CE
En To Tan. 8
{ Te e
IRe" ei
SCHRIFTEN ZUR ANGEWANDTEN SEELENKUNDE
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
FĂNFTES HEFT
DER MYTHUS VON DER
GEBURT DES HELDEN
VERSUCH EINER
PSYCHOLOGISCHEN MYTHENDEUTUNG
VON
Dr. OTTO RANK
ZWEITE, WESENTLICH ERWEITERTE AUFLAGE
LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE
1922
Verlags-Nr. 2742
. nn Zuuch z
BOSTON
PSYCHOANALYTIC
INSTITUTE
%
GIFT OF:
John H. Taylor
SCHRIFTEN ZUR ANGEWANDTEN SEELENKUNDE
DER MYTHUS VON DER
GEBURT DES HELDEN
VERSUCH EINER
PSYCHOLOGISCHEN MYTHENDEUTUNG
a ee
3 7 - #%
.
»
\
> VON
: Dr. OTTO RANK
ZWEITE, WESENTLICH ERWEITERTE AUFLAGE
LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE
1922
.
VORZUGSAUSGABE
(85 Exemplare) |
EXEMPLAR NO. E28=
2 PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
INTERNATIONAL
BuchÀdruckerei Carl Fromme, @. m. b. H., Wien V,
Lou ur de. a ee u u Kr " - ur u a 0 Tr u 0 ie a = En de Gi
: = { +
a â =
Vorbemerkung zur ersten Auflage.
Die vorliegende Untersuchung verdankt ihre Entstehung,
einer Anregung Professor Freuds, dem ich mich dafĂŒr, sowie
fĂŒr seine weitere UnterstĂŒtzung und stetige Teilnahme an
dem Fortschreiten der Arbeit auch vor der Ăffentlichkeit zu
danken verpflichtet fĂŒhle.
Wien, Weihnachten 1908,
Der Verfasser.
*
ra
u â7
â f
g y
BE
EEE ET
â a TR AUT RE
. 4 2 ren #
TAB ZREH UN DEREN TEEN
rs.
Zur zweiten Auflage.
Pe U
In dem langen Zeitraum seit dem ersten Erscheinen dieser
Arbeit hat die in steter Weiterentwicklung begriffene psycho-
analytische Lehre gewaltige Fortschritte gemacht, deren WĂŒr-
digung in bezug auf unser Thema nach zwei Richtungen
geboten erscheint.
Einmal hat sich dieser erste Versuch einer wirklich
psychologischen Mythendeutung selbst als vollberechtigt und
fĂŒr das VerstĂ€ndnis weiterer ZusammenhĂ€nge aufschluĂreich
erwiesen, und ist, als gesicherter Besitz unseres Wissens vom
menschliehen Seelenleben, die Grundlage weiterer Àhnlich ge-
richteter Arbeiten â besonders des Verfassers â geworden.
Anderseits hat aber auch fĂŒr einige Motive und Probleme,
die seinerzeit keine volle AufklÀrung finden konnten, unser
seitheriger Zuwachs â sowohl an psychoanalytischen Erkennt-
nissen wie an mythologischem und folkloristischem Material â
Lösungen gebracht, die sich dem Rahmen der unverÀnderten
Grundauffassung so gut einfĂŒgen, daĂ es nicht ĂŒberflĂŒssig
scheint, hier besonders auf sie aufmerksam zu machen.
Vornehmlich ein neuer Gesichtspunkt ist es, der besondere
Bedeutung beansprucht, weil er ein Hauptmotiv des Helden-
mythus restlos verstÀndlich macht: nÀmlich der Totemismus,
dessen psychoanalytische AufklÀrung durch Freud das seinerzeit
wenig verstandene Motiv der âhilfreichen Tiereâ als den
âFamilienromanâ des Urzeitmenschen erkennen lĂ€Ăt (S. 116 ff.).
Im Zusammenhang damit sei gleich hervorgehoben, daĂ
wir eben gerade auch durch die analytische Erforschung völker-
psychologischer Erscheinungen, wie sie Freud in âTotem und
vI VORWORT.
Tr Ze â
Tabuâ (1913) angebahnt hat, das urgeschichtliche und kollek-
tive Moment besser verstehen gelernt haben. In diesem Sinne
wurden neben dem individuellen und phantastischen Element
in der Mythenbildung die realen und kulturellen Faktoren
mehr als frĂŒher berĂŒcksichtigt (siehe S. 118 ff... Zu diesem
Zwecke muĂte aber auch auĂer dem rein mythologischen
Material volkskundliches â sowohl der Natur- als auch der
Kulturvölker â herangezogen werden, wie beispielsweise bei der
Deutung des Rettungsmotivs in der Mosessage die primitiven
BrÀuche der Kindesaussetzung, respektive der Scheinaussetzung
(S. 129 ff), oder beim Nachweis der Geburtssymbolik der
Volksaberglaube, der die menschliche âNachgeburtâ betrifft
(S. 102 £.). °
Neben diesen und Àhnlichen ErgÀnzungen nach der kul-
turhistorischen Seite hat aber auch der Stoff eine Vertiefung
und Erweiterung im eigentlich psychologischen Sinne erfahren.
Der Kern des Aussetzungesmythus, die Geburt aus dem
Wasser, hat durch ausfĂŒhrliche Mitteilung der sogenannten âGe-
burtstrĂ€umeâ (S. 83 bis 96), des Kinderglaubens der Erwach-
senen (S. 97 bis 101) und der Symbolik der antiken Welt
(S. 101 ff,) eine so breite Basis gewonnen, daĂ sie sich fĂŒr
ein weiteres StĂŒck psychologischer Mythendeutung als trag-
fÀhig erwies.
Vor allem die an das Rettungsmotiv anknĂŒpfende Sint-
flutsage (S. 134 f.) mit ihren Fortbildungen (Verschlingungs-
mythe) und AuslĂ€ufern (GlĂŒcksmĂ€rchen, S. 138 f), auf die in
der ersten Auflage bloĂ hingedeutet war, ist hier in den
gebĂŒhrenden Znsammenhang gestellt, wenngleich dadurch viel-
leicht die KontinuitÀt des Hauptthemas leidet,
Endlich sind auch die individual-psychologischen Streif-
lichter am Schluà der Arbeit etwas stÀrker aufgesetzt und durch
Hinweis auf die den Familienroman ergÀnzende Rettungs-
phantasie klarer gemacht worden (S. 158).
Das eigentliche Material der Heldenmythen selbst wurde
nur um wenige ZusÀtze vermehrt, von denen hier besonders
auf Dionysos (S. 30), Kullerwo, diesen interessanten VorlÀufer
Hamlets (S. 48), Trakhan (S. 50) und Tristan (5. 70) hinge-
4
a ââââ
VORWORT. wu
ee SEE
wiesen sei; auch auf die ErgÀnzungen zu Sargon (S. 16) und
Moses (S. 19) sei noch aufmerksam gemacht.
Die vor dreizehn Jahren publizierte Arbeit des Verfassers
erschien im Jahre 1913 im âJournal of Nervous and Mental
Diseaseâ in erweiterter und verbesserter Form in englischer
Sprache, ĂŒbersetzt von den Doktoren Robbins und Jelliffe
(Buchausgabe in âNervous and Mental Disease Monograph
Seriesâ, Nr. 18, New-York 1914).
Im FrĂŒhjahr 1915 plante Herr Professor M. Levi-
Bianchini (Salerno) eine italienische Ăbersetzung, die jedoch
infolge der KriegsverhĂ€ltnisse erst kĂŒrzlich herausgegeben
werden konnte (âBiblioteca Psicoanalitica Italianaâ, Nr. 4,
Nocera Inferiore, 1921); ihr liegt der gleiche Text wie der
amerikanischen Ausgabe zugrunde.
So recht im Gegensatz zu_diesem Ă€uĂeren Erfolg der
Arbeit muĂ konstatiert werden, daĂ die eigentliche Fachwissen-
schaft, der sie dienen sollte, ihr bisher ziemlich verstÀndnislos
gegenĂŒbergestanden hat. Wenigstens ist dem Verfasser keine
Stimme bekannt geworden, die das Gegenteil bewiesen hÀtte.
Vielmehr ist an den wenigen Stellen, wo sich in der offiziellen
Wissenschaft eine AnnÀherung an die hier dargelegten Gesichts-
punkte zeigt, eine Vorsicht bemerkbar, die von einer sonder-
baren Auffassung wissenschaftlicher Forschung zeugt, deren
Aussterben wir geduldig abwarten können.
Und so möge es denn nicht als AnmaĂung ausgelegt
werden, wenn die Leser, die an einer Weiterverfolgung der in
dieser Arbeit dargelegten Ideen interessiert sind, auf die seither
erschienenen mythologischen Publikationen des Verfassers, ins-
besondere auf: âDie Lohengrinsageâ (1913), âDas Inzest-
motiv in Dichtung und Sageâ (1912) und Psychoanaly-
tische BeitrĂ€ge zur Mythenforschungâ (1919) hingewiesen
werden.
Mödling, im Sommer 1921.
Dr. Otto Rank.
I.
Fast alle bedeutenden Kulturvölker, wie die Babylonier,
Ăgypter, Israeliten, Inder, Iranier, Perser, Griechen, Römer
Germanen und andere, haben uns Ăberlieferungen hinterlassen,
in denen sie frĂŒhzeitig ihre Helden, sagenhaften Könige und
FĂŒrsten, Religionsstifter, Dynastie-, Reichs- und StĂ€dtegrĂŒnder
kurz ihre Nationalheroen, in zahlreichen Dichtungen und Sagen
verherrlichen. Besonders dieGeburts-undJugendgeschichte
dieser Ăbermenschen erscheint mit phantastischen ZĂŒgen aus-
gestattet, deren verblĂŒffende Ăhnlichkeit, ja teilweise wörtliche
Ăbereinstimmung bei verschiedenen, weit getrennt und völlig
unabhÀngig voneinander lebenden Völkern lÀngst bekannt und
vielen Forschern aufgefallen ist.
Die Frage nach dem Grunde solcher weitgehenden Ana-
logien in den wesentlichen GrundzĂŒgen der mythischen Er-
zĂ€hlungen, die durch die Ăbereinstimmung gewisser Details. und
durch deren Auftreten in fast allen Mythengruppen noch
rÀtselhafter erscheinen, . ist ein Hauptproblem der Mythen-
forschung geworden und auch noch bis heute Problem ge-
blieben. Die mythologischen Theorien, die es unternommen
haben, eine ErklÀrung dieser auffÀlligen Erscheinung zu geben,
lassen sich im groĂen nach drei Hauptgesichtspunkten grup-
pieren!):
1. Die von Adolf Bastian (Das BestÀndige in den
Menschenrassen und die Spielweise ihrer VerÀnderlichkeit,
Berlin 1868) aufgestellte âVölkerideeâ, eine Theorie der Ele-
1) Eine kurze und ziemlich vollstĂ€ndige Ăbersicht ĂŒber die allgemeinen
Theorien der Mythologie und ihre Hauptvertreter findet man in Wundts
Völkerpsychologie, Bd. II, Mythus und Religion, Teil I (Leipzig 1905), 8. 577 uff.
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden. 2, Aufl. 1
ee a ee en
2 DIE MYTHOLOGISCHEN THEORIEN
mentargedanken, wonach die Ăbereinstimmung der Mythen
aus der gleichförmigen Anlage des Menschengeistes und der
zu allen Zeiten und an allen Orten innerhalb gewisser Grenzen
gleichen Art seiner BetÀtigung notwendig folge; eine An-
schauungsweise, die Adolf Bauer (Die Kyrossage und Ver-
wandtes, in den Sitzungsber. der Wiener Akademie d. Wiss,,
Bd. 100, 1882, S. 495 u. ff.) zur ErklÀrung der weiten Ver-
breitung unseres Heldenmythus nachdrĂŒcklich geltend ge-
macht hat;
2. das zuerst von Th. Benfey (Pantschatantra, 2 Bde., 1859)
fĂŒr die weitverbreiteten Parallelformen der MĂ€rchen aufgestellte
ErklÀrungsprinzip der Urgemeinschaft, wonach die MÀrchen,
an einem begĂŒnstigten Punkte der Erde (in Indien) entstanden,
zunÀchst von den urverwandten (also den indogermanischen)
Völkern aufgenommen, mit Beibehaltung der gemeinsamen
UrzĂŒge weiterentwickelt und in letzter Linie ĂŒber die ganze
Erde ausgestrahlt sein sollen. Die Anwendung dieser Er-
klÀrungsweise auf die weite Verbreitung der Heldenmythen hat
Rudolf Schubert (Herodots Darstellung der Cyrussage,
Breslau 1890) durchgefĂŒhrt;
3. die moderne Theorie der Wanderung oder Ent-
lehnung, nach der die einzelnen Mythen von bestimmten
Völkern (vornehmlich von den Babyloniern) ausgehen und dureh
mĂŒndliche Ăberlieferung (Handelsverkehr etc.) oder literarische
Beeinflussung von anderen Völkern aufgenommen werden sollen
(man vgl. Eduard Stucken: Astralmythen, Leipzig 1896 bis
1907; besonders Teil V: Mose, und Heinrich LeĂmann: Die
Kyrossage in Europa; wissensch. Beil. z. Jahresbericht d. stÀdt.
Realschule zu Charlottenburg, Ostern 1906).
Es lĂ€Ăt sich leicht zeigen, daĂ die moderne Theorie der
Wanderung und Entlehnung nur eine unter dem EinfluĂ un-
vereinbaren Materials erfolgte Modifizierung der Benfeyschen
Theorie ist. Ausgebreitete Untersuchungen neuerer Forscher
haben es nahegelegt, daĂ eher Babylonien nicht Indien als die
Urheimat der Mythen angesehen werden könne 1), und daà die
een
â) âSobald einmal alle Ăbereinstimmungen als Ăbertragungen gedeutet
werden, wird man jeweils in das Gebiet, dessen Kultur als die Àltere eilt,
|
|
UND IHRE SCHEINBARE GEGENSĂTZLICHKEIT. 3
mythischen ErzĂ€hlungen ĂŒbrigens auch nicht von einem Punkt |
ausgestrahlt, vielmehr kreuz und quer ĂŒber die ganze bewohnte
Erde gewandert sein dĂŒrften. WĂ€hrend also der Gedanke der |
AbhÀneigkeit mythischer Gebilde voneinander, ein Gedanke, |
den Braun!) als âGrundgesetz der menschlichen Geistesnaturâ
dahin verallgemeinerte, daĂ ânie etwas erfunden werde, solange
man kopieren könneâ, derart in den Vordergrund gerĂŒckt
wurde, schien dagegen die vor mehr als 25 Jahren von Bauer
nachdrĂŒcklich vertretene Theorie der Elementargedanken in
â Verfall zu geraten. Nicht nur Schubert, wie es scheint ein
persönlicher Gegner Bauers, sondern auch die modernsten
Forscher, wie namentlich Winckler und Stucken, lehnen sie
bedingungslos ab und halten an der Wanderung und Ent-
lehnung fest. Mag sich nun diese auch in vielen FĂ€llen nachweisen
lassen, so muĂ man sich, wo das nicht gelingt, entschlieĂen, auch
andere Gesichtspunkte gelten zu lassen und darf sich den
Weg weiterer Forschung nicht durch den in gewissem Sinne
unwissenschaftlichen Standpunkt des sonst so verdienstvollen
Wincekler versperren, der meint: âWenn wir Menschen und
ihre Erzeugnisse, die sich genau entsprechen, an weit ausein-
ander liegenden Punkten der Welt finden, so mĂŒssen wir daraus
schlieĂen, daĂ sie dorthin gewandert sind. Ob wir wissen wie
und wann, kommt fĂŒr die Annahme der Tatsache selbst nicht
in Betrachtâ ?).
Wir können vor allem den scharfen Gegensatz zwischen
den verschiedenen Theorien und ihren Vertretern durchaus
nicht anerkennen, da neben der Elementargedankentheorie die
Gesichtspunkte des gemeinsamen Urbesitzes und der Wanderung
Raum haben. Im ĂŒbrigen lautet ja das Problem in letzter Linie
den Ursprung der mythologischen Vorstellungen verlegen, Diese Ansicht
fĂŒhrt daher leicht zur allgemeinen Wanderhypotheseâ (Wundt, 1. c., 5. 509,
Anmerkung). | |
ı) Naturgesch. d. Sage. RĂŒckfĂŒhrung aller religiösen Ideen, Sagen,
Systeme auf ihren gemeinsamen Stammbaum und ihre letzte Wurzel. 2 Bde,
MĂŒnchen 1864â1865.
2) âDie babylonische Geisteskultur in ihren Beziehungen zur Kultur-
entwicklung der Menschheitâ (Bd. 15 der Sammlung: Wissenschaft u. Bil-
dung), Leipzig 1907, 8. 47.
1*
â
4 DIE AUFFASSUNG DER HISTORIKER, MYTHOLOGEN, ETHNOLOGEN.
nicht, woher und auf welche Weise der Stoff zu einem be-
stimmten Volke gekommen sein mag, sondern woher er ĂŒber-
haupt stammt. Durch die genannten Theorien könnte nur
die Mannigfaltigkeit und Verbreitung, nicht aber die Herkunft
des Mythus erklÀrt werden. Wie sehr sich selbst Schubert,
der erbittertste Gegner von Bauers Auffassung, dieser Einsicht
nicht verschlieĂen kann, zeigen Grundprinzip und Resultat
seiner Schrift: daà nÀmlich alle diese mannigfachen Sagen auf
ein einziges uraltes Vorbild zurĂŒckgingeen. Vom Ursprungdieses
Vorbildes weiĂ er allerdings nichts zu sagen. Ebenso neigt aber
auch Bauer, der auf Schuberts AusfĂŒhrungen scharf repli-
zierte!), dieser vermittelnden Auffassung zu, wenn er wieder-
holt darauf hinweist, daĂ man trotz der mehrfachen Entstehung
unabhÀngiger ErzÀhlungen auch der weitgehenden und viel-
verzweigten Entlehnung sowie der ursprĂŒnglichen Gemein-
samkeit der Vorstellungen bei verwandten Völkern ihr Recht
lassen mĂŒsse. Neben diesen Zeugnissen der Historiker hat auch
ein Vertreter der modernen Mythologie, Heinrich LeĂmann,
in einer programmatischen Schrift: Aufgaben und Ziele der
vergleichenden Mythenforschung (Mytholog. Bibl., Bd. I, Heft 4,
Leipzig 1908) diesen vermittelnden Standpunkt, jedoch mit
strengem AusschluĂ der Annahme von Elementargedanken, ein-
genommen, indem er anerkennt, daĂ Urverwandtsghaft und
Entlehnung einander nicht ausschlössen. Von ethnologischer
Seite ist das gemĂ€Ăigte Urteil des frĂŒhverstorbenen Amerika-
nisten Ehrenreich?) bemerkenswert, der âWanderung, Ent-
lehnung und selbstÀndige Entstehung an sich gleichberechtigt
und von jeher nebeneinander wirksamâ erklĂ€rt. Neuestens hat
auch Frazer?°), gerade mit Beziehung auf den uns hier be-
schĂ€ftigenden Mythenkreis, seine auf reiches Material gegrĂŒn-
dete Ansicht ĂŒber dieses Problem dahin zusammengefaĂt, daĂ
er Entlehnung (Nachbildung) fĂŒr ebensogut möglich halte wie
1) Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1891, S. 161 u, ff. Schuberts Er-
widerung steht ebenda, S, 574 u. ft.
2) âDie allgemeine Mythologie und ihre ethnol. Grundlagen.â Leipzig
1910, 5. 265. (Mythol. Bibl. IV, 1.)
°») The Folk-Lore in the Old Testament, London 1919.
2
}
|
|â |.
DAS PSYCHOLOGISCHE PROBLEM, 1)
unabhÀngige Herkunft einer gemeinsamen Wurzel der Volks-
phantasie (popular imagination). Er enthÀlt sich jeder Ent-
scheidung, verweist aber darauf, daĂ beispielsweise die indischen
Parallelen, bei denen man schwerlich eine Kenntnis der semi
tischen Quellen voraussetzen könne, doch mehr fĂŒr die unab-
hÀngige Entstehung zu sprechen scheinen.
Eine endgĂŒltige Entscheidung in dieser Frage, soweit sie
ĂŒberhaupt anzustreben oder zu finden ist, kann unseres Er-
achtens nur die Psychologie auf Grund des Materials bringen,
das Mythologen, Ethnologen und Historiker ihr liefern, deren
völlige psychologische Unorientiertheit ihren Forschungen nur
zum Vorteil gereichen könnte, wenn sie sich kein abschlieĂendes
Urteil anmaĂten. Die psychologische KlĂ€rung des Problems
hat Wundt angebahnt, der, fĂŒr kompliziertere MotivĂŒberein-
stimmungen die Wanderung zugestehend, meint: âFĂŒr das
Bild des mythologischen Denkens der primitiven Völker ist
aber die Frage solcher vereinzelter Beimengungen relativ un-
erheblicher, weil doch nur das dauernd festgehalten
werden kann, was ihrer eigenen Stufe mythologischen
Denkens entspricht.â (S. 62.) âWĂŒrden doch jene leisen Er-
innerungen an vorausgegangene ErzÀhlungen schwerlich aus-
reichen, den gleichen Stoff neu zu gestalten, wenn nicht die
Motive dazu selbst gegenwÀrtig blieben, die eben deshalb aber
auch ohne solehe Assoziationen einen in den Grundmotiven
ĂŒbereinstimmenden Inhalt neu erzeugen könnenâ (Völkerpsychol,,
II. Bd., 3. Teil, 1909, S. 285). Jedenfalls bleibt das rein psycho-
logische Problem der Entstehung des Mythentypus bestehen,
dessen Lösung uns gleichzeitig in den Stand setzt, auch die
auf dem Wege der Wanderung erfolgte Aneiznung eines Stoffes
aus zureichenderen GrĂŒnden als dem des bloĂen Wohlgefallens
zu verstehen.
Wir wollen also gerade die Frage nach der Art der Ver-
breitung dieser Mythen, welche die frĂŒher genannten Forscher
eigentlich beschÀftigt hat, zunÀchst ganz beiseite lassen und
uns auf die ErklÀrung der Herkunft des Heldenmythus selbst be-
schrÀnken. Denn aus dem Material gewinnt man den Eindruck,
daĂ â wie immer man sich zur Frage des Ursprunges dieser
6 KRITIK DER HIMMELSMYTHOLOGIE.
= mm en
mythischen ErzĂ€hlungen stellen mag â eine .seradezu auf-
dringliche Tendenz besteht, alle heroischen Persönlichkeiten in
das Schema einer bestimmten Geburtssage zu zwÀngen, eine
Tendenz, die sogar noch bei zahlreichen Romanhelden unserer
Zeit zum Ausdruck kommt. Es verliert damit die Entscheidung
zwischen Wanderung und Neuschöpfung an Interesse und das
Problem der OriginitÀt tritt mÀchtig in den Vordergrund, das
der allerdings âlunarâ beeinfluĂte Ehrenreich in die Frage
faĂt: âWarum werden die scheinbar so verschiedenen MĂ€rchen-
und Mythenhelden magisch empfangen und geboren, warum
werden sie in KÀsten, Körbe, Futterschwingen, Krippen und
Muschelschalen gelegt und in diesen oft dem Wasser ĂŒber-
geben ?â!)
Ein solches Suchen nach den psychischen Motiven der
Mythenbildung wird aber notwendigerweise auch ĂŒber den
Inhalt dieser Mythen tiefere AufschlĂŒsse geben mĂŒssen, als
die in ihren fachlichen Gesichtskreis eingeengten Mythologen
wahrhaben, die darin, der immer noch herrschenden natur-
mythologischen Deutungsweise folgend, lediglich personifizierte
NaturvorgÀnge sehen wollen, Der neugeborene Held ist etwa
die junge, aus dem Wasser auftauchende Sonne, der sich bei
ihrem Aufgeang Wolken hemmend entgegenstellen, die aber doch
schlieĂlich alle Hindernisse siegreich ĂŒberwindet (nach Brod-
beck, Zoroaster, Leipzig 1893, S. 138). Ob man, wie es die ersten
Vertreter dieses Deutungsverfahrens taten, vornehmlich die atmo-
sphÀrischen Naturerscheinungen heranzieht?) oder, wie neuere
Forscher, die Mythen in einem engeren Sinne als Astralmythen
auffaĂt (vgl. Stucken, Winckler u. a.), ist kein so wesentlicher
Unterschied wie den Vertretern dieser einzelnen Richtungen
scheint. Auch können wir keinen Fortschritt darin erblicken,
wenn die rein solare Deutung, wie sie hauptsÀchlich Frobenius
vertrittÂź), bekĂ€mpft wird und man sich, wie G. HĂŒsing in seinen
ı) Allg. Myth. 48.
2) Als ein besonders abschreckendes Beispiel einer Art dieses Ver-
fahrens sei hier die unseren Sagenkreis streifende Arbeit des bekannten
Naturmythologen Schwartz: Der Ursprung der Stamm- und GrĂŒndungs-
sage Roms unter dem Reflex indogermanischer Mythen (Jena 1878) genannt.
3) Das Zeitalter des Sonnengottes. Berlin 1904.
- PN
. -
Ta nn m
1
3
A ET en Tr
DER ALLGEMEIN-MENSCHLICHE INHALT DER MYTHEN. 7
BeitrÀgen zur Kyrossage (Berlin 1906), auf den von Siecke!)
angebahnten Standpunkt stellt, alle Mythen seien ursprĂŒnglich
Mondmythen gewesen, eine Anschauungsweise, die Siecke als
die einzig berechtigte und evidente auch fĂŒr die Auffassung
der Geburtsmythen der Helden hingestellt hat?).
Wir ersparen uns hier eine Kritik dieser nur in einem
gewissen Sinne zutreffenden, im ganzen aber doch unbefrie-
digenden und einseitigen ErklÀrungsweise, da wir spÀter aus-
fĂŒhrlich auf die Deutung der Mythen selbst eingehen werden?)
Wir sehen zunÀchst auch davon ab, daà uns die Himmels-
mythologie keinen Einblick in die seelischen Motive der Mythen-
bildung gewÀhrt, und möchten vorlÀufig nur das Bedenken er-
heben, ob die ZurĂŒckfĂŒhrung auf astronomische VorgĂ€nge dem
Inhalt dieser Mythen voll entspricht, oder ob nicht vielleicht
eine menschliche Deutung weit klarere und natĂŒrlichere Ver-
hÀltnisse ergÀbe. Da ist es nun die vielgeschmÀhte Theorie der
Elementargedanken, die uns in gewissem Sinne auf eine bisher
fast gar nicht beachtete Seite der mythologischen Forschung
hindrÀngt. Bauer gibt sowohl zu Beginn als auch am Schlusse
seiner Arbeit dem Gedanken Ausdruck, daĂ es doch weit wahr-
scheinlicher und nĂ€herliegend sei, den Grund fĂŒr die durch-
gĂ€ngige Ăbereinstimmung dieser Mythen in ganz allgemeinen
ZĂŒgen des menschlichen Seelenlebens als etwa in der Urge-
meinschaft oder Wanderung zu suchen. Seine Annahme er-
scheint uns um so berechtigter, als wir solche allgemein mensch-
liche Seelenregungen in anderen Formen und auf anderen Ge-
bieten wirksam gefunden haben. FĂŒr uns ergibt sich die Mög-
lichkeit, an diese Idee wieder anzuknĂŒpfen, von einer Seite
1) âLiebesgeschichte des Himmels.â âStraĂburg 1892. â âMytholog.
Briefe.â Berlin 1901. ;
2), Ernst Siecke, âHermes als Mondgottâ (Mythol. Bibl., Bd. II, H.1),
Leipzig 1908, S. 48. â Man vergleiche auch die teils lunare, teils solare, jeden-
falls aber ganz einseitige Auffassung des Heldenmythus bei Gustav Fried-
richs: Grundlage, Entstehung und genaue Einzeldeutung der bekanntesten
germanischen MĂ€rchen, Mythen und Sagen, Leipzig 1909, S. 118.
3) Zur prinzipiellen Stellungnahme vgl. man des Verf, âPsychoanaly-
tische BeitrĂ€ge zur Mythenferschungâ (Internat, Psa, Bibl. Bd. IV, bes,
Kapitel I. Wien und Leipzig 1919.
E
=
8 TRAUM UND MYTHUS,
her, die der Mythologie lÀngst nicht fremd geblieben ist, wenn-
gleich sie sie nicht in ihrer vollen Bedeutung zu wĂŒrdigen
vermochte, weil die psychologischen Voraussetzungen fehlten:
vom Traume. Die auĂerordentliche Bedeutung des Traumlebens
fĂŒr den Mythus war, wie P. Ehrenreich betont, zu allen Zeiten
anerkannt. Nicht nur sollen bei einzelnen Naturvölkern, nach
ihrer eigenen Angabe, TrÀume die einzige Quelle der Mythen-
bildung sein, auch namhafte Mythologen wie Laistner, Mann-
hardt, Roscher und neuestens auch Wundt haben die Be-
deutung des Traumlebens,namentlich desAngst(Alp-)traumes,
fĂŒr das VerstĂ€ndnis einzelner Mythen- oder wenigstens Motiv-
gruppen eingehend gewĂŒrdigt. â
Die ablehnendeHaltung der vorwiegend von der âGesellschaft
fĂŒr vergleichende Mythenforschungâ vertretenen modernsten
mythologischen . Richtung gegen jeden Versuch, Traum und
Mythus zueinÀnder in Beziehung zu bringen '), entspringt haupt-
sÀchlich der BeschrÀnkung der Parallelisierung auf die Alp-
trÀume, wie sie Laistner in seinem beachtenswerten Buche
âDas RĂ€tsel der Sphinxâ (Berlin 1589) versucht hat und aus
der Unkenntnis der hier zu wĂŒrdigenden Auffassung Freuds.
Diese hat uns nicht nur die TrÀume selbst erst verstehen ge-
lehrt, sondern auch ihre Vorbildlichkeit und innige Verwandt-
schaft mit allen seelischen PhĂ€nomenen ĂŒberhaupt, insbesondere
mit den TagtrĂ€umen. oder Phantasien, mit dem kĂŒnstlerischen
Schaffen und mit gewissen Störungen der normalen Seelen-
tÀtigkeit gezeigt. Ein gemeinsamer Anteil an allen diesen Produk-
tionen fÀllt nÀmlich einer einzigen seelischen Macht, der mensch-
lichen Phantasie, zu. Eben dieser PhantasietÀtigkeit sieht sich
auch die genannte moderne Mythentheorie genötigt, einen â
und vielleicht sogar den ersten â Rang in der Frage nach dem
letzten Ursprung aller Mythen einzurÀumen. Denn die Auf-
fassung der Mythen im astralen Sinne oder noch prÀziser gesagt
als âKalendererzĂ€hlungenâ lĂ€Ăt, nach LeĂmanns Zeugnis (a.a.
O., S. 31 ff), mit RĂŒcksicht auf âeine schaffende Phantasie der
Menschheitâ die Frage entstehen, âob der erste Keim zum Ent-
)) Man vgl. LeĂmann a. a. O. (Mythol. Bibl. I, 4).
â) ie
Mae. 33
u
ge dor
DIE MENSCHLICHE PHANTASIETĂTIGKEIT. 9
stehen derartiger ErzÀhlungen eben in den VorgÀngen am
Himmel zu suchen sei oder ob umgekehrt fertige ErzÀhlungen
eanz anderen Ursprunges erst nachmals auf die Himmelskörper
ĂŒbertragen wurdenâ!). Den Einwendungen, die LeĂmann selbst
gegen die Wahrscheinlichkeit einer solchen Auffassung vorbringt,
seien hier die positiven Zeugnisse Ehrenreichs und Wundts
gegenĂŒbergestellt, die eine ursprĂŒngliche Himmelsmythologie als
unvollziehbare Vorstellung. zurĂŒckweisen. Ehrenreich (. ce.
S. 104): âSicherlich besinnt die mythologische Entwicklung auf
irdischem Boden, insofern erstErfahrungen in der nÀchsten Umwelt
gemacht sein mĂŒssen, ehe man sie in die himmlische Welt proji-
zieren kann.â â Und Wundt fĂŒhrt (l.c. 8.282) aus: âJene Theorie
von der Entwicklung der Mythen, die sie zuerst am Himmel
entstehen und dann in irgend einem spÀteren Zeitpunkte zur
Erde wandern lĂ€Ăt, steht aber nicht bloĂ im Widerspruch mit
der Geschichte des Mythus, die von einer solchen Wanderung
nichts weiĂ, sondern auch mit der Psychologie der Mythen-
bildung, die jene Translokation als eine innerlich unmögliche
zurĂŒckweisen muĂ.â Wir hoffen in den folgenden Untersuchungen
den Nachweis zu erbringen, daĂ die Mythenâ) nicht bloĂ irdischen
(Ehrenreich), sondern â wie auch Wundt meint â psychischen
Ursprungs sind, d. h. Gebilde der menschlichen PhantasietÀtig-
keit, die sekundÀr auf die Himmelskörper mit ihren rÀtsel-
haften Erscheinungen ĂŒbertragen werden können. Dabei sollen
die unverkennbaren Spuren, die diese Umdeutung in den
1) In diesem Sinne sagt Stucken (Mose $. 432): âDer von den Vor-
fahren ĂŒberkommene Mytlus wurde auf NaturvorgĂ€nge ĂŒbertragen und
naturalistisch gedeutet, nicht umgekehrt.â â âDie Naturdeutung selbst ist
ein Motivâ (S. 633, Anm.). Ăhnlich Ă€uĂert Meyer (Gesch. d. Altert, II. 48):
âIn zahlreichen FĂ€llen ist die in den Mythen gesuchte Natursymbolik nur
scheinbar vorhanden oder sekundÀr in sie hineingetragen, wie sehr vielfach
in den vedischen und in den Àgyptischen Mythen, sie ist ein primitiver
Deutungsversuch so gut wie die bei den Griechen seit dem 5. Jahrhundert
aufkommenden Mythendeutungen.â
2) FĂŒr die MĂ€rchen macht sowohl in diesem wie auch in anderen
wesentlichen Punkten Thimme den gleichen Standpunkt geltend wie es hier
fĂŒr die Mythen geschieht. Vgl. Adolf Thimme: âDas MĂ€rchenâ, 2. Bd. der
HandbĂŒcher z. Volkskunde. Leipzig 1909.
ee
a
10 FREUDS DEUTUNG DER ĂDIPUS-MYTHE.
Mythen hinterlassen hat, wie die festen Zahlen u. a., in ihrer
Bedeutung nicht herabgesetzt werden, obwohl es auch von
diesen Zahlen keineswegs als ausgemacht giit, daĂ auch sie nicht
menschlichen Ursprungs wÀren und erst spÀter, eben dieser
Bedeutung wegen, den Kalender- und Himmelsbereehnungen
zugrunde gelegt worden seien!). Ă
An einem der Sagenstoffe, die in die Gruppe der Hel-
denmyihen gehören, ist bereits die Ableitung eines wesentlichen
Bestandteiles aus einer allgemein menschlichen Quelle mit
Erfolg geschehen. In seiner Traumdeutung?) hat Freud
den Zusammenhang der Fabel vom Ădipus, dem das
Orakel weissagt, er werde seinen Vater töten und seine
Mutter heiraten, was er dann auch unwissentlich vollfĂŒhrt,
mit den beiden typischen TrÀumen vom Tode des Vaters
und vom geschlechtlichen Verkehr mit der Mutter aufgedeckt,
TrĂ€umen, die auch heute noch viele Menschen haben. Es heiĂt
dort vom König Ădipus: âSein Schicksal ergreift uns nur darum,
weil es auch das unserige hÀtte werden können, weil das Orakel
vor unserer Geburt denselben Fluch ĂŒber uns verhĂ€ngt hat
wie ĂŒber ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste
sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten HaĂ und gewalt-
tÀtigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere TrÀume
ĂŒberzeugen uns davon. König Ădipus, der seinen Vater Laios
erschlagen und seine Mutter lokaste geheiratet hat, ist nur die
\WunscherfĂŒllung unserer Kindheitâ). Die hier sich offenbarende
innige Verwandtschaft zwischen Traum und Mythus, die sich
nicht nur auf den Inhalt sondern auch auf die Form und die
TriebkrĂ€fte dieser beiden sowie vieler anderer -â- insbesondere
krankhafter â seelischer Gebilde erstreckt, lĂ€Ăt die Auffassung
des Mythus als âMassentraumâ des Volkes, wie ich sie gelegent-
1) HierĂŒber handelt eine vom Verfasser vorbereitete Arbeit: âMikro-
kosmos und Makrokosmos.â
2) Wien und Leipzig 1900, S, 180 uff.
9) Auch die Fabel von Shakespeares âHamletâ lĂ€Ăt nach Freuds
Darstellung (a. a. OĂ.) eine Ă€hnliche Deutung zu. Es wird sich spĂ€ter zeigen,
wie mythologische Forscher die Hamletsage von ganz anderen Gesichts-
punkten her in den Zusammenhang unseres Mythenkreises bringen.
â
En a Fe -
Fr -
NEIN a Aue;
DIE PROJEKTION AN DEN HIMMEL. 11
lich angedeutet habe!), und die Ăbertragung der Methode und
zum Teil auch der Resultate der Freudschen Traumdeutungs-
technik auf die Mythen, wie sie Abraham in seiner Schrift:
âTraum und Mythus?)â des nĂ€hern begrĂŒndet und an einem
Beispiel durchgefĂŒhrt hat, vollkommen berechtigt erscheinen.
Wir werden auch bei dem hier zu behandelnden Mythenkreise
wieder die innigen Beziehungen von Traum und Mythus be-
stĂ€tigt finden und die AufschlĂŒsse, die uns ihre Analogisierung
bietet, reichlich benĂŒtzen. Betrachtet man, was diesem psycho-
logischen VerstĂ€ndnis gegenĂŒber die naturmythologische Deutung,
etwa der anstöĂigen Ădipusfabel, bietet: Ădipus, der seinen
Vater mordet, seine Mutter heiratet und als blinder Greis stirbt,
ist der Sonnenheld, der seinen Erzeuger, die Finsternis, mordet,
der sein Bett mit der Mutter, der Abendröte, aus deren SchoĂ
(der Morgenröte) er hervorgegangen ist, teilt, und der ge-
blendet, als untergehende Sonne, stirbt?), so gewinnt man den
Eindruck, als ob die Forscher, welche sich einer ausschlieĂlich
naturmythologischen Deutungsweise â gleichviel in welchem
Sinne â bedienen, bei ihrem BemĂŒhen, den ursprĂŒnglichen
Sinn der mythischen ErzĂ€hlungen zu ergrĂŒnden, sich nicht
ganz einem psychologischen Prozeà entziehen könnten, wie wir
ihn auch bei den Schöpfern der Mythen annehmen mĂŒssen.
Das Motiv, das sowohl die Mythenschöpfer als auch ihre Aus-
leger zu demselben Vorgange veranlaĂt hat, ist das nĂ€mliche.
Wir finden es bei einem der BegrĂŒnder und VorkĂ€mpfer der
vergleichenden Mythenforschung und der naturmythologischen
Deutungsweise, bei Max MĂŒller, in seinen âEssaysâ*) ganz
!) Rank: Der KĂŒnstler, AnsĂ€tze zu einer Sexualpsychologie, Wien und
Leipzig 1907, S. 36 (2. u. 3. Aufl. 1918, S. 52).
2) Viertes Heft dieser Sammlung. Leipzig und Wien 1909. 2. Auf-
lage, 1922.
5) Siehe Ignaz Goldziher: Der Mythos bei den HebrÀern und seine
geschichtliche Entwicklung, Leipzig 1876, S. 125.
4) Band II der deutschen Ăbersetzung, Leipzig 1869, S. 143. â Auch
Cox vertritt in seinem bekannten Werke âThe Mythology of the Aryan
Nationsâ den Standpunkt, daĂ die Mythen nur scheinbar so unsittlich seien,
wenn wir sie aber naturmythologisch auffaĂten, die anstöĂigen ZĂŒge ver-
lören. â Auch fĂŒr Siecke (Hermes als Mondgott, Leipzig 1908, S. 39) ver-
mom do
Er
âââ
ln
HR ij ep
sis
- En mE a on
12 DAS MOTIV DER PROJEKTION.
naiv ausgesprochen in dem Gedanken, daĂ âdurch dieses Ver-
fahren nicht bloĂ bedeutungslose Sagen eine eigene Bedeutung
und Schönheit erhielten, sondern daà man dadurch einige der
empörendsten ZĂŒge der klassischen Mythologie be-
â seitige und ihren wahren Sinn ausfindig macheâ. Diese Em-
pörung, deren Grund uns leicht verstÀndlich wird, hindert
natĂŒrlich den Mythologen anzunehmen, daĂ Motiven wie Inzest
mit der Mutter, Schwester oder Tochter, wie Totschlag von
Vater, GroĂvater oder Bruder, allgemein menschliche Phantasien
zugrunde liegen könnten, die, wie uns Freud gelehrt hat,
ihre Quelle im kindlichen Vorstellungsleben mit seiner eigen-
artigen Auffassung der AuĂenwelt und ihrer Personen haben.
Diese Empörung ist also nur die Reaktion auf die dunkel ge-
ahnte peinliche Erkenntnis der TatsÀchlichkeit dieser VerhÀltnisse,
eine Reaktion, die dann die Ausdeuter der Mythen dazu drÀngt,
zu ihrer eigenen unbewuĂten Rehabilitierung und zu der der
ganzen Menschheit, diesen Motiven eine ganz andere Bedeutung
unterzulegen, als sie ursprĂŒnglich hatten. Dieselbe innere Auf-
lehnung lĂ€Ăt auch das mythenschaffende Volk nicht an die
Möglichkeit solcher anstöĂigen Gedanken glauben und diese
Abwehr ist wahrscheinlich der erste Grund zur Projektion
dieser VerhÀltnisse an den Himmel gewesen. Denn die psycho-
logische Beruhigung, die aus einer solchen Rechtfertigung durch
Projektion auf Ă€uĂere â möglichst entfernte â Objekte ge-
wonnen wird, lĂ€Ăt sich vielleicht nachfĂŒhlen, sie ist aber kein
wissenschaftliches Argument, und eine solche Empörung â sei
sie auch nicht immer eine so bewuĂte â ist angesichts vor-
liegender Tatsachen ganz unangebracht. Man wird sich eben
entweder mit diesen AnstöĂigkeiten, falls man sie ĂŒberhaupt
als solche empfindet, abfinden oder sich von der Untersuchung
psychologischer PhĂ€nomene fernhalten mĂŒssen. Es ist wohl
klar, daà die Menschen, selbst nicht in den Àltesten Zeiten und
lieren die Inzestmythen durch ZurĂŒckfĂŒhrung auf den Mond und sein Ver-
hĂ€ltnis zur «Sonne alles AuffĂ€llige und âerklĂ€ren sich ganz einfach: die
Tochter [der neue Mond] ist die Wiederholung der Mutter [des alten Mondes];
mit ihr verbindet sich der Vater [die Sonne], (auch der Bruder, der Sohn)
von neuemâ!
â a #
BERECHTIGUNG DER PSYCHOLOGISCHEN DEUTUNG. 13
ââ zu
beim naivsten Vorstellungsleben, am Himmel oben Inzest und
Vatermord sahen!), vielmehr daĂ diese Vorstellungen nur aus
einer menschlichen Quelle stammen können. Auf welche Weise
sie dann an den Himmel kamen und welche Modifikationen
und Zutaten sie dabei erfuhren, das sind Fragen sekundÀrer
Natur, die erst zur Beantwortung gelansen können, wenn Ur-
sprung und Bedeutung der Mythen ĂŒberhaupt festgestellt sein
werden.
Zumindest aber wird man schon jetzt neben der astralen
Auffassung die Geltendmachung des Anteils, den das Seelen-
leben an der Mythenbildung hat, als gleichberechtigt hinstellen
dĂŒrfen, eine Forderung, die durch die Resultate unseres Deutungs-
verfahrens zu rechtfertigen versucht werden soll.
Wir wenden uns zu diesem Zwecke zunÀchst dem Mythen-
material zu, an dem wir den Versuch einer solchen psycho-
logischen Deutung zum erstenmal im GroĂen unternehmen
wollen, und wÀhlen dazu aus der Menge?) dieser vorwiegend
') Sollte man glauben! In einer Schrift: âUrreligion der Indogermanenâ
(Berlin 1897), wo Siecke darauf verweist, daĂ die Inzestmythen Nach-
erzÀhlungen des angeschauten unbegreiflichen Naturvorganges
seien, wendet er gegen eine Bemerkung Oldenburgs (Rel. d. Veda, S. 5)
der eine uralte Neigung des Mytlıus zum Motiv des Inzestes annimmt, ein,
daĂ âder Urzeit das Motiv ohne eigene Neigung der ErzĂ€hler durch
die Macht der geschauten Tatsachen sich aufdrĂ€ngteâ. (S. 22).
Derartigen Deutungen gegenĂŒber sagt Wundt (S. 252) mit Recht: Damit
wĂŒrde hier die Mythenbildung wieder zu einer allegorischen Dichtung. Auch
ist es bezeichnend fĂŒr diese Mythendeutung, die eigentlich selbst
schon die ursprĂŒngliche Mythenbildung begleitet haben mĂŒĂte,
daà sie zwei Sageninhalte von so gÀnzlich abweichendem Charakter, auf
ein und dasselbe Ă€uĂere Grundmotiv zurĂŒckfĂŒhrtâ. (Hervorhebungen
vom Ref.)
2) Die groĂe Mannigfaltigkeit und weite Verbreitung des Mythus von
der Geburt des Helden ersieht man aus den genannten Arbeiten von Bauer,
Schubert u. a., wÀhrend ihr umfassender Inhalt und ihre feinen Verzwei-
gungen besonders von HĂŒsing, LeĂmann und den ĂŒbrigen Vertretern der
modernen Richtung dargelegt wurden.
UnzÀhlige MÀrchen, ErzÀhlungen und Dichtungen aus allen Zeiten, bis
in die modernste Dramen- und Romanliteratur hinein, weisen die Haupt-
motive des Heldenmythus deutlich auf.
14 DAS MATERIAL DER BIOGRAPHISCHEN MYTHEN.
biographischen Heldenmythen die bekanntesten und einige
besonders charakteristische aus, die wir im folgenden so weit im
Auszuge, jedoch mit Angabe der Quellen, mitteilen, als sie fĂŒr
unsere Untersuchung von Belang sind. Die wichtigsten, stets
wiederkehrenden Motive sollen dabei durch den Druck hervor-
gehoben werden.
II. | '
Sargon.
Wohl die Ă€lteste, zugleich einfachste Ăberlieferung unseres
Heldenmythus, die ihn gleichsam auf ein Grundmotiv reduziert
zeigt, stammt aus der Zeit der GrĂŒndung Babylons (um 2800
v. Chr.!) und behandelt die Geburtsgeschichte ihres GrĂŒnders,
Sargons des Ersten. Der Bericht, der sich der Form der Ab-
fassung nach als Originalinschrift des Königs Sargon selbst
einfĂŒhrt, lautet in wörtlicher Ăbersetzung°):
âSargon, der mĂ€chtige König, König von Agade, bin ich.
Meine Mutter war eine Vestalin, meinen Vater kannte
ich nicht, wÀhrend der Bruder meines Vaters das Gebirge
bewohnte, In meiner Stadt Azupirani, welche am Ufer des
Euphrats gelegen ist, wurde mit mir schwanger die Mutter,
die Vestalin. Im Verborgenen gebar siemich. Sielegetemich
in ein GefÀà von Schilfrohr, verschloà mit Erdpech meine
TĂŒre und lieĂ mich nieder in den Strom, welcher mich
nicht ertrĂ€nkte. Der Strom fĂŒhrte mich zu Akki, dem Wasser-
schöpfer. Akki, der Wasserschöpfer, in der GĂŒte seines Herzens
hob er mich heraus, Akki, der Wasserschöpfer, als seinen
eigenen Sohn zog er mich auf, Akki, der Wasserschöpfer,
1) HĂŒsing wirft die Frage auf, ob die Entstehungszeit der Sargon-
legende nicht wesentlich herabzurĂŒcken wĂ€re. (Die iranische Ăberlieferung
etc., Mythol, Bibl, II, 2, 1909, S. 100.)
2) Die verschiedenen Ăbersetzungen des zum Teil entstellten Textes
unterscheiden sich nur in unwesentlichen Punkten, Vgl. Hommels Gesch.
Babyloniens und Assyriens (Berlin 1885), S. 302, wo man auch die Quellen
der Ăberlieferung findet, und A. Jeremias: Das Alte Testament im Lichte
des alten Olients. 2. Aufl, Leipzig 1906, S. 410,
16 SARGON, â ETANA. â MOSES,
zu seinem GĂ€rtner machte er mich. In meinem GĂ€rtneramt
gewann Istar mich lieb, ich wurde König und 45 Jahre ĂŒbte
ich die Königsherrschaft aus.â
Im babylonischen Etana-Mythus sieht Zimmern (KAT, 565 ÂŁ.),
im AnschluĂ an E. T. Harpner (Beitr. z. Assyriologie etc., hg. v.
Delitzsch ete,, Leipzig 1890 ff., II, 405 ff), eine Parallele zu den
Sagen von der Geburt des ersten Landeskönigs, wie z. B. Sargon,
Kyros, Romulus u. a. Ward faĂt die bildlichen Szenen der Etana-
Sigelzylinder als Darstellungen aus dem Vorleben des Heros auf
von der Zeit an, da er ausgesetzt war, Herden hĂŒtete und seinen
Unterhalt stahl. (Es folgt dann der Aufstieg Etanas auf dem Adler
zum 'Thron der Himmelskönigin Istar, der Geburtshelferin, um das
Geburtskraut [zur Erlangung eines Sohnes] zu holen. Aber Etana
stĂŒrzt mit dem Adler in die Tiefe, da er knapp vor dem Ziele
Furcht bekommt.) Ăhnlich heiĂt es von dem babylonischen Gott
Tammuz: âAls Kleiner in einem versinkenden Schiff liegt er.â
(Zimmern, Der babylonische Gott Tammuz. Abh. d. SĂ€chs. Akad.
XXVII, 1909, S. 727.)
Moses.
GroĂe Ă€uĂere Ăhnlichkeit mit der Sargonlegende, ja manche
weitgehende Ăbereinstimmung einzelner Motive, zeigt die bib-
lische Geburtsgeschichte Mosis,!) die Exodus, Kap. 2, erzÀhlt
wird. Im ersten Kapitel (22) heiĂt es schon, Pharao habe
seinem Volke geboten, alle Söhne der HebrĂ€er, die âeboren
wĂŒrden, ins Wasser zu werfen, die Töchter aber leben zu
lassen, ein Gebot, das mit der allzu groĂen Fruchtbarkeit
der Israeliten begrĂŒndet wird. Dann berichtet das zweite Kapitel:
âUnd es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine
Tochter Levis?). Und das Weib ward schwanger und gebar
1) Wegen dieser Ăhnlichkeiten hat man vielfach eine AbhĂ€ngigkeit
der Exodus-ErzÀhlung von der Sargonlegende angenommen, hat aber dabei,
wie es scheint, zu wenig auf gewisse psychologische Unterschiede geachtet,
die uns bei der Deutung noch ausfĂŒhrlich beschĂ€fiigen werden.
2) Mosis Eltern waren ursprĂŒnglich namenlos, wie alle Personen in
diesem Àltesten Berichte, Erst die Priesterschaft hat ihnen Namen verliehen;
nn nn ââ
num
En. a
MOSES: DIE BEDEUTUNG SEINES NAMENS. 17
einen Sohn und da sie sah, daĂ er stattlich war, verbarg
sie ihn drei Monate, Und da sie ihn nicht lÀnger verbergen
konnte, nahm sie fĂŒr ihn ein KĂ€stlein von Rohr und
verklebte es mit Erdharz und Pech, und legte das Kind
darein und setzte ihn in das Schilf am Ufer des Nils.
Aber seine Schwester stand von ferne, daĂ sie erfĂŒhre, was
ihm geschehen wĂŒrde. Und die Tochter des Pharao ging hinab,
um im Nil zu baden, und ihre Jungfrauen gingen am Rande
des Wassers. Und da sie das KĂ€stlein im Schilfe sah, sandte
sie ihre Magd hin und lieĂ es holen. Und da sie es auftat, sah
sie ein Kind; und siehe, es war ein KnÀblein, das weinte. Da
jammerte es sie und sie sprach: Es ist der hebrÀischen Kinder
eins. Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao:
Soll ich hingehen und dir der hebrÀischen Weiber eine rufen,
die da sÀuget, daà sie dir das Kind sÀuge? Und die Tochter
des Pharao sprach zu ihr: Gehe hin. Und das MĂ€dchen ging
hin und rief des Kindes Mutter. Da sprach des Pharao
Tochter zu ihr: Nimm hin das Kind und sĂ€uge mirâs, so will
ich dirâs lohnen. Das Weib nahm das Kind und sĂ€ugte es.
Und da das Kind groĂ ward, brachte sie es der Tochter
des Pharao und es ward ihr Sohn. Und sie nannte ihn
Moses (Moseh), denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem
Wasser gezogenâ!).
kap. 6, 20, heiĂt es: Und Amram nahm seine Muhme Jochebed zum Weibe, die
gebar ihm Aaron und Mose (und ihre Schwester Mirjam. IV, 26, 59). Vgl.
dazu Winckler: Gesch. Israels II, und Jeremias a, a, O,, S. 408,
1) Der Name soll vielmehr nach Winckler (Die babyl. Geisteskultur,
S. 119) âder Wasserziehendeâ bedeuten (siehe auch Winckler: Altorientalische
Forschungen III, 468 f.), was die Moseslegende der Sargonlegende noch
nÀher brÀchte, denn der Name Akki bedeutet: ich habe Wasser geschöpft.
Im hebrĂ€isch-chaldĂ€ischen Wörterbuch von FĂŒrst wird das Wort mit moi =
Sohn und esche = Isis: Sohn der Isis (nach Analogie der Àgyptischen Königs-
namen: Thoutmosis = Sohn des Thout) erklÀrt. Danach wÀre also die Haupt-
bedeutung Sohn, und zwar Sohn des Wassers, da auch Josephus den Namen
aus dem Koptischen mo = Wasser, ioydai â gerettet, ableitet. Ăbrigens ist
Moses ein hÀufiger Àgyptischer Personenname und bedeutet: infans, Kind
(Ebers, Durch Gosen zum Sinai, 8. 525 f.; Spiegelberg, Der Aufenthalt der
Israeliten in Ăgypten, $. 23; Brupsch, Ăgyptologie, $. 118).
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden 2, Aufl, rJ
13 DER MYTHISCHE MOSES.
m oo 1 oo. â oo .{[oı 0... 0 oo mm
Diesen Bericht schmĂŒckt die Mythologie mit der Vorgeschichte
von Mosis Geburt aus: Im 60. Jahre nach dem Tode Josefs sah
der regierende Pharao im Traum einen alten Mann, der eine
Wage hielt; in der einen Schale lagen alle Bewohner Ăgyptens, in
der anderen Schale aber hing nur ein Milchlamm und dennoch wog
es alle Ăgypter auf. Der erschreckte König befragte sofort die
Gelehrten und Astrologen, die erklĂ€rten, der Traum bedeute, daĂ
den Israeliten ein Sohn werde geboren werden, der ganz
Ăgypten zerstören werde. Der dadurch geĂ€ngstigte König erlieĂ
sogleich den Befehl, alle neugeborenen Kinder der Israeliten
im ganzen Lande zu töten. Infolge dieser tyrannischen Verordnung
wollte sich der in Gosen ansÀssige Levite Amram von seinem Weibe
Jochebed scheiden, um nicht auch seine zu zeugenden Kinder dem
sicheren Tode zu ĂŒberliefern. Diesem Entschlusse widersetzte sich
aber spÀter seine Tochter Mirjam, indem sie mit prophetischer Ge-
wiĂheit aussagte, eben jenes im Traum des Königs angedeutete Kind
werde aus dem SchoĂ ihrer Mutter hervorgehen und der Befreier
seines Volkes werden!), Amram vereinigte sich also wieder mit
seinem Weibe, dem er drei Jahre lang fern geblieben war. Nach
drei Monaten wurde sie schwanger und gebar danach einen Knaben,
bei dessen Geburt das ganze Haus von einem ungewöhnlichen Licht-
elanz erhellt wurde, was die Wahrheit der Prophezeiung ahnen lieĂ.
(Nach Bergel, Mythol. d. HebrÀer, Leipzig 1882.)
Ăhnlich wie bei Sargon hat man auch fĂŒr die Mosesgeschichte
ein göttliches Vorbild im Àgyptischen Thout gefunden (Völter, Moses
u, die Àgypt. Mythol., Leiden 1912, S. 80 ff). Weitere Àgyptische
Parallelsagen sind die von Osiris (Adonis), der auf dem Meer in
einer Truhe schwimmt, der Geburtsgeschichte des Àgyptischen Königs-
sohnes (Ermar, Ăgypt. Rel., S. 40) und von Ahi, dem Kind von
Ra und Hathor, das aus dem Nu, d.h. der jungen Flut, hervorgeht
(Brugsch, Rel. u. Mythol. d. Ăsypt., 8. 376). (Andere Parallelen
zar Mosessage findet man bei Kampers, Alexander d, Gr. und die
Idee des Weltimperiums, 1901, $S. 10, Anm. 3; Gunkel, Zum rel.-
1) Schemot rabba zu 2,4. Und zu 2 Mos. I, 22, heiĂt es, daĂ die
Sterndeuter dem Pharao gesagt hatten, eine Frau gehe mit dem Erlöser
Israels schwanger. 1
PARALLELEN DER NATURVĂLKER. 19
gesch. VerstÀndnis d, N. T,, 1903 (1910°), S. 69: Wundt, Völker-
psychol. II/3, Leipzig 1909, S. 254 fl., 262 ff, 268 ff.)
Von besonderem Interesse ist eine Bemerkung in dem neuesten
Werk von Frazer (Folklore in the Old Testament, II, 451â), wonach
die Aussetzungsgeschichte Mosis mit verschiedenen Geschichten
verglichen wurde, die von den Tonga sprechenden StÀmmen von
Nordwest Rhodesia erzĂ€hlt werden (J. Torrend, âLikenesses of
Mosesâ Story in the Central Africa Folk-loreâ. Anthropos V (1910),
pp. 54â 70),
Daà auch sonst den Naturvölkern die gleichen Motive gelÀufig
sind, mögen folgende Beispiele zeigen: Stucken erzÀhlt die neusee-
lÀndische Sage vom polynesischen Feuer-(und Samen-) RÀuber Mani-
tiki-tiki, der sofort nach seiner Geburt ausgesetzt wird, indem ihn
seine Mutter in einer SchĂŒrze ins Meer wirft. Eine Ă€hnliche Ge-
schichte berichtet Frobenius (l. c. S. 379) aus Betsimisaraka, wo
das auf dem Wasser ausgesetzte Kind von einer reichen kinderlosen
Frau gefunden und erzogen wird, endlich aber doch beschlieĂt, seine
wirklichen Eltern aufzusuchen. Und nach einem Bericht von Bab
(Zeitschrift f. Ethnol., 1906, S. 281) erhielt die Frau des Raja Be-
surjak ein auf einer Wasserschaumblase schwimmendes Kind (aus
Singapore). Besonders eindrucksvoll schildert in der Mauimythe der
JĂŒngste Soln seiner Mutter, wie er geboren wurde (siehe White,
âIhe ancient history of the Maori, Wellington 1887, B. II, in mehr-
fachen Versionen; nach Frobenius, Das Zeitalter des Sonnengottes,
S. 66. fÂŁ.): âIch weiĂ, ich war vorzeitig an der MeereskĂŒste ge-
boren und wurde, nachdem du mich in eine Locke deines Haares
gewickelt, welche du dir zu diesem Zwecke abgeschnitten hattest, in
den Meerschaum geworfen. Da umschlang mich das Seegras mit seinen
langen Flechten, formte und bildete mich, Die weichen Schleimfische
wickelten sich um mich, um mich zu beschĂŒtzen, Myriaden von
Fliegen summten um mich herum und legten ihre Eier auf mich,
damit die Maden mich essen möchten; SchwÀrme von Vögeln sam-
melten sich um mich, um an mir zu picken, aber in diesem Augen-
blicke erschien mein groĂer Ahnherr, der Himmel, Tama-nui-ki-te-
Rangi, und er sah die Fliegen und die Vögel. Der alte Mann eilte,
so schnell er konnte, herbei, löste die umwickelten Schleimfische
ab und fand da ein menschliches Wesen, Dann nahm er mich auf
2#
RE
20 ABRAHAM. â ISAAK. â JOSEPH.
und hing mich in das Dach, damit ich den warmen Rauch und die
Hitze des Feuers fĂŒhlen möchte und so wurde ich durch die
Freundlichkeit des alten Mannes gerettet.â
Ăhnliches wie von Mose, mit dem die nationale Geschichte der
Juden beginnt, wird von der Geburt des Stammvaters der hebrÀischen
Nation, von Abraham, berichtet. Er war ein Sohn 'Therachs, Nim-
rods Feldherrn, und der Amtelai. Vor seiner Geburt wird dem
König Nimrod aus den Sternen geoffenbart, das zu erwartende
Kind werde mĂ€chtige FĂŒrsten vom Throne stĂŒrzen und ihre
LÀnder in Besitz nehmen. König Nimrod will das Kind sofort
nach der Geburt töten lassen. Aber als man den Knaben von
Therach verlangt, sagt er: Allerdings ist mir ein Solın geboren
worden, allein er ist gestorben. Er liefert dann ein fremdes Kind
aus, wÀhrend er seinen eigenen Sohn in einer Höhle unter der
Erde verbirgt, wo Gott ihn Milch aus einem Finger der rechten
Hand saugen lĂ€Ăt. In dieser Höhle soll Abraham bis zu seinem
dritten (nach anderen bis zum zehnten) Lebensjahre geblieben sein.
