Wilhelm Reich
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Verl«iü^||rtril^TH^^^^,lj^^
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»D:ER sexuelle KAMPF
DER JUGEND«
wurde bereits 1 931 verfaßt. Die poli-
tischen Ereignisse seither l<onnten
nicht mehr berUdcsichtigt werden.
Die Hinweise auf die Notverord-
nung sind von der Entwid<lun3
überholt.
Bitte den Fragebogen auf dem
letzten Blatt auszusdineiden und
ausgefüllt an den Verlag zu senden!
VERLAG
FÜR SEXUALPOLITIK
BERLIN -WILMERSDORF
Kreuznadier Straße 38
Umsdilag: Georg Teltsdiery Berlin
>^Leipz(ger Vollcszeitung«:
Or. Wilhelm Reldi iit zweilellot einer der
klarftcn, näditernstan und unbestedi-
lldistan Denker unter den Sexualforichem
unserer Tage. Auf knappere und treffendere
Formeinläßt sich belmgegenwärtigenStande
unserer soziologlsdien und psydioanaly-
trsdien Einsiditen eine Kritik kaum bringen.
Noch nie wurden die Zusammenhänge
zwischen bürgerlidier Ideologie und kaplla-
listlsdier KlassengeselUdiafl In ihrer Ver-
flochtenheil mit der Sexualverfasiung so
treffend enthüllt.
Prof. Dr. Arthur Kronfeld im
»Ardiiv für Frauenkunde«:
Wilhelm Reidi leigt uns, weldie soilologl-
sdie Bereldierung und weldie reformatorl-
sdien Anregungswerte von der Psychoana-
lyse austugehen vermägen,wenn diese - bei
aller Strenge der Methodik - von einer
betondari klaren, warmhcrzjs vcr-
ständnifvollcn und den Nirkljdikcitt-
, Problemen seölfnetcn geistigen Per-
tönijdikeit angewandt wird.
DR. WILHELM REICH
DER
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SEXUELLE KAMPF
DER JUGEND
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1932
VERLAG FÜR SEXUALPOLITIK
BERLIN • WIEN • LEIPZIG
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INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DTF tifc \i.r>..r.^
UND DER ÜBERSETZUNG VORBE^^^^^
DRUCK: KOCH . WERNER. WIEN V^SoS NR. U
INHALT
Seite
Vorhenicrkang
I. Die Fortpflanzung
A. Gesdilechtsapparat und Befriidituiig .... 1
B. SdiwangL'i-sdiaft und Geburt 1^
C. Der Abtreibungsparagraph J2
- D. Empfängnisverhütung ^^
II. Sexuelle Spannung und Befriedigung .... 28
A. Die sexuelle Reifung ^8
B. Die Onanie der Jugendlidieu ■'*'
. C. Der Gesddeditsakt 59
D. Die Störungen heim Geschleditsverkehr . . 43
E. Gesdücditskraukheiten und ihre Verhütung . . 57
F. Selbstregulierung der Gesdileditslebens durdi
Befriedigung ^^
G. Enthaltsamkeit und Arbeitsleistung .... 64
III. Zur Frage der Homosexualität ?2
IV. Die Sdiwierigkeiten der kameradsdtaftlidien Be-
ziehungen der Jugend 78
V. Der Sinn der Unter drü<kung des Gesdileditslebens
der Jugendlidien im Kapitalismus 98
VI. Die soziale Reoolutiou als Vorbedingung der sexuel-
len Befreiung < ^5
VII. Politisierung der Sexualfrage der Jugend . . .125
Fragebogen ^^^
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III
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I
VORBEMERKUNG
Diese Sdirift ist für die Jugend ohne untere oder
obere Altersgrenze gesdirieben. Sie bezwedit nidit die
üblidie „Aufklärung", die um die Frage des Gesdiledits-
verkehxs im Jugendalter herumgeht, sondern sie -will
nach bester wissensdiaftlidier Überzeugung der Jugend
bestimmte Antwort geben auf die große Frage ihrer
sexuellen Reifung, indem sie die unerbittlidien Folge-
rungen aus den bisberigen Ergebnissen der Sexual-
wissenschaft und der Gesellschaftslehre zieht, Folge-
rungen, denen man sonst beharrlich ausweicht. Der
Jugendliciie. der dieses Buch zur Hand nimmt, will
wissen:
worin der Vorgang der sexuellen Reifung besteht,
warum das Geschlechtliche von der Schule, dem
Elternhaus und der gesamten Öffentlichkeit so geheim-
nisvoll behandelt wird, .. t
w^as die Verstimmungen, die Erregungszustände,
die zwanghaften Tagträume, die Vereinsamung und
andere Erscheinungen, die in diesem Alter auftreten,
zu bedeuten haben,
welchen Ausweg es gibt und ob die Lösung der
sexuellen Frage der Jugend unter den heutigen gesell-
schaftlichen Bedingungen möglich ist oaer uidit.
Es ist die gesellschaftliche Lage, die heutige Art des
Elternhauses und der Schule, der Einfluß der gesaraten
öffentlichen Meinung, die die Jungens und Mädels aus
Arbeiter-, Angestellten- und Bauernkreisen veranlassen,
gierig nach sexuellen Aufklarungssc^iriften zu greifen.
Dabei stoßen sie unter hundert Fällen neunundneunzig-
mal auf Sdhund, auf die Madiwerke gewissenloser Ge-
V
sdiäftemadier oder in sexuellen Fragen ungebildeter
Ärzte, die das große Bedürfnis der Jugend aller Kreise
nadi Klarheit gründlidi auszunützen verstehen. Und '
die Behörden geben vor, die Jugend vor sexueller Ver-
derbnis zu schützen, indem sie nadi wie vor die sexuelle
Unwissenheit der Jugendlidien unter 18 Jahren mit
allen Mitteln verteidigen. Und in Wirklichkeit? Moral-
und Enthaltsamkeitsprediger auf der einen, sexuelle
Sdimutzliteratur auf der anderen Seite verseudien die
Jugend, beide in gemeingefährlidister Weise, die erste
nicht minder als die zweite. A
Die sexuelle Verelendung der heutigen Jugend ist
unermeßlich. Das meiste daran spielt sic^i unterirdisch
ab, gelangt nidit an die Obcrfläcie der Ersdieinungen,
weil die herrschenden Zustände das nicht zulassen. Und
unsere Sexualwissensciiaft ist mitsciiuldig daran, denn
sie fälscht entweder die Tatsachen oder sie weicht den
Konsequenzen aus, wenn sie sicäi nicht in menschen-
freundlichem Klagen über das Elend und in ethisdien
Phrasen gefällt, so sehr gefüllt, daß sie keinen Schritt
darüber hinaus in den Bereich des Staatsanwaltes
riskiert.
Wir wollen die Tatsachen bringen, die zeigen, daß
die ganze Frage der Jugend ganz anders liegt, als man
allgemein glaubt, daß sie nidit lautet: moralisdi-enthalt-
sames Leben oder sexueller Schmutz, sondern: gesundes
oder krankhaftes Gesdiledii sieben. Denn sexuell betä-
tigen sich alle Jugendlidien und Kinder ausnahmslos,
auch die christlichen, audi die, die am lautesten „die
sexuelle Sittlichkeit" propagieren. Es muß endgiiltig
klarwerden, daß die moralisciie Einsctüditerung letzten
Endes denselben Effekt hat wie die wirkliche Schmutz-
literatur und die elenden materiellen Verhältnisse, in
denen die Masse unserer Jugendlichen aufwäcbst.
Die zentrale Frage der Jugend ist die des Ge-
VI
sdileditsverkehrs im jugendlichen Alter und der Stel-
lung der Gesellsdiaftsorduung, des bürgerlidien Staates
und seiner Behörden dazu. Die Jugend hat mehr als
bloß ein Recht auf „Aufklärung"; sie hat volles Recht
auf ihre Sexualität. Dieses Recht hat man ihr genom-
men. Bei unzähligen Jugendlichen ist sogar das Bewußt-
sein ihrer Sexualität geschwunden, nicht ohne sehr
schweren Störungen des psychischen Gleiciigewiciits im
Alter der Reifung Raum zu geben. Wir geben daher
keine Ratschläge „von oben" und „klären nicht auf",
sondern wir sind entschlossen, der Jugend die volle,
unverfälsciite Wirklichkeit zu zeigen, sie verstehen zu
lehren, in welcher Lage sie sich befindet und daß sie
ihre Sache selbst in die Hand nehmen muß, wenn sie
ernstlich gewillt sein will, mit dem Elend, über das
soviel gescii^vätzt ^vird, ernstlich und endgültig Schluß
zu madien. Wir wollen sie überzeugen, daß man um
ein gutes Recht nicht bettelt, sondern kämpft. Wir sind
entschlossen, aucii diejenige Jugend davon zu über-
zeugen, die unklar und dumpf den Predigern der Sitt-
lichkeit, wie sie es verstehen, folgt und dabei sicii selbst
ruiniert. Es wird viele Jungen und Mädel zwischen
etwa 15 bis 17 Jahren geben, denen die hier behandel-
ten Fragen selbstverständlich erscheinen oder ohne viel
Mühe einleuchten werden. Es wird viele andere Jugend-
liche im gleiciien Alter geben, die den Inhalt dieser
Sdirift nidit ohne Schwierigkeiten zur Kenntnis nehmen
werden. Und es wird wieder viele andere im gleichen
Alter geben, die durch Moral und Erziehung derart ver-
baut sind, daß sie ihn zunädist scheu oder empört ab-
lehnen werden. Mandier reifende Jugendliche muß, nur
mn sidi einen künstlichen Halt zu geben, eine moralisch-
abwehrende Haltung gegen das unbewußte Drängen
seiner Sexualität ebenso wie gegen jedes von außen
kommende Wissen entwickeln. Der Zusammenhang
vn
seiner ihu quälenden Tagträume, seiner Verstimmungen,
seiner Erregungen und sonstigen Nöte mit seiner
Sexualität ist ihm nidit bewußt; er handelt und denkt
unter dem Zwang eines fremden Willens, der ihm die
Aufnahme sexuellen Wissens verbietet. Dieser fremde
Wille stammt aus der Erziehung und wurde zu einem
Stiidc seines eigenen Wesens, das nunmehr in Wider-
sprudi tritt zu seiner biologischen Organisation. Wir
müssen ganz klar wissen, daß die Sexualfrage der
Jugend nidit nur sdhwierig, sondern in vielen Fällen
eine geradezu explosible Angelegenheit ist. So offen,
wie wir die Frage stellen, wird sie viel Aufruhr ver-
ursadien. Aber davor darf man uidit zurückschredüen.
Es bleibt kein anderer Weg. Man muß sidi entsdieiden:
entweder weiter seelisdxe Verelendung, Leiden, Selbst-
morde und Sdiwängerungen ohne Ende oder unter den
heutigen Bedingungen manchmal hart wirkende Wahr-
heit, aber dafür auch Aussicht auf eine endgültige
Lösung. °
Diese Broschüre wurde von Vertretern versdiiedener
Jugendorgan.sat,onen gelesen, kritisiert und ergänzt sie
gibt also nicht nur meine Meinung wieder TlnT j
Jugend ist die dringende Bitte gerietet „ii "•
Leser za sein, sondern zu dieser Schrift fU^J^Tl
Stellung zu nehmen und ihre Meinung M ;£,tot
wendige Ergänzungen oder Abänderungen schrift^l
durch Ausfüllung des angehängten Fragebogens dem
Verlag bekanntzugeben. Die endgültige Grnf ^r
der Se.ualpolitik der Jugend mnl kXt^^er ZtS
. werden, und zwar yon der Jugend selbst. ^"^''^
Im Jänner 1932.
Wilhelm Reich.
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^
L DIE FORTPFLANZUNG
A. GESCHLECHTSAPPARAT UND
BEFRUCHTUNG
. i tc
Der Gesdileditsapparat dient bei der Frau in glei-
cher Weise wie beim Mann von frühester Kindheit bis
ins hohe Alter der Funktion der sexuellen Lust und
Befriedigung; von der Geschlechtsreife, in der die
Zeugungsfähigkeit beginnt, bis zu den sogenannten
„Wechseljahren", in denen die Zeugungsfähigkeit auf-
hört (bei der Frau gewöhnlidi zwischen dem vierzigsten
und fünfzigsten, beim Mann zwischen dem fünfzigsten
und sechzigsten Lebensjahr), dient er überdies der
Fortpflanzung. Schon daraus geht hervor, daf? die
Funktion der sexuellen Befriedigung im Geschlechtsleben
bedeutsamer ist als die der Fortpflanzung. Trotzdem
umgeht man ihre genaue Erörterung vor Jugend-
lichen gerade dann, wenn man darüber sprechen
sollte, und beschränkt sicii gewöhnlich auf die Fort-
pflanzungsfunktion. Wir werden in den nädistfolgen-
den Abschnitten die politischen Gründe dieser Sciieu
genau erörtern.
Die Fortpflanzung muß besprodien werden, weil
jeder, der zur Zeugung und Empfängnis eines Kindes
reif geworden ist, nicht nur diese Tatsachen kennen
muß, sondern auch wissen muß, welche Gefahren in der
bürgerlichen Gesellschaft für den Jugendlidien damit
verbunden sind. Wenn wir hier die Gefahren hervor-
heben, so nidit, um Schrecken einzujagen, sondern um
besser daranzugehen, diese Gefahren zu bekämpfen.
Wir werden die Frage der Fortpflanzung nicht so er-
ledigen, wie es die Pfaffen im Aufklarergewande tun,
I
kirnt Sauf' J"^'"^. ^"^^«^^«^nikeit predigen. Es
gersdiaft Vnr. 7 ""^ '^^®^^^' ^^^ ^^ ^u einer Sdiwan-
'^enG^^^^^ ^'^ J"^-^I^^^ - Kapitalist:-
wird unrl ! Existenz läuft, wenn sie sdiwanger
verhüten kaTu. "^"'^ '^'^ *^^^ Befruchtung am besten
FunkTion're'Txui^^ entsprecixend die
Pflanzung und verW ^^j^^^^^^^^g von der der Fort-
die sexuelle Befld ^" ^'^ Standpunkt, daß jedem
<^aß er Sklave de^ F ?! ^"^^"fflida sein muß, ohne
Znnädist wnn ^^'^'^P^^^^^ing wird,
über den ^^^ f"^ ^''^'^ """^^ ^^ ^^^^ ^<^t AhhMmx^en
sdileditsorffanP ZT '^^'''^^''^^^ und weiblichen Ge-
Die " ,^^^^"^*eren.
gende Teiv'^Hnfr ^^'^l^<hisorgane umfassen fol-
Wäscteu. VorstehTrd ^^^'j^^^^^'^- Samenleiter, Samen-
<»as Glied. '*'^'^^'^"«^' die Cowperschen Drüsen und
lidien Keimzellen''^ f\^''^^'^^^ in denen die männ-
^«^ Hormone gen , männlichen Sexualreizstoffe,
bühnereigroße Gebilrl "^i'- ^""^^^^^ werden. Sie sind
sacfc; stedcen, und best\ ''' ^'''^"^ Hautsade (Hoden-
dünnen Samenkanäldie H"^"?^ ^"^^"^ ^n^u^l von haar-
^^^enmulierzellen enth'h ^™ ^^^^^^^ die sogenannten
erzeugen die Samenf^ ^'^^^ Samenmutterzellen
liehe Samenkanälchen'^j ^P^^^^iozoen. Sämt-
in ein Kaualsystem ^'''''^^'^ "^'^ ^^^^^ offenen Ende
hodens nennt, der .p^p^ '^^'^ **^^ ^^P^ des iVe&en-
lagert ist. Von hier f "f ^^"^^^ ^^^^ dem Hoden ge-
etwas abwärts dann h^ f ^^^ Samenleiier zunächst
die Baudihöhle bis ^^^^^^^"^^ den Leistenkanal in
erweitern. Die s'am<.>,M-^ 1^ ^^ den Samenbläsdien
für den erzeugten 1 v? ^^^^^^ ^'^ Vorratskammer
gten mannhdien Samen. Sie sind etwa
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Fig". 1. Längssdinitt durdi den Leib des Mannes
A = Darmsdllinge
B = Sdianibein
C = Harnblase
D = Harnröhre
E u. F = Sdiwellkörper
des Gliedes
G = Nebenhoden
H = Hoden
J = Vorhaut über
der Eichel
K = Hodensack
L = Samenbläsdieii
M = Vorsteherdrüse
N = Cowpersdie Drüsen
O = Darm
P = Samenleiter
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6 cm lange und 2 cm breite, sackförmige Ausbuchtun-
gen der Samenleiter uud haben die Aufgabe, den Samen-
fäden eine sdileimige, eiweißhaltige Flüssigkeit beizu-
fügen, die in denSamenblösctendrüsen erzeugt wird. Von
da ab verläuft der Samenleiter bis zu der Stelle, wo er
sidi mit der Harnröhre vereinigt. Hier gibt es eine
weitere Drüse, die Vorsteherdrüse, die ein dünnflüssiges
Sekret absondert und dem Samen beifügt. In der Nähe
münden audi die Coropersdien Drüsen, die ein alkali-
sches Sekret absondern; dieses hat die Aufgabe, die
Harnröhre sdilüpfrig zu madien und die Samenfäden
am Leben zu erhalten. Alkalisch ist das Gegenteil von
sauer. In sauren Flüssigkeiten gehen die Samenfäden
zugrunde, während sie sicii in alkalischen sehr gut
halten.
Das Glied selbst, auch Penis genannt, dient sowohl
als Harnleiter als aucJi zur geschlechtlichen Vereinigung
mit der Frau. Es ist bei verschiedenen Männerji
verschieden groß, seine Länge im erregten Zustand
schwankt durchschnittlidi zwischen 12 und 16 cm. Seine
Länge im schlaffen Zustand sagt nichts über die im
Steif ungszustand aus, denn das hängt einzig und allein
von dem Gefäßsystem ab, weiches das Glied innen
erfüllt. Die Steifung des Gliedes kommt dadurch zu-
stande, daß durch eine Erregung der Nerven die Blut-
gefäße mit Blut straff gefüllt werden. Das engmaschige
Gefäßnetz befindet sich in drei sogenannten Schwell-
körpern, von denen sidh zwei an beiden Seiten und einer
an der Unterseite befinden. Die Spitze des Gliedes,
die Eichel, ist diejenige Stelle, die mit den feinsten und
erregbarsten Nervenendigungen, darunter besonders
gebauten Tastkörperchen, ausgestattet ist. Die Eichel
wird umhüllt von einer gefalteten Haut, der Vorhaut,
die an der Wurzel der Eichel entspringt, diese, sich nach
vorn legend, bedeckt und wieder zur Eichelwurzel
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""'- .!■;■:. '■.'
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Fig, 2. Längssdinitt durdi den Leib der Frau
A = Eileiter
B = Eierstock
C = großes Baudigefafl
D = Gebärmutter
E = Gebörmuttermund
F = SÄambein
G = Harnblase
H = Mastdarm
Iz
L
M
Sdieide
HarnrÖlire
kleine Sdiamlippen
große Sdiamlippeu
..V
5
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zurückkelirt. Die Besdiiieidung besteht lüdit, wie sehr
viele Kinder und audi Jugendlidie glauben, in einem
Kürzermadieu des Gliedes, sondern in der Beseitigung
dieser die Gliedeidiel bedeckenden Haut. Sie wird
heute nur noch bei den Arabern, bei rechtgläubigen
Juden und anderen semitisciien Völkern geübt. Aucii
die Mohammedaner üben die Bescineidung aus.
Die roeihlidien GesdUeditsorgane bestehen aus den
Eierstöcken, den Eileitern, der Gebärmutter und der
Scieide. i
Die Eierstödce, Ovarien genannt, sind die wichtig-
sten Gescilechtsdrüsen der Frau. Sie enthalten eben-
falls zweierlei Drüsen, von denen die eine die weib-
licien Eier, die andere sexualerregende Stoffe erzeugt
Sie sind etwa von der Größe eines Taubeueies und
hegen rechts und links von der Gebärmutter in der
liefe der Baucihöhle. Von ihnen führen die Eileiler
oder Muttertrompeten zur Gebärmutter. Diese haben
die Aufgabe, die Eizellen, die sid, jeden Monat ein Mal
von den Eierstöcken loslösen, in die Gebärmutter zu
leiten. Sie smd etwa 12 cm lange, gewundene Röhren,
die am oberen Ende der Gebärmutter naci rechts und
in dl «"'Tf'^,^"'^ "'r^ ''^''^'^^ '^^^ Eierstöcke frei
triZ ^f!'^*^""'^ "^«"den. Diese Mündungsstellen sind
trichterförmig erweitert und mit zipfelartigen Fransen
besetzt. Das Innere der Eileiter ist mit Flimmerhärchen
t '^"fgekleidet, die die Aufgabe haben, das Ei, wenn
es aus dem Eierstock in den Eileiter gelangt ist, in die
Gebarmutter weiterzubefördern. Die Gebärmutter liegt
tiet unten m der Baudihöhle, hinter dem Schambein,
von diesem durch die Harnblase getrennt. An der
^ebarniutter unterscheidet man den Gebärmuttergrund,
den Gebarmutterkörper und den Gebärmutierhais. Der
Gebarmuttergrund ist der oberste Teil; an ihm entsprin-
gen die Elleiter. Der Gebärmutterkörper ist birnen-
förmig und enthält die GebärmutterKöhle, die bei
Frauen, die nodi nidit geboren haben, keinen wirklichen
Hohlraum darstellt sondern nur einen sdimalen Spalt
zwisdien den aneinanderliegenden Gebärmutter wänden.
Der unterste Teil der Gebärmutter, der Gebärmutter-
hals, reidit in die Sdieide hinein und hat dort eine
Öffnung (Gebärmuttermund), die in den Gebärmutter-
kanal und durch diesen in die Gebärmutterhöhle führt.
Die Sdieide oder Vagina dient der gesdilechtlicien
Vereinigung mit dem Mann und der Aufnahme der
männlidien Samenflüssigkeit. Sie ist ein faltenreicJier,
sehr dehnbarer Sciilauch, dessen vordere und hintere
Wand eng aneinanderliegen und mit sehr zarten emp-
findlichen Schleimhäuten ausgekleidet sind. Oben ragt
in diesen Schlauch der Gebärmutterhals hinein, an dem,
wie wir später hören werden, das weiblidie Empfängnis-
verhütungsmittel, das Pessar, angebradit wird. So ^vie
das Glied ist auch das Sdieidenorgan in seinen Wänden
mit einem kompliziert gebauten Blutgefäßsystem aus-
gestattet, das sich bei sexueller Erregung prall mit Blut
füllt. Die Sciieide mündet zwisciieu den Sciienkeln nach
außen. Hat nocii kein Gesdilechtsverkehr stattgefunden,
so wird die Sdieide nach außen durdbi ein Häuteten, das
Jungfernhäutchen, zum Teil abgeschlossen; dieses Häut-
eten reißt beim ersten Geschlechtsverkehr ein, was einen
ganz geringfügigen Sdimerz und eine geringe Blutung
zur Folge hat. Betrachten wir das weibliciie Geschlechts-
organ von außen, so sehen wir zunächst die großen
Schamlippen, die im gewöhnlidien Zustand aneinander-
liegen. Spreizen wir die großen Schamlippen, so sehen
wir von oben nadi unten beim Liegen (oder von vorn
nach, hinten beim Stehen) erstens den Kitzler oder die
Clitoris, zweitens eine kleine Öffnung, die Mündung der
weiblidien Harnröhre und, von zwei kleineren Lippen
oder Sciileimhautfalten umgeben, den sdilitzförmigen
T
Eingang in die Sdieide, Dann folgt der Damm und
dahinter die Öffnung des Afters. Der Kitzler ist ein
Schwellkörper und entspricht einem unentwidtelten
männlidien Gesdilediisorgan. Er ist sexuell sehr leidit
erregbar, übermittelt aber bei der gesunden Frau die
Erregung der Sdieide, die der eigeutlidie Sitz der weib-
lidien Sexualerregung ist.
In den Jahren der Gesdilechtsreife, etwa zwisdien
dem zwölften und sedizehnten Lebensjahr, wird der
Junge reif zur Zeugung und das Mädel zur Empfängnis
eines Kindes. Im Hoden beim Jungen und in den Eier-
stöcken beim Mädel beginnen um diese Zeit kleinste
Zellen heranzureifen, die man mit freiem Auge nidit
wahrnehmen kann. Die männlichen Samenfäden, die
der Befrnditnng dienen, haben einen kleinen Kopf mit
Sit d K "" Vr^; "!^ ^''^'^ ^'^ ^- männlidien
mZT Ti^^l^^^^- J- ^^^ Hoden gibt es Hunderte
Millionen soldier Samenfäden und im weiblidien Eier-
Ibet nu? ""•''' ^^^V""^ ^^^- - Laufe cilebens
Oesdileditsverkehr gelangen die Samenfäden in die
Fig. 3. Weibliches Ei und anstürmende männlidie Samenzellen
A u. B ^ Ran'dsdiidit
J- = tisubstanz
D = Eikern
E = Keimblästhen
8
F =
EmpfäDgnishUffel
niit einer ein-
oiiflgünden
raännlifhen Zelle
G = Samenzellen, die
nidit mebr eia-
dringen könneo
weiblidie Sdieide. Sie bewegen sieb in dieser selir rasdi
hinauf zum Muttermund und dringen durdi den Mutter-
halskanal in die GebärmutterhÖhle ein. Besonders
kräftige Samenfäden wandern weiter durcb die Gebär-
mutterböble bis in die Eileiter. Treffen die Samenfäden
in der Gebärmutter oder in den Eileitern ein Ei an, so
drängen sie sidi an dieses beran und versudien, die ver-
dickte Randsdiidit zu durdibohren, um in das Innere
des Eies einzudringen. Ist das einem der Samenfäden
gelungen, so verhärtet sidi die Randsdiidite des Eies, so
daß andere Samenfäden nidit mehr eindringen können.
Die Befruditung bat stattgefunden.
Das an sidi unbeweglidie Ei gelangt aus dem Eier-
stock in den Eileiter und weiter durcii die Bewegung der
Flimmerfäden in die Gebärmutter. Ist ein soldies Ei
auf der Wanderung, was jeden Monat ein Mal der Fall
ist, so bereitet sidi die Sdbleimbaut, die die Gebär-
mutterhÖhle innen bedeckt, zum Empfang des Eies vor;
das heifit, die Zellen der Sdileimhaut vermehren sidi,
die Blutgefäße werden straff mit Blut gefüllt und die
Scbleimbaut verdidct sidi.
Man untersdieidet siciiere und unsichere Zeidien der
Sdiwangersdiaft. In den ersten Wochen der Sdiwanger-
sdiaft treten leicht Sdiwindelanfälle, Übelkeit, Er-
bredieu, Appetitmangel oder Heißhunger auf. Es sind
unsichere Zeidien, weil sie vorhanden sein können, ohne
daß eine Schwan gersdiaft vorliegt; sie können zum Bei-
spiel audi durdi unbewußte Schwangerschaftspfeanfa-
sien erzeugt werden. Ausbleiben der Menstruation kann
mandimal audi andere Gründe haben, deutet aber
gcM^öhnlidi auf Sdiwangersdiaft hin. Die sidi ver-
größernde Gebärmutter ist erst von der vierten bis
seciisten Sdiwangerschaftswodie durch Tasten als
sdiwanger festzustellen. Im fünften Monat beginnt die
Mutter die sichersten Schwangerschaftszeidien zu spü-
ren, die Bewegungen des Kindes. Jetzt kann man audi
die Herztöne des Kindes hören. Man soll sidi aber auf
nidxts anderes verlassen als auf die Feststellungen eines
frauenarztes, den man aufsudit, sobald die Regel aus-
geblieben ist.
Ist keine Befruchtung des Eies erfolgt, so nistet es
sidi in die Sdileimbaut nidit ein. Die verdickte Sciileim-
taut selbst löst sidi von der Gebärmutterwand los und
gelangt zusammen mit dem Blut durdi die Sdieide nadi
außen. Das ist die „monatlidie Regel" (Menstruation
„Unwohlsein"), welche alle 28 Tage auftritt und drei
bis fünf Tage dauert. Wenn also die monatliche Blutung
auftritt, so liegt keine Sciiwangersdiaft vor. Ist aber
das Ei befmditet worden, so nistet es sich in die
Schleimhaut ein, die sich dann nidii ablöst; es erfolgt
daher keine Blutung, das heißt die Regel bleibt aus, und
diese Schleimhaut wird zum künftigen Nährboden des
befruchteten Eies, zum sogenannten Mutterkuchen.
l
B, SCHWANGERSCHAFT UND GEBURT
Das Ei beginnt nun, sich zu teilen. Zunächst ent-
stehen aus der einen Zelle zwei, dann vier, ac^it, sedi-
zehn zweinuddreißig, vierundsechzig Zellen und so fort;
das El "vWrd zu einem sichtbaren Klümpchen von Zellen.
Durch fortschreitende Teilung der Zellen und durch
Formung entsteht zunächst die Gestalt einer Hohlkugel.
Dann stülpt sidi die Kugel ein und es entsteht ein
doppelwandiger Sad: mit einer Öffnung. Aus diesem
geformten Zellenhaufen entwidceln sidi im Laufe von
neun Monaten alle Organe des mensdilidien Körpers.
So entstehen aus der Außenwand des Sadces Gehirn.
10
QO
^6B
Fig. 4. Zellteilung
1 = befruchtete Eizelle I 5a u. 3b = vier bzw. adit Zellen
2 = erste Teilung | 4 = Zellliauten
Haut und Sinnesorgane, aus der Innenwand durdi wei-
tere Teilung Darm, Gefäßsystem und Muskulatur.
Es ist eine Gemeinsdiaft von lebenden Zellen, aber
bis zum dritten Monat der Sdiwangersdiaft gibt es nodi
keine Nervensdieiden; das Gehirn ist unausgebildet,
nodi nidit melir als eine große Blase, so daß kein
Bewußtsein vorhanden ist. Das muß hier erwähnt wer-
den, weil die Kirdie und die in ihrer Gefolgschaft
stehenden Ärzte den Standpunkt vertreten, daß man
bei Unterbrediung der Sdiwangersdiaft durdi Aus-
kratzung der Sdileimhaut und der Frudit in den ersten
drei Monaten einen „Mord an einem Lebewesen" be-
gehe. Das sagen dieselben Pfaffen und pfäffisdien
Ärzte, die nidits dagegen haben, wenn die Mutter durch
Krankheit oder Not an diesem Klumpen von Zellen
zugrunde geht.
Im Laufe der Sdiwangersdiaft madit der „Embryo"
mehrere Stufen der Entwidmung durdi, ehe er die volle
Gestalt eines mensdilidien Wesens bekommt. Am Ende
des neunten Monats, genauer zwisdien dem 270. und
280. Tag, vom ersten Tag der letzten monatlidien Regel
geredinet, erfolgt unter normalen Umständen die Geburt.
