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ZWIEGESPRACH
ZWISCHEN DEN
VOLKERN
D E UTSCH LAN D
U N D D E R
NORDEN
Herausgegeben
von der Nordischen
Geseiischaft
OBECK 1940
Beilage zur Veroffentlichung
der Nordischen Gesellschaft
ZWIEGESPRACH
ZWISCHEN DEN VOLKERN
Gunnar Gunnarsson
UNSER LAND
Mikkjel Fonhus
DIE HASENMUTTER UND IHRE KINDER
Die beiden eingelegten Beitrage wurden durch verschiedene Umstande
bedingt erst nach AbschluB des Buches zur Verfiigung gestellt. Wir
wollen Sie unseren Freunden nicht vorenthalten und legen sie daher
in dieser Form gesondert vor.
Gunnar Gunnarsson
UNSER LAND
Hoheitsvoll erhebt es sich aus der See, wenn man sich ihm
vom Meere nahf. Es ergreift das Herz gleich einem Helden-
lied, ewigkeifsberiihrt, schicksalgesattigt. Nichts Kleines ist
in seiner Erschelnung. Mag auch seine Gestalt mannig-
• faltig wirken, sie ist allenthalben fest geprdgt, ein reiner
Anblick. Diese ersfaunliche Offenherzigkeit in jedem seiner
Ziige hat es zumeist seiner Nacktheit zu verdanken — und
dann dem reinen Himmel, der sich daruber wolbt.
Die Saulen seiner Klippen sind wie die Stollen in einem
streng gebauten Stabreimgedicht. Aber die GroBartigkeit
seiner Berge und die Gletscher in ihrer Schildgestalt, der
Brandungsgiirtel urn den Strand, das tobende Grollen des
Meeres und das Brausen der Stiirme slnd erfullt von Geistes-
gewalt, Schwermut und dlchterischem Hauch gleich einem
Eddalied aus Stein geformt. Seine Hoheit wandelt sich un-
versehens in Erhabenheit.
Mit keinem anderen Lande laBt es sich vergleichen. Denn
mag es auch Im nordlichsten Norwegen und da und dort
am Mittelmeer Berggestalten geben, die an islandische
Landschaft erinnern, so ist die Ahnlichkeit in Norwegen
doch nuroberflachlich: die Seele des Landes ist eine andere;
ihm fehlt spiirbar das Selbstandige, Abgeschlossene, Insich-
ruhende der Inset. Und in Italien sind Unfruchtbarkeit und
Kahlheit von anderem Schlage: immer wieder mischt sich
die sudliche Uppigkeit traumhafter Garten ein, die sich
zwischen die schmuckloseren Berge wie ein Mdrchen von
Fruchtbarkeit und Milde einschleichen. Die gdnzlich un-
fruchtbare Kahlheit, die in Islands Wiisten herrscht — diese
vollkommene Armut, die der einzige unverlierbare Reich-
turn des Lebens ist — das ist dort nirgends zu finden.
Fur uns, die wir hier geboren sind, hat das Land nirgends
seinesgleichen. Unsere Seele ist geformt nach dem Bilde
seiner Taler und Berge, von Geschlecht zu Geschlecht —
ob uns das nun klar oder verborgen sei. Unsere Sinnesart
ist der rechtmdBige Abkomme der islandischen Jahres-
zeiten. In uns wohnen Islands Lenze, seine Winter und
Sommer. Nicht nur jene, die wir erlebt haben, nein auch
die Winter, Lenze und Sommer tief in die Zeiten zuru'ck.
Ein Erbe, das wir in unserm Leben und Handeln fruchtbar
machen, jeder nach seinem Vermogen, und dessen Ertrag
wieder unser Leben und Handeln ist.
Wir sind diesem Lande verbunden wie der Reim dem
Gedicht. Darin stehen wir unter einem Bann, der sich nicht
brechen laBt. Der Islander ist noch nicht geboren, der die
Bande zerreiBen konnte, die ihn mit dem Heimatland und
seinem Volk verbinden, ohne Schaden zu leiden. Wer auf
Island geboren und aufgewachsen ist, fuhlt sich nirgends
in der Welt sonst soganz heimisch wie auf Island. Zuweilen
wird das Gefuhl so iibermachtig, daB es wie ein Zauber-
bann erscheint. Das tritt zutage, wenn man die geheimen
Traume und Traumgesichte der Islander sammelte. So
war es schon vor alten Zeiten. Als der Skalde Hallfred auf
hoher See starb, auf der Heimfahrt aus der Fremde, da war
seine Seele nach dem langen Fernsein und der langen
Trennung von seinen Freunden so voll Sehnsucht, daB sie
im Todeskampfe vor seinen Augen Gestalt gewann. Er sah
sie die Gestalt einer Frau annehmen, die iiber das Meer vor-
auseilte, und er erklarte, daB ihn jetzt sein Schutz- und
Folgegeist verlassen hdtte.
Es ware schwer, im Einzelnen zu erkldren, was den Is-
lander vor allem an die Stdtfe seiner Geburt, das Land
seines Aufwachsens bindet. Es ist nichts Einzelnes, es ist
alles. So viel ist gewiB: das duBere Wohlsein ist es nicht;
niedere Antriebe haben kaum teil daran. Der echte Is-
lander in der Fremde sehnt sich genau so sehr nach dem
islandischen Winter wie nach dem islandischen Sommer.
Die langen Winterndchte locken seinen Sinn nicht weniger
als der ewige Tag des Fruhsommers; der Mondschein iiber
den Eisfldchen und das reif-fahle Antlitz des Nachtgestirns
steht seinem Herzen urn nichts ferner als Sonnenschein und
Sudwind, an denen sich schon Jung Thordis freute, als ihr
geliebter Sorli in den Hof geritten kam. Vielleicht ist es
mehr als alles andre die Reinheit, die unerschutterliche
Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Natur, die ihre Un-
erbittlichkeit nicht unter dem lachelnden Griin bluhender
Gefilde versteckt, dem Beschauer nicht mit duBerlicher
Freundlichkeit entgegenkommt. Die sich vielmehr einfal-
tiglich und offenkundig zu erkennen gibt, die in den Runsen
der Bdche auf Schritt und Tritt das offene Grab zeigt und
einen jeden dazu erzieht, sich dem Leben zu fiigen, wie es
einmal ist — unverstellt, ungeschminkt, doch in seinen
engen Grenzen ewig und allmdchtig, mit ubernaturlichen
Krdften und unlosbaren Rdtseln gesdttigt von Urzeiten her
und u'ber Grab und Tod hinaus.
Wenige Lander, die bewohnt heiBen diirfen, sind so wenig
wie Island von den Spuren der Zeiten beruhrt. Hier sind
es nicht, wie anderwdrts in wohlhabenden Reichen, Ge-
baude und Menschenwerk, die dem Lande ubermachtig ihr
Geprdgegeben. Im Gegenteil. Vormalsstanden die Hduser
im Lande so einfach und kunstlos, daB sie kaum als Hauser
zu rechnen waren, und die menschliche Behausung
schmiegte sich in die Landschaft ein und fuhr gut dabei.
Darin ist in letzter Zeit eine erhebliche Veranderung ein-
getreten, und leider nicht zum Guten. Es ist traurig zu
sehen, wie fremd so manche der neuen Hauser auf den
Hofwiesen stehen und wie iibel und Iinkisch sie sich in den
islandischen Tdlern, unter den Fluhen und an den Fels-
bdndern seiner Berge ausnehmen. Aus Geschmacklosigkeit
aber, worin sie auch bestehe, entspringt Niedergang und
Unstern. Unser Land ist anspruchsvoll, wenn man darin
bauen will. Anderwdrts hat man Gebusche und Garten,
die sich uber die Siinden seelenlosen Bauens decken und
sie schonend verbergen. Hier kommt einem so etwas nicht
zu Hilfe. Hier steht das Menschenwerk nackt auf nacktem
Boden und muB es sich gefallen lassen, daB man es an-
schaut. Unser Land ist so uralt und seine Unberuhrtheit so
vollkommen, daB zum Beispiel selbst recht anstdndig ge-
baute Brucken, die sich in schmiegsameren Landschaften
schmuck ausnehmen wiirden, wie halbe MiBgeburten da-
stehen — hier in unserem Lande, wo die Natur, und sie
allein, sozusagen jeden Handgriff tun sollte.
Ganz anders steht es mit allem, was sich in der Landwirt-
schaft begibt. Bereitete Dungwiesen, Saatpldtze und andere
Formen der Bebauung und Verbesserung des Bodens kon-
nen der Schonheit des Landes sehr zu statten kommen. Das
Land ist dankbar dafu'r und setzt auf einmal eine freund-
lichere Miene auf, ohne seiner reinen Wiirde etwas damit
zu vergeben. Aber man muB dabei auf das Geprdge der
Landschaft sorglich Rucksicht nehmen und sich vor MiB-
handlungen hiiten. Denn das Geprdge der Landschaft ist
das Geprdge des Menschen. Wird Geschmacklosigkeit in
der islandischen Landschaft zur Gewohnheit, wurzelt sie
sich ein und gedeiht, so wird das bald an dem Seelenleben
des Volkes zu spuren sein. Vielleicht ist schon heute etwas
davon zu merken. Aber noch ist die bodenstdndige Sonder-
art vorhanden, die das Land zugleich einfach und doch
mannigfaltig macht, ohne daB der Gesamteindruck, das
Geprdge des Landes darunter litte. Reist man durchs Land,
so ist es fast erstaunlich zu beobachten, wie jeder einzelne
Bezirk sein eigenes Gesicht trdgt, nur sich selber gleich,
ohne daB es die Einheit storte.
Was not tut, ist, die Augen der islandischen Jugend fur die
isldndische Natur und ihre Schonheit zu offnen. Nicht als
ob sie sie nicht sdhe; aber weiB sie, was sie sieht? Hat man
den Jungen beigebracht und haben sie sich selbst klar ge-
macht, was sich in unserer islandischen Landschaft gut aus-
nimmt und was weniger gut? Wenigstens merkt man nichts
davon an den islandischen Neubauten und in der Art der
Menschen rings im Lande und zumal in den Dorfern. Man
sieht mit Schmerz, wie das Land miBhandelt und durch
Geschmacklosigkeiten entstellt wird, durch diesen Kitsch,
der nachgerade zum Volkslaster wird und unser Land und
Volk in Verruf bringt. Viel besser als aus Worten und
Benehmen erkennt man das wahre Innere des Menschen
daran, was er urn sich her leidet, ohne Hand anzulegen.
Darin zum Rechten zu sehen, ist viel wichtiger als man so
obenhin glaubt. Und man bringt ja kein groBes Opfer
damit, wenn man in allem auf Geschmack und gute Sitte
halt. Und wenn schon von Opfer die Rede sein soil, so
hat es unser Land jedenfalls vollauf verdient, und unsere
Freude an seiner Schonheit wird niemals vollkommen sein,
solange diese Dinge nicht in einer Weise geordnet werden,
die keinen Grund zum Tadel mehr lassen.
(Aus dem Islandischen ubertragen von Helmut de Boor
und Andreas Heusler)
Mikkjel Fonhus
DIE HASENMUTTER UND IHRE KINDER
Ein kleines Drama aus den Wdldern
In den Wdldern am FuBe des Hochgebirges war der Mai
eingezogen. Noch lag metertiefer Schnee; aber die Tage
stromten wie mdchtige Wdrmewellen u'ber das Land, und
der Strahl der Sonne lieB den Schnee schmelzen. In den
Ndchten aber legte sich wieder eine Eiskruste dariiber.
Eine Senneralm war schon ein wenig schneefrei, sie lag
nach Siiden, und die Sonne hatte dort freien Spielraum. Die
ersten griinen Grasspitzen lugten schon aus der nackten
Erde hervor.
In der Dammerung hupfte ein Hase iiber die Aim. Er hatte
drei neugeborene Junge unter einer kleinen Tanne am
Holzzaun liegen. Aber nun wollte er gern ein wenig vom
ersten Griin des Friihlings naschen. Er machte Mannchen
und lauschte, blickte um sich und lauschte wieder, eine
ganze Weile; stets hieB es auf der Wacht zu sein, der Wald
war immer gefahrlich fur einen Hasen. Ihm war als ruhre
sich etwas dort hinfen auf der Aim. Ja, da bewegte es sich
wieder! Aber es war nur eine Drossel. Nun flog sie hervor
und zwltscherte.
Der Fruhlingsabend hieB alle Stimmen auf der Aim schwei-
gen, als Mitternacht naher ru'ckte. Zuerst wurden die Vog-
lein still, die letzte Singdrossel hupfte von den Zweigen und
tauchte fast kopfuber im Walddunkel unter — und die
letzte Waldschnepfe zog in ruhigem, wagerechtem Fluge
iiber die Sennhiitte.
Auf dem griinen Grasflecken vor dem Kuhstall lag die
Hasenmutter auf alien Vieren und nagte. Sie klappte die
Loffel zuriick und zupfte mit ruckweisen kleinen Kopf-
bewegungen die Grasspitzen heraus. Es schien, als stinke
sie mit zunehmender Dunkelheit immer tiefer in die Erde,
und nur wenn die weiBen Loffel sich bewegten, gaben sie
eine Ahnung von lebendigem Leben dort auf der Aim.
Da krachte ein SchuB nbrdlich der Umzdunung. Laut und
feindlich halite er durch die Fruhlingsnacht. Unerwartet
war er da, wie ein Blitz, und wie ein Blitz flammte es aus
dem Flintenlauf in das Dunkel. Eine weiBe Wolke zog uber
den Holzzaun dort hinten, loste sich schnell auf und trieb
in diinnen Schwaden weiter. Es war der Pulverrauch.
Ein Bursche sprang auf und blickte um sich. Und er sah,
wie der Hase dort hinten am Kuhstall in langen Sprtingen
uber die Aim entfloh. Aber er bemerkte, wie die Spriinge
des Tieres langsamer wurden, als es das dichte Weiden-
gebusch erreichte. Der Hase flog nicht mehr so flach iiber
das Feld; er hupfte gleichsam auf und nieder, wurde fast
gleichgiiltig — fe da meinte der Schiitze, daB er getroffen
hatte.
Und er folgte nach und suchte, zwischen den Strauchern,
Im Tannenwald, auf der anderen Seite der Aim. Aber das
Einzige, was er fand, waren einige Fellstiickchen, dort, wo
der Hase gesessen hatte, als er schoB.
Gegen ein Uhr begann schon der Tag zu grauen.
Und als die Sonne aufglng, war es, als offne sich ein longer
schmaler Spalt in der Wolkenwand im Osten, der ein wenig
miides Licht durchschimmern lieB. Die Hohenzuge wachten
gleichsam davon auf, aber nur fur einige Minuten. Dann
zogen sich die Wolken wieder zusammen, und es herrschte
das gleiche, schwere, glimmende Licht.
Gegen vier Uhr wurde es Tag, aber ein grauer Tag. Die
Hasenmutter kam unter einem Holzhaufen neben dem
Zaun hervor, unter dem sie sich nach dem SchuB ver-
krochen hatte. Gleich als es krachte, hatte sie die Schrot-
korner als feine, brennende Stiche im Hinterkorper ge-
spiirt. Es tat nicht weiter weh; aber sie fiihlte sich so merk-
wurdig matt; eine unbekannte, zitternde Schwache iiberfiel
sie, und es gelang ihr gerade noch, sich durch das alte
Loch im Zaun zu schieben. Sie kroch dann unter den Holz-
haufen und legte sich dort zurecht. Aber sie wuBte, daB
die Jungen nahe bei ihr lagen.
Und sie horte das Rascheln des Schiitzen, der dort ging und
nach ihr suchte. Die Jungen horten ihn auch; aber sie lagen
alle bombensicher zwischen Heidekraut und Zweigen. Das
war ihr Instinkt.
Nun kroch die Hasenmutter unter dem Holzhaufen hervor.
Blieb sitzen. Aber so schwindelig und benommen. Die
Beine mochten nicht mehr laufen, am liebsten mochte sie
sich wieder auf alle Viere legen, aber irgend etwas zog
sie zu der Tanne, unter der sie die Jungen wuBte. Sie
machte einige kraftlose Spriinge, und bald hatte sie die drei
Kleinen aufgestobert, die dort versteckt lagen. Da legte
sie sich nieder, und die winzigen, felligen Knduel krochen
ganz in sie hinein, und die stumpfen Mdulchen fanden, was
sie suchten. Eine Fdhigkeit, die angeboren war und nicht
gelernt zu werden brauchte.
Und so blieben Mutter und Kinder den Morgen und Tag
iiber liegen.
Die Mutter konnte sich jetzt nicht mehr bewegen. Und
wenn die Jungen tranken, merkten sie, daB die Milch anders
war als friiher, sie schmeckte nicht mehr nach Milch. Wohl
war sie warm, aber sie tat ihnen nicht gut. Und sie horten
auf zu saugen. Denn jetzt bekamen sie mehr Blut als Milch
in ihr Mdulchen.
Um Mittag brach warmes Sonnenlicht durch die Zwelge.
Aber fur die Hasenmutter war es nur wie schwacher
Mondschein.
Gegen Abend fuhlte sie ihren Korper steif werden. Auch
die Ldufe begannen, sich auszustrecken. Und der Mund
wollte sich offnen, als bekdme sie zu wenig Luft. Er offnete
und schloB sich viele Male, und die langen Nagezdhne
wurden unter der Oberlippe sichtbar. SchlieBlich blieb sie
liegen und starrte mit toten und stummen Augen in den
Wald. Aber die Augen brachen nicht.
Die Jungen wuBten nichts davon, daB die Mutter tot war.
Sie blieben dort liegen und krochen dicht an sie heran.
Eine neue Nacht stieg uber den Wald mit klarem Himmel
und groBer Kdlte; die Jungen fror; sie krochen noch dichter
an die Mutter heran. Aber sie war jetzt kalt und wdrmte
nicht wie fruher.
Es war sechs Tage spdter.
In diesen Tagen war dem Schnee arg mitgespielt worden,
und die Sennereialm war ganz vom Else befreit.
Jener Schutze, der den Hasen an dem Abend geschossen
hatte, kam wieder daher. Heute wollte er auf Auerhahn-
jagd.
Als er die Sennerei erreicht hatte, ging er am Holzzaun
entlang; es lag jetzt so wenig Schnee, daB es leicht war,
vorwdrts zu kommen.
Wahrend er ging, erblickte er einen toten Hasen unter einer
Tanne. Dort liegt wahrhaftig der Hase, den ich vor
einer Woche schoB! dachte er und fuhlte eine gewisse
Befriedigung, weil er nun wuBte, daBer nicht fehlgeschossen
hatte. Er ging hin zu dem Hasen.
Da sah er, daB dicht an ihn gedrdngt, drei kleine Junge
lagen. Alle steif und tot.
Er war nicht mehr froh, als er weiterging.
(Aus dem Norwegischen iibertragen von Eleonore Hynding)
ElNBAND UND ZEICHNUNGEN (AUSVERSCHIEDENEN JAHRENh
ALFRED MAHLAU
DRUCK: CHARLES COLEMAN, LOBECK
COPYRIGHT: NORDISCHE GESELLSCHAFT IN LOBECK
Zwiegesprache zwischen den Volkern — in keiner Zeit
waren sie so wichtig, wie in unserer; aber esgibtauch keine
Zeit, in der sie nicht vorhanden waren und ihren Wert
hatten. Wenn die tiefsten Geister der Volker die inner-
sten Werfe ihrer Nationen pragten und wenn andere sie
verstanden oder zu verstehen suchten, dann entstanden jene
Beziehungen, die fruchtbar waren und sein werden auch
in alleZukunft. Je starker sich in den letztenjahrhunderten
das nationale Gesicht der Volker pragte, je mehr die Volks-
individuen erstanden, um so gewaltiger trat das Verstehen
an die Stelle des gleichsam ohne Grenzen flieBenden kul-
turellen Austausches. Als die falschen Begriffe der Mensch-
heit, der Weltdichtung, als die Doktrinen kosmopolitischer
Prdgung in ihrer Fadenscheinigkeit erkannt wurden, da
begann dieses Zwiegesprach seinen besonderen Wert zu
erlangen und von dlesem Zeitpunkf an auch seine Pflege
einzusetzen.
Es gab schon vor dieser Zeit viele Strome geistiger Natur
iiber die Landesgrenzen hinweg, aber niemals haben sie
den Charakter eines Zwiegesprdches angenommen. Wohl
fanden deutsche Sagenstoffe ihre Prdgung im fernen Island,
wohl drang das Christentum nur in den Norden ein, weil
es vorher in Deutschland etwas unserer Eigenart sich an-
gleichen konnte, wohl trug die Zeit starkster merkantiler
Tatigkeit die Kultur iiber das Meer in die Lander des Ost-
seeraumes, wohl drang Luthers revolutiondre Lehre iiber
die Grenzen und der Pietismus fand seinen Weg ; aber das,
was wir heute ein Gesprdch nennen, hat erst mit dem wer-
denden 18. Jahrhundert langsam seinen Anfang genommen,
um dann im Laufe dieses Jahrhunderts wie nie zuvorzum
vollen Chor anzuschwellen — niemals hat diese Melodie
so gewaltig geklungen wie damals, und sie ist seitdem auch
nie verklungen.
Man wuBte von den Eigenheiten der Vblker und man miihte
sich um ihre Entwicklung im eigenen Land und um ihr
Verstandnis im anderen.
Wir haben heute, wo Deutschland in eine schwere polifische
und militdrische Entscheidung hineingezwungen wurde,
einen Plan nicht fallen lassen, der uns wichtig schien,
weil er aus dem vielstimmigen Gesprach zwischen den
Volkern einige wenige Stimmen aufzufassen sucht, die
friiher und heute klangen und klingen. Der Krieg andert
nichts an dem Plan, denn auch fruhere Streitigkeiten haben
nichts zu andern vermocht an diesen ewig die Menschen
beschdftigenden Fragen. Wir haben alle Mitarbeiter vor
dem Krieg gebeten, ihr Wort zu diesem Gesprach bei-
zutragen und sie sind fast alle gefolgt. In gleicher Zahl
sind sie aufgefordert fur jedes Land. Hier liegen die
Worte nun vor und kunden von der alien geistigen Freund-
schaft und Verwandtschaft zwischen den Volkern des Nor-
dens und Deutschlands.
Wir haben die Alten in ihren Briefen und Lebensbeschrei-
bungen aufgesucht, haben gehorcht, was sie iiber einander
zu sagen haben; wir haben die Lebenden gebeten, zu dieser
Frage ihren personlichen Beitrag, zu diesem Gesprach ihre
personliche Replik hinzuzufiigen. Nicht alle in diesem
groBen Chor konnfen gebeten werden, nicht alle kamen
zu Wort, aber vielleichf ist es uns vergonnt, diese Reihe
noch einmaS fortzufiihren in einem weiteren Band. Es sei
ein Geschenk an alle Freunde und ihre Zustimmung moge
der beste Dank aller sein, die uns dazu halfen, daB das
Buch zustande kam. Jedem einzeinen ,,Beitrager" sei hier
herzlicher Dank gesagt.
Nicht schonfarben ist der Sinn, so stehen auch bose Worte
in diesen Seiten, MiBstimmungen in diesem Gesprach —
auf beiden Seiten — aber das gute Wort siegt, wie die
Geschichte der deutsch-nordlandischen Beziehungen be-
weist, Jahrzehnte, Jahrhunderte hindurch. Wir miissen zu-
einander finden und finden konnen, denn wir sind ver-
wandt, verwandter als zu anderen Volkern — das ist kein
Wort, das einseitiger Bewunderung entspringt, denn wir
wissen kritisch zu scheiden; aber auch keine Werbung um
Gunst, denn das diirfte nicht notig sein. Wohl aber ist es
die Feststellung einer unbestreitbaren Tatsache. Vielleicht
hat diese entscheidungsreiche Zeit vielen, die das noch nicht
erkannten, auch dafiir die Augen geoffnet.
Manche Namen und Ereignisse mdgen fremd sein, daher
versuchten wir am SchluB des Bandes in Anmerkungen
sachliche Mitteilungen und in kurzen biographischen Mit-
teilungen personliche Hinweise zu geben.
In der heutigen Zeit ist durch die Ereignisse der letzten
Monate die Benutzung auslandischen Materials erheblich
erschwert; so kommt es, daB hier einige Motive und
Stimmen fehlen und auch einige unserer Freunde fehlen,
weil ihre Beitrdge uns nicht mehr rechtzeitig erreichten.
Moge dieses Buch nun hinausgehen an die Heifer und For-
derer unserer Arbeit, an die Freunde und Mitarbeiter. Es
moge kunden von dem geistigen Band, das den Norden
und Deutschland von jeher verband. Wenn diese Seiten
neue Freunde bringen, so ist das der schonste Lohn.
Heinrich jessen.
Der erste Teil bis Seite 104 enthdlt einen geschichtlichen
Oberblick aus Briefen und Lebensbeschreibungen.
Der zweite Teil behandelt unser gegenwartiges Verhdlt-
nis zum Norden. Dieser Teil wird daher auch alien
Lesern in der heutigen Zeit besonders wertvoll sein.
ZWIEG ESPRACH
IN DE R
VERGANGENHEIT
PRiVILEG FOR EINE DEUTSCHE SCHAU-
SPIELERTRUPPE IN KOPENHAGEN
Sobald die Einfiihrung der Souveranitdf die Verhaltnisse
gefestigt hatte, kamen die Theatertruppen aus Deutschland
von neuem nach Danemark und erfuhren dort eine freund-
liche Aufnahme. Am 23. Oktober 1661 begannen einige
„Kom6dienspieler", vermutiich auf der Durchreise nach
(Copenhagen, mit einer Auffiihrung vor dem Rathaus in
Odense. Sie standen sicher unter der Fiihrung des Andreas
Wulff, der sich im Jahre darauf in Kopenhagen aufhielf
und folgendes Privilegium erhielt, zweifellos das erste, das
erteilt wurde ftir die Errichtung eines Theaters in Kopen-
hagen:
„Friedrich III. tut alien kund, daB Andreas Wulff unter-
tdnigsten Antrag gestellt hat, gewillt zu sein, auf eigene
Kosten einen Komodienplatz (oder Schauburg genannt)
hier in unserer Residenzstadt Kopenhagen herzurichten, auf
dem verschiedene Tragodien, Komodien und andere solche
Aktionen und Spiele mit dazugehorigen Personen und In-
strumenten, vorgestellt werden konnen, und vor denen,
so Lust dazu haben, spielen wird unter der Bedingung, daB
ihm ein geeigneter Platz hier in der Stadt fur notwendige
Hauser und Wohnungen angewiesen, und ein Privilegium
oder Freiheit gnadigst gewdhrt wird, dieweil hierfiir groBer
Aufwand und Kosten erforderlich. Da haben Wir, nach
diesem seinem untertanigsten Ansuchen und Begehren,
gnadigst bewilligf und gestaftet, was hierdurch bestatigt
wird, daB besagter Andreas Joachim Wulff einen solchen
Komodienplatz (oder Schauburg genannt) hier in unserer
Residenzstadt Kopenhagen errichten kann, wofiir der not-
wendige Platz angewiesen werden soil, den er ohne Be-
zahlung erblich benutzen darf, woruber er, seine Ehe-
frau und seine Erben im Laufe der folgenden 20 Jahre vom
Tage dieses Briefes an verfugen und dlsponieren konnen
und das durch diesen erworbene Geld von ihm und den
seinen zu verwenden ist, so daB keine Zuwanderung von
anderen Komodianten oder anderen ihn hindernden Schau-
spielern oder Veranstaltungen daselbst in den kommenden
20 Jahren in unserem Lande Seeland statthaft ist, und
sollen er und seine Leute bis zu 20 Personen, die er dazu
gebrauchen wird, unter unser Hofrecht fallen und Exem-
tionen wie unsere Diener des Hofes genieBen. Doch soil
er dagegen darauf bedacht sein, solche Komodien und
Werke vorzufuhren, die nicht gemein sind oder von einigen
ordinaren Komodianten gesehen worden, sofern er diese
unsere Vergiinstigung achten und ausnutzen wird, und
ferner moge er jede Woche eine Goldkrone oder 19 dani-
sche Mark, die in besagter Schauburg erworben sind,
zur Errichtung einer deutschen Kirche auf Christians-
havn bezahlen . . ."
Kopenhagen, den 12. Dezember 1662.
Buxtehude-Orgel
in tier Lubecker Marienkirche
10
BRIEFE VON KLOPSTOCK
Kopenhagen, den 4. Mai 1751.
Du muBt einen Brief von mir, vom groBen Belte her,
empfangen haben. Ich hatte auch wol von hier aus eher
schreiben konnen, wirst Du sagen. Ich wiirde es eher
gethan haben, wenn ich eher hatte umstandlich schreiben
konnen.
Ich habe an Moltke und Bernstorf zween so wiirdige
Manner gefunden, als ich sie in der Feme glaubte. Auch
Moltke, den ich in der Feme auf dieser Seite noch nicht
gekannt hatte, ist ein Kenner. Er selbst hat mich veranlaBt,
von dem jetzigen Zustande unsrer schonen Wissenschaften
zu reden. Bernstorf, der zwar gegen das Ende dieses
Monats verreiset, aber, wie mir es wahrscheinlich ist,
wiederkommen wird, wird die Beytrage, von denen ihm
nur der letzte Theil bekannt war, jetzt ausdrucklich lesen,
und Ich werde ihm die Namen der Verfasser uber die vor-
nehmsten Stucke setzen. Er ist recht im eigentlichen Ver-
stande ein Kenner, sein Geschmack geht aber vorziiglich
aufs Ernsthafte. Ich bin oft bey ihm gewesen, und habe
viel mit ihm gesprochen. Wie kann ich Dir aber Alles
dies schreiben? Ich will jetzt nur eins anfuhren. Er sagte
mir: „Es wurde mir vollig uberlassen, ob ich in meinen
Gedichten unterweilen etwas vom Konige sagen wollte,
oder nicht. Er wiirde davon gar nichts sagen, wenn er
nicht glaubte, daB es fur einen rechtschaffenen und frey-
denkenden Mann ein wahres Gliick ware, von einem wirk-
lich liebenswiirdigen Konige zu reden. UnterdeB sollte
ich ihm hierin nicht geradezu glauben, sondern, wenn ich
etwas von dieser Art schreiben wollte, schreiben, wie ichs
fdnde, gut oder bose.
Wie gefdllt Dir das, kleiner Giseke? wie uberzeugt muB
Bernstorf, der zu nichts weniger, als zu Schmeicheley
geboren ist, von dem edeln Charakter des Konigs seyn?
Da ich beym Konige war, so gab er mir in sehr gnddigen
Ausdriicken seinen Beyfall wegen des Messias. Er redete
von meiner Ode, und sagte, daB sie sehr schmeichelhaft
fur ihn ware. Er beklagte Schlegels friihen Tod, der so
viel Geist gehabt hatte. Er redete von der Wollust des
11
Gemiithes, die ein Geist, der sich immer zu erweitern fdhig
ware, in den Wissenschaften fdnde; sagte, daB man wahre
Gelehrte mehr, als Gold, schdtzen muBte.
Ich muB Dir sagen, da8 ich des Konigs eigene Worte an-
fuhre. Er fragte mich, ob sich die Sachsen mit Recht der
besfen deutschen Sprache riihmten. Ich konnte hier etwas
von der wenigen Unterstutzung der belles lettres in Sachsen
reden. Ich hatte auch vorher schon von unserm Schlegel,
bey Erwahnung seines Bruders, geredet. Der Konig wuBte
auch, daB der jiingste Schlegel bey Ranzau ware. Ich
kann Dir nicht Alles auf einmal erzahlen, lieber Giseke!
So viel ist gewiB, daB der Konig Einer der liebenswurdig-
sten Manner ist, die jemals verdient haben, nicht in den
Hiibnern, sondern in der Geschichte wahlender Ge-
schichtschreiber vorzukommen.
Der Konig nahm mich, da ich wegging, bey der Hand;
und schon vorher, noch eh als ich ihn sahe, hatte er mir
hundert Dukaten fur meine Herreise geschenkt . . .
Ku'sse Gdrtnern von mir, und auch Louisen, wenn sie
sich von Dir will kussen lassen. Und die kleine Friihlings-
blume kuss' auch von mir, denn da bist Du leider einmal
eingewurzelt.
Dein Klopstock.
Klopstock an F. von Hagedorn
Koppenhagen den 19. October 1751.
Liebster Herr von Hagedorn,
Wie gerne hatte ich Sie dort uberfallen, wo Sie mit Ihrem
Horaz waren! Aber es waren diesen Sommer zu viel Um-
stande wider meine Absicht, daB ich alle diese Freuden bis
auf kiinftigen Sommer aufschieben muB. Ich habe den
vergangenen angenehm genug, groBtentheils auf dem
Lande zugebracht. Ich habe auch dort noch den Herrn von
Bernstorf das erstemal wiedergesehn. Er verdient noch
viel mehr als nur Hochachtung. Er ist in allem, was wissens-
werth ist, bis zum Tiefsinn und zur Ausiibung gekommen.
Er ist — — doch wie viel miiste ich noch sagen, ich will
mich kurz ausdrucken. Ich liebe Ihn, und Sie wiirden Ihn
lieben. Er wird nun bald alle meine Freunde unvermerkt
12
kennen. Denn so, glaube ich, muB ich sie Ihm bekannt
machen. Ein Franzose, de la Bau melle hat bisher
die Neigung der Nation, den Fremden nicht gewogen zu
seyn, standhaft unterhalten. Er schrieb ehmals eine Aspasie,
wider die er sich jetzt, ich weiB nicht, ob vollig im Ernst,
erklart; sprach den Ddnen darin Hohn; bekam gleichwohl
eine neue fast seinetwegen errichtete Profession de la
langue, et de Belles lettres Francoises; schrieb vor kur-
zem — : Mes Pensees, welche er nicht verkaufen durfte,
erhielt seinen Abschied, und 300 Thaler Reisegeld. Er ist
noch hier. Nachdem er alle unterdreiBigjahrigen etour-
deries erschopft hat, so spricht er itzt so laut wider den
Hof, daB unmaBig viel Gliick dazu gehort, wenn er nur
mit den ihm wohibekannten coups de baton wegkommt.
Sein Urtheil von der Messiade ist jede Viertelstunde der
Verdnderung unterworfen. Da hingegen Herr von Hol-
berg desto standhafter dafiir halt, daB er sie nicht ver-
stiinde. Seine Fabeln haben der hiesigen Giiltigkeit seiner
Urtheile einen schlimmen Streich gespielt. ... Ich wiirde
gleichwohl diesen Sommer offers an Sie und unsere Freunde
geschrieben haben, wenn nicht ein gewisses Madchen bei
Ihnen, das Sie kennen, mir beinah alle Posttage besetzt
hatte. Ich wiinsche daB Sie, und kein Anderer, sie in
meinem Namen kiiBten. Und weil ich nichts ungerner
lange aufschiebe als einen KuB, so bitte ich Sie, das suBe
Madchen in dieser Absicht bald einmal zu besuchen.
Ich bin mit der aufrichtigsten Freundschaft Ihr
Klopstock.
t***^-
13
C. F. Cramer
OBER KLOPSTOCK IN KOPENHAGEN
In Copenhagen ward er mit mehr als Achtung; mit Freund-
schaft von Bernstorfen aufgenommen. Er lebte aber da-
mals, wie imtner, sehr stil und eingezogen. Nie hat er
sich zum Hofe gedrangt; zu geniigsam, um zu verlangen;
zu edelstolz, um zu schmeicheln; zu geizig auf die theuren
Minuten seiner voriibereilenden Zeit, um sie in Bekant-
schaften zu verschwenden, die entweder zu leer oder zu
zerstreuend fur den groBen Man sind. Er widmete sich
ganz seinem Gedichte, arbeitete in diesem und den folgen-
den Jahren groBe Stiicke daran, und gab nicht lange nach
seiner Ankunft, zu den drey Gesangen, an denen, wie du
einst sehen wirst, die Feile nicht gespart ist, den vierten und
funften hinzu.
Die wenigen Wochen des Winters brachte er in Copen-
hagen zu, wo er, wenn ich mich recht entsinne, in der
GotterstraBe wohnte. Den Sommer pflegt der ddnische
Hof immer aufs Land zu gehn; damals nach Friedensburg,
einem sehr landlichen Schlosse; er folgte auf Moltkens Ver-
langen mit dahin. Dieser, der damalige Favorit, sah Klop-
stock viel, fiihrte ihn auch nicht selten beym Konige ein.
Friedrich wuBte ihn zu schatzen. Bios auf seine Ent-
scheidung kam Basedow nach Soroe; spdter war er die
Veranlassung zu meines Voters Rufe von Quedlinburg nach
Ddnnemark. Damals hatte der Konig den Gedanken, auf
seinen Vorschlag eine freye Druckerey zu errichten, um
den besten Schriftstellern die Kosten der Bekantmachung
ihrer Schriften zu schenken; ein Project, das sich aber zer-
schlug, wie so manches Niizliche in der Welt. Friedrich
unterhielt sich stundenlang dariiber mit ihm, und bezeugte
ihm jedesmal daB er ihn sah, wie er ihn schazte, und wie
wenig Eindruck die Feinde bey ihm machten, die er damals
hatte. So oft! daB Klopstock einmal sagte: Er freute sich
sehr dariiber, aber er muBte Se. Majesfat daran erinnern,
Sie hatten es ihm schon mehrmals gesagt; und er ware
schon langst von diesen Gesinnungen uberzeugt — So
lassen Sie mir wenigstens das Vergnugen, antwortete
14
Friedrich mit seiner Menschenmilde, daB ichs Ihnen wieder-
hole! Ja so war er! der gute Konig! Wer ihn naher ge-
kant hat, und naher sein schones Leben betrachtet, wird
Friedensburg verstehn, und mit Klopstocks dankbarem
Herzen entbrennen, und fuhlen, daB sie nicht von der ge-
wohnlichen Art Weihrauchkorner ist, die die Dichter den
Fursten streun.
AN CIDLI
Cidli, du weinest, und ich schlumre sicher,
Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht;
Auch wenn stille Nacht ihn umschattend decket,
Schlumr' ich ihn sicher.
Wo er sich endet, wo ein Strom das Meer wird,
Gleit' ich iiber dem Strom, der sanfter aufschwilt;
Denn, der mich begleitet, der Gott gebots ihm!
Weine nicht, Cidli.
. . . Klopstock war dazumal in Hamburg bei Meta, und
muste gegen das Ende des Herbsts sich wieder von ihr
trennen, nach Copenhagen zu gehn. Wie sie ihn liebte,
wie sie sich gramte, wie sie fur ihn fiirchtete wenn er von
ihr abwesend war, das weis man. Er trostet sie hier. Ich
getraue mir sogar, Ihnen das Locale ddvon anzugeben.
Der Weg, der im Sande verzogen fortschleicht, ist der
ordentliche Postweg in Fuhnen oder Holstein. Den schlum-
mert er sicher. Warum? das Schif liegt im Belte, das ihn
sicher heruberbringt; denn der ist das Meer, das von
beiden Inseln gedrangt, ein Strom wird; und iiber den
Strom, der sanfter aufschwilt, gleitet er hin. Ach, weine
nicht Meta!
15
K. L. Rahbek
AUS DER „REDE AUF KLOPSTOCK
AM 2. JUL! 1819 ZU ALTONA"
Wenn der seit dreiBig Jahren der Deutschen Sprache ent-
wohnten Zunge des Auslanders Tone, Accente, vielleicht
wohl gar Ausdriicke, dem gebildeten Deutschen Ohre
fremd, entschliipfen mochten, wagt er urn so mehr auf
gutige Nachsicht zu rechnen, da es gewissermaBen zur
Beglaubigung des tiefen innigen Gefiihls, das ihn hieher
rief, dienen darf, daB er, obgleich sich jener Unvollkommen-
heiten, jener Mangel, vollig bewuBt, lieber sich die nach-
sichtsvolie Giite einer so angesehenen Versammlung hat
erbitten wollen, als daB er diese feierliche Gelegenheit vor-
beilassen sollte, den Manen des groBen Abgeschiedenen den
offentlichen Dank seiner Litteratur, fiir das, was er auch
ihrer Poesie war, ist, und bleiben wird, darzubringen. Denn
so wie die Deutsche Poesie mit der Erscheinung des Klop-
stockschen Messias eine neue Hauptperiode beginnt, eben
so ist in der Geschichte der unsrigen die Berufung Klop-
stocks nach Dannemark, der Wendepunkt, von dem der
neue Lenz unserer schonen Litteratur ausging, und auf den
wir noch immer dankbar zuruckblicken. Die edlen Ver-
ehrer und Freunde des Schopfers der Deutschen Poesie, die
hier versammelt sind, das Andenken seiner unsterblichen
Verdienste um die Litteratur seines Vaterlandes zu feiern,
werden es dem erkenntlichen Auslander nicht versagen, den
hochverdienfen Dank auch seiner Litteratur dem freund-
lichen groBen Pflegevater ihrer zarten Kindheit und ihrer
friihen Jugend darbringen zu diirfen.
Wie zu der Zeit, „da Klopstock am Scheidewege seines
Lebens stand" nicht ohne Versuchung, einen Pfad zu er-
wahlen, der ihn von seinem groBen Ziele wahrscheinlich
wenigstens entfernt haben wiirde, ,,der Genius Deutsch-
iands" — der Humanitdt, wiirde ich lieber sagen — Bern-
storfen — den ersten — diesen groBen tief denkenden
Mann, den das Herz eines jeden, der ihn gekannt hat, bis
ins Grab verehrt, erweckte", ihn seinem groBen Berufe
zu erhalten, hat uns des Verewigten kindlich ergebener
16
j. G. Klopstock
Gemalde von Jens juel, Akademieprofessor in Kopenhagen
Aufn. Kunsihaile Hamburg
r Mitfde Stiffs
®mmma0, 6«t 5 Sennet/ 1758.
^.efiot; jftoitfibe tjt untev bcncit, tveldje mtt-cincr javttU
djeit 8ic&e gegen He ^ugcnfe einett vorjfigHd^cit ©c-.
fcfmwcf mi yoilvcpd^cn SCBetfcu wertinben, cin fo
fccPanntcv imt> Oodjgendjtetei; SWamc, t>aj? id,) &cs ©tuefs, ciuctt
fotchcu SSatcf }tt fca&cti, unnmcMg f«;n imifjte, vuenn td,> nidic
betifel&eu ate cine ftai-fc (Smpfejjlmtg fitr mid} anfe^cn woiite.
%th Mm mil' Iciest twfWfcn, ixifj man fid} vcwtm&em nnrt>,
n«d^ fo fangcr 3cif j« ecfajnm i?af? er cinci!@'c6n ^titprinpn,
$( a im&
Der nordische Aufseher
he ra usg e g e b e n von Cramer in Kopenhagen
loralische Wo c he nsc h riff ", die zur V e r besse r u n g der Sitten
beiiragen soliie, erschien 1758 — 61
Zogling und Freund, der biedre Carl Friedrich Cramer,
wahr und kraftig geschildert. Von seinem Freunde, dem
eifrigen und wohlthatigen Beforderer des Edeln und Scho-
nen, Adam Gottlob Moltke, unterstiitzt, ward es Bernstorfen
leicht, den Titus der Danen, den Besten der Konige, wie
ihn der nie schmeichelnde Klopstock zu nennen liebte,
Friedrich den Funften, zu bewegen, daB er ein Pflegevafer
der Deutschen Muse ward, daB er dem Dichter die zur
Vollendung des Gedichts, das der Stolz seiner Nation und
seines Zeitalters ist, nothige MuBe schenkte. Wie wenig
ahnete er aber damals, dieser seltene Konig, welches Ge-
schenk er dadurch zugleich seiner eigenen Nation machte,
wie wichtig und wohlthatig das, was er ftir den Deutschen
Dichter that, fur die unter dem Mohnscepter des Pietismus
fast ganzlich entschlafene schone Litteratur seines eigenen
geliebten Volkes werden wu'rde. Wahrlich! Auch hier
haben sie sich in ihrer ganzen Fiille bewahrt, jene goldenen
Worte Lessings:
Wie aus einer guten That
Doch so viel andre gute Thaten flieBen.
Zwar leugne ich keineswegs, daB Manner, mit denen auch
iiber unsere Litteratur einstimmig zu denken ich stolz bin,
bffenflich behauptef haben, daB, was auch Klopstocks
Messias und seine ubrigen Meisterwerke mittelbar auf
unsere Dichtkunst, wie uberhaupt auf den ganzen Geist
seines jahrhunderfs, gewirkt haben mogen, unmittelbar er
und sein Aufenthalt in Ddnnemark auf unsere Litteratur
schlechterdings keinen EinfluB gehabt hatten. Urn so mehr
schien es mir aber heilige Pflicht, so gut wie es mir hier,
entfernt von den Quellen und von alien Hulfsmitteln ent-
bloBt, irgend moglich ist, was und wie er dafiir und darauf
gewirkt habe, factisch darzustellen. . . .
Ihm — ihm, in Verbindung, mit seinem edlen Freunde, dem
von jenem herrlichen Siebengestirn des Deutschen poeti-
schen Himmels uns jetzt allein zuruckgebliebenen Gersten-
berg, dem Nestor der Ddnischen wie der Deutschen Litte-
ratur, verdanken wir unsern Ewald, den Dichter, der
unserer Dichtkunst das war und ist, was Klopstock der
seinigen. Den groBen, noch von Niemanden, auch von
ihm selbst schwerlich geahndeten, poetischen Genius des
17
wenig bekannten Jiinglings erkannte Gerstenberg zuerst,
und gab die Veranlassung, daB ihm jene Trauercantaten
beim Grabe Friedrich des Fiinften iibertragen wurden,
deren die Schleswigschen Litteraturbriefe so ehrenvolle
Erwtihnung thun, und die zuerst der Nation ihren groBen
kunftigen Dichter ankundigten. Durch ihn ward nicht
lange darauf Ewalden — damit ich die eignen Ausdriicke
seiner Dankbarkeit aus der Vorrede seiner Schriften ent-
lehne — dasGluck.vomgroBenKlopstockgekannt,
geduldet, geliebt zu werden, und aus dem Um-
gange dieses Mannes eben so begierig, als aus den
— ihm durch die namliche Freundeshand eben erofneten
— Dichterschatzen Shakspears und Ossians zu
schopfen. Wie dadurch sein Geschmack sich bildete und
besserte, zeigt schon seine nachste Arbeit, Rolf Krage, den
er auch deswegen unverandert so gelassen hat,
wie er damals Deutschlands erstem Barden ge-
fiel.
— -— Da ein Verfasser unter andern uns vorwirft,
da6 nicht einmal wir Danen eine Ubersetzung des
Klopstockschen Messias besitzen, kann ich hier nicht un-
beriihrt lassen, daB unter Ewalds Litterarischem NachlaB,
der sich seit mehreren jahren in meinen Handen befindet,
unter mehreren unvollendeten Arbeiten, auch ein Anfang
einer Uebersetzung jenes von ihm so bewunderten Meister-
werks 6a ist, den ich als litterarische Seltenheit schon vor
einigen Jahren der skandinavischen Litteraturgesellschaft
vorgelesen habe, der aber ungedrucki blieb . . .
DaB aber — von jener unvollbrachten und unvoilstandigen
Uebersetzung ganz abgesehen — der Geist Klopstocks auf
seinem Ewald und von ihm aus, auf unserer neueren Dichf-
kunst zu ruhen fortfuhr, davon mochfe schon das ein Beweis
seyn, daB die lyrische Poesie, der selbst von seinen Gegnern
erkannte wahre Triumpf seiner Muse, ebenfalls die glan-
zendste Seite Ewaids, so wie iiberhaupt unserer ganzen
neueren Poesie ist; so wie auch, daB in den vorzuglichsten
Werken Ewalds und seiner wurdigsten Nachfolger, die
Begeisterung des Dichters sich an dem in seiner Brust
lodernden Feuer des edelsten Patriofismus entziindete,
18
welches ebenfalls Deutsche Kunstrichter als einen charak-
teristischen Hauptzug Klopstocks geruhmt haben.
Ist demnach der erste und groBte der Danischen Dichter
Johannes Ewald von und durch Klopstock gebildet; er-
kennen sich die vorzuglichsten seiner Nachfolger, die der
Stolz unserer Nation sind, und die selbst Deutschland
schatzt und verehrt, als seine dankbaren Schuler an; ver-
danken ihm selbst seine Gegner wenigstens mittelbar die
Vorzuge, durch die sie sich an seiner Seite zu erheben ver-
gebens versuchten; ist er der wahre einzige Schopfer
unsrer ganzen neueren Poesie, wie es Klopstock den Deut-
schen war, mit volligem Fuge mag sich dann sein dankbarer
Zogling, sein funfzigjahriger Bewunderer und sein Freund
bei der Feier des groBen Mannes, den Ewald als sein
Muster, seinen Meister, und seinen vdterlichen Freund ver-
ehrte, gedrungen fuhlen, sich das Wort zu erbitten, urn
im Namen seiner Litteratur das schuldige Opfer der Dank-
barkeit den Manen des Verewigten darzubringen. Denn
so lange das Andenken des Besten der Konige jedem
patriotischen Danen theuer und heilig seyn wird, so lange
jeder Freund schoner, vaterlandischer Kunst und Litteratur,
die Namen seiner beiden wurdigen Freunde Hartwig Ernst
Bernstorff und Adam Gottlob Moltke mit dankbarer Ehr-
furcht nennt; so lange Ewald und seine geistvollen Nach-
folger der Stolz und die Ehre der Nation sind, das heiBt,
so lange es eine Ddnische Litteratur, eine Danische Sprache
und eine Danische Nation giebt, wird auch der Name
Friedrich Gottlieb Klopstock in dem Pantheon, das unser
dankbares Vaterland seinen groBen Mannern weihet, tief
verehrt und verehrungswiirdig unter den Namen jener
seiner erhabenen Freunde und seiner dankbaren Zoglinge,
unverdunkelt glanzen.
19
DERJUNGE MATTHIAS CLAUDIUS
AN GERSTENBERG IN KOPENHAGEN
Mein liebster Freund!
!ch verfolge Sie mit meinen Briefen bis in Copenhagen. Sie
sollen zwar Dank fur Ihre Antwort haben, aber nicht den
feurigen Dank, den ich fur Sie fertig hatte; ich wollte von
Ihnen nicht gelobt, ich wollte getadelt sein. Doch Sie wollten
nach Copenhagen und zu guter letzt in Schleswig lieber
loben als tadeln; nun gut, damals hatten Sie Lust zu loben,
wenn Sie auch einmal die Lust zu tadeln ergreift, so denken
Sie auch an mich. —
Der Magister Schmidt hat die Kiisse, die ich ihm Ihretwegen
geben sollte, richtig empfangen, und ich habe wieder ein
halb Dutzend an Sie zu besorgen. Sie erhalten sie aber
nicht mit Ueberbringer dieses, Sie sollen sie zu gute haben,
wenn ich Sie einmal sehe und spreche; aber — wann sehe
ich Sie einmal? Wenn die Russen wiederkommen? O nein,
so soil mir lieber genug sein, daB ich sie gesehen habe,
— also wenn ich einmal in die Gegend komme, wo Sie sind
— na — ich hoffe alle Tage, daB irgend ein Mensch aus der
Gegend meine Dienste nothig haben mochte; in der That,
mein liebster Freund, ich hoffe auf eine Gelegenheit, denn
nach Gliickstadt gehen, und anfangen zu plaidiren — das
kann mir der Hunger nur suB machen; wenn Sie mal was
fur mich wissen, machen Sie sich urn mich verdient, ich will
Sie auch gerne lieber haben wollen, als Magister Schmidt . . .
Leben Sie wohl, ich bin
Reinfeldt, den 28. December 1762.
Ihr
Claudius.
Mein liebster Freund!
Was die Auditeurstelle betrifft, mein Liebster, so iiberlasse
ich es Ihnen ganzlich; was Sie fur gut befinden, das will ich
auch. An das Commerzcollegium habe ich gar nicht ge-
dacht, als ich Ihnen schrieb, daB ich auch die Cameralia
studirt hatte, so hoch verstieg ich mich nicht in meinen
Projecten, sondern ich dachte, wenn etwa ein Herr, der ein
20
Liebhaber von dergleichen Sachen ware, einen Secretarium
nothig hatte, oder — ich wuBte selbst nicht was ich dachte;
kurz, Sie sollten es nur wissen, daB ich auch das Cameral
studirt habe. Schreiben Sie mir bald wieder, ich freue mich
immer so, wenn ich einen Brief von Ihnen kriege; wenn
mir ein anderer eben dasselbe schreibt, so ist's mir nur
halb so angenehm, wie geht das zu? — Ich liebe Sie herz-
lich und bin
Reinfeldt, den 12. Mai 1763.
Ihr
Claudius.
Stirbt in Copenhagen nicht ein Secretair, oder braucht nicht
ein junger Herr einen Hofmeister, mit ihm auf die Uni-
versitat zu gehn? Wissen Sie was mir neulich eingefallen
ist? ich mochte wohl nach das Land Norwegen, wenn ich
da nur was zu thun hatte, bei den Bergwerken, oder sonst.
Reinfeldt, den 2. October 1763. Ihr
Claudius.
— A horse! a other Horse! bind up my Wounds — have
mercy Jesu. —
Denn mein itziges Pferd kann uns nicht beide tragen und
sie muB mit mir. —
Ich habe mir die unnothige Muhe gemacht, ein unbedeuten-
des Bauernmadchen lieb zu gewinnen, und ich habe es mit
ehrlichem Blick und Hirn beschlossen, sie zur Mannin zu
machen, wenn mir irgendwo auf dem Lande eine kleine
Amtsverwalter etc. Stelle werden konnte, im Danischen
oder Deutschen, gleich gut. Ich weiB nicht, mein lieber
Rittmeister, ob Sie itzo etwas dazu beitragen konnen, oder
mein ehemaliger Graf Hochgeboren. Ich hatte Oncle Lorck
gebeten mit dem Grafen zu sprechen, aber er thut Ihnen
eher etwas als Lorck, denn er ist ein groBer Freund und
Beschiitzer der gelehrten Leute. Ehlers seine Stelle in
Oldenburg ist offen, ich weiB keine einzige Regel mehr aus
der Grammatik und bin in dem Betracht gar nicht geschickt
zum Rector, habe auch eben nicht groBe Lust in Oldenburg
zu sein, aber wenn Sie's meinen, wollte ich's doch werden,
21
oder was Sie sonst meinen. Sie antworten mir bald eine
vorlaufige Meinung, ob ich gleich so unverschamt lange
nicht geantwortet habe. Es haben ja schon die alten Dichter
gesagt, daB die animae coelestes nicht Rache iiben. Gott
griiBe Sie und die Frau Rittmeisterin.
Bei Bode am Holzdamm
in Hamburg,
d. 3. September 1771.
Ihr
Claudius.
SchloB zu Eutin
Matthias Claudius
DIE BIENE
Wohl uns des Konigs, den wir ha'n!
Er ist ein gut Regent und Mann,
Und er hat keinen Stachel.
22
Henrich Steffens
WAS MIR DEUTSCHLAND WAR
In diesem Kreise der Romantiker unterhielt man sich fast
ausschlieBlich von literarischen Gegenstanden, von Streitig-
keiten der Schriftsteller, von den Verhdltnissen zu den
Gegnern, und ich fand mich plotzlich, obgleich ich mich
noch nicht als Schriftsteller hervorwagte, auf den Kampf-
platz versetzt und sah wohl ein, daB ich friiher oder spater
in den offentlichen Streit verwickelt werden muBte. Ich
war in bestandiger Produktivitat, ja fortdauernd in einer
Art wissenschaftlicher Begeisterung. Ideen drangten sich,
aber mir fehlte noch die besonnene Ruhe, die zur Aus-
arbeitung notig ist. Ich studierte, experimentierte, und
ward in den Zauberkreis neuer Gedanken immer ge-
waltiger hinemgezogen. Schelling trug die Naturphilo-
sophie nach einem Entwurfe vor, der gedruckt und bogen-
weise den Zuhorern mitgeteilt wurde. Ich besuchte diese
Vorlesungen, und eine jede Stunde gab mir neue Auf-
gaben, und mit jedem Tage ward mir der Aufenthalt in
Jena wichtiger . . .
Wie ganz anders trat mir meine jetzige Umgebung ent-
gegen; was mich einsam beschaftigte, war Aufgabe be-
deutender Manner geworden, war laut geworden in der
Literatur und rang nach einer geschichtlichen Bedeufung.
In diesen mdchtigen Strom einer gewaltigen Entwicklung
war auch ich hineingerissen und stand nicht mehr allein.
Diejenigen Manner, die mich in meiner Einsamkeit be-
schaftigt hatten, nach deren, wenn auch nur entfernten
Bekanntschaft ich mich so lange gesehnt hatte, waren nun
in meine Nahe getreten. Der stifle Monolog hatte sich in
ein lebhaftes Gesprach verwandelt; fremde und eigene
Aufgaben wurden von mir und den Freunden aufgestellt
und gemeinschaftlich gelost; oft erschien mir alles als ein
Mitgeteiltes, als eine Gabe, die ich mit dankbarer Freude
empfing, und dann doch wieder, als ware alles mein
innerstes Eigentum, rein aus der eigensten Betrachtung
entsprungen. Schelling stand mir unter alien am nachsten,
23
und eben die entgegengesetzte Richtung unserer Bildung
muBte die wechselseifige Anziehung verstarken.
Es gab Augenblicke, in welchen ich fiber die Macht seiner
Gegenwart erschrak; denn ich war durch Neigung und
auBere Verhaltnisse friih nach der Natur hingezogen; ich
war durch Gegenstdnde genahrt, und der geisfige Assimi-
lationsprozeB verbarg sich in der stillen Entwicklung und
auBerfe sich lange mir in Traumen und Ahnungen, von
dem BewuBtsein abgewandt. Durch Spinoza ward ich aus
dem Schlafe geriittelt, aber durch Schelling zuerst in Tatig-
keit gesetzt.
Natur und Geschichte hatten eine andere Bedeutung er-
halten, Kldnge aus der Vergangenheit, Ereignisse und
Lehren, Poesie und Kunsf verrieten mir Geheimnisse, die
ich friiher nicht ahnte; selbst die geselligen Verhaltnisse,
die Personen der nachsten Umgebung, erhielfen einen frem-
den Glanz und schienen mir aus der bis dahin verborgenen
Welt hervorzutreten, die sich wunderbar fur mich auf-
zuschlieBen versprach. — Ja es war eine Zeit warmer,
reicher Begeisterung, und ich war gewiB nicht der einzige
Enthusiast dieser Tage, aber den Fremden, aus fernen
Gegenden mit Gewalt Herbeigezogenen muBten diese Tage
mit ihrem plotzlichen Licht machtiger aufregen, heftiger
bewegen ...
Eines Abends wurde ich zu From ma nn eingeladen;
Goethe wurde erwarfet. Mit welcher Spannung ich dem
Abend entgegensah, begreift ein jeder, der es weiB, was
mir Goethe von meiner Kindheit an geworden war.
Meine genaue Bekanntschaft mit Goethes Schriften hatte in
der Schlegel'schen Familie einiges Aufsehen gemacht. Man
wunschte einst zu horen, wie Goethe sich in dem Munde
eines Nordlanders ausnehmen wurde. Ich wurde auf-
gefordert, einen Teil von Faust, wie er damals in dem ersten
Fragment erschienen war, vorzulesen. Das Buch war nicht
gleich zu finden, und ich rezitierte den ersten Monolog
aus dem Kopfe. Ich fragte, ob ich noch weitergehen sollte,
und hatte in der Tat den groBten Teil des Fragments ohne
Hilfe des Buchs hersagen konnen. Die Frau war entzuckt,
und es ward beschlossen, mich baldmoglichst dem groBen
24
Dichter vorzustellen. Nun war aber Frommann dem guten
Willen meiner Freundin zuvorgekommen.
Es ist eine eigene Empfindung, wenn man zum ersten Male
einem Mann vorgestellt wird, der einen groBen und ent-
schiedenen EinfluB auf unser Leben gehabt hat. Ein solcher
Moment bildet eine wahre Epoche, und mir war es, als ich
zu Frommann hinging, als stiinde mir ein verhangnisvolles
Ereignis bevor. Goethe erschien. Es ist einem jeden be-
kannt, der ihn jemals gesehen hat, wie seine edle Gesfalt,
seine Art sich darzustellen, sein machtiges Auge und das
wahrhaft Vornehme seiner ganzen Gestaltung, die Ruhe,
mit welcher er erschien, wahrend eine reiche Welt sich
sichtbar in ihm bewegte, auch demjenigen imponierte und
iiberraschte, der die GroBe seiner Schriften durch die Ge-
stalt ausgedriickt zu sehen erwartete. Ich muBte, als ich
ihn zuerst erblickte, mich schnell abwenden, denn mirtraten
unwillkurlich Tranen in die Augen. Es war mir, als sahe
ich Egmont, der sich als Oranien, Tasso, der sich als
Antonio darstellte. In der Gesellschaft war ein Herr von
Stackelberg aus Livland, dessen schone und anmutige Frau
mir sehr gefiel; er ward zugleich mir mit Goethen vor-
gestellt.
