TAQEBUCH
EINES
HALBWÜCHSIGEN
.MÄDCHENS
Internationaler
Bsychoanaly tischer\ferlag /Gss-m-b-ß
i 9 19
V
I
Tagebuch
eines
halbwüchsigen Mädchens
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Sämtliche Rechte, insbesondere das der Übersetzung in alle Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1919 by Internationaler Psychoanalytischer Verlag. Ges. m.b.H., Wien, 1.
Veilags-Nr. 7.
Quettenschriften zur seelischen €ntcuick?ung
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Tagebuch
eines
halbwüchsigen Mädchens
Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H.
Leipzig 1919 Wien
Geleitwort.
In den vorliegenden Blättern gelangen die Aufzeichnungen eines
halbflüggen Mädchens aus vornehm-bürgerlicher Familie zur Veröffent-
lichung. Ich weiß ihnen kein schöneres Geleite zu geben als die Worte,
in die Herr Professor Dr. Freud ihren Wert als Kulturdenkmal unserer
Zeit in seinem Brief an mich vom 27. April 1915 faßte:
„Das Tagebuch ist ein kleines Juwel. Wirklich, ich glaube,
noch niemals hat man in solcher Klarheit und Wahrhaftigkeit
in die Seelenregungen hineinblicken können, welche die Ent-
wicklung des Mädchens unserer Gesellsdiafts- und Kulturstufe
in den Jahren der Vorpubertät kennzeichnen. Wie die Gefühle
aus dem kindlich Egoistischen hervorwachsen, bis sie die soziale
Reife erreichen, wie die Beziehungen zu Eltern und Geschwistern
zuerst aussehen und dann allmählich an Ernst und Innigkeit
gewinnen, wie Freundschaften angesponnen und verlassen
werden, die Zärtlichkeit nach ihren ersten Objekten tastet,
und vor allem, wie das Geheimnis des Geschlechtslebens erst
verschwommen auftaucht um dann von der kindlichen Seele
ganz Besitz zu nehmen, wie dieses Kind unter dem Bewußt-
sein seines geheimen Wissens Schaden leidet und ihn allmählich
überwindet, das ist so reizend, natürlich und doch so ernsthaft
in diesen kunstlosen Aufzeichnungen zum Ausdruck gekommen,
daß es Erziehern und Psychologen das höchste Interesse ein-
flößen muß.
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. . . Ich meine, Sie sind verpflichtet, das Tagebudi der
Öffentlichkeit zu übergeben. Meine Leser werden Ihnen dafür
dankbar sein ..."
Bei der Herausgabe dieser Blätter wurde nichts beschönigt, nichts
dazugetan oder weggelassen. Die Änderungen beziehen sich einzig
auf die Unkenntlichmachung der Personen durch die Wahl anderer
Orts-, Familien- und Vornamen, durch die Verwischung all dessen,
was Eingeweihte auf die Spur der Schreiberin führen könnte. Damit
erfülle ich den Wunsch der Eignerin des Tagebuches, die mir diese
Aufzeichnungen zu freier Verwendung im Dienste der Wissenschaft
überließ.
Es wurden auch die kleinen Unebenheiten des Stiles und Verstöße
gegen die Rechtschreibung beibehalten. Denn sie sind zum über-
wiegenden Teil nicht als Ausdruck kindlicher Unbeholfenheit in der
Beherrschung des Wortes zu betrachten, sondern als Äußerungen
affektuöser Strömungen, als echte Fehlleistungen aus dem Wirken des
Unbewußten zu werten.
Wien, im Herbst 1919.
Die Herausgeberin.
1. Jahr.
(Von 11—12 Jahren.)
12. Juli 19 . . : Die Hella und ich schreiben jetzt ein Tage-
buch. Wir haben uns vorgenommen, wenn wir ins Lyzeum auf-
genommen werden, alle Tage ein Tagebuch zu führen. Die Dora
schreibt auch ein Tagebuch, aber sie ärgert sich furchtbar, wenn
ich es sehe. Ich nenne die Helene Hella und sie nennt mich
Rita; Helene und Grete ist so furchtbar gewöhnlich. Die Dora
nennt sich seit neuestem Thea; ich sage aber doch wie immer
Dora. Sie behauptet für so kleine Kinder (damit meint sie mich
und die Hella) paßt überhaupt noch gar kein Tagebuch. Und was
da für Unsinn drin stehen wird. Auch nicht mehr als in den ihren
und Lizzi ihrem.
13. Juli: Eigentlich sollten wir erst nach die Ferien anfangen
zu schreiben, aber weil wir beide wegfahren, so beginnen wir
schon jetzt. Damit wir wissen, was wir in die Ferien erlebt
haben.
Also vorgestern haben wir Aufnahmsprüfung gemacht, es
war sehr leicht, im Diktat habe ich nur 1 Fehler gemacht in
ohne h. Das Fräulein hat gesagt, das macht nichts, ich hab mich
nur geirrt. Das ist auch wahr, denn ich weiß recht gut, daß
man ihn mit h schreibt. Wir waren beide weiß angezogen mit
den rosa Maschen und alle haben geglaubt, wir sind Schwestern
oder wenigstens Kusinen. So eine Kusine ließ ich mir schon
gefallen. Aber als Freundin ist es noch besser, der kann man alles
anvertrauen.
14. Juli: Unser Fräulein war sehr lieb. Wegen ihr ist mir
und der Hella eigentlich leid, daß wir nicht in die Bürgerschule
gehen. Denn da hätten wir alle Tage vor der Schule zu ihr in
die Klasse hinunter gehen können. Wegen der anderen Kinder ist
es uns aber recht. Man ist doch mehr, wenn man ins Lyzeum
geht als bloß in die Bürgerschule. Und darum ärgern sich auch
die Kinder furchtbar. Sie bersten vor Neid, (das sagt meine
Schwester von mir und der Hella, aber es ist nicht wahr.)
Unsere beiden Studentinnen hat das Fräulein gesagt,
wie wir uns verabschiedet haben. Wir sollen ihr bestimmt schreiben
am Land. Ich tue es auch.
15. Juli : Die Lizzi, der Hella ihre Schwester, ist nie so gemein
wie die Dora, die ist immer so nett! Heute schenkte sie uns jeder
mindestens zehn Praline. Die Hella sagt zwar oft zu mir : .Du
kennst sie nicht, wie sie sein kann. Zu mir ist Deine Schwester
auch gewöhnlich sehr lieb." Natürlich, das ist sehr lieb, wenn sie
immer von uns die K 1 e i n e n oder die K i n d e r sagt, als ob sie
nie ein Kind gewesen wäre und zwar noch ein viel kleineres, als
wir jetzt sind. Übrigens jetzt sind wir dasselbe wie sie. Sie geht
halt in die Vierte Klasse und wir in die Erste.
Morgen fahren wir nach Tirol, nach Kaltenbach. Ich freue
mich schon riesig. Die Hella ist heute gefahren, nach Ungarn zu
ihrem Onkel und ihrer Tante mit ihrer Mama und der Lizzi. Und
ihr Papa ist in die Manöver.
19. Juli : In die Ferien ist es sehr schwer, alle Tage zu
schreiben. Es ist einem alles so neu und man hat keine R" ne
zum schreiben. Wir wohnen in einer großartigen Villa im Wald.
Aber den Platz vor dem Haus, den hat die Dora gleich für sich
genommen zum schreiben. Und rückwärts sind so gräßlich viele
ganz kleine Fliegen ; da ist alles schwarz vor Fliegen. Vor Fliegen
und solchen Tieren graust's mir. Wegen des vorderen Platzes
lasse ich mir diese Verdrängung auf keinen Fall gefallen. Das
gibts nicht, das hat auch der Papa gesagt: „Kinder, streitet
nicht!" (Kinder auch zu ihr!!) Das ist schon recht, weil sie
sich gar so viel einbildet, daß sie im Oktober vierzehn wird.
„Die Plätze gehören ja allen und jedem," hat der Papa gesagt.
Das ist wahr, der Papa ist immer gerecht, nie gibt er der Dora
Recht, während die Mama schon öfters die Dora bevorzugt.
Heute schreibe ich an die Hella. Sie hat mir übrigens auch noch
nicht geschrieben.
21. Juli: Die Hella hat mir geschrieben, 4 Seiten lang und
so lieb. Wenn ich sie nicht hätte ! Vielleicht kommt sie im
August zu mir oder ich zu ihr. Ich zu ihr, das wäre beinahe bes-
ser. Ich mache gern Besuche auf lange. Der Papa hat gesagt:
„Na, wir werden schon sehen", also da erlaubt er es bestimmt.
Wenn die Eltern sagen, wir werden schon sehen, heißt das
immer ja ; aber sie wollen es nicht direkt sagen, damit, wenn es
doch nicht geht, die Kinder ihnen keinen Vorwurf machen
können, daß sie ihr Wort nicht halten. Der Papa täte über-
haupt alles erlauben, aber die Mama. Na, wenn ich öfters Klavier
übe, wird sie es vielleicht schon erlauben. Ich muß spazieren
gehen.
22. Juli: Ich muß mich zwingen, hat die Hella geschrieben,
jeden Tag zu schreiben, denn einen Schwur muß man halten und
wir haben es geschworen, jeden Tag zu schreiben. Ich
23. Juli: Es ist gräßlich, man hat keine Ruhe. Gestern wie
ich schreiben will, wird aufgeräumt und in der Laube war die
D . . . vor der schreib ich absolut nicht und am offenen Platz
vorn sind mir die Blätter weggeflogen. Wir schreiben nämlich
auf lose Blätter. Die Hella meint, es ist besser, weil man nichts
herausreißen braucht. Aber wir haben einander geschworen, daß
wir nichts wegwerfen und zerreißen. Und warum denn? Vor
einer Freundin kann man alles sagen. Das wäre eine schöne
Freundschaft. Wie ich gestern zuerst doch in die Laube komme,
schaut die Dora mich mit einem infamen Blick an und fragt :
Du wünschest? Als ob die Laube ihr allein gehörte, über-
haupt, wo sie zuerst den Platz vorn wollte. Das ist wirklich eine
Gemeinheit.
Gestern nachmittags waren wir auf dem Kobler-Kogel. Es
war sehr schön. Denn der Papa war sehr lustig und wir haben
uns mit Tannenzapfen beworfen. Das war lustig. Der Dora habe
ich einen auf ihren ausgestopften B . . . . geworfen, da hat sie
furchtbar aufgeschrien und ich habe ganz laut gesagt: Das
spürst du ja gar nicht. Im Vorbeigehen hat sie gesagt : Fratz !
Aber das macht nichts, wenigstens weiß ich, daß sie es ver-
standen hat und daß es wahr ist. Ich möchte wissen, was sie alle
Tage der Erika zu schreiben hat und was s i e eigentlich in ihr
Tagebuch schreibt. Der Mama war nicht gut und da ist sie zuhaus
geblieben.
24. Juli: Heute ist Sonntag. Den Sonntag habe ich beson-
ders gern. Der Papa sagt zwar: Kinder, ihr habt ja alle Tage
Sonntag. In den Ferien ist es wahr, aber sonst haben wir gar nicht
alle Tage Sonntag. Die Bauern sind alle in ihren Kostümen und
die Bäuerinnen und Kinder auch, ganz so wie im Theater. Wir
haben heute die weißen Kleider an und ich habe mir einen
großen Kirschenfleck hineingemacht, aber unabsichtlich, weil ich
mich auf verfaulte Kirschen gesetzt habe. Jetzt muß ich nach-
mittags zum Spazierengehen doch das rosa Kleid anziehen. Das
ist mir ganz recht, ich habe nicht gerne dasselbe Kleid an,
wie die Dora. Niemand braucht gleich wissen, daß wir Schwestern
sind. So kann man glauben, wir sind bloß Kusinen. Sie kann
es übrigens auch nicht leiden, warum, möchte ich wissen? In
8 Tagen kommt der Oswald, da freue ich mich schon riesig. Der
ist doch noch älter als die Dora, aber mit ihm vertrage ich mich
immer. Die Hella hat mir geschrieben, daß sie sich langweilt ohne
mich ; ich mich auch.
25. Juli: Heute schrieb ich an das Fräulein Prückl. Sie ist in
Achensee. Ich möchte sie sehr gerne sehen. Nachmittag gehen
wir alle Tage kalt baden und spazieren. Aber heute regnet es
schon den ganzen Tag. Das ist fad. Ich habe meine Farben zum
Malen vergessen und lesen darf ich nicht den ganzen Tag. Die
Mama sagt, wenn du jetzt alles verschlingst, hast du dann gar
nichts mehr. Das ist wahr, aber nicht einmal schaukeln kann
ich gehen.
Nachmittag: Das muß ich extra schreiben. Ich habe einen
furchtbaren Streit mit der Dora gehabt. Sie behauptet, ich
stöbere in ihren Sachen herum. Weil sie keine Ordnung hat. Ich
möchte wissen, was mich ihre Sachen interessieren sollen. Ihren
Brief an die Erika hat sie gestern selber am Tisch liegen lassen
und da habe ich weiter nichts gelesen, als: Er ist göttlich schön.
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Wer, das weiß ich nicht einmal. Aber da kam sie schon bei der
Tür herein. Wahrscheinlich der Krail Rudi, ihr Partner beim
Tennisspielen, mit dem macht sie furchtbare Geschichten. Aber
schön, na Geschmacksache !
26. Juli: Es ist doch ganz gut, daß ich mir den Puppen-
koffer mitgenommen habe. Eigentlich hat die Mama gesagt : Nimm
ihn nur für Regenwetter. Also spielen tu ich ja natürlich längst
nicht mehr ; aber schließlich Kleider nähen, daß kann man schon
tun mit 11 Jahren; man lernt ja auch gleich dabei etwas. Und
wenn etwas fertig ist, machts mir riesige Freude. Die Mama
schneidet mir die Sachen zu und ich nähe sie ganz leicht zu-
sammen. Da kommt die Dora ins Zimmer und sagt: Ach, die
Kleine näht Puppensachen. Eine solche Frechheit, als ob sie nie
mit Puppen gespielt hätte. Und dann von Spielen ist bei mir
doch überhaupt keine Rede. Wie sie sich neben mich niedersetzt,
fahre ich mit der Nadel so stark aus, daß ich ihr einen Riesen-
kratzer auf der Hand mache und sage : O Pardon, du bist mir
leider zu nahe gekommen. Den Sinn wird sie hoffentlich ver-
standen haben. Natürlich wird sie es der Mama klatschen. Soll
sie. Was hat sie mich denn Kleine zu nennen. Und den roten
Kratzer hat sie doch, noch dazu auf der rechten Hand, wo ihn
jedes sieht.
27. Juli: Wir haben hier sehr viel Obst. Den ganzen Tag
sitz ich bei den Stachelbeeren und Himbeeren und die Mama sagt,
darum esse ich nichts zu Mittag. Der Doktor Klein sagt doch
immer, Obst ist so gesund; also warum denn auf einmal nicht?
Die Hella sagt auch immer, das, was man gern tut und hat, da
drüber wird so lange geschimpft, bis es einem zuwider wird.
Und die Hella ärgert sich auch oft furchtbar über ihre Mama
und ihre Mama sagt: Da opfert man sich auf für seine Kinder
und die lohnen es mit Undank. Na also aufopfern, ich möchte
wissen, wieso. Eher müssen die Kinder sich opfern. Denn wenn
ich Stachelbeeren essen will und nicht darf, so ist das ein Opfer
von mir und nicht von der Mama. Ich habe das auch Hella
geschrieben. Das Fräulein Prückl hat mir geschrieben. Gott wie
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süß, die Adresse Fräulein Grete Lainer, Lyzealschülerin. Die
Dora weiß es natürlich schon wieder besser und sagt, in den
oberen Klassen von der vierten an (weil sie nämlich in die
vierte kommt), schreibt man Lyzeistin. „Und in den Ferien vor
der ersten Lyzeumsklasse ist man überhaupt noch keine Lyzeal-
schülerin." Da ist der Papa dazugekommen und hat gesagt,
wir (ich habe nicht angefangen) sollen mit diesem ewigen
Wortgeplänkel aufhören; er will das nicht hören. Da hat er
sehr recht; aber es wird leider nichts nützen, denn die Dora
hört ja doch nicht auf. Das Fräulein Prückl hat mir geschrieben,
sie hat sich sehr gefreut, daß ich ihr geschrieben habe. Und
wenn ich wieder einmal Zeit habe, so soll ich ihr wieder schreiben.
Gott! für sie habe ich immer Zeit. Ich schreibe ihr noch heute
nach dem Nachtmahl, damit sie nicht umsonst wartet.
29. Juli: Gestern war es mir unmöglich zu schreiben. Die
Warth sind angekommen und ich war den ganzen Tag bei der
Erna und Liesel, obwohl es den ganzen Tag geregnet hat. Wir
haben uns großartig unterhalten. Sie haben eine Menge Gesell-
schaftsspiele mit und wir haben um Zuckerln gespielt. Ich habe
47 gewonnen, fünf habe ich dann der Dora gegeben. Der
Robert ist schon um mehr als einen Kopf größer als wir, nämlich
als die Liesel und ich ; ich glaube er ist fünfzehn. Er sagt
Fräulein Grete und hat mir den Mantel getragen, den mir die
Mama geschickt hat wegen dem Regen und er hat mich nach
dem Nachtmahl bis nachhaus begleitet.
Morgen ist mein Geburtstag, da sind alle eingeladen und
die Mama macht Erdbeerschnee und Waffeln. Das ist fein.
30. Juli : Heute ist mein Geburtstag ; ich habe einen wunder-
baren Sonnenschirm mit eingewebter Bordüre bekommen vom
Papa und Malsachen und von der Mama ein riesiges Post-
kartenalbum für 800 Stück und Erzählungen für Backfische und
die es bald sind, von der Dora hochfeine Billets de Corresp. und
die Mama hat eine Chokoladecremetorte gemacht für heute nach-
mittags neben der Erdbeercreme. Von den Warth habe ich in
aller Frühe drei Geburtstagskarten bekommen. Und der Robert
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hat auf seine geschrieben: In aufrichtigster Verehrung Ihr
treuer R. Geburtstag haben ist herrlich, alle sind so nett, sogar
die Dora. Vom Oswald habe ich ein Holzmesser zum Bücher-
aufschneiden bekommen, der Griff ist ein Drache, der statt des
Feuers die Klinge speit; oder die Klinge kann auch die Zunge
sein, das sieht man nicht so genau. An meinem Geburtstag hat
es noch nie geregnet. Der Papa sagt ich bin ein Glückspilz. O,
das ist mir schon recht, das kann ich sehr gut brauchen.
31. Juli: Gestern war es himmlisch. Wir kugelten uns vor
Lachen beim Sekretärspiel. Immer kam ich mit dem Robert
zusammen und was wir alles getan haben, nämlich nicht wirklich,
sondern nur aufgeschrieben: geküßt, umarmt, im Walde verirrt,
mitsammen ins Bad gegangen; na also, das täte ich wohl nicht!
miteinander gestritten. Nein, das wird nicht vorkommen, das ist
ganz unmöglich ! Und dann haben wir auf meine Gesundheit
angestoßen mit 5 Kracherln und der Robert hat durchaus einen
Wein holen wollen, aber die Dora hat gesagt, nein, das wäre
äußerst taktlos! Also, in Wirklichkeit war es von ihr ganz etwas
anderes. Sie ärgert sich nämlich immer sehr, wenn ich je ein-
mal die Hauptperson bin, und die war ich gestern unbedingt.
Jetzt noch schnell von heute. Es war herrlich. Wir waren
mit Warth im Tiefen Graben, wo furchtbar viel Erdbeeren wach-
sen. Die schönsten pflückte der Robert für mich, zum riesigen
Ärger der Dora, die sich alle selber suchen mußte. Eigentlich
suche ich ja auch gerne selber, aber wenn wer anderer aus
Liebe (so sagte nämlich der Robert direkt) für einen pflückt, so
verzichtet man gerne auf das Selbersuchen. Übrigens habe ich
nebenbei auch selber gesucht und gab die meinen dem Papa und
einige auch der Mama. Bei der Jause in Flischberg saß ich leider
neben der Erna und nicht dem Robert. Die Erna ist eigentlich
die Fadeste. Die Mama sagt, sie ist bleichsüchtig; das ist
furchtbar interessant, aber ich weiß eigentlich nicht genau wie das
ist. Die Dora behauptet auch immer, sie ist bleichsüchtig, aber
es ist natürlich nicht wahr. Und der Papa sagt immer: «Red dich
nicht hinein in solche Faxen; du bist pumperlgesund. Das ärgert
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sie furchtbar. Die Lizzi war voriges Jahr wirklich bleichsüchtig,
da hat es der Arzt gesagt, sie hatte immer Herzklopfen und mußte
Eisen nehmen und Rotwein trinken. Mir scheint darauf hat es die
gute Dora abgesehen.
1. August: Die Hella ist ein bißchen beleidigt, weil ich ihr
geschrieben habe, daß ich den ganzen Tag bei den W . bin.
Deswegen ist sie doch meine einzige Freundin, sonst würde ich
ihr das doch nicht schreiben. Sie hat ja auch am Land jedes Jahr
eine andere Freundin, aber deshalb bin ich doch nicht beleidigt.
Warum ihr übrigens der Robert nicht gefällt, weiß ich nicht ; sie
kennt ihn ja gar nicht, außer von dem, was ich ihr geschrieben
habe und das war doch sicher nur lauter Gutes. Das heißt sie
kennt ihn, weil er zu den Sernig verwandt ist und weil sie ihn
dort einmal getroffen hat. Aber von einmal kennt man doch
einen Menschen noch nicht. Und jedenfalls kennt sie ihn nicht so,
wie ich. Gestern war ich den ganzen Tag bei den W . Wir
spielten „Platz dem König" und da erwischte mich Robert und ich
mußte ihm ein Bussel geben. Und da sagte die Erna, das gilt
nicht, ich habe mich absichtlich fangen lassen. Da ist der Robert
furchtbar wild geworden und hat gesagt: Die Erna ist eine fade
Nocken, die verdirbt jedem seine Freude. Da hat er Recht, übrigens
ist jemand anderer genau so. Hoffentlich hat die Erna nichts der
Dora wegen des Bussels gesagt. Denn dann wissen es gleich alle
und das ist doch nicht nötig. Ich habe der Erna mit den Bonbons
aufgewartet, die uns Tante Dora geschickt hat. Die anderen
haben ich und der Robert und die Liesel aufgegessen. Sie waren
sehr fein und beinahe lauter große. Der Robert hat sich zuerst
ein ganz kleines nehmen wollen, aber ich habe gesagt, er soll
nur ein großes nehmen. Und dann hat er sich immer große aus-
gesucht. Wie ich abends mit der leeren Schachtel nachhause
gekommen bin, hat der Papa gelacht und gesagt: Ein Neidhammel
ist unsere Gretel nicht. Übrigens hat die Mama noch eine ganze
Schachtel voll; ob die Dora noch viel hat, habe ich keine Idee;
aber wahrscheinlich.
2. August : Heute nachmittags um 5 Uhr ist der Oswald
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gekommen. Er ist furchtbar fesch; er bekommt schon beinahe
einen Schnurrbart. Am Abend ist er mit dem Papa ins Gasthaus
gegangen, sich bei den Herren vorzustellen. Er sagt, das ist ihm
gräulich, aber er wird sicher allen sehr gut gefallen, besonders mit
seinem neuen Touristenanzug und der echten Lederhose. Die
Großmama und der Großpapa lassen alle schön grüßen. Ich kenne
sie aber gar nicht. Und sie haben uns eine Menge Bäckerei
geschickt und der Oswald hat riesig geschimpft, daß er es hat mit-
schleppen müssen. Der Oswald raucht furchtbar viel Zigaretten
und der Papa hat zu ihm gesagt: Komm Alter, wir gehen ins Gast-
haus, dein Zeugnis begießen. Also das finde ich komisch ; bei der
Dora und bei mir wird nichts begossen, höchstens bekommen wir
etwas. Der Oswald hat lauter Zweier und Dreier und ganz wenige
Einser und in Griechisch sogar genügend, ich habe aber lauter
Einser. Er hat zum Papa etwas Lateinisches gesagt und der Papa
hat sehr gelacht und auch etwas gesagt, was ich nicht verstanden
habe. Ich glaube, es war nicht lateinisch, sondern eher ungarisch
oder englisch. Der Papa kann fast alle Sprachen, sogar böhmisch,
aber das spricht er Gott sei Dank nicht, außer wenn er uns ärgern
will. Wie damals am Bahnhof, wo ich und die Dora uns so geniert
haben. Böhmisch ist gräßlich, das sagt auch die Mama. Wenn
der Robert böhmisch nachmacht, muß man sich kugeln vor
Lachen.
3. August: Neulich war ich zu lange im kalten Bad und habe
mich verkühlt, deshalb darf ich jetzt ein paar Tage nicht baden
gehen. Da bleibt der Robert immer ganz allein bei mir und
erzählt mir alles Mögliche. Und dann schaukelt er mich so hoch,
daß ich furchtbar schreie. Heute hat er mich eigentlich beleidigt,
er sagt, der Oswald ist ein öder Pimpf. Ich habe gesagt, das ist
nicht wahr, die Buben können sich immer gegenseitig nicht leiden.
Und daß er beim Reden anstößt, ist wirklich nicht wahr. Über-
haupt ist mir der Oswald viel lieber als die Dora, die immer
die Kinder sagt, wenn sie von mir und von der Hella und sogar
vom Robert spricht. Da hat er gesagt : Die Dora ist grad so eine
Gans, wie die Erna. Da hat er wirklich Recht. Der Robert sagt,
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.
er wird nie rauchen, das ist furchtbar ordinär, wirklich feine
Herren rauchen nicht. Na also bitte, und mein Papa? Und er sagt
auch, er wird auch nie einen Bart tragen, sondern er wird sich
alle Tage rasieren und seine Frau muß ihm alles herrichten. Also
dem Papa steht sein Bart sehr gut, ich kann ihn mir gar nicht
vorstellen ohne Bart. Ich heirate jedenfalls keinen Mann, der keinen
Bart hat.
5. August: Wir gehen alle Tage auf den Tennisplatz. Wie
wir gestern gehen, der Robert und ich und die Liesel, die Erna
und der Rene, ruft uns die Dora nach: Das Brautpaar in spee.
Das hat sie nämlich vom Oswald und das beißt, glaube ich, in
hundert Jahren. Na, so lange wartet vielleicht sie, aber wir nicht.
Die Mama hat sie deswegen ordentlich ausgezankt und gesagt,
sie soll nicht so blöde Sachen reden. Das war schon recht; in
spee, in spee. Wir nennen sie jetzt nur mehr Inspee, da weiß
niemand von wem wir reden.
6. August: Die Hella kann nicht hieher kommen, denn sie
fährt mit ihrer Mama nach Klausenburg zu ihrem anderen Onkel,
der ist dort Bezirksrichter oder wie das in Ungarn heißt. Jeden
Bezirksrichter stell ich mir so vor, wie den Bezirksrichter Th . . .
den wir kennen, so eckelhaft. Die Nase und dabei ist seine Frau
so schön; aber sie wurde gezwungen zum Heiraten von ihren
Eltern. Zu so etwas ließe ich mich nie zwingen, da heirate ich
lieber gar nicht, sie ist auch sehr unglücklich.
7. August: Es ist ein greulicher Skandal bei uns wegen
der Dora. Der Oswald hat dem Papa gesagt, daß sie beim Tennis-
spielen furchtbar kokettiert und das kann er nicht dulden. Der
Papa hat wahnsinnig geschimpft und jetzt dürfen wir nicht
mehr Tennisspielen gehen. Und am meisten hat sie geärgert,
daß der Papa vor mir gesagt hat: So ein Fratz von 14 Jahren
fängt schon an, sich den Hof machen zu lassen. Sie hat ganz
rot geschwollene Augen und hat am Abend nichts gegessen vor
Kopfweh!! Also dieses Kopfweh kennt man schon. Aber wie
ich dazu komme, daß ich nicht gehen darf, das sehe ich
nicht ein.
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8. August: Der Oswald sagt, der Student hat sich ganz fer
benommen, die Schuld liegt nur an der Dora. Also das weiß
ich am besten; wenn ich nur denke, damals auf der Südbahn.
Also ich darf richtig auch nicht Tennisspielen gehen, obwohl
ich die Mama riesig gebeten habe, sie soll beim Papa für mich
sprechen. Aber sie sagt, das nützt nichts, der Papa ist furchtbar
böse und ich darf auch nicht mehr ganze Tage bei den Warth
sein. Ganze Tage, ich möchte wissen, wann ich einen ganzen
Tag dort war. Da hätte ich doch dort mindestens zu Mittag
essen müssen. Was kann denn ich dafür, daß die Dora sich den
Hof machen läßt. Das ist doch lächerlich. Aber immer sind die
Eltern so. Wenn eins was tut, müssen die andern mitleiden.
9. August: Gott sei dank, ich kann wieder auf den Tennis-
platz gehen; ich habe den Papa so lange gebettelt, bis er es
m i r erlaubte. Die Dora behauptet, sie verlange es sich ohnehin
nicht! Na also, das kennt man schon, das ist der Fuchs mit
den sauern Trauben. Sie spielt sich seit neuestem auf die
Kranke hinaus, geht nicht ins kalte Bad und bleibt womöglich
von den Spaziergängen zuhause. Ich möchte wissen, was ihr fehlen
sollte. Mich wundert nur, daß der Papa es erlaubt, denn die
Mama ist immer sehr, aber schon sehr nachsichtig gegen die
Dora; sie ist entschieden ihr Liebling, besonders wenn der
Oswald nicht da ist. Daß man den Oswald zum Liebling hat, kann
ich begreifen, aber die Dora ? — Überhaupt der Papa sagt immer,
Eltern haben keinen Liebling, alle Kinder sind ihnen gleich.
Ja vom Papa ist das auch wahr, obwohl die Dora behauptet, ich
sei der Liebling vom Papa ; aber das bildet sie sich wirklich
nur ein. Wir bekommen zu Weihnachten und auch sonst immer
gleich viel und das ist doch das sicherste Merkmal. Die Rosa
Plank bekommt immer dreimal so viel als ihre Geschwister,
das heißt ein Liebling sein.
12. August: Ich kann nicht alle Tage schreiben, denn ich bin
meistens mit Warth zusammen. Der Oswald kann den Robert nicht
leiden, er sagt, er ist ein Lausbub und noch naß hinter den
Ohren. Eine solche Gemeinheit. Ich rede seit drei Tagen nichts
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mit ihm, das heißt nur das Notwendige. Die Erna und die Liesel,
denen ich das erzählte, sagen: alle Brüder sind so impertinent
gegen ihre Schwestern. Ich möchte wissen warum? Übrigens der
Robert ist im allgemeinen sehr nett zu seinen Schwestern.
Sie sagen : Ja vor dir, weil er sich vor dir scheniert. Gestern
haben wir uns gekugelt vor Lachen, was er uns erzählt hat,
wie sich die Buben über ihre Professoren lustig machen. Das
mit den Zigarettenstumpferln war zum Totlachen. Und sie haben
einen Verein, der heißt T. Au. M., d. h. nämlich auf Lateinisch
Schweig oder stirb, in den Anfangsbuchstaben. Keiner darf etwas
verraten und wenn einer neu aufgenommen wird, muß er sich
ganz ausziehen und er muß sich so hinlegen und jeder spuckt
ihm auf die Brust und verreibt es und sagt : So sei der Unsere,
aber alles auf Lateinisch. Und dann muß er zum Ältesten und
Größten gehen und bekommt von ihm mit einer Rute ein paar
auf den P . . . und muß schwören, daß er nie einen verrät. Und
dann raucht jeder eine Zigarre an und tupft ihn mit dem brennenden
Ende auf den Arm oder sonst wohin und sagt : Jeder Verrat
soll dich so brennen. Und dann ritzt ihm der Älteste, der einen
besondern Namen hat, den ich mir aber nicht gemerkt habe,
das Wort Taum, d. h. eben Schweig oder stirb ein und ein Herz
mit dem Namen von einem Mädchen. Der Robert sagt, wenn er
mich früher kennen gelernt hätte, so hätte er G rc t c h e n gewählt.
Ich fragte ihn, was für einen Namen er eingeritzt habe, da sagte
er, das dürfe er nicht verraten. Aber ich werde dem Oswald
sagen, er soll im Bade schauen und es mir dann sagen. In
diesem Verein schimpfen sie furchtbar über die Professoren und
wer die besten Streiche ausdenkt, wird in die Rohon gewählt;
ein Rohon sein, ist eine Auszeichnung und die anderen müssen
ihm unbedingt folgen. Und manches kann er mir nicht einmal
erzählen, sagte er, weil es zu arg ist. Und dann mußte ich
ihm schwören, daß ich das alles vom Verein niemanden sage
und er wollte ich soll mich zum Schwören niederknien, aber das
habe ich nicht tun wollen und da hat er mich beinahe umgeworfen.
Und schließlich mußte ich ihm die Hand drauf geben und ein
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Bussel. Das habe ich ihm schon eher gegeben, denn an einem
Bussel ist nichts dabei, aber niederknien, nein das tue ich absolut
nicht. Aber ich habe mich schrecklich gefürchtet, weil wir
ganz allein im Garten waren und weil er mich so beim Hals
packte und niederdrückte. Das vom Verein hat er mir nämlich
ganz allein erzählt, weil er sagte: Deinen Namen darf ich nicht
mehr einritzen, denn zwei Namen geht gegen unsere Gesetze,
aber dafür sollst du gegen deinen Schwur wissen, was ich im
geheimen bin und denke.
Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, weil mir
immer von dem Verein träumte. Ob es im Lyzeum auch solche
Vereine gibt und ob die Dora auch bei einem ist und einen
Namen eingeritzt hat. Aber ganz ausziehen ist doch gräßlich,
noch dazu vor seinen Mitschülerinnen. Vielleicht ist das bei den
Vereinen der Lyzealschülerinnen weggelassen. Aber ich würde auch
nicht sagen, daß ich mir den Namen Robert einritzen will.
15. August: Gestern erzählte mir der Robert, daß es auch
Vereine von Buben gibt, wo sehr unanständige Sachen geschehen,
aber bei ihnen darf das nicht sein. Aber er sagte nicht was. Ich
sagte, ich finde das Ganzausziehen schrecklich; aber er sagte,
das ist gar nichts, das muß sein, wenn einer dem andern ver-
trauen soll, wenn nur nichts Unanständiges geschieht. Ich möchte
sehr gerne wissen, was. Ob der Oswald es weiß, und ob er bei
einem solchen Verein oder einem anständigen ist und ob der
Papa dabei war. Wenn ich nur draufkommen könnte. Aber fragen
darf ich nicht, weil ich sonst den Robert verrate. Wenn er mich
sieht, preßt er mir immer so das linke Handgelenk, ohne daß es
wer sieht. Er sagte, das ist die Mahnung, daß ich schweigen
muß. Aber es wäre wirklich nicht notwendig, denn ich verrate
ihn auf keinen Fall. Er sagte : Der Schmerz soll dich an mich
binden. Wenn er das sagt, so werden seine Augen ganz dunkel,
förmlich schwarz, obwohl er eigentlich graue Augen hat und
riesig groß. Besonders am Abend, wenn wir auseinander gehen,
schaut das gräßlich aus. Mir träumt immer von ihm.
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18. August: Gestern abends war ein herrliches Kaiserfest
mit Illumination. Wir kamen erst um l /*l Uhr nachhause. Zuerst
gingen mir zum Parkkonzert und zur Beleuchtung. Von den
Höhen schössen sie herunter und Höhenfeuer brannten überall ;
es war förmlich schaurig, obwohl es wunderbar war. Mir schnapperten
ein paarmal die Zähne, ich weiß nicht aus Angst, daß etwas
geschieht, oder was. Dann kam der R. zu mir und erzählte
mir riesig viel. Er will unbedingt Offizier werden. Aber da braucht
er eigentlich gar nicht so viel lernen, da lernt er alles jetzt um-
sonst. Er sagt, das macht nichts, das gibt ein riesiges Übergewicht.
Ich finde nicht, daß er etwas blöd ausschaut, das sagt der Oswald
nur, damit ich mich recht ärgere. Auf einmal waren wir von den
anderen ganz getrennt und da setzten wir uns auf eine Bank
und warteten auf sie. Derweil fragte ich den R. nochmals wegen
der anderen Vereine, bei denen so unanständige Sachen ein-
geführt sind. Aber er sagte es nicht, er sagte, er wolle mir nicht
meine Unschuld rauben. Das finde ich sehr blöd; vielleicht weiß
er es selber nicht und tut nur so. Nur das sagte er, daß jeder
beim Eintritt in den Verein so lang gekitzelt wird, bis er es nicht
mehr aushalten kann. Und einmal hat einer Veitstanz bekommen,
das sind schreckliche Krämpfe und da wäre bald alles aufgekommen.
Und seither dürfen sie in ihrem Verein nicht mehr kitzeln. Soll
ich dich auch ein bissei kitzeln? Untersteh dich nicht, sag ich,
und überhaupt du traust dich auch gar nicht.
Er lacht riesig und auf einmal packt er mich am Arm und
kitzelt mich unter der Achsel. Ich habe schrecklich lachen müssen,
aber ich habe es verbissen, weil doch manchmal Leute vorbei-
gegangen sind. Drum ließ er mich auch aus und kitzelte mich
in der Hand. Das war zuerst ganz angenehm, aber später ärgerte
ich mich schon und riß im die Hand weg. Da kam gerade die
Inspee mit zwei anderen Mädchen und wie sie vorbei waren,
gingen wir schnell hinter ihnen, als ob wir immer so gegangen
wären. Dadurch habe ich mir einen Putzer von der Mama erspart,
die immer will, daß alle beisammen sind. Beim Weggehen sagt
der R.: Paß auf Gretel, einmal kitzel ich dich so, daß du schreist. —
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Lächerlich, das lasse ich mir nicht gefallen, da gehören doch
zwei dazu.
. Richtig, bei der Juxtombola habe ich eine Vase mit 2 Turtel-
täubchen und ein Sackerl mit Bonbons gewonnen und der R. ein
Eßbesteck. Das hat ihn furchtbar geärgert. Die Inspee hat eine
Füllfeder gewonnen, wie ich sie mir wünsche und einen Spiegel,
in dem man furchtbar häßlich ausschaut. Das gönne ich ihr, weil
sie sich so viel einbildet.
29. August: Gotteswillen, es ist mir etwas Gräßliches passiert.
Ich habe Seite 30 bis 34 verloren vom Tagebuch. Ich muß es
entweder im Garten oder auf der Louisenhöhe liegen gelassen
haben. Das ist furchtbar. Wenn das wer findet. Und ich weiß
nicht einmal genau, was gerade auf diesen Seiten steht. Ich bin
rein zum Unglück geboren. Wenn ich nicht der Hella geschworen
hätte, alle Tage Tagebuch zu schreiben, so tat ich am liebsten
ganz aufhören. Wenn die Mama oder gar der Papa etwas erfährt.
Und heute regnet es so greulich, daß ich nicht einmal in den
Garten gehen kann, und auf die Louisenhöhe schon gar nicht,
überhaupt nicht allein. Ich muß es vorgestern verloren haben,
denn gestern und vorgestern habe ich nicht geschrieben. Wenn
es nur niemand findet, das wäre gräßlich. Ich bin so aufgeregt,
daß ich zu Mittag gar nichts essen konnte, obwohl wir meine
Leibspeise Moor im Hemd hatten. Und ich bin auch so
unglücklich, denn der Papa war so besorgt und die Mama auch
und sie fragten in einer Tour, was mir fehlt und ich konnte kaum
das Weinen verbeißen vor allen Leuten. Wir waren nämlich heute
im Hotel, weil die Resi für 2 Tage weggefahren ist. Und dann
im Zimmer bei den Eltern durfte ich auch nicht weinen, weil
ich mich sonst verraten hätte. Ich habe nur eine Hoffnung, daß
niemand weiß, daß die Blätter von mir sind, weil wir die Hella
und ich im Tagebuch steil schreiben, erstens, damit niemand
unsere Schrift erkennt und zweitens weil man mehr Papier erspart
als beim gewöhnlichen Schreiben. Wenn es nur morgen schön
wäre, daß ich gleich in der Frühe in den Garten suchen gehen
könnte. Heute freut mich gar nichts und ich habe mich nicht
2*
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einmal sehr geärgert, wie die Inspee sagte: O, vielleicht einen
Streit gehabt mit dem Herrn Bräutigam?
30. August: Im Garten ist es nicht. Ich habe die Mama
gebeten, daß wir nachmittag unbedingt zur Louisenhütte gehen.
Die Mama war furchtbar lieb und fragte, warum ich so aufgeregt
bin, ob mir etwas geschehen ist. Und da konnte ich mich nicht
mehr zurückhalten und weinte gräßlich. Und sagte der Mama,
ich habe etwas verloren, was mir schrecklich ist. Die Mama glaubte
den Brief der Hella, den sie mir am Dienstag schickte und da
sagte ich: Nein etwas viel Ärgeres, mein Tagebuch. Da sagte
die Mama: Nun das ist doch hoffentlich nicht so arg und das
wird doch niemanden interessieren. O ja, sage ich, weil alles
vom R. seinem Verein drin steht. Und da sagt die Mama : Schau
Gretel, weil du schon vom R. sprichst ; ich sehe wirklich nicht
gern, daß du immer bei Warth bist; sie passen wirklich nicht
zu uns und der R. ist keine Gesellschaft für dich; du bist jetzt,
wo du ins Lyzeum kommst, kein kleines Kind. Versprich mir,
daß du nicht ewig mit ihnen bist. — „Ja Mama, ich werde mich
unauffällig zurückziehen." Da hat sie furchtbar gelacht und mich
auf beide Wangen geküßt und hat mir versprochen, daß sie der
Inspee nichts sagt vom Tagebuch, denn die braucht nicht alles
wissen. Gott die Mama ist so entzückend. Noch 3 Stunden und
vielleicht liegen die Blätter noch dort.
Am Abend: Gott sei dank! Vor der Hütte lagen 2 Blätter
ganz zerweicht vom Regen und verwischt und ein Blatt lag auf
dem Fußboden, das war ganz zerrissen. Da muß einer mit dem
Absatz darauf gestanden sein und 2 Blätter waren zu einem
Fidibuß gerollt und etwas verbrannt. Also hat niemand etwas
gelesen. Ich bin so glücklich und beim Nachtessen sagte der Papa :
nun was leuchten denn deine Augen so überglücklich? Hast du
das große Los gezogen? und da habe ich die Mama auf den Fuß
getreten, daß sie mich nicht verrät und der Papa hat furchtbar
gelacht und gesagt : So, mir scheint, da wird in meinem eigenen
Hause eine Verschwörung angezettelt und ich sag schnell: Wir sind
zum Glück nicht im eigenen Haus, sondern im Hotel und alle
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lachen und jetzt ist Gott sei dank alles vorüber. Aber durch
Schaden wird man klug. Das passiert mir kein zweitesmal.
31. August: Ich gehe wirklich weniger mit W. und mit dem
R. Ich glaube, er ist beleidigt. Heute nachmittag, wie ich zur
Jause hinaufgehe, faßt er mich beim Handgelenk und sagt: Dein
Vater hat recht, du bist eine Hex. „Dich muß man kuranzen".
Das ist eine Gemeinheit. Ich habe übrigens nicht gewußt, was
kuranzen heißt. Da habe ich den Papa gefragt und er hat mir's
erklärt und gefragt woher ich das habe. Da sagte ich, ich habe
es im Vorbeigehen von 2 Herren gehört. Eigentlich habe ich
geglaubt kuranzen heißt kitzeln. Aber es geht mir furchtbar ab,
wenn ich niemanden zu Reden habe. Die meisten Leute sind
schon fort und wir fahren auch heute 8 Tage. Wegen dem
Kuranzen ist das so. Den Papa lüge ich nicht gerne an, aber
man wird förmlich gezwungen dazu. Ich kann doch nicht sagen
der R. will mich kuranzen, wenn ich nicht einmal weiß, was das
heißt. Die Dora lügt noch viel mehr, und ich freue mich immer,
wenn ich ihr auf eine Lüge komme, nämlich ihre Lügen sind so
handgreiflich. Ich werde nie ertappt. Nur einmal, damals wie
die Frau Oberst v. Stary da war, da hat der Papa etwas gemerkt,
weil er dann sagte : Du Schlaucherl, du abgedrehtes.
3. September: Eine solche Gemeinheit! Ich rede mit dem
R. nie mehr ein Wort. Der Oswald hat wirklich recht, wenn er
sagt, er ist ein Lausbub. Wenn ich wirklich aus der Schaukel
gefallen wäre, hätt ich mir den Fuß brechen können, 4 Tage vor
dem Wegfahren. Und die Fragerei, wie das passiert ist. So kitzeln
ist wirklich eine Frechheit und ich hab ihm ein ordentliches mit
dem Absatz hineingehaut. Mir scheint auf die Nase oder den
Mund. Und dann untersteht er sich zu sagen : Eigentlich geschieht
mir recht, das kommt davon, wenn man sich mit solchen Fratzen,
mit solchen Wickelkindern abgibt. Der hats notwendig, er ist
selber noch nicht ganz vierzehn. Das war bloß geschwindelt mit
den fünfzehn Jahren und er soll einer der schlechtesten Schüler
im Gym. sein, lauter genügend hat er und er kommt nicht in
die Fünfte, sondern erst in die Vierte. Also jedenfalls haben wir
21
ausgeredet, mein Herr. So ein Frechdachs. Ich werde das nie
jemanden erzählen, es ist mein erstes und hoffentlich mein ein-
ziges Geheimnis vor der Hella.
6. September: Morgen fahren wir weg. Die letzten Tage
waren eckelhaft fad. Ein paar mal sah ich den R. aber ich drehte
den Kopf weg. Der Papa fragte, was ich mit den Warth und dem
R. gehabt habe, daß auf einmal die dicke Freundschaft entzwei
ist. Natürlich mußte ich lügen, denn die Wahrheit konnte ich
unmöglich sagen. Ich sagte, der R. schimpft über alles, was
ich tue, über meine Schrift und daß ich nicht ordentlich vorlesen
kann. (Das ist nämlich wirklich wahr, das hat er einmal gesagt)
und der Papa sagte: Na morgen beim Abschied werdet ihr euch
schon wieder aussöhnen. O, da irrt sich der Papa sehr. Mit so
einem Menschen rede ich überhaupt kein Wort mehr.
Die Dora bekommt einen tegetthoffblaucn, seidenen Staub-
mantel im voraus zu ihrem Geburtstag. Ich finde, das paßt
eigentlich noch nicht für sie und dann ist sie auch für einen
Staubmantel viel zu mager.
14. September: Vorgestern ist die Hella gekommen. Sie
schaut großartig aus und sagte mir dasselbe. Ich bin so froh,
daß sie wieder da ist. Ich habe doch der Hella das erzählt vom R.
Sie ist empört und sagt, ich hätte ihm 2 geben sollen; eins für
das Kitzeln und eins für das Wickelkind und eins für die
Fratzen. Wenn wir ihn nur einmal begegnen würden, da werden
wir ihn beide ordentlich anschauen.
17. September: Die Inspee hat richtig den seidenen Staub-
mantel bekommen, aber die Kapuze aus schottischer Seide finde
ich etwas kindisch. Aber ich habe nichts gesagt, sondern daß ihr
der Mantel sehr gut steht. Sie hat ihn wenigstens schon fünfmal
probiert. Ob der Papa das im Ernst gemeint hat, daß sie wie
eine Dame aussieht, oder ob er sie zum Narren gehalten hat.
Ich glaube das letztere. Denn wie eine Dame schaut sie wirklich
nicht aus. Natürlich, sie wird ja auch schließlich erst 14 Jahre.
Gestern nachmittag waren eine Menge Mädeln eingeladen, natür-
lich für mich die Hella und wir haben uns großartig unterhalten.
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Aber die meisten haben gräßlich aufgeschnitten vom Land, wo
sie überall angeblich waren. Wir waren 9 Mädeln, aber die
liebste ist mir die Hella.
21. September: Morgen fängt die Schule an. Das heißt, wir
haben verabredet, daß wir immer Liz sagen und nie Schule. Ich
bin schon furchtbar neugierig.
22. September 19..: Heute hat die Schule angefangen. Die
Hella hat mich abgeholt und wir sind miteinander gegangen. Die
Inspee hat bei der Mama geklatscht, daß wir ihr davongelaufen
sind. Wir brauchen doch keine Gouvernante. Wir sind 34 in der
Klasse. Als Klassenvorstand haben wir eine Frau Doktor, dann
2 Fräulein, 1 Professor und ich glaube noch ein Fräulein im
Zeichnen. Die Frau Doktor hat Deutsch und Schönschreiben. Sie
hat uns nebeneinander gesetzt in die 3. Bank. Dann hat sie eine
Anrede gehalten, dann sind die Bücher diktiert worden, aber wir
sollen noch warten mit dem kaufen bis Montag. Wir haben
2 mal Pause, eine lange und 2 kurze. Die lange gehört zum
Spielen, die kurzen zum Hinausgehen. Ich war nie draußen in
der Volksschule und jetzt gehe ich schon gar nicht. Die Mama
sagt auch immer, das ist nur eine schlechte Gewohnheit. Die
meisten Kinder waren draußen, sogar unter der Stunde. Heute
haben wir keinen eigentlichen Unterricht gehabt. Morgen beginnt
er, aber wir wissen nicht was. Dann gingen wir nachhause.
23. September: Heute haben wir das Fräulen von Geographie
und Geschichte gehabt, das ist keine Doktorin. Die Inspee sagt,
sie haben sie voriges Jahr gehabt, aber sie haben sie nicht leiden
können, sie ist gar nicht schön. Der Papa hat geschimpft und
hat zur Inspee gesagt: Du dummes Ding, setz ihr nur so dummes
Zeug in den Kopf. Da zeig deine Auktorität als Große. Bei jeder
Lehrerin und jedem Lehrer kann man etwas lernen, wenn man
nur will. Aber uns gefällt das Frl. Vischer wirklich nicht und
Geographie und Geschichte ist so nicht meine Leibspeise. Übrigens
lerne ich ja nicht für sie, sondern für mich. Die Frau Dr. Mallburg
ist furchtbar lieb und schön. Wir werden immer nur Frau Dr. M.
schreiben von ihr. Wenn sie lacht hat sie zwei Grüberln und
23
eine Goldplombe. Sie ist neu an der Anstalt. Ich weiß nicht ob
wir auch Gesang haben. In Französisch haben wir die Madame
Arnau, die ist sehr schön gekleidet, ein schwarzes Spitzenkleid.
Die Hella hat ein wunderbares Etui für die Bleistifte und Federn ;
ganz weich, so müssen wir es haben, damit es keinen Lärm
macht, wenn es in der Stunde hinunterfällt. Ich glaube es kostet
7 K oder 1 K 70, daß weiß ich nicht genau. Heute hatten wir
gleich bis 12 Uhr Schule, zuerst Deutsch, dann Rechnen, dann
Religion für die Katholischen und dann gingen wir fort. Die
Hella hat auf mich gewartet, der Herr Pastor war nämlich nicht da.
24. September: Wir haben geglaubt, die Buchhandlungen sind
heute ausnahmsweise offen, aber wir haben uns geirrt. Die Mama
von der Hella hat gesagt, natürlich das kommt davon, wenn die
Küken klüger sein wollen, als die Hennen. Nachmittag war die
Hella bei mir und die lnspee war bei F. eingeladen. Dort gehe
ich nicht mit, weil es mir zu fad ist, den ganzen Tag wird
Klavier gespielt. Ich habe schon von den Klavierstunden genug.
Sie fangen erst an, wenn der Stundenplan fix ist. Vielleicht am
1. Oktober, dann muß ich an die Frau B. schreiben, eigenhändig,
hat sie gesagt. Das verlangt sie von allen ihren Schülerinnen.
Die Lehrerin von der Hella war mir lieber. Aber sie hat keine
Zeit und ist auch teurer, glaub ich. Aber wenigstens könnte sie
mir nicht immer das Fräulein Dora als Muster vorhalten. Es ist
eben nicht jeder so musikalisch wie das Frl. Dora. Abends hat
die lnspee bis um 10 oder um 12 Uhr in einem dicken Buch
gelesen, und dabei geheult. Das hat sie geleugnet, aber ich liabs
gehört und sie hat auch gar nicht reden können. Sie sagt, sie
hat Schnupfen, die Lügnerin.
25. September: Heute haben wir einen proffesorischen
Stundenplan bekommen, aber er bleibt nicht, bis die Professoren
vom Gymnasium genau wissen, wann sie kommen können. Unsere
Frau Doktor könnte auch in einem Gymnasium sein, aber weil
nur eines ist, so ist sie bei uns. Wir haben für morgen eine
mündliche Redeübung : Unsere Ferien. Höchstens 8 oder 10 Sätze
zu Hause können wir es niederschreiben, aber in der Schule
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dürfen wir nicht hineinschauen. Ich habe es schon gemacht. Aber
vom Robert habe ich nichts geschrieben. Der verdient nicht ein-
mal, daß ich an ihn denke. Ich habe auch der Hella gar nicht
alles gesagt.
25. September: Ich war dran bei der Redeübung und die
Frau Doktor hat gesagt, sehr gut, wie heißt du? Grete Lainer
hab ich gesagt und sie hat gesagt: Und das ist deine gute
Freundin neben dir? Jetzt soll sie uns sagen, wie sie ihre Ferien
verlebt hat. Die Hella hat es auch sehr gut gekonnt und die
Frau Doktor sagte auch, sehr gut. Dann hat es geläutet. In der
großen Pause hat die Frau Doktor mit uns gespielt: Reih um.
Das war sehr lustig. Ich kam 6 mal dran. In den kleinen Pausen
waren wir ganz allein, weil die Lehrkräfte alle so viel zu tun
haben wegen dem Stundenplan. Eine Repetentin aus dem Lyzeum
F. ist bei uns. Sie sitzt in der letzten Bank, denn sie ist sehr
groß. So groß wie die Frau Doktor.
26. September: Heute haben wir zum ersten mal den Pro-
fessor Riegl gehabt in Naturgeschichte. Er trägt einen Zwicker
und schaut einen nie an. Und im Französisch hat die Madame A.
gesagt, daß ich die beste Aussprache habe. Wir haben sehr viel
auf und ich weiß nicht, ob ich alle Tage zum Schreiben komme.
Die Kinder sagen der Professor Igel statt Riegel und die Weinmann
hat gesagt Nikel.
30. September: Ich habe gar keine Zeit zum schreiben gehabt.
Die Hella schreibt schon seit dem 24. nicht. Heute muß ich aber
schreiben, denn ich bin dem Robert begegnet in der Schotten-
gasse. Guten Tag mein Fräulein, nur nicht so stolz, hat er im
Vorbeigehen gesagt. Und wie ich mich umgedreht habe, war er
schon vorbei, sonst hätt ich ihm was ordentliches gesagt. Ich
muß zum Nachtmahl.
1. Oktober: Ich kann nicht schreiben, der Oswald ist aus S.
gekommen, er hat sich den Fuß verstaucht, aber ich weiß nicht,
er kann dabei herumgehen. Er ist furchtbar blaß und redet kein
Wort vor Schmerzen.
4. Oktober: Heute haben wir frei, weil der Geburtstag des
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_
Kaisers ist. Gestern hat mir die Resi etwas Gräßliches erzählt.
Der Oswald darf nicht mehr nach S. zurück. Er hat etwas an-
gestellt, was, weiß die Resi nicht, sie sagt etwas sehr Unanstän-
diges, ich möchte wissen, was, vielleicht etwas am Klosett. Er
bleibt immer so lange draußen, das habe ich schon am Lande
bemerkt. Oder am Ende war etwas in seinem Vereine. Die Inspee
tut, als ob sie es wüßte, aber es ist natürlich nicht wahr, sie
weiß gar nichts. Der Papa ist wütend und die Mama hat ganz
verweinte Augen. Zu Mittag redet kein Mensch ein Wort. Wenn
ich nur wüßte, was er getan hat. Der Papa hat gestern furchtbar
geschrieen mit ihm und da haben wir, die Dora und ich gehört,
wie er gesagt hat: So ein Lausbub hat es notwendig, (Jetzt haben
wir etwas nicht verstanden) und dann hat er gesagt, du schau
in Deine Schulbücheln und nicht auf die Mädeln und die ver-
heirateten Frauen, du Lausbub du. Und die Dora sagt: Ah jetzt
versteh ich und ich sag: Ich bitt dich, sag mir was denn, es
ist doch mein Bruder so gut wie deiner. Aber sie sagt: „Das
verstehst du nicht, das paßt nicht für so junge Ohren." Das ist
eine Gemeinheit, für ihre Ohren aber paßt es und sie ist doch
nur um nicht einmal ganz drei Jahre älter als ich. Aber weil sie
das blaue Kleid halblang bekommen hat, bildet sie sich so viel
ein und glaubt, sie ist eine D am e. So schauen sie aus, die Damen
und dann nascht sie Kompott, daß sie den Mund ganz voll hat
und gar nicht reden kann. Wenn ich so etwas merke, rede ich
immer auf sie, daß sie antworten muß. Das ärgert sie furchtbar.
9. Oktober: Jetzt weiß ich alles!!! Also daher kommen die
kleinen Kinder. Und das hat am Ende der Robert damals
gemeint. Nein, das tue ich nie, ich heirate einfach nicht. Denn
dann muß man es tun; es tut furchtbar weh und doch muß man.
Wie gut, daß ich es schon weiß. Aber ich möcht nur wissen, wie,
die Hella sagt, das weiß sie auch nicht genau. Aber vielleicht
sagt es ihr ihre Kousine, die weiß nämlich wirklich alles. Und
neun Monate dauert es, bis man das Kind kriegt und dabei
sterben sehr viele Frauen. O, das ist gräßlich. Die Hella weiß
es schon lang, aber sie hat sich nicht getraut, mir was zu sagen.
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Ihr hats heuer am Lande ein Mädel gesagt. Und sie hat es der
Lizzi, ihrer Schwester sagen wollen, eigentlich sie hat sie nur
fragen wollen, ob das alles wahr ist und die Lizzi rennt zu ihrer
Mama und sagt ihr, was die Hella gesagt hat. Und ihre Mama
sagt: „Das ist schrecklich mit die Kinder, so eine verdorbene
Generation, daß du dich nicht unterstehst, einem anderen Kind
das zu sagen, vielleicht zu der Grete Lainer" und gibt ihr ein
paar Ohrfeigen. Als ob sie was dafür könnte! Darum hat sie mir
so lange nicht geschrieben. Die Arme, nein die Ärmste, aber jetzt
kann sie mir alles sagen und wir werden eine die andere nicht
verraten. Und die Inspee, die falsche Katze, weiß das natürlich
längst und will es nur nicht sagen. Aber das weiß ich doch nicht,
warum der Robert damals bei der Schaukel gesagt hat: Du
Närrin, davon kriegt man noch lang kein Kind. Vielleicht weiß
es die Hella. Wenn ich nachmittag ins Turnen gehe, gehe ich
vorher zu ihr und frag sie. Gott ich bin so neugierig.
10. Oktober: Ich habe eine gräßliche Angst, ich war
gestern nicht in der Turnstunde. Ich war bei Hella oben und da
hab ich mich ohne Absicht so verspätet, daß ich mich dann nicht
getraut habe hinzugehen ins Turnen. Und die Hella hat gesagt,
ich soll nur bei ihr bleiben, wir sagen die Rechenaufgabe war
so schwer, wir haben sie so lange nicht können. Zum Glück
haben wir wirklich eine. Aber ich habe zuhause gar nichts gesagt,
weil morgen der Oswald wegkommt nach G. zum Herrn Dir. S.
Jetzt habe ich geglaubt, ich weiß schon alles und jetzt hat mir
die Hella erst wirklich alles gesagt. Das ist gräßlich mit der
P Ich kanns gar nicht weiter schreiben. Sie sagt, natür-
lich hats die Inspee schon, schon damals wie ich geschrieben
habe, die Inspee braucht nicht baden gehn, wenn sie nicht will;
da hat sie es bekommen. Und wie das nur sein muß, da muß
man doch immer Angst haben. Ströme von Blut sagt die
Hella. Aber da wird ja alles ganz bl Und darum hat die
Inspee immer das Licht abgedreht am Land, wenn sie noch gar
nicht ausgezogen war, damit ich nichts sehe. Pfui Teufel, ich
hätte auf keinen Fall hingeschaut. Mit 14 Jahre bekommt man
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I
es und es dauert bis 20 Jahre. Die Hella sagt, die Franke Berta
in unserer Klasse weiß alles. Sie hat ihr in der Rechenstunde
auf den Faulenzer geschrieben: Weist du was P bedeutet?
Und die Hella hat darunter geschrieben, natürlich schon längst.
Und dann hat die Franke um 12 Uhr auf sie gewartet, wie die
Katholischen Religionsstunde gehabt haben und sie sind damals
mit einander nachhause gegangen. Ich erinnere mich noch ganz
gut, ich habe mich sehr geärgert, weil das keine Freundschaft
ist. Am Dienstag gehen wir mit der Franke, die Hella hat ihr
schon geschrieben unter der Stunde, daß ich alles weiß und sie
braucht sich nicht schenieren. Die Inspee ahnt etwas, sie schaut
immer herüber und lacht höhnisch, sie glaubt wahrscheinlich, nur
sie kann es wissen.
16. Oktober: Morgen ist der Geburtstag vom Papa und von
der Dora. Ich ärgere mich jedes Jahr, daß die Dora gerade mit
dem Papa zusammen Geburtstag hat; Am meisten ärgert mich
eigentlich, daß sie sich soviel darauf einbildet, denn es ist ja
wirklich ein bloßer Zufall, wie der Papa immer sagt. Und ich
glaube, ihm ist es nicht einmal besonders angenehm. Jeder will
doch seinen Geburtstag an einem eigenen Tag haben, nicht mit
jemanden anderen zusammen. Und diese Einbildung, die ist schon
nimmermehr schön. Übrigens heuer ist es so nichts mit einer
ordentlichen Geburtstagsfeier wegen der Geschichte mit dem
Oswald. Der Papa ist wütend und er hat sich auf 2 Tage im
Bureau frei gemacht, weil er nach G. gefahren ist, wohin der
Oswald kommen soll.
17. Oktober: Es war doch schöner heute, als ich geglaubt
habe. Die ganze Familie Brückner war da und da ist natürlich vom
Oswald nicht viel geredet worden, nur daß er einen verstauchten
Fuß hat, (das ist aber nicht wahr, daß weiß ich jetzt bestimmt)
und daß er wahrscheinlich nach G. kommt. Und der Oberst B.
hat gesagt: Das beste für einen Buben ist die Militäranstalt, da
muß er parieren. Und am Abend hat der Oswald gesagt : Das ist
ein Stuß, was der Hella ihr Papa gesagt hat, denn in der Militär-
anstalt kann man ebenso gut herausgeschmissen werden, wie aus
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dem Gymnasium. Das sieht man doch am Edgar Groller. Damit
hat er sich aber verraten und die Dora hat auch gleich gesagt:
Ah so, herausgeschmissen bist du worden, und wir haben geglaubt,
du hast den Fuß verstaucht. Da hat er sich furchtbar geärgert und
hat gesagt: Euch Görn, wird man nicht alles auf eure frechen
Nasen binden und hat die Tür zugehaut, weil die Mama gerade
nicht im Salon war.
19. Oktober: Wenn wir nur erfahren könnten, was eigentlich
mit dem Oswald war. Mit einem Mädchen muß es etwas sein.
Aber was der Papa dann von einer verheirateten Frau gesagt hat,
das wissen wir nicht. Wahrscheinlich hat ihn eine verheiratete
Frau beim Direktor oder beim Klassenvorstand angezeigt und so
ist dann alles herausgekommen. Er tut mir eigentlich furchtbar
leid: denn ich denke mir, wie es mir gewesen wäre, wenn alles
herausgekommen wäre vom Robert und mir. Jetzt ist es mir ja
alles eins. Aber damals im Sommer wäre es mir furchtbar gewesen.
Der Oswald spricht fast kein Wort, höchstens noch mit der Mama.
Er tut immer, als ob er lesen würde, aber lächerlich, mit einem
solchen Liebeskummer liest man doch nicht wirklich. Ich habe der
Franke nichts näheres erzählt, nur daß mein Bruder eine unglück-
liche Liebe hat und deswegen hier in Wien ist. Und da hat sie
uns erzählt, daß sich heuer im Sommer ein Kusin von ihr wegen
ihr erschossen hat. In der Zeitung ist gestanden wegen einer
Schauspielerin, aber das ist nicht wahr, es war wegen ihr. Sie
wird nämlich schon 14 Jahre.
20. Oktober: Wir gehen jetzt meistens mit der Franke. Sie
sagt, sie hat schon wahnsinnig viel erlebt, aber sie kann es uns
jetzt noch nicht erzählen, weil wir uns noch nicht gut genug
kennen. Bis später einmal. Wahrscheinlich fürchtet sie sich, wir
könnten sie verraten. Sie will längstens mit 16 Jahren heiraten.
Also in 2 Jahren. Da macht sie natürlich das Lyzeum nicht fertig,
sondern tritt schon aus der 3. Klasse aus. Sie hat drei Verehrer,
aber sie weiß noch nicht, wem sie wählen wird. Die Hella sagt,
ich solle doch nicht alles glauben, das mit den drei Verehrern
auf einmal ist bestimmt aufgeschnitten.
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21. Oktober: Die Franke sagt, wenn man blaue Ringe hat,
dann hat man es und wenn man ein Kind bekommt, dann hat
man es nicht mehr, bis man wieder eins bekommt. Und sie hat
uns auch erzählt, wie man es bekommt, aber das glaube ich nicht
recht, mir scheint, das weiß sie selber nicht ganz genau. Da ist sie
sehr böse geworden und hat gesagt : „Gut, so red ich gar nichts
mehr. Wenn ich es so nicht weiß". Aber das von Mann und Frau,
das versteh ich nicht. Sie sagt, es muß jeden Abend geschehen,
sonst bekommen sie kein Kind ; wenn sie einen Abend vergessen,
so bekommen sie kein Kind. Und darum stehen die Betten ganz
nebeneinander. Das nennt man Ehebetten! ! ! Und es tut so weh,
daß man es kaum aushalten kann. Aber man muß, denn der
Mann kann einen dazu zwingen. Wieso zwingen, das möchte ich
gerne wissen. Aber ich hab nicht gefragt, weil sie sonst geglaubt
hätte, ich mache mich lächerlich über sie. Und die Männer haben
es auch, aber nur sehr selten. Wir gehen jetzt immer mit der
Franke Berta, sie ist ein sehr liebes Mädel, vielleicht darf ich sie
am nächsten Sonntag einladen.
23. Oktober: Heute ist der Papa mit dem Oswald weg-
gefahren. Die Mama hat sehr geweint. Ich habe zum Oswald beim
Wegfahren noch schnell gesagt: Ich verstehe, was du leidest.
Aber er hat mich nicht verstanden, denn er sagte: Dumme
Kröte. Vielleicht hat er es auch nur wegen dem Papa gesagt,
der mit einem fürchterlichen Gesicht daneben gestanden ist.
27. Oktober: Gott, es ist alles wie verhext. Gestern hab
ich ungenügend in Geschichte bekommen und heute habe ich in
der Rechenschularbeit gar keine Rechnung richtig. Und wir haben
gestern noch so lange geübt; Ich sag vorläufig nichts zuhause.
Aber wegen der Turnstunde neulich, habe ich doch Angst. Wenn
mir nur die Mama morgen das Geld mitgibt und nicht selber
geht, denn dann erfährt sie es sicher.
28. Oktober: Heute war die Frau Direktor in der französi-
schen Stunde da und hat mich sehr gelobt. Sie sagt, im Französi-
schen könnte ich in der dritten sein und dann fragt sie mich,
ob ich in den anderen Gegenständen auch so gut beschlagen sei.
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Ich habe nicht sagen wollen, Ja und auch nicht Nein, und da
haben alle Kinder gesagt Ja, sie kann tiberall alles. Und da hat
mir die Frau Direktor auf die Schulter geklopft und hat gesagt :
Das hör ich gern. Und wie sie draußen war, habe ich gräßlich
geweint und die Madame Arnau hat gefragt: Ja was hast du
denn? und die Kinder haben gesagt: In der Rechenschularbeit
hat sie Ungenügend und sie kann doch so gut rechnen. Und da
hat die Madame gesagt: „Du wirst dir das Ungenügend schon
wieder verbessern."
30. Oktober: Heute habe ich einen furchtbaren Verdruß ge-
habt mit dem Fräulein Vischer aus Geschichte. Gestern wie ich mit
der Mama in die Elektrische einsteige, sitzt die V. drin. Ich
schau weg, damit die Mama sie nicht sieht und sie ihr nicht am
Ende sagt, daß ich die dummen Sagen nicht können habe. Und
heute wie sie hereinkommt, sagte sie: Lainer, kennst du die
Schulordnung? Ich weiß gleich, was sie meint und sage: „Ich
habe Fräulein gegrüßt in der Elektrischen, aber Fräulein haben
gerad nicht hergesehen". „Das ist sehr schön, ein Vergehen
durch eine Lüge beschönigen zu wollen. Setz dich!" Ich habe
mich sehr geniert, weil mich alle Kinder angesehen haben. Und
um 11 Uhr hat die Franke gesagt zu mir: Mach dir nichts draus,
sie hat dich auf den Zug und da wird sie immer was finden.
Und sie muß es der Frau Doktor M. gesagt haben, weil die in
der Deutschstunde als freie Redeübung vom Grüßen aufgegeben
hat. Und alle Kinder schauten mich wieder an. Sonst hat sie
nichts gesagt. Sie ist überhaupt ein Engel, meine süße E. M.,
sie heißt nähmlich Elisabeth ; aber Namenstag feiert sie keinen,
weil sie protestantisch ist; das ist riesig schade wegen dem
19. November.
31. Oktober: Ich habe doch ein Glück. Mit der Turnstunde
ist nichts herausgekommen, obwohl die Mama selbst dort war.
Und mündlich habe ich heute im Rechnen Eins bekommen. Das
Fräulein Steiner ist auch sehr lieb und hat gesagt: Ja L. was
war denn das bei der Schularbeit, du rechnest ja sonst so gut?
Ich hab mir nicht anders helfen können und hab gesagt: Ich
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hatte neulich solche Kopfschmerzen. Da lacht die Franke beinahe
heraus, das war nicht schön von ihr; ich glaube überhaupt, man
darf ihr nicht ganz vertrauen; sie ist vielleicht etwas falsch.
Nach der Stunde hat sie zwar gesagt, sie hat gelacht, weil
„Kopfschmerzen" ganz etwas anderes bedeutet.
1. November: Heute fangen wir den Schreibtischteppich zu
Weihnachten für den Papa an. Natürlich hat sich die Inspee die
rechte Hälfte genommen, weil die leichter geht und ich muß die
linke Hälfte machen, wo man immer den ganzen Binkel in der
Hand hat. Für die Mama mach ich eine gestickte Buchtasche
aus Leder mit Seide und Malerei ; die Malerei darf ich in der
Schule machen beim Fräulein H., die hab ich auch sehr gern.
Aber am liebsten habe ich die Frau Doktor M. Ich lade die
Franke nicht ein, weil sie gestern so gelacht hat und die
Mama will auch nicht, daß ganz fremde Mädeln kommen.
2. November: Ich weiß noch immer nicht alles. Die Hella
weiß viel mehr. Wir haben gesagt, wir prüfen uns in Natur-
geschichte und sind hinüber in den Salon und dort hat sie mir
noch sehr viel anvertraut. Und dann ist die Mali, unser neues
Dienstmädel hineingekommen und die hat uns etwas Gräßliches
gesagt. Die Resi ist nämlich im Spital, weil sie krank ist.
Nämlich alle Juden müssen als ganz Kleiner eine furchtbar
gefährliche Operation durchmachen; es tut schrecklich weh und
davon sind sie so grausam. Sie müssen das tun, damit sie mehr
Kinder bekommen ; aber nur die kleinen Buben, die Mäderln
nicht. Das ist gräßlich und ich möchte keinen Juden heiraten.
Wir haben die Mali auch gefragt, ob es wahr ist, daß das so
schrecklich weh tut und da hat sie gelacht und gesagt: Es wird
nicht gar so arg sein, sonst täten's nicht alle. Und die Hella hat
gefragt: Haben Sie es denn auch schon getan, Sie haben ja
gar keinen Mann? Und da hat sie* gesagt: Gehn's Fräulein, so
was redt man nicht, das ist nicht schön. Und wir haben uns
sehr geniert und haben sie gebeten, daß sie nichts der Mama
sagt. Und sie hat es uns geschworen.
5. November: Mit dem dummen Gürtel ist alles heraus-
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gekommen. Vorgestern räum ich meinen Kasten aus und will
Ordnung machen, da kommt die Mali die Betten herrichten und
sieht den Gürtel mit den Fransen. „Jö, sagt sie, der ist schön !" Sie
können ihn schon haben, ich trag ihn so nicht mehr, sag ich.
Und gestern zu Mittag schaut die Mama auf einmal die Mali an
und ich spür', daß ich ganz rot werde. Und nach dem Essen
sagt die Mama, du Gretel, hast du der Mali den Gürtel
geschenkt? Ja, sag ich, sie hat mich gebeten. Da kommt sie
grad herein das Wasser hinaustragen und sagt: „Nein, ich hab
nicht bitt drum, die Fräuln Grete hat mir'n von selber geben.
Und ich weiß nicht wie das war, ich war schon in unserem
Zimmer, da kommt die Mama und sagt: Eine rechte Freude
erlebt man an seinen Kindern. Die Mali hat mir gesagt, was für
schöne Sachen du und die Hella redet. Ich renn gleich in die
Küche und sag zur Mali: Wie können Sie einen solchen Tratsch
machen? Sie haben sich in unser Gespräch gemischt. Das ist
eine Gemeinheit und zwar eine kolossale. Am Abend beschwert
s i e sich beim Papa über mich und der Papa schimpft greulich
und sagt : Nette Rangen hab ich, das muß man sagen. Der
Verkehr mit der Hella wird eingeschränkt, verstanden ?