(Vgl. Aug. WĂŒnsche, Aus Israels Lehrhallen, Leipzig 1907, der
â 8:14 uf) â eine Ăbersetzung von Abrahams Geburtstage bringt,
und Beer, Das Leben Abrahams nach Auffassung der jĂŒdischen Dage,
Leipzig 1859, der â S. 27 uff. â Parallelen zur Aussetzung anfĂŒhrt.
Siehe auch Marmorstein, Legendenmotive in der rabbinischen
Literatur. Arch, f. Rel. Wiss. XVI, 1913, 1 u. 2.)
Wie so hÀufig tauchen die gleichen mythischen Motive in der
nÀchsten Generation, in der Geschichte Isaaks auf. Vor seiner
Geburt wird König Abimelech im Traum gewarnt, die Sarah zu be-
rĂŒhren, da er sonst sterben mĂŒsse. Nach langer Unfruchtbarkeit
kommt Isaak endlich zur Welt und wird â hier etwas verspĂ€tet â
vom eigenen Vater zur Opferung bestimmt, aber schlieĂlich gerettet,
wĂ€hrend Abrahams anderer Sohn Ismael â mit seiner Mutter Hagar â
ausgestoĂen wird. (Gen. 20, 6 und Bergel 1. c.)
NatĂŒrlich gehört auch die biblische Joseph-Geschichte hieher,
die nichts weiter ist als ein romanhaft ausgeschmĂŒckter Abklatsch
der Aussetzungssage: Der JĂŒngste wird ausgesetzt und bleibt drei
Tage in der Zisterne (Wassermotiv!), aus der er dann gerettet wird,
wĂ€hrend die BrĂŒder den Vater durch ein blutiges Tierfell tĂ€uschen.
Auch die typi-che Karriere des Ausgesetzten (Staithalter) fehlt nicht.
}
|
|
EEE in
KARNA. â VIKRĂMADITYA. 21
Karna.
Eng verwandte ZĂŒge mit der Sargonlegende zeigt auch
die ErzÀhlung des altindischen!) Epos MahÀbhÀrata von der
Geburt des Helden Karna. Den Inhalt der Sage gibt Lassen
(Ind. Altertumskunde, I?, S. 673) kurz wieder: Die FĂŒrsten-
tochter Pritha, die auch Kunti genannt wird, gebar als
Jungfrau dem Sonnengott Surya den Sohn Karna, der
mit den goldenen OhrgehÀngen seines Vaters und einem un-
spaltbaren Panzer geboren ward. In ihrer Angst hatte die
Mutter den Knaben verborgen und ausgesetzt. In der
von A. Holtzmann?) gemachten Nachbildung der Sage heiĂt es
V. 14558: âDa machten meine Amme und ich aus Binsen einen
groĂen Korb und legten einen Deckel darauf und ĂŒber-
zogen ihn mit Wachs; drein legte ich den Knaben und
trug zum Flusse AgvĂ€ ihn hinab.â Von den Wellen getragen,
kommt das Körbchen in den Strom Ganga bis zur Stadt CampÀ,
âDort ging gerade am Ufer des Stromes des Dhrtarastra edler
Freund, der Wagenlenker, mit ihm Radha, sein schönes, frommes
â,â
1) Auch die Geburtslegenden der ersten mythischen Könige Indiens
sind hier zu nennen. Im Heldenbuche âVikrĂ€madityacaritamâ wird erzĂ€hlt,
daĂ König VikrĂ€ma, der Sohn eines Gottes sei, den Indra fĂŒr eine Zeitlang
zum Erdenleben verdammt hatte, weil er im Zorn verwĂŒnschte, als Esel zu
leben. Nach Ablauf der Strafzeit lieĂ der Gott seine irdische Gemahlin
schwanger zurĂŒck. Ihr Vater jedoch, durch eine Weissagunge vor seinem
Tochtersohn gewarnt, befahl, ihm die Entbindung sofort zu melden, in der
Absicht, Jas Kind zu beseitigen. Die Tochter, die das alınte, wartete ihre
Stunde nicht ab, sondern schnitt sich das Kind vor der Zeit aus dem Leibe
und vertraute es einer Dienerin an, die es in Sicherheit brachte. So kam
König VikrÀma zur Welt und Àhnlich auch sein Sohn VikrÀmaditya, die
darum beide im Heldenbuche als âungeborenâ bezeichnet werden. Als
VikrĂ€ma in einem Kriegszug fiel, lieĂ er sein Land verwaist zurĂŒck, denn
die Königin war erst mit dem Thronfolger schwanger. Um nun dem Land
einen Erben zu geben und doch auch dem Witwenbrauch folgen zu können,
wurde der Sohn herausgeschnitten, wÀhrend die Mutter sieh mit ihrem toten
Gatten verbrennen lieĂ. Man findet auch bei VikrĂ€maditya die wunderbare
Geburt, unheilvolle Vorzeichen, die Aussetzung des Knaben im Walde, seine
ErnĂ€hrung mit Honig und schlieĂlich die Anerkennung. (Siehe JĂŒlg, Mon-
golische MĂ€rchen, Innsbruck 1858, S. 73 uff.)
2) Indische Sagen (Karlsruhe 1846), Teil II, S. 117 bis 127.
22 KARNA. â ION.
Weib. Sie war in tiefen Kummer versenkt, weil ihr kein Sohn
verliehen war. Da sah sie auf dem Flusse den Korb, den an
das Ufer ihr ganz nah die Wellen trieben; sie zeigte ihn dem
Azirath und dieser ging und zog ihn aus den Fluten heraus.â
Die beiden nehmen sich des KnÀbleins an und erziehen
es als ihr Kind.
Kunti heiratet spĂ€ter den König PĂ€ndu, den der âFluch,
er werde einst in den Armen seiner Gattin sterben, zur Ent-
haltung vom ehelichen Verkehr zwingt. Aber Kunti ge-
biert, wieder durch göttliche EmpfÀngnis, drei Söhne,
von denen einer in einer Wolfshöhle zur Welt kam.
PĂ€ndu stirbt dann in der Umarmung seiner zweiten Gattin.
Die Söhne wachsen heran und bei einem Turnier, das sie ver-
anstalten, taucht Karna auf, um sich mit dem besten KĂ€mpfer,
mit Arjuna, dem Sohne der Kunti, zu messen. Arjuna weigert
sich spöttisch, mit dem Fuhrmannssohn zu kÀmpfen. Um ihn
zum ebenbĂŒrtigen Gegner zu machen, salbt ihn einer der
Anwesenden zum König. Indessen hat die Kunti an dem
Götterzeichen den Karna als ihren Sohn erkannt und bittet ihn,
indem sie ihm das Geheimnis seiner Geburt offenbart, vom
Bruderkampf abzustehen. Er aber hĂ€lt ihre EnthĂŒllung fĂŒr ein
MĂ€rchen und besteht unerbittlich auf Genugtuung. Im Streit
fĂ€llt er, von Arjunas Pfeil getroffen. (Vgl. die ausfĂŒhrliche Dar-
stellung in Lefmanns Gesch. d. alten Indien, Berlin 1890,
S. 181 uff.)
Eine auffallende Ăhnlichkeit in der ganzen Anlage mit der
Karnasage zeigt die Geburtsgeschichte Ions, des Stammvaters der
Ionier, von dem die verhĂ€ltnismĂ€Ăig spĂ€te Ne Ăberlieferung
berichtet: di
!) Wo nichts anderes angegeben ist, sind alle griechischen und römi-
schen Sagen dem von Roscher herausgegebenen . âAusfĂŒhrlichen Lexi-
kon der griech. und röm, Mythologieâ entnommen, wo man auch alle
Quellen verzeichnet findet.
Die Ion-Mythe gibt Roschers Lexikon nach der gleichnamigen
Tragödie des Euripides wieder, der jedoch den alten Stoff bereits ânatio-
nalisiertâ hatte, Die mittelgriechische Kolonisation nach der mittleren KĂŒste
Te
ee
DIE IONSAGE UND IHRE ENTWICKLUNG. 23
Apollo zeugte mit des Erechtheus Tochter Kreusa
einen Sohn in der Grotte des athenischen Burgfelsens. In dieser
Grotte wurde der Knabe auch geboren und ausgesetzt;
die Mutter lĂ€Ăt das Kind in einem geflochtenen Körbchen
zurĂŒck, in der Hoffnung, Apollo werde seinen Sohn nicht unter-
gehen lassen, Auf Apollons Bitten trÀgt Hermes das Kind in der-
selben Nacht nach Delphi, wo es am Morgen die Priesterin auf der
Schwelle des Tempels findet. Sie zieht den Knaben auf und
macht ihn als JĂŒngling zum Tempeldiener.
Erechtheus gab spÀter die Kreusa dem eingewanderten Xuthos
zur Frau. Da ihre Ehe lange kinderlos blieb, wandten sie sich
an das delphische Orakel, um von ihm Kindersegen zu erflehen.,
Der Gott offenbart dem Xuthos, der sei sein Sohn, der ihm beim
Austritt aus dem Heiligtum als erster entgegenkommen werde.
Er eilt hinaus und begegnet dem JĂŒngling, den er freudig als
Sohn begrĂŒĂt und ihm den Namen Ion, das heiĂt âGĂ€ngerâ, gibt.
Kreusa weigert sich, den JĂŒngling als Sohn anzunehmen; ihr
Versuch, ihn zu vergiften, miĂlingt und das wĂŒtende Volk wendet
sich gegen sie selbst. Schon will Ion Hand an sie legen, aber
Apollo, der nicht wollte, daĂ der Sohn seine leibliche Mutter
töte, erleuchtete den Sinn der Priesterin, so daà sie den Zusammen-
und den Inseln des westlichen Kleinasien, durch welche die Ionier ent-
standen, soll nach der Ăberlieferung des Altertums von Athen ausgegangen
sein. Diese Ableitung wird bereits in der Ilias anerkannt â N 685 ff. sitzen
die lonier zur Zeit des troischen Krieges in Athen â und Athens Anspruch,
die Mutterstadt der lonier zu heiĂen, ist nie bestritten worden. Daher gilt
Ion, der Stammvater der Ionier, als Sohn Apollons und einer attischen
Prinzessin und muĂ in Athen gelebt haben, so schwer es auch war, ihn in
der attischen Sagengeschichte, die von ihm nichts wuĂte, unterzubringen
(Meyer, Gesch. d. Altert. II, 239). Nach alter Sage ist Ion ein Sohn des
Xuthos und des Pythischen Apollo und hat eine Landestochter, Kreusa, zur
Mutter, wodurch die neugewonnene Heimat bezeichnet wurde. Euripides
dagegen löst den Ion von Xuthos, der immer etwas rauh und tyrannisch
geschildert wird, und wendet es so, daĂ er nicht als Eindringling, sondern
als einziger SproĂ des Erechthidenstammes weiblicher Linie erscheint. Da-
dureh wird die Autochthonie der Athener gerettet, auf welche der Demos
sich soviel einbildete, und der widerstrebende Mythos auf erwĂŒnschte Weise
beseitigt (MĂŒller, Dorier, I, 248),
24 ĂDIPUS,
hang durchschaute Mit Hilfe des Körbchens, in dem einst der
Neugeborene gelegen hatte, erkennt ihn Kreusa als ihren Sohn
und entdeckt ihm das Geheimnis seiner Geburt.
Ădipus.
Die Eltern des Ădipus, König Laios und seine Gemahlin
Iokaste, leben lange Zeit in kinderloser Ehe. Laios,
der sich nach einem Erben sehnt, fragt den delphischen Apollo
um AufschluĂ; das Orakel antwortet, wenn er es wĂŒnsche,
werde er einen Sohn bekommen, aber es sei ihm vom
Schicksal bestimmt, von diesem Sohne getötet zu
werden. Aus Furcht vor der ErfĂŒllung des Orakelspruches
bleibt Laios dem ehelichen Umgang fern; aber einst im
Rausch zeugt er doch einen Sohn, den er kaum drei Tage
nach der Geburt im Kithairon aussetzen lĂ€Ăt. Damit
das Kind um so sicherer zugrunde gehe, lĂ€Ăt ihm Laios die
FuĂgelenke durchbohren. Nach der Darstellung des Sophokles,
die aber nicht die Ă€lteste ist, ĂŒbergibt der mit der Aus-
setzung betraute Hirte den Knaben einem Hirten des
Königs Polybos von Korinth, an dessen Hof er, nach dem all-
gemeinen Bericht, erzogen wird. Nach Anderen soll der Knabe
in einem KĂ€stchen (zpvaÂŁ) auf dem Meere ausgesetzt
und von Periböa, der Gemahlin des Königs Polybos, beim
SpĂŒlen der WĂ€sche aus dem Wasser herausgezogen
worden sein!), Polybos zieht ihn als seinen eigenen
Sohn auf. Als Ădipus durch Zufall erfĂ€hrt, daĂ er ein Find-
ling ist, befragt er das delphische Orakel um seine leiblichen
Eltern, erhÀlt aber die Weissagung, er werde seinen
Vater töten und seine Mutter heiraten. In der Meinung,
diese Prophezeiung beziehe sich auf seine Pflegeeltern, flieht
er aus Korinth nach Theben; unterwegs aber erschlÀgt er
1) Schol. Eurip. Phoen, 26. Nach Bethe (Thebanische Heldenlieder)
war die Ausseizung auf dem \asser die ursprĂŒngliche Form, Nach anderen
Versionen wird der Knabe von Pferdehirten gefunden und auferzogen,
nach einer spÀten Sage von einem Landmann, Melibios,.
ĂDIPUS. â JUDAS. â GREGORIUS. 26
ahnungslos seinen Vater Laios, befreit die Stadt durch die
Lösung eines RÀtsels von der Plage der Sphinx, eines menschen-
wĂŒrgenden Ungeheuers, und erhĂ€lt zum Lohn dafĂŒr die Hand
Iokastes, seiner Mutter, sowie den Thron seines Vaters. Die
EnthĂŒllung dieser Greuel und des Ădipus spĂ€teres UnglĂŒck Ă
war bei den griechischen Tragikern ein beliebter Gegenstand |
der Darstellung !),
Nach dem Muster der Ădipussage ist eine ganze Reihe von
christlichen Legenden gearbeitet; als Paradigma dieser Gruppe
sei kurz der Inhalt der Legende von Judas erzÀhlt: Vor seiner |
Geburt wird seine Mutter Cyborea durch einen Traum gewarnt,
sie werde einen ruchlosen Sohn, zum Verderben seines ganzen Volkes,
gebÀren. Die Eltern setzen den Knaben in einem KÀstchen
auf dem Meer aus. Die Wellen treiben das Kind an die Insel
Scariot, wo es die kinderlose Königin findet und als ihren Sohn
erzieht. SpÀter bekommt das Königspaar selbst einen Sohn und
da der Findling zurĂŒckgesetzt wird, erschlĂ€gt er seinen Pflegebruder,
Aus dem Lande flĂŒchtig, findet er einen Dienst am Hofe des
Pilatus, der ihn zu seinem Vertrauten erhob und ĂŒber sein ganzes
Hauswesen setzte. Einst im Streit erschlÀgt Judas einen
Nachbarn, ohne zu wissen, daĂ es sein Vater ist. Die
Witwe des Erschlagenen, also seine eigene Mutter, hei-
ratet er dann, Nach EnthĂŒllune dieser Greuel begibt er sich
reuig zum Heiland, der ihn unter seine Apostel aufnimmt, Sein
Verrat Jesu ist aus den Evangelien bekannt?).
Die Legende vom heiligen Gregorius auf dem Stein,
e ne ne a â
PAARE
) Goldziher berichtet (l. e. 216) eine arabische Parallele zur Ădipus-
sage: Nimrod wird infolge einer Weissagung ausgesetzt, durch ein Tiger-
weibehen (nimr) gerettet, sammelt, herangewachsen, ein Heer, tötet schlieĂ-
lich seinen Vater Kenaan und heiratet seine Mutter Saleha.
Auch vom GrĂŒnder der tĂŒrkischen Naâion wird erzĂ€hlt, er sei als Kind
aurgesetzt, gerettet und von einer Wölfin gesÀugt worden, die er spÀter
heiratete. (Stanislas Julien, Documents historiques sur les Tou- Kione (Tures),
traduit du chinois, Paris 1877, pp 2 sq. 25 sq.
?) Auf eine Möglichkeit der Identifizierung des Judas mit Jesus, d.h,
also der Ăbertragung mythischer ZĂŒge von diesem auf jenen, hat Reik
hingewiesen. (âDer eigene und der fremde Gott.â)
N a En nn nm nn u
26 KĂNIG DĂRĂB.
die Hartmann von Aue nacherzÀhlt hat, sei als komplizierter
Typus dieser Sagenform erwÀhnt. Gregor, das Kind aus der blut-
schĂ€nderischen Verbindung zweier FĂŒrstenkinder, wird von der
Mutter in einem KĂ€stchen auf dem Meer ausgesetzt, von
Fischern aufgefischt und aufgezogen und dann in einem Kloster
zum Geistlichen herangebildet. Er zieht aber das Ritterleben vor,
besteht siegreiche KÀmpfe und erhÀlt zum Lohn die Hand seiner
Mutter, der FĂŒrstin!), Nach Entdeckung des Inzests tut Gregorius
18 Jahre lang auf einem Felsen, der mitten im Meere steht, BuĂe
und wird schlieĂlich auf Gottes Befehl zum Papst gemacht.
Dieser Legende ganz Àhnlich ist die von Firdusi im Königs-
buche erzÀhlte iranische Sage vom König DÀrÀb, die Spiegel
(Eranische Altertumskunde II, 584) wiedergibt: Der letzte KaiÀnier
Behmen ernannte seine Tochter und gleichzeitige Gemahlin HumÀi
zu seiner Nachfolgerin, so daĂ sein Sohn SĂ€sĂ€in, aus VerdruĂ
hierĂŒber, sich in die .Einsamkeit zurĂŒckzog. Kurze Zeit nach
dem Ableben ihres Gemahls gebar HumÀi einen Sohn, den sie
auszusetzen beschloĂ. Er wurde in ein KĂ€stchen gelegt,
das in den Euphrat gesetzt wurde und den Strom hinab
trieb, bis es durch einen Stein aufgehalten wurde, den ein Walker
in das Wasser gelegt hatte. Der Walker fing das KĂ€stchen auf
und fand das Kind, welches er seiner Frau brachte, die kurz vor-
her ihr eigenes Kind verloren hatte. Das Ehepaar beschloĂ, den
Findling aufzuziehen, und als der Knabe heranwuchs, wurde
er bald so stark, daĂ die anderen Kinder es nicht mit ihm aufzu-
nehmen vermochten. Er hat keine Lust zu dem Handwerk des
Vaters, sondern bildet sich 'zum Kriegsmann aus, erzwingt von
seiner Pflegemutter das Geheimnis seiner Herkunft
und schlieĂt sich dem Heere an, das HumĂ€i gerade zur Be-
kĂ€mpfung des Königs von RĂŒm aussandte. Durch seine Tapferkeit
auf ihn aufmerksam gemacht, erkenne HumÀi in ihm leicht ihren
Sohn und ernennt ihn zu ihrem Nachfolger,
1) Das ungeheure Material der mittelalterlichen Inzestlegenden ist
eingehend behandelt in des Verfassers âInzestmotiv in Dichtung und Sageâ,
Leipzig und Wien 1912, Kapitel X.
et âST WERE
PARIS, 27
Paris.
Apollodorus erzÀhlt von der Geburt des Paris: König
Priamos hatte von seiner Gemahlin Hekabe einen Sohn Hektor.
Als Hekabe zum zweitenmal Mutter werden sollte, trÀumte
ihr, sie bringe ein brennendes Scheit zur Welt, das die ganze
Stadt in Brand setze. Priamos fragte den der Traumdeutung
kundigen Aisakos, seinen Sohn von der ersten Gemahlin
Arisbe, um Rat. Aisakos erklÀrte, das Kind werde der
Stadt Verderben bringen, und riet, es auszusetzen.
Priamos gab das KnÀblein einem Sklaven, der es auf den
Ida trug; der Mann hieĂ Agelaos. Das Kind wurde fĂŒnf
Tage lang von einer BÀrin genÀhrt. Als es Agelaos noch
lebend fand, hob er es auf und nahm es zu sich, um es auf-
zuziehen. Er nannte den Knaben Paris; als der aber ein
schöner und starker JĂŒngling geworden war, nannte man
ihn, weil er die RĂ€uber abwehrte und die Herden schĂŒtzte,
Alexandros. Nicht lange dauerte es, da fand er seine Eltern,
Auf welche Weise das geschah, erzÀhlt Hyeginus!), nach
dessen Bericht das ausgesetzte KnÀblein von Hirten ge-
[unden wird. Einst kommen Boten von Priamos zu diesen
Hirten, um einen Stier zu holen, der bei einer fĂŒr Paris ver-
anstalteten GedÀchtnisfeier als Kampfpreis dienen sollte. Sie
wÀhlten einen Stier, den Paris so lieb hatte, daà er den
MĂ€nnern, als sie das Tier wegfĂŒhrten, folgte, an den Kampf-
spielen teiinahm und den Preis gewann. Unwillie darĂŒber,
zĂŒckte sein Bruder Deiphobos das Schwert gegen ihn, aber
seine Schwester Kassandra erkannte ihn als ihren Bruderâ),
worauf Priamos ihn freudig als seinen Sohn aufnahm.
1) Die Hyginsche Fabel von der Jugend des Paris soll den Inhalt
einer griechischen Dichtung wiedergeben. Sophokles' Jugend des Paris
(âAlexandrosâ) ist (nach Robert: Philolog. Unters., Bd. V., 2371.) der Jugend
des Kyros bei Herodot nachgebildet, des Freundes des Sophokles, der
auch in der âElektraâ den Traum der Mandane zum Traum der Elektra
gemacht haben soll. (J.Classen in d. Verh, d. Kieler Philolog. Vers., S. 114.)
â LeĂömann vermutet (O.L. Z. 1905), daĂ in der Geschichte von Paris-
Alexandros eine phrygische Fassung der Kyrossage vorliege.
?) Bei Euripides spricht Kassandra, die sich der Aufnahme des
Alexandros widersetzt, auch aus, daĂ Hekabe in eine HĂŒndin verwandelt
|
)
f
|
|
|
25 ZAL. â TELEPHOS2.
Das spĂ€tere UnglĂŒck, das Paris durch den Raub der Helena
seiner Familie und seiner Vaterstadt brachte, ist aus den Homer-
schen Gedichten sowie ihren NachlÀufern, den Kyklikern, bekannt.
Einige Ăhnlichkeit mit der ErzĂ€hlung von der Geburt des
Paris hat das Gedicht von Zal in Firdusis Persischen Heldensagen
(ĂŒbers. v. Schack): Sam, dem König von Sistan, wird von einem
seiner Weiber der erste Sohn geboren. Da er weiĂes Haar hatte,
âverheimlichte die Mutter seine Geburt. Aber die Amme ver-
rĂ€t dem König die Geburt des Sohnes. Sam fĂŒhlt sich enttĂ€uscht
und befiehlt, das Kind auszusetzen, Die Knechte bringen es
auf den Berg Allurs, wo es der Simurgh, ein mÀchtiger Vogel
aufzieht. Den herangewachsenen JĂŒngling sieht einst eine vorĂŒber-
ziehende Karawane und berichtet von ihm, dem ein âVogel gut
genug sei zur Ammeâ. Einst, als Sam seinen Sohn im Traum
sieht, zieht er aus, um das ausgesetzte Kind zu suchen. Auf den
Gipfel des steilen Felsens, wo er den JĂŒngling endlich sieht, kann
er nicht hingelangen. Der Simurgh aber bringt ihm den Sohn herab,!)
den er nun freudig aufnimmt und zum Nachfolger in der Herrschaft
einsetzt.
Telephos.
Aleos, der König von Tegea, hatte gemÀà dem Ausspruch
des Orakels, seine Söhne wĂŒrden durch einen Abkömmling
seiner Tochter umkommen, seine Tochter Auge zur Prie-
sterin der Athene gemacht und ihr fĂŒr den Fall, als sie
einem Manne beiwohnen sollte, mit dem Tode gedroht. Als
aber Herakles auf dem Zuge gegen Augeias als Gast im Heilig-
tum der Athene verweilte, sah er die Jungfrau und tat ihr im
Rausche Gewalt an. Als Aleos ihre Schwangerschaft be-
merkte, ĂŒbergab er sie dem Nauplios, einem rauhen
Schiffsmanne, mit dem Auftrage, sie ins Meer zu werfen.
werden solle und diese Verwandlung findet sich schon in alten lyrischen
Versen, vermutlich von Alkman (Welcker, Der epische Cyclus, II, 90 ÂŁ.).
I) Das pers. âmurghâ (zendisch mörögha) bedeutet Vogel und Seele. (Vgl.
Geza Kuun u. J. Goldziher: Der Seelenvogel im islamischen Volksglauben
Globus LXAXXIIIL, Nr. 19 sowie Weicker: Der Seelenvogel, Leipzig 1902.)
TELEPHOS. â PERSEUS. 29
Unterwegs aber gebar sie auf dem Parthenios den Telephos,
und Nauplios, uneingedenk des ihm gegebenen Befehls, brachte
sie und das Kind nach Mysien und ĂŒbergab beide dem König
Teuthras.
Nach einer anderen Ăberlieferung gebar Auge heimlich
als Priesterin und hielt das Kind im Tempel verborgen. Als
Aleos den Frevel entdeckte, lieĂ er das Kind auf dem parthe-
nischen Gebirge aussetzen'); die Mutter sollte Nauplios im
Auslande verkaufen oder töten. Er ĂŒbergab sie dem Teuthras.
Nach der gelÀufigen Tradition setzt Auge das neuge-
borene Kind aus und flĂŒchtet nach Mysien, wo sie der kinder-
lose König Teuthras an Kindes statt annimmt. Der Knabe
aber wird von einer Hirschkuh gesÀugt und von Hirten
gefunden, die ihn zum König Korythos bringen. Der
zieht ihn als seinen Sohn auf. Als JĂŒngling begibt sich
Telephos auf den Rat des Orakels nach Mysien, um seine
Mutter zu suchen. Er befreit den hart bedrÀnsten Teuthras
von Seinen Feinden und erhĂ€lt zum Lohn dafĂŒr die Hand
der angeblichen Tochter des Königs, nÀmlich der Auge,
seiner eigenen Mutter. Sie weigert sich aber, sich dem
Telephos hinzugeben, und schon will er im Zorn die Wider-
spenstige durchbohren, da ruft sie in ihrer Angst ihren Ge-
liebten Herakles an und Telephos erkennt daran seine Mutter.
Nach dem Tode des Teuthras wird er König von Mysien.
Perseus.
Akrisios, der König von Argos, stand schon in hohem
Alter und hatte keinen mÀnnlichen Nachkommen. Da er einen
Sohn wĂŒnschte, befragte er das delphische Orakel, das ihn
jedoch vor mÀnnlicher Nachkommenschaft warnte. Seine
Tochter Danaö werde einen Sohn gebÀren, durch dessen
Hand er fallen mĂŒsse. Um das zu verhindern, verschloĂ
') Bei Euripides, von dem die Tragödien âAugeâ und âTelephosâ
existieren, lieĂ Aleos Mutter und Kind in einem Kasten ins Meer
werfen, der aber durch die FĂŒrsorge der Athene in die MĂŒndung des
mysischen Flusses Kaikos gelangte. Hier fand sie Teuthras und machte Auge
zur Gattin; ihr Kind nahm er als Pflegesohn in sein Haus.
. - - . Ben
30 PERSEUS. â DIONYSOS.
er seine Tochter in ein ehernes Gemach, das er streng
bewachen lieĂ. Aber Zeus drang als goldener Regen durch das
Dach in das Gemach ein, und Danaö wurde Mutter eines Knaben!).
Als Akrisios einst aus dem Gemach seiner Tochter die Stimme
des jungen Perseus hörte und so erfuhr, daà seine Tochter doch
geboren habe, tötete er dieAmme, die Tochter aber mit ihrem
Sohn trug er auf den Hausaltar des Zeus, um sich den Namen
des wahren Vaters beschwören zu lassen. Er glaubt aber der
Aussage der Tochter nicht, daĂ Zeus der Vater sei und schlieĂt
sie mit dem Kind in einen Kastenâ), den er ins Meer
wirft. Der Kasten wird von den Fluten an die KĂŒste von
Seriphos getragen, wo Diktys, ein Fischer, gewöhnlich ein
Bruder des Königs Polydektes genannt, Mutter und Kind
rettet, indem er sie mit seinen Netzen aus dem Meere
zieht. Diktys fĂŒhrt beide in sein Haus und hĂ€lt sie wie seine
Verwandten. Polydektes aber verliebt sich in die schöne Mutter
und da Perseus ihm im Wege stand, suchte er ihn zu
beseitigen, indem er ihn aussandte, das Haupt der Gorgo
Medusa zu holen. Perseus vollfĂŒhrt aber wider Erwarten des
Königs die gefÀhrliche Aufgabe und verrichtet noch zahlreiche
Heldentaten. Beim Diskoswerfen tötet er einst zufĂ€llig â dem
Orakel gemÀà â seinen GroĂvater. Er wird König von Argos,
dann von Tirynth und erbaut Mykene?).
Dionysos.
In der hellenischen Götter- und Sagengeschichte kehrt
das Motiv der Aussetzung fast bei allen mythischen Gestalten
regelmĂ€Ăig wieder. |
1) SpÀtere Schriftsteller, darunter Pindar, geben an, Dana sei nicht
von Zeus, sondern vom Bruder ihres Vaters geschwÀngert worden.
2) Simonides von Keos (fr. 37 ed. Bergk) spricht von einem âerzfesten
GehĂ€useâ, worin Dana&ö ausgesetzt worden sei. (Geibel, Klassisches Lieder-
buch, S, 62,)
3) Ăber die weite Ausbreitung und Verzweigung des Typus der Per-
seussage vgl. Sydney Hartland: Legend of Perseus. 3 vols. 1894 bis 1806.
Nach HĂŒsing (a. a. OĂ.) ist die Perseussage auch in Japan in mehreren
Varianten nachzuweisen.
â
DIONYSOS UND DER MYSTERIENKULT. 31
TE er I
Von besonderer Bedeutung ist die J ugrendgeschichte des
Dionysos, weil sie die Entstehung des Mysterienkultes in
sich schlieĂt.
Nach der von Pausanias (III, 24, 3 ÂŁ.) ĂŒberlieferten Version
aus Prasiai in Lakonien hatte Kadmos, als er entdeckte, daĂ
seine Tochter Semele vor der Ehe ein KnÀblein (von Zeus)
geboren hatte, Mutter und Kind in eine Truhe einge-
schlossen und ins Meer werfen lassen, das die Geretteten
an der Lakonischen KĂŒste ans Land spĂŒlte. Die Mutter ist tot,
aber ihre Schwester Ino nimmt sich des KnĂ€bleins mĂŒtter-
lieh an und zieht es als Amme auf. Im Verein mit ihren
Schwestern Autonoe und Agaue verbirgt sie â nach der von
Appian ĂŒberlieferten Sage â den Knaben aus Furcht vor Hera
und Pentheus im Gebirge. Dort, in einer Höhle, die man noch
spÀter als Heiligtum zeigte, bargen sie das KnÀblein in eine
Truhe aus Fichtenholz, bedeekten diese mit Rehfellen und
mit KrĂ€nzen von blĂŒhendem Epheu und umtanzten sie mit Musik,
um das Wimmern des SĂ€uglings zu ĂŒbertönen; so ĂŒbten sie
mit den böotischen Frauen, die sich zu ihnen gesellten, die
erste Geheimfeier um die versteckte Truhe. Dann wird
die heilige Lade mit dem Gott bekrĂ€nzt auf den RĂŒcken eines
Esels gesetzt und zum Gestade des Euripos geleitet, wo ein
Fischer sie nach Euboia ĂŒberfĂ€hrt. Aristaios erhĂ€lt dort in
seiner Höhle den kleinen Dionysos aus der Truhe der Ino,
der des Knaben mit Hilfe von Dryaden und bienenzĂŒchtenden
Nymphen wartet.
Nach Usener (Sintflut, 185) erscheinen die hier âvereinigten
Motive sonst getrennt. Die Bithynier kennen die Ankunft des
Dionysos auf einem Delphin ans Land; den Ioniern kommt
er im Schiff angefahren, ĂŒber dessen Deck sich die wunder-
bare Rebe breitet; aber er wird auch, in der Truhe einge-
schlossen, durch die Wellen von Lemnos her nach der Insel
Sikinos getragen und nach Patrai bringt Eurypilos das Schnitz-
bild des Dionysos in der Truhe. Auch von dem Esel wird
Dionysos durch die Fluten getragen, nach der von Philiskos
bearbeiteten DodonÀischen Sage.
32 APOLLO. â AINOS. â ADONIS. â ERICHTHONIOS.
mm nHnh»hŸ»na
Ăhnliches ĂŒber Apollos Geburt lĂ€Ăt sich aus kultischen Resten
erschlieĂen. In der NĂ€he der kretischen Niederlassung Xanthos und
am eleichnamigen Flusse lag ein Hain der Leto, nahe ein uralter
Tempel des lykischen Apollo, dessen GrĂŒndung die Dage folgender-
maĂen motiviert: Wölfe hatten die irrende Göttin hieher gefĂŒhrt
und hatten die Kinder nach der Geburt im Flusse gebadet; eine
alte Frau hatte sie in die Ă€rmliche HĂŒtte aufgenommen.
Eins Àhnliche Sage heftet sich auch an Ainos, den Heros der
Insel Delos, den Àltesten König und Priester des Apollo. Von seiner
Geburt erzÀhli Diodor (V, 62, 1f.): Rhoio, von Apollo schwanger,
wurde von ihrem Vater in einer Truhe ins Meer ausgesetzt,
die auf der Insel Delos landete. Dort wurde Rhoio von dem Knaben
entbunden, den sie Ainos, d. h. âKummervollâ nannte!), Sie legte
den SĂ€ugling auf den Altar des Apollo und betete, wenn er der
Vater des KnÀbleins sei, möge er sich seiner annehmen. Apollo
hob den Knaben auf, verbarg ihn anfangs, zog ihn aber dann auf.
Adonis, der Sproà aus der blutschÀnderischen Verbindung der
Smyrna mit ihrem Vater, wird von Aphrodite in einer Iruhe ver-
borgen, die sie der Unterweltsgöttin Persephone zur Bewachung
ĂŒbergibt. Diese öffnet das KĂ€stchen und ist von der Schönheit des
KnĂ€bleins so entzĂŒckt, daĂ sie es nicht mehr hergeben will. Zeus
entscheidet den Streit der beiden Göttinnen dahin, daà das Kind ein
halbes Jahr bei jeder verbleiben solle.
Ăhnlich verbirgt Athene den von der Erde geborenen Erich-
thonios in einem geflochtenen Korbe, wo er von Schlangen
bewacht wird und ĂŒbergibt ihn den drei Töchtern des Kekrops mit
dem Befehl, die Kiste nicht zu öffnen. Sie öffnen sie aber trotz
des Verbotes und sehen das KnÀblein mit der Schlange, worauf sie
sich in Raserei von dem Felsen der Akropolis stĂŒrzen. Nachdem
der Knabe, der im unteren Teil als Schlange gestaltet sein sollte,
herangewachsen war, ĂŒbergibt ihm der kinderlose Kekrops die Herr-
schaft ĂŒber Attika.
| Gilgamos.
Ălian, der um das Jahr 200 n. Chr. lebte, erzĂ€hlt in
seinen âTiergeschichtenâ die Geschichte eines von einem
1) Vgl. die heilige Genovefa und ihren Sohn âSchmerzenreichâ.
GILGAMOS. â KYROS. 33
a a nz â
Adler geretteten Knaben): âDen Tieren eigentĂŒmlich
ist auch die Menschenliebe. So ernÀhrte ein Adler ein Kind.
Ich will die ganze Geschichte erzĂ€hlen, um Zeugnis fĂŒr meine
Behauptung abzulegen. Als Senechoros ĂŒber die Babylonier
herrschte, sagten die chaldÀischen Wahrsager, der Sohn
der königlichen Tochter werde seinem GroĂvater das
Königreich entreiben; und dieser Ausspruch war eine Weis-
sagung der ChaldĂ€er. Diese fĂŒrchtete der König und wurde,
um scherzhaft zu reden, fĂŒr seine Tochter ein zweiter Akrisius,
denn er bewachte sie mit groĂer Strenge. Die Tochter aber
â denn das Schicksal war weiser als der Babylonier â gebar
heimlich von einem unscheinbaren Manne. Das Kind
warfen die WÀchter aus Furcht vor dem Könige von der
Akropolis herab; denn hier war die königliche Tochter ein-
geschlossen. Da sah der Adler mit seinen scharfen Ausen den
Tall des Knaben, ehe er gegen die Erde anschlug, nahm ihn
auf den RĂŒcken, trug ihn in einen Garten und setzte ihn hier
mit groĂer Behutsamkeit nieder. Wie nun der Aufseher des
Platzes das schöne KnÀbchen sieht, gewinnt er es lieb
und erzieht es; es bekommt den Namen Gilgamos und wird
König von Babylonien. Wenn jemand das fĂŒr eine Fabel
hÀlt, so habe ich nichts dagegen, ob ich gleich die Sache
nach KrĂ€ften geprĂŒft habe. Auch von Achaemenes, dem,
Perser, von dem der Adel der Perser herkommt, höre ich
daĂ er der Zögling eines Adlers gewesen seiâ?).
Kyros.
Die Sage von Kyros, die von den meisten Forschern â
wie es scheint nicht mit vollem Recht â in den Mittelpunkt
dieses ganzen Mythenkreises gestellt wird, ist uns in mehreren
') Claudius Aelianus, Hist. anim. XII, 21. Ăbersetzt v. Fr. Jakobs
(Stuttgart 1841).
?2\ Auch von PtolemÀus, dem Sohne des Lagos und der Arsino£, er-
zĂ€hlte man, ein Adler habe den ausgesetzten Knaben mit seinen FlĂŒgeln
gegen Sonnenschein, Regen und Raubvögel geschĂŒtzt (1. c.).
» Man vgl. dazu die Fabel Ganymeds mit dem Adler,
Rank, Der Mythus von der Geburt des Halden 2, Aull, 3
-
34 DIE KYROSSAGE NACH HERODOT.
Versionen ĂŒberliefert. Nach dem Berichte Herodots (um
450 v. Chr.), der selbst sagt (I, 95), daĂ er von vier ihm be-
kannten Versionen die am wenigsten glorifizierende gewÀhlt
habe, lautet die Geburts- und Jugendgeschichte des Kyros
(2: 107-018.)
In der KönigswĂŒrde ĂŒber die Meder folgte dem Kyaxares
sein Sohn Astyages. Dieser hatte eine Tochter mit Namen
Mandane. Einst sah er sie im Traum, wie so viel Wasser
von ihr ging, daĂ seine ganze Stadt davon erfĂŒllt
und ganz Asien ĂŒberschwemmt wurde. Er legte also den
Traumdeutern unter den Magiern seinen Traum vor und
fĂŒrchtete sich sehr, da sie ihm alles erklĂ€rten. Als darauf
Mandane mannbar wurde, gab er sie keinem Meder, der
hm ebenbĂŒrtig gewesen wĂ€re, sondern einem Perser mit
Namen Kambyses.: Dieser war aus einem guten Hause und
von ruhiger Lebensweise und er hielt ihn fĂŒr geringer als
einen Meder vom Mittelstande Als nun Mandane Kambysesâ
Frau war, sah Astyages im ersten Jahre ein anderes Traum-
gesicht. Er trĂ€umte, es wĂŒchse aus seiner Tochter SchoĂ ein
Weinstock empor, und dieser Weinstock ĂŒberschatte ganz
Asien. Und als er dieses Gesicht abermals den Traumdeutern
vorlegte, lieĂ er seine Tochter, die schwanger war, aus Persien
holen. Und als sie angekommen war, bewachte er sie,
weil er ihr Kindlein umbringen wollte Denn es
hatten ihm die Traumdeuter unter den Magiern geweis-
sagt, seiner Tochter Sohn wĂŒrde König werden an
seiner Statt. Um das nun von sich abzuwenden, lieĂ er, als
Kyros zur Welt gekommen war, den Harpagos rufen, der
sein Verwandter und sein Vertrautester unter den Medern
war und den er ĂŒber alle seine GeschĂ€fte gesetzt hatte. Zu
diesem sprach er:
âLieber Harpagos, ich werde dir ein GeschĂ€ft ĂŒbertragen,
das muĂt du mir gewissenhaft ausfĂŒhren. Aber hintergehe
mich nicht und nimm keinen anderen dazu, es könnte dir
a
1) Fr. Lange: Herodots Geschiehten (Reclam). Vgl. auch Dunckers
Gesch. d. Altertums (Leipzig 1280), IVâ, S. 256 u.ff. .
DIE KYROSSAGE NACH HERODOT. 35
einmal ĂŒbel bekommen. Hier nimm den Knaben, den
Mandane zur Welt gebracht, trag ihn in dein Haus und
bring ihn um. Nachher kannst du ihn begraben, wie und
auf welche Art du willst.â
Harpagos aber antwortete: âGroĂer König, nie hast du
vordem deinen Knecht ungehorsam befunden und auch in
Zukunft will ich mich bewahren, daĂ ich nicht vor dir sĂŒndige.
Wenn dies dein Wille ist, so ziemt mir, ihn treulich auszu-
richten.â
Als Harpagos dieses gesagt hatte und ihm das KnÀblein
mit allem Schmuck zum Tode ĂŒberantwortet war, ging er
weinend nach Hause. Und wis er dort angekommen war, er-
zÀhlte er seiner Frau alles, was ihm Astyages gesagt. Diese
aber sprach zu ihm: âWas denkst du denn zu tun?â
Er aber antwortete: âIch werde dem Astyages nicht
gehorchen und wenn er gleich noch zehnmal Ă€rger wĂŒtete
und raste als jetzt, so will ich dennoch nicht seinen Willen tun
und mich zu solcher Mordtat verstehen Und dazu habe ich
viele GrĂŒnde. Denn erstlich ist der Knabe mein Blutsverwandter
und dann ist Astyages alt und hat keinen mÀnnlichen Erben.
Wenn er nun stirbt und das Königreich an seine Tochter fÀllt
deren Sohn er jetzt durch mich umbringen will, laufe ich da
nieht die gröĂte Gefahr? Doch meiner Sicherheit wegen soll
der Knabe sterben; es soll aber einer von Astyages Leuten
sein Mörder sein, keiner von meinen.â
So sprach er und sofort sandte er einen Boten aus zu
einem von Astyagesâ Rinderbirten, der, wie er wuĂte, gerade
auf recht schieklicher Hutung hĂŒtete, auf Bergen voll reiĂender
Tiere, und dessen Name war Mithradates. Sein Weib war auch
eine Leibeigene des Astyages und .der Name des Weibes war
Kyno auf griechisch, auf medisch aber Spako?).
Als nun der Hirt auf Harpagosâ Befehl mit gröĂter Eile
herbeikam, sprach Harpagos also zu ihm: âAstyages gebietet
dir, dieses KnÀblein zu nehmen und in dem wildesten
1) Zum Namen Iraxo vgl. Jak. Grimm, Gesch. d. deutsch. Sprache, 89.
Anmerkung.
g#
m U nn a nn a se ee
TE
36 DIE KYROSSAGE NACH HERODOT.
ee 779:::-°22EERSEEEEE - - Zn
Gebirge auszusetzen, daà es so bald als möglich umkomme,
und also hat er mir geboten, dir zu sagen: âWenn du es nicht
umbringst, sondern am Leben erhĂ€ltst, auf was fĂŒr eine Art
es sein mag, so sollst du des schmÀhlichsten Todes sterben.
Und ich habe den Befehl, nachzusehen, ob es wirklich ausge-
gesetzt ist.â Und als der Hirt das vernommen hatte, nahm er
das KnĂ€blein und ging wieder heim und kam in seine HĂŒtte.
Und sein Weib war schwanger und hatte ihre Wehen den
ganzen Tag und es traf sich, daĂ sie gerade gebar, als
der Hirt in die Stadt gegangen war. Und sie waren in groĂer
Sorge einer um den anderen. Als er nun aber wieder da war
und die Frau ihn unverhofit wiedersah, fragte sie zuerst, warum
Harpagos ihn denn gar so eilig habe rufen lassen. Er aber
sprach: âLiebes Weib, was ich in der Stadt gesehen und gehört
habe, das, wollte ich, hÀtte ich nimmer gesehen und wÀre
nimmer unserer Herrschaft widerfahren. Harpagosâ Haus war
mit Jammer und Wehklagen erfĂŒllt. Das fiel mir auf, doch
ging ich hinein. Und alsbald, nachdem ich eingetreten war,
sah ich ein KnÀblein vor mir liegen, das zappelte und schrie
und war geschmĂŒckt mit Gold und bunten Kleidern. Als Har-
pagos mich gewahrte, gebot er mir, eiligst das KnÀblein zu
nehmen und auszusetzen an den wildesten Ort des Gebirges,
und er sagte, Astyages hĂ€tte es befohlen, und fĂŒcte noch
schreckliche Drohworte hinzu, wenn ich es nieht tÀte. Und ich
nahm das Kind und ging mit ihm weg, in der Meinung, es
sei der Diener eines; denn noch lieà ich mir nicht trÀumen,
daà es daher entsprossen sei. Unterwegs aber hörte ich die '
ganze Geschichte von dem Diener, der mich aus der Stadt
geleitet und mir das KnÀblein eingehÀndigt hatte: daà es ein
Sohn der Mandane sei, der Tochter des Astyages und des
Kambyses, des Sohnes des Kyros, und daĂ Astyages geboten
habe, ihn umzubringen, und siehe, hier ist er!â
Als der Hirt so gesprochen hatte, enthĂŒllte und zeigte
er das Kind und als das Weib sah, das es ein starkes
und schönes Kind war, weinte sie und fiel ihrem
Mann zu FĂŒĂen und bat ihn, -es doch ja nicht aus-
zusetzen. Er aber sagte, er könne nicht anders, denn
BE me on
KYROS. â CANDRAGUPTA. 37
Harpagos wĂŒrde Diener herausschicken, die nachsehen sollten;
er mĂŒĂte des schmĂ€hlichsten Todes sterben, wenn er es nicht
tĂ€te. Da sprach sie abermals: âKann ich dich denn nicht
bewegen, nun so mache es so, wenn sie schlechterdings ein
ausgesetztes Kind sehen mĂŒssen; auch ich habe geboren,
aber ein totes Kind; nimm das und setze es aus
und den Sohn der Tochter des Astyages wollen wir
aufziehen wie unser eigenes Kind. So wirst du nicht als
ein ungehorsamer Knecht befunden werden, noch werden wir
uns selbst schlecht beraten. Denn unser totgeborenes Kind
wird einer königlichen Bestattung teilhaftig werden und dem,
lebenden wird das Leben erhalten.â Der Hirt tat, wie seine
Frau gebeten und geraten hatte. Er legte seinen toten Knaben
in einen Korb, tat ihm den ganzen Schmuck des anderen an
und setzte ihn auf dem ödesten Berge aus. Drei Tage darauf
meldete er dem Harpagos, daĂ er nun des Knaben Leichnam
zeigen könne. Da schickte Harpagos seine getreuesten Leib-
wÀchter und lieà den Sohn des Rinderhirten begraben. Den
anderen aber, der nachher Kyros hieĂ, erzog das Hirtenweib. Sie
nannten ihn aber nicht Kyros, sondern gaben ihm einen anderen
Namen!).
Und als der Knabe zwölf Jahre alt war, kam es heraus
durch folgenden Umstand: Er spielte in dem Dorfe, wo auch
die Rinder standen, mit anderen Knaben seines Alters im
Wege. Und die Kuaben spielten König und wÀhlten des
Rinderhirten angeblichen Sohn). Er aber ordnete sie,
1) Der Name, unter dem Kyros bei den Hirten aufwÀchst, wÀre nach
Strabo âAgradaiesâ gewesen. Den Namen Cyrus (gr. Kyros, was nur eine
GrÀzisierung des persischen Kores, Koresch, d. h. die Sonne ist) nahm er
wahrscheinlich erst spÀter als König von Persien an. Der Name wird in
den Ă€ltesten schriftlichen Urkunden in babylonischer Sprache âKuraschâ,
der groĂe König, der mĂ€chtige König, der König von Babel genannt.
âKuraschâ bedeutet aber im Susischen âHirte (ist er)â. (GrundriĂ d. iran,
Philol , S. 41öff.)
2) Das gleiche Königspiel findet man in der indischen Sage von
Candragupta, dem GrĂŒnder der Maurjadynastie, den seine Mutter nach
seiner Geburt in einem GefÀà an dem Tore eines Kuhstalles aussetzte, wo
ihn ein Hirt fand und aufzog. SpÀter kam er zu einem JÀger, wo er als
%
TE RE m u
-â
38 KYROS. â DAS MOTIV DES KONIGSPIELS.
| | EEE SEES
die einen, daà sie HÀuser bauten, die anderen zu LanzentrÀgern;
diese machte er zum Auge des Königs, jenen gab er das Amt,
die Meldungen hereinzubringen, kurz, jedem gab er s«in eigenes
GeschÀft. Einer aber von den Knaben, welche mitspielten, war
Artembaresâ Sohn, eines achtbaren Mannes unter den Medern,
und da er nicht tat, was ihm Kyros befabl, hieĂ dieser die
anderen Knaben ihn ergreifen. Und die Knaben gehorchten
und Kyros zĂŒchtigte ihn mit recht derben SchlĂ€gen. Kaum
aber lieĂen sie ihn los, so war er gewaltig böse, als wĂ€re man
mit ihm unwĂŒrdig umgegangen. Und er lief in die Stadt und
ı klagte seinem Vater, was Kyros ihm getan. Er sagte aber nicht
Kyros, denn so hieĂ er noch nicht, sondern des Rinderhirten
Sohn. Artembares aber ging mit seinem Sohne voller Zorn
zu Astyages, sagte, das wĂ€re eine ganz unwĂŒrdige Behandlung
und sprach also: âGroĂer König, von deinem Knechte, des
Hirten Sohn, erleiden wir so schmĂ€hliche Behandlungâ; und
er zeigte ihm seines Sohnes Schultern.
Als Astyages dies hörte und sah, wollte er dem Knaben
Genugtuung verschaffen um Artembaresâ willen und lieĂ den
Kuhhirte mit den anderen Knaben das Königspiel spielte und als König
befahl, den schweren Verbreehern HĂ€nde und FĂŒĂe abzuhauen. (Das weit-
verbreitete ZerstĂŒckelungsmotiv kommt auch in der Ryros-Sage vor.) Auf
seinen Befehl kehrten die abgehauenen Glieder dann wieder an ihre Stelle
\ zurĂŒck. KĂ€nakja, der einmal dem Spiele zusah, bewunderte den Knaben,
kaufte ihn dem JĂ€ger fĂŒr ein Tausend KĂ€rshĂ€pana ab und entdeckte
dann zu Hause, daĂ er ein Maurja sei. (Nach Lassen: Ind. Altertumskunde
II, 1926, Anm. 1.) Zum âKönigspielâ: Als Moses mit drei Jahren wĂ€hrend
einer Mahlzeit die Krone vom Haupte des Königs herabnahm und sie sich
aufsetzte, gemahnte Biieam den König an seinen Traum und forderte die
Hinrichtung des Kindes (GrĂŒnbaum: Neue Beitr. z. semit, Sagenkunde).
Nach Josephus (JĂŒd. Altert. Il, 7) nahm der Pharao auf Wunsch Seiner
Tochter den Moses an Kindesstatt an und setzte ihm zum Zeichen dessen
die Krone aufs Haupt, die der Kleine jedoch in kindischer Weise zu Boden
warf und mit FĂŒĂen trat, worin man eine schlimme Vorbedeutung fĂŒr den
König erbliekte. â Nero lĂ€Ăt seinen Stiefsohn Rufius Crispinus ersĂ€ufen,
weil er gehört hatte, er stelle beim Sp'elen Feldherrn und Regenten dar
(Sueton, e. 35). Vgl. auch das Spiel in der Gregorlegende, wobei Gregorius
seinen Pflegebruder schlÀgt und von seiner Pfilegemutter Basıard gescholten
wird,
u a
DIE KYROSSAGE NACH HERODOT. 39
© = m -
a
Rinderhirten samt seinem Sohne rufen. Und als beide da
waren, sah Astyages den Kyros an und sprach:
âDu, eines so geringen Mannes Sohn, hast dich
erdreistet, so schmÀhlich den Sohn eines Mannes, der bei mir
in groĂen Ehren steht, zu behandeln?â
Er aber antwortete: âHerr, dem ist nichts als sein Recht
geschehen. Denn die Knaben im Dorfe spielten (er war auch
â darunter) und machten mich zu ihrem Könige, denn sie
olaubten, ich eignete mich am besten dazu. Und die anderen
Knaben taten, was ihnen geboten war, der aber war unge-
horsam und machte sich gar nichts aus mir. DafĂŒr hat er
seinen Lohn empfangen. Habe ich darum Strafe verdient, siehe,
hier bin ich!â |
Als der Knabe also redete, erkannte ihn Astyages sofort.
Denn die ZĂŒge des Gesichtes deuchten ihm wie seine eigenen
und die Anwort war wie die eines Edlen; auch traf, wie ihm
deuchte, die Z:it der Aussetzung zusammen mit dem Alter
des Knaben. Das fiel ihm auf das Herz und er blieb eine
Zeitlang sprachlos. Kaum aber war er wieder zu sich gekommen
so sprach er, denn er wollte gern den Artembares los sein
auf daà er den Rinderhirten ohne Zeugen verhörte, also:
âLieber Artembares, ich werde dafĂŒr sorgen, daĂ weder
du noch dein Sohn sich beklagen soll.â Also entlieĂ er den
Artembares. Den Kyros aber fĂŒhrten die Diener hinein auf
Astyagesâ Befehl und der Rinderhirte muĂte da bleiben. Und
als er nun ganz allein mit ihm war, fragte ihn Astyages aus,
wo er den Knaben her hĂ€tte und wer ihm denselben ĂŒbergeben.
Der Hirt aber sagte, es wÀre sein eigener Sohn und
das Weib, das ihn geboren, lebe bei ihm. Da sayte
Astyages, es wÀre recht unklug von ihm gehandelt, daà ihn
so verlangte nach der grausamsten Marter, und dabei winkte
er den LanzentrÀgern, daà sie ihn ergriffen. Der Hirt aber
gestand, als man ihn zur Marterbank fĂŒhrte, die ganze Geschichte
von Anfang bis zu Ende nach aller Wahrheit und am Ende
legte er sich aufs Bitten und flehte um Verzeihung und Gnade.
Astyages aber war auf den Hirten, der ihm die Wahrheit
offenbart hatte, nicht so erzĂŒrnt wie auf Harpagos; er gebot
40 DIE KYROSSAGE NACH HERODOT.
den LanzentrÀgern, ihn zu rufen, und als Harpagos vor ihm
stand, fragte ihn Astyages also:
âLieber Harpagos, auf welche Art hast du denn meiner
Tochter Sohn ums Leben gebracht, den ich dir damals
ĂŒbergab?â
Und als Harpagos den Hirten gewahrte, wandte er sich
nicht auf den Weg der Unwahrheit, aus Furcht, er möchte
sogleich ĂŒberfĂŒhrt werden.
Harpagos also erzÀhlte die Wahrheit. Astyages aber ver-
barg den Zorn, den er wegen der Geschichte auf ihn ge-
worfen hatte, und erzÀhlte ihm zuerst, was er von dem Hirten
erfahren hatte; dann kam er darauf, daĂ der Knabe noch
lebte, und daà es so recht schön gekommen sei. Denn, sagte
er, es hat mir groĂen Kummer gemacht, was ich an dem
Kinde getan habe, und meiner Tochter VorwĂŒrfe sind mir
durch die Seele gegangen. Da aber die Sache so schön ze-
kommen ist, so schicke doch fĂŒrs erste deinen Sohn her zu
unserem neuen Ankömmling und dann komm doch zu mir.
zu Tische, denn ich bin willens, den Göttern, die das voll-
fĂŒhrt haben, einen Dankschmaus anzurichten. Ă
Als Harpagos dies vernahm, warf er sich vor dem Könige
zur Erde nieder und pries sich glĂŒcklich, daĂ sein Versehen
âzum Guten ausgeschlagen sei und daĂ er zu Tische geladen
wĂŒrde wegen einer glĂŒcklichen Begebenheit, und eing nach
Hause. Und als er nach Hause gekommen war, schickte er
sofort seinen Sohn weg â es war sein einziger und unge-
fĂ€hr dreizehn Jahr alt â und gebot ihm, zu Astyages zu gehen
und zu tun, was der ihm befehle, und er selber voll srober
Freude erzÀhlte seiner Frau, was ihm widerfahren war.
Astyages aber schlachtete des Harpagosâ Sohn als dieser zu
ihm kam, schnitt ihn in StĂŒcke und briet das Fleisch zum
Teil, zum Teil lieĂ er es kochen, und da alles wohl bereitet
war, hielt er es fertig. Darauf, als die Stunde des Mahles da
war, kamen Harpagos und die ĂŒbrigen GĂ€ste. Vor Ăstyages
nun und den ĂŒbrigen ward ein Tisch angerichtet mit Hammel-
fleisch, dem Harpagos aber ward seines eigenen Sohnes Fleisch
aufgetragen, ohne den Kopf und das Klein von HĂ€nden und
Ze 7.
a â
41
DIE KYROSSAGE NACH HERODOT. E
FĂŒĂen, das andere alles. Dies lag besonders verdecktin einem
Korbe. Als nun Harpagos gesÀttigt zu sein schien, fragte ihn
Astyages, ob ihm das Gericht gut geschmeckt hÀtte, und als
Harpagos versicherte, es hÀtte ihm sehr gut geschmeckt,
brachten die Diener, die dazu bestellt waren, seines Sohnes
verdeckten Kopf nebst HĂ€nden und FĂŒĂen und traten vor
Harpagos und hieĂen ihn aufdecken und nehmen, was ihm
beliebte. Und Harpago tat also, deckte auf und erblickte die
Ăberbleibsel seines Sohnes. Und als er das sah, entsetzte er
sich nicht, sondern verbiĂ es. Da fragte ihn Astyages, ob er
wohl wĂŒĂte, von welchem Wildpret er gegessen habe, und er
anwortete, er wisse es sehr wohl, und was der König tue, das
sei alles wohlgetan. Also sprach er, nahm das ĂŒbrige Fleisch
und ging damit nach Hause. Hier, denke ich, wollte er es zu-
sammen begraben.