Die Selbsttauschung, als miiBte Goethe eine Ahnung haben
von alle dem, was er mir geworden war, ist zu natiirlich;
er aber unterhielt sich den ganzen Abend mit dem Herrn
von Stackelberg . . .
Den Tag darauf* hielt, der Verabredung gemaB, Goethe
vor meiner Wohnung ; ich eilte mit meinem Mantelsack hin-
unter und fuhr nun an Goethes Seite nach Weimar. Ich
war dort einige Tage sein Gast . . .
Goethe war im hochsten Grade mitteilsam; es war ihm
darum zu tun, junge Naturforscher fur seine Ansichten zu
gewinnen. Die paar Tage verflossen in einer bestdndig
fortdauernden naturwissenschaftlichen Unterhaltung. Ich
lernte nun Goethe von einer mir bis dahin unbekannten
Seite kennen. Das tiefe Naturgefiihl, die lebendige schop-
ferische Macht, die durch alle seine Gedichte hindurchging,
uber alle seine Darstellungen ein helles Licht ergoB, rang
* Einige Zeit spater berichtef Steffens diese Begegnung.
25
nach BewuBtsein; Pflanzen und Tiere und das allbelebende
Licht, welches als ein Ding unter den andern Dingen, zu-
sammengesetzt wie diese, sich in Farben verteilen lieB und
so nur in ein auBeres VerhQltnis zu allem Lebendigen treten
konnte, erschienen hier zwar nicht in einer bewuBten Ein-
heit, aber ein tiefer geistiger Instinkt faBte sie dennoch zu-
sammen. Wer mein Leben und meine Neigung mit einiger
Teilnahme verfolgt hat, wird einsehen, wie bedeufend mir
diese Zeit sein muBte. Was ich zu erringen sfrebfe, alle
Richtungen meines Daseins schien er zu kennen, und der
Schatz, den ich unruhig suchte, schien ihm ein, von einer
giinstigen Natur geschenkter Besitz zu sein. Ich verlebte
diese kurze Zeit wie in einem Taumel, und hielt mich nun
fur entschieden iiberzeugt, daB eine lebendige Natur-
anschauung, die ich als die Quelle der echten Dichtkunst
betrachtete und die so heitere und bedeutungsvolle Friichte
getragen hatte, auf immer fur die Geschichte gewonnen
ware. Mein ganzes friiheres Leben schien mir eine dunkle
Prophezeiung, deren Erfiillung nahe lag, und voll Be-
geisterung eilte ich nach Jena zuriick, um Schelling mit-
zuteilen, was ich entdeckt zu haben glaubte. Er war aber
schon mit allem bekannter als ich . . .
So lebte ich nun mit Tieck und Fried rich Schlegeleinige
Monate lang, und wir sahen uns alle Tage. Was mir diese
Zeit geworden, ist schwer zu sagen; denn der geistige Ein-
fluB eines so bedeutenden Mannes laBt sich nicht als etwas
Vereinzeltes oder Gesondertes darstellen; er bildet nicht
ein bloB Mitgeteiltes: er wirkt anregend auf die eigenste
Natur. Wir fuhlen uns nicht gefesselt durch ihn, wie durch
etwas Fremdes, welches uns hinzugefiigt wird. Was her-
vorgerufen wird, entspringt aus uns selbst, und je mdchtiger
der EinfluB ist, desto freier und selbstandiger fuhlen wir
uns. Die Kunst schloB sich mir in dieser Gesellschaft reicher
auf; ich lernte das Urspriingliche von dem Abgeleiteten,
das Einfache von dem Manierierten, die Natur der Kunst
von der Einseitigkeit der Schule unterscheiden. Die groBen
Dichterepochen der Italiener, der Spanier, der Engldnder
und der germanischen Vergangenheit traten mir nahe, ja
ich ward in ihre Mitte versetzt durch einen ihnen ver-
wandten Geist. Ich erlebte diese bltihenden Zeiten, ich
26
genoB die bedeutende Vergangenheit, als ware sie eine
reiche Gegenwart, und sah einem jeden Tage mit Freuden
entgegen . . .
So als ein mit den FuBen spielendes, mit der Zunge lallendes
Kind, aber auch mit der Prunklosigkeit der Entwicklung des
Kindes und von der reichen Hoffnung erfiillt, muB man jene
Rungeschen Anfange der Kunst betrachten. Das Spielen
zwischen Kindern und Blumen, die sich wechselseitig ver-
standigen, soil einen Tag der Kunst herbeifuhren, stellt ihn
aber noch nicht dar; daB jedoch dieses scheinbar nutzlose
Spiel nicht ein leeres sei, das beweist die tiefe Absichtlichkeit,
die in ihm verborgen liegt wie in dem Organismus des
Kindes.
Meine Bekanntschaft und innige Verbindung mit Runge rief
zuerst die Bedeutung einer neuen Kunst, einer neuen Poesie,
die ich erwartete, hervor; sie schwebt mir noch immer wie
eine zukiinftige, lebendige Hoffnung vor derSeele, obgieich
die ersten Tone der Poesie, welche die kiinstlerische Voll-
endung der Mythe verkiindigen und beleben sollten, mit
der Tieckschen Marchenwelt ebenfalls in ihrem kindlichen
Lallen verklangen. — Runge war dem Tode geweiht; die
hektische Konstitution sprach sich entschieden aus, die
roten Flecken auf den Wangen verkiindigten die An-
ndherung der letzten Stunden, und ein tief wehmutiges
Gefiihl durchdrang mich, als ich mich zuletzt von ihm
trennte . . .
Unter den jiingeren Mannern, die auf diese Weise das alte
Germanien durch die verklungenen Sagen und Gedichte
neu zu beleben suchten, zeichneten sich die Gebriider
Grimm vorziiglich durch ein ernsthaftes, geregeltes, fur
das ganze Leben festgehaltenes Studium aus. Wilhelm
Grimm hatte sich schon in Kassel mit der Ubersetzung alter
danischer Gedichte beschaftigt. Sie wurden mir, wahrend
Reichardt sich in Kassel aufhielt, durch Luise zum Durch-
sehen und zur Korrektur zugeschickt. Ein Herziibel hatte
ihn nach Halle gebracht, um Reil zu konsultieren. Er
mietete sich in dem von mir bewohnten House ein, deren
Besitzerin Reils Schwester war, und ich sah ihn fast ein
27
Jahr lang taglich. Sein stilles, ruhiges und mildes Wesen
zog mich an. Er iibersetzfe Peder Syvs Kampenlieder
(Kiampe-Wiiser) aus dem Danischen, und es freute mich,
daB ich ihm bei manchen zweifelhaften Stellen behilflich
sein konnfe. Seine Beschdftigung hatte fur mich etwas sehr
Anziehendes, und es war mir angenehm, durch freund-
liches Zusammenleben und taglichen lehrreichen Umgang,
durch die stille Beschdftigung und durch das griindliche
Forschen eines liebreichen jungen Mannes mit einer Rich-
tung der Literatur, die so weit von meinen eigenen Studien
entfernt lag und die schon seit meinem ersten reichen Auf-
enthalt in Deutschland mir so bedeutend erschien, auf die
bequemste Weise bekannt zu werden. Wilhelm Grimm war
mit Brentano zugleich da, und natiirlich bildete die alte
deutsche Poesie den Hauptgegenstand unserer Gesprache.
Allerdings hatten Manner von hohem Rufe sich mit den
Uberresten der alten deutschen Poesie fruher beschdffigt.
Ich nenne nur Leibniz, Bodmer, Lessing, aber alles blieb
fragmentarisch; die wichtigsten Schatze blieben in den
Bibliotheken verborgen, der groBe Zusammenhang aller
nordischen Mythen und Sagen war unbekannt, und als das
Nibelungengedicht durch Miiller gedruckt wurde, erregte
es kaum einige Teilnahme. Seit August Wilhelm Schlegel
und vorzuglich Tieck das Interesse fiir dieses Studium leb-
haft anzuregen wuBten, war es zu bewundern, mit welcher
Schnelligkeit es sich allenthalben verbreitete. Fruher nur
halb gekannte oder ganz unbekannte Schatze entdeckte
man in den Bibliotheken, und es entstand eine Bewegung
in der literarischen Welt, die verglichen werden kann mit
derjenigen, die in Italien sich auBerte, als die griechischen
Manuskripte aus der klassischen Zeit dahin stromten. Das
groBe Verdienst, welches sich damals besonders von der
Hagen erwarb, indem er vorzuglich dazu beitrug, das
Nibelungenlied und die Gedichte und Sagen, die sich an
dieses anschlossen, zu bearbeiten und zuganglicher zu
machen, indem er zugleich auf den innern Zusammenhang
der altesten deutschen Dichtkunst mit den skandinavischen
Mythen aufmerksam machte, ist allgemein bekannt. DaB
dieses Studium zuerst vorzuglich mit dem reichen Inhalte
so vieler neuer Schatze, die den Forscher fast iiberwaltigten,
sich beschaftigen muBte, war sehr natiirlich . . .
So war eine geistige Bewegung der Zeit, die mir fremd
schien, mir durch bedeutende Reprasentanten nahegetrefen,
und doppelt wichtig erschien sie mir, weil sie in ihrer tiefsten
Wurzel deutsch war, weil Deutschland, wie es aus der
uralten, noch zum Teil verschlossenen dunklen Vergangen-
heit mir nahetrat, mir immer bedeutender ward, und selbst
meine eigenen Studien, so fremd sie schienen, dennoch aus
der alten Quelle deutschen Geistes entsprangen und eine
Verwandtschaft der fremdartigsten Bestrebungen des
einen, in alien seinen Richtungen bewegten Lebens kund
taten und erkennen lieBen . . .
Deutschland ist — das war meine durch ein langes Leben
tief begriindete Uberzeugung — berufen, alle kultivierten
Volker des Festlandes zu befreien, nicht dadurch, daB es
seine Eigentumlichkeif fremden Volkern aufzudringen
suchte, vielmehr dadurch, daB es ein jedes Volk nach sich
selbst und nach seiner besonderen Geschichte hinwies. Nur
so konnte ein tieferes Verstandnis moglich werden, und
Volker, zu eigener Personlichkeif heranwachsend, konnten
jenes wechselseitige Gesprach anfangen, welches die MiB-
verstdndnisse der Zeit losen wird und auf dessen Heran-
nahen alle tieferen Geister der Zeit warfen. So wie in
Europa Deutschland, so trat in Deutschland mir PreuBen
entgegen als dasjenige Land, welches als der befreiende
Mittelpunkt hervorfreten sollte . . .
Als Deutschland seine eigentliche geschichtliche Bedeutung
zu verkennen anfing, erlahmten die Hdnde, verstummte der
kunstreiche Geist, und unvollendet liegt das groBe Werk
da. Aber es hat seinen kiihnen, die Zeit beherrschenden
Sinn fiir alle Zeiten ausgesprochen. Wir sollen den Bau
aufnehmen und erneuern, nicht so wie er durch die Er-
lahmung der Zeit stockte, aber im frisch erneuerten Sinne.
Was ein erkranktes Leben erfrischen will, muB selbst
lebendig sein; es soil nicht bloB sich passiv hingeben, es
soil die alte, in sich erkrankte Zeit iiber sich selbst auf-
klaren, daB sie neu erstehe. Das wirklich Belebende einer
neuen Zeit ist nur konservativ, indem es zugleich pro-
gressiv ist.
28
I-
J;'
29
Henrich Steffens
GEDANKEN
ZUR GEGENWARTIGEN ZEIT
Wir behaupten, daB alle Hoffnung einer, wenn auch nicht
durchaus friedlichen, dennoch geordneten und heitern Zu-
kunft, auf Deutschland beruht, und seine groBe Bedeutung
soil durch eine gedrangte geschichfliche Uebersicht, welche
die wunderbaren Wege Gottes, die, seit Jahrhunderten ver-
folgt, jetztoffen und kundig werden wollen, ingroBen Ziigen
zu erkennen giebt, sich dem Verstandigen enffalten.
Deutschland liegt in der Mitte von Europa, wie sein Herz.
Wo die Kalte hemmend hervortrift, da endigt es gegen Nor-
den; wo die Sonnenstrahlen zu stark zu brennen anfangen,
wird es gegen Siiden begrdnzt. Es wird von anmuthigen
Bergen durchzogen, ist mit schonen Waldern und nahr-
haften Pflanzen gesegnet; groBe Fliisse wdlzen ihre machti-
gen Fluthen in mancherlei FUchtungen durch das Land,
durchstromen fast alle Lander von Europa, und ergieBen
sich nach alien Weltgegenden. In diesem glucklichen Lande
wohnt ein uralter Stamm . . . Dieser Stamm hat sich durch
alien Wechsel der Zeiten wunderbar rein erhalten, und
seine alte Sprache, mannigfaltig verandert und umgestaltet,
hat den alten Grundton dennoch behalten, und die Er-
innerung einer tiefen Vergangenheit, einer Kindheit, die
seit Jahrtausenden verschwand, ruht noch, wenn auch
dunkel und rathselhaft in dem deutschen nationalen Ge-
miithe. So von Gott auserkohren, das GroBfe und Heiligste
in der Geschichte zu pflegen und zu erhalten, ward dieser
Stamm mannichfaltig gepriift, g I ucklich, wenn er seinen
gottlichen Ruf erkannte und was ihm anvertrauet war
innerlich bewahrte, verlassen und ungliicklich, wenn er
fremden Gottern huldigte . . .
Die Scandinavier sind urspriingliche Stammverwandte der
Germanen. Ihre Sprachen haben eine gemeinschaftliche
Wurzel, und je tiefer man beide, bis zu den ersten Stufen
ihrer gegenseitigen Entwickelung, zu verfolgen vermag,
desto vernehmlichertritt die alte Verwandtschaft hervor . . .
30
Danemark in der Klopstockzeit
Und, damit wir nur von der neueren Zeit reden, wie viele
beriihmte Deutsche kamen nicht mit Danemark in Be-
ruhrung. Klopstock erhielt von der danischen Regierung
eine Pension, ja sie war die erste, welche die Verdienste
dieses auBerordentlichen Mannes anzuerkennen, zu schat-
zen, zu belohnen wuBte. Kramer und Basedow wirkten in
Danemark, wie in Deutschland, VoB kam durch die Nach-
barschaft, die beiden Stollberge durch Verwandtschaft,
durch Besitz, durch Aemfer mit Danemark in Verbindung;
Lavater suchte inKoppenhagen mehrere machtigeVerehrer
auf; Herder, Schiller waren mit danischen GroBen in
freundschaftlichen Verhaltnissen. Aus Gothe's Leben wissen
wir, wie sehr Gellert an den dort studierenden reichen
Ddnen hing. Durch die seltene Liberalifat der danischen
Regierung werden eine groBe Menge junger Studierenden,
und eben solche, die zum Theil in ihrem Vaterlande durch
Talente und Kenntnisse schon einen Ruf erlangt haben, in
den Stand gesetzt, ihre letzte Ausbildung im Auslande zu
vollenden, und das machtige nachbarliche Land zieht diese
vorzuglich an sich. Eine jede geistige Richtung, die in
Deutschland hervortritt, klingt daher in Danemark wieder,
und die wissenschaftlichen Kampfe, die philosophischen,
padagogischen, poetischen, so wie sie in Deutschland laut
werden, wiederholen sich fast mit alien Schattirungen in
diesem Lande. So war es natiirlich, daB das tiefe Streben
des erwachfen Deutschlands einem Jeden, der geistige Be-
diirfnisse zu befriedigen suchte, machtig ergreifen muBte . . .
Deutschland und die germanischen Volker
Sie sind geistig Verbundete, und daher zeigt sich die
deufsche Selbststandigkeif des Geistes auch hier. Danen
haben sich in allem, was den Deutschen eigenthumlich ist,
ausgezeichnef . . . Daher sind so viele ddnische Schriftsteller
zugleich deutsche. Das Tiefste, was sie zu sagen haben,
driickt sich rnit gleicher Leichtigkeif in beiden Sprachen
aus. Dieses gilt besonders von den Dichtern. Der herr-
liche Ewald war acht deufsch: das bewundernde Studium
englischer Dichter vermochte die germanische Natur nicht
31
zu iiberwinden. Ganz Deutschland kennt Baggesen und
vorziiglich Oehlenschlager. Um den letzten besonders zu
schdtzen, muB man seinen EinfluB auf die danische Sprache
kennen; denn er hat in ihr bis jetzt verborgene Schafze ent-
deckt; sie hat durch ihn vorziiglich eine Bedeutung er-
halten, die ihr Studium den Deutschen nothwendig machen
wird. Ein BiindniB setzt wechselseitige Theilnahme voraus.
Wenn Deutschland seine wahre innere Eigenthiimlichkeit
erkennt, dann wird es auch die skandinavischen Bruder-
sprachen nicht verschmahen und der wechselseitige Bund
wiirde fur die tiefere Ausbildung beider Sprachen von gro-
Ber Wichtigkeit seyn. Nicht, daB sie sich in einander ver-
schmelzen; ihre Verschiedenheit voll tiefer Bedeutung, ist
allmahlig auf acht historische Weise geworden, und
wurde durch eine vollendete auBere Sonderung und eigen-
thiimliche Ausbildung die innere geistige Verknupfung am
deutlichsten darthun. Die Richtung der Deutschen gegen
ihre uralte Vergangenheit, die in den neuern Zeiten so be-
deutend hervortrat, fordert besonders zum Studium der
skandinavischen Sprache auf, weil die deutsche Sprache,
die skandinavischen und islandische, die der gemeinschaft-
lichen Wurzel so nahe liegt, nur in der genauesten Be-
ziehung auf einander geschichtlich verstanden werden
konnen . . .
Die innere Verbriiderung mit der geistig bedeutendsten
Nation inEuropa ist, denke ich, einSegen.keineSchmach . . .
Die Schweiz, Holland und Skandinavien gehoren zum
groBen deutschen Bunde, und wurden durch einen solchen
Bund die innere Eigenthiimlichkeit und Seibststandigkeit
retten, veredeln, im groBern Styl ausbilden . . .
Uber Deutschlands Zukunft
Zwar fu'hle ich es, daB, wem die Zuversicht nicht gegeben
ist, sie auch durch keine Darstellung gewinnen wird, daB,
wer mit seinen Wunschen und Hoffnungen an endlichen
Bedurfnissen, welche nur in der endlichen Gegenwart ge-
boren und befriedigt werden, klebt, sie selber die herrliche
Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft in sich schlieBt,
niemals schauen wird. Aber ich weiB, was mich bewegt,
was mich belebt; nicht erdacht ist es, sondern erlebt, inner-
32
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fd>ictbcr ibtmata alf* numttfiUrtef an t t \$ gttbtn/ IPcUbcrbflVtiitibiiwf
jtbt Capirel mit cinentlitt>m vnt> tifrlidmt S'ftoi'fti bn-aufi <tt|Trid?c»/
tMabtrCejcrbm irtitbflllct* wal mtroi|r<i , IM>(i.|iiiiim*>a'
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6«mcFtsu95«fi'I/ic-
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Tilelseile der ersten deutschen Ubersetzung von Olavus Magnus
beruhmter ,,Geschichte der mitternachtigen Lander"
ged ruckt in Basel 1 567
Aufn. Nordische Gesellschaft
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©oOnk 0H1 n«f ton Ifjifli "pi* 6 SXpInf ,
©ontiftftit**/ Wn3 >>SK«i>/ 1742.
Hamburger Theater zetlel zu einer Holbergauffuhrung 1742
Aufn. Staafsbibliothek Hamburg
lich erlebt, ich habe seine Geburt in der finstersten Nacht
des drohenden Unterganges geschaut, dieser habe ich mich
angeschlossen, und ihr gehore ich zu, die gottlichen Kinder-
augen lachelten mich damals heiter an, und wo Tausende
verstummten, ward mir das Wort gegeben. Ich weiB, da(3
ich nicht allein bin, daB ich geistige Briider habe, ja einem
stillen nationalen Bunde zugehore, dessen Geheimnisse
einem Jeden verkiindigt werden, der sie vernehmen mag . . .
Warum muBte Deutschland das Harteste erdulden? warum
die furchtbarste Schmach, die unertraglichste Demiithigung?
Deshalb, weil es bestimmt ist, das Heiligste zu offenbaren,
weil das GroBte im Volk noch schlummert, weil das Hochste
aus der geistigen Bildung sich hervordrangt, weil Liebe
und Glauben und Treue frei walten sollen. Daher die
Prufung, die Alles zusammenstiirzte. Noch nie, seif die
germanischen Volker als Deutsche, das Herz von Europa
beherrschten, hatten sie eine solche Schmach erlebt, noch
nie waren sie so scheinbar verloren. Hartes zwar hatten
sie erduldet, innere Uneinigkeit und Politik fremder Volker
hatten das Reich zertrummert, aber fremde Fesseln kannte
das freie Land nicht. Daher vermochten wir es nicht zu
glauben, bis das Ungeheure geschehen war. Aber der
Knoten, den keine irdische Gewalt zu losen vermochte,
sollte zerhauen werden, damit der keimende Geist eine
neue Zukunft gestaltete. Was damals in den Zeiten der
hochsten Noth dammernd hervortrat, das sollen wir fest-
halten. Damals unter Jammer und Noth, unter unertrag-
lichem Drucke ward Deutschland wiedergeboren, es
war das allgemeine Losungswort, und ein Jeder nannte
etwas Ueberschwengliches, etwas Heiliges, wenn er das
theure Wort aussprach . . .
An dieses Deutschland glauben wir. Die alte Welt soil in
ihrer Trefflichkeit uns vorleuchten, und das Erkennen
bilden, die herrliche, eigene Vorzeit soil die erkaltete Liebe
und Kraft unter uns erwecken, daher treten beide lebendig
unter uns auf mit gleich groBer Bedeutung, ein drittes
Element, als unserer Zeit eigenthumlich, hat sich gestaltet,
das ist die Natur, deren Erscheinungen uns mannichfaltig
ergriffen haben, und so im Leben wie im Erkennen, nach-
dem wir in falscher Richtung sie fassend, irregeleitet wur-
den, einen groBen Kampf und Sieg uber den machtigsten
3 33
Feind uns verspricht. Ob nach jener Prufung, die wir eben
iiberstanden, neue, vlelleicht noch hartere uns bevorstehen,
hdngt lediglich von dem Sinne ab, in welchem wir die
Aufgabe fassen, deren Losung uns anvertraut ward. Denn
nicht ein auBeres Gliick ist uns geschenkt, nicht ohne Opfer
von mancherlei Art wird Das nur gedeihen, was doch nut-
in einer groBen Anlage keimt. Aber das wissen wir und
verkundigen es laut, weil wir es erkannt haben, daB sie
gedeihen wird die groBe Zeit, ja die groBte, die die Ge-
schichte sah, und die bedeutungsvoll vor uns liegt. Fur
uns, in der Fulle solcher Hoffnungen geboren, ziemt es
sich nicht, mit krankhafter Sehnsucht an der Vergangenheit
zu haften, vielmehr soli sie lebendig werden in einer herr-
lichen Zukunft, der wir uns nahern.
34
ADAM OEHLENSCHLAGER
ANJOHANN WOLFGANG GOETHE
Paris den May 1807.
In dem Augenblick da Herr von Herda fertig steht urn nach
Deutschland zu reisen, kann ich mich nicht enthalten Ihnen
mein edler Meister und Gonner einen herzlichen GruB zu
senden, wobey ich Jeziges Gedicht fiige, das langste was
ich noch in deutscher Zunge gemacht habe. Mochte es
meine Erinnerung in Ihrer Sele zuriickrufen, und die guten
Gedancken, die Sie von meine Anlagen zu haben geruhten,
erneuern; es ware gewiB der beste Lohn den ich mir wiin-
schen konnte.— Herr von Herda, dessen angenehme Be-
kanntschaft ich leider erst ein Par Tage vor seiner Abreise
gemacht habe, wird Ihnen doch etwas von mir sagen
konnen. — Ich habe ein ddnisches Trauerspiel wieder ge-
dichtet: Palnafoke, der Stifter Jomsburgs. Mit Sehnsucht
erwarte ich, daB Herr Frommann mir das Mskript von
Aladdin und Hakon Jarl senden soil, damit ich beide um-
arbeite. Mehrere kleine deutsche Gedichte habe ich ge-
macht, und ware nicht ungeneigt solche in eine lyrische
Samlung auszugeben, wenn es Herr Frommann genahmig
seyn sollte, solche auf die selben Conditionen wie Aladdin
und Hakon zu verlegen. Diese Samlung konnte dann ge-
druckt werden wahrend ich die Schauspiele umarbeite.
Ich bin gesonnen eine Kiinstlertragedie zu schreiben ,,Cor-
reggio" das dramatische Motif seines Todes kennen Sie . . .
Ich bin bey der Frau von Stael Holstein gewesen, die ich
angenehm und lebendig gefunden habe. Selbiges getraue
ich mir nicht von ihren beiden Trabanten die Herren
Schlegel zu behaupten, die mir wie ein Par versteinerte
Mammonsknochen von der anorganischen Riesenzeit vor-
kommen; es sind petrifizierte Titanen, deren gestoBenes
Gebein keinen Nuzen mehr in der litterairen Apotheke
Deutschlands machen kann, und doch wollen sie noch
immer die Gotter bestiirmen . . .
Wie oft wtinsche ich mich nach Weimar auf einige Stunden
wo das gastfreie Salve mich so freundlich einlud, bis es
von die FuBe wilder Scharen ausgeloscht wurde; aber jezt
steht es gewiB wieder neu aufgefrischt. Der friedliche
3 * 35
Weihrauch winkt wieder und lockt zum kleinen attischen
Tempel Deutschlands, wo Goethes Leben belebf, Schillers
Gelst begeistert. Der graBliche Augenblick ist vorbey;
die Verwundeten sterben jezt wieder einen Scheintod auf
Thespis leichtgezimmertem Wagen, der nur Schaften und
Idole tragen kann, und die grause Wirklichkeit ist wie ein
fliichtiges Trauerspiel, das nur augenblicklich gaukelt, mit
alien den ubrigen von den Brettern verschwunden. Jezt
bliiht der Garten wieder. Das wu'ste Leben hat die Hama-
dryaden nicht idnger weggescheucht, sie bewohnen wieder
Felsen und Grotten, und geben einem jeglichen gern was
er im Stillen begehrt.
Aber ich werd es alles wieder sehen auf meiner Zuriickreise
von Italien. Zum dritten Mahl werd ich mich erquicken
vor dem Angesicht meines Meisters, meines Voters. Der
fruchtbare Herbst seines Lebens wird mir mit seiner heitern
warmen Septembersonne bescheinen. GewiB ich werde
mein Vorbild der Vollendung, Besonnenheit und Seelen-
ruhe wieder sehn.
Gott erhalte Sie! Ich bitte ihre Frau Gemahlin und den
lieben Riemer, wie Frommanns innigst zu griiBen. Ich ver-
gesse Sie gewiB alle nie, und hege die Hofnung daB ich
auch nicht vergessen werde.
A. Oehlenschldger.
Verzeihen Sie mir theuerster Meister! DaB ich so iiber-
muthig bin; aber habe ich nicht Ursache? Es ist heute der
4te Morgen der 5te September, und ich weiB doch mit
ziemlicher GewiBheit daB weder heute noch Morgen
Bomben und Feuerkugeln in mein liebes Kopenhagen*
geworfen werden; daB weder mein Vater, meine Schwester
noch iibrige Freunde und Anverwante Arme, Beine oder
Leben verlieren werden. MuB ich dann nicht froh seyn?
Hurra!!
Voriges Jahr war es anders; vier Wochen giengen hin
worin ich Ursache zu vermuthen hatte daB Sie alle ge-
todtet waren, und die ganze Gegend meiner Kindheit ver-
* Im Jahre 1807 uberfielen und beschossen englische Kriegsschiffe
Kopenhagen.
36
wiistet und zugrunde gerichtet. Und doch hat Gott bis
dato seine Hand iiber Sie gehalten, und wird es ferner thun.
Hurra!
Meinen Aladdin haben Sie hoffentlich gleich erhalten von
Herrn Brockhaus. Nehmen Sie vorlieb, lieber Meister!
besser konnte ich es warlich nicht machen. Sie sehen ich
habe eigentlich das ganze Gedicht umgearbeitet und viele
von Ihren Winken benutzt und befolgt. Hat mein extem-
porirtes Stottern zum erstenmahl Ihnen gefallen, so weis
ich daB die fleiBige Aus- und Bearbeitung Ihnen nicht hat
misfallen konnen, und daB Sie mir zugestehen werden:
ich habe Fortschritte in der deutschen Sprache gemacht,
seitdem wir uns letzens sahen . . .
Aber, mein geliebter Gonner! wollen Sie mir wohl die
unsagliche Freude machen eine Recension iiber meinen
Aladdin zu schreiben? Sind Sie doch Schuld daran daB er
im Deutschen ausgekommen ist. Eine solche Recension
wollte mich als Mensch auBerordentlich freuen, als Dichter
auBerordentlich wehrtseyn und als Burger auBerordentlich
nutzen. Die Herren zu Hause verstehen bitter wenig von
der Aesthetik. WennSie mich herunter gerissen in einem
deutschen Blatte sehen, werden Sie sagen: Que diable
vouloit mon fils a cette galere? Sehen sie dagegen eine
Recension von Ihnen werden sie sagen: A la bonheur! c'est
une autre chose! . . .
O wie hat mich der erhabne Faust, und der gottergleiche
Achilles gefreut und begeistert. Edler Meister! ob sie mit
Farben auf Glas mahlen, oder mit dem Meisel das Marmor
bearbeiten, sind Sie immer der groBe unsterbliche Johan
Wolfgang Goethe! Gott sey lob daB so ein Beyspiel vor
uns jungen Menschen dasteht; das giebt Muth, denn es zeigt
was ein Mensch werden kan.
Man sagt daB Sie in Carlsbad einen Roman geschrieben
haben sollen. Ist das wahr? O wie ich in Werther im
Fruhlingswaldeging umgeduftet von Blumen durchgeblasen
von Friihlingssturm und benetzt von Friihlingsregen, wie
der Sommerschatten mich in Wilhelm Meister mich labend
kiihlte, so wird ein herrlicher Herbstwald mit seinen vollen
dunkelgriinen gelbgefleckten Lauben sich jezt eroffnen und
mich einladen. Da werden die reifsten Friichte rothlich auf
den Zweigen hangen, die Walniisse eben aus der Schaale
37
gesprungen braun vor mir im Grase liegen, der Abend-
purpur in seinem erhabensten Glanz lebendig durch das
dunkle Geholz strahlen. Die Vogel werden nicht viei
zwitschern, und nicht viele Blumen duften (wie sie es zum
Eckel thun in den neuesten Wasserwiesen, wo eigenflich
nur Kiihe grasen sollten) aber Madchenwangen werden
schoner als Rosen gliihen; und besser als Nachtigalle wer-
den Madchen wehmuthsvoll- und liebevoll in der Laube
bey der Guitarre singen; der Vater Homer geht im langen
Gewande mit der Harfe auf den Riicken durch den Wald,
mit ewigen Rosen der ewigen Jugend urn das Haupt; und
als Lilie schlingt die silberne Locke sich ein, wahrend die
schwarzen Locken die machtiger daneben sitzen, die vorige
Kraft beweisen, und ein langes, heiteres Leben verkundigen.
Wie freut es mich daran zu denken mit dem Fruhlinge
wieder in Weimar zu seyn; meinen vielgeliebten Meister
wieder zu sehen, Ihnen von Italien zu erzahlen und — viel-
leicht — meinen Hakon auf dem einzigen deutschen Theater
wo Harmonie und edler Ton herrscht aufgefuhrf zu sehn.
Ich werde Sie gewiB wieder sehen — das dritte, vielleicht
das letze Mai. Ach wenn Sie wusten wie ich Sie liebe. Sie
sind der einzige Jezt lebende vor dem ich mein Knie beuge
und zu dem ich sage, Liebe, lehre mich. Ich bitte die Frau
Gemahlin und Riemer innigst zu griiBen. Erfreuen Sie
mich mit einigen Zeilen von eigner Hand.
A. Oehlenschlager.
38
Aus Oehlenschlagers Lebenserinnerungen
Jean Paul
Aber meine nach Liebe diirstende Seele konnte sich mit
diesen classischen Dichtungen nicht begniigen; ich bedurfte
eines unendlichen Dichtgrmeeres, in dem mein Geist sich
wiegen und in Ahnung, Sehnsucht und Wehmuth, in Laune
und Uebermuth taumeln konnte; und dies fand ich, als
O. H. Mynster mich mit Jean Paul bekannt machte — und
ich seinen Hesperus, Siebenkas und das Campanerthal
gelesen hatte. Freilich muBte ich mich hineinarbeiten; viele
Gleichnisse und Anspielungen verstand ich nicht; ich muBte
iiber Haiden gehen, durch Moraste waten, und Dornen-
gebusche durchbrechen, urn zu den schonen Oasen zu ge-
langen.welche mitten in derWiiste derWeitlaufigkeit lagen.
Aber wenn ich nun dort stand, wie labte mich die Quelle,
wie belohnt fuhlte ich mich. Jean Paul hat ausgesprochen,
was kein anderer Dichter auszusprechen wagt. Oft beginnt
er da, wo Andere schweigen, und setzt seine Rede fort,
bis sie gleich himmlischer Musik in den Wolken verschwin-
det. Welche KenntniB von Allem, welch tiefer Blick in das
menschliche Herz, welch schone Liebe fiir alles Schone! . . .
Freilich flattert Jean Paul allzusehr in der Morgen- und
Abendrothe umher, verliert sich allzu oft in der MilchstraBe
und den Nebelsternen; doch lohnt es sich wohl der Miihe,
mit diesem Luftschiffer in dem poetischen Ballon in die Hohe
zu steigen, wenn man auch zuweilen Nichts yor lauter
Wolken sieht und von den Nebeln durchndBt wird. . . .
Oehlenschlager will deutscher Dichter werden
Merkwiirdig ist's, daB er*, der groBePhilolog.der es so weit
in fremden Sprachen gebracht hatte, der einzige war, der
mir davon abrieth, Deutsch zu schreiben; er meinte, man
konne nur in einer Sprache Dichter sein. Abstract ge-
nommen, werden die Meisten ihm gewiB Recht geben, und
Wolff, bei dem doch eigentlich das Griechische und Latei-
nische stets im Gegensatze zu seiner deutschen Mutter-
sprache war, und der vom Danischen gar nichts verstand,
mochte sich wohl zu einer solchen Meinung befugt fiihlen.
Prof. Wolff.
39
Er wuBte, daB er mit all' seiner Gelehrsamkeit und seinem
philosophischen Genie doch niemals Grieche oder Romer
werden konne. Er wuBfe, daB ein groBer Unterschied zwi-
schen einem Deutschen aus dem 19. Jahrhundert und einem
Griechen aus Perikles', einem Romer aus Augustus' Zeit
stattfand. Aber er vergaB, daB Aer Dane und Deutsche
Germanen, sie beide Bruder eines Hauptstammes sind, mit
fast gleichen Charakteren, Neigungen, Gefiihlen und An-
sichten, daB sie in demselben Zeitalter, einander nahe und
in steter, geistiger Verbindung leben.
Noch hatte ich auBer einigen Kleinigkeiten nichts Deutsches
geschrieben; aber ich fiihlte doch bald, daB es nicht lange
dauern wiirde, bis ich in den Besitz einer Sprache kame,
die meinen Leserkreis auf 40 Millionen Menschen mehr aus-
dehnte und mir die Freude bereitete, ausgezeichneten Man-
nern wieder Etwas von den Producten meines Geistes mit-
zutheilen, urn einigermaBen all' das Herrliche zu ver-
gelten, das ich von ihnen empfangen hatte. Ja, ich fiihlte
mich bald so begeistert, auch Deutsch, das zwar nicht meine
Muftersprache, aber doch meiner Mutter Sprache und die
meiner Vater war, zu schreiben, — daB ich zwei Jahre
darauf meinen Aladdin iibersetzte . . .
Berliner Gesellschaftsleben
Als ich nach Berlin gekommen war, ging ich am ersten
Abend in die Redoute, wo ich zum ersten und letzten Male
die holde Konigin Louise — merkwiirdig genug — als
Psyche, mit Schmetterlingsflugeln an den Schultern, sah.
War es eine Vorahnung, daB die edle Seele bald dem
Irdischen enteilen wiirde?
Reichardt war vorher mit Arnim nach Berlin gekommen.
Er schlug mir vor, ein Zimmer neben dem seinigen in der
Leipziger StraBe zu miethen, und erwies mirviel Artigkeit;
denn drei Wochen lang war ich fast immer mit ihm zu
Mitfag und Abend in groBen Gesellschaften. Wie er es
gemacht hat, weiB ich nicht. Ich hatte nichts Anderes zu
thun, als mich anzukleiden und ihm zu folgen; ich kannte
die Leute nicht zu denen ich kam und wuBte selten ihre
rechten Namen; als ein junger, verlegener Mann sprach
ich auch nur wenig mit ihnen. Reichardt prasentirte mich
40
als einen ddnischen Dichter; und so kam ich an den
Tisch wie die Kartoffeln, als sie zum ersten oder zweiten
Male nach Europa kamen, auf den Tisch: als eine Nafur-
seltenheit. Denn mit Ausnahme von Baggesen hatten die
brlllanten deutschen Gesellschaften damals noch keinen
danischen Dichter gesehen; spater hat die Race sich be-
deutend vermehrt . . .
So sehr ich nun auch Reichardt verpflichtet war, daB er
mich mit der groBen berlinischen Welt bekannt machte,
so amusirte es mich meiner Natur nach doch nicht lange,
eine Art geistigen Pumpernickels oder nordischen Schwarz-
brotes in ihren Theezirkeln zu sein. Ich pflegte haupt-
sachlich die Bekanntschaften, wo ich eine Heimath wieder-
fand, die mir stets unentbehrlich war . . .
Mein Wirth war ein alter Friseur, der mir gleich bei meiner
Ankunft einen schlechten Streich gespielt hatte. Meine
Haare muBten namlich geschnitten werden, da sie seit
einem halben Jahre keine Scheere beriihrt hatte; ich fragte
ihn, ob er das Haar nach Berliner Mode schneiden konne?
— ,,Das versteht sich," sagte er, „lassen Sie mich nur
machen." Nun fing er an zu schneiden; aber da er ein
alter Peruckenmacher war, der nur mit todten Haaren
zu thun gehabt hatte, so verstand er sich gar nicht darauf,
mit den lebendigen umzugehen. Er machte einen Fehler
nach dem andern, die er alle damit gut machen wollte,
daB er noch mehr wegnahm; und so schor er mich ganz
entsetzlich, so daB ich zuletzt nur einen kleinen Schopf auf
der Stirn hatte. Mit dieser Coiffure muBte ich alle meine
Besuche mit Reichardt in der groBen Welt, als ddnischer
Dichter machen. Die Leute glaubten vielleicht, daB das
Mode in Kopenhagen sei und das verdroB mein patriotisches
Gefuhl . . .
Vorlesung bei Goethe
Er empfing mich vaferlich, ich war oft zu Mittag bei ihm
und muBte ihm meinen ganzen Aladdin und Hakon Jarl
aus dem Danischen deutsch vorlesen. Da machte ich mich
nun vieler Danismen schuldig; aber er verwarf sie nicht
alle; er meinte, daB beide verwandten Sprachen, einer
Wurzel entsprungen, einander geschwisterliche Geschenke
machen durften . . . Reichardt, der nach Weimar kam,
41
wurde von Gothe gefragt: „Kennen Sie Etwas von Oehlen-
schlager's Gedichten?" — „„Nein,"" entgegnete dieser,
„„aufrichtig gesprochen, es amusirt mich nicht, die deuf-
sche Sprache radebrechen zu horen."" — „Und mich,"
anfwortete Gothe mit imposantem Feuer, ,, amusirt es sehr,
die deutsche Sprache in einem poetischen Geiste entstehen
zu sehen."
Begegnung mit Schlegel
In einer Restauration bei Grignon lernte ich Friedrich
Schlegel kennen. Er sah gar nicht so aus, wie ich ihn
mir vorgestellt hatte; ich erwartete einen magern Kritikus,
und es glanzte mir ein ironisch fettes Gesicht sanguinisch
entgegen. Wir mochten uns recht gern; aber Schlegel war
es nicht recht, da(3 ich nicht mehr zu seiner Schule ge-
horte . . .
. . . Ach haften wir statt Schlegeln Lessing!
Nur ein Stuck Gold fur zwei Stuck Messing.
Nordertor in Flensburg
JEAN PAUL UBER OEHLENSCHLAG ER
„Dank gebuhrt der Kraft, welche, ohne einen Uebersetzer,
gleichsam auf einer Landesgrenze gepflanzt, iiber zwei
Nationen zugleich den Ueberhang seiner Bluthen und
Friichte ausbreitet."
42
Ph ilipp Otto Runge
STUDIUM AN DER KOPENHAGENER
AKADEM1E
Den 31. December 1799.
Was ich gern wollte, ist jemand, der mich als recht dumm
tractirte und es doch gut mit mir meynte. — Ich habe so
oft Abildgaard oder Juel urn Hulfe ansprechen wollen, aber
immer erst vorher ein wenig sondirt und wurde dann
immer mit Protest zuruckgeschickt. Sie sagen weiter nichts
als, wenn man z. B. einen Kopf gezeichnet hat: ,,Sie miissen
das hochste Licht immer auf den Theil halten, der am
meisten hervorsticht, so wie auch den starksten Schatten;
nach unten muB alles Licht mehr abgedampft seyn, und
was im Stuck hineinliegt, da muB sowohl Licht als Schatten
alles leichter und nebliger gehalten werden." Das sind
nun wohl alles Dinge, die wahr sind, aber wenn sie weiter
nichts sagen, so ist es verflucht wenig, denn das sieht man
selbst zulezf ein, und kann sich erst durch groBere Practik
ganz erlernen lassen. Sie sagen dann hinterdrein: „Es
ist sonst recht gut, zeichnen Sie nur mehr." Wenn ich
dann Courage kriege und frage, ob sie meynen, daB ich
nach ganzen Figuren etwas skizziren, oder Abends zu
Hause Perspectiv treiben soil, oder die Anatomie u. s. w.
u. s. w., so heiBt es gleich: ,,Ja, das ist noch zu friih; fahren
Sie nurfort, nach meinen Zeichnungen konnen Sie zeichnen
— und dann die Perspectiv? das brauchen Sie nicht, und
die Anatomie? wenn Sie das nur bisweilen ansehen, Sie
verlieren nur Zeit damit." — Nun sage mir urn Gottes
willen, was soil ich denn weiter mit den Mannern sprechen?
Auch machen sie nur immer, daB sie einen wieder los
werden. Die paar Stunden, die man dort zeichnet, kann
doch nicht alles seyn, wovon sie meynen, daB man es thut,
oder ob sie einen fiir solchen E. halten, daB man das fur
die Kunst hielte, einen schonen glatten Kopf ausfiihren,
oder nach dem Modell eine Figur zeichnen zu konnen?
Hatte ich nur jemand, der mit mir eines Sinnes ware! Ich
habe schon zu Juel gehen und ihm auf Gerathewohl meine
ganze Lage vor Augen stellen wollen, aber immer habe
ich den Muth nicht gehabt; wenn du es aber meynst, will
43
ich es doch thun. Sie konnen doch nicht mehr, ais mich
auslachen. Ich stehe so ganz allein unter all' den Leuten.
Sonst war mir alles so lebendlg, und wenn ich einen Ge-
danken hatte und Ihn nun zelchnen wollte, so flelen mir
hundert andre Kleinigkeiten dabey ein; jetzt aber weiB
ich immer nicht, was ich machen soil, das angstet mich ent-
sefzlich, ich fiihle es, daB ich allein bin, und man ist sich
nicht genug allein.
Den 14. Januar 1800.
— Ich bin von der zweyten Classe nach dem Gypssaal
vorgeriickt, wo ich nach einer Figur zeichne, die ebenfalls
zur Probe seyn soil, urn nach dem Modellsaal zu kommen,
was ich aber zu erlangen weder hoffe noch wiinsche, weil
ich es doch nicht genug wiirde benutzen konnen.
Den 28. Januar 1800.
— Bey Prof. Juel bin ich gewesen, habe aber nicht
viel Trost gekriegt; ich soil noch wieder zu ihm kommen.
Sonst habe ich hier dieser Tage etwas Lustiges erlebt.
Zwey Franzosen, fatale Kerle, aber dabey sehr original,
die bey meinem Speisewirth logirten, hatte ich en caricature
dargestellt, im Gesprach begriffen. Diese Herren sind plotz-
lich verschwunden, nachdem sie hier fur 3000 Thlr. falsche
Wechsel gemacht, und meine Zeichnung dient jetzt der
Polizey, urn sie wieder aufzufangen. So habe ich einsehen
gelernt, wie niitzlich, ordentlich niitzlich, die Kunst doch
seyn kann; doch habe ich heut auch sagen horen, die Ge-
mahlde wiirden heutiges Tages nicht mehr „gebraucht".
Den 8. Februar 1800.
— Ich merke jetzt wohl, daB es hier das allgemeine Loos
ist, daB jeder fur sich allein steht. Die Professoren wohnen
alle auf Charlottenburg, wo sie gleichsam Eine Familie
auszumachen scheinen, allein sie sprechen sich nicht anders
als hochstens alle Monate einmal, wo sie am ersten Montag
Zusammenkunft haben sollen, da kommen denn einige hin.
Man muB hier, wenn man etwas lernen will, durchaus sich
Einen erwahlen; hat man denn das Gliick, daB er sich fur
einen interessirt, so ist es gut; schlagt es aber fehl, so ist
gar nichts zu machen, denn nun sind die Andern schon
bloB durch dlesen Versuch gleichsam zu Feinden geworden.
44
DaB ich mich am liebsten an Juel wendete, weiB ich wohl,
aber wie soil ich Abildgaard entbehren, der die Aufsicht
iiber den Antikensaal hat? — — Ich habe die Zeichnung
fur Schmidt (Triumph des Amor's) beynahe fertig und hoffe,
daB sie mir wohl gerath, dann will ich sie doch einmal Juel
zeigen, und sehen, was sie sagen, da sie mir ja immer vom
Selbstzeichnen abgerathen. Ich habe dadurch mir eine
neue Aussicht gewonnen, und so ist es, daB es namlich
immer darauf ankommt, ob man ein neues Unternehmen
grade in einer guten Stunde in's Werk richtet; ich habe
nun wieder Muth und Lust voll auf, und sehe, daB ich
zwischen alien Kriippeleyen doch vorwarts gegangen bin.
So habe ich denn nun den einen FuB gewaltig aufgehoben,
um weiter zu schreiten; wenn ich jetzt nur den andern
nachzuziehen verstehen werde!
Den 31. Mdrz 1800.
Soeben habe ich die Preisaustheilung auf der Academie mit
angesehen, wobey die schonen Antiken-Abgiisse sehr zu
lelden hatten. Ich will dir aber die Sache etwas nach der
Folge erzdhlen. — Erster Act. Es ist noch Tag auf den
Zimmern, die eben erst rein gemacht und sehr sauber
sind. Jeder steht bey seiner letzten Zeichnung, in Furcht
und Erwartung der Dinge, die da kommen sollen; die
Scene ist im Gypssaal. Der Erbprinz tritt herein, mit Ge-
folge von dem Minister u. s. w. u. s. w. und alle Professoren.
Die Fensterldden werden zugemacht und Lichter und Lam-
pen thuen ihre gehorige Wurkung. Erste Zeichnung (vor-
stellend, wie alle die andern, den kleinen Apollo, der ist
aber hier in der Zeichnung schwanger und iibrigens auch
eher fur eine Furie zu halten). Der Prinz betrachtet auf-
merksam und geht weiter, Juel hinter ihm drein und lacht;
die andern folgen, thun alle nach der Reihe aufmerksam,
und indem die Augen druber weggehen, sollte man der
Richtung der Kopfenach fast glauben, sie besahen es wurk-
lich. Meine Zeichnung war die lezte. Prinz zu Juel: ,, Den
er den bedste (das ist die beste)". Er geht schnell zum
Modellsaal; Juel zu mir: „lst das Ihre Zeichnung?" Ich:
„Ja". Die noch folgenden Personen sehen mit den Augen
immer dem Prinzen nach, betrachten aber mit dem iibrigen
Korper die Zeichnungen. Alles zum Modellsaal ab. —
45
Zweyter Act. Wird erstens vorgestellt, wie man nach
dem Mann lauert, der die Thu'r zum Antikensaal offnet;
dann mit Gepolter hinein . . . Nacheinander stiirmt die
Jugend von all' den Classen, wo der Prinz durchmarschirf
ist, herein und drdngt heftig; die Antiken werden in ihren
Grundfesten erschuttert und drohen umzufallen, die Solda-
ten drangen unsanft dagegen an, einem wird das Bayonnetf
zerbrochen: Sieg! Sieg! die Burg ist unser! —Man besfurmt
und ersteigt die Festung (die Antiken); einige unbewaffnete
fapfere junge Kiinstler (worunter ich) vertreiben die
Stiirmenden mitGewalt, einStuhl wird zerbrochen u.s.w
— Dritter Act. Die Scene bleibt unverandert. Der Prinz
kommt mit Gefolge, sie setzen sich; der Durchgang
schlieBt sich, und es entsteht ein Gemetzel, die Antiken
werden bestiegen, ein Kopf, oder was es ist, wird zer-
schmettert, und unbemerkt gewiB noch vieles beschadigt.
Der Secretair winkt stille zu seyn, und fangt ohne dies
abzuwarten, an zu lesen, (unter anderm, dal3 ich nach
dem Modellsaal avancire), die Namen werden ausgerufen,
die Preise ausgetheilt, und dieGesellschaff geht auseinander.
Den 1. April. Ich habe heute die Bescherung ge-
sehen: dem liegenden Fechter sind die Zehen vom linken
FuB alle abgebrochen; ingleichen der Medicaischen Venus
zwey Finger, die schon angesetzt gewesen, und der linke
FuB; dem jiingsten Sohn des Laokoon's ein Finger. Was
noch durch Treten abgescheuert und durch andre gewalt-
same Mittel unbrauchbar wird, ist nicht zu sagen; es argert
mich und ich mochte die Herren Aufseher
Den 1. July 1800.
Ich arbeite den ganzen Tag, und wenn mich Abends das
schone Wetter herauslockt, steht mir's vor, daB ich so
wenig schaffe. Juel ist sehr mit mir zufrieden, das macht
mich verwirrt; zu Hause freuen sie sich u'ber meine Arbei-
ten, das argert mich; und ihr freut euch gar u'ber mich
selbst, das macht mich betriibt; kommt man zu Leuten, soil
man lustig und spaBhaft seyn, das geht mir an die Seele,
— ich habe mich selbst zum Besten und sehne mich nach
einem Gegenstande, den ich nie finden werde. Lebe wohl,
lieber D., ich will es mir vorsagen, daB ich ein Mann bin,
ich habe dir nichts mehr zu sagen.
46
Den 23. August 1800.
Man ist hier gewaltig bange vor den Engldndern. Nach
Friedrichsberg haben sich die Herrschaften eine Escadron
Husaren zur Bedeckung kommen lassen. Beym Castell
werden Batterien aufgeworfen, die Kriegsschiffe werden
alle zugetakelt, es marschiren viele Regimenter nach Hel-
singor, die Kiisten werden bewacht, und die Englander
liegen im Sunde in Schlachtordnung. Bestandig wird Pulver
u. dgl. nach Helsingor gebracht, und bey alle dem tractiren
sich der Englische Admiral und der Commandant des
Wachtschiffes wechselweise. In Helsingor ist entsetzliche
Theuerung, drey Kartoffeln kosten einen Schilling.
Den 30. August 1800.
.... wir haben unsre Winterabende so eingetheilt: Bis
7 Uhr wird auf der Akademie gezeichnet, dann gehen wir
zu Hause essen Butterbrod, und dann wird Montags, Mitt-
wochs und Freytags Geometrie, und weiterhin diese, an-
gewandt auf die Perspectiv, getrieben, wobey ich vorerst
der Prasident bin, weil ich sie schon vorigen Winter geubt
habe; Dienstags und Sonnabends die Geschichte; Donners-
tag ist frey, oder wird auch den schonen Wissenschaften
gewidmet. Der Hauptgrund aber fur mich, hier zu bleiben,
ist, daB ich einen Platz bey Juel zum Mahlen habe und
diesen aus alien Kraften benutzen muB. Mein Wunsch geht
dahin, es diesen Winter so weit zu bringen, daB ich ein
Portrait nach der Natur in Oelfarben mahlen konne; dann
komme ich, wie D. mir geschrieben, im Fruhjahr zu Hause,
und er auch, da konnte ich denn (wenn auch nicht in Oel)
alle unsre Bildnisse machen, wie ich sie hernach zu dem
Familienstiick brauchen wiirde; dieses steht mir noch immer
wie ein femes Geburge vor, und es ist kein Mittel, als Muth
und sehr viel Geduld.
Den 30. August 1800.
Wir wackern Danen entbieten unsern Freunden in Ham-
burg unsern GruB! Noch stehen wir hier auf festem FuB;
die Burger, (audi Juden darunter) sind in Waffen und
haben die meisten Posten besetzt, eine allgemeine Ruhe
herrscht seit vorgestern wieder, die Nation ist von dem
Muth und der Thafigkeit des Kronprinzen beseelt, nun laB
die Kerls kommen!
47
Den 6. Januar 1801.
Liebe Frau Karoline Perthes, es ist doch ganz was erstaun-
liches, so ein Weihnachten! und so ein Neujahr! und so
ein Neujahrhundert! Ich kann mich gar nicht erwehren,
Ihnen so mit einmal und gradezu ein ganzes Neujahr-
hundert zu wunschen! D. sagt mir, daG ich zuerst nach
Hamburg kommen soil, Sie glauben gar nicht, wie ich
mich dazu freue. Gestern war es ein gemeines Wetter,
da konnt' ich nicht funf zahlen, aber heute ist es so gottlich,
daB ich neues Leben geschopft habe und nun die groBe
Zahl der Tage, die noch zwischen uns liegt, wie einen
Augenblick uberfliege und mich ganz unter euch traumen
kann. Kiissen und driicken Sie alles in der ganzen Familie
vom Kleinsten zum GroBten; es ist dumm, daB ich keine
Zeit habe, wenn ich doch eine Ewigkeit (eine kleine meyne
ich) hatte, es sollte mir an Stoff nicht fehlen und nicht an
Lust, euch gar viel Lustiges und Schones zu sagen. GruBen
Sie drauBen (in Wandsbeck). Von ganzem Herzen Ihr
getreuer Otto.
Den 13. Januar 1801.
Ich war im ganzen December nicht nach der Mahlerstube
gewesen, weil die Tage so kurz; so inquirirte mich denn
Juel neulich auf der Akademie, was ich mache? ich solle
es ihm doch einmal zeigen. Ich brachte ihm den andern
Tag meine Skizzen, womit er sehr zufrieden war, sagte
aber, ich sollte sie lieber in Oel machen, weil ich mich da-
durch zugleich an die Farben gewohnte; da habe ich denn
erst angefangen, eine nach ihm zu copiren, und will dann
frisch dabey. — Er hat Eiffe nun auch die ErlaubniB gegeben,
bey ihm zu mahlen, so sind wir drey denn da; er ist uber-
haupt viel freundlicher geworden, obgleich er noch immer
nichts oder wenig sagt.
Den 24. Januar 1801.
Wir kommen jetzt auf die Politik und da muB ich dir
sagen, daB mir die hiesige Flotte Respect eingefloBt hat.
Es sieht ganz vortrefflich aus; bey der Zollbude liegen
zwolf Linienschiffe vollig im Stande, es ist doch was kuhnes,
so ein Linienschiff, und ich bilde mir ordentiich was darauf
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F* r o d r i k Pacius
finnischer Komponisl, geboren 1809 in Hamburg. Schopfer der
finnischen Nationalh/mne
B I e i s It ftz e i c hn u n g von C. Mazer 1836 — Aufn. Nati on al m us e u m
Helsinki
ein, eines ablaufen gesehen zu haben. Nun laB die Eng-
ender denn kommen, das Landen soil ihnen so leicht nichf
werden. Die Biirgerregimenter hier machen 10 000 Mann
aus u. s. w.
Den 6. July 1801.
In Corsoer kamen wir urn 2 Uhr in der Nacht an, nachdem
wir (ich spreche immer von mir und meinem damaligen
Reisegefahrten, den du kennst) in Roeskilde die Domkirche
besehen hatten. Peter der GroBe hatte sicli dort gegen
Christian I. gemessen; der leztere ist darnach grade so
hoch gewesen, wie ich hinauf langen konnte, ohne auf
den Zehen zu stehen, Peter eine Handbreit kleiner. Mor-
gens kamen die Posten von Kopenhagen in Corsoer an und
wir gingen mit denselben iiber den Belt in 8 Stunden
nach Nyborg, wo wir zu Abend aBen, und kamen dann urn
3 Uhr Nachts in Odense an, wo wir zwischen Schlafen und
Wachen wieder abfuhren. Zwey Meilen weiterhin ging
die Sonne auf; wir waren nun ungefahr in der Mitte von
Fiihnen, und fast immer bergan gefahren, es ist ein herr-
liches Land lauter kleine Hiigel und Seen, und Teiche oben
auf; den Aufgang der Sonne konnfen wir noch uber Odense
und Nyborg im groBen Belt sehen. Ueber den kleinen
hatten wir eine hiibsche Fahrt. In Kolding besahen wir das
SchloB und als wir auf den Hof kamen, exercirten dort die
Burger mit Sensen, alle in grader Richtung an einer
Stange accomodirt. Es war dort eine schone Aussicht, wie
ich mir denn auch die ganze Tour so schon nicht vorgestellt
hatte, wie sie wiirklich ist; man muB nur nicht im Herbst
und Winter reisen. Der kleine Belt, Kolding, Apenrade,
Hadersleben, Flensburg, Schleswig, alle Orte liegen sehr
hiibsch, besonders aber Flensburg; dann jedoch kommt
unendlicher Sand bis einige Meilen hinter Rendsburg.
Dresden, den 18. Dec. 1801.
Aber um endlich an dich und deine Antwort zu kommen, so
glaube ich in alle Wege, du thust doch besser, daB du
hieher kommst, wenn du es irgend moglich machen kannst.
Zwar ist hier die Akademie nicht so gut wie dort, denn
Leute, wie dein Professor Wiedewelt, und Juel, Abild-
gaa rd, fehlen dabey . .
4 49
POSITIVE UND NEGATIVE
AUFFUHRUNGEN UND AUFFASSUNGEN
VON KLEIST
IM KONIGL. THEATER IN KOPENHAGEN
„KATCHEN VON HEILBRONN"
(29. Oktober 1818)
Heinrich von Kleists nrcht fiir die Biihne geschriebenes und
in seiner ganzen Fiille und Poesie iiberspanntes und mysti-
sches Drama „Das Kathchen von Heilbronn" war in seinem
Aufbau dadurch bedeutend verzerrt, daB Rosenkilde, urn
es zu einem biihnenbrauchbaren Stuck umzuarbeiten, nicht
nur groBe notwendige Veranderungen hatte vornehmen
miissen, sondern, da es als festliche Galavorstellung ver-
wandt werden sollte, auch groBere konventionelle. DerSinn
isf in mehreren Teilen schlecht motiviert; denn, um durch
Kiirzungen Raum fiir viele Choreinlagen und schlecht an-
gebrachte Tanze zu gewinnen, muBte er auBer einigen
poetischen auch einzelne sinngemdBe Stellen streichen.