6. November: Das ist das Schönste, jetzt bin ich eine
dumme Gans. Wie ich aber der Hella einen Stoß gegeben habe,
sie soll vor der Mali nichts reden, da hat sie gelacht und ge-
sagt : Was glaubst du denn, die Mali weiß doch so alles ; viel-
leicht besser als wir zwei zusammen. Und dann erst hat die Mali
das von den Juden gesagt. Und jetzt bin ich die dumme Gans.
Also weiß ich wenigstens, was ich bin, eine dumme Gans. Und
das sagt einem die beste Freundin, die man hat.
7. November: Die Hella und ich sind sehr kühl zusammen.
Wir gehen miteinander, aber wir reden nur das ganz Gewöhnliche
von der Schule und vom Lernen, sonst nichts. Seit heute gehen
wir aufs Eis, so oft wir Zeit haben, das ist leider nicht sehr oft.
Die Mama arbeitet für uns an dem Teppich. Es ist eine greuliche
Arbeit, aber sie hat doch weniger zu tun als wir.
8. November: Aufs Eis kommt ein wunderbares Fräulein;
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sie läuft großartig Bogen, Achter und Figuren. Ich bin hinter ihr
gelaufen. Wie sie in die Garderobe ging, duftete es um ihr riesig.
Ob sie bald heiraten wird und ob sie das alles weiß? Sie ist
so schön und streicht sich immer die Haare aus der Stirn, wenn
sie ihr hereinfallen. So schön möchte ich auch sein; dann wäre
ich glücklich. Aber leider bin ich schwarz und sie ist blond.
Wenn ich nur erfahren könnte, wie sie heißt und wo sie wohnt.
Morgen muß ich wieder aufs Eis; lieber lern' ich in der Nacht.
9. November : Ich bin ganz aufgeregt ; sie war nicht am
Eis. Vielleicht ist sie krank.
10. November: Heute auch nicht. Ich bin zwei Stunden
dort geblieben, aber leider umsonst.
11. November: Endlich! heute kam sie. Gott, sie ist so
schön.
12. November: Sie hat mich angeredet. Ich stehe neben der
Tür und auf einmal hör' ich hinter mir lachen und da hab' ich
gleich gewußt: Das ist sie! Und richtig, da kommt sie und
sagt: Wollen wir zusammen laufen? Ob bitte, wenn Sie es
gestatten, sag' ich und wir machen Gitter und laufen mit ein-
ander. Mir schlug das Herz bis zum Halse, und ich möchte
immer was reden, aber mir fällt gar nichts Vernünftiges ein.
Und wie wir zur Tür kommen, steht schon ein Herr da und
grüßt sie und sie grüßt auch, und zu mir sagt sie: Auf Wieder-
sehen. Da frag ich noch schnell : Wann, morgen ? Ja, vielleicht,
ruft sie. Nur vielleicht, vielleicht, wenn es nur schon
morgen wäre.
13. November: Die Inspee behauptet, sie heißt Anastasia
Klastoschek. Aber das ist nicht wahr, sie kann keinen solchen
Namen haben, eher kann sie Eugenie oder Seraphine oder Laura
heißen, aber Anastasia, das ist sicher nicht wahr. Wozu es so
häßliche Namen gibt. Wenn sie wirklich so heißt? Und dann
Klastoschek, so einen böhmischen Namen, und sie soll aus
Mähren sein und schon 26 Jahre; lächerbar, 26 Jahre, sie ist
vielleicht höchstens 18 Jahre, aber nein, so alt ist sie bestimmt
nicht. Die Dora behauptet, sie wohnt in der Phorusgasse und
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-- . - — — — il
sie sagt, gar so schön ist sie nicht. Das ist natürlich der bure
Neid; die Dora findet keine schön außer sich selbst.
14. November: Ich habe das Fräulein an der Kassa gefragt,
sie heißt wirklich Anastasia Klastoschek und wohnt in der Phorus-
gasse; aber wie alt sie ist, weiß das Fräulein nicht. Zuerst hat
sie es mir nicht sagen wollen und hat gefragt, wozu ich es
wissen will und wer mich fragen schickt. Erst als ich sagte, ich
möchte esnur für mich wissen, schaut sie im Buch nach, weil
ich nämlich die Nummer von ihrem Garderobekasten weiß; 36,
das ist eine so schöne reine Zahl, die habe ich sogern, ich weiß
eigentlich nicht warum, aber wenn man sie sagt, so ist es immer,
als ob ein Eichhörnchen im Baum herumspringt.
20. November: Ich kann absolut nicht alle Tage schreiben.
Die Mama liegt im Bett und der Doktor kommt alle Tage, aber
ich weiß eigentlich nicht, was ihr fehlt. Ich glaube, der Doktor
weiß es auch nicht ganz bestimmt. Wenn die Mama krank ist,
so ist es zu Haus so unheimlich und sie sagt auch immer: Nur
nicht krank sein, das ist das Ärgste. Mir liegt nichts dran, wenn
ich krank bin ; ich bin so gar gern krank, dann sind alle so nett
zu einem, der Papa setzt sich, wenn er nachhaus kommt zu
einem ans Bett und sogar die Dora tut einem verschiedenes zu
lieb ; das heißt, sie muß es tun. Übrigens habe ich ihr, wie sie
Diphterittis gehabt hat vor zwei Jahren, auch alles zu lieb getan,
da wäre sie fast gestorben, sie hat 41-8 Fieber gehabt und die
Mama war ganz verweint. Der Papa weint nie. Es muß komisch
ausschauen, wenn ein Mann weint. Wie heuer mit dem Oswald
der Skandal war, hat er schon geweint, ich glaube, der Papa
hat ihm ein paar Ohrfeigen gegeben. Er hat zwar gesagt: O nein,
aber ich glaube es doch; denn geweint hat er bestimmt, auch
wenn er's leugnet. Es ist ja keine Schande und dann ist er doch
so noch kein großer Mann. Wenn ich mich furchtbar ärgere,
dann wein ich schon. Wegen einer Ohrfeige allerdings nicht.
21. November: Heute in der Religionsstunde ist die
Schrötter Lisel, das ist der Liebling vom Herrn Katecheten, nein
wir müssen sagen Herr Professor, also sie ist der Liebling vom
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Herrn Professor mit der Bibel zu ihm gegangen und hat gefragt,
was schwanger heißt. Bei der Maria steht das nämlich wirklich
in der Bibel. Die Schrötter weiß nämlich noch gar nichts und
die Kinder haben sie solang aufgehetzt, bis sie gegangen ist
und gefragt hat. Der Herr Professor ist ganz rot geworden und
hat gesagt: Wenn du es noch nicht weißt, so macht das nichts.
Das lernen wir erst später, wir sind ja noch im alten Testament.
Ich war nur froh, daß die Hella nicht neben mir sitzt in der
Religion, weil sie protestantisch ist; sonst hätten wir bestimmt
herausgeplatzt vor Lachen. Ein paar Kinder haben sehr gelacht
und da hat der Herr Professor zur Schrötter gesagt : Du bist
ein braves Kind, kümmere dich nicht um die andern. Und die
Schrötter hat schrecklich geweint. Ich hätte absolut nicht gefragt,
auch wenn ich es wirklich nicht gewußt hätte. Übrigens ist
schwanger ein dummes Wort, es heißt eigentlich gar nichts; nur,
wenn man es weiß.
22. November: Wie ich gestern nach der Rcligionsstunde
mit der Franke gegangen bin, haben wir natürlich davon ge-
sprochen. Sie sagt, dazu heiraten die Leute, nur dazu. Das
glaube ich wohl nicht, daß die Leute nur deswegen heiraten. Es
gibt doch viele Leute, die heiraten und dann doch keine Kinder
kriegen. Das ist schon richtig, sagt die Franke, aber es ist doch
ganz bestimmt so. Und dann erzählte sie mir noch vieles, was
ich nicht alles aufschreiben kann. Es ist zu gräßlich und merken
tue ich mirs sowieso. Wie ich heute bei der Mama auf dem Bett
sitze, fällt mir auf einmal ein, daß wirklich das Bett vom Papa
ganz neben dem von der Mama steht. Daran hab' ich eigentlich
nie gedacht. Und jetzt ist es ja auch gar nicht mehr notwendig,
weil wir alle doch schon groß sind. Dann bleiben halt die Sachen
stehen wie früher. Was schaust du denn so herum, mein Kleines,
fragt die Mama. Ich hab mir aber nichts merken lassen, sondern
hab gesagt : Ich hab nur geschaut, wenn dein Bett zuerst stünde
und dann der Waschkasten, so könntest du besser zum Lesen
sehen, wenn du im Bett liegst. Das geht nicht wegen dem
Spiegelhacken, da ist die Wand ganz zerklopft, sagt die Mama.
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Ich hab' weiter nichts gesagt und sie auch nicht. Ich schlafe
überhaupt lieber auf einem Diwan als im Bett, weil man sich
da so gut anpreßen kann an die Rückenwand. Ich bin froh, daß
die Mama nichts gemerkt hat. Man muß furchtbar achtgeben,
daß man sich nicht verrät, wenn man alles weiß.
25. November: Ich habe jetzt eine herrliche Geschichte ge-
lesen; sie heißt Ein treues Herz und handelt von einem
Mädchen, der ihr Bräutigam fortgehen muß, weil er einen an-
deren erschossen hat, der ihm aufgepaßt hat. Und die Rosa bleibt
ihm treu, bis er zurückkommt nach zehn Jahren und dann heiraten
sie. Es ist großartig und zuerst furchtbar traurig. Solche Bibliotheks-
bücher lasse ich mir gefallen, aber die wir in der Volksschule
hatten, die habe ich alle schon gekannt und da hat das Fräulein
nie gewußt, was sie mir und der Hella geben soll. Leider be-
kommen wir im Lyzeum nur alle vier Wochen ein Buch, weil
die Frau Doktor sagt, wir haben so soviel zu tun, und wenn
wir frei haben, sollen wir in die frische Luft gehen. Ich komme
nicht jeden Tag dazu, aufs Eis zu gehen. So gern ich die Gold-
fee habe, so hab ich sie getauft, aber ihr Name ist mir gräßlich.
Wie sie gerufen wird, die Inspee sagt Stasi, aber das glaube ich
natürlich nicht; eher vielleicht Anna, aber das ist so gewöhnlich.
Gott sei Dank, daß mich die Hella immer Rita nennt, so sagen
jetzt in der Schule alle Rita. Nur zuhause sagen alle leider Gretl.
Neulich habe ich zur Inspee gesagt: Wenn du wünschest, daß
ich Thea sagen soll, so bitte ich mir Rita zu sagen; und Gretl
verbiete ich mir überhaupt, so sagt man zu kleinen Kindern oder
Bauernmädeln heißen so. Da sagte sie: Gott, wie Du mich
nennst, ist mir ganz egal. Na also, dann bleibt es bei Dora,
aber für immer.
27. November: Der Papa ist Oberlandesgerichtsrat ge-
worden. Er ist sehr froh und die Mama auch. Wir haben gestern
abends drauf angestoßen. Jetzt kann er noch Präsident des
Obersten Gerichtshofes werden, aber nicht gleich, sondern in ein
paar Jahren erst. Wir werden wahrscheinlich im Mai ausziehen,
weil wir eine größere Wohnung nehmen werden. Die Inspee hat
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zur Mama gesagt, sie möchte dann ihren eigenen Raum, wo
sie ungestört ist. Lächerbar, wer stört sie denn, ich vielleicht?
Eher wohl sie mich, wenn sie immer herschaut, wenn ich Tage-
buch schreibe. Die Hella sagt auch immer: Ältere Schwestern
sollt' es nicht geben ; da hat sie wohl sehr, sehr recht. Leider
kann man es nicht ändern. Die Mama sagt, zum Nikolo sind
wir wirklich schon zu groß, aber ich sehe das nicht ein, dazu
ist man nie zu groß. Und dann hat doch die Inspee auch noch
voriges Jahr was vom Nikolo bekommen und war schon drei-
zehn und ich bin jetzt nicht einmal noch zwölf. Überhaupt wir
kriegen ja so nur Chokolade und Zuckerln und Datteln und
solche Sachen, das ist ja ohnehin kein eigentliches Geschenk.
Die Kinder wollen der Frau Doktor einen großen Krampus hin-
stellen auf das Katheder. Aber ich finde das dumm. Einer Lehr-
kraft, die man gern hat, kann man doch keinen Krampus geben
und bei einer, die wir nicht leiden können, ist schad um die
Zuckerln und leer können wir ihn auch nicht hinstellen, das wäre
eine Beleidigung. In der Hinsicht hat die Mama schon recht,
daß der Krampus nur für die Kinder gehört.
1. Dezember: Wir geben allen Lehrkräften einen Krampus,
jede gibt eine Krone, hoffentlich gibt mir der Papa die Krone
extra. Vielleicht gibt er uns jetzt überhaupt mehr Taschengeld,
wenigstens um 1 K mehr. Das wäre fein. Den Lehrkräften, die
wir gern haben, geben wir einen großen und die wir weniger
gern haben, einen kleinen. Nur beim Herrn Prof. J. da trauen
wir uns nicht. Aber wenn nur er keinen bekommt, ist er viel-
leicht beleidigt.
2. Dezember: Heute waren wir Krampus kaufen für die Lehr-
kräfte. Die Frau Doktor M. bekommt den schönsten mit einer
großen Butte und die Keller hat ganz kleine Bücherln, wo Schiller,
Goethe und Märchen, daraufgeschrieben ist, die kommen oben
drauf und drunter die Zuckerln. Das paßt ausgezeichnet für sie,
weil die Frau Doktor doch Deutsch unterrichtet und diese Dichter
lernt man in der Vierten in Deutsch. In der Vierten haben sie
im November eine Schillerfeier gehabt und bei uns hat die Frau
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auch eine sehr schöne Rede gehalten und einige Kinder haben
deklamiert. Die Hella hat mir übrigens ein furchtbares Gedicht
gezeigt von Schiller. Da kommt vor: Ertappt ich sie im Bade,
wie schrie sie da um Gnade, das Mädchen weiß, ich bin ein
Mann. Und dann noch eine Stelle : „Zu Gottes freien Ebenbild
darf ich den Stempel zeigen, woraus das Leben quillt". Aber
das steht nur in der großen Ausgabe von Schiller. Mir
scheint, wir haben mehrere solche Bücher im Bücherkasten, weil
wie die Inspee neulich so herausgekramt hat, hat die Mama aus
dem anderen Zimmer gerufen : „Dora, was suchst du denn eigent-
lich im Bücherkasten? Ich werde dir sagen, wo es steht." Und
sie hat gesagt : Nichts, ich hab nur etwas nachgeschaut, und hat
schnell zugesperrt.
4. Dezember: Die Kinder sind so blöd und haben einen
schrecklichen Tratsch gemacht wegen der Krampusse für die
Lehrkräfte. Es geht nämlich mit dem Geld nicht zusammen und
da hat die Keller gesagt, die Markus hat sich etwas genommen
und dann hat sie gesagt, nein nicht genommen aber behalten.
Und die Markus hat sich natürlich beschwert bei der Frau Doktor
und ihr Papa ist zur Frau Direktorin gegangen und hat sich auch
beschwert. Und die Frau Doktor hat gesagt, wir wissen doch, daß
Geldsammlungen verboten sind und wir dürfen niemanden einen
Krampus geben. Jetzt hat die Keller die fünf Krampusse und wir
wissen nicht, was wir tun sollen. Die Mama hat gesagt, solche
Sachen gehen nie gut aus, da kommt immer ein Streit heraus.
5. Dezember : Wir fürchten uns schrecklich : Die Hella, ich
und die Bergler Edith haben den Krampus, den wir für die Frau
Doktor M. gekauft haben, vor ihre Türe gestellt. Die Bergler
weiß nämlich ihre Wohnung, weil sie alle Tage bei ihr vorbei-
geht. Ob sie ahnen wird, von wem der Krampus ist. Ich hab gar
nicht gewußt, daß die Bergler Edith so lieb ist, mir ist sie immer
so falsch vorgekommen, weil sie Augengläser tragen muß. Aber
sie ist bestimmt nicht falsch, da sieht man, wie man sich oft
täuschen kann. Morgen haben wir Deutsch-Schularbeit.
6. Dezember: Zuerst hat die Frau Doktor gar nichts gesagt.
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_.
Und dann hat sie das Thema zur Schularbeit diktiert: „Warum
ich einmal am Abend nicht einschlafen konnte". Die Kinder waren
alle ganz erstaunt und da hat die Frau Doktor gesagt: Nun
Kinder, das ist gar nicht so schwer. Der eine kann nicht ein-
schlafen, weil er knapp vor einer Krankheit steht, der andere vor
Aufregung entweder aus Freude oder aus Furcht. Ein anderer hat
ein schlechtes Gewissen, weil er etwas getan hat, was ihm grad
erst verboten wurde; nicht wahr, so etwas Ähnliches habt Ihr
doch schon alle erlebt? Und dabei hat sie die Bergler Edith und
uns zwei furchtbar lang angeschaut. Aber sonst hat sie nichts
gesagt. Wir wissen also nicht bestimmt, ob sie es ahnt. Ich
konnte gestern nicht aufs Eisfest gehen, weil ich so stark huste
und die Dora auch nicht, weil sie Kopfschmerzen hatte; ich
weiß nicht ob wirkliche oder die gewissen Kopfschmerzen; war-
scheinlich solche gewisse.
17. Dezember: Jetzt bin ich eine ganze Woche nicht zum
Schreiben gekommen. Vorgestern bekamen wir Interiems-Zeug-
nisse: In Geschichte habe ich genügend, in Naturgeschichte gut
und sonst lauter sehr gut. Wegen der dummen Vischer habe ich
im Fleiß nur einen Zweier. Das hat den Papa sehr geärgert; er
sagt im Fleiß kann jeder einen Einser haben. Das ist schon
wahr, aber wenn man irgendwo genügend hat, kriegt man keinen
Einser im Fleiß. Die Inspee hat natürlich lauter Einser, nur in
Englisch einen Zweier. Sie büffelt aber auch sehr. Die Beste bei
uns ist die Verbenowitsch, aber wir können sie alle nicht leiden,
sie bildet sich wahnsinnig viel ein und die Franke sagt, sie ist
nicht vertrauenswürdig. Die Franke läßt sich von ihrem
Kusin, der geht in die 7., in die Schule begleiten; sie wird schon
bald 14 und ist sehr schön. Sie sagt nicht, was für ein Zeugnis
sie hat, ich glaube ein sehr schlechtes.
18. Dezember: Heute ist die Dora beim Nachtmahl ohn-
mächtig geworden, weil in ihrem weichen Ei schon ein kleines
Henderl drin war, nämlich noch kein wirkliches, aber man hat
schon die Flügel und den Kopf gesehen, aber nur angedeutet,
hat der Papa gesagt. Was man aber deswegen ohnmächtig werden
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braucht, das sehe ich wirklich nicht ein. Nacher hat sie gesagt,
es hat ihr so gegraust. Und sie kann nie mehr ein Ei essen.
Zuerst war der Papa auch ganz erschrocken wie die Mama, aber
dann hat er gelacht und gesagt: Solche Faxen! Sie hat sich dann
gleich niederlegen müssen und ich bin noch sehr lange bei den
Eltern aufgeblieben. Und wie ich dann in unser Zimmer kam,
hat sie gelesen, d. h. ich habe den Lichtschein beim Türspalt
gesehen; wie ich aber die Tür aufgemacht habe, war es schon
finster und wie ich frage: Ah du liest ja noch, gibt sie keine
Antwort und dann tut sie, als ob sie erst durch mein Lichtauf-
drehn wäre wach geworden und fragt: Was ist denn? Solche
Falschheiten kann ich nicht leiden und drum habe ich auch gleich
gesagt: Geh bitt' dich, du weist recht gut, daß es 9 Uhr ist.
Und weiter nichts. Heute auf dem Schulweg haben wir keine
Silbe gesprochen. Glücklicher Weise hat sie dann eine aus ihrer
Klasse getroffen.
19. Dezember: Ich bin sehr neugierig was ich zu Weihnachten
bekomme. Gewünscht habe ich mir: Ein weißes Pelzwerk, nämlich
Boa, Muff und ein Samtbarett mit dem gleichen Pelz verbrämt,
Jackson-Schlittschuhe, weil die Meinen immer gleich locker werden,
deutsche Heldensagen, nicht am Ende Griechische; da möchte
ich mich bedanken, Haarbänder, durchbrochene Strümpfe und wenn
möglich eine goldene Nadel wie die Hella sie zum Geburtstag be-
kommen hat. Aber der Papa sagt, die wird unserem Christkindl
wohl ein bißerl zu teuer sein. Die Inspee wünscht sich ein Front-
mieder. Aber ich glaube, sie bekommt es nicht, weil es ungesund
ist. Der Teppich für den Papa ist schon fertig und beim Scheren,
das Buchtascherl für die Mama noch nicht ganz. Der Dora gebe
ich eine kleine Toilette. Ja und meinen Hauptwunsch hätte ich
bald vergessen, eine Schatulle zum Versperren für mein Tagebuch.
Die Dora wünscht sich auch Ajourstrümpfe und 3 Bände Kränz-
chen. Neulich ist mir etwas Furchtbares passiert. Ich habe ein
Tagebuchblatt liegen lassen oder verstreut, das weiß ich nicht
genau. Wie ich nachhaus komme, sagte die Inspee: „das hast
du verloren, nicht? Es sind wohl Notizen aus der Schule?" Ich
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merk' es nicht einmal gleich, aber dann seh ich's gleich am
Format und sage: Ja, es sind Notizen. Hm m, sagt die Inspee,
aber kaum aus der Schule. Danke Gott, wenn ich das nicht der
Mama sage. Übrigens wenn man nicht einmal noch orthographisch
schreiben kann, dann sollte man wirklich noch kein Tagebuch
schreiben. Das ist eben nichts für Kinder. Ich war wütend. Dann
auf dem Klosett habe ich geschaut, was ich für einen Fehler
gemacht habe; na, wenn nicht mit doppel n und daß ohne
scharfes ß, das ist weiter was. Ich war nur froh, daß gerade
nichts von ihr drauf gestanden ist. Das doppel n und das
scharfe ß streicht sie rot an, als ob sie eine Lehrerin wäre, das
ist die höhere Frechheit! Am besten wäre eigentlich in ein Buch
mit Schloß zu schreiben, das man immer zusperrt, dann kann
niemand etwas lesen und gar Fehler rot anstreichen. Ich schreibe
doch oft so schnell, da ist ein Fehler leicht möglich. Ich möchte
wissen, ob sie nie einen Fehler macht. Mich ärgert das Ganze
wütend. Aber wegen der Mama kann ich weiter nichts sagen,
höchstens auf dem Schulweg; aber nein, wenn ich gar nichts rede,
ärgert sie sich am meisten. Wenn ich viel rede drüber, so fällt
der Mama das wieder ein von den 5 Seiten am Land und das ist
nicht unbedingt nötig.
22. Dezember: Heute ist die Tante Dora gekommen. Sie wird
jetzt einige Zeit bei uns bleiben, bis die Mama ganz gesund ist.
Ich habe mich nicht mehr sehr gut erinnern können an sie, da war
ich nämlich erst vier oder fünf Jahre, wie sie fort von Wien ist.
Der liebe schwarze Käfer hat sie zu mir gesagt und hat mir ein
Bußerl gegeben. Das schwarz höre ich nicht gerade sehr gern,
aber die Hella sagt, es steht mir sehr gut, das ist pikant.
Pikant sagen immer die Offiziere von ihrer Kusine in Krems, von
der der Papa sagt, sie ist eine beautC, das heißt soviel als Schön-
heit und sie ist auch ganz dunkel. Aber ich möchte doch lieber
blond sein, blond und dazu braune oder noch lieber blaugraue
Augen. Ob ich auch so eine beaute" werde? Hoffentlich ja!!
23. Dezember: Ich freue mich schon furchtbar auf morgen.
Was ich bekommen werde? Jetzt muß ich Christbaum aufputzen.
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Die Inspee fragt gerade: Heuer putzt die Gretel auch auf?
Sie hat ja nie aufgeputzt! Ich möchte wissen, warum nicht. Aber
die Tante drinnen hat gleich meine Partei genommen. „Natürlich
putzt sie auch auf; aber bitte nicht allzuviel ins Kröpfchen*.
„Wenn die Dora nichts ißt, ess ich auch nichts", sag ich gleich.
Am Abend. Gestern haben wir die letzte Schule gehabt. Wir
haben frei vom 23. bis zum 2. Jänner. Das ist herrlich. Da gehe
ich jeden Tag aufs Eis. Heute und morgen habe ich natürlich
keine Zeit. Ob ich der „Goldfee" eine Karte schicken soll. Wenn
sie nur einen schöneren Namen hätte. Aber Anastasia Klastoschek;
das ist gräßlich ordinär. Überhaupt alle böhmischen Namen sind
so gräßlich ordinär. Der Papa kennt einen Grafen Wilczek, aber
noch ärger ist schon Schafgotsch. Ich würde nie einen heiraten,
der Schafgotsch oder Wilczek heißt und wenn er auch ein Graf
und ein Millionär ist. Gestern haben wir allen Lehrkräften gratu-
liert, bei der Frau Dr. war ich und die Verbenowitsch, weil sie
uns am liebsten hat, d. h. haben soll. Zum Professor Rigl, Igel,
wir sagen immer Nickel, hat niemand gehen wollen, weil er beim
Gratulieren immer sagt: „Is scho gut". Das ist doch eine Gemein-
heit und so haben müssen die Klassenordnerinnen gratulieren
gehen. Vor Weihnachten hat die Frau Doktor uns ermahnt, daß
wir niemanden von den Lehrkräften etwas geben dürfen. „Ich bitt'
Euch Kinder, haltet Euch darnach, es kommt nur Verdruß heraus
dabei, Ihr wißt es ja vom Nikolo her. Und ins Haus dürft ihr
den Lehrkräften auch nichts schicken und vor die Tür stellt ein
feines Christkindl auch niemandem etwas". Und dabei hat sie
mich und die Bergler Edith furchtbar angeschaut. Also weiß sie
es doch vom Krampus. Ich bin so müde, daß mir die Augen
zufallen. Ah bravo, morgen ist Weihnachten!!!
24. Dezember: Der Weihnachtstag Nachmittag ist scheußlich.
Man weiß nicht, was man tun soll, nichts freut einem mehr. Aufs
Eis mag ich auch nicht, so schreibe ich jetzt lieber. Gestern ist
der Oswald gekommen. Alle sagen, daß er gut aussieht ; ich finde
ihn schrecklich blaß und er hat auch ganz höhnisch gelächelt, wie
alle seine gute Farbe lobten ; natürlich, wie kann er denn gut aus-
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sehen, wenn er einen Liebesgram hat. Ich möchte ihm gern sagen,
daß ich ihn ganz gut verstehe, aber er ist zu stolz, ein Mitleid anzu-
nehmen. Er hat sich einen Armeerevolver zu Weihnachten gewünscht,
aber ich glaube, er bekommt ihn nicht, weil Mittelschüler keine
Waffen haben dürfen. Vor einiger Zeit hat im Gymnasium in
Galizien ein Schüler seinen Professor aus Rache erschossen; es
hat geheißen wegen schlechten Fortgang, aber in Wirklichkeit
war es wegen einem Mädchen, obwohl der Professor schon
36 Jahre alt war. Heute vorm. war ich mit dem Oswald in der
Stadt, Einkäufe besorgen ; wir haben die Warth begegnet, nämlich
die Elli und den Robert. Der Oswald findet die Elli ganz
passabel, aber der Robert ist ein grünes Scheusal, sagt er ; und
es paßt ihm nicht sagt er, daß er mich so anglozt. Wenn er erst
das vom Sommer wüßte! Ich habe den Robert furchtbar von oben
herunter behandelt und das hat ihn wütend geärgert. Wenn man
Euch Mädeln nur behüten könnte vor all dem Traurigen, was die
Welt „Liebe" heißt, sagte der Oswald am Nachhauseweg. Und
wie ich anfangen will zu sagen „Ich weiß, daß Du unglücklich
liebst und fühle mit Dir", biegt die Inspee mit ihrer guten Freun-
din um die Ecke der Bognergasse und es rennen ihnen 2 Offi-
ziere nach, so daß sie uns gar nicht gesehen haben. „Saperment,
die Frieda hat sich herausgemausert, das ist ein feiner Bissen",
sagt der Oswald. Solche ordinäre Bemerkungen kann ich nicht
ausstehen und ich habe auch den ganzen Weg nichts mehr
geredet. Er hat es auch bemerkt und hat zur Mama gesagt: „Der
Gretel ist vor Neid der Mund zugefroren". Weiter nichts. Das
ist wirklich infam und ich weiß wenigstens, was ich zu tun
habe.
Gott, schnell noch ein paar Worte. Der ganze Weihnachts-
abend ist verpatzt. Ein Dienstmann hat für die Dora ein Boukett
abgegeben und der Papa ist wütend. Ich möchte nur wissen von
wem? Am Ende gar von den 2 Offizieren heute? Die Inspee
sagt natürlich, sie weiß nicht, von wem. Mich wundert nur, daß
der Oswald nichts verraten hat. Er sagte nur: Na, das ist auch
ein Gusto! Aber der Papa hat ihn gleich recht angefahren: „Du
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halt das Maul und denk an deine Schweinereien". Das habe ich
ihm gegönnt ; ich finde ja auch die Dora nicht so großartig, aber
schließlich kann sie ja doch einem gefallen. Im Boukett war
ein Gedicht, das hat die Dora schnell heimlich herausgerissen,
ehe es der Papa gesehen hatte. Es ist sehr schön und als Unter-
schrift steht: Einer, dem Sie das Weihnachtsfest verschönern!
Und als Überschrift: „Festzauber". Ich finde es geradezu heroisch,
daß die Dora sich nicht verrät; sie behauptet auch zu mir, sie
weiß es nicht; wenn das nicht eine ihrer Falschheiten ist. Ich
glaube, eigentlich eher wird es von dem jungen Perathoner sein,
der immer mit ihr läuft am Eis.
28. Dezember: Ich habe gar keine Zeit gehabt zum Schrei-
ben. Ich habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe. Und
von der Tante Dora haben wir jede einen Operngucker aus Perl-
mutter in Pelüschetäschchen bekommen. Wir werden nämlich in
alle Schülervorstellungen gehen, wir haben von Papa die Anwei-
sung bekommen ; nämlich die hat er selbst geschrieben für a 1 1 e
Vorstellungen im Schuljahr 19 . . bis 19 . . Ich freue mich furcht-
bar, denn die Frau Dr. M. kommt auch. Wenn ich nur neben ihr
sitzen könnte.
31. Dezember: Ich habe heute alles durchlesen wollen, was
ich geschrieben habe. Aber ich bin nicht dazugekommen. Aber
im neuen Jahr muß ich wirklich alle Tage schreiben.
1. Jänner 19 . .: Wenigstens ein paar Sätze muß ich schrei-
ben. Nachmittags waren wir bei Rydbergs eingeladen und da
waren auch die Warth Edle von Wernhoff ! ! dort. Mit der Lisel
habe ich geredet wie gewöhnlich, aber mit dem R. kein Wort.
Sie sind früher fort als wir, und da hat mich die Heddy gefragt,
was ich mit dem R. gehabt habe. Er hat von mir gesagt: Die
schwarze Gans kann mir gestohlen werden. Und dann hat er
gesagt, mir kann man alles aufbinden. Ich bin so dumm, daß
ich alles glaube. Was das eigentlich heißen soll, weiß ich nicht;
denn er hat mir nie etwas aufgebunden. Übrigens werde ich mir
nicht den ersten Tag im Jahr durch den verderben lassen. Aber
da hat die Hella Recht, wenn man am 1. Jänner einen ordinären
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Menschen zuerst begegnet, so ist das schon ein schlechter Anfang.
Ich begegnete nämlich in der Frühe, wie ich aus dem Tore ging,
unseren alten Briefträger, der immer so brummt wenn ihm nicht
gleich aufgemacht wird. Ich schaute schnell weg und drüben ging
gerade ein feiner junger Herr, aber das nützte nichts mehr, der
ordinäre Briefträger war doch der erste.
12. Jänner: Ich ärgere mich furchtbar. Wir dürfen nicht
mehr auf Eis gehen, weil die Inspee wieder mit ihren dum-
men Ohren anfängt und die Mama bildet sich ein, sie hat sich im
vorigen Jahr die Mittelohrentzündung am Eis geholt. Also gut,
dann soll sie nicht gehen; aber ich? Was kann denn ich
dafür, daß sie so empfindlich ist? Der Papa ist sonst wirklich die
Gerechtigkeit selber, aber in diesem Falle verstehe ich ihn nicht.
Das ist doch einfach lächerlich, das heißt es ist zu traurig, als
daß man sagen kann lächerlich. Ich bin empört. Jedenfalls rede
ich gar nichts.
12. Februar: Jetzt habe ich ein ganzes Monat nicht ge-
schrieben, weil ich soviel lernen mußte. Und heute haben wir
die Zeugnisse bekommen. Im Fleiß habe ich, trotzdem ich so
gelernt habe in der letzten Zeit, wieder nur einen Zweier. Die
Frau Dr. M. hat eine großartige Ansprache gehalten und hat
gesagt: Wie die Saat, so die Ernte. Das ist aber nicht immer
wahr. In Naturgeschichte habe ich zweimal nichts gekonnt und
habe doch 1 bekommen und in Geschichte habe ich nur einmal
nichts gekannt und habe Genügend bekommen. Allerdings kann
mich das Fräulein V. nicht leiden, weil ich damals in der Elek-
trischen nicht gegrüßt habe. Und deshalb hat sie auch im Jänner,
wie die Mama nachfragen war, gesagt: „Es fehlt ihr am richtigen
Ernst-. Und damals habe ich gehört, 'wie der Papa zur Mama
gesagt hat: Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind, aber heute
hat er mir doch einen Skandal wegen dem Fleißzweier gemacht.
Das hat er doch wissen können. Die Dora hat, wiesiebehaup-
t et, lauter Einser, aber sie zeigt das Zeugnis nicht. Und was ich
nicht sehe, das glaube ich nicht. Und die Mama verrät sie ein-
fach nicht.
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15. Februar: Der Papa ist wütend, weil der Oswald ein
Nichtgenügend hat im Griechisch. Eigentlich ist das Griechisch
ganz unnötig; denn niemand braucht es, außer die Leute in
Griechenland und dorthin geht doch der Oswald ohnehin nie,
wenn er auch auf den Landesgerichtsrat studiert wie der Papa.
Die Dora lernt natürlich Latein; na, das tue ich mir nicht
an. Die Hella hat keine besonderen Noten und ihr Papa t o b t e ! 1 !
Er verlangt, sie soll die Beste sein. Aber sie ist gar nicht so er-
picht darauf und sagt: Man muß nicht alles haben. Wenn sie
im zweiten Halbjahr nicht lauter Einser hat, darf sie nicht weiter
gehen ins Lyz. Sie muß in die Bürgerschule gehen. Dann bringt
sie sich um. Der Papa ist auch sehr komisch; Wozu bat man
denn Geschichtenbücher, als daß man sie liest. Gestern lese ich
im Töchteralbum und der Papa kommt herein und sagt: Du,
lies lieber im Geschichtsbüchel als im Geschichtenbuch und
schlägt mir das Buch zu. Ich habe einen solchen Zorn gehabt,
daß ich mich schon um 7 Uhr ohne Nachtmahl ins Bett
gelegt habe.
20. Februar: Heute begegnete ich der Goldfee. Sie redete
mich an und fragte, warum ich nicht aufs Eis komme. Das
Kostümfest am 14. sei großartig gewesen. Ich sagte: Denken
Sie sich Fräulein, meine Schwester hatte im vorigen Jahr Mittel-
ohrentzündung und deshalb dürfen wir beide heuer nicht
aufs Eis. Sie lachte furchtbar und sagte so entzückend süß: Ja,
die böse Schwester. Sie ist einfach göttlich: Ein rehbraunes
Kostüm mit feinem Pelz, ich glaube Zobel besetzt und einen
riesigen braunen Kastorhut mit Schinebändern, hochfein. Und
dann diese Augen und der Mund. Ich glaube, sie wird den
Herrn heiraten, der immer mit ihr gelaufen ist. Wenn wir im
Herbst wieder neue Winterkleider bekommen, lasse ich mir ein
rehbraunes mit Pelz machen. Wir müssen doch nicht immer
gleich angezogen sein. Die Hella und die Lizzi sind nie gleich
angezogen.
8. März: Mit der Franke spreche ich nie mehr ein Wort;
eine solche Falschheit. Ich habe solche Kopfschmerzen, weil ich
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die ganze Stunde geweint habe. Sie schreibt der Hella und mir
in der Rechenstunde auf: Ein Verhältnis heiüt ganz etwas
anderes. Und das Fräulein schaut gerade her und sagt: Wem
hast du zugenickt? Und sie sagt: Der Lainer. Weil sie gelacht
hat über das Wort „Verhältnis". Das war aber wirklich nicht
wahr. Ich habe zuerst an garnichts gedacht und erst wie ich den
Zettel lese, fällt der Hella und mir ein, was Verhältnis
heißt. Nach der Stunde ruft uns das Fräulein St. hinunter ins
Professorenzimmer und sagt der Frau Dr. M., daß wir, die
Franke und ich, so gelacht haben über das Wort „Verhältnis".
Und die Frau Dr. M. sagt : Was gibt es denn da zu lachen ;
rechnet lieber ordentlich. Und das Fräulein sagt: Schämt Euch,
in der ersten Klasse sollt Ihr solche Sachen gar nicht wissen.
Ich werde mir Eure Mutter vorladen. In der Deutschstunde hat
die Frau Dr. M. einen Spruch als Aufsatz gegeben : Rein das
Herz und wahr das Wort, klar die Stirn und frei das Aug, das
sei des Menschen Hort, oder so ähnlich; ich muß es mir von
der Hella abschreiben, denn ich habe die ganze Stunde geweint.
10. März: Heute hat sich die Franke herausreden wollen;
aber die Hella und ich haben ihr gleich gesagt, wir reden nicht
mehr mit ihr. Und sie soll nur dran denken, was für Sachen
sie uns gesagt hat. Und da hat sie alles abgeleugnet und
gesagt, wir haben ohnehin schon alles gewußt. Wir sollen uns
nur nicht so verstellen. Das ist eine Gemeinheit. Wir haben
eigentlich gar nichts gewußt und sie hat uns alles gesagt. Und
schon oft hat die Hella zu mir gesagt, sie wollte, daß wir
garnichts wüßten. Weil sie immer Angst hat, sich zu verraten.
Und dann weil sie oft an so etwas denkt, wenn sie lernen soll.
Das ist bei mir gerade ebenso. Und manchmal träumen einem
auch solche Sachen, wenn man gerade Nachmittag davon
geredet hat. Aber es ist doch besser, wenn man alles weiß.
22. März: Ich komme so selten zum Schreiben, erstens
haben wir sehr viel zu lernen und zweitens freut es mich nicht
mehr, seit der Papa das gesagt hat. Wie ich das letztemal ge-
schrieben habe, das war an einem Samstag nachmittags, da
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kommt der Papa herein und sagt : Kommt Kinder, wir fahren
nach Schönbrunn. Das ist Euch gesünder als Tagebuchkritzeln,
das Ihr dann höchstens irgendwo liegen laßt. Also hat die Mama
es doch dem Papa gesagt in den Ferien. Das hätte ich nie
geglaubt von der Mama, denn ich hatte sie gebeten, sie soll
mir schwören, daß sie's niemanden sagt. Und sie hat gesagt:
Bei so etwas schwört man nicht; aber ich sage es auch so
niemanden. Und jetzt muß sie es doch gesagt haben, obwohl
sie es mir versprochen hatte, nichts zu sagen. Da ist ja die
Falschheit von der Franke nichts dagegen, denn die kennen wir
doch erst seit heuer, aber daß die Mama das tut, das hätte ich
nie geglaubt. Ich habe es der Hella erzählt, wie wir aufs Tivoli
jausnen gingen und sie sagte, sie würde auch ihrer Mama nicht
ganz trauen, eher noch dem Papa. Aber der hätte ihr, wenn i h r
das passiert wäre, das Tagebuch um die Ohren gehaut. Ich habe
mir nichts anmerken lassen, aber am Abend habe ich der Mama
nur ein ganz kleines Bußerl gegeben. Und sie hat gesagt : Was
hast du denn, mein Kleines, ist dir etwas passiert? Und da
habe ich mich nicht halten können und habe gräßlich geweint
und gesagt: Du hast mich schmählich verraten. Und die Mama
hat gesagt: „Ich«? Ja, du; du hast dem Papa das vom Tage-
buch gesagt, obwohl du mir versprochen hast, nichts zu sagen
Zuerst erinnerte sich die Mama nicht einmal daran ; aber dann
erinnerte sie sich gleich und sagte: „Aber, Kindchen, der Papa
darf doch alles wissen. Du hast doch nur nicht wollen, daß die
Dora etwas erfährt". Das ist wohl wahr, das wäre schon gar
schön gewesen ; aber der Papa hätte es auch nicht wissen
brauchen. Und die Mama war furchtbar lieb und nett und ich
ging erst um 10 Uhr ins Bett. Aber sagen werde ich ihr doch
auf keinen Fall mehr etwas und das ganze Tagebuch freut mich
nicht mehr. Die Hella sagt: Das ist eine Dummheit; deswegen
soll ich nur weiterschreiben; aber ein andermal soll ich nichts
verlieren, und dann soll ich nicht gleich immer alles der Mama
und dem Papa klatschen. Sie sagt ihrer Mama gar nichts mehr,
seit damals im Sommer, wo ihr ihre Mama eine Ohrfeige gegeben
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hat, weil ihr das fremde Mädchen alles gesagt hat. Es ist wahr,
die Hella hat recht, ich bin sehr kindisch, daß ich mit allem
gleich zur Mama renne und ihr alles erzähle. Und das ist vom
Papa auch nicht schön, daß er mich so aufzieht mit dem Tage-
buch ; wahrscheinlich hat er selber nie eines gehabt.
27. März: Juchu, wir fahren zu Ostern nach Hainfeld; ich
freue mich riesig. Die Freundin der Mama wohnt dort und ihr
Mann ist dort Doktor, deshalb müssen sie jahraus, jahrein dort
wohnen. Voriges Jahr im Winter war sie einmal mit der Ada
auf drei Tage bei uns, weil sie augenleidend ist. Die Ada ist
zwar beinahe so alt wie die Dora, aber die Dora sagt in ihrer
Frechheit: „Nach ihrem geistigen Niwo paßt sie entschieden
besser zu dir." Die Dora glaubt nämlich, so gescheit wie sie, ist
kein anderer Mensch. Und zwei Buben haben sie, aber die
kenne ich nicht genau, weil sie erst 8 und 9 Jahre sind. Die
Freundin der Mama war schon einmal im Irrenhaus, weil sie
trübsinnig war, wie ihr kleines Kind mit zwei Jahren gestorben
ist. Ich kann mich gut erinnern, das muß vor zwei Jahren
gewesen sein, da sagten die Eltern immer, die arme Anna, unter
drei Tagen hat sie ihr Kind verloren. Und ich habe geglaubt,
wirklich verloren, und habe einmal gefragt, ob sie es schon ge-
funden haben. Ich glaubte nämlich, im Wald verloren, weil bei
Hainfeld soviel Wald ist. Und ich kann seither nicht leiden,
wenn jemand sagt verloren statt, er ist gestorben, weil man sich
dann nie auskennt, wie es gemeint ist.
Am 8. April fangen die Osterferien an und wir fahren
am IL, am Gründonnerstag.
6. April : Ich weiß nicht, wie ich das machen soll mit dem
Tagebucbschreiben. Mitnehmen will ich es eigentlich nicht und
mir alles merken und dann nachher alles schreiben, das weiß
ich, das tue ich dann nicht. Die Hella meint, ich soll mir
Schlagwörter, so sagt immer die Frau Dr. M., aufschreiben in
Hainfeld und dann wenn ich zurückkomme, alles ordentlich auf-
schreiben. Sie macht es auch so. Sie fahren nämlich auf die
Brionischen Inseln. Ich war noch nie am Meere. Die Hella sagt
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aber, es ist gar nicht so großartig. Sie war schon viermal. Aber
sie ist nicht gar so vernarrt wie alle anderen Leute. Also muß
es nicht so wunderbar sein. Und ich denke mir's auch
ziemlich fad.
12. April: Gestern angekommen. Ada sehr lieb und die zwei
Buben furchtbar ordinär. Der Ernstl sagt zur Ada: Ich geb dir
ein Paar am A . . . ., wennst nicht augenblicklich mein Revolver
hergibst. Die Ada ist schon so groß wie ihre Mama. Sie reden
alle etwas bäurisch. Auch der Herr Doktor. Er trinkt furchtbar
viel Bier, ich glaube 8 1.
14. April: Heute Papa nachgekommen. Hat den Herr Doktor
riesig gern. Haben sich geküßt. Da habe ich furchtbar lachen
müssen. Vormittag waren wir im Wald; aber es sind noch keine
Veilchen, nur ganz wenig Schneeglöckchen, aber dafür riesig viel
Nießwurz, ganz rote.
15. April: Gestern um 4 Uhr Auferstehung. Wir waren nicht
drinnen in der Kirche, weil die Mama Angst hatte, der Dora
wird schlecht vom Weihrauch und vom Stiefelgeruch. Solche
Faxen ! Es war sehr schön. Heute nachmittags fahren wir in die
Ramsau, dort ist es sehr schön.
16. April: Heute ist der Papa weggefahren. Morgen fahren
wir. Zu Pfingsten wird die Ada von der Mama zur Firmung
geführt. Da kommen alle zu uns. In der Ramsau bin ich im
Sumpf stecken geblieben. Das war wirklich gräßlich. Aber der Herr
Doktor hat mich herausgehoben. Und dann haben wir furchtbar
gelacht, wie meine Schuhe und die Strümpfe ausgeschaut haben.
Zum Glück habe ich mich an einem Baumstumpf halten können,
sonst wäre ich untergesunken.
18. April: Die Hella sagt, es war großartig auf den Brioni-
schen Inseln. Sie ist ganz dunkelbraun. Aber das habe ich nicht
gern, und drum gehe ich nie in meinem Leben nach dem
Süden. Die Hella sagt zwar, wenn man im Winter heiratet,
muß man die Hochzeitsreise nach dem Süden machen. Aber ich
sehe das gar nicht ein, ich verschiebe es einfach auf den Sommer.
Die Ada ist erst dreizehn, nicht vierzehn wie die Dora, und
4*
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der Herr Pfarrer schimpft furchtbar, daß sie noch nicht gefirmt
ist. Die Mama führt sie heuer zur Firmung. Wir werden nicht
gefirmt, weil die Eltern niemand bitten wollen. Aber ich möchte
schon gefirmt werden, denn da m u ß man eine Uhr kriegen und
kann sich zu Weihnachten etwas anderes wünschen,
21. April: Wir haben wahnsinnig viel zu lernen. Denn der
Herr Landesschulinspektor wird bald kommen. Das ist immer
sehr unangenehm. Die Mme A. sagt zwar: die Inspektion gilt den
Lehrkräften und nicht den Schülern. Aber trotzdem ist es auch
für die Schülerin greulich. Erstens weil sie sich blamiert und
zweitens die Geschichten, die die Lehrkraft dann hinterdrein macht.
Die Dora sagt, eine ungünstige Inspektion kann einem die Note
um zwei Grade verschlechtern. Da fällt mir gerade ein, daß ich
noch gar nicht geschrieben, warum der Oswald zu Ostern nicht da
war. Er durfte nämlich, obwohl er durchaus keine guten
Noten hat, nach Pola zur Tante Alma fahren, weil der Richard
heuer das letztemal in die Ferien kommt. Dann fährt er auf drei
Jahre mit dem Dampfer Ozean nach dem Orient oder in die
Türkei oder nach Persien, das weiß er noch nicht genau. Wenn
der Oswald Lust hat, geht er auch zur Marine in zwei Jahren.
9. Mai : Heute war der Herr Landesschulinspektor da, zuerst
in Naturgeschichte, da kam ich Gott sei dank nicht dran, und
dann in Deutsch; da kam ich dran, beim Lesen und bei der
Inhaltsangabe der wandelnden Glocke. Gott sei Dank hab' ich
alles können.
14. Mai: Heute ist der Geburtstag von der Mama. Wir haben
absolut keine Zeit gehabt, ihr etwas zu arbeiten, so haben wir
eine wunderbare elektrische Lampe für den Nachttisch gekauft,
der Knopf ist eine herabhängende Weintraube und der Ständer
ist aus Messing. Sie hat eine große Freude gehabt. Gestern war
die Frau v. R. da, das ist eine Freundin der Mama und von der
Mama der Hella. Bei der Frau v. R. möchte ich sehr gern Klavier-
stunden haben, sie gibt nämlich welche, seit ihr Mann, der
Major war, gestorben ist, obwohl sie reich ist.
15. Mai: Das wegen der Inspektion muß doch wahr sein;
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der Prof. Igel-Nickel sagte heute in der Pause zum Herrn
Rehgionsprofessor: Also jetzt kommt er noch die ganze Woche
und dann sind wir für dieses Jahr sicher. Wir, das heißt na-
türlich die Lehrkräfte. Aber eigentlich können die Lehrkräfte nicht
immer etwas dafür, wenn die Schüler nichts können. Der Oswald
sagt zwar, ja es ist einzig und allein ihre Schuld. Ich bin auch
froh, wenn die Inspektion vorüber ist. Die Lehrkräfte sind ganz
anders, wenn der Herr Inspektor da ist, manche sind besser,
manche sind strenger und die Mme. A. sagt: Es ist ihr immer
ganz schlecht vor Angst.
* tA 29 '. ^ * ZU Pfin ^ sten war die Fr *u Dr. Haslinger aus Hain-
reld mit der Ada und den zwei Buben da wegen der Firmune
Am Pfmgstsonntag ist auch der Herr Dr. gekommen und abends
sind alle wieder gefahren. Die Ada ist sehr schön, aber sie sieht
doch bäuerisch aus. Ich lasse mich auf keinen Fall firmen, wir
mußten drei Stunden warten, obwohl der Freitag vor Pfingsten
ein sehr feiner Tag ist. Die Dora war gar nicht mit; nur die
Mama und ich und die Ada und ihre Mama. Alle Bandl-Frauen
glaubten, ich sei auch ein Firmling, weil ich auch weiß ange-
zogen war. Das hat die Ada auch ein bischen gefuchst. Am
Samstag waren wir vor- und nachmittags in der Stadt, weil das
der Ada lieber war als auf den Kahlenberg; Sonntag vormittags
in Schönbrunn und nachmittags fuhren sie schon weg. Die Uhr
die Ada bekommen hat, war sehr schön, und von der Dora und
mir extra ein goldenes Halskettchen. Sie hat sich sehr gefreut,
nur hatte sie Sonntag nachmittags greulich Kopfweh. Weil sie
den Stadtlärm nicht gewöhnt ist.
31. Mai: Die Ada weiß auch schon Verschiedenes, aber nicht
alles. Einiges habe ich ihr gesagt. Heuer im Winter hat sich ein
Mädchen in H. ins Wasser gestürzt, weil sie ein Kind bekommen
sollte. Da waren alle sehr aufgeregt und da hat ihre Mama einiges
gesagt, aber eben nicht alles. Die Ada hat schon einmal gesehen,
wie eine Hündin ihre Jungen bekommen hat, aber das hat sie
ihrer Mama nicht gesagt ; denn die wäre wahrscheinlich sehr böse
darüber gewesen. Aber sie konnte nichts dafür, der Hund gehörte
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dem Herrn, der neben ihnen wohnt und da hat sie gerade in
den Flur gesehen. Und die Ada erwartet es täglich, da sie schon
bald 14 Jahre wird. Jedes große Mädel in H. hat einen Verehrer.
Die Ada sagt, sobald sie 14 Jahre ist, bekommt sie auch einen;
sie weiß schon, wen.
3. Juni: Heute hat die Ada geschrieben, bei der Mama hat
sie sich für die Firmung bedankt und mir hat sie extra geschrieben.
Es ist eigentlich komisch, daß sie nicht mit der Dora gute
Freundin geworden ist, sondern mit mir. Aber ich glaube, die
Dora redet nicht solche Sachen, höchstens mit ihren Freundinnen
im Lyz., besonders mit der Frieda Ertl. Und drum hat die Ada
mit mir Freundschaft geschlossen, obwohl ich gerade um zwei
Jahre jünger bin. Sie ist wirklich ein liebes Mädel.
19. Juni: In unserer Klasse kommt fortwährend etwas weg,
zuerst die Überschuhe der Fleischer, dann meine neuen Hand-
schuhe und jetzt schon dreimal Geld und heute das neue Täschchen
vom Fräulein Steiner. Es war eine große Untersuchung. Aber es
ist nicht herausgekommen. Wir glauben alle, es ist die Schmolka.
Aber niemand will es sagen. Wir haben heute gar nicht auf-
gepaßt in der Stunde, besonders wie die Seh. um x ) % \2 hinaus-
gegangen ist.
20. Juni: Auf unserem Klosett hat die Schuldienerin abge-
fallene Perlen gefunden, aber da sie nichts wußte, hat sie sie auf
den Mist geworfen. Ob wirklich die Seh.? das wäre furchtbar
gemein. Das Frl. St. ist schrecklich aufgeregt, weil sie das Täsch-
chen von ihrem Bräutigam zum Geburtstag bekommen hat und
weil seine Photographie drin war. Eigentlich tut mir aber die
Seh. doch leid. Niemand redet mit ihr, obwohl es gar nicht be-
wiesen ist. Sie ist furchtbar blaß und hat immer Tränen in den
Augen. Und die Hella meint auch, sie ist es vielleicht doch
nicht, denn sie ist einer von den Lieblingen vom Frl. St. und
sie hat sie auch sehr gern. Sie trägt ihr immer die Hefte
nach Hause.
22. Juni: Unser Klosett war verstopft und wie der Schul-
diener nachschaute, fand er das Täschchen. Aber was hat das
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Fräulein, davon; sie kann es doch unmöglich mehr brauchen.
Wir haben die ganzen Stunden gelacht, so oft wir eins das andere
anschauten und die Lehrkräfte haben furchtbar geschimpft. Nur
die Frau Dr. M. sagte: „Ich bitt' Euch, jetzt lacht Euch offen
aus über die in jeder Hinsicht unappetitliche Geschichte und
dann basta."
23. Juni : Heute war ein Skandal. Die Verbenowitsch sammelt
die Deutschhefte ab und wie ihr die Seh. ihr Heft geben will,
sagt sie : Bitte das Heft persönlich abzugeben ; ich will mit
(dann machte sie eine lange Pause) Ihnen nichts zu tun haben.
Wir waren alle ganz entsetzt und die Seh. war so weiß wie die
Wand. Um 10 Uhr bat sie, nachhausegehen zu dürfen, weil
ihr schlecht sei. Morgen wird jedenfalls ihre Mama kommen.
24. Juni : Die Mama der Seh. war nicht da. Die Verbeno-
witsch sagt: Natürlich nicht! Die Seh. war auch nicht da. Die
Hella sagt, sie würde so etwas nicht auf sich sitzen lassen, sie
würde sich ins Wasser stürzen. Also, eigentlich ins Wasser
stürzen, das tut man doch nur aus anderen Gründen. Aber
ich würde es meinem Papa sagen, damit er in die Schule geht.
Die Franke sagt: Ja, das ist alles recht schön, weil Ihr es nicht
getan habt; aber wenn eine es getan hat, dann traut sie sich
garnichts zu sagen zu Hause. Übrigens ist der Vater der Seh.
schwer krank, er ist ganz gelähmt und liegt schon seit zwei
Jahren im Bett und kann nicht reden.
27. Juni : Heute sind die Hella und ich mit der Frau Dr. M.
gegangen. Eigentlich geht sie nie mit jemanden, aber die Hella
ist auf einmal von mir weggerannt und zu der Frau Dr. hin und
sagt: Bitte schön, Frau Dr. um Verzeihung, daß ich Sie auf der
Gasse belästige; wir müssen Sie sprechen. Und sie war ganz
rot dabei. Da sagt die Frau Dr.: „Was ist denn?" Und die Hella
sagt: „Kann man nicht herausbekommen, wer das Täschchen
genommen hat ? Wenn es die Seh. doch nicht war, so kränkt sie
sich zu Tod, wie die Kinder sie behandeln, und wenn sie es
war, dann dulden wir sie nicht mehr unter uns." Die Hella war
wirklich großartig und die Frau Dr. M. hat sich alles von uns
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erzählen lassen, auch das von der Verbenowitsch mit den Heften ;
und wir haben deutlich gesehen, sie hatte Tränen in den Augen,
und sie sagte: „Das arme Kind! Kinder, ich werde mich ihrer
annehmen, das verspreche ich Euch." Und wir küßten ihr beide
die Hand und mir klopfte das Herz bis zum Hals. Und die
Hella sagte: „Sie sind ein Engel." So etwas bringe ich nie
heraus.
28. Juni: Heute war die Seh. wieder da, aber die Frau Dr.
M. hat nichts gesagt. Wir, die Hella und ich, haben sie fort-
während angeschaut und die Hella hat sich dreimal geräuspert
und da hat die Frau Dr. gesagt: Brückner, höre doch auf mit
deinem Räuspern ; davon werden deine Halsschmerzen nur ärger.
Aber mir scheint, sie hat dazu mit den Augen gezwinkert. Also
vergessen hat sie nicht. Ich wollte zu der Seh. reden, aber die
Hella sagte: Warte noch, wir dürfen der Frau Dr. nicht vor-
greifen. Jetzt hat sie alles in die Hand genommen. Morgen vor
neun gehen wir vor ihrem Hause auf- und ab, bis sie kommt.
30. Juni: Gestern war leider Feiertag und heute hatte die
Frau Dr. erst um 11 Uhr Unterricht. Aber sie hat schon mit
der Seh. geredet, nur wissen wir nicht, wann und wo ; in der
Pause bestimmt nicht und während der Stunde ist die Seh. nicht
geholt worden.
1. Juli: Heute gingen wir mit ihr. Gott, sie ist so süß.
Liebe Kinder, sagt sie, das ist eine so traurige Sache, in der
man auf keinen Grund kommt. Die Seh. behauptet fest und steif,
sie war es nicht, und seht Kinder, ob sie es tat oder nicht, diese
Tage brennen sich ihr unauslöschlich in die Seele ein und die
Hella fragte : „Bitte Fr. Dr. geben Sie uns einen Rat, was sollen
wir tun, mit ihr reden oder nicht?" Da sagte sie: Kinder, ich glaube,
daß sie nach dieser Sache im nächsten Jahr nicht mehr zu uns
kommen wird ; Ihr tut ein gutes Werk, wenn Ihr ihr diese letzten
Tage erträglich macht. Intim wart Ihr ja nie mit ihr, aber ein
paar freundliche Worte schaden Euch nicht und können sie
stützen. Und Ihr 2 habt ein großes Ansehen in der Klasse ; Euer
Beispiel wird gut wirken. Wir gingen bis zur Schule mit ihr
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und deshalb konnten wir ihr nicht die Hand küssen; aber die
Hella sagte ganz laut: Gott, wie himmlisch süß! Sie muß es
gehört haben. Aber die Seh. war nicht in der Schule. Der Papa
sagt, er ist froh, bis Schulschluß ist, denn ich bin schon ganz
verrückt wegen der Geschichte. Aber er ist doch dafür, daß wir,
ich und die Hella, etwas zur Seh. sprechen. Und die Mama
auch. Nur die Dora sagte : Ja, es ist ganz recht, aber doch ein
wenig reserviert.
5. Juli : Die Seh. war nicht mehr in der Schule. Morgen
bekommen wir die Zeugnisse.
6. Juli: Wir haben furchtbar geweint, ich und die Hella
und die Verbenowitsch, weil wir jetzt beinahe drei Monate die
Frau Dr. M. nicht sehen werden. Ich habe nur in Geschichte
und Naturgeschichte 2, sonst lauter 1. Die Franke sagt: Wer
dem Professor Igel-Nigl nicht zu Gesicht steht, kann lernen, daß
er krumm und dumm wird und er kriegt doch keinen Einser.
Der Papa ist sehr zufrieden. Die Dora hat natürlich lauter Einser
und die Hella drei Zweier. Und die Lizzi, mir scheint, auch
drei oder vier. Der Papa hat uns jeder ein 2 K-Stück geschenkt,
die können wir verjuxen, hat er gesagt. Und von der Mama
haben jvir Spitzenkragen bekommen.
9. Juli: Wir gehen heuer nach Hainfeld, das ist fein, ich
freue mich schon ; aber erst am 20., weil der Papa nicht früher
Urlaub bekommt und die Mama mag den Papa nicht so lange
allein lassen. Überhaupt wegen der paar Tage. Nur leider ist
die Hella schon fort, heute früh nach Parsch bei Salzburg; das
Wort ist so unangenehm und die Hella geniert sich auch sehr,
es zu sagen; wie man einem Ort einen so ordinären Namen
geben kann. Sie haben eine ganze Villa gemietet.
12. Juli: Es ist greulich fad. Fast jeden Tag habe ich einen
Streit mit der Dora, weil sie sich so viel einbildet. Gestern kam
der Oswald. Er ist furchtbar fesch, beinahe so groß wie der
Papa, das heißt um einen Viertelkopf kleiner, aber der Papa ist
eben riesig groß. Und dann hat er eine ganz tiefe Stimme, die
hatte er früher nicht. Und die Haare hat er schief abgeteilt, das
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steht ihm sehr gut. Er behauptet, er bekommt schon einen
Schnurrbart, aber das ist nicht wahr ; den müßte man doch sehen ;
fünf Haare sind doch kein Schnurrbart.
19. Juli: Gott sei Dank, übermorgen fahren wir endlich.
Der Papa wollte, die Mama soll mit uns vorausfahren, aber sie
wollte nicht. Aber eigentlich wäre es ganz gut gewesen.
24. Juli: Wir wohnen nur drei Häuser weit von H. entfernt.
Die Ada und ich sind den ganzen Tag beisammen. Und von
der Dora ist zufällig eine Schulkollegin da, die sie ganz gut
leiden kann, die Rosa Tilofsky. Der Oswald sagt: Hainfeld ist
zum Buckligwerden fad; er wird sich irgendwo von einem Freund
einladen lassen. Hier bleibt er auf keinen Fall die ganzen Ferien.
Von der Ada sagt er : »Ländliche Einfalt.- Wenn er wüßte,
wieviel die weiß. Und die Rosa T. nennt er einen Wimmerl-
komplex, weil sie zwei oder drei Wimmerln hat. Überhaupt hat
der Oswald an jedem Mädel etwas auszusetzen: Von der Dora
sagt er: Sie ist ein grüner Frosch, weil sie immer so blaß ist
und kalte Hände hat und von mir sagt er: Da kann man über-
haupt noch gar nichts sagen: „Das ist noch ein ganz unreifer
Embryo." Gott sei Dank weiß ich aus der Naturgeschichte, was
ein Embryo ist, nämlich ein kleiner Frosch. »Ich hahe mich
wütend geärgert und da hat der Papa gesagt : Trost' dich, er ist
auch noch lange kein Mann, sonst wäre er höflicher gegen seine
Schwestern und deren Freundinnen." Das hat ihn sehr geärgert und
seither redet er kein Wort, wenn die Ada und die Rosa mit uns
zusammen sind. Jetzt kommt bald mein Geburtstag, da werde
ich, Gott sei Dank, zwölf, und dann noch zwei Jahre, dann bin
ich 14; auf das freue ich mich riesig. Heute hat mir die Hella
geschrieben zum zweiten Male. Sie fährt im August nach Ungarn
zu ihrem Onkel, der hat ein großes Gut und dort lernt
sie reiten.
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IL Jahr.
(Von 12—13 Jahren.)
1. August: An meinem Geburtstag war es riesig lustig
Wir fuhren im Wagen nach Glashütte, wo es sehr schön ist ;
dort kochten wir selbst, weil die Wirtin krank war und die
Köchin auch. An einem Geburtstag sind immer alle so nett zu
einem. Am meisten freut mich der Künstler-Malkasten von Ebes-
eder, und das Buch ebenfalls. Aber ich komme leider gar nicht
zum Lesen. Die Hella hat mir ein süßes Bild geschickt: Mutter-
glück, eine Dackelmutter mit zwei Jungen, entzückend fein. Ich
werde es zuhaus neben die Tür über die Etagere hängen. Und
von der Ada habe ich ein seidenes Geldbörschen bekommen,
das sie eigens für mich gearbeitet hat. Und von der Tante Dora
ein Tagebuch, aber das kann ich eigentlich nicht verwenden,
weil ich doch lieber auf einzelne Blätter schreibe. Und die Groß-
eltern aus B. haben eine Marzipantorte geschickt, hochfein. Die
Ada findet sie göttlich; sie kennt sie nämlich nicht.
9. August : Die Ada ist im Schuljahr jetzt in St. Polten bei
ihrer Tante und ihrem Onkel gewesen, weil die Schule in H.
nicht so gut ist wie in St. P. Vielleicht kommt sie heuer nach
Wien, da sie mit der Bürgerschule fertig ist und noch weiter
lernen soll. Aber sie haben niemanden so nahe Verwandten in
Wien, wo sie wohnen könnte. Eigentlich könnte sie ganz gut
bei uns wohnen, die Dora bekäme das Kabinett für sich, wie
sie so schon immer will, und die Ada und ich wären im Zimmer.
Das wäre mir entschieden eine liebere Zimmergenossin als die
Dora mit ihren Faxen.
10. August: Das ist wirklich großartig. So ein Bursch setzt
doch alles durch, was er will. Jetzt fährt der Oswald richtig auf
14 Tage nach Znaim zu seinem besten Freund; allein, natürlich.
Ich möchte sehen, wenn die Dora oder ich irgendwohin fahren
61
I
wollten. So ein Bub hat's gut. Und vor allem anderen ärgert
mich die Ungerechtigkeit. Denn er hat kein gutes Zeugnis,
das wissen wir bestimmt, wenn er es auch nicht sagt. Aber
natürlich, das macht nichts. Uns wird jeder Zweier vorgehalten
und er darf bei mehreren Genügend hinfahren, wo er will. Über-
haupt, bester Freund; seit heuer kennt er den Max Rozny und
das ist eine Freundschaft. Die Hella und ich sind seit der zweiten
Volksschulklasse Freundinnen und die Dora und die Frieda
Ertl seit dem Lyz. Aber das über Freundschaft haben wir ihm
beide tüchtig gesagt. Er lachte höhnisch und sagte: Ja ja, es
ist schon recht, die Männerfreundschaften werden immer fester
mit den Jahren, und Euer Mädclfreundschaften gehen in die
ärgste Feindschaft über, wenn der erste Verehrer da ist. Das ist
eine Frechheit. Überhaupt die Hella und ich warten unbedingt
aufeinander mit der Hochzeit, denn wir wollen am selben Tag
heiraten. Verloben natürlich wird sich ja wahrscheinlich eine
früher, aber mit der Hochzeit muß sie warten. Das ist einfach
Freundschaftspflicht.
12. August: Gestern ist der Oswald weggefahren und richtig
war vorher noch ein Verdruß, weil er verlangte, eine von uns
soll ihn auf die Bahn begleiten und den Coupö-Korb tragen
helfen. Als ob wir seine Dienstboten wären. Die Ada wollte sich
anbieten zum Tragen, aber die Dora hat ihr einen Puff gegeben,
den sie glücklicherweise gleich verstanden hat. Die Dora hat
manchmal, aber wirklich nur manchmal ein bischen was wie die
Hella, wenn sie über etwas empört ist. Sie findet, es ist besser,
wenn der Oswald nicht da ist, weil sonst immer Streitigkeiten
sind. Das heißt nämlich, weil sie dann immer den Kürzern zieht.
Denn gescheiter ist er wirklich als sie. Und wenn er sie recht
ärgern will, sagt er irgendetwas auf lateinisch, was sie nicht
versteht. Ich glaube, sie lernt eigentlich deshalb Latein. Also das
muß ich sagen, deshalb würde ich mich nicht so plagen.
Das stände mir lange nicht dafür.
15. August: Heute habe ich das Paket an die Hella abge-
schickt, eine Uhrkette aus Silberdraht; in vier Tagen war ich
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damit fertig. Hoffentlich kommt sie richtig an, was man in
Ungarn nie wissen kann.
17. August: Wir haben wahnsinnig viel zu tun mit den
Lampions und Tannenguirlanden. Die Honoratoren illuminieren
und dekorieren ihre Häuser. Dabei hat mir die Ada einiges
erzählt. Sie weiß mehr als die Hella und ich, nämlich von ihrem
Vater, weil er doch Arzt ist. Vieles erzählt er ihrer Mama und
da hört die Ada manches, obwohl sie meistens zu reden auf-
hören, wenn sie dazu kommt. Die Ada möchte unbedingt Schau-
spielerin werden. Daran habe ich noch nie gedacht, obwohl ich
schon oft im Theater war.
22. August: Die Hella hat sich riesig gefreut über die
Kette; sie trägt sie. Sie lernt wirklich reiten bei ihrem Kusin.
Leider heißt er Lajos. Aber Ludwig ist auch nicht schöner. Er
soll furchtbar nett und fesch sein, aber leider ist er schon 22
Jahre alt.
25. August: Die Ada schwärmt furchtbar vom Theater. Sie
war öfters in St. Polten im Theater und ist in einen Schauspieler
verliebt, in den alle Damen in St. Polten verliebt sind. Deshalb
will sie zum Theater gehen und weil sie frei und unge-
bunden leben will. Darum möchte sie so gerne nach Wien
kommen. Wenn sie nur bei uns wohnen könnte. Sie sagt,
sie verschmachtet in dem öden Nest, in H. Sie verträgt
die engen Verhältnisse nicht!! In St. Polten hat sie ihr
ganzes Taschengeld für Blumen für ihn ausgegeben. Und sie
sagte immer, sie brauchen so viele Hefte und Sachen in der
Schule. Insofern hat es eine gut, wenn sie nicht zuhause ist, da
kommt die Mama nicht so leicht auf so etwas darauf. Bei uns
ginge das nicht. Das Taschengeld wird einem ohnehin immer zu
wenig und die Hefte können sich die Eltern jeden Monat zeigen
lassen. Für ein paar Monate möchte ich ganz gern einmal weg
von zuhause. Die Ada sagt, das ist sehr gut, da lernt man erst
die Welt kennen; zu Haus versumpft und verdumpft
man nur. Wenn sie so spricht, da sieht sie wirklich wie eine
Schauspielerin aus und Talent hat sie bestimmt; das sagt auch
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ihr Deutsch-Lehrer in der Schule. Sie durfte immer die längsten
Gedichte deklamieren und die Kinder baten immer den Lehrer,
daß sie aufsagen dürfe.
30. August. Heute hat die Ada ein Gedicht von Geibel
deklamiert, den Tod des Tieberius, aber wirklich großartig ; sie
ist die geborene Schauspielerin und es ist gräßlich, daß sie sich
nicht ausbilden darf; sie soll französische Lehrerin werden oder
Handarbeitslehrerin. Aber sie sagt, sie wird doch zum Theater
gehen ; eventuell geht sie durch.
31. August: Die 14 Tage vom Oswald schauen schön aus;
jetzt ist er noch nicht da und darf bis am 4. Sept. ! ! ausbleiben.
Wenn das die Dora oder ich wäre. Das hätt' schon längst einen
Mordskrach gegeben. Aber der Oswald darf alles tun. Die Ada
sagt auch : Wir Mädchen müssen erzwingen, was uns die Welt
nicht freiwillig gibt.
5. September: Ich habe der Ada neulich im Walde versprochen,
daß ich die Mama bitten werde, daß sie zu uns kommen kann,
damit sie sich bei einem Schauspieler ausbilden kann. Heute habe
ich die Mama gebeten, aber sie sagt, das geht absolut nicht. Die
Eltern der Ada können das Studium nicht erschwingen. Wenn sie
Talent dazu hat, so lernt man's eigentlich von selbst und braucht
nur in eine Schauspielschule zu gehen, damit man leichter an ein
gutes Theater kommt, sagt die Ada. Also gar so gräßlich teuer
kann es nicht kommen. Die Ada tut mir furchtbar leid.
10. September: Gott, wir sind alle so aufgeregt. Ich soll
mein Tagebuch zum Einpacken hergeben, weil wir morgen weg-
fahren. Aber ich muß noch schnell schreiben. Seit drei Tagen
sind Zigeuner da und gestern kam eine durch das Hintertürl in
den Garten und prophezeite uns, nämlich mir, der Ada und der
Dora aus der Hand. Wir glauben es ja nicht, aber der Ada sagte
sie eine große aber kurze Zukunft nach vielen schweren
Kämpfen voraus. Das stimmt ja doch vollkommen. Also bei mir
hat sie sich gründlich blamiert: Wenn ich noch einmal so
alt bin als jetzt, steht mir ein großes Glück bevor; eine
große Leidenschaft und ein großer Reichtum. Das soll natürlich
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heißen, daß ich mit 24 Jahren heiraten werde. Mit 24 Jahren ! das
ist wirklich lächerlich. Die Dora sagt, ich sehe eben jünger als
12 aus und sie meinte deshalb mit 20 Jahren oder gar mit 18.
Das ist ebenso lächerlich, denn sogar der Herr Dr. H., der doch
Arzt ist und so viele Kinder kennt, sagt: Ich bin über meine Jahre
entwickelt. Also kann die alte Zigeunerin doch nicht glauben,
ich bin 10 oder gar erst 9 Jahre. Der Dora hat sie gewahrsagt,
daß in wenigen Jahren ihr Schicksal in Trauer und dann in
Freude besiegelt wird. Und der Ada sagte sie noch, ihre Lebens-
linie sei geknickt!!
