briefe in lateinifd&er 6pradje an ben ßetjbener Sßrofeffor 9äüet über biefe fjrage. 
Mar unb beutlid) bat Die gelehrte grau toieberfjolt in ifren (Scfriften barauf ^tngetotcfcii, 
bag baS SSiffcn an ftd) nidjt fdjäblid) auf bie grauen su toirfen braudjt, ftdjerlidj aber 
Diel ©uteö in ifrten ertoerfen famt. 

8ie felbft, bie in Icbcnben unb toten Spraken profaifdje unb öoettfdje SSerfe üet= 
öffentlid)te, öon aeitgenöffifdjen nieberlänbifa^en ©idjtern niefr nur in Herfen befangen tourbe, 
fonbern and) üon auSlänbifdjen, bie greunbfe^aft bcr Sgfalsgräfin (Slifabetb, bcr Xodjter be8 
unglüdffidjen 25interföuig8 griebrid) V., genofc, bte ftdj befonberS in trüben Zagen betoäbrte, 
bie Vefucfr bcr Königin (Sfriftine öon ©djtoeben unb ber Königin öon $olen empfing, 
toar fetneStoegS eine ^maitä'tpicrte. ÜUciftcrin in toetblidjen §anbarbetten, eine treffliche 
SSirtin, fjat fie fidj ifren ©Item ftetS als treue Zodjter ertoiefen unb ift naa) bereu Zobe 
%n gtoci balbblinben alten SSafen gebogen, bereu liebreidje Pflegerin fie öon 1652 bis 
1655 blieb. 

3fr ftjätereS fieben fottte ifr bic fdjtoerften Prüfungen bringen. 3n ben Partei* 
ftreitigfeiten, toeldje bie reformierte ^tra> bcr 9^icberlanbe %n erfa^üftern begannen, b^ttc 
fie ftd) ber ftrengeren 3>lid)tung angefcftloffen unb bie 2Seftfid)feit be8 größten XeilS ber 
reformierten ©eiftlidifeit ^art öerurteift. S^idjt minber öerurteilte fie bie freieren 5lnft4ten 
öon ©rotiuS über bie ^onfefftonSöcrfd^iebenbeit, tote bie abforedjenben 9iu6enmgen beS 
^fjtlofop^cn S)e8carte8, bic er bei einem 23efu$c über bie $ibe( unb bie UnKarbeit ber 
mofaifeben 23crid)te getan. f?raglo§ ftättc Huna 3Jiaria öon 6d)ürmann nodb bei toeitem 
mebr für ibr ©efd)Icd)t toirfen fötmen, toäre fie nia^t balb Darauf burd) ujrc 23efanntfd)aft 
mit bem f>odjbegabten, aber feibenfdjaftlidjen unb fdjtoiirmerifcben SJtyftifer 3ean bc ßababic, 
ber bie „reine ©emeinbe ber toafren Triften" um fid^ fammeln toottte, in ein neue» 
©tabium ifjrer (Suttoitfelurtg getreten, ©ie fd^Io§ ftd& tfjm in gtü^enber S3egeifterung imb 
Skrebrung an unb teilte balb feine ßeiben, feine Verbannung unb feine 3flud)t. Sluf eine 
3eit tourbe ber öerfolgten ©emeinbe in §erforb 3ufl«d)t gebotett, too i^rc greunbtn, bie 
^kingefftn ©lifabet^ üon ber Sßfalä, 3lbtiffin getoorben toar. 2fl?er and) bort toar ibre« 
SöleibenS ntrfjt lauge. (Sie toanberte mit ben neuen ©eitoffen treulid^ toeiter, fie liefe f«h 
ittcfjt einen Slugenblid baburd) irre machen, ba& ifre aa^lrcidjen greunbe unb Verehrer ftcb 
öon ibr abtocitbeten, ja fie futf)te biefc fogar perfönlidj unb briefCic^ a!8 9ln^änger £ababte3 
ju gctoinnen. Wad) langen fdjtoeren fieiben, bie fie fefbft aber als 9JUttel jur Sänterung 
begeiftert örie§, unb toofür fie ibrem ©appfer gans bcfonberS banfbar fein %n müfien glaubte, 
ftarb fie p Sötctoarben in 25eftfrie8lanb ben 4. 9M 1678. 

tiefes eigenartige SÖefen, fyalb ©efe^rte, ^alb fromme 8d)toännerin, eine fttan in 
ibrem ganzen ©ein öon })er Vorliebe für bäirälidje Arbeiten bis %n bcr fa^toärmerif(hen 
Jyaffung ber neuen £el;re, unb bod) öon fd)arfer ^?cgtf unb ^lar^ett in ifjrcm teufen, 



2lnna Itlaria von Sdjürmann, 



273 



toäre getoiö geeignet getoefen, ttüc^ öiel rafdjcr baS Vorurteil gegen toeiblidje SBitbung gu 
beseitigen, ^ätte man fie nitfit burd) ihre SSanbfang nunmehr bielfadi afS ein neues S3ei= 
fyiel anführen fömten, baß aud) auf fjodjbegafcte grauen baS «Stubium emfter SBiffenfdfjaft 
öertmrrenb toirfen muffe. 

SSeldd ein ©egenfafe gttrifdjen ber Sugenb imb bem 5(Xter biefer grau! 3nt elterlichen 
$>aufe gu Utrecht ber StnäiehungSjMnft für bie ©eteljrten aller ßaube, jugenbfchön unb be* 
ftrafjtt öon ihrem SSeltruhm, unb am 5(benb ihres ßebenS toanft bie ©reifin burd) bie 
Seit als bie ©enofftn einer umherirrenben ©emeinbe, bie fid), ben erften (Stiften gleich, 
toor ber SSelt berbergen muß! 

93alb nach ihrem £obe ^erfreuten fich bie Anhänger ihrer <Sefte. %f)xt Überzeugung 
unb ihre ®d)icffale hat 5(nna 9ttaria bon @d)ürmann in ber 1673 3U 2Utona erfchienenen 
Schrift „©ucleria" eingefjenb bargefteflt; üon ihrem ehemaligen SKuhme unb ben SBiffen* 
fdjaften fprad) fic in ihrem foäteren ßeben geringfehäfeig, bettoahrte fxd& jebod) gegen ben 
äSornmrf, ' bie SStffenfchaften berad)tet §u haben. 3n einer $ortfefeuug ber „(Suderia", 
Sfatfterbam 1683, erzählt fic ih* ferneres ßeben; über ihren £ob haben bie Herausgeber 
berietet. 

3ahtreiche ßobfehriften, borgugStoeife ba, wo es fidö um berühmte grauen hanbelt, 
erjftieren über 2fana 3Waria bon Schürmann; bei aller 5lnerfenmmg ber SßahrheitSliebe 
unb ber SBittenSfraft ber felteneu ftrau barf man fie nicht als oorbilblid) hinfteHen, toenn 
bie Begabung ber grau %nx SSiffenfchaft behauptet toerben fott, ba fie ihr ßeben fid) hätte 
glütflicher geftalten fönnen, iüürbe ihre betounbernStoerte SBielfeitigfeit fie ttftjt in falfdje 
iöahneu, ja auf Smuege geleitet haben. 




9torb unb ©itb. CXX. 350. 



19 




Politiker fflonatsbmdit 

Von 

Dr. ^ttgo gföttger. 

— Steg% — 

r a n f r e i d) bat glücflid) am 1. Januar ba§ neue u 1 1 u £ * 
gefefc in voüe SImoenbung gebradjt; sunädbft gab e$ nod) 
einen ÜbergangSantrag 23rianb, i>en 2Irttf ei 4, ber in ben 
£)rtcn, mo feine rcditSfäbigen &u(tu£gemeinben gebifbet Horben toaren, 
Sirdjen, Sßfarrf)äufer unb ftirdjenvermögen erft nad) ^abreSfrift au 
ben 2taat ober bie Crtegentcinben fatten faffen wollte. 2lber biefer 33er 
mittelungsmeg fanb n>ebcr beim s $at>ft 2lnflang, ber im ©egenfafc ju ben 
frau3Öujd)en ?3ifd)öfen überhaupt jeben modus vivendi mit ber fran^ 
ÖÖfifd)cn Staatäleitnng ablehnte, nod) fanb er Stimmung bei ber 9SoIf^ 
Vertretung ber Stejnibiif, bie eine fofortige ßöfung be§ Problems im 
ffiege ber ßinsiebung ber toirdjeugütcr ohne Übergang gut^iefe. ^cber 
Pfarrer, ber nun nod> obne vorherige SJninefbung öffentlichen @otte§- 
bienft abhält, fott 15 Sranfs ©elbbitfee zahlen, unb man fiebt einer giüle 
Don 33agate(lt)ro3effen ober aud) fdjtoeren iuriftiid>'-töeoIogifd>=poIitifd)Cu 
Sonflifien mit au3reid)enber ©e(affenl)eit entgegen. ^mmerbin tft in 
graufreid) jefet bie Trennung bon Staat unb ftirdje burdv- 
gefübrt morben. SJaS -alfo ©ambetta fdjon in feinem Programm t)on 
23eIIet>ÜIe verlangt unb ft>a§ red)t Viele fonft mutige ^olitifer in einem 
io gut mie rein fatbolifchen Öanbe für unmögüd) gehalten haben., ftebt jetst 
in relativer Sotfenbung ba. $>ule§ gerrt) hätte bie Sircbe Von ber Schule 
getrennt unb bamit ben 33oben gelodert für bie 9lu£faat einer freieren 
Graicbung. Xann fam ber Stampf t>on ©ombeS gegen bie ftlofter» unb 
ftongregationenpolitif, gegen ben Untcrrid>t ber Kongregationen unb jefct 
unter Stemcnceau unb Srianb tonrbe ber 33rud) von Staat unb fiircfte 
Voliaogen. G§ lDirb fid) nun freilief) fragen, ob granfreid) in ben Strubel 



politifdfer HTonatsbertdjt. 



275 



fulturfämpferifdjer Agitationen geriffen toerben, ober ob e§ fid) mit t>t)tIo- 
fopJ)ifdf)€r ©elaffenöett an ben neuen 3uftanb gett>öt)nen toirb. Xic 9te* 
gierung fdjcint borläufig ba§ £eft rafjt feft in ber #anb ju galten, tt>a§ 
aud) barauä erfjettt, baß fie fid) bislang au feiner unaiDetfmäfeigen $ärte, 
3u feiner Überttmnnung ifjrer SWadjt fjat treiben laffen. So fönnen unb 
toerben bie frait^öfifc^en Vorgänge für anbere Nationen, bie fid) nori) 
mit fird&tidjen Slmnafeungen f)erumaufd)Iagen haben, t>iel Sef)rretd)e3 
bringen. 

Xie franaöfifdje StejntMtf bat in Berlin an Stelle 93if)ourbS einen 
neuen 33 o t f d) a f t e r gefegt, £errn ^uteä 6 a m b o n, ber bi§ber in 
ÜWabrib amtierte, ßambon ift bei ben Sftaroffoaffären bem früheren 
aMinifter be§ 2luätt>ärtigen, #errn Xelcaff£, ein befonber§ toertboller 
Sftitarbeiter getoefen aur Xurd)füf)rung jener ©inbeit ber glcid)aeitig in 
$aris, SWabrib unb ßonbon gegen Xeutfdjlanb eingeleiteten STftion. 2tber 
ba ja jefct angebüd) nacf) ber Äußerung be§ gegenwärtigen 9Kinifter§ 
für au£tt>ärtige SIngelegenbciten in granfreid), £errn s $id)on, bie marof= 
fanifdje Srage aurn toenigften in ifjrcr internationalen gorm geregeft 
lrin foü, 1*0 brauet £err Sule§ ©ambon nidjt ein aggrejfibe§ Programm 
nacf) Serlin mitaunebmen. .Die beutfcfte Regierung f)at auf ba£ itblidie 
borljerige befragen bin ber Ernennung be§ neuen 93otfcfjafter^ augc^ 
ftimmt, unb fo barf man tuobl annehmen, bafe e§ gelingen toirb, aucf) 
mit if)in bie 93eaiebungen amifcften Xeutfdjlaub unb Sranfreic^, ttne 
$err $id)on beim Sfteujabräernpfang fagte: „forreft, normal, f>öf lief), gut" 
au erhalten. 

Xa§ m a r o f f a n i f d) c Problem bietet an unb für fidj hierbei 
3ur 3^it fein $inberni§. 5Ba§ au§ 9?ai§ Uli luirb, gegen ben bie Strmcen 
be* Sultans ins gelb geaogeu, um ifjn unfd)äblid) au machen, ftefjt babin. 
2er große Jeil ber &abt)(en unb 3rnbfd)€ra§, bie %u ibm gehalten batten, 
finb bou ilim abgefallen, unb e3 merben rt>of)I bemnäd)ft Diele $unbe 
bes £afen £ob fein. Xie 9lu$fübrnng ber 2t f t e bon 81 1 g e f i r a § bat 
mitttertueile begonnen; bie Sdtfüeia &at ba§ $vav ebrenbotte, aber tvenig 
banfbare ©efdjäft übernommen, ben ©eneralinfpeftor ber ^ßoliaei für 
Sftaroffo au ernennen. So fann alfo bie internationale ÜDforalifierung 
Don SKaroffo beginnen. 

Xer erfte 3Konat be§ neuen Sabre§ geborte in X e u t f d) I a n b einem 
fefjr unruhigen politifdjen @efd)äfte, ber Sßabl* unb SBüblarbeit für ben 
dt e i d) % t a g. 3tm 18. Xeaember tDar ba§ Parlament nad& ^aufe gefdiieft 
Horben, toeil feine SWefir^eit, befte^enb au§ 3eutrum, Soaialbemofratic, 
ißolen, SBelfen, bie Littel bertpeigerten, roelrfjc bie Sftegiernng aum legten 
entfdjeibenben Stofee gegen bie 3lufftönbifd>en in Sübmeft verlangte, unb 
meif nad) ben ^aten ber Herren 3toeren, SBiftuba unb ber Steiler SDiiffion 
in 2ogo fdjledjterbing§ feine SWöglidEj-feit mebr gegeben toar, mit bem 
3entrnm ineiterauarbeiten. Xer 3«ftanb eine§ SRegime^, ba§ fid), mit 

19* 



276 



Dr. fjugo 23öttger in Steglttj. 



©imfon fpredjen, „notbürftig in ber Sphäre be§ 9tegieren£ erhält", 
toar fd^on fo nabeau unerträglidj getnorben, unb ber SetttrumSantrag, bie 
S£ruW>enaabI bis 1. Steril 1907 auf 2500 3Kann ju rebuaieren, bätte 
Teilung ber Äommanbogetoalt mit £errn ©r^berger unb SSeraidjt auf 
freies Sltmeu für ein nationales Regiment in einem immerhin bodft 
atnei drittel ebangelifdjen SDeutfdjIanb bebeutet. 2>er SSerfucfi beS Spabn- 
fd)en SBermittelungSbureauS, Überfcfyrift unb Ickten $aragra£ben ber 33or« 
läge beS 9?a($tragSfrebiteS anauuebmen, barmt eine britte Seiung unb ein 
fanfter Umfalf beS 3entrumS möglicf) mar, ttnirbe abgelebnt. ©ie ^rifiS 
bradb au§, unb bie STnflöfung'Sformel mürbe öon einem jnbelnben £au?e 
unb bor einem freubig erregten SSolfe beriefen. ®er äBafj-Ifampf begann. 
SSiel Surdjeinanber unb biel (ErfcfjtüerniS, bie nationale Carole: ©egeu 
Zentrum unb ©oaialbemofratie! burdjaufefcen. ®ie ^TeuaaeitungSjxnrtci 
unb ber 5)unb ber ßanbtoirtc rechts, bie freifinnig« ^Bereinigung linfS, 
fie hielten nidjt an ber Stange unb p£le m£le gingen bie einen für 
bie Stüter unb ^eiligen, bie anberen für bie ©oaialbemofratie inS ©efecfit. 
Smmerbm toar bod) ber SBaljIfampf aucfi an bieten ©teilen bon grösseren 
@efid)tS:punften beberrfdbt, unb namentlicfi bie SWittefyarteien unb bie frei* 
finnige 33oIfS{>artei brachten mancfieS £>J)fer, um bem ungefdjriebenen 
fdjtoara=roten Kartell, baS teils in ben SMonialffanbalen, teils in ben 
neuen Steuern toirffame 3BabIunterftüt3ung erhalten battc, ben SSeg jum 
(Srfolge au berlegen. 

@ine intereffante ©pifobe in bem 2Baf)Ifampf, über beffen Ergebnis 
3ur ©tunbe, Wo bieS gefdjrieben toirb, nod) nid)t gerebet merbcn fann, 
toar ber ©übe ft erb rief beS g ü r ft e n 33 ü I o tt>. (?r toar ba§ 
3lbfd)iebSfd)reiben beS 9teid)SfanaIerS an bie flerifale Sftitregierung, ber 
lefete 33rief in einem jäf) abgebrodjenen SiebeSberbältniS, getränft mit 
Siefignation, Bitternis unb ein menig Sclbftbormürfen, bafe man lief) 
nidjt beffer borgefeben. Sfber obne Sentimentalität blidt man fid) 
fogleitfj nadfy neuen greunben um; bie nationalen ^arteten unb baS liberale 
Sürgertum in ©tabt unb Sanb tollen ßrfafe bieten, unb namentlicfi an 
ben ßiberaliSmuS toirb bie febr energifdje 2ftabnung geridytet, menig- 
ftenS jefct niebt lieber einmal bie parti des oceasions manqu^es, 
eine #erbftaeitIofengrut>t>e, au fein. !D?it anberen SBorten: ber banaler 
ermahnt bie fiiberalen aur ßinigfeit unb aur bödftften Sraftleifhuig in 
biefem (£ntfdyeibungSfamt>f attrifdien IgefutttSmuS, 9iabifaIiSmuS unb natio- 
naler SBürbe. llnb um fidf) ben Stüdfaug nid)t abaufdjneiben, gibt er am 
©nbe a«, bafe eS ja toobl möglid) fei, bafe auf ben erften £ieb bie 
Situation fidj niebt ttefenttid) änbern, bafe alfo eine nationale äftebrheit 
burefi bie 5leun>ablen nid)t eraielt tnerbe. 3Tber baS bofft er ftarf, bafe 
tnenigftenS bie auSfd^Iaggebenbe Stellung beS 3^ntrum§ gebrodben werben 
fönnte, unb bafe bie berbünbeten SJegierungen über $vti 3We^rbeit§= 
bilbungen bemnäefift berfügen bürfen. 5RatiirIid) gibt biefer ©d>Iuft 



politifdfer Monatsbericht. 



277 



reidE)Ud) äBaffer ju bem SegeifterungStoein, aber tt>er e^rlicf) bie Sage 
prüft, mufe bie Stidjtigfeit ber politifdEjen SDiagnofe äugeben unb fidj 
mit faltem SBIut auf toeitere £Jonfltfte gefafet machen, fatß bie boppelte 
3Jtef)rl)eit§bilbung ni<f)t ermöglicht ttrirb. (££ fei benn, bajj bie heutige 
Regierung liquibiert unb eine anbere ttrieber in jene£ Äanb einsieht, 
too unterm Ärummftab fid) gut leben läfet. SDann gibt e£ borüber* 
geljenb fcrieber StuJ^e unb grieben, freiließ um ben $rei§ mandjer fdjönen 
beutfcfyen 5£ugenben. SOIeä Solgeerfdjeinungen ber numerifd) ftarfen, 
fulturefl unenblid) t'dfrtoad&en foaialbemofratifdjen 33efc>egung, unb e§ 
erfüllt fi<f) ftrieberum ba£ Sßort be Sagarbeä, bafe 9iabifali§mu§ unb 
SefuitiSmuS fommuni$ierenbe Stohren finb, in benen ba§ Sßaffer immer 
gleid) fyod\ fteljt. 

®a§ 3 e n t r u m fteEte im SIBafylfampfe bie ©ad&e übrigen^ fo bar, 
al§ fei ein neuer 5hilturfampf geplant toorben, aB f)abe e§ für bic 
fferifale Partei gegolten, ba§ t>erfönlid)e ^Regiment aurüdautoeifen unb 
ba§ 93ubgetredjt be§ 3?eid)3tag§ su toafjren. 9£ad) einer Neuauflage be§ 
ShtlturfampfeS, ber nid)t gerabe rüfjmlid) für ben ©taat geenbet fjat, 
obtoofyt ifm SBBmartf unb gald führten, fefjnt fid) niemanb. ©dfyon 
au§ bem Orunbe nidfjt, toeil bie nidjtfterifakn Gräfte Vorläufig nod) 
biel su aerfplittert unb auSeinanberlaufenb finb. ©benfotbenig ift bie 
2lnnaf)me ridjtig, al§ habe ba§ 3entrum berljinbern Sollen, baft bem 
9leidj3tage berfagt trerbe, im Stammen feiner berfaffung£mäfeigen33efugniffe 
auf bie Struppenbetoilligung in ©übroeft eingutoirfen. ®ie SRegterung 
fyatte bem freifinnigen SIntrage aß SDBpofitib in ben ©tat augeftimmt, 
toonaci) neben ber Sftüdfenbung bon 4000 Stfiann im Saufe be£ 9te<f)= 
nung&jaf)re§ bie SSorbereitungen ju einer ftärferen gurürfgie^ung ber 
©treitfräfte entfpretiftenb ber 33eruf)igung be§ SampfgeirieteS getroffen 
derben fotlten. ®a§ Subgetredjt fann fid) bod) nitftt aB Überbau über 
ben berantmortlidjen Darlegungen ber militärifdfyen ©adjberftänbigen 
ergeben unb biefe SSerantruortung erbrüden trotten, namentlich bann 
nid)t, menn neue Unruhen nicf)t untoaljrfdjeinlidj unb ba§ Sftadjrüden 
bon 2tufftänbifd)en aus bem $apgebiete gerabe gur größeren 33orfid)t 
mafjnt. äStenn aBbann ber ftaifer in ©emeinfefjaft mit bem 33unbe3rat 
eingriff, um bie GHnfjeitlidtfeit ber militärifcfyen SBpofitionen unb ba£ 
Slnfeljen be§ 9ieid)e§ in ber SBelt 5x1 retten, fo liegt barin nid)t ein 9tu§= 
flufe perfönlidjen ^Regimentes bor, tx>a§ an anbern ©teilen fid) geaeigt 
unb berftimmt l)aben mag, fonbern e§ liegt eine ^anblung nationaler 
unb militärifdjer ©elbfterl)attung bor, bie allgemeine ©ißigung berbient. 

5)er preu6tfd6e fi a n b t a g, ber am 8. Januar einberufen 
iburbe, b)irb borau§fid)tlid) ber ©djaupla^ intereffanter innerpolttifdfycr 
Vorgänge irerben, bie audö ba^ gefamte Sfteid) angeben, ©inmal roirb 
ber 9?eidö§tag§^Da^lfamt>f ben Sid)tfd)ein feiner ganale in ba§ leiblid) 
frieblid&e $au§ in ber $rin5=3llbred)tftrafee toerfen unb bermutlid) präd^= 



278 



Dr. £}ugo Böttger in Steglift. 



tige Sieben aum genfter Ijinauä unb Snittatiöanträöe in $ülle unb 
Sülle aeittgen. SSteiter aber aud) Wirb ber preußifd)en Siegierung @e»" 
legenijeit geboten werben, au aeigen, ob e§ ü)r mit ber Dorn 9ieid)3- 
fanaler unb preufeifdfjen SRinifterpräfibenten in bie Situation geworfenen 
Carole: (Segen ba§ Sutrum! mit aüen Äonfequenaen ernft tft. 2te 
äufammenfefcung beS preufcifdfyen Parlaments ift fo geftaltet, bafe bort 
nidjt mit bem 3entrum regiert au werben braucht, ma£ allerbing£ aud) 
folgerichtig ben Sfreuaaeitung§4ioniert>atiämu£ faltftellen unb ben 
Sdjmerpunft be§ 8taat£regiment£ mefjr nad) ben Stfittelparteien rüden 
mürbe, hierbei müfete wof)l aunädfjft ba§ ftultuäminifterium eine anbere 
3ufamm€nfefcung erhalten, al§ eä fjeute Ijat, unb in ber Sirdjen* unb 
SdEjulpolitif fönnte nid)t ber jefct laufenbe gaben weiter gefponnen 
werben. SDemnadj fann mandfjeä anberS werben in ^reufeen. Ob e§ 
aber gefdEjiefjt, ba£ ift nod) nidjt offenbar. $8or allem mufe Wof»l $uz 
Klärung ber Sage ber 8tubtfd)e 33rem3erlafe befeitigt unb bie gadj* 
auffielt für bie $olf3fd)uten angeftrebt werben, unb l)ier fann bie die* 
gierung aeigen, ob fie ben 2ftut f)at, mit veralteten SRarimen au brechen 
ober nidjt. Sie 2:l)ronrebe, mit ber bie Sanbtag^eröffnung eingeleitet 
würbe, liefe t>on aliebem nod) nid)t einen §aud) öerfpüren; nüdjtern unb 
ge|d)äft§mä&ig ber ©runbton, 3«Wen unb 2atfad)en ber Snfalt. So* 
mit ift nod) ba£ 3Heifte unb — fjoffen wir — ba§ 33efte borbefjalten. 




ixkvavi\d\ev Znonatsf>ertd?t. 

Don 

&Jt0Jtß gvitbviAf Qvanft (Breslau). 
Dorf gefeitesten. 

Peter Hofegger: tfiinngtg Polf. — (Hrnji§al]n: ftrniptnb. — (Etmm Kröger: 
^eimfe^r. — <£arl Buffe: 3 m polmfdjen Httnb. 

S^ie meljr fid& ein Stotf in feiner wirtfdjaftlicfjen ©utwictTung Don ber ßaubtoirtfd&aft 
£JL Töft unb ber 3nbuftrie auwenbet, um fo ftärfer wirb feilte (Sutfrembung t»on ber 
^3 Sßatur, um fo auffälliger bie $eSorganifation fetner Kultur. 2km ber Arbeit unter 
weitem, freiem Jpimmet in ßuft unb Sonne, öom 2tcfer, ber irjm üftaljrung nnb 
Gräfte fieibeS unb ber Seele gibt, wanbert es in bie fteinernen, rufcigeu Stäbte, wo man 
faum weife, ob grübting ober £erbft ift, beit Sommer nur an feiner ©tut unb ben SSinter 
aur an Sdjnec unb ftälte tat, unb lä&t fiel) einfoerren in ben btmtyfen, ftaubigen Arbeits« 
ftätten ber ?Jabrifen unb (Somptoire. $a werben wie bie ©efidf)ter aud) bie (Seelen toefl 
unb fafjt, unb mit ber Sfraft ber ©lieber fdjwinbet audj bie prriferje unb 9to6uftigität beS 
(UetftcS. £aS Spegioliftentum ber täglid)en Arbeit macfit bie attenfdjen fteingeiftig, bie 
(Snge beS Greifes, in bem il)r ßeben fid) abfbielf, madjt fie furäfidjtig. SSemt baS ßeben 
ifjren Seelen Schmerlen bringt, finbet es fie fcrjWad), wenn eine grofce Sftot an fie bereut* 
tritt, geigen fte ftd) ofme SSitten. Sie fjaben mit ber Straft aud) allen ©tauben imb mit 
bem ©tauben itjre 31lnfion8fäf)igfett eingebüßt. 

23er bie geiftige Stntftur ber mobernen 3ett tat, wirb gugeben muffen, bafe unfere 
gegenwärtige ^nttoteftung eine foldje öpodje gu burdjtebeu tjat. £anrai braucht aber nod) 
feine Sorge baS #erg ber @iiifid)tigen unb 2Beiterbenfenben erfüllen, üftod) nie ift baS 
Verlangen nad) ©efuubfjeit, nad) tfrifebe unb ftiule ber Alraft in unferm Sotfe fo gro& 
geroefen wie gegenwärtig, nod) nie ift in itmt eine foldje ©efytfud&t nad) SSette unb ©rö&e 
unb (Stoigfeit fo Iebenbig geworben, eine Sebnfucrjt, bie ewiges Erbteil ber SttenfchbeitSfeele 
ift unb gu §ö^en ber (Sntwicflung brängt. (SS ift freilid) watjr, baß biefe Seljnfudf)t 
heutigen SageS ntdjt fetten in abfonberlidjer SSeife aum 2tuSbrucf fommt, aber fie ift bod) 
Dorfjanben unb lebt ebenfo gut im StlpiniSmuS, wie in allen anbent 9trten beS Sportes, 
in betten bie mobeme 2Jlenfd)ljeit @rr)olung unb SBergnügen fudfjt. Unb wenn im §od)= 
fommer bie fjafrige, nerööfe „fttudjt in bie üftatur" beginnt, fo bofumentiert aud) barin fid) 
nichts anbereS als biefe Sefjufudjt nadf) ftvlfät unb Sieben, nad) CStnfadr)r)cit imb Stille, 
bie ber Seele in ber lauten unb friebelofen Stabt abfyanben gefommen finb. 

23on fjier aus lie&eu fid^ toietteidjt SBege m einer maffenbfodjologifcrjen örftärung beS 
ofme Öeifpiel bafte&euben ©rfolgeS beS 3örn lll)t finben, ber JJreunben wie ©egnem beS 
23ud&eS no4 immer ein $ätfel ift. 9Wan mag über feinen literarifcfyen SSert benfen, wie 
man will, eines ift obne Steifet: wir befifeen in il)m eines ber wenigen 23i'tdjer, bie eine 
(Srlbfung aus unfruchtbarem ©efit§lSüberfdf)Wang unb tcbenoemeinenber jHefignation burd) 
wertefd)affenbe Slrbeit, burd) tebengeugenbe %at loetfen. @S ift fjrifdie in biefem SBudje, 
Wie fie ber Seele aus ber ftänbigen 33erüfjrung mit ber ^atur enuäc^ft, es ift etwas öon 
jener färaft in i6m, wie fie aus &ferfd)otIen ftrömt. @S lebt aber in ben breiten 2Jtoffen 
ber ©ebilbeten eine unfäfjlic^e Sebnfud)t nad) folcfjer grifdje imb Straft, nad) CHnfacft^eit 
unb großen ftarfen ©efit^Ien. iantm aud) beobachteten wir im lefeten 3a^3^nt ein 



280 2Iugujt ^rtebrtdj Kraufe in Breslau. 

ftarfeS 3ntereffe für bie ^rfgefcbicbte, bie aus ber XreibbauSatmofphäre ber SoubotrS unb 
ftaffeehäufer, bic aus bcm betäubenben ßärm bcr SSerfftätten unb bem Cualm ber 
poltttfdbeit SirfammlungSlofale hinausführte auf baS ßanb, hinein in bte niebrigen, fdjmucf* 
lofen (Stuben ber Slcferbürger imb dauern, bte erfüllt ftnb oon einem ftarfen, aTrhttafifdjett 
£uft, too man ftart @efü$8raffinement (Einfachheit unb $fraft r ftatt höflicher öedogenbeit 
berbe, aufricrjttöc 2Ba0r6c.it, ftatt oergärtelter ©mpfinbfamfett robufte unb geftmbe ©efüijile, 
ftatt leerer Sorte toortlofe £aten finbet. 

SSenn toir öon Srenffen abfegen, fo ift 9t of egger, ber fteirifd&c 2BaIbbauernbub r 
ber erfolgreiche $orfqefcbic$enfchreiber ber heutigen 3eit. $>aS braucht ntemanb gu 
tounbern: feine Söüdjer ftnb üott oon SBälberraufdjen unb Ouellenflingen, toei&e Jöergjinfen 
leuchten oor uns auf, toenn toir feine ©efchidjten lefen, unb frifebe, ftar!e ^henluft toeljt 
aus ihnen uns entgegen. 9ftit feinen S3üd)ern fommt bem ßefer ein Stücf Statur in fein 
ftäbtifcbeS £>eim, in bem ein paar Xopfgetoacbfe unb ein ftanarienoogel oielleiebt alles tft r 
toaS er baS gange Safjr über oon 9tohtr gu fefjen befommk Wegger ift ein SRaturbichter 
mit allen Sorgügen, aber auch mit aßer Segrettgtbeit eine» folchen; feine Schöpfungen imb 
ein Stikf 9latur: toifb unb lieblich gugleicb, manchmal neefifeb, manchmal rauh unb rro^ig 
unb meift gudjtloS unb uugebänbigt, aber auch überaus probuftio tote fte; er felbft ift 
Üftahtr. 2Ser toollte ihn anberS haben? Unter feinen oielen Schöpfungen, bie ungählia 
ftnb toie Slätter im SSalbe, ift manches minber geratene unb mi&ratene Stücßein. $odj 
ihn fümmert baS nicht, toie es auch bte üftatur nicht fümmert, toenn eine Jölüte ober ein 
Slättlein, ein Strauch ober Saum mißlingt; er paeft alles 3ufammen in ein Such unb 
febenfts unS: 9limm, toaS bir gefällt, baS anbre fannft bu ja ftehen laffen. (Sr fprubelt 
alles, toaS feine Seele im 2lnfchauen ber sßatur in fich aufgenommen hat, aus fich b^auS 
toie ber SSalbqueff: manchmal ftnb Steine babei, auch (£rbe unb Sanb, meift aber ift'* 
frifcheS, KareS SBaffer. $>ie Jyorm fümmert ihn nicht, er ift fein Stünftler, unb toenn er 
mit ber 3?orm ringen muff, toie baS in feinen v Jtomanen oft beutlich gu fpüren ift, bann 
fommt ettoaS JyrembeS, ettoaS (MmftelteS in fein Sßerf, unb man riecht förmlich ben 
Schtoetfc, ben es ihm auSgepreftt hat. komponieren ift feine Sache nicht. Xanrm ift 
unter feinen Stomancn ber „G-rbfegen" ber befte, toeil er barin frifch barauf los berichten 
fonnte, ohne fid) öiel um äufeere iedjntf fümmem $it ntüffen. £ie ®td)tuug toutbe ihm beim 
(Srgählen gang öon felbft gum Montan, $antm auch ift er ein 3fteifter ber Sfigge, ber 
Keinen (£rgäblung, ber Klauberei. 

2)aS betoeift toieber fein bieSjähriger Söaub, ben er: „SftiEnufctgSolL (£ine 
Sanbe paftlofer Settte" genannt hat unb ber toieber, toie alle feine Schriften, im Serlage 
öon & Staacfmann in ßeipjjtg erfchtenen ift. ($S ift gar fcbnurrigeS %oit, baS er in 
breifeig Wefchichten an uns üorbeigiehen läfet,' imb man mu& gar oft ^^ich mit btefett 
Schlingeln unb Xaugenichtfen ober mufc über fte lachen — je nachbem. »ilber eS ift auch 
manches traurige Geriehen babet, toenn aud) feines fo traurig ift, ba& man nicht boch ein 
toenig lachen tnitHte über feine Dummheit ober feine ^ijnufeigfeit. Unter biefen Sxtuge= 
nichtfen fiuben fich aber auch welche oon jenen reinen Xoren, toie ber §anS Sohamt einer 
ift, bie, toie ber dichter in feiner prächtigen $orrebe felbft fagt, „für baS SltttagSleben 
nicht taugen, toeil fte ftd) bem SSeltbrauch nicht fügen fönnen, meil fte eS in ihrer treu= 
hergigen Einfalt gu nichts bringen mtb oon ihrem Ölenb nicht einmal bann cttoaS toiiJen f 
toenn fte barau gugrunbe gehen." Unb barum hat ber frünftler, ber gu biefem prächtigen 
iöttche ben Umfchlag geidjnete, unter bte abfonberlichen (Sefichter, betten man bie £eben8= 
gefchichte ihrer s -8eftfcer ohne fonberlicbe 35cühe aus ben Lienen ablefen fann, auch etit 
fdnnaleS GhriftuSgeftcht mit großen naiöoenounberten klugen gemifcht. @S ift barum nicht 
bloß ein Vergnügen, fich mit biefer i^anbe pafjlofer i?eute umhergutreiben, matt toirb auch 
einiges oon ihnen lernen fönnen unb ©etotntt oon ihnen haben. 

(bitten Sftatnrbtchter fönnte man auch (Srnft 3ahn nennen, ber tnit bem neuen 9^oodIeit= 
banbe „^trntoinb" (^eutfd)e ^erlag^anftalt, Stuttgart) alleu Verehrern fetner üunft 
toieber, toie bei ihm nidjt anberS gu ertoarteu, ein tüchtiges, gehaltooffeS Stich fchenft, baS 
mau um feiner öebtegenhett unb herben ,>haft teilten lieb gewinnen mufe. 3hm aber ge= 
biihrt btefe i8e^eid)nung in einem anberu Sinne als bem ftriegladjcr 2Balbpoeten. ÖaS 
J)io[egger in feinen glücflidjen Stuttben auch plattbern ober ergählen mag, eS bleibt immer 
ftatur, toetl er felbft ein Stücf 91atur ift; 3at)n aber ift ftünftler, ber fieh bemüht, 
ber 9tohir feiner Sergheimat, bie er tu feinen Süchent aufleben läßt, tünftlerifcbe 
Jyorm geben. SBemt ich t'hn einen ^aturbichter nenne, fann eS imr in übertragenem 
Sinuc gefd)er)cn : aus ihm heraus bidjtet bie 9Mtttr feiner fteimat. ©r fcheint manchmal 



£tterartfdjer ITTonatsbcr tdjt. 2S\ 

nur baS 9ftebium gu fein, beffen fie ftd& bebtent, um fid) ben Üftenfcben gu offenbaren, unb 
toaS fie burd) ifnt bietet, ift nur fie felbft unb nid)ts fonft. Seben toir aber genauer 
bin, fo feben toir bod) bie betou&t geftaltenbe £anb beS StünftlerS, unb berfolgen toir fein 
SSerf bon ben erften Südjem an big gu biefem legten Stobellenbanbe, ber beute gur 53c= 
fpredjung borltegt, fo fönnen toir ein allmäblid)e8 Sidjertoerbeu in ber Seberrfdjung ber 
3*>rm, fönnen toir eine betou&te (5nttoicflung hn Sedntifdfen beobadjten. 

SSaS ©ruft 3abn, bera $id)ter, bie fldbft Ijaben mag, toirb, benfe id) mir, 
bie getoaltige, eigenartige Sdjönbeit feiner ^eimat getoefen fein. @r fennt bie Statur 
feiner beimatlicben Sergtoelt bis in bie gebeimften Saiten tyres SSefenS, er rebet nidjt bon 
t^r toie einer, bem baS $03 für Stauben trunfen ift bon ibrer ij?errlid)feit, er geftaltet 
fie, toeil ifym bie Seele bis in alle Siefen fjinab ergriffen ift bon ibrem Sa^redfen unb ibrer 
£iebltd)feit, bon ibrem ©raueu unb ifjrer ©röfte. (5rft ftettte er um feine 2Jlenfd)en unb 
ifjre Sdjicffale bie 9totar toie einen golbeneu Sttabmen, bon bem alles ©längen ausging, 
bafe bie bunten Silber unb ©eftalten fdfjier erbrüeft tourben babon. 2lllmäblid) aber ge« 
lang eS feiner bid)terifd)en Mraft, biefe 3toiefpältigfeit gu meiftern. 2)a tourbe fein Sdn'lberu 
ber 9totur ein ©eftalten, ba tourben feine Sftenfdjeu, ba tourben bie ©eftfjebniffe, bie er er* 
jaulte, eh:8 mit ber 9totar, bie um fie ftanb. £er Sttabmen ging in baS Silb über. 
<Dtc 9tatur tourbe &intergrunb, bor bem feine ©eftalten ftebeu, fdjarf umriffen, berb in 
ben ßinien, ftarf unb getoaltig tüte Slöcfe auf Sllpioeiben, fie tourbe Soben, auf bem fie 
toadrfen, gäb, fnonig, toettergergauft, toie Samten, bie fid) an Sergfelfen ftammern. 2tud) 
toettn 3abu baS 3leufeere feiner ©eftalten fdjilbem totlt, benüfct er gern Silber, bie er aus 
ber Statur feiner fteimat bolt. Ser Körper feiner Sftiefen ift toie aus bem ©rantt ibrer 
Serge gemeißelt, bie ©lieber baben bie ©ranitfjarte ber Serge, bie Stirnen finb wie bor= 
fpringenbe Reifen, fanttg unb toutfjtig, toie ©eftrüpp bon ftelfenborfprimgeu fangen bie 
biefen, bufebigeu Srauen über ben Etagen, bie ©efiebter finb bertoittert toie ©eftein, über 
baS Sonnertbranb unb betgeuber Stegen gegangen ift, toie Slöcfe fteljen fie, toie Reifen 
fatten Tie. 9totar ift baS £eben biefer 2ftenfdjen; Statur, ertoaebfen aus ifjren im Stampf 
mit ber Statur getoorbenen (Sbarafteren, finb ifjre Scbicffale. $ie §crb^ctt unb Sßlaftif 
ber Serge, bie um feine föeimat fielen, ift aud) in feinem Stil, ber eine felteue Shiapp* 
beit unb ©ebrungeufjeit jeigt. 2)ura) f^ortlaffcit be8 anrebenben 5?ürtoort§ in ben 9ieben 
nrnimt ^targ^eit itnb Mür^e, burd) Sertoenbung bon ^ialeftausbi-ücfen fommt eine raufje 
Sobenftänbtgfeit, burd) öftere SBieber^olungen bon tarnen unb SSorteu ein bebätt^tigeS 
3eitlaffen unb 3ä&igfeit in feine ©rgä^ltoeife. 

60 geigt ficf) 3abn aud) toieber in feinem S'tobellenbanbe: „gimtoinb". SSennman 
bie beiben Stücfe: „Stephan, ber @4mieb , ' unb „<Die 9Jhttter" lieft, fo ift es, afö Wtte feine 
2)arfteßung iuxf) au ftnappljeit unb ^erbigfeit, feine ©eftalten nod) an Serfd)loffen^eit unb 
ftraft Leibes unb ber Seele getoonnen. Su fauin einer feiner früheren Lobelien bat ber 
©öfdjener Safjnfjofötoirt eine fola^e ©etoalt beS Sragiföeu erreidjt, toie in ber (Srgäfilung 
bon ber Butter, bie ibren Sobn nieberfcbieBt. 3^bu ift fein Xragifer großen Stifö, i^m 
ift bie Sragtf beS ©in^elfcbicffalö ödes, unb er tueiö feine Se&iebungen fhtben %vl 
tragifebeu itoufliften, bie im öeben bon ©efamtbeiten ertoadrfen; feine 2)arftettung gibt bem 
Sragifdjen immer nur inbibibuelleS, niemals tbpifd)es ©epräge. 2lud) in biefer 9h)beffe 
fommt er über feine ©renken niebt binauS. 2lber feine 2lrt inbirefter $>arftellung feelifd&er 
Vorgänge, bie obne 3luftoanb bon SBorten alles Sunerfte in fianblungeh ftcfj offenbaren 
läßt, fiiert ber entfdjeibenben Sgene biefer ©rjftblung fo erfebüttembe Sföirfung, baf; man 
fie fo leidjt nidjt toieber bergiftt. 

3n feinem borle^ten ^obellenbanbe „gelben beS 3llltagS" erjäblte 3^b" bie ©e= 
fcbid)te bom ©eifeßbriMi/ ber als ßaufburfebe in ein grofeeS §otel unten im $al ge= 
fommen toar. Unter ben fremben 3Jlenfd)en, in ber ungetoobnten, gerftufcbbollen Um« 
gebung aber paefte tf»n baS §eimtoeb nacb feinen Sergen, nadj feiner 3llp, unb fdjou am 
erften Sage rife ber Sub aus. So ergebt^ aud) bem Sidjter. Unten im Tal, too bie 
Sielen toobnen, bie mit ben glatten ©efidjtern unb bem fremben ©e^aben, füblt er fidf) 
nid)t toobl, er mu& biuauf in feine Serge, too 9)leufd)en toaebfen, fo iäb unb trofeig toie 
bie SSettertannen ba oben. Seine Serge, bie ifjm Hraft geben, finb ßabn aud) SBälle, bie 
ibm alle SSege in bie 2Belt IjinauS berlegen. Wut breimal bat er in Keinen (Sn^äblungen 
berfuebt, fie su überfteigeu, eS tourbe ibm aber nid)t toobl in ber $rembe, unb er ber= 
mod)te nidjt, gufe gu faffen. 2Benn mau aber bie erfte Dtobeüe: „Meine Siiicfe" feines 
neuen Sud)eS lieft, bie in 3ürtd) unb in üßatrisierfretfen fpielt, fönute man faft metneu : 
bier fei es ibm gum erften 9)tole geglüeft, im Sale 3U toobnen unb bei ben bielen 9)tenfd)en, 



282 2Iuguft friebridf Kraufc in Breslau. 

unb biefe neuefte feiner (5-raäbfungen bebeutc eine Keine (Srtoeiterung feine» Stoffgebietes, 
baS manchem bod& fdjon als gar gu eng unb mit ber Qdt langtoeilig erfebeinen munte. 
5lber er toagt ftdj niebt toeit unb berlä&t ben 23oben ber fteimat niebt. 3üri<^ ift feine 
SBaterftabt, auf bem 23oben, über ben Pfarrer $e& unb grau £cbtoig febreiten, bat er 
feine änabenfpiele gefpielt, unb bie Seeluft, bie um bie Sangen SlngelifaS fcbmeicbelt unb 
mit bem toeifjen föaar ber ftvau Säcfelmeifterin brau&en auf beut alte^rtoürbigen Seegut 
fptelt, bat feine junge SBruft getrunfen. Unb bemtod) bebeutet, obgleich ber Siebter gang 
in feiner £eimat blieb, biefe sjlobeHe ben Serfucb einer Stoffertoeiterung; anbre 9)tenfdjen 
fmb eS, bie er bier febilbert, 2ftenfdjen, betten er nur einmal in einer Keinen (Srääbluiifl 
feiner „gelben beS SllltagS" berfttebt fyit nafje *u fommen, bie fo gang anberS geartet 
finb als bie 23auem feiner Serge unb ein biel feineres ©mpfinbeit baben. Taft er bei 
ber Sebilberung biefer 9ftenfcben triebt tnS Stteben fommt, baß er immer nur geftaltet, baS 
betueift bie Stärfe feiner bidjterifeben Begabung, Ta ift feine ©eftalt, bie aua) nur in 
einer ßinie iiberjeia^net toäre, unb immer bleiben eS 9ttenfcben, niemals toerben fte gu 
ttarifaturen, er fiebt an ibnen nid)t mebr, toie früher toobl in flehten Stilen, baS Sonber* 
liebe ober ßäeberlicbe, er geftaltet ibr SefentliebeS mit fofdjer Sidjerbeit unb 9htbe, bafj 
man berblüfft fein fönnte, toenn man triebt toüftte: bie Stärfe 3abufcber ftunft ift eben 
9flettfcbengeftafhmg. 3dj finbe in biefer Lobelie Slnfäfee p einer SBeiterenttokflung be* 
TicbterS, unb barum ift fte mir lieb, trofcbem fie ftiliftifd) flüditiger gearbeitet ift, lieber 
ttoeb als bie befte hobelte beS 33anbeS: „Tie üöhttter", bie ben Siebter auf alter ftöbe geigt. 

Sein erfteS :öueb, baS bor ettoa 15 Sabren erfaßten, nattute ber fd)leStoig=bol= 
ftetitifebe Siebter Timm Kröger: „(£ine fttffe Seit". 9Jcef) r dte fonft ein Titel toobl, 
unb befonberS ber Titel eines ©rftlingS, erfd)öpft biefer gang bie ©igenart beS TicbterS. 
2lbfeitS bou ber Strafte, abfeits bon allem Sauten, abfeits bon allem £anbel ber Seit 
liegt bie Seit Timm Krögers, fte liegt tief eingebettet in bie ©infamfeit toeiter Siefen 
unb 9J2oore. £odj unb ftill ftebt in ibr bie Sonne unb ber leiste Mufeltohtb ift febon 
gauj mübe unb fann nur noeb ein 9iacbmittagSfcblummerlieb fingen, toenn er in bie lefcte 
9floorfttble einfällt. „Scbilf unb Scbilfgarbei? unb Saffernbtnpben toaebfen auf falfdjem, 
unbeimlicbem örtmb, aber gutmütig unb treu berraufebt in ibnen ber Seine, bom Torf 
gefommerte Sinb." (Sr t)at bem Träumer, ber bei ber ftitlen 2Jiüble liegt, bei ber 3)ffible, 
bie ftd) b^tte breben tootten — fttief, — raef ! — - eS toar nicfjt gegangen, fie lag ht Letten 
unb SSanben, - Wiefel raefe! — fte ^atte fidj barein gefunben — einen Traum gebraebt 
bou einer mit blanfen Otogen, bie frifd) unb rot an ber purpurnen gittftemiS beS toilben 
Seins borbei aus ben ?\enftern fiebt. „Sar niebt toaS grifebes unb SJhtrpurneS im 
Sinb, ettoaS, baS att tr)re Sippen mahnte? ©r fam bon ibr, bureb älau« Heilerts unb 
Sobann SuditS Mgfoppeln, über ©inrieb StobtoerS unb Gljriftian ^ranjenS Stfcbböfe bin« 
toeg, über bie ttampe bon 9)tarr. Timm unb 2Jtors Tböm unb Süfflen SieberS ift er ge« 
laufen, bei harten £oIm burd]S $eef gefdjlüpft unb bantt bierber — gu mir." TaS ift 
Timm Stögers Seit, eine ftifle Seit, in ber fein ©T^äbler enoaS ju fueben b«t. toeil 
bier nicbtS gefebiebt, toaS für ibn bou Öebeuhmg toäre, unb bie nur ber ßnrifer üoll auS= 
sufdjöpfeu berftebt. 

Timm Kröger ift aticb fein ©rgäbler. 3m 9)lärgbeft beS borigen 3abteS befpracb 
ieb an biefer Stelle bon ilmt bie ©rgäblungcn: „Ter ©innige unb feine Siebe" unb: „Um 
ben Segsoll". 3n ber erften biefer beiben ©efebtebten, für bie bie ©ejeicbnuug „Lobelien" 
biel %\i prätentiös toäre, fteßen gleicb am 3lnfang brei Kapitel, bie einäig in ibrer 3lrt 
fiub. Sie ber Scbneibergefell Weimer Stieger ein anbrer toirb, nur, „toeil eht 3)Jäbdien 
mit gelben paaren, blauem Trilliebfpenser unb toeifeer ßa^fdjürje ^tigefagt ^at, feine gmu 
SU toerben", tote biefer jftärrifebe, ber ftcf) ein aftärdienpring gu fein bünft, ber (geliebten 
mitten in bellfter 5)lonbnacbt ans ftammerfeitfter flopft, nur um fte *u fragen, toarum fte 
ibn eigentltcb lieb habe, toie biefe beiben, toeil er auf Sanberfebaft in bie toeite Seit 
mufj, 5lbfebieb boneinanber nebmen, baS ift fo tounberfam bergrübrenb gefebilbert, baB 
titan'S ttict)t toieber bergeffen fauu. 5Iber mit bem 3lugenblicf f ba bie ^anblung einfcBt, 
ber «onflift ftdj enttoidelt, ba bergifet ber Tidjter alle Scblicbtbeit, alle Einfalt, eS ift, 
als berliefte ibn feine ©eftattungSfraft. 3» ber ftillen Seit, in ber er lebt, gefebiebt eben 
nicbtS, ba ift fein Serben unb (iutmicfeln, ftnb feine Slufgeregtbeit unb feine äonffifte, 
alles ift Stille unb SKu&e unb Serbarrett im Snftanb. Tie Selberting beS 3«ftäubltcben 
ift bie eigentlicbe Tomäne btefeS TtcbterS, baS ßprifdje, bie Sbbtte, bie Tarftettung ber 
ßpifobe. Sir flogen bier auf einen fünftlerifdjen Langel, ben toir, toenn toir genauer 
binfebett, bei bielen fcbleStoigsbolfteinifcbett Ticbtern beobaebten fönnen. gfwnffenS breite, 



£tterartfdjer ITlonatsbertdft. 283 

baS 3*rffefctibe feiner jttomane, fein Unvermögen gu fornponieren, ift ebenfo toie bei 
Ximm Sftöger juir&ftufübren auf einen SKangel an (Shtergie. 23or)t ift bei bem Xtcbter beS 
3S>rn U# ber (Sinn für ftanblung immerhin nod) ettoaS ftärfer auSgebilbet als bei Kröger, 
aber er toirft fidj boeb fd)on im (Sfoifobtfcben gang aus, bafe für ben 5lufbau beS SHomanS 
ber§Iid> toenig übrig bleibt. 3<b benfe mir, fie müffen grofce, grau umfcbleierte kugelt 
baben, biefe Siebter, Xräumeraugen, bie in frilfe fernen feben unb babei baS fieben übers 
feben. 2He SSeitc beS §ori$onteS, bie baS 2ßeer ibrer Heimat ibnen erfcbliefjt, Iocft fte in 
biefe fernen unb ifjre (Seele träumen fidf) bunte Silber unb ©eftalten in fte bittein. Silb 
treebfefi um Silb, aber einzig nur in biefem 2Sed)fel ift §anblung, bie Silber felbft finb 
nur S&ugenblitfe, benen bie Kunft beS XicbterS Stauer üerlieben bat. Xarum übertoiegt 
in bat 3)icr)tuugen ber §olfteiner baS Sötlb^afte. Sie finb ßnrifer, bie l*rofa fdjreiben, 
unb aueb nur Sßrofa febreiben, toeil ifjnen snm fünftlerifdjen ^formen beS ©ebidjteS bie 
Straft febft. 

Sagen toir furj unb fnatty: bie ScbIe8toig*§olftemer, unb unter ifmen oor allem 
Ximm Kröger, finb mebr 3Mer als Xidjter, toeil fie mebr Sdjilberer als ($r$äf)ler 
fmb. 2Tber in ifjren Silbern toiffen fie bem ©ef (bauten Körperlidjfeit gu geben, bie man be= 
tounbern nw&. Xanmt finb üjre 9ftenfcben fo überaus plaftifd), barum toirb, obgleicb 
toenig Setoegnng in ibr ift, iljre SSelt fo überaus lebenbig, bie Kötyerlidjfeit aller Xinge 
fo groß, baB man meinen fönnte, bie (Seelen ber Xinge ftänbeu öor uns ba unb uidit 
mefjr ifjre ftörj>er. XaS ift eS gerabe, toaS feinem neuen Sucbe: „fteimfebr. Sfi^cn 
au» einem £eben" O&amburg, 1906, Sllfreb 3anffen) eine fo ftarfe ßebenbigfett gibt. (£S 
gefcbiefjt fo toenig in biefen breigebn Keinen Stilen, unb bod) füfjlen toir fieben in Unten. 
3ebe 3eile, iebe» SBort ift lebenbig unb toott poebenben SluteS. Unb aße Xinge offen« 
baren iljr cftarafteriftifcfeeS SÖefen: bie Sirfe toirb „ein toeidjer, ein feiner, ein in fjumo* 
riftifdjer Selbftfronie fieb bemütigenber Saum", nad) ben Strien fommen „üerftänbige, 
ebrenfefte Suaden unb Sieben", bie toaebfen auf unb runbeu fid& nad) oben, „eingeben! 
beffen, bafc ber §immel gtoar tfjr 3beal, aber für fie unerreidibar fei" ; im (lfd,enn:alb 
bagegen toill alles oben IjtnauS, „ba gebt'S bid)t gebrängt unb glatt bittentf nad) £uft unb 
ßidjt, . . jebeS Säumeben toeife, toobin eS gefjört, bem Gimmel entgegen, — bie (£rbe, 
toorauf es ftebt, fdiier bergeffenb". Dber man b'öre, toie er öon einer merftoürbigeu Unter= 
balrung ergäblt, bie er im ©arten belaufdjt bat: „©ine junge, fdjlanfe (ifd)c unb eine alte 
Söeibe fjjradjen üom ©mtebier. Xie 3unge toiegte fia^ bin unb ber, fie vertrug oor ©nt= 
^üefen baS Stillftebeu nidjt. Xie 5l(te toar fd)läfrig unb mifegeftimmt unb toäre gern ein 
bifedjen eingenidt." ©aft bu einmal Silberbüdjer von ©ruft Streibolf gefeiten? bie 
w Slumemnärd)en" ober w £ie fdjlafenben Säume"? 8o biebtet Ximm Kröger. 3lber c§ 
ift nia^t blo& bie^atur, bie folebertoeife bei ibm ©eftalt getoinnt, alles toirb ibm lebenbig: 
bie fied^fäble merbeu ju Männern unb 2öeibern, fie ergäben unb bro^en unb toeifeu 
28ege in bie SBelt binauS, jebeS üDhififinftrumeut ber Sorfmufifanten toirb $u einer 
marfanten ißerfönlicbteit: „XaS rufjige §orn fj)rad) gu mir toie ein reifer, gefeftet er 9)Janu, 
ber ben SDiittelpunft in eigner Seele bat. Xie toeidje queßenbe Klarinette toar eine forgenbe 
SKutter, bie bureb tränettoolle TO4te $bilofoj)bitt getoorben ift." ($8 fornmt eitoaS Wl&xihtn* 
feltgeS unb 9J?ärd)enfröblid;eS bnr(ft biefe Söetfe beS SerlebenbigenS in Ximm Ströger? 
Xidjtungen. So trägt er, toie grifc Xtoiffelmann feine Söalbfreube, ein ©lücf im ^enen, 
öon bem bie anbem, bie einen mtpraftifdöen Xräumer nidjt oerfteben fönnen, nidjts afmen. 
XiefeS ©lücf maebt i^n feft gegen allen St)ott unb £ol)it, gegen l'eib unb 9bt, eS gibt 
ibm ein Sebauern mit benen in baS Jxrg, w bie tljre Seele an ben Xag unb beS XageS 
©etoinn öerfauft Ratten." (SS läfet i^n innerlicb ber^lid) lad)eu über aüe, bie ibn unb 
feine fjreube nidjt üerfteben fönnen. XiefeS Ijerjlicbe ßadien, balb beimlicb ttnb als Unter* 
ton, balb fia^ernb, balb laut, ift in biefem neuen Sucbe Ximm Krögers, üou bem id) rebe, 
unb toer eS lernen toill unb toer feine Seele in Stille unb Weinbeit, in ^rieben unb 
©lücf baben toill, ber greife 31t ibm, bem beften, toaS biefer §oIfteiner gefdjaffen l;at. 

©arl Suffe, beffen oftmärfifdje ©efebic^ten : „3m Dolnifcben 2Binb" (Stuttgart, 
3. ©. ©ortafebe Sucb^anblung 9cacbfolger) ben Sefa)lu6 bilben mögen, fyit als örgäblec 
eine bebeutenb langfamere Snttoicflung genommen toie als ßDrifer. ©r blieb als (vr^äbler 
lange 3^tt # toaS Ximm Kröger fjeute ncä) ift: ßnrifer. Seine erften ^rofaarbeiten toaren 
lt)rifcbe Sfi^en, in benen Seine Swgenberlebniffe, Sefunbanerefeleien unb ber junge ^taitfrf) 
erfter ßiebe, in Itjrifcber 5ßrofa ausgemünzt tonrbat. Stimmung toar ibm alles, unb alle?, 
toaS er barftellte, r)atte fiir i^n nur 2Sert, toenu eS Diel Stimmung btfflab. SDcenfrfien 
erfebienen i^m nur toert, bargeftellt ju toerben, fotoeit fie bie Stimmung ber 9totnr ober 



28^ Sluguft Jriebridj Kranfe in Breslau. 

irgenb eines SBeftauSfdjmtteB lebenbig madjten ober ergänzten. Slud) toar er mefjr 3Mer, 
als £idjter, uttb bie (Erfcbeinung intereffiertc t&n mebr als £anblung. (ES ift djaraftmftifd) 
für bie (Ergäfjlroeife beS Jungen Suffe, bafc er fo triel mit färben arbeitet. So reicr) aber 
aueb feine Palette an fjarben ift, feine Silber liegen bodj flacb auf ber ßetmtxmb. ©an§ 
Stjriferart ift eS aueb, bafo if)m folefte ©eftalten am beften gelingen, mit benen er firfj 
ibentifaieren fann: ber junge ftrifc in ben „3ugenbfti*trmen < ' unb SSitolb S3iaHa in bent 
Stomau ,,3d) roeifc eS md)t", als er feine Sefunbauertiebe erlebt. $a foringt uns plöfc 
lid) Iadjenb unb ooU liebermut ber Kliffe ber „©ebiebte" entgegen, ber tolle, berliebte, ber 
aus einer ßiebelet in bie anbre ftürgt, erft bintmelboebjaucbgenb, toenn'S &u (Enbe ger)t, p 
£obe betrübt ift unb gulefct iiber alles öerjlid&frö^itt) gu Caasen roei&. 2)ie erfreu 
ÜDtafdjeu, bie ber Siebter 93uffe erfajuf, toaren alle er felbft. SSon ibnen aus fanb er 
ben 28eg gu freierer OJienfcbengeftaltung. (Eines ftalteS freiließ tonnte er fürs erfte nidjt 
entbehren, unb fo bübete er bem £ebeu uadj. (Er ging in feine 3>ugenb, er ging in feine 
Heimat surücf unb framte (Erinnerungen an @efa>^niffe unb an 2ftenfa>n gufammen unb 
öerfucf)te, fie in einem rufjigeu, eptfrfjen Stil %\x erjagen, bem ein befcbeiben=fparfamer 
Ittrifcber 9üifbufe uid)t fehlte. SSenn bie Erinnerung ftarf unb lebenbig in ifjm mar, fo 
batte er ftarfe SSirfungen. SMS cbarafteriftifdje Söudj biefer (EntroicfIungSepod)e ftnb feine 
„Sdntfer oon ^olajeroo". 

2ludj in feinem neuen ^ooeEenbanbe: „3nt polnifcben SSmb" ift er ber £eunat treu 
geblieben: für ade fünf (Ergäfjlungen biefeS öudjeS bat er als Scbaujjlafc ber iganblung 
bie Dfrmarf gemäht, jene ©rengmarf, too gtoei 33ötfer, gtoei Waffen, fiefp berühren. Suffe 
bat fidtj baS §erg ergreifen laffen, oon ber roefjen, febtoeren «Stimmung, bie über biefem 
ßanbe liegt, oon ber Behaltenen ßeibenfdjaft ber polnifdjen §ergen, bie mit fanatifeber 
3äl)igfeit an bie SSiebergeburt itjreS SaterlanbeS glauben, üon feiner fünftigen ©loric 
träumen, oon biefer Hoffnung leben unb oft jeu) aufflammen in einer ©lut, bie fie felbft 
oemiebtet. (Erinnerung ift es aueb, bie ben Siebter f)ier leife bei ber £>anb fjält unb 
füljrt, aber es ift nidjt mebr bie (Erinnerung an 9ttenfd)en unb ©efebebniffe, bie ber Siebter 
nur aus ir)rcr 9tltf>e unter tfirdjbofSblumen aufftört, es ift bie (Erinnerung an ©efityle unb 
Stimmungen, bie er trieffeidjt mit anbem, fidjer aber an anbereu erlebt bat. &u$ bieftn 
Stimmungen berauS fdjafft er neue 9ttenfd)en unb neue ©efebefmiffe. 2>er (Ergäfjler Suffe 

f"» t alfo in biefem f&udjt gum erften 3Me reine Shmft, feine 9tocbbilbung mefir. (Ein 
mftebeuber fann natürltd) nicfjt naebprüfen, ob in einseinen ber früheren Stikfe bie 
innerung gleicbfattS bereits gänglid) auSgefebaltet ift. £<iS ift aber aueb ntcr)t toefentlicb: 
ben neuen ^ooetten merft mau es an, ba| ber Siebter ftcb frei gemalt bat unb frei 
febafft. darauf fonunt eS an. 

Üftod) freilid) fiiblt iöuffe ftcb »i*t gang fieber, unb eS gefdjeben u)m bf^cbologifcbe 
(Entgleifungen, mie in ber S'loüelle, bie bem $nd)e ben Xitel gab. Xa tx$f)Ü ein ^aga= 
bunb einem ©enbarmeu, ber ibn uad) ber sireisftabt ins UnterfucbungSgefängniS bringt, 
feine SebenSgefcbidjte. 2)te 9lrt, tote er baS tut, ift irofe aller 9)bti0ierungSDerfutt)e fo 
toenig einroanbsfret, bafe man ben Slopf fcbütteln mürbe, memt nierjt fonft alles in biefer 
(Erjäblung fo ioabr unb fo lebenbig mare, fo plaftifd) unb Doli ioie in wenigen früheren 
(5-r^äblungeu beS $id)terS. 3Jlir toitl fdjeiuen, als babe bie frübere 2lrt feines SdjaffenS 
iöuffe bter einen fleiueu Streid) gefpielt: burfte eS bie eigene (Erimterung niebt fein, bie 
Schöpferin war, fo follte baS 9teue bod) menigftenS als (Erinnerung gegeben werben. Sieäeicbt 
füblte ber ^Didjtcr fo fid) fieberer. (ES ift auffallenb, bafe in ber britteu, ber beften StobeHe: 
„Sodann SobieSfi" biefer SBerfudj, sum ©lüd in bebeutenb abgefcbioäibter ftoxm, roieber* 
fefjrt. Unb toenn Sföojcaief ^HoSbita, ber ^oftiHbn, bem ^ajter bie ©efcbid)te feiner 
ßtebe ergä()lt, fo fommt baS auf baSfelbe bctauS. Stud) an ber etroaS fdxiblonenmäBigen 
©eftaltung einzelner 2ftenfd)eit beS Raubes fann man bie leidjte UnRcberlieit merfeu, bie 
ifjm noeb anhaftet. 

Xap Kliffe aber aud) 9)taifd)eu eigenfter 5lrt gelingen, 9)lenfd)en, t^ott rubiger, be= 
mufeter Mraft unb öerr)alteitcr ßeibenfcbaftlicbfeit, baS geigt bie fdjöne 2lnbrea ber erften 
(Ergäbluitg. tiefes Wabeben, ftolg unb ftarf, ift nidjt allein baS febönfte Wiuxben beS 
Dorfes, es ift aud) ber fcb'önfte, ber lebenbigfte ^enfd) beS gangen 33ucbeS unb bie ftarffte 
(Garantie für bie 3»^wnft beS (Er^äblerS 23uffe. 



3Huftrierte Bibliographie. 



SHctttc OodKcitSvcifc &ttve| ffovca toäfcvcnft t>c* rufftfdH***nifd)cn Ävicflcs. 

«ou ftubotf 3abel. 3mt Xitelbilb, einer Stete nnb 200 Slbbilbungeu im £ert. — 
Slltenburß S.=2f., ©tep^an ©eibel. 

Xer bereits birref) mehrere Sfteifctoerfe (Xeitticfilaub in Gfn'ua, bttrd) bie 2)canbfd)uret 
unb Sibirien, im muljainmcbamfdjen 2(benblanbe Sftaroffo) rüfnnlidjft Mannte SBerfajfer 
Gilbert im üorlteflcitben SSerfe feine Steife nad) Cttafteu, luo er als .SiTicqSforrcfpoiibcut 
auf japanifdjer Seite am ruffifdjsiapauitdjen Mricqc teilnehmen foütc. Xa er unmittelbar 
nad) ber §od)tf\t mit feiner jungen ©attiu biefe Steife antrat, fo aeftattete tid) festere 




«Port Saib von ber (Einfahrt 3um Guejfcanal aus gefefjen. • 
«us: w *0leine "öwfaettsreife burö) äorea roäfjrenb bes rufnfä«iapanifd)en Ärieges." 2Jon «Rubol? 3abel. 

Mltenburg S.«9I., Stephen (Beibel. 



286 Horb unb Süb. 



gteid^eitig als feine öxhäeitSreife. ©5 toar bem SSerfaffer bie SJertffidjtong auferlegt 
toorben, mit aller tmr tunltdjeu Söefchleunigung abgureifen. $er nädjfte fällige beutfdije 
$oftbampfer fonnte aber nicht mehr in ®enua erregt toerben, imb fo toar bur# bic 
£iebenStoürbigfeit beS ©eueralbireftorS ber $amburg=5tmerifa ßtnie bem 2krfaffer getrottet 
toorben, ben nädrften mit gleicher ©efchtoinbigteit, tote ber ^oftbomjjfer beS Stabbeurjdjen 
i4ot)b, fahrenben gradjtDampfer „Slrtemifta" bon $ort Saib aus 5« benüfcen; biefer Stampfer 
bot babet ben Vorteil, in einer Xour bis v $ulos$enang an ber Sübfpifce ber mafoinfetjen 
§albinfel burdjfafjren su fönnen. Xie Steife beS SSerfafferS ging jnnädöft über SBien nad) 
Xrieft, bou ba mit bem Schueßbampfer beS öfterrcid)ifd)en £lopb „Stleopatra" nach Sü^an* 
brien nnb Don t}icr mit einem Müftenbampfer nach v #ort 3aib, too .§alt gemalt toerben 
munte, ba baS (inntreffen ber „2lrtemifia" erft in einigen Xagen 51t ertoarten ftanb. tyott 
Saib ift einer ber befannteften ftäfeu ber ($rbe, ta ieber Xantpfer, ber ben SuesEanal 
paffiert, in s 4*ort 8aib anlegt. ( 3. 2lbbtlbuiig. ) X'eutereS beseidmet ber Sterfaffer als ein 
redjteS Öaunerneft, too bem ftremben bie paar Stunben, bie er am üanb geniest, burch eine 




T)cr ,/Bunb" oon äobe. 

Wus : „Weine £od)3eitsTeife burd) äorea roäfjrenb bes tufftfö* japamfdjen Äriegcs " 55on Hubolf 3abd. 
- ffllteitburg S.»E., Stephan (Beibel. 

aufbringliche frorbe oon 8d)ioar$en, bie ficfi als Jyüfjrer, ßanbfer ober 8drfepper ber 30$= 
reidien «auf laben anbieten, naa) 9)töglidjfeit oerleibet toerben. £>ier in Sport Saib hörte 
man aud) ioieber ehoaS Oom Kriege, unb man toar infofeni beunruhigt, als man oon ber 
2(ntoefenbeit beS ntffifchcn GfcfcbtoaberS im 3toten Speere StenntniS hatte 3n$mfd)en toar 
bie „Slrtemifia" eingetroffen, unb toeiter ging bie Steife burd) ben Suejfimal. 9cad) 
21 lagen toar ^enang g(ücflid) erreicht ; ber Aufenthalt bafelbft toäfjrte Stoei Sage unb 
midi weiteren ;toei Xagen tourbe in Singapore gelanbet. ftier toar man burd) ben Strieg 
in feinerlei 2$eiic beunruhigt, aber mit ber ibntlifchen Otuhe auf ber Slrtemifta toar eS iufofern 
oorüber, als sahfreidje i^affagiere, bauptfäcblid) Gbinefen, fid) einfanden. $a8 nädtfre SHeife« 
Siel toar frougfong unb toeiterhin 2)ofohama, too man touuberbarer SSSeife oom Striepe fo 
gut toie uidits tou&te. — 2i>aS ber Sßerfaffer über bie japanifd;en (Stimmungen unb 2kr* 
ftimmiingen fchreibt, ift fein* intereffaut unb oerbient befonberS heroorgehoben m toerbetu 
Xa er rUtm britten 3)ia(e in 3apau toeilte, ftanb ihm bie nötige ($rfahnmg jitr £eite. *Xie 
eigentliche 3apfln=8d)toärmerei, fo fdjreibt er, bie namentlid) bei uns 31t Jgaufe grafftert, 



Jlluftrterte Bibliographie. 287 

« 

Öabe er längft übertounben Styan unb feine VeDöIferung ift 3»ar bon allen oftafiatif djen 
Elfern bei »eitern Dasjenige, baS unterem Kenten unb (Smpfinbeu am nädjften ftef)t 
— unb bod) »eldje $faft trennt uns üon Sapan! $a& Unteres ein fremDeufreunblidjeS 
£anb fei, beseitet ber Verfaffer als unrichtig. $)er föaum bcrbtetet, auf bie SluSlaffungen 
beS VerfafferS, namentlich in $inftd)tauf bie ganje oftaftatifdfoe Sßolitif ber Iefcten 3abrsel)nte, 
näber einzugeben unb mu& auf baS Original üer»ie[eu »erben. Valb nach bem Eintreffen 
in 3ajwu toar ber Verfaffer uad) Xofio gefahren, um fid) bort bem beutfdjen ©efanbten, 
bem ©rafcit oon 3Tra>2Met) f oorauftetten, äumal nad) ber japanifdjen Vorfdjrift StriegS* 
Eorrefponbenten bei ber iapanifd)en $lrmee nur auf Vermittelung tr)rc^ ietoetligen föefanbten 
sugelaffen »erben fottten. lieber baS toenige ©ntgegentommen feiten« beS beutfdjen ©e= 
fanbteu bat ber Verfaffer Veranlaffung ficfj bitter *u besagen. 5113 gerabe^u baS 
beutiax C5efiif)t berleöenb bejeirfmet er eine auf bem öaubttelegrap&enamte in 2)ofofjama 
angefdtfagene Vorfdjrift, nacn ber aua) getDÖ&nlidje bollbejaf)Ue Xelegramme mir in ber 
englifcnen unb frangöfxfcften Sprache suläffig fein foUteu. :&aS fernerbin aiidi ben beiitfd en 




ftufan oom §afeu aus. 

Slus: „ kleine £od)3eitSTetfe burd) äorea roäljTcni) bes mffifd)<iapani?d)en ßrieges." 93on «Rubolf 3abel. 
— Sittenburg Stephan ©cibel. 



3apanfd)»ärmer nid)t angenehm berühren bürfte, »ar bie öaltung ber japanifdjeu treffe, 
tu bereu Spalten es bon Scnmä&ungcn unb Verbädjtigiuigcn gegen £entid)Ianb »immelte. 
?tod)bem ber Verfaffer über bie näberen Vebingungen fid) orientiert batte, unter benen bie 
auswärtigen Morrefponbenteu ins ftelb gießen burften, befdjtoB er amiädrft, in feinerfei 
Seife fid) w binben, »ufete er ja nid)t einmal, ob er ber foreanifdjen 2lrmee am 2)aüt 
ober ber Slrmee fturofiS, bie im begriff ftauo, auf ßiautang &u lanbeu, äuge»iefeu 
»erben »ürbe. Um aber aus biefer Ungetoifföeit b«auS3ttfommen, mu&te au praftifct»en 
$aten übergegangen »erben. 2)em Verfaffer gelang es, nid)t nur bie 3uftimmung beS 
japanifeben auswärtigen HmteS, fonbern aud) beS tfriegSminifteriumS &u einer Steife in 
ganj «orea gu erhalten. s Jtad) ben nötigen Vorbereitungen für eine fotdje Weife »urbe bie 
gaf)rt auf einem bentfeben 9teid)Spoftbampfer nad) tfobe angetreten, »o balb nad) bem 
ßanben ben Steifenben mand)erlei llmftänblicbfeiten entgegentraten, bie aber glütflid) über* 
»unben tmirben. Von .Stöbe aus, baS eine reinwolle Umgebung befifct (f. 2lbbilbg.), ging 
bie fteife burd) ben Sulanbfee, ber mit Dtedjt ben Atomen eines <5eeparfS ber (Srbc ber= 



288 tforb U nb Süb. 

bient, nadj bcm ebenfalls fjerrlid) gelegenen ©djimonofefi. £ier machte ber ^erfaffer bie 
23emerhmg, dob er mit fetner ©attin uon jtoei ^ltbrtitglicfjeit 3apanem — s }k>liäeifpi&elu 
— »erfolgt üntrbe, bie aud) auf ber weiteren Steife immer nrieber auftauchten. DaS nääfte 
})teife$iel luar 3fuf au an ber Süboftfpifee ftoreaS. Dies ift eine japanifdje ©riinbuug; man 
f)at ßicr beu (Smbrucf, als befänbe man fidi in einer japanifdjen ©tabt. Die ^rpflegung 
bafelbft in ben „europäifeben SfteftaurantS" ttxxr teuer unb miferabel. — 9lud) über biefe 
jöerfydltntffe gibt ber Sßerfaffer eine etngefjenbe, febr feffetnbe Darlegung mit Streiflichtern 
auf bie (Snttfteljung beS ruffifcb=iapautfd)en .siriegeS, ben Sapcm toollte. 3« Sfafait I)örtc 
man üou friegerifdjen Operationen fo gut tüte niebts. Die Stabt lebnt ftd) au einen mit 
Salb beftanbenen föiigel, an beffen Sübabfyang in etwa breiuiertel §öl)e baS jjapanifebe 
.Sionfulat ftefjt, eins ber tueuigen europäifd) gebauten öäufer (f. Slbbilb.). Da feine 9ltt3= 
ftd)t beftanb bon Sufan balb fortgufommen, entfd)fo& ftd) ber SBerfaffer 51t einem Ausflüge 
per (Sifeubafnt in« ßanb hinein, ber aber im allgemeinen toenig intereffant berlief. Wad) 




Unfer Quartier in Äam bu lau. 
2lus: „OTeine fjoefoeitsreife butd) äorea toa^renb be* iunifä>iapanifä)en Krieges." 'Bon «Rubolf 3abeL 
— Eltenburg S.»W., Stepfjan (Beibcl. 

Utägigem Söarteu imtrbe enblid) auf bem iapamfdjen Dampfer Urato ÜJJaru, einem f leinen, 
elenben Surften, an ber foreanifchen Mi'nte entlang bie weitere fjafjrt nadj ©enfan borgen 
uommen. Sd)öu toar bie Jfabrt md)t, unb bie ilieifenben Eonnten frob fein, als fie in 
©enfan lanbeten, toobei and) mandjerlei Sditoierigfetten m übertoinben nxtren, $(uf 
.sioreauifd) beifet bie Stabt „Sönfan", auf Sapatttftb „(^enfau". Der SBerfaffer ntadbt 
auf bie iUerfdjiebenbeit in ber Slusfpracfje foreanifa>geograpf)ifd)er S3e.^eid}nungen aufmerf= 
fam, bie l)auptiäd)lid) bann begrünbet liegt, baft bie djineftfdje 23e$eid)nung auf ben foreanU 
fdien Skrteu Don ben 3äpcmern anberS als öon ben Storeanem gelefeu ioirb. Die Doppel* 
uomiuieruug tollte bei jebeut einzelnen foreanifdjeu Ortsnamen üorgenommeu toerben, um 
2?ent)irritnfl in ben Marten 31t öermeibeu unb ben iüeifenben oor Sdttuierigfeiteu 311 be* 
loafjren. itat ©enfan aus trat ber üöeffaffer bie Sieife per £anbmarfd) nadj Soul an. 
Die $efd)reibung berfelben ift fefjr intereffant, toie überbattpt bie Säuberungen beS $Jer= 
fafferS über bie Details feiner perföulicbeu (Srlebniffe aud) in be^ttg auf £anb unb £eute 



Bibliograplitfdfe Homert. 



289 



ein befonbere» Sntereffe erregen. 5tuf befaßter Tour fei be» Dorfes Sam bu Iait ©rtoähnung 
getan, ba» bon ben Soreabörfern, bie ber Serfaffer paffleren mußte, bielleicht als ba» am 
meiften ibbffifdj gelegene begeiebnet toerben fann. (S. Stbbilb.) Ter ßanbmarfcb toar 
übrigen» mit fo mancherlei Strängen berbunben. 3>n Soul angelangt, fanb ber 33er* 
faffer bie Tepefdje eine» Kollegen an» g)oCohama bor, mit ber Zeitteilung, baß an bie be= 
reit» fett Sftonaten gugelaffenen SriegStorrefponbenten ber 3. Stbteilung, gu benen berSSer« 
faffer gehörte, bie Snfforbermig ergangen fei, ftd) bereit gu galten, ba töre Ueberfübrung 
girr Sfrmee Surofi» nach ber Sftanbfdfturei balb bor fich geben ttwrbe. Tte» SBort „halb" 
lamtte ber S&erfaffer nnb toußte, baß ihm feine allgubringtiche Sebeutunfj beigumeffen fei. 
greilich mußte nun aber bodt) ber Söefcbfuß gefaßt toerben nach Sapan gurüefgufebren, toenn 
aud) barüber noch einige SBocben bergefjen fottten, bie bie föeifenben in Soul gu ber* 
bringen gebadeten, pr ben &erfaffer geftalteten fidö aber bie Statyiitmffe rücfentltdt) 
anber». Sitfafee fdjtoerer ©rfranfung an ber Ühthr mußte er fich gur SJtucffehr entfließen, 
gunäcbft mit ber Sahn nadb Tfdjemuplo, bon ba gu (Schiff nach ftufan unb toetter gur 
(See nach ber ©emtat — 3n einem Scblußfapitel behanbelt ber SSerfaffcr in fct>r ffarer 
SSeife bie „furge ©efdjicbte ber Unabbängigfeit ftorea»\ Tem in ieber Jöegiebung bor« 
trefflich au^geftatteten, umfangreichen Stiche (462 S.) ift ein Tanten* unb Sadjregifter 
fotoie eine Sarte bon Sorea beigegeben. Wlan lieft ba» Such, bat* ber bortrefjlichen 
unb angie^enben, btelfac^ mit föftttdjem ©urnor getoürgten Tarftellung be» SBerfaffer», bon 
Anfang bi» gu ®nbe mtt fteigenbem Sutereffe. K. 



ttaftafrettdminif. 33on bettet) b. ßüien* 
crom Berlin iuib ßeipgig, dufter & 
ßoeffler. 

T. b. & ift gur ©erauggabe einer fofdfjen 
Sammlung ber berufenfte unb berechtigte 
moberne Ticbter. ®r allein gab ber bon 
Bürger toieber entbeeften unb ertoeeften 
beutfdjen S?oö»baHabe einen eigenen Ton 
unb Stil. SSährenb bie bon ©oetfje ge* 
febaffene, mehr au» bem ©ebanfen arbeitenbe 
Shmftballabe gasreiche Weger unb Vertreter 
fanb, hntrbe ba» SBefen ber befonber» bureb 
bie (Stimmung toirfenben 23oöfcballabe nur 
bon Jpenigen Ticbteru erfannt unb treu 
ioiebergegeben. ©inet t&rcr beften Senner 
unb Sömter toar Tf). Fontane. @r toie» 
barauf hin, baß neben bem allgemein SSoIfö* 
liebmäßigen in uieberbeutfdjen fianben man* 
dfjer berfuntene hiftorifdie SMabenfchaö ge= 
hoben tourbe, ber an 93ebeutung unb (Bdfön- 
beit hinter bem bielgeritbmten cngIifd)=fcr)ot* 
tifdjen nicht gurüeffteht. & & wichen bie 
23atfaben bom „Sremmer Tamm" unb 
^Äe^er^ngermiiiÄe" an bie „©hebt) 
^^ie Schlacht bon Otterboume" unb biete 
(rubere $ercl) SaHabcn heran. SBa» feun* 
geidbnet bie beutfehe SBoItebaHabe? @te 
tourgett im ©emütsfeben unb toär)(t metft 
ernftc, tragifche Stoffe, bie ber Statur be» 
fianbe» unb feiner SBetoofmer entfbredjen, 
ift aber aueb bem berben <S4erg unb Schtoanf 
nicht abhdb. 3Jlit Vorliebe ergähtt fie furg 
unb bünbig bon ipelbentaten, bon 9Jcanne»s 
trufc unb 2:reue, bom £ampf ber Elemente 
unb ßeibeitfchaften. ©elüöhnlich berfefet fie 

<Rotb unb Süb. CXX. 359. 



ohne Einleitung fogtetch mitten in bie 23e* 
gebenheit, bie, toenn auch gutoeilen unbebeu« 
tenb, boch immer bott ßeben unb ^anblung 
ift. 3w Sermeibung ber SBeitfchtoeifigfett 
bebient fie fi<h 0em be» iffiechfelgefDräche». 
$aburch roirb bte S)arfteffung befchteunigt 
unb bramatifch, fie ioirb fbrunghaft, tooht 
auch lücfenhaft. Sie liebt bie Dämmerung, 
ben Schatten, ba» ©efoenftige, 23ange, 
Schaurige. 3hte Itjrifche Stimmung roirb 
manchmal burd) ben Sehrreim feftgehalteu 
unb gehoben, tiefer Umftanb beioeift, baß 
bie altbeutfchen SBattaben ibirtTiche SSoCfölieber 
loaren. Ter Sehrreim ttmrbe bom (&f)ox 
ibieberholt. Tie hier gu einer ©hronil ber* 
einten 73 öattaben ß'» geigen neben bem 
echten Ttcbterftempel eigener (Srfinbung 
unb ©mbfinbung alle biefe 97cerfmale. Sie 
bringen frei bon ieber (£intönigfcit in bunter 
3rüHe unb 5tbtoechfelung ^üftorien unb 
Sfaefboten, Sagen unb ßegenben, ©rufte» 
unb §umoriftifche», 2Hte» nnb Sleue». Sie 
febilbern ßeben unb Sterben, naturiüüchftge 
3Wenfchen unb Staturgetoalten unb fließen 
mit bem paefenben, jmtriotifchen ©ebicht „Ter 
Sampf um bie SBafferftette", einer toürbigen 
Totenfeier ber in Sübtoeftafrifa gefallenen 
beutfehen Reiben. 3)cit.föecht hat T. b. fi. 
bie bon aflgu ftrengen Sfthetttem gegogenen 
unnatürlichen ©rengen unbeachtet gelaffen 
unb in feine ©alerie manch fch'önc» frifche» 
Söilb aufgenommen, ba» in ben altmobifchen 
Gahmen ber SBattabe nicht gu paffen fcheint, 
g. 33. Satinga, Mt ber $inaffe, ^hngang 
tu ber grühe, Heißhunger u. a. Sd^abe, 
20 



290 



Horb unb Süb. 



bog .et fo etflentumtidjc (Sebidjte mic: Xob 
in ä^ren, Un6etmlu|cr Xci4 Sic (jelbe 
ölttmc ©fcrfudjt, £otf)fommer im SSalbc 
ml ol auSfdhtog; fie toäreu fjier am redjteit 
Ort unb in «utet (Scfettfdjaft ftetoefen. 
216er nidjt ungufrieben unb uitbantbar! (§r 
bietet be8 93efteit ßemig. 25er fidj an toafjrer 
DolfStiimlid^er Sßocfte erfrifdxn unb erfreuen 
tirifl, faufe unb Icfe fein S3udj. N. 
Ctmad »*tt *en tturiemitfcem Sbn 
(Sibylle üon Olfer». 10 ©über mit 
£ejt. — (äföflnßett unb SJtttndjen, SSerfaß 
üon 3. 8?. <3djretöer. 
3fir bie fleifttßc unb fecltfd&e ©ntotefes 
foitß be» ftittbeS ffnb bie SKiberfcüdjer, bie 
man tfjm in bie £anb gibt, öon ntdjt 31t 
unterfc^enber SÄbeutunfl. Ob bie im 
„mobentften" (SJefäjmacf ßefjaltenen 3ugenb= 
ftfjrtftett, mit i^ten beabftc^tigt fteifen unb 



ttfißen, manieriert fmbtidjen 3tid)!ttuigen, baS 
fötd&tiße treffen, mu& nod> a(8 fefjr gtoeifel* 
ftaft erfdpineu. dagegen erfüttert aEe 
forberungen unb fhfb oljne }cbe« Sfcbcnlm 
etntfe&IenStüert bie öilberbikljer Don «Stbqtte 
bon DlferS, fotoofjl ba$ früher erfefeienene 
„23a« ^arilen^en erlebte, als aud) ba& 
neue Jöud) „@toa* bon Den SSurgelfinbern*. 
@tn eigenartiger Steig liegt über üjnen au$* 
gebreitet: eine Weitere unb garte Slmnut, 
eine bem fönber&cracn entfpredjenbe (£tnfad>= 
Ijeit unb SHarfjett be8 ©mpfinbung^ unb 
<5kfü##eben&, toa&re ©emüfotiefe finben 
tmr in tynen ausgeprägt. Unb gu attebem: 
bie Silber, tole bie ganje äußere SfoSftafe 
tung, ftob in bontefynftem, fihtfhmfdjem 
©efd&macf unb mit tabeUofer ^fetnfett unb 
@auberteit ausgeführt Süle3 tn allem, cS 
ftnb fönbcrfcüdjer erlefenfter Strt. S. B. 



Übersieht der wichtigsten Zeitschrifteu-Aofsätze. 



Aphorismen und Sprüche in swanffloser 

Folge. Gesammelt von Hauptmann a. D. 

W. 8ta?*nhagen. Die Militärische Welt 

1906, Heft 9-10. 
Begas, Beinhold. Von Walther Gensei. Die 

Kunst VIII 3 (Dezember 1906). 
Besnard, Albart, Von Carl Lahm. Wester- 

manns Monatshefte 51, 8 (Dezember 1906). 
Bode, Wilhelm. Von Max Liebennann. 

Kunst nnd Künstler V, 3 (Dezember 1906). 
Cesmnne, PauL Von Theodore Dnret. Kunst 

nnd Künstler V, 3 (Dezember 1906). 
Deutsohe Liebesbriefe. Von Werner Deet Jen. 

Die Grenzboten 65, 49 (6. Dezember 1906). 
England und Barop« vor hundert 

Jahren. Von G. Egelhaaf. Deutsche 

Rundschau 33, 3 (Dezember 1906). 
Friede von Altranstädt, Der. Von Konrad 

Sturmhoefel. 2. Die Grenzboten 66, 48 

(29. November 1906). 
Gesohleohtsleben, Geburt und Misage- 

burt in der Mythologie. Von Dr. Hans 

Bah. Die Umschau X. 52 (82. Dezember 

1906). 

(Hartmann.) — Das Lebenswerk Eduard 

von Hartmanna. Von Arthur Drews. 

I. Deutsehland V, 3 (Dezember 1906). 
Heyse, Paul, und Italien. Von Victor 

Klemperer. (Schluss.) Bühne und Welt 

IX, 5 (Dezember 1906). 
Ibsen, Henrik, und die Ialanderge- 

•ohiohte. Von Arthur Bonus. Preussiscbe 

Jahrbücher 126, 3 (Dezember 1906). 
(Kinderlied.) — Btwas vom deutschen 

Kinderlled«. Von Dr. Leopold Hirschberg. 