Und als seine Bearbeitung auf der Biihne geprobt wurde,
um zur Auffuhrung gebracht zu werden, blieb es nicht bei
den Veranderungen, die er als annehmbar sich gezwungen
gesehen hatte; teils aus szenischen Griinden, teils, um es
nach Holsteins Meinung so umzugestalten, daB es dem Hof
gut gefiele, wurden noch mehr Poesie und das gesunde
Empfinden krdnkende Umanderungen befohlen. So wurde
das Stuck schlieBlich als ein Imbroglio auf die Buhne ge-
bracht, ohne inneren oder auBeren Zusammenhang, und
das Geistige ging unter in plumper theatralischer Korper-
lichkeit. Bei der Auffuhrung ging man dazu im lacherlich
Ubertriebenen so weit, daB eine Burg innerhalb einer
Minute von Flammen umziingelt war und in der nachsten
schon zusammenbrach, die ganze Feuersbrunst wirkte je-
doch wie eine Illumination, bei der nicht einmal ein Fenster-
rahmen zerstort wurde, weshalb man auch ganz naiv den
nachsten Aid in einem Zimmer der vollkommen herunter-
gebrannten Burg spielte; und schlieBlich wurde, um ein
SchluBbild zu bekommen, auf eine StraBe von Worms eine
Laubhutte hineingetragen, in der das Madchen in mehreren
50
Meilen Entfernung geruht hatte, im Hintergrund der Hiitte
war inmitten von Zweigen, Blattern und Blumen eine trans-
parente Inschrift angebracht, die auf die danische Konigin Be-
zug nahm.deren Geburtstag durch dieAuffiihrung desSfiickes
gefeiertwurde. Was Baggesen und mit ihm die meisten ande-
ren am merkwiirdigsten in diesem Wirrwarr fanden, war:
Ein Ryge nur fiir gutes Spiel,
als Madchen eine Madam Rind,
ein Frydendahl im Kaiserstil,
wie Kaiser nie zu sehen sind.
Ein Feuer bei dem nichts verbrannt'
und uber allem diesem Weinen
ein Brandruf, der sie alle bannt'
mehr als das Flammenscheinen.
Und Wallichs Zaubermalerei
einer Vened'ger StraBe
und Cocchis Aussicht, hell und frei
hinter einer Blatterrasse.
Eine Pracht in der Schule der Draperie,
fast wie sie Athen gekannt
vor allem auch Madam Dahlens
junonisch schones Gewand,
deren Kleid ein prachtiges ganz modernes Hoffestgewand
war, das ebensowenig fur eine Ritterfrau aus der Zeit des
heimlichen Rechfs paBt wie Wallichs fiir ganz anderen
Gebrauch meisterhaft ausgefiihrte italienische StraBe zu
einem Marktplatz in Worms. Die auf so viele Arten zer-
pfluckte Dichtung wurde einer der vielen Beweise dafiir,
daB Pracht und Dekoration und Garderobe nicht ein
schlechtes Stuck retten konnen; bei der zweiten Auffuhrung
auBerte man Enttduschung, bei der dritten entspann sich
ein hitziger und longer Meinungskampf, bei welchem
sich zeigte, daB die Roheit das Parkett beherrschte; denn
die Pfeifenden wurden nicht nur verpriigelt und hinaus-
geworfen, sondern die Unwissenheit, um wessen Dichter-
ehre es sich handelte, ging so weit, daB die applaudierenden
Sieger ein donnerndes Hoch auf den Ubersetzer aus-
brachten. Das Auspfeifen war jedoch so nachdrticklich, daB
Holstein es nicht fiir ratsam ansah, das kostbar ausgestattete
Stuck noch ofter zu spielen.
51
„PRINZ VON HOMBURG"
(27. Mai 1828)
Eine nicht weniger gewagte und vortrefflich ausgewdhlte
Erweiterung des Spielplans war das zweite Meisterstiick,
Kleists mit echtem dramatischem Genius geschriebenes und
bewunderungswiirdig kiihn geformtes Drama „Der Prinz
von Homburg", das hier „Die Schlacht bei Fehrbellin" ge-
nannt wurde. Es fehlte bei uns auch nicht die Beschrankfheit,
die nicht verstehen konnte, oder richtiger sich entblodete,
die Moglichkeit einzuraumen, daB ein junger edler Mensch,
der sich unerschrocken in den Kampf fur Ehre und Vater-
land gestiirzt hat und ohne zu zittern dem Tode gegen-
iiberstehen wurde, in Lebensfreude und im Gluck, geliebt
zu werden, ein solches Entsetzen vor einem unehrenhaften
Tode verspiiren kann, daB er, im Augenbiick davon iiber-
waltigt, urn sein Leben fleht. Aber wie sehr auch das
Publikumsgefiih! fur das Natiirliche durch matte ruhrselige
Stiicke, in denen der Held in gldnzenden Tiraden von seiner
stolzen Todesverachtung erzahlte, abgestumpft war, so
empfand es doch die tiefe psychologische Wahrheit in der
Furcht des Prinzen, wie der Dichtersie mitgroBer Genialitat
motiviert hatte, und ebenfalls das sowohl Poetische ais auch
Natiirliche in der Art, mit der er seine SeelengroBe zuriick-
gewinnt. Die Hauptrollen wurden vortrefflich verkorpert:
Die auBerordentlich schwierige Rolle des Prinzen wurde
mit groBer Klarheit im Ausdruck, mit den vielen verschiede-
nen Ubergangen von einem zum andern, hochst treffend
und geistvoll von Nielsen gespielt; Ryges Kurfiirst war eine
herrliche Darstellung ernster, starker und gutiger Majestat;
und ungeachtet dergroBen Schwierigkeiten, die ihre Stimme
ihr bereitete, verkorperte Mad. Eisen Natalie mit so viel
Gefuhl und Kraft im Poetischen und Bestimmtheit in der
Charakterisierung, daB sie wurdig an der Seite der beiden
ausgezeichneten Mitspieler stand. Es ist unverstdndlich,
warum dieses ausgezeichnete Stuck nach nur vier Auf-
fuhrungen abgesetzt wurde, denn die Aufnahme jeder
seiner groBen Szenen und der ganzen Auffiihrung zeugte
davon, daB es in dieser schonen Ausfuhrung in hohem
Grade das Interesse des Publikums gefangen hatte.
52
J. C. C. DAHL UND DEUTSCHLAND
Dresden, den 26. November 1818
So sehr ich es ersehne und mich darauf freue, den Rheinfall
zu malen, wie Eure Hoheit es gnadigst von mir verlangt
haben, so wird doch einige Zeit vergehen, ehe ich dazu die
Gelegenheit haben werde, denn mehrere Bestellungen aus
Gegenden hier bei Dresden verpflichten mich, hier longer
zu verweilen, als ich mir vorgenommen hatte, ich werde
daher kaum friiher nach Schaffhausen kommen und mich
der guten Empfehlungen Eurer Hoheit bedienen, als in
zwei Jahren . . . Am liebsten stelle ich die Natur in ihrem
freien und wilden Zustand dar, in Gegenden mdchtiger
Fels- und Waldpartien; deshalb bin ich auch hier nicht so
vollkommen zufrieden; trotzdem die Natur in gewisser
Hinsicht sehr schon ist, erscheint sie mir doch etwas
kleinlich, man findet auch zu viele Spuren von Menschen-
handen und Kunst, wodurch sie oft ein gezwungenes
Aussehen erhalt . . .
6. Dezember 1818
Auch in dieser Woche habe ich an meiner Landschafts-
malerei gearbeitet, und in der folgenden habe ich noch
genug daran zu schaffen. Ich bin nicht so recht damit zu-
frieden, trotzdem sie in gewissen Partien leidlich gut ist.
Landschaftsmaler Friedrich, der noch keine von meinen
besseren Arbeiten gesehen hatte, fand sie uberaus schon . . .
den 25. Dezember 1818
Gestern am 24. konnte ich mir zu Hause nichts vornehmen,
mein Zimmer wurde in Ordnung gebracht, doch benutzte
ich den Tag, urn Landschaftsmaler Friedrich zu besuchen,
bei dem ich den ganzen Vormittag in Kunstgesprdchen zu-
brachte; er hat fast die gleiche Kunstanschauung wie ich,
namlich, daB das Kunstwerk in erster Linie auf jeden Men-
schen, ohne daB dieser Kenner ist, wirken muB, das Me-
chanische und Studierte ist wohl mehr fiir den Kunstler
bestimmt oder fiir drejenigen, die es eingehender zu wiirdi-
gen wissen.
53
Ende Marz 1819
Gestern verlebfe ich einen angenehmen Tag unci hatte u. a.
die Freude, von M . . . eine Seite fur mein Stammbuch zu
erhalten, auf die sie einige Zeilen geschrieben hatte, die
mir fur immer elne Erinnerung an sie sein werden, an
sie, die mir so unsagbar teuer ist. Sie war am Abend allein
zu Hause, und dieser wurde sehr behaglich verbracht;
nachdem wir einen Spaziergang durch den Garten gemacht
hatfen, wurden Gedichte Schiilers und Korners gelesen . . .
ich wurde so beeindruckt von einigen Gedichten Schiilers,
daB ich mir heute die kleine Ausgabe seiner gesammelten
Gedichte gekauft habe . . .
den 26. Oktober 1819
Gestern abend Gesellschaft bei Tieck, wo Ingemann und
ich uns sehr gut unterhielten; er ist ein sehr guter Mensch
und es ist iiberhaupt eine sehr liebenswerte Familie. Man
sprach sehr viel iiber Ahnungen und Vorbedeutungen; auch
einige interessante Spukgeschichten wurden erzahlt.
Den 3. Februar 1820
Heute war ich bei Herrn Vitzthum und gab mein Gesuch
fur meine Mitgliedschaft der Dresdner Akademie ab . . .
16. Februar 1820
Ich bin jetzt Mitglied der Dresdner Akademie und habe
Arbeit und gar nicht so schlechte Aussichten, Gott, schenke
du mir Kraft und Gliick fur meine guten Vorsatze.
C. D. Friedrich ist keineswegs des Gluckes Giinstling ge-
wesen, und es ging ihm, wie es meistens den am tiefsten
veranlagten Menschen in ihrem Leben geht, von wenigen
werden sie richtig, von den meisten falsch verstanden. Die
Zeit sah in seinen Bildern konstruierte Ideen ohne Natur-
wahrheit. Deshalb kauften die meisten seine Bilder nur als
Kuriositaten, oder weil sie, besonders in der Zeit der Be-
freiungskriege, eine eigene, ich mochte sagen politische,
seherische Ausdeutung darin sahen, Hindeufungen auf eine
allmachtige, unsichtbare Hand, die eingreift in die Ver-
wirrung der Menschen und fur Deutschlands Befreiung
vom Druck der Fremdherrschaft.
54
Die Kunstier und Kunstkenner sahen in Friedrich nur eine
Art Mystiker, weil sie selbst auch nur das Mystische suchten.
Sie sahen nicht Friedrichs treues und gewissenhaftes
Naturstudium in allem, was er schuf; denn Friedrich wuBte
und fu'hlte sehr wohl, daB man nicht die Natu r selbst malt
oder malen kann, sondern seine eigenen Gefu hie — doch
diese miissen naturlich sein. Friedrich sah dies auf eine
eigene tragische Weise, die, wenn sie auch nicht gerade
herbeigesucht war, doch oft iiber die Grenzen dessen hin-
ausging, was man in der Malkunst darstellen kann. Dieses
war wohl eine Folge seiner Eigenart, und ware er nicht
so gewesen, ware er auch nicht das geworden, was er ist:
einer der originellsten und eigenartigsten Menschen und
Kunstier, die ich gekannt habe, der seinesgleichen nicht
hat und wohl auch nicht so schnell haben wird. Viele haben
ihn nachgeahmt, doch keiner hat bisher verstanden, dieses
stille Naturleben wiederzugeben, das so bezeichnend fur
die Kunst Friedrichs war und seinen oft scheinbar steifen
Bildern eine eigenartige Anziehungskraft verleihf.
Eckersberg an Dahl 1825
Ich glaube, Sie haben sehr recht daran getan, Dresden zu
ihrem Aufenthaltsort zu wahlen, denn hier hatfen Sie wohl
kaum eine einigermaBen behagliche Lebensweise fiihren
konnen — Sie kennen das Kopenhagener Publikum — das
sich noch nicht gebessert hat.
Dresden, den 8. September 1847
Die neuere Landschaftsmalerei, deren Entwicklung nicht
so erfreulich ist, wie man vor wenigen Jahren erwartete;
denn kaum war die Landschaftsmalerei nach der langen
Zeit stereotyper Methode durch den Einsatz so vieler fiich-
tiger Manner — wie Reinhard, selbst Mechau mit seinem
dilettantischen Vortrag, Klengel in seiner Art, vor allem
Friedrich — derStube entschliipft und atmete ein frischeres,
freieres Naturleben, als man diese Kunst auch schon wieder
in die Stube — in das Atelier hineinholte. Die edelste,
groBartigste Natur geniigte ihnen nicht — man muBfe zu-
nachst lernen, zusammenzustellen, zu stilisieren und ich
weiB nicht, wie man das alles nennt?, und erst, wenn
das Auge durch alles dieses — diese konventionellen Farben
55
und Formen — verdorben war, erst dann wurde nach der
Natur gearbeitet und die Natur in diese Form hinein-
gezwungen; denn dies andere nannten diese Herren Pro-
spekte, — ohne zu bedenken, daB beim Schauen der Natur
auch unsere eigene Seele gebildet und Leben dort geholt
wird. Ein trockenes Abschreiben der von den meisten als
ieblosangesehenen Natur — 1st keine Kunst. —Man fiihrte
wohl die jungen Schuler hin und wieder hinaus ins Freie,
damit sie kiimmerlich einzelne Kleinigkeiten kopierten
wie Hauser, Steine, Pflanzen, Baume — aber alle diese
Studien waren zum groBten Teil ohne Frische und gleich-
zeitig in gezwungener Art, die wohl etwas Anziehendes fur
eine gewisse Art von Kiinstlern oder Kunstpedanten hatte
und f(ir Albumbldtter dienen konnte; aber fur die eigent-
liche Bestimmung, der Phantasie bei ihrem Anblick neues
Leben zu verschaffen, sind sie nicht geeignet, denn alles
Seelische ist fast ausgemerzt — und man kann nur die
feinen Striche und die miihsame Bearbeitung eines Baum-
stammes, Steines oder dhnlicher Dinge bewundern.
ESAIAS TEGNERS
UNFREUNDLICHE UND FREUNDLICHE
AUSEINANDERSETZUNG
MIT DEUTSCHLAND
Goethe ist der universalste aller Dichter. Wie das Licht
breitet er sich in alle erdenklichen Richtungen aus. Daher
jedoch fehlt ihm auch, was man im eigentlichen Sinn mit
Individualist bezeichnet. Die Irrdividualitat der auBeren
Natur gab uns Homer, die des Hellenismus Sophokles, aber
Goethe gibt uns statt seiner eigenen die ganze vielgestaltige
Individualitat der Menschheit. Er ist ein Abstraktum der
Poesie. Schiller haucht jedem noch so unbedeutenden Ge-
56
dicht sein ganzes reiches Wesen ein. Goethe begniigt sich
damit, das allgemeine Wesen der Poesie hineinzulegen.
Deshalb bliiht er auch in alien dichterischen Formen, und
oftmals konnte man fast sagen, daB er nur mit diesen ex-
perimentiert . . .
Weshalb hat Herder nicht denselben EinfluB auf die deut-
sche Literatur wie Goethe? An Geist war er ihm doch eben-
biirtig. Das haben wir den Schlegels zu verdanken. August
Schlegel hat in der deutschen Literatur so viel boses an-
gerichtet, daB er es nicht wieder gutmachen kann. Er ist
eine unbedeutende Natur, deren wirklicher Verdienst sich
auf Ubersetzungen beschrankt. Er erhob Goethe mit Recht.
Aber weshalb sollte dies auf Kosten von Herder, Schiller,
Wieland geschehen, die doch seinesgleichen waren? Eitel
Intoleranz . . .
Der groBte deutsche Versdichter ist jedoch nicht Goethe
sondern — Riickert . . .
Uber die deutsche Sprache
Solange ich mich entsinnen kann, habe ich ein Vorurteil
gehabt, nicht gegen die deutsche Literatur sondern gegen
die Sprache. Ist sie doch dem Schwedischen nahe verwandt,
neben dem Griechischen die herrlichste aller europaischen
Sprachen.Siehat.wieuberhauptdiegermanischenSprachen,
viel Klang, viel Biegsamkeit, viel Reichtum, denn sie
laBt sich fast bis ins Unendliche zusammensetzen. Hast du
zwei Worte so brauchst du sie nur zusammenzufugen,
und sie bilden ein drittes, ganz als waren sie Menschen.
Dieses gibt der Sprache den Reichtum, denn die Stamm-
worte sind nicht besonders zahlreich. Auch muB hinzu-
gefiigt werden, daB das Deutsche ganz und gar dazu be-
stimmt ist, nuancierte wissenschaftliche Begriffe auszu-
driicken und festzulegen.
Was ich indessen gegen die Sprache habe, ist folgendes:
1. Ist sie die harteste aller germanischen, wahrscheinlich
aller Weltsprachen. Ich spreche hier vom Hochdeutschen,
nicht vom weicheren Plattdeutsch. Das Danische ist viel-
leicht sogar zu weich. Sowohl danisch als schwedisch sind
Blondinen mit blauenAugen, und die Damen sprechen nicht
nur mit der Zunge sondern auch mit den Augen. Aber wie
57
verschieden isf die Ausdrucksweise der beiden Schwestern.
Die eine ist eine schmctchtende Jungfrau, die andere eine
Walkure. Ursprunglich isf Erzklang in beiden Stimmen,
aber die eine (z. B. J. B. — eine Danin) schaut und flusterf:
ich kann und will mich nicht verteidigen, komm und nimm
mich, je eher umso besser. Die andere (C. B. — eine
Schwedin) sagt: ich will mich wohl ergeben aber nicht
ohne Kampf. Ich mache mir nichts aus Bitten, setze auch
auf dich nicht den hochsten Preis, aber gleichwohl, ca ira.
Du sollst auch den „ compliments de resistance" etwas Ge-
rechtigkeit antun.
Das Deutsche dagegen klingt schlecht, selbst im Munde
eines hiibschen Frauenzimmers. Sie klappert wie eine
Walkmiihle, die Erz oder Knochen stampft; und ein hartes
Knochengeriist fiihrt die Sprache, die zermalmt.
2. Das Deutsche ist die bedachtsamste und langsamste aller
Sprachen, die ich kenne. Wenn ich einem Wurm iiber den
Riicken schlage, so schleppt er frofzdem unverdrossen sein
Schwanzteil nach sich. Der Kopf mag auf der Schwelle
liegen, aber der Korper kriecht drauBen im Hofe. Ebenso
liegt ein deutscher Satz mit dem Kopf auf der ersten Seite,
aber derSchwanz mit seinem Verbum darf nicht vor der
dritten oder vierten erwartet werden . . .
Sagt nicht, da(3 dieses nur bei den Metaphysikern wie z. B.
Kant zutrifft. Wieland war schongeistig und man schrieb
ihm zu, ein ausgezeichnetes und klassisches Deutsch zu
schreiben. Ich berufe mich auf seinen Agathon. Ebenso
Goethe. Ich wiinschte, daB Christus zum jiingsten Gericht
deutsch sprechen wurde, da hatten wir Sunder die
Hoffnung, noch einige Jahre Bedenkzeit zu bekommen.
Einmal rniiBte ich wohl auch Deutschland sehen, uber das
ich mich, und mit Recht, oft belustige, aber das ich frotzdem
als Europas Lehrstuhl anerkenne, obgleich dessen Holz
viele geschmacklose Schnitzereien und merkwtirdige Ver-
zierungen hat. Alles in allem ist es doch das Land Luthers,
Goethes und Friedrich des Einzigen.
Nach einem Aufenthalt in Karlsbad
Was meine Gesundheit angeht, so ist wohl wenig oder
nichts gewonnen. Aber in anderer Hinsicht habe ich keinen
58
Grund, mit der Reise unzufrieden zu sein. Ich habe wenig-
stens fliichtig einen groBen Teil von Deutschland kennen-
gelernt, das in all seiner Vernebelung und Tollheit doch
zweifellos seit langem Europas Lehrstuhl war und ist; und
PreuBen im besonderen vertritt ohne Frage die Intelligenz
der zivilisierten Welt. Ich habe Gelegenheit gehabt, seine
bedeutendsten Lehranstalten, Universitaten und Schulen
kennenzulernen und kann nicht leugnen, daB sie, und zwar
in der einseitigen Richtung, in der sie ausbilden, vortrefflich
sind. Schade nur, daB die armen Jungen allesamt iiber-
studiert sind, daB alle Jugend- und Lebenslust verdrdngt,
jeder Funke eines selbstdndigen und originellen Lebens
von Kindheit an erstickt ist, und der arme Deutsche durch
seine Erziehung dazu verurteilt, alles zu sein, nur keine
Zeit zu finden, er selbst zu sein, mit einem Wort, daB die
ganze Nation, wenigstens ihre Vertreter, die Beamten, zu
gelehrten Repetitoren erzogen werden und der ganze Staat
nach und nach zu einer Schulmeisteranstalt wird. Es war
jedoch interessant, dieses alles aus naherer Umgebung zu
betrachten und in den Krater hinabzusteigen, dem die
gelehrte Lava mit Rauch und Nebel entsteigt. Viele mich
friiher beherrschenden Vorurteile habe ich aufgegeben,
oder richtiger mit neuen vertauscht und hoffe also, mein
Inventarium unvermindert wenn auch mit einigen ver-
anderten Artikeln behalten zu haben. Im ubrigen wurde
mir iiberall viel, manchmal Idstige Hoflichkeit zuteil. Zu
den Vorteilen der Reise muB ich die Gelegenheit rechnen,
die ich mehr oder weniger hatte, mehrere bedeutende Per-
sonlichkeiten kennenzulernen, so z. B. Steffens, Schleier-
macher, General Skrzynecki, den Kronprinzen von PreuBen
u. a. AuBerdem mehrere bedeutende Wissenschaftler, vor
allem Theologen, die mich im Augenblick am meisten
interessieren. An Dichtern sah ich nur zwei, Tieck in
Dresden und Fouque in Halle, beide ganz fliichtig. Die
anderen, die in Frage kommen konnten, Uhland, Rikkert,
Platen, Lenau, leben in Suddeutschland. StraBen- und Rinn-
steinpoeten begegnet man in Deutschland, vor allem in
Berlin, haufiger als anderswo in der Welt. Aber auf diese
achtet kaum jemand in einem Lande, wo jeder Mensch,
der das Schreiben gelemt hat, unbedingt dichten oder jeden-
falls verfassen muB. In den Adern des heiligen Romischen
59
Reichs flieBt kaum anderes Blut als Druckerschwarze. Und
es war ein Gluck, daB ich einen eigenen Diener mitbrachte,
sonst hatte ich meine Stiefel nicht von einem Geringeren
geburstet bekommen konnen als einem Bruder in Apoll.
An polemischen Streitigkeiten und sogenanntem kritischen
Urteil haben wir genug und ubergenug in unserer Literatur.
Mir scheint, es ware besser, wenn jeder an seinem eignen
Ort etwas taugliches zu produzieren suchte, anstaft un-
aufhorlich zu urteilen und meteorologische Beobachtungen
uber das literarische Wetter anzustellen. Dieses konnten
wir ohne Schaden den Upsala-Bewohnern und den Deut-
schen iiberlassen, die Europas standiges Kritiker-lnstitut
sind„
60
Hans Christian Andersen
LANDSCHAFTEN, STADTE
UND MENSCHEN
Wir leben in einer Zeit, wo groBe Weltereignisse einander
Schlag auf Schlag folgen, wo sich in einem Jahre mehr zu-
tragt, als fruher in zehn jahren; Meteor folgt auf Meteor
am politischen Himmel, wo will man da Zeit hernehmen,
der einzelnen aufwartsstrebenden Psyche Aufmerksamkeit
zuzuwenden? — Die Welt ist jetzt im Stadium des Handelns,
sie arbeitet dem kunftigen Dichtergeschlecht vor, das unsere
Jetztzeit unsterblich machen soil. Aber wenn die Fliigel
wachsen, dann will der Vogel auch fliegen, und mag es
Krieg oder Frieden, Hochzeit oder BegrabniB geben, er
singt sein Lied, bis sein Dichterherz bricht; es giebt immer
noch eine oder die andere verwandte Seele, die mitten im
groBen Weltgetiimmel an seinen Tonen sich labt, und mehr
kann der kleine Himmelsbiirger ja nicht verlangen.
Ostseereise
Wir sind inzwischen auch uber die ganze Ostsee gesegelf;
wir haben Stevns-Klint mit seiner wandernden Kirche,
Moens weiBe Kreidefelsen, wo die Wdlder schon zu griinen
anfangen, und selbst Laaland passirt, wo das rothe Feuer
in der halbdunkeln Nacht brannte. Die Sonne ist wieder
aufgegangen und das war schon anzusehen, aber die
meisten Passagiere schliefen, indem sie wahrscheinlich wie
Arv in Holberg's Lustspiel dachten: „Der Morgen ist sehr
schon, wenn er nur nicht so friih am Tage kame!"
Travemiinde und Liibeck
Es fehlte aber nicht viel daran, daB wir den Eingang in die
Trave nicht gefunden hatten; ein dicker Nebel hatte sich
uber die Kiiste gelegt, aber endlich trafen wir die rechte
Stelle, kamen hinein und nun lag das ganze Nebelland
hinter uns . . .
Links erstreckte sich die Halbinsel Priwall, wo das Vieh
bis an den Bauch ins Meer hinein watete, und zeigte uns
ein lebendiges Potter'sches Gemalde mit dem groBen Luft-
61
hinfergrund und den herrlichen Thiergruppen. Rechts lag
Travemiinde mit seinen rothen Ddchern, aus alien Fen-
stern schauten Manner- und Madchengesichter hervor, die
in der Feme recht hiibsch aussahen. Ach ja, ,,die Feme"
ist doch des Lebens magisches Zauberland, die geistige
fata morgana, die jedesmal verschwindet, wenn man sich
ihr nahert. In der Feme liegen die Traume der Kindheit
und die Hoffnungen des Lebens, in der Feme werden die
Runzeln von der durchfurchten Stirn geglattet und steht
das graue Mutterchen wie ein von Gesundheit strotzendes
junges Mddchen da. Vielleicht war dies auch hier mit den
Schonen von Travemiinde der Fall.
Die Trave ward nun schmaler; das Dampfschiff schien
beinahe ihre ganze Breite einnehmen zu wollen. Bald
sahen wir das siebenthiirmige Liibeck aus Waldern und
Wiesen hervortauchen, aber es spielte gar wunderlich Ver-
stecken mit uns, bald war es hier, bald da. Die vielen
Kriimmungen des Flusses machen, dal3 man nicht recht
weiB, ob man nach der Stadt hin oder von ihr fort reist.
Hamburg
Ich fiihlte ordentlich einen tiefen Respect vor der alten
Stadt, die die engen StraBen und das Menschengedrdnge
beibehalten hatte. Ich glaube, unser Kutscher fuhr uns
StraBe auf, StraBe ab, urn uns durch die GroBe der Stadt
zu imponiren, denn es dauerte eine kleine Ewigkeit, ehe
wir ans Hotel de Baviere auf dem neuen Jungfernstieg
gelangten, wo wir abstiegen. Hier, im Innern der Stadt
selbst, nimmt sich die Stadt herrlich aus, indem die Alster,
die groB und breit ist, die Altstadt gleichsam von der Neu-
stadt trennt. Die hohen Thurme spiegeln sich auf ihrer
Wasserfldche, auf welcher Schwdne dahingleiten und Bote
mit geputzten Menschen sich schaukeln. Der Jungfernstieg
wimmelt von Spaziergangern, demselben entlang liegt
Hotel neben Hotel, deren Thiiren mit Kellnern, Ober-
kellnern und Oberkellners Oberkellnern besetzt sind.
Liinebu rger Haide
Ich blickte hinaus auf die groBe Liineburger Haide, die als
haBlich verschrieen ist. Herr Gott, wie die Leute doch
62
reden! Ja sie reden, wie sie es sehen und verstehen. Jedes
Sandkorn war ein blitzendes Granitstiick; die langen Gras-
halme, die voll von Staub iiber den Weg hingen, waren die
niedlichsten macademisirten Wege fiir die kleinen Elfen;
aus jedem Blatf schaute so ein kleines lachelndes Gesicht.
Die Fichten sahen aus wie vollendete babylonische Thurme,
da wimmelte es von Elfen von den niedrigsten breiten Aesten
bis zu den hohen Spitzen, die ganze Luft war voll von den
wunderbarsten Gestalten, und alle klar und schnell wie das
Licht. Vier bis fiinf Blumengenien ritten auf einem weiBen
Schmetterling, den sie aus seinem Schlaf aufgeweckt hatten,
wahrend andere Schlosser bauten aus dem starken Duft
und den feinen Mondstrahlen. Die ganze groBe Haide war
eine Zauberwelt, voll von Wunderwerken. Wie kiinstlich
war nicht jedes Blumenblatt gewebt! Welch ein Masse von
Leben lag nicht in den griinen Fichtennadeln! Jeder Staub-
faden hatte seine verschiedene Farbe und eigenthiimliche
Zusammensetzung, und welche Unendlichkeit in dem gro-
Ben Himmel daruber!
Braunschweig
Es war Pfingstmontag, die Glocken lauteten und viele Leute
stromten nach der St. Blasius-Domkirche; ich folgte dem
Strom. Die Orgel brauste durch die hohen Wolbungen, die
Gemeinde sang und die alten braunschweigischen Herzoge
lagen in Staub und Asche dort unten in ihren kupfernen und
marmornen Sargen. Das ist Alles, was ich von meinem
kurzen Besuche dort erzahlen kann, aber es ist Wahrheif.
Ich verlieB die alte Kirche, besah mir die Grabschriften an
den Mauern und die alterthumlichen Gebdude rund umher.
Das alte Rath haus war in einen Wei nkellerverwandelt, stand
aber noch da in seiner ganzen gothischen Ehrwiirdigkeit,
mit dem groBen gemauerten Altan, und zeigte zwischen je
zwei Pfeilern einen furstlichen Herrn mit seiner Gemahlin,
in LebensgroBe in Stein ausgehauen.
Blick auf den Harz
Es war eine Bleiche, eine groBe Wiese, die ganz gelb von
Blumen war; etwas weiter lagen Garfenhauser zwischen
63
Buchen und hohen Pappeln, und fernerhin am Horizont
erhobsich derHarzmitdem Brocken, der wie einegraue
Gewitterwolke unter den andern sonnenbeleuchteten Wol-
kenbergen hervorragte — es war ein vollendetes Gemalde!
In den Bergen selbst hat man nur Hintergrund ohne Vorder-
grund und in den Ebenen das Umgekehrte, Vordergrund
genug, aber keinen Hintergrund; hier war Beides, wie man
es sich nur wiinschen konnte.
Goslar
Nach und nach traten die Berge aus ihren Nebelgestalten
hervor als starke, stolze, mit dunkeln Fichtenwaldern be-
wachsene Massen, Kornfelder schlangelten sich malerisch
zwischen ihnen durch, und Goslar, die alte kaiserliche
freie Reichsstadt, lag vor uns.
Dicht dabei steht das Rathhaus, finster und alterthiimlich
sind alle die machtigen Kaiser vor demselben aufgestellt.
Sie stehen im ersten Stock mit der Krone auf dem Haupt
und dem Scepter in der Hand, alle sehr grell illuminirf,
wie Niirnberger Bilder. Ich bemerkte einen alten Berg-
mann, der seiner kleinen Enkelin diese bunten Helden
zeigte, nach denen sie sich nun alle Konige und Kaiser
der Erde wie solche ernste steinerne Manner mit Schwert
und Krone dachte; und das kleine Vernunftwesen sah es
schon ein, daB es eben kein Blumenleben ist, ein Konig
zu sein und so mit der schweren Krone Tag und Nacht
vor dem Rathhaus zu stehen und iiber Gesetz und Recht
zu wachen.
Der Brocken
Der Brocken war ganz in die groBe Gewitterwolke ein-
gehullt, die ihre Blitze zwischen die Fichten hinabschleu-
derte; dennoch beschloB ich, nachdem ich einige Stunden
ausgeruht, den Berg zu besteigen.
Es war ungefahr halb drei Uhr, als eine Magd mich rief,
urn die Sonne aufgehen zu sehen; die Meisten waren schon
drauBen, in Mantel und Ueberzieher eingehullt. MitTuchern
urn den Kopf gebunden stand die wunderlich bunte Men-
64
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Einiragungen von Klopsiock, Lavater und Herder in das Stammbuch
von Jens Baggesen
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Einlragungen von Schiller, Claudius und Fichte in das Slammbuch
von Jens Baggesen
schengruppe aus hochst verschiedenen Standen, aber Alle
mit einem Gedanken da: „Jetzt geht die Sonne auf!"
Es war, als ob wir auf einer Insel standen, denn die Wolken
lagen tief unter uns, so weit wir sehen konnten, wie ein
ungeheures, angeschwelltes Meer, das mit einem Mai auBer
aller Bewegung gesetzt war. Kein Morgenroth zeigte sich
an dem blauen Himmel uber uns; die Sonne ging auf ohne
Strahlen, wie eine groBe blutige Kugel; erst als sie uber
dem Horizonte war, stromte das klare Licht uber das
Wolkenmeer aus . . .
Als die Sonne hoher stieg, fingen die ieichten Wolken immer
mehr an wegzudampfen, der Aether sog sie gleichsam ein,
wahrend der Wind die schweren zwischen die Berge jagte,
die jetzt wie Inseln aus dem groBen Wolkenmeer hervor-
ragten. Bald war Alles immer klarer und klarer, wir sahen
Stadte und Kirchthiirme, Felder und Wiesen wie die nied-
iichsten Miniaturgemdlde urn uns herum. Einen so herr-
lichen Morgen hatte man in diesem Jahr noch nicht auf dem
Brocken gehabt. Wir sahen deutlich Magdeburg mit
seinen Thurmen, Halberstadt und Quedlinburg, die
Thiirme der groBen Domkirche zu Erfurt, die Berg-
schlosser Gleichen und die Wilhelmshohe bei Cassel,
auBer einer Menge kleiner Stadte und Flecken.
Leipzig
Leipzig selbst machte einen angenehmen Eindruck auf
mich, es ist eine groBe, freundliche Stadt mit geraden
StraBen. Ueberall hangen Bucherschranke aus und hinter
den groBen Fensterscheiben Bilder und Lithographien. Auf
den StraBen laufen die Burschen herum, mit langen Pfeifen
im Munde und die Collegienhefte unter dem Arm. Einige
von ihnen hatten ihre altdeutscheTracht, die groBen, weiten
Hosen, den kurzen Rock und die langen, iiber den weiBen
Halskragen herabhdngenden Locken . . .
Aus der alten Kirche ging ich aus der Stadt hinaus zu
Gellert's Grab.
Ein flacher, einfacher Stein mit seinem Namen und Sterbe-
jahr bezeichnete dasselbe. Daneben war ein Rosenstock
gepflanzt und ein niedriges Gitter umgab das Ganze, auf
welches die Vielen, die Gellert's Grab besuchten, ihre
65
Namen schrieben oder einschnitten; ich schrieb auch den
meinigen darauf.
Rund umher waren viele bei weitem schonere Grdber, die
gewiB viel vornehmere Leute in sich schlossen, als Gellert,
aber keine fremde Hand hatte sich zur Erinnerung auf den-
selben eingezeichnet, und selbst die Griifte mit den eisernen
Gittern standen nur da wie eine Mauer, die dazu diente,
das einfache Dichtergrab einzufriedigen. Hier war der
Dichter der Vornehmste, durch ihn erhielt diese Statte
mit ihren Todten ihr Interesse.
Elbtal bei MeiBen
Je naher wir MeiBen kamen, ein um so mehr romantisches
Aussehen bekam die Gegend. Hin und wieder sah man
Felsen sich erheben, mit einem ganz andern Charakter, als
die im Harz. In rothgelben Stelnmassen, mit jungen Buchen
bewachsen, hingen sie iiber unsern Hduptern; auf der
andern Seite des Weges lagen die griinen Weinberge mit
den rothen Weinbergshauschen, und unten schlangelte sich
die Elbe in malerischen Krummungen. Schiffe wurden von
Menschen und Pferden den FluB hinauf gezogen, wahrend
andere mit schwellenden Segeln stromabwarfs fuhren.
MeiBen selbst hat enge StraBen und sah mir recht un-
heimlich aus; man muB es hier wie mit jedem schonen
Gemdlde machen, die Augen nicht allzu nahe daran halten.
Bei Dahl und Tieck in Dresden
Je weiter man sich von hier entfernt, desto hoher werden
die Berge, und bald sieht man wie durch einen Schleier das
deutsche Florenz, Dresden, mit seinen Thurmen und
Kuppeln vor sich liegen . . .
Dresden steht als Uebergangspunkt in der Mitte von Nord-
und Suddeutschland da und hat auch einen gemischten
Charakter von beiden . . .
Die Stadt hatte fiir mich etwas einladend Freundliches; ich
fuhite mich darin gleich wie zu Hause. Mein erster Gang
war zu unserem beruhmten Landschaftsmaler Dahl. Ich
hatte keinen Empfehlungsbrief, aber als Dane war ich herz-
lich willkommen. Sowohl mir wie seinen anderen Lands-
leuten, die mit mir zur selben Zeit da waren, brachte er
66
viele Opfer an Zeit und Miihe. Er war mit zwei Norwegern
zu Tieck eingeladen; der groBe Dichter wollte an diesem
Abend in einem Kreise von Freunden etwas vorlesen; da
ich nun einen Empfehlungsbrief von Ingemann an ihn,
ihm auch schon friiher selbst einmal geschrieben hatte, so
forderte Dahl mich auf, ihn zu begleiten.
Es war sieben Uhr Abends, als ich mich mit Dahl und den
zwei jungen Norwegern zu Tieck begab; ich sollte jetzt
den Dichter sehen und kennen lernen, mit dem ich mich
im Geiste so oft und viel beschaftigt hatte. Ich dachte nicht
an seinen gestiefelten Kater und Prinz Zerbino, nicht
an seine wunderschone Elfenwelt und die herrlichen No-
vellen, nein, Alles schmolz mir in dem Manne selbst zu-
sammen, in Deutschlands Tieck, dem Meister einerganzen
Schule, der romantischen Poesie, dem Manne, der Goethe
an Alter, Werth und Anerkennung bei seinen Landsleuten
am Nachsten steht.
Das Zimmer, in das wir gefiihrt wurden, war nicht groB.
Hier saBen um den Theetisch herum die Familie und einige
Fremde, meistens Auslander. Ich hatte Ingemann's „Ole
der Namenlose" von dem Dichter selbst mitbekommen und
meine eigenen ,,Phantasien und Skizzen" ebenfalls bei mir.
Da h I stellte die beiden Norweger und mich als seine Lands-
leute vor, und der Dichter begruBte uns freundlich und hieB
uns willkommen . . .
Welch ein Ausdruck lag in dieses Mannes Blicken! Nie
habe ich ein offneres Gesichtgesehen. Seine Stimme klang
so gutmuthig, und sah man ihm in die groBen, klaren
Augen, da fuhite man sich gewiB gedrungen, sich ihm an-
zuvertrauen. Es war nicht bios der Dichter, den ich liebte,
auch der Mann ward mir jetzt theuer! . . .
Tieck liebt Holberg sehr, den er in einer alten Ueber-
setzung besitzt, aus der er zuweilen vorliest und zwar ganz
vortrefflich. Ich horte ihn diesen Abend den zweiten Theil
von Shakespeare's Heinrich der Vierte vorlesen.
DaB Dresden, als Uebergangspunkt von dem nordlichen
zum siidlichen Deutschland.auch denCharakter jeneszeigen
kann, davon bekam ich doch noch einen Begriff an dem
letzten Vormittag, den ich dort zubrachte. Es war so kalt,
daB mich fror. Der Regen fief in Stromen und Alles bekam
67
ein finsteres, nordisches Aussehen; Trager liefen durch die
StraBen mit Porfechaisen, aus denen Damen durch die
rothen Vorhdnge herausschauten. Die Elbe sah aus wie
Kaffee, gelb und dick. Beinahe kein Mensch lieB sich auf
den StraBen sehen.
— Spdter am Tage ward es wieder sonnenklar und sonnen-
warm; auf der Bruhlschen Terrasse wogte wieder die
dichte Menschenmasse und vom Regen aufgefrischf dufteten
die schonen Gewachse. Hier oben brauste Musik, wahrend
Gondeln, Bote und Schiffe sich auf der Elbe kreuzten. Dahl
hatte an diesem Abend eine kleine Gesellschaft von Nor-
wegern und Ddnen bei sich versammelt; er war ein mun-
terer, liebenswurdiger Wirth; wir sprachen Alle Danisch
und traumten uns zuruck an unser herrliches Meer. Wir
trennten uns erst spat, am ndchsten Tage zogen Einige
nach Osten. Andere nach Westen. Zwei gingen nach Rom
und Neapel, ich — triste dictu — nach Norden . . .
Dahl gab mir beim Abschied einige Zeichnungen zum An-
denken, und eine Skizze in Oelfarbe, damit ich doch sagen
konnte, daB ich etwas besaBe, was er gemalf hatte; das
ganze Stuck war nicht groBer, als daB ich es in der flachen
Hand verbergen konnte. „lm nachsten Sommer sehe ich
jedenfalls Ddnemark und alle Freunde und Bekannte,"
sagte er und druckte mir die Hand zum Abschied. „Das
ist auf Danisch, und dieses", fugte er hinzu, in dem er
mich auf die Wange kuBte, ,,ist auf Deutsch! Wir werden
uns gewiB noch ofter in dieser Welt wiedersehen."
In meiner jetzigen Stimmung konnte ich Tieck nicht Lebe-
wohl sagen. Eine Stunde spater ging ich zu ihm. Er
empfing mich in seinem Arbeitszimmer und sah mir so
recht herzlich mit seinen groBen, klugen Augen ins Gesicht;
ich nahm mich zusammen, als ich die eben erst gedampfte
Wehmuth doppelt stark zuruckkehren fuhlte. Er schien
viel Giite fur mich zu haben, lobte diejenigen von meinen
Sachen, die er kannte, und schrieb mir, da ich kein Stamm-
buch bei mir fuhrte, folgende Worte zum Andenken auf ein
Blattchen Papier:
„Gedenken Sie auch in der Feme meiner; wandeln Sie
Wohlgemuth und heiter auf dem Wege der Poesie fort,
den Sie so schon und muthig betreten haben.
68
Verlieren Sie nicht den Muth, wenn niichterne
Kritik Sie drgern will. GriiBen Sie den theuren
Ingemann und alle Befreundeten und kehren Sie uns
bald einmal frisch, gesund und reichbegabt von den
Musen nach Deutschland zuruck.
Dresden, 10. Juni 1831.
Ihr wahrer Freund,
Ludwig Tieck."
Bei Chamisso in Berlin
Ich war sehr begierig, den Verfasser der wundersamen Ge-
schichte Peter Sch I e mini's kennen zu lernen; ich trat ein
und — Peter Schlemihl selbst stand leibhaft vor mir, wenig-
stens ganz dieselbe Figur, die man auf dem Kupferstlch
im Buche findet.
Ich bekam meinen Platz zwischen Chamisso und Simrock,
einem jungen Dichter, der viel Aufmerksamkeit auf sich
gezogen hatte durch ein poetisches Gedicht „Drei Tage
und drei Fa rben", wegen dessen er aus seinem Amt ent-
lassen war, der aber allgemeine Achtung genoB und wieder
angestellt zu werden hoffte. Hier traf ich auch den Freund
Hoffmann's, Hitzig, und machte die Bekanntschaft von
Wilibald Alexis (Haring), der mit vieler Herzlichkeit von
Danemark sprach und von den frohen Stunden, die er bei
Oehlenschlager zugebracht. Es ist ein ganz eigenes Gefiihl,
in einem fremden Lande sein Vaterland loben zu horen,
da fu'hlt man erst recht, daB man Bein von seinen Beinen,
Fleisch von seinem Fleisch ist, sodaB jedes Lob, jeder Tadel,
der dasselbe trifft, auch uns mit zu treffen scheint, obgleich
wir doch nur ein kleiner Theil davon sind; aber hier geht
es wohl, wie immer, man legt das Vaterland in die eine
Wagschale und sich selbst in die andere.
Mecklenburg
Endlich kamen wir an die Grenze von Mecklenburg. Das
Land liegt wie eine lachelnde Rose in dieser Wiiste! Hier
sahen wir wieder ordentliche Baume, Eichen und Buchen;
das Getreide wogte auf den Feldern; ich traumte mich nach
Seeland.
69
Ludwigslust mitseinem SchloB undseinem groBen Garten
lag vor uns. In der Gaststube stand ein Fenster often, ein
Sperling setzte sich drauf und zwitscherte lustig — ich weiB
nicht recht wie — aber sowohl der Vogel, wie seine Stimme
kamen mir bekannt vor, es war gewiB dieselbe kleine
Person, die den letzten Morgen, als ich noch in Danemark
war, vor meinem Fenster zwitscherte, die ich aber damals
auch nicht verstand.
BefLauenburg waren ungeheure Sandbanke und immer
wieder Sandbanke! Es sah aus, als ob das Meer soeben ab-
gelaufen ware und diese hier zuruckgelassen hatte. Bald
war der Weg so breit, daB er selbst nicht recht wuBte, wo
er zu Ende ging, bald verlief er sich zwischen diesen weiBen
Bergen, wo der Wagen tief hinein sank und kaum von der
Stelle kam. Man bedenke auBerdem, daB esMondschein war
und wir auch nicht ein menschliches Wesen weder sahen
noch horten. Ich konnte dies malen, konnte Hamburg und
Lubeck auf der Riickreise malen, nun da ich innerhalbder
Wdlle Kopenhagens wieder zur Ruhe gekommen bin, aber
indem ich dieFeder ergreife,sitztwiederderkleine Vogel vor
dem Fenster und zwitschert, ebenso wie vor meiner Abreise,
und wie er in Ludwigslust zwitscherte. Ich glaubesogar,
ersagtganzdasselbe;das ist nun das dritteMal. Es muBein
Recensent sein, denn er versetzt mich in iible Laune . . .
Von Deutschland erscholl die erste entschiedene An-
erkennung oder vielleicht Ueberschatzung meiner Arbeit.
Ich beugte mich dankbar froh, gleich einem Kranken nach
Sonnenschein, denn mein Herz ist dankbar.
70
Weimar
Eine sonderbare Lust trieb mich, diese Stadt zu sehen, wo
Goethe, Schiller, Wieland und Herder gelebt hatten, von
der so viel Licht uber die Welt ausgestromt war. Ich kam
nach dem kleinen Lande, welches durch Luther, durch das
Sangerfest auf der Wartburg, durch viele edle und groBe
Erinnerungen geheiligt ist. Am 24. Juni, dem Geburtstage
des ErbgroBherzogs, kam ich fremd in der freundlichen
Stadt an. Alles deutete auf das statthabende Fest, und im
Theater, wo eine neue Oper gegeben ward, wurde der
junge Fiirst mit groBem Jubel empfangen. Da dachte ich
nicht daran, wie fest das Herrlichste und Beste von dem,
welches ich hier vor mir erblickte, mir an das Herz wachsen
wurde, wie viele kiinftige Freunde hier urn mich her saBen,
wie lieb mir diese Stadt werden wurde — in Deutschland
meine zweite Heimat. Ich war an Goethe's wiirdigen
Freund, den vortrefflichen Kanzler von Muller empfohlen,
und fand bei ihm die herzlichste Aufnahme . . .
Der regierende GroBherzog und die Frau GroBherzogin
empfingen mich mit einer Gnade, einer Herzlichkeit, die
einen tiefen Eindruck auf mich hervorbrachten; nachdem
ich vorgestellt worden war, wurde ich zur Tafel befohlen
und bald darauf vom ErbgroBherzoge zu ihm und seiner
Gemahlin nach dem jagdschlosse Ettersburg beschieden,
welches hoch, dicht bei einem ausgedehnten Walde, liegt.
Den Stern auf der Brust muB das Herz, welches unter
demselben schlagt, vergessen konnen, wenn man sich lan-
gere Zeit frei und glucklich an einem Hofe fuhlen soil, und
ein solches Herz, sicher eines der edelsten und besten,
welches schlagt, besitzt Karl Alexander von Sachsen-
Weimar. Longer als ein Jahr und Tag wurde mir das
Gliick verliehen, diesen Glauben zu begrunden. Kanzler
von Muller fuhrte mich zu dem fiirstlichen BegrabniB, wo
Karl August mit seiner herrlichen Gemahlin ruht . . .
Dicht neben dem Fiirstenpaare, welches das GroBe ver-
stand und schatzte, ruhen diese ihre unsterblichen Freunde;
verwelkte Lorbeerkranze lagen auf den einfachen braunen
Sargen, deren ganze Pracht in den unsterblichen Namen
Goethe und Schiller besteht. Im Leben gingen der Fiirst und
der Dichter miteinander, im Tode schlummern sie unter
71
demselben Gewolbe. Ein solcher Ort wird nicht aus den
Gedanken verloscht, an einer solchen Stelle halt man sein
stilles Gebet, welches nur Gott allein vernimmt.
Robert und Clara Schumann
Von Weimar kam ich nach Leipzig, wo meiner ein echt'
poetischer Abend bei Robert Schumann harrte. Der
geniale Componist hatte mich ein Jahr zuvor mit der Ehre
iiberrascht, mir seine Musik zu vier von meinen Liedern
zu widmen; diese sang Frau Dr. Frege, deren seelenvoller
Gesang so viele Tausende erfreut und hingerissen hat,
Clara Schumann begleitete, und nur der Componist und
der Dichter waren die Zuhorer; eine kleine festliche Mahl-
zeit und gegenseitiger Austausch der Ideen verkiirzten den
Abend nur allzusehr. Ich fand ferner die alte herzliche
Aufnahme im Brockhaus'schen Hause, an die ich mich
von friiheren Besuchen her fast schon gewohnt hatte. Der
Kreis von Freunden wachst mir in den deutschen Stadten,
aber das erste Herz ist doch das, welches man am liebsten
wieder aufsucht.
Neue Bekanntschaften
Es thut so wohl in der Fremde, wenn man ein Haus findet,
wo die Augen gleich Festlampen leuchten, sobald man ein-
tritt, ein Haus, wo man in ein stilles hauslich gluckliches
Leben hineinblicken kann — ein solches Haus fand ich beim
Professor WeiB. — Doch wie viele neue Bekanntschaften,
welche angekniipft, und dltere, die erneuert wurden, miiBte
ich nicht namhaft machen! Ich traf Cornelius aus Rom,
Schelling aus Miinchen, meinen Quasi-Landsmann, den
Norweger Steffens, und endlich Tieck wieder, welchen
ich seit meinem ersten Ausflug nach Deutschland nicht
wieder gesehen hatte. Er war sehr verandert, doch die
klugen sanften Augen waren dieselben, der Handedruck
war derselbe, ich fu'hlte, daB er mich lieb hatte und mir
wohlwollte.
Der geniale Speckter iiberraschte mich mit seinen kecken
herrlichen Zeichnungen zu den Marchen: er hatte eine
ganze Sammlung gemacht, wovon mir bis jetzt nur sechs
72
bekannt waren. Dieselbe kecke Naturfrische, welche sich
in jeder seiner Arbeiten offenbart und sie zu einem kleinen
Kunstwerk macht, spricht sich in seiner ganzen Personlich-
keit aus.
Als ich das vorige Mai in Berlin war, wurde ich, als Ver-
fasser des ,, Improvisators", in die italienische Gesellschaft
eingeladen, in welche nur solche, welche in Italien gewesen
sind, eintreten konnen. Hier sah ich Rauch zum ersten Mai,
der mit seinem weiBen Haar und seiner kraftigen, mann-
lichen Gestalt Thorwaldsen nicht undhnlich ist; Niemand
stellte mich ihm vor und ich wagte es nicht, mich ihm selbst
zu prasentieren, ich ging deshalb, wiedieandern Fremden,
allein in seiner Werkstaft umher.
Eines Abends las ich bei derGrafin Bismarck-Bohlen eines
meiner Marchen vor; In dem kleinen Kreise lauschte be-
sonders Einer mit sichtbarer Theilnahme und sprach sich
verstdndig und eigenthumlich dariiber aus, es war Jakob's
Bruder, Wilhelm Grimm. ,,lch hatte Sie doch wohl ge-
kannt, wenn Sie zu mirgekommen waren, als Sie das letzte
Mai hier waren," sagte er. — Ich sah diese beiden begabten
liebenswiirdigen Bruder fast taglich; die Kreise, in welche
ich eingeladen wurde, schienen auch die ihrigen zu sein,
und es war meine Lust und Freude, daB sie meinen Marchen
zuhorfen, daB sie mir mit Theilnahme folgten, sie, deren
Namen ewig ertonen werden, so lange man deutsche
Volksmarchen liest.
73
HEBBEL IN KOPENHAGEN
Brief- u nd Tagebuch blatter
20. Oktober 1842. Ich mache mich also zur Abreise bereit.
Uber die Zwecke und Absichten, die mir vorschweben, mag
ich mir gar keine Rechenschaft geben. Eine Professur? . . .
Ein Reisestipendium? Das Gliick miiBte sehr viel fur mich
tun, wenn ich ein solches davontragen sollte . . .
21. Oktober 1842. Heute abend ist Max getauft. Mit ver-
drehten Augen hielt der Pfaffe eine miserable Rede; ware
ich nicht als Vater zu ernsten Gefuhlen angeregt gewesen,
ich hatte gewiB iiber diese Blumenlese aus dem poetischen
Garten von Anno 1770 gelacht. Gottlob, daB die Sache
hinter mir liegt!
Audienz beim danischen Konig.
13. Dezember 1842. Ein ungeheuer groBes Zimmer war
von Menschen aus alien Stdnden gedrangt voll. Rote Sol-
daten, Generale und Gemeine; blasse Theologen; feiste
Beamte; kummervolle Burger; Etatsrate, die unter der Last
ihrer Orden erlagen; Bettler, die ihre Lumpen kaum zu-
sammenhalten konnten; genug, ein tolles verworrenes Ge-
misch. Ich ging, solange noch Platz dazu vorhanden war,
im Hintergrund auf und nieder; mir war, als ob ich in der
Komodie sei und selbst eine kleine Rolle iibernommen habe.
Der Hofmarschall Levetzau erschien, ich machte ihm meine
Verbeugung, er ersuchte mich, ihm zu folgen und steuerte
durch die Menge, die ihm ehrfurchtvoll auswich; ich, wie
die Jolle dem stolzen Jachtschiff hinterdrein. An der Tur,
die ins Allerheiligste fiihrte, stellte er mich dem Adjutanten
du jour vor, der meinen Namen anschrieb; eine Unter-
haltung mit mir erlaubte die kammerherrliche Vornehmig-
keit nicht, doch erhielt ich hin und wieder einen gnadigen
Blick. Ich besah mir mit MuBe seine Uniform, besonders
gefiel mir der goldene Schliissel auf dem RockschoB, dies
hochste Ziel menschlicher Bestrebungen. Einmal fliisterten
Seine Exzellenz mir zu: es ist jeder zu bedauern der hier
warten muB, es ist aber derjenige noch mehr zu bedauern,
der sie alle sprechen soil! Uber diesen mir vor der ganzen
groBen Versammlung gegebenen Huldbeweis hatte ich
auBer mir selbst geraten und in stummem Entziicken zer-
74
flieBen sollen; da ich aber unverschamt genug war, die
AuBerung als eine Aufforderung zur Konversation zu be-
trachten und etwas darauf zu erwidern, so zogen Seine
Exzellenz sich wieder von mir zuriick . . .
Ein unscheinbares kleines Zimmer, der Konig steht in der
Mitte desselben; er tragt Uniform und Degen und ist dick,
sein Gesicht, en face gesehen, ist etwas verschwommen,
en profil betrachtet, zeigt es imponierende Zuge. Ich bleibe
an der Tur stehen und verbeuge mich, er tritt auf mich zu
und fragt: „lhr Name?" Ich nenne ihn und trete weiter
vor. Er: „Sie haben mir Ihre Werke gesandt." Ich: Ich
war so frei, Eurer Majestdt meine Dichtungen vorlegen zu
lassen. Er: ,,Es ist mir sehr angenehm gewesen, dieselben
kennen zu lernen." Er schweigt und sieht mich erwartungs-
voll an. Ich: Ich bin allerdings nicht ohne Plane und
Wiinsche nach Kopenhagen gekommen. Er: ,,Und diese
bestehen in — ?" Ich: Nur unter einer Bedingung kann ich
sie aussprechen, nur dann, wenn die dichterischen Arbeiten,
die ich Eurer Majestat vorlegen lieB, auf Eure Majestat
einen anderen, als den ganz gewohnlichen Eindruck ge-
macht haben, denn ware dies nicht der Fall, so wiirde ich
den Hunderten und aber Hunderten, die sich zum Thron
drangen, nur noch eine Null hinzufiigen, und das mocht
ich nicht; denn dazu bin ich, wenn nicht zu stolz, so doch
zu klug. Ohne Zweifel haben Eure Majestat noch nicht
MuBe gefunden, meine Sachen anzusehen. Er: ,,Wenn
ich sie noch nicht ganz gelesen habe, so kann ich es ja
noch tun." Diese Antwort nahm ich wahr, urn zu priifen,
ob meine Schriften oder meine Personlichkeit ein wirkliches
Interesse bei ihm erregt hatten; er hat sich, wie Wienbarg
mir sagte, von Gardthausen vorlesen lassen, ich erwiderte
daher: Mein nachster Wunsch ist, Eurer Majestat meine
Judith vorlesen zu durfen. Er: ,,lch kann sie ja auch allein
lesen." Ich — wuBte genug und verbeugte mich. Er:
,,Worin bestehen denn Ihre Wiinsche?" Ich: Eure Majestat
haben fur Kunst und Wissenschaft manches getan, die
danische Regierung hat sich dadurch iiberhaupt immer aus-
gezeichnet, und einige Ihrer Vorfahren haben sich nament-
Sich in der deutschen Literatur ein hochst ruhmwiirdiges
Andenken gestiftet. — Dies waren allgemeine Reden, es
75
sollten keine anderen sein, ich wollte ausweichen. Er:
,,Ja, aber nennen Sie mir die Richtung Ihrer Plane und
Wu'nsche!" ich: Als ich aus Deutschland abreiste, horte
ich, da(3 in Kiel der Lehrstuhl der Asthetik und deutschen
Literatur wieder besetzt werden solle; dieser Professur
fiihle ich mich gewachsen. Er: „Das ist noch sehr ungewiB."
Ich: So horte ich bereits, auch vernahm ich, daB Eure
Majestat fur den Fall der Wiederbesetzung schon bestimmte
Absichten hatten; da will es sich denn geziemen, daB ich
zuriicktrete. Dagegen mochte ich bei Eurer Majestat die
Erlaubnis nachsuchen, in Kiel als Privatdozent lesen zu
du'rfen. Er: „Bedarf es dazu meiner Erlaubnis?" Ich: In
meinem Fall allerdings. Ich habe erstlich nur im Ausland
studiert und in AnlaB ganz besonderer Verhaltnisse die
Landesuniversitat allganz nicht besucht. Er: „lst das denn
gesetzlich vorgeschrieben?" Ich: Ja. Er: „Das wird aber
nicht viel bedeuten." Ich: Wenn Eure Majestat es sagen,
so bedeutet es gar nichts mehr. Aber noch eins. Ich bin
in Kiel nicht examiniert. Er: „So konnen Sie sich ja nur
examinieren lassen." Ich: Das ist, wenn man die Universitdt
vier Jahre hinter sich hat, immer eine schwierige Sache
und bei meinem exklusiven Studien- und Lebensgange so
gut wie unmoglich. Er: „Wenn die Gesetze es aber ver-
langen — " Ich: Eure Majestat wissen ohne Zweifel, wie
es in den Examen hergeht. Man mag mich mit Schimpf
und Schanden vom akademischen Lehrstuhl wieder ver-
jagen, wenn ich nicht in einer Frist von ein bis zwei Jahren
durch ein wissenschaftliches Werk vor dem offentlichen
foro meine Kompetenz, die Asthetik vorzutragen, und meine
Befahigung, sie zu erweitern, darlege. Ich habe der Wissen-
schaft einige neue Begriffe zu vindizieren, und es sei mir
erlaubt, dies zu sagen; ich bin aber nicht imstande, ein
mikrologisches Examen zu bestehen und werde mich dem
nicht aussetzen. Er: „Warum sollte die Universitat Ihnen
ein solches nicht erlassen? Ich begreife, daB Ihnen ein
Studentenexamen zuwider sein muB. Disputieren Sie! Ein
Disputaz " Ich (ihn unterbrechend): Kostet viel Geld,
und ich bin nicht der Mann, der viel Geld hat. Er: „Wenden
Sie sich an die Herren von der Kanzlei. Reichen Sie ein
Gesuch ein! (nun ohne Ubergang) Ihre Judith kann aber
nicht gespielt werden. Ich habe mit dem Theaterdirektor
76
daruber gesprochen. Es geht nicht an. (Dies war sein
Ausdruck; verhort habe ich nicht, wie der Konig aber
dazu gekommen sein sollte, mit dem Theaterdirektor iiber
die Auffiihrbarkeit meines Stiicks zu sprechen, ist und bleibt
mir unbegreiflich.) Ich: Ich bitte Eure Majestat urn Ver-
gebung, aber dieser Ausspruch ist langst durch die Tat
widerlegt worden; die Judith ist in Berlin und Hamburg
gespielt. Er: ,,Es stehen aber doch greuliche Sachen darin."