14. September: Heute in der Frühe ist der Oswald weg-
gefahren, der Papa hat ihn auf beide Wangen geküßt und hat ihm
gesagt, er soll sich um Gotteswillen wacker halten heuer, im
letzten Jahr. Er macht nämlich heuer Matura, die ist natürlich
furchtbar schwer. Aber er sagt, mit der nötigen Frechheit haut sich
einer schon durch. Frechheit nützt oft mehr als alles Stucken und
Ochsen. Das ist wahr, das weiß ich am besten; aber leider fällt
mir im richtigen Moment nie ein, was ich tun soll. Hinterdrein
denke ich mir dann oft, das oder das hättest du sagen sollen.
Und das bewundere ich wirklich an der Hella; und auch die
Franke, die eigentlich nicht besonders gescheit ist, weiß immer
eine gute Antwort, mit der sie sich herausredet. Wenn nur die
Hälfte von dem wahr ist, was der Oswald erzählt, daß er den
Professoren sagt, dann kann ich nicht begreifen, daß er nicht
aus jedem Gymn. herausgeworfen wird, sagt die Mama. Der Oswald
sagt : Wenn man es nur richtig anstellt, kann einem niemand was
anhaben. Na also, das ist auch nicht immer wahr.
16. September: Heute kommt die Hella. Darum schreibe ich
vormittag, weil sie nachmittags zu uns kommt. Ich freue mich
riesig. Ich habe die Mama gebettelt, daß sie eine Praline-Torte
kauft, weil die Hella sie so gerne ißt und ich auch.
20. September: Nur ein paar Worte. Heute hat die Schule
wieder angefangen. Gott sei Dank, als Klassenvorstand haben wir
wieder die Frau Dr. M. Das Frl. Steiner ist jetzt auch Doktorin,
am Ende des Schuljahres hat sie das Doktorat gemacht. Dann
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haben wir eine neue Frau Dr. in Geschichte, wir wissen aber
nicht, wie sie heißt. Die Vischer hat nämlich in den Ferien
geheiratet!!! Das ist zum Kugeln, die!!! Die Dora sagt, der
ihr Mann möchte sie nicht sein; wahrscheinlich läßt ersieh bald
wieder scheiden von ihr. Überhaupt Augengläser bei einer Frau.
Einen Zwicker lasse ich mir gefallen, den kann man wenigstens
weggeben. Aber Augengläser ! Die Dora kann auch nicht begreifen,
wie ein Mann eine mit Augengläsern heiraten kann. Und die Hella
sagte oft, ihr wird zum Brechen, wenn die Vischer so mit ihren
Augengläsern funkelt. In Naturgeschichte haben wir einen neuen
Professor. Ich bin riesig froh, daß wir drei Doktorinnen und einen,
eigentl. zwei Professoren, nämlich doch auch in Religion haben.
In der III. haben sie bloß 1 Doktorin, das ärgert sie sehr, die
Dora hat 2 Doktorinnen und 3 Professoren.
25. September: Alle Kinder sind in den Prof. Wilke in Natur-
geschichte vernarrt. Die Hella und ich sind heute den ganzen
Weg hinter ihm gegangen. Er ist herrlich, so groß, daß er bei-
nahe an die Lampe anstoßt, wenn er schnell aufsteht, und einen
herrlichen Bart, blond und wenn die Sonne draufscheint wie
Feuer; ein Sonnengott! Wir nennen ihn darnach S. G. da weiß
niemand, was es bedeutet und wen wir meinen.
29. September: Die Schmolka ist richtig nicht mehr da,
wahrscheinlich wegen des Täschchens vom Frl. St. Es sind über-
haupt ein paar Kinder ausgetreten und dafür drei neue gekommen,
aber sie gefallen weder mir noch der Hella.
1. Oktober: Heute war ich in Naturgeschichte dran. Ich habe
wahnsinnig gelernt und Er war göttlich. Wir dürfen das ganze
Semester die Bilder und die Tiere tragen. Herrlich! Ich und
die Hella tragen immer die gleichen Haarmaschen und in derselben
Farbe legen wir Seidenpapier auf den Tisch in der N.-St. Er
wünscht, daß wir Notizbücher anlegen. Eigene Beobachtungen
über die Natur. Wir haben sie in lila Papier gebunden, genau
von derselben Farbe wie seine Kravatte. Am Dienstag und Frei-
tag müssen wir wegen des Herrichtens schon um 1 /.ß Uhr in die
Schule kommen. Gott, ich bin so glücklich.
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9. Oktober: Er ist ein Kousin von unserm Turnprofessor,
herrlich! Das war nämlich so. Wir, ich und die Hella gehen
eigens immer bei Cafe Sick vorbei, weil Er dort immer jauset.
Und wie wir am Donnerstag vor der Turnstunde vorbeigehen,
sitzt unser Turnprofessor bei ihm. Wir grüßten natürlich hinein
und in der Turnstunde sagt der Professor Baar zu uns: Also,
Sie beide werden von meinem Kousin in der Naturgeschichte
gequält und sekkiert. „Sekkiert", sagen wir beide, o nein, es ist
die schönste Stunde in der ganzen Woche. „So", sagt er, „ich
werde es getreulich berichten". Also, wir haben ihn natürlich
furchtbar gebeten, er soll uns nicht verraten; das wäre gräßlich.
Hoffentlich tut er es.
20. Oktober : Die Mama der Frau Dr. Steiner ist gestorben.
Sie tut uns furchtbar leid. Einige von uns gehen zum Begräbnis,
ich darf nicht gehen, die Mama sagt, es paßt nicht, und die Hella
darf auch nicht gehen. Ob Er geht? Sicher, er muß ja eigent-
lich gehen.
23. Oktober: Die Frau Dr. St. sieht schrecklich blaß aus.
Die Franke sagt, jetzt wird sie jedenfalls bald heiraten, weil sie
jetzt gar keine Eltern mehr hat. Ihr Verlobter holt sie öfters aus
dem Lyz. ab, das heißt, er wartet in der L . . . straße. Der Hella
gefällt er riesig, natürlich, weil er ein Offizier ist. Mir gefällt er
nicht, mir ist er zu klein und zu dick. Er ist nur um ein ganz
kleines Stückchen größer als das Frl. St. Mir gefällt, wenn der
Mann beinahe um einen Kopf größer ist als seine Frau, oder um
einen halben, so wie unser Papa und unsere Mama.
29. Oktober : Wir haben soviel zu lernen, daß wir heuer gar
keine Saisonkarten nehmen, sondern jedesmal extra zahlen, wenn
wir aufs Eis gehen. Wenn wir nur wüßten, ob und wohin Er
Eislaufen geht. Die Hella meint, vielleicht können wir es mit
aller Vorsicht von seinem Kousin in der Turnstunde erfahren. Sie
sind sehr oft zusammen im Kaffeehaus. Ich möchte wissen, wo-
von sie da reden, weil sie immer so lachen. Besonders wenn wir
vorbeigehen.
31. Oktober: Die Ada hat mir geschrieben. Sie ist sehr
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unglücklich. Sie ist wieder in St. P., in einer Fortbildungsschule.
Aber der Schauspieler ist nicht mehr dort. Sie schreibt, sie sehnt
sich hinaus aus ihren Fesseln, die ihre Seele niederdrücken. Die
Ärmste. Niemand kann ihr helfen. Das heißt, ihre Mama könnte
ihr schon helfen, aber die will nicht. Das muß schrecklich sein.
Die Hella meint, ihre Eltern werden ihr solang verbieten, zum
Theater zu gehen, bis sie sich etwas antut; dann wird es besser
sein. Ja, das ist wahr, was hat ihre Mama davon, wenn sie weiß,
die Ada ist entsetzlich unglücklich. Und schließlich, warum soll
sie nicht zum Theater gehen, da sie doch ein solches Talent
hat? Ihre Lehrerinnen und Lehrer in der Bürgerschule haben sie
immer riesig gelobt beim Deklamieren und einer hat direkt gesagt,
sie hat schauspielerisches Talent. Und die Lehrer
schmeicheln einem wirklich nicht ; außer ; aber E r ist erstens
auch kein gewöhnlicher Lehrer, sondern Professor, und zweitens
ist Er eben ganz, ganz anders als alle anderen. Wenn er seinen
Bart so streicht, da wird mir immer ganz kalt und heiß vor
Wonne. Und wie er den Rock in die Höhe nimmt, wenn er sich
niedersetzt. Entzückend, zum Küssen. Die Hella und ich legen
abwechselnd unsern Federstiel heraus auf den Tisch, damit Er
ihn durch seine Hand heiligt beim Einschreiben. Und wenn ich
dann in der Rechenstunde damit schreibe, schaue ich nur immer
die Hella an und sie mich und wir wissen sofort, was die
andere meint.
15. November: Weil heute Feiertag ist, schreibe ich endlich
wieder. Wir haben soviel zu tun, daß ich gar nicht dazu komme.
Und dann ist auch die Mama öfters krank. Sie liegt wieder seit
vier Tagen und da ist es schrecklich still und öde. Da hätte ich
Zeit zum Schreiben, aber ich habe keine Lust zum Schreiben.
Sobald die Mama gesund ist, geht sie ins Lyz., nachfragen, wie
wir im Lernen stehen. Ich freue mich riesig wegen S.-G.
28. November: Heute war die Mama in der Schule, auch
bei Ihm. Ich habe sie zu Ihm hingeführt und Er war himmlisch.
Er sagte: Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Tochter; sie ist sehr
eifrig und talentiert, dazu blätterte er im Katalog, als ob Er erst
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nachschauen müßte. Aber Er weiß es bestimmt auswendig, wie
jede ist. Das heißt, wie jede ist, natürlich nicht. Das kann
niemand verlangen bei sovielen Schülerinnen; und dann ist er
doch auch in der Realschule, wo er noch viel mehr Buben hat.
5. Dezember: Heute habe ich auf dem Eis die Goldfee ge-
sehen. Sie ist sehr hübsch, aber so schön, wie sie mir voriges
Jahr vorkam, ist sie wirklich nicht. Die Hella sagt, sie hat nie
gewußt, wo ich eigentlich meine Augen hatte. „Du warst einfach
blind verliebt, und du hast nicht bemerkt, daß sie entschieden
eine böhmische Nase hat," sagt die Hella. Aber das ist natürlich
nicht wahr, nur habe ich eben jetzt einen ganz anderen Ge-
schmack. Ich grüßte sie aber doch und sie war sehr lieb. Beim
Sprechen ist sie wirklich entzückend, und dann finde ich Gold-
plomben riesig fein. Die Frau Dr. M. hat auch zwei und beim
Lachen ist das himmlisch.
8. Dezember: Die Dora könnte auch ihre dummen Witze
bei sich behalten. Heute wie die Trobisch alle da sind und von
der Schule geredet wird, sagt sie: „Oh, die Gretel schwärmt jedes
Jahr für jemanden andern ; voriges Jahr für die Frau Dr. Malburg
und heuer für den Prof. Wilke. Jetzt ist die Frau Dr. Malburg
aus der Gnade gefallen." Wenn ich hätte wollen, da hätte ich
schon anfangen können von den zwei Studenten am Eis. Aber
ich bin eben nicht so und habe sie mit Verachtung angesehen
und ihr unter dem Tisch einen Stoß gegeben. Und sie ist so
frech und sagt: Was ist denn? Ach so, so zarte Herzensgeheim-
nisse darf man nicht auskramen. Na, Gretel, bei dir macht's
nichts, in deinen Jahren nimmt man das noch nicht so ernsthaft."
Aber jetzt ist ihr recht geschehen : Die Frau v. Tr. und der Papa
haben hellaut aufgelacht und die Frau v. Tr. hat gesagt:
„O, du Großmama, hast du schon im Spiegel deine weißen Haare
angeschaut?" Ich habe furchtbar gelacht und sie hat sich so
geniert, daß sie blutrot war und am Abend sagt sie zu mir,
ich bin ein ungezogener Fratz. Dafür habe ich ihr nicht gesagt,
daß sie ihr Aufsatzheft am Tisch liegen ließ ; und morgen muß
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sie es abgeben; aber mir ist das alleseins, dafür bin ich ein
ungezogener Fratz.
9. Dezember: Gott, das ist schrecklich. Die Hella ist heute
nachmittags um 2 Uhr ins Sanatorium Low gebracht worden
und ist sofort operiert worden. Eine Blinddarmoperation. Jetzt
hat gerade ihre Mama telephoniert, daß alles glücklich vorüber
ist. Aber die Professoren sagten, zwei Stunden später wäre es
zu spät gewesen. Mir zittern die Knie und die Hände, wie ich
das schreibe. Sie liegt noch in der Narkose.
10. Dezember: Die Hella ist furchtbar schwach; es darf nie-
mand zu ihr als ihr Papa und ihre Mama, nicht einmal die Lizzi.
Und zu Nikolo waren wir noch so lustig und haben so viel
Zuckerln gegessen, daß uns der Mund ganz sauer war. Aber
davon kann sie unmöglich die Blinddarmentzündung bekommen
haben. Am Montag abends, wie wir vom Turnen weggingen,
sagte sie, es sei ihr gar nicht gut und gestern kriegt sie in der
Nacht einen Schüttelfrost und der Arzt sagt in der Frühe, augen-
blicklich in ein Sanatorium zur Operation.
11. Dezember: In der Schule sind alle Kinder furchtbar auf-
geregt wegen der Hella und die Frau Dr. St. war so lieb und
hat deswegen die Mathematik-Schularbeit verschoben auf nächsten
Dienstag. Am Sonntag gehe ich zur Hella. Sie sehnt sich sehr
nach mir und ich mich nach ihr.
12. Dezember: Sie ist noch immer so schwach und es freut
sie gar nichts; ich habe ihr durch ihre Mama Rosen und
Veilchen geschickt, die freuten sie sehr.
14. Dezember: Heute war ich nachmittag von zwei bis l / 4 A
Uhr bei der Hella. Sie ist ganz blaß und wie ich hineingekommen
bin, haben wir beide furchtbar geweint. Ich habe ihr wieder
Blumen gebracht und habe ihr auch sofort gesagt, daß der
Prof. W. sich immer, wenn er mich sieht, nach ihr erkundigt.
Und die anderen Lehrkräfte auch, besonders die Frau Dr. M.
Und die Kinder wollen sie besuchen, aber das erlaubt ihre Mama
nicht. Wenn ein Mensch im Bett liegt, so sieht er ganz anders
aus als sonst, förmlich fremd. Ich sagte das auch der Hella und
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sie sagte: Wir können uns nie fremd werden, auch im Tode
nicht. Da weinte ich wieder furchtbar und unsere beiden Mamas
sagten, ich muß fortgehen, weil sich die Hella zuviel aufregt.
15. Dezember. Heute war ich wieder bei der Hella. Sie
steckte mir ein Brieferl zu, darin bat sie mich, ich soll aus ihrem
Kasten das Paket mit der Schreibmappe für ihren Papa und das
Schlüsselkörbchen für ihre Mama nehmen und es ihr bringen,
weil die Sachen noch nicht fertig sind bis Weihnachten.
16. Dezember: Heute geht es der Hella schon besser. Ich
muß ihr die Schreibunterlage für ihren Papa fertig malen. Gott
sei Dank, daß ich es kann. Das Schlüsselkörbchen macht sie
selber fertig, da ist nichts dran.
18. Dezember: Bei Brückner sind sie alle furchtbar unglück-
lich, das ist ja wirklich kein Weihnachtsfest, wenn die Hella noch
im Sanatorium sein müßte am Heiligen Abend. Es geht ihr
nämlich seit gestern weniger gut, die Ärzte wissen nicht, wieso
sie auf einmal wieder Fieber hat. Denn sie hat nichts gesagt,
daß ich ihr Pralines gebracht habe, weil sie einen solchen Gusto
darauf hatte. Aber ich habe jetzt solche Angst, daß sie am Ende
nochmals operiert werden muß.
19. Dezember: Ich war heute gleich nach der Schule bei
Hella, weil ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte vor Angst.
Gott sei Dank, es geht ihr wieder besser. Der eine Doktor sagt,
wenn sie in Privatpflege wäre, würde er unbedingt auf einen
Diätfehler schließen; aber im Sanatorium ist so etwas ausge-
schlossen. Also war es doch von den Pralines und den zwei
Marzipanstangen. Die Hella glaubt, von den Marzipanstangen,
weil es doch große zu 20 Heller waren und weil Mandeln schwer
im Magen liegen. Sie hat auch schon Magendrücken gehabt,
wie ich noch dort war, aber sie wollte nichts sagen, weil sie
doch selber schuld war, daß ich sie ihr gebracht habe. Also jetzt
kann sie betteln, wie sie will, ich bringe ihr nichts mehr außer
Blumen und von diesen kann sie doch nicht krank werden. Das
heißt, wenn das wahr wäre von der „Blumen Rache". Aber so
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etwas gibt es wohl kaum und dann bring ich keine gefährlich
riechenden Blumen.
20. Dezember: O, wie ich mich freue, übermorgen oder am
Dienstag darf die Hella nachhause, damit sie wenigstens beim
Christbaum sein kann. Jetzt weiß ich, was ich ihr gebe, einen
Streckfauteuil, der Papa hat es mir erlaubt, denn so viel Geld
habe ich nicht allein, aber der Papa gibt mir drauf, soviel ich
brauche. Oh, der Papa ist einzig! Morgen geht er mit mir auf
die Währingerstraße einen kaufen.
21. Dezember: Heute war ich nur ganz kurz bei der Hella,
weil mich der Papa bald abholte. Zuerst war sie etwas beleidigt,
aber dann merkte sie, daß ein wichtiger Grund da sei und da
sagte sie: Aber nur nichts aus Marzipan. Und da hätte sie uns
bald alle beide verraten. Denn der Papa fragte mich auf der
Gasse: Warum hat die Hella das wegen des Marzipans gesagt? Und
da sagte ich schnell : Seit sie krank ist, hat sie einen furchtbaren
Ekel vor allem Süßen. Gott sei Dank, hat der Papa nichts ge-
merkt. Aber mir ist es immer sehr unangenehm, wenn ich ihn
anlügen muß. Erstens habe ich immer das Gefühl, er merkt es,
und zweitens lüge ich ihn überhaupt nicht gern an. Der Sessel
ist hochfein, ein türkisches Muster mit langen Quasten an der
Rolle. Der Papa hat ihn wollen ganz zahlen, aber ich habe ge-
sagt: Nein, das ist dann kein Geschenk von mir und so habe
ich fünf Kronen gezahlt und der Papa 37. Morgen wird er gleich
zu Brückner geschickt.
22. Dezember: Also morgen kommt die Hella. Sie war
schon ein bischen auf, aber sie ist noch so schwach, daß sie
sich beim Gehen in jemanden einhängen muß. Sie ist glücklich,
daß sie nachhause kommt, denn sie sagt, in einem Sanatorium
hat man immer das Gefühl, als ob man sterben müßte. Da hat
sie wohl recht. Wie ich das erstemal zu ihr gekommen bin, mußte
ich auf der Stiege die Tränen zurückhalten. Und dann haben wir
ja wirklich beide furchtbar geweint. Ihre Mama weiß schon von
dem Sessel, aber er ist noch nicht geschickt worden. Wenn sie
nur nicht vergessen im Geschäft.
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23. Dezember: Heute ist die Hella nachhause gekommen.
Ihr Papa hat sie über die Stiege getragen und ich habe sie an
der Hand gehalten. Und die 2 Parteien im Mezzanin sind
herausgekommen und haben ihr gratuliert und der alte Hofrat
im 2. Stock und seine Frau haben einen blühenden Flieder-
stock heruntergeschickt. Aber dann war sie so müde, daß ich
schon um fünf Uhr fortging, damit sie Ruhe hatte. Morgen bin
ich zum Christbaum zuerst bei ihnen und dann bei uns. Wegen
der Hella haben die Br. schon um fünf Uhr Christbescherung
und wir wie gewöhnlich um sieben Uhr.
26. Dezember: Gestern und vorgestern konnte ich absolut
nicht schreiben. Es war herrlich bei uns und der Hella. Was ich
bekommen habe, schreibe ich gar nicht auf, weil ich keine Zeit
habe und es ohnedies weiß. Die Hella hat sich über den Streck-
fauteuil riesig gefreut, ihr Papa hat sie hinein ins Zimmer ge-
tragen und auf den Sessel gelegt. Und ihre Mama hat geweint.
Es war erhebend. Eine schwere Krankheit hinter sich haben, ist
großartig, wie alle sich um einen sorgen, man ist unbestritten
der Mittelpunkt. Ich gönne es der Hella. Sie ist so entzückend.
Gestern war ich den ganzen Tag dort und nach dem Essen, wie
sie schlafen sollte, sagte sie: Mach dort die Lade am Schreibtisch
auf, die unterste rechts, da liegt mein Tagebuch, wenn du darin
blättern willst. Das werde ich ihr nie vergessen! Wir haben es
ja eigentlich verabredet, daß wir einander gegenseitig unsere
Tagebücher lesen lassen, aber bisher haben wir es doch nie
getan ; man geniert sich doch ein bischen voreinander, und weil
man auch nach längerer Zeit sich nicht mehr genau erinnert,
was man alles geschrieben hat. Also, sie schreibt immer nur
ganz kurz, höchstens eine halbe Seite, aber wie; gerade das
Wichtigste. Natürlich konnte sie nicht schlafen, sondern ich mußte
ihr Verschiedenes aus ihrem Tagebuch vorlesen, besonders aus
den Ferien, wo sie immer in Ungarn ist. Dort wird sie gefeiert.
Von zwei Kadetten und ihren zwei Kusins. Und dann lachten
wir über verschiedene Stellen so wahnsinnig, daß der Hella schon
alles weh tat und ich aufhören mußte zu lesen.
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29. Dezember: Gestern haben wir uns wahnsinnig geärgert.
Das war so. Wir spielen doch beide längst nicht mehr mit Puppen
und solchen Sachen, aber wie ich im Kasten der Hella herum-
räume, stoße ich auf die Puppensachen ; sie liegen ganz unten
und die Hella schaut sie gar nie an. Da nehme ich das kleine
Pariser Modell heraus und sie sagt: Gib her, und bring alle
Sachen dazu. Ich räume alles heraus auf ihr Bett und wir pro-
bieren so Verschiedenes. Da kommt meine Mama und die Dora.
Na also, wie die hereinkommen, schaut die Dora ganz hämisch
und sagt: Ah, bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Schau Lizzi,
ganz rote Wangen haben sie vor lauter Eifer beim Spielen. Das
ist doch impertinent. Wir und spielen! Und selbst wenn wir
gespielt hätten, so hat sie sich nicht zu mokieren. Die Hella hat
sich auch riesig geärgert und sagte heute: „Man ist nie vor
Spionen sicher; ich bitte dich, räum alles so in den Kasten,
daß ich nichts mehr sehe davon!" Es ist zu dumm, warum einem
gerade immer die Puppen so vorgehalten werden, als ob das
eine Schande wäre. Schließlich versteht man eigentlich erst
später, wie schön die Sachen alle gemacht sind ; mit 7 oder 8
Jahren oder gar als kleines Kind, wo man sie bekommt, ver-
steht man nichts davon, ob es schön und fein ist oder nicht.
Also wie gesagt, mit dem heutigen Tage ist endgültig abge-
schlossen mit den Puppen. Das fällt ohnedies gerade gut, denn
übermorgen ist Neujahr.
Und am meisten ärgert mich diese Frechheit der Dora;
daß die Lizzi gesagt haben soll : „Wir waren auch einmal glück-
lich damit", habe ich ganz überhört vor Wut. Aber vom Christ-
baum die besten Sachen wegessen, und zwar heimlich ! ! ! das
habe ich gesehen, das macht nichts. Das schickt sich mit 15
Jahren. Ich habe aber gestern nach dem Nachtmahl eigens ge-
fragt: Wo hängt denn das zweite Sandwich aus Marzipan; es
waren bestimmt zwei. Und ich schaute sie solange an, bis sie
ganz rot wurde. Und nach einer Weile sagte ich: der große
Gemüsekorb ist auch verschwunden. Da sagte sie: Ja, den hab
ich genommen, ich werd' doch dich nicht fragen, was ich nehmen
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darf. Und das Sandwich hat der Oswald genommen. Ich habe
mich furchtbar geärgert und da sagte der Papa: Komm, Hexerl,
spül deinen Ärger mit dem zweiten Sandwich und einem Schluck
Liqueur hinunter. Der Papa hat nämlich vom Großpapa einen
Liqueur geschickt bekommen.
30. Dezember: Das ist ein schöner Jahresschluß. Mich freut
die ganze Schule nicht mehr. Also Urscheln sind wir verliebte
und zudringliche Fratzen. Das ist der Dank dafür, daß wir die
ganze Zeit Dienstag und Freitag schon um %9 Uhr ins Lyzeum
kamen wegen des Herrichtens und Abstaubens der Lehrmittel
und dann sagt er so etwas. Ich werde er niemehr mit großem
E schreiben; das verdient er gar nicht. Und das muß ich alles
allein hinunterwürgen, denn die Hella darf ich absolut nicht auf-
regen. Eigentlich habe ich mich geärgert, daß die Mama es mir
gesagt hat, aber andrerseits ist es doch gut, wenigstens weiß
ich, was ich zu tun habe. Die Schwester von unserm Turn-
professor, der am .... Lyzeum ist, war zufällig auch bei der
Dame, wo die Mama gestern war und da erzählt sie, ihr Kusin,
der Dr. W. ärgert sich so über die Zudringlichkeit der
Mädeln im Lyzeum. Solche Urscheln, und die kleinen Fratzen
aus der ersten Klasse fangen auch schon an. Deswegen
unterrichtet er lieber bei den Buben, die haben ihn auch
gern, aber sie sind nicht so ekelhaft lästig. Also das weiß
ich, ich werde ihn nicht mehr belästigen. Am Freitag, wenn
wir wieder Unterricht haben, gehe ich zwei Minuten vor neun
Uhr hinüber und trag, ohne ein Wort zu reden, die Sachen in
die Klasse. Und der Kalinsky werde ich es auch sagen, daß
wir ihm so ekelhaft lästig sind. Überhaupt, als ob wir in
der ersten Klasse wären !
1. Jänner 19..: Das mit dem Prof. W. ärgert mich wütend.
Die Hella fragt gestern so oft, was ich habe, ich sei anders als
sonst. Aber Gott sei Dank, ich verriet nichts. Das muß ich um
ihrer Gesundheit willen verschlucken, und wenn ich davon krank
würde. Überhaupt was liegt mir denn jetzt am Leben. Wenn die
Menschen so falsch sind. Ins Gesicht war er immer so lieb und
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SEM
nett einfach entzückend; wenn ich denke, wie er sich immer
um 'die Hella erkundigt hat und dabei diese Falschheit !! ! Wenn
die Hella das wüßte. Also morgen!
2. Jänner: Ich habe ihn furchtbar behandelt. Angeklopft
_ Guten Morgen, Herr Prof., bitte, was brauchen wir zur
Stunde? Er sehr freundlich: Heute nichts besonders. Nun, wie
war denn das Christkindel ? — Ich: Danke, wie immer. — Er
dreht sich um und schaut mich an : Scheint aber nicht so zu
sein; nach Ihrer Miene zu urteilen. — Ich: Das hat andere
Gründe. — Er : Ah, so. Er kann leicht Ah so, machen. Denn er
hat keine Ahnung davon, daß ich weiß, wie er von uns redet.
6. Jänner : Heute durfte die Hella zum erstenmal ausfahren.
Es geht ihr schon sehr gut und Mitte Jänner will sie in die
Schule kommen. Vorher muß ich es natürlich sagen, die wird
Augen machen. Gestern fragte sie ohnehin schon : Fragt der
S. G. jetzt nicht mehr nach mir? — O ja, lüge ich, aber nicht
mehr so oft. Und sie sagt: Da sieht man, aus den Augen, aus
dem Sinn. Wenn sie erst die Wahrheit erfährt. Jedenfalls sage •
ich es ihr erst, wenn sie schon ganz gesund ist.
10. Jänner: Jetzt habe ich es der Hella doch sagen müssen,
das war so : Sie schwärmt furchtbar vom S. G. Und zuerst sage
ich gar nichts; da sagt sie: Was machst denn du für ein Gesicht?
Darfst du nicht mehr die Lehrmittel tragen? — Ich: Dürfen?
Natürlich darf ich, aber ich will sie nicht mehr tragen. Ich
habe nicht einmal der Hella gesagt, wie ich mich kränke ; denn
ich habe ihn wahnsinnig geliebt.
12. Jänner: Die Hella muß ihn ebenfalls wahnsinnig geliebt
haben, oder vielmehr noch immer lieben. Sie war am Sonntag
abends so aufgeregt, daß ihre Mama geglaubt hat, sie wird
rezitiv. Sie hatte nämlich Schmerzen und dabei Diarrö. Gott
sei Dank, sie hat es ebenso überwunden wie ich. Sie sagte
heute: Kränken wir uns nicht weiter. Wir haben unsere Gefühle
(nicht Liebe!!) an einen Unwürdigen verschwendet. In solchen
Momenten ist sie großartig, noch dazu jetzt, wo sie noch so
blaß ist. Übrigens ist sie in den Ferien und jetzt in ihrer Krank-
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heit riesig gewachsen. Früher war eher ich die Größere und
jetzt ist sie um einen Viertelkopf größer als ich. Die Dora ärgert
sich sehr, daß ich und sie beinahe gleich groß sind. Dadurch
sehe ich eben älter aus als !27a Jahre; Gott sei Dank. Die
Hella darf nicht am 15. Jänner in die Schule gehen, sondern
ihre Mama fährt mit ihr auf 14 Tage oder drei Wochen an die
Riviera.
18. Jänner: Das ist gräßlich öde, wenn die Hella nicht da
ist. Eigentlich merke ich das erst recht seit ihrer Krankheit. Mir
ist es immer, als ob sie jetzt wieder krank wäre. Sie ist mit
ihrer Mama nach Meran gefahren und kommt Anfangs Februar
zurück.
24. Jänner: Seit die Hella krank ist, d. h. eigentlich erst seit
sie weggefahren ist, gehe ich immer mit der Hübner Fritzi. Die
ist sehr nett, was ich voriges Jahr gar nicht wußte. Bis die
Hella wieder kommt, sitzt sie neben mir. Denn Alleinsitzen in
einer Bank ist furchtbar. Die Fritzi weiß schon ziemlich viel. Im
Anfang wollte sie nichts davon reden, weil doch gewöhnlich ein
Tratsch herauskommt. Ihr Bruder hat ihr alles gesagt. Er ist
sehr fesch und heißt Paul.
29. Jänner : Gestern war Eisfest und da durften wir gehen,
ich und die Dora. Ich bin meistens mit der Fritzi und dem
Paul gelaufen und habe zwei Preise bekommen, einmal mit dem
Paul zusammen. Und einmal mit fünf anderen Mädchen, wo wir
Wette liefen. Der Paul ist riesig gescheit, er sagt er geht zum
Militär und wird Flieger. Das ist noch feiner als im Generalstab.
Ihr Papa ist Major und er, der Paul, hätte eigentlich in die
Militäranstalt kommen sollen, aber sein Großpapa hat es nicht
erlaubt. Er soll sich einmal frei entscheiden. Aber natürlich wird
er doch Offizier. Die meisten Buben werden das, was ihr Papa
ist. Nur der Oswald geht vielleicht zur Marine. Ich möchte
übrigens wissen, was der Papa gemeint hat, wie er nämlich ein-
mal zur Mama sagte: Mein Gott, mir ist's nicht darum zu tun.
Ich tu's nur wegen dem Oswald. Die beiden Mädeln haben ja
auch nicht viel davon.
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3. Februar : Jetzt lese ich gerade das vom Papa. Ich denke
es mir übrigens schon, was es ist. Ich glaube, der Papa will
entweder ein großes Los oder vielleicht ein Haus kaufen. Aber
davon haben ich und die Dora doch auch etwas, denn das
gehört doch dann nicht dem Oswald allein.
4. Februar: Gestern habe ich die Mama gefragt. Aber sie
sagt, sie wisse von nichts; wenn es etwas ist, was uns betrifft,
wird es uns der Papa schon sagen. Es muß doch etwas sein,
denn sonst hätte die Mama nicht am Abend dem Papa erzählt,
daß ich sie gefragt habe. Diese Heimlichkeiten kann ich nicht
leiden. Warum sollen wir denn nicht wissen, daß der Papa ein
Haus kaufen will. Der Großpapa der Fritzi hat in Brunn und in
Iglau ein Haus. Aber die Fritzi ist sehr einfach angezogen und
ihre Mama auch.
9. Februar : Gott sei Dank, morgen kommt die Hella, gerade
noch vor ihrem Geburtstag. Glücklicher Weise darf sie schon
wieder alles essen und so bekommt sie von mir eine riesige
Düte Bonbons vom Viktor Schmid mit einer silbernen Zuckerl-
zange. Ich und die Mama holen die Hella auf der Bahn ab. Sie
kommen um 8 Uhr 20.
10. Februar: Ich freue mich riesig, heute kommt die Hella.
Beinahe hätte ich sie nicht abholen können, weil der Mama
gerade heute nicht gut ist. Aber der Papa fährt mit mir. Die
Fritzi wollte morgen nachmittags auch kommen, aber das geht
nicht. Sie ist ja ein sehr liebes Mädel und ihr Bruder ist auch
riesig lieb, aber am ersten Tag, wenn die Hella wieder da ist,
müssen wir unbedingt allein sein. Das hat sie mir auch im
letzten Brief ausdrücklich geschrieben. Sie war über drei Wochen
fort. Das ist furchtbar lang, wenn man sich gern hat.
15. Februar: Ich komme gar nicht zum Schreiben, weil die
Hella und ich alle freie Zeit beisammen sind. Gestern bekamen
wir die Semesterzeugnisse. Die Hella hat natürlich keines be-
kommen. Ich habe mit Ausnahme von Geographie und Geschichte
lauter Eins, auch in Naturgeschichte, obwohl ich seit Neujahr
keine Zeile mehr gelernt habe. Ich hasse die Naturgeschichte.
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Wenn die Hella im zweiten Semester wieder in die Schule
kommt, so werden wir den einstigen S.-G. ersuchen, uns von
dem Tragen der Lehrmittel abzubestellen. Die Hella ist noch zu
schwach dazu. Die Hella ist jetzt schon 13 geworden und der
Papa sagt, sie wird ein bildhübsches Mädel werden. Werden,
sagt der Papa; sie ist es doch schon. Jetzt ist sie von der
warmen Sonne im Süden ganz abgebrannt und es steht ihr,
aber wirklich nur ihr, wunderbar. Denn sonst kann ich es nicht
ausstehen, wenn eines so abgebrannt ist. Aber der Hella steht
wirklich alles gut; wie sie im Sanatorium so blaß war, da war
sie schön; und jetzt ist sie ebenfalls schön, nur ganz anders
schön. Überhaupt da hat der Oswald recht, wenn er sagt: An
dem Grade, in dem ein Mädel das Abbrennen verträgt, ohne in
ihrer Schönheit zu leiden, kann man ihre Schönheit messen. Er
hat das zwar immer gesagt, wenn er mich und die Dora ärgern
wollte in den Ferien, aber Recht hat er ganz entschieden.
20. Februar: Vorgestern hat das zweite Semester begonnen.
Alle waren riesig nett zur Hella, und die Frau Dr. M. hat sie
auf den Wangen gestreichelt und so lieb an sich gezogen. Und
jetzt kommt die Hauptsache. Heut war Naturgeschichtsstunde.
Wie wir anklopfen und ins Lehrmittelzimmer kommen, sagt der
Prof. W. : Ah, Sie Brückner das ist schön; jetzt schauen Sie
nur, daß Sie nicht mehr solche böse Geschichten machen. Wie
geht es Ihnen? Und die Hella: „Ich danke, Herr Prof., es
geht mir gut." Und wie ich sie anschaue, macht sie ein furcht-
bar ernstes Gesicht und er sagt : Mir scheint die schlechte Laune
Ihrer Freundin hat Sie angesteckt? — Die Hella: »Herr
Prof. sind zu gütig, aber wir wollen nicht lästig fallen. Was
haben wir hinüberzutragen? Und dann bitten wir auch um Ent-
hebung von unserem Posten, weil ich mich dazu zu schwach
fühle." Sie sagt das so militärisch, wie sie es von ihrem Papa
gewöhnt ist. Und das klingt riesig vornehm. Er schaut uns an
und sagt: Ist schon recht, es werden sie zwei andere Schülerinnen
ablösen. „Wir wissen nicht, hat er es garnicht gemerkt, oder
will er es nur nicht zeigen. Aber wie wir die Tür zumachten,
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war mir doch gräßlich leid; denn es war das letztemal, das
allerletzterrial.
27. Februar: Heute habe ich in Naturgeschichte nicht
genügend bekommen. Ich bin gar nicht geprüft worden,
sondern wie die Klaiber nichts gekonnt hat, habe ich gelacht
und da sagt er: Also Lainer korrigieren Sie diesen Unsinn.
Weil ich aber gerade an etwas ganz anderes gedacht habe, so
weiß ich nicht, wovon die Rede ist und bekomme gleich ein
Nichtgenügend. Natürlich früher hätte das nichts gemacht ;
aber jetzt seit .... die Hella und die Franke haben mich
riesig getröstet und gesagt: „Das gibt's nicht, das war keine
Prüfung; er muß dich noch einmal ordentlich prüfen." Allerdings
meint die Franke, wenn ich es noch so gut lerne, so kann ich froh
sein, wenn er mir Genügend gibt. Eine solche Niederlage
vergißt kein Professor. Wir haben ihr nämlich das von den
Urscheln erzählt. Damals hat sie zwar gesagt, wir haben es zu
auffallend getrieben. Das ist aber wirklich nicht wahr. Aber jetzt
nimmt sie doch unsere Partei, weil sie einsieht, daß wir im
Recht waren. Jetzt tragen die Verbenowitsch und die Bennari
die Sachen. Ja, die sind viel besser dafür. Der Papa der Hella
hat es ohnedies nicht gern gesehen ; er sagt : dazu ist der
Schuldiener oder die Schuldienerin da — den wir das ganze
Jahr nie sehen, das ist köstlich.
8. März: Heuer ist Ostern erst am 16. April. Ich fahre mit
den Brückner nach Cilli, dort haben sie nämlich außerhalb der
Stadt einen Weingarten mit einem Landhaus. Die Hella braucht
notwendig eine Erholung. Ich freue mich riesig. Dort blüht schon
im halben März alles, oder anfangs April.
12. März: Die Hella ist nicht aufrichtig. Heute begegnen
wir einen Herrn, sehr fein, mit einem goldenen Zwicker und
blonden Schnurrbart. Die Hella wird blutrot und der Herr grüßt
und sagt : Ah, Fräulein Helenchen, Sie sehen ja sehr gut aus. Wie
geht es Ihnen? Mich schaut er nicht einmal an und wie er weg
ist, sagt sie: »Das war der Dr. Fekete, der bei meiner Operation
assistiert hat." — »Und das sagst du mir erst jetzt?" Da stellt
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sie sich ganz unschuldig und sagt : „Nun ja, natürlich, wir haben
ihn ja vorher nie gesehen", da sage ich: „Also das meine ich
nicht. Wenn du wüßtest, wie rot du geworden bist, würdest du
nicht leugnen." Da sagt sie: „Was leugne ich denn? Glaubst du,
ich bin verliebt in ihn? Keine Spur." — Also, wenn man
nicht verliebt ist, braucht man doch nicht so rot werden. Ich
werde jedenfalls auch nicht mehr alles sagen; ich kann
auch schweigen.
14. März: Wir haben gestern weniger geredet als sonst;
besonders ich war schweigsam. Da läutet es heute um 5 Uhr,
wie ich gerade die Übersetzung mache und die Hella kommt und
bittet mich um Verzeihung und bringt mir herrliche Veilchen.
Also natürlich habe ich ihr verziehen. Das war eigentlich das
erstemal, daß wir etwas böse waren. Erst wollte sie mir Bonbons
bringen, aber dann entschied sie sich für Veilchen und ich finde
das auch viel feiner und zarter. Zuckerln gibt man einen kleinen
Kind, wenn's sich wehgetan oder zornig ist. Aber Blumen sind
für Kinder nicht.
19. März: Die Frieda Belay ist gestorben. Wir sind alle ganz
aufgeregt. Wir haben ja nie näher verkehrt mit ihr, aber jetzt wo
sie gestorben ist, denkt man doch, daß es eine Mitschülerin war.
Sie ist an Herzschwäche infolge Gelenksrheumatismus und Muskel-
entzündung gestorben. Wir waren alle bei ihrem Begräbnis, nur
die Hella durfte nicht. Die Mama der Belay hat furchtbar geweint
und ihre Großmama noch mehr ; und auch ihr Papa hat geweint.
Wir haben einen Kranz mit weißen Rosen gegeben und einer
schönen Inschrift: Der Tod hat dich in deiner schönsten Blüte
entrissen — Deinen Kolleginnen.
Ich habe heute zu nichts eine Lust. Ich habe die Belay nicht
mehr gesehen, aber die Franke war gestern oben und hat sie im
Sarg aufgebahrt gesehen. Und sie sagt, sie wird diesen Anblick
nie vergessen, sie hat beinahe einen Herzkrampf bekommen. Und
in der Kirche hat wirklich die Lampl einen Weinkrampf bekom-
men, weil ihre Mama erst vor 4 Wochen begraben wurde und da
hat sie sich jetzt wieder an alles erinnert und sich schrecklich
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aufgeregt. Ich habe auch bei der Hella sehr geweint. Sie glaubt,
weil ich gedacht habe, sie hätte auch im Dez. sterben können.
Aber das war es nicht, an so etwas denke ich doch nicht. Aber
wenn jemand stirbt, so ist das überhaupt so schrecklich traurig.
24 März: Das ist doch unerhört! Ich kann nicht mit der
Hella nach Cilli fahren. Ihre Mama war nämlich bei ihrer Kusine,
und wie die hört, daß sie zu Ostern nach Cilli fahren, bittet sie sie,
daß sie die Melanie mitnehmen. Das heißt, sie hat nicht direkt
gebeten, aber so lange herumgeredet, bis die Mama der Hella
gesagt hat: Laß die Melanie mit uns fahren, das wird ihr sehr
gut tun nach ihrer heurigen Krankheit. Sie hatte nämlich im
Winter einen Lungenspitzenkatharr. Die Hella und ich hassen
sie, weil sie furchtbar spioniert und falsch ist. Und da fahre ich
natürlich absolut nicht mit. Und die Hella sagt es auch, es tut
ihr furchtbar leid, aber wenn di e mit ist, können wir so kein Wort
reden; da ärgern wir uns nur halb tot. Und sie ist ganz einver-
standen, daß ich nicht fahre. Aber es ärgert mich sehr, denn
erstens fahre ich furchtbar gerne mit der Hella zusammen und
zweitens fahre ich überhaupt gerne zu Feiertagen weg, weil fast
alle Kinder unserer Klasse fortfahren. Also ist es nichts damit.
Denn wie die Mama der Hella meint, sie sieht nicht ein, warum wir
nicht alle 3 fahren können, das geht einfach nicht. Aber das können
wir ihr nicht erklären. Die Hella ist so poetisch und da sagt sie:
„Also ein schöner Traum zerstoben".
An der Hella sind solche große Worte herrlich, an der Dora
ärgern sie mich fürchterlich, weil sie ihr nicht vom Herzen
kommen.
26. März: Heute sind die Schülervorstellungen geschlossen
worden mit Des Meeres und der Liebe Wellen. Ich gehe sehr
gern ins Theater, aber niederschreiben tue ich mir nie etwas
davon. Denn das Stück ist ja ohnedies von einem Dichter, und
da kann man es ja nachlesen, wenn man will und das übrige
merkt man sich sowieso. Was die Dora immer nach dem Theater am
nächsten Tag soviel zu kritzeln hat, begreife ich nicht. Wahr-
scheinlich ist sie in irgend einen Schauspieler verliebt und schreibt
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4L
deshalb so viel. Übrigens haben wir, die II. Kl. nicht für alle
Vorstellungen Karten bekommen, sondern nur die Mädchen von
der IV. aufwärts. Aber das machte mir nicht' sehr viel, weil wir
ja außerdem am Abend öfters gehen und Sonntag nachmittags.
Abends darf ich nur leider gewöhnlich nicht mitgehen.
29. März: Heute ist der Dora und mir etwas Gräßliches
passiert. Ich kann es gar nicht niederschreiben. Sie war sehr nett
und sagte: Vor zwei Jahren ist ihr in der Stadtbahn dasselbe
passiert, wie sie mit der Mama einmal, es war am 15. Februar,
das merkte sie sich ewig, zur Frau v. Martini nach Hietzing
gefahren ist. Außer ihr und der Mama war nur noch ein Herr
im Waggon, die Mama fährt nämlich immer IL Kl. Sie sitzen
nebeneinander und der Herr steht im zweiten Teil, so daß Mama
nicht hinsehen konnte. Und wie die Dora hinschaut, macht er
den Mantel auf und ! also dasselbe wie heute der Herr unter
dem Haustor. Und wie sie aussteigen, bleibt die Boa der Dora
in der Tür stecken und sie dreht sich noch einmal um, obwohl
sie garnicht wollte, und da sieht sie wieder ! Sie hat damals
einen ganzen Monat nicht schlafen können. An das kann ich
mich sehr gut erinnern, aber nur wußte ich nicht warum. Sie
hat es auch nie jemanden gesagt, außer der Erika und der war
das auch schon passiert. Die Dora sagt, das passiert beinahe
jedem Mädchen wenigstens einmal; und solche Männer sind
„nicht normal". Ich weiß nicht recht, was das heißt, aber
fragen wollt ich doch lieber nicht. Vielleicht weiß es die Hella.
Ich habe natürlich nicht genau hingeschaut, aber die Dora hat
sich geschüttelt und hat gesagt: Und das muß man ertragen.
Und dann sagte sie zu mir im Gespräch, daß die Mama davon
krank ist und weil sie fünf Kinder gehabt hat. Da war ich sehr
dumm und fragte: „Ja, wieso davon?" Davon kriegt man doch
nicht die Kinder? „Natürlich", sagte sie „Ich habe geglaubt, du
weißt das schon. Damals wie der Skandal mit der Mali war
wegen des Gürtels, meinte ich, da hättet Ihr, du und die Hella
alles erfahren." Und jetzt war ich wieder sehr dumm d. h. schon
blöd; statt zu sagen, was ich wirklich weiß, sagte ich: „Jawohl,
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ich weiß alles, nur das nicht." Da lachte sie sehr und sagte: „Na, da
ist es mit Euren Kenntnissen nicht weit her". Und sie machte
endlich ein paar Andeutungen. Wenn das wirklich so ist,
dann hat die Dora recht, wenn sie sagt, es ist besser, man heiratet
nicht. Verlieben kann und muß man sich, aber man löst die Ver-
lobung einfach wieder auf. Ja, das ist ein Ausweg, da kann nie-
mand sagen, die hat keinen Mann bekommen. Wir sind so oft
vor dem Lyzeum auf- und abgegangen, daß wir beinahe zu spät
kamen, gerade erst beim Läuten. Beim Nachhausegehen erzählte
ich der Hella die Gemeinheit von diesem Manne. Sie weiß auch
nicht, was das in dieser Hinsicht eigentlich bedeutet: „Nicht
normal". Wir nehmen es aber jetzt als Zeichen für etwas Greu-
liches. Da versteht uns niemand. Und dann erzählte mir die Hella
von einem Betrunkenen, der in Nagy K .... so durch die Straßen
des Ortes ging und vom Gendarmen eingeführt wurde. Sie sagt
auch einen solchen Anblick vergißt man nie, nie mehr. Viel-
leicht war der heute früh auch betrunken, aber eigentlich sah er
nicht so aus. Und wenn er d a s nicht getan hätte, hätte man ihn
überhaupt für einen feinen Herren gehalten. Die Hella weiß das
auch, daß man davon die Kinder bekommt. Sie hat mir alles
erklärt, und jetzt kann ich wohl begreifen, daß man davon
krank werden muß. Gestern war es schon nach 11 Uhr abends
und so schreibe ich das alles erst heute zu Ende. Die Hella sagt :
Das ist die Erbsünde und das haben auch Adam und Eva
begangen, diese Sünde. Ich habe bisher immer geglaubt, die Erb-
sünde ist etwas ganz anderes. Aber das — das. Ich bin seit gestern
furchtbar aufgeregt, ich sehe das immer vor mir ; eigentlich hab
ich gar nicht hingeschaut, aber ich muß es doch gesehen haben.
30. März : Ich weiß nicht, wieso, heute in der Geschichtstunde
fiel mir wieder alles das ein und was die Dora vom Papa gesagt
hat. Aber ich kann mir das gar nicht vorstellen. Wegen des
Papas ist es mir eigentlich unangenehm, daß ich das weiß. Vielleicht
ist doch nicht alles so, wie die Dora und die Hella sagen. Im
allgemeinen kann ich mich zwar auf die Hella verlassen, aber sie
kann sich ja auch einmal irren.
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1. April: Heute hat mir die Dora viel erzählt. Sie ist jetzt
ganz anders zu mir als früher. Man sagt nicht P sondern
M P sagen bloß die ordinären Leute oder man
kann auch sagen, man ist entwickelt. Also die Dora hat die
M schon seit vorigem Jahre im Aug, und es ist greulich
unangenehm, weil jeder Herr es einem anmerkt. Deshalb haben
wir im Lyzeum auch nur 3 Herren als Professoren und sonst
lauter Doktorinnen und Fräulein. Jetzt hat die Dora die M
manchmal gar nicht, dann wieder sehr stark und das ist eben die
Bleichsucht. Wenn alle Herren das wissen, dann ist das furchtbar
interessant.
4. April : Wir reden jetzt von solchen Dingen, die Dora weiß
entschieden mehr als ich, d. h. nicht mehr, aber viel genauer.
Aber ganz aufrichtig ist sie doch nicht. Wie ich sie frage, von
wem sie das alles weiß, ob von der Erika, oder der Frieda, sagt sie
„Aber keine Idee; das reimt sich doch jedes selbst zusammen;
man braucht nur die Augen aufmachen und die Ohren. Und ein
bissei Verstand hat man doch auch". Also mit dem Schauen und
Horchen ist wirklich nichts erreicht. Denn geschaut habe ich
wirklich immer und gar so ohne Verstand bin ich doch auch
nicht. Jemand muß es einem schon sagen, von selber kann man
nicht draufkommen.
6. April: Ich mache mir jetzt garnichts aus dem Besuche-
machen. Sonst sind wir immer gern zu Richters gegangen,
aber heute war es mir fad. Jetzt verstehe ich übrigens erst, warum
die Dora nicht II. Kl. Stadtbahn fahren will. Ich habe immer geglaubt,
sie tut es mir justament, weil ich sehr gern II. Kl. fahre. Seit
damals wo ihr das passiert ist, will sie nicht fahren. So tut man
manchmal wirklich jemanden Unrecht, der es gar nicht so meint.
Aber warum hat sie mir nicht die Wahrheit gesagt? Sie sagt,
weil ich damals noch ein Kind war. Nun ja, aber heuer im
Winter, wo ich mich so ärgerte, daß wir nach Schönbrunn III. Kl.
fuhren ; da habe ich wirklich geglaubt, sie tut es mir zu Fleiß,
denn daß sie sich immer fürchtet, in der II. KL, wo man oft
allein fährt, könnte einer plötzlich mit einem offenen Messer
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hervorfahren, das glaubte ich doch natürlich nicht. Aber jetzt verstehe
ich sie recht gut, denn die Wahrheit konnte sie doch der Mama,
oder gar dem Papa nicht sagen. Und im Winter und im Frühling
fahren oft wirklich fast keine Leute in der Stadtbahn, besonders
auf der Gürtellinie.
7. April: Die Mama sagte heute, wir, besonders ich, seien
gestern schrecklich fad und blöd gewesen bei Richters. Warum
wir immer Blicke gewechselt haben? Dies sei höchst unpassend.
Ja, wenn sie wüßte, an was wir gedacht haben, wie die Frau
Hofrätin Richter gesagt hat, heuer ist die Witterung entschieden
nicht normal; eine solche abnormale Wärme sei schon
seit Jahren nicht gewesen. Und dann wie der Herr Hofrat nach-
hause kommt und von seinem Bruder erzählt, der den ganzen
Winter am Hochschneeberg war und sagt: Ah, mein Bruder ist
ja nicht normal, der hat ein Radi zuviel, da habe ich wirklich
geglaubt, ich muß herausplatzen. Zum Glücke hat die Frau R.
uns nochmals furchtbar viel Bäckerei herausgeladen und da habe
ich mich recht tief über den Teller gebeugt. Und da sagt die
Mama, ich habe so gierig gegessen, als ob ich zu hause nie eine
Bäckerei bekäme. Also, da hat mir die Mama schon sehr unrecht
getan, mir war's gar nicht um die Bäckerei zu tun. Die Dora
sagt auch, ich muß mich besser verstellen, ich soll sie immer
anschauen, von ihr kann ich es ausgezeichnet lernen. Ja, da hat
sie wohl recht, aber warum denn eigentlich? Sollen die Leute
nicht solche Worte gebrauchen, die ganz etwas anderes heißen,
dann braucht der andere sich nicht verstellen. Also, lernen muß
ich es auf jeden Fall.
8i April: Wir sind heute furchtbar erschrocken; auf einmal
wird um Va 9 LJhr in der Frühe telephoniert aus dem Lyzeum,
der Dora ist plötzlich in der Lateinstunde sehr unwohl geworden,
sie möchte mit Wagen geholt werden. Die Mama fährt gleich im
Auto hin und ich mit ihr, weil ich ja ohnedies um 9 Uhr Stunde
habe und die Dora liegt in der Kanzlei auf dem Sopha und die
Frau Direktorin sitzt bei ihr und die Freundin der Frau Direktorin,
die Frau Dr. Preisky, die ist nämlich Ärztin, und sie haben ihr
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die Kleider aufgemacht und einen Umschlag auf den Kopf
gegeben, denn sie ist plötzlich in der Lateinstunde ohnmächtig
geworden. Das ist im heurigen Jahr schon das drittemal, also
muß es doch wahr sein, daß sie bleichsüchtig ist. Ich wollte mit
nachhause fahren, aber die Mama und die Frau Dr. P. haben
gesagt, ich soll nur in die Stunde gehen. Und dann hat noch
die Frau Dr. P., wie ich hinausging, gesagt: „Das ist ein gesundes,
kräftiges Mädchen, ein lieber Kerl." Das sagt man eigentlich nur
von Buben und Herren, aber sie ist das wahrscheinlich so gewöhnt,
weil sie doch immer mit lauter Herren zusammen ist. Wenn man
Medizin studiert, muß man das alles lernen und anschauen. Das
muß eigentlich gräßlich sein.
Die Dora liegt heute im Bett und der Dr. hat auch bestätigt,
daß sie bleichsüchtig ist. Morgen oder übermorgen geht die Mama
mit ihr zum Professor. Die Dora sagt, ohnmächtig werden ist ein
herrliches Gefühl. Auf einmal hört man nichts reden und man
wird ganz schwach und dann weiß man überhaupt nichts mehr.
Ob ich auch einmal ohnmächtig werde? Wahrscheinlich, wenn
Wir haben viel geredet von allem, was uns interessiert.
Nachmittag war auch die Hella da, sich nach der Dora erkundigen
und sie findet sie im Bett sehr schön, so leidend und dabei so
fein und vornehm. Ja, das ist wahr, vornehm schauen wir
alle aus.
9. April: Heute ist der Hochzeitstag von Papa und
Mama. Jetzt verstehe ich erst, was das eigentlich heißt. Die
Dora sagt, daß es unmöglich wahr sein kann, daß das der schönste
Tag ist, wie alle, besonders die Dichter immer behaupten. Sie
meint, man muß sich doch gräßlich genieren, weil doch alle Leute
wissen ... Das ist richtig und man braucht ja auch schließlich
niemanden sagen, wann man seinen Hochzeitstag hat. Die Dora
sagt, sie würde ihren Kindern nie sagen, wann ihr Hochzeitstag
ist. Das wäre aber doch schade, wenn alle Eltern das so hielten,
weil dann in jeder Familie um ein Fest weniger wäre. Und je
mehr Feste, desto lustiger ist es.
10. April : Morgen fahr' ich mit dem Papa nach Salzburg.
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Die Dora kann nicht mitfahren, weil man doch nicht weiß, ob sie
nicht am Ende während der Fahrt ohnmächtig wird. Mir ist es
ganz recht, obwohl ich ihr nichts Schlechtes wünsche und sie
mir leid tut, aber am liebsten fahre ich mit dem Papa allein. In
Salzburg war ich noch nicht länger. Ich freue mich schon riesig.
Unsere Frühjahrskostüme sind prachtvoll schön, dunkelgrün mit
grün und goldbraun gestreiftem Seidenfutter und dazu hellbraune
Strohhüte mit Maßliebchen für den Frühling und später kommen
Kirschen oder Rosen drauf. Mein Tagebuch nehme ich mit, damit
ich mir alles aufschreiben kann, was mich interessiert.
12. April: Die ganze Fahrt habe ich verschlafen. Der Papa
sagt, ich habe gräulich geknistert und mich herumgeworfen : aber
davon weiß ich nichts. Wir haben ein Coupe für uns allein gehabt,
nur ein Herr ist zuerst noch mitgefahren. Die Hella ist nicht mit-
gefahren, weil ihre Tante, die im Fasching geheiratet hat, mit ihrem
Mann auf Besuch kommt. Es ist mir eigentlich ganz recht, ich bin
so gern mit dem Papa ganz allein. Heute nachmittag waren wir
in Hellbrunn und im Felsentheater. Das ist wunderbar.
13. April: Der Papa sagt immer zu mir: Mein Hexerl! Aber
vor anderen Leuten habe ich es nicht gern. Heute waren wir auf
dem Gaisberg. Es war herrlich schön, die Aussicht großartig.
Wenn ich so eine weite Aussicht sehe, wird mir immer ganz
traurig zumute. Daß es soviele Menschen gibt, die man gar nicht
kennt und die vielleicht auch sehr nett sind. Ich möchte immer-
fort reisen; das wäre herrlich.
14. April: Heute habe ich mich beinahe verirrt. Der Papa
schrieb einen Brief an die Mama und ich durfte hinunter in die
Salzachanlagen gehen; ich weiß nicht, wie das kam, auf einmal
war ich ganz weit draußen, wo ich mich nicht auskannte. Da
hat mich ein alter Herr gefragt, was ich suche ; weil ich nämlich
dreimal an demselben Platz vorbeikam. Da sagte ich, daß wir
im Hotel „Zur Post" wohnen und ich wisse nicht, wie ich hinkomme.
Da ging er mit mir und wie wir so reden, kommt heraus, daß
er den Papa kennt noch von der Universität her. Da ging er
gleich mit mir und der Papa freute sich sehr. Er ist Advokat in
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Salzburg, aber er hat schon einen grauen Bart. Und beim Weg-
gehen sagte er leise zum Papa: „Ich gratuliere dir zu deinem
Töchterl ; die wird was ganz Besonderes werden ! ■ Er hat zwar
ganz leise geflüstert aber ich habe es doch verstanden. Wir
waren mit ihm am Kapuzinerberg den ganzen Nachmittag. Es
war ein schönes Militärkonzert; zwei Jäger-Freiwillige, die am
Tisch neben uns saßen, haben fortwährend herübergeschaut ; der
eine war besonders hübsch. Mein neues Straßenkostüm für den
Sommer steht mir sehr gut, sagen alle. Und der Papa sagt auch :
„Ja, du bist ja schon bald eine junge Dame! Aber nur nicht zu
früh!" Warum er das sagte, sehe ich eigentlich nicht recht ein;
ich wollte, ich wäre schon ganz groß; aber leider dauert das
noch lange.
14. April: Heute regnet's den ganzen Tag. Das ist scheußlich.
Man kann nirgends hingehen. Den ganzen Vormittag waren wir
in der Stadt spazieren und haben uns einige Kirchen angesehen,
dann waren wir in der Konditorei, da habe ich 4 Indianer
und 2 Stück Torte gegessen. Dafür konnte ich zu Mittag nichts
essen.
15. April : Gerade als ich gestern schrieb, kam der Bureau-
diener vom Dr. Gratzl und lud uns für Nachmittag ein. Wir
gingen hin, sie wohnen in der Hellbrunnerstraße. Er hat 4 Töchter
und 2 Söhne, die Mama ist vor drei Jahren gestorben. Der eine
Sohn studiert in Graz und der andere ist ein Oberleutnant; er
hat eine Braut. Die Töchter sind schon alt ; die eine ist 27 Jahre
und ist verlobt. Das finde ich greulich. Die jüngste (! ! !) ist
24 Jahre. Das ist so komisch, wenn man sagt „Die Jüngste«
und dann ist sie 24 Jahre. Der Papa sagt, sie ist sehr hübsch
und wird gewiß noch heiraten. Mit 24 Jahren ! ! Wenn sie nicht
einmal verlobt ist ; das glaube ich nicht. Sie haben einen großen
Garten, 3 Hunde und 2 Katzen, die sich sehr gut vertragen.
Von einem Zimmer ins andere führt eine Stufe, das finde ich
reizend und die Fenster sind alle ausgebaucht. Alles ist so alter-
tümlich, auch die Einrichtung. Das gefällt mir sehr gut. Das
Vorzimmer ist ganz rund wie eine Kirche. Nach der Jause hatten
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wir eingelegte Früchte, besonders Kürbisschnitten und ein feines
Backwerk. Ich aß ein ganzes Glas voll Kürbisschnitten. Sie haben
auch ein Grammophon und dann spielten wir Klavier, die Leni
und ich. Wie wir weggingen, kam der Fritz, der Student; er ist
ganz rot geworden und der Dr. Gratzl hat im Vorzimmer zu mir
gesagt: „Heute haben Sie eine Eroberung gemacht." Das glaube
ich eigentlich nicht, aber hören tu ich doch so etwas gern.
Morgen fahren wir leider schon weg, weil wir uns 2 Tage
in Linz aufhalten wollen beim Onkel Theodor, den ich gar
nicht kenne.
17. April: Der Onkel Theodor ist schon sechzig Jahre und
die Tante Lina ist auch schon alt. Aber sie sind beide sehr
lieb. Ich kannte sie nicht. Wir wohnen bei ihnen. Am Abend
kam ihr Sohn und seine Frau, das ist mein Kusin und eine
Kusine, mit ihrem Mäderl ; von der bin ich eigentlich die Tante.
Das ist furchtbar komisch, wenn man mit 12 3 / 4 Jahren schon eine
Tante ist und die Nichte ist 9 Jahre. Heute waren wir in den
Donauanlagen spazieren, es regnete nur ganz leicht und nicht
immer.
18. April : Heute fahren wir wieder nachhause. Natürlich
haben wir mehrere Ansichtskarten an die Mama und die Dora
und an die Hella geschickt; auch an den Oswald haben wir
eine geschickt. Er ist über Ostern nachhause gekommen. Ich
weiß nicht, ob er morgen noch da ist.
22. April : Jetzt haben wir wieder Schule. Die Dora und ich
gehen jetzt meist miteinander ins Lyzeum, weil sie nicht mehr
in die Lateinstunde gehen darf, wegen der großen Anstrengung. Der
Professor, bei dem die Mama mit ihr war, hat überhaupt wollen,
sie soll mit dem Studieren aufhören, aber das tut sie absolut
nicht. Übrigens habe ich mich sehr geärgert über sie; sie lernt
nämlich heimlich Latein. Wie ich vorgestern ins Zimmer komme,
schreibt sie gerade Vokabeln heraus und schlägt schnell das
Buch zu, anstatt daß sie offen und ehrlich sagt : Rita, sage nichts
den Eltern, daß ich abends immer noch lerne; „ich baue auf
dein Wort." Sie könnte sich wirklich verlassen. Gott, wenn ich
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reden wollte ! Sie glaubt vielleicht, ich sehe nicht, daß der große
blonde Herr immer hinter uns geht in der Frühe. Der Hella ist
er auch schon aufgefallen, übrigens hat er eine fürchterliche
Glatze und ist sicher schon dreißig Jahre. Und sie würde sicher
nicht mit mir und der Hella soviel reden, wenn sie es nicht
deshalb täte. Aber diese Falschheiten empören mich. Wir sind
doch sonst jetzt sehr intim mit einander.
24. April: Heute haben wir h. Beichte und Kommunion ge-
habt. Das Beichten ist mir greulich ; übrigens ist mir noch nie
so etwas passiert, wie manche Kinder, sogar in der 5. Kl. er-
zählt haben. Mich hat noch nie ein Geistlicher etwas gefragt
wegen dem 6. Gebot; jeder fragt nur: In Worten, Gedanken
oder Taten ? Aber trotzdem gehe ich schrecklich ungern beichten,
und die Dora auch. Da ist die Hella als Protestantin besser
dran, da gibts keine Beichte. Und beim Kommunizieren habe
ich immer die gräßliche Angst, mir fällt die h. Hostie aus dem
Mund. Das wäre entsetzlich. Wahrscheinlich würde man sofort
exkommuniert als Ketzer. Die Dora durfte diesmal nicht
beichten und komm., weil der Papa es nicht erlaubte. Sie darf
absolut nicht ohne Frühstück ausgehen.
26. April : In der III. ist es richtig einer passiert, daß ihr
die h. Hostie aus dem Munde gefallen ist. Es ist ein großer
Verdruß deswegen. Sie sagt, sie kann nichts dafür, der geistl.
Herr hat so mit der Hand gezittert. Das ist nämlich wahr, er
war schon ein ganz alter Herr und da fürchte ich mich auch
immer so. Bei einem jungen Geistlichen ist es viel besser, da
passiert sicher nie etwas. Der Papa sagt, deswegen wird das
Mädchen nicht exkommuniziert, und zum Glück hat sie einen
hohen Geistlichen, einen Prälaten zum Onkel. Der ist auch ihr
Vormund. Der wird ihr jedenfalls helfen.
27. April: Heute haben wir dieses Mädchen kennen gelernt
in der Pause. Sie ist sehr nett und sagt, sie kann wirklich nichts
dafür, denn sie ist riesig fromm und geht vielleicht einmal als
Nonne ins Kloster. Ich bin auch fromm, wir gehen fast jeden
Sonntag in die Kirche, aber in ein Kloster möchte ich doch nie
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gehen. Die Dora sagt, das tut man meistens aus unglücklicher
Liebe, weil einem die Welt dann leer und verhaßt ist. Weil sie
so sentimental drein schaute, sage ich : Mir scheint, da hast
auch Lust dazu? Da sagt sie: „Nein, ich habe Gott sei Dank
keinen Grund dazu." Damit will sie natürlich sagen, daß sie
nicht unglücklich, sondern glücklich verliebt ist. Jedenfalls in den
großen Herrn in der Frühe. Ich schaute sie lange fest an und
sagte: „Ich gönne dir dein Glück. Aber der Hella und mir ge-
fällt seine Glatze nicht," da sagte sie ganz erstaunt: „Glatze?
Keine Idee, das ist eine herrliche hohe Denkerstirn."
27. Heute war die Mademoiselle zum erstenmale da. Das
habe ich nämlich vergessen zu schreiben, die Dora muß täglich
zwei Stunden in der Sonne sitzen und Spazierengehen. Und weil
die Mama nicht ganz gesund ist und nicht viel gehen soll, haben
wir die Mad . . . bekommen. Wenn ich Zeit habe, soll ich auch
mitgehen, zum „Vorbeugen", sagt der Papa. Aber mir fällt das
gar nicht ein, das ist mir viel zu fad; ich habe einfach keine
Zeit. Die Mad . . . kommt 3mal in der Woche, Montag, Mittwoch,
Freitag, und am Montag, Donnerstag und Samstag habe ich
Klavierstunde, also kann ich gar nicht mitgehen; also Schluß
mit Jubel! So sagt immer der Oswald am Jahresschluß und
beim Semesterschluß. Sie ist übrigens sehr hübsch, blondes
lockiges Haar und riesige graue Augen mit schwarzen Wimpern
und Brauen, aber sie spricht so schnell, daß ich nicht alles ver-
stehe. An den anderen 3 Tagen soll eine Engländerin kommen,
aber wir haben noch keine, sie sind alle so teuer. Ich finde es
eigentlich komisch fürs Spazierengehen mit erwachsenen
Mädchen einen Gehalt bekommen, das ist doch eigentlich
eine Unterhaltung. Mit rechten Fratzen, so wie wir die voriges
Jahr ein paarmal im Rathauspark gesehen haben, das ist etwas
anderes. Und wegen dem Französisch oder Englisch Reden!
Wenn sie nicht reden wollen, so macht's auch nicht. Und dann
was soll man dann auch immer auf Französisch oder Englisch
reden, das ist doch fad.
28. April : Heute waren die Richters bei uns und der älteste
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Sohn, der Oberleutnant aus Lemberg; er ist herrlich und hat
der Dora wahnsinnig den Hof gemacht; übrigens ist auch der
Walter sehr nett, der ist in der Forstakademie in Mödling; der
Oberleutnant bringt der Dora morgen ein Buch von Tolstoi, das
sie lesen soll. Und dann werden sie zusammen musizieren, sie
Klavier und er Violine ; schade daß ich noch nicht so gut spiele
wie die Dora. Zu Pfingsten kommt der Walter auch und der
Viktor (das heißt zu Deutsch Sieger) ist für ein halbes Jahr be-
urlaubt, weil er krank ist, oder vielmehr krank sein soll; denn
so schaut man doch nicht aus, wenn man krank ist.
4. Mai: Der Oberleutnant R. kommt bei jeder Gelegenheit,
er muß wirklich wahnsinnig verschossen sein in die Dora. Aber
der Papa erlaubt es nicht. Er sagte heute zur Dora: „Du, den
Bruder Leichtfuß schlag' dir aus dem Kopf ; das ist nichts. Aber
eine Uniform, und ihr Mädeln seid ganz außer Rand und Band.
Eine Stunde oder zwei zusammen musizieren, ä la bonheur;
aber dieses ewige Herauflaufen mit Büchern und Noten, das ist
bloß ein Vorwand. "
6. Mai: Der Oberleutnant R. geht alle Tage in der Frühe
mit uns, d. h. mit der Dora in die Schule. Er soll eigentlich
sehr lang im Bett liegen am Morgen, denn er ist wirklich krank,
aber um der Dora willen steht er schon furchtbar früh auf, und
fährt von Hietzing herüber und wartet in der ... . Gasse. Und
ich gehe natürlich mit der Hella allein und in der .... Straße
treffen wir uns, damit im Lyzeum niemand etwas merkt.
13. Mai: Morgen ist Mamas Geburtstag und da brachte ihr der
Viktor (ich sage jetzt auch immer nur V , wenn ich mit der
Dora von ihm spreche) herrliche Rosen und lud uns alle für den
nächsten Sonntag ein. Und mich nannte er im Vorzimmer „Schutz-
geist unserer Liebe". Ja, das bin ich und ich werde es immer
bleiben ; denn er verdient es unbedingt und die Dora ist ja auch
ganz anders als sie früher war. Die Hella sagt, da sieht man
wirklich, daß die Liebe veredelt; sie hat es früher immer für
eine bloße Dichtung gehalten.
15. Mai: Der Papa sagte: Ich bin von diesen Besuchen bei
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Richter, solange der Schwerenöter da ist, nicht sehr erbaut;
aber wegen des Hofrates und ihr, der Mama kann man nicht ab-
sagen. Wir ziehen die grünen Kostüme mit den weißseidenen
Blusen mit grünen Seidenblättchen an, weil die Dora nicht ganz
weiß gehen will, außer im Sommer. Und weil die Blusen Klee-
blätter haben, also wegen ihrer Bedeutung. Wir freuen uns riesig.
Hoffentlich ist der Mama bis dahin ganz gut, da sie heute liegen
muß. Krank sein ist überhaupt unangenehm, aber wenn dadurch
einem andern ein Vergnügen gestört wird, dann ist es gar gräßlich.
16. Mai: Vorgestern war der Geburtstag der Mama; aber es
war nicht so lustig wie sonst, weil der Mama öfters nicht ganz
wohl ist; Ich habe ihr als Geburtstagsgeschenk eine Kasette ge-
malt mit einem Zweig Waldreben, was großartig apart aussieht.
Von der Dora hat sie eine Buch-Enveloppe mit einem Zweig
japanischer Kirschen in Nadelmalerei bekommen, vom Papa weiß
ich nicht, was, ich glaube Geld, weil er ihr immer zum Geburts-
und Namenstag ein Kuvert gibt. Weil aber die Mama nicht ganz
gesund ist, so waren wir nicht sehr lustig und wie wir mittags
auf ihre Gesundheit anstießen, hat sie sich heimlich die Augen
gewischt. Aber so gefährlich ist es doch nicht ; sie geht doch aus
und schaut nicht schlecht aus. Ich finde, die Mama ist sehr
fesch, sie sieht so fein aus, ob sie im Schlafrock oder in der
Straßentoilette ist. Die Dora sagt, wenn sie durch einen Mann
krank würde, würde sie ihn hassen und ihren Töchtern verbieten,
zu heiraten. Das ist alles ganz richtig, aber erst müßte man doch
bestimmt wissen, ob man davon krank geworden ist. Die
Tante Dora soll deswegen den Papa nicht leiden können.
Tatsächlich ist der Papa nicht so nett zu ihr gewesen wie
sonst zu unsern Verwandten oder den Damen, die zur Mama
kommen. Aber schließlich hatte die Tante Dora doch kein Recht,
dem Papa eine Szene zu machen, wie die Dora behauptet.
Dazu hätte doch höchstens die Mama selber ein Recht. Die Dora
fürchtet, daß die Mama sich am Ende gar operieren lassen muß.
Ich ließe mich absolut nie operieren, das muß gräßlich sein, ich
weiß es von der Hella bei der Blinddarmoperation. Die Dora
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j
meint zwar: «Ich bitte dich, wenn man fünf Kinder geboren
hat; da ist man das doch schon gewöhnt". Ich werde alle Abende
den lieben Gott bitten, daß die Mama ohne Operation wieder
gesund wird. Heuer fahren wir wahrscheinlich zu Pfingsten nicht
weg, weil die Mama und die Dora wegfahren sollen, nämlich in
ein Bad, vielleicht nach Franzensbad.