Dem Harpagos nun hatte Astyages eine solche Rache
bereitet, ĂŒber Kyros aber ging er zu Rat und hieĂ dieselben
Magier rufen, die ihm den Traum ausgelegt hatten, und fragte
sie, wie sie ihm jenes Traumgesicht damals ausgelegt hÀtten.
Sie aber sagten wieder ebenso: Der Knabe mĂŒĂte König werden,
wenn er am Leben bliebe und nicht zuvor stĂŒrbe Er aber
antwortete folgendes:
âDer Knabe lebt und ist da, und da er sich auf dem
Lande aufhielt, haben sich ihn die Knaben des Dorfes zum
König gewÀhlt. Er hat aber alles so gemacht wie die wirk-
lichen Könige. Denn er hat sich als Herrscher LanzentrÀger
und TorwÀrter und Botschaftbringer bestellt und alles. Was
dĂŒnkt euch nun dieses zu bedeuten?â
Die Magier antworteten: âWenn der Knabe lebt und König
eewesen ist ohne jemandes Zutun, so kannst du seinetwegen
dich zufrieden geben und guten Mutes scin; denn nunmehr
wird er nicht zum anderen Male König werden. Denn auch uns
sind schon etliche Weissagungen auf das Unbedeutende ge-
eangen und leicht wird nichtig, was auf TrÀumen beruht.
Astyages antwortete: âIhr Magier, ich bin ganz eurer
Meinung, daĂ der Traum in-ErfĂŒllung gegangen sei, da der
Knabe dem Namen nach König âgewesen ist, und daĂ ich nichts
j
}
{
|
en an Mh nu u a A u een
1 ne
42 KYROS. â ARDASCHIR.
mehr von ihm zu fĂŒrchten habe. Aber dennoch ratet mir vor-
sichtig, was das Sicherste sei fĂŒr mein Haus und fĂŒr euch.â
Darauf sprachen die Magier: â â â â â â â âDen
Knaben sende fort, daĂ er dir aus den Augen komme, ins
Perserland zu seinen Eltern.â
Als Astyages das vernommen hatte, freute er sich sehr,
Er hieĂ den Kyros kommen und sprach zu ihm:
âMein Sohn, ich habe dir groĂes Unrecht getan, durch
ein trĂŒgerisches Traumbild verfĂŒhrt, doch dein gutes GlĂŒck
hat dich gerettet. Jetzt gehe freudigen Mutes nach dem Perser-
land, ich werde dich geleiten lassen; da wirst du einen ganz
anderen Vater und eine ganz andere Mutter finden als
den Hirten Mithradates und sein Weib.â Also sprach
Astyages und sandte den Kyros fort. Als er zur Behausung
des Kambyses kam, empfingen ihn die Eltern mit groĂer Freude,
nachdem sie erfahren hatten, wer er sei, da sie glaubten, er
sei damals umgekommen, und verlangten zu wissen, auf welche
Weise er erhalten worden sei. Er sagte ihnen, daĂ er gemeint
habe, der Sohn des Rinderhirten zu sein; aber von den Ge-
leitern, die Astyages ihm mitgegeben hÀtte, habe er unterwegs
alles erfahren. Er erzÀhlte, daà ihn des Rinderhirten Weib
aufgezogen habe, er lobte sie durchaus und die HĂŒndin (die Spako)
war die Hauptsache in seinen Reden. Diesen Namen oriffen die
Eltern auf, damit den Leuten die Erhaltung des Kindes um so
wunderbarer vorkÀme, und legten so den Grund zu der Sare,
daĂ eine HĂŒndin den ausgesetzten Kyros gesĂ€uct habe.
SpÀter wiegelt Kyros, von Harpagos angespornt, die Perser
gegen die Meder auf. Es kommt zum Krieg und Kyros, an der
Spitze der Perser, besiegt die Meder in der Schlacht. Astyaoes
wird lebend gefangen genommen, aber Kyros tat ihm kein Leid,
sondern behielt ihn bei sich bis an sein Ende. Herodots Bericht
schlieĂt dann mit den Worten: âDie Perser aber und Kyros
herrschten von der Zeit an ĂŒber Asien. Also ward Kyros ge-
boren und auferzogen und ward Königâ!),
!) Es ist bemerkenswert, daĂ die Sage an den BegrĂŒnder des zweiten
persischen Reiches, Ardaschir, Ă€hnlich wunderbare und romantische ZĂŒge
wie an Cyrus knĂŒpft, Vgl. Noeldecke (Aufs. z. pers. Gesch., Leipzig 1887),
-
KYROS NACH JUSTINUS.
Der Bericht des Pompejus Trogus ist uns nur in Justins!)
Auszug erhalten: Astyages hatte zwar eine Tochter, aber keinen
mÀnnlichen Erben. Er sah im Traum aus ihrem Schoà einen
Weinstock aufwachsen, dessen SchöĂlinge ganz Asien
ĂŒberschatteten. Die Traumdeuter erklĂ€rten, daĂ das Gesicht die
GröĂe des Enkels, den seine Tochter gebĂ€ren werde, ihm aber
den Verlust der Herrschaft bedaeute. Dieser Furcht ledig zu
werden, habe Astyages seine Tochter weder einem hervorragenden
Manne noch einem Meder zur Frau gegeben, damit nicht das vÀter-
liche neben dem mĂŒtterlichen Ansehen den Sinn des Enkels erhebe,
sondern dem Kambyses, einem mittleren Manne aus dem damals un-
bekannten Volke der Perser, Aber auch dies habe des Astyages
Furcht nicht beseitigt: er habe die schwangere Tochter zu sich be-
schieden, um deren Frucht unter seinen Augen töten zu
lassen. Als ein Knabe geboren war, gab er ihn dem Harpagos,
seinem Freunde und Vertrauten, um ihn zu töten. Aus Furcht, daĂ
des Astyages Tochter, wenn die Regierung nach dem Tode des
Vaters an sie komme, fĂŒr den Tod ihres Knaben an ihm Rache
nehmen werde, ĂŒbergab er das Kind dem Hirten des
Königs zur Aussetzung. Zu derselben Zeit, als Kyros
geboren wurde, war zufÀllig auch dem Hirten ein Sohn ge-
boren worden, Als sein Weib gehört hatte, daà das Kind des
Königs ausgesetzt sei, bat sie dringend, es möge ihr gebracht werden,
damit sie es betrachten könne. Der Hirt lieà sich durch ihre
Bitten bewegen und kehrte in den Wald zurĂŒck. Hier fand er
neben dem Kind eine HĂŒndin stehen, die ihm ihre Euter
hinhielt und die Tiere und Vögel von ihm abwehrte. Bei
diesem Anblick wurde er von gleichem Mitleid ergriffen wie die
der auch die Geschichte des ArtachSir aus dem Pehlewi ĂŒbersetzte (Festschr.
{. Benfey). Derselbe Stoff ist behandelt von Firdusi im âSchĂ€hnĂ€meâ (vgl.
Gutschmied in Zschr. d.D.M. G. 34, 585 ff.) Auch Cyrus, dem ReichsgrĂŒnder
in Tibet (im 4. Jahrh, v. Chr.), wird â wie Schmidt in seiner Gesch. d,
Ostmongolen ($. 20 bis 27) versichert â eine an die Findung des Cyrus bei
Herodot erinnernde Kindheitsgeschichte angedichtet
1) Justinus: Auszug aus des Pompeius Trogus Philippischer Geschichte
(1, 4 bis 7). So weit Justins Anszug erkennen lĂ€Ăt, dĂŒrften der ErzĂ€hlung
des Trogus Deinons (in der ersten HĂ€lfte des 4. Jahrh. v. Chr. geschrie-
bene) persische Geschichten zugrunde liegen.
mer mn Li =
.â â - a h = =.
| ââ_ 7 ââ
â
44 KYROS NACH KTESIAS.
HĂŒndin. Er nalım daher den Knaben auf und trug ihn in seine
Wohnung, wobei die HĂŒndin ihm voller Besorgnis folgte. Als
seine Frau den Knaben auf ihren Arm nahm, lÀchelte er sie an,
als ob sie ihm schon bekannt wÀre; und da er sehr krÀftig war
und sich durch sein anmutiges LĂ€cheln bei ihr einschmeichelte, so
bat sie den Hirten aus freien StĂŒcken, er möchte (ihr Kind
statt jenes aussetzen und)!) erlauben, den Knaben aufzu-.
ziehen, sei es daĂ sie sein GlĂŒck im Auge hatte oder daĂ sie
auf ihn ihre Hoffnung setzte. So muĂten nun beide Knaben
ihr Los vertauschen: der eine wurde an Stelle des Hirten-
kindes aufgezogen, der andere wurde statt des Enkels
des König ausgesetzt.
Die Fortsetzung dieses anscheinend ursprĂŒnglicheren Berichtes
stimmt mit der Herodotischen ErzĂ€hlung im wesentlichen ĂŒberein.
Eine ganz abweichende Version aber ist uns erhalten in
dem Bericht eines Zeitgenossen Herodots, des Ktesias, dessen
Verlust durch ein Fragment des Nikolaos von Damaskos?) aus-
geglichen wird. âDas Fragment des Nikolaos gibt die ErzĂ€hlung
des Ktesias, die in seiner persischen Geschichte mehr als ein
Buch umfaĂte, zusammenfassend wieder: Astyages soll der edelste
König der Meder nach dem Arbakes gewesen sein. Unter seiner
Herrschaft geschah die groĂe Umwandlung, durch welche die Herr-
schaft von den Medern an die Perser kam, und zwar aus fol-
gender Ursache, Es war ein Gesetz bei den Medern, daĂ der
Arme, welcher des Unterhaltes wegen zum Reichen geht und sich
ihm ĂŒbergibt, von diesem ernĂ€hrt und gekleidet und einem Sklaven
gleichgehalten werde; gewÀhrt der Reiche das nicht, so steht es
dem Armen frei, zu einem anderen zu gehen, So kam ein Knabe
des Namens Kyros, von Geburt ein Meder, zu dem Diener des
Königs, der ĂŒber die Palastkehrer gesetzt war, Kyros war der
Sohn des Atradates, der aus Armut vom Raube, und
dessen Frau, Argoste, des Kyros Mutter, davon lebte, daĂ
sie Ziegen hĂŒtete. Kyros ĂŒbergab sich jenem des Brotes wegen,
reinigte im Palaste und da er fleiĂig war, gab ihm der Vorsteher
!) Dieeingeklammerten Worte sollen in manchen Handschriften fehlen.
2) Nicol., Damascen, Fragm. 66. Ctes, Fragm, Pers. ?, 5.
KYROS NACH KTESIAR. 45
En u En er sn Zn iin nn
bessere Kleidung und brachte ihn von denen, welche auĂen
kehrten, zu denen, die im Innern beim Könige reinigten, und
stellte ibn unter deren Aufseher. Der aber war streng und
peitschte den Kyros oft. Kyros verlieĂ diesen und ging zum
LichtanzĂŒnder, der ihn gern hatte und dem Könige nĂ€herbrachte,
indem er ihn unter dessen LichttrÀger setzte. Da Kyros sich auch
unter diesen auszeichnete, kam er zum Artembares, der den
Weinschenken vorstand und dem Könige selbst die Schale dar-
reichte. Dieser nahm den Kyros gern an und hieĂ ihn, den Tisch-
genossen des Königs einschenken. Nicht lange darauf bemerkte
Astyages, wie geschickt und gewandt Kyros aufwartete und wie
stattlich er die Schale darreichte, und fragte den Artembares,
woher der JĂŒngling sei, der so gut einschenke, âO Herrâ, sagte
jener, âer ist dein Sklave, ein Perser von Geschlecht, aus dem
Stamme der Marder, der sich mir, um sein Leben zu fristen,
ĂŒbergeben hat.â Artembares war alt und einst, als er vom Fieber
ergriffen war, bat er den König, zu Hause bleiben zu dĂŒrfen,
bis er genesen sei: âStatt meiner wird der JĂŒngling, welchen du
lobst, den Wein schenken, und wenn er dir, dem Herrn, als
Schenke genĂŒgen sollte, so werde ich, der Eunuch, ihn zum
Sohn annehmen.â Astyages war es zufrieden, jener aber empfahl
dem Kyros vieles wie einem Sohne. Kyros stand nun an der
Seite des Königs und schenkte ihm bei Tage urd zur Nacht ein
und zeigte viel Besonnenheit und TĂŒchtigkeit. Und Astyages gab
ihm, als dem Sohne des Artembares, dessen EinkĂŒnfte und fĂŒgte
noch viele Geschenke hinzu und Kyros war groĂ und man
hörte seinen Namen ĂŒberall,
Astyages aber hatte eine sehr edle und schöne Toclhter!).
Diese gab er dem Meder Spitamas und fĂŒgte ganz Medien
als Mitgift hinzu. Da lieĂ Kyros seinen Vater und seine Mutter
aus dem Lande der Meder kommen und sie freuten sich des An-
sehens ihres Sohnes und seine Mutter erzÀhlte ihm den
Traum, welchen sie gehabt, als sie ihn im SchoĂe ge-
tragen, und die Ziegen hĂŒtend, im Heiligtum. eingeschlafen sei:
Es sei so viel Wasser von ihr gegangen, daĂ es einem
1) Diese Tochter heiĂt bei Ktesias Amytis (nicht Mandane),
a u ee u mn 1
ER
il Di BE er Te 2
a r .
- Ma ee a Te â = = Er Te
46 KYROS NACH KTESIAS.
groĂen Strom gleich geworden, ganz Asien ĂŒberschwemmt
habe und bis zum Meer geflossen sei. Als der Vater dies
hörte, gebot er, den Traum den CialdÀern in Babylon vo:zulegen.
Kyros lieĂ den KlĂŒgsten von ihnen kommen und teilte ihm den
Traum mit. Dieser erklĂ€rte, daĂ der Traum ihm groĂes GlĂŒck
anzeire und die höchste WĂŒrde in Asien; Astyages aber
dĂŒrfe nichts davon erfahren; âsonst wĂŒrde er dich schmĂ€hlich um-
bringen und mich, den Ausleger, dazu,â sagte der Babylonier. Sie
schwuren einander zu, dieses groĂe und keinem gleiche Gesicht
niemandem mitzuteilen. Kyros kam darnach zu noch gröĂeren
Ehren, machte seinen Vater zum Satrapen von Persien
und seine Mutter an Besitz und Ansehen zur ersten unter
den Frauen Persiens.
Als aber bald darauf Ăbares, der Vertraute des Kyros,
den Babylonier tötet, verrÀt dessen Frau dem König den ver-
heiĂungsvollen Traum, als sie von der Reise des Kyros nach
Persien hört, die er zur Vorbereitung des Aufstandes unternommen
hatte. Der König sendet dem Kyros Reiter nach mit dem Auftrag,
ihn tot oder lebend einzuliefern. Aber Kyros weiĂ sie zu ĂŒber-
listen und entkommt ihnen, SchlieĂlich kommt es zum Kampfe
der mit der Niederlage der Meder endet; Kyros nimmt auch
Egbatana ein. âHier wurden des Astyages Tochter und deren
Mann Spitamas samt ihren beiden Söhnen gefangen. Aber Astyages
selbst war nicht zu finden; Amytis und Spitamas hatten ihn im
Palaste, im GebÀlk des Daches, versteckt. Da habe Kyros befohlen, -
die Amytis, ihren Mann und die Kinder zu foltern, damit sie ge-
stÀnden, wo Astyages sei; dieser aber sei freiwillig hervorgekommen,
damit die Seinen nicht seinetwegen gefoltert wĂŒrden. Den Spitamas
nun habe Kyros hinrichten lassen, weil er gelogen habe,
indem er behauptete, den Versteck des Astyages nicht zu kennen;
die Amytis aber habe er selbst zum Weibe genommen.
Den Astyages, welchen Ăbares mit schweren Banden gefesselt
hatte, löste er und ehrte ihn wie einen Vater und machte
ibn zum Satrapen der Barkanier.â
Der Herodotischen Version der Kyrossage ist die Jugend-
geschichte des iranischen Königshelden Kaikhosrav, wie sie
KAIKHOSRAV, 47
Firdusi im SĂ€h-nĂ€me erzĂ€hlt, ganz Ă€hnlich; am ausfĂŒhrlichsten
ist die Sage von Spiegel (Eranische Altertumskunde I, 581 u.ff)
wiedergegeben: WÀhrend eines Krieges, den der König KaikÀus
von Baktrien und Iran gegen den König AfrÀsiÀb von Turan
fĂŒhrte, entzweite sich KaikĂ€us mit seinem Sohne SiĂ€vaksh,
der sich nun an AfrÀsiÀb um Schutz und Hilfe wandte. Er wurde
freundlich aufgenommen und AfrÀsiÀb gab ihm sogar seine Tochter
Feringis zur Frau, wozu er sich durch seinen Wesir PirĂ€n ĂŒberreden
lieĂ, obwohl ihm geweissagt worden war, daĂ der aus
dieser Verbindung hervorgehende Sohn einmal groĂes
UnglĂŒck ĂŒber ihn bringen werde. Garsövaz, des Königs Bruder
und ein naher Verwandter des SiÀvaksh, verleumdet den Schwieger-
sohn bei AfrÀsiÀb, der nun mit einem Heere gegen ihn zieht.
Vor der Geburt seines Sohnes wird SiÀvaksh durch einen
Traum gewarnt, der ihm Untergang und Tod, dem SpröĂ-
ling aber die Herrschaft verhieĂ. Er flieht daher vor AfrĂ€siĂ€b,
wird aber gefangen und auf Befehl des SÀh getötet. Sein schwan-
geres Weib wird von PirÀn aus den HÀnden der Henker gerettet.
Gegen die Verpflichtung, die Entbindung der Feringis dem König
sofort anzuzeigen, erhÀlt PirÀn die Erlaubnis, sie in seinem Hause
zu behalten, Einst verkindigt ihm im Traum der Schatten des
ermordeten SiÀvaksh, ihm sei ein RÀcher geboren worden, und
wirklich findet PirÀn im Gemache der Feringis einen neugeborenen
Knaben, den er Kaikhosray nennt, AfrÀsiÀb bestand nun nicht
mehr auf der Tötung des Knaben, aber er befahl dem PirÀn, das
Kind nebst einer Amme den Hirten zu ĂŒbergeben, die
ihn in Unkenntnis seiner Herkunft aufziehen sollten. Bald
offenbart sich aber seine königliche Abstammung in seinem Mut
und seinem Benehmen; und da PirÀn den Knaben wieder in sein
Haus nimmt, wird AfrĂ€siĂ€b miĂtrauisch und lĂ€Ăt sich ihn vorfĂŒhren,
Auf PirÀns Belehrung stellt sich nun Kaikhosrav töricht!), und
1) Vgl. auch die Törichtprobe des Moses (nach Bergell. ce): Im
Palast setzt er einst des Königs Krone auf, der ihn darum auf die Probe
stellt, ob er zu groĂen Dingen berufen wĂ€re: Er lĂ€Ăt zwei GefĂ€Ăe vor ihn
hinstellen, in einem ist Gold, im andern glĂŒhende Kohlen. Er greift nach
der Kohle, fĂŒhrt den verbrannten Finger zum Munde und versengt sich
damit die Zunge; seitdem stottert er. â Ăhnlich verbrennt sich Siegfried den
ee: a ae U Jâöööee = N m â 1 TE u nn ZT ââââ
48 DIE TĂRICHTPROBE: HAMLET. â KULLERWO.
a u U U â 0 u en U EZB,
beruhigt ĂŒber die UngefĂ€hrlichkeit des Knaben entlĂ€Ăt ihn der
SĂ€h zu seiner Mutter Feringis. SchlieĂlich wird Kaikhosrav von
seinem GroĂvater KaikĂ€us zum König gekrönt. Nach langen, ver-
wickelten und mĂŒhevollen KĂ€mpfen gelingt es schlieĂlich mit
göttlicher Hilfe, des AfrÀsiÀb habhaft zu werden, Kaikhosrav
schlĂ€gt ihm den Kopf ab und lĂ€Ăt auch den Garsevaz onthaupten,
- Auf Grund des Motivs vom verstellten Wahnsinn und
einiger anderen ĂŒbereinstimmenden Motive hat Jiriczek (âHamlet
in Iranâ in der Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde, Band 10, 1900,
S. 353 uf.) die Hamletsage als eine Variante der iranischen
Sage von Kaikhosrav hingestellt, ein Gedanke, der dann von Heinr,
LeĂmann (Die Kyrossage in Europa, a. a. OĂ.) weiter ausgefĂŒhrt
wurde, LeĂmann zeigt, daĂ die Hamletsage wieder in einigen
Punkten, so im Törichtstellen, auffÀllig mit der Brutus- und Tell-
sage ĂŒbereinstimmt und weist auch auf die Geschichte Davids hin,
wie sie in den BĂŒchern Samuelis erzĂ€hlt wird!), Auch dort ist
der königliche Sprosse, David, zu einem Hirten gemacht, der all-
mÀhlich die soziale Rangleiter bis zum Köuigsthron emporsteigt.
Auch er bekommt die Tochter des Königs (Sauls) zur Frau und
der König stellt seinem Leben na-h; aber immer wird David auf
wunderbare Weise aus den gröĂten Grfahren gerettet. Auch er.
entgeht dadurch, daà er Wahusinn heuchelt, sich töricht steilt, der
Verfolgung.
Zur Hamletsage stimmt auffĂ€llig die finnische Ăberlieferung
von Kullerwo. Untamo, im Krieg gegen seinen Bruder Ka'erwo,
tötet ıhn und sein ganzes Geschlecht, bis auf ein schwangeres
Weib, die in Untamos Haus Kullerwo â als RĂ€cher seines Ge-
sehlchtes â gebiert. Untamo möchte sich des Knaben, von dem
er Gefahr fĂŒrchtet, entledigen: man setzt ihn in einem Faxsse
aufs Wasser aus, er bleibt am Leben und erweist sich auch
gegen Feuer und Luft (aufhĂ€ngen) gefeit. Als Knecht verĂŒbt er
Finger am Drachenblut, das er zum Munde fĂŒhrt, woraul er die Spraehe
der Vögel versteht.
!) Den biblischen Charakter dieses ganzen Sagenkreises betont auch
Jiriezek: er findet in der ErzĂ€hlung vom Tode des SiĂ€vaksh ZĂŒge aus
der Passion des Heilands.
KALEWI-POEG â FERIDUN, 49
0 m nn ce
%
Eulenspiegeleien (Dummstellen) und kommt nach dem Dienst bei
Ilmarinen wieder in seine Familie. Im Walde ĂŒberwĂ€ltigt er
unerkannt seine Schwester, die sich ins Wasser stĂŒrzt (vgl.
das Àhnliche Schicksal Ophelias), als sie erfÀhrt, wer er ist; auch
er klagt, er möchte lieber als Kind getötet worden sein (Hamlets
Pessimismus!), SchlieĂlich unternimmt er einen Rachezug gegen Untamo,
findet aber bei seiner RĂŒckkehr seine Familie nicht und endet durch
Selbstmord an der Stelle, wo er seine Schwester geschÀndet hatte.
Bei den Esten ist die im Finnischen episodische Kalerwo-
Sage der einzige Stoff der Epik. Der estnische Held ist Kalewi-
Poeg, Kalew-Sohn. Sein Vater stirbt vor seiner Geburt, seine
Mutter wird von einem finnischen Zauberer geraubt. Er schwimmt
ihr nach Finnland nach. Auf der Insel schwÀcht er ein MÀdchen,
(dessen Schwestercharakter vergessen ist wie bei Ophelia), das sich
ertrÀnkt. Zur Befreiung seiner Mutter erschlÀgt er den Zauberer,
findet aber die Mutter schon tot. Er steigt in die Unterwelt und
kommt schlieĂlich durch sein eigenes Schwert um (Hamlet!). (Vgl.
zum ganzen Sagenkreis SetÀlÀ: Kullerwo-Hamlet. Ein sagenver-
gleichender Versuch. Helsingfors.)
Im finnischen Epos Kalewala (1. Rune) wird der Held
WainÀmoinen von der durch Wind und Wogen geschwÀngerten
Wassermutter geboren und treibt lange auf den Wogen um-
her, bis er endlich ans Ufer gelangt, Er wirbt dann als JĂŒngling
um Jonkahainens Schwester, die ihn nicht mag und sich ins
Meer stĂŒrzt, aus dem sie der Held in Fischgestalt rettet. SpĂ€ter
stĂŒrzt sie ihn jedoch ins Meer, wo er mehrere Tage schwimmt, bis
ihn ein Adler rettet,
Eine gewisse, jedoch schon entferntere Ăhnlichkeit mit der
Kaikhosravsage weist der iranische Mythus von Feridun auf, wie
ihn Firdusi in seinen âPersischen Heldensagenâ (ĂŒbersetzt von
Schack) erzÀhlt. ZohÀk!), der König von Iran, sieht einst im
1) Der Name ZohĂ€k ist eine VerstĂŒmmelung der ursprĂŒnglich zendi-
schen Bezeichnung Ashi dahaka (AZiS-dahaka), verderbliche Schlange (siehe:
Die Sage von FeridĂŒn in Indien und Iran von Dr. R. Roth in der Zeitschr.
der Deutsch. morgenl. Ges. II, 216 uff.), welchen Namen (Ashdahak) die
Armenier nach Oppert in Astyages umbenannt haben. Dem iranischen
FeridĂŒn entsprieht der indische Trita, dessen avestischer Doppel-
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden. 2, Aufl. 4
1
u ERRE - 2
a nn DO â EEE m a in Bee ee ee EEE
50 FERIDUN. â TRAKHAN. .
a nn nn m
ua rn m m 0.8
Traum drei MÀnner königlichen Stammes; zwei vom Alter |
gebeugt, in ihrer Mitte aber einen jĂŒngeren, der eine Keule
mit einem Stierkopf in der Rechten hÀlt, auf ihn zutritt und ihn
mit der Keule zu Boden schlÀgt. Die Traumdeuter erklÀren
dem König, der junge Held, der ihn vom 'Ihrone stoĂen werde,
sei Feridun, ein SpröĂling vom Stamme des Dschemschid. Sogleich
beginnt ZohĂ€k, die Spuren des GefĂŒrchteten zu suchen. Feridun
ist der Sohn Abtins, eines Enkels des Dschemschid. Sein Vater
verbirgt sich vor den Nachstellungen des Tyrannen, wird aber
ergriffen und getötet, Ihn selbst, den noch zarten Knaben, rettet
seine Mutter FirÀnek, indem sie mit ihm flieht und ihn
dem HĂŒter eines entlegenen Waldes zur Pflege ĂŒbergibt. |
Dort wird er von der Kuh PĂŒrmĂ€je gesĂ€ugt; drei Jahre 3
bleibt er da, dann glaubt ihn seine Mutter nicht mehr sicher und
trÀgt ihn auf den Berg Alburs zu einem Einsiedler. Bald darauf |
kommt ZohĂ€k in den Wald und tötet den HĂŒter sowie PurmĂ€je, $
Als Feridun sechzehn Jahre alt war, stieg er vom Alburs herunter, 4
erfuhr von der Mutter seine Abkunft und schwur, den Tod seines
Vaters und seiner ErnÀhrerin zu rÀchen. Auf dem Zuge gegen Zo-
hĂ€k begleiten ihn seine beiden Ă€lteren BrĂŒder PurmĂ€je und .
KayĂ€nush. Die Keule, die er sich schmieden lĂ€Ăt, schmĂŒckt er
zum Andenken an die Kuh mit dem Stierkopf; mit dieser Keule A
trifft er dann, wie es der "Traum ankĂŒndiste, den ZohĂ€k. i
Trakhan.
Eine Àhnliche Geschichte wird von der Aussetzung und 3
Rettung Trakhans, des Königs von Gilgit, erzÀhlt, einer Stadt, 9
die in mehr als 5000 Fuà Höhe im ewigen Schnee des Hima- Br
laja gelegen, in alten Zeiten Sitz eines mÀchtigen Herrscher- u
geschlechtes war. Aus diesem ragte besonders Trakhan, |
der zu Anfang des XIII. Jahrhunderts regierte, hervor. Er |
nn rn Adi >. |
gĂ€nger Thraetaona ist. Die zuletzt genannte Form ist am ĂŒberwiegendsten
beglaubigt; daraus entstand durch Ăbergang der Hauchlaute PhrödĂŒna,
dann FredĂŒn oder Afreödun; Feridun ist neuere Verderbung. Vgl. Fr,
Spiegels ErÀnische Altertumskunde, I, S. 537 u. ff.
!
f
'
|
4
4
*
TRAKHAN. öl
Dee ya nn
soll der sirengste und stolzeste König gewesen sein und
die Ăberlieferung ĂŒberbietet âsich selbst in den Schilde-
rungen seiner Erlebnisse und Taten?). Die ErzÀhlung von
seiner Geburt und Aussetzung lautet: (nach Frazer: The Folk-
lore in the Old Testament, London 1919, Vol. U, p. 452): Sein
Vater Tra-Trakhan, König von Gilgit, hatte eine Frau aus
einer Familie in Darel geheiratet. Er huldigte leidenschaftlich
dem Polospiel und begab sich jede Woche nach Darel, um
mit den sieben BrĂŒdern seiner Frau zu spielen. Einst setzten
sie fest, daà der Gewinner seine Partner töten sollte; der
König blieb nach hartem Kampf Sieger und tötete seine
sieben SchwÀger. Seine Frau rÀchte sogleich den Tod ihrer
BrĂŒder und vergiftete den König, an dessen Stelle sie dann
herrschte. Einen Monat nach der Beseitigung des Königs gebar
die Königin einen Knaben von ihm, den sie Trakhan nannte.
Sie konnte aber das Kind des Mörders ihrer BrĂŒder. nicht
sehen, legte es darum in ein HolzgefÀà und warf dieses
heimlich in den FluĂ. Der Strom schwemmte das GefÀà bis
Hoder, einem Dorf im Chilasdistrikt. Dort erbliekten zwei
arme BrĂŒder, die in dem GefÀà einen Schatz vermuteten,
das KĂ€stchen und einer von ihnen watete in den FluĂ, um es
ans Land zu bringen. Um keinen Verdacht zu erregen, hĂŒllten
sie das KĂ€stchen in ein BĂŒndel und brachten es nach Hause.
Dort fanden sie zu ihrer Ăberraschung einen lebenden Knaben
darin, den ihre Mutter mit groĂer Sorgfalt aufzog. Mit dem
Knaben war das GlĂŒck in ihr Haus eingezogen und die
BrĂŒder wurden bald reich und angesehen. Mit 12 Jahren
faĂte der Findelknabe den EntschluĂ, nach Gilgit zu ziehen,
von welcher Stadt er viel gehört hatte.
So machten sich also seine beiden PflegebrĂŒder mit ihm
auf den Weg. Unterwegs machten sie an einem Orte, Baldes,
auf der Spitze eines HĂŒgels, halt. Nun war seine Mutter noch
Köniein von Gilgit, aber da sie sehr krank war und keinen
Nachfolger hatte, suchte das Volk nach einem König, der von
âââ
1) Major J. Biddneph, Tribes of the Hindoo Koosh. Caleutta 1880.
Ghulam Muhammed âFestivals and Folk-lore of Gilgitâ. Memoirs of
the asiatie Soeiety of Bengal. Vol. I, Nr. 7 (Caleutta 1905), p-. 124 ft.
4
ia
52 ââ ROMULUS.
â ZT nn En mi ou u nn
ee
ee
irgendwoher kĂ€me, um ĂŒber sie zu herrschen. Eines Morgens
nun krÀhten die HÀhne im Dorfe nicht wie gewöhnlich, sondern
âBeldas tham bayiâ, was so viel bedeutet wie: âEs ist ein
König in Beldasâ. Da wurden MĂ€nner ausgesandt, um alle
Fremdlinge, die zu finden wÀren, zu bringen. Die Boten fanden
die drei BrĂŒder und brachten sie vor die Königin. Da Trakhan
stattlich und hĂŒbsch war, wandte sich die Königin an ihn und
erfuhr im Laufe der Unterredung seine Geschichte. Zu ihrer
Freude und Ăberraschung erkannte sie in ihm ihren verloren
geglaubten Sohn, den sie in einer Aufwallung von Schmerz
und Rache in den FluĂ geworfen hatte. Sie umarmte ihn und
erklĂ€rte ihn zum rechtmĂ€Ăigen König von Gilgit.
Romulus.
Die ursprĂŒngliche Fassung der ErzĂ€hlung von Romulus
und Remus bei dem Àltesten römischen Annalisten, Fabius
Pictor, lautet nach Mommsen!): Die von der llia, der Tochter
des frĂŒheren Königs Numitor, aus der Umarmung des
Gottes Mars geborenen Zwillinge befahl der jetzige
Herr von Alba, König Amulius, in den Fluà zu werien.
Die Diener des Königs nahmen die Kinder und trugen sie
von Alba bis an den Tiber auf den HĂŒgel des Palatin; aber
als sie von diesem zum Flusse hinabsteigen wollten, um den
Befehl zu vollziehen, fanden sie ihn ausgetreten und ver-
mochten das Strombett nicht zu erreichen. So schoben sie
die Wanne mit den Kindern in das flache Uferwasser. Sie
schwamm eine Weile; aber die Wasser traten bald
zurĂŒck und da sie gegen einen Stein stieĂ, fiel sie
um; schreiend lagen die Kinder im Schlamm. Das hörte
eine Wölfin, die eben vorher geworfen und die Euter
schwer von Milch hatte, und sie kam herbei und
1) Th, Mommsen: Die echte und die falsche Acca Larentia; in:
Festgaben fĂŒr G. Homeyer (Berlin 1871), S. 93. uff., und: Röm. Forschungen
(Berlin 1x79), IL, S. 1 uff, Mommsen konstruiert die verlorene ErzÀhlung
des Fabius nach den erhaltenen Berichten des Dionysios (1, 79â83) und
Plutarchs (Romulus).
%
Fr
P
u nn m nn
7
ROMULUS NACH FABIUS PICTOR. 55
reichte den KnÀblein die Zitzen, um sie zu trÀnken,
und wÀhrend sie tranken, leckte sie sie mit der Zunge rein.
Ăber ihnen flog ein Specht; er hĂŒtete die Kinder und trug
ihnen gleichfalls Speise zu. Der Vater waltete ĂŒber seinen
Söhnen; denn Wolf und Specht sind die heilieen Tiere des
Vaters Mars. Das sah einer der königlichen Hirten, welcher
die Schweine wieder zurĂŒcktrieb auf die vom Wasser frei
gewordene Flur, und er staunte und rief die Genossen; die
fanden die Wölfin, wie sie mĂŒtterlich sorgte fĂŒr die Kinder
und die Kinder zu ihr waren wie zu einer Mutter. Und sie
machten einen groĂen LĂ€rm, um das Tier zu verscheuchen.
Aber die Wölfin ward nicht scheu; sie lieà von den Kindern,
aber nicht aus Furcht; langsam und ohne um die Hirten sich
u kĂŒmmern, verschwand sie bei der heiligen StĂ€tte des
Faunus, wo aus einer Schlucht des Berges das Wasser hervor-
sprudelt, in das Dickicht des Waldes. Die MĂ€nner aber hoben
die Knaben auf und brachten sie dem Obersten der Schweine-
hirten des Königs, dem Faustulus; denn sie meinten, die
Götter wollten nicht, daà sie umkÀmen. Aber des Faustulus
Frau hatte eben ein totes Kind geboren und war
traurig. Da gab ihr der Mann die Zwillinge und sie
nÀhrte sie, und sie zogen Sie aul und nannten sie
Romulus und Remus. Als dann Rom gesrĂŒndet worden
war, da baute König Romulus sich sein Haus unfern der
StÀtte, wo seine Wanne gestanden. Die Schlucht aber, in
der die Wölfin verschwunden war, heiĂt seitdem die Wolfs-.
schlucht, das Lupercal; dort ward spÀterhin das eherne Bild
der Wölfin mit den Zwillingen aufgestellt und der Wölfin
selbst, der Lupa, erwiesen die Römer göttliche Ehre!').
nis
1!) Die kapitolinische Wölfin gilt als ein uraltes Werk etruskischer
KĂŒnstler, das nach Livius (X, 23) im Jahre 296 v. Chr, beim Luperecal auf-
gestellt wurde. Soltau versucht den Nachweis, daà die Wölfin mit den
Kindern campanischen, hellenistischen Ursprungs sei. Das campani-
sche Didrachmon bietet eine Darstellung, auf der die Wölfin sich sorgsam
nach den saugenden Kindern umsieht, wÀhrend das alte Erzbild, welches
jetzt auf dem Kapitol steht, die Wölfin grimmig ausspÀhend, gleichsam die
Feinde abwehrend, nach vorne starrend, zeigt, was wohl kaum auf ibre Rolle
als altrix infantium hindeutet. Soltau nimmt an, âdaĂ man dieser ursprĂŒng-
a.ââ- en en
54 ROMULUS NACH LIVIUS.
m TE nn nn
SpÀter erfuhr dann die Romulussage mannigfache Um-
arbeitungen, Entstellungen, Erweiterungen und Auslegungen');
am bekanntesten ist sie in der Form, die bei Livius (I, 8 u. ff.)
ĂŒberliefert ist; wir erfahren dort einiges ĂŒber die Vorgeschichte
und die spÀteren Schicksale der Zwillinge.
König Proca vererbte seinem erstgeborenen Sohne Numitök
die KönigswĂŒrde. Aber der jĂŒngere Bruder Amulius
verdrÀngt ihn vom Thron und wird selbst König. Damit
aber kein SpröĂling aus Numitors Familie einst als RĂ€cher
erscheine, tötet er den mÀnnlichen Nachkommen des Bruders;
der Tochter Rea Silvia aber raubt er, unter dem Schein
einer ehrenden Auszeichnung, indem er sie zur Vestalin
wÀhlte, durch den immerwÀhrenden Jungfrauenstand
die Hoffnung auf Nachkommenschaft. Doch die Vestalin
wurde mit Gewalt ĂŒbermannt und als sie Zwillinge zur
Welt gebracht hatte, gab sie, sei es aus Ăberzeugung oder
weil ihr ein Gott als Urheber der Schuld ehrenhafter er-
schien, den Mars als Vater der unehelichen SpröĂlinge
an. Nach der ErzÀhlung von der Aussetzung im Tiber heibt
es dann weiter: Die Sace erzÀhlt nun, daà die schwimmende
Wanne, worin die Knaben ausgesetzt worden waren, von dem
niederen Wasserstand auf dem Trockenen gelassen wurde
und daà eine durstige Wölfin, von den umliegenden Bergen
nach dem Kindergeschrei hingelenkt, den Kindern ihre Euter
dargeboten habe. Von dem königlichen Oberhirten, der
Faustulus geheiĂen haben soll, seien dann die Knaben gefunden
und nach dem Gehöft seiner Frau Larentia zum Auferziehen
gebracht worden. Einige glauben, Larentia sei, weil sie ihren
Körper preisgab, von den Hirten âLupa (Wölfin)â genannt
worden und so sei die wunderbare Sage entstanden.
Zu JĂŒnglingen herangewachsen, schĂŒtzen Romulus und
Remus die Herden vor dem Angriff wilder Tiere und RĂ€uber.
Einst wird Remus von den RĂ€ubern gefangen genommen und
lich apotropÀischen Wölfin spÀter die Pflege der infantes conditores zu-
getraut habe. Vgl. die Titelvignette,
1) Alle diese Darstellungen hat Schwegler in seiner Römischen
Geschichte, I, S. 384 u. ff,, zusammengestellt.
a a Egg gr ABB ar
DIE ROMULUSLEGENDE. 55
des Raubes an Numitors Herden beschuldigt. Numitor aber, dem
er zur Bestrafung ĂŒbergeben ward, wurde durch seine Jugend
gerĂŒhrt und als er von den ZwillingsbrĂŒdern hörte, auf die
Vermutung gefĂŒhrt, daĂ die beiden seine ausgesetzten Enkel
seien. WĂ€hrend ihn nun bald die Ăhnlichkeit mit den Gesichts-
zĂŒgen seiner Tochter, bald das der Zeit der Aussetzung ent-
sprechende Alter des JĂŒnglings in Ă€ngstlicher Spannung er-
hielt, kam Faustulus mit Romulus dazu und da man von dem
Hirten die Herkunft der Knaben erfahren hatte, wird eine
Verschwörung angestiftet; es bewaffnen sich sowohl die JĂŒng-
linge zur Rache, als auch Numitor, um seine AnsprĂŒche auf
den ihm geraubten Thron geltend zu machen. Nach der
Ermordung des Amulius wird Numitor wieder in die
Herrschaft eingesetzt und die JĂŒnglinge beschlieĂen, in der
Gegend, wo sie ausgesetzt und erzogen worden waren, eine
Stadt zu grĂŒnden. Bei der Frage, welcher von den Zwillings-
brĂŒdern die neuerbaute Stadt beherrschen solle, kam es â
da der Vorzug der Erstgeburt fĂŒr keinen sprach und auch
das Ergebnis der Vogelschau nicht einwandfrei war â zu
einem erbitterten Streit. Remus soll, wie die Sage erzÀhlt,
zur Verhöbnung des Bruders ĂŒber die neue Mauer gesprungen
sein, worauf ervon dem erzĂŒrnten Romulus erschlagen
worden sei. So bemÀchtigte sieh Romulus der Alleinherrschaft
und die Stadt wurde nach ihm Rom benannt.
Nach Auffassung der Historiker und Philologen (Ranke, Ribbeck,
Mjıeber, Reich, Ed. Meyer, Soltau!), die durchaus nach einem be-
stimmten Vorbild der mythischen Ăberlieferungen fahnden, soll die
Romuluslegende (erst im 3, Jahrh, v. Chr.) aus der Tyro des Sophokles
entlehnt und nach Rom ĂŒbertragen worden sein. Tyro, die Tochter
des Königs Salomoneus, empfÀngt von Poseidon die beiden Söhne
Neleus und Pelias, die auf Veranlassung der Stiefmutter von dem
grausamen Herrscher in einer Wanne im Enipeus ausgesetzt, aber
wunderbarerweise von einer HĂŒndin, beziehungsweise Stute gesĂ€ugt,
von Hirten gefunden und aufgezogen werden. Die Mutter wird von
') Die Entstehung der Romuluslegende. Arch, f, Rel. Wiss. XII, 1, 1909.
Tr
56 AMPHION UND ZETHO3S. â ZWILLINGSSAGEN.
m mE on
a ân
ihrem Vater Salomoneus in den Kerker geworfen und dort von ihrer
Stiefmutter Sidero gepeinigt, bis sie spÀter von ihren erwachsenen
Söhnen befreit wird, die den tyrannischen Vater stĂŒrzen und das
Leiden ihrer Mutter an Sidero rÀchen.
Ăhnlich ist auch die griechische StĂ€dtegrĂŒndersage won den Zwil-
lingsbrĂŒdern Amphion und Zethos, die zuerst den Sitz des sieben-
torigen Theben begrĂŒndeten, indem Amphion die gewaltigen Fels-
blöcke, die Zethos aus den Bergen herbeischleppte, durch sein
Saitenspiel zu den spĂ€ter so berĂŒhmten Mauern zusammenfĂŒgte.
Amphion und Zethos galten als Kinder des Zeus und der Antiope,
der Tochter des Königs Nykteus. Durch die Flucht entzog sie sich
der Bestrafung durch ihren Vater, den der Gram tötete; sterbend
beschwor er aber seinenBruder und ThronfolgerLykos, Antiopes
Vergehen zu bestrafen. Sie hatte inzwischen Epopeus, den König von
Sikyon, âgeheiratet, den nun Lykos tötete. Antiope fĂŒhrte er in
Fesseln fort. Im Kithairon gebar sie Zwillinge und lieĂ sie
dort zurĂŒck. Ein Hirt zog die Knaben auf und nannte sie
Amphion und Zethos. SpÀter gelang es Antiope, den Peinigungen
des Lykos und seiner Gemahlin Dirke zu entfliehen; im Kithairon
ucht sie zufÀllig bei den inzwischen herangewachsenen Zwillings- -
brĂŒdern Schutz. Der Hirt verrĂ€t den JĂŒnglingen, daĂ Antiope ihre
Mutter ist. Sie töten hierauf die Dirke auf grausame Weise und
berauben den Lykos der Herrschaft. |
Auf die ĂŒbrigen, sehr zahlreichen Zwillingssagen!) kann
hier nicht nÀher eingegangen werden; sie stellen offenbar eine
Komplikation des Geburtsmythus mit einem verwandten und weit-
verbreiten Mythenkomplex, dem der feindlichen BrĂŒder, dar,
dessen ausfĂŒhrliche Behandlung in einem anderen Zusammenhang
gegeben worden ist?). Die Berechtigung der Abtrennung dieses
StĂŒckes der Mythologie von unserem Thema gibt uns der anscheinend
1) Einige griechische Zwillingssagen fĂŒhrt Schubert (2. 2:0.
8. 13 u.ff.) ihrem wesentlichen Inhalt nach an. Zur weiten Verbreitung
dieser Sagenform vergleiche man das konfuse Buch von J. H. Becker, Die
Zwillingssage als SchlĂŒssel zur Deutung urzeitlicher Ăberlieferung. Mit
einer Tabelle der Zwillingssage. Leipzig 1891.
2) Vgl. des Verfassers âInzest-Motiv in Dichtung und Sageâ, II. Teil
sowie die Abschnitte XI, XII und XIII in âPsychoanalytische BeitrĂ€ge zur
Mythenforschungâ, 1919.
j
'
|
|
nn om u ZT urn mer Te
HERAKLES. â HATSHEPSET, 67
spÀte und sekundÀre Charakter des Zwillingstypus in den Geburts-
mythen. FĂŒr die Romulussage hat es Mommsen!) wahrscheinlich
gemacht, daĂ sie ursprĂŒnglich nur von Romulus allein berichtet
habe, und daà die Gestalt des Remus erst nachtrÀglich und ziemlich
lose eingefĂŒgt worden sei, als es sich darum handelte, dem Konsulat
eine in der alten Ăberlieferung begrĂŒndete Weihe zu erteilen.
Herakles:).
Nach dem Verlust seiner zahlreichen Söhne verlobt
Elektryon seine Tochter Alkmene mit Amphitryon, dem
Sohne seines Bruders AlkÀos. Da aber Amphitryon durch
einen unglĂŒcklichen Zufall den Tod Elektryons verschuldet,
flĂŒchtet er mit seiner Verlobten nach Theben. Noch ist er ihrer
nieht froh geworden, denn sie hat ihm das feierliche GelĂŒbde
abgenommen, ihr nicht eher zu nahen, als bis er ihre BrĂŒder
an den Teleboern gerĂ€cht habe; er rĂŒstet daher von Theben
aus zu diesem Zuge. Schon hat er den König des feindlichen
Volkes, Pierelaos, und alle Inseln unterworfen und kehrt nach
Theben zurĂŒck, da begibt sich Zeus in der Gestalt Amphi-
tryons?°) zu Alkmene, bringt einen goldenen Becher als Pfand
des Sieges und ruht bei der reizenden Jungfrau, wie die spÀteren
Dichter sagen, drei NĂ€chte lang, da er die Sonne um einen Tag
zurĂŒckgehalten habe. In derselben Nacht kommt Amphitryon,
siegesfroh und liebeschmachtend. Dann erfĂŒllt sich die Zeit,
wo die Frucht der göttlichen und der menschlichen Umarmungââ)
a
1) Die Remuslegende. Hermes 1881.
2) Nach Preller: Griech. Mythologie (Leipzig 1854), II, S. 120 u. ff.
>, Die gleiche Verwandlung des göttlichen Erzeugers in die Gestalt des
menschlichen Vaters findet man in der Geburtsgeschichte der Àgyptischen
Königin Hatshepset (um 1500 v. Chr.), die der Meinung ist, der Gott Amen
habe in der Gestalt ihres Vaters, Thothmes des Ersten, ihrer Mutter Aahames
beigewohnt (siehe Budge: A history of Egypt IV, Books on Egypt and
Chaldaea vol, XII, p, 21 ete).
4, Eine Àhnliche Vermischung der göttlichen und menschlichen Vater-
schaft erzÀhlt der Mythus von der Geburt des Theseus, dessen Mutter
68 HERAKLES. â THESEUS: DIOSKUREN.
ans Licht drĂ€net, und Zeus kĂŒndigt den Göttern seinen Sohn
als den mÀchtigsten Herrscher der Zukunft an. Aber seine
eifersĂŒchtige Gemahlin Hera weiĂ ihn zu dem verhĂ€ngnisvollen
Sehwur zu verleiten, daĂ der erste Perseusenkel, der geboren
wĂŒrde, der Beherrscher aller ĂŒbrigen Nachkommen des Perseus
sein sollte. Hera eilt hierauf nach Mykene, um die Frau des
dritten Persiden Sthenelos von dem Siebenmonatskind Eurys-
theus zu entbinden, und hemmt und erschwert zugleich die
Geburt der Alkmene durch allerlei bösen Zauber, gerade wie
bei der Geburt des Lichtgottes Apollo. Alkmene gebiert dann
Herakles und Iphikles!), dieser jenem weder an Mut noch an
ân =
Aithra, eine Geliebte Poseidons, in einer Nacht von diesem Gotte und von
dem trunken gemachten kinderlosen König Aigeus von Athen beschlafen
wurde. Der Knabe wurde dann heimlich und in Unkenntnis seines Vaters
erzoren (v. Roschers Lexikon s. Aigeus).
ı) Von Zeus gebar Alkmene den Herakles, von Amphitryon den
Iphikles; nach Apollodor 2, 4, 8 waren sie Zwillingskinder, also zu
gleicher Zeit geboren, nach anderen soll Iphikles eine Nacht spÀter emp-
fangen und geboren worden sein als Herakles (siehe Roschers Lexikon, 8.
Amphitryon und Alkmene). Der schemenhafte Charakter des Zwillingsbruders
und sein loser Zusammenhang mit der ganzen Sage fÀllt auch hier wieder
auf. Ăhnliches ist von Telephos, dem Sohn der Auge, nachzutragen, der
zusammen mit ParthenopÀus, dem Sohn der Atalante, ausgesetzt, von einer
Hirschkuh gesÀugt und von Hirten dem König Korythos gebracht wurde.
Auch hier ist die Ă€uĂerliche und spĂ€tere EinfĂŒgung des Partners ganz
deutlich. Den Typus der Zwillinge, von denen nur einem Unsterblichkeit
zuteil wird, bilden die Dioskuren, Kastor und Polydeukes, deren Mutter
Leda in einer Nacht von Zeus und ihrem Gatten Tyndareos umarmt wird.
(Apoll. III, 10, 7 und Hygin fab. 80.) Die Helena, die Schwester der Dios-
kuren, empfÀngt Leda von dem in einen Schwan verwandelten Gott. Das Ei
verwahrt Leda in einer Kiste und zieht dann die aus dem Ei geborene
Helena auf (Apoll. III, 10, 6).
In diesem Zusammenhange sei auch eine japanische Ăberlieferung
erwÀhnt, die sich mit einzelnen Motiven hier anreiht,
Die japanische Göttin Buns$o â es soll die spĂ€tere Benten sein â
brachte 500 Eier zur Welt, glaubte, sie könnten nur Drachen enthalten und
lieĂ sie in einen Kasten verpackt in den Strom werfen, Ein Fischer
fand den Kasten, Knaben krochen aus den Eiern, gelangten spÀter zum
elterlichen Palast, wurden von der Mutter anerkannt und bilden seither
ihr himmlisches Gefolge (Brauns, Japanische MĂ€rchen und Sagen. 8. 160)
Man vgl. dazu (l, e. S, 355 ff,) die von der Göttin Benten vollzogene âVer-
1
j
|
m mm a mn
HERAKLES: DAS AMMENMOTIV. 59
KrÀften gleich, aber der Vater seines treuen Freundes lolaos.
So war Eurystheus König zu Mykene im Argiverlande, nach
dem Schwur des Zeus, und der spÀter geborene Herakles
ihm unterworfen.
Von der ErnĂ€hrung des Herakles wuĂte die alte Diehtung
zu erzÀhlen, daà ihn, wie alle Kinder Thebens, das krÀftige
Wasser der Dirke genÀhrt habe. SpÀter wurde aber eine
andere Version erzÀhlt: Aus Furcht vor Heras Eifersucht
setzte Alkmene das Kind, das sie geboren hatte, an
einem Platze aus, der noch in spÀten Zeiten das Herakles-
feld hieĂ. Um diese Zeit kam Athene mit der Hera dahin. Sie
betrachtete die schöne Gestalt des Kindes mit Verwunderung
und bewog die Hera, ihm die Brust zu reichen. Aber der
Knabe sog viel krÀftiger an der Brust, als sein Alter erwarten
lieĂ; Hera empfand Schmerzen und warf das Kind unwillig zu
Boden. Athene aber trug es in die nahe Stadt und brachte
es der Königin Alkmene, um deren Mutterschaft sie
nicht wuĂte, als ein armes Findelkind, das sie aus
Barmherzigkeit aufzuziehen bat. Man wundert sich billig
ĂŒber den sonderbaren Zufall. Die leibliche Mutter lĂ€Ăt das
Kind umkommen, die Pflicht der natĂŒrlichen Liebe verleugnend,
und die Stiefmutter, die von natĂŒrlichkem HaĂ gegen das
Kind erfĂŒllt ist, rettet, ohne es zu wissen, ihren Feind (mach
Diodor IV, 9, ĂŒbersetzt von Wurm, Stuttgart 1831). Herakles
hatte nur ein paar ZĂŒge an Heras Brust getan; aber die
wenigen Tropfen Göttermilch waren genĂŒgend, ihm Unsterb-
lichkeit einzuflöĂen. Auch ein Versuch Heras, den in der
Wiege schlummernden Knaben durch zwei Schlangen zu töten,
miĂlingt: das erwachte Kind erstickt die Tiere mit einem
einzigen Druck seiner HÀnde. Als Knabe erschlÀgt Herakles
einst, wegen einer ungerechten ZĂŒchtigung erzĂŒrnt, seinen
Hofmeister Linos und Amphitryon, der die Wildheit
des JĂŒnglings fĂŒrchtet, schickt ihn zu seinen Ochsen-
herden âins Gebirge und unter die Hirten, wo er nach
wandlung ihrer beiden Kinder in Schlangen, da sie deren Heirat verhin-
dern will.
60 KRIS!INA. â JESUS.
rare
in ââ
Einigen ganz aufgewachsen ist, wie Amphion und Zethos,
Kyros und Romulus. Hier lebt er der Jagd und der freien
Naturâ. (Preller II, 123.)
Schmidt (Jona, S. 125) sieht in Herakles (Melkart), der
von einem Meerungeheuer verschlungen und so gerettet
wurde, nachdem das Schiff, auf dem er fuhr, gescheitert war,
den Helden der Rettungsgeschichten in ihrer ursprĂŒnglichen
Gestalt. Ăber Arion, den Delphinreiter, und Verwandtes siehe
gpÀter.
An den Mythus von Herakles erinnert in einzelnen Motiven
die indische Sage von dem Helden Krishna, der â wie so viele
Heroen â einem allgemeinen Kindermord entgeht und dann bei einer
Hirtenfrau, Jasodha, erzogen wird. Da erscheint eine böse DÀmonin,
die vom König Kansa abgeschickt ist, den Knaben zu töten. Sie
verdingt sich als Amme im Hause, wird aber von Krishna er-
kannt und beim SĂ€ugen derart gebissen (wie Hera von dem
sÀugenden Herakles, den sie ebenfalls vernichten will), daà sie
stirbt. (Die Jugendgeschichte des Hirtengottes Krishna wird im
sogenannten Karivamsa erzÀhlt.)
Jesus.
Das Evangelium nach Lukas (li, 26 bis 35) erzÀhlt von
der VerheiĂung der Geburt Jesu:
Es wurde âder Engel Gabriel gesandt von Gott in eine
Stadt in GalilĂ€a, die heiĂt Nazareth, zu einer Jungfrau,
die vertrauet war einem Manne mit Namen Joseph,
vom Hause Davids; und die Jungfrau hieĂ Maria. Und der
Engel kam zu ihr hinein und sprach: GegrĂŒĂet seist du,
Holdselige, der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den
Weibern. Da sie ihn aber sahe, erschrak sie ĂŒber seiner
Rede und gedachte: Welch ein GruĂ ist das? Und der Engel
sprach zu ihr: FĂŒrchte dieh nicht, Maria, du hast Gnade
bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger. werden
im Leibe und einen Sohn gebÀren, deà Namen
sollst du Jesus heiĂen. Der wird groĂ und ein Sohn
des Höchsten genannt werden und Gott der Herr wird
JESUS NACH MATTHĂUS. 61
TTS eân
âsjĂŒ rs nn en
ihm den Stuhl seines Vaters David geben. Und er wird ein
König sein ĂŒber das Haus Jakobs ewiglich und seines König-
reichs wird kein Ende sein. Da sprach Maria zu dem Engel:
âWie soll das zugehen? Sintemal ich von keinem Manne
weiĂ. Der Engel antwortete und sprach zu ihr: der heilige
Geist wird ĂŒber dich kommen und die Kraft des Höchsten
wird dich ĂŒberschatten; darum auch das Heilige, das von dir
geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden.â
Diesen Bericht ergÀnzt das Evangelium nach MatthÀus!)
(1, 18 bis 25) durch die ErzÀhlung von der Geburt und
Kindheit Jesu:
âDie Geburt Christi war aber also getan. Als Maria,
seine Mutter, dem Joseph vertrauet war, ehe er sie
heimholte, erfand sichâs, daĂ sie schwanger war von
dem Heiligen Geist. Joseph aber, ihr Mann, war fromm und
wollte sie nicht rĂŒgen; gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
Indem er aber also gedachte, siehe, da erschien ihm ein
Engel des Herrn im Traum und sprach: âJoseph, du Sohn
Davids, fĂŒrchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu
nehmen: denn das in ihr geboren ist, das ist von dem Heiligen
(Geist, Und sie wird einen Sohn gebÀren, des Namen sollst du
Âź
) Um auch formell die volle IdentitÀt der Geburis- und Kindheits-
geschichte Jesu mit den ĂŒbrigen Heldenmythen darzutun, sei es gestattet,
die betreffenden Abschnitte aus den verschiedenen Versionen, den Eyan-
gelien, ohne RĂŒcksicht auf den ĂŒberlieferten Zusammenhang und die Ur-
sprĂŒnglichkeit der einzelnen Teile, umzuordnen. Alter, Herkunft und Echt-
heit dieser Teile findet man kurz und ĂŒbersichtlich dargelegt bei Wilh.
Soltau: Die Geburtsgeschichte Jesu Christi. Leipzig 1902. Wir haben dabei
auch die nach Usener (Geburt und Kindheit Christi, 1903, in: VortrÀg-
und AufsĂ€tze, Leipzig 1907) einander widersprechenden, ja ausschlieĂenden
Ăberlieferungen der einzelnen Evangelien unbedenklich nebeneinandere
gestellt bezw. stehen lassen, weil es ja gerade unsere Aufgabe ist, das
scheinbar Widerspruchsvolle dieser Geburtsmythen aufzuklĂ€ren, gleichgĂŒltig,
ob es sich innerhalb einer einheitlichen Sage findet oder in ihren ver-
schiedenen Versionen (wie z. B. bei Kyros).
Hugo Gressmann hat 1914, also sechs Jahre nach Erscheinen der
ersten Auflage vorliegender Untersuchung, die Vermutung gewagt, daĂ der
EvangelienerzÀhlung die Aussetzungsgeschiehte zugrundeliegen könnte,
(âDas Weihnachtsevangeliumâ.)
BE En
62 JESU GEBURT
a
NACH LUKAS.