Ich: Eure Majestat meinen, es stehen starke, ungewohn-
liche Dinge darin, solche, die man im konventionellen
Sinn indezente nennt. Er: „Ja, ja!" Ich: Die sind bei der
Auffuhrung weggeblieben. Er: „Sehen Sie? Die sind weg-
geblieben, das konnte ich als Leser aber nicht wissen."
Ich: Freilich nicht. Er: ,,Es ist iiberhaupt wohl Zweierlei,
ein Stuck zum Lesen und ein Stuck zum Spielen zu schrei-
ben!" Ich: Eigentlich nicht, aber so wie die Zeiten sind,
allerdings. — Eine Pause entstand, und urn der bekannten
Handbewegung zuvorzukommen, verbeugte ich mich und
ging.
Oehlenschlagers Empfehlung.
22. Januar 1843: Heute morgen schickte mir Oehlen-
schlager durch seinen Bedienten die Empfehlung. Sie ist
danisch abgefaBt und lautet ubersetzt ungefahr folgender-
maBen: ..Allergnadigster Konig! — Der deutsche Dichter
Doktor Hebbel, welcher sich diesen Winter hier aufhalt
und Eure Majestat urn ein Reisestipendium ersucht, hat
mich gebeten, dieses Gesuch mit einer alleruntertanigsten
Empfehlung zu begleiten, welche ich ihm mit Freuden und
von ganzem Herzen gebe. Herr Hebbel ist gewiB ein
Dichter mit seltenen Talenten, mit echtem Genie. Dieses
Zeugnis haben ihm auch bereits viele Kunstrichter ge-
geben, sowohl fur seine Tragodien Judith und Genoveva,
wie fur seine lyrischen Gedichte. Sollte er in den an-
gefuhrten Dramen noch allzu stark zu dem Gewaltsamen
hingerissen sein, so zeigen doch diese Werke zugleich den
gesunden, kraftigen Keim zur reifen Schonheit und Meister-
schaft in kunftigen Arbeiten. Es wiirde daher jammerschade
sein, wenn dies schone Talent nicht gedeihen und bei seinem
Fiirsten Hilfe und Unterstiitzung finden sollte. Glikklicher-
weise ist Hebbel ein Untertan Christians des Achten, und
11
wird daher Beistand und Pflege gewiB so wenig entbehren,
wie seine danischen Briider im Apollo diesseits der Ostsee.
Es war schon lange der Ruhm danischer Konige, daB sie
deutsche Dichter unterstu'tzfen, welche das groBe Germa-
nien Not leiden lieB; Klopstock in dem reichen Hamburg,
Claudius in Wandsbeck, dankten danischen Konigen ein
sorgenfreies Leben; der groBe Schiller in Weimar dani-
schen Adligen die notige Hilfe und Trost in seiner Krank-
heit. Aber Hebbel ist als Dithmarscher ein unter dem
Szepter Eurer Majestat geborner Untertan und hofft daher
mit dem freudigen Mut eines Sohnes, daB sein Landesvater,
der konigliche Freund der Poesie, zum Wohl seiner und
zum Gedeihen seiner Kunst etwas tun wird. — Allerunter-
tanigst Adam Oehlenschlager."
An Elise Lensing. 1. Februar 1843. Die Kopenhag-
nerinnen nehmen sich sehr gut aus, und besonders hat das
danische Nationalgesicht, das heiBf das weibliche, ftir mich
etwas Wunderbares, das nicht zu meiner Seele, aber ge-
waltig zu meiner Phantasie spricht. Ich darf Dich hiervon
unterhalten, denn Du weiBt, daB der Dichter redet, nicht
der Mensch. Die scharf gezackten stolzen Ziige erinnern
mich an Korallen, wie sie tief unten im Meeresgrunde
wachsen; der blasse klare Teint scheint, wie ein Grenz-
damm, die rote Lebensblume nach innen gedrangt zu
haben, urn sie frisch und unverganglich zu erhalten, aber
auf den roten Lippen knospet sie in ihrer Fiille doch hervor,
wie wohl eine einzelne naive Kirsche die unter dem Blatter-
schmuck des Baums verborgenen still gereiften Schwestern
an den liisternen Knaben verrat; das Auge dagegen, nicht
blau und nicht grau, hat einen seltsamen trockenen Glanz,
es scheint darauf zu deuten, daB das Zauberwesen, dem
es angehort, sich zuweilen in die Flut niedertauchen muB,
wenn die Luft, die scharfe, schneidende, es nicht auszehren
soil. Man sieht solche echt-danische Gesichter, die mich
in fruhster Jugend schon aus einer alten Chronik an-
geschaut haben, hier iibrigens sehr selten, die meisten
Weiber sind hubsch auf deutsche Weise, wenn ich aber
eins erblicke, so fuhle ich mich wirklich in eine phan-
tastische, nachtliche Welt entriickt und der versiegelte
Brunnen der Poesie sucht den Bann zu sprengen . . .
78
4. April 1843.
Viktoria! Meine allerteuerste Elise!
Wenig, aber herzlich! Das war die Devise der Tasse, aus
der ich den ersten Kaffee bei Dir trank.
Wenig, aber mehr, wie je! Das sei die Devise dieses Briefs.
Gott hat mir in seiner Gnade heute ein Pfand fur die Zu-
kunft gegeben, das dreiBigste Jahr, der neue Lebens-
abschnitt, beginnt unter den herrlichsten Auspizien. Der
Rheumatismus war wirklich, wie ich Dir schrieb, der
Wermut, nun haben wir auch den Honig.
Heute nachmittag urn 5 Uhr brachte mir der alte herrliche
Oehlenschlager einen Brief von Collin an ihn, des Inhalts:
„Seine Majestat, der Konig, haben Hebbel allergnadigst
ein Reisestipendium von 600 Reichstalern jahrlich auf
zwei Jahre bewilligt!"
Oehlenschlager las mir das Billett mit Trdnen in den Augen
vor, seine Freude ist so groB wie die meinige.
Ich habe Gott aus tiefster Seele gedankt und zugleich be-
schamt die Hande vors Gesicht gehalten.
Der einzige Schmerz, der sich in diese Freude mischt, ist,
daB ich Dir die Nachricht nicht iiber die Nordsee zurufen
kann. Was moglich ist, soil wenigstens geschehen, dieser
Brief geht gleich morgen zur Post . . .
Tagebuch vom 4. April 1843. Heute ist ein groBer,
wichtiger Wendepunkt meines Lebens, denn ich weiB jefzt
mit Bestimmtheit, wenn auch noch nicht offiziell, daB der
Konig mir auf zwei Jahre ein Reisestipendium von 600
Reichstalern jahrlich ausgesetzt hat, und — sollte mans
begreifen? — ich ware fast zu Bett gegangen, ohne
diesen groBen, entscheidenden Tag auch nur mit einer
Silbe in meinem Tagebuch anzuzeichnen. Nun, ewiger
Vater iiber den Wolken, der du den ohnmachtigen Hader
des bloden Kranken nicht angesehen, sondern mir in
Gnaden die Briicke der Zukunft gebaut und mir ein schones
Pfand des Gelingens gegeben hast, ich fuhle die GroBe
deiner Gnade und die Schwere der Pflichten, die sie mir
auflegt, und ich werde redlich ringen und streben . . .
Tagebuch vom Mai 1843. Den 27. April, abends 6 Uhr,
reiste ich mit dem Dampfschiff Christian VIII. von Kopen-
79
hagen ab. Die Sonne vergoldete die Stadt, die mir ewig
teuer sein wird. Wir hatten die herrlichste Reise von der
Welt. Das Schiff schwamm dahin, wie auf einem Spiegel,
auch keine Spur von Seekrankhelt. Am ndchsten Morgen
um halb 11 Uhr schon in Kiel, wo mich die warmste Luft
begruBte, die ich wie Medizin einatmete; bliihende Baume.
Abends nach 9 Uhr in Hamburg; Elise auf der Post.
BLITZLICHTER AUS DEN BRIEFEN
DES WERDENDEN
BJORNSTJERNE BJORNSON
Von hier mochte ich bald fort. Deutschland eignet sich
augenblicklich weder fur meine Stimmung noch fur meine
Ziele. Meine Gedanken wandern krank wieder heimwarts,
und das schwacht meinen Wandermut. Nur erst fort sein,
das ist jetzt fur mich die einzige Hilfe.
An Karoline Bjornson.
Wenn ich auf der Ruckreise mal wieder durch Deutschland
komme, werde ich mich hier aufhalten, um mir genauer
anzusehen, was mich jetzt so schmerzt, weil es mir bloB
als eine Karikatur meines eigenen Ichs erscheint. Dann will
ich des Leides gedenken, mit dem ich das erstemal die Dinge
sah, doch uberwunden wird das Leid mir gegeniiber treten
— fahre ich dann ja doch alien meinen Lieben entgegen,
und Dich, Dich habe ich bei mir . . .
DaB Du findest, Wilhelm Meister sei das groBartigste Buch,
das Du je gelesen hast, wundert mich. Es interessierf in
80
fccftvpiZJi),':!? JSlty .
tf*w . , *>SS%u jx^y.j/fkL. v „uv< ^4 #£.1
fl.&Mu/.*.
Enlwurfdes Schreibens von Oehlenschldger an den danischen
Konig, worin erfiir Friedrich Hebbei eintrilf (Texts.S.77)
Aus dem Hebbelmuseum der Stadf Kiel
Tiielblait von W. C . Grimms
Ubersetzung der Kcempeviser
hohem Grade, aber es ist ein Buch, das vie! verborgenes
Gift enthalt und auch nicht so gut komponiert ist, wie es den
Eindruck macht. Nein, lies lieber den ,,Egmont". Lies den
,, Faust". — Ich beschdftige mich unverdrossen mit Goethes
Lebensgeschichte; sie ist, als wandere man durch das Leben
selbst mit all seiner breiten Langeweile und all seiner dick-
fliissigen Belehrung . . .
In dieser Zeit habe ich viel Goethe gelesen. Ich habe mir
jetzt vorgenommen, einmal alles von ihm zu lesen. Die
naturliche Tochter habe ich bisher nicht gekannt. Mir ge-
fallt sie besser, als sie offenbar andern gefallen hat. Ein
groBes Leben, das die Nachdenklichkeit reizt, ist in dem
kleinen Buche aufgerollt. Werthers Leiden habe ich nun
endlich gelesen, auch Goethes Leben, die italienische Reise
eingeschlossen (die ich freilich etwas willkurlich behandelt
habe); augenblicklich habe ich seine Gedichte vor, Iphigenie
habe ich gelesen, finde sie aber nur als Probestiick inter-
essant; seine eigenen Gedanken uber sie verstehe ich, ihm
selbst war sie wichtig, wir andern aber konnen ganz gut
ohne sie auskommen . . .
Dann habe ich Schiller gelesen. Seinen Wallenstein, alle
drei Teile. Herrgott, wie groBartig! Hergott wie groB-
artig! Und doch gehe ich von diesem Werk wie von einer
Walstatt, wo der Rauch, alles verhiillend, zum Himmel
steigt. Ich glaube auch nicht, daB sein Wallenstein richtig
ist; ich glaube, der Wallenstein der Geschichte verfror
innerlich und starb daran. Sein Herz wurde immer eisiger
gegen Pflicht, Liebe, Familie, Erinnerungen, bis die Atmo-
sphare urn ihn so kalt wurde, daB der Stahl warm war,
als er ihm in die Brust gestoBen wurde. Das war eine Er-
losung. Aber Schillers Wallenstein hat Gemiit . . .
Goethe ist groBdugig und handfertig, er legt die Sache hin,
sozusagen versuchsweise. Aber die eigentliche Dichtung
im Verhaltnis zu seinen Talenten, die ist doch nicht ge-
kommen. Deshalb kann man zwei oder drei Stiicke von
Schiller lesen und sagen: jetzt habe ich ihn gelesen, oder
jetzt habe ich ein paar Stunden Umgang mit dem GroBen
gepflogen, jetzt will ich mich ausruhen. Goethe aber muB
man nachgehen, urn zu schauen, was er den Tag vor hat;
denn er lebt nur fur sich selbst, in andauerndem Forschen,
und Heiberg ebenso. Man kann nicht eher sagen, man hat
81
Umgang mit ihnen, als bis man ganz fertig mit ihnen 1st.
Es 1st ein Segen, daB erhabene Dichter wie Schiller oder
Oehlenschlager viele Stiicke geschrieben haben; denn desto
reichere Gelegenheit haben Mit- und Nachwelt, ein paar
Stunden in erhabener Natur zu leben. Aber ihr fruher Tod
oder ihre Erschopfung tun der Kulturgeschichte keinen
Schaden, keinen Abbruch; denn sie gaben so vollig ihre
Personlichkeit in jedem einzelnen Werke; wir sind ein fur
allemal auf ihr Niveau emporgehoben. Aber Manner wie
die anderen wiirden gewaltige Sehnsucht hinterlassen, wenn
sie friih stiirben; darum laBt Gott sie auch leben, leben in
voller Kraft des Geistes. Haben wir aber diese Richtschnur,
so miissen wir sie auch abwandeln und alles lesen. — —
Wenn ich Schiller lese, so fiihle ich, daB seine starkste Seite
gerade das Talent ist, solche Verhaltnisse darzustellen: das
Erdreich, auf dem das Ganze wdchst und wurzelt. Nicht
auf einzelnen Wendungen, auf der einzelnen Personlich-
keit beruht die Sache, sondern auf dem gewaltigen AusmaB
der Lebensanschauung, die die Gesellschaft umfaBt, indem
sie das Individuum umfaBt. Die groBe in ihren sozialen
Grundfesten erschutterte Zeit, die ihn gebar, gab ihm ein
Ruckgrat des Denkens, das auch ich mit alien meinen
Kraften mir erringen mochte, — leider oft aussichtslos.
Habe ich aber erst einmal den Blick dafiir gescharft, oder
richtiger: meine ganze geistige Fassungsgabe darauf kon-
zentriert, dann werde ich mit Gottes Hilfe es einmal in
meiner Dichtung soweit bringen, daB der Einzelne das
Sprachrohr Zehntausender wird . . .
In Weimar, der Stadt Goethes und Schillers, war es herr-
lich. Ich war bei zwei bedeutenden Mannern — in ihrer
Art sind es die bedeutendsten, die ich auf meiner Reise
kennen gelernt habe: namlich die Maler Genelli und
Preller. Der letzte ist schon in Norwegen gewesen. Wie
aufrecht, wie wacker, wie hochherzig, frohlich und sicher
saBen diese beiden Leute da. —
Niirnberg und Augsburg — was fur gewaltige mittelalter-
liche Erinnerungen! Ich will einmal hin und studieren und
mich beim Harfenspiel der Minnesanger in die Wunder
ihrer Zeit versenken . . .
Mit Berlin werde ich allmahlich vertraut. Die Stadt hat
mich enttauscht, obwohl ich nicht mit groBen Erwartungen
82
hergekommen bin. Die moralische Atmosphare, in der
die Kunst lebt, ist so verdichtet, daB die feine Pflanze beinah
eingeht . . .
Aber trotz alledem, trotz der groBen Kunstsammlungen des
Louvre und Luxembourg, langweile ich mich in Paris,
— das Wort trifft den Nagel auf den Kopf. Dieses Kultur-
leben hat nicht die Natiirlichkeit und Kraft der Italiener,
ihre Kunst ist kiinstlich, wenn auch vollendet im Techni-
schen, — sie hat nicht die deutsche Tiefe, auch nicht den
groBen Zug der Italiener in der Ausfuhrung.
HENRIKIBSENS WEG ZU DEUTSCHLAND
Es ist ganz richtig, daB ich einen heftigen Unwillen —
nicht, wie Sie sagen, gegen die Deutschen — wohl aber
gegen das Deutschtum und gegen die Deutscherei hege.
(22. Marz 1866).
Hier (Munchen) haben wir die ganze Zeit unter einem
herrlichen italienischen Himmel gelebt, die echten Kunst-
schatze Munchens alle und den PreuBenhaB der Bevol-
kerung genossen, von dem man sich bei uns keine Vor-
stellung machen kann. Wir reisen von hier wahrscheinlich
direkt nach Dresden am 1. oder 2. Oktober. (22. Sep-
tember 1868).
Das Theater (Dresden) besuche ich fleiBig ; es ist eins von den
besten Theatern Deutschlands, steht aber, was Geschmack
und Kunst anlangt, tief, tief unter dem Kopenhagener. Doch N
so ist es liberal! in Deutschland. (31. Oktober 1868).
In letzter Zeit war ich in eine deutsche Polemik verwickelt.
Die Zeitschrift „lm neuen Reich", die in Leipzig unter der
Redaktion von Alfred Dove und Gustav Freytag er-
scheint, hat mich wegen einiger in meinen Gedichten vor-
kommenden AuBerungen iiber die Deutschen attackiert.
Der Krieg hat sich von da in die ,,Constitutionelle Zeitung"
und ein paar andere, weniger bedeutende Blatter hiniiber-
gespielt. Ich habe natiirlich erwidern miissen und habe mich
so weitgewehrt, daB ich hoffendarf, meine Stellung hier bleibt
wenigstens fur eine Weile haltbar. (27. Dezember 1871).
Kommen Sie hierher! Das Ausland ist es, wo wir Nord-
lander unsere Feldschlachten gewinnen miissen. Ein Sieg
6 * 83
in Deutschland, und Sie werden daheim die Oberhand
haben. (23. Juli 1872).
Unser gemeinschaftlicher Freund Adolf Strodtmann hat
mir mein Gedicht „Des Nordens Signale" iibel genommen.
Ich habe ihm einen Brief geschrieben, weil er im Vorwort
zu seinem Buch mein Gedicht ein Hohngedicht auf Deutsch-
land genannt hatte. Aber da er in seiner Antwort die
AuBerung einflieBen lieB, er hatte nicht geglaubt, daB ich
wiinschte, man sollte in Deutschland nicht wissen, was ich
in danischen Bldttern schreibe, so habe ich mich in dieser
Sache nicht weiter mit ihm eingelassen. Ich habe naturlich
nichts dagegen, daB man in Deutschland erfdhrt, was ich
in Danemark schreibe; wogegen ich aber protestieren muB,
das sind falsche Auslegungen dessen, was ich schreibe. Das
Gedicht ist allerdings ein Hohngedicht, aber nicht auf
Deutschland. Es giebt daheim in unseren eigenen Landern
viel zu viel, an dessen Verhohnung mir etwas gelegen ist,
als daB ich mir die Miihe nehmen sollte, die Deutschen zu
verhohnen. (30. April 1873).
Man hatte es sehr eilig, zu berichten, daB die ..Kronpraten-
denten" bei einer Probevorstellung in Meiningen dem dorti-
gen Publikum nicht behagt haben sollten, aber man hat
sich wahrscheinlich nicht damit iiberstiirzt, mitzuteilen, daB
das Stuck dann in Berlin neun Abende hintereinander unter
sturmischem Beifall und zahlreichen Hervorrufen des Au-
tors und der Schauspieler gegeben wurde, und das, obwohl
viele Journalisten aus naheliegenden Griinden mich gar
nicht mit freundlichen Augen angesehen haben. Nach die-
sem Sieg habe ich vom Herzog von Meiningen die Ein-
ladung erhalten, auf seinem LustschloB Liebenstein sein
Gast zu sein. Ich verbrachte eine herrliche Zeit dort und
wurde bei meiner Abreise mit dem Sdchsisch-Ernestinischen
Hausorden dekoriert. Im Winter soil ich den Herzog
wieder in Meiningen besuchen. Im Oktober sollen die
,,Helden" am Burgtheater in Wien aufgefiihrt werden:
auch dorthin habe ich eine offizielle Einladung erhalten,
ebenso nach Schwerin, wo die ,,Kronpratendenten" im
November gespielt werden sollen. Am Hoftheater in Dres-
den werden die ,,Helden" in einigen Wochen gegeben;
dasselbe Stuck wird gegenwartig auch am Stadttheater in
Leipzig einstudiert und wird jetzt wieder mit groBem Beifall
84
in Miinchen gespielt. Von jedem Theater erhalte ich zehn
Prozent der Bruttoeinnahme aus sdmtlichen Vorstellungen
fur Lebenszeit, und ebenso meine Erben fiinfzehn Jahre
lang. (15. September 1876).
Was uns selbst betrifft, so geht es uns sehr gut. Moglicher-
weise werden wir den ganzen Sommer hier unten irgendwo
in den Bergen verbringen. Jedenfalls aber sind wir Anfang
Oktober wieder in Miinchen, wenn kein unvorhergesehenes
Hindernis eintreten sollte.
Ich habe allerdings ofter daran gedacht, Sigurd allein
nach Deutschland zu schicken, damit er seine Studien fort-
setze. Aber es ist mir doch in mancher Hinsicht wunschens-
wert, wieder mehr in das germanische litterarische Leben
hineinzukommen. (9. Marz 1879).
Aber, lieber Herr Paulsen, ist es fur Ihre Ausbildung und
Entwicklung zweckmtiBig, so lange in Paris liegen zu
bleiben? Ich kann es mir unmoglich denken. Die franzo-
sische Litteratur konnen Sie ebenso leicht anderwarts
studieren, und viele Studien anderer Art, die Ihnen un-
umganglich notig sein werden, sofern Sie vorwarts kommen
wollen, konnen Sie weit leichter in Deutschland betrei-
ben. (20. September 1879).
Sollten Sie sich zu diesem Schritt entschlieBen, und sollte
das Gliick Ihnen giinstig sein, so wiirde ich Ihnen unbedingt
raten, Deutschland in Ihren Reiseplan aufzunehmen. Hier
kann man die Kultur der Gegenwart studieren, hier kann
man volkstumliches Leben beobachten, ein Leben, ver-
wandt mit dem unsrigen und doch so verschieden von ihm
und darum vielleicht eben fur Sie von besonderem Inter-
esse. (25. Marz 1880).
Ich fiihre gegenwartig ein Leben, das fur meine Person
ungewohnlich unstet ist. Kaum bin ich nach der Meininger
Festwoche einigermaBen zur Rune gekommen, so muB ich
schon wieder weg. Ich reise iibermorgen, und diesmal geht
die Fahrt nach Berlin, wo Sonntag den 9. d. M. die ,,Ge-
spenster" am Residenz-Theater aufgefiihrt werden sollen.
Am liebsten ware ich zu Hause geblieben, doch nach den
vielen Aufforderungen, die ich erhalten habe, kann ich
ein Erscheinen nicht gut ablehnen, urn so weniger, als die
„Gespenster" in Deutschland eine brennende litterarische
und theatralische Frage geworden sind . . .
85
In Meiningen hat mir der Herzog eine beinahe demon-
strative Auszeichnung zu teil werden lassen, in dem er mir
am Tage nach der Vorstellung — wie es im Diplom heiBt
„als Zeichen seiner Verehrung und Bewunderung" — die
insignien eines Ritters des Sachsisch-Ernestinischen Ordens
erster Klasse mit dem Stern verliehen hat.
Sie miissen nicht glauben, daB ich dies aus Eitelkeit er-
vwihne. Aber ich leugne nicht, daB es mich freut, wenn ich
an die dumme Verketzerung zuriickdenke, deren Gegen-
stand das Stuck in unseren Heimatlandern war. (5. lanuar
1887).
„Kaiser und Galilaer" ist das erste Werk, das ich unter dem
EinfluB des deutschen Geisteslebens geschrieben habe. Als
ich im Herbst 1868 aus Italien kam und in Dresden meinen
Aufenthalt nahm, brachte ich den Plan zum „Bund der
Jugend" mit und schrieb dieses Stuck denselben Winter.
Zu ,, Kaiser und Galilaer" hatte ich wahrend meines vier-
jahrigen Aufenthaltes in Rom mancherlei historische
Studien und verschiedene Aufzeichnungen gemacht, aber
keinen klaren Plan fur die Ausfuhrung entworfen und also
noch weniger vom Stuck etwas geschrieben. Meine Lebens-
anschauung war damals noch nationalskandinavisch, und
ich konnte deshalb mit dem fremden Stoff nicht zurecht-
kommen. Dann erlebte ich die groBe Zeit in Deutschland,
das Kriegsjahr und die nachherige Entwicklung. Dies alles
hatte fur mich an vielen Punkten eine umwandelnde Kraft.
Meine Ansicht der Weltgeschichte und des Menschenlebens
war bisher eine nationale Ansicht gewesen. Jetzt erweiterte
sie sich zu einer Stammesansicht, und so konnte ich ,, Kaiser
und Galilaer" schreiben. Das Drama wurde im Fruhlinq
1873 vollendet. (26. Februar 1888).
Ich habe damit angefangen, mich als Norweger zu fu'hlen,
habe mich dann zum Skandinavier entwickelt und bin
jetzt beim Allgemein-Germanischen gelandet.
86
WISSENSCHAFT UND DICHTUNG
ENTDECKEN
DEN NORDEN
J. G. Herder
DER WASSERMANN
Danisch
,,0 Mutter, guten Rat mir leiht,
Wie soil ich bekommen das schone Maid?"
Sie baut ihm ein Pferd von Wasser klar,
Und Zaum und Sattel von Sande gar.
Sie kleidet ihn an zum Ritter fein,
So ritt er Marienkirchhof hinein.
Er band sein Pferd an die Kirchentur,
Er ging urn die Kirch' dreimal und vier.
Der Wassermann in die Kirch' ging ein,
Sie kamen urn ihn groB und klein.
Der Priester eben stand vorm Altar:
,,Was kommt fur ein blanker Ritter dar?"
Das schone Madchen lacht in sich:
,,0 war' der blanke Ritter fur mich!"
Er trat iiber einen Stuhl und zwei:
„0 Madchen gib mir Wort und Treu."
Er trat iiber Stuhle drei und vier:
,,0 schones Madchen zieh' mit mir."
87
Das schone Madchen die Hand ihm reicht:
„Hier hast meine Treu', ich folg' dir lelcht."
Sie gingen hinaus mit Hochzeitschar,
Sie tanzten freudig und ohn' Gefahr.
Sie tanzten nieder bis an den Strand,
Sie waren allein jetzt Hand in Hand.
Und als sie kamen auf 'n weiBen Sand,
Da kehrten sich alle Schiffe zu Land.
Und als sie kamen auf den Sund,
Das schone Madchen sank zu Grund.
Noch lange horfen am Lande sie,
Wie das schone Madchen im Wasser schrie.
Ich rat' euch, Jungfern, was ich kann:
Geht nicht in Tanz mit dem Wassermann.
Jacob Grimm
SCANDINAVISCHE REISE
Lange zeit schon stand meine sehnsucht unverruckt und
ungestillt nach dem norden, von wannen unsrer sprache
und unserm alterthum nicht das urbild, aber ein dhnliches
gegenbild entnommen werden kann . . . jetzt ist mir ge-
schehn, daB auf die gefahr hin suchens und findens iiber-
hoben zu sein, ich in zwei herbsten hintereinander, weil
an der veranderten luft meine brust heilen sollte, schnelles
flugs die siidliche und nordliche halbinsel von Europa er-
reichte, und meine augen haben sich geweidet an allem
was von gothischen handschrlften zu Mailand, Neapel und
Upsala uberhaupf noch vorhanden ist . . .
Wenn man iiber die ostsee hinfahrt, heben sich die wellen
matter als auf der mittellandischen, erst im Belt wird ihr
schlag heftiger, auch die farbe des meers zeigt sich nur
grau: dennoch verliert das ungestiime element nichts von
seiner erhabenheit. alle kiisten, denen man naht, treten
flacher entgegen und die vegetation erreicht nicht einmal
den trieb der deutschen, geschweige die fiille der italieni-
schen. nur hat der baumwuchs in Seeland und theilweise
Schonen noch ausgezeichnete schonheit; in Schweden, je
weiter man vordringt, laBt er nach, eiche oder buche
weichen der weiBrindigen birke und dem einformigen
schwarzgrun des nadelholzes. die natur wird einsam,
ruhig, und die geringe anzahl des volks kann sie nicht
beleben.
Schweden, das land der langen, lichten sommernachte ge-
fallt durch seine griinen matten, in deren gras unscheinbare
blumen haften, welche die glut des sudlichen himmels er-
stickt. sogar die braunroth angestrichnen kleinen aber
reinlichen hduser, deren rasenbelegtes dach halme und
gestrauch treibt, hinterlassen freundlichen eindruck. Stock-
holms lage, vom Mosabak herab geschaut, mahnt an Genua
und Neapel; nur fehlen duft und glanz.
Soil ich in dem ernsten aber regen gesicht der Schweden
einen nationalzug angeben, so bote ihn die feine, edle
bildung der nase dar ... ein ddnischer typus zeigt sich
89
an oder zwischen den augen. rothwangige Daninnen sahen
frischer, bleiche Schwedinnen zierlicher aus.
Nach Norwegen, dessen gebirge groBartig sein sollen, bin
ich nicht gelangt, den auBersten strich nordischer zungen,
Island, kenne ich nur aus abbildungen, wie sie jetzt eine
franzosische reisebeschreibung in anschaulicher fulle dar-
reicht.
Diese fernen, riihrigen islander haben an Europa ihre
pflicht redlich abgetragen und der welt und dem sinnenden
menschengeist weit groBeren vorschub geleistet, als das
unter herlichem himmelsstrich gelegne Sardinien, das seif
unsre zeitrechnung gilt, trag und unniitz dahin lebt. so
wenig also hangf die innere thatigkeit unseres geschlechts
ganz von seiner auBeren lage ab. ohne Island und die
auswanderung der edelsten und kiihnsten Norweger nach
erstarrendem, aber freiem boden wiirden beinahe alle
nordischen alterthiimer untergegangen sein, wie uns ohne
die errungenschaft eines ausgestorbnen brudervolks, der
Gothen, aller wahre zusammenhang unsrer sprache un-
erkannt und rafhselhaft geblieben ware.
Fiir den deutschen forscher ist Scandinavien classischer
grund und boden, wie Italien fur jeden, der die spuren der
alten Rdmer verfolgt. grabhugel und runsteine ragen aus
der erde, mdchtiger zieht noch die sprache an, die vom
andrang fremder wissenschaft spater als unsre deutsche
beruhrt in vielen ihrer innersten verhdltnisse unangetasteter
geblieben ist. ein kaum begonnenes und noch lange forf-
zusetzendes studium des nordischen, sowol todten als leben-
digen sprachstandes wird uns iiber tugenden und mangel
unseres eignen aufkldren . . .
An keiner neueren geschichte haftet unser herz von jugend
auf wie an der schwedischen. die Ddnen haben bloB ihren
Waldemar, der uns aber schon zu feme riickt, doch welche
macht iiben die namen Gustaf Wasa, Gustaf Adolf und
Carl der zwolfte iiber die gemiiter aus. Wasa, der als
jiingling sein vaterland, Gustaf Adolf, der Deutschland
rettete, Carl, dessen thaten wie ein dichterisches abenteuer
mitten in die prosaische wirklichkeit seines zeitalters ein-
treten . . .
Nahe und verwandtschaften erklaren es, warum Deutsch-
land vielfach auf Scandinavien einwirkte, und nach dem
90
wechsel der zeiten hat die dortige eigenthiimlichkeit sich
davon angezogen oder beleidigf gefunden. noch heute wird
ein deutscher gast in keinem andern lande, selbst Holland
und England nicht ausgenommen, so briiderlich und herz-
lich empfangen, als in Danemark, Norwegen und Schwe-
den. sitten und brauche sind von unsern wenig verschieden,
man lebt wie unter seines gleichen und wird vollstandig
verstanden . . .
Unter den nordischen volkern sind wissenschaft und kunst
nicht anders als auf deutschen fuB gefordert und wenn
unsre einwirkung dort groBer scheint, als die franzosische
bei uns, ist das naturgemaB. namen wie Linnaeus, Ber-
zelius, Thorwaldsen reichen iiber ganz Europa; nicht so
machtig ist der gesang schwedischer und danischer dichter,
doch er begliickt und erfiillt ihr land.
Diese Nordlander sind ruhig und gemessen, aber in alle
tiefen des menschlichen geisfes einzugehn fahig und ge-
neigt. wenn ich iiber den Malare fuhr, saBen die leute
still und spielten mit den fingern, ein nachen der zehn
Italiener faBte wiirde von ausgelassnem geschrei wimmeln.
man konnte mit einem Italiener alles, was sich auf der
flache oder in gewisser hohe hielte, anmutig verhandeln
und durch die feinheit seiner sinnigen art ergetzf werden,
doch weiter hinaus wurde eine schranke vortreten, iiber
die ihn riickhalt und angewohnung nicht kommen lassen.
Im siiden verflieBt das gewohnliche leben mit lust und
gemach, dem ernsten norden traue ich dafu'r innere blicke
und freuden zu, von welchem dort vielleicht kelne ahnung
ist.
Jacob Grimm
Zu den d&nischen Volkssagen
Unsere sammlung deutscher sagen, so wenig aufsehen sie
in Deutschland macht, scheint das gute zu bewirken, daB
man im norden, wo das geddchtnis des volks viel un-
gestorter geblieben ist, den gegenstand in betrachtung zu
Ziehen anfangt. herr Thiele hat bloB in einigen gegenden
Seelands iiber zweihundert sagen aus dem munde der
Sandleute, dem geringeren theil nach aus handschriftlichen
91
unci gedruckten quellen aufgenommen und verheiBt, sie
nach und nach herauszugeben. wie er bemerkt und gar
nicht zu bezweifeln steht, ware in Jutland eine noch viel
reichere ernte zu halten. wollte es nun das glu'ck, daB man
in Norwegen, Gothland und Schweden ebenfalls aufmerk-
sam wiirde und sammelte, was sich in der ruhigen, dauer-
haften natur dieser lander treuer als irgendwo erhalten
haben muB; so wird sich recht deutlich zeigen, welchen
gewinn die unzertrennliche deutsche und nordische ge-
schichte aus einer solchen unternehmung Ziehen kann.
Zu den schwedischen Volksagen
Endlich wendet man sich auch in Schweden, dessen ab-
gelegene unberiihrte strecken, gleich den norwegischen,
mehr davon austragen als die iibrigen lander unseres
stammes, zur sammlung der noch unter dem volk lebenden
lieder sagen und gebrauche. den reichen vorrath konnte
man ahnen nach dem was gelegentlich und fast wider willen
in historischen odergeographischen werken angefuhrt war.
auch dort hat sich die neigung der sammler zuerst auf die
lieder gerichtet, den svenska folkvisor von Geijer und
Afzelius (1814—1816) folgten svenska fornsanger von
Arvidsson (1833. 1837, der dritte band soil 1843 erschienen
sein). demselben Afzelius danken wir svenska folkets
sagohafder (1839—1843 in fiinf abtheilungen, aber noch
ungeschlossen), welches werk nicht auf eigentliche samm-
lung ausgeht, sondern die ganze schwedische geschichte
aus ihm zuganglichen liedern und sagen zu erldutern sucht,
wobei viel willkommnes und unbekanntes mitgetheilt, den-
noch eingewisserzuschnittdesstoffsvorgenommen wird, der
uns dessen vollstandigere nutzung nicht entbehrlich macht.
nur wenige mdrchen stehen bei Afzelius; unterdessen iiber-
rascht die ungemein frische sammlung norwegischer von
Asbiornsen und Moe (Christiania 1842), der sich eine gleich
ansehnliche schwedischer bald an die seite stellen moge.
Ober das finnische Epos
Hier sprudelt nun, wenn irgendwo, lauteres epos in ein-
facher und desto mdchtigerer darstellung, ein reichthum
92
unerhorter und wieder mit andern bekannten zusammen-
treffender mythen, bilder und ausdriicke; ich will besonders
hervorheben ein reges sinniges naturgefiihl, wie es fast
nur in indischen gedichten angetroffen wird. zugleich ist
in diesem epos auf einmal der ganze mehr als oberflach-
licher bewunderung wiirdige reichthum der finnischen
sprache weit glanzender entfaltet worden, als man ihn
bisher aus den worterbiichern von Juslen und Renvall ge-
wahren konnte. wenn in Serbien der name von Vuk Karad-
gitsch, hat in Finnland der von Lonnrot alle anspruche
darauf bei den kommenden geschlechtern unvergessen zu
bleiben, die sich ihrer unermiidlichen gerade noch zu
rechter zeit unternommenen arbeiten lange werden zu
erfreuen haben. welch ein ungleich hoherer werth ist sol-
chen untadelhaften samlungen beizulegen als der viel-
getadelten jener ossianischen gedichte, womit etwa vor
achtzig jahren Macpherson zum erstenmal auftrat, und die
alien wahrhaft epischen character verleugnen. aus dem
empflndsamen Ossian kann unser deutsches alterthum nir-
gends, aus dem finnischen epos allenthalben erlautert wer-
den; das ist die sicherste probe gegen jenen und fiir dieses.
Schicke ich mich nun an, den inhalt des finnischen epos dar-
zulegen, so muB mir fast bangen, daB das uberreiche ge-
flecht seiner marchenhaften in der kindlichen einfalt friiher
vorzeit entsprungnen begebenheiten ungeneigte horer fin-
den werde, da natiirlich unstatthaft ist hier den es aus-
fulfenden reiz der gedanken und worte in einem frei-
gebigen und dennoch kargen auszuge wieder erscheinen
zu lassen. die rohen aber frischen hebel, die einfachen
aber starken bander dieser wunderbaren dichtung haben
wenigstens fiir meine studien leicht zu ermessende an-
ziehungskraft. (Es folgt eine Inhaltsangabe.)
Dies ist der eigentliche inhalt des in ununterbrochener
handlung fortschreitenden, die aufmerksamkeit der horer
unablassig spannenden epos, es folgen aber noch fiinf
andere merkwurdige und schone, samtlich auf Vaindmoinen
bezugliche lieder, von welchen ich fast keinen auszug mit-
theile. wie lieBe sich auch ein solcher versuchen von dem
28 gesang, der mit wahrhafter begeisterung und dem reich-
93
sten aufwande von poesie eine barenjagd schildert, das
alien nordlichen volkern, Finnen, Lappen, bis zu den Ost-
jaken hehre und mlt iiberall ahnlichen gebrauchen noch
jetzt gefeierte fest? wenn diese volker den baren, dem
von ihnen menschlicher verstand und zwolf manner starke
beigelegt wird, jagen und erlegen, pflegen sie lieder an
ihn zu richten, in welchen sie sich verblumt entschuldigen,
daB sie ihn getodtet haben, unter wechselgesdngen wird er
heimgefiihrt, zerstiickt, gekocht und genossen. dies 603
verse enthaltende lied scheint mir wieder eins der wichtig-
sten der ganzen reihe und voll willkommner aufschlusse
iiber die naturanschauung und dichterische phantasie der
Finnen.
Ober eine islandische Grammatik
Ein schatz, der die welt erfreuen sollte, liegf in der erde
vergraben. die altnordische sprache ist verstummt, und die
poesie der Edda unverstanden; eine sprache, worin sich
die germanische zunge rein gespiegelt hat, eine poesie,
die zu dem hochsten und ersten allerzeitengehalten werden
muB, in beiden ein inhalt, der die reichsten historischen und
poetischen resultate aufschlieBf. im norden selbst haben
zwar niemals freunde und kenner gefehlt; noch immer
griff das alte mit seinen armen in das neue hinuber, als
daB es hatte vergessen werden konnen; allein es laBt sich
doch eben fragen: ob nicht dieses geographische nahe-
liegen, diese riihmliche sitte, fur die erhaltung vaterlandi-
scher monumente eine sich ruhig gehen lassende sorge
fortzutragen, mehr dabei mitgewirkt habe, als eine durch-
dringende erkenntnis des hohen werths dieser alterthiimer?
Als sich mit neuem, nicht fruchtlosen eifer in unsern tagen
die altdeutsche literatur hob, war es gar bald zu spu'ren,
mit wie lebendigen banden sie vor alters an der nordischen
schwester gehangen habe, und nur halb ohne diese er-
grundet werden konne. bleibt diese ansicht stehen, so wird
Deutschland, das ein eigentlich historisch gesinntes land
zu nennen ist, und es ganz darauf angelegt hat, die ge-
schichte der welt zu forschen, vereint mit dem norden dahin
streben, daB die scandinavische literatur endlich an die
94
gebuhrende stelle trete und der wissenschaft des ganzen
Europa iibergeben werde.
Die sichtbarsten bediirfnisse sind gewohnlich gerade die,
denen am langsamsten abgeholfen wird, man wahnt leicht,
iiber ihnen zu stehen, und die sorge dafiir andern iiber-
lassen zu konnen. diese gesinnung kann nicht falscher sein,
als bei der altnordischen sprache, die so alt ist, daB sie im
kleinsten groB und im einfachen schwer zu ubersehen ist;
sie bietet ungeahnte und ehrenvolle schwierigkeiten dar,
durch deren uberwindung wir erst den schliissel zu weiteren
thuren erlangen.
Zur Edda
Der erste theil dieses fur deutsche und nordische geschichte
und sprache unbeschreiblich wichtigen werks ist bereits
1787 erschienen, doch, wo wir nicht irren, selbst in unsern
blattern unangezeigt geblieben. die nachwelt wird den kalt-
sinn zu strafen haben, womit das gegenwdrtige durch so
vieles angeregte, durch so weniges aber tuchtig bewegte
zeitalter ein denkmal empfangt, dessen sich jedes volk
freuen sollte, desgleichen kaum einem andern volke zu theil
geworden ist. man erinnert sich, daB vor ungefahr vierzig
bis funfzig jahren die bekanntmachung der Ossianischen
dichtungen allgemeine aufmerksamkeit erregte, daB man
sie behende in beinahe jede europaische zunge iibersetzte,
und sich fur oder wider ihre echtheit lange zeit hindurch
lebhaft ereiferte. den deutschen denkmalern selbst scheint
zu begegnen, was auch so oft das schicksal des deutschen
verdienstes war: verkennung und zuriicksetzung vor dem
fremden mit der gleiBenden auBenseite, mit dem gehalt-
loseren innern . . .
hier ist kein unechtes oder doch zweifelhaftes, kein erst in
spater zeit aufgeschriebenes und dem munde des volks ab-
genommenes denkmal, sondern ein in an sich schon alten,
aber erweislich und sichtbar auf ein weit hoheres alterthum
hinaufweisenden handschriften sicher und glucklich er-
haltenes. gibt es, auBer den urkundlichen beweisen und
fingerzeigen, fur das, was vor jahrtausenden die sprache
und geschichte unseres stammes einmal gewesen, ein un-
bewustes, ahnendes gefiihl in unserer brust, so muB es
95
uns beim lesen dieser eddischen lieder befallen und un-
widersfehlich anziehen. sie zeigen uns die schonheit und
macht unserer edlen sprache in aller einfachheit des alter-
thums, und wenn diese sprache, wie sie sich in der alt-
nordischen mundart bewahrt, mit dem wenigen, welches
uns aus den fruhsten zeiten anderer deutscher stamme ver-
blieben war, auf das merkwiirdigste iibereinstimmt, warum
soil der schluB nicht gelten, daB auch eine dhnliche poesie
und eine ahnliche gestalt der poesie bei dem siidlichen theile
des volks gebluht habe, eben weil sie sich unter dem nord-
lichen findet?
Ein urtheil, nicht iiber den werth (denn dieser ist aus-
gemacht), sondern iiber die natur und eigenthiimlichkeit
der Eddischen poesie kann nicht in den engen grenzen
einer bloBen anzeige versucht und begriindet werden. jeder
gehe nun hinzu und lerne selbst, da das buch offen steht.
wir sagen bloB, daB sich hier eine tiefe wahrheit der be-
gebenheiten und empfindungen spiirt, wie kaum in den
alten dichtungen irgend eines anderen volks. die treue der
darstellung, die ruhige haltung des ganzen werden jeder-
mann sichtbar sein, die herben schonheiten der rede und
der bilder nur verwohnten lesern nicht behagen; wer sich
einmal vertrauter macht mit diesen liedern, muB sie immer
lieber gewinnen.
Wilhelm Grimm
Ober die Lieder der Edda
Sollen wir etwas von der Poesie dieser Lieder sagen, so
scheint sie uns mit zu dem GrdBten und Schonsten zu ge-
horen, was je die menschliche Seele bewegt hat. An Tiefe
und Hohe darf sie jeder andern zugesellt werden, ein mehr
heiterer Himmel hat anderes mit mehr Milde und Lieb-
lichkeit ausgefullt. Die Fabel laBt die Gottlichkeit des reinen
Lebens sehen, wie seinen nothwendigen Untergang in dem
Verrath, der, immer machtiger urn sich greifend, endlich
das ganze Geschlecht vernichtet. Die Gestalten stehen in
der Schonheit und in dem eigenen Glanze, den alle Mythe
iiber denen scheinen laBt, die noch nicht weit von ihrem
Stammvater, der ein Gott war, entfernt sind.
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Friedrich Schlegel
Edda
Jenes alldurchdringende tiefe Naturgefuhl, welches aus den
germanischen Sitten und Einrichtungen des Lebens hervor-
leuchtet, woraus nicht bloB der Hang zur Freyheit, sondern
auch die zartere Liebe, und die uns eignen Begriffe von
Adel und Ehre zuerst entsprungen sind, 1st schon in der
nordischen Gotterlehre und Edda einheimisch. So viel auch
der EinfluB des Christenthums und mildere Sitten nachher
daran geandert haben, es ist viel von jener alten Denkart
und Gefuhlsweise, wenn gleich in neuer verwandelter Ge-
stalt geblieben. Durch die ganze Ritterzeit, durch alle
Thaten und Sitten, alle Dichtungen und Gebilde des Mittel-
alters geht dieser Grundton gleichsam wie die nordische
Ader hindurch, und noch schlagen diese Gefuhle in den
Herzen aller Volker deutscher Abkunft.
Odins Gotterlehre war den nordlichen Deufschen und
Sachsen mit den skandinavischen Volkern gemein; beyde
Nationen finden sich nach so longer Absonderung doch
noch verwandt, und waren urspriinglich Ein Volk. Um
so weniger kann es gegen die Natur der Sache, oder zu
weit entlegen scheinen, wenn wir die deutsche Poesie bis
zuriick zu ihrer nordischen Quelle, der Edda, verfolgen
mochten . .
In der That, wenn irgend ein Denkmahl unserer nordischen
Vorwelt neben den hochsten Urkunden alter Poesie der
sudlichen Volker eine Stelle verdient, so ist es nebst dem
deutschen Nibelungen Liede wohl die islandische Edda.
Jene geistigere Naturverehrung, welche den sinnlichen
Griechen im Allgemeinen eigentlich fremd war, stromt
hier in unserer Edda wie aus der vollen Quelle hervor, in
geheimniBvollen Spriichen und in weissagenden Gesdngen;
Stoff genug, um viele Jahrhunderte und ganze Geschlechter
von Dichtern mit dem heilsamen Trank und Labsal wahr-
hafter Begeisterung zu versorgen. Man konnte diese
geistige Naturverehrung, die sich obwohl mit iippigern sud-
licheren Farben auch in dem persischen Zendavesta mit
mancher auffallenden Ubereinstimmung wiederfindet, im
Gegensatz der leichtern, und bey aller Schonheit der
7 97
duBern Form im innersten Grunde doch eigentllch ma-
teriellen griechischen Gotterlehre, das reinere, unverdorb-
nere, ernsfe und strenge Heidenfhum nennen; dasselbe,
welches auch unsere germanischen Vorfahren beseelte . . .
Tragisch ist die nordische Gotterlehre, aber von ganz
anderer Art freylich ist dieses Tragische als die diistre
Melancholie des nebelvollen und meistens gedankenleeren
Ossian. Gefallen ist Balder der liebenswurdigste unter
Odins Sohnen, einem unvermeidlichen Tode zum Opfer.
Odin selber, der Ahnherr der Helden, der Urheber alles
Gottlichen und Lichten wird unterliegen in dem letzten
Kampfe gegen die hereinbrechenden Machte der Finster-
niB; so weissagen alte Seher, wahrend er selbst noch die
edelsten unter den sterblichen Helden durch einen friihen
Tod in sein Walhalla versammelt, um desto mehr Mit-
kampfer zu haben, auf jenen groBen Tag der Entscheidung,
den auch er voraussieht, ohne ihm entfliehen zu konnen.
Dieses Tragische der nordischen Gotterlehre aber wirkt
um so inniger, um so sanfter und ruhrender, weil auch
wieder so viel Freudiges, alles was die Liebe Zartes und
Schones, der Friihling und die Natur Heiteres und GroBes,
das Heldenthum Frohliches und Muthiges hat, darin ver-
webt ist.
Indessen bleibt die Edda, nach allem was Suhm, Sandtwig,
Thorkelin und Nyerup fur die Erhellung des nordischen
Alterthums geleistet haben, immer noch mehr ein Studium,
ais Gegenstand des unmittelbaren poetischen Genusses.
Es bedarf hier, als Mittelspersonen solcher Dichter, welche
Klarheit und Reichthum mit Tiefe verbinden, und dadurch
im Stande sind, die geheimniBvollen Sagen und Lieder der
Edda in leicht verstandlichen, und den duBeren Sinn wie
das innere Gefiihl ansprechenden Dichtungen alien an-
schaulich zu entfalten.
Solche von Odins Geiste wahrhaft beseelte Dichter und
Skalden ruhmt sich Danemark auch jetzt noch zu besitzen,
wie denn unstreitig in der letzten Hdlfte des achtzehnten
Jahrhunderfs, wahrend die Poesie bey den andern Volkern
Europas schon zu erloschen und zu ersterben schien, keine
andere Nation nachst der deutschen so ausgezeichnefe
Dichter hervorgebracht, die Poesie so lebhaft und frucht-
bar angebaut hat, als die danische.
98
Wir haben in der That Unrecht gehabt, dieB bis jetzt nicht
mehr zu beachten und zu benutzen, da jene im Norden
einheimischen Dichter der Quelle in mancher Hinsicht
naher stehen, und wenn man sie auch nur als Wegweiser
zur Edda betrachten will, so wiirden sie schon als solche
sehr schatzbar seyn und alien Dank verdienen . . .
Fouque
Diesen danischen Nachfolgern und Sangern der Edda
konnen wir aber jetzt auch einen deutschen Skalden zu-
gesellen. Es ist der Held des Nordens, vom Freyh. Friedrich
von Fouque, von dem ich rede, in diesem vom Geiste
Odins beseelten und durchdrungenen Werke, stellt sich
die nordische Dichtkunst in ihrer ganzen Herrlichkeit und
Schone dem Auge dar.
Die Gesinnung in welcher das Werk gedichtet ward, spricht
sich am besten in folgenden Versen der Anrede aus:
,,Ach hdttet Ihr die edlen Vater drum,
Und nur die Vater ganz allein befragt,
Uns wiirde langst statt friihem Morgenroth
Des Tages warmer Sonnenschein umleuchten.
Ihr wolltet's anders, Fremde fragtet ihr,
Und schuft euch ein verkriippeltes Gebild
Ausland'scher Sitte." . .
Wir glauben den deutschen Dichter am besten zu ehren,
wenn wir ihn selbst gar nicht trennen von seinem Werke.
So sagt er selbst:
Die Sage will ihr Recht, ich schreit' ihr nach;
Wer sie verkleidet will, der folg' uns nicht!"
99
Ludwig Tieck
N0RWEG1SCHE VOLKSMARCHEN
EINGELEITET
Vor funfzig Jahren etwa waren bei vielen ernsthaften, selbst
gebildeten Leuten die Mdhrchen, Erzahlungen von Feen
und selfsamen Erscheinungen von Gespenstern und Geistern
in iiblem Ruf. Die Geschichten der Tausend und Einen
Nacht genossen bei poetischen Gemiithern einige Achtung,
sie waren wenigstens von den Leihbibliotheken nicht aus-
geschlossen. Die Erzahlungen meiner Mutter Gans waren
iiber ganz Europa verbreitet, doch nur in den Hdnden der
Kinder. Einige Jahre fruher hatte unser deutscher Musdus
seine humoristischen Volksmdhrchen fast als stdrkendes
Mittel in die damals iiberfluthende weichliche Sentimentali-
tdt hineingeworfen, und sie fanden allgemeinen Beifall, den
sie auch bis jetzt sich erhalten haben, obgleich das poetische
Element dieser alten Volks-Sagen und Dichtungen nicht
selten durch Anspielungen auf ganz moderne Dinge und
zu prosaische Zustdnde verfinstert ist. Man rechnete aber
diese exotischen Pflanzen und Blumen nicht zur eigentlichen
Literatur, und als ich um 1796 meine Versuche in dieser
Art herausgab und uralte Geschichten in ein andres Ge-
wand kleidete, wurde ich von vielen meiner Freunde und
Wohlwollenden sehr ernsthaft getadelt.
Wie hat sich seitdem diese Gegend der Biicherwelt ver-
wandelt! Eine ganze reiche Literatur dieser Mdhrchen ist
entstanden und aus alien Ldndern der Erde zusammen-
getragen.
Viele von diesen Volks- und Kindermdhrchen sind durch
Tradition und viele Jahre verwandelte und verderbte
epische Gedichte, und es ist interessant und riihrend iiber-
raschend, wenn von Zeit zu Zeit im verschiitteten Grunde
der alte Baum noch grunend wiedergefunden wird, den
geddchtniBlose Jahre in ein unkenntliches StrduBchen zu-
sammengetrocknet haben. Ergeht man sich in diesen For-
schungen, so wird unser Sinn endlich verwirrt und schwin-
delnd, weil bei zu genauer Untersuchung Indien und
Frankreich, Deutschland und Italien mit Island und dem
100
Nordpol zusammenflieBen. Alle Volker, alle Kinder haben
sich von je an groBeren und kleineren Mdhrchen ergotzt,
Kinder selbst haben manche erfunden, oder die sie horten
auf ihre Art nachgeahmt, andre, alte und junge Frauen
haben diese auf ihre Art wieder umgebildet, und so findet
der Suchende jetzt in alien Ldndern zum Theil dieselben
Sagen wieder, mehr oder minder vom Clima, dem Siiden
oder Norden gefdrbt.
Und so nehme man auch diese Sammlung freundlich auf,
diesen nordischen StrauB von Spdtblumen und einigen selt-
samen Pflanzen. Die interessantesten mochten wohl die
Erzahlungen sein, die von einem leichten, gutmuthigen
Humor angefdrbt sind. Wenn Aschenbrodel, Blaubart, und
manche ganz allgemein verbreitete Legenden oft und unter
mancherlei Gestalten vorkommen, so lasse man sich auch
die oft nicht bedeutende Variation gefallen, und bei ein-
fachen, naturlichen Kindern muBten die meisten dieser
Geschichten Eingang und eine freundliche Aufnahme finden.
Immer in dhnlicher Gestalt mit zwei bis neun Kopfen er-
scheint der ungeschlachte, boshafte Riesengeist Troll. Um
1790., als W. von Schlegel noch in Gottingen lebte, und
sehr befreundet war mit unserm deutschen Dichter Burger,
ergingen sich Lehrer und Schuler auch oft in den Wdldern
nordischer Poesie. Damals war selbst unter Gelehrten in
Ddnemark und Schweden nicht viel Kunde von dieser
Region, und so bildete sich der poetische Burger ein, unser
deutsches Wort drollig sei von diesem schadenfrohen
Nordgeiste abgeleitet, und in diesem Glauben bildete
Schlegel nachher in seinem Sommernachtstraum den Ko-
bold Droll . . .
Potsdam, in den letzten Tagen des October 1846.
unmittelbar nach einer schweren Krankheit.
L. Tieck.
101
Ernst Moritz Arndt
LOBLIED AUF SCHWEDEN
UND DEN NORDEN INSGESAMT
Welch' ein hoher und kolossalischer Geist weht in der
altesten Geschichte des westlichen Nordens! welch' ein
ku'hner Freiheitssinn! welcher Trotz! welche Lebens-
verachtung! welch' ein erhabener Gehorsam gegen das
ewige Schicksal! Hochste Kraft, unbezwinglicher Muth,
barbarisch und wild, der Grund des Ganzen. So zogen die
Warager nach Konstantinopel, so bildete Rurik und seine
tapfern Genossen den Russenstaat, so fuhren die Nor-
manner durch, die furchterliche GeiBel der sudlichen und
westlichen Volker, gigantisch tapfer, unwiderstehlich; so
kampften die Nachkommlinge in England, in der Nor-
mandie, in Apulien; so stehen selbst in der neueren Ge-
schichte des Nordens einzelne Karaktere wie Ruinen in
der Wiiste mit Hieroglyphen; die kleine Zeit konnte sie
nicht deuten.
ImMittelaltervomzehnten bis sechszehnten Jahrhundert ist
die Geschichte Skandinaviens der ubrigen europaischen
gleich. Seine Volker nach den groBen Abentheuern der
Vdter, welche die Welt erschreckten, sanken in sich selbst
zuriick und entwickelten sich langsamer zu ordentlichen,
kraftigen Staaten, als das u'brige Europa, mit welchem es
wegen seiner Entfernung wenig andere Beruhrungspunkte
hatte, als die gemeinschaftliche Hierarchie, die ein sicht-
bares und unsichtbares Band der Vereinigung urn Europa
zog. Der alte hohe Sinn entfaltete sich aber dafiir in man-
chen trefflichen Nationaltugenden- und Elnrichtungen desto
freier. Im sechszehnten Jahrhundert riB durch Aufruhr und
Blut die wiinschenswerfhe Verbindung der drei nordischen
Volker, die aber zu lose geknupft war und u'berall zu zwie-
f rachtig. Das Haus Wasa bestieg den Thron der Schweden.
Neue Kraft und Enthusiasmus fuhr in die Nationen, freier
bildeten sie sich neben einander in Krieg und Frieden und
nach der Zerbrechung des Handelsjoches der teutschen
Kaufleute ward der Name Schwede und Dane wieder mit
Ehren in Siideuropa genannt.
102
Mit dem siebenzehnten Jahrhundert kamen die nordischen
Heroen wieder und befreiten und erstaunten die Welt.
Herrlich und tapfer brachen die Schweden gegen Osten
durch und die Russen und Polen zitterten. Aus der Mitte
seiner Siege rief die bedrangte Welt Gustav Adolf nach
Teutschland. List und Schlauheit der Jesuiten, Oesterreichs
Gliick, durch groBe Feldherren gebaut, der Fursten Schwa-
che und Zwietracht bedrohten wieder mit Barbarei und
FinsterniB das Land, wo das Licht der Reformation auf-
geleuchtet hatte. Der groBe Konig kam mit einem kleinen
Heerhaufen, er schlug, siegte und fiel. Was Europa an
Freiheit, Bildung und Licht hat, dankt es diesem Befreier
und Musageten der Menschheit, dem edelsten Mann der
letzten Jahrhunderte. Siebenzig Jahre herrschten die Schwe-
den im Norden, gefiirchtet und geehrt, im Anfange des acht-
zehnten Jahrhunderts lag ihr VerhangniB den Russen unter.
Karls des zwolften Tod bei Friedrichshall endigte die Kata-
strophe.
Seitdem ist der nordische Name leiser genannt, nicht mehr
mit Schrecken, immer mit Ehre. Die Volker haben sich mit
den ubrigen Zeitgenossen gleich gebildet und ohne groBe
Revolutionen ist Industrie, Kunst, Bevolkerung und Macht
gewachsen. Glucklich, wenn die drei Staaten Einem Herrn
dienten! Vielleicht fuhren kunftige Zeiten herbei, was die
Lage befiehlt und was HaB und Ehrgeiz einst trennten.
Danemark und Norwegen machen den einen Staat, Schwe-
den mit Finnland den andern. Die Normdnner sind noch
die alten, schon, stark, tapfer und bieder. Ihre Leiber, Sitten
und Sprache sind den Schweden naher, als den Danen.
Die Danen, ein ordentliches, fleiBiges und verstandiges
Volk, haben doch lange nicht mehr Nationalsinn gehabt.
Immer hat den Inselbewohnern die physische Gewalt der
Normanner und Schweden gefehlt, nie hat bei der kleinen
Zahl Nationalkraft und Freiheitssinn so durchbrechen
konnen. In den letzten Zeiten ist das Danlsche in Sitten,
Neigungen und Sprache sehr in das Teutsche iiberge-
gangen.
Bei den Schweden war einst die Macht und die Gewalt des
Nordens, sie wird kiinftig bei ihnen seyn. Dies sind noch
die Alten und Himmel und Land lassen sie nicht ausarten.
103
Stolz, wie ihre Berge, muthig und frisch, wie !hre Alpen,
Strome und Wasserfalle, im Gefuhl der Kraft und Freiheit
steht das brave Volk da. Man braucht hier nicht zu den
Mannern der Fabelzeit zuriickzugehen, in Smaland und
Dalarne, in Warmeland und Jemtland will ich hundert und
tausend Manner finden, die wie Riesen da stehen und in
ihren herkulischen Armen fiinf und zehen gewohnliche
Manner erwurgen. Tapferkeit, Redlichkeit, Freiheifssinn
sind hier unsterblich und nur durch diese Tugenden herr-
schen die Manner wiirdig.