18. Mai: Es war herrlich bei Richter; der Walter war aus
Mödling da, er war riesig nett und sagte, ich sehe meiner Schwester
zum Verwechseln ähnlich. Das ist absolut nicht wahr, aber ich
weiß, was er damit sagen wollte. Er bläst großartig Flöte und
die drei spielten ein Trio miteinander, daß ich mich wirklich
ärgerte, daß ich früher nicht fleißiger geübt habe. Jedenfalls werde
ich von morgen an täglich 2 Stunden Klavierspielen, wenn ich
halbwegs Zeit habe. Nächstes Jahr im Winter will der Viktor
einen privaten Theaterklub gründen, also muß er doch länger als
ein halbes Jahr in Wien bleiben wollen. Der Walter findet die
Dora sehr interessant und wie ich sagte: „Nur leider ist sie im
höchsten Grad bleichsüchtig", so sagte er: Das tut ihr in den
Augen eines Mannes keinen Abbruch, wie Sie an meinem Bruder
sehen können. Übrigens ist das eine Krankheit, die eigentlich
keine ist, sondern ein junges Mädchen oft äußerst fesselnd macht,
wie Sie an Ihrer Schwester sehen können.
Vorgestern war die Miß das erstemal da; die könnte mir
gestohlen werden. Miß Maggie Lundy heißt sie und falsche blonde
Haare hat sie. Sie behauptet, sie ist verlobt, aber die Dora sagt,
einmal gewesen. Ich glaube nicht einmal das. Der V . . . . sagt,
die Mad .... ist eine Schönheit ersten Ranges. Und da fragte
ich die Dora, ob sie nicht eifersüchtig ist, aber sie sagt, darüber
ist sie erhaben, und sie ist seiner Liebe sicher. Er will vom
Militär weggehen und in ein Ministerium eintreten, und dann
wird er ja wahrscheinlich heiraten. Aber die Dora sagt, damit hat
es schon noch Zeit, heimlich verlobt sein ist viel herrlicher. Da
merkt sie erst, daß sie sich verschnappt hat und wird blutrot und
sagt : das müßte doch jedenfalls zuerst kommen vor dem Heiraten,
nicht. — Natürlich ist sie schon heimlich verlobt, aber sie will
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L
es nicht einmal mir eingestehen. Wozu bin ich denn dann der
„Schutzgeist ihrer Liebe"? Wenn er das wüßte.
19. Mai: Eigentlich wollte ich Klaviertiben, aber es ist mir
heute unmöglich, erstens hatte ich ohnedies Stunde, und zweitens
ist der Dora etwas Gräßliches passiert. Läßt die ihr Tagebuch in
der Schule liegen ; und weil wir in der V. Klasse Religionsstunde
haben, so sehe ich unter der dritten Bank ein grüngebundenes
Buch liegen. Gott, denk ich mir, das schaut aus, wie das Tage-
buch der Dora. Schnell gehe ich hin und lege mein Schulpaket
drauf. In der Stunde ziehe ich's hervor und richtig ist es ihr
Tagebuch. Wie ich nachhause kam um 1 Uhr, sage ich zuerst
nichts. Nach dem Essen stöbert sie überall herum, aber ohne
zu fragen, und da sage ich ganz ruhig: „Suchst Du vielleicht dein
Tagebuch? Hier ist es; in der fünf— ten Kla— sse ist es un— ter
der drit—ten Bank ge — le— gen." (So hab ich nämlich beim Reden
gezogen.) Sie ist ganz blaß geworden und sagt: „Du bist ein
Engel. Wenn das jemand gefunden hätte, wäre ich hinaus-
geschmissen worden und die Mad .... müßte ins Wasser gehen.*
„Na, so arg ist es nicht", sage ich, denn das von der Mad ....
interessiert mich furchtbar. In der Stunde schaute ich mehr, was
sie vom V . . . . geschrieben hatte. Aber ich konnte es nicht
lesen, weil es ganz klein und eng geschrieben war und mehrere
Seiten voll, aber das von der Mad .... habe ich nicht einmal
so genau angeschaut. „Hast du es gelesen?" Nein, nur wo es
zufällig aufgegangen ist, weil eine Seite herausgerissen ist. Vom
V....? oder von der Mad....? „Ein Stückchen von der
Mad . . . . ; aber sage mir alles ; ich verrate nichts. Denn wenn
ich das wollte, ich bitte dich, du weißt ja . . . ." Und da erzählte
sie mir alles von der Mad .... Aber ich mußte ihr schwören,
daß ich es nicht einmal der Hella erzähle. Die Mad .... hat
heimlich einen Bräutigam, dem sie das „Äußerste der Liebe" ge-
schenkt hat ; das heißt nämlich, daß sie .... Sie hat ihn wahn-
sinnig gern und sie würden sofort heiraten, aber er ist auch ein
Oberleutnant, und sie haben beide nicht genug Geld zur Kaution.
Sie sagt, wenn man einen Mann sehr gern hat, dann erträgt
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man alles für ihn. Sie war schon mehrmals bei ihm und sie gibt
immer riesig acht, denn ihr Papa würde sie umbringen, wenn er
es wüßte. Die Dora hat den Oberleutnant schon gesehen und
sagt, er ist sehr hübsch, aber der V . . . . ist entschieden schöner.
Die Mad .... sagt, im allgemeinen könne man den Männern
nicht vertrauen, aber der Oberleutnant ist ganz anders; der ist
treu wie Gold. Und der V ... . sicher auch.
21. Mai: Wie heute die Mad gekommen ist, habe ich
sie vor der Mama gar nicht ansehen können, und die Dora sagt,
ich habe mich furchtbar dumm benommen. Ich bin nämlich heute
mitgegangen und wie wir einem feschen Offizier begegnet sind,
räusperte ich mich und schaute die Dora an. Aber sie hat
nicht verstanden, warum. Die Mad. ist die Tochter eines sehr
hohen Militärbeamten und sie hat die französische Staats-
prüfung nur gemacht, damit sie von der „Tyrannei" ihrer Mutter
frei wird; die sekkiert sie greulich und früher, ehe sie Stunden
hatte, durfte sie nie allein ausgehen. Die Dora sagt, sie spricht
in äußerst gewählten Worten und besonders diese Dinge um-
schreibt sie immer sehr fein. Natürlich sagt sie das alles deutsch,
denn französisch kann man es doch noch schwerer sagen und viel-
leicht würde es die Dora auch nicht verstehen und dann müßte es
die Mad .... doch erst übersetzen. Sie heißt Sylvia und er
nennt sie Sylvette. Wenn man einen Mann rasend liebt, so tut
man alles, was er verlangt, sagt die Mad .... Aber das ist
doch eigentlich nicht notwendig, da kann einer ja die dümmsten
Sachen verlangen; da kann er ja auch verlangen, man soll ihm
den Mond vom Himmel holen oder man soll sich seinetwegen
einen Zahn ausreißen. Die Dora sagt, sie versteht das ganz gut,
mir fehlt noch die Innerlichkeit der Auffassung und des
Gefühls. Was soll denn das heißen, das ist ein Unsinn. Aber
weil es schön klingt, habe ich es mir aufgeschrieben und kann
es vielleicht einmal im Gespräch mit dem Walter brauchen. Die
Mad .... hat nur immer schrecklich Angst, daß sie ein Kind
bekommt. Dann würde ihr Papa sie unbedingt erwürgen. Der
Oberleutnant ist Flieger und hofft, einen neuen Aeroplan zu kon-
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struieren und wenn er den gut verkauft, dann heiratet er die
Mad. Aber wenn etwas passiert und sie bekäme schon jetzt
ein Kind, das wäre gräßlich.
22. Mai: Heute fragte mich die Dora, woher ich eigentlich
alles wisse, ob von der Hella. Weil ich aber die Hella doch
nicht verraten will, sagte ich so obenhin: „Gott, das kann man
doch alles im Lexikon lesen." Da lachte die Dora und sagte:
Da bist du schön auf dem Holzweg; im Lexikon steht nicht ein
zehntel von allem und dann ist es überhaupt nicht so. In diesen
Dingen kann man sich auf die Bücher absolut nicht ver-
lassen." Und zuerst wollte sie mir nichts Näheres sagen, aber
dann hat sie mir doch Verschiedenes gesagt, besonders die Namen
gewisser Körperteile und das von der Befruchtung, und von
dem migroskopisch kleinen Kind, das eigentlich vom Mann
ausgeht, und nicht, wie ich und die Hella glaubten, von der
Frau. Und wovon man erkennt, ob eine Frau überhaupt fr ucht-
b a r ist. Das ist eigentlich ein schreckliches Wort. Überhaupt hat
fast jedes Wort eine solche Bedeutung und die Dora sagt,
darum muß man beim Reden riesig vorsichtig sein; das ist wohl
wahr. Wenn man sagt : Man ist so müde, daß man kein Glied
rühren kann, so ist das furchtbar zweideutig, besonders wenn es
ein Herr sagt. Die Dora meint, am besten wäre, man schriebe
sich alle diese gewissen Wörter auf, aber es sind ebenso wahn-
sinnig viele, daß es nicht geht. Das einzige ist, daß man riesig
vorsichtig ist; aber man gewöhnt sich das ziemlich bald an. Aber
neulich ist doch der Dora passiert, daß sie zum V . . . . gesagt
hat: Ich suche keinen Verkehr und das heißt soviel als das
„Äußerste in der Liebe;" das hat ihr die Mad. gesagt. Aber der
V . . . . war so fein, daß er getan hat, als ob er es gar nicht
bemerkt hätte; der Dora ist es nämlich auch erst eingefallen,
nachdem sie es schon gesagt hat. Es ist wirklich sehr blöd, daß
jedes gewöhnliche Wort eine solche Bedeutung hat. Ich werde
jetzt riesig achtgeben auf das, was ich rede, damit ich nicht am
Ende auch so ein zweideutiges Wort sage. Das soll auch im
Französischen so sein, sagt die Mad. Wie es im Englischen ist,
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wissen wir nicht und die Miß, das Scheusal, fragen, nein, das ist
zum Totlachen. Die weiß vielleicht nicht einmal das Einfachste.
Jetzt weiß ich entschieden mehr als die Hella, aber ich kann es
ihr nicht sagen, wegen des Verrates an der Dora und der
Mad .... Vielleicht kann ich nur andeuten, daß sie beim Reden
sehr vorsichtig sein soll, damit sie kein zweideutiges Wort sagt.
Das ist eigentlich meine Pflicht als Freundin.
23. Mai : Das habe ich ganz vergessen. Vorige Woche hat
der Oswald schriftliche Matura gehabt, er schrieb jeden Tag eine
Karte und die Mama hat sich schrecklich aufgeregt, weil er immer
so dumme Witze machte, daß man nicht wußte, ob er's können
hat oder nicht. Die Dora und ich sind rasend glücklich, am
nächsten Montag fahren wir mit der Frau Hof rätin und ihrer
Nichte, die ins Konservatorium geht, aufs Flugfeld. Der Ober-
leutnant Streinz wird auch fliegen. Wir fahren natürlich mit
dem Auto, denn per Bahn ist es viel umständlicher. Der Viktor
kommt natürlich auch hin, aber er fährt mit ein paar Offizieren.
Das ist riesig schade, denn im Auto mit uns wäre es herrlich
gewesen. Ja richtig, heute habe ich die Klasse gerettet, der Herr
Landesschulinsp. ist diese Woche da und war bei uns zuerst
in Geschichte und dann in Deutsch, da war ich die Einzige, die
alles gewußt hat, was uns die Frau Dr. M. über das Wesen der
Fabel gesagt hat. Und der Herr Landessch. lobte mich sehr und
die Frau Dr. M. sagte nachher: das ist wahr, auf die Lainer
kann man sich verlassen; die hat ein sicheres Wissen. Und auf
dem Gang war sie so riesig nett: „Weißt du, Lainer, daß ich
dir feierlich Abbitte leisten muß?" Ich bin ganz perplex und die
Hella fragt: Wofür denn? Da sagt sie: „Mir ist so vorgekommen,
als ob du dich heuer nicht mehr so für den Deutschunterricht
interessieren würdest wie im vorigen Jahr ; aber du bist glänzend
rehabilitiert." Nachher sagt die Hella: Na weißt du, ganz un-
recht hat die Frau Dr. M. nicht, wenn ich denke, was wir voriges
Jahr alles gelesen haben, nur damit wir alles wissen in der
Stunde und wie wir heuer sind!!! Du weißt ja .
Also da hat die Hella ganz recht, aber deswegen kann man
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L
doch lernen, man kann doch nicht immer davon reden. Und
dann für einen solchen Engel wie die Frau Dr. M. lernt
man einfach immer. Die Hella behauptet, ich sei krebsrot ge-
wesen vor Stolz, daß ich alles mit den Worten der Fr. Dr. M.
sagen konnte; aber dies ist nicht wahr, erstens habe ich mir
gar nichts darauf eingebildet und zweitens weiß ich eigentlich
selber nicht, wieso ich alles so sagen konnte. Ich habe nur das
Gefühl gehabt, die Frau Dr. M. ärgert sich fürchterlich, wenn
keine ein Zeichen gibt und so habe ich mich gemeldet.
25. Mai : Gott, ich könnte mir eine Ohrfeige, nein hundert
Ohrfeigen geben. Was mir passiert ist ! Jetzt dürfen wir nicht
aufs Flugfeld. Der Papa hat uns nämlich nur mitfahren lassen,
weil der Viktor in Linz ist und der Papa glaubte, er bleibt noch
14 Tage dort. Und heute zu Mittag verschnappe ich mich und
sage: „Zu fünf haben wir leider keinen Platz im Auto. Wenn
aber das Fräulein Else nicht käme, könnte der Herr Obltnt. gleich
mit uns fahren." Die Dora gibt mir unter dem Tisch einen
Stoß und ich will mich herausreden, aber der Papa ist furchtbar
böse und sagt: „Wie, der Luftibus kommt hin? Nein, meine
Lieben, da ist es nichts damit. Ich werde sofort der Hofrätin ab-
sagen. Das könnt ich brauchen, hab' ich nicht gesagt, ich ver-
bitte mir den Verkehr mit dem Menschen." Das sagte er nämlich
zur Dora. Die Dora sagt gar nichts darauf, aber sie aß keine
Mehlspeise und kein Obst nachher, wie wir in unserem Zimmer
waren, fährt sie auf mich los : Du hast das absichtlich getan, du
bist eine gemeine Person, nein d. h. ein unreifes Kind, mit dem
ich mich hätte nie einlassen sollen, und so fort. Das ist wirklich
zu arg, ich habe es absichtlich gesagt, als ob ich ihr es
neidisch wäre. Und dann bin ich selber mitgestraft, denn ich
habe ihn wirklich auch sehr gern, weil er keinen Unterschied
zwischen uns macht und mit mir gerade so ist wie mit der Dora.
Wir reden natürlich gar nichts miteinander, und am meisten hat
mich geärgert, daß sie sagt, sie bereut jedes Wort, was sie in
dieser Beziehung zu mir geredet hat; „das waren Perlen
vor die Säue." Das ist doch die höchste Gemeinheit! Also ich
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bin eine S . . — aber wer hat dann das Mehrere erzählt, ich
vielleicht? Also das weiß ich, daß ich nie mehr mit ihr von
so etwas rede. Ich habe ja Gott sei Dank die Hella. Über-
haupt, die würde nie so etwas von mir sagen oder glauben.
26. Mai: Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen; die
Dora hat furchtbar geweint, ich habe es gehört, obwohl sie es
unterdrücken wollte und ich habe auch geweint und dabei habe
ich immer nachgedacht, wie ich es machen kann, daß der Viktor
nichts Schlechtes von mir denkt. Denn das wäre mir gräßlich.
Da ist mir ein Ausweg eingefallen und der Zufall, nein ich muß
es schon ein Glück nennen, hat mir geholfen. Der Viktor geht
jetzt in der Frühe nicht mehr mit uns, weil die Mädchen aus
der V. uns schon mehrmals gesehen haben, sondern er holt die
Dora nur um 1 Uhr ab. Und da habe ich in der Frühe schnell
beim Automatentelefon an ihn telephoniert, denn zuhaus traute
ich mich nicht. Der Dora war so schlecht, daß sie nicht in die
Schule gehen konnte und da ging ich mit der Hella allein. Ich
telephonierte so als wie wenn ein Freund ihn anrufe und zuerst
kam das Stubenmädchen und dann er. Ich sagte ihm : Ich kann
absolut nichts dafür, er soll ja nichts Schlechtes von mir glauben
und ich muß ihn um 1 Uhr sprechen, da die Dora krank ist.
Er soll bei der Ecke der .... gasse warten. Während des
Unterrichts war ich so aufgeregt, daß ich gar nicht weiß, was
wir aufhaben. Und um 1 Uhr stand er richtig da und ich er-
zählte ihm alles und er war so furchtbar lieb und tröstete mich ;
er mich. Das ist ein bißchen anders, als wie die Dora war.
Ich war so aufgeregt, daß ich beinahe weinte, da zog er mich in ein
Haustor und nahm mich um die Mitte und wischte mir mit
seinem Taschentuch die Tränen weg. Das verrate ich niemals
der Dora. Er hat mich dann gebeten, ich soll lieb und gut zur
Dora sein, denn sie hat viel zu tragen. Also, was sie zu tragen
hat, weiß ich gerade nicht, aber um seinetwillen, weil er es
wirklich verdient, habe ihr nach dem Essen einen Zettel auf den
Schreibtisch gelegt, wo ich drauf geschrieben hatte. „V . . . . läßt
dich vielmals grüßen und hofft, daß du Montag wieder gesund
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bist. Gleichzeitig besten Dank für das Buch." Den Zettel legte
ich in Heidepeters Gabriel, den ich von ihr zum Lesen hatte
und legte es recht auffällig hin. Beim Lesen wurde sie ganz rot
und schluckte ein paarmal und sagte: „Du hast ihn gesehen?
Wo und wann denn?" Da sagte ich ihr alles und sie war ganz
gerührt und sagte : „Du bist doch ein gutes Mädel, nur schreck-
lich unverläßlich." Wieso unverläßlich? Da sagte sie: Jawohl
unverläßlich, denn so verschnappen darf man sich einfach nicht;
das gibt's nicht; übrigens will ich versuchen, deine Schuld zu
vergessen. Hast du den Heidepeters Gabriel schon fertig ge-
lesen? „Nein, sage ich, aber ich lese kein Buch, von jemanden,
mit dem ich böse bin." Schließlich versöhnten wir uns, aber wir
redeten natürlich weiter nichts und das mit dem Taschentuch
sagte ich absolut nicht.
29. Mai: Am 10. oder 12. Juni fährt die Mama und die
Dora nach Franzensbad, weil beide die Moorbäder nehmen müssen.
Und dann hat der Papa gesagt, da wird die Dora am ehesten
auf andere Gedanken kommen und nicht den Kopf hängen
lassen wie ein krankes Hendl. Heute erzählte mir die Dora etwas
sehr Interessantes. Die Herren, die nicht verheiratet sind, haben
Bücherln und mit denen können sie zu den „gewissen" Damen
am Graben und in der Kärntnerstraße gehen. Dort müssen sie
sagt die Dora, 10 fl. oder 10 K zahlen. In der Klasse der Dora'
ist ein Mädchen, deren Papa ist Polizeiarzt und bei dem müssen
sie sich alle Monate untersuchen lassen, ob sie gesund sind,
sonst dürfen sie nicht zu diesen „Damen" gehen. Und deswegen
bleibt kein Stubenmädchen bei den Preuß. Gestern habe ich im
Bad zufällig bemerkt, daß ich die gewisse Linie habe, also daß
ich fr ... . bin; aber ich werde höchstens 1 oder 2 Kinder '
bekommen, denn der Strich ist sehr schwach. Ich muß jetzt oft
mitten beim Lernen an solche Sachen denken und dann lese ich oft
eine Seite fertig und blättere schon um und weiß gar nicht, was
ich gelesen habe. Das ist sehr unangenehm, denn jetzt wird bald
der andere Landessch.-Insp. für Math, und die anderen Fächer
kommen und blamieren möchte ich mich doch nicht; besonders
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deswegen nicht, weil vielleicht die Inspektoren doch untereinander
reden darüber, wer etwas kann und wer nicht.
30. Mai: Das Konzert war großartig; wenn ich so große
Musik höre, muß ich mich immer zusammen nehmen, daß ich
nicht weine. Das ist wohl sehr dumm, aber mir fallen dann
lauter traurige Sachen ein ; . sogar bei einem Werkel. Die Dora
spielt auch die Ungarischen Tänze von Brahms, aber da muß
ich nie weinen. Da ärgere ich mich nur immer, daß ich es nicht
so kann. Ich könnte schon, aber ich habe nicht die Geduld, so
lange zu üben. Daß ich bei Musik immer weinen muß, sage ich
keinem Menschen, nicht einmal der Hella, der ich doch alles
sage, außer natürlich das von der Mad. Gestern habe ich mich
blamiert; sagt wenigstens die Dora. Ich weiß nicht mehr, wie
das war, es war beim Nachtmahl von den Büchern die Rede,
und da sage ich: „Ach Gott, aus Büchern lernt man wirklich
nichts; es ist ja doch alles anders, als wie es in den Büchern
steht." Da war der Papa sehr ärgerlich und sagte: „Du Guck
in die Welt, sei froh, daß es Bücher gibt, aus denen du was
lernen kannst. Wenn einer ein Buch nicht versteht, dann sagt
«r, es ist nichts wert." Die Dora warf mir schon einen Blick zu,
aber ich wußte nicht, was sie meinte, und sagte: „Ja, aber im
Lexikon steht sehr viel Unrichtiges." „Was hast denn du im
Lexikon herumzustöbern; da werden wir den Schlüssel in etwas
sicherere Verwahrung nehmen." Gott sei Dank kam mir die Dora
zuhilfe und sagte: „Die Gretel hat etwas über das Alter der
Elephanten und Mammuts nachschauen wollen, aber im Lexikon
steht etwas anderes, als was der Prof. Rigl voriges Jahr sagte ■
Da war ich gerettet. Aber verstellen kann sich die Dora groß-
artig ; das merke ich übrigens auch bei anderen Gelegenheiten.
Am Abend macht sie mir einen Skandal und sagt: „Du dummer
Fratz, du wirst nie gescheit werden ; neulich die Blödheit wegen
des Viktors und heute wieder das! Einmal habe ich dir heraus-
geholfen, aber ein zweitesmal nicht," und dann hat sie die ganze
Zeit Brief geschrieben, natürlich an Ihn -! Die Hella und ich
haben neulich verschiedenes gelesen im Lex über Geburt
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und Schwangerschaft und ich allein über fruchtabtr. . . .
Mittel ; wir haben nämlich zusammen bei Embryo und Leibes-
frucht gelesen und da sagte ich weiter nichts, sondern merkte
es mir nur durch einen Doppelknoten im Taschentuch und
gestern suchte ich es dann auf. Da braucht eigentlich die Mad. . .
gar keine Angst haben, wenn es wirklich so etwas gibt. Aber
jeder Doktor erkennt es und man kann auch sehr leicht sterben
daran. Ob die Mad das überhaupt weiß ? Wir haben dann
noch verschiedenes gesprochen über die Unterschiede
zwischen Mann und Frau und da sind wir auch drauf gekommen,
daß die Hella sich noch immer von der Anna, die schon zwölf
Jahre bei ihnen ist, im Bad waschen läßt. Das täte ich absolut
nicht, überhaupt ließe ich mich von niemanden waschen, höch-
stens von der Mama; von der Dora schon sicher nicht, denn
die braucht doch nicht wissen, wie i c h ausschaue. Die Wärterin
im San. hat zur Hella gesagt, sie ist gewachsen wie eine kleine
Nymphe so schön und ebenmäßig. Und die Hella meint das
ist nichts besonders, jedes Mädchen schaut so aus und der
weibliche Körper ist überhaupt ein Kunstwerk der Natur
Also, das hat sie natürlich irgendwo gelesen, denn es heißt
doch eigentlich nichts; überhaupt ein Kunstwerk der Natur-
da müßte es wenigstens heißen: ein Kunstwerk von Mann
und Frau ! ! !
30. Mai : Die Dora und die Mama fahren schon am 6. Juni
nach Franzensbad, gleich nach Pfingsten. Die Dora hat noch
ein zweites neues Kostüm, grau mit blauen Streifen bekommen;
gestern sind unsere weißen Strohhüte gekommen, er steht mir
sehr gut, sagen die Hella und alle anderen, mit weiße Bänder
und Heckenrosen. Neulich hätte können ein furchtbarer Tratsch
entstehen : Wie ich telephonieren war, habe ich meinen Schirm
von Weihnachten mit dem Griff aus Rosenquarz mit und lasse
ihn im Automaten stehen; nach mir kommt das Frl. aus der
Tabaktrafik und weil sie mich kennt, gibt sie den Schirm bei
der Hausbesorgerin ab und die trägt ihn hinauf. Gott sei Dank,
fällt mir gleich die Ausrede ein, ich habe in der Trafik Marken
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gekauft und habe ihn dort stehen lassen; es hat es niemand
weiter beachtet.
31. Mai: Ich soll auf den Monat, den die Mama und die
Dora weg sind, zur Hella übersiedeln. Aber, so gerne ich sie
habe, das tue ich nicht, ich bleibe unbedingt beim Papa. Was
soll er denn ganz allein bei den Mahlzeiten sitzen und mit wem
soll er denn am Abend reden? Der Papa war wirklich gerührt
über mich und hat mir die Haare so gestreichelt, wie nur er es
macht. Nicht einmal die Mama kann es ebenso. Also ich bleibe
jedenfalls zuhaus. Jetzt sind die Blumen schon sehr billig, da
stelle ich jeden Tag andere auf den Tisch, da kaufe ich am
Naschmarkt alle Tage ein kleines Boukett, damit sie immer frisch
sind. Das wäre doch ein Unsinn, daß ich zu Br. gehe; wozu
denn, die Resi ist doch solange bei uns, die weiß doch alles
auch ohne die Mama, und für alles andere kann ich ganz gut
sorgen. Es wird dem Papa nichts abgehen.
1. Juni: Gott, was wir heute erlebt haben ! Das ist gräßlich;
es ist also doch wahr, daß man sich ganz a u sz i e h t, wenn man
jemanden rasend gern hat. Ich habe es nie recht geglaubt, und
die Dora offenbar auch nicht, obwohl die Mad. ... es ja ange-
deutet hat; aber es ist wahr. Wir haben uns mit eigenen
Augen überzeugt. Ich sitze gerade und lese den Schimmelreiter
von Storm und die Dora richtet sich Briefpapier her für Fran-
zensbad, da kommt die Resi und sagt: Fräulein Dora, bitte auf
einen Moment, etwas anschauen ! An dem Ton merke ich gleich,
daß etwas los ist und renne mit. Zuerst will die Resi nicht sagen
was es ist, aber die Dora ist großmüthig und sagt: „Das macht
nichts, vor meiner Schwester können sie alles sagen." Und da
gingen wir ins Zimmer der Resi und schauten hinter dem Vor-
hang hinüber ins Mezzanin. Dort wohnt nämlich ein junges Ehe-
paar!!! Das heißt, die Resi sagt, die Leute sagen, sie sind gar
nicht verheiratet, sie leben bloß mitsammen!!!! Also was wir
sahen, war gräßlich. Sie war wirklich ganz ausgezogen und lag
im Bett nicht einmal zugedeckt, und er kniete vor ihr auch ganz
105
■
n und er küßte sie am ganzen Körper ab, überall!!!
Die Dora sagte nachher, deswegen ist ihr übel geworden. Und
dann stand er auf und — nein, das kann ich nicht schreiben
das ist zu gräßlich, das vergeß ich in meinem Leben nicht. Also
s o ist das, das ist einfach furchtbar. Das hätte ich nie geglaubt.
Die Dora ist ganz schneeweiß geworden und hat so gezittert,
daß die Resi schreckliche Angst bekam. Und ich habe vor Ent-
setzen beinahe geweint und doch habe ich auch lachen müssen.
Ich habe mich wirklich gefürchtet, daß sie ersticken muß, weil er
so groß und sie so klein war. Und die Resi sagte dann, er ist
entschieden zu groß für sie, er zerreißt sie beinahe. Also zerreißen
wohl nicht, aber erdrücken hätte er sie wirklich können. Die
Dora mußte sich vor Schrecken niedersetzen und die Resi brachte
ihr schnell ein Glas Wasser, weil sie glaubte, sie würde ohn-
mächtig werden. So habe ich mir das nicht vorgestellt und die
Dora offenbar auch nicht. Sonst hätte sie nicht so gezittert. Also
schließlich, was s i e deswegen zu zittern braucht, sehe ich wirk-
lich nicht ein. Deswegen braucht man doch nicht zittern, man
heiratet ganz einfach nicht, dann braucht man sich nie ausziehen,
und Gott, die arme Mademoiselle, die ist auch nicht besonders
groß und der Oberleutnant ist sehr groß. Aber erst wenn einer
so dick ist wie der Herr Hofrat R. oder unser Hausherr. Also
der Hofrat ist schon mindestens 50 Jahre alt, aber der Hausherr
hat heuer im Jänner noch ein kleines Mäderl bekommen, da
muß also etwas vorgefallen sein. Nein, am besten ist, man
heiratet nicht, denn das ist zu gräßlich. Wir haben dann nicht
mehr hinübergeschaut, denn jetzt kommt das Ärgste, auf einmal
wird der Dora totübel zum Brechen, so daß sie kaum mehr ins
Zimmer gehen konnte. Sonst wäre alles herausgekommen. Die
Mama schickte schnell um den Doktor und er sagte die Dora ist
entschieden überarbeitet; es ist gut daß sie in ein paar Tagen
wegkommt von Wien. Kein Mädel sollte studieren, das taugt
nichts. Und dann sagte er zu mir: „Und wie schaust denn du
aus, was sind denn das für hohle Augen?" „Ich bin wegen der
Dora so erschroken", sag ich. „Larifari sagt der Herr Doktor,
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davon kriegt man nicht solche Ringe um die Augen." Also muß
es doch wahr sein, daß man schlecht aussieht davon, wenn man
immer an solche Sachen denken muß. Aber man kann eben
nichts dafür und die Hella sagt: Ringe unter den Augen ist
furchtbar interessant und die Herren wollen das an den
Mädchen.
Wir hätten morgen, da wir schon frei haben, eine Partie auf
den Kahlenberg und Hermannskogel machen sollen, aber wahr-
scheinlich wird nichts daraus. Es ist schon gleich 11 Uhr und ich
bin wahnsinnig müde vom Schreiben; ich muß schlafen gehen
wenn ich nur schlafen kann, aber
3. Juni : Der Papa war mit mir und der Hella allein am
Kahlenberg; wir haben uns wunderbar unterhalten. Nach dem
Essen, wie der Papa Zeitung gelesen hat im Hotel, sind wir
Blumen suchen gegangen und da habe ich der Hella alles erzählt
vom Freitag. Sie war einfach sprachlos, umsomehr als sie das von
der Mad doch nicht weiß, vom Ausziehen nämlich. Sie
wird auch nicht heiraten, denn das ist zu unangenehm, nein gräß-
lich. — Der Doktor sagte noch: Das ewige Lernen ist Gift für
junge Mädchen in der Entwicklung. Wenn er erst wüßte,
was wir gesehen haben. Die Hella ärgert sich riesig, daß sie nicht
dabei war. Sie soll lieber froh sein, den Anblick verlange ich
mir kein zweitesmal und ich vergesse ihn auch mein ganzes
Lebenlang nicht ; da war ja das im Haustor nichts dagegen. Und
dann machte die Hella noch Witze und sagt: „Denk dir, wenn
es der Viktor gewesen wäre." „Hör auf, hör auf", schreie ich, und
der Papa glaubt wir streiten und sagt: „Was, ihr zwei habt auch
Meinungsdifferenzen großen Stils?" Wenn er das gewußt hätte! ! !
Der Oswald ist seit Freitag abends hier, um V2 11 Uhr ist er
gekommen. Aber gestern ging er nicht mit auf die Partie, obwohl
der Papa es gern gesehen hätte ; er sagte, es ist ihm viel zu fad,
mit zwei solchen „Halberten" zu gehen; d. h. soll nämlich heißen,
daß wir ihm nicht groß genug sind, und ist eine namenlose
Frechheit; besonders gegen die Hella. Sie hat gesagt, sie wird
ihn einfach ignorieren. Ich als Schwester kann das nicht tun,
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aber ich werde mich hüten, ihm alles zu holen und zu bringen,
was er will. Beleidigen darf einer auch seine Schwester nicht.
Jetzt gerade sagt die Dora zu mir : Es ist gräßlich, daß man
so etwas (nämlich das gewisse ! J 1 ) ertragen muß,
wenn man verheiratet ist. Die Resi hat ihr schon früher einmal
erzählt von den zwei und daß nur die Juden das so machen.
Also die anderen Leute ziehen sich sicher nicht ganz aus und es ist
vielleicht auch sonst anders, nämlich ! ! Aber die Mad
hat es doch auch so angedeutet, nur nichts vom Erdrücken;
aber eben das ist die Grausamkeit der Juden infolge
Ich fürchte mich jeden Abend, daß ich davon die ganze Nacht
träume und die Dora hat auch schon geträumt davon. Sie
sagt, überhaupt wenn sie die Augen zumacht, sieht sie alles haar-
klein vor sich.
4. Juni : Jetzt verstehen wir auch, was der Papa meinte,
wie er neulich vom Dr. Diller und seiner Frau sagte: „Aber die
zwei passen ja gar nicht zusammen." Ich glaubte damals, weil es
wirklich lächerlich aussieht, wenn eine so kleine Dame mit einem
so großen, starken Herrn eingehängt geht. Aber das ist nur die
Nebensache ; die Hauptsache ist eben ganz etwas anderes ! ! ! !
ich und die Hella schauen jetzt alle Leute, die per Arm gehen,
daraufhin an und wir haben beim Nachhausegehen jetzt immer
einen Riesenspaß, so daß wir gar nicht aus dem Lachen heraus-
kommen. Obwohl es eigentlich gar nicht zum Lachen ist, besonders
für die Frau.
5. Juni: Heute vormittags war die Mama mit der Dora bei
Hofrat R. Abschiedsbesuch zu machen, aber es war niemand
zuhaus, d. h. sie, die Frau Hofrätin war bestimmt zuhaus, aber
sie ließ sich verleugnen, weil sie sehr beleidigt sind über unsern
Papa. Nachmittags hatten wir, die Dora und ich, noch Verschie-
denes zu besorgen und da trafen wir mit dem Viktor zusammen,
absichtlich natürlich. Die Dora war dann ganz verweint ; sie sind
in die Minoritenkirche gegangen und ich bin derweil auf dem
Kohlmarkt herumgegangen und in der Herrengasse. Er reist nach
Amerika, Anfangs Juli, wo die Dora noch nicht zurück ist. Er hat
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ihr ein sehr feines Briefpapier mit seinen Aufschlägen gemalt
gegeben, auf dem sie nur ihm allein schreiben darf und ein Medai-
lon mit seinem Bild. Und sie schickt ihm morgen durch mich
ihre Photographie. Ich freue mich schon. Überhaupt ist die Dora
seit neulich viel netter zur mir.
6. Juni : Also heute in der Frühe sind die Mama und die
Dora abgereist. Da die Mama noch nie für länger von uns
weggefahren ist, habe ich sehr geweint und sie auch. Die Dora
hat auch geweint, aber ich weiß schon, wegen wem. Jetzt sind
der Papa und ich allein. Er sagte zu mir zu Mittag: Meine kleine
Hausfrau. Das ist doch entzückend. Es ist leider so still bei uns,
weil zwei Personen doch nicht soviel reden wie vier. Es ist bei-
nahe unheimlich. Ich habe heute mit der Resi Verschiedenes
wegen neulich gesprochen. Das Ärgste finde ich nämlich, daß
man von ihm die ganze Hinterfacon sah, das ist direkt infam ;
die Dora sagte neulich auch, daß sie das niederträchtig findet.
Und die Resi sagte, wenigstens sollen sie die Jalousien herunter-
lassen, damit man nicht hineinsehen kann, das tun anständige
Leute. Also anständige Leute ziehen sich überhaupt nicht
ganz aus oder decken sich wenigstens anständiger Weise zu.
Dann erzählte mir die Resi noch Verschiedenes von dem Bank-
beamten vis-ä-vis und seiner Frau, d. h. nicht — Frau. Ob
ihre Eltern etwas ahnen davon und was sie sagt, daß sie nicht
zuhause wohnt. Sie ist keine Jüdin, nur er ist ein Jude. Die Resi
hat sich gewunden vor lauter Lachen, weil ich sagte: „Ah, und
deshalb verlangt er, daß sie sich beide ganz ausziehen, während
sich sonst nur die Frau nackt ausziehen muß." Sie hat ja neulich
selber gesagt, s o ist es nur bei Juden und heute lacht sie, als
ob ich den ärgsten Blödsinn reden würde. Sie weiß es ganz ein-
fach selber nicht genau und das bemäntelt sie mit dem
Gelächter, weil sie sich doch geniert, erstens daß sie es nicht
weiß und dann sicher auch, weil eigentlich sie angefangen hat,
davon zu reden. Das eine wundert mich, daß ich nie etwas
träume davon. Ich möchte wissen, ob die Dora wirklich nie
träumt davon, oder ob sie nur so tut. Also, daß die Hella vor-
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gestern davon geträumt hat, das ist entschieden etwas aufge-
schnitten, da sie ja gar nicht dabei war. Sie sagt, das war ein
Glück, denn sie hätte aufgeschrien vor Lachen. Na, ich glaub,
bei — dem Anblick wäre auch ihr das Lachen vergangen.
7. Juni : Nach dem Essen ist es mir greulich fad und abends
vor dem Schlafengehen, besonders da wir, die Dora und ich, in
dem heurigen Jahr, seit der Geschichte unter dem Haustor immer
etwas miteinander zu reden hatten. Das geht mir sehr ab. Es
wäre doch sehr gut, wenn die Hella zu uns kommen dürfte auf
die 4 Wochen. Aber das will sie doch auch nicht. Heute hat der
Papa noch zu arbeiten und da bin ich jetzt allein und da möchte
ich am liebsten weinen.
9. Juni : Gerade wie ich vorgestern so traurig war, kommt
die Resi mein Bett herrichten und da reden wir von dem Ehe-
paar vis ä vis und da erzählt sie mir gräßliche Sachen, von einem
jungen Ehepaar, bei dem sie einmal war und wo sie wegging,
weil immer beide zugleich ins Bad gingen ; sie sagt, da ist
bestimmt etwas vorgefallen. Und dann erzählte sie mir von
einem alten Herrn, der mit ihr etwas anfangen wollte; aber, sie
wollte natürlich nicht; übrigens war er ohnehin verheiratet und
ein Dienstmädchen hätte er doch auf keinen Fall geheiratet, denn
er war ein Regierungsrat. Und gestern hat der Papa gesagt:
Du mein armes Hexerl, du bist jetzt so einsam; aber schau, die
Resi ist keine Gesellschaft für dich; wenn du plauschen willst,
so komme nur zu mir. Und da war ich sehr dumm, ich fing
schrecklich zu weinen an und sagte: „Papa, ich bitt dich, sei
nicht böse, ich werde überhaupt nie mehr von solchen Sachen
reden und nicht mehr dran denken." Und der Papa wußte zuerst
gar nicht, was ich meinte, aber dann muß es ihm doch eingefallen
sein, denn er war so furchtbar lieb und sagte: „Nein, Gretel,
verdirb dir deine Jugend nicht mit solchen Zeug und wenn du
dich in etwas nicht zurechtfindest, dann frag die Mama, aber
nicht die Dienstboten, ein Mädchen aus gutem Haus muß auf
sich halten. Versprich mir das." Und dabei nahm er mich, obwohl
ich doch schon so groß bin, auf den Schoß, wie ein kleines Kind,
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und streichelte mich, weil ich so weinte. „Sei ruhig, mein kleines
Mauserl, du sollst mir nicht auch so nervös werden wie die Dora.
Gib mir ein rechtes Kinderbusserl und jetzt gehe ich mit dir in
Euer Zimmer und bleibe bei dir, bis du schläfst." Natürlich
schlief ich absichtlich sehr lange nicht ein, bis */ 4 ii Uhr.
Und dann träumte mir, daß der Papa im Bett der Dora liege,
so daß ich in der Frühe, wie ich aufwachte, wirklich hinüber-
schaute, ob es nicht am Ende wahr ist und er sich in ihr Bett
gelegt hat. Aber natürlich habe ich es bloß geträumt.
12. Juni: Morgen ist großer Schulausflug; ich freue mich
riesig, einen ganzen Tag mit der Frau Dr. M., und noch dazu
ohne Lernen. Wir gehen aufs Eiserne Tor. Voriges Jahr war
kein großer Ausflug, weil die IV. nicht auf den Anninger wollte,
sondern auf den Hochschneeberg und das wollte die Frau
Direktorin nicht.
13. Juni: Es war herrlich auf dem Ausflug. Die Hella und
ich sind den ganzen Tag bei der Frau Dr. M. gewesen; die
Franke hat dann am Nachmittag gesagt : Ich bitt Euch, was pickt
ihr denn so an der Frau Dr.? Man kann ja kein vernünftiges
Wort mit Euch reden. Und da gingen wir dann ein großes Stück
durch den Wald mit der Franke und sie erzählte uns von einem
Burschen, der jetzt in der VIII. geht und rasend in sie verliebt
ist. Alle Burschen sind nämlich in sie verliebt, behauptet sie.
Also, daß hat uns wenig interessiert, aber dann hat sie uns erzählt,
daß die Frau Dr. M. heimlich verlobt ist mit einem Professor
in Leipzig oder einer andern Stadt in Deutschland. Ihre Kusine
ist die Modistin der Frau Dr. und sie weiß es ganz bestimmt.
Ihre Eltern sind dagegen, weil er ein Jude ist, aber sie liebt ihn
rasend und er sie auch und sie werden doch heiraten. Und da
fragten wir die Franke, da sie ja auch eine Jüdin ist, ob das
alles wahr ist, was die Mali, die wir damals hatten, wie die Resi
im Spital war, von den Juden gesagt hatte. Und die Franke:
„Wohl ist es wahr; das kann ich euch in jedem Punkte bestätigen.
Aber das ist nicht so schrecklich mit der Grausamkeit, jeder
Mann ist grausam, besonders in diesem Fall." Da hat sie wohl
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recht, aber es ist doch entsetzlich zu denken, daß gerade die
schöne, feine Frau Dr. M. einen grausamen Mann bekommen soll.
Die Hella meinte, wenn es i h r recht ist, so brauche ich mich
auch nicht aufregen. Aber vielleicht weiß sie nicht, daß
Wie wir dann aus dem Wald kamen, sagt der Herr Religions-
professor, der die Frau Dr. M . riesig gern hat: „Frau Dr.
Sie haben ja Ihre zwei Trabanten verloren!" und alle lachten
riesig, weil wir gerade wieder da waren. Der Papa holte mich
und die Hella zusammen ab und weil es schon bald 11 Uhr war,
so blieb die Hella bei uns über Nacht. Das war sehr nett, nur
war mir auch gleichzeitig leid, daß ich dem Papa nichts mehr
erzählen konnte. In der Frühe beim Aufstehen baben wir uns
gegenseitig angespritzt und furchtbare Dummheiten gemacht, so
daß wir beinahe zu spät in die Schule gekommen wären. Die
Lehrkräfte waren noch so lustig, auch der Prof. Wilke, um den
wir uns den ganzen Tag nicht gekümmert hatten; d. h. er war
erst nachmittag nachgekommen und uns ein Stück über die Haus-
wiese hinaus entgegengekommen. Wir glauben, er ist auch in die
Frau Dr. M , verliebt, denn er ging dann immer mit ihr und
ist wahrscheinlich nur ihretwegen nachgekommen. Sonst war
nämlich kein Professor mit, weil sie ja alle Schule hatten in den
verschiedenen Gymnasien.
14. Juni: Ich bin ganz aufgeregt. Wie wir heute um 9 Uhr
aus der Schule gehen, hören wir auf einmal furchtbar mit dem
Säbel rasseln; d. h. die Hella hörte es, denn die hört so etwas
immer zuerst und sagt : „Oje, da hat's ein O . . . eilig" und
schaut sich um; „du, der Viktor ist hinter uns« und richtig,
derweil grüßt er schon und sagt: Fräulein Rita, darf ich Sie auf
einen Augenblick bitten; pardon, Fräulein Hella. Er nennt mich
immer Rita und daß er den Namen meiner Freundin weiß, zeigt,
was für ein netter feiner Mensch er ist. Die Hella sagt gleich:
„Bitte Herr Oberleutnant, ich werde nicht stören, wenn es sich
um so Wichtiges handelt" und geht auf die andere Seite. Erschaut
ihr nach und sagt: „Ein feines vornehmes Mädchen, Ihre
Freundin." Und dann rückt er mit der Hauptsache heraus. Er
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hat zwar schon 2 Briefe von der Dora, aber keine Antwort auf seinen
Brief, weil sie ihn nicht von der Post abholen kann, nämlich
poste restante. Und nun bat er mich riesig, ich möchte
einen Brief von ihm in meinen einlegen und ihn der Dora
schicken. Weil aber die Mama doch meine Briefe natürlich liest,
so sage ich ihm, das geht nicht so einfach ; aber ich weiß einen
königlichen Ausweg ; ich schreibe zugleich auch an die Mama
und an die Dora, damit sie indessen seinen Brief ruhig
herausnehmen kann. Da war der Viktor sehr glücklich und sagte :
Sie sind ein Genie und eine kleine Intrigantin ersten Ranges,
und küßte mir die Hand. Also das „kleine" hätte er ruhig weg-
lassen können; wenn man so klein ist, ist man wohl keine
Intrigantin. Die Hella ist indessen auf der andern Seite gegangen
und hat gesehen wie er mir die Hand küßte. Und sie behauptet,
ich habe sie durchaus nicht zurückgezogen, sondern wie eine
große Dame hingehalten und im Gelenk gebogen. Sie sagt, so
etwas tun wir Töchter aus feinen Familien instinktiv. Das ist
möglich, denn absichtlich habe ich es bestimmt nicht getan.
Nachmittag schrieb ich gleich die zwei Briefe, das heißt einen
ordentlichen an die Mama und einen kurzen an die Dora, nur
damit von mir etwas dabeiliegt, und trug es selbst auf
die Post.
16. Juni: Jetzt habe ich mich schon so eingewöhnt, daß ich
mit dem Papa allein bin, daß mir gar nichts mehr abgeht. Wir
fahren oft in den Prater oder gehen abends in einen Park
nachtmahlen, die Hella natürlich mit uns. Ich bin schon furcht-
bar neugierig, was die Dora schreibt. Das habe ich neulich ver-
gessen zu schreiben. Ich fragte nämlich den Viktor, ob er
wirklich nach New- York geht. Aber er sagte, keine Idee, das sei
nur ein Schreckschuß von seinem Alten gewesen. So nennt er
nämlich seinen Papa, den Herrn Hofrat. Das finde ich nicht sehr
fein und deswegen kann ihn wahrscheinlich der Papa nicht
leiden. Der Papa kann überhaupt die Offiziere nicht besonders
leiden, mit Ausnahme vom Papa der Hella, aber der ist ja auch
ziemlich alt. Ujeh, das dürfte die Hella wohl nicht lesen, da
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wäre sie wütend; aber ihr Papa ist wirklich mindestens um
4 oder 5 Jahre älter als unser Papa.
17. Juni: Die Frau Dr. M . ist krank, aber wir wissen
nicht, was ihr fehlt. Es war schrecklich öde in der ganzen
Schule. Die Frau Direktorin sublierte und in der Pause waren
wir ohne Inspektion. Wenn sie nur keine Blinddarmentzündung
hat, das wäre gräßlich.
18. Juni: Sie ist noch nicht da. Die Frau Dr. Steiner sagte,
sie hat eine heftige Halsentzündung ; sie wird eine ganze Woche
nicht kommen.
19. Juni: Heute kam ein Brief von der Dora. Ich bin empört.
Kein Wort von meiner Schwesterliebe, nur: „Besten Dank für
kleine Besorgung". Das ist doch unerhört; da ist er doch ganz
anders!! Ich werde es mir jedenfalls merken für die Zukunft. Die
Hella meint, sie hat es aus Vorsicht nur so angedeutet. Aber
das ist nicht wahr, sie weiß sehr gut, daß der Papa nie unsere
Briefe zu lesen verlangt. Aber sie glaubt einfach, das ist ganz
selbstverständlich. Seit gestern bin ich zum erstenmale aus der
Schule zuhaus, seit ich im Lyzeum bin; ich hatte in der Frühe
so stark Halsschmerzen und Kopfweh, daß der Papa nicht er-
laubte, daß ich in die Schule gehe. Über Tag wurde es besser,
aber heute früh war mir wieder schlechter. Ich werde wahr-
scheinlich noch 2 oder 3 Tage zuhause bleiben. Der Papa wollte
den Doktor holen lassen, aber das ist wirklich unnötig.
20. Juni: Heute wollte die Resi beim Aufräumen wieder
Verschiedenes reden, aber ich sagte, ich höre solche Dinge
nicht besonders gern und da bat sie mich riesig, ich möchte nie
der Mama und dem Papa etwas verraten von dem, was sie uns
damals gesagt hat wegen des jungen Ehepaares; sie würde
sofort den Platz verlieren und das wäre ihr schrecklich leid.
21. Juni: Mir zittern noch die Knie, das hätte können einen
schönen Skandal geben; zum Glück hatte der Papa Sitzung.
Um 7 2 7, wie die Hella und ich gerade so miteinander reden,
läutet es zum Telefon. Die Resi war zum Glücke auch etwas
holen und so gehe ich zum Telefon ; und wer ist es? der Viktor 1
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„Er muß mich morgen in der Frühe oder um 1 Uhr sprechen;
er hat heute um 1 Uhr vergebensgewartet". Natürlich, weil ich
doch krank war, d. h. ich noch krank bin. Also morgen muß
ich aber trotzdem in die Schule gehen. Aber wenn der Papa zu-
hause gewesen wäre oder selbst die Resi, die hätte doch was
merken können. Und es wäre furchtbar unangenehm, wenn ich
zu ihr sagen müßte, sie möchte mich nicht verraten. Und wie
die Hella schon keck ist, nimmt sie mir den Schallbecher aus
der Hand und sagt: „Bitte das nie mehr zu tun, das ist ent-
setzlich riskant für meine arme Freundin". Darüber habe ich
mich eigentlich geärgert, aber die Hella sagt, diese Lektion hat
er entschieden verdient.
Morgen gehen wir ins Konzert, da ziehe ich das neue
weiße Kleid an. Es schaut eigentlich doch gut aus, wenn
Schwestern ganz gleich gekleidet gehen. Ich trage jetzt „Schnecken",
der Papa sagt „Kuhfladen" ; aber alle Leute sagen, daß mir diese
Frisur sehr gut steht.
22. Juni: Er war entzückend, wie er auf uns zukam und sagte :
„Wird der reuige Sünder in Gnaden aufgenommen?" und uns jeder
eine prachtvolle Rose gibt. Und dann gab er mir einen Brief und
sagte : „Vor ihrer energischen Freundin brauchen wir ja kein
Geheimnis zu machen, nicht wahr." Eigentlich hatte ich keinen
Brief mehr übernehmen wollen, aber neulich wußte ich nicht recht,
wie ich es sagen sollte, ohne ihn zu beleidigen, da er für der
Dora ihre Frechheit doch nichts kann, und heute wollte ich auch
nichts sagen, 1. wegen der Rosen, und 2. weil die Hella dabei
war. Es kann sich ja ohnehin nur um 2 oder 3mal handeln, da
will ich jetzt nichts mehr sagen. Aber verdienen tut's die Dora
wirklich nicht. Die Franke ist kein feines Mädel. Sie hat uns
neulich gesehen und hat dann am nächsten Tag gefragt : Was für
einen schönen Marssohn habt denn Ihr euch aufgezwickt? Die
Hella sagte gleich : „Gebrauche doch nicht so ordinäre Ausdrücke,
wenn du vom Kusin der Rita sprichst". „So, ein Kusin, also ein
Kusin, das kommt wohl von Kuß, nicht?" Seither sprechen wir
nur das Notwendigste mit der Franke. Gar nicht reden ist zu
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gefährlich, man kann nie wissen ; aber wenig reden, da kann sie
nicht beleidigt sein.
23. Juni : Gestern war der alte Herr Landesschulinsp. da, der
immer in Math, kommt. Der ist so lieb und freundlich, daß immer
alle Kinder alles können; er ist uns lieber als der, der in die
Sprachfächer kommt. Die Verbenowitsch hat sich furchtbar patzig
gemacht, weil er sie sehr gelobt hat. Mein Gott, wie bin ich
schon gelobt worden, aber darauf bilde ich mir wirklich nichts
ein. Gestern war ich übrigens gar nicht dran, weil ich 4 Tage
gefehlt habe. Die Frau Dr. M. ist heute auch wieder gekom-
men. Sie sieht schrecklich blaß und leidend aus, wer weiß, warum ;
daß ist so schade, daß sie auf der Gasse mit niemanden geht,
außer voriges Jahr, wie diese Geschichte mit dem Perlentasch erl
vom Frl. St. war. Aber sonst dankt sie auf den Gruß riesig
freundlich, aber gehen tut sie nie mit einer Schülerin, obwohl
die Verbenowitsch gräßlich zudringlich ist und immer neben ihr
daherrennt.
26. Juni : Es ist wirklich blöd, was für eine entsetzliche Angst
ich jetzt bei der heil. Kommunion habe wegen des Herausfallens
der h. Hostie. Mir war beinahe übel vor Angst. Die Hella sagt,
das muß doch einen Grund haben, ich weiß aber wirklich keinen,
außer daß ich durch das Malheur der Lutter aus der III. noch
mehr Angst habe. Die Hella sagt, ich kann ja zum Protestantis-
mus übertreten, aber das tue ich auf keinen Fall; denn nach
dem Empfang der h. Kommunion fühlt man sich doch so rein und
so viel besser als früher. Aber leider hält es nicht so lange an,
als es sein sollte.
27. Juni: Also die Mama ist wirklich krank. Der Papa hat
es mir gerade vorhin gesagt. Er war so furchtbar nett und sagte :
Wenn Euch nur das Schicksal Eure gute Mutter erhält. Es
geht ihr nicht zum Besten. Da frag ich: Papa, was fehlt denn
eigentlich der Mama? Und der Papa sagt: „Mein liebes Kind,
das ist ein heimtückisches Leiden, das sich schon lange vor-
bereitet hat und dann plötzlich einmal zum Ausbruch kommt."
„Muß sie sich also wirklich operieren lassen?" „Hoffen wir, daß
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das zu vermeiden ist. Aber ein Jammer ist es und bleibt es, daß
die arme Mama krank ist." Und weil der Papa förmlich schlecht
aussieht, wie er das sagt, so habe ich ihn getröstet und gesagt:
„Die Moorbäder müssen sie doch gesund machen, wozu nimmt
sie sie denn sonst?" Und der Papa sagt : „Ja, mein liebes Kind,
wir wollen das Beste hoffen." Und dann haben wir noch lange
miteinander geredet, daß die Mama sich riesig schonen muß und
daß im Herbst vielleicht die Tante Dora zu uns kommt, die Wirt-
schaft zu führen. Und da fragte ich den Papa, „Ist es wahr, daß
du die Tante Dora nicht besonders leiden kannst ?" Aber der Papa
sagte: „Keine Idee, wer hat denn dir das in den Kopf gesetzt?"
Und da sag' ich: „Aber die Mama hast du doch viel lieber?"
Da lachte der Papa und sagte: „Du Kindskopf, natürlich, sonst
hätte ich die Tante Dora geheiratet und nicht die Mama". Ich hätte
so riesig gern noch manches gewußt, aber das konnte ich doch
den Papa nicht fragen, leider. Die Dora fehlt mir wirklich, beson-
ders am Abend.
2. Juli: Heute habe ich mich riesig geärgert in der Schule.
Der Prof. W . . . . , der Verräter, war heute nicht da, weil er im
Gymnasium h. Beichte und Kommunion hatte und die Frau
Direktorin wußte nichts davon und so war niemand zum sublieren
da. Da sublierte der Herr Religionsprofessor, der wegen des
Unterschreibens der Zeugnisse früher gekommen war. Weil aber
die Jüdinnen auch da waren, so war natürlich keine Religions-
stunde, sondern der H. Rel.-Prof. plauderte mit uns. Er fragte
jede, wo sie im Sommer hingeht und wie ich sage, nach Rodaun,
sagt die Weinberger: Gott, nur nach Rodaun? und ein paar
andere Mädchen sagen auch gleich : Nur nach Rodaun ; da fährt
man ja nur mit der Dampftramway. Ich habe mich furchtbar
geniert, weil wir doch sonst meistens nach Tirol oder Steiermaik
gefahren sind ; das habe ich auch gleich gesagt und da sagt die
Franke : Voriges Jahr wart Ihr, glaube ich, auch nur ganz in der
Nähe von Wien, mir scheint in Hain .... und dann setzt sie
ab und tut so, als ob sie noch nie etwas von Hainfeld gehört
hätte. Das ist doch eine Falschheit ; aber ich weiß, sie ist empört,
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weil wir nichts mit ihr reden seit damals vom K u s s i n ! Und
jetzt sieht man, was eine echte Freundschaft ist. Während ich
mich noch riesig ärgere, sagt die Hella: Die Mama der Rita ist
derzeit imWeltkurortFranzensbadjsieist nämlich leidend
und da muß dann auch jede Woche wenigstens einmal Prof. Seh . . .
hinkommen. Und der Herr Rel.-Prof. ist auch sehr lieb und
sagt: In Rodaun ist es reizend schön und es hat eine prächtige
Luft; das wird deiner Mama gewiß sehr gut tun, und das ist
doch die Hauptsache, nicht wahr, Kinder. Der liebe Gott erhalte
Euch nur recht lange Eure Eltern. Und wie der Herr Rel.-Prof. das
sagt, so fängt die Lampel, deren Mama heuer im Winter gestorben
ist, furchtbar zu weinen an, und ich auch, weil ich an mein
Gespräch mit dem Papa dachte. Die Weinberger und die Franke
haben aber geglaubt, ich weine, weil ich mich ärgere, daß wir
bloß nach Rodaun gehen. Und in der Pause sagte die Franke:
Das ist doch keine Schande, wenn man nur nach Rodaun geht,
deswegen braucht man nicht zu weinen. Aber die Hella sagte:
„Ich bitte dich, die Lainer können überall hingehen, die sind so
vermögend, daß mancher sie beneiden könnte. Übrigens ist ihre
Mama und ihre Schwester jetzt in Franzensbad, wo es riesig
teuer ist und in Rodaun haben sie eine ganze Villa gemietet.
Und geweint hat die Rita aus Kränkung wegen ihrer Mama,
aber nicht wegen dir". Natürlich reden wir jetzt kein Wort mehr
mit der Franke. Die Mama wollte es ohnedies nicht, sie hat
ihr sehr mißfallen, als sie sie voriges Jahr kennen lernte.
In solchen Dingen hat die Mama wirklich immer das richtige
Vorgefühl.
6. Juli: Heute ist Schulschluß gewesen. Ich habe lauter
Sehrgut, mit Ausnahme von — Naturgeschichte natürlich ! das
war nicht anders zu erwarten. Die Prophezeiung der
ich mag den Namen nicht schreiben, war vollkommen richtig.
Der Frau Dr. M. und der Frau Dr. St. haben die meisten
Schülerinnen, die noch da sind, Blumen gebracht zum Abschied.
Und ausnahmsweise sind wir, ich und die Hella, mit der Frau
Dr. M. bis zur Stadtbahn gegangen. Wenn wir ihr die Hand
118
küssen, wird sie immer ganz rot, und wir tun es doch so gern.
Sie macht im Sommer eine Reise nach Deutsch-
land, natürlich; da hätte die Hella eigentlich gar nicht fragen
brauchen; das ist doch selbstverständlich!!!
8. Juli : Heute kommen die Mama und die Dora. Wir holen
sie von der Bahn ab. Ja, richtig, das habe ich ganz vergessen.
Neulich legte mir der Papa ein ganz neues 5 K-Stück unter die
Serviette und wie ich die Serviette wegnehme, fällt es heraus
und da sagte der Papa: Zur teilweisen Tilgung der Unkosten
für den Blumenschmuck des Tisches. Gott, der Papa ist so gut,
die paar Blumen haben doch keine 5 K gekostet, höchstens 3,
denn wenn sie noch sehr schön waren, habe ich nur jeden
2. Tag neue gekauft. Also jetzt kann ich der Mama Rosen
kaufen, viele, und sie entweder auf den Bahnhof mitbringen oder
auf ihren Tisch stellen. Einesteils freue ich mich riesig, daß die
Mama wieder kommt, aber andernteils war ich doch sehr gern
mit dem Papa ganz allein, weil er alles mit mir so besprochen
hat, wie mit der Mama; und das hört jetzt wieder auf.
10. Juli: Die Mama und die Dora schauen großartig aus;
besonders von der Mama freut es mich ; denn jetzt sieht man
deutlich, daß sie wieder ganz gesund ist. Wenn wir nicht schon
die Wohnung in Rodaun hätten, hätten wir ganz gut nach Tirol
fahren können. Denn feiner ist es sicher, das kann man nicht
leugnen. Die Dora schaut ganz fremd aus. Das ist ja eigentlich
lächerlich, in 1 Monat verändert man sich doch nicht, aber sie
schaut wirklich ganz anders aus; sie trägt übrigens eine andere
Frisur, das Haar gescheitelt über die Ohren. Ich habe noch
keine Gelegenheit gehabt, wegen der „kleinen Besorgung" etwas
zu sagen und sie tut überhaupt nichts dergleichen. Sie muß im
Herbst eine Aufnahmsprüfung machen für die VI., weil sie um
1 Monat früher wegging. Der Papa sagt, das ist nur proforma
und sie darf keine Lehrbücher aufs Land mitnehmen. Am 9. ist
die Hella weggefahren, zuerst gehen sie und ihre Mama und
die Lizzi nach Gastein und dann nach Ungarn zu ihrem Onkel.
Ohne Hella ist das Leben öde, viel ärger als ohne die Dora;
119
.
da war's mir nur am Abend manchmal langweilig, beim
Schlafengehen. Die Dora tut übrigens, als ob man sie in
Franzensbad als wie eine Dame gehalten hätte. Das ist gewiß
nicht wahr, denn das sieht man schon, daß sie noch lang keine
ganz große Dame ist.
11. Juli: Ich weiß nicht, was die Dora hat. Wenn sie aus-
geht, geht sie allein und sagt nicht, wann und wohin, und
sonst hat sie auch noch nichts vom Viktor gesprochen. Er muß
doch wissen, daß sie da ist. Morgen fahren wir nach Rodaun,
natürlich nicht mit der Dampftramway, sondern selbstverständlich
mit der Eisenbahn. Und übermorgen, am 13., hat der Oswald
mündlich Matura; er sagt immer Martura, weil die Professoren
einen martern wollen. Er sagt auch, in jeder Klasse ist mindestens
1 oder auch mehrere Streber, so wie bei uns die Verbenowitsch ;
und die korumbieren die Professoren, sagt er, denn durch die
Streber werden die Professoren den anderen Schülern aufsässig.
Also, das kann ja im Gymnasium sein, aber bei uns ist es be-
stimmt nicht so. Denn soviel die Verb. . . . allen Lehrkräften
nachläuft, kann sie doch niemand besonders leiden ; sie bekommt
ihre guten Noten, aber niemand hat sie besonders gern. Die
Mama sagt, der 13. ist ein Unglückstag und wenn nur dem
Oswald nichts passiert. Sie war auch deshalb gestern im Hoch-
amt und nicht in der 9 Uhr Messe wie meistens. Ich habe aber
wirklich nicht dran gedacht, für den Oswald zu beten und ich
glaube, er wird schon auf jeden Fall durchkommen.
13. Juli: Gott sei Dank, der Oswald hat telegraphiert, er ist
durchgekommen, d. h. er hat sein Lieblingswort telegraphiert:
Schluß mit Jubel. Da hat sich die Mama wenigstens nicht auf-
regen brauchen, wie bei der schriftlichen Matura, wo er immer
blöde Witze machte. Er kann aber erst am 17. kommen, da die
Matura-Kneipe erst am 15. ist. Der Papa ist auch riesig froh.
Hier ist es ganz schön ; eine ganze Villa für uns haben wir
natürlich nicht, wie die Hella in der Schule absichtlich auf-
schnitt, sondern eine Wohnung im 1. Stock; im Hochparterre
wohnt eine junge Frau, d. h. ein j unges Eh epaar! ! Das
120
ist auch ein Wort, das ich nicht hören kann, ohne daß ich mich
schütteln muß vor Grausen und Lachen zugleich. Die Resi muß
auch gleich gedacht haben dran, denn sie hat die Dora und
mich sehr angeschaut, wie sie es erzählte. Sie haben übrigens
schon ein Kind, also es ist kein gar so junges Ehepaar mehr.
Der Hausherr, der neben uns wohnt, läßt mir eine Schaukel
machen im Garten. Denn, eine Landwohnung ohne Schaukel
ist gräßlich.
16. Juli: Heute hat endlich die Dora etwas geredet vom
Viktor, aber sehr kühl; es muß etwas gewesen sein. Sie könnte
es mir schon sagen; nach dem, wie ich mich benommen habe,
wäre sie eigentlich dazu verpflichtet. Ich habe ihn seit dem
letzten Brief am 27. Juni nicht mehr gesehen; da muß eben
etwas vorgefa nein, das Wort bedeutet etwas ganz
anderes, es muß etwas gewesen sein, aber was? Die Hella ist
entzückt von Gastein, nur ich fehle ihr, schreibt sie. Das kann
ich voll verstehen, denn sie fehlt mir ebenso. Vor Schluß des
Schuljahres schrieb mir auch die Ada, ob wir heuer nicht nach
H. kommen ; sie hätte mir soviel zu erzählen und s i e
braucht meinen Rat. Ich werde ihr sehr gern raten, aber
ich weiß eben nicht, um was es sich handelt.
18. Juli : Etwas Großartiges, wir sind aber nein, das
muß ich der Reihe nach schreiben. Gestern kam der Oswald, er
ist riesig lustig und hat zur Dora im Spaß gesagt, wenn sie nicht
seine Schwester wäre, würde er sich vielleicht verlieben in sie,
weil sie nämlich so gut ausschaut. Und wie wir bald zum Nacht-
essen gehen sollen, so ruft uns die Mama und ich ärgere mich
noch, wie ich sehe, daß es erst 3 / 4 8 Uhr ist. Da kommt der Papa
herein mit einem Akt, wie er sie immer aus dem Bureau bringt
und sagt: »Mein lieber Oswald und Ihr beiden, ich habe Euch,
spez. dem Oswald eine kleine Freude machen wollen zur
Matura." Aha, denke ich mir, also doch ein großes Los! Da
nimmt der Papa den Akt auseinander und sagt: „Ihr habt Euch
als Kinder oft darüber gekränkt, daß wir nicht auch adelig sind
wie die andern Lainers. Mein Großvater legte den Adel ab, und
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ich habe ihn für dich, Oswald, und auch für Euch wieder er-
worben. Wir heißen jetzt Lainer von Lainsheim wie die Tante
Anna und die Onkels." Der Oswald war ganz starr und ich faßte
mich zuerst und umarmte den Papa. Und vorher sagte er noch:
„Macht dem Namen Ehre." Der Oswald räusperte sich furchtbar
lange und sagte: Meinen Dank, Vater, ich werde den Namen
immer hochhalten, und sie küßten sich. Der Oswald sagt meistens
Vater anstatt Papa; er sagt, das ist unmännlich. Wir waren den
ganzen Abend so feierlich, obwohl die Mama Backhühner hatte
machen lassen und der Papa einen Champagner besorgt hatte.
Ich bin riesig glücklich ; es ist doch herrlich, adelig zu sein. Und
was die Mädchen sagen werden und die Lehrkräfte ! Ich freue
mich riesig darauf. Ich muß es morgen sofort der Hella schreiben.
19. Juli: Das habe ich wunderbar gemacht. Ich wollte doch
nicht so hinschreiben: Wir sind jetzt auch von Adel, so schrieb
ich weiters gar nichts als Deine ewig treue Freundin Rita Lainer
von Lainsheim. Der Resi habe ich es heute in der Frühe gesagt,
aber der Papa zankte zu Mittag und sagte, das war sehr über-
flüssig; aber mir scheint der Adel zu Kopf gestiegen zu sein.
Also, das ist nicht richtig, aber freuen tut sich jedes und die
Dora hat auch auf einen ganzen Bogen Papier ihren Namen
geübt. Der Papa sagt, wir sind deswegen auch nichts anderes
als früher, aber das ist nicht wahr, sonst hätte er sich doch nicht
adeln lassen. Er sagt, der Oswald findet ein leichteres Fort-
kommen, aber das ist es nicht allein. Der Hausherr hat es durch
die Resi erfahren und hat uns nachmittags gratuliert und seine
Frau auch.
20. Juli: Der Oswald bleibt nicht hier, er sagt, es ist ihm
viel zu fad, er macht eine größere Fußtour in die Alpen, auf
den Großglockner und dann in die Karawanken. Er sagt auch
vom Papa „Alter" und das finde ich entsetzlich ordinär. Die
Dora sagt, es ist direkt frivol!!, na also, das bedeutet aller-
dings noch etwas ganz anderes!
24. Juli: Heute ist die Antwort der Hella gekommen; sie
gratuliert mir riesig und dann schreibt sie, zuerst war sie ganz
122
baff und glaubte, ich sei übergeschnappt oder habe einen dummen
Witz gemacht. Aber ihre Mama hat es schon von ihrem Papa
gewußt, weil es schon in der Amtszeitung oder wo gestanden
ist. Nun sind wir beide von Adel und das ist sehr angenehm.
Ich habe mich früher wirklich manchmal geärgert, daß ich nicht
adelig war und sie wohl.
25. Juli : Heute ist der Oswald weggefahren. Er hat vom
Papa 300 K Reisegeld bekommen, und das alles wegen der
Matura. Ich habe gesagt: „Da mach' ich gleich auch Matura" und
der Oswald sagte: „Dazu muß man schon ein bisserl mehr Grütze
im Kopf haben, als ihr Mädeln habt." Das ist eine Frechheit,
die Frau Dr. M. hat doch auch Gymnasialmatura und die
Frau Dr. Steiner hat sie gar extra nachgetragen und die Dora
sagte ganz ruhig: Möglicherweise werde ich dir beweisen, daß
auch deine Schwester das leisten kann ; übrigens sagst du doch
selber immer, hauptsächlich kommt es auf die Frechheit an bei
der Matura. Und da fällt mir auch etwas Köstliches ein und ich
sage: Die Frechheit besitzen wir wohl nicht, aber dafür lernen
wir, wenn wir eine Prüfung machen ! Die Mama wollte uns ver-
söhnen, aber wir ließen uns nicht versöhnen. Und abends sagte
die Dora zu mir: Der Oswald ist wahnsinnig arrogant, obwohl
er eine Menge Genügend hat und gerade nur durchgekommen
ist. Ja richtig, diese Blödheit vom Oswald; gleich nach dem
Telegramm: „Schluß mit Jubel" kommt noch eins, das eigentlich
hätte zuerst kommen sollen, da es 4 Stunden früher aufgegeben
war mit nichts anderem als „Durch". Die Mama regte sich
noch hinterdrein riesig auf, weil sie noch fürchtete, es heiße am
Ende doch durchgefallen und das andere Telegramm sei nur
Galgenhumor gewesen. Solche blöde Witze würde die Dora oder
ich nie machen. Der Papa sagt zwar immer : Auf der Universität
wird sich der Oswald schon die Hörner abstoßen, aber er hat
heute erklärt, er geht nicht auf die Universität, sondern er wird
Bergbau studieren und vielleicht nachher Jus.
29. Juli: Es ist hier greulich fad. Ich weiß gar nicht, was
ich tun soll; den ganzen Tag kann ich unmöglich lesen und
123
schaukeln und die Dora ist wieder so fad wie früher; das heißt
noch fader, denn streiten tut sie nicht, aber reden, das heißt
nämlich vongewissenDingen reden auch nicht. Sie ist nur ganz
vernarrt in den kleinen Buben von der jungen Frau im Hoch-
parterre; 10 Monate ist er alt und ich weiß nicht, was man an
einem solchen kleinen Fratzen hat; sie schleppt ihn herum und
vorgestern hat er sie ganz naß gemacht, das habe ich ihr ver-
gönnt. Denn da hat ihr doch sehr gegraust, denn er hat sie
angem . . . Hoffentlich ist sie jetzt kuriert.
Gott sei Dank! morgen ist mein Geburtstag, das ist doch
eine Abwechslung. Nachmittag gehen wir auf den Parapluie-Berg,
hoffentlich ohne Parapluie. Der Papa kommt schon um 1 Uhr
heraus, damit wir um 2 oder 7 2 3 Uhr weggehen können. Die
Hella hat mir heute eine verspeirbare Kasette für Briefe usw. ! ! !
geschickt, natürlich mit Bonbons gefüllt und einen riesig langen
Brief, wie sie sich unterhält in Gastein. Aber sie bleiben nur
4 Wochen, weil es wahnsinnig teuer ist, eine Semmel 5 Kreuzer
und 1 Flasche Bier eine Krone. Und die Semmeln so klein, daß
man zum Frühstück und zur Jause eigentlich immer drei essen
könnte. Aber im Hotel ist es großartig elegant, mehrere Grooms ;
dann sind riesig viele Amerikaner und Engländer und sogar eine
Konsulsfamilie aus Sidney in Australien dort. — Ich spiele fast
den ganzen Tag mit zwei jungen Dackeln, die Max und Moritz
heißen, obwohl eines natürlich ein Weibchen ist. Das soll man
eigentlich nicht niederschreiben, denn es heißt etwas, nämlich in
der Nebenbedeutung.
124
III. Jahr.
(Von 13—14 Jahren.)