Das literarische Echo. IX, 6 (Dezember 

1906). 

König Wilhelm und Biamarok in 
Gastein 1668. Ein neuer Beitrag zur 
Kritik der „Gedanken und Erinnerungen 11 . 
Von Max Lenz. II. Deutsche Rundschau 
33, 3 (Dezember 1906). 

Kunst in der Schul- und Kinderstube. 
Von Dr. Friedrich Düsel. Westermanns 
Monatshefte 51, 4 (Januar 1907). 

Kurs, Isolde. Von Helene Raff. Westermanns 
Monatshefte 51, 4 (Januar 1907). 



Die Umschau 



Die 



Meunier. Von M. A. 8teffeck, 

X, 51 (15. Dezember 1906). 
Meyer, Claus. Von Hennann Board. 

Kunst VIII, 3 (Dezember 1906). 
Millet Von F. Avenarius. Kunstwart 90, 5 

(Dezember 1906). 
Muller, Dr. Johannes, seine Bücher und 

sein Sohloss. Von Wilhelm Lanpeviesche. 

Westermanns Monatshefte 61, 3 (Dezember 

1906) . 

Naturerkennen. Von J. Relnke. Deutsche 
Rundschau 33, 3 (Dezember 1906). 

Oper der Lebenden, Die. V. Der itali- 
enische Verismus. Von Wilhelm Kleefeld. 
Bühne und Welt IX, 5 (Dezember 1906). 

Psychische Epidemien im Völkerleben. 
Von Dr. L. W. Weber. Die Umschau X, 51 
u. 52 (15. u. 22. Dezember 1906). 

Saar, Ferdinand von. Von Prof. Dr. Lud- 
wig Geiger. Westermanns Monatshefte 51, 3 
(Dezember 1906). 

Shaksperes Buhne. Von Prof. Hennann 
Conrad. Westermanns Monatshefte 51, 3 
(Dezember 1906). 

Skarblna, Frans. Von Maximilian Rapeilber. 
Westermanns Monatshefte 51, 4 (Januar 

1907) . 

Suse, Theodor. Von Paul Schulze-Berghof. 

Das literarische Echo IX, 6 (Dez. 1906). 
Tennyson als Frauenrechtler. Von Julie 

Krahmer. Deutschland V, 3 (Dez. 1906). 
Tuaillon, Louis. Von Rudolf Klein. Wester- 
manns Monatshefte 5t, 3 (Dezember 1906). 
Unebenbürtige Fürstenehen in frühem 

Jahrhunderten. Von Siegfried Fltte. 

Die Grenzboten 65, 51 (20. Dezember 1906). 
WaldmuUerjFerdinand Georg-. Von Arthur 

Rössler. Westermanns Monatshefte 51, 3 

(Dezember 1906). 
Tpern und Tournai. Von Dr. Friedlich 

Walter. Westermanns Monatshefte 51, 4 

(Januar 1907). 
Zerstörung- des Tunnels von Martain- 

ville 1870, Die. Von Hauptmann a. D. 

W. Starenhagen. Die militärische Welt 

1906, Heft 9. 



- — Bibliogtapl}ifd)e Zlotijen. 



291 



Eingegangene Bücher. Besprechung m 

Also sprach Herakleltos. Heraküts Schrift: 
Uber das AU. Deutsch von Dr. Maximilian 
Kohn. Hambarg, Selbstverlag. 

Apelt, Frans Ulrich. Avalon. Neue Ge- 
dichte. Berlin, Frana Wunder. 

Bacher, Eduard, Die letale Schrift. Ein Rück- 
blick In das Leben eines Vergessenen. Leip- 
zig, Verlag für Literatur, Kunst und Musik. 

Bauer, Karl, Cnarakterköpfe zur deutschen 
Geschichte. 32 Federzeichnungen. Leipzig, 
B. G. Teubner. 

Beiträge sur Literaturgeschichte. Heraus' 

feber: Hermann Graef. Heft: 7. 8. 9. 10. 
i. 12. 13. 14. 15. 17. ia 19. 21. 22. Leip- 
zig, Verlag für Literatur, Kunst u. Musik. 
Bendrat, Arthur, Aus dem deutschen Osten. 
Fünf EUnstlersteinzeichnuiigen. Mit einem 
Vorwort von Dr. Käthe Schlrmacher. Leip- 
zig, B. G. Teubner. 
Bienenstein. Karl, Aus Traum und Sehnsucht. 
Neue Gedichte. Leipzig, Verlag für Litera- 
tur. Kunst und Musik. 
BOokeU Dr. Otto, Psychologie der Volks- 
dichtung. Leipzig, B. G. Teubner. 
Coenoblum. Blvteta lnternazlonale dl liberl 
studi. I. Jahrgang. Nr. 1. Lugano, Gasa 
Editrice del coenobium. 
Deutschlands Heer in österreichischer 
Beleuchtung;. Briefe eines k. u. k. Offi- 
ziers Uber die deutschen Kaisermandver 1906. 
Mit fünf Kartenskizzen nnd einem Plan. 
Leipzig, Friedrich Engelmann. 
Drajranof, La Macedoine et les Reformen 
PreCace de M. Victor Berard. Carte extralte 
des cartes de lTstat-Major. Paris, Plön, 
Nourrlt & 0. 1 
Fessel, Karl, Sein und Schein. Ein Band 

Lyrik. Berlin, Lyrik- Verlag. 
Flaskamp. Ohristophie, Die alte Geigei Eine 
Komposition. Münster L W., Goppenrathsche 
Buchhandlung. 
Ftsimann, Max, Die Entstehung und Ver- 
hütung der Glatze. Leipzig, Karl Lentze. 
Frey; Ihr. Karl, Wissenschaftliche Behand- 
lung nnd künstlerische Betrachtung. Mit 
besonderer Berttckslehthning der akademi- 
schen Interpretation literarischer Kunst- 
werke. Elne8tudle. Zürich, Artist. Institut 
Orell Füssll. 

Fahrer mur Kunst. Herausgegeben von Dr. 
Herrn. Popp. 5. Bündchen: Von alter und 
ältester Bauernkunst von Dr. R. Forrer. 
Mit einer Tafel und 32 Abbildungen im Text 
Esslingen, Paul Neff, Verlag. 

— 6. Bündchen: Hochzeltsfeste der Renaissance 
in Italien von 0. von Geratfeldt. Mit zwei 
Mezzotinto-Gravüren, 3 Einschlag-Blättern 
und 6 Abbildungen im Text. Esslingen, 
Paul Neff, Verlag. 

— 7. Bändchen: Die Ausbildung der Künstler 
von Dr. Hans 8cbmldkunz. 

Gangrhofer, Ludwig;, Gesammelte Schriften. 
Volksausgabe. I. Serie. Lieferung 32 bis 
inkl. 38. Stuttgart, Bonz & Comp. 

Gesellschaft, Die, Band I: Sombart, Das 
Proletariat. Kart. Frankfurt a. M., Lite- 
rarische Anstalt, Kütten & Loenlng. 

— Band H: Slmmel, Die Religion. Kart. 
Frankfurt a. M., Literarische Anstalt, Rütten 
u. Loenlng. 

— Band III: Ular, Die Politik. Kart. Frank- 
furt a. M., Uterarische Anstalt, Rütten u. 
Loenlng. 

— Band IV: Bernstein, Der 8treik. Kart. 
Frankfurt a. M., Literarische Anstalt, Rütten 
u. Loenlng. 



i Auswahl der Redaktion vorbehalten. 

Goethe unser Führer. Geleitworte aus 
seinen Werken in Kalenderform. Gewählt 
von Helene Bonfort Heldelberg, Otto Petters. 

Goethes sämtliche Werke. Jubiläums-Aus- 
gabe in vierzig Bänden. XV Band. Dra- 
matische Fragmente und Übersetzungen. 
Stuttgart, J. G. Cottasche Buchhandlung 
Nachfolger. 

Grazie, X, B. delle, Traumwelt. Erzählungen. 

Leipzig, Breitkopf & Härtel. 
— Vom Wege. Geschichten und Märchen. 
2. 8ammlung. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 

Haast, Robert, Naohlass-Ged lebte. Mit einem 
Vorwort von Wilhelm Jensen. Strassburg, 
J. H. Ed. Heltz (Heltz u. Mündel.) 

Hauptmann, Oarl, Moses. Bühnendichtung 
in 5 Akten. München, Georg D. W. Callwey. 

Heinemann, Brna, Gedichte. Neurode, Ver- 
lag Dr. Ed. Rose. 

Hinner k, Otto, Cyprian. Schauspiel in fünf 
Akten. Zürich. Arnold Bopp. 

Hoeft, Bernhard, Bs ging ein Säemann. Ro- 
man. Dresden, Heinrich Minden. 

Jahrbuch, Münchner, der bildenden 
Kunst. Herausgegeben von Ludwig von 
Buerkel. Band L 1906. München, Georg 
D. W. Callwey. 

Jansen, 8., 8oflensrub. Wie ich mir das 
Landleben dachte und wie Ich es fand. 
2. Auflage. 3. bis 5. Tausend. Neudamm, 
J. Neumanu. 

Karpath, Ludwig, Zu den Briefen Richard 
Wagners an eine Putzmacherin. Unterre- 
dungen mit der Putzmacherin Bertha. Ein 
Beitrag zur Lebensgeschichte Richard 
Wagners. Berlin, „Harmonie 14 , Verlagsgesell- 
schaft für Literatur u. Kunst. 

Kataloe; empfehlenswerter Werke der 
ausländischen Literatur. XXIII. Jahr- 
gang. 1906. Leipzig, A. Twietmever. 

Kellermann, Oarl Alfred, Im Goethehause 
zu Gast. Nach eines Engländers Tagebuch- 
notizen ans Ilm- Athens klassischen Tagen er- 
zählt. Oldenburg, H. Hlntzens Verlagsbuch- 
handlung (Otto Garz)» 

Kieler, Laura, Mein Volk sei dein Volk. 
Übersetzt von Orton Beg. 2. Auflage. Zürich, 
Rascher & Cie. 

Kinder- und Hansmärchen gesammelt 
durch die Brüder Grimm. Original- 
Ausgabe mit Herman Grimms Einleitung 
nach dem Handexemplar und mit 8 Bildern 
von Ludwig Grimm. 32. Auflage besorgt 
von Heinhold Steig. Stuttgart, J. G. Cotta- 
sche Buchhdlg. Nachfolger. 

Kohm. Dr. Josef, Grlllparzers goldenes Vlies 
und sein handschriftlicher Nachlass. Wien, 
Kommissionsverlag von Karl Gerolds Sohn. 

Korrespondenz, Pnotoffraphisohe. Organ 
des Vereines zur Pflege der Photographie und 
verwandter Künste in Frankfurt a. M., des 
schweizerischen Photographen- Vereins und 
der Pbotographischen Gesellschaft In Wien. 
1906. August, Oktober, November, Dezember. 
Wien, Verlag d. PhoiographischenGesellschaft. 

Lewy, Oscar, Aus dem Exil. Verse eines Ent- 
kommenen. London, Probsthain & Co. 

Löne, Hermann, Mein braunes Buch. Heid- 
bilder. Hannover, Adolf Sponholtz Verlag. 

Lyrik, Die. Monatsschrift für Lyrik und 
Kritik. IX. Jahrgang. Januar 1907. Nr. 1. 
Berlin, Paul Diels. 

Menschenleben, Bin. Alltagsbriefe unserer 
Klassiker. Ausgewählt und eingeleitet von 
Dr. Wilhelm Miessner. Berlin, Verlag 
Dr. Wedekind & Co., G. m. b. H. 

20* 



292 



Horb unb Süb. 



Mensohheitssiele. Eine Randschau für 
wissenschaftlich begründete Weltanschauung 
und Gesellschaftsrefonn. Jahrgang 1907. 
Heft 1. Leipzig, Otto Wigand. 

Misch, Bobert, »Und der Ruhm ein eitler 
Wahn". Die Geschichte eines Premieren-Er- 
folges. Berlin, „Harmonie", Verlagsgesell- 
schaft für Literatur u. Kunst. 

Musik-Mappe, Die* Band I. Heft 27. Weih- 
nachts-Nummer. Leipzig, W. Vobach & Co. 

Müntz, Ch^ Wir Juden. Berlin, Oesterheld u. Co. 

Nietsschea, Friedrioh, Werke. Taschen- 
Ausgabe. Band 1. 2. Leipzig, C. 0. Nau- 
mann Verlag. 

Palten , Bobert, Vom „Dr. Hons" und andere 
Wiener Gschichteln und Gedichtein für alle 
Freunde echten Wiener Humors. Band 1 u. 2. 
2. Auflage. Berlin, Modernes Verlagsbureau, 
Curt Wigand. 

FreoM, Hugo, Die Entwicklung des deutschen 
Städtewesens. I. Band: Entwicklungsge- 
schichte der deutschen Städteverfassuog. 
Leipzig, B. G. Teubner. 

Rehm-Vietor, E., Schlaraffenland, Schlaraffen- 
leben, In der Englein Wacht. In der Eng- 
lein Hut. 6 Wandfriese (farbige KUnstler- 
zeichnungen.) Leipzig, B. G. Teubner. 

Kheinsoh, Erika, Tragödien und Festgesänge 
der Blumen und Bäume. Frankfurt a. M., 
Heinrich Demuth. 

Roxnundt, Dr. Heinrich, Der Professoren- 
kant. Ein Ende und ein Anfang. Gotha, 
E. F. Thienemann. 

BOttgrer, Dr. med. W., Genussmittel— Ge- 
nussgifte? Betrachtungen Uber Kaffee und 
Tee auf Grund einer Umfrage bei den Ärzten. 
Berlin, Elwln Staude. 

Sandt, Emil, Cavetel Eine Geschichte, Uber 
deren Bizarrerien man nicht ihre Drohungen 
vergessen soll. Minden i. W., J. C. C Bruns. 

Sohellenberff, Ernst Ludwig» Erlösung. 
Neue Gedichte. Stuttgart, Axel Juncker. 

Sohey, Evelina, Verse. Wien. Wilhelm Brau- 
müller. 

Schient, Josef; Cello am Abend. Lyrik. Leip- 
zig, Hermann Dege. 

Sohimmelpfeng, Hanii Frohe Jungen. Ein 
Kloster-Sang. Mit 3 Illustrationen. Han- 
nover, Hahnsche Buchhandlung. 



Sehoenaieh-Garolath, Prinz Emil von, 

Gedichte. 3. vermehrte Auflage. Leipzig, 
G. J. Göschensche Verlagshandlang. 
Schwei? er-Lerehenf eld, A. Freiherr von, 
Kulturgeschichte. Werden und Vergehen im 
Völkerleben. Mit 614 Abbildungen im Text 
und 41 Tafeln. Lieferung 36 bis inkl. 40. 
(Schluss.) 

Stavenhagen, W., Die Feldbefestigung. Nach- 
trag zur dritten Auflage vom Grundriss der 
Befestigungslehre. Für Offiziere aller Waffen 
des Heeres und der Marine. Mit 52 Skizzen 
im Text. Berlin, E. 8. Mittler & 8ohn. 

Stein der Weisen, Der. Illustrierte Halb- 
monatschrift für Haus u. Familie. 19. Jahr- 
gang 1906. Heft: 23. 24. und 20. Jahr- 

O 1907. Heft 1. Wien, A. Hartlebens 
ig. 

Stoerlne;, Paul, Von der Violine. Berlln-Gross- 
Llchterfelde, Chr. Friedrich Vieweg, G. m. b. EL 

Tradnoteor. Le. Halbmonatsschrift zum Stu- 
dium der französischen und deutschen Sprache. 
XIV. Jahrrang. 1906. No. 23. 24. La Chaux- 
de-Fonds (Schweiz), Verlag des „Traducteur". 

Translator, The. Halbmonatsschrift zum 
Studium der englischen und deutschen 
- 8praohe. III. 1906. No.23. 24. LaChaux-de- 
Fonds (Schweiz), Verlag, des „Translator 14 . 

Ullmann, Bega, Feldpredigt. Dramatische 
Dichtung in einem Akt. 2. Auflage. Frank- 
furt a. M. Verlag von Heinrich Demuth. 

Volksbücher, ReUfrionagetthlchtliche, 
herausgegeben von Fr. Michael Schleie-Tü- 
bingen. II. Reihe. Heft 7 u. IV. Reihe 1. Heft. 
Tübingen, J. C. B. Mohr. 

Waldaestel, Helene, Neue Gedichte. Leipzig, 
Verlag fUr Literatur, Kunst und Musik. 

Weinechenk, Jakob Hugo, Friedsame So- 
nette. Langensalza, Hermann Beyer & Söhne. 

Welt, photographlaohe. (Früher .Der Ama- 
teur-Photograph u .) Monatsblatt für Ama- 
teur- und Berufsphotographtfi. 1905. Heft 7 
und 1906 Heft 8-12. Leipzig, Ed. Llese- 
gangs Verlag, M. Eger. 

Winter, Karl, Der lustige Postkartenzeichner 
für Kinder. Eine Zeichenschule mit 60, 
meist humoristischen Postkarten-Vorbildern 
zum Nachzeichnen. Original-Zeichnungen. 
Leipzig, Arthur Kade. 



*BeranttDortIi(&er ftebofcteur: Dr. Sutern* Sxudt in ©miau. 
6<tyeftf$e Sugbru&erei, äunft* unb SerlagvBnftalt o. 6. 6<$otti"aenber, Breslau, 
Unberechtigter Ka$bru<B au» bem 3iu)alt biefer 3eitfd)rlft unterlagt. Üoerfcfeungsred)t oorbe^alten. 




TXoxb mxb 3uC\ 



£ i n i b e u t f df c IM o n a t s f di r i ? :. 



•;XX. Banb. — ZHärj 1907. -- ivft 5(><>. 

(tDtiS ein«« 'pottrati in ^RaJnerung: tföuarfc in^el) 




Breslau 

$ di 1 e f i f d> e 2? n <fc b r u cf e r e i , K n n ft • u n b V t r 1 a g s » 21 n U a 1 1 
o. 5. Sdjottlaenber. 



Zlotb wib Süb* 



CXX. 3ani>. — 2ttär3 J907. — £j«ft 360. 

(ÜRÜ einem Portrait in ftabierung: (E&uarb fengel.) 




5d?leftfd?e Bndjbrucferei, Knnft» nnb Derlags» 2lnftalt 
o. 5. 5d?ottlaenber. 



TXlavia Hofen. 

Die (Befdjidfte einer IDinlerliebe. 
Don 

JL &atbttt. 

— Berlin. — 



I. 

[ bin fein SD?enfdj, ber glütflidj Wirb; nocfy toeniger eine grau, 
Sie gfücflid). mad>t. Unb ba§ lefcte ift ba§ Sitterfte." 

SBäre ber £on nidjt fo traurig, bie ©efte nidjt fo troftlo§, 
tteldje biefe SBorte begleiteten, mau tuäre berfudjt getoefen, fte al§ 
moberne ©entena aufaufaffen; al§ eine bon ben übermannten ®tug» 
fjeiten, bie 3Wäbd)en bon fyeute auäfarecfjen, um ba§ @d)irffal in fidj 
5U erflären, all bie SBiberfprüdje ber mobernen Seele 3« beleudjten unb 
bie 3toeiM öer angef Rannten ©egcntoartSnerben au löfen. 

Slber biefe SBorte tnaren in einer Stunbe gefaßt, in toeldjer bie 
2ttenfd)en eljrlid), bie grauen tief unb flar au fein pflegen: in einer 
9Ibfdjieb§ftunbc. 3" &™ Moment, tt>o alle§ 2Belj ber S3ergangenf)eit, 
alle fragen ber 3ufunft fid> aufammenballen 311 einem fd>tt>eren, 
brüefenben 91Tb; montan ba§ ©efübl f)at: nod) biet, biel fagen au muffen, 
unb bod) nur bie gleidjgiittigften, tribialften Dinge bcft>rid)t. 3>er Sttem 
ift geprefet unb ber Ston bang. (£§ fommt ein <Sd)Iud)aen au§ bem 
#eraen. Unb bie SBorte, bie fid) loSringen, baben mandjmat bie 93e* 
beutung unb bie £iefe bon 33eid)ten, bie seit* unb atuecftoä fjerbor» 
quetfen, um fid) felbft ©rleidjterung au fdjaffen. 

Sn foId> einer Stnnbe fagte SDfaria SRofcn biefe SBorte bom ©Kirf; 
bem fie e§ fagte, S^onne§ Stifter, galten biefe SSortc nur mittelbar. 
Gr füljlte e§, buft feine 5D?aria in biefem äWoment längft über iljre 
Siebe 31t ifjm f)inau§ toar. Über bie tiefe, bebingung§Iofe Siebe, bie 
feine 3^DcifeT unb feine geiler unb feine ©ebanfen fennt. 
SDSie e§ borf) fo rafd) gefommen ift! 

21* 



21. Valbert in Berlin. — *■» 



SSor einer 2Bod>e fam er I)cr. 2>?it oef(^tt>eJ(Xten (Sögeln ber Hoff- 
nung unb feefjenben Safpten ber 2Bieberfef)en§freube, ©r fam bom 3lrbeit^- 
tag. Unb feollte £)ter bei feiner Siebften gefttag galten. @r fd&rieb if)r, 
fie foHe i^ren S3erfeanbteu borläufig nidjtä Don feiner SInfunft fageu. 
Sonfi beginne feieber bie läftige $flid)t ber $feubobrautfd)aft. 

Sie geborten aufammen. ®a£ feufeten bie anbern, ttmfeten iljre 
Eltern, muf3tc feine Säj-feefter, bie in biefer Stabt lebte. Stber fie 
hielten beibe Äomöbie. %n ©egenfeart ber onbern taten fie fremb. 

E§ fear ein fo fd)öne§ reigreidyeg Spiel. ES begegnete bon born* 
berein alten aartfüfjlenben Slnaapfungen unb taftlofen Schonungen. 
Sie Ratten fid) lieb: fea£ ging ba§ anbere an? 

5Waria liebte bie f leinen Spielten be§ Sebent; bie fpinnfeebigen 
Intrigen ber Seele, bie in aWinnegeiten fo Ijolb unb lieblid} toirften. 
Siebe fear i&r ein Serftedfpielen. 30iit bem Siebften. Unb mit ben 
anbern. 3umal audj mit fid) felbft. 

■Karia fear ein ilinb, mit großen Neigungen unb blutlofen §m» 
puffen. SDie Energie peitfdjte i^re Neigungen unb fdjeiterte an ben 
Smpulfen. So bafc fie immer paffib, feenn nid>t gar oljnmädjtig blieb. 

9?ur eine Exaltation peitfdjte ifyre Gräfte auf: bie Sirbett. 

Sie fear ein fdjlanfer, geraber SDIenfdj, ber aum froren ©eniefeen 
gefdjaffen fear. Sfber ba fam bie ^Sflid&t, unb fie mürbe einfeitig. 2er 
StETtag mad)te fie fdfymerfäHtg. Saft auf Saft bürbete er il)r auf. Cber 
richtiger: fie naljm bie Saft felber auf ipre Schultern. %n bem ©e= 
fdjäft il)re§ 2?ater§, feo fie suerft au§ $läfier arbeitete, 30g fie allmäf)ltdj 
aße gäben in ifjre $anb sufammen; äuerft feie ein ®inb, ba§ bie 
£änbe boller ©pielfadjen trägt unb fo gar nid)t sunt (Spielen fommt; 
bann tute ein 33ietbefdjäftigter, ber immer ben SDJittelpunft bilbet, nidjt 
biel tut, aber biel tun läfet. Sßlöfelidj aber fear fie brin, laftete bie 
SSerantfeortlidtfeit auf if)r. Sie merfte eS eigentltdj jum erften 3Bale, 
al§ an einem $erbfttage bie Sonne friHjlingSbaft tat unb bie Süfte 
mit bem 3«fwnft§lena fofettierten. 

Sie fagte ibrem greunbe ben 9?ad)mittag au. Sie feollte in3 
Sfreie, sufdjauen ben legten Sftairegungen ber 9?atur. Sie ging nur 
rafdj in§ ©efd&äft, fprad) mit bem Seiter, gab Stufträge unb feoffte 
geben. 2a fam v ber Erpebient unb erjäblte bon ben Sdfyfeierigfeiten, 
bie eine Sieferung in ba§ 2fu£fanb madjte. Sefbftberftänblid) übernahm 
SWaria SRofen bie 2ireftibe; bie Sonne atmete fdjon ibre legten Straelen 
au§, als? fic fortgeben fonnte. 

Sluf ber Strafee fear e§ fübf gefeorben. Xie 9?ad)t bradjtc fdjeuen 
Sieif. Unb 3Warta ging am anbern SWorgen tn§ @efd)äft unb baefite 
über ibre ^ßflicf)ten nad). 

.Gfftafe ber Wicfit!" batte ifir greunb gefagt. 

Unb fo fear e§: biefer fd)Iaufe, im ©runbe fcftfeädölidje 5D?enfdi, bem 



IHarta Hofen. 



295 



STrbeit nur eine ©rholung, eine greube fein follte, frurbe ein SßflidEjt- 
menfch, truQ bie 9lrbeit§Iaft burdj bie Slage, unb bie Sftädjte brauten 
ihrem ®övpet nur ba§ matte, ftumpfe StuSruhen ber ©lieber, fräfjrenb 
bie Seele in ber Tretmühle blieb unb immer büfterer unb müber 
frurbe. 

SBeil fie ein geiftig reger, fein feelifdjer 3Wenfdj frar, fud&te fie ein 
Stjftem in biefen 3uftanb 31t bringen: „3$ friß frei fein, nach aßen 
Seiten hin. friß im £aufe ber ©Item aß bie gneiheiten be= 
antfnrudfjen bürfen, bie mir Sebenäbebingung finb. Unb idf) friß nie* 
manbem t>ert»fltd^tct fein." 

Sie trennte fdjarf: burd) Pflichterfüllung entgeht man alten 23er* 
tfflichtungen. Unb fie trennte fidj fo bon ihren Stngehörigen, löfte fidft 
Don ben gutbürgerlichen ©efrofynheiten immer mehr. Sie frurbe einfam 
in ihrem Greife, 

3frar nannte man fie au £aufe: ba§ Steine — frei! fie ba£ jüngfte 
SHnb tt>ar; aber freber ©»Itern noch <3efcf)frifter matten fidj ein #eht 
barau§, baft fie felbftänbig hanbeln unb auf eigene gauft leben froßte. 
Unb ba ihre ©nergie fonft flügeffahm frar unb nur in ber Slrbeit ihre 
^ö^fte PotenB erreichte, nannte man fie afrar exaltiert, hWermobern, 
liefe fie ober gefrähren. 

Sie hatte im $aufe ihr Jfteid). ©in Heiner, f>etfe§ 3immer, fro äffe 
äfthetifdjen Softbarfeiten üufbefrahrt lagen: Silber unb 93ücfjer. Unb 
frenn fie nach bem Slbenbeffen berfchfrarib, frufete man, fro fie fei, 
jcfmttelte ba§ #aupt über bieSeltfamfeit, Ragte frobl auch ba§ Seib, 
menn eine JEante fam; aber bamit frar'3 abgetan. 

Sht Sdjfrager nannte fie: „®er jeiftige glüjel ber gamifie Stofen." 
2tß ba§ aber frurbe urfclöfclich anber£, al§ Johannes Stiller in ihren 
5?rei§ trat. 

Sie lernte ihn bei einer greunbin fennen, mit ber fie nur lofe 
in aSerbinbung burch gemeinfame Schulerinnerungen ftanb. 
Unb e£ begann ein feltfam rciaboßeS Spiel. 

11. 

©£ ift eine fonberbarc SItmotyhäre um folch eine äBinterliebe. Sein 
hellet gladfern, fein brünftigeS glommen. Uiur ein fcheue§ ©Ummern 
auerft, ein ftnelerifche§ Sedfen unb 3nngeln, ein nerböfe§ £afchen unb 
Sndfen; unb bie Seele brennt, ohne $u glühen. 

©§ ift eine Siebe, bie bofler Unglaube ift. 2>ie bon 3^cifel ge- 
nährt — boch nicht 51t afreifeln fragt. ®cnn je'ber 3tt*ifel ift ein 3u* 
geftänbniS. 

©§ ift eine tajtyenbe, taftenbe Siebe, bie feinen Schritt fragt, ohne 
©ntgegenfommen, unb bie boch auf ©ntgegenfommen harrt unb hofft 
unb frartet. 



296 



21. fjalbeit in Berlin. 



SKaria Siofen fagte: „@£ ift eine Siebe, bie fangfarue gäben fpinnt 
unb fidj erft offenbart taenn bie 2Wafd>en aHe£ Sühlen unb afleS 6mp- 
finben fdjeu berbergen fönnen." 

Sie fagte e§ fid^ fetbft. äBenn fie Don einem Spasiergang mit 
S^anneS ©tiller ttrieberfam unb im Säjaufelftu'hl, in ihrem Keinen 
3immer fafe. äBenn fie brausen mit ihm toar, unb bie ßüfte falt unb 
flar toehten, ladete fie, lachte biel über bie taftenben Berührungen feiner 
SBorte, bie fragenben 93lide feiner Slugen. 

Sie Iadjte, tt)ie grauen ihrer 9trt ju ladjen -pflegen. Ohne Äofetterie, 
aber mit Ziehung. £)hne Sdjelmerei, aber mit bem üon ber ®e> 
hobenheit. 

@o gingen bie £age herum. £urdj bie SBinterftilte ber ©efüblc 
braufte tooht l)kv unb ba ein Sturm ber Sinne, ber ihnen ba§ ©leidj» 
getoidjt nahm. SIber fie maren beibe 3u fehr teil§ auf ben Sntcltefi, 
teil§ auf ben äfihetifdjen ©inu geftettt unb geftimmt, um fidj bem 
Sdjtounge au ergeben. 

Oemüi&Dudjt tnar SWaria Stofen fremb. Unb ©emütSftimmung 
festen SohanneS Stiller eines SDlanneS umoürbig. ®iefer grau gegen* 
über gerabe^u lädjerlidj. Sie «unterhielten fidj über baS famofe SBort: 
„(Sine ßiebeSerflärung machen." 

„2»adjen . . ." fagte 2Waria SRofen. Unb fie 30g ba£ SBort aus* 
einanber, fagte e§ gefpreigt, fomifd> bis sur ßädjerlidjfeit. 

„Sinb mir nicht ein toenig blafiert?" fragte Johannes Stiller. 

„Säjon möglich/' fagte fie leichthin;' unb nach einer Sßaufe: „Sie 
fiultur liegt unS in ben Snodjen." 

„Sßir finb unnatürlich natürlich." 

Sftaria Stofen blieb ftehen unb fah ben Sprecher an: „SBarum 
fpredjen Sie in Stidjtoorten?" 

„2BeiI Sie mich fo am beften Derftehen." 
„@3 fd&eint faft . . . SDiebSfpradje ..." 

Unb biefe 2>iebSfpradje, fd>einbar ohne 3ufammenhänge unb bodj 
Doli innerer aufammenge'hörigec Steflerion, ttmrbe immer tiefer unb 
immer * Perräterifdjer. 

2)aS Spiel fpifete fid) m- 

@ineS JEageS fagte SRaria 9tofen 3U ihrem greunb: 
„S<h hab' heute ftrie ein Tagelöhner gearbeitet." 
„So pflichttreu?" 
.Sq." 

©r fd)ttrieg. @r toufete, baft biefer SSortourf fie am tiefften quälte, 
bafc ber SIrbeitSfanatiSmuS unb bie (Sffiafe ber Sßflidjt ber einige 2omm 
ihreS SemüteS toar. Unb er freute fidj, bafe fie feinetoegen Don biefer 
frampfhaften STrbeitSttmt abfam. £od> fürchtete er ben SRomeni, tt>o 
fie feine Sirbett mehr um be§ SlrbeitenS mitten Perrichten roürbe. 2aS 



Maria Hofen. 



29? 



mar bie Duelle ibrer ©tärfe. $ier aber au<f> ber S3orn ibre§ Siebet 
gefübB. @ie fonnte nidjt atoei Herren bienen. Unb bo# 50g er fte 
5u fidfr. ©r toottte fie suerft eraieben jum ©enufc ofjne Sßfltdjt, sur 
Strbeit obne @fftafe. 

Unb fie liefe fidfj billig eraiet>en. #atte fie bod) ga^re auf biefe 
Sraft gehofft bie ba fomtrten toiirbe unb äße it)re Sd&äfee bon gut» 
bürgerlichem SßoJ)lergeben unb geregeltem 2lrbeit§Ieben aunidjte madjen 
mürbe. $n biefer jarten grau toaren atoei Kulturen, bie fidb ftritten. 
£>a§ SebenMd&enbe, Säbe, ^btoed^Iungfudbenbe, Slbenieuerluftige tfjreä 
Stammet; fie toar ^übin. STjr SBefen aber unb tE>re (Sraiebuug tour» 
gelten im (Seregelten, 33lonbfüblen, Normalen, Sebcn£tüd)tigen. 
küdjtig, ba§ toar i^r liebfte§ SBott. SLa \tanb man feft im Sieben, 
toanfte nidjt, toufete, tooibin man gehörte, fannte feinen S^eifel be§ 
$eraen3, fein jäbeä äBedfteln ber ©eelenftimmungen. 

So^anneS ©tiller bat in feiner S^genb in einem äbnlidjen 3^ieft>alt 
gelebt. 3>amal§, als junger ©iubent, too er a^ifd^en einer tooljl- 
beftaHten Sßaftorftelle unb einem Sifleunerbafein, einem gerubigen Seben 
unb einer gebefeten Äämpferlaufbabn au toäblen batte. @r tt)äf)Ite ben 
JJampf. ^efct aber, ba er biefen SWenfdfjen lieb gewonnen, fragte er fid), 
ob er nid&t falfdje SSege gegangen fei. 

Sitte Siebe tft ein ÜWattigfeitSgefübl ober bangt bodj in beider <2ebn* 
fucfjt nad) 9lube unb grieben. • ift, al§ ob m-an bisher beutelüftern 
umherging unb jefct, ba man bie S3eute erbafdjt, fidj verbergen mufe, Der- 
fteden t)or aller Neugier unb alter ©ier. 

„2)ie öffentliche SKeinung ift bie gröfete £latfd)bafe." Sange genug 
toar e£ möglich, tbr ben SDlunb 31t [topfen, (Snblicb aber ficgte fie bodj. 
Unb e§ fam eiti Slag, tt>o 2Waria Stofen ibrem SSater SRcbe fteben mufete. 
2er SSater fragte nicht. STber er fab Sftaria traurig an: „Sink bu ioeifet 
ja, bafe idb aHe§ billige, tt>a§ bu tuft unb unternimmft: toarum fyaft bu 
©ebeimniffe?" 

©ebeimniffe! 3Bie 'biefeS SBort 'bä&lidj toirfte auf einen geraben, 
aufredeten 3Nienfdjen. Xrofc unb ©djam liefeen SWaria faredjen, tieften 
fie ein 83erf)ältni§ abrunben, ebe eS noch enftridfelt toar. (Sie felbft 
griff in bie sarten SWafdjen be§ JiefceS unb aerrife fie. SSon jcfet ab 
galt fie al§ bie Verlobte Sob<wne§ (StillerS. 

Unb ba§ kämpfen begann. 

III. 

Suerft famen bie törichten, lieben 3eiten be§ SSrautftanbeS. Dlftoo-bl 
SKaria Stofen nur Iadjenb bon ibrer SDumm^eit fpradb unb ^obanne§ 
StiCer energifdb bat, fie nidbt aI3 „baS SBeib ber 3ufunft" au betradbten: 
fie famen über bie 2tnaüglid)feiten biefe§ 3uftanbe§ nicbt f)imoeg. 

SBofil famen nod) frifc^e SBintertage mit fnirfcbenbem, toeifeem 



298 



21. Valbert in Berlin. 



Sdjnee unter ben Süßen. 3tHcB mar toeife unb hell, unb her Gimmel 
fah fu^fern unb ^art auf bie ©rbe. Sie ober gingen uni> freuten fidj 
miteinanber, fanben nodh ba§ alte Stichwort, forad&en fura unb treff* 
fidjer, begegneten ftd& auf benfelben SBegen ber SBünfd&e unb ber Sehn* 
fitste. 

«ber ba fragte SRaria 3tofen: „<8ilt'§ ber Siebften ober 33raut?" 
Sie fragte e§ bei jefcer guten ßiebfofung unb bei jebem meinen SBortc. 

Unb bie Stimmung berflog. Sie faradjen iamt ernft 'über bie 
3ufunft, ftrie -Dlaria jagte: befdfymafcten ba§ Sdjidffal. Slber, tt>a§ unge- 
Stüungen unb fofenb toar, tourbe ungelenf un.b fcfli<fjtfalt. SRidht, iafe 
fie bie 3ufunft fürdjtcten. Swmcr natürlicher fdjien ihnen bie 33er* 

binbung. 2)ie Vernunft fagte ihnen iie Sernunftl Sftaria fagte 

einmal: toerbe ein reichet 9ftäbchen, bu ttrirft e§ fetten — ich muß 
fe^r flei&tg fein." 

©r ladete ju ihrem gifer. Sie tmirbe traurig. SDer 3toieU>aft ftieg 
tör toieber beutlicfj bor Sfugen. $hte Siebe au S^anneS nahm ihre alte 
ftraft. Sie fagte nedfifdö : ,,3>urd) bi<$ geT)t mir bie befte 3eü Ver- 
loren." 

6r forrigierte: „2)1 it mir." 

„Sa, mit bir. SIber ba merben toir nie reicf>." 

©3 flang fo finbifdj, ftrie fie e§ fagte. Unb bodfy toar ein 5£ou 
bon Dual in biefer finblidfjen Sorge. 

Sie toagte c§ nur nicht au lagen, tt>eil fie e§ fid) bann felber ein» 
geftehen mufete: bafe if)re ©nergie lahm tourbe unb fie bie Arbeit nur 
tat, um fertig au toerben, nicht um fie %u bottenbert. 

©cquält unb gereist fam fie nun mit S^anne§ Stiller aufammen. 
©r füllte e§ Ijerau§ unb fudjte fie au Beruhigen. ©§ gelang ihm 
tvofjl aud) für bie 2>auer ihre§ 3ufammenfein§. S)a§ nädtfte 2ßal fam 
fie ftrieber mit matten Slugen unb a^rquältem Sßefen. 

©§ fam nun gut, bafj §ohanne§ nadj 93erlin berufen mürbe, um 
bie ßeitung einer neugegrünbeten 3eitfd&rift a« übernehmen, ©r ntufcte 
t>löfclich fort. Unb ba§ Sfbfdjiebämeh glid) alle Scharten ber Dual au§. 

SWaria bradjte ihn tut 93ahn unb fagte ftill beim 9lbfd)iebnef)men : 
„Sefct fährt ber 93räutigam fort unb ber Siebfte fommt mieber. So 
iDoHen txnr e§ galten, ja?" 

^o^anne§ nidfte traurig unb nadjbenflid). 

SWaria begann mieber: „So motten mir e§ auch mit bem Sdjreibett 
galten. 9?idjt§ bon 3ufunft. SSon gemeinfamen 3«funft§hoffnungen. 
Sffiir haben un§ lieb, motten Griffen, toie e§ bem anbern geht — tooHen 
nn§ fagen, bafe mir un§ lieb höben — aber mir finb frei, loillft bu?" 

SDurch 93riefe mürben fie inniger unb intimer, bertrauter unb t>er- 
madjfener. ©§ maren feine glühenben Liebesbriefe, bie fie einanber 



IHarta Hofen. 



299 



fdjrieben. 9iur gute, lautre Särtltd^feit frrad) au§ ibnen; feine, ftifle 
@üte; beralidje unaufbringftdbe Xeilnabme. 

Unb fie bergafeen faft, baft 51t £aufe üRenfd&en finb, bie i^re ©riefe 
Balten unb mit Ieifem Ginberftänbniä fdjmunaelten : 514), bie guten 
fiinber galten aufammen. 

einmal förieb SWaria, er foüe bie Sriefe t>on nun an an ibte 
greunbin abreffieren. Sannes fragte nid)t nad) bem @runbe. Gr 
mufete, bafe irgenb eine borlaute grage feitenS ibrer 93ermanbten ber 
@runb mar. 

@r fragte bebädjtig: ob e3 nidjt beffer fei, anftatt auf bte 2Tbreffe 
ber greunbin aur ^Soft au febreiben. 

3)arauf ermiberte 3Waria furj: Sie baffe aHe§ ©ebeimtun. 

llnb bod) mar ibr ba§ ©ebetmniS ein reiabotteB Spiel, toeil e§ auf» 
beefte unb geheim tat, reijte unb berfdjminben liefe. 

^Bieber ber 3^ieilxilt biefer Seele mit romantifd>en Siebbabereien 
unb einer mobern gefdjulten Xatfraft, mit äftbctifd) berfeinerten Nei- 
gungen unb bon Realität burdjbrungenem SBitten. 

<Sie batte einen $afe gegen alle SBeicfyfjeit unb mar bodj im @runbe 
toeid^Iicfj. Sie toofltc firaft anbeten unb fanf bod) bor Sdjmädje 'bin. 
©ie mufete fid) täglich entfd&Itefccn unb bafete ©ntfdjlüffe. 

Sie mar gum äRüftiggang geboren unb aur Strbeit gebogen. Unb bie 
Graiebung, bie feine äftbetifdje abgetönte Jlußur lag in ber SKitte. 
Äonnte ftcf) nid)t gum borauäfefcungSlofcn -DHiftiggeben entfd&Iicfecn unb 
litt bod) an ber Slrbeit. 

Unb Sobanneä Stiller ging'S fd)Ied)t. Sie neugegrünbete 3eitfd)rift 
fing au groß unb bielfeitig an, um fief) nid)t au berfpefulieren. Gr blieb 
3tt>ar in »erlin; aber er mufete feine journaliftifdjen Arbeiten mieber 
aufnebmen, menn er fein täglid)e£ 93rot böben moßte. 

Gr fdjrieb Sfia^en unb SKaria balf ibm abfebreiben. So mürbe 
ber 93riefmed)fel aflmäblid) ein gefdjäftlicber. Gr mufete ibr angeben, 
mie fie bie Xitel unb Sfbfäfee berteilen foHte. Sie fdrrieb ibm über 
bie Arbeiten, pbilofo^ierte mobl aud) über fein Sonnen. Suerft mebrtc 
fid) Sob«nne§ gegen ibre 3D?itbiIfe. 9tber fie bebarrte barauf. Unb er 
batte e§ fo nötig. GS mirfte faft berlefcenb, mie fie ibn aur Arbeit an* 
trieb. 9Wit guten SBorten, mit äärtüdjen Grmabnungen. Sie mollte 
ibn groß unb ftarf ftfjen. Gr muffe allen Stimmungen aum Strohe bor* 
märtS, binauf fdbreiten. 

9113 er eines £ageS anbeutete: er mödjte au ibrem (Geburtstage 
fommen, fdjrieb fie motyl auerft einen banfbaren, faft efftatifdjen 33rief. 
Slber mit ber anbern $oft fam barauf bie nücbterne Grmägung: Gr metfbe 
ja bod) feine greube an ibr baben. Gr merbe of fistelt empfangen 
merben. Xaufenb fragen nadj Gpftena unb SBotjIergeben merben ibn 
befcen unb reiaen. Unb im übrigen: man foH nid)t jeber Stimmung 



300 



21. falber! in Berlin. 



nadjgeben. ©r foße ibr SBIumen fdjiden, nichts al§ SBIumen, ba toerbe 
fie fid) freuen unb biel an iljn benfen an ifyrem @eburt§tage. 

Unb er blieb in 33erlin, fdjrieb geuißeton§, unb -äftaria fcfjrieb fie iu§ 
Steine. 

^otyanneS Ijatte Sefmfucfyt nadj if>r. Sie fdjien e§ nidjt merfen au 
tooflen. hinauf! tnar ifjr einaige§ 2ßort. S)a§ Hang, burd) in aßen 
3ärtlid£)feiten, toar ber Anfang unb ber Sd)Iu& eine£ jeben 33riefe§. 
6§ fdjien, al§ ob fie bie Energie, bie fie nidjt ober nur medjanifcf) unb 
5toangt>oß betätigen fonnte, auf iE>n übertragen tooßte. Xa§ %beal t>om 
STOanne toar i^r Stärfe, geiftige Sftadjt. Unb bodj fing ifre Saune audjt 
an taufenb ^u&erlidjfeiten unb ©efäßigfeiten, bie ben SWann tneiblid) 
unb toeibifd} machen. 

SDiefe üoflifion feelifdjer 5£iefe unb äftfetifdjer ©berflädjlidjfeit quälte 
fie unb if)n. Gr unteftoarf fidj gern iljrem 2Bißen, aber feine Slftfettf 
fpi^te fidj auf bie 3teinlidjfeit, il)re auf bie garbe, auf ben fd)ißernben 
©lang ber SReinlidjfeit ju. 

So ertt>ud>§ ein ftetig äunetjmenbeS SOtifefcerfältntö, ba§ bon ber 
Gntfernung nur fleine Sdjatten toarf, in ber STiä^e aber au einer unüber* 
brüdbaren Sdjeibetoanb toerben mufete. 

G£ ttmr eine SBinterliebe. ®ein üp:pige§, jtoedlofeä SBIiifjen unb 
Entfalten. $eine 33Iumen, bie be§ SDufteS tt>egen ba finb. Gute fdEjtoer» 
fällige, fonftruierte 3^^blüte nur toar biefe Siebe, Sie tmirjelte in ber 
Harmonie be§ ©eifteä unb aerfiel in ber 3)i§f)armonie be§ ©emutes. 

G§ toar eine äöinterliebe, bie nidjt lad^en fonnte unb bod) SJerftecf 
forielen tooßte. G§ tnar feine Siebe, bie fidj fonnt in ficf> felbft. Sie 
fudjte SSefelfe unb Sfnfalte, um jung ju fein. 

G3 toar eine trübe, fdjtoere, büftere Siebe, bie nur toenig Sonnen» 
ftraf)Ien muttoißig unb obne ©runb erhellten. 

IV. 

Sof)ünne§ Stiller toar. ber Dual mübe. Gr tooflte 2Ttem Ijaben. 
$n aß ber $efee nach 23rot unb täglichen SBebürfniffen tooßte er aus- 
rufen, ftiß fein unb in grieben gebüßt. 

Gr fiatte 3Waria einen 93rief gefdjricben. Sie foßte iljn aU Sranfen 
anfeljen, al§ müben 2Wenfcf>en, ber für furge 3eit SRuI) e fudite unb Sonne. 
Gr aerrife biefen s 43rief. £*nn er toufcte, toie fie fidj gegen biefeS Gin= 
geftänbni§ be§ -Wattgefaorbenen, gegen ben glügellafimen toefren nmrbe. 
Sie fafete aße @efüf)I§bieberfett, unb e£ mar feine ©üte in tfjr. 

Gr fdjrieb einen anbern 93rief, frof) unb Ieidjt, munter unb ftoff- 
nung§t)oß. ©r I)abe eine gute Slusficftt für fein gortfommen. Sn 
mergeln iagen ctoa tv'xxb bie enbgültige ©ntfd&eibung faßen. Siefe 
3it>ifd&entage toiß er aK Serien benü^en — mit it>r. 

3Karia antwortete: Sie ttnifete feinen SWenfcfen, ber @rt)oIung 



XTCaria Hofen. — 



30\ 



nötiger hätte unb bem fie e§ mehr gönnte al§ ihm. ©r habe stoet %ahre 
fdjtocrer Slrbeit hinter fich, ohne Sftuhe, ohne Unterbrechung. SIber jefct 
fei boch nicht ber 3eitpunft baau. ©rft toenn er feft ftünbe, fofte er 
fommen, ihr Sßrina. £)f)ne $ummerfalten, ohne ©orgen, frei unb boll 
heller Siebe. - 

©id>er{i<h toar nichts einautoenben gegen biefe Sluffaffung. ©ie mar 
gut gemeint unb gut burdjbacht, praftifdj unb vernünftig. Slber e& 
tear fo Viel ©iäfälte, fo biel ©elbftfudjt brin. Set naibe ©goi§mu§, ber 
bei anbern aße§ glatt unb eben haben mill, um greube an ihm 5U hoben. 

SBieber belichtete S*>hönne§ auf ba§ SBieberfehen. 

Sefet toar e£ SWaria, bon ber biefer $lan ausging. 2)ie falten, eiligen 
£age fommen. Unb bie fchläfrigen, behaglichen dächte. SJiaria fchrieb: 
„Sdj mar biefe Sßoche biel gu $aufe, in ber gamilie. @o einfam iffs 
ba. ©ine SBelt boll gefchraubter (Sefühle für mich. Unb bodj finb fie 
äße lieb unb gut biel gütiger als ich, Viel aärtlidjer unb fpenbenber. 
£n folcher SBinternacht berftehe idj'3 gar nicht, «mie ich gereift, mie ich 
böfe su bir fein fonnte. 3>a fdjeint eä mir, al§ ob bu fommen müßteft 
unb mich Hein finben, gana Flein unb meid) unb hingebenb. SBenn bu 
iefct fämft — ! Äomm am SIbenb. Überrafche mich!" 



©3 mar ein berfchleierter, troftlofer SEag, aB SohönneS ©tiller an 
ber 33ahn empfangen mürbe. SWaria mar guter 2)inge; nur einmal fagte 
fie: „®u bift fo leichtfinnig." Unb er mufete, bafe biefe§ äßort ein SSor- 
murf fei, ben fie nid&t fcergeffen fönne, ber SBortourf, bafe er gut unb 
fdjtoadj gemefen fei, ihrem Stufe au folgen. 

Sm übrigen mar SDtaria froh, bafe er gefommen mar. 

§n ben erften £agen machte fie fidfr ©tunben ber SIrbeit frei, unb fie 
gingen burefj bie meifeen gelber, bie im ©rinnerungäfieber lagen — moht 
auch bon Sufunftäahnungen unb gruchtfeimen burchbebt. 

Slber mieber fam ba§ Sßflichtbemu&tfein unb mahnte fie. ©ie trafen 
fich nur in ben Sfbenbftunben. 

3>ie Harmonie faann gäben um fie. 93eibe empfanben e§ jeboch, bafe 
biefeS Stneinanberrücfen nur au§ ©infamfeit gefchah, meil einer im anbern 
©aiten berührt fanb, bie im eigenen Snnern serriffen maren. 

©d^tper unb bitter bie Siebe, bie ©infamfeit fchuf unb nicht ©ehn= 
fudht nach Sicht unb #eHigfeit. SBeim erften ©onnenftrahl, ber bie ©in= 
famfeit erträglich macht, löft fie fich Io§, fühlt nicht einmal ba§ Stuf- 
atmen ber ^Befreiung, fühlt auch feinen Äummer, nur einen bumpfen, 
bum^fen ©äjmera, ftumfcfe SErauer, bie refigniert brütet. 

V. 

©§ fam fo einfach unb eigentlich gana unvermittelt. Säßie manchmal 
eine grucfjt bom Saume fällt, nicht meil fie reif, auch nid&t toeil fie 



302 



21. Valbert in Berlin. 



überreif ift, fonbern toeil fie nie gu reifen begann, toeil ber Sern tot 
geboren toar nnb nur Spannfraft f)atte, trag ant 3*^0* 311 Rängen. 

einem in ber ©d^toäd^Iid^fett aöf)en, in ber $affibität befyarrenben 
@ei<f)Ied)t gleist biefe grudjt. Sie trag unb energiematt ba^in leben, am 
23aume be§ Sebent frudf)tIo§ fyängen, füllen nidjt ben ganjen Sammer 
biefer ^mpotena. ©in feiner, feljeuber Stfenfd) au3 ifjrer SPlitte erftefit 
Jplöfelid^ nnb f)ält fief) ben fiopf, xvxü gar burdf) Slrbeit, bie ibm fremb ift, 
bie 93IutIofigfeit übertoinben, tt>itt burd) Siebe bie gefettete ©nergte Io§^ 
Iöfen. 

93i£ bie glügel matt toerben. 

©in 3tebruarabenb mit aMärsftürmen. SDiaria unb Sofjanneä gingen 
burdj bie Strafe; fie Ijatten fid) eben getroffen unb berieten, tvo fie ben 
9Tbenb ^erbringen foHten. 

$of)anne3 meinte: $n irgenb einem 6af<5. 

3Bar'§ bie Selbftoerftänblidjfeit, bie üTOaria reiste, ober ber Sßiber« 
ft>rud)§geift; fie meinte: ba§ (£af£Ijauäfifcen fei if)r entfefclicf). 

!gof)anne§ ladete: 2>a Ratten fie biefeS Grntfefelidje fdjon fo oft getan. 
§m übrigen fomme ja balb ber Sommer, ba $öre ba§ ©ntfefclidje auf. 

Sfeiria antwortete nid)t§. Sie ging weiter, unb ifyr JRocf flatterte 
im SBinbe, berührte So^nne§ unb ftretdjelte' i^n. ©r griff naef) if)rer 
#anb: Sie Werbe fidj erfälten, fie foHe bod) nidfjt fo ftarrnaefig fein. 

$£)r Sßiberftanb blieb txiffib, aber ftarf : fie Wollte audj fein (Mb aus- 
geben; unb in biefer Stabt ginge fie nieftt gerne mit ifjm 2fbenb§ in§ 
Gaf£, bamit alle Seute fidj bie Sunge Werten. 

Sie famen auä ben Straften in bie SSorftabt. £er Sßinb Jpfif f 
luftig unb falt, ein trotfne§, fecfe§ pfeifen. 

3)a fragte Sftaria plöfelid): „aBarum gefjen wir nicfjt auäeinanber?" 

So^anneS faf) fie erftaunt an: „Sßa§ meinft bu?" 

SWaria fagte nadj einer SBeile: „SBarum ba§ ^erum^erren an* 
einanber? %<fy bin nidjt gefdjaffen aur Siebe. #öd)ften§ aur Sefjnf udftt 
nadj Siebe. Ober aur 3freunbfd)aft." Sie ladjte fura unb bitter. Sie 
gingen Wortlos nebeneinanber. 

SofyanneS fagte: „Ter SSinb bringt ben 3?rüf)ling." 
t 3Waria blieb ftefjen, fal) jum mattgrauen Gimmel mit ben t>erlen* 
gleiten Sternen empor: „$fdj bin für. feine fjeifce, fdjwüle Sommerliebe 
gefdjaffen." 

3oI)anne§ farad) lange auf fie ein. Sie überarbeite fid), unb ba§ 
©rübeln aerquäle fie. Sie müffe e§ t>erfud)en, ba§ Seben Ieidjt au nehmen: 
fommerlid), frifdj, ferf, braufgängerifdj. Sie antwortete nid)t§. SSor ber 
$au£türe gab fie S^anne§ bie #anb: „£anf für bie SBintcrliebe." 



gofyanneS befam nod) einen ©rief t>on ifyr. Sie fdjidte iljm einige 
abgefdjriebene 9Kanuffrit>te aurüdf, unb auf einer Starte ftanb: ,/äBenu Xu 



IXlax'xa Hofen. 



303 



feinen Stnftofe i>arcm niiumft, fdjidfe mir nod) Xva% aum Stbfd^reiben. 
tDÜL 2>ir gerne Reifen, Sieber. Senfe gut bon Seiner SBinterliebe, benf 
in Sreunbfcfjaft an SDeine Ttax'xa 9tofen." 

Unb fein lefcter ©rief: 

„£)b e§ nid)t ein SWittelbing gibt gtoifdjen Siebe unb greunbf^aft? 
ÜTOöglid), greunbin. 

Slber jebeä SBerf)ältni§ toitt eine Hoffnung fjaben. Unb jebe Hoffnung 
mitt öon gurdjt gefd&enft fein. 

greunbfdjaft f>offt auf Siebe unb fiirdjtet ben SSerXuft ber greunb* 
fcfiaft. SBorauf foH gur greunbfcfjaft getoorbene Siebe boffen? SSa§ 
foQ gur greunbfdjaft begrabierte Siebe fürchten? 

<BoÜ bie greunbfdjaft ein äBaffenftillftanb ber Siebe fein nnb be£ 
#affe§? SBer fo geliebt bot, baß ftdj ba£ ®d?toinben ber Siebe in 
bertoanbelt, tx>irb er nodjmaB biefe Stufenleiter befteigen? Actum, 
greunbin. 

SBar aber bie Siebe nur ein oberflächlich Spiel — tua£ foll nun 
bie greunbfdEjaft bebeuten? 

Unb toenn alle biefe Slrgumente ntdöt tuären: 

SBirb bie greunbfcfiaft nid£)t fdjamrot toerben, 9?acf)folgerin eine£ t>er= 
blaßten ®efübB 3U fein? Unb toirb bie Siebe nid&t aürnen, erjefct gu 
merben? -Kein, greunbin: laffen mir ber Siebe bie Hoffnung, ba| fie 
unerfefelidE) fei. ®a§ fott ibr lefcter ©elbftbetrug fein, 

Seben <5ie tDof)l, SWaria 9tofen." 



Das bidjtertfdje Schaffen. 

Von 

— Bramfelb bei Hamburg. — 




tc ^Betrachtung be§ SßljänomenS, ba§ im Raffen be§ 2>idjter§ 
gutage tritt, füfyrt un§ bis an bie ©runblagen unb bie ©renken 
unferer g^iftigen ©pftena. SBenn nrir ba§ t>erftanbe3mä&ige 



SDenfen aB ben ©berftod betrauten, berben 93au unfere§ geiftigen Sebent 
frönt, unb in bem toir mit madjem 93etou&tfein um&ermanbeln, bilbcn alle 
bie bunffen Siegungen be£ @efüf)I3 unb be§ 2BiHen§, bie traumartigen 
93etoegungen ber $ßft)d)e unb ba§ Snftinftmäfeige ben Unterftod, ber unfer 
SBefen mit bem Xierifdjen unb ben unbetoufet tnirfenben Gräften ber 
9?atur berbiubet. 9?un ift e§ flar unb ttrirb fidj im Verfolg biefer ®ar- 
ftettung beutlidjer aeigen, bafe fidj ba§ bidjterifdje ©Raffen in ber £eüe 
be§ 2?ett>uf3tfein§ nid)t allein boHaiefyt; 31t einem guten SEeil, unb 3tt>ar 
in feiner mefentlidjen SSebeutung, berläuft e§ in ber Sftegion be§ Unbe- 
hmfeten. 2Iu§ ber bunflen 5Eiefe, auf ber unfere geiftige ©xifteng vufyt, 
3udt bie Intuition be§ ©idjterä empor, bon bort Ijolt fie triele verborgene 
2(nfd)auungcn herauf, bann fommt afferbingä eine Sßeriobe, in ber ber 
. bidjterifdje ^rosefe burdj bie 5£ätigfeit beS 33erftanbe§ f)inburd)gel>t, um 
aulefct hrieber in£ Unbeiru&te unb Snftinftmäfeige einaugef>en. @o geljt 
bie bidjterifdje Sßrobuftion o^m Stoeifel auf bie gefyeimntebolle 33afi§ 
unfereS geiftigen 2eben§ surüd, unb biefer 3ufautmenl)ang tnirb aud) 
allgemein emfcfunben, inbem man ben SDid)ter unb ßünftler in bie ©pljare 
ber ®innlid)feii rücft. 2Wan fann feine 5tätigfeit Dergleichen mit 
ber Xätigfeit, bie ber 2»enfd) in bem guftanbe ausübt, ba er fid) bom 
Unbetoufcten loSringt, im (Sinaelinbibibuum al§ SHnb, ba§ bie erften 
Sßorte unb ©äfce au£ unmittelbaren 9tnfd>auungen bilbet, im ©efamt» 



Bas bidjtertfdfe Staffen. 



305 



inbibibuum aB S3oIf, ba§ ©pradje unb !U?t)t£)ologien fd&afft. 8tber e§ 
fragt fidö bod), ob bie bidjterifdje unb fünftlcrifd^e Sßrobuftion al§ ein 
Subiment au§ bem Traumleben ber SWenfdföeit be'aeidjnet toerben barf, 
ob man nidjt gu einer falfd)en (£infd)äfeung gelangt, toenn man fie al§ 
im toefentlidjen unterhalb ber reinen S3erftanbe£tätigfeit Iiegerib an= 
nimmt. 2H3 ©anae§ untertreibet fie fidf) toefentlid) bon bem reinen 
Snftinft baburd), bafe fie in einem Steile nottoenbig burd) ben 33erftanb 
ge^en mu&; aber ba3 ift bie grage, ob fie nidjt, au§ ber SEiefe empor* 
fteigenb, burdf) ba§ Sid)t be§ SSerftanbeS Ijinburd) in Siegionen füljrt, 
bie nur barum bunfel finb, toeil fie oberhalb be§ fyeffen SSetoufetfeinS 
liegen. S)ann ftriirbe ba§ bidjterifdje <2d(jaffen eine Steigerung ber 
menfdjlidfjen @eifte£fräfte beaeid)nen, ber nur bie aHertoenigften Önbi- 
bibuen fä^ig finb, unb bie ba^er bie äufeerfte ©renae menfd)Iid>er <$äf)ig* 
feiten beaeidjnet. 

2)arau§ ergibt fidj, bon ftrie grofeer 93ebeutung bie Aufteilung ber 
SSorgänge beim bidjterifdjen ©Raffen ift, nidjt allein um be3 ©egen- 
ftanbeS felbft Hillen, fonbern audj barum, toeil er, toenn ridjtig erfafet, 
iraftanbe ift, einiges Sidjt au toerfen auf bie ©teffung be§ menfdjlidjen 
Seiftet innerhalb be§ ©angen ber Statur, unb auf bie S3erbinbungen 
unb S3erfledf)tungen, bie afrifdjen iljm unb ben fonftigen feelifdjen 
Sjiftenaen auf ber ©rbe befte&en. !^m folgenben foff nun ber 33erfudj 
gemalt toerben, jene SSorgänge rein praftifdj au fdjilbern. ®a§ SWaterial 
foff sufammengefteHt toerben, au§ bem man eine 2Infdjauung bon ber 
bidjterifdjen Sßrobuftion gewinnen fann. ©ine foldje 3ufantmenfteflung 
toürbe bann bieffeidjt faäter einmal bie ©inglieberung ber gefdjilberten 
geiftigen SSorgänge in ein Stjftem ber $ft)djoIogie ermöglichen, fie felbft 
ift nur eine SSorarbeit basu. ©o foffen benn audj jene oben angebeuteten 
fragen nidjt entfdjieben toerben, fie foffen nur ba§ allgemeine 3id an» 
geben, auf ba§ I)in bie foTgenbc £arfteffung toeiter enttoitfelt toerben 
fann, unb ben Sftafjmen beaeidjnen, in ben fie hineinfällt. Sie felbft Ijat 
nodj einen anberen, praftifdjen SBert. S&enn man nämlidj einige Slarfjeit 
erlangt über bie 2Trt, toie ein ßunftmerf au§ ber $nbibibualität be§ 
Äünftler§ ^erau^geboren toirb, bann toirb man audj fefte StnlmlrSfmnfte 
für bie Beurteilung ber ßunfttoerfe finben. 3>er 3^^fel, in bem man 
fid) einem ßunfttoerf gegenüber oft befinbet, unb ber nidjt am* ?Iner* 
fennung unb 33ertoerfung fommen läfet, toirb in bielen Säßen gehoben 
fein, fobalb man fyerauägefnnben Ijat, ob ba§ %u beurteilenbe 3Berf in 
fünftlerifd&em'Sdjaffen getoorben ober mit Sffbfidjt gemadjt unb fabriaiert 
ift. Sßer nämlidö ©infidjt in ben Sßroaefe be§ S)id&ten§ gewonnen F»at, ber 
Xüivb auäj ein ©efitljl bafür I)aben, ob ein fiunftoerf ba§ 9tefultat eine§ 
fd>o:pferifd)en Stfte§ ober Mofje 9J2ad&e ift. @o bermag bie (?rfenntni§, 
bie bie folgenben Darlegungen förbern foffen, in fio^em ©rabe aur Sun« 
bamentierung unb Orientierung be§ äftf>etifd)en XlrteiB au bienen; unb 



306 <£fyr. Boed in 3ramfelb bei Hamburg. 

manche offenbaren SDftfjgriffe in ber ^Beurteilung t>on ^robuften ber 
®unft unb Siteratur mären bernüebeu Horben, menn bie Kenntnis be3 
fünftlertfd>cn Scf)affen§ mebr verbreitet gemefen märe. Sie bätte jeben" 
fallö berbinbert, bafe Söerfe, bte ben Stempel be§ ©entadjten an lieft 
tragen, für ttrirfltcfje, eebte unb grofee Shtnftmerfe ausgegeben würben. 

£>te gegenwärtige Sarftettung fott fid) nun an einen beftimiuten 
Siebter galten, ber in ganj befonberent -äftafee baju geeignet erfd)euit, 
ein £>bjeft für ba§ Stubium be§ biebterifdjen ScbaffenS herzugeben, 
griebriefj §ebbel fyat mie faum ein anberer ftet§ unter einem fjö^eren 
3^ang geftanben, menn er btdjtete; fobalb bte innere Nötigung fehlte, 
fonnte er nicbtS fdjaffen. SBeil bei ibm ^erioben gröfeter grudjtbarfeii 
mit $erioben abfolnter «Sterilität mecbfelten, erfefteinen ber Sid)ter unb 
ber SBenfdj in ifjm in fdjarfer Trennung. Sobann I)at Hebbel fid) fein 
ganzes Seben lang mit Selbftreflenon begleitet. Seit feinem 22. %af)te 
bat er £agebücber geführt unb biele SBriefe gcfdjriebcn, bie tiefe einbilde 
in fein SBefen geftatten. Unb menn er aud) in beiben aur £auptfad&e 
immer nur Sefultate mitteilt, in ben glufe be§ SBerbenS felbft un§ itid&t 
immer fjtnctnaie^t, fo bermögen mir bodj ben Sßroaefe, in bem fid) ba3 
©djaffen bei Hebbel bottaiebt, aiemlidj beutlidj 511 berfofgen. Snbem mir un£ 
fo an einen beftimmten Siebter anfcbließen unb nur gelegentlich parallelen 
bon anbern £id)tern beranaieben, geben mir bon ber 93orau3fetjung a«3, 
bafe bte j>ft)d)orogifd)en Xatfadjen, bie mir bei bem einen finben, aud) mafe- 
gebenb für bie anbern finb, mie gurn 93eifj)iel aud) bie öefefce be§ Senfen§ 
für bie ganae (Sattung gefunben merben burd) bie STbftraftion bom 
Senfen eines SnbibibuumS. Safe aber Hebbel in feinen geiftigen Sßro- 
seffen burcf)au$ ben ©tnbrud be§ ©efunben unb Normalen maebt unb 
buxd)ci\i3 nidjt patfjologifdj ift, ba§ brauefit beute tuoljl nic!jt mebr betont 
5u merben. 3^eiflern gegenüber müfttc e§ genügen, auf fein abgeflärteS 
3D?anne£aIter binautoeifen, ba§ au§ ber ©ärung ber ^wgenb^riobe lute 
eine fd)öne §nfel emt>ortaud)t, unb ba§ nie möglidj getoefen märe, menn 
Hebbel mirflieb im .fferne t>atf)ologifdj märe, mofür itjn biele gehalten 
baben. 

Sßenn mir nun an ben ©egenftanb, ben mir befdjreiben motten, beram 
geben, gilt e§ anerft, ibn in feiner 93efonberbeit berboraubeben. Sa£ bieb* 
terifebe Staffen ift qB etma§ fpeaififd) Eigentümliches au betrachten, ba§ 
fidj gegen jebe anbere geiftige Xätigfeit beutlicfi abbeben läftt. SBenn man 
eS in feiner Sßefenbeit erfaffen mitt, mufe man e§ bor attem gegen bie blofee 
©ebriftftetterei abgrenzen. £a§ $robu3teren be§ SicftterS Iäfet fieb mit ber 
SätigFeit beS SdjriftftetterS faum bergleidjen. XerSdjrtftftetter bat3trecfe, 
Senbenaen. gr mitt etma§ erreidjen, überaeugen ober flarfteflen, bietteiebt 
audö erfreuen. Ter Siebter ftettt bar, ma§ er fd>aut, obne 9?üdftd)t auf 
irgenb etma§ aufeer ibm, obne %ntereffe bafür, ob e§ anbere erfreut 
ober betrübt. Sie £ätigfeit be£ einen ift bemufet unb gemoflt, bie be§ 



Bas btdjterifdje Schaffen. 



307 



anbeten berläuft gwnt großen £eil unabhängig bom SJcnmßtfein unb 
bom SBillen. Shre $ufeerungen unterfdjeiben fid), um mit Hebbel au 
reben, ttne ein ®reation£aft unb bie Ubrmadjerfunft. Sa§ Raffen 
beB Sidjtcrä ift ein S£riebartige§, ba£ nur t>or fid& gehen fann, toenn bie 
9?atur e£ verlangt; ber ©djriftfteflcr bagegen fann fidj binfefcen mit ber 
Stbficht, ein Problem ju erörtern, er fann fid) 31t feiner $robuftiou 
atoingen, menn natürlich audj bie eine Stunbe günftiger für ihu ift aB 
bie anbere. $inmieberum bermag aud) ber Sichter aufteilen bie Sßocfie 
au fommanbieren, aber bod) nicht auf bie Sauer. Ser Unterfd)ieb bleibt 
phänomenal; ber ©dhriftfteller fpricht: id) toilf; ber Sidhter: id) imi&. 

Sabei foH natürlich nidjt geleugnet toerben, bafe e§ aud) £d)rtft* 
fteHer gibt, bereu £ätigfeit mehr intuitit) aB bBfurfib unb nottDcnbigcr, 
ja atoangSmäfeiger StuSbrud ihrer 9?atur ift. 2lm bcutlidjfteu mürbe ber 
Unterfdjieb sluifchen SdjriftfteHer unb Sinter gutage treten, toeitn fair 
fie un§ bei berfelben Strbeit, etoa ber SIbfaffung eine§ ©djaufpieB bor* 
ftettten. Sa toürbe man fagen fönneit, ber eine toill ein ©djaufaiel 
fdjreiben, er fefet fid) btelleidjt einen 3^cf bamit, er baut e§ auf nadh 
ben ihm befannten ©efefcen btefer Sid£)tung$art, bie er mit Settmfctfein 
$ur STniuenbung bringt; ber anbere fühlt fid) innerlid) gebrungen, ein 
©djaufpiel au fdhreiben, unb bollenbet e3 in einer intuitit>en Strbeit, in 
ber er mehr unbettmfet als betoufet bie geltenben @efet3e erfüllt. 6baraf= 
teriftifdje 93eift>iele biefer beiben Slrten finb ßeffing unb ©oetbe, toäbrenb 
Schiller toobl in ber Sftttte 5tDtfd>en beiben fteht. 

Sei Hebbel geigt fid) ber Xlnterfchieb ber beiben 5£ätigfcitcn djarof* 
terifüfd) in ber berfdjiebenen Sffrt, tote ber ©djriftfteKer unb ber Siditer 
in ihm probuaierten. SBährenb er bie ®aenen feiner Sramen meift 
fdjneU nieberfd&rieb, machte ihm ein getoöbnlidjer Stuffafc bie größte 3ftiibe. 
(?§ toaren für ihn erfichtlidj amei gana berfdjiebene £ätigfetten. Sarau§ 
erhellt benn^ bafe ein SdjriftfteHer, ber nid)t guglcidö ein geborener 
Sichter ift, in ber $oefie nie etoaS ©d)te§ unb ganä ©rofeeB erreichen 
fann. „eine toofjlgeorbnete SBenfchennatur fcfct fid) . . . fo twnig ben 
3n>ecf, eine Stragöbte au bidjten ober ein anbereS ®unfttt>erf herborau= 
bringen, aß e§ fidj ben 3tr>ecf fefct, au3 bem Äopf eine 3Jofe berbor* 
jutreiben. " ($riebrid) $ebbeB £agebüdjer in bier SSänbcn. herauf 
gegeben bon ^ermann ßrumm. 93anb IV. ®. 4.) Senn Sichtmcrfe 
brängen fid), toic fiinber, bon fdbft a^r ©eburt (an ßfifc Öenfing, 
21. 11. 43). 9?un gibt c§ freilich manche, bie fid) aum 2)id)ten hinfefeen 
tvk aum SRafieren, aber toa§ babei entftehen fann, ift natürlid) nur cüt>a§ 
echtt)ädf)acheB, etmaS @emad)te§ unb £ote§. ^a, ber Sichter fclbft ift 
ni^t imftanbe, in einer toten, unjrrobuftiben 3cit ein begonnene^ SBerf 
fortaufefeen; ba§ toürbe ihm borfommen, aB follte er einen nur fd)ft>atf) 
refleftiertcn Siegenbogen mit bem Zündjcrpinfcl au 6nbe bringen (an 
3uliu3 ©lafer, 3. 8. 55). Sie $oefic quillt au£ bem Snnerften beraub, 

tRort ltitö 6üb. CXX. 3G0. 22 




308 d^r. Boecf in Bramfelb bei Hamburg. 

ber Didjter läfet ben Strom über fid) ergehen, mäfjrenb ber Sdjriftftettcr 
ba§ SBaffer herbotpum^t unb e§ mit 33orbebad)t in bie borgeaeidjnet m 
Stinnfale leitet. 

Da§ ©^arafterifttfe^e an ber bidjterifchen *ßrobuftion ift eben bas 
3toang3mä6ige. Der SDirfjter fteht unter einer fjöfjeren Statmenbigfeit, 
toenn er bietet. „Der ®eniu§ ber Didjtfunft ergreift einen üMenfdjen 
beim Schopf, toie ber (Sngel ben $abafuf, brdfjt ihn gegen Sßorgen unb 
fagt: male mir, tt>a§ bu fiehft! Siefer tut'§ aitternb unb mit ängft." 
(£agcbud) III, 163.) ift if>m unmöglich, ba§ ^eranbrängenbc 
Sehen aurüdauhalten, motlte er e£ tun, fo toürbe e3 il)n berberben. 
Daran fann ber Dichter feinen 93eruf erfennen. Sr verfolgt baber auch 
gar feine äufteren 3tt>ecfe mit feiner Sßrobuftion; gana unabhängig bon 
ber SBelt unb ihren SBebürfniffen fdjafft er nur für fid) felbft. „Der 
echte Dieter würbe aud) nod) auf einer toüften §nfel bieten unb feine 
3Serfe in ben Sanb fdjreiben, felbft toenn er ba§ 9tbinoaero§ fdjon er» 
• blitfte, ba§ fie gleich nachher vertreten fottte." (Tagebuch IV, 199.) 
Unmöglich ift e§ ihm, etma§ anbere§ l)eröor5ubringen, aB tna§ er feiner 
Statur nadj muft. Der Dichter gibt fid) felbft auf, ber fid) in feinen 
SBerfen bem ©efchmad bc§ $ublifum§ anbequemt. „Du armer Seiben- 
tourm! Du toirft fpinnen, unb tuenn aud) bie ganae SBelt aufhört, 
Seibenaeuge au tragen!" (Tagebuch IT, 122.) Da§ ift ba§ ©efefe, ba§ 
über bem Dichter toaltet. SBie ihm ba§ Didjten an unb für fidj eine 
Statmeubigfeit ift gleidj bem SItmen, fo ift ihm auch bie Slrt unb ber 
Inhalt beS Schaffend in feiner Statur gegeben. 

SBie fehr bie 93robuftion$fähigFeit unabhängig ift t)om Sßiflen bc§ 
Did)ter§ unb toie fehr ba§ ^Srobuaieren aU ein 3toang erfdjeint, bci$ 
erhellt bor allem aud) barauä, bafe im Dichter 3eiten ber $robufttbität 
mit foId>en ber Unprobuftibität toechfeln. SBodjen unb Sftonate, au« 
toeilen Söhre, gehen borüber, ohne bafe fidj ber £rieb aum Schaffen 
melbet. 2BobI bermag fich ber Didjter aud) in foldjen Venoben ber 
Dürre aur Jtätigfeit 311 3toingen, aber je edjter fein Dichterberuf unb 
je ehrlidjer er gegen fid) felbft ift, befto weniger mirb er e§ tooßen. 
©r toartet gebulbig, bi§ feine 3eit fornmt, bann teirb er boppelt unb 
breifadj belohnt fein. Dann melbet fich tföfeTid) " ba§ tnunberbare Ver- 
mögen unb überfd>üttet ben SBartenben mit reichem Segen. — Wnf- 
fattenb ift bei Hebbel biefet äßechfel yuifdjen $robuFtibität unb Still 
ftanb bc§ $robuf'tion3triebe§. 9luf btele SWonate ber Un^robuFtibität 
folgten immer plötzlich einige SWonate hödrft gefteigerter ^SrobuFtion, unb 
äfrar toar e§ in ber Siegel ber $crbft, ber biefe 5nid)tbarFett brachte. 
Sn ben ^erbftmonaten h«t Hebbel bie meiften feiner Dramen gebiditet. 
93Ieibt cine§ im erften geuer ber ^robuftion unboUenbet, bann mar ed 
bem Dichter unmögltd), 51t anberen 3^iten, ido ba§ gener eriofefieu, 
baran Leiter au arbeiten, ja er Tonnte fid) bann faunt einmal in feine 



Das btdftertfdje Staffen. 309 

Sbeen bineinberfefccn. SBie stDct SMten ftanben ficf^ bie Venoben ber 
$robuftibität unb ber Sterilität im Seben be£ 25id)ter§ gegenüber. 
SStel Vermittlung gab e£ ba faum. ©r fdjreibt an ©life (31. 1. 43): 
„93ei mir fprubeln bte geiftigen Duetten entmeber in §ontänen, ober 
He fielen gang ftiü, ba§ Sidern unb tröpfeln fenne idf) nid)t, belegen 
ift mein gange^ Safein audj fo aufammcnI)anglo§, jettf eine Springflut, 
bie mid) faft erfäuft, fo bafe id) n\ä)t imftanbe bin, bie SRaffe ber @e= 
banfen unb Stnfrfjauun^en feftaubalten, bann ttrieber bie bürrfte, fan* 
bigfte @bbe." Dft befd)Iid) Hebbel in ben Reiten be3 StiUftanbe§ aller 
^ßrobuftion ba£ ängftgefiibl, bafe ber Strom überhaupt berfiegt, bafe e§ 
mit feiner Sidjterfraft au ©übe fei, bi§ bann bie toieber bereinbredjenbe 
8Iut ibn eine§ S3efferen belehrte. So mar e§ and), aU fein Seben au 
6nbe ging, Sange fdjon ^atte ber ^robuftionätrteb gefcfylafen, ba erfaftt 
er bcn franfen 2>id)ter nodj auf feinem legten Sager unb läfet if)u unter 
großen Sdjmeraen unb Unbequemlidjfeiten ben Demetrius faft bott'enben. 
,,2BunberIid£) eigenfinnige Sraft," ba§ finb bie legten SSorte be£ Sage* 
bud)e§, „bie fidj jahrelang fo tief t»erbirgt, mie eine anrütfgetretene Duette 
unter ber Srbe, unb bie bann, ttrie biefe, plöfclid) unb oft jur unbequemften 
(Btunbe, lieber berborbridjt!" 

33ei atten Sintern mirb fidj freilief) biefer ©egenfafc nicfjt finben, 
3unäcf)ft bei ben wenigen gang ©rofeen, in benen „bie ^oefie gang flüffig" 
ift, unb fobann bei ben $}id)tern, in benen baä bidjterifdje Vermögen 
nidjt rein unb ungebrochen aur ©rfdjeinung fommt, bereu 2lrt an arbeiten 
mebr bie be§ Sd)riftftetter§ aB bie be§ 2>idjter£ ift. 9lber (f^araFteriftifd^er- 
ttveife finbet fid) biefe§ Stngftgefübl, ber poetifdje Strom fei berfiegt, bei 
fefjr bielen 2)id)tern, man (efe nur ©rittparaerS £agebud)aufaeid)nungen, 
unb e§ betoeift gerabe, mie toenig abhängig bom SBitteu, mie unter gana 
anberen 93ebingungen ftefyenb al§ fonftige geiftige Grfdjeinungen, bie 
fpeaififdfte 3)id)terFraft ift. 3u bemerfen ift and), bafj bie $robuftion3- 
fäbigfeit im 9TIter meiftenä nachläßt, mic ba§ aum SJeifpicI bei ©oetfjc 
ber Sfaff mar, ber ba§ bid&terifd) 3teinfte, toa§ er berborgebraebt, im Süng» 
Iing§* unb ÜD?anne£aIter gefdjaffeu bat. gr. £b. SSifdjer unb Hebbel 
ftaben beibe auf biefe Xatfadje bingetuiefen, unb beibe beben angebeutet, 
bafe bie 2fbnabme ber geiftigen 3euöung$fraft bietteitf)l mit ber 5lbnaf)mc 
ber Pbbfifdjen aufammenbängt, bafe ein berborgener Sufawmenbmg 
amifd&en beiben beftebt. %n ber Xai fättt bei faft äffen Siebtem bte 
^eriobe be§ urfprünglid)en Sdjaffenä in bie Sebcn^t b'c bom finaben- 
unb bom ©reifenalter begrenat toirb. Saft cS in ber geiftigen tuie in ber 
^Ofifd&en Sphäre 3Tu§naf)men gibt, fd)eint biefe SRcgel nur au beftätigen. 
G§ Iiefeen fid) maudje goföcrungen an biefen 3»fömmcnbang fnüpfen, 
offerbing§ ift and) mittfürlid^en Äombinationcu biet Spielraum frei ge= 
Iaffen, aber e§ fragt fid) bod) immerbin, ob bie fieft bon ibrer Umgebung 
tnerftoiirbig ab^ebenben $robuftion§perioben, wie fie fid) bei Hebbel 

22* 



5\0 <£fyr. Bocrf in Bramfelb bei Hamburg. 

finben, ntcfit ettoa aU geiftige 93runftgeiten 51t djarafterifiereu finb. 
Slber tute bem aud\ immer fei, bie ^Beobachtungen, bic toir an ber in ber 
Seit toedbfelnben ^?robnftion^f äftigfeit gemacht baben, geben eine beut* 
Iidje (£rfenntni§ babon, baft fie ettoa§ gan3 ©peaififdjeS, eine befonbere 
©tfjäre im geiftigen £>rgani§mu§ be§ aWenfdjen ift. 

3u einem äljnlidjenSlefuItat gelangt man, toenn man fidj bieSebcutung 
bergegentoärtigt, bie ba§ ©(Raffen für ba§ geiftige Seben be§ 2)id#er§ hat. 
2Bir haben feftgefteflt, baß ber Sinter in feiner £ätigfeit einem trieb- 
artigen 3^nge folgt. Xa£ Sitten ift ihm nottoenbiger 2lu§brutf feiner 
Sftatur. ©eine geiftige ©trnftur ift berartig angelegt, bafe mieberbolte 
Sitfeerungen in bichterifdjen ^ro^effen nottoenbig erfolgen muffen. 33enn 
ba§ ©Ieidjgetoidjt be§ geiftigen Sebent nicht jerftört Serben foÖ, mufe 
e§ in beftimmten Seifräumen 5U foldjen Slbfonberungen fommen. Xer 
@eftaltung§trieb mufe nadj aufeen toirfen, toenn er nicht nach innen 3er- 
ftören foC ©ttoas? ähnliche^ ift ©efefc audj im geiftigen Seben jebe* 
normalen 9Wenfd)en. ^ebe§ geiftige Seben, nid)t nur ba£ be§ Xidjters, 
berlangt nach 2tu§brud, unb atoar ba£ geiftige Seben im toeiteften Um* 
fange, gebet £ft)d)tfdje Vorgang, auf Sfterbentätigfeit berubenb, fcflanat 
fid) fort aß gnnerbation, toirft auf bie 9?erben in geringerem ober 
ftärferem ©rabe. ©tarfe Slffefte fdjreiten 3itr Erregung ber SDluSfeln 
fort unb toerben fo abgeleitet. Seibenfdjaften, heftige 93ett>egungen ber 
Sßftjdje forbern gebieterifd) ihren 9Iu§brud, fei e3 in förderlichen 93e- 
tregungen, fei c§ in ber ©pradje. geber toeift an§ Erfahrung, tote getoiffe 
geiftige unb feelifdje Situationen mit ©etoali 3itr. Sfu^fpradje brängen, 
unb jeber fennt aud) ba§ Iöfenbe unb befchtoidjttgenbe SKoment, ba§ in 
foldjer 8lu§fprad)e liegt. $ier ift bie affgemeine menfd)Iid)e Stnalogie 
3itr Stätigfeit be§ ®id)ter§ 3U finben, tote jeber 9tu§brud geiftiger 3Sor* 
gänge, unb beftebe er aud) nur in ber faradjlicbcu SUation, im ©runbe 
ein bem fünftlerifcben ©eftaltcn bertoanbteS Zun ift. 9Ibet fo grofe ber 
Unterfdjieb atoifcfyen bem fdjlidjten unb untoillfürlidben fyradjftdjen 9fu§* 
brutf alltäglicher geiftiger Sebürfniffe unb ber fefiaffenben Sätigfeit be§ 
£>idjter§ ift, fo berfebieben ift aud) in beiben gäHen ba§ 3ftxwg§wäf5ige 
im SebürfniS, fidj $u äufeern. Xer -Jiicbtbid)ter Der mag bie Umfefeung 
feiner geiftigen 93etoegnngen in bie Sprache &u unterbrüden, auf bie 
Xauer tuiirbe biefe Unterbinbung afferbing§ nachteilig auf feine geiftige 
©riftenä luirfen; beim Xid)ter jebodi Iriirbe eine S?erbinberung ber $ßro* 
buftion, toenn fie möglid) toäre, berbeerenb totrfen. Xementfpred^enb ift 
umgefebrt and) ba§ ©efübl ber Sefriebigung, ba§ bie ungebinberte 
Sufeerung be§ 05cifte§ berborruft, beim Xicbtcr uhgleid) größer unb 
bebeutenber al§ bei jebem anberen. 6§ ift befaunt, \v\e ©oetbe fidb bon 
gegriffen geiftigen 3wftänben befreite, inbem er ibnen biditerifebe (Se- 
ftaltung gab, unb fo miebedjolt fid) bei jebem Xiditer eine äbnCidbe Be- 
freiung unb Sefdjlüid)tigung, tnenn er fid) Xinge, bie ibn briiden unb 



Das btdjtcrifdye Schaffen. — — 3U 

auf ihm Iaften, bon ber ©cele fchreibt. „2)ie &arftettung tötet ba§ 
^argufteffenbe," in biefe SBorte fleibet Hebbel biefe Erfahrung. Sßenn 
e§ ober nidjt burch bie Xarftettung getötet toirb, fo ahnt er, tüte eä ben 
2id)ter, in fein §nnere§ aurüdtretenb, gerftören fann. (SEagebud) I, 63.) 
%a, er fleibet biefen ©ebanfen einmal in ben merfmürbigen 9lu3brud, 
bafc e§ ©hafefpeareS Sftettung toar, bafe er SWörber fdf»uf ; fonft hätte 
er felbft gum ÜWörber toerben müffen (SEagebudj ITT, 46). 2>a§ 
flingt aufeerorbenilich £arabo;r, unb Hebbel fühlt e§; er ft>iH 
biefe SBahrheit benn auch im ©runbe nicht gerabe bei @hafe= 
fpeare gelten Iaffen, aber immerhin meint er, e§ Iicf3e fich 
eine gebrochene 2>id)ternatur benfen, bei ber ba§ elementare Sehen, 
fa£t§ bie fiinftlerifdjen ^robuftionen in fid> erftiden ober in ber ©eburt 
nerunglütfen, unmittelbar in SEaten hervorbrechen fönnte. So befremblidj 
biefer ©ebanfe auch fein mag, toenn hrir bie ©ingelheiten prüfen, ttrir 
tferftehen bie gu ©runbe liegenbe Sßahrheit, bafe e§ nämlich eine 33er* 
ftörung be§ geiftigen @Ieichgeti)id)t§ im Siebter bebeuten toürbe, toenn 
bie nottoenbige Sßrobuftion nicht guftanbe fommt. 93egeidjnenb bafür ift 
ba§, it>a§ .ßebbel in einem SBriefe an (Slife Senfing (14. 12. 36) t>on fidj 
felbft ergäblt, toie er im Slieberfdjreiben eine§ in tieffter Seele emp« 
fangenen @ebidjte§ geftört tmtrbe unb nun in einen unerträglichen 
3uftanb, in ben 3**ftanb „be§ ungemäfjigten unb ungenteffenen Über* 
fliefeen§" geriet. %n bem SSorteort gu üftaria 9ftagbalena behauptet er 
gerabegu, baft eine unterbrüdte ober unmögliche geiftige (Sntbinbung 
ebenfogut mie eine leibliche bie 23ernichtung, fei e§ buref) ben Job ober 
burch ben SBahnfinn, nad) fid) giehen fann, unb gur (Srläuteruug toeift er 
auf Seng, ^ölberlin unb ©rabbe hin. — Soweit fd^ön ift bann aber 
aud& bie SBonne be§ ©djaffenS, bie ber befte Sohn für ben dichter ift 
(Tagebuch IT, 115), unb rührenb ift e§, mie ber dichter bem (Steigen 
banft, bafe er ihm ba§ fchöpferifdje Talent Verliehen, ba§ ihn aHein 
gum Volten ©efühl feinet 5Dafein§, unb fo gum höchften, eingigeu ©Iüd 
fommen läßt (Tagebuch II, 75). Unb bo<h ift bie ©djaffenäfreube, tote 
jebe tiefe greube, nicht blofe ein ©enieften. ffia fie au§ bem ©runbe be3 
©ein£ auftaucht, bringt fie entdj ein ©efühl be§ Seiben§ mit herauf, 
i>a§ allem ©ein innewohnt. $öchfter ©enufe, fagt Hebbel (£agebudj I, 
198), ift bie fünftlerifche Xätigfeit, toeil fie gugletdj ©egenteil Don ©enufe 
ift. SDa§ ift nicht nur fo 31t Verftchen, bafc fid) in ihr 2lfiiVe§ unb SßaffiVeS, 
ein Zun unb ein ©enief3en Verbinbet, e§ hnt auch jene anbete 93ebeutung. 
©in anbermal (an @harIotte SRouffeau, 14. 2. 43) nrirb ber ©ebanfe fo 
auSgebrütft: „S)ie ^oefie ift ein üftolod), man mufe ihr ben gangen SBalb 
mit aßen feinen Mühenben Säumen opfern, unb ber gange Sohn beftebt 
iarin, bafe man in ihren glühenben Sinnen verbrennen barf, ba§ ift 
mehr aB SBetaph^t." Stngreifenb mie einen Stberlafe nennt er an anberer 
(steffe baB ^robugieren (an Öd&trife, 14. 12. 54). ähnlich foridjt Otto 



3\2 <£tjr. Boecf in Bramfelb bei Hamburg. 