104
ZEITGENOSSISCHES
ZWIEGESPRACH
KNUT HAMSUN
Ich habe das Gliick gehabt, von Anfang an Zutritt zu der
groBen deutschen Sprachgemeinschaft zu bekommen -
also auBer zu Deutschland selbst auch zu Osterreich,
Bohmen, Mahren, der deutschen Schweiz - und noch
weiter.
In Jugoslawien bekam ich im vergangenen Jahre abwech-
selnd deutsche und serbische Ausgaben meiner Bucher,
urn meinen Namen hineinzuschreiben, vorgelegt, und ich
bekomme jetzt GriiBe vom Balkan, aus RuBIand und den
Ostseeldndern in deutscher Sprache. Nur aus Indien sind
es englische.
Dieses sagt mir etwas uber die dominierende Stellung, die
das Deutsche in den Landern, auch auBerhalb des Nor-
dens, wo deutsche Sprache und deutscher Geist selbst-
verstandiich sind, besitzt. Wir haben im Norden das Gliick,
daB Deutschland unser Tor zur Welt und daB deutsch
nordisch 1st. Ich denke daruber nach, was Deutschland
funfzig Jahre lang fur mich bedeutet hat, und ich fuhle eine
tiefe Dankbarkeit.
107
YRJO KILPINEN
Schon als Kind liebte und verehrte ich die deutsche Musik,
spater, als ich in Deutschland studierte, lernte ich Deutsch-
land und den deutschen Menschen kennen, lieben und ver-
ehren — jetzt wei(3 und verstehe ich, da(3 es so sein muBte,
weil unsere Volker untrennbar zu derselben Schlcksals-
und Kulturgemeinschaft gehoren, weil das Gleiche unsere
Volker verbindet, weil unsere Herzenssprache dieselbe ist.
Die deutsche Musik genieBt voile Heimatrechte in Finn-
land, und so auch die finnische Musik in Deutschland; wir
verstehen die Eigenart der deutschen Musik und die Deut-
schen verstehen die Eigenart unserer Musik. Verschieden-
heiten in unserer Ausdrucksart slnd vorhanden, sind aber
nur bedingt, da der Ausdruckswille, der Geist derselbe ist.
So kann man es gut verstehen, da3 Finnland dem deut-
schen Pacius eine zweite Heimat wurde und daB er nicht
nur die finnische Nationalhymne, sondern auch andere
finnische nationale Lieder so finnisch komponieren konnte,
daB sie Allgemeingut des ganzen Volkes wurden, und daB
deutsche ausiibende Kiinstler (ich mochte hier nur den
groBen deutschen Liedersdnger Prof. Gerhard Hiisch
nennen) finnische Werke ebenso tiefgehend-schopferisch
gestalten wie ihre eigenen, — und andererseits, daB viele
finnische Werke ebenso „heimatlich" in Deutschland wie in
Finnland geworden sind, daB Deutschland vielen finnischen
ausubenden Kiinstlern eine zweite Heimat geworden ist.
Man konnte unzahlige Beispiele der beiderseitigen
Fruchtbarkeit der deutsch-finnischen kulturellen Beziehun-
gen auf den verschiedensten Gebieten erwahnen; — ich
habe mich auf die Musik beschrdnkt, weil ich Musiker bin,
und weil die Seele eines Landes und das Herz eines Volkes
gerade in der Musik ihren unmittelbarsten und iiberzeu-
gendsten Ausdruck finden.
Kultur ist mehr und dauert longer als Krieg und Frieden.
Kulturarbeit ist ein Kampf urn die ewigen, unverganglichen
Werte. Moge es den Volkern, die fur die hohen kulturellen
Ideale des Nordischen Gedankens arbeiten, vergonnt sein,
stets Hand in Hand fur diese, der ganzen Menschheit zu-
gute kommenden Ideale zu wirken — jeder fur sich und
alle miteinander.
108
Gustav Frenssen
MEIN VERHALTNIS ZUM NORDEN
So wenig Zeitungs- und Buchbildung in meinem Eltern-
hause vorhanden war, so wurde doch darin viel von den
nordischen Ldndern gesprochen. Sie waren uns nahe; ich
selbst bin noch als danischer Untertan geboren. Und meine
Eltern gaben einem ihrer Kinder, mir, die beiden Vor-
namen eines groBen Nordmannes. Die Skandinavier, die
in unsere Landschaft kamen, empfangen wir als unseres-
gleichen.
Dieser Zug naher Verwandtschaft brachte mich schon in
meiner Jugend, nachdem ich, Kind des Dorfes, in dem es
nicht viel mehr als Bibel, Gesangbuch und Kalender gab,
in die weitere Bucherwelt geraten war, zu den damaligen
groBen nordischen Schriftstellern: den Danen Andersen und
Jakobsen, dem Norweger Jonas Lie, dem Schweden Geijer-
stam. Ich las sie im Gefiihl, daB sie von meiner eigenen
Art waren. Ja, es stand und steht so — und ist bei unserer
rassischen Herkunft und geopolitischen Lage kein Wun-
der — , daB diese Schriftsteller und die spater folgenden, die
Lagerlof, Heidenstam, Bjornson und Hamsun, meiner Natur
naher schienen, als die ausgesprochen Siiddeutschen, wie
etwa Morike oder Keller, ja wie Goethe und Hauptmann.
Und ich war nicht wenig verwundert, als ich in einer Buch-
ausstellung als nordische Schriftsteller nur Leute aus Skan-
dinavien vorfand. Als wenn etwa Blunck, Hermann Clau-
dius, Friedrich Griese, August Hinrichs und ich selbst — urn
einige dltere zu nennen — in irgendeiner Weise andere
Leute waren als die Skandinavier.
Ich habe dann, in spateren Jahren, einige Briefe mit Frau
Lagerlof, Heidenstam, Hedin, Hamsun und anderen Nord-
leuten gewechselt; habe auch, auf Einladung Hedins, in
der deutsch-schwedischen Vereinigung in Stockholm ge-
sprochen und habe Heidenstam am Malarsee besucht. Aber
ich kann nicht sagen, daB ich irgendeinem Nordlander nahe
gekommen bin. Nun, ich bin, auch darin ein einsamer
Niedersachse, wenig Leuten nahe gekommen.
Gesamtgefuhl zu den Nordlandern? Wenn ich wieder und
wieder h6re, daB sie, mit wenigen Ausnahmen, zu Frank-
109
reich neigen, ist mir das ein groBes Verwundern und ein
Schmerz. Es ist mein heiBer Wunsch, daB sie einmal dahin
neigen, wohin sie nach Rasse und Art, und — so scheint
mir — nach ihren staatlichen Notwendigkeiten gehoren.
Hans Friedrich Blunck
REISEGEDICHTE AUS NORWEGEN
Sturm unter Norwegen
Das Schiff stampft schwer. Die Wogen stiirmen an
Wie losgerissene Scharen, die befreit
Vom Norden niederrollen; harfer als
Der Eisfrost, der die Reling iiberbleit.
Mitunter, wenn die schwachen Luken zittern,
Und wenn ein Einschlag drohnt wie von Gewittern,
Greift's mir ans Herz — nicht Angst ist's — , doch ich weiB:
Die Berge fahren uber See. Wie sie uns schufen,
Kann jeder uns in seine Dunkei rufen.
Einfahrt in Bergen
Und piotzlich, da du aufsfehst, noch das Wiegen
Des Schiffs im Sinn, siehst du den Morgenhafen
Im ersten Fruhlicht liegen, siehst verschlafen
Und schon entzuckt, die Stufen seiner Gassen
Sich bis zum Berg in rote Lichter fassen.
Kahl, blank die Kiippen unterm regenblauen
Nordlichen Himmel, der sich mahlich farbt.
Die See nimmt's auf, vom Winde bunt gekerbt,
Zwolf Fenster griiBen dich im Morgengrauen —
Nein, hundert schon, die Stadt blitzt auf, dir ist,
Als hatte sie dein Schiff miitterlich bang vermiBt.
110
Uebereistes Schiff
Gespenstisch hebt sich Mast und Wante hoch,
Als sei die See zu ihnen aufgestiegen
Und hatte glasern griin das Schiff umklaut.
Und alles Eis, vom Sturmwind aufgerauht,
Sei dran erstarrt. Doch kreist die Schraube noch,
Und unterm Schiffsbord ein Gestampf, Gepoch
Klingt wie des Lebens ungestumer Laut.
Hafen
Ist's moglich? Noch vor einer Stunde sturzten
Die schweren Brecher iibers Schiff und jetzt
Stiirmt nur in Hohen noch der Wintertag, —
Sehr hoch, — da wir vom Licht der Stadt geletzt,
Nach ihren warmen Gassen schon begehren.
Noch ist die Luft voll Schnee, der Wind treibt schrag
Die Wolken von den Bergen zu den Scharen,
Noch roll! das Schiff im schmalen Kiistenweg,
Da hor' ich unterm FuB ein Mauslein nagen,
Es weiB zuerst das End von Fahrt und Plagen.
Norwegisches Hoch land
Karst uber Karst und nichts als Schneegestober,
Die Augen blendend wie ein grelles Licht,
Das diese weiBen Taler fiillt. Nur Stein
Und nackte Hohenrander, Schicht urn Schicht.
Doch weiB ich unter diesem weiBen Lailach
Ein Land von Moos und Beeren ohne Zahl,
Weil ich, fast noch ein Knabe, dies Gebirge
Meerzu durchwandert hab', — eh noch der Stahl
Die Schienenwege schlug. So griiB ich StraBen,
Die unterm Schnee verborgen, griiB die Quelle,
An der ich trank, das Brot der Bauern brach, —
GruBe die Birken unter Winterhelle.
111
Fisch markt
Das nenn ich Lust: der du'nne Regen rieselt,
Der Hering jappt, der Fischer wiegt den Dorsch,
Schnee taut dir unterm FuB; Treibholzer, morsch
Und hochgestapelt, bergen dich vorm West.
Und faul Geschupp und Salzgeruch — gepreBt
Ins Marktgewuhl, horst lachend du den Zwist
Von Burgerfrau und altem Fischerkopf,
Ob dleser Dorschschwanz recht gewogen ist.
Tyske Bryggen
Hier weist sich dir auf altem Hanseweg
Die Zelt, da man den Norden schwesterlich —
Rauh in Geschwisterschaft — umfing. Es mogen
Sich solche Jahre noch wie harte Schrift
In den Gesichtern prdgen, in den Bogen;
Eichenumplankt stehn die Kontore noch,
Turmuberflankt, als spie's in ihren Trog. —
Vorbei, vorbei! Die Volker starben, warden,
Ich griiBe Freunde zwischen salznen Balken
Und gruB den du'rren Konig Dorsch, den Alten.
Das Marchen spinnt sich urn die Hellebarden.
112
Verner von Heidenstam
IM WELTKRIEG UND 1933
„lch habe im Weltkrieg so oft an Karl XII. und seine
Mannen denken mussen. An ihren Kampf gegen die Uber-
macht erinnerte mich das Ringen Deutschlands gegen die
ganze Welt. Das, was damals in den Schiitzengraben vor
sich ging, nahm mir die Arbeitsruhe. Nichts hat mich so
gefreut, wie die Briefe, die ich damals von deutschen Sol-
daten aus der Frontlinie bekam. Die mir schrieben, daB
sie meine ,,Karoliner" mit im Tornister trugen — daB sie
vor dem Sturmangriff das ,,WeiBe Hemd" gelesen hatten."
,,Glauben Sie, daB ich ruhig am Schreibtisch sifzen und
schreiben konnte, wenn ihr in Deutschland Weltgeschichte
macht? Sie du'rfen nicht glauben, daB ich hier auf Ovralid
keine Verbindung zu Deutschland habe. Jeden Abend stand
ich dort am Rundfunkapparat und horte die Reden von
den Mannern, die eure Geschichte machen, wurde mit-
gerissen von dem Jubel, der ihren Worten folgte.
Auch in Schweden mussen wir dankbar sein, daB es euch
in Deutschland, wie ich doch von Herzen hoffe, gegluckf
ist, die bolschewistische Sturmflut zu dammen. Die ganze
Kulturwelt muB euch dafu'r dankbar sein. Die nationale
Revolution in Deutschland hat mich nicht iiberrascht —
hochstens die Tatsache, daB sie so spat kam. Ich wuBte,
daB Deutschland sich nicht in Knechtschaft und nationaler
Ehrlosigkeit halten lassen wurde — ich wuBte, daB der
Tag der Freiheit nahe war. Und ich begriiBe ihn.
Es hat immer lange gedauert, bis man groBe Manner und
groBes Geschehen richfig verstand. An die Liigennach-
richten, die auch hier verbreitet wurden, habe ich niemals
geglaubt. Naturlich wissen wir auch in Schweden, was
eine Revolution bedeutet, wir wissen, daB man eisenhart
zugreifen muB und daB besondere Zeiten besondere MaB-
nahmen rechtfertigen. Durch bedauerliche Begleiterschei-
nungen darf man nicht den Blick fur das GroBe, das Wich-
tigsfe verlieren. Wir freuen uns daruber, wie schnell es
euch in Deutschland gegluckt ist, die Ruhe und Ordnung
wiederherzustellen und wir bewundern diese Disziplin."
8 113
Heinrich George
REDE IN DRESDEN IM NOVEMBER 1939
Gestatten Sie mir, meinen GrulB an das Sachsenkontor der
Nordischen Gesellschaft und dessen hochverehrte Gaste
aus dem nachbariichen Danemark an ein Bekenntnis
Henrik Ibsens anzuknupfen. Es stehf in einem Brief des
Jahres 1888, worin er seinen geistigen Entwicklungsgang
folgendermaBen charakterisiert:
,,lch habe damit angefangen, mich als Norweger zu fuhlen,
habe mich dann zum Skandinavier entwickelt und bin jetzt
beim allgemein Germanischen gelandet."
Gerade Dresden, wo der groBe nordische Dramatiker von
1868—1875 lebte, scheint mir der rechte Ort zu sein, an
dies Bekenntnis zu erinnern, zumal es fur die Nordische
Gesellschaft von wahrhaft programmatischer Bedeutung
ist. Denn — wohlgemerkt! — : Was war der Zielpunkt
seiner geistigen Entwicklung? Obwohl seine Stiicke auf
alien Bu'hnen Europas gespielt wurden, ist er vom Nor-
weger und Skandinavier nichf etwa zum Europaer schlecht-
hin geworden. Er landete vielmehr beim ,, allgemein Ger-
manischen". Dies aber heiBt: Die Rassen-Eigenart des
Nordens zu verwirklichen, erschien ihm als der oberste
Charakferwert, zu dem er sich erheben und entfalten
wollte.
Er steuert demnach die genaue Kiellinie des gemein-
schaftlichen StammesbewuBtseins, also jenen Kurs, auf dem
die Nordische Gesellschaft eine geistige Verbindung zwi-
schen den stammverwandten Nationen des germanischen
Nordens zu erzielen sucht.
Ohne mich, meine sehr verehrfen Damen und Herren, mit
Henrik Ibsen irgendwie vergleichen zu wollen, darf ich
doch sagen, daB ich als Mensch und Kiinstler mein Hochstes
darin sehe, die angestammte Eigenart, die meine Heimat
Pommern mir verliehen hat, so grundlich zu vertiefen, daB
ihre Wurzel: der deutsch-nordische Charakter alien greif-
bar wird.
Auf meinem Wege zu mir selbst hat Skandinavien mir un-
endlich viel geholfen. In einer Hafenstadt der blauen Ost-
see, in frischem Wind und harten Sturmen aufgewachsen,
114
hat es mich, schon von friiher Jugend an, immer wieder
nach dem Norden hingezogen.
Schon als junger Ernst Moritz Arndt-Schiiler betrat ich zum
ersten Male danischen Boden und zwar bei einem Ausflug,
den die ganze Schule auf dem Dampfer Odin einer Stettiner
Reederei nach Bornholm machte. Das Ende dieser Reise
war, daB das ganze Schiff bei der Abfahrt auf mich warten
muBte und meine Elfern in groBer Aufregung waren, weil
Ich mich auf der Insel verlaufen hatte und nicht so schnell
wieder zuriick wollte.
Als unbekannter junger Schauspieler habe ich Schweden
und Norwegen schon bereist. Und wenn ich dabei auch
noch kaum ahnte, daB ich einst so viele Rollen nordischer
Drama'iker verkorpern sollte, habe ich damals doch den
Grund dazu gelegt. Denn da erlebte ich zwischen den
Klippen und Wasserfdllen der Fjorde, denSiebenSchwestern
Norwegens, die steile Einsamkeit, in welcher Ibsens Brand
seine Bergkirche erbauen wollte. Da wanderte ich iiber
die Gerollhalden, in deren Wildnis sich Per Gynt mit
Trollen und Gespenstern balgte, fuhr mit den kleinen
Skolgjafen und kletterte zum Nordkap herauf. Da war
ich 1921 auf den Gastspielreisen des Deutschen Theaters
in Stockholm zu Gast in den Kellern Carl Michael Bell-
mans, dieses nordischen Dionysos. Ich sah die trachten-
bunten Bauernhofe Schwedens an dem herrlichen Malar-
see und die gepflegten, stillen Burgerstuben Ddnemarks, in
denen die Gestalten Jens Peter Jacobsens zu Hause sind.
Dort aB und trank ich in den Fiskerkrogs und Holger
Drachmanstuben und liberal! erklang ein ,,Hjertelig well-
komm!" und das Wort ,,Skaal" war mir schnell ein Begriff
geworden.
Vor allem erinnere ich mich an eine herrliche Polarnacht:
Auf der Hohe der Lofoten begegnete mein Schiff, der
,, General San Martin", ein alter Ostasien-Fahrer, einem
merkwurdigen Segelschiff, auf dessen Kommandobriicke
ein hoher Mann mit weiBen Haaren stand. Es war Raoul
Amundsen, der seine ,,Norge" von der letzten Polfahrt in
die Heimat fiihrte. Durch Funkspruch sandte ich dem
groBen Forscher einen GruB, der kurz darauf erwidert
wurde. Und wahrlich, diese nachtliche Verbindung durch
den Ather mit dem Mann, der aus dem Eis des hochsten
8*
115
Nordens und des Pols nach Hause kehrte, wird stets meln
tiefstes nordisches Erlebnis bleiben.
Da nun die nordische Nafur in ihrer urtumlichen Mischung
von Meer und Fels, von Wald und Wind, von Sfein und
Sturm sich weit elementarer einpragt, als die unsrige, da
ferner der nordische Mensch noch viel gebundener an
Brauch und Boden, und die nordische Gesellschaft familien-
mciBig noch geschlossener als die unsere ist, so waren jene
Wanderjahre meiner Werdezeit fur mich aufs Innerste
entscheidend, in mir das nordisch Wahlverwandte zu er-
spiiren und — in Ibsens Sinn — den nordischen Charakter
in mir selbst herauszulautern.
Diese ersten Begegnungen mit Skandinavien trugen reiche
Frucht, als mir als Schauspieler fast alle groBen Rollen
Ibsens, Bjornsons, Strindbergs und —von den Lebenden —
Knut Hamsuns, Selma Lagerlofs, Hjalmar Bergmans oder
Paul Sarauws, dazu zahlreiche nordlandische Filme uber-
tragen wurden. (..Stutzen der Gesellschaft" — ,,Der Volks-
feind" oder „Das Meer ruft", wo ich den Nationalhelden
Terje Vigen darzustellen hatte.) Aus eigenstem Erlebnis
brachte ich die Atmosphare mit, in der die nordischen Ge-
stalten atmen.
DaB ich dabei auf dem richfigen Wege war, bestatigte sich
auf den Gastspielreisen, bei denen ich in Skandinavien
selbst einige Rollen dieser Dichter spielen durfte, oder —
wie bei der groBen Europa-Tournee des Schiller-Theaters
der Reichshauptstadt 1938 — einen groBen sudlandischen
Dichter: Calderon mit seinem ,,Richter von Zalamea" —
auch fur Skandinavien erobern konnte.
Damals wurde unsere Spielgemeinschaft allerorten: in Riga,
Helsinki, Stockholm, Oslo, Goteborg, Kopenhagen und
Odense auf das herzlichste begruBt, wobei jedoch nicht
nur die deutsche Schauspielkunst gefeiert, sondern — iiber
die kunstlerische Wirkung weit hinaus — etwas von innerer
Verbundenheit und geistiger Gemeinsamkeit, den Gast-
gebern und Gasten zum Erlebnis wurde.
Wieviel personliche Beziehungen wurden bei diesem Gast-
spiel doch erneuert oder angeknupft! In Kopenhagen mit
der Schauspielerdynastie des Houses Fonss, dem unvergeB-
lichen Johannes Poulsen, dem Neffen des groBen Olaf
Poulsen, mit Asta Nielsen, Bodil lpsen, Holger Gabrielsen,
116
dem groBen Dirigenten Ebbe Hamerik und dem Drama-
tiker Paul Sarauw. In Schweden mit Bengt Berg und Sven
Hedin, Anders de Wahl, dem leider zu fruh gestorbenen
Gosta Ekman, Molander und vielen, vielen anderen! Eine
besondere Auszeichnung waren die mich und meln Theater
ehrenden Empfange Seiner Majestat des Konigs von Dane-
mark und der koniglichen Familie in Stockholm.
Wie muBte es demnach mich als Intendanten des Schiller-
Theaters der Reichshauptstadt begliicken, daB unsere
Tournee durch Skandinavien von dem Koniglichen Theater
Kopenhagen im Fruhjahr 1939 — ich kann nur sagen:
triumphal erwidert wurde, wofur ich dem hohen Protektor
unseres heutigen Abends: Seiner Exzellenz, dem Koniglich
Danischen Gesandten, Kammerherrn Herluf Zahle zu dem
groBten Dank verpflichtet bin.
Wenn ich an den gliicklichen Austausch denke, der durch
solche wechselseitigen Gastspiele geleistet wurde und ge-
leistet wird, so darf ich mit aller Bescheidenheit zum SchluB
bemerken, daB bei dem Briickenbau von Volk zu Volk der
Kunstler — und nicht zuletzt der Schauspieler — zum
Pionierdienst rechtschaffen berufen ist. Sind doch die Kunst-
ler artverwandter Volker von vornherein schon ein Fami-
lienkreis, der sich versteht und eines Herzens, eines Sinnes
ist. —
So lassen Sie mich mit einem Leitwort Friedrich Schillers
enden, das auch zu meinem Leitwort wurde: ,,Alle Kunst
Ist der Freude gewidmet und es gibt keine hohere und
ernsthaftere Aufgabe, als die Menschen zu begliicken." Ich
erhebe mein Glas mit dem alten Zunft- und Handwerks-
spruch: „Gott gruB die Kunst!" — : die friedliche Durch-
dringerin der Volker! Skaal!
117
Sven Hedin
AUS MEINEN DEUTSCHLAND-
ERiNNERUNGEN
In Deutschland enfrollt die Welfgeschkhfe heute ihre dra-
matischen Geschehnisse und giganfischen Verdnderungen
in ununterbrochener Folge, und die Menschen werden stan-
dig in atemloser Spannung gehalten. Fur die Ungerechtig-
keit, die in Versailles herrschte, hat die Stunde der Rechen-
schaft geschlagen. Jefzt werden die kunstlichen Grenzen,
die eine dauernde Kriegsgefahr bildeten, in ihre naturliche
Lage gebracht. Uber das grandiose Schauspiel erhebt sich
hoher als alle andern die Gestalt Adoif Hitlers, des unbe-
kannten Soldaten.
Die Zukunft ruht in des Ewigen Hand — ,,1'avenlr est a
Dieu". Davon werden die Zeitungen, die Sekundenzeiger
der Geschichte, morgen und Tag fur Tag bis zum Ende
spater Zeiten berichten. Wir wollen hoffen, daB das GroB-
deutschland der Zukunft ein Bu'rge fur den Weltfrieden
und fur die Starkung und Erhaltung der abendlandischen
Kultur wird und bleibt! . . .
In meinem ersten Brief an meine Eltern aus Berlin vom
29. Okfober 1889 schreibe Ich : „Man merkt, daB man sich
in der Hauptstadt von Europa befindet." Trotz der Sturme,
die seitdem u'ber Deutschland dahingerast sind, kann man
mit noch mehr Grund von dem Berlin des Jahres 1938 das-
selbe sagen. Denn urn Deutschland kreist die Weltpolitik,
und auf Deutschland beruht in erster Linie die Weltentwick-
lung . . .
Zu einem Buch von Alma Hedin
anstatt eines Vorworts (192 0)
,,Wann wird der groBe Mann kommen, der der Erde die
Versohnung, die Ruhe fur die Arbeit, die Arbeitsfreude und
Sicherheit wiederbringen wird? Vor ihm werden die
Sfaatsnnanner der Gegenwart zu Zwergen zusammen-
schrumpfen. — Ohne die geringste Sorge, von der Wirk-
iichkeit desavouiert zu werden, und mit unerschiitterlicher
118
Uberzeugung wage ich zwei Prophezeiungen auszu-
sprechen:
Zum ersten: Wenn die Politik der Entente noch langere
Zeit von demselben unversohnlichen HaB bestimmt wird
wie jetzt, treiben wir in Europa einer Katastrophe ent-
gegen, mit der verglichen der Weltkrlcg ein Kinderspiel
gewesen ist.
Zum andern: Unter alien Umsfanden wird Deutschland
einmal sich wieder erheben, sich erholen und seine alte
GroBe und Macht wiedergewinnen. — Vor allem wunsche
ich den Helden des Krieges, auch den altesten, den Vetera-
nen mit Hindenburg an der Spitze, daB sie noch erleben
mogen: die Morgenrote des neuen Tages, dessen Sonne
noch einmal uber ihrem Vaterland leuchten wird."
1914-1918
Der Gedanke, selbst die Fronten zu besuchen und an Ort
und Stelle bis in die vorderste Feuerlinie den Krieg zu
studieren, lieB mir Anfang September keine Ruhe. Tag
fur Tag die Telegramme und die endlosen Schilderungen
der sich standig noch vergroBernden Kriegstheater zu lesen,
paBte nicht zu meinem Temperament. Ich hatfe selbst
Spannendes erlebt. Ich war oft in eine Lage geraten, die
auf der Grenze zwischen Krieg und Frieden stand — ich
war in Tibet verschiedene Male gefangen genommen wor-
den, ein Aufgebot von mehreren hundert tibetischen Rei-
tern hatte sich mir entgegengestellt, ich war Uberfallen
von Rauberbanden nur entgangen, weil meine Karawane
mit SchuBwaffen ausgeriistet war. Jetzt wollte ich mit
meinen eigenen Augen sehen, wie sich ein moderner Krieg
zwischen europdischen GroBmachten ausnahm. Ich hatte
das deutsche Volk im Frieden kennengelernt, hatte auf
seinen Hochschulen studiert und viele Freunde in Deutsch-
land gewonnen. Jetzt wollte ich auch die deutschen Sol-
daten im Felde fur ihr Land und ihre Freiheit und ihre
Unabhangigkeit gegen sieben Nationen, davon vier GroB-
machte, kampfen sehen. Es war verstandlich, daB dieser
Riesenkampf fur die politische Entwicklung der Welt auf
funfzig, auf hundert Jahre hinaus, vielleicht fiir noch langere
Zeit bestimmend sein wurde. Es ist stets interessant, uber
die Geschichte der eigenen Zeit etwas zu lesen — um
119
wieviel spcmnender wiirde es sein, im Wirbel des Gesche-
hens mitzuleben, die Truppenbewegungen zu beobachten,
Belagerung und Sturme von Festungen, das Feuer der
Batferien, den Transport und die Pflege der Verwundeten
In den Feldlazaretten, mit einem Wort alie die dramati-
schen Ereignisse zu sehen, die man Krieg nennt. Ich wolite
von den dunklen wie von den lichten Seiten des Krieges
Zeuge sein. Zu den dunklen gehoren Hal3, Verleumdung,
Liigenpropaganda, Rache, Vernichtung, brennende Ge-
hofte, zu Ruinen verwandelte Stadte und Dorfer, verheerte
Acker, Verwundete, Kriippel, Gefallene, Trauer, Gram,
Graber — zu den lichten Seiten gehoren die Einigkeit eines
ganzen Volkes, das leben will, das fur seine Selbstandigkeit
und Ehre kampft, die Tapferkeit, die Selbstaufopferung, die
Ritterlichkeit und der Wille zum Sieg . . .
Ein Riickblick
Mit dem Jahre 1936 sind funfzig jahre personlicher Be-
ziehungen zu Deutschland in Krieg und Frieden abgelaufen.
Ich habe den Aufstieg zu schwindelnd hoher Machtstellung
beobachten konnen, von der das Reich nur gesturzt werden
konnte, nachdem 6 GroBmachte und 23 kleinere Staaten
alle ihre Machtmittel zu seinem Untergang vereinigt hatten
und nachdem die zersetzenden Elemente im eigenen Volk
den der Ubermacht weichenden Legionen in den Riicken
fielen. Ich habe gesehen, wie dies so hart geprufte, unter
fremdem Joch geknechtete Volk dennoch nicht unterging,
und wie es sich urn seinen Fuhrer scharte, als die Stunde
der Befreiung und Genugtuung schlug, urn dann wieder
nach wenigen Jahren zu einer Machtstellung emporzu-
steigen, die die Achtung der ganzen Welt erweckt.
Geographisch unsere Nachbarn, rassisch unsere Stamm-
verwandten, In der GroBmachtzeit unsere Waffenbruder
— sind die Deutschen ein Volk, das sich fur uns Schweden
lohnt kennenzulernen, ein Volk, mit dem wir urn unserer
selbst und urn des Friedens willen Freundschaft und Ver-
trauen pflegen miissen. Wenn auch einzelne Zuge der
nationalsozialistischen Weltanschauung unsere MiBbilligung
erwecken, so mussen wir uns doch unfreundlicher Kritik
der Mittel und Wege enthalten, die ein befreundetes Nach-
barvolk zum Ordnen seiner eigenen inneren Angeleg.en-
120
heiten unternimmt. Wenn man In andern, Deutschland
feindlich gesinnten Landern seinen Mangel an Frelheit
tadelt, vergiBt man, daB eine Diktatur ohne Vorbehalte bald
dem Untergang geweiht ist und daB der Grad von Un-
freiheit, der in dem neuen Deutschland herrscht, ein
Himmelreich im Vergleich zu dem Zustand ist, der durch
den Versailler Frieden geschaffen wurde und dessen Ziel
es war, die Deutschen fur alle Zukunft zu Knechten zu
machen, die still und geduldig nach den Pfeifen der Entente
tanzen sollten. Man vergiBt auch die Frage zu beant-
worten: Wie hatte es in Deutschland ausgesehen, wenn
Hitler nicht die Macht ubernommen und die neue Ordnung
der Dinge eingefiihrt hatte? Die Antwort liegt klar auf
der Hand; es ist unnotig, daran zu erinnern. Die Be-
freiung vom Sklavenjoch ohne personliche Opfer des ein-
zelnen ist unmoglich.
Dieses Buch bietet dem Leser nichts anderes als eine
Galerie fluchtiger Erinnerungen, als Schilderungen von
Personen aus einem halben Jahrhundert, von dem ich
Tage, Monate und Jahre mit deutschen Mannern gemein-
sam verbrachte und wunderbare Abenteuer erlebte. Mir
sind diese Erinnerungen kostbar und unvergeBlich. Sie
haben mein Leben reicher gemacht, als es sonst gewesen
ware; ich bewahre sie mit Dankbarkeit bis zu meiner
letzten Stunde. Wenn meine Bilder auch einfach und an-
spruchslos sind, so behandeln sie doch einige der hervor-
ragendsten Gestalten dieser Zeit.
Ein gemeinsamer Zug vereinigt diese Bilder zu einem
Ganzen: sie zeichnen sich ab auf dem machtigen Hinter-
grund der Weltgeschichte, gegen die bleischweren Wolken,
die nur zu oft den Horizont verdunkeln.
121
Svend Fleuron
Reliefs von einer Deutschiandreise 1936
Eines Tages saB ich auf einer Bank und wartete. Sommer-
lich herausgeputzt, in hellen Beinkleidern. Im Hinbiick
auf das unzuverlassige danische Sommerwetter hatte ich
meinen alten schwarzen Regenschirm mitgenommen. Er
regte zu dem Spifznamen an, dessen ich mich hier be-
dienen will.
Hans Pommeranz hatte nie zuvor an einem Rednerpult
gestanden und niemals jenem „Ungeheuer" in die Augen
gesehen, das er mehr als alles andere furchtete. Auf ge-
heimen Waldpfaden, sandigen Heidewegen war er ge-
schritten, hatte die Einsamkeit der Natur genossen und
sich unter ihrem Getier verborgen. Mit Traumen und
Dichten war ein langes Leben dahingegangen, und die
Leute nahmen ihn so, wie er war, ein wenig sonderbar
— niemand hatte bis dahin nach Hans und seinem Regen-
schirm ausgeschickt.
Da aber geschah es, das Unbegreifliche: von einem groBen
Nachbarlande, das seit langem schon mehr Sinn fur Hans
als fur seinen Regenschirm gehabt hatte, wdhrend sein
Vaterland sich immer gerade an diesen heftete, begannen
Briefe hereinzustromen mit der Aufforderung, sich doch
einmal zu zeigen.
Ein seltsam anfeuernder Drang, einer Leserschaft, die ihn
schatzte, entgegenzukommen, ergriff ihn. Der Regen-
schirm wurde fortgestellt; Hans wuBte plotzlich selbst nicht
mehr, daB er diese Scheuche iiberhaupt besaB! Er bekam
Zutrauen zu sich selbst, seinem Wirken — und zu all den
Biichern, die er geschrieben.
Langst schon liegt Danemark hinter ihm. Er ist in Ham-
burg, steht auf dem Jungfernstieg, in der Nahe des Alster-
pavillons, steht da und schreibt diese Zeilen, von dem
122
groBen Vergangenen erfullt, das in ihm lebte. Der Blei-
stift eilt Ciber das Papier . . . Leute gehen vorbei . . . hier
und da bleibt einer stehen — was tut dieser Mann? Zeichnet
er? Ein Kiinstler vlelleicht? Nein, nur ein Reisender . . .
ein Reisender in Erinnerungen. Aber er tragt das Winter-
hilfsabzeichen wie alle anderen auch, gleich am Morgen
erstanden — also gehort er wohl dazu wie alle anderen
trotz dem englischen Staubmantel und seinem hoffentlich
auffallend nordischen Gesicht.
Wer ein rechter Mann ist, muB sich von diesem Volk sym-
pathised beruhrt fuhlen, seiner Kraft, seinem Tempo. Allein
schon die Veranderung im StraBenleben gegen friihere Ein-
drucke! Die Armut des Krieges ganzlich verschwunden,
eine neue junge und starke Zeit wirkt selbst auf den Mann,
der Stadte nicht ertragen kann, sondern am liebsten Fern-
wehtraume in seinen Waldern traumt. Er gehort diesmal
gleichsam mit dazu, er soil auftreten und sein Teil zum
Augenblick beisteuern — das ist etwas anderes als zu
dichten.
Hamburg An der Alster
Ich gehe hinaus, unter Linden an der Alster entlang, und
ich vertreibe meine Erinnerungen. Eine harte Gegenwart
stellt Anforderungen an mich, und das andere muB ruhen.
Aber wach, hellwach muB man jetzt sein beim Gehen, auf
die Lichtzeichen achtgeben — denn es setzt eine Strafe
von ein oder zwei Mark, auf der Stelle zu erlegen, wenn
123
man die StraBe zur Unzeit uberqueren will. Motor-
gedrohn — Kraffwagengeratter! Riesige Lastwagen mit
oftmals drei langen Anhangern. Larmende Hochbahnen.
Untergrundbahnhofe, in deren offene Schliinde man blickf
— der groBe, moderne Verkehr, Aber die Menschen? Die
Menschen miissen warfen — denn jetzt briillt ein Trecker
vorbei mit zwei hochgetiirmten Kiesfuhren dahinter. Und
dort kommt eines der Mannschaftsaufos des Heeres und
dort der neueste Schrei in Stromlinienwagen. Explosionen,
Knalle — und inmitten des Getoses, dicht an einem Eisen-
bahnwall, eine griine, lachelnde Anlage. In der Eingangs-
halle ein Verkaufsstand mit Zigaretten, Selters und anderen
Erfrischungen, und hinter der Scheibe ein Gretchen. Jetzt
kommt ein magerer, diinnbeiniger Beamter. Sein Rock
hangt ihm schlaff am Korper herunter — Postbote, denkt
Hans, und ihm fdllt sogleich sein wohlgenahrter Larsen
daheim ein, wenn der rund wie ein FaB auf seinem Rade
den Villenweg hinuntertrudelte.
Ein Volk, das mir charakferistisch erscheint dadurch, daS
Manner aussehen wie Manner und Frauen wie Frauen.
Dekadente Typen, die uberall woanders in der Welt als
interessant herausgestellt werden, habe ich bis jetzt nur
ein einziges Mai erlebt. Die Frauen, ja, welche Kraft hat
Deutschland nicht an seinen Frauen! Fest, stark — ver-
laBlich. Man erhascht fast nicht einen einzigen Blick. Es
liegt etwas sittlich Reines uber ihnen. Vielleicht sind sie
nicht so mild wie unsere daheim, aber Frauen sind es mit
alien Eigenschaften des Geschlechts, gut im Bett und gut
am Tisch und gut bei der Arbeit an der Seite des Mannes.
Konnen Kinder bessere Mutter verlangen?
Ich hatte unvorhergesehener Weise ein paar Tage Auf-
enthalt in Hamburg und konnte mich wieder der Begeben-
heit widmen, die bevorstand: dem Vortrag, mit dem ich
das Reich bereisen sollte. Die Gotter mogen es freilich
bezeugen, da(3 ich hinreichend vorgeubt hatte! Da ich
aber zu Anfang mit einem Suddeutschen gearbeitet hatte
und spdter einen Norddeutschen bekam, war mein Hans
Pommeranzscher Dialekt durcheinander geraten. Meine
deutsche Reisebegleiterin berichtigte schlieBlich, was noch
zu retten war. Am Abend aber machte ich mich frei —
und zum Gliick stand „Fidelio" auf dem Vortragszettel.
124
Konnen die Deutschen kampfen, so konnen sie aber wahr-
lich auch spielen! Nun, man wuBte es im Vorhinein; aber
dieser Fidelio ubertraf bei weitem alles, was der kleine
Dane friiher gehort hatte. Und dazu der GenuB — selbst
auf den billigeren Platzen - so vollig ungestort durch
seine Nachbaren sitzen zu konnen. Immer wieder be-
geistert mich dieses Gefiihl derGeborgenheit, mit dem man
sich in einem deutschen Theater der Musik hingeben darf.
Nicht ein Laut, nicht ein Schnaufen oder nur der Anlauf
zu einem Fliistern. Keln vorzeitiger, die Stimmung zer-
reiBender Beifall. Ein GenuB, auf diese Weise eine Oper
zu horen, sich mitreiBen, erheben und entfuhren zu lassen.
Namentlich die Eleonora-Ouverture wurde so gespielt, daB
man in ihrer Unsterblichkeit verging.
Wahrend der Vortragsreise genoB ich mehrmals, ich kann
ebenso gut sagen, so oft es sich tun lieB, deutsche Opern-
kunst. Aller aufgesparter Drang nach Harmonie, der in
meinem Gemute lebt, wurde dadurch ausgelost. Sogar in
einer verhaltnismaBig kleinen Stadt, wo man im voraus
nicht viel erwarten konnte, widerstand ich dieser meiner
Lieblingserquickung nicht. Und singen konnten sie . . .!
Ich muBte die in jeder Beziehung durchaus vertretbare
Besetzung der Rollen bewundern. Niemand zerstorte et-
was, und wie auf alien deutschen Buhnen wirkten die
Stim'men beiderlei Geschlechts uberzeugend edit. Mann-
lichkeit und Kraft klangen aus den Mannerstimmen, und
die Frauen konnten mit ihrer Stimme das Weibliche ganz
uberzeugend verkorpern. Die Hauptrolle schien mir be-
sonders gut besetzt, ich glaube, es war ein Fraulein . . .,
nein, den Namen behalte ich lieber fur mich. Am an-
sprechendsten erschien sie mir jedoch — wenigstens im
Fernglas -, wenn sie nach SchluB des Akts wieder und
wieder hervorgerufen wurde. Unter fortwahrendem Knick-
sen mit dem einen Knie, ganz ingenue-artig und mit dem
entsprechend reizenden, vollig unschuldigen Gesicht nahm
sie verlegen und durchtrieben keusch die Huldigungen des
Houses hin. „Ach, sie ist achtzehn", flusterte ich meiner
Reisegefahrtin zu, „nein, sie ist nur sechzehn." Und jedes-
mal, wenn sie hervortrat, wurde sie junger und junger —
bei dem letzten Zipfel, den ich von ihr erhaschte, war sie
zwolf geworden.
125
Jetzt endlich aber war ich selber, Hans Pommeranz, an
der Reihe, auf den Brettern zu erscheinen, der Vortrag
stand bevor. Der erste — und der erste in meinem Leben
iiberhaupt.
Lassen Sie uns belchten, ehrlich sein und unseren SpaB
haben: Ein Halsarzt hatte der Stimme die schlimmsten,
rostig bellenden Fuchstone genommen. Eine Lehrerin den
Burschen sprechen geiehrt. Ein furchtbarer Ubergang
war es fur ihn gewesen, sich so weit vom Manuskript frei-
zumachen, da(3 er wahrend des Vortrages stehen konnte.
Er fiihlte sich unter alien Umstanden am sichersten, wenn
er saB. Zu der Befreiung gelangte er erst, ais er eines
Tages in einen Holzschuppen ging und mit Hilfe einiger
alter Bretter sich ein Rednerpult zusammenzimmerte.
Dieses auf seinem Arbeitstisch anbringend, bereitete er sich
auf die Welftournee vor, voller Spannung von Hund, Kaize
und gaffenden Enkelkindern beobachtet. Die Generalprobe
verhieB das beste —jetzt schlieBlich geht der Vorhang zur
Premiere auf.
Es hatten sich wohl hundertfiinfzig Zuhorer eingefunden,
und sie empfingen den keineswegs hervorragenden, ge-
schweige denn kiihnen Vortragenden mit freundlichstem
Handeklatschen. Ja, der Beifall klang ebenso laut wie
echt, beim SchluB auch anhaltend genug. Es entging freilich
nicht meiner Aufmerksamkeit, daB viele Sdtze am Ohr der
Schar vorbeigingen — Teile, die infolge der Aussprache
kaum verstanden worden sind. Vorsichtig, fast dngstlich
forschte ich den Einfuhrenden — einen Schulrat, den ich
unglucklicherweise immer mit „Herr Stuhlrat" anredete —
uber meinen Erfolg aus. Er antwortete ausweichend, aber
bezeichnenderweise, als ich ihn fragte, ob er den Vortrag
verstanden habe, daB er das Ganze gefuhlt habe.
Der Pedell hatte ein iibervolles Glas Wasser rechts unter
das Rednerpult gestellt, dort stand es nun unsichtbar wie
ein kleines gefahrliches Wichtelmannchen. Das erste Mai,
als meine Finger bei einer malenden Gebarde unversehens
das Glas streiften, so daB es zu schwanken schien, schau-
derte es in mir, und das zweite Mai bekam ich tatsachlich
Angst. Wie ein Welp, der sich am warmen Ofen verbrannt
hat, wagte ich wahrend des ubrigen Vortrages mich der
„Bestie" kaum zu nahern.
126
Und dann glitt ich weiter auf meiner Bahn, tiberwand all-
mahlich das Lampenfieber und spendete den Gottern mei-
nen Dank. Am meisten schuldete ich jedoch meinem
Publikum.
Lassen Sie mich es hier bezeugen: das deutsche Publikum
ist ein nettes und dankbares „Ungeheuer", auBerst ge-
duldig einem Auslandergegenuber und voller Anteilnahme;
konnte ich es umarmen, so tate ich es. An einem Abend
in Berlin war unter denDamen, die mich mit demVortrags-
komitee zusammen ins Hotel begleiteten, eine Frau mit
einem strahlenden Lacheln, schonen Armen und ent-
zuckend rundlicher Gestalt — alien Eigenschaften der
Frau — , diese umarmte der Hans in einer plotzlichen Ein-
gebung, als sie Lebewohl sagte. Wie in der katholischen
Kirche der Pfarrer den Kelch im Namen der Gemeinde
leert, so nahm ein ubermutiger „Junge" aus den Waldern
des Nordens in seinem spaten Mannesalter sein ganzes
deutsches Vortragspublikum in seine Arme in Gestalt dieser
runden, starken, warmen Mutter Germania.
War gestern in einem Museum, dessen Abgiisse vieler
Grabmaler rundum in den Domen die Geschichte der
Gegend erzahlen. Deutlich schildern die Grabplatten den
ewigen Kampf zwischen der weltlichen Macht und der
geistlichen, zwischen Konig und Bischof, Staat und Kirche.
Man sieht einen Bischof urn etwa 1300 abgebildet mit zwei
Konigen, die er kront. Er steht in Brusthohe uber den
armen Potentaten, mit breit gewolbter Brust, groBen Augen,
und driickt mit seiner ringgeschmuckten Bischofshand den
jammerlichen Majestdten die Krone aufs Haupt.
Die Kirche, die Kirche! So lange sich die Menschhelt in
ihrem Aberglauben von ihr in Bande schlagen laBt, stecken
wir noch in den Kinderschuhen. Ein Gott wird immer sein,
aber nicht eine organisierte Kirche. Vom Aberglauben holt
die Kirche ihre Macht. Von der Gottheit in Gemiit und
Seelentiefe des Einzelnen erhalt der Mensch seine Kraft.
Jetzt aber fort auf einen forschen Morgenspaziergang; hin
und wieder stehen bleibend und dieses schreibend, dann
wieder mit dem Strom der guten Burger dahineilend, bis
ich zu einem Gemiisemarkt gelange. Welch herrliche
127
Trauben und lusfige Mannergestalten. Und die Frauen —
die Frauen des einfachen Standes sind in ganz Europa und
auf alien Gemiisemarkten gleich. Ich habe immer Sym-
pathie fur sie gehabt.
Ging uber die groBe Rheinbru'cke, die an jedem Kopf von
je einem Kaiser zu Pferde flankiert 1st. Riesige Gestalten
auf riesigen Rossen. Mit Marschallstab und Gesetzesrolle
reiten sie heran, beherrscht von Ernst - selbst die Pferde-
kopfe sind durch Strenge gekennzeichnet.
Dann ein kleines drolliges Bild, das den armen Menschen
und seine Menschlichkeif schildern mag: Ein Junge und
ein Madchen gleichen Alters sind auf dem Weg zur Schule.
Sie gehen uber einen freien Platz mit ein paar Baumen,'
an einem ist ein Abfallkorb angebracht. Sicherlich
reicher an Gemiit als an Gutern, diese beiden Kleinen!
Jetzt wollten sie aber den Korb untersuchen. Der Junge, als
der groBte und kraftigste, konnte mit den Armen bis auf
den Grund reichen, und unter des Madchens gespanntester
Aufmerksamkeit holte er eine leere Schokoladenschachtet
herauf. Er zerrte sie auseinander und holte das glanzende
Stanniol hervor - eben diesem gait der Beutezug. Mit ein
paar raschen Bewegungen glattete er das Stanniol, offnete
dieSchultasche und steckte denSchatz zufrieden in ein Buch.
Den nachsten silbernen Lappen sollte sie haben — und er
wiihlte im Korbe, dessen Grund keines von beiden sehen
konnte. Aber es war nichts mehr darin. Sie sah ihn zweifelnd
an, aber er schuttelte energisch den Kopf, griff nach seinem
Schulranzen und trottete von dannen. Zusammenschauernd
und die Locken aus der Stirn schuttelnd folgte sie ihm ohne
Widerrede — ein Bild von der Menschheit in ihrer un-
vollkommenen Gottlichkeit . . . Er und Sie.
Koln . . . Der Dom lautet, wahrend Herr Pommeranz sich
auf eine spannende Wanderung begibt. Seinen ersten Vor-
tragsabend habe ich skizziert. Jetzt ist der Tag gekommen,
wo er zum ersten Male im deutschen Rundfunk auftreten
soil.
Als das Interview fur den Rundfunk zu Ende war, herrschte
allgemeine Munterkeit im Studio. Man drangte sich heran,
urn das Original zu sehen. Was hatte er denn gesagt?
Ungefahr das Folgende:
128
,,lch kann nafiirlich wie eine jede Primadonna das Ubliche
iiber Koln sagen, aber lieber will ich doch etwas Un-
iibliches sagen. AlleStadte sind fur mich gleich, es fahren
StraBenbahnen darin und so furchtbar viele Autos, daB
man die StraBe nicht iiberqueren kann . . . Rom, Stock-
holm, Berlin, Kopenhagen . . . alles dasselbe! Nun ja,
Koln . . . Koln hat drei Dinge, die ich, urn Ihnen eine Freude
zu machen, hervorheben will: die Luft, erfiillt von Nebel-
dunst und Rauch, und dann den Dom, uber den man ja
nicht gerade fallt, und schlieBlich den Rhein — " und in
diesem Augenblick besturmten ihn alte, feme Schul-
erinnerungen — „der verfluchter Rhein" schrie er, ,,der
mitsamt seinen Nebenfliissen und alien Gebirgsketten von
Deutschland mich in meiner Schulzeit gepeinigt hat." Etwas
in dieser Richtung wurde daraus oder vielleicht gar noch
viel schlimmer.
Das Zwiegesprach wurde auf Wachsplatten aufgenommen,
und nachdem man das Wunderkind lange genug be-
augenscheinigf und photographierf hatte, wurde ich auf
einen Stuhl gesetzt und durfte nun meiner eigenen Sfimme
9 129
zuhoren. Grauenhaft. Heiser. Nervos. Gereizt. Alle
aber sagten, das Interview sei unterhaltend — ach, da
zerbrach die Platte durch irgendeinen fur Hans gliick-
haften Umstand. Es wurde nie gesendet.
Morgens fange ich nach Bauernart den Tag mit einem
Gericht Griitze an. Diese hat mit der von den Deutschen
. eingefiihrfen selbstfatigen Bedienungsabgabe von zehn
Prozent immer 82 bis 85 bis 90 Pfennig gekostet und dem
„Herrn Ober" dann einen Extrapfennig eingetragen, da
es ja auf der Hand lag, eine Mark zu geben. Ein Reisender
kann sonst diese iiber ganz Deutschland bis ins letzte Dorf
durchgefiihrte Trinkgeldablosung nicht genugend preisen,
die es so ungeheuer leicht macht, in diesem Lande zu reisen!
Mit einem „Auf Wiedersehen" veriaBt man in bestem Ein-
vernehmen die Hotels, und wenn man dort auch nur, was
ja haufig genug der Fall 1st, eine Nacht geschlafen hat und
nicht mehr als ein Abendessen im Restaurant verzehrt hat.
Niemand erwartet etwas Besonderes und erweist dem Gast
doch eine Zuvorkommenheit, die ihren Eindruck auf diesen
auch nicht verfehlt. Es fallt hier auch mehr auf als irgendwo
anders, jedenfalls mehr als bei uns zu Lande, daB die
Dienerschaft vom Portier bis zum Stubenmddchen und
Hausknecht sich mit dem Betriebe verwachsen fiihlt und
ihr Bestes tut, damit der Gast sich wohlbefinden und spater-
hin die Vorzuge des Hotels riihmen und weitererzahlen
soil. Man kann bei Bezahlung einer Rechnung eine Summe
nach oben hin abrunden, aber nur Tragern und Haus-
dienern gegeniiber habe ich es meinen Kassenmeister tun
sehen.
In dieser Verbindung ware es angebracht, ein paar Worte
uber den „Herrn Ober" zu sagen. Wie 1st es unterhaltend,
die verschiedenen Stimmen der Gaste ihn rufen zu horen.
Im BaB, im Diskant, voll Ungeduld oder im Phlegma —
und seine dem Rufenden gegeniiber immer gleichbleibende
Ungeruhrtheit zu beobachten. Gemiitlich nimmt er einen
in Empfang, schlagt mit der Serviette iiber den Tisch, urn
die Krumen wegzufegen — nur die steifen Hotelkellner
in Frack und weiBer Weste hat meine landliche Einstellung
schwer verwinden konnen. Die anderen aber ringsum in
Restaurants, Kaffees und den richtigen alten behaglichen
130
Familienhotels — ja wie ist dort der deutsche „Herr Ober"
liebenswurdig. Verhilft dem Gast zu dem rechten Essen
und Wein, und ist oftmals sehr daran interessiert, wenn er
hort, daB man Auslander ist, zu erfahren, wie das Essen
einem geschmeckt hat und ist stolz und erfreut, wenn man
zufrieden nickt. Sehr gut, Herr Ober . . . ausgezeichnet! —
Was die Hotels in Deutschland betrifft, so finde ich sie
einfach vorzuglich, die meisten mit doppelten Tiiren und
von dem Verstandnis gepragt, daB die Rucksicht auf die
Gaste allem voransteht.
Weit herum hat meine Reisegefahrtin mich schon gefiihrt,
und man muB es den Deutschen lassen: fahren konnen sie!
Piinktlichkeit, Schnelligkeit — die Wagenrader gleiten iiber
die Schienen. Die groBen, starken Lokomotiven fauchen
hitzig im gleichen, regelmdBigen Takt ... sie spinnen.
Die Abteile sind reinlich, die Toiletten in Ordnung und
das deutsche Reisepublikum auBerordentlich angenehm,
hoflich, zuvorkommend und von unbedingter Reisekultur.
Kein Pfeifen in den Abteilen. Kein Aufkreischen. Auch die
Speisewagen sind es wert, hervorgehoben zu werden.
Gutes Essen und nicht teuer. Hofliche Bedienung — uber-
haupt ein Eisenbahnpersonal, das in seinem Auftreten
mustergiiltig ist. — Und welche Trager! Nicht nur dienst-
bereit, sondern auch bestrebt den Leuten, deren Koffer
ihnen anvertraut sind, von Nutzen zu sein.
Jeder Landesteil, den wir durchfahren haben, tragt seine
Eigenart durch die neuen Fahrgaste, die der Zug jeweilig
aufnimmt, ins Abteil hinein. In den Gebieten urn den Rhein
herum die lebhaften dunklen Rheinlander, die durchaus
nordischen Typen urn jena und Weimar, und jetzt eilen
wir den alten preuBischen Landern zu, jetzt kommen die
slawischen Gesichter mit den vorstehenden Backenknochen,
den runden, breiten, flachen, aber starken Gesichtern auf
hohen, fulligen Korpern. Ein vollgiiltiger Vertreter dieser
Rasse saB mir gerade gegeniiber, ein kurzgeschorener
Rundschadel mit einem Kopf wie eine Kanonenkugel. Stirn,
Backenknochen, Unterkiefer lieBen keinen Zweifel an
seiner Kraft, Zdhigkeit und Energie aufkommen, und die
groBen Guckaugen, die beim Beobachten schmal und scharf
wurden, hatten einen Ausdruck ruhiger, ausgeglichener
9* 131
Gemiitsart eines Menschen, der sich nicht iiberraschen lieB.
Er las seine Zeitung von oben bis unten durch, durch-
pfliigte sie griindlich, wandte die Blatter mit beherrschter
Ruhe um, glattete die Zeitung und legte sie, ohne sich zu
iibereilen, zusammen, um so bequemer lesen zu konnen.
Neugierig forschend wie eine Katze vor dem Mauseloch,
ohne doch seine Spannung zu verraten oder sich auch nur
im geringsfen gehen zu lassen, sah er, wahrend die Hande
iiber das diinne, dichtbedruckte Papier strichen und es
zurechtbogen, nach oben, ein GenuB wartete seiner, ein
Fang: im nachsten Augenblick sollte seine Griindlichkeit
belohnt werden, indem er wieder Zeile auf Zeile folgen
und seinen Geist durch neuen Stoff bereichern durfte.
OstpreuGen! Ein Land mit groBen Linien und starker Luft.
Rominten — ja, dort war ich! Aber ich besuchte auch
Trakehnen, und bei diesem Besuch will ich verweilen.
Hier wohnte ich dem groBen Hubertusritt des Jahres bei.
Die Strecke betrug sechstausend Meter und war mit Hinder-
nissen gespickt, aber dank meinem kleinen einglasigen
Feldstecher war es mir verhalfnismaBig leicht, dem Feld
zu folgen. Endlich kommen die beiden Pikeure, die die
Schleppe auslegen. Sie nehmen in kurzem Galopp schnei-
dig alle Hindernisse. Fiinf, sechs Minuten darauf horen
wir die Meute Hals geben. Ehe sie auf die groBe Weide
vor uns hinausgelangt, von Pfahl- und Steineinfriedigungen
umhegt, lenkf ein neben mir Stehender die Aufmerksamkeit
auf einen Sprung fluchtigen Wildes, das sich durch seine
weiten, hohen Fiuchfen soforf als Rehwild entpuppt. Sie
iiberqueren die Fuchsschleppe und kommen kurze Zeit
darauf wieder zuriickgetrollt, gerade, als die Meute mit
hellem GeSaut ihnen nachsetzt. Ich vermutete, daB die
ganze jagd zum Teufel gehen wurde, aber die Hunde Ziehen
nurganz vereinzelt dem Gelauf des Rehwilds nach. Wild
und Hunde scheinen aneinander gewohnt zu sein, und die
Tiere springen immer weiter wahllos rund herum, bald
zur einen Seite abtrollend, bald zur anderen. Ganz offen-
bar gehorten sie zu den von Hecken und Futterhutten
durchsetzten Weiden des groBen GestOts.
Jetzt aber kam das Feld zum Vorschein und hielt in loser
Reihenfolge auf die ersten Heckenpfahle zu. Die Pferde
gingen schneidig dariiber, nur eines stiirzte, und sein rot-
befrackter Reiter blieb beunruhigend lange liegen. Keine
MuBe sich bei ihm aufzuhalten. Die vielen Reiter sturzten
an ein neues Hindernis heran, das gerade vor dem Hang
zu einer etwas hoher gelegenen Wegbahn stand. Nach-
dem dieses genommen, sollte ein Graben ubersprungen
werden, und nun ging es weiter fort uber die anderen
Hiirden.
Der Trakehner Hengst springt gern, ist iiberhaupt auf-
fallend willig und mit Lust bei dem Unternehmen, bestrebt,
sein Bestes herzugeben. Gleicht in dieser Hinsicht seiner
Nation, die den Wert des Gehorsams kennt und unter alien
Umstdnden ihre Pflicht tut. — Das dichte Feld nahm die
Hindernisse mit Glanz, nur einige wenige kullerten an der
Erde, wahrend die reiterlosen Pferde den anderen nach-
jagten. Die Pferde, und diese waren es namentlich, auf
die ich in meiner Eigenschaft als ehemaliger Artillerie-
offizier meine Aufmerksamkeit richtete, kamen mit ge-
blahten Niistern, hochragenden Hauptern und vollfuhrten
mit blitzenden Augen und nach vorn gestellten Ohren ohne
Murren die alles andere als leichten Spriinge. Eine Dame
eilt an mir vorbei, von dem Reiter im roten Frack eifrig
in Anspruch genommen, der sich noch immer nicht vom
Erdboden erhoben hat. „Wer ist es?" ruft sie . . ., „es ist
doch nicht etwa mein Mann?" Aber es war ihr Mann.
Ein verspateter Reiter sprengt in diesem Augenblick gegen
die Hiirde vor der Wegbahn heran, aber das Pferd bleibt
hangen und sturzt mitten vor uns in den Morast, so daB der
Reiter iiber den Weg hinrollt. Vollig verschmutzt, mit
einem groBen Fladen schlammiger Erde auf dem Riicken,
kam er rasch wieder auf die Beine, ohne Schaden davon-
getragen zu haben, wohingegen das Pferd, dessen Ziigel
er hastig ergreift, mit dem einen Vorderbein hinkt und
abgefiihrt werden muB.
Dergleichen Erlebnisse waren einem vergonnt zwischen
den Vortragen, und sie erfrischten mich. Haufig traf man
auch Menschen, zu denen man Zuneigung faBte. Wo war
es doch, wo ich den Stadfrat traf? Einerlei mit der Stadt.