â um
Jesus heiĂen; denn er wird sein Volk selig machen von ihren
SĂŒnden. Das ist aber alles geschehen, auf daĂ erfĂŒllet wĂŒrde,
das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht:
Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn ge-
bĂ€ren und sie werden seinen Namen Emanuel heiĂen, das ist
verdolmetschet, Gott mit unsâ Da nun Joseph vom Schlaf er-
wachte, tat er, wie ihm des Herrn Engel befohlen hatte, und
nahm sein Gemahl zu sich; und erkannte sie nicht, bis sie
ihren ersten Sohn gebar: und hieĂ seinen Namen Jesus.â
Hier schalten wir die atısfĂŒhrliche Schilderung der Geburt
Jesu aus dem Evangelium Lukas (2, 4 bis 20) ein:
âDa machte sich auch auf Joseph aus GalilĂ€a, aus der
Stadt Nazareth, in das jĂŒdische Land, zur Stadt Davids, die da
heiĂt Bethlehem, darum, daĂ er von dem Hause und Geschlecht
Davids war, auf daĂ er sich schĂ€tzen lieĂe mit Maria, seinem
vertrauten Weibe. Die war schwanger, und als sie daselbst
waren, kam die Zeit, daà sie gebÀren sollte. Und sie gebar
ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und
legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum
in der Herberge!). Und es waren Hirten in derselben Gegend
auf dem Felde bei den HĂŒrden, die hĂŒteten des Nachts ihrer
Herde. Und siehe, des Herrn âEngel trat zu ihnen, und die
Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fĂŒrchteten sich
sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: FĂŒrchtet euch nicht,
siehe, ich verkĂŒndige euch groĂe Freude, die allem Volk wider-
fahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher
ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum
Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und
in einer Krippe liegend. Und alsobald war bei dem Engel die
Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und
sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und
den Menschen ein Wohlgefallen. Und da die Engel von ihnen
gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: LaĂt
!) Ăber die Geburt Jesu in einer Höhle und die Ausstattung des
Geburtsortes mit den typischen Tieren (Ochsund Esel) vgl. Jeremias:
Babylonisches im Neuen Testament (Leipzig 1905), 3. 56 u. Preuschen, Jesu
Geburt in einer Höhle, Zeitschr, f. d. neutest. Wiss. 1902, 5. 359.
DIE VERFOLGUNG NACH MATTHĂUS, 63
| {0 nn
uns gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da
geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen
eilend, und fanden beide, Mariam und Joseph, dazu das Kind
in der Krippe liegend. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten
sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt
war, Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die
ihnen die Hirten gesagt hatten,
Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in
ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und
lobten Gott um alles, das sie gehöret und gesehen hatten, wie
denn zu ihnen gesagt war.â
Wir setzen nun den Bericht nach MatthÀus mit dem zweiten
Kapitel fort:
âDa Jesus geboren war zu Bethlehem im jĂŒdischen Lande,
zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom
Morgenlande gen Jerusalem, und sprachen: Wo ist der
neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern
gesehen im Morgenlande, und sind gekommen, ihn anzubeten.
Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm
das ganze Jerusalem; und lieĂ versammeln alle Hohepriester
und Schriftgelehrten unter dem Volk: und erforschte von
ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und sie sagten ihm:
zu Bethlehem im jĂŒdischen Lande. Da berief Herodes heimlich
die Weisen, und erlernte mit FleiĂ von ihnen, wann der Stern
erschienen wÀre; und wies sie gen Bethlehem und sprach:
Ziehet hin und forschet fleiĂig nach dem Kindlein; und wenn
ihr es findet, so sagt mirâs wieder, daĂ ich auch komme und
es anbete. Als sienun den König gehöret hatten, zogen sie hin.
Und siehe, der Stern, den sie im Morgenlande gesehen hatten,
ging vor ihnen hin, bis daĂ er kam und stand oben ĂŒber, da
das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch-
erfreut; und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit
Maria, seiner Mutter, und fielen nieder, und beteten es an, und
taten ihre SchÀtze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch
und Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, daĂ sie sich
nicht sollten wieder zu Herodes lenken. Und zogen durch einen
anderen Weg wieder in ihr Land. Da sie aber hinweggezogen
Ei Tu BT = ââ
TE
ren a ââ sn
a ee 2
64 JESUS, â ZOROASTER.
ne = Tr = m -âââ ââ ââ -â -- â â on
â nn Zn = zu = â
waren, siehe, daerschien der Engel des Herrn dem Joseph
im Traum, und sprach: Stehe auf, und nimm das Kindlein
und seine Mutter zu dir, und fliehe ins Ăgyptenland,
und bleibe allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, daĂ
Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen.
Und er stand auf, und nahm das Kindlein und seine Mutter
zu sich, bei der Nacht, und entwich in Ăgyptenland; und blieb
allda bis nach dem Tode Herodis, auf daĂ erfĂŒllt wĂŒrde, das
der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Aus
Ăgypten habe ich meinen Sohn gerufen. Da Herodes nun sahe
daĂ er von den Weisen betrogen war, ward er sehr zornig
und schiekte aus, und lieà alle Kinder zu Bethlehem töten
und an ihren ganzen Grenzen, die da zweijÀhrig und
darunter waren, nach der Zeit, die er mit FleiĂ von den
Weisen erlernt hatte. Da aber Herodes gestorben war, siehe,
da erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traum in
Ăgyptenland und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein
und seine Mutter zu dir, und ziehe hin in das Land Israel;
sie sind gestorben, die dem Kinde nach dem Leben
standen. Und er stand auf, nahm das Kindlein und seine Mutter
zu sich, und kam in das Land Israel. Da er aber hörte, dab
Archelaus im jĂŒdischen Lande König war, anstatt seines Vaters
Herodes, fĂŒrchtete er sich, dahin zu kommen. Und im Traum
empfing er Befehl von Gott, und zog in die Ărter des gali-
lÀischen Landes. Und kam und wohnte in der Stadt, die da
heiĂt Nazareth; auf daĂ erfĂŒllt wĂŒrde, das da gesagt ist durch
die Propheten: Er soll Nazarenus heibenâ!).
Ăhnliche Geburtslegenden wie von Jesus sind auch von anderen
âReligionsstifternâ ĂŒberliefert. So von Zoroaster, der um das Jahr
1000 v. Chr. gelebt haben soll. Dughda, seine Mutter, trÀumt
!) Nach neueren Forschungen soll die Geburtsgeschichte Christi die
gröĂte Ăhnlichkeit mit der ĂŒber 5000 Jahre alten Ă€gyptischen Königssage
haben, die von der Geburt Amenophisâ III. berichtet. Man findet dort
wieder die göttliche VerheiĂung der Geburt eines Sohnes an die hoflnungs-
volle Königin; ihre Befruchtung durch den himmlischen Feuerhauch, die
göttlichen KĂŒhe, die das Neugeborene sĂ€ugen, die Huldigung der Könige
u. a. m. wozu man vgl. A, Malvert: Wissenschaft und Religion, Frank
ee GESESESTEREEEERE
f ZOROASTER. â HABIS. 65
ERLââ mr a 2.
-âr
im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, daà die bösen und
die guten Geister um den Embryo Zoroasters stritten: ein Ungeheuer
riĂ den zukĂŒnftigen Zoroaster aus dem Leib der Mutter; ein Licht-
gott aber bekĂ€mpft das Ungeheuer mit seinem Lichthorn, schlieĂt
den Embryo wieder in den Mutterleib ein, blÀst Dughda an
und sie ward schwanger. Als sie erwacht, eilt sie erschreckt
zu einem weisen Traumdeuter, der ihr aber erst nach drei
Tagen den wunderbaren Traum auszulegen vermag: das Kind,
mit dem sie schwanger sei, werde ein Mann von groĂer Be-
deutung werden; die finstere Wolke und der Lichtberg bedeuten,
daĂ sie und ihr Sohn zuerst viel TrĂŒbsal durch Tyrannen und
Ă€hnliche Bösewichter aushalten mĂŒĂten, daĂ sie aber zuletzt ĂŒber
alle Gefahren siegen wĂŒrden. Dughda geht sofort nach Hause und
erzÀhlt alles, was sich zugetragen hat, ihrem Manne, dem Pourus-
hacpa. Sofort nach seiner Geburt lachte der Knabe; das war das
ers'e Wunder, wodurch er die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Die
Magier melden die Geburt des Kindes unheilverkĂŒndend
dem FĂŒrsten der Gegend, DurĂ€nsarĂ€n, der sich selbst schleunig
in die Wohnung des Pourushacpa begibt, um das Kind zu erdolchen.
Aber die Hand erlahmt ihm und er muĂ unverrichteter Dinge
wieder abziehen. Das war das zweite Wunder. Bald darauf stehlen
die bösen DÀmonen der Mutter das Kind und bringen es in die
WĂŒste, um es dort zu töten; aber Dushda findet das unversehrte
Kind ruhig schlafend. Das ist das dritte Wunder. Sodann sollte
Zoroaster nach dem Befehl des FĂŒrsten in einem engen Weg von
einer Ochsenherde zertreten werden). Aber das gröĂte unter den
furt 1904, 5. 49 ÂŁ, und die Anregung Prof. IĂleibs in Bonn (Feuilleton
d. Frankf. Zeitung, 8. November 1908).
!) Ganz Ă€hnliche ZĂŒge finden sich in der von Justin (44, 4) ĂŒber-
lieferten keltischen Sage von Habis, der, als auĂerehelicher Sohn einer
Königstochter von seinem königlichen GroĂvater Gargoris auf alle möglichen
Arten verfolgt, durch glĂŒckliche FĂŒgungen immer wieder gerettet wird, bis
er schlieĂlich, von seinem GroĂvater anerkannt, zur Königsherrschaft ge-
langt. Wie in der Zarathustralegende findet sich auch hier eine ganze
Sammlung der verschiedensten Verfolgungsmethoden: Zuerst wird er aus-
gesetzt, aber von wilden Tieren gesÀugt, dann soll er auf einem engen
Pfade von einer Herde zertreten, ferner hungrigen Tieren vorgeworfen
werden, die ihn jedoch wieder sĂ€ugen, und schlieĂlich wird er ins Meer
Kank, Der Mythus von der Geburt des Helden. 2, Aut, r
ee
En nr m Gm a nn En Er er er Be BE Br gr So En an
66 ZORĂOASTER. â BUDDHA.
Rindern nahm das Kind zwischen seine FĂŒĂe und verhinderte, daĂ
ihm ein Leid zugefĂŒgt werde, Dies ist das vierte Wunder. Das
fĂŒnfte ist bloĂ eine Wiederholung des vorhergehenden. Was die
Rinder sich geweigert hatten zu tun, das sollten die Pferde voll-
bringen. Aber wieder schĂŒtzt ein Pferd das Kind vor den Hufen
der ĂŒbrigen. Nun lieĂ DurĂ€nsarĂŒn in einem Wolfslager, wĂ€hrend der
Abwesenheit der Alten die Jungen erschlagen und den Zoroaster an
ihre Stelle legen. Aber ein Gott verschloĂ den wĂŒtenden Wölfen
den Rachen, so daĂ sie dem Kinde kein Leid zufĂŒgen konnten.
Dagegen kamen zwei himmlische KĂŒhe, die dem Kind ihre Euter
darreichten und es trinken lieĂen. Das war das sechste Wunder,
wodurch Zoroaster am Leben erhalten wurde (vgl. Spiegels
Eranische Altertumskunde, I, S. 688 uff., sowie Brodbeck: Zoro-
aster, Leipzig 1893).
Verwandte ZĂŒge sind auch bei Buddha, dessen Lebenszeit
ins 6. Jahrh, v. Chr. zurĂŒckverlegt wird, zu finden!), So die lange
Unfruchtbarkeit der Eltern, der Traum, die Geburt des Knaben
unter freiem Himmel?), der Tod der Mutter und ihr Ersatz durch
eine Pflegemutter, die Meldung der Geburt an den FĂŒrsten der
Gegend; spÀter der Verlust des Knaben im Tempel (wie bei Jesus;
vgl. Lukas 2, 40â52).
geworfen, das ihn aber sanft ans Ufer spĂŒlt, wo er von einer Hirschkuh
gesÀugt wird, bei der er dann auch aufwÀchst.
i) A Manual of Budhism by K. Spence Hardy, London 1853, p. 501.
Die chinesische Legende stattet Fohi mit Àhnlichen Motiven ge-
heimnisvoller Herkunft und Errettung aus.
2) Die Geburt des Bödhisattwa wird im âLalita Vistaraâ (ĂŒbers. v.
3. Lefmann, Berlin 1874) folgendermaĂen geschildert. Bei einer Götterver-
sammlung im Tusitahimmel, den Buddha bei seiner Inkarnation verlassen
muĂ, wird beschlossen, daĂ er in 12 Jahren in den SchoĂ seiner Mutter
eingehen werde. Vor der Menschwerdung Buddhas beriet er mit den Göttern,
in welcher Gestalt er in den MutterschoĂ eingehen sollte; es wurden
12 Gestalten genannt, aber erst der 13. Vorschlag gelangte zur Verwirkliehung.
âEin Elefant von hochedlem âAnsehen, Sechshauer, wie mit goldenem
Flechtwerk angetan, schön glÀnzend, schön gerötet das Haupt, hervorge-
hoben und herabfallend, in seiner Erscheinung majestĂ€tisch.â (Lal, Vist.
8. 33f.), â In der NidĂ€nakathĂ€, der Einleitung zum Kommentar des JĂ€taka-
buches, wird die Menschwerdung Buddhas so geschildert: âHierauf stieg der
Bödhisattwa, der in der Gestalt eines herrlichen weiĂen Elefanten auf einem
EEE ER SE -
MITHRAS. 67
ââ
Er
Ăber die Geburt des Mithras besitzen wir zwar keine aus-
fĂŒhrliche literarische Ăberlieferung, âaber glĂŒcklicherweise lassen
die DenkmÀler deutliche Reste erkennen. Sie zeigen (nach
Roscher) wie Mithras aus einem Felsen (Höhle) geboren wird,
âauf dem Haupt eine phrygische MĂŒtze, bis zu den Knien oder
zur Scham in einem Felsblock steckend, der bisweilen von einer
Schlange umgeben ist.., Mit der einen Hand erhebt der Gott
meistens ein Messer, seine gzewöhnliche Waffe, mit der anderen
eine Fackel... Zuweilen wird.auf dem Felsen der Kopf eines
FluĂgottes, oder neben ihm die ganze Figur desselben dargestellt,
wohl weil die mythische Szene der MNithrasgeburt neben einem
Strom stattgefunden haben soll. AuĂerdem sieht man auf einer
Anzahl Reliefs Hirten, die sich hinter einem Felsen verstecken,
um das Wunder zu betrachten, was ohne Zweifel auch auf die
ErzĂ€hlung der Legende anspielt. â Zwei weitere interessante Dar-
stellungen, die regelmĂ€Ăig vereinigt sind, scheinen auf die iranische
Sage von der Sintflut und vom Weltbrand Bezug zu haben. Ein
Stier â dieses lier spielt bekanntlich im Mithraskult die gröĂte
Rolle â wird in einem Nachen vom Wasser hochgetragen;
daneben steht ein HĂ€uschen, das von einem Maun in asiatischer
Tracht (Mithras?) angezĂŒndet wird, und aus der TĂŒre stĂŒrzt der
Stier heraus. Das mythische Tier wÀre also den Gefahren entgangen,
mit welchen die zwei groĂen Plagen ihn bedrohten (Roscher S, 3048),
nahe gelegenen goldenen Berge sich aufgehalten hatte, von da herab, stieg
den silbernen Berg hinan â er kam dabei von Norden her â faĂte mit
seinem RĂŒssel, der die Farbe eines silbernen Bandes hatte, eine weiĂe Blume
und stieĂ ein lautes GebrĂŒll aus. Sodann trat er in das goldene Haus ein,
umschritt dreimal von rechts das Lager seiner Mutter, berĂŒhrte ihre rechte
Seite und ging so gleichsam in ihren Leib ein.â â In dem Augenblick der
Menschwerdung des Bödhisattwa entstand in den 10.000 Welten eine uner-
meĂliche Helle, seine Mutter sah ihn in ihrem Leibe wie man in einem
durehsichtigen Edelstein einen eingeschlossenen hellgelben Faden sieht, sie
trug ihn wie Sesamöl in einem GefĂ€Ă. Bei seiner Geburt ging er, ohne in-
folge seines Aufenthaltes im Mutterleib befleckt zu sein, aus demselben
hervor, rein und weiĂ und strahlend wie ein auf ein Gewand von weiĂer
Baumwolle gelegter Edelstein (J. Dutoit: Das Leben des Buddha. Leipzig 1906.
S. 4 uff.). Vgl. auch ĂŒber Buddhas Geburt in den Abh. d, SĂ€chs. Akad. d,
Wiss. Phil.-hist, Kl. Bd, 26, 1908, 8. 93 ft.
5*
TE â â â 7
68 SIEGFRIED.
m 71 m nn m nn un 4 mm nm nn nn en ne = zmâ ââ Te
Siegfried.
Die um das Jahr 1250 von einem IslĂ€nder nach mĂŒnd-
lichen Ăberlieferungen und alten Liedern aufgezeichnete alt- 5,
nordische Thidreksaga erzÀhlt Siegfrieds Geburts- und |
Jugendzeschichte'): Könige Sigmund von Tarlungaland ver-
stöĂt, von einem Kriegszuge heimgekehrt, seine Gemahlin
Sisibe, die Tochter König Nidungs von Hispanien, die von =:
einem abgewiesenen Zudringling, dem Grafen Hartvin, ver- |
botenen Umgangs mit einem Knecht beschuldigt wird. n
Die Ratgeber empfehlen dem König statt der Tötung der E
Unschuldigen ihre VerstĂŒmmelung und Hartvin erhĂ€lt den
Auftrag, ihr im Walde die Zunge auszuschneiden, um sie dem
König als Wahrzeichen zu bringen. Sein Begleiter, Graf F
Hermann, widersetzt. sich der AusfĂŒhrung des grausamen -
Befehles und schlÀgt vor, dem König die Zunge eines Hundes
vorzuweisen. WĂ€hrend nun die beiden MĂ€nner in einen helf-
tigen Streit geraten, gebiert Sisibe einen ĂŒberaus schönen
Knaben; âdarauf nahm sie aus ihrem MethgerĂ€t, das sie
bei sich gehabt hatte, ein GlasgefĂ€Ă, und nachdem sie den
Knaben in TĂŒcher gewickelt hatte, setzte sie ihn in 1
das GlasgefÀà und verschloà es sodann wieder sorg- 2
fĂ€ltig und legte es neben sichâ (RaĂmann). In dem Kampfe
'Tiel Hartvin und stieĂ mit dem FuĂe nach dem GlasgefĂ€Ă, so
daĂ es hinab in den Strom stĂŒrzte. Als die Königin das
sah, fiel sie in eine Ohnmacht und verschied bald darauf.
Hermann ging nun heim, erzĂ€hlte alles dem König und wurde â
aus dem Reiche verbannt. âDas GlasgefÀà aber trieb den MW
Strom hinab zur See und das war nicht allzulange und es war
gerade See-Ebbe. Da trieb das GefÀà an eine Felsklippe
und die See lief ab, so daĂ es dort ganz trocken war, wo
EP
u 4 = a.
nYT; .
a
u.
4 ee 7
1) Vgl. August RaĂmann: Die deutsche Heldensage und ihre Heimat,
Hannover 1857 â1858, Band II, 8.7 ff.; fĂŒr die Quellen: Jiriezek, Die
deutsche Heldensage (Sammlung Göschen) und Pipers Einleitung zu dem
Band: Die Nibelungen, in KĂŒrschners deutscher Nationalliteratur. â Nach
Boer wĂ€re die Geburtsgeschichte erst spĂ€ter an die Siegfriedsage angefĂŒgt
worden.
m nn â â
SIEGFRIED. â WOLFDIETRICH. â GENOVEFA,. 69
das GefÀà lag. Nun war der Knabe etwas gewachsen und als
das GefÀà an die Felsklippe stieĂ, da brach es entzwei und
weinte das Kindâ? (RaĂmann). Eine Hirschkuh hörte das
Wimmern des Knaben, faĂte ihn mit ihren Lefzen und trug
ihn in ihr Lager, wo sie ihn mit ihren Jungen zu-
sammen sÀugte. Nachdem das Kind zwölf Monate im Lager
der Hirsechkuh verbracht hatte, war es so groĂ und stark
geworden wie andere vier Jahre alte Knaben. Einst lief es in
den Wald, wo der weise und kunstreiche Schmied Mimir
hauste, der schon neun Jahre in kinderloser Ehe lebte.
Er sah den Knaben, dem die Hirschkuh sorglich folgte, nahm
ihn zu sich und beschloĂ, ihn als seinen Sohn aufzu-
ziehen. Er gab ihm den Namen Siegfried. Im Hause Mimirs
entwickelte Siegfried sich bald zu gewaltiger GröĂe und
StÀrke; aber seine UngebÀrdigkeit bewog Mimir, sich seiner
zu entledigen. Er schickte ihn in den Wald, wo ihn nach
der Verabredung Mimirs Bruder, der Drache Regin, töten
sollte. Aber Siegfried erschlÀgt den Drachen und tötet auch
Mimir. Dann zieht er zu Brynhild, die ihm seine Eltern nennt!),
Der Jugendgeschichte Siegfrieds Àbnlich erzÀhlt eine austra-
sische Sage die Geburt und Jugend WolfdietrichsÂź). Auch seine
Mutter wird von einem abgewiesenen Vasallen bei dem heim-
kehrenden König (Hugdietrich von Konstantinopel) der Untreue
und teuflischen Buhlschaft beschuldigt?). Der König ĂŒbergibt
it) Als unbekannter Retter kommt Siegfried ĂŒber das Wasser zur Jung-
frau gefahren (wie Lohengrin, SeeÀf, Wieland u. a.) nach Boer.
2)Vgl Deutsches Heldenbuch, Teil III, Band 1(Berlin 1871), hg.
v. Amelung und Jaenicke, wo auch die zweite Form (B) der Wolfdietrich-
sage zu finden ist. Vgl. auch Schneider: Die Gedichte und die Sage von
Wolfdietrieh. Unters. ĂŒber ihre Entstebungsgesch, MĂŒnchen 1913. â Wilh.
Grimm hat (in Haupts Zeitschr. f. d. Altert. XII, 206) die Geburtsgeschichte
Wolfdietriehs mit der Romulussage verglichen, MĂŒllenhoff die historischen
Beziehungen aufgezeigt (ebda, VI, 435),
3) Das Motiv der Verleumdung der Herrin durch einen zurĂŒckge-
wiesenen Liebeswerber in Verbindung mit der Aussetzung und TiersÀugung
(Hirschkuh) bildet den Kern der Geschichte von Genovefa und ihrem
Sohne Schmerzenreich, wie sie z. B. die BrĂŒder Grimm in ihren âdeutschen
Sagenâ (Berlin 1818, TI, $. 289 uf.) erzĂ€hlen. Auch hier stellt der treulose
a â
= ER. â |
eo | nun n.
10 WOLFDIETRICH UND ANDERE HELDENEPEN. â TRISTAN,
das Kind zur Tötung dem treuen Berchtung, der es jedoch
im Walde an einem Wasser aussetzt, in der Hoffnung, es
werde von selbst hineinfallen und so den Tod finden. Das spielende
Kind bleibt aber unversehrt und auch die wilden "Tiere (Löwen,
BÀren, Wölfe), die abends ans Wasser kommen, tun ihm nichts
zuleide. DarĂŒber erstaunt, beschlieĂt Berchtung, den Knaben zu
retten; er ĂŒbergibt ihn einem WildhĂŒter, der ihn, gemein-
sam mit seinem Weib, aufzieht, und nennt ihn Wolfdietrich.
(Die gleiche Betonung des Tiermotivs findet man in der
Sage von SchalĂŒ, dem indischen Wolfskind; vgl. JĂŒlg: Mon-
golische MĂ€rchen, Innsbruck 1868.)
Von spĂ€teren Heldenepen seien noch angefĂŒhrt: aus dem
XIII, Jahrhundert die Sage von Horn, dem Sohne Alufs, der aufs
Meer ausgesetzt, schlieĂlich an den Hof des Königs Hunlaf
kommt und nach vielen Abenteuern dessen Tochter Rimhilt zum
Weibe gewinnt.
Ferner ein an Siegfried erinnerndes Detail aus der Sage von
Wieland, dem Schmied, der nach RĂ€chung seines auf hinter-
listige Weise getöteten Vaters mit den SchÀtzen und Werkzeugen
seiner Lehrmeister beladen in einen Baumstamm kĂŒnstlich
eingeschlossen die Weser hinabtreibt. (Hagen, Schwanen-
sage, 524.)
Endlich enthÀlt auch die Arthursage die Verwandlung des
göttlichen und menschlichen Vaters, die Aussetzung und das Auf-
wachsen bei einem niederen Manne.
Tristan.
Dem Schema dieser ErzÀhlungen reiht sich die Tristan-
sage an, wie sie im Epos Gottfrieds von StraĂburg er-
Verleumder den Antrag, die GrÀfin mit ihrem Kind im Wasser zu
ersĂ€ufen. â Zur literarhistorischen Orientierung vgl. man J. Zacher: Die
Historie von der PfalzgrÀfin Genovefa, Königsberg 1860, und B. Seuffert:
Die Legende von der PfalzgrĂ€fin Genovefa,. WĂŒrzburg 1877. â Verwandte
Ăberlieferungen von der Untreue beschuldigten und zur Strafe ausgesetzten
Frauen sind im XI. Kapitel meiner Untersuchung âDas Inzestmotiv in
Diehtung und Sageâ behandelt.
a ma mn m a nn Em I LE ââ mm nn om dr gr nn un nn in
TRISTAN. 1
zÀhlt wird. Vor allem die Vorgeschichte, die dann in den
Schicksalen des Helden selbst wiederkehrt (Doublierung)
Riwalin, König im Parmenierlande, hatte bei einem Zuge zu
Marke, dem König von Kurnewal und England, dessen schöne
Schwester Blancheflure kennen gelernt und war zu ihr in
hefticer Liebe entbrannt. Als Riwalin einst in einem Feldzuge
Marke unterstĂŒtzte, wurde er, auf den Tod verwundet, nach
Tintajole gebracht. Blancheflure eilte, als Bettlerin ver-
kleidet, an sein Krankenlager und es gelang ihrer auf-
opfernden Liebe, den König zu retten. Sie entfloh mit
dem Geliebten in dessen Heimatland (Hindernisse) und
wurde dort als seine Gattin ausgerufen. Allein Morgan ĂŒber-
fiel Riwalins Land um Blancheflures willen, die der König
da sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trug, seinemâ
treuen Marschall Rual anvertraute, der die Königin auf
Kastell Kanoel in Sicherheit brachte. Dort gebar sie ster-
bend ein Söhnlein, wÀhrend ihr Gatte im Kampf gegen
Morgan fiel. Rual verbreitete nun, um den SpröĂling vor
Morgans Nachstellungen zu schĂŒtzen, das GerĂŒcht, das
Kind sei tot zur Welt gekommen, und legte dem Knaben
den Namen Tristan bei, weil er in Trauer empfangen und
in Trauer geboren sei. Unter der Obhut seiner Pflege-
eltern wuchs Tristan heran, geistig und körperlich gleich
gut erzogen, bis ihn im 14. Lebensjahre norwegische Kauf-
leute entfĂŒhrten und aus Furcht vor dem Zorn der Götter
in Kurnewal ans Land setzten. Dort fanden ihn Mannen
des Königs Marke, dem der schöne, tapfere JĂŒngling so
gut gefiel, daB er ihn bald zu seinem JĂ€germeister ernannte
(Karriere) und sich seiner in voller Zuneigung annahm. Unter-
dessen war der treue Rual aufgebrochen, um den geraubten
Pflegling zu suchen, den er schlieĂlich, bettelnd durch die
Marken ziehend, in Kurnewal fand und König Marke ĂŒber
Tristans Abstammung aufklÀrte Der Herrscher, sehr
erfreut, den Sohn seiner geliebten Schwester vor sich zu
sehen, ernannte ihn zum Ritter. Um den Vater zu rÀchen,
zog nun Tristan mit Rual nach Parmenien, stĂŒrzte den Usur-
pator Morgan und gab das Land Rual als Lehen, selbst zum
u
4
Ber
I
Mm
Be
'
1
2
u!
1
mE!
er â =
|
|
|
il
rn nn
12 TRISTAN.
Oheim Marke zurĂŒckkehrend (nach Chop: ErlĂ€uterungen zu
Wagners Tristan, Reclam-Bibl.).
Es folgt nun in der eigentlichen Tristansage eine Wieder-
holung der Hauptmotive. Im Dienste Markes tötet Tristan den
Morold, den BrÀutigam der Isolde, und wird, auf den Tod
verwundet, von Isolde gerettet. Er wirbt um sie, aller-
dings fĂŒr Marke, seinen Oheim, erfĂŒllt die Bedingung der
Drachentötung und sie folgt ihm, wenn auch widerwillig, zu
Schiff nach Kurnewal. Unterwegs trinken sie unwissentlich den
unheilbringenden Liebestrank, der sie in rasender Leiden-
schaft aneinander bindet. Sie begehen Treubruch an Marke
und in der Hochzeitsnacht gibt Isoldens treue Dienerin
BrangÀne ihre JungfrÀulichkeit an Stelle ihrer Herrin dem
âKönig Marke preis. Es folet schlieĂlich die Verbannung
Tristans, seine verschiedenen Versuche, die Geliebte wieder-
zusehen, trotzdem er inzwischen die ihr Ă€hnliche Isolde WeiĂ-
hand geheiratet hatte, endlich seine neuerliche Verwundung
auf den Tod, zu deren Heilung Isolde zu spÀt kommt!).
Eine deutlichere Darstellung der Tristansace, im Sinne der
den Mythus von der Geburt des Helden charakterisierenden Motive,
findet sich in dem MĂ€rchen âDie rechte Brautâ, das in der Ritters-
hausschen MĂ€rchensammlung (XXVIL, p. 113) angefĂŒhrt ist. Ein
Königspaar hat keine Kinder. Da der König seine Frau zu töten
droht, wenn sie bis zur RĂŒckkehr von seiner Meerfahrt kein
Kind habe, wird sie ihm von seiner besorgten Dienerin auf seiner
Fahrt, ohne daĂ er sie kennt (vgl. die Brautunterschiebung Bran-
gĂ€nes) als schönste von drei lustwandelnden Frauen zugefĂŒhrt und
er nimmt sie ins Zelt. Sie kehrt unbemerkt heim; sie gebiert dann
ein MÀdchen, Isol, und stirbt. Isol findet spÀter am Strand
einen kleinen, wunderschönen Knaben in einem Kasten,
namens Tristan und zieht ihn auf, um sich mit ihm zu ver-
!) Vgl. Immermann: âTristan und Isolde. Ein Gedicht in Romanzen.â
DĂŒsseldorf 1511. Gleich dem Epos Gottfrieds beginnt das Gedicht mit der
Urgeschichte, der Liebe von Tristans Eltern: Markes schĂŒner Schwester
Blancheflure und König Riwalin, der sterbend den Tristan heimlich zeugt.
Der Knabe wÀchst in der Obhut des treuen Rual und seines Weibes (Floreto)
a ge m u
LOHENGERIN. 13
loben. Die weitere ErzÀhlung, die das Motiv der rechten Braut
enthĂ€lt, ist fĂŒr uns dadurch bemerkenswert, daĂ auch hier der
Vergessenheitstrank und zwei Isolden vorkommen. Die zweite Fıauâ
des Königs gibt Tristan einen Trank, so daà er die blonde Isol
ganz vergiĂt und die schwarze Isota zur Frau nehmen will.
SchlieĂlich entdeckt er aber den Betrug und wird mit Isol vereinigt.
Lohengrin.
Aus der weitverbreiteten und auf uralte keltische Ăber-
lieferung zurĂŒckgehenden Sagengeruppe vom Schwanritter
(altfranz. chevalier au cigne) sei hier die Fassung mitgeteilt,
die uns seit Wagners Dramatisierung dieses Stoffes vertraut
geworden ist: die Sage von Lohengrin, dem Ritter mit
dem Schwane, wie sie uns das mittelhochdeutsche Helden-
gedicht (erneut von Junghaus, Reclam) ĂŒberliefert und wie sie
die BrĂŒder Grimm in ihren âDeutschen Sagenâ (2, Teil,
Berlin 1818,.S. 306) unter dem Titel: Lohengrin zu Brabant
kurz wiedergeben!).
Der Herzog von Brabant und Limburg starb, ohne andere
Erben als eine junge Tochter Els oder Elsam zu hinterlassen;
diese empfahl er auf dem Todbette einem seiner Dienstmannen,
Friedrich von Telramund. Friedrich, ein tapferer Held, wurde
ĂŒbermĂŒtig und warb um der jungen Herzogin Hand und Land,
unter dem falschen Vorgeben, daĂ sie ihm die Ehe gelobt
hÀtte. Da sie sich standhaft weigerte, klagte Friedrich bei dem
Kaiser Heinrich dem Vogler; und es wurde Recht gesprochen,
daĂ sie sich im Gotteskampf durch einen Helden gegen ihn
verteidigen mĂŒsse. Als sich keiner finden wollte, betete die
Herzogin inbrĂŒnstig zu Gott um Rettung. Da erscholl weit
davon zu Montsalvatsch beim Gral der Laut der Glocke, zum
Zeichen, daĂ jemand dringender Hilfe bedĂŒrfe. Alsobald be-
auf, bis er als JĂ€ger im Dienste Markes von diesem â an einem Ringe der
Blanchsflur â als Neife erkannt und dessen GĂŒnstling wird.
') Vgl. Des Verfassers âLohengrinsageâ, wo auch die weiter unten
folgende SeeĂ€fsage ausfĂŒhrlich behandelt ist, (Diese Sammlung, H, 13.)
a LLâââeâeâeeeâe ne nn A een
4 LOHENGERIN.
m gro nl sm en
schloĂ der Gral, den Sohn Parsifals, Lohengrin, darnach aus-
zusenden. Eben wollte dieser seinen FuĂ in den Stegreif setzen,
da kam ein Schwan auf dem Wasser geflossen und zog
hinter sich ein Schiff daher. Kaum erblickte ihn Loben-
orin, als er rief: âBringt das RoĂ wieder zur Krippe; ich will
nun mit diesem Vogel ziehen, wohin er mich fĂŒhrtâ. Speise
nahm er im Vertrauen auf Gott nicht in das Schiff; nachdem
sie fĂŒnf Tage ĂŒber Meer gefahren waren, fuhr der Schwan mit
dem Schnabel ins Wasser, fing ein Fischlein auf, ab es halb
und gab dem FĂŒrsten die andere HĂ€lfte zu essen. So wurde
der Ritter von dem Schwan gespeist.
Unterdessen hatte Elsa ihre FĂŒrsten und Mannen zu einer
Landsprache nach Antwerpen berufen. Gerade am Tage der
Versammlung sah man einen Schwan die Schelde herauf-
schwimmen, der ein Schifflein zog, in welchem Lohengrin auf
sein Schild ausgestreckt schlief. Der Schwan landete bald am
Gestade und der FĂŒrst wurde fröhlich empfangen. Kaum hatte
man ihm Helm, Schild und Schwert aus dem Schiffe getragen,
als der Schwan sogleich zurĂŒckfuhr. Lohengrin vernahm
nun das Unrecht, welches die Herzogin litt, und ĂŒbernahm es
gerne, ihr KĂ€mpfer zu sein. Elsa lieĂ hierauf alle ihre Ver-
wandten und Untertanen entbieten; in Mainz wurde das GestĂŒhl
errichtet, wo Lohengrin und Friedrich in Gegenwart des Kaisers
kĂ€mpfen sollten. Der Held vom Gral ĂŒberwand Friedrich;
dieser gestand, die Herzogin angelogen zu haben, und wurde
mit SchlÀgel und Barte (Beil) gerichtet. Elsa fiel nun dem
Lohenerin zu Teil, die lÀngst einander liebten. Doch behielt
er sich insgeheim vor, daĂ sie alle Fragen, welches
Stammes er sei und woher er gekommen wÀre, zu Ver-
meiden habe: denn sonst mĂŒĂte er sie augenblicklich ver-
lassen, so daà sie ihn nimmer wiedersÀhe.
Eine Zeitlang verlebten die Eheleute in ungestörtem GlĂŒck
und Lohengrin beherrschte das Land weise und mÀchtig. Auch
dem Kaiser leistete er auf den ZĂŒgen gegen die Hunnen und
Heiden groĂe Dienste. Es trug sich aber zu, daĂ er einmal im
Speerwechsel den Herzog von Cleve herunterstach, so daĂ dieser
den Arm brach. Neidisch redete da die Clever Herzogin laut
LOHENGRIN. 75
be
unter den Frauen: âEin kĂŒhner Held mag Lohengrin sein und
Christenglauben scheint er zu haben; schade, daĂ Adels halben
sein Ruhm gering ist; denn niemand weiĂ, woher er ans
Land geschwommen kamâ. Dieses Wort ging der Herzogin
von Brabant durch das Herz, sie errötete und erblich. Nachts
im Bette, als ihr Gemahl sie in Armen hielt, weinte sie und er
sprach: âWas ist dir, Elsa mein?â Sie antwortete: âDie Clever
Herzogin hat mich zu tiefen Seufzern gebrachtâ. Aber Lohen-
grin schwieg und fragte nicht weiter. Die zweite Nacht ging
es ebenso. Allein in der dritten Nacht konnte sich Elsa nicht
lĂ€nger halten und sprach: âHerr, zĂŒrnt mir nicht! Ich wĂŒĂte
gern, um unserer Kinder willen, von wannen ihr ge-
boren seid; denn mein Herz sagt mir, ihr seid reich an Adelâ,
Als nun der Tag anbrach, erklĂ€rte Lohengrin Ăffentlich, woher
er stamme: daĂ Parsifal sein Vater sei und Gott ihn vom
Grale hergesandt habe. Darauf lieĂ er seine beiden Kinder
bringen, die ihm die Herzogin geboren hatte, kĂŒĂte sie, befahl
ihnen, Horn und Schwert, das er zurĂŒcklasse, wohl aufzuheben
und sagte: âNun muĂ ich auf die Fahrt!â Der Herzogin lieĂ
er das Fingerlein, das ihm einst seine Mutter geschenkt hatte.
Da kam mit Eile sein Freund, der Schwan geschwommen, hinter
ihm das Schifflein; der FĂŒrst trat hinein und fuhr ĂŒbers
Wasser wieder in den Dienst des Grales. Elsa sank ohnmÀchtig
nieder. Den jĂŒngeren der Knaben, Lohengrin, beschloĂ
die Königin um seines Vaters willen zu behalten und
ihn wie ihr eigenes Kind zu erziehen. Die Witwe aber
weinte und klaste ihr ĂŒbriges Leben lange um den geliebten
Gemahl, der nimmer wiederkehrte!).
Wenn man mit Berufung auf die in den Mythen nicht
seltene Umordnung, ja Umkehrung der Motive den SchluĂ der 1
| 1) Die BrĂŒder Grimm fĂŒhren in ihren deutschen Sagen (2. Teil, |
S, 286 uff.) noch sechs Fassungen der Sage vom Schwanritter an. In den
gleichen mythologischen Zusammenhang gehören auch einige MÀrchen der
BrĂŒder Grimm; so âDie sechs SchwĂ€neâ (Nr. 49), âDie zwölf BrĂŒderâ (Nr. 9)
und âDie sieben Rabenâ (Nr. 25) mit ihren im Ill. Bande der Kinder- und
HausmĂ€rchen angefĂŒhrten Parallelen und Varianten. Weiteres Material aus
diesem Sagenkreis findet manin Leos âBeowulfâ undin Görres Einleitung
zum âLohengrinâ (Heidelber& 1813).
i6 DER RITTER MIT DEM SCHWAN.
nn u ee ââ
Lohengrinsage voranstellt, so ergibt sich der uns gelÀufige
Sagentypus: der kleine Lohengrin, der identisch ist mit
seinem gleichnamigen Vater, schwimmt in einem Nachen
auf dem Meere und wird von einem Schwan ans Land
eebracht. Die Kaiserin nimmt ihn an Sohnesstatt an
under wĂ€chstzum kĂŒhnen Helden heran. Mit einer edlen
Jungfrau des Landes vermÀhlt, verbietet er, nach seiner Her
kunft zu fragen. Als das Gebot ĂŒbertreten wird. muĂ er seine
wunderbare Abkunft und göttliche Sendung enthĂŒllen, worauf
ihn der Schwan im Nachen wieder zum Gral zurĂŒckfĂŒhrt.
Andere Versionen der Sclwanrittersage haben diese ursprĂŒng-
liche Anordnung der Motive bewahrt, wenn sie auch mit mÀrchen-
haften ZĂŒgen vermengt erscheinen. So enthĂ€lt die in dem flam-
lÀndischerp Volksbuche mitgeteilte Sage vom Ritter mit dem
Schwan (Deutsche Sage II, 291) zu Anfang die Geburt von sieben
Kindern!), die Beatrix, die Gemahlin Königin Oriants von Flandern,
zur Welt bringt. Matabruna, die böse Mutter des abwesenden Königs,
befiehlt die Kinder zu töten und an deren Stelle der Königin sieben
junge Hunde unterzuschieben. Der Diener begnĂŒgt sich jedoch mit
der Aussetzung der Kinder, die von einem Einsiedler namens
Helias gefunden und von einer Geià gesÀugt werden, bis sie
herangewachsen sind. Beatrix wird in den Kerker geworfen. SpÀter
eıfÀhrt Matabruna von der Rettung der Kinder und: ein neuerlicher
Befehl, sie zu töten, hat den Erfolg, daà der damit beauftraste
JĂ€ger zum Zeichen der scheinbaren VollfĂŒhrung des Befehls ihr die
silbernen Halsketten bringt, welche die Kinder schon bei ihrer
Geburt gehabt hatten, Einer der Knaben, nach seinem Pilegevater
) Ăhnlich in der alten longobardischen Aussetzungssage, die Paulus
Diaconus (I, 15) vom König Lamissio erzÀhlt. Eine Dirne hatte ihre sieben
neugeborenen Kinder in einen Fischteich geworfen, als König Agelmund
vorbei kam und die Kinder neugierig betrachtete, indem er sie mit seinem
Speere umwandte. Als dabei eines von den Kindern nach dem Speer griff,
deutete der König das als gĂŒnstiges Vorzeichen, befahl, diesen Knaben aus
dem Teich zu ziehen und ihn einer Amme zum SĂ€ugen zu ĂŒbergeben. Da
er ihn aus dem Teich, der in seiner Sprache lama genannt wird, ge-
zogen hatte, nannte er. den Knaben Lamissio. Herangewachsen wurde er
ein tapferer IIeld und nach Agelmunds Tode König der Longobarden,
Tee HT WET WERNER: |
. LAMISSIO. â SCEĂF. 17
Helias genannt, behÀlt allein seine Kette und wird so vor dem
Schicksal seiner Geschwister bewahrt, dis sich mit Abnahme der
Ketten in SchwÀne verwandeln. Da soll nun auf neuerliches
Anstiften der Matabruna, die sich erbötig macht, den Umgang der
Königin mit dem Hunde zu erweisen, Beatrix getötet werden, wenn
kein KĂ€mpfer fĂŒr ihr Recht eintrete. In dieser Not betet sie zu
Gott, der ihren Sohn Helias als Retter schickt. Auch seine Ge-
schwister werden nun mit Hilfe der Ketten wieder erlöst bis auf
einen, dessen Kette schon verarbeitet ist, Hierauf ĂŒbergibt König
Oriant die Regierung seinem Sohne Helias, der die böse Matabruna
verbrennen lĂ€Ăt. Eines Tages sieht Helias, wie sein Bruder, der
Schwan, auf dem SchloĂweiher einen Nachen zieht, hĂ€lt das fĂŒr ein
Zeichen des Himmels und besteigt gewafinet das Schifflein. Der
Schwan fĂŒhrt ihn durch FlĂŒsse und Ströme zu der Stelle, wohin er
nach Gottes Willen beschieden war. Nun folgt die der Lohengrin-
sage analoge Befreiung -einer unschuldig angeklagten Herzogin und
die VermÀhlung mit ihrer Tochter Klarissa, der die Frage nach der
Herkunft ihres Gatten verboten wird. Im siebenten Jahr ihrer Ehe
tut sie aber doch die Frage, worauf Helias in dem Schwanenschiff
wieder nach Hause zurĂŒckkehrt, wo nun auch der letzte Bruder
Sehwan erlöst wird.
SceÀf.
Die der Lohengrinsage eigentĂŒmlichen ZĂŒge, daĂ der
göttliche Held auf dieselbe geheimnisvolle Weise, wie er
gekommen ist, auch wieder verschwindet, und ebenso die
Ăbertragung mythischer Motive aus dem Leben des Ă€lteren
gleichnamigen Helden auf einen jĂŒngeren, einen ganz allge-
meinen Vorgang der Mythenbildung, enthÀlt auch die anglisch-
langobardische Sage von ScöÀf, dieim Eingang des Beowulf-
liedes, des Àltesten deutschen, in angelsÀchsischer Mundart
erhaltenen Heldengedichtes (ĂŒbersetzt von H. v. Wolzogen,
Reclam), erwÀhnt wird. Der Vater des alten Beowulf hat seinen
Namen Seild Se@fing, d. i. Sohn des SeöÀf, davon, daà er als
ganz junger Knabe, den Bewohnern des Landes un-
bekannt, auf einer Korngarbe (ags. seöÀf) im Nachen
18 DER MYTHUS VON ZEUGUNG UND TOD DES HELDEN.
a
â
sehlafend von den Meereswogenan die KĂŒste desLandes
eetrieben wurde, das erzu beschirmen ausersehen war. Er wird
von den Einwohnern als ein Wunder in Empfang genommen, auf-
erzogen und spÀter als ein Gottgesandter zu ihrem König
gemacht (vel. Grimm: Deutsch. Mythol.â, I, S. 306, II, S. 391
und H. Leo: Beowulf, Halle 1839'). Was von dem Ahnbherrn
der Königsfamilie, von Scaf oder ScöÀf erzÀhlt wird, er-
scheint im Beowulflied auf seinen Sohn, den SeöÀfing Seild
ĂŒbertragen, nach ĂŒbereinstimmender Angabe Grimms (a. a. O.)
und Leos (S. 24): Sein Leichnam wird nÀmlich auf seine An-
ordnung von königlichem Reichtum umgeben auf einem mann-
schaftslosen Schiffe in die See ausgesetzt (Anfang des Beowulf-
liedes). Er verschwindet also auf dieselbe geheimnisvolle Weise,
wie sein Vater ans Land kam, ein Zug, der sich nach Analogie
der Lohengrinsage durch die mythische IdentitÀt von Vater
und Sohn erklÀrt?).
i) Der Name Beowulf, den Grimm als Bienenwolf erklÀrt, scheint
ursprĂŒnglich (nach Wolzogen) BĂ€rwelf d. i. JungbĂ€r zu bedeuten, was an
die Sage vom âUrsprung der Welfenâ (Grimm II, 233) erinnert, wo die
Knaben als Welfe ins Wasser geworfen werden sollen.
2) Das sich typisch wiederholende Motiv vom Ende des Heldenlebens
verdiente â ebenso wie das Motiv von der Zeugung des Helden â eine ge-
sonderte Behandlung, was in meiner Monographie ĂŒber die Lohengrinsage an-
gebahnt ist, Dabei zeigt sich der Mythus vom Tode des Helden von Àhnlich
wunderbaren Motiven (EntrĂŒckung), aber auch von der gleichen unbe-
wuĂten Symbolik beherrscht, wie sie unsere Deutung im Mythus von der
Geburt des Helden aufzeigen kann.
u =
II.
Ăberblickt man die Menge dieser mannigfach ausgestalteten
Heldensagen, so drÀngt sich einem eine Reihe durchgÀngig
gemeinsamer ZĂŒge auf, die es nahelegen, aus diesen typischen
Grundelementen gleichsam eine Durchschnittssage zu bilden.
FĂŒr die individuellen ZĂŒge der einzelnen Mythen und ins-
besondere fĂŒr manche scheinbare Abweichung vom Schema
wird erst die Deutung volle AufklÀrung bringen. Die Durch-
sehnittssage selbst könnte man schematisch etwa so formu-
lieren.
Der Held ist das Kind vornehmster Eltern, meist ein
Königsohn.
Seiner Entstehung gehen Schwierigkeiten voraus, wie
Enthaltsamkeit oder lange Unfruchtbarkeit oder heimlicher Ver-
kehr der Eltern infolge Ă€uĂerer Verbote oder Hindernisse.
WĂ€hrend der Schwangerschaft oder schon frĂŒher erfolgt eine
vor seiner Geburt warnende VerkĂŒndigung (Traum, Orakel),
die meist dem Vater Gefahr droht.
Infolgedessen wird das neugeborne Kind, meist auf
Veranlassung des Vaters oder der ihn vertretenden Person,
zur Tötung oder Aussetzung bestimmt; in der Regel wird
es in einem KĂ€stehen dem Wasser ĂŒbergeben.
Es wird dann von Tieren oder geringen Leuten
(Hirten) gerettet und von einem weiblichen Tiere oder
einem geringen Weibe gesÀusgt.
Herangewachsen, findet es auf einem sehr wechselvollen
Wege die vornehmen Eltern wieder, rÀcht sich am Vater
FAMILIE.
ââ - â - ig er
- a
re
nn a
50 DER HELD UND SEINE
EB -
ZZ
einerseits, wird anerkannt anderseits und gelangt zu GröĂe
und Ruhm!).
Da in allen diesen Mythen, wie das Schema zeigt, regel-
mĂ€Ăig die normalen Beziehungen des Helden zu Vater und
Mutter gestört erscheinen, SO ist die Annahme nicht
unbegrĂŒndet, daĂ etwas in der Natur des Helden liegen mĂŒsse,
was eine solche. Störung zu bewirken im stande ist. Solche
Motive sind zunĂ€chst nieht schwer zu finden. Es lĂ€Ăt sich
leicht verstehen und wir können es ja an den AuslÀufern
des Heldentums in unserer Zeit beobachten, daĂ fĂŒr den
Helden, der in viel höherem Grade als jeder andere dem
Neid, der MiĂgunst und der Nachrede ausgesetzt ist, die Ab-
kunft von seinen Eltern hÀufig zur Quelle peinlicher Ver-
legenheiten wird. Das alte Wort: âNemo propheta in patriaâ
hat ja auch keine andere Bedeutung, als daĂ man den, dessen
Eltern, Gesehwister und Gespielen man gekannt hat, schwerlich
fĂŒr einen Propheten gelten lĂ€bt (Evang. Mark. VI, 4). Es scheint
eine gewisse GesetzmĂ€Ăigkeit darin zu liegen, daĂ der Prophet
seine Eltern verleugnen muĂ. Der bekannten Oper Meyerbeers
liegt ja das Bekenntnis zugrunde, dal der prophetische Held
zugunsten seiner Mission selbst die zÀrtlich geliebte Mutter
verlassen darf.
Wollen wir aber eine tiefere ErgrĂŒndung der Regungen
versuchen, die den Helden nötigen, seine Familienbeziehungen
zu brechen, so stoĂen wir auf eine Reihe von Schwierigkeiten.
Daà man zum VerstÀndnis der Mythenbildung auf ihre letzte
Quelle, die individuelle PhantasietĂ€tigkeit, zurĂŒckgehen mĂŒsse,
ist schon von vielen Forschern hervorgehoben worden?); ebenso
die Tatsache, daà man diese PhantasietÀtigkeit in lebhafter,
ungehemmter Entfaltung nur beim Kinde antrifftÂź). Man mĂŒĂte
also zunÀchst das Phantasieleben des Kindes erforschen, um
t) Eine Möglichkeit weiterer Detaillierung einzelner Punkte dieses
Schemas ergĂ€be sich aus der Zusammenstellung, die Heinrich LeĂmann
am SchluĂ seiner Arbeit: âDie Kyrossage in Europa,â gegeben hat.
2) Siehe auch Wundt (a. a. O., S. 48), der den Helden psychologisch
als Projektion menschlicher WĂŒnsche und Bestrebungen auffaĂt.
3) ef. Cox (l. e..p. 9.)
|
er
> | âââââ =
2
e
DIE NEUROTISCHEN PHANTASIEN. si
dem VerstÀndnis der ungleich komplizierteren, durch mancherlei
EinflĂŒsse modifizierten mythischen uud kĂŒnstlerischen Phantasie-
tÀtigkeit nÀher zu kommen. Die Erforschung-des kindlichen
Phantasielebens ist aber kaum noch inâ Angriff genommen,
geschweige denn so weit gefĂŒhrt, . daĂ. man ihre âErgebnisse
zur ErklÀrung der komplizierteren Leistungen heranziehen
könnte. Der Grund fĂŒr diese mangelhafte Kenntnisâ des kind-
lichen Seelenlebens ist darin zu suchen, daĂ es sowohl an
einem geeigneten Instrument -als auch an einem sicheren Weee
zur Erforschung dieses so heiklen und schwer zugÀnglichen
Gebietes fehlte. Beim normalen erwachsenen Menschen lassen
sich diese kindlichen Regungen schlechterdings nicht studieren;
ja man kann sogar im Hinblick auf gewisse seelische Störungen
sagen, daà die psychische NormalitÀt des Normalen eben darin
besteht, daĂ er sein kindliches Vorstellungs-: und Phantasie-
leben ĂŒberwunden, richtiger gesagt gut verdrĂ€ngt hat: da fehlt
uns also der Weg. Beim Kinde dagegen lĂ€Ăt uns die empirische
Beobachtung, die in der Regel nur oberflÀchlich bleiben kann,
bei der Erforschung seelischer VorgÀnge im Stich, da wir noch
nicht im stande sind, aus allen ĂuĂerungen richtig auf ihre
TriebkrĂ€fte zu schlieĂen: hier fehlt uns also das Instrument.
BloĂ eine Klasse von Menschen, die sogenannten Psycho-
neurotiker, die, wie uns die Forschungen Freuds gelehrt
haben, gleichsam in gewissem Sinne Kinder geblieben : sind,
wenn sie sich auch sonst als Erwachsene prÀsentieren, haben
ihr kindliches Seelenleben sozusagen nicht aufgegeben; es hat
vielmehr bei ihnen im Laufe der Reife eine VerstÀrkung und
Fixierung statt einer modifizierenden Entwicklung erfahren.
Beim Psychoneurotiker ist die InfantilitÀt gesteigert erhalten
und dadurch zu pathologischen Wirkungen befÀhigt, die uns
diese sonst unbeachteten Regungen vergröbert, sozusagen in
mikroskopischer VergröĂerung zeigen. Die Phantasien der
Neurotiker gleichen in jeder Beziehung ĂŒbertriebenen Repro-
duktionen der kindlichen Phantasien; da hÀtten wir also den
Weg. UnglĂŒcklicherweise ist hier aber der Zugang noch weit
schwieriger als beim Kind. Es gibt nur ein Mittel, das
diesen Weg gangbar macht, und.das ist die psychoanalytische
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden, 2. Aufl. ĂŒ
ne ââ
82 DIE ABLĂSUNG DES KINDES VON DEN ELTERN.
_â_â _ââ nz
m
Methode, deren Ausbildung Freud zu verdanken ist. Die
stÀndige BeschÀftigung mit dieser Methode schÀrft dem Beob-
achter den Blick so weit, daà er dann im Seelenleben der spÀter
nicht neurotisch gewordenen Menschen die gleichen TriebkrÀfte
in ihren feiner nuancierten ĂuĂerungen wiederzuerkennen
vermag. he ur
Herrn Professor Freud, der mir seine reichen Erfahrungen
aus der Neurosenpsychologie zur VerfĂŒgung stellte, verdanke
ich das Folgende ĂŒber das Phantasieleben des Kindes und
des Neurotikers: ' ' '
âDie Ablösung des heranwachsenden Individuums von
der AutoritÀt der Eltern ist eine der notwendigsten, aber
auch schmerzlichsten Leistungen der Entwicklung. Es ist
durehaus notwendig, daĂ sie sieh vollziehe, und man darf an-
nehmen, jeder, normal gewordene Mensch habe sie in einem
gewissen MaĂ zustande gebracht. Ja, der Fortschritt der
Gesellschaft beruht ĂŒberhaupt auf dieser GegensĂ€tzlichkeit der
beiden Generationen. Anderseits gibt es eine Klasse von Neu-
rotikern, in deren Zustand man die Bedingtheit erkennt, daĂ
sie an dieser Aufgabe gescheitert sind. |
âFĂŒr das kleine Kind sind die Eltern zunĂ€chst die einzige
AutoritĂ€t und die Quelle alles Glaubens. Ihnen, das heiĂt dem
gleichgeschlechtlichen Teile, gleich zu werden, oeroĂ zu werden
wie Vater und Mutter ist der intensivste, folgenschwerste
Wunsch dieser Kinderjahre. Mit der zunehmenden intellektuellen
Entwicklung kann es aber nicht ausbleiben, dab das Kind all-
mÀhlich die Kategorien kennen lernt, in die seine Eltern gehören.
Es lernt andere Eltern kennen, vergleicht sie mit den seinigen
und bekommt so ein Recht, an der ihnen zugeschriebenen
Unvereleichlichkeit und Einzigartigkeit zu zweifeln. Kleine
Ereignisse im Leben des Kindes, die eine unzufriedene Stimmung
bei ihm hervorrufen, geben ihm den AnlaĂ, mit der Kritik
der Eltern einzusetzen und die gewonnene Kenntnis, dab
andere Eltern in mancher Hinsieht vorzuziehen seien, zu dieser
Stellungnahme gegen seine Eltern zu verwerten, Aus der
Neurosenpsychologie wissen wir, daĂ dabei unter anderen die
intensivsten Regungen sexueller RivalitÀt mitwirken. Der Gegen-
-ââ En did _ ee EEE FREE VEEEEEETTET TWEERE âââ u m m U mm. oe
DIE FANILIENROMANE DER NEUROTIKER. 85
- Te
a
stand dieser AnlĂ€sse ist offenbar das GefĂŒhl der ZurĂŒcksetzung.
Nur zu oft ergeben sich Gelegenheiten, bei denenâ das Kind
zurĂŒckgesetzt wird oder sich wenigstens zurĂŒckgesetzt fĂŒhlt,
wo es die volle Liebe der Eltern vermiĂt, besonders aber
bedauert, sie mit anderen Geschwistern teilen zu mĂŒssen. Die
Empfindung, daĂ die eigenen Neigungen nicht voll erwidert
werden, macht sich dann in der aus frĂŒhen Kinderjahren oft
bewuĂt erinnerten Idee Luft, man sei ein Stiefkind oder ein
angenommenes Kind. Viele nicht neurotisch gewordene Menschen
entsinnen sich sehr hĂ€ufig an solche Gelegenheiten, woâ sie
â meist durch LektĂŒre beeinfluĂt â das feindselige Benehmen
der Eltern in dieser Weise auffaĂten und erwiderten. Es
zeigt sich aber hier bereits der EinfluĂ des Geschlechts, indem
der Knabe bei weitem mehr Neigung zu feindseligen Regungen
gegen seinen Vater als gegen seine Mutter zeigt und eine viel
intensivere Neigung, sich von jenem als von dieser freizumachen.
Die PhantasietÀtigkeit der MÀdchen mag sich in diesem Punkte
viel schwĂ€cher erweisen. In diesen bewuĂt erinnerten Seelen-
regungen der Kinderjahre finden wir das Moment, welches uns
das VerstĂ€ndnis des Mythus ermöglicht.â
âSelten bewuĂt erinnert, aber fast immer durch die Payöhd;
analyse nachzuweisen, ist dat die weitere Entwicklungsstufe
dieser beginnenden Entfremdung von den Eltern, die man mit
dem Namen: Familienromane der Neurotiker bezeichnen
kann. Es gehört nÀmlich durchaus zum Wesen der Neuröse
und auch jeder höheren Begabung eine ganz besondere TÀtigkeit
der Phantasie, die sich zunÀchst in den kindlichen Spielen
offenbart und die nun, ungefÀhr von der Zeit der VorpubertÀt
angefangen, sich des Themas der Familienb eziehungen bemÀchtigt.