ßubtmg Pon einer 2trt förperlicher 33eängftigung, bie ihn in #änbcn 
hat, toenn fid^ bei ihm i)er $roaefe be3 bic^terifrf>en Schaffens einfteüt 
(SBerfe, herausgegeben Pon 21. SBarteB, VI, 307). 

®odj eä gilt nunmehr, biefen ^rogefe felbft in feiner (Snttoicflung 311 
jeid^nen. 2>ie SInbeutungen, bte fidö barüber bei Hebbel finben, finb guru 
£eil fefjr leife unb fcfjtoanfenb. 63 toirb fidj eine genaue ©ntttridtung 
auch nicht barftelten Iaffen. ©aju müfete man bie (?ntftehung eines ein* 
seinen ftunftmerfeS gana genau Perfolgen unb bei jeber Station feinet 
©ntfteben£ feftftellen fönnen, in meldjer Sffleifc in biefem Slugenblicfe bic 
93ft)d)e be3 Sünftlerä tätig getoefen ift. $ierau fommt, bafe bei jebem 
Äünftler ber ©ang ber ©ntoicflung in ben (Jinaelbeiten Perfchieben ift, 
trenn auch bie großen 3üge ber ©ntoicflung auffattenb bicfelben finb. 
@§ fann fid) t)kv natürlich nur um ein Schalten biefer großen 3«gc 
banbeln. ©ine Poflftänbige 2tus>id)öpfung be§ 33organg3 ift überhaupt 
unmöglich, ba e§ fid) aur £auptfad)e um ba£ Unbetoufete banbelt, ba£ 
nicht erflärt unb nur anbeutungäroeife befchrieben toerben fann. 

SWau mufc beim bidjterifdhcn Sßroaefc im toefentlichen stcei Stabieu 
ttnterfdjeiben, ben ÜRoment be£ Empfangend unb ben SKcment be£ @c* 
bärenö. £iefe 9lu§brücfe finb ben Vorgängen ber pbpfifdjen Sort* 
Pflanzung entnommen, unb toie mir fdjon öfter auf bie 3trt unb Söeife, 
tpie im ©ebiet be£ tierifdjen Sebent ber 6ntftehnng§proaetf t>or fid) gebt, 
hingetoiefen mürben, fo toerben nrir immer Pon neuem auf biefe änafogie 
geftofeen, bie ieber fdKtffenbe ©eift empfunben hat, unb bie in ber Xat 
ba§ befte 93ilb für jenen geiftigen Sßroaefe gibt. &ünftlerifche£ Schaffen 
ift ein geiftigeS ©ebären, unb bie SSorbebingung für ba£ ©ebären nt 
ba§ ©mpfangen. So mufc benn aud) ber ©eift be§ £id)ter£ befruchtet 
merben, ehe fidj au§ ihm ba§ ©rfdjaffeue lo£ringen fann. %n gröf3tcr 
ffierborgenheit, gelegentlich einmal, in ber 9iad)t be§ Unbetoufeten, erfolgt 
biefe ^Befruchtung. (Sin SebenSutoment au£ ber Stnbbeit Pießeicht, Pier* 
leicht ein gang oberfläd)liche§, unfcheinbareS Erlebnis bleibt in ber Seele 
be3 Sichterö haften, unter taufenb anberen Perborgen. SBer ft>etB, toober 
bem Siünftlergeifte aße bie lebensfähigen Seime augetragen finb, bie tieft 
in feinem Sdjofee sur grudjt bereiten! Später einmal, Pießetd)t nadh 
Sahren, erfchüttert ein Stnlafe bie Seele be§ 3Md)ter§, unb toa§ lange Per* 
borgen unb ungefehen in ihm gelegen bat ba§ Perlangt jefct nach 2Ius* 
bruef unb toilt an£ Sidjt fommen. SRicbt biefer Slnlafe ift ba§ ©eburt 
fchaffenbe, fonbern nur ba§ Iöfenbe Clement, ©ana tief im Unbettmfetcn, 
in unburdhbringlidöer 9?ad)t hat bie Befruchtung felber ftattgefunben. 
£a§ ©oethefdhe ©ebidjt „©eiftergrufe" ?>um Seifpiel ift entftanben int 
9fnfdhaucn ber SRutne 9?teberlahnftein. Slber jener finnlidje aMoment, 
ber freilid) bie ©ntftehung beö @ebid)te§ Peraulafete, umfdhlofe nicht ba§ 
fdhöpferifd)e (Smpfangen; bie Sbee, bie in bem ©ebidht ihren 9hi$önuf 
finbet, [ag fd^on feimfräftig in ber Seele be§ £idjter§; in biefem 9tuoeu- 



Das bidjterifdje Staffen. 



3*3 



Wide fanb fid) nur ber 3lnlafe au ihrer 2luferftebung. Da£ erfte Stabium 
be£ SdjaffenS, baS empfangenbe, liegt tief unter bem Settufetfein ÖBor* 
mort jur SKarta 3Magbalena). 5Berfd)ieben finb bann bie Stnläffe, bie 
ba£ ©m^fangene auS feinem bunflen Sdjofee hervortreten (offen, ein 
(SrlebniS, ber SInblidt eiltet ©emälbeS, unb ähnliches (Hebbel an @ng* 
länber, 23. 2. 63). Otto Submig eraäblt, ba& in einem gaffe baS 2ln* 
hören einer 33eetbobenfd)cn Symphonie fo Iöfenb getüirft bot (a. a. 
O. VI, 310). 

6S ergebt fid) hier bie grage, ob biefeS Sortttrirfen empfangener 
©tnbrücte im (Seifte beS DidjterS unb it)r jrtöfclidjeS ^erborfpringen in 
neuer, gemadjfeuer ©eftalt etoaS bem bichterifchen 93ermögen (Sigentüm* 
lidjeS ift ober ber affgemeinen $jt)d)ologie angehört unb fich baber tu 
iebem SKenfchen toieberholt. Da ftebt benn aunächft aufeer S^eifel, 
bafe bie ©runblage biefer @?rfd)einung ettoaS allgemein 2Wenfd)lidjeS ift. 
Sn jebem 2J?enfd)en faugt ber ©eift ©iuaelbeiten auf auS grlebniffen, 
Seftüre, SRadjbenfen, unb in unbetoufeter £ätigfeit bübet er barauS ein 
■KeueS. ^rgenb ein äußerer Slnlafe Iäfet baS 9?eue bann betbortreten, 
oft au unferer eigenen Überrafd)ung. äBer f)at eS zum 33eift>iel nicht 
fdjon im ©efprädje erlebt, bafe er a« Öbeen, 2Infd)auungen, toeitum* 
faffenben Wahrheiten gelangte, bie ttüc plöfclid) bargebotene 2fuSblicfe 
in eine unbefannte ßanbfdjaft mirften unb ben ginber felbft überrafdhten. 
©S fommt bann toie angeflogen, toie eine Snforimiion, aber natürlid) 
nicht bon aufeen her ergreift unS baS SWeue, eS ift ein Sßrobuft unfereS 
©eifteS, in unbetoufjter Strbeit gewonnen. So ift beim Siebter bie 
©runblage jener ©rfcheinung eine affgemein menfchlidbe; aber toobl 
unterfcheibet fid) bei ihm ber SBorgang in ber Sorm, ttrie baS 9?eue auS 
feinem ©eifte h^tbortritt, unb bor allem in ber ©egenftänblidtfeit unb 
ßraft, tüte eS ihm als etoaS £bjeftibeS gegenübertritt. 

Denn als ettoaS bödjft ßebenbigeS, spiaftifcheS unb für fidh 93e- 
ftebenbeS erfcheint bem Dichter baS neue Seben, baS auS feinem ©eifte 
heraustritt. 9tid)t als ein Allgemeines, ein ©ebanfe, eine blofee $bee 
überrafcht eS ihn, fonbern er fieht eS in gegenftänblid)er Klarheit, fieht 
einaelne ©eftalten unb Situationen. 2er Dichter (roer fich für einen 
hält, möge fich barnad) prüfen !) toirb fidh eher ber ©eftalten bettmfet als 
ber Sbee, ober bielmehr beS SSerbältniffeS ber ©eftalten 3111* ^bce, fagt 
Hebbel im JBortoort aur 9Waria SWagbalena. „Unbetoufetertoeife eraeugt 
fich im ftüuftler affeS Stoffliche, beim bramatifchen Dichter aum.23cifpiel 
bie ©eftalten, bie Situationen, autueilen fogar bie ganae £aublung, ihrer 
auefbotifchen Seite nach, benn baS tritt plöfclid) unb ohne 2lnfünbigung 
auS ber ^hantafie betbor," fo lautet eine 9lotia beS Tagebuches (III, 
254). gbenfo bdennt Otto Subtoig (a. a. £).), baft er auerft einaelne 
©eftalten allein unb in ©ruppen fab, ehe er nur bie S^bel beS neuen 
Stüdes fannte. Diefe tourbe ihm erft allmählid) flar, nadjbcm fidh ^or 



3^ <£fyr. Boccf in Bramfclb bei Hamburg. 

feinem 2Tugc, bei öänaltd& t»afftt>em Setoufetfein, ©eftalten an ©eftalicn, 
Sgenen an ©aencn gereift Ratten. 93i§ au biefem 3lugenbltdfe geht bie 
rein unbehnt&te Tätigfeit im £id)ter. ©eine Sßfodje hat empfangen, unb 
im Verborgenen nährt fie bie Seben?feime tote ber SRutterfchoft ba§ 
ßmbrtjo, bi§ ba£ neue Sebcn an§ ßidjt be§ Tage§ brängt. 6§ honbett 
fidj ba um biefelben geheimni§botten Vorgänge, au§ benen alle§ SBerbcn 
unb (Jntftehen beftcht. 

Von nun an hört bie rein unbetoufete Stättgfett be§ £idjter§ auf. 
„2lHe§ übrige fällt nottoenbig in ben SIreiS be3 Vetoufetfeinä" (Tagebudh 
III, 254). 2)a§ ift aber nicht mifcauberftcben. <&% beginnt nun ettra 
nidEjt bie reine. Sief Ierion. £iefe bleibt aunächft auSgefcftfoffen. SDer 8tft 
be§ ©ebärenS, um ben e§ fid) jefct ^anbelt, boHaieht fid) bielmehr im 
©ebiet be3 92aiben. Stuf ba£ richtige 33erftänbni£ biefeä VegriffeS fommt 
e§ ^ier an. 3Ba§ barunter su berftehen ift, erläutert $ebber in beni 
STuffafe: 2Bie berhalten fid) im 2>id)ter Siraft unb @rfenntni§ sucinanber? 
6r untertreibet aürifd&en ber tribialen SRaibetät, bie im bollftänbigften 
(£rfenntni3mangel touraelt unb feine 9H)nung bon ben ©efefcen ber Sfelt 
hat, unb ber eckten Sftaibetät, bie aB reinfte (Srfdjeiming be3 @enie§ fo 
gefefcmäftig organifiert ift baft ba£ ®efefc fid) gana bon felbft in ihr 
boCfäiet)t, fo baft fie fid) auf ba£felbe nidjt erft au befinnen brauet, ©ei 
beiben fällt ba£ 3Woment ber Siefferton toeg; bei jener au ihrem ÜKadjteil, 
inbem fie nur sitfnUtö ba§ 9tid)tige heranbringen fanu, in ber Siegel aber 
nur @efjaItIofe£ probuaiert; bei biefer ift bie Siefleyion nicht nötig, tDeil 
fie bon felbft ba£ Stechte trifft. — 2)aher ift e§ für ben ed)ten ßünftler 
überflüffig, bie 9tege(n au erlernen, benn fie fünben fid) bem (Seift in 
bem Slugenblitfe, tno bie£ nottoenbig toirb, imperatibifd) an (Tag.ebud) I, 
217). 2er Mnftler fdftafft inftinftmäfeig. %n bein tt>id)tigen 93rief an 
@. (Snglänber (1. 5. 63), in bem Hebbel fid) im 3ufammenhang über 
ba§ bid)terifdje Vermögen au^fpric^t, toifl er biefem bie Sföittelftufe 
attrifdjen bem ÖnftinFt be§ Tiereä unb bem Vetoufetfein be£ SWenfc&en 
antoeifen. ©er Sünftler führt in feiner Tätigfett al§ Sünftlcr ähnlich 
nrie bie Tiere ein Traumleben. „2>er Suftanb bidjterifdjer SBegeiftenmg 
ift ein Traumaufianb," teirb unterm 13. 5. 1839 in§ Tagebuch ber* 
aeidjnet. 6in ätfiitelbing bon Träumen unb üftarftftaanbeln nennt er ba§ 
©idjten an anbercr Stetfe (an Samberg, 13. 1. 56). 3II§ einen bem 
fomnambulen feljr bertnanbten beaeid)net er ben Suftanb, in bem er bietet 
(an Lettner, 6. 11. 59). Unb fo finben fid& an betriebenen Orten 
immer ä^nlidie 3lu§brüde ttrieber, tnenn er bie eigentümltd)e 93eb:uBt= 
fein^form djarafterifieren iniff, in ber er probuaiert. ©etmfe, ba§ 9?c* 
iDu&tfetn ift ba, aber e§ ift unfäbig a» ^robuaieren, e§ beleud)tet nur, 
h)ie ber SP?onb; Fjerborbringen, Scben ertoedfen fann nur bie @onne 
(Tagebuch T, 212 f.). Unabhängig bon ihm fteigt au§ ben Tiefen ber 
Seele ba§ flunftmerf herbor. 



Das bidjtertfdje Staffen. 



315 



Sntereffant ift e§ au beobad&ten, Wie ©oetfje fid) in ötefer grage 
Schüler gegenüber unb in einem gegriffen ©egenfafc 5U ihm ändert nnb 
1*o im toefentlicfjen mit Hebbel übereinftimmt (Sd)itter an ©oetbe, 27. 3. 
1801, unb ©oetbeä Slntoort baraitf). ©Ritter hatte ba£ »etoufetlofe, 
mit bem e3 ber Siebter gu tun bat, in ber erften bunflen £ota!ibce ge* 
funben, mit ber ber Siebter an fein SBerf herantritt unb bie er in feinem 
Sßerfe objeftitueren toill, unb nach feiner -äfteinung beftebt $oefie gerabc 
bartn, biefes SBeirufetlofe ausbrechen unb mitteilen au fönnen, ba§ 
beifet, e§ in ein Cbjeft übergutragen. darauf erftribert ©oetbe: „ . . .ich 
gebe nod) meiter. ^ glaube, bafe afi(e§, toa§ ba§ ©enie aB ©enie tut, 
unbetoufet gefcbiebt." SBenn man barnit bann noch eine Stelle in einem 
trüberen Sriefe bergleidjt, in bem Schiller (an ©oetbe, 26. 7. 1800), obne 
ba£ ^Berechtigte baran berborgubeben, fid) barüber luftig macht, baft nad) 
ber neueften fiunftfritif ba§ mabre hervorbringen in fünften gang 
betüufetIo§ fein muß, fo bat man ben ©egeufafc gttriieben ben SInfcbau' 
ungen ©oetbeä unb Sdjiller§ febr beutlid), ein ©egenfafc, ber gulefct 
einer ber £erfönlid)en Erfahrungen nnb ber Salente ift. 

SEBtr baben fd)on gefeben, baft e§ bei ber Sßrobuftion guerft ciugelne 
©eftalten unb Situationen finb, bie fieb bem 5Did)ter melben. Otto ßubtoig 
ergciblt fa. a. £).), toie bei ihm eine mnfifalifebe Stimmung t>oraus?gebt, 
bie gur garbe toirb, in beren Siebte er bann ©eftalten fiebt. So befennt 
auch Schiller (an ©oetbe, 18. 3. 1796), ba& bei ibm bie 3urüftungen 
gu einem Srama ba£ ©emüt in eine gar fonberbare 93etoegung öerfcfcen, 
unb baft eine getoiffe mufifalifcbe ©emütöftimmung ben t>oetifcbcn ^been 
borbergebt. Xtnb 2ibnlicbe§ toirb t>on Hebbel beriebtet, ber ebenfo ttrie 
ßubnrig eine garbenempfinbung ober eine @eficbt§erf<beinung bat unb 
beim Sdjaffen SPtelobien hört, toie ®ub e§ in feiner 23iograt>bie be« 
fdjrcibt.*) Hebbel fiebt barin, unb fieber niebt mit Unred)t, ben 23ett>ei§ 
bafür, bafe alle ftünfte nur berfdjrebene 9ln§Iünfer einer unb berfelben 
Urfraft finb (an bie Sßringeffin SB., 24. 8. 58). SBäbrenb fid) bei Subtoig 
nun an bie suerft gefebaute ©eftalt unb ibre guerft gang unberftänblidjc 
Situation allmählich nad) t>orn unb hinten Sgene an Sgene reibt, fo bafe 
bem Sidjter erft allmählich bie gäbet bc§ Stüdes aufgebt, febeint Hebbel 
gu einem beftimrnten 3eityunft mit einer getoiffen ^lö^Iicbfeit ben gangen 
$Ian bor fidb gefeben gu baben. Urplötzlich tote ein SEafdjen^erfaeFtit) 
tut fieb t>or feinen Singen ber gtoeite Zeil be§ 9?ibelungentrauerftriel§ 
auf (an Lettner, 6. 11. 59). Sa§ fann natürlich nur gefdieben, nad)bem 
ber Siebter fieb längere Seit mit bem ©egenftanb befebäftigt hat. Siefer 
Überblid über ben gangen $Ian ift ba§ Stefultat einer foleben 93efd)äf- 
tigung, ein SRefuItat, baS aber nidjt müfyfam gufammengefuebt ift, "fonbern 
baä bem Siebter toie eine reife grud)t in ben Sdjoft fällt. Stbnfidj febeint 



*) & fort): 23tograpbie ^debrid) ^ebbefö, 2, 6. G52 ff. 



3*6 



<£fyr. Boecf in Bramfelb bei Hamburg. 



e3 ©ttlfyarser ergangen in fein, ber einmal, nad)bem er ein SBerf fyalb 
boüenbet unb ben gaben berloren, ben $Ian &ur gortfefcung pföfclid) 
tute burdj eine Snfpiratton mieberfanb. 

So gewinnt ber Siebter feinen $Ian, ber freilid) nodj nid>t in allen 
©inselbeiten feftftebt, obne ben er aber bodj ntdjt an bic Aufführung 
geben fann. Hebbel berichtet, toa§ er in biefer ©ejicbung bon 2^or« 
malbfen erfahren bat. Sa e§ ftd) ^ier um einen Stünftler auf einem 
anberen ©ebiet ber Äunft banbelt, Wollen mir biefe Stefle ^erfe^en, um 
5u beranfdjaulid&en, bafe mir 9ledjt Ratten, menn mir aumeilen bon fünft* 
Ierifefyer $robuftion im allgemeinen ftatt bon ber bid)terifd)en rebeteu: 

fragte ifjn, ob er jebe§ ©üb flar bor feiner Sede fteben babe, menn 
et äur Aufführung fdjreite; er eroberte: ja, unb id) hüte mid) febr an- 
zufangen, ef)e bief ber gatf ift; Sftebenjüge treten im ©erlauf ber arbeit 
roobl mehr Jjerbor ober audj mehr aurücf, über bie ^auptfadjen m äffen 
gleich beim Anfang ba fein. Sd) hörte bief gern, benn mir gebt e* in 
meiner Siunft ebenfo, unb id) fann mir bon einem anberen ©erfahren 
gar feine ©orftetlung madjen." (An 6üfe, 27. 2. 43.) Samit fann febr 
toobl befteben, menn Hebbel in ftu(j gefagt f)at (a. a. £)., 93b. II, 3. 653), 
bafe eine grünblidbe ©fiäge bor bem Shmftmerf trie eine ©iograpbic fei bor 
bem Sebeu. (Sf fommt bier auf bte richtige ©etonung an: eine grün b= 
liebe Sftäse ift nidjt notmenbig, mobl aber eine flave Überfielt über 
baf ©anse. <3o fdjreibt Hebbel an ©lafer (4. 8. 58), bafe ihm ber gan^e 
Semetriuf fo flar fei, mie eine moblbeIeud)tete ©ebirgflanbfcbaft. „Sdj 
febe alle Umriffe unb fann nicht mehr fehlgehen, menn id) auch nod) uid>t 
ttriffen fann, maf fidj in ben einseinen ®d)Iucf)ten betbirgt." SBenn baf 
SBerf fomeit im ©eifte gemachten ift, bann mirb ef 3ctt, an bie 9fu^ 
fübrung in geben, greilidj muffen aud) feijon aüe eingelncn ©eftalteu 
ibr befonberef Sehen baben. SBäbrenb einschic, mie mir gefeben, in 
ibrer ßebenbigfeit bem $[ane boraufgeben, finb anbere ba, bie erft fpäter 
runö unb. bott merben. ©0 berietet Hebbel in bem eben angeführten 
©riefe, bafe ibm bie SWarina noch nidjt pbo^pborefaiere, mäbrenb ibm 
atfef anbere flar fei. Siefer Iefcte Auf brutf, berbunben mit ber SBenbuug 
„moblbelcudjtete ©ebirgf laubfdjaft", Iäfet mieber barauf fcblie&en, bafe 
bem Siebter feine ©eftalten in einem befonberen Sichte erfdjeinen. „Sem 
Siebter :pbofpboref5ieren aHe Singe, bem gieberfranfen brennen fie, 
bem SBabnfinnigen löfen fie fidö in 9taudb auf." (Zagebudö IV, 112.) 

Sie fdbltefeltdje 2tu§fübrung im einjelnen nun, bicfe£ traumbefangene 
SSanbeln unter ben ©eftalten, bie bon feinem ©lute getränft finb, gibt 
bem Siebter ftet3 neuen ©enuß audb baöurd), bafe er immer neue 6nt* 
bedungen madbt. Se§megen audb toottte Hebbel feineu auöfübrlidjen 
$Ian bor ber Aufarbeitung, meil babureb ber 9?eiä bef 9teuftnben§ bortüeg 
genommen mürbe. 9?un bringt ber Siebter in aß bie 2cf)lue$ten be$ 
©ebirgef ein, baf er in ber Sterne bor fief) liegen fab, unb entbedt bort 



Das bidfterifdje Staffen. 



3^7 



neue SBelten. Unb toaS er borfjer geflaut, toächft ihm unter ben §änben 
au immer reiferer gorm. Surdj bie Ausführung erobert er fid) erft bie 
©eftalten, bie i^m borfd)ioebten, boßftänbig. 9luS Silhouetten toerben 
plaftifche ©eftalten mit frijd^en roten SBangen. gefter unb reicher toirb 
baS, iraS ihm borfchtoebt, burd) baS Schaffen; eS toirb erft fein bolIeS 
gigentum burd) bie Ausführung. „Saburch, bafe jemanb bedürft in 
bie aßolfen fdjaut unb aufruft: toeld) eine ©öttin erblicf' tcf> I fommt feine 
©öttin auf bie Seintoanb. eS ift nicht einmal toahr, bafe er felbft 
eine fiefjt, er erobert fie fid) erft burd)S 3Kalen, er mürbe in feinem 
ganaen Seben nidfjt aum $infel greifen, toenn fie bor ihm fchon alle il)re 
Soleier abgelegt hätte." (Sämtliche SBerfe, £offmann unb (Sampe; 
VI, 13.) 3tber nicht nur in (Sinaelheiten gettünnt baS 2Berf burd) bie 
Ausführung, aud) aufs ©anae gefehen runbet eS fid) ab, oft aum ßr- 
ftaunen beS 2>id)terS felbft. So berichtet Hebbel über ben ©tjgeS (an 
Uechtrifc, 14. 12. 54), bafc er bei biefem Stütf eine merftuürbige 6r= 
fahrung gemacht habe: „$d) toax mir fonft bei meinen Arbeiten immer 
etneä gegriffen SbeeuhintergrunbeS betoufct, toegen beffen ich- feineSioegS, 
toie man mir auf eine mifeberftanbene SBorrebe f)in tnohl Sdjulb gab, 
probuaierte, ber aber bod) tuie eine ©ebirgSfette gu betrachten tear, toeldje 
bie Sanbfdjaft abfchlofe. Xaran mangelte eS bieSmo.1 gana, mfch reiate 
nur bie 2lnefbote, bie mir, ettx>aS mobifiaiert, aufjerorbeutlid) für bie 
tragifdje gorm geeignet fdjien, unb nun baS Stütf fertig ift, fteigt plöfclid) 
au meiner eigenen Überrafdjung nrie eine $nfel aus bem ßaean bie $bee 
ber <2itte als bie alles bebingenbe unb binbenbc barauS fterbor. 3<h 
geftefje, bafe idfr bieS faum begreifen fann, eS beftärft mich aber nur um 
fo mehr in meiner freilich längft gehegten Überaeugung, bafe ber fiünftler, 
menn er bon einem ©egenftanb mächtig ergriffen tnirb, fid) um ben 
©ehalt beSfelben gar nicht ängftlich m fümmerw braucht, fonbern baft 
biefer gana bou felbft ^iitaittrttt, ttne ber Saft in bie 33äume, borauS* 
gefegt aHerbingS, bafe er ihn in ber 33ruft trägt." 

SBehe aber, toenn ber Sichter mitten in fetner 2lrbeit geftört toirb. 
(£S geht ihm bann, tote bem 9iad)tttxmbler, ber angerufen tnirb (£age* 
buch III, 139). £er 3uf*anb beS $robuaierenfönnenS hört auf, bie 
Steflejion brängt fid) ein, unb eS fann nichts SebenbigeS mehr auftanbe 
fommen. Auch Otto Subtoig befennt, bafe er unter Umftänben trofc 
möglichft betaiHiert aufgefdhriebenen planes nichts 3ied)teS fertig bringen 
fonnte, unb eS ift )d)on berührt, bafe ©riltyaraer burch fd)tt>ere Sd)itffaIS= 
fchläge einmal fo auS ber ^robuftion herauSgeriffen hmrbe, baf$ er über- 
haupt feinen ganaen $lau bergafj. %n foldjen auSfe^enben ^nterbatten 
fteht ber Sidjter feinem SBerfe felber gan^ fremb gegenüber, ihn fchaubert 
über bie Kühnheit feines Unternehmens (an Samberg, 13. 1. 56); er 
fühlt fid) bann in einer SBelt, bie bon jener anberen, in ber er probuaiert, 
fo toeit gefdjieben ift, bafe fie auf biefe faft fo aurüdfehaut, toie ber Xqq 



3J8 <£tjr. Boecf in Bramfelb bei Qamburg. 

auf bie 9lad)t mit ihren SEräumen unb 5ß^antafien unb ihr ©efefc nicht 
mehr berfteht (an Olafer, 3. 8. 55). SBolIte er Jiü) bocf) 3ttringen, fud^t 
er aB ©eift auszuführen, tt>a£ er aB dichter nicht aufführen berntag, 
fo toirb er immer etma§ äJernunftgemäfeeS, bem ©efefc be§ sureicbenben 
©runbe§ nicht SBiberfpredjenbeä, äugleid) aber aud) ettoaS Salteg, Um 
Iebenbige§ hervorbringen, tna£ fein $ers ergreift unb feine ^antafte 
entflammt (Sluffa^: <£d>iüer unb Börner). SBenn bann aber bie Qe'xt 
ber Unprobuftibität borüber ift ober bie ©törung gehoben, bie bie freie 
$robuftion berhinberte, bann fefct bie Slrbeit i>e§ £ichter§ bon neuem 
ein, unb bie abgeriffenen gäben fnüpfen fief) toieber an. 

@o toirb ba§ Äunftoerf au3 bem ©eifte be§ 2>id)ter3 geboren, fo 
tritt e§ in bie SGBelt. ©ehcimnBbolIe Gräfte haben eS im bunflen 
©djofte empfangen unb genährt, geheimnBbofte Gräfte e§ an§ Sicht 
gebracht. freilich ift bie 9lr-beit be§ ßünftlerä noch nicht au @nbe. Sftun 
gilt e£ su feilen unb ju polieren, 311 glätten unb anzugleichen. 
ift aber eine rein berftanbeämäßige £ätigfeit, bie mit bem Sidjterber» 
mögen nid^t biel su tun hat. Statten- unb Sftaufelöcher toerben berftopft 
(£agebud) IV, 31), 3ufammenlegungen finben ftatt, fleine Sßiberfprüche 
toerben ausgeglichen. 33on immer neuem Stanbpunft au3 überfchaut 
ber ^ünftler ba§ SBerf, breht unb menbet e£, bie Iefcte orbnenbe £anb 
fährt barüber hin, rücft hier ein tuenig 8ured)t, biegt bort guriief, unb 
je geftiffenhafter ber ®id)ter ift, befto forglidjer ift er bei biefer Strbeit. 
©üblich ift ba3 SBejf fertig, unb nun befteht e§ in fid) felber unb lebt in 
bem Seben, ba§ ber ®id)ter ihm mitgegeben l)at, unb ba§ in bem merf- 
ttmrbigen Sßroäefe au3 ber Stiefc feiner (Seele emporgeftiegen ift, ben mir 
eben betrachtet haben. 



<E6uctr6 (Engel. 

• Don 

Dr. &aw Rüttelt. 

— dtjarlottenburg. — 

„34 bin erfüllt oon ber (Empfmbung, bafe es 
gar niä)t lohnte geboren 3U fein unb weiter 311 leben, 
nenn man niä)t alles, was es in biefem bifföen 
ßeben su fgmeäten gibt, fdjmeAte." 

(Ebuarb (Engel. 

buavb ©ngel bat auf bielen ©ebieten feine ®d)affen§fraft be* 
tätigt, ©eine Iefcte unb umfangreid)fte fietfhmg, bie in atoei 
fiatfen 33änben aufammengefa&te „@efdjid)te ber beutfdjen 
Siteratur bon ben Anfängen bis in bie ©egentoart", rubt auf 
33orau§fetjungen, bie fidj in ber Steide feiner übrigen älteren 
SIrbeiten beutlidj erfennen laffen. <Die SeWältigung be§ gewal- 
tigen SefeftoffS fann in ber furaen Spanne Seit eines Sftenfdjen* 
lebend gar ntdjt obne gefdjitfte Hilfsmittel bei ber Verteilung 
unb (Sammlung ber Verfügbaren Energie au ©nbe gebrad)t werben. 
{?§ gehört baau eine lebensfähige 2Jtifdning bon ©ewiffenbaftig« 
feit unb feidjtem Sinne, bon ©elcbrten» unb Siinftlertum, bon 2Iu£bauer 
unb Suft an ber SSoKcnbung, bie in fid) au eraeugen wenigen gelingt. %m 
©efbrädj mit dmgel börte td) ben grembtuortfeinb in feiner anmutigen 
■Katürlidjfeit einmal eine auSIänbifdje Sffienbung gebrauchen, bie id) nid)t 
fogleidj berftanb; e§ banbelte fidj um jemanben, bon beut Engel behauptete, 
ber SDfenfd) hätte fein go am ßeibe. — ^d) muf3te mir bie ^tnfeernng 
mieberbolen laffen. Go? 2Ba§ foEC baS bebeuteu? — 2a erfuhr ich, e§ 
fei eine gebräuchliche 2Iu§brud§Weife ber (Fnglänber, um ba§ %n Fenn* 
Seinen, WaS, Wie mir fdjeint, bie Wefentlicbfte Cigenfcbaft ßbnarb 6nger§ 
ausmacht, ©r bat einen Draufgänger in feiner ©ecle, eine ©brung» 
feber bon SCatenfreube, beren Ieibenfdjaftüdie ©bannung ben ganaen 
ßebenSftil biefeS SWanncS beftimmt. Strennitas! 




320 Dr. fyans £inbau in <£f?arlottenburg. 

©iuarb ©ngel ift am 12. Sftoöember 1851 in Stolp geboren. t?r 
ftefjt ben jungen unb ^üngften in ber Siteratur als ein reifer S9eur= 
teiler gegenüber; aber fein #era ift fefjr jung geblieben, toenn S u öcnb 
nämlich frifdje (Smpfänglidjfeit für neue @int>rücfe unb marine 33egei* 
fterungSfähigfeit bebeuten barf. 

SßaS an ©ngel aunädjft auffällt, ift bie erftaunlichc SlrbeitSfraft. @S 
fteeft ber 93etätiguugStrieb urgefunber Sebenbigfeit batjinter, ein ©nergie- 
fcorrat, ber Don hellem SBerftanbe unb treuem $ergen immer in baS 'Strom- 
bett einer uüfclidjen 9BenjchheitS(eiftung geleitet tuirb. Arbeiten ift ihm 
nottnenbig toic Sltemfdjöpfen. 9luf einer erTjolungSreife nad) Sftett) ?)orf 
lieft er untertnegS ein paar l)unbert 93üd)cr; nebenbei f)at er alles gefehert, 
toaS eS au fefjen gibt, unb betoafjrt eS in fdjarfem ©ebächtniS; er toirb 
faft nie mübe; tnenn ein anberer nach einem anftren#enbcn Vortrage, 
ben er geiftig aufaunehmen bcrfucfjt f)at, abgefpannt in fid) jufammen» 
ftappt, breitet ©ngel, ber ben Sottrag gehalten hat, elaftifch an eine anbere 
Aufgabe. (?S ift, als ^abe er im ftartenfpiele i>er Unterhaltung immer 
ein paar ßarten metyr als fein gewöhnliches ©egenüber. SBagt man 
fcf)iid)ternen SBiberfprud) gegen eine anfechtbar fcheinenbe Behauptung, 
fo fommt eine Übermacht bon ferneren ©egengrünben alSbalb Ijeran= 
gerüdft, unb bie Schlacht ift bem praffelnbcn Äugelregen beS SeinbeS 
gegenüber nicht länger au führen. (SngelS Slrmee aber heifjt überlegenes 
SB i f f e n , unb ber gelbfyerr glän^enbe Sd)lagfertigfeit beS 
©eifteS. dagegen Fann fo leicht feiner ebenbürtig anffommen. 

3Bie ber SKann, fo fein Stil. §d) glaube, Engel geigt in ber 93e* 
hanblung ber troefenfteu unb langttJeiligften ©egenftänbe eine fo ergöfc- 
Iid>e Srifdje, mie fie feit Seffing nicht fehr tuelc beutfehe ©elehrte an 
ben Xciq gelegt fyaben. Xhcobor Soutane f)at ihn baher treffenb 
auch mit Schopenhauer t>erglid)en, befonberS roenn bem bie ©alle 
überläuft. 

„Xer %on," fchreibt Iheobor gontane bereits nach bem ©rfcheinen 
ber „©riechtfehen grühlingStage" (18S7), „ift baS äffen Schriften beS 
SBerfafferS ©emeinfame, augleich ihr Sicia, ihr Sorgug. Seine ©elehrten* 
bifbung, feine minbeftenS ein halbes Xufceub Sprachen umfaffenbe philo* 
logifdöe Sdhulung h^ben ihn, im ©egenfafc au anberen feines 3eid)en§, 
nur bahiu geführt, auf ben ganzen philoIogifch=geIehrten Sfpparat toie 
auf .QrimSframS an bliefen, ben man hinter fid) hoben mufe, um tmeber 
frei unb 2J?enfch 31t fein. XaS gibt allem, toaS er fchreibt, einen eigen* 
tümlichen Souber, unb feine gelegentlichen Spöttereien erinnern an 
©dfjopenbauer, u>enn biefer über feine philofophifdjen Soffegen 
©ericht hält. Gr aeigt babei ein offenbares nobeffiftifdjeS, auglcicf) 
humoriftifd)eS 2alent." 

XaS notrclliftifchc £alent, Don bem gontane fo fcharfblidtenb 
fd)rieb, fofftc fich alSbalb nod) bcutlidjer entfalten. Xie folgenben 9lo- 



€buarb (Engel. 



32 \ 



bellenfannnlungen „SBanb an SBanb" (1890), „2lu£gettriefen" (1891) unb 
„Xe§ Sebent aSürfelftriel" (1903) offenbaren nämlid) bie Sütte ber 
^fiantafietoelt biefeä 93ifd;erberef)rer§. 5ßro§pero§ Suftgeift Sittel läfet 
feine SBeifen erfdjallen. <£§ finb reine ■äftelobien in 6=bur aumeift; 
alle* flar überfidjtlidj geordnet, fraftboll burcfigefüfirt. 3Won merft, baft 
ber Slutor biel unb aufmerffam gelefen fiat, Storni unb Heller, Bur- 
gen jem, 3Kauj)affant unb Sit>ling liebt; aber e§ ift bodj feine £aj>etlmeifter= 
nutfif ber 33elefeufieit unb 93ilbung, fonbern immer bo§ rüftige ©buarb 
Gngelfcfie Schaffen. HHätoetlen ttrirb bie fittlicfie 2t&ficfit ettoaS ftarf auf« 
getragen, toenn baä Scfilemmertum ber 93efifcenben unb ifire bequeme 
©efüfillofigfeit gegeißelt toirb; bie Sßinfelfüfirung ift ba io fräftig berb 
unb einfad), bafe fie meniger für ©rratenbe aB fiir ba§ 33erftänbni§ 
aud? febr fcfyroadjer Slugen berechnet fefieint. ®er ®icfiter ©ngel arbeitet 
oft toie ber 93oIf§t>rebiger Xolftoi, allerbing§ niefit fo meid) unb mUbe in 
ber (ärunbftimmung, aber bo<fi aud) im Stile ber immer erfreulidjen, 
mannhaften ©firlicfifeit. 

£odj e§ gibt aud) biele feine QiiQC. So ettra in ber mit rüfjtenber 
Scfilicfitfieit erjäfjlten @efd)icfite bon ben beiben armen 9llten, bie Sanbeä 
bernnefeu werben, unb benen aud) bie £orfmürbenträger niefit 311 fielfen 
vermögen. „(53 ift über alles STOaft fdfytDer, an ben fionig 31t fefireiben, 
baefite £fiabbi; man fiat ba§ nidjt gelernt, tnenn man mtcfi nod) fo gut 
fefireiben gelernt fiat." Unb nun lefe man ben lieben fdjöncn S3rief 
ier #rmften („SluSgetoiefen", ©. 42 ff.). 3m ift bie im* 

fieimliefie, fpannenbe a3erbredjergef<fiicfite bom Sierfingrigen unb bie fiöefift 
ftimmungäbotle ©auflereraäfilung in „3)e§ Sebent SBürfelfpiel" gehalten. 

£ie Spracfie 6ngel3 ift felbftberftänblicfi überall fefir rein unb ebel. 
33efonber§ aufgefallen finb mir bie langen fileiftifd) rollcnben Sä£e ber 
beflenifefien ©raäfilung ^arasfetoula. Sluefi ßellerfefie ^Beübungen iefilen 
niefit („9lu§gett)ieien", S. 90): „ — bod) nxir ba§ nur eine Zäufcfiung 
be§ £bre£, an bem bie grofee Ginfamfeit biefer ©ipfelraclt leife flingenb 
borübersog" — } ober (S. 11): „SWitten in feine getröftete Stimmung 
ftrömte plöfclicfi toieber eine falte SBelle gänalidjer Statlofigfeit." 9ti<fit 
gan3 natiirlid) mill mir bie Sfcracfie (S. 190 f.) Flingen, wo ein greunb 
bem greunbc bie ©cfcfiicfitc feiner gurefitüberroinbung beridjtet; bod> 
ift ba§ ©anje burd) bie ftarfe ßlarftellung ber cinfaefien 93ebauptung, 
öaf3 Surefit gefiabt fiaben feine Scfianbe ift unb bie ©fire erft ba beginnt, 
mo freie SBefianblung «mferer @emnt§3uftänbe möglid) mirb, liefitbofl 
unb ertoärmenb fiingefefct. Sn ber fünffaefien SWorbgefcfiiefite ^eugriedien* 
lanb§ fefitnebte SW^rim^ bietteiefit al§ SSorbilb bor 3lugen. Xa§ 3Si(be 
ift offenbar ber berben Xragif megen bon ftünftlerfianb gemäfilt, botfi 
man fann einen f)er3licfien b e u t f cfi e n Slang, ber bem grofeen Sdn'ift- 
ftefler bon ßolomba unb SKateo galcone ni(fit eigen ift, gelegentlicfi fpüren. 

Sm großen unb ganzen fann ba§ neue ©ricdicnlanb fiefi feinen 



322 



« Dr. fjans £inban in Ctiarlottenburg. 



berebteren 3?erfccf)tcr feiner 6^re ttmnid&en al§ Gbuarb 6ngel, ben heraus* 
geber Sorb 33t)ron§, ben SBerfaffer ber munberboffen ©riedjifdjen 
grübling^tage. Sanb imb Seute toerben bon ibm mit einer 
fd)öpferif(ijen Siebcggetoalt fo fonnenbaft gefeben unb feftgebalten, wie 
nur Singen su flauen bewogen, bie bic (Sötter mit fcligen tränen 
ber Söegeifterung getüeit)t baben. 

©erabe ©ngel, ber balb barauf im (Sifenbabntoefen eine fo mistige 
Iftoüe al3 2Tnreger unb görberer („solliciteur pour le bien public") 
f^iden foffte, ber bic 3teifcmöglid)feit aI3 ed)ter £erme§iünger immer 
me£)r an ade 2JJenfd)en nabe beran rüden mödjte, f)at aud) mieber al§ 
Äünftler, unter §iMuci3 auf ben unübertrefflichen alten #erobot, ba§ 
abiige SBort gefdjrieben, bafe man 31t reifen nidjt toie früher berftünbe, 
bafe bie ßnnft be£ 9teifen§ in bem SDJafee abnehme, wie bie 3af)I ber Steifen* 
ben äunefjme unb bie Seidfytigfeit bes? SieifenS fteige; unb ein anbere§ 
9ftal unterjdjeibet er fefyr fein „reifen" unb „beförbert toerben" (grub* 
Iing§tage S. 195). Die eine£ freien SRanneS toürbigfte STrt be£ 9ieiien§ 
fei aber baä Sd)Ien'bern. $n ®orfu läfet fid) ber SBaüfabrer Der* 
nebmen: „£a§ <2d)önfte, toa§ ^ier ju genießen ift: Gimmel unb SWeer, 
fdjönc, bunte üDtenfdjen, prangenbe Srudjtbaumbaine, ben:lid)e 93erglinien 
— ba§ affe§ fief>t man audj beim 3tt>edlojeu Scfjlenbern." (@. 25.) $öd)ft 
mistig ift freilief) betbei bie SWabnung, unter feinen Umftänben fid) bic 
Saune berberben 31t Iaffen. (Engel fjat bergleid)en erpcrtmditell erprobt, 
©r ^at fidj cnergifd) borgenommen, „feine unfäglidje Sieifefreube" fid) 
nid)t burdj Sappereien, toie efroa bie gefürdjteten 33eläftigungen bei einer 
Sanbung, 3U bergäffen. Unb tüte im SKärdjen ber ^era^aft gefügte grofdj 
3um grinsen tuirb, fo betmanbett fief) bie SSSibertoärtigfeit bem ftarfen 
^er^eu jur tiefften SBonne maferifd)eu 2Mtgeniefeen§ (©. 19). 

£cr beffängige gefnnbe äftenfcbenberftanb be§ 9Serfaffer§ fd>aut au§ 
äffen feinen SSorten beraub, ßin freunblidjer £erme§ ift biefer ©eleiter 
in§ frembe Sanb. (£r ift freunblid) bon 3?atur unb ^at feine Sftatur sunt 
©runbfa^ erbärtet: „3" einem loben ben Urteil über ein frembeä 
33oIf bered)tigt felbft eine furje 93efanntfd)aft; 311m Stabel biefleid)t faum 
eine langjäbrige." (<2. V.) Ötf) nlicf) finb aud) bie Siteraturgefd)id)ten 
gngcB gefdjrieben, bie frau3Öfifd)e unb bic $ft)djologie ber fran^öfifdjen 
Siteratur, bie englifcfye unb bie norbamerifanijcbe, befonberä affer audj 
bie beutfd>e, bie al§ ein SBerf ber Siebe berftanben fein toiff. 

Cngel ift ein grofjer greunb ber gried)ifd)c$t Spradie, mie fie nod^ 
beute gefprodjen tnirb. „SD?it jebem gried)ifd>en SBort mebr," fd^reibt er 
(©. 23), „ba§ idi fpred>e ober berftebe, webt fid) ba§ bolbe 9?efe bid)ter 
um $ci*3 unb Sinne, toirb mir bie Iängft erfanntc SJabrbeit füblbarer, 
bafj e§ ein Iebenbige§ @ried)ifcb gibt, bon bem unfere Sdjulmeifter fid) 
nidji§ träumen Iaffen." Tiefe ®prad>e säubert ibm bie alte 3Belt bor bie 
romantifd) träumenbe Seele (<B. 44, 72). 



<£buarb (Engel. 



323 



9Mtt anmutiger ©elbftironte Gilbert er audj (©. 176), tvk er in ben 
SBirbeln be§ Sltyljeoäftromeä, mitten im SBaffer au SRofe, bei ber unge* 
mütlidfjen Srlu&überfdjreitung, bon bem ifjn foglcitenben arfabifd>en 
Säuern @l)rifto£ ermutigt ttürb: Kala; mi fowässä! ge£)t gana 
fd>ön; fürchte biet) nicfyt!). %m attifdjen @ried)if<f> müftte e£: Mi fowii! 
fjeifcen. ©ngel aerbridfyt fi(f) alfo ben $ot>f, ft>of>er nur ba£ 3llt>^a in 
„fowässä" ftammen möge, gelangt im SBaffer aber 51t feinem Haren 
(SrgebmS. — $ft ba§ nid)t ber ed^te @elef)rte, trie er im 23ud)c ftefjt? 
3Kan lefe audE) nad) (©. 303), mit toeldjer Aufregung er ba£ alte 2Bort 
§ippo% miebergefurtben au fjaben hoffte. ©el>r luftig ift ferner bie ©djil* 
berung beS in 2BaI)rf)eit f)omcrifd)en <$eläd£)tcr£, baS in einer ©d)ulftube 
bie jonifd^en SCertianer anftimmen, al£ @ngel ifynen in unferer üblichen 
3tu3ft>rad&e $omerberfe borIa§. ,,$df) fürchtete midö ein toenig bor biefer 
Sßrobe," fdjreibt Engel, „benn icf) afynte, tt>a§ mir beborftänbe . . ." 
Urcb nun fotmut bie ©djilbenmg, ttrie er au£gelad£)t nnrb: „. . ,ein©e* 
leidster, ein güfceftrampeln, ein ©egludtfe unb ©ejoftfe, bafc ber 2)ireftor 
unb idj felber ftriberftanb3Io§ einftimmen mufeten in bie ungeheure Reiter* 
feit." @o toirb in @ngel, bem 5Borfämj>fer für bie 2lu§f;pradE)e be§ @rie- 
djifdjen auf ateutfjünfcfje, „neugriedjifd&e" 3lrt, bie iebenfatfö falfdje 9lu§* 
fpracfje, ber mir ^ulbigen, auägetrantpelt. 

<£ngel fjat ber grage feine befonbere Stufmerffamfeit getoibmet unb 
über „Sie SluSfpradfje beä @ r i e df) i f dj e n" ein HeineS S3üd)Iein 
gefd&rieben. „(Sin ©dE)nitt in einen ©djuI'ao:pf" nennt er bie 2lbf)anblung, 
unb nid)t leidjt toirb man eine grage bon untergeorbneter Stebeutung 
unterfjaltenber erörtert finben. (£r fagt im SSomort: ^abe mief) 
leiten laffen bon ber Meinung, e£ fei nid)t burdjauä erforberlid^, über 
miffenfdöaftlic^e gragen langweilig unb fdjtoer berftänblid^ su fdfjreiben." 
liefern (Srunbfafc ift ber SSerfaffer treu geblieben, ©r fdjreibt berblüffenb, 
fceralid), fjinreifeenb über ba§ trodtenfte 3^0- @3 niufe ifym offenbar ein 
#aut>tbergnügen bereitet fjaben, au§ bem feelenlofen falten ©teine, ben 
ber ©egenftanb meinet @racf)ten£ barfteflt, gunfen auf gunfen au fdjlagen. 
SDie Arbeit ift baburd) gerabeju borbilMidE) für geiftreicfje 33ef}anblung 
eines an fidE) reialofen S^emaS. £)b man auf bie bon ©ngel enteidtelten 
SInfid&ten nid^t einmal .praftifd) a^rüdfornmen tüirb, barüber barf idf) 
al§ fiaie mir fein Urteil erlauben, überaeugt ^at er midf) boüftänbig. 

S)a§felbe gilt bon ber 1888 auetft erfd&ienenen unb feitbem in aa^I^ 
reid^en Auflagen berbreiteten ©c^rift über bie gifenbafynreform. 
Unmöglid^, einen trodnen, aber ttridjtigen ©egenftanb ber ©rtnägung 
mit größerem geuer unb einem glänaenberen ßui'u^aufmanbe bon 
©d&arfftnn, SDBife unb ßumor a^ be^nbeln! Sitjnlicf) ber bon 
©ir Stotrlanb $itt angeregten, in ber Surdjfüfyrung aunäd^ft freilief) 
etoaä berpafeten 5ßortoreform in ©nglanb befürwortet @ngel befanntlid) 
gegenüber bem (Sntfernungätarif einen 3onentarif mit nur brei Stufen, 

Kart tut» 6üb. CXX. 360. 23 



32^ 



Dr. £jans £inbau 



in dfyarlotteuburg. 



für 25 Kilometer, 50 Kilometer unb barüber. 2>urd) bie Vereinfachung 
(ba§ einfache ift immer baS Se^te), burdj bie Verbilügung unb @r= 
leichterung be§ SReifenS nnirbe ba§ ^ublifum feljr 'beglütft derben. 
s Jftan fotte aßen Steifehinberniffen nad) Gräften entgegenarbeiten, fid) 
losmachen t>on bem ©ebaufen, baß Kilometer ein angenehmer Veradjr* 
gegenftanb finb, ungefähr fo etWa3 Wie „eine mit ber Sänge an SBert 
wadjfenbe Gertoelatourft" (S. 211 f.). £ie ©röße ber gahrt fteht au 
ihrem Vergnügen in Feinem meßbaren, fächeren aScrfjältnt^. „2Jian fann 
Don Verlin nach s #ot§bam fahren, um feine Vraut — unb nach Strafe« 
bürg fahren, um feine Schwiegermutter 511 befuchen" ('S. 88). — „Stile 
wirflich nützlichen Steifen werften ja jefct auch gemacht," Wirb einge- 
worfen, ©ngel entgegnet (S. 207) : „63 "Werben nur biejenigen mißlichen 
Sieifen gemacht, bereit Sftufeen, gleichviel ob an Vergnügung§wert, Qt- 
hohtngSWert, 3lbWedjfeIung3Wert ober @efd)äft§wert, größer* ift al£ ber 
jetsige Villcttpreiä. Slfle SReifeu, auch jolche, Welche einen gewiffen SRufcen 
gewähren, unterbleiben, wenn i>cr SJu^en geringer ift al§ ber gahrprci§." 

ift etwa? t>om Reifte eine§ Stbam Smith, Sranflin, Spencer unb 
griebrich Sift in Gngelä Ausführungen — ftet§ ber finge „solliciteur 
pour le bien public". Stile nur möglichen praftifdjen ©efid)t£punfte 
werben in ffuger, flarer $ernieSmeiöbeit beleuchtet. £er mafhentötifcf) 
formulierte Orunbgebanfe bes Vüd)fein§ ift ber (S. 22): „Vei ber 
regelmäßigen Sftaffeubcförberung glcidjartiger ©egeuftänbc auf feft* 
ftchenber Stute übt bie Entfernung, Wekhe ber einzelne ©egenftanb 
3urütflegt, einen fo ix'rfchwinbenben ßinftuß auf bie ©efamtfoften ber 
Veförberung, baß fie praftifd)erweife twtlig unberüeffiditigt bleiben 
fann." Sehr wichtig ift bie ©ewifienSmahnung (S. 31 f): „Sßeil bie 
eifenbahn unheilbar ben ©ftaraftcr be§ 3WonopoI§ trägt, barum 
mu(j bie ©ifenbahnPerWaltung nnabläffig beftrebt fein, ba3 ©ehäffige 
be§ SWonopoB 31t milbern unb bem SßuMifmn, weichet unWeigerlid) 
auf bie Venu&ung ihrer SPJonopoIanftalt angewiesen ift, alle bie Vorteile 
3U Derfchaffen, bie fonft eben nur burd) bie unbefdjränfte ßonfurrena 
herbeigeführt werben." Sie muß alfo felbft bie 9Waßregeln ergreifen, 
bie ein DcrftänbigeS fionfurrenaunternehmen ergreifen Würbe, um bem 
alten Unternehmen ßunben abfpenftig 311 machen. (Sngel icheint wenig- 
ften3 al§ böfe§ ©ewiffen Wirfen au Wotlen. Er fühlt fich als $ublifum 
fadjtoerftänbig genug unb hat auf Singriffe manche fehr luftige $eim* 
leuchtung in Vereitfdjaft (S. 2 f.). 

2>a§ Xalent, fidj nüfclid) 31t mad)en, geigt fid) bei (Sngel afleut= 
halben. Stuf ber gried)ifd)cn SRcife fud)t er in einer Unterhaltung auf 
bem SEßege awifdjen Salamata unb Sparta burd) bie Saugaba feinen Ve* 
gleitcr $etro3 bafiir 31t gewinnen, baß er bei ben nädtftcn SSahlen für 
eine beffere Straße 3Wiichen Sfteffenien nnb fiafonien Sorge tragen 
Will. §n biefem fleinen 3uge haben wir ben ganjen ©ngel. ©r toetfj 



<£buarb (Hngel. 



325 



immer ?k!fd)eib, mie eS auaufangen ift, tun ben 3&eg bcS 3fortfd)ritt§ 
au f inbcii. Kr ftat einen untrügüdjcn fioinpQfe im Slo^fe, üielleid)t ii>eil 
fein £era für bas S&ofn itnb btc Sörberuug ber am luenigftcn 33egün= 
fügten fd)Iägt. - gKaii fönnte mof)( aud) eine lange Steifte uortreffIid>er 
VfebenSregelu aus feinen Herfen aufammeuftellen, viuBerungen, bie feinen 
gejunben ©erabfinn wiegeln, nnb auf bie er fid) fid)erlid) gar nid)ts ein* 
bildet, obmol)( fie mandjem Sdnuanfcnben einen feftr guten Xienft teiften. 
3uut ^eifpict: „Ia£ llmfatteln snr red)ten 3c\t nnb mit einem eblen 
S'xd tun* Wugen ift mutuoiler nnb üerftäubiger, als baä Sreftflebeu am 
, längft bereuten." — 

Gngel ift burdjanö nid)t ftarrföpfig nnb eigenfinnig, obtoobl er in 
ber Verfolgung einiger fragen, feiner dada-3tetfcut>ferbe, mit Sterne 
au faredjen, aüerbingS mef)r bie Slus'bauer be£ ©etetyrten, als nx?lt- 
männifdje Uubeftänbigfeit au ben £ag legt. SSaS für ben Stier ba§ 
rote 2ud) ift, baS finb für 6ngel oberftöd)*Itcf)c 9lbft>red)ereien über 
yanb unb Seilte, bie ©raömuö^lu6i>rad>e bes ©riednfdjeu, bie 23acon= 
üegeube über Sfjafejpeare, unnötige grembmörterei nnb ber unuüüc 
(ütbvand) öon „berfelbe, biefetbe, baSfelbe," mo „er, fie, e3" genügen. (Sr 
überträgt SutljerS $roja 51a* 2tbfd)rerfung in eine furchtbare Stanalcp 
faradje: „Sm Wnfang fdjuf ©ott Gimmel, nnb (?rbe, teuere wav müft 
nnb leer, unb U>ar cS finfter auf berfelben"; — uor einem ^abraeftut |d)rieb 
(Jngel freilid) felbft and) uod) baS verpönte 2£ort gelegentlid) in über- 
flüffiger s jfMocnbung. X<i\] (Sngcl nid)t eigenfiuuig ift, jeigt bie S&erfe, 
frie er ben in beu ©riedjifdjeu grübüugStagcu etmas grob bejubelten 
3?ierorbt in feiner beutidjen fiiteraturgefd)id)te atS Itjrifdjen Sidjter ge- 
mürbigt bai. ^d) erad)te gerabe bergleid)eu ber @m>ä()nung mert, lucil 
eS beffer als allgemeine Lebensarten fennaeidjnet, mie frei unb beiter 
eS in biefem Mopfe augeftt. 

Über (fngelS 2iteraturgefd)id)ten I)abe id) bereits a» berfd)iebenen 
SWoIeu in biefer 3ettfrfjrift beridjtcn bürfen, möcfytc baS ©efagte bafjer 
nidjt ttueberfyoleu unb nur ben großen (Smbrutf ber ©efamterfdjeiuuug 
baftin aufammenfaffen, bafe es feinen (ebenben 2itcratnrforfd>er geben 
bürfte, ber ©ngel an Stoffbeberrfcfyung übertrifft; felbft ©eorg 33raubcS 
nid)t, bem gegenüber ©ngel-fid) ausnimmt tüie ein fraftüoll auftretender 
SteiterSmann neben einer s #arifer Salonbamc. 2Wan fönnte moljl ben 
SJergleid) nod) mit einem anbern ©ro&en magen, mit X a i n c , unb 
fänbe bod) nod) aflcrlci au Gbuarb GngelS ©unften feftaufteüen. 
v ^eii>ic( bafj ©ngel bie $iuterbrein-6rflärerci gefdiid)t(id) erlernter 5tat- 
fadjen mit 9ted)t berfdjmäbt unb fief) barüber (bereits in beu ©ricd)ifd)cn 
5rüf)fing*tageu 3. 2:»J) luftig mad)t. Sana im ©eiftc lüineS, beS 
gcfd)irfteften Gr^rimentatorS, ift gcbaltcn nnb and) an afjnlidjc Kr^eri- 
mente ©uftat) 5rci)tagS (in ber Jedjnif beS XramaS) erinnert ©ngers 
Xarftefluug, nüe 3I)afei>eareS Othello entftanben fein bürfte. Xie 9?o= 

23* 



326 Dr. fjans £tnban in (Efyarlottenburg. — - 

belle, bfe'aK 9ln3gang£linie gegeben ift, unb ba§ boHenbete SWeifter* 
toerf, ba§ jeber fennt, merben burdj eine gerabe^u bramatifch beran- 
fdjaulidjte Sfteihe bon Überlegungen, toie fie ©bafefpeare toobl burd)* 
gemacht haben fönnte, miteinanber berbunben (@T)afeft>eare*3tatfeI, 1904, 
©. 142 ff.). 



9htr einig« toenige 3Tnbeutungen über eine auf fo toielen ©ebieten 
glansbotte SßerfönlidjFeit habe id) geben Kotten. $a§ meifte ift nodj 
unerttäbnt geblieben: treffliche Serbeutfchungen, Slbbanblungen, Stuf* 
fäfce, SSorlefungen, Sfteben, eine gütte fauber aufgeführter, berbienft» 
licher Seiftungen, bie feit ber SDoftorfd&rtft : De pristinae linguae 
francicae syntaxi — ein ©egenftanb, ber bor Engel nicht bebanbelt 
toonben toar, — im Saufe be§ arbeitsreichen Sebent biefe§ tajjfern, 
ritterlichen *ßflidjtenhelben unb SDid)ter§, ©elebrten unb gorfd)er§, 
£enfer§ unb @$riftfteller3,-ber nebenbei 33 S^hre SteichStagSbeamter 
unb sehn Sabre bitfburch ber flottefte Stabler ftar, ba§ Sicht ber SBelt 
erblitft haben. <Sr hat eifrig ©anäfrit getrieben unb fid) al§ <Stubent 
mit ber STbfidjt getragen, ber bödjft unpraftifchen 9trt, ttrie bie iribifdjen 
Sefebüdjer gebrudt toerben (obne SBorttrenmmg toie altgriechifche $n= 
fdirif ten) ein gnbe 31t machen; bie (Hjanfon be Stolanb in SSerfen über* 
fefct; außer ben bier üblidjen ©pracben: franaöfifd), englifch, griedjifdh 
unb lateinifdj: bottänbifd), portugiefifd), ftxnttfd), ruffifd), fcolnifd), türfifd), 
arabifd) ernftbaft getrieben. Unmößlidj ift e3 mir, SSoUftanbigfeit in 
ber STufaählung gu erreichen; aber barauf Fommt e§ am @nbe toobl audfj 
nicht an. 5Die $au:ptfad}e toäre Ergreifen unb geftbalten gleidjfam 
ber befonberen frerfönlidben Sßrofillinie be§ raftlof fdjaffenben @eifte3. 
SBir möchten auf ben ©runb feinet SBefeuf bliden. 

%m ^nnerften brennt ifjm ein beißet Seben&burft, ber Sebenfburft 
be§ gefchmacfboffen $ünftler§, ber fid) auf eble Shtlturgenüffe richtet, 
unb bem alle toertlofe ©peife, aller unreine Süranf fchal, efel unb fabe 
bünfen muß. 3" fterben, ahne alles gefehen, gefchmecft, gefannt su 
haben, toa§ e£ auf unjerem Planeten su erfennen grbt, fd^etnt ihm 
unerträglich, ©ich jahrelang auf einen engen ©egenftanb befdjränfen, 
ba§ bermag er nicht. $b n üeraebrt bie STngft, baß ba§ Sehen berrinnt 
mit feinen sahHofen atrberen nichtigen ©egenftänben, bon benen er nichts 
erführe, toenn er fid) aÜ8u lange mit einem SDinge abgäbe. 9iid)t§ 
2BertIofe§ treiben unb fid) aller berfügbaren ©rleid)terung§mittel ber 
SIrbeit bebienen, ba§ finb bie unerläßlichen 33orau§fefeungen ber großen, 
betounbern§irerten 3Trbeit§Ieiftung biefe^ SWenfchen. 

©f ift ein fchön beherrfchte§ ©an^ef bon fämtfenben ©egenfäfeen, 
ba§ iüir gefahren. Xer begeifterung§trunfene ^eHaffahrer fann 51t» 
gleidj ungemein fritifd) nüchtern n>erben. $Der buchftaben»>einli(he ®c* 
Tehrte, ber fo fcfiarf baS Einaelne unter bie Supe nehmen fann. ba% 



<£baarb <£ngcl. 



327 



ber Saie gar ntdjt t>erftef)t, tooju eine berartige genaue Sorgfalt bienen 
mag, befifet augleid) einen ttberbltcf über tcette ©tretfen menfd)Iidjen 
3ßiffen3, tote er nur fri)t feiten bem ©terblidjen begeben ift. ©er 
formliebenbe ft>rad)funbige Siteraturfeinfdjtwiifer, bem unfere oft fo 
toenig gepflegte bentfdje Sßrofa grimme ^Jetn bereitet, ift &ugleidfj ber 
glübenbfte SSerebrcr ber fcaterlänbifcben ®id)tung. 3>er für bie 2ßenfd)= 
beit groft unb einfad) bi§ jum Zob getreu arbeitende Krieger eine ber 
aarteftfüblenben «Seelen. 

©o fönnen toir benn nur mit gangem fersen untertreiben, toa§ 
einer ber berufenften ^ritifer beutfdjer 9?ation, ber tveretoigte grieb* 
riä) Xfyeobov SSifdjer, bereits bor tfcei ^abräcbnten über ©buarb 
©ngel in feiner au3fübrlid)en SSürbigung ber „(Sried)ifd)en grübüng§= 
tage" geäu&ert bat. 

„grifdfre ©inne unb frifdje ©eele . . . $>ier ift ein rid)tiger 3ftenfdj, 
ein Ebarafter im redeten ©inn, frifd), einfad), unbefangen, gut, gut 
mit allem SSoIF, SWenfdj mit ÜD?enfcf)cn, nid)t blinb gegen ©ebredfyen, 
aber mit #umor getoaffnet, bafe dornen ber SSerftimmung nid)t gu tief 
geben. gugleidj bringt er gute 9Ru3feIn unb Anoden mit, toie man 
fie brauet, toenn man bie ®inge in ber 9?äbe feben ttriü, er ift rüftig 
unb auSbauerrrb . . ." Unb bann: „grifdj unb frei, ftrie ber ©eift in 
biefem 93ud), ift fein ©til. @r lebt, er gebt, er tratet nid)t burdj SBurael* 
unb ©djilfgefdjlinge, ftolpert ntd)t über ©tod unb ©tein, toie leiber fo 
mandjeS 2>eutfcben fdjtoerfäflige ©£red)beine. ®ie S?ritiF foll biefe 
5Eugenb nid)t fcergeffen berboraubeben ; bie beutfdje Siteratur ift eben 
nidjt gefegnet mit ©djriftfteffcrn, bie fdjreiben fönnen." Unb ba§ au* 
fammenfaffen.be Urteil au§ foldjem SKunbe: 

„©ein ©efdfjmadf ift ferngefunb." — 



pcrfpcftipcn öes mn$eitlid}cn U>ltfjctn6els 
in etfjtfdjer Beleuchtung. 

Don 

Dr. German 3franft. 

— Breslau. — 

ein nmtiflcrer a ($ ©oetbe I)at in feiner unnachabmlidien 5Irt, 
[cncm 3iU"ctniniennnrfen Don lebhafter ?lufchannng, bornebmer 
Hube, £refffid>erbeit ber Sporte nnb töürac beä 9Iu§brucf£, 
mit toormer ?firerfcnnimn nnb lobenben SBorten bc$ £>anbel* nnb be£ 
$anbel$ftanbe£ n^neftt. 3MbeIm SWeiftcr, auf ber Suche nach einem 
SebenSberufe, erhält t>on einem fanfmännifchen Srcimbe Briefe, toetefx? 
bie 3Sor3Üoe be$ £anbel*ftanbe$ im heften Sichte erfrfjeinen (ajfen. 

Unb mic fönnte es anberS fein? „$anbe(n" nnb „©efchäfi" nehmen 
in ber fllütflidjften SBeife in ihrem einfadjen 93Jortt>erftanbe als 93e= 
fonberheit für ftch ba$ in STufpriid», ma* als eine 3^r, eine s $flid}t bem 
SWenfdjen überhaupt 3nfommt: bie 9?etäti(umfl ber (rnerßie unb bie Qr- 
füKuua eines Sftotib flebenben Gnib3U)erfe3, a(fo ba* GJeflentcü, tric man 
miff, be§ Sßafftocit, be* 9?irf)t $anbelnfönncn£ ober ftid)t--$anbelntoollen3, 
ber Untätiflfeit be* ?fu$ruben3 ober SJerflmiflens; nnb ba3 Sticht ©efebäft 
ift bie 3erftreumtfl. 

ler oberfräd)(id>fte W\d auf bie Multurflefd)id)tc 3eigt ben ©eh)inu 
ber raftlofen Uätißfcit bes oou flrafjcn ©cftcfitstninften netriebenen, 
magenben ©efrf)äft§inanne§. Unb mie benn aftc^ SBtffen, alle ernftlidie 
Ißbüofopbie mit ber Erfahrung anhebt unb ihrer ftetcu Kontrolle bebarf, 
fo h«t in ben frühen 3citn(tcrn eunfter lofalcr ßebunbenheit unb einer 
Ginfrfiränfunn ber $erfönlid)feit burd) aliflcmeine feinblidic Unficfjcrheit, 
ber $anbel ^nerft ben 3>?enfcbcn 3itm SWenfditiun nefübrt, bie ftetmtnfö 
bon Sanb unb Seilten erfebfoffen, Kolonien itffdiaffcn unb fidiere -Straßen 
über ben ©rbbatf fle3onen. SMe frühere SSerfebrSform mit ben Sremben, 
ber ftrieri, tonrbe auf bem Grbrunb in ben grieben üertoanbelt. 




Pcrfpefttoen b. ne^eitücfjen HMtfjünbels in etfjtfdjer Beleuchtung. 329 

Unb fobann im eiuaelnen: bie 33erhrirflid)ung aller 3^*e bebarf 
ber aWittef. .ftaum eine 33erein£tätigfeit unfereä affogiierenben S'Citalter^ 
— Vereine religiöfer, fünftlerifcfier, gefefliger, roiffenfcfiaftlic^er, fpori> 
liefier ufm. 2lrt — ofine Sereitftellung ber erforberlid&en ©elbmittel! 
ßein 9tuffcfimuug ber fiunft ofine bte aSorftitfen einer ermerbenben S£ätig= 
fett, feine afabemifefie 2ru§fcfilieftficfifeit eincä miffenfcfiafttid)en SerufeS, 
oI)ne bafj eine mirtfefiaftfiefie 33afi3 gefefiaffeu ift, bie bern 2J?anne ber 
SSSiffenfdjaft t)on ber £eilnafime an bireft ertoerbenber Sätigfeit fid) 
3eitmei3 au§3ufdjlie&en iiberfiaupt erft geftattet. 

SBte fefir man aber ber Sacfie auefi gered)t derben mixfite, fo füftrt 
boefi in ber Totalität bie 3tu§fcfilief3lid)feit eincä einseinen ©efidjtäjnmfteS 
3itr Unfrucfitbarfcit. Senn bie SSccfifelmirfunq ber 3TciIg tritt überall 
f)ert>or; nnb efie ber 2Wenfdj baS ©erb erfanb, mußte ber Sanbbauer bie 
Xkr unb fffanalid^e 9?afirung geminmm, unb ber 2Bagemut'be£ Kolonien 
griinbenben ©rofcfaufmann^ märe ofine ben aeitoeiffn Scfiufc ber SBaffen 
ein frncfitlofeä Opfer gemefen; ba3 (Betriebe be§ gemöfinlicfien Sebent 
bebarf ber rofien Wit^felfraft, aumal al3 nod) feine 2)?afcfiine (Srleicfi* 
teruug fefinf. Unb über beut SfU maltet fiegreid) bie 3Wad)t ber 9tatur 
unb ba§ Scfiitffal, be£ SWenfdjen ßönntadjt Dcrfpottenb. gügt fid)'£ 
gfeicfi nid)t in ben Stafinten ber Sarftellung, fo fei bod) menigftenä an« 
gebeutet, bafj ber SWenfcfi fid), mie aud) immer, einen Xetfcl auf ba$ 
©efäfe feinet ofinmädjtigen &afein§ Don frember £anb aufgefegt bad)te 
unb ben Senfern, bte er gefdjeiter mäfinte al* fid) fclbft, bie Deutung 
unb Scitung iiberlief3. 

Unb fo aeigen un§ eine 9teifie ber älteren Sulturftaaten bereite eine 
©liebernng ber menfcfilid)en©cfcllfcfiaft, aber ber.Qaufmaun^ftnnb mar nidjt 
ber erfte unter ifimm. X-enn ben ^Srieftern unb ©rofteu folgte ber Srieger, 
unb I)inter beut SgnbelSftanbe folgte ber $anbmcrfer unb ber *ß.aria. 

93ei atter ßfirfurefit Dor bem 3IIten ift aud) biefer @efid)t3punft, ttrie 
mand) tiefe Sßafirfieit er Diellcidjt birgt, für bie moberne Gnttmitflung 
unfruchtbar. Senn menn c* un3 felbft gelänge 311 ermeifen, baft ber 
^anbeföftanb fieut entmeber ber erfte, ober baft mcnigftenB bie ffonfe* 
quenaen ber ©egenmart in (Europa bafiin meifen, baft er e§ merbe, fo 
macfit fid) bie£ aüc£ anbcrS, inbem Don „Stänben" feine Jftcbe mefir ift. 

3Bie bem Soff in Staffen ber Segriff einer ftriegerfafte niefit mefir 
eingebt unb bie ^opnfarifierung be£ SßtffenS feinen gemeinfd)aftlid)en 
2fusbrucf mefir beroorbringen fönnte für ba*, mas mir: ©elcfirtcr, 
Strßt, $riefter, ©ouberneur nennen (ba§ SIrabifdic bat noefi fieute 
bafür ben cinaigen Sluöbntrf hakim), unb ber lanbmirtfcfiaftlicfie 
betrieb beute eim? gemifK faufmännilcfic Jätigfeit in fid> fdiliefet, 
fo Iäfet fiefi fieute nid)t mefir reefit Don einem faufmännifdjen 
(Staube fpredjen; unb mir fagen bafier mofil rid)tiger, ber 
faufmänniid) geleitete Setrieb fei fieute mefir ein allgemeine^ 



330 Dr. German ^ranf in Breslau. 

teirtfchaftlidjeS @rforberni§ gctoorben, al§ bafe toir gum Seifpiet 
äufeern: e§ fei bem 2lbel§ftanbe nicht mehr berboten, $anbeBgefdjäfte su 
treiben, baher man aud) einen nüfelichen 23anfier abeln fönne; ober 
„heute fönne ein Sommergienrat ober ©djiff$bireftor SKinifter tt>erben, 
toa§ früher bem SIbel ober minbeften§ bodj bem ^uriftcn Vorbehalten toar." 

SBergeffen ttir aber nur nicht, bafe ber ©port, ber heutigen Xageä mit 
„gortfdjritt" unb „©nttoidrung" getrieben toirb, eine fatale Sftürffeite hat: 
er fefet, fonfeguentertteife, ba§ ©egentoärtige auf ein Sßrobiforium 
herab. SBeldje Sichtung hätte ber moberne ÜDtenjdj einem blofcen $ßro* 
biforium 31t fdjulben? £er „übertounbenen" Vergangenheit erft redjt 
ni(ht. SMe 3«funft ift nodj nid&t ba! — bleibt nur ber ben StugenWicf 
refpeftierenbe Übermenfdj übrig; alfenfaßS bie befdjetbeneren Naturen, 
bie fiäj felbft, aU gana ephemere^ SntoicflungSglieb, auch nicht adjten. 
©in toenig gefteS atoifdjen ben Sßaffern biefeS gortfdjrittS gleist 
ba ben rettenben „Snfeln" an belebten ©traf3enübergängen. 

©oTche Unfein eyiftieren bod)! gür bie ©pradje geht bie ©onne trofc 
©opernicuS auf unb unter, ttrie 31t SDfofiS 3eiten. 9Iu§ ber beutfdjen 
^etbengeit finb ©itten unb ©ebräudje übrig geblieben, unb fo gibt e£ 
noch biele, in beren köpfen bie 93egriffe 3ünfte, ©täube, Womöglich 
„J¥afien" ein mtjftifdjeS 2>afein friften. SktS ift ein gaftor, mit bem tpir 
rechnen müffen. 

®a£ ßtapitel be§ Säuerlichen, tuie febr eS auch in unferer arbeitsfrohen 
Seit nur bie untergeorbnete 93ebeutung einer Slufbeiterung ber Stube* 
paufen 3U höben fcheint, birgt in fich eine tiefe etbifdje Sebeutung. 9?och 
heut« t>erfieht eS bie Sftotte be§ berufsmäßigen Hofnarren beim geftrengen 
#errn. 3)ie Slubra, greidjfam ©djubfädjer, für bie unfreiwillig fomifdjen 
Sßerfonen unferer befferen, nidjt poütifchen Sßifeblätter bergen baher 
mandjeS hinter bem SMiffentoerf faber SBifee: toenn sum 93cifpiel in ben 
„SRegenben SSIättern" ber 33anfier mit ber biefen golbenen Uhrfette 
über „feinem" SMtgTobuS unb ben 93rittantringen auf ben runblidhen 
gingern als eben geabelter Sarau ober nenernannter fiommer^ienrat 
fich in Sitfel begibt, in bie er nicht gehört; ben Jhtnftfenner fpielt, 
mährenb feine Kenntnis fich auf bie 93örfe befd&ränft; bie Vertreter ber 
SBtffenfd&aft in feine ©alonS 31t siehen fudjt, toährcub er bod) im Innern 
bie armen ©djlutfer bebauert, deiche ihre fdjtoeren Äenntniffe nicht in 
(Selb umaufefcen bermögen — fo finb baS natürRdj ©pöttereien, bie toeber 
bie ®aufmannfd)aft im ganzen, noch ber einaelne ©rofefaufmann bon 
toeltumfpannenbem (SefidjtSfreiS auf fich 3u begiehen hat. Stber ein 
ftörwhcu SBahrheit fterft bod) bahinter, unb etwas ©icrfchalenrefichen fleben 
nod) hier unb ba bem flügge geworbenen, mobernen Kaufmann an. 
Unb baS geht, gleich bermooften, faft bergeffenen ^tbnifdhien Über-- 
Meibfefn, auf ein uraltes, allein ben ^aufmannftanb treffenbe§ SBor* 



PerfpePtben b. nett5dtltcf}en IPeftfyinbcls in ettyfdjer £?Ieui}tiin$. 33 { 



urteil aurüdf: eine ltngiinftigc etbifdje SSür'bigung allein be§ 5kiuf= 
mannfianbe§. 

2>ie ©rieäjeu Ratten mofant in 2)?erfitr (biefe Satinifier-ung be§ 
„$erme§" ift unferen großen Greifen geläufig) einen ©ott ber SDiebe, 
JJaufleute, be§ 9?eifen§ unb 3SerFebr§ gefdjaffen. Sie 9(raber baben für 
ben fiaufmmm ein SBort, tneldjcS auf bie SBur^el „betrügen" (m-k-r) 
3urücfgebt. SMe Sftömer feben int meroator (Kaufmann) einen bem 
merx (ßobn) nadjgebenben SPfenfdjen, unb bie Werfer (fie Ratten einen 
feljt bebeutenben internationalen $anbel) beseidjnen ben Kaufmann 
aK saudagar (alfo einen SHenfdjen, ber beut saud, beut Sife ber niebereu 
93egierben, bem ©rtoerb Untertan ift). £a§ ^Mittelalter I)at au§ ben 
jübifdjen ©intoariberern, bie in ber $eimat, im ©egeufafc su ifjren 
^bönigifd^eu SRadjbarn, nidjt§ weniger al§ ein £anbeI§t>oIF iuaren, ein 
foldjeS exogen, toeil jene 3?it — toie feltfam! — . nur biefen S3eruf 
au§fudjte unb fönen ferei§gab. 

Unb bie ©nglänber, 23etooIjner einc§ einft febr unttirtlidyen, febr 
oiegcn ben kontinent 3uriitfftcbcnben 2anbc§, baben fief) mit einer Cncrgic, 
ber toir unfere Settmnberung niefit berfagen follten, 31t ibrer jet3igen 2Mt* 
fteffung burd) ben ßanbel aufgefdjtoungen. Xrofc biefer SBertmadfttSftetlung 
Bringen bie ®efd)äft§alTüren, bie fid) bie Nation naturgemäß angeVüöfint 
fiat, gelegentlich einen tiefen ©egenfafc gegen alle übrigen Nationen 
3um 9fu§brudf. SÜBenn Stiege, naefi beftuibrten SWuftern Faufmännifcber 
©taatSgebilbe feit beut STItertum, mit bem ©elbfadf bc§ SBerbcr? gefübrt 
toerben, fo fann ein $eer t>on folcficn SComnrtjB unmöglicfi ben bumani* 
tären 2Tnft>rüdjen ber ^tcu^eit genügen, aber bie Verantwortung bafür 
ebenfotoenig ber SccreSleitung aufgebürbet, al§ ber Nation ber SSor* 
ftntrf foMb mittelalterlidjen ©reueB abgenommen Serben. 

2>eutlicüer aber aB bie§ alles? reben 31t un§ bie 93iogra*>bien, fotoie 
bie eigenen Äußerungen fo manefier un§ toobl vertrauten SWänner. £er 
au§ ber (£nge bc§ Faufmännifcfien Kontor? entronnene. (SdjoDenfiauer; 
Seine, ber toitüge @t»ötter; ©cbliemann, ber «©om-erentbufiaft, ber e§ 
über ftd) getoann, in jahrelangem ßaufmannSbernf bie SKtttel 3irm An- 
fang fetner fo berübmt unb folgenreich geworbenen 9Iu§grabungen fiefi 
311 etmerben. 6?8 gibt ui^toeifelbaft einen ^fiidfiologifcben Itnterfchieb 
unferer ^Beurteilung, toenn ftrir bamtt in Vergleich hieben, tnic 3itm 
95eift>iel ©ebumann au§ einem Jsitriften 311m SDfufiFer, ©oetbc, ftatt loic 
fein Vater tooffte SfbboFat, ein ©oetbe geworben ift, -whlrcidic SD?ifitür3 
— t>on älteren nennen frir SotjoTa unb in ber 9?eit3eit bon £>art= 
mann, bon ©gibt), t>on Ciliencrou, t?on OmHeba unb tuele anbere — 
in S^eologie, ^Bbilofo^bie, al§ Sitfiter, 5RomanfcfiriftfteIfer uftü. fiefi einen 
5?amen gemaefit baben. 

<5tn ^eü ber Vorurteile auf biefem ©ebiet gebt fiefier barauf ftitrüdf, 
bafe ba§ große ^ubTifum, obne InirFfid) Faufmännifdbe .<¥enntni§ 31t be- 



332 



Dr. German ^ran! in Breslau. 



fifccn, fid) trofcbem mebr ober toeniger im toirtfcbaftlidjen Seben mit 
©efdjäften befaffen muß, niefit immer gut babei fäbrt unb mit laien* 
baften SBorttriirfeit fdjnefl bei ber &anb ift. SBie biele Horben citta bei 
fidj toie folgt bernünftcln: id) babe einen großen Vorrat Sriefmarfen, 
Rapier, 3io«rrcn gefauft ober ein 9ttöbcf ober fonft irgenb ein Stiuf, 
ba§ id) fdjfiefelid) nidit braudjen, nid)t fonfumieren fann; ein 93efannter 
ober nidjt SBcfamttcr ift in umgefebrtcr Sage, id) gebe ba£ ©etoünfdjte 
gegen meinen GinfanfspreiS, ba£ ift anftänbig, ober gegen böseren 
^reiä, ba§ ift unfair aber fanfmäunifd). — £>ber: id) fanb, erbielt ge- 
fdjenft, erluarb gegen minimalen $rei3 einen ©cgenftanb Hon 2ammef= 
wert, ber ©cgenftanb ift mir ofjnc Jhifcen ober ^»tereffc: id) berfdjenfe 
bcnfelbcn, ba$ ift nobel; ober gebe Um — um ben Grtocrber nid)t in bic 
S3crpflid)tung einer ©egengabc 31t bringen — um geringen 9>reiS i)\n, 
ba$ ift anftänbig; ober id) laffe mir ben ©cgenftanb nad) feinem Sammele 
mert, biclteid)t fogar je nad) ber franfbaften Samrnelgicr be§ 6rtoerber§ 
gebörig bcaableu, id) gebe mir bicltcidjt 31t bem 3toccf ba§ Slnfeben, mid) 
böd)ft ungern bon bem ©cgenftanb 511 trennen, ba§ ift faufmännifd); ober: 
id) befitoe irgeub ein Objcft, bas fid) febr borteilbaft präventiert, cttt>a 
beabfidjtigt ober unbcabfidjtigt fo angelegt ift, baft c3 gebier oerberft — 
iemaub toift biefe 3ad)C, bicdeidjt bafj er au§ Unfenntni$ ben gebier 
jefct ober überbauet nid)t inerft*), burebau* taufen unb bietet einen 
cntfpredjenbcn s 4>rct^ : id) madie ibn auf ben gebler, auf feinen ber- 
mutlidjen S'rrtuiu anfmerffam baS ift anftänbig; id) gebe ibm ben 
©cgenftanb febmeigenb 511m gebotenen Sßreis? ba3 ift faufmänniid). 
Seltfamermeife baben fpC3teü im ^ferbebanbef Ceute bon fonft febr pein= 
lidjen Ehrbegriffen fid) attein auf biefem ©ebict 2ru§naf)men bon ibren 
fonftigen ©etoobnf)eiten gefd)affen. 

2ie 93eifpiefe merben grabierenb, trenn fid) umftänblidje Sieben bin* 
3ugeieüen, bie entmeber ben Sßert bc$ 3U .Viaufenben berabfe^en ober be£ 
311 SSerfaufeuben fteigern foffen. $m galten fann man fagcu: Eunim- 
beit ift bor Sd)aben bauemb nid)t 311 fdutfcen, n>enn mau e§ and) im 
6iit3clfalle täte. SSer nidjt fienner ift, fall Sacbberftänbigc bin3U3icben; 
mer nid)t 3J?enfd)en^ unb SSJeltfenner ift, fol( fieb über bie Stätte, n>o 
er fauft, informieren; nnfofiber ,§aubcl Hebt an unfoliber Situation. 

SBir leiteten obige 93cifpiefc bnrd} $inli>ci£ auf ein gcfätfdjtcS Saien- 
nrteif ein. ($$ fübtt fid) bureb, bafj bei ber ©egeniiberftcihtng bon „an- 
ftänbig" unb „faufmännifd)" ber £auptuntcrjdiieb berfdjnricgen tourbe: 
ob e$ fid) um einmalige^ ^ribatgefebäft ober gemerb£mäftige3 banbelt. 
Sßcr 311m 93eifpier einem 53efanntcu mit einem G'iuselftürf au§ eincin 
Vorrat 311m SelbftfoftenpreiS aushilft, tncifc bänfig mangels rid)tiger 



*) 9Jttr fd)tuebt ein nrirfliener fjaü üor, Infant eine? uidjt eimuanbfreieii StfamcrcS 
für einen £>arem, in bem niememb europäifcb ^laoierfpieien_fonnte. 



— Perfpcftioen b. nei^eitlidjen tPeltfyanbels in ettyfdjcr Beleuchtung. — 333 

Shtdjiuifl gar nidjt, bafc er fid) um einen f leinen Setrag fd)äbtgt, unb 
ber nnbere nicht, baft er fid) biefeu betrag fdjenfen lief;. Einen gleichen 
Iniflfdjütfe machten Saicn (unter $crrfd)aft bes fanoutjdien 91ed)tc$ fogar 
offiäieü) au£ bem Verleiben fleiner Summen iiu $ßriuati>crfcl)r. XBer 
heut feinem SBefannten 20 9tube( liehe unb in fur^er 3ett mieber erhielte, 
mürbe nur unanftäubigermeife mehr (auf bic .ftöbe fonunt e$ nicfjt an) 
anrücfbcrlangcn, menn c$ aber 100U 9tubcf auf ein 3al)r mären, fo mürbe 
ber Sorgcnbe tu feinem ?luftanb£gefül)l gefränft, menu ihm ber #er 
teiber bic 3infcn als Jllmofen fdjenfen mürbe. 

2fu$ bem Iruflfdiluf} bc£ gc)d)äftsnnfunbigcn Saicn aber ergibt fid) 
eine boppcltc Folgerung. Semper aliquid haeret. GS ift benfbar 
baft ber Saie, ihm fclbft imbeumfjt unb unflar, einen gemiffen fittlicfteii 
aSibermiÜen gegen @efd)äfte hegt, uou benen er im Girunbc nidjts üerftebt; 
unb biefer SSMbcrmillc ift Un^ififd) t>erfd)iebeu Don ber Abneigung gegen 
einen anberen SJcriif, Don bem er cbcnicHncuig tocrftrfjt. Tic ameitc 6r« 
mägung liegt in ber 93eforgniä, baft ba§ semper aliquid haeret auf 
Seiten be£ Maufmannes eintrete. SBcr gemöbnt ift, in feinem 93erufc 
immer mit 3nfd)lägcn 311m CinfaufspreiS 311 rechnen, ber bem Käufer 
forgfältig verborgen mirb, ber fann lcid)t bic Wremen öerfdjieben. 
SWifebraud) mirb usanre. 3iwitcns fo, ban ber toaufmanu bic gemerbs 
mäßige Wemobnbeit allmäblid) auf ein s J>rioatgefd)äft überträgt, ba£ 
aufeer feiner (%fd)äftsbranri)e lag unb mo ber anbere Xeil ein freunb= 
fd)aftlid)e£ ?(bfommcu irrtiim(id) tmransfcfeeu nutftte. *iefleid)t ift bic$ 
nicöt 311 feiten. War mandier mirb fid) aus bem Greife feiner ^ugenb 
befanntcu an ßeute Don tiorbcrrfcbcnb faufmänmfcbcr Begabung erinnern, 
bte fdjon als M nahen im 3>crfebr mit barmlofercn ?llter$genoffcn ^}rtDat= 
gefd)äfte nach faufmännifd)en ©rnnbfät?en betrieben unb aH Millionäre 
enbeten. Xer SeurtcifungSmaftftab ift gemift fdjmanfenb. J$otgcnbe$ 
©eifpiel aus bem Sehen: (Fht angesehener 3rf)nittman?upatri3ier cine§ 
Stäbtdjcn§ mad)tc feinen Minbern nüfelicbc 3Bcif)nad)t3gcftf)cnfc, bie 
bem Säger entnommen, baber regulär gcbud)t mürben. Ter SBhinfch 
be3 vsiingften ging auf ein Xufccnb einer S^are, bic fid) mcber anreihen 
uod) im ^Jrcis bcrabfcüen lief;. GS mar alfo gerechtfertigt, baft ber 
vUingfte, meif ber 93?crt feines (**efd)cnfes baS ber Weftfnmfter überftieg, 
fein 3utucl in bar 3uriirfcrftattcn mufjtc. 9lber iücllcid)t mirb bieS (Sc 
fdjäftchcn unter bem SBcibuadjtsbaum mancher 3li>ar forreft, aber nnfehön 
finben. (?§ hätte fid) 311m Ausgleich etwas auberes finben laffeu. 