Er lud zum Abendessen im Restaurant darunter ein, wo
wir um einen langen Tisch yersammelt waren. Ein heller,
132
133
nordischer Typus — Dithmarscher, sagte er und fiigte
hinzu: — Die Dithmarscher und die Danen haben immer
in Streit miteinander gelegen! - Ja, aber jetzt soil es
vorbei sein, erklarte ich entschieden. Er gab seinem
Zweifel Ausdruck, was mich dazu veranlaBte, laut zu
bekennen: „Es ist Hitlers groBer Gedanke, dies mit dem
Norden, und wenn die alten Streitigkeiten nicht aufhoren
und die Grenze in Nordschleswig nicht festliegf, haben
der Nordische Gedanke und das germanische Gemeinsam-
keitsgefuhl keinen Sinn, dann wendet sich der Norden ge-
schlossen dem Norden zu."
So kann man sich bekriegen — in Deutschland wie uberafl
— und unterdes den Becher kreisen lassen.
O ja, es wird gelebt in Deutschland — drauflos gelebt
ganz wie bei uns auch. Das Jazz-Orchester ladt die Jugend
ein zu Tanz und Spiel zur Teezeit am Nachmittag, und
alle Restaurants sind abends gesteckt voll. Sparen, sparen!
verkunden groBe Sprichworte von Brandmauern und
StraBenecken, und die Bankhauser sind iiberfullt. Das
Essen erscheint mir gut und nicht teuer, das „Gedeck" der
Speisehauser ist weit besser als unsere billigen Mittagessen,
und ihre vielen Gerichte schlagen die unseren entsprechend
aus dem Felde, namentlich in bezug auf das, was man fur
sein Geld bekommt.
Der Morgenschnellzug braust heran, kaum daB der Dith-
marscher und der Dane voneinandergelassen hatten. Zwei
riesige Lokomotiven und ein Zug so lang, daB Hans, dieser
Dorfmensch, von Verwunderung erfullt ist. Geradezu tier-
haft, so eine moderne Lokomotive, mit groBen hoch-
gestulpten Behangen zu jeder Seite, gebldhten Nustern,
aus denen es dampft, und heftig atmenden Flanken an den
Raderbeinen entlang, die wie ein Muhlwerk laufen, mit
einer Geschwindigkeit, daB die Augen die Beine kaum
unterscheiden konnen — eine Kreuzung zwischen einem
vorsintflutlichen Ungeheuer und dem Fabeltier neuester
Zeit, tiefatmend, fauchend, plotzlich aus iiberraschend gut
versteckten Reserve-Atemlochern blasend und den armen
Hans geradezu in Schrecken versetzend durch seine ver-
haltnismaBige Lautlosigkeit und sein gleichsam elastisches
Herannahen.
134
S'ifS^?^
Heute ist Eintopftag, und jetzt erlebe ich ihn zum ersten Male
im Speisewagen. Meine Begleiterin hat eine hochgefiillte
Portion Linsen mit Suppengrun und Wurstscheiben darin
verzehrt, der Dorfler eine ebensolche Portion gekochtes
Hammelfleisch, das sich unter einer leckeren Suppe von
Kohl und Kartoffeln verbirgt. Ich erschrak, als der Kellner
mit dem Berge erschien, und meine Dame begann sich im
Namen des Landsmannes daruber zu entriisten, daB der
Dane so heikel war. Aber es dauerte nur so lange,
bis er an dem Gericht gekostet und vor allem mit Hilfe
eines zweiten Tellers es soweit abgekiihlt hatte, daB es zu
genieBen war — da gefiel es gerade dem Urenkel des
belgischen Waffenschmieds und erinnerte ihn an seine
Mutter, die die herrlichen Krautersuppen gekannt und
geliebt hatte. Er lieB sich denn auch die Aufschrift geben
und tischt sie heute immer in seinem Hause auf.
Die Sensation des Tages, als wir zum Hotel gelangten, war
im ubrigen folgendes: Pommeranz geht iiber die StraBe
und bleibt ein'en Augenblick stehen, urn mit seinem Einzel-
fernglas einen Bronzereiter zu betrachten, als eine Stimme
hinter ihm ertont, urn die er sich jedoch nicht weiter kum-
mert. Die Stimme wird lauter, und ein freundliches Gesicht
taucht plotzlich an seiner linken Seite auf. „lhr Gurtel hat
sich hinten umgelegt, mein Herr", sagt die Stimme, die der
Dorfler endlich versteht, und die, wie sich herausstellt, zu
einem einfachen und vertrauenerweckendenManne gehort.
„lch fand doch, ich miisseSie darauf aufmerksam machen!"
Hans bedankt sich verbindlich und geht weiter, wdhrend er
an dem Gurtel seines Staubmantels herumfingert.
Es erscheint dem sehr ungelenken Herrn Pommeranz hochst
schwierig, den Gurtel wieder in die richtige Lage zu brin-
gen, aber er wagt es nicht, in diesem Zustand weiter die
StraBe hinunterzugehen. Die Deutschen sind ein Volk der
Ordnung, und wenn so ein gewohnlicher Mann sich so vie!
Miihe macht, ihm iiber eine Nachlassigkeit Bescheid zu
geben, die bei seinen Landsleuten ein alltagliches Vor-
135
kommnis ist, wird er sicher noch anderen hoflichen Zu-
rechtweisungen ausgesetzt sein, wenn er seinen Anzug
nicht in Ordnung bringt. - Spater beim Mittagessen erzdhie
ich meiner Tischnachbarin von dem Erlebnis. „Echt
deutsch", sage ich und lache. „Echt danisch", gibt sie
zuruck, „namlich, da8 Sie lachen! Sie verstehen nicht, daB
der Mann selbst ein Unbehagen fuhlen wiirde, wenn er
entdeckte, daB er auf offener StraBe mif verkehrt sitzendem
Gurfe! gelaufen ware und meinf, eine solche Unordnung,
von der Sie nichts wissen, ware Ihnen auch nicht angenehm,'
da rum hat er Sie darauf aufmerksam gemacht."
Ja, wahrlich: deutsch und danisch — in einer NuBschaie.
Die Reise neigt sich ihrem Ende zu. Bevor das Publikum
eintrifft, nehmen wir den Saal in Augenschein, in dem das
Finalestattfindensoll. DerVorfragendewirdzumRednerpult
gefuhrt, und die Herren, die den Abend veranstalten, nehmen
Platz auf der hintersten Stuhlreihe. Ich soli einige Worte
sagen, damit man horen kann, wie weit die Stimme tragt
Was sagfe ich bei dieser Probe? Mag der Dichter hier
den lose hingeworfenen Probesafzen des Bauern, seinem
Pathos und Fliistern, seinen abgerissenen Worten Leben
verleihen:
„Dieser Vortrag ist der letzte auf dieser meiner Reise, jener
Wunderreise durch das Deutsche Reich vom Siiden bis
zum Norden, von Ost nach West und im Kreise herum.
ich habe dieses Volk gesehen, dieses einzigartig starke
fuchtige und geniigsame Volk, dessen Stamm auch der
meine ist - glucklich, wer sein Blut, seinen Mut, seinen
Geist in sich tragt."
DrauBen goB es in Stromen, und zu Unterhaltungen auf
der StraBe forderte das Wetter nicht auf - Schriftsteller
und Sekretar hatten fur den Rest des Tages frei. Machten
ein paar Einkaufe fur die restlichen Mark, die wir noch
hatten, und liefen uns dann warm, besahen die Uberresfe
der einst imponierenden Walle der Stadt. — „Welche
Festung, welches Heer, das die Kaufleute damals'erhalten
muBten!" Die Antwort der deutschen Frau der Gegenwart
an meiner Seite war bezeichnend genug: „Konnten sie
es sich denn leisten, es zu unteriassen?"
(Aus dem Danischen von Thyra Dohrenburg.)
Veikko Antero Koskenniemi
MEIN TIEFSTES DEUTSCHES KULTUR-
ERLEBNIS
Mein tiefstes deutsches Kulturerlebnis ist Goethe gewesen
und ist es noch immer. Das Eindringen in seine Welt fuhrt
uns durch alle Schichten des Menschenlebens dem ver-
borgenen Wesenskern des Daseins entgegen, der nirgend
unserem tastenden Ahnen so anwesend ist als in der Dich-
tung Goethes. ,,lphigenie auf Tauris" ist die edelste Er-
scheinung der ethischen Menschlichkeit in der europdischen
Dramatik und nie hort man in der Weltliteratur das Klopfen
des Menschenherzens so unmitfelbar als in der Lyrik
Goethes. Und wer hat tiefer in die Geheimnisse des Natur-
geschehens hineingeblickt als Goethe?
Goethes Werk ist die kostbarste Siegesbeute, die der
moderne Mensch im Kampfe mit dem Lebensproblem er-
rungen hat. Das ganze Europa steht in Schuid zu seinem
deutschen Geist und diese Schuid wachst mit den Jahr-
zehnten und Jahrhunderten.
Turku, den 24. November 1939.
136
137
Hanns johsf
OBER FfNNLAND
Im Rahmen dieses vaterlandischen Insfituts* liest auch der
groBe, junge finnische Dichter V. A. Koskenniemi. Er
wldmete mir den Sonderdruck eines Gedichtes, das, wie er
mir selbst mit berechtigtem Sehersfolz schreibt, unmitfelbar
nach dem Versailler „Frieden" entstand. Es heiBt: Die
Wacht am Rhein."**
Eine Ubersetzung kann nur den brennenden Inhalt dieser
Klage geben und keineswegs das formale Vermogen der
Muttersprache erfassen, in der es klingt . . .
Wo in aller Weit entflammte eines Dichters Herz solch bru-
derlicher Choral des guten Glaubens? Wir Deutschen
haben alien Grund, den Namen Koskenniemi in Liebe und
Treue in das Buch unserer Dankbarkeit einzutragen.
ich habe das Gluck, von ihm auch eine Studie iiber das
malerische Finnland mit herzlichen Worten innerer Ver-
bundenheit gewidmet zu erhalten. Wie er hier mit fiinf-
hundert Jahre alien Kiefern und mit den Fichfen, deren
Raunen die Weisheit und den Schutz der Voter birgt, mit
der Birke und der Esche, der Traubenkirsche und 'dem
Vogelbeerbaum seine Heimat beschwort, oder mit dem
ewigen Gefalle des Imatra auf trotzigem Granit den Rhyth-
mus seines Landes andeutet, ist tiefstes Naturerlebnis
Wahrend uns der Zug von Abo nach Helsingfors fiihrt,
spricht ein deutscher Offizier, der seit dem Krieg in finni-
schen Diensten verblieb, vom Freiheitskampf dieses tap-
feren Volkes und von den politischen Zustanden des Landes.
Alle europaischen Sorgen der Regierungen in bezug auf
Staatsform und Zustandigkeiten, auf Evolutionen und Re-
volutionen, auf soziale Programme und wirtschaftliche
Spekulationen rotieren vor meinem inneren Auge, wahrend
die Landschaft drauBen ihre Bilderbogen vor meinem Ge-
sicht umblatterf.
Man sage mir nicht, man miisse jahrelang in einem Lande
leben, urn es erfassen zu konnen. Alles ist eine intuitive
* Finnische Akademie in Turku.
** Gedruckt im AnschluB an diesen Beitrag.
Frage der Liebe. Entweder man ist vom ersten Augenblick
her instinktiv zartlich liebend eingestellt, oder man bleibt
kiihler Kaufmann, mag man Tage, mag man Jahre im
Raum der betreffenden Umwelt zubringen.
Auf keiner Reise zwischen Spitzbergen und Afrika be-
gluckte mich der erste Schritt, den ich auf dem neuen Boden
tat, derartig unaussprechlich als hier in Finnland. Auf jeder
Station muB ich den Zug verlassen, urn auf dieser Erde
ein paar Schritte zu gehen. Jeder Schritt bedeutet mir hier
Erlebnis. Wir alle sind als Knaben bei unseren GroBeltern
iiber das erste Eis des nahen Teiches vorsichtig und priifend
geschritten und haben bei jedem Schritt bangend und
hoffend erprobf, ob uns die weiBe Kristallflache triige. Und
wir haben diese eisige Briicke, die uns vom vertrauten
Ufer zu vertrautem Ufer fiihrte, als ein magisches Wunder
des herrlichen Winters erfuhlt. So geht es mir hier. Ich
stehe auf fremdem, ungewohntem, unbekanntem Boden,
und ich fuhle voll knabenhafter Freude, daB er mich tragt,
und wie als Knabe nehme ich dieses Tragen nicht als eine
natiirliche Selbstverstandlichkeit, sondern als ein heim-
liches, zartliches Gastgeschenk. Diese Erde und ich, wir
mogen einander, und wir kennen einander auf eine self-
same Weise . . .
Der erste Eindruck, den diese Stadt* macht, ist der einer
noblen Residenz. Der Verkehr ist kein weltstddtischer Bluff
fur Statistiker, sondern er wird in alien seinen Erscheinun-
gen und seinem Tempo vom guten Ton kultivierter Einzel-
personen bestimmt. Niemand markiert gehetzte Eile, son-
dern jeder Passant nimmt sich die Zeit, die sein Gang be-
notigt. Er disponierf, er beherrscht Richtung und Ziel.
Vielleicht erzieht hier der steife Ostwind sein Publikum
zu einer musterhaften Verkehrsdisziplin, denn bei dreiBig
Grad unter Null verliert sich die Lust, einander Betrieb
vorzuspielen, von selbst.
Dann sah ich noch keine Stadt von solch makelloser Rein-
heit. Die Fassaden der Hauser auf den breiten SfraBen-
zeilen sind alle ausnahmslos ohne jene verruBten Gesimse,
die den mitteleuropaischen Industriestadten jene verlebten
und verharmten Ziige leihen. Helsingfors ist durch und
* Helsinki (Helsingfors),
138
139
durch elektrisierf. Das mag der ersfe Grund dieser Sauber-
keit sein. Der zweite wahrscheinlich das Klima. Schnee
und klarer Frost sind peinliche Putzfrauen .
In eine Zeif, da die Ostsee noch Binnensee war, fiihrt die
vorgeschichtlicheAbteilung von FinnlandsgroBem National-
museum. Die Gefahr der europaischen Museen wird all-
mahlich die Reprasentanz. Prunkraume der Vergangenheit
entstehen, gute Stuben. Ausgrabungen, Auffassungen schla-
gen ihre interessanten Pfauenrader.
Nichts von dieser wissenschaftlichen Geschaftigkeit hier, da
alle Dinge im Dienst einer unendlichen Hingabe an die
Heimat scheu und landlich verlegen leise vor sich hinsagen,
woher sie kommen und welchem Zweck sie zuerkannf
wurden.
Dem Laien fallen immer Gegensfande in die Augen die
den fuhrenden Direktor bestimmt nicht in gleichem MaBe
angehen.
Da ist etwa die Sondersammlung der Skier. Der Vertreter
der altesten Garde ist dreitausendfiinfhundert Jahre alt und
stammt aus der Ubergangsperiode von der Steinzeit zur
Bronzezeit. Er wurde im Moor bei Herajoki im Tavastland
gefunden. Die Bindungsstelle ist noch aus dem Gleitholz
herausgehohlt, so da(3 der FuB in einer einfachen Ver-
tiefung ruht.
Die ersten Bindungen bohrten ihre Locher senkrecht durch
den Boden des Skis, einige dieser uralten Bretteln sind
unwahrscheinlich breif und vor a Hem ungleich. Der linke
Ski hat eine Rifle, urn die Richtung zu halten, wahrend der
Laufer mit dem kurzeren rechten sfandig nur abstieB. Man
bediente sich dabei naturlich auch nur eines Stockes, und
die Fortbewegung glich mehr einem einbeinigen Hupfen
als dem eleganten Gleiten, mit dem heute unsere Meister
ihre verwegenen Bogen schwingen. Mit diesen Hilfsmitteln
also verfolgten die fruheren Jager ihre Beute im Dickicht
verkruppelter Birken und im Wirbel des verschneiten
Winters.
Vor den Hungerbroten des nordlichen Finnlands steht man
lange. Aus Kiefernborke, die die Unglucklichen zwischen
Steinen mahlten, buken sie dieses steinharte, sprode Brot.
140
Noch heute kommt es vor, daB versprengte Jagergruppen
auf dieses Mittel zuriickgreifen miissen.
Die Blockade des Weltkrieges hat uns Deutsche gelehrt, im
Vaterunser bei der Bitte urn das tagliche Brot die Stimme
zu heben, und als Deutscher steht man vor diesem braunen
Holzmehlgeback wie vor einem bittersten Wahrzeichen
tiefster Heimattreue. Solches Brot nur gibt diese Erde, und
dennoch schlagen Herzen bis zu ihrem letzten Schlage
unentwegt in Liebe fur diese karge, unfruchtbare Land-
schaft ...
Als mich das Sch iff wieder zurtick zur skandinavischen
Halbinsel trug, war es mir, als verlieBe ich einen Erdteil,
als verlieBe ich eine Welt.
Das scheidende Auge umwirbt wieder und wieder die
klaren Linien des Horizontes, an denen weites, weiBes Land
zu Inseln und letzten Kirchen zerbrockelt. Das Auge schaut
und bewundert, bis die Dunkelheit und die Entfernung Land
und Ufer in der Tiefe verbergen. Sterne sind bronzener
Beschlag auf der Wolbung dieser marchenscheuen, ver-
sinkenden Truhe . . .
I m a t r af al I
141
Veikko Antero Koskennie
m i
DIE WACHT AM RHEIN (1920)
O Deutschland, urn dein Golgatha im Bunde
steht aller HaB und Hohn und Niedertracht.
Es 1st der Kleinen und der Kleinheif Stunde,
erliegt der Riese, erst, zu Fall gebracht.
Nacht ward dir, Deutschland, statt der Morgenwonne,
wie Rost an deinem Schwert friBt arger Neid.
Doch, Deutschlands Sonne ist der Menschheit Sonne
und Deutschlands Nacht die Nacht der Menschlichkeif!
Dich deckt die Nacht, doch eine klarbesternte,
und noch wird leuchten dir des Morgens Strahf,
und deine Arbeit bringf dir neue Ernte,
du groBter Samann in der Voiker Zahl.
Und blanker noch wirst deinen Schild du heben
hoch iiber das Gewiihl der wirren Zeit,
vergelten wirst du, groB im Geist und Leben,
mit Seelenhoheit Trdnen, Blut und Leid.
Kants Himmel strahlt dir hoch noch iiberm Dunkel,
aus Weimar blitzt dein Genius hehr und licht,
das Wort aus Worms hallt noch durch das Gemunkel
wie einst: Hier steh ich und kann anders nicht!
Das Suchen deines Faust, gespornt von Sorgen,
vertieft das Menschentum noch jetzt wie je,
Bachs Orgel spielt noch ein den Feiermorgen
und seufzt der Erdenwesen Sehnsuchtsweh.
Die rohe Macht kann vieles niederschlagen,
doch den Gedanken nur, der wirkt und schafft,
und in des Geistes Welt steht ohne Zagen
die Wacht am Rhein noch in geprufter Kraft.
Sie blickt herab vom Gipfel der Geschichte
auf Zwerglinge, zu Rach und Raub gesellt.
Heil ihr! Ihr Waffenrock, der ruhmreich schlichte,
hegt noch das groBfe Herz der Menschenwelt.
(Ubersetzt von Prof. Otto Manninen.)
142
Clara Nordstrom
WIE MIR DEUTSCHLAND BEGEGNETE
Deutschland — Tyskland, anfangs war es ein Wort, das
ich im Arbeitszimmer meines Voters horte.
Der deutschen Sprache begegnete ich zum ersten Male, als
mein dlterer Bruder einen Vers laut lernte. Bald konnte
auch ich ihn. Dieser Vers sei deutsch, sagte mein Vater.
Er fuhr fort: , .Deutschland ist ein groBes Land, in dem ich
Medizin studiert habe. In Deutschland werden die meisten
wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht, die uns Schwe-
den viel nutzen. Auch die wichtigsten medizinischen Werke
kommen aus Deutschland."
Ein anderes Mai erzahlte er mir: ,,Die deutsche Musik ist
die tiefste der Welt. Der vielseitigste Dichter, den es je
gegeben hat, war ein groBer Deutscher, der Goethe hieB.
In jeder Kirche und in jeder Schule Schwedens wird ge-
predigt und gebetet wie der Deutsche Luther es lehrte.
Schweden wiirde arm sein, ohne den groBen deutschen
Bruder."
Seitdem dachte ich viel an dieses selfsame Land.
Eines Tages gerieten mir alte deutsche Zeitschriften in die
Hande. Sie enthielten Gedichte, und Bilder von Land-
schaften mit Bergen, Burgen und Flussen, und von schonen,
wunderschonen Bauwerken. Trotzdem die Sprache dieser
Verse mir nicht ganz verstandlich war, kam sie mir ge-
heimnisvoll vertraut vor. Und wenn ich in sie hinein-
horchte, war es mir, als horte ich die Herzen ferner Ge-
schwister schlagen.
Spater, als mein Vater mich mit siebzehn Jahren nach
Deutschland gebracht hatte, erlebte ich von neuem diese
Sprachverwandtschaff. Mit Bekannten zusammen machte
ich einen Ausflug. Da horte ich Menschen miteinander
reden, deren Sprache ich noch besser verstand, als ich
Hochdeutsch zu verstehen pflegte. Deshalb hielt ich sie fur
Schweden, die sich nur in einer, von mir noch nicht gehorten
Mundart unterhielten.
„Aber nein", antwortete man mir, ,,das ist ja Plaftdeutsch."
Ich wuBte damals garnicht, was Plattdeutsch war. Als wir
aber mit jenen Menschen verhandeln muBten, konnten
143
einige meiner Bekannten, die aus Suddeutschland stamm-
ten, nichf verstehen, was sie sagten, und ich als Schwedin
habe iibersetzt.
Diese beiden Volker haben ja nicht nur einen gemeinsamen
Stamm, sie haben sich ja audi wahrend der letzten Jahr-
hunderte blutsmaBig zum Teil vermischf. Nichf nur im
schwedischen Adelskalender findet man eine groBe Anzahl
deutscher Namen. Auch viele dergroBten Schweden hatten
Deutsche unter ihren Vorfahren. Der am meisten gefeierte
schwedische Freiheitsheld Engelbrekt Engelbrektson ent-
sfammte einerFamilie.die hunderf jahre vorher aus Deutsch-
land eingewandert war. Gustav Adolf hatte eine Deutsche
zur Mutter. Karls des Zwolften Vorfahren stammten aus
der Schweiz, und der hochbegabte Schwedenkonig Gustaf
der Dritfe war ein Neffe Friedrichs des GroBen. Auch der
hervorragende schwedische Dichter Verner von Heiden-
sfam hat zum Teil deufsches Blut, und der schwedische
Maler und Bildhauer Anders Zorn hatte einen deutschen
Vafer.
Eigentlich muB wohl diese Blutmischung taugen, wenn sie
solche Manner hervorbringt.
In Norddeutschland, besonders in Pommern und Mecklen-
burg, findet man viel schwedisches Blut. Vor etwas mehr
als hunderf Jahren gehorten ja Riigen und Teile von
Pommern zu Schweden. Und noch heute sagen alfe
Bauern, wenn sie ins Nachbardorf wollen: „lch gehe fur
ein Stiindchen nach Schweden hinuber."
Jahrzehnte hindurch iibte der Geist groBer Schweden eine
starke Wirkung in Deutschland aus. Ich denke vor allem
an Heidensfam, Selma Lagerlof, Strindberg. Und der Maler
Carl Larsson, mif seinem reizvollen Buch „Haus in der
Sonne", wurde von vielen Deutschen sehr geliebf.
Deutschland ist nun die Heimat meiner Kinder, aber fast
jedes Jahr zieht es mich wieder nordwarts in meine alfe
Kinderheimaf. Dabei muB mir ja auffallen, wieviel die
beiden Lander voneinander empfangen haben, und faqlich
weiter empfangen.
In den letzten Jahren werden in Deutschland manche
schwedischen Volkstanze getanzt, manche schwedischen
Volkslieder gesungen. Und viele der heutigen Brauche in
Deutschland, die aus alten Zeiten stammen, erinnern mich
144
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Schiffsstudie aus e i n e in Zelchenheft Caspar David Friedrichs,
N al i o nal m u se u m Oslo
Aufn. Carlo Maria Busch
•■"-U»jS«*\SP" ••'■.:,-■ ■ '■
,... /,
jt-il a , it.
Jaumstudien aus dem Zeichenheft Caspar David Friedrichs
stark an Schweden. Auch im Bruderlande sudlich der
Ostsee werden jetzt Julfest und Mittsommer gefeiert, schwe-
dische Muster begegnen einem in den Handwebereien, un-
zahlige Kinder haben schwedische Namen. Mir kommt
es oft vor, als ware der Geist meiner schwedischen Heimat,
so wie er in meiner Kindheit war, nach Deutschland ge-
kommen; und der Wunsch in mir wird immer starker, daB
die Menschen in Deutschland wie in Schweden diese bei-
den Lander so lieben mochten, wie ich sie liebe.
Schleuse rm Gotakanal
Edwin Erich Dwinger
IM LAND DER ROTEN HAUSER
Wir fuhren bis Stockholm fast zwolf Stunden, vom friihen
Morgen bis in die spate Nacht. Im schnellen Zuge von
Malmo durch ganz Siidschweden, beginnend mit Schonens
reichen Gebieten guten Kornbodens zwischen tausend Seen,
durchstreifend die felsigen Heideflachen der kargen Triften
Gotalands, endend mit Schwedens Glanz und Krone Stock-
holm. Und selbst als wir dann Stockholm wieder verlieBen,
urn durch ganzMittelschweden noch einmal vierzehn Stun-
den zu fahren, urn bei Kornsjo das harte Land Hamsuns zu
erreichen, lagen immer noch rechts und links jene roten
Hauser, die uns schon nach wenigen Minuten Landeinwarts-
10
145
fahrf bei Malmo begriiBt, denn erst in Norwegen selbsf
wurden sie braun und verwittert und farblos, verlieB uns
jenes mit weiB gefaBte leuchtende Rot, das jedem unvergeB-
lich sein wird, der jemals Schweden bereiste.
Zwolf Stunden sind eine lange Fahrt, selbst wenn man sie
in vorbildlich bequemen Ziigen zuriicklegt, ich aber schaute
die ganze Zeit ins Land hinein, immer wieder irgendwie
vom Reize jener schweigsamen Hofe gefesselt, die in ihrer
groBen Einsamkeit selten in Gruppen, sondern fast immer
allein standen, mit ihrem russisch anmutenden lauben-
formigen Eingangsvorbau, ihrer uberall sichtbaren Sauber-
keit, ihren welligen Feldflachen. Es war mir ja nicht schwer,
mich mit schnellem Sprung in einen solchen Bauernhof zu
versetzen, denn ich lebe ja selbst auf einem solchen Einod-
hofe, zu dem des Winters niemand storend durch den
Schnee gelangen kann — und so saB ich denn wahrend
dieser Fahrt oft in den holzgetafelten Zimmern, unter den
niedrigen Decken, vor den winzigen Fenstern. Und ge-
dachte Selma Lagerlofs dabei, dieses stillen Landes groBer
Dichterin, und war aus innerster Warme begliickt, daB
es noch solche Landschaften auf unserer Erde gibt, solch
starkende Jungborne fur Stadter, die vom ewigen StraBen-
larm taub, vom Sehen zu vieler Bilder blind wurden
Als wir bei Nacht in Stockholm einliefen, muGten wir zu-
gleich an Venedig denken — kam es nur, weil wir vor
kurzem auch bei Nacht nach Venedig gekommen, oder
war dieser Vergleich aus tieferen Griinden aufgestiegen?
Am anderen Morgen erkannten wir bald, daB die vielen
Lichter im Widerschein des Wassers uns nicht getduscht —
ein ins nordische iibersetztes Venedig, so konnte man Stock-
holm wohl nennen. Vielleicht mochte das auch den Er-
bauern jenes beriihmten Stadthauses vorgeschwebt haben,
zu dem uns ein schwedischer Jugendfreund alsbald hinab-
fuhrte — stand nicht am Ufer sogar eine ahnliche Saule
wie auf dem Markusplafze, sah nicht seine Saulenfront Wie
die des Dogenpalastes ins Wasser? Eine besondere Fuh-
rung, die uns mein Schwede ohne Miihe verschaffte, be-
reicherte uns in der nun folgenden Stunde des Rundganges,
wie uns vorher noch niemals Ahnliches bereichert: Jene
gedampffe Moderne, mit der man hier samtliche Stilarten
Altschwedens zusammengefaBt, durch die man den Ge-
fahren eines nur kopierenden Nachbauens entgangen war,
gleichzeitig aber alien jungen schwedischen Kunstlern
Raum und Arbeit gegeben hatte, war hier uber ein kiihnes
Experiment hinaus zu einer glucklichen Vollkommenheif
gelangt, wie es mir bis dahin noch in keinem Lande Se-
gegnet war. Und daB dies representative Haus Schwedens
dennoch schlicht ist, trotz allem dafiir aufgewandten Reich-
turn nirgends prunkhaft wurde, das scheint mir eine Leistung,
die nur wenige Volker vollbrachten. DaB ich jedoch nicht
im gemaldereichen Sitzungsraume, auch nicht im steinern-
hellen Marmorhofe, sondern in jenem goldenen Saale am
langsten stand, in dem ich unter vielen Mosaiken aus
Schwedens Geschichte auch eine fand, auf der sich Elsa
Brandsfrom zu verharmten deutschen Kriegsgefangenen
niederneigt — wer wollte das wohl einem Manne ver-
denken, dem dieser blonde Engel einst selbst geholfen?
Urn Mittag fuhren wir nach Skansen hinauf, jener schonen
und neuen Art von Naturmuseum, die in aller Welt Schule
machen sollte: Alle Provinzen stehen dort unter freiem
Himmel, entweder durch ein kleines Dorf vertreten oder
durch einen Einzelbauernhof oder eine Kirche. Dort konnte
man auf stillen Wegen noch einmal durch das ganze
Schweden wandern, dazu durch ein vor vielen Jahrhunder-
ten schon versunkenes. Und auf fast jedem Hofe begegnete
man einer Frau in jener Tracht, die diesem Hause und der
Zeit seines Alters zugehorte — entweder saB sie am bren-
nenden Kamine, oder sie spann am alten Rocken oder
butterte im alten FaB. Auch hier war wieder alles nicht
kopiert, auch hier hatte man die Hofe wieder aufgebaut,
wie man sie in den fernsten Provinzen abgebrochen, so
witterte urn alles der schone und wilde Geist jener Zeiten,
da Gosta Berling mit seinen Freunden von Hof zu Hof ge-
jagt, zugroBemJubel und noch groBerem Leide. Ich trennte
mich nur schwer von diesengrasbewachsenen Dachern, von
diesen Thingplatzen mit seinen Sprecherpodien aus schwe-
ren Felsen, von ihren blonden Frauen und ihren leuchtenden
Trachten — konnte mich auch an ihnen zum Gliick noch
einmal satt sehen, als wir im gleichen Skansen dann zu
Mittag aBen, von meinem Schwedenfreunde zu einem
Dutzend Dingen kostlich beraten. Denn in diesem riesen-
haften Holzhause aus alter Zeit bedienfen wiederum nur
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10*
147
Madchen in Landestrachfen, aber obwohl es gut an vierzig
waren, trugen doch nicht zwei von ihnen die gleichen
Farben, noch die gleiche Art.
Am nachsten Tage fiihrte unser Freund uns um die Mittags-
zeit aufs SchloB; mit lauten Schellen kam die Wache zur
Ablosung zum Tor hereinmarschierf. Ich traute meinen
Augen nicht, kam dort denn deutsche Vorkriegsinfanterie,
mit ihren blanken Pickelhauben, dem Spott der ganzen
„zivilisierten" Welt, in diesem Lande der urgermanischen
Demokratie? Nur die Musik tragt noch die bunten Friedens-
farben, belehrte man mich, die wirkliche Armee ist eben-
falls schon seit dem Kriege feldgrau. Da kamen sie denn
auch, die schwedischen Soldaten in ihrem schlichten Grau,
von ein paar jungen Offizieren angefuhrt, die schon wie
junge Gotter waren. Ich muBte an die Polizisten denken,
die mir im ersten Augenblicke schon aufgefallen, in ihren
gutgeschnittenen dunkelblauen Uniformen, die aufs Haar
denen unserer Seeoffiziere gleichen — waren sie nicht alle
wie nordische Mastbaume gewachsen, waren sie nicht alle
iiberraschend rassigen Gesichtsschnittes, dabei weiBblonden
Haars? Ob man bewuBt in Schweden Auswahl darin trieb,
oder ob mir ein paar besonders prachtige Germanentypen
das wahre Bild verwischten — ich weiB mich nicht zu
erinnern, bei den Polizisten irgendeines Landes Manner
getroffen zu haben, die von schonerer Rasse gewesen sein
konnen.
Im groBen Volksmuseum, das keinen Eintritt kostete, weil
es gerade Sonntag, darum auch drangend voll von Men-
schen aller Schichten war, hatte ich noch zwei Erlebnisse,
die unvergeBlich bleiben: Das erste war das Kriegspferd
Karls des Zwolften, das zweite jener Fischerkahn, in dem
Peter der GroBe die Schlacht von Narwa fiihrte, wobei der
Knabe Karl ihn fast vernichtend schlug. Ich sah mich einen
Augenblick verstohlen um, strich dann geschlossenen Auges
an jener Stelle uber das glatte Fell des Pferdes, an die jeder
Reiter seine Hand hinlegen muB, bevor er sich in den Sattel
schwingt. Und stand alsdann, fur meinen Freund wohl un-
begreiflich lange, vor jenem Kahn, aus dessen Wolbung
einst die wilde Stimme Peters durch die Schlacht gebellt . . .
Nach meiner Vorlesung, die bis zum letzten Platz besetzt
war, geleiteten uns die Veranstalter zu einem Festbankett,
148
das traditionell in dem beruhmten Kellerrestaurant Stock-
holms stattfand: In niedrigen Gewolben saB dort alles an
langen Balkentischen, auf denen uberall als kleine Flammen-
kreise ungezahlte rote Kerzen flackerten. Und wenn ich
auch nur eine Binsenwahrheit sage, kann ich einen Satz
uber Schwedens Kiiche dennoch nicht unferdriicken: Sie
ist fur Nordlander, wie ich es selbst bin, schlechthin das
Parodies — und was in Deutschland hier und dort als
Schwedenplatte angeboten wird, das steht zu ihr wie Rogen
eines Bucklings zum schwarzen Kaviar des Beluga-Stors!
Vergessen aber habe ich bei diesen kostlichen Erinnerungen
beinahe, daB uns Menschen seit Adams Sundenfall vor jedes
Parodies der SchweiB gesetzt ist: Ich muBte ihn mit jenen
Interviewern reichlich zahlen, die mich beim Verlassen des
Zuges schon mit grellem Blitzlicht blendeten, die meine
Fruhstucke im Hotel stets schon mit munteren Reden be-
gleiteten, mich selbst mit schrillem Klingeln aus dem Bette
aufstorten . . . Und ich gedachte dabei oft der Reisenden,
mit denen ich im gleichen Zug gesessen, verstand jetzt
plotzlich, was ich damals noch nicht verstanden hatte: DaB
sie an jeder Station sich eine Zeitung kauften, so daB sie
schlieBlich nur mit den Nasen mehr hervorguckten, von
einem Hochgebirge von Papier umwallt. Und war ich
schon auf Grund der Meldungen dieser Zeitungen wahrend
der Fahrt mit tausend Fragen iiberschiittet worden, wie
erst jetzt, als man mit gleichsam gutem Rechte von Presse-
wegen sich an einen Deutschen wenden konnte, der dem
Vernehmen nach doch jenes Land erst vor ein paar Tagen
verlassen hatte, uber das man von den Emigranten aller
Sorten stiindlich so schauerliche Dinge serviert bekam?
Auch mir waren an jeder StraBenecke jene giftigen Litera-
tenzeitschriften angeboten worden, die sich das neue
Deutschland mit vollem Recht nicht mehr gefallen lassen
wollte, so wuBte ich, daB mein Stand kein leichter sein,
nicht mit ein paar Satzen auszuloschen sein wurde, was
man taglich lugenhaft in dies zeitungsliebende Volk hinein-
hammerte. Doch wenn die ersten Fragen auch meist ein
wenig lahmend waren, gelang es uns doch fast in alien
Fallen schon nach einer Stunde, einen klaren Bach in diese
Augiasstalle unserer Emigranten einzuleiten, wenigstens
den groBten Teil der kindlichen Greuelmdrchen weg-
149
zuschwemmen, die einmal des neuen Deutschlands Schrift-
fum, zum andern des neuen Deutschlands Geisf betrafen.
Und schlieBlich kam denn auch fur diese harte Arbeit, die
tags und nachts viele der schonsten Stunden kostefe/der
reiche Lohn — fand ich nicht nur Verstandnis bei Stock-
holms und Goteborgs prachtigen Menschen, die mich zu
rneinen Vortragen gerufen hatten, schrieb schlieBlich auch
S<1 iwedens bedeutendste Zeitung einen groBen Aufsatz iiber
d.e i Besuch des ersten Dichters, der nicht nur mit positiver
Ste-ilung a us dem neuen Deutschland nach Skandinavien
kam, sondern durch sein vor Jahren erschienenes Buch
„Wir rufen Deutschland" sogar zu seinen Vorkampfern
zahlt — der uberschriftet war: „Neue Tage fur Deutsch-
lands nationale Literatur!" Und sagt nicht diese Uber-
schrift uns alles, daB Schweden auf dem besten Wege ist,
uns zu verstehen?
Stockholmer SchloB
Gudmundur Einarsson
KQNSTLER, MENSCHEN UND BERGE
lm Chaos der Nachkriegsjahre hat Island seine Selbstandig-
keit wieder errungen. Die Wechselwirkungen der neuen
Lage haben die bildende Kunst aus sechshundertjahrigem
Schlummer geweckt.
Die hochentwickelte ornamentale Holzschnitzerkunst, die
Weberei und das illustrative Stammchronikschreibtum ha-
ben neue Bliiten getragen. Ein kleiner Trupp junger Leute
verlieB die Berge der Heimct, urn die hohe Kunst der Bild-
hauerei und der Malerei zu erlernen. Aber wie stand da-
mals die Kunst in den groBen Stadten Europas? Fur einen
nordisch denkenden Menschen war es ein trauriger Anblick
— eine irrsinnige Angelegenheit — . Die kleine Schar mei-
ner Landsleute suchte, wechselte und focht ihre Kdmpfe.
Die Empfindlichen und Traumerischen verloren den Mut
und andere gingen unter in heller Verzweiflung. Die kleine
Schar schmolz zusammen und nur wenige sahen wieder die
Berge ihrer Heimat.
Damals — 1920 — landete ich als junger Bergbauernsohn,
verschlagen und miBmutig nach vielen Irrfahrten inMiin-
chen und fand dort Kameraden, die freie und stolze Ge-
danken pflegten. Sie rangen mit den Parasiten der Kultur
und trieben diese aus Stadt und Land. Es waren bewegte
Zeiten. Diese Leute waren artverwandte Leute der Berge
und der Freiheit, Kiinstler, Politiker und Bergsteiger. Dieses
Treffen wurde Schicksal. Im Atelier von H.Schwegerle und
bei Vorlesungen Molieres wurden die jungen Suchenden
personlich behandelt, die verpestete moderne Kunst wurde
behandelt wie Seekrankheit und hypnotischer Frevel. Da-
mals schon ragten Leute wie B. Bleeker und Hans Thoma
wie Felsen aus dem Kunst-Chaos. Sie wirkten bezwingend
auf uns Junge.
Die meisten dieses Schwabinger Kreises kampften in den
Jahren 1921/26 fur die nationalsozialistischen Ideen, die
damals bei den kleinen Versammlungen des nunmehrigen
Fuhrers Deutschlands besprochen wurden.
Ausweisungen und Unannehmlichkeiten waren tagliches
Brot und viele dieser originalen, hellsichtigen Leute ver-
schwanden dann eine Zeitlang nach Tirol und tauchten
wieder auf, nachdem Gras gewachsen war iiber ihr „Ian-
desverraterisches" Treiben.
Auf diesem Wege entstand eine Schar gleichgesinnter
Schwabinger Kiinstler, vereint mit Tiroler Bergsteigern,
eine gluckliche Zusammenstellung aus glucklichen Leuten,
die sich gegenseitig aushalfen.
Die kiinstlerische Jugend, die damals in Miinchen auf
brennenden Sohlen ging, folgte dem Weg Segantinis, als
Wegweiser galten uns unter anderen Gustav Jahn und
Albin Egger-Lienz. Es war eine herrliche Zeit, voll mit
150
151
flammenden Reden und Schwabinger Fesfen und dann und
want , sahen und horten wir Adolf Hitler oder Ludendorff
?Jr np ed R ran9 I en SU J Chten ° ft Rat bei Fra « M. Bannholzer,
und Mf deP BeWe 9 un 9. ^e immer organisierte
h , atte d L K n' t? l " M " nchenhie,t die Tradition stand. Zwar
hatfe der Glaspalast ein paar Raume, in denen man alte
Bursten rostige Nagel und Ziegelsteine als ..KunsTwerke"
Zri'siZT' p' ,n . d t r S / adt3a,er,e hi "9 e " -hon eint
ZIZ mi w , nma ' hldt eln fre mdlandischer Kunst-
9 KomnoS- r Xf ! ? SUn 9 e " dort u "d pries eine Rottluffsche
..Kompositron als groBe Kunst. Bei dieser Gelegenheit
Ron nff e l n r eSe K der, L 0b Hans Thoma im Verglflch zu
da au Z h« r, TK arbeite J ° er Herr Professor melnte
darauf. , Le.bl, Thoma und Bocklin sind siiBliche, alle-
S2rh C » ,l 'i!? tratore 1 n und k °nnen nicht zeichnen." Bei der
e £! n F fr 9 dan " mU J 6te der Herr Kunsthistoriker
feststellen, daB nur sechs oder sieben Zuhorer anwesend
waren Das war die Antwort der ..Schwabinger".
Die Schwabinger Kiinstler sahen. daB ein neues, freies
Deutschland ene Wiedergeburt der Kunst bedeut te und
daB d e entartete Kunst wieder den Weg zu Natur und
Yolk finden muBte. Die schwache. rezeptmdBige Kunst. die
He^nnn'fK^ m f C Q ' S E P id ^e behandelt werde
EntwTk.Ln J"' rand6S Und u S P en g' er fatten die naturliche
fcntwicklung des germanischen Menschen zu storen ver-
sucht. und es muBte Front gemacht werden.
Und warum suchten wir die Berge und die Tiroler Berq-
den 9 dif' 7 ^'J "" d ° rt 9' ei? hgesinnte Menschen fa-
den die m.t der Natur verbunden waren und die die Natur
verstanden. Spater saBen unsere Tiroler Freunde inV Ge-
fangnis des Bundeskanzlers oder flohen nach Deutschland
aber die Tradition lebte weiter u^mana,
^inin rn 7 n diE Wunderwelt d « clpinen Hochgebirges
kennen Zwar waren mir als Bergbauernsohn die Berqe
inna ra er ', V er ^ r 1 ^ d " Ber 9 S ' ei 9 en ist eIn "Yue^d
Profit y, er f. andn '^ischen Mann und Berg entstanden.
P.ofessor Moliere und H. Schwegerle haben es verstanden
uns beizubringen daB eine Kunst, die nicht organisch aus-
£ h WQre 'f^ eS,ehen k6nnte - Bei Klette 9 rfahrten^
Hochgeb.rge der Alpen wurde mir die Lehre Molieres
daB das Knochengerust des Menschen identisch ware mit
den Felsen der Berge, klar. Und ich lernte auch das
Eis als etwas Lebendiges betrachten, und sah, daB die dtinne
Schicht der Vegetation die Felsen umspannte, wie die Haut
den Korper des Menschen. Die Verstandigung mit dem
groBen Naturforscher A. Wegener hat meiner Auffassung
neues Leben gegeben: die Lander sind in Bewegung, sie
leben. .
Urn die Berge meiner Heimat zu kennen, muBte ich die
Alpen kennen lernen und die groBen Manner des neuen
Deutschland.
Kein Wunder, daB diese Wechselwirkung sich erganzt. —
Die isldndische Bergwelt befindet sich heute im selben
Stadium wie die Alpenwelt in den spdtglazialen Zeiten. Fur
mich sind die Berge Lebewesen und jeder hat sein Eigenes.
Gleich den groBen Menschen unserer Zeit, die die Masse
leiten, ragen die Bergriesen aus den Mordnen und haben
die weite Sicht, umwogt von Sturmen und Kampf. GroBe
Menschen, hohe Berge und weite Meere schufen die Richt-
linien des nordischen Menschen und werden alle fremd-
landischen Krankheitserscheinungen uberwinden. Leben
und Kunst miissen organisch sein. Sudostliche Kultur kann
fur uns aus dem Norden als Problem angesehen werden,
aber weder in Kunst noch im Leben angeeignet werden, es
sind zwei Pole.
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153
AN DEN SOLDATEN,
DER KEINEN BRIEF ERHIELT
Du Soldat, der du fur jedes Heim in deinem Lande auf der
Wacht stehst, weit entfernt von deinem eigenen und nur
durch deine Gedanken und deine Sehnsucht damif ver-
bunden . . . vielleicht erhaltst du einen Brief, vielleicht auch
nicht . . . Vielleicht auch hast du kein zu Hause und keinen
Menschen, der dir schreiben kann! Dir, der du keinen Brief
bekommst, der du deinen Weg einsam gehst, ohne GriiBe
aus der Heimat, wenn die anderen, deine Kameraden, sich
uber die ihren freuen, dir schreibe ich . . .
Weshalb schreibe ich gerade dir?
Ich sah einen Film „Die Post kommt zur Front". Du standest
dort und sahst aus, als fuhltest du dich ausgestoBen, uber-
fliissig, du warst der einzige, der keinen Brief erhielt.
Deshalb will ich dir dieses sagen: Von alien, die da kampfen
fur Dein Land, stehst du ihm am nachsten. Die anderen,
die eine Mutter haben, eine Frau, eine Schwester, Tochter
und Sonne, denken sogleich an die ihren, wenn sie sagen:
„Mein Land". Fur dich ist das ganze Land, dein ganzes
Volk Dein ..Nachster". Du stehst ihm naher, als jeder der
andern. Denke daran, wenn die Post mit Briefen fur die
anderen kommt, aber nicht fur dich.
Du bist kein AusgestoBener, du bist ein Auserwahlter.
154
Heinrich Anacker
DIE FINNISCHE VASE
Wir sind noch nie in Finnland gewesen —
Doch mitten in Deutschland ist es geschehn,
DaB wir einmal in Finnlands Seele gelesen
Und tief in seine Wunder gesehn.
Wir kamen beim Schlendern durch ein Stadtchen
Im lieben uckermarkischen Land
Vorbei an einem kleinen Ladchen —
Auf einmal hing unser Blick gebannt
An einer edelgeformten Vase,
Die hinter Scheiben, vom Regen blind,
Inmitten von billigem Alltagsglase
Dastand wie ein heimliches Konigskind.
Aus Finnland war sie . . . Und im Beschauen
Ward manches Gehorte uns offenbar:
Der tausend Seen himmlisches Blauen,
Und der Birkenwdlder wehendes Haar.
Der hohen Gestalten herrliche Glieder;
Der Manner Ringen, der Frauen Gang,
Und der volksverwachsenen Freiheitslieder
Choralhaft schwingender Glockenklang.
So haben wir — ohne auf stolzen Schiffen
Weithin zu fahren ins Nordische Land —
Vor dieser einzigen Vase begriffen
Und tief dies Wissen uns eingebrannt:
DaB immer, wenn noch mit starken Schwingen
Der Geist der Ahnen daruber schwebt,
In eines Volkes Handwerksdingen
Auch seine ganze Seele lebt!
155
/
Marie Hamsun
DEUTSCHLAND
Den ersten unbestimmten Eindruck von der GroBmacht
bekam ein kleines Madchen, als es plotzlich an einem
Kreuzweg ihres Lebens deutsch fur das Mitfelschulexamen
lernen muBfe. Ein alteres Fraulein mif scharfer Lorgnette
begann, mir der - die - und das beizubringen. Dann
folgten alle Regeln und Ausnahmen der Regeln und Aus-
nahmen von den Ausnahmen. Unbeholfen und geniert ver-
tiefte ich mich in die Grammatik, ich glaube ebenso
grundernsthaft, wie ich mich bisher auf dem Hofe da-
heim mit Kuhen und Ziegen befaBt hatte — und noch
heute komme ich darin nicht zu kurz. Nach einiger Zeit
wurde die Lehrerin auf mich aufmerksam — und ich auf
sie. Sie war iiber alle MaBen deutschbegeistert und
erzahlte von ihren Reisen: vom Rhein, den Weinbergen
dem Kolner Dom und „Unter den Linden". Sie machte
ihren Schiilern verstandlich, daB das Urdeutsche die Hohe
und Tiefe des Gemiits, des Wertes sei. Sie lehrte mich,
daB keine Sprache so schon ist wie die deutsche mit
ihren voilen Vokalen, ihrem stimmhaften s und der Musik im
rauschenden Rhythmus der Satze.
Nun, ich bestand diese kleine Prufung und noch eine, aber
dann bekam mein Weg wieder eine Wendung — fort von
aliem, was Grammatik hieB.
Viele Jahre spater verheiratefe ich mich mit einem Mann,
der alies das brauchen konnte, was ich aus meiner Er-
innerung an deutschen Verben und Substantiven, urn nicht
die Adjektive zu erwahnen, ausgraben konnte. Vielleicht
auch meine Mddchenschwdrmerei fur alles Deutsche.
Deutsche aus drei Generationen haben Hamsun gelesen'
in keinem anderen Lande hat er so viele Freunde gefunden'
eine Welt von War me ist ihm von dort entgegengekommen!
Wahrend der letzten dreiBig Jahre war es meine Aufgabe
zu versuchen, sein Dolmetscher gegenuber seiner deut-
schen Lesergemeinde zu sein. Ich bin wahrlich manchem
guten Deutschen Dank schuldig fur die Nachsicht, die er
mir als schwachem Vermittler in der kulturellen Gemein-
schaft erweisen muBfe!
156
Der Traum des Schulmadchens, einmal den Rhein, die
Weinberge, den Kolner Dom und „Unter den Linden" zu
sehen, ging auch in Erfullung.
Das erste Mai gleich nach dem Kriege. Da das Herz sich
zusammenkrampfte und das Auge sich von vielem ab-
wenden muBte.
Dann aber heute! Das Deutschiand Hitlers, wo ein klemer
Mensch aus einem kleinen Lande sich nur zu freuen und
in Demut dankbar zu sein hat fur die Freundschaft und
Bruderlichkeit.
Agnes Miegel
BEGEGNUNGEN MIT NORWEGEN
Es war das erste Bild, an dem ich es unbewuBt lernte, was
Landschaft bedeutet: das Hauptbild einer Zeitschrift, in der
ich, die Fiinfjahrige, mit meiner Mutter „las". Auf einem
hochbeladenen Heukahn glitt da eine andere junge Mutter
iiber ein ganz stilles, spiegelndes Wasser, hinter dessen
griinen Wiesenufern sehr hohe feme Berge ragten. Das
Bild hieB „Fahrt uber den Fjord", und der Maler war ein
junger Mann, der in einem fernen Land wohnte, das Nor-
wegen hieB. Dort gab es solche Teiche aus griinem See-
wasser, ganz schmale und sehr breite, unendlich tief und
klar, und ihre himmelhohen Ufer waren aus grauem Fels-
gestein und trugen doch noch grune Wiesen und lichte
Walder, in denen helles Vieh weidete. Hinter den Fels-
ketten aber bewachten groBe Gletscher diese griinert
Fjorde.
157
Zauberisch hielt mich das Bild gebannt, wahrend meine
Mutter von jenem Land erzahlte, wie schwer das Leben
der Menschen dort ware, aber wie sehr sie das griine
Wasser und die Berge liebten, die freien Felsen, auf denen
noch machtige Geister wohnten.
Lange konnte ich nicht an die Wirklichkeit dieses Landes
Norwegen glauben, bis ich auf sehr irdische Art davon
iiberzeugt wurde: ein Geschaftsfreund meines Voters sandte
ihm ein kleines rundes Tonnchen, auf dem ganz deutlich
„Norge" und „Bergen" standen, und aus dem die delika-
testen Matjesheringe kamen — eine freundliche Gabe, die
sich dann jahreiang in jedem Mittsommer wiederholte.
Das Mahl, das wir dann mit den ersten frischen Kartoffeln
und zimtduftender Braunbierkaltschale hielten, war ganz
anders als sonst ein Heringsessen. Es blieb immer ein
kleines Fest, bei weit offenem Fenster, durch das der su'Be
Duff der Heukahne vom Pregel wehte. Dabei erzahlte der
Vater von der Stadt Bergen, von der „Deutschen Briicke"
dort und den Hansekontoren — nach seiner Art, so behag-
lich-lebendig, dalB wir uns nicht gewundert hatten, wenn
er gesagt haben wurde, daB er dort seine Lehrlingszeit
durch machte.
Immer klarer wurde es mir, daB ich die unsaglich weite
Reise, die ich auf der Landkarte schon genau verfolgt hafte,
einmal unternehmen und Norwegen sehen mu'Bte! Meine
Sehnsucht wuchs, als meine Mutter mir aus dem Buche vor-
las, aus dem sie ihr Wissen und ihre Begeisterung dafiir
gewonnen hatte. Es war ihr erster Roman gewesen, der
halbvergessene „Afraja", und es war neben dem „Kampf
urn Rom" auch mein erster. Ldngst hat sich das einzelne
Geschehen darin verwischt, aber wie die Mutter, bewahrt
auch ich seither eine feste Vorstellung des Nordlandes. DaB
dieser Wunschtraum, einmal Norwegen zu sehen, sich
auch verwirklichen IdBt, lehrte mich meine Danziger Base,
die uns an einem schonen Maitag in Cranz besuchte. Auf
dem sonneniiberflimmerten Wege im Dunenwald erzahlte
sie, vor Erinnerungsfreude gluhend, von der Nordland-
fahrt, die sie und ihr Mann im letzten Sommer unternahmen.
Mit dem scharfen Duft der jungen Erlen, dem Harzgeruch
der kerzenbesteckten Kiefern, mit dem sanften Aufschlagen
der Brandung hinter der weiBen Vordune und dem unauf-
horlichen Vogellied blieb dieser erste Bericht einer deui-
schen Nordlandreise nun fiir immer in meiner Erinnerung
vereint. Auf jenem Dunenweg kommt alles immer noch
wieder: die strahlende Begeisterung der jungen Frau, die
siiBe Klarheit der Luft und die unwiderstehliche Lockung
der Meeresweite und ferner Kuste, der Ruf der See und
des Seewinds, der von jenem Tage an wie Ebbe und Flut
durch meine Seele kreiste.
Aber Friihling urn Fruhling, Jahrzehnt urn Jahrzehnt ver-
gingen, ich kam in manche Feme, aber Norwegen blieb
eine der schonen Landschaften, die in Fruhsommertagen
in den perlmutternen Wolken iiber unserer See stehen und
mit ihnen zerflieBen.
So war ich sacht in das Alter gekommen, wo auch die
kleinste Fahrt in vertraute Nahe schon zu solchem Wunder
wird, daB man kaum noch in die Feme begehrt, als eine
Schenkung von „Kraft durch Freude" mir im vorigen
Sommer eine Fjordfahrt und damit die Erfiillung des un-
vergessenen Wunschtraumes bescherte.
Noch immer konnte ich es nicht glauben, als ich schon
langst auf dem schonen weiBen Schiff mit so vielen froh-
lichen Fahrtgenossen auf der Nordsee schwamm. Als gar
das Skagerrak kam und iiber der flutenden Du'nung so
schwere Erinnerung schattete, uberfiel mich vor dieser
atmenden, dunklen Unendlichkeit die ganze Lebensangst
des Landgeborenen, und ich suchte wie ein Kind die Ge-
borgenheit meines Kabinetts, wo mich die Spritzer am
Bullauge einwiegten, deren Rauschen wie das Wipfel-
brausen des samlandischen Strandwalds klang.
Endlich, noch schlaftrunken, klomm ich die Treppe empor,
angelockt von dem Rufen, Lachen und eiligen Reden oben
und dem lauten, schrill jauchzenden Schreien der Mowen.
Da blieb ich auf der Schwelle zum Deck stehen. So iiber-
waltigend war der plotzliche Blick auf die langgestreckte,
silbergraue Kiiste, die Wind und Wellen uns entgegen-
zutragen schienen! Immer deutlicher waren weit hinausge-
schobene felsige Haken zu erkennen, grunlich schimmerte
die weite hiiglige Ebene daruber, und vereinzelte bunte Hau-
ser waren zu erkennen. Dahinteraber hob sich Felswand an
Felswand, Gebirgszug iiber Gebirgszug, endlose Ketten, aus
deren grauen Kuppen goldenweiBe Schneekare blinkten.
158
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159
Meine Reisegefahrten standen vorn, lachend, heiB vor Gliick
und Erregung, hielten die Gldser vor die Augen, riefen und
deuteten. Ich konnfe nicht mifrufen. Ein Augenblick war's,
wie jener, als ich bei meinem ersten Tauchen in die See
das Ahnenerlebnis des Meeres fiihlte. Einen Atemzug lang
wu(3te ich noch, daB es die Kusfe Norwegens war — aber
dann versank das. Es war die endlich sichtbare, immer er-
sehnte Kiisfe des neuen Landes, die sich vor mir ent-
schleierfe. War Feste, Erde und su'Bes Wasser — aber fiber
all dem Lockung und Abenteuer und noch nie erlebfe
Schonheit, schopfungsjung aus schimmernden Wolken win-
kend! — Die weiBe Saule des Leuchtturms auf der Schare,
das freundliche Gewirr verstreuter Hofe, die er bewachte,'
und das tiefe Griin des Waldstreifens dahinter weckten
mich aus meiner Entrikkung. Aber bis zum Ende der Fahrt
blieb mir ein Nachglanz dieses verwunschenseligen Gefiihls
und beglanzte den Inselsund, durch den wir glitten, die
weiBe StraBe am Ufer, die abendlich leuchtende elnzelne
Birke am Weg und die lichten Walder an den Berglehnen
daruber. Bunt wie Spielzeug standen die sauberen kleinen
Hauser uber ihren winzigen Bootshafen in den Wiesen.
Es zog ein schwerer Abendnebel uber Wasser und Land,
und aus ihm tauchte Bergen, eine schlafende, groBe, fremde'
Stadt mit weiBen Speichern an den Kais, mit schaukelnden
Schiffen und Dampferschloten, aber stumm und unerreich-
bar unserem Leben wie Vineta. Fern uber dunklen Giebeln
hoben sich nephritgrune Turmhelme — eine StraBe ist am
Wasser mit Tau und Ballen, mit Fassern und Wagen, eine
dunkle Halle — es ist eine steile Holzstiege uber der
Schreibstube — ging ich sie nicht einmal herauf in solch
grauer Dammerung, todmude, aber pfeifend vor Lebens-
lust, ein kleiner „Jung", ein Lehrling?
Nacht trank alle Traume auf, und die Morgensonne schien
schon wieder uber graue Felswande. Anders waren sie als
alle Felsen, die ich je gesehen. Keine Nadeln starrten spitz
und drohend in den tiefblauen Himmel, keine Schroffen,
keine scharfen Grate ragten uber den Schriinden. All diese
Felsen, grau, schiefergrau, zuweilen braunlich, zuweilen
schwarzdunkel von versickerndem Wasser und weiB ge-
fleckt von Moos, waren glattgeschliffen von der Urwelt-
wuchtdes lastenden Gletschers, waren rissig, zerschunden
''I'Vv
' v j-
■' . '■<
Pi$f' J , .•-•^■• :: ' l; ')i^''| / i ;
Alfred Mahlau
Fjordlandschafl in Norwegen
160
■?xtm
J*tf*
»'■ - rev r- 4 ^ -. -%Pt-
- ,v^^^
Alf
red Mahlau: K u s le n I an dsch af t in Norwegen _ Landschafl
den Faroern — All e r K rate r. W esl r
m nerinseln (Island)
wie die Faltenhauf ungeheurer Dickhauter. Hin und her
sprang ein Felsenriff steil vor, als woilte es in die ungeheure
Tiefe des Wassers sturzen, dessen Widerschein glasern-
grun auf dem Feisen spiegelfe und die Schwingen der weiBen
Mowen zu unwirkiichem Grun verfarbte.
Aile Schiffssagen der Waterkant, ail unsere alten Lieder
vom Nock und vom Geisterfahrmann wachten in mir auf,
wie wir so dahinglitten. Unirdisch klar war die Luft, und
unirdisch lau und siiB blieb sie bis in die nachgliihende helle
Nacht. Immer gegenwartig blieb die furchtbare Tiefe, die
uns trug, immer drohend die Macht der grauen Feisen,
die sich wie zermalmende Tore vor uns verengten — und
dann plotzlich zuruckwichen. Ein weiter Fjordarm lag
vor uns, schien sich zu wolben wie ein silberner Schild.