Ein charakteristisches Beispiel dieser besonderen Phantasie-
tĂ€tigkeit ist das bekannte TagtrĂ€umen!), das weit ĂŒber die
PubertÀt hinaus fortgesetzt wird. Eine genaue Beobachtung
dieser TagtrĂ€ume lehrt, daĂ sie der ErfĂŒllung von WĂŒnschen,
t) Vgl. darĂŒber Freud: Hystefische Phantasien und ihre Beziehung
zur BisexualitÀt, wo auch auf die Literatur zu diesem Thema verwiesen
ist. Die Arbeit findet sich in der zweiten Folge der âSammlung kleiner
Schriften zur Neurosenlehreâ (Wien und Leipzig) 1909, wieder abgedruckt.
6*
= â | â er amâââ u -_ââ- ns -â er m
= dei zn: za rn _ _.- - â _ Zen
St DIE PHANTASIEN VON HOHER ABKUNFT.
A
â a Zn u ââ
- âââ â â
der Korrektur des Lebens dienen und vornehmlich zwei Ziele
kennen: das erotische und das ehrgeizige (hinter dem aber
meist auch das erotische steckt). Um die , angegebene Zeit be-
schÀftigt sich nun die Phantasie des Kindes mit der Aufgabe,
die jetzt gering geschÀtzten Eltern loszuwerden und durch in
der Regel sozial höherstehende zu ersetzen. Dabei wird das
zufÀllioe Zusammentreffen mit wirklichen Erlebnissen (die
Bekanntschaft des SchloĂherrn oder Gutsbesitzers auf dem
Lande, der FĂŒrstlichkeit in der Stadt) ausgenĂŒtzt. Solche zu-
fÀllige Erlebnisse erwecken. den: Neid des Kindes, der dann
den Ausdruck in einer Phantasie findet, welche beide Eltern
durch vornehmere ersetzt. In der Technik der AusfĂŒhrung
solcher Phantasien, die natĂŒrlich um diese Zeit bewuĂt sind,
kommt es auf die Geschicklichkeit und das Material an, das
dem Kinde zur VerfĂŒgung steht. Auch handelt es sich darum,
ob die Phantasien mit einem groĂen oder geringen BemĂŒhen,
die Wahrscheinlichkeit zu erreichen, ausgearbeitet sind. Dieses
Stadium wird zu einer Zeit erreicht, wo dem Kinde die Kenntnis
der sexuellen Bedingungen der Herkunft noch fehlt.â
âKommt dann dieKenntnis der verschiedenartigen sexuellen
Beziehungen von Vater und Mutter dazu, begreift das Kind,
daà pater semper incertus est, wÀhrend die Mutter certissima
ist, so erfĂ€hrt der Familienroman eine eigentĂŒmliche Ein-
schrĂ€nkung; er begenĂŒgt sich nĂ€mlieh damit, den Vater zu er-
höhen, die Abkunft von der Mutter aber als etwas UnabÀnderliches
nieht weiter in Zweifel zu ziehen. Dieses zweite (sexuelle)
Stadium des Familienromans wird auch von einem zweiten
Motiv getragen, das dem ersten (asexuellen) Stadium fehlte,
Mit der Kenntnis der geschlechtlichen VorgÀnge entsteht die
Neigung, sich erotische Situationen und Beziehungen auszu-
malen, wozu âals Triebkraft die Lust tritt," die Mutter, die
Gegenstand der höchsten sexuellen Neugierde ist, in die Situation
von geheimer Untreue und geheimen LiebesverhÀltnissen zu
bringen. In dieser Weise werden jene ersten gleichsam asexuellen
Phantasien auf die Höhe der jetzigen Erkenntnis gebracht.â
| âĂbrigens zeigt sich das Motiv der Rache und Vergeltung,
das frĂŒher im Vordergrunde stand, auch hier. Diese neurotischen
.
eu Zu
we
nn ni m nn Es me ie aa 2 =
DEUTUNG. UND RECHTFERTIGUNG DIESER-PHANTASIEN. 35
BEE. a Do m
Kinder sind es ja auch meist, die bei der Abgewöhnung
sexueller Unarten von den Eltern bestraft wurden, und die
sich nun durch solche Phantasien an ihren Eltern rĂ€chen.â
âGanz besonders sind es nachgeborene Kinder, die vor
allem ihre VordermÀnner durch derartige Dichtungen (ganz
wie in historischen Intrigen) ihres Vorzuges berauben, ja die
sich oft nicht scheuen, der Mutter ebensoviele LiebesverhÀlt-
nisse anzudichten, als Konkurrenten vorhanden sind. Eine
interessante Variante dieses Familienromans ist es dann, wenn
der dichtende Held fĂŒr sich selbst zur LegitimitĂ€t zurĂŒckkehrt,
wÀhrend er die anderen Geschwister auf diese Art als illegitim
beseitigt. Dabei kann noch ein besonderes Interesse den
Familienroman dirigieren, der mit seiner Vielseitigkeit und
mannigfachen Verwendbarkeit allerlei Bestrebungen entgegen-
kommt. So beseitigt der kleine Phantast zum Beispiel auf dieses
Weise die verwandtschaftliche Beziehung zu einer Pappe
die ihn etwa sexuell angezogen hat.â
âWer sich von dieser Verderbtheit des kindlichen GemĂŒtes
mit Schaudern abwendete, ja selbst die Möglichkeit solcher
Dinge bestreiten wollte, dem sei bemerkt, daĂ alle diese an-
scheinend so feindseligen Dichtungen eigentlich nicht so böseâ
gemeint sind und unter leichter Verkleidung die erhalten ge-
bliebene ursprĂŒngliche ZĂ€rtlichkeit des Kindes fĂŒr seine Eltern
bewahren. Es ist nur scheinbare Treulosigkeit und Undankbarkeit;
denn wenn man die hÀufigste dieser Romanphantasien, den
Ersatz beider Eltern oder nur des Vaters durch groĂartigere
Personen, im Detail durchgeht, so macht man die Entdeckung,
daĂ diese neuen und vornehmen Eltern durchwegs mit ZĂŒgen
ausgestattet sind, die von realen Erinnerungen an die wirklichen
niederen Eltern herrĂŒhren, so daĂ das Kind den Vater
eigentlich nicht beseitigt, sondern erhöht. Ja, das ganze
Bestreben, den wirklichen Vater durch einen vor-
nehmeren zu ersetzen, ist nur der Ausdruck der Sehn-
sucht des Kindes nach der verlorenen glĂŒcklichen Zeit,
in der ihm sein Vater als der vornehmste und stÀrkste
Mann, seine Mutter als die liebste und schönste Frau
erschienen ist. Er wendet sich vom Vater, den er jetzt er-
su
nn en u nn mn nn m ââ on -
BE Te vu
86 DER FAMILIENROMAN WIRD
ee
kennt, zurĂŒck zu dem, an den er in frĂŒheren Kinderjahren
geglaubt hat, und die Phantasie ist eigentlich nur der
Ausdruck des Bedauerns, daĂ diese glĂŒckliche Zeit
entschwunden ist. Die ĂberschĂ€tzung der frĂŒhesten Kindheits-
jahre tritt also in diesen Phantasien wieder in ihr volles Recht.
Ein interessanter Beitrag zu diesem Thema ergibt sich aus
dem Studium der TrÀume. Die Traumdeutung lehrt nÀmlich,
daà auch noch in spÀteren Jahren in TrÀumen vom Kaiser
oder von der Kaiserin diese erlauchten Persönlichkeiten Vater
und Mutter bedeuten!).. Die kindliche ĂberschĂ€tzung der
Eltern ist also auch im Traum des normalen Erwachsenen er-
halten.â 2
Wenn wir nun darangehen, diese Gesichtspunkte auf unser
Schema anzuwenden, so gibt uns die Ăbereinstimmung der
Tendenz des Familienromans âund des Heldenmythus die Be-
rechtirung, das Ich des Kindes mit dem Helden der Sage zu
analogisieren. Erinnern wir uns, daà der Mythus durchgÀngig
das Bestreben verrÀt, die Eltern loszuwerden, und daà derselbe
Wunsch in den Phantasien des kindlichen Individuums zu einer
Zeit erwacht, wo es seine UnabhÀngigkeit und SelbstÀndigkeit
zu erlangen sucht. Das Ich des Kindes benimmt sich dabei wie
der Held der Sage und eigentlich ist ja der Held immer nur
als ein Kollektiv-Ich aufzufassen, das mit allen vorzĂŒglichen
Eigenschaften ausgestattet wird, Àhnlich wie ja auch in der
persönlichen dichterischen Schöpfung der Held meist den
Dichter selbst oder besser eine Seite seines Wesens darstellt?).
f 1) Traumdeutung, 2. Aufl, S. 200.
2) Der Familienroman bildet naturgemÀà ein Kernmotiv unserer ge-
samten Romanliteratur, angefangen von den spÀtgriechischen SchÀferromanen,
wie sie in Heliodors âAethiopikaâ, in Eustathiusâ, âIsmenias und Ismeneâ
und in der Geschichte der zwei ausgesetzten Kinder âDaphnis und Chloeâ
erzÀhlt werden. Auch die neueren dramatischen Hirtengedichte Italiens
grĂŒnden sieh sehr hĂ€ufig auf die Aussetzung von Kindern, die von den
Pflegeeltern als SchÀfer auferzogen und dann von den wirklichen Eltern mittels
Erkennungszeichen, die ihnen bei der. Aussetzung mitgegeben wurden
wiedererkannt werden. â Aus der spĂ€teren Literatur sei ferner die Familien-
geschichte in Grimmelshausens âSimplieissimusâ (1665), Jean Pauls
L vr
ra De 77 Ze u Fon
EEE en
N;
E-
I '
.
3
>
a,
DURCH I DEN | MYTHUS REALISIERT. 57
I Sn m m Zr nn ef on a u m âââ
En EEE
Rufen wir uns die wesentlichen Hauptmotive des Helden-
mythus: die Geburt von vornehmen Eltern, die Aussetzung
im FluĂ und KĂ€stehen und die Aufziehung durch niedrige
Eltern â woran sich dann in der weiteren Entwicklung die
RĂŒckkehr des Helden zu den ersten Eltern, mit oder ohne
deren Bestrafung, schlieĂt â ins GedĂ€chtnis zurĂŒck, so ist ohne
weiteres deutlich, daĂ die beiden Elternpaare des Mythus dem
realen und dem idealen Elternpaare der Romanphantasie ent-
sprechen. Bei nÀherem Zusehen erkennt man dann auch hier,
ganz wie in den kindlichen und neurotischen Phantasien, die
psychologische IdentitÀt des niederen und des vornehmen
Elternpaares. Auch beginnt der Mythus, entsprechend der
ĂberschĂ€tzung der Eltern in der frĂŒheren Kinderzeit!), mit dem
vornehmen Elternpaar, ebenso wie dieRomanphantasie, wÀhrend
sich in der Wirklichkeit der Erwachsene bald mit den tat-
sÀchlichen VerhÀltnissen abfindet. DiePhantasie des Familien-
romans erscheint also im Mythus, mit einer kĂŒhnen
Umkehrung der RUSIDDATERN VerhÀltnisse, Sintaoh rea-
lisiert.
Die Feindseligkeit des ER und die Aush ihn veran-
laĂte Aussetzung betonen die Motive, welche das Ich zu der
ganzen Dichtung veranlaĂt haben. Der gedichtete Roman ist
gleichsam die Entschuldigung fĂŒr die feindseligen GefĂŒhle, die
das Kind gegen den Vater hegt und die es in dieser Dichtung
auf den Vater projiziert. Die Aussetzung im Mythus entspricht
âLitanâ (1800), sowie gewisse Formen der Robinsonaden und des
Ritterromans genannt, wozu man besonders Wurzbachs Einleitung zur
Ausgabe des âDon Quichotteâ (in der Hesseschen Ausg.) vergleiche.
Aus der allermodernsten basrabır sei nur Norbert Jaquesâ hr
genannt. Ei
1) Die experimentell-statistischen Unterauchungen ĂŒber die Ideale der
Kinder scheinen zu den analytischen Befunden zu stimmen. So fand Varen-
donck (Les idöals dâenfants. âArch, de Psychol. VII, 1908) bei 745 Kindern
der belgischen Schulen zwischen 6 und 16 Jahren, daĂ bei den Kleinen die
Tendenz besteht, die eigenen Eltern als Ideal zu nehmen, dab aber diese
Tendenz â entsprechend unserer Auffassung â mit dem Alter bei beiden
Geschlechtern stÀndig abnimmt und die Kinder dann andere Ideale, sei es
aus der aktuellen Gegenwart oder Helden aus der Geschichte, wÀhlen,
a en m Zn nn
âââeeeeeeeEEE En un uni m. ââ -ââ_
rer u
85 DEUTUNG DER SYMBOLISCHEN DETAILS.
also der Verleuenung in der Romanphantasie. Im neurotischen
Roman hat das Kind den Vater einfach abgeschĂŒttelt, im
Mythus sucht der Vater sich des Kindes zu entledigen.
Rettung und Rache sind die natĂŒrlichen, vom Wesen einer
Phantasie geforderten AbschlĂŒsse.
Soll diese vorlÀufig in groben Umrissen angedeutete
Parallelisierung vollen Wert erhalten, so muĂ sie uns in den
Stand setzen, gewisse, konstant wiederkehrende Details des
Mythus, die einer besonderen ErklĂ€rung bedĂŒrftig erscheinen,
zu: verstehen. Auch erscheint uns diese Forderung deshalb be-
sonders wichtig, weil wir in den Schriften selbst der ĂŒber-
zeugtesten Astral- und Naturmythologen keine befriedigende
AufklÀrung dieser Details finden. Solche Details sind das regel-
mĂ€Ăige Vorkommen von TrĂ€umen (oder Orakel), ferner die
Art der Aussetzung im KĂ€stchen und im Wasser, die hilfreichen
Tiere und andere konstante Motive, die zunÀchst eine psycho-
logische Ableitung nicht zuzulassen scheinen. Auch hier er-
möglichte_uns das psychoanalytische Studium des. Traumes
und seiner Symbolismen, der Phobien und weiterhin einer
Gruppe von ethnologischen - und folkloristischen Tatsachen,
die Bedeutung dieser Elemente des Heldenmythus befriedigend
aufzuklÀren.
Eine intensive BeschÀftigung mit den TrÀumen gesunder
und gemĂŒtskranker Menschen hat gestattet, gewisse typische,
das heiĂt. bei allen Menschen immer mit der gleichen geheimen
Bedeutung wiederkehrende Traumgruppen aufzustellen. Eine
derselben umfaĂt die sogenannten âGeburtstrĂ€umeâ (Freud,
Trmdtg., S. 199), deren VerstÀndnis uns ermöglicht hat, den ver-
borgenen Sinn auch des Aussetzungsmythus zu ergrĂŒnden.
chen Scherner'), ee das Wesen des Traumes in intuitiver
Weise vielfach treffend erfaĂt hatte, sieht in den WassertrĂ€umen Be-
ziehungen zur Geburt (8. 200 ÂŁ): â... in den Wassersgefahr-
trÀumen des Weibes ist es sehr auffallend, daà die TrÀumerin,
wiewohl sie bereits Matrone ist und ihre Kinder erwachsen, dennoch
zumeistâ den gefĂ€hrdeten Sohn oder Tochter als kleines
1) Das Lahn des ae Berlin 1861.
ee De U U â ET mn
SCHERNERS TRAUMSYMBOLIK. 59
Kind sieht und zu retten sucht. Zum Beispiel eine unverheiratete
Dame trÀumte, sie sei bei einer Wiege beschÀftigt, habe einen kleinen
Knaben zu wiegen und zu warten; gleich sieht sie noch ein anderes
ihr bekanntes: kleines Kind neben dem ersteren in der Wiege; wie
sie eg nÀher betrachtet, ist es ein niedlicher Kanarienvogel; und
endlich soll sie noch einen dritten Kleinen in Pflege nehmen, der
aber, wie die danach eintretende 'Traumerkundigung ergibt, erst
noch geboren werden soll, wozu die Entbindung erwartet werde.
Wie verrÀterisch ist dieser Traum. Mit der dreifachen Zahl der
kindlichen Wesen enthĂŒllt sich die fruchtbare Natur des zugrunde
liegenden Reizes; mit der Verwandlung des zweiten Kindes in das
lebhafte Wesen des Vogels spiegelt sich der erregte Reiz; durch die
Verwandlung von Kind zu Vogel zudem die AnnÀherung der Frucht
(Vogel fĂŒr Kind) der GröĂe nach an das geschlossene Fruchtorgan
der Jungfrau; mit dem dritten Kind endlich, was die Phan-
tasie deutlich als noch nicht geborenes, respektive als noch
vom Fruchthalter umfangenes bezeichnet, versetzt sich die
Symbolik objektiv unmittelbar in das Organ, in dem sie
erregt wurde und bezeichnet das innere Geschlechtsorgan des
Weibes als den direkten Erreger des Traumes, â Solche und Ă€hn-
liche Traumspiele der Frauen und Jungfrauen mit Kindern sind
Ă€uĂerst hĂ€ufig und bilden die scheinbar harmloseste BeschĂ€ftigung
im Traume und beweisen, wie sehr diese bedeutsam ist.â
Eine noch deutlichere Sprache spricht ein anderer gleichfalls
von Scherner (S. 204) mitgeteilter Traum: âEine unverheiratete Dame
trĂ€umt, sie stehe an einem sehr groĂen Wasser, der Strom fĂŒhre
eine Menge schwimmender GegenstÀnde mit sich. Am meisten
fesselt sie darunter ein schwimmender Beutel (nach der Rede der
TrÀumerin), etwa so groà wie ein starker Kindskopf und wie ein
kleiner Ballon aufgeblasen. Nun ist sie neugierig, was. wohl in dem
Beutel sei, eg könnten SchÀtze darin sein; aber sie ist in Angst,
daà wohl ein kleines Kind darin verborgen sein könnte und dies
hĂ€lt sie zurĂŒck, ihn nĂ€her zu betrachten, Endlich aber siegt ihre
Neugier, sie blickt hinein und findet ein HĂ€ufchen trockener WĂ€sche,
Analyse: Es ist höchst bemerkenswert, wie die Phantasie der
TrÀumerin von dem Bilde des Schatzes in dem Beutel radikal ab-
pringt und durch die: hineingestellte Vermutung, es könnte wohl
90 DIE ANALYSE DER GEBURTSTRĂUME.
m â m
ein kleines Kind darin sein, den Beutel als das fruchttragende Organ
des Weibes, respektive als Symbol des Fruchthalters in der
jungfrĂ€ulichen T'rĂ€umerin bezeichnet.â | | 2:
Ist hier die Assoziation der TrÀumerin fast analytisch ver-
wertet, so stellen unsere psychoanalytischen Deutungen den von
Scherner erratenen Zusammenhang ĂŒber jeden Zweifel fest.
Ein solcher Traum wurde Abraham (Traum und Mythus,
S. 22 uf) von einer jung verheirateten, im Anfang der GraviditÀt
stehenden Frau erzÀhlt, die ihrer Entbindung nicht ohne Angst ent-
gegensah. Er lautet: âIch bin allein in einem lĂ€nglichen Zimmer.
Plötzlich ertönt ein unterirdischer LÀrm, der mich aber nicht in
Verwunderung setzt, da ich mich sogleich erinnere, daĂ von einer
Stelle des FuĂbodens aus ein unterirdischer Kanal direkt ins
Wasser fĂŒhrt. Ich hebe also eine Klappe im FuĂboden auf, und
sogleich erscheint ein in einen brÀunlichen Pelz gekleidetes
Geschöpf, das beinahe einem Seelund gleicht. Es wirft den
Pelz ab und entpuppt sich als mein Bruder, der mich er-
schöpft und atemlos bittet, ihm Unterkunft zu gewÀhren, da er ohne
Urlaub fortgelaufen und den ganzen Weg unter Wasser ge-
schwommen sei. Ich veranlasse ihn, sich auf einer im Zimmer
stehenden Chaiselongue auszustrecken, und er schlÀft ein. Wenige
Augenblicke spÀter ertönt erneutes, viel stÀrkeres GerÀusch an der
TĂŒr, Mein Bruder springt mit einem Schreckensrufe auf: sie wollen
mich holen, sie werden denken, ich bin desertiert! Er schlĂŒpft
wieder in seinen Pelz und versucht durch den unterirdischen
Kanal zu entfliehen, kehrt aber sofort um und sagt: es hilft
nichts mehr, sie haben den Gang von der Wasserseite her
"besetzt! .In diesem Moment springt die TĂŒr auf und mehrere
MĂ€nner stĂŒrzen herein und bemĂ€chtigen sich meines Bruders. Ich
rufe ihnen verzweifelt zu: er hat ja nichts getan, ich will fĂŒr ihn
plĂ€dieren! â In diesem Augenblick erwachte ich.â Als unmittel-
baren AnlaĂ des Traumes fĂŒhrt Abraham auĂer dem Zustand der
GraviditĂ€t folgendes an: âAm Abend hat sie sich von ihrem Arzte
Verschiedenes ĂŒber Entwicklung und Physiologie des Fötus erklĂ€ren
lassen. Sie war schon vorher aus BĂŒchern im ganzen orientiert,
doch stellten sich einige irrtĂŒmliche Auffassungen heraus. Sie hatte
z. B. die Bedeutung des Fruchtwassers "nicht richtig aufgefaĂt,
ââ e. = 2 â un
BEISPIELE VON GEBURTSTRĂUMEN. 91
ee 0
Tee ae U
A
Ferner stellte sie sich die feine fötale Behaarung (lanugo) als dichte
Behaarang wie bei einem jungen Tiere vorâ (S. 23). Aus der Analyse
hebt Abraham nur die wesentlichsten Ergebnisse der nicht voll-
stĂ€ndig durchgefĂŒhrten Deutungsarbeit hervor, die aber fĂŒr unsere
Untersuchung völlig hinreichen. âDer Kanal, der direkt ins Wasser
fĂŒhrt = Geburtsweg. Wasser = Fruchtwasser. Aus diesem Kanal
kommt ein behaartes Tier, wie ein Seehund. Seehund ist ein be-
haartes Tier, das im Wasser lebt, ganz wie der Fötus im Frucht-
wasser. Dieses Geschöpf, also das zu erwartende Kind, erscheint
sogleich: rasche, leichte Entbindung. Es entpuppt sich als Bruder
der TrĂ€umerin. Der Bruder ist tatsĂ€chlich erheblich jĂŒnger; nach
dem frĂŒhen Tode der Mutter muĂte sie fĂŒr ihn sorgen, stand zu
ihm in einem VerhĂ€ltnis, das viel von MĂŒtterlichkeit an sich hatte.
Sie nennt ihn noch jetzt gern den âKleinenâ ... Der Traum
macht mit Vorliebe von solchen Wörtern Gebrauch, welche im ver-
schiedenen Sinne verstanden werden können ... So tritt der Bruder
der TrÀumerin an die Stelle des Kindes, obgleich er lÀngst
erwachsen ist . . ., so vertritt er das erwartete Kind, Sie
wĂŒnscht sich seinen Besuch, sie erwartet also erstens den Bruder,
zweitens das Kind. Dies die zweite Analogie zwischen Bruder und
Kind, Sie wĂŒnscht also, daĂ der Bruder seinen Wohnort verlasse.
Daher âdesertiertâ er im Traume von seinem Wohnort. Jeuer Ort
liegt am Wasser; er schwimmt dort sehr oft. (Dritte Analogie mit
dem Fötus.) Auch ihr Wohnort liegt am Wasser. â Das schmale
Zimmer, in welchem sie sich im Traume befindet, hat Aussicht auf
das Wasser. Im Zimmer steht eine auch als Bett benĂŒtzbare Chaise-
longue; sie dient als Bett, wenn ein Logiergast kommt. Eine vierte
Analogie: das Zimmer soll spÀter Kinderzimmer werden, das Baby
soll darin schlafen! â Der Bruder ist atemlos, als er kommt. Er
ist ja unter Wasser geschwommen. Auch der Fötus muĂ, wenn er
den Kanal verlassen hat, nach Atem ringen. Der Bruder schlÀft
sogleich ein, wie das Kind bald nach der Geburt. â Nun
folgt eine Szene, in der der Bruder sich in lebhafter Angst befindet,
in einer Situation, aus der es kein Entweichen gibt. Eine solche
der TrÀumerin selbst bevorstehende Situation ist die Entbindung.
Diese bereitet ihr schon im voraus Angst. Im Traume- schiebt sie
die Angst dem Fötus; respektive "dem ihn vertretenden Bruder
= â â mm m mr ee (oo m
= z RER En nn â_- |. ââoo- = m â
U Fe. = â-- - ââ E
92 BEISPIELE VON GEBURTSTR. ĂUMEN.
zu und ĂŒbernimmt seine Rolle als Jurist, indem sie fĂŒr ihn
plÀdiert.
Indem wir aus dieser Traumanalyse neben der Verwendung
des Wassers als Geburtswasser und des engen Kanals als sym-
bolischer Vertretung des im Mythus durch ein KÀstchen, Körbchen
oder Schifflein angedeuteten Mutterleibes, noch die Auffassung des
Neugeborenen als eiues Tieres, die durch Abstreifen der tierischen
HĂŒlle erfolgende Verwandlung in ein Menschenkind, ferner dessen
Ersetzung durch eine erwachsene Person, den eigentĂŒmlichen Schlaf-
zustand des âHeldenâ sowie schieĂlich seinen Versuch, sich auf
demselben sonderbaren Wege zu entfernen, der spÀteren Heran-
ziehung vorbehalten, wenden wir uns einem zweiten Traumbeispiel
zu, das Jones von einer Patientin mitteilt!). Es lautet in deutscher
Ăbersetzung:
âSie stand am Meeresufer und beaufsichtigte einen kleinen
Knaben, welcher der ihrige zu sein schien, wÀhrend er ins Wasser
watete. Dies tat er so weit, bis das Wasser ihn bedeckte, so daĂ
sie nur noch seinen Kopf sehen konnte wie er sich an der
OberflÀche auf und nieder bewegte. Die Szene verwandelte
sich dann in die gefĂŒllte Halle eines Hotels. Ihr Gatte verlieĂ sie,
und sie trat in ein GesprÀch mit einem Fremden.
Die zweite HĂ€lfte der Traumes enthĂŒllte sich ohne weiteres
bei der Analyse als Darstellung einer Flucht von ihrem Gatten
und AnknĂŒpfung intimer Beziehungen zu einer dritten Person. Der
erste Teil des Traumes war eine offenkundige Geburtsphantasie.
In den TrÀumen wie in der Mythologie wird die Entbindung eines
Kindes aus dem Fruchtwasser gewöhnlich mittels der Umkehrung
als Eintritt des Kindes ins Wasser dargestellt. Das Auf- und Nieder-
tauchen des Kopfes im Wasser erinnert die Patientin sogleich an
die Empfindung der Kindesbewegungen, welche sie wÀhrend ihrer
einzigen Schwangerschaft kennen gelernt hatte, Der Gedanke an
den ins Wasser steigenden Knaben erweckt eine TrÀumerei, in
welcher sie sich selbst sah, wie sie ihn aus dem Wasser herauszog,
ihn in die Kinderstube fĂŒhrte, ihn wusch und kleidete und schlieĂ-
lich in ihr Haus fĂŒhrte,
BE
â) American Journal .of Psychology. April 1910, p. 296 1.
BEISPIELE VON GEBURTSTRĂUMEN. 93
en
In einem dritten Beispiel handelt es sich um den Traum eines
jungen MĂ€dchens, das nicht ohne triftigen Grund befĂŒrchtete, gravid
geworden zu sein, was sich jedoch einige Zeit nach dem im Zustand
dieser Besorgnis vorgefallenen Traum als unbegrĂŒndet erwies.
(I.) âIm Innern eines Hauses haben mich Löwen verfolgt und
bedrÀngt, weil ich ihr Junges in einer Art Tourniquet (Drehkreuz)
zerquetscht hatte. Da sind die Alten auf mich losgegangen und
ich habe mich auf das Dach geflĂŒchtet, von wo ich sah, daĂ unten
auf dem Wasser ein kleiner Kahn daher gefahren kam, der an
Stelle des Schifisschnabels einen Kopf hatte, so daĂ er zugleich
als Fahrzeug und Tier erschien. In dem Kahn saĂ ein Junger
Amor, ein fĂŒnf- bis sechsjĂ€hriger schöner blonder Knabe. Er war
nackt, hatte FlĂŒgel am RĂŒcken und trug an der Seite den Köcher
mit Pfeilen. In der einen Hand hielt er ein Seidenband, das um
den Kopf des Kahnes geschlungen war und mit dem er das Fahr-
zeug lenkte. In der andern Hand hielt er eine Art Anker (der
wie eine Schaufel geformt war), mit dem er groĂen gehörnten
lieren (nach Art von Hirschen), die im Wasser heramschwammen
und mich auch verfolgen wollten, die ĂŒber den Wasserspiegel
herausragenden Köpfe leicht und spielend abmĂ€hte, so daĂ
keine Spur von ihnen mehr zu sehen war, Ich war froh, als er
mich von diesen âlieren befreite und hĂ€tte ihm gern dafĂŒr gedankt,
konnte aber nicht zu ihm gelangen. (II.) Dann lief ich wieder
hinaus und sah plötzlich, wie mich ein groĂer Wolf verfolgte. Ich
flĂŒchtete nun angstvoll in ein Gasthaus, in eine Ecke hinter einen
Tisch, und bat den nachstĂŒrmenden Wolf, mir das Leben zu
schenken. Erleichtert atmete ich auf, als ich sah, daĂ er mich
verschonen wollte und einer neben mir sitzenden alten Frau den
Kopf abbrach, um ihn aufzufressen (der Wolf hat sich ĂŒberhaupt
wie ein Mensch benommen und ist auch bloĂ auf den beiden
Hinterbeinen gestanden). Sie scheint ihm aber nicht geschmeckt zu
haben, denn er brach nun meinem andern Nachbar, einem alten
Mann, ebentalls den Kopf ab und fraà ilın. (III) Dann befand ich
mich in einer mir bekannten Wohnung, wo ein junger Mann erschien
und mir einen Liebesantrag machte, als ich ihn abwies, stĂŒrzte er
sich auf mich, um mich zu vergewaltigen, aber ich drÀngte ihn
hinaus. Ba'd darauf erschien er nochmals mit Revolver und Dolchâ
Bun
TRĂUMEN.
ee âââ = r is | â
34
BEISPIELE VON GEBURTS
_ u ._â r-
Be
und wollte mich töten. Ich schickte um Detektivs, die ihn ver-
haften sollten. Unterdes kam ein Trupp Soldaten, von denen ich
glaubte, sie kÀmen ihn holen. Sie haben aber jemanden, wie ich
vom oberen Gang aus gesehen habe, in eine Art BurgverlieĂ hin-
untergelassen. Dann ist der Detektiv gekommen und hat den Ein-
dringling verhaftet. Ich habe mir gedacht, daĂ er wahrscheinlich
auch in eine solche Vertiefung kommen wird und habe mir darum die
Höhle genau angesehen. Sie war sehr tief und dunkel und sah aus wie
eine mir bekannte Grotte im Karstgebiet. Ich habe mir gedacht, da
kann er sich ja ein Loch in die Erde bohren und entweichen oder
noch leichter die Grottenwand durchbohren und so hinaus gelangen.â.
Wenn wir uns diesen ziemlich durchsichtigen, nur etwas
ungeordneten Traum nach der vermeintlichen Situation der TrÀu-
merin zurechtlegen, so beginnt er mit (III) den LiebesantrÀgen
des jungen Mannes, die sie zurĂŒckweist und sich damit vor-
sichtiger als in Wirklichkeit benimmt. Dann folgt die Phantasie
einer Vergewaltigung, die ganz wie bei den Jungfrauensöhnen des
Mythus die Hingabe als eine erzwungene zu rechtfertigen versucht.
Damit nicht genug, soll der Vater einesteils wegen dieses Delikts,
andernteils offenbar zur Feststellung (Anerkennung) der von der
T'rÀumerin bereits angenommenen PaternitÀt verhaftet und in ein
unterirdisches VerlieĂ gesperrt werden, was sogar zweimal im
'Traume geschieht. WĂ€hrend nun das zweite Hinunterlassen deutlich
die eigentliche Bestrafung am Vater vollzieht, soll das erste Hin-
unterlassen den Vorgang der Konzeption andeuten, Da nÀmlich der
vermeintliche Vater dem MilitÀrstand angehört, so wird verstÀndlich,
warum im Traume Soldaten ein Lebewesen in das VerlieĂ hinab-
lassen, das sich nun aus dieser. dunklen und tiefen Höhle einen
Ausgang bohren muĂ, ganz wie in dem von Abraham mitgeteilten
Traum der Fötus aus einer im FuĂboden sich öffnenden Lucke auf-
taucht. Nun schlieĂt sich sinngemÀà der Anfang des Traumes (I.)
an:â die in der Höhle befindlichen Lebewesen schwimmen auch im
Wasser und entpuppen sich plötzlich, wie in Abrahams Fall, als
ein schöner kleiner Knabe, der im Nachen auf dem Wasser fÀhrt.
Der Traum lĂ€Ăt sich nur als Geburtstraum verstehen und er macht
ia auch kein Hehl aus dieser Bedeutung, dı er neben der Ăber-
wĂ€ltigung und Konzeption die Schwangerschaft (Höhle) und schlieĂ-
a sr ge | ng m
BEISPIELE VON GEBURTSTRĂUMEN. 95
Zn I â ee
lich die Geburt (Wasser) schildert. Diese Deutung wird voll bestÀtigt
durch die AufklÀrung der TrÀumerin, die nach dem Vorbild des
âkleinen blonden Amor gefragt, naiv eingesteht, sie habe sich immer
zum Kinde einen so schönen, blondlockigen Knaben gewĂŒnscht. FĂŒr
die Geburt spricht auĂerdem noch die Nacktheit des Kindes und
die Auffassung des Ankers, den er in der Hand hÀlt, von seiten
der TrĂ€umerin, die darin ein Symbol der âHoffnungâ sieht; aller-
dings in ihrer Situation wohl der Hoffnung, kein Kind zu bekommen,
weswegen auch der Anker die im Wasser schwimmenden Tiere
spurlos beseitigt, indem er die Köpfe glatt abschneidet, was seine
ErgÀnzung durch den Wolf findet, der ja den Menschen den Kopf
abbricht und den sie bittet, ihr das Leben zu schenken, was sie
selbst im Traume ihrem eigenen Kind zu verweigern sucht!). DaĂ sich
die Feindseligkeit der TrÀumerin nicht nur gegen den vermeint-
lichen Vater der unehelichen Leibesfrucht, sondern auch gegen diese
selbst richtet, zeigt sich in der Eingangszene des Traumes, wo sie
das Junge eines Löwenpaares zerquetscht. Die Abneigung gegen
den Verschulder ihres vermeintlichen UnglĂŒcks kommt darin zum
Ausdruck, daĂ sie ihn als hungriges Raubtier, als einen groĂen Wolf
darstellt, der sie (mit LiebesantrĂ€gen) âverfolgtâ und ihr ĂŒberall
ânachlĂ€uftâ. Findet doch der Ăberfall durch den Wolf im Gasthaus
sein deutliches GegenstĂŒck in dem sexuellen Ăberfall des jungen
Mannes in der Wohnung (III) und die Kette schlieĂt sich, wenn
wir erfahren, daĂ in Wirklichkeit jener junge Mann des Traumes
sie vor kurzem in ein Gasthaus eingeladen hatte, DaĂ der kleine
Knabe wie Lohengrin im Nachen anf dem Wasser fÀhrt, fÀllt der
1) Die vom Wolf so arg behandelte alte Frau, die ihm nicht âschmecktâ,
und der neben ihr sitzende alte Mann scheinen die Eltern der TrÀumerin
darzustellen, da ihr ja in dieser Ă€ngstlichen Situation âdas Leben geschenktâ
wird. â In einem andern ihrer TrĂ€ume aus dieser Zeit sah sie, ganz wie
Abrahams TrÀumerin, ihren bereits erwachsenen Bruder als kleinen Jungen
mit einer Art Peitsche oder Angel in der Hand, wobei auch ein Schwan oder
Storch eine ihr nicht mehr deutlich erinnerliche Rolle spielte. Hier
scheint das Herausfischen (Angel) der Kinder aus dem Wasser durch den
Storch und die Vorstellung, daĂ die Kinder auf dem Storch geritten kommen,
(Peitsche) zugrunde zu liegen. â In einer bei Frobenius (S, 288) mitge-
teilten koreanischen Sage erscheint der Held eines Tages in wunderlicher
Weise auf einem Storehe reitend.
ââ u
â ur
it r.
ee â___â
FIL- a 1. MEN iu . rn z
mp hu â o-* r CH â â -
. 5 1 are â r rn
ââââ- nr
= =â ai - - |]
nn eV
u un A hun
96 BEISPIELE VON GEBURTSTRĂUMEN.
yÀumerin nicht auf, was uns als Beweis sehr wertvoll ist, daà es
sich dabei nicht um bewuĂte Reminiszenz oder Nachbildung handelt,
sondern um den Ausdruck des gleichen unbewuĂten Komplexes mit
Hilfe derselben allgemein-menschlichen Symbole. 2
In welch typischer Art die gleiche symbolische Ausdrucks-
weise die Sprache des Traumes â wie die des Mythus â be-
herrscht, möge endlich ein BruchstĂŒck aus einem anderen Geburts-
(Abtreibungs-) Iraum desselben MĂ€dchens zeigen. Sie kommt mit
ihrem Begleiter in ein SchloĂ, wo sie ein Herr â angeblich der
Scharfrichter â in einen groĂen Raum geleitet. âDort bemerke
ich eine röhrenhafte Vertiefung, die einige Meter hinunterging.
Die Höhle war mit Stein ausgemauert. Der Scharfrichter sagte zu
mir, die (Tier-) Felle, die hier herauskommen, gehören mir;
ich freute mich sehr, stellte mich ganz nahe an den Rand der Ver-
tiefung und schaue hinunter, was da herauskommen wird. Ich war
ganz ĂŒberrascht, als ich an einer Kette einen Kinderrumpf er-
blickte, da ich doch das versprochene Fell erwartete. Dann erfahre
ich, daĂ alle Kinder, die eine infizierbare Krankheit haben, wie
z.B, Tuberkulose ete., hâer in diese Höhle hinunter gelassen werden;
unten ist eine Maschine, da wird ihnen der Kopf abgetrennt und
der Körper wird heraufgezogen. Richtig kam auch ein Kind, das
hustete und mich dabei anspuckte. Ich war sehr erzĂŒrnt darĂŒber,
wendete mein Gesicht ab und dachte, jetzt werde ich auch diese
Krankheit bekommen, Das Kind wurde auch hinuntergelassen. Die
Höhle war so eng, daĂ bloĂ ein Kind hindurchschlĂŒpfen
konnte!â â In einem spĂ€teren Teil des Traumes liegt sie mit ihrem
Begleiter im Ehebett, wo sie morgens seweckt wird und bemerkt,
daà sie beide blutig sind; wie sie sich im Traume erklÀrt, von der
Menstruation. Dem Traume liegt also der Wunsch nach der Men-
struation zugrunde (Wunsch: nicht gravid zu sein) oder, wenn
diese schon ausbleibe, wenigstens verheiratet zu sein (Ehebetten),
denn sonst bliebe ihr nichts ĂŒbrig, als ein eventuelles Kind zu töten
(Totgeburt), ihm den Kopf abzuschneiden (Blut â Scharfrichter).
Die Bıunnenhöhlung als Symbol des Mutterleibes ist wieder
deutlich. Dazu kommt die gleichfalls typische Auffassung der
GraviditÀt als infektiöse Krankheit; deswegen erklÀrt man auch den
Kindern die GraviditÀt der Mutter als Krankheit.
i
DIE AUSSETZUNG EIN SYMBOL DER GEBURT. 97
gâ = - ââ = â
Schon aus der Verwendung der gleichen typischen Symbole
lĂ€Ăt sich mit Sicherheit schlieĂen, daĂ die Aussetzung des
neugebornen Helden im KĂ€stchen und Wasser nichts anderes
als einen symbolischen Ausdruck der Geburt darstellt.
Die Kinder kommen bekanntlich, nicht nur in dem keineswegs
so ungereimten Storchglauben, sondern auch in Wirklichkeit,
aus dem Wasser, dem Fruchtwasser nÀmlich, und das so wohl-
verschlossene und den kleinen Helden schĂŒtzende KĂ€stchen ist
leicht als eine bildliche Darstellung des FruchtbehÀlters, des
Mutterleibes zu erkennen. Das Herausziehen aus dem Wasser
aber, das im Aussetzungsmythus â wie mitunter auch im
Traume (Freud, Tr., $S. 198; 238) â aus gewissen unbewuĂten
Tendenzen, die spÀter besprochen werden sollen, als ein Hinein-
stĂŒrzen dargestellt wirdâ), symbolisiert direkt den Geburts-
vorgang. Volksglaube, Sage und MĂ€rchen drĂŒcken diese in
Traum und Aussetzungsmythus symbolisch dargestellte An-
schauungsweise direkt und unverhĂŒllt aus und es verlohnt sich,
einen Blick auf die reiche folkloristische Ăberlieferung zu werfen,
die sieh mit diesem Thema beschÀftigt.
Nach Mannhardt (Germanische Mythen, 255, wo man auch
weitere Literatur verzeichnet findet) âist die Ammenrede, daĂ die
kleinen Wickelkinder aus dem Brunnen geholt werden, durch ganz
Deutschland verbreitetâ. Es gibt in Deutschland eine Menge âlokali-
sierter Brunnen und Weiher, in denen die Ungeborenen als voll-
stĂ€ndig fertige Wesen hausenâÂź) und nur darauf warten, herausgezogen
zu werden. So berichtet beispielsweise H. Pröhle âAus dem Harzâ
(Zeitschr... d. Myth., I, 196 ÂŁ.): âDen Kindern sagt man dort
auch, daĂ sie bei der Geburt aus dem neuen Teiche geholt werden.
gg
1) Vgl. dieselbe Umkehrung der Bedeutung in der Wincklerschen
Auffassung der Etymologie des Namens Moses (S,17, A.1) oder in der Sage von
HephÀstos, der nach Homer Ilias (XVIII, 396 uff,) wegen seiner Lahm-
heit von der Mutter ins Meer geworfen wird, wo erneun Jahre in einer
von Wasser umströmten Höhle verborgen blieb.
2) Reitzenstein: Der Kausalzusammenhang zwischen Geschlechts-
verkehr und EmpfÀngnis in Glaube und Brauch der Natur- und Kultur-
völker, Zeitschr. f. Ethnol. 41. Jahrg. 1909, S. 644. â Ders., StorehenmĂ€rchen
und eonceptio immaculata. Dokumente d. Fortschritts, 1910.
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden. 2. Aufl. 7
| | 1
983 DER VOLKSGLAUBE
U ee m m â en mn
nr er
u
Solche Kinderteiche wird es bei uns wohl an jedem Orte geben. â
Bei Schulenburg oben sitzt im Festenburger Teich die groĂe Wasser-
frau, die hat die Kinder bei sich im Teiche. Von da kommen sie
in der Flut heruntergeschwommen und werden von den Leuten in
Schulenburg aufgefangen.â â Im Wasser zu Elbingerode, wo der
wilde JĂ€ger alle sieben Jahre jagt, kommen die Kinder aus dem
Teichloch (Mannhardt, S. 95) und Àhnlich sollen sich in einem
WĂ€sserehen bei Stolberg an verschiedenen Stellen kleine Kinder
gezeigt haben (Mannhardt, S. 205). Ebenso berichtet F. Woeste
(Zeitschr. f. d. Mythol., II, 8. 90): âVon Kinderteichen und Kinder-
brunnen sowie von KinderbÀumen ist in unserem Gebirgslande
allerwegen die Rede. In Dielinghofen kommen die Kindlein aus
dem Burdyke, was Bauernteich, aber auch Samenteich besagen
kann. In Limburg nannte man mir den Milchbrunnen, anderen war
es eine zur Flutzeit gefĂŒllte Höhle unter dem Oegersteine. â Im
Westen der Kolme wird dagegen meist gesagt: die Kleinen kommen
aus einem hohlen Baume.â Aus Wasser, hohlen BĂ€umen oder Zubern
kommen die Kinder auch nach dem von V. Zingerle (Zeitschr. ÂŁ.
d. Mythol., II, 345) aufgezeichneten Volksglauben. Aber auch eine
in weit entlegenen Fernen, im indischen Archipel (Singapore)
heimische Ăberlieferung kleidet den Geburtsvorgang in eine Ă€hnliche
symbolische Sprache. Nach Bab (Zeitsch. f. Ethnol., 1906, S. 281)
erhielt die Frau des Rajah Besurjag ein auf einer Wasserschaumblase
schwimmendes Kind. Am ĂŒbereinstimmendsten mit dem Aussetzungs-
mythus gibt der niederösterreische Volksglaube, den J. Wurth
(Zeitschr. f. d. Mythol., IV, 140) mitteilt, die Herkunft der Kinder an:
âWeit, weit im Meere da steht ein Baum, bei diesem wachsen die
kleinen Kinder. Sie sind mit einer Schnur an dem Baume ange-
wachsen, wenn das Kind reif ist, so reiĂt die Schnur ab und das
Kind schwimmt fort. Damit es aber nicht ertrinkt, so ist es in
einer Schachtel und mit dieser schwimmt es nach dem Meere
herab, bis es in einen Bach kommt, Nun lĂ€Ăt unser Herrgott ein
Weib, welchem er das Kind zugedacht hat, krank werden. Da wird
der Arzt geholt. Diesem hat es unser Herrgott schon eingegeben, _
daĂ das kranke Weib ein kleines Kind bekommen wird. Er geht
daher hinaus zum Bache und paĂt da so lange auf, bis endlich die
Schachtel mit dem Kinde herabgeschwommen kommt, welche er
VON DER HERKUNFT DER KINDER. 99
a m Fr ne
auffÀngt und dem kranken Weibe bringt. Und auf solche Weise be-
kommen alle Leute die kleinen Kinder.â (Trumau.) Wie hier das
neugeborene Kind vom Geburtshelfer aus dem Wasser gezogen
wird, so heiĂt es Ă€hnlich in der Sage vom âFrau Hollen Teichâ
(Grimm, D. 8, I, 7): âDie neugeborenen Kinder stammen aus
ihrem Brunnen und sie trĂ€gt sie daraus hervor.â
In Ostfriesland werden Àhnlich die Kinder aus den Mooren
geholt. Die Eltern fahren dahin in glÀsernen Kutschen, von denen
freilich manchmal eine umfÀllt; dann bricht Mutter das Bein
und muĂ ins Bett. Die Kinder liegen da unter den Flinten (erra-
tische Blöcke) oder unter den Plaggen (Torfschollen), Zwillinge
natĂŒrlich unter besonders groĂen, Das gilt als unbestreitbare
Wahrheit, die noch dadurch verstĂ€rkt wird, daĂ âvan dâmoâerâ den
Doppelsinn hat: vom Moor und auch von der Mutter. Da aber in
Ostfriesland doch nicht alles Moor ist, so kommen auf den Inseln
die kleinen Kinder âut de DĂŒnenâ, und die Emder holen sie aus
dem Nesserlander Kinderborn. Die Eltern fahren dorthin auf ihrem
Schiffe, der Vater umschreitet den Born dreimal, worauf daraus
ein Demantschifflein emportaucht, dem er das Kind entnimmt: Das
Nesserland war der einzige Rest von den im Dollart untergegan-
genen Ortschaften, deren TrĂŒmmer noch bis um 1600 gelegentlich
bei Ebbe wieder sichtbar wurden (Die Gartenlaube, 1912, H. 6,
S. 136).
âAus dem Stein oder Brunnen werden die Kinder durch den.
Storch abgeholt und den MĂŒttern gebrachtâ (Mannhardt, G. M,,
S. 257).
Bei Weilburg an der Lahn stehen im Walde der gegenĂŒber-
liegenden Höhen, geheimnisvoll von dichtem Fichtengehölz umgeben,
drei immer verschlossene, im Hufeck zueinander gerichtete HĂ€user,
in denen das Wasser angesammelt wird, das die Brunnen speist.
Man nennt sie BrunnenhĂ€user und die Jugend weiĂ, daĂ darin die
kleinen Kinder auf dem Wasser schwimmen und der Storch sie
von dorther holt. â âZu Scheidingen, in der Gegend von Werl,
holt der Storch die Kinder aus dem Teiche auf der Werler Voede.
In Erfurt holt der Storch die Kinder aus dem Kessel, einer Ver-
tiefung beim Wallgraben, zu Halberstadt aus der KlĂŒsâ (Mann-
hardt, S. 257). â Ein in Dietzenbach und Umgegend âar den Storch
nr
â u me ââ- uâm â a ur ı r z re
100 DIE HERKUNFT DER KINDER.
Pe er EEE EEE "| er
als Kinderbringerâ gerichtetes Lied (Zeitschr. f. d. Mythol,, I, 475)
lautet: âStork stork steine mit de lange beine, mit de korze knie!
Jungfrau Marie hat e kind gefunne in dem kleine Brunne,
wer solls hebe? ââ In Köln werden die Kinder aus dem Brunnen der
St. Kunibertskirche geholt. Dort sitzen sie um die Mutter Gottes
herum, welche ihnen Brei gibt und mit ihnen spielt. In Jugenheim an
der BergstraĂe sitzt Maria mit Johannes im Brunnen, geigt den
darin befindlichen Kindern und spielt mit ihnen (Golther, Handb.
d. germ. Mythol.). Auf den âAmmenglaubenâ der Herkunft aus dem
Wasser stĂŒtzen sich auch zahlreiche Kinderreime und -liedchen,
die A. Landau (Zeitschr. d. Vereins f. Volksk., IX., 8. 72 ff.) anfĂŒhrt.
Weitere folkloristische Belege findet man in der volkskundlichen
Zeitschrift âAm Urquellâ, hg. v. F. S. Krauss, Bd. IV bis VI in
der Rubrik âWoher stammen die Kinder?â
Aber auch âim MĂ€rchen wird die Geburt des Menschen
öfters als ein Heraufholen des Kindes aus einem Brunnen oder
einem See dargestelltâ (Thimme, Das MĂ€rchen, 8. 157). FĂŒr ge-
wöhnlich wird diese Aufgabe dem Storch zugeschrieben, wie z. B.
im MĂ€rchen von den âBeiden Wanderernâ (Grimm, K. H. M,,
Nr. 107), wo der diensteifrige Storch das besorgte Schneiderlein,
das dem König einen Erben herbeischaffen soll, mit den Worten
beruhigt: âSchon lange bringe ich die Wickelkinder in die Stadt,
da kann ich auch einmal einen kleinen Prinzen aus dem Brunnen
holen. Geh heim und verhalte dich ruhig. Heute ĂŒber neun Tage
begib dich in das königliche SchloĂ, da will ich kommen.â Zur
bestimmten Stunde kommt der Storch mit einem KnÀblein im
Schnabel durchs Fenster in den königlichen Palast geflogen und
lest der Königin ein schönes Kind auf den SchoĂ.
Der sleiche Glaube findet sich bei den Naturvölkern. Von
den zentralasiatischen StĂ€mmen wird berichtet, daĂ âsie glauben,
ein Pflanzengeist fahre in das Weib ein; er haust in einem groĂen
Wald oder in der Wassertiefe, wie in unserem Volksglauben.
Bei den Australiern war die Heimat der Kinder der Wald,
Steine oder WassertĂŒmpel, wĂ€hrend wir bei den Mexikanern ein
vollstÀndig ausgebildetes Kinderreich, ein Seelenland, finden. Aber
auch die hilfreichen Geburtstiere, welche nach Art unseres Storches
die Befruchtung bewirken, kennen die Australier; es sind Schlange,
DIE GEBURTSSYMBOLIR. 101
Brachschnepfe und KĂ€nguruh. Bei den Indern spielt der Ibis die
gleiche Rolle, bei den Japanern der Kranich, bei den Mexikanern
der rote Löffelreiher und in ganz Vorderasien war es die Taube,
die spÀter als heiliges Tier der Liebesgöttin galt und noch bei der
conceptio immaculata der Maria eine Àhnliche Rolle spielt, wie auch
in der Sage der Semiramis. Am Cape Grafton glauben die Einge-
borenen, wie Roth erzÀhlt, daà die vollstÀndig ausgebildeten Kinder
der Mutter von einer Taube im Traume gebracht werden (Reitzen-
stein, $. 668). Bei den Germanen und in verschiedenen anderen euro-
pĂ€ischen LĂ€ndern hat bekanntlich der Storch diese Aufgabe ĂŒber-
nommen, woher er seinen alten Namen adebar = Kinderbringer
hat; neben ihm waren in frĂŒherer Zeit die Schlange und der Hase
beteiligt, wÀhrend er in den LÀndern des Nordens durch den
Schwan ersetzt wurde.
Ăberall zeigt sich also die gleiche symbolische Darstel-
lung des FruchtbehÀlters, des Mutterleibs, als Brunnen,
Kessel, Graben, dunkle Höhle und hohler Baum, welche regel-
mĂ€Ăig auch âals Wohnsitz der ungeborenen Seelen gedacht
werdenâ (Mannhardt, S. 255), des Fruchtwassers als Teich, See
oder Quelle (Brunnen)!) und endlich des mÀnnlichen Retters
aus diesem UrgefÀngnis in Gestalt des Storches*) oder eines
anderen Tieres, das gleichzeitig als Seelentier gedacht wird.
â) Belege zur Quelle als Symbol der vulva siehe bei Storfer: Marias
jungfrÀuliche Mutterschaft, Berlin 1914, S. 117! und L. Levy in Zeitschr,
f. Sex. Wissenschaft. I, 318,
2) Vgl. Kleinpaul (Die Lebendigen u.d. Ioten, S, 112ÂŁ.) ĂŒber den âSinn
dieser weiteren Phantasie, der Brunnen der MutterschoĂ und nun
vollends der Storch, der rotbeinige Storch, der Kinderbringer, an den die
Gelehrten so viel Tiefsinn gewandt haben, nichts weiter als ein launiges
Bild, fĂŒr das gern mit einem langen Halse, einer Gans oder einem Storche
verglichene Organ gewesen, das die kleinen Kinder tatsÀchlich aus dem
Mutterleib herausholt,. Wer nicht auf den Kopf gefallen ist, der hört in
diesem Falle eben die Kinder fragen: wo kommen denn die kleinen Kinder
her? â Und die Eltern verblĂŒmt antworten: der Storch hat sie gebracht.
Was fehlt denn der Mutter, daĂ sie sechs Wochen lang nicht aufsteht? â
Der Storch hat sie ins Bein gebissen. Unnölig ein Mehreres darĂŒber zu
verlierenâ â Ăhnlich eindeutig faĂt auch F. 5. Krauss die Storch-
fabel auf.
ââ â Ta m ââ
â _â ı sr. m a
ee U
102 DER ZWILLINGSBRUDER.
E 5 ee ee Te
ee â mn
So erweist sich also die scheinbar in absichtlicher Erfindung
den Kindern aufoktroyierte Fabel von der Herkunft der
Kinder als uralter, im primitiven Vorstellungsleben wurzelnder
Rest ehemaligen Volksglaubens!) und die symbolische Er-
fassung dieser rÀtselhaften VorgÀnge, die in gleicher Weise der
Aussetzungsmythus wie unsere nÀchtlichen Traumschöpfungen
zeigen, scheint sich mit unleugbarer GesetzmĂ€Ăigkeit weniger
typischer Ausdrucksmittel zu bedienen.
Wollte man trotz dieser ĂŒberwĂ€ltigenden Beweise fĂŒr
die Geburtssymbolik an ihrer GĂŒltigkeit fĂŒr den Heldenmythus
noch zweifeln, so mĂŒĂte einen die Verwendung eines weiteren
physiologischen Faktums vollkommen ĂŒberzeugen, da es dar-
zutun scheint, daĂ kein Detail des Geburtsvorganges un-
berĂŒcksichtigt geblieben ist, wenn auch seine ursprĂŒngliche
Bedeutung bei der allmÀhlichen Ausgestaltung der Helden-
mythen vor logisch einwandfreien Rationalisierungen oder
sentimentalen Sublimierungen verblaĂte. In manchen Helden-
mythen wird die Rettung des Neugeborenen nur dadurch er-
möglicht, daĂ an seiner Stelle ein anderes â wie es heibt
âtotgeborenesâ â Kind den auf diese Weise getĂ€uschten Ver-
derbern untergeschoben wird, wie z. B. in der Kyrossage; dieses
Ersatzkind wird dann auch meist mit dem königlichen Gewand
des Heldenkindes bekleidet und in allen Ehren an seiner Stelle
bestattet. Andere Male spielt dieses Nebenkind eine etwas akti-
vere Rolle, indem es als Zwillingsbruder des Helden auftritt
und einenâ Teil seines Schicksals in schattenhaften - mit-
erlebt. Das klassische Beispiel fĂŒr diesen Typus ist die Dios-
kurenlegende, die nach der Ăberlieferung des Apollodorus
1) Auch der Mythologe Usener faĂt diese Ăberlieferungen im rein
menschlichen Sinne (Die Sintflutsage.. âMan kann sagen, daĂ das Bild
noch in unseren heutigen Vorstellungen fortlebt, Was unsere Kinderwelt
ĂŒber das RĂ€tsel der Geburt hört und denkt, ist eine willkĂŒrliche Fort-
bildung des alten mythischen Bildes. Es ist allgemeiner Kinderglaube, dab
die kleinen Kinder vom Storch gebracht werden. Der Storch ist ein
Wandervogel, er kommt aus geheimnisvoller Ferne, in die man das wunder-
bare Wasser verlegen mag, aus dem der Storch die kleinen Kinder fischt,
die er bringt und der Mutter in den SchoĂ legt.â
= - â_âr
ge EHER
DIE DIOSKURENLEGENDE. 103
a ss ee m gm rn â
(III, 10, 7) und Hyeins (Fab. 80) berichtet, wie Leda, die Mutter
der Dioskuren, in einer und derselben Nacht von Zeus und
von ihrem Gemahl Tyndareos begattet wird; der eine der
Zwillinge, Polydeukes, ist daher vom Beginn zur Unsterb-
lichkeit bestimmt, der andere, Kastor, ist sterblich. Der gleiche
Gegensatz des göttlichen und unsterblichen Helden zu seinem
menschlichen und sterblichen (Zwillings-) Bruder, der gleichsam
ein abgeblaĂtes und schattenhaftes Nebendasein fĂŒhrt, blickt
im VerhÀltnis des Herakles zu Iphykles wie in einer Reihe
anderer mythischer Gestalten durch und hat in weiterer Aus-
gestaltung zu den BrĂŒdermĂ€rchen gefĂŒhrt, in denen noch
der JĂŒngste und SchwĂ€chste seine VordermĂ€nner ĂŒberflĂŒgelt.
Diese Dioskuren oder göttlichen Zwillinge sind jedoch
nicht, wie noch Gruppe!) behauptet, nur bei den Indogermanen
zu finden (Griechen, Indern, Litauern), sondern bilden eine
der verbreitetsten mythologischen ErzÀhlungsformen. Wie nament-
lich Ehrenreich?) nachgewiesen hat, gehören sie bei den
Naturvölkern zum regelmĂ€Ăigen Bestand der mythischen Er-
zĂ€hlungen. Dieses typische Motiv â manchmal kombiniert mit
dem Streit der noch ungeborenen Zwillinge im Mutterleib â im
Verein mit dem der magischen EmpfÀngnis und Geburt, wieder-
holt sich ĂŒber das ganze amerikanische Gebiet hin, wobei in
den entwickelteren Mythologien der Nordamerikaner und Poly-
nesier das Zwillings- oder Bruderpaar in mehrere genealogisch
zusammenhĂ€ngende Gruppen aufgelöst erscheint. âEin merk-
wĂŒrdiger, noch unerklĂ€rter, in Amerika mehrfach vorkommender
Zug ist der, daĂ nur einer der BrĂŒder göttliche QualitĂ€ten
hat, wÀhrend der andere rein menschlich gedacht ist. Sein
Vater ist ein Mensch, der die gottbefruchtete Mutter zum zweiten
Male schwÀngert. DemgemÀà hat dieser zweite Sohn schwÀcheren
Charakter und menschliche Unvollkommenheitenâ?).