9fuf jeben fiali ift baS Ergebnis bes bisher OScfagtcn nid)t befric* 
bigeub. ^u boppclter £>infid)t. (Js ift nid)t Iogifct) gered)tfcrtigt, meif 
c§ auf einem balbticiid)leicrtcn Jrugfdbluft beruht. Unb meil bic$ ber 
{?att, fo müffen mir and) beu Scrfnd) aufgeben, hieraus allein ben ethifd)en 
SSoffsuumillcn 311 erflären. 35km n ganse Nationen fid) bnrd) mirtfdjaft- 
lidhe Unbeholfenheit au^cidjnen, mehr ober meuiger alle Stauen unb 



33 \ Dr. ^£7 er nun $ raitf in Breslau. 

bor allem bie £urFo=9tftaier, befonberä Ungarn unb £)£manen, unb biefe 
Stationen fremben (Sinbringlingen frentber Nation affmät)Ii<f| trtbutär 
merben, $u 2obn= unb ^botbeFenSflaben fjerabfinfen, fo tft bod) bie 9fn« 
nomine eine§ £rugfcbruffe§ sur ©rflärung jene§ 33oIF3unmiHen§, bcr 
fidj nun nidjt gegen einen ©tanb, fonbern eine frembe 9taffe ticktet — 
eine fold^e Slnna^me ift bann nicfjt auäreicbenb. 

SBieEfeicbt fommen mir lieber 51t einem $ßaratfeli£mu§. 3>a gibt 
e§ nun in ben 93ernf£arten einen $aubtunterfd)ieb. StÜerbingS finben, 
über gemiffe ©renken binauS, gleife unb gäbigFeit entfprecbenben Sobn 
unb natürlid) einen Überlobn, gegen ba§ Stormalmafe ober gegen ein 
3)ftnu£ gebalten. Srbcr in bcr üPHttellage finb sloei beutlicfj gefdjiebene 
Kategorien, beren eine bircFt in 93erbienft umfefct, ma§ erarbeitet toirb, 
mäbrenb bie anbere ibrc STrbeit gegen ein Firum eintaufdjt, ba§ ftd& nur 
mit umftänblicben Formalitäten erböben läftt, bafür aber bei einem 
nur gerabe erträglidjen SWinbcrmafe niebt gefürgt mirb. £ier liegen auf 
einer Seite, ungenau aber berftänblidj gefagt, bie feftbefolbeten, auf ber 
anberett Seite bie freien 39erufc mie 9frjt, SIbboFat, Siinftler, £anb- 
merFcr, Sobnarbciter. SBknn mir nun, bon ber Übcorie 311 fdjtoeigen, 
im braFtifcben 93eruf§reben einen bom 93nreaubienft iiberbäuften ffeinen 
^Beamten, einen gesagten Scbulmann, einen überbürbeten Ginaelridftter, 
einen $rofeffor mit iabrelanger biembnftünbiger Slrbeit^eit in fubtilftert 
miffenfcbaftlicbcn Untcrfudiungen feben, fo Fann nur gefagt toerben, ba& 
entmeber blofteS ^flicbtgefübl ober £sntcrcffc an bcr geförberten STrbcit, 
an bem gclöften Problem, Seutc biefer SIrt bauernb an bie Strbeit 
Fettet, obne bafo ibr £sabre§cinFommen, bon bem fie mit Familie leben, 
mobon fie fidj alle ?rnncbmIicbFciten einer Steife, eine§ 95abe§, ber 
befferen SBobnung, angemeffener KTcibung, einer guten Kücfie k. gönnen 
biirfen, um einen KobeFcn fteigt. SWan mirb nun einem gefuebten STrjt, 
JfbboFaten, ftünftlcr :c. mabrlidi ntefit ^bealität bt?S Streben? abfbredicu 
motten, meil fidft feine Sciftung bircFt in (Mb umfetst, aber ebenfomeuig 
bebaubten, baft jene? 9ftotib gleidb Stull, obne SSirFung fei, baft c§ böHig 
einerlei fei, ob biefer Stiditer bor einem bcramcifclten SteditSfaff (ein 
SDtonftrebro^cfc, ein 5RiefenFonFur§, eine grofte $ormnnbfd)aft§facbe) ftcSe 
unb blüttfieb cii^c berbieTfacfte 9ftiibe bot, obne anberen Sobn al§ ba§ 
©efübl ber ^flicbterfüllung, ober ob ein ülrjt einen boben Patienten 
beilt, ein SffbboFot einen fetten 9Sro*cft fübrt, einen fenfationetten 3Ser= 
breeber meift mäftfit, ober ein fiünftler, ein StomanftbriftftcTfer ben fri' 
boten, bcffimiftifrficn, fbmboliftifcben, imbreffioniftifeben ©efdßmatf feiner 
Seit berartig trifft, baft er bIöi : Ticf) rcidi mirb. ^ieB toieber au fudien, 
?^u berfueben ift boeb ein Sfntrieb, ein braFtifJye^ SWotib, ba§ bie Seilte 
bcr erfteren Kategorie bureb reine ^bcalität erfct3en muffen. 5trofe biefer 
Itnterfdjiebe baben mir in ben angefübrten 9?cifbielen nid6t 3U leugnen 
gefragt, baf; beim JTr.^t, beim Kiinftler, beim ^uriften ba§ geiftige £sn* 



perfpefttt>e« neu3citltrf?cn rOcitbanbels in ct^tfd^er 33elcud?tmtg. 335 

tereffe an einer Sranfheit, an einem pacfenben Sujet, an einem 
mbfteriöfen SBerbredjertbb bon ßinflufc fei. 3luu aber unterfdjeibet gerabe 
biefer einzige $unft ben Kaufmann bon alten anberen fetner Kategorie, 
Den bireft crtocrbenben. Sftämlich ber ©clbertoerb, ber äffen anberen nur 
ättittcl sunt Qtvtä ift, toirb hier äugleid) ©egenftanb unb ^anbtuerfaeug. 
2)er emsige Stoecf ift alfo ©ctb in SBaren umaufefccn unb biefe in ©elb, 
ober ©elb bireft in ©elb mit Profit umaufefeen. 2lIfo für ba§ SDlotib 
ber SCätigfeit be§ $anbeB fällt jebe SKebenertüägung fort. ®ie Probleme 
rebu^ieren fidj auf bie Sonjefturen unb il)re Beurteilung, unb ber 
eingige Qtoed ift ba3 ©elbanfammeln. 3Ba§ alfo auch immer bon ber 
Sulturtoirfuug be§ #anbel§ gejagt toirb, fo ift e£ bem einaelnen Sauf= 
mann Uiebentoirfung. 2)a§ ©elb ift um be§ @elbe§ mitten in Sätigfeit. 
SDa§ toäre ein fdjledjter Saufmann, ber anberä badete. 

23ei biefer Slu^fd&Iiefelidjfeit ift ebenfalls Siebenfache, in toelcher 
33ramhe fich ba£ faufmännifche Talent betätigt. Sßarenfenntniä unb 
Ciuettenfieaug^funbe ift bafyer 9lebenfa<he, toietoot)! erbritnf<ht. 5Denn 
e§ fann nur ttrieberholt toerbett: Qtved ift ber Umfafc, nidjt bie Söare, 
unb toenn biefelbe au§ irgenb einem ©runbe blöfelich atte Nachfrage ber« 
Iöre, fo tuürbe ber Saufmann ungefäumt, ber intelligente Saufmann 
aber üxtfjrfdjetnlidj fdjon borher, auf eine anbere Branche überfdjtoenfen. 
(£ß begreift fidj, bafe bei einer fo eminent praftifdjen, auf fteter £ätigfeit 
beruhenben ßeiftung ba§ Sonnen alle§, ba§ Berfbredjen unb Sßabier 
toenig bu fagen hat. SBenn fdjon „Steferenaen" unentbehrlich, um fidE) 
bor unliebfamen Erfahrungen su fchüfeen: bor gänälidjem SKifelingen, 
bor Unbünfttidjfeit, Unauberläffigfeit, furj: bor bem gehlen fauf* 
männifcher Sarbinaltugenben, fo finb boch ©jamen unb Sienntni^euguiffe 
nirgenb§ entbehrlicher als auf biefem ©ebiet be§ rein aftuellen 
£anbeln§. Ünb bi§ hierher äuftert fich ber reine @rtoerb§geficht§* 
bunft be3 #anbel§, baft bei ber 2lu§bilbung bie $raji3 nicht früh genug 
in ihr Siecht treten fann, bie 5tf>eorie unb allgemeine Bilbung al§ ©erb- 
bergeubung unb unnötiger 3eitberluft erfcheint. Obgleich natürlich auch 
hier ba3 affgemeine BilbungSnibeau bie Slnforberungen fteigert unb jitiii 
Beifbiel bie allgemeine SBebtpflidjt getoiffe theoretifche Senntniffc 
toünfchenätoert macht, fo gilt bodj im übrigen ber @afe time is money. 
2Bir fürchten ^ier toohl nicht ben Grimtanb, bafc hiermit bem Saufmann* 
ftanbe eine mögli<hfte ^gnorana imbutiert toerbe. 3J?an benfe aücin an bie 
bebeutfame Stoffe ber ©bracfjfenntniä, fobrie ber Scnntniä atter anberen 
Stealien be§ Bölferleben£. 9iur erfreut fich ber £>anbel einer folchen 
greifjeit unb Betoeglichfeit, bafe ihm %toar alle SenntniS toifffommen, 
aber nicht als ein theoretifdjer ßramentnuft über bem ©anaen fdjtoebt. 
2ßa§ zum Beifbiel bie Uniberfität ben gafultäten, ba§ brirb niemals 
bie ^anbeBfchuIe ober ein ©brachenfeminar bem Saufmann h>erbeu. 
Sprachen zum Seifbiel lDirb iver Saufmann burdjfchnittlich bei ber 



336 



• Dr. German ^ratif in Breslau. 



glücflidien ^nternationalität be£ $aubeB innerhalb feinet 23erufe3 an 
Ort unb Stelle nebenbei erlernen. 

3ft fonttt ber Segriff beö Kaufmanns? nnb bie ßrjdjeinung be* „guten 
MaiifuKmns" Don fo geringen (tedjnifd) uuerläf3lid>eu) Slnforberungen 
uad) biefer Seite begleitet, fo läfji and) liingcfebrt bie Stellung bes 
Kaufmanns feinen Siürfjdjlnfe auf feine SJorbilbung 311 nnb gibt in ben 
Greifen, bie barin Innere Slnforberungen 311 ftellfcu gemoljnt finb, p 
einem gemiffen SDfi&traucu äJeranlafiung, n>eu man in ber s J5erfon bes 
.Staufmauus? Dor fief) babe. £ie* ift ber ©runb maudier oft nni>erbieiiten 
3urücffcüung auf neutralem SBobcu ber ©efetlfdjaft. 6£ fommt bin^u, 
bafe bäufig plüt$Iid)er SRücfgang ber Crluerb^ unb SSertnögen^uerljältntffe 
jemanbeu felbft ober feine ftinber ge^lmmgen bat, fid) ber Spbäre ber 
reinen (Mbfragen anauireuben, mo neben ber 2fu*bilbung fog(cid) bie 
grage nad) .probuftiber Slrbeit unb mit biefer fofort bie £ol)nfrage in 
iätigfeit getreten ift; ganj im ©egenfafc 311111 iubiref ten (Mbermcrb 
jener oben djaraftcrifterteu Waffe Don Scbeneberafen, mo eine 3Ctt- unb 
gelbraubenbe $orbilbuug unb ber Derbriefte Mcnntni*au£u)ei* nod) gar 
feine 9ied)te auf ^obn geben, ^a, in Dielen berufen ift neben ber erfor- 
berlidien Sadjfenntnie? bie Joanne bober Herren, ber pcrfönlidjc aufoere 
(Sinbrud, siufterlidjfeiteu be£ Seucbmcu£, bie nnDerfcbulbcte Xatfadje 
ber ^erfnnft, cnblid) bie politifdje nnb religiöfe (Sefiiuutng au*jcblag- 
gebenb, fur3, eine äRenge s 3?ebenumftänbe, bie momöglidi 311111 Jeil au 
Stelle Don Jäbigfeit unb Mcuntnifieu treten. 

2Bir mürben oben 31t beut 3»0^tcinbniö gebrängt, baft nid)t s ^flid)t^ 
gefübf, nod) ber ibealc SSert unb bas ^ntereffe am s }>robuft ber Slrbeit, 
fonberu ber (Seminn (inei-x) ben Manfmann (men-ator) leite. Xicje 
Slu3fd)Iiefjlid)feit ftifet feine Uuterbredjung aufjer ben nucntbebrlidiftcn 
Raufen für Sd)Iaf unb SKablaeit 3m „9taftIo3 unb tätig" finb baber bie 
natürlidjeu Gpitbeta bes itaufmanuS. £a§ JageSpcnfitm muß erlebigt 
merben unb, gilt e£, mit $inannabme ber 9?ad)tftunben. Xie 9lube be£ 
Sonntag^, bte Uuterbredjung ber Serien finb, in einigen 93rand)en 
menigftenS, fcfjmcr benfbar; bie Srusbebuung ber Slrbeiteftnnben, aumal 
in ben S<iifongefd)äften, (äfet fanm einen 3?ergleid) mit irgenb einem 
anberen (Srmerb^meige 311. Unb, fragen mir uns, mie c3 möglid) fei, 
um be3 btofjen (?rtt)erb§ miüeu bie Slufprüdjc an ben SWenfdjcn fo ins 
Ungebeuerlidjc 311 fteigern, bie Slnfprüdje an feine übrige £eben$fül)i*ung 
fo berab3ufcben, fo bürfen mir nid)t Dergeffcu, bafj ba£ treibenbc SIgcne 
bie Atonfnrrcn3, ber freie Söettbemcrb ift. Süfo im ßffeft ift bie Sage 
fdjlimincr, als menn ber alfo geplagte üDfeufd) burri) reine ^ubfndn 
anfgeftad)elt mürbe, bie fönntc er ja auf ein Ieiblid)c£ 2Waft einfebränfen, 
aber e§ ift bie Griffen^, bie ftonfurrcn3, nnb biefe läfet fid) nidjt oin* 
fd)ränfeu. s Jhin faben mir fdjon oben in ber Gbarafterifierung ber 
(£rmerb£arteu, baft bie £>anbeI3brand)e etma£ abieit§ ftebt, audi auf 



Perfpefttueti b. neujeitlidjen EDelttjanbefs in etfjifdjer Belearfftung. 337 

feiten ber freien unb bireften erluerbSarten felber. Sttfo oerboppeln 
fid) tuobf bie 9?ad)tei(e, mo baan bie 2ht*fefenng eines girumS tritt, olfo 
beim fubalternen ftanfmann (beut ftommtä, (Slerf, ©cbülfen); naiürlid) 
fann baS giyum ntdjt unbebingt feftgebaltcn werben, nnb n>o nid)t bic 
vsteüenfndjer fid) felbft ftonfurrena machen, ntufj ba£ jeweilige Übermaß 
ber Slrbeit vergütet ober erleid)tert iperben, fei es bnrd) boppeIfd)id)iige* 
Slrbciten, fei eä bnrd) Tantieme ober ©ratififation. 2>od) bat bie§ fc 
menig genügt, baß baS ©efefc enb(id) etngefdjrittcn ift, alfo bie Won* 
fnrrena burd) gteidje Horfcbrift für alle eingefdjränft bat; Stefdjränfnng 
ber 2Trbeit^eit, SonntagSrube. %n SSabrbeit aber bea'teben fid) biefe 
unb öbnlidje ßrleidjternngen nid)t anf ben eigentlidjen Kaufmann, fonbern 
ouf feine 2lngefteHten. Sem ©eift beS £anbe!3 finb fordye 33efd>ränfungcn 
fern. 2)er tuirflicbe nnb intelligente Kaufmann Wirb fcou feinen @e= 
fdjäften gana nnb boü in Slnffmd) genommen. 

9?un fommt nod) ^xn^n: ift SWateriaf, £anbtt>erfaeug nnb $robuft 
anf btefem ©ebiet untrennbar, fo bcr^c()rt e£, gitr SIrbeit beftimmt, fein 
eigenes s #robnft, ba£ beifet ©etb barf 311 feinem £eil müftig Tagern. Sßir 
fönnen alfo im 93i(b baS arbeitenbe ©elb mit einer in ©ärnng befiub* 
Iid)cu SWaffe bergleidjen. Sind) biefer Umftanb erflärt nnb erläutert bie 
abfohlte Jftaftfofigfeit be£ SSoflfaufmanneS. %n bein auägebUbeten ftrebit* 
ftjftem nnb bem 9ied)t§ftaate nnferer £age ift ba£ fommeraielt arbeitenbe 
Kapital latent, getoifferrnaften eine Summe red)t(id) realifierbarer gor* 
bernngen, nnb bereit Status iutr &u ermitteln bnrd) eine fompüaierte 
faufmännifdje 33ered)nnng, gleid)fam baS 2)eftillieren jener in ©cirung 
befinblidjen SWaffe. 2ßirb plöfclidj ein @efd)äft feines perfönfidjen 
SeiterS beranbt, treten grbfäffc, Teilungen ober fonftige funbamentale 
SluflöfuugSgrünbe ein, fo fann man erft bie Xragmeite beS ©efagten 
redtf ermeffen, „baS ©elb ftetft im ©efdjäft", eS anbaften beißt ©elb 
berlieren. Sängft bat ber ©rofebanbel foleben ©bentnalitäten bnrd) 
Schaffung beS fommeraieHen Sßetpetuum mobile, unperfönlidje £anbel§- 
inftitutc Vorgebeugt. 

Saft übrigens bie eigentümlicbfeiten ber SöerufSart fidj anr Sebent 
nnb 3ßeltanfd)annng auSmadjfen, bieS ift feine 33efonberbeit beS #anbeI3« 
ftanbeS, ettoa treil er bie meiften SrvbeitSftunben bat. $a£ mirb anf ben 
meiften ©ebieten eintreten. 33orau3gefefet, bafc mir immer bie beften 
nnb eifrigften köpfe meinen, nid)t bic Snbafternnatnren, bie ibren 
33eruf mir als 33rotfhibuiin treiben, fönnen mir anm SBcifpicI feben, mie 
audj ber eifrige ?h*at %nv 3hiSfd)IiefeIid)fcit gefiibrt mirb nnb fid) gemöbnt, 
ben aWcnfdjen aB ein Konglomerat Don 9?crt>en= nnb gettaeKen, ftnorpeln, 
ftnodjen, Slntgefäften je. ananfeben; er enbet mit einer materialiftifdien 
SESkltanfdfiannng; nnb ber Önrift, getoöbnt, altes anfS f ,aKcin" ober 
„X^in", mein 9ted)t nnb bein SRedjt a» beurteilen, enbet bei einer rürf* 
fidjtSIofen ©d)ärfe nnb vergißt, bafe sumimim ju8 summa injuria fei. 



338 . Dr. German ^vanf in Breslau. — ^ 

Sa ba£ formelle Siecht berührt fid) infofern etn>a£ mit bem §anbü, als 
in bielen gaHen baä redjtlid) ©ebotene aber 3ugelaffene in einen ©egen- 
fafc au bem tritt, toaZ anftänbig ift. ^n ber S)uellfrage geljt e£ bi§ aum 
offenen ftonflift. Safe bie SHrd)e mit atu^fd^Iicfeltdöfeit bortritt, ertblid) 
fogar allcä SMtlidje übertoadjen 311 muffen t>rötenbierte unb fogar (Selb* 
unb !äWad)tfragen in ifjren 23ereidj geaogen Ijat, barin möge eine £in= 
beutung genügen. Überhaupt toollen ttrir bie 33eif;piele nidE)t Ijäufen, aber 
audj nicfjt fortlaffen, um gu ertoägen, bafc ba£ Sluämadjfen ber SJeruf*- 
anfdjauung gur SBeltanfdjauung feinem Berufe gum befonberen 33or= 
tourfe anaured)nen ift, um toeiter aber aud) nicfyt äu bergejjen, baft 
biefeä Überioud&ern etneB @tanbt>unfte§ eintreten muß. Unb iuenn eS 
unS glüeft, biefe @igentümlid£)feiien au djetrafterifieren, unb toir bann 
faäter bie toad)fenbe 83ebeutung unb ben Umfang be§ nterfantilen SSereid^, 
alfo bie SBeltftellung be£ $anbel£ beleihten, fo toerben bie Sonfequenaen 
fidfj bon felbft ergeben. 

®er Saufmann toie ber 9lid)tgefdf)äft§mann toerben, ber eine mit 
©enugtuung, ber anbere mit SSebauern bie neuaeitli<f>e, burd) bie $011= 
furrena aufgeatoungene ciufeerfte STnfpannung ber Gräfte anerfennen; 
bebauem befonberä im ^inblidf auf biejenigen, beren Solm, bei fixierter 
#öf)e, nur in Heinem Umfange mit ber aeitmetfen Überbürbung buref) 
SIrbeit @d)ritt fyalL SEBte berfdjieben aud) bie $anbe!3brand)en, fo toirb 
bod£) ber überftriegenbe £eil ber Arbeiter enttoeber burd) 3öf)IenmateriaI 
ober burdfy ben Iebenbigeu S3erfebr mit bem $ublifum, alfo ben #anbel 
im engeren Sinne beS 2Borte£, in Stnfprud) genommen; bie erfteren 
muffen Slblöfung ober befdjränftere Sirbeitäaeit (mie in aSanfljäufern) 
^aben; benn bie abfolute Snbifferena be§ 3^IenmateriaB unb bie böllici 
gleite ^nanfprudjnaljme ber botten Stufmerffamfeit auf allen fünften 
fann fein menfdjlidjeä SBefen gu lange anhalten. 3Ba3 bie lefeteren 
anlangt, fo ift beren Stätigfeit \a ben 3tugen be§ SßublifumS tnefyr au3* 
gefefct. SBte Ieidjt ttrirb ein SEBort gegen bie Überaeugung %u biel ge- 
fprodjen, um ben Säufer feftau^alten; toie berberblid) nrirft bie fort' 
toäbrenbe SBeränberung ber grontfteHung bei Ein* unb SSerfauf, nrie ber* 
toirrenb äufeert fidf) bie glatt gebulbig bcrbinblicf>e £öflidtfeit be£ Sauf* 
mann§ gegen ben fdjarfen inneren SDienft, too immer ba§ 2>amofIe§fd£)tt)ert 
ber (Entlaffung über ben $aut>ten F)öngt. ©ana fatal bor allem geftaltet 
fid) bie 5Berfdjiebenf)eit ber 3trbeit§teilung nadft ©aifon, SBetier, 5tage§« 
acit. 2)iefe berfd^iebene STuSfüHung ber ftet§ gleid& langen ©efcftäftSbauer 
läfjt fid) am beften bergleid^en mit ber 33ett>egung be§ gleid^möfeigen ober 
unterbrodjenen @e^en§. 9lun tpeife jeber, toeldje SKarfc^Ieiftung bei fteter 
glcidjmöfsigergortbeiDegung bequem au eraielen ift,tr)äbrenb bei fortoäfjren» 
bem SSecbfel ber ©angart unb toittfürlidjen öfteren 3htl^et)aufen bei biel 
geringerer Seiftung jene abfhimbfenbe 93Ieimübigfeit, jene§ abrutisse- 
ment entftef)t, in beffen ©rau jeber beftimmte ©ebanfe untergeht. 



perfpeftiren i>. iie^ettlidjen IDelttynrtels in etljtfdjer Beleuchtung. 33y 

SJielteidjt finb toir nod) ntd&t ausführlich genuo geipefeu, um nun in 
einer Stufenleiter un3 flar au madjen, toa% bei biefer 23eruf3art an ber 
Seele Heben bleibt, toeldje $t)tyfiognomie ba§ Privatleben fjierbon erhält, 
toie fxdj baä Sßribatleben uub aud) ba£ äu&ere JCeben fymrxad) geftaltet, 
toeldje P^fiognomie aß ba§ ßeben in Orten Pon bortoiegenb merfantiler 
SJebölferungf erhält, toie fich ein Staat mit Portoiegenben £anbel§in- 
tereffen geftaltet, teie anbere Staaten im Kontaft bamit toerben unb 
toeldre Beurteilung toir für eine SMtlage gewinnen müffen, bei iuetdjer 
bie $anbeISaufgaben in ben SJorbergrunb ber politifdjen ^ntereffen, 
bie ^anbeBgröfjen in ben Sorbergrunb ber leitenben Gräfte fid) trieben, 
eine internationale ginanagruppe über Stieg unb grieben ber Staaten 
ein gettridE)tige§ SBort in bie aßagfdjale au toerfen hat! Sft bie 3eit uoch 
3u fern, tvo eine gewonnene ginanagruppe im fremben Staate bie Sunt« 
tionen eines früher bort affrebitiert getuefenen Diplomaten ttrirb Per* 
feben fönnen, unb too ein moberuer Staat feine biplomatifdjen S^tereffen 
im Sftadjbarftaat toirffamer burd) fointereffierte (Mbmänner burchführt, 
fcenen ba§ Kaufmännische über bem $atriotifdjen ftebt? 

SBenn ber ©intoanb gemad)t toirb, bafc in ber Sd)ilberuug, roie fid) 
bie faufmännifche XageSarbeit abfpielt, eine untergeorbnete Klaffe, ba£ 
Sabenperfonal au einer a3eraßgemeinerung be§ faufmännifdjen SKefenä 
mi&braudfjt toerbe, toofür fidf> ber eigentliche Kaufmann beftenS bebanfen 
toerbe, fo ift Pielerlei gu ertoibern. SBie toenig aud) ba§ Sabenperfonal 
mit feinem fubalternen @efid)t3frei£, feinem Kommen unb ©eben auS 
einem @efd)äft in£ anbere in grokfaufmännifdjen ©eficht&punften mit in 
83etrad)t au aieben fei, fo ift bodj bie 3af)l biefer ßeute au grofe, um nicht 
mitaufpredjen. SWuftern forir nur bie Saljl be3 8abenperfonal§ e.ineä 
einaigen größeren 3iöötrengefdöäfte§ nebft gilialen ber ©rofeftabt! So« 
bann ttrirb bodj faum ber ©t)ef eines größeren $aufe§, Pielleicht mit 9ln£» 
nähme ber befdjränften 3^1 Söhne ebenfo bebeutenber SSäter, ohne bie 
SSorftabien unb bie SlnfdjauungSmelt jener nieberen Steltungen au feiner 
©ro&faufmannäftellung aufgestiegen fein. Unb enblidj, toenn ttrir bie 
©rtoerbSfteKung jener gegen gfcum arbeitenben Pon benen mit @ett)inn= 
anteil abgrenaten, fjier aber beibe Abteilungen %ut Ableitung ber Kon- 
fequenaen Pereint ^erbeiaie^en, fo genügt, , toieber barauf %u Pertoeifeu, 
bafe aHerbing§ bie 5£age§arbeit be3 oberen SeiterS, Disponenten, GbefS 
Pon ber feiner nieberen Angeftellten ftarf abtoeid^t, bie AuSfdjliefjlichfeit 
be§ ©efchäftSintereffeS bei erfterem eher ftärfer al§ bei ben teueren ift; 
ja, bafc fie bie Sorge für bie raftloS arbeitenbe faufmännifdje Arbeits* 
mafdjine in ihren Köpfen erft red^t au§ bem Kontor in bie $ßrit>aträume, 
bieHeid^t bi§ in ben ftitten Sraum mit hinüber nehmen. 

Unb ba fönnen tvxv für beibe Kategorien nur fragen: toa§ bleibt 
bei foldjer ArbeitMeiftung für alle anberen ^ntereffen be§ öffentlid&en 
unb pribaten Sebent übrig? Unb tote toenig barf ber ettblid^en Sftuljepaufe 

9lorb unb €flb. CXX. 560. 24 



540 



Dr. German ^ranf in Breslau. 



be§ heutigen £age£ gegönnt toerben, um bie Gräfte fiiu bie morgige 
gleite 3lrbeit§Ieiftung nidf)t fdjmälern, ja bireft lafjm 5U legen? 63 
toirb nidjt 31t Jjart geurteilt fein, bielmefjr gana natürlich bünfen, baft 
bie $aft mit in§ ^Sribatleben folgt. ©3 ift am fpäten Slbenb nicht bicL 
Seit mehr, barum ift eile nötig. Unb liefen toir barauf f)\\\, ba& ber 
faufmänniidje 33eruf, toeil t>on bornherein unb burchaus bem ©etoinn 
getoeifjt, mit Sluffpeidjerung bierau unnötiger jum 33eifpiel äftX>etifd)€r 
ober aßgemein tbeoretifdjer Sienntniffe feine 3eit verliert, fo toerben toir 
gern augeben, baft bie nad)träglid)e 9lu£füflung ber Süden, toenn fie bom 
Subjeft toirflich empfunben toürben, eine faft übermenschliche Sraft er« 
forbert. £>at aber einer toirflich biefe Energie, nun fo toirb er nad) 
inbibibueü Sachlichem, nicht nach bloftem ©elbertoerb in irgenb meinem 
Slrtifel langen, alfo ein fdilecbter &aufm<mn fein. 

3tun prüfen toir bas abenblidje ireiben ber faufmännifchen 3&elt, ber 
©roftftabt, ber #anbel§ftabt unter biefem ©efidjtäpunft. (££ mufe ja mate- 
riell unb uniiftbetifd) toerben, ein fliid)tige* Sagen nach ben aflernieberften 
©enüjfen; unb Ieiber nad) ben getoobnten ©runbfäfcen, bem (£rebo be£ 
#anbel§: toie fchaffe id) mir ben beften ©enufe für ba§ biHigfte ©elb. 
ffiie Sache ift nun nicht rein fo, bafe bie ©enüffe ba finb, bie äfthetifdjen 
tote bie unäftbetifdjen unb ber einaelne bie 3lu£toahl fyat, 0 nein, aud) 
hier regelt fid) ba§ ©anae nad) bem 33erhältni§ bon Angebot au 9iadj* 
frage. Unb too biel nach nieberen ©enüffen gefragt toirb, bort iammeln 
unb fiebeln fid) aud) bie Hefter für bergleid>en an. 3)ie üppige, reich ge* 
toorbene #anbel§ftabt ^at feit ben 5Cagen 93abel§ ein gana beftimmteS 
©epräge behalten. SKit 93ebauern ' ober mit ©chmunaeln gana gleich* 
gültig tote? — aber fritificren unb ba§ Seere angeben toirb ber Sauf« 
manu gana Qetoife! 3Us ob es unter il)nen feine Sntelligena, fein $?e* 
bürfni§ nad) Ölfthetif gäbe? Natürlich mifet fid) ber junge toie ber alte 
Kaufmann an ben übrigen Greifen: er-ftefit ben berühmten ©elebrten, 
ben beneibeten ffünftler, ben bodötefpeftterten £errn ©ffiater, bie ftubte* 
renbe §ugenb, ben geachteten Beamten, ben leichtlebigen Sportämaun, 
unb er ärgert fidj über feine 2Rinbereinfchäfcung al§ Kaufmann! 93iet* 
leicht berführt ihn feine ©etoanbtheit Öntercffen au heudjeln, bie er nid&t 
bat! Unb 3teid)tum ertoirbt ihm Stnfprudj auf§ 3D?itgeniefcen : er gebt 
in§ teuerfte SReftaurant, in ba§ feinfte SBoEiItätigfeitS-ßonaert, in bie 
beften Opern, in bie I)öd)ft beaaljlteften Sogen, er fä^rt aum Kennen, 
gefit in bie i¥unftau§fteüung, labet ftd& einen berübmten 5Kann in feine 
©oireen ein — er fann fid>'§ Ieiften! Slber baö ^era ift ni^t immer 
babet! 2)a§ aSerftänbniS aud) nid&t, er mufe ettoo§ fteudjeln, eS glürft 
nid^t immer — e§ fommen Säd&erlid^feiten I)erau§ — man gibt fid) 93Iö&en 
— fura/ toir finb hier bei ber ttjpifd^en fomifd&en Sfigur be§ geabelten 
.^ommeraienrate§ angefomtnen. 

2)er etgentümlid&e, bom 93eruf begünftigte @inn für ba§ 3WateriefIe, 



Perfpcfttoen fc. neH3eitüd}?n JDeltt^anbels in ettyfdjer Beletidftang. 3*k{ 

berbunben mit einer (meift) fifeenben £eben§meife, langem Aufenthalt 
in ben ©efcfjäftäräumen, bie getDö^nüdö im gentrum ber ©tabt, be* 
fonberS ©rofeftabt, bem ©efdfjäftäbiertel, in ber btcfften Suft liegen — 
bie§ afle§ erflärt ben änderen £t)tm§: eine 9?eigung sunt geti be£ ßeibeä 
unb ber (Seele, be§ rüdffic^t^Iofen gefchäftlicfjen @goi£mu§. 

63 märe inbe§ ungerecht unb mürbe berbientem Zabel begegnen, 
3u leugnen, bafe ber gütige ©rofjfaufmann in ben 3frfeln anberer 
SerufSffchären bie mandjmol an§ $omifche ftreifenbe gigur bon früher 
§u fein nicht aufgehört ftätte. (£§ fytefee bie SWacht be§ ©elbe§ berfennen, 
menn man noch bon ber mitleibigen £erablaffung träumen moftte, melche 
früher bie fcribilegierten ©tänbe unb Berufe bem Kaufmann gegenüber 
5ur (Schau trugen. 2)iefe 3eiten finb borüber. ©benfo märe beibe§ fdjief, 
entmeber ßu fagen: bie Seitridjtung fei Jefct materiell genug, um burdj 
Sfteicfjtum allein bie flluft bon ehebem jefct al§ ausgeglichen 311 erachten; 
ober audj: ber Kaufmann bon beute habe — au3 feinem Milien heraus 
— fein 23iltomg£nibeau fo gefteigert; ober: ba$ 93ilbung£nibeau ber 
erfteren ßategorie fei fo gefunfen, bafe man fidj heute in ber SDJitte träfe. 
Cf>ne birefte 93eif)ülfe irgenb ftatiftifdjer ®aten finb berartige Urteile 
immer anfechtbar. Wxt gleicher ©infehränfung unb SSorfidjt fönnte man 
auch biejenigen mofanten Seute gum SBort berftatten unb menigftenS an- 
hören, melche fagen: nachbem e§ immer häufiger borfomme, bafc bor- 
nehme Herren, au§ (Stauben unb 93erhältniffen, mo tergleidjen früher 
nie in grage gefommen märe, ihre zerrütteten ginan^en burefj ©elbheiraten 
in ginanaf reife anfbeffern, fo fei ber 93cmei§ geliefert, baft jene 
Herren gut faufmännifdE) gelernt haben, alfo au§ eigenem ©nifchlufe btefen 
£anbel tretbenben (Stänben näher gerüdtt feien. SttHein mir gehen ber* 
mutlidj richtiger, au fagen, bie heutigen SSerhältniffe in einer fortfd&rei* 
tenben Serfefcung ber früheren, rechtlich längft befeitigten ©tänbe hätten 
burcfjmeg ein fdjärfereS @rmerb3< unb Äonfurrensleben aufäumeifen; 
mir äffe feien mehr ober meniger aur faufmännifcfjen Siegelung unfereS 
mirtfcfjaftlichen Sebent geamungen; iebe SBermögenSbermalhmg, iebeS 
$Iacement eigener ßabitalien, jebe bormunbfehaftliche SBermaltung, bie 
im früheren fdjmerfäHigen Srebitfoftem nach bem Stat eines (SadEjber» 
ftänbigen auf %cif)xe feftgelegt mürbe, fei heute in einem 3uftanbe ber 
Semeglichfeit, bie einer fortmährenben faufmännifchen Übermachung be- 
bürfe. Sludö ba3 #anbmerf, auch ber lanbmirtfctjaftliche betrieb fei heute 
ohne Faufmännifcfje Crganifation nicht mehr ermerb§fäf)tg. !ga ba3 
ganae riefige ©ebiet ber Snbuftrie unb be§ gabrifmefenS fei heute burefj« 
meg rein faufmännifch. Tafe ein rein technifcher Sßrobuaent feine Sßro- 
bnfte unb gabrifate einfach in bie $änbc be$ ©roffiften lege, fei nicht 
mehr fo fcfjematifch aufführen al§ früher. 

Sft nun (Staat unb Staat3teitung fein rions ex maehina mehr, 
ber am grünen £ifdi Steuern befretiert, Ärieg unb grieben macht 93ünb- 

24* 



3^2 Dr. German jranf in Breslau. 

riffe fcfjlie&t unb auflöft, fonbern eine lebenbige 3wfommenfQffung ber 
Vorljanbenen Gräfte, fo toäre ja tounberbar, toenn ntd^t aud) bctfjin bie 
SHeuaeit i&re SBirfungen äu&erte. £a§ (Softem ber #anbeBverträge, 
bei beren Slbfdjlufe fic^ bie (Staaten mefyr unb mef)r gana ttrie Kaufleute 
au Verhalten Ijaben, ttrirb bafier au3 ben ^änben gelehrter Sänften bem 
S3eirat tedfjnifdjer, alfo faufmännifdjer, $ntereffenten ober Sntereffenten» 
gruben anvertraut unb faufmännifdje SKtnifter finb fjeute gana im 
SPIafee. ©röfrere faufmännifdie ^ntereffentengruppen treten aßmäfjlidj 
an bie ©teile ber volitifrfjen ^arteten, unb ber STuSgleidö agrarifdjer mit 
inbuftrieüen Sntereffen im Snnern ber europaifdjen Staaten gleicht einer 
faufmännifdfyen Operation, unb toieberum bie [o geeinten (formell 
menigftenS, ba§ Reifet mit Unterbrüdung be§ minber getoanbten ieiB) 
Sntereffen Vertreten bie (Staaten natfj au&en, unb ber SluSgleid) ber fo 
geeinten !gntereffengruppen ber einaelnen (Staaten läfet biefe aB fauf- 
männifdje (Sebilbe beim 2lbfdE)Iu& ber £anbeBverträge erfdjeinen. §ft fein 
internationaler 2Tu§gIeidj au eraielen, toie einen nationalen, b. i. inner- 
ftaatlidjen bie einaelne (StaaBIeitung fdjliefelid) mittels ber gejefemä&igen 
gaftoren feftfteflen fann, fo tritt im internationalen 23erfeljr, too e£ boef) 
an einer nod) fjöfjeren Snftana fel)It, ber 3onfrieg ober aber ber Konflif t 
burd) SIBaffen ein. 

S)ie KriegSerflärung erfolgt freiließ burdj bie <Staat§Ieitung. SM 
aber bei ben enormen Soften be£ mobernen Krieges bie fiSfalifcije 3)i£- 
pofitton über ben (Steuerfätfcl uidjt rne^r auSreidjt, fo ift bie SBorbc* 
bingung eines Krieges baS 3uftanbefommen eines #anbelSgefdjäfte§ 
mit ber internationalen haute finance. (5S ift alfo im ©egenfafc %um 
3eitalter ber KabinettSfriege, fogar ber foaufagen verfaffungSmäfcigen 
Kriege in fonftitutioneüen Staaten l)eute fdjon benfbar, böfe ernftlidje 
friegerifdje ©elüfte eines (Staate vorn ableljnenben 93ert)aften ^er inter 
nationalen $od)finana im 3öum gehalten lucrben. Umgefeftrt bietet ber 
fubanifd&e Krieg baS 33eifpie[ eines hinter ben Kuliffen von einer fauf* 
männifdjen ^nterefientengruppe organifierten Krieges ; ein gleidjeS ttrirb 
bem 83urenfriege nadjgefagt. 

SDie fünftigen Kriege, toie %u oermuten ift merben unter bem @e» 
ftdEjtSpunft einer Kapitalanlage fteften. Sft ber au ertoartenbe 3utt>adj§ 
an SBrobuftionSgebieten ober Stbfafemärften für bie Silana günftig, fo 
toirb baS ©rofefapital ofjne (Sfrupel einige 3Kenfd)enf)efatomben (eine 
9?eubilbung tote etma 3Bitfiatombe toärc nötig) barbringen, um fid) Kapi* 
tal unb 3in§ ber Kriegsanleihe Inieber an fiolen. 

SDie SBudfit ber fortfrfjreitenben fjiftorifdöen (Sntttridelung ber SBelt* 
gefd)id)te ift 511 grofe, um einer etl)ifd)en SSürbigung ber (Sadje Siaum 
au laffen. GS ift alfo ein reines unb unfrfiäblidjeS Privatvergnügen, 
tuenn ber einaelne Von feinem gtanbpunft au§ fief) feine SWitmelt, feinen 
^eimatftaat auf ba§ Überwiegen ber fauf männifdjen §ntereffen f)in an* 



Perfpefttoctt i>. neujcitltctym Welttymbels in cttyfcfyer Beleuchtung. 3^3 

fie^t unb fid) babei bie grage borlegt, ob er ba£ mit feinen Neigungen 
unb Sßribatintereffen iibcreinftimmenb finbet ober nid)t. 

3mmerf)in finb wir fonttnentalen ©uropäer in ber Sage, ben Scbleier 
ber Sufunft ettoaS gu lüften, Wenn Wir bie Vermutung auSfpredEjen, bafe 
in erfter ßinie ©nglanb unb in Ijötjerem ©rabe SKorbamerifa bereits 
einige ©tobten burdjlaufen f>at, bie un3 fo ober äfjnlidE) ebenfalls bebor* 
ftefyen. Sßte baS unleugbare Überwiegen beS ;gnbuftrialiSmuS in ©ng* 
Ianb bie agrarif<$en S'ntereffen tot gemadjt bat, unb Wie eine fo ftarle 
^Betonung faufmännifd)er Öntereffen, gleidjfam eine faufmännifdje 
Schulung ber (Staatsbürger auf bie Crganifation beS SdjuImefenS, auf 
ben ^raftifd^en Sinn, auf bie gange Siicfjtung ber Sßolitif Wirft, barin f)at 
ja baS gange fontinentale Europa wäf)renb beS 93urenfriegeS eine feltenc 
©inmütigfeit beS ©mpfinbenS unb ber Shritif gegeigt. SDafe bie befdjämen* 
ben ©£ifaben biefeS SölbnerfriegeS eine Snberung beS 38eI)rft)ftemS nad) 
fontinentalem SKufter in ©nglanb nidjt f>erborgebrad)t haben, baS ift ein 
hodjbebeutenbeS Stjmptom ber 3ufunft. SDie faufmännifd}e 33ilang hat 
offenbar audj jefct nod) bte Soften eines ftebenben SBolfSfjeereS in 
SSaffen ungünftiger befunben. Sftorbamerifa ftefjt auf gleidfjem 
©tanbpunft. 9hm finb beibe Staatengebilbe aber Snfeln, 
toenigftenS fpnn aud) Sftorbamerifa militärifdj für Europa als grofee 
Snfel gelten. SftbeS lohnt fidj, bie grage aufguwerfen, ob nidjt bte 
politifdjen unb 3?affen=@egenfäfce SßorbamcrifaS, bie einft gu einem regel= 
redeten erbitterten Ärtege führten, ebenfo grofe finb, als bte ber euro= 
Jxüfdjen Staaten? Sßeldje @emeinfd)aft bat ein finnifdjer ©inwan« 
berer in StrfanfaS ober am Stodi) SKountain mit einem eingewanberten 
freutfdjen Kaufmann in Sftew ?)orf unb beibe mit einem Areolen ober 
einem Sßflanger in Souiftana? — 2Bir bebürfen feiner djimärifchen SSor= 
fteHungen, fonbern Wollen uns gang bebutfam gunädrft nur benfen, bafe 
im SCnfdölufe an ben immer gunebmenben SSerfefjr, gmn 93etfpiel im Sin* 
fdf)Iu& an ben $oftberein, eine euroj)äifd)e 93riefmarfe ober eine mobt= 
figierte eurofeäifdje granfenwäbrung eingeführt Würbe, ober ba& ftatt 
©ifenbabnbiffettS auf benannte ©treden SHIometergablen für 23eförberung 
auf europäifdjen Sd)ienenftrerfen gefauft Werben fönnten. SBeitere ©nt* 
wicfelung ber Vertretung gemeinfamer §ntereffen, unbefdjabet aller fon- 
ftigen Shttonomie ber eingelnen europäifd&en Staaten, Iäfet fidj auS ber 
SEfjeorie natürlich nicht geben. ©S ift baber bieHeicbt nur eine Spielerei, 
bte gegenwärtigen SKilitärbubgetS ber fontinentalen Staaten gu abbieren 
unb annäbernb feftguftetten, Wie biet Sdjiffe nach Sinologie ber amerifa* 
nifeben glotte bon ben „SBeretnigten SBefteuropaifd^en ©taaten" bafür 
aufgefteHt werben fönnten. 

SBergeffen wir nur nid^t: baS dargebotene bebeutet nid&t SSorfd^Iäge 
gu einer balbigen SReugeftaltung europäifd&er SBer^ältniffe, nodj fanne- 
giefeerifd&e SBinfe begügltd) beffen, waS bie europäifd&en Staaten gu tun 



344 Dt. German ^ranf tu Breslau. 

hätten, fonöeiu ftfjränft fid) ein auf einen lebiglid) priöatim borge- 
nommenen logifdjen Slnalogienfdtfufe. ©eine $rämiffen ftnb bie äBaljr« 
ne^mung, bie man teilen mag ober nidjt, bafe fidö in ©uro^a faesiett bie 
23ebeutung be§ £anbel§ unb bie Stellung be§ Kaufmanns gegen früher 
tuefentltdf) berfdjoben Ijat; bafc bie Vertretung faufmännifdjer Sntereflen 
eine 23orbcrgrunb§aufgabe ber StaaiSIeitung geworben ift, unb bafe @ng* 
Ianb unb Sftorbamerifa möglid^rtoeife für un§ barin Dorbilblicf) ift. 

©ine etljifdje äBürbigung biefer Veränberung ber SSer^altniffc muß 
fid) baljer auf ben gleichen ©tanb^unft ber blofeen $ribatmeinung ftetten. 
SmmerJ)in toirb ber ©tnaelne nid)t umf)in fönnen, bie Unraft unb 2lu§= 
fdjlie&licfifeit ber faufmannifd>en SMtanfdjauung bei fidj su ertoägen unb 
fid) eine nod) toeitere SluSbefmung, intenfib ftne e^tenfib, auSaumalen. 
SBietteidjt fann ernfte ^flidjterfüHung unb raftlofer @ifer, gleichgültig 
auf toeldjem @ebiet er fid) aeige, über ba£ Unbehagen £>tmucQfyeIfen r tooau 
ja gu allen Seiten ^iftorifdjer ©nttuicfelung e£ niemals an Veranlagung 
gefehlt Ijat. 



Siegerin 



Homan 
von 

Ptte Jtretmtty. 

— 33erlm»II>Umersi>orf. — 
(S$tu&.) 

Bj^9 SeKa ftra&Ite, al* fie in ihrem Jöette lag: ber fommenbe £ag be 
Bflal^ herrfcljte fie frfjon. 35er blaue See unb am Ufer, in einer jener 
rebenumranfteu Sauben, inmitten ber rötKcf) Gefärbten S3lattgeminbe Reiften 
fie beibe. Unb auf ba£ tueifte £afeltuch ftratte ber 3Binb lofe 23lätter, 
bie burchfichtig U)ie Stubtne — ihre 9tebling§ftcine — fchimmerien, trenn 
fie fie aufnahm unb gegen ba$ (Sonnenlicht Welt. Siel feiner geäberr, 
biet fchöüer geformt al§ ihre Iiebftcn ©efrfimeibe. 3)ie bunf[en Ser^e 
würben mett briibeu liegen, unb f)ier neben if)r einer, ber fiel) mit feinen 
großen feftmarjen 9tugen nicht fatt an ihr fah. Sparen feine 9fugen nicht 
eigentlich 311 groß? . . . (Sie wollte ihr fur^eS meifseä glanettfleib an= 
jiehen unb bie 9Kü^e baju auffegen. — £)ber fal) fie in bem Roftüm 
jungenhaft au§? . . 2)er breite Qut machte ihren ftopf entfehieben au grofe 
fie E>atte e3 neulich Dorm Spiegel probiert. - - -Mäbchenhafter erfchien 
fie freilich in $ut unb (Schleier . . . SBaä er mohl fchöner an ihr fanb, 
ba§ SWäbchcn* ober ba§ jungenhafte V Slbmerfjfelung ift für SJfänner bie 
Jpauptfadje — 9ftan mufe fie immer Überraichen. 9iarf) ber SRüdffeljr 
U)ürbe fie eine recht frauliche Xoifette anlegen — (Sie bachte, ba eS abenbv 
fchon fühl ttmrbe, an ein pfirfid)farbene£ Sammeifleib, auf ba£ fie fiel) 
fdjon lange gefreut hotte. 63 mar gan3 apart in (Schnitt unb 9(rt. - 
2tber fie hatte ja noch 3eü, öa§ 31t überlegen; jefet moftte fie fiir^ erfte 
recht gut fdjlafen. jh* Steint brauchte mel (Schlaf; §etiX) ©reen fagte 
oft: ba§ ganje ©eheimniä, fcfjön $u bleiben, beftehe nur in ungeftörter 
9iacf)truhe. 



3^6 



mite Kremnttj in Berlin. 



$enri ging unterbeS rut)eIo§ burd) bic ©trafeen. §n feinem engen 
.^otelätmmer bätte er e§ nidjt au§gef)alteu. S3a3 mar tfjm nur gefd)etyen ? 
Öag Ujm etma eine fdjmerc ®ranfbcit in beti ©fiebern ? Qfljm mar fiebe= 
fjetfe, unb bod) fröfieltc ibn, als riefele burd) ba£ SWarf ber $nod)en etmai 
ftalted. ©eine Äniee sitterten, unb er mar rote febmerbörig. !Kid)t ein* 
mal benfen fonnte erfand) nid)t füllen, ob er frol) ober unfrob mar. 

©3 lag ihm etmas? auf ber ©ruft, roa» er nid)t tragen fonnte; er 

raupte aber nidjt, ma§. SBar c§ etma ,§etta? Ver3anbert," fiel 

ibm ein, „ba§ Reifet: Der3aubert, bebert!" — SBte fjettte ibm, einem Der- 
nünftigen, gefegten SRenfdjen ba* gefdjeben fönneu? 

6r irrte meiter, ad)tlo§ mar er burd) bie freiuben Straßen gegangen 
— Dieffctd)t im greife — er tmtfete nid)t au£ nod) ein. ^efct fanb er 
md)t auritrf. Valb red)t§, balb linf» eilte er, bann fd&nctl ein ©tikf 
gerabeauS; ein junget Sffleib l)iug fid) plökftd) an feinen 2frm. — ©r prallte 
äurüd unb lief mie ein Verfolgter bis 311 einer ©trafeenede, mo ein 
9Wietsruagen ftanb. Dem Dcrfdjlafcnen ^utfdjer rief er ben 9?amcn feine* 
.#otel3 311. (£s mar fdjon brei Uljr, al§ er bort eintraf. 

Der näd)fte HWorgcn mar founig unb frtfd); ba§ ©djiff nid)t fefyr 
Doli, unb ^etta fafe mit ibrem „Steffen" abfett3 Don ben anbern Sieifenben. 

„©eben Sie, $enri" — fie nannte if)n gans ungeniert beim Vor 
namen, er aber tjatte nod) feine 3fnrebe für fie gefunben — „©eben @ie f 
in Dielen Dingen mar tef) attffug unb frühreif — id) 30g mir eine 
anmenbung au§ allem, ma§ um mid) ber gefdjal), felbft au§ ben bümmften 
ilinbcrbüdjcrn. ^mmer fal) id) flar, mie törtdjt bie 3ftenfd)en Banteln, 
bie il)re Vorteile nidjt ausbeuten. S$ mollte es beffer mad)en! 33ou 
«ein auf mufste id), bau id) febr reid) unb febr bübfcf) mar" — 

,,©d)ön," unterbrad) er fie. 

„Victleid)t fdjön! ^ebenfalls befd)Iofs id), mid) biejer Vorteile 31t 
bebienen unb immer nur bas 31t tun, mas mir gefiele. Söenu man fo 
reid) ift, braucht man ftd) um niemanb 31t fdjeren. babe täglidi 

meljr al§ amcitmifenb ^vmü einnähme; für ©uropa ift ba$ Diel — üt 
Hmerifa finb bic Vermögen ja Diel gröfjer. Skr fo Diel bat, bem mirb 
alles nad)gefcbcn. — G* folüe uid)t'fo fein, aber bic SWenfdjen finb 
gemein — id) bnrf mir fo 3icmlid) allc§ erlauben" . . . 

„?fber ber (#oit in ber eigenen Vruft," marf er ein, „erlaubt ber 
$bnen and) fo aientlid) alle§?" 

Gr febaute nid)t auf ibre ftrablenbe ©djönbeit, fonbern in bie tief- 
bunflcn SBoflcn, in benen fidi ibr fonnige§ Vilb, ba fie über bie Vrüftung 
gelebnt faf], miberfpiegeltc. 

Sßenn er ibr and) gefpanut laujdjte, er Derftanb fie ntcf)t gan3; e§ 
glitzerte, C5< flimmerte, c& Derlor fid) etma§, mie in ben büfteren fteim- 
tüdifd)cn Safferu, bie fo Diele Sebeu Dcrfd)Iungcu. 

„Ter C^ott in ber eigenen Vrnft ift bei mir ein Iad)enber, apprau* 



Siegerin gett. 



bierenber — faft ein wenig bem SKarsife öerroanbt!" Sie ttmnberte fich 
ielbfo roie gefdjeit fie ihm parierte imb tüte ftübfd^ fie i^re SBorte 511 
fefcen mufcte. Sfnt ©efprädf) mit ihm öffneten fid) in ihr felbft neue 
<6oriaont6 — ba§ mar fcfiön unb tat ihr roo^I. 
„Sßarätfe toar fein ©ott!"j 

„2tber id) roitl audj nidjt§ anberS fein al§ ein glücfftcher äSenfd)/' 
— @r tooffte fie unterbrechen, fie liefe ihn nicht, „geh ttrill meine Öugeub 
recht auäfoften — babei ift fie fchon balb öorbei! SBenn man fdjon t>er= 
heiratet ift! (So ganj jung tft man bodj nur bi§ atnanäig! Unb toa» 
nufct mir all mein (Selb, tuenn i<f> alt bin? 93ei SKännern ift ba§ ettoaS 
anbereS, bie werben erft roa3 mit ben fahren. £?unge SKänner, mit einiger 
2fa§nahnte bon Shnen, roaren mir immer nnanSftehlich. Sein feernünf* 
tig SBort läfet fid) mit ihnen reben — alberne SBifee ober noch albernere 
Schmeicheleien! tlnb roenn fie unter fid) finb, fo höre ich, — hoffentlich 
ift e§ unter Shreu greunben nicht auch 93raudj? — fotten fie lauter 
SBeibergefchichten fid) erzählen. Da§ mad)t mir bie SDtänner fo beräd)t» 
Iid)." — 

,,5?d) habe faft feine gleichaltrigen greunbe — unb mit brechen 
immer nur gad) ..." meinte er auSmeidjenb. 

„2Bie frf)ön," fuhr fie fort, „bafe Sie nicht biele greunbe hoben, nun 
merbe ich Sönen einer fein! ßädieln Sie nicht — ich bin fehr treu — 
feit ber (Sdjulaeit höbe ich bicfelbc einige greunbin. — Übrigens " — 
fie fah ihn fdjolfhoft an, e§ fchien ihr etma§ etnäufatten — „$etty ift 
fehr flug, arme SWäbchen muffen auch flug fein — bie märe bieffeicht 
eine grau für (Sie . . . Stuf 3 ©elb brauchen (Sie ja nicht 5U fehen" . . . 

(Sie fchmieg, beun er hotte ben 93Itd tum ben SBogen gehoben unb 
auf fie geheftet — einen SSIicf, bei bem ihr 3ttem ftoefte . . . (Sie mürbe 
bunfelrot . . . 3Ba3 hotte fie benn gefagt? (Solch ein fdjmeralicher SSor- 
murf lag in biefem 93Iidfe. (Sie ahnte mof)I, ma§ er bebeutetc . . . . 
Stber ba§ mar mehr, als fie gemottt . . . ©efaffen hatte fie ihm motten, 
flirten ift ja erlaubt, aber nur fein ©ruft, nur feine #eraen brechen. 
SBohl tat e§ ihr bennoch, unb ihrem -Manne mar e§ eigentlich gona 
recht — ma§ hotte er fortaureifen gehabt — atte S£atfadjen hoben ihre 
Sogif, ihre SBirfungeu. Xafür fonnte fie nicht. — 

„$ettg," fitl)r fie barum nad) einer Keinen Sßaufe fort, oB hätte 
fie nichts 33efonbere§ bemerft, „ift 3mar eine 2tu§Iänberin — ich h^tte 
e§ mir freiüch fdjon ausgemalt ~ . fie ftotterte ctmaS, benn er fah 
fie mieber fo brennenb an . . . „93ei längerer Überlegung märe c§ Shnen 
U)ohI bod) nid)t anzuraten" — Sht mar, al§ höbe fie fid) ohne (Sdjmimm« 
gürtd au meit tn§ offene 9J?eer gemagt — fie nutzte jefct burdjauS 
mieber feften SBoben faffen . . . „Strrangicrtc @hen fchlogen nie gut au3. 
Sie muffen e§ lieber fo madjen mie id): fid) felbft eine ansuchen — 
ba§ tft bann gemife bie SRcdjte!" — 



3^8 



Itlitc Kremnitj in Berlin. 



@r f)örte fdjon lange nic^t mehr, ma£ fie jagte, er ftarrte mieber in 
ben tiefen See. äßurbe ihm etma§ flarV Ober fcerlor er jefet gana bic 
aJefinnung? 63 mar ja Sa§far £oleabu§ grau, bie neben if)in faß. 

XXII. 

^n £>nd)t) ftiegen fie ans ßanb. 2)ort mar telegrapbifd) ein ÜRit» 
tageffen beftedt. £etla hatte einen if)rer 2)iener, ber fid) bei Sinkflügen 
immer febr bewährt hatte, mitgenommen, nnb fo fafeeu fie beibe, obgleich 
ber ©arten öolter (Säfte mar, an ber fünften, gefdjüfcteften Stelle im freien. 

„£), toie febön!" fagte fie einmal über ba3 anbere. Sie mar bott- 
fommen glüdlid). Sie mußte, baft §enri fie namenlos bemunberte; nod) 
nie hatte fie eine fo ftarfe Süirfung ihrer $erfönlid)feir gefpürt, unb e§ er- 
wärmte fie bi£ inö tieffte #ei'3. 2fffo fo etma£ gab es nod), obgleich fie 
verheiratet mar. 6in (Stola, ben fie fid) gar nid)t erflären fonnte, burd)* 
glühte fie. 

@r fagte lange nichts. $luf feinem SJemußtieiu lag mie ein Trucf 
bie $flid)t, ihr mitteilen, marum er bie Steife unternommen hatte. 
2tugenfd)einlid) hatte SaSfar ihr bisher feine 2tnbeuiung bon beut Vor- 
gefallenen geinadjt. 63 mar leidjt 31t Derfteben, roarmu nid)t: §br Sein 
mar auf Sicht unb greube geftimmt. llub marum foltte eigentlid) er tun, 
ma£ ber ©atte nid)t gemagtV 

$n feiner Stoift nmijlte unb lobte ein uubeftimmtes ©efübl, als 
mitffe e£ fdjöu fein, ihr meb 3u tun, af£ gäbe c3 für il)tt nur bie eine 
Befreiung auf förben: ba er fie nicht glütflidj machen fonnte, — ihr 
23of)l unb SBebe hing bon einem anbern ab, — fie unglütflid) 511 feben. 
SJar er einer fo fdjurfifeben ©cfinnung mirflid) fähig? Stein! Ginen 
fo eigen* unb rad)füd)tigcn ©ebanfen burfte er uidjt auffommen laffen. 
6r fpielte ja aud) nur mit ber SSorftellung, i£»r ben Sold) ins £er3 31* 
ftofeen, um iljr rote£ S3lut fprit?en 51t febeu. 3erftörer eines? fo bolben 
@ebilbe£ 3U merben — mic erufefclid)! Er mar ein gemeiner ßrben- 
fobn — maS ibn bemegte, mar beißet 23egef)ren; nrie febäublid) Don ihm, 
ibr Vertrauen fo gu mißbraudjeu. %n unfdmlbiger sjittunfidjfeit legte fie 
eben bie #anb auf feinen Sinn, um il)n auf bie gärbung beS £erbftlaub£ 
aufmerffam 31t machen. HtteS an ibr mar rein, unb er bejubelte fie 
burd) feine ©ebanfen unb SBiinfdje. 9iur bie glucbt fonnte belfen. Qv 
mußte fort. 2>aß er nidjt lauge bleiben fonnte, mußte fie bereits, er 
brauchte ibr nidns $n fageu. Wl'xt bem 3iad)t3ug nad) Ssarigrab ab' 
fahren, ginige Siuuben ©liitf blieben ihm noch; menn er nur imftanbe 
märe, fie 31t genießen unb aus^ufoften. 

Sie fbrad) gerabe: „SBenn Sie mein Stoiber mären, fönnien mir 
lange Sieifen sufammen madicn. (£3 ift aUe§ 3U unnatürlid) in ber SSelt." 

„Pflichten, bie mich binben, hätte icfi auch al§ Sbt 83ruber," ent- 
gegnete er halb in feinen ©ebanfen. Sie ahnte gar nicht, ma§ fie fagte. 



Siegerin geit. 



„Pflichten!" fiel fie lebhaft ein. „2)a3 ift auch ein beliebtet 33or* 
urteil. Sie fogenannten Pflichten ber meiften finb pure Selbftgefälligfeit 
ober @goi§mu§. bertrage e§ nicht, roenn bie ßeute ; fo unaufrichtig 
finb unb nidjt eingegeben, bafe fie nur ba§ tun, ma§ tbnen gefaßt — 
genau fo toie td)!" 

@§ mar ein Stbemo, ba3 «©efta, tute fie au^einanberfefete, gern unb 
oft mit äftife ©reen befprochen hatte. 2>ie beiben SWäbcfjen tuaren ftd) 
überaus roafjrfiaftig unb gefdjeit babei öorgeEommen. 

Jpenri mar einen 2tugenblicf fo überrafebt, bafe er ntd)t£ su fagen 
nntfcte. ©täubte fie ba§ toirflid) ober fdjerate fie nur? kannte ihre 
Sebenäauffaffuug ntd)t jene öfteren Maturen, bei benen bie „3J?enfd)en" 
eigentlich erft anfangen? (5r fab fie fo Derblüfft an, baft fic faut lachte, 
mar nur ein Scberä?" fragte er unfidjer. 

/r @en)i|3 rtid)t! Sehen (Sie nur näher 31t! 2)ie fogenannte ©üte 
ift, wie bie Pflicht, ber gröfete egotSmuS!" 

„$effa," fragte er jefct etubriuglid) unb fanb fein anberes SÖort 
aß ba§, ma3 er üortjin gebraud)t hatte, „glauben Sie benn nicht au beu 
öott in ber eigenen Sruft? . . . 2tn ba£, ma£ SKcnfcben smiugen fann, 
fidj felbft roeb 3U tun, ja, fid) 51t berniebten für einen hoben, einen 
cioigen Qvozäl' 

„Natürlich staube .td), baf$ e» ba$ gitt! 2lbcr btefe SWenfdjen ge= 
fallen fid) eben in ber s #ofe be3 Schmerzes ober S3ermd)tens — weiter 
ift e3 auch nichts !" 

Sbnt mürbe fdjmmöetig. %U ob er auf einem hoben £urme ftünbe, 
ieben $alt, jeben ^orijont Verlöre. 3m ßeeren joanfte er. Sollte ber 
Unterfdjieb sroifcbcn @ut unb 93öfe mirflid) nicht beftebeuV Sollte fie 
mit ihrer pofüitnftifdjen Strt ctwa£ begreifen, mobei feine ©cbanfeu ben 
Sienft berroeigerten'^ 

„Mein, nein," ftief] er heraus. „63 tut jebem mcb, fid) 3" über* 
uünbeu, fein Sletfd) 511 ertöten. Ohne $ampf gebt ba£ nie ab . . ." 
6r badjte eben an fid), mie fdjtoer e§ ibm rourbe, auä bem Jöannfrefö 
btefer £$rau su entfliehen. 

„2lber ber $ampf ift bann eben biefer ßeute böcbfte gtreube,". 
triumphierte fic, „mie für mid) eben $firfid)e 511 effen! Sonft brausten 
fie feinen $ampf 3U fämpfen . . . B^ang gibt e§ nicht für ben, ber 
ben S^ang nid)t anerfennt." 

„Sie benfen fid) baS Sieben 31t einfad)! Sie mollen alles? auf eine 
einzige gormet rebu^ier cn — ba§ ift botlfommen unmöglich!" 

Sie meinte: „Sie haben uid)t fo biel über baä SSarum uachgebacht 
tüie id), feitbem ich verheiratet bin. (Sigentlid) ioar mir nämlid) bie ©he 
eine grenäenlofe ©nttäufchung! ^d) hatte cö mir gana anber^ gebacht." 

gr tourbe unruhig. Sie hatte aroei ©läfer mouffierenben äöetn«» 



350 



IHite Kremnttj in Berlin. 



htmmtergegojien — öattc er ihr nicht bie B^gc au febr gelöft? ©in 
Schiff legte gerabe an, unb er festen eifrig befdjäftigt, au beobachten, 
mie btele ßeute ein- unb anstiegen. äßaS mürbe fie ihm noch otte§ 
tagen? 2BaS fotlte er hören? 

„SBir SWäbchen »erben falfdf) erlogen! Sntmer roirb e§ un§ — 
offenfunbig ober berftedEt — fo bargeftefft, als märe ber Inbegriff bes 
ßebenS bie Siebe ober menigftenS bie ©he! #aben mir SWäbchen nun 
etroaS Sßhantafic — unb ich öatte meldje — fo , leben unb trieben mir 
bom geinten ^cifyxQ an in ber ©rmartung be§ ©eliebten, ber ba fommen 
fott. v5ft e§ ber? $ft e£ jener? So fragen mir bei jeber StuSfahrt, 
bei jebem Bongert, jebem 93efud). Unb mir fudjen, fudjen mit ben 
SSugen. §d) feattc fdjon fo oft gefragt, bafe eS mirflidj höchfte 3eit mar, 
al§ ich SaSfar enblid) fah. SSor Ungebulb hätte ich fonft bielleicht tu 
einem Eloron meinen gelben erfannt ..." 

Sie fdjeratc augenfdjeinlidj. 63 toar 'ein Sdjera, ber ihn auf bie 
Softer fpannte. 

„Unb 51t benfen, bafe e§ nun borbei ift, bafe in meinem Sieben 
md&t§ mehr fommt, — affeS fo blöbftunig forreft Verläufen mufe — benn 
mein SWann ift unerbittlich forreft unb eiferfüthtig! SBenn er ahnte, ba& id) 
hier mit einem jungen SDiann, ohne jebe ©hrenbame, au Wittag gereift 
habe, id) meifc nicht, maS er täte!" 

$enri mürbe unruhig. „9Wit mir mürbe er mohl eine 3Cu§nafime 
machen ..." 

„Stamm mit Öhnen? galten Sic fid) für fo ungefährlich? 1 ' 
„giir gänalidj nngefährlid)." . 

Sic lachte laut: „Sie reisen mich nicht fri™ SBtberfarudj! Tixv 
liegt etmas anbercS am fersen: Sehen Sie, SaSfar hat gemifc munber- 
fchöne Jftomane erlebt — unb id), ich fott gufrieben fein mit ber Über* 
rafdfjung, bie ein t>aar £age lang Sjarigrab befdjäftigte, als ich mir 
meinen SDfann mahlte, mit einer feierlidjen Trauung, bie im ??igaro be* 
tyrodfjen mürbe, einer 311 langen forreften ©odjaeitSreife — unb meiter 
nichts! 2)a§ fann boch eigentlich feiner berlangen? ®aS ift ungerecht! 
Sch fott burd)§ Sebcn gehen, ohne etmaS au erleben, fott nur meine 
gmeitaufenb granf täglidj berfpeifen — ba§ mirb einem über ober gibt 
SWagenüberlabung." 

©§ burchaudte £cnri plöfelid): Sie hat feine Seele, fie fennt niAtS 
außer fid)! „Unbine", fagte er laut, „Unbine!" 

.,2Ba3 heifet ba§?" fragte fie. 

„Sennen Sic nicht bie Sichtung?" 

„Natürlich, aber ma§ hei&t baS hier?" 

©r fagte e§ ihr fchonenb, sagenb, meil er jeben STugenbltd cr- 
martete, fie mürbe ihm nun ihr Vertrauen entstehen. STber fie errötete 
nicht, entgegnete nichts, fonbern fann bor fidf) hin. 



Siegerin §eit. 



„@S ift etroaS SBahreS au bem, maS (Sie fageu, $enri; id) ftmre, 
maS ©ie bermiffen! Stber . . . mädjft einem fold) 2)ing, eine Seele, 
nid^t bieHeidbt nodj mit ber Seit?" 

„y$fyv $fteid)tum berhinbert baS mahrfdjeinlidj." 

„Sfdj fo, id) fott ihn inS SDleer merfen — mie eS in ber 23ibe( 
Reifet, ©a fennen Sie midj fdjledjt! S)cr ©ebanfe, bafc eS irgenb etmaS 
gibt, maS idö mir nicht faufen fönnte, mürbe midj rabiat mad&en." 

„SBenn ©ie ben äBunfd) in fid) ertöten, hat bie äBelt Shnen nid)t£ 
Sit geben ober 3U berfagen!" 

„SDaS ift mir su hod)," entgegnete fie aufbrechenb. 2)a £cttg ©reeu 
mit bem Stbenbauge eintreffen foflte, mufcte fie ftdö sur Stüdfahrt ruften. 
9Zur eins mottle fie $enri nod) fragen. <£S bauerte einen 2tugenblitf, 
ehe fie baS rid)tige SBort fanb, unb audj bann nodj ftodte fie: 

„©tauben ©ie, 5af3 idj fo meit finfen fönnte — nein, idj fann eS 
nidjt fagen . . . (Sie miffen fdjon . . . Sdj meine, glauben ©ie, baft id) 
meinen ©tols je bertteren fönnte unb in ber Sucht nadj Sehen etmaS 
tun, maS unehrenhaft joäre?" 

„©emife nicht," entgegnete er, ohne nadföubenfen. Sie machte ihn 
halb berrütft mit ihrem Vertrauen. Sßer mar er benn, bafc fie ihn jo 
smn beften haben fonntc? @o etmaS fpridht man nur mit einem SBruber 
ober einem -Kanne, ben man für einen Knaben hält. 

„3)aS ift mir eine grofje Beruhigung!" ermiberte fie. 

ßS hatte fich ein JlreiS um bie fdjöne 3fu§Iänberin gebilbet. Öwnb 
jemanb hatte verbreitet, bie Königin bon Italien fei auf einem StuSfluge 
bort anmefenb. Sie mufete eS fein, biefe beriidenb fdjöne Slonbine im 
meifteu bleibe! 2fIIeS mid) aur Seite unb grüfete. #enri fah, mie moht 
eS £etla tat, unb mie fie gleidj einer ©öttin in ftrahlenber Sdjönhett 
unb 9fnmut meit über bie fie Umgebenben bahinaufdjreiten fd)icn. 

.§af$te er fie ober liebte er fie? 

Sic 9latur hatte ihr bie rcichfte -Mitgift gegeben: fie besmang buref) 
ein einziges ßächcln. ©ottte fie ihr bafür baS ^nncrlidje farger 6e* 
meffen haben? Sftein, in foldjer §ütte mufete audj eine föniglidhe Seele 
noch machfen. Söm mar, als febe er in ihre Sufunft. @tmaS nie $Da- 
gemefcncS mufete auS ihr merben. 

©ie fing ihre merfroürbigcn Sentenacn mieber an, fomie fie au» 
ber SD?enge heraus maren. ©S mar faum glaublid), maS für heifle 
2)inge fie im ©cfpräch berührte — aber mie ein Slinb, baS mit 
©anb fbielt. 

„®a mirb einem fo biel borgerebet über bie ®unft ber @be, über 
baS Verhältnis amifdjen Wann unb grau, bodh bie fürjefte SßeiSheit 
mirb uns 3Ȋbd)en nidht gelehrt, bie habe idj audj nirgenbS gebrueft ge- 
fnnben. Sott idj fie Shnen fagen?" 

„3BaS idj mit ihr anfangen fott, ba idh fein 2Näbd)en bin, meife id) 



352 



OTitc Kremttit3 in Berlin. 



freilief) nicht, aber e£ brennt $bnen ja auf ber 3nngc, Öhre 3Bei§heit 
an ben SWann au bringen." 

Dennoch aögerte fie noch einen Jfugenblid — bic Unterhaltung 
mürbe buref) biefe ihr eigene 9lrt eines halb ®eben§, halb 3nrüdaieben§ 
frefonberS reiaPott. 

„9Wan ? foHtG bie Sftäbdjcn lehren: ber 2ttann verlangt einen 3oö 
für ade Stnnebmlicbfcitcn be§ Sebent, bie er bietet, für jebe fleinfte greube! 
ffiittft bu biefen 3oß nid^t gern unb millig äahlen, fo mitb er unange- 
nehm. %n Stonmncn mirb behauptet: biefer 3oü, biefe ©berboheit§pfIid)t 
märe ben grauen nicht läftig. ®a§ ift bie gröfete Dummheit unb 33er* 
leumbung, bie je au§gefprodjen morben ift. äßer aahtt gern Steuern 
ober 3öffc? Sßur ^bioten. Unb baruni mag ich feine Sftomane mehr 
fefen. Ohne biefen 3°K öi&t z% in ber Gbe feinen Sd)ei*a, feine Siebend 
mürbigfeit, feine SSermöbnung. Unb ba§ fchltmmftc ift, bie SWänner ber- 
langen fogar, baft man fich ibiotifd) ftctlt unb fo tut, al§ märe es einem 
nidjt miberroärtig." .... 

$cnri Perftanb nur ein§ genau, bie* aber peinlich genau, baft £ella 
ihren SWann nid)t mehr liebte, bieHeid)t nie geliebt hfltte, fonft hätte fie 
nicht fo!d)e§ 3cug reben fönnen. Sie fagte e§ audi nicht ihm, fie fagte 
c§ überhaupt nur, meil c§ ihr eben burch ben ®opf gegangen. Sarum 
hotte bie3 SScrtrauen für ihn feine Süfetgfcit, unb in feiner Seele em= 
ftanb ein ©efübl ber Solibariiät ber ÜKänner, ba§ fidh gegen fie manbte. 

Stbcr menn fie lädjelte, mar c§ roieber fort, unb fie lächelte bieL 

3?or fieben Uhr maren fie Ponj ihrem 9tu§f(uge anrüdgefehrt. §enrt 
fühlte, baf? er foglcich fortreifen mufete, bie 9iähe $ella£ machte ihn un* 
aurechnung^fähig; er märe imftanbe, affe£ mögliche au tun. Sie glaubte, 
er ginge nur, um ^oüette au mcchfeln, in§ §oteI. 3)ort fefirieb er ihr 
einen furaen SlbfchicbSbrief unb begab fid) früh anm ^Bahnhof, ©r ttmftte, 
bafc er fie bort nodh einmal fehen fonnte, benn fie mottte ihre ermartetc 
englifche greunbin felbft abholen. SSon einer bunflen Gtfe be§ $erron§ 
au§ fpähte er nach S3eim ©tnlaufen be§ 3nge§ trat fie aui bem 
SBartefaal. Gr marf fidh in ba§ erftebefte Goupd 9hm galt e§, mit 
Tief) felbft fertig an merben! 

XXITT. 

Aannt) erhielt au£ äöien ein Telegramm, bafe $enri am folgenben 
Sage eintreffen mürbe, ^hr crftcS ©cfühf mar ba§ einer Grlöfung: 
Öhr Snngc fam. Gr mürbe fchon üftittel unb SBcge finben, fie Por bem 
©ericht an fdiüücn. Unb er fam mahrfdjeinltd) nur barum, nur ihret« 
megen! s £Mc (Sfiicf mottte e§ fie umfangen; ba fiel ihr ein, baf; fie mm 
bic unabmenblid)e. Gntfcheibung treffen mufjtc. Sollte fie ihm bie SBricfe 
ber SKutter geben? Sollte fie ba§ tun, ma§ nie mehr gut getnadjt 
merben fonnte? C, mie entfettfid) quälten fie biefe Überlegungen! S5on 



Siegerin §eit. 



553 



neuem matte fie fid) alle möglichen Solgen ihres ©djritteS aus. Sie 
fam au£ bem Dilemma nicht heraus. %n einer SSiertelftunbe befdjlofe fie, 
bem ©djtdfal feinen Sauf gu laffen, in ber nädjften mar fie eben fo ent= 
fdjieben bagegen. Unb fdtfiefjlid) mürbe ihr fo fdjminbelig, baft fie fid) 
nieberfefeen muftte; alle Oegenftänbe tankten um fie herum. 

©o berging ber Sag, ber mit foId)em ©lüdSgefüM begonnen hatte. 
Gtegcn Slbenb erfdjien mie häufig 5annt)S ©djmager, um fich nach ihr um- 
3iifef)en. ©eitbem eS mit ihrer ®efunbheit bergab ging, rcaren bie @e* 
fdjttrifter, ber ©rbfehaft roegen, mehr a!S> früher mit ihr befcfjäftigt. 
Sannt) fah eS eigentlich nicht gern. £eute aber brachte if)r ©djmager 
eine Nachricht, bie fettgebrndft im SSoIfSbfatt geftanben hatte unb bie fie 
intereffieren mufete: giirft ßaSfar Soleabu märe unter bem 33erbadf)t beS 
@iftmorbeS fdjon bei feiner Mnfunft auf bem ^Bahnhofe in UnterfudjungS« 
haft genommen morben. 

93or ©d)red märe Sannt) beinahe umgefatten. Sie fonnte fein 
SBort herausbringen. UnterfudjnngShaft? ©in fo hoher £err? 9?ein, 
baS fdjieu nicht möglich. S)afe er unfdfjulbig bor bem ©efefce mar, toufete 
niemanb fo genau mie gannty. 3lber für ihn aeugen fönnte fie nidjt, ihre 
Sunge mürbe eher berborren. 

Ob man fie gtoingen fönnte, bor ®eridf)t bie SBahrheit m fagen? 
^ebenfalls gab eS für fie fein 3ögern, fein Üeberlegen mehr, maS ihr 
3U tun oblag. 

@ie mufete ben ©djmager fdjnett entfernen, um allein &u fein unb 
baS 2Bie au bebenfen. ®abei bemegte fie in ihrem unfreien (Seifte jbie 
©enugtuung, bafe SoIeabuS Serrat fich gerädjt habe, biel fdjnetler, als fie 
ermartet hatte! 2Bar bieS ntd&t ein fchlagenber SBemetS, bafc bie ©träfe 
baS Unrecht ftetS erreicht! @ic triumphierte förmlich in ihrem Slber* 
glauben; fie fühlte fid) perfönlidj gerächt ber Gimmel hatte für fie unb 
ben toten ©ngel #ortenfe öffentlich Partei ergriffen! 2BaS fie auS ber 
$8ibe( gelernt, fpielte fid) enblidj audj im ßeben ab: ben SSöfcn marb 
ihr Seil! 

©S mar fo einfach, fo richtig, ^efct fonnte fie ohne 2tngft baS 
ßegat ber SDJutter #enri ausliefern; ber SDlann, ber ihm hätte fdjaben 
fönnen, mar in fidfjerer #ut, hinter ©djfofe unb Stiegel. SßaS ihm auch 
gefdfjah, genug mar eS freilid) nicht, er hatte biel mehr berbient! 

©nblid) ging ber ©djmager. Diefer erfuhr fpät abenbS, bafc bie 
SRachridjt bon ber Serhaftung nur gebrudt morben mar, um Käufer für 
baS 3eitungSbfatt anjuloden, baft fein mahreS Söort baran. Stber er 
hütete fidfr eS Sannl) mitauteilen. Sie hatte fich augenfdjeinlidj barüber 
gefreut, unb marum fotlte er ihr biefe greube mieber jberberben? Stufeer* 
bem mar er au mübe, um ben Säeg nicht au fcheuen ; fie mürbe eS ohne* 
bieS früh genug erfahren! 

Sannt) hatte mirflid) eine gute SRadfjt, bie erfte gute feit jenem Un- 



35^ ITUte Kremnifc in Berlin. 

glürf im 2>almofd)en .©aufe. Sie träumte bon #ortenfeä Slinberaeit; fie 
fal> fie in mei&em Sletbdjen mit atuei greunbinnen im fdjatttgen ©arten 
SBerfted fbielen. 

SBeifegefleibete SWäbdjen, fo fagte Sannt) fi<f> beim ©rmadfjen, be* 
beuten UnglücC. 210er e§ ^atte ibr au mobl getan, ©ortenfe am Äcben 
unb in SSeroegung bor fid) 31t feben, al§ bafc fie über bie tBebeutung 
länger uae^gebaeftt bätte. Sie batte biel au tun. Um elf Ubr fam ber 
3ug au§ bem 2tu$?lanbe ftfjon cm, unb menn ber junge £err aud) tele* 
gradiert battc, fie foffe nichts für il)n beliebten, ibr ©brgeia trieb fie, 
atte§ fo boraubereiten, mie er e£ einft im ©Iternbaufe gemöbnt gemefen. 

$enri ^aite bie Steife in einem 3 u ftcmbe gemad)t, ben er fid) felbft 
md)t erflären fonnte. S3ietteid)t mar e§ nidjt§ al§ Überregung. Seim 
©infteigen f>attc er gehofft, bie Semegnng be§ mürbe it)n ein* 

fdjtäfern. Stber er fonnte fein 2fuge fdjliefeen, er empfanb ntdjt einmal 
feine SWübigfeit. ©in ©efübl, aB fei feine SBruft geroeitet, al§ babe ibn 
ein ungeabnte£ ©lüd betroffen, ftielt ibn meit mad). @o fmunbcrfdbön 
erfd)ien ibm ba§ Seben, felbft in ben fleinften Stttiäglidjfeiten. 3)ie 
©djaffner, bie SSabnmärter, bie Sftitrcifenben, ja fogar bie eifernen Saften, 
bie fogenannten SBaggonS, fagten ibm eima3. Sold) ein SBagen mar 
bod) SWenfdjenmerf, ein $robuft biefer rübrenben, guten SBefen, bon 
benen bie ©rbe mimmelte, bie fie fo fdf)ön, fo tyerrlid) f)ergerid)tet Ratten. 

SBie menig t)atte er bisher barüber nadjgebadjt, ma3 er ben S3or- 
fafjren berbanfe, mie biel bie vergangenen ©enerationen Don bem ge« 
leiftet, tt)a§ ibm äugute fam! ©r mufete fel)r fleifetg fein, um fid) bafüc 
banfbar 311 ermeifen unb bie ©d)ulb abautragen! @tma§ fonnte er tun, 
fclbft toenn er nidjt 311 ben ©rmäblten gehören fotlte, bie bie ©djulb für 
bie Slacbmelt bermebrten. S)a§ ©ein an unb für fidj fd)ien plöfelid^ ein 
©enufe. SBie menig erfannten bie meiften ba§ an! SBie gebanfenloS 
lebten fie in ben £ag binem, ben fie obenein nodf) bon früb biMPät 
befd)impften. 

©r backte aurüd an fid) felbft; bor nodj einigen menigen Sagen 
£>atte er bie ©infidjt nod) nidjt gehabt, bie ibn jefet erfüllte. Sie mar 
au§ ibm felbft berau§gemad)fen, obne bafc irgenb etroa§ 33efonbere§ gc- 
fdjeben — er batte nur ^etta gefeben, ben ©bringquell, ober, mie e§ 
im SWärdjen beifet, bie @£ringmur3, bie alle Sßf orten öffnet! SBie richtig 
mar boeb bie abgebrofdjene SBei§beit, bafe feiner für fid) allein ettt)a§ fei! 
$efct erft mufete er, tooau er badete, fübfte, arbeitete! — gür fie. 

93i§ er nad) SBien fam, mar er fo botl bon ®ingen, bie er ibr 
fagen mufete, bafe er einen 3^0 überfällig unb auf bem Sabnbofe fic^ 
5tinte^unb $abier geben liefe. S3or allem mar ein ©ebanfe in tbnt qual« 
botl lebenbig gemorben, nämlicb ber, bafc ^etla in ber barmlofen Offen« 
beit ibrer SRatur irgenb jemanbem foldbe ©inblide in ibr SBefen geftatten 
fönnte tuie ibm. @ie mar 511 jung, su finblid), um fid) flar 31t madien, 



. Siegerin geit. 



355 



mie loldje ©eftäubniffe mirfen, ma§ für ©cfjlüffe fie nid)t nur geftatten, 
fonbern btreft berauäforbern. ©r litt förmlid) unter ber Sorfteffung, 
bafe fie nidjt borfid)tig genug fei. @§ mar boeb SreitnbeS^fltd&t, e§ U)r 
ju fagen. . 2Ber fotlte fie benn behüten — bod) nur er, ber ben richtigen 
©inblidf in if>r Sßefen gewonnen Dottel . . . 

Siein JBort bon Siebe ftanb in bem ©riefe, unb bod) atmete er 
Siebe in einer foldjen ©üfeigfeit au§, baß $enri felbft ficf> baran be* 
raufdjte. £>b fie ibm balb antworten mürbe? SDafc fie ibm feftreiben 
mürbe, ftanb feft, baxan fonnte er gar nid&t smeifeln. 

Unb in bemfelben Sftaufd&e beftieg er nrieber ben 3"0 «"& Eani 
babeim an. 

(Sinen Stugenblid beberrfd)te ibn bie Erinnerung an fein tefete§ %ln- 
fommen bor adjt SKonaten, aber er fd^euc^te fie fort. Diesmal mar 
niemanb ba, ibn au empfangen; gannty (jatte genau nad) feinen SBei-- 
fungen gebanbclt. Stud) fein Sßagen beirrte feiner; er- nabm eine 2)?iet§= 
futfd&e unb fubr burdft bie fo befannten unb il)m bod) iefct frerub fdjeinen* 
ben ©trafeen . . . 

2>a lag ba§ @lternbau§ . . . ba§ leere @lternbcm§ . . . ®ein Sinedjt 
am Xot, fein SMener am Eingang, fein fflifffommen auf ber treppe — nur 
oben 'in feinem 3wnmer beimtid) unb mortlo§ ibn in bie 2frme fdjliefeeub 
bie alte Sannt) in £ränen . . . 2Bie bfltte e§ ifjm babor gegraut, al§ er 
*ßari§ Verliefe, bor biefer Seere. Slber er nabm fid) tapfer aufammen. Seit* 
bem mar ja ettr>a§ gefd&eben, ma§, mufete er cigentlid) nidEjt, aber ba§ Seben 
mar für fein SJemufctfein in aroei £etle geteilt — bor ©enf unb nad) ©enf. 
2Ba§ bor @enf lag, mar eigentlich berfimfen; alfo fonnte er bodf) nidjt 
leiben, menn ibm aud) bie tränen in ben Singen ftanben ... 

ganng mar fo alt gemorben, fo alt, unb ibre $änbc zittrig, unb 
ibre Singen bitten fo leidste ©pinnmeben bor ben Pupillen. 

„£) Sannt), bu mitlft mid) bod) nid)t berlaffen?" fragte er mortfoS 
unb umarmte fie nodj einmal. 

XXIV. 

äöie fotlte gannt) nidf)t gittern ? @§ lag ifjr bod) ba§ gurdjtbarfte 
ob. @ie bötte bie ®affette fdjon bor $cnri§ Slnfunft in fein 3ircimer 
gebracht, benn gefdjeben muftte e§. Sfturi ben Srief ber SWutter, il)r 
Iefet£§ SBort, trug fie nodj bei fid); ber ©idjerljeit megen in einem an 
fie felbft abreffierten Doppelf oubert. 2)a§ tootlte fic ibm perfönlidj ein« 
bänbigen unb babeiftefjen, mäbrenb er e3 la£. Stber erft nad) Zifdj, nicfjt 
jefet gleid). Üttidjt fo reifernübe fotlte er fiel) bran fefecn unb ad ba£ tefen, 
ma§ §abrc surüdflag unb bieffcidjt in ^abren nid)t bermunben fein mürbe. 

Sann*) motlte im S^ebenjimmer bleiben, mäbrenb er bie Slaffette 
öffnete, fo bntte fie e^ fidj au^gebad^t . . . 2lttc SBaffen batte fie febon 
in ber grüt) in§ Xurmaimmer gefdjlcppt, mcil fie mitten in ibren SSor« 

moxb unb Sflb. CXX. 360. - 25 



356 mite Kremtttg in Berlin. 

bereitungen öon ber 9(ngft ergriffen toorben mar, bie 33otfd)aft fönnte 
bod) anberS auf ibn mirfen, als fie üorauSfefete . . . £er £raunt mit bem 
mciBgefleibeten SWäbdjen mar ibr lieber eingefallen ... er fonnte etoaS 
bebeuten. SBer tueife, ad), mer tvexfo, maS amifeben Gimmel unb @rbe 
ift 

Stber jefct banbclte eS fid) 3tmäd)ft barunt, ibm baS Srübftüd 31t 
beretten. $aS 3Käbd)en öerftanb nidjtS batoon, nur fie felbft, fie batte 
eS ibm immer redit gemacht. 

,^f)r mar aber fo merfmürbig fd)toinblig, als fie in bte Slüdje ging . . . 
Cb baS t>ou ber Erregung fam? Sie mollte bte Kotelettes fcbnell braten, 
bantit fie fjart unb braun mürben, mic er fie liebte. — 9tirgenb3 
fdjmerften fie fo gttt mie 311 $aufe - baS batte er oft gefagt unb tteu= 
Itd) nodj gcfdjrieben. 

?(bcr fie fonnte bic Pfanne faum balten; in tbrem Kopfe toar eine 
Seere unb bann eine güttc — eS braufte ibr ein Sturmminb burd) bic 
Obren — mar ettoa etn Orfan losgebrochen? Sie ftarrte burd)S 
Sfenfter . . . 

Sein grübftücf muffte fertig merben — unb eS mürbe aud) fertig. 

XaS Wählen nabm bic Sdjüffel unb fab einen 3fngenblitf Verblüfft 
auf grau Sannt). Stumpf unb ungebilbet, mie fie mar, tnerfte fie amar 
etmaS ItngemöbnlicbeS, toufetc aber nidjt maS . . . gantt) mottte ibr nad)« 
geben, motttc fid), mie oft früber, ibrem jungen gegenüberfefcen mäbrenb 
ber HWablaett . . . Sic batte immer grenbc an feinem guten Stppetit . . . 