Wolkenrand ruhrte schneelichthell an das unertragliche
Glanzen des Gletschers, todesweiB breitete er sich iiber
den Feisen. Wall an Wall, Eisfeld an Eisfeld ragte vor
uns die uneinnehmbare Feste der Riesen in das fahl ver-
dammernde Abendlicht.
Und dieses Land blieb stumm. Stumm blieb die sanfte
Schonheit der buchtartigen WasserstraBen, durch die wir
am nachsten Tag kamen. Kein Laut kam von den grauen
Sennhiitten, von den weiBen Wegen, von den Holzhausern,
den Bootsstegen zu uns heruber. So eng schien der Fjord,
in den wir bogen — aber kein Widerhall unserer frohen
Stimmen kam aus den Waldern, kam von den steinernen
Wanden. Die weiBen Wasser, die an den dunklen Hangen
niederstiirzten — von ihrem Brausen klang kein Laut an
unser Ohr. Schweigen sank auf unser Schiff, das so winzig
wie eine weiBe Muschel auf dem dunkelgrunen Wasser
schwamm.
Aber auf einmal drang durch unser Reden und das Krel-
schen der Mowen, die wie ein Geleit der lebendigen See
uns bis hierher folgten, deutlicher und deutlicher, wenn
auch immer noch weitab und nur wie ein Summen, das
lautende Rauschen eines breit niederbrausenden Staub-
bachs, urn dessen feuchten Rand das Gras iippig und leuch-
tend stand, dessen dichtes Ufergeholz durch den regen-
bogenbunten Dunstschjleier schimmerte. Durch das Brausen
aber klang das helle, jubelnde Rufen einer jungen Stimme,
der hin und her wogende, gruBende Ruf des Gebirglers.
11
161
Zuerst schien er aus dem Wassersturz selbst zu kommen.
Dann aber gewahrfen unsere Augen, die sich an dem steten
Blick auf die Felsen gescharft hatten, das bunte junge M?n-
schenwesen auf der Platte des breiten Felsvorsprungs, win-
zig klein, und doch auf einmal alles mit seinem Leben,
seinem lebendigen Ruf erfiillend.
Dann, gegen Abend — als ware dies schon ein freundliches
Vorzeichen gewesen — weitete sich die Wasserfldche,
wichen die Felsen hinter lieblich grunen Ufern zuriick. Erst
still und glatt, dann silbern flimmernd, zuletzt zu goldener
Stille sich wandelnd, breiteten sich die weiten Fjorde. Wie
in den Seenketten unserer Heimat sprangen die hugeligen
Landzungen weit vor, mit baumumstandenen Bauernhofen
und kleinen, weiBen Dorfkirchen, mit grunen Hangen voll
alter Obstbaume, mit sanften Weidewiesen und weit-
geschwungenen, erntegoldenen Felderstreifen. Weitab,
nicht mehr drohend, nur schirmend ragten abendblaue
Felswande auf, und Bergbach und Firnwind trugen die
frische Ku'hle des Gletschers, trugen den su'Ben Heuduft
des vorbeigleitenden Kahns bis zu uns her.
kh lehnte an der Reling, ich sah und sah. Seltsam ver-
traut war alles. Mir war, als mu'Bfe ich dem Kahn zurufen,
daB er mich mitnahme zu dem weiBen gastlichen Haus in
dem alten Garten am Ufer, dort, wo jetzt der Wimpel
hochging, unser Schiff zu griiBen. Wie einer, der nach
Sanger Wanderschaft und groBer Fahrt heimkehrt, wollte
ich auf den Bootssteg springen, der von unserer auslaufen-
den Welle bebte, wollte vor die ehrwurdige hohe Gestalt
freten, die dort stand und uns winkte, so wie man dort
winkt, mit weit gebreiteten, erhobenen Armen.
Abendsonne schien auf die hohe, helle Greisengestalf,
Abendwind hob das Haar, das so weiB war wie Gletscher-
schnee.
Eine Stimme neben mir nannte leise einen Namen, und
es war derselbe, den ich als Kind gehort vor dem Bild
dieses Fjords, aus dem mich zuerst, zauberisch bannend fur
ein langes Leben, dieses Land anblickte, das mich nun durch
ihn, seinen Maler, gru'Bte!
Kurt Atterberg
DEUTSCHLAND
UND DIE MUSIK DES NORDENS
Es ist schwer, in diesen Tagen etwas iiber Erlebnisse und
Erfahrungen zu denken oder zu erzahlen, ohne daB die
Gedanken zu den Zeiten des vorigen Weltbrandes zuruck-
laufen. Besonders ist dies fur mich der Fall, wenn es sich
urn Musik und Deutschland handelt. Und wenn ich etwas
iiber meine personlichen Erfahrungen, wie die Musik
anderer Nationen in Deutschland empfangen wird,
schreiben will, ist es nicht zu vermeiden, daB ich mit Ein-
drucken von der genannten Zeit anfange.
Im Jahre 1912 trat ich in Schweden vor die Offentlichkeit
mit meiner Ersten Symphonie und das Werk kam nachher
im Sommer 1913 auf das Programm eines schwedischen
Musikfestes in Stuttgart.
Bei dieser Gelegenheit versprach mir Max von Schillings,
der die Symphonie leitete, daB ich in der kommenden
Winterspielzeit seinen Nibelungenproben und -Auffuhrun-
gen beiwohnen durfte. So geschah es — das waren meine
..Studien" bei ihm — und dabei lernte ich Siegmund von
Hausegger kennen, der auf Veranlassung von v. Schillings
sich fur meine Zweite Symphonie interessierte, die schon
Im Sommer 1913 von Prof. Corbach in Sondershausen in
einem Konzert uraufgefuhrt worden war. — Schon das
alles macht es wohl begreiflich, daB meine Gedanken gern
zu diesen Zeiten zuruckgehen, wenn ich uberhaupt an die
Aufnahme „auslandischer" Musik in Deutschland denken
will.
Allerdings, der Krieg brach aus, und erst im November
1915 kam v. Hausegger dazu, meine Zweite Symphonie in
Hamburg aufzufiihren.
Was ich bei dieser Gelegenheit erlebte, war freilich fur
mich personlich unvergeBlich, aber nach den Erfahrungen,
die ich spater in Deutschland uber die Aufnahme von Kunst-
lern und Musik vor anderen, besonders der Lander des
Nordens erfahren habe, kann ich nur das damals Erlebte
als etwas Typisches fur die aufrichtigeFreude der Deutschen
162
n*
163
an der Musik auffassen, und auch als ein Beispiel jener un-
gehemmten Herzlichkeit, die die Deutschen zu zeigen bereif
sind, wenn man zu ihnen in Tonen oder mit Tonen spricht.
Konzertbesprechungen konnen recht oft ziemlich zweifel-
hafte Dinge sein — seien die Kritlken gut oder schlecht.
Aber ich behalte trotzdem eine Wendung iiber jene Auf-
fuhrung meiner Zweiten Symphonie, die a\n 9. November
1915 in der ,,Neuen Hamburger Zeitung' A zu lesen war,
mit Vorliebe in Erinnerung. Der Krifiker schrieb am SchluB
seiner Besprechung: ,,lmmer wieder muBte der Komponist,
der uns in schwerer Zeit durch Melodienstrom, Klang-
schonheit und Mdrchenzauber gleichsam in eine andere
Welt versetzt hatte, hervortreten." In jener schweren
Kriegszeit bin ich bei dieser Gelegenheit in Hamburg nur
Freundlichkeit und Interesse begegnet: von dem genial
dirigierenden von Hausegger, von den Orchestermusikern,
von Privatleuten. Und in der erwahnten Krltik findet man
die einfache Erklarung dazu: die Deutschen sind ein Volk,
das durch Musik hingerissen werden kann, und das sich
von der Musik hinreiBen laBt, seien die Zeiten noch so
schwer!
Diese Erfahrungen fand ich dann bestatigf, als ich spflfer
Gelegenheit hatte, das PhilharmonischeOrchester in Berlin
zu dirigieren: In derfinsteren Zeit Anfang 1919. Immer war
derselbe Geist zu finden.
Freilich weiB ich aus der Musikgeschichte, daB die Deutschen
einen Msister wie Berlioz ..entdeckt" haben, ehe er noch
in seiner Heimat anerkannt wurde. Auch viele andere
ahnliche Tatsachen konnen wohl zeigen, daB die Deut-
schen eine ganz besondere Fahigkeit besitzen, Musik aller
Volker zu verstehen, zu erfassen — das heiBt kurz und
gut: zu lieben. Nicht desto weniger glaube ich nach
meinen Erfahrungen, daB es in Deutschland ein ganz be-
sonderes Verstandnis fur die Musik des Nordens gibt.
Ich habe personliche Erfahrungen, daB dies noch im Jahre
1921, 1923 der Fall war. Dann kam freilich eine Zeit bis
etwa 1933—34, da die nordischen Tone wegen ihrer zu
groBen Einfachheit und Problemfreiheit, wenn nicht gerade
abgelehnt, so doch mit keinem besonderen Interesse auf-
genommen wurden. Es war in Jener schwarzen Zeit der
164
Musikgeschichte, da man versuchte - wie meistens in der
Welt - Musikgeschafte in groBem Stil mit Hilfe von allerlei
Reklamemitteln, Musik-Mode-Clicheen usw. machen zu
konnen - Versuche, die aber an der gesunden Musik-
empfindung des Publikums glucklicherweise allmanlich
scheiterten. Nach jener Zeit des Experimentierens erkenne
ich wieder das alte, echte und wahre Musikantengesicht
Deutschlands. - Dazu ist allerdings in den letzteren Zeiten
etwas Naues gekommen, dem ich jetzt einigeWorte wid-
men will. _
ich nannte oben das Jahr 1933, und das lenkte meine Ge-
danken an das Florentinische Musikfest ..Maggio Musicale
jenes Jahres. dem ich als staatlicher Reprasentant fur
Schweden beiwohnte. Eines Tages traf ich auf dem Markt
vor dem Palazzo Vecchio Meister Richard StrauB, der
interessante Sachen erzahite. Er hatte eben mit den
italienischen Komponistkollegen Plane geschmiedet und
daraus entstand im nachsten Jahr (1934) bei dem Musik-
fest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins der so ge-
nannte ..Standige Rat fur die Internationale Zusammen-
arbeit der Komponlsten". Dieser Rat sollte fur die idealen
Rechte der Komponisten wirken, aber auch Musikfeste ver-
anstalten, bei denen hauptsachlich solcheWerke zu Gehor
gebrachf werden sollten, die Aussicht hatten, bei dem
qroBen - naturlicherweise kultivierten - Musikpublikum
Verstdndnis finden zu konnen. Es foljten dann Musikfeste
in Venedig, Vichy, Stockholm, Brussel, aber allein in
Deutschland ebenso viele: Hamburg, Dresden, Stuttgart,
Frankfurt a. M. Schon bei dem ersten Fest in Deutschland
in Hamburg 1935, habe ich deutiich das alte Musikanten-
Deutschland von fruher wieder erkannt. AuBerdem habe
Ich uberall bei diesen Festen, ich konnte fast sagen, em
Wettstreben bemerkt, nicht nur derMusik aller Lander von
deutscher Seite das denkbar herzlichste ..Willkommen
zu bereiten und zu zeigen, sondern auch eine fast un-
beschreibbare Gastfreundschaft den auslandischen Repra-
sentanten gegeniiber. Ich glaube ich tausche mich nicht,
wenn ich erklare, daB ich bei diesen Festen den Eindruck
bekommen habe, daB die Musik des Nordens mit einer
ganz auffallenden Warme empfangen wurde. „Wir Aus-
lander" hoffen nur, daB wir bald In einer wurdigen Weise
165
Gegenleistungen fur diese deufsche Gasffreundschaft —
kiinstlerische wie personliche — bringen konnen, und es
freut mich als Nordlander ganz besonders zu wissen, daB
weitere Feste gerade in den drei anderen skandinavischen
Landern — Schweden war schon an der Reihe — vor-
gesehen worden waren. Mogen sie nur zustande kommen
konnen! .
!ch weiB wohl, daB Deutschland in anderem Rahmen ver-
schiedentlich in ahnlicher Weise offene'Turen und Herzen
fur die auslandische Tonkunst gezeigt hat — z. B. in
Baden-Baden. Aber da ich mich zu meinen eigenenEr-
fahrungen halten will, komme ich zum SchluB ietzt —
gerade zu Lubeck!
Schon in jenem Jahr 1935, als das erste Musikfest des
Standigen Rates in Deutschland stattfand, war gerade
Lubeck bereit, die Musik des Nordens mit offenen Armen
aufzunehmen. Es war bei einem hervorragenden Musik-
fest zur Sonnenwendfeier. Ein unvergeBliches Erlebnis fur
uns Nordlander, die mitmachen durften, ein unvergeBliches
Erlebnis fur alle Anwesenden, nicht zuletzt durch das Mit-
wirken der Berliner Philharmoniker unter Furtwangler!
Es ist nicht zu leugnen — wir brauchen es nicht und wollen
es gar nicht — daB die Musik des Nordens und das Musik-
leben des Nordens auf deutschem Grund aufgebaut ist,
und immerfort darauf ruht. Brauche ich zu sagen, daB
die deutschen GroBmeister den wesentlichsten Bestandteil
aller Konzertpldne im Norden bilden? Aber in der Musik
wie im menschlichen Leben: es ist nicht ausreichend, daB
die Kinder ihre Mutter lieben und wiirdigen, es ist auch
wohltuend fur die Kinder, daB sie als Erwachsene von der
Mutter Anerkennung bekommen und bei Gelegenheif gast-
freundlich empfangen werden. Das ist ja auch in reichem
Umfange geschehen, und wir Kinder freuen uns, nicht
am wenigsten, wenn wir mit einem biBchen Mutterstolz
rechnen konnen.
Martin Luserke
ZWEI iNSELN
ODER
WIE MISTER HOBRI DANEMARK
ENTDECKTE
zusammengestellt aus Logbucheintragungen
Personen dieser Handlung:
Das gute Schiff „Krake" DGJC, eine alte breitbauchige kleine Tjalk,
gebeizt vom Wind und Spritzwasser jahrelanger Fahrten an alien Nord-
und Ostseekusten von Holland bis Memel; der Kiabautermann heifit
Obadjah.
Der Kapt'n, der Schriftsteller selber, unterwegs hinter die Geheimnisse
der See.
Willms, ein junger Dampfermatrose, zugleich die gesamte iibrige Be-
satzung.
Drei Bordgaste: 1. Dieter, der Sohn des Kapt'n, zurzeit Leichtmatrose
auf Urlaub im schwimmenden Vaterhaus; 2. Sturmann, ein Wasser-,
Wind- und Nordlandsfanatiker weiblichen Geschlechts, auf Abschieds-
besuch vor der Obersiedlung nach Island; 3. ein longer, mitttldeutscher
und wifibegieriger Akademiker auf seiner ersten Seereise; an Bord
Hornbrillentrager und von Willms Mister Hobri getauft.
23. Juni 1936
Der ganze Tag war schwachwindig, dunstig und gewitter-
schwiJl. Gegen 15 h trieben wir bei heiBer Sonne und
Flaute langsam den GroBen Belt mit der Stromung nach
Norden hinauf. Faulheit und gelassene Gesprache an Deck.
Leitmotiv: Wieviel besser ist's hier als im Hafen oder gar
in den Stadten. Mister H. ist aber scharf auf Kopenhagen,
weil er Danemark kennen lernen will. Als wenn in dieser
hundertfaltig verzweigten Welt von WasserstraBen und
Inselkusten nicht auch schon wesentlich mehr vorlage als
eine Sonntagnachmittag-Ausfluggegend der Danen. So ein
netter Kerl, und doch schon so tief zersetzt von der M^inung:
der M^nsch habe zu arbeiten und die Natur sei bloB die
Apotheke! Obadjah wird ihn schon kurieren.
19 h. Die Welt ist zu einem perlmutferfarbenen Dunst-
gehause geworden. Im Osten ist eine Stangentonne auf-
getaucht, und wo die Kiiste von Laaland schwach hinge-
166
167
fuschf iiegf, zeigt das Gias eine gewundene Allee von
Pricken auf dem Wasser. Nach der Karte wird die Ein-
fahrt von Onse Wiek festgestellf. In diesem alten Unter-
schlupfhafen war „Krake" noch nich», also Motor an!
20 h 30. Der Anker isf in der kleinen, von Waldhugeln urn-
schlossenen Bucht gefallen. Das ist ja das richtige See-
rauber-Absteigequartier; zwei groBe schwarze Kiisten-
fahrer und eine Yacht liegen schon zum Ubernachten auf
der Reede. Die winzige Anlegebrucke fur Fischerboote
storf den Eindruck urwikhsiger Einsamkeit kaum. Unter
dem glasklaren Wasser ist der Seeboden eine einzige Tang-
wiese, in der unser Anker geheimnisvoll verschwand. Wah-
rend sich ein dusterbunter Sonnenuntergang vorbereitet,
pullt die Mannschaft an Land. Sturmann und der Binnen-
lander haben naturlich sofort auch geschwommen. Wir
Seeleute genieBen die friedevolle Natur auch ohne weitere
Umstande.
Mitternacht. Am Strand und auf fernen Hohen brennen
Sonnenwendfeuer. Man fuhlt sich sehr weit weg von
Deufschland, wo sie jetzt auch brennen. Die Nacht ist
feierlich verhangf mit leichten Dunstschleiern, Die vier
Ankerlampen hangen auf der Reede wie in einer Biihnen-
dekoration. Hoch oben glimmt rotlich ein einzelner groBer
Stern. Im Norden aber steht schon wieder die erste bleiche
Morgendammerung am Himmel. Eigentlich sollte Mister
Hcbri aus erzieherischen Gru'nden Ankerwache gehen, aber
das hdtte ihn ja nur darin bestarkt, daB Danemark heute
nur noch ein Andersen-Mdrchen ist. Er versteht den Norden
nichf, der sich ihm ganz auf eine friedliche und bekomm-
lichc Exisfenz zuriickgezogen zu haben scheint — Dane-
mark, das einst Gluckstadt an der Elbe als seine Vorburg
griindefe und ein Partner im groBen Spiel der europaischen
Machte war — , dessen Wikinger einst Hamburg verbrann-
ten und vor Paris sturmten, und das diese Zeiten heute als
seine Flegeljahre zu belacheln scheint — nun, wie weit
Zeitung und Zeitungsmeinungen das Wesentliche von der
Beschaffenheit der Volker wiedergeben, kann ja wohl nur
erlebt werden. Gerade beginnt das Schiff leise zu schwan-
ken. Von Westen her ist Diinung in die Bucht gekommen.
Es muB drauBen angefangen haben zu wehen. Vielleicht
schickt Obadjah sich jetzt schon an, fur den Fahrgast, der
ihn geargert hat, eine kleine Entdeckung von Danemark
vorzubereiten.
24. Juni 1936
4 h 30. WNW blast in die Bucht. Die Luft riecht kuhl, alles
rauscht und schwankt. Wir gehen gleich ankerauf und mit
dem Motor aus der Bucht, drauBen wird dann Segel ge-
setzt ins Smaaland-Fahrwasser hinein!
6 h 30. In diesem flachen Wasser kommf sofort grober See-
gang auf. ,,Krake" wurde gehorig umhergeworfen. In
Katp'ns Kajiite begann das Bilgenwasser lieblich durch die
FuBbodenritzen zu springen. Wir Manner haben die Klappe
aufgewurgt und dreiBig Eimer mit der Hand geschopft und
nach oben iiber Bord gegeben. Mister H. lief g runiich an
bei der Arbeit unten, aber oben konnte er es schaffen.
Sturmann sang begeistert im Ruderhaus — so macht sich
das Wikingertum aus der Nahe, Mister Hobri!
8 h 10 fa lit der Anker vor Vejro, der kleinen einsamen
Leuchtturminsel. In ihrem Windschutz ist das Wasser
spiegelglatt, und wir schweben wie eine Luftgondel iiber
dem Sand zwei Meter unter uns. Die insel liegt seltsam
stumm unter dem dusterblauen Himmel. Hinter dem schma-
len Gerollstrand Ist das Innere dicht bewachsen, wenlge
Hauser, wenige scheue Manschen, selbst die Hunde ver-
kriechen sich scheu, wenn man kommt. Die einzlgen An-
zeichen der Zivilisation sind die Telephonmasten, an einem
Haus ein Briefbehdlter und der Leuchtturm auf dem Hiigel.
Mister Hobri ist doch stark beeindruckt davon, was eine
Insel sein kann. Die Natur ist immerhin mdchtiger, als daB
der Mensch sie uberall und jederzeit zu einem Idyll ein-
fangen konnte . . .
Mittags. Nach der Inselerforschung hat die Crew noch ge-
badet, und das Mittagessen war groB. Wir segeln jetzt mit
leichtem Wiind auf den Durchgang zwischen Seeland und
Falster zu. \
15 h 30. Det^Kapt'n ist vom Mittagsschlaf erwacht, denn
das Schiff wiegt sich jetzt. AuBenbords rauscht es kraftvoll
an der Koje vorbei, und der Mast seufzt und knarrt. Raus
an Deck — da zieht die alte „Krake" in einer fast allzu
goldenen Sonne unter alien drei Segeln mit brausender
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169
Fahrt iiber fiefblaue See. Die Backbordwache ist sfolz, die
Sfeuerbordwache kocht den Anerkennungskaffee. Stunde
urn Stunde tauchen immer wieder neue Inselkusten iiber die
Kimm, und grune Eilande strecken sich im Sonnenschein
langsam vorbei. Allerdings ist diese Sicht schon uberklar,
und das Barometer fallt. Es wird wohl bald rauheres
Wetter geben. Durchs Gias sehen wir in der Feme schon
die im Bau befindliche riesige Storstrambriicke.
18 h. Eilige Eintragung. Obadjah sorgt tatsachlich fur ein
schones Gewalterlebnis. Der Wind hat bei dauerndem
Sonnenschein stark aufgefrischt, und eine klotzige See
drangt sich mit uns zugleich durch die enge WasserstraBe
des Masnedsundes. „Krake" steigt gewaitig vom achter-
lichen Wind geschoben auf und nieder — wieder mal Kran-
kenbett auf Urlaub. Mister Hobri hat seinen Tribut bezahlt
und halt sich jetzt tapfer — jawohl auch diese See iiberail
vor der Tur, das ist Danemark, und es gibt Dinge, von
denen die Volkerseelen starker geformt werden als von den
Meinungen in den verganglichen Einzelkopfen . . .
19 h 50. Wir liegen plotzlich wieder geborgen wie auf
einem Teich im Windschutz der kleinen Flachinsel Faro
auf zwei Meter Wasser iiber dichtbewachsenem Grund mit
Steinen. Auch Mister Hobri eiit es gar nicht mehr, nach
Kopenhagen zu kommen; urn dieses Land kennen zu
lernen, muB man die Seefahrf treiben wie in den alten
Zeiten: kommt der Abend, so sucht man sich einen ge-
schutzten Ankerplatz, und so etwas ist bei jeder Wind-
richtung leicht zu finden. Danemark hat sechshundert
eigentliche Inseln, dazu noch die vielen unbewohnten
Holme, oft „Kalber" der Inseln genannt. Faro ist eine der
flachen Lehminseln iiber flacher See. Der Wasserspiegel
brauchte sich nur urn wenige Meter Hohe zu andern, und
die ganze Landkarte von Danemark sdhe vollig anders aus.
Uber die Insel weg saust der Wind hohl und riittelt an
unserm Takelwerk. Das Wasser aber ist still.
22 h. Diesig verhangtes Abenddunkel. Das Wetter ver-
schlechfert sich; „Krake" ruckelt leise vor der Ankerkette.
Die Crew ist mit dem Boot nach der Insel unterwegs. Es
ist so ku'hl geworden, daB man sich mit GenuB das Woll-
zeug uber den Leib zog.
170
Donnerstag, den 25. Juni
Sturm und Regen! Unter dem vielgestaltigen ziehenden
Gewclk liegen auBer den hohen Waldufern von Seeland
noch sieben Inseln urn uns her. Im Binnenland konnte man
naturlich auch jederzeit acht umliegende Ortschaften auf-
zahlen. Aber Inseln sind doch mehr als nur eine gea-
graphische Tatsache . . .
11 h. Sturmann war allein mit dem Boot an Land, wo
wir im Gebiisch zwei Hofe sahen. Und nun hat sich auf
dieser Insel plotzlich auch eine Beriihrung mit den Leuten
ergeben. Sturmann ist unsere Sprachenkundige. Auf dem
einen Hof haben die Bauern elf, auf dem andern zehn
Kinder. Auf dem Elferhof ist ein Schulzimmer und eine
Lehrerin, die etwas deutsch kann. Heute abend nach der
Feldarbeit sollen wir zu den Bauern kommen. Selbstver-
standlich laden wir soforf die Hofleute, wie es sich an den
Kusten schickt, vorher zum Kaffee zu uns.
18 h. Das Wetter hat aufgeklart, und in der Sonne ist der
Bauer mit seiner Frau und der Lehrerin in seinem Boot an
Bord gekommen. Wir haben uns angeregt in einem zu
diesem Zweck rasch erfundenen Faro-Dialekt aus danisch-
deutsch-norwegisch-englisch und vielZeichensprache unter-
halten.
21 h 35. Eben sind wir alle fiinf in unserm kleinen Beibool
vom Landbesuch wieder zuruckgekehrt. Auch Mister Hobri
weiB jetzt, daB man diese Nordleute auf ihren Hofen und
nicht in den Stadten kennen lernen muB.
Wir haben einen zweihundertjahrigen Inselhof gesehen,
eigentlich noch ganz in der uralten nordgermanischen Art
gebaut, und der Empfang war wie unter Leuten eines Blutes.
In der Schulstube hatte die Lehrerin einen Danebrog und
eine Hakenkreuzflagge nebeneinander auf die Tafel ge-
malt, und das,Woher und Wohin wurde auf der Schulkarte
festgestellt. Frteimutige, ihrer selbst sichere Menschen waren
das dort — „l\ander" sind fur diese Leute freilich kaum ein
politischer Beg>iff. Der Anblick der gesundheitstrotzenden
Kinderschar, eins immer blonder als das andere, und die
ganze gelassene, klug bedachtige Art waren genau dasselbe
Erlebnis wie bei uns in den Bauerngegenden. Nur daB alle
diese Dinge Mister Hobri, dem netten Kerl aus der Stadt,
171
hier in der Geschlossenheit einer Inselsiedlung als eine fast
iiberwdlfigend dichte Wirklichkeit erscheinen. Nun wir
andern wuBten es ja. Einen Tag werden wir selbstverstand-
iich, wie es die Schicklichkeit an der Ku'ste verlangt, noch
hierbleiben. Und dann konnen wir jetzt auch ruhig Kurs
auf Kopenhagen setzen.
Gerhard Schumann
KOPENHAGEN
Sfrahlende Konigin, am stolzen Gestade der Ostsee
Ruhst du, im trdumenden Blick Weite aus Himmel und Meer.
Sudliche Anmut beglanzt die edlen uppigen Glieder.
Urn das sinnende Haupt dunkelt dir nordlicher Ernst.
N. O. Roasted
BEDEUTUNG EINER BEGEGNUNG
FOR DANISCHE UND DEUTSCHE MUSIK
Wirft man einen Stein ins Wasser, so bilden sich bekannt-
lich Ringe, und es ist erstaunlich, wie weit diese Ringe sich
ausbreiten konnen. Die scheinbar kleine Ursache kann un-
erwartet groBe Wirkungen haben.
Ein solcher Stein wurde am 10. Februar 1913 ins Wasser
geworfen, und die Wirkung ist noch heute spurbar. Aber
ich will mit dem Anfang beginnen.
Nachdem ich das Kgl. danische Musikkonservatorium in
Kopenhagen besucht und mein Organistenexamen im De-
zember 1912 bestanden hatte, fuhrte das Schicksal mich
nach Wiesbaden, wo ich am Spangenbergschen Musik-
konservatorium als Lehrer fiir Klavier und Theorie ange-
stellt wurde. Als Prufungsaufgabe bei dem erwahnten Orga-
nisten-Examen hatte ich eine , .Suite in altem Stil" fiir Streich-
orchester geschrieben, die ich einem deutschen Freunde,
der mich wahrend des Sommers in Danemark besuchte,
zeigen konnte, und durch seine Vermittlung wurde die
Arbeit zur Auffuhrung im Musikverein in Zwickau Anfang
Februar 1913 angenommen. Mit den bescheidenen Mitteln,
die mir zu diesem Zeitpunkt zur Verfugung standen, war
es mehr als zweifelhaft, ob ich mir erlauben konnte, die
teure Reise von Wiesbaden nach Zwickau zu machen, urn
meine Arbeit zu horen, aber ich entschloB mich doch dazu
und erlebte die groBe Freude, daB die Auffuhrung so aus-
gezeichnet verlief, daB sie eine groBe Ermunterung fur mich
bedeutete, und zu meiner groBen Uberraschung erbot sich
der Vorsitzende der Musikvereinigung, meine Reiseaus-
gaben zu bestreiten. (Ich erzahle alle diese Einzelheiten,
da sie im Zusammenhang ein merkwiirdiges Bild davon
ergeben, wie auffallend eine Reihe scheinbar unabhangiger
kleiner Begebenheiten alle in die gleiche Richtung wiesen,
so daB der Gedanke sich vordrangt, daB es sich urn etwas
handelte, das zweifellos geschehen muBte.) Es war mir
daher moglich, auf der Heimreise von Zwickau uber Leip-
zig zu fahren, eine Stadt, die ich noch nie besucht hatte, aber
172
173
die immer eine besondere Anziehungskraff als die Wir-
kungsstatfe von Johan Sebastian Bach auf mich ausgeiibf
hatte. Ich fuhr sehr friih aus Zwickau ab und erinnere,
daB ich, um den Zug zu erreichen, den Morgentee streichen
muBte und daher in Leipzig mit leerem Magen ankam, so
daB ich am iiebsten sogleich in eine Gastsfatte gestiirzt ware,
um meinen Hunger zu stillen. jedoch: als ich vor dem Leip-
ziger Bahnhof stand, war der alles uberschattende Ge-
danke, zuerst zur Thomaskirche zu gehen, fur mich Leip-
zigs Heiligtum. Auf dem Wege zur Kirche war die Ver-
suchung, zuerst etwas zu essen, mehrere Male groB, aber
jedes Mai siegte der Idealismus, und ich setzte meinen Weg
zur Thomaskirche fort, und endlich stand ich vor dem ehr-
wiirdigen Gebaude, ganz erfiillt von Ehrfurcht und Er-
griffenheit. Ich erinnere, daB ich daran dachfe, es wurde
gunstiger gewesen sein, wenn es eine katholische Kirche
gewesen ware, die geoffnet haben wurde. Jedoch dachte
ich daruber nach, daB die Kirche doch vielleicht offen sei,
und ich ging erst zu der einen Tiir, die verschlossen war,
dann zu einer zweiten — dasselbe Ergebnis — und schlieB-
lich zu einer dritten, die offen stand. Ich ging hinein und
setzte mich andachtig in die Kirche, ganz erfullt von dem
Gedanken, daB ich hier in dem Raum saB, in dem Bach
bis zu seinem Tode gewirkt hatte. Plotzlich entdeckte ich
eine Gestalt oben an der Orgel, und sogleich kam mir der
Gedanke, daB ich vielleicht die Orgel sehen konnte und
vielleicht auch darauf spielen diirfte. Ich fand den Weg
nach oben und traf einen jungen Englander, Quentin
Morvaren, der ein Schiiler von KarlStraubewar und
diesen gerade zur Unterrichtsstunde erwartete. Ich wartete
zusammen mit Morvaren und stand einige Zeit spater dem
Manne gegenuber, der einen so groBen EinfluB auf mein
Leben bekommen sollte. Ich erhielt nicht nur die Erlaubnis,
der Stunde beizuwohnen, sondern auch auf der Orgel zu
spielen, mit dem Ergebnis, daB Straube mich aufforderte,
zu Beginn des April-Semesters nach Leipzig zu kommen, um
unter seiner Leitung zu studieren. Das Ganze war wie ein
Traum. Ich reiste zuriick nach Wiesbaden, wo man mich mit
verstdndnisvoller Bereitwilligkeit meinen Verpflichtungen
enthob, so daB ich im April meine Studien bei Karl Straube
beginnen konnte, dessen Name als groBter Orgelkiinstler
174
seiner Zeit in der ganzen Welt bekannt war. Eine Reihe
Einzelheiten, die zusammenkamen, hatten dieses Zusam-
mentreffen ermoglicht: Ware meine Suite nicht in Zwickau
gespielt worden, dann ware ich nicht nach Leipzig ge-
kommen. Hatte man mir nicht freundlichst meine Reise-
unkosten zur Verfugung gestellt, hatte ich auch nicht iiber
Leipzig fahren konnen. Hatte ich der Versuchung nicht
widerstanden und zunachst mein korperliches Verlangen
gestillt, als ich nach Leipzig kam, ware ich erst spater zur
Thomaskirche gekommen. Hatte ich, nachdem ich mich
davon uberzeugt hatte, daB zwei Turen der Kirche ge-
schlossen waren, aufgegeben, hineinzukommen, dann hatte
ich nicht Straube getroffen, und hatte der Zufall nicht
Morvarens Stunde auf diesen Zeitpunkt gelegt — es handelte
sich um eine Unterrichtsstunde, die verschoben war — ,
hatten Straube und ich uns nicht getroffen. Wie man sieht:
eine lange Reihe scheinbarer Zufdlle, die dazu beitragen,
eine personliche Verbindung zu kniipfen, die von so auBer-
ordentlich groBer Bedeutung werden sollte nicht nur fur
mich, sondern fur das danisch-deutsche Musikleben und die
Beziehungen auf musikalischem Gebiet, die durch die fol-
genden Jahre die beiden Volker naher zusammengefuhrf
haben.
Die Studienzeit bei Straube, gleichzeitig mit Kompositions-
studien bei Max Reger, bildeten namlich die Grundlage
fur eine gute und fruchtbare Freundschaft, die dauernde
Spuren hinterlassen sollte. Der erste Erfolg waren in erster
Linie mehrere Konzertreisen, die Straube nach Danemark
fiihrten, spater folgte dann ein Organistenkursus, den
Straube in Kopenhagen abhielt und der entscheidenden Ein-
fluB auf eine ganze Generation junger Orgelspieler hatte —
Bedeutung sowohl in Form von Anerkennung oder Ab-
lehnung der Ideen, die Straube verfocht, neue Gedanken
tauchten auf, kurz, es kam eine fruchtbare Zeit fur die
ddnische Orgelkunst. Spater folgten diesen Anregungen
neue auf dem Gebiet, das Straube sich in der Zwischenzeit
gewahlt hatte, als er als Leiter des Thomanerchors wieder
Danemark besuchte und durch eine Reihe hervorragender
Konzerte, durch die man in Danemark den beruhmtesten
und altesten Chor der Welt kennenlernte, Botschaft brachte
von einer hochentwickelten Chorkultur, die direkt eine
175
Institution entsfehen lieB, die nun mif das bedeutendste Glied
danischen Kirchenmusiklebens ist: der Kopenhagener
Knabenchor*, der auch auBerhalb der Landesgrenzen sich
als bedeutender Faktor behaupten konnte.
Die Studienzeit in Leipzig brachte mich auBerdem in
direkte oder indirekte Verbindung mit einer groBen Zahl
deutscher Musiker, die in ihrer weiteren Entwicklung von
unendlicher Bedeutung sein sollten fur die Starkung der
fordernden Beziehungen auf musikalischem Gebiet, die die
danisch-deutsche kulturelle Zusammenarbeit durch Jahr-
hunderte hindurch aufweisen konnte. Ich erwahne hier
nur: Gunther Ramin, der als Orgei- und Cembalospieler,
ein einzelnes Mai auch als Chorleiter, eine groBe Reihe
von Konzerten in Danemark gegeben hat, Fritz Heit-
mann, Erwin Zillinger, Hans Heintze, Kate von Tricht,
um nur einige hervorragende Orgelspieler zu nennen, die
uns auf meine Initiative besucht haben. Auf vokalem Ge-
biet seien erwahnf Kiinstler wie Emmi Leisner, Marta Adam,
Gosta Hammer und der unermiidliche Heifer unserer
Bachpflege: Georg A. Walter. Richard Liesche mit seinem
herrlichen Bremer Domchor, Rudolph Mauersberger mit
seinem nicht weniger hervorragenden Dresdner Kreuzchor,
Georg Schumann mit der ehrwiirdigen Berliner Sing*
akademie und viele, viele andere, die mit ihren ausge-
zeichneten Darbietungen Kunde von Deutschlands hoher
Musikkultur brachten.
Anregungen aus meiner Leipziger Studienzeit kann es auch
zugeschrieben werden, daB ich im Jahre 1925 den Bach-
verein in Kopenhagen grunden konnte, eine Stafte der
Pflege nicht nur Bachscher Musik, sondern ouch seiner Vor-
ganger und der Zeitgenossen, die in Verbindung mit Joh.
Seb. Bach gestanden haben. Auch hier haben deutsche
Musiker auBerordenilich wertvolle Hilfe zur Verwirk-
lichung der Ideale geleistet, die Ausdruck fanden in der
Grundung des Vereins.
Aber nicht nur durch Konzerttatigkeit deutscher Kunstler
hier in Danemark sind die Bande fester gekniipft worden.
* Im Jahre 1937 veranstaltete die Nordische Gesellschaft in Liibeck und
Hamburg Konzerte dieses Chores unter der Leitung seines Dirigenten
Mogens Woldike (Anmerkung des Herausgebers).
176
Unsere deutschen Freunde haben auBerdem einen bedeu-
fenden positiven Einsatz zur Forderung des gegenseitigen
Kennenlernens des musikalischen Schaffens unserer Volker
geleistet, indem sie danische Musik in Deufschland zur Auf-
fiihrung brachten und danische Musiker aufforderten, bei
Konzerten in Deutschland mitzuwirken.
Sowohl das danische als auch das deutsche Musikleben
werden jederzeit eln positives Interesse daran haben, daB
die naturliche und fruchtbare Zusammenarbeit in einem
Umfang aufrechterhalten bleiben moge, der in angemesse-
nem Verhaltnis zu dem realen Einsatz der beiden Volker
auf diesem besonderen Gebiet innerhalb des germanischen
Kulturkreises stent.
Frauenkirche
Kopenhagen
177
Mai la Taivio
LUTHER UND FINNLAND
Eine meiner friihesten Kindheitserinnerungen ist mit einern
Bilde verkniipft, das daheim in unserem Pfarrhaus zu
Hartola iiber dem Sofa in meines Vaters Stube hing. Es
ist iiberhaupt das erste Bild aus jenen fernen, in ein Halb-
dunkel versunkenen Jahren, das mein Kindergemut ergriff,
und erst etwas spater kam ein zweites hinzu: das Altarbild
in unserer Kirche, das durch seine GroBe und seinen
Farbenreichtum dem Kinde natiiriich einen uberwaltigen-
den Eindruck machte. Das Bild in meines Vaters Zimmer
war zwar dunkel und klein, doch muBte es ins Auge fallen,
denn es war — soweit ich mich entsinnen kann — das
einzige Wandgemalde in unserem Heim.
Wir Kinder durften fur gewohnlich diesen Raum nicht be-
treten. Doch wie es so geht: einmal war die Tur nur an-
gelehnt geblieben, das kleine Madchen riB sie auf und
krabbelte iiber die Schwelle.
Da stand es — umflutet vom Licht der Friihlingssonne —
und starrte auf das Bild an der Wand. Und das Bild schaute
herunter auf das Kind, das nicht wuBte, was tun. DrauBen
tropfte das Schmelzwasser vom Traufdach, und die Spatzen
schilpten. Der fremde Onkel da an der Wand sah ein
biBchen aus wie der Bauersmann, der gestern zur land-
lichen ,,Leseprufung" solch schones groBes Brot mit-
gebracht hatte. Schwer und breit lag ihm das Kinn auf
dem Halskragen, und er hielt ein Buch gegen die Brust
gedriickt, — so fest, als wolle jemand es ihm entreiBen.
Und was fur einen merkwurdigen Hut hatte er auf — mit
einer Art Federan derSeite. Nie hatte das Kind dergleichen
gesehen. Es machte einen tiefen Knicks, wie man es ge-
lehrt hatte. Aber als der Onkel daraufhin gar nichts ver-
lauten lieB, wurde ihm banglich zu Mute, es brach in
Tranen aus und stolperte wieder zur Tur hinaus.
Fortan aber muBte es immer an den Ratselhaften denken,
der einem in die Augen blickte, jedoch nicht sprach. Warum
schaute er so ernsthaft drein? Wer mochte es sein?
Die Erwachsenen lachten, als sie horten, die Kleine erwarte
von dem Bild, daB es spreche. Nein, Bilder reden nicht.
178
Wohl aber blickt Voter Luther den Kindern in die Augen
und ermahnt sie, artig zu sein. Er isi von Gott selber ge-
sandt, er hat den Katechismus geschrieben, und den muB
ein jedes von A bis Z auswendig konnen und danach leben
und sterben.
Die kleine Pfarrtochter paBte eine Gelegenheit ab, urn
heimlich das Bild wieder zu besuchen. Sie knickste an der
Tur. Sprechen wiirde das Bild Ja nicht — soviel wuBte sie
jetzt! — , aber es muBte doch horen, was sie sagte! Drum
erzahlte sie furchtlos und eifrig, sie habe zu Weihnachten
Buntstifte bekommen — ob sie wohl damit den Himmel
hinter Onkel Luthers Bild blau anmalen diirfe — er sei
garsoweiB. Und schon stand sie auf dem Sofa. Ihre Hand
reichte aber nicht einmal bis zu dem schwarzen Rahmen,
und iiber dem Bilde lag — Glas! Natiiriich — wie kann
einer sprechen, wenn er Glas vorm Munde hat!
Das Kind fragte die groBen Leute, wo der Onkel Luther
wohne. Nirgends mehr, sagten sie. Er habe in Deutsch-
land gelebt und sei schon viele hundert Jahre tot. Aber alien
Menschen habe er Gottes Wort so nahe gebracht, daB auch
der einfachste es habe begreifen konnen. Und er habe
genau so ausgesehen, wie auf dem Bilde.
Viel, viel gab das Lutherbild dem Kinde zu denken, wie
sicher zahllosen anderen finnischen Kindern und auch Er-
wachsenen. Kein Wunder — stieBen sie doch auf Luther-
bilder, wohin immer sie gingen. So hing eines in der
Sakristei, das war groBer als das im Pastorat. Und einmal
durfte die Kleine mit den Eltern zu einer Hochzeit in einem
entlegenen Winkel des Kirchspiels fahren. Dort gab es
viel zu sehen: die Braut trug ein prachtiges Hochzeits-
gewand aus alter Zeit, und das Schonste war die groBe
Flitterkrone, die leise klirrend auf ihrem Haupt funkelte.
Die Stube war sehr groB und das Gedrange beangstigend.
Doch ein paar hochgewachsene Bauern hoben das Madel-
chen auf ihre Schultern. Da konnte es das bunte Gewimmel
schon uberblicken. Plotzlich jauchzte es hell auf: inmitten
all des wunderlich Fremden hatte es etwas Liebvertrautes
entdeckt:
Onkel Luther!
Auch hier war sein Bild! Aus den griinen Gewinden, die
den Festraum schmiickten, schaute es auf das Getriebe der
12*
179
Hochzeitsgdste, wie sie da zum heiteren Klang der Geigen
so gewalfig im Takte stampften, daB die alfen fichtenen
FuBbodendielen erdrohnten.
Selbst zu solch welffernen Gehoften in wegioser Einode kam
namlich hin und wieder ein umherziehender Hausierer und
verkaufte Lutherbilder zum Schmuck der Huttenwande.
Bei den wohlhabenden Bauern und in den Gasthofen hatte
solch Bild einen Ehrenplatz zwischen den Bildern der
schwedischen Konige und der russischen Zaren inne. In
einer Posthalferei konnfe man es neben dem Konferfei
Karls XII. sehen.
Mit einzigartiger Kraft hat sich Luthers Bild — neben dem
Inhalt seines Katechismus und seiner Postillen — durch die
Jahrhunderteden Augen und dem BewuBtsein desfinnischen
Volkes eingepragt. So ist er, der deutsche Mann, auf einzig-
artige Weise dem Volk der Finnen zu eigen geworden.
Und just dieses Jahr — 1939 — jahrf sich zum vierhundert-
sten Male der Tag, da ein junger westfinnischer Bauern-
sohn, Mikael Ag ricola, aus Wittenberg heimkehrte, wo
er drei Jahre iang als Schuler Martin Luthers studiert und
die Obertragung des Neuen Testamentes in die finnische
Sprache begonnen hatte. In seiner Tasche trug Ag ricola
ein Empfehlungsschreiben von Luther. Darin hieB es, er
sei zwar noch recht jung, aber, was Studium und Gaben
betreffe, schon sonderlich bewdhrt. Dieser Lutherschuler
ward dann der finnische Bibelubersetzer, Verkunder der
lutherischen Lehre in unserem, damals sparlich besiedelten
Nordland und der Vater der finnischen Schriftsprache. Er
war es, der durch sein Lebenswerk dem Bilde Luthers und
seinem kraftvollen Wort den Weg in Finnland bereitete.
Erst in den jtingstvergangenen Jahrzehnten werden die
Lutherbilder an den Wanden unserer Heime seltener.
Seines Geistes Macht jedoch herrscht hier ganz unbedingt
und unbestritten. Vierhundert Jahre Iang hat das finnische
Volk in schweren wie in lichteren Tagen Luthers Lieder
gesungen. Und sie haben nichts an ihrer Frische verloren.
Zu den Programmen unserer groBen kirchlichen und vater-
landischen Feiern gehorte und gehort immerdar: „Ein feste
Burg ist unser Gott . . .", das zumal in Zeiten volkischer
Heimsuchungen unseren bedrangten Herzen trdsflichen
Halt spendet. Von Jahrhundert zu Jahrhundert ist die Kraft,
180
die in diesen Lutherliedern liegf, nur noch mehrgewachsen.
Luther ist zu einem unserer Volksmanner geworden, und
ich glaube, ich ubertreibe nicht, wenn ich sage: das Volk
Mikael Agricolas ist Martin Luther treuer geblieben als
irgendein anderes.
Vor ein paar Jahren unternahm ich — das einstmalige
Pfarrtdchterchen im Pastorat von Hartola — eine Vortrags-
reise im Lande Luthers. Und ich kam nach Halle an der
Saale und horte, dort in der Marienkirche sel Luthers
Totenmaske aufbewahrt. Da wachte jene Kindheitserinne-
rung so lebendig in mir auf, daB mich ein tiefer Drang
uberkam, dieses getreueste Abbild des Reformators — die
nach seinen Ziigen geformte Maske — schauen zu du'rfen.
Sie wird nicht ausgestellt, aber mit besonderer Erlaubnis
darf man sie besichtigen.
Vielleicht war gar kein so groBer Unterschied zwischen
jenem feierlichen Gefuhl, mit dem das Kind zum ersten
Male fragend vor dem Lutherbild in seinem Vaterhause ge-
standen, und den Gefiihlen, womit dieses selbe Menschen-
kind Jahrzehnte spater mit seinen Fragen vor die Toten-
maske trat. In der Kirche spielte die Orgel. Da sollte ich
nun also Martin Luthers Ziige in ihrer ganzen herben Wirk-
iichkeit, so wie sie unmittelbar nach seinem letzten Erdentag
gewesen, schauen . . .
Ich schreite durch das Helldunkel des Kirchenraums. Eine
Tu'r tut sich auf. Geddmpftes Licht umfangt mich. Es ver-
hallt die singende Orgel. Es verhallt der Kinder Sang.
Schutzend wie ein Heiligtum nimmt mich das kleine hohe
Gemach auf. Ein Mann von schonem, ernstem AuBeren
begriiBt mich mit leiserStimme. Es kommt deralte Kirchen-
wart. Und nun erklirrt sein Schlusselbund. Eine Tur tut
sich auf. Und im Schein einer Wachskerze erblicke ich
Martin Luthers vertrautes bauerliches Antlitz — ein tief
menschliches Antlitz, in dem aller Kampf gestillt ist . . .
Mir aber offenbart sich, was nach einem guten Kampf der
Friede des Todes ist: Leben.
(Aus dem Finnischen von Rita Oehquist.)
181
Erik Bertelsen
EINDROCKE AUS DEUTSCHLAND
Von deutscher Literatur.
Zimperlich ist die neue deutsche Literatur keineswegs. Aber
das Dekadente ist entfernt. Wenn ihr dafiir einige beson-
ders raffinierte Gerichte fiir sehr anspruchsvolle Fein-
schmecker fehlen, werde ich deshalb keine Tranen ver-
gieBen. Im ubrigen glaube ich nicht, daB Menschen mif
einigermaBen unverdorbenem Geschmack etwas dort unten
zu entbehren brauchen. Und wenn man hort, daB die
Nationalsozialisten einen Riegel vor alle echte, bedeutende
Dichtung geschoben und nur Piatz gelassen haben fiir
parteiverherrlichende Epigonen, so ist dies auf jeden Fall
erne zu stark gepfefferte Schifferchronik, urn von vernunfti-
gen Nordldndern angehort zu werden. Ich wage sogar zu
behaupten, daB keine geringe Dichterzahl durch die poli-
tische Umwalzung zur Entwicklung ihrer Fahigkenen ge-
kommen ist und vor allem neuen Glauben und neuen
Lebensmut bekommen hat.
12. Februar 1935.
Das Dichterheim in Travemiinde.
Von gewissen Seiten hat man recht spoftisch und feindlich
Vermutungen geauBert, daB das Dichterheim als eine Art
nationalsozialistische Propagandaschule eingerichtet sei.
Der Gedanke ist durchaus nicht uberzeugend. Die Deut-
schen sind wohl nicht so einfaltig zu glauben, sie konnien
nordlandische Dichter zu politischen Agitatoren umwan-
deln . . .
Auf jeden Fall darf man nicht die Bedeutung unferschatzen,
die das Zusammenkommen islandischer, norwegischer,
schwedischer, finnischer und danischer Schriftsteller, die
sonst nur schwer zusammenkommen, haben kann fur ein
gegenseitiges Verstehen und voneinander Lernen. Hierfur
schon muBten wir den Deutschen dankbar seln. Einige
mogen meinen, es sei gleichgultig, ob eine Handvoll Dichter
sich hier oder dort aufhalten, oder ob sie uberhaupt
existieren. Aber die Dichtung eines Landes ist nicht eine
182
ganz gleichgultige Sache. Sie ist ein Pfeiier der Kultur.
Und die Dichter haben hin und wieder Gelegenheit,
Briicken zwischen den Volkern zu schlagen, wenn sie sich
zu weit voneinander zu entfernen scheinen.
September 1936.
Vom Parteitag in Niirnberg.
Und dann ist es vielleichf doch der Anblick des Fiihrers
selbst, der am starksten auf die Deutschen wirkt. Allein
schon, daB er stundenlang aufrecht und baren Hauptes im
Sonnenbrand steht und unermiidlich Reden auf einem Kon-
greB nach dem anderen halt, muB unwillkiirlich ein Vor-
bl Id schaffen, das Ausdauer und Zusammengehorigkeit
starkt.
Hitlers Antlitz ist nicht leicht zu deuten. Oft liegt ein eigen-
artig scharfer Ernst daruber. Und er kann unnotig kiihl
und formlich erscheinen. Man wunderte sich so iiber die
Steifheit, mit der er mitunter seine Vertrauensleute begruBte,
wenn einer von ihnen eine Ansprache hielt. Es war immer
ein fester Handedruck, gefolgt von einem kurzen GruB mit
erhobenem Arm. Aber unmittelbar danach gab er dem
Betreffenden einen kleinen, kameradschaftlichen Schlag
auf die Schulter und sein Gesicht erhellte sich durch ein
schwaches Lacheln. Das wirkte menschlich schon und gab
einen Begriff davon, daB er Eigenschaften besitzen muB,
die die Herzen des Volkes gewinnen und ihn beliebt machen.
Und wenn Hunderttausende von Menschen mit ausgestreck-
tem Arm dastehen und ,,Deutschland, Deutschland iiber
alles" singen, begreift man, daB dieses nicht billiger Nu'rn-
bergtand ist, der produziert wird; sondern hier wird die
deutsche Nation zu einer offenbar unzerbrechlich starken
Ganzheit zusammengeschweiBt.
Okfober 1936.
183
Tito Colliander
EINDROCKE IN DEUTSCHLAND
(geschrieben 1934)
Durch das, was ich in Deutschland gesehen, gehort und
kennengelernt habe, lernfe ich einsehen, dalB wir, un-
beruhrt von dem politischen Programm, unsere Aufmerk-
samkeit dem Besten, was dort emporwachst, entgegen-
bringen sollten.
Gleichzeifig kam ich aber auch zu der Uberzeugung, daB
die Bewegung, die Deutschland jetzt durchmacht, beson-
ders die politische Konstruktion, absoiut keine Export-
ware ist.
Es ist ein groBer Aberglaube zu meinen, daB man dies um-
pflanzen kann — es ist und bleibt eine deutsche Angelegen-
heit fur Deutsche. Hier wuchs es nafuriich empor, auf
einem historischen Hintergrund und auf dem Boden des
Volkscharakters, der nicht anderen Nationen gemein ist,
als nurgerade den Deutschen. Kritiklos ohne das notige
Fundament dies nachzudffen — vor aliem das politische Pro-
gramm — ist nicht nur kindisch, sondern auch gefahrlich.
Das ist meine personliche Uberzeugung.
Aber das gibt uns noch keine Veranlassung, an all dem
Guten, das diese Bewegung gebracht hat, vorbeizugehen.
,,Leisf ungsbegriff"
„Leistung" — ist ein Wort, auf das man gerade jetzt in
Deutschland oft stoBt. Die Deutschen haben dieses Wort
ja immer geliebt, aber jetzt hat es, wenn mich nicht alles
fauscht, eine groBere und tiefere Bedeutung bekommen als
friiher.
Es ist die Leistung, welche den Wert von Mann und Frau
bestimmt, nicht das Gesicht oder das Wort, und man kann
mir glauben oder nicht, aber ich habe Menschen getroffen,
die niemals auf einer Parfeiversammlung waren, niemals
das kleinste Parteiabzeichen auf ihrem Rockkragen trugem
oder irgendeiner Parteiorganisation angehoren, Manner
also, die sich vollkommen von der Politik fernhalten, und
trotzdem hoch angesehen und hoch bewertet sind von den
fiihrenden Mannern des Reiches . . .
184
Oder, urn ein anderes Beispiel dafiir zu nennen, wie der
Begriff ,, Leistung" aufgefaBt wird: ich sah in einer kleinen
Stadt in OstpreuBen ein nettes, neues Siedlungshaus.
Wie bekannt, will man in Deutschland wieder zur Heim-
kultur ermuntern, man will fort von den Mietskasernen der
Stddte, wo das Familienleben nicht so gepflegt werden kann
wie in den kleineren Hausern auBerhalb der Stadt. Die
Verkehrsmitfel haben sich immer mehr verbessert, und
bequem und billig kommt man von diesen Hausern an
der Peripherie der Stadt zu und von seinem Arbeitsplatz.
Weiter kann noch ein kleines Stuck Erde hinzukommen,
das der Familie eine willkommene Nebeneinnahme ver-
schafft und das Interesse fur die eigene Erde die Familie
zu einer kleinen geschlossenen Arbeitsgruppe vereint . . .
Man marschiert
Ich nenne just drei Worte nebeneinander, drei Worte,
welche am haufigsten genannt werden, wenn man iiber
Deutschland spricht: militarisch, Disziplin und Uniform.
Es ist richtig, wenn man nach Deutschland kommt, sieht
man zuerst eine Masse uniformbekleideter Manner, die
mit militarischer Disziplin marschieren. Es ist besonders
die Jugend, Hitlerjungen, BDM.-Madel, Landjahrkinder,
aber auch Manner: SA., SS. und der Arbeitsdienst, der
immer singend von und zur Arbeit marschiert. Es scheint,
daB die Deutschen eine Vorliebe furs Marschieren haben.
Ich fur meinen Teil glaube, daB es ein typisch deutscher
Nationalzug ist. Denn von irgendeinem Zwangsdrill habe
ich nie eine Spur gesehen. Im Gegenteil erscheint jedes
einzelne Individuum in diesen Kolonnen einen groBen, fur
mich allerdings nur schwerverstandlichen Nutzen zu haben.
Aber vielleicht hat einer meiner deutschen Schriftsteller-
kameraden, der sehr viel iiber diese Dinge nachdachte,
den tiefsten Grund beruhrt, wenn er sagte:
Ich glaube, daB diese marschierenden Kolonnen ein in-
tensives Kampfmittel gegen unser oft undiszipliniertes und
oft streitbares inneres Individuum ist.
Wie dem auch sei, ich will mich auf Spekulationen nicht
einlassen. Aber ich glaube behaupten zu konnen, daB es
sowohl der Jugend wie den Erwachsenen gut bekommt.
Irgendein Zwang, in Reih und Glied zu marschieren, auBer
185
dern moralischen, gibt es nicht. Ich bin davon iiberzeugt,
daB man es freiwillig macht, Es ist aus der Volkspsyche
emporgewachsen und ein Ausdruck fur diese. Und was
fur das eine Volk lacherlich und abstoBend ist, kann fiir
das andere angenehm und gerade das Richtige sein. Dar-
iiber sollten wir uns immer klar sein, wenn wir eine andere
Nation und ihr Ziel beurteilen woilen.
Eines Sonntagmorgens ging ich sehr friihzeitig, urn 6% Uhr,
in Konigsberg aus. Die StraBen waren still, nur da und
dort ging eine Frau zu den eben geoffneten Milchgeschdften,
Milch fiir ihre Kinder zu holen. Da horte ich plotzlich in
der Entfernung frohes Madchensingen. Es gibt ja kaum eine
Zeit am Tage, wo man nicht von irgendwoher in einer
deutschen Stadt Gesang hort. Und da ich kein besonderes
Ziel fiir meinen Spaziergang hatte, ging ich in der Richtung
des Gesanges. Und ich sah einen langen Zug junger Madel
zwischen 14 und 20 Jahren, die in den kleidsamen weiBen
Blusen und dunkelblauen Rocken, der BDM.-Tracht, takf-
fest vorbeizogen. Sie sahen frisch und froh aus wie ihre
Stimmen und Lieder.
,,Dusselige Menschen", sagte ich spontan, ,,wozu in aller
Welt marschieren sie!"
Aber als ich naher daruber nachdachte, wahrend ich da-
stand und in ihre Gesichter schaute, begann ich mich uber
meinen ersten Gedanken zu schamen.
GroBstadtmadel, die sich gesund marschieren, dachte ich
jetzt. Daruber gibt's nichts zu lachen.
Und es waren bestimmt nur wenige unter ihnen, die irgend-
einen Zwang uber sich verspurten. Und im ubrigen kann
es nicht schaden, seinen Korper und seinen Willen in Dis-
ziplin zu halten.
Wenn die jugend und die Kinder der GroBstadt sich in einer
das ganze Reich umfassenden jugendorganisation zusam-
menschlieBen und mit straffem Riicken und taktfestem Schritt
auf das Land marschieren, so ist das efwas, woriiber wir uns
freuen sollten, so wie die deutschen Eltern sich freuen uber
die frohlichen und frischbraunen Gesichter ihrer Kinder.
Es ist die politische Kurzsichtigkeit, die Angst, daB eine
Nation zu stark und gesund wird, die uns daran hin-
dert, daruber froh zu sein, daB andere Menschen eine
Quelle zur Freude und Gesundheit gefunden haben.
186
Herman Harris Aall
NORWEGEN UND DEUTSCHLAND
(1917)
Es scheint unverstandlich, daB groBe Teile des norwegischen
Volkes einen so ententefreundlichen Standpunkt einge-
nommen haben. In alien Beziehungen, die die Haupt-
punkte im Geistesleben der Volker ausmachen, stehen wir
unseren deutschen Sfammverwandten naher als einer der
Ententemachte: in Religion, Sprache, Rechtsordnung,
Wissenschaft, Kunst, politischer Geschichte, Erwerbsinter-
essen — in aller Kulfur. AuBerdem ist die Verbindung
zwischen Norwegen und Deutschland von altersher leb-
haft gewesen. Kaum eine andere auslandische Stadt hat
fur unser Land von Kristiansand bis Vardo die Rolle ge-
spielt, wie Hamburg; kaum eine andere Stadt auBerhalb
Deutschlands und den ,, deutschen Ostseeprovinzen" hat so
altdeutsches Geprage getragen, wie die norwegische Stadt
Bergen . . .