31. Juli: Gestern war mein Geburtstag, der dreizehnte. Von
der Mama bekam ich eine Radio-Uhr, wie ich sie mir für den
Nachtkasten wünschte, mit selbstleuchtendem Zifferblatt. Das
ist natürlich hauptsächlich für den Winter für die langen Nächte;
gestickte hohe Halskragen ; vom Papa das Tagebuch eines bösen
Buben, das eine Wärterin der Hella borgte, während sie im San.
war; es ist so köstlich, aber der Papa findet es blöd, weil ein
Bub unmöglich das alles anstellen kann, ein neues Racket mit
einer ledernen Rackettasche hochelegant, von Sirk, und Tennis-
bälle, von derDora. Billets de Corr., mondlichtfarben mit Silber-
ecken. Die Großeltern schickten einen Korb Kirschen, Weichsein
und einen Johannisbeeren und Erdbeeren; die letzteren nur für
mich zum Geburtstag. Von der Tante Dora bekam ich drei
Krawatten aus Berlin für Winterblusen. Nachmittags waren wir
auf dem Par.-Berg, es wäre ganz lustig gewesen, wenn die Mama
auch mitgehen hätte können, oder wenn die Hella da wäre.
1. August: Heute kam ein Brief von der Ada; sie gratuliert
mir zum Geburtstag, da sie glaubt, er ist am 1. August und dann
kommt das Wichtigste. Sie ist furchtbar unglücklich. Sie will aus
den engen Verhältnissen ihrer Familie heraus, schreibt sie, sie
hält es in der dumpfen Atmosphäre ihres Hauses
nicht aus. Sie war in St. P. . . . bei dem Schauspieler, den sie
so verehrt, und er hat sie geprüft und gesagt, sie hat entschieden
schauspielerisches Talent; er würde sie ausbilden, aber nur mit
Einwilligung ihrer Eltern. Aber die bekommt sie natürlich nie.
Sie schreibt, sie ist infolgedessen so nervös, daß sie den ganzen
Tag weinen oder toben möchte, kurz sie hält ein solches ödes
Leben nicht länger aus. Ich bin ihre einzige Hilfe. Sie möchte,
daß ich zu ihnen komme und noch lieber, daß sie zu uns kommen
127
könnte auf 2 oder 3 Wochen und da würde sie meiner Mama
alles vorstellen und erklären, und dann möchte sie auf 1 Jahr
zu uns nach Wien kommen ; der Herr G., der Schauspieler, soll
nämlich im Herbst ins Raimundtheater kommen und da würde
er sie unterrichten. Zum Schluß schreibt sie, sie überläßt es
meiner Klugheit, und meinem Takt, sie zum glücklichsten Geschöpf
unter der Sonne zu machen! Ich weiß nicht recht, was ich machen
soll. Jedenfalls habe ich schon die Einleitung gemacht; es sei
mir so schrecklich fad, wenn nur die Hella da wäre oder wenig-
stens die Ada, oder sogar die Marina. Da sagte die Mama: die
Marina ist doch in Feld in Kärnten und die Ada wird kaum her-
kommen können. Dem Papa tut es auch sehr leid, daß ich mich
so langweile und so sagte er beim Nachtessen: Möchtest du
wirklich, daß die Ada herkommt; sie paßt ja im Alter eigentlich
viel mehr zur Dora. Aber ich weiß, ihr zwei habt euch im Vor-
jahr besser vertragen. Und dann sagt er zur Mama: Sag Berta,
geniert es dich, wenn die Ada kommt? Und die Mama sagt,
„Aber keine Spur; wenn es der Gretel eine Freude macht; sie
ist ja ohnehin leer ausgegangen, die Dora war mit mir in Franzens-
bad und der Oswald macht seine schöne Reise, nur unser Kleines
hat nichts für sich bekommen ; also willst du, Gretel?" „Natürlich
Mama, will ich, ich schreibe sofort; ich habe kein Vergnügen
dran, den kleinen Balg herumzuschleppen wie die Dora und so
großartig das Tagebuch eines bösen Buben ist, so kann ich doch
nicht den ganzen Tag lesen." Also ich schreib' der Ada sofort,
so als ob ich es durchaus wollte, daß sie kommt. Ich bin über-
glücklich, wenn alles gelingt und die Ada wirklich einmal eine
so große Schauspielerin wird, wie die Mama es immer von der
Wolter sagt, dann habe ich etwas dazu beigetragen, daß Wien
eine große Künstlerin hat und daß die Ada aus dem unglück-
lichsten Geschöpf das glücklichste geworden ist.
2. August: Ich habe der Ada nichts davon geschrieben, daß
wir geadelt, od. wie die Dora sagt renobiliert, da die Familie
ja längst adelig ist, also renobiliert worden sind; sie erfährt es
noch immer früh genug, wenn sie zu uns kommt. Die Mama
128
1
sagt immer: Nur nicht protzen, und am wenigsten mit etwas,
was man sich nicht einmal selber verdient hat. Also, das ist
nicht ganz richtig, denn wenn der Papa nicht so hohe Verdienste
um die Gesetze oder die Verwaltung hätte, wo er vor 2 Jahren
die ganzen Nächte geschrieben hat, wäre er vielleicht nicht renobi-
liert worden. Ich sehe übrigens nicht ein, warum die Eltern
daraus so ein Geheimnis machen mußten im verflossenen Winter.
Das hätten wir doch ruhig erfahren können. Aber wahrscheinlich
wollte uns der Papa eine rechte Überraschung machen. Und das
ist ihm gelungen; das Gesicht von der Dora und wie sich der
Oswald geräuspert hat!! Was für ein Gesicht ich eigentlich ge-
macht habe, darauf hat gar niemand achtgegeben, wie mir scheint.
3. August: Also jetzt weiß ich, warum die Dora so anders
ist zu mir als früher, d. h. warum sie wieder so ist, wie eben
früher, vor dem heurigen Winter. Sie hat an der Mama eine
wahre Freundin gefunden während der 4 Wochen in Fr.!
Ich brachte heute das Gespräch auf den Viktor und da sagte sie
zuerst nur: Ich korrespondiere nicht mehr mit ihm. Und wie ich
frage: „Habt Ihr Euch gezankt und wer ist Schuld daran?" Da
sagt sie: „0, nein, ich habe ihm abgeschrieben". .Wieso
abgeschrieben, er geht doch gar nicht nach Amerika?" Da sagt
sie: »Also liebe Rita, damit wir ins Reine kommen; ich habe
ihn auf den berechtigten Wunsch unserer Mutter aufgegeben".
Sie sagt jetzt übrigens meistens Mutter statt Mama. Also das
muß ich sagen, ich habe die Mama wirklich sehr, sehr gern,
aber als Freundin kann ich sie mir nicht vorstellen. Wie kann
man denn mit seiner eigenen Mutter eine wahre Freundschaft
haben ? Die Dora muß wirklich keinen Begriff davon haben, was
eine wahre Freundschaft bedeutet. Zu seiner Mama kann
man doch unmöglich von gewissen Dingen sprechen, ich könnte
nicht einmal fragen: Weißt du, was das heißt, es ist etwas
vorgefallen oder passiert? Und überhaupt, es ist die Frage,
ob sie es wirklich weiß. Denn wie sie 13 oder 15, 16 Jahre war,
hat man vielleicht ganz andere Ausdrücke gehabt und die modernen
haben möglicher Weise damals gar nichts bedeutet. Und wie
9 129
näßt es denn zu einer Freundschaft, daß dann die Mama doch
zur Dora sagt: Jetzt darist du nicht weggehen, das Gewitter
kann jeden Moment losbrechen, und neulich abends: Dora, du
mußt den Shawl mitnehmen. Eine Freundschaft zwischen einer
Mutter und einer Tochter gibt es absolut nicht, sowenig wie
tischen einem Vater und seinem Sohn. Da dürfte vor allen
anderen nichts mehr befohlen und verboten werden und dann
das noch viel wichtigere, daß man absolut nicht alles reden kann
was man gerade möchte. Ich habe dann am Abend nur noch
gesagt: „Natürlich hat dir die Mama verboten, mit mir von ge-
wissen Dingen zu reden; und das nennst ^. ei " e F + reu " d "
schaft?« Da sagte sie ganz sanft: „Nein, Rita, die Mutter hat
mir nichts verboten, aber ich sehe ein, es war unüberlegt ^yon
mir, mit dir über diese Dinge zu sprechen ; man lernt den Ernst
des Lebens früh genug kennen.- Da lachte ich heilaut und sagte:
Das nennst du den Ernst des Lebens; weißt du nicht mehr,
wie köstlich wir uns dabei unterhalten haben? Mir scheint, dein
Gedächtnis hat gelitten in den Moorbädern." Drauf gab sie keine
Antwort. Wenn nur wenigstens die Ada käme. Denn jetzt brauche
ich sie ebenso wie sie mich.
4. August: Also Gott sei Dank, die Ada kommt, aber leider
erst am 8., weil sie am 5. Wäsche haben und da könnte niemand
mit ihr herfahren. Ich bin riesig froh, nur tut mir leid, daß sie
im Kabinett schläft und nicht lieber die Dora. Aber die Mama
sagt, wir Schwestern sollen nur beisammen bleiben und die Ada
kann die Tür ins Speiszimmer offen lassen, damit sie sich nicht
am Ende fürchtet.
7. August: Die Tage ziehen sich endlos. Die Dora ist so
sanft und mild wie eine Klosterschwester, aber sie redet auch
so wenig zu mir wie eine Nonne, und ist immer mit der Mama
zusammen. Die zwei Dackeln sind nach Neulengbach verkauft
und so ist es jetzt greulich fad für mich. Gott sei Dank, morgen
kommt die Ada. Wir holen sie von der Bahn ab um 6 Uhr, der
Papa und ich. _. . ,
8. August : Nur schnell ein paar Worte. Die Ada ist um
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mehr als einen Kopf größer als ich; der Papa sagte: Ja, du
Langinus, wo wächst du noch hin ? Oder muß ich jetzt S i e sagen ?
Und die Ada sagte : »Aber nein, Herr Oberlandesgerichtsrat, sagen
Sie nur Du, ich bin so glücklich, daß ich hier bin bei Ihnen."
Und ihre Mama sagte: Ja, sie ist überall glücklicher als zu
Haus, leider: „so ist die moderne Jugend." Der Papa
half der Ada und sagte: »Gnädige Frau, in uns hat's auch ein-
mal gegährt und geschäumt, aber es ist schon lange her, daß
wir es schon vergessen haben." Und da seufzte die Frau Dr. H.
absichtlich so lang und tief, als ob sie ersticken müßte, und die
Ada nahm mich beim Arm und sagte leise: »Hast du jetzt
einen Begriff von meinem Leben?" Ihre Mama bleibt heute
über Nacht bei uns und lamentierte den ganzen Abend über
alles Mögliche (so sagte nämlich die Ada vorm Schlafengehen);
aber ich habe gar nicht so darauf geachtet, denn ich brenne
schon vor Neugierde auf das, was mir die Ada zu sagen hat.
Also morgen, gleich nach dem Frühstück.
12. August: Ich konnte drei Tage nicht schreiben, so viel
erzählte mir die Ada. Ohne Kunst kann und will sie nicht
leben, eher geht sie durch, bevor sie verzichtet. Jetzt hat
sie noch ein Jahr Fortbildungsschule zu machen und dann den
Französischen Kurs für die Staatsprüfung oder den Handarbeits-
kurs. Aber sie möchte das alles in Wien machen, damit sie
nebenbei für das Theater studieren kann bei dem H. G. Sie sagt,
sie ist gar nicht mehr in ihn verliebt, er ist ihr bloß Mittel
zum Zweck. Sie würde alles opfern, um ihr Ziel zu erreichen.
Erst verstand ich das alles gar nicht, aber sie sagte mir dann,
was das heißt. Sie hat den Roman Elisabeth Kött von Bartsch
gelesen, den auch die Mama hat, und noch viele andere Künstler-
romane und überall steht, daß erst eine großeLiebedieFrau
zur wahren Künstlerin macht. Etwas kann schon daran
sein. Denn anders wird man wirklich durch eine große
Liebe; das habe ich deutlich an der Dora gesehen; wie sie
so wahnsinnig vernarrt war in den Viktor, und wie sie jetzt
wieder!! ist. Sie lernt auch wieder Latein, um alles Versäumte
* 131
nachzuholen ! Mit ihr spricht die Ada nicht von ihren Plänen,
weil derDora das rieh tige Verständnis fehlt! Nur heute
erwähnte sie vor ihr, daß sie um jeden Preis im Herbst nach
Wien kommen möchte, damit sie recht oft ins Theater gehen
könnte. Und die Dora sagte, Gott, du irrst dich, wenn man auch
in Wien ist, gar so oft kommt man nicht ins Theater ; denn
erstens hat man nur wenig Zeit und zweitens bekommt man sehr
oft keine Sitze; in der Provinz denkt man sich das alles viel
schöner, als es wirklich ist.
14. August: Nur schnell ein paar Worte. Heute, während
die Ada im Bad war, sagte die Mama zu uns beiden: „Kinder,
ich habe Euch etwas zu sagen; ich möchte nicht, daß Ihr recht
erschreckt in der Nacht. Die Mama der Ada sagte mir, daß die
Ada sehr nervös ist und manchmal im Schlaf aufsteht, ohne daß
sie es weiß." „Gott", sag ich, „das ist furchtbar interessant, da ist
sie ja m o n d s ü c h t i g ; das wird immer beim Vollmond sein." Da
sagt die Mama: „Ja aber Gretel, sag nur, woher weißt du alle
diese Sachen? Hat dir die Ada schon davon erzählt?" „O nein,
sag ich, die Franke haben ein mondsüchtiges Stubenmädchen
gehabt und die hat es der Hella und mir erzählt." Und jetzt
fällt mir gerade ein, daß die Mama sagt: Woher, weißt du alle
diese Sachen? Also muß das davon abhängen. Ob ich die
Ada fragen könnte oder ob sie am Ende beleidigt wäre. Ich bin
furchtbar neugierig, ob sie bei uns mondsüchtig wird.
15. August: Heute hat mir die Hella geantwortet auf das,
was ich ihr wegen der Freundschaft zwischen der Dora und
der Mama schrieb. Sie glaubt es natürlich auch nicht, daß die
Dora deswegen dem Viktor abgeschrieben hat, denn das
ist doch kein Grund. Die Lizzi hatte nie eine besondere Freund-
schaft mit ihrer Mama und die Hella schreibt, sie könnte es
auch gar nicht begreifen; ich habe ganz Recht, man hat die
Eltern sehr gern, aber von einer Freundschaft kann doch
keine Rede sein. Und sie würde es sich auch sehr ausbitten,
wenn ich auf einmal so die Freundschaft wechseln wollte. Die
Dora wird wohl nie eine wahre Freundschaft gehabt haben und
132
darum ist sie jetzt auf die Mama angewiesen. Die Brückners
kommen schon am 19. zurück, weil es in Gastein so furchtbar teuer
ist. Wahrscheinlich fahren sie dann nach Ungarn zu ihrem Onkel
oder nach Fieberbrunn in Tirol. Ich habe der Hella zum Namens-
tag das Tagebuch eines bösen Buben geschickt, weil sie es sich auch
wünschte. Jetzt haben wir es beide und können einander immer
die besten Sachen schreiben, damit die andere es auch gleich liest.
20. August: Also heute Nacht ist die Ada richtig aufge-
standen, davon hätten wir wahrscheinlich gar nichts gemerkt, aber
sie hat den Monolog der Jungfrau von Orleans deklamiert und
da sagt die Dora, die ihn sofort erkannte: „Rita, ich bitte dich,
jetzt ist die Ada richtig mondsüchtig geworden." Wir rührten
uns gar nicht und sie ging ins Speiszimmer, aber dort war zu-
gesperrt und der Schlüssel abgezogen, weil es direkt auf den
Gang geht und dann stieß sie an den Streckfauteuil der Mama
und da wachte sie auf. Es war gräßlich. Und dann irrte sie sich
und ging in unser Zimmer anstatt ins Kabinett, aber sie war
schon wach und bat uns vielmals um Entschuldigung und sagte,
sie hätte das Kl. . . gesucht. Dann ging sie in ihr Kabinett. Die
Dora sagte, wir dürfen nichts dergleichen tun, denn offenbar
geniert sich die Ada sehr. Aber keine Idee, nach dem Frühstück
sagte sie: Heut nacht habe ich Euch gräßlich erschreckt; seid
nicht böse, ich muß manchmal aufstehn in der Nacht, es leidet
mich nicht im Bett. Die Mutter sagt immer, ich deklamiere
dabei, ist das wahr? Habe ich etwas geredet? „Ja, sag ich, du
hast den Monolog der J. v. O. deklamiert." „Wirklich", sagt sie,
„ja das kommt daher, weil sie mich nicht zum Theater gehen
lassen; ich werde jedenfalls irrsinnig werden; Ihr wißt dann
wenigstens den wahren Grund." Dieses Nachtwandeln ist ja sehr
interessant, aber mir gruselt's doch ein bißchen vor der Ada und
das ist auch wahr, was die Dora immer gesagt hat: Man weiß
nie, wo die Ada eigentlich hinschaut. Wenn sie wirklich einmal
irrsinnig würde, das wäre entsetzlich. Übrigens fällt mir gerade
ein, daß ihre Mama doch schon einmal in einer Irrenanstalt war.
Wenn sie nur nicht am Ende bei uns irrsinnig wird.
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21. August: Die Mama hat es auch gehört gestern Nacht.
Sie ist froh, daß sie es uns schon vorher gesagt hat und die
Dora sagt, wenn sie es nicht vorher gewußt hätte, hätte sie
wahrscheinlich einen Herzkrampf bekommen. Und der Papa
sagte: „Die Ada ist durch und durch histerisch, das hat sie von
ihrer Mutter". Die Lizzi fährt heuer im Herbst nach England und
bleibt ein ganzes Jahr dort zur Ausbildung. So gern ich die Ada
habe und so leid sie mir tut, ist sie mir doch jetzt unheimlich
und ich bin eigentlich froh, daß sie am Dienstag schon wieder
fortfährt. Heute sagte sie mir etwas Schreckliches : Der Alexander,
das ist nämlich der Schauspieler, ist geschlechtskrank,
weil er früher Offizier war; sie sagt, alle Offiziere sind ge-
schlechtskrank, das ist selbstverständlich. Erst wollte ich mich nicht
verraten, daß ich nicht sehr genau weiß, was einem da eigentlich
fehlt, aber dann fragte ich doch und da sagte die Ada, eben
das' fehle einem, dieser Körperteil wird entweder immer kleiner
und kleiner und ganz zerfressen, oder umgekehrt immer größer,
weil er schrecklich angeschwollen ist; die letztere Art ist nach
die bessere, weil dann eine Operation nützt; ein pensionierter
Oberst, der in H. ein Haus hat, ließ sich daran in Wien
operieren; aber er ist trotzdem nicht gesund geworden. Es gibt
nur eine Rettung, nämlich daß ein junges Mädchen sich einem
geschlechtskranken Mann hingibt! (so sagte auch manchmal
die Mad.), dann bekommt sie die Krankheit und er wird gesund.
Und daran hat die Ada erkannt, daß sie den A . . . nicht wirklich
liebt, sondern nur, weil er sie ausbilden würde; denn das täte
sie nie und sie wüßte auch nicht, wie sie ihm das sagen sollte,
selbst wenn sie wollte. Gewöhnlich verlangt es übrigens der
betreffende Herr. Und wie ich sage : „Denk' dir nur, was tätest
du dann, wenn du davon ein Kind bekämst", da sagt sie: „Keine
Idee, wenn einer geschlechtskrank ist, ist es ausgeschlossen,
das man ein Kind bekommt. Und dann mußt du wissen, daß
erst ein Kind einem die volle Weihe zur Künst-
lerin gibt." Also so etwas Ähnliches hat uns, der Hella und
mir, auch die Franke gesagt, deren Kusine beim Theater ist;
134
aber wir haben gedacht, die ist nur im Theater an der Wien,
und da ist das schon möglich ; aber in der Burg und in der
Oper und selbst im deutschen Volkstheater wird das wahrschein-
lich gar nicht sein dürfen. Ich erzählte das der Ada und die
sagte : Gott, ich bin nur eine Provinzlerin, aber das weiß ich
schon längst, daß jede Schauspielerin ein Kind hat.
23. Die Ada ist wirklich die geborene Künstlerin, sie hat
uns heute ein Stück aus einem großartigen Roman vorgelesen,
aber wie! selbst die Dora sagt: „Ada, du bist phenommenal 1"
Da schleuderte sie das Buch weg und weinte und schluchzte schreck-
lich und sagte : „Meine Eltern versündigen sich an ihrem eigenen
Fleisch und Blut; aber sie werden es bereuen. Wißt Ihr noch,
was die alte Zigeunerin mir voriges Jahr prophezeite: „Eine
große, aber kurze Zukunft, nach langen schweren Kämpfen;
und meine Lebenslinie ist geknickt!" Das wird alles so ein-
treffen und meine Mutter kann dann das schöne Gedicht von
Freiligrath oder Anastasius Grün oder von wem es ist, dekla-
mieren. „0 lieb', so lang du lieben kannst, O lieb', so lang du
lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, wo du
an Gräbern stehst und klagst." Und dann deklamierte die Ada
das ganze Gedicht und wenn ich mich abends niederlege, muß
ich immer daran denken und kann nicht einschlafen.
24. August: Heute habe ich die Ada doch gefragt wegen
der Mondsucht und sie hat gesagt, ja, wenn sie aufsteht, so ist
das immer zu dieser Zeit und zum Vollmond. Das erstemal,
voriges Jahr, hat sie es absichtlich getan, um ihre Mutter zu
erschrecken, wie sie ihr das erstemal verboten hat, zum Theater
zu gehen. Ich finde das nicht sehr gescheit, denn damit wird sie
nichts durchsetzen. Übermorgen wird sie abgeholt und deshalb
weinte sie heute den ganzen Vormittag.
25. August : Heute war die Hella mit ihrer Mama und der
Lizzi bei uns. Die Hella hat sich in Gastein großartig unter-
halten und sie hat mir etwas Wichtiges unter vier Augen mit-
zuteilen. Insofern war es unangenehm, daß die Ada noch da ist.
Der Hella ist die Ada überhaupt unsympathisch, sie sagt auch,
135
man weiß nie, wo sie eigentlich hinschaut, sie schaut immer
durch einen durch. Wir konnten nicht eine Minute allein
reden miteinander. Hoffentlich kann die Hella noch einmal
herauskommen, ehe sie nach Ungarn fahren. Die letzte Woche
waren sie in Fieberbrunn in Tirol, weil eine Jugendfreundin
ihrer Mama aus Berlin dort ist.
26. August: Heute ist die Ada weggefahren, ihr Papa hat
sie abgeholt. Er sagt, sie hat ein Radi zuviel, nämlich weil sie
zum Theater will.
28. August: Heute war die Hella heraußen; sie ist allein
gefahren und ich habe sie bei der Dampftramway abgeholt. Zu-
erst wollte sie mir nicht sagen, was das Wichtige sei, weil es
für mich „nicht schmeichelhaft" sei; aber endlich rückte
sie doch heraus. Die Familie Warth war in Gastein und da
die Hella die Lisel vom Turnen kennt, so redeten sie miteinander
und da sagte der Robert, der freche Mensch: Ist ihre Freundin
noch immer ein solches Kind, wie damals in ... . und da tat
er, als ob nicht einmal mehr wüßte, wo ; und überhaupt d a m a 1 s
sagt er, als ob das vor 10 Jahren gewesen wäre. Aber das
Frechste kommt erst ; er sagte, ich hätte ihn nicht Bob nennen
wollen, weil ich da immer an einen gewissen Körperteil denken
mußte ; das habe ich nie gesagt, sondern nur, daß mir das Wort
Bob lächerlich und ordinär vorkommt, und da sagte er noch,
wie wir noch per Sie waren : „ja, Fräulein Grete, aus Ihrem
Munde bin ich lieber mit meinem vollen Männernamen genannt."
Das weiß ich noch wie heute und ich könnte den Platz zeichnen,
wo das war auf dem Weg zum Roten Kreuz. Die Hella sagte es
ihm tüchtig: So, das kann alles sein, wir haben nie über solche
Lappalien gesprochen, und damals waren wir ja „alle, w i e w i r
da sind, noch rechte Kinder." Damit meinte sie auch den
Ich schreibe gar nicht seinen Namen. Ich habe mich aber doch
wütend geärgert und auch darüber, daß er sagte : Jetzt wird ihre
Freundin ja wohl auch etwas mehr gleichsehen, aber damals war
sie noch recht unentwickelt. Da sagte die Hella ganz kurz: „Das
sind Ausdrücke, in denen man zu jungen Damen nicht spricht"
136
und redete nie mehr mit ihm. Das ist nämlich wirklich großartig,
was geht es denn den an, ob ich entwickelt bin oder nicht!
Die Hella behauptet, ich sei früher zu wenig wählerisch gewesen.
Der Bob ist ja jetzt noch ein Bub. Das paßt ausgezeichnet
Bob — Bub; von jetzt an heißt er für uns nur Bub; d. h. wenn
wir überhaupt von ihm redeten. Und einen, der uns un-
sympathisch ist, nennen wir einfach Bob, oder noch besser Be,
weil ja Bob wirklich unangenehm zu sagen ist.
31. August: Die heurigen Ferien sind so fad. Jetzt ist die
Hella in Ungarn und mit der Dora rede ich sehr wenig, nämlich
nichts Interessantes. Und die Briefe von der Ada handeln immer
nur von meinem Versprechen wegen Wien. Das ist übrigens
köstlich, ich habe ihr gar nichts versprochen, sondern bloß
gesagt, ich werde es gelegentlich der Mama sagen. Und das
habe ich auch schon getan, aber die Mama sagte : Davon ist
gar keine Rede.
1. September: Hallo, hussa! Morgen fahre ich mit dem
Papa der Hella nach Ungarn nach K .... M .... Ich freue mich
riesig. Die Hella ist ein Engel. Wie sie voriges Jahr zu Weih-
nachten krank war, hat ihr Papa gesagt: Sie soll sich wünschen,
was sie will. Da sie aber gerade nichts Besonderes wußte und
ohnehin Weihnachten kam, so sparte sie sich den Wunsch auf.
Und jetzt schrieb sie ihrem Papa nach Krakau, wo er zu den
Manövern war, wenn er ihr noch einen Hauptwunsch erfüllen
will, so soll er, wenn er nach Wien kommt, mich nach K . . . .
M . . . . mitnehmen ; das ist der einzige größte Wunsch ihres
Lebens ! ! ! Und so war der Herr Oberst heute beim Papa im
Bureau und zeigte ihm den Brief der Hella. Und morgen um
3 Uhr muß ich auf dem Staatsbahnhof sein. Leider ist das eine
sehr unfeine Bahn. Die Westbahn ist entschieden feiner oder
noch lieber wäre mir die Südbahn.
2. September : Ich bin schon ganz aufgeregt ; ich fahre allein
hinein nach Wien und muß in Liesing umsteigen; hoffentlich
steige ich in den richtigen Zug ein. Heute in der Frühe kam ein
Brief von der Hella, in dem sie mir schreibt: „Vielleicht dauert
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es nur mehr Tage, bis wir vereint sind." Aber nichts weiter;
wahrscheinlich weiß sie noch nicht, daß ich wirklich komme.
Meine weißen Blusen muß mir die Mama nachschicken, weil sie
bis auf eine schmutzig sind. Anziehen werde ich das Kostüm
und die rosa Bluse. Ich nehme mir 20 Blätter Tagebuch mit,
das wird genug sein; denn schreiben werde ich unbedingt,
eventuell in der Frühe, weil die Hella in den Ferien sicher bis
um 9 Uhr im Bett liegt; in Wien möchte sie immer an den
Sonntagen solange liegen, aber ihr Papa erlaubt es nicht. Aber
reiten lerne ich auf keinen Fall, weil es schrecklich sein muß,
vor einem fremden Herrn herunterzufallen. Bei der Hella war das
dadurch anders, daß der Jenö, der Lajos und der Ernö ihre Kusins
sind, und da ritt immer einer ganz neben ihr und hielt sie um
die Mitte: aber das geht bei mir nicht.
6. September: Gott, hier ist es herrlich! Der Jenö gefällt mir
am besten, er geht überall hin mit mir und zeigt mir alles; der
Hella ist der Lajos am liebsten und auch der Ernö. Der hat aber
viel zu lernen, weil er beinahe durchgefallen wäre. Der Lajos
wird nächstes Jahr schon Leutnant und der Jenö kommt heuer
in die Akademie, der Ernö hinkt etwas, aber nicht viel, und so
konnte er nicht auch Offizier werden; er wird Brücken- und
Eisenbahningenieur, aber nicht hier, sondern er geht -dann später
nach Amerika.
Heute habe ich Zeit zum Schreiben, weil alle 4 nach S . . .
fuhren per Rad und ich kann nicht Radfahren.
Also auf der Fahrt war es herrlich! Es ist wahr, mit einem
Offizier, noch dazu mit einem Obersten fahren, ist großartig.
Alle Stationsvorstände grüßten und die Kondukteure wissen gar
nicht, was sie machen sollen vor Respekt. Natürlich glaubten
alle, ich bin seine Tochter, da er noch von klein her Du zu mir
sagt. Richtig, der Papa hat zur Ada immer Sie gesagt. In Forgacs
oder Farkas oder wie es heißt, stiegen wir aus und der Papa
der Hella nahm einen Wagen und wir fuhren 2 Stunden nach
K . . . M . . . Er war riesig lustig. In F . . . aßen wir zu Nacht,
obwohl es erst 7 2 7 war. Es kamen gleich alle Kellner hergestürzt.
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Übrigens das ist auch beim Papa so, nur die Stationsvorstände
grüßen nicht alle. Der Papa sieht ja auch riesig vornehm aus,
nur das er eben nicht in Uniform ist.
Etwas furchtbar Interessantes : Gestern war ein Herr v. Kraics
da aus Radufalva, der hat das Gut Radufalva von seinem besten
Freund geerbt zum Dank, weil er vor 8 Jahren auf seine Braut
verzichtete, die den Freund liebte. Der Oberst Brückner sagt
zwar, der K . . . ist ein widerwärtiger Waschlappen, aber ich finde
das durchaus nicht; er sieht so feurig aus, ein echter, edler Ungar.
Die Hella sagt, er hat früher wahnsinnig viel Schulden gemacht
weil er jedes halbes Jahr ein anderes V e r h ä 1 1 n i s mit einer Dame
hatte; und die vielen Geschenke haben ihn fast an den Bett el-
stabgebracht. Also, wir können das nicht recht glauben, denn
wenn eine Dame noch so für Blumen und Bonbons schwärmt, so
kann man dadurch doch nicht an den Bettelstab kommen. Und
gestern erzählte mir die Hella vor dem Einschlafen, daß der Lajos
schon etwas „angesteckt" ist; es gibt keinen Offizier, der nicht
geschlechtskrank ist und das macht sie eben so furchtbar interessant.
Da erzählte ich ihr dann das, was mir die Ada vom Schauspieler
in St. P. erzählt hat. Aber die Hella sagte : Es fragt sich, ob
alles wahr ist; bei einem Schauspieler kann es ja allerdings eher
wahr sein, besonders da er früher beim Militär war, aber im all-
gemeinen sind die Zivilisten furchtbar solid! !1 Und das wäre
ihr an ihrem Mann gräßlich. Jeder Offizier hat wahnsinnig gelebt;
so sagt man nämlich in der Umschreibung für geschlechtskrank,
und sie würde nie einen Mann heiraten, der nicht vorher gelebt
hätte. Die meisten Mädchen, besonders wenn sie schon älter sind,
verlangen gerade das Gegenteil! und da fiel mir plötzlich ein,
daß das wahrscheinlich der wahre Grund ist, warum die Dora
dem Herrn Obltnt. R . . . abgeschrieben hat, und nicht die
Freundschaft mit der Mama; das ist ja auch wirklich lächer-
lich und niemand wird ihr das glauben. Der Papa der Hella findet
mich reizend; er ist übrigens auch großartig nett. Der Onkel
von der Hella redet fast gar nichts und man versteht ihn bei-
nahe nicht; der Papa der Hella sagt immer, seine Schwägerin
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hat die Hosen an. Das möchte ich nie haben ; der Herr im Haus
muß unbedingt der Mann sein. „Aber nicht zu viel", sagt die
Hella. Sie ärgert sich übrigens immer so, wenn ihr Papa das
sagt, von den Hosen anhaben. Gestern bin ich schrecklich
erschrocken; wie wir auf die Veranda gehen wollen, weil wir die
Burschen reden hörten, steht ein Rollstuhl da und drauf liegt
der Großonkel der Hella, von dem sie mir einmal erzählte, daß
er ganz verrückt ist ; er ist nicht wirklich gelähmt, sondern er tut
nur so. Die Hella fürchtet sich vor ihm entsetzlich, weil er sie
einmal, wie sie 9 oder 10 Jahre alt war, durchhauen wollte. Aber
ihr Onkel kam dazu und da hat er sie gleich losgelassen. Sie
sagt zwar immer : Er soll sich nur unterstehen, aber sie hat doch
gräßliche Angst. Er ist immer in seinem Zimmer und hat einen
Pfleger, weil keine Pflegerin es aushalten kann bei ihm. Er sollte
eigentlich in einer Irrenanstalt sein, aber in Ungarn gibt es keine
feineren.
9. September: Heute vormittag war ein furchtbarer Skandal;
der Großonkel, die Leute nennen ihn Kutya mog oder wie das
geschrieben wird und das heißt verrückter Hund, also der
Großonkel stellt uns nach. Er kann nämlich mit dem Stock
gehen, wenn er will und da stellte er sich vor unser Parterre-
fenster und schaute zu, wie die Hella sich wusch und ich gerade
aufstand. Da kam der Papa der Hella dazu und machte einen
wahnsinnigen Skandal und der Okel schimpfte auch furchtbar auf
Ungarisch. Und vor dem Essen hörten wir gerade noch, wie der
Papa zur Tante Olga sagte: „Das wären gerade schöne Bissen
für diesen alten Schweinigl, solche unschuldige Kinder, die kämen
schön zum Handkuß". Da mußten wir so furchtbar lachen, wir
und unschuldigeKinderü! was die Papas eigentlich glauben
von uns; wir und unschuldig!!! Beim Essen durften wir einander
gar nicht anschauen, sonst wären wir direkt herausgeplatzt vor
Lachen. Und nachmittag sagte die Hella: „Du, weißt du, daß
wir am selben Tag Namenstag haben?" Und wie ich sage:
„Wieso denn, mir scheint, du bist von heute vormittag über-
geschnappt", da lacht sie furchtbar und sagt: „Ja natürlich, am
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27. Dez., am Tag der Unschuldigen Kinder!" Das ist zu köstlich.
Sie weiß das nämlich, obwohl sie protestantisch ist, weil die Marina,
die falsche Person, am 27. Dez. Geburtstag hat und wir sie des-
halb in dem Brief damals „Unschuldiges Kind" anredeten und
dabei hatte ich unabsichtlich ein so schlechtes K gemacht, daß
es wie ein R aussah und also „Unschuldiges Rind" hieß, weswegen
dann die Tante Alma den Riesenkrach machte.
Ich bin mit allen 3 Burschen per Du geworden, der Papa
der Hella sagte gestern beim Nachtmahlessen zum Ernö: „Mir
scheint gar ihr siezt euch noch, stoßt an auf Du und Du "und
seid keine Philister". Da stießen wir an und nachher sagte der
Jenö, als wir in der Fensternische standen und den Mond bewun-
derten: Du Margit, das war kein richtiges Bruderschaftstrinken,
man muß sich dazu küssen; geschwind, so lang wir allein sind;
und ehe ich sagen konnte: das geht doch nicht, gab er mir
schon einen Kuß. Also bei Jenö macht es mir nichts, aber beim
Lajos wäre es mir wegen der Hella resp. der Ilonka, so nennen
sie hier die Hella, schrecklich unangenehm.
Gerade sagt mir die Hella, sie hat gesehen, wie wir uns
küßten, und der Lajos sagte: „Schau Ilonka, sie geben uns ein
gutes Beispiel". Wir sind hier riesig glücklich. Leider muß der
Jenö und der Lajos schon am 16. fort in die Anstalt, der Jenö
in den ersten und der Lajos in den III. Jahrgang der Akademie;
gerade der fadere, der Ernö bleibt bis Oktober hier. So ist es
immer im Leben, das Schöne vergeht und das Fade bleibt. Wir
fahren täglich Kahn, gestern und heute bei Mondenschein. Und
die Burschen schaukeln so gräßlich, daß wir immer entsetzlich
Angst haben, daß der Kahn umkippt. Und dann sagen sie immer:
„Ihr habt Euer Schicksal in der Hand; kauft Euch los und Ihr seid
sicher wie in Abrahams Schoß".
12. September: Der Großonkel haßt uns seit neulich; wenn
er uns sieht, droht er uns mit dem Stock und wenn wir uns auch
nicht gerade fürchten, weil er uns ja nichts tun kann, so ist es
uns doch furchtbar gruselig. Es fallen einem immer alle möglichen
Sachen ein, die man gelesen hat und aus Märchen und Sagen
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weiß. Das ist der einzige Grund, warum ich nicht so gern hier
bin. Übrigens fahren wir am 18. weg. Natürlich werden der Lajos
und der Jenö sehr ott zu Brückners kommen; ich freue mich
schon riesig. Ich weiß nicht, wie das kommt, ich gaubte immer,
daß sie nur ungarisch können, aber das stimmt durchaus nicht,
nur bei ihnen zuhaus, wenn keine Gäste da sind, wird immer
ungarisch gesprochen. Heute hat mir die Hella erst eingestanden,
daß die vielen Blumen, die einmal an einen Sonntag, wie sie im
Sanatorium war, bei ihrem Bett standen, vom Lajos waren; sie
wollte es nicht sagen, weil er es nicht wünschte. Eigentlich hat
mich das geärgert, denn ich sehe, dass ich zu ihr viel aufrichtiger
bin als sie zu mir.
16. September: Heute sind die Burschen weggefahren und
gestern waren wir bis 12 Uhr Mitternacht auf. Wir waren nämlich
in N K die ungarischen Namen kann ich nicht schrei-
ben und da kamen wir erst um 7,12 Uhr zurück. Es war herr-
lich. Umso trauriger ist es heute, wo es noch dazu regnet. Zum
erstenmale, seit wir da sind. Abschied nehmen ist gräßlich, beson-
ders für die Hinterbliebenen; denn die, die weggehen, haben
sofort eine Abwechslung. Aber wer dableibt, dem ist alles ent-
setzlich öd und still. Die Hella und ich gingen nachmittags in das
Zimmer von Jenö und Lajos, da war noch nicht aufgeräumt und
eine gräßliche Unordnung. Da schluchzte die Hella plötzlich furcht-
bar und warf sich über das Bett des Lajos und küßte die Polster
und die Decke. S o liebt sie ihn ! So liebt gewiß die Mad. den
Oberleutnant, aber die Dora ist einer solchen Liebe gar nicht
fähig und dann redet sie sich auf die wahre tiefe Freund-
schaft mit der Mama aus. Die Hella sagt, sie hat den Lajos
immer schon geliebt, aber wenn sie mich und den Jenö so
zusammengehen und reden sah, das hat ihr erst die Augen
geöffnet. Seither liebte sie den Lajos für ewig. Nächstes Jahr
wird er sich wahrscheinlich mit ihr verloben, denn vor 14 geht
das nicht, weil die Eltern es nicht erlauben. Er geht auch ihret-
wegen zu den Husaren, weil ihr die Husaren am besten gefallen ;
sie leben alle furchtbar und sind riesig vornehm.
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21. September: Seit Samstag sind wir wieder in Wien und
die Eltern und die Dora sind am Donnerstag von Rodaun ge-
kommen. Die Dora ist köstlich; seit die Ada da war und mond-
süchtig geworden ist, fürchtet sich die Dora, sie sei angesteckt.
Sie scheint nicht zu wissen, was das Wort eigentlich bedeutet!
Und während ich fort war, hat sie bei der Mama geschlafen und
der Papa hat in unserm Zimmer geschlafen, weil sie sich fürchtete,
allein zu schlafen. Vom Alleinschlafen wird doch niemand mond-
süchtig, aber das war nur der Vorwand; besonders mutig war
die Dora nie, eher etwas feig und da hat sie sich einfach gefürchtet,
allein im Zimmer zu schlafen. Wenn sich der Papa auch gefürchtet
hätte, hätte ich vielleicht gar Standepete zurückfahren müssen
und wenn ich mich auch gefürchtet hätte, allein zu fahren, und
es wäre niemand dagewesen, mich zu begleiten, na, das wäre
reizend geworden. Der Papa hat über meine „Kombinationen-
riesig gelacht und die Dora hat sich sehr geärgert. Sie ist wieder
so fad und eingebildet wie vor ihrer Liebe. Also hat die Hella
recht, wenn sie sagt: Die Liebe veredelt. Das war übrigens ein
blöder Witz vom Ernö. Wie die Hella einmal das sagte, sagt er:
„Du hast dich versprochen, du wolltest sagen: vereselt". Natürlich
weil er niemanden liebt.
22. September: Heute hat die Schule begonnen. Die Frau
Dr. M. war entzückend, sie schaut großartig aus und machte uns
im Gang dasselbe Kompliment. Gott sei Dank, sie ist wieder
unser Klassenvorstand. In Französisch haben wir eine Frau
Dr. Dunker, die ist sehr häßlich, voll Wimmerln, das ist mir das
Greulichste an einem Menschen; die Hella sagte, da müssen wir
uns in achtnehmen, daß sie nie unser Buch in die Hand bekommt;
denn sonst kriegen wir auch einen solchen Teint. In Math, und
Physik haben wir ebenfalls eine neue Doktorin, die spricht so
schnell, daß niemand sie versteht; aber sie sieht enorm geistreich
aus, obwohl sie sehr klein ist. Wir nennen sie „Nüßchen",
weil sie einen so kleinen Kopf und so schöne lichtbraune Augen
hat. Sonst haben wir dieselben Lehrkräfte wie im vorigen Jahr
und ein paar neue Schülerinnen sind auch gekommen und einige
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übersiedelt, aber lauter solche, mit denen wir nicht näher ver-
kehrten. Die Franke geht heuer das letzte Jahr ins Lyz., sie wird
im April schon 16 Jahre und ist wirklich riesig stark. Das muß
ihr ärgster Feind sagen. Bei der Dora hat die Frau Direktorin
Englisch und das ist ihr sehr angenehm, denn sie gehört zu
ihren Lieblingen und das ist wegen der Matura doch sehr gut.
25. September: Gestern und vorgestern war der Mama so
schlecht, daß der Arzt noch um I / 2 1 1 Uhr in der Nacht kommen
mußte. Heute ist ihr, Gott sei Dank, wieder besser. Aber an
solchen Tagen kann ich absolut nicht ins Tagebuch schreiben;
es kommt mir wie ein Verbrechen vor. Und solche Tage dauern
endlos, weil niemand viel redet, und die Mahlzeiten sind schrecklich.
Heute lag die Mama schon wieder auf der Chaiselongue.
29. September: Ich habe greulich Zahnschmerzen gehabt seit
vorgestern. Die Dora behauptet, daß sind bloß Schmerzen nach
einer Goldplombe, wie die Frau Dr. M. sie hat. Das ist natürlich
nicht wahr; erstens werde ich doch wissen, ob mir der Zahn
weh tut oder nicht, und zweitens hat der Zahnarzt bestätigt, daß
der Zahn ein kleines Loch hat. Ich muß jeden zweiten Tag
hingehen und das ist gewiß kein Vergnügen. Noch dazu, wo wir
heuer greulich viel zu lernen haben in der Schule. Das Nüßchen
ist eigentlich sehr nett, wenn man sie nur besser verstände, aber
sie redet so schnell, daß die V. KL, wo sie auch unterrichtet, sie
Wasserfall nennen. Der Frau Dr. M. hat noch nie jemand
einen Spitznamen gegeben, auch nicht im guten Sinn. Man
müßte sie höchstens Engel nennen und das könnte auch einen
wirklichen Namen bedeuten, das hat keinen Sinn. Im Zeichnen
werden wir Stilleben malen lernen und die allerbesten auch Tier-
studien, da freue ich mich riesig.
4. Oktober: Gott, heute, wie wir von der Kaiserfeier nach-
hause gehen, begegnen wir auf der M . . . straße den Viktor;
leider hat er uns nicht bemerkt. Er war in Parade und ging mit
3 anderen Offizieren, die wir aber, d. h. die Hella nicht kannten.
Daß er uns nicht erkannte, hat uns beide riesig geärgert ; die
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Hella meint, es kann nur sein, weil wir beide die neuen großen
Herbsthüte aufhatten, die das Gesicht so beschatten.
11. Oktober: Es ist ein wahnsinniger Skandal in der Zeichen-
stunde entstanden. DieBorovsky hat irgend einer ihrer Freundinnen
auf einen Zettel geschrieben: Die kleine Jüdin, die F... (das
ist nämlich das Nüßchen) ist frisch aus Skandalizien importiert
mit ihrem Roßhaarkopf mit oder ohne Einwohner". So ähnlich
hat sie in dem Brief geschrieben und wie sie ihn der Fellner
hinüberwirft, dreht sich grad das Fräulein Schröll um und fängt
den Zettel ab; „Wer ist das, die F. . .?", fragt sie, aber niemand
gibt eine Antwort. Das hat sie furchtbar geärgert und sie steckt
den Brief in ihr Tascherl. Nach der Stunde um 1 geht die
Borovsky zu ihr und bittet sie um den Brief. Da fragt sie wieder:
n Wer ist die F...?« Und die Fellner glaubt wahrscheinlich, der
Borovsky damit zu helfen und sagt: „Sie hat vergessen die Frau
Dr. Fuchs zu schreiben." Also jetzt geht es los. Das schreib
ich gar nicht alles nieder, weil es zu lange dauert; die Borovsky
wird natürlich ausgeschlossen. Sie hat furchtbar geweint und
gebeten und hat gesagt, sie hat es nicht so gemeint, aber das
Frl. Scholl wird den Brief der Frau Direktorin geben.
12. Oktober: Heute Fortsetzung; die Frau Direktorin ist
verkühlt und da gab das Frl. Scholl den Brief der Frau Dr. M.;
das war gut und schlecht zugleich. Gut, weil die Borovsky viel-
leicht doch bleiben darf, und schlecht, weil sich die Frau Dr. M.
furchtbar geärgert hat. Dann hielt sie eine großartige Ansprache
über die wahre Vornehmheit der Gesinnung, einfach großartig.
Und ich war froh, daß ich nicht in die Sache verwickelt war, denn
sie hat die Borovsky und die Fellner greulich hingestellt. Es
wird also doch wahr sein, daß ihr Bräutigam selber ein Jude ist.
Es ist gräßlich, daß gerade sie einen grausamen Mann bekommen
soll ; wenn das nämlich alles wahr ist, was uns die Resi damals
gesagt hat; aber etwas Wahres wird schon dran sein. Wir sind
schon riesig neugierig, ob das Nüßchen etwas erfahren hat und
wenn, was sie tut.
13. Oktober: Das Nüßchen scheint nichts zu wissen davon,
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sie war ganz wie gewöhnlich; die Hella meint und ich auch,
daß sie sich nichts anmerken läßt, wenn selbst das Frl. Scholl
ihr etwas erzählt hätte; übrigens wäre das eine Gemeinheit; so
etwas erzählte man den Betreffenden doch nicht. Daß sie nichts
erfahren hat, haben wir auch daraus entnommen, daß weder die
Borowsky noch die Fellner gerufen wurden.
14. Oktober: Heute hat die Stickerin die Taschentücher für
die Dora gebracht; ihr Monogramm und die Krone, prachtvoll;
ich wünsche mir zu Weihnachten auch solche. Und für die Mama
hat sie 6 Kaprizepolster gestickt, auch mit der Krone; nach und
nach bekommen wir jetzt überall die Krone drauf. Ja richtig, das
habe ich noch gar nicht geschrieben: Gleich in den ersten Schul-
tagen hat uns der Papa jeder eine neue Visitkarte von ihm mit
dem Adel mitgegeben, mir für die Frau Dr. M., und der
Dora für die Frau Prof. Kreidl, wegen des Eintragens in den
Katalog. Die Frau Prof. Kreidl hat gar nichts gesagt, aber die
Frau Dr. M. war entzückend. Sie sagte: „So Lainer, da
wirst du ja sehr zufrieden sein, mit dieser Standeserhöhung ?*
Und ich sagte: „0 ja, es freut mich schon riesig, aber nur inner-
lich" und da sagte sie: Da hast du schon recht; „Religion, Namen
und Geld machen nicht den Menschen aus." Gott, wie reizend.
Ich mache auch das v. nur winzig klein vor meinem Namen;
wer es weiß, sieht es schon. Gott wie schade, daß sie nicht von
Adel ist! Sie würde es wohl verdienen!!
15. Oktober: Heute ist der Oswald weggefahren nach Leoben,
er studiert Bergbau, aber gegen den Willen des Papas. Aber
Papa sagt, zu einem Beruf darf man niemand zwingen, sonst
hat der andere sein Leben lang die Ausrede, er ist nur gezwungen
das und das geworden. Die Dora sagte neulich abends, der Os-
wald hat nur deshalb den Bergbau gewählt, damit er nicht zu-
hause bleiben muß; wenn er Jus oder auch Bodenkultur studiert,
könnte er nicht von Wien weg und das ist ihm die Hauptsache.
Dann ist er auch etwas falsch; denn wie er nach der Matura
von Graz zurückgekommen ist, hat er ausdrücklich gesagt:
„Gott sei Dank, das man wieder einmal die Füße unter den
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eigenen Tisch setzt und die Atmosphäre der Familie atmet."
Weil damals noch die Dora zu ihm sagte : „Na gar so heimisch
scheinst du dich nicht zu fühlen, denn kaum bist du in die
Ferien gekommen, so schmiedest du schon Reisepläne." Denn
sie ärgert sich auch, daß der Oswald so herumfahren darf, wie
er will. Und da redet er noch von einer „unleidlichen Be-
aufsichtigung"!! Was sollen denn da wir sagen? Er kann
abends ausbleiben bis zehn und kommt nie zur Jause und tut
überhaupt, was er will. Wenn ich mich einmal bei der Hella
verspäte, beim Nachtmahl, ist gleich ein Riesenverdruß. Und die
Ausreden, die die Dora erfinden mußte, wenn der Viktor sie er-
wartete, das werd ich nie vergessen. Sie leugnet zwar alles ab,
aber ich weiß es doch, weil ich doch selber mitgeholfen habe;
sonst hätte er mich nicht „Schutzgeist" genannt. Jetzt tut sie, als
ob sie sich gar nicht mehr erinnern könnte, und drum er-
innere ich sie absichtlich so oft daran, wenn wir allein sind.
Neulich sagte sie gar : „Ich bitte dich, Grete (nicht Rita) sprich
nicht mehr davon; diese Sache ist für mich ewig begraben."
Und wie ich sagte : Wieso denn begraben ? Das gibt es doch
nicht, daß man eine wahre Liebe einfach begräbt, da sagte
sie: „Es war eben nicht die wahre Liebe und damit Schluß."
16. Oktober: Heute hatte ich eine wahnsinnige Angst in
der Rechenstunde. Die Hella wurde auf einmal ganz dunkelrot
und da dachte ich mir: „Ah, jetzt!" Und schreibe ihr auf den
Faulenzer: Eingetreten??? Wir hatten nämlich verabredet, daß
sie mir es sofort mitteilt, denn im Februar wird sie 14 und da
wird es tatsächlich bald eintreten. Die Frau Dr. F. sagt: Lainer,
was hast du der Br. hinübergeschoben? und war schon bei der
Bank und nimmt den Faulenzer. „Was soll das heißen: Einge-
treten???" Vielleicht hat sie es wirklich nicht gewußt, aber meh-
rere Kinder, die es eben auch wissen, haben gelacht und ich
habe mich schrecklich gefürchtet. Aber die Hella ist einfach groß-
artig. „Entschuldigen Frau Dr., die Rita hat gefragt, ob schon
Frost eingetreten ist, weil dann Natureis ist". „Und damit be-
schäftigt Ihr Euch in der Mathematikstunde?" Aber Gott sei
io* 147
Dank, damit war alles erledigt. Nur die Hella sagt in der Pause
zu mir, ich sei manchmal urblöd. Wozu ich das aufschreiben
mußte. W e n n es eintritt, so ist es einfach selbstverständlich,
daß sie es mir sofort sagt. Es ist nämlich nicht eingetreten bei
ihr. Übrigens haben wir verabredet, daß wir lieber „Endt" sagen
werden ; das heißt dann soviel als entwickelt und zugleich
endlich. Das ist wirklich ausgezeichnet und die Hella sagt,
das habe ich in einem lichten Moment gefunden. Das ist eigent-
lich eine Keckheit, aber schließlich einer Freundin verzeiht man
vieles. Übrigens hat sie mir direkt verboten, daß ich sie unter
der Stunde immer so fixiere. Das tue ich nämlich wirklich, weil
ich immer glaube: Na, also heute
8. November: Am Geburtstage von Papa und der Dora ist
der Mama so schlecht geworden, daß gar keine Feier war; ich
fürchte mich entsetzlich, daß die Mama ernstlich krank wird oder
am Ende — — ; nein, daran will ich nicht einmal
denken ; das darf man nicht einmal aussprechen, auch wenn man
gar nicht abergläubisch ist. Die Tante Dora ist vorige Woche
gekommen, um der Mama den Haushalt abzunehmen. Wir werden
auch nicht aufs Eis gehen, weil man sich immer fürchtet, während
man auf dem Eis ist, könnte es der Mama schlechter gehen.
Sobald sie für längere Zeit aufstehen kann, fährt der Papa mit
ihr zu einem Professor, nämlich einem Frauenarzt; also muß
es doch wahr sein, daß die Krankheit der Mama daher kommt.
16. November: Gott, das ist gräßlich, die Mama muß operiert
werden; ich bin so aufgeregt, daß ich nicht schreiben kann.
19. November: Die Mama ist so gut und lieb, sie will, wir
sollen nur aufs Eis gehen, damit wir uns zerstreuen und nicht
immer an die Operation denken. Aber die Dora sagt auch, das
wäre unmenschlich, aufs Eis gehen, wenn in ein paar Tagen die
Mutter operiert wird. Und der Papa sagt gestern abends zu uns:
„Kinder, nehmt euch zusammen, jetzt heißt's die Zähne aufein-
ander beißen und der armen Mama das Herz nicht noch
schwerer machen." Aber ich kann nicht, ich muß weinen, so oft
ich die Mama anschaue.
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23. November: Es ist so gräßlich bei uns, seit die Mama
weg ist ; wir mußten in die Schule gehen und glaubten, sie fahre
erst nachmittags und indessen kam der Wagen schon vormittags.
Die Dora sagt, das war abgekartet vom Papa, weil ich mich gar
nicht beherrschen kann. Gott, wer kann denn das? Die Dora
weint ja auch den ganzen Tag ; und ich habe auch in der Schule
so furchtbar geweint und die Hella auch.
28. November: Gott sei Dank, es ist alles gut vorüber
gegangen; in 14 Tagen ist die Mama wieder bei uns. Ich bin
so glücklich; jetzt sehe ich erst, was für eine gräßliche Angst
ich gehabt habe. Wir gehen jetzt alle Tage zur Mama ins Sana-
torium ; am liebsten ginge ich allein, aber wir gehen leider immer
alle zusammen, d. h. entweder mit dem Papa oder mit der Tante
Dora. Nämlich die Dora geht bestimmt allein zur Mama, heute
hat siesich verraten mit den Blumen, sie tut, als ob es nur ihre
Mama wäre. Wie wir am Donnerstag das erstemal bei der Mama
waren, haben alle nur geflüstert und die Mama hat geweint,
obwohl sie durch die Operation wieder ganz gesund wird. Gestern
war leider die Tante Alma mit uns zugleich dort und da sagte
der Papa, so viele Leute auf einmal regen die Mama zuviel auf, wir
müssen fortgehen. Natürlich hat er in Wirklichkeit gemeint, die Tante
Alma und die Marina sollen fortgehen, aber die Tante hat nicht
kapiert oder nicht kapieren wollen. Wozu die Tante überhaupt
gekommen ist? Wir kommen doch seit dem Verdruß wegen der
Marina und dem Balg, dem Erwin, fast gar nicht zusammen, nur
wenn Familienabend ist; der Oswald sagt statt Familienzusammen-
kunft, Familienauseinanderkunft, weil meist jemand beleidigt ist.
30. November: Heute war ich doch allein bei der Mama.
In der Schule habe ich gesagt, ich habe greulich Kopfschmerzen,
ob ich aus der französischen Stunde weggehen kann; das war
nämlich auch wirklich wahr. Und zur Mama habe ich gesagt, die
Frau Dr. Dunker war krank, wir katten keine Stunde. Eigentlich
soll man jemanden Kranken nicht anlügen, aber das war eine
fromme Lüge, wie die Mama der Hella immer bei so etwas
sagt, und herauskommen wird es auch nicht, weil die Frau Dr.
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Dunker in der IV. nichts zu tun hat, so kann es die Dora nicht
erfahren. Die Mama war riesigerfreut, daß ich auch einmal
allein komme. Also damit war es direkt bewiesen, daß die Dora
allein hingeht. Die Mama war so süß und die Schwester Klara
sagte, sie sei ein Engel an Güte und Geduld. Da weinte ich
furchtbar und die Mama mußte mich beruhigen. Zuhause wollte
ich erst überhaupt nichts sagen, aber wie wir uns nach dem
Essen anzogen, um zur Mama zu gegen, sagte ich so en passant:
„Heute sehe ich die Mama schon zum zweitenmal." Und wie die
Dora sagt: Wieso denn?, sag ich ganz kurz: „Eine Stunde
entfiel und da benützte ich die Gelegenheit, um auch einmal
die Mama allein zu besuchen." Da sagt sie noch: Haben sie
dich den beim Portier so ohneweiters allein hineingehen lassen ?
Das wundert mich sehr, daß so sehr junge Mädchen, die fast
noch Kinder sind, allein passieren dürfen. Zum Glück kam gerade
die Tante herein und sagte : „Na, die Gretel hält niemand für ein so
kleines Kind, und dann kennen Euch doch jetzt schon alle im
Sanatorium." Am Weg haben wir nichts miteinander geredet.
5. Dezember: Heute haben wir der Mama einen großen
Nikolo mit Blumen in der Butte gebracht, und neben der Rute
hing ein Zettel, drauf hatte der Papa geschrieben: Kranksein wird
bestraft als unerlaubte Handlung im Sinne des Paragraphen 7
des Mutter- und Hausfrauengesetzes. Das hat der Mama riesigen
Spaß gemacht. Der Professor sagt, es geht sehr gut vorwärts
und in einigen Tagen darf sie heraus.
6. Dezember : Das war mir gräßlich heute. Abends wie wir
aus dem Speisezimmer gehen, sagt der Papa : „Gretel, du hast
etwas vergessen. Und wie ich zurückkomme, so nimmt er mich
an der Hand und sagt: „Warum sagst du denn nicht, daß du so
gern allein zur Mama gehst? Das brauchst du doch nicht
verheimlichen." Und da weinte ich furchtbar und sagte: „Ja, vor
dir nicht, aber die Dora braucht nicht alles wissen. Hat sie
es dir gesagt von neulich?" Aber das von meinen angeblichen
Kopfschmerzen weiß der Papa nicht, sondern nur, daß ich so
gern allein zur Mama gehen wollte. Und er war so süß und küßte
150
.
mich und streichelte mich und sagte: „Du bist ein lieber Kerl,
mein Hexerl, bleib nur immer so." Aber ich riß mich schnell
los, weil ich mich so genierte, daß ich doch eigentlich eine
Lügerei gemacht habe. Ohne die Dora würde ich überhaupt
nie lügen.
6. Dezember: Der Papa ist ein Engel. Er und ich gingen
vormittags zur Mama und die Tante und die Dora nachmittags.
Und weil der Papa noch ins Cafe gehen mußte, wo er sich mit
einem Bekannten verabredet hatte, so ging ich erst allein zur
Mama und er kam dann nach. Die Mama fragte mich nach meinem
Weihnachtswünschen; aber ich sagte ihr, ich wünsche mir nur
'eins, daß sie gesund wird und ewig lebt. Da war ich erst froh,
daß die Dora nicht dabei war, denn das hätte ich nie heraus-
gebracht vor ihr. Aber dann mußte ich doch meine Wünsche
sagen und da wünschte ich mir Taschentücher mit „Monogramm
und Krone", Visitkarten mit Edle von, eine Büchertasche, wie
die meisten Mädchen in den Ober klassen sie haben und den
Roman Elisabeth Kött. Aber den letzteren bekomme ich nicht,
da war die Mama ganz entsetzt und sagte: Aber liebes Kind,
das ist nichts für dich; wer hat dir denn das in den Kopf gesetzt;
sicher die Ada? Das würde dir, wie ich deinen Geschmack
kenne, wirklich nicht gefallen. Also darauf muß ich verzichten,
aber fad wäre es mir sicher nicht.
11. Dezember: Heute ist die Mama wieder nachhause
gekommen ; wir haben nicht gewußt, wann, nur daß sie heute
bestimmt kommt. Und weil ich so froh war, daß die Mama wieder
ganz gesund ist, habe ich gerade ein paar Lieder gesungen und
da hat die Mama gesagt : Das ist ein gutes Vorzeichen, wenn
man mit Gesang begrüßt wird. Da ärgerte sich die Dora, daß
nicht sie gesungen hatte. Wir hatten alles mit Blumen garniert.
15. Dezember: Ich sticke für die Mama einen Schlummer-
polster und die Dora macht ein Fußbänkchen, damit sie beim
Lesen recht bequem sitzt. Für den Papa haben wir eine neue
Aktentasche gekauft, weil die seine schon so schäbig ist, daß
wir uns schon genieren; aber er sagt immer: „Die tuts noch
151
lange." Ich habe so lang nicht gewußt, was ich der Tante Dora
geben soll und jetzt haben wir uns endlich zu einem Spitzen-
fichü entschlossen ; denn sie hat solche Spitzensachen sehr gern.
Der Hella gebe ich ein Skizzenbuch und einen weichen Bleistift-
behälter; sie zeichnet großartig und wird sich vielleicht zur
Malerin ausbilden, der Dora ein Handtäschchen und dem Oswald
ein Zigarettenetui mit Pferdekopf, denn er ist furchtbar für Rennen
und Turf eingenommen.
16. Dezember: Durch die Krankheit der Mama habe ich gar
keine Zeit gehabt, von der Schule etwas zu schreiben, obwohl
schon manches zum Schreiben gewesen wäre, z. B. daß der
Prof. W. wieder riesig freundlich tut, trotzdem er gar keine
Stunde mehr bei uns hat und daß die meisten Mädchen das
Nüßchen nicht leiden können, weil sie die Jüdinnen so bevor-
zugt. Das ist nämlich wirklich wahr, z. B. die Franke, die
doch nie etwas kann, wird wahrscheinlich Lobenswert in Mathe-
matik und Physik bekommen ; und die Weinberger darf alles tun,,
was sie will. Ich habe immer Vorzüglich auf jeder Schularbeit
und Hausarbeit, also mir ist das egal, aber die Verbenowitsch
ärgert sich furchtbar, weil sie nicht mehr der Liebling ist, wie
bei der Frau Dr. St. Und neulich war etwas sehr Unangenehmes
in der Mathematikstunde. Bei einer Rechnung kam zufällig ^
heraus und da fragte das Nüßchen, wie % als Dezimalbruch
heißt; und dann redeten wir überhaupt von den periodischen
Dezimalbrüchen und wie sie immer die Periode sagt, so
lachen ein paar Mädchen, zum Glück auch ein paar Jüdinnen,
und da wird sie furchtbar wild und schreit uns gräßlich an. Bei
der Frau Dr. St. in der Ersten haben damals auch ein paar
Kinder gelacht und sie hat getan, als ob sie es gar nicht be-
merkte, und dann sagte sie auch immer periodische Stellen
und da denkt man wirklich nicht so an die wahre Bedeutung.
Die Frau Dr. F. hat gesagt, sie wird sich bei der Frau Dr. M.
beschweren über unser unpassendes Benehmen. Also, alle Mäd-
chen haben wirklich nicht gelacht, z. B. ich und Hella haben
nur einen einzigen Blick gewechselt, da haben wir uns ja
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ohnehin gleich verstanden. Das blöde Lachen kann ich auch
nicht leiden.
20. Dezember : Heute ist der Oswald gekommen ; er ist ein-
fach gottvoll. Es ist also doch wahr, daß er schon längst einen
Schnurrbart hatte und daß sie nur im Gymnasium keinen tragen
dürfen; und daß, wenn einer in einem Pensionat oder Konvikt
ist, jeden Samstag der Raseur kommt und sie sich rasieren
lassen müssen. Er sagte immer, im Gymnasium wird alles
Männliche in einem erstickt. Gott sei Dank, daß ich kein Mann
bin und nicht ins Gymnasium gehen muß. Also er hat einen
wunderbaren Schnurrbart und die Hella ist ganz weg von ihm.
Sie hat ihn zuerst gar nicht erkannt und ist zurückgeprallt, erst
an der Stimme hat sie ihn erkannt. Wir haben ausgerechnet, daß
sie ihn seit den vorvorigen Ostern nicht mehr gesehen hat. Er
hat sie zuerst Fräulein angesprochen, aber ihre Mama hat gesagt,
das ist ein Blödsinn. Na, also blödsinnig ist es gerade nicht,
einfach sehr fein ! ! !
23. Dezember: Die Mama freut sich riesig, daß der Oswald
da ist, und er ist auch riesig nett; sie bekommt von ihm eine
wunderbare Gruppe aus Eisenblüte, die ein Gebirge darstellt mit
einem Wald und davor ein paar Rehe wie auf einer Wiese.
25. Dezember: Nur schnell ein paar Worte. Der Mama war
gestern sehr gut und das lange Aufbleiben hat ihr nichts ge-
schadet. Ich bin glücklich, wir haben jede eine Krawattennadel
mit einem Saphir und drei kleinen Brillanien bekommen, sie sind
aus Ohrgehängen von der Mama gemacht, die sie nie trägt.
Aber das ist eben das Andenken, daß es von ihren Ohrringen
gemacht ist. Und die Büchertasche und die Erzählungen von
Stifter freuen mich auch riesig und die Taschentücher mit der
Krone und alles andere. Und von der Hella den Ridikül mit
meinem Monogramm und ebenfalls der Krone. Vom Oswald
haben wir, ich und die Dora kleine Briefbeschwerer und der
Papa einen großen bekommen aus einer Erzgruppe. Wir brauchen
eigentlich zwei Schreibtische, aber die hätten keinen Platz im
153
Zimmer. Aber ich werde mir das Ecktischchen als Schreibtisch
herrichten und dort alles hinstellen, was m i r gehört.
27. Dezember : Gestern bei Brückner, das war wirklich greu-
lich. Da hat die Mama der Hella recht ; wenn man s o ausschaut,
macht man keine Besuche, wenn man weiß, daß noch andere
Leute auch kommen. Die Hella sagte mir schon vorgestern, daß
man es ihrer Kusine greulich anmerkt, daß sie in a . . . U . . .
ist! Ihre Mama hat sich auch wegen ihr schrecklich geniert und
nicht wollen, daß die Emmy aufsteht. Wir waren einfach ent-
setzt und empört. Aber ihr Mann ist riesig zärtlich zu; hübsch
ist sie nicht, besonders die Wursteln unter den Augen sind ekel-
haft. Viele Frauen sollen so aussehen, wenn sie schw .... sind.
Sie hat ein Umstandskleid, da sieht man erst recht alles!
Die Hella sagt, daß manche Frauen wunderschön werden, wenn
sie in a . . . U . . . sind, und wieder welche, die häßlich aus-
schauen. Hoffentlich gehöre ich zu den ersteren, falls ich über-
haupt .... Nein, es ist doch greulich, auch wenn man dadurch
schön wird ; wenn ich nur an die Frau von Baldner denke, wie
die ausgeschaut hat heuer im Sommer, und von der hat der
Papa immer gesagt, sie ist bildschön. In a . . . U . . . ist über-
haupt niemand schön. Wir sind dann bald nach der Jause ins
Zimmer der Hella gegangen und sie sagte, lange hätte sie es
nicht mehr ausgehalten, so hätte sie sich übergeben. Und da
redeten wir noch so vieles, daß uns wirklich beiden beinahe
schlecht wurde. Am Sonntag kommt die Emmy und ihr Mann
zu Mittag zu Br. und da hat mich die Hella gebeten, ich möchte
sie zu Mittag zu uns einladen, sonst wird ihr übel. Also natür-
lich kommt sie zu uns, da braucht ihr, Gott sei Dank, nicht übel
werden. Und dann sagte sie noch, ich möchte aber ja nicht
glauben, daß sie wegen des Oswald kommen will, sondern nur
aus diesem einen Grund. Das begreife ich sehr gut und sie
braucht sich überhaupt vor mir nicht zu entschuldigen.
29. Heute war die Hella zu Mittag bei uns, sie hatte das
neue pastellerdbeerfarbene Kleid an, das ihr großartig steht. Der
Oswald sagte am Abend: „in 2 bis 3 Jahren wird die Hella eine
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famose Erscheinung werden." So etwas ärgert mich immer gräß-
lich, immer dieses werden. Der Papa der Hella sagte von mir
einfach, ich bin reizend, und nicht so blöd: ich werde reizend
werden. Das hasse ich, dieses immer in die Zukunft reden.
Übrigens war der Oswald riesig galant gegen die Hella. Und
nachmittags, wie wir, ich und Hella miteinander über ihn redeten,
wollte ich sie ein bischen mit dem Lajos aufziehen, aber da
wurde sie ganz rot und sagte, er ist falsch sondersgleichen,
denn seit Oktober war er ein einziges Mal an einem Sonntag
bei ihnen und da mußten sie gerade ins Theater gehen. Er sagte
zwar, wenn er sie nicht allein für sich haben könne, dann pfeife
er auf die Besuche. Sie will nicht einsehen, daß sich darin die
Größe seiner Liebe zeigt. Ich verstehe das ganz gut. Aber das
ist wirklich unerhört, daß der Jenö nur ganz kurz nach mir ge-
fragt hat damals. Und jetzt zu Weihnachten hätte es sich auch
gehört, daß er eine Karte geschickt hätte. Aber so sind die
Burschen. Für die paßt wirklich das Sprichwort : Aus den Augen,
aus den Sinn.
30. Dezember: Heute war die Frau Hofrätin Richter da, aber
nur vormittags auf eine Viertelstunde. Kein Wort vom Viktor,
obwohl ich deswegen eigens im Salon geblieben bin. Die Dora
ließ sich nicht blicken, obwohl sie bestimmt zuhause war. Er
sieht eigentlich riesig seiner Mama gleich, auch die schöne gerade
Nase und den feinen schmalen Mund; nur ist er groß und sie
sehr klein, um einen halben Kopf kleiner als die Mama. Wir
möchten sie doch einmal besuchen, aber ich glaube nicht, daß
wir hingehen.
31. Dezember: Ich habe eigentlich keine Zeit, da heute
Sylversterabend ist, aber ich muß schreiben. Heute vormittag
gehen wir, die Dora und ich aufs Eis, da begegnen wir den
Viktor; er wird ganz blaß bis in die Lippen und grüßt und spricht
uns an; die Dora will vorbeigehen, aber er hält sie zurück und
sagt: sie muß ihm eine Aussprache gewähren und dann geht er
mit uns aufs Eis, weil sie nicht in eine Konditorei gehen wollte.
Also da hatte sie ganz Recht, sie wird doch nicht mit ihm in
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eine Konditorei gehen. Was sie geredet haben, weiß ich natürlich
nicht, aber die Dora weinte nachmittags gräßlich und von mir
hat sich der Viktor gar nicht verabschiedet; vergessen kann er
unmöglich haben, sondern entweder war ich gerade zu weit weg
oder die Dora hat es nicht wollen ; wahrscheinlich das letztere.
Er tut mir wahnsinnig leid, denn er liebt sie enorm. Aber sie
wird erst zur Vernunft kommen, wenn es zu spät ist. Geredet
hat sie kein Wort, ich glaube, auch nicht zur Mama. Nur nach-
mittags spielte sie lauter traurige Musik und daran merkt man
sofort, wie viel es geschlagen hat.
2. Jänner : Gestern hatte ich keine Zeit zum Schreiben, weil
wir Besuch hatten, allerdings ziemlich faden, die Liste und die
Trobisch ; die Julie Tr. ist ein ödes Wesen, ich glaube, die weiß
die einfachsten Dinge in dieser Hinsicht nicht und die Annie
ist überhaupt etwas blem-blem, höchstens die Lotte ist passabel.
Aber da wir Gesellschaftsspiele mit Gewinsten spielten, so unter-
hielten wir uns sehr gut und der Fritz und der Rudi sind ganz
nett. Am Abend war die Mama so ermüdet, daß der Papa sagte,
die Einladerei müsse aufhören; na, aus dieser Einladerei mache
ich mir wirklich nichts, besonders wenn die Dora immer von
der Lektüre zu sprechen anfängt. Von den Büchern, das heißt
nämlich von den fadesten Büchern wird immer geredet, wenn
man nichts anderes reden kann. Heute hat der Unterricht wieder
begonnen, Gott sei Dank mit einer Deutschstunde. Auf einen
guten Anfang halte ich wirklich etwas, obwohl ich sonst absolut
nicht abergläubisch bin. Übrigens haben wir in der Frühe zwei
Rauchfangkehrer begegnet, die, ohne daß wir es eigens einrichteten,
links an uns vorbeigingen. Das soll Glück bedeuten.