©tmaS mar über fie gefommen, etmaS grembeS, baS ftärfer mar 
als fie . . . Sie munbertc fid), mnnbertc fieb . . . ibr "mar fo fd)Ied)t 51t* 
mut, fo fdjlecbt. ... 

2)aS SWäbdjen fam nad) aebn äßiuntett mie&er ... Sa lag grau 
gannt) auSgeftredt am ©oben, unb aus ber Stirn tropfte 33Iut — fie batte 
ben Kopf an einen Scbemcl angefdblagen. SaS SWäbdjen fdjrie laut auf . . 
SKein ©ott! £ieS $auS mar bod) mabrboftig ein #auS beS 2obcS. 63 
mar mic bebert. 2J?an hotte fie gemarnt, cbe fie ben 2)tenft angetreten 
— marum batte fte ber 2Wabnung ntcf)t Sfolge gefeiftet. 

Sic fdjrie. £cr junge $err oben fonnte aber nidjtS bören, fte 
mttftte, öerftört mie fte mar, 51t ibm berauf, tnufjte eS ibm fagen, benn 
fie mußte fid) feinen Sftat. 2ot mar bic grau gemife noeb nidjt, fie 
ftarrte fie mit offenen Singen an, unb baS 93Iut tropfte meiter — bei 
£otcn jeboeb, fo batte baS 9Käbd)cn oft fagen bören, ftebe aHeS ftiff. 

Keinen Slugenblid bacfjtc fte baran, auaugretfen unb ber SeftmfetTofen 
3U bclfcn. Sbr graute t>or ibr. 2Bic befeffen ftüratc fte aus ber Süicfje 
unb trofc beS SftefpeftS Dorm jungen $errn fdjreienb bie Xreppc binauf 
bis au ibm. SBic burebaudte eS biefen! 5ftid)t länger als t>or einer 
SSicrtelftunbe batte er gebaebt: „SDu mirft mid) bod) ntdjt berlaffen, Sannt)!" 
Unb jefet! (Sibt eS Slbnungcn? 



Siegetin Seit. 357 

9?ein, tot roar %<xm\X) nidjt, aber ein ©d)Iaganfaff fiatte bie einunb* 
fiebatgiäfirige grau getroffen! @§ roar nicfit3 fo 9tbfonberIicfie§, rote bie 
Wienerin gemeint, niefit einmal ber Umftanb, baft e§ an bem £age ge* 
fdjefien, roo ber junge $err angefommen, roar bemerfen^roert. 35a§ 
Unglüd roar burdj bie ©rregung bietteiefit etroa§ früher eingetreten. 

§enri fegnete biefeu Umftanb,. benn nun Eonntc er für feine liebe 
alte ganm), bie ftetS nur an anbere gebaut fiatte, forgen. ©ine Traufen* 
Pflegerin, sroei Birgte rourben gerufen; a(Ic§, roa§ ein SWenfcfi erfinnen 
faun aur (Srleicfiterung eine§ ÜbeB, foffte gefefiefien. 

9iein, tot roar Sannt) ntefit. ?tber ibr Seroufctfein roar geftört, ifire 
3unge für§ erfte, bietteiefit für immer gelähmt. 2Wan machte §enri roenig 
Hoffnung. SBie furchtbar folefi ein 6ube! Slacfi einem langen, felbftlofen 
Seben, naef) fo t)iel Öeib unb fo bielen Opfern ein fofcfier ©djluft! 

6§ roar $enri, al§ patfe ifin bie #ärte be§ tt)pifcfien 39?enfcfienIofe§ 
3itm erftenmal in feiner ganjen Brutalität. SBie finnlo§ nngereefit 
roaren boefi fiiefit unb ©djatten für SWenfefienroifc unb S3erftanb berteilt, 
greilicfi, ba ba£ ©rofee unb Unabänberlicfie, ba§ (Srlöfdjeu im 2obe un= 
bermeiblicfi unb allen gteicfi befefiert ift, fottte man niefit fleinlid) am 
38ie bangen unb fo biel mit ber Uiatur barum retfiten. 

9tber #enri fonnte nidjt anberS, fonnte niefit barüber fort, bafe ein 
arme§, freubIofe§ Seben nod) qualbott unb langfam 311 6nbe gefjen fottte. 
9Jad) feiner 9WenfcfienIogif fiatte fie ein fcftmersIofeS @rlöf<fien berbient. 

Unterbeffen roar e3 Stbenb geroorben unb $cnri noefi gar niefit ba^u 
gefommen, bem 3^>ede feiner $errcife näfier 511 treten. 9H§ er ben eben 
engagierten Liener jum ©infauf ber Stbenbblätter fortgefefiieft unb biefer 
ifim bie roiefitigften gebraefit, rourbe er au§ ben £räumen, in bie er 
immer roieber berfanf, geriffen. 9ttte 3 e itungcu roaren bot! bon bem 
„@fanbaI*$roaeffe". einige aufeer fid), bafe bie geftern angefünbigte 
SSerbaftung noefi niefit ftattgefunben fiabe — anbere fpraefien offen bom 
©iftmorb, mafeloS rourbe Uoleabu angegriffen. $enri glaubte, in ein 
£ottfiau§ geraten au fein. 

SEBie ein eiferner Steif legte c§ fid) ifim um &opf unb SBruft. 2öar eä 
benn möglid), ba& nicfit£ Safüfdjc§ borlag, aufecr bem in ber SSerroirrung 
be§ 2tugenblnf3 entfd)ulbbaren SSerfebcn — ba§ Öffnen cinc§ ©efretärä, 
an bem bereite ein geridjtliefieä (Siegel angelegt? ^sung, unerfafiren, 
roie ©enri roar, fcfiien e§ ifim auägefcfiloffeu, baft eine fo allgemeine 
öffentliche ©mpörung gegen einen biSfier fioefigeaefiteten SWann fid) 93afin 
bred>en fonnte, ofine bafc biefer roirflid) etroa§ berfdjulbct fiabe. $n un- 
fieimliefiem Sicfite ftanb er, ber bon Siubbeit an Vertraute, plöt3ltd) bor 
ibm, unb in #enri§ innerem ftritten Sßbftntaftc unb ßrinnerung, Pietät 
unb 6iferfud)t. ©einer ©Itern ^reunb unb $effa§ SDJann. 

©r roufete niefit, roa§ ba§ ©tärffte in ifim roar. Gine eigentümlidje 
©cfiroere legte fiefi auf feine 33ruft, ein bumpfeS 93erouf3tfein, ba§ er fiefi 

25* 



358 ^ mite Kremttifc tn Berlin. 

t>ergebeu£ 311 euflären fud^te, af£ fei biefer 9Wenfdj etma§ 9tiefengro&c§ 
unb auf @rben für fie beibe nid)t Sßfa^ . . . 2>a3 Sfyafef{>eare*2Bort fiel 
itjm ein: „3roei Sterne f reifen nidjt in einer Sj)£)äre" . . . 

SDqS mar überregt, ©r befann fid), bafc er erft eine Sßadjt fd&Iofen 
müffe, ebe er fid) auf irgenb meldje inftiuftiben ©efüble berlaffen fönne. 

Unb fo ging er, nadjbem er nod) einmal nad) ber ßranfen gefeben, 
in fein 3i mmcr - ® r fanb in *>er Stille feine ^eifeen ©rinnerungen an 
£etta fofort mieber. 5fflein mit fidj, in ber lautlofen 9iadjt mürbe er 
ibr Sadjen mieber bören, bie Stunben t>on neuem burdjleben, bie fie 
beibe miteinanber üerbradjt — a(Ie§ anbere mürbe bon ifym abfaffen. — 

Stn einen auffallenben gled bc§ SinimerS, auf beu £oiIettcntifdj, 
^atte gannt) bie ®affette geftetlt. Sie 30g audj fofort #enri3 93fidE auf 
fid). äBa§ mar ba§? SD?tt gemiffer Slbfidjt mar ba§ bort bingeftetlt 
morben. @r Ringelte unb fragte, ob jemanb etma£ im Saufe be§ £age§ 
für ibn abgegeben böbe? . . Iftein . . ©inen Stugenblid fyatte er Suft, ba ber 
©djlüffel ftedte, ben haften 31t öffnen, bann überfam ibn bon neuem 
feine grenaenlofe SKübigfeit. @r marf bie Kleiber nur fo t>on fid) uni> 
taumelte in fein 33ett. 

2fd), mie gut lag e§ fid) babeim im alten 93ett. (Sr badete jefet an 
bie ©d)iffabrt mit $ella; fofort mar aHe§ (Sonne unb ©lüdE in ibm. 
©ein innere^ 2tuge f)ing an ibr, bing an jener Stunbe mit aller Seiben* 
fcfjaft be§ @ebädjtriiffe§. 3Bie glüeflid) mar er bod), fold) einen Zag Er- 
lebt äu fyaben, fotdj ein SSBefen ju fennen. 

XXV. 

$eüa Ia§ smar nie -politifcfye. 3ei*nngen, aber fie Pflegte bod) t>on 
ben 3)efefd&en $enntni§ au nehmen, um 51t miffen, ob irgenb etma£ 
©enfationette§ gefdjeben fei. ®ie ©eburt einer sßrinseffin erfdjien ifcr 
babei mistiger aU ein ®abinett3med)fel, ein t&vbbeben ober ein (Streif. 
SaSfar fannte ifjre ©emobnbeiten unb ftatte baber nur für bie 93Iätter 
au§ S^arigrab Sorge getragen; ben gigaro unb alle übrigen fran^öfifeften 
mie engltfdjen Journale ^ielt er für ungefäfirlidj. 

SZatürlidf) gefdjab ba§ Unerwartete, ba§, toa§ SaSfar nidjt in feine 
^Berechnungen gesogen. Sd&on efte £etta sum Sabnbof fubr, um £etty 
abguftolen, I)ötte fie im gigaro bie telegraj>bifdf)e !Kad)ridjt t>on ber fen- 
fattoneüen SßerOaftung be§ Soften £ 0 Ieabu in einer unaufgeflärtcn 
Selbftmorbgefdjidjte gefunben. 2)ie S^acftridjt fiel toie ein 9?ad)tfd&atten 
auf bie Stimmung beS fonnigen 2age§, ^enri§ Stäbe beruhigte fie je- 
boef), t>on i^m erwartete fie 5lufflärung unb SSerftänbniS. Sro^bem braeft 
fie einen Slugenblid in ibrem 3inmtcr 3ufammen unb fdjlofe bie Stiren 
ab, meil ber ©ebanfe, im Stuge ber Snngfer lefen 51t müfien, bafe fie 
affe§ miffe, if)r unerträglid) fd)ien. ©igentlidö glaubte fie nod) nid&t gans A 
ma§ ba gebrudt 'itanb, aber anbere mürben eS glauben, unb ba§ toar 



Siegerin geit. 359 

fölimmer unb erfüllte fie mit 8<>rn itnb Empörung gegen ßa§Är. @r 
voav e§, ber fie unb ben Flamen, ben fie trug, ber Sdhmadj preisgegeben. 
Sie fam nidjt ba$u nadhaubenfen, ob er etmaä Strafbares getan Reiben 
fönnte; ber bumpfe 3orn in ihr gebor eine 9Irf Verachtung für ben einft 
für fo ftarf gehaltenen 3Hann, ber fid) nicht einmal üor fold^ niebriger 
2fnftf)ulbigung fd)üfeen gemußt hatte. 

So etmaS burftc einem STOanne einfach nicht gefd&ehen. 

9tn #enri Hämmerte fie fidf) in ©ebanfen an, er mürbe fie barin 
beftärfen, fid) über bie SReinung ber ßeute fortaufefcen. STffetn fie hatte 
eine unbeatoingliche ßuft, fid) au berfteden. . . . 

5Der äBagen, ber fie anr 33ahn bringen foffte, um $ettt) au empfangen, 
fuf)r öor, unb fie burfte fidj nichts merfen Iaffen. %t)t mürbe fiebenb* 
beiß, als preffe ihr ctmaS bie ©urgel aufammen: @S mürbe bodh nicht 
©rnft merben? 6S fonnte bod) nichts fommen, bor bem baS Stammen» 
nehmen feine Stbroehr mehr mar? Sn ihrem ßeben ein @rnft? ^efct, 
fo jung, foHtc fie ben fchretflichften ©rnft fennen lernen? Unmöglid). 
(So graufam fonnte baS Sdjidffal nicht fein . . . Sreilid), fie hatte ihr 
ßooS nidE)t blinb geaogen, fonbern eS fid) allen aum Xrofe felbft auSgefud)t. 

Ulatürlid) eraählte fie altes fofort #etti). SDiefe mar eS 'gemohnt, 
nur als Spiegel %u gelten, fein Stecht auf Eigenleben au befifeen, fomie 
fie in ©ettaS ätonnfreiS fam. 3tber megen ber greifbaren Vorteile biefer 
greunbfcfjaft liefe fie eS gern gefdhehen. 

Schon ehe fie ben Safmbof berlaffen, hatte fie alfo baS intereffante 
Ereignis erfahren, baS aber nur ein S3orfpieI fchien. 3)enn fomie .§eHa 
au §aufe $enri§ 33rief, auS bem fie feine Stbreife erfoh, üorgefunben 
hatte, fafete fie in ihrem leibenfdjaftlicfjen Rom ben Entfchlufe, fiaSfar unb 
£enri uadbaureifen. Sie mar bod) fdjlie&lid) fein Sinb mehr, unb eS 
mar empörenb, bafe ber eine mie ber anbere fie au fdjonen gemünfcht unb 
babei hintergangen hatte! Sie mar nidjt gemittt, fid) baS gefallen au 
Iaffen; fie mofftc actgen, mie eine grau ihrer 3trt auf foldje S3ebanblung 
reagiert. ES gab nur einen 3Beg: fofort ihnen nadyureifen! 

$ettt) fonnte, obgleich fie eben erft auS ßonbon eingetroffen, fidf) aud) 
nid)tS SSeffereS münfdhen als einen' Stufenthalt in SKaarigrab. SEBie un> 
glaubtidj intereffant, einen Sßroaefe, eine @erid)tSt)erhanblung mitauerleben! 
Sie bürftete nach Senfationen, unb bort unten im fernen ßanbe fchien 
ihr alles in einer 9WorgenIanb*Stimmung! 3Ber meife, maS bort ihrer 
harrte! Shre 3ufunft, ihr @lüd lagen fidler bort, in ihrer angebeteten 
$etta Heimat. So rebetc fie biefer fräftig an, aud) nicht eine Stunbe 
ungenufct öerftreidjen au Iaffen. 

$etta mar beraufdjt bon ihrem eigenen SBiffenStriebe ; fie hatte bie 
erften ©efüble ber Demütigung übermunben. Seitbem fie fid) au einer 
Xat aufaufchtoingen gebachte, mar SSangc unb Sorge bergeffcn. deinen 
Slugenblidt fam eS ihr in ben Sinn, bafe eS eigentlid) ber ©ebanfe an 



360 



Ulite Kremnifc in Berlin. 



$enri war, ber fie beflügefte. Sie träumte fcon einer bebeutfamen äiiirf* 
famfeit, bie fie in Xäarigrab jugunften ihre§ SWanneS entfalten würbe, 
fie fah fid) fror ©eridjt! (Sie hielt ßa$far§ Schmierigfeit für bicfelbe, 
Welche bamal§ in ber t>on it>r befugten SanbtagSfifcung berhanbelt 
morben mar. 

Sie eraäblte §cttt) fcon neuem, Wq§ fie ihr fchon fcor ihrer $od)aeit 
ersäölt hatte, wie leibenfdjaftlich bie politifcfjen kämpfe in ihrer Heimat 
feien, Wie tief bie Seinbfdjaften, bie fie hervorriefen, Wie man if)ren 
SWann ftet§ befefjbet fyabe, ba er unnahbar unb ftola, unb wie man ibn 
offen berfolge, feitbem fie ihn mit ihrer £anb beglüdt ^abc. Unb burd) 
biefe Überlegung unb bie 9teifet>orbereitung fdjwanb ihr ber lefete Jieft 
t)on SBangigfeit unb Scheu. 

@3 fonntc ja nicf|t§ (Srnfteä gefcfjehen, wenn fie fid) ber Sache an* 
nahm. Sa§ ©anje bilbcte fidj für fie fchon wieber um ju einem ange* 
nehmen siifcel, ju einem intereffanten ©rlebniS, wie fie beren fudjte auf 
Erben — au weiter nid)t§. 

Sie befchlofe, aufccr #ettt) nur töte Sungfer unb ben einen auf Steifen 
fo gewiegten Steuer mitaunebmen, fam fidj aber fo befchäftigt bor, aß ob 
fie eine 6#ebition burdj bie äBüfte au§aurüften hätte. 

Sic üfteufyeit war reiabotf, biefe eilige Steife entbehrte nicht be§ 
Außergewöhnlichen, unb im £intergrunbe ber Seele tangte bor ihr eine 
sßortta, beren 9ioffe fie übertrumpfen würbe. 

XXVI. 

(S3 gibt ©egenftänbe, welche, ohne jeben vernünftigen, nachweisbaren 
©runb bie 2ttenfdjen beeinfluffen. #enri£ Schlaf würbe bon ber in fein 
3immer geftettten Kaffette beunruhigt. SWehrmaB wachte er auf unb 
backte baran, ben großen haften in ein anbereS 3i™ m et m bringen. 
Slber ber Schlaf übermannte ihn immer wieber, el)e er fid) nur erhoben. 
Unb bie Äaffette wucfjä an, beugte fid) über ihn, berfchwanb bann t»ß^ 
Iidj; er mußte if)r angftbotl nachjagen . . . ®ura, auch in feinen abgeriffe* 
nen träumen beschäftigte fie ihn immer bon neuem. Seim ©rroa&en 
fagte er fid), fein lefcter ©ebanfe borm @infdf)Iafcn fei biefer haften ge* 
wefen, im hellen SD?onblid)t, ba§ buref) bie ©arbinen brang, hatte er ihn 
wieber erblidft, fowie er nur 'mal mit ben Stugen gebügelt 63 war 
Wirflid) fein Spuf babei, fonbern c§ War gana natürlich, baß ber Saften 
Um aud) im tiefften bräunt befchäftigt hatte ... 

Sie erfte Sorge be£ 9Worgen§ war Sannt). %t>v: 3wftonb war 
unberänbert. 

9tf£ $cnri in fein 3immer aurüdgefehrt, war er bann entfdtfoffen, 
fich ben nächtlichen ©inbringling, bie Saffette, beren Sdjlüffel angebunden 
fjing, näher au betrachten. 93ricfe — nid)t§ aU Briefe. 

$enri fuhr aurüd. 3Ba§ war ba§? SBoau war baä i)ier? 



Siegerin Seit. 36\ 

SDtit SSSnbern ummicfelt, in Sfaljrgänge abgeteilt — Öa3far§ 33riefe 
an feine, $enri§ SWutter. ©r fannte bie #anbfdjrift, er fynnte bie Sföreffe. 

Durdj toeldje JeufeMift, roeldjem ÜEeufeBaroecf ftanben bie 
33riefe, bie jebenfattS nidjt für tön beftimmf roaren, toeldjeä ifjr Snftalt 
aud) immer fein mochte, fjier in feinem Siwmer? (Spielten fie eine SftoHe 
in bem ^rojeffc, ber ifyn bergetrieben ljatte?i 

2öo toaren fie gemefen, baß er fie im gebruar, nadj bem £obe ber 
©Item träfe ber beiftrieffofen ©rbnung, in ber fidj alle anberen Rapiere 
befunben, nidjt erblicft? §atte SaSfar fie an fidj genommen, t>ielleid)t 
ibretmegen bamaB bie (Siegel erbrochen? Slber bann formten fie fidj 
bodj nidjt plöfelidj Ijier in feinem 3intmer einfinben. 

©3 mar au§fidjt§Io3, Sannt) au befragen- Unb toaS er tun tooHtc, 
mußte er jebenfalB mit fid) allein entfdjeiben. Sollte er bie 93riefe lefen? 
2Ba§ trieb ifjn ba^u? (Sträflidje Neugier? konnte er, nadjbem er bon 
üjrem %nl)cilt Kenntnis genommen, genau fo banbeln roic jefet, roo fie 
iljm nodj fremb? ©r ging auf unb ab, um mit fid) in£ reine 31t 
fommen. 9Ba§ märe tuobl im (ginne feiner üttutter? ©r fal) fie im 
(Seift üor fidj, er rief fidj ifjrc ganje ßeben§auffaffung aurüdf. äBa§ fie. 
an ©tfjif in ifjre ©efpräd&c battc einfließen Iaffen — adj, c3 mar ja 
bei iljm, mie bei bcn meiften föinbern, 511 einem £)f)r binein, aum anberen 
berau^gegangen. Dorf) ettoaä mar aurütfgeblieben, ein Sleft, eine fixere 
Überaeuguug, baß man affe§ Unborncbme tocradjten, öerfdjmäben muß . . 
Sie Ijätte nie foldje 93riefe gelefen . . . 

(So tooHtc aud) er fie ungetefen üerbrennen! 

Unb roenn er bamit bie lefete SWöglidjfett, XoIeabu3 Unfd)ulb au be* 
meifen, oernidjtete? 

©3 mar fdjließlid) mcf>t feine SebenSaufgabe, bem SWanne a« Reifen. 

Äaum mar ifjm bieg aum 93emußtfein gefommeu, aB er fidj fagte: 
©ei botxpelt borfidjttg! $ella£ Sftann ftel)t in grage! Sßeber für nodj 
gegen it)n fonnte er aU gemiffenljaftcr 2Kenfdj nod) acngen — feine 
$arteilid)feit ftanb nidjt außer 3^eifcl. ©ine SBaffe gegen il)n — mar 
fie nidjt audj gegen fie gcfüfjrt? Ober nid)t? Sr mußte t)inau§, mußte 
in§ greie, mußte e§ bebenfeu, er bielt e§ nid)t auä, mit fid) felbft nidjt 
fertig au werben! Unb feinen greunb auf ©rbcn, uirgenb§. 

Der Diener trat verblüfft, öcrftört ein. ©r melbete etma§? 2Ba§? 
#enri t>erftanb e§ nid)t, fein 93Iut Raffte iljm im Dfjx, feine Sßljantafie 
fjatte ibn betäubt . . . 3Ba§? 2ßer? 

©ab e§ a^ei biefeS 9?amenö auf ber SBelt? 

Die Sfürftin 3:oIeabu fei t>orgcfaf)ren unb toartc im großen gelben 
(Salon — ber Diener entfdjulbigte fid), baß er biefen aufgeriffen fmbe, 
in feiner SBeftüraung l)obe er fid) berfefjen. 9tl^ ob e3 ficf> jefet um bcn 
gelben ober roten (Salon Ijanble! Die gürftin 2!oleabu? 3IHein? 

Sa, allein. 



362 



IKiie Kremniij in Berlin. 



2Ber fonnte ba§ fein? Sie nidjt, $e[ta nicht! Unb bod) attterte 
er fo am ganaen S?ör£er, bafe er fid) nicht getraute, ein äBort 51t fagen, 
einen Sd)ritt gu hin, ber Liener hätte e§ merfen müffen. 

„Sofort," ftieft er enblicf) ^eraitö, „fofort", unb machte eine nnge* 
fchidte £anbbewegung, bamit ber 3Kenfd) fid) entfernen unb ihn allein 
laffen follte. ©r fchämte fid) bor fid) felbft, bafc fdjon ein Sftamc ihn in 
folgen 3^ftanb berfefetc. 3ßa§ mar benn gefdfjehen in ben wenigen Jagen, 
bie feit feinem 93efudje in ©enf berronnen. $crtte feine *ßhantafie ihn 
genarrt? SBar etWa§ in ihm lawinenartig angewachfen, fo bafe e§ ihn 
überwältigte? 

©r fonnte e£ fid) nicht erflären, hatte feine Seit, feine JKöglid)feit 
barüber nad&jubenfen. ©ine 2)ame erwartete if>n unten im gelben Saal, 
eine 2)ame, bie ihren -Kamen trug. 

©r eilte bie £re$)c hinab. 3Bar c§ eine Xreppe? 2öar er auf ber 
Erbe? ©r nahm fid) sufammen . . . 3)er Diener ftanb unten im glut 
unb rifc bie (Saaltür auf . . . ©r mufete feine SBürbe bor ihm wahren. . . 

$ella . . . Wtrflid) §effa! ©r War feinet SBorteS mächtig — ba$ 
93Iut fdjien in ihm au erftarren. 

„@twa§ gurd)tbare3 ift gefdjefjen," ftiefe fie ^erau§ — er hatte bie 
SSifion eine§ Selbftmörber§ — fie fprad) Reifer, aB fönne irgenb jemanb 
fie hören, „mein 9P?ann ift berhaftet" . . . 

„Unmöglich" ... 

,,£>od)! (Sie Reifen mir, ntcfjt Wahr?" 
„9tber e§ ift nicht Wahr, ift wiber rufen." 

„£)er Sortier fagte e3 mir eben . . . unb id) wufcte nicht, toaB 
tun, fuhr gleich her" . . . fie hielt fid) bie 2lugen au . . ; „@§ ift bod) 
nicht möglich, £enri." 

©r hatte feine eigenen ©efüfjle böffig überwunben, nur ein IeifeS 
O^renfaufen erinnerte ihn an bie eben burdjgemadjte heftige Bewegung. 
Sie fo faffung§Io§ ju fel)cn, gab ihm eine nie geahnte ®raft unb ©eifte§« 
frfjärfe. @r fragte fie suerft au§. SSor einer halben Stunbe War fic 
eingetroffen, Ijatte e§ bisher nicht geglaubt, atte§ für 3eitung§gewäfd) 
gehalten, War nun, oljne bie Steifetoilette au Weddeln, ohne $ettg a» be- 
nachrichtigen, bireft 511 if)m gefahren. SBie er ihr helfen follte, Wu&te fie 
felbft nicht. Sold) ein Vorgehen gegen einen angefehenen SWann. Sic 
War rat!o§, c§ war um ben 33erftanb au Verlieren! Sie mufcte bodj 511 
ihm! Sollte fie auf§ 2Bmifterium fahren? 3tubiena nehmen? 28er War 
ber befte 9tcd)t§anWalt? 

§cnri antwortete einfilbig. '©§ legte fid) Wie ein S3anu auf ihn. 
Siefe wunberbare Schönheit! 2>a§ in ber ©rregung gerötete Stnilifc, biefe 
2tugen — er hatte foldje ©rfcheinung noch nie gefehen. ©§ aogen tönt 
Sßebcl bor bie 2[ugcn, ba§ 93Iut raufchte Wie eine grofee SBoge burd) feine 
Chfen. 2ßic fonnte e§ eine fo a^rtc SRunbung ber 'Sangen geben? 2*ie 



Siegerin geii. 363 

formte eine £aut fo feinporig, Augenbrauen fo flaffifdö gefdjroungen fein 
in ifjret feften Sinie.' 2)je Augenbrauen maren e§. @r fonnte ben Stidf 
nid)t mefyr bon biefer Sinie loSrcifeen. $cine§ Sünftlerä $fyantafie bat 
je erbaut, ma3 fjier lebenb, bebmb bor ibm ftanb. 2Ba§ maren bie bc* 
rübmteften Silber, ma£ mar ®iana ober SenuS neben ibr! 

©ein ©efiifjl mar fo übcrmältigenb, baf$ er bie Stugen einen Augen» 
blicf fdbliefcen wuftte. 2)a brang if)r ängftlidjeä fragen ibm mieber in 
bie Seele. SSor allem mußte er ifyr Reifen, feine gaffungSIofigfeit über« 
minben! Unb plö^Itcf» fielen ifjm bie eben in feinem 3iromcr berlaffenen 
33rieffd)aften ein. 3Bar ba§ nidjt ein faft übernatürlich 3ufammen- 
treffen? $atte er nidjt t>ieCCeicf)t bie 9WitteI in ber £anb, unb nur bi§ber 
nidjt ergriffen, um $etla bon ifyrer fc^recfltd^en Angft 31t befreien? 

„SBarten (Sie . . . bietteid)t . . fagte er ber beftüraten grau unb 
eilte fort unb bie treppe tjinauf. 

Oben griff er fid) an bie Stirn. Sie mar naß bon Angftfdbmeifc 
— ber Saften mar au grofe, binobtragen fonnte er ibn nidjt, obne bafe 
ber bumme Liener, ber im Sorflur ftanb, e§ bemerfte unb augriff. So 
bracfjte er ibn in ben Saton neben feinem Sd)Iafaiimner, in fein eigenes 
3immer fonnte er $ella nid)t führen. <5r gitterte bei bem ©ebanfen. 

Sefct mar er mieber unten, bei if)r, bermirrt, fo bafe fie ibn gar 
nid)t berftanb. 6§ mar ibm felbft audj, al§ manble er irgenbmo, meit 
fort — al§ fei bie§ atle§ feine 2BirfIid)feit, al§ gefdjebc ©eben, Sprechen 
«Denfen medfjanifdj. 2)ad)te er überhaupt etma§? 

3u #etta f)«tte er gefagt, baft er iftr etma§ 3eigeu müffe, ibr bdbex 
ben 2trm gereift, ben fie obne eine meiterc 8frage genommen, felbft ju 
fcermirrt, itm fid) Sftcdjenfdbaft [abaulegen, mobin fie ginge . . . SDireft 
mit ibm au Sa§far in§ ©efängniä? 

Unb nun faf$ fie in einem ber tiefen gelben Seffel, üor itjr ftanb 
bie grofee Saffette: unb er fagte ibr, ma§ er in ber grüb burdjgemad)t 
Tjabc, in ber qualbotlen Ungemifebeit, ob er biefe ©riefe Iefen fotle. ©riefe 
if)re§ 3D?anne§ an feine Sßutter. 

©in Schatten festen an ber SBanb entlang 31t bufdjen . . . Aber 
obne 3ögerung, obne au ermägen, bafe bie ©riefe alt mären unb ba§ 
augenblicflidje ©unfef faum Iid)ten fönnten, gab fie itjrcr ©ermunberung 
Au§bru<f, bafe er fie nid)t fdjon gelcfen. $n ibrem unerfabrenen Sinn 
frfjten if)r fogar, aB fd)ide fidj ba§ 3ufättige, um ibr bienlid) au fein, 
^m redeten Augenblid mürbe ba§ redete 2>ing gefunben, um ibr beiau^ 
fteben — fo fwtte fie e§ au§ Sinbergefd^icfiten im @ebäd)tni§ bebalten. 

9fl§ ber ©edel geöffnet mar unb fie bie in aierlidje Sßädfdjen ge« 
bunbenen, mit Überfdbrift begebenen ©riefe fab, ^ndtc ibre §anb einen 
2fugenblidt zmM — rein inftinftib; feiner fann fid) eines Sd^auer^ er- 
mehren, menn er an ©fättcr rübrt, bie einer anbern gebort baben . . . 
Unb biefe anbere mar tot. 



364| JTtitc Kremnitj in Berlin. 

Dann aber griff fic hinein unb nahm bon ungefähr ben erften beften 
93rief heraus. $enri neigte fid) über ihren Sejfel, um mit ihr in baS 
jefet entfaltete Slatt ju bliefen . . . 

. . . SaSfar mar ein 93rieffd)reiber, bem jebe Xonfärbung ber Sprache 
8ur Verfügung \tanb . . . ®er SBrief, ben $effa ahnungslos ergriffen, 
hätte einem Siebter @t)re gemalt . . . 

©S toar ein S3rief ohne jeben faftifeben Snbalt, nichts als ein heißer 
Sobgefang an bie angebetete, bie gebenebeite grau ... 

$eüaS SBangen färbten fid) purpurrot, als fie bie erften 2Sorte 
heißer, glitfjenber Siebe balblaut gelefen — bann ftodtte ihr ber 2ltem. 
#enri mürbe afdjfabl . . . ©in ihnen im 2tugenblidE unerflärlicbeS, aber 
nur 5U natürlidjeS Schamgefühl iibermältigte beibe, ein mabreS ©ntfefcen, 
baß fic smei, gerabe fie, bieS gemeinfam gelefen. ©eine SKutter — if)r 
(Satte . . . 

SBremtenbe Scham. 2tber baätuifdjen, barüber hinfort etmaS anbereS, 
etmaS ^nftinftibeS, Unbegreifliches . . . Sie fonnten nicht mehr bon bem 
33latt laffen . . . $enri las eS jefet, ba fie berftummt mar, ßüfterab 
meiter, unb feine Stimme trug an ihr ©b?/ toaS box ben 2tugen ber 
faft ©cblenbeten gefdjrieben ftanb. 

9fber eS mar nid^t bor Sohren bon einem anberen geftammelt, nein, 
eS maren bie SBorte, bie aus £cnriS tiefftem ©er^en fdjrieen, eS mar 
bie Siebe felbft, bie fprad). Unb in ber eigentümlichen £otenftitte, bie 
plöfclicf) fdjmer über bem 9taum lag, bernabnt auch $etla nichts als eine 
unberftanbene Stimme beS 33lutS, unb ein SSunbern, nichts als ein be* 
frembenbeS ,93crmunbern beberrfdjte fie. Slam eS bon meitber ober aus 
ihr heraus, roaS in ber beflemmcnben Suft fdjmirrte? SßaS mar baS 
nur? Henris Obern fädelte ihre äöange, fie fdjlofc bie Stugen unb fjriirte 
nur einen füfeen 3)uft, als er fie leife mit ben Sippen berührte. — Sie 
moffte fid) feiner Stäbe entheben, aber fie fühlte fid) 311 matt, au eigen- 
tümlid) benommen. 9tun lag fein #aupt bid)t neben bem ihren auf bcS 
SeffelS SRüdlehne, unb # er füifterte: „#etta, $ella!" — meiter nid)tS. 
yjidjts meiter fonnten feine fiebernben Sippen formen. 

■Uiinuten Vergingen. 

Sßtöklidj febreefte ein ftarfeS ©eräufcf» beibe auf. SBar einer int 
3immcr<r . . . $enri hatte mit feinem gufee an bie Saffette geftofecn, 
unb fie mar bom bem Heilten türfifeben £ifdj, auf ben er fie borbtn 
ungefchieft geftettt f>atte, herabgefatten unb hotte ihren ganjen Inhalt 
über ben Jeppicb geftreut ... 

„£>, betne arme SOtutter," fagte $etta berlegen leife. Sie berftanb 
iefet atteS, alles . . . 

„Sa, meine arme SKuiter," mieberholte er traumverloren unb füfcte 
baS füfte 2tntlifc neben ihm fo unbeholfen, fo fanft unb aart, als märe 
#effa eine 93tume. 



Siegerin geii. 



365 



@§ flopftc — ber Rad beä SfaftenS fdjien aud; unten erfd>redt au 
baben — ber 2>iener fragte, ob etma3 gefcbe&en fei? 

$etta mar aufgezwungen unb an§ genfter geeilt. ©ie Ijielt fid) 
jefct bie ©tim mit bciben £änbcn. £>ann manbte fie fid) £enri au, 
fdjlug if)re 9lrme tüte beraroeifeti bor ficf) gufammen unb ftiefe befinnungS« 
Io§ beraub: „2ßa§ nun, ma§ nun?" ®aum miffenb, ma§ fie tat, trat 
fie burd) bie geöffnete 2ür, eilte am Liener borbei bie Xtfype binab, 
obne ein SBort be§ ?tbfcbieb3, unb fubr in ibrem SBagen babon, ebe #enri, 
ber bom SSoben bc£ ^immcrS bie Briefe auflag unb lieber einjjadte, 
fidj aucb nur flar machte, ma§ gefcbeben mar. 

XXVII. 

2tudj Sannt) mar burd) ba§ #inunterfatten be§ grofeen SaftenS, 
gerabe über bem 3i imn ^ in ba§ man fie gebettet batte, aufgefdjredt. 
33a§ betfet, aufgefdjredt mar fie fdjon früber, al§ fie erfabren, eine junge 
3)ame fei beim #errn. Sie fonnte nidjt faredjen, fonnte fid) nid)t be- 
legen, aber if)r @ef)ör batte nidjt gelitten, unb ibre botte SJefinnung 
fcatte fie plöfclicb miebererlangt. — $för festen fogar, aU f)öre fie fd)ärfer 
benn je. ättan bätte e§ bor ibr nidit erft 311 fagen brausen — lädjelnb 
unb mit ©tola eraäbttc ba§ Httäbdjen eS ber Pflegerin, baft eine gürfttn 
fidj beim jungen #errn batte anmelben Iaffen — fie mußte, mer biefe 
2>ame fei. Sb* £afs featte e§ empfunbeu; nur eine fonnte c£ fein, bte, 
bie Unglüd über ba$ $au§ gebradjt. 

SBeldj ein ©djidffal, baft fie, Sannt), geläbmt ba lag, baß fie e§ 
nid^t binbern, fidj ibr nidjt in ben 9Beg merfen fonnte. ÜWit ibren $änben 
bätte fie fie erbroffelt, ebe fie binauf in ba§ 3immer ber toten ftrau 
ging. — 

SDenn jefct, jefct mar fie oben, gerabe über ibr. Oben in bemfelben 
©effel, in bem gannt)§ vergötterte $ortenfe noeb bor einem %af)xe ge* 
feffen . . . ©ab e£ feinen @ott im Gimmel, bafe ba§ gefdjeben fonnte? 
SBar fein 33Iifc mebr über ben Häuptern ber ©ottlofen? $>a! . . . 2Ba§ 
mar benn ba£? äBar ba§ ber ®onner? Ober mar £enri bon ibrem 
Stucke tot umgefallen? . . . Sannt) madjte einen SSerf ud) fid) aufaurtdjten, 
fieb menigftenS umaumenben — umfonft. 2Ba§ fonnte fie anftellen? 
©omeit mußte fie ibre Sranfbeit bemeiftern, um fieb berftänblid) $u 
macben: *#enri fottte man ibr aur ©teile febaffen, fie mußte ibn feben, 
fidj überaeugen, bafe er lebte, ibn betaften. 2Ran merftc, baft ba§ laute 
©eräufd) fie heftig beunrubigt battc, bie Pflegerin fd)irfte ben Liener 
binauf. ©ine Jiaffette fei anfällig bom £ifd) gefaHeu . . . (Sine Saffette! — 
Sannt) ftieß unartifulierte Saute au3 — 0 bätte fie fdjreiben . fönnen, 
märe menigftenä bie $anb niebt geläbmt. Sie SBärterin riet auf bie£, 
riet auf ba§ — - aerbradö fidö ben $ot>f, ma§ bie Sranfe berlangen fönne. 
©ie fab, bafe eine namenlofe grreguug fid) 5annl)§ bemäd^tigte, bafe e£ 



366 



mite Kremiurj in Berlin. 



Icbenägefäfyrlidj mürbe, mcnn bie Pflegerin nicfjt fdjliefolid) fjerau§fanb, 
um ma§ e§ fidf) fjanbelte. 

Säte fottte ganni) fidfj nid)t erregen! 63 mar it)r atteS eingefallen, 
ma§ fie bergeffen. SBie mar ba§ nur möglid) gemefen? ©ie begriff e§ 
nidjt; ba§ Semu&tfein, franf gemefen ju fein, mar gelöfdjt, bie (Erinnerung 
an bie legten ©tuhben bor $enri§ 9tnfunft allein beftanb nodj. 

Sför fiel ein, bafe £ortenfe3 midjtigfter SJricf, mit bem fie fönt bie 
ßaffette einbänbigen fottte, in ber SHeibertafcfye ftedte! Unb bie Äaffette 
ftatte er fdjon geöffnet unb fie &u 33oben getoorfen in mafelofem S^rn, 
in rafenber 23erameiflung. Unb fie mar ftumm, fie fonnte nid)t auffteften 
unb für ^ortenfe seugen! £), marum fyatte fie nicf)t lieber atte§ ber» 
brannt, anftatt e§ iljm ju geben I 

©nblid) f)atte fie fid} berftänbtidj gemadjty enblid) fjatte bie Pflegerin 
rid)tig erfaßt — um Hjr ®Ieib fyanbeltc e§ fid). 2>er serfnitterte 33rief 
toar ba. SRit ber nid)t gana gelähmten linfen $anb glättete bie Jiranfe 
ungemanbt ba§ Rapier. @§ faf) jammerbott au§, fd)ien fie aber etma§ 
31t berubigen. Unb nun bie #aupifad)e: ber junge $err fottte fommen! 

2)ie Pflegerin telefonierte fofort an ben Sfrat. ®a§ 93efinben er* 
fcfjien il)r beforgniäerregenb. SCugenfdjcinlid) mar ein neuer Stnfatt im 
8lnauge ... 

$enri fonnte nidjt glcid) fommen — $effa fjatte ifjn eben berlaffen, 
unb er fammelte nodj bie auf ben Soben berftreuten 93riefe, unfäbig 
etma§ anbereS ju benfen al§ $etta — bie ©üßigfeit iljrer $aut, if)re§ 
rofigen 2[ntli(je§. Sie mar ba, in feinen Sfugen, in feinem ßf)r, in 
feinen gingerftrifcen, im £)bem feinet üßunbe§. ©ie . . . Sie . . . 2>ocf) 
fein 93emufetfein ifyrer, feiner Sage, fein ©ebanfe über ba§, ma§ gefdjeben 
mar ober nod) gefdjeben fottte. Übermältigt, glüdffelig oftne jebe 9lef(erion, 
ofyne jebe§ Sßünfdjen, hoffen. Sittel mar bon ibr erfüllt, mar (Segen* 
mart. 9hd)t§ bemegte fid), e§ gab aud) feine — gab nur $etta, 
#etta überall. 

3um ^meitenmal rief man ifjn: gannt) berlange %n bringenb. @r 
rüfjrte fid) nodj immer nidjt; medjanifdj batte er bie 33riefe gefammelt, 
bie ^affettc fogar berriegelt, ben ©djlüffel eingeftcrft. Sefet fd^Iofe er bte 
Stugen, um jene ©efunbe, mo er fie berüfjrt unb Ieife gefüfet ftatte, nodj 
einmal au burdjleben . . . ©eine $t)antafie gab üjm jene§ beraufdjenbe 
©efüljl genau mieber. £), mie unerfdjöpflidj mar fie bodfj: immer mieber 
burfte er ben 2fugenblicf burdjleben . . . 

SSon neuem flopfte e§. Unb bieSmal fprang er mit bem SSetoufet. 
fein feiner ©djulb auf. SBie ^atte er fo felbftfüd&tig nur feinem ®Iü<f 
leben fönnen! @r fprang gmei ©tufen auf einmal ftinab, al§ fönne er 
e§ einholen! 

© mef), o mef), e§ mar nid)t§ me^r einau^olen, nic^t§ meljr gut su 
mad)en! 9Cber fie erfannte if)n bennodö, gab ifyn ba§ Rapier, unb e§ 



Siegerin geit. 367 

beruhigte fie ftcf)tlid), baß er e£ feft in ber #anb f)ielt . . . 2)ann fam 
ber 2trgt. 

SBofjcr biefe plöfclidje äJerfdjlimmerung? deiner mußte c3. 2)er 
Siorper mar nodj fräftig, ber Sttent ging mciter, ben gangen 9lad)m\i* 
tag lang. 

$enri bertiefe ba§ 3iwmcr ntdf)t mefyr, in einem unfidjeren ©efüt)I 
be§ 33erfcf)ulben§, ber Sfteue. SSon einer SWinute gur anbem erwartete 
man ben legten 2ttcmgug. SBie mürbe $effa fid) munbern, baft er ntdjt 
fam, fie in iljrcr (Sorge allein liefe! ©r mollte ifjr fdjreiben. Slber roie? 
2Ba§? 9?ein, lieber ntdjt§! 

©§ mürbe 2lbenb. 93ei ben legten #erbftfonncnftraI)Ien mar gannt) 
erlöft. ©r fab ba§ (Sterben. Unfafjlid) berührte ibn bie frembe, neue 
Seitenfolge, ©inatmen löft nicfjt 2Iu§atmen meftr ab; ma§ einft erhielt, 
gerfefct jefet bie ÜRaterie. 2BiffenIo§ fdjaltet eine anbcre S3emegung al§ 
bie be§ SnbitnbuumS in bemfelben Setb. 9Bie ift e§ gu berfteben, gu er* 
grünben? 3ßa§ ift genommen, ma§? 

Er fdjauberte bor bem @el)eimnt§. Sftod) immer f)telt er ba§ Rapier 
in ^änben, ba§ fie mit bredienbem 2Iuge ifym ausgeliefert, ©in lefcter 
SBunfd)? ©in Siebeägrufc? 

©r Ia§ eB jefct bei ben fladEernben Sergen i^rcB Totenbette^, ©r 
Ia§ e§ — bor acf)t SWonaten fcfjon fjätte er e§ Iefen follen. 2lu§ forgen* 
ber Siebe modjte fie e£ gurücfbebalten baben, bie arme gannt)! SBa§ 
machte e§ jetjt, bafc er e§ Ia§, ob er e§ Ia£; bie ©reigniffe be§ ßeben§, 
ber mogenben S^genb Ratten ba§ tote 93Iatt lang überbolt. 

#enri ftanb mitkam auf. ©r Ijatte einige Stnbrbnungen betreffs ber 
lieben Toten gu geben; bann ging er langfam tote ein alter SWann bie 
Treppe hinauf in fein Qimmet. £>, tote fdjmer tft bodj ba§ Seben. 
©ibt e§ 3Haiennäcf)te obne groft? 9?icf)t 93Iütenregen umgaufelte tf)n 
meljr, mit (Schnee bebeeft mar eine enblofe (Steppe. 

XXVIII. 

$etta mar int Sßagen balb gu fid) gefommen. 2Ba§ mar gefdjeben? 
38a£ batte fie getan? brannte ba§ 93lut in ben SBangcn Jbor (Sdjam. 
(Sie batte fid) füffen Iaffen bon einem 2Banne, ber nidjt if)r ©atte mar, 
fie, fie, £eHa Toleabu! ®a§ ©erg fdjien if)r bor <Sd)rcd bi§ in bie 
©urgel gu ftetgen, bie Sruft Ijatte feinen Sftaum gum 2ftmen. 

®a3 Uneblc tf)re§ SorgebenS erfttefte fie bollfommen. $I)r ©atte 
in ©efabr — unb fie im 2lrm eine§ greunbc§! $fui. Um attc§ in 
ber SBelt, ba§ mufete ein 2Qp, ein fernerer Traum fein, ba§ jmar fie 
nic^t, ba§ fonntc fie nid£)t fein! ^ebe§ #aar etngeln I)ättc fie fid) bor 
aSergmeiflung au§reifeen mögen. %fyv Wlann in ©cfal)r! 

2lber mar er benn in ©cfaljr? 

Ser 3Bagen mar in feinen ^of eingefahren, ber Pförtner rief ben 



368 



ITlite Kremnifc in Berlin. 



Rutfcfjer an, {prang ihm tüte tot! entgegen; e§ toäre ja atle§ nidjt toahr, 
toäre ßüge getoefen, ber $err toäre ba . . . 

Stlfo niefit in ©efahr. ©r, ber eine anbere geliebt unb verraten. 
Unb ba hielt ber SBagen, nnb er fam il)r ruhig, toürbig, elegant tote 
immer entgegen, ©inen Stugenblirf lehnte fie fidf) in bie äBagenerfe aurüdE. 
©ie fah in fernen 2tugen einen ©traf)!, ben fie haßte, jetjt boppelt hafete, 
ber fagte: „tote froh bin id), bid) hier au höben." SSon feinen Sitten 
fam ber liebebolle SBortourf: „SBic fonnteft bn, $etla! @o ungehorfam, 
unb bodj fo lieb bon bir !" 

Sn einem ©emifdj bon ©efühlen, bie fie fid) nidjt erflären fonnte, 
toäre fie am Iie6ften bor tönt äuriiefgetoiefien. ©eitbem fie if)n heil imb 
gefunb, felbftbetouftt toie immer bor fiefi fah, toar ba§ ©efühl eigener 
@d)ulb merflid) in ihr Verringert toorben, aber eine anbere ©rregung 
hatte fid) ihrer bemächtigt, ©ie toar nicht für, fonbern gegen ihn! 

^eber 9ierb surfte in ihr, il)n äuriidauftoften, al§ er ihr ben 2lrm 
bot, bod) bie 2lntoefenheit ber 23ebienftetcn 5toang fie gur ©elbftbeherrfdjung. 

Oben öffnete er ihr ein in ber @ile für fie hergerid)tete§ 3imnter. 
©cfion auf ber £reW>e ftattc er gefragt, tote fie fo unerfahren fein fönne, 
3u glauben, ihm gefdjehe cttoa§ im eigenen Sanbe. SIbcr für toen hielte 
fie ihn benn? Serf tooßte fie: „SNefchifto" fagen, aber fie fdjtoieg. 

Er hatte ba§ £henta fd)on fallen laffen unb forad) bon feiner Siebet 
fefinfudjt, Jtote anbcrS er fid) ihre erfte 9tnfunft bahetm cinft ausgemalt 
hätte! Hub nun toollte er fie t>or allen ©ingen gierig in feine Sfrme 
Stehen; totgefelmt hätte er fid) nach ben SBunbern ihrer ©djönheit 

®a btadf) e§ lo§, toa§ in ihr kaufte unb tofte. ©ie tou§te nidht, 
ob e§ $afe ober Siebe toar, ob für ihn ober gegen fid), fie bebadjte feine 
Solge, feinen ©runb, fie fiieft herauf: „@d)toeig — idi toeifc jefct affc£, 
aHe§." SBar e£ ein Sfterbenframpf, ber fie paefte? 

Öa§far ging in feinem ®opf blifefd)itett burd), toa§ fie erfahren haben 
fonttte, toa§ fie mit bem „atle§" meinte. 

©ie $abel von feiner bereits erfolgten Verhaftung, bie ©efd)idjte 
ber erbrod)enen ©iegel — ober bie feiner langjährigen SSesiehung 311 
#ortcnfeV 

SBie fie ba fiingegoffen lag mit einer Stnmut, bie er nie ähnlich be* 
rüdfenb empfunben hatte, tote fie ftöfmte unb toetnte gleich einem ßinbe, 
bem bie £ränen ebenfo gut fteben toie fein Sädjeln, erftarb jebe Über* 
legung in bem Siaufdje, in bem 3auber, ben fie immer auf ihn ausübte. 

9tnftatt über ihre SBorte gu grübeln, fie su fragen, tt>a§ fie beim 
Sfted)t§antoalt (bott bem er annahm, bafe fie fam) erfahren habe, nahm 
er fie, bie Heine 3^ r te mit bem rührenben, tränenüberftrömten ©eficfjt 
in feine ftarfen 9trme. 

®od), aß hätte eine Uiatter fie geftodjen, fuhr fie auf, ftieß ihn 
bon fid) unb gebärbete fid) faffungSIoS; bie $änbe ballten fid), bie 3ähne 



< Siegerin geit. 369 

fletfdjten: „SRühr' mich nicht an! S<h fommc eben au§ km Sfrme eines 
anbern!" — • 

höhnte fie ihn nur mit bem in aller blinben heftigfett fiebern 
Snftinft be§ SEBeibeS, ba§ bie fdjärffte SBaffe au fetner ©elbftberteibigung 
3u mählen meift? 

fjaffe bich," fuhr fie in bemfelben Stone fort, „benn bu hflft 
nüdj bon SInfang an betrogen, Ijaft eine anbere geliebt unb berraten unb 
bamit auch mich . . . bu bift mir fo auftriber, bafe mir bor bir grauft!" 

(Sie mufete augenfdjeinlich gar nicht mehr, maS fie fagte. (Sie 
motte fort, fort, gang gleich mohin, nur auS feinem häufe — fie ftürate 
8ur £ür. 

@r fam ihr subor, berfchlofe fie unb 50g ben ©d)lüffel ab. @r hatte 
feine S3efinmmg nicht berloren. eigentlich mar er ja lange barauf ge* 
fafet — feit biefer öffentlichen Stnflage mar eS unbermeiblid) getuorben. 

Sie hatte erfahren, bafc hortenfe fid) umgebradjt, als fie bon fetner 
Verlobung gehört — ein SBunber mar nur, ba& fie e£ nicht fdjon längft 
erfahren. 

(£r burfte jefet nur nicht bie 3ügel berüeren. Überrafdjenb mar 
eigentlich nur, bafe bie£ oberflächliche ßtnb einer folgen SBilbf>cit fähig 
mar — e§ machte fie biel intereffanter. 

@ine ridjtige 2Bahnfinn§faene führte fie auf: ,,$d) fomme au£ bem 
Slrme eines anbern." 3Ba§ mar baS? hoffentlich nur 9tomanPhrafe, 
um ihn abaufchütteln, su berfcfjeudjen. ©onft . . . ©in SBIifc fdjien ihn 
au burchautfen . . . ©onft . . . SEob unb Teufel . . . @3 gab nur einen 
SWann, ben er fürchtete, inftinfttb immer gefürchtet hatte, menn auch 
ohne jeben ©tnn unb ®runb. 

Stber er mar boch gar nicht in ber ©tobt. SBäre er e£, mürbe er 
fie lebenb nicht mehr berlaffen. %n „feinem 2trm?" . . . Shm mar, aB 
rühre ihn ber @d)lag. ©in eiferner entfdjlufe lag in feinem sufammen» 
gebtffenen ätfunbe. 

®a er fdjttrieg, hatte hetta burd) bie gtngerftrifcen hinburd), bie ihr 
©efidjt bebedten, feine 3üge beobachtet. 2Ba§ hotte fie gefagt? ©rofeer 
@ott, maä mar ihr im £?rrfinn entfdjtüpft? 3Ba3 mochte er benfen? 

@3 burchfuhr fie: „Sttun geht er hin unb fdjiefjt henrt nieber!" 
hatte fie ben tarnen auSgeftofcen in ihrer erften 3But? SBufote er, bon 
mem fie gerebet? SEBie fonnte fie ungefagt machen, maS ihr im erften 
3Bahnfinn beS unbegreiflichen hoffeS entfahren mar? ©ie hotte felbft bie 
gäben ihre§, feines Sebent burd) Unbebaditfamfeit berart bermir'rt, bafe 
ein (Sntmirren hoffnunglos fd)ien. 

Unb mieber unbermittelt, plöfclid), fiel ihr bie ©ürtelfdjnaffc ein, bie 
fie fo gern trug, an ber SJZenfchenblut Heben unb bie c§ immer mieber 
f orbern foffte! 3Bie mar baS nur möglich, bafe ein finbifdjer Slberglauben 



370 



mite Kremnitj in Berlin. 



ü)r jefet nod) ben @inn bermirrte! Sorbertc fic $enri£ 93Iitt? 23ar fie 
bermirrt? ©her hellfidjtig. 

SBährenb fie ihren ÜWcmn beobachtete, fah imb füllte fie bod) genau : 
SaSfar mar glfidjgültig gegen iebe anbere Sftcgung, nur ©tferfudjt, nur 
tuilbe Segier lebten noch in ihmf 

©r hatte eine Strt Siebe für fie, bor ber ihr fchauberte; er mürbe 
fie eher töten aB freigeben. 

Unb fie mollte frei Serben, mollte bem anberen gehören, beffen füfeen 
2)uft fie einmal leife gefjritrt, bem anberen, ber niemanb berraten unb 
gemorbet, ber fie nicht beherrfdjen unb befifeen, fonbern berftehen unb an* 
beten mürbe, bem anberen, ber ihr bon Urbeginn beftimmt gemefen — 
nicht bem 3Wannc, ben fie fich in finbifcher £)berfläd)lid)feit, nach melt* 
lidjen ©efid)t§tntnften gemäblt hatte. 

9hm aber mürbe ba§ gurdjtbare gefchehen ... fie fah e£ fommen. 
£$n biefem Stugenblid ber (Stxmnung, in bie§ bnrd) fie ermedte SD?ifetranen 
thre§ 2Wanne§ hinein mürbe #enri fommen, er felbft ober eine 93otfd)aft 
bon ihm. Öhr mar eS, als höre fie fdjon (Schritte nahen. ©r mahnte 
ihren STOann in UuterfuchungShaft, er mar fo finbifd) unerfahren toie fie. 
Unb baS burfte nid)t geschehen, CaSfar burfte £enri nicht [jefct treffen, 
fic mufjte erft eine (Schufcmehr errichtet haben um ben jungen SWann. 
Silber mie? momit? 

(Sic mufctc öaSfar $ortenfe bortverfen! STOufete ihn be§ SBerbrcdjenS, 
bcS 2)?orbeS reihen! 

93ei ber erften Stnbeutung brach bie ©ehäffigfeit bon beiben (Seiten 
herauf. <Sie fagte fdtfiefelidj, feine Vergangenheit gäbe ihr baS Siecht, 
ihre greibeit 31t forbern. 3)a fprad) er bon ber Jpeiligfeit ber ©he, bon 
ihren Pflichten! (Sie tad)te laut auf! 

Unb gegen $ortenfe hätte er feine $flid)ten gehabt? ©r leugnete 
fie bort, aber fie, $ctta, höbe Pflichten gegen ihn! 

®a fam ber SBahnfinn beS SähaomS mieber über fie: (Sie fagte 
ihm, baft fie fid) innerlidh frei fühle burch feine Vergangenheit . . . 

SBarum tonnte fic nicht fchmeigen? Sie hatte boch fchon längft gc« 
fühlt, maS auf bem (Spiele ftanb! äöarum rift eS fic hin, ben Unfcfiut» 
bigen $u berberben? 

®Tar unb beutlich fagte er cS ihr, bafe er feine 9?cd)te toahren 
mürbe, bi§ an ben <Saum ber nächften SBclt. S)afe er ben anbern — 
menn eS mirflid) je ejnen gäbe — mitleibSloS nieberfdjiefeen ober er* 
morben Iaffen mürbe, bafe feine Sftadit ber ©rbc fie ihm entreißen mürbe; 
nicht Verbrechen, nidjt BudjtbauS fürchte er, lebenb liefte er fie nie auS 
feinem 3lrm. Quin crftenmal entluitlte er feine 9?atur. 

(Sie fühlte fid), als fei fie in einem tiefen VergmerfSfchacht für 
immer berfchüttet. ©r begehrte fie, ad), er begehrte fie fo milb! 

3Sie lange hatten fie berart miteinanber gerungen? 



Siegerin Seit. — 



57 H 



„ s 2ßie atuct Sci'jinutöe/' iagtc jid) $e(la plöfclid). Unb feinen Stritt 
Xerrain- hatte fie Gewonnen! Sbre 2ter3Weiflung gab ihr einen 2tu§= 
tueg ein. Sie mußte auf Stellung finneu, jeber Mugenblicf fonnte ber 
entfdjeibenbe fein, in jebent Hugenblitfe fonnte $cnri auftauchen. @3 
mar ein 3Bunber, baß er nod) nidjt ba war. Unb bann fonuie SaSfar 
affed fcftftellen unb mußte genau, wa$ er ictst fd)on 311 ahnen fdjien, Wo 
fie uorbin gewefeu, wer jener anbere mar. 

Jinr biefer eine Ginfaff, ber ihr eben gefomnien, bieje übermenid)* 
lidje Selbftübermiubuug fonnte ©citri retten. 9iod) einmal fann fie nad). 

©ab e3 feinen anberen 9lu3roeg? Satte fie einmal etwa* äfmlidöe^ 
gelefen, ober entfprang e§ ihrer eigenen ^bantafieV 

Sie mußte fief) Perftellen — nid)t3 anbere* fonnte helfen! Sie 
mußte jefet fofori allem SJtißtraueu bie Spitje abbredjen, mußte fügen, 
beudjeln . . . Wie lange war c3 ber, baß fie behauptet hatte, fie mürbe 
nie etwa«? anöereö tun, al£ was ihr gefiele, ©enri hatte gefagt: e3 gäbe 
Singe, bie einen 3Wängen, gegen bie eigene 92atur 31t hanbeln. Damals 
hatte er fie feelenlo£ genannt, weil fie nod) nie Don etwas? anberem aB 
ber 9tütffidjt auf fid) felbft bewegt worben mar! ütar ihr jetjt eine 
Äeele gewad)fen? 

3Cd), in einem wie fdjrecftidjen Slugenblicf, 31t wie unwürbtgem Xun! 
Hann ba§ bie ©eburt einer Seele fein? 

G§ balf nid)t§! Sie mußte bie twr Giferfudjt auf ihres? Statten 
Vergangenheit, bie auf feine cinftige ßiebc für bie £ote Giferfüdjttge 
fpieten! Sßnr batnit fonitte fie ihr 93cneönten erführen! Sie mußte 
ßaSfar mit 3ärtfid)fciten einluden, ibn befänftigen, um Seit 31t gewinnen, 
um ihren Ginfluß surüdfeuerobern. 

GS galt $cnri§ Öeben . . . fie hatte ee freöentlid) auf£ Spiel ge- 
lebt. Sftit ber SBaffc be3 SÖcibeS mußte fie fämpfen. £), über bie 
Skfjmad) unb Grnicbrigung, baß ihr nur biefe Söaffe blieb. 

Sbt fc^auberte. G§ fcfjien ihr, als fträubteu fid) ibre ©aaro, als 
audte jeber 9Jert) idjmerabotl sufammen. «ber fie fd)Ioß bie 2fugen, biß 
fid) auf bie Wippen: „SafyV bie tfcdfje, bie bu üerfpielt baft!" 

Sonnte bie gorberung ber SWoral ein unmoraiifdb (SeWanb tragen? 
<Sie säuberte nod) einen 2tugenbfitf. 9tber ein SWenfdjenteben retten ift 
bod) moralifdb? Siebt man ben wiberlidien grünen Schlamm, in beu 
man fid) ftüraen muß, um ben Grtrinfenbcn 311 retten? 

2J?it einem Slitffdjrei ftüt*3te fie Por Öa3far nieber, nmfdjlang feine 
.vinic unb barg ihr .$aupt in feinem Schoß. 

„Du fluger, großer Wann," flüfterte fie, unb ihre klugen faufen 
förmlid) ein, fo feft preßte fie fie 31t, bannt er bie £üge nidjt in if>ncu 
fa§. „Du fluger, bummer 9Kann, haft bu benu nid)t gemerft, baß nur 
cin§ au§ mir fprid)t: rafenbc Giferfudjt auf bief), auf beine SJergangeu^ 

«Rorb unb 6üb. CXX. 20 



372 



HXUe Kremntft in Berlin. 



heit, rafenbc, milbe Siebe. 3$ tod&c nidjt, baß id) nidjt bie erfte in 
beinern Sehen bin. 93tft bu fo fing unb haft ba§ nid}! gemerft?" 

Sie Hämmerte fidö feft an feine 33ruft, als gäbe ba§ 9Cn0acfen ihr 
mehr ft-aft *ur Süge, aur fd)recftid)ften Süge. 

©inen Slugcnblidt ftodte er . . . einen emsigen Mugenblitf bc3 
3aubern£ bntte er, bann bernrirrten fief) feine bitrd) bie lange Cual 
überregten Sinne; fie nabm ihn gan^ gefangen, er glaubte ibr, er mar 
befeligt! 

X)ic erfte Fontane, bie erfte beiße 3äi*tlidhfeit Zettas! Sein junget 
Söeib mar felötjlid) — in ber 3(ngft um ibn, in ber ©iferfuebt auf feine 
Vergangenheit — *ur Siebe ermadjt! 

XXIX. 

Sßic fogar ber Sefunben^eiger langfam babin^uf riechen üermag! 

•wnri folgte ibm auf bem großen 3iffcrblatt ber Sfteifeubr, bie auf 
feinem Sdjrctbtifcbe ftanb. 9ßar e§ lag ober toar e§ 9?ad)t? Gr mußte 
e§ nicht. Xcr 33rief feiner 3D?ntter, in bem £effa§ 9?amen \tmb, latf 
Dor ibm. Ob je ein Sftenfd) auf Grben in äbnlidjer Dual geatmet? 

3bm fiel tarntet ein. Der ©eift fcine§ $ater§ hatte ibn befebmorcu, 
feinen 9Worb 311 räd)en. flehte ber @eift feiner 2J?ntter, feiner 

armen, ^ur aSeratueiflung getriebenen SWutter um Sftadje an. 

Unb ba£ SDJcbium, burd) bas $enri fid) rädben fo(Ite f mar bie bon 
ibm geliebte junge grau. 

vsc länger £>enri auf bie Sd)rift3Ügc feiner äWutter ftarrtc, um io 
fieberer munte er, baft fie in einem 3*iftanb fcon Un3ured)nnng§Täbigfcit 
gebanbclt hatte, blinb unb taub gegen ibre eigene öornebmc Statur. 

Xcr Weift im tarntet fonntc nad) 9tarf>e unb Sübne fd)i*eien, fie, 
bie ctbifrf) fo hodjftcbenbe moberne $rau fdjritt ftols unb flagloS in§ eigene 
Wrab -- miffcnb, bau SRädjerin 3v\t für fie bie ©eifeel febmang. Unb 
hatte fidi nid)t fdjon erfüUt, mas fie in Sftaferei erfleht? S>c(la€ @(ücf 
unb Unglürf (ag in feiner .ßanb. 

Sßcnn er bavan bad)tc, öermimen fidb feine Sinne, ein fiijjer sartet 
Xnft t)on ^räfien entführte ibn ber SBirflidjfeit. #etta hatte ihr SCntlitj 
an bas feine gelegt. Sein #au# fanf herab, er fd)lofe bie äugen. 
gab feine Vergangenheit, es gab nur $eHa. 

Wegen sehn Uhr floate ce: Ein serfumpter 93urfch habe biefen 
Bettel für* ben $errn abgegeben. 

üftatürlid) toar er t>on ihr. ^itternb hingeworfen, atoei S^n: 
„Stühren Sic fid) nid)t aus bem $au3, SaSfar ift frei, rafenb gegen 
Sie — id) Fomme, fobalb id) fann . . ." 

(rin eiliger Sdjancr rann ihm burdjS SWarf. 3)er £raum, ba§ ©liirf. 
bie Seligfeit tnaren sertrümmert. ©rnüdjtert ftarrten Vernunft, Verftanb. 



Siegerin Seit. 



375 



©ehnffen au§ offen- Sftomen ber Suft, au£ jebem Staubforn ber (Srbe 
ihn ort 

(5r mar ein Dieb, ein Verbrecher! giueS anbern Eigentum hatte 
er genommen, mit ber SelbftDerftänMidjfeit ber blinben Seibenfdjaft, mit 
bem egoiSmue ber ftarfen S»flenb. DaS mar'S, tooöon er bisher nur 
gelefen, baS mar'S, maS ber glud) imb ber Segen ber äWenfdjbeit — unb 
er hatte eS nid)t einmal erfannt! (?S mar fo natürlich gemefen, fo über» 
mältigenb. 9?id)t einmal an fie, an $effa hatte er gebadet, fonft hätte 
er fie ja nicht befubelt — nur an fid), an fieb allein! .«ein SNann, ein 
t>eräcf)tlid)er $nabe mar er gemefen! Unb in meldjem ?tugenbli<f! SBo 
er am Sd)icffal ber eigenen SButter ®infid)t genommen in baS (Sntfefcen 
mahrer Seibenfdjaft. 3Bie bnrfte er SaSfar richten? 

3ur Selbftfafteiung öffnete er bie ftaffette mit feinen Briefen unb 
begann einen nad) bem anbern *u lefen. 

© mein @ott! ??ebeS ©ort mar ihm aus bem .«Serben gefdjrieben! 
^ebeS Söort be^og fid) auf £effa. l£S mar bie % Siebe, bie in ihrer 
bödbften 93lüte nur noeb eine ftorm bat. GS toar feltfam unb bod) ganj 
natürlid). 

Unb ber Wann, ber burd) Diele $abre berart geglüht, ber feinen 
©ebanfen außerhalb ihrer gehabt, battc bennod) einmal 311 lieben aufge* 
bort - batte berraten unb gemorbet! 

2)aS mar baS Rurcbtbarftc! Gr, $enri, bielt fieb nid)t für beffer 
als anbere SWenjdien. Was SaSfar gefcheben, fönnte aud) Seitab unb 
fein SoS fein! 

SBieber burcbriefelteu ihn bie falten Schauer. s Jiein, bae fonnte er 
bod) niebt glauben. @s» gibt s ^cnfdien mit emigen @ef üblen! @r mürbe 
niemals imftanbe iein, bie geliebte 3frau ins Unglüä au ftofeen, bie 
93lwne 511 bred)en unb, toenn fie melf, fortsumerfen unb ibretn traurigen 
einfamen Sterben au überlaffen. I)aS fdjien unmöglid). Unb bod), mie 
tnele batten eS getan! 

Sold) einem Sdjitffal 511 entfliehen, mar jeber lob' ermünfebt. 
Seine äftuttcr fofftc nicht umfonft geftorben fein. 9tad) ihrem Zun, nicht 
nad) ihrem SBort mollte er fid) richten. Kellas Sehen foffte nicht Der* 
giftet merben. ©troaS anbereS als Seib ober iob fonnte er ihr nicht 
bringen! Sie gehörte einem anberen, ber fie eher umbringen als frei- 
geben mürbe. ?sbm festen fid) bie ^ufunft 31t enthüllen. 3Korb unb 
Sclbftmorb . . . märe SaSfarS 9lntmort. 

©S mar hoffnungslos. 

3tber nod) einmal muftte er fie feben. @S mar ihm, ölS hämmerte 
fein #er$ neben ihm xo\e ein Ubrmcrf. 

®r fbrang auf. Sie iehen, fie einmal füffen, ein einiges 9Wal. 
Wortlos mürbe er fie in bie Sinne fdjtieBen. Unb bann gab'S fein @nt< 
rinnen. ©emeinfam auS bem Seben, ba eS fein ©emeinfam inS Sehen gab. 

26* 



37<* 



IHtte Kremtutj in Berlin. 



Der ©djmetfe ftanb ibm auf ber ©tirn. ©r mottte nidjt, er burfte 
nidjt . . . 

Unb nun rannen ibm grofte Xränen langfam au§ ben Singen. 
9(Ifo ... nie mieberfeben, nie! äBcnn fie fäme — unb er faJ) fie 
fommen, mie ein SWärdjenfinb, t>erf leibet bufcfjte fie binein, jittcr nb bor 
Slngft — menn fie fäme, muffte er fort fein, fort au§ ber ©tabt, fort 
au§ bem ßanb, au§ Eurojxi — am ©übfcol. 9tm ©übpol nid)t, fo fdjnett 
ging ba£ nidjt, aber auf bem £>äcan. Öbm fiel eine anbere 6#>ebition 
ein, nadi ©ronlanb, man mürbe ibn fdion nehmen. Unb ob im 9lork 
ober @üb^of=Gi§ — feine ©litt mürbe bod) nidjt erfalten. gort, nm fie 
SU retten. £atte feine Sßntter c§ anber§ gemeint? DieS mar ber 
Sinn if)re§ £obc§. Söenn er bliebe, fäme bie Vernunft nie mebr au 
Sßort, bann mären £ella unb er Verloren, fie loaren ia beibe junge beiß« 
blütige Sftenfdienfinber. SBar er fo ftarf, baß er fortFonnte, obgleidj er 
mußte, baß fie in jitternber 9(ngft unb Sebnfudjt 31t ibm fäme, baß ^r 
fie einmal nod) in feinen Firmen batten fönntc? Unb fie? 3Ba£ fofftc 
fie bon ibm benfen? 3ln feiner Öiebe ämeifeln? Dagmar nnerträgfid), 
ba§ burfte nie gefdjeben! 

Sie fofftc um ibn, mit ibm leiben, ba§ mar ber einzige Xroft. 

3Bar e3 ein SCroft? 3Bar er nid)t bennodj ein Ggoift, menn er 
baä mollte? 

6r ftöbnte laut. 63 gab nod) ein größere^ D^fer als bie Srludjt 
allein, @x muftte entfliehen unb if)r al£ ©rflärung ben 3?ricf feiner 
SJiutter auriicMaffen. SÖenn fie 51t feinem Saufe fid) gefdjlidien in Siebe 
unb Oorge für ibn, foCCtc fie anftatt feinet flotyenben $er3cn§ unb feinet 
äärtlidjen 9trme§ ba§ ©djreiben finben, in bem ibm 9iad)e an ibr ge- 
boten mar! Unb $efla mürbe glauben, baß er, $enri nur mit ihr ge* 
faielt, bem ©ebote ber SWuttcr folgenb, ober baft er 2a§far§ Soßn fei. 

Scbe3 3Bort, ba§ fie miteinanber gemcd)felt, foHtc naebträglid) ber^ 
giftet merben! 33erl)öhnt, entebrt burd) ibn in ibrer tiefften ©cele fotfte 
fie fiefi füblcn. Dann mürbe fie ibn fjaffen. @r bätte eine Sdmfcmebr 
um bie junge grau gebaut. Sfngcmibert mürbe fie fid) bon 3Wännermort 
unb Wännerliebe abmenben. 

Saut ftöbnte er bon neuem — bie 9tad)t neigte fid) 3um SWorgen, 
er mar $u feinem (Sntfdjluf] gefommen. 9tur ein§ mußte er, mit bem 
erften Srübäug mußte er fort. 

Unb menn er uad) triefen ^aljreu mieberfäme — ob überbaut*, 
mar unfidier — bann märe fie bie oberf(äd)licf)e, ummorbene Königin 
ber ©efcttfd)aft unb ein anberer bätte biedeiebt — — nein, unmögliA, 
fo lange SaSfar lebte . . . 2Benn er lebte . . . 

6r mar faft breißig ^abre älter aU fie. 

Gin £id)tftr-nf am fernften Sorijont mollte fid) zeigen — fdimal — 
0, febr fcfjmal, aber ihm genügte er. 




Siegerin Seit. 375 

Gntfdjloffen ging er aum ßamin, aerrife ben 33rief feiner SDtutter in 
bünne Streifen, entaünbete fie, unb aufflammend Verbrannten fie au licfyter 
3tfd)C. 3)ann fcfjrieb er an £e£la. £)f)ne SInrebe, ofyne Unterfdjrift. 
33eun fie fäme, nriirbe if)r bor S3rief eingefycinbtgt werben. @r fdjrieb if)r, 
baft er au§ Siebe in bie roeite SBelt entflöge unb auf fie warten mürbe. 

äßarten, ein l)albe§ Beben roarten. äöarum nid^t^ 

@r liebte ja, unb tner liebt, ift nie atiein. 

Unb bann fein ©tubium, feine Strbeit! 

Sieben unb hoffen . . . unb ©rofceS Ieiften . . . 

©ine ©tunbc barauf fjatte er (Stabt unb Öanb berfofjen, mübe, nrie 
ein ©cfjlafroanbler — aber eine Sßodje fpäter trug if)n be§ SMeereS 
SBoge gu junger gorfdjung in ben fernen Horben. 



(Dtto €cfmamt 
unb bas neue Kunstgewerbe. 

Von 

4ot§ar ^rtegrr-19aflreri>tfgef. 

— Berlin. — 

ßein Cebenber' f>at jemals ergrüntet, was ben 
„neuen SHT, ben Stil einer 3eit ausmalte. SJtan 
frage bebeutenbe, aber efjrlid)« lebenbe äünftier, ob 
fte wi\\tn, worin ifyc Stil beftefjt. Sie nriffen es 
nid)t. Sie arbeiten, wie fie müffen, unb Rennen 

nidjt anbers, wenn es gaiqe fierle Jinb. — — 

- - - Oeber felbftfinblg fdjaffenbe äänftier 
föafft unbebingt im (Beifte feiner 3eU. (Er ift tfcr 
Äinb. Otto (E&martn. 

I. 

Sfniüniiv Stellung in ber ©nttuicflung bes M'unft* 

gemcrbe£. 

13 Dtto (Scfnumn einem reidieu unb unermüblidjen Sdjaffeu 
burd) ben Zob entriffen mürbe, ntadjte biefe§ Ereignis einen 
roeit tieferen (Jmbrutf auf ba£ beutfdje 33olf, al§ man naef) 
bem bi^ertgen StanbjDimft unfercs» Slunftgemerbes, bem bi§ auf bic 
neueftc Seit bei un$ immer ein menig bie Solle be§ 9lfcbenbröbel 3ufieF, 
bätte annebmen föuricu. unferc Iraner über ben Ucrluft eines 
©rofeen ber Shtnft formte fid) baber fogar eine Iei§ finbernbe greube 
barüber mifdjen, bafe ber alte beforatibe Sinn, ben unfer SSolf im STttttel- 
alter bor allen SSölfern fo lebbaft betätigte, nad) Sa&r^unberten tiefen 
SdjlafeS — ben trir fdjon mifoberftänblicbertoeife aU Hob betrauerten — 
roieber in neuer Straft unb $errlicf)feit auferftanb. 9?od) ettuaS oer^ 
träumt tüte ber junge ^ar^ibal, ber im Sßalbe bem Sinne bermorrener 
s Sogellieber nadjfinnt, aber bod) boll ingenblicber ßebenSfreube unb Gm 
midfung^boffnung. 




0tto (Erfmann unb bas neue Knnftgetperbe. 



377 



äüenn man ©rfmaun oerftäubig mürbigen ttitf, tuirb es» nottuenbig 
fein, Die manchmal etmas übertriebenen Sobeäf^ntnen, meld)e bem &nt~ 
fchtafeueu au* bent beutfehen .ßeitungäbfättermalbe f 0 t>erfd)toenberifd) 
nachtönten, auf ihren reellen üern 3U rebujieren. Slnftatt iftn al§ baä 
unabhängige ©enie hinaitftellen, melchcs? ööllig au* eigenem beraub eine 
farbig fdjöne SBelt gebiert mufe man fein« ©rfcheinung oielmebr hiftorifd) 
auffafftm. £as moberne .Uunftgemerbe bat noch feine aÜ3u umfaugreitfie 
eigene ©efdjicbte, aber es bfieft auf eine lange 9feibe ftattlicher s Äbnen 
3urücf, mefche bie ©runblage für jene #öbe gefchaffen haben, 3U ber 
e£ fid) in ben legten fahren anfgefchmungen bat. W\v werben alfo, 
um Otto (Jeimann berftänbig mürbigen 31t fönnen, 3unäd)ft bie ©nt^ 
nntflung Verfolgen müffen, meld)« 3U ihm führt. 

2(ud) ber entbufiaftifche Verehrer barf fid) nid)t barüber täufeben, 
baß ©cfmann feineömegö ein babnbrechenber Senium mar, etma ein 
©olumbuö be$ .ftunftgetuerbe§. ßafet un§ ihn tuelinebr verehren alä ein 
aufeerorbentlid) fräftigeS unb tnelfeitigeä £alent, ba§ mit eifernem gleifee 
ben feinen ©cfdjmacf berbanb, ber an§ bermorrener ©lementenmenge 
ba£ 9?üfclid)e unb Sd)öne herau^ufinben meifo, um e£ in neuer förder- 
lich mie geiftig barmonifeber ©inbeit gu üerbinben. Slommt Ijtersu noch 
ein ftarfe§ 53emufetfein be3 £eutfd)tum3, ein 33emufetfein, roelchcä bem 
3?oIfe nie ein biefem innerlid) ^rembes, alfo SBertlofeä, barbietet, fo 
fleht ein SWann ba, melcher fid) moI)I fehen laffen fann. 

2Bir betradjten ©cfmann al§ einen 9)?arfftein auf ber ©ntmieflungä- 
linie, meldte Don ber ©otif her über bie 93iebermeier3eit, über bie ©ng= 
länber, 9tu3fin unb Sftorti* bi£ 3U ben Schöpfern uuferer neuen Sunft 
$an3 bon 2ftar£c3, Sfnfelm geuerbad) unb 2J?ar ftlinger führt, um fd)Iiefc 
lief) ba§ moberne fitunftgemerbe 311 erseugen 

3tt>ei Strömungen finb c*, melche höuptfäd)fid) für un£ in ber ftunft 
gtfdjidhte in SBetradjt fommen, bie germanifefe unb bie romanifebc. Xer 
2Iu£gang§£unft für beibc ift ber gfeid)e: bie 91ntife. llrfprünglid) in 
ihren Sßrinaifüeu cinc£, fehen mir, mie fich beibe balb bomnanfcer entfernen, 
um auf ben bem betreffenben SPolfe befonbers ftjmpatbifdjen Gigenfchaften 
griechifcher ftunft einen neuen unb nationalen Stil 31t begriinben. So 
erleben bie romanifdien 3?ölfcr ihren fünftlerifd)en $öbepunft in ber 
Slenaiffance, meldyer bann balb bie Entartungen bc§ Sfiarocf unb beS 
Slofofo folgen. Sie SRenaiffauce geht in funftgemerblicber $infid)t auf bie 
meiden unb fehöneu Sinien 3urücf, mekhe fich nach ben ftrengeu alten 
©efefceu ber Symmetrie ineinanber bcrfcblingen unb allerhanb phan 
taftifche ©ebilbe formen, au* benen ^flansen, £ier- unb 3Menfd)enlciber 
oft recht fouberbar hervortreten, ©in aufterorbentlicbeS fünftlerifd)c£ 
können, eine jugenblich heftige ^robuftionsfraft er3eugen hier unter 
rürffid)t§Iofer ®urd)führung be£ beforatiben 3^ede^ Xinge, meldje üon 
9?aturfornt€n au^gehenb 311 ftarifaturen ber 9?atnr merben. $ier fiegt 



378 



£oif]ar &rieger«EPafferpogel in Berlin. 



bie toirfungS&otle Sinic bereite über bie 28al)rf)eit. Unb fcfjon fängt e« 
fidö ju arigen an, bafs bie einfeitige £urd)füf)rung engfyersiger fünft 
getoerblidjer Siegeln 311m £ogma unb 3ur ajerFnödjerung fiifjrt. 9loö) 
2Rid)elangelo fdjaltet frei auf bcr einmal feftgeftellten ©rnnblage. 2lber 
ber enge &rei£ be§ Spielraums erfdjöpft fid) gar fdjneü. ®a§ ßinque 
cento ift auf funftgemcrblidjcm ©ebicte toeuig neufd)öpferifd). Sie Orna- 
mente fangen bereite an, fid) enbfo§ 31t mieberbolen. SCa§ S3aroef tritt 
eine ©rbfdjaft an, au3 ber fdion toenig fjerau§3uf)olen ift. dlod) einmal 
öerfudjt ber ©etoaltigfte, 33ernini, bie engen ©renken 311 fprengen. SPiit 
negativem (Srfolge. 2er ©erinneren ift faum 311 gebenfen. 2a man 
nid)t§ 9?eite§ 3U finben berinag, t>crfud)t mau burd) oft gefd)iuadlofc Über^ 
laftung bie Jlrmut ber ßrfinbung 311 Verbergen. Xer $runf tuadit fid) 
bort breit, mo man einft fdjöner 3merfmäf$igfeit bulbigte. $*on ^tctiien 
au§ berbreitet fid) ber SSarocf nad) 3ffanFreid). £icr finbet er ein leidit 
Iebiges, oberfläd)lid)e£ 33olf, txvltfies, ber tiefen Sluffaf jung ber italicniftficn 
ffienaiffance fern, aus bem neu erworbenen Sormenfdjafc nur ba§ äufecr 
lidjem ©enuffc ®ienenbe fjerauSlas. Unb fo bilbet fid) bie neue Unfortn 
be§ SRofofo, meldje mit bollftänbiger £intanfefcung ber urfprüngltdicn 
beforatiben 9lbfid)t ben Siabntcn unb fein Sdjnorfeltoerf rein um feiner 
felbft tütüen liebt. £ier fteben mir an bcr äußerften ©rense ber (Srit- 
artung, 311 tüelcfjer eine Hbfebr bon bcr 9?atur 3ugunften be§ ©efälligen 
fiil)rt, unb in biefem SIbgrunbc inf)alt£= unb jtoedlofer 2Wad)e ift beim 
and) ba§ rein romanifdjc Jhtnftfjanbtoerf fpurloS berfdjmunben, um 
fiimmerlidjcn unb mifsberftanbenen Slnregungen germanifdjer 9lrt ^JJlafc 
au madjen. 

ßinc uneublid) reidjerc Grntc f)at bie germanifefte ©utttrieflung 
be* SiunftgcU)crbe§ mit fidi gefübrt. Cnalitatib genommen. SRusfin fagt 
einmal, bie bauten bcr ©otif mären mic fteinernc Sluinen au£ ber 
(frbe cmporgetoad)fen. 335ir fönnen bon biefem Safce rul)ig an ber 9?c 
tonung einer bireften ^fnlebnung an bie Sftatur feftf)alten. £em ©er 
maneu fehlte bttrd)au§ jene fcid)tbefd)h)ingte s #l)antafie, meld)e fid) im 
romanifdjen ftunftgemerbe rci^öoll genug, aber berberbtid) manifefttert. 
fietn 3^i^cn cinc§ griinbtieberen, jonbern bielmcl)r eines einfacheren 
Sinnet mar e§ bal)er, menn bcr ©eriuaue ntdjtS au3 fid) felber f)crau£ 
311 unternehmen magte, fonbern fid) bülfefudienb au ba£ bielt, ma§ er 
fid) am näcfiften borfanb, an bie 9?atur. Wie oft, behne§ fid) aud) bier bie 
größte Ginfad)()cit bc§ ©eifte§ al* bie größte -tiefe. 91ns burd) feinerlei 
menfd)Iid)c ^intergebanfen beeinflußter 5?atnr toudjfen bie Sauten bcr 
©otif empor. (Sine fjeiltge Gl)rfurd)t bor allem burd) fid) jclbft ©egebeneu 
fprid)t nod) l)cnte au§ ifjnen 31t uns Epigonen unb umfängt mit feinem 
Sauber aud) ben Ungläubigen, ber einen gotifdjen £.0111 betritt. (£in 
3onbcr, bcr uns in ben 33aumcrfcn romanifdjer 9lbfunft bei aller ©röBc 
unb ^traebt bcrielbcn bnrd)aitc> fern bleibt. Unb biefc gläubige 9fait»ctät, 



0tto €cfmann un& bas neue ftnnftgeroer be. 379 

bieie fefte 3uberfid)t, baß afleä, toa£ bon SRotur ba ift/ audj an unb für 
fief) fdjon fo gut unb fdjön fein muß, bafe bicleS $erumbeuteln ber ÜRenfdjen 
baran nur fdjaben fann, finbet fid) bei ber Crnamentif, bei ollen ©raeug- 
ntffen gotifcfyen Sunftgetoerbeä. SBIumen unb Stiere, auf fie gel)t man 
immer unb immer toieber surüdf. Wxt rübrenber Xreuc toerben fic 
miebergegeben, fo gut man fie eben au feljen imftanbe toar. tiefer 93or3iig 
ber ÖJotif tourbe attmäfjlidj jimf 5ftad)teil. Sa man nxd^t 31t ftilifieren 
unb 311 bariieren toagte, fam in ba§ Sunftgetoerbe eine ertötenbe ©in- 
tönigfeit. 2Ran füllte ba§ fyerauä, ofme ben Wlut eigener Sfmitatitoc 
3U finben. 5ftomanifd)e (Elemente mifdjten fid) in unfer fiunftgetoerbe 
unb führten bie ©otif 311 jener ©ntartung, ba fie burd) fünftlerifdje 
Xafd)en|>ielereien bem Singe Singe bor3utäufd)en toagte, bie in SBivf« 
Itdf)feit gar nid)t borljanben. 3tu§ ber $öf>e einer felbftänbig fd&affcnbcn 
Ihmft fanf fie 511111 rein medjanifdjen $anbtt>erf I)erab. 2ln iT)rc Stelle 
trat ba£ Slomamfdje, ofjne inbeffen auf bem ibm fremben ©oben irgenb. 
etma§ bon Teiner (Sröfee eraeugen 3U fönnen. So fonnte man teiber 
jal>rl)un bertelang überhaupt nicfjt bon einem germanifdjen Sunftgetoerbe 
ffcredjen. Sie Seiten be§felben fdjienen für immer entfdfttmnben 511 fein. 
Sa§ 93iebermeiertum fdjien un§ Seutfdjen bann toieber ein nationale^ 
ftunftgetoerbe bringen 3U tooften. 2tber ttrir toaren für baSfelbe nod) bei 
toeitem nid)t reif genug. 9?odj fyeute finbet man in ben eingebilbeten 
Greifen ber $albjbilbung btele§ tooljlfeile (Spötteln über bie „bieber= 
meierifdöen ©efdjmatflofigfeiten''. Ser im Senfen nod) immer recfjt 
nnfelbftänbige Seutfd)e mufe erft nad) ©nglanb fommen unb bort feben, 
tote bie CorbS ifjrc Sd)Iöffer mit ben funftgetocrblidjcn (?r3eugniffen 
jener bon un§ berad&teten Sßeriobe fdfymüdcn, efje if)m bie Slugen über 
bereu toafyre 93ebeutung einigermaßen aufgeben. Sdjon bamaB lag 
ba§ ®Iüdf an unferem SBegc, aber toir ftnb ad)t!o3 unb faöttifd) baran 
borbeigefdjritten. Hingt lädjerlidj, aber toer ba§ Shmftgetoerbe ber 
bcutfdfien 93iebermeieraeit fennen lernen toitf, muß e§ burd)au§ in @ng= 
lanb ftubieren. 

Unb Don Guglanb ift aud) ber 2luffd)Umng ausgegangen, ben ba§ 
Jhtnftgetuerbc in fo ttföfclidjer unb überrafdjenber Sffieife genommen f)at. 
(£r ift burd)au§ germanifdjer 9?atur. Sie romanifdfcn SJölfer, granf* 
reid) unb Stolten, fjaben abfolut nid)t§ ba3u getan, obtoof)! erftereä 311 
jener 3cit gerabe in ber 2)?alerei bie aueft uodj jefet nid^t beftrittene 
gü^rung übernahm. Sie berbielten fidö DöIIig paffib, um neueftenS 
fdjliefjlid) ba§ grembe ansune^inen. SKan muß c§ i^nen freilieft 31^ 6^re 
fagen, bafe ba^ in lange nid)t fo bebingungSIofer SBeife gefcftteljt, aB 
feiner 3eit ber umgefc^rte Vorgang, fonbern bafe fie bielmebr beftrebt 
finb, ba§ grtnorbene in nationaler SBeife au§3ubilben. 9?ur tarnen 
mie 95igot, Karras unb ®aü6 feien fyter bor bielen anberen genannt. 
Sie großartigen amerifanifdien Seiftungen auf funftgert)erbIidE)€m @e- 



380 



Sottmar 23riegcr»EDafferro9ci in Berlin. 



biete finb vorläufig noch ntd)t redjt iprudjreif, es? bleibt abzuwarten, ob 
fid) au§ biefer internationalen 2ftifd)ung ein fefter Stil heransfriftalü 
fieren wirb. 