Unsere Manner der Wissenschaft, Juristen, Arzte, Philo-
logen, Theologen, Mathematiker, Ingenieure, Kiinstler,
waren in Deutschland Stammgaste und erhielten oder
vollendeten dort ihre Ausbildung. Unsere Geschaftsleute
zum Teil ebenfalls. Von deutscher Kultur, Philosophie und
Dichtung haben wir, wie die iibrige Welt, Nutzen gezogen.
Und wie das religiose Leben unseres Volkes in Luthers
Geist getauft ist, so ist unser ganzes Kulturleben von Goethe,
Schiller, Schopenhauer, Hegel, Wundt, Nietzsche, Wagner,
Beethoven, Schubert und zahlreichen anderen deutschen
Genies beseelt. Andererseits hat kein anderes Volk so fein-
horige Ohren fiir norwegische Geisteswerte; eine Reihe
unserer groBten Gelehrten von Abel und Lie bis Brede
Christensen und Stend Konow haben in Deutschland An-
erkennung gefunden, zum Teil sogar friiher, als sie sie in
der Heimat fanden; fiir unsere Dichter war Deutschland
nicht der schmale Weg, sondern die offene Tur zu Europa;
unsere Tonsetzer fanden dort eine Resonanz wie sonst
nirgendwo. Politisch ist Deutschland von uniibersehbarem
Werte fiir unser Land gewesen.
187
Hcinrich Anacker
KOPENHAGEN
Heut' fuhr ich nach Kopenhagen,
Wo die schlanken Tiirme ragen,
Wo die schlanken, blonden Frauen
Kiihl aus Meeresaugen schauen.
Schlendernd schritf ich an Kanalen,
LieB von Brunnen mir erzahlen,
Sah im Park, im statuenreichen,
Blumenpracht an stillen Teichen.
Als der Mond schon aufgegangen,
Nahm mich Tivoli gefangen.
Licht- und Farbenwunder trank ich,
Tief in buntem Traum versank ich,
Bis die Schiffssirene schreckfe,
Und zur Wirklichkeif mich weckte.
Dunkle Gassen, sachtverschlafen,
Trabt' ich traurig hin zum Hafen.
Sfege waren schon gerichtet;
Anker wurden rasch gelichtet.
Wirsf du einsf mich wieder tragen,
Schones Schiff, nach Kopenhagen?
HINWEISE
Seite 9f.
Die Reisen deutscher Komodiantentruppen wurden im Laufe des 17.
wnd 18. Jahrhunderfs sehr zahlreich. Sie beriihrten verschiedene Lander
des Nordens, aber besonders Danemark, und bedurften hier wie in
alien — auch den deufschen — Stadten einer Genehmigung oder eines
Privilegs. Diese Privilegierung wurde dann auf dem Theaterzeftel als
eine Art Reklame mitverwendet. Siehe auch den wiedergegebenenTheater-
zettel der Holberg-Auffiihrung in Hamburg. Sie haben, soweit ihr
Programm ernsthaft war — unter ihnen befanden sich auch Seiltanzer
und Zahnbrecher — Wichtiges fur den kulturellen Ausiausch geleistet.
Das vorliegende Privileg ist gedruckt in Band I von Th. Overskou,
„Den danske Skueplads i dens Historie, fra de f0rste Spor af danske
Skuespil indtil vor Tid", Kjobenhavn 1854.
Zu bemerken ist, daB Friedrich III. im Jahre 1660 absoluter Herrscher
geworden war und daB Overskou in der Einleitung damit das Wisder-
aufkommen der Komodiantentruppen begriindet. Die Art dieses Privilegs
— auch was die Angaben anbetrifft — ist fur viele andere Falle be-
zeichnend.
Seite 11 ff.
Nikolaus Dietrich Giseke (1724—1765), an den der erste Brief gerichtet
ist, war zu dieser Zeit als Erzieher tatig. Er wurde spater Prediger in
Trautenstein am Harz und anschlieBend 1754 Oberhofprediger in
Quedlinburg. Hier trat er als Nachfolger von Cramer ein, der zum
Hofprediger nach Kopenhagen berufen wurde.
Der in dem Brief erwdhnfe danische Konig ist Friedrich V.
Der jiingsfe Schlegel ist Johann Heinrich Schlegel (1726—1780), er kam
1748 nach Danemark als Hofmeister fur die Sohne des Stiftsamt-
mannes Graf Christian Ranzau, wurde spater Professor der Ge-
schichte, Kgl. Historiograf und Bibliofhekar.
johann Hubner, Rektor in Hamburg, gab weifverbreitete historische
und geographische Schul- und Handbiicher heraus, auBerdem genealo-
gische Tabellen.
Carl Christian Gartner (1712-1791).
De la Baurnelle (1727—1773), der Titel des erwahnten Buches ist ,,La
spectatrice Danoise ou I'Aspasie moderne".
Die Briefe sind abgedruckt in J. M. Lappenberg „Briefe von und an
Klopstock. Ein Beifrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit". Braun-
schweig 1867.
Seite 14f.
Carl Friedrich Cramer ist der Sohn des 1754 aus Quedlinburg nach
Kopenhagen berufenen Hofpredigers. Er hatte in einer Veroffentlichunp
, .Klopstock, Er und iiber inn" ein iiberschwenglich lobendes Bild Klop-
stocks gezeichnet, das in der Zeit schon Widerspruch erregte. Die nach-
folgenden Absatze stammen aus dieser Veroffentlichung. Auf diess
Veroffentlichung spielt auch Rahbek in seiner Rede auf Klopstock
(S. 17) an.
Cidli ist der Name, den Klopstock in der Dichtung fiir seine Braut und
spatere Frail Meta Moller verwendete. Die Heirat mit Meta MSIIer {and
wdhrend seiner Kopenhagener Zeit statt.
189
„Drey Gesange", gemeint sind drei Gesange von Klopstocks „Mes-
sias".
Seite 16 ff.
Knuf Lyne Rahbek sprach zur Gedenkfeier zum Tode Klopstocks in
Altona. Seine Ausfiihrungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die
Bedeutung, die schon die Zeitgenossen Klopstock — besonders fur" die
Entwicklung der danischen Dichtung — zugemessen haben. Die auf
Seite 18 genannten Schleswigschen Literaturbriefe sind von H. W. von
Gerstenberg verfaBt und haben fur die damaiige liferarische Kritik,
aber auch fur die Gesamtentwicklung der deutschen Literafur, eni-
scheidende Bedeutung. Gerstenberg fiihrte ais einer der ersten die
nordische Mythologie in die Dichtung ein (Gedicht eines Skaiden).
Von hier aus geht eine gieiche Entwicklung der danischen Literatur und
der Literatur des Nordens uberhaupt. An ihn sind auch die Seite 20 ff.
abgedruckten Briefe des jungen Matthias Claudius gerichtet.
Die Rede erschien in „Kieler Blatter fur 1819", herausgegeben von einer
Gesellschaft Kieler Professoren, Band 2, und ist hier stark gekiirzt
wiedergegeben.
Ossian, ein angeblich aus dem 3. Jahrhundert sfammender galischer
Barde, dessen Werke der Schotte James Macpherson 1760—65 in eng-
lischer Nachbildung erscheinen lieB; in Wahrheit handelt es sich im
besten Falle um freie Bearbeitungen von spatmittelalterlichen irischen
Dichtungen, oft um voile Neudichtungen.
Bekanntlich riefen die Gedichte Ossians in der ganzen damaligen
Literatur wegen ihrer vermeintlichen Urspriinglichkeit und ihres Alters
groBes Aufsehen hervor. Sie wurden von vielen Dichtern nachgeahmt
und als Vorbild angesehen. Die Ossianschen Gedichte spielen auch in
anderen Beitragen eine gewisse Roile.
Die Zeit des Pietismus ist fur die Kulturentwicklung zwischen dem
Norden — besonders Ddnemark — und Deutschland als Vorbereitungs-
zeit zu werfen. Sie hat den Boden bereitet fur die folgende Entwicklung.
In dieser Zeit wurden die schonen Kunste — besonders das Theater
in Danemark — fast vollkommen beiseite geschoben. Daraufwird hier
angespielt.
Seite 20 ff.
Die Briefe des jungen Matthias Claudius an Gerstenberg in Kopenhagen
stammen aus einer Schrift „Zum 8. August 1881 Seiner Magnificenz
dem Herrn Burgermeister Gustav Heinrich Kirchenpauer J. U. Dr. und
Phil. Dr. am Tage seines 50jahrigen Doktorjubilaums in dankbarer
Verehrung ehrerbietigst dargebracht von Direktor und Lehrerkollegium
der Hoheren Biirgerschule.
Inhalt: Ungedruckte jugendbriefe des Wandsbecker Boten, mitgeteilt
von Direktor Redlich. Hamburg 1881."
Seite 22
Matthias Claudius' Gedicht „Die Biene" ist in seinen Gesammelten
Werken aufgenommen. Es ist ein typisches Lobgedicht, das die Naivi-
tat der Claudiusschen Gedichte enthalt. Es gibt keine iibertriebene
Lobeshymnen der Zeit unter Claudius Schriften.
190
Seite 23 ff.
Der Beitrag Henrich Steffens' sind Ausziige aus seiner umfassenden
zehnbandigen Selbstbiographie „Was ich erlebte", erschienen in Breslau
1840. Diese Selbstbiographie ist eine der wichfigsten Dokumente fiir
die Kulturwissenschaft und Dichtung seiner Zeit und bedeutend fiir die
zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen dem Norden und Deutsch-
land. Sie verdient weif starkere Beachtung als sie bisher erfuhr.
EinenAuszug daraus hat vor kurzem Willy A. Koch fiir die Dieterich'sche
Verlagsbuchhandlung geschaffen (1938).
Das Zusammentreffen von Steffens und Runge ist bemerkenswert, weil
auch hier das Heranwachsen einer neuen Entwicklung sich deutlich
zeigf.
Die Anmerkung, daR sich der Tod auf seinen Wangen ankiindigte, er-
ftilltesich kurzdanach. Runge war kranklich und starb in Hamburg 1811.
Seite 30 ff.
„Gedanken zur gegenwartigen Zeit" sind Ausschnitte aus Steffens Buch
„Die gegenwarfige Zeit und wie sie geworden mit besonderer Riicksicht
auf Deutschland" Berlin 1817.
Die historische Begriindung fiir die Ausfiihrungen iiber Deutschland
und seine Demutigung ist die Unterdruckung durch Napoleon 1806.
Seite 35 ff.
Die Briefe von Adam Oehlenschlager an Johann Wolfgang Goethe sind
abgedruckt im ,,Goethe-Jahrbuch", herausgegeben von Ludwig Geiger.
Achter Band. Frankfurt/Main 1887.
Die weiteren Erinnerungen an Deutschland stammen aus seiner Selbst-
biographie ,,Meine Lebenserinnerungen", Leipzig 1850.
Auch dieses Werk ist eine Fundgrube fiir die Beziehungen zwischen dem
Norden und Deutschland in jener Zeit.
Es ist unmoglich, die unzahligen Beziehungen Oehlenschlagers zu fast
alien Mannern des damaligen geistigen Lebens in Deutschland hier an-
zudeuten. Es folgen aus diesem Grunde zwei Briefe an Goethe, der
fiir seine Entwicklung in der ersten Zeit seines Lebens zweifellos von
allergroBter Bedeutung war, und weiter einige kurze Lebenserinnerun-
gen. Es darf nicht verschwiegen werden, daB die positive Haltung zu
Goethe, die sich aus den Briefen ergibt, nicht dauernd gewesen ist. Es
kam zwischen Goethe und Oehlenschlager zu einem sehr ernsthaften
Zerwurfnis, das Oehlenschlager in seinen Lebenserinnerungen auch aus-
fiihrlich schildert. Er hat Goethes Genie immer geachtet, aber stand
ihm spater mit besonderer Kritik, die man oft auf verletzte Eitelkeit
geschoben hat, gegeniiber.
In dem ersten Brief bezieht sich Oehlenschlager bei der Mitteilung iiber
die graBlichen Augenblicke ebenfalls auf die Ereignisse von 1806, wo
Jena und Weimar mitten im Kriegsgebiet lagen.
Seite 37
Das erwahnte exfemporirte Stottern bezieht sich auf ein Zusammen-
treffen von Goethe und Oehlenschlager, bei dem Oehlenschlager den
„HakonJarl" vorlas (s. S. 41 f.). Die Anspielung und Ausmalung der
Werther-Schwdrmerei ist eine Erscheinung, die in der damaligen Zeit
durchaus iiblich und modern war.
191
Bekctnnt 1st, daB sich junge Menschen der Zeit eine Kleidung anlegten,
wie sie Werther frug. Bekannt ist weiter, daB der Werther in vielen
Siaaten wegen seiner Gefahrlichkeit verbofen war, u. a. auch in Dane-
mark, wo der Erbprinz die theologische Fakultat Kopenhagen um ein
Gutachten bat „ob das Buch Werthers Leiden, von welchem Proft eine
Obersetzung angekiindigt hat, ohne Schaden fiir gute Sitten gelesen
werden kann". Sonst solle man die Obersetzung „einstellen und kassiren
lassen". Die Fakultat bezeichnef in ihrem Gutachten das Buch als eine
Schrift, „weiche die Religion verspottet, die Laster beschonigt und gute
Sitten verderben kann, so hat die Canzelei heute dem Polizeiprasidenten
geschrieben, — Proft kund zu thun, daB er die in Vorbereitung seiende
Obersetzung sofort einzustellen habe, da dieselbe keineswegs gedruckt
oder debitirf werden darf".
(Zitiert nach „Goethe-Jahrbuch", herausgegeben von Ludwig Geiger.
Zweiter Band. Frankfurt/M. 1881.)
Der erwahnte Riemer ist der Sekretar von Goethe.
Seite 43 ff.
Philipp Otto Runges Briefe, Tagebiicher und seine Aufsatze wurden
herausgegeben von Daniel Runge. Ein Auszug und eine Zusammen-
fassung ist erschienen im Friedrich Vorwerk Verlag, Berlin, unter dem
Titel „Philipp Otto Runge — Schriften, Fragmente, Briefe", Berlin 1938.
Seite 50 ff.
Die Kritiken und Auffiihrungsbesprechungen von KleistgabTh.Overskou
im 4. Band von ,,Den danske Skueplads i dens Historie, fra de forste
Spor af danske Skuespil indtil vor fid", Kjpbenhavn 1862.
Da es bei der Wiedergabe vor alien Dingen auf Kleist unddenEindruck
seiner Werke ankommt, geben wir keine Mitteilungen iiber die ge-
nannten Schauspieler.
Kleist hat auf der danischen Biihne nur sehr schwer festen FuB fassen
konnen. Auch die Klassiker — besonders Goethe — haben in den
ersten Jahren nur wenige Auffuhrungen zu verzeichnen. Die Auf-
fiihrungsserien liegen erst am Ende des 19. jahrhunderts.
Seite 53 ff.
Die Aufzeichnungen und Briefstellen von Dahl sfammen aus der Bio-
graphie von Andreas Aubert „Maleren Johan Christian Dahl", Kristiania
1920.
Die Zeilen aus dem ersten Schreiben sind an den Prinzen Friedrich
Christian von Ddnemark gerichtef.
Seite 54
M . . . abgekiirzt fiir Marie Keyser.
Seite 54 f.
Die Betrachtungen iiber Caspar David Friedrich stammen aus einem
Entwurf von Dahls Hand „in schlechtem Deutsch", wie Aubert mitteilt.
Die enthaltenen Ausztige sind aus dem Norwegischen ubersetzt.
Seite 55
Diegrundsatzlichen Betrachtungen iiber Landschaftsmalerei wurden von
Dahl auf ein loses Blatt, das Aubert im NachlaB fand, aufgezeichnet.
192
Seite 56
Die Auseinandersetzungen Tegne>s mlt der deutschen Kulfur und mit
Deutschland iiberhaupt stammen aus Briefen und Aufsatzen Tegners,
ubersetzt aus seinen Gesammeiten Schriften, herausgegeben von Ewert
Wrangel und Fredrik Book, Stockholm, 10 Bande. Sie sind absichtlich
gewahlt, da sie eine Richtung der kulturellen Personlichkeiten des Nor-
dens wiederspiegeln, die sich ablehnend zu Deutschland stellte, aber
trotzdem sich mit den geistigen und geschichflichen Leistungen aus-
einandersetzen und sie anerkennen muBte.
Agathon ist eines der Hauptwerke von Wieland.
Seite 61 ff.
Der erste Teil der Beschreibungen von H. C. Andersen stammt aus seiner
Reisebeschreibung ,,Reiseschatten".
Der zweite Teil von Weimar ab stammt aus seiner Selbstbiographie
„Das Marchen meines Lebens".
Die Anmerkung von Wilhelm Grimm, er hatte Andersen wohl erkannt,
bezieht sich auf eine friihere Begegnung zwischen Andersen und Jacob
Grimm, die offenbar sehr kiihl verlaufen ist und bei der sich ergab, daB
Jacob Grimm H. C. Andersen nicht naher kannte.
Seite 74 ff.
Hebbels Tagebiicher liegen in verschiedenen Ausgaben vor und sind
auch in einer Reihe von gesammeiten Werken mitveroffenflicht worden.
Die groBe Ausgabe stammt von Bamberger.
Seite 77
Das Empfehlungsschreiben Oehlenschldgers In deutscher Obersetzung
ist in Faksimile zwischen Seite 80 und 81 wiedergegeben. Die Ober-
setzung ist im Besitz des Kieler Hebbel-Museums, mit dessen Genehmi-
gung die vorgenommene Wiedergabe erfolgt.
Seite 80 ff.
Die Anmerkungen Bjornsons uber Deutschland und die deutsche Kultur
stammen aus Briefen an verschiedene Personen. Karoline Bjornson ist
Bjornstjerne Bjornsons Frau.
Die Briefe wurden veroffentlicht von Halvdan Koht unter Mitwirkung
von Julias Elias im Verlag S. Fischer, Berlin, 1912.
Seite 83 ff.
Hemik Ibsens Wandel zu einer positiven Beurteilung Deutschlands und
seiner Bedeutung sind in seinen Briefen enthalfen, herausgegeben von
Julius Elias und Halvdan Koht, Verlag S. Fischer, Berlin, 1905.
WISSENSCHAFT UND DICHTUNG
ENTDECKEN DEN NORDEN
Dieser Teil ist bewuBt gesondert herausgestellt, um zu zeigen, wie aus-
gehend von den Studien Herders und seinen Sammlungen das Interesse
an der Erkenntnis des Volkstums im Norden und besonders seiner alten
Oberlieferungen in Deutschland im standigen Wachsen begriffen war,
13
193
und wie allmahlich die Studien aus einem dichterischen Interesse In
die Forschung der Akademien und der Wissenschaft Uberging. Aus
diesem lebhaften Interesse heraus griff die Dichtung, die seit Gersten-
berg die Mythologie des Nordens ubernahm, Stoffe und Themen auf
und goB sie in ihre Vorstellungsformen um. Dabei kommen nicht nur
in den dichterischen Gestaltungen, sondern auch in den Auslegungen,
Etgebnisse zutage, die spdterer wissenschaftlicher Durchdringung und
auch dem heutigen Geschmack fremd sind.
Hier wurde aber die Grundlage fur den wissenschaftlichen Austausch,
der in spdterer Zeit immer lebhafter wurde, gelegt. Auch die gegen-
seitige Befruchtung nordlandischer und deutscher Wissenschaft findef
hier ihre Ansatzpunkte und ihre Grundlagen. Ein groBer Teil der
Manner, die sich mit dem Norden befaBten, beherrschte auch die
Sprachen und vermochte so als Mittler tatkraftig die Entwicklung zu
fordern.
Seite 87 f.
Herder „Stimmen der Volker" sind enthalten in der Gesamtausgabe
von Suohan, auBerdem in vielen Einzelausgaben u. a. bei Reclam; ferner
in einer im Jahre 1938 im Verlage Ernst Klett erschienenen Neuausgabe.
Seite 8?
Jacob Grimm's hier wiedergegebenen Ausfiihrungen uber seine skan-
dinavische Reise stammen aus einem vor der Berliner Akademie der
Wissenschaft gehaltenen Vortrag vom 5. Dezember 1844 uber ..Halieni-
sche und scandinavische Eindrucke". Abgedruckt in Jacob Grimm
..Kleinere Schriften" Band I, Berlin 1864, Seite 57 ff.
Seite 90
Die angedeutete franzosische Reisebeschreibung ist offenbar die von
Mallet, die in franzosischer Sprache herauskam und dann auch ins
Deutsche iibertragen wurde.
Seite 91
Die AuBerung uber danische Volkssagen stammt aus einer Besprechung
Jacob Grimm's zu J. M. Thiele „Prover af danske folkesagn", Kopen-
hagen 1817. „Kleinere Schriften", Band 6, Berlin 1882, Seite 292 ff.
Seite 92
Die AuBerungen uber das finnische Epos stammen aus einer Vorlesung
in der Akademie der Wissenschaften in Berlin vom 13. Marz 1845.
Abgedruckt in „Kleinere Schriften", Band II, Berlin 1865, Seite 75 ff.
Vainamoinen ist eine der Hauptgestalten aus dem finnischen Epos, dem
„Kalewala".
Seite 94
Die Anmerkung iiber eine islandische Grammatik stent in einer Be-
sorechung zu R. K. Rask „Vejledning til des islandske eller gamle
n'ordiske sprog" aus dem Jahre 1811. Abgedruckt in ..Kleinere Schrif-
ten", Band IV, Berlin 1869, S. 65 ff.
Seits 95
Die grundsatzlichen Gedanken zur Edda, uber die sich Grimm mehr-
fach auBerte, stehen in einer Besprechung einer Ausgabe von „Edda
Saemundar hinns froda", die in (Copenhagen 1818 erschien. Die_Be-
194
sprechung stammt aus dem Jahre 1819 und ist abgedruckt in ..Kleinere
Schriften", Band IV, Berlin 1869, Seite 116 ff.
Seite 96
Wilhelm Grimms AuBerungen iiber dieLiederder Edda ist ein kurzer
Absatz aus einem umfangreichen Artikel fur das „Morgenblatt fur ge~<
bildete Stande" aus dem Jahre 1812. Er ist abgedruckt in Wilheln v
Grimm „Kleinere Schriften", Band I, Berlin 1881, Seite 212 ff.
Wilhelm Grimm hat sich sehr eingehend mit der altnordischen Ober-
lieferung befaBt. Er gab Anfang 1811 eine Sammlung der danischen
Kampe-Viser heraus (s. Abbildung der Titelseite) und trug sich auch
mit der Obersetzung der Edda.
Von Jacob und Wilhelm Grimm wurden eine Reihe kurzer
AuBerungen gegeben, um das groBe Interesse, das die Ge-
bruder Grimm, die maBgeblichen Begriinder der modernen
Germanistik, dem Norden erwiesen, zu zeigen. Die wissen-
schaftliche Bearbeitung dieses Themas ist seitdem nicht
mehr abgebrochen. Namen wie Maurer, Mogk, Neckel,
Heusler, Kummer u. a. sind dafiir deutliche Kiinder.
Seite 97:
Friedrich Schlegels AuBerungen zur Edda und zu seinem ersten dichteri-
schen Umgesfalter Friedrich de la Motte Fouque stammen aus seiner
Arbeit „0ber nordische Dichtkunst" 1812. Sie ist enthalten in Friedrich
Schlegel's sammtlichen Werken, 10. Band, Wien 1825, Seite 65 ff.
„Der Held des Nordens" von Friedrich de la Motte Fouque, ein viel
beachtetes Drama nach islandischen Quellen. Fouque wurde auf Grund
seiner Verdienste fur die Verbreitung des altnordischen Schrifttums als
Mitglied in die Islandische Literatur-Gesellschaft berufen. Finn Mag-
nusen, der Sammler und Herausgeber vieler altislandischen Hand-
schriften, richtete an Fouque eine BegriiBung. Sie ist unter dem Titel
..Thules GruB" gedruckt, Kopenhagen 1826. Diese Hinwendung beginnf
mil den Versen
Heil dir hehrer
Held und Weiser,
Forscher der Vorzeif,
Frommer Barde,
Meister — Sanger
Meiner Thaten! —
Dank und GruB
Dir von Thule!
Seite 100:
Ludwig Tiecks Einleifung wurde geschrieben zu den „Norwegischen
Volksmdhrchen" gesammelt von P. Asbjornsen und Jorgen Moe, I. Band,
Berlin 1847.
Seite 102:
Die Worte von Ernst Moritz Arndt uber Schweden und den Norden
insgesamf sind enthalten in „Geist der Zeit", Zweite Auflage, Altona
1807.
13 »
195
Seite 113
Die beiden AuBerungen Verner von Heidenstams stammen aus elnem
Gesprach, das Dr. Paul GraBmann mit dem groBen schwedlschen
Dichter hatte. Es ist wiedergegeben in Paul GraBmanns Buch „Nor-
dische Kopfe", Wilhelm Limpert Veriag, Dresden/Berlin, 1937.
„Karoliner" ist die schwedische Bezeichnung des Buches „Kari XII.
und seine Krieger". Das „WeiBe Hemd" ist ein Kapitel aus diesem
Roman, in dem das heldenmiitige Verhalten Bengt Getings geschildert
wird, der als Auszeichnung vor seinem Tode sich ein WeiBes Hemd
fur seine Beerdigung wiinscht.
Seite 114
Die Rede von Heinrich George wurde in Dresden nach einem danischen
Konzert unter dem Protektorat des Danischen Gesandten, Kammerherr
Zahle, bei einem Empfang gehalten. Das Konzert stand unter der
Leitung des danischen Dirigenten und Komponisten Ebbe Hamerik.
Es wirkte die Kgl. Kammersangerin Ingeborg Steffensen, Kopenhagen,
mit.
Seite 118 ff.
Die Darstellungen von Sven Hedin haben wir aus dem Buch „50 Jahre
Deutschland" entnommen. Der Veriag F. A. Brockhaus, Leipzig, hat
entgegenkommender Weise seine Genehmigung dazu gegeben. Der
Absatz „Zu einem Buch von Alma Hedin anstatt eines Vorworts" tragt
den Titel „Sven Hedin, Der 9. November", Veriag F. A. Brockhaus,
Leipzig. Das Buch erschien im Jahre 1920.
Seite 138
Hanns Johst's Betrachtungen uber Finnland stammen aus dem Buch
„Maske und Gesicht", Reise eines Nationalsozialisten von und nach
Deutschland, erschienen im Veriag Albert Langen/Georg Muller, Miin-
chen. Der Verfasser und der Veriag haben freundlicher Weise die Ge-
nehmigung zum Nachdruck gegeben.
Seite 145 „„„,
Der Beitrag von Edwin Erich Dwinger ist im Jahre 1934 geschneben.
Seite 157
Agnes Miegels Beitrag stammt aus dem Jahr 1937.
Seite 182 . , , . .
Die kurzen Abschnitte von Erik Bertelsen sind aus Aufsatzen in der
danischen Presse zusammengestellt. Das Datum ist jeweils angefiigt.
Seite 187 . VA , ul .
Die AuBerung von Herman Harris Aall steht in seinem im Weltknegs
geschriebenen Buch „Das Schicksal des Nordens".
Die Obersetzungen wurden, wenn nicht anders vermerkt, von Eleonore
Hynding besorgt.
196
NAMENVERZEICHNIS
(Der groBte Teil der im Text befindlichen Namen konnte aufgenommen
werden. Es soil dem Leser dadurch die zeitliche Orientierung erleichtert
werden. Bei den mit Beitragen enthaltenen wurden auch kurze An-
merkungen zu Leben und Werk gegeben, die nicht erschopfend sein
konnten, aber den in diesem Zusammenhang wichtigsten Anhalt zu
geben versuchen.)
Aall, Herman Harris (geb. 1871) norwegischer Volkerrechtler.
Abildgaard, Nikolaus Abraham (1743—1809)
dcnischer Maler, Lehrer an der Kopenhagener Akademie.
Afzelius, Arvid August (1785—1871) schwedischer Volksliedsammler.
Alexis, Willibald (1898—1871) deutscher Romanschriftsteller.
Amundsen, Roald (1872—1928) norwegischer Polarforscher.
Anacker, Heinrich (geb. 1901)
deutscher Lyriker. Unter seinen Gedichtbanden nennen wir: Klinge,
kleines Friihlingslied; Auf Wanderwegen; Ebbe und Flut; Bunter
Reigen; Die Trommel; Die Fanfare; Einkehr; Aufbau.
Vorlesung in Danemark Marz 1938.
Andersen, Hans Christian (1805—1875)
geboren in Odense als Sohn eines Schusters — beriihmt durch seine
Marchen und Erzahlungen. — Andersen war mehrfach in Deutsch-
land und wurde besonders in Weimar und Wien auBerordentlich
gefeiert. — Seine Eindrucke hat er niedergelegt in seiner Selbst-
biographie „Das Marchen meines Lebens ohne Dichtung" (1847)
und in seinen ..Schattenbildern von einer Reise nach dem Harz und
der Sachsischen Schweiz" (1831).
Arndt, Ernst Moritz (1769-1860)
geboren auf Riigen als schwedischer Staatsuntertan. Professor der
Geschichte in Greifswald — Kampf gegen Napoleon — 1812 mit
Frhr. vom Stein nach Petersburg — Professor in Bonn — spater
seines Amtes enthoben und wieder eingesetzt — Abgeordneter der
Frankfurter Nationalversammlung.
Arndt unterhielt lebhafte Beziehungen zum Norden, besonders zu
Schweden, durch das er eine langere Reise machte. Uber diese
Reise hat er einen ausfiihrlichen Bericht gegeben.
Arwidsson, Adolf Iwar (1791-1858).
Asbjornsen, Peter Christen (1812-1835) norweg. Marchensammler.
Atterberg, Kurt (geb. 1887)
schwedischer Komponist — studierte bei Hallen 1910/11 — 1911
Staatsstipendien — studierte Munchen, Berlin, Stuttgart — seitdem
in Stockholm — seine Werke umfassen Sinfonien, Kammermusik,
Lieder, Opern und Chorwerke.
Zahlreiche Auffiihrungen in Deutschland —wirkte mehrfach im Rah-
men der Nordischen Gesellschaft mit, u. a. beteiligt am Nordischen
Musikfest in Liibeck 1935, Konzerte in Dresden und Chemnitz u. a.
Bach, Joh. Sebastian (1685—1750).
Baggesen, Jens (1764—1826)
danischer Dichter — hatte eine groBe Zahl von Verbindungen mit
fast alien nennenswerten Personlichkeiten der Zeit in Deutschland —
seine Reise durch Deutschland hat er beschrieben in dem umfassen-
197
den zum Teil ironisch satirischen Buch „Das Labyrinth" — die
wiedergegebenen Tagebucheintraaungcn wurdrn herausgegeben
von Theodor von Baggesen und Dr. Grupe (1893).
Bei seiner Abreise aus Danemark tibergab er Oehlenschlager seine
danische Leier und wollte deutscher Dichter werden. Spater kam
es zu ernsthaften Streitigkeiten zwischen Oehlenschlager und
Baggesen wegen der Beschimpfungen Goethes, denen Baggesen
sich schuldig machte.
^Basedow, joh. Bernhard (1723—1790) Dichter und Philosoph.
% Sellman, Carl Mikael (1740-1795) schwedischer Dichter und Lieder-
sanger.
Bergman, Bo Hjalmar (geb. 1869) schwedischer Lyriker.
Bernstorff, Johan Hartvig Ernst, Graf (1712—1772)
ddnischer Staatsminister und Reformator des danischen Staatswesens,
1767 in den Grafenstand erhoben, 1770 beim Eintritt Struensees in
das Kabinett entlassen, sollte spater wieder in die danische Regierung
zuriickgerufen werden; starb jedoch vorher.
Bertelsen, Erik (geb. 1898)
danischer Schriftsteller — 1935 Gast des Deutsch-Nordischen Schrift-
stellerhauses in Travemunde.
Bjornson, BJornstjerne (1832—1910)
In Deutschland bekannt durch seine Dramen, seine Romane und
besonders durch seine Bauernerzdhlungen. Er stand unter dem
Eindruck der deutsch-danischen Streitigkeiten in seinen fruheren
Jahren Deutschland sehr kritisch gegenuber. Diese Einstellung
wandelte sich im Laufe der Zeit — er wurde einer der sfarksten
Verfechter einer geistigen Zusammenafbeit zwischen dem Norden
und Deutschland.
Die wiedergegebenen Briefstellen aus seinen „Jugend- und Wander-
jahren" spiegeln diese Entwicklung wieder.
Bleeker, Bernhard (geb. 1881) deutscher Bildhauer.
Biunck, Hans Friedrich (geb. 1888)
Deutscher Dichter. Mitglied des Reichskultursenats und des Senats
der Akademie der deutschen Dichtung. Altprdsident der Reichs-
schrifttumskammer.
Marchen, Erzahlungen, Gedichfe, Balladen und Dramen. Wir heben
hervor: Marchen von der Niederelbe; Hein Hoyer; Berend Fock;
Stelling Rotkinnsohn; Streit mit den Gottern; Kampf der Gestirne;
Gewalt iiber das Feuer; siidamerikanische Romane: Die Weibs-
muhle; Land der Vulkane; weiter: Volkswende; Land in der Damme-
rung (Schauspiel); Die groBe Fahrt; Wolter von Plettenberg; Frauen
im Garten — Balladensammlung.
Mehrere Vorlesungen im Norden u. a. Deutsche Buchausstellung
in Kopenhagen September 1937; ,,Freunde deutscher Literatur",
Kopenhagen, Marz 1939; Stockholm Dezember 1939.
Bodmer, Johann Jakob (1698—1783).
Bocklin, Arnold (1827-1901).
Brandstrom, Elsa (geb. 1888)
Delegierte des schwedischen Roten Kreuzes. GroBztigige Hilfs-
tdtigkeit fur die Kriegsgefangenen in RuBland.
Brentano, Clemens (1778—1842).
198
Burger, Gottfried August (1747—1794).
Chamisso, Adelbert v. (1781-1838).
Claudius, Hermann (geb. 1878)
Claudius, Matthias (1740—1815)
aus Reinfeld (Holstein), spater meist in Hamburg; Herausgeber des
„Wandsbecker Boten" (1771-75) und seines „Asmus omnia sua
secum portans" (1775—1803). Claudius ist als danischer Untertan
geboren und gehort dem schleswig-holsteinisch-ddnischen Freundes-
kreis an.
Colliander, Tito faeb. 1904)
schwcdischfinnischer Schriftstrller, 1934 Gast des Deutsch-Nordi-
schen Schriftstcllerhauses in Travemiinde, schrieb nach seiner
Rikkkehr ein Buch ..Eindrucke von Deutschland", cus dem die
enthaltenen Stellen entnommen wurden. Ins Deutsche ubersetzt
wurden seine Bucher „Taina" und ,,Der Versprengte".
Cornelius, Peter (1783-1867) deutscher Maler.
Dahl, joh. Christian ClauBen (1788—1857)
norwegischer Landschaftsmaler — Nach Studien im Norden Reise
nach Deutschland — mehrjahriger Aufenthalt in Dresden —Mitglied
der Dresdner Akademie und lange Zeit Akademielehrer in Dresden
— verschiedene Studienreisen nach Norwegen — beeinfluBte in
der ersten Zeit seines Deutschlandaufenthaltes nachdrucklich die
deutschen Kiinstler — sein EinfluB wird spaterdurch die norwegischen
und deutschen Maler der Dusseldorfer Schule in den Schatten gestellt.
Drachmann, Holger (1846-1908) danischer Dichter.
Owing er, Edwin Erich (geb. 1898)
deutscher Dichter (Roman, Schauspiel). U. a.: Die Armee hinter
Stacheldraht; Zwischen WeiB und Rot; Wir rufen Deutschland;
Und Gott schweigt; Die letzten Reiter; Auf halbem Wege.
Vortrage im Norden 1934.
Eckersberg, Christoffer Vilhelm (1783-1853)
danischer Maler und Lehrer der Kopenhagener Akademie.
Egger-Lienz, Albin (1868—1926) deutscher Maler.
Einarsson, Gudmundur (geb. 1895)
islandischer Maler — bis zu seinem 17. Lebensjahr Bauer, Fischer
und Handwerker — dann Sportwanderlehrer — widmete sich
darauf der Kunst — ging nach Kopenhagen und Berlin und schlieB-
lich nach Munchen, wo er bei Schwegerle, Bleeker und Kolbe sechs
Jahre lang studierte. Nach Beendigung des Studiums umfassende
Studienreisen. Er kehrte nach Island zuruck und erhielt eine groBe
Reihe von staatlichen Auftrdgen. 19 Ausstellungen durch die Nor-
dische Gesellschaft.
Ewald, Johannes (1743-1781)
beruhmter danischer Dichter, angeregt und gefordert durch K!op-
stock. Begrunder der neuen danischen Dichtkunst.
Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814).
Fleuron, Svend (geb. 1874) danischer Dichter.
Schrieb eine groBe Reihe Tierbucher und Erzahlungen, u. a. Die
rote Koppel; Schnipp Fidelius Adelzahn; Meister Lampe; Sigurd
Torleifsons Pferde; Flax Adilius; Katzenvolk; Tjo sucht Abenteuer;
Raben fliegen hoch zu Berg.
199
Zwei Vortragsreisen fur die Nordische Gesellschaft mlt 21 Vor-
tragen im Oktober-November 1936 und 30 Vorfragen im November-
Dezember 1937.
Fouque, Friedrich de la Motte (1777—1843)
Frenssen, Gustav (geb. 1863) deutscher Dichfer.
Unter seinen Romanen: Jorn Uhl; Hilligenlei; Peier Moors Fahrt
nach Siidwest; Der Untergang der Anna Hollmann; Griibeleien;
Otto Babendlek; Meino der Prahler.
Friedrich, Caspar David (1774—1840)
deutscher Landschaftsmaler der Romantik — wurde In Greifswald
geboren und wohnte seit 1795 In Dresden, wo er seit 1817 als Lehrer
an der Akademie tatig war. Er beeinfluBte in seiner Zeit einen
groBen Kunstlerkreis in Dresden; war eng befreundet mit Dahl.
Durch einen Besuch in Danemark hatte er Fuhlung mit der Kopen-
hagener Akademie. Die enthaltenen Zeichnungen stammen aus
einem Zeichenbuch von Friedrich, das im Kupferstichkabinetf des
norwegischen Nationalmuseums aufbewahrt. wird.
Furtwangler, Wilhelm (geb. 1886).
Geijer, Erik Gustaf (1783—1847) schwedischer Dichter.
Geijerstam, Gustaf av (1858—1909) schwedischer Dichter.
Geliert, Christian Fiirchtegott (1715-1769)
Professor der Philosophle in Leipzig, beruhmter Dichter von Fabeln
und geistlichen Liedern, der Lehrer „des guten Geschmackes in
Briefen". Gellerts Fabeln waren im Norden viel gelesen. H. C.
Andersen besuchte sein Grab in Leipzig (s. S. 65).
George, Heinrich (geb. 1893)
Staatsschauspieler, Intendant des Schiller-Theaters der Relchshaupt-
stadt. Gastspielreise im Norden 1938; Vortrag Kopenhaqen Dezem-
ber 1939.
Gerstenberg, Heinr. With, von (1737—1823)
aus Tondern, lebte meist in Holstein und inLubeckals holstelnischer und
danlscher Offizier und Beamter; Vorlaufer des Sturms und Drangs
Goethe, Johann Wolfgang (1749—1832).
Grlese, Friedrich (geb. 1890).
Grimm, Jacob (1785—1863).
Grimm, Wilhelm (1786—1859).
Hagedorn, Friedrich v. (1708—54) deutscher Dichter.
Hamsun, Knut (geb. 1859)
Unter der groBen Reihe Romane heben wir hervor: Hunger;
Mysterien; Viktoria; Pan; August Weltumsegler; Das letzte Kapitel;
Segen der Erde; Die Stadt SegelfoB; Der Ring schlieBt sich; auBer
weiteren Romanen schrieb er eine Reihe von Dramen, u. a. Munken
Vendt und Gedichte. Die Gesamtausgabe seiner Werke erschien
im Albert Langen/Georg Miiller Verlag. Hamsun hat immer die
deutschen Verhaltnisse mit groBem Interesse verfolgt und sich seit
Jahren fur die Anerkennung der deutschen Erneuerungsbestrebuhgen
ausgesprochen.
Hamsun, Marie
Gattin des norwegischen Dichters Knut Hamsun, Verfasserin elner
Reihe schoner Kinderbucher. „DieLangerudkinder", ..DieLangerud-
kinder im Winter"; „Ola Langerud in der Stadt".
200
Marie Hamsun fuhrte im November/Dezember 1939 eine Vortrags-
reise mit 33 Vorlesungsabenden aus Knut Hamsuns und eigenen
Buchern fur die Nordische Gesellschaft durch.
Hauptmann, Gerhart (geb. 1862).
Hausegger, Siegmund v. (geb. 1872).
Hebbel, Friedrich (1813-1863)
geboren in Wesselburen, kam von Wesselburen nach Hamburg, wo
er Elise Lensing kennen lernte, die ihm eine hilfreiche Freundin war
studierte in Heidelberg — durch ein Sfipendium des danischen Konigs
wurde ihm eine Reise nach Frankreich und Italien ermoglicht —
seit 1845 lebte er in Wien.
Hedin, Sven (geb. 1865)
eine groBe Reihe von Forschungs- und Studienreisen durch euro-
paische Lander, auBerdem mehrere Wissenschaftsreisen durch Tibet
und Innerasien. Eine groBe Reihe wissenschaftlicher Veroffent-
lichungen, deren deutsche Ubersetzungen im Verlag Brockhaus
erschienen. Im Weitkrieg berichtete Hedin von der Ost- und West-
front. Unter seinen zahlreichen Veroffentlichungen „Die Flucht des
groBen Pferdes"; „Der wandernde See" und „Die Seidenstrafie".
Vor kurzem erschien das Buch „50Jahre Deutschland". Sven Hedin
hat sich immer lebhaft mit alien deutschen Fragen beschaftigt und
sich haufig in positivem und forderndem Sinne geauBert. Er hat in
Deutschland mehrfach umfangreiche Vortragsreisen durchgefiihrt.
Heiberg, Johan Ludvig (1791—1860) danischer Dichter.
Heidenstam, Verner von (geb. 1859)
schwedischer Dichter, Mitglied der Schwedischen Akademie. Unter
seinen Buchern: Endymion; Hans Alienus; Karl XII. und seine
Krieger; Die Pilgerfahrt der Heiligen Birgitta; Der Wald rauscht;
Die Folkunger. AuBerdem eine groBe Reihe von Gedichten, die
leider nur zum geringsten Teil ins Deutsche ubersetzt sind. Heiden-
stam hat die Geschichte und Entwicklung des deutschen Volkes von
jeher mit warmem Interesse verfolgt.
Herder, Caroline, geb. Flachsland (1750—1809)
aus Reichenweier (ElsaB); Herder lernte sie August 1770 kennen
und fuhrte sie 1773 als seine Frau nach Biickeburg heim.
Herder, Johann Gottfried (1744—1803)
ausMohrungen in OstpreuBen, in Konigsberg Schuler Hamanns und
Kants, Geistlicher und Kollaborator an der Domschule in Riga,
dann auf Reisen; 1771 Konsistoriairat in Biickeburg, 1776 General-
superintendent in Weimar; einer der groBten Anreger der deutschen
Geistesgeschichte, besonders bedeutend fiir den Sturm und Drang
und die Romantik. Schatzte den Norden, s. u. a. sein „Reisejournal"
und die starke Zahl von Liedern aus dem Norden in der Sammlung
„Lieder der Volker".
Hinrichs, August (geb. 1879).
Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus (1776—1822).
Holberg, Ludvig (1684—1754).
Ibsen, Henrik (1828-1906)
fijhrender norwegischer Dramatiker — bekannt besonders durch
seine Gesellschaftsdramen — ferner durch „Per Gynt", „Brand" und
„Die Thronpratendenten" u. a.
201
Wurde in Bergen Dramafurg des dorligen Theaters — siedelte dann
noch Oslo iiber — er lebte die langsie Zeit seines Lebens in Deutsch-
land und Italien.
Ingemann, Bernhard Severin (1789—1862) danischer Dichter.
Jacobsen, Jens Peter (1847—1885) danischer Dichter.
Johst, Hanns (geb. 1890)
deutscher Dichter; Prdsident der Reichsschrifttumskammer. Roman,
Drama. U. a. Der junge Mensch; Der Einsame; Consuela; Thomas
Paine; So gehen sie hin; Schlageter; Mutter ohne Tod; Maske und
Gesicht. Reise eines Nationalsozialisten von Deutschland nach
Deutschland. (Veriag Albert Langen/Georg Muller, Munchen.)
Jens, Juel (1745-1802)
geboren in Gamborg auf Funen, danischer Maler, Lehrer an der
Kopenhagener Akademie.
Kant, Immanuel (1724—1804).
Keller, Gottfried (1819-1890).
Kilpinen, Yrjo (geb. 1892)
finnischer Komponist (Lieder, Kammermuslk).
Studierte am Musikinstitut Helsinki, in Wien 1910/11, in Berlin
1913/1914. Unter der groBen Zahl seiner Lieder, die fast alle auch
in deutschen Verlagen erschienen, sind eine groBe Anzahl nach
deutschen Texten, u. a. Christian Morgenstern. Zahlreiche Auf-
fiihrungen in Deutschland.
Kleist, Heinrich von (1777-1811).
Klopstock, Friedr. Gottlieb (1724-1803)
deutscher Dichter, Verfasser des „Messias" und vieler Oden; von
1751 —1770 mit Unterbrechungen in Kopenhagen seine Gonner sind
Friedrich V., Bernstorff, Moltke und Schimmelmann.
Koskenniemi, Veikko Antero (geb. 1885)
fiihrender finnischer Lyriker und Kritiker, Professor an derfinnischen
Akademie in Turku — mehrfache Studienreisen nach Deutschland.
In deutscher Sprache erschienen: „Der junge Anssi und andere
Gedichte"; „Gaben des Gliicks" (Langen/Miiller Veriag) und einzelna
Gedichte in der Zeitschrift der Nordischen Gesellschaft ,,Der Nor.
den". 1931 erster Teil einer Goethe-Biographie „Der junge Goethe"
(finnisch).
1935 Vortragsreise fur die Nordische Gesellschaft.
Lagerlof, Selma (geb. 1858).
Larsson, Carl (1853—1919) schwedischer Maler.
Lavater, Joh. Kasp. (1741-1801).
Leibl, Wilhelm (1844-1900).
Leibniz, Gottfr. Wilhelm (1646-1716).
Lessing, Gotthold Ephraim (1729—1781).
Lie, Jonas (1833—1906) norwegischer Dichter.
Linne, Karl v. (1707—1778) schwedischer Naturforscher.
Lonnrot, Eiias (1802—1884) Sammler und Herausgeber des Kalevala.
Luserke, Martin (geb. 1880)
deutscher Dichter (Romane und Norden).
Genannt seien: Hasko. Ein Wassergeusenroman; Das Schiff Satans;
Obadjah und die ZK 14; Die Ausfahrt gegen den Tod; Der eiserna
202
Mo>-gen (erster Band der Trilogie ,,Die Wikinger"). Fahrt mi! seiner
Tjalk ,,Krake" viel in den Gewdssern des Nordens.
Luther, Martin (1483—1546).
Mahlau, Alfred (geb. 1E94) deutscher Zeichner und Maler.
Manninen, Otto (geb. 1872)
Professor in Helsinki. Zahlreiche Obersetzungen u. a. Goethes Faust
ins Finnische.
Eine Reihe finnischer Dichtungen ins Deutsche ubertragen: „Suomis
Sang".
Miegel, Agnes (geb. 1879)
deutsche Dichterin (Balladen, Gedichte und Erzdhlungen).
Gedichte (1901); Heimat (1926); Gesammelte Gedichte (1927); Ge-
schichten aus AltpreuBen (1927/28); Kinderland (1930); Der Voter
(1932); Herbstgesang (1934); Fahrt der sieben Ordensbruder (1934);
Gang in die Dammerung (1934); Deutsche Balladen; Unter hellem
Himmel (1936) u. a.
Moe, Jorgen (1813—1882) norwegischer Marchensammler.
Morike, Eduard (1804-1875).
Moltke, Adam Gottlob, geb. 1710 in Mecklenburg.
Das Geschlecht Moltkes hatte nahe Beziehungen zu Danemark.
1722 ais Page am Hofe des Kronprinzen Christian, 1730 Page
Fredrik IV., kurze Zeit nach dem Regierungsantritf Fredrik V.
wurde Moltke Oberhofmarschall.
Musaus.Joh.KarlA. (1735-1787) deutsch. Dichter, Marchenherausgeber.
Nordstrom, Clara (geb. 1866)
geboren in Karlskrona (Schweden).
Wohnt seit vielen Jahren in Deutschland. Von ihren Biichern er-
wahnen wir „Kajsa Lejondahl"; „Frau Kajsa"; „Roger Bjorn";
„Lillemor"; „Ruf der Heimat".
Fur die Nordische Gesellschaft hielt Frau Nordstrom mehrere Vor-
tragsreisen mit 47 Vorlesungen im Jahre 1939.
Novalis (Friedrich von Hardenberg) (1772—1801).
Oehlenschlager, Adam (1779-1850)
fiihrender Dichter des Goldzeitalters der danischen Dichtung —
wdhlte fur seine Dramen besonders die Stoffe der altnordischen
Vorzeit — durch mehrere Reisen in Deutschland hatte er Fiihlung
mit alien namhaften Personlichkeiten des offentlichen und kulturellen
Lebens der Zeit — diese Beziehungen spiegeln sich in seinen Lebens-
erinnerungen und Briefen und auch in seinen Werken der Friihzeit
besonders deutiich wieder.
Pacius, Frederic (1 809 -1891)
finnischer Komponist, Schopfer der finnischen Nationalhymne und
vieler finnischer Volksweisen.
Pacius wurde in Hamburg geboren.
Paul, Jean (1763-1825).
Roasted, Niels Otto (geb. 1888)
Domorganist an der Frauenkirche in Kopenhagen.
Vorsitzender des Bachvereins, Mitglied der Gesellschaft zur Heraus-
gabe danischer Musik u. a.
Werke fur groBes Orchester, Orgel, Chore, Karnmermusik, Lieder.
Haufige Konzerte in Deutschland u. a. fur die Nordische Gesellschaft
203
oder zusammen mit der Nordischcn Gesellschaft. 4. Reichstagung
der Nordischen Gesellschaft Mitternachtskonzert; Stuttgart, Ham-
burg, Flensburg, Kiel und Berlin Februar/Mdrz 1935.
Rahbek, Knut Lyne (1760-1830)
einer der fiihrenden Schriftsteller Danemarks um 1800. Professor
an der Unh'ercirat in Kopenhagen.
Rauch, Christian (1777—1857) deutscher Bildhauer.
Ring, Barbra (geb. 1870)
norwegische Dichterin — aus der groBen Reihe ihrer Romane sind
mehrere ins Deutsche iibertragen — unter ihren Kinderbuchern
besonders das reizende Buch ,,Peik" und das Buch „Petra" — von
den weiteren Biichern nennen wir „Anne Karine Corvin", „Die
Jungfrau von Paris", „Die junge Barbra", ,,Die Tochter von Eld-
|arstad" — Vortragsreise fur die Nordische Gesellschaft im Jahre
1936 mit 8 Vortragen.
Runge, Philipp Otto (1777—1810)
deutscher Maler der Romantik. Geboren in Wolgast, kommt mit
14 Jahren nach Hamburg, studiert in Hamburg, Kopenhagen (s. Bei-
trag) und Dresden. Die Kritik alien Akademien gegeniiber wird aus
diesen Briefen seiner Friihzeit schon ganz klar. Nach der Dresdener
Zeit lebt er mit kurzen Unterbrechungen in Hamburg. S. auch Be-
gegnung mit Steffens Seite 27.
Schelling, Fried rich v. (1775-1854).
Schiller, Fried rich (1759-1805).
Schillings, Max von (1868-1933).
Schlegel, August Wilhelm (1767—1845)
als Philosoph und Dichter der romantischen Schule, besonders aber
durch seine Obersetzungen auslandischer Literatur z. B. Shake-
speares bekannt.
Schlegel, Friedrich (1772-1829)
einer der fiihrenden Dichter und Philosophen der deutschen Romantik
— er ging in seinen Vorlesungen und Aufsatzen hdufig auf den
Norden ein und hatte zu verschiedenen Personlichkeiten des Nordens
nahe Beziehungen.
Schlegel, Joh. Elias (1719-49)
deutscher Dichter; aus MeiBen, Schiiler Gottscheds in Leipzig ; spater
Professor an der Ritterakademie Soro (Danemark), starb kurz nach
seiner Ernennung. Darauf wird in dem ersten Klopstockbrief hin-
gewiesen Seite 12.
Schumann, Clara (1819—1896).
Schumann, Gerhard (geb. 1911)
geboren in EBIingen — bezog 1930 die Universitat Tubingen und
studierte Germanistik — trat friih in die Bewegung Adolf Hitlers
ein — seit 1929 veroffen'Iicht er Lyrik — 1935 Leiter des Reichs-
propagandaamtes in Wiirttemberg — seit 1938 Reichsschrifttums-
kammer Berlin.
1934 „Fahne und Stern"; 1935 „Die Lieder vom Reich"; 1936 „Wir
aber sind das Korn", das mit dem „Nationalen Buchpreis" aus-
gestaftet wurde; 1936 „Die heilige Stunde"; 1937 „Wir diirfen
dienen"; 1938 „Volk ohne Grenzen"; 1938 „Entscheidung".
Schumann, Robert (1810—1856).
204"
Segantini, Giovanni (1858—99) itallenischer Maler.
Sim rock, Karl (1802-1876)
Obersetzer der Edda, des Nibelungenliedes u. a.
Speckter, Erwin (1806—1835) deutscher Maler und Zeichner.
Steffens, Henrich (1773-1845)
in Norwegen (Stavanger) geboren und in Danemark erzogen, kommt
er nach Halle, in den Kreis der deutschen Romantik, unzahlige Be-
ziehungen zu fast alien fiihrenden Mannern der Zeit, ist als Professor
in Halle tatig, 1813 in Breslau Teilnehmer an der Preufiischen Er-
hebung. Trager des Eisernen Kreuzes. Bahnbrechend im Norden
durch seine Anfang des 19. Jahrhunderts gehaltenen Vorlesungen,
die sich mit Goethe und Schelling befaBten und dieses Ideengut nach
dem Norden verpflanzten. UnterseinenZuhorernwarenauchOehlen-
schlager und Grundtvig.
Stolberg, Friedrich Leopold (1750—1819).
Stolberg, Christian (1748-1821).
Straube, Karl (geb. 1873) Thomaskantor. Zahlreiche Besuche im
Norden mit Orgel- und Chorkonzerten.
StrauB, Richard (geb. 1864).
Strindberg, August (1849-1912).
Talvio, Maila (geb. 1871)
finnische Dichterin — zahlreiche Studienreisen durch verschiedene
europaische Lander — von ihren Romanen wurden ins Deutsche
ubersetzt „Die Kraniche", „Die Glocke", ..Yolintu" (veroffentlicht
in der Zeitschrift der Nordischen Gesellschaft „Der Norden" Jul!
1936 bis Februar 1937) und „Die Tochter der Ostsee". — Vortrags-
reise fur die Nordische Gesellschaft im Jahre 1936 mit 8 Vortragen
Tegner, Esaias (1782-1846)
schwedischer Dichter und fiihrende Personlichkeit der schwedischen
Romantik — in Deutschland wurde schon zu seinen Lebzeiten —
besonders die Frithjofssaga aus dem Jahre 1824 — bekannt und ins
Deutsche ubersetzt.
Thoma, Hans (1839-1924).
Thorvaldsen, Bertel (1770-1844).
Tieck, Ludwig (1773-1853)
fiihrender Dichter der deutschen Romantik — besonders bekannt
durch seine Marchenerzahlungen und durch die Schaffung von
Kunstmarchen. Tiecks EinfluB auf verschiedene Dichter des Nordens
ist auBerordentlich stark gewesen. Er selbst kannte die Literatur
des Nordens sehr gut — wir horen oft von Vorlesungen Holbergs
in seinen Vorlesungsabenden.
VoB, Johann Heinrich (1751—1826).
Wegener, Alfred (1880—1930) Wissenschaffler und Polarforscher.
Wiedewelt, Hans (1731—1802) danischer Bildhauer.
Wieland, Christoph Martin (1733-1813)
ein viel gelesener deutscherSchriftsteller, Kanzleidirektor in Biberach,
seit 1769 Prcfessor der Philosophie in Erfurt, seit September 1722
Hofrat und Erzieher des Erbprinzen in Weimar.
Zorn, Anders (1860—1920) schwedischer Maler.
205
!NHALTSVERZEiCHNiS
VorworJ 3
Zwiegesprach in der Vergangenheit
Privileg fur eine deutsche Schauspielertruppe in Kopenhogen . . 9
Briefe von Klopstock ^
C. F. Cramer, Uber Klopstock in Kopenhagen 14
K. L Rahbek, Aus der Rede auf Klopstock am 2. Juli 1819 zu Altona 16
Der ]unge Matthias Claudius an Gerstenberg in Kopenhagen . 20
Matthias Claudius, Die Biene 22
Henrich Steffens, Was mir Deutschland war 23
Henrich Steffens, Gedanken zur gegenwartigen Zeit 30
Adam Oehlenschlager an Johann Wolfgang Goethe 35
Aus Oehlenschltigers Lebenserinnerungen 39
J~an Paul uber Oehlenschlager ° 42
Philipp Otto Runge, Studium an der Kopenhagener Akademie . 43
Positive und negative Auffuhrungen und Auffassungen von Kleist
im Koniglichen Theater in Kopenhagen 50
J. C. C. Dahl und Deutschland 53
E. Tegners unfreundliche und freundliche Auseinandersetzung mit
Deutschland 5^
H. C. Andersen, Landschaften, Sfadte und Menschen 61
Hebbel in Kopenhagen 74
Blitzlichfer aus den Briefen des werdenden Bjornstjerne Bjornson 80
Henrik Ibsens Weg zu Deutschland 83
Wissenschaft und Dichtung entdecken den Norden
J. G. Herder, Der Wassermann 87
Jacob Grimm, Scandinavische Rfise 89
Jacob Grimm, Zu den danischenVolkssagen — Zu den schwedischen
Volkssagen — Uber das finnische Epos — Uber
eine isldndische Grammatik — Zur Edda 91
Wilhelm Grimm, Uber die Lieder der Edda . 96
Friedrich Schlegel, Edda \ ° ° [ [ 97
Ludwig Tieck, Norwegische Volksmarchen eingeleitet 100
Ernst Moritz Arndt, Loblied auf Schweden und den Norden ins-
gesamt 102
Zeitgenossisches Zwiegesprach
Knuf Hamsun, Ein Wort Uber Deutschland 107
Yrjo Kilpinen, Deutsche und finnische Musik 103
Gustav Frenssen, Mein Verhaltnis zum Norden ! ! ! 109
Hans Friedrich Blunck, Reisegedichte aus Norwegen 110
Verner von Heidenstam, Im Weltkrieg und 1933 . .113
Heinrich George, Rede in Dresden im November 1939 .... 114
Sven Hedin, Aus meinen Deutschland-Erinnerungen ...... 118
Svend Fleuron, Reliefs von einer Deutschlandrelse 1936 . . . .122
V. A. Koskenniemi, Mein tiefstes deutsches Kulturerlebnis ... 137
Hanns Johst, Uber Finnland 138
206
V. A. Koskenniemi, Die Wacht am Rhein 142
Clara Nordstrom, Wie mir Deutschland begegnete 143
Edwin Erich Dwinger, Im Land der roten Hauser 145
Gudmundur Einarsson, Kiinstler, Menschen und Berge 150
Barbra Ring, An den Soldaten, der keinen Brief erhielt .... 154
Heinrich Anacker, Die finnische Vase 155
Marie Hamsun, Deutschland 156
Agnes Miegel, Begegnungen mit Norwegen 157
Kurt Atterberg, Deutschland und die Musik des Nordens . . . 163
Martin Luserke, Zwei Inseln oder Wie Mister Hobri Danemark
entdeckte 167
Gerhard Schumann, Kopenhagen 172
N. O. Raasted, Bedeutung einer Begegnung fur danische und
deutsche Musik . 173
Maila Talvio, Luther und Finnland 178
Erik Bertelsen, Eindriicke aus Deutschland 182
Tito Colliander, Eindriicke in Deutschland (qeschrieben 1934). . 184
H. H. Aall, Norwegen und Deutschland 1917 187
Heinrich Anacker, Kopenhagen 188
Hinweise . 189
Namenverzeichnis 197
207
t
I