5. Jänner : Hochwichtig, bei der Hella seit gestern abends . . .!
Sie war gestern nicht in der Schule, da ihr schon vorgestern
furchtbar schlecht war und ihre Mama schon glaubte, sie bekomme
noch einmal Blinddarmentzündung. Statt dessen ! ! ! Sie sieht
so leidend und interessant aus, ich war den ganzen Nachmittag
und Abend bei ihr; und zuerst wollte sie mir nicht recht sagen,
wie und was. Aber wie ich sagte, ich gehe weg, wenn sie es mir
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nicht sagt, sagte sie : „Ja, aber du darfst dazu nicht so blöde
Gesichter machen und darfst mich überhaupt nicht anschauen".
„Also gut", sag ich, „ich schau nicht, aber sag' mir alles ganz
genau". Da sagte sie mir alles, daß ihr wahnsinnig schlecht war,
als ob sie entzweigeschnitten würde, viel ärger als nach der
Blinddarmoperation, und dabei hatte sie ein wahnsinniges Fieber
und fror doch dabei, den ganzen Freitag und gestern
tableauü Und dann sagte ihr ihre Mama das Wichtigste, was
sie ohnehin schon wußte. Und früher am Freitag hatte schon ihr
Doktor gesagt: Warten wir ab, es kann auch andere ! ! Ursachen
haben. Und dann flüsterte er zu ihrer Mama, aber die Hella
verstand doch das Wort aufklären. Da wußte sie gleich, wie-
viel es geschlagen hatte. Vor ihrer Mama tat sie ganz unschuldig,
als ob sie gar nichts wüßte und ihre Mama küßte sie und sagte,
jetzt sei sie kein Kind mehr, jetzt gehöre sie zu den Erwachsenen.
Lächerlich, also ich bin noch ein Kind! Also schließlich am
30. Juli werd ich auch 14 und wenigstens 1 Monat vorher wird
es auch bei mir sein, also höchstens 6 Monate bin ich noch
ein Kind. Die Hella und ich haben furchtbar gelacht, aber ein
bissei was bildet sie sich doch ein; sie gibt es zwar nicht zu,
aber ich habe es recht gut gemerkt. Wirklich gar nichts hat sich
bloß die Ada eingebildet. Wegen der Schule ist es der Hella
schrecklich unangenehm und vor ihrem Papa. Aber ihre Mama
hat ihr versprochen, sie sagt ihm nichts. Wenn es wahr ist ! ! !
7. Jänner: Die Hella war heute trotzdem in der Schule.
Ich habe sie fortwährend angesehen, und in der Pause hat sie
gesagt: „Ich hab dir schon einmal das blöde Fixieren verboten,
und ich verbiete es dir heute zum zweitenmale. Mit solchen
Dingen macht man keinen Spaß." Also da hört sich doch alles
auf. Anschauen darf man einen nicht deswegen; gut, in der dritten
Stunde setze ich mich etwas verkehrt; da fängt sie auf einmal
meinen Fuß mit dem ihren, daß ich beinahe laut auflachen muß
und sagt: „Schau nur her, denn das ist noch blöder." Natürlich
ermahnt uns die Dunker sofort, das heißt, sie ruft die Hella zum
Weiterlesen, aber die Hella sagt gleich, es ist ihr sehr unwohl,
157
L
sie hat zu mir gesagt, sie müsse um 12 Uhr weggehen. Alle
Mädchen schauen einander an, weil doch jede weiß, was un-
wohl bedeutet, und die Frau Dr. Dunker will die Hella gleich
entlassen, aber sie sagt auf Französisch — das hat die Dunker
riesig gern — sie bleibt schon bis zum Ende der Stunde. Ein-
fach göttlich!
12. Jänner: Heute waren wir in der Nachmittagsvorstellung
im Deutschen Volkstheater im Vierten Gebot. Es war herrlich,
der Abschied von der Großmutter, da haben fast alle Leute ge-
weint. Ich habe es verbissen, weil die Dora zu zweit neben mir
saß, und die Hella ebenfalls wahrscheinlich aus demselben Grunde.
Übrigens war sie ganz weg, weil in der großen Pause plötzlich
der Lajos erscheint, der im Parterre unten war, und die Hella
und ihre Mama begrüßen kam. Er wollte nach der Vorstellung
ohnehin zu ihnen kommen. Der Jenö hat Mumps, das ist eine
schrecklich unangenehme Krankheit, und ich würde das nie
eingestehen, wenn ich ihn bekäme. Die ärgsten Krankheiten sind
die, wo man geschwollen ist. Nächstnächsten Sonntag sind der
Lajos und der Jenö und ich natürlich bei Br. eingeladen. Ich
freue mich riesig.
18. Jänner: Jetzt habe ich eine Woche nicht geschrieben,
wir haben wahnsinnig viel zu lernen, besonders in Französisch,
wo wir sehr zurück sein sollen, so behauptet wenigstens die
Dunker!! Sie kann die Madame Arnau nicht leiden, das sieht
man deutlich. Also mir war die Mad. Arnau entschieden lieber,
schon weil sie keine Wimmerln hat. Und in Geschichte beim
Prof. Jordan ist es furchtbar schwer, weil man immer die Gründe
selber finden muß ; man muß verstandesmäßig! lernen, aber
das ist bei der Geschichte sehr schwer. Niemand bekommt
vorzüglich, höchstens die Verbenowitsch, aber die lernt auch aus
einem Buch, aber nicht aus unserem, sondern dem, nach dem
der Herr Prof. J. vorträgt. Und weil sie vorlernt, weiß sie natür-
lich immer schon alle Gründe der Kriege und die Folgen.
Folgen haben, heißt übrigens etwas ganz anderes, und des-
halb dürfen die Hella und ich einander gar nicht anschauen,
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wenn er beim Prüfen fragt: Welche Folgen hat dieses Ereignis
gehabt? Neulich hat der Herr Prof. geglaubt, die Franke lacht
ihn aus, aber sie hat nur wegen der Folgen gelacht; aber das
konnte sie doch unmöglich sagen, noch dazu einem Herrn ! ! ! !
20. Jänner: Wie wir, die Dora und ich, heute vom Eis weg-
gehen, begegnen wir die Mademoiselle und ich grüße sie gleich
und frag sie, wie es ihr (aber sehr betont) geht und auf einmal
merk ich, daß die Dora weitergegangen ist und die Mademoiselle
sagt: „Ihre Schwester hat es so eilig, ich will sie nicht aufhalten."
Und wie ich die Dora einhole und frage: Warum bist du weg-
gerannt ?", macht sie ein furchtbar hochmütiges Gesicht und sagt:
„Dieser Verkehr paßt mir nicht." „Wieso denn, du hast doch die
Mad. so gern gehabt und sie ist auch wirklich wunderschön."
Ja, sagt sie, das schon; aber es war eine große Taktlosigkeit,
daß sie mir das alles — du weißt schon, was — erzählt hat.
Aus einem solchen Verhältnis hinter dem Rücken der Eltern
kann kein Glück erblühen. Da hatte ich eine furchtbare
Wut und sagte: „Geh ich bitt dich, tu nur nicht so. Vom Viktor
haben auch die Eltern nichts wissen dürfen und du warst doch
riesig glücklich. Grade das heimliche macht einen so glücklich."
Da sagte sie ganz sanft: „Liebe Grete, auch du wirst Deine An-
sichten ändern", und dann redeten wir kein Wort mehr. Aber
ich ärgerte mich furchtbar über diese Gemeinheit; erst läßt
sie sich alles erzählen, obwohl die Mademoiselle eigent-
lich gar nicht wollte, und jetzt tut sie, als wenn sie nicht
wollen hätte. Wenn ich nur wüßte, wo ich die Mademoiselle
treffe, dann würde ich sie warnen. Jedenfalls schau ich, daß ich
heut in 8 Tagen wieder um 7 Uhr durch die W ... . Straße gehe,
vielleicht treffe ich sie, da sie wahrscheinlich aus einer Privat-
stunde kommt.
24. Jänner: Heute ist der Mama wieder sehr schlecht, trotz
der Operation. Ich habe mir vorgenommen, daß ich weder am
Sonntag zu Br. gehe, wo doch der Jenö kommen soll, noch am
Montag auf die Mademoiselle warten werde. Ich habe auch der
Hella nichts davon gesagt, weil sie wahrscheinlich sagen würde,
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das ist ein Unsinn, aber ich tue es doch lieber so; nicht weil
die Dora schon zweimal so anzüglich von einem reinen Ge-
wissen geredet hat, sondern weil mich nichts freut, wenn die
Mama krank ist.
26. Jänner: Die Mama ist ein Engel. Gestern fragte sie die
Tante Dora: „Ich bitt' dich, Dora, hat die Gretel schon die
frischen Spitzen in ihrem blauen Kleiderl eingenäht, weil sie
morgen bei Br. eingeladen ist." Da sagte ich : „Mama, ich gehe
nicht" und die Mama fragte: „Ja, warum denn nicht, doch nicht
am Ende meinethalben?". Da stürzte ich zu ihr und sagte: „Es
freut mich nichts, wenn du krank bist." Und da war die Mama
furchtbar lieb und weinte und sagte: „SolcheAugenblicke
lassen einen alle Schmerzen und Sorgen vergessen. Aber nein,
nein, das darfst du nicht, du mußt gehen, übrigens ist mir heute
schon wieder bedeutend besser und morgen ist wieder alles gut".
Und da antwortete ich: „Ja, ich gehe, aber nur, wenn dir
wirklich gut ist. Du mußt es mir aufrichtig sagen." Aber
wegen der Mademoiselle gehe ich auf keinen Fall am Montag.
28. Jänner: Heute war Mathematikschularbeit und deswegen
konnte ich gestern nicht schreiben. Wir haben uns himmlisch
unterhalten am Sonntag. Wir haben so gelacht, daß uns alles
weh tat und die Hella wäre bald erstickt vor lauter Lachen. Der
Lajos ist aber auch zum Winden; wie er die Frau vom Major
Zoltan in der Akademie nachmacht und den Hauptmann Riffl,
das ist köstlich. Ich kann gar nicht schreiben, so zittert mir die
Feder in der Hand vor Lachen. Und dann sagte mir der Jenö,
während die Hella und der Lajos miteinander Lieder sangen, daß
jeder Bursch in der Neustadt eine Geliebte hat, aber wirklich
eine Geliebte. Meistens in Wien und einige auch in W. Neu-
stadt, aber das ist gefährlich wegen des Erwischtwerdens. Alle
Offiziere wissen es, aber ertappen darf sich keiner lassen. Da
erzählte ich ihm das vom Oswald, und da sagte er: „Da war
der Oswald ein großer Esel, Pardon, daß es dein Bruder ist,
aber das hat er sehr blöd angestellt. Er ist eben immer Zivil
gewesen, beim Militär ist das ganz anders." Aber da habe ich
160
.
mich geärgert und habe gesagt: „Ich bitte dich Jenö, du bist
doch auch noch kein Offizier, also kannst du es nicht wissen."
Und deshalb sagte er dann zur Hella: „Du Ilona, du mußt deine
Freundin besser in Korda halten, sie neigt zur Insubordination."
Sie soll jede Insubordination von mir aufschreiben und dann
werde ich von ihm exemplarisch gestraft. Ja, aber da
gehören zwei dazu!
30. Jänner: Ich möchte so gern wissen, ob die Mademoiselle
am Montag wieder um 7 Uhr durch die W . . . gasse gegangen
ist, weil sie neulich ausdrücklich sagte: A Revoir, ma cheriel
Sie ist so schön und so blaß; wahrscheinlich kränkt sie sich
doch auch, und fürchten wird sie sich gewiß auch wegen
Das wäre entsetzlich. Ob sie von den gewissen Mitteln nichts
weiß, aber sagen kann man ihr das absolut nicht.
2. Februar: Jetzt ist mir ein wunderbarer Einfall gekommen
und die Hella findet ihn einfach pyramidal. Wir schreiben der
Mademoiselle anonym betreffs dieser Mittel und damit niemand
meine Schrift erkennt, so schreibt die Hella. Es muß nämlich so
etwas sein mit der Mademoiselle, weil ich neulich gerade dazu
kam, wie die Mama zur Tante Dora sagte: „Wenn man das ge-
wußt hätte, hätten wir sie doch nicht für die Kinder engagiert;
ihre Eltern können eine Freude haben.* Und die Tante sagte:
„Ja, das sind dann die Leute, die ihre Schande ins Wasser
tragen." Also ist es klar, daß es so ist, denn die Schande,
das bedeutet ein uneheliches Kind. Und das Ärgste ist, daß
die Eltern dann wissen, daß die Betreffende das getan hat. Wir
müssen ihr helfen, Gott, die Arme. Also darum ist die Dora
auf einmal so entrüstet. Aber woher sie es weiß? anmerken tut
man der Mademoiselle gar nichts ; ich hätte es bestimmt erkannt,
die Hella sagt oft, ich habe ein Auge dafür. Und das ist wahr,
bei dem Stubenmädchen vom Prof. Höfer habe ich es zu aller-
erst gemerkt, nicht einmal der Papa hat es gekannt.
4. Februar: Also wir haben ihr geschrieben, d.h. die Hella,
daß es solche Mittel gibt und daß alles Genauere im Lexikon
steht; damit aber niemand versteht, was, falls am Ende ihre
11 161
tyrannische Mutter den Brief aufmacht, so haben wir keinen
Band und keine Seite, sondern nur Buchstabe F . . . . M . . . .
geschrieben. Und unterschrieben „Jemand, der Sie versteht."
Leider können wir nie erfahren, ob sie den Brief bekommen hat,
aber die Hauptsache ist, daß sie ihn bekommen hat.
7. Februar: Also, was man wegen Briefen für eine Angst
aussteht! Heute sagt die Schuldienerin in der Pause: Bitt schön.
Sie sind doch das Frl. Lainer aus der III.? „Ein Brief ist für
Ihnen da." Ich werde ganz rot, weil ich glaube, doch von der
Mademoiselle, und die Frau Berger glaubt aber, es ist von einem
Burschen und sagt: „Eigentlich soll ich ihn der Frau Direktorin
geben ; ich darf keine Briefe an die Schülerinnen ausfolgen, aber
bei Ihnen will ich eine Ausnahme machen. Aber, bitt schön, ein
zweitesmal müßte ich ihn in die Kanzlei geben." Da sage ich :
»Frau Berger, er ist bestimmt von keinen Herrn, sondern von
einem Fräulein," und wie sie ihn mir gibt, sehe ich gleich, daß
er wirklich von keinem Herrn ist, sondern nur von der Ada!
Das ist doch zu blöd! Zu Neujahr machte sie mir Vorwürfe, daß
ich mein Versprechen treulos gebrochen, und jetzt bittet sie mich,
ich soll mich im Raimundtheater oder eventuell im Deutschen
Volkstheater erkundigen, ob der Herr G . . . dort ist ; sie kann
ohne ihn nicht leben in St. P. Dabei hat sie in den Ferien doch
gesagt, sie liebt ihn nicht, er ist ihr bloß Mittel zum Zweck.
Das weiß ich positiv, daß sie das gesagt hat. Ich gehe absolut
nicht in die Theater kanzl ei mich erkundigen und die Hella
sagt auch, ein solches Ansinnen ist eine Frechheit! Ich soll
ihr einen ordentlichen Brief schreiben, in was für eine Verlegen-
heit sie mich in der Schule hätte bringen können. Die Ada hat
wirklich ein Radi zuviel, scheint mir, wie ihr Papa immer sagt.
10. Februar : Das ist doch unerhört ! heute werde ich in die
Kanzlei gerufen, die Schuldienerin hat sich beschwert, daß ich unten
beim Eingang schon zweimal Orangenschalen weggeworfen habe.
Gestern war es wahr, da ist mir nämlich eine hinuntergefallen,
aber ich habe sie ohnehin mit dem Fuß in die Ecke geschleudert,
aber von zweimal weiß ich nichts. Aber ich weiß schon, woher
162
der Wind weht. Die Frau Berger hat geglaubt, ich werde ihr
für den Brief etwas geben ; ich möchte wissen, für so einen
Brief, das ist doch lächerlich, dafür werde ich doch nicht 20 Kreuzer
hergeben. Aber seitdem hat sie eine furchtbare Wut, das habe
ich schon Mittwoch beim Füßeabputzen gemerkt. Ich habe
also der Frau Direktorin gesagt: „Es war nur einmal und da
hab ich die Schalen in die Ecke geschleudert, wo niemand geht,
aber zweimal war es bestimmt nicht, das kann die Brückner be-
zeugen." Da sagte die Frau Direktorin: „Aus einer solchen Sache
machen wir keine Staatsaffaire, aber Hinkunft bück dich, wenn
dir etwas hinunterfällt." Die Frau Berger hat sich wütend ge-
ärgert und unsere ganze Klasse hat sich vorgenommen, daß wir
nicht gerade extra Mist machen, aber auch die Klasse nicht extra
rein halten. Was an Papieren daliegt, bleibt eben liegen. Eine
solche Frechheit, da hört sich schon alles auf!
12. Februar: Heute haben wir die Zeugnisse bekommen.
Ich habe kein einziges Befriedigend, lauter Lobenswert und Vor-
züglich. Die Eltern haben sich riesig gefreut, und wir haben jede
2 K bekommen. Die Dora hat nämlich lauter Vorzüglich, nur
drei Lobenswert; also sie lernt auch wahnsinnig und sie geht
auch wieder in Latein bei der Frau Dr. M. Wenn sie nächstes
Jahr wieder die Unterstufe hat, gehe ich auch, weil wir sie
dadurch 3 Stunden mehr haben in der Woche. Richtig, die
Franke hat tatsächlich Lobenswert in Math, und Physik, ob-
wohl sie sehr wenig kann. Mir scheint überhaupt, daß das
Nüßchen riesig gute Noten gegeben hat, denn die Hella hat doch
2mal Nicht genügend in der Math.-Schularbeit gehabt und hat
doch Lobenswert bekommen. Bei der Frau Dr. M. muß man
sich schon wirklich die Noten verdienen und voriges Jahr bei
der Fr. Dr. St. ebenfalls. Am ärgsten ist es beim Herrn Prof.
Jordan. Es hat wirklich niemand Vorzüglich bekommen außer
der Verbenowitsch, der falschen Katze. Morgen ist bei Br. große
Geburtstagsfeier wegen dem 14. Geburtstag der Hella. Der Lajos
und der Jenö kommen und die beiden Ehrenfeld, weil die Hella
sie sehr gern hat; besonders die Trude, die ältere, d. h. um
l»*
163
2 Tage älter als die Kitty, denn sie sind Zwillinge!! Das ist
gräßlich ! ! ! Sie sind erst seit heuer bei uns im Lyz. und die
Hella trifft sie täglich am Eis, ich nicht, weil wir heuer keine
Saisonkarten haben, sondern von Fall zu Fall zahlen, wegen der
Krankheit der Mama. Ich gebe der Hella eine elektr. Taschen-
lampe mit Riesenreflektor, daß wirklich das ganze Zimmer licht
ist und eine Bernsteinkette für den Hals.
14. Februar: Gut, daß wir heute und morgen noch Semester-
ferien haben, daß ich Zeit habe, alles zu schreiben von gestern.
Es war einfach phenommenal! Ich war schon vormittags bei der
Hella und habe ihr gratuliert und zu Mittag waren ich und der
Lajos und der Jenö eingeladen und nachmittags kamen die zwei
Ehrenfeld und brachten eine Bonboniere und drei Kusinen von
der Hella und noch 2 Kusins, von denen der eine gräßlich blöd
ist und kein Wort redet und mehrere Tanten und andere Damen,
weil auch gleich bei den Großen Gesellschaft war. Aber wir
haben uns gar nicht gekümmert um sie, das Speisezimmer, das
Zimmer der Lizzi und das Kabinet der Hella waren für uns her-
gerichtet. Es waren soviel Blumen für die Hella gekommen, daß
man beinahe Kopfweh bekam von dem Duft. Zu Mittag brachte
der Lajos einen Toast auf die Hella aus und bei der Jause noch
einen zweiten. Die Hella war großartig und sie sagte dann
abends zu mir: „Tatsächlich, man ist mit 14 Jahren ein anderes
Wesen!" der Lajos hatte nämlich in seinem Toast gesagt, alle
7 Jahre wechselt der Mensch sein ganzes Wesen, und die Hella
findet, daß das vollkommen richtig ist. Also Gott sei Dank, in
6?/ 2 Monaten wechsle ich auch mein ganzes Wesen.
Sie hatte wirklich förmlich etwas Fremdes und wie alle blasen
mußten, daß die Lichter auf der Torte bis auf das Lebenslicht
in der Mitte auslöschten, zum Zeichen, daß die anderen Jahre
schon vergangen sind, da ist sie wirklich ganz blaß geworden,
weil sie fürchtete, daß jemand aus Spaß oder aus Ungeschick-
lichkeit ihr Lebenslicht auslöscht. Aber Gott sei Dank, es ist
nicht passiert. Ich habe eigentlich solche Sachen nicht sehr gern,
weil ich mich auch immer fürchte, es könnte etwas passieren.
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Ich weiß ja auch, daß es nur ein Aberglauben ist, aber greulich
unangenehm wäre es doch gewesen, wenn jemand das Lebens-
licht ausgeblasen hätte. Der Lajos hat der Hella öffentlich!!
eine große viereckige Bonboniere gegeben und h e i m 1 i c h ! !
einen silbernen Ring mit einem Herzanhängsel. Den soll sie
immer tragen, bis er durch einen goldenen — nämlich den
Ehe — ring ersetzt wird. Aber das kann sie nicht wegen ihrer
Eltern und so bat sie mich, daß sie sagen könnte, sie hat ihn
von mir, aber das geht wieder wegen meiner Eltern nicht.
Diese Sachen sind so unangenehm und drum will kein Bursch
zuhaus bleiben, weil immer um alles gefragt wird, was man hat
und tut und trägt. Nach der Jause sangen wir: „War ich ge-
blieben doch auf meiner stillen Heiden" und andere traurige
Lieder, weil die die schönsten sind, und am Abend tanzten wir
und der Papa der Hella spielte dazu ; und dann tanzte die große
Kusine, die Elwira und der Lajos Czardas, das war wunderbar.
Überhaupt eine solche Geburtstagsfeier wie gestern habe ich
noch nie erlebt. Das ist auch nur im Winter möglich; bei mir,
am 30. Juli, kann das nie sein, weil gerade die Personen, die
man liebt ! ! nicht an demselben Ort sind. Es sollte eigentlich
niemand in den Ferienmonaten Geburtstag haben, sondern
höchstens von Ende September bis Juni. Wenn ich nur auch
schon 14 Jahre wäre, ich kann es gar nicht erwarten. Die Mama
der Hella sagte auch zu ihr beim Gratulieren, sie ist jetzt kein Kind
mehr, sondern eine Erwachsene; wenn ich es nur auch schon wäre!!!
16. Februar: Wir haben eine neue Schülerin bekommen.
Alle Mädchen und Lehrkräfte sind entzückt von ihr. Sie ist so
klein wie zehn Jahre, aber reizend schön. Braune Locken (die
Hella sagt Fuchsrot, aber das ist nicht wahr) bis zu den Schultern,
große braune Augen und einen süßen Mund und einen Teint
wie Milch und Blut. Sie ist die Tochter eines Bankdirektors in
Hamburg; er hat sich erschossen, warum, das wissen wir
nicht. Sie ist natürlich in Trauer und das steht ihr großartig.
Sie spricht ganz Norddeutsch. Die Frau Dr. Fuchs ist ganz ver-
narrt in sie und die Frau Direktorin ist auch riesig lieb zu ihr.
165
19. Februar: Heute sind wir mit der Anneliese nachhause
gegangen, die Hella und ich. Sie heißt Anneliese von Zerkwitz.
Ihre Mama kränkt sich so über den Tod ihres Papas, daß sie
wahrscheinlich in ein Sanatorium kommen muß ; deshalb sind sie
nach Wien zu ihrem Onkel gekommen. Der ist ein Professor und
sie wohnen auf der Wiedner Hauptstraße. Die Dora findet sie
auch reizend, die ganze Schule ist verliebt in sie. Sie wird auch
mit uns in die Turnschule gehen ; ich freue mich riesig. Sie wird
zwar nicht neben mir und der Hella stehen, weil sie so klein ist ;
aber wir können sie doch immer anschauen, ihr alles zeigen und
ihr bei den Geräten helfen. Die Hella ist ein bißchen eifersüchtig
und sagte: „Die Anneliese hat mich, wie mir scheint, ganz aus-
gestochen bei dir". Ich sagte ihr, das sei bestimmt nicht wahr,
aber ob die Anneliese nicht zum Verlieben sei? „Ja", sagte die
Hella, „aber seine alten Freunde darf man deswegen nicht ver-
nachläßigen". „Das tue ich auch gar nicht; aber die Anneliese
braucht doch jemanden, der ihr alles sagt und zeigt". Und die
Frau Direktorin und die Frau Dr. M. haben sie gerade vor
mich gesetzt und zu uns gesagt: „Nehmt Euch ihrer ein
wenig an".
20. Februar: Wie schade, daß ich die Anneliese nicht ein-
laden kann, da die Mama schon seit acht Tagen im Bett liegen
muß. Aber am Sonntag ist sie bei der Hella eingeladen und da
ich natürlich auch hinkomme, freue ich mich riesig. Aber lieber
wäre es mir natürlich bei uns zuhause; wegen der Mama geht
es leider jetzt nicht. Die Dora glaubt, die Mama müsse noch
einmal operiert werden, das glaube ich nicht, denn eine solche
Operation kann man nur einmal machen. Ich weiß nur nicht,
wenn damals die Operation gut war, was jetzt der Mama wieder
fehlt. Die Dora fürchtet, daß die Mama den Krebs hat, das wäre
schrecklich; ich glaube aber, daß dies nicht der Fall ist, denn
am Krebs muß man sterben.
23. Februar: Bei Brückner war es himmlisch! Die Anneliese
kam erst um vier Uhr, weil sie erst um 3 Uhr mittagessen. Sie
hatte ein weißes gesticktes Kleidchen mit schwarzen Seidenmaschen
166
an. Die Mama der Hella küßte sie auf die Wangen und hatte
Tränen in den Augen. Ihre Mama ist nämlich tatsächlich im
Sanatorium, weil sie nervenkrank ist. Jetzt ist die Anneliese
bei ihrem Onkel und ihrer Tante. Aber sie weint oft um ihren
Papa und um ihre Mama. Bei den Gesellschaftsspielen war sie
aber ganz lustig, sie gewann gerade die schönsten Sachen, eine
Taschentoilette, eine gefüllte Bonboniere, einen Jux-Elephanten,
einen Neger mit einer Vase und noch anderes. Ich gewann einen
Stehtintenwischer, eine Doppelvase, einen Goldkrayon, sehr viele
Bonbons und ein Notizbuch. Die Hella gewann auch eine Menge
und ihre zwei Kusinen und die Jenny ebenfalls. Dann wurde
musiziert und die Anneliese sang die Wacht am Rhein und viele
Volkslieder; sie hat eine so süße Stimme, wie sie selber ist. Sie
wurde schon um 7 Uhr abgeholt, ich ging um 8 Uhr fort.
1. März: Morgen sind die Hella und ich bei der Anneliese
eingeladen. Ich freue mich so. Ich werde die Mama betteln, daß
ich meine neue Theaterbluse anziehen darf und das grüne Früh-
jahrskostüm. Wir haben ja 10° Wärme gehabt.
3. März: Gestern waren wir bei der Anneliese. Sie wohnt
mit ihrer Kusine zusammen; die ist erst 11 Jahre und geht nur
in die Bürgerschule, aber sie ist ganz nett. Ich habe geglaubt,
daß es beim Herrn Professor Arndt furchtbar elegant sein wird,
doch ist dies nicht der Fall. Sie haben nur drei Zimmer und
sind nicht besonders schön eingerichtet. Er ist schon in Pension
und die Emmy ist ihre Enkelin, weil ihr Papa in Galizien ist,
ich glaube Hauptmann oder Major. Es war nicht so unterhaltend
wie bei der Hella. Gespielt wurde ohne Gewinnste und das ist
fad; es liegt einem ja nichts an den Gewinnsten selber, aber
wozu spielt man, wenn man nichts gewinnt? Dann wurde vorge-
lesen aus einem Geschichtenbuch. Aber was die Hella und ich
empörend fanden, ist, daß der Onkel der Anneliese zu uns beiden
„Du" sagt. Die Hella ist doch schon vierzehn und ich werde es
in ein paar Monaten. Aber die Hella hatte ganz recht; im Ge-
spräche sagte sie: „Bei uns im Lyzeum sagen nur die Damen
Du zu uns, die Professoren müssen Sie sagen". Leider ist er
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bald fortgegangen, so daß wir nicht wissen, ob er's kapiert hat.
Die Hella sagte auch, daß es nicht besonders unterhaltend war.
9. März: Gotteswillen, die Mama hat wirklich Krebs; der
Papa will es natürlich nicht sagen, aber sie muß sich unbedingt
noch einmal operieren lassen. Die Dora ist ganz verweint und
mir zittern die Knie. Am Freitag kommt die Mama ins Sanatorium.
Am Donnerstag kommt wieder die Tante Dora und bleibt bei
uns, bis die Mama gesund ist. Gott, ich fürchte so die Operation
und fast noch mehr das Wegfahren der Mama. Das ist schrecklich ;
aber es haben ja so viele Leute Krebs und sterben doch nicht.
22. März: Morgen kommt die Mama wieder nachhause. O
ich bin so froh! Im Sanatorium ist alles so still und man getraut
sich kaum zu reden auf den Gängen. Die Mama hat gesagt:
„Länger bleibe ich nicht mehr herinnen, ich will zu meinen
Kindern". Wir waren täglich bei der Mama im Sanatorium und
brachten ihr Veilchen und andere Blumen, weil sie die ersten
Tage nach der Operation nichts essen durfte. Aber jetzt, zuhause
ist es doch ganz anders. Ich wäre morgen gern von der Schule
zuhaus geblieben, aber die Mama sagte: „Nein, Kinder, geht in
die Schule, tut es mir zuliebe". Natürlich gehen wir, aber auf-
passen kann ich unmöglich beim Unterricht.
24. März: Jetzt schläft die Mama. Sie sieht sehr schlecht
aus und hat noch immer Schmerzen. Die Ärzte müssen es doch
nicht recht verstehen; denn wenn sie sie ordentlich operiert
hätten, könnte sie doch nicht jetzt nach der zweiten Operation
Schmerzen haben. Ich möchte wissen, was die Mama mit der
Dora geredet hat, weil beide geweint haben. Obwohl die Dora
und ich jetzt ganz gut mit einander sind, wollte sie es mir nicht
sagen, sondern sagte, sie habe es Mama versprochen, nichts
darüber zu reden. Daß die Mama der Dora ein Geheimnis
anvertraut, glaube ich zwar nicht, aber vielleicht war es etwas
wegen dem Heiraten. Weil die Dora nur sagte: „Übrigens hätte
die Mama mir das gar nicht zu sagen gebraucht, da ich ohnehin
fest dazu entschloßen bin". Solche Andeutungen hasse ich, da ist
es besser, gar nichts zu sagen. Wenn die Mama wieder aufstehen
168
darf, fährt sie zur Erholung nach Abbazia und wahrscheinlich
fährt die Dora mit ihr.
26. März: Nächste Woche soll die Mama mit der Dora nach
Abazzia fahren. Die Dora glaubt, ich beneide sie wegen der Reise
und sagte: „Ich würde gern verzichten auf die Reise und das
Meer, wenn lieber die Mama gesund wäre. Und heuer, wo ich
Matura habe, verlange ich es mir schon gar nicht". Ich bin so
traurig, daß ich absolut keine rote Masche ins Haar nehme,
obwohl sie mir am besten steht. Ich trage jetzt meist eine schwarze,
und seit gestern eine braune, weil die Mama sagt : „Geh, Gretel,
gib die schwarze Masche aus dem Haar; das schaut so düster
aus und das paßt gar nicht zu dir." Ich konnte doch der Mama nicht
sagen, wie mir zumute ist, und da nahm ich also die braune und
sagte, die rote sei schon ganz verknittert.
12. April : Ich komme gar nicht zum Schreiben. Es ist so
traurig bei uns, denn der Mama geht es sehr schlecht. Morgen
kommt der Oswald in die Osterferien und die Mama freut sich
riesig auf ihn. Ich sollte mit der Hella und ihrem Papa nach
Maria-Zeil fahren, weil sie vielleicht heuer in Mitterbach oder
Mitterberg, das liegt bei Maria-Zeil, eine Sommerwohnung nehmen
werden. Aber ich gehe nicht mit, weil ich nicht aufgelegt bin
dazu, und ich glaube, es ist auch der Mama lieber; denn sie
sagte: „Also werde ich zu Ostern alle meine drei Lieblinge bei-
sammen sehen." Wie sie das sagt, mußte ich weinen und rannte
schnell zur Tür hinaus, damit sie es nicht sehe. Aber sie muß es
doch gesehen haben, denn nach Tisch sagte sie zu mir: „Gretel,
wenn du gern mit Brückners fährst, so gehe nur; ich bin so
froh, wenn ihr eine Freude habt. Im heurigen Winter habt ihr
ohnehin nichts genossen". Und da konnte ich mich nicht zurück-
halten und weinte sehr und sagte: „Nein, Mama, ich will absolut
nicht wegfahren. Ich will nur, daß du wieder ganz gesund wirst."
Und da weinte auch die Mama und sagte: Du liebes Kind, ganz
gesund werde ich wohl nie mehr, aber bei euch bleiben möchte
ich so gern, bis ihr alle groß seid; dann braucht ihr mich nicht
mehr so notwendig." Dann kam die Dora herein und als sie sah,
169
L
daß die Mama weinte, sagte sie, der Papa habe mich gerufen.
Das war aber nicht wahr, sondern am Abend sagte sie mir, daß
es für die Mama keine Hilfe gebe, aber ich soll sie nicht auf-
regen und mir nichts anmerken lassen. Und dann weinten wir
beide sehr und versprachen einander, daß wir immer beim Papa
bleiben wollen.
16. Mai: Am 24. April, gerade am Sonntag nach Ostern ist
die Mama gestorben. Es ist schrecklich traurig bei uns. Bei Tisch
redet fast keines ein Wort, nur der Papa redet so lieb zu uns.
Die Tante Dora bleibt vielleicht für immer bei uns. Es ist nicht
einmal noch drei Wochen, seit die Mama begraben wurde, aber
uns ist es, als ob sie schon drei Jahre tot wäre, einerseits; und
andererseits will man immer schnell in ihr Zimmer gehen, um
sie um etwas zu fragen oder ihr etwas zu erzählen. Und abends,
wenn wir uns niederlegen, da reden wir immer so lang von ihr und
dann träume ich die ganze Nacht von ihr. Wozu die Menschen
sterben müssen? Oder wenigstens nur die ganz alten Leute, die
schon gar niemanden mehr haben. Aber eine Mama und ein Papa
sollte nie sterben. In der Nacht, nachdem die Mama gestorben
war, wollte die Hella, daß ich zu ihnen käme, aber ich blieb doch
lieber zuhause; aber spät am Abend traute ich mich nicht ins
Vorzimmer, da ging die Dora mit mir. Der Papa hat die Tür
vom Salon, wo die Mama aufgebahrt war, abgesperrt, aber trotz-
dem war es so unheimlich. Sie haben mich am 24. erst aufge-
weckt, als die Mama schon tot war; ich hätte sie so gern noch
vorher gesehen. O Gott, daß man sterben muß! Wenn ich nur
wenigstens nach ihr Berta hieße; aber das wollte sie nicht, daß
eine von uns nach ihr heiße und der Papa wollte es auch nicht
beim Oswald.
19. Mai : Etwas hat mich beim Begräbnis der Mama furcht-
bar geärgert von der Dora, eigentlich nicht geärgert, sondern
gekränkt, nämlich daß sie mit dem Papa in und aus der Kirche
gegangen ist. Sonst gehe doch immer ich mit dem Papa und
die Dora ist immer mit der Mama gegangen. Und wie die arme
Mama im Sanatorium war, ist die Dora mit der Tante gegangen.
170
Aber beim Begräbnis ist der Papa mit ihr gegangen und ich
mußte mit der Tante Dora gehen. Nach ein paar Tagen habe ich
es ihr gesagt und da sagte sie, das sei ganz natürlich, weil sie
die ältere ist. Der Oswald hätte sollen mit mir gehen, das hätte
sich gehört. Aber der ging allein. Und das ärgert mich auch ; wie die
Tante Dora im Herbst zu uns gekommen ist, haben wir, ich und
die Dora, uns beim Essen und beim Nachtmahl an eine Seite
zusammengesetzt und die Tante saß vis-ä-vis der Mama und wenn
die Mama liegen mußte, blieb ihre Seite für die Teller frei. Nach
ihrem Tod saß der Oswald an der vierten Seite und jetzt seit
vielleicht 8 Tagen hat sich die Dora an den Platz der Mama
gesetzt. Ich begreife nicht, daß der Papa das erlaubt!
19. Mai: Heute zu Mittag hat niemand etwas gegessen.
Wir hatten nämlich Kalbsbrust und die haben wir auch am
Begräbnistage der armen Mama gehabt, und wie der Braten auf
den Tisch kommt, schaue ich zufällig die Dora an und sehe,
wie sie ganz rot ist und furchtbar schluckt. Da konnte ich mich
nicht mehr zurückhalten und sagte: „Ich kann keine Kalbsbrust
essen, denn am Begräbnistag % da konnte ich gar nicht
weiterreden und der Papa stand gleich auf und kam zu mir und
die Dora und die Tante Dora weinten auch furchtbar. Und nach
dem Essen versprach uns die Tante, daß wir nie wieder im
Leben Kalbsbrust haben werden. Die Tante hat dann zur Jause
einen Ulmerkuchen holen lassen, weil wir zu Mittag fast nichts
gegessen hatten.
26. Mai : Heute hat die Dora schriftliche Matura, den ersten
Tag. Der Papa wollte, daß sie austritt, weil sie sehr schlecht aus-
sieht, aber sie sagte, nein, es sei ihr eine Zerstreuung und sie
möchte schon das Lyzeum fertig machen. Denn nächstes Jahr will
sie ins Reformlyzeum gehen und fürs Gymnasium weiterlernen.
Eigentlich hätte sie sollen in eine Tanzschule gehen, weil sie
doch schon 17 wird, aber wegen der Trauer ist das ganz un-
möglich und überdies will sie selbst nicht; selbstverständlich.
Die Frau Direktorin glaubte auch, die Dora wird am Ende aus-
treten, weil sie so nervös ist, aber sie wollte durchaus nicht.
171
Gott, die Lehrkräfte waren alle so lieb zu uns nach dem Tode
der Mama, nämlich die Damen. Die Professoren kümmern sich
nicht um unsere häuslichen Angelegenheiten, denn sie kommen
immer nur auf 1 oder 2 Stunden. Die Frau Dr. Steiner, die wir
heuer nicht einmal haben, war großartig; ich sah deutlich, daß sie
Tränen in den Augen hatte, und die Frau Dr. M., also mein Gott,
die ist eben immer ein Engel! Beim Frühlingsfest am 20. Mai
waren wir nicht, obwohl der Papa es uns freistellte. Die Hella
und die Anneliese haben mir furchtbar zugeredet; aber ich ging
nicht und werde mich wohl nie mehr unterhalten. Für die andern
soll es sehr lustig gewesen sein, aber für die Dora und mich
wäre es entsetzlich gewesen. Oft denke ich mir am Abend, es ist
gar nicht wahr, die Mama ist bloß in Franzensbad und kommt
wieder. Und dann weine ich so lange, bis ich Kopfweh habe oder
bis die Dora sagt: „Ich bitt dich, Gretl, hör auf, das ist schreck-
lich." Aber sie weint ja selber auch oft, ich höre es ganz gut,
nur sage ich nie etwas.
4. Juni: Also die Dora sieht den Tod der Mama als eine
Strafe Gottes für den Papa an! Aber was können denn wir
dafür ? Sie sagt, o ja auch, denn wir haben manches getan, was
wir hätten nicht tun dürfen und vor allem andern haben wir vor
der Mama Heimlichkeiten gehabt. Und das ist jetzt die Strafe
Gottes. Das ist gräßlich und ich fürchte mich jetzt so, weil sie
immer vom Auge und vom Finger Gottes redet, in ein finsteres
Zimmer zu gehen, weil ich immer das Gefühl habe, es ist jemand
drin, der mich furchtbar anschaut und mich anfassen will.
8. Juni: Der Papa ist wütend über die Dora; ich habe
nämlich unabsichtlich gestern abends, wie ich die Salontür auf-
mache und der Papa herauskommt, furchtbar aufgeschrien, und
wie der Papa fragt, was ich habe, habe ich ihm das von der
Strafe Gottes erzählt; nur das von ihm habe ich nicht gesagt,
sondern nur von der Dora und mir. Und da war der Papa furcht-
bar böse, zum erstenmal seit dem Tode der Mama, und hat zur
Dora gesagt, sie soll nicht sich und mich krank machen mit ihren
Hirngespinsten und da hat die Dora beinahe einen Herzkrampf
172
bekommen, so daß der Doktor kommen mußte. Die Tante schlief
bei uns im Zimmer und wir mußten beide Brompulver nehmen.
Und heute war der Papa riesig lieb zu uns und sagte: „Kinder, Ihr
habt euch keine Vorwürfe zu machen, ihr wart immer gute brave
Mädeln und werdet es auch hoffentlich bleiben." Ja, das will
ich wohl, denn das Auge der Mama wacht über uns. Die Hella
findet, daß ich elend aussehe und sie fragte mich heute, ob
vielleicht ?? Aber ich sagte ihr, ich will von solchen
Sachen nichts mehr reden, das bin ich dem Andenken meiner
Mama schuldig. Sie wollte noch etwas sagen, aber ich sagte :
„Nein, Hella, davon rede ich absolut nicht mehr. Das kannst
du nicht verstehen, weil du eben deine Mama noch hast."
12. Juni: Gott, das ist gräßlich; jetzt wollte ich nie mehr
an solche Dinge denken und jetzt kommt eine solche Affäre!
jetzt sitz ich unschuldig drin in der Patsche. Heute gleich nach
9 kommt eine aus der II. in die Mathematikstunde und sagt :
„Die Frau Direktorin läßt bitten, die Lainer, die Brückner und
die Franke sollen sofort in die Kanzlei kommen. Alle Mädchen
schauen uns an, aber wir wissen nicht, warum. Wie wir in die
Kanzlei kommen, ist die Tür von der Frau Dir. zu und das
Fräulein N. sagt, wir sollen warten. Dann kommt die Frau Dir.
hinaus und ruft mich hinein. Drin sitzt eine Dame, die schaut
mich mit dem Lorgnon an. „ Gehst du öfters mit der Zerkwitz?"
fragt die Frau Direktorin. Ja, sag ich, und es ahnt mir gleich
nichts Gutes. „Diese Dame ist die Mama der Zerkwitz, sie be-
schwert sich darüber, daß du mit ihrer Tochter sehr unpassende
Sachen redest; ist dies so?" „Wir, die Hella und ich, haben ihr
nie etwas sagen wollen ; aber sie hat uns sehr gebeten und dann
glaubten wir auch, sie wisse es ohnehin schon und stellt sich
nur so." „Was soll sie wissen und was habt ihr gesprochen?"
fährt die Mama von der Anneliese los. „Bitte", sagt die Direktorin,
„ich werde die Mädchen verhören; also die Brückner war auch
dabei?" „Nur ganz selten", sage ich. „Ja, die Hauptschuldige ist
die Lainer, deren Mama erst vor kurzem gestorben ist."
Da habe ich die Tränen verbissen und gesagt: „Wenn die
173
L
Anneliese nicht immer wieder angefangen hätte, hätten wir kein
Wort von diesen Sachen geredet." Und dann habe ich überhaupt
keine Antwort mehr gegeben. Jetzt mußte die Hella herein-
kommen. Sie hat mir dann gesagt, wie sie mich angeschaut hat,
hat sie gleich gewußt, wieviel es geschlagen hat. „Was habt ihr
mit der Zerkwitz geredet?" Zuerst wollte die Hella nichts
sagen, aber dann sagte sie ganz kurz: „Vom Kinderkriegen
und von dem Verheiratetsein!" „Gott im Himmel, solche Küken
und sprechen von solchen Dingen", sagte die Mama von
der Anneliese. „Solche verdorbene Geschöpfe." „Wir haben
nicht geglaubt, daß die Anneliese wirklich nichts weiß, sonst
hätten wir nichts mit ihr geredet", sagte auch Hella; sie war
großartig. „Was den Alfred betrifft, so sind wir ganz unbeteiligt
und wir haben ihr oft abgeraten, sich von der Schule abholen
zu lassen; aber sie hörte nicht auf unsern guten Rat." „Ich
spreche jetzt von euren Gesprächen, durch die ihr das arme
unschuldige Kind verdorben habt", sagte die Frau v. Zerkwitz.
„Sie muß unbedingt schon etwas gewußt haben, sonst wäre sie
nicht mit dem Alfred gegangen und auch nicht mit uns", sagte
die Hella. „Ach, du himmlischer Vater, das ist ja die weit
Ärgere; eine solche Verdorbenheit!" Dann mußten wir hinaus-
gehen. Draußen hat die Hella furchtbar geweint und ich auch,
weil wir uns fürchten wegen zuhause. Wir konnten gar nicht
in die Mathematikstunde gehen, weil wir ganz verweint waren.
In der Pause ging die Hella an der Anneliese vorbei und sagte
ganz laut: „Verräterin" und spuckte vor ihr aus. Deswegen
mußte sie aus der Reihe treten. Ich trat auch aus der Reihe und wie
die Frau Professor Kreindl sagte: „Du Lainer nicht, gehe nur
weiter", sagte ich: „Bitte, ich habe auch ausgespuckt" und
stellte mich neben die Hella. Alle Mädchen schauten uns an.
Die Frau Prof. Kreindl weiß offenbar schon alles, denn sie sagte
nichts weiter. In der Deutschstunde von 11—12 sagte die
Frau Dr. M. : „Kinder, könnt ihr denn keinen Frieden halten?
Diese ewigen Anstände sind entsetzlich und dabei kommt nichts
heraus als Aufregungen für euch und eure Eltern und uns".
174
Knapp vor 12 Uhr wurde ich nochmals mit der Hella zur Frau
Direktorin gerufen. „Mädchen", sagte sie, „was habt ihr für ab-
scheuliche Sachen ? Was müßt ihr denn das, was eure Phantasie
vorzeitig vergiftet, andern auch noch sagen? Und du Lainer,
schämst du dich nicht, vor wenigen Wochen wurde deine Mama
begraben, und jetzt hört man solche Dinge von dir?" „Bitte",
sagt die Hella ; „dies war alles schon im Frühling und noch im
Winter; denn da sind wir noch aufs Eis gegangen. Da war die
Mama der Rita noch ziemlich gesund. Und die Zerkwitz hat uns
schrecklich sekkiert, ihr alles zu sagen. Ich habe die Rita oft
gewarnt und gesagt: „Trau ihr nicht", aber sie war ganz ver-
narrt in die Zerkwitz. Bitte Frau Direktorin, sagen Sie nichts
davon dem Papa der Rita; denn er würde sich sehr kränken."
Die Hella war einfach großartig, ich werde ihr das nie ver-
gessen. Sie will mich das nicht schreiben lassen; wir schreiben
nämlich zusammen. Die Hella meint, wir müssen alles wörtlich
niederschreiben, man kann nie wissen, wozu man es braucht.
Die Hella ist eine Freundin, wie es keine zweite gibt, und dabei
so mutig und gescheit. „Du bist geradeso gescheit", sagt sie zu
mir, „aber nur bist du gleich so eingeschüchtert und dann bist
noch von deiner Mama ihrem Tod sehr nervös. Wenn nur dein
Papa nichts erfährt." Die dumme Gans hat auch die alte Sauce
von den zwei Studenten am Eis aufgewärmt, die längst vorüber
ist. „Nur niemanden sich anvertrauen", sagt die Hella und da
hat sie wirklich recht. Ich hätte das der Anneliese niemals
zugetraut. Was mit der Franke war, wissen wir noch nicht. Wie
sie heraufkam, legte sie Finger an die Lippen, das sollte natür-
lich heißen; „Nichts verraten!"
15. Juni : Heute war der Herr Landesschulinspektor da. Ich
war grad in der Mathematikstunde an der Tafel, da klopft es und
herein kommt die Frau Direktorin und der Herr L.-I. Im ersten
Moment glaubte ich, er komme deswegen und werde toten-
blaß (d. h. das haben dann alle Mädchen gesagt; die Hella
sagt, ich habe wie eine trauernde Niobe ausgesehen). Gott sei
Dank, die Rechnung war nicht schwer und dann kann ich ja
175
immer alle Rechnungen; in Math, und Französich bin- ich ja die
beste. Aber der Herr Insp. sah, daß ich Tränen in den Augen
hatte und sagte etwas zur Direktorin; da sagte die Direktorin:
„Sie hat vor kurzem ihre Mama verloren". Da lobte mich der
Herr Insp. und ich blödes Ding fange zu heulen an. Die
Direktorin sagt: „Setz dich nur, L.," und streicht mir über die
Haare. Sie ist so lieb und ich hoffe, daß sie und die Frau
Dr. M. in der Konferenz für mich reden werden. Und daß der
Papa nichts erfährt; denn er würde mir natürlich auch schreck-
liche Vorwürfe machen, weil dies alles so knapp nach dem Tode
der Mama kam. Aber eigentlich war ja alles schon viel früher.
Herausgekommen ist es ja nur, weil die Mama der Hella zu
ihrer verheirateten Nichte, zu der Emmy fuhr, die ihr erstes
Kind bekam. Und da sagten wir eben dem „reinen Kind"
(so nennen wir jetzt die Falsche) alles. Die Hella ist noch immer
der Meinung, daß sich das „reine Kind" verstellt hat. Das ist
schon möglich, denn schließlich ist sie auch schon bald vierzehn
Jahre; und mit 14 weiß man b e s t i m m t schon sehr vieles ;
das gibt es nicht, daß man da noch an den Storch
glaubt, wie die Anneliese es angeblich ! ! ! getan hat. Die Hella
meint, ich werde jetzt auch bald „entwickelt" sein, weil ich
immer so blaue Ringe unter den Augen habe. Daß die Frau
v. Zerkwitz gesagt hat, „solche Fratzen", habe ich ganz tiber-
hört; aber die Hella sagt, die Frau Direktorin habe es durch
ein Räuspern zurückgewiesen. Über den Ausdruck
„solche Küken" hat sich die Hella gewunden vor Lachen, weil
ihre Mama bei solchen Sachen auch immer sagt: „Ihr
Küken, das geht euch noch nichts an," Gott, wann soll man
denn alles erfahren, als wenn man bald 14 ist! Wir beide, die
Hella und ich, haben eigentlich diese Sachen se hr früh er-
fahren und geschadet hat es uns gar nicht. Die Mama der Hella
sagt immer, wenn man solche Sachen schon zu früh weiß, be-
kommt man ein altes Gesicht; aber das ist natürlich nicht wahr,
Aber warum die Mütter nicht wollen, daß wir es wissen?
Sie müssen sich rein genieren.
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16. Juni: Gestern abends, wie wir schon im Bett liegen,
sagt die Dora: „Was hast du denn eigentlich mit der Z. oder
wie sie heißt, geredet? Die Frau Direktorin hat mich heute in
die Kanzlei gerufen und hat mir gesagt, daß du so unpassende
Sachen sprichst. Ich solle auf dich aufpassen an Mutters Stelle!"
Na also, das könnte mir passen! Übrigens ist ja das alles
gewesen, wie die Mama noch lebte. Das weiß ja nie eine Mutter,
was die Kinder untereinander reden. Die Dora glaubt, daß ich
in der Konferenz einen Tadelbrief bekomme. Das wäre mir
schrecklich unangenehm wegen dem Papa; das gäbe wieder
einmal einen Mortsskandal ; obwohl der Papa eigentlich jetzt
immer nur sehr lieb ist; seit der Krankheit der Mama hab ich
nicht ein einzigesmal einen Verdruß gehabt. Das ist wahr, der
Tod macht die Menschen mild, aber warum? Eigentlich sollte
man doch böse werden, weil man sich ja sehr kränkt. Vorige
Woche ist der Grabstein aufgestellt worden und da waren wir
alle draußen. Ich möchte sehr gern einmal allein am Friedhof
gehen, weil man sich doch vor den andern sehr geniert
zu weinen.
18. Juni: Das „reine Kind" kommt nicht mehr ins Turnen,
wenigstens war sie seit damals nicht mehr da. Wir glauben,
sie traut sich nicht, obwohl wir ohnehin nichts sagen würden.
Wir strafen sie mit stummer Verachtung, das ist am
fühlbarsten. Und am Tennisplatz kommt sie, Gott sei Dank,
nicht. Ein falscher Mensch, das ist das Ärgste, denn da weiß
man nie, wie man dran ist. Wenn eine recht aufschneidet, so
kann ich ihr wenigstens sagen : Geh, bitt dich, lüge nicht so
dick aufgetragen; ich bin ja auch nicht auf den Kopf gefallen.
Aber gegen die Falschheit gibt es kein Mittel. Drum kann
ich auch die Katzen nicht leiden. Wir nennen das „reine Kind"
auch „rote Katze". Ich glaube, sie weiß es. Übermorgen ist der
Lyzeumsausflug nach Carnuntum. Ich freue mich riesig. Um halb 8
müssen wir an der Schiffsstation sein.
21. Juni: Der Ausflug war riesig nett. Die Hella sollte mich
abholen. Sie verspätete sich aber sehr und so nahm ihre Mama
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L
ein Auto und glücklicherweise hatte ich gewartet. Ich fahre für
mein Leben gern im Auto. Die Dora wollte nicht warten und
fuhr schon um 3 /J mit der Elektrischen. Um 7 4 8 kam die Hella
mit dem Auto und gerade, ehe das Schiff die Anker lichtete
(mir scheint, das kann man nur von einem Segelschiff auf dem
Meere sagen, aber das schadet nichts, ich bin ja nicht die Marina,
die alles von der Marine weiß) also gerade zurecht kamen wir
an. Es haben uns doch alle sehr angeschaut, wie wir mit dem
Auto angerast kamen. Beim Aussteigen fiel ich hin, das war dumm ;
aber ich glaube, es haben es nicht alle bemerkt. Die Tante Dora
hatte gesagt, für den einen Tag sollen wir die Trauer ablegen
und der Papa sagte es auch und so zogen wir die weißen
gestickten Kleider an und die Tante Dora war so gut und machte
uns schwarze Schärpen als Gürtel; das sieht riesig elegant aus
und in Amerika soll man so Trauer tragen. Ich schwärme für
Amerika, das Land der Freiheit. Dort gehen Knaben (d. h. junge
Burschen) und Mädchen zusammen in die Schule ! ! — — —
Ja, also lieber vom Ausflug. Beim Fahren saßen wir im Schiffe
neben der Frau Dr. M. ; sie war kolossal nett; rechts die Hella,
links ich, so nahe, daß sie sagte: „Kinder, ihr zerquetscht mich
oder mindestens mein Kleid!" Sie hatte nämlich auch ein weißes
Kleid an und um den Hals eine Korallenschnur, die ihr einfach
großartig steht. Wie wir schon bald in Hainburg waren, ist der
Hella der Hut in die Donau gefallen und alle Mädchen schrien
auf, weil sie meinten, ein Kind sei ins Wasser gestürzt. Aber es
war Gott sei Dank nur der Hut. Wir gingen auf den Schloßberg
und hatten eine schöne Aussicht, d. h. ich habe nur die Frau
Dr. M. angeschaut, weil sie so schön war; der Professor Wilke
war auch mit und ist immer mit ihr gegangen. Alle Mädchen
sagen, er wird sie wahrscheinlich heiraten, vielleicht schon in
den Ferien. Gott, wenn das wahr wäre, das wäre entsetzlich.
Die Hella meint zwar, das sei doch ganz ausgeschlossen wegen
des deutschen Professors; sie müßte höchstens doch lieber den
Professor W. heiraten als den andern, weil er ein Jude sein soll.
„Nun ja, aber all das Übrige, das drum und dran hängt, ist doch
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bei jedem gleich, sagte ich. „Das ist eben die Hauptsache, du
Eserl", sagt die Hella. Und die Frau Dr. M. sagt: „So, das läßt
du dir gefallen von deiner Intima ? Was ist denn die Hauptsache?"
Ich will gerade sagen: „Das können wir nicht sagen," da merkt
es die Hella und sagt: „Eben weil ich ihre Intima bin, darf ich
es sagen; von einer andern würde sie es sich nicht gefallen
lassen." Dann gingen wir essen. Leider saßen wir nicht neben
»Ihr". Wir ließen uns Schnitzel und viermal Schokoladetorte
geben und der Herr Religionspro f. ging gerade vorbei und sagte:
„Wie lange habt denn ihr euch schon ausgehungert?" Vor dem
Essen gingen wir ins Museum, die Funde besichtigen. Die Frau
Direktorin und das Fräulein V. erklärten alles. Wir haben unser
Wissen sehr bereichert. Nachmittags gingen wir nach Deutsch-
Altenburg. Bei der Jause war es riesig lustig. Da spielten wir
Gesellschaftsspiele und alle Lehrkräfte mit, die fünfte Klasse hat
ein lustiges Theaterstück von einer Schülerin einstudiert. Wir kugelten
uns vor Lachen. Da kam auf einmal ein ganzer Trupp Offiziere
vom Flugkorps, furchtbar fesch und einer setzte sich zum Klavier
und spielte Tanzmusik. Und einer kam zur Frau Direktorin und
bat, daß sie erlaube, daß die „Fräulein" tanzen dürfen. Die
Direktorin wollte erst nicht, aber alle von der fünften und sechsten
Klasse baten riesig und der Herr Rel.-Prof. sagte: „Aber, Frau
Direktorin, lassen Sie ihnen die unschuldige Freude", und da
durften sie richtig tanzen. Wir andern tanzten entweder miteinander
oder wir sahen zu. Und auf einmal standen wir, die Hella und ich,
ganz vorn und da kam ein herrlicher Leutnant und sagt: „Darf
ich die beiden Freundinnen auf ein Tänzchen trennen?" „O bitte",
sage ich, und schon flog ich mit ihm dahin. Mit einem Leutnant
tanzen, ist herrlich. Dann tanzte derselbe Leutnant mit der Hella
und sie sagte am Abend beim Nachhausefahren, daß der Leutnant
eigentlich zuerst mit ihr tanzen wollte, aber ich habe gleich
gesagt : „O bitte" und habe die Hand auf seine Schulter gelegt.
Das ist natürlich nicht wahr, aber deshalb streitet man nicht mit
seiner besten Freundin. Und schließlich hat er ja doch mit beiden
getanzt. Leider durften wir nicht lange tanzen, weil wir so erhitzt
i2* 179
waren. Ja, das hätte ich bald vergessen, ein Hauptmann mit
einem schwarzen Schnurrbart begrüßte die Frau Dr. M., denn
er kannte sie. Sie wurde feuerrot; also wird es wahrscheinlich
der sein und nicht der Herr Prof. Wilke und nicht der jüdische
Professor, den sie heiraten wird. Mir gefiele er auch entschieden
besser. Gott, sie waren alle so fesch! Bevor wir weggingen,
brachte ein Oberleutnant einen ganzen Strauß Rosen und die
Offiziere gaben jeder Lehrkraft, nämlich den Damen, eine;
Und da passierte etwas sehr Komisches. In der Sechsten ist
ein Mädchen, die schaut schon so alt aus, als ob sie 24 Jahre wäre
und der gab „unser" Leutnant auch eine Rose. Da sagte sie:
„Danke, ich bin keine Lehrkraft, ich gehe in die Sechste." Und
da lachten alle furchtbar und sie genierte sich sehr, weil der
Leutnant sie für eine Lehrkraft angesehen hatte. Und der Herr
Rel.-Prof. sagte zu ihr: „Tschapperl, hättest sie schon nehmen
können." Aber eigentlich hat sie ganz recht gehabt. Ich glaube,
es waren mindestens 20 Offiziere. Die Hella hat dem Leutnant
natürlich gesagt, daß sie eine Oberstenstochter ist. Ob wir ihn
je wiedersehen?
Ich schreibe jetzt schon vier Tage an dem Ausflug. Gestern
sagte mir die Dora, daß der Herr Rel.-Prof. zur Frau Direktorin,
als ich in den Armen des Leutnants lag, sagte: „Da schauen
Sie die kleine Lainer an; das ist ein Hakerl, die Augen, die sie
macht.« Wieso Augen macht? ich habe gar keine Augen gemacht,
überhaupt was soll das heißen : Augen machen ! ! Natürlich habe
ich sie nicht zugemacht; da war ich höchstens hingefallen und
dann hätten alle gelacht. Aber auslachen lasse ich mich nicht
gern. Die Dora habe ich eigentlich am ganzen Ausflug gar
nicht gesehen und getanzt hat sie auch nicht. Sie sagte sehr
anzüglich : „Natürlich nicht, da wir ja d o c h in Trauer sind, auch
wenn wir weiße Kleider anhatten; Du bist eben ein Kind, dem
man so etwas nicht übel nimmt." So etwas, ich dürfte weiß
Gott was getan haben! Deswegen habe ich die Mama doch lieb
und vergesse sie nicht. Da war der Papa ganz anders ; vorgestern
abends sagt er: „So so, mein Hexerl hat eine Eroberung
180
tfl
gemacht ; na, du fängst ja schon früh an. Aber mit einem Offizier
ist's nichts, mein Hexerl, die kosten viel Geld." Na, den Leutnant
möchte ich schon, da würde ich mit ihm im Aeroplan in die Luft
hinauf, hinauf fahren, bis uns beiden ganz schwindlig wird.
Gestern in der Religionsstunde, wie der Herr Prof. hereinkommt,
lacht er riesig und sagt: „Na, Lainer, dreht sich noch die ganze
Welt um dich ? Der Herr Leutnant kann gar nimmermehr schlafen."
Er muß ihn also kennen. Nämlich das weiß ich schon, daß er nicht
meinethalben nicht schlafen kann, aber daß er sich ihn gemerkt
hat. Wenn ich nur wüßte, wie er heißt, vielleicht Leo oder Romeo;
ja Romeo, das paßte herrlich für ihn!
26. Juni : Gerade, wie ich gestern im besten Schreiben war,
kommt die Tante Alma mit der Marina und dem Balg, dem
Erwin, der damals eigentlich Schuld war an dem Tratsch. Seit
dem Tode der Mama verkehren wir nämlich wieder. Ich glaube,
die Mama hat die Tante Alma nicht besonders mögen, und sie
sie auch nicht. Gerade so wie der Papa und die Tante Dora
einander nicht gerade innig lieben. Das ist übrigens in den
meisten Familien so, der Vater mag die Schwestern und Brüder
der Mutter nicht, und umgekehrt. Aber warum eigentlich ? Ob
Er eine Braut hat, wahrscheinlich, und wie sie aussieht? Ich
möchte wissen, ob Er für Braun oder Blond oder Schwarz
schwärmt. Ja also, der Besuch! Wir waren natürlich sehr kühl
gegeneinander, die Marina und ich. Sie bildet sich soviel darauf
ein, daß sie in die Lehrerinnenanstalt geht. Als ob das so etwas
Großartiges wäre! Da ist das Lyzeum entschieden mehr, denn
vom Lyzeum kommt man an die Universität, und nach der
Lehrerinnenanstalt nicht ; und sie lernen auch nicht Englisch, und
Französisch nicht ordentlich, nämlich nur wer will. Weil die
Tante Alma weiß, daß es den Papa ärgert, wenn jemand sagt,
wir sehen nicht gut aus, so sagte sie: Gott, die Dora schaut
aus, ganz überarbeitet; Gott sei Dank, daß sie bald fertig ist,
eigentlich hat sie nicht viel davon, da ist es doch besser, wenn
ein Mädchen Lehrerin wird." Der Erwin räkelte auf dem Sessel
herum und sagte zu mir: „Glaubst du, ich traue mich auf den
181
Teppich spucken; glaubst du es nicht?" „Ungezogen bist du
genug dazu ; ich begreife nur nicht, daß die Marina, die künftige
Lehrerin, dir nicht ein paar auf deinen kecken Schnabel gibt",
sag' ich. Na und die Tante Alma: „Aber Kinder, was ist denn?
Was treibt ihr denn für Spaß?" „Es ist gar kein Spaß; der
Erwin will auf den Teppich spucken und das schaut ihm ganz
gleich". Da sagte die Tante etwas auf Italienisch zu ihm und er
machte mir dann hinter dem Rücken vom Papa eine lange Nase,
was ich einfach ignorierte; so ein Fratz, das ist auch ein KusinI
Der Kamillo soll auch so frech gewesen sein als Bub. Aber der
war noch nie bei uns, denn er ist seit zwei Jahren in Japan als
Fähnrich. Der Marina steht die Trauer entschieden nicht gut;
sie hat etwas Provinzlerisches und das wird sie absolut nicht
los. Ihre Kleider sind zu lang und B . . . . hat sie nicht die Spur,
obwohl sie im Dezember schon 17 Jahre wurde; sie ist eckel-
haft mager.
27. Juni: Heute war der Herr L.-Sch.-Insp. bei uns, u. zw.
im Französischen, Die Frau Dr. Dunker ist immer furchtbar auf-
geregt und sie sagte zu Beginn der Stunde: „Kinder, heute
kommt der Herr Inspektor ; nehmt Euch zusammen ; ich bitte
Euch, laßt mich nicht im Stiche." Es muß also doch wahr sein,
was der Oswald immer sagte, daß die Inspektoren wegen der
Lehrer kommen und nicht wegen der Schüler. „Bei der Inspektion,
sagte der Oswald oft, hat jeder Schüler den Professor in der
Hand." Als Erste kam natürlich ich dran und da fiel mir absolut
nicht ein was trotteur heißt. Trottel wollte ich nicht sagen und
so sagte ich garnichts. Da drehte sich die Anneliese um und
sagte es mir ein, aber ich sagte es natürlich nicht nach, sondern
blieb stumm wie ein Fisch. Endlich sagte der Herr Inspektor;
„Übersetzen Sie nur den Satz zu Ende, dann wird es Ihnen der
Sinn ergeben." Aber ich finde, das ist nicht wahr; wenn ich ein
Wort nicht weiß, so h a t der Satz eben keinen Sinn, oder wenigstens
nicht den Sinn, den er haben soll. Wenn die Hella nicht heute
wegen gefehlt hätte, hätte ja vielleicht sie mir einsagen
können. Nachher machte mir die Frau Dr. Dunker Vorwürfe, daß
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man sich auf niemanden verlassen könne und daß ich eigentlich
keine Eins verdiene. „Und das Dümmste war, daß du gelacht
hast, wenn du schon ein so einfaches Vokabel nicht weißt." Ich
konnte ihr doch nicht sagen, daß ich im ersten Moment „Trottel"
tibersetzen wollte. Das blöde aus dem Stegreifübersetzen ist eben
zu schwer für uns.
28. Juni : Heute ist die Abschlußkonferenz. Ich bin furchtbar
aufgeregt, ob ich einen Tadel oder am Ende eine mindere Sitten-
note bekomme. Das wäre gräßlich. Die Hella macht sich nicht
soviel draus, weil ihr Papa jetzt gerade zu den Manövern nach
Ungarn oder Bosnien fährt und da bleibt er so lange fort, daß
indessen schon die Ferien begonnen haben und niemand mehr
ans Zeugnis denkt. Also morgen erfahr' ichs. Nein, Herrgott,
morgen ist Feiertag und übermorgen ist Sonntag, also noch
2 1 /« Tage muß ich „hangen und bangen in schwebender Pein",
aber in einer anderen, als Goethe meint.
30. Juni : Wegen der Matura der Dora, Martu r a sagte immer der
Oswald, waren wir gestern und heute nachmittags zuhause. Die
Brückner sind nach Breitenstein gefahren, eine Tante besuchen,
die im Erholungsheim ist und deshalb konnte ich nicht mit-
fahren. Abends gingen wir in den Türkenschanzpark nachtmahlen,
aber es war nichts los. Ja, das habe ich noch gar nicht
geschrieben von dem „reinen Kind" beim Ausflug. Schon auf dem
Schiff strich sie ein paarmal um die Hella und mich herum
und wollte sich ins Gespräch mischen, indirekt natürlich ! Aber
es gelang ihr nicht; besonders die Hella ist großartig in dieser
Hinsicht; sie schaut einfach über sie weg. Mir hat sie eigentlich
leid getan, weil sie keine rechte Freundin hat außer uns beiden ;
aber die Hella sagte: „Hast du noch nicht genug? Willst du
noch einmal in eine solche Sauce kommen?" Und wie der
Hella der Hut ins Wasser fiel, stand auf einmal, wie wir noch
dem Hut nachschauen und wahnsinnig lachen, die Anneliese
hinter uns und bietet der Hella ein feines Spitzentuch an, das
sie für den Abend mithatte, weil sie gleich immer Ohrenstechen
bekommt. „Willst du vielleicht das Spitzentuch, damit du in
183
Wien nicht ohne Hut gehen mußt?" „Bitte sich nicht zu bemühen,
ich bin gewöhnt mit bloßem Kopf zu gehen", aber wie sie das
sagte, wie eine Königin ! Das muß ich von ihr lernen. Sie ist
ja eher kleiner als ich, aber da schaut sie aus wie eine ganz
erwachsene Dame. Ich sagte ihr das auch und sie erwiderte:
„Liebste Rita, das läßt sich nicht lernen; das ist angeboren."
Das hat mich eigentlich geärgert, daß sie immer glaubt, eine
Ofiizierstochter ist etwas Besonderes.
1. Juli : Gott sei Dank, es ist alles ohne Skandal abgelaufen.
Die Frau Dr. M. sagte auf dem Gang zu mir: „Du Lainer, du
bist hart an einer bösen Sache vorbeigerutscht. Wenn sich nicht
Stimmen zu deinem Gunsten geltend gemacht hätten, dann weiß
ich nicht " Da sagte ich : „Ich weiß es, Frau Dr., Sie allein
haben mich vor der Sittennote bewahrt," und ich küßte ihr
schnell die Hand. „Geh, du Kindskopf, auf der einen Seite wie
ein Kind und auf der andern voller Gedanken, die in dem
Alter mindestens überflüssig sind."
Also schließlich, für seine Gedanken kann man doch
wirklich nichts, und in Hinkunft werden wir uns die Leute besser
anschauen, mit denen wir so etwas reden. Das habe ich noch
nicht geschrieben vom Ausflug: Wie wir in Wien mit der Bahn
ankommen, holten die meisten Eltern ihre Kinder ab; unser
Papa war auch da und auch die Mama von dem „reinen Kind".
Gott sei Dank, daß sie den Papa nicht kannte. Also wie wir
aussteigen, ist ein großes Gedränge, weil alle zu ihren Eltern
wollen und auf einmal höre ich die Stimme der Hella: „Nein,
gnädige Frau, Ihr Kind befindet sich nicht in unserer schlechten
Gesellschaft". Ich drehe mich gleich um und da steht die Hella
vor der Frau v. Zerkwitz. Die fragte sie nämlich: „Ah, Sie, wo
ist denn meine kleine Anneliese?" Die Antwort war herrlich; das
brächte ich nie zusammen; mir fallen die guten Antworten
immer erst hinterdrein ein. Drum hat auch damals der alte Herr
im Theater, wie er die Hella fragte, ob sie allein da sei und sie ihn
anschnauzte, gesagt : Frech wie eine Jüdin, oder freche Jüdin !
Das ist zu blöd, erstens ist das nicht frech, wenn man eine gute
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Antwort weiß, und zweitens muß man dazu doch nicht eine
Jüdin sein. Drum sagte damals auch die Hella drauf: „Nein,
Sie irren, Sie sind nicht an Ihresgleichen geraten".
Am 6. ist schon Schluß ; aber wegen der Matura der Dora
müssen wir bis zum 11. hierbleiben. Dann fahren wir nach
Fieberbrunn in Tirol und werden heuer im Hotel wohnen,
worauf ich mich riesig freue. Da hat sich die Hella voriges Jahr
so großartig unterhalten.
2. Juli : Gott, heute habe ich na, ich kann es nicht
so hinschreiben. Mitten in der Physikstunde bei der Wiederholung,
wie ich an gar nichts denke, kommt das Fräulein N. mit einem
Akt herein zum Unterschreiben. Wie wir" aufstehen, denk ich mir:
Was ist den das? Und dann fällt mir gleich ein: Aha!! In der
Pause fragt mich die Hella, warum ich so blutrot geworden bin
in der Physikstunde, ob ich Zuckerln mithatte. Ich wollte ihr
doch nicht gleich den wahren Grund sagen und so sagte ich:
„Nein, ich bin beinahe eingeschlafen vor Langeweile und wie das
Fräulein N. hereinkam, bin ich so zusammengefahren." Beim
Nachhausegehen war ich sehr wortkarg und ging so langsam,
(man soll nämlich nicht schnell gehen, wenn ) da sagt
die Hella: „Ja sag mir, was hast denn du heute, daß du so
feierlich bist? Bist du ohne mein Wissen verliebt oder am Ende
gar ?" Da sage ich: „Oder am Ende gar!" und sie
sagt : „Na also, jetzt bist du mir wieder ebenbürtig" und gibt mir
mitten auf der Straße ein Bussel. Da gehen gerade zwei
Studenten vorbei und der eine sagte: „Mir auch eins". Und die
Hella sagt: „Ja, eine auf die Wange, die brennt." Da sind sie
schnell abgeschoben. Wir hätten sie auch wirklich nicht brauchen
können; heute!! Die Hella wollte, ich solle ihr alle s gen au
sagen; aber ich hatte wirklich nichts zu sagen und doch glaubt
sie, ich wollte nichts sagen. Es ist wirklich sehr unangenehm
und dann muß ich heute abends beim Ausziehen riesig achtgeben
vor der Dora. Aber der Tante muß ich es sagen, wegen einer
Lunab Das ist mir greulich peinlich. Bei der Hella war
das eben anders, erstens weil sie vorher solche greuliche Krämpfe
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hatte und ihre Mama dadurch schon alles wußte und zweitens,
eben weil es ihre Mama ist. Der Dora sag ich's auf
keinen Fall, da geniere ich mich noch mehr. Und eine Lunab
würde ich mir nie selber kaufen und wenn ich 80 Jahre wäre.