Nun verrÀt uns ein Zug in den Sagen der Naturvölker,
den Ehrenreich ohne das VerstĂ€ndnis seiner Bedeutung: ĂŒber-
liefert, die ErklÀrung dieses sonderbaren Motivs, das nur im
Rahmen unserer Auffassung des Mythus von der Geburt des
4) Arch, f. Rel. Wiss. II, 274.
2) Die allg. Mythologie. 5. 31, 69, 239.
104 DER âNACHGEBURTS-KNABE".
|
u â
6 â | ee
Helden sinnvoll wird. âDas Motiv erscheint auch in der Form,
daĂ der zweite aus der weggeworfenen Nacheeburt des ersten
entsteht. Dieser âNachgeburts-Knabeâ ist eine der hĂ€ufigsten
Sagenfiguren der PrĂ€rie-Indianerâ (Ehrenreich, S. 239). Diese
Vorstellung klingt fĂŒr uns noch sonderbar genug, wenn wir sie
in der Ăberlieferung selbst vorfinden, verliert aber im Zu-
sammenhang unserer Deutung sogleich alles Befremdende. Wie
so oft bietet uns auch hier das Folklore offenkundig als â
allerdings unverstandene â Ăberlieferung dar, was wir
sonst mĂŒhsam aus der Symbolik das UnbewuĂten entziffern
mĂŒssenâ).
Die mit der Nachgeburt verbundenen aberglÀubischen
Vorstellungen fast aller Natur- und der meisten Kulturvölker,
zeigen die Beziehung zwischen dem Menschen und seiner
Nachgeburt (samt dem zugehörigen Nabelstrang) als so innig,
daĂ GlĂŒck und UnglĂŒck des Individuums fĂŒr sein ganzes Leben
daran geknĂŒpft scheint, und zwar in der Weise, daĂ bei sorg-
samer Bewahrung und Behandlung dieser ehemaligen Teile des
Ichs dasselbe spÀterhin selbst erfolgreich wird, bei Verletzung
oder Verlust der Nachgeburt dagegen gleicherweise leidet
oder zugrunde geht. Frazer hat die entsprechenden Ăber-
lieferungen mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit gesammelt
und gruppiert und wir lassen aus seinen Angaben die fĂŒr
unseren Zusammenhang: charakteristischen folgen?).
Im sĂŒdlichen Celebes bezeichnet man Nabelschnur und Nach-
geburt als Bruder respektive Schwester des Kindes. Man gibt sie in
einen Topf mit Reis, damit sie zu essen haben (eine BegrĂŒndung, die
vielleicht den anderwĂ€rts ohne dieselbe geĂŒbten Brauch der Ver-
wendung des Reistopfes erklÀrt). Wenn das (prinzliche) Kind zum
ersten Male ausgeht, begleitet es der Reistopf mit seinen zwei Ge-
schwistern, in ein Staatsgewand gekleidet und geschĂŒtzt von einem
1) Auch der Witz darf ein StĂŒck archaischer Denkweise wiederbeleben.
Von einem beliebten Wiener Komiker wird erzÀhlt, daà er einmal in guter
Laune die HĂ€Ălichkeit eines Kollegen daher erklĂ€rte, es mĂŒsse bei dessen
Geburt die Hebamme betrunken gewesen sein und statt des Kindes die Nach-
reburt aufgezogen haben,
32) The Magic. Art, Vol. I, p. 182 ff. und Balder, Vol. Il, p. 160 ft.
E41
Er
- >= |
u Z
.
Ve BEE a gr Grm BEER: nr Er EEE en
BE a Fu u â
DIE NACHGEBURT BEI DEN PRIMITIVEN. 105
Sonnenschirm. Wenn der Prinz (oder Prinzessin) stirbt, wird die
Nachgeburt beerdigt.
Die Kei-Insulaner im SĂŒdwesten von Neu-Guinea betrachten
die Nabelschnur als Bruder oder Schwester des Neugebornen, je
nachdem ob es ein Knabe oder MĂ€dchen ist, In einem Topf mit
Asche wird sie in die Zweige eines Baumes gelegt, damit sie ein
wachsames Auge auf das GlĂŒck ihres Kameraden habe. Anderemal
wird die Plazenta vergraben, im Wald verborgen oder in einer
Höhle unter dem Hause weggelegt, wobei es sich mehr um die Idee
der Ausschaltung schĂ€dlicher (dĂ€monischer) EinflĂŒsse als um die
einer Bestattung zu handeln scheint.
Die Baganda in Afrika glauben, daĂ jeder Mensch mit einem
DoppelgÀnger geboren ist, den sie mit der Nachgeburt identifizieren,
indem sie dieselbe als ein zweites Kind betrachten. Die Nabelschnur
spielt auch eine Rolle bei der Namengebung und heiĂt selbst
âZwillingâ (mulongo),. Des Königs Nabelschnur oder âZwillingâ
wird in ein Kinderkleid gewickelt, mit Perlen geschmĂŒckt, und wie
ein Mensch behandelt; sie wird der Obhut des Kimbugwe anvertraut,
des zweiten Beamten im Lande, der ein eigens dafĂŒr gebautes Haus
hat. Jeden Monat, sobald der neue Mond am Himmel erscheint,
fĂŒhrt der Kimbugwe das BĂŒndel, das den Zwilling enthĂ€lt, in feier-
licher Prozession mit Musikbegleitung zu des Königs Behausung.
Der König untersucht es und gibt es ihm hierauf zurĂŒck. Bei des
Königs Tode wird sein âZwillingâ zugleich mit ihm beigesetzt, Sein
Geist wohnt in beiden Ăberbleibseln.
Bei den Batas auf Sumatra sowie bei vielen anderen Völkerschaften
des indischen Archipels, gilt die Plazenta als des Kindes jĂŒngerer
Bruder oder Schwester und wird unter dem Hause begraben.
Manchmal lassen die Frauen im Innern von Java die Plazenta,
umgeben von FrĂŒchten und Blumen und beleuchtet mit kleinen
Lichtern den Fluà abwÀrts in die DÀmmerung des Abend schwimmen
als Speise fĂŒr die Krokodile oder eigentlich ihrer Vorfahren, deren
Seelen sie sich in diesen Tieren hausend denken. |
Einige primitive Inselvölker werfen die Nachgeburt feierlich
ins Meor; sie wird gut zugedeckt, in einen "Topf gegeben und in
einem Boot ins Meer ausgesetzt. In dem Topf wird eine Ăffnung
semacht, um ihn zum Sinken zu bringen,
a m â ââ on m m â â ee eG ee Te
106 DER SINN DER NACHGEBURTSBRĂUCHE.
ur
ng ur
Bei den Maori wird vor der feierlichen Namengebung die
Nabelschur an einem heilisen Ort begraben und ein junger SchöĂling
darĂŒber gepflanzt. Wenn das BĂ€umchen gedeiht, ist dies ein gutes
Zeichen fĂŒr das Leben des Kindes, Ăhnlich ist auch bei den Fidji-
Insulanern das Leben eines Knaben aufs engste mit dem des Baumes
verbunden, der mit der Nabelschnur zugleich in die Erde gesetzt
wurde. Die Nabelschnur von MĂ€dchen wird bei den Fidji beim ersten
Fischen nach der Geburt von der Mutter (oder Schwester) ins Meer
geworfen, damit das Kind ein gutes Fischerweib werde.
Bei den Kooboos, einem primitiven Stamm auf Sumatra, ist
die Idee der Nachgeburt mit dem Nabelstrang als eines seelischen
DoppelgÀngers schr stark; sie werden als Bruder respektive Schwester
des Kindes betrachtet und gelten als geistig höher entwickelt, weil
ihr Körper unentwickelt geblieben ist; sie sind Schutzgeister fĂŒrs
eauze Leben, an die die Kooboos immer denken, wobei sie die beiden
als eines auffassen und benennen.
Kommt in diesen magischen BrÀuchen der Primitiven
die Bedeutung der Nachgeburt als eines zweiten Wesens mit
vorwiegendem Schutzgeisteharakter zum Ausdruck, der deutliche
Beziehungen zur Vorstellung von der Körperseele aufweistâ),
so zeigen die Àhnlichen aberglÀubischen Ideen, denen wir in
Europa begegnen [bei Deutschen?), EnglĂ€ndern°), Ruthenenâ),
ItalienernÂź)], weitere Rationalisierungen der unverstandenen
Riten im Sinne des Fruchtbarkeitszaubers, in denen doch
wieder ein StĂŒck der ursprĂŒnglich verdrĂ€ngten Bedeutung zum
Vorschein kommen mag. Denn die BrÀuche der Naturvölker,
die im Sinne ihrer DÀmonologie Böses vom Neugebornen
abwenden sollen, können im Sinne der psychoanalytischen Auf-
klĂ€rungenÂźâ) nur der eigenen Feindseliekeit der Eltern ent-
1) Siehe Rank: Der DoppelgÀnger. Imago III, 1914.
2) Frazer, l.ce.p. 198, sowie Ploss-Bartels: Das Kind ete. I], 15 ff.,
II, 198 ff.
2) G. Bellueei: La placenta nelle tradizione italiane e nellâ etnografia.
Arch. per lâantropologia e la etnografia italiana. XL, 1910, No. 3â4. (Nach
F,S. KrauĂ: Folkloristisches von der Mutterschaft, woselbst auch andere
NachgeburtsbrÀuche, insbesondere der Japaner, herangezogen werden.)
4) Vgl. Freuds AusfĂŒhrungen ĂŒber Magie und Allmacht der Gedanken.
Imago II, 1913.
DIE BEDEUTUNG DES KĂSTCHENS. 107
springen und scheinen so dem phantasierten Familienroman
des Helden Recht zu geben. Es kommt in ihnen jedoch schon
das gleiche KompromiĂ wie in diesem zustande, indem der
bedrohte Heldenknabe durch Unterschiebung eines Ersatzopfers
gerettet wird. Ja, mitunter decken sich Ritus und Mythus in
weitgehendem MaĂe, so in den BrĂ€uchen, wo die Nachgeburt
im Wasser ausgesetzt â man möchte sagen freiwillig geopfert â
wird, um dem Kinde selbst dieses Schicksal zu ersparen!).
Aber nicht bloà in den Sagen und BrÀuchen der Primi-
tiven verrĂ€t sich ein StĂŒck der dem Heldenmythus zugrunde-
liegenden Geburtssymbolik mit unzweideutiger Offenheit; es
wird uns nicht wundernehmen, wenn sich mitunter auch in
hochentwickelten Kulten der Antike da und dort ein Bruch-
stĂŒck der primitiven Bedeutung ins BewuĂtsein durchdrĂ€ngt. Nur
betrifft es einmal dieses, ein andermal nur jenes Detail der
Ăberlieferung, das dann besonders scharf betont erscheint. So
ist beispielsweise das uns aus zahlreichen TrÀumen in seiner
weiblichen Bedeutung bekannte KĂ€stchen im griechischen
Kultus offen im gleichen Sinn verwendet, den es unserer
Deutung nach im Aussetzungsmythus auch inne hat. Im ur-
alten Zeremoniell der Hierogamie wurde die goldene Phallus-
schlange, der die VirginitÀt geopfert wurde, im KÀstchen ge-
borgen und in den Mysterien zu Athen uud Eleusis wurde der
eöttliche Phallus im KÀstchen oder Körbchen verschlossen, als
geheimes Kleinod in feierlicher Prozession herumgetragen?).
Gleicherweise vertritt in den uns beschÀftigenden mpythischen
ErzĂ€hlungen das KĂ€stchen den bergenden MutterschoĂ. Schon
Gruppe (Griech. Mythol. 1171) weist darauf hin, daĂ in der
Zn er
1) So begrĂŒnden manche StĂ€mme den Brauch, die Nachgeburt ins
Meer zu werfen, damit, daĂ das herangewachsene Kind beim Seefahren der
Gefahr des Ertrinkens entgehe.
2) Auch hier ist â Ăhnlich wie bei der Jesuslegende (s. S. 61, Anmkg. 1,
SchluĂ) â die Religionswissenschaft unserer psychologischen Deutung nach-
gehinkt. So hat der Altphilologe A. Körte erst die Apologeten und Kirchen-
vÀter, die sich nieht scheuen, die antiken Dinge beim rechten Namen zu
nennen, bemĂŒhen mĂŒssen, um zu erweisen, daĂ die rĂ€tselhafte Cista mystica
der eleusinischen Mysterien ein Symbol des weiblichen SchoĂes darstelle
(Arch. f. Rel. Wiss. XVIII, 1915, 5. 116).
nn - -â â a =
| ââ | âân â â en
108 WEITERE GEBURTSSYMBOLE.
Tennes-, Erichthonios-, Perseus-, Moses-, Noah- u. a. Saren die
den Helden bergende Kiste auf das Ritual der Gottesgeburt
hindeute!). Dasselbe scheint fĂŒr die Legende von Baechus
zu gelten, der nach Pausanias (III, 21) durch Aussetzung in
einer Kiste im Nil der Verfolgung des Königs entzogen und
drei Monate alt, von einer Königstochter gerettet wird, was
auffÀllig an die Mosessage erinnert?). 4
In einzelnen amrerikanischen Ăberlieferungen (s. Ehren-
reich I, e. 8. 81) wird das GefĂ€Ă, aus dem der junge Held bei der
Geburt hervorkommt, direkt mit einer dunklen Blutmasse ge-
fĂŒllt gedacht; andere Male wieder ist es die Zeitangabe, die
ziemlich deutlich auf die Schwangerschaftsdauer hinweist, wie
im Mythus von Ares, der (nach Ilias, 5, 387) 13 Monate lang
gefesselt im ehernen Fasse lag, das Böcklin (Die UnglĂŒcks-
zahl 13, S. 15) dem Kasten, der Schachtel, der Arche gleichsetzt.
Oder wie bei Deukalion, dem griechischen Noah, der 9 Tage
und NĂ€chte im Kasten auf dem Wasser schwimmt). Andere
Ăberlieferungen scheinen direkt den rein animalischen Vorgang
der Geburt zu betonen, indem sie die enge Beziehung des
Helden zu einem tierischen Seeungeheuer in den Vordergrund
rĂŒcken, das den Helden verschlingt und wieder ausspeit (Jona-
Typus). In einer Reihe hellenischer Ăberlieferungen ist dann
aus dem verschlungenen und wieder ausgespieenen Heros zuerst
der ertrunkene und tot ans Land getragene, dann der
ĂŒber das stille Meer schlafend dahingefĂŒhrte und endlich der
auf dem Delphin reitende schöne Götterknabe (Arion) ge-
worden, zu dem der auf dem Seepferd sitzende Melkart viel-
leicht den ersten AnlaĂ gegeben haben mag (Schmidt, Jona,
S. 126).
1) Proelus vergleicht die Arche, die sich Noe aus Holz zimmerte, mit
der Arche, die sich Christus, der geistige Noe, aus dem jungfrÀulichen
Leibe Marias baute. â Hesychius bezeichnet Maria als âArcheâ, breiter,
lÀnger, herrlicher als die Arche Noes. (Nach Storfer: Marias jungfrÀuliche
Mutterschaft. Berlin 1914, 5. 109.)
2, Man vgl. auch den babylonischen Marduk-Tammuz-, sowie den
Àgyptisch-phönizischen Osiris-Adonis-Mythus bei Winckler: Die Welt-
ansehauung des alten Orients (Ex Oriente lux 1, 1, S, 44) und Jeremias,
3 0.8411:
ee
Die WASSE RGEBURT. 109
In anderen Ăberlieferungen weist wieder der Name des
Helden in verrÀterischer Weise auf den Sinn der Geburts-
symbolik hin. So in der Sage von Kypselos, wie sie Herodot
(V, 92 ff.) berichtet. Danach rettet Labda ihr Neugeborenes,
von dem ein Orakel UnglĂŒck prophezeite, vor den Nachstel-
lungen der Feinde im Mehlkasten âund weil er dieser Gefahr
entflohen war, bekam er nach dem Kasten den Namen
Kypselos oder Kastnerâ. Ăhnlich konnte Leo (S. 24, Anmkg.)
zeicen, daà der Name des englisch-langobardischen SeeÀf
nicht wie die rationalistische Etymologie meinte, mantpuwlus
frumenti bedeute, sondern daĂ dieses Wort mit unserem
hochdeutschen Schaffing verwandt ist: âda Seyld ein Scefing
genannt wurde, liege die Vermutung nahe, er habe gar keinen
Vater SceÀf oder Schaf gehabt, sondern sei selbst jener von
den Wellen angetriebene Knabe gewesen, den man den Sohn
des Fasses (Schaffing) nannteâ. Und in gleichem Sinne hat
Cassel (p. 43 f.) hervorgehoben: âSeild ist ein Sohn der
Arche, des Schiffleins, des Kastens, in welchem er liegend
ans Land kam. Althochdeutsch ist scef das Schiff; mit dem
Namen fĂŒr GefÀà ist es verwandt, skaf ist das Schiff und skef
das GefĂ€Ă. Ăhnlich ist das VerhĂ€ltnis des lateinischen scapha.
Die: ErklÀrung aus manipulus frumenti hat man offenbar erst
in spĂ€ter Zeit aus dem Namen gemacht. â Auch aus dem
Kasten Noahs, der ohne Segel und Ruder durch Gottes Vor-
sehung behĂŒtet wird, steigt ein neues Geschlecht. Söhne Noahs
und Söhne der Arche sind alle Menschen, die von ihnen stammen.
Ein Kind seines Sehiffesist auch Seild der Sohn des SceÀf,
das lehrt sein Nameâ!).
Eine noch weiter gehende Verallgemeinerung aber auch
Verdeutlichung drĂŒckt sich in der Vorstellung der Wasser-
geburt aus, die gleichsam das Aussetzungmotiv Katâ exochen,
die run an sich, darstellt. So wie der indische Ăptya âder
1) Cassel verweist (Anmkg. 177) darauf, daà der Name Noalı mit den
vielfachen AusdrĂŒcken fĂŒr Schiff verwandt ist: nau (Sanskrit), raĂŒs,
navis, vesın.
Auf die weibliche Bedeutung des Schiffes in den Augen der Seeleute
hat Kleinpaul hingewiesen (S. 196).
110 WASSERTRĂUME ALS GEBURTSTRĂUME.
aus dem Wasser geboreneâ heiĂt, oder wie der Scholiast zu
Rigveda erklĂ€rt âder Sohn der Wasserâ (Mannhardt: G. M,,
S. 213); wie der vedische PurĂŒravas (nach Schröder, S. 31) sagt:
âdie Wasserfrau brachte mir, was ich begehrte: geboren ward
aus dem NaĂ ein edler Knabeâ; wie Agni, der ein Enkel der
Fluten (apĂ€im napĂ€t) heiĂt; wie der nordische Gott Freyr, von
dem uns die skandinavische Mythe bei Saxo die Wassergeburt
erhalten hat (Mannhardt, S. 214, 221.); wie ferner der biblische
Moses (nach Josephus Altt. II, ec. 6) auf Grund einer Volks-
etymologie als der aus dem Wasser gezogene, als Sohn
des Wassers erklÀrt wird; wie: das deutsche MÀrchen die
Söhne des durch einen Wasserstrahl geschwÀngerten MÀdchens
Wasserpeter und Wasserpaul (Grimm, K. H. M., III, Nr. 60),
Wassersprung und Brunnenhold nennt (Mannhardt: G. M,,
S. 216 ff.)!): so wird auch der englisch-langobardische Sceaf
als Sohn des Wassers (und des GefĂ€Ăes), in welchem er schwimmt,
aufgefaĂt: dies sind seine Eltern.
Eine direkte BestÀtigung dieser aus der allgemein-mensch-
lichen Symbolik geschöpften Deutung der Aussetzung im Wasser
eibt uns das Material selbst an die Hand in dem Traum, den der
GroĂvater â noch schlagender in der Ktesianischen Version die
leibliche Mutter â des Kyros vor seiner Geburt trĂ€umt, âund
worin aus der Schwangeren SchoĂ so viel Wasser flieĂt, daĂ
es, einem ungeheuren Meere gleich, ganz Asien ĂŒberschwemmt?).
Ăberraschenderweise deuten die ChaldĂ€er in beiden FĂ€llen ganz
richtig diese WassertrÀume als GeburtstrÀume, wie ja diese
TrÀume selbst gewià aus der Kenntnis einer uralten, allgemein
1) Zur Wassergeburt des MÀrchenhelden vgl. man noch: Asbjörnson
und Moe, ĂŒbers, v,. Bresemann Nr. 5; K.H.M. Nr, 29; Meier, MĂ€rchen Nr. 79,
S. 273; Pröhle, M.f.d. Jugend Nr. 8, S. 30 £.
2) DaĂ der Traum bei Herodot dem GroĂvater zugeschrieben wird,
erscheint uns keineswegs als willkĂŒrliche Variante, denn in dem der Sage
. zugrunde liegenden Familienroman ist es ein typischer VaterreprÀsentant,
. dem ein mehr oder weniger symbolischer Traum Gefahr und Verderben vom
ungeborenen Sohne (oder Enkel) prophezeit, Der VerknĂŒpfung mit dem GroĂ-
vater liegt, wie die entsprechenden MĂ€rchenĂŒberlieferungen deutlich zeigen,
das Motiv von dem seine Tochter eifersĂŒchtig bewachenden Vaters zugrunde
(vgl. dazu S. 124), trotz dessen Vorsicht der gefÀhrliche Held zur Welt kommt.
_ ge ii:
â m -
DER GEBURTSMYTHUS EIN TRAUMSTOFF. 111
r rn âââ: GE ne
gebrÀuchlichen Symbolik gebildet sind und einer dunkeln
Ahnung der Beziehungen und ZusammenhÀnge, welche die
Freudsche Traumlehre wissenschaftlich verifiziert hat.
Diese tieferfaĂte Traumbedeutung scheint im Zusammen-
hang mit dem stereotypen Vorkommen des warnenden "[raum-
bildes im Heldenmythus -darauf hinzuweisen, daĂ wir es hier
mit einem uralten Traumstoff!) zu tun haben, dessen Kern
ceerade darum so gut von unserer wissenschaftlichen Traum-
erkenntnis zugĂ€nglich wird. Eine weitere BestĂ€tigung fĂŒr die
Berechtigung dieser Auffassung, welche Wassertraum und Aus-
setzung gleichstellt, erblicken wir in dem Umstand, dab eben
in der Kyrossage, die den Wassertraum enthÀlt, das Motiv der
Aussetzung im Wasser fehlt, so daĂ der Mythus den Ge-
burtstraum einfach als real darstellt.
Nur darf man sieh beim tendenziösen Heldenmythus
nicht an der Inkoneruenz in der Reihenfolge der einzelnen
Elemente des symbolisierten Zurweltkommens mit dem wirk-
lichen Geburtsvorgang stoĂen. Diese zeitliche Umordnung, ja
Umkehrung, erklÀrt sich, wie Freud gezeigt hat, aus der all-
gemeinen Art, wie Erinnerungen zu Phantasien verarbeitet
âwerden: es erscheine nĂ€mlich in den Phantasien dasselbe Material
verwendet, aber in durchaus neuer Anordnung, und auf eine
natĂŒrliche Reihenfolge der Akte werde gar nicht Bedacht ge-
nommenâ).
um
1) Die altbabylonische Flutsage, die â wie das ganz Asien ĂŒber-
schwemmende Geburiswasser in der Kyrossage zeigt â in diesen Zusammen-
hang gehört, erzÀhlt Berosus so, daà König Xisuthros durch einen göttlichen
Traum gewarnt worden sei, alle Menschen wĂŒrden in einer eroĂen Flut
umkommen, er selbst aber mit seiner Familie in einem Schiff gerettet
werden. â Und schon im keilschriftlichen Sintflutbericht scheint die
rÀtselhafte Stelle v. 21 bis 22 nach der Auffassung mancher Forscher
mit Traumvisionen zusammenzuhÀngen, die Ea dem babylonischen Noalı
zuteil werden lĂ€Ăt,
2) Die gleichen VerhÀltnisse herrschen bei der Traumbildung und der
Umsetzung hysterischer Phantasien in AnfÀlle (vgl. Traumdeutung?, 5. 238,
und die Anmke. ebenda; ferner Freud: Allgemeines ĂŒber den hysterischen
Anfall, in Sammlg. Kl. Schr. z. Neurosenlehre, 2. Folge, S. 146 u. ff.)
Ebenso in der dichterischen PhantasietÀtigkeit, was eine charakteristische
Stelle bei Strindberg besonders deutlich zeigt: âMeine Erinnerungen kann
ee
FE =
112 DIE UMKEHRUNGEN DES INHALTS.
Neben dieser formalen Umkehrung beansprucht die in-
haltliche eine besondere AufklĂ€rung. Der nĂ€chste Grund fĂŒr
die Darstellung der Geburt durch ihr Gegenteil, die lebens-
feindliche Aussetzung im Wasser, ist die Betonung. der Feind-
seliekeit der Eltern dem zukĂŒnftigen Helden gegenĂŒberâ). Wir
begreifen den schöpferischen Einfluà dieser Tendenz, die
Eltern als die ersten und mÀchtigsten Gegner des Helden dar-
zustellen, wenn wir uns erinnern, daĂ ja der ganze Familien-
roman ĂŒberhaupt der Empfindung der ZurĂŒcksetzung, also der
supponierten Feindseligkeit der Eltern, seinen Ursprung ver-
dankt. Diese Feindseligkeit geht im Mythus so weit, daĂ die
Eltern das Kind gar nicht zur Welt kommen lassen wollen,
worĂŒber sich eben der Held beklagt; ja man kann aus dem
Mythus deutlich den Wunsch vernehmen, das Zurweltkommen
selbst gegen den Willen der Eltern durchzusetzen. Die Lebens-
eefahr aber, die sich so hinter der Geburt, in ihrer Darstellung
durch die Aussetzung verbirgt, ist ja tÀtsÀchlich im Geburtsakt
gegeben. In der Ăberwindung aller dieser Hindernisse kommt
auch der Gedanke zum Ausdruck, daĂ der zukĂŒnftige Held
die gröĂten Schwierigkeiten eigentlich schon mit seiner Geburt
ĂŒberwunden habe, indem er alle Versuche, sie zu verhindern?),
siegreich abwehrt. Es ist hier auch Raum fĂŒr eine zweite
Deutung, derzufolge der junge Held, der ja ahnen mag, dab er
ich wie die StĂŒcke eines BaukĂ€stens behandeln; mit ihnen kann ich alles
mögliche zusammensetzen; und dieselbe Erinnerung kann zu allem mög-
lichen in einem PhantasiegebÀude dienen, verschieden gefÀrbte Seiten nach
oben wenden; und da die Anzahl Zusammenstellungen unendlich ist, be-
komme ich bei meinen Spielen den Eindruck der Unendlichkeitâ (âEinsamâ,
Leipzig, H. Seemanns Nchf. 1905, S. 76).
1) Nach einer ansprechenden Bemerkung Jungs ermöglicht diese
Umkehrung in weiterer mythischer Sublimierung den AnschluĂ des Helden-
lebens an den Sonnenlauf (Wandlungen und Symbole der Libido, IT. Teil,)
2) Hieher gehört Punkt 2 unseres Schemas: die freiwillige Enthalt-
samkeit oder die gewaltsame Trennung der Eltern, die natĂŒrlich die wunder-
bare EmpfĂ€ngnis und die Jungfrauengeburt der Mutter im Gefolge hat. â
Auch die Abtreibungsphantasien, die in der Zoroasterlegende besonders
deutlich sind, gehören in diesen Zusammenhang, wie möglicherweise auch
die vorzeitig aus dem Mutterleib geschnittenen Helden, wie Sigurt (Grimm,
Myth.*, 5. 322), Tristan bei Eilhardt, Vikramaditya u. a. m.
Pr Eee VE Se nee se sv
ââ 2
ZWISCHEN PHANTASIE UND MYTHOS, 113
ââââ â[ââ â _â_ââ ar
dazu bestimmt ist, alle Schwere des Lebens in besonderem
AusmaĂe zu verkosten, in pessimistischer Stimmung wie ĂŒber
einen feindlichen Akt darĂŒber klagt, daĂ man ihm das Leben
segeben habe. Er klagt gleichsam die Eltern an, daĂ sie ihn in
das feindliche Leben ausgesetzt, daĂ sie ihn haben geboren
werden lassen'). Die Weigerung, den Sohn zur Welt kommen
zu lassen, die besonders dem Vater zukommt, scheint oft durch
das Gegensatzmotiv, den Wunsch nach einem Kinde, verdeckt
(wie bei Ădipus, Perseus u. a.), wĂ€hrend die feindliche Gesinnung
gecen den zukĂŒnftigen Nachfolger in Thron und Reich nach
auĂen projiziert, also einem Orakelspruche zugeschrieben wird,
der sich so als Ersatz des unheilverkĂŒndenden Traumes oder
besser gesagt, als Ăquivalent seiner Auslegung offenbart.
Auf der anderen Seite aber zeigt der Familienroman, daĂ
die anscheinend die Eltern entfremdenden Phantasien des Kindes
nichts anderes von ihnen aussagen können als die BekrÀftigung,
sie seien doch die wirklichen Eltern. Auch der Aussetzungs-
mythus enthĂ€lt, mit Hilfe der Symbolik ĂŒbersetzt, nichts als
die Versicherung: das ist meine Mutter, die mich auf GeheiĂ
des Vaters geboren hat. Infolge der Tendenz des Mythus und
der dadurch bewirkten Verschiebung der feindseligen Gesinnung
vom Kinde auf die Eltern kommt diese Versicherung der wirk-
ichen Elternschaft in Form ihrer Ablehnung zum Ausdruck.
Sehen wir uns nun die feindselige Stellung des Helden
seinen Eltern eegenĂŒber nĂ€her an, so fĂ€llt zunĂ€chst auf, dab
') Völlig im Sinne dieser unserer Auffassung scheint es gedacht, wenn
der römische Dichter Luerez die Geburt mit einem Schiffbruch vergleicht:
âSiehe das KnĂ€blein, wie ein durch die Wut der Wellen an das Ufer ge-
worfener Sehiffer liegt es da, das arme Kind! nackt, auf der Erde, aller
Lebenshilfe dĂŒrftig, wann es zuerst die Natur aus dem SchoĂe der Mutter
mit Schmerzen losgerissen hat. Mit klĂ€glichem Gewimmer erfĂŒllt es seinen
Geburtsort und das wohl mit Recht, dem so viele Ăbel im Leben noch
berorstehenâ (Luerez, de natura rerum V. 222 bis 227). â Und Ă€hnlich heiĂt
es in der ersten Fassung von Schillers âRĂ€uberâ von der Natur: âGab sie
uns doch Erfindungsgeist mit, setzte uns nackt und armselig ans Ufer dieses
groĂen Ozeans Welt. â Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump
ist, gehe unter!â
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden. 2. Aufl, 8
114 DER KONFLIKT MIT DEM VATER.
En
â
sie vornehmlich den Vater betrifft. Meist wird ja, wie im Mythus
von Ădipus, Paris u. a,, dem königlichen Vater ein Unheil, das
ihm von dem erwarteten Sohne droht, geweissagt; der Vater
ist es da auch, der die Aussetzung des Knaben veranlaĂt und
den wider Erwarten Geretteten auf-alle möglichen Arten ver-
folgt und bedroht, der aber schlieĂlich doch, nach der Prophe-
zeiung, dem Sohne unterliegt. Um diesen anfangs vielleicht
befremdenden Zug zu verstehen, braucht man nicht erst am
Himmel nach einem Vorgang zu suchen, in den er sich
mĂŒhselig hineindeuten lĂ€Ăt. Wer mit offenen Augen und un-
befansenen Sinnes die VerhÀltnisse zwischen Eltern, Kindern
und Geschwistern einmal ansieht, wie sie wirklich sindâ), der
wird hĂ€ufig, jaman muĂ eigentlich sagen regelmĂ€Ăig, wenn
auch nicht offensichtlich und dauernd, so doch gewiĂ im Un-
bewuĂten lauernd und zeitweilig durchbrechend, eine gewisse
Spannung zwischen Vater und Sohn und noch deutlicher ein
KonkurrenzverhÀltnis zwischen Geschwistern finden. Besonders
sind es erotische Momente, die dabei mitspielen, und in der
Regel ist auch die tiefste â meist unbewuĂte â Wurzel der
Abneigung des Sohnes gegen den Vater oder zweier BrĂŒder
vereneinander in dem KonkurrenzverhÀltnis um die zÀrtliche
Aufmerksamkeit und Liebe der Mutter zu suchen. Die Ădipus-
fabel zeigt uns ja deutlich â nur in vergröberten Dimensionen
â die Richtigkeit dieser Auffassung, indem sie auf den Tot-
schlag des Vaters den Inzest mit der Mutter folgen lĂ€Ăt. Dieses
erotische VerhÀltnis zur Mutter, das wieder in anderen Mythen-
kreisen dominiert, ist in den Mythen von der Geburt des
Helden in den Hintergrund gedrÀngt?), wÀhrend der Kampf
geren den Vater ĂŒberstark betont wird.
1) Vgl. die Darstellung dieses VerhÀltnisses und seiner seelischen
Folgen bei Freud: Traumdeutung, S. 172 u. ft.
2) Bei einzelnen Mythen hat man den Eindruck, als sei das Liebes-
verhĂ€ltnis zur Mutter, als dem BewuĂtsein mancher Zeiten und Völker zu
anstöĂig, beseitigt worden. Die Spuren dieser Beseitigung erkennt man noch
bei einer Vergleichung verschiedener Mythen oder verschiedener Versionen
desselben Mythus. So ist nach der Herodotischen Fassung Kyros ein Sohn
von Astyagesâ Tochter, nach dem Berichte des Ktesias nimmt er aber nach
Besiegung des Astyages dessen Tochter zur Frau, wÀhrend er ihren Mann,
a ame âân â[ââ nn vr ann a nn
DAS âHILFREICHE TIERâ. 115
Es scheint jedoch mit unserer Deutung der Aussetzung
als Geburt nicht recht im Einklang zu stehen, daĂ gerade
die Mutter und ihr VerhĂ€ltnis zum Helden so stiefmĂŒtterlich
â im wahren Sinne des Wortes â behandelt sein sollte. Doch
verrÀt uns ein anderes, ziemlich aufdringliches Motiv, dab dies
nur scheinbar der Fall ist. Denn mit auffallender RegelmĂ€Ăigkeit
wird die leibliche Mutter durch ein hilfreiches Tier vertreten, |
das sich des Ausgesetzten annimmt und ihm oft als Amme
dient!). Abzesehen von der Betonung des rein animalischen
der bei Herodot sein Vater ist, tötet, Vgl. HĂŒsing: Beitr. z. Kyrossage, Al.
Auch bei Vergleichung der Sage von Darab mit der ihr ganz Àhnlichen
Legende vom heiligen Gregor wird deutlich, daĂ bei Darab der
Inzest mit der Mutter einfach weggelassen ist, der sonst der Erkennung
des Sohnes vorausgeht; hier verhindert dagegen die Erkennung den Inzest,
eine AbschwÀchung, die man im Mythus von Telephos sozusagen in statu
nascendi studieren kann, wo der Held zwar mit seiner Mutter vermÀhlt wird,
sie aber noch vor dem Vollzuge des Inzests erkennt.
Man vgl. ĂŒbrigens des Verfassers Buch: âDas Inzestmotiy in
Diehtung und Sageâ (1912), wo das hier nur gestreifte Inzestthema eine
ausfĂŒhrliche Behandlung erfĂ€hrt, und die zahlreichen hier fallen gelassenen
FĂ€den, die zu diesem Thema fĂŒhren, aufgenommen sind.
Den Zusammenhang des Ădipus-Motivs mit dem Mythus von der
Geburt des Helden habe ich in meiner Untersuchung ĂŒber âdie Lohen-
grinsageâ (1911) nĂ€her ausgefĂŒhrt, deren zyklischen Charakter ich aus
der von Freud aufgedeckten Identifizierung mit dem Vater verstÀndlich
machen konnte. (Vgl. dortselbst S. 131, auch S.96 und 99.) So erklÀrt
sich die in manchen Sagen aufgezeigte identitÀt von Vater und Sohn, die
Wiederholung ihrer LebenslÀufe, so der Umstand, daà der Held mitunter
erst im erwachsenen Alter ausgesetzt wird, so auelı die innige VerknĂŒpfung
von Geburt und Tod im Aussetzungsmotiv (Ăber das Wasser als Todeswasser
vgl. bes. Kap. IV der Lohengrinsage). Jung, der im typischen Schicksal
der Helden Abbilder der menschlichen Libido und ihrer typischen Schick-
sale sieht, hat dieses Thema als Wiedergeburtsphantasie in den Mittel-
punkt seiner Auffassung gestellt und ihr das Motiv des Inzests untergeordnet.
Dabei will er aber nicht nur die unter sonderbaren symbolischen UmstÀnden
erfolgende Geburt des Helden, sondern auch das Motiv seiner zwei MĂŒtter
daraus erklÀren, daà die Geburt des Helden unter den geheimnisvollen
Zeremonien einer Wiedergeburt aus der Mutter-Gattin erfolge (l. c.
S. 356).
!) In einzelnen spÀteren Sagenformen (Romulus, Kyros) hat die ratio-
nalistische Deutung dieses âWunderâ dadurch plausibel zu machen gesucht,
g*+
ii Eininiiisnlönimii
u â m
116 FREUDS AUFKLĂRUNG
oo re - m mâ âââ
VerhÀltnisses zur Mutter, auf dessen Auffassung durch das
Kind wir noch zurĂŒckkommen ($. 142 f., 150 f.), lebt in diesem
Motiv auch ein StĂŒck der totemistischen Abstammungslehre der
primitiven Völker fort, deren tief menschliche Bedeutung uns
oleichfalls durch die Forschungen Freuds erschlossen wurde,
Im Totemismus sieht die Wissenschaft die erste Stufe der
menschlichen Organisation, deren HauptzĂŒge darin bestehen, daĂ die
Totemgenossen das Totem als gemeinsamen Stammvater verehren
und den âeschlechtlichen Verkehr untereinander meiden und verab-
scheuen, Dem ersten der beiden ZĂŒge entspricht es, daĂ das 'Totem
-â in der Regel ein Tier â seine Abkömmlinge verschont und
von ihnen verschont wird, welche segensreiche kulturelle Rolle
das Muttertier im Heldenmythus noch direkt verkörpert.
Die Parallelisierung dieser 'lotemverehrung mit eiver Reihe
von Beobachtungen an Kindern und Neurotikern durch Frend')
erwies die eieentĂŒmliche Ahnenverehrung einer bestimmten Tier-
eattung als Folge einer unbewuĂten Identifizierung dieses Tieres
mit dem Vater, was ĂŒbrigens auch die primitiven 'Totemisten direkt
aussprechen, da sie sich keineswegs nur in bildlicher Weise als die
Abkömmlinge des Totems betrachten. Damit wÀre unschwer die
Verehrung des Totems, aber nicht das eigeentĂŒmliche Zeremoniell
seiner gelegentlich gebotenen Opferung erklÀrt, Gerade hier setzt
Freud ein, indem er zu dem einen RĂ€tsel das andere der Ent-
stehung der Inzestschranke hinzunimmt, der die Exogamie der
daĂ sie den Weibern Tiernamen beilegte (Kyno [Spako]|, Lupa), die erst
den AnlaĂ zu der wunderbaren AusschmĂŒckung gegeben haben sollien.
Es sei ĂŒbrigens bei dieser Gelegenheit darauf verwiesen, daĂ eine
Anzahl unserer bĂŒrgerlichen Familiennamen nicht nur totemistischen Ur-
sprung verraten (Fuchs, Wolf, BĂ€r ete.), sondern auch der degradierten
Vaterrolle zu entsprechen scheinen (Fischer, MĂŒller, Schneider).
Ăber Tiere in den Aussetzungssagen siehe die Arbeiten von Bauer
(S.574f.), Goldziher (5. 274) und Liebreeht: Zur Volkskunde (Romulug
und die Welfenâ, Heilbronn 1879. â Zur totemistischen Grundlage der
römischen Wölfin vel. Jones, âAlptraumâ, $. 57 f. â Ăber den Specht
der Romulussage hat Jung (l.e. S. 382 fÂŁ.) gehandelt. â Allgemeines bei
subernatis: Zoological Mythology. London 1872. Deutsch von Hartmann;
Die Tiere in der indogerman,. Mythologie. Leipzig 1874.
!) âTotem und Tabuâ, 1913.
eâ = m =
DES TOTEMISMUS. 117
BE
'T'otemgenossen entspricht. Er knĂŒpft an Darwin und Atkinson
an, die die Àlteste Form der Gemeinschaft in Analogie zu jener
der höhe:en Affen in einer âUrhordeâ sehen, bestehend aus mehreren
Weibchen und einem alten und starken MĂ€nnchen. Dieses duldet
keinen Nebenbuhler in der Horde und tötet die Söhne oder treibt
sie aus, soba'd sie geschlechtsreif werden. Den Weg von dieser
âUrhordeâ zur ersten Stufe sozialer Organisation, den die genannten
Forscher nicht gefunden haben, rekonstruiert Freud aus dem eigent-
lichen Sinn des Totemismus heraus, den dieser allerdings nur der
psychoanalytischen Betrachtungsweise verrÀt. Schon Atkinson ver-
mutete, daà die ausgetriebenen Söhne sich verbanden und durch
Gemeinsamkeit gestĂ€rkt, den Vater erschlugen. Das wĂŒrde der
Vereinigung des Stammes zum 'Totemopâ'er entsprechen. Aber da
nun jeder die Weiber fĂŒr sich begehrte und keiner stark genug
war, die andern auszuschlieĂen, entstand Unbefriedigung und Un-
friede. Um den Verband, ohne den der einzelne nicht zu existieren
vermochte, aufrecht zu erhalten, muĂten SĂ€mtliche sich freiwillig
den Verzicht auf die Weiber des Stammes auferlegen. Die wichtige
Rolle, welche die âMĂ€nnerbĂŒndeâ bei allen Naturvölkern spielen, ist
eine StĂŒtze dieser Auffassung. Durch diesen Verzicht wĂ€re die
Grundlage fĂŒr die Totemexogamie gegeben, aber auch fĂŒr die nach-
trÀgliche Verehrung des mÀchtigen, im Grunde bewunderten Vaters,
dessen nutzlos gebliebenen Mord die Söhne bereuten.
Alle diese Ereignisse, die natĂŒrlich nur als Zusammenfassung
einer mehrtausendjÀhrigen Entwicklung gedacht sind, haben in den
totemistischen und anderen BrÀuchen ihre Spuren hinterlassen und
in den mythischen Ăberlieferungen, wie in den mĂ€rchenhaften Er-
zÀhlungen, ihren kulturgeschichtlichen Nachklang gefunden.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet scheint der Familien-
"oman des Helden in gewissem Sinne die urprĂŒnglich reale
Verfolgung des Sohnes durch den Vater widerzuspiegeln, die nur
aus einer spĂ€teren â erinnerten â Zeitin die Zeit der Geburt, ja
sogar des Ungeborenseins zurĂŒckphantasiert wird, und zwar
dann, sobald der Sohn dem als feindselig empfundenen Vater
nichts mehr, auch nieht das Leben verdanken will. Hier, setzt
nun die rettende Tat der Mutter ein, die vielleicht wirklich
u
ee HT _
115 DIE AUSSETZUNG WAR EINMAL REAL.
er
Te ne
einmal in der Urgeschichte das Kind nach der Geburt vor dem
unmenschlichen Vater zu schĂŒtzen hatte, wie noch ganz naiv
der griechische Mythus von Zeus erzÀhlt, den seine Mutter aus
Furcht vor dem kinderverschlingenden Kronos in einer Höhle
des Idagebirges zur Welt bringt und verborgen hÀlt, wo -das
KnÀblein von der Ziege Amalthea genÀhrt wird. So kehrt die
Mutter als schĂŒtzendes und nĂ€hrendes Totemtier im,Helden-
mythus wieder, wÀhrend im Erzeuger der alte vertotemistische
Uryater in seiner. ganzen PrimitivitÀt weiterlebt.
So stellt das StĂŒck Aussetzungsmythus â neben der sym-
bolischen Geburtsbedeutung â einen offenkundig feindseligen
Akt von seiten des grausamen Urvaters dar, der im Orakel
eigentlich den Wunsch ausspricht, daĂ der Sohn gar nicht
hÀtte zur Welt kommen sollen.
Im weiteren Inhalt der Heldenniythen merkt man unschwer,
daĂ sich dieser feindselige Urakt des Vaters noch einige Male
wiederholt. Zum erstenmal, sobald der Knabe, der ja die Kindheit
in der Fremde verlebt, zum JĂŒngling herangewachsen ist. Zu dieser
Zeit zieht der mythische Sohn aus seiner zweiten Heimat aus, um
âAbenteuer zu suchenâ, und zur selben Zeit trifft merkwĂŒrdigerweise
der Vater neuerdings seine SchutzmaĂregeln zur Sicherung seines
Lebens und seiner Macht. Man versteht die eigentliche Bedeutung
dieses mythischen Zuges, wenn man das ethnologische GegenstĂŒck
dazu, die PubertÀtsriten der Wilden, zur Vergleichung heranzieht,
die Reik in einer wertvollen Studie psychoanalytisch beleuchtet
hat!), Auch dort wird den reifgewordenen JĂŒnglingen, allerdings in
der bei weitem eindrucksvolleren Weise des Ritus, die noch unge-
brochene Macht der VĂ€ter vor Augen gefĂŒhrt. Die feindseligen Akte,
welche sich die Alten bei diesem feierlichen AnlaĂ gegen die Jugend
erlauben dĂŒrfen, sollen diese vor der Verwirklichung ihrer geheimen,
aus dem Elternkomplex stammenden WĂŒnsche warnen und sind zu-
gleich Standhaftigkeitsproben auf ihre mÀnnliche Kraft, die sie erst
wĂŒrdig macht, in die Ă€ltere Generation vorzurĂŒcken und in den
Kreis der VĂ€ter aufgenommen zu werden. Im Mythus ist die Form,
in der sich die Feindseligkeit des Vaters zum erstenmal wiederholt,
') âDie PubertĂ€isriten der Wildenâ, Imago IV, 1915,
â
DAS MOTIV DER MANNHEITSPROBE, 119
U
eine durchwegs dem höheren kulturellen Niveau angepaĂte âAuf-
gabeâ, die eines âHeldenâ wĂŒrdig ist. Immer handelt es sich um
ganz besondere Leistungen, denen kein anderer sich gewachsen zeigt
und bei deren Lösung noch jeder den Tod gefunden hat, die der
Held aber wider Erwarten des Auftraggebers, ungeachtet aller
Hemmnisse, bewÀltigt. Dieser Vorgang, beliebig vervielfacht, ergibt
die eigentlichen âHeldentatenâ, die, unter den entwickelten Gesichts-
punkten betrachtet, sich in nachstehender Weise zur Aussetzung und
den ihr entsprechenden âAufgabenâ verhalten:
Die Aussetzung stellt im Sinne ihrer symbolischen Be-
deutung die unter den erschwerten UmstÀnden der primitiven
VerhĂ€ltnisse erfolgte Geburt dar, die somit als die erste groĂ-
artige Leistung (Aufgabe) erscheint, bei der viele den Tod
finden, die der Held aber trotz aller Schwierigkeiten ĂŒbersteht').
So liegt schon im Sohnsein selbst das Heldenhafte.
Die eigentliche Aufgabe, die zur Zeit der Reife gestellt
wird, und deren verderbenbringende Absicht sie als Ersatz der
Aussetzung: verrÀt, ist eine Mannheitsprobe, die ebenso wie
das Aussetzungsmotiv doppelte (ambivalente) Bedeutung hat:
Sie setzt den JĂŒneling dem Verderben aus, macht ihn aber
oleichzeitig mit dem Bestehen dieser Probe dem Vater eben-
bĂŒrtie (Ordal)').
', Es ist hier an den altgermanischen Brauch zu erinnern, das neu-
geborene Kind vor Anerkennung der Vaterschaft auf einem Schild im Rhein
auszusetzen. (R. Civilli: âLe jugement du Rhin et la lögitimation des enfanis
par ordalieâ. Bull. et M&m. de la Soc. dâAnthrop. de Paris, VI. Ser. III. 1912,
pp. 80-88). [Ăhnlich aber auch von den Banyaro in Zentralafrika. Siehe
John Hamming Speke: Journ. of the discovery ol the source of the Nil.
London 1912, ch. XIX, p. 444. Everymanâs Library]. Wenn z. B. ein Kelte
bei einem neugeborenen Kind an seiner Vaterschaft zweifelte, so setzte er
es auf einem groĂen Schild in den nĂ€chsten FluĂ. Trugen es die Wellen ans
Ufer, so galt es als legitim, kam das Kind jedoch um, so galt das Gegenteil
fiir erwiesen und auch die Mutter wurde hingerichtet. (Siehe Franz H elbing:
âGesch. d. weibl. Untreueâ.) Ferner ist auf den unter den germanischen
Völkerschaften schr verbreiteten Brauch der Kindesaufhebung hinzuweisen,
weleher der römischen Sitte des âliberos tollere, suseipereâ vollkommen
entspricht: das auf dem Boden liegende Kind wurde vom Vater entweder
aufgenommen oder ausgesetzt (altnord. âĂŒt bera, ĂŒt kastaâ). (Vgl. die auch
120 DIE AMBIVALENZ DES AUSSETZUNGSMOTIYVS.
ââ BE [1 â- ââ =
Das Aussetzungsmotiv, das â wie die Mythen- und MĂ€rchen-
motive ĂŒberhaupt â von ambivalenten GefĂŒhlen getragen ist,
erscheint so als gegenseitiger Schutz der beiden Generationen
voreinander, gleichsam als eine Art wechselseitiger Lebens-
versicherung, da der Sohn durch die im Interesse des Vaters
erfolgende Aussetzung letzten Endes vor diesem seinen Ver-
folger in Sicherheit gebracht wird, ja in ihm gerade der
vom Vater mit Recht so gefĂŒrchtete Feind heranwĂ€chst. Darum
kann es auch nicht verwundern, daĂ die Heldenaufgaben, die
ursprĂŒnglich eine Vervielfachung des urvĂ€terlichen Beseitigungs-
impulses gegen den Sohn darstellen, sich schlieĂlich als ver-
kappte Rachehandlungen des Sohnes gegen den âbösenâ Vater
(Vatertötung) entpuppen, was allerdings dadurch verdeckt scheint,
daĂ sie im Auftrage des Vaters selbst geschehen. In entsprechender
Weise wird auch gerne die korrelate urzeitliche Besitzergreifung
der Mutter in der verhĂŒllenden Gegensatzform des Potiphar-
motivs, das umgekehrt die VerfĂŒhrung des standhaften Helden
durch ein lĂŒsternes Muttersurrogat vortĂ€uscht, verleugnet
(Inzestscheu). |
Indem der Sohn die aufrĂŒhrerischen Handlungen und die
Beseitigungsimpulse in der Fremde an Deckpersonen oder
noch hÀufiger an Tierungeheuern (Totemopfer) befriedigt, wird
er durch Lösung der vom Vater zu seinem Verderben gestell-
ten Aufgaben aus einem unzufriedenen Sohn ein sozial
wertvoller Reformer, ein Bezwinger menschenverzehrender
oder lĂ€nderverwĂŒstender Ungeheuer, ein Erfinder, StĂ€dte-
grĂŒnder und KulturtrĂ€ger, wie insbesondere das kulturell so
hochstehende griechische Volk in seinen Heroen Herakles, Per-
sonst fĂŒr unser Thema aufschluĂreiche Abhandlung von Nejmark: âDie
geschichtliche Entwieklung des Deliktes der Aussetzungâ, Aarau 1918,
B> 13°1..283 Ă
Wie das Aussetzungsmotiv selbst, will Frazer auch das typische
Medium, das Wasser, aus psychologisch unverstandenen BrÀuchen erklÀren
nÀmlich als Erinnerung an die zur BestÀtigung der LegitimitÀt veranstal-
teten Wasserordalien, die aber selbst nur ein der symbolischen Geburts-
bedeutung der Wasseraussetzung entsprechender Ritus sind. Man vgl. dazu
die Rolle des Wassers bei den Scheingeburten des Wiedergeburtszeremoniells
(Zachariae iin d. Z, V.t. V. XX, 145 ff.)
â a nn ââ
DIE AUFLEHNUNG GEGEN DEN VATER. 121
= ni m ââââ nn
m nn m nn
seus. Thescus, Ădipus, Bellerophon u. a. zeigt. Sie ale töten
im Auftrag böser Tyrannen Tierungeheuer, die sich auf Grund
ihrer totemistischen Bedeutung um so leichter als Vatersurro-
gate verstehen lassen, als der Mythus die erste Heldentat, die
mit der Rettung (von der Aussetzung) gegebene Ăberwindung
des Vaters, als wesentlich voranstellt. Mit dieser Einkleidung
der Heroentaten in die Form der VaterĂŒberwindung verrĂ€t
aber der Mythus ihre Herkunft und Bedeutung.
Schon dadurch, daà der Held mit Lösung der vom Vater
zu seinem Verderben gestellten Aufgaben (Heldentaten) schlieĂ-
lich an die Stelle des Vaters gelangt (und die Frau fĂŒr sich
gewinnt), erweisen sich seine Leistungen als Ersatz der Vater-
tötung, woraus sich die Formulierung ergibt, daà das Helden-
hafte cben in der Ăberwindung des Vaters liegt, von dem
die Aussetzung und die Aufgaben ihren Ausgang nehmen.
Also nicht der Held hat eine wunderbare Geburts- und Jugend-
geschichte, sondern diese Geschichte selbst macht eben das
eigentlich Heldenhafte aus. Historisch wÀre dieser Tatbestand
so zu formulieren, daĂ es einmal eine Heldentat war, als
Sohn eines strengen eifersĂŒchtigen Vaters zur Welt zu kommen
und sich gegen sein MachtgelĂŒste durchzusetzen. Die Aus-
setzung und die ihr auf spÀterer Stufe entsprechende Aus-
schiekung auf Heldentaten sind als mythische Motive schon
wesentlich gemilderte Formen der ursprĂŒnglichen Austrei-
bung der Söhne, die der pater familias vornimmt, um sich
vor den GewalttÀtigkeiten seiner heranwachsenden machtbegie-
rigen SpröĂlinge zu schĂŒtzen 1):
Die Kultur- und Sittengeschichte lĂ€Ăt keinen Zweifel daran,
daà die in den Mythen und MÀrchen erzÀhlten Grausamkeiten
1) Die mythische Austreibung des Sohnes nimmt in der alitestament-
lichen Ăberlieferung eine breite Stelle ein, wie das Umherirren des durch
Gottvater ausgestoĂenen Brudermörders Kain, aber auch die ErzĂ€hlungen
von Ismael und Jakob, der in der Fremde dienen muĂ, zeigen. Auch die
Legende vom verlorenen Sohn fÀllt in diesen Zusammenhang, von dem
NachklÀnge noch bei Shakespeare (Glosters Sohn Edgar im Lear), Schiller
Karl Moor) und in zahlreichen Diehtungen zu finden sind,
122 DIE VĂTERLICHE MACHT.
A â res ısqwu 25 e e e
Te ee â
innerhalb der Familie einmal real waren. âDas Haupt der Familie
besaĂ das volle Recht, nach seinem Belieben ĂŒber Leben und Tod
eines hilflosen Familienmitgliedes zu verfĂŒgen. Ein solcher Rechts-
zustand lĂ€Ăt sich noch jetzt bei verschiedenen Naturvölkern be-
obachtenâ? (Nejmark, 1. c. S. 1). âDer Vater hatte zu entscheiden,
ob das neugeborene Kind aufgezogen oder ausgesetzt werden sollte
und auch spÀter lag das Leben des Kindes in seiner Hand...
Deshalb verschwindet die Sitte der Kinderaussetzung erst mit dem
Untergang der streng patriarchalen Familienverfassung ... die bei
den Naturvölkern die herrschende Familienform istâ (l. c. 8. 6).
âDie auf höherer Kulturstufe stehenden Naturvölker zeigen uns
einige Beispiele einer solchen AbschwÀchung der vÀterlichen Ge-
waltherrschaft. Es ist meistens der Fall, daà die erste BeschrÀn-
kung der vÀterlichen Gewalt in der Aberkennung des Rechtes
ĂŒber Leib und Leben gegenĂŒber dem heranwachsenden Sohne auf-
tritt... Weitherhin wird das Tötungsrecht gegenĂŒber den Kindern
ausschlieĂlich auf die Neugeborenen beschrĂ€nkt, und zuletzt wird
dem Vater auch dieses Recht der Tötung und Aussetzung von Neu-
geborenen ebenfalls entzogenâ (l. c. S. 8). In besonders deutlicher
und kulturgeschichtlich interessanter Weise ist der ProzeĂ der Ein-
schrÀnkung der vÀterlichen Gewalt in der römischen Rechts- und
Staatsgeschichte zu verfolgen: âdenn der römische Staat ist nach
dem Muster der römischen Familie entstanden, so daà der römische
König ĂŒber seine Untertanen wesentlich dieselben Rechte hatte, die
dem pater familias gegenĂŒber den âpersonae in potestateâ zugestanden
habenâ (l. c. 8. 15). So erweist sich also die Revolution gegen jede
endlich drĂŒckend empfundene Gewaltherrschaft letzten Endes als
Auflehnung gegen die vÀterliche Gewalt').
ı) Als eine Art Revanche gegen die unbeschrÀnkten Vorrechte des
Vaters erscheint die âbei zahlreichen Völkern herrschende Sitte, sich der
Greise zu entledigen, sei es durch deren Tötung, wie es bei den Eskimo
und GrönlÀndern geschieht, bei denen der Sohn seinen Vater, wenn dieser
alt und unnĂŒtz wird, erhĂ€ngt, sei es durch Aussetzung des Hausyaters wie
bei den Chiappavaeren (Nordamerika)â (l. ec. $. 2). DaĂ bei vielen Völkern
fĂŒr den Haussohn sogar eine Verpflichtung bestand, seinen gebrechlichen
Vater umzubringen (l. e. S. 4), kann nur als bewuĂter Nachklang der
Totemopferung verstanden werden,
ââ m ge
DER PARANOIDE CHARAKTER DES MYTHUS. n 123
m m mn
ââ â u ââ â â - [nl
DaĂ die kindliche Auflehnung gegen den Vater in den
Geburtsmythen ausschlieĂlich durch das feindselige Benehmen
des Vaters provoziert erscheint, ist â wie schon angedeutet
wurde â eine durch ganz besondere EigentĂŒmlichkeiten der
mythenbildenden SeelentÀtigkeit bewirkte tendenziöse Dar-
stellung des VerhÀltnisses, welche wir Projektion benennen.
Der Projektionsmechanismus, der auch seinen Anteil an der
Umkehrung (âHineiustĂŒrzenâ) des Geburtsaktes hatte, sowie
einige âspĂ€ter (s. S. 153.) zu besprechende Charaktere der
Mythenbildung legen, wegen ihrer Gleichheit mit auffÀlligen
VorgÀngen im Mechanismus gewisser seelischen Störungen, die
allcemeine Charakterisierung des Mythus als âparanoidesâ
Gebilde nahe. Mit dem paranoiden Charakter ist vornehmlich
die Eigenschaft, auseinanderzulegen, was in der Phantasie
verschmolzen ist, innig verknĂŒpft. Dieser Vorgang gibt, wie
wir an den beiden Elternpaaren gesehen haben, das Fundament
unserer Mythenbildung ab und ist neben dem Mechanismus
der Projektion der SchlĂŒssel zum VerstĂ€ndnis fĂŒr eine ganze
Reihe sonst unerklÀrlicher Gestaltungen des Mythus. Der
ProzeĂ, welcher mit der einer Rechtfertigungstendenz dienen-
den Projektion beginnt, setzt sich weiter fort und hat auch,
mit Hilfe des Mechanismus der Auseinanderlegung, in ganz
eigenartigen Formen des Heldenmythus einen verschiedenen
Ausdruck seines allmÀhlichen Fortschreitens gefunden.
In der psychologisch ursprĂŒnglichen Form ist der Vater
identisch mit dem König, dem tyrannischen Verfolger. Die
erste Stufe der Milderung dieses VerhÀltnisses zeigen die
Mythen, in denen die Loslösung des tyrannischen Verfolgers von
dem wirkliehen Vater versucht wird, aber noch nicht ganz
vollzogen ist. Denn der tyrannische Verfolger ist immerhin
noeh verwandt mit dem Helden, und zwar ist es meist sein
GroĂvater, wie in der Kyrossage und ihren Parallelen,
wie ĂŒberhaupt in der Mehrzahl aller Heldenmythen. Dieser
Typus bedeutet aber, in der Loslösung der Rolle des Vaters
von der des Königs, den ersten Schritt zur RĂŒckwendung der
Abkunftsphantasie zu den wirklichen VerhÀltnissen, und wir
finden daher auch bei diesem Typus in der Regel als Vater
a | â
124
DIE MILDERUNGEN DES KONFLIKTS
des Helden einen niederen Mann (siehe: Kyros, Gilgamos u. a.).
Der Held strebt also hier wieder eine AnnÀherung an seine
Eltern an, eine gewisse Zugehörigkeit zu ihnen, die darin zum
Ausdruck kommt, daĂ nicht nur er selbst, sondern auch sein
Vater und seine Mutter fĂŒr den Tyrannen Objekte der Veriol-
eung bilden. Erlangt damit der Held besonders eine innigere
VerknĂŒpfung mit der Mutter â er wird ja oft mit ihr zu-
sammen ausgesetzt (Perseus, Telephos, Feridun) â, die ihm ja
auch sonst aus verschiedenen Motiven nÀher liegt, so er-
reicht die Ablehnung seines llasses gegen den Vater hier
ihren stÀrksten Reaktionsausdruck!), indem der Held nun, wie
in der Hamletsage, nicht als Verfolger seines Vaters (be-
ziehungsweise GroĂvaters), sondern als RĂ€cher des verfolgten
Vaters auftritt. Es ergibt sich hier eine tiefere Beziehung der
Hamletsage zu der iranischen ErzÀhlung von Kaikhosrav, denn
auch hier tritt ja der Held als RÀcher seines getöteten Vaters
auf (vgl. auch Feridun, Kullervo u. a.).
Aber auch die Person des GroĂvaters selbst, die in ein-
zelnen Sagen durch andere Verwandte ersetzt erscheint (bei
Hamlet ist es der Oheim), hat ihre tiefere Bedeutung. Es ver-
bindet sich hier das Ădipusmotiv mit dem zweiten korrelaten
Komplex, der die erotischen Beziehungen zwischen Vater und
Tochter zum Inhalt hat?). Der Vater, der seine Tochter keinem
Freier geben will, oder der gewisse, schwer zu erfĂŒllende
Bedingungen an die Erwerbung der Tochter knĂŒpft, tut das,
weil er sieim letzten Grunde keinem anderen gönnt, sie selbst
besitzen möchte. Er versperrt sie, damit ihre Jungfrauenschaft
ungefÀhrdet bleibe, an einem unzugÀnglichen Orte (Perseus,
Gilgamos, Telephos, Romulus) und verfolgt im Falle der Ăber-
tretung seines Gebotes die Tochter und ihren SpröĂling mit
unersĂ€ttlichem HaĂ. Die unbewuĂten sexuellen BeweggrĂŒnde
seines feindlichen Tuns, das ihm spÀter vom Enkel vergolten
!) Den Mechanismus dieser Abwehr findet man in Freuds Hanlet-
analyse (Traumdeutung, S. 183, Anm.) dargelegt.
2) Zum âGroĂyaterâ vgl. man noch Freuds Analyse der Phobie
eines 5SjÀhrigen Knaben (Jahrb. f. Psa., I, 1909, S. 73 f.) sowie die Arbeiten
von Jones, Abraham und Ferenczi (Internat. Zeitschr. f. Àrztl. Psa.,
I. Jahrg. 1913, left 2).
.u_ me om
a ms ââ _â 1. un mu â âı â [mâor
MIT DEM VATER UND SEINE ERSETZUNGEN. 125
Zn -ââ. _ â_â ââ.w m
wird, zeigen aber deutlich, dal der Held in ihm mit Recht
doch wieder den Mann verfolgt, der ihm die Liebe seiner
Mutter entziehen will: also den Vater).
Es ist dann wiederum ein Versuch der RĂŒckkehr zum
ursprĂŒnglichen Typus, wenn die durch Trennung der Rolle
des Vaters von der des König bewirkte RĂŒckwendung des
Familienromans zum niederen Vater dureh dessen sekundÀre
Erhöhung zum Gott wieder aufgehoben wird, wie bei Perseus
und den anderen Jungfrauensöhnen, Karna, Ion, Romulus,
Jesus. Die sekundÀre Natur dieser Gott-Vaterschaft sieht man
besonders deutlich in den Mythen, wo die durch göttliche
EmpfÀngnis schwangere Junglrau spÀter einen Sterblichen
heiratet (Jesus, Karna, Ion), der sich dann als der wirkliche
Vater darstellt, wÀhrend der Gott nur die aufs höchste ge-
steieerte kindliche Vorstellung von der GröĂe und Macht-
vollkommenheit des Vaters reprÀsentiert?). Zugleich damit wird
in diesen Mythen das anderwÀrts nur eestreifte Motiv der
VirginitĂ€t der Mutter konsequent durchgefĂŒhrt, wozu die durch
EinfĂŒhrung des Gottes geforderte ĂŒbersinnliche Tendenz viel-
leicht den ersten AnstoĂ gibt. Die Geburt von der Jungfrau
ist aber die schroffste Ablehnung des Vaters, die Vollendung
des ganzen Mythus, wie beispielsweise die Sargonlegende zeigt,
t) Hieher gehört nebst anderen (Inzestmotiv, Kap. XI angefĂŒhrten),
weit verzweigten Sagengruppen insbesondere die in einer Unzahl von
Fassungen umlaufende ErzÀhlung von dem n eugeborenen Knaben, von
dem prophezeit ist, daĂ er dereinst der Sehwiegersohn und Erbe
eines gewissen Herrschers oder MĂ€chtigen werden soll, und der dies
sehlieĂlieh trotz aller Verfolgungen (Aussetzung ete) auch wird. Aus-
fĂŒhrliche Literaturangaben ĂŒber die weite Verbreitung dieser ErzĂ€hlung
gibt R. Köhler, Kl. Schr. II, 35T ff.; vgl. neuestens auch T. Vaelav: Das
MĂ€rchen vom Schicksalskind. Zeitschr. d. V. f. Volksk. 1920, S, 22 bis 40,
2») Eine solehe Identifizierung des Vaters mit Gott (Himmelsvater etc.)
findet sich nach Freud in den Phantasien des normalen und pathologischen
Seelenlebens mit ebensolcher RegelmĂ€Ăigkeit wie die Identifizierung des
Herrschers mit dem Yater. Hier ist auch daran zu erinnern, daĂ fast jedes
Volk seine Abkunft von seinem Gott herleitet. Im ĂŒbrigen hat ja gerade das
psychoanalytische VerstÀndnis des Totemismus die Entwicklung der ersten
Gottesvorstellung aus dem Vaterbegriff ĂŒber jeden Zweifel sichergestellt.
Freud: Totem und Tabu. 1913.
an u En u
ââ res De 5 A [ Z
126 WEITERE MODIFIKATIONEN
die neben der Vestalin-Mutter ĂŒberhaupt keinen Vater
kennen will.
Die letzte Stufe der fortschreitenden Milderung des feind-
lichen VerhÀltnisses zum Vater stellt die Form des Mythus dar,
in welcher die Person des königlichen Verfolgers nicht nur von
der des Vaters gÀnzlich losgelöst erscheint, sondern auch jede
noch so entfernte verwandtschaftliche Beziehung zur Familie
des Helden verloren hat und ihr in der schrofisten Weise als
Feind gegenĂŒbersteht (wie bei Feridun, Abraham, König Herodes
bei Jesus u. a. m.). Es ist ihm von seiner ursprĂŒnglich drei-
fachen Eigenschaft als Vater, König und Verfolger nur noch
die Rolle des königlichen Verfolgers, des Tyrannen, geblieben,
aber man hat doch aus der ganzen Anlage des Mythus den
Eindruck, als ob sieh nichts geÀndert hÀtte, sondern nur statt
der Bezeichnung âVaterâ die Bezeichnung âTyrannâ eingefĂŒhrt
wĂ€re. Diese gleicherweise fĂŒr das primitive und kindliche Vor-
stellungsleben typische Vorstellung des Vaters als Tyrannen !)
wird sich uns spĂ€ter fĂŒr die Auffassung oewisser abnormer
Konstellationen dieses Komplexes als hochbedeutsam erweisen
Vorbildlich fĂŒr die unbewuĂte Identifizierung des Königs mit
dem Vater, die wir auch in den TrÀumen Erwachsener regel-
mĂ€Ăig wiederfinden, dĂŒrfte entwicklungsgeschichtlich der Ur-
sprung des Königtums aus dem Patriarchat in der Familie
gewesen Sein, den noch der Gebrauch identischer Worte fĂŒr
König und Vater in den indogermanischen Sprachen beweistâ)
(vgl. unser âLandesvaterâ). Die RĂŒckwendung des Familien-
romans zu den tatsÀchlichen VerhÀltnissen ist in diesem Mythen-
1} Ich verweise hier auf ein amĂŒsantes Beispiel von unbewuĂtem
Humor der Kinder, das die Runde durch unsere Tageszeitungen machte.
Ein Politiker erklÀrte seinem kleinen Sohne, ein Tyrann wÀre ein Mann, der
die anderen zwinge, zu tun, was er wolle, ohne sich nach ihren WĂŒnschen
zu ricbten. âSoâ, meinte der Kleine, âdann seid ihr, du und die Mama, also
auch Tyrannen!â
Âź) Siehe Max MĂŒller: Essais, Bd. II. (Leipzig 1869) S. 20 ff. Ăber
die verschiedenen Ausgangsmöglichkeiten dieser Einstellung vel. S. 86 u..
meines Inzestbuches, â Weiteres sexuologisch verwertete sprachwissen-
schaftliche Material zu diesem Thema bei Adolf Gerson: Sprachdenkmale
aus deutscher Urzeit. Zeitschr. f. Sex. Wiss. VII, 1920, S. 273.
m =
BEE en se m
DES AUFSETZUDOREU ES UND DER VATERROLLE. 127
E
typus fast restlos vollzogen. Die niederen Eltern werden mit
einer Aufrichtigkeit anerkannt, die der Tendenz des ganzen
Mythus direkt zu widersprechen scheint.
Aber gerade diese Aufdeckung der wirklichen VerhÀltniune,
die wir bisher der Deutungsarbeit ĂŒberlassen muĂten, setzt
uns in den Stand, deren Richtigkeit an dem Material selbst zu
prĂŒfen. Es bietet sich hiezu die auch nach verschiedenen anderen
Richtungen bemerkenswerte biblische Mosessage. lassenâ wir
das Resultat unseres bisherigen Deutungsverfahrens zusammen,
so ergibt sich, nachdem die Auseinanderlegung in die Personen
des Vaters und des tyrannischen Verfolgers rĂŒckgĂ€ngig gemacht
ist, die IdentitÀt der beiden Elternpaare und wir erkannten
in den vornehmen Eltern den Nachklang der ĂŒberschwenglichen
Vorstellung, die das Kind anfangs von seinen Eltern hatte.
Die Moseslegende zeigt uns nun tatsÀchlich die Eltern des
Helden aller ĂŒberragenden Attribute entkleidet: es sind ein-
fache Leute, die dem Kinde zÀrtlich zugetan sind und an eine
SchÀdigung desselben gar nicht denken. Das Durchschlagen
der zÀrtlichen Regungen gegen das Kind ist aber hier, wie
ĂŒberall (vgl. Akki, den GĂ€rtner bei Gilgamos, den Fuhrmann
bei Karna, den Fischer bei Perseus ete.), fĂŒr die leibliche
Elternschaft beweisend !). Damit steht auch die in dieser Mythen-
form vorwiegende freundliche Verwendung des Aussetzungs-
motivs in Zusammenhang: Das Kind wird in einem Körbehen
dem Wasser ĂŒbergeben; aber nicht in der Absicht, es zu ver-
derben (wie etwa die feindselige Aussetzung des Ădipus und
vieler anderen Helden), sondern in der Absicht, es zu retten (vgl.
auch Abrahams Jugendeeschichte, S. 15). Ebenso ist, was fĂŒr
den erhöhten Vater eine unheilverkĂŒndende Warnung war, fĂŒr
den niederen Vater eine verheiĂungsvolle VerkĂŒndigung (vgl.
in der Geburtsgeschichte Jesu das Orakel an Herodes und den
Traum Josefs), die ganz den Hoffnungen entspricht, welche
sich die meisten Eltern von dem zukĂŒnftigen Lebenslauf
ihres SpröĂlings machen.
1) Man vgl, hiezu das berĂŒhmte Salomonische Urteil (I. Könige 3,
16 bis 28), das ĂŒbrigens mit seinem Hauptmotiv vom vertauschten
Kinde enge zum Familienroman gehört (siehe auch 5. 158).
â | â a nn nn nn nn a u
1?S URSPRĂNGLICHE FORM DES MYTHUS VON MOSES GEBURT.
â« en = m EEE â en nn â
PER m â nn u â â
Halten wir" aber vom Standpunkte der ursprĂŒnglichen
Romantendenz daran fest, das Bitiah, die Tochter des Pharao,
das Kind aus dem Wasser gezogen, das heiĂt geboren habe,
so ergibt sich das uns bereits bekannte Schema (GroĂvater-
typus) vom König, dessen Tochter einen Sohn gebÀren soll,
der aber, durch die unheilvolle Auslegung eines Traumes ge-
warnt, sein zukĂŒnftiges Enkelkind zu töten beschlieĂt. Die
Magd seiner Tochter (die in der biblischen ErzÀhlung das
KĂ€stehen auf GeheiĂ der Prinzessin aus dem Wasser zieht)
wĂŒrde vom König beauftraet, das neugeborene Kind in einem
KĂ€stchen im Wasser des Nilflusses auszusetzen, damit es um-
komme (hier erschiene natĂŒrlich auch das Aussetzungsmotiv,
vom Standpunkte der vornehmen Eltern, in seiner ursprĂŒng-
lich verderblichen Bedeutung). Das KĂ€stehen mit dem Kinde
| wird dann von den niederen Leuten gefunden und die arme
Frau zieht das Kind (als Amme) auf, das erwachsen von der
|
|
Prinzessin als Sohn anerkannt wird (ganz wie im Schema die
Phantasie mit der Anerkennung durch die vornehmen Eltern
schlieĂt). LĂ€ge uns die Mosessage in dieser ursprĂŒnglichen, von
uns aus dem vorhandenen Material rekonstruierten Form vor'),
| so ergÀbe sich etwa als Resultat unseres Deutungsverfahrens
| â was der tatsĂ€chlich ĂŒberlieferte Mythus aussagt: daĂ nĂ€mlich
| seine leibliche Mutter keine Prinzessin, sondern das als Amme
| eingefĂŒhrte arme Weib gewesen sei und deren Mann sein
Vater. Diese Deutung aber brinet uns der rĂŒckverwandelte
Mythus als Ăberlieferung entgesen und der Umstand, daĂ die
| progrediente Verwandlung, die wir hier annĂ€hernd durchfĂŒhrten,
uns den wohlbekannten Mythentypus liefert, ist eine unerwartete
BestÀtigung unserer Deutung.
!) Vgl. E. Meyer (Ber. d. kgl. preuĂ. Akad. d. Wiss, XXXI, 1905,
5. 640): Die Mosessage und die Leviten: âAuch Mose wird oewiĂ ursprĂŒnglich
der Sohn der Tochter des Tyrannen (jetzt ist sie seine Ziehmutter} und
vermutlich göttlichen Ursprungs gewesen sein. Der Befehl, ihm das Leben |
zu nehmen, ist im Alten Testament zur Ausmalung der Not der Israeliten
verwendet und auf alle Knaben ĂŒbertragen. Die Königstochter, die ihn
rettet und als ihr Kind aufzieht, ĂŒbernimmt zugleich die Rolle der rettenden |
Gottheit, die sonst von ihr geschieden ist. Auch der Tod des Tyrannen
kann nicht gefehlt haben; hier ist er auf seinen Nachfolger ĂŒbertragen, der
in den Wellen des Schilfmeeres zugrunde geht.â
m â-ı
a u ââââââââââââââââeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeĂ€eeeeeeâââââââ: ii
PARALLELEN ZUR SCHEINAUSSETZUNG. 129
â u âââ Te â ee ee ee U
WĂ€hrend also derart die Mosesgeschichte den Familien-
roman auf die nĂŒchterne Wirklichkeit zu reduzieren scheint, wird
sie in einem anderen Punkte so recht phantastisch, ja direkt
vorbildlich fĂŒr ein ausgesprochen mĂ€rchenhaftes Motiv: nĂ€mlich
die Rettung des Helden, auf deren ursprĂŒngliche Bedeutung
und weitere Ausgestaltung im Nachstehenden wenigstens kur-
sorisch hingewiesen sei.
Die Mosessage, die auch sonst vielfach vom Schema abweicht,
ist die einzige von allen ĂŒberlieferten mythischen ErzĂ€hlungen, in
der die Aussetzung nur zum Schein erfolgt, indem des Helden
Schwester vom Ufer aus zusieht, was mit dem Kind geschieht
(eigentlich darĂŒber wacht) und dann auch seine leibliche Mutter als
Amme herbeiholt. Ganz analoge Ăberlieferungen finden sich (nach
Frazer, Old Test. III, 168) bei einigen afrikanischen StÀmmen, wo
das Kind sofort nach der Geburt von der Mutter auĂerhalb des
Dorfes in eine gebĂŒschumwachsene Stelle gebracht wird. Ein altes
Weib, mit dem man sich vorher verstÀndigt hat, nimmt es auf und
bringt es zunÀchst zu sich nach Hause, von wo es dann der Vater
wieder abholt, indem er der Frau eine Ziege (bei anderen StÀmmen
auch Geld) dafĂŒr gibt. Das alte Weib wird von dem Kind spĂ€ter
Mutter genanut und gilt als .eine Art Patin (godmother). Ist das
Kind ein Knabe, so wird er Owiti genannt, ist es ein MĂ€dchen, so
heiĂt sie Awiti, was soviel bedeutet wie ein Kind, das weggelegt
wurde. Diese Zeremonie, die veranstaltet wird, wenn frĂŒhere Ge-
schwister des Neugeborenen in zartem Alter gestorben sind, soll
den bösen DÀmonen vortÀuschen, daà die von ihnen scheinbar mit
Vorliebe heimgesuchte Familie kein neues Kind bekommen habe,
sondern die alte Frau. Deutlich kommt der DĂ€monenschutz zum
Ausdruck in dem entsprechenden Brauch der Dyaks auf Borneo, der
ganz an die Mosesgeschichte erinnert: Sie setzen das neugeborene
Kind in ein kleines Boot und lassen es stromabwÀrts treiben, wÀhrend
sie, am Ufer stehend, alle bösen Geister anrufen, das Kind mit sich
zu nehmen, damit den Eltern der gröĂere Schmerz erspart bleibe,
es spÀter zu verlieren. Wird das Kind, nachdem es eine Strecke
weit fluĂabwĂ€rts getrieben wurde, unversehrt aufgefunden, so nehmen
es die Eltern nach Hause, befriedigt, daĂ es uun unangefochten
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden, ?. Aufl, 9
ee u u nn un u nn nnd,
130 DER TODESWUNSCH GEGEN DAS NEUGEBORENE.
| âââ [{â âââââ Wââ a u mn
heranwachsen werde (l. ec. p. 173). In Central UCelebes wird eine
ganze Aussetzungskomödie inszeniert (l. c. p. 175). â Greradezu
grotesk mutet aber diese Rettung des Kindes vor den TodesdÀmonen
an, wenn 8!o in Form einer direkten Darbietung an diese bösen
Geister erfolgt, wie z. B. bei den Nandi in Ostafrika, wo das Neu-
geborene, dessen Geschwister klein gestorben waren, fĂŒr ein paar
Minuten auf eine HyĂ€nenfĂ€hrte relegt wird, in der Hoffnung, daĂ
die Raubtiere mit dem TodesdÀmon um die Beute streiten werden
und so das Leben des Kindes verschont wĂŒrde. Bleibt das Kind
am Leben, so heiĂt es âHyĂ€neâ, womit zugleich erreicht werden
soll, daĂ die DĂ€monen das Neugeborene fĂŒr ein junges Raubtier
halten und es in Frieden lassen, (Totemistischer Nachklang im Schutz
durch das Totemtier âHyĂ€neâ.)
Hier wird deutlich, daĂ die Schutzzeremonien im tiefsten
Grunde doch die in den mythischen ErzĂ€hlungen erwĂŒnschte Besei-
tigung des Kindes anstreben und dies nur â gleichwie die Ă€hnlich
sentimental abgeschwĂ€chten MĂ€rchen â in der Form ĂŒbermĂ€Ăiger
Angst und Besorgnis um das Leben des Kindes darstellen!). Diese
ĂŒbertriebene Angst ist aber nichts anderes als der verdrĂ€ngte (Todes-)
Wunsch, wie die Psychoanalyse lehrt, die auch die DĂ€monen nicht
als letzte Tatsachen anerkennen kann, wieFrazer, der nur eine ethnolo-
gische ErklÀrung der BrÀuche gibt, sondern als Projektionen dieser
verdrĂ€ngten WĂŒnsche nach auĂen.
DaĂ der Todeswunsch gegen das neugeborene Kind â wenn
es ein Knabe ist ausschlieĂlich vom Vater ausgehend â tatsĂ€chlich
in der Brust des Primitivren â und nicht nur des Primitiven â
vorhanden ist, zeigt die von zahlreichen Völkern in verschiedenen
Teilen der Welt geĂŒbte Sitte, ihre erstgeborenen Kinder tatsĂ€chlich
zu töten (Frazer, The Folk-lore in the Old Testament I, 562f. â
Ihe Dying God, 3.°% p. 166 squ.). Der Grund liegt meist in der
aberglÀubischen Furcht, daà die Geburt des ersten Sohnes das
Leben des Vaters bedrohe und dieser Aberglaube grĂŒndet sich auf
den Glauben an die Wiedergeburt der Seele, der am reinsten bei
I) Das hat seine BegrĂŒndung möglicherweise darin, daĂ der Brauch
mit dem Setzen der Tat ein abschwÀchendes Gegengewicht in ihrer Moti-
vierung braucht, wÀhrend der Mythus nur von der Tat als etwas Ver-
gangenem, Urzeitlichem erzĂ€hlt, sie aber dafĂŒr offen motivieren kann,
Mn ee ee See ee
DIE OPFERUNG DER ERSTGEBURT. 131
nm
N ss sy sy
den Hindus ausgeprÀgt ist, aber auch bei den Wilden fast regel-
mĂ€Ăig vorkommt. So glauben die Hindus, daĂ ein Mensch in seinem
Sohne wiedergeboren werde und darum bedroht die Geburt des
Sohnes das Leben des Vaters so unmittelbar, daĂ man begreift,
wieso in den Mythen regelmĂ€Ăig der Vater durch ein Orakel (oder
Traum) gewarnt wird, er werde durch seinen Sohn den Tod finden,
Dem sucht er zuvorzukommen, indem er das Kind sofort tötet,
Namentlich bei Söhnen von HĂ€uptlingen und Königen â wie ja im
Mythus regelmĂ€Ăig â trifft dies immer zu. Die Aussetzung er-
scheint schon als Milderung dieser MaĂregel, da sie ja immerhin
noch die Möglichkeit einer Rettung bietet und den direkten Kindes-
mord vermeidet; denn praktisch betrachtet wÀre sie ja ohne
schĂŒtzendes KĂ€stchen noch wirksamer. Die Schein-Aussetzung ist
jedoch nur als VerdrÀngungs- und Reaktionserscheinung dagegen
aufzufassen. Die Sitte der Opferung der Erstgeburt hat bekanntlich
(siehe auch Frazer, I, c. I, 562£.) bei den verschiedensten Völkern,
besonders aber bei den Semiten bestanden (Erstlingsopfer) und
spielt in der Mosessage eine bemerkenswerte Rolle, indem nicht
nur Moses sellıst als Opfer einer allgemeinen Verfolgung ausgesetzt
wird, sondern auch selbst die Ăgypter dann mit der Plage des Erst-
geburtsterbens straft.
FĂŒr den ursprĂŒnglich verderblichen Sinn der Aussetzung spricht
auch der Umstand, daĂ zur TĂ€uschung der DĂ€monen von den Primi-
tiven hĂ€ufig der Brauch geĂŒbt wird, den bereits erfolgten Tod
des (angeblich bedrohten) Kindes vorzuspiegeln. So wird in Sibirien
(Frazer, 1. c. III, 177) ein Abbild des Kindes (eine Art Puppe)
durch feierliche Bestattung den DĂ€monen ĂŒberlassen, wĂ€hrend das
Kind selbst verborgen wird. Das gleiche Motiv der TĂ€uschung be-
wahrt in den Mythen den jungen Helden vor dem Sterben, indem
er von hilfsbereiten Pflegeeltern gerettet und an seiner Stelle ein
anderes (meist totgeborenes) Kind feierlich als der dahingeschiedene
HerrschersproĂ bestattet wird (Cyrus)!),
An Stelle der (wirklichen oder vorgeblichen) Bestattung des
Kindes treten allmÀhlich mildere körperliche Verletzungen als an-
1) Bei den Baganda erwĂŒrgt die Hebamme den erstgeborenen Königs-
sohn und sagt, es sei ein totes Kind geboren worden. â Vgl. dazu das ĂŒber
die Nachgeburt Gesagte (S. 105 ff.).
g#
ee âââââââââââââ m
132 MILDERUNGEN DER AUSSETZUNG:
nn me oe
BE on
gebliche Schutzmittel' gegen die DĂ€monen, die uns jedoch noch deutlich
die SchÀdigungsabsicht verraten. Die Art dieser BeschÀdigungen
macht es auf Grund unseres psychoanalytischen Wissens wahrschein-
lich, daà sie der auch in der Urgeschichte an Stelle der Tötung
der Söhne gesetzten Milderung, der Kastration, entsprechen. Es sind
dies Abschneiden eines Fingergliedes, eines OhrlÀppchens etc. Ins-
besondere das Durchbohren des Ohres ist ein so weitverbreiteter
und typischer Brauch bei Kindern, deren Àltere Geschwister ver-
storben sind, daĂ Frazer ihm ein groĂes Kapitel (IIT) in seinem
angefĂŒhrten Werk gewidmet hat. Diese Sitte, daĂ der Vater dem
Kinde vor der Aussetzung die Ohren durchbohrt, findet eine auf-
fallende Parallele in der griechischen ĂdipusĂŒberlieferung, nach
der dem ausgesetzten KnĂ€blein die FĂŒĂe durchbohrt wurden, woher
sich auch sein Name erklĂ€ren soll. Noch auffallender wird die Ăber-
einstimmung in der Sitte der Annamiten, bei denen das Neuge-
borene dem Schmied des Dorfes verkauft wird, der einen kleinen
Eisenring macht und ihn dem Kind an den FuĂ legt, indem er
ihn noch mit einer kleinen Eisenkette befestigt!).
In Europa wurde vielfach der Brauch der (Schein-) Aussetzung
Erstgeborener mit ihrer Adoption durch Fremde verknĂŒpft, wie in
Mazedonien, Bulgarien, RuĂland, Schottland und Albanien, wo das
Kind auf einem Kreuzweg ausgesetzt wird und vom Erstbesten, der
es findet, den Namen erhÀlt (1. c. III, 250 ff.). Bei manchen. Primi-
tiven wird die Adoption durch Veranstaltung einer Wiedergeburt
vollzogen (l. c. II, 27 bis 37).
Eine noch stĂ€rkere, bewuĂte Ablehnung der feindseligen Im-
pulse gegen das Neugeborene Ă€uĂert sich bei den Primitiven in den
BrÀuchen, die auf jede, auch die Scheinaussetzung, des Kindes ver-
zichten, und es â ganz im Sinne des neurotischen Familienromans â
nur bei Pflegeeltern aufwachsen lassen; so auf den ostindischen
Inseln, wo die Kinder, deren Àltere Geschwister gestorben sind, zu
Verwandten oder Freunden in Pflege gegeben werden und spÀter
(mit fĂŒnf Jahren) erst ins Elternhaus kommen (l. ec. II, 174).
Auch in der abgeschwÀchten Form findet sich der Familien-
m
i) Auch Halskettchen und sonstige Amulette dienen dann in den
mittelalterlicehen Legenden zur Erkennung des Findlings (und VerhĂŒtung
des Inzests).
EEE EEE U â
VERSTĂMMELUNG, ADOPTION, SOZIALE ERNIEDRIGUNG., 183
roman in den BrÀuchen gewisser Primitiven, daà das Kind, wie bei
den meisten indischen StÀmmen (besonders in Bombay), einem Weib
aus einer niederen Kaste zum Schein um einen geringen Preis
verkauft und dann um einen weit höheren Geldbetrag von ihr
wieder zurĂŒckgekauft wird. In den mittleren und niederen Kasten
bekommen die Kinder sogar den Namen der Kaste des Weibes, dem
sie zum Schein verkauft wurden (manchmal genĂŒgt eine solche Namen-
gebung allein, ohne den fiktiven Kauf). (Frazer, 1. c. 179fÂŁ) In
diesen BrÀuchen erscheint die soziale Seite des Familienromans be-
sonders betont (Kastenwesen), obwohl sie natĂŒrlich auch sonst
nirgends fehlt.
An der Mosessage und ihren ethnographischen wie folk-
loristischen Parallelen wird vom Standpunkt unserer Auffassung
besonders deutlich, wie irrefĂŒhrend und oberflĂ€chlich die bloĂ
Ă€uĂerliche Parallelisierung auf Grund des gemeinsamen Aus-
setzunesmotivs ist. Denn unsere Untersuchung zeigt gerade, wie
wenig es auf das â ĂŒbrigens ganz verschiedenartige â Aus-
setzungsmotiv ankommt, wie viel dagegen seine besondere
Verwendung in einem bestimmten Zusammenhange sowie in
gewisser Tendenz bedeutet. Ebenso ersahen wir die Unmög-
lichkeit, die BrĂ€uche â selbst ganz primitiver Völker â zur
ErklĂ€rung mythischer Motive heranzuziehen, da sie â wie
diese selbst â bereits hochkomplizierte seelische VorgĂ€nge
voraussetzen, die selbst erst der psychologischen Deutung be-
dĂŒrfen, um verstĂ€ndlich zu sein.
Die der Mosessage scheinbar anhaltende Verallgemeine-
rungstendenz!) setzt uns in den Stand, von ihr aus eine
ı) WĂ€hrend Hugo GreĂmann (Mose u. s. Zeit. Göttingen 1918, S. 3)
meint, daĂ die Aussetzungssage in unlösbarem Widerspruch zu den ĂŒbrigen
Sagen des Auszugs stehe und darausibren jĂŒngeren Ursprung folgert, macht
Ed. Meyor (Die Israeliten, 9. 48), der diese WidersprĂŒche aufgedeckt hat,
es wahrscheinlich, daĂ das, was ursprĂŒnglich von dem Mosesknaben erzĂ€hlt
wurde, spĂ€ter auf alle Kinder und dann sogar auf das ganze Volk ĂŒber-
tragen wurde, um dadurch zugleich eine Motivierung fĂŒr den Auszug aus
Ăgypten zu geben.
Die das Aussetzungsmotiv mit der Flutsage verbindende Durch-
schreitung des Roten Meeres ist ebenso wie die ExoduserzÀhlung, eine
m oe
134 DAS RETTUNGSNOTIV
eg oo 0000000
andere hochbedeutsame Mythengruppe psychologisch zu ver-
stehen.
Das in der Mosessage zum Rettungsmotiv umgebogene
Aussetzungsmotiv erscheint in groĂartiger, makrokosmischer
Ausgestaltung im biblischen Sintflutbericht, hinter dessen
religiöser Tendenz und spÀten ethischen FÀrbung man leicht
den umgearbeiteten und verallgemeinerten Geburtsmythus er-
kennt?). In der Sintflutsage ist die ganze Menschheit in ihrem
besten Vertreter zum Helden geworden, der zĂŒrnende Vater
erscheint als der himmlische, mit dem Unterschied, daĂ die
Rettung des braven, gottgefÀlligen Sohnes zum Mittelpunkt
der ganzen ErzÀhlung gemacht ist.
In Angleichung an die Aussetzungssage lĂ€Ăt sich das
Schema der Flutsage, wie sie sich namentlich in babylonischer
und biblischer Ăberlieferung findet, mit Frazer (l. «. I, p. 140)
folgendermaĂen formulieren: Gott beschlieĂt, das Menschen-
geschlecht durch eine groĂe Flut zu vernichten. Das Geheimnis
wird vorher einem Manne (im Traum) durch einen Gott ver-
raten (Orakel), der ihn anweist, ein groĂes Schiff zu bauen und
groĂartige Projektion vom einzelnen Helden auf das ganze Volk, wobei der
Mythus offenbar den Spuren eines realen Ereignisses, eines groĂen Völker-
schubes folgte,
') Zum Motiv der groĂen Flut siehe Jeremias a. a. O., S. 226 u. ff.
sowie LeĂmann am Schlusse seiner Abhandlung ĂŒber die Kyrossage in
Europa, der die SĂŒndflut als eine mögliche Seitenentwicklung der Aus-
setzung im Wasser hinstellt â Als charakteristische Ăbergangsbeispiele seien
hier genannt, die Flutsage, die Bader in seinen badischen Volkssagen er-
zĂ€hlt: Als einst das Sunkental durch einen Wolkenbruch ĂŒberschwemmt
wurde, schwamm auf der Flut in einer Wiege ein KnÀblein, das auf wunder-
bare Weise durch eine Katze gerettet wurde; Àhnlich bei Grimm (Myth. II,
821) die Flutsage, nach der ein Kind im Wipfel eines Baumes, in seiner
Wiege liegend, hÀngen bleibt.
Es ist in diesem Zusammenhange bemerkenswert, daĂ der verpichte
Kasten, in dem Noah auf dem Wasser schwimmt, im Alten Testament mit
demselben Worte (tebah) bezeichnet ist wie das GefĂ€Ă, in dem der kleine
Moses ausgesetzt wird (Jeremias, A. T. L. A. O.?, 1906, 8. 250). â Inter-
essanterweise wird in einer Ăberlieferung der mexikanischen Indianer (der
Huichol) ein Mann von den Göttern gewarnt, ein KÀstchen so groà wie
seinen Körper zu machen, es wasserdicht zu verschlieĂen und sich darin
mit einer Ziege zu retten (Frazer, L'e.};
a ââ -
Main EC ne nn ne u
UND DIE N 155
eG nn
sich darin zu retten. Er befolgt die Weisung, besteigt beim
Beginn der Flut das Schiff, verpicht es wasserdicht und rettet
sich so vor dem allgemeinen Untergang. Zur Feststellung des
Endes der Flut werden Vögel ausgesandt (die hilfreichen,
rettenden Tiere, die sich ĂŒbrigens im biblischen Bericht schon
als ReisegefĂ€hrten in der Arche befinden). SchlieĂlich landet
das Schiff auf einem Berg und der gerettete' Heros bringt an
Land dem Gott ein Opfer. Wie im Heldenmythus der Vater,
so setzt in der Flutsage der Gott (der erhöhte Vater) den
Heros auf dem Wasser aus, aber um ihn zu erretten und
âdie ĂŒbrige Menschheit zu verderben. AuĂerdem ist der Held
hier bereits erwachsen!) und anstatt seiner Geburt wird die
Geburt (eigentlich Wiedergeburt) des ganzen Menschenge-
chlechtes durch ihn selbst berichtet; in der Regel erfolgt
dies durch eine inzestuöse Verbindung, deren enge Zugehörig-
keit durch eine Reihe von Flutsagen der Naturvölker, die
Frazer?) zusammengestellt hat, bekrÀftigt wird.
Im Zusammenhang unserer Deutung â und nur soweit
sei das Flutmotiv hier betrachtet?) â wird ohne weiteres klar,
daĂ wir es mit einem Wunschgebilde des Sohnes zu tun haben,
sozusagen mit einer versöhnenden Darstellung des Helden-
1) SpĂ€tjĂŒdische AusschmĂŒckungen verringern auch diesen Unterschied,
indem sie erzĂ€hlen, die Menschen hĂ€tten vor der Flut magische KĂŒnste ge-
trieben, so daĂ die Kinder statt neun Monate nur wenige Tage im Muiter-
leib waren (Aussetzung) und sogleich nach der Geburt gehen und sprechen
konnten (wie Erwachsene). (Ginzberg, JĂŒd. Legenden.) (Auch Deukalion
schwimmt neun Tage und NÀchte im Kasten auf dem Wasser.) Ganz Àhn-
lich erzĂ€hlen die Pima (Frazer, 1. c. 284 f.), daĂ der âĂltere Bruderâ, der
sich im âschwarzen Hausâ gerettet hat, dann einen wunderbaren JĂŒngling
erschafft, der mit dem ersten Weib nach vier Monaten, mit dem zweiten
nach drei Monaten ein Kind hat usw., bis er endlich von der letzten Frau
am Hochzeitstage ein Kind bekommt: dieses verursacht (ganz wie in der
jĂŒdischen Legende) die Flut (nach dem Willen des âĂlteren Brudersâ).
2) 1. c. I, bes. p. 195 ff.
3) Die psychologischen Beziehungen zwischen dem Aussetzungsmythus,
der Sintflutsage und dem Verschlingungsmythus versuchte ich in meiner
Arbeit ĂŒber âDie Symbolschichtung im Wecktraum und ihre Wiederkehr im
amythischen Denkenâ (Jahrb. f. Isa. IV, 1912) darzulegen (s. auch Psycho-
analytische BeitrÀge zur Mythenforschung. 1919. Kap. vn.
nn â
ET A a A zu
136 DER VERSCHLINGUNGSMYTHUS
mm LP nn ln nn m nn 7 EL n
Een 0
ar nn a m nn om u . Sr
mythus, worauf im biblischen Bericht auch der Bund Noahs
mit Gottvater (Regenbogenmotiv) hinzuweisen scheint. WĂ€hrend
im Heldenmythus der Vater durch einen Traum vor dem ge-
fĂ€hrlichen Sohn gewarnt wird, lĂ€Ăt sich hier der brave Sohn
vom Vater â vor dessen eigenem Vernichtungsplane â warnen,
auf Grund eines Paktes (Tieropfer nach erfolgter Rettung), in
dem wir ein Spiegelbild der totemistischen Grundsituation er-
blicken (Schonung der Tierpaare, der totemistischen Eltern,
gegen Schonung des Sohnes). Auf diese Weise gelingt es dem
schlauen Sohn, die lĂ€stige Konkurrentschaft der BrĂŒder los zu
werden, die in der Flut umkommen, gleichzeitig aber sich selbst
die verbotene Inzestverbindung zu ermöglichen, derentwegen
sonst die Aussetzung erfolgt und sich durch Zeugung der
neuen Generation an die Stelle des Urvaters zu setzen. Diese
unblutige Revolution wird erreicht durch eine verallgemeinernde
Umarbeitung der ursprĂŒnglichen Geburtssage zu einem Wieder-
geburtsmythus, welchem die gleiche Symbolik von KĂ€stchen
und Wasser zugrunde liegt.
Einen indirekten Beweis fĂŒr diesen tiefreichenden psycholo-
gischen Zusammenhang bietet uns eine verwandte Mythengruppe, die
schon aus rein Ă€uĂerlichen GrĂŒnden von den Mythologen zur Flut-
sage gestellt wird, nÀmlich die Verschlingungsm ythen, die sich
jedem unvoreingenommenen Betrachter als Geburtsdarstellungen auf-
drĂ€ngen mĂŒssen, Dieser Nachweis wĂ€re an Hand des reichhaltigen,
von Frobenius l. c. gesammelten Materials leicht im Detail zu
erbringen. Doch mag hier eine schematische Inhaltsangabe und Deu-
tung dieser meist als Walfischsagen eingekleideten Ăberlieferungen
hinreichen, als deren typischer ReprÀsentant die Jona-Sage allgemein
bekannt ist!) Der Held wird entweder als Knabe oder Erwachsener
(manchmal auch mit seiner Mutter, seinen BrĂŒdern usw.) von einem
ungeheuren Fisch verschlungen, ganz wie in der biblischen Jona-
sage, und schwimmt eine Zeitlang im Fischbauch auf dem Meere.
Zur Stillung des Hungers beginnt er hÀufig das Herz des Fisches
abzuschneiden, entzĂŒndet ein Feuer in dessen Innern und wird endlich
TU
!) FĂŒr die mythologischen ZusammenhĂ€nge vgl. Hans Sehmidt:
Jona. Eine Unters. z, vgl. Rel. Gesch. 1907.
er
|
u. ei Te Tr nn u nn nn _ - - Zn u â ââ â- o.- â.-
UND DIE GEBURTSSYMBOLIK. 157
-â = ar _â_ -â- .â EHE ĂâĂ€âĂ€ ee ee ölRRAEEEE
von dem UngetĂŒm ans Land gespien oder gelangt durch Aufschlitzen
des Bauches ins Freie. Frobenius hat diese zahlreichen und mannig-
fach variierten Ăberlieferungen, besonders mit RĂŒcksicht darauf, daĂ
dem Helden meist infolge der groĂen Hitze im Innern des Tieres
das Haar (Strahlen) ausfÀllt, als Sonnenuntergangs-, respektive Auf-
gangssymbole betrachtet, Diesen himmlischen Ursprung des Mythos
hat jedoch bereits Wundt (l. c. 244) abgewiesen, indem er den
menschlichen Inhalt der Vorstellungen betonte (S. 262) und ihre
Beziehungen zum TruhenmÀrchen und zur Flutsage hervorhob, Auf
Grund unserer Kenntnis der Traumsymbolik und der infantilen
Sexualtheorien!) kann uns die Bedeutung des Verschlingungsmythos
als infantile Auffassung der Schwangerschaft (Aufenthalt im Mutter-
leib) und des Geburtsvorganges kaum zweifelhaft sein; manclıe der
Ăberlieferungen symbolisieren den Geburtsvorgang mit aller detaillierten
Deutlichkeit (vgl. die S. 19 mitgeteilte Mythe) und meist spielt in
der Geschichte ĂŒberdies auch eine Schwangere eine Rolle. Der Auf-
enthalt im âBauchâ und die ErnĂ€hrung im Mutterleib kann wohl
nicht deutlicher geschildert werden und nur die Verblendung allem
gegenĂŒber, was mit der SexualitĂ€t in Verbindung steht, konnte diese
Bedeutung des Mythus verkennen. Der scheinbar feindliche aber
zum âRetterâ gewordene Fisch ist in der Flutsage zum bergenden
Schiff (das lautlich merkwĂŒrdigerweise der Umkehrung von Fisch
entspricht)?) und im Aussetzungsmythus zum schĂŒtzenden Kasten oder
Körbehen geworden, symbolisiert aber ĂŒberall in gleicher Weise den
bergenden MutterschoĂ?).
1) Dazu gehören: Die Befruchtung durch Verschlucken, das GebÀren
dureh Aufschneiden des Bauches (RotkÀppchen), durch Ausspeien (Kronos)
und auf dem Wege eines Exkrementes (vgl. Frobenius, S. 9%, 92, 125).
Siehe in des Verf. âPsychoanalytische BeitrĂ€ge zur Mythenforschungâ (Internat,
Psa. Bibl. Band IV, 1919). Kap. VI âVölkerpsychologische Parallelen zu den
infantilen Sexualtheorienâ,
2) In der indischen Flutsage ist es sonderbarerweise ein Wunderfisch,
der die Arche Manus dem rettenden Berge zufĂŒhrt.
3) Ein vierjÀhriges, mit dem Geburtsproblem beschÀftigte MÀdchen
erzĂ€hlte Jung nachstehenden Traum: âIch habe heute Nacht die Arche Noah
getrÀumt und da waren viele Tierchen darin und da war unten ein Deckel
daran, der ging auf und die Tierchen fielen alle herausâ, (Jahrb, f. Psycho-
analyse, II, 1910, S. 46.)
Vgl. dazu auch die interessanten Geburtsphantasien einer Dementia-
}
a
|
N
:
u | Ta u nn De gg
ââ ee nn
133 MĂRCHENHAFTE FORMEN DES RETTUNGSMOTINVS.
KT
Es ist klar, daĂ auch der Verschlingungsmythus nicht ein-
fach den Geburtsvorgang symbolisiert, sondern in der Rettung
im Bauch des Tieres die gleiche Tendenz des mĂŒtterlichen
Schutzes (vor dem Vater) zum Ausdruck bringt wie der Helden-
mythus und insofern das ergĂ€nzende GegenstĂŒck zur SĂ€ugung
durch das Tier darstellt (ErnÀhrung im Mutterleib)'). Die ver-
schiedenen mythischen Formen erklÀren sich daraus, daà bald
das Motiv der Wassergefahr betont wird (Flutmotiv), bald das
rettende (schĂŒtzende) Tier (Verschlingungssage), bald wieder
das GefÀà (âTruhenmĂ€rchenâ: nach Wundt). Allen diesen Ab-
wandlungen liert jedoch, im vollen Gegensatz zum manifesten
Inhalt des Heldenmythus, die Rettung des Helden als treibende
Tendenz zugrunde, die â an und fĂŒr sich ein mĂ€rchenhaftes
Motiv â auch im MĂ€rchen erst zu eigentlich voller Entfaltung
gelangt ist?).
Als besonders charakteristisch fĂŒr diese Entwicklung aus dem
Heldenmythus seien nachstehende MĂ€rchen kurz genannt: Das neu-
griechische vom schönen Jusif (Prym und Socin, Syrische Sagen
und MÀrchen, Göttingen 1887, S. 80 ff), der als Findelkind seinen
Pflegevater und dessen Solın erschlÀgt, weil sie ihn wegen seiner
nn
praecox-Kranken, die S. Spielrein im Jahrbuch f. Psychoanalyse, III,
S. 367 fg. analysiert hat; z. B. âSchiffszefahrâ = Abortus usw.
1) Der Mutterleib als Tier ist nach Hommel (OLZ. 1919, Nr. 3/4,
Sp. 67/68) eine weitverbreitete Idee. So vergleicht beispielsweise Anaximander
nach einer alten mikrokosmischen Symbolik den Mutterleib mit dem Haifisch.
Auch an die Kröte als Symbol der GebÀrmutter, wie sie noch heutigentags
in Bayern in Form von Votivgaben (Fruchtbarkeit) erscheint, ist hier zu
erinnern.
?) Das Rettungsmotiv wird dann eines der beliebtesten Requisite des
GlĂŒcksmĂ€rchens (Wundt) wie im âTeufel mit den drei goldenen
Haarenâ. (Grimm Nr. 29) (und der ganz Ă€hnlichen âSage von Kaiser
Heinrich IILâ, bei Grimm, Deutsch. Sag. II, 177), Wasserpeter mit seinen
zahlreichen Varianten (Grimm IIIÂź, p. 103 uff), Fundevogel (Nr. 51),
De drei VĂŒgelkens (Nr. 96), Der König vom goldenen Berg (Nr. 9?)
mit seinen Parallelen, sowie einige auslÀndische MÀrchen, die Bauer am
Schlusse seiner Arbeit anfĂŒhrt. Vgl. auch bei Hahn: Griech. u. alban, MĂ€rchen
(Leipz. 1864) die Ăbersicht der Aussetzungssagen und -mĂ€rchen u. bes. Nr. 20
u. 569, aber auch Nr. 4, 8, 27, 42.
MĂRCHENBEISPIELE. 139
illegitimen Herkunft verspotten, und dann im Gebirge als gefĂŒrchteter
RĂ€uber lebt. Endlich gelingt es, ihn in den Armen eines MĂ€dchens
zu fangen, er wird ins Meer geworfen und dort von einem Haifisch
verschlungen, der vorher schon eine Prinzessin geschluckt hatte, mit
der er sich verlobt. Ein Jahr leben sie im Bauch des Fisches, der
dann krank wird und sie ans Ufer speit. Sie verschonen ihn, weil
er sie gerettet hatte und finden dann die von einem Ungeheuer
geraubte Mutter des Jusif, die ihn eiust im Gebirge gebar und der
er verloren gegangen war.
Das rumÀnische MÀrchen (Schott, Walachische M., Stuttgart
1845, Nr. 27, 8. 265) vom Florianu, dessen schwangere Mutter von
ihrem Vater in einem FaĂ ins Meer geworfen wird, âMitten in den
Wellen wuchs das Kind im Augenblick so gewaltig, daĂ er, wie er
sich regte und sich ausstrecken wollte, das FaĂ auseinander drĂŒckte,
als ob es von Papier wĂ€re.â Er setzt die Mutter auf einige Dauben
des zerbrochenen Fasses und zieht sie, mit einer Hand rudernd, ans
Land. â Ăhnlich das deutsche MĂ€rchen: âDer Page und die Prinzessin.â
(©. Knoop: Volkssagen, Erz. usw. aus d. östl. Hinterpommern. Posen
1885, S. 230 fÂŁ.). Auch das tĂŒrkische MĂ€rchen (Kunos, TĂŒrk. Volks-
mÀrchen aus Stambul, Leyden 1905, 8. 3 ff.), wo die von einem Fisch
verschlungene Frau eines Sultans im Bauche des Fisches einem
Knaben das Leben gibt, gehört hierher. Das Motiv der in der Kiste
ausgessetzten Unschuldigen in der Geschichte von Ghanem und Kut
Alkulub in 1001 Nacht. â Ăhnlich in âDie Fahrten des Sajjid
Batthalâ ĂŒbers. v. H. Ethe, Leipzig 1571, II. Band, S. 159.
Die griechische Aussetzungssage von Tennes, wie sie Pausanias
(X, 14, 1 bis 4) erzÀhlt, enthÀlt bereits eine Reihe novellistisch zu-
gespitzter Motive (böse Stieimutter, falsche Anklage), wie sie uns im
Mittelalter in einer ganzen Reihe von Sagen, Lerenden und Novellen
entgegentreten. Als Typus nennen wir die Geschichte von Crescentia
(Hagen, (iesamtabenteuer, Bd. 1) mit ihren unzÀhligen Varianten.
Das Verschlingungsmotiv ist uns aus dem deutschen MĂ€rchen:
RotkÀppchen, Der Wolf und die sieben Geislein u, a. m. gelÀufig,
die im Mythus von Kronos ihr Vorbild haben, der seine neugeborenen
Kinder verschlingt, dem aber statt des JĂŒngsten ein Stein vorgesetzt
wird (getÀuschtes Ungeheuer), wodurch die Mutter dieses Kind (Zeus)
vor dem Untergang rettet und den Verderber des Vaters heranzieht.
ie en ern EEAIT REN I zerlen .- u a Fe - -
E -. | =
m
wu Er ng)
De = -ir
|
|
|
|
â = â .- ir en
â ru â nn
== â_
fe 79 Gr
140 DIE SCHĂPFER DES HELDENMYTHUS.
ââ nn am ââ = â-
m
Hatten wir so das unerwartete GlĂŒck, die Richtigkeit
unserer Deutung an dem Material selbst erweisen und
unsere Ergebnisse mit Erfolg auf weitere mythologische
Probleme anwenden zu können, so ist es nun an der Zeit,
die Haltbarkeit unseres allgemeinen Standpunktes zu recht-
fertigen, auf dem die ganze Deutung ruht. Die Resultate
unserer ErklÀrung erweckten bis nun den Anschein, als
ginge die ganze Mythenbildung vom Helden selbst, und zwar
von dem jugendlichen Helden, aus; ja wir stellten uns von
Anfang an auf diesen Standpunkt, indem wir den Helden
der Sage mit dem Ich des Kindes analogisierten. Es erwÀchst
uns nun die Verpflichtung, diese Ann?hmen und Ergebnisse
mit unseren sonstigen Auffassungen von der Mythenbildung,
denen sie direkt zu widersprechen scheinen, in Einklang zu
bringen.
Die Mythen werden gewiĂ nicht vom Helden selbst, am
allerwenigsten vom kindlichen Helden, sondern, wie wir zu
wissen glauben, von einem Volke von Erwachsenen gebildet. Den
AnstoĂ dazu gibt allerdings das Staunen ĂŒber die Erscheinung
des Helden, dessen auĂergewöhnlichen Lebensgang sich das
Volk nur von einer so wundersamen Kindheit eingeleitet denken
kann. Diese auĂergewöhnliche Kindheit des Helden aber ge-
stalten die einzelnen Myihenschöpfer â in solche mĂŒssen wir
wohl den unbestimmten Begriff der Volksseele auflösen â aus
ihrem eigenen KindheitsbewuĂtsein heraus. Und indem sie dem
Helden so ihre eigene Kindergeschichte unterlegen, identifizieren
sie sich mit ihm; sagen gleichsam: so ein Held war ich auch. So
ist also der eigentliche Held der Romandichtung das Ich, das
im Helden sich selbst wiederfindet, indem es sich in die Zeit
zurĂŒckversetzt, wo es selbst ein Held war durch seine erste
Heldentat, die Auflehnung gegen den Vater. Das eigene Helden-
tum findet das Durchschnitts-Ich nur in der Kindheit wieder
und darum muĂ es seine eigene Auflehnung dem Helden unter-
schieben, ihm das beilegen, worin es selbst ein Held war. Es
fĂŒhrt diese Absicht mit infantilen Motiven und Materialien aus,
indem es auf seinen Kinderroman zurĂŒckgreift und ihn dem
Helden unterschiebt. Der Erwachsene schafft also die Mythen
IDENTIFIZIERUNG DES ICH MIT DEM HELDEN. 141
mittels des ZurĂŒckphantasierens in die Kindheit'), wobei er
seine eigene Kindergeschichte dem Helden zuschreibt. Ander-
seits findet das bĂŒrgerliche Ich im ĂŒbermĂ€chtigen, aus der
Menge hervorragenden Volksheros seine eigenen infantilen
WĂŒnsche und SehnsĂŒchte realisiert. Im revolutionĂ€ren Sieg
des Helden ĂŒber die ihm entgegenstehenden tyrannischen
MĂ€chte ist aber nicht nur ein StĂŒck infantiler Tendenzen,
sondern, wie wir bereits gezeigt haben, noch mehr ein StĂŒck
vorzeitlicher Urgeschichte reprÀsentiert. WÀhrend aber im
Heroenmythus der Held die Urtat der Beseitigung des störenden
Tyrannen, die in der Vorgeschichte die âgemeinsameâ Helden-
tat der vereinigten BrĂŒder gewesen zu sein scheint, gleichsam
als seine eigene Leistung usurpiert (Freuds âheroische LĂŒgeâ)?)
ist es vielmehr das eihzelne bĂŒrgerliche Durchschnitts-Ich, das
in der Identifizierung mit dem Helden seinen alten Anspruch
an der kulturbildenden Urtat geltend macht: Der Heldenmythus
dient also nur scheinbar der Anerkennung und Bewunderung
des mythisch erhöhten Heros, wÀhrend sich eigentlich in ihm
das ganze Volk der Mythenschöpfer als Helden fĂŒhlen kann
(Nationalheros). Im Heldenmythus vermögen alle Individuen
des Volksganzen, sozusagen jeder einzelne Sohn, die Urtut
wieder fĂŒr sich in Anspruch zu nehmen. Aber man kann
von diesem Gesichtspunkt aus im Heldenmythus auch einen
ironisch-parodistischen Zug konstatieren, indem der bĂŒrger-
liche Durchschnittsohn (Fischer, Hirt, MĂŒller) sich einen mĂ€ch-
tigen König zum Vater phantasiert und sich gleichsam auf
DT
!) Diesen aus dem VerstÀndnis der neurotischen Phantasie- und Symptom-
bildung gewonnenen Gedanken hat zuerst Freud fĂŒr die Auffassung der
diehterischen und mythischen PhantasietÀtigkeit fruchtbar gemacht in einem
Vortrag; âDer Diehter und das Phantasierenâ (Abdruck: 2. Folge der
Sammlung kl. Schriften, S. 197 u. ff.). Die Anwendung dieses Gesichtspunktes
fĂŒr das VerstĂ€ndnis der epischen Dichtungsform habe ich -â den Andeu-
tungen Freuds folgend â in dem Aufsatz ĂŒber âdie diehterische Phantasie-
tĂ€tigkeiiâ versucht (Imago, V, S. 372), der als einleitender Abschnitt zu
einer Psychologie der epischen Volksdichtung gedacht ist.
2) S, Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse 1921, 8. 124
bis 128.
â â
z
a
- ww
= .
nn nn u Tu
TEE Fre Ah Zn u san m
â Ei
bu u En
â
%
BE m m
Te BE rer
142 DIE GEBURT ALS DIE URHELDENTAT.
diese Weise einen Urvater-Popanz schaff, um ihn â in
Identifizierung mit dem Helden â zu stĂŒrzen und sich so in
eine Heldenrolle zu versetzen, die unter nicht heroischen Ver-
hĂ€ltnissen lĂ€cherlich wirken mĂŒĂte. Besonders deutlich scheint
dieser ironisierende Zug durch das Motiv unterstrichen, das
eigentlich die Identifizierung des Durchschnitts-Ich mit dem
Helden ermöglicht. Diese erfolgt auf Grund der menschlichen
ZĂŒge, die dem Helden anhaften und auf die auch seine Be-
wunderer bekanntlich hinzuweisen lieben. Das allermenschlichste
aber am Helden ist und bleibt die Geburt, die der Mythus
eben gerade deswegen gerne auf ĂŒbernatĂŒrliche Weise geschehen
lĂ€Ăt!), die aber auch im Heldenmythus letzten Endes als rein
animalisch hingestellt wird (TiersÀugung). In der Urzeit war
allerdings schon dieses bloĂe Zurweltkommen eine Heldentat,
da das junge Leben vor dem grausamen, eirensĂŒchtigen
Urvater geschĂŒtzt werden muĂte, Ă€hnlich wie es im Mutter-
leib gegen seine Angriffe geschĂŒtzt war?). Daher erfolgt im
Mythus der Schutz durch ein Mutterleibssymbol (KĂ€stchen,
Körbehen, Wasser) und in diesem Sinne stellt die Aussetzung
auch eine RĂŒckkehr in den schĂŒtzenden Mutterleib dar,
was manche ErzĂ€hlungen direkt darin ausdrĂŒcken, daĂ Mutter
und Kind zusammen ausgesetzt werden. Anderseits war die
Aussetzung als gemilderte Form der Tötung in einer Ent-
wicklungsphase der Menschheit sicher real und hatte die Be-
deutung eines Schicksalsorakels: Wenn es dem Kind gelingt,
sich trotzdem zu erhalten, dann hat es ein Recht zu leben,
dann ist es â ein Held. Es klingt, als hĂ€tten die UrvĂ€ter es
ihren Kindern nicht so leicht machen wollen, das Leben zu er-
halten, wenn sie selbst als Kinder so schwer darum zu kÀmpfen
hatten: gegen die Ungunst der Natur und die MiĂgunst des
tyrannischen Vaters. Die Ăberreste aus der menschlichen Ur-
geschichte, die uns in den Mythen mit wunderbarer Frische
!) Man braucht nur an die zahlreichen, aus dem Mutterleib geschnit-
tenen Helden zu denken, âdie kein Weib gebarâ (Sigurd, Vikramaditija,
Macduff),
2), Man vgl. Freuds Auffassung der im Geburtsakt erlebten physio-
logischen Angst als Vorbild aller spÀteren Angst im Leben.
â en
SEES
DIE URGESCHICHTLICHE HELDENROLLE. 143
ââ
= ââ â nee âL nn
erhalten sind, wenn man sie nur zu entziffern versteht, machen
es sehr wahrscheinlich, daĂ der Urvater auf seine mĂŒhsam er-
kÀmpften Vorrechte auf Nahrung und Frauen nicht leicht ver-
zichtete und daĂ âes nach einer Andeutung Freuds das Weib,
das ihm Kinder gebar, gewesen sein dĂŒrfte, das ihn allmĂ€hlich
an die Schonung und Anerkennung der jungen Generation
gewöhnte. Auf diese Weise wurde das von Natur aus innige
Band zwischen Mutter und Kind befestigt, wÀhrend die von
Anfang an zweifelhaite Zugehörickeit des Vaters sich weiter
lockern konnte, wie denn auch die extreme Form des Mythus
den Vater nur als fremden Tyrannen, die Mutter dagegen als
hilfreiches SĂ€ugetier kennt. So ist es zu verstehen, wenn wir
einen ironischen Sinn darin zu sehen meinten, daĂ fĂŒr das
Durchschnitts-Ich die VaterĂŒberwindung schon im Geboren-
werden besteht, welches ' eigentlich die Heldentat des Durch-
schnittsmenschen bleibt, die er gegen den Willen des Vaters
und mit Hilfe der ihm eng verbĂŒndeten Mutter vollbringt, welche
ja auch im Mythus als schĂŒtzendes Totemtier erscheint, wĂ€hrend
der Vater seine vortotemistische Raubtierrolle in wenig gemil-
derter Form weiterspielt.
Dabei ist nun höchst bemerkenswert und wirft ein Lieht
auf die sonderbare ZĂ€higkeit des psychischen Erlebens, daĂ
der in kulturellen VerhÀltnissen geborene Sohn, der keinerlei
Gewalttat vom Vater mehr zu fĂŒrchten hat, gleichsam mit dem
urzeitlichen Schreck in den Gliedern jederzeit bereit ist, dem
Vater die alte urzeitliche Anklage entgegenzuschleudern, sobald
er AnlaĂ zur Unzufriedenheit mit ihm zu haben glaubt. Die
PubertÀts-Phantasien der Neurotiker verraten der psychoana-
lytischen Betrachtungsweise ebenso unzweideutig diese Ur-
vaterangst wie die Heldenmythen die Urauflehnung des Sohnes
immer noch mit der alten Vaterschuld motivieren mĂŒssen,
einerseits um eine Rechtfertigung zu haben, anderseits um
sich in die Heldenrolle versetzen zu können, Die Tendenz der
Mythenbildung ist also die Rechtfertigung der Einzelindividuen
des Volkes wegen ihrer eigenen kindlichen Auflehnung gegen
den Vater. So enthÀlt der Mythus in der Rechtfertigung des
Helden wegen seiner revolutionÀren Auflehnung zugleich die
is a. _âââ _ LT
144 DER HELDENMYTUHUS ALS INDIVIDUELLE RECHTFERTIGUNG.
on
âââ TE u rg nn
Rechtfertigung jedes einzelnen wegen seiner Auflehnung gegen
den Vater. Diese hatte ihn seit seiner Kindheit bedrĂŒckt, da
er doch spÀter kein Held geworden war. Hieher vehören viel-
leicht auch die Körperfehler mancher Helden (Zal, Ădipus,
Hephaistos), die vermutlich gleichfalls der Rechtfertigung des
einzelnen dienen sollen, der die VorwĂŒrfe, die er wegen etwaiger
Fehler und MĂ€ngel vom Vater anhören muĂte mit der
entsprechenden Betonung in den Mythus aufnimmt und mit
den SchwĂ€chen, die sein eigenes SelbstbewuĂtsein drĂŒcken,
auch den Helden ausstattet. Nun kann er sich rechtfertigen,
indem er sich darauf beruft, daĂ der Vater ihm Grund zur
Feindseligkeit gegeben habe. Allerdings kommt, wie wir ge-
sehen haben, in derselben Dichtung auch die zÀrtliche Ge-
sinnung gegen den Vater zum Durchbruch.
Diese Mythen sind also zwei entgegengesetzten Mo-
tiven entsprungen, die sich beide dem Motiv der Rechtferti-
gung des einzelnen durch den Helden unterordnen: einerseits
dem Motiv der ZĂ€rtlichkeit und Dankbarkeit gegen die Eltern
und anderseits dem Motiv der Auflehnung gegen den Vater.
Es wird aber in diesen Mythen nicht klar ausgesprochen, daĂ
der Konflikt mit dem Vater auf die sexuelle RivalitÀt bei der
Mutter zurĂŒckgeht. Vielmehr erscheint die Mutter, um die der
Kampf ursprĂŒnglich gefĂŒhrt wird, in diesem Mythenkreis be-
reits von Anfang an als eng VerbĂŒndete des aufrĂŒhrerischen
Sohnes, die ihn vor den Nachstellungen des Vaters rettet
(gebiert). Im Mittelpunkt dieser Mythen steht zweifellos die
Geburtals eines der gröĂten und gefahryollsten Mysterien fĂŒr
den primitiven Menschen â wie ĂŒbrigens noch fĂŒr unsere Kinder
â, dessen symbolische Lösung in der uralten Storchfabel zu
einer einseitigen ĂberschĂ€tzung der mĂŒtterlichen Rolle fĂŒhrt,
wÀhrend die zweifelhafte Rolle des Vaters in tendenziöser
Weise vernachlÀssigt oder gar völlig abgeleugnet wird. Die
Kinder kommen im KĂ€stchen aus dem Wasser, wohin sie der
Vater ausgesetzt hat, gegen seinen Willen heraus: das besagt
der Mythus in symbolischer Einkleidung ĂŒnd will damit dem
Vater ĂŒberhaupt das Recht absprechen, ĂŒber das Leben des
Kindes zu verfĂŒgen, das von der Mutter kommt und von ihr n
DOUBLETTEN IM MYTHUS. 145
ES BEE ER. SEE N un er
Bee
geschĂŒtzt wird. Möglicherweise spiegelt sich in diesen Mythen
unmittelbar eine Stufe der Sexualerkenntnis, welche die Rolle
des Vaters noch nicht voll erfaĂt hatte und in ihm nur den
störenden Bedroher der eigenen SelbstÀndigkeit und den Kon-
kurrenten erblickte. Wie dem auch sei, der Mythus spricht -
jedenfalls dem Vater das Recht auf das Leben des Kindes ab,
das von der Mutter komme, und rechtfertigt eleichzeitig die
Auflehnung gegen ihn, als einen {fremden Menschen, dem man
keinerlei RĂŒcksicht und Dankbarkeit schulde. So macht der
Held sein Gewissen fĂŒr seinen Kampf gegen die AutoritĂ€t frei!
â #
*
Es erĂŒbrigt nun noch, kurz auf einige Komplikationen
dieses jetzt seinem latenten Inhalt nach abgegrenzten Mythus
von der Geburt des Helden sowohl innerhalb seiner engeren
Gestaltung als auch mit anderen Mythen oder einzelnen fremden
Motiven hinzuweisen.
GewisseKomplikationen innerhalb des Geburtsmythus selbst
haben sich aus dessen paranoiden (s. S. 123) Charakter als Ab-
spaltungen von der Person des königlichen Vaters und Verfolgers
erklÀrt. In einzelnen Mythen, ganz besonders aber in den hieher
gehörigen MÀrchen, die eben dieser Komplikationen wegen hier
beiseite gelassen wurden, geht die VervielfÀltigung mythischer
Personen und mit ihnen natĂŒrlich auch der Motive, ja ganzer
Brâ ErzĂ€hlungen, so weit, daĂ mitunter die ursprĂŒnglichen ZĂŒge
| von diesem Beiwerk ganz ĂŒberwuchert erscheinen. Die Ver-
vielfÀltigung ist so mannigfaltig und reich entwickelt, daà man
hr mit dem Mechanismus der Auseinanderlegung nicht mehr ge-
recht wird. Auch tragen die neuen Personen hier gleichsam nicht
so viel SelbstÀndigkeit an sich wie die durch Abspaltung geschaf-
fenen, sondern sie haben mehr den Charakter einer Kopie, eines
Abklatsches, sie sind, um einen bezeichnenden mythologischen
Terminus zu gebrauchen, Doubletten. Es sei hier nur an
einem anscheinend sehr komplizierten Beispiel, der Herodotischen
Version der Kyrossage, gezeigt, daĂ auch diese Doubletten
Rank Der Mythus von der Geburt des Helden, ?, Auii, 10
TE nn m.
rn TE Ten
FW Ze
146 DIE KOMPLIKATIONEN
nicht der bloĂen AusschmĂŒckung zu liebe oder zur Erreichung
eines Anscheines historischer Treue eingefĂŒhrt sind, sondern
daà sie unlösbar mit der Mythenbildung und ihrer Tendenz
verknĂŒpft sind. Auch in der Kyrossage steht ja, wie in den
anderen Mythen, dem königlichen GroĂvater Astyages und
seiner Tochter samt deren Mann der Rinderhirt und sein
Weib gegenĂŒber. Daneben aber bewegt sich eine bunte Reihe
von Personen, die sich jedoch auf den ersten Blick zwanglos
gruppieren: zwischen dem vornehmen Elternpaar mit seinem
Kinde (Kyros) und dem Hirtenehepaar mit seinem Kinde steht
der Minister Harpagos mit seiner Frau und seinem Sohn
und der edle Artembares mit seinem ehelichen Kinde. Unser
fĂŒr die EigentĂŒmlichkeiten der Mythenbildung bereits ge-
schÀrfter Blick erkennt ohneweiters in den beiden Zwischen-
elternpaaren Doubletten der eigentlichen Eltern und in allen
Beteiligten identische Personen der Eltern und ihres Kindes,
eine Auffassung, die der MythĂŒs selbst durch Andeutung ein-
zelner ZĂŒge nahelegt. Harpagos bekommt das Kind vom
König, um es auszusetzen; er handelt also ganz wie der
königliche Vater und bleibt seiner fiktiven Vaterrolle auch
darin treu, daĂ er das Kind â weil es ihm verwandt ist â
nicht selbst töten will, sondern dem Hirten Mithradates ĂŒber-
gibt, der so wieder mit Harpagos identifiziert wird. Aber
auch der edle Artembares, dessen Sohn Kyros prĂŒgeln lĂ€Ăt,
wird mit dem Harpagos identifiziert: so wie nÀmlich Artem-
bares mit seinem verprĂŒgelten Sohne vor dem König steht,
um Vergeltung zu fordern, so steht unmittelbar darauf Har-
pagos vor den König, um sich zu verantworten, und auch er
muà seinen Sohn vor den König bringen. Also auch Artem-
bares spielt episodisch die Figur des Heldenvaters, was die
ktesianische Version voll bestÀtigt mit dem Hinweise, daà der
edle Mann, der den Hirtensohn Kyros an Sohnes Statt
annahm, Artembares geheiĂen habe. Noch deutlicher als
die IdentitÀt der verschiedenen VÀter ist die ihrer Kinder,
durch die natĂŒrlich wieder die der VĂ€ter bestĂ€tigt wird. Vor
allem sind die Kinder, und das ist doch wohl beweisend,
alle eleichaltrig. Nieht nur der Sohn der Prinzessin und
nu
But TZ
m
= ee _
a ââ ng m me BEER BB
IN DER KYROSSAGE. 147
= U ı LLLLâââââ
En gr _ a -
das Kind der Hirten, die ja zu gleicher Zeit geboren werden;
sondern Herodot hebt ausdrĂŒcklich hervor, daĂ Kyros das
Königsspiel, bei dem er den Sohn des Artembares prĂŒgeln
lĂ€Ăt, mit Knaben âgleichen Altersâ gespielt habe. Ebenso betont
er â fast wie absichtlich â daĂ auch der Sohn des Har-
pagos, der dem vom König erkannten Kyros angeblich als
SpielgefĂ€hrten beigegeben werden soll, âungefĂ€hrâ im Alter
des Kyros stand. Ferner werden die Ăberreste dieses Knaben
seinem Vater Harpagos in einem Korbe vorgelegt; in einem
Korbe sollte aber auch der neuceborene Kyros ausgesetzt
werden, wie es ja auch wirklich seinem Stellvertreter, dem
Hirtensohn, geschieht, dessen IdentitÀt mit Kyros sich mit
HĂ€nden greifen lĂ€Ăt in dem Bericht Justins (S. 34). In diesem
Berichte wird Kyros sogÀr mit dem lebend geborenen Kinde
der Hirten vertauscht, eine Paradoxie des elterlichen GefĂŒhls,
die aber durch das BewuĂtsein, daĂ sich mit dieser Vertauschung
im Grunde eigentlich gar nichts geÀndert hat, aufgehoben wird.
Besreiflicher erscheint es schon, wenn das Hirtenweib, wie bei
Herodot, statt ihres totgeborenen Knaben das lebende
Königskind aufziehen will; aber auch da ist die IdentitÀt der
Knaben wieder deutlich, denn so wie frĂŒher der Hirtensohn an
Kyrosâ Stelle tot war, so wird zwölf Jahre spĂ€ter â der
Sohn des Harpagos (auch im Korbe!) direkt fĂŒr Kyros â den
Harpagos hatte am Leben gelassen â getötet!). Man bekommt
so den Eindruck, daà alle VervielfÀltungen des Kyros, nachdem
sie zu einem gewissen Zweck ins Leben gerufen worden waren,
nach ErfĂŒllung dieses Zweckes als störend wieder beseitigt
werden. Dieser Zweck aber ist offenbar die Erhöhungstendenz,
die dem Familienroman innewohnt. Denn wie der Held in den
verschiedenen Doublierungen seiner selbst und seiner Eltern
die soziale Rangleiter vom Hirten Mithradates ĂŒber den edlen,
in der Gunst des Königs stehenden Artembares und den mit
ı) Hier wÀre ein Anschluà an das Motiv der Zwillinge gegeben, in
denen wir die zu gleicher Zeit geborenen Knaben wiederzuerkennen glauben,
von denen einer um des anderen willen â sei es unmittelbar nach der
Geburt oder erst spĂ€ter â stirbt und deren Eltern in unseren Mythen in
zwei oder mehrere Elternpaare auseinandergelegt erscheinen.
10*
> ne a (U
148 DER HISTORISCHE KERN DES MYTHUS.
âââ 333553
En
dem König selbst verwandten ersten Minister Harpagos bis zum
Prinzen selbst emporsteigt, eine Karriere, die wir in der
Ktesianischen Fassung, wo Kyros vom Hirtensohn bis zum
Minister avanciert, bloĂgelegt fanden'), so beseitigt er gleichsam
immer die letzten Spuren seines Aufstieges, indem der niedrigere
Kyros nach Absolvierung der verschiedenen Stadien dieser
Laufbahn beiseite gerĂ€umt wirdâ).
i) Die Jugendgeschichte Sigurds, wie sie in der Völsungasage erzÀhlt
wird (vgl. RaĂmann |], 99), hat groĂe Ăhnlichkeit mit der Ktesianischen
kassung der Kyrossage, so daĂ auch von diesem Helden neben dem wunder-
buren Lebenslauf dessen rationale Zurechtlegung ĂŒberliefert ist. NĂ€heres dar-
ĂŒber findet man bei Bauer a.a. 0. 8.554 uf. â Die Geschichte des
biblischen Joseph (1 Mos, 37. uff.) scheint mit der Aussetzung, dem Tier-
orter, den TrĂ€umen, den schemenhaften BrĂŒdern und der fabelhaften
Karriere des Helden mehr dem MÀrchentypus anzugehören; nach Wundt
(1. ec. 417) wĂ€re sie in ihren wesentlichen ZĂŒgen einem Ă€gyptischen MĂ€rchen
nacherzĂ€hlt. Vgl. A. Erman: Ăgypten, S. 505 ff. Maspero, Contes de âEgypte
ancienneÂź, p. 6 f, Ăhnliches auch in einer indischen ErzĂ€hlung, also walhır-
scheinlich einer weitverbreiteten orientalischen MĂ€rchentradition ent-
stammend.
2?) Es erscheint hier, um MiĂverstĂ€ndnissen vorzubeugen, notwendig,
auf den historischen Kern einzelner Heldenmythen hinzuweisen. Kyros stammt,
wie die aufgefundenen Inschriften zeigen (vgl. Duncker, S. 289, Bauer,
S. 498), aus einem alten erbgesessenen Königshause. Und so wenig der Mythus
darauf ausgehen konnte, die Abkunft des Kyros zu erhöhen, so wenig soll
unsere Deutung als Versuch aufgefaĂt werden, dem Kyros eine niedere Ab-
stammung nachzuweisen. Ăhnlich verhĂ€lt es sich mit Bargon, dessen könig-
licher Vater auch bekannt ist (vgl. Jeremias, S. 410 Anm.). Trotzdem meint
ein Historiker (Ungnad: Die AnfÀnge der Staatenbildung in Babylonien,
Deutsche Rundschau, Juli 1905) von Sargon: âAugenscheinlich war er nicht
von vornehmer Abstammung, sonst hĂ€tte sich keine solche Sage ĂŒber seine
Geburt und Jugend bilden können.â Und auch der Ethnologe Frazer will
die Inschrift Sargons als BestĂ€tigung fĂŒr dessen illegitime Geburt auffassen.
Es wĂ€re nun ein grobes MiĂverstĂ€ndnis, unsere Deutung als BeweisfĂŒhrung
in diesem Sinne zu nehmen. Der scheinbare Widerspruch aber, den man
bei anderer Auffassung unserer Deutung zum Vorwurf machen könnte, wird
zum Beweise fĂŒr ihre Richtigkeit durch die ErwĂ€gung, daĂ nicht der Held,
sondern der Durchschnittsmensch den Mythus schafft und in tendenziöser
Weise zur Rechtfertigung seiner kindlichen Wunschphantasien fÀrbt. Die
Verleugung des Vaters und der Abstammung von ihm ist uns ja als
der wesentlichste Kern des Familienromans klar geworden. â Nur auf
Grund einer golehen, mehr oder weniger weitgehenden Ansetzung phanta-
ei
â
â- 1
]
Th = o- m nn â âââ -â â a
BRĂDERMYTHEN. 149
Wir sehen also diesen komplizierten und mit einem
reichlichen Personenaufgebot ausgestatteten Mythus sich ver-
einfachen und auf drei Personen, nÀmlich den Helden und
seine Eltern reduzieren. Ganz Àhnlich nun verhÀlt es sich mit
dem Personenaufgebot in vielen anderen Mythen. Nur betrifft
die Doublierung einmal die Tochter, wie in der Moseslegende,
wo die Prinzessin-Mutter zur Herstellung der IdentitÀt beider
Familien!) bei den armen Leuten auch als Tochter (Mirjam)
auftritt, die ja nur eine Abspaltung der Mutter ist, welche in
Prinzessin und armes Weib auseinandergelegt erscheint. Betrifft
die Doublierung den Vater, so erscheinen seine VervielfÀltigungen
zum Unterschied von den durch die Auseinanderlegung ge-
schaffenen fremden Personen, in der Regel als Verwandte,
insbesondere als seine BrĂŒder, wie z. B. in der Hamletsage.
In Àhnlicher Weise kann dann auch der den Vater vertretende
GroĂvater durch einen Bruder doubliert erscheiner, der dann
als GroĂoheim des Helden der Gegenspieler ist, wie bei Romulus,
Perseus u. v. a. Andere Doublierungen in scheinbar komplizierten
Sagengebilden (z.B. bei Kaikhosrav, Feridun u. a.) lassen sich
nach diesen Gesichtspunkten leicht durchschauen.
Die Doublierung des Vaters resp. GroĂvaters durch einen
Bruder fĂŒhrt, wenn sie, in die nĂ€chste Generation fortgesetzt,
den Helden selbst betrifft, zu den BrĂŒdermythen, auf deren
tieferen Zusammenhang mit unserem Thema bereits hingewiesen
wurde. Die Abbilder des Knaben, die in der Kyrossage nach
ErfĂŒllung ihres Zweckes â der Abkuniftserhöhung des Helden
â wieder in ihr Nichts zerflossen waren, brauchen nur selb-
stÀndiges Leben annehmen und sie stehen dem Helden als gleich-
berechtigte Konkurrenten, als seine BrĂŒder, gegenĂŒber. Dem
stischer Motive an einen realen Kern kann uns die Ăbertragung mythischer
ZĂŒge auf historische Persönlichkeiten ĂŒberhaupt verstĂ€ndlich werden. (Ăber
CĂ€sar, Augustus u. a. vgl. Usener, Rhein, Mus. LV, 271.)
1) Diese Identifizierung der Familien ist in manchen Mythen bis zum
Abklatsch genau durchgefĂŒhrt, wie z. B. in der Ădipussage, wo dem einen
königlichen Ehepaar das andere entspricht und wo auch der Hirt, der das
KnÀblein zur Aussetzung empfÀngt, sein getreues Spiegelbild hat in dem
Hirten, dem er es zur Rettung ĂŒbergibt.
En
150 DAS AMMENMOTIV.
ursprĂŒnglichen Zusammenhang wird man wahrscheinlich ge-
rechter, wenn man die fremden Doubletten des Helden als ver-
blaĂte BrĂŒder auffaĂt, die, wie der Zwillingsbruder, fĂŒr den
Helden sterben mĂŒssen. So wie der Vater, der dem sich ent-
wickelnden Sohne im Wege steht, wird auch mit einer naiven
Realisierung kindlicher Phantasien, die störende Konkurrent-
schaft des Bruders einfach beseitigt, weil der Held keine
Familie brauchen kann.
Eine die Mutter betreffende âAuseinanderlegungâ haben
wir in den Ammen-Figuren zu erblicken, die in manchen
Heldenmythen eine besondere Rolle spielen. Offenbar liegt
darin, neben dem uralten Tiermotiv, auch eine tendenziöse
Degradierung der leiblichen. (tierischen) Mutter, wÀhrend die
Rolle der GebĂ€rerin der âvornehmenâ Mutter vorbehalten bleibt.
Diese Sonderung der GebÀrerin von der ErnÀhrerin, die scheinbar
die leibliche Mutter mit Hilfe ihrer Ersetzung durch ein Tier
(eine fremde Amme) ganz zu beseitigen versucht, kann aber
im letzten Grunde â wenn wir die Auseinanderlegung rĂŒck-
eĂ€ngie machen â wieder nichts anderes als in Dankbarkeit
bezeucen: das Weib, das mich gesÀugt hat, ist meine Mutter,
eine Aussage, die wir in der Moseslegende, deren rĂŒckgebildeter
Charakter uns schon bekannt ist, direkt versinnbildlicht finden.
Es wird nÀmlich dort gerade das Weib zu seiner Amme gemacht,
das seine leibliche Mutter ist (Ă€hnlich auch bei Herakles und
im Àgyptisch-phönizischen Osiris-Adonis-Mythus, nach welchem
Osiris, in der Truhe eingeschlossen den FluĂ hinab nach
Phönizien schwimmt, wo ihn Isis endlich unter dem Namen
Adonis findet und von der Königin Astarte zur WÀrterin ihres
eigenen Sohnes bestellt wird) !).
i) Usener (Stoff d. griech. Epos, $. 53): âWir werden ohne Bedenken
Thero statt einer Amme als Mutter des Ares ansehen dĂŒrfen. Der Wider-
streit Ă€lterer und jĂŒngerer gemeingriechischer Sage ĂŒber die Mutter einer
Gottheit pflegt durch die Formel ausgeglichen zu werden, daĂ die Mutter
der gemeingriechischen Sage anerkannt und die Mutter der örtlichen Ăber-
lieferung zur Amme herabgesetzt wird, So ist die Leda als Mutier der Helena
dadurch mit der attischen und epischen Sage von Nemesis ausgeglichen,
das Leda das Ei der Nemesis auffindet und die daraus geborene Helena
u = . = ee - â
Tr nn nn een - â oo [ â_â âââ ââââe
DIE STORCHFABEL. 151
Das Tier eignet sich besonders gut zum Ersatz der Mutter-
Amme weil es die SexualvorgĂ€nge auch fĂŒr das Kind deutlich
erkennen lĂ€Ăt und weil wahrscheinlich in der Verheimlichung
dieser VorgÀnge die Auflehnung des Kindes gegen die Eltern
wurzelt. Wie also die Aussetzung im KĂ€stehen und Wasser den
Geburtsvorgang in kindlicher Weise gleichsam asexualisiert â
die Kinder werden vom Storch!) aus dem Wasser gezogen und
in einem Körbehen den Eltern gebracht â, so berichtigt die
Tierfabel diese Vorstellung durch den Hinweis auf die Ăhnlichkeit
der menschlichen mit der tierischen Geburt. Von diesem Stand-
als Pfiegemutter aufzieht. Thyone ist noch fĂŒr Pindar (Pyth. 3, 99) Mutter
des Dionysos, aber um Semele in ihrem Recht zu lassen, hieĂ sie schon
bei Panyasis Amme des Dionysos.â
!) Der Storch als Kinderbringer ist auch mythologisch bekannt und
Sieeke (Liebesgesch. d. Himmels, $S. 26) verweist darauf, daĂ in manchen
Gegenden und LĂ€ndern der Schwan diese Rolle inne habe. Die Errettung
und weitere BeschĂŒtzung des Helden durch einen Vogel ist nichts Seltenes;
vel. Gilgamos, Zal und Kyknos, der von seiner Mutter nahe am Meer
ausgesetzt, von einem Schwan ernÀhrt wird, wÀhrend sein Sohn Tennes in
der Kiste auf dem Wasser seliwimmt,
Zur psychologischen Bedeutung der Storchfabel vgl. man Freud:
Ăber infantile Sexualtheorien (Sammlg. kl. Schriften II. F. S. 159 1.).
Es sei hier auf eine weitere Bedeutung der Storchfabel hingewiesen,
die zeigt, daĂ in ihr selbst der Familienroman in nuce enthalten ist. Wenn
der Storeh die Kinder erst bringen muĂ, so gehören sie ja ursprĂŒnglich
nicht den Eltern (zur Familie) und dieser Umstand dient sowohl den eigenen
Abkunitsphantasien wie auch besonders gerne zur Ausschaltung der stören-
den Konkurrentschaft der Geschwister, deren Erseheinen oder Nichterscheinen
(Verschwinden oder Erscheinen in einem anderen Hause) dann ganz iu der
WillkĂŒr des Menschen zu liegen scheint. Man vgl. z. B. dazu die Abkunfts-
phantasien von Binswangers Bgtientin Irma (Jahrb. I, S. 294), die sich
erinnert, mit 3 oder 4 Jahren immer behauptet zu haben, âdaĂ sie dem
Storch sicher zu schwer gewesen sei, deswegen habe er sie bei ihrer
Mutter niedergelegt und nicht in dem benachbarten Palais. Eigentlich sei
sie eine Prinzessinâ:
So ermöglicht die Storehfabel dem Familienroman eine vielseitige Ent-
faltung und das zÀhe Festhalten der Kinder an dieser von den Erwachsenen
verĂ€chtlich als âAmmenmĂ€rchenâ beiseite geschobenen Tradition ist nicht
zum geringsten Teil darin begrĂŒndet, daĂ es dem Kinde eben gestattet, die
Rolle der Eltern zu der bloà zufÀlliger Pflegepersonen zu degradieren, die
weiter keinen Anspruch an das Kind haben,
en our =â â, â
._â
152 STORCHFABEL UND TOTEMISMUS.
punkte könnte man auch die EinfĂŒhrung dieses Motivs parodi-
stisch auffassen, indem das Kind mit verstellter Unwissenheit das
StorchmĂ€rchen von den Eltern annimmt und in ĂŒberlegener
Weise hinzusetzt: Wenn mich ein Tier hat bringen können,
so hat es mich auch sÀugen können. (Motiv des Dummstellens.)
Es ist hier die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daĂ
das Tier ĂŒberhaupt einen Teil seiner totemistischen ĂberschĂ€t-
zung der Tatsache verdanken mag, daà es die SexualvorgÀnge
so offen verrÀt, wÀhrend die Eltern bestrebt sind, sie zu ver-
heimlichen. Wenigstens scheinen alle unsere Erfahrungen aus
der individuellen Entwicklungsgeschichte auf diesen Zusammen-
hang hinzuweisen, den insbesondere die analytische Durch-
leuchtung der Tierphobien nahelegt'). Und so kÀme auch im
totemistischen Vatertier neben der feindselisen Auffassung
vielleicht eine zÀrtliche Sehnsucht zu ihrem Recht, welche die
komplizierte Rolle des Vaters in Àhnlicher Offenheit dargeboten
wĂŒnscht wie die primitivere und nicht zu verbergende?) Auf-
gabe des mĂŒtterlichen Tieres.
Wir könnten die Untersuchung nach der psychologischen
Bedeutung des Mythus von der Geburt des Helden nicht
als abgeschlossen betrachten, wenn wir nicht auch seine
Beziehungen zu gewissen Geisteskrankheiten hervorheben
wĂŒrden, die auch jedem psychiatrisch nicht Geschulten auf-
gefallen sein werden. Unsere Heldenmythen decken sich
nĂ€mlich in vielen weSentlichen "ZĂŒgen mit den Wahnideen
gewisser geisteskranker Personen, die an Verfolgungs- und
GröĂenwahn leiden, den sogenannten Paranoikern.â Das
Wahnsystem solcher Personen ist im Kern hÀufig wie unser
Mythus aufgebaut und lĂ€Ăt daher, so unzugĂ€nrglich es auch
1) Vgl. Freud: Analyse der Phobie eines fĂŒnfjĂ€hrigen Knaben. Jahrb.
f, psychoanalyt. u. psychopath. Forschungen, Bd. I, 1, 1909, 8. 3/4 u. 8. 52,
2) In manchen Mythen heiĂt es verrĂ€terisch, die Mutter âverbargâ
das Kind (etwa drei Monate lang), bis dies nicht mehr möglich war.
|
Ban = ii m = =
2 ge ne. u 0 om â
DER ABKUNFTSWAHN DER PARANOIKER. 153
m Dig m
selbst psychoanalytischen BemĂŒhungen ist, auf die gleiche
psychische Motivierung wie der analysierbare neurotische
Familienroman schlieĂen. So behauptet der Paranoiker etwa,
âdie Leute, deren Namen er trage, seien nicht seine wirklichen
Eltern, er sei tatsĂ€chlich der Sohn einer fĂŒrstlichen Person,
habe aus einem geheimnisvollen Grunde beseitigt werden sollen
und sei deswegen als Kind seinen âElternâ zur Pflege ĂŒber-
geben worden. Seine Feinde wollen nun die Fiktion aufrecht
erhalten, daĂ er niederer Abkunft sei, um seine berechtigten
AnsprĂŒche auf die Krone oder groĂe ReichtĂŒmer zu unter-
drĂŒckenâ!).
Wir haben diese innige Verwandtschaft unseres Mythus
mit dem Wahngebilde des Paranoikers schon formal festgestellt
in der Charakterisierung des Mythus als paranoides Gebilde,
die nun auch inhaltliche BestÀtigung im Abkunftswahn findet:
Der auffÀllige Umstand, daà die Paranoiker den ganzen Roman
offen erzÀhlen, kann uns nicht mehr rÀtselhaft sein, seitdem
uns die tiefgreifenden Untersuchungen Freuds gezeigt haben,
daĂ sich die durch Analyse bewuĂt zu machenden Phantasien
der Hysteriker inhaltlich bis ins Einzelne mit den Klagen ver-
foleter Paranoiker decken und daĂ uns der identische Inhalt
auch als -RealitÀt in den Veranstaltungen Perverser zur Be-
friedigung ihrer GelĂŒste entgegentrittâ). Beim Paranoiker olfen-
bart sich aber auch deutlich der egoistische Charakter des
1) Abraham, a.a. O. S. 40. â Von einem Ă€hnlichen Wahn bei einem
Findelkind berichtet Riklin: WunscherfĂŒllung und Symbolik im MĂ€rchen, S. 74.
Ich selbst hatte einmal Gelegenheit, die Wahnidee einer jungen Mutter,
daĂ ihr das Kind vertauscht worden sei, analytisch zu studieren, und
glaubte als Grundlage ihren eigenen â in die nĂ€chste Generation ver-
schobenen â Familienroman vermuten zu dĂŒrfen (Mutteridentifizierung).
(Die Analyse wurde leider durch den Krieg unterbrochen.) Der Kinder-
tauseh, der hier in wahnhafter Form auftritt, erscheint im Heldenmythus
als typisches Motiv (vgl. Kyros u. a.). Siehe auch den Hinweis auf das
Salomonische Urteil (5. 127).
2) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Wien u. Leipzig
1905, S. 24, Anm., dann: Psychopathologie des Alltagslebens, 2. Aufl.
Berlin 1907, 8. 115, Anm., und: Hysterische Phantasien und ihre Beziehung
zur BisexualitÀt,
a un Wi â
154 PSEUDOLOGIE UND HOCHSTAPELEI.
mm nm mm nn
ganzen Systems, FĂŒr ihn ist die Erhöhung der Eltern, die er
vornimmt, lediglich ein Mittel seiner eigenen Erhöhung und
er stellt auch in den Mittelpunkt seines ganzen Systems in
der Regel nur das Resultat des Familienromans mit dem
apodiktischen Ausspruch: ich bin der Kaiser (oder Gott). Er
setzt sich jedoch damit â in der Symbolik des Jraumes und
des Mythus gesprochen, die aber auch die Symbolik jeder
anderen, selbst der âkrankhaftenâ PhantasietĂ€tigkeit ist -â nur
an die Stelle des Vaters, womit ja auch der Held seine Auf-
lehnung gegen den Vater abschlieĂt. Beide können das aber,
weil der Konflikt mit dem Vater, der nach dem Inhalt des
Mythus auf die Verheimlichung der sexuellen VorgĂ€nge zurĂŒck-
geht, in dem Moment illusorisch, wird, wo der Knabe selbst
erwachsen, selbst Vater geworden ist. Die aufdringliche GebÀrde,
mit der sich der Paranoiker an die Stelle des Vaters setzt
also selbst Vater wird, mutet wie eine Illustration zu der
hÀufigen Entgegnung an, die der kleine Knabe auf eine Zurecht-
weisung oder Vertröstung seiner störenden Neugierde bereit
hat, in den Worten: Warte nur, bis ich selbst Papa bin, werde
ich alles das wissen. Der Paranoiker ist gleichsam ein Mensch,
dem die Auflösung seines individuellen Konflikts mit dem
. Vaterâ) und die Rechtfertigung im Massenprodukt des Mythus
nicht gelungen ist, der aber auch an dem Versuch einer indi-
viduellen Lösung dieser Aufgabe scheitert.
Vom Paranoiker, dessen Phantasie ihm die RealitÀt
wahnhaft ersetzt, unterscheidet sich der pathologische LĂŒgner
durch die wenigstens partielle Einsicht in die Unwahrheit dessen,
was er an Stelle der RealitÀt setzen möchte. Der Pseudo-
logist ist imstande, den Familienroman mit dem Anspruch auf
GlaubwĂŒrdigkeit zu erzĂ€hlen und wo er Glauben findet, da
spricht die Gesellschaft von Hochstapelei, ohne daran zu
denken, wie nahe verwandt die phantastische LĂŒge dem Wahn
ist?). Derartige FÀlle beschÀftigen daher hÀufig die IrrenÀrzte
und die Gerichte.
1) Siehe Freud: Jahrb, f. Psa. III, 1911, 5. 9ff.
2) Gewisse Bedingungen ihrer Entstehung untersucht Helene Deutsch:
Ăber die pathologische LĂŒge. Int. Zeitschr. f, Psa. (im Druck).
a
155
rn ââââââââââââââââââ
âFRAU VON HERVAY.â
Es sei hier nur der Fall einer Frau von Hervay kurz erwÀhnt,
weil an ihn Alfred Freiherr v, Berger einige feinsinnige psycho-
logische Bemerkungen geknĂŒpft hat (Feuilleton der âNeuen Freie
Presse? vom 6. November 1904, Nr. 14.441), die sich zum âleil mit
unserer Auffassung des Heldenmythus berĂŒhren. So schreibt Berger:
âIch bin ĂŒberzeugt, daĂ sie sich allen Ernstes fĂŒr die uneheliche
Tochter einer, aristokratischen russischen Dame hÀlt. Wahrscheinlich
rerte sich schon in der ersten Jugend in ihr der Wunsch, einen
vornehmeren und glÀnzenderen Milieu durch die Geburt anzugehören,
als demjenigen, von dem sie sich umgeben sah ... So erwuchs aus
dem Wunsch, eine Prinzessin zu sein, der Wahn, sie sei gar nicht
die wirkliche Tochter ihrer Eltern, sondern das Kind einer vornehmen
Dame, welche die Frucht ihres Fehltrittes der Welt verbarg, indem
sie sie als Tochter eines Taschenspielers aufwachsen lieĂ... .. Einmal
in diese Einbildung verstrickt, muĂte sie jedes rauhe Wort, das sie
krĂ€nkte, jede zufĂ€llige doppelsinnige ĂuĂerung, die sie auffing, vor
allem aber die Abneigung, die Tochter dieser Paares zu sein, als
Beglaubigung ihres romanhaften Wahnes deuten und so wurde es
zur Aufgabe ihres Lebens, sich die soziale Position, um die sie sich
betrogen fĂŒhlte, zurĂŒckzuerobern. Als die mit zĂ€her Energie betriebene,
zuletzt tragisch abschlieĂende DurchfĂŒhrung dieses Gedankens stellt
sich ihre Biographie darâ !).
Einen weiteren Schritt auf der asozialen Bahn vom Para-
noiker, der den Konflikten mit der RealitÀt durch das Dis-
simulieren auszuweichen sucht, und dem Pseudologisten, der
als Hochstapler zum sozialen LĂŒgner wird, bedeutet der wirk-
i) Der weibliche Typus des Familienromans, wie er uns in diesem Falle
von seiner asozialen Seite entgegentritt, ist vereinzelt auch als Heldenmythus
ĂŒberliefert. So wird von der spĂ€teren Königin Semiramis erzĂ€hlt (bei
Diodor II, 4), ihre Mutter, die Göttin Derketo, habe sie aus Scham in einer
öden, felsigen Gegend ausgesetzt, wo sie von Tauben ernÀhrt und von
Hirten gefunden wurde, die das Kind dem Aufseher der königlichen Herden,
dem kinderlosen Simmas schenkten, der sie wie seine eigene Tochter aufzog.
Er nannte sie Semiramis, was in der syrischen Sprache Taube bezeichnet.
Ihre weitere Karriere bis zur Alleinherrschaft, die sie ihrer mÀnnlichen
Energie verdankte, ist ja historisch bekannt.
Andere Aussetzungssagen werden von Atalante, Kybele und Aörope
erzÀhlt (v. Roscher).
re
ee. u ns -ââ ââ _
156 DER ATTENTĂTER (ANARCHIST)
lich Asoziale.e Wie nĂ€mlich in der ĂuĂerung der inhaltlich
identischen Phantasien dem Hysteriker, der sie verdrÀngt hat,
der Perverse gegenĂŒbersteht, der sie verwirklicht, so steht
such dem kranken, passiven Paranciker, der eben den Wahn
zur Korrektur der ihm unertrÀglichen Wirklichkeit braucht,
der Aktive, der Verbrecher gegenĂŒber, der die Wirklichkeit
nach seinem Sinne zu Ă€ndern versucht: das ist fĂŒr diesen
speziellen Fall der Anarchist?). Auch der Held beginnt ja,
wie seine Ablösung von den Eltern zeigt, seine Laufbahn im
Gegensatz zur alten Generation; er ist Empörer und Erneuerer
zugleich, er ist RevolutionÀr. Jeder RevolutionÀr ist aber ur-
sprĂŒnglich eigentlich ein ungehorsamer Sohn, ein AufrĂŒhrer
gegen den VaterÂź) .(vgl. dazu den Hinweis Freuds im AnschluĂ
an die Deutung eines ârevolutionĂ€ren Traumesâ, Traumdeutung,
2. Aufl., S. 153, Anm.). WĂ€hrend aber der Paranoiker, seinem
passiven Charakter entsprechend, Verfolgungen und Beein-
trÀchtigungen zu leiden hat, die in letzter Linie vom Vater
auszehen und denen er sich dadurch zu entziehen sucht, dab
er sich selbst an die Stelle des Vaters, des Kaisers, setzt, bleibt
der Anarchist dem heldenhaften Charakter darin treuer, daĂ
er bald selbst zum Verfolger der Könige wird und, ganz wie
der Held, schlieĂlieh den König tötet.
Zum VerstÀndnis des psychologischen Mechanismus dieser
Einstellung bietet uns der Familienroman einen direkten Zugang
wie ich an einigen mir zufÀllig bekannt gewordenen Beispielen
1) Bekanntlich gibt es unter den Anarchisten nicht wenige Paranoiker,
wie diese anderseits oft Verbrecher (gemeingefÀhrlich) werden können.
Vel. bes. Penta: Parrieida paranoieo. Giorn. per i mediei periti ete. 1897.
2) Das ist besonders in den griechischen Göttermythen deutlich, wo
der Sohn (Kronos, Zeus) erst den Vater beseitigen muĂ, bevor er die Herr-
schaft antreten kann, Die Form der Beseitigung, nÀmlich die Entmannung,
ist offenbar der stÀrkste Ausdruck der Auflehnung gegen den Vater, zugleich
aber der Beweis ihrer sexuellen Herkunft. Ăber den Revanchecharakter der
Entmannung sowie die infantile Bedeutung des ganzen Komplexes vgl. man
Freud: âĂber infantile Sexualtheorienâ und âAnalyse der FPhobie eines fĂŒnf-
jĂ€hrigen Knabenâ (Il. e.).
Neuestens zum ganzen Thema: Paul Federn, Die vaterlose Gesellschaft.
Zur Psychologie der Revolution. Wien 1920.
â ââ - er rs
UND SEIN FAMILIENROMAN. 157
ao gr
U
zeigen konnte?). Sei es, daà die spÀteren Anarchisten oder Atten-
tÀter als ausgesetzte (uneheliche) Findelkinder, denen einer oder
beide Elternteile fehlten, den Anfang des Familienromans wirk-
lich erleben und aus diesem Erleben heraus auch den sonst in
der Phantasie vollendeten Familienroman realisieren muĂten, wie
beispielsweise der Anarchist Luccheni u.a. Sei es, daĂ der Familien-
roman sonst irgendwie schicksalhaft ihr Leben beeinfluĂte wie
bei Charlotte Corday, die sich ĂŒber die Tatsache, daĂ ihr
Vater ein verarmter Edelmann war, durch Phantasien ihrer
hohen Abkunft von sagenhaften schottischen Königen hinweg-
setzte?): In jedem Falle sehen wir das VerhÀltnis zu den Eltern
in frĂŒher Kindheit entscheidend gestört?) und zwar in ganz
Ă€hnlicher Weise, wie es sich der Neurotiker phantasiert und
wie es der Mythus fĂŒr die Urzeit supponiert. Nur glaubt der
AttentĂ€ter, sich fĂŒr die Gesellschaft an ihren FĂŒhrern zu rĂ€chen,
wÀhrend er sich in Wirklichkeit selbst am eigenen erhöhten
Vater rÀcht, was die Gesellschaft auch durch Verurteilung der
Tat zu erkennen gibt. Wenn man aber den Helden derselben
Tat wegen feiertâ), ohne sich um ihre psychische Motivierung
Der Familenroman in der Psychologie des AttentÀters. Internat.
Zeitschr. f. Psa. I, 1913.
2) Ihr Biograph Henri dâAlmeras faĂt auf Grund derartiger ZĂŒge
ihre Tat als AusfluĂ hysterischer Stimmung, â Man vgl. auch die Schilderung
ihrer einsamen Jugend durch Michelet (Die Frauen der Revolution, Langen,
MĂŒnchen).
3) Man vgl. die folgende Bemerkung von Eduard Bernstein ĂŒber den
bekannten Anarchisten Most: âWas ihm fehlte, war der innere Halt, ein
Mangel, der vielleicht darauf zurĂŒckzufĂŒhren ist, daĂ er als Knabe
sehr frĂŒh die Mutter verlor, die Stiefmutter haĂte und im Vater
den Komödianten verachtete. So miĂlich es ist, aus persönlichen Er-
fahrungen und seien ihrer noch so viele, allgemeine SchlĂŒsse zu ziehen, so
kann ich doch die Bemerkung nicht unterdrĂŒcken, daĂ so oft mir auf
meinem Lebensweg Persönlichkeiten begegneten, die amgleichen
Mangel litten, nĂ€here Unterhaltung ĂŒber ihre Jugend stets ergab,
daĂ sie mit den Eltern in keiner seelischen Beziehung gestanden
hatten.â (Aus einem Artikel âEinige Erinnerungen an August Bebelâ in
der âFrankfurter Zeitungâ vom 24. August 1913.)
4) Vgl. den Gegensatz von Tell und Parrieida in Schillers Wilhelm
Tell, den ich in einem anderen Zusammenhange nÀher beleuchtet habe (vgl.
Inzestmotiv, S. 111 u. f.).
RE. SE RU
SU m
158 DIE VATERRETTUNG (RETTUNGSPHANTASIE)
a ââââââââââââââââââ
ge
zu kĂŒmmern, so könnte billig den Anarchisten der Umstand
vor den hĂ€rtesten Strafen schĂŒtzen, daĂ er â bei scheinbar
noch so guter anderweitiger, etwa politischer Motivierung
seiner Tat â auch einen ganz anderen tötete, als er eigentlich
vermeinte!).
Von dieser ins Pathologische verzerrten Heldenrolle des
anarchistischen AttentÀters wenden wir uns einem letzten,
sonderbaren AuslÀufer des Familienromans zu, der in den
mythischen Ăberlieferungen angedeutet ist, in denen der Held
scheinbar seinen Vater an einem gemeinsamen Feind zu rÀchen
hat. Wie bereits angedeutet, handelt es sich dabei auch nur
um eine mehr entstellte Form der Rache am Vater; ihr indi-
viduelles GegenstĂŒck finden wir in den hĂ€ufigen Phantasien
der PubertÀtszeit von der Rettung einer bekannten Persönlichkeit
(Kaiser) aus Lebensgefahr, was sich uns leicht als Vaterrettung
erschlieĂt. Freud hat gezeigt?), daĂ diese Phantasie der PubertĂ€ts-
jahre das GegenstĂŒck zur zĂ€rtlichen Rettung der Mutter (aus
der Gewalt des Vaters) darstellt und versucht, dem Vater, dem
man nichts mehr verdanken will, das Geschenk des Lebens
durch ein gleichwertiges Gegengeschenk zu vergelten. Wie der
mythische Familienroman selbst wĂŒrde also auch die Rettungs-
phantasie auf Verleugnung des Vaters und Attachement an die
Mutter hinauslaufenŸ). Nur zeigt sie eine starke Versöhnungs-
tendenz dem Vater gegenĂŒber, die aus der allmĂ€hlichen Identi-
fizierung mit ihm und der daran geknĂŒpften Vergeltungs-
furcht stammen mag. Der heranwachsende Sohn will sich
gleichsam vor dem eigenen Vaterwerden sozusagen mit dem
Vaterprinzip aussöhnen, damit er seinerseits von seinem
Sohne geschont werde. Er rettet dem Vater das Leben, aus
Dankbarkeit fĂŒr das eigene Leben, das ja seinerzeit durch
1) Man vergleiche dazu das Fehlatteniat der Tatjana Leontiew und
seine feine psychologische Durchleuchtung bei Wittels: Die sexuelle Not.
(Weibliche AttentÀter). Wien u. Leipzig, 1909.
2) Ăber einen besonderen Typus der Objektwahl beim.Manne, Jahrbuch
II, 1910, S. 389 ff.
Âź) Rank: Belege zur Retiungsphantasie. Zentralbl. f. Psa. I, 1911,
S. 335 f. -ââ Dazu neuestens Abraham: âVaterrettung und Vatermord in
den neurotischen Phantasiegebilden.â Int, Zeitschr. f, Psa. (im Druck).
a nn ne ae nn a aa
ALS VERSĂHNENDER ABSCHLUSS (REVANCHE). 159
â âââ
m â -_
die Aussetzung (Zeugung) des Vaters eigentlich gerettet (geboren)
worden war!). So stellt die Rettungsphantasie letzten Grundes
den versöhnenden Abschluà des Familienromans dar, indem
der Sohn, in vollkommener Revanche fĂŒr seine Jugendgeschichte,
den Vater in eine eroĂe Lebensgefahr bringt (Aussetzung), um
ihn aus dieser zu erretten. Möglicherweise drĂŒckt sich darin
ein Kulturfortschritt der jĂŒngeren Generation gegenĂŒber der
Ă€lteren aus, der dabei gezeigt wird, wie groĂmĂŒtig man in
dieser Situation handeln solle. Der Sohn vollbringt damit in
der Phantasie dasselbe, was erin bezug auf sein eigenes Leben
vom Vater phantasierte, er handelt also (am Vater) wie der
Vater (an ihm), d. h. er identifiziert sich mit ihm und ist
so imstande, den Vaterkomplex samt dem damit verbundenen
Familienroman zu ĂŒberwinden.
Hier aber, an der schmalen Grenzscheide, wo sich das
unschuldige kindliche Phantasieleben, die ins UnbewuĂte ver-
drÀngten neurotischen Phantasmen, die diehterische Mythen-
bildung und gewisse Formen der Geisteskrankheit und des
1) Wie eng ârettenâ und zurweltikommen im UnbewuöĂten verbunden
sind, zeigt ein mir von S, Ferenezi mitgeteilter Fall, in welchem der Lebens-
retter zum Vater erhoben wird: Ein spÀter an sexueller Impotenz leidender
Patient war im Alter von 8 Jahren ins Waser gefallen und von einem
armen Fischer gerettet worden. Seit vielen Jahren litt er an der uner-
klĂ€rlichen Angst, diesen Menschen wiederzusehen. Er machte sich darĂŒber
die heftigsten VorwĂŒrfe, die beinahe Zwangscharakter hatten. Dabei konnte
er sich nie entschlieĂen, diesem Manne, âdem er doch das Leben verdanktâ,
eine gröĂere Summe zu schenken; er begnĂŒgte sich mit einer Kleinigkeit,
die er ihm jĂ€hrlich zukommen lĂ€Ăt. In der Analyse ergibt sich, daĂ alle
diese GefĂŒhle dem wirklichen Vater gelten, an den er mit allen seinen
positiven und negativen GefĂŒhlen fixiert ist. Er hatte als Kind den Vater
angebetet (Erhöhung), wurde aber von ihm schlecht behandelt, wurde dann
spÀter sehr ambitiös und schÀmte sich seiner armen Verwandtschaft (Familien-
roman). So wurde der Vater zum âarmen Fischer, dem er sein Leben verdanktâ,
und der Fischer zum Angriffspunkt seiner einander widerstreitenden Affekte,
die eigentlich dem Vater gelten,
FĂŒr den tiefreicehenden uralten Zusammenhang von Rettung und Leben
zeugen sprachliche Beziehungen, die Keller (Lat. Volksetym. 228) zur Er-
klĂ€rung des Wortes âPaladionâ heranzieht, das er mit hebr. pĂ€lat âent-
kommen, fliehenâ, peletĂ€h âRettungâ, babylon.-assyr, balĂ€tu âam Leben
bleibenâ verbindet.
a;
» IM â ei ER L
@ FE wi. â f * âq wi:
SH ua .
Er {
a
n
FR
IR.
Fr
a % r -# â. ar 72
SREIE
A
W. K
ÂŁ
160 | SCHLUSS.
Verbrechens inhaltlich sowie in ihren Ursachen und TriebkrÀften
so innig und doch wieder so differenziert berĂŒhren, wie es
eben anzudeuten versucht wurde, wollen wir fĂŒr diesmal halt-
machen und der Verloekung widerstehen, einen der hier ab-
zweigenden Wege zu betreten, die, nach ganz anderen Gebieten
gerichtet, sich vorlÀufig noch in dichtem Urwald verlieren.
VERLAG VON FRANZ DEUTICKE IN LEIPZIG UND WIEN
ji
/
Jahrbuch der Psychoanalyse. Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
in Wien, Redigiert von Dr. Karl Abraham in Berlin und Dr, Eduard
Hitschmann in Wien, Neue Folge des Jahrbuches fĂŒr psychoanalyt. und
psychopath. Forschungen. VI. Band. 1914. Mit einer Tafel. Preis M 70 â.
Jung, Doz. Dr. C. G., Der Inhalt der Psychose. Akademischer Vortrag,
gehalten im Rathause der Stadt ZĂŒrich am 16. JĂ€nner 1908. Zweite,
durch einen Nachtrag ergÀnzte Auflage. (Zuerst erschienen als 3, Heft
der âSchriften zur angewandten Seelenkundeâ.) Preis M $-â.
Jung, Doz. Dr. C. G., Die Bedeutung des Vaters fĂŒr das Schicksal des
Einzelnen. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch fĂŒr psychoanalyt. u. psycho-
patholog, Forschungen, I. Band,) Als Separatabdruck vergriffen, Nur noch
in Band I, 2. HĂ€lfte, des Jahrb. fĂŒr psychoanalyt. Forschungen zu haben.
Jung, Doz. Dr. med, et jur. C. G., Ăber Konflikte der kindlichen Seele.
(Sonderabdruck aus dem Jahrbuch fĂŒr psychoanalytische und psychopatho-
logische Forschungen, II. Band.) Zweite Auflage, Preis M 7塉.
Jung, Doz. Dr. med. et jur. C. G., Wandlungen und Symbole der Libido.
BeitrÀge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. Als Sonderabdruck
vergriffen. Nur noch in Band III, 1. HĂ€lfte, und Band IV, 1. HĂ€lfte,
des Jahrbuches fĂŒr psychoanalytische Forschungen zu haben.
Jung, Doz. Dr. med. et jur. C.G., Versuch einer Darstellung der psycho-
analytischen Theorie. Neun Vorlesungen, gehalten in New York im
September 1912. Vergriffen. Nur noch in Band V, 1. HĂ€lfte, des Jahrbuches
fĂŒr psychoanalytische Forschungen zu haben. |
Kaplan, Leo, GrundzĂŒge der Psychoanalyse. Preis M 30°â.
Kaplan, Leo, Psychoanalytische Probleme. Preis M 25塉.
Kaplan, Leo, Hypnotismus, Animismus und Psychoanalyse. Historisch-
kritische Versuche. Preis M 38塉.,
Loy, Dr. R,'Psychotherapeutische Zeitiragen. Ein Briefwechsel mit Dr.
C. G. Jung, Privatdozenten der Psychiatrie in ZĂŒrich, Preis M 6°â.
Maeder, Dr. A, Ăber das Traumproblem. Nach einem am Kongresse der
Psychoanalytischen Vereinigung gehaltenen Vortrage, MĂŒnchen, Sep-
tember 1913, (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch fĂŒr psychoanalytische
und psychopathologische Forschungen, V. Band.) Preis M 7塉.
PfennigR., GrundzĂŒgeder FlieĂschen Periodenrechnung. Preis M 25°â.
Pfister, Dr. Oskar, Die psychologische EntrÀtselung der religiösen
Glossolalie. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch fĂŒr psychoanalytische
und psychopathologische Forschungen, III, Band.) Preis M 25塉.
Pfister, Dr. Oskar, Analytische Untersuchungen ĂŒber die Psychologie
des Hasses und der Versöhnung. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch
fĂŒr psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, II. Band.)
Vergriffen als Sonderabdruck. Nur noch in Band II, 1. HĂ€lfte des Jahr-
buches fĂŒr psychoanalytische Forschungen zu haben.
Rank, Otto, Das Inzest-Motiv in Dichtung und Sage. GrundzĂŒge einer
Psychologie des dichterischen Schaffens. Preis M 75塉,
akal & un | Re wei OR a
Ban. . Schriften zur angewandten Seelenkunde. Herausgegeben von Prof. Dr. H 5
N Sigm. Freud in Wien. n =)
2% a Eh I. Heft. Der Wahn und die TrĂ€ume in W. Jensens âGradivaâ . Von el $
ir u | | ». Dr. Sigm. Freud in Wien, Zweite Auflage. Preis M. 13°â. je
ER; â U. â. WunscherfĂŒllung und Symbolik im MĂ€rchen. Eine. Studie von Be
VE Dr. Franz Riklin. Vergriffen. Neuauflage in Vorbereitung,
SED - IH. -â Inhalt der Psychose. Von Dr. Jung. Zweite Auflage, Ver--
se griffen. Die dritte Auflage ist auĂerhalb des Rahmens der
EL âSchriften zur angewandten Seelenkundeâ erschienen. | °
Re et. IV. â. Traum und Mythus. Eine Studie der Völkerpsychologie. Von u
re: Dr. Karl Abraham. Vergriffen, Neuauflage in Vorbereitung. er
EN V.. â. Der Mythus von der Geburt des Helden. Versuch einer psycho- Te
138 i logischen Mythendeutung. Von Otto Rank, 2. Aufl. en: Si
u: Hl, | VI âAus dem Liebesleben Nikolaus Lenaus. Von Dr. ]. Sadgen 2
S ) Nervenarzt in Wien, Vergriffen, Dr a
ra VII. â. Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. Von Prof. ER
, Dr. Sigm, Freud in Wien. Zweite Auflage. Preis M 10â a Ken.
Be SASE VII. â Die Frömmigkeit des Grafen Ludwig von Zinzendorf. Von Dr. Ra.
Âź N | Oskar Pfister, Pfarrer in ZĂŒrich. Preis M 23-â. | Be Yo
ARTEN IX. âRichard Wagner im âFliegenden HollĂ€nderâ. Ein Beitrag z, Psycho- â Ai
Ge logie kĂŒnstlerischen Schaffens. Von Dr. Max Graf, Vergriffen. 3
Ba, X. 5% Das Problem des Hamlet und der Ădipus-Komplex. VonDr.E
gs | Jones. Ăbersetzt von Paul Tausig, Vergriffen. . Neuauflage =
de N in Vorbereitung, RE
EN > XI. â Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch. Von Dr.
A IE NE Karl Abraham, Arzt in Berlin. Mit 2 Beilagen. Vergriffen.
Rh XU. â . Zur Sonderstellung des Vatermordes. Eine rechtsgeschichtlicee
Ey u. völkerpsychologische Studie, Von A. Storfer. Preis MSâ.
u; | XII, âDie Lohengrinsage. Ein Beitrag zu ihrer Motivgestaltung und i
a Deutung. Von Otto Rank, Preis M 25° â I
BE a XIV. â Der Alptraum in seiner Beziehung zu gewissen Firmen des
EN. | | mittelalterlichen Aberglaubens. Von Prof. Dr. Ernest Jones. Im
rer! Deutsch von Dr. E. H. Sachs. Preis M 25 â. EEE ie
ARE XV. âAus dem Seelenleben des Kindes. Eine psychoanalytische Studie. Y)
War | Von Dr. H. Hug-Hellmuth. 2, Auflage, Preis M 37â.
a N: Ve XVI ,â Ăber Nachtwandeln und Mondsucht. Eine medizinisch-Ăterarscceee |
Re Studie. Von Dr. J. Sadger, Nervenarzt in Wien. Preis M 23° â., 3 2 |
ie XVII. â. Jakob Boehme, Ein pathographischer Beitrag zur Psychologie Di,
ale?! der Mystik. VonDr.A.Kielholz in Königsfelden, Preis M1i?â.
u 0% XVII. .â Friedrich Hebbel. Ein psychbanalytischer Versuch, Von Dr. ER BR
RE, Lohn Sadger in Wien, Preis M 60塉. | I
50 | Steiner, Dr. Maximilian, Die psychischen Störungen der mÀnnlichen JENE
WEN Potenz. Ihre Tragweite und ihre Behandlung. Zweite Auflage, Mit et,
BETH einem Vorwort von Prof. Dr. Sigm, Freud, Preis M 13塉, | Kae
a Swoboda, Dr, H. Studien zur Grundlegung der Psychologie. Preis " Ru]
ER M 13°â. Be â7 :
GE } Swoboda, Doz. Dr, Hermann, Harmonia animae. Preis M $塉. | AP
Buchdruckerei Carl Fromme, G.m.b.H,, Wien V. 2 6%
N ie!
- a
RN
ET ni a TE an
r
j F } er ni Li; each
ER Na ER EL . u Y uwâ br dr ER Hi Be Fe ĂŒ , Eee % Zr Bas
Er
N
N Fe I:
7 rn a,
; a
en BI
Er
eg
â -
Wr er
ER ER ne
â
2%
ya
vi
Ft
a
RR SEN a: â r â Selle et 5 a â" a ce
9% I en pr Se DE n5 RE
BE a: ST, an ent 7 A a ns
F &% 7 a â
sale = = a en
N B ee Kr eye
= en Ei
ar = BR Re