SnglaubS JRoUe bagegen mufj iebr bod) eingefd)ä$t werben. Sohn 
SRuäfin gebührt ba£ gro&e Serbienft, feine bi§ bafjtn io red)t im Xunfelu 
berumtappeuben Sanb^eute - war bod) bie ©efchmadlofigfeit bes (nig 
UinberS einer ber fruchtbarsten iummelpläfee für bie lahme $l)antafie 
unferer 2Bi£blatti ebaf teure! wieber auf bie OJotif biugewiejcn su 
baben als? bie böd)fte flirte gerntaniid)er .Uunfttätigfcit. Xaz rooüeit 
mir um fo lieber auerfeunen, als fein bilettantifcfcbiftatorijcbes ^unft- 
urteil auf uns beute nur aüflu leicht fomifd) unb abftofeenb wirft, äud) 
bie ^rinaipien biefer töunft abute er bereite, unb gegen ibre Sfusfctuoci« 
fungen machte er in beftigfter SSeiie gront. Sßas er theoretifd) an* 
beutete, festen feine Sdjüler SBiüiam s U?orri$ unb ber 2h*d)iteft 'Baiüic 
Scott ins $raftifd)e über, ^efouberS ÜMUiam 3JJorri£ wirb fonunenbeu 
Seiten al& ein Napoleon bes? .Vtunftgemcrbes erfri)cinen. Tiefer bodh 
bebeutenbe 2Wenfd) nahm ben .ttampf gegen fein gan^ Kaub auf fidi, 
unb in biefem Sampfc ftanb er anfangs tierein^elt unb t>erfannt öa. 
®ie $räraphaeliten, welche fid) mit ihm aufammengetan hatten, t>er- 
folgten in SBahrbcit gar nid)t feine Siele. bat ben Stampf erfolgreid) 
burdjgefübrt. infolge ber glürflichen SWifdjung oon ^antafie unb fri- 
tifdicr 93ernunft, meldje feine Statur au£mad)t, unb feiner febier uner* 
fd)öpfltd>en SIrbeitsfraft. Sein ßinflufs hat es iu (Snglanb glüeflid) fo 
weit gebracht, bafe bie au£ romanifeften unb antififierenben feltifdjen 6in- 
flüffen gemifchte Sdjroerfäüigfeit beS englifdjeu .Vhinftgewerbes einer 
heiteren Seidjtigfcit $latj gemacht bat, baft fid) baä (Sraeugnis feiner 
33eftimmung aufs befte anfehmiegt, ohne babei an Schönheit au v>qv 
lieren. ?HS miö im ©efolge bes „Stubio" feine (Sraeugniffe über ben 
ftanal famen, mufeten enblich unfere 9lugen aufgehen. SBir höben ihm 
unb Scott UucnblicbeS 3U t>erbanfeu unb Wollen baö nie in Slugenblicfeu 
beS SelbftbewufetfeinS Pergeffen. 

SBir haben Morris unferen pflid)tjd)ulbigeu Xanf abgeftattet. 
einem (Sffat), ber einem beutfd)en ftünftlcr gewibmet ift, bürfte es wohr 
aber auch nicht beplaciert ericheinen, wenn td) biefem Xaufe eine Diel 
lebhaftere SBarnung entgegeufefce. Wu Xeutfcheu neigen Pon jeher uut> 
in fester Seit gana befonbers iu jeber SJcife aur 3lnglomanie. £as 
auBcrorbcntüdie biele öute unb SSortrcfflidic, ba* Wir i h n e u unftreittQ 
au Dcrbaufen haben, mag uns einigermaßen reditfertigen. (r£ ift and) 
lieber lobenswert, wenn man oon Weiter entwirfelten gremben lernen 
möchte, wie man e£ felbft au macheu hat. ÜBcnn biefem Scruen aber ^nr 
blinben Anbetung wirb unb fo weit geht, bafj mau alles, ma£ ben 
Stempel „gnglanb" trägt, ohne Weiteres für gut hält, fo bürfte c£ 



(Dtto (gcfmann un& bas neue Kunstgewerbe. 



38 J 



3eit fein, energifd) einaufchreiten. Die ©nglänber follen uu^ Anreger 
fein unb nicht mehr. 

2Ber mit nur einigermaßen ungetrübten Slugen bas ueuefte englifdie 
ftunftgetuerbe betrachtet, ber toirb ohne roeitereä erfeunen, bafe bie @ng= 
länber t)on ben ^Srinaipien be£ 2Worri§ hinweg bereite lieber auf gans 
üerberblidje Slbtoege geraten finb. s JU?orm' Stil toar ein herrlicher, burch* 
ans perfünlicher, auf bie Natur aurütfgehenber, ber babei burd) unb burch 
national unb atoetfgemäfe empfunben mar. 9TIs ©nglanb burd) ihn fo 
unerwartet ,}ur funftgemcrblidien SMtberrfdjaft gelangte, toar e§ nur 
natürlid), bafe bie Nachfolger bes Oröfeten fidh bemühten, ihn noch burch 
immer Neue* ju überbieten, um biefc SSeltberrfchaft 51t behaupten. 
Sfber nicht jeber ift ein ©rfinber, ein ©enie gleich SBilliam SWorriS. 3fn 
Ermangelung eigener Schöpferkraft verfielen nun biefe jüngeren in 
ben ungliicflichen fehler, an lueldjem auch bie öotif augruube gehen 
mufete, fie ahmten flott ber Natur mieberum fd)led)te unb unDottfommene 
Nadhabmungen berfelben nach, fie würben Sttrdjaiften. 

©3 ift unglaublich, bafe man fich auf bem kontinent gcrabeau ge- 
maltfam ber bod) unentrinnbaren ßrfeuntniS t>erfd)liefet, bafe ttnr, auftatt 
mit unferer Hnglomanie einen ttrirflich tnobernen, b. h. aeitgemäfeen Stil 
311 begrünben, einfach nur in einer unnüben unb unfeligen Nachäffung 
altfchottifdjcr, gotifdH'omantifd&er, orientalifd)er, Nofofo* unb anberer 
Ergeugniffe begriffen finb. Denn ade biefc Elemente fpnfen in höchft 
unflarer unb berfchiuommener äßeife burd) bie oft lädjerlid) bizarren 
©raeugniffe ber iiingften Englänber. Sie beterogenften Elemente follen 
fidh ba auf einmal frieblich mifchen, eine gana unfünftlerifche tfarbernng, 
eine Potlfommcne Stilauarchie. 

Daf3 fogar Ü)?änuer mie Dan be SPelbe, ber bod>, mie nur wenige, weift, 
worauf c$ iefet im .ttunftgemerbe anfommt, biefen ^rrtum weiter förbern, 
ift ein recht trauriges? 3cicfien bafür, Wohin mir jefct glütflid) gelangt finb. 
9?or allem inöd)te ich hier ben Namen SBalter (Srane al3 2öarnung$ 
tofel aufhängen. Diefer fchöngeiftige 2lrd)aift War erft lieber auf ber 
Muriner 2lu$fteüuug aufterorbenttid) reich Dertretcu, unb bie 3eitungeu 
beeilten fid), mit ber üblidjen $ochad)tung 31t referieren. 6r hat burch 
feine funfttheoretifdien Schriften groften Nufcen geftiftet, größeren 
Schaben ftiftet er burd) feine aller eigenen ©rfinbung bare funftgewerb; 
liehe Sätigfeit. %\\ bem naitoen ©Iaubeu, in einem neuen Stile ju 
arbeiten, ahmen mir bltnbliugä alte biefe ^robufte nadh, in benen fich 
bie SDfoben unb Stile aller 33ölfer unb Seiten ein funterbunte§ SRenbe^ 
t>ou§ geben. 

SBie ein SWaufd) fam cö über uns, al* ba£ s itfd>enbröbel Siuuftgewerbe 
plöfclidj Königin würbe. 3für im Naufdje begangene Süuben faun man 
leidjtlich Slbfolution erhalten. Stber baau ift e§ auch nötig, bafs man 
biefe Sünben aB fotdje erfennt unb fid) t)on ihnen loSfagt. Söir fönnten 



382 1 £ottjar Brieget'lüaffer&ogel in Berlin. 

mmmefjt nadjgerabe audj fo toeit gefommen fein. Um fo meljr, als e£ 
bei un§ nidjt an 5D?önnern fefylt, toeldje jenen ©ünben feiten ober nie 
verfallen finb. SGBer fennt nidjt bie Obrift, ©bnftianfen, S3ef)renb, 
SBagner? Unb follte nidjt ber Sporne Otto ©tfmann allein fdjon einen 
©djilb gegen foldje Slnfedjtungeu bebeuten? 

©in beutlidjes 3cid&en biefer 93erttrirrung finb bte $btafen, mit 
benen Ijeutautage ber ftrebfame .ftunftjünger um fidj toirft. „©nglifdjer 
etil", „©eaeffion", „Sugenbftit", ba§ finb fo $arteifd)lagtoorte, bie 
Urfadjen heftiger Grebben geben. $m ©runbe genommen bebeutet bie eine 
Strafe genau fo blutmenig roie bie anbere. (Sie imponieren ja audj nur 
benen, bie nid)t§ babon fcerfteben. £a§ Sunftgetoerbe f)üflt fid) in 
mbftifdje Sßeiljraudjtoolfen ber Unnabbarfeit ein, um ben Saien ju im- 
ponieren, anftatt bafe es fief) bemübt, burd)fid)tig flare 9Serftänblid)feit 
51t geben. 

2)a§ biefem ©ffa^ borauSgefebtc SPJotto follte al§ golbencr Ö£bens= 
fprud) allen Sunftgetoerblern auf ibren fd)h>ercn 3Beg mitgegeben toerben. 

ift einem Sluffafec Otto ©tfmannä entnommen, ber bie djarafteriftifdje 
Überfdjrift „Über ben Unfug mit bem Sßorte ©til" fübrt. $d) mödjte 
au§ biefem Huffabe nodj, bie folgenben ©ätse anfübren, meldte fo aientlid) 
ba§ ganje „$rinaip" bon Otto ©dmann§ Sdjaffcn fonienfiert entbalten 
bürften: „®ein Sebenber bat jemals ergrüubet, ttxt3 ben , neuen ©til', i>cn 
©til feiner 3eit auämadjte. 2Wan frage bebeutenbe, aber ebrlidje Siünftler, 
ob fie toiffen, toorin iljr ©til beftebt. Sie tüiffen e§ niebt. ©ie arbeiten, 
tote fie mtiffen, unb fönnen nidjt anber§, toenn fie ganae Serie finb. 
©ie fragen nie, ob biefe§ ober jene§ an ibrer Arbeit nun aud) int 
, neuen Stil* fei. ©ie benfen an nidjtS anberc§, at§ toie fie beut Stockte 
unb SWaterial entfpredfrenb ifyrem cigenften ©efdjmade 3tu§brud Verleiben 
tootlen. SBenn bann einer fommt unb eraäblt un§, er babe ,ben neuen 
©tir foeben auggebrütet, unb aroar toäre er fi£ unb fertig, man brauche 
nur $alleluja au rufen unb ba§ @anae gläubig anaunebmen, fo barf 
man über bie Slnmafeung lädjeln unb a^eifeln. So ettoa§ gibt es ntdbt. 
©ine Shmftbetoegung toädjft organifd) unb bulbet feine Sprünge." 

£a§ Hingt redjt einfadj. Unb bodj ift ©rfmann gerabe babureb, öafe 
er biefe einfadje Xfyoxie unentmegt verfolgte, ber gübrer unfereS 
beutfdjen SlmftgetoerbeS getoorben. £ätte er fidj bon ben mannigfaltigen 
Sftatfdjlägcn fogenannter guter greunbe, bie bon Slnfang an nidjt feblten, 
beeinfluffen laffen unb nad) rcdjt£ unb linf§ geflaut, fo bätte er eben 
feinen ©til nidjt gefunben, fonbern toäre nur einer ber bieten gett)ejen, 
bie am frndjtlofcn ©rperimentieren außninbe geben. Seinen Su§eiu= 
anberfetsungeu liegt ba§ alte mabre SBort awgrunbe, bafe jebe 3^tt fiefi 
immer bie SDiänner fdjafft, beren fie bebarf. Sie entoidlung§gefd)tcf)t- 
lidje SCuffaffung ber Äunft. Sftidjt er bat ba§ moberne beutfdje Shuift^ 
getoerbe gefdjaffen, fonbern bie 3^it brängte baau, unb ©rfmann mar 



CDtto €cfmänn unb bas neue Kunfigen>erbe. 383 

nur berjenige, meldjer alä erfter biefem Drängen ben ridjtigen 9tu3brurf 
$u fdjaffen bermodjte. 3>urd) biefc Sluffaffung feiner äWiffion mirb fein 
öerbienft fidler nicht gefdjmälert. Stenn gerabe ba§ ift bie ©runblage 
aßer ©röfee. 

@3 märe töricht au behaupten, bajs ein toünftler ganj au£ fidj felbft 
ober aus fetner SRation herauf entftanben. ©erabe in nnferer ftreug 
fjiftorifcf) benfenbcn Seit hält man fid) löblichermeife bon ioldjcr giufeitig^ 
feit fem unb weife red)t gut ba£ ©cnie nur al§ bie Krönung, bie ftuppel 
cine§ mächtigen ©ebäubeS au betradjten. 

So finb benn auch bie ©inflüffe mannigfaltig, meldte ©cfmannö Stil 
gebilbet haben. 25er Gnglänber ift and) l)ier bebeutfam ju gebenfen, 
gefmann felbft hat mit begeifterteu Söorteu gerne bie grofte s #erfönlid)fcit 
eine§ 2)?orri§ gefeiert. 93or allem aber ift c$ mol)l %apa\\, ba§ hier in 
günftiger SBcife tätig gemefen ift. 

2(ls mir burd) bie Vermittlung @nglanb£ mit japanifcher Shmft über- 
fchmemmt mürben, fd)ien eö ein« 3eitlang, al§ folle aße§ ©igene unter 
biefer Übcrfchmcmmuug jugrunbe gehen. Slbcr bie bämmcrnbe ftunft 
be§ CftcnS befaß biefe brutale ßraft ber Unterbrürfung nicht. 2Bie ein 
fegenbringenber Strom 30g fie fidj gnrücf, nad)bem fie ba§ ßonb ring3= 
herum fruchtbar gemad)t hatte. 

#ier hat aud) (Scfmann gelernt, ©leid) ben Sönnern hält er fid) 
nicht lange bei frembem ©ute auf, fonbern geht bireft auf bie üftatur 
3urücf, beren gormen er ftififiert. Unb gleid) ben Sfapaneru berbirgt 
er unter bem ©infadjften eine be3iel)ung*reid)c Stjmbolif, beutet mit 
feinen ßinien ernfte ©ebanfenberbinbungen. 

Seine 93ebeutung ift c§, bafj er bon ben Japanern nur bie richtigen 
^rinsUricn entlehnte, nid)t aber bereu Xeutung. SBäre bem anberä, fo 
mürbe er uns? aI3 ein grember gegenüberftehen, aB üftachahmer einer 
bebeutenben, unferem äBefen jebod) nid)t entfprechenben Stinft. 3)afs er 
bie cinaig mähren ©eictsc be§ £unftgemerbe§ in feiner eigenen SBeife 
beutete, mcldje, ba er eine burdjauS beutfehe Sftatur mar, auch unfere 
SBeife fein muf3te, bo3 hat ©tfmann, ohne bafe er ein überragenbeä 
©enie gleid) 3ftorris mar, 311m Sßfabfinber unb gührer be£ beutfeheu 
£htnftgemcrbe§ gemacht. Unb barum merben mir feiner al§ unfereS 
SehrcrS auch bann nod) mit Siebe gebenfen, menn mir über ihn hinauf 
gelangt fein folltcn. 

rr. 

Scben unb ©ntmirflung. 
Dtto ©efrnanu mürbe am 19. 9Jobcmber 18G5 in Hamburg geboren, 
itnftrcitig ift gerabe biefer ©cburtSort für feine ©utmieflung bön aßer- 
höd)fter SBidjtigfeit gemefen. Xk alte £anfaftabt ift ein anfecrorbentlid) 
midhtigeo 9lgcn§ in ber ©efchichte nnferer mobernen ftunft, ctmaä ftreug 



£otfyar 33rteger»£Daf feroogel in Berlin. 



altbürgerlich gegen frembe ©inflüffe abgefdiloffen, bat fic immer ihre in 
ftödftftem Sinne eigene Sunft für fid) öebabt, unb fo af§ $erfönlidbfeit 
auch ^erfönlidjfeiten bervoraubringen t)ermod)t. Unbeirrt Von allen 
£enbenaen be§ Seidjeä ginci fic ftet£ iB)ren eigenen 3Beg fulturetler Selb; 
ftänbigfcit. Sie Hamburger aKalerfcbuIe bat ihren ehrenvollen $Iafc in 
ber Shtnftgefd)id)te, unb baö Xrama 2effing£ fanb I)icr feine tatfräftigfteu 
Vertreter, bie in Seiten allgemeiner Siteraturmiferc unentmegt an ibm 
feftbielteu, ber 9leali§mn§, todetjer ben Hamburgern aB 93ürgern einer 
<5tabt, bie ihre ©röfec in erfter SReifje bem $anbel verbanft, eigentümlich 
ift, Icnftc ihre Slicfe balb auf bie BmerfmäBtgfeit nnb 93ermeubbarfcit 
ber ftunft. 9Iu3 nüchterner s #rari§ heraus entftanb f)ier bie eigentliche 
SBieberbelebuug be§ gefamten europäifchen SunftgemerbeS. (Sottfrieb 
Semper mar ein Hamburger. Sei ber Grinnerung an biefen genialen 
SJkaftifer motten mir bor allem nicht Vergeffen, baft er von 1S50 bU 1P53 
in ßonbon eine böcbft fruchtbare Jätigfcit entmidette, bafj bie (Srünbung 
be3 ®ontb=®enftngton*3)iufeum 1857 in ber Hauptfache ibm feine ©nt= 
ftebung verbanft, unb baft fornit bas gan?,e engtifefie Sunftgemerbc, 
meldies» mir fo bcmut§votI at§ ein befoubercS ©nabeugefebenf begrüfeten, 
in SBabrbeit ganj oitS beutfefien ©tnffüffen hervorgegangen ift. Stfan hat 
unS eigentlich nur @ctiebene£ miebererftattet. 

$ier in Hamburg bat aud) ber 3luffd)ftwng ber mobernen Schmiebe 
fünft eingefefct fvide Brüning/ Xie 2d)miebefnnft. H- Seemann 9?ad)f-, 
Seip^ig). Xamit mar suerft bie 93abn für eine fünftlcrifche S3ehanblung 
be§ bisher für unfünftlerifdi gehaltenen ©ifemo eröffnet unb ber 2trcfit- 
teftur ber 3ufunft, meldje fid) aller SBabrfdieinlicbfeit nach auf biefem 
SHaterial aufbauen bürfte, Vorgearbeitet. Unb in Hamburg mar e§ aitcfr, 
mo man für bie fünftterifd)c SSermertung be§ Ho^eS mieber neue unb 
reisVofte ©efid)t§punftc gemaun. Xas alle* gefchah äunächft aus rein 
praftifchen ©efinnungen heran*. Xer .Kaufmann fragt bei neuen Xingen 
aunädift nad) ihrer 93ermenbbarfeit. ©rft ipäter gefeilte ficb bann bie 
Theorie in mächtig auögcftaftenber Ä l eiie ba,yt. Xie Manien 3"ftu§ 
53rincfiuaun unb Stlfreb Sichtmarf merben al* bie ber größten ©r^ieber 
be£ beutfdien 3?olfc£ 3nr mobernen ftunft nie an ihrem guten ftlangc t>cr* 
lieren. Xie bor attent beut erftcren ermieienen mannigfaltigen ©bnmgen 
bemeifeu beuttidi genug, baft Xeutfcblanb bie iübrcnbe Stellung Harn 
bürge voll unb gaus anerfennt. 

Xem Greife biefer SWänner, mit beueu ihn audi perföntidie greimb 
fchaft verbanb, gehört Otto ©tfmann an. ©r hat ihre Theorien reatifiert. 
Xer ©inffnfj 93rindmann§ auf ihn mar ein fehr ftarfer. Xanu mar er fclbft 
aud) ein Hamburger burd) unb bnrdi, votier Neigung m\ finureidhen 
Xcuhmgen, ohne bafe inbeffen jemals bie ^Jbautafie ben fühl benfenben 
S?erftanb in unfritifcher Steife übermättigt hätte. 

©dmannS Stätte hatten gunächft menig mit bem ftunftgemerbc ju 



O^tto gcfmantt ntib t>as neue Kuu ftgeroerbe. 385 

txui. oräüt Dorf) in feine 3Wünd)ener fiebrjabre gerabc bejfen größte Stil- 
bermirruug, bic geeignet genug war, ielbft auf bie beforatibft gefinnte 
Watm abfebreefenb 31t wirfen! ©3 ift für bie ganac ?latur be£ 39lanne§ 
bejetdinenb, baß er fid) niemals gleich io bielen anberen iiingcn Sünftlern 
auf bas Driginalgcnie binauäfpieft. Stets ift e3 ihm flar, baß man 
feftr gut bon anberen lernen fann, ohne be£wegen 311m Nachahmer 31t 
werben. 9?oübemußt unb banfbar nimmt er bie Slnregungen auf, weld;e 
ihm bon feiner Seele berwanbten Schöpfern auteil werben, ©t felbft 
bat einmal bie mober nen ^ottänber, bor allem SWanbe, al§ biejenigen 
beseid-uet, welche ibn am meiften in feiner ©ntwitfluug geförbert haben. 
SBir glauben nidit fehlgreifen, Wenn Wir neben ben Tanten Sftaube 
ben be£ Sran3ofcn -SWonet fefcen. ©tfmann fclbft nennt ihn nicht, aber 
bei bem außerorbentlid) großen ©influffe, ben SKonet auf bie gefamte 
bcutfdje ftunft gewann, mag wobl fiter eine unbewußte Sfleeinfluffuug 
borliegen. 

^n feinen erfteu 93ilbern gibt ©dmann 3uuäd)ft rein ßanbjcbaftlid)e§. 
3bm ift uid)t baö Dargcfteltte bie $>auptfacf)e, fonbern in biet höherem 
@rabe bie Stimmung, welcher er Sluöbrudt 311 berleiben Wünfdjt. 3n 
echter S'ntprefftoinftemnamer ift er beftrebt, an unb für fid) bötlig 3m 
tcreffelofcS 311 geben. %c\* gebort wobl mit 311 ben aniprudjäbotfftcn 
Aufgaben, bic fieb ein Siinftfcr nur immer fteüeu fann. ©in ftarfeS 
Selbftbewußtfein gebort ba3u, ben 53efd)auer nid)t burefi ben ©egenftanb, 
fonbern nur bureb beffen 2Iu§brurf feffeln an wollen. Die wenigen 
^Perfonen, Welche er manchmal feinen 8anbfd)aftcn einfügt, beftfceu fein 
felbftänbige? Öcben für fid), fie erfüllen rein beforatibe 3^?^. Sie WirFeu 
illuftratib. 

Die ftarfc Neigung 3ur Hereinfacbung unb Sitfammcnaiebung, welche 
fidrbereits hier au*iprid)t fo ben Fünftigen ftunftgcwcrbler anbeutenb, 
madit (Scfmaun früh aum Srjmbolifer. ©r fdiant bie ftatur mit nüd)- 
ternen klugen au, aber fein 9Serfianb fudjt nad) gebeimnisboüen 33c^ 
aiebungen 3Wifd)en ben ©inaelbeiten, feine ^fjantafie bort fie fid) in einer 
Sprache miteinanber unterreben, bie nur bem ©ingeweihten berftänblid) 
ift. Überall aeigeu fid) Soraeidjen feiner fpäteren bcaiebungSreidjen 
©rnamentif. Die germanifebe ©rfenntnte, welcher wir fchon bei ben 
alten beutfehe SWtifttfern begegnen, baß in ber hödhften ©infachheit and) 
ber tieffte Sinn berborgen ift, bat fid) bem jungen ßünftler bereits boff 
erfchloffen. ^ 

©ine Stimmung taucht unerwartet in ihm auf. Sie brängt aum 
9fu§bnuf. Wbcr bic 9iatur beS Sünftler£ ift eine berartig innerliche, baß 
fie bor jeber reftlofen 3Serförperung ber 3bee fchamhaft aurürffdjrerft. 
So wirb benn bas, Was er gibt, mehr rsUuftration 311 einem Ibriftfjen 
©cbidjte, ba* er innerlid) erlebt, al§ ein felbftänbig für fid) beftcbenbe§ 
ftunftwerF. 



336 Sot^ar 53rieger»lt)affcr©ogcl in Berlin. 

3d) erinnere und) noef) au« einer 3^it ber, mo id) ba* ^Bergungen 
gniofe, jeitrueiie mit bem 2$erftorbencn aufammenaufonunen unb über 
Hterarifdje Singe au plaubern, bafe er t)or allem bie Stjrif liebte uni> 
feine neue Grfdjeinung auf biefem ©ebiete borübergeben ließ, obne fidi 
auf£ genauefte mit if>r befannt au machen. Seine ft)rifd)e SMbliotbef 
mar fef)r reid)baltig. einmal fagte er 31t mir: „$d) fanfe grnnbfäfc- 
(itf) feine ©ebid)tc, bie iflufiriert finb. Sebe id) an fonft red)t guten 
Herfen ein 93ilb, meldjeä bie Stimmung auSbrütfen foll, bie e§ in auberen 
madiger ufeu bat, fo ift mir ber gauac ©enufc am Sieb berborben." 

Xiefe 2Borte djarafterifieren ba§ Sdjaffen bes 3Manne§ beutlicb genug, 
(fr moHtc alles möglid)ft rein auf fid) einmirfen laffeu. Seine 2öerfc 
iüuftrieren feine ©cfüble in äljnlidjer 2trt, ttrie bie Segleitung im 33affc 
fid) 5itr eigentlidjen 2)?elobie oerbäü. Xa3 ift aber bie ©ruubtage aHer 
Sijmbolif. 2er 93efd)auer erblicft nur bie Sßuftration, unb feineu Sinnen 
mu|3 ber grübelnbc SJerftanb au §ülfe fommen, um bie feinen unb ge 
beimniSbonen gäben aufaufpüren, meldje Sdjöpfung unb Scfyöpfer mit 
einanber unlösbar berbinben. Sonft bleibt ber ©euufe immer nur ein 
balber. 

Snfo Gcfmanu mar Stymbolift. Xa bangt in feinem ^Berliner Sltelier 
ein 33ilb: „Xer 9fbenb". Gin bcfd)cibcne3 unb einfaches äßerf, au§ ber 
erften ^eriobe bc£ fitünftlcr£ ftammeub, ba ibm feine eigenen 3icle moljl 
felbft nod) nid)t fo redjt beutlid) bor 9Tugen ftanben. 9ln einem ftitfen 
Spätfommcrabcnbc id&reitet ein fiiebe&paar burdj& reife fforufelb feinem 
Xorfe au. Gin altes, oft miebertjoIieS SKotib. Xabei niefit einmal ber 
gcringftc SSerfud) 311 irgenb meldjer geiftreidjen Variante. 2fud) frier 
fdion ber gauac Gdfmann, nric mir ibn lieben, in feiner idjlidit mabren 
Ginfad)beit. Xa§ 33ilb anmutenb toic ein altbeutfdjeä 93oIfsTieb. $räd)tig 
miebergegeben bie Xämmerung, mie bie lefctc Släffe be§ Sonnenlichtes 
fid) überä Sanb ergiefet unb mit ben meid)en Straften be§ aufgebenben 
2Wonbe§ mifdjt. SRann unb grau paffen boraüglid) in biefe Stimmung 
binein. Stimmung — ba§ ift ba§ ridjtige äßort für bie Definition biefe§ 
s fiübe§. Xas ©egenftänblidje mirb barüber bottftänbg gleid)gültig. Xiefe 
Xämmerung ift eine Stjmbolif efyelidyer Siebe. £an§ Jboma fn*t un§ 
äl)nlid)e SBerfe befeuert. 9tudj er ein Sftärdjeupoet be§ Stiftet. ?{ber 
ba er ein größerer Gönner ift, überaeugen feine Silber auf ben erften 
s Bücf. 27?an benfe an bie 3Närd)euf)afte3 träumenbe ©eftalt feinet 9Wonb 
geigcrS. Xer ift cinfadj bie Sugenb. Gcfmaun befifct biefe Überacuguugs 
fraft nidjt. Sein Staffen ift feine Säuberung reinen ©efübles, ber Se 
aiebungen fud)cnbe aSerftanb bat einen oft 31t ftarfen STnteil baran unb 
bringt in bie SEBerfe ctma§ ©emottteS, einen berborgenen Sinn, ber ben 
Sefdianer aum Xenfen abringt nnb man^mal ftarf ben ftnnlidjen ©enufe 
berfümmert. 

Smmer beutlidicr tritt biefe SerftanbeoarbeitGcf manne in ibreirXm 



0tto (Ecfmann unb bas neue Kunftgen>erbe. 387 

fänoen bod) ttjrer feI6ft nod) fo uufidfjerl — in feinen späteren malerifdjen 
Arbeiten bor. @ie erhalten babuvdj eine abfdjredenbe fiii^le, ein ge= 
miffe§ überlegene^ Auftreten, ba§ un§ befangen unb ftufcig madjt. 2)a£ 
fott ein beWufeter £abel fein. Sür mid) ift (StfmannS £ätigfeit al§ SDlaler 
in malerifdjer ^infidjt ein ftänbigc§ SRiidfroärtöf ^retten. Sfdj meine ba§ 
nid^t in tedf)nifd)er 93catcl)iing / bie ia bei einer berartigen Segabung 
ftetS fortfdjreitenb ift. Silber ber S^efpalt amifdjeu (Srftrebtem unb 
©egebenem Wirft fdjliefetid) peinlid) unb beftmftib. 3Ba£ foll man mit 
Silbern, bie man erft in ifyrc (SHnaelfyeiten fliegen mufe, um bann ba* 
Silb nod) einmal neu ju fonftruieren? Unb fcfyüefelicf) fommt bei foldjer 
Stefonftruftion bod) immer nur baä t)erau§, wa§ ber Sefdjauer, nidjt 
ba§, Wa§ ber Stopfer will, ©in ©emälbe edjter 9trt bagegen, mag 
e§ nun eine ©gene au§ bem Seben Stle^anberB ober ein gelb mit Stunfel* 
riiben fein, fotf un§ fofort überzeugen, Ijinreifcen, ba3 @efüE)t fo ge= 
fangen nehmen, bafe bie Sernunft überhaupt nid)t äu SJBorte fommt. 

9?ef)tnen wir ba§ für (SdmannS maIerifdHt)mboIifd)e $eriobe be- 
jeidjnenbfte Silb „Äaftanien im £etbft". Sine Steide gewaltiger 
Äaftanienbäume. ©in Stang roter Blätter umgibt fie. SDlan fönnte 
meinen, ba§ märe ein naturaliftifd)e§ ©timmungSbilb. Eugen Sörad^t l)at 
ja faft auäfcfyliefjlid) bermanbte SKotibe gewählt, unb mir fyaben itjn ge- 
feiert, aB er nod) ber Unfrige war, tüte ba§ feiner Ijoljen ®unft geüüfjrte, 
unb fyaben üjn nur mit SCrauern fd>eiben gefef>en. Seine Silber Waren (Sr* 
lebniffe für un§. SBarum Iaffen ba G?tfmannfdje Jfaftanien in un§' eine 
ungelöfte SDiffonana aurüd, fo bafe Wir fdf)ier mit tieffter SPiiftftimmung 
bon tönen fdjeiben? 

3>a§ fommt ba^er, Weil Wir fofort fefyen, bafe fief) ber ®ünftler nidjt 
Wie Sradjt gleid) au§ feinem ©efütjl IjerauS an ba§ unfere toenbet. 2Sir 
aljnen eine geheime Seaielmng, bie Wir fjerauälefen foHen unb nidjt 
fönnen. 2)a3 ift peinlidj. 9?ad> ©dmannS eigener ©rflärung wollte er 
bie £au£tbetonung auf ben Slontraft gWtfdjen ber Sraft biefer Saum» 
riefen unb itjrem miiben 2)af)inWeIfen legen. £a§ alte 2Kenfdjf)eit3lieb 
bon ber fraftlofen ©terblidjfeit, ber töblidjen ßljnmüdjt felbft be§ 
©tärfften. ®er ©ebanfe ift grofc unb fdjön. Stber Wenn mir jefct, mit 
ber ©rflärung be§ ®ünftler§ bewaffnet, bor bie SeinWanb treten, fo feljen 
Wir bod) immer nur eine 2Tn5aI)I melfenber Saftauienbaume uüb nid)t 
meftr. ®afe bem fo ift, bürfte meiner -Meinung nad^ ber befte 33emet§ 
für Sdmann§ Unaulänglid^feit aU SWaler fein. ®amit möchte idö nid)t§ 
^arte§ über einen Äünftler fagen, ben idö überaus liebe unb fdjäfce. 
©dmann War eben auf einem ©ebiete tätig, ba§ iljm nid^t gu eigen 
gehörte, unb Wir wollen un§ freuen, baft er f o balb feinem Stoffen -ba§ 
richtige gelb gefunben l)at. 

£inmeifungen auf biefeS gelb finben fid) bereite in feinem malerifd^en 
©dfjaffen in reid^er Süße bor. ©leid) am-9Infange auftaudöenb, mehren 

»ort unb ©üb. CXX. 360. 27 



388 Cotfjar 8neger*tDaf f eroo<jel tn Sciltn. 

fie fidf) beftänbig unb treiben ben ftünftfer obne fei it SEBiffen feiner toabren 
3ufunft entgegen. ®er fünftige grofee Crnamentift gibt fid) bereite in 
bielen aSorgeidfyen, bie für un§ jefct Ieidjt au beuten finb. ®o ift feine 
intenfibe äSertiefimg in bie 9tatur unb ibre ©ebeimniffe, in ba§ gebeitn* 
niäbolle Quellen unb treiben ibrer gönnen ja gerabe ba£ getoefen, tt>a§ 
ifjn bon bornberein al§ gum Reformator unfereS beutföen Shinftgeioerbeä 
berufen erfdjeinen Iäfet. Unb bon ber 9?atur fjat er benn aud) fd)on früb 
gelernt, ba» Slompligierte auf feine attereinfadjften ©rünbe aurüdgu* 
führen. SBenn er bie Jlaftanien in feinen „®aftanien im $erbfte" mit 
SlanöcIaBern bergleidjt, fo ift fd)on ba§ ein ©ebanfe, ber einem rein 
malerifd) @d)affenben bottftembig fremb bleiben mürbe. (5s fdjeint, als 
fjabe er fidj bereits bamal§ mit Überlegungen befdjäftigt, tote man bie 
gormen ber 9?atur am beften für ba§ Shinftgctoerbc uu^bar madjen 
fönne. 5£ann finben fair an ben Äaftamen eingelne 99Iättcr, bie im SSer= 
bältniffe gur ©efatnterfdjeinung biel au groft finb. ®ie groften SBIättcr 
finb ja fonft für bie Äaftanien d)arafteriftifd). Unb fo gebt benn ©dfmann 
in bem SBeftreben, fo fcfjarf af§ möglidf) gu djarafterifteren, betoufet über 
bie Statur binau§, ja, fefct fid) fogar gegen beffereS SEBiffen in SBiberfarucf) 
3u ibr. 3>a§ tut fein Sparer, ba§ tut nur ein giclbetimftter unb fein« 
begabter Crnamentift. 

£en Stbfdjluft bon CtfmannS eigentlicher malerifdjer 5£ätigfeit bilbet 
ba§ 1894 entftanbene fed)§teilige Ocmärbe „£ie bier ßebcnSalter". 33on 
naturgetreuer SSiebergabe, eigentlichem -ftaturalBmuS fann man bier 
überbauet nidjt mel)r reben. $ie natürliche SBaljrljeit ift boHfommen 
bernadjläffigt, ja fogar abfidjtlidj bcrleugnet. £er Mnftlcr fdjeint auf fie 
gar feinen Sßcrt mebr gu legen. $at er früber nod) farbig 31t toirfen 
gefudjt, fo ift ifjm jefct bic garbe nur nod) ein mit äufeerfter 2?efdjränfnng 
gebrauchtes SKittel gu biirftigfter äußerer 33elebung. Sagegen ffcielt bic 
Sinie auf einmal eine Jftoftc, ttrie fie in ©cfmannS Schaffen bi§ bahin 
aud) nicht annäbernb angebeutet \vax. ^a, man fann lagen, bafe fie 
überbauet ba§ SBefen bc3 SßerfeS allein burd) ftefs beftimmt. glie&enb 
unb djarafterboH geigt fie ber.eit§ ben Übergang gur gufünftigen £ätigfeit 
be§ ®ünftler§ an. freilich ift in beffen ©eele nodj ein unrubißeS 
Sdjtoajtfen, ba§ ja eben alle ÜbergangSepodjen dfjarafterifiert. 9iodj ber* 
ftebt er ba§ Sftcuc nid)t gang unb bermag fid) bom 2Hten nicht recht Io§* 
gureiften. ©in fdjtocrer feelifdjer Slampf bofumentiert fid) hier für ben 
aufrnerffamen a3efd)auer. Unb in ber gangen Strt, toie bie bier ^abreS» 
weiten mit ben bier 2eben§ftufen be§ Üftenfcfien malerifd) berglidben 
derben, in ben 53egiebungen gtDifdöen ber toten unb ber lebenben ^atur, 
ftebt bie ed)t mt)ftifcb beutfäc @t}mboIiftif (StfmannS bereite auf i^rer 
botten £öf)e. 

©erabe jeber begabte Sünftler bat Slugenblide, in benen er^in feiner 
fünftlerifdjen Senbung bergmeifelt, toäbrenb bie gefunbe SDHttelmäfeigFcit 



Otto €.rfmann uno oas neue Kunftgemerbe. 389 

in (Sicherheit unb eher noch in ©elbftüberhebung fdjtnelgt ©dmann tft 
ftd) über J>en 3^tcfpalt in feinem ©Raffen nicht im unflaren getoefen. 
•Kur baß eine Seit berging, ehe' er ben 3Beg erfannte, ben ihn feine 93e= 
gabttng tvk&. #ier hat ihm Srindmann aB treuer Berater jur ©eite 
geftanben unb ihm burd) bie #intt>eife auf bie ihm fo bertoanbte Siunft 
ber gapaner bie bieEeidjt ttrichtigften Anregungen gegeben. Sobalb 
Grtfmann nur einigermaßen bie 9iicf)tung ttmßte, in toeldjer er fidö bor* 
toärt§ ju belegen hatte, brach er fura entfdjloffen mit ber Sergangenheit 
1894 berfteigerte er in granffurt feinen gefamten „fünftlerifchen Sßad)Iaß". 
Auch pefuniär rooßtc er fid) toohl bamit etoa£ auf bie Seine Reifen. Sie 
Serleihung einer golbenen 3WebaiIIe für fein Iefctc§ SBerf hatte ihn nidit 
mehr beirren fönnen. Sehr beaeidjneni) ift ber Sßrofaeft, tuelcher bamal§ 
ben Sefuchern ber Sangerfchen Aussteifung überreicht nmrbe. @d)on ber 
außergewöhnliche beforatib red^t ttrirffame Umfdjlag, auf bern ficf) atoet 
grettrote Sefenreifcr präfentteren, mußte aufmerffam machen. -Kod) 
mehr tat ba§ aber toohl bie folgenbc hödjft originelle Sorrebe: 

„©in berehrlid)e§ Sßublifum geftatte mir gu meinen Silbern einige 
beglettenbe SBorte. ©a fid) mein fünftlerifdier -ftadjlaß im Saufe ber 
Saftre in ettoa§ Jrfa^raubenber SBetfe bermehrt hat, fehe id) mich ber* 
anlaßt benfelben fdjon jefct bei Sebgeiten in Auftion*au geben, toobureb 
mir erftenä SRaurn au Weiterem -Kadjlaß toirb, unb atoeiten§ ba£ feltcne 
@Iütf gufällt, mein eigener ©rbe au fein, Seftrebungen, bie genriß bei 
einem toofjImoHenben Spublifum Unterftüfcung finben derben. 3ubem 
toaren bie sur Serfteigerung fommenben Sßerfe fchon auf Aufteilungen 
ber SKündjcner ©enoffenfdjaft unb ber ©eaeffion k., toa§ bem beretjr» 
liehen ^ublifum für ba§ ja^me Ansehen berfelben genügenb Sürgfdjaft 
leiften fann. 2>ie bunflen Silber finb boffftänbig unberänbert geblieben 
unb fdjon urfarünaiidj fo gemalt toorben, in meiner Sämmetperiobe, al§ 
ich noch nicht ben aJfut hatte, bas Srutale be§ £age§Iid)te§ für bilblidje 
SBirfung au beränbern, unb baher bie beaenten garben be§ AbenbS bor* 
50g. 5Der fonftige ^n^alt ber Silber an ©efühl für bie $oefie in ber 
9?atur unb an ehrlicher Arbeit muß freilief) mit in ben ®auf genommen 
toerben — ba§ ift bei fünftlerifdjem 9?ad)Iaß nun einmal fo. ignbem id) 
meinen Silbern ein beralidjeä ßebetoohl auf Sßimmerttueberfehen abrufe, 
unteraeidjne id) mit Hochachtung Otto ©dmann." 

^n biefen SBorten fpricht fid) toohl für jeben erfenntlid) ein ftarfeS 
fünftlerifd)e§ Selbftbettmßtfein au§, toeldjeS fid& mit einiger Ironie über 
ba§ $ublifum binlüegfeöt, ba§ nad) altem Sraudje gctoöbnlitf) @aleric= 
bilber um fo f)öf)er einaufd)ä^en pflegt befto bunfler fie burdj ba§ Alter 
geworben finb, alfo ba§ Alter oft mefir ebrt, al§ ben fünftlerifdien SBert. 
hinter ber erFünftelt leichten Art berbirgt fid^ tvoU aber auch eine gettriffe 
(Sä)tvQvmnt, bon einer geliebten Sunft, in bie einft hintmelftürmenbe 

27* 



390 £otfyar 23rieger<IPafferoogel in Berlin, 

3ufunft3J)offrmnQeii gefefct würben, reponiert 3tbfcf)icb nehmen au muffen. 
Schließlich hat bann aber bocf) bie grfenntniS, baß ba§ SfteidE) ber Ölfarbe 
feiner Statur toeniger sufage aB ein ©Raffen unter freieren 93ebin= 
gungen, über bie Sebenfen be§ Sünftler§ gefiegt. 

@§ mufe immer toieber betont toerben, bafe ber Umfdjnwng in 
©cfmannä SBefen feine§meg3 ein toillfürlidjer, fonbern als au§ ber 3*ü 
herauSgeboren nottuenbig mar. Stauchte bod) fdjon bamalS bie SSorliefie 
für baä SSiebermeiertum toteber auf, toelcheS Don ber 3eit abftrafter 
©tarre felbft aU ftarr angefehen, jefet plö^(id) al§ Sefreier begrüfet unb 
bejubelt tourbe. §dj brauche nur an bie belannte 2Wünd)ener 3eitfch*ift 
„Sugenb" erinnern, beren befte SWitarbeiter taie äßünaer, eitler, 
©djmiebhammer u. a. ettoa§ burchauä 33iebermeierifche§ an fidj fyabexx, 
unb bie ben menfdjlichen StgpuS biefer ©poche felbft örieber in liebend 
toürbiger SBeife eingeführt hat. 3lud) in unferer Literatur fchttringt 
biefe ©aite nod) heute Pibrierenb nach in ben bielen 5Reuau£gaben t>on 
Sßerfen bamaliger ®id)ter, unb e£ läfet fid) jefet gar nicht feftfteßen, 
toetchen ©influfe biefelben noch auf bie literarifche Sßrobuftion gewinnen 
toerben. 

Stud) ©dmann ift biefer 3eitftrömung gefolgt, beren ©efunbheit er 
erfannte. Sßodj ftärfer aber toirften auf ihn ttrie auf uns alle bie Japaner. 
SBir fyaben fie ©nglanb au berbanfen. S)ie 3eiten tearen ja, (Sott fei 
2)anf, fchon borübcr, in benen ein ttmtenber S^ani§mu§ gleich einer 
(Spibemie Europa ergriffen hotte, ft>o bann bie faben unb gefdhmadffofen 
gabrifarbeiten japanifdjer ©djirme unb ähnliche Spielereien bie alte SBelt 
überfdjtoemmten. 

2ln ihre ©teile mar mit ber befferen ©rfenntniS ber japanifche 
garbenholafdjnitt getreten, ©ie $oIafd)nittted)nif an unb für fid) toar 6et 
un§ audj fdjon borher fehr beliebt, al§ bie bittigfte SRepsobuftion bebtenten 
fid) ihrer unfere gamilienblätter, unb ber SBeberfdie ©erlag berbanft ihr 
feinen SMtruf. 3Tber bie ©renaen toaren hier recht eng gesogen, unb 
mit ber ©rfdjöpfung beä ©egebenen ertoadjte audj ba§ Verlangen nad) 
9?euem. ©0 lernten fair ben frudjtbarften ©cift be§ fleinen SanbeS, 
£ofufai fennen unb lieben, §iro§hiöß unb Oucfamara fdjloffen fid) ihm 
an. 5Der farbige #o!afdjnitt bebeutete für un§ eine fünftlerifd) neue 
SBelt, unb bie Stfaturauffaffung ber Japaner, ihr ftrengeS 3urittfgehen 
auf bie Urformen gaben un§ bie SRidjtung. 

93rintfmann machte Gdfmann auf Mefen japanifdjen garbenholsfdmitt 
aB auf ein fruchtbare^ unb aufunft§reidje§ gelb unferer iJunftenthricflimg 
aufmerffam. ©r vermittelte ihm bie große Sehre, bafe bie fo außer* 
orbentlidj berehrten (Snglänber im Orunbe tnenig Originalität befänen, 
fonbern ihr S3efte§ ben „®eutfdjen be§ Often§" berbanften. Unb öor 
allem prebigte er ihm bie Sßrinaipien japanifefier ßunft. §n ihr log 



<Dtto <2cf mann nnb bas neue Kunjlgcirerbe. 39J 

bamaB toirFIich für un£ aöc§ #eil, — feitbem hat ficfj ja biele§ ge* 
änbert, — imb auf fie hiefe e§ nun surüdgehen, toenn man ntdjt fteril 
roerben tooHte. 

©dfmann ift toohl ber erfte getoefen, treldfrer ben garbcnholäfchnitt 
bei un£ hetnufdj madfjte. 2Benigften§ ben Sarbenhofafchnitt aB felb= 
ftänbige, nid^t aB reprobuftibe Shmftbetätigung. %fön reiften bie orna= 
mentalen Sinien ber Japaner, bie in ber fpredjenben ^ßrägnana ihres 
3TuBbrucf3 aurn erften 3Jiafe ttrieber ben beforatiben Qtoed ber Äunft 
prebigten. ©o entftehen unfere§ SünftferS befannte garbenholäfdjnitte, 
in benen er sunt erften SWale bie bB bahin t>on ihm fchmerglid) bermifete 
©tgenart unb Vefonberheit fanb. Von nun ab ffanb er aB eine Sßer* 
fönlidjfeit für fidj ba, fein SRachahmer, fonbern ein 9?achempfinber ber 
Japaner ftw er getoorben. 

gür feine birefte Slnlehnung an bie -Jiatur ift e§ beseicfjnenb, bafc 
er aunächft bie 2Wotibe an bcrtoerten fu<hte, toelche ihm t>on Stinbfjeit an 
bie berirauteften ftmren. SDie Stifter bot ja beren genug. (Seine befann« 
teften #olafd>nitte, bie „©djtoaraen ©chtoäne" unb bie „Vlauen ©cfjtoäne" 
finb 9?eminifcenaen an feine #eimatftabt Hamburg. 35er ©djtoan, bon 
aDen Bieren, bie eble fiinien auftoeifen, ihm ba3 befanntefte> ift benn 
auch fpäterfjin fein ßtebling§tier geblieben. SWoch nadfy feinem Jobe bradjte 
bie „^ugenb" in ihrer $Jönig=ßubftrig*9?ummer einen £oIafd)nitt, ber 
toie ein 2»otto anmutet, ba§ Gfdfmann feinem ©Raffen aB SRadjtoort 
folgen laffen tooHte. ©in in prächtiger ©tilifierung gefehener „®önig§- 
fdjttan", ber mit bollern ^ügelfcfjlage au§ ben ©etoäffern herauf ber 
ftrahlenben Sonne entgegenftrebt. 

Stn ben „©chtoargen ©djtoänen" hat ihn rein ba§ ibbftifche 2>iotib, 
an ben „Vlaucn ScfjtDänen" mehr bie $anblung intereffiert. Veiben 
SBerfen aber ift e3 gemdinfam, bafe fie nicht gleich ben Silbern be§ 
5?tinftler§ ficf} berhältnBmäfeig ftreng an bie Statur galten, fonbern bafe 
in ihnen eine getoaltfame Stilificrung borherrfcht, toelche ber Slbficht, ein 
beforatib ttrirffame§ @anae3 au geben, alle anberen 9tüdffichten unterorbnet. 
So finben tnir in ben ^olsfchnitten auch bereite bie ßinie bor, toclcfie 
bem fpäteren Ornamentiften aB ©runblage für feine Schöpfungen bienen 
foHte. Sie Sinien finb toeith, fie haben etoa§ @Iei<hförmige§ an fid); 
unb bennoch laffen fie fich auf bie aHerberfchiebenften 9Irten formulieren. 
$n ben ©d^mänen treten fie ebenfo fjerbor, toie im fraufen SBirrtoarr 
be§ SEBaffer^. %a bem Sßaffer finb fie im ©runbe abgelaufdfjt. $ier fanb 
ber Sünftler, toie fid) berfelben gorm immer neue Variationen oblaufdöen 
laffen, er fonnte am bemegten Sßaffer beobachten, toie biefe Variationen bor 
fid& gehen. S)ie SRatur trurbe ihm gur beften Sehrmeifterin, au^ taufeub 
Varietäten ba§ ^affenbe hcrau^ulefen. Sie einmal gewonnene 3Bctten- 
Itnie höt er bann oft rein abftraft angetoanbt bei 2e^id)cn, Vndft- 
nmfchlägen u. a. 



392 £otfyar 8rieger»rDafferDogel in Berlin. — 

Sobt man ©cfmannä birefteä 3urüdgef)en auf bie Sfatur, fo barf 
man audj feinet S3ater§ nicftt bergeffen. SDie (Sraieftung, melcfje toir in 
unterer Öugenb genoffen haben, pflegt ja auf unfer ganje^ 2eben einen 
beftimmenben ßinflufe au^uüben, unb toir bürfen un3 glücflid) fd)äfceu, 
menn biefer elterliche ©influfe ein fo ^etlfamer ift, nrie bei unferem 
£HinftIer. £er SSatcr pflegte ben Knaben auf ©treifeügen burd) SBalb 
unb gelb mitaunefynen, toobei er ihn auf bie Umgebung aufmerffam 
machte unb fo frühzeitig ben Sinn für Ijarmontfdje (Schönheit in ihm 
toachrief. @r befdjränfte fid) babei nicht nur auf bie großen 3üge, auf 
eine fentimentale Sifthetif, fonbern er brang energifdf) auf eine 35et» 
tiefung in ba§ Sieinieben ber Statur. ®a mürben Sßflansen, bie ben 
unaufmerffamen 33Iicfen be3 Knaben juerft al£ unbebeutenb erfdjeinen 
motten, nad)brü<flicher unterfudjt, unb bem ftaunenben ©Iidfe be§ Sinbe§ 
enthüllte fid) bereite bie unübertrefflich fdjöne Crbnung im Äleinften. 
©r lernte früh bie Statur aB ba§ 22oIIfontmenfte fcfjafeen. 

£>iefe Sünbhcit§einbrüde mögen burd) ©tfmannS ganze gugenb, 
feine fünftferifd)e ©nttoicflung hinburdj nachgefhtngen haben, bi§ fie 
fid) fchliefelidj su neuem Sffuffchtounge friftaHifierten. Unb bei biefen 
neuen 93eftrebungen ertoadjen bie Stubien ber Sinbheit toieber, ber 
©ereifte burdfaieht bie freie Statur mit feinem Sfiasenbuche, um affe§ 
fernhalten, toa§ ihm ber 33eadjtung toürbig erfdfjeint. £er Sünftler 
begnügt fid) nid)t mehr mit ber reinen ^Betrachtung, er grünbet sugleidj 
eine neue Stillehre ber Siatur, ein XBiffen bon ©emeinfamfeit unb 25er- 
fdjiebenheit ihrer formen, ähnlich, toie e§ fpäter u. a. $aedet in feinen 
„ihmftformen ber Statur" al§ ttnffenfd)aftliche§ Softem gebracht hat. 
2)ie Statur erfdjeint if)tn t>on feinem Stanbtmnfte, bem Stanbjmnfte be§ 
bilbenben $ünftfer§ au§. ^flan^en» unb Stierbilbungen finb gleich ber« 
toertbar. SIber er barf fie nicht fo bringen, toie bie Statur fie gebilbet hat, 
fonbern muft fie gur Shtnft umformen, b. f). ihnen nur ba§ entnehmen, 
toa§ für feine Qtvede brauchbar ift. 2Inbererfeit§ hat fein Stil t>or 
aßen borhergegangenen ben nidjt hod) genug einaufd)ä£enben 93orteiI, bafe 
er, an feinerlei ©cfe^e gebunben — mit 9Iu£nahme ber natürlichen felbft* 
berftänblid) — entfpredjenb ber SWannigfaltigfeit ber Statur ftet§ etma§ 
Steuer au bringen bermag. Unb in biefem Stetten ftetfen bod) immer 
ftrieber bie gleichen ^ringipien: ein 3feftl)alten am bon bornherein Ge- 
gebenen, fotueit ba§felbe beforatib ift. (Sr fdjmiegt fid) ber gnbi» 
bibualität be§ bargcfteflten ZtypuZ ftet§ auf§ innigfte an, ^flansen unb 
Xiere werben balb tpeidj, balb edig unb immer fo gegeben, tute e§ für 
fie am cüaraFteriftifdjften ift. £<tbei Täfet er nad) bem SKufter ber Japaner 
aITc§ 3tcbenfäd)Iidje fort, um ba§ SBefentliche um fo fdjärfer aum 3Tu§- 
brurf au bringen. Statürlich gehörte ein aufeerorbentlid) feine§ ©efüfil 
ba^tt, um fo in ber gormenfüHe ba§ ber momentanen 9fbftd)t 6nt* 
fpred)enbfte f)erau§3ufinben. 



(Dtto (Etfmann unb bas neue Kunjlgen>erbe. 393 

©dfmann hat ohne anatomifdheä ©iubiiim ba£ gefunben, tt>a§ bie 
9iatur ber Samft au bieten bermag/ äußerfte Einfachheit unb infolgebeffen 
auch höchfte Harmonie. Solange er aB ©infamer baftanb, mar fein 
©(Raffen nicfjt aüau umfangreich, ba ihm bie richtige @rmunterung 
fehlte. 2tB bann bie Seitfdjriften gegrünbet mürben, meldte e£ fidh sur 
Slufgabe festen, bie'ßunft ihrer Seit m förbern, enttoidfelte auch unfer 
Siünftler eine fieberhafte £ätigfeit. 9ln bcr $anb be3 „$an" ober ber 
„Sugenb" fann man e§ berfolgen, Inte er rafd) aum #errfdher im Steide 
ber gormeu toirb. 93ebenft man, baß biefe£ umfangreiche ©Raffen, 
tuelcheB faft alle ©ebiete mobernen $unftgetoerbe£ ^errtfd^ beeinflußt unb 
noch lange bceiufluffen tnirb, eigentlich nur bie $robuftion bon fed)§ 
Sa^en umfaßt, fo muß man, fei man ein greunb ober ©egner, bie 
riefige SlrbeiBfraft unb ben tiefen ©eift, bie fidh hier offenbaren, auf» 
richtig betounbern. 9?ur ihm ift e§ au berbanfen, tnenn unfer heutiges 
ihmftgetnerbe nicht nur ein ©etoerbe, fonbern eine ftunft ift. Sein 
(Sinaiger ber 3eitgenoffen hat auf biefem ©ebiete Slnnähernbeä 
geleiftet. 

©eine SBerbienfte nmrben baburd) anerfannt, baß er aum ßehrer 
an ba§ ^Berliner fönigliche ßunftgetnerbemufeum berufen tourbe. £ier 
hat bann fein gleiß bo^elt fegenäreiche grüßte getragen, inbem er 
nicht nur aB t>robuftiber Siünftler, fonbern aB SInreger toirfte, ber 
bielen jungen #eraen ein ftolaeä S3erftänbnB für bie ©töße i£)rc£ 
S3erufe§ eingepflanat hat, toelcheä ben früheren fremb tnar. 

Otto gcfmann toar ein äußerft ftrenger Sehrer. ©r, ber felbft eine 
Xätigfeit enttoicfelte, toelche bie höchfte Stnfpannung aller geiftigen unb 
fötperlidhen Gräfte erforberte, badete bon anberen mäjt gering genug, 
um ihnen ßei<f)te§ unb @t>ielenbe3 auaumuten. f)a$e biele feiner 
(Schüler über feine unbulbfame $ärte flagen hören. Sefet nach bem 
£obe be§ ßehrer^ toirb ftohl nur noch bie grauer aurüdfbleiben um einen 
SWann, bem bie ©dfjüler trofc feiner ®d^tuäcf)en 9lußerorbentlidje§ 31t ber- 
banfen höben. 

6£ ift toahr, baß feine bartnäefige Snbibibualität manche^ felb» 
ftänbige Talent unterbrüeft haben mag. ®o toeiß man bon manchen 
Arbeiten, bie in bcr legten Seit fcine§ Sebent au§ feinem SItelier 
herborgingen, nicht, toa§ baran ihm, unb toa§ feinen ©djülern gehört. 
Sffber jebe Sßerfönlid&feit hat etlnaS bon einer ©roberernatur, einem 
Scannen an fich. Unb ©dfmann gehört %u ben Talenten, bie fulturett 
beinahe toertbotter finb aB ba§ ©enie. ®a§ große Talent macfjt frucht* 
bare Schule, ba3 ©enie eigentlich niemaB. Unb fo toirb benn (£cfmann§ 
gührerroüe, bie SßoHe be£ 9teorganifator§ beutfehen Sunftgetuerbes, ibm 
toohl auch in 8ufunft unbeftritten bleiben. &a§ ift fein größte^, fein 
etrige§ Sßerbienft unb bie fchönfte Unfterblichfeit. 



39^ £otfyar Brieger<lDafferi>ogel in Berlin. 

III. 

Gcfmann§2Bcrf. 
Die funftgetoerbltdje £ätigfeit ©cfmannä ift Don einer gang aufeer« 
orbentlidjen SRannigfaltigfeit. gaft auf feinem ©ebiete bat er feine 
$raft uuberfucbt gelaffen, auf btefen tft er jum Steinbrecher getoorben. 
Die Trennung ber einjelnen funftgen)erblid&en.3^eige bonetnanber, ju 
ber in lefeten fahren toieber eine ftarfe Neigung bcrborgetreten tft bat 
er immer bcfämpft. §bm toar ba§ ganae große ©ebiet eine (Stnljeit, 
auf ben gleiten Sßrinaipien aur Sfntoenbung fommcn mußten, ohne 
jebod) ber ^nbibibualität be§ 2)?ateriaf§ irgenb treidle (gdjranfen au 
fe&en. 

Dabei tft ber ftarfe ©egenfafc au betonen, in bem ©rfmannä S)e- 
ftrebungen 3U bem äbnltdjen ©runbfäfcen bulbigenben Kunftgetoerbe ber 
Belgier ftebt. Dan be Selbe tft ber bebeutenbfte SRepräfentant beäfelben. 
Sr entfernt fidj mit Settmßtfein bon ber Sftatur in ber SWeinung, baß 
bie 21nlebnung an biefelbe bem ftunftgetoerbe nur fchäblid) fein fönnte. 
©ein 3^ccf tft bte Schaffung etne§ t)on ber Sftaur unabhängigen Shtnft* 
gefct>erbe§. ?Iudj ©cfmann ftrebt biefem 3iefe 3U, aber er fudfrt e§ gerabe 
burd) bte intime iltmntniä ber Slaturformen 31t erreichen. (Sr toiH bie 
Sttatur baburd) übertoinben, baß er fie fid) au eigen macht. Daher auch 
feine Snntbolif, bie ttterarifdjen nnb farfaftifcfyen SSeaiebungen feinet 
@djaffen§. Dan be Selbe bertoirft biefc Seaiebungen unbebingt. Die 
abftrafte Stnie gibt bie ©runbftimmung, auf toelcbe er aüe§ aurücffübrt. 
Die Schlangenlinie. Sludj (Sdmann bat fidj bem SSerte btefer Stnie nicht 
berfdjloffen, fonbern fte bäufig angettxmbt, tote fie benn bem gefamten 
funftgetnerblidjen Schaffen unferer 3ctt eigentümlich geworben tft unb 
bau be 33elbe§ bleibenbe Sebeutung feftlegt. 

3Iber nicht jeber tft ein bau bc Selbe. Die Schlangenlinie, einmal 
3um unfehlbaren Dogma erhoben, hat ba§ Sunftgetoerbc ber Sclgter aur 
(Frftarrung gebracht, fo baß e$ un§ nur noch toenig 31t fagen toeiß. Son 
^rinaipienftreitigfeiten abgefeben, ift Ctfmann§ Sunft bod) unftretttg boff 
größerer (£nttt>icflung§freubigfeit nnb 3ufunft. 

Der Streit aftrifthen ber „reinen Sinie" unb ber freien SRaturan* 
lehnung ift überhaupt fchon ein uralter. 2tf(e SJunftperioben haben ihn 
burdjgcmarfjt. Die objeftibfte biftorifdie 33etrad)tung fann hier aHein 
fchon entfdjeiben. Da§ 3?ofofo ift an ber reinen Sinic* augrunbe ge< 
gangen. ÜRit Trauer bcrfolgt man ben Vorgang, \vk fidj au§ frifeben 
Elementen fangfam bie Crftarrung berauSfoubenfiert. Die ©otif ba* 
gegen ift gcraöc bort am größten, tto fie unter Befreiung bom Sinien* 
Strange fid) am reinften an bie 9?atur hält. Sobalb bei ihr bie Sinie 
bagu tritt, cnttoicfelt fid) frenbclofc fiünftelei, unb Sah» 9*u§fine 
^5F»tIipt>iFeit haben in biefer Scaiehnng mohl immer ba§ 9iid]ttge getroffen, 
modjten fic fonft fiinftferiid) aud) nod) fo irren unb fehlgreifen. 



0ttö (Scfmann unb bas neue Knnftgen>erbe. 395 

®a ©dmann§ erfte beforatibe Strbeiten auf iHuftratibem ©ebiete 
lagen, toar e§ aud) natürlid), bafj bie Slufträge, toelcfte ifjm rddfjlidE) au* 
flogen, aunäcfjfi tHuftrattbe Aufgaben betrafen. @ine reidje Süße bon 
33ud)fd)Tnud, Stitelblöttern unb äljnlidjem ift bi§ in bte tefcte 3^it feinet 
Sebent entftanben. Slud^ I)ier fi>ri<3^t fidj ein beutlidjer ©egenfafc 3U bei- 
gifdfyen tnie englifdjen 33eftret>ungen au§. SBalter <Srane§ SSudjißuftra* 
tionen aum 95eift)iel fte^en in nur geringem ober gar feinem organifdjen 
Bufammenfyange mit bem gnftalte ber Seite. Sie finb meiftcnS felb* 
ftänbige @raeugniffe, bie unter einem beliebigen anberen Stitel übermalt 
gerabe fo gut aI3 ©emälbe furfieren fönnten. Oft merft man iljnen 
aud) ba§ ßüdenbüfeerftafte an, ba§ S3eftreben, einen freien Sied ber 
Seite anaufüflen, otme bafe eine innere SKotoenbigfeit baau Vorläge. 

©dfmann §at bergleidjen, bie ©efdjloffenfyeit beä ©anaen beeinträcf)« 
tigenbe Sonaeffionen nur in feljr ft>ärli<f)en Säßen gemacht, ©eine $er= 
fönlid)feit toar biel su fef)r mit gebanflidjen 23eaieljungen gefättigt, um 
SCingc au geftalten, bie man nidjt al§ ba§ aSernunftgemäfee beaeidjnen 
fönnte. 

2>iefe§ SBermmftgemäfee, ba£ bie $I)antafie freilieft in oft ungebüftr- 
lieber SSeife befdjränfte, I)at benn aud) einem großen, ja bteßeid>t bem 
größten Seile bon ©tfmonnS SSerf ben Stempel ber SBergänglidtfeit auf* 
gebrüdt. $at aud) ber ©ebanfe, ba£ Sud&en nad) geeinten 93eaief)ungen, 
manchem feiner Sßerfe ba§ 2tu§fel)en be§ ©etooßten unb (Srattmngenen 
gegeben, fo toar e§ bod) aud) anbererfeit£ gerabe roieber biefe getabelte 
@igenfd)aft, toeldje if)tn einen biel freieren Spielraum getoäftrte aB ben 
Süngem be§ ®unftgetoerbe§ bor iftm. (?£ teäre eine Unbanfbarfeit, 
tnoßten biejenigen, toeldje über iftn f)inau§fommen fonnten, aber nur 
barum, toeil er bor Ujnen toar, nun bie Slnregungen bergefjen, bie fie 
au§ feiner Sßerfönlidjfeit unb feinen SBerfen gefcf)öpft ftaben. 

©tbt man bafyer bem ^ritifer immerhin bafe (5tfmann§ 2&erfc 
auf un§ fd)on bereite etma§ beraltet toirfen, fo mufe man bodj geredet 
genug fein, um burd) foldj objeftibe Sritif ber ftiftortfdjen 93ebeutung 
be§ $ünft(er§ nid)t au nafte au treten. Seine SBerfe bofumentieren un§ 
feine reformatorifdje Stellung, fie müffen an itjrem SSerte berliercn 
iefct, ba ba§, toa§ früher rebolutionäre 9?euf)eit fd)ien, SIfltag getnorben ift. 

2)ie ©inbanbbede, toeldje er aur beutfd&en Sluägabe bon 9ht£fin§ 
©efamtmerfen enttoarf, bafiert böliig auf *er SBellcnlinic unb ift bon 
grofeer ©infadöfteit. S)abei ift bie SEßirfung auf ben Sefdjauer eine ftarfe. 
33om fHpferfarbenen ©runbe ftebt fid& ein fdöinarae§ Ornament, an beffen 
fonberbaren, fid^ berbidenben unb berbünnenben ßinien mit ben eigen- 
tümlichen bon iftnen gebilbeten gormen man fofort be§ Sünftlerä 
§anbf(ftrift erfennt. ®dmann§ Stbftdöt, möglidjft einfadö unb unauffällig 
au toirfen, läfet fidj gar nid)t berfennen. 5!lngefidöt§ fold&er Arbeiten 
bleibt e§ unberftänblicft, menn man if)n aI3 mobernität^füdjttg unb effeft- 



396 £ottjar 8rieger«tDaf ferrogel tu Berlin. 

§afd)enb tabelt. @r f)at fidj felbft oft ironifd) über bie jungen JHinftler 
ausgeflogen, bie, um „mobern" su fein, fidj bon ber einfachen Sinie 
entfernten unb ^antaSmagorien nadjjagten. @S läfet fid) bodj faum 
annehmen, bafe er fo mit bollern Setoufetfein feinen tfjeoretifdjen Über- 
äeugungen £raftifd) entgegengearbeitet tyätte. SDte ©Ijrlidjfeü feiner 
Sftatur toirb jebenfaßS niemanb leugnen. 

Sft bie ©inbanbbede gum SluSfin ein 33eifl)iet für feine Strt, otme 
SBejte^ung aum Sn&att rein ornamental su tairfen, fo aeigen s. ©. feine 
gnttoürfe für ben Umfdjlag £aut)tmannfd)er ober ©über mann fd)er 
Stüde beutlicf) feine Steigung gum ©tymboliftifdjen. 3)ie SBeßenlinie felbft 
berliert audj liier nrie in allen feinen 3ei$nungen nichts bon ifjrem 
9ted)te, nur bafe fie Iiier mefir güfffal toirb, anftatt ^aujrtfadje au bleiben. 
So feljen toir auf ber 3ei<#nung aur „SSerfunfenen ©lotfe" einen ©djtoan, 
ber bon einem langbefieberten Pfeile inS £era getroffen, im Sdjilfe Oer« 
enbet. ©ein SiebtingStier, ben ©djtoan, ber für ifm baS 5Kinftlerifcf>fte in 
ber Statur bebeutete, Ijat er auSertoäl)lt, um baS 3ugrunbegel)en be§ 
SftinftlerS #einridj, ben ber $feil beS geiftigen SßtebeiertumS niebertoarf, 
ju djarafterifieren. 

2)er Umfdtfag für „Sie brei Sieiljerfebern" toeift unS in ber 2Ritte 
brei feberartig geformte, gemeüte Sinien, Don- benen fid) stoei ineinanber 
berfdtfingen, toäljrerib bie S:pifee ber brüten in freier Suft zu beben 
fdjeint. So ftjmbolifiert er ben 3^fammenf)ang ber gebern, beren britte 
enblid) ben £öntg in baS 9lid)tS fütyrt, in ben 5Eob. Unten jloei ftronen, 
bie eine aufredet, bie anbere, ein fdjlidjterer Sieifen umgeftüljjt barüber, 
ebenfalls ein Stjmbol beS föniglicfjen Unterganges. 

5Die 3>etfe aum „$ubaS" bon £or £ebberg enblid} seigt eine böttig 
bilbmäfcige 3eidjnung nad) bem dufter früherer Umfd)Iäge. SBaS fie 
bon benfelben fdjeibct, ift bie ^Betonung ber reinen ßinie felbft in ben 
giguren, fo baft biefelben nur beforatib toirfen. 3tud) bie 3farben finö 
biefem 3toede entfpredjenb abgeftimmt. 

2ßir Ijaben brei befonberS djarafteriftifdje 83eift>iele für bie brei STrten 
gcfmannfdjer UmfdjlagSaeidinung auSgetoäfjlt. 2)ie Betonung ber Sinte 
ift ifjnen aßen gemeinfam. ßeine berleugnet ben beforatiben 3toe* 
augunften bilbmäfeiger äBirfung, fo bafe man etma baS unangenehme 
®efüf)I f)ätte, Umfdjlag unb 23udj gehörten etgentltdf) gar ntdjt aueinanber, 
fonbem loaren nur burd) #in SBerfefjen beS 33ud)binbcrS sufammen- 
gefommen. So ttrirft baS 39u$ al§ Organismus. 3Wan bergleidje bamit 
ben Umfdilag ©ante ©abriel JRoffettiS 5U feinen Sonetten ober benienigen, 
metcfien Krane für feine SBerfe fertigte. 

Sin fein Sinienprinaip anfnüpfenb, I)at ficf) ©dmann aud) eine eigene 
@d)rtft geftaltet, bie fogenannte gdmanntbpe, toeld^e in lefeter 3^t 
mc^r unb melir bei Iururiöferen Sffierfen gur Slnmenbung gefommen. 
(Sie gel)t auf bie Sdjtoabadjer Setter 3urüd unb baut biefelbe toeiter au§. 



(Dtto (Edmatin unb bas neue Kurtagen? erbe. 397 

Orofee unb fräftige SBud&ftaben finb e£ geioifc, bie bem Auge toohltun 
burd) Schärfe unb fd&öne gorm. An ihrem SÖerte toage ich aber botfi 
5U atueifeln, unb nodh traniger ift nach meiner Anfid&t an ihre tnirflidie 
^opularifierung 5U glauben, ttrie biefelbc ja auch bisher bon fünftlerifcf) 
intereffierten SSerlegern bergebenS berfudjt teurbe. Solchen SBerfucfjen 
fteht aunäd&ft bie etoaS bizarre unb umftänblirfje gorm einjelner 33uch- 
ftaben bebeutenb im SEegc, fo bafe ein in ©tfmann=S<f)rift gebrudfteS 
S3uch für Saien immer fcfjtoer unb unbequem lesbar bleiben bürfte. 
2)a3 Unternehmen toar ein intercffanteS, erfolgreidf) fönnte e§ nur bei 
bebeutenber 33ereinfad)ung beS St)ftem£ fein. Sßeter 93ehren3, nach 
©dtmannS £obe.ber herborragenbfte Vertreter beutfcfjen ShmftgetoerbeS, 
hat mit ber 93ehren§»Schrift ettoaS ähnliches berfucfjt, freilirfj mit nega- 
tivem erfolge. SßoHte man auf bem einmal eingefchlagenen SBege nun 
noch meiter fortfehreiten, fo toürbe man lieber aur Schtoabacher 
Setter aurücffommen, bie in ihrer bornehmen Einfachheit toohl auch noch 
lange bie fchönfte beutfdje 2)rucftt)t)e bleiben ttrirb. 

Xxat bie Steigung beS SiünftlerS bereite in ben UmfchlagSaeichnungen 
bebeutfam herbor, fo fanb feine Suft au befonberen 93eaiehungen bor 
allem in feinen Ex libris-gnttoürfen ein reichet gelb. $ier bot fidh Hjm 
in ber SJterfon beS Auftraggebers Anregung genug. 9lur nxmige tnic baS 
eile Ex libris für 2War SBtlfe begnügen fich bamit, in einfacher Sinien- 
rahmung nur eine Art äßonogramm beS SBetreffenben au bieten. ßbaraf-, 
teriftifd) ift befonberS baS Ex libris für feine eigene 33ibüothef. Unter 
ben AnfangSfmchftaben feinet UZamenS ein Snabe in faltigem £alare 
fnieenb unb betenb, auf beffen Socfenfopfe ein Sreua fteht. S>aS ift feines* 
toegS religiös gemeint, fonbern ©dfmann fennaeichnet hier mit aufeer- 
orbentlich feinem SelbftberftänbniS bie fatholifdf) mt)ftifchen Neigungen 
feiner Seele, auf benen mancherlei Sonberbarfeiten, toie %um 93eift>iel 
fdn beinahe fanatifdjer Spiritismus, beruhten. 

3für feinen intimen greunb, &errn SammergerichtSrat ©mil UhleS, 
hat er eine ganae Anaabi berartig fambolifdjer Arbeiten hingeworfen, 
bie ber greunbfehaft entfprechenb nteiftenS fcherahaft gehalten. So aeigt 
eine -KeujohrSfarte, ber SSermanbtfchaft beS 9tamenS UljleS mit bem 
©dhleStoig^olfteiner Uhl = Eule gebenfenb, ein folcheS Stier. Auch hier 
tmeber baS #erborhebcn beS SBefentlid&en unb bie Unterbrücfung aller 
nebenfächlidhen (Sinaelheiten. SCaS ©efieber beS üereS ift nach japa* 
nifchem SKufter nur leicht angebeutet, bagegen tritt ber ®opf mit ben 
grofeen Augen unb bem ftarfen Schnabel fdjarf herbor. 

Aber ©dfmann nufete nicht nur ben 9?amen, fonbern bor allem auch 
bie pribaten Neigungen beS Setreffenben für feine S^eie auS, tooburdö 
befagte Arbeiten unleugbar ettoaS gntimeS unb StimpathifcheS erhalten, 
baS ihnen in ben Augen bcS SöcfifeerS noäj geroife einen befonberen JReia 
unb SBert berleihen mufcte. ®erfelbe greunb tuar ein grofeer Siebhaber 



398 £ottjar Brieger«lDaf feroogel in Berlin. 

ber Sifdjerei. §ier bot fieb ©tfmann ein reicbeä gelb fcberabafter 3tn= 
fnüpfungen. Stuf einem Ex libris tummeln fid> ein paar muntere glofe* 
äugige Stopfen toatfer ^rum. Sie obere Hälfte nehmen stoei tief- 
finnig breinblidenbe, gana iapanifdö ftilifierte Steider ein, bie offenbar 
auf ben 2ttoment lauern, mo einer ber gifebe fid) unborfidbtigertüeife an 
ba§ ;£age§lid)t ioagen tnirb, um ibn bann als gute 93eute su erfdfjnabpen. 
Sie gleid&en 93eatebungen b<*t ©dfmann in einer Sdjreibtifcbgarnitur für 
ben JJr^nnb berührtet. Stuf ber Stanbubr beifeen fieb brei Sifdbe ein* 
anber munter in bie Sebtoänalein, fo paffenb auf bie etoige SBieberfebr 
binbeutenb. Stueb ba§ Dom SKinftler fo geliebte Stjmbol be§ fireujeä 
taud&t biet toieber auf. Itnb bie tfleidjen tftfd&e tummeln fieb auf bem 
©riffe be§ 93apiermeffer§ berum. 

Ödj.mödjte f)ier gleidj erbxüjnen, bafe fidö ber üünftler audb auf ben 
©ebieten ber $eramtf, fotoie ber 3^r» unb ©ebraud&Sgläfer berfuebt bat. 
©rftere SSerfucbe ftammen au§ feiner frübeften funftgetoerblidben %ätig« 
feit, gleicb nacb ben febönen Sarbenbolafdjnitten, lefctere finb ^erbor« 
bringungen ber legten Sfabre. Erfolge batte er feine babei au beraeiebnen, 
unb fo bat er benn in fteifer ©elbftbefcbränfung bie SBerfud&e balb auf- 
gegeben, jobalb er beren Stoedflofigfeit erfannte. ©eine auf <SeIb- 
ftänbigfcit gerid&tetc Slrt fennaeidiuct c§, bafe er bor allem bei feinen 
feramifdfjen SSerfueben alte§ felbft matf)tc. @r toar eben mebr al§ ein 
blofeer XfyeoxQtifet, er roar aueb ein praftifeber Slrbeiter. Sein nüdjterncr 
SBerftanb betätigte fidj naä) biefer Seite bin. Safe ibm auf befaßten 
©ebieten feincrlei Sorbeeren erblüben follten, ift toobl auf bie grofee unb 
berrlicbe Arbeit aurüdPaufübren, toeldje bicr Slmcrifaner unb granaofen 
fdjon bor ibm leifteten. Sa§ 33efentlid)e mobernen ®tile§ toar bicr 
fd&ou feftgclegt, al3 er fieb an bie Strbeit maebte. 3um 9?adbabmer 
frember 2lu§brud3mittel eignete er fieb faum, unb (£igene§ liefe fieb bier 
nitf)t§ mebr fagen, tt>eld)e§ ba§ ©egebene bätte übertreffen fönnen. 

2Bo Grrfmann bie bon ibm geliebte graaiö§ fd&toanfenbe Sinie, ben 
fcblanfen STufbau in ber 9?atur borfanb, ba ftrebte er, fieb bie neue JJorm 
au eigen %\\ macben. Sie öinien unb glädöen gab er nadb japanifdbem 
SWitftcr bon ibr toieber. %n biefer 2lrt gebt aud) feine 9?aturf>etrad)tung 
bon ber 2£cttenlinie au3. SSo er in ber 9tatur feinem 3 tü cde ©nt» 
fbrcdjenbeä borfanb, ba bat er alle§ mit gleicber Siebe umfafet unb ber» 
beertet. Ser 9tbt)tbmu§ ber Stetoegung ift ibm überall ba§ SBefentliebe. 
9Wit bem febarfen 9Iuge eine§ ttüffenfdjafttieben 9Irbeiter§ fanb er ibn 
unter bem gröfeten 93ein>erf fyevauZ unb fcbaltete bann bamit mit freier 
fiünftletpbantafie. Sic SSoraüge ber befebeibenften Sßflanaen entgingen 
ihm babei fo toenig toic bie auffaHeub febönen Konturen ber Öilie, toeldbe 
im Reifte ber 93hum?n für ibn biefclbe SSebeutung erlangte, trie im Xier- 
reiebe ber Scbtoart. (Sin cinfad)C§ TOoos, eine fdjlicbtc Kornblume traren 
für ibn bob^r 9?eiae bod. 9Iber bie einbeimifebe 5^»"^ genügte feiner 



(Dtto (Scfmann nnb bas neue Kunßgen»erbe. 399 

2fu§behmtnaäluft nicht. @r toanberte au§ unb entbecfte frembartige . 
Sßflanaenföniginnen gleidb bcr Crd&ibee, äftrrltd) tx>ie auf bcn Teppichen 
unb S^peten fetner legten Sßeriobe bie japanifchen SlamingoS ihr bizarr 
graaiöfe£ Äeben führen. 

SRirgenbS tritt biefe SKaturformenliebe biettcicht beutlidjer ^erbor • 
aB in feinen ©IaSfenftern, bte etttfd^ieben bleibenbe 33ebeutung befifcen. 
@o fpielen auf ben frönen gcnftern be£ neuen SKannheimer ©tymnafiuntS 
bte feltfam gegeneinanber belogenen Sinien ber SBoIfen= unb 23Iattfläd)en 
bie eigentliche Hauptrolle. Sie Ihmftglaferei bon g. SB. Roller in ®refelb 
hat biele feiner heften ©nttoürfe 3ur 3tu§führung gebracht. (Sin Cuer* 
fdfjnitt ber ßilie getoäfjrt ba meiftenS bie Anregung für bie genftermitte. 
Sie fchtoungboHen Sinien biefer 33Iüte reiaen ben ßünftler aur Nach- 
ahmung. Siber toährenb er bemüht ift, fie möglidfjft getreu mieberau* 
geben, finbet fein ®ünftlerauge balb nur nodf) bie fdjöne Sinie unb ber= 
gifct barüber ben eigentlichen Urfprung. @o entfteht fein naturaliftifdM 
$robuft, fonbern eine entaüdtenbe, freie, einfache Variation über ein 
fdjlid&teS Itjenta, toelcf)e§ bie ®unft al3 eine gortfefcung ber Natur gibt. 
SSon ben ©eiten ^er brängen fich in üppiger Rütte Seilten unb anbere 
Glitten. Wlanüjmal verlängert fich in unnatürlicher SBctfe ein 33Iatt 
tueit über bie ftjmmetrifdhe ©röfee $inau3 unb ttrirft reiabotte ©chatten 
in bie 2ilienformen. v Sie 93erbinbung ahrifdjen allem ftellt bann bie 
fdjöngefdjtoungene SBettenlinie bor, bie fich augleicf) al§ eine Umrahmung 
gibt, au£ beren gugen ber SSIütenflor herborbringt. 93et einem anberen 
©la^fenfter fdjeint eine reiche 93Iütenfü|tte bon einer SWauer herab* 
anhängen, ©cfmann ttueberholt ficf) nur äufeerft* feiten. Sr finbet ftet§ 
neue 2JiögIicf)fciten, feine Sieblinge anaubringen, unb ermübet nicht in 
beut 33erfucfje, biefen immer toieber noch nicht befannte Schönheiten 
abauringen. 93on 9ieuerung3füchtelci läftt fich toobl boch faum einem 
ßünftler gegenüber reben, ber atte§ ohne Sffefthafcherei nur feinen 
höheren Stedten attliebe tut. 

2ll£ ©cfmann bie Stufgabe auteil tourbe, an ber beforatiben 2Tu§* 
fdjmüchmg be§ befannten berliner 3Kobebaaar§ bon ^ermann ©erfon 
teilaunehmen, toählte er aB ©berlichtbedfenfüllungen eine Sarftellung 
ber bier §ahre33eiten. §ntereffant genug ift, au§ einem Sergleiche mit 
feinem im borigen Hbfd&nitte befprochenen legten Stafelbifbe gleichen 
9ZamenS au erfehen, toelche inneren Verönberungen ber Snmbolift ßef rann 
burchgemad&t hat. Sort mürben bie äftenfchenalter anm Vergleiche heran* 
geaogen, ein alte§ malerif<ije§ 3#otib, ba§ immer toieberfehrt. Sie 33e- 
aiehung ift etoa§ gefucht unb fotnpliaiert. ©eitbem hatte ber £HinftIer 
biel einfachere SBege gefunben, um feine ©ebanfen tum 3lu§bru<f a« 
bringen. %m „grühling" geht bie ©onne auf, unb ihren belebenben 
Strahlen fehnen fiefj bie Slüten entgegen, ^m „Sommer" hat fie ihren 
^öhetnmft, ba§ drängen ber reifen Slüten mirb ftürmifdjer. %m 



^00 Cotfyar ^ricger-lDaf ferrogel in Berlin. 

„£erbft" finFt fie bereite herab, unb e£ fontmt über bie 33lüien feie eine 
SHmung be£ SBerfeelFenä. (?nblid) berfd)feinbet fie feieber im „SSinter" 
unb mit ihr atte 2eben§Iuft, bie Slütenftcngel finb mübe unb gebrochen, 
eine @<hneebetfe breitet ftdj über bie SBett. gtfmann ^at ben ©djnee 
• nicht rein malerifdj gegeben, fonbern ihn burch eine Sinjat)! bereinaelter 
gloden ftjmbolifiert. Slud) triefe glocfen felbft finb mit naturfeiffenfd&aft« 
Iidfjer Schärfe in ihren betaiöierten gormen gegeben, bobei feieberholt 
ftd) Feine, man fjnirt f)ter ein forgfältigeS nnb IiebebofleS SWifrofFo^ 
ftubinm. ©cfmann ift in erfreulicher SBeife bon geiftreidj Iiterarifcher 
&t>igrammatif au einer StymboIiF gelangt, bie fo einfad) ift feie bie 
üftatur felbft. Xiefe beForatiben Malereien finb mit bie feertbottften 
3eid>en für ©cfmannS Steife. I)at nicht an Stimmen gefehlt, bie 
feinerjeit gcrabe biefe§ naturfeiffenfdöaftlidje Moment aI3 gefudfft unb 
eine3 5HinftIer§ unfeürbig berfearfen. Sem Iäfet fid) nidjt 311* 
ftimmen. iritt bei ©efrnann ba§ ©efeoflte manchmal etfeü§ au fd&arf 
herbor, fo muß man ftetS baran benFen, bafe er ein $fabfinber fear, ber 
fid) erft attc3 ba§ mitheboft erobern mufete, fea§ jefct bie anberen al§ 
bequemet ©ut aur ÜBSeiterentfeidelung borfinben. Seine ®unft ttrirö 
gegenüber berjenigen feiner Sftachfolger gefeife gufünftigen ©efdjled)tern 
etfeas? t>rimitib unb grob erfdjeinen. &a£ feirb nid)t hinbern, ba& man 
ba3 htftorifdj 9teue an ihm genau fo gut fdjäfet, feie man in ber SRaleret 
nach langer unberftänbiger S3eradjtung aud) trieber einem ßimabue ober 
©iotto geredjt au feerben gelernt hat. ©eine 9trt, in allen Funftgefeerb* 
liehen Strbeiten auf bie SRaiurformcn autütfaugehen unb biefelben mit ber 
felbftbefeufeten $artnädigFeit be§ Übcraeugten bei jeber ©elegenbeit an- 
auJbringen, hat für un§ feineraeit eine 9lrt neuer unb märchenhafter 
Söelt gefdjaffen, beren 9teia atferbing§ burd) bie ©efeofmheit feitbem 
ftarf berblidjen ift. ©tfmann fear ja Fein für bie ©feigfeit fdjaffenbe§ 
©enie, fonbern ein mühfam ringenbeS Talent. 

SBir haben auf ben borangeI)enben ^Blättern bcrfolgt, feelchen ©ang 
nad) auffeärtS (£dmann§ Fnnftgefeerblidie JätigFeit nahm, feie in ge* 
funber Cntfeidflung eine§ au§ bem anbern entftanb. SSom garbenhola» 
fdinittc aur 99ud)iHuftration, bon ber 99udjiIIuftration au t>raftifd) fünft* 
gefeerblidier JätigFeit, fdjlicftlich bann feirFfame ©IaSfcnfter unb Xerfen* 
beForationen. Sa ©cfmann e§ nid)t beim Stfjeoretifieren beliefe, lernte 
er auf biefe 3lrt aud& ba§ $anbfeerF§mä&ige einbringlid) Fennen unb 
Fonnte fo au biel richtigeren unb genaueren 9fnfd)auungen über beForatibe 
SBerte gelangen, a!3 ber blofee Seidener. (B fear nur natürlidi, bafe eine 
berartige JötigFeit bei ber Ijödjften Aufgabe atte§ Äunftgefeerbe^ an= 
langen munte: beim 3inimer. 

Sfeei £auM)unFte Fommen 5tcr in 53etrad)t: eincrfeit§ bie SWöbel, 
anbcrerfeit§ Sa^etcu unb £e££icf)C. 

Xie 3WöbeIard)iteftur ift, feie feot)I Fein anbere§ fluuftgefeerbe, mit 



<Dtto (Etfmann unb bas neue Knn ftgeu>erbe. 

ber ©nttoicflung her 33auardjiteftur berfnüpft. ©ie pflegt berfelben ibre 
gormen su entlebnen unb ab)edfentf:pred)enb umaugeftalten. #errfdjt 
bafjer in ber 93auard)iteftur eine berartige Stillofigfeit ober genauer 
gefagt ein berartigeS ©urdjeinanber aller Stile ttrie jefct, fo brirb e§ aitdj 
bei ben SWöbeln troftloB auäfeben. Sie Ijaben \iä\ nadj bem SRaum au 
rieten, ben fie beimifdj matten foffen, unb ber ©d&affenbe ftcf)t nun 
Siemlid) ratto§ ba. 