Und wenn der Papa das erst wüßte, das wäre entsetzlich. Ob
die Männer das überhaupt wissen; von ihrer Frau eher, aber
von den Töchtern doch absolut nicht.
3. Juli: Jetzt weiß es die Dora doch. Ich drehte nämlich
das Licht ab vor dem Ausziehen und da schimpfte die Dora:
„Was sind das für blöde Witze, dreh sofort auf." „Fällt mir gar
nicht ein." Da kommt sie herüber und will aufdrehen; „Ich bitt
dich, laß, bis ich im Bett liege." „Ah soooo", sagt die Dora,
„warum sagst du denn das nicht gleich; ich borg dir indessen
meinen Billroth-B und du hast ja noch gar keine B . . . ."
Und dann redeten wir noch sehr lang und viel miteinander und sie
sagte mir, daß die Mama ihr aufgetragen habe, mir alles zu
sagen, wenn Ihr hat es die Mama gesagt, aber sie sagte,
am besten sagt es ein Mädl dem andern, weil man sich am
wenigsten geniert. Die Mama wußte auch, daß die Hella schon
im Jänner Aber wieso ? ich habe nie etwas davon ver-
raten! Es war schon 12 Uhr, wie wir das Licht abdrehten.
6. Juli: Gott, ich bin so unglücklich, heute wie wir die
Zeugnisse bekommen und uns bei der Frau Dr. M. verabschieden,
d. h. bedanken, ist sie furchtbar lieb und nett und zum Schluß
sagt sie: „Ich hoffe, daß Ihr mir bei meiner Nachfolgerin oder
meinem Nachfolger nicht allzu viel Schande bereitet." Zuerst ver-
stehen wir sie gar nicht gleich und meinen, sie meint, es sei doch
immer unsicher, ob eine Lehrkraft eine Klasse behält, aber da
sagt sie schon: „Ich scheide nämlich von der Anstalt, weil ich
mich verheirate." Mir gab's einen Stich ins Herz und ich sagte:
„Gott, das ist doch nicht möglich." „Ja, ja, Lainer, es ist doch so."
Und alle Kinder drängten sich zu ihr und wollten ihr die Hand
küssen. Und da war es einen Augenblick ganz still und da sagte
die Hella: „Frau Doktor, darf ich um etwas fragen? Aber sind
Sie ja nicht böse!" „Na, so frag nur!" „Ist es der Herr Haupt-
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F
mann von Carnuntum?" Zuerst schaute sie ganz verwundert und
dann lachte sie hellauf: „Nein, Brückner, der ist es nicht, der
hat ja schon eine Frau." Und die Gilly, die doch nie gar so
schwärmte wie die Hella und ich, sagte: „Bitte, sagen Sie uns
Frau Doktor, wen Sie heiraten." „Das ist kein Geheimnis, ich
heirate einen Professor nach Heidelberg." Und darum muß sie
auch vom Lyzeum weg. Mir sind die ganzen Ferien verpatzt.
Die Hella hat Prachtideen. Die Kinder wollten alle gar nicht
weggehen und wollten die Frau Doktor nachhause begleiten. Da
sagte sie: „Liebe Kinder, das geht nicht, ich fahre ja nach Purkers-
dorf zu meinen Eltern. Und jetzt kommt die göttliche Idee der
Hella. Alle sagen: „Bitte, wir begleiten Sie auf die Stadtbahn",
und endlich erlaubt sie's. Die Hella aber sagt: „Komm'" und
wir rennen auf die Stadtbahn voraus und nehmen uns Karten
bis Hütteldorf, damit wir rechtzeitig zurückfahren können,
und auf einmal, wie wir schon am Perron warten, kommt sie und
alle Kinder mit ihr bis zum Einlaß. Da stürzen wir auf sie zu
und steigen in den Zug ein, der gerade kommt. Natürlich hatten
wir Zweite Klasse-Karten, da die Hella als Offizierstochter nur
Zweite Klasse fahren darf und die Frau Doktor M. fährt auch
immer Zweiter. Und wir setzen uns zu Dreien auf einen Zweier-
sitz, trotzdem es furchtbar heiß war. Sie war riesig nett ; ich bat
sie um eine Photographie und sie versprach uns eine zu schicken.
Dann kam leider schon Hütteldorf. „Kinder, Ihr müßt jetzt aus-
steigen " Und dann weinten wir beide furchtbar und da küßte
sie uns ! Nie werde ich diesen Augenblick voll Seligkeit vergessen
und diese göttliche Fahrt! Solang man den Zug noch gesehen
hat, winkten wir in einer Tour und sie winkte ebenfalls! Als
wir unsere Karten abgeben wollten beim Hinausgehen, suchte die
Hella überall ihr Portemonaie und fand es nicht ; sie muß es am
Schalter liegen gelassen haben. Glücklicher Weise hatte ich noch
mein ganzes Taschengeld vom Juli und so mußte ich davon die
Strafe zahlen. Und da war einmal ich die Klügere; ich sagte, wir
seien Dritter gefahren und nur durch die zweite durchgegangen;
so haben wir nicht soviel Strafzahlen müssen; und es hat ja
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■
niemand was davon, so einen Betrug kann man sich schon
erlauben. Natürlich fuhren wir zurück wirklich Dritter; obwohl
die Hella sagte, das störe ihr sehr die Erinnerung. Mir macht das
gar nichts, ich bin nicht so auf das „Milieu" wie die Hella. Wir
kamen erst um 7*2 Uhr nachhause und die Tante Dora zankte
furchtbar. Ich sagte, ich hätte bei der Frau Dr. Bibliotheksbücher
geordnet, aber die Dora war um 12 Uhr im Lyzeum nachfragen,
und da war niemand da. Da seien wir gerade fortgegangen und
hätten die Frau Dn M. ein Stück begleitet, da sie wegen ihrer
Verheiratung wegkommt. Da war die Dora ganz erstaunt und
sagte: „Ah, jetzt versteh ich." Wie sie neulich ins Konferenz-
zimmer kam, redeten die Lehrkräfte gerade von einer Verlobung
und das Fräulein Thim sagte: „Jede hat nicht so ein Glück, daß
sie einen Universitätsprofessor kriegt." Das ging auf Sie. Na,
die Thim kriegt bestimmt keinen, nicht einmal einen Schuldiener.
Heute, ich schreibe nämlich schon zwei Tage an dem, hatte ich
eine wahnsinnige Freude ; Sie schickte mir ihre Photographie,
einfach himmlisch ! ! Der Papa sagt, am Bild ist sie schöner als in
Wirklichkeit. Das ist aber nicht wahr, sie ist wunderbar, diese
Augen und dieser seelenvolle Blick! Die Hella hat natürlich auch
eine Phot. bekommen. Wir lassen uns kleine Ledertäschchen mit
Ausschnitt machen eigens für das Bild, damit wir es immer bei uns
tragen können. Aber wir müssen damit bis nach den Ferien warten,
weil ja die Hella ihr Geld verloren hat und ich das meine für
die Strafzahlung beinahe ganz hergeben mußte. Und 3 K wird
so ein Täschchen schon kosten. Aber der Papa hat durchsichtige
unzerreißbare Kuverts und da bitte ich ihn um zwei und aus
denen kleben wir uns „Notbehelfe".
Morgen hat die Dora Matura, sie ist schon sehr aufgeregt,
obwohl sie doch ohnehin alles kann. Aber sie meint, passieren
kann einem immer etwas. Der Papa ist aber gar nicht aufgeregt,
nur beim Oswald voriges Jahr, da war er wohl aufgeregt und
die liebe arme Mama hat sich auch furchtbar gesorgt um ihn:
„Pah", hat der Oswald gesagt, „ich werd ihnen's schon zeigen,
daß sie mir nichts anhaben können; nur frech muß man
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sein bei der Martura, das ist der ganze Witz !" Und dann hat
er nichts telegraphiert als „Durch" und die arme Mama hat
immer noch Angst gehabt und gemeint, daß kann auch heißen
Durchgefallen. Aber natürlich hieß es schon durchge-
kommen, weil indessen doch das zweite Telegramm schon da
war. Und damals hat der Papa zwei Flaschen echten Champagner
mit nach Rodaun gebracht, wie der Oswald dann zurückkam.
Nach der Dora ihrer Matura geht das nicht, weil ja die Mama
nicht mehr da ist; o das ist so schrecklich, wenn ich so denke,
noch vor 2Va Monaten war sie da und jetzt
9. Juli. Heute vormittag, während die Dora Matura machte,
(sie hat Auszeichnung bekommen) war ich ganz allein am Fried-
hof. Zur Tante Dora sagte ich, ich gehe mit der Hella und ihrer
Mama, Einkäufe besorgen, und zur Hella sagte ich, ich gehe mit
der Tante fort und so bin ich nach Pötzleinsdorf hinausgefahren und
dann auf den Friedhof gegangen. Es soll jeder immer nur allein
auf den Friedhof gehen. Gar niemand war außer mir am Friedhof.
Ich traute mich nicht, lange dort zu bleiben, damit ich nicht zu
spät nachhause komme. Es ist so riesig weit nach Pötzleinsdorf,
und wenn man allein fährt, kommt einem jeder Weg so lang
vor. Und wie ich wegging, ging ich in die falsche Richtung und
kam auf eine ganz Öde Straße gegen die Türkenschanze. So
etwas ist sehr unangenehm und zuerst war auch weit und breit
niemand zu sehen, den ich hätte fragen können. Dann kam zum
Glück eine alte Frau und die fragte ich um den Weg und da
sagte sie mir, ich solle nur durch die nächste Gasse, die kommt,
hinuntergehen, da komme ich zur Elektrischen. Und dies war
auch richtig, da kam gerade ein Pötzleinsdorfer, in den stieg ich
ein und kam noch lange vor der Dora nachhause. Aber am
Nachmittag hätte mich die Hella bald unabsichtlich verraten.
Aber weil alle nur von der Matura redeten, so konnte ich es
verwischen. Jetzt, wo die Dora die Matura hinter sich hat, muß
sie mir noch vieles in g e w i s s e r Hinsicht sagen. Das versprach
sie mir. Vor der Matura war sie immer so müde von dem vielen
Ochsen, aber das ist ja jetzt vorbei, und ich lerne in den Ferien
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überhaupt nie etwas. Wozu sind die Ferien da! Die Frau Doktor
Dunker hat mir richtig nur Befriedigend gegeben, das ist wirklich
eine Gemeinheit; und bei der muß man noch drei Jahre lang
lernen, pfui ! Ich weiß bestimmt, daß ich mir jetzt gar keine Mühe
nehmen werde im Französischen, denn einen Pik hat sie jetzt
schon einmal auf mich, und wenn eine Lehrkraft ein Pik auf
einen hat, nützt alles Lernen nichts. Wie anders war doch die
Frau Dr. M. !! Jetzt habe ich solange ihr Bild angeschaut, daß
mich die Augen greulich brennen ; aber das muß ich noch schreiben :
Auch wenn man einmal oder zweimal nichts konnte, nie hat sie
es einem nachgetragen, nie, nie, nie die Süße, Göttliche!
10. Juli: Morgen fahren wir fort nach F.; ich freue mich
schon sehr. Es ist gräßlich fad heute, da die Hella gestern schon
weggefahren ist nach Berchtesgaden für 6 Wochen, und auf der
Rückfahrt kommen sie nach Salzburg und vielleicht fährt die
Tante Dora für 2 Tage mit mir nach Salzburg, damit wir uns
sehen können, ehe die Hella nach Ungarn fährt. Die Glückliche !
Leider kann ich heuer nicht nach K . . . M . . . fahren, weil
wir bis halben September in F. bleiben. Ich habe schon
heute meine Namenstagsgeschenke bekommen, weil sie für die
Reise gehörten: ein schwarzes Touristentäschchen mit schwarzen
Ledergürtel und y a Dutzend Trauertaschentücher mit ganz feinem
schwarzen Rand und für Brandmalerei und eine große Düte
Reisebonbons von der Hella. Ohne der Hella ist es greulich auf
der Welt. Hoffentlich heiraten wir einmal am selben Tag; denn die
Mama sagte immer: „Die besten Mädchenfreundschaften
gehen auseinander, wenn die eine heiratet." Wahrscheinlich, weil
die andere sich doch ärgert, daß sie noch nicht heiratet. Wie das
bei der Hochzeit von der Frau Dr. M. sein wird ! Und ob sie a 1 1 e s
schon weiß; wahrscheinlich und wenn nicht, so muß es ihr
ihre Mama vorher sagen. Die Dora sagte gestern zu mir, daß
die Mama zu ihr einmal sagte: „Ein Mädchen stellt sich immer
alles falsch vor; in Wirklichkeit kommt es ganz anders." Also bei
uns ist das nicht so, denn wir wissen wirklich schon alles ganz
genau, sogar das vom Nacktausziehen; o Gott, der Anblick
190
damals! — Am 20, kommt der Oswald, aber zuerst macht er
einen Abstecher nach München.
12. Juli: Hier ist es herrlich; Berge und Berge ringsherum
und da werden wir überall hinaufsteigen ; Gott, wie ich mich
freue! Da kann ich unmöglich täglich Tagebuch schreiben; nun
so wird's halt ein Wochenbuch. Denn der Hella muß ich unbe-
dingt jeden zweiten Tag schreiben. Wir wohnen in der Pension
Edelweiß; es sind ungefähr 40 Personen da, wenigstens haben
wir's zu Mittag so gezählt. Im Vestibül ist eine Gast-Liste aufge-
hängt, die muß ich eingehend studieren. Von der Fahrt habe ich
nichts gehabt, weil die Dora greulich Kopfweh gehabt hatte und
da konnte man die ganze Nacht nichts reden. Die halbe Nacht
stand ich im Gang. In einem Ort in Salzburg war ein furchtbares
Feuer; aber es löschte niemand; es muß niemand etwas gewußt
haben davon. Es ist sehr fein in der Pension, alles mit
Teppichen belegt; in der Halle sind fünf oder sechs Gruppen
arrangiert. Wir sind sehr zufrieden. Zu Mittag sind 4 Gänge, am
Abend zwei. Auf jedem Tisch stehen Blumen. Der Papa sagt,
man muß erst sehen, wie lange sie stehen. Der Papa hat
einen neuen Touristenanzug, der ihm großartig steht, weil er so
groß und aristokratisch aussieht. Wir haben ganz leichte schwarze
Etaminkleider und schwarze Spitzenblusen und auch weiße Blusen
und die weißen Kleider mit und hellgraue Touristenkostüme.
Denn da hat der Papa wohl recht: Die Trauer sitzt innen und
nicht außen. Vorläufig gehen wir aber doch in Schwarz, nur für
den Fall der großen Hitze haben wir die weißen Sachen mit.
Heute haben wir gar nicht weit vom Haus auf einem Abhang ein
ganzes Bouquet Alpenrosen gepflückt. Die Dora hat das Bild der
Mama mitgenommen und die Blumen davor gestellt; ich habe
leider meins vergessen. Ich möchte sehr gerne eine Hochtour
machen auf das Wildeck oder sonst wo hin. Selber Edelweiß
pflücken wäre herrlich. Aber der Papa sagt, das ist in unserem
Alter nicht zuträglich. Das Bad soll hier immer sehr kalt sein,
meist nur 10 höchstens 12°. Der Herr Dr. Klein hat gesagt, wir
sollen nur bei wirklich warmen Wasser baden gehen. Da wird
191
nicht viel werden. Bekanntschaften haben wir noch keine gemacht;
aber die zwei Mädchen am zweiten Tisch von uns mit den bos-
nischen Blusen gefallen mir sehr gut. Vielleicht, daß wir uns
kennen lernen. Etwas ist vorläufig zu Wasser geworden. Ich wollte
die Dora am Abend noch mancherlei Wichtiges fragen, aber
dadurch, daß die Tante Dora mit uns in einem Zimmer schläft,
geht das nicht. Und das ist auch dumm ; das Zimmer vom Papa
hat einen herrlichen Balkon gerade auf die Promenade und unser
Zimmer geht in einen Garten. Die Aussicht ist ja sehr schön,
aber Papas Zimmer wäre mir entschieden lieber, aber für drei
Personen wäre es viel zu klein; es ist bloß ein Bett darinnen
und eine Garnitur von anno dazumal. Solche Garnituren sind mir
ein Greuel ; die Dame, der die Pension gehört, nennt das
Empire!! Die muß noch nie eine Empire-Einrichtung gesehen
haben.
15. Juli: Gestern hat mir die Dora beim Spaziergehen sehr
viel von Tante Dora erzählt. Ich habe eigentlich nie recht gewußt,
ob der Onkel Richard in der Irrenanstalt angestellt ist oder ob
er selber drin ist; das letztere ist der Fall. Er ist rückenmark-
leidend und ganz verblödet und manchmal hat er Tobsuchtsanfälle.
Wie er noch heraußen war, hat er einmal die Tante Dora gewürgt
und dann hat er sie in anderer Hinsicht ganz herunter-
gebracht!!! Ich weiß nicht recht wieso, denn Kinder hat die
Tante Dora nie gehabt. Warum eigentlich das vom Onkel Richard
so verheimlicht wird! und wenn ich so denke, hat auch nie
jemand von der Krankheit der Mama reden wollen. Dieses Ver-
heimlichen hat doch keinen Sinn, denn erstens denkt man erst
recht darüber nach und zweitens erfährt man ja doch die Wahr-
heit. Zuletzt hat sich die Tante Dora so gefürchtet vor dem Onkel,
daß sie alle Türen zu ihrem Zimmer absperrte. Einen tobsüch-
tigen Mann haben, muß wohl gräßlich sein. Der Papa sagte ein-
mal zur Dora : Die Tante Dora kann einen schon tobsüchtig
machen mit ihren Tücken und Nucken. Das war natürlich nur
bildlich gemeint, aber ich muß doch aufpassen, was die Tante
eigentlich tut, was einen so aufbringen kann. Höchstwahrschein*
192
lieh in dieser Hinsicht. Mir scheint daß Tante Alma viel
mehr Tücken und Nucken hat, und der Onkel Franz ist doch noch
nicht tobsüchtig geworden. Die Dora sagt, der Onkel Richard
kann noch 20 Jahre leben und ihr tut die Tante Dora sehr leid,
daß sie an ein solches Ungeheuer gekettet ist. Wieso gekettet?
Er ist doch im Irrenhaus und kann ihr nichts tun. Die Dora
wußte das auch alles nicht, die Tante hat es ihr erst nach dem
Tode der Mama erzählt. Die Dora meint, es ist am besten, man
heiratet gar nicht, wenn man nicht einen Mann rasend liebt. Und
dann nur mit Ehekontrakt!! Da ist nämlich das ausge-
schlossen. Ich habe immer geglaubt, ein Ehekontrakt wird wegen
der Mitgift und des Geldes überhaupt gemacht; aber daß das
den Zweck hat, hätte ich nie geglaubt. Die Frau vom Ober-
förster Mayer, die wir vor zwei Jahren im Sommer kennen gelernt
haben, hat ihren Mann nur unter dieser Bedingung geheiratet.
Ich verstehe nur nicht, wenn das die Hauptsache ist beim Heira-
ten, worauf alle Männer brennen, so kann doch eigentlich keiner
mit einem Ehekontrakt einverstanden sein. Das muß doch anders
sein, vielleicht ist das auch nur bei den Juden so, denn die Mayers
waren Juden.
21. Juli: Nein, das hätte ich nie gedacht, daß die Hella in
der Hinsicht Recht behält. Heute schrieb mir die Anneliese einen
8 Seiten langen Brief. Wie damals die Hella fünf Tage zuhause-
bleiben mußte, hat sie geglaubt, die Anneliese werde wieder
anbandeln. Aber offenbar traute sie sich nicht. Also sie schrieb
mir : Einzig geliebte Rita ! Du bist die einzige Freundin meines
Lebens; alle Mädchen und Leute haben mich gern, wohin ich
komme und nur du hast dich in Groll von mir abgewendet. Was
tat ich dir ? Na also, getan hat sie mir schon etwas ; denn
es hätte können eine schöne Geschichte entstehen, wenn nicht
die Frau Dr. M. gewesen wäre, dieser Engel in Menschengestalt !
Sie schreibt, sie ist so einsam und traurig; sie ist nämlich mit
ihrer Mama in der Kaltwasserheilanstalt Grätsch bei Meran oder
Bozen, das hab ich vergessen, da muß ich nachschauen, wenn
ich ihr antworte. Denn ich habe der Hella auf mein Ehrenwort
1 3 193
versprochen, daß ich mich nie wieder mit dem „reinen Kind"
aussöhne. Aber schließlich eine Antwort ist eine Höflichkeit und
bedeutet noch lange keine Aussöhnung und am wenigsten eine
Freundschaft. Dort in Grätsch sind gar keine jungen Mädchen,
lauter Damen und alte Herren, der jüngste ist 32 Jahre! brr,
das glaube ich, daß sie sich erbärmlich langweilt. Also schreiben
werde ich jedenfalls, aber sehr, schon sehr kühl. Zum Schlüsse
schreibt sie: Erhöre das Flehen einer Unglücklichen und laß
dein Herz nicht von hartem Erz werden gegen die, die dich
immer wahrhaft geliebt hat. Das ist eigentlich sehr schön und
die Anneliese hatte auch immer die besten Aufsätze; die Frau
Dr. M. lobte sie oft und ihren gewählten Stil, aber leiden
hat sie sie dann später nicht können. Sie sagte ihr oft, sie solle
nicht so affektiert sein, sonst verlernt sie noch das Reden vor
lauter Affektation. Ich werde nicht augenblicklich schreiben,
sondern erst nach ein paar Tagen, und wie gesagt sehr kühl.
23. Juli : Heute bin ich mit den zwei Mädchen bekannt geworden,
sie heißen Olga und Nelly, die eine ist 15, die andere 13 Jahre;
ihren Zunamen weiß ich nicht, nur daß sie ein Lederwaren-
geschäft auf der Mariahilferstr. haben. Ihre Mama hat schon
ganz graues Haar, ihr Papa kommt erst am 8. August. Wir
haben einen Spaziergang für heute um 4 Uhr verabredet nach
Brennfelden.
26. Juli: Ich habe mir vorgenommen, alle Tage vor dem
Essen zu schreiben, denn nach dem Essen gehen wir alle mit
unseren Hängematten in den Wald. Ich habe doch gleich vor-
vorgestern an die Anneliese geschrieben, damit sie weiß, wie sie
dran ist. Der Hella schrieb ich noch nichts davon, weil ich doch
nicht weiß, was die Anneliese antwortet. Die Hella unterhält sich
in Innichen königlich; aber leider schrieb sie nicht, wieso
königlich ; sie schrieb auch nur knapp 3 Seiten mit dem Schluß,
natürlich schrieb ich auch nicht soviel wie sonst.
27. Juli : Der Dora gefallen die Weiner nicht besonders ; sie
findet sie furchtbar aufgeblasen. Am Lande trägt man keine
goldenen Armbänder und Ketten und am wenigsten zu Dirndl-
194
-L
i
kostümen. Da hat sie wohl recht, aber mir gefallen die zwei
Mädeln ganz gut, besonders die kleinere, die Olga; die Nelly
tut so großartig; sie gehen auch ins Lyzeum, aber ins
Hietzinger Lyzeum ; die Olga kommt aber erst in die zweite und
die Nelly in die fünfte. Die Dora sagt, das Pulver haben beide
nicht erfunden. Das ist auch garnicht notwendig, das hat zum
Glück schon wer anderer erfunden. Wir haben uns gestern beim
Spazierengehen sehr gut unterhalten. Heute gehe nur ich mit
ihnen. Der Papa sagt: „Nur nicht alle Tage beisammenstecken ;
der Schluß ist dann immer ein Verdruß." Na, aber mit den
Weiners nicht, das glaube ich wohl nicht.
29. Juli: Morgen ist mein Geburtstag. Was ich bekommen
werde. Etwas habe ich schon in Wien bekommen, nämlich
3 Paar ä jour Strümpfe, von der Tante pikfein, da sieht der Fuß
so elegant aus. Aber ich muß riesig sparen damit und achtgeben.
Die Tante sagte: „Da wirst du dir hoffentlich das Faltenziehen
an den Strümpfen beim Lernen abgewöhnen." Als ob ich in den
Ferien überhaupt lernen würde.
13»
Letztes Halbjahr.
(Von 14— 14V 2 Jahren.)
30. Juli: Also Gott sei Dank heute ist mein 14! ! ! Geburts-
tag; die Olga hat geglaubt, ich bin schon 16 oder mindestens 15;
aber ich sagte: Da würde ich mich schön bedanken; aus-
schauen wie 16, das ist mir sehr angenehm, aber 16 sein
möchte ich nicht, denn wie lang ist man dann noch jung, höchstens
2—3 Jahre. Aber so ein fremdes Gefühl, wie die Hella sagte,
habe ich wirklich nicht; ich bin nur sehr froh, daß jetzt niemand,
nicht einmal die Dora sagen kann, ich bin ein Kind. Das Wort
„Kind" hasse ich furchtbar, außer wenn die Mama sagte: „Du
mein liebes Kind", aber da meinte sie es auch ganz anders.
Der Ring von der Mama hat mich von allen Geburtstags-
geschenken am meisten gefreut ; ich werde ihn ewig tragen. Und
wie ich weinen wollte, sagte der Papa so lieb: „Nicht weinen,
Gretel, am 14 ! ! Geburtstag darf man nicht weinen, das wäre ein
schöner Anfang, nämlich vom Erwachsensein! Außer dem Ring
bekam ich vom Papa noch eine entzückende schwarze Perlen-
kette um den Hals, die mir wirklich wunderbar steht und dabei
so kühl ist; dann von Theodor Storm, Immensee, von der Tante
Dora die schwarzen Ajour-Strümpfe und schwarze lange Seiden-
handschuhe und von der Dora ein Sportarmband aus ganz dunkel-
grauem Leder für die Uhr. Aber das trage ich erst in Wien in
die Schule. Die Großeltern schickten wie immer Obst, aber vom
Oswald ist nichts gekommen. Er kann doch unmöglich vergessen
haben. Wahrscheinlich kommt es verspätet. Und vom Papa noch
ein Kistchen Konsumbonbons, die esse ich für mein Leben gern.
Zu Mittag hatte die Tante Dora eigens meine Lieblingsmehlspeise
„Mohr im Hemd" bestellt und alle sagten : Ja, was ist denn das,
an einem Wochentag so eine Sonntagsspeise? Und da kam es
heraus, daß ich Geburtstag hatte und die zwei Weiner, die es
199
schon wußten, sagten es den meisten Gästen und da gratulierten
mir sehr viele. Die Olga und die Nelly hatten mir schon vor-
mittag gratuliert und einen riesigen Strauß Feldblumen und einen
aus Gartenblumen gegeben. Nachmittags gehen wir alle nach
Flagg, dort ist es herrlich schön.
Am Abend : ich muß noch schreiben. Wir konnten die Partie
nicht machen, weil ein greuliches Gewitter war von 2 — 4 Uhr.
Aber wir unterhielten uns großartig. Und jetzt noch ein Erlebnis:
Wie ich aus dem Speisesaal hinausgehe, um aufs zu gehen,
sagt eine Stimme : Darf ich Ihnen auch gratulieren, Fräulein ? Ich
drehe mich um und hinter mir steht der riesengroße goldblonde
Student, der mir schon seit drei Tagen aufgefallen ist. „Ich danke
sehr, zu liebenswürdig", sag ich und will vorbei, denn ich mußte
wirklich hinaus. Er fängt aber gleich zu sprechen an und sagt :
„Das mit den 14 Jahren ist doch nur ein Witz? Fräulein sind heute
wohl 16 geworden?" „Leider nein und zugleich Gott sei Dank",
sag ich, „aber schließlich ist jeder so alt, als er aussieht. Pardon,
ich muß dringend in mein Zimmer", sage ich noch schnell und renne
davon, denn sonst ! ! Hoffentlich hat er die Wahrheit
nicht geahnt. Das muß ich der Hella schreiben, die wird schön
lachen. Sie schickte mir ein reizendes Schmuckdöschen mit einer
Ansicht von Berchtesgaden, gefüllt mit meinen Lieblingen, Kognak-
bonbons. Im Briefe beklagt sie sich über die „Kürze meines
letzten Schreibens." Ich muß ihr morgen sofort einen langen Brief
schreiben. Beim Abendessen sah ich erst, wo der „Baidur" sitzt;
so nenne ich ihn wegen seines herrlichen blonden Haares und
weil ich nicht weiß, wie er heißt. Er ist mit einem alten Herrn
und einer alten Dame und einem Fräulein, das ähnliches Haar
hat wie er, aber seine Schwester kann sie unmöglich sein, dazu
ist sie entschieden zu alt.
31. Juli: Die Familie heißt Scharrer von Arneck und der
Herr ist Oberbergrat in Pension. Das Fräulein ist richtig seine
Schwester und ist eine Bürgerschullehrerin in Brunn. Ich habe
das alles von dem Stubenmädchen erfahren. Aber ich war sehr
schlau, ich wollte nicht direkt fragen und da sagte ich: Wer ist
200
denn der alte Herr mit den weißen Locken, der sieht meinem
Großpapa so ähnlich. (Ich kenne meinen Großpapa gar nicht,
denn der vom Papa her ist schon seit 12 oder 15 Jahren gestorben
und der Papa der Mama lebt gar nicht in Wien, sondern in
Berlin). Da sagt die Luise: „Ach, Fräulein, meinen den Herrn
Oberbergrat Seh , von Seh Aber der Herr Großpapa
von Fräulein wird wohl nicht so brummig sein." Da sag ich:
„So, ist er brummig?" Und sie erwidert: „Na, und wie; da muß
man fliegen, sonst ist es aus und geschehen!" Und dann gibt
ein Wort das andere und sie erzählt mir alles, was sie weiß;
das Fräulein ist schon 32 Jahre, sie heißt Hulda und ihr Papa
läßt sie nicht heiraten und der junge Herr ist aus dem Haus
gegangen, weil sein Papa ihn so sekkiert. Er studiert in Prag
und kommt nur in den Ferien nachhause. Das ist alles sehr
traurig und sie schauen doch so vergnügt aus mit Ausnahme von
dem Fräulein. Ja richtig, bei Weiner, das ist gräßlich ; die Olga
ist doch schon 13 und die Nelly gar 15 und ihre Mama wird
noch also das heißt, ihre Mama ist in a . . . . U . . . .
die beiden sind empört und die Nelly sagte heute zu mir: Es
ist ein Skandal ; sie genieren sich so, mit ihrer Mama zu gehen.
Aber ich habe noch nichts bemerkt; sie sagen aber, natürlich
merkt man es schon längst ; „im Oktober wird das sehrfreudige
Ereignis ! ! eintreten," sagte die Olga. Das ist wirklich sehr un-
angenehm und mir hat die Frau W. gleich nicht gefallen.
Ich kann nur nicht begreifen, wie so etwas überhaupt sein kann,
wenn man schon so alt ist. Ich bedaure die zwei Weiner sehr.
Übrigens bei den Seh. muß es ja auch so ähnlich gewesen
sein, denn die Luise sagte mir, der j unge Herr ist 21 und
das Fräulein nicht 32, sondern 35 Jahre, sie hat sich zuerst ge-
irrt; also ist sie um 14 Jahre älter, greulich. Die tut mir riesig
leid, daß ihr Papa sie nicht heiraten läßt, daß heißt nicht hat
heiraten lassen. Unser Papa wird sich gewiß nie weigern, wenn
einmal eine von uns beiden heiraten soll. Ich habe alles der
Hella geschrieben; sie geht mir schrecklich ab, denn die zwei
Weiners sind mir doch eigentlich ganz fremd und der Dora
201
i
könnte ich nie meine Geheimnisse anvertrauen, obwohl wir jetzt
ganz gut mit einander sind. Morgen kommt der Oswald.
1. August: So ein Bursch hat's gut. Der kommt und geht,
wann er will und wohin er will. Heute kommt ein Telegramm
vom Oswald, daß er bis Mitte August ausbleibt: Königsee,
Watzmanntouren herrlich. Brief folgt. Der Papa hat nicht viel
gesagt, aber ich glaube, er ärgert sich auch sehr. Überhaupt jetzt
nach dem Tod der armen Mama, da könnte der Oswald doch
nachhause kommen. Voriges Jahr nach der Matura war er so
lang fort, ganz allein, und heuer wieder. So von einem Vergnügen
zum andern paßt sich wirklich nicht, wenn einem vor einem
Vierteljahr die Mama gestorben ist. Am zweiten Tag, wie wir
hier angekommen waren und noch gar niemanden kannten, ging
ich ganz in der Frühe um V 2 9 Uhr allein auf den Friedhof. Er
liegt an einer Berglehne und hat uralte Grabsteine, manchmal
kann man die Inschrift gar nicht mehr enträtseln, so verwischt
ist sie; eine von 1798 noch mit römischen Ziffern. Dann habe
ich mich auf eine kleine Bank gesetzt und an die arme Mama
und all das Traurige gedacht und habe so schrecklich geweint,
daß ich mir die Augen waschen mußte, damit niemand etwas
merkt. Heute habe ich mich übrigens auch greulich geärgert.
Kommt £ ein Brief von der Tante Alma, sie wollen auch her-
kommen, wir sollen ihnen eine Wohnung suchen, ob wir etwas
Passendes, das heißt bei der Tante Alma immer billig, finden,
aber unbedingt privat ; natürlich, denn in einer Pension käme es
ihnen viel zu teuer. Hoffentlich finden wir nichts Passendes,
heute haben wir wirklich nichts gefunden, da wir wegen einem
drohenden Gewitter nicht weit kamen. Und morgen hoffentlich
auch nichts, das ist mein sehnlichster Wunsch ; denn die Marina,
diese Spioniererin, die könnte ich brauchen. Gott sei Dank sind
auch die Tante Dora und die Dora entschieden dagegen. Aber
der Papa sagte: Kinder, das geht nicht, es ist doch die Tante
und suchen muß man jedenfalls. Also gut, suchen kann man
schon; suchen und finden ist glücklicherweise zweierlei.
2. August: Heute in der Frühe gingen wir Wohnung suchen
202
und weil die Dora immer etwas drein setzt, daß sie das Richtige
findet, so stöbert sie richtig 2 Zimmer und Küche auf, allerdings
nur in einem Bauernhaus. Die Sommerpartei, die hier wohnte,
mußte wegen dem Tod der Großmama sofort nach Wien zurück
und so gibt die Bäuerin die Wohnung sehr billig her. Die Dora
schrieb gleich an die Tante und sie schrieb auch, daß wir uns
alle sehr freuen, sie und alle zu sehen, was entschieden eine
Falschheit ist. Und justament schrieb ich ein P. S., wo ich alle
grüßte und bemerkte, daß die Reise schandbar teuer ist ; vielleicht
schreckt sie das doch ab. Durch dieses dumme Herumrennen
um eine Wohnung habe ich weder gestern nachmittags noch
heute vormittags die Weiners und natürlich auch nicht Gott
Baidur gesehen. Und zu Mittag sieht man nicht zum Tisch vom
Oberbergrat, weil sie gerade einen Erkerplatz haben, da sie
schon seit 9 Jahren herkommen.
Ich bin zwar totmüde, aber das muß ich noch schreiben.
Nachmittags waren wir und Weiners beim Kreindlbauer und da
schloß sich der Siegfried Seh. an, da er ■ die Weiner kennt,
die auch schon 3 Jahre herkommen. Er redete aber hauptsächlich
mit der Dora und das ärgerte mich furchtbar. So redete ich ein-
fach gar nichts, sondern ging ganz hinten. Und am Rückweg
kommt er zu mir und sagt : „Nun Fräulein Grete, sind Sie immer
so insichgekehrt? Dem widersprechen Ihre Augen." Ich sagte:
„Das kommt ganz auf meine Stimmung an und vor allem andern
dränge ich mich niemanden auf." „Könnten Sie nicht bei Tisch
mit Ihrer Mama Platz tauschen?" „Erstens ist das nicht meine
Mama, die ist am 24. April gestorben, sondern meine Tante und
zweitens warum sagen Sie das mir, das sollten Sie lieber meiner
Schwester sagen!- „Oh eifersüchtig! Dazu ist kein Grund. Ich kann
doch nicht mit Ihrer Schwester nicht reden, wenn ich schon bei der
Gesellschaft bin; eifersüchtig dürfen Sie nicht sein, dazu haben Sie
wirklich keine Ursache." Wenn ich nur wüßte, wie ich das mit dem
Platzwechseln machen soll, aber ich sitze ja immer neben dem Papa;
und gleich tue ich es auf keinen Fall ; höchstens nächste Woche.
Leb wohl, mein Recke Siegfried, schlaf süß und träume von
203
3. August: Die Anneliese schrieb mir: „Du goldiges Wesen,
kannst du mir also meine Jugendsünde verzeihen? Die Welt
strahlt mir in doppelt hellem Lichte, seit ich deinen Brief
erhalten habe." Ich weiß nicht, gar so verzeiherisch habe ich
nicht geschrieben, nur daß es mir sehr leid tut, daß sie in
Grätsch so einsam ist, und daß das Geschehene sich nicht mehr
ändern läßt, man müsse es also begraben. Sie gratuliert mir
auch noch nachträglich zum Geburtstag (wir haben nämlich im
Winter unsere Geburtstage gegenseitig notiert) und schickt mir
ein gepreßtes großes Vergißmeinnicht. Bis es gepreßt war,
wartete sie mit dem Antworten. Ich weiß nun nicht, was ich tun
soll. Der starke Siegfried wüßte mir wohl zu raten, aber dem
kann ich doch die Sache nicht erzählen, weil ich ja dann auch
sagen müßte, warum wir böse geworden sind und das wäre
greulich. Ich werde doch, bevor ich antworte, der Hella schreiben.
Aber das müßte ich heute noch tun, denn bis die Antwort
kommt, das dauert hin und her gut drei und bis die Anneliese
dann den Brief bekommt wieder einen oder 2 Tage, also alles
zusammen mindestens 5 Tage. Es regnet in Strömen und da ist
es sehr fad, weil der Papa nicht erlaubt, daß wir allein in der
Halle sitzen ; ich möchte wissen, warum nicht. Der Papa ist doch
sonst wirklich sehr nett, ganz anders als andere Väter, aber in
der Hinsicht ist er eckelhaft. Ich werde mich nach dem Essen
auf den Streckfauteuil legen und Immensee lesen, denn ich bin
noch immer nicht dazugekommen.
6. August: Na also, heute ist die ganze Klerisei angekommen;
die Marina mit einem staubgrauen Kostüm, das ihr greulich steht
und der Erwin und der Ferdinand; der Ferdinand geht in die
Neustädter Mil.-Akademie, in den Artillerie-Kurs in Wien ; der ist
noch der fescheste von allen. Der Onkel in greulicher Stimmung
schimpfte über die Fahrt, über das Handgepäck, mir scheint, sie
hatten aber auch vielleicht 8 oder 10 Stück, wenigstens mußte
ich einen schweren Plaid schleppen und die Dom eine Hand-
tasche, von der sie sagte, da sei der ganze Familientratsch von
10 Jahren drin. Und die Tanta Alma schaute zum Kugeln aus,
204
^l'"?:
ein Touristenkleid so hoch geknöpft, daß man ihr beim Gehen
die braunen Strümpfe sah und einen Hut, wie eine Vogelscheuche.
Wenn ich denke, wie unsere Mama immer fein ausgesehen
hat : sie war ja allerdings mindestens um 20 Jahre jünger als die
Tante Alma, aber trotzdem, wenn die Mama 80 Jahre alt gewor-
den wäre, so hätte sie nie ausgeschaut. Gott sei Dank, daß wir
in dem Aufzug niemanden und besonders nicht jemanden
begegneten. Zum Mittagessen kamen alle ausnahmsweise in die
Pension. Da wurden zwei Tische zusammengestellt und das benützte
ich, um den Platz zu wechseln ; ich bot nämlich der Tante Alma
den Platz neben dem Papa an und setzte mich, neben die holde
Marina, gerade gegenüber ! Übrigens bei Tisch sah die
Marina ganz gut aus, die weiße Bluse steht ihr sehr gut und dann
hat sie einen wunderbaren Teint, so weiß und nur an den Wan-
gen ein bißchen rosa. Das ist aber auch das einzige Schöne an ihr.
Die Frisur ist gräßlich, ganz glatt abgeteilt und die Gretelfrisur.
Die trage ich schon lange nicht mehr, obwohl alle sagten, daß
sie mir sehr gut stand. Aber die Schnecken stehen mir bedeutend
besser. Er hat die ganze Zeit herübergeschaut und die Tante
Alma sagte: „Ja die Grete, die blüht ja förmlich auf, da steckt
doch hoffentlich nicht schon etwas Männliches dahinter." „O
nein," sagt der Papa, „die Landluft tut ihr so gut, und wenn sich
die Kinder unterhalten, so verbittere ich ihnen nicht jede unschul-
dige Freude." O mein herrlicher Papa, ich mußte mich zurückhalten,
daß ich ihm nicht gleich ein Busserl gab. Alle waren ganz still
und jedes sah auf seinen Teller so angelegentlich, als ob er noch
nie Rumpudding gegessen hätte. Nur der Ferdinand zwinkerte
der Marina zu, aber die merkte natürlich nichts. Glücklicherweise
hatten alle bald fertig gegessen und jedes nahm ein zweitesmal
und da wurde wieder geredet. Wie wir dann in die Zimmer
gingen, klopfte ich beim Papa an und gab ihm das versprochene
Busserl und sagte: „Papa, du bist ein Juwel von einem Vater."
„Also sei auch du gefälligst ein Juwel von einer Tochter und halt
Frieden mit der Marina und den andern." Da sagte ich : „Gott,
ich kann sie nicht leiden, die Duckmäuserin!" „Na, ja" sagt der
205
Papa, „seine Eltern und seine Verwandten kann man sich leider
nicht aussuchen.« 4 „Meine Eltern hätte ich mir auch nicht anders
ausgesucht, denn einen solchen Papa und auch eine solche Mama
hätten wir gar nicht wieder finden können." Da hob mich
der Papa in die Höhe, als wie wenn ich noch ein kleines Mäderl
wäre, und sagte: „Du lieber Schatz du, mein Kleines", und wir
küßten uns sehr ab. Den Papa hab ich doch eigentlich am lieb-
sten von allen Menschen; denn die Hella habe ich doch ganz
anders gern, das ist eben meine Freundin, und die Dora ist meine
Schwester; und die Tante Dora habe ich ja auch gern und den
Oswald, wenn er endlich auf der Bildfläche erscheint.
8. August: Ich bin wütend! Heute bekomme ich von der
Hella eine Karte, auf der steht nichts als „Tu, was Du nicht
lassen kannst", mit besten Grüßen Deine M. Auf offenen Karten
schreiben wir uns nämlich in einer Geheimschrift, die niemand
anderer lesen kann, so daß H = M ist. Zum Glück, daß es
niemand lesen kann. Natürlich schrieb ich sofort der Anneliese
und zwar sehr lieb und der Hella sandte ich eine Karte, da
schrieb ich nichts als in unserer Schrift: Ist bereits geschehen.
Mit besten Grüßen W. Nicht einmal Deine W. Ich bin neugierig,'
was sie tut. Der Recke Siegfried ist heute mit uns auf der Wiese
im Heu gelegen und da sprach er großartig. Nur das finde ich
nicht, daß alle Väter, ausnahmslos Tyrannen sind. Ich sagte:
»Mein Papa wirklich nicht !" Da antwortete er : „Noch nicht, Sie
werden es schon auch erfahren. Aber wer einen Charakter 'hat
der läßt sich nicht unterdrücken. Ich habe einfach mit meinem
Alten gebrochen und bin aus dem Haus; es gibt mehr technische
Hochschulen als die in Brunn. Und weil Sie sagen nicht alle
Väter ; da schauen Sie die Hulda an ; so oft sie eine Partie
gefunden hat, hat der Alte sie ihr verpatzt, weil kein Mensch
sich eine solche Bevormundung gefallen läßt.« „Wieso Bevor-
mundung", frag ich, aber da stehen gerade alle auf zum Weg-
gehen. Also vielleicht morgen; der arme Gequälte.
9. August: Gott, das ist gräßlich, wenn das alles wirklich
so ist, wie die Hella schreibt vom Angestecktwerden; ein Aus-
206
schlag am ganzen Körper, das ist das Greulichste, was es gibt.
Ich muß den Brief sofort zerreißen, und weil sie 8 Seiten voll
doch nicht in unserer Schrift schreiben konnte, muß ich ihn
vernichten, damit niemand ihn in die Hand bekommt. Das
ist besonders notwendig, jetzt wo die Marina da ist, wo man nie
wissen kann Aber ich weiß mir zu helfen ; ich schreibe
mir den Brief hier ab, wenn ich auch ein paar Tage dazu brauche.
Also sie schreibt:
Inniggeliebte Rita, was hast Du zu meiner gestrigen Karte
gesagt? Wenn Du dich geärgert hast, so sei mir nicht weiter
böse. Du kannst umgehen und Briefe wechseln mit wem Du willst;
aber alle Folgen hast Du Dir dann allein zuzuschreiben. Mein
Papa sagt immer : Rote Haare, Gott bewahre ! Und dabei bleibe
ich, daß das „reine Kind" fuchsrote Haare hat. Also, wie du
glaubst.
Aber jetzt habe ich dir etwas viel Wichtigeres mitzuteilen.
Aber versprich mir im vorhinein, daß Du diesen Brief augen-
blicklich zerreißt, sobald Du ihn gelesen hast. Sonst schicke ihn
mir lieber un gelesen zurück.
Also denke Dir. Hier in B. wohnt eine junge Frau mit
ihrer Mama und ihrer Kusine, die studiert Medizin; sie sind
Polen, für die ich seit jeher schwärme. Die junge Frau ist
geschieden, denn sie ist von ihrem Mann in der Hochzeits-
nacht angesteckt worden. Du weißt hoffentlich noch, was
das heißt angesteckt werden. Aber es ist in Wirklichkeit
anders, als wir glaubten. Sie hat nämlich am ganzen Körper und
im Gesicht einen furchtbaren Ausschlag bekommen davon und
wahrscheinlich werden ihr alle Haare ausfallen; das ist doch
gräßlich. Die Studentin, ihre Kusine, die sehr arm sein soll, ist
zu ihrer Pflege da. Das erzählte mir schon neulich unsere Rosa,
die weiß es von dem Stubenmädchen in der Villa, welche diese
Damen bewohnen. Mit der Lizzi kann man, wie Du sehr gut
weißt, über so etwas nicht reden und so erfuhr ich weiter nichts ;
nur daß ich neulich, wie ich um Ansichtskarten ging, die drei Damen
begegnete. Die junge Frau hatte einen dichten Schleier um den
207
Kopf und um das Gesicht gewunden, daß man nichts sehen
konnte. Sie saßen dann auf einer Bank in ihrem Vorgarten und
da grüßte ich im Vorbeigehen am Rückweg. Sie dankten alle drei
sehr freundlich. Am nachmittag mußte ich mich niederlegen, weil
mir sehr elend war infolge . . . ! ! Da höre ich aufeinmal auf
der Veranda, die sich um das ganze Haus zieht, gerade vor
meinem Fenster reden. Hier ist nämlich immer zuerst Schatten
und da setzen sich immer alle hierher. Ich erkenne gleich die
weiche Stimme der polnischen Studentin und höre, wie sie zur
Frau Bürgermeisterin aus J. sagt: „Ach, meine arme Kusine
ist schrecklich hereingefallen", d. h. sie sagte chere ingefallen, da
sie alle h wie ch ausspricht, wie alle Polen. „Das kommt davon,
wenn man junge Mädchen wie eine Ware verkauft, ohne daß sie
gefragt werden und wissen, um was es sich chandelt." Da ziehe
ich mich sofort an und setze mich ganz nahe zum Fenster hinter
den Vorhang und höre zu. Die Frau Bürgermeisterin sagt: Ja,
es ist gräßlich, was man alles erlebt, wenn man verheiratet ist.
Also mein Mann ist nicht so, aber und dann verstand
ich leider nicht, was sie weiter erzählte. Dieses Gespräch war am
Donnerstag. Aber das ist noch nicht alles. Ich dachte mir gleich,
wenn ich nur einmal mit ihr reden könnte; sie hatte nämlich
auch vom Aufklären gesprochen, und wenn wir auch schon
sehr aufgeklärt sind, so wird sie als Medizinstudentin doch
noch vieles wissen, was wir nicht wissen. Etwas wird man schon
noch erfahren können. Und da sie sagte, daß man die Mädchen
nicht blind in die Ehe rennen lassen darf, so muß sie einem
doch etwas sagen, wenn man vorsichtig fragt. Ein Wort nämlich,
daß sie und die Bürgermeisterin 2mal sagten, nämlich segsuel,
weiß ich nicht und Du, liebste Rita, gewiß ebenso wenig. Sie sagte
etwas von segsuellen Verhältnissen; also wenn etwas
von Verhältnissen geredet wird, so weiß man schon, daß es
eine Bedeutung hat, aber segsuel, das ist die Frage. Es muß
einen Sinn haben, daß sie es zusammen mit Verhältnis brauchte.
Also jetzt paß auf. Am Samstag war Unterhaltungsabend und da
kommt dieses Fräulein auch immer, da lege ich meinen Sang
208
und Klang aus den Alpen aufs Klavier und jemand nimmt sie
in die Hand und blättert drin, und es heißt, wem sie gehören,
der muß singen. Zuerst tue ich nichts dergleichen, gehe hinaus,
komme wieder herein und sag : Ich suche meine Noten, ich habe
sie neulich liegen lassen. Da geht ein Riesenhalloh an und alle
sagen: Wem sie gehören, der muß singen. Nun wußte ich aber,
daß das Fräulein Karwinska schon ein paarmal beim Singen begleitet
hat. Also sag ich : Bitte, ich singe schon, aber ich möchte bitten,
daß das Fräulein K . . . mich begleitet. Denn die Herren hauen
für meine Stimme zu stark hinein. Großes Gelächter, und ich
hatte erreicht, was ich wollte. Wir wurden gegenseitig vorgestellt
und ich dachte mir: Die Bekanntschaft läßt du nicht mehr los.
Am Sonntag stand ich ausnahmsweise schon um l / a 7 Uhr früh
auf, weil das Fräulein nur in der Frühe spazieren gehen kann,
da sie den ganzen Tag bei ihrer Kusine ist. Sie sitzt bei der
Luisenquelle und ich gehe auch hin mit einem Buch; und wie
sie kommt, springe ich auf, grüße sie und sage : Pardon Fräulein,
falls ich am Ende Ihre Bank besetzt habe? „O, nein, sagt sie,
was, am Sonntag lernen Sie gar?" „0 nein, ich lese nur", ant-
worte ich und verstecke schnell das Buch unter meinem Sitz,
weil ich in der Geschwindigkeit nicht wußte, was ich genommen
hatte. Und denke Dir, das war mein Glück. Sie setzt sich zu
mir und sagt: „Was lesen sie denn, was Sie so ängstlich ver-
bergen? Gewiß etwas, wovon die Mama nichts wissen darf." ,0
nein, sag ich, solche Bücher haben wir nicht mit am Land." „Also
in der Stadt da naschen Sie manchmal davon?" „Gott, man muß
doch auch endlich einmal etwas vom Leben erfahren; sagen
tut einem niemand was, so schaut man halt, daß man gelegent-
lich in einem Buch etwas findet." „Im Lexikon, nicht wahr?"
„O nein, denn da drinnen steht durchaus nicht immer die Wahr-
heit." Da lachte sie furchtbar und sagte: „Was denn für eine
Wahrheit?" „Na, das kann man sich schon denken, Fräulein
werden schon wissen, was ich meine." Bei einer Medizinstudentin
kann man schon deutlicher sein und sie war auch gar nicht
entsetzt oder empört, sondern sagte : Ja ja, überall derselbe Kampf.
14
209
Und da gebrauchte ich Dein Lieblingswort und sage: „Wieso
Kampf? Ich möchte nur das eine wissen von dem Angesteckt-
werden." Da wird sie ganz rot und sagt: „Ja, wer hat Ihnen denn
das gesagt? Mir scheint, meine arme Kusine ist hier im Munde
aller Leute. Wissen Sie, ich kann Ihnen das nicht sagen." Da
sag ich : „Ja, aber wer denn, S i e studieren doch Medizin und
sehen und reden das alle Tage." „Nein, liebes Kind (das hat
mich wütend geärgert, das kannst Du Dir denken), dazu sind
Sie noch viel zu jung." Was sagst Du dazu, zu jung sind wir
mit 147-2 Jahren, das ist einfach lächerlich. Wahrscheinlich ist sie
noch nicht soweit im Studieren und will das nicht eingestehen.
Ich stehe also auf und sage: „Ich will Fräulein nicht länger
stören" und grüße und gehe; aber gedacht habe ich mir: „Die
kann mir gestohlen werden mit ihrem ganzen Studieren; das
wird schon die richtige Doktorin werden!"
Also was sagst Du dazu? Wir werden eben doch beim
Lexikon bleiben, denn vieles wird schon richtig sein und das
Meiste bis auf das Wort segsuel wissen wir zum Glück
schon. Heuer im Winter wird das ja bei euch leichter gehen,
daß wir zum Bücherkasten kommen können, als früher. Die
dumme Gans grüße ich absolut nicht mehr.
Also wegen dem „reinen Kind" will ich dich, teure Rita,
absolut nicht beeinflussen, und ich werde auch nie böse werden,
auf dich, weil Du eine Unwürdige mir vorziehst!!!
Eine halbe Million Küsse sendet Dir, Ungetreue, trotzdem
Deine
unverbrüchlich treue Freundin H.
P. S. An dem Brief schreibe ich 4 Tage; zerreiß ihn un-
bedingt !! !
Jetzt wo ich den Brief abgeschrieben habe, sehe ich eigent-
lich nicht ein, warum die Hella verlangt, daß ich ihn zerreißen
soll. Ich finde ihn nicht so arg. Nur das eine, das kann ich der
Hella nicht tun, wegen des Nachschauens im Lexikon. Ich glaube,
ich hätte immer das Gefühl, die Mama steht auf einmal hinter
uns. Nein, das kann ich absolut nicht.
210
13. August: Durch das dumme Abschreiben bin ich gar
nicht zu meiner Angelegenheit gekommen, obwohl die weit
wichtiger ist. Am vorigen Mittwoch war nämlich ein großer Aus-
flug vom Verschön.-Verein nach Inner-Lahn auf Leiterwagen.
Erst wollte die Dora nicht gehen, aber der Papa sagte, wenn es
uns Vergnügen macht, so geht er gern mit und die Mama
würde sich nur freuen, wenn sie sähe, daß wir wieder an etwas
Freude haben. Und zwei Tage vor dem Ausfluge entschied sich
endlich die Dora, daß sie doch gehen wollte; ich wußte sofort
warum; sie hatte geglaubt, bis dahin seien schon alle Plätze
vergeben und es werde heißen : Leider schon alles eingeteilt und
besetzt. Aber zum Glück hatte sie sich sehr geirrt. Der Herr
Sekretär sagte im Gegenteil: Sehr erfreut; bitte wieviele Personen
darf ich vormerken? und da sagten wir: 7; nämlich den Papa,
die Dora und ich, die Tante Alma (leider), die Marina (leider,
leider) und die zwei Buben (ebenfalls leider). „Das erfordert
einen Wagen mehr," sagte der Herr Sekretär und wir glaubten,
wir würden familienweise fahren. Aber das war nicht so: Neben
der Dora saß ein Herr, den ich schon ein paarmal gesehen hatte
und machte ihr riesig den Hof. Dann saßen 2 fremde Herren,
die Frau Bang und ihre 2 Töchter und ihr Sohn, der ein bissei
blemblem ist; herüben der Recke Siegfried, ein Fräulein, die
eine Schauspielerin sein soll, die zwei Weiners und ihre Mama
(trotz ! ! !) dann ich, darnach die Marina, der Papa, die Tante
Alma und die zwei Buben vis-ä-vis. Wer auf dem zweiten und
dritten Wagen saß, weiß ich nicht mehr. Um 6 Uhr früh ver-
sammelten wir uns beim Schulhaus, weil der Herr Oberlehrer
die Führung übernahm. Ich wußte gar nicht, daß er zwei Töchter
und einen Sohn hat, der heuer die Matura gemacht hat. Zuerst
war große Vorstellung und die Herren tranken ein Stamperl und
einige Damen auch ; ich aber nicht, denn Liqueur brennt einen
greulich im Hals und drum schneiden alle, mindestens die Mädeln
und die Damen so Gesichter beim Trinken, deshalb trinke ich
nie einen Likör. Also die Hinfahrt war mäßig, weil es recht kalt
und windig war, die meisten hatten ganz rote Nasen und blaue.
211
Lippen; ich biß mir fortwährend auf die Lippen, damit sie rot
blieben, denn solche weiße oder bläuliche Lippen entstellen einen
furchtbar, das weiß ich von der Dora heuer im Winter am Eis.
Der Papa ging nur unserthalben und die Tante Dora wieder
blieb wegen der Tante Alma zuhause. Die Marina trägt jetzt
Schnecken, die sieht zum Kugeln aus. Die Dora verträgt sich
übrigens ganz gut mit ihr, was ich von mir nicht behaupten
könnte. Beim Absteigen sah ich erst, daß neben der Schauspiel-
schulelevin auch die Schwester vom Siegfried, das Fräulein Hulda
saß. Sie ist sehr lieb und muß einmal, vor grauen Jahren sehr
schön gewesen sein; sie hat so sanfte braune Augen und dazu
das Haar ihres Bruders; aber der hat herrliche Blauaugen, die
ganz schwarz werden, wenn er zornig ist, z. B. wie er mir von
seinem Papa erzählte. Ich würde zittern vor ihm in seiner Wut.
Ich gehe ihm nur etwas über die Schulter, so groß ist er.
Der Papa nennt ihn den roten Bandwurm, aber damit tut er
ihm wirklich unrecht. Er ist sehr breit, aber so schlank. In
Unter-Toifen wurde Gabelfrühstück aus dem mitgebrachten Pro-
viant gehalten, ungef. */s Stunde, dann trieb der Herr Oberlehrer
riesig zum Aufbruch, weil wir gut 4 Stunden zu gehen hatten.
Die zwei Buben schlössen sich an andere Buben an und wir
fünf Mädeln, wir 2, die 2 Weiner und die Marina gingen zuerst
miteinander. Die Tanta Alma ging mit einer Pastorsfrau aus
Hildesheim oder wie es hieß und der Oberlehrerin. Es war zuerst
sehr fad, so daß ich schon bereute, daß ich den Papa so ge-
bettelt hatte, mitzugehen. Ungefähr nach 1 oder 2 Stunden
kommt der Sohn vom Oberlehrer und drei fesche Burschen und
gehen mit uns. Da war's so lustig, daß wir vor Lachen gar nicht
gehen konnten und die Großen uns immer antreiben mußten.
Und die Marina war ganz ausgelassen, ich hätte nie gedacht,
daß die so fesch sein könnte. Die eine Tochter vom Oberlehrer
fiel hin und einer zog sie aus dem Bach, in den sie abgerutscht
war vor Lachen. Wie wir nach Inner-Lahn kamen, weiß ich gar
nicht, so gut unterhielten wir uns. Da war schon das Mittag-
essen bestellt, wir hatten alle einen wahnsinnigen Hunger. Wir
212
lachten unaufhörlich, denn wir hatten uns so zusammengesetzt,
wie wir gegangen waren, obwohl die Tante Alma das erst nicht
wollte. Aber sie wurde überstimmt. Mir war es sehr recht, daß
der Recke Siegfried sah, daß man sich auch ohne ihn unter-
halten kann. Denn er pickte der Schauspielelevin am Halse, oder
vielleicht sie ihm — daß weiß ich nicht ; oder wenigstens wußte
ich es damals noch nicht ! Weil jedes wo anders saß, mußte
jedes selber bezahlen und der Papa sagte am nächsten Tag, wir
hätten ein Heidengeld verputzt ; aber das war nicht im Gasthaus,
sondern ist später geschehen, wie wir Andenken kaufen gingen.
Und ich glaube, die Dora hat der Marina 3 K gegeben, damit
sie auch Sachen kaufen konnte. Aber so etwas verrät die Dora
nie. Überhaupt ihr Charakter gefällt mir immer besser; sie gleicht
darin sehr der Mama. Also, die eingekauften Sachen wurden
alle in zwei oder drei Rucksäcke gegeben und gehörten für eine
Tombola beim Zurückkommen in Unter-Toifen. Ich muß min-
destens 7 K ausgegeben haben, denn der Papa gab jeder von
uns in der Frühe 5 K und dann hatte ich noch eine Menge Geld
vom August-Taschengeld und jetzt habe ich nur mehr 40 h. Nach
dem Essen und Einkaufen legten wir uns in den Wald oder
gingen zu zweien herum. Wie ich so liege und schlafen will,
kommt auf einmal jemand hinter mir und wie ich mich aufrichte,
legt mir dieser Jemand die Hände über die Augen und sagt:
„Der Berggeist". Und ich erkenne sofort seine Hände und
sage: Recke Siegfried! Da lacht er riesig und setzt sich zu mir
und sagt: „Sie haben sich ja heute so gut unterhalten, daß Sie
gar keinen Blick für andere hatten." „O, nur vice versa (das habe
ich von der Dora), ich dränge mich niemanden auf und werfe
mich niemanden an den Hals." Da will er mich um die
Mitte nehmen (und wahrscheinlich küssen, höchstwahrscheinlich),
aber ich springe schnell auf und rufe die Dora, d. h. Theo, denn
wir haben vor den Herren ausgemacht, daß wir einander nur
Theo und Rita nennen. Der Papa sagt zwar, das sei ein Blöd-
sinn, der für die Dora gar nicht mehr paßt (aber für mich
natürlich ja!), aber wir sind bei unserer Abmachung geblieben.
213
Da hält er mir die Hand auf den Mund und sagt: „Nicht rufen!"
Aber indessen kamen schon die Dora, der Herr mit dem Zwicker,
der ein Dr. jur. ist beim Bezirksgericht in Innsbruck, und die
Marina und ein Bursch und da frage ich : „Was ist los, wann wird
gejaust?" „Die hat schon wieder Hunger, so etwas" sagen alle
und lachen furchtbar. Und die Dora schaute sehr glücklich aus.
Auch hatte sie ein Edelweißbukett vorgesteckt, das sie früher
nicht hatte; am Abend sagte sie mir, sie habe es vom Herrn
Dr. P . . . bekommen. Er ist womöglich noch größer als der
Recke Siegfried, denn die Dora ist etwas größer als ich und geht
ihm nur bis zum Ohrrand. Um drei Uhr ging noch die letzte
Partie auf die Aussichtswarte, wir waren schon früher gewesen.
Die Aussicht war herrlich. Aber eine schöne Aussicht und über-
haupt eine schöne Gegend schaue ich mir lieber allein, d. h. mit
dem Papa, oder ganz wenigen Personen an; mit so vielen hat
man nichts; es nimmt förmlich ein jeder ein Stückerl weg. In
einer schönen Gegend und am Friedhof muß man allein sein.
Denn eine schöne Aussicht stimmt einen auch meist furchtbar
traurig, und da kann man doch nicht unmittelbar vorher gelacht
haben oder gleich darnach wieder lachen. Wenn ich in Inner-Lahn
allein wäre, würde ich unbedingt melancholisch, so herrlich
schön ist's dort.
Um vier Uhr nach der Jause stiegen wir ab, der Herr Ober-
lehrer hatte geglaubt, der Abstieg dauert höchstens zweieinhalb
Stunden, aber wir brauchten mehr als drei. Denn alle waren sehr
müde und vielen taten die Füße weh, z. B. der Tante Alma !
Wir hatten das gleich gesagt, daß das für die Tante nichts ist;
aber daß nur ja der Marina nichts geschieht, mußte sie mitgehen,
und die Marina hat sich doch sehr gut unterhalten mit einem
Herrn Furtner, der Bergbau studiert wie der Oswald, aber nicht
in Leoben, sondern in Deutschland. Wie eigentlich ein Mädel
ist, sieht man immer erst, wenn sie sich mit einem Herrn unter-
hält oder bei gewissen Gesprächen; also die letzten sind natürlich
unmöglich mit der Marina seit der Erfahrung, die wir gemacht.
Aber jedenfalls ist sie netter, als man auf den ersten Blick meint.
214
Beim Nachhausegehen war es riesig nett. Auf der Fahrt von
Unter-Toifen nachhause saßen wir ganz anders, als beim Hinfahren.
Statt den Weiners saßen in unserem Wagen drei Burschen aus
München, die waren riesig nett, da sangen wir alle möglichen Lieder,
die wir wußten; besonders „Hoch vom Dachstein, wo der Aar nur
haust" und die „Forelle" und „Wo mei Schatz is " waren herrlich,
da sangen die Leute von zwei Wagen mit. Und dann sangen
einige Alphornlieder mit Jodeln, daß die Berge hallten. Ein paar
Herren vom dritten Wagen hatten einen Schwips und dabei
war auch der Recke Siegfried!! Die Tante Alma hatte fürchter-
lich Kopfschmerzen; das ist eben ein Unsinn, daß sie mit-
gegangen war und da wußten wir nicht einmal noch, was nach-
kommt. Bei jedem Haus, wo junge Mädeln abgesetzt wurden,
wurde ein Ständchen gebracht. Und am nächsten Abend sollte
große Tombola sein mit den gekauften Andenken, aber da
durften wir nicht mehr hingehen.
14. August: Es ist greulich fad, ich weiß gar nicht, was ich
eigentlich tun soll, so schreibe ich Tagebuch. Übrigens habe ich ja
den Skandal noch nicht geschrieben. Am nächsten Tag Nachmittag
kommt dieTante Alma, gerade wie wir weggehen wollen und sagt zum
Papa : Ernst, ich bitte auf ein Wort. Nun dieses a u f e i n Wo r t der
Tante Alma kennen wir schon, d. h. zu deutsch : ich mache Euch eine
Szene. Also fängt sie an : Ernst, du weißt, ich war nie eingenommen
für diese gemeinsamen Partien, denn es schaut nichts heraus
dabei. Aber um der Kinder willen, hauptsächlich um Deiner
mutterlosen Kinder entschloß ich mich, mitzugehen. (Es hat
sie gar niemand gebeten ; und wegen ihr ist die Tante Dora zuhaus-
geblieben.) Weißt du, mit was für Leuten wir in einer Gesell-
schaft waren? Dieser freche junge Bursch, dem die Gretel so
nachrennt, (das ist eine Gemeinheit! ich möchte wissen, wann
ich ihm nachrenne; im Wald, da habe vielleicht ich ihn um
die Mitte genommen, und damals an meinem Geburtstage habe
vielleicht auch ich angefangen), und die junge Schauspielelevin
sind die halbe Nacht nach dem Ausflug nicht nachhausegekommen.
Wo sie sich herumgetrieben haben, das wissen die Götter!
215
Reiner sind sie nicht nachhausgekommen. (Natürlich, wie
hätten sie sich denn waschen sollen). Der Oberbergrat hat dem Laus-
buben ordentlich den Standpunkt klar gemacht, aber die Mutter
dieser Schauspielerin nimmt natürlich das Mädchen in Schutz.
Wenn ich denke, daß meine Marina so etwas täte, das brächte
mich ins Grab." Endlich kommt der Papa zu Wort: „Ja, also
liebe Alma, und was hat das alles mit meinen Kindern zu tun?
Soviel ich weiß, sind diese zwei Leute gar nicht auf unserem
Wagen gewesen, nicht Kinder?" Ich war froh, daß der Papa sich
an uns wendete und sagte: Der Siegfried Seh. und die
Schauspielelevin sind im vierten Wagen gesessen, ich habe sie
aufsteigen gesehen ; und mir war es auch toute meme chause,
wo er fährt und mit wem er fährt." (Das ist zwar nicht wahr,
aber wegen der Tante sagte ich es). „Dieses Mundwerk und
diesen Ton gegen den eigenen Vater!" Kaum daß sie das sagt,
da ist der Papa wild geworden, wie ich ihn noch nie gesehen
habe. „Meine liebe Alma, ich ersuche dich, dich in meine Er-
ziehungsmethode nicht zu mischen, so wenig wie ich Dir ja ein
Wort in Deine Sachen drein rede.« Das sagte der Papa so
leise und ruhig, aber dabei war er ganz weiß vor Wut, und die
Dora sagte mir dann, daß ich auch ganz weiß gewesen bin,
natürlich auch vor Wut. Die Tante Alma sagte noch : „Ich will
keine böse Prophezeiungen sprechen, aber die Zukunft wird
lehren, wer Recht hatte. Adieu". Wie sie draußen war, stürzten
die Dora und ich zum Papa und sagten: „Ich bitte dich, Papa,
ärgere dich nicht so ; es steht gar nicht dafür." Und der Papa war
riesig lieb und nett zu uns und sagte : „Ich weiß schon, daß ich
mich auf Euch verlassen kann; Ihr seid ja die Kinder meiner
Berta." Und da konnte ich mich nicht zurückhalten und sagte:
„Nein Papa, ich habe wirklich kokettiert mit dem Siegfried, und
im Wald hat er mich um die Mitte genommen ; aber küssen
habe ich mich nicht lassen, das schwöre ich dir. Und wenn du
es nicht willst, so schwöre ich dir auch, daß ich kein Wort mehr
mit ihm rede." Und der Papa sagte: „Ja, ja Gretel, du hast
schon noch Zeit mit solchen Sachen und wenn der Strick
216
I
„der rothaarige", mit dir schön tut, so macht er sich
höchstens hinterdrein lächerlich. Und das will mein Mädel doch
nicht, gelt Hexerl?" Da umarmte ich den Papa und schwor ihm
bei meinem Ehrenwort, daß ich mit dem Siegfried kein
Wort mehr rede. Nämlich der Gedanke ärgert mich wirklich
kolossal, daß er sich lächerlich machen könnte ; am Ende zu der
Elevin, die in der halben Nacht mit ihm spazieren geht ; eine
solche Unverschämtheit !
Wir waren dann so aufgeregt, daß wir gar nicht spazieren-
gingen und auch natürlich nicht zur Tombola. Aber um meine
Sachen um 7 K tuts mir riesig leid. Hoffentlich hat er nichts
davon gewonnen.
15. August: Nur ein paar Worte. In der Frühe wie ich zum
Frühstücke gehe, kommt mir auf dem Gang der S. (das ist gut,
das kann seinen Vornamen und auch Strick bedeuten, wie der
Papa ihn nannte) entgegen und sagt: „Guten Morgen, Fräulein
Gretchen. Warum waren Sie neulich nicht bei der Tombola?
Haben Sie nichts gestiftet? — „Oja, ich habe Sachen um 7 K
gekauft dafür, aber es paßt einem mitunter die Gesellschaft nicht."
Wieso denn auf einmal? Es waren ja alle Leute von der
Partie? -Ja, eben deshalb," sag ich und gehe vorbei. Dem
habe ich's gut gegeben, denn verstanden muß er es doch haben.
Darin muß ich dem Papa recht geben, daß es nicht fein ist, zu
fremden Leuten über seine Eltern schimpfen, wie er das jedesmal
tut. Ich könnte kein Wort gegen meine Eltern zu jemanden
andern sagen, obwohl ich mich ja auch manchmal wütend ärgere;
also über die Mama schon deshalb nicht, weil sie tot ist. Aber
auch über den Papa nicht; lieber würge ich das ärgste Unrecht
hinunter. Denn damals in dem Verdruß mit der Tante Alma wegen
der Marina, da war ich wirklich unschuldig und er schimpfte
mich so aus, noch dazu vor der Tante Alma, das werde ich nie
vergessen. Aber trotzdem, zu jemandem Fremden, den ich gerade
erst kennen lernte, würde ich nie etwas gegen irgendwen von
unserer Familie sagen; nicht einmal gegen die Dora, mit der
ich früher doch gar nicht gut stand, habe ich nicht einmal zur
217
Hella besonders viel geschimpft ; höchstens daß sie falsch ist, und
das war früher wirklich der Fall, während jetzt nur äußerst selten.
19. August: Es ist scheußlich fad; ich kann das Wort
scheußlich nicht vertragen, aber für hier paßt es einzig. Heute
abends kommt endlich der Oswald, Gott sei Dank. Der S. hat
schon mehrmals Annäherungsversuche gemacht, die
ich aber ignorierte. Er soll nur bei seiner Schauspielerin
bleiben, die die halbe Nacht mit ihm Spazierengehen darf. Wo
sie übrigens waren, würde mich sehr interessieren. In der Nacht,
es ist unerhört ! ! ! Die Dora sagt, sie hat gleich eine Antipathie
gegen den S. gehabt, weil er also das ist eine
Lüge! Schweißhände! hat. Das ist absolut nicht wahr, im
Gegenteil, er hat so entzückend kühle Hände, das muß ich doch
besser wissen als die Dora. Aber das weiß ich seit jeher, wenn
m i r jemand den Hof macht, der ist der Dora unsympathisch,
natürlich. Ja, richtig, neulich am Sonntag hat mir die Anneliese
einen reizenden Brief geschrieben. Ich muß ihr heute noch
antworten.
22. August: Der Oswald ist zu nett. Er hat nicht auf meinen
Geburtstag vergessen, aber er sagte, damals war ihm grad das
Moos, das heißt in der Studentensprache das Geld ausgegangen
und dann fand er nichts Passendes, aber sobald wir nach Wien
kommen, macht er seinen Fehler gut. Ich weiß aber nicht, was
ich mir wünschen soll. Jetzt bleibt der Oswald hier, bis wir alle
nach Wien fahren und da machen wir allein einige Partien.
Das ist wirklich am besten. Mit den Weiners gehe ich jetzt auch
nicht mehr so viel, weil sie sich auch auf der gemeinsamen
Partie geärgert haben. Die Nelly findet den Oswald äußerst
fesch und deswegen war sie heute zweimal bei unserem Tisch,
einmal wegen des Roseggers, den wir ihr geliehen haben und
dann wegen des Spaziergangs.