Der Kopf des Kindes, der normalerweise am Ende der
11
Fig. 5. Embryo im Anfang der Entwidclung
6 ^"P "= Kieraenan lagen
^ = Arme
F = Sdiwanzende
G = Frudit bereits
mensdienähnlidi
Kind un^hüUt und das ci^r "''"^ P^^*^*' ^^ das
Geburt beginnt. dI £keS" 70 l'-^ '''""'*• °'^
sich regelmäfiis zus«™!! ™r f Gebärmutter ziehen
Kopf des Kindes :rr" Sf ''"^ "»'» ^-l'- ^en
die Sdieide und bab.f <^^ T\ *"^^eitert allmähliA
terten Geburtskanal Bef. " T ^'^ '^"'* <1- «--'
Frauen ist d:e Surt un'"; ^ ".""^ ""^»^^ ^'''^-''="
i-naer mehr durT e 1 7jt 'l^ ™^ ^^'^ ^eute
gemildert. .- ° '^'**'^^ EinsAläferungsmittel
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C. DER ABTREIBUNGSPARAGRAPH
warf ani*ganit"ord'" "atürüAen Vorgang handelt.
li<te Geburltechnik dfe^rf.""" '.° '°^'''- ^'^ ^^^ ^'^*-
In der kapitahsti,r^.^,f '''■'"' ^*'* S«"^ aussdiließt.
PitahstisAen Gesellschaft ist aber die Sdiwan-
12
lül
' V-^* n-^-
■ 1
Fig. 6. Frudit knapp vor der Geburt
A = hodigepreßte Darmedilingen
B = Harnblase
C = Sfiambeiü
D = Fruditblase mit Fruditwasser
vor dem Platzen
E = Mastdarm; der Kopf des Kin-
des wird gerade durdigeprcßt
0-- .-:.*■_;;■. Vi;':
13
i:i'i
gersdiaft zu einem ungeheuren Problem geworden, das
heute Milhonen von Meusdien in allen kapitalistisdien
Landern und besonders audi in ihren Kolonien besdiäf-
tigt. Um die ganze Frage der Geburtenregelung und des
btreites und Kampfes um das Verbot der Schwanger-
sdiattsunterbrediung und der Propaganda von Mitteln
zur Verhütung der Schwangerschaft zu verstehen,
müssen wir uns ganz kurz darüber klarwerden
warum im Kapitalismus die Frauen gezwungen
werden, jedes Kind auszutragen, auch dann, wenn
sie unter schwerer materieller Not leiden, bereits
viele Kinder haben, die sie nic^it ernähren können
oder aber selbst so krank sind, daß sie durcJi Ge-
burt und Schwangerschaft sehr oft sosar ;,m T u
gefährdet sind. ^^^ ^^ ^^^^^
Die Unterbrechung der Schwangerschaft icf ■ a
meisten kapitalistischen Ländp^ w '"^ ^^"
über mrXeifsWt vff '* ^'''- B-°lkeru„g, die nur
den SAiAtet S d en h"' :,''"*i'^ kapitalbesitzen-
-ittel befinde;; n>irdel?p"nd\T'^ '" Produktions-
Der Arbeiter Pr„ 7 i! ""' '="™ Leben braudit.
Kapifa tten dem b' "l^"' T^^^^^^ Werte, als er vom
für seine Arber^ufl t' ^^""^^^ ^^ Masdbinen,
vollen We^ dl tf^^'^''--'- Er erhält nicht den
bestenfalls 1 viel u ''^"'"^'*'° ^üter, sondern
gern, gan^ unaZ "" !I *'''"'^*' "™ "'^t ^"^ ^«'J^""'
diese We"se alA?/ '^f '°"' ^•^^'<^' « "zeugt. Auf
liA für de^ Ka'Jt t' ^^"'" "'''^'■^^« Stunden tag-
ifar/ A/.t de M f '" ™^°°^*- D^« °'=n»t man nach
Marx den „Mehr^verf. den der Arbeiter erzeugt.
14
Stehen dem Kapitalisten mehr Arbeiter zur Verfügung
als beschäftigt werden, das heißt, gibt es ständig Arbeits-
lose, die Arbeit suchen, so kann der Kapitalist den Lohn
der beschäftigten Arbeiter leiditer driidten. Die Kapita-
listen braudben also, um den Lohn bei den Arbeitenden
drücken zu können, ein ständiges Heer von Arbeitslosen;
sie benötigen dieses ganz besonders audi, um in Zeiten
der Konjunktur, wo viele Gesdiäftsaufträge kommen
und sie mehr Arbeiter braudien, rechtzeitig genügend
Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Aus diesem
Grunde haben sie großes Interesse am Bevölkerungszu-
wachs,zu dessen Sichcrstellung der Kapitalismus aber nur
die armen Frauen zwingt. Dazu kommt, daß die kapita-
listischen Länder miteinander Kriege führen um Ge-
biete, in denen sie ihre überflüssigen Waren absetzen
könnten. Ein kapitalistisches Land gerät mit dem
anderen bei dem Streit um Absatzmärkte für ihre
Waren und Anlageplätze für ihr Kapital in Konflikt.
Solche Konflikte führen zu Kriegen zwischen den ver-
schiedenen Ländern („imperialistische Kriege"); um
Kriege zu führen, braucht man Kanonenfutter, das heißt
all die vielen Millionen Kinder der Arbeitermütter, die
in Not und Elend ausgetragen werden, um später auf
dem „Felde der Ehre" wie die Hasen abgeschossen zu
werden. Aus diesen Gründen haben alle kapitalistischen
Länder die gesetzliche Bestimmung, daß die Schwanger-
schaft unter keinen Umständen unterbrodien werden
darf. Je nach den Interessen der herrsciienden Kapita-
listenklasse wird das Gesetz strenger oder weniger
streng gehandhabt, sind die angedrohten Strafen höher
oder niedriger.
Neben diesen unmittelbar wirtschaftlichen Gründen
wirkt entsdieidend audi das Motiv der „Sittlichkeit".
Das Bürgertum ist gegen den außerehelichen Ge-
schlechtsverkehr, insbesondere gegen den der Jugend-
15
lidien, und glaubt durdi den Abtreibungsparagraphen
die Jugend zur „keusdien Lebensweise" anhalten zu
können. So sagte einmal in einer öffentlichen Versamm-
lung der sozialdemokratisdie Sozialhygieniker Grotjahn,
er sei gegen die Aufhebung des Abtreibungsparagra-
phen, denn das könnte verheerende Wirkungen auf den.
Verkehr unter „Verlobten" haben. Der Mann hat Sor-
gen! Nicht die Zehntausende verunglüdcender Frauen,
sondern die „Keuschheit" und „Sittlidikeit" der Jugend
liegen ihm am Herzen. Warum dem Kapital und seineu
Verteidigern an der „Sittliciikeit" so viel gelegen ist,
werden wir später auseinandersetzen. Tatsadie ist, daß
sicii durcii den Abtreibungsparagraphen niemand vora
Gesdiledhts verkehr abhalten läßt. Das Gesetz wird
obwohl es seinen Zwedc nidit erfüllt, erhalten, weil
Freigabe der Abtreibung und der Verhütungsmittel
Verlust an Autorität und damit Anerkennung des
aufierehelidien und jugendlichen Gesdilechtsverkehrs
bedeuten würde.
Während die armen Frauen so gezwungen werden
Kanonenfutter und industrielle Reservearmeen zu
schaffen, kann sich jede reiciie Frau die Unterbreciiung
der Schwangerschaft für viel Geld leisteu. Die armen
trauen, die unter dem Kinderreichtum körperlich und
seelisch zusammenbrechen oder infolge ihrer Not dem
Kinderreichtum vorbeugen wollen, umgehen das Gesetz,
indem sie mit den verschiedenartigsten und schädlich-
sten Mitteln bei Kurpfuschern und durdi Leute, die nictt
einmal wissen, Avie der weibliche Körper gebaut ist, sicii
die Frudbt abtreiben lassen. Jede Abtreibung der
Leibesfrucht, die nicht von speziell geschulten Ärzten
durchgeführt wird, ist lebensgefährlich. Di^ Winkel-
abtreiber benutzen so gefährliciie Mittel wie Strick-
nadeln, Zangen und ähnliches. So kommt es leicht zu
Durchbohrungen der Gebärmutter, zu starkem Blutver-
16
lust oder zu Blutvergiftung durdi Versdileppung von
Bakterien in die blutende Gebärmutter. In Deutschland
zum Beispiel werden jäbrlidi trotz des Verbotes etwa
eine Million Abtreibungen vorgenommen. Dabei gehen
durdi die gefährlidie Art der Abtreibung ungefähr
10.000 bis 20.000 Frauen jährlidi zugrunde, erkranken
60.000 bis 80.000 Frauen jährlidi, wandern 6000 bis
8000 Frauen jährlidi in den Kerker.
Als die komniunistisdie Reidistagsfraktion im
Februar 1951 anläßlidi der Verhaftung von Kienle und
Wolf den Antrag auf Aufhebung des Abtreibungs-
paragraphen stellte, stimmte die sozial demokratisdie
Fraktion dagegen. Sozialdemokraten und Kommunisten
hätten zusammen genügend Stimmen zur Aufhebung
aufgebradit. Diese „Ruhmestat" der Sozialdemokratie
hat sie viele Parteigänger gekostet, aber nodi immer
haben zu wenige die wahre Rolle dieser Partei als
Stütze der kapitalistisdien Ordnung erkannt.
In der Sowjetunion, wo die Arbeiter, Bauern und
Angestellten die Madit ergriffen haben, indem sie die
Kapitalisten verjagten und Besitz von den Produktions-
mitteln und dem Boden ergriffen, das Ausbeutungs-
system abgesdiafft wurde, wo also kein Interesse an
Arbeitslosenheeren und Kanonenfutter besteht, hat jede
Frau das Redit, sidi die Sdiwangersdiaft bis zum drit-
ten Monat unterbredien zu lassen. Das gesdiieht kosten-
los und bei Gutgestellten um geringes Entgelt in öffent-
lidien Krankenanstalten nur durdi Ärzte. Man betreibt
in der Sowjetunion, um die Abtreibungen mit der Zeit
überflüssig zu madien, eine sidi ständig steigernde Für-
sorge für Mutter und Kind und propagiert die besten
Empfängnisverhütungsmittel.
Das Budget der Sowjetunion für die Zwedte des
Mutter- und Säuglingssdiutzes betrug:
17
.-■?ffl
;■ 1.
Uli
1925/26
1926/27
1927/28
1927/28
1950/31
22,800.000 Rubel
32.800.000
40,000.000
40,300.000
77,000.000
Den Fortsdiritt der Säuglings fürsorge kann man
audi am Ansteigen der Zahl der Sommerkrippen sehen:
1924 .... 950
1925
1926
1927
1928
Dagegen wurden
1 bis 20 im Januar
2614
4052
5391
. 6697
in Berlin allein für die Bezirke
931 75 Prozent der Säuglinffsfür-
Zulagen für die Beamten"o6 MüHnnr , 'f ^'"''''"
weiteren 1600 MüIionenVa rk d " H.> '''w '° *"'''T
kerung zu tragen bekl^ an' t ^«l^'ätige Bevöl-
1
D. EMPFÄNGNISVERHÜTUNG
und tttu;tn ''"'?"' ^'' "' ^''^«^'' -- '^^^■•
fängnisver^iH 7"'' Jugendlichen über die Emp-
<«e rei;t jr/ M*f ?**'^' '""^- W- behaupten, daß
deraztöm! ^ ^''^'^''' <*" Jugendlidxen zwischen
d e aull! .■ ""t ^"""^'Ssfen Lebensjahr, insbesondere
EmpfäLnt ^r *'" Angesfelltenkreisen über die
SaAT' r "1?^ °'*' unterrichtet sind, trotzdem
W^n^lhZl ^''^^'"^''^''^'^^ kommen ui d so der
W.nkelabfreibung zum Opfer fallen.
18
Angeblidi nm die Jugend vor Jen Gefahren, die
die Sdawangersdiaft und der Gesdileditsverkelir in
sozialer Hinsicht mit sidi bringen, zu bewahren, in Wirk-
lidikeit, um sie fest an der sittlidtien Kandare zu halten,
predigt man ihr keusdie Enthaltsamkeit und drütkt die
Augen vor der Tatsadie zu, daß dieser Ratschlag von
den wenigsten Jugendlichen befolgt wird. Auch die
Vertröstung auf die Ehe ist eine Irreführung, denn
erstens steht die Frage der Sdiwangerschaft in der Ehe
nicht viel anders als außerhalb und zweitens machen
sich die Eheprediger mit ihrem Ratsdilag nur lächerlicii,
denn sie wissen genau so gut wie wir, daß der Jugend-
lidie gar nidit erst in eine feste Arbeit, sondern heute
sofort aus der Lehre zur Stempelstelle kommt, eine
Eheschließung also ganz ausgeschlossen ist. Die Frage
steht demnadi nicht so: Schwangersdiaft oder Enthalt-
samkeit, sondern: Elend durch Sdiwangerschaftsunter-
brechung bei Kurpfuschern oder gute Empfängnisver-
hütungsmittel, durch die man die Schwangerschaft ver-
meidet.
In Deutschland wird nadi § 184 mit Gefängnis bis
zu einem Jahr oder mit einer entspredbeuden Geldstrafe
bestraft, wer „Gegenstände, die zu unzüchtigem Ge-
brauch bestimmt sind, an Orten, die dem Publikum
zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem
Publikum ankündigt oder anpreist" (Absatz 3). Und
nach einem Entwurf (§ 225, Absatz 1) der deutschen
und österreidiisfhen parlamentarischen Konferenzen
(Reidistagßdrucksadien, 21. Ausschuß, 70. und 71. Sitzung
vom 11. und 12. Juni 1929) wird bestraft „mit Gefäng-
nis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe, wer zu
Zwedcen der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Ver-
fahren Öffentlich ankündigt, anpreist oder ausstellt".
Nach Absatz 2 ist straflos die „Ankündigung soldier
Mittel an Ärzte oder an Personen, die mit solchen Mit-
19
teln erlaubterweise Handel treiben, oder in ärztlidien
Fadizeitsdiriften". Dazu sdireibt Felix Halle in seinem
ßudie über „Sexualität und Strafredit" voUkommeu
ricbtig:
„Die Regelung entspridit vollkommen den Klassen-
zuständen und Machtverhältnissen, wie wir sie in Mittel-
europa haben. Durdi das Verbot der Öffentlichen Anpreisung
und Ausstellung der genannten Mittel soll verhindert wer-
den, daß die breiten Bevölkerungsmassen Kenntnis von
Abtreibungsmitteln erhalten. Anderseits wird das Geschäfts
Interesse der Hersteller (zum Beispiel Chemietrusts) unH
der Engrosverkäufer gewahrt. Eine klassenmäßig einge
stellte Ärztesdiaft wird privilegiert, über die neuesten
Mittel Gegenstände und Verfahren orientiert zu sein, um
eine hodizahlende Pnvatkundsdiaft aus der herrschenden
können -^^ ° ^""^ ^'^'^"^ ^^^'^^^ bedienen zu
Und in einem Gesetzentwurf „zum Sdiutz des
deutschen Volkes" (Plenardrudisadie Nr. 1741 vom
12. März 1930) haben die Nationalsozialisten folgenden
§ 5 eingebracht, der ihre „positive Bevölkerungspolitik"
kennzeichnet:
„Wer es unternimmt, die natürliche Fruditbarkeit des
dexitschen Volkes zum SAaden der deutsdien Nation künst!
hdx zu hemmen, oder in Wort, Sdirift, Druck, Bild oder
m anderer Weise soldie Bestrebungen fördert, oder wer
durdi Vermisdiung mit Angehörigen der jüdisdien Bluts-
gemeinsdiaft oder farbigen Rasseu zur rassischen Ver-
schlechterung und Zersetzung des deutschen Volkes bei
tragt oder beizutragen droht, wird wegen Rassen verrats
mit Zuchthaus bestraft."
Und der Papst:
"Jeder Gebrauch der Ehe, bei deren Vollzug der Akt
durch die Willkür der Menschen seiner natürlidien Kraft
zur Wedcung neuen Lebens beraubt wird, verstößt gegen
das Gesetz Gottes und der Natur." (Enzyklika über „Die
diristlidie Ehe". 1930.)
So sieht die internationale Reaktion aus.
20
1
Viele Jugendlidie fragen, ob die Sdiwangersdiafts-
verhütungsmittel, die es heute gibt, hundertprozentig
sidier sind, wo man sie bekommt und "warum sie so
teuer sind. Zur ersten Frage kann man nur sagen, daß
es hundertprozentig sidiere Sdiwangersdiaftsverhü-
tungsmittel nicht gibt, dodi kann man einen sehr hohen
Grad von Sidderheit erzielen, wenn man die besten
Verhütungsmittel gebraudit, die es gibt, und wenn man
sidi von einem Arzt beraten und kontrollieren laßt.
Die vielen Brosdiüren, in denen in hochtrabend wissen-
sehaftlitlier Tonart Dutzende von Verhütungsmitteln
besprodien werden, haben gar keinen Sinn, denn sie
verwirren nur den Jugendlidien und er steht am Ende
da wie der Esel an der Wegscheide und fragt sich:
„Was soll ich also jetzt tun?" Es gibt im Kapitalismus
keine Sexualberatungsstellen für Jugendliche. Die
revolutionären Organisationen könnten solche einzu-
richten versuchen. Und w^enn die Sittenpolizei sie
arbeiten ließe, würde sich bald herausstellen, daß sie
der Masse der Anforderungen gar nicht gewachsen
wären. Der Mangel an Geburtenberatungsstellen wird
sici erst fühlbar maciien, wenn alle Jugendlichen davon
Gebrauch maciien werden. Da es aber heute an vielen
Orten und besonders auf dem Lande überhaupt keine
Geburtenberatungsstellen gibt, müssen wir hier die
besten Empfängnisverhütungsmittel nennen.
Das verhältnismäßig sicherste ist ein gutes Condom
(Gummi, „Fromms Act"), welciies vor der Einführung
des Gliedes in die Scheide über das angefeuchtete Glied
gestülpt wird. Es hat den Naciiteil, daß es die Empfin-
dung beim Jungen mehr oder weniger stark herabsetzt
und auf diese Weise den Genuß stört. Es ist auch für
den Arbeiter, insbesondere den jugendlichen, sehr teuer,
denn es kostet etwa 30 Pfennig. Man bekommt es in
allen Apotheken, Drogerien, auch bei Friseuren. Bis vor
21
kurzem waren Aufomaten mit Condoms in öffentlidien]
Pissoirs aufgestellt. Um die bürgerlidie Sittlidikeitj
bangend, hat nun der preußische Innenminister Se-
vering, der sich Sozialist und Demokrat nennt, verfügt,
daß diese Automaten entfernt werden. Manche Jugend-
liche haben eine Scheu, Condoms zu kaufen; wer diese
Scheu nidit überwinden kann, soll sie durch einen
älteren Kameraden kaufen lassen.
Das Condom erfüllt seinen Z-\ve<k nur, wenn es nirii*-
zu alt ist. Man untersudit es auf seine Festigkeit, imj^
man es gegen das Licht hält und nachsieht, ob es keir» ^
Risse, Körner oder Fledten hat. Man muß es audi n ^
seine Dehnbarkeit prüfen; ein sciiadhaftes Cond
reißt leicht. Man soll das Condom nicht in der West ^
tas(he tragen, weil es in der Wärme schadhaft wi^^"
Reißt einmal ein Gummi und bemerkt mau es erst n^^'
dem Verkehr, so muß sich das Mädel die Scheide sofo";^
mit einer Lösung von einem Eßlöffel Essig in eine^"
Liter Wasser ausspülen. Proletarische Jugendliche we^
den hier mit Recht sagen, daß die Umstände, unter ^
denen sie den Geschleditsverkehr ausüben, eine solche
Ausspülung selten gestatten. Darauf kann man nur ant
Worten daß das ein Grund mehr sein muß, daß man
sich nicht nur um die Möglidikeit des Geschlechts ver
kehrs kümmert, sondern auch die Gesellschaftsordnung
verstehen lernt, die der Jugend soWie Schwierigkeiten
macht. Man wird dann bald klar sehen, daß die büa--
gerliche Gesellschaft nicht etwa nachlässig ist in dieser
Frage, sondern ganz bestimmte Interessen hat, der
Jugend ihr Geschlechtsleben vorzuenthalten und unmög-
lich zu machen. i
Man vermeidet Schwierigkeiten, wenn man statt
eines Condoms für den Jungen ein gutes Pessar für
das Mädel benützt. Wie man aus der Zeichnung sehen
kann, besteht das Pessar aus einer Hohlkugel von
22
Fig. 7. Die Einführung des Pessars
A = Pessar, richtig angelegt
B = erster Handgriff zur Ein-
führung
C — die Einführung selbst
D = HerauBiiehmen des Pessars
23
»
und angelegt wer-
es keine störenden
vor, während odep
seine Sidierheit zu
ein diemisdies Ver-
Silber, Aluminium, Gummi oder Zelluloid, die auf
den Gebärmutterhals gestülpt wird. Das Pessar
muß von einem Arzt angepaßt
den. Es hat den Vorteil, daß
und unangenehmen Handlungen
nach dem Akt erfordert. Um
erhöhen ist es gut, auch nodi ^.^ ^^^ä±lloki±cö v er-
hütungsmittel zu gebrauchen, das ebenfalls am beste
von einem Arzt empfohlen wird. Da es aber hevi +
sehr leiciit passieren kann, daß ein Arzt sich Aveia-e
ein solches Mittel zu bestimmen und das Pessar an» '
passen, nur weil das Mädel nodi nidit sechzehn Tah "
alt ist oder weil es keinen Trauschein in der Tasche h ^
da ferner solche Ärztebesuche in Gegenden, wo es ke'
Geburtenberatungssfollen gibt, Geld kosten, das d^
Jugendliche nicht hat. nützen diese Ratschläge weuf^
und der Junge muß dann ein Gummi benutzen. Chem*^
sehe Mittel allein sind unsicher. Sie erhöhen nur d.;'
Wirkung des Pessars. Solche chemisdien Mittel sind-
Semoritabletten, Spetontabletten, Patentex, Antibiou
Die Semori- und Spetontabletten werden kurz vor dem"
Akt tief in die Scheide hineingeschoben. Diese Mittel
sind alle sehr teuer, weil die Fabrikanten an ihnen viel
Geld verdienen; sie wären viel billiger, wenn es eine
zentrale staatliche Stelle für Empfängnisverhütungsmit,
tel gäbe, wie in der Sowjetunion, die diese Mittel zum
Selbstkostenpreis und an Unbemittelte gratis ausgeben
könnte. Welcher Jngendlidie kann sich heute drei bis
vier Älark auf einmal für ein Dutzend solcher Tabletten
leisten? Was können wir dagegen machen? Nicht kla-
gen, sondern verstehen lernen, warum die Fabrikanten,
über diese Dinge verfügen und daran reich werden,
begreifen, daß dies im System unserer GesellsdiaftsI
Ordnung liegt.
Am Schluß müssen wir noch die Unterbrechung des
24
Gesdileditsverkehrs bespredien, die nodi immer von
einer Masse von Jugendlidien als Mittel der Empfäng-
nisverhütung angewendet wird. Vor diesem Unterneh-
men muß man dringend M^arnen. Wer den Gescblechts-
akt lange Zeit hindurdi unterbricht, läuft Gefahr, nervös
zu erkranken. Man unterbricht ja den Gesdilechtsver-
kehr im Augenblidc der hödxsten Erregung, gerade
dann, wenn sidi der ganze Körper und der seelische
Apparat dagegen sträuben. Das bedeutet eine gewalt-
same Hemmung des Ablaufes der natürlichen Nerven-
erregung; ferner ist eine Befriedigung sowohl beim
Manne wie bei der Frau ausgeschlossen, weil die Befrie-
digung selbst gestört wird und weil beide Teile „auf-
passen" müssen, daß sie den riciitigen Moment nicht ver-
säumen. Im übrigen ist die Unterbrechung des Ge-
schleditsverkehrs ganz uusidier, denn entweder erfolgt
sie zu spät, oder aber der Samen gerat an die äußeren
Gesdilechtsteile der Frau, und die beweglidien Samen-
fäden gelangen trotzdem in die Gebärmutter.
Der Glaube, daß die Frau zu bestimmten Zeiten
völlig unempfänglich ist, ist weit verbreitet. So soll
knapp nach Aufhören der monatlidien Blutung keine
Empfängnis möglich sein. Richtig ist zwar, daß die
Empfänglichkeit der Frau in dieser Zeit eine geringere
ist, aber darauf darf man sidi auf keinen Fall verlassen.
25
IL SEXUELLE SPANNUNG UND
BEFRIEDIGUNG
Man pflegt die Aufklärung der Jugend üblidier-i
^^■eise mit dem „Mysterium der Fortpflanzung" zu beJ
ginnen und zu beenden. Wir wissen aber und wollen
klar heraussagen, was alle wissen und nur nidit auszu-l
spredien wagen, daß es in Wirklidikeit die große Frage]
der sexuellen Erregung und der verbotenen Lust bei^
der Befriedigung ist, die den Jugendlidien Kopfzer-
brechen madit; "svir wissen audi, daß es gerade dieser
Punkt ist, gerade diese Seite der Gesddeditsfrage, um
die die mildherzigen „Aufklärer" wie die Katze um den.
heißen Brei herumgehen.
Nur selten kommt es zur gesdileditlidbeii Vereini-
gung zwischen Mann und Frau mit der bewußten
Absicht, ein Kind zu zeugen. Kirche, bürgerliche Sciiule
und Wissenschaft wollen uns allerdings glauben machen,
daß der Geschlechtsakt nur um der Fortpflanzung willen
da ist. Wäre dem so, die Menschheit wäre sdion lange,
sidier aber unter dem heutigen wirtsdiaftlichen Elend
der Massen, innerhalb zweier oder dreier Generationen
ausgestorben. In WirkUchkeit wird der Gesdilecfitsver-
kehr ausgeübt wegen der sexuellen Spannung, die dazu
treibt, und wegen der sexuellen Befriedigung, die er
MAhuT ^'■^"St- Die sexuelle Befriedigung sichert die Fortpflau-
^^ zung, da ja mit dem Geschlechtsakt die Befruditung
verbunden ist. Die Kirche beruft sich immer auf die
„Natur", wenn sie behauptet, daß der Geschleciitsver-
kehl-, der einem anderen Zweck als dem der Fortpflan-
zung dient, „gegen die Natur" sei. Merkwürdigerweise
hat die Natur aber einen großen Fehler begangeu,
indem sie nämlicii nicht einen Geschlechtsapparat ge-
I
26 t
^m
schaffen Iiat, der nur so oft zur gesdilech fliehen Ver-
einigung drängt, als man Kinder haben will oder kann,
sondern^ indem sie es so eingeridiitet hat, daß der
gesunde Mensch durdisdinittlidi ein- bis dreimal
Avödientlich Verlangen nadi Geschlechtsverkehr hat, im
Leben also einige tausend Male Gesdileciitsvcrkehr aus-
übt, dabei aber durchschnittlich nur ein- bis dreimal
zum Zwedv der Fortpflanzung. Und nodi merkwürdiger
ist es, vom Standpunkt der Kirche und der bürgerlic^ien
Moral aus gesehen, daß die Fortpflanzung im ganzen
Tierreich, zu dem auch der Mensch gehört, mit hoc3i-
gradiger sexueller Lust verbunden ist, also gerade mit
dem, was in unserer Gesellsciiaft am meisten verdammt
ist und worüber unsere Jugendlidien am ^\enigsten
iinterriciitet sein dürfen. Wir müssen also sagen: Wer
über die Gesdilechts frage spricht und an der Frage der
sexuellen Lust vorbeiredet, führt, absichtlich oder
unabsiditlidi, irre und steht, bewußt oder unbewußt, im
Dienste der herrsciienden Klasse. Das behaupten wir
nicht nur, wir ^\'erdeii es beweiseu.
Wir haben auf diesem Gebiet folgende Fragen zu
unterscheiden:
1. Wie ist die natürlidie Arbeitsweise des Ge-
schlecttsapparats?
2. Wie sind die Einrichtungen der Klassengescll-
sdiaft? Hemmen oder fördern sie die Sexualbefriedi-
gung der Mensdien?
5. Wenn sie sie hemmen, aus welchem Grunde und
zu w^elchem Z\vedc? ■ t
4. Gibt es in der kapitalistisdicn Gesellsdaaft eine
Möglidikeit, die sexuelle Not der Jugend zu beheben?
5. Wenn nicht, unter welchen Bedingungen ist die
sexuelle Befreiung der Jugend möglich, und was muß
die Jugend heute tun, um diese Befreiung herbeizu-
führen? . , _ .
■37
A, DIE SEXUELLE REIFUNG ! :-
Die sexuelle Spannung oder Erregung, die jeder
Jugendlidie kennt, ist der Ausdruck eines körperlidieii
Vorganges, der darin besteht, daß der Gesdiledits-
apparat, beim Manne bestimmte Teile des Hodens, bei
der Frau gewisse Gewebe des Eierstockes, Stoffe pro-
duzieren, die man Hormone nennt und die, in die
Blutbahn geratend, das Nervensystem in sexuelle
Erregung versetzen. Hoden und Eierstöcke sind zwar
die wichtigsten Quellgebiete der sexuellen Erregung^
aber nicht die einzigen. Neben ihnen wirken als
Quellen der Sexualerregung andere Drüsen mit innerer
Absonderung, wie etwa die Schilddrüse, Gehirnanhang-
drüse und andere. Ganz wesentlich wirken überdies
geschlechtliche Reize, die von den Sinnesorganen aus-
gehen, von Auge, Haut, Geruch, Gehör; ja es gibt keinen
Körperteil, von dem nicht mehr oder minder starke
sexuelle Spannungsreize ausgingen. Solche Körpep-
stellen mit besonderer sexueller Erregbarkeit nennt man
„erogene Zonen". Der körperliche Zustand sexueller
Spannung kommt seelisch als Drang nac^i Entspannung,
das heifit nadi sexueller Befriedigung, zum Vorschein.
Die Wissenschaft hat jahrzehntelang, wie sidi nachwei-
sen läßt, aus moralischen Gründen übersehen, daß diese
Sexuellen Spannungszustände nicit erst zur Zeit der
Geschlechtsreife, sondern schon im frühen Kindesalter
auftreten und zu wirken beginnen. In der Geschlechts-
reife werden sie nur besonders stark dadurch, daß die
Erzeugung von Fortpflanzungszellen im Geschlechts-
apparat hinzutritt und der ganze Körper zur voUeu
Reife kommt.