Sa ©eftnann fein 93auard)iteft mar, barf man fidj aud) md)t tounbern, 
toenn er un§ in ben SWöbeln ben „neuen @til" nidjt gebrad&t bat. 6r 
mar in allem ein Sinb feiner Seit, toie er ba§ ja audj in bem biefen 3eilen 
bor an gefegten SWotto fcfbft gefagt f)at, unb feine 3 e *t to° r für eine neue 
©ntoicflung auf biefem ©ebiete nodj nidjt reif. SBir toerben e§ biellcidjt 
nod) lange nid)t fein, menn nidftt über SRadjt ein SBunber gefdjiebt. 
Um fo beftmnbernStoerter aber finb EdfmannS Semübungen, bie Wobei* 
ardjiteftur au§ ber Sioße ber Jfojnftin au einem felbftänbigen ®unft« 
getoerbe au erbeben. 

#ier tritt ftärfer aB irgenbtoo anberS @?<fmamt§ Vorliebe für ba§ 
SBiebermeiertum berbor. !ga, fie ift mandjmal fo ftarf, bafe un§ biele feiner 
SKöbel fdjon jefct biebermeierifd) unb beraltet anmuten, ©ebrife ift er 
bier toie oft in feinen 23eftrebungen au toett gegongen, ba er erft einmal 
ba§ 9tidjtige unb ©efunbe in jener 3eitftrömung erfannt bfltte. 

9lud) an neuen Elementen läftt er e§ nidjt feblen. @o erfennt er 
toobl ba§ SSerfeblte, ba§ in ber gried)ifdjen ©äulennadjbilbung liegt. 
6r berfudjt eine -Keubilbung, in ber Kapital unb ©djaft eine innigere 
Sßerbinbung* eingeben follen. ^n bödjft einfadjer SBeife nimmt er bier 
■Raturformen au $ülfe, bie man bisher nodE) nidjt au Sftate gebogen battc, 
Sförrenfräuter, SKoofe, Saftanienblätter. S)er burdj ben 33enufcenben 
ausgeübte £)rudf mirb fombolifiert. 3Tudfj bierin toaren ibm ja ber= 
eingelt bereits Mnftler ber SBiebermeieraeit borauSgegangen. 

Seine 5£eM)idje unb Staketen geljen bon benfelben Sßrinaitrien au§ 
toie feine ©Ia§fenfter. SSon äffen Arbeiten be§ S?ünftfer§ genie&en fie 
bie bödjfte Popularität. ©djerrebed, Keffer unb SReiner in SBerlin, 
Gngelbarb, SWannbeim, Sttubolf Serfcog, bor allem aber bie bereinigten 
©mtjrnatefctridjfabrifen 3U Berlin, für bie er feine afferfdjönften £ebpidi= 
entwürfe gefdjaffen bat, baben feine ßunft in toeitefte Greife tragen Reifen. 

3unädjft fam bier ©cfmann feine genaue Kenntnis ber #erfteHung§= 
arten augute unb berlieb feinen Grseugniffen auf biefen Gebieten einen 
eminent praftifdjen SBert. 6r ix>urbe baburdj bor bem ^rtum bebütet, 
SKnforberangen an bie Jcd&nif au ftcflen, benen fie nur bctlb ober gar nid)t 
geredet toerben fann. Stn berartigen ätoiefpältigen ^robuften leiben tpir 
ja, Ieiber @otte§, feinen üftangcl. ^n ben meiften Arbeiten biefer ?frt 
brängt fidö ber Sontraft 3tt>ifdöen bem SEoIIen bc§ fiünftlerS unb ber 
SeiftungSfäbigfeit ber £ed)nif unangenehm auf unb Iöft in un§ burdj- 



^02 £ otl^ar 33rieger«lPaf fercogel in Berlin. 

au§ nicht ben ©inbrud, a(3 ftänben tüir ftter bor einem in fid> felbft 
abgefd)Ioffcnen Sunfttoerfe. Ödj erinnere. f)icr nur au eine fo bebeutenbe 
©rfdjeinung tüie SSalter Seiftifoto, beffen t>on Stbolf 33urd)arb @öF)ne in 
93erltn aufgeführte Tapeten hierfür ein gutes 93eifariet finb. ©tfmann 
hat fid> ber fimpelften Sßirftedjntf ebenfo gut angejxiBt tüte ber fom* 
tfigierteften. 

Sie tüid)tigfte Srage, bie hier in SBetrod^t fam, tüar aber toofil bie 
3tüerfmäfeigfeit. ©d'mann fdjuf bie beften feiner Arbeiten auf Seftelfung. 
SBemt er bie Önbibibualität be§ 93efifcer£, ben 3tt>ecf be§ 3t<?ume£, für 
ben bie Slrbeiten befttmmt tüaren, genau fannte, bermodjte er ettüa§ 
£armonifdje§ su geben. 93ei feinen Jtepjridjen, bie, auf betn gufebqben 
liegenb, ja tüeniger bem 2Iuge be§ 93efd)auerä eftüa£ bieten aI3 fid) Diel* 
mehr bienenb bem ©efamteinbrutfe be£ 3?aume£ einfügen fallen, dement» 
fpredjenb begnügt fid) ber fiünftler meiftenä mit einem reiabollen ©etütrr 
ber Sinien. @ttüa§ anbere§ ift e§ mit feinen Sffianbtewridjen, für bie er 
mit 33orIiebe iat>anifd^e 8lamtngo§ beforatü) bertüertete. 

93ei ben Staketen tüar gu ertüägen, ob biefelben al§ 3terf<$ircutf 
. unb für fid) ober mehr nur als $intergrunb für SWöbel unb Silber 
bienen follten. Sefcterem 3tt>ecfe entfaredjen bie Tapeten, auf benen fidj 
. lineare Ornamente borfinben, tüäbrenb bie erfteren reidjer mit ben be- 
fannten ©eftalten ber Sauna unb gtora au§geftattet finb. 

©in toeitereS tüefentlid)e§ SWoment bilbete bie Sterbe, ©dmann hat 
hier, feiner Seit entffcredjenb, mit bem bamaB beliebten ^albbunfel an* 
gefangen, beffen $robuft ba§ fogenannte „berliner 3intmer" tüar, un£ 
alten noch heute in unangenehmer Erinnerung al£ unbequem unb un» 
tüobnlidj. Später machte er ben Umfd)tüung aur garbenfreubigfeit mit. 
©r beboraugte, ohne je brutal 31t fein, belle, fräftige garben, an benen 
ba§ Sicht fid) ftarf bricht. ©r geht barin toeit über bie ©nglänber hinauf, 
toeldhe al£ erfte ben neuen 3ßeg eingefdjlagen fyaben. 

9Son ©efamtaimmern ift tüobl ba§ StrbettSfabtnett be§ @rofehetaog§ 
bon $effen*®armftabt bie bebeutenbfte 9trbeit. S)ie 5?ompofition ift bor* 
nehm unb fdjlicbt. 9THe3 ift einfach unb bornehm gehalten, ertüedft babei 
ben 2tu3brud tüarmcr £äu§titf)feit. £te ©inaelbetten ^raftifdj ihrem 
3tüecfe entfpredjenb herausgearbeitet. 9?irgenb§ geigt fid) ein Iäftiger 
Überfluß, ein tnrofciger $runf. ©erabe in biefer ©infadjheit mad)t ba§ 
3immer einen fo recht fürftlidjen ärinbrudf. ®abei ift ber ©djmud feinet 
tüeg§ bermieben, fonbern nur in folcher 9trt angebradjt, bafe er fid) nnauf* 
fällig in§ ©efamtbilb fügt. 

Tem aWufifäimmer ©rfmann§ in beffen eigener JBohnung bermag i<f) 
ba§ oft gefungene 2ob nidjt 31t erteilen. $ier toirb bie STnlehnung an 
frühere ©t>od)en aur unangenehmen Einfielet, unb allerlei SRenaiffance* 
motibe fielen in§ Siebermciertum hinein, jo bie alte ©tilanart&te 
beinahe tüieber aurüdfübrenb. 



(Dtto <£tf mann unb bas neue Kunstgewerbe. ^05 

Seine 'öilberrafyincn ttniren fyier üietteidjt uod) au ertoäfjneu. 2Mir 
perfönlid) finb f)ier mir einige Don 3d)iet>enbufd) unb (£o. in ®öln auS 
iiefüfyrte befannt, bie man aber nicfjt als? bollenbet, f)öcf)ftcit^ nur al§ einen 
fcfjiidjternen Anfang 311 Beuern beaeirfjnen fann. 

(Scfmannä reformatorifdje Stellung in ber ©efd^icfjte beö beulen 
äintmerS braucht n>of)l famn nod) Leiter bcfonberS feftgelegt m werben. 
(£s ift l}cute allgemein auerfannt, bafe er alä erfter beutfdjer Shtnft 
getüerbler lieber ba£ 3wimer als orgauifd)e§ ©anaeS empfunben l)at, 
beffen 2eile in einer ftarfen Seriuanbtfdjaft aueinanber fteJjen muffen. 
Stöni berbanfen tnir rnel)r ate allen anbeten bie bereite ©emeingut ge 
ruorbene ©rfenntnte, bafe nidjt jebe$ SWöbcI au iebet 3)ede unb Zapcic 
paßt, unb bafe ein bornefjm gefinnter 2ttend) nicfjt jeben ^beliebigen 
Shtnftgegenftanb an bie erfte befte ober oft trielmeljr fdjledjtefte freie 
Stelle feines 3immet£ [teilen fann. 

©0 Sollen xv'u beun aud) (Sdmaun angefel)en Hüften, feine blinbe 
aSerfjerrlidjung für Arbeiten, bie, au£ ber Seit unb für biefelbe entftanben, 
aud) mit bcrfelben bergänglid) finb, nrirb berfjinbern fönnen, bafe bie 
Arbeiten i>e£ üiuiftlerS fdjnetler SSeraltung t>erfalteu finb. 81 ber aud) 
bet £abel feinet ©egner tottb nidjt fjinbetn fönnen, baß bie Sufuuft 
getabe Otto ©dmann aI3 ben gtoßen beutfdjen ©efdjmadSbtlbnet unb 
Stiltefotmatot born @nbc be§ 19. SafjrijunbertS feiern mirb. 




Rort unb 6U5 CXX. SCO. 



28 



(Sebidtte. 



Von 

Ataxia §tona. 

— Sdjlog Strseboipirj ((&fterr.»rdjlefien). — 

Öergmannsfeft. 

»(Ein Zag im 3a$re ift bat Zoten frei . 
ITas fommt bort für ein §»g fyerauf 
mit Jabnen unb ^aufaren, 
TOas nuüt fo ferner ber frembe £^auf 
üon unge3ä"r?lten Sparen? 
Stumm nwnfen unb fdjnxmfen bie £eiber. 
21m IPege ftelw ernfte lüeiber 
ITlit rauben Bänben unb glatte« paaren. 

Das fer/eint ein Jjeer von $<tyiiten 311 fein, 

Don längft begrabenen Zoten, 

Bang rang ftd?'s empor an ben Sonnenfdjein 

3n bumpfumfdjloffenen Schloten. 

Das wühlte nod? gejteru in Särgen, 

Wo Saften unb Würfen ftd? bergen 

Unb tanfenb (Sefabren es faufeub nmbrot}ten. 

IDie tut ber Sag ben 2Iugen weif, 

IDie 3ietjt er bie güge 3U galten, 

Die 3 nn 9*n fdjauen erftaunt 3« Bfity, 

§ur €rbe ftarren bie 2l(ten. 

Das ift ein UHegen unb £<fyueigen, 

€in mübes Biegen unb Heigen, 

Unb motten bodj alle frramm ftdj galten. 

^infter fdjmürft fle bie fdju>ar3e dxaäft 
ITlit $olbenen Knöpfen unb Citren, 
IDie »enn fie bannte gemetnfame ZTadjt 
Unb färglidjer Cidfter Blifeen. 



(Sebidjte. 



<*05 



Köt^n nicft von ben IKüfoen bie tfeber, 

Dodj blirft fo ttertaffen ein jeber, 

2lls foüt* t^m ber nädjfte Wann nidfts nägett. 

Sie nxmbeln gefcbjoffen. — §ilf, tn'mmlifdfes £id?t. 

Sattft je bu fold}' £eiben ftetjen 

3m abgemarterten llngeftdjt. 

Das längft t>crg*i§ fein ^letjen. 

Die (Dualen einfamer Sdjmer3en, 

Itfaun griffen fie fo ju Eje^en, 

Wo mußten fo xriele im tDnnbmal gelten? 

Unb immer weiter 3*etit ber Stritt 
Der füllen, büftern Knappen, 
UÜoY\l breiß : g ^atmen ftreben mit 
Von bnntgefprenMten £.ippen. 
Sie führen bie Pölfer 3«m B«»ten 
ITtit (Trommeln unb (Trompeten 
3m §eidjen erlaubter IDappen. 

Dämon VOzxb. 

Deine (Sröfie tjab' icb, getrau Fen, 
Deinen einigen (Sott gabjt bn mir, 
Du bift in mir oerfnnfen 
Unb f?errin uxub idj bir. 

Die tieige jlut beiner Seele 
ftrömt in bie meine tjin, 
Xüas frag' idj, ob idj bidj quäle — 
3d? — beine Königin! 

Du bift in mir ©erfloffen, 
<£in Schatten nur blieb bein, 
3d? fyatt* bidj gan3 umfdfloffen 
Utit meinem purpurnen Sem. 

*}ab' alles bir genommen, 

Den letjten (Tropfen Blut — 

Dein feben ijt oerglommen 

Unb meines fprüb^t boppelte <Slnt — - 




28* 



Briefe 2lboIf Stafjrs an Darnfjagen »ort (Enfe 



bolf @tof)r, feit beffen ©eburt am 22. ßftober borigen S^reS 



ein Sab^bimbert int Strom ber 3<?iten babin geraufd)t tt>ar, 



Bßfiiii bertritt einen %t)puä bon @d)riftfteflem, ber im gro&en 
unb ganaen im Stbfterben begriffen ift. %n ber ©egentoart geraten 
SForfd^er, ©elebrte unb Siteraten, bie in gar bu bieten gädjern tätig finb, 
leidet in ben SWuf bon SBielfcbreibern, ba bas Sbeaialifieren jefct grcid)}am 
gum @d)Iagtt>ort getnorben ift. ÜberbieS berrfdjt, toenn man ^ermann 
Subcrmann unb feinen ©efinnungägenoffen ©lauben fdjenfen barf, eine 
„SBerrobung" auf bem gelbe ber föritif, inbem c£ in gegriffen Greifen 
getoifferma&en 3um guten 5ton gehört bie fdjcipferifdjcu ©eiftcr unb bie 
batftettenben föünftler unb Sünftlerinnen nidbt allein ju tabeln unb fdjarf 
anzugreifen, fonbern fie toenn möglid) fritifd) absufcbladjten unb uxu 
möglid) 31t madjen. ©in Steaeufeut, ber fidj bon ber 2)id)tung ober bem 
SKinftter begeifteru Iäf3t unb feiner Screening unb SBetounberung in 
iuarmen unb fdjhnmgboflen SBorten 3ht£brud gibt, madjt fid& in 
getoiffem SWafee fogar berbädjtig, unb feine Seiftungen luerben bon ber 
3unft bon oben f)erab angefebeu. 

©ans anber§ luar ?I b 0 1 f 3 1 a I) r geartet; er geborte nod) au jenen 
uuiberfeflen Sdjriftftellcrn ber „alten guten Seit", bie über ©efdjicfyte, 
$o!itif, Literatur, ftuttur, A'hmft, 3Biffenfdiaft unb Sanb unb ßeute mit 
ber gleichen ©mpfänglicbfeit für ba$ Sdiöue, SSabre unb ©ute au fd;reiben 
mufjten. 8eine gruebtbarfeit, bie er faft ein 9ftenfd)enalter binburd) be- 
tätigte, n>ar eine gerabeau erftannlidic, unb menn man aud) bielfadb ge^ 
Uuinfcfjt bättc, baft er in feinen Scbriften unb SInffätjen ba§ SEBort be$ 



mitgeteilt oon 



Dr. JtbofpQ £o0ut. 



— Saneberg bei 33erlin. — 




Briefe 2lb. rtatyrs an Paml^n d. <2nfe u. Bettine v. 2Imtm. ^07 

$icbter£ berüdffid)tigt f)ätte: „in ber 33efd)rünfung geigt fid) crft ber 
Hßeifter", fo mufe bocb gejagt merben, bafe alle*, toa§ unb tuorüber er 
fcbrieb, gefällig, feffelnb unb ftiliftijrf; meifterbaft toar. ©ine für ©cfyön- 
beit, ^oefie unb bie ibealen ©üter ber !30?cnfd)beit mit flammenber S3c- 
geifterung glübenbe Seele, liefe er ficf) leidjt au einem oft ba£ SWafe 
beS fritifdj erlaubten überfteigenben $tterfouenfuItu$ binretfeen, ben er 
mit bem ©enie trieb, ©eine sablreidjen Slbbanblungen unb SBerfes bie 
er über Seffing, ©oetbe, Stiller, Sickte, 93arnbagen t>on (Snfe, SSettine 
Don Wruim, ganm) ßetoalb u. a. t>eröffentlid)te, finb aufteilen in einem 
an ben fittücfyen $at()o£ ber Sßrop&cten be£ Stlten S£eftament§ erinnern» 
ben £on gehalten; ba bie ^ubelb^mncn, bie er anftimmt, ittd&tö (Srfün* 
ftelte* unb Sortiertes au fi<f) bn6en, fonbern au£ bem üJorn feiner 
fcf)önf)eit§trunfeneu unb für bas $bealc feffluarmenben Seele quellen, 
l'o üben biefe feiue fritifd)en Slrbeiten nod) icfct einen cigentümlid)en 
Räuber auf ben ßefer auS unb riffen feine 3eitgenojjeu aufteilen fogar 
3ur Söenmnberung f)in. 

SBom Scginti feiner Jüaufbafjn bi* 51t feinem legten Sltemgugc geigte 
fid; biefer ungemein Dielfettige unb fleifeige Scbriftfteiler als ein cf)araf= 
teröoüer unb cblcr 9Wann, ber feine grasiöfc geber nur bem $ieu)t 
feiner ^beale, namentlid) ber geiftigen, .politifeben unb religiöfen grei* 
beit, ber $eranbilbitng bc* SBolte* unb bcr 93erberrlidjung be§ Sdjönen 
getueif)t bat. ©eiftreid) unb tieffinnig in ben Sbcen, flar unb feffelnb 
in ber SarfteHung unb tu einem lid&tüollen unb abgeflärten Stil gehalten, 
baben feine SSBerfe S^braebnte Ijinburd) ein bebeutenbeS $ublifum gerabe 
unter ben gebilbeten SDtänncrn unb grauen 2eutfd)lanb3 gewonnen. 
Su it)in Perforierte fid) Haffifcb-antifc 33ilbung mit reger ^Beteiligung 
an aHen Grfd&einungen auf bem ©ebiete ber ^olitif, ftitnft, Siteratür 
unb ber gefamten SMationalentnnälunfl. £abei tuar er ein glübenber 
Patriot, beffen Sinnen unb Xradjten ftetä barauf gerichtet mar, ein 
Sdjerflein basu beiautragen, Sentfdjlanb einig, groß unb mächtig, aber 
audj frei ju machen. Um bies 511 erreidjeu, \tanb er aud, in einem febr 
regen 93riefmed)jel mit Scannern unb grauen, bie benfelbeu ©runb 
fäben toic er bnlbigten, fo mit Sßaru bogen üon (Sufe unb 
Settine bon ?Irnim u. a. m., unb bie meiter unten folgenben 
biäber uugebrnrfteu ©riefe, bie fid) in ber $ a n b f d>r if tc u* 
abteilung ber berliner fgl. 33 i b I i 0 1 0 c f befiuben unb mir 
öon beren Settung in gütiger SBeife gut* SSerfügung gefteüt mürben, 
n>erfen auf feiue politifd&en ©efinnungeu unb feine fcaterlänbifcben 93c- 
ftrebungen ein befiel Sd)faglid)t. 

Stbolf Stabr, seit feinet Sebent ein fleißiger SBrieffdjreiber, füllte 
fid) au 93 a r n b ci g e n bon 6 n f e, bem feinfinnigen unb geiftreidben 
t>oIitifd)en Scbriftftefler unb #iftorifer, gemaltig btnoeaogen, unb 50^!= 
retd^ finb bie Briefe, bie er an ibn gerietet f>at, bie gan^e polittfdje unb 



^08 Dr. 2Jbolpty Ko^nt in 5d}öueberg bei Berlin. 

literariidfje (Strömung jener >}eit in ^reuften imöccjpiegelnb. äu£ ber 
SüUc öerfclben laffen toir fjier nur einige beforiberS bejetdinenbc in 
cfjronologifcfjer Seifte folgen. 

Dlbenbnrg, Den 29. 3nni 1841. 

igahtoohlgeboreuer £err, 

ftochberehrter S?err (SJehcuurat! 

£a8 fdicme, toertootfe ©efcheuf*), mit toelchem ©ie Shren lieben ©rief begleitet, 
übcrrafd)t mich auf? freubigfte in bec benmrrten Aufregung, nrie fk bei mir an ber 
6chtoelle ber Steife fidj unausbleiblich eimuftetten pflegt, ftür ein fangtoierigeS £aföleibeu 
— mir bei meinem ©prüf boppelt luftig unb empfinblich — ßinbemng mtb J&erftcttuitg 
in einem Sforbfeebab gu fuchen, toerbe ich 36* trefft icheS Serf, ba8 ich f)kx bereits im 
3?luge genoffen, mit mir auf ben einfamen 9Jceere8felfen föclgolanb als Segleiter nehmen 
unb mich bort in SJhtfee ber fchönen ©abe erfreuen. 3d?t eile id) nur, 3hnen oorfäufig 
für baS boppelte (SJefcheuf meinen ^erglicbften £anf auSsufprechen. $ie ruhige, fpiegelnbe 
fttarfjeit ber ©djilberungeu, bie 2lnmut ber Xaritettuitg, berbunben mit ber JJertigfeit unb 
(Sicherheit ber 3*idmung be8 (^igeatümlidjen unb (Sharafteriftifchen, bewähren ftd) aud) in 
biefem Silbe eines trefflichen itriegerS unb ausgezeichneten Reiben ; unb felbft baS ftofflidje 
3ntereffe, baS id), als geborener s $reuße, mit all meinen Erinnerungen in ^reufeen Oer» 
toachfen, an bem ©egenftanb nehme, beffeit Taten unb Joelbentob fchon bem Knaben ber 
Sater — als ft-elbprebigcr im Regiment Sraunfdm)eig=DlS, felbft bem preufeifcr)en £rieger= 
ftanbe bor 1806 angehörenb — er^äfjlte, trägt baju bei, mir ben ®enuj$ noch gu erhöhen. 
£eiber wirb mir burch meinen ©efunbheitSäuftaub bie #reube berfagt, 3(men, berthrter 
$err ®eheimrat, biefen £anf perfönlich auSsufpredien, ba eine projezierte Weife nach 
Serlin, auf roelcheS je&t tnehr ate je alle klugen in $eutfd)lanb gerietet ftnb, Jener Sabe= 
reife nadiftehen muft. 

2>er reine unb lebenbige Slnteil, mit roeldjem Sfyct Unparteilichfeit iebc irgenb be* 
beuteube Gxfcheiuuug in unferer Literatur begleitete, hat mich auch in betreff ber Arbeiten 
bon ©erbinuS unb *ißru& in 3hten Briefen h^id) erfreut. $rufc, mir auch perfönlich 
lieb unb toert, ift gewiß ein bebeutenbcS Xateut unb bagu bon reiner, ebler ©efimtimg; 
©erbinuS* @d)ilberung £effingS halte ich für baS gtoeifettoS ©elungenfte feiner Arbeiten, 
unb roenu ich fdjon 3hre SeforgniS in betreff feiner ^äbigfett ^ur Tarfteßung ©oet^eS 
teile, fo möd)te bod) felbft feine prouoncierte (Sinfeitigfeit bagtt bienen, baS Jötlb be» grö&ten 
beutfeheu ©eifteS in einer neuen Slbipiegelung allmählich ber Bahrfjeit näher *u führen. 
3ebenfall3 bürfteu toir ein ©egenftücf 311 b:m bicfleibigen Suche oeS SÖeimaranet **) su 
gemärtigen haben, beffeu fapnginerhafter Angriff bie iSelt nb:rrebcn mödjtc, baft aufeer 
Biebrich 23. Otiemcr fein 3Jienfch bt^&ev getou&t, tna§ man an (Goethe habe. (5mthufia$= 
muS mit ^Jkbanterie unb Söefdiränfthett üerbunb:n, tüte fte fid) mir in jenen beiben Öanbcn 
offenbaren, finb in ber Tat eine n)uuberlid;e 3)cifdiimg. Steüeidjt hören mir bon 3h"en 
ein SSort über biefen tuunberlichen $anegnrifug, ber rechts unb linfä, 3freunb unb ^etnb 
mit Grobheiten regaliert unb bon bem mau feine (Seite ohne Seiehrung unb ärger zugleich 
lefen fann. 

2)ie großartige ft-orbenmg, treldje unfer ,^önig***) — ba8 „unfer" lauft mir uoeb 
immer au3 ber J^cber — allen geiftigen ©elcbritäten XeutfchlanbS angebeihen läßt, erfüllt 
auch hier bie syx\cn aller ©uten mit ^reube, wenn aud) manche über genriffe Schritte 



*) (5'^ betrifft öaS ooit Samhagen bon (^nfe gefchriebate 25erf über ben ^riuaen 
55erbinanb bon s 4>reitften. 

**) (Semeint ift ber ^>riöatfefrctär ©oetheS, ^-riebrid) Sö. Ziemer, unb feine Schrift 
über ben Xidjterfürften. 

***) ^riebrid) Wilhelm IV. bon ^reufeen. 



Briefe 21b. Staats an Darnfyigcn ü. €nfe u. Bcttine x>. 21 mim. ^(>9 

politifdjer 2trt ifjre SöeforgniS nid)t berbefilen. £ergletd)en liegt und freilid) f)ier hoppelt 
na&, ba wenige Letten tum uns ber SSergweiflungSfanipf u% ^edjts unb ber ©cfefclid)feit 
gegeu Sittfür unb ©igemnacfjt aufs neue in Ijetten glommen entbrennt. 3* tnbes 
iit betn allen nur ben notwenbigen (SutwictfungSgang beS ©Uten unb Bahren, ba$ nie ofjne 
Ijartc Slrbeit bem $icnfcfyengefd)led)t gittert wirb. 

$ergetr)en ©te, bererjrtefter &err ©efyeimrat, bie (Srj)eftoratioiieu, 31t betten 3fr nttr 
fo wertvoller S3rief mia) üerfettet f)at, ber in meiner tjiefigen 2lbgefd)teb?tü)eit Don ben 
Bewegungen ber SSelt mir Doppelt foftbar fein muß. ^iettetcftt gewinnen (Sie aud) fünfttg 
einen 5lugenblicf 3()ver foftbaren £eit, um einem entfernten SSere^rer eine äOrüicfte greube 
ju beretten. 

$a tcö weiß, baß Sie feinen menfd)(id)en 3uftänben 3t)ve Seilnafjme öerfagen, fo 
erfaube td) mir, fyier ein paar Blätter beizulegen, weldje Sfatn ein üBiib bon bem Greife 
geben mögen, in weldjem fid) Ijter feit einigen ia^cw, wo fidj bcrfetbc buraj meine 2ter= 
aulaffung bilbete, mein lieben bewegt. 

Wlit aufrichtiger $anfbarfeit unb ^erefyrung 

gart} gefjorfamft 

ber 3^rige 

Slbolf 6tafrr. 

2>arf td) mir erlauben, hier b't 23itte au^ufpredjeu, grau Jöettine nott Slruim Don 
mir einen fliehen ©ruß su jagen? 



C Ibenburg, ben 24. 5lpril 1843. 

^odjöere^rter &err ©eintrat! 

Saß man attd) fax, lote woft überall tm beutidjea äkterlanb, mit ber größten 
Spamtung auf Üßreufeeu uub Berlin blieft, werben Sie ebenfo gern glauben, als baß ict) 
bie wenigen, aber inrjdticftwercn Borte SfreS Briefes iiber bic bortigen Xiuge als foftbare 
Tropfen anietje, bie bem fo woI)t oeifpuubeten gaffe b.S galjreuben unb braufenben üDtofteS 
jener 3uftänbe entquellen. Gegenwärtig ift jebe £äu)dning über fo mandje Hoffnungen 
unb Erwartungen aud) bei ben wo.jlgeiimtteften, ruftgften unb lonat 'teu beuten ber jdjwunbeu, 
unb ftefjt mau baS Treiben uub goiberu uon unten, bie EiSbeie bon eben unb baS wilbe 
Toben ber entlaffettett ©egeniäfce in ber 9)iitte, jo fann man ftd) über eine große gefd)id)t» 
ltd)e $rtfiS unb ttn* Strafgericht feine SUufionen madjen. Tie unerhörte Üiecbtlofigfett ber 
$crfon im $ater(aube, bie ein neuerliches Ereignis, id) benfe an $rufc' £anbeSoerWeifung, 
joeben Wieber innrer ganzen Sttadttjeit bargeftellt bat, ber^üef be£ MöttigS au^äriug**, 
bie poliäetlidjen Überwadjitugeu, bie ©faubenSe£amina, bieS unb öieleS anbere läßt mid) 
firrdjteu, baß unfeltge SBerblenbung getabe beitienigen in bie £>änbe arbeitet, bereit 51t ärgftem 
SanSculotttSmuS fict) fteigernbeS treiben burd) ein gang en'gegeitgejeöteS Verfahren ju paralrp 
fteren gewefen Ware. 3d) bin im Ijödjften ©rabe gefpannt auf ba* &ud) ber Srau oon Slrmm**), 
weldjeS aua^ nad) ben mir fdjon in einem Briefe oom Sommer 1841 gegebenen 2tnbeu* 
tungen ftd) wa(jrfd)eintia) um bie bebeirenb'teit fyrafleit ber ©egenwart bewegen Wirb. Sefjr 
glüeflid) würbe es mieft madjen, wollten Sie, bodjoeretyrter §err ©etjeimrat, grau bou 
%xiiim au if)r gütiges SSerfprecöeu erinnern, mir tljr iBud) äufotnmen ju laffen, unb babet 
^ugletd) äu fagen, wie fdjmerälid) eS für mid) fei, feit ifyrem lefcteu ^rief an mieft auf 
•Öelgolanb — 9lugnft 1841 — auf feinen meiner Briefe eine Antwort er&aUen ?u ^aben, 
ba bie öerefjrte grau bod) weiß, wie wertooU unb wichtig einem fo in ber ultima £tmie 



*) $er befauute ÜbmanfdjrifrfteHer SBtütbalb Slierjs. 

! *) w ^ieS f&i\d) gehört bem ftöntge", bon s M\nt bon $(rnim. 



Dr. 2Jbolph Korjut in rdjöneberg bei Berlin. 

ßebenben iebeS, auefr baS fleinfte GfcifteSbrofamen, aus ihrer ,§aub gefpenbet, toar imb 

fein ntuft. 

3Jttt aufrid)tiger Serehrttng 
L*to. föodjro'oblgeboren 

gan* gehorfamfter 

Hbolf @tafr. 



Obenburg, ben 10. SJtör* 1845. 
ÖodjPerebrter Sperr ©eheimrat! 

$riebri# Sifcfcr fdjrieb mir foeben über feine penfionienmg. Xiefe 

Eilige finb ein feblimmereS 3t\d)tn als alle 3?eaftion ber Pfaffen bisher, föuge üentidjtete 
im ©efefeten ftanatiSmuS unb ftonfequens 3ule(jt Silbimg uub föunft nnb mit biefer SSenbung 
fonnte vin treuefter ftreuub nicf)t mehr fmnpathifiereu. Set Säuer — ber mir gern* fem 
ftef)t — fdjrie mau bodj nod) pfftffifcrjerfeits : „ja, wenn er fein $6eoToge nxire!", aber 
Wer? Sei Sifd)er, einem 9lftfjetifer, einem reinen, eckten, fimftterifdjeit (Sbarafter, r)icr 
v 2lmtSK5utfe&tmg uub SuSpenbieruug um eine 9ttanifeftation beS ©elftes, bie ber gange 
Senat ber Untoerfttät Bübingen burd) feine Aufnahme unb Sereibigung Sifcf^rS als be= 
recfjtigt anerfaunt hat! ($S tft feine Jyrage, u?tr leben in einer 3eft, bie ftd) — gur XaU 
fache borniert! $ic Pfaffen etablieren ben rabifalfteu Kommunismus ber ©eifteS= unb 
SilbungSarmen gegen bie Sefiöenbeu, einen Kommunismus, ber lmcnblidj greuelhafter tft, 
als ber ber nationalen Proletarier gegen bie ^aterieflbeftfcenbeit. freilich Per#tjeiffe tef) 
uid)t am Siege beS ©eifteS, aber ich toerbe iljn nicht erleben, tuir tuerben m'efleidjt al* 
©ironbiften fallen. 3d) febe idjroan, aber barau tft meine Sage mdjt fdjulb, ba ber Keine 
SfBinfel, roo id) lebe, totclfctd&t je($t b:r freiefte, bilbungSlufttgfte in $eutfd)(anb ift, obfcfjoit 
eS ber ^rieben bidjt uor bem Simb:nfa£l fein mag. 

«§ier habe id) Por Qafjren uub ^ulefet mit bem trefflieben äMofen — ber reimten 
bid)terifd)en dlatm ber ©egetmxtrt — öereiut bisher ein ber «Siunft unb bem Sdjönen 
gemibmeteS £>afein geführt. Unfere Sühue ift öietteiebt mufterfjaft für baS gegenwärtige 
beutfa> ^heaterwefen. Sühne, bramatifdje ftunft unb politif hängen bei ber Setracfjtimg 
eng gufammen: So ftubicre id) bie beutfdie politische Stttengefdjidjte feit Sahren, tnbem 
id) baS Theater befudje. Qd) benfe, ehe id) Xeutfcfjfanb berlaffe, 3h»en einige Seilte 
grüd)te foldjer Stubien in gtuei Sänbcßen einer „Otbenburgifdjeu Xfyatetfdjau" $u feuben, 
in ber idi allerlei 3«ftreuteS gefammelt habe. Sielleidjt ret^t eS Sie, ftd) be* 
Slbmefenbeu babei freunbltd) 31t erinnent unb ifju ben fianbsfeuten in Erinnerung *u 
bringen. 80 fliehen mir uns, ehe ber Sturm puritanifdjer Sarbarei über bie sbelt 
hereinbricht, baS 8tücfd)eit (£rbe hier ju einer Keinen grünen Cafe umwfdjaffen unb bie 
grüchte ber Poefie unb Silbung möglidjft üotlftänbig, toenigfteitS burd) Scrmittelung ber 
Sühue, 31t genießen, (5rft im 2Üär§ ioirb SOtofenS „ion Sohanu Don Öfterreidh", beu er 
öollenbel, hier bie Sretter betreten, unb id) ertoarte mir ötel üou bem treffltd^eu 25erf. 
©utjfoto'S „Urbilb beS Xartuffe" twarb hier juerft aufgeführt, unb i^ fprad) in einem 
Hrtifel ber „SSeferäeitung" äuerft au?, bafe biefeS 6tücf fein SefteS unb tu feiner 5lrt in 
unferer Literatur einzig fei. ©ufefotu fchrieb mir, ba& er über biefe Prophezeiung „faft 
erfdjro.fen" fei, hat fti) aber beruhigt, ba ber (Erfolg überall mein Urteil beftütigt hat. 

Sirb eS in Serlin nia^t öerftümmelt aufgeführt, — intb es erträgt nid)t baS 
fehlen einer Stlk — fo niuft bie 23irfuitg ungeheuer fein bort, roohiu alle Strid* 
pichen, wo alle ftunfeit ^ünben. Prüfe fyxt mir geftent feinen umgearbeiteten w @rtd) XIV., 
ber Satternfönig" gefdjidt. ßaube, ber iramatifer beS noPeflifiifcr)en 4Rofofoftt(8, tut audi 
baS (Seine, unb toirb fid) ja £eutfd)laub allgemad) fle\üöf)nciT, an bie 9Jlöglid)feit eines 
neuen 2)ramaS 31t glauben. 

Sagen 8ie, h^oerehrter ©err ©eheintrat, ber grau Settiue öon 2lntim meinen 
her^lia^ften ®auf für bie mir bewahrte güteootle ©efimtung. 9)«öge mir baS ©lücf zuteil 



Briefe 21b. Stafyrs an Dauifyigctt v, (Enfe u. Bettine r>. 2Jrnim. H\\ 

toerben, fie in SBcrlin früfjcr ober fpatec iotcbei* einmal 31t fefjen unb mid) an ifjren 
©eifteSergüffeii gu erqutcfeu. 

3*on ganzem §er$en unb ergeben 

ber 3^rige 

Slbolf (Staljr. 
Dlbenburg, ben 3. 3uni 1850. 

§<xf)üerefjrter $reunb! 

3urücfgefebrt oon einem 2lu3flug nadj bem Ä&ein, roobin id) big Slawen unfere 
gemeinfame greunbin Sräutein 3faunu ßetoalb auf iforer Stteife naa) (Snglanb begleitet 
fjabe, begrüben mid) 3ftre lieben Sorte Dom 22. 9X|)rit unb augleicf), tote ia) p erraten 
glaube, Sfjre Äesenfbu be« 3. ©ud)8 ber preufeifdjen Üteboluttou in ber Sfationalseitung 
unb berpjlidjten mid) §ur ^ergttdjen (Srneuenmg meine« $>anfe8 für bie bieten Seroeife 
ber förbernben £ellnabme, mit ber (Sie, bereiter £err ©ebeimrat, meine frf)riftftefferifd>e 
Xatigteit faft Pom 93eginn berfelben freunblidjft §u begleiten ntcf)t mübe geworben ftnb. 
Sttameutlid) aber ift e$ in biefem ©riefe bie Sfräftig!ett unb UnPe/äagtfjeit 3bte§ ©eifreS 
unb S&rer Hoffnung inmitten einer 3t\t ber (Sdbanbe unb ©lenb unb an ber <Sd)roeHe 
einer anberen, bie ba8 SUtofc btefeS (SlenbS uns biefer Sdimad) gerüttelt unb gefd)üttelt 
ooff 311 Käufen brofjt — id) fage, es ift biefe fraftootte, untersagte 3 u oerfid)t beS 
üiclerfafjrenen 9)tomie3, toeldje bem jüngeren ??reunbe tröftlid) unb ermutigenb 
entgegen leudjtet. 

3a, Perebrter $reuub, aud) icf) oersmeifle nid)t an bem enblid>en 2lu«gang, aber 
mein §er§ fütyt fid) bod) aufteilen erfajüttert üon ber tiefen Sdjmermutöflage be8 
£id>ter8, bei bem cä bet&t: — e3 ift 2Jhj Salbau, ber in feiner f)errlid)en $an$one 
„O, biefe 3eit" bie 9ftufe anrebet — 

„Tu, ioeil bu eroig bift, bu abuft baS (£nbe, 
$u ftrebft unb tampfeit, leibeft, um *u leben, 
3)od) mir, mir fämpfeu leibenb, um gu ft erben. 
Sir fefjeu enbloS imfer befteS Streben 
Unb leiben für eine farge (Spenbe, 
&a& nufre Stinber unfre kämpfe erben." 

34 müßte 34ueit, lieber 3?reimb unb Wtyt* alles Sfthieu, meate^Stimmung, bic 
ben fingen ber ©ege.iroart gegenüber mir ba3 &er§ in einfamen S'unbeu befttdjt, md)t 
öoflftänbiger auSsubriicfen als e3 in jener fjerrlidjen ^aujone (Hamburg, ^offmann unb 
(Sampe) bon bem befannten S3erfaffer be8 „9tod) ber Statur" gefdjeljen ift. 

Selcben (§inbruf mir ber Sftbeiu, 23onn unb ftöln gegeben, werben (Sie bielleidjt 
tu §mei 5lrtifelu ber „9Monal3eitung" über $mfet gelefen fjaben — e8 waren traurige 
s 2Mtage, bie id) bort verlebte, obmobl in roünfcöenStoertefter ©efeHfdjaft. 3u Sonn trat 
mir bie fittfidje fjäului^, bie ba8 UniüerfttfttSleben ergriffen ^at, in ben politifdjen unb 
fo^ialeu ÜebenSanfdjauungen biefe« ßaubfned)tstum8 ber »SStffenfcbaft" grell unb fdjreienb 
entgegen. Wut mein alter UntoerfMtSfreunb 9titfd)l unb ber greife SSatcr 2lmbt, ber 
aber bod) fdjon f)aib unb fiatb bie £inie be8 ^eftortum« im bomertfdjen (Sinne paffiert bat, 
maebten rüfjmlidje 5lu3itabmen üou ber faft allgemeinen „^reuä^eitungSgefumung" ber 
„Xräger ber SBiffeufcbaft". Unb bie 3ungen fanb id) faft nod) fdjlimmer al8 bie 
«Itetr 

^aS SBerliner Sittentat fott in ber Seife gegen ben föeft ber 9Wciräbetoegung benufct 
toerben, mie ber $?ranf furter 18. (September mit ©efd)icf lutb ©Inf ?wr ^rfämofung ber 
^attonalüerfammltmg unb ber beutfdbeu ^rei^ett benufet morben ift. 3>aö # M ift in ber 
Drbmmg. 3Jieine fontemporären ©efcbtcf)t3ftubien fjaben mid) übrigens in ber Überzeugung 



4(\2 Dr. 2I^o Ipt] Ko^ut in Sdjöuebt? bei Berlin. 

geführt, ba& btt 18. September 1848 nicht nur ber Stteoftion fcfjr gelegen tarn, foubem 
bafj fie auch biefe ©elegenheit gu madjc u oerftanben bat. 3d) enthalte mich ieber 

3« treuer uitb banfbarer Verehrung 
3h* ljer$'ddj ergebener 

Nbolf @tahr. 

(Sine toafyrfyaft glübenb<? SSerebnutg, ja jd)juäunerifd)e Segeifteriuig 
hegte 9tboIf ©tabr für bie geniale, freigefinnte, aber auch eraentrifebe 
33 e 1 1 i n 0 üon St r n i 111 ,-bercn sperföntidjfcit nnb Schriften ihn aiiRcr- 
orbenttid) feffelten. 3hre 3Berfe, mie: „©oetbes SBriefixedjfel mit einem 
töinbe", „2>ie ©ünberobe", „XieS 93nd) gehört bem ftönig", „(ilemcns 
Srentano^ griibfing£fran5", „^lio*, s ßaint)t)ütoö nnb Slmbrofia" :c, 
umrixm üon ihm förmlich öerfdjlnngen im 5 in ent()ufiaftifd)cr SBeifc be* 
fprodjcn. (£r ftani> mit ihr in p?n'ünlid;em mrb anfeerorbentlid) regem 
brieflichen SBcrfebr. Tie Briefe 5üettinc$ Don Slrnim an if)n bat bereite 
&nbmig ©eiger in feinen SBerfen: „SScttinc oon Slnütn nnb griebridi 
äßitbelm IV." (Srantfnrt a. Stf., 1902) nnb: „3iu* 2ibolf Stahr* Wadi^ 
lafe" (Clbenburg, 1903) veröffentlicht, bod) finb Stabes 3«id;riftcn an 
fie bi3t)cr noch nicht pnblisiert nwben, nnb ba biejelbcn bind) ibren 
^nbettt nnb ibre gorm anfecrorbentlicbeS ^niereifc 511 ermetfen geeignet 
finb, mögen biefe Sdjriftftürfe, foroeit fie mir ,$itgänglid* maren, bier 
folgen: 

Olbenburg, ben 17. Cftober 1840. 

£ochberehrte, gnäbige grau! 

£ie fer)r berfpatete Ütücffc^r meines J-reunbcS hat and) $l)Xt liebe ®abe toeit 
fpäter in meine £>anbe fommen laffen. Hub loie mir bie (Srfütfung 3&reS einft mi'mb« 
ltdj in fo liebeooller SBetfe gegebenen ^erfprechettS aufs neue jene fdjönen Stauben 
meines Gebens oergegeuroürtigte, fo bot mir baS umnberüolle unb rounberbare 23erf felbft 
ertoünidjte Gielegeitbeit, mid) aus ter ajebgrauen ©egemoart f)tnau8 gu retten in bic 
Sugenbroelt nott Üftoi genröte unb afmeuber, Ijatb träumeuber SÖeiSfagungen einer 
oernüUten 3ufunft. 3d) hatte ben Slufaug gemadit, bieä unb jenes fiir einen öffentlichen 
iHuffo!5 uiebersuidjreiben, ben idj in 3 c i l .mtgen mitteilen toottte, aber ich tiefe balb baoon 
ab, ba fid) in mir mehr unb mein* bie Überzeugung beitäif l e, ba& biefeS Such, roie bie 
früheren, eigentlid) nur ba^n tfr, genoffen, im (Mef)e:m beS £enenS unb ber ftreunbfcbaft 
geiioffeu, nicht aber auf bem 2)taift ber $agesn f er.,tur „beiprochen" unb an ber fritifeben 
£örfe „oemmfelt" gu teerten. ®ibt es bod) #i'td:er geuug, bie nicht fotoobl um ge!cfen, 
als um beiprpdjen unb fritiftert m loerbeu, gefchrieben fd einen. 5lud) ift bie „©üubevobe", 
mie alles, iuaS üon 3hnen fomm^ eben mett e* in fetner 2lrt einzig unb nie bageroeien, 
über bie stritif fjiuauS. $latoS göttliches „3ti;npofio:i" ift nimmer oon ber .stritif 

befprod;e!t morben 2)te gottgeliebten GJriedjeu faunten biefeS (ilenb nid)t. 

gibt sn ^'ud) nur ein toa!)reS Sevl)ii(tniS, baS ift bie i'icbe unb baS ItebeOoHe 

^erfenfen in ben % 2ltKirunb beS beae fterungStrunfe::eu (MentuS, ber ben bärnonifdieu 
(Sofra^eS mit feinem ber göttlichen <S.1iönlicit frohen 9tlfibiabeS in einem toeibtieben 
2Beien oereint auf eigt. Sie aber tonnte mau bteS aussprechen oor ben Ohreu einer 
2)Jenge, bte nur baS ihr ©emäfee oernimmt! 



Briefe 21b. f tafycs an IXirnliagett t>. <£nfe u. öettiue o. tfniim. ^(3 

(iiite 14 tiifltfle Weife nad) /patle uub ^3eipgig unb öftesten in f^amUteiiaiiflcIcflen^citeu 
unternommen, Don bei* tdj erft fett oorgeftern gurücfgefefjrt bin, ftatte mid) 3f)mm fo nafje 
gebradjt, baß id) nur mit ber größten Slnftrengung mid) unter ber äußeren SRottoenbigfeit 
gu fügen oeratoebte unb es mir oerfagte, meinem perfönlicben SBunJdje, toenn aud) nur auf 
einen £ag, ju 3buen nad) Berlin eilen, 3?olge ju leifteu. Überbieg trieb mid) ba& 
Serlangen, an Drt unb Stelle uicUeid)t iöeruingung über bie Sorgen unD iöefürdjtungeu 
$u erbalten, bie jefct bte ©er.jcn aller SaterlaubSfreunbe erfüllen unb mit banger ©rtoartung 
9lller ^ugen auf bem Surften*) weilen (äffen, in beffen £anb jetjt melleidjt auf Satyr* 
i)unt>:rte ba3 ©efebief ter b:utfd)eu Sfölfcr unb tyrer geiftigen (£ntwicflung gegeben. Xrofc 
meiner Uberftebelung bin td) $reuße oom Sirbel bis uir $ebe, unb ber Scbmer*, ben id) 
empfaub unb empfinbe, tuenn, tuie id) fo oft, namentlid) im Süben £cutfd)lanbä böreu 
mußte, fid) ein unüerbaltener ©roll ttitb eine oft maßlofe Verbitterung gegen ba8 etnft fo 
bod) oerefjrte Greußen ßuft madttc, fo oft nur bie Webe auf Seitfragen fam, ift nidit *u 
befebretben. 

Sie oft tpünfdjtc id), baß nun eine Xat, baß 3. $8. bie offene Berufung ber Oer* 
triebenen ©öttütger trüber an einer preußifd)en Unioerfität, ben oielen ?Jrcunben SßreußeuS, 
bie in biefem Staate nod) immer ba8 £>eil 2)eutfd)lanb8 feben, 311 einer 23e()C uub SSaffe 
mürbe, mit ber mau biejemgen äurücffcblagen fönnte, bie ba befxmpten: Reußen billige 
fdjweigenb ein 3ftad)toerfa()reu ber Söittfür, ta§ üon bem löeioußtfein aller freien unb 
ebten 3}lenfd)en auf etoig gerietet ift. Slber alle 9iad)rid)teu biefer 2lrt geigen fid) nur al& 
Xrugaebilbe, gemöben oielleicbt in guter 9lbfid)t, aber red)t geeignet, bie öffentlidje Meinung 
unb tyr SSiffen nur nod) mebr 3U oeroirren. Solange 2)eutfd)Ianb eine ©efcbidjte bat, 
tft noeb nie fo öiel üftadjt ber folgeitfcbmerften unb entfcbeibenbfteu SBirffamfeit in eine« 
Jürften §anb gelegt, toie iefct in bie 001t Greußens jungem ftönige, unb menn — bod) wie 
fomme icb baju, in einem Briefe au Sie, oereftrte ftrau, ein politifd) fiieb anjuftimmen? 
Ober ift e8 Dielleiebt nur bantiu, weil id) mit 3bneu 3War nirf)t glaube, baß Sie ben 
Staat regieren fönnten, wofyl aber baß Sie ben Talisman befi&eit, ofnte ben fein e^ürft 
ber SSelt ba8 Wegimeut über ben ÖJeift 31t füljren oermag — ben Mut ber Söabrbeit! 

Mit meinem Sreunb oon Buttel gebenfe id) Qljrer nur noeb öfter, je&t, wo ba* 
(tytücf, Sie felbft gefefjen unb gefprod)eit 31t b^ben, unferen gegenfeitigen Mitteilungen nod) 
ei« erböbtereS 3ntereffe oerleiftt. 3n feinem Hainen fjabc id) bie berslidjften ©rüß: 3t)nen 
3U ^üßen gu legen unb ben SSuttfd) attöjufprecben, baß audi Sie fernerbin feiner freunb* 
lid) gabenfen mögen. Jyür mid) felber babe id) neben ber gleidjen iöitte, baß Sie mid) als 
fyatöpt ber Keinen (temeinbe, bie gletdje iiiebe unb Söereftntng l)ier an 3b^n tarnen 
ftmpft unb namentlid) je&t bie „Öünberobe" b^ufiger gufammenfübtt, nad) fo langer 3^it 
toieöer einmal mit ein paar 3^ilen 3l)rer lieben unb oerebrten §anb erfreuen mögen, bic 
icb, nod)tnal$ banfenb, biet auf bem Rapier 31t füffen mir erlauben barf. ($itt ^Brief oott 
3^nen, unb fei er nod) fo für,;, ift J-rettbe für mid), bereu ®röße allein ba8 Xrtngenbe 
meiner sbitte entfcbulbigen famt. 

s Klit inuigfter Serefjruug 

3^r gang geborfamfter 

5lbolf Stabv. 



Clbenburg, ben 1>. 3-ebruar 1841. 

Semt Sie, öerebrte guäbigc fixan, üerueömen, baß bieg bie erftcit Reifen Tinb, bie 
nacb langer futnoeitüftciuDen Mranfbeiföl)aft $n ?d)teiben mir geftattet finb, fo treiben Sie 
in 3&rer liebeooüen ©üte es uidjt fdjelten, Daß id) bte erften ÖetKutfeu tuiebereni>ad)enben 



*) JJriebrid) iLMl^elm IV. uou Greußen. 



%H " Dr. 2Jbolph Kobut in rdjöneberg bei Serltn. 

Lebensmutes 3hnen äuwenbe, o6fd)on ich 3(jnen eigentlich gar nichts 311 fagen habe, als 
toaS Sie längft wiffeu, baß mein ©efen 3h"en in ßiebe unb SSerehrung jugeweubet tft . . . 

fyüv mich ftitb bic f oimigen 2lugufttage beS 3ahte$ 1839 nod) fo frifd) unb bnftenb 
uabe, baß id), fo oft id) will, in biefem 3aubergarteu fdjönfter (Srimtenmg wanbern unb 
mid) au bem Duft feiner ölüteu erguitfeu mag. SSie biete mögen baS ©lud mit mit 
teilen, beS gleichen ftenuffeS fid) mit mir erfreuen, an aßen ©üben ber Seit! Slber ge* 
Wiß feiner tiefer, inniger als ich. DaS tft bie ewige Sfraft unb göttliche Wilatyt SfaeS 
(SJeifteS, baß fie überall £eben fpenbet unb febaffr, baß bie (Erinnerung 'an 3ftrer Ütebe 
frifd&cn Öorn, baß baS ßefeu unb immer wieber fiefen ber OTtter, bie 3&r ©eniuS mit 
SSorten beS ßebenS erfüllt, in weiter unb SRaumferne tröfteub, erfreueub, befdigenb 
baS &er* umfpielt. 2lch, fabelten Sie mid) nid)t um mein (Sefcbtoäö, benn bieS auS-ut* 
fpreeben tft mir felbft fdjon fpf)cr ©enuß unb gemährt mir eine löcfrtebtgung, bie 3hr 
Ötemüt äu würbigen wiffen wirb. — 5lucb baS Such „©iinberobe" habe td) in beu 
Stunbeu, wo ber Sinn frei wirb oou bem Keinen 2llpbrud ber sfteiDen, wieber imb wieber 
gelefeu uitb fo recht bie Uu3itlänglid)fcit all beffen gefühlt, toaS öffentliche Stimmen in beu 
3ahrmarftSbubeu ber ßtteratur parliert bis %a bem ^hiu'fter herab, beffen profefforifcher 
Siffenffihaft§woIfeitperüJe, weißgzpubert mit bem SJlehlftaub eigen geschroteter Süefiüattoi!, 
bie „3ueiguuug an bie Stubenten" 31t mißfallen baS ©lücf gehabt. O beS Starren, beS 
betrübten, bebauerlicheu Marren, ber eS nie empfunben, baß in biefer 3ugeubmclt aUetu 
uub bann tthnmer Wieber baS reine SBerhältniS oon ©eift gu ©eift, biefeS feffelnbe „Du" 
unb „3d)" in feiner eblen nadten Feinheit ttnb fpiegelnben Klarheit oerwirf licht tft, ber 
biefeS ftrömeiwollcn iBedjerS beS ebelften SegeifterungSweineS feinen Xropfen genippt fyst. 
3a, biefer SSeiße muß mit bem 3oPf geboren fein, um in ber 3ueigmmg eine oerfteftc 
3ronie au Iefen, wie er, wenn ich webt irre, getan hat . . . 

3llleS fleht auf Greußen uub feinen äönig, unb was er tut uitb läßt, baS tut unb 
läßt Deutfdjlanb. Daß er bic eblen ©rimmS großmütig geborgen, erwefte attgemeinfte 
3?reub:, unb möge er fid) nicht abhalten, bie «Sympathien beutfeber öerjeu burch oielc 
ähnliche Daten -m erwerben. 3a, man fatm faft fagen, eS Wirb über Nacht bie 3ett 
fommen, wo biefe Smupatbten fein unb DeutfdjfanbS Sijufc uub Dru!$wehr fein werben, 
ftärfer als SlbclSbrüberfchaften, ftärfer als bie fpinnewebene ührnft biplomatifcber [25er* 
binbung ... / 

Sie felbft aber, gnäbigftc grau, wie leben Sie in bnu neuen beutfeheu 3-ntfalem? 
Daß Sie tatig wirfeu uub raft'oS fid) unb anbere treiben, überall baS ®ute unb SSabrt, 
baS Schöne uub Naturgemäße förbern — mag ich mir benfen. 5lber was eben im be* 
fonberen bie Segel 3fceS ©eifteSfdriffeS fdjtoellt, baS möchte ich uriffen. freilich aber am 
liebften möchte id) felbft mit 9lugen fcr)cn, wäre ich nicht g^feffelt an biefe Saubbanf mit 
taufeub unb aber taufenb S^ben . . . 

üJlit herzlicher SBerehnmg 

ber Shrige 

Slbotf Stahr. 



Olbenburg, ben 11. Slpril 1841. 

Verehrte ^rau! 

„ttonftttutioueu werben utdjt gegeben, bie nünmt m.m au," foll >yriebricb 

Sötthelm IV. als ftronprutä gefagt haben. £a§ ift ein tiefes unb wahres Söort; aber bie 
Deutfcbeu finb fo unglätibig, baß — ba foll Ra^ alles ruhig entwideln, Don felbft machen, 
ohne (Gewalttat — fein Sprung fein foll, unb bie fo reben. oergeffen im felben ?(ugen= 
blid, baß ihre eigene Ityilofophie lehrt, baß jebe SSeränberung ein Sprung, ein gewalt= 
famer tft. Unb wo ift tu ber ©efchichte eine große ^eräuberung anberS betuirft toorben? 
Irin großer ©eift erfchöpft bie neue ftorm, in bie fid) Seit unb SWenfchhett erft bntetn&u= 



Briefe 2lb. Staljrs au Danttyigen v. €nfe u. Ottilie d. 2lrmm. 4 1$ 

bilben Ijaben. 9ftd)t, baß er fid) oermeffe toie ein Diodf ttad) beut mtgenbltcflidjen #ebürf* 
ni$. (5r rennet auf baS 2Sad)Stum, baS nidjt ausbleibt „£er 23eltgeift bat Seit," 
fagen fte freilid). Slber bie Golfer faben feine 3eit gu berlieren, unb tun fie'S, fo oer* 
fieren fte gu tfjrem (Sdjaben, u ib für $eutfdjlanb läßt fid) baS $rognoftifon leiebt fteffen- 
toenn bie ftofafenpifeure mit „3tu\\t $rauce" ft<^ üerbrübem über furg ober lang. 3>amt, 
roenn toir toieber gefdjciitbet unb gertreteu am ©oben liegen, roerben bie Sörafjmanen ofme 
3meifel ertoeifen, tute baS alles fjabe fommen muffen, oietfeiebt gar gu unferm frommen. 
3n biefem unerquieflieb en ©rau beS fpchtlattDcit JyataliSmuS oerfcfytoimmeit alle färben ber 23e* 
geiffcerung, beS Heroismus, ber $aterlanbsbegeifterttitg, furg alles, tooburdj eine Sfflfelt toirb, 
tote fte fem fotf, ein lebenbigcS 3ubtotbwtm mit affeu SBorgügen unb äftängeln eines folgen. 
9fatr ein folcbeS 2SoIf ift ein &eroS in ber 23eltgefd)id)te, baS große unb fdjöne £aten gu 
tun oermag unb baS felbft untergefyeub fein £oS gu einem beueibenSroerten ftempelt. 

2SaS roerben Sie, berebrte grau, 31t biefem JpergenSergttß eine» 3ftenfcben fagen, ber 
tief) felber als 3itnger berienigen 9Sf)ifoiopbte befennt, bereu berbrüberte SBefenmmg iljm fo 
Ijeiß baS S3Iut gum £ergeu getrieben, baß er feinem $otvi ßuft macben muß?i 

Stber Sie felbft, roarum bringt 3f)f e stimme nidtjt gum t&rone? SSarum fpredjeu 
Sie es nidjt aus baS lei:d)tenbe grei^eitstoort ber Überzeugung, bor beffen (Slang bie 
Sügemtebel ber fteigbeit üeifinfcu roie ber Sftebettau beS grüfjliugSmorgenS bor bem golbenen 
töblidj treffenben Sßfeil beS 3-enttrefferS §elio3? Ober ift fein Dfjr 3fmen oerfdjloffen? 
bringt 3(jre ©timme nidjt gu ifmt, in beffen §anb ietjt baS fteil ber beutfeben 2öelt ge* 
geben ift? $iefe ftrage mödjte idj beantwortet roiffeu . . . 

©ebe fjin, $latt, unb fage ifjr, baß icb fie berefjre unb liebe unb baß id) gu i(jr 
binauffdjaue roie gu einem fajönen Stentbilb in tiefer 9tad)t. £e$ Rimmels fünfter 
«Segen über (Sie am 5luferftef)ungSmorgen beS 3abreS 1841. 

Slbolf (Sta&r. 



Olbeitburg, beu 11. Dftober 1843. 

föocbDerebrte, gndbige ?Jrau ! 

Seit faft gttei Senaten bin id) im SBefifc 3fjreS föftlicben ©efcftenfS, baS mir bie ®c= 
tt)t&r)cit gab, bafe Sie tro'4 beS tonfequenteften StifffdnoeigenS auf alle meine S3itt« unb 
SBettelbriefe meiner bennod) in ©üte gebenfen — unb erft je&t gebt ein Söort beS Banfes an 
Sic ab! £aran ift aber uiemanb anberS fdmlb als (Sie felbft, nämlicb — 3fc23ud)*), 
baS nidjt gelefeu, foubern in beu beften Stunben burebbaebt unb in <Seele unb föerg auf= 
genommen toerbeit tooßte. So habt id) benn Xage unb Sooden mit S^ncn gelebt unb 
mir bie (Seele rein geroafdjen an biefem Sibtitlinen=33ud) ber SBafjrbeit unb meinen ©lauben 
an bie 9Jlenfd)beit unb Xeutfd)lanbs 3«fimft toieber erfrifd)t unb gefräfttgt. XaS Söucb 
bat auf mieb tm!> meine greunbe bie ungebeuerfte Sßirfung geübt. 3»ftuS Ü)lofen fajreibt: 
„®8 fteeft barin freili* ber ©eift ber 3ufanft. 3^ füble i^it, icb begreife ibn, fann ibm 
aber nur fo üiel ©influft geftatten, als er mieb ©egenuxtrt flar ertennen Itrfet. (5S ift 
für einen 3itoftS{)errfcber=©eniuS gc'cfirieben, Don melcbem bie 3«ttmg iwrf) nicbtS meife." 

3d) babe nidits, gar nicbtS in ber „©eifteSbibel" ber 3«f»nft gefiutben, mit bem id) 
mid) nid)t in Harmonie müßte 3d) febe. toie unaufbaltfam bie, ioelcbe bie s Jtebolutiou 
ber 3utu»ft gur frieblidieu Reform leiten fonnten uub fotttcu — ja in iftrem Sntereffe 
fottteu — baS Setter emfig febüreu unb bie .ftöttengTut gu erftiefeu meinen, tnbem fie berg* 
fyod) SRetftflbünbcI barauf bättfen, bis baS ??euer, an bem fieb baS befebeibene S3olf bic 
Scbmar^brotfuppe fetner Srcibcit fodjen wollte, gum oer^eerenben SSalbbranb emporlobert, 
beffen ©übe itiemaub foun. 

3n ber erften 5luftegung f)abe ia) eine 9tegenrton — ein erbärmltd)eS SBort fjtcr — 



*) ©emeint ift jöettine bon SlmimS öueb: w 2)ieS 5öuc^ gehört bem Stöttige." 



4(6 Dr. 2lbolpli Kotjnt in Sdjöneberg bei Berlin. 

3f)fe8 S3ud)c8 gefdirieben, in her id) b f e .§auj)tyointen unb Steffen fjercutöfjob unb unter 
berfdjiebene Kategorien orbnete. 2ttan toar *u feig, fte aufeunefjmen, unb fo f)abe td) fte 
als fleine 23rofa>üre tu $rurf gegeben. SSemt fte fertig ift, fenbe icf) fte Sljnen. $a 
derben @ie ftnben, loa« id) fonft ned) über 3fov löuäj gu fagen ^abc unb tüte es auf midj 
gehnrft r)at unb hrie id) fjoffe, auef) auf bie £euffd)en trnrfen foff, beneu id) e« an ba& 
£er& legen lnöditc . . . 

@o üief für fjeute, tun @ie mir, berefjrte iftau, nur bie ©üte unb teilen mir mit, 
wie ber Stönig, mit bem @te ja forrefponbteten foffen, 3fr S3ud) aufgenommen fjat? £ier 
finb Darüber bie üerfdjiebenften ßeSartett. SSa8 €>ie mir übrigens attöertrauen, ift ht 
treuefter £anb unb fommt nid)t über ben „3avm ber dfcffnt", toie Sater isomer fagt 

S)te 2fteineu finb toofjl. 3fr Sßatdjen (£bo ift ber allein begabte unter meinen fünf 
Sprößlingen, ein 3unge boff Xroö, S&hit intb (Energie, htrj tote tftn bie junge @arbe be$ 
3ufunftöfrrrfd)er8 ber JJran SRat gebraudjen famt 

$)cn 3frtgen bie frrglid)ften ©rü&c 

bon 3f>rem ©e treu oerefrenben 

Slbolf Stafr. 



poltttfcfyer Mlonatsbericfjt. 




Von 

Dr. ^ugo <ÖMtfler. 

— Steg% — 

j ie f r a n a ö f i f d) c $ o I i t i f [teilt in ben 3Beltbänbeln gegen- 
wärtig ba§ fdfonierigfte itnb intereffantefte Problem, näm- 
lid) bie 9(u£einanberfefeung ätoifdjen ©taat unb ftircfje, eine 
Aufgabe, an bie über fur$ ober Inno afle Staaten herantreten müffen, 
bie über toirtfd)aftlid)e unb fokale Sragen, über SBeltpoütif unb miß* 
tärifche ©nttoieflung nicht bemerft haben, bafe bie firdjlidjen Organe an- 
fangen, übermächtig 31t merben unb bie ChteHen beS SBolfätumä junt 
Serficgen 311 bringen. Sie britte (Snatjflifa bee $apfte§ über bie Sage 
ber römifdjen Sirdje in granfreid), bie bor furaem erfdjienen ift, fdjliefjt 
jebeS Sompromife au§. &er unfehlbare $apft ftat mit bem Verbote ber 
X?ultn§bereine baä Sichtige getroffen, unb babei bleibt e§. Stber biefe 
ftarre Haltung fdjeint nur eine Oegemnirfung ber Sluffaffung ber leiten* 
ben Staatsmänner in granfreid) bon ber Pflicht be§ mobemen (Staates 
au iein, fid) 511 Sonforbaten mit ber .Surie nidjt berbeiaulaffen, ionbern 
bie ©onberänität ber <2taat3ibec über bie freie fiirdje au fefcen, fo bafe 
alfo am legten ©nbe hier bort auf ftart gefto&en ift unb barum ber 
Äampf einen immer unberföbnlidjeren (Sbarafter annehmen mufete. 
SBringt ber franaöfifdje <2taat ben ©ebanfen ber Unabbängigfeit unb 
Feinheit glürflid) burd) ben au ertoartenben Fanatismus einer aller- 
bingS nicht eben imponierenben SDtinberbeit binburdj, — unb ba£ mufc 
al§ toabrfcbeinlid) angefehen toerben — , fo ttirb er nicht nur ber ful- 
tureüen ©ntfaltung in ber SBelt, fonbern unter Umftänben aud& ber* 
$aj>ftfird)e felbft, bie anberS in einen berftiegenen unb gefährlichen Hoch- 
mut hineingerät, einen guten £ienft geleiftet haben. 3)ie $>inge 
gehen in granf reich iefct ihren normalen Sffieg toeiter; bie 
Sirchenbermögen toerben befdjlagnahmt unb bie Seminaraöglingc 
in bie STrmee gefteeft. Süchtig ift, bafe in ber franaöfifdjeu 
Shnnmer unb SRegierung nid)t bolle ©inmütigfeit in ber 33efämpfung 
flerifaler SKochtanfprüche beftebt, inbem bie rabifalere Stiftung be3 



<*\8 



Dr. £?ugo Böttger in Steglitj. 



früheren SDHiiiftcrä Gombes mit ber fonailianten, un3metfmätiige SMöfseu 
bcrmeibcnben s #olitif bc£ berantoortüchen Sföinifter* 5Öriauö ntcf)t ein 
berftanben ift unb nach fdjärferen URaftnahnien ruft, ^ebenfalls berrfd)t 
jebod) barin Übereinstimmung .ber tbcrtbollftcn Kräfte ber öffentlichen 
•Meinung ber Siepnblif, baß ber .Stampf — ob nun mit mehr ober mit 
minberer Kraftäuf$eruug — juin fiegreieben ©übe für beu Staat ohne 
Unterbrechung fortgeführt werben foll. £er bänftlidien äkrluerfung ber 
KuItuSgenoJienfdiaften ift übrigens folgerichtig bic ©rfdjincjrung üoii 
©otteSbienften in beu bem Staate bcrfaücneu Kirdjeu gefolgt. Tie 
s $olitif beS $apfies fann offenbar bic Suspenbterung ber Seelforge 
unb ber ©rbauung eher bertragen, al* bas 31 uf geben aud) nur be3 gc^ 
ringften SKadjttitcte, unb e3 ift anbererfeitä bcgreiflidi, bau bei jou±cr 
fdjroffcn Haltung ber Kterifalen bic greunbe ber 93rianb)tf)en 93erföbn 
üdjfett 3ufammcnfd)niel3cn, bic Anhänger ber rabifalcrcn ^Richtung 
§ombe3' fid) bermehren unb bafe auf bic 9lrt ftd) ein 9?i)5 im SMimfteriiim 
©temenceau 3eigt, ber größer aürb bon Jag 31t iag unb fid) fd)tt>er 
noch berfleben läfjt. 

£> ft e r r c i d) unb SR u {3 1 a n b ftehen im 3cid)en ber a () I b e * 
lücgung, bie mir glüdlid) hinter uns haben, $n Cfterreid) mäblt mau 
311111 erfteu 9Wale auf ©runb eines allgemeinen gleid>en StimmrcditS 
an Stelle ber alten fturienberfaffung, unb bie So^ialbemof raten erhoffen 
reiche ©etoinne bon ber SBahlted&t^änberung. ©in nationaler Wocf, au 
bem ftd) ber fo3ialiftifd)e 2tnfturm beu Schabe! einrennen fönnte, beftebt 
nicht; nicht einmal ein fefteS 33ünbni§ aroifdjen beu nahen SBermaubteu: 
©fjriftlich=<£03ialen unb SHerifalen hat suftanbe Fommcn fönneu. Ta- 
nad) fteht ein 9lnfd)itDellen be§ parlamentarifchen SoäiaIi§mnS in Cfter- 
reid) 3U ertoarten. SRnfelanb hat bereite einen grofecn Xcii ber 233abl= 
männemxihlen für bie stoeite Xuma hinter fid), unb bon ihrem enbgül- 
tigen 2lu§gange ttrirb e£ abhängen, ob fidj ber Keformmiuifterpräfibeut 
Stoltjpin haften fann ober einem Sfteaftionär $lafc macben muß. 

©in großer SBölfcrfrieg \vciv in @id)t gefommeu, aber borläufig erfreu* 
lichernjeife mieber in ber SSerfcnfung ber 3eitung3bi{>lomatte berfchtounben. 
©3 haubelte fid) bei beu friegerifdjen ®erüd)ten um Reibungen 
jtoifdjen SöHn unb ähner ifa, bie ja allerbing§ nid)t ohne mate^ 
rieüen ©runb finb unb geuriffe Kampfmöglicbfeiten in fid) tragen, ©in 
tfiaffent>roblem unb ein tuirtfd)aftüchc£ imrdjfreuaen fid) hierbei. Die 
Sabauer haben einen ftarfen 23ebölferung3überfd>ufe, beu fie gleich beu 
©hinefen 311m Steil in bic Union abfegen, unb 3tnar ift Kalifornien bas 
.^auptimportlanb für bie gelbe Stoffe, bie fich mehr unb mehr borbrängt 
unb tuegen ihrer Slnpaffungäfähigfcit au bie fd^uierigften SBerbältniffe 
beu ©ingeborenen läftig fällt unb ftarfe ftonfurren3fchmer3en bereitet. 
Xer flonftift brad) bamit au£, baft ber Schulrat bon San grancitfo 
befdjloffen hatte, ja.panifd)e Kinber bon beu öffentlichen Schulen in 
Kalifornien au§3uft>erren. Sa nun aber kapern mit ben ^Bereinigten 
Staaten einen SDMftbegünftigungsbertrag abgefchloffen hai, ber bie ja* 
banifdjen Staatsangehörigen, bie fid) in ber Union aufhalten, mit ben 
gleichen fechten ait^ftattet, \v\e ettna ©uglänbcr unb Scutichc, alio boeb 



poüttfdjer inonatsbertdjt. 



toohl aud) für bie Sinber ber Japaner unter gleichen 23ebingungeu tüte 
für bie beutfd)en unb engltidjen Schuljungen ben Schulbefud) freigibt, 
fo empfinben bie $apS ben 33efchluft beS SdjuIratS bon griSco afS eine 
feinbfelige 3»nidffetjung ihrer 9laffe unb sogleich als eine SSerlefcung 
beS SfteiftbegünftigungStoertrageS. SRoofeöelt, ber aßen ©rimö tut 
griebfertigfeit hat bei ben mangelhaften militarifchen unb maritimen 
Swftönben ber Union, hat bie Sefdjimerbc ber japanifchen Regierung 
im ©runbfafc anerfannt unb bie fatiforuifchen Sdjulbehörben aufge* 
forbert, ihre raffcnpoIitifd>en 93ebenfen gegen ben Schulbefud) ber Weinen 
gapS aufzugeben. Sie fialifornier höben baranf quod non gejagt, unb 
eS hat fich barauS bie eigenartige Situation entmidelt, büft bie Staate 
leitung ber Union megen eines fremben SSolfS mit einer Schulbcfjörbe 
in San SranciSfo proseffiert unb bafe eS \Qi$t Sadje ber bielleidjt biplo* 
matifch beranlagten dichter fein,toirb, bie ^Angelegenheit folange nrie 
möglich hinauf (hieben. 2)ie brohenbe Hauptfrage, bie im $intergrunbe 
fteht, bie SluSeinanberfefcung attrifdjen Öapan unb ben ^Bereinigten 
Staaten im Stillen öjean, bie Austragung ber t>on beiben Nationen 
auf Dftafien gerichteten 2Bünid>e toirb jebenfallS bon ben amerifanifchen 
Staatsmännern aus ben angebeuteten ©rünben uod) nidjl für fprudj* 
reif gehalten. 

Übrigen^ hatten mir bis t)or fur^em aud) eine ßinberftreitfrage 
mit einem fremben Staate, eine red)t beredte ftaatSredjtlidje Singe- 
legenheit, bie in biefen £agen burd) ben b e u t f d) * b ä n i f d) c n SS e r* 
trag über bie ©ptantenfinber auS ber SBelt gefchafft morben 
ift. £er SSertrag hat für bie norbfchleStoigfdjen 3uftänbe unb für bie 
Anbahnung befferer Beziehungen &u ®änemarf feine SBebeutung. Sftad) 
1864 Ratten jahlreiche junge SlorbidjleSliriger für ®änemarf optiert, 
bie bänifche StaatSangehörigfeit gewählt. Sie fehrten aber nach ber 
Apenraber 5?onbention bon 1874 nad) Sd)leStt)ig sürürf als bänifdfye 
Staatsangehörige; ihre Sinber fonnten nun aber als föinber bon 3tuS= 
länbern nidf)t bie preufeifdje StaatSangehörigfeit unb, fotoeit fie bor 
1898, bor ©rlafe beS bänifdjen StaatSangehörigfeitSgefefceS geboren finb, 
aud) nicht bie bänifdie StaatSangehörigfeit erhalten. Sie fdytoebten als 
Staatsbürger in ber Suft, toaren ftaatenloS unb hatten feine ftaatS= 
bürgerlichen 9ted)te. SBurben fie auSgemiefen, io brauchte fie fein Staat 
aufzunehmen, unb aud) bie fiitfber biefer ©ptantenfinber toaren mieberum 
ftaatenloS unb fonnten ftaatSredjtlid) in bie gleichen SBerlegenbeiten tx>xe 
ihre SSäter geraten. 2luS biefem im ganzen stnecflofen, jebenfallS für 
ben Betroffenen unerfreulichen Dilemma bringt uns ber ßptantenber* 
trag bom 26. Januar b. 3- heraus, toonad) jefet bie bänifdjen Optanten« 
finber unb ihre 9?ad>fommen in 9forbfd)IeSnng bie preunitd>e Staats« 
angehörigfeit erwerben, fid) in Greußen naturalifieren Iaffen fönnen. 
^olitifd) besprechen toir unS babon, baft bie borhanbenen 35TX) ßptan* 
tenfinber nid)t fogleid) ihre bänifdjen Liebhabereien loS merben, falls 
fie fie haben, aber baft bod) ber ^rojcB beS unaufhaltsamen gortfdjreitenS 
beS ®cutid)tumS in 9?orbfd)leStt)ig burdj ben neuen SSertrag nicht ge= 
- ftört, fonbern geförbert toirb. Ebenfalls toirb ein berechtigter ©runb 

Horb unb Silb. CXX. 36j. 29 



^20 



Dr. 6ugo Eöttger in Steglitj. 



beä Sftifcbebagenä unb bor t>otitifd)en Unaufriebenbeit befeitigt, unb ba* 
bat nod) nie am Ickten (Snbe ben geinben £eutjd)Ianb£ Sftufcen gebraut. 

Stud) in anberer £infid)t finb untere politifd^en Seatebungen au 
Xänemarf „aftuefl". Sßir fteben in Unterbanbfungen bamit megen eines 
b e u t f d) = b ä n i f d) e n ^anbclsbertragc* unb iiüiffen bierbei 
beanfprudjen, baf$ bie boHe SWeiftbegünftigung, bic toir ben Xänen ge= 
ioäbren, bnrd) einen Reaiproaität&bertrag, burdi einen Vertrag mit @e= 
genleiftungen erfefet merbe. SBir erbielten 1005 au§ £<inemarf für 124 
a»iflioncn 9Warf Sßaren, ban£tfäd)üd> ^ferbc, Rinbbiet), 93utter, gteifd), 
<2d)iiiala, ©erfte unb bamit aud) <mfter ben Sterben etma£ Ungenießbares 
babei fei, s #flafterfteinc. Unb ttnr et^ortierten nad) Sänemarf für 186 
aWiflioneu Warf, barunter baupttiicblid) Xertiftüaren, (Sifen unb @ifen= 
roaren, gabrräber, garbcnbrudbUber, 2l£otbefertparen, gatjeuce, Seber* 
maren etc. Xänemarf fdjliefet au§ bieier ^anbelsbUana, bafe urir feinen 
agrarifd&en Uberfdjufe unbebingt braudien, träbrenb c3 unfern gabrifaten* 
erkort audi anberStoober beaieben tonne, jetgt uns aljo bie falte 
Sdjulter unb glaubt, baf$ e£ nicfjt nötig bat, ©rmäBtgungen für ttudjtigc 
beutfdje 2lusfubrarttfe[ 31t getoäbren, ja e3 trägt fid) fogar nod) mit bem 
©ebanfen, feine Stemt>elftcuergefet$gcbung fo au&au&auen, bafe bamit aud) 
bie beutfd>e Ginfubr getroffen merben fönnte. Xie Stempelsteuer ift 
innere Angelegenbeit XänemarfS, fie läfet fid) unabfiängig bon ben 
«ganbcfSberträgen geftalten unb als ©tnfubrerfdm<erni3 benufeeu. 
amifdjen bat oermnt(id) bic bänifdie Regierung aber boefi mobl eingeieben, 
bafc bie neugemäblte bcutidje 9}o[f3bertrctung auf freifjänblerüdjen ©a^nen 
fid) feine»faIB belegt, bau bie berbünbeten Regierungen be3 ReidjeS mie 
gegenüber 9?orbamerifa unb Argentinien fo aud) gegenüber Dänemarf 
ben t>eralteteu Stanbpunft ber SDfeiftbegünftignng au berlaffen entfdjloffen 
finb, unb baft bei foldjen 2lbfid)ten unfere Regierungen bie SSoIfsbertretung 
binter fidi baben merben. 

tiefer neugemäbttc b e u t f d) c 91 e i d) § t a g bat feine Arbeiten 
tuteber aufgenommen, unb borberbanb gebt genau mie in ben borigen 
©effionen mit ben Gtatäbcratungen unb ibren Reben aum genfter binauS 
biel 3^it bertoren. Tie 9lcirtDablen baten uatürlid) aud) bei ben natio« 
nalen ^olttifern nidjt ba§ bofle ©efübl ber greube berborrufen fönnen. 
Xa^u ift ba* (SefamtorgebniS bod) aüaufe^r mit Sdjtuara burdjfefct, unb 
ba§ 3entrum ift mit ungebrodjener firaft in ba§ Reid)3parlament juriief^ 
gefebrt. 9?ur nadj einer Seite bat bie S3abU>aroIe: gegen* Bentrum unb 
Soaialbemofratie boH a» mirfen bcrmod)t; bie Soaialbemofratie bat un« 
gefäbr bie Hälfte il)rer Wanbate eingebüßt, unb ba S.% ^5roaent ber 
2BabIbered)ttgtcn, 10 ^rojent mebr ali im ^abre 1903, ibr Stimmredbt 
ausgeübt baben, fo bat ba$ 9?orf§gerid)t, toie ber foaialbemofratifcbe , f 93or» 
iuärt§" ben S?ablgang nannte, bie 3oaiafbemofratie befonberS bart ge« 
troffen. 9Kan bat bem dürften Siilom jc^t bielfad) SSorbaltungen barüber 
gemalt, baft fein (SntiWuft bom 13. Xeaember, ben Reidistag nacb ^anfe 
au fdjitfen, nid&t nod) ein beffere§ (Srgebni§ geaeitigt babe. ?tl§ ob bei 
ber ©efd)Ioffcnbeit ber flerifaren SBäbfcrfd&oft bie aSerntd&tung be§ 3en- 
trum^ ein fiinberfpiel, unb aU ob e§ 3tüedfmä6ifle ^olitif fei, amei ^afen 



Polttifdfer Monatsbericht. 



auf einmal jagen au holten, in unferem Ralle Soaiatbemofraten unb 
&lerifate au gleicher 3«it nieberaumachen. 2Ber bie Singe nüchtern be* 
trautet, mufe augeben, bafe bie Sorberung be£ £age§ barin beftanb unb 
mir barin beftehen fonntc, ba£ Xtolf aum Sidjaufraffen an a^ingen, eine 
ftarfe SBahtbeteiligung herbeiauführen nnb auf bie 9lrt bie 50Ief)r^eit bom 
13. Seaember 51t fangen, bie bem Steide bie gortführung feiner foloni* 
alen Aufgaben bermehrt hatte. Siefe Mehrheit ift gefprengt. 3entrum 
unb Soaialbemofratie hohen mit ihren Trabanten nicht fo biet Sifce mehr, 
um in ähnlidjer Sßeife ttrie im SBinter 1906 eine abfolute £errfd)aft ent= 
Itricfetn au fönnen. ©3 ttrirb fid& alfo borauäfidjtlid) mit bem neuen 9?eid)3= 
tage in aßen gragen ber militärifdjen unb maritimen. 2)?ad)t unb ber 
Äotouilapolitif regieren laffen. 

SBie bie neuen SWehrheiten, bie ba möglidj finb: Sonferbatibe, Qen* 
trum unb ein Zeil ber 3Wittelparteien, ober fionferbattbe, ßiberalc unb 
ein Zeil ber Stfittelparteien, fid) finben merben unb ob fie fd)öpferifd>e 
HJoIitif treiben fönnen, mufe fid) erft aeigen. 63 liegt ja mancherlei im 
2&ege: baS SiadjebebürfniS ber Stabifalen beS 3entrum$, bie burdj bie 
morafifdje 2lbfd)lachtung SfoerenS entrüftet finb, bie @iferjud)t ber bürgere 
liefen Parteien untereinanber, bie Slnmafeungen ber ^ntercffenpolitifer, 
ba§ 33orbrängen ber „ftarfen" SKänner, bie fid) nad) 2lu§nahmegefefcen 
fernen, unb ähnliche^ mehr. 2llle§ ba$ fann auf für^ere ober längere 
3eit ben 5Reid)§toagen aum Stillftanb bringen. So erfreulich bernatibnale 
©infehtag be§ neuen 9teid)3tag§ ift, fo täfet fid) bod) and) nicht berfennen, 
bafe er toirtfchaft&politifche Sdjtoierigfeiten genug in fid) birgt. $n ben 
nädjften 5 §af)rcn finb auf3er bem bäniiehen Vertrage aud) $ a n b e I £ = 
berträge mit ben 93 e r e i n ig t c n Staaten, mit Ü a n a b a, mit 
Spanien unter Sad) unb gaef) au bringen, unb menn mir bei ben 
SBerljanblungen aud) getoift nid)t ba3 „tumbe SSrüberlein" au marficren 
brauchen, fo ift bod) aud) eine 3^Üpolitif, tr>tc fie bon agrarifdjer Seite 
beliebt mirb, bie nämlich mit 3oÜfriegen mie mit ben barmlofeften Singen 
ber SBelt operiert, unter Umftänben eine fdytrerc Gnu; für unjere Unter* 
hänbler unb hanbel§politifd)e Diplomatie. 

Sfntereffant mar nad) ben 9?eumabfen aud) bie Haltung unb Stellung 
ber Soaialbemofratie. Sie mar bie £>auptlcibtragenbe, unb auf 
fie fonaentrierte fid) ein ©efüht ber öffentlichen Meinung, ba§ bon 2ßit= 
leib recht tueit entfernt mar. Sic Soaialbemofratie hatte nad) ber 9tcid)3= 
tag§aufföfung ben Wlunb über aHe§ erlaubte SWafe hinauf boll genommen. 
Sie Sorfc)pt)äen hatten taut erffärt, bafe fie mit einem 3utuad)3 bon 10 
big 20 aWanbaten fid>er rechneten, unb nun ftatt beffen ein SSerluft bon 
30 Sifcen. Sa§ rote Königreich faft gana berloren, baau alte Sifce in ben 
©roftftäbten. Sa hilft bie 9lu3rebe jefct beralich toenig, ba\i man ben 
grofjcn Raufen ber Mitläufer abgeflogen habe, nnb bafe bamit eine grofee 
Einheit ber 2tftion innerhalb ber Partei fich anbahne. Senn gcrabe um 
bie SWitläufer feftauhalten unb nod) neue baau um ba§ rote Sanner au 
fdharen, hatte man eben biefe rote gähne mährenb ber ganaen 3Baf)l= 
fampagne eingerollt unb alle foaialiftifd)en ©runbfäfee unb Programme 
tief unten im ftoffer gelagert. Unb ma§ fich ietst an Slu^einanbericfeungen 

29* 



422 



Dr. ffugo Böttger in Steglttj. 



in ber ioäialbemofratijdjen ^artetpreffe awifdjen beu ©rtfyoboren, ben 
Stetnfioniften unb bcn freien (^werfjdfyaftlern, ben 2lnard)o=<Bo3iaIiften 
geigt macht burdjau§ niefit ben einbru'd, al§ ging« e£ jefct im ©efchroinb- 
marfd) auf bie feit Sahren fdjon fe^Ienbc ©inigfeit lo§. Sieben bem 
furchtbaren Qanf unb Streit in ber foaialbemofratifchen Partei, ber eine 
fdjöpferijd)? StätigFeit jugunften ber arbeitenben SHaffe unmöglich mact)t, 
finb e§ gmei Weitere ©rünbe, bie ber ©ojialbemofratie im legten SBafjt* 
gange fd>Wer gejdjabet haben: bie geifttge unb fittliche £be be§ längft. 
bon allen logifd) benfenben unb bolBwirtchaftlid) inftruierten 2ftenfd)en 
verworfenen Erfurter Programms unb bie Untoahrhaftigfeit ber $ro- 
paganba, bie auch ©djtppel fcharf gegeißelt f)at. 9?ad) weiden Seite fich 
nun bie ©oaialbemofratte entoitfcln Wirb, unb ob fie noch eine national 
unb politifch brauchbare Arbeiterpartei werben fann, ba§ Weife fein 
SWenfd). ^ebenfalls haben Wir, auch barüber Iafjen bie Söhlen feinen 
3weifel übrig, nod> auf Sabre mit ben i'djWeren ©efahrcn 5U rechnen, 
bie bon biefer Sßolitif ber unfruditbaren 3erjekung unb 33aterlanb§« 
gleichgültigfeit brofjen. £ie Soaialbemofratie fteflte bei ben Neuwahlen 
immer noch 3 258 9*38 SBähler auf ben $Ian; jeber britte SBahlaettel, ber 
in bie SBahlurne gefenft Würbe, War ein fosialbemofrattfcher. 2>a ift sunt 
SBiftortaf^tcfeen unb gum gefte feiern nod) bie £dt nicht gefommen, unb e§ 
muß nodj auBerorbentlid) biel tüdtfige unb fleifeige Arbeit im nationalen 
Sürgertum geleiftet, nod) mandjeä gefdjaffen werben, Wa§ 2ampred)t bie 
„Sßolitifierung ber @efellf<haft" genannt t>at. Aber e3 geht fcoefj aud) voran 
im SSaterlanbe, ein Aufraffen unb Sidjbefinnen ift nod) möglich, unb wenn 
e§ anbererfeitä ben chriftlidjen unb nationalen Arbeiterorganifationen ge- 
lingt, feften gufe in ber Arbetterfchaft su faffen, Wenn Staat, ©eieflidjoft 
unb (Sefefcgebnng fortgefefet $anb in $anb gehen, um eine ^olitif ber 
©eredjtigfeit unb be§ fojialen Ausgleichs ohne fenttmentale unb fc^arf- 
macherifche Sdywanfungen su Verfolgen, fo werben wir aWar in ber 3u= 
fünft nicht ben ewigen grieben be§ golbenen QeitcdtevZ, aber bod) einen 
erträglichen 3»ftanb haben, in bem fogiale Utopien nicht bie ©runblage 
polittfeher Parteiprogramme, i'onbern hödjftenä einen £eil jener SÜufionen 
barfteüen, bie ba^u ba finb, ba§ Seben ju berfd)önern. 



Siterarifdjer 2Xlonatsbevid\L 

Don 

^tlfitlfl gtitMOf grauf* (Breslau). 
JJomane. 