24. August: Es ist ja eigentlich lächerlich, daß einen so
etwas so freut von einem Bruder ; aber wenn er es findet, so ist
es sicher wahr. Der Oswald sagt heute zu mir: „Mädel, fesch
wirst du zum Anbeißen. Du machst dich gehörig heraus." Ich
218
sagte zwar: „Na, das Anbeißen möcht' ich keinem raten", und
er sagte: „Ich auch nicht", aber es hat mich doch riesig gefreut,
obwohl er nur mein Bruder ist. Die Marina findet er scheußlich
und die Dora ist ihm als Mann zu fad; da hat er wohl Recht.
Ich begreife auch den Dr. P. nicht, daß der immer mit der Dora
redet. Mit mir hat er übrigens noch keine 10 Worte gesprochen.
Also ich kränke mich nicht darüber.
27. August: Wir waren gestern am Matscherkogel, wo eine
herrliche Aussicht war. Die beiden Buben waren mit, sie hatten
dem Papa eigens gebeten; aber die Tante Alma und die Marina
natürlich nicht. Der Oswald nennt die Tante Alma immer
Nadelpolster ohne Rundung, aber nur wenn der Papa
nicht dabei ist, weil sie ja doch seine Schwester ist. Die Weiners
wollten mitgehen, aber ich sagte, mein Bruder bleibt nur noch
wenige Tage hier und das ist eine Abschiedspartie en famille."
Da waren sie etwas beleidigt, aber mich hat das riesig geärgert,
daß sie immer wieder absichtlich vor mir erzählten, daß der S.
sich mit der Schauspielelevin gegen den Willen seines Papas verlobt
hat oder verloben wird. Mir liegt daran doch wirklich nichts.
Aber sie haben einander immer Blicke zugeworfen, wenn sie
davon redeten, besonders die Olga, die wirklich nicht sehr geist-
reich ist. Ich bin jetzt manchmal so traurig, daß ich gar nicht
begreifen kann, wie ich mich eigentlich auf dem gemeinsamen
Ausflug so gut unterhalten habe. Ich denke so oft an die arme
Mama und ich bin auch oft Schwarz gekleidet. Das paßt am
besten zu meiner Stimmung.
30. August : Morgen scheinen die Seh .... wegzufahren.
Wenigstens hat der alte Herr vorgestern zum Papa gesagt:
„Gott sei Dank, wenn man wieder bald in seine vier Wände
und seine Bequemlichkeit kommt." Das sagt auch die Großmama
der Hella immer vor der Abreise vom Land. Und dann standen
heute 2 große Reisekörbe auf dem Gang, in der Nähe der
Zimmer des Herrn Oberbergrats. Der Oswald findet den alten
Herrn charmant; na also, Geschmacksache. Mit dem S. hat er,
glaube ich, nie geredet, obwohl er auch deutschnational ist, aber
219
von einem andern Verband; der Oswald gehört zur Südmark,
und der S. hat einmal riesig geschimpft über die Südmark, als
ich ihm erzählte, daß der Oswald bei der Südmark ist.
31. August: Heute ist er richtig weggefahren, d. h. die
ganze Familie. Sie haben sich bei uns verabschiedet nach dem
Nachtmahl gestern abends und heute sind sie mit dem 9 Uhr
Zug nach Innsbruck gefahren. Also Schweißhände hat er nicht,
ich habe eigens aufgepaßt ; das ist eine reine Einbildung von der
Dora. Er und der Oswald begrüßten sich mit Heil ! Das ist ein
großartiger Gruß und ich werde das zwischen der Hella und
mir auch einführen.
2. September: Heute sind auch die Weiners weg, weil man
es ihrer Mama schon zu stark anmerkt. Die Olga sagte beim Ab-
schied, es ist ihr gräßlich peinlich, mit ihrer Mama zu fahren, sie
wird wennmöglich immer etwas zurückbleiben, damit man nicht
gleich weiß, daß sie zusammengehören.
4. September: Das ist doch unerhört!! Der S. ist wieder
da, allein natürlich ; alle Leute sind empört, denn er ist nur
wegen des Fräuleins A., der Schauspielelevin zurückgekommen.
Aber der Oswald hat ihn riesig in Schutz genommen, wie nach-
mittags die Frau Lunda zur Tante Dora sagte: „Das ist ein
Skandal und seine Eltern hätten es ihm nicht erlauben sollen,
wenn schon die Mutter der Elevin nicht weiß, was sich gehört".
Da sagte der Oswald : „Pardon, gnädige Frau, der junge Seh. ist
doch kein Schulbub, der den Eltern am Rockschössel hängt;
eine solche Bevormundung wäre wirklich eines deutschen
Mannes unwürdig." Der Frau L. habe ich das eigentlich gegönnt,
denn die durchbohrt einen immer mit den Blicken und ist wahn-
sinnig neugierig. Und das Wort Bevormundung ist echt-
deutsch, das hat auch der S. einmal gesagt, wie er von seiner
Schwester redete und warum sie nicht geheiratet hat. Die Frau L.
hat sich wütend geärgert und hat zur Tante Dora gewendet
gesagt : „Natürlich, die jungen Herren halten fest zusammen, bis
sie selber einmal Väter sind, da denken sie schon anders. "
8. September: Gott sei Dank, übermorgen fahren wir auch
220
weg. Eigentlich war es ziemlich fad hier, jedenfalls kann ich
in das Loblied der Hella vom vorigen Jahr nicht einstimmen;
sie wohnten allerdings nicht in der Pension Edelweiß, sondern
im Hotel Kaiser von Österreich. Das macht sehr viel aus, wo
man wohnt. Richtig, das fällt mir gerade ein. Die junge Frau
mit dem Ausschlag infolge Ansteckung muß doch nicht ge-
schieden sein, wie mir die Hella vorvorige Woche schrieb;
denn ihr Mann war zu Besuch dort, ein Schauspieler vom Königl.
Schauspielhaus in München. Also scheinen die Schauspieler wirk-
lich auch alle angesteckt zu sein; und die Hella behauptete
immer, nur die Offiziere! In dem Punkt ist sie wirklich etwas
übertrieben.
14. September: Seit 11. sind wir schon in Wien, aber ich
konnte absolut nicht schreiben, obwohl genug Grund dazu wäre.
Denn die erste Person, die ich begegnete, als ich am 11. Kakao
holte, den die Resi vergessen hatte mitzunehmen, war der Ober-
leutnant R., nämlich der Sieger, der Viktor!! Er erkannte mich
natürlich sofort und war riesig liebenswürdig und begleitete
mich ein Stück. So nebenbei fragte er nach der Dora, aber
ich sah deutlich, daß er sie nicht mehr liebt. Das ist übrigens
köstlich, daß er nicht wußte, daß die Dora heuer die Matura
gemacht hat und daher nicht mehr ins Lyzeum geht. Daß sie
durchaus weiter studieren will, sagte ich ihm nicht, weil es doch
absolut noch nicht sicher ist.
16. September: Gestern ist die Hella gekommen; ich bin
glücklich; ich begrüßte sie mit Heil! aber sie sagte, „mach keine
Dummheiten", überdies paßt das nicht für eine österreichische
Offizierstochter ! ! ! Also darüber werden wir uns nach 2monat-
licher Trennung nicht zerzanken und S e r v u s ist auch sehr
fesch, nur nicht so fein. Sie erzählte mir noch wahnsinnig viel
von dieser jungen Frau; ihre Kusine soll in ihren Mann ver-
liebt sein, sagten einige Damen in B. Das wäre greulich,
denn dann würde sie ja auch angesteckt ; aber die Hella sagt,
sie hat nie etwas bemerkt, obwohl sie die 14 Tage, die er da
war, riesig aufgepaßt hat. Er hat bei 2 Unterhaltungsabenden
221
gesungen, aber sie hat nicht das Geringste bemerkt. Die Lizzi
hat sich verlobt, aber die Hella durfte nicht einmal mir etwas
schreiben, weil die Verlobung erst jetzt in Wien offiziell gefeiert
wird ; mit einem Baron G. Er ist Gesandschaftsattache in London
und dort hat sie ihn bei einer Gesellschaft kennen gelernt. Er
liebt sie wahnsinnig. Im Sommer im Aug. kam er auf Urlaub
nach B. und hielt um ihre Hand an; deshalb blieben sie den
ganzen Sommer in B. und fuhren gar nicht nach Ungarn.
Das waren die besonderen Umstände, die mir die Hella
nicht schreiben konnte. Also das hätte sie mir ruhig schreiben
können, ich hätte es niemanden verraten; denn schließlich ist
die Lizzi doch schon 19% Jahre und da hätte sich niemand
gar so gewundert, daß sie sich endlich verlobt. Ein großes
Verlobungsfest kann nicht gefeiert werden, weil der Vater vom
Baron G. heuer im Juli gestorben ist. Das ärgert die Hella
riesig. Die Lizzi behauptet, sie macht sich nichts draus.
18. September: Heute ist die Verlobungsanzeige der Lizzi
gekommen. Es muß herrlich sein, Verlobungskarten auszuschicken.
Die Dora ist ganz rot geworden vor Ärger, sie sagte zwar, wie
ich fragte : „Was wirst du denn ganz rot, da ist doch nichts
zum Genieren, wenn sich jemand verlobt!" „Ich bitte dich,
was soll ich mich denn genieren, ich bin bloß riesig erstaunt."
Aber vom Erstaunen wird man nicht so rot.
19. September: Heute hat die Schule begonnen; leider,
denn Sie ist nicht mehr bei uns. Und noch dazu ist die vor-
jährige III. heuer die IV. und das ist gräßlich, im selben Schul-
zimmer sitzen ohne Sie. Zum Glück haben wir wenigstens die
Frau Dr. St. als Klassenvorstand und wieder in Mathematik und
Physik ; die Frau Dr. F., die wir Nüßchen und die V. Klasse
Wasserfall nannten, ist nicht mehr bei uns, sondern an das
Deutsche Lyz. in Lemberg angestellt worden. Wir mußten uns vor-
läufig so setzen, wie im Vorjahr, aber die Hella sagte, wir
werden die Frau Dr. St. bitten, daß sie uns wo anders hinsetzt,
denn die Erinnerung an die drei Jahre, wo wir die Frau Dr. M.
hatten, würde uns in der Aufmerksamkeit stören. Das ist ein
222
wunderbarer Einfall. In Deutsch haben wir einen Herrn, in
Französich leider wieder die Frau Dr. Dunker, deren Teint
noch nicht schöner geworden ist, und in Englisch die Frau
Direktorin. Das ist mir sehr angenehm, denn erstens ist sie sehr
lieb und zweitens habe ich einen Stein im Brett bei ihr von der
Dora her, die ihr Liebling war. In Latein gehe ich natürlich
nicht, denn ohne Frau Dr. M. habe ich nichts davon. Richtig,
einen neuen Religionsprofessor haben wir, der Herr Professor K.
ist in Pension gegangen, da er schon 60 Jahre alt war.
21. September: Es ist uns gelungen. Heute in der großen
Pause sagte die Hella zur Frau Dr. St., die gerade Inspektion
hatte: „Frau Dr., dürfen wir eine Bitte äußern?" Da sagte sie:
„So, schon in der ersten Schulwoche; also was denn?" Und da
sagten wir, sie möchte uns aus der dritten Bank Fensterseite
wegsetzen, weil das unsere Plätze bei der Frau Dr. M.
waren und das sei uns schrecklich." Zuerst wollte sie nicht
recht, aber dann sagte sie : „Ich werde schon sehen, so könnt Ihr
ohnehin nicht sitzenbleiben." Von 11 — 12 hatten wir Mathematik
und nachdem die Frau Dr. Steiner sich niedergesetzt hatte,
sagte sie: „Diese Sitzordnung war nur provisorisch. Ihr müßt doch
etwas mehr nach der Größe sitzen". Und dann setzte sie alle
und ich und die Hella kamen in die 5. Bank Fensterseite; an
unseren Plätzen sitzen die zwei Zwillinge, die Ehrenfelds und vor
uns die Lohr und eine neue, eine gewisse Hammer Friederike,
deren Papa Konditor auf der Mariahilferstraße ist. Wir sind sehr
froh, daß wir aus der entsetzlichen dritten Bank weggekommen
sind, wo Sie so oft neben uns stand und die Hand auf die
Bank legte.
29. September: Heute war der Herr Prof. Fritsch, der
Deutschprofessor, das erstemal da. Er räuspert sich in einemfort
und trägt goldene Augengläser. Die Hella findet ihn erträg-
lich nett, ich aber nicht. Daß ich in meinem Leben kein Vor-
züglich mehr in Deutsch bekomme, das weiß ich! Gestern war
der neue Religionsprofessor das erstemal da, da saß ich allein,
weil ja die Hella als Protestantin weggeht. Er sieht furchtbar
223
schlecht aus und hat die Augen immer gesenkt, obwohl er
brennend schwarze Augen hat. Das nächstemal setze ich mich
neben die Hammer, damit wir nicht so einzeln sitzen.
2. Oktober : Heute hatten wir heil. Beichte und Kommunion,
und weil die Lehrkräfte nicht erlauben, daß wir uns aussuchen,
zu wem wir beichten gehen, mußte ich zum Herrn Professor
Ruppy gehen. Das war mir gräßlich. Ich habe so leise geflüstert,
daß er mich dreimal ermahnen mußte, lauter zu reden. Wie ich
vom 6. Gebot anfing, deckte er sich die Augen mit der Hand zu.
Aber gefragt hat er, Gott sei Dank, weiter nichts. Die einzige
Lehrkraft, die einem erlaubte, sich den geistlichen Herrn auszu-
suchen, war die Frau Dr. M. Das heißt, direkt erlaubt hat sie es
auch nicht, aber wenn eine schnell zu einem andern Beichtstuhl
rannte, so hat sie getan, als ob sie es nicht bemerkt hätte. Der
Herr Rel.-Prof. gibt furchtbar lange Bußgebete auf; alle Mädchen,
die bei ihm beichteten, verrichteten gräßlich lang ihre Buße.
Hoffentlich ist er beim Prüfen nicht auch so streng, sonst bekomme
ich Nichtgenügend; das wäre greulich/
3. Oktober : Heute war der Papa herrlich ! Die Tante Dora
muß ihm gesagt haben, daß ich sie neulich fragte, ob der Papa
am Ende die Frau Rechnungsrat Riedl heiratet, weil ihr Mann
fast zur selben Zeit gestorben ist wie Unsere Mama, und weil
der Papa der Vormund von den drei Kindern ist. Heute war sie mit
dem Willi da, weil er jetzt in die Schule gekommen ist. Und da haben
die Dora und ich darüber geredet und sie sagte, wenn der Papa
das tut, geht sie aus dem Haus. Und am Abend, wie wir nach
dem Nachtmahl sitzen, so sag ich : Wenn die Frau v. R. nur
nicht so häßlich wäre. Findest du sie nicht auch schrecklich
häßlich, Papa? Und der Papa lacht so lieb und sagt: „Du
brauchst keine Angst haben, mein Hexerl, das tue ich Euch
nicht an, daß ich euch eine Stiefmutter ins Haus setze." Und
da war ich so froh und die Dora auch, daß wir den Papa riesig
abküßten, und die Dora sagte: „Ich wußte das ohnehin, daß du
deinen Schwur an die Mama nicht brechen wirst", und sie weinte
furchtbar. Und der Papa sagte: „Nein Kinder, einen Schwur
224
habe ich der Mama gar nicht geleistet, das hätte ihre vornehme
Natur auch nie verlangt. Aber bei so großen Mädeln wie Ihr
seid, gehört keine Stiefmutter ins Haus.« Und dann sagte ich
dem Papa, daß die Dora aus dem Haus ginge, obwohl ich mich
eigentlich furchtbar geärgert habe darüber. Denn, wenn der
Papa wirklich noch einmal heiraten würde, so müßte ich es
ja auch ertragen ; und daher die Dora ebenfalls. Aber der Papa
sagte nochmals: „Habt keine Angst, ich heirate bestimmt kein
zweitesmal.« Und ich sagte: „Auch die Tante Dora nicht?« Und
er sagte: „Na, die schon «und dann unterbrach er sich
schnell und sagte: „Nein, nein, auch die Tante Dora nicht.«
Und jetzt gerade sagt mir die Dora, ich sei urblöd gewesen
denn ich weiß doch, daß der Papa nicht entzückt ist von der
Tante. Und dann machte sie mir Vorwürfe, weil ich dem Papa
gesagt habe, sie würde aus dem Hause gehen, wenn er doch
heiratet. Ich bin ein Kind, dem man seine geheimsten
Gedanken nicht anvertrauen dürfe ! ! So, jetzt haben wir mindestens
3 / 4 Stunden gestritten und es ist dabei 7 2 12 Uhr geworden.
Glücklicher Weise haben wir morgen frei, weil Kaisers Geburts-
tag ist. Aber ich bin doch sehr froh, daß wir es positiv wissen,
daß der Papa die Frau v. R. nicht heiratet. Ich könnte mich mit
keiner Stiefmama vertragen.
9. Oktober: In Deutsch ist es heuer gräßlich schwer. Wir
dürfen beim Aufsatz keinen Plan machen, sondern wir müssen
ihn so niederschreiben und dann hinterdrein disponieren. Und
das kann ich nicht. Der Prof. Fritsch ist sehr schön, aber alle
Mädchen fürchten ihn entsetzlich, denn er ist gräßlich streng.
Seine Frau ist im Irrenhaus und seine Kinder sind bei seiner
Mama. Er hat sich von ihr scheiden lassen und da er zum
Glück ein Protestant ist, kann er wieder heiraten, wenn er will.
Die Hella ist ganz verliebt in ihn, aber ich absolut nicht. Denn
ich denke nur immer an den Prof. W. in der II. und da habe
ich genug. In einen Professor verliebe ich mich absolut nicht
mehr. In der Lehrerinnenbildungsanstalt, wo die Marina jetzt im
4. Jahrgang ist, hat voriges Jahr ein Professor eine ehemalige
15
225
Schülerin geheiratet. Aber das täte ich um keinen Preis, meinen
alten Professor heiraten, der alle Fehler von einem weiß. Und
dann muß er doch mindestens 12 oder 20 Jahre älter sein als
das Mädchen ; und das ist doch greulich, da kann eine gleich
ihren eigenen Papa heiraten; der hat sie wenigstens sicher gern
und sie weiß wenigstens, wie er alles haben will ; aber so einen
alten Professor, nee, das ist ein Geschmack!
15. Oktober: Ich habe eine wahnsinnige Angst, daß die
Hella rezitiv wird; sie sagt, ein zweitesmal, überhaupt jetzt,
nachdem läßt sie sich absolut nicht operieren; da stirbt sie
lieber. Gott, das wäre gräßlich! Ich habe ihr riesig zugeredet,
daß sie ihrer Mama sagt, daß sie solche Schmerzen hat; aber
sie will nicht.
19. Oktober: Der Papa der Hella wird im November
General und kommt nach Krakau. Gott sei Dank, sie bleibt hier
bei ihrer Großmama, bis sie mit dem Lyz. fertig ist. Nur zu
Weihnachten und zu Ostern und in den Ferien fährt sie hin und
sie freut sich schon wahnsinnig darauf. Vor lauter Freuden ist
ihr wieder ganz gut. In der Schule sind alle sehr stolz drauf,
daß in unserer Klasse eine Generalstochter ist. In der III. Kl.
ist auch eine, sogar von einem Feldmarschall-Leutnant, aber er
ist schon in Pension. Und der Papa sagt immer, wenn einer in
Pension ist, kräht kein Hahn mehr nach ihm.
22. Oktober: Wir haben kaum Zeit zum Lernen vor Auf-
regung. Die Mama der Hella hat voriges Jahr zu Weihnachten
mehrere Romane von Geyerstamm bekommen und neulich liegt
einer auf dem Tisch und wie ihre Mama draußen ist, blättert
die Hella schnell und liest den Titel Frauenmacht!!! Wie
ihre Mama fertig war, schaut sie, wohin sie ihn im Bücherkasten
stellt und jetzt lesen wir ihn. Einfach großartig! Ich kann
die ganze Nacht nicht schlafen; die Signe, die er so liebt und
die ihn doch betrügt. Wir haben so geweint, daß wir nicht
weiterlesen konnten. Und das Mädchen, das Gretchen, das so
an ihrem Papa hängt; ja, ich kann das großartig begreifen, daß
sie immer Angst hat, ihr Papa könnte diese eckelhafte Person,
226
die Frau Elise heiraten, die doch so schon einen Mann hat.
Und wie sie dann stirbt, Gott, das ist so gräßlich und so schön,
daß wir es dreimal hintereinander lasen. Ich hatte neulich ganz
rote Augen vor lauter Weinen, so daß die Tante dann sagte, ich
dürfe nicht soviel lernen ; sie glaubt nämlich, die Hella und ich
lernen Literatur miteinander. Gott, das Lernen ist einem schreck-
lich, wenn man solche Bücher liest.
24. Oktober : Wenn ich den Papa anschaue, muß ich immer
an den Roman Frauenmacht denken; natürlich abgesehen von
der Signe. Die Hella hofft noch etwas zu erwischen, aber es geht
nicht so einfach, weil ihre Mama doch leicht draufkommen
kann, da sie immer sehr vielen bekannten Damen Bücher leiht.
Das gäbe einen Riesenskandal. Das Buch vom Brüderchen
verlangen wir uns nicht, da wird nicht besonders viel drinstehen ;
aber ein Roman heißt Komödie der Ehe, das muß herrlich
sein; den müssen wir unbedingt lesen.
26. Oktober: Die Brückners bleiben in ihrer Wohnung und
die Großmama übersiedelt zu ihnen; nur der Herr General! ! !
fährt nach K. und die Mama der Hella natürlich auch. Die Lizzi
muß hierbleiben, denn sie geht zu den Schotten Kochen lernen,
da sie im Fasching heiratet!!!
31. Oktober: Heute sind die Eltern der Hella weggefahren;
sie hat furchtbar geweint, weil sie riesig gern mitgefahren wäre. Die
Lizzi macht sich nichts draus, weil sie schon verlobt ist und ihr
Bräutigam, der Herr Baron, zu Weihnachten auf jeden Fall nach
Wien oder Krakau kommt; das ist ihm einerlei.
4. November : Heute haben wir, nämlich etliche in der Klasse,
uns wütend geärgert in der Deutschstunde. Weil ein paar Mädchen
nicht wissen, wo ein Beistrich gesetzt wird und wo nicht, hat
der Professor Fritsch nicht direkt, aber indirekt gesagt, wir haben
in den verflossenen Jahren nichts gelernt. Wir haben sehr gut
verstanden, daß das auf die Frau Dr. M. gegangen ist, bei der
die Deutschstunden 10, nein lOOmal schöner waren als beim
Professor F. Und gerade auf die Interpunktion hat die Frau
Dr. M. riesig gehalten und uns viele Beispiele gesagt. Aber ob
15*
227
man einen Beistrich setzt oder nicht, davon hängt doch nicht
der gute Stil ab! Und die zwei Ehrenfeld, die zuletzt auch sehr
für die Frau Dr. M. schwärmten, sagten, wir, die Lieblinge der
Frau Dr. M., sollten einmal bei einem bestimmten Aufsatz nicht
einen einzigen Beistrich machen, ihm zum Justament. Das ist
eine ausgezeichnete Idee, und wir, ich und die Hella, sind gleich
dabei, wenn man sich nur auf die andern verlassen kann.
6. November : Heuer müssen alle Klassen mindestens
jeden Monat zwei Ausflüge, auch im Winter machen. Wenn das
im Vorjahre bestimmt worden wäre, wie die Frau Dr. M. noch
da war, wäre ich bestimmt jedesmal mitgegangen. Aber heuer,
ohne sie, freut es uns nicht. Die Frau Dr. St. ist auch sehr lieb,
aber so wie die Frau Dr. M. eben doch nicht. Überdies machen
wir mit dem Papa heuer jeden Sonntag einen Tagesausflug, wo
auch immer die Hella, und wenn sie will, die Lizzi mitgeht.
Sobald Schnee ist, machen wir Rodelpartien von Hainfeld oder
Lilienfeld aus.
3. Dezember: Gott, fast einen Monat habe ich nichts ge-
schrieben, aber dafür heute ! Der Skandal in der Deutschstunde ! !
Wir haben nämlich die Aufsätze zurückbekommen, in denen die
Hella und ich, die 2 Ehrenfeld, die Brauner, die Bergler Edith,
und die Kühnelt absolut keinen Beistrich gemacht haben. Und
es wäre auch nichts herausgekommen, wenn nicht die dumme
Person, die Brauner, nachträglich alle Beistriche, die sie schon
gemacht hatte, wegradiert hätte. Wir hatten verabredet, falls der
Prof. etwas merkt, zu sagen, wir wollten vor dem Unterricht
gemeinsam besprechen, wo Beistriche zu setzen seien, und es sei
aber zu spät gewesen. Jetzt hat diese alberne Person alles ver-
patzt. Er wird den Fall vor die Konferenz bringen! Aber schließlich
können nicht 6 Schülerinnen von 25 eine mindere Sittennote
bekommen; das darf überhaupt nicht einmal sein.
4. Dezember : Heute war die Frau Direktorin in der Deutsch-
stunde inspizieren. Nachher sagte sie, sie erwarte, daß wir die
schönen Kenntnisse, die uns die Frau Dr. M. drei Jahre lang
vermittelte, zum festen Unterbau unserer weiteren Ausbildung im
228
.1« «
Oberlyzeum machen. Und in der Englischstunde sprach sie über
den beschränkteren Gebrauch der Satzzeichen im Englischen;
und schließlich wurden wir 6 Sünderinnen in die Kanzlei
gerufen. Die ganze Schule weiß schon davon und bewundert
unseren Mut, besonders die Unterklassen; die V. u. VI. ärgern
sich, daß wir aus der IV. uns das trauten. Die Frau Direktorin
schimpfte uns fürchterlich zusammen, sie sagte, das ist eine
unerhörte Frechheit und zugleich machen wir damit der Frau
Dr. M. eine schöne Schande. Da meldet sich die Hella und sagt
ganz bescheiden: „Ich bitte, Frau Direktorin, darf ich ein Wort
zu unserer Verteidigung sagen?" Und dann sagte sie, daß der
Herr Prof. Fritsch bei jeder Gelegenheit über die Frau Dr. M.
eine Bemerkung macht, natürlich nur indirekt, aber so, daß wir
es doch verstehen, und daß wir deshalb das getan haben. Da
antwortete die Frau Direktorin, das ist wohl nicht richtig, niemals
werde eine Lehrkraft gegen eine andere sprechen, da hätten wir
den Herrn Prof. einfach mißverstanden! Na also, das kennt man
schon; auch das Nüßchen hat wie oft in der Mathematik gesagt:
„Das wißt Ihr nicht? Das müßt Ihr doch gelernt haben." Aber
die Betonung ! ! ! ! ! Morgen ist Konferenz und wir sollen trachten,
noch vor der Konferenz alles gutzumachen. Die 2 Ehrenfeld
wollten, daß wir die Arbeiten nochmals schreiben, mit den Bei-
strichen natürlich, und morgen in der Deutschstunde auf den Tisch
legen, aber alle andern stimmten dagegen; denn wir sahen sehr
gut, daß die Frau Direktorin ganz rot wurde, als die Hella das
alles sagte. Die Korrekturen werden wir machen, aber wir fangen
alle ein neues Heft an.
8. Dezember: Jetzt sind schon 3 Tage seit der Konferenz,
aber es wird kein Wort von unserer Affäre gesprochen, und gestern
in der Deutschstunde gab der Prof. das Thema für die III. Haus-
arbeit, ohne daß er etwas Besonderes sagte. Ich glaube, er traut
sich doch nicht. Die Hella hat uns entschieden gerettet, denn
keine andere hätte sich getraut, das zu sagen, auch ich nicht.
Die Hella sagte: „Meine liebe Rita, dafür bin ich eine Offiziers-
tochter; wenn ich nicht Mut hätte, wer sollte ihn denn haben?"
229
l.
Alle Mädchen sehen uns in der Pause und beim Weggehen an,
obwohl die Frau Direktorin in der Kanzlei zu uns sagte : „Ich
wünsche, daß dieser Vorfall nicht in der ganzen Anstalt herum-
getragen wird." Aber die Brauner hat eine Schwester in der II. und
die Bergler Edith eine in der V. und dadurch haben es alle
Klassen erfahren. Die Eltern werden offenbar nicht vorgeladen,
denn sonst wäre es schon geschehen. Übrigens habe ich vorsichts-
halber zuhaus schon Andeutungen gemacht. Und da die Dora,
Gott sei dank, nicht mehr ins Lyzeum geht, kann unmöglich
eine Klatscherei herauskommen. Wir waren nur im 1. Moment
aufgeregt, aber die Hella hat ganz Recht, wenn sie sagt: „Es
geschieht uns bestimmt nichts, denn wir sind im Recht."
15. Dezember: Begegnung mit Viktor!!! Ich und die Dora
gingen Weihnachtseinkäufe machen und wie wir gerade in die
Tuchlauben einbiegen, prallen wir aneinander. Die Dora ist doch
blutrot geworden und beiden hat die Stimme gezittert. Er
ist wunderbar ; dieser schwarze Schnurrbart und diese Augen !
Und die grünen Aufschläge stehen ihm herrlich. Er räusperte sich
schnell, damit man nichts merken sollte und ging bis am Hohen
Markt mit uns; er hat noch ein halbes Jahr Urlaub bekommen,
da er ein Halsleiden hat ; also kann die Dora ganz beruhigt sein,
falls sie geglaubt hat . Beim Abschied hat er u n s
beiden die Hand geküßt und so süß gelächelt, wehmütig und
süß zugleich. Ich wollte dann ein paarmal die Rede auf ihn
bringen, aber wenn die Dora nicht will, da kann man sich auf
den Kopf stellen und es nützt nichts ; so ein Dickschädel ! So war
sie schon als ganz kleines Kind, wo sie immer so blöd gesagt
hat : Do nit ! das sollte heißen : Dora will nicht ; so ein Fratz !
ein eigensinniger!
17. Dezember: Gestern machten wir die erste Rodelpartie auf
den Anninger; es war herrlich, wir kugelten fortwährend im
Schnee ; er lag ziemlich hoch, besonders dort, wo weniger Leute
waren. Beim Nachhausegehen passierte der Hella etwas Köst-
liches; sie blieb an einer Wurzel hängen und riß sich die ganze
Sohle von nagelneuen Delka-Schuhen ab. Sie mußte sich die
230
Sohle mit Spagatschnüren festbinden und dabei hinkte sie, daß
alle Leute glaubten, sie hätte sich beim Rodeln den Fuß ver-
staucht. Und ihre Großmama war ganz außer sich und sagte:
Das kommt von solchen unweiblichen Vergnügungen! Die
Tante Dora ärgerte sich schrecklich darüber, weil sie doch auch
dabei war, aber der Papa sagte: Die Großmama der Hella ist
eine alte Dame und zu ihrer Zeit hatte man in dieser Hinsicht
eben eine andere Auffassung. Ja, wirklich in dieser Hinsicht,
das merkt die Hella jeden Tag ein Dutzendmal, was sie alles
nicht reden und tun soll, und was alles für solche junge Mädchen
nicht paßt ! Am liebsten würde ihre Großmama sie in einen Glas-
sturz setzen; aber undurchsichtig, damit sie nicht heraussehen
und niemand hineinsehen kann. (Die Hauptsache!)
20. Dezember: Also heute war die letzte Deutschstunde vor
Weihnachten und gar nichts ist in der Affaire weiter geschehen.
Die Hella hat glänzend recht behalten. Gratuliert hat die elende
Streberin, die Verb eno witsch, die sich bei jeder Lehrkraft ein-
schmeichelt und die Hammer, die ja neu ist und die Frau Dr. M.
nicht gekannt hat. Richtig, neulich um 1 Uhr haben wir die
Franke begegnet ; sie geht in eine Schauspielschule und sagt, da
ist ein ganz anderer Ton, sie ist froh, daß sie die Schule los ist.
Die Affaire mit dem Professor F. hat sie schon gewußt und hat
uns zu unserer Charakterstärke gratuliert, besonders natür-
lich der Hella. Sie behauptet, in allen Lyzeen Wiens ist die
Sache bekannt geworden, sie wenigstens hat es von einer Schülerin
des Beamtentöchter-Lyzeums erfahren, deren Schwester mit ihr in
die Schauspielschule geht. Sie ist sehr glücklich dort, nur daß
man eine solche Anstalt auch Schule nennt, ärgert sie; denn
von Schule keine Rede; wir würden staunen, welche Freiheit
im Ton dort herrscht. Sie ist übrigens sehr hübsch und noch
stärker als sie ohnehin schon war. Und sie spricht sehr hübsch,
nur etwas zu laut, so daß sich alle Leute nach uns umgedreht
haben. Sie hofft, uns in 1 Jahr zu ihrem ersten Debüt einladen
zu können ! ! ! Also das möchte ich nie, so vor lauter Fremden
auf einer Bühne stehen, da brächte ich nicht 1 Wort heraus.
231
_— — i
p?
21. Dezember: Die Hella ist furchtbar unglücklich. Vor-
gestern bekommt sie eine solche Influenza und Halsentzündung,
daß sie nicht nach Krakau fahren kann. Sie sagt, sie ist nur
zum Unglück geboren; jetzt schon die zweiten verpatzten Weih-
nachten, vor zwei Jahren die Blinddarmoperation und heuer
diese elende Influenza. Hoffentlich kommt ihre Mama nach Wien,
aber dann ist wieder ihr Papa ganz allein. Und was sollen erst
wir sagen, Weihnachten ohne die Mama, das erste Weihnachten
ohne die Mama. Ich darf gar nicht daran denken, sonst muß
ich gleich weinen. Auch die Dora sagt, das sei gar kein rechtes
Weihnachtsfest ohne die Mama. Was der Papa zu dem Bild der
Mama sagen wird. Wenn nur der Rahmen wirklich morgen
fertig ist. Die Hella ist hauptsächlich auch deshalb unglücklich,
weil sie den Lajos nicht sehen kann. Übrigens ist sie zugleich
in einen Dragonerleutnant, den wir alle Tage begegnen und der
ein Graf ist, sterblich verliebt und er in sie. Er weiß, daß ihr
Papa General ist, denn wie ihr Papa zur Audienz zum Kaiser
fuhr, hat die Hella ihn ein Stück im Auto begleiten dürfen und
da haben sie den Leutnant begegnet. Und seither grüßt er sie
auf der Gasse. Er ist riesig groß und sieht riesig aristokratisch
aus. Nur das ärgert mich an der Hella, daß sie immer
ableugnet, wenn sie in jemanden verliebt ist. Ich sage es ihr
immer, oder wenn sie etwas merkt, so leugne ich doch nicht.
Was für einen Sinn hat das unter Freundinnen ? z. B. voriges
Jahr war sie doch bestimmt in den jungen Doktor im Sanatorium
verliebt. Und wie wir damals im September mit dem herrlichen
Leutnant vom Fliegerkorps aus Theben fuhren, habe ich doch
nicht geleugnet, daß ich wahnsinnig verliebt bin. Aber sie glaubte
es nicht und sagte: Das ist doch keine Liebe, wenn man sich
monatelang nicht sieht und indessen mit anderen kokettiert. Das
war auf den Recken Siegfried gemünzt. Gott, auf den!! das ist
wirklich zum Lachen.
22. Dezember: Ich habe eine riesige Freude, die Frau Dr.
M„ das heißt, jetzt heißt sie Frau Professor Theyer hat mir
geschrieben. Ich habe ihr nämlich zu Weihnachten gratuliert
232
und da dankte sie mir, und gleich zu Neujahr, sie mir zuerst;
das ist doch himmlisch! Ich habe mich wütend geärgert, daß
die Dora sagt, sie hätte das getan, damit sie nicht noch einmal
schreiben muß. Aber das ist bestimmt nicht wahr. Solche Sachen
sagt die Dora nur, um mich zu ärgern. Aber der süße göttliche
Brief, ich trage ihn mit Ihrer Photographie ewig bei mir. Der
Hella schickte sie bloß eine Karte, natürlich, weil sie auch nur
eine Karte schickte. Die Frau Dr. M. könnte ich mir ganz
gut als Stiefmutter denken, das heißt, ganz gut nicht, aber am
ehesten. Sie schrieb auch so lieb von unserer Mama und daß
diese Weihnachten für mich nicht so fröhlich sein werden wie
sonst. Da hat sie wohl recht. Es ist niemanden bei uns so
zumute, als ob übermorgen Heiliger Abend wäre. Das Einzige,
daß ich mich freue auf die Augen, die der Papa machen wird,
wenn er das Bild sehen wird. Aber sonst sollte man im ersten
Jahre nach einem solchen Todesfall überhaupt Weihnachten gar
nicht feiern, denn an solchen Tagen ist man dann doppelt traurig.
23. Dezember: Ich habe zwar noch furchtbar viel für
Weihnachten zu tun, aber heute muß ich schreiben. Also heute
vormittag vielleicht um l / 9 \2 Uhr läutet es. Ich glaube, es ist
die Hella, die mich abholen wollte, falls ihr wieder gut
ist, und stürze hinaus, reiße die Tür auf und sage: „Habe die
Ehre," und will gerade die Fortsetzung sagen, „Habe Diaroe",
da bin ich einfach paff, steht ein Herr draußen und fragt: Sind
die Herrschaften zuhause? Im Moment erkenne ich ihn, es war
der Dr. Pruckmüller von Fieberbr. Indessen macht schon die Dora
die Tür vom Salon auf und jetzt kommt die große Falschheit :
Sie war nicht im mindesten überrascht, sondern sagt :
„Ah, Herr Dr. das ist schön, daß Sie Wort gehalten haben."
Also hat er ihr offenbar versprochen, daß er kommt und sie hat
es wahrscheinlich gewußt, daß er heute kommt, denn sie hatte
die schwarzseidene Zierschürze mit den Einsätzen umgebunden
und die nehmen wir immer nur, wenn Besuch kommt. So eine
Falschheit! Justament, ging auch ich in den Salon. Dann kam die
Tante Dora und lud ihn für abends ein. Dann ging er fort.
233
Dabei hat er zu mir kein Wort geredet, mir scheint, er hat
nicht einmal gesehen, daß ich auch noch auf der Welt bin. Erst
beim Weggehen sagte er: „Nun, wie geht es Ihnen, Fräulein?"
„Mein Gott", sag ich, „wie es einem kurz nach einem Todesfall,
noch dazu der Mama, gehen kann." Die Dora wird blutrot,
denn sie hat verstanden. Wenn der mein Schwager wird, nun
da weiß ich, wie ich mich zu stellen habe! Aber, bis dahin ist
noch lange Zeit; denn er ist doch in Innsbruck und das wird
der Papa wohl kaum erlauben, daß die Dora nach Innsbruck
heiratet. Bei Tisch redete ich überhaupt kein Wort, weil ich
empört war über diese Falschheit. Aber es kommt noch schöner.
Also abends um 7 Uhr oder wieviel es war, rückt der Herr Dr.
an. Die Dora erscheint in einer weißen Bluse mit einer schwarzen
Schleife, und war solange in ihrem Zimmer geblieben, damit
ich nicht wissen sollte, was sie anzieht. Ich hatte nämlich tat-
sächlich geglaubt, sie zieht das schwarze Reformkleid mit den
Einsätzen an, und zog es auch an. Na also, das war ja ganz
egal. Bei Tisch redete er fortwährend mit der Dora und ich redete
absichtlich mit dem Oswald. Dann sagte er, daß er mit dem 1 . März
nach Wien versetzt werde. Die Dora war wieder gar nicht erstaunt,
also muß sie es gewußt haben! Aber jetzt erinnere ich mich
ganz gut, im Oktober gab mir der Briefträger einen Brief an sie mit
dem Poststempel Innsbruck. Also korrespondierte sie offen-
bar die ganze Zeit mit ihm, nicht einmal ein halbes Jahr
nach dem Tode der Mama, das ist stark! Aber wie ich mich auf dem
Land unterhielt, da stieß sie mich unterm Tisch an, ich sollte
nicht so furchtbar lachen. Und wenn der Herr Schwager in spe,
Gott, ich muß lachen, vor ein paar Jahren, mir scheint in Goisern,
da nannten wir doch die Dora die Inspe, weil sie vom Robert
Warth und mir gesagt hatte: Das Brautpaar in spe! Und jetzt
ist sie an dieser Stelle. Abends wie der Dr. wegging, zitterte ich
schon, daß ihn der Papa zum Christbaum einlädt, aber Gott sei
Dank, wie der Papa fragte: „Und was machen Sie morgen", sagte
er: „Morgen bin ich bei der Familie meiner Schwester, die auf
der Wieden an einen Hauptmann verheiratet ist." Gott sei Dank,
234
das hätte gefehlt, wo wir so gar nicht in der Stimmung sind,
Besuche zu empfangen, überhaupt heuer, das erste Weihnachten
ohne Mama. Und wenn sie wüßte, Ich möche wirklich
wissen, was mit der Seele eigentlich geschieht. An den Himmel
glaube ich natürlich schon lange nicht mehr ; aber irgend wohin
muß ja die Seele doch kommen. Es gibt soviele Rätsel, und die
machen einen so traurig; in einem Zeitungsroman habe ich neulich
als Überschrift eines Kapitels gelesen : Das Rätsel der Liebe.
Also diesesRätsel macht einen wohl nicht traurig, wie man an
der Dora sieht. Übrigens scheinen alle Mädchen, d. h. alle älteren
Schwestern in diesem Punkte gleich zu sein. Denn wenn ich
denke, was mir die Hella von dei Verlobung der Lizzi erzählte.
Allerdings, die hat ihn doch wenigstens in London kennen ge-
lernt, und nicht bei ihrer Familie; aber die Falschheit war ja
dieselbe. Was das nur heißen soll? Wäre es nicht viel gefühl-
voller und vernünftiger, der Schwester alles zu sagen! Wie
kann denn dann jemand erwarten, daß man ein Verbündeter
sein soll. Nun, mir ist es recht, ich lasse mir dadurch das
Weihnachtsfest nicht stören; wenn man überhaupt von einem
Fest reden kann. Am Stephanitag, wo er für abends eingeladen
ist, werde ich der Hella sagen, komme ich jedenfalls zu ihr und
ihrer Großmama. Gut, daß sie doch in Wien geblieben ist.
25. Dezember : Weihnachten war wirklich sehr traurig. Alle
drei bekamen wir Mamas Bild in Lebensgröße in feinen grünen
Rahmen für unsere Zimmer. Die Dora schluchzte laut auf und
da weinte ich auch und ging zum Papa und umarmte ihn. Er
hatte auch ganz nasse Augen; denn er hat die Mama rasend
geliebt. Nur der Oswald weinte nicht direkt, aber er biß sich
fortwährend auf die Lippen. Ich war nur froh, daß der Dr. P.
nicht da war, denn vor fremden Leuten zu weinen, ist greulich
unangenehm. Wir haben beide sehr feine weiße Guipierblusen,
nicht Spitzenblusen bekommen, dann habe ich von der Tante
ein Postkartenalbum für 500 Stück, sehr fein, bekommen, ferner
eine Gedichtensammlung, die ich mir wünschte. Die Ungarischen
Tänze vom Brahms, weil mir die Dora die ihren im vorigen
235
Jahr nicht leihen wollte, angeblich weil sie mir zu schwer sind;
als ob sie das etwas anginge; das wird schon die Klavierlehrerin
richtiger beurteilen; ferner Briefpapier mit meinem Monogramm,
einen neuen Entoutcas mit Anhänger, Zopfbänder, und solche
Kleinigkeiten. Der Papa hatte eine riesige Freude mit dem Bildchen
der Mama ; wir hatten nämlich gar nichts gewußt davon, daß er
uns die Mama im Großen machen läßt, und haben ihm nach der
letzten Photographie vom vorvorigen Winter ein ganz kleines Bild
vom Herrn Milanowitz, der Maler ist und die Mama sehr gut
kannte, malen lassen, in Farbe natürlich. Dazu einen entzückenden
Rokokorahmen, zum Zusperren; wenn er offen ist, sieht es aus,
als ob die Mama zum Fenster herausschauen würde. Das war
meine Idee und der Herr Milanowitz fand sie höchst originell.
Der Dora ist es sehr unangenehm, daß er kein Geld dafür
annahm, aber dadurch konnten wir den Rahmen noch eleganter
machen lassen. Nach Weihnachten, zu Neujahr schicken wir,
aber von unserem Geld dem Herrn M. feine Zigarren, ich
wollte zu Weihnachten, aber wir kennen uns mit Zigarren gar
nicht aus und sagen wollten wir niemand etwas, weil man nie
wissen kann, ob sie es nicht doch verraten, angeblich unabsicht-
lich ; aber das ist nicht wahr, wenn man etwas verrät, hat man
schon immer die Absicht im geheimen; und man sagt dann nur,
man habe sich verredet; aber das kennt man schon. Was die
Dora extra bekommen hat, schreib ich nicht alles her, nur das
eine : Um 7 Uhr, gerade wie der Papa den Baum anzündet,
bringt ein Dienstmann wunderbare Rosen mit ein paar Mistel-
zweigen durchflochten und unten ein Veilchenbouquett
natürlich vom Herrn Dr. P. mit einer Karte, aber die hat sie
nicht lesen lassen. Sie sagte nur: Dr. P. läßt allseits angenehme
Feiertage wünschen; mir scheint, er hat geschrieben: „Fröhliche
Weihnachten«, aber das hat sich die Dora doch nicht zu sagen
getraut. Ja, von der Hella habe ich ein Perlentäschchen bekom-
men, und sie von mir ein Portemonnaie mit dem Doppeladler,
sie wünschte sich nämlich ein solches militärisches Portemonnaie.
So eine Militärschwärmerin wie die Hella habe ich noch nicht
236
gesehen; ich finde ja auch die Offiziere riesig fesch, aber daß
deswegen die anderen Herren gar nicht existieren für einen, das
ist schon etwas übertrieben. Und lernen tun die anderen, z. B.
die Doktoren und die Jus studieren oder selbst Bergbau, wenn
ich schon nichts von der Hochschule für Bodenkultur sage, die
nehm' ich auch nicht für „vollwertig" (so sagt nämlich die Hella
immer), lernen müssen also die alle entschieden mehr als die
Offiziere; das will die Hella nie gelten lassen und führt dann
immer die Generalstabsoffiziere an; als ob alle „General-
stäbler" wären! Wir haben schon oft deswegen gestritten. Ich
gönne es ihr aber von Herzen, daß sie einmal einen Offizier
bekommt, u. zw. einen, der selber die Kaution hat, denn sonst
geht es ja nicht; denn die Brückner haben kein Vermögen, sagt
der Papa. Er sagt das zwar auch immer von uns, aber das glaube
ich nicht ; reich sind wir ja gerade nicht, aber daß jede von uns
die Kaution haben könnte, das glaube ich wohl. Übrigens die
Dora verzichtet ja freiwillig darauf, wenn sie wirklich den
Dr. P. heiratet.
27. Also gestern war ich richtig bis 9 Uhr bei der Hella
und am ersten Feiertag war sie bei uns. Da sehe ich gerade,
daß ich da oben schrieb, die B. hätten kein Vermögen; dies
scheint entschieden anders zu sein. Wir bekommen doch immer
sehr viele und schöne Sachen zu Weihnachten, zum Geburtstag
und zum Namenstag (den haben allerdings die Protestanten
nicht) aber so großartige Sachen wie bei B. schenken wir einander
nicht. Die Hella hat einen rosa Seidenstoff für ein Tanzstunden-
kleid bekommen, der mindestens 50 K kostet und einen Spitzen-
kragen mit Manschetten, von dem wir selber beim Feiner
gesehen haben, daß er 24 K kostet, dann noch einen goldenen
Ring mit einem Smaragd und eine Menge Kleinigkeiten, die sie
gar nicht angeschaut hat. Und ihre Schwester, was die erst alles
bekommen hat, lauter Sachen für ihre Ausstattung! Und der
Christbaum bei B. kostete 12 K und der unsere bloß 7, obwohl
er ebenso schön ist. Also ich glaube wohl, daß die B. Geld
haben und ich habe auch zur Hella gesagt: „Ihr müßt enorm
237
reich sein." Und sie sagte: „Na, na, gar so arg ist's nicht;
einen Generalstäbler darf ich mir einmal nicht aussuchen. Die
Lizzi hat's entschieden gescheit gemacht, der Paul ist Baron
und ist reich. Er ist eben wahnsinnig in sie verschossen;
Geschmacksverirrung, nicht?" Das finde ich auch, denn gar so
schön ist die Lizzi gerade nicht, außer das wunderbare blonde
Haar, aber sonst, vor allem andern ist sie so mager, keine Spur
B . . . . da hat die Hella zehnmal mehr. Und wenn man bis 20
keinen hat, bekommt man ihn auch nicht mehr.
Etwas war köstlich heute. Die Hella fragt mich: „Du, wie
heißt denn der Dr. deiner Schwester mit dem Vornamen?" Da
fällt mir erst ein, daß er auf seiner Visitkarte bloß stehen hat
Dr. jur. A. Pruckmüller, und dann erinnere ich mich, daß die
Dora im Sommer, als wir ihn kennen lernten, sagte, er heiße
leider August, das passe gar nicht für ihn. Na, wir lachten uns
halb krank, weil die Hella natürlich gleich singt: „O, du lieber
Augustin" und dann fällt mir ein: Der dumme August im Zirkus
und dann redeten wir drüber, wie die Dora ihn einmal nennen
wird. Gusti oder Gustel, oder Augi, mein lieber Augi, mein
geliebter Gusterl, nein, es war zum Totlachen. Und dann
besprachen wir, welchen Namen wir einmal möchten und ich
sagte : Ewald oder Leo, und die Hella sagte: Nicht auch Siegfried?
Aber da hielt ich ihr den Mund zu und sagte: „Du, damit
kannst du mich ernstlich böse machen, das ist und muß ver-
gessen bleiben." Und dann sagte sie, sie hätte am liebsten,
wenn ihr Bräutigam einmal Peter oder Thamian oder Chryso-
stomus heiße; dann würde sie ihn geliebter Dami oder Sosti
nennen; aber dann sagte sie in allem Ernst, sie heirate nur
einen Mann, der Egon, Alexander oder höchstens Georg heiße.
Da kam gerade ihre Mama herein, um uns zur Jause zu rufen,
und sagte gleich: „Was ist da mit dem Alexander und Georg?
Ihr seid schreckliche Mädchen. Wie ihr zwei Minuten allein seid
(ich bin schon um y 2 3 gekommen und um 4 Uhr jausnen die
Brückners, das nennt die Mama der Hella 2 Minuten), so hört
man schon unpassende Sachen." Und weil die Hella Angst hatte,
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ihre Mama glaube, weiß Gott was, so sagt sie: Aber nein, Mama,
wir haben nur darüber geredet, welchen Namen wir einmal
für unsern Bräutigam am liebsten hätten." Ha, das war köstlich,
wie ihre Mama auffährt. „Das ist es ja eben, daß Ihr mit kaum
15 Jahren (ich bin es nicht einmal noch) nichts als solche
Sachen im Kopf habt!" Solche Sachen, zum Lachen wirklich.
Bei der Jause war es ungefähr so fad, wie neulich bei uns am
Abend ; denn der Herr Baron war da, d. h. sie sagen jetzt schon
alle Du zu einander, weil die Hochzeit schon im Februar sein
wird, sobald es bestimmt ist, ob der Baron in London bleibt
oder nach Berlin kommt. Das muß doch komisch sein, zu einem
ganz fremden Herrn „Du" zu sagen. Die Hella sagt, sie war es
gleich gewöhnt und der Paul gefällt ihr überhaupt ganz gut.
Wenn er der Lizzi Bonbons bringt, wenn sie ins Theater geht,
bringt er auch immer ihr ein Extra-Sackerl voll. Das würden
andere Leute gewiß nicht tun und noch andere Leute würden
es nicht nehmen! Wie ich heute nachhause kam, sagt der Papa:
Na, ein andersmal schlaf gleich bei den Brückners, und da sagte
ich: „Ich wollte nicht stören." Und der Oswald sagt: „Dem
Schnabel gehört eine Ohrfeige," der Papa war aber zum Glück
schon bei der Tür draußen und so sag ich: „Deine Kinder,
wenn du überhaupt einmal welche hast, kannst du mit Ohr-
feigen traktieren, daß sie grün und blau werden, aber über
deine Schwestern hast du gar kein Recht, das hat dir der Papa
schon einmal gesagt, in Fieberbrunn." „Ja, ja, der Papa hat euch
zweien immer die Stange gehalten, das war von jeher so."
„Bitte mich nicht hineinzuziehen in Euren Streit", sagt die Dora,
als ob sie etwas anders wäre als ich. Und dann sagt die Tante
Dora: „Aber ich bitte Euch, streitet doch nicht in einemfort."
„Ich habe nicht angefangen," sage ich noch und gehe dann
ohne Gute Nacht sagen hinaus ; d. h. zum Papa bin ich in sein
Zimmer gegangen und die Tante Dora habe ich im Vorzimmer
gesehen. Aber dem Oswald und der Dora habe ich nicht Gute
Nacht gewünscht, denn ich brauche mir doch nicht alles
gefallen zu lassen. Und jetzt ist es schon 7t 12 Uhr, weil ich so
239
lange geschrieben und so viel geweint habe, denn ich bin sehr
unglücklich. Das weiß nicht einmal die Hella. Ich muß jetzt ins
Bett gehen ; ob ich werde schlafen können, das ist eine andere
Frage. Morgen gehe ich wieder allein auf den Friedhof, wenn
es nur halbwegs möglich ist.
31. Heute waren die Hella und ich auf dem Friedhof. Ihr
Papa und ihre Mama sind gestern abends wieder weggefahren
nach Krakau und da sagte sie zu ihrer Großmama, sie ist den
ganzen Vormittag bei mir und ich sagte, ich bin bei ihr. Und
so fuhren wir allein nach Pötzleinsdorf. Die Hella schaute sich
den ganzen Friedhof an und ich ging indessen zum Grabe
unserer lieben einzigen Mama. Ich bin so unglücklich; die
Hella tröstete mich zwar sehr, aber sie kann ja das doch 'nicht
verstehen.
1. Jänner 19 . . ! Wir haben gestern natürlich keinen Sylvester-
abend gefeiert, sondern waren ganz allein und es war sehr
traurig. Heute vormittags kam der Herr Dr. P. mit einem
Bouquet Rosen für die Dora und der Tante Dora und mir gab
er sehr schöne Veilchen beim Gratulieren. Da er am 4 weg-
fahren muß so ist er für den 3. am Abend eingeladen. Ich bin
nicht entzückt davon. Morgen fängt, Gott sei Dank, die Schule
r\l J 7 L Ch bIn 6inem Mistwa e en begegnet, das bedeutet
Glück ; der Papa sagt, es ist ein Skandal, daß bei uns in Wien
TlVTu ^ M i StbaUer fährt Und * ar am Neujahrstag um
2 Uhr nachmittags. Aber schließlich, wenn er Glück bedeutet!
«* i Janner: . Also der Mistbauer hat nicht gelogen. Heute
Chon haben wir das Glück erlebt! In der großen Pause entsteht
-?* f. 1 "" 131 , lm Vorraum ein ganzer Knäuel von Mädchen und
plötzlich glaube ich, mir zerspringt das Herz. Die Frau Dr M
a' L Fnm Pr ° feSSOr Theyer Steht mitten unt « den Mädchen
und sieht uns gleich und gibt uns beiden die Hand, die wir
sofort küssen. Sie ist zum Besuch ihrer Eltern da mit ihrem
Mann, dem Herrn Professor; da sie nicht bestimmt wußte, ob
sie dazukomme, in die Schule zu kommen, so schrieb sie weder
mir noch der Hella etwas davon. Gott, sie ist so schön und so
240
entzückend lieb. Wie schon die Pause abgeläutet ist und die
Frau Dr. Dunker hereinkommt, sehe ich sie noch draußen stehen.
Da halte ich mir schnell mein Taschentuch vor, als ob ich
Nasenbluten hätte, und stürze hinaus zu ihr. Und weil ich aus-
rutschte und beinahe hinfiel, hielt sie mich mit beiden Armen
auf. Kaum bin ich bei ihr, kommt die Hella und sagt: „Ah,
ich habe doch sofort verstanden ; ich habe gesagt, dir ist furcht-
bar schlecht, ich muß nach Dir sehen." Da lachte die Frau
Profes. jt sehr und sagte : „Ihr seid ja ganz infame Komödian-
tinnen; ich werde Euch gleich hineinjagen." Aber natürlich tat
sie es nicht, sondern war furchtbar reizend und endlich sagte sie :
Wir müssen jetzt in die Klasse gehen. Da baten wir sie riesig,
sie solle uns heraußen lassen bei ihr, aber sie sagt : „Nein, dabei
kann ich als Eure einstige Lehrkraft Euch nicht unterstützen.
Aber ich sag Euch etwas besseres. Besucht mich morgen auf
ein Stündchen, wollt Ihr?« „Natürlich", riefen wir beide. Und sie
sagte, sie wohne eigentlich im Hotel, aber damit wir nicht allein
ins Hotel kommen müßten, so wird sie bei ihren Eltern in der
Schwindgasse sein und dorthin sollen wir bis um 4 oder V 2 5 Uhr
kommen. Da küßten wir ihr beide Hände und waren so glück-
lich ! Also morgen um 4 Uhr ! Gott, noch eine ganze Nacht und
fast einen ganzen Tag müssen wir warten. „Wenn Eure Eltern
es erlauben," sagte sie; mein Gott, wenn der Papa oder sogar
die Großmama der Hella das nicht erlauben wollten ! Der Papa
sagte nur: „Ich bitt' dich Gretel, verlier nur nicht noch vorher
deinen Verstand, sonst findest du nicht einmal in die Schwind-
gasse. Ist die Hella auch so verrückt?" Natürlich, wie kann man
da anders sein.
3. Jänner: Noch 2 Stunden, es ist gräßlich, um V«4 Uhr
holt mich die Hella ab. In der Schule schauten wir uns heute
fortwährend an und die anderen Mädchen glaubten, es sei etwas
mit einem Herrn. Gott, wo denken wir jetzt an einen Herrn !
Wir hatten eine wunderbare Idee, wir machen Ihr noch schnell
ein Andenken, da sie erst am 5. am Abend wegfährt. Ich habe
mir auf maisgelber Seide ein Buchzeichen Vordrucken lassen,
16
241
Edelweiß und ihr Monogramm E. T. natürlich, das neue. Und
die Hella malt in Intarsienimitation ein Papiermesser. Mir wäre
so etwas auch lieber gewesen, aber ich habe keine Geduld
dabei und da verpatze ich es sehr oft zum Schluß. Bei einer
Stickerei kann man nichts verpatzen. Aber leider bekomme ich
es vom Vordrucken erst um l / 2 4 Uhr; also muß ich die ganze
Nacht und morgen den ganzen Tag arbeiten.
Abends: Gott sei Dank und leider Gott, wie mans nimmt,
hat die dumme Person von Vordruckerin vergessen auf das Lese-
zeichen und ich bekomme es erst morgen in der Frühe. Also
kann ich jetzt schreiben: Es war himmlisch! Wir mußten mindestens
7s Stunde spazieren gehen vor Ihrem Haus, bis es endlich
5 Minuten nach 4 war. Gott, Sie war süß! Sie wollte uns Sie
sagen, aber das duldeten wir absolut nicht, und so sagte
sie wieder Du. Ich weiß gar nicht, was wir alles geredet haben,
nur, daß ich plötzlich schrecklich weinte; und da zog sie mich
an ihre B , nein so etwas schreibe ich nicht von ihr; sie zog
mich an sich und da spürte ich Ihr Herz schlagen! und
wurde fast verrückt. Die Hella behauptet, ich habe sie mit beiden
Armen um den Hals genommen, aber das ist eine Einbildung
von der Hella, das hätte ich mich nie getraut. Sie hat so ent-
zückende Hände und der Ehering glänzte so an ihrem gött-
lichen Ringfinger. Wir redeten natürlich von der Schule und da
fragte sie plötzlich: Was war denn das eigentlich mit diesen
Aufsätzen, in denen die halbe Klasse absichtlich keine Satzzeichen
setzte? „Gott," sagen wir beide, „das ist eine gemeine Lüge,
die halbe Klasse hat das nicht getan, sondern bloß 6, die Sie,
Frau Doktor, immer besonders verehrten." Und dann erzählten
wir ihr, wie alles war. Da lachte sie ein kleines Bißchen und
sagte: „Na, Kinder, einen besonderen Liebesdienst habt Ihr mir
damit nicht erwiesen. Das ganze war wirklich eine große Frechheit."
Und da sag ich: „Und die Bemerkungen des Herrn Prof. Fritsch sind
noch zehnmal frecher gewesen, denn sie bezogen sich auf eine
Lehrkraft und noch dazu auf Sie." Da sagte sie: „Liebe Kinder
das ist schon einmal so im Leben, daß den Abwesenden immer
242
eine üble Nachrede gehalten wird, berechtigt und unberechtigt ;
das ist leider in jedem Beruf so.« Und die Hella sagte dann
noch, daß die Frau Direktorin nicht so ist, denn sonst wäre ein
Riesenskandal entstanden, da die Affäre in sämtlichen Lyzeen
Wiens bekannt ist. Da sagte die Frau Dr. M. : „Ja, die Frau
Direktorin ist ein wirklich vornehmer Charakter." Also jetzt kommt
noch etwas Großartiges, eigentlich 2 großartige Dinge: 1.) wartete
sie uns mit herrlichen Bonbons auf, wie ich sie noch nie gegessen
habe. Das bestätigte auch die Hella und wir beide kennen uns
in Zuckerln wirklich gut aus. Und das zweite, noch herrlichere,
war Folgendes: Nachdem wir schon einige Zeit dort waren, klopft
es und herein kommt Ihr Mann, der Herr Prof. und sagt: „Grüß
Gott, mein Schatz" und zu uns „Guten Tag, meine jungen Damen."
Und dann stellt sie uns vor und sagt: „Zwei meiner liebsten
Schülerinnen und meine treuesten Anhängerinnen." Da lacht der
Herr Prof. sehr und sagt: „Das kann man nicht von allen Schülern
behaupten." Da sag ich schnell: „O bei der Frau Dr. schon, für
die ginge die ganze Klasse heute noch durchs Feuer." Dann
ging er wieder hinaus und sie sagte: Pardon, einen Augenblick
und man hörte deutlich, daß er sie im Nebenzimmer küßte,
denn sie sagte noch im Hereinkommen: „Aber geh, leb wohl,
Karl." Leider heißt er nur Karl, das ist ein so prosaischer Name
und er nennt sie Lise und wenn sie allein sind, wahrscheinlich
Lieschen, da er ein Norddeutscher ist. Ich muß ins Bett gehen, es ist
gleich y 2 12. Morgen Fortsetzung. Schlafe wohl, mein süßer herr-
licher wonniger goldener einziger Schatz! Gott, ich bin so
glücklich !
6. Jänner: Gott sei Dank, daß heute Feiertag ist und wir
keine Rodelpartie machen können, weil die Dora verkühlt!! ist.
Also am 4. habe ich das Lesezeichen bekommen und habe den
ganzen Tag und bis 12 Uhr in der Nacht gearbeitet und gestern
stand ich schon um V 2 6 Uhr auf und arbeitete wieder den
ganzen Vormittag und nachmittag um 2 Uhr trugen wir die
Andenken hin. So gern wir es selbst abgegeben hätten, so taten
wir es doch nicht, sondern gaben es beim Stubenmädchen bloß
16*
243
-
ab. Sie fragte: Bitte, soll ich die Fräulein anmelden, aber die
Hella sagte gleich: „Danke, nein, wir wollen nicht stören und
unten sagte sie auf meine Vorwürfe: Nein, es ist besser so; Du
bist ohnehin ganz aufgeregt, Du weißt, was Sie gesagt hat:
„Aber liebes Kind, du wirst ja krank; das darfst du mir nicht
antun !" Gott, ich muß so weinen, daß ich gar nicht schreiben
kann, aber ich muß schreiben, denn es ist noch soviel Herr-
liches zu berichten, was ich nie, nie vergessen darf, und wenn
ich 8 Tage dran schreiben muß. Was liegt daran; ich lebe nur
mehr dieser Erinnerung und ich will auch nichts anderes, als
S i e einmal noch in meinem Leben wiedersehen. Wir hatten ihr am
Freitag natürlich Blumen gebracht, ich Maiglöckchen mit Veilchen
und Tuberosen und die Hella langstielige Eisrosen. Sie bedankte
sich riesig und holte sofort 2 Vasen, die ihre Mama herein-
brachte. Sie ist so klein wie die Frau Hofrätin R. und hat schon
graue Haare, reizend; aber sie sieht eigentlich der Frau Dr. M.
nicht ähnlich. Beim Abschied wartete sie uns noch einmal mit
den Bonbons auf, aber weil wir beide beinahe schon weinten, so
wollten wir nicht mehr nehmen und da wickelte sie uns beinahe
die ganzen Bonbons ein und sagte: „Zum Trost in Eurem Leide."
Bei jemanden andern würde einem so etwas wie eine Ironie vor-
kommen, aber bei ihr ist es einfach süß. Es waren 17 große
Bonbons und die Hella gab mir durchaus 9 und sie nahm bloß 8.
Ich esse täglich nur ein einziges, damit ich 9 Tage davon zehren
kann. Von meinem Glück und meinem Leid!! Die Hella
fühlt nicht ganz so diese Liebe wie ich und gestern sagte sie,
allerdings nur im Spaß: „Mir scheint, die ganze Welt ist für dich
versunken; ich muß dich herausreißen, sonst schnappst du noch
über." Und dann sagte sie, wie ich so blöd sein konnte, und zu
ihr das Wort Hochzeitsreise sagen konnte, obwohl sie sich
räusperte. Das war ein Blödsinn ersten Ranges und die Frau
Prof. ist auch ganz rot geworden dabei. Ich habe das gar nicht
bemerkt, nur wie ihr Mann, der Herr Professor hereinkam,
da wurde sie wirklich flammendrot. Wir redeten dann
noch Verschiedenes in dieser Hinsicht, nämlich
244
,
die Hella und ich. Ich hätte sie riesig gern gefragt, ob sie
konfessionslos geworden ist, da der Herr Prof. doch ein Jude sein
soll, obwohl er eigentlich nicht jüdisch aussieht. Denn schließlich
einen schwarzen Bart haben auch viele andere Herren. Aber ich
getraute mich nicht zu fragen und die Hella meint, das sei sehr
vernünftig gewesen, denn an solche Dinge rührt man
nicht. Ob Sie ein Kind bekommt? Gott, das wäre gräßlich.
Vielleicht hat sie überhaupt auch einen solchen Ehekontrakt
abgeschlossen, das wäre das Allerbeste. Die Hella glaubt aber,
daß der Professor auf so etwas nicht eingegangen wäre. Aber
schließlich, wenn er sie wahnsinnig liebt . . .
15. Jänner: Die Mädchen in unserer Klasse beneiden uns
wahnsinnig. Wir haben es nicht direkt gesagt, daß wir bei Ihr,
die Einzigen, eingeladen waren, aber die Hella hatte ein Bonbon
von ihrer Hand mit und sagte in der Pause: Das muß man mit
Andacht essen und schnitt es auseinander, um mir die Hälfte zu
geben. Die Ehrenfelds glaubten, es sei von einer Eisbekannt-
schaft und die Trude sagte: „Ah, doppelt süß, von Chokolade
und Liebe." „Ja", sag ich, „aber nicht in dem Sinn, wie Du es
meinst." Und weil sie sagte: „Na, das weiß man schon, aber
ich will nicht indiskret sein", sagt die Hella: „Also, damit du
es weißt, dieses Bonbon und noch viele andere haben wir von
der Frau Dr. M. d. h. der verheirateten Frau Prof. Theyer
bekommen, da wir eingeladen waren. Da waren alle ganz paff
und sagten: „Gott, die Glücklichen; ja, Ihr wart immer die aus-
gesprochenen Lieblinge der Frau Dr. M., besonders die Lainer.
Aber die hat es auch immer schrecklich getrieben mit der Frau
Dr. M."
17. Jänner: Die ganze Schule weiß von unserer Einladung
bei Ihr, der Göttlichen! Jetzt lese ich gerade alles noch einmal
und sehe, daß ich noch riesig Vieles gar nicht geschrieben habe,
nämlich das von ihrem Papa. Wie wir weggingen, weinten wir
unten beim Haustor furchtbar, weil ich beim Toraufmachen sagte :
Zum letztenmal ! Da kommt ein alter Herr beim Tor herein und
wie er sieht, daß wir weinen, obwohl wir ganz im Dunkeln
245
standen, kam er auf uns zu und fragte, was mit uns sei*
Da sagte die Hella: „Wir haben unsere beste Freundin verloren."
Da schaut uns der alte Herr riesig lang an und sagt: „Sind
Sie nicht am Ende die beiden glühenden Verehrerinnen der Frau
Dr. Mallburg? das ist meine Tochter! Und dann sagte er: Aber
so in Tränen gebadet können Sie unmöglich auf die Gasse gehen.
Kommen Sie nur noch einmal mit mir hinauf, meine Tochter
wird Sie schon trösten." Und richtig gingen wir nochmals hinauf
und sie war einzig. Ihr Papa machte die Tür auf und rief:
Lieserl, deine Verehrerinnen können sich von Dir nicht trennen
und wollen sich in Tränenbächlein auflösen. Da kam sie hinaus
und hatte einen rosa Schlafrock!!! an zum Küssen. Und
sie zog uns ins Zimmer hinein und sagte: „Kinder, schaut mich
nicht an in dem alten Kittel, der zum Wegwerfen ist." Am liebsten
hätte ich gesagt: „Schenken Sie ihn mir." Aber das konnte
ich doch nicht sagen. Und wie wir dann doch weggingen für ewig,
ewig vielleicht, da küßte sie uns jede zweimal und
sagte: Kinder, ich wünsche Euch, daß Ihr recht, recht glück-
lich werdet!
18. Jänner: Die Hella hat mich für heute nachmittags einge-
laden, da der Lajos und der Jenö kommen. Aber ich gehe nicht,
denn mir liegt nicht das Mindeste am Jenö. Das war nie eine
echte Liebe. Ich mache mir aus niemanden auf der ganzen
Welt etwas, außer Ihr, meiner Einzigen ! Das versteht eben die
Hella nicht und das nennt sie dann übergeschnappt sein.
Auch der Papa wollte, daß ich zur Großmama der Hella gehe,
damit ich auf andere Gedanken komme. Mein Gott, ich
rede ohnehin schon kein Wort mehr von Ihr, weil mich niemand
versteht. Aber daß auch der Papa so ist wie die anderen, das hätte
ich nie geglaubt. Übiigens das ist Tatsache, daß ich abmagere.
Ich bin ganz froh, daß wir heute auch keine Rodelpartie machen,
da die Dora verkühlt ist, nämlich diesmal wirklich verkühlt.
Da gehe ich nach der Kirche in die Schwindgasse und gehe
vor ihrem Haus auf und ab ; vielleicht treffe ich einmal ihren
Papa oder ihre Mama. Vorgestern habe ich ihr geschrieben.
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24. Jänner : Ich bin glücklich. Sie hat mir postwendend!
geantwortet. Das ist der zweite Brief von Ihr! Der Papa sagte
heute zu Mittag: „Na Gretel, was machst denn du heute für ein
beglücktes Gesicht ; so sonnige Augen habe ich schon lange nicht
an dir gesehen." Und da sagte ich nur ganz kurz: „Nach Tisch
werde ich Dir den Grund sagen." Denn die anderen brauchen
es nicht zu wissen. Und wie ich dann dem Papa ganz im allge-
meinen sagte, daß mir die Frau Professor Th. geschrieben
hat, sagte der Papa : „Also darüber hast du dich so gefreut.
Aber ich habe auch etwas in petto, was dich freuen wird. Der
1. u. 2. Febr. sind ein Sonntag und Montag, da hast du 2 Tage
frei und wenn du und die Hella für Samstag in der Schule dis-
pensiert werdet, so könnten wir eine Partie nach Mariazell machen.
Was meinst du?" Also das ist herrlich, wenn nur die Hella mit-
fahren darf, denn ihre Großmama bildet sich ein, die Hals-
entzündung vor Weihnachten hat sie sich auf der Rodelpartie am
Anninger geholt, wo ihr die Schuhsohle abriß! Als ob wir
dafür könnten. Also hoffentlich hat sie es schon vergessen;
sie ist ja doch schon 63 Jahre, da vergißt man schon ziem-
lich viel.
Abends: Also, die Hella darf mit; es wird herrlich! vielleicht
probieren wir auch ein bischen Skilaufen. Übrigens ist die Hella
ein greulicher Fratz; sagt sie: „Ja, ich geh mit, wenn du mir
schwörst, daß du nicht in einemfort von der Frau Professor Th.
schwärmst. Ich habe sie ja auch riesig gern, aber du bist einfach
verrückt." Das ist unerhört und ich werde Ihren Namen nie
mehr zu den anderen aussprechen. Auf die Rodelpartie in Maria-
zell freue ich mich riesig. So eine große Winterpartie haben wir
noch nicht gemacht. Juchhu, das wird fein! Gott, wenn nur schon
der 31. Jänner da wäre; ich freue mich wahnsinnig.
Zum Ausgang.
Das frohe Hoffen der jungen Rita, in glitzernder Winterpracht
auf der sausenden Rodel hinzujagen, blieb unerfüllt. Mit rauher
Hand griff das Schicksal in das Leben der Geschwister ein. Am
29. Jänner brachte die Rettungsgesellschaft den Vater, vom Schlage
getroffen, seinen ahnungslosen Töchtern ins Haus, wo er, ohne
das Bewußtsein wiederzuerlangen, nach wenigen Stunden starb.
Aus der sorgenden, liebewarmen Atmosphäre der Familie
gerissen, von der Freundin getrennt, rang bei Verwandten in einer
Provinzstadt das entsetzte Seelchen der jungen Waise um seinen
Frieden
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TAQEBUCH
EINES
HALBWÜCHSIGEN
.MÄDCHENS
Internationaler
Bsychoanaly tischerförlag /Ges-nvbH*
1919