Die Verstärkung der Arbeit des Geschlecitsapparats
bringt auch eine erhöhte seelisdie Reizbarkeit mit sict,
die unter den Bedingungen, denen die Jugend heute
28
unterworfen ist, fast immer zu gequälter Unruhe, Tag-
träumerei und tlber uaidiern der Ptantasietätigkeit
führt. Die Gesdileditsreife beginnt bei verschiedenen
Jugendlichen verschieden früh, durchschnittlich aber
zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr.
Beim Jungen beginnt die Stimme rauh zu werden, am
Geschleciitsorgan tritt starke Behaarung auf, nicht sel-
ten kommt es auch zu den ersten nächtlichen Samen-
ergüssen. Beim Mädel beginnen die Brüste zu schwel-
len, die monatlidie Blutung setzt ein. Bei beiden
Geschlechtern tritt allmählich ein Zustand allgemeiner
Spannung auf. Es ist das Alter, in dem sich die
Arbeitsfähigkeit zu verringern pflegt, denn die Auf-
merksamkeit wendet sich nunmehr verstärkt sexuellen
Dingen zu. Die häufig auftretenden Steifungen des
Gliedes beim Jungen und die stärkere Durdiblutung
und Spannung der Gcschleditsorgane heim Mädel zeigten
an, daß die Zeit der i^eife zum Geschlechtsverkehr kör-
perlidi gekommen ist. Bis zur völligen Ausreifung
brauchen verschiedene Jugendliche verschieden lang;
bei dem einen dauert es Wochen oder Monate, bei dem
anderen Jahre. Die Frage, wann man zum Gesdilechts-
verkehr reif wird, ist also nicht allgemein zu beant-
worten. Es gibt kein Gesetz, das für alle gilt. Tatsache
ist aber, daß in unseren Kulturkreisen die seelische
Heranreifung infolge der herrschenden Sexualordnung
und unterdrückenden Sexualerziehung mit der körper-
lichen nicht Schritt hält, da die moralische Sexualimter-
drückung gewöhnlic^i ein Zurückbleiben der seelisdieu
Reife bedingt.
Die bedeutend verstärkte sexuelle Spannung sucht
nach einem Ausweg. An dieser Stelle beginnt die
sexuelle Frage der Jugend, denn es gibt nur drei Mö«--
lichkeiten : Geschledits verkehr, Ojianie oder Enthalt-
samkeit. Bevor wir auf jede dieser drei Möglichkeiten
29
eingehen, müssen wir uns ganz klar madien, daß die
Tatsadien sehr versdiieden sind, je nadi der geseU-
sdiaftlidieii Sdiidile, der der Jugendlidie entstammt. Die
Frage steht anders für den großbürgerlidien Jugend-
lichen, das Kind des Bankiers und Fabrikanten, anders
für den kleinbürgerlichen, den Sohn und die Toditer
des Kaufmannes oder Beamten, und anders für den
proletarisdien Jugendlidien, dessen Eltern m der
Fabrik arbeiten. Dieser Unterschied kommt schon bei
der körperlidien Reife zum Ausdruck; denn korperlidxe
Unterernährung behindert die körperliche Reifung, so
daß man so oft vierzehn-, fünfzehn-, sechzehnjährige
Proletarier, Jungens und Mädels, sieht, die körperlic^i
wie Zehnjährige und im übrigen durch Not, Entbehrung
und andere miserable Lebensverhältnisse wie Greise
aussdiauen, dagegen bei bürgerlichen Jugendlidien oft
gut genährte, kÖrperlidi über das Alter hinaus Gereifte
mit kindlich zurückgebliebenem seelisciiein Apparat.
Proletaristiie Jugendliche kommen oft infolge der Wohn-
verhältnisse früher zum Geschlechtsverkehr, als ihrem
Reifezustand entspridit. Unter sexueller „Frühreife"
darf man aber nidit verstehen, daß der Heranreifende
sidi überhaupt sexuell betätigt, sondern nur in welcher
Form er es tut, ob seinem Alter cntsprediend oder
nicht.
B. DIE ONAiNIE DER JUGENDLICHEN
Ehe der Jugendliche zum GescJilechtsverkehr reif
wird, betätigt sidi der sexuelle Antrieb, und zwar von
früher Kindheit an in versdiiedensten Formen. Eine
dieser Formen, die sdiließlichi immer mehr in den
Yordeigrund tritt und die Überleitung zum reifen
30
Gesdilcditslebeii riarstcllt, ist die sogenannte Onanie
(Masturbation, Selbstbefriedigung). Kirdie und bürger-
lidie Wissenschaft baben die Onanie der Kinder und
Jugendlidien als ein sdiweres Laster, als eineu selir
gefährlidien und gesundheitssdiädigenden Vorgang hin-
gestellt. Erst die neuere Sexuahvissensdiaft hat sidi
dazu bequemt, die Onanie als eine ganz normale Durdi-
gangsform der kindlidien und jugendlichen Sexualität
zu erkennen. Man hat sidx viel den Kopf darüber zer-
brodien, was für Gründe den Jugendlidien zur Onanie
treiben. Erst nadidem man sidi von der Auffassung, ^ /
daß sie ein Laster sei, freigemadit hat, war es möglidi '^•^i/'?^
festzustellen, daß sie der einfadie Ansdrudc der körper-
lidien und seelisdien sexuellen Spannung im jugend-
lidien Organismus ist und sidi im Prinzip gar nidit
vom Kratzen oder Reiben einer jud^enden Hautstelle
untersdieidet, da sie ebenfalls auf der Spannung iu
einem Organ beruht, die durdi das Reiben beseitigt
-werden kann. Freilidb untersdieidet sidi die Onanie
vom gewöhnlidien Judereiben durdi bedeutend größere
Stärke in der Spannung und Befriedigung.
Es ist audi viel darüber gestritten worden, ob die
Onanie sdiädlidi oder unschädlidi ist. Die einen ver-
teidigen ihre Unsdiädlichkeit. die anderen ebenso
unverdrossen ihre Sdiädlidikeit. Die Frage ist in
dieser Weise falsdi gestellt. Wir müssen fragen, wann
und unter ^veldien Bedingungen ist die Onanie sdiäd-
lidi oder unsdiädlidi. So wie man bis vor kurzem die
Enthaltsamkeit als die einzig möglidie Lebensweise
der Jugend und als den besten Ausweg aus den Sdiwie-
rigkeiten betont hat, so verfiel man nadihcr in den ent-
gegengesetzten Fehler, die Onanie als unbedingt hariri-
los liinzustellen und als den einzigen Ausweg und die
beste Lösung des Problems der Jugend zu propagieren.
Wir werden später sehen, daß diese Auffassung nur ein
31
Ausweidieu bedeutet vor der wichtigsten inul sdiwierig-
sten Frage des jugendlidien Gesclileditslebeus, der
Frage des Gesdiledits Verkehrs. Die Selbstbefriedigung
oder die wechselseitige Befriedigung von Kindern und
Jugendlidien vor der Gesdileditsreife hat im wesent-
lidien nur körperlidi natürlidie Ursadien. In der Zeit
der vollen Gesdileditsreife aber ist die Onanie als aus-
sdiließlidie Sexualbetätigung der Jugendlidien bereits
audi gesellsdiaftlidi bedingt, da der Gesdiledits verkehr
in, diesem Alter offiziell verboten, verpönt und durdi
versdiiedene Einriditungcn ersdiwert oder unmöglidv
gemadit ist. Daß die Onanie im Alter der Reife keine
natürlidie Sexualbetätigung mehr ist, kann man daran
sehen, dal? sie bei soldien primitiven Völkern, bei denen
dem Gesdileditsverkehr der Jugendlidien kein Hinder-
nis in den Weg gelegt wirds nur eine unbedeutende
Rolle spielt.
Zur ridbtigen Beurteilung der Onanie müssen wir
die gestörten uud ungestörten Formen der Selbstbefrie-
digung untersdieiden.
Um zu beurteilen, was die gesunde, nidit sdiädlidie
Form der Onanie im Beginn der Reife ist, müssen wir
uns an den Jugendlidien halten, der, von Eltern, Kirdie
und Sdinndliteratur über die Onanie unbeeinflußt, zur
Selbstbefriedigung kommt. Der Junge fühlt eine Span-
nung im Gesdileditsorgan, tastet und greift zum ersten
Male ganz unbewußt daran herum, und es kommt für
ihn oft ganz überrasdiend zum Samenerguß, der eine
sexuelle Entspannung herbeiführt. Dann tritt für zwei
bis vier oder fünf Tage sexuelle Ruhe ein, bis sidi
die sexuelle Spannung wieder einstellt. Der Jugendlidie
kennt bereits das Gefühl der Spannung und Entspan-
nung und vollzieht die Selbstbefriedigung jetzt mit
größerer Bewußtheit. Er hat kein Sdiuldgefühl, denkt
nidit daran, sidi daduidi zu sdiädigen und stört daher
32
nidit den Ablauf der Erregung. Solclie Jugendlidie
bleiben absolut gesund, bis sie durdi irgendeinen
Kameraden, die Eltern oder eines der üblidieu Sdiund-
büdier, das ihnen in die Hand fällt, Sdiredien eingejagt
bekommen; jetzt erst wird in ihnen der Gedanke wach,
daß sie da etwas ganz Furchtbares tun; erst jetzt
beginnen sie, gegen den Drang zur Selbstbefriedigung
anzukämpfen. Das spielt sidi beim Jungen und beim
Mädel in ganz genau der gleidben Weise ab. Entweder ^\L( 1
sie versuchen den Drang zur Betätigung am Geschledits- '' , ^ !
Organ völlig zu uuterdrüdcen oder aber sie gestatten sidi
die Onanie bis zu einem gewissen Grad, glauben aber
gewöhnlidi, daß gerade die Befriedigung, die sidi in
emer leichten Trübung des Bewußtseins (beim Mädel yv^fl&^c^
überdies m starker Durdifeuditung der Sdieide) äußert,
besonders sdiädlidi sei. Und gerade das ist verkehrt;
gerade daran beginnen sidi dann wirklidie körperliche
und seelisdie Schäden zu eutwidkeln, richtiger ausge-
drückt Sdiäden infolge der Hemmung oder Behinderung
des normalen Ablaufs der sexuellen Erregung. Durcii
die Störung des Reizablaufs wird das Nervensystem
ersdiüttert und die Beschwerden, über die solche Jugend-
liche dann klagen, sind der Ausdrude einer wirklidien
körperlidien Schädigung. Es ist also nidit die Onanie,
sondern ihre Hemmung, das Sdiuldgefühl, di& Angst
M\\6. die Reue, die diese Störungen verursadien. Man
muß daher die einmal begonnene Onanie glatt ablaufen
lassen, um die Befriedigung nidit zu stören. Wer ein be-
wußtes oder unbewußtes Onaniesdiuldgefühl hat, wird
diese Regel erst danu befolgen können, wenn er sidi
in eine Sexualberatungsstelle begibt oder seinem Grup-
penleiter, der dafür Verständnis haben muß, anvertraut.
Denn das Onaniesdiuldgefühl wird durch Geheimhalten
und Vereinsamung nur gesteigert. Wir wollen nun
einige soldier gesundheitsschädigender Verhaltungs-
35
— .BS..J--.I.U
weisea bei der Onanie nennen, das sind: Reizung ohne
Endbefriedigung {beim Jungen durdi Verhinderung
des Samenergusses), Verlängerung der Reizung durdi
allzu häufiges Unterbredien oder durch Unterlassen der
weiteren Reizung; Versuche, das sdilaffe Glied, ohne daß
sexuelle Erregung vorhanden ist, zur Steifung zu brin-
gen; bei Mädels Onanie in der Scheide mit scharfen
oder spitzen Gegenständen (was sehr häufig vorkommt);
gegenseitige Reizung zwischen Jungen und Mädel,
Mädel und Mädel oder Jungen und Jungen ohne Zu-
lassimg der Endbefriedigung.
Mit der Onanie sind immer audi bewußt oder unbe-
wußt sexuelle Phantasien verknüpft. Solange der Junge
und das Mädel mit der Phantasie vom Gesdileciits-
verkehr oder Küssen und Umarmungen onanieren, be-
steht kein Grund zur Beunruhigung. Beginnen aber bei
der Selbstbefriedigung Phantasien vom Schlagen, Ge-
schlagenwerden oder mit anderen ähnlichen Inhalten
aufzutreten, so sollte der Jugendlidbe sehr bald in eine
Sexualberatungsstelle kommen oder sich zunächst
älteren Kameraden anvertrauen, wenn er nicht selbst
den Weg zum Geschleditsverkehr findet; der ungestörte
und befriedigende Geschlechtsverkehr ist gewöhnlidi die
beste Hilfe gegen solche beginnenden Störungen der
vSexualität. Voraussetzung bleibt immer Verniditung der
Geheimtuerei in der Gruppe oder Organisation. Jeder
Junge und jedes Mädel müssen das sidiere Gefühl
bekommen, daß sie ruhig über ihre sexuellen Sdiwierig-
keiten mit ihren Gruppengenossen sprec^ien können.
Viele Jugendliche haben Angst, sich durdi die Onanie
am Genitale zu beschädigen oder später impotent
zu werden. Wir können heute bereits mit voller Sidier-
heit sagen, daß, solange die Selbstbefriedigung ungestört
mit voller Befriedigung und Entspannung verläuft,
keine Gefahr für die Gegenwart oder Zukunft zu
34
S3
befürdiieii ist. Die Dauer dieses Zustaiules der befrie-
digenden Onauie ist aber bei versdiiedenen Jugend-
lichen sehr verschieden. Beim einen ist die Onauie von
vornherein gestört, dann namlidi, wenn er schon von
Kindheit auf durch die genossene Sexualerziehung mit
Schuldgefühlen und Angst an die sexuelle Betätigung
überhaupt herantritt. Das ist heute bei den meisten der
Fall. Der andere kann einige Jahre lang ohne Schädi-
gung die onanistische Befriedigung vertragen, ehe sie
aufhört, ihm die volle Entspannung zu bieten. Bei dem
dritten tritt der Znstand der Unbefriedigtheit bei und
nacii der Onanie sehr bald ein, und da können wir vom
rein ärztlichen Standpunkt nichts anderes sagen als:
Sobald die Onanie ihre Funktion der Befriedigung nicht
mehr erfüllt, sobald sie sich mit Ekel, Schuldgefühlen
und Unlust zu verbinden beginnt, soll der Jugendlidie
nicht davor zurücksdieuen, zum Gesdilechtsvcrkchr zu
kommen. Dieser rein ärztlidie Standpunkt ist aber, wie
die Jugendlichen aus eigenem Erleben genau wissen, für
die meisten kaum durchzuführen. Da setzt bereits die
Frage der Behinderung des Geschleditsverkehrs der
Jugendlichen durdi unsere gesellschaftlidie Sexual-
ordnung ein, Ein Jugendlicher, der bis zu seinem sieb-
zehnten oder aditzehnten Lebensjahr mit der Onanie
auskommt, hat es verbal tnismäfiig leicht. Wenn aber
ein Junge oder ein Mädel, schon früher körperlich und
seelisch vollkommen reif, die Onanie nicht mehr verträgt
und den intensiven Drang nadi Geschlechtsverkehr
nicht mehr übertönen kann, dann steheu wir vor einer
grofien und schwierigen Frage nidit nur in jedem Ein-
zelfall, sondern aucii vom Standpunkt der Masse dieser
Jugendlichen aus gesehen. Wir erkennen, daß es ein
Unsinn ist, ein bestimmtes Alter als Grenze zwischen
Unreife und Reife festzusetzen, et^va zu sagen, bis zum
sedizehnten Geburtstag darfst du nidit gesdiledxtlich
35
verkehren, vom sechzehnten Geburtstag au ist es ehr
gestattet. Solche Jugeudliche verspüren die sonst mehr
oder weniger in den Hintergrund tretenden Nachteile
der Onanie gegenüber dem Geschlechtsverkehr in unge-
heuer verstärktem Maß. Nicht nur ist die Unlust und
der Ekel nachher größer, es -wachsen au(h die Gefahren,
die mit der unbefriedigenden Onanie verbunden sind,
von denen wir hier einige aufzählen ^vollen: Gelingt es
dem Jugendlidien nicht, den Sdiritt zum Geschlechts-
verkehr und zum reifen Gesdilechtsleben aus äußereii
oder inneren Gründen zu machen, ist ihm der Weg
nach vorn versperrt, so begintit er leidit rückmärts zu
schreiten, das heifit auf kindliche und vom jetzt natür-
lich gegebenen Ziel abwegige Phantasien zurüdczu-
greifen. Wir sehen dann bei soldien Jugendlichen ver-
schiedene Antriebe immer stärker werden. Es verstärkt
sich zum Beispiel die normale Neigung zum Gleich-
geschlechtlidieii ; das Überwuchern der weciiselseitigcn
Onanie unter Gleichgeschlechtlichen in den Jugend-
gruppen hat in der gesellschaftlichen Behinderung des
Gesdilechts Verkehrs und in der Trennung der Gesdilech-
ter eine seiner wesentlichsten Gründe. Die lüsterne
Neigung, nackte Körper zu sehen oder die eigenen
Geschleditsorgane zu entblößen, die Versuchung, sich
mit Kindern geschlechtlich abzugeben, tritt oft jetzt zum
ersten Male auf; sadistische (Sdilagen) und masochisti-
sche (Geschlagenwerden) Neigungen, die normaler-
weise im Getriebe der Sexualität abgesdiwächt im
Hintergrund stehen, bekommen durch die Stauung der
sexuellen Energie infolge Unbefriedigtheit jetzt ihre
volle Wirksamkeit. Es liegt uns fern, jemandem damit
Angst zu machen; wir behaupten nur, daß die Behinde-
rung der Aufnahme des normalen Gesdilechtslebens
dann, wenn der Jugendliche es dringend benötigt, die
Grundlage solcher Störungen werden kann. Wir können
36
Tatsadien nidit ableugnen und müssen eben gegen die
gesellsdiaftlidie Sexualorduung mit allen Mitteln kämp-
fen, die soldie SdiUden bei der Jugend anriditet. Wir
müssen mit allen Kräften traditen, der Masse der
Jugendlieben ganz nabe zu bringen, daß iiire Onanie-
kämpfe, ibre Sdiuldgefüble, ibre Störungen, ihre
Gesdilecblsverirrungen weder ibre Sdiuld nodi vererbt
sind, sondern im wesentlidisten Folgen der bürgerlidi-
kapitalistisdien Sexualordnung sind, die die Entwick-
lung und den natürlicben, normalen Ablauf der Sexuali-
tät in einen Rahmen preßt, in den unmöglich alle
Jugendlidieu hineinpassen können.
Die Onanie in der Gesdilechtsreife hat ja, vom rein
sexualhygienisthen Standpunkt aus gesehen, gegenüber
dem Gesddeditsverkehr überhaupt eine Reihe von Nadi-
teilen. Sie verweist den Jugendlidieu in der Gesdiledit-
lidikeit auf sidi selbst, erleiditert ihm die Erlangung
der Befriedigung und sdiwädit so seinen Impuls, einen
Sexualpartiier zu sudien und seinen Körper und Geist
im Kampf um einen Partner zu entwidsieln. Sie ist die
Ursadie der Vereinsamung einer Riesenmasse von
Jugendlidien, Jungens sowohl wie Mädels, denn die
Onanieperiode dauert heute bei den meisten infolge der
gesellsdiaftlidien Behinderung des Gesdiledits Verkehrs
über die Zeit ihrer Unsdiädlidikeit hinaus; die Gefahr
des Verfalls in Tagträumereien und der Abwendung des
Interesses von den widitigen politisdien Fragen der
Welt ist mit der Onanie gegeben, wenn audi nidit in
der ersten Zeit, so dodi ständig wadisend mit ihrer
Dauer; da ferner das Bürgertum alles darauf anlegt,
die Gesdilediter voneinander zu trennen und fernzu-
halten, züditet es dadurdi geradezu die homosexuelle
Onanie unter Jungens und Mädels; es erzeugt also ge-
rade das, was es dann mit seinen Homosexuellenpara-
graphen sdiAver bestraft. Als letzten Naditeil bei zu
iiil
57
h
^i
lang dauernder Onanie ohne nadifolgenden Übergang
zum Gesdileditsverkekr müssen wir nodi erwähnen, daß
viele Jugendlidie, die der Onanie überdrüssig gewordeii
sind, zum Geschlechtsverkehr aus inneren oder äußeren
Gründen (sexuelle Hemmungen, Scheu, Befangenheit;
Geldmangel, allzngroße materielle Not) nicht kommen
können. Wenn sie auch den Ausweg in die homosexuelle
Betätigung ablehnen, fangen sie schließlich mit siebzehn,
achtzehn oder neunzehn Jahren, also gerade in der Zeit
des Aufblühens ihrer Sexualität, an, diese zu unter-
drückten und die sexuellen Vorstellungen zu verdrängen.
Dadurch bereiten sie für später eine sexuelle Störung,
Potenzstörung oder Empfindungsstörung beim Ge-
sdilechts verkehr vor und legen so oft die Grundlage zu
späteren seelischen Störungen.
Die Masse der sexuellen Störungen, der wir in der
Sexualberatungsstelle begegnen (es sind ungefähr
80 Prozent der Ratsuchenden sexuell gestört), ist
zurückzuführen entweder auf Störungen des Sexual-
lebens in der Kindheit, auf Unterdrückung der sexuel-
len Betätigung in der Zeit der Reifung oder aber auf
längere Enthaltsamkeitsperioden, die einer kürzeren
oder längeren Ouanieperiode in der Reifezeit folgten.
Wir müssen also zusammenfassend sagen: Die
Onanie in der Reifezeit ist wohl heute, unter den im
Kapitalismus gegebenen Bedingungen des Gesdilechts-
lebens für Jugendliche der beste Ausweg. Aber das ist
sie nur für eine bestimmte Zeit; das gilt ferner nidit für
alle Jugendliche, denn viele von ihnen müssen viel
früher zum Geschlechtsverkehr kommen; andere wieder,
wohl die Mehrheit der Jugendlidien, können sidi dieses
Auswegs aus den Noten mit Hilfe der Onanie nicht er-
freuen, weil sie durdi die Sexualunterdrückung, der sie
in der Kindheit unterworfen w^aren, bereits so sehr
geschädigt sind, daß sie unfähig wurden, sidi die Onanie
38
ohne Sdiuldge fühle zu gestatten. Die Onanie ist also
keineswegs, wie viele meinen, die Lösung der Frage der
jugendlidien Sexualität.
\ C. DER GESCHLECHTSAKT
Ehe wir zu den Schwierigkeiten des Jugendlidieu
kommen, die ihm durch die kapitalistische und privat-
wirtschaftliche Cesellsdiafts- und Sexualordnung hin-
siditlich des Geschlechtsverkehrs bereitet werden, müs-
sen wir uns erst darüber unterrichten, wie sich die
gesdileditlidbe Befriedigung im Gesdilechtsakt unter
natürlichen Bedingungen, wie etwa bei den Jugend-
lichen mutterrechtlic^i-urkommunistischer Völker und
bei einzelnen gesunden Jugendlichen bei uns, abspielt.
Der Geschlechtsakt, zu dem der Jugendliche in der
Geschleditsreife fähig geworden ist und zu dem es ihn
normalerweise treibt, wenn er die sexuelle Erregung
und die sexuellen Vorstellungen nicht verdrängt hat,
wird eingeleitet durch Steifung des Gliedes beim Jungen
und Erregung der weiblichen Gesdilcchtsorgaue beim
Mädel. Bei beiden beruht diese Vorbereitung, wie er-
w^ähnt, auf einer starken Durchblutung der Geschlechts-
organe. Wir wollen versuchen, uns an einer Kurve
(Fig. 8) die Phasen des Geschlechtsaktes beim gesunden
Mensciien zu vergegenwärtigen. Die kÖrperlidie und
seelische Spannung ist auf einer gewissen Höhe. Vor
dem Beginn des Geschlechtsaktes wird diese Spannung
durch gegenseitige Liebkosungen, Küssen, Betasten,
Streicheln und andere Liebeshandlungen, für die es
keine sittlichen Regeln geben kann, gesteigert.
Beginnt man sofort mit dem Geschlechtsverkehr
ohne vorhergehendes Liebesspiel, so entfaltet sich nur
ein Teil der vorhandenen sexuellen Erregung und man
bleibt nadi dem Akt unbefriedigt. Besonders das Mädel
39
k^M-lAA,
L^ictc^
/
leidet darunter. Daher ist ein hastiger Geödilediteaki:,
der ia Kleidern bei der erstbesten Gelegenheit ausgeübt
wird» meist von Überdruß oder Ekel gefolgt. Beim Lie-
besspiel muß besonders beaditet werden, was gesunde
Mensdien von selbst wissen, daß das Küssen der Brust-
warzen und Ohrläppchen und das sanfte Streidieln der
kleinen Schamlippen und des Kitzlers bei der Frau die
Erregung besonders steigern und dadurch zur vollen
Befriedigung verhelfen. Viele Frauen sdieuen sich, das
Glied des Mannes zu liebkosen; das stört bei mandien
Paaren die sexuelle Übereinstimmung. Es hat wenig
Sinn, alle die verschiedenen Arten des Liebesspiels zu
beschreiben. Wer sich von seinen sexuellen Hemmungeu
freimachen kann, findet selbst heraus, was sein Partner
begehrt. Sexuelle Gesdiicklidikeit kann man nicht aus
Büchern lernen. Man muß nur wissen, daß nichts unsitt-
lidi ist, was keinem sdiadet und dem Partner zu größerer
Lust verhilft. -^ t kt^j jj.
Fig. 8. Kurve der Erregung beim normalen Gesdilcdits-
verkehr bei Mann und Frau
A = Linie der Uiierregtbeit
V = Vorlust — Liebesspiel
J = Beginn des G e schlecht sver-
keurs
I = Phase der vollkommen be-
herrsdibaren Erregung
II = Steigerung und Übergang:
zur unwiilkürlidien Reiz-
steigerung
III = plÖtzUdies Ansteigen der
Erregung
A ^ Einsetzen der „Auslosung
IV = Orgasmus
V = Sinken der Erregung ~
Entspannung
K = Verebben der Erregung bis
zur vollkommenen Ruhe
40
Der eigentlidie Akt beginnt mit der langsamen Ein-
fülirung des Gliedes in die weiblidie Sdieide. In der
ersten Pkase (I) können beide Partner ihre Erregung
behensdien und nadi Belieben steigern oder hemmen.
Die weiblidie Sdieide ist stiilüpfrig, so daß die Ein-
fütrting und die folgende Bewegung des mänulidien
Organs in ihr nicht sdimerzlidi, sondern lustvoll ist.
Je langsamer und gelinder diese Bewegung ist, desto
größer die Lust, welche die vollkommene Befriedigung
vorbereitet. Die in unseren Kulturkreisen übliciie Stel-
lung beim Geschlechtsverkehr ist die, daß die Frau auf
dem Rücken liegt, die Beine weit gespreizt hat, und der
Mann, mit der Hauptlast auf seine Knie und Ellenbogen
gestützt, auf ihr ruht. Bei manchen Naturvölkern wird
der Akt in hockender Stellung ausgeführt. Es hat gar
keinen Sinn, moralisch entrüstet zu sein, wenn eine
andere Stellung eingenommen wird, etwa die, daß das
Mädel auf dem Jungen „reitet" oder daß man den
Geschlechtsakt von hinten oder von der Seite ausübt.
Das bleibe jedem überlassen, da es keinem Menschen
etwas schadet, wenn nur beide Partner einig sind und
dadurch befriedigt werden. Die Bewegung des Beckens,
das heißt der Hüftgegend, ist eine gegenseitige, wodurch
die allgemeine körperliche Spannung sich immer mehr
auf die Geschledits teile überträgt, bis sie eine bestimmte
Höhe erreidit, um von da ab nicht mehr beherrsdit
werden zu können (II und III). Beide Partner spüren,
wenn sie ganz gesund sind, daß die Erregung sie über-
wältigt, daß sie sie nicht mehr regulieren können und
wollen. Die Auslösung oder Endbefriedigung, die nun
folgt, kündigt sich beim Jungen in dem bekannten
„Samengefühl", beim Mädel in einem Drang zur voll-
kommenen Aufnahme des männlichen Organs an. Dort,
wo in der Zeichnung die Kurve steil hinaufgeht (III),
um dann spitz umzuschlagen (lY und V) und dann all-
41
raählidi zu verlaufen (E), ist die Auslösung angedeutet.
Sie bestellt also in einer plötzlidien Steigerung der
Erregung bis zur leiditen Bewußtlosigkeit und sdilägt
dann in Befriedigung und Entspannung um. Es ist
leidit begreiflidi, daß jede Unterbrediung oder Störung
gerade in dieser letzten Phase des Gesdileditsverkelirs
nur sdiledite Folgen für den Allgemeinzustand haben
muß, so zum Beispiel wenn man den Gesdileditsverkehr
durdi Herausziehen des Gliedes zum Zwedte der
Sdiwaugersdiaftsverhütung unterbridit oder wenn die
Partner in diesem Augenblidce aufpassen müssen, ob
nidit jemand kommt, und ähnlidies mehr.
Nadi der Befriedigung, die am vollkommensten
dann ist, wenn die beiden Partner gleidizeitig oder
knapp nadieinander zur Auslösung gelangen, fühlt
man sidi entspannt, ruhig, müde, ohne matt zu sein;
man hat eine starke zärtlidie Beziehung zum Partner
und verfällt, wenn die Möglidikeit dazu vorhanden ist,
in ruhigen, tiefen Sdilummer. Nadi dem Erwadien ist
man gestärkt, froh und arbeitsfähig und hat starkes
Selbstbewußtsein. Die Lösung der sexuellen Spannung
bedingt nämlidi, daß man durdi seine sexuellen Be-
dürfnisse nidit abgelenkt ist und sidi ungestört der
Arbeit widmen kann. Der befriedigende Akt hat audi
Bedeutung für den Körper, denn die rege Durdiblutung
aller Gewebe fördert den Stoffwedisel. So erklärt sidi
das frisdie, kernige Aussehen der befriedigten und das
meist bleidie, käsige der enthaltsam lebenden Mensdien,
der Opfer der kirdilidien und bürgerlidien Einflüsse
auf das Gesdileditsleben.
Das, was wir bisher besprochen haben an natür-
lidien Vorgängen beim Gesdileditsverkehr, wird man-
diem sehr fremd klingen. Viele werden das Gefühl
haben, daß es bei ihnen gar nidit so glatt und ohne
Störungen verläuft, und wir werden audi glcidi darüber
42
\
zu spredieii haben, ^varuni es uidit glatt verlauft,
warum ihnen das alles fremd vorkommt, warum es in
Wirklidikeit heute so ganz anders aussieht. Der unge-
störte Ablauf des Gesdbleditsaktes, wie wir ihn früher
besdarieben haben, ist keine Phantasie sondern, in
unseren Kreisen bei Jugendlidien eine seltene Aus-
nahme, bei den Jugendlidien der urkommunistisdien
Gesellsdiaft die Regel.
D. DIE STÖRUNGEN BEIM GESCHLECHTS- ""
VERKEHR
Aus den sdiriftlidien Fragen, die Jugendlidie in
Versammlungen und an Gruppenabenden nadi Sexual-
referaten zu stellen pflegen, geht hervor, daß sie sidi
für weniges andere mehr interessieren als für die
Störungen der Gesdiledits funkt ion, und sie interessieren
sidi mit Redit dafür; denn nidit nur leiden sehr viele
Jugendlidie unter gesdileditlidien Störungen, man muß
audi ganz genau wissen, daß es sidi dabei um eine
Erziehungsfrage, also letzten Endes wieder um eine
Frage unserer Gesellsdiaftsordnung handelt. Mandie
solcher Störungen, die bei längerer Dauer das Leben
sdion von vielen Jugendlidien zerstört oder sie zumin-
dest arbeitsunfähig gemadit haben, lassen sidi durdi
genaue Kenntnis ihres Wesens im Beginne ihres Auf-
tretens unsdiwer beheben, während sie bei Unkenntnis
der riditigen Verhältnisse sidi zu dauernden Störungen
entwidielu können. Wir müssen sie daher hier, so knapp
audi unser Raum ist, wenigstens in den Grundzügen
bespredien.
Eine der häufigsten Fragen, die von Jugendlidien
gestellt werden, ist, was man gegen die Kälte des Mädels
43
N
uud gegen den verfrühten SamenergTiß beim Jungen
inadien kann. Dazu müssen wir vorerst feststellen, was
für Störungen es überhaupt gibt und wie sie Zustande-
kommen.
Bei den Jungen gibt es im ganzen drei wesentlidie
Störungsformen und ebenso beim Mädel. Die Störungen
beim Jungen sind:
1. Die mangelhafte oder unoolhtändige Gliedsteif ung,
die sogenannte Impotenz. Sie beruht, von Ausnahme-
fällen, die körperlidi bedingt sind, abgesehen, auf einer
unbeM'ußten Angst vor dem Gesdiledits verkehr oder
einer Sdieu vor dem w^eiblidiien Gesdileditsorgan.
Be^vußt äußern sich diese Angst und Sdieu meist als
sexuelles Minderwertigkeitsgefühl. Sehr oft beruht die
Enthaltsamkeitsideologie auf einer Potenzstörung. Man
glaubt, aus moralisdxen Gründen nitlit verkehren zu
wollen und hat in Wirklidikeit nur Angst vor dein
Verkehr. Durdi Bewußtmadien der unbewußten Angst-
vorstellungen, die die Impotenz erzeugen, kann diese
behoben werden. Zu Beginn der Impotenz ist es oft
nur eine allgemeine Sdieu vor dem andern Gesdiledit,
durdi die Erziehung bedingt, die den Ablauf der
sexuellen Erregung durdi Angstvorstellungen hemmt.
Die Impotenz kommt dann so zustande, daß der Junge
glaubt, eine sehr sdiwierige Aufgabe vor sidi zu haben,
wenn er mit einem Mädel gesdileditlidi verkehren will.
Seine Angst wird dadurdi nur größer; wenn man aber
Angst hat, kann man nidit sexuell erregt werden.
Gewöhnlidi versudit dann der Junge, sidi und dem
Mädel zu beweisen, daß er nidit impotent ist, er versudit
also den Akt trotzdem, der unter soldien Umständen
natürlidi nidit gelingen kann. Die Mädels wieder pflegen
gern in soldien Fällen den Jungen zu verladien, was
seine Sdieu und sein Impoteuzgefühl nur steigert. Er
wird dann allmählidi wirklidi gestört, wenn er sidi von
44
diesem Gefühl iiljerwältigeu läßt. Soldie beginnenden
Hemmungen kommen bei sonst ganz gesunden Jugend-
lidien sehr häufig vor uud lassen sich oft leicht beheben,
wenn man niciit gerade das Verkehrte tut, nämlich
gerade dann, wenn man keine Lust hat oder eine Scheu
in sich spürt, trotzdem verkehren zu wollen. Die
Gliedsteifung kann niemals durcii den Willen erzwun-
gen werden, denn sie ist ein unbewußter Gefühlsvor-
gang, und jede bewußte Absiciit und jeder Zwang
erzielen nur das Gegenteil. Wenu man im Zustand zu
großer ängstlidier Erregung nidits tut, sondern ruhig
liegen bleibt und abwartet, wenn das Mädel niciit die
Dummheit begeht, den Jungeu zu verlachen, woran
wieder nur unsere Sexualerziehung sdiuld ist, die aus
der Sexualität oft eine Ehrgeizangelegenheit macht, so
stellt sich die Steifung früher oder später leiciit wieder
ein, wenn der Junge sonst gesund ist.
Infolge der allgemeinen gesellsdiaftlicheii, ärztlidica
und kirchlichen Emstellung gegen die Onanie glanben
die meisten Jugendliciien, daß sie uun infolge der
Selbstbefriedigung impotent geworden sind. Dies ist
unriciitig. Niemals führt ungestörte und befriedigende
Onanie zur Impotenz. Immer sind es nur die Angst-
und die Schuldgefühle, die sich infolge unserer Moral
und Erziehung mit der Onanie verbinden, dann die
sexuelle Sciieu verstärken und so den Boden für eine
Potenzstörung vorbereiten. Das beste Mittel gegen
soldie Stiiwierjgkeiten bei der Aufnahme des Ge-
schlecitsverkehrs ist abwarten, bis bei geeigneter
Gelegenheit zwanglos Steifungen auftreten und die
Ängstlichkeit geringer ist. Hat der Junge einmal die
Gesciileciitslust im Verkehr erlebt, so festigt sich seine
Potenz mit regelmäßigem Geschledits verkehr immer
mehr. Nodi einmal: Nidits ist sctlimmer für leichte
Hemmungen im Anfang als Verzweiflung und sidi
4S
zwingen. Wären genügend Jugendberatungsstelleu vor-
handen, würde sidi die Gesellschaft um diese Fragen
der Jugendlichen kümmern, es gäbe keine Selbstmorde
aus diesen Gründen, kein Unglüdc, keine Ausbreitung
und Vertiefung der anfänglidien Hemmung bis zur
riditigen Impotenz.
In vielen Fällen handelt es sidi um tiefer sitzende
Störungen seelischer Natur, die durdi eine psydio-
analytisfhe Behandlung behoben werden können, da sie
von der unbewußten Angst befreit. Nun kommt die
Schwierigkeit hinzu, daß es kaum einen Bruchteil der
Behandlungsstätten gibt, die für die Masse der sexuellen
Störungen notwendig wären; auch sind unsere Ärzte
infolge der vollkommen mangelnden Ausbildung an
unseren Hochschulen in den Fragen des Sexuallebens,
so daß sie meist nitlits davon verstehen oder gerade das
Verkehrte tun, der Sache nicht gewadisen. Sdiuld an
den Potenzstörungen ist die sexualuuterdrückende Er-
ziehung, die damit beginnt, daß die niciitsahnenden
Eltern, wenn das kleine Kind onaniert, was es normaler-
weise selbstverständlich tut, mit allen möglichen Strafen,
mit Abschneiden, Händefestbinden, mit Teufel und
Gott, die bekanntlich alles sehen, drohen und so den
ersten schweren Schlag gegen die künftige Potenz und
sexuelle Gesundheit des Kindes führen. Wir werden
später hören, daß dieses Verhalten der Eltern indirekt
begründet ist in den Klasseninteressen des Bürgertums.
Das gilt audb für die anderen Störungen, die wir jetzt
besprechen werden.
2. Der verfrühte Samenerguß. Diese Störung besteht
darin, daß der Samenerguß beim Jungen nicht erst nach
einer gewissen Dauer des Geschlechtsverkehrs (etwa
5 bis 15 Minuten) erfolgt, sondern entweder schon vor
dem Eindringen des Gliedes in die Scheide oder sehr
bald nachher. Durch den verfrühten Samenerguß wird
46
A \^u
Fig. 9. Kurve bei verfrülitem Samenerguß
Gestrichelte Linie = normale
Erreffuug
V = Vorlust
D = Ubererrcgtheit (meist infolge
Angstlidikeit vor dem Akt)
J = EiiifUhriuig des Gliedes;
Samenerguß folgt bald dar-
auf, die Erregung kann nidit
ansteigen, die Befriedigung
bleibt aus
U = nadifolgendes Uubehagen
die volle sexuelle Entspannung verhindert, "wie man
an nadisteliender Zeidinung sehen kann. Es bleibt
keine Zeit für die Konzentration der sexuellen
Erregung am Gesdbileditsorgan, es kann also audi nidit
die ganze vorhandene Sexualerregung entspannt wer-
den. Der verfrühte Samenerguß des Jungen hat natür-
lidi zur Folge, daß audi das Mädel nidit zur Befriedi-
gung kommen kann. Diese Störung entsteht ebenfalls
durdi die Unterdrüdcung des kindlidien Gesdiledits-
lebens und die Erzeugung sexueller Angstlidikeit. Sie
kann in mandien Fällen sehr leidit durdi riditiges Ver-
halten beseitigt oder gemildert werden. Sie beruht oft
entweder auf äugstUdier Hast beim Verkehr, auf zu
langer Reizung vorher, oder sie kommt bei proletarisdien
Jugendlidien besonders dadurdi häufig zustande, daß
sie in Kleidern oder in ständiger Angst vor Entdedcung
gesdileditlidi verkehren. Nidit selten ist die VerfrUhung
des Samenergusses einfadier Ausdrude zu seltenen
Gesdileditsverkehrs. Je nadi der Ursadie kann man die
Störung beseitigen, indem man sidi beim Verkehr eben
nidit hastig benimmt, sondern ihn langsam und vor-
47
I
I
siditig einleitet, indem man nidit in Kleidern gesdiledit*
lidi verkehrt, sondern nadct, indem man sidi vorher
nidit zu lange reizt und so oft geschleditlidi verkehrt,
als notwendig ist. Jugendliche werden nun hier mit
Redit sagen, dal^ das Erteilen solcher Ratsdiläge sehr be-
quem ist, was man aber tun soll, wenn man eben keine
Gelegenheit hat, den Geschledits verkehr nadtt und in
Ruhe auszuführen, und wenn man durch die Verhältnisse»
in denen unsere proletarische Jugend lebt, gezwungen
ist, froh zu sein, sein Geschlechtsbedürfnis wenigstens
selten befriedigen zu können. Mit dieser Entgegnung
spredien die Jugendlichen selbst aus, was wir immer
wieder sagen, daß man den Kampf um ein befriedigen-
des Sexualleben nur in Verbindung mit dem Kampf
gegen den Kapitalismus und die Sexualreaktion erfolg-
reich führen kann. Wir müssen auch zur Selbsthilfe
greifen, indem wir von den revolutionären Organisa-
tionen aus Sexualberatungsstellen für Jugendliche er-
richten, in denen sie nidit nur Empfängnisverhütungs-
mittel bekommen, sondern auch politisdi und sexuell
riditig aufgeklärt werden. Das muß auch im Interesse
der Steigerung ihrer Kampfesfähigkeit und geistigen
Frische geschehen, die außer durch materielle Not durdi
nichts so sehr wie durch die Schwierigkeiten des Ge-
schlechtslebens untergraben werden.
3. Die Störung der Befriedigungs fähig keil. Hat der
Jugendlidie eine Störung der Gliedsteifung oder ver-
frühten Samenerguß, so ist naturlich auch die Befriedi-
gung gestört. Es kommt aber auch sehr häufig vor, daß
Jugendliche sonst ganz in Ordnung sind und nur bei
der Endlust keine ordentliche Entspannung erfahren.
Das hängt vor allem mit Hemmungen, sich voll hinzu-
geben, infolge der heutigen Erziehung und mit den Um-
ständen, unter denen die Jugendlidien aus den proletari-
schen Kreisen der Bevölkerung den Geschlechtsverkehr
48
ausüben, zusammen. Eine entsprechende Entspannung
und Befriedigung ist in Gegenwart Dritter, in beklei-
detem Zustande und bei Angst vor Uberrasdiung ganz
ausgesdilossen. Dazu kommt, daß die Jugendlidien teils
durdi innere seelisdie Sdiwierigkeiten, teils aber durdi
die miserable soziale Lage nidit sehr häufig eine Be-
ziehung so auszubauen in der Lage sind, daß sidi die
gegenseitige sexuelle Anpassung vollziehen könnte. Die
Jugendlithen wechseln sehr oft den Partner, wenn sie
den Gesdiledits verkehr aufgenommen haben, was wir
nidit moralisdi, sondern medizinisdi und politisdi vom
Standpunkt der unterdrückten Klasse bewerten wollen.
Allzu häufiger Wedisel schließt eben gesciilechtliche
Anpassung und damit vollkommene Befriedigung der
sinnlidien und zärtlicJien Bedürfnisse im Gesciileciifs-
akt aus. Wir wollen damit nicht nach bekanntem Muster
für ewige Treue und gegen einen Wechsel des Partners
überhaupt auftreten. Wir halten einen solchen Stand-
punkt für absolut unbereciitigt.
Wir müssen aber sehr genau zwischen Partner-
wechsel und Partnerwecisel unterscheiden, denn dafür
gibt es sehr versdiiedene Gründe, nach denen wir ihn
beurteilen und zu ihm Stellung nehmen können.
Es kommt sehr oft vor, daß ein Junge oder ein
Mädel, ehe sie den passenden Partner finden, eine Zeit-
lang herumsucJien, mit diesem oder jenem schlafen, um
weiter zu suchen. Es liegt gar kein Grund vor, das zu
verdammen, denn die Ansicht, daß man auf den ersten
Blici: den Passenden erkennt, ist nicht weit entfernt von
der kirchlichen und bürgerlichen Überzeugung, daß mau
sicii erst für ewig vor dem Altar Gottes binden müsse,
ehe man sich körperlich kennenlernen darf, audi wenn
man dabei unter hundert Fällen neunund neunzigmal
eine Katze im Sack kauft.
;, . Es gibt eine Notwendigkeit, den Partner zu wedi-
49
sein, wenn man sexuell nidit oder nidit mehr zusammen-
paßt oder wenn eine ernste anderweitige Bindung eiu-
getreten ist. Ein soldier Wedasel ist für den anderen
Teil immer ein mehr oder minder sdimerzlidier Vor-
gang. Je gesünder der frühere Partner ist, desto leiditer
überwindet er die Trennung; je abhängiger er durdi
die Erziehung und die Umstände vom Partner wurde,
was heute besonders für die Mädels gilt, desto mehr
leidet er darunter; Man tut daher gut daran, keine
^ sexuelle Bindung einzugehen, wenn man sieht, daß eine
künftige Trennung sidi für den anderen zu einer
Katastrophe auswadxsen könnte,
Af. ^^ > Im jugendlichen Alter ist häufig das Tempo und die
^^aA^y^^Art der geistigen Entwicklung so versdiieden, daß sidi
mit der Zeit Schwierigkeiten der Bezieliung einstellen,
die zu einer Trennung drängen.
Es gibt aber auch einen Wechsel des Partners aus
krankhaften Gründen: Unfähigkeit, bei einem Partner
längere Zeit zu verharren, Unfähigkeit zur sexuellen
Befriedigung überhaupt, unterdrückte und verdrängte
Homosexualität, die jede andersgeschlechtlidie Be-
ziehung stört oder deren Vertiefung niciit zuläßt. Est
gibt aucii einen rasdien Wechsel des Partners aus Ehr-
geiz („Icii muß so und so viele Jungens, bzw. Mädels
.gehabt' haben"); so ein Verhalten ist nicht nur für den
Betreffenden selbst sciiädlicii, sondern audi für die
anderen. Es stört audi meist die Zusammenarbeit in
der Gruppe. Wenn zum Beispiel ein Junge unausgesetzt
ein Mädel nadi dem anderen nimmt, so leiden die
Mädels darunter schwer. So ein Junge ist erfahrungs-
gemäß sexuell nicht in Ordnung. Ebenso ungesund,
sdiädlicii und ein Zeidien unserer verrotteten Sexual-
verhältnisse ist es, wenn ein Mädel aus Ehrgeiz oder
Machtbedürfnis viele Jungen an sicii bindet, mit ihnen
wie die Katze mit der Maus spielt, keinen wirklicii ernst
50
nimmt, nur Freude daran findet, die Jungen zu reizen
und keinem eine sexuelle Freundin wird. Das beruht
immer auf einer Störung beim Mädel: An die Stelle
des Liebeus ist das Beherrsdien getreten.
Wenn wir sagen, daß man oft gezwungen ist, mit
diesem oder jenem zu sdilafen, ehe man den passenden
Partner findet, so soll also daraus keine Theorie gemadxt
werden. Tatsadxe ist, daß der gesunde Junge und das
gesunde Mädel mit entwickelter Sexualität meist sdion
vorher spüren, ob ein Mädel oder ein Junge zu ihnen
paßt oder nicht. Es kann natürlich immer wieder
Fehlsdiläge geben. Die gesdilechtlidie Anpassung und
Befriedigung hängen von so vielen Bedingungen ab, daß
man sie nie genau bestimmen kann (Fähigkeit zur
kameradsdiaftlichen Anpassung, Temperament, Inter-
essengemeinschaft, Bau der Geschlechtsorgane, Rhythmus
der sexuellen Bedürfnisse und anderes). Und die bür-
gerliche Sexualerziehung hat diese Bedingungen so un-
geheuer kompliziert, indem sie die Sexualität von
Kindheit auf verkrüppelt, daß die Sdiwierigkeiten zur
Regel und das ruhige, geordnete und befriedigende
Gesdilechtsleben zur Ausnahme geworden sind.
Im Kapitalismus gibt es in dieser Hinsicht für die
Massen keine Hilfe. Aber es steht außer Frage, daß
Klassenbewußtheit und verantwortungsvolle und wich-
tige politische Arbeit audi die Einstellung zur Sexualität
verändern; daß sie aus solchen Schwierigkeiten oft
heraushelfen, von einer sonst nidit zu beseitigenden
Überspannung der sexuellen Bedürfnisse befreien, indem
sie sexuelle Energie verbrauchen und dadurdi gleich-
zeitig zu einem befriedigenden Sexualleben verhelfen.
Wollen wir die sexuellen Interessen der Jugend mit
ihren politischen Aufgaben, die wir an erste Stelle
rüdcen, iu Einklang bringen, so müssen wir für ein
geordnetes und befriedigendes Geschlechtsleben der
51
Jugend eintreten. Das sdiafft aber gewöniJidi weder die
ewige Treue nodi das Gesdiledit sieben nadi der „Glas-
wassertheorie*'. Wir wollen auch da keine moralisdien
Grundsätze aufstellen, weil sie sidi nie durdisetzen wer-
den. Wir anerkennen nur ein moralisdies Prinzip, wel-
dies lautet: Wir braudien deine Kräfte für die großen
Aufgaben, die wir alle leisten müssen, uni die Befreiung
der Mensdien von jeder Art Kneditsdiaft des Kapitalis-
mus durdizusetzen; befreie didi daher, so gut du kannst,
von der bürgerlidien Moral und bring, so gut du kannst,
deine Sexualität in Ordnung. Wir müssen audi ent-
gegen der Ansidit vieler Genossen, die selbst nidit klar
sind in diesen Dingen, den Standpunkt vertreten, daß
man nidit sofort erbleidien oder erröten oder gar die
Jugend verdammen darf, wenn sie gelegentlidb einmal
bei irgend einer Gelegenheit die Glaswassertheorie in
die Praxis umsetzt. Wir werden ja audi niemand ver-
dammen oder veraditen, der es zustande bringt, nadi
dem Prinzip der ewigen Treue zu leben. Wir haben,
um es nodi einmal zu sagen, einzig und allein die
Paidit, die Jugendlidien für den Klassenkampf zu ge-
winnen und sie soweit als mÖglidi kräftig und mutig zu
madien, diesen Kampf auch gründlidi zu führen bis zum
vollkommenen Sieg des Sozialismus. In den Fragen des
Sexuallebens der ]ugend haben wir nidits anderes zu
tun, als sie restlos aufzuklären und ihr bei der Er-
ledigung ihrer Sdiwierigkeiten behilflidi zu sein.
Bei den Mädeln gibt es aus den gleidien Gründen,
die für den Jungen gelten, nur hier nodi in bedeutend
versdiärftem Maße, Störungen, die wir an folgender
Zeidinung übersiditlidi madien wollen.
Wir sehen hier die gestridielte Linie, die den unge-
störten, vollbefriedigenden Ablauf der sexuellen Er-
regung beim Mädel darstellt, und weiter vier Kurven,
die vier versdiiedene Störungen darstellen.
52
Fi^. 10. Kui\en der Empfindungsstönmgen bei der Frau
Gesiridielte Linie = nonualt;
EmpGiidung
A = voll komme iie Uneuipfindlidi-
keit in der Scbeidc und Un-
lust (Sdimerz, Ekel) beim
Akt; der Akt bereitet statt
Lust Ilulust
B = Unterempfindlidikeit; die Er-
regung kann wegen ilcmniun-
gen (H) nidit ansteigen; Be-
friedigung bleibt vollkommen
aus
C = normale Kmpfindlidikcit im
Beginn des Aktes; die Hem-
mung (H) setzt erst vor der
Auslösug eiu; Endbefriedi-
gung bleibt aus oder ist un-
genügend
D = Störung der Sexualität bei
Mannstollheit; die Erregung
ist von Beginn an viel höher
als normal, kann aber weder
ansteigen uodi abfallen, die
Befriedigung bleibt aus, die
sexuelle Erregung ist oft stär-
ker als zuvor
1. Die vollkommene Unempfindlidikeit, „Ge-
sdileditskälte" genannt, die gewöhnlidi mit Schmerzen
oder mit großer Unlust für das Mädel beim Akt einher-
geht Das ist die Linie A. Soldie Mädels haben nidit
nur keine Befriedigung beim Verkehr, sondern im
Gegenteil, sie verabscheuen ihn und ekeln sich Tor ihm.
Ihre genitale Sexualität ist vollkommen unterdrückt,
von unbewußter Angst oder Ablehnung des Mannes, oft
von homosexuellen und männlichen Neigungen über-
baut. Sehr oft handelt es sich aber nur um eine ober-
flächliche Störung, die sich, wenn der Junge potent ist
und die Sexualität des Mädels beim Akt zu wecken ver-
steht, im Laufe der Zeit früher oder später gibt. Unter
soldien Mädeln findet man manche, die bei voller
5^5
Unempfindlidikeit in der Sdieide am Kitzler über-
empfindlidi sind. Sie benehmen sidi oft äufierlidi selir
sexuell, fürditen sidi aber in Wirklidikeit vor dem
Gesdileditsakt und lehnen ibn ab. ^
2. Die Linie B stellt die mangelhafte Empfindung
in der Sdieide dar. Das Mädel empfindet zwar eine
gewisse Lust beim Verkehr, kann aber nidit zur Befrie-
digung kommen.
5. Die Linie C zeigt den besonderen Fall, daß ein
Mädel im Akt zunädist ganz normal empfindet, aber
vor der Auslösung versagt. Das beruht oft auf einer
Angst vor der Erregung bei der Auslösung, die plötzlidi
ansteigt und das Bewußtsein trübt. Manche haben diese
Angst ganz bewußt in der Form, daß sie fürditen, ihnen
könnte dabei irgend etwas Sdirccklidies passieren.
Soldie Mädels erleben also Befriedigung bis zu einem
gewissen Grade, aber nidit die riditige, normale Ent-
spannung. Beide Arten von Störungen, B und C,
braudien entweder seelisdie Behandlung oder aber sie
geben idi im Laufe der Zeit, ^venn der Junge nur zart
und gesdiidct genug vorgeht, indem er große Riidcsidit
auf das Mädel nimmt. Man muß dringend davor war-
nen, sidi soldie Störungen mit den heute in der Medizin,
die von diesen Dingen wenig versteht, üblidien Mitteln,
etwa durdi Dehnung der Sdieide oder ähnlidie Proze-
duren, behandeln zu lassen. Das gilt ganz besonders für
den Sdieidenhrampf. Dieser ist eine reflexartige Ab-
wehrbewegimg des Mädels gegen das Eindringen des
männlidien Gliedes. Es bestehen dabei immer sdiwere
Angstvorstellungen vom Gesdiledits verkehr, und die
gew^altsame Dehnung der Sdieide hat nidit nur keinen
Wert, sondern sie verstärkt nur, da sie mit Sdimerzeu
verbunden ist, die sexuelle Angst des Mädels.
4. Die Linie D stellt folgende Störung dar. Das
Mädel ist übererregt und sdieint im Akt große Befrie^
54
"^
diguiig zu erleben. Das ist aber jiidit der Fall. Die
Erregung befindet sidi bloß auf einer ge^vissen Höbe,
kann aber weder zur Auslösung ansteigen noch autb
durdi Befriedigung abfallen. Soldie Mädels sind immer
sehr unglüdilidi und leiden scbwer, denn sie geben stän-
dig mit ungelöster sexueller Erregung herum, sind ge-
wöhnlich, wie man das so schön nennt, „mannstoU" und
spielen im Geschlecixt sieben der Jugend, da sie jeden
einigermaßen sexuell stark aussehenden Jungen ver-
folgen, eine sehr störende Rolle. Man sollte sie nicht
verachten oder verdammen, denn sie sind meist die
Opfer einer sehr verwickelten und koniliktreiciien
Sexualerziehung und gehören in eine gründlidie
seelisciie Behandlung. Verlieren sie ihre sexuelle Stö-
rung, werden sie fähig, zur Befriedigung zu gelangen,
sei es durch eine Behandlung, sei es durch irgendein
besonderes Sexualerlebnis oder durcii die Geburt eines
Kindes, so hört ihre Mannstollheit sofort auf. Daß sie
nie bürgerlicii brave Ehefrauen w^erden können, ist
selbstverständlich. Wer solche Frauen als „unproleta-
riscb" verdammt, ist selbst ein unproletarischer, bürger-
lich befangener Moralist. Stören sie die Organisation,
so muß man mit ihnen kameradsdiaftlich sprechen und
sie der Jugend beratung zuführen.
Die Störungen der Sexualität sind bei den Mädeln
und Frauen im allgemeinen viel weiter verbreitet als
bei den Jungen und Männern. Das entspriciit vollkom-
men der Tatsache, daß die Frauen von Kindheit auf in
der bürgerliciien Gesellschaft w^eit mehr sexuell unter-
drückt sind, aucii in der proletarisdien Familie eine
weit strengere sexuelle Erziehung genossen haben als
die Jungen.
So wie es in der mutterrechtlicJi-urkommunistisdien
Gesellschaft keine sexuelle und materielle Unter-
drückung der Frau und daher keine Sexualstörungen
55
gibt, so werden in der kommunis tischen Gesellsdiaft die
■weiblidieii SexnalstÖrungen aufhören und damit audi
die Spekulation der bürgerlidi befangenen Sexualwis-
sensdaaft über die Frage „Wie bist du, Weib?"; denn die
soziale Revolution befreit die Frauen nidit nur von ihrer
materiellen Ausbeutung durdi die Unternehmer und von
ihrer Versklavung durdi ihre Ehemänner sondern auch
von der Unterdrüdiung ihres Sexuallebens und ihrer
sexuellen Entwidmung. Und gerade das müßten wir
all jenen Mädeln sagen, die, wie wir genau wissen, viel
über diese Dinge spredien, aber nidit zu uns in die
Organisation kommen, weil sie glauben, daß sie das poli-
tisdie und sexuelle Wissen nidit notwendig haben. Diese
Mädels, die auf dem Tanzboden sexuelle Befriedigung
sudien, sidi dabei verbraudien und dadurdi dem Kampf
um die Befreiung der Frau verlorengehen, müssen wir
heranziehen; wir müssen sie mit allen Mitteln für uns
gewinnen; bei uns können sie dodi den heute einzig 9
möglidien Ausweg aus ihren Nöten finden. Denn drü- ^
ben, im Lager der Kirdie, der Bars und der amerikani- ^
sdien „ Jazz" werden sie nicht nur materiell unterdriidct,
sondern audi sexuell an ihrem Körper ausgebeutet, dort
gehen sie körperlidi und seelisdi schließlich zugrunde,
nachdem sie eine kurze Zeit, betäubt von dem Firlefanz
des Lichterscheins und der bürgerliciien Lebensart,
glauben, daß sie darin ihren Lebensgenuß finden. Sie
gehören hierher zu uns, wo sie statt eines späteren
Zusammenbruchs durch Geschlechtskrankheiten, seeli-
sdie Erkrankung oder bürgerlich trostlose Ehe ein Leben
zwar des harten Kampfes, aber audi der geistigen Be-
friedigung, des Sports und unter günstigen Umständen
ein befriedigendes Sexualleben finden, was sie dort
ja nur vergebens erwarten. Sie gehören in die Front
der gegen die schamlose Erniedrigung und Ausbeutung
des weiblichen Gesddechts wie des gesamten Proletariats
56
kämpfenden Mädels und Frauen, die den Sieg der
unterdrückten Klassen über die Ausbeuter herbeiführen
und den Sozialismus begründen wird. Es ist unsere
Sache und Pflidit, sie davon zu überzeugen.
E. GESCHLECHTSKRANKHEITEN UND IHRE
VERHÜTUNG^
Die Gesdileditsleiden gehören zu den Infek-
tionskrankheiten. Sie unterscheiden sich von den ande-
ren Seudien nur dadurch, daß sie weniger leicht über-
tragbar sind: Während man Grippe oder Schwindsucht
zum Beispiel durch bloßes Anhusten übertragen kann,
gehört zur Ansteckung mit Gesdblechtskrankheiten eine
so intime Berührung, wie sie der Geschlechtsverkehr
darstellt. Die gefährlichste Geschlechtskrankheit, die
Syphilis, kann audi durch Küssen übertragen werden.
Die Geschleditskrankheiten haben in den letzten Jah-
ren an Verbreitung abgenommen. Das ist nicht so sehr
den Verhütungsmaßnahmen als der Tatsache zuzusc^irei-
ben, daß der Gesciilechtsverkehr mit den Mädeln der
eigenen Kreise zunimmt, so daß die Jungens weniger
zu Prostituierten gehen. Die Geschlechtskrankheiten
sind mit eine Folge der doppelten Moral und der Ehe-
institution. Selbst bürgerliche Sexual forsdi er müssen
heute bereits zugeben, daß der freie Geschlechtsverkehr
nicht nur die Geschlechtskrankheiten nicht steigert, son-
dern sogar verhütet, weil er die Prostitution aussdialtct.
Die häufigste der Geschleditskrankheiten ist die
^ Die spezialärztlichen Ausführungen sind entnommen
dem Aufsatz des Fadiarztes Dr. R. Rosenthal in Berlin, er-
schienen in der „Warte", Organ des „Einheitsverbandes für
proletarisdie Sexualreform und Mutterschutz", Oktober 1951.
57
Gonorrhoe, audi Tripper genannt. Drei bis vierzehn
Tage nadi dem ansteckenden Verkehr kommt es beim
Mann zu Juckreiz in der Harnröhre, Brennen beim
Wasserlassen und eitrigem Ausfluß. Bei der Frau stel-
len sidb starker Ausfluß und Harnbesdiwerden ein. dodi
können die Krankheitsersdieinungen auch ganz gering-
fügig sein oder sogar völlig fehlen. Zwar ist der Tripper
des öfteren harmlos und in drei bis sedis Wodien ge-
heilt, wenn er nidit zu spät in Behandlung kommt, dodi
kommt es gar nidit so selten zu Komplikationen: Er-
krankung der Blase, der anliegenden Drüsen, des Neben-
hodens oder des Eileiters. Dann entstehen bisweilen
sdiwere Erkrankungen der Gelenke, die Krankenhaus-
aufenthalt und mehrmonatlidie Arbeitsunfähigkeit be-
dingen. Nebenhoden- und Eileiterentzündung führen
bei doppelseitiger Erkrankung audi nur eines Partners
zur Kinderlosigkeit. Die gonorrhoische Eileiterentzün-
dung ist die häufigste Ursache vieler Frauenleiden.
Gerade bei Proletarierfrauen, die nicht monatelang in
Moorbädern Heilung suchen können, ist eine nidit immer
erfolgreiche Operation unumgänglidi.
Die zweite Krankheit, die gewöhnlich redit harmlos
verläuft, ist der meidie Sdianker, der sdion nadi zwei
bis drei Tagen in Ersdieinung tritt. Es kommt gewöhn-
lidi zu mehreren, ganz oberflädilidi liegenden, eitrigen
Gesdiwüren, die bei riditiger Behandlung nadi einigen
Tagen abheilen. Als unangenehme Versdilimmerung
entwidielt sidi mandimal eine sdimerzhafte Entzündung
der Leistendrüsen, Bubo genannt, die dann möglidier-
weise vereitert und gesdmitten werden muß.
Der weidie Sdianker wird nur dann gefährlidi.
wenn sidi in ihm ein harter Sdianker verstedtt aus-
bildet. Dieser tritt sonst erst nadi drei bis vier Wociien
in Ersdieinung und stellt den Beginn der Syphilis dar.
Der harte Sdianker äußert sidi als eine wunde, nässende
58
('
Stelle, die allmählidi hart und erhaben wird. Bei sofort
einsetzender Behandlung innerhalh der ersten sedas
Wochen nach dem Anstectungstermin kann der Erreger,
die Syphilisspirociiete, durcii eine energisdie Kur abge-
tötet werden, sonst aber ergreift die Erkrankung das
Blut und den ganzen Körper, nachdem die Leisten-
drüsen hart angeschwollen, aber nicht stiimerzhaft ge-
worden sind wie beim weidien Sdianker. In diesem
Stadium treten oft Hautausschläge auf. Alle diese Er-
sdieinungen können zwar bei ungenügender oder ganz
fehlender Behandlung abheilen, aber nacii Jahren Ge-
sciiwülste oder sdiwere Erkrankungen des Nerven-
systems, wie Rückenmarksdiwindsuciit oder Hirn-
erweichung, zur Folge haben. Letztere verlief bisher
immer tödlich, kann aber neuerdings durdi die Malaria-
impfung in ihrem Fortschreiten aufgehalten, ja sogar
geheilt werden.
I Was nun die Verhütung der Geschleciitskrankheiten
anlangt, so ist der wichtigste Punkt der, daß man min-
destens in den Entwicklungsjahren den Alkohol meidet,
weil unter seiner Einwirkung allzu leidit gesciileditlicJie
Verbindungen mit Personen eingegangen werden, die
man niciit genau kennt. Ebenso wiciitig ist die Kenntnis
und bei wechselndem G es chledhts verkehr die regel-
mäßige Anwendung von Präservativen (Gummiüber-
ziehern). Man sollte nie mit Partnern, die man gerade
kennen gelernt hat, ohne Gummi verkehren. Wurde
dieser Sciiutz nidat benützt, so ist eine nachträgliche
chemische Desinfektion innerhalb der nächsten zwei
Stunden unbedingt durchzuführen. Eine Tube „Dubio-
san", die vor Syphilis und Tripper sdiützen soll, gibt
es in jeder Apotheke, auch ist in jeder Unfallstation
eine Desinfektion möglich; kommt es nicht reditzeitig
zur Desinfektion, so tut man gut, am näciisten Tag einen
Arzt zur Vornahme einer verhütenden Spritze aufzu-
V 1'
sudien. Besonders widitig ist es aber, dann zum Arzt
zu gehen, wenn man Ausfluß oder eine wunde Stelle
an den Gesdileditsteilen bemerkt. Nur der Facharzt
oder die fadiärztlicb geleitete Beratungsstelle kann
beurteilen, ob es sidi um einen harmlosen Katarrh oder
einen beginnenden Tripper, ob um eine durchgeriebene
Stelle oder Sdianker handelt. Beginnender Tripper
ebensogut wie harter Sdianker können bei rechtzeitiger
Behandlung im Keim erstickt werden, dodi darf dann
gerade beim Tripper audi nictt ein einziger Tag ver-
paßt werden. Die Besorgung des Kassenkrankensdieines
muß in solchem Fall naditräglidi erfolgen.
Die Übertragung der Geschledtitskrankheiten ge-
sdiieht fast nie aus Bösartigkeit, sondern nur infolge
Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Der anstedtende
Partner weiß im Moment des Verkehrs kaum je, daß er
anstehend ist. In der Zeit zwischen Ansteckung und
Ausbrudi der Krankheit kann man sdion anstedtend
sein. Man soll daher nie mit Personen verkehren, von
denen man nidit einmal Name und Adresse weiß.
Die Aufklärung der Jugendlidien über das Wesen
und die Verhütung der Gesdileditskrankheiten ist
äußerst widitig, dodi wird erst ein kommunistisciier
Staat diese Aufklärung riditig besorgen können. Die
bürgerlichen „Aufklärungsfilme" sind geradezu gemein-
gefährlidi, weil sie ungeheuren Sdiredien vor der
Sexualität überhaupt einjagen, zur Abstinenz zwingen
wollen und dadurch Massen von Hypochondrien (Ein-
bildung von Krankheiten) und Augstzustände erzeugen.
Sie stehen im Dienst der Filmindustrie, die einerseits
mit dem sexuellen Thema große Profite macht, ander-
seits aber die bürgerliche Enthaltsamkeitsmoral den
ZuBciiauern einhämmert.
60
F. SELBSTREGULIERUNG DES GESCHLECHTS-
LEBENS DURCH BEFRIEDIGUNG
Man zerbridit sidi heute in allen Kreisen so-
viel den Kopf darüber, \vie man den sexuellen Sumpf,
das sexuelle Unglück, Mord und Selbstmord, Jammer
imd Elend, die aus den sexuellen Sdiwierigkeiten strö-
men, beseitigen könnte; das Bürgertum in allen seinen
Sdiattierungen versdireibt immer neue moralisdae
Rezepte, predigt Verantwortung, verurteilt, sperrt Mas-
sen von Jugendlidien wegen sexueller Verbrechen ein
und siebt doch die einfachste Tatsache uicit, daß, solange
diese Gesellschaftsordnung mit ihrer Unterdrüdkung
auch des Geschlechtslebens besteht, sexuelle Verbredien,
Not und Elend herrschen müssen. Wir werden auf die
Frage, welchen Sinn die sexuelle Unterdrückung, die
soviel Elend erzeugt, in der kapitalistischen Gesellschaft
hat, noch genau eingehen, aber wir müssen jetzt schon
feststellen, was eine Selbstverständlichkeit ist, daß
ebenso wie der Hungernde zu Mord und Totschlag fähig
wird, wenn er sich nicht einreiht in die gesamte Front
der unterdrückten Massen, die den Kapitalismus ziel-
bewußt und zu allem entschlossen stürzen wollen, auch
der sexuelle Hunger die Menschen, wenn sie nicht in
Vereinsamung oder dem Selbstmord verfallen, zu grau-
samen Tieren macht und aus ihnen manchmal sogar die
Haarmanns und die Kürtens erzeugt. Wer satt ist,
stiehlt nicht. Bei den Naturvölkern, die urkommunistisdi
leben, gibt es kein Wort für Diebstahl, weil er einfach
nicht existiert. Diebstahl und Raubmord treten in der
Geschickte der menschliciien Gesellschaft erst mit Hunger
und materieller Unterdrückung auf, und ganz genau
dasselbe gilt für Sexualverbredben. Bei diesen Naturvöl-
kern, die ein befriedigendes, ungehindertes Geschlechts-
leben führen, gibt es keine sexuellen Verbrechen, keine
61
GesdileAtsverirruBgen, keine sexuelle Brutalitat zwi-
sdien Mann und Frau; Vergewaltigung ist ihnen unaus-
denkbar, denn sie Kaben es nidit notwendig. Ihre
sexuelle Betätigung strömt in geordneten Bahnen, die
zwar jeden Pfaffen mit Entrüstung und Sdirecken er-
füllen, weil der bleidie asketisdie Jüngling und die
„treuen", dafür um so mehr tratsdienden und die Kin-
der prügelnden Frauen dort nicht vorkommen. Sie lieben
die Nacktheit, freuen sicii ihrer Sexualität und haben
eine wenn auch auf primitiver Stufe stehende, so dodi
geordnete Wirtschaft und g e r e <h t e Verteilung der
Arbeitsprodukte. Sic begreifen nicht, warum Junge und
Mädel sich ihrer Sexualität nicht freuen sollten. Erst
mit dem Einbredien der kapitahstischen Räuber und der
Kirdie, die ihnen „Kultur" bringen, gleichzeitig mit Aus-
beutung, Alkohol und Syphilis, beginnt bei ihnen der
gleiche Jammer wie bei uns. Sie beginnen „moralisch"
zu leben, das heißt ihr Geschlechtsleben zu unter-
drückeu, und verfallen von da ab immer mehr der
sexuellen Not, der Folge der sexuellen Unterdrückung.
In dem gleichen Maße werden sie sexuell gefährlich; es
beginnen Gattenmorde, sexuelle Krankheiten und Ver-
brechen aufzutreten. So wie sie früher keine sexuellen
Verbredien begingen, weil sie es nicht notwendig hatten.
so heginnen sie jetzt sexuelle Verbreciien zu begehen,
weil sie dazu durdi die nunmehr erzeugte sexuelle Gier
getrieben werden.
Es ist eine Tatsache, daß nur der Unbe friedigte, in
seinem Sexualleben Behinderte und Gestörte, durdi die
moralische Hemmung Verseuchte sexuell gefährlich tvird,
während der sexuell Gesunde und Befriedigte, er mag
Beziehungen haben wieviel und wie er will für das
gesellsdiaftliche Zusammenleben an sich keine Gefahr
(nicht zu verwechseln mit „bürgerlich staatstreu sein")
bedeutet; das können wir bei uns leidit feststellen. Wer
62
kennt einen gesunden, sexuell Vollreifen, aufgeklärten
und befriedigten erwaciisencn Mensdien, der Kinder
verführt oder gar mordet, um sidi au ihren Leichen zu
befriedigen? Wer kennt Männer oder Jungens mit ge-
sunder Sexualität, die Frauen vergewaltigen oder, außer
in Zeiten besonderer sexueller Not, zu käuflidien Frauen
gehen? Wer kennt ein Mädel oder eine Frau, die ihre
Sexualität voll entwidielt hat und weiß, was sexuelle
Befriedigung hinsichtlidi Gesundheit und Tatkraft be-
deutet, die sith Avahllos jedem erstbesten, der daher-
kommt, hingibt? Das gibt es nicbt, das kommt nicht vor.
Die sexuelle Befriedigung, die regelmäßige Entlastung
von den sexuellen Spannungen ordnet in Verbindung mit
nicht allzu ermüdender Arbeit das Gesdilechtsleben ganz
von selbst. Können die Grundbedingungen der Selbst-
steuerung des Gesdilechtslebens im Kapitalismus erfüllt
werden? Nein, denn die kapitalistische Sexualerziehung
zerstört systematisdi die sexuelle Befriedigungsfähig-
keit und der kapitalistisdie Arbeitsprozeß, die mafilose
Ausbeutung und die Antreibereien reiben die körper-
lichen Kräfte auf. Die moralische, sexualfeindlidie Er-
ziehung schlägt in die Massen der Kinder und Jugend-
lichen kräftig hinein, so daß sie unfähig werden, die
natürliche Funktion der Sexualität zu erfüllen, und ihre
Spannungen nie los werden; so entsteht Hysterie, so wird
das Sexualleben zu einem w^ertlosen, der Kotentleerung
gleichenden Vorgang, so entstehen Gier und Lüsternheit,
so entstehen die Verbredien, die gewaltsamen Verfüh-
rungen, die sexuellen Kindermorde. Hier ist nicht der
Ort, diese Feststellungen ausführlich zu beweisen; das
werden wir an anderer Stelle gründlidi besorgen mit
soviel Material aus der furchtbaren Wirklichkeit dieser
verfaulten Gesellsdiaftsordnung, daß ihre Prediger und
Vertreter, sie mögen noch so hocii in Aditung und
Rang stehen, kein Wort der Erwiderung, außer dem
65
einen: „Kulturbolsdiewismus", finden werden. Aber das
kann nur mit Hilfe der revolutionären Jugend ge-
sdiehen. Wir sehen Hunderte von Fällen, die Masse der
Jugendlidien sieht und erlebt Zehntausende von Fällen.
Wenn wir das alles richtig sammeln und medizinisdi
und politisch tüchtig auswerten werden, so werden wir
der Kirdie, der reaktionären Schule und Universität,
den reaktionären Wissensdiaftlern und allen denjenigen,
die da von Moral schwätzen und die Jugend ver-
unglüdien, ihre Maske vom Gesicht reißen, und wir
werden uns, ebenso wie auf dem Gebiet der wirtschaft-
lichen Ausbeutung, davon überzeugen, daß hinter all
diesem Asketentum und Moralistentum eine furditbare
Fratze verborgen ist, die Fratze des Kapitals.
G. ENTHALTSAMKEIT UND ARBEITSLEISTUNG
Einer der wichtigsten Einwände, den die bürger-
lidbLen Sexual- und Jugendforsdier gegen den Ge-
schlechtsverkehr der Jugendlichen erheben und der sie
veranlaßt, von der Jugend Enthaltsamkeit zu fordern,
ist der Hinweis, daß der Geschlechtsverkehr der
Jugendlichen ihre, wie sie sich ausdrüdcen, „kulturellen"
und sonstigen Leistungen beeinträditigen würde. Man
kann den Standpunkt der Gegner des Geschleditsver-
kehrs der Jugendlichen etwa wie folgt zusammen-
fassen: „Du hast hundert Prozent sexuelle Energie; die
sexuelle Energie ist ablenkbar, kann zu versdiiedenen
nicht sexuellen Zwecken verwendet werden. Wenn du
zehn Prozent davon auf Arbeit ablenkst, so leistest du
wenig; wenn du dreißig Prozent ablenkst, so ist es schon
mehr, sechzig Prozent sind nodh besser, aber am aller-
besten ist, wenn du die vollen hundert Prozent auf
64
Arbeit verwendest; denn dann leistest du nidit nur am
meisten, weil du nidits »auslebst', sondern du ersparst dir
audi viele Sdiwierigkeiten, die das Gesdileditsleben dem
Jugendlidien heute bereitet; du bist vor dem .Ausleben'
bewahrt." Dieser „hundertprozentige Staudpunkt", der
die restlose Ablenkung und anderweitige A^erwendung
der sexuellen Interessen vertritt, ist erstens sadilidd
falsch und zweitens, audi "^venn ein Sozialist oder Kom-
munist ihn vertritt, möndiisdi bürgerlidi, denn die ihn
vertreten, weidien damit nur der sachlich riditigen Be-
antwortung aus. Tatsache ist, daß gerade die Behinderung
des Gesdilethts Verkehrs durch die Erziehung und die
gesamte Sexualordnung im Kapitalismus den Jugend-
lichen die größten Schwierigkeiten macht, und daß man
gar nichts ausrichtet, wenn man undurchführbare Ver-
haltungsweisen predigt. Denn wir wollen uns nichts
vormachen; dieser Standpunkt ist noch nie durchgesetzt
worden und wird auch nie durchgesetzt werden. Es gibt
auch keine Begründung für ihn außer der bürgerlichen.
Er ist sachlich falsch, denn wenn es auch stimmt, daß die
sexuellen Interessen vorübergehend (für kurze Zeit ganz
und für längere Dauer nur zum Teil) abgelenkt werden
können, so ist die restlose Ablenkung lange Zeit hin-
durdi schädlich. Geht die Ablenkung zu meit, so sdilägi
die Förderung der nichtsexuellen, politischen und
wissenschaftlidien Interessen und der Arbeitsfähigkeit
der Jugendlichen in ihr Gegenteil um, der unterdrückte
Sexualtrieb beginnt die Arbeit zu stören. Wir werden
also hier den nachweisbar richtigeren Standpunkt ver-
treten: Bis zu einem gewissen Grade kann die sexuelle
Energie und Spannung in Arbeit, politisciie und wissen-
schaftliciie Interessen umgesetzt werden; über einen be-
stimmten Punkt hinaus sdilägt die Hemmung der
Sexualbefriedigung in Arbeitsstörung um. Und das hat
folgende Gründe:
63
Nadi einer gewissen Zeit der entkaltsamen Lebens-
weise, in der es gelungen ist, sidi ganz in irgendeine
widitige Arbeit zu stürzen, die den sexuellen Drang
übertönt und die sexuellen Interessen aufgesogen hat,
beginnt beim durdisdinittlidien Jugendlidien der Um-
setzungsprozeß nadizulassen, die sexuellen Phantasien
drängen sidi immer mehr in den Vordergrund, gleidi-
gültig ob sie bewußt oder unbewußt sind. Die Erfah-
rung lehrt, daß die Störung der Arbeitsfähigkeit um so
rasdier um sidi greift, je unbewußter die sexuellen
Phantasien sind, denn dann werden größere Mengen an
seelisdier Energie zur Niederhaltung der sexuellen
Phantasien aufgebraucht. Als erste Anzeichen des Nadi-
lassens der Arbeitsfähigkeit treten Störungen der Auf-
merksamkeit bei der Arbeit hervor („Abschweifen der Ge-
danken"), Unkonzentriertheit, die von den Jugendlidien
sogenannte „Gedädituissdi wache", Unlustgefühle, Ner-
vosität. Unruhe. Der Rest der nidit ablenkbaren, viel-
mehr zur Befriedigung drängenden sexuellen Interessen
stört die Arbeit. Je mehr nun der Jugendliche versucht,
sich in Arbeit zu stürzen, um die Arbeitsstörung wett-
zumachen, je mehr er sidi zusammennehmen will und
je mehr Vorwürfe er sich macht, desto schwerer gelingt
es ihm. Er ist verzweifelt über seine Tagträume und
Phantasien, aber er kann sie nicht beherrschen, und bei
großer Anstrengung gelingt es ihm nur für kurze Zeit.
Die praktische Erfahrung in den Sexualberatungsstellen
lehrt unwiderlegbar, daß, wenn ein soldier Jugendlicher
die Enthaltsamkeit reditzeitig aufgibt, entweder indem
er zu onanieren anfängt oder aber zum Gesdileditsver-
kehr kommt, sidi die Arbeitsstörungen sofort verlieren.
Wir werden später sehen, daß dieser Ausweg für die
meisten Jugendlidien unter den im KapitaHsmus herr-
sdienden Verhältnissen sehr sdiwierig. wenn nidit uu-
mÖglidi ist.
66
Einigen wenigen gelingt es z^var vielleidit, sidi aus
den Sdiwierigkeiten des Gesdileditslebens für viele Jahre
diirdi irgend eine Arbeit zu befreien. Und die Enthalt-
samkeitsprediger berufen sidi immer wieder auf diese
wenigen, denen es gelingt. Aber im Interesse der
Gesundheit müssen wir einen solcben Standpunkt hier
verurteilen; denn wir haben nidit einige wenige sondern
die Masse der Jugendlichen zu berücksiditigen, und
denen gelingt es auf die Dauer nicht.
Viele verweisen auch auf den Sport als eine Mög-
lidikeit zur Ablenkung sexueller Interessen. Es ist ge-
wiß riditig, daß der Sport bis zu einem gewissen Grade
und für eine gewisse Zeit aus der Schwierigkeit heraus-
hilft, indem die verstärkte Muskelarbeit sexuelle
Energie verbraucht. Aber wer, wie die ärztlichen
Jugendberater in den Sexualberatungsstellen, die lange
Reihe von Sportlern gesehen hat, die dann mit 25, 28,
30 Jahren kommen, große, kräftige Menschen, die dar-
über klagen, daß sie eine Sexnalstörung oder sonstige
nervöse Krankheitserscheinungen haben, dem wird
sofort klar, daß jeder, der die Enthaltsamkeit in den
jugendlichen Jahren scheinbar ohne Sdiwierigkeit durch-
führt, für später aufs schwerste gefährdet ist. Daher
ist die Enthaltsamkeitspredigerei allein vom rein ärzt-
lichen Standpunkt aufs schärfste zu bekämpfen. Die
Moralisten sehen aber nur das, was gelegentlici einmal
vor ihren Augen ihre Theorie bestätigt, sie sehen nicht
und wollen nicht sehen, daß ihre Lehren auf die Masse
insbesondere der proletarischen Jugendlichen nicht an-
zuwenden sind, und sie drücken sich vor der Verantwor-
tung für das, was in Zukunft bevorsteht, wenn man ihre
Lehren befolgt. Mit dem Sexualapparat geseliicht dann
dasselbe, was mit jedem Organ passiert, wenn man es
längere Zeit seine natürliche Tätigkeit nicht ausführen
läßt: Man sdiädigt es. Madie einen Arm für einige
67
Monate unbeweglidi und sieh zu, ob und wie du ilin
später nodi bewegen kannst.
Das, was wir hier sagen, wird vielen wie ein Ein-
rennen offener Türen erscheinen. Klassenbewußte prole-
tarisdie Jugendlidie werden sagen: „Wozu erzählst du
uns das? Das alles wissen wir ja sdion längst, wir halten
uns ja sowieso nidit an die Lehren der Moralprediger.
Aber wir wollen wissen, wie wir uns verhalten sollen
unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesell-
sdiaftsordnnng, wenn wir uns unser Gesdileditsleben
einriditen wollen. Es gibt hunderte anderer Fragen zu
bespredien, die für uns drängender sind." Diese
Jugendlichen haben recht. Man sollte heute mit dieser
Frage längst fertig sein, aber wir sind deshalb darauf
eingegangen, weil es nicht nur eine bereits politisch
klare und sexuell fortgeschrittene Jugend gibt, sondern,
und darüber dürfen wir nidit hinweggehen, weil es
heute noch Massen von Jugendlichen gibt, die unter der
Fuchtel moralisch strenger Eltern, der Kirche und reak-
tionärer Lehrer stehen, und deshalb mit dieser Frage
nicht fertig werden; ja ein Teil der Jugend, die national-
sozialistische zum Beispiel, hat die Frage der sexuellen
Keusdiheit sogar auf ihre Fahnen gesdbrieben, wenn sie
sich auch praktisch nicht daran hält und in weit größeren
Sdiwierigkeiten steckt als die revolutionäre Jugend. In
der Frage der sexuellen Enthaltsamkeit sehen wir eine
klare Scheidung der Klassenfront. Die kommunistische
Jugend und die rote Sport Jugend lehnen die Ent-
haltsamkeit ab und treten für ein gesundes und befrie-
digendes Geschlechtsleben der Jngendlidien ein. Wenn
audi hier und dort Unklarheit herrscht, wenn sich a.u<h.
gelegentlich Prediger der „Moral" in diese Reihen ver-
irrt haben, so kommt das doch nicht zur Geltung, bleibt
ohne Bedeutung. Die Aufmerksamkeit gilt in erster
Linie dem Kampf für den Sturz des Kapitalismus. Die
68
sozialdemokratisdie Jugend ist überwiegend sexuell
ebenso unklar wie politisch, steht nodi immer unter
starkem Einfluß der kleinbürgerlicbeu Fübrer, dieser
gefäbrlidisten, weil mit sozialistisdier Maske auftreten-
den Feinde der sozialen Revolution. Bei der Ablenkung
der sozialistisch gesinnten Jugend vom Klassenkampf
bedienen sie sich auch ganz wesentlich der autoritären
Hemmung des Sexuallebens; sie vertreten den kleinbür-
gerlidien Standpunkt der Familie und der Enthaltsam-
keit, bis die Möglichkeit der „verantwortungsvollen
Paarung und Kinderzeugung" gegeben ist. Das ist
natürlich eine Illusion, denn im Kapitalismus gibt es
diese Möglichkeit für die Jugend nie und wird es nie
geben. Das werden wir später beweisen. Dadurch ge-
langen aber die Gruppenführer sehr oft in offenen Kon-
flikt mit den jüngeren Gruppenmitgliedern, die sich
dem nidit fügen wollen, so daß die Gruppen zerfallen
und sich Cliquen bilden. Je weiter nach rechts ins
Lager der Reaktion wir kommen, desto stärker sehen
wir die Keuschheitsideologie vertreten. Die christliciie,
deutschnationale und nationalsozialistische Jugend er-
hebt diese Frage zu einer Kampffrage der deutsdien
Nation, während die „demokratisch-liberale" Jugend,
die oft über die nötigen geldlichen Mittel, ihrer sexuellen
Not abzuhelfen, verfügt, in Worten moralisch tut, im
übrigen aber ebenso unklar und ausweglos in dieser
Frage ist wie die übrigen.
Wir sehen also, die Frage der Enthaltsamkeit der
Jugend ist keine rein ärztliche, sondern sie hängt mit
der Stellung zur Gesellschaftsordnung und zum revolu-
tionären Klassenkampf sehr eng zusammen.
Wir sind hier prinzipiell und offen dafür eingetre-
ten, daß es keine Losung der sexuellen Not der Jugend
69
/
/
gibt ohne Bejahung und Befiirsorgung ihres Geschledits-
lebens, ohne befriedigenden Gesdilcdits verkehr. Wir
werden im vorletzten Abschnitt beweisen, daß der
Kapitalismus diese Lösung niemals bringen kann. Kön-
nen wir aber heute im Kapitalismus unter den bestehen-
den Bedingungen der Jugend ganz allgemein sagen:
„Ihr könnt ruhig gesdileditlidi verkehren?" Nein, das
können wir nidit, denn dazu fehlen alle Voraus-
setzungen. Unsere Jugendlichen sind meist, und zwar
auch die proletarischen, durch die Erziehung verbaut
und sexuell verkrüppelt, sie sind unsicher und unaufge-
klärt, es gibt keine Wohnungen für die Jugendlichen
und keine Verhütungsmittel, es gibt ein Elternhaus, das
den Jugendlichen aufs schwerste bedroht, wenn er
ernst madien will mit dem Geschlechtsleben, es gibt eine
Schule, die ihn sozial verniditet, wenn er Geschlechts-
verkehr aufnimmt, es gibt Paragraphen, die die Auf-
klärung der Jugendlichen unter Strafe stellen. Und das
ist nicht nur ein Zwang von außen, denn diese Ein-
richtungen der bürgerlichen Gesellschaft sind tief im
Seelenleben des Jugendlichen ideologisch verankert.
Massen von Jugendlichen, besonders solche klein-
bürgerlicher nnd nationalistischer Kreise, bejahen trotz
ihrer sexnellen Nöte, unter denen sie vielfach zusam-
menbrechen, selbst die Unterdrückung ihres Gesdilechts-
lebens. Darüber müssen wir noch kurz sprechen, weil es
für unsere sexuelle Aufklärungsarbeit unter den poli-
tisch unaufgeklärten und daher bewußt oder unbe-
wußt reaktionären Jugendlichen ganz wesentlicii ist.
Zwischen dem Nahrungsbedürfnis und dem Sexual-
bedürfnis besteht nämlich bei sonstiger Ähnlidikeit ein
grundlegender Unterschied. Wenn ein Jugendliciier
hungert, so weiß er, daß er hungert, er bejaht nidit
seinen Hunger und er bejaht audi nicht die Ordnung,
die ihn zum Hungern zwingt. Es gibt keine Verdräu-
70
^
gung des Nahrungstriebes, Beim Sexualtrieb ist die
Sadie viel komplizierter. Wenn ein Jugendlicher sexuell
hungert, das heißt unter seiner sexuellen Unbefriedigt-
heit leidet, so überwindet er entweder, wenn er gesund
ist, die Schranken, die ihn behindern, oder aber, was
meist infolge der vorangegangenen kindlidien Sexual-
unterdrüdkung der Fall ist, er verdrängt seine Sexuali-
tät. Um sich vor einem Durchbruch seiner Sexualität zu
schützen, nimmt er die Forderung der kapitalistischen
Gesellsdiaft, asketisch zu leben, unbewußt vollkommen
auf und errichtet so in sich ein Bollwerk gegen seine
eigenen sexuellen Wünsche. Das ist bei den religiösen
Jugendlichen besonders der Fall. In dieser sexuel-
len Verdrängung der Jugendlichen findet die Kirche
ihre stärkste ideologische Stütze; sie lehnen dann selbst
die Sexualität ab und bejahen die sexual feindliche und
kapitalistisdie Moral, unter der sie schwer leiden. In den
Jugendverbänden der deutscheu Zentrumspartei allein
befinden sicii i% Million soldier Jungens und Mädels.
Kommen wir an einen soldien Jugendlichen heran
und gehen wir nicht sehr geschickt vor in der Klärung
der Ursachen seiner Vereinsamung, seiner Angst-
zustände, seines Onanieschuldgefühls und der sonstigen
Nöte, so kann es uns leicht passieren, daß wir, statt die
sexuelle Auflehnung, die in ihm steckt, zu fördern und
ihn so zu unserem Klassenfreund und zu einem Kämp-
fer gegen den Kapitalismus zu machen, auf seine
moralisdie Einstellung stoßen und ihn dadurch nidit
nur nidit gewinnen, sondern sogar zu einem gefährlichen
Gegner macben. Ich wollte auf diese Sdiwierigkeit der
sexualpolitisdien Arbeit unter christlichen und nationa-
listischen Jugendlichen nur hinweisen, um nicht den
Gedanken aufkommen zu lassen, daß wir jetzt so ohne
weiteres den Geschledits verkehr allgemein propagieren
können.
71
/
III. ZUR FRAGE DER HOMO-
SEXUALITÄT
/
Man hört oft die Frage, ob die Homosexualität
natürlidi ist oder nidit, warum man sie bestraft und ob
es denn gar so sdiledit und sdiädlidi ist, wenn man
homosexuelle Beziehungen hat. Es wäre sehr "widitig,
zur Beantwortung dieser Frage den ganzen Streit, der
in der Sexualwissenschaft und im Reditsleben darüber
tobt, hier zu entwidceln. Das würde aber zu weit füh-
ren und wir müssen uns daher auf 6inige Hauptpunkte
beschränken, vor allem darauf, wie unsere Stellung zu
dieser Frage ist oder mit guter Begründung sein sollte.
Jeder Mensdi ist, wie die neueste wissensdiaftlidie
Forschung ergeben hat, von vornherein doppeltge-
schleditlidb angelegt, und zwar sowohl körperlich als
auch, in Abhängigkeit davon, seelisch. Bis zum dritten
Monat der Sciiwangersciiaft kann sidi jede Leibesfruciit
zum weibliciien oder zum männliciien Geschledit hin
entwickeln, da sowohl das weibliche als audi das männ-
liche Geschlechtsorgan mit allem, was dazu gehört, sich
entfalten. Erst von dritten Monat an beginnt si<h. in der
Regel entweder die männlidae oder die weibliche Anlage
stärker zu entwickeln, während die entgegengesetzte in
der Entwicklung zurückbleibt. Diese zurückgebliebene
Anlage des anderen Geschlechts bleibt dauernd be-
stehen, wenn sie auch zn keinerlei Funktion fähig ist.
Der Mann hat an einer bestimmten Stelle seines mänii-
lidien Geschlecktsorgans auch die Spuren einer welb-
licken Sciieide, und der weibliche Kitzler ist nichts
anderes als ein zurückgebliebener männlicher Ge-
sch-lechtsteil. Die Brustwarzen beim Mann sind zurück-
gebliebene weiblidie Brüste.
72
T
Nun gibt es Mensdien, bei denen diese sonst zurück-
gebliebenen Anlagen sidi gleidxzeitig mit denen des
eigenen Gesdiledits ein großes Stüdc weiter entwickeln,
so daß beide Gesdileciitsorgane nebeneinander oder
irgendwie miteinander kombiniert vorhanden sind.
Solcte Fälle nennt man „Zwitter". Es gibt Männer mit
weiblicii gebautem Becken und weibliciien Brüsten, und
es gibt Frauen, die das männliche Glied vollkommen
zur Entwidilung braditen. Es gibt auch Mensdxen, die
in ihren Drüsen Gewebe des anderen Geschlechts ent-
halten. Gewöhnlich empfinden soldie Zwitter oder mit
Organen des anderen Geschlechts ausgestattete Mensdien
auch in seelischer Hinsicht mehr oder minder wie das
andere Geschledit, das heißt sie fühlen sich zum eigenen
Geschlecht sexuell hingezogen. Man findet unter ihnen
aber auch solche, die ganz anders empfinden. Dieses
Rätsel ist noch nicht gelöst und noch sehr verwickelt.
Während diese eben kurz beschriebenen körperlidx
bedingten Homosexuellen in der Minderheit sind, ist die
große Mehrzahl der Homosexuellen, was ihren Körper-
bau anbelangt, ganz normal, das heifit die Mehrzahl
der gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen hat,
wenigsteus nach den bisherigen Feststellungen, keinerlei
entwickelte körperlidie Zeichen des anderen Ge-
schlechts. Wenn solche Kennzeichen in Ausdruck, Gang,
Spradie vorhanden sind, kann man durch eine genaue
Untersuchung ihrer seelischen Entwicklung feststellen,
daß sie nicht immer so waren, sondern durch besondere
Sdhiicksale ihres Sexualtriebes diese Haltungen ausge-
bildet haben und nun jenem Geschledit äußerlich
gleidien, das sie sexuell nicht begehren. Ja mehr, es
gibt sehr viele Männer, die körperlich und seelisch ganz
entsprechend ihren Geschleditsorganen gebaut sind und
jüngere weiblidi aussehende Männer begehren, denen
gegenüber sie sich wie ein Mann zu einer Frau ver-
73
halten; und es gibt Frauen, die vollkommen weiblidi
sind und sidi zu härteren und mannlidier aussehenden
Frauen, wie eine Frau zum Manne verhalten. Diese
Arten von Homosexuellen sind nidit körperlidi homo-
sexuell geworden sondern durcfi eine fehlerhafte
sexuelle Entwicklung in der frühen Kindheit, die darin
bestand, daß sie sehr früh eine sdiwere Enttäuschung
am anderen Geschledit erfahren haben. So werden
zum Beispiel männlidie Kinder leicht offen homosexuell,
wenn sie an ihrer strengen, harten Mutter zu starke
und zu viele Liebesenttäusdiungen erfahren haben.
Ebenso werden Mäddien im frühen Alter leidit zur
Homosexualität gebradit, wenn sie an ihren Vätern
sdiwere Enttäusdiungen erfuhren. Soldie Kinder wen-
den sidi leicht vom anderen Gesdiledit in sexueller
Hinsidit ab und dem eigenen Gesdiledxt zu. Diese
frühen Enttäusdiungen sind in der Regel verdrängt.
Die Betreffenden wissen als Erwadisene nidits mehr
davon und erinnern sidi dann, wenn sie durdi eine
besondere Art seelisdier Behandlung, die Psydioanalyse,
jene frühe Zeit der Entwidclung wieder erleben.
Beide Arten der Homosexualität sind also abwegige
Entwidilungen, die man als Krankheit bezeidinen muß,
wenn die Betreffenden, was meist der Fall ist, darunter
leiden. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß dieses Leiden
nur sozial durdi die gesetzlidie Verfolgung der Homo-
sexuellen bedingt ist. Viele Homosexuelle (es läßt sidi
nidit feststellen in w^eldiem Prozentsatz) sind audi
sonst seelisdi und sexuell nidit in Ordnung, das heißt
neurotisdi. Viele Homosexuelle, die es sidi eingeriditet
haben, die in ihrer Art zu leben sidb wohl fühlen,
protestieren dagegen, daß man die Homosexualität als
Leiden oder als abwegiges Entwidclungsresultat be-
zeidinet. Sie erblidcen darin eine Herabsetzung ihrer
sexuellen Riditung, ja viele von ihnen betraditen sidi
74
als sogenanntes „Drities Gesdiledit", als eine besondere
gesdilecbtlidie Artung. Dagegen muß man aus rein
wissensdiaftlidien Gründen Stellung nehmen. Vor allem
müssen die Jugendlichen vor der endgültigen Wendung
zur Homosexualität bewahrt werden, nicht aus morali-
schen sondern aus rein sexualökonomischen Gründen;
denn es läßt sidi feststellen, daß die durchsdinittliche
sexuelle Befriedigung beim gesunden, andersgeschleciit-
lidi Gerichteten noch immer viel intensiver ist als die
Befriedigung beim gesunden Homosexuellen. Und das
bedeutet viel für die Ordnung des seelischen Haushalts.
Als stärkster Einwand gegen die Behauptung so vieler
Homosexueller, daß sie eine besondere sexuelle Art
darstellen und keine Fehlentwicklung, müssen wir vor-
bringen, daß durch eine ganz bestimmte Art seelisciier
Behandlung jeder Homosexuelle aufhören kann, so zu
empfinden, während es niemals vorkommt, daß ein
normal Entwidcelter durch dieselbe Behandlung zum
Homosexuellen wird. Wenn die Homosexualität nicJit
zu alt ist und nidit die Beziehungen zum andern
Geschledit völlig verschüttet hat, wenn sich der Be-
treffende ferner dabei nicht wohl fühlt und sie loswerden
will, ist sie durch eine psyciioanalytisdie Behandlung,
die die kindliche Fehlentwicklung der Sexualität rück-
gängig macht, prinzipiell zu heilen.
Was wir bisher gesagt haben, ist wissensdiaftlidi
gesicherte Tatsadie, die nodi dadurch zu erhärten ist,
daß bei primitiven Völkern, die ein befriedigendes,
ungestörtes Sexualleben führen und die die sexuelle
Entwicklung der Kinder nidit behindern, Homosexuali-
tät, außer in vergeistigter Form als Freundschaft, nidit
vorkommt. Nach den neuesten Feststellungen von
MalinoTDski, einem englisdien Völkerforscher, beginnt
die Homosexualität bei den Primitiven in dem Maße
aufzukommen, wie die Missionare, diese Zutreiber des
75
/
Kapitals, anfangen, die diristlidie Moral in das natür-
lidbe Geschleditsleben zu tragen und die Gesdilediter
voneinander zu trennen. Das bestätigt audi die Beob-
aditung, die wir immer madien können, daß dort, wo
der normale Verkehr zwischen Mann und Frau und
Junge und Mädel unterbunden oder ersdiwert ist
(Internate, Heer, Marine usw.), die Homosexualität sich
im gleidien Maße entwickelt. Die Homosexualität ist
also, das ist unser vorläufiger Sdbluß aus den Tatsadien,
ausgenommen die Fälle, die körperlidi begründet sind,
eine rein soziale Ersdieinung, eine Frage der sexuellen
Erziehung und Entwidmung. Das beste Vorbeugungs-
mittel ist gemeinsdiaftlidie Erziehung der Gesdilediter
und reditzeitiger Beginn des Gesdileditsverkehrs.
Es wäre aber ganz falsdi, aus diesen Tatsadien den
Sdiluß abzuleiten, daß man den Homosexuellen ver-
aditen oder bekämp f en müsse. Es ist audi ganz
unriditig, wenn man, unbewußt bürgerlidi moralisdi
befangen, die Homosexualität als ein „unproletarisdies
Verhalten" verdammt. Solange die sexuelle Erziehung
so ist, daß Mensdien homosexuell werden, geht es
niemand etwas an, wenn sidi diese Mensdien, ohne
jemand zu sdiädigen, ihr Leben einriditen und sidi
dabei wohlfühlen. Die Feststellung, daß die Homo-
sexualität eine abwegige Entwiddung ist, also nidit
natürlidi bedingt ist, bereditigt niemand zur Ver-
dammung oder Bestrafung. Die Homosexuellen, die
ihre Eigenart loswerden wollen, weil sie darunter
leiden oder weil sie nidit entsprediend befriedigt sind,
soll man zu heilen versudieu, aber man darf niemand
dazu zwingen. Nidit nur weil man kein Redit dazu
hat, sondern audi weil eine erzwungene Behandlung
keinen Erfolg hat. In der Klass engesei Isdiaft wird die
Homosexualität leidit zu einer großen Gefahr, weil es
Erpresser gibt, die den Homosexuellen mit der Anzeige
76
I
drohen und ihnen dadurdb Geld entlodten. Das wird
durdi die wirtsdiaftlidie Not besonders begünstigt. Es
gibt auch viele proletarische Jugendliciie, die infolge
ihrer Not dazu greifen, sich den Homosexuellen aus
reichen Kreisen hinzugeben. Die Homosexualität spielt
auch in politisch reaktionären Kreisen wie bei den natio-
nalistisdien Studenten und den Offizieren eine nicit zu
unterschätzende Rolle. Das hängt mit der starken
Ausprägung der sexualmoralischen Hemmung im natür-
lichen Geschlechtsleben dieser Kreise aufs engste zusam-
men. Davon abgesehen scjiadet die homosexuelle
Betätigung, die der Kapitalismus durch seine Einridi-
tungen, durcii Kirdie, Trennung der Geschlechter, unter-
drückende Sexualerziehung in Massen erzeugt, gewiß
nicht so, wie die öffentliche Verdummung durch die
religiösen Dogmen. Und so sehen wir den Unter-
schied zwischen Kapitalismus und Sozialismus auch
darin, daß hier die Verdummungsmaschinerie, Religion
genannt, in höchsten Ehren ist und überdies noch viel
Geld verdienen läßt, die Homosexualität aber bestraft
wird. In der Sowjetunion dagegen ist die homosexuelle
Betätigung frei, man bestraft aber die religiöse Ver-
dummung der Jugendlichen und Kinder bis zum acht-
zehnten Lebensjahr.
77
/
IV. DIE SCHWIERIGKEITEN
DER KAMERADSCHAFTLICHEN
ERZIEHUNGEN DER JUGEND
Wir haben bisher die körperlichen Vorgänge beim
Gesdiledbitsakt besprodien und haben nun die sogenann-
ten kameradsdiaftlidien Beziehungen zwisthen Junge
und Mädel zu erörtern. „Kameradschaft" ist ein Schlag-
wort, und wir werden gleich sehen, daß wir zwar eine
gemeinsame deutsche Sprache sprechen, daß aber
manche Worte ganz verschiedene Bedeutung haben, je
nachdem, ob sie von einem Bürger oder einem Pro-
letarier gebraucht werden.
Was versteht der Bürger unter Kameradschaft? Wir
können feststellen, daß der Bürger, soweit er die
bürgerliche Sexualordnung wirklich vertritt, eine
Kameradsdiah der GesdJediter gar nicht kennen kann.
Nehmen wir das Vorbild des bürgerlichen Jugendlidien,
den bürgerlidien Mittel- und Hodischüler und die bür-
gerliche Lyzealschülerin oder „Haustochter".
Der bürgerliche Jngendliciie hat, da die doppelte
Moral ihm den Geschlechtsakt mit Madclien der eigenen
Kreise untersagt, seine Sexualität in Zärtlichkeit und
Sinnlichkeit gespalten. Dementsprechend gibt es für
ihn zweierlei Mädchen: eine Art für den Körper und
eine andere für die „Seele". Er „verehrt" ein Mäddien
seiner eigenen Klasse, dem er nie die Erniedrigung
durch einen Geschlechtsverkehr zumuten würde; und
seinen Körper befriedigt er bei einem Mädchen aus dem
Proletariat, sei es bei Prostituierten, sei es bei Haus-
gehilfinnen oder Büroangestellten. Wo er liebt, darf er
nicht geschlechtlicii verkehren, und wo er Geschlechts-
verkehr hat, kann er nicht lieben. Er würde auch sofort
seine „Verehrte'* zu lieben aufhören, wenn es ihr eiu-
78
I
t
\
fiele, sidi ihm aus Liebe hinzugeben. Diese Spaltung
der Sexualität geht oft so weit, daß mandie Biirger-
jiingen impotent werden, wenn sie mit einem „anständi-
gen" Mädchen gesdileditlidi verkehren wollen. Soweit
die Frau vor der Ehe die kÖrperlidie oder sinnlidie Seite
der Sexualität befriedigt, ist sie sexuelles Ausbeutungs-
objekt, zumal diese Befriedigung meist gekauft ist.
In der Ehe ist die Frau erst recht sexuelles Werkzeug
des Mannes. Wird das „verehrte" Mäddien sdiliefilidi
geheiratet, so verliert sie sehr bald die genossene
Aditung, denn abgesehen von den ehelidien Konflikten
kommt der typisdie bürgerliche Mann von der Auf-
fassung, daß der Gesdileditsakt etwas die Frau herab-
würdigendes ist, nidit los. Und die Sexualität bleibt
daher audi in der Ehe gespalten; der bürgerlidie Mann
befriedigt seine Sinnlidikeit meist weiter bei Kokotten
oder Prostituierten, jedenfalls bei bezahlten Frauen.
Das bürgerliche Mädel wieder muß dem ganzen
System nadi ihre genitale Sinnlidikeit unterdrütken
oder verdrängen; an Stelle gesunder, natürlicher
Sexualität entwickelt sie das typisdie Wesen des Weib-
diens mit dem Seeldien, sie wird kokett, sexuell über-
spannt, dem Mann, den sie liebt, gefügig, ja hörig, oder
sie nützt die Sexualität zur Beherrsdiung der Männer
aus. Das Aussdialten der genitalen Befriedigung hat ein
Lüstermv-erden zur Folge; ein soldier Mensdi muß von
Sexualität zu triefen anfangen. Soweit sidi so ein
Mädel von der bürgerlidien Moral und Lebensart be-
freit und ein Gesdileditsleben lebt, wird der Schwer-
punkt auf die Reizung verlegt. So kommt es zur
Erscheinung der Halbjungfrau, die alles tut, ausnahms-
los alles, bis auf die Aufnahme des männlidien Gliedes
in die Sdieide.
Von Kameradschaft zwisdien Junge und Mädel
kann in keinem dieser Fälle die Rede sein, weder zwi-
79
X
edien dem Studenten und seiner Angebeteten oder dem
Proletariermädel, nodi zwischen Mann und Frau. Immer
bleibt der Mann der Nutznießer der weibliAen Sexnaü-
tät, immer „gibt" die Frau, „nimmt** der Mann. Das
bürgerlidie Sexualleben bewegt sidi daher immer zwi-
sdien den Widersprüdien: Verhimmelung der Frau und
der Liebe hier, Erniedrigung und Beschmutzung der
Frau und der Liebe dort.
Die Spaltung der Sexualität in erniedrigte Sinn-
lidikeit und verklärte Liebe, die im Bürgertum ganze
philosophisdie Systeme über das Problem: „Sexualität"
und „Erotik", erzeugt, ist dodi nur ein einfacher Aus-
druck der für die Privatwirtschaft notwendigen Vor-
herrschaft des Mannes (Erbrecht in der väterlichen
Linie) und überdies Folge der Bestrebungen der bürger-
lichen Klasse, sich durch eine besondere Moral von der
beherrsditen Klasse abzugrenzen. Die eigenen Frauen
dürfen nur in der Ehe und nur den bürgerlichen Män-
nern zugänglich sein. Außerhalb der Ehe und mit Män-
nern der Arbeiterklasse ist der Gas dileth tsver kehr ver-
femt. Die Vorherrschaft des Mannes hat diese Ein-
schränkungen für das männliche Gesc^iledit aufgehoben.
So wurde der Gesdilechtsakt wirklich zu einer Ernie-
drigung der Frau, zu etwas Gewalttätigem, und die
Frauen wehreu sich gefühlsmäßig gegen die Sdimach,
die der Geschlechtsakt unter diesen Bedingungen für
sie bedeutet. • -
Selbst dem Bürgertum begann allmählich das
Grausen vor den Folgen seiner moralischen Prinzipien
aufzusteigen.
Es war nie bereit und wird nie bereit sein, seine
Prinzipien aufzugeben, aber es will den Schmutz über-
kleistern, den es erzeugt. Das gesdiieht vom liberalen
Bürgertum und von der bürgerlichen Frauenbewegung,
die das Schlagwort der Kameradsdbaft zwischen Mann
80
und Frau prägten. Die Frau sollte nidit mehr
Sklavin, sondern „Kameradin des Mannes" sein, nidit
sexuelles Objekt, sondern „Gefährtin des Lebens**. Auf
dieser Basis sollte die morsdie Eheinstitution neu auf-
gebaut werden. Aus dem bürgerlidien Gegensatz:
„Geist und Körper", „zärtlidi" und „sinnlidi", „erotisdi"
und „sexuell", aus der tatsädilidien bürgerlidien Er-
niedrigung des Sinnlidien folgte die Ablehnung der „nur
sinnlidien" Beziehungen. Durch die moralisdie Aus-
schaltung der zärtlidien, durdi die wirtschaftliche Ver-
nichtung der kameradschaftlichen Beziehungen zwisdien
Mann und Frau wurde die sinnliche Sexualität zu einer
der Koteutleerung ähnlidien Angelegenheit, die jedem
menschlichen Empfinden widerspricht.
Breite Massen des reaktionären Kleinbürgertums
leben noch heute mit gespaltener und für den Mann zur
einfachen Entleerung erniedrigter Sexualität wie vor
20 oder 40 Jahren. Kleine Teile, besonders Kreise der
bürgerlidien Intellektuellen, haben sich im Laufe der
Zeit von den Fesseln der bürgerlichen Moral befreit. Das
sind für uns uninteressante Einzelfälle. Sie haben trotz
gelegentlich verwirklichter kameradsdiaftlich-sexueller
Beziehungen keinen Einfluß auf das Sexualleben im
gesellschaftlidieu Maßstabe. Solange die Erziehung in
Elternhaus und Schule bleibt wie sie ist — und sie
bleibt so, solange der Kapitalismus lebt — , gibt es keine
wirkhche Kameradschaft der Geschlediter, außer in den
Kreisen des ganz klassenbewußten Proletariats und
seiner Jugend.
Wenn der Bürger entweder überhaupt keine
Kameradschaft zwischen Mann und Frau kennt oder
aber dieses Wort nur als Gegensatz zur rein sinnlichen
Sexualität gebraucht — was verstehen wir darunter?
Es ist selbstverständlich, daß wir die bürgerliche
sinnliche Sexualität, den jeder kameradsdiaftlichen und
81
zärtlidien Beziehung baren, nur der Entspannung die-
nenden, ohne Rücksidit mit wem oder -wo ToUzogenen
Sexualakt ablehnen. Das ist nidits anderes als bürger-
lidie Moral mit umgekehrtem Vorzeidien. Wir lehnen
sie nicht nur ab, weil sie die Frau erniedrigt und unge-
sunde Sexualität ist, nidit nur, weil das die Sexualität
der politischen Reaktion ist, sondern auch deshalb, weil
wir wieder volle, gesunde Sinnlichkeit erzielen wollen.
Wir dürfen, wenn wir Stellung zur körperlichen
Sexualität nehmen, nie vergessen, daß wir dabei im
Kapitalismus nic^it mit natürlicii körperlichen Sexnal-
akten zu tun haben, sondern mit künstlichen, vom
Patriarchat erzeugten, verzerrten und erniedrigten For-
men der sexuellen Betätigung. Ihre Kennzeichen sind
infolge Mangels, beziehungs^veise Abspaltung der Zärt-
lidikeit: Gier und Lüsternheit vorher, Absdieu, Über-
drufJ, ja Ekel nachher. Soldies Gesdilediisleben hat
keinen Befriedigungswert. Es ist also falsdi, diese Art
der „sinnlichen Sexualität" als die natürlich gegebene
aufzufassen. Gesunde Sinnlichkeit geht immer mit zärt-
lichen und freundsciiaftliciien Gefühlen einher. Wer
seine Sexualität unverdorben entwickeln konnte, ist un-
fähig, Geschleditsverkehr zu haben, wo keine persön-
liche, zärtliche oder kameradschaftliche Beziehung vor-
handen ist. Es ist ein Irrtum, daß die natürliclie
Sexualität, die einheitlidtie sinnliciie und zärtliciae Liebe
je zur „Glaswassertheorie" führt oder führen kann. Es
ist dabei für uns gleichgültig, ob sinnliciie Anziehung
zur Kameradschaft oder umgekehrt Kameradsdiaft zur
körperliciien Befriedigung führt.
Wir sind der Überzeugung, daß die Frau nicht von
Natur aus im Vergleidi zum Manne minderwertig ist,
sondern durch Jahrtausende alte Unterdrückung im
Wirtschaftlidien und Sexuellen zu wirkliciier Minder-
wertigkeit gebradit WTirde. Da die soziale Revolution
82
die politis(iie und sexuelle Versklavung der Frau auf-
Lebt, begründet sie audi die völlige geistige Kamerad-
sdiaft der Gesdilediter. Unter Kameradscbaft können
wir entweder eine Beziehung auf Grund gemeinsamer
geistiger Interessen oder gute Freundsdiaft audhi ohne
solche gemeinsame Interessen, rein auf Grund sexuellen
Zusammenpassens verstehen. Es kann audi gute
Kameradschaft z\v-isdien Jungen und Mädel ohne ge-
schlechtlidie Beziehungen geben; wo diese aber bestehen,
erhöht die geistige Kameradsciiaft die sexuelle Befriedi-
gung ganz besonders. Es wäre aber falsch zu fordern,
daß man nur dann eine sexuelle Beziehung eingehen
darf, wenn audi Kameradsdiaft im Sinne geistiger Inter-
essengemeinchaft vorhanden ist. Im Jugendalter führt
sehr oft erst eine sexuelle Freundsciiaft zur geistigen
Kameradsdiaft. Die proletarisdie Jugendbewegung
wäre heute nodi viel weiter als sie ist, wenn unsere
Jungens und Mädels ihre sexuellen. Ereundsdiaf ten audi
konsequent zur politischen Kameradsdiaft auszubauen
verstünden. Wenn wir so oft sehen, wie unsere prole-
tarisdien Jungens untereinander politische Kamerad-
schaft pflegen, die Mädels aber nur zu sexuellen Zwedcen
anerkennen, ja wenn wir ganze Gruppen finden, die
Mädels entweder niciit aufnehmen oder aussdiließeu, so
müssen wir wissen, daß das bürgerliche Abspaltung der
geistigen von den sexuellen Interessen ist, die unsere
Reihen sdiwädit und zersplittert.
Ferner liegen die Dinge nodi sehr sdiwierig, denn
die Mädels sind durdi die sexuelle Erziehung, die sie
heute genießen, und zwar audi in der proletarisdien
Familie, vom Jungen sexuell viel mehr abhängig als er
von ihr. Und eine Liebesbeziehung bedeutet für das
durchschnittliche Proletariermädel nidit nur körperlidi
sondern auch seelisdi viel mehr als für den Jungen. Es
bedeutet also ein Stück Verantwortung für den Jungen,
83
wenn er eine Beziehung mit einem Mädel eingeht. Auf
dieses Stüdc Verantwortlichkeit, das nidits zu tun hat
mit der sentimentalen Predigerei der Moralisten und
Kultursdiwätzer, kann heute unter den kapitalistisdien
Bedingungen des Gesdileditslebens wegen der materiel-
len und seelischen Abhängigkeit des Mädels, wegen der
Gefahr der Schwängerung und des Selbstmordes aus
unglücklicher Liebe und anderen widitigen Gründen
nicht verziditet werden. Solange die Mädels und die
Jungens so unklar und sexuell gesdiädigt sind, wie wir
sie heute antreffen, muß man fordern, daß kein Junge
ein Mädel zum G es dilechts verkehr zwingt; daß er,
wenn er eine Beziehung eingeht, genau wissen und mit
dem Mädel auch genau darüber gesprochen haben muß,
ob sie imstande ist, eine Trennung zu ertragen, ohne in
Depression zu verfallen. Wir lehnen den Standpunkt,
daß der Junge das Mädel heiraten muß, wenn er mit
ihr Gescileditsverkehr hatte, natürlich ab, vertreten
aber dafür den anderen, daß er niemand ins Unglüdk
stürzen darf. Eine durdi Zwang oder unehrlidie Kniffe
zustandegekommene Geschleciitsbeziehung bietet ge-
wöhnlich niciit das, was beide Teile an geschlechtlicher
Befriedigung anstreben. Man darf also die Frage nicht
von einem moralisch abstrakten, sondern muß sie vom
sexual-ökonomischen Standpunkt aus beurteilen.
In politischer Hinsicht gilt im Kapitalismus in erster
Linie, daß wir die Jugend zum äußersten entsdilossen
und kampffähig machen müssen. Man muß also aucii
von diesem Standpunkt aus die Roheit bekämpfen; denn
sie schädigt die revolutionäre Arbeit, indem sie Jungens
und Mädels trennt und oft zu Gegnern maciit. Wir
können an den sexuellen Beziehungen der Jugend in
der Sowjetunion sehen, daß nach der sozialen Revolution
solche Mahnungen in dem Maße überflüssig werden, wie
bei der Jugend natürliche und selbstverständliche An-
84
sdiauungen über das Gesdileditsleben Platz greifen. Die
immer reidier und besser werdenden Möglidikeiten
zur Befriedigung der Sexualität (Hebung des kul-
turellen Lebens der Massen, Verkürzung der Arbeits-
zeit, Steigerung des Lohnes, Wegfall der Überarbeitung
und der zermürbenden Arbeitslosigkeit, steigende
Wohnkultur, sexuelle Fürsorge usw.) beseitigen die
sexuelle Gier und Brutalität, mit ihnen aber audi die
Notwendigkeit, ständig zur Verantwortung zu mahnen.
Sexuelle Verantwortlichkeit ist bei gesundem, befriedi-
gendem Gesdileditsleben automatisdi vorhanden.
Aus der Unterdrüdcung, Moral predigerei und Heim-
lidituerei entstehen nur Sdiwierigkeiten, ohne daß der
Gesdileditsverkehr tatsädilidi verhindert wird.
Es gibt unendlidi viele Sdiwierigkeiten der kame-
radsdiaftlidien Beziehungen in der Jugend, die teils in
den verheerenden Wirkungen der äußeren Lebens-
bedingungen, der proletarisdien und kleinbürgerlidien
Jugend, teils in der inneren sexuellen Struktur unserer
Jugend überhaupt begründet sind. Die inneren Sdiwie-
rigkeiten, die ja letzten Endes von der kapitalistisdien
Sexualerziehung erzeugt werden, umfassen nidit nur
die proletarisdie Jugend. Dagegen lasten die äußeren
Sdiwierigkeiten fast aussdiließlidi auf den Jugend-
lidien der werktätigen Kreise.
Idi fragte einmal in einer Fidbtegruppe die Jun-
gens, wie es denn mit dem Gesdileditsverkehr und den
Mädels steht, was sie als die größte Sdiwierigkeit be-
traditen. Die Jungens antworteten, daß neben dem Man-
gel an Gelegenheit und Empfängnisverhütungsmitteln
die große Sdiwierigkeit ihnen viel zu sdiafFen gäbe, daß
die Mädels „soviel Gesdiiditen madien", sidi allzu lange
bitten lassen und daß die Jungens dazu weder Zeit nodi
Lust hätten und nur darunter litten. Idb. bat nun die
Mädels, ihren Standpunkt zu vertreten. Eine von ihnen
85
meinte, die Mädels würden ja selbst gerne den Ge-
sdileditsverkehr aufnehmen, aber sie fürditeten sidi
davor, denn die Jungens gingen meist wie die wilden
Tiere drauf los, sie stürzten sidi einfadi auf die Mädels
und nadiher kümmerten sie sich nidit mehr um sie oder
sie redeten untereinander „sdiledit" über die Mädels.
Dieses eine Beispiel beleuchtet grell die Situation,
wie sie heute in der Jugend vielfadi ist. Das ist weder
die Sdiuld der Jungens nodi der Mädels, sondern ein-
fadi und klar das Ergebnis des Widerspruches zwischen
der drängenden jugendlichen Sexualität und der sexual-
unterdrückenden und heimlichtuerischen Erziehung.
Gäbe es keine doppelte Gesdilechtsmoral und keine
stärkere sexuelle Unterdrüdüung der Frau in der kapi-
talistischen Gesellsdiaft, hätte die Jugend reciitzeitig die
Wahrheit erfahren, daß die sexuelle Befriedigung nidit
nur eine Bedürfnisbefriedigung, wie das Essen und das
Aufs-Klosett-Gehen ist, sondern daß von der Art ihres
Sexuallebens wie von der Art ihres materiellen Lebens
ihre geistige Entwicklung, ihre Lebensfxische, Arbeits-
fähigkeit und Kampfesfreude ganz wesentlicii mitbe-
stimmt werden, hätten sie verstehen gelernt, daß die
Sexualität eines Mensdien und ihre Befriedigung in
diesem Alter kein Kinderspiel mehr ist, solche Dinge
kämen nidit vor. Womit haben wir es bei diesem Bei-
spiel zu tun? Soldie Jungens verachten offen oder
geheim die Mädels, obwohl sie sich zu ihnen hingezogen
fühlen. Das Prinzip der Trennung der Gesdilechter im
Bürgertum hat die Jungens in besseres Einvernehmen
zu Jungens als zu Mädels gebracht. Die Mädels wieder
fühlen sich zurückgesetzt, haben viel mehr sexuelle
Angst und Sdieu entwidcelt als die Jungens, was ihre
sexuellen Wünsche keineswegs verringert, sondern nur
ihren Konflikt mit diesen Wünsdien verstärkt. Wenn
die Jungens die Mädels offen oder geheim gering-
86
sdiätzen, -wenn die Mädels vielfadi Angst vor dem Ge-
sdileditsverkelir haben, wenn die Jnngens sidx nachher
untereinander ihrer Erlebnisse rühmen und sdiledit über
die Mädels sprechen, wenn dazu sdiließlidi die starke
sinnliche Anziehung der Gesdilediter und der Drang
nadi sexueller Bedürfnisbefriedigung hinzutreten, so
kann unter soldien Widersprüdien eben nidits anderes
herauskommen, als daß die Jungens sieht wie Tiere auf
die Mädels stürzen und die Mädels „Geschiiditen
machen".
Es wäre ein großer Fehler zu glauben, daß das un-
interessante Privatangelegenheiten sind, denn sie wur-
zeln in unserer kapitalistischen Sexualordnung und Er-
ziehung, sie verderben unsere Jugend und maciien sie
überdies sehr oft kampfunfähig. Diese Frage geht uns
also sehr an. Wir müssen in unseren Organisationen
eine freiere Atmosphäre schaffen, Jungens und Mädels
müssen sich offen darüber aussprechen können, wie sie
zueinander stehen wollen, was sie aneinander nidit
mögen, das wird die beste Grundlage für eine nidit
phrasenhafte, sondern edite Kameradsdiaft zwischen
Jungens und Mädels sein, für den gemeinsamen Kampf,
den unsere Jugend heute und in der näciisten Zeit immer
verantwortungsvoller gegen das Ausbeutungssystem des
Kapitalismus zu führen haben wird.
Besonders brennend in den Jugendgruppen ist das
zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen Jungens und
Mädels in den Gruppen, wobei meist die Mädels in der
Minderzahl sind. Wir werden auf die organisatorisdie
Seite dieser widitigen Frage im letzten Absdinitt
zurückkommen und wollen uns hier nur die Sdiwierig-
keit und ihre Ursachen selbst klarlegen. Ein jugend-
lidier Führer aus einer Rote-Falken-Gruppe bericiitet:
„In unserer Gruppe ist das Zahlenverhältnis der Jun-
gens zu den Mädels wie 3 : 1. Das ist für das Gruppenleben
87
und den einzelnen ein unhaltbarer Zustand. Die Hälfte der
Mädels hat dauernd bestimmte Burschen in der Gruppe
oder in der Bewegung. Diese Jungens sind meist Genossen,
die keine Hemmungen haben. Und daher haben diese Paare
ein geregeltes Gesdüedit sieben. Nur in einzelnen Fällen ist
es vorgekommen, daß zwei befreundete Jugendliche so
starke Hemmungen hatten, daß sie nie zusammen waren
(das heißt Gesdilettts verkehr hatten). Das war darauf zu-
rüdczuführen, daß der Junge Angstgefühle hatte oder „sicii
nicht traute" oder das Mädel nodi bürgerliciie Ehevorstel-
lungen hatte oder auch Angst vor dem Akt. Der Rest der
Jungen oder Mädels, die keinen Partner haben, sudit nun
ein Mädel oder einen Jungen aus der Bewegung. Bei vielen
Mädeln artet es derart aus, daß sie dieses Gefühl der Jun-
gens merken und darauf pociiend von einem zum andern
wandern, heute auf Fahrt den, morgen jenen nehmen.
Diese Jungen, die fast alle überspannt sind, sind auch
dankbare Partner. Idi kann am besten die Gefühle der
Jungens sdiildern, da idi genau dieselbe Entwicklung durdi-
mac£te. Das dauernde „Ohne-Mädel-Sein" entwickelt beim
Jungen Minderwertigkeitsgefühle; er beginnt sich mit den
anderen, die Partner haben, zu vergleichen und bildet sich
nun diesen oder jenen Fehler ein. Diejenigen, die mal hier
und dort auf Fahrt ein Mädel finden, sind unbefriedigt. Da
nur der Körper befriedigt wird, werden sie seelisch Eigen-
brötler oder sie fangen an, mit sexuellen Erlebnissen zu
protzen und oft wollen sie mit Gewalt ein Mädel finden,
gehen auf Tanzböden oder in ähnliche Vergnügungsstätten,
finden dort ein bürgerlidies Mädel und gehen dann der
Bewegung verloren. Oft versuchen die auch durch starke
Arbeit in der Bewegung ihre Sexualität zu unterdrücken;
dadurch gelingt es manchen, ihr sexuelles Minderwertig-
keitsgefühl durdi das Gefühl des Wertes in der Gruppe zu
iiberwinden. Was nützt uns die beste Aufklärung, wenn
wir keine Partner haben, und wenn wir ideologisdi so
denken, daß wir nur ein Fichtemädel haben wollen?"
Diese Sdiilderung gibt klar eine Situation in der
Jugend wieder, die fast alle Gruppen beherrscht. Fassen
wir zusammen: ' - t . . _
1. Soweit Partner gefunden werden, ist das Ge-
schleditsleben der Jugendlidien geregelt; es bestehen
keine Schwierigkeiten.
88
2. Die Jungens „ohne Mädels" sind „tiberspannt", das
heißt nervös; die Mädels merken diesen Zustand und
werden dadurch aus ihren festen Beziehungen heraus-
gerissen, da sie si<h diesen Jungens hingeben. Wir sehen
hier deutlidi eine UrsacLe für ungeregelten Geschledits-
verkehr, der weder geistig noch körperlidi befriedigt.
Dabei wollen wir noch einmal betonen, daß wir unter
„geregelt" nidit ewig treu sondern befriedigend ver-
stehen. Dem Bericht dieses Jugendführers muß nodi
angefügt werden, daß solche Jungens sehr gefährdet
sind, wenn sie nicht bald doch einen Partner finden,
denn die aktuelle Unbefriedigtheit produziert in ihnen
nicht nur sexuelle Minderwertigkeitsgefühle und Prahl-
suciit, treibt sie nicht nur aus der Organisation hinaus,
sondern veranlaßt bei der geringsten Veranlagung zu
einer seelischen Erkrankung, die ja meist in der Kind-
heit erworben wurde, ein Überwuchern der sexuellen
Phantasietätigkeit sowohl der bewußten wie insbeson-
dere der unbeMTißten, auf deren Grundlage sich dann
in Verbindung mit Onanieschuldgefühlen schwere
Sexualstörungen herausbilden können. Es ist daher für
solche Jugendlidie wichtig, so früh als möglich in die
Beratungsstelle zu kommen, die in Verbindung mit der
Organisationsleitung die nötigen Schritte unternehmen
kann, um dem Jugendlichen Klarheit zu geben und die
Partnerfrage in der Organisation zu lösen. Je früher
der Jugendliche Klarheit bekommt und die Organisa-
tion die Sadie berücksichtigt, desto geringer ist die Ge-
fahr für später. Je länger der Zustand der Verein-
samung dauert und sicii in dieser oder jener Weise zu
äußern beginnt, desto notwendiger wird eine umständ-
liciie Behandlung, die heute im Kapitalismus für die
Masse der Jugendlichen nicht in Betradit kommt.
3. Wenn solciie Jungens den Ausweg darin suchen,
daß sie auf Tanzböden bürgerlichen Mädchen nachren-
89
neu, so darf man nidit glauben, daß siA dadurdi für
den Jungen subjektiv wirklidi ein Ausweg gefunden
hat; es ist falsdi anzunehmen, daß, was auf den Tanz-
böden an sexuellen Erscheinungen wie echtes Gold
glitzert, auch wirklich edtites Gold ist. Eingehende Er-
fahrung lehrt, daß je mehr die sexuellen Erscheinungen
sich in einer Gesellschaftsgruppe vordrängen, desto ge-
störter, zerrissener, unbefriedigender für jeden einzel-
nen das Geschlechtsleben im Innern und in Wirklichkeit
ist. Wir sehen davon ab, daß überdies der klassen-
bewußte proletarische Junge sich innerlich Gewalt an-
tun muß, wenn er sidi den kleinbürgerlichen Unterhal-
tungszirkeln mit ihrer Konvention anpassen will.
Ein Gruppenleiter aus Neukölln, mit dem ich über
diese Frage sprach, meinte, daß der proletarische
Jugendliche sich keinerlei Gewalt antue, wenn er sidi
den kleinbürgerlichen Unterhaltungszirkeln mit ihren
Konventionen anpaßt, denn er stehe mitten drin; es
sei das Bedürfnis dieser Art von proletarischen Jugend-
lichen, der Bourgeoisie alles nachzuäffen, in Kleidung,
Tanz, Gesellschaftsmanieren usw. Deshalb sei es auc^
der proletarisdien Jugendbewegung schwer möglich,
diesen Typ der Jugend für sich zu gewinnen.
Ich glaube, dieser Genosse sieht die Sachlage zu
einfach. Viele von den proletarischen Jugendlidien, die
politisch von der revolutionären Bewegung nicht gut
genug oder gar nicht erfaßt sind, haben einen Wider-
spruch in sich. Ihre proletarische Daseinsweise madit
sie einerseits ganz anders als den bürgerlichen Jugend-
lichen, sciiafft in ihnen einen revolutionären Kern, der
sich in Denken, Gang und Haltung ausdrüdct. Sie sind
aber gleichzeitig der bürgerlichen Umgebung der Tanz-
böden usw. ausgesetzt und versuchen nun dort» bürger-
liche Lebensart zu imitieren. Das ist ein Widerspruch,
der beim bürgerlichen Jugendlichen fehlt und den pro-
90
letarisdien Jugendlidien in soldien Situationen ver-
krampft madat. Und das drüdcte der Genosse axuh
selbst aus, wenn er sagte:
„Dort (auf den Tanzböden) sitzen die proletarisdien
Jungen und Mädels wie Puppen, einerseits um ihren baum-
wollenen Stoff nidit zu knüllen, anderseits um eine gute
gesellsdiaftlidie Haltung vorzudemonstrieren. Alles sieht so
unbeholfen- lächerlich aus, und sie erkennen ihre eigene
Lädierlidikeit nidit. Es ist eben Mode, denn so madit es
audi der Bourgeois." ■
Es ist unsere Aufgabe, soldie Widersprüdie zu ver-
stehen und Methoden ausfindig zu madien, sie zu lösen,
den Jugendlichen dieser Art Klarheit zu bringen und sie
in unsere Reihen einzuordnen. Darauf werden wir im
letzten Absdinitt nodi eingehen.
4. Der erste Jugendgenosse hat vollkommen recht,
wenn er sagt, daß die beste Aufklärung uidits nützt,
wenn man keine Partner finden kann, und er hat redit,
daß die Sctiditung der Gesellscbaft in verschiedenst -
artige Gruppen die Partnerwahl erschwert. Aber so-
w^ohl das erste wie das zweite sind Grunderscheinun-
gen des kapitalistischen Gesellschaftssystems und in
diesem nicht zu beseitigen. Die Jugend leidet sexuell
so schwer, weil eben ihre reifwerdende Sexualität mit
den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen im
schärfsten Widerspruch steht sowohl was die vorange-
gangene Erziehung als auch was die gegenwärtigen ge-
sellschaftlichen Umstände anbelangt.
Eine weitere Schwierigkeit der proletarischen
Jugendorganisation ist das Cliquenwesen. Ein Jugend-
funktionär berichtet:
„Als icii die Leitung einer Fichte- Jugendgruppe in
Neukölln übernahm, bestand dort eine Clique von Jungens
und Mädels, alles geeignete Jugendfunktionäre. Alle Ge-
nossen zwischen 16 und 18 Jahren. Es war aber ein unge-
sundes Verhältnis. Die Mädels wurden von den Jugend-
genossen nicht ernst genommen. Witze und gegenseitige
91
stänkereien führten die Trennung zwischen Jungens und
Mädels herbei. Die Mädels isolierten sidi, machten selb-
ständig Fahrten und waren ebenfalls nicht mehr zur weite-
ren Jugendarbeit zu überreden. Die Jungens konnten sich
nicht erklären, warum die Mädels nicht mehr zu ihnen
kamen. Zu irgendeinem Gruppenvergnügen tanzten die
Mädels immer mit fremden, auBerhalb der Organisation
stehenden Jugendlichen. Auch in der Jugendarbeit lienen
die Genossen von Monat zu Monat nach, man konnte sich
nicht mehr auf sie verlassen. Seit einigen Monaten sind
diese Genossen nun zu den „Roten Pfadfindern" überge-
gangen. Das ungesunde Verhältnis zwischen den Genossen
und Genossinnen führte zur Trennung. Die Genossen ver-
standen nicht die Beziehungen zu den Mädels, die den
Willen zum kollektiven Zusammenleben hatten, weiter
auszubauen."
Mit solchen Erscheinungen muß man sich ein-
gehend beschäftigen, denn sie sind die sich^eren Anzei-
chen des bevorstehenden Zerfalls der Gruppe. Sie
haben, soweit wir die Sadilage überblicken können,
zweierlei Gründe: Erstens die allgemeine Gering-
sdiätzung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft, die
mit der für die Privatwirtschaft wichtigen Vorherrschaft
des Mannes zusammenhängt. Diese Geringschätzung
der Frau nehmen die Jungens von früher Kindheit in
sich auf. Die Klassengesellschiaft erzieht die Jungens
von klein auf für die Zwecke der patriarchalischen
Familie, die wir im Abschnitt V behandeln werden.
Zweitens wirkt hier oft entscheidend die systematiscte
Trennung der Gesdiledhter und die Unterdrückung der
geschlechtlichen Beziehungen zwischen Jungens und
Mädels im Sinne der Entwicklung starker homosexuel-
ler Bindungen der Jungens untereinander, so da-ß
Cliquen von Jungens hier und Mädels dort entstehen.
Hier ist systematische, politische und sexuelle Aufklärung
über die Absichten der Klassengesellschaft von entschei-
dender Bedeutung. Wir kommen auch auf diejenigen
organisatorischen Fragen, die damit zusammenhängen.
92
im letzten Absdinitt zurück und fügen hier gleidi einen
w^eiteren Beridit desselben Jugend funktionärs an, weil
er die äußeren Sdiwierigkeiten beleuAtet, die diese
Cliquensituation verschärfen:
„In einem anderen Falle wurde eine Fahrt nadi X, an-
gesetzt. Wir hatten beschlossen, in einer Jugendherberge
zu übernaditen. Eine Woche später setzte heftiger Protest
ein, warum wir nidit in einer Sdieune schlafen. Da wir nun
einmal die Herberge angemeldet hatten, konnten wir das
nidit mehr zurückziehen. Das Resultat war, daß zwei Grup-
pen sidi selbständig absonderten und in einer Scheune
schliefen. Für die Zukunft forderten sie, daß wir immer in
einer Scheune schlafen, da man in der Jugendherberge zu
eng gebunden ist. Man muß um zehn Uhr sdilafen gehen,
man muß Rüdcsicht nehmen auf andere Gruppen usw. Wir
sehen, daß der sexuelle Drang stärker ist als die Disziplin.
Zu bemerken ist, daß es in den meisten Fällen Mädels
waren, die forderten, in einer Scheune zu schlafen."
Hier bildete sicii die Clique, weil die Jugendlichen
in der Herberge nidit gesdileditlicii verkebren konnten,
während sie in der Sdieune ungestört waren. Denkt
man daran, unter welchen sciieußliciien Bedingungen
sich das Gescbleditsleben der Jugend in der Stadt ab-
spielt, was für Schäden daraus entstehen, so muß man
begreifen, daß die Jugendlichen die Raumfrage auf
diese Weise zu lösen versuchen. Wir werden daher
gegen diejenigen, die sich heute über solche Vorgänge
entrüsten und sie verbieten, jederzeit auftreten.
Bei dieser Frage spielt ganz wesentlich mit, daß
die Jugend spürt, >vie gering ~ entsprechend ihren
Bedürfnissen ~ das Verständnis ist, das die Erwach-
senen ihnen im allgemeinen entgegenbringen. Die
Jugend will sich auch ihre Partner nicht von Älteren
rauben lassen. Dagegen kommt der einzelne verständ-
nisvolle Jugendleiter schwer auf. Wir konstruieren also
nicht diesen Gegensatz zwischen Jugend und „Alter",
er sitzt in unseren Reihen. Es bleibt kein anderer Weg,
95
wenn man nidit ins Leere reden will, als die Tatsadie
der Gesdileciitsreife anzuerkennen und ihr medizinisdi
und politisdi Redinung zu tragen. Wenn unsere prole-
tarisdien Jugendlieben sdion innerlich durdi die genos-
sene Erziehung und äufierlidi durch Ausbeutung, Hun-
ger, Prügelstrafe in Fürsorgeheimen usw. zerrüttet sind,
so dürfen wir nidit noch Moralin verschreiben, was gar
nichts nützt und diese Jugend nur zu unseren Feinden
statt zu Feinden des Kapitals macht. Wir müssen alles
berücksichtigen, auch unsere eigenen sexuellen Hemmun-
gen, wenn wir den so sehr störenden Gegensatz von
Jugendliciien und Erwachsenen, Jungens und Mädels,
Gruppenmitgliedern und Gruppenleitern aufheben und
in eine geschlossene Front gegen den einzigen Feind,
das Kapital und seine Knechte, verwandeln wollen. Wer
diese Dinge nicht sehen will oder kann, wie sie sind, wer
bürgerliche Moral und Predigten verzapft, macht sidi
zum Feind der Jugend als unbewußter Vertreter des
Kapitals. Er muß bekämpft werden, denn er stört den
Zusammenschluß der werktätigen Jugend zum Kampf
gegen den Klassenfeind.
Ein besonders grauenhaftes Kapitel kapitalistischer
Ordnung ist die Fürsorgeerziehung. Welch führende
Rolle dabei die Verworrenheit in der Sexualfrage der
Jugend und der Erzieher spielt, haben ja die Fürsorge-
prozesse (Fall Scheuen usw.) gezeigt. Hier nur ein Bei-
spiel, das der proletarischen Jugend klarmachen kann,
^vie sehr die sexuelle Frage eine Frage ihrer politischen
Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft ist.
Im Juli 1951 brachen aus einer Fürsorgeanstalt in
der Nähe Berlins, in der sich Mädels etwa im Alter von
vierzehn bis neunzehn Jahren (und neun „Erzieherin-
nen"!) befanden, sechs Mädels aus. Es gab unausgesetzt
Streit und Prügeleien zwischen Zöglingen und Er-
zieherinnen. Was war der wirkliche Grund? Die Mädels
94
hatten sämtlidi Gesdileclitsverkehr mit den Jungens aus
der Umgebung. Sie gingen meist abends fort und kehr-
ten erst spät nachts gewöhnUdi durdi die Fenster heim.
Mandie dieser Mädels verkehrten jede Nadit mit ande-
ren Jungens. Einige hatten dauernde Beziehungen.
Von Verhütungsmitteln hatten weder die Mädels
noch die Jungens eine Ahnung, ebensowenig von den
Möglidikeiten, sich gegen GJeschlechtskrankheiten zu
schützen. Es gab unter den elf Mädels vier, die ange-
steckt waren und einige waren auch schwanger ge-
worden. Die Erzieherinnen hatten untereinander homo-
sexuelle Beziehungen, die die Mädels, was durch die
Lage der Lokalitäten begünstigt wurde, direkt beobach-
ten konnten, ohne daß die Erzieherinnen es ahnten. Es
gab audi Beziehungen zwisdien Erzieherinnen und Zög-
lingen. Durch die Beobachtungen wurden die Mädels
immer sehr erregt und bekamen erst wieder Ruhe, wenn
sie mit ihren Jungens verkehrt hatten. Viele von ihnen
waren aber sexualgestört, so daß sie diese Beruhigung
nicht erfuhren. Zwei Mädels waren homosexuell.
Manche der anderen, die mit Jungens verkehrten, wur-
den immer selbst homosexuell erregt, wenn sie die
Beobadbitungen machten. Der Zusammenhang ihrer Er-
regtheit mit ihren provozierten, aber nicht zu Bewußt-
sein kommenden homosexuellen Neigungen war ihnen
nicht bewußt, wohl aber war ihnen klar, daß die Krachs
mit den Erzieherinnen vom Zustand ihrer sexuellen
Spannung abhingen.
Einmal forderten sie von der Leitung einen auf-
klärenden Vortrag über Geschlechtskrankheiten. Man
redete lange um die Sadie herum, der Vortrag kam nicht
zustande. Darauf entstand eine Revolte, bei der alle
Fensterscheiben zerschlagen und die Erzieherinnen ver-
prügelt wurden. Die Leitung kümmerte sich um das
zentrale Problem dieser Mädels, ihre Sexualität, gar
95
nidxt, und dies, obwohl man wußte, welche Rolle die
behinderten sexuellen Bedürfnisse bei den Zusammen-
stößen mit den Erzieherinnen spielten. Wurde ein
Mädel erwischt, so wurde sie am nädisten Tag ärztlich
untersucht. Das war der Weisheit höchster Schluß.
Die Mädels waren nictt sdileciit verpflegt, aber die
Prügelstrafe veranlaßte sie zu den Revolten und zum
Ausbruch. Es gab auch immer wüste Szenen, wenn ein
Mädel in den Arrest sollte. Es ist wesentlidi, daß nadi
Angabe der Mädels die Streitereien zum Teil von ihnen
selbst provoziert waren, und zwar immer dann, wenn
sie sith. durch die Anstaltsmas ciiinerie in ihrem Sexual-
leben behindert fühlten.
Wer hatte hier die Schuld? Die Mädels? Auf kei-
nen Fall. Sie bestanden auf dem guten Redit ihrer
natürlidien Sexualität. (In den Fürsorgeanstalten ist
bekannt, daß die Schwierigkeiten immer dann beginnen,
wenn die Geschlechtsreife einsetzt, also wenn die Mädels
zu menstruieren anfangen.) Waren die Erzieherinnen
schuld? Nein, denn sie durften ja selbst ihr Sexualleben
nicht öffentlich leben und mußten sicii daher mit dem
Ersatz der Homosexualität begnügen. Schuld war einzig
und allein diese verruchte Ordnung, die in Form von
über „Kultur" und „Volkswohl" schwätzenden Bestien
junge, gesunde Mädels wild und die Erzieherinnen zu
Tierbändigerinnen mactte. Und schuld sind alle jene
hohen und überklugen Wissenschaftler, die dicke Büdier
über die „Objektivation der immanenten Prinzipien des
transzendentalen perzipierenden Aktwillens der phäno-
menalen Konfusionsphonetik des mensdiliciien Geistes"
sciireiben, die Prediger der „Kulturpubertät", die
Schwätzer von Geistesgnaden, sämtlich eitle, unwissen-
schaftliciie Knechte des Kapitals, die die Wissenschaft
einzig und allein zur Ablenkung von der Wirklichkeit
mißbrauchen und gerade deshalb in Rang und Ehren
96
sind. Sdiuld sind die sozial demokratisdien Obrigkeiten
mit ihrem von Gefühlsduselei triefenden Liberalis-
mus, der den ganzen Schmutz raffinierter Volksverfüh-
rung mit dem Gloriensthein des Sozialismus umkrän-
zen will. Der eine Ausspruch eines Mädels aus der An-
stalt: „Wer da hinein kommt, tut mir bitter leid",
spricht das Urteil über diese Geißel der schwer arbei-
tenden und leidenden Bevölkerung.
Die sexuellen Zustände in diesen Anstalten sind ja
nicht anders als die in den Zuchthäusern. Und die
Lösung ist so einfach, wie die, die in der Sowjetunion
getroffen wurde: Verniditung des kapitalistischen
Staatsapparats und Unschädlichmachung eines jeden,
der sich gegen die Befreiung von diesen Verbrechen
stemmt. Dann wird Platz für alle Maßnahmen, die es
gar nicht zu einer Fürsorgeerziehung kommen lassen.
97
V. DER SINN DER UNTERDRÜCKUNG
DES GESCHLECHTSLEBENS DER
JUGENDLICHEN IM KAPITALISMUS
Weldie Zusammenhänge bestellen zwisdien der
kapitalistisdien Gesellsdiaftsordnung, ihrer Sexualord-
nung und der Art und Weise, in der sie die Gesdiledit-
lidikeit der Jugend behandelt? Weldien Sinn hat die
sexuelle Unterdrüdkung der Jugend?
Die meisten Jugendlidien, mit Ausnahme der ganz
klassenbewußten proletarisdien, nehmen die Tatsadie
der Unterdrüdtung ihres Geschleditslebens durdi die
kapitalistisdie Gesellsctiaft als eine Selbstverständlidi-
keit hin, als etwas, was sidi so und nidit anders gehört.
Gehen wir aus vom Vergleich der wenigen Jugend-
lichen, die ein befriedigendes Liebesleben führen, mit
den anderen, die sich vom Einfluß der bürgerlichen
Familie sowie Sciiule und Kirclie nidit frei macben konn-
ten und entweder enthaltsam leben, sich selbst befriedi-
gen oder aber sieb gelegentlich in eine sogenannt pla-
toniscbe Liebe verstricken und in Tagträumerei ver-
sinken. Wir werden dann sofort feststellen können, daß
die in sexuellen Dingen klarer denkende Jugend, die
vorwiegend aus dem Proletariat stammt, gegen das
Elternhaus, gegen die Schule und gegen die Kirdie offen
rebelliert, während die sexuell gehemmten Jugend-
lichen — dem Kern nach aus dem Kleinbürgertimi stam-
mend — meist sehr „brave" Söhne und Tödbter sind. Das
ist niciit zufällig, sondern hat seinen guten Sinn. Familie
und Schule sind heute nämlicii, politiscb gesehen, nichts
anderes als Werkstätten der bürgerliclien Gesellsdiafts-
ordnung zur Erzeugung braver, gehorsamer Untertanen.
Der Vater in seiner üblidien Gestalt ist der Vertreter
der hürgerlidien Obrigkeit und Staats&uiorität in der
98
\
Familie, Dieselbe gehorsame und untertänige Stellung,
die der Vater von seinen Kindern verlangt, wenn sie
klein oder jugeudlidi sind, fordert die staatlidie Autori-
tät von den Erwadisenen. Kritiklosigkeit, Niciitauf-
mutkendürfen, Keine-eigene-Meinung-haben kennzeidi-
nen die Beziehung der familiär treuen Kinder zu den
Eltern ebenso wie die der obrigkeitstreuen Angestell-
ten und Beamten zum Staat und der nodi unaufgeklär-
ten, nicht klassenbewußten Arbeiter in der Fabrik zum
Fabrikleiter oder Fabrikbesitzer. In dem Maße, wie sidi
in der proletarisdien Familie die Klassenbewußtheit ent-
widtelt, verändert sich auch die Einstellung der Elteru
zu den Kindern, wenn auch von allen bürgerlichen Ein-
stellungen am sdiwersten und zu allerletzt.
Der Zusammenhang mit der Sexualunterdrückung
ist folgender: Die Unterdrüdtung der sexuellen Span-
nungen und Wünsche erfordert bei jedem einzelnen ein
großes Maß an seelisdier Energie. Das hemmt und be-
einträditigt die Entwidilung der Aktivität, des Ver-
standes und der Kritik. Je ^ gesünder und kräftiger
sich dagegen die Sexualität entfaltet, desto freier, akti-
ver und kritischer wird man auch sonst iu seinem Ver-
halten. Aber gerade das darf ja im Kapitalismus nicht
sein, der die Autorität und Tradition sdiärfstens ver-
tritt. Die Einsdiränkung der geistigen Bewegungsfrei-
heit und Kritik durdi sexuelle ünterdrüdcung ist einer
der Toiditigsten Zroedce der hürgerlidien Sexualordnung.
Es hat daher auch seinen guten Sinn, daß das Bür-
gertum mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung
stehen, für die Aufrechterhaltung und Stärkung der
Familienmoral eintritt. Denn die bürgerliche Familie
ist, wie gesagt, vor allem seine Untertanenfabrik.
Die Enthaltsamkeitsmoral wird besonders streng in
der Geschlechtsreife gefordert, weil die Jugend gewöhn-
lich gerade in diesem Alter gegen das Elternhaus zu
99
rebellieren beginnt; die sexuellen Interessen und Kräfte
jedes einzelnen leimen sidi gegen die Unterdrü<ker auf.
Die Zeit der Gesdileditsreife ist gerade diejenige, in der
es fast ausnahmslos in allen Familien zu den sdiärfsten
Konflikten zwisdien den Jugendlidien und den Eltern
kommt. Sofern der Jugendlidie nidit restlos nieder-
gedrückt wurde, wie zum Beispiel in den Kreisen der
kleinen Kaufleute und Angestellten, beginnt er, sidi
immer mehr und immer stärker gegen den Zwang, die
schönsten Sonntagnadimittage in Gesellsdiaft der Er-
wachsenen in einem Wirtshausgarten bei öden Gesprä-
chen zu verbringen, aufzulehnen; jeder Jugendliche, ob
Junge oder Mädel, beginnt früher oder später mehr oder
minder klar zu ahnen, daß sie wo anders hingehören,
unter andere Jugendlidie, daß sie sich bei den Erwach-
senen langweilen, daß sie Luft, Sonne, Körperkultur
und sexuelle Beziehungen ersehnen.
Wenn unsere revolutionäre Aufklärungsarbeit diese
Jugendlichen nicht erreicht, so versinken sie nadx einer
kurzen und fruchtlosen Periode des Kampfes gegen die
Eltern in die trostlose, vom polilischen Leben abschlies-
sende Familienatmosphäre, die sie derart mit bürger-
lichen Ideologien durchtränkt, daß sie dann höchstens
noch zur bürgerlichen Jugendbewegung oder zur reak-
tionären Nazibewegnng stoßen. Wir dürfen den Zusam-
menhang nicht übersehen, daß sich die nationalsozialisti-
sche Bewegung vorwiegend aus der kleinbürgerlichen
Jugend rekrutiert und gleichzeitig mit Kirche und
Kapital für die Hochhaltung der bürgerlichen Familie
und der Keuschheit der Jugend eintritt; daß die natio-
nalsozialistische Bewegung neben revolutionären Phra-
sen Parolen vertritt, die die restlose Versklavung der
Frauen (Verschärfung der Zuchthausstrafe für Schwan-
gerschaf tsunterbrediung, „die Frau gehört an den
Herd", Ablehnung der Gleichberechtigung der Frauen
100
m den politisdieii Verbänden) beinhalten, daß sidi also
die nationalsozialistisdie Ideologie mit der bürgerlidi-
kapitalistisdien Familienideologie dedtt.
Es ist die Aufgabe der revolutionären Jugend, hier
Klarheit in die Reihen der Jugend überhaupt zu
tragen.
Bei diesem Kampf um die Befreiung aller nidit-
aufgeklärten Jugendlidien von den Fesseln des reaktio-
nären Elternhauses, das sie für die politische Reaktion
vorbereitet, müssen wir auf große Sdiwierigkeiten ge-
faßt sein.
Die bürgerlidie Familie hat also die Aufgabe, Unter-
tanen zu erziehen und die Jugend ehefähig zu madien.
Da aber das Sexualleben und auch das wirtsdiaftlidie
Dasein außerhalb der gesetzlidi geschützten Familie für
Frau und Kinder noch weit schwieriger, ja oft unerhört
gefahrbringend ist für jeden, der diesen Schutz nicht ge-
nießt, spielen die Familie und das Elternhaus im Kapi-
talismus eine recht bedeutende Rolle als Schutzinstitu-
tionen für die unterdrückten Frauen und Kinder. Des-
halb verteidigen proletariscbe Frauen so oft und leiden-
schaftlich die Ehe. Darüber hinaus bedeutet die
Familieninstitution in den bürgerlichen und kleinbürger-
lichen Kreisen bis tief ins Proletariat für alle Beteiligten
nur Elend und Qual. In der Institution der Familie gibt
es einen Widerspruch, der sie sowohl festigt als auch
untergräbt. Auf der einen Seite ist die Familie eine der
wichtigsten Einrichtungen der Privatwirtschaft, aber auf
der anderen Seite zerstören die kapitalistische Wirtschaft,
die Massenarbeitslosigkeit, die Verelendung durch Lohn-
druck usw. die Familien der werktätigen Bevölkerung;
proletarische Frauen und Jugendliche müssen entweder
arbeiten gehen, um den notwendigen Lebensunterhalt
zu bestreiten, oder aber sie müssen stempeln gehen und
werden durch jahrelange Arbeitslosigkeit derart seelisch
101
zermürbt, daß die audi soast in der Familie vorhan-
denen Spannungen mitunter bis zu unerträglichem Haß
gesteigert werden. Und so gehen viele proletarisdie
Familien zugrunde, zerfallen sowohl durdi ihre inneren
Schwierigkeiten als auch durch den wirtschaftlichen
Druck von außen. Im Kleinbürgertum sieht es heute —
abgesehen von der kleinbürgerlichen Zerrüttung der
Ehen ^ nicht viel anders aus. Mag das Familienleben
in dieser Schicht in manchen Fällen durch heudb.leris(iie
Sentimentalität, durch Phrasen vom „gemütlichen"
Heim usw. verhüllt werden. Je unerbittlicher die wirt-
schaftliche Not der Massen im Kapitalismus auch an die
kleinbürgerliche Familie herantritt, desto rasciier zer-
fallen die heucilerischen Phrasen, desto unverhüllter
tritt die Lage, wie sie wirklicii ist, zutage. Unter den
Prügeleien und dem Gezänk zwischen den Eltern gehen
Massen von Jugendlichen moralisch zugrunde, wenn sie
nicht in die Gesamtbewegung der proletariscien Jugend
hineingezogen werden. Gelingt ihnen das nicht, so ver-
brauchen sie ihre besten Kräfte im Kampf gegen das
Elternhaus.
Aber dieser Kampf der Jugend gegen das rückstän-
dige Elternhaus darf uns nicht über die andere Seite
der Sache hinwegtäuschen, daß diese Jugend gleichzeitig
tief gebunden ist an ihre Eltern und innerlidi sowohl
wie materiell von ihnen abhängt. In der proletarischen
Jugend tritt oft eine Erleichterung dieser Abhängigkeit
durch ihre materielle Selbständigkeit ein. Die Abhän-
gigkeit von der elterlichen Befürsorgung und die Ge-
bundenheit an die elterliche Autorität sind gerade das-
jenige, um dessentwillen die Kirche sofort auf dem
Kampffeld ersdiieint, wenn es gilt, gerüstet mit der
ganzen Verdummungsmaschinerie, den Phrasen von
Gott, seinem ewigen Willen und seiner weisen Voraus-
sicht die Ehe und Familie in göttliche Regionen, weit
102
entiernt vom kritischen Mensdien verstand, zu entrücken.
Denn der Vater in der heutigen Gestalt, das können
wir uns nidit scharf und klar genug immer wieder
vor Augen halten, ist der Vertreter der herrschenden
Ordnung und Moral den Kindern und der Frau gegen-
über in der Familie. Und da der Papst für diese herr-
schende Ordnung eintritt, ist es nur konsequent von
seinem Standpunkt aus, wenn er seine christliche Ge-
folgschaft streng mahnt, ja Gottes Gebot zu befolgen,
welches besagt, daß Frau und Kinder ihrem Mann und
Vater ebenso Untertan und gehorsam zu sein haben wie
dem ewigen Gott.
Wenn wir aber im Moskauer antireligiösen Museum
TTeiligenbilder aus der Zarenzeit ausgestellt sehen, auf
denen entweder Jesus im Zarengewand oder der Zar
mit einem Jesuskopf abgebildet ist, so verstehen wir
leicht den ganzen Zusammenhang: Gott und Jesus sind
ins Überirdische entrückte Darstellungsbilder des Kaisers
und der Obrigkeit für den Erwachsenen und des Vaters
für das Kind und den Jugendlichen. Der Kaiser und
die Obrigkeit spielen später im Gefühlsleben der Er-
wachsenen die gleiche Rolle, erwecken in ihm die glei-
chen Einstellungen der Untertänigkeit und Kritiklosig-
keit wie die Beziehungen zum Vater im Kind. Darin
erschöpft sich zwar nicht die politische Rolle der
Familie, aber das ist ihre politische Haupt funktion.
In keiner Institution der bürgerlichen Gesellschaft
tritt die autoritäre Unterjochung der Jugend so stark
hervor, in keiner Institution beginnt diese Unterjochung
so früh auf den kindlichen seelischen Organismus ein-
zuwirken wie gerade im Elternhaus. Wir sehen daher
audi immer wieder, daß famüiäre Unterwürfigkeit meist
Hand in Hand geht mit Bindung an die herrschende
Ordnung, und daß Rebellion gegen das Elternhaus bei
der Jugend oft den ersten Schritt bedeutet zu klassen-
103
bewußtem Kampf gegen die kapitalistisdie Gesell-
sdiaftsordnung. Es ist kein Zufall, daß die proletari-
sche revolutionäre Jugend sidb meist, und zwar infolge
ihrer frühen Teilnahme am Produktionsprozeß, sehr
früh vom Elternhaus löst, während auf der anderen
Seite die reaktionäre Jugend mit dem Elternhaus meist
sehr innig verbunden ist. Es hat auch seinen Sinn, daß
im sozialistisdien Staat Sowjetrußland auf die Selb-
ständigkeit der Jugend, auf ihre Unabhängigkeit vom
Elternhaus und auf ihre Kritik den Eltern gegenüber,
ebenso wie auf die Beseitigung der Macht der Eltern
über die Kinder, so großes Gewicht gelegt wird. Das
Elternhaus bildet zumeist ein Bollwerk des Kapitals
und der Reaktion innerhalb der unterdrückten Klasse.
Innerhalb der eigenen vier öden Wände vergißt oft auch
der sonst klassenbewußteste Vater seine revolutionäre
Gesinnung; zu Hause wird er dann der brutale Patriardi
und Herrscher Frau und Kindern gegenüber. Und damit
dient er ganz unbewußt der politisdien Reaktion, denn
so ein Elternhaus lähmt und schädigt die Kampfesfreude
und die Kraft der Jugend, die sie gegen die herrschende
Gesellschaftsordnung so dringend braucht.
Sehen wir uns noch genau an, auf welchem Ge-
biet sich die Autorität der Eltern am stärksten aus-
lebt. Es ist das des Sexuallebens ihrer Kinder. Die
sexuelle Einsdiüchterung und Verkrüppelung und die
Erzeugung von autoritärer Angst in den Kindern wegen
ihrer sexuellen Wünsche, Gedanken und Taten machen
den Kern des Apparats aus, mit dessen Hilfe das Eltern-
haus die Jugend dem Kapital botmäßig macht.
Für den Erfolg dieser Unterdrüdcung und Bot-
mäßigmachung der Jugend hat es wenig zu bedeuten,
ob sie mit Hilfe von Strenge oder Überzärtlichkeit
erfolgt. Beides bindet fest, ist auch gewöhnlich mit-
einander gepaart, oder der eine Teil der Eltern ist
104
butal, der andere überzärtlidi. Das Epgebnie ist immer
die Unselbständigkeit der Jugendlidien. Wenn bürger-
lidie Erzieher uns sagen, die sexuelle Freiheit mache die
Jugend erziehungsun fähig, so antworten wir: Gewiß»
aber erziehungsunfähig für kapitalistisdie Zwecke.
Von dieser sexuellen Unterdrüdtung der Kinder
durch die Eltern, zu der dann die intellektuelle Unter-
drückung durch die Schule, die geistige Verdummung
durdi die Kirche und schließlich die materielle Unter-
drückung und Ausbeutung durch Lehrmeister und
Unternehmer hinzukommen, geht zu allererst ihre
seelische und sexuelle Verelendung aus.
Die proletarische Jugend wird unmittelbar durcii
ihre materielle Not und ihre gesamte soziale Lage in
die Nähe der Klassenkampf front gebradit. Breite Kreise
von großem politischem Gewicht kommen aber wegen
der Abhängigkeit von den meist rückständigen Eltern
ni(ht zu voller klassenkämpferischer Entfaltung. Bei
der kleinbürgerlichen Jugend spielt dieser Faktor eine
noch unvergleichlidi größere Rolle als bei der prole-
tarischen. Es gibt heute leider nur eine geringe Anzahl
kommunistischer Eltern, die ihre klassenbewußten Über-
zeugungen auch ihren Kindern gegenüber verwirklichen.
Diese wenigen sind ein Vorbild dessen, was wir für alle
wollen. Um diese Jugend in die Klassenkampf front ein-
zubeziehen, ist es notwendig, mit ihrer Familienbindung
ganz besonders zu redinen. Hier führt der Weg zur
Klassenkampffront in heute noch nicht ganz abzu-
schätzender Weise über den Kampf gegen das Eltern-
haus und über die Aufklärung der proletarischen Eltern
über die reaktionäre Rolle der bürgerlichen Familie. Da
aber die Einprägung von Angst vor sexuellen Dingen
das eigentliche Werkzeug bei der Erzeugung der Unter-
würfigkeit ist, gibt es keine Bewußtmachung der klein-
bürgerlidien Jugend über die Rolle der Autorität der
105
Eltern und mithin die Rolle der Autorität des Klassen-
staates überhaupt ohne die Durchsetzung der Wahrheit
bei diesen Jugendlichen, daß ihre Sexualität etwas ganz
Selbstverständliches und Natürliches ist, wofür sie mit
vollem Recht eintreten und kämp f en müssen gegen
jeden, der sie darin unterdrückt.
Ehe wir zu der Frage übergehen, ob es im Kapitalis-
mus eine Möglichkeit gibt, die sexuelle Not der Jugend
zu beheben oder auch nur zu lindern, müssen wir noci
auf einen Punkt zu sprechen kommen, der bisher im
proletarischen Kampfe gegen die Religion allzusehr ver-
nachlässigt wurde und dessen Klarstellung den Sieg über
die geistige Versklavung unserer Jugend nur fördern
wird.
Während die Sdiule vom Elternhaus die autoritäre
und intellektuelle Niederhaltung der Jugend über-
nimmt, setzt die Kirdie in allererster Linie die sexuelle
Unterdrüdtung fort, die, wie man niciit oft und kräftig
genug betonen kann, die wesentlichste individuelle
Grundlage für die geistige und kirchliche Vernebelung
des Verstandes und der Kritik durch den kapitalisti-
schen Apparat darstellt. Es ist kein Zufall und hat
einen sehr guten Sinn, daß die Konfirmation der
Jugendlichen bei den Katholiken ungefähr mit dem
Beginn der sexuellen Reife zusammenfällt. Standen
schon die Kinder unter dem Einfluß der Kirdie bis zu
ihrer Gesdileciitsreife, so kommen sie jetzt als Jugend-
liche im Beginne der Reife völlig unter ihren Einfluß
durch die Konfirmation, die der katholischen Kirche das
mächtige Instrument der Beichte an die Hand gibt. Es
ist keinem ein Geheimnis, daß bei der Beictte nicht die
Frage, ob man gestohlen hat, sondern die, ob man nicht
Unkeuschheit getrieben hat, das heißt ob man niciit
onaniert oder außerehelichen Gesdilechts verkehr gehabt
hat, die zentrale Rolle spielt. Die Beichte bedeutet die
106
stündige Auffrisdxung des sexuellen Sdiuldgefühls, das
die Eltern in früher Kindheit in die Kinder zur Unter-
drüdcung ihrer sexuellen Wißbegierde und Handlungen
gepflanzt haben. In der Beidite bekommt der Jugend-
liche immer wieder zu hören, daß das Sexuelle eine
sdiwere Sünde ist und daß die höchste Autorität, Gott,
alles sieht und alles straft, was Junge oder Mädel auf
diesem Gebiet „verbrechen". Wir wollen hier nidit von
dem unendlidien Unglück spredien, daß dadurch heute
in der Welt in Millionen von gesdileditsreif werdenden
Jugendlithen angeriditet wird. Hier entstehen ihre
Onanieängste, die sie dann zermürben und wirklidi
krank machen, hier werden Angstzustände und schwere
hypochondrisdie Befürchtungen entwidtelt, hier wird
schließlich eine weitere Grundlage gelegt für spätere
Sexualstörungen. Würde die menschliche Gesellschaft
heute nicht von Bankfürsten und Priestern regiert wer-
den, die sich der Religion so glänzend und geschidtt zu
bedienen verstehen; stünde die Sexualwissenschaft nicht
im Dienste des Kapitals; würde sie ihre Erfahrung richtig
und konsequent zur Kritik der Gesellschaft anwenden,
man käme zu dem ganz selbstverständlichen Schluß, den
wir ziehen, daß die Kiriiie wegen des Einflusses auf die
Sexualität der Jugend, ganz abgesehen von ihrem
direkten reaktionären Einfluß auf die materiell Ausge-
beuteten, eine der gesundheitsschädlichsten Institutionen
des Klassenstaates ist und daß keine Strafe hoch genug
wäre für diejenigen, die vielfach in vollem Wissen um
das Unglück, das sie anrichten, ihre unbesdireibbaren
Missetaten nicht nur ungestraft ausführen können, son-
dern dafür sogar sehr gut entlohnt werden.
Diese Zusammenhänge zwisdien kirchlidier Reaktion
und sexueller Unterdrückung sind keine gleichgültige
Frage. Es gilt, die diristliche und ihr ideologisch nahe-
stehende Jugend dem Einfluß der Kirche zu entziehen
107
und in unsere Front gegen die Kirdie, das bürgerlidie
Elternhaus, die reaktionäre Sdiule, die kapitalistisAe
Ordnung überhaupt einzureihen, denn es sind Kinder
von ausgebeuteten Arbeitern, Angestellten und Bauern.
Aber wir müssen dieser Jugend unsere Behauptung, daß
die Kirche im Dienste des Kapitals steht, audi zahlen-
mäßig beweisen können.
Als der Papst zuletzt (Dezember 1930) in seiner
Enzyklika „Über die diristliche Ehe" zum Zwedke der
Rettung des Kapitalismus für die Sicberstellung der
christlichen „Sittlidikeit" und der Ehe eintrat, schrieb
er zuerst:
Mannes über die Frau und Kinder und die willfährige Un-
terordnung den bereitwilligen Gehorsam yon Seiten der
liZ -"k t^''" /""'"'; ^'<' der Apostel mit den Worten
beschrieb: Die Frauen (und die Kinder) sollen ihren Män-
Mnnn'™* 7**1?"^ '!"'."*''? ''=''' "'-^ d^" "«"". denn der
Mann ist das Haupt der Frau (und der Vater das Haupt
der Kinder) wie Christus das Haupt der Kirdie ist."
Dann empfiehlt er gegen die materielle Not der
Massen „religiöse Übungen" und mahnt anflerdem die
Keiche- ■
len;
„nni;;?i Ä Überfluß leben, dürfen Geld und Gut aicht für
unnutze Ausgaben verwenden oder geradezu versdileudern
sondern müssen es zum Lebensunterhalt und Besten dere;
gebraudien, denen sogar das Notwendigste fehlt."
Wenn wir in den diristlichen Jugendverbänden den
Jugendlichen sagen würden, daß sie im Widersprudi
mit der Kirdie stehen, denn sie betätigen sich sexuell
genau so, wenn auch unbewußter und gestörter als die
gottlose Jugend, würden sie darauf antworten, daß sie
eben mit Hilfe der Kirche und des heiligen Geistes sidi
die Kräfte verschaffen wollen, um nicht zu onanieren
und um ihre Sexualität niederzuringen. Dann muß man
ihnen nicht nur von den Gefahren für Gesundheit und
108
Leben, die dieses Niederringen zur Folge hat, erzählen,
sondern man muß sie audi über das Spiel aufklären, das
mit ihnen getrieben wird, indem man ihnen die Wahr-
heit über die Kirdie, an die sie sidi halten, sagt und
beweist. Zum Beispiel folgende Tatsadie: Während im
Hungerjahr 1930 in Deutsdiland an Unterstützung für
Invalide, Arbeitslose, Kinderspeisung und ähnlidies zu-
sammen über 1693 Millionen RM im staatlidien Haus-
halt gestridien, während Schulen und Krankenhäuser
gesperrt wurden, Mensdien auf der Straße verreckten,
die Zahl der Selbstmorde Jugendlidier ungeheuer
anstieg, steigerte die Kircte ihr Einkommen an staat-
lichen Geldhilfen von 40 Millionen RM im Jahr 1923
und 71 Millionen RM im Jahr 1928 auf 86 Millionen RM
im Jahr 1929. Diese Jugendliciien sollen selbst zu er-
klären versuchen, warum denn die Kirche in den Zeiten
höchster Not ihre eigenen Mahnungen niciit befolgt,
warum sie nidit nur auf nidits zugunsten der Armen
verzichtete, sondern im Gegenteil sicii auf Kosten der
Armen ständig steigende Einnahmen siciierte: Denn
diese Einnahmen werden von den Steuern der armen
Bevölkerung bestritten, das heißt die Unterdrückten
bezahlen selbst, ohne es zu ahnen, dem Staat die Mittel
ihrer Versklavung.
Wie dieses eine Beispiel zeigt (leider können wir
nicht hier in diesem Rahmen die Fülle von Material
vorbringen, wie es notwendig wäre), muß man bei der
Besprediung der sexuellen Nöte der Jugend den ganzen
kirchlichen und kapitalistisdien Hintergrund aufrollen,
sonst gehen wir fehl, sonst dringen wir nic^t bis zum
Kern der Frage vor; wir laufen dann Gefahr, keine
richtige Antwort zu geben, wenn Jugendliciie uns fragen,
wie sie aus ihrer Not herausfinden sollen.
Die Grundfrage ist: Kann das Bürgertum im eige-
neu Rahmen die Sexualfrage der Jugend lösen? Wir
109
sagen darauf: Nein, im Kapitalismus, solange bürger-
liche Wirtsdiaft und bürgerlidie Erziehung herrschen,
gibt es für die Masse der Jugendlichen keine Lösung in
dieser Frage, die eine ihrer brennendsten ist. In libera-
len bürgerlichen Kreisen redet man ja sehr viel von der
Not der Jugend, aber man muß sich einmal genau
ansehen, wie sie denken oder zu denken vorgeben und
wie sie wirklich handeln. Sind sie wirklich bereit, der
Jugend vollkommene Selbstbestimmung und eine die-
sem Alter entsprechende sexuelle Lebensweise zuzu-
billigen? Sind sie wirklich bereit, den Geschlechtsver-
kehr der Jugend dort, wo er notwendig und wo seine
Unterlassung gesundheitsschädigend ist, tatsächlich an-
zuerkennen? Sind sie bereit aufzuhören, die Jugend
durch gemeingefährliche Aufklärungsfilme in der Frage
der Geschlechtskrankheiten derart mit Angst zu erfüllen,
daß während solcher Vorführungen immer einige junge
Menschen ohnmächtig werden? (Bei diesen Filmen wer-
den nämlidi 98 Prozent des Gewichts auf Schredten-
einjagen und Enthalfsamkeitsideologie, nur 2 Prozent
auf die Möglichkeiten der Heilung, die heute offen-
stehen, und überhaupt kein Prozent auf die Verhütung
von Geschleditskrankheiten gelegt.) Sind sie bereit und
können sie offiziell die doppelte Geschlechtsmoral auf-
heben, so daß die männliche Jugend des Kleinbürger-
tums mit den Mäddien der eigenen Sdiichten und nicht
mit Prostituierten geschlechtlich verkehrt? Sind sie
bereit, dürfen sie ihrem ganzen System nach der Jugend
in den Jugendberatungsstellen, die zu errichten wären,
bedingungslos und kostenlos Empfängnisverhütungs-
mittel zur Verfügung stellen? Wird das Bürgertum den
Abtreibungsparagraphen streichen und die Unterbre-
chung der Schwangersdiaft au(h für Jugendliche kosten-
los an öffentlichen Kliniken durchführen, wenn einmal
ein Verhütungsmittel versagt? Kann das Bürgertum die
110
Wohnungsfrage der Jugendlidien lösen, so daß sie nidit
mehr in Haustoren und hinter Zäunen ein Zerrbild von
Geschlechtsleben führen, indem jeder Jugendlidie die
Möglichkeit bekommt, mit seinem Partner allein zu
sein? Sind sie sdiließlidi bereit, die Kinder sexuell in
einer Weise zu erziehen, die sie befähigt, später ein
sexuelles Leben überhaupt aufzunehmen und riditig
zu führen?
Eine Statistik der Sexualberatungsstellen der Kran-
kenkassen in Berlin ergab, daß 44 Prozent aller Rat-
suchenden in Stube und Küche wohnen, und zwar
527mal zu dritt,
554;mal zu viert,
187mal zu fünft,
Slmal zu sedist,
42mal zu sieben Personen.
20 Prozent haben nur ein Zimmer mit teihveiser
Küchenbenutzung. Darin wohnen sie 240mal zu dritt,
76mal zu viert. 5 Prozent der Besucher wohnen nur in
einer Kociistube zu drei und fünf Personen. Ein Drittel
der Besucher hat kein eigenes Bett, sondern teilt es mit
anderen, öfter mit mehreren Personen.
Nein, das Bürgertum kann infolge seines Wirt-
schaftssystems, das auf der Ausbeutung der überwiegen-
den Mehrheit der Bevölkerung durdi eine gutlebeiide
Minderheit beruht, die Sexualfrage der Jugend nidit
lösen. Ist das Bürgertum doct nicfct einmal unstande,
den Hunger der proletarischen Jugendlichen zu stillen.
Und das ist ja die erste Voraussetzung für die Losung
der Sexualfrage überhaupt.
Nach den Angaben des „Statistisdien Jahrbuches
für das Deutsche Reich 1930" starben 1928 durdi Selbst-
mord 11.239 männlidie und 4797 weibliche Personen;
darunter 5565 männliche und 1440 weibliche im Alter
von 15 bis 30 Jahren. Wir wissen, das waren Opfer
111
der materiellen und sexuellen Verelendung; täglidi
durdisdinittlidi 47 Menschen! Seither ist die Zahl unge-
heuer angestiegen. So sieht der „Pazifismus" der weidi-
herzigen Demokraten aus, die kein Blut sehen können.
Wir wollen hier nicht lange theoretische Diskus-
sionen darüber führen, warum das Bürgertum seine
Sexualordnung nie und nimmer umstellen kann; das
wurde an anderer Stelle gezeigt. Soweit sich im Bür-
gertum die Sexualität von den alten Fesseln befreit,
geschieht es nicht, weil das Bürgertum das fördert oder
es so haben will, sondern es geschieht gegen den Willen
des Bürgertums. Das ist nicht nur ein Zeidtien des Ver-
falls der bürgerlichen Moral sondern des bürgerlichen
Systems überhaupt.
Noch nicht ganz klassenbewußte Jugendliche, wie
etwa die sozialdemokratischen, pflegen an dieser Stelle
zu behaupten, indem sie auf die sexuellen Freiheiten,
die die Jugend sich heute erobert, hinweisen, daß die
sexuelle Befreiung der Jugend ohne soziale Revolution
im Kapitalismus möglidi sei; diese „Freiheiten", meinen
sie. seien der beste Beweis dafür. Wir müssen diesen
Jugendlichen ganz klar zeigen und beweisen, daß sie
sich täuschen. Denn das ist keine sexuelle Befreiung.
Es ist zwar richtig, daß die Jugend heute sexuell anders
lebt als vor dreißig Jahren. Es ist auch richtig, daß das
Elternhaus und die Kirche bei einem gewissen Teil der
Jugend viel an Einfluß verloren haben; das geschah
aber nur auf Grund der revolutionären Aufklärungs-
arbeit. Doch wir dürfen das sexuelle Herumgetue von
heute nicht als sexuelle Befreiung ansprechen. Wie
sieht es denn in Wirklichkeit aus? An welcher seeli-
schen und körperlichen Verfassung gehen die Jugend-
lichen an dieses sogenannt freiere Sexualleben heran?
Sind nidit die Schwierigkeiten der Jugend dadurch
größer geworden, daß auf der einen Seite im Elternhaus
112
in früher Kindheit und in der SAule später ihre
Sexualität mehr oder minder so gestört wurde, daß sie
meist innerlich unfähig geworden sind, ein Sexualleben
überhaupt aufzunehmen oder in befriedigender Weise
durdizuführen; während auf der andern Seite die fort-
schreitende Zusammenfassung der Jugend in Verbänden
teilweise, bei ridbtiger Einstellung der Jugendgenossen,
eine Erleiditerung, aber audi durch die ungewohnte Um-
gebung eine Erschwerung des Problems brachte. Ist
die gesellschaftliche Fürsorge in Form von naturwissen-
schaftlicher Aufklärung, sozialer Hilfe usw. in dem
gleichen Maß gestiegen, wie sidi die bürgerliche Moral
zersetzte und die Jugend begann, dumpf ahnend, wie
unüberbrückbar der Konflikt zwischen dem heutigen
Elternhaus und der Jugend ist, in die Verbände zu
streben? Haben nicht die sexuellen Störungen und die
Selbstmorde aus sexuellen Motiven in den letzten Jahren
ungeheuer zugenommen? Und die sozialdemokratische
Jugend soll selbst sagen, wie sich ihre Partei zu ihnen
in autoritativer und sexualmoralischer Hinsicht stellt.
Der Bürgerliche und die Pfaffen in jeder Gestalt werden
sagen: „Ja, die sexuelle Not der Jugend kommt daher,
daß man die Moral der Jugend gelockert hat, und daran
sind die Bolschewiken schuld." Wir antworten darauf
und können es bis ins kleinste Detail beweisen, daß es
die Unterdrüdcung der Jugend in sexueller und
materieller Hinsicht selbst war, die diese Moral unter-
grub; daß es sich, wie schon der bürgerliche Riditer
Lindsey in Amerika richtig feststellte, um eine unab-
wendbare sexuelle Rebellion der Jugend handelt, die
heute nidit immer zu klarer revolutionärer Gesinnung
führt, weil wir die unfruAtbare sexuelle Rebellion
nicht in fruditbare revolutionäre Kampfesgesinnung
verwandelt haben, die dem ganzen einen Sinn gegeben
hätte. Die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellsdiaft.
113
l! '
die Unfähigkeit des Kapitalismus, die wirtsdiaftlidien
Beziehungen der Mensdien befriedigend zu regeln, sein
fortsdireitender Zerfall garantieren ganz ohne unsere
Beihilfe allein schon, daß seine Moral nur nodi weiter
zerfallen, aber nie wiederkehren kann. Nicht wir haben
diese Moral untergraben; wir haben audi die wirtschaft-
licheu Krisen nicht gesdiaffen und ebensowenig die
Familie zerstört. Das hat das kapitalistische System
ganz von selbst vollbracht. Wir erfüllen nur unsere Auf-
gabe als revolutionäre Jugend und als revolutionäre
Partei, wenn wir diesen schmerzhaften, die Massen ver-
elendenden Prozeß beschleunigen, wenn wir das Ster-
bende töten, in jeder Hinsidit und wo immer wir es
treffen, um daraus eine neue Ordnung der menschliciien
Gesellschaft zu bauen, die endgültig Schluß madit mit
der Klassenherrschaft und der wirtschaftlichen Ausbeu-
timg, der geistigen und sexuellen Unterjochung, und
endlicii den Sinn der Vergesellschaftung der Menschen
erfüllt, die Befriedigung der Grundbedürfnisse des
Hungers und der Liebe und der kulturellen Ansprüche
der Massen zu siciiern. !r,
'I
^' ■ : . ■ - - < . , -i
114
VI. DIE SOZIALE REVOLUTION ALS
VORBEDINGUNG DER SEXUELLEN
BEFREIUNG
. -. ■ . ' *
Weun die sexuelle Frage der Jugend im Kapitalis-
mus nidit lösbar ist, so müssen wir der Masse der
Jugendlidien beweisen können, daß der Sozialismus
diese Frage lösen kann. Wir haben es heute nidit
schwer, diesen Beweis zu führen; denn weldies Land
der Erde hat für die Jugend entsprechendes wie die
Sowjetunion geleistet? In welchem Lande ist die
Jugend wirklich frei? Welches Land hat mit der Be-
freiung der Sexualität Ernst zu machen begonnen und
welche Länder und Parteien haben entweder nur ge-
schwätzt oder aber die kapitalistische Unterdrückung
des Sexuallebens verschärft. Die Sowjetunion hat be-
freit und Italien hat versdiärft. Das sind die Tatsachen.
Warum konnte die Sowjetunion schon bis heute eine
große Reihe von Maßnahmen zur Befreiung des Sexual-
lebens treffen? Sie konnte es, weil sie an der sexuellen
Unterdrückung kein Interesse hat, weil sie die kapita-
listische Wirtschaftsordnung beseitigt hat, indem dort
die soziale Revoluion tatsächlidi durchgeführt wurde.
Wir werden von den unorientierten und politisch ver-
bildeten Jugendlidien nicht verstanden werden, wenn
wir ihnen nicht das Wesen der sozialen Revolution sehr
genau werden erklären können. Zu diesem Zwecke ist
eine gründlidie politisdie Durdibildung der revolutio-
nären Jugend erste Voraussetzung. Diese ist aber heute
noch gar nicht entsprechend der politischen Situa-
tion erfüllt. Wollen wir den sexuellen Kampf der
Jugend organisieren, wollen wir die Masse der Jugend-
lichen über den ganzen Hintergrund ihrer sexuellen
Nöte aufklären und dadurch gewinnen, so müssen wir
U5
in allererster Linie Ton den Organisationen reidiliche
Einriditung