(Suftoo ^renffen: „peter Moors ,fa^rt nadj Süoroeft." — €mil <ErtI : „Die £entc 
vom Blauen (Sugucfs^aws." — fftaj (Sytt^: „Emtter pflüg unb Sdjraubftocf." — 
„Der rdjneiber r>on Ulm." 

emt biefe Seilen erlernen, fmb bte föeidjStagStoafjleu mit all ifjrem 2>rum unb 
©ran borüber, unb eine Sdt pottttfcfjer Slufgeregtbeit, aber aud) edjter nationaler 
S3egeifterung ließt Ijinter uns. SBir fjaben erlebt, toaS 311 erleben man ntd)t 
für möglidj gehalten f>at, baß ein großer Xeil berer, bon benen irgenb jemanb 
einmal gefagt Ijat: fic #ttten baS (Sdjtcffal beS ÜReidjeS in tt)rcn föanben, baß ein großer 
Xeil ber polittfd) Snbifferenten bieSmal an bie 23af)lurne getreten tft. Oft fdum 
fjaben bei 9Reid)StagStoaf)leu große nationale fiiaQtn sur (£ntfd)eibung geftanben, iriemals 
aber fjaben fie fo aufrüttelnd geroirft toie biefeS 3M. 2lm 25. 3anuar tyanbelte fidj'S 
für baS beutfdje Sürqertum nid)t um Sentrum ober Sogialbemofratie, nief^t um fteer unb 
3Iotte ober um bie beutfdjen Kolonien, niajt um biefeS unb baS, toaS $öpfe erbtet nnb 
bie ^erjen falt läßt, diesmal finb bie #er$en roarm geworben unb Ijaben gerebet: bie 
beutfdjen 3ungen, bie brüben in Sübtoeftafrifa fämpfen, 9iot unb ©leub tragen unb 
if»r SBlut Eingeben im Jyelbäitg gegen einen unaibilifterten fteinb, bie looHte unb fonnte 
mau uidjt im (Sttdj laffen. S)eutfa}er SJhtt, beutfdje Xapferfeit, beutfdje Energie baben 
brüben im Sranb ber glüljenben afrifantfdjen (Sonne unb in ber burd&fdjauernben Mite 
ber 9Wd)te, in $uvft unb gfieberqual SSunber berridjtet, benen gegenüber alle ßeinlidjen 
^arteiintereffen fdjmeigen mußten. $ür unfre tapferen brüben traten mir, traten and) 
bte fonft 3ubifferenteften an bie SSafjlurne unb legten Seto bagegen ein, baß man bie 
Kraben opfere um fleingeiftiger Nörgeleien mitten. 

3d) bin fonft nidfjt leidjt geneigt, ©üdjern ftarfe politifdje 23irfungen pu^utrauen, am 
atterroenigften, toenn biefe Sücfjer Romane ftnb. Wlan föimte aber nrirflid) faft meinen, 
baß an ber einmütigen nationalen (Srfjebung, bie fid) tu ben legten SSafjIen offenbarte, 
biefeS 9WaI gaits in ber (Stille unb mefjr als alles Parteien* unb 3citnng§gefdjrei ein 
Sud) mitgeroirft babe, baS uns bie 9tot unb bie .traft, ben Sammer U nb (Sieg, bie 
Cualen nnb ben 9)htt ber beutfdien Krieger nalje m bringen fudjt, bie brüben auf afrifam* 
fdjem Soben für tfjreS SaterlanbeS 3ftad)t unb ©f)re fampfen. 9)tit biefem Sudje in ber 
§aub, baS tu bem lauten SBafjlgefdirei toofjl nur feiten genannt toorben tft, Ijätte man in 
ben üßaftffampf gießen muffen, es mürbe ftärfer getoirft ßabeu, als bie fdiönfte SRebe beS 
»portgewaltigften 51gitator8. $icfeg Sud) ift ©uftab S^cnffenS ftelbäug&beridjt: 
w $eter 9)loorg gabrt nad) (Sübroeft." (Berlin, ©. ©rotefdje SerlagSbudi^anb« 
lung, 190G). ^er 3)iditer bat biefen Seridjt einem in ben 9ttunb gelegt, ber felbft brüben 
auf bem berfengten Soben SübafrifaS unb im iiampf gegen bie ©ottentotten nnb )öufa> 
männer geftanben Ijat. Xa er felbft ftd) ßng äurücrgußalten loetß unb fein Seridjt in 
2lu8brurf unb 3lnfd)auungen nur feiten über baS geiftige Vermögen eines beutfdieu Sdiu^« 
truppenfolbaten f)htau8gef)t, ber, bis er beim SHiiitär eintrat, in feines SaterS SSerfftatt 
am 3lmboß geftanben §at, fo tft es ifjm gelungen, feinem Sudje 2Bat)vr)eit unb ^ebenSedjN- 




^2^ 2luguj* Jriebridj Kraufe in Breslau. 

Ijeit gu fiebern, al« ob er felbft brüben im ^Bufeb gefämpft l#tte. 2RatKfimaI toirft bic 
tro&ne, fc^mucfCofc (Srjäfjlmeife be« S8ud)e« fo ftorf, baß man ben Siebter gan§ beiflifjt 
unb nur ben Solbaten öören meint, ber fc^ttc^t unb toabr, obne ^luffd^ncibcrei unb 
Sapferfeit«profeerei feine (£rlebniffe sunt beften gibt. ($8 ift bie« ein fjobe« Bob für ben 
Siebter unb fjugleief) ein ebrenbe« 3«iflni8 für bie Sefcbeibenljett be« 9)Jenfcben fjrenffen. 

2Seun idj nun aud) b:m Siebter fo üiel Dbjefttoiteit unb bem 3Kenfeben aueb fo 
öiel $8efcbeibenf)eit antraue, fo fann ieb boeb triebt um^in ansuneömen, bafc biefem biebteri* 
fcf)en SelbjUßSberidit ber toirfliebe, münblicbe ober fcbriftlicbe 23erid)t eine« 2lfrifafämpfer« 
wgruribe gelegen bat unb barum bie Angabe auf ber lefeten Seite be« Jönebe« niebt 
fingiert ift: $eter SJtoor Ijabe auf bem 3uugfernftieg in Hamburg einen 3ttann in mittleren 
3abrett getroffen, oon bem er fdjon im (ilternbaufe üiel gefjört, unb bem babe er erääfjlt, 
ma« er gefeben unb erlebt unb ma« er fief) babei gebaut babe; er babe bie« Jöucb barau« 
gemadjt. 2luf anbre SSeife tonnte ieb mir niebt ertlären, ba& btefe« lefcte SSerf ?ftenffen« 
fo anber« ift al« äffe feine übrigen öücber. 

Sa« üeigt fteb fdjon reiu äu&erlieb im Umfange: ^kter 2ttoor« ftelbsugSberiebt ift 
niefjt öiel mebr als ein drittel fo ftarf roie 3orn U(jl unb £iffigenlei. Stefe Jöefdjränfung, 
bie fo gar nid)t grenffen« 2trt entfpriebt, fdjeint mir feine ganj freinnffige ju fein, fte 
liegt aud) nicfjt im Stoff, ber für einen anbern Stdjter öieffeiebt toeit ergiebiger getoefen 
märe a!« ber (Stoff ju ben anbern Sücbern. Unb bod) liegt e« aueb gerabe toieber am 
Stoff, &ei Söefpredjung be« legten $8ud)eS bon Simm Kröger toie« id) auf einen fünft* 
lerifdien 2)cangel bin, ber üiefen feble«toig*f)oIfteimfeben Siebtem eigen fei SSte Simm 
Dröper ift aueb ftrenffen mefjr SOlalcr als Siebter, mefjr Sebilberer al« ter-jäfjler; feine 
Stärfe liegt niebt im 9tu«fpinnen einer öanblung, fonbern im (Spifobifcbeu. SDafjer fommt 
e« aueb, ba& bie ßpifoben, breit unb umftanblid) er*äl)lt, in fjrenffen« Romanen bie £anb= 
lung oft fo überumebern, bafe man ftd) faum noeb auf fie *u befinneu oermag. Sie 
slörperlidjfeit ber Singe unb ÜJlenfcben interefpert ifm mein* ei« tyr Beben, ba« fieb in 
§anbiungen offenbart. (5r ^at $(ugeu, bie alle enrfcbehuutgen tu 9hü)t fefjen unb ergreifen 
müffen, aber er ift aud) nur imftanbe fte fo in föufje bargufteffen. )öei ^«ter 2Koor8 
JJabrt nacb Sübtoeft aber Ratten feine 5lugeu nidjt« gu tun, benn ^renffen ift felbft uiebt 
brüben getpefeu im SBufdj, unb toa8 er oon ifim imb all bem anbern, toaS $eter 9}loor 
fab, tt>et6, ba8 toeiß er üom Jpöreufagen unb aud) au« Söik^ern. Seine $b?ntafte fyd e§ 
aufgenommen unb oerarbeitet. Sie aber arbeitet nacb anbern ©eiefeen al8 bie 3lugen unb 
ba« ©rinnerungSoermögen unb bidjtet §anblung ftatt ©pifobe. Sarum erleben loir e« 
f)ier, baft bie Spifobe iu biefem gelbgugberid)t faft ganj auSgefcbaltet ift. Sa« ift ber üom* 
pofttioit ber Sidjtung gugute gefommen. £napp, furj, fadjlid) — roeil niebt« ibm &ugen 
itnb S'um oon bem (SJeftalteu ber ^^antafie ablenft — ergäblt er, hxi« er %u ersten 
^at. Ser 3ü>oug, immer im SßorftellungSfreife bc« einfachen ÜDZamte« 31t bleiben, bem er 
bie ®efd)id)te in ben 9ttunb gelegt bot tat bann nod) ba« übrige. 6« ift freilidj niebt 
gu leugnen, bafj bie Sarftellung partiemoeife gar %\t oiel an 3Mtif einbüßt, bann fc^lt 
aud) bem Stil straft unb Saft unb er wirb papieren. Sa« ift t)ielleid)t, loenn bie Cuellen 
ben Siebter im Sttd) laffeu unb feine ^Ijantafie, bie, toie bei allen ^lorbbeutfcben, niebt 
aUgu rege arbeitet, ifjm oerfagt. 9lber toenn e« gilt ©Uber %n malen, gewinnt bie Sar* 
ftellung eine berounberungStunrbige ©rofe^ügigfeit. JJ^nffen ift eben mefjr TOalcr al« Sidjter. 

Senuocb feblt bieier Sicbtung nidjt ba« Beben, toeil ba« Beben fie bietete. Sie 
^ält un« in iljrem Santt bi« jum Sdjlufe mit äffen ibren Scbrecfen, mit bem ©rauen 
unb ber ÜJtot, bem Surft unb Sob, ben bie tapferen 2lfrifafämpfer erleiben müffen. SBir 
ttxiten mit i^nen burd) ben beifeen Saub ber Sufcfyrege unb lagent mit i^nen tu ber 
roafferarmen ©üfte, erleben ibre Scblacbten unb erleben i^r fingen gegen 9lu^r unb 
Snpöu«, mir begleiten fie auf iljreu Sßatrouiffenritten unb begleiten fie bei ber Verfolgung 
be« fc^oargen ^Jeinbe«, ben fie mit SSeib unb ftinb, mit §ab unb ®ut unb allem &ieb 
in ben fjeißen Surfttob ber Sanburitfte treiben, lieber biefen ©rlebuiffen oergeffen toir bie 
mancbmal reebt loenig fticbbaltigen öegrünbungen biefe« faft unmenfcbUcben Kampfe«. Äffe 
(Sinäelbeiten fcbliefeen fid), toenu toir fie naebber überblicfen, ju einem (Skingen gufammen, 
fo ba& mir in Q-renffen« ©eriebt niebt blofe bie toenn aueb intereffantcu, fo bod) immerbiu 
untergeorbneten ©rlebniffe eine« einzelnen Solbaten erbalten Reiben, fonbern eine Sar» 
ftellung be« gaujen ^elbguge«. 

2Ba« aber bem neuen 23ud) grenffen« 33cbeutung oerlei^t, ba« ift neben fernem 
fünftlerifd)eu uor allem fein et^ifdjer SSert. Ser Siebter bat fein 33ud) „Ser beutfebeu 
3ugenb, bie in Siibmeftafrtfa gefallen ift, 3U e^renbem ®eböd)tni« M getoeiftt. 6r batte e« 



£tterarifcfjer IMonatsbertdjt. - — ^25 

auc^ bcr Icbcubcn 3«genb aur 9flad&eifennig toibmen tonnen. $eutfcfier Alraft unb Xi\d>tifl- 
feit, beutfcfiem 2)tur, beutfd)er 9faSbauer, beutfcfier' Sapferfeit ift fjier ofine öicl fefiön* 
rebnertfcfie Borte, frei üon §urrabegeifrerung unb öierbanfpatriotiSmüS ein efirenbeS 
$enfmal gefefct. (Ss ift ein fraftootfeS, ein beutfdjeS Söttet), bem man bie tocitefte 2*er* 
breitung toünfcfien muß. 

©in fiobeS £ieb oon betttfefier K^raft unb Sücfitigfeit ftimmt aud) (Smil (£rtl, ein 
junger öftemicfiifcfier £iefiter, an in feinem Vornan: „$ie ßettte üom flauen ©uguef S= 
fiauS", (ßeipstg, Vertag üon 2. Staaefmann, 1906), üon Jeuer Sfraft unb Xüdjtigfeit, tote 
fic im beutfefieu Bürgertum fid) beroafirt unb brtoäfirt fiat, baS bie ft-reifieitsfriege ftfifaß 
unb beu moberuen (Staat begrünbete. SSie fein Söanbmadjer, ber grobe (Scfirott, ift aud) 
@mit (Srtl su ber (Sinficfit gefommeu, „ba& bie 3ufunft beS SteidjeS ein ftarfeS, beutfcbeS 
Bürgertum braucht. 5(uS ifim fjat cS feit Rimberten üon 3afiren feine ftraft gefcfiöpft, 
aus ifim toirb es auef) in 3ttfunft feine ftraft fdiöpfen muffen." $arum muH im beutfdjen 
Bürgertum ein ftarfer ftttlicfier ®eru fein. (§S toirb niebt blo& barauf anfommen, bafe es 
fparfam, einfaefi, fleipig unb gefefieit ift, bafi es ben SSofilftanb beS fianbeS mefirt, inbem 
e8 bem eignen ©elbfai ein immer ftärfereS ©etoidjt gibt; „Dasjenige $olf toirb baS 
ftärffte fein, baS baS gröfete Kapital an freier, fittliefier Ueberäengung in fict) fort." 
liefen reinen unb gefunben ftern, btefeS Kapital an freier, fittliefier Ueber^eugung toeifr 
Chrrl uns an bem nxiereru Solftfjen ber (Seibcmoeber üom Sofort enfelb in 23ien aufätt» 
geigen. £er Sicfiter ftammt felbft üon ifinen ab, unb alle ferne Söorfafireu finb Seibeu* 
toener getoefen, bie „aus ben fcfiimmemben «Jäbeu beS SeibeufpimterS auf großen, fiölserueu 
<^ubtocbftüfilen funftoolle ©etoebe üerfertigteu, Jöcinber unb 3euge, fdjtoere unb leidjte, 
glatte imb gemufterte." SBon t^iteit fier (eben toofil uoeb {Erinnerungen im (Shtfel, ecfiteS 
(Seibentoeberblut, bafc er fier) fo einbringltefi mit ädern fiat üertraut maefien tonnen, toaS 31t 
ifirem ftanbtoerf unb 2Berf;ettg gehört, bau er fo grüublicfien 93efcfieib fid) ertoerben fonnte 
mit <Sefierrafimen unb SBebfrüfjtcn, STorbelu unb 3d)uüreu, ben ©eiben^eugen üom ein* 
fad)ften bis gum foftbarfteu: fefitoere, getöperte 3tu$t unb leid)tere, leituoanbartige ©etoebe, 
buftigeS $üitntud) unb fpröbe Xafte, mollige £eoantineS unb ?Joularb§, unb fammettoeicfje 
3ltlaffe mit glattem, tcud)tenbem ©piegel. WS in« ffeinfte detail roeifc er uns aud) bie 
fdnoeren, bamaftä^nlidjen Seibengeuge ju befajrctbeu, bie ein ein« ober mehrfarbig ge* 
mufterte« ©eloebc auf gteia^fai bigem ober oerfebiebeufarbigem @runb r)aben, unb oerfteftt es, 
bie SOlufter cor uu8 fo lebenbig toerbeu 511 Iaffeu, baß \mv meinen, fte oor uns 31t fefjcu 
unb fic greifen ju fönnat. <Stärfer aber uod) als biefeS SSebcrblut lebt in bem Chtfel baS 
33iirgerblut btefer (Sdjottenfelbcr 6eibenmeber unb 53aubmad)er. SBäre baS nia)t, fo toürbe 
ba8 iötlb, baS un« @rtl in fo funfrooßer ^etailmalerei oorfityrt, uid)t Iebenbiß getoorbeu 
fein. S-o aber leben unb lieben, beuten unb füllen, fürd)teu unb Ijoffen mir mit ir)nen, 
mir gemimten Anteil an ißrem Xun unb au ifjren @d)i(ffalen, fic merben uns lieb unb 
mert. $ie biebere .toft unb Xüa^tigfeit, ber rubtne, lebenSfluge @ntft unb bie frifdje 
SlrbeiiSfrcubigfeit, bie ben 2?orfaf)ren eigen geioefen finb, muffen aud) in (Srtf fein, fonft 
rjätte er fte ntd)t in biefer SSetfe toieber üor uns aufleben laffeit fönuen. ÜJHt biefen 
guten, tüa)tigen (5igenfa)afteu ift aud) nod) ein fonuiger ^urnor in baS ^Butt) gefommeu, 
ber Piele Partien burd)töännt unb burd)leud)tet, balb fräftiqer unb berber, balb feiner, 
aber immer berglidi unb edjt ift. 2lber and) bie übleren (Seiten feiner bürgerlid)eu Hb« 
ftammung madjen pd) bemerfbar. SSenu örtl aud) niefit fo etgenfinnig am 3llten fiängt, 
fo üerftäubniSloS bem ©eifte ber neuen 3«t fid) üerfcrjltefet mie ber grobe ©djoll, fo mad)t 
ftcfi in feinem SHomane boefi ein gemiffer £oufcröatioiSmuS geltenb, ber uid)t immer ©e* 
red)tigfeit unb ^reifieit mobenten 3eitibeen gegenüber gn fitiben meig unb i(jm ehvaS 
(SngeS, 53efangene8 unb 6pie&bürgerlid)e§ gibt. 

Senn id) nun einmal babei bin, aud) baS loeniger ©ute au bieiem fonft toirftitf) 
tüchtigen unb lefenStoerten Öucfie l)croor^ufiebeu, fo mnft id) aud) oon feinen niefit unbe« 
beuteubeu fünftlerifcfien s Mngeln fpreefieu. (Smil @rtl fiat por biefem Vornan sroet 
Sfouetfeubänbc Peröffcntlidjt. 3cfi fenne fie uiefit uitb fanu barum aud) niefit beurteilen, 
tote ber $>id)ter in ifiuen feine Eigenart offenbart. 6icficr aber ift, baft er in feinem 
Vornan mefir als 9toPelIenbiefiter benn als ^omanergäfifer fid) ertoeift. Sein Olomau ift 
sufammengefefet aus Jfauter teils fleineu, teils umfangreiefieren ©pifoben, bie in ber erfreu 
öälfte nicht einmal burefi einen bünuen ??aben üon £>anblimg äufammengefialteu toerbett. 
fetl reifit ©enrebilb an ©enrebilb, unb bie einsige ißerbinbung finb oft nur bie Sßerfouen. 
SBeniger Inrifcfi als Neuffen unb bie ftolfteiner, teilt er aber boefi mit ifineu baS eine: 
er befifct faft gar feinen (Sinn für Söetoegung, für (Snttoicflung, für ©anblung. S^a ein 



$26 2Iua,uft ^ riebrid} Kraufe in Breslau. 

^Hornau nun aber boch ohne ftanblung nicht gut beftebeu tarnt, fo bat er fich 2Jcithe ge* 
gegeben, toenigf'cnS eine Keine, toenig befonbere fiiebeSgefcbicbte unb einen fämflift, ben ur* 
alten smifcheu SSater unb Sohn ju erfinben. Stgatb toelcbeS 3ntereffe aber bermögen 
betDc nicht $u erregen, unb fo ftebm mir oor ber betrüblichen Xatfacbe, baß biefer tüchtige, 
in einzelnen Partien wirflicb gelungene ^Kornau, ber ein farbiges, lebensvolles ftulturbilb 
aus ber 3eit um 1809 r»or uns aufrollt, bod) freflentoetfe recht langweilig vt. 

Sie 3^tt beS Keinen £anbroerfers, beS Keinen 3<t6rifanten, ber felbfr noch mit 
aufgefrembten §embärmelu r)mter feinem Sßebftuht faß unb bie üerjraicfteften unb Der* 
fdilungcnften 2)htfter üerfertigte, ift beute> in ber 3eit beS Kampfes unb ber Elcftriaität 
worüber. Sem Öroßinbuftriellen unb bem Sngenieur gehört bie 23elt. tiefer 23emf beS 
3ngeuteurS fyit in Wlai Ebtb, ber ihm Sa^e^nte lang angehört bat, feinen Sßoeten 
gefunben. $or einem Sabre brachte bie Seutfcbe SerlagSanftalt in Stuttgart bie sBolfÄ* 
ausgäbe feiner „Stf^en aus bem Xagebucb eine« SitgeniettrS" heraus, bie er unter bem 
Xitel: „öinter s $fluß unb Schraubftocf" veröffentlicht hat. SSie fetten fonft ein 
&ud) ift biefeS bom £eben geboren, in ibm fpiegelt fidj in einteilten, unb immer 
großen 3"Ö"t baS getoattige fingen imfrer 3^it um bie tfräfte ber Statur unb bie ©üter 
ber Erbe tüiber. Bie ber Untertitel febon anbeutet, gibt Euth in biefem Stiebe Eriime« 
rungeu au« feinem reieb betuegten 3ngeuieurleben, baS ilm ^terr)iu unb Dorthin berfeblug. 
2flit fmnenben Slugen fiebt er jurücf auf bte Erfahrungen unb Erlebniffe guter unb 
fcblimmerer Art, bie eS ihm gebracht hat, ein fettes, heiteres £aa)eln hufdjt oft genug um 
feine Sippen, unb in ben Augen ift ein lacbeuber Schein, wenn er üon manchem luftigen 
Streich ober biefem unb jenem erzählt, ttxiS bamaiS ihm üielleicht bitter emft toar unb 
baS fchtüer gemadjt hat, fcute ato, im Alter i'tberfdxtut, biel uon feiner bitter* 
ttis unb fernem Erttft eingebüßt bat. ES ift ein ftitteS unb freies, ein frohes unb betmod) 
tiefemftcS, ein lebeuStoeifeS unb frifchlebenbigeS öud), bem jeber, auch wer nicht Sngenieur 
ift, genußreiche unb getmimbriitgeube Stuubeit banfen h>irb, roemt er eS jjur &anb nimmt 
unb bie Erlebniffe biefeS Sid)ter=3ngenieurS an fich borübersiehen läßt. 

Senn baS ift gewiß: ein Std)ter war 9)ta£ Entf). deicht, luctl er gtoifchen bie ein* 
wehten Erinnerungen ein paar ©ebiebte eiugeftreut bat. 3cb bin überzeugt, \wß nicht 
aücS, was er uns in feinen Stilen borplaubert, in SSirKichfeit erlebt unb manches nicht 
fo erlebt ift, toie er eS erzählt Ueberaff fpürt matt bie ntnbenbe, bie geftalteube §aub 
beS Richters. „Sraum unb £eben fließen in eins, ber eitrigen Bahrhett etttgegen," be= 
feitut er in feinem Scblufjgebicbt unb tüill biefe äBorte roohl auf baS ganje 8uch 
angetüenbet rotffen. Qfant ats Siebter aber unb frei üou eigenen Erlebniffen 
gibt fich ber ant 25. 3luguft o. 3. üerftorbeue üt bem SSerfe, baS er noch to§ 
feinem Xobe oollenben burfte, in bem Vornan: „2)er Schneiber Don Ulm. Öefchichte 
eines äroethunbert 3ah^e 31t früh geborenen." (Stuttgart, Xeutfche $öerlagSanftalt) ®ang 
freilich fyit (Stith bei feinem @d)affen bie 2Strflichfeit beS £ebenS, an bie er ftch fyüXtn, 
t>on ber er fief) tragen laffen fottnte, nid)t entbehren mögen, unb fo hat er fich f«f feinen 
Vornan einen hiftorifchen Stoff geioal)lt. £ubmig 3llbrecbt Serblinger, ber ©chneiber »on 
Ulm, ift eine ^iftorifdt>c $erföulid)(eit, er hat gelebt, hat gefdjneibert, ift geflogen. ES 
eriftieren, tm'e ber 2>id)fer in bem einlettenben i^itel erzählt, Sc^ugSnotijen über 
i^erblinger, Spottgebidjte, fehr genaue Stilen feines lächerlichen ^ugapparateS, hanbfcbrift= 
lidje Aufzeichnungen über feine (Geburt, fein §erfommen, feinen fiebenSlauf, fein trauriges 
Eitbe. 3lber man mufe baS ^ud) sur &aub nehmen unb fehen, itxiS ber Siebter 
aus biefem SHohftoff gemacht hat, nrie trefflich eS ihm gelungen ift, feinen gelben aus feinem 
üDWteu, aus feiner 3^it, aus all ber Kleinheit unb Enge fetner Skterftabt herauStoachfen 
Sit laffen, toie fein er nicht nur ben äußern £ebenSgang beS ErfinberS, bie Hemmungen, 
bte ihm uriberfuhrcit, bie ^ionfliftc, in bie feine ber 3ett öorauSeilenben 3beeu ihn fritr^teit, 
barsuüelleit gemußt hat, man muß aud) tiefer bringen unb beobachten, mit melcher Sicher» 
bett, mit toeldier 2Öärme unb Anteilnahme bte innere Enhoicflung biefeS merfmürbigen 
9}kuicheu gejeidiuet ift, toetm mau ben 2Bert biefeS Cornaus gang erfaffen toill. Saju 
fommt noch, baß ber Sidjter eS oerftauben bat, ein beloegteS unb farbiges #ilb ber 3^tt 
um 18(K), ihres XenfenS unb EmpfinbeitS, t^rer 3erriffenheit unb SSerroirnmg, Ernicbris 
flitttg unb Sdjmach Mi geben, fo baß man ben „Sdmeiber Don Ulm" getroft gu bett heften 
hiftorifchen 'Jbmatteu beS legten Sah^^hnteS rechnen famt. 



3Huftrierte Bibliographie. 



tüB Wattcvfiovtt. Son ©nibo 9tet). Sortuort oon (Sbmonbo be&micis. ©eologifdje 
(Läuterungen Don Stttorto 9ioöarefe. Xeutfdje Ueberfefcung üon Ctto £aufer. 
iöftt 37 Sndjnunqcn üon (Sboarbo föubino unb 11 Slbbiibunqeu nad) pljotogrcujfjifdjen 
2lufnaf>men. — (Stuttgart unb £eip*ig, 2>eutfd)e SBerlagSanftalt. 

3mmer gröfcer luirb bie 3a# bcr Cpfer, bic aCtjä^rltd) bec SllpimSmuS erforbert, 
unb ban mau Don biefen Opfern meift fageu mufc: Tie finb in friooler Seife unb umtüfc 
bargebraebt, erhöbt tu ben (frttrüfteten bie Erbitterung, unb fie, bie bem Alpinismus ferne 
fteben, madfjen biefen ©port üerantroortltcb für bie unfinnig.: 25agbalfig£eit einiger feiner 
Si'mger unb für beu unoerantiDortlidjen £eid)tfinn ber fielen, bie ntctjt« mit tfjm gu tun 
baben. 27tond)mal ift eS aud) nrirflid) fd)»oer augefiebts ber blinbumtigeu Morbfud)t gipfel* 
ftünnenber Sergfex;eu unb ber uuangeuebmen Stenominiftereten umgbalftger .slletterpro&eu an 
eine stulturmiffiou beS SlipiniSmuS m glauben unb man m'öcbte ifnt gerne turserbaub gu 
ben übrigen Sports toerfeu, bie ber ISinfeitigfeit ber förperlidjen SluSbllbung unb ber 
geiftigen 3ntereffeu ber mobernen 9ttenfcf)beit Sorfdjub Ieiften. 9lber lüer fefbft einmal 
unter Wäpn fteile ft-elfenpfabe gur ßöbe geflommen, über förnigen @d)uee unb grauet (§iS 
emporgebrungen ift, mx felbft auf boben Wipfeln baS unmberfame ®cfüf>t ber Sergfreibeit 
unb ber friflften Sergetnfamfeit genoffen bat, ber lucift aueb, toaS bem 9llpiniSmnS Bert 
unb Scbeutung uerleibt, ber uiirb üerfteben fönnen, ba& bei&e 3" D * n bergen im 
Serben aufbrennen fann. 

5lu3 foldjer l'iebe berauS ift baS Sud) geboren, baS id) beute anzeigen tt>iff. @in 
Italiener ljat eS getrieben unb uns mit tym eine ber beften 9)tonograpbten über einen 
ein3elnen Serggefdjenft, bie bie alpine ßiteratur überhaupt beft$t. 

(£*S toar auf feiner erften Sllpentour, als (Sjuibo 9tet) baS s Ulatterborn gum erften 
9Me falj, baS 2Jiatterborn, baS feine ßiebe umrbe unb bem er biefeS Sud) gennbmet fjat. 
Son ber befdjeibenen (Spifee eines 3roeitaufenber8 zeigte fein Obeim ibm unb feineu Marne« 
raben bei bem erften bellen XaqeSfdjein eines 8ommermötgenS gatn in ber gerne eine 
große, blaue ifyramibe. .siein einiges SBolfctjcit trübte ben SlttSblicf: „3>aS bort ift baS 
SKatterborn!" bie& es, unb ein Sdjauer oon Senmnberung fam über bie jungen (Seelen, 
als bie jungen 3lugen biefen eigentümlichen, äugefpifcteu Serg fallen, ber auS ber unenbltdjen 
Spenge ber anbern Serge* benwrragte. 

Son bem Xage an war bie i'iebe *u biefem Serge in ÜtettS -Viersen, unbenm&t erft, 
aber bennod) ftarf unb innig; aHmäblid) aber lernte ber uwebfeube ®eift ben Slbel unb 
bie ©röße biefeS SergeS begreifen, unb mit biefem Segreifen nmdjfen aud) Settnmberung 
unb l'iebe. £iefe l'iebe gab $et) baS % (SinSfein mit bem Serge, baß ber Serg ibm ehoaS 
£ebenbigeS unb eine ^erfönlicbfeit tüitrbe. ©ie aud) bat ibu befiiljigt, aud) unS, feinen 
£efern, Den Serg 31t etioaS £ebenbigem unb einer $erfönlid)feit w macbeu, bafe \mr, aud) 
tüenn luir baS Watterbont niemals gefehlt baben, in ein perfönlid)es SerbältniS 311 ibm 
treten, eS lieb geleimten, il)in na*]e fommeu m5d)ten. £aS \mii mir bie föftlicbfte SSirfung 



^28 tforb unb Süb. 

biefeS präd)tiaeit Söiicf»cS fcfieinen. "£tx 33erfaffer aber tmtrbe trofe aller ßiebe unb S8c* 
tounberung bieS nicf>t %\x Birten bermögen, toeun er md)t feföft eine ^erfönlkffett unb 
innerütf) reid) toäre. (Sbmonbo be SlmiciS fdjtlbert if)n in bem SJorioort folgenberma&en : 
„3u imferm Sflfrtmften vereinen fid) ber$id)ter, ber 2Mer, ber Genfer, ber Patriot; ein 
(Semiit. ba« allen eblen (SmDfiubungen offenftefjt, ein ©eifr, bem jebe neue @Tferattn& 
teuer ifr, ein 58eobad)ter, ber auf ben Sergen, toie er in bie SSeite bücfr, um ftd> unb in 
fid) taufeub $ingc entbeir, bie ben meiften verborgen bleiben unb bie ifjm baju bieneu, 




DU 3rurggen«r 6$ultei. 
Hu&: „Das Watter^orn". 'Con (Bufto «Reg — Stuttgart u. Ceip3ig, Deutle Sfilagsanftalt. 



fein eigenes SSiffeu au eilocitem unb, lebenbtg unb liebeöott bargelegt, anbre gu feto* 
fränbigem !Racf)benfen anzuregen." 

3n ben einleitenben ttapiteln fd)ilbert (ftnibo föet) bie nädjfte Umgebung, aus ber 
fein !öerg, ftof* unb einfam unb fjerrlicf) fon GJeftalr, empornxidjft, fdbitbert ba8 SItolf, ba3 
an feinem J?ufte tooöute, toie e8 geroefeu ift, efee uod) baS SMtcrhörn „ber Segen unb ber 
fönfjm beS XaleS" lourbe. 5lrm unb bebürfntöfoS, rauft oon 5(rt unb Sitten, öott be« 
(Glaubens an liefen unb 3tüerge, ©Ifen, fteen unb tfobolbe, ein Söolf fiifjner 33ger unb 
fdjtueigfamer Birten, erfdjetnt e3 un8 ioie ber il J erg, ber fie überragt unb 31t bem ne auf= 



ZJllnjtrterte Bibliographie. 

blkfen in abergläubifcfjer 6d>eu, wie ein (Stücf S'lahir. 3n anbent Kapiteln füfjrt un« 
*Ret) bie (Srftetgung8gefd)id)te feines Serge» bor, t>on ber 3«t an, ba be Sauffure nnb mit 
ifon md)t nur bie umtoofmenben 2lelp!er ba5 3Jtotterf)orn für unaugänglid) hielten, bis jwr 
©efd)id)te ber beiben ^ufc^t unternommenen $erfud)e, bie faft gu gleidier 3*jt bou ber 
italieniidjen unb fdjroeiäerifdjen (Seite unternommen uwrben unb mit 6ieg gefrönt roaren. 
$>iefe @rfteigung8gefd)id)te fonnte ter SBcrfaffcr auf ©runb roertootter ^ofumente fdjreiben, 
bie einzig er in Jöänben 6atte. 2a tauten Manien auf, bie mit eftemen ßettern in bie 
®efd)td)te bc8 8tfpmiSmu« eingegraben finb, unb @eftalteu werben lebenbig: tffi, faxt, üott 
fjofcr 23egetfterung unb eifemen SSitten«. Samt berietet töct) oon feinen eigenen Watter* 
Ijornbefteigungen unb üon feinem @udjen nad) neuen $faben auf ben müftfam unb nad) 




va% Ätr^Ieln oon Sreutl. 
flu» : „*)a* SRatter&orn." Eon (BuiDo «Reg. — Stuttgart u. Geizig, Deutfd)« «Derlagsanftalt 



langen kämpfen eroberten ©ipfeL „Ta8 finb" - fo fdjreibt Stattete im SBormort — „bie 
fdjönften 2(b[dmitte beS 23udie3, bie burdj bie ftraft unb 2lnf#aulid)feit ifjrer ©d)ilbe= 
rungen uns oöttig ber Jäufdjung Eingeben, mir felber fofgen (stritt für @d)ritt bem 
tüfjneu Sttpiniften. $>ie gans einzigartigen pftid)ifd)en $f)änomene, tute fic bie Stnftrenguugeit 
unb ©efafjren fötaler £cd)gebirg3touren im ©efofge Ijabeu, werben mit fotrfjer <3d>ärfe unb 
(£tnbringlidjfett analtrfiert unb roiebergegeben, bafe mir mit ifom üor einem gefäfjrltdien 
Stritte innehalten, ba$ ©raufen bes STbgrunbeS füfjlen nnb für fein ßeben Ottern unb, 
fefjen mir ifm entronnen, aufatmen unb uns freuen wie über einen eigenen <3ieq. £a8 
gati^e ©ud) fjinburd) toedjfeln, bem rafdjen 2Bitterung3umfd)(ag in ben 2flpeu bergleidjbar, 
Stöfcfblicfe auf Siege unb 9Meberlageu, lad&enbe unb büftre Sftaturbilber, (Spifoben fyeitrer, 
trüber unb fürdjterlidjer Slufftiege unb baäroifdjen natürlich eingeftreut SBefdjreibungeu nnb 



^30 Horb unb 5Hb. 

23ertcf)te, ©efajidjte unb Sgoefie, SReflesion unb 2lnefbotifd)e3, alles, roie üerfdneben aud) 
nad) gorm unb 2lrt, 3cuflitiffc für bcn bctocglidjcn unb Warfen ©eift beS SBerfafferS, bat 
alles %n ©ebanfen anregt unb ber aus allem für fidj unb für bie anbern eine ßefjre 
fdjöpft." $a8 lefetc Kapitel, ba8 Erläuterungen über bie Ökologie be8 SJiatterljornS bringt 
unb üon SUttorio ftoüarefe gefd)rieben ift, üerüollftäubigt baS SSerf ©uibo ditiß unb er* 
fßf)t feinen Bert. 

£em iöudje finb 37 Sttobnumm Don (£boarbo 9htbino beigegeben, bie uns nid>t 
nur baB 3Jtotter&orn üon allen (Seiten mit Münftleraugen gefefjen üorfüfcren, fonbem and) 
bie nädjfte Umgebung be8 23ergriefen feftfjalten. ©in Jett ber @infa>altbilber ift auf 
bunöem Karton befeftigt, ber bie SSirfung toefentlid) erhöbt $>ie $erlag8bud#anblung 
fjat baS gebiegene 23er! in gtoar einfadjer, aber üorne^mer 2lu8ftattung auf gutem Rapier 
gebrucft erfochten (äffen unb fo aufä befre aud) für ba8 ©euxmb geforgt. A. F. K. 




Das «BreuÜjod) 

%u*. „Das «Olattet^om." Eon (Buibo 9tet). — Stuitgart u. ßeipjlg, Deutföe «Berlagsanftalk 



Santc in einer 2lu8toaf)l aus ber „©öttlicben Momöbie", ber „Vita Nuova" unb beut 
„siansoniere", berauSgegeben unb überfefet üon s Jtid)arb 3oogmann. (23üdjer 
ber SSeiSfjeit unb «Scftönbeit. JSerau&gegeben üon (Smil gretljerrn 
ü. ©rottf)U§. (Stuttgart, ©reiner u. Pfeiffer. 
£ante totrb mein* gerühmt als gelefen unb üerftanbcn. Cbgleid) feilte 20 üollftanbige 
beutfcfje Ausgaben üorljanben finb unb üon 1891—1900 ca. 4500 SBeröffentlidmngen über 
btefeii £id)ter erfdjienen, ift er ioeber allgemein befannt nod) beliebt. 3Barum? SR. 3- 
gibt in ber Einleitung feiner 2luSlöar)t auf bie ftrage folgenbe Slnttoort: ,34 glaube üon 
Seit Dielen ©riutben hierfür ben einen in ber irrigen, aber toeitüerbreiteten 3lnfta}t be$ 
^ubltfunrä 3it finben, bafe man e§ mit einem religiösen ©ebid)t *u tun §abe, bannn Ijalt 
man e8 üon üontfjerem für Iangtoeilig. ©etuifc, man brauet nid)t alles an ber ©örtlichen 
Stomöbte 31t berounbern, fo g. 23. bie ja^lreid) eingeftreuten Sfllegorien, eigentümlidj totrb 



Bibliographie. 

mannen £efer ötcUctcf)t audj bic SBerquicfung Don (Sljriftentum uub fjeibmfdjem SSefen 
anmuten. Ber aber tiefer in ben (Seift ber granbiofen £id)tung eingebrungen ift, b& 
tnerft balb, bafj es beS 2>itf)ters Slbflcftt ift, oom rein menfdjlidjen ©tanbpunft auB baS 
ßafter unb bie Xngenb gu geigen, gletdjöiel, ob es fid) an amftttdjen ober f)eibnifd)en 
SBeifpielen nad&toeifen läßt. Unb fo ift alfo bie gro&e SStfion !eiu religiöfeS ©ebid)t, fein 
etf)iftt)e3, fein fatirifdjeS, poütifdjeS ober bibaftifdjeS, fonbern baS atteS gugleid)! (SS bre^t 
fid) um $ante als äRtttelpunft unb tjanbelt trofebem nidjt bon einem 3)cenfa>n, fonberu 
mm bem 2fteufdjen — nidjt oon einem eingehen, fonberu oon ber gefamteu sfltenfdtöeit, 
bereu <Seelengefdj icfjte es gum 3uf)alt fjat unb looburdj es gum uuiöerfeUften ©ebidjte 




Die $ura>9Up. 

«u«: „$as 9Ratter^orn. M SJon <BuU)o «Reg. — Stuttgart u. Ceip3ig, Deutfd)e <JBerlagsanftaIt. 



atter 3 e ^ c « unb Nationen erhoben toirb." 2)aS begeugt audj bie ©lieberung ber ©ötU 
Hdjen Siomöbie in bie brei ieile: ®ie £ölle. ®er £äuterungSberg. $a8 SßarabieS, 
beren tiefen (Sinn $od)fjammer, einer unfrer bebeutenbften ®anteforfd)er, Kar unb furg toieber* 
gibt: „$ie ,§ötte geigt uns ben ©ihtbenfatt, ber ßäuterungSberg bie SSittenSfreifjeit uub 
baS <ßarabieS bie ©nabemoafjL" $iefeS Öud} foff nur ber Vorbote unb baS Sßorbilb 
einer boffftänbigen tteberfefcung fein, bie 1907 bei Wlai föeffe in fieipgig erfdjeinen, einige 
60 S3ogen, öiele Porträts, 8figgen, Slbbilbungen ufto. Bringen unb bennod) in fd)mucfer 
SluSftattung nur 3 M. foften foirb. (SS enteilt I. 2iuS ber göttlid&en tfomöbie 1. $ie 
§ölle. 2luSttxil)l aus 10 ©efäugen: brei gangen unb fiebeu 23rua)ftikfen. 2. Xcr 
ßäuterungSberg. 2faStoaf)l aus 10 (Befangen: fünf gangen unb brei 33ntd)ftücfen. 



432 



ZT orb unb Sub. 



3. 2aS $arabieS. 2luStoa()l oon 10 boffftänbigen ©efängen. II. 2luS bcr Vita Nuova, 
bcm ßicbcSfriüjling Nantes, bcffcn ßettüre gum äSerftänbniS bcr göttlichen ftomobtc noU 
tocnbig ift, toril bcr gereifte $ante, bcr Wann, ofjne bcii iungcn $ante nicftt begriffen 
toerben fann : Sämtlidje barin öorfommenbe ©ebtdjte, öiele Sßrofafapitel öoffftänbig unb 
bcn Sicft in furger 3nbaftSangabe. III. 5lnmerfungen unb poetifd&er Slnöang gur Vita 
Nuova, 14 Sonette unb 2 ©affaben — meift aus bcm tfangonicre — entl)altcnb. 3>ie 
2luStoaf)l ift bortrefflid), ebenfo bic Uebertragung. % 3- «"tb fotoofjl bcm fjofru ©cift, 
als aud) bcr runftooffen gönn bcr $id)tnng in fenmnbcrmtgStoürbiger SBcifc gercdjt. 
m$ furge Sßrobe nur bic attbefannte ^ffentor*3nfd)rift (III. ©efang): 

£urd) mid) gcfjt'S ein gur Stabt bcr Sdjmergerforneu, 

$urcfo mid) gebt'S ein gu dualen etiler £auer, 

$urd) mid) gefjt'S ein gum &olfe bcr Verlornen, 

(£S liefe gerechten Sinnes mein (Srbauer 

Urliebe mit 2lfftoeiSl)eit fid) berbinben 

Unb feiner Siffmadjt türmen biefc ÜÜtouer! 

SBor mir ioar nidjts (SrfdjaffeneS gu finbeu, 

9118 ßtoigeS — unb etoig bleib aud) id); 

l'afet, bie i&r eingebt, ade Hoffnung fdjtoinbcn! — 
9Jtöge ber flei&tge, tydjbta.aUe unb oft bcnxtfjrte Sßoet, bcn bei bcr Verausgabe nur 
bie 2lbfid)t leitete, bnrdj feine gute Ueberfefcung toieber einmal bic &ufmerffamfeit be$ 
Keinen XeileS bcr beutfeben £efcuxlt auf 2>ante gu lenfen, ber nodj einige» ©efaffen an 
echter, gcbanfcnreidier Sßocfie hat unb fic gu gemefjen berftef)t, für feine müheoolle Arbeit 
rcid) belohnt toerben. N. 



BiMiograpffifdje Honett, 



ttvtffsfdjmrttevUugc unfc WaiMien 
WitMtuv*pa& mit befonberer 33erüc& 
ftchtiguug bcr biologifdjen SSerbciltniffc. 
ßerauSgegebcn öon^rofeffor Dr. $urt 
Saniert. SBoffftrtnbig in 30 ßiefe» 
rungen ä 75 $f. — Gelingen u. 9Jcün* 
eben, Treiber. 

93ou bcm großartig angelegten SSerf 
liegt hier baS 1. ßeft öor. £afc baS (£r= 
fdjeinen eine» foldien SSerfeS ScbürfniS 
toar, mufc gtoeifeffoS anerfannt toerben; 
gubem ift bei üortrefftieber StuSftattung beS 
©ucheS ber angefefcte $reiS ein niebriger, 
fo ba& e8 ber grofeen Stoffe ber (Sammler 
möglich gemacht ift, fid) baS S3ud) angu= 
fdjaffen. Sei bem gewaltigen ftortfebritt, 
bcn bic Stotuüoiffenfdjaften genommen 
haben, fann es bem Sammler nicht mefir 
blofe barauf anfommen, eine möglidjft üott« 
ftftnbige Sammlung %n befiöcn, fonbern er 
toill aueft nad) äffen 9Hcfttungen ^iu mit 
ber Starbrettung, fotoie mit bcm Sau unb 
ber £eben8tt)eife ber Schmetterlinge unb 
i^rcr SKaupcn in offen Stabien pd) befannt 
madjen. ©in 93ucb, baS tote baS üorftefjenbe 
in bem angebeuteten Sinne bie toeitgefjenbften 
2luffcf)lüffe gibt, fann nur mit fjreubc be= 
grüfet »erben, ^an 93crfaffcr ift babei 
für feine aufjerorbentlid) flare, anregenbc 
unb intcreffante £arfteffung befonbere Wn* 
erfennung su goffen. K. 



SBdlb unb «arten. $on ©ertrubc 
Öefttir. 9ladj ber 10. Auflage bcS 
engtifd)cn Originals übcrtrafjcn oon ®cr« 
trub öon Sanbcn. — ßei|)gig, 3uliuS 
Öäbefcr. 

3n einer fa^licbt gehaltenen ©inlettnng 
öcr^c^It ftd) bie Scrfaffcrin uiebt, Jba& e« 
SU bcm bon tr)r getoäbltcn %fam bereits 
triele auSge^eidbnete $üa>r gibt; inbeS i^re 
^Pafrion für bie ©artenarbeit, ber fic RA 
burd) nafjegu 30 Sa^re getoibmet bat, liefe 
bod) ben ^ntfc^luft in üjr jur ^eife gc= 
langen, nad) einer gang befonberen 3ltcbrung 
bin ifjre im englifdjcn ©arten gefaramelteu 
©rfabruugen gum ^UtSbrucf gu bringen. (£8 
fam ifjr barauf an, in bcr ©artenfanft auf 
bie fdjone SBirfung befonberen Slacbbrucf gu 
legen — ein (bebtet, auf bcm fic fid) am 
öertrauteften füljlt. Sie hnff ©arten unb 
toalöigen 25oben malerifa^ bebanbclt fefcn, 
baitt)tfäd)(ia) mit breiten Sirfungcu unb 
erft in gtoeitcr ßinie mit fdjönen ßingd* 
Reiten. Üeine (Sffeft&afdjerei, fonbern £wr* 
monic, namentlidi in färben. 3n fe^r 
intcreffantcr £arfteffunq, aus ber überall 
bie £iebe für bcn ©arten unb bie $affion 
für bie ©ärtnerei burd&Ieucbten, ^at bie 3kr= 
fafferin fid) gunädjft ben cingclnen Dlonatcn 
bcS 3abreS gugetoanbt, als ©runblagc für 
bie in ben berfa)iebencn ScibreStftten mxkö* 
fenben unb blü^enbcn fangen. S^nfd)lie6enb 



Bibliograph 

hieran folgt eine föeifje weiterer Kapitel: 
„©ro&e unb Keine ©arten, Anfangen unb 
ßernen, Blumenrabatte unb Pergola, ber 
Skimelgarteu, Blumenfarben, bie aDüfte be« 
©arten«, bie Anbetung falfa>r ©otter, Mtiu 
fetten unb Abarten, Unfraut unb ©ift* 
Wanden, ba« 2lu«beeten unb fein ©nffufe, 
©erren unb Liener." — $ie auf foliber 
totffcnfd>aftltcr)cr Bafi« ftebenbe, mit reieb* 
Iid)en tantniffen öerfebene Berfafferin 
toeifc alle biefe ifcntata in reebt anfpreebeu* 
ber SSeife %u bebanbeln. 2Ba« fte über bie 
ÜDtobe in ber Blumenfuttur, über ba« SBrctö= 
au«ftelluitg«mftem unb über ba« Beftreben 
fagt, mdflticftft grofee unb mäcbtig augfefoenbe 
Blumener£mp(are, obne TOrfftdjt auf 3 dfön« 
Öeit, &u bebten, ift febr toabr unb beaebten«* 
nxrt. 2lm Abluft ift ein föegifter beige* 
geben. £a« umfaugreidie (252 gut 
überfefcte unb au«geftattete, mit gablreicben 
5tbbilbunflen, nad) Pbotograpbieen ber Skr* 
f afferin, öerfebene Bud) fei nid)t nur ©arten« 
freunben unb ©ärtnem, fonbem aud) atten 
9toturfreunben hiermit beften« empfohlen. 

K. 

3ttfcieit, ein Bud) für SHeifenbe unb 9tfd)U 
reifenoe. Bon Statbarina 3ite(« 
mann. — £eipjig, 23oerl« föeifebüdjer* 
Berlag. 

$ie Berfafferin bat e« fieb gur Aufgabe 
gemad)t, eine möglidrft getreue Starftellung 
öon bem alten ©unberlanbe 31t geben. $a 
bie großen, toiffenfdiaftlidjen SBerfe über 
3nbien bem grofeen publifum toenig ober 
gar lticftt gugängtidj finb unb in ben öor* 
banbenen Steifebefcbreibungen meift bie per* 
fönlidjen ©rlebniffe im Borbergrunbe fteben, 
fo ift bie Berfafferin beftrebt getoefen, gleiaV 
fam eine ©rgänsung 31t (f 9Jlurrat) , S" unent* 
bebrlitbem fjübrer burä) 3nbien geben 
unb fomit eine üorbanben getoefene £ücfe 
auffüllen. (58 ift bie« ber Berfafferin 
üortrefflirf) gelungen ; man lieft ibr anre* 
genb unb angiebenb berfa&te« Bud) mit 
fteigenbem Sntereffe. $a« Bud) ift in brei 
Wdmttte gegliebert. $er erfte 2lbfd)nitt 
entbalt ^raftifdie«: „ftatfebläge für eine 
föeife nad) Britifb 3nbien (3ett, Soften, 
Stampferlinien unb greife, 2lu«rüftung, 
(Smpfeblungen, 3oÜ, Slnfunft in ©Ifen), 
fteifepläne, ©ifenbabnen, ©otel« unb $iener= 
febaft." 3m *toeiten 5lbfcbnitt ttrirb Allge- 
meine«" bebanbelt — ttultur unb Religion, 
5lbri6 ber ©efebiebte, grauenleben, ißeft unb 

ttigtene, handle unb Sanbtoirtfdjaft , 
:eurfdje in 3nbien. £er britte Slbfcbnitt 
enthält bie <Sd)ilbernng einer SHeife burd) 
3nbieu mit Berübrung ber jpauptftäbte 
Bombat), Slbmebabab unb 3ripur, £elf)t 



fdje Hotten. <*33 

unb 6im(a, Stmritfar unb £aljore, 2lgra, 
Benare«, Bubbfjatw, Sfalfutta, $erjerling, 
am @d)(u6 bie Bräftbentfd)af t Sftabra« unb 
ibre ^mpel. 5luf ba« gut au«geftattete, 
mit einigen bübfcbeu v ilbbilbungeu unb einer 
tfarte \>on Sßorber=3«bien oerfebene 23ud) 
fei bienuit in embfef)(ciiber SSeife auf« 
merffam gemaebt. K. 

Wemoircn cincö vitffiWcit KcUdlu« 
tiöttärö. 23on $Vürft % itrapotfin. 
3)Ut Sßortoort öon ©eorg Branbe«. 23olf«* 
angabt. S^tl Xeile in einem öanbe. 
(Stuttgart, Berlag öon Robert 2u$. 
$)ie merfioürbige ajlitbe unb iltube, bie 
fo oft au« ber ^erfönlicbfeit großer Männer 
ber Xat m un« fpriebt, atmet aud) au« 
3-ürft $eter ftrapotfin« ©elbftbiograpbte. 
35te« Bucb ift toobl in ^onn unb 3«balt 
ba« bebeutenbfte Wemoiremuerf ber legten 
Sabre, unb e« ift öon einem 3beatiften ge^ 
fdirieben: ber £aud) ber ®ü)igfeit locftt über 
alle« 3citticöc r>iufort. 2>ie föbarafter^eia> 
nung aller bi« oor turpem nod) maftgeben* 
ben rufrtfeben $erfdntid)feiten f bie $ßorträt« 
ber ^aifer Slleranber II. unb III. unb 
ibrer ©ünftlinge finb febarf umrtffen. 3)er 
SBerfafTer flogt nie an, er jammert nid)t 
laut über bie ©reuel, bie er erleben mu&te, 
er beridjtet nur. §lber fein Vornan fönnte 
fpannenber unb rü^renber fein, al« biefe 
fd)lid)te Sabrbett. ftürft .topotfin, ber 
Wlaxm, bem bie 23iffenfd)aft ba« ©öcbfte 
ttwr unb ber feinen tarnen an ibrem 
Gimmel eingefebriebeu, fjictt c« für feine 
erfte ^flicbt, feinem unglürflid)en Bolfe ficr) gu 
opfern. 2Bie er bie« getan, toie oiel er ge= 
litten, möge ein jeber felbft au« feinem berr* 
lidjen Bucbe lefen. öobltdtig tcrür)rt ber 
Optimi«mu« be« prften. 3n feinem Iefeten 
Kapitel gibt er, ber (sogialift, ber Hoffnung 
5lu«brucf, bafe ftd) eine 9teöolution im 
<Sinne einer tiefgreifenbeu, reifeenb fd)iteU 
pcb enriüirfelnben ^eugeftaltuug glürfliai 
oollgieben toerbe. 5lucb meint er, ba& fieb 
ein toeit tiefere« Berftänbm« für bie not« 
toenbigen Slenberungen geigen tüirb, al« e« 
je nxlbrenb ber legten fea)« Sabrbunberte 
ber Sali loar. M. Kr. 

Xuvcb ^nnlanbö S^ticefelbev iit bie 
»eftnna ftbcvfon. Bon Dr. 2ldi= 
fdf)arumoiu. Breslau, ©cblefifcbe Ber= 
lag« 5 2lnftalt ö. e. (Scbottlaenber. 
Sa« bünne Bänbdjcn bebanbelt bie ©r* 
lebniffe Slcbfcbarumom« auf bem Transport 
üou Petersburg nacb S^erfon unb biejeuU 
gen ber erften 2age, tueldjc er im bortigen 
3ud)tbaufe jubraebte; — biefe (Srinnerungeu 
ftammen au« bem Safre 1850—51 unb 



W tforb n 

finb bie ^ortfeöung feiner üttemoiren aus 
bem 3aftre 1849. damals fear 5lcbicba= 
rumou) ber teilnahmt an reoolutionären 
SPeftrebungen öerbäcbtigt, gum £obe üerur= 
ttiii, im legten 3ln«ciib£tcf jeboeb begnabigt 
toorben. 9ftan lieft biefe Säuberungen, als 
banbefte cS firfj um burcbauS aftuelle ©r« 
lebniffe, benn noch ^eut ift bie 2lrt ber 
^erfebtefung biefelbe geblieben, unb noch 
immer berrfdien biefelben 3"ftänbe in ben 
ruffifdjen ©efänguiffen, urie man fieb aus 
XarftcHungen ber mobernften ruffifdjen 
Tutoren überzeugen fann. $aS Such bürfte 
allfeitigem Sntereffe begegnen, unb tnäre bie 
Ueberfefcung ber, nrie anzunehmen ift, weiter 
fortgeführten ©rtmterungeu gu toünfcben. 

mz. 

3ö?c*>f> &at)fctt. Söon ßeobolb Scbmibt. 
(berühmte ÜDhtftfer. £eben&= unb ©baraf* 
terbilber. herausgegeben öon £>einrid) 
SHeimani?. 2?anb III.) 2., Dom Serfaffer 
reöibierte SluSgabe. — Söerlin, m §armoe 
nie", SßerlagSgefeüfdjaft f. ßiteratur unb 
Sftmft. 

©ine 33eranlaffuug, bei ber 2. Auflage 
burebgreifeube 9Ienbentngen im Xerte öor* 
gunefjmen, lag nicht t>or; jebod) unb ge= 
Iegentlidje Reine Srrtümer berichtigt unb 
bie SRefultate neuerer Oueffenforfdmngen 
forgfam gebucht roorben. $ie 23cr^cirf)itiffc 
ber SSerfe §at)bnS bingegen finb öielf ad) 
Derbeffert unb ausführlicher acftaltet toorben. 
üftameutlid) ber $1 atalog ber Sömbbonien bat 
in ber neuen «Jaffung toefentlid) gewonnen; 
man finbet barin 144 Berfe, nach £on= 
arten georbnet, angeführt unb gugleicb ge= 
nau angegeben, too bie üUtonufrnpte unb 
Originalftimmen aufbetoabrt »erben unb bei 
toeldjen Verlegern bie s $artituren unb 
Drdjefterfttmmeu, fomiebie 2, 4 unb 8bän* 
bigen ttlaöier=5(rrangementS erfebieneu finb 

E. B. 

$vatoed Stellung in ber &cnt?d>cit 
Ctteratm*. ©ine Stnbie öon Dr. 5lrt§ur 
<ßlod). ßetp*ig, ff. ©. Zi). Srfjeffer. 
3u ben ©öfcen, bie bie literarifdje !He= 
öolution ber adliger «Sabre beS oorigen 
3abrf)unberts an bie Stelle ber bis babin 
öerebrten (Sötter fefcte, gehört auch ©rabbe. 
©r öor allen begeifterte bie mobernen 
Stürmer unb Xränger, fo baft feine 23e* 
beutnng unb fein ©influk auf biefe letzte 
ßtreraturbetoegung fid) nicht beftreiten läfjt. 
Xie ??rage, tote ©rabbe gu beurteilen fei, 
ift baher öon neuem aufgetaucht unb bat 
eine gange eingabt öon Schriften zutage ge* 
förbert, bie aber meift einen febr einfeitigen 
Stanbpunft, nämlich ben ber unbedingten 



nb Sfib. 



Verherrlichung einnehmen, ohne babei neues 
literargefcbtdjtltd) toicbtigeS Sftatertal gu 
bringen. (SS tft baber febr banfenStoert, 
baft 5ßlod) in ber öorliegenben Schrift eine 
auf reichliches, neues Sttaterial geftüfctc 
toiffenfdjafrltcbe Unterfucbung angeftellt bat. 
©ine eingebenbe SBürbigung beffen, UjaS ber 
Serf. auSfiUjrt, fann nur eine »faebgeitfebrift 
bringen. 9tef. muß ftd) barauf befebränfetv 
o^ne nähere Söegrünbung fein Urteil a&3U= 
geben, baS er aus ber Seftüre ber Schrift 
gemonneu bat. 3)ieS täftt fich furg fo gu= 
fammenfaffen, ba& barin baS SBefte öon 
bem fteht, toaS bisher über ©rabbe ge- 
fdjrieben ift, unb toer nicht auf bem ein* 
feitigen Stanbpunft ber unbebingten 3kr= 
ehntng ober SSertoerfung ©rabbe^ ftebt 
toirb bem $erf. in feinem ©rgebnis folgen 
muffen: „9(ucb ohne für ©rabbe äufdjtwh:* 
men, fann man boch in biefem excentric 
man ber beutfdjen Literatur eine bichteri= 
fche ©rfdjeinung fehen, mit bei fich gu be* 
fchäftigen immer Iohnenb bleiben tirirb. 
^aS le^te SBort über ©rabbe toirb nicht 
ber ßiteraiurforfcber, fonbern ber %T*t %u 
foreeben haben." 3>tc anregenbe Schrift ift 
jebem fiiteraturfreunbe, inSbefonbere bem 
Verehrer ©rabbcS gu empfehlen, ber gu 
einer gerechten unb richtigen ^Beurteilung 
beS SHchterS gelangen toiff. £er SßreiS 
öon 2 Wlaxt ift im SSerbältniS gu bem 
reichen Snhalt als fehr befcheiben gu be= 
geichnen. H. Sch. 

In Omnibus Charitas. Vornan öon 
9ft. SoröuS. Witt 3Hufrrationen öon 
2flet)er=25egener. Breslau, Schlefifche 
a3erlagS*2lnftalt ö. 6. Sdjottlaenber. 
©tu gut gefchriebeneS Such, toelches uns 
bereits in gtoetter Auflage öorliegt, unb 
bem U)ir bie meitefte Skrbreitung lbünfchen, 
bauptfächlicb als fieftüre für bie reifere 
Sugenb. — In omnibus Charitas — in 
allem bie &iebe — im öorliegenben Salle 
hanbelt eS fich um bie bulbfame fiiebe 
gtntfdieu ben beiben ftonfeffionen, bie in ber 
3cit ber febroffen fonfeftlonellen ©egenfa$e 
in einem faraufbefebtoorenen Jilonflifte in 
burdjauS öomehmer unb fnnüxtthifcber 
2Beife betätigt toirb. — Dk Scbtlberungen 
ber £anbfchaft unb ber altertümlichen Stobt 
finb mit lebenbiger 2lnfchaulid)feit unb fein* 
gebilbetem Stilgefühl gefebriebeu; bie Skr* 
fafferin — toir öermuten eine toeibUcbe 
fjeber — hinterläßt ben ©inbruef einer 
burchaus harmontfehen ^erfönlicbfeit, unb 
biefe ©igenfehaft überträgt ftc auch auf bie 
öon ihr bargeftellten weiblichen ©haraftere. 

mz. 



*35 



tit Stallt M Scftettd. Schilberungett 
cntö bcr giorentinifchen föenaiffance. Gon 
3folue .tur &. 8. StufL Stuttgart* 
Gerlin, 3. ©. Eottafdje Guchbanblung 
Nachfolger. 

£er 9tome bcr Gerfafferin ertoecft grofce 
Ermarhmgen. 3Wan hofft „bie Stabt be« 
£eben«" neu erflehen gu feheu. $iefe Hoff- 
nung mirb nicht boffauf erfüllt; bic SMditerin 
geigt ftd) hier bon ber Seite einer Hilgen, 
fühlen (£f)nmtftut. (Sie berietet, ©efehmaef« 
Doli unb fein toeife fie au* Entfefcliche« 
miebergugeben, unb ihre eigene toarme $wtft= 
freube enthüllt ftdj bei jeber Sdjilberung. 
$em Gudfre finb 15 8bbübungen mitgegeben. 

M. K. 

«in UftfAie*. Lobelien unb Erzählungen 
üon Dagobert bon ©erwarbt« 
2lmbntor. Grc«lau, Schleiche Gerlag«* 
Sfaftalt b. S. Schottlaenber. 
$er befannte unb beliebte Gerfaffer 
fefct an ben Sd)Iufe ber borltegenben Samm* 
lung ein 2fl>fd)ieb8mort an feine ßefer, an 
melche« mir nicht recht glauben moHen. 
$ie fecb« Erzählungen, toeldjc bie berfebie* 
benften Stoffgebiete umfaffen, bon ben Gegeben* 
Reiten au« feinem eigenen Offigier«Ieben 
angefangen bis in ba« SJtörcbenlanb ber 
Sßoefie, geigen burchew« biefelbe grifdje unb 
Urfprünglicbfeit feiner Sugenbmerfe, mir er* 
märten beSfjalb bon feiner ungeminberten 
Scbaffen«fraft noch manche» erfreuliche 
3e*i<hen. mz. 

«eue Schulgf Richten. Gon Silke 
giiegel. (Seutfdjer grauen ©emüt unb 
J&umor. Ganb 4.) — Gerltn, „£armo* 
nie", Gerlag«gefell. f. Literatur u. Sfirnft 
Unter „S^ulgefchichten" pflegt man ftd) 
im allgemeinen recht luftige, ^umorifttfe^e 
$)inge borguftetten; unb in ber Xat hatte 
ba« früher bon berfelben Gerfafferin er« 
fdjienene Gud) „ftlaffe IB." bem Weiteren 
©eure angehört. &ier aber, in ben „Neuen 
Scbulgefdn'chten'' berfteht e« bie Gerfafferin, 
auch ba« Ernfte au« ber Schule berau«gu* 
holen, ba« Siefernfte unb gum Xeil Xief* 
traurige, ba« ein liebeboll einbringenbe« 
Singe bei «Schülern mie bei £ebrern gu ent* 
beefen meift. Eine föeifje trefflich gemäblter 
$t)pen au« beiben Kategorien merben in 
fdjarfer unb fräfttger ^eichnung vorgeführt, 
hin unb mieber — m bem Eifer, recht 
beutlich gu geidmen — bietteicht etma« m 
fdjarf, mie g. G. bei ber fleinen 3nge m 
ber erfreu Ergäblung. üRit ooflfter, ergreU 
fenbfter ßeben«mabrbeit ift aber in ber Keinen 
Sfigge „Sie binft" bie fttgur be« Unglück 
liehen Räbchen« aufgefaßt, mit feiner Ge* 

fletb nnb ۟b. CXX. 860. 



obadjtung?gabe ba« berträumte, poetifd) ber= 
anlagte „Saumben". $od) noch höher al« 
biefe Offenbarungen ber berfchiebenarrigften 
Kinberfeelen unb ihre« £enf= unb ©efüfjfö* 
leben« mixhten mir bie beiben ßehrerge« 
fchichten einfehityen: „3)er ^eligion«lehrer" 
unb „mt ba« fo ift." (Srftere eine tfril* 
fpifec Satire, in ber bie Scheinheiligfeit 
unb ihre fdjönen Erfolge an einem mahren 
^rachtejemplare bemonftriert loerben, lefetere 
eine erfchütternbe menfehliche Xragobie, mie 
fie mir allgu oft, unb nicht nur in ßehrer« 
freifen, gur SBirttichfeit mirb. So bietet 
benn ba« in origineller SSeife al« Sdmlheft 
aufigeftattete öüilein einen inneren ©ehalt, 
ber über bie lanbläufigen Schulgefchichten 
meit hinau«reicht. . S. B. 

Srttft unb $\\mov in ftvira nnb 
»rieben, öon (S. o. ^rittmiö, SHUt* 
meifter a. ^. $>re«ben, @. $ierfon. 
w 3)ie 3^it malt anber« al« bie @r* 
imterung. ^ie Erinnerung glättet bie alten 
Saiten, bie 3eit malt neue bagu." 2ln 
biefe« SSort Otto fiubmig« erinnerte mich 
ba« öorliegenbc 93ud). Sein mebr heiterer 
al« emfter Suh^t tt)trb manchem Stlten bie 
galten glätten, aber auch öiele 3«uge er^ 
freuen. @. tt. öerfteht al« ehemaliger 
Slugengeuge großer hiftorifdjer Gegebenheiten 
— ber Schlacht oon Seban, ber $aiferj>ro* 
flamation iu Söerfaiffe« u. a. — oon bem 
xtidytn Sdjaö feiner ©rlebniffe ben rechten 
©ebrauch gu machen, ©r gebärbet ftd) nicht 
al« ftilooHer SchriftMer, er mill nicht be= 
lehren, fonbern nur al« furjmeiliger Sßlaubcrer 
bem £efer eine angenehme Stunbe bereiten, 
^a« gelingt ihm, unb be«halb ftnben feine 
Erinnerungen 5ln!fang unb SBiberhall. 

N. 

ecbeuHe »H&cv, ©Schichten für bie 
3ugenb oon Bertha 2Begner*3cll. 
Wt oier farbigen Söollbilbern unb an» 
bereu 3Huftrationen. Stuttgart, Gerlag 
oon ßeot) unb 9Rüller. SBrei« elegant 
geb. W. 8. 

2)ie oerbieuftoolle §erau«geberin be« 
^Xöchteralbnm«" unb „^ergblättchen« 3eit= 
üertreib", eine unferer bemährteften unb be* 
rufenften SwflenbfchriftfteHerhmeu, befunbet 
ihre 2fteifterfchaft mieber in ben fteben un« 
gemein aufprechenben Erzählungen, bie ba« 
bor un« liegenbe 3ugcnbbud) enthält. $ie 
gütige greunbin ber Riubermelt öerfteht e« 
mit liebebollem Gerftänbni« fich in bie ©e« 
baufeit nnb Empfinbungen ber jugenblichen 
£efer imb fieferinnen gu oerfenfen unb biefe 
burdj ihre ©oben git feffeln, gu erfreuen 
unb gtt belehren, ohne bafe bie Gelehrung 
30 



436 



Horb unb 5ü&. 



cmfbrtiiglicf) totrft. $räd)ttflc 9laturfd)Ubes 
rangen aus bem bcujrifd&cn föodtäefnrge, 
Dorn Cftfccftranbe unb bcr Snfel ßapri bilbcit 
beit überaus reijüotfen $tntergnmb mehrerer 
(5*3äf)Iungett. 3u ben beften SHidjern btefer 
2frt ää&lenb, betten toir auf bem testen 
SBet^nac^töbüdjermarft Begegneten, totrb 
biefeS 3ugenbbud& audj tioit älteren ßeuten, 
bte ftd) ein toarmeS £>erä unb einen 
etnpfänglidieu (Sinn betoafjrt fyaben, mit 
fiodjftem 3ittereffe gelefen toerben R. N. 
SR*i)rimtttefc. 23cm J-erbinaub Don 

Sqo ruft ein. $rama in brei 2lften. 

Stuttgart, ©reiner unb Pfeiffer. 
§err toon ftomftein gibt feinem $>rama 
eine „(Smfu&runfl," in ber er, frei nad) be« 
famtten üJhtftern, ben 3(utor unb bte luftige 
Sßerfon einen Dialog über X&eater unb 3kr* 
leger führen läfet. Xrofcbem unb trofe 
mandjet mobemen Stnf^auung, bie fidö in 
SJtofj&mmebS 3Jhinbe offenbart, galten tmr 
baS £rama nicf)t fite gehmgen. M. K. 

Sjmvett im Sanfte. 9ieue ©ebtdjte öon 
ftubolf $re8ber. 3Jlit S8udrfd)mucf 
oon £. Tl. Gflafc. Stuttgart u. #etlm, 
& ®. Cottas ftadrfofoer. 
(Sin liebes 33ud) Don toafjrer, tt)oblge= 
formtet unb too^gefälliger Sßoeftel SJtft 
föedjt gefjört fö. $1'., olpte firf) mobern ju 
gebärben, gu ben mobernen, üielgelefenen 
S)id)tem. £a3 ©efjetmntö feiner tfunft 
Reifet: 2&tmnt. (SS lommt in ber Sftinft 
ntd)t barauf an, baß ehoaS gemacht, fon= 



bern bafc ettoaS fdjön anSgebriicft toirb. 
BaS $r. oon „(Stoetze in SRom" fagt: 
„STffcn ©öttern geneftm unb offen ©öttimten 
baufbar legft bn beiu fcb'önfteS ©efdjenf bod) 
auf ber ©ra^ien 9tftar," — baS gilt aud) 
oon ifjm feföft. 2Jtog er ftd) melancMtfdj 
unb elegifd), lebenSfreubig unb buntorifttfef), 
fböttifc^ unb trmtifdj geben, niemals toirb 
er langtoetlig ober unfein, fctyßipfrig ober 
gemein. Soft benft au* er Dteiätooll: 
„$em bCü^t bie Siebe, laa)t bie ftimft Oer* 
gebenS, bem ftets baS öer3 nad} neuen 
©ütern brängt ber an ben ©übern frof) 
berraufebteu fiebenS in (Sljrfurdjt mdjt mit 
ganger (Seele l;ängt." 5F6er immer erinnert 
et ftd) loieber baran: baft oon äffen guten 
<Sad)en, bie er foenbet erbentairte, ba$ aö 
befteS uns baS £ad)eu legt ber liebe ©ort 
inS &er*. N. 

Gittfamfettcm Söon ©aus ©rauben» 
bürg. 2Jtünd)en, & 3®. 53onfe(S ©erlag. 
SMe ©ebiebte geugen öon ftarfer, toafjrer 
©mpfinbung; bod) nid)t jebe Gmtyfmbung 
ift poetifeb. £tc8 beftätigt aud) ©r. 
burd) ben SluSruf; „0 bu berflfadjte J«?ün= 
tinuität ber fogenanntett 3ftenfdienfeele, bie 
nid)t eins ift mit ber Sdjönbeitsfeele, ber 
füidbtigften, bcrrlidf)ftcn 2(ugeublicföfeele, gok 
benftem $arfenafforb." ©r öerfte^t mfjl, 
©efüble ober «Stimmungen ttar, treffenb 
unb febbu auSguftnrecben, prüft aber nidjt 
immer ftreng genug, ob fie überhaupt ber 
SSorte toert ftnb. NI 



Übersieht der wichtigsten Zeitsehriften-infsätze. 



(Auerbach.) — Berthold Auerbachs erste 
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Von 

Anton Bettelheim. Deutsche Rundschau 33, 
4 (Janaar 1907). 

Bayle, Pierre. Von Dr. A. J. Susznitzkl. Das 
freie Wort VI, 19 (Januar 1907). 

Bildende Kunst bei den Busch- 
männern. Von Prof. Dr. von Luschan. 
Die Umschau XI, 1 (l. Januar 1907). 

Charakteristische Merkmale der Krieg- 
führung Friedrichs des Grossen, Na- 
poleons und Moltkes. Die Grenzboten 
65, 62 (27. Dezember 1906). 

Christus und die Kritik in der Zeit der 
Aufklärung*. Von Prof. Dr. Rohr. Frie- 
dens-Blätter XI, 4 (Januar 1907). 

Cornelius, Feter, als Dichter. Charakter- 
studie von Hermann 8eeliger. Westermanns 
Monatshefte 51, 5 (Februar 1907). 

Frauenlyrik im Cinquecento. Von Jenny 
Limburg. Die Wage. X, 3 (19. Januar 1907). 

(Friedrich der Grosse.) — König: Fried- 
rioh der Grosse und der Baron 
Warkotsch. Von W. Berg. Die Grenz- 
boten 66, 2 u. 4 (10. u. 24. Januar 1907). 

Goetheerinnerungren im nordwestlichen 
Böhmen. Von Hans Gerhard Gräf. Die 
Grenzboten 66, 1 u. 3 3. u. 17. Januar 1907). 



Haider, Karl. Von Ewald Bender- München. 
Westermanns Monatshefte 51,5 (Febr. 1907). 

(Hartmann.) — Das Lebenswerk Eduard 
von Hartmanns. Von Arthur Drews. II. 
Deutschland V, 4 (Januar 1907). 

Hauptmann, Carl. Eine Studie zur Poesie 
von Herbert v. Berger. Deutschland V, 4 
(Januar 1907). 

In terpretationskunst. Bemerkungen ge- 
legentlich Kleists. Von Alfred Vogel. 
Kunstwort 20. 7 (Januar 1907). 

Jensen, Willwim. Ein Wldroungsblatt zum 
siebzigsten Geburtstage des Dichters 
(15. Februar 1907). Von flennann RelnhoW 
Jocklsrb. Westermanns Monatshefte 51, 5 
(Februar 1907). 

Klassische Bildniskunst in England, Die. 

Von Walther Gensei. Die Kunst, VIII, 4 
(Januar 1907). 
Ku lturfor techritt u. Straf Gesetzgebung'. 

Von Prof. v. Llszt. Mäiz 1. 1 (Januar 1907). 
Kunst des Nachdichters, Die. Von Otto 

Haueer. Das literarische Echo IX, 8 

(Januar 1907). 
Landgraf Philipp der Grossmütiffe von 

Hessen. Von Ernst Seeger. Deutschland 

V, 4 (Januar 1907). 



Btbliograplitfdfe tlotijen. 



437 



(Laube.) — Neues von und über Hein- 
rich Laube. Von Heinrich StUmcke und 
Stefan Hock. Bl.tine und Welt IX. 6 (De- 
zember 19i6). 

Lehrjahren des deutschen Dramas« Von 
den. Von Piof. Karl Borinskl BUline und 
Welt IX, 7 u. 8 (Januar 1907). 

Liebermann, Max. Von J. Meier-Giaefc. 
Die Kunst VJII, 4 (Januar 19G7). 

Micha felis, Karin. Von J. E. Poritzky. Aus 
fremden Zunqen 17 (1907), 1. 

Moral und Methode. Von Richard M. 
Meyer. Das literarische Echo IX, 9 (Februar 
1907). 

Oper der Lebenden, Die. Von Wilhelm 
Kleefeld. VI. Nordische u. slawische Oper. 
Bühne und Welt IX, 7 (Januar 1907). 

Paul, Adolf. Von Hermann Klenzl. Das 
literarische Echo IX, 9 (Februar 1907). 



Radowits, Joseph v., und Leopold von 
Oer) ach. Von H. v. Petersdtnff. Deutsche 
Rundschau 33, 4 (Januar 1907). 

(ttayski, Ferdinand von). — Ein Kava- 
liermaler. Von Koniad Müller-Kaboth. 
Knust und Künstler. V, 4 (Januar 1907). 

Bolandsbilder Deutschlands, Die. Von 
Prof. Albert Wei minghoff. Westermanns 
Monatshefte »1, 5 (Februar 1907). 

Schnitzler, Arthur. Von Karl Hans Strobl. 
Daa literarische Echo IX, 8 f Januar 1907). 

(Shakespeare.) — Wir und Shakespeare. 
Von Kurt Walter Ooldschmldt. Das lite- 
rarische Echo IX, 7 Uanuar 1907). 

"Wege zum Drama. Von Julius Bab. Die 
Schaubühne III, 1 'Januar 1907). 

Weltanschauung" spätantiker Zeit, Aus 
der. Von J. Geffeken. Preussische Jahr- 
bücher 127, 1 Jauuar 1907). 



Eingegangene BUcher. Besprechung nach 
Arohiv für Kriminal-Anthropologie und 
Kriminalistik. Herausgegeben mit anderen 
von Dr. Hans Gross. 26. Band. 1. Heft. 
Leipzig, F. C. W. Vogel. 
Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung 
wissenschaftlich - gemeinverständlicher Dar- 
stellungen. 2. Bändchen. Maier, Gustav. Soziale 
Bewegungen und Theorien bis zur modernen 
Arbeiterbewegung. 3. Aufl. Leipzig, B. G. 
Teubner. 

— Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständ- 
licher Darstellungen. 122. Bän<1chen. Gruber, 
Prof. Dr. Th. Wirtschaftliche Erdkunde. 
Leipzig. B. G. Teubner. 

Bartels, Professor Adolf, Geschlechtsleben 
und Dichtung. Vortrag gehalten auf der 
18. Allgemeinen Konferenz der deutschen 
Vereine zur Förderung der Sittlichkeit in 
Hannover vom 14.— IG. Oktober 19Ö6. Leip- 
zig, H. G. Wallmann. 

Bergfeld, Dr. L., Zerreiss die Binde vor 
deinen Augen, Hebe Schwester! Ein offener 
Brief an jedes erwachsene jange Mädchen. 
München, 8eltz & 8chauer. 

Berlin und seine Arbeiter in englischer 
Beleuchtung;. Ein vergleichender Bericht 
von Best, Davis und Perks aus Birmingham. 
Deutsch herausgegeben von Dr. Waldemar 
Zimmermann. Mit einem Vorwort von Pro- 
fessor Hans Delbrück Berlin, Dr. Wede- 
kind & Co., O. m. b. H. 

Böttcher, Karl, Germania— daheim. Neue un- 
gemütliche Wahrhelten. (Fortsetzung von 
„Geimania im Ausland".) Leipzig-Stötteritz, 
Max Zieger. 

Briefe der Frau Jeanette Strauss-Wohl 
an Börne. Eingeleitet und erläutert von 

E. Mentzel. Mit einem Bildnis von Jeanette 
8trauss-Wohl nach einer Originalzeichnung 
von L'AUemand aus dem Jahre 1832. Berlin, 

F. Fontane & Co. 
Brieger-Wasservogel, Lothar, Rene 

Richter. Die Entwicklung eines modernen 
Juden. Berliner Roman In 3 Büchern. Ber- 
lin, Rieh. Schröder. 

Der Mensch und die Erde, Die Entstehung, 
Gewinnung und Verwertung der Schätze der 
Erde als Grundlagen der Kultur. Heraus- 
gegeben von Hans Kraemer. Lieferung 11 bis 
16. Berlin, Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 

Düngern, Dr. Otto Freiherr von, Reichssor- 
gen u. Weifenträume. München, R. Piper & Co. 

Eokardt. Ein deutsches Literaturblatt. Her- 
ausgegeben vom Zentralverein zur Gründung 
von Volksbibliotheken. Jahrgang 1906/7. 
No. 3. Beilin, Hermann Paetel. 



Auswahl der Redaktion vorbehalten. 

Brdmann, Gustav Adolf, Wilhelm Jensen. 
Sein Leben und Dichten. Mit Abbildungen. 
Leipzig. B. Elischcr Nachfolger. 

Fischer, Hans W., Buch des Widerspruchs. 
Gedichte. Leipzig, Fr. Rotbbarth. G. m. b. H. 

Flieget, Alioe, Neue Schul geschienten. (Deut- 
scher Frauen Gemüt u. Humor. Bd 4.) Berlin, 
Harmonie, Verlagsgesellschaft für Literatur 
und Kunst. 

Flugschriften des Deutschen Monisten- 
bundes. Heft 2. Monismus und Christen- 
tum, von Heini Ich Schmidt. Brackwede I. W., 
Dr. W. Breitenbach. 

Freie Wort, Das. Frankfurter Halbmonats- 
schrift für Fortachritt auf allen Gebieten des 
geistigen Lebens, begründet von Carl Saenger, 
herausgegeben von Max Henning. 6 Jahrg. 
No. 19. Heft 1. Frankfurt a. M., Neuer Frank- 
furter Verlag, G. m. b. H. 

Fuchs, Bichard, Strassburger Phantasie 
Über Deutsche Kultur. Altenburg, S. A., 
Stephan Geibel & Co. 

Goethes Werke. Unter Mitwirkung mehrerer 
Fachgelehrter herausgegeben von Professor 
Dr. Karl Heinemann. Kritisch durchge- 
sehene und erläuterte Ausgabe. 18 und 2». 
Band. Bearbeitet v. Prof. Dr. Otto Harnack. 
Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut. 

Heimatskarte der deutschen Literatur 
mit Orts- und Namenverzeichnis. 
Für Schulzwecke entworfen von Prof. Karl 
Ludwig. Wien VII/1, G. Freytag & Berndt. 

Hoos, Ernst* Gedichte. Berlin, Harmonie, 
Verlagseesellschaft für Literatur u. Kunst. 

Jensen, Wilhelm, Vom Morgen zum Abend. 
Ausgewählte Gedichte. Mit dem Bildnis des 
Dichters. Zweite, veränderte und vermehrte 
Auflage. Leipzig, B. Ellscher Nachfolger. 

Juristenwelt. Wochenschrift für jüngere 
Juristen. Herausgeber: Assessor Dr. Paul 
Posener. Band I. Nr. 9. Berlin, Ii. W. 
Müller. 

Kielland, Alexander L., Menschen und 
Tiere und andere 8tudien und Skizzen. Über- 
setzt von Dr. Friedrich Leskien und Marie 
Leskien-Lle. Buchschmuck und Einband- 
zeichnung von A. Andresen. Leipzig, Ver- 
lag von Georg Mersebui gcr. 

Kielland, Jens Zetlits, Zwei Brüder. Roman. 
Deutsch von Dr. Friedlich Leskien und 
Marie Leskicn-Lie. Leipzig, Verlag von 
Georg Merseburger. 

Korrespondenz, Fhotographisohe. Zeit- 
schrift für Photographie u. verwandte Fächer. 
44. Band, Heft 1. Wien. Verlag der k. k. 
Phoiographlschen Gesellschaft. 

30* 



438 



Horb uttb 5üo. 



Literaturgeschichte, Deutsoh-Oeterrei- 
chisohe. Ein Handbuch zur Geschichte der 
deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. 
Herausgegeben von J. W. Nagl u. J. Zeldler. 
29. Lief. Wien, Carl Fromme. 
Lustig« Woche, Die. 1906. Heft 8. 9. 10. 
Neuiode, München, Berlin, Verlag von Dr. 
Eduard Rose. 
Martin, Marie, Die doppelte Moral und die 
Mädchener Ziehung. Leipzig, H. 0. Wallmann. 
Martin, Rudolf, Berlin-Bagdad. Das deutsche 
Weltreich im Zeitalter der Luftschiffahrt 
1910-1931. Stuttgart u. Leipzig, Deutsche 
Verlags-Anstalt. 
Meyers Grosses Xonveraattons-I^xikon. 
(5. gänzlich neubearheitete und vermehrte 
Auflage. 15. Band, öhmlcben bis Plakat- 
Schriften. Leipzig und Wien, Bibliographi- 
sches Institut. 
Monatsschrift für ohristliohe Sosial- 
reform. Begründet von weiland Freiherr 
Karl von Vogelsang. Luzern und Zürich, 
Baessler, Drexler & Co. 
Mnsik-Msppe, Die. Band I. Heft 28. Leip- 



zig, W. Vohach & Co. 
isikwerl 



Musikwerlaes-Bericht 1906. Alphabetisch 
geordnet. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 

— Nach Gruppen geordnet. Leipzig, Breitkopf 
& Härtel. 

Neu- Mecklenburg: (Bismarck- Archipel). 

Die Küste von Umuddu bis Kap St. Georg. 
Forschungsergebnis« bei den Vermessungs- 
fahrten von 8. M. 8. Möve im Jahre 1904. 
Aus dem Königlichen Museum für Völker- 
kunde zu. Berlin mit Unterstützung des 
Reichs-Marine- Amtes. Herausgegeben von 
Dr. Emil Stephan und Dr. Fritz Graebner. 
Mit 10 Tafeln, 3 Noten-Beilagen, zahlreichen 
Abbildungen und einer Übersichtskarte. Ber- 
lin, Dietrich Kelraer Ernst Vohsen). 

Rundschau, Deutsche, fax Geographie und 
Statistik. Unter Mitwirkung hervorragen- 
der Fachmänner herausgegeben von Prof. 
Dr. Friedrich Umlauft. 29. Jahrgang. 
5. Heft. Wien, A. Hartlebens Verlag. 

Saudek, Bobert, Und Uber uns leuchtende 
Sterne. Berlin, Verlag Contlnent, G. m. b. H. 

Schlosser, Anton, Anastasius Grün (Graf 
Anton Alexander Auerspei g.) Sein Leben 
und Schaffen. Mit 6 Bildnissen, 6 Abbildungen, 
2 Titelkupfern der ersten Ausgaben u. einem 
Briefe als Handschi iftprobe. Leipzig, Max 
Hesse* Verlair. 

Schmidt, Leopold, Jofeph Haydn. 2., vom 
Verfasser revidiei te Auflage. Berlin, Harmonie, 
VerlagsgeFellschaft für Literatur und Kunst. 

Sohneid er, Ida, Amor und Psyche. Frauen- 
schicksale. Aufzeichnungen. IV. Band. 
Wiesbaden. Rud. Bechtold & Co. 

— Im Fraueupark. Typen und Bilder. Aufzeich- 
nungen. III. Band. Wiesbaden, Bechtold & Co. 



Seidel, Heinrich, Reinhard Flemmings Aben- 
teuer zu Wasser und zu Lande. Zweiter u. 
dritter Band. Stuttgart und Berlin, J. G. 
Cottasche Buchhandlung NaChf. 

Siebert. Dr. med. F., Ein Buch für Eltern. 
Den Müttern heranreifender Töchter, den 
Vätern heranreifender Söhne. Dritte, unver- 
änderte Auflage. München, Seitz & Schauer. 
— Wie sag» ich^j meinem Kinde? Gespräche 
über Entstehung von Pflanzen, Tieren und 
Menseben. München, 8eitz & Schauer. 

Stavenhagen, W., Der Kampf um Sperr be- 
festigungen. Mit 1 Tafel in 8tetndruck, ent- 
haltend technische Einzelheiten des Angriffs. 
Nachtrag zum Grundriss des Festungski ieges. 
Für Offiziere aller Waffen des Heeres und 
der Marine. Sondershausen, F. Aug. Eupel. 

Stirners, Msx, ethischer Egoismus. Eine 
Säkular- Rede von Ewald Horn. Berlin, 
Leonhard Simion Nachf. 

Sfideeekunst. Beiträge zur Kunst des Bis- 
marck-Aicblpels und zur Urgeschichte der 
Kunst Uberhaupt. Aus dem Königlichen 
Museum für Völkerkunde zu Berlin mit 
Unterstützung des Reichs - Marine - Amts 
herausgegeben von Dr. Emil Stephan. Mit 
13 Tafeln, 2 Kartenskizzen und zahlreichen 
Abbildungen im Text. Berlin, Dietrich 
Reimer (Ernst Vohsen). 

Volksbttoher, Beligiotisgeschichtliche, 
für die deutsche christliche Gegenwart. 
Herausgegeben von Fr. Michael Schiele. 
4. und 10. Heft. Tübingen, J. C. B. Mohr 
(Paul Siebeck). 

Vrba, Rudolf, Die Revolution in Russland. 
Statistische und sozialpolitische Studien. 
Band I und II. Prag, Selbstverlag, 1. Oomm. 
Fr. Rlvnac. 

Walter -Fr eyr, Bobert, Intermezzo. Drama- 
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$erour»ortIi$er ftebakteur: Dr. 6ülotu* Srudi'ln Breslau. 
6ä)lefifä)C Su<torudterei, lluitft» unb ©eriaas-flnftali o. 6. Sdjortlaeitber, Breslau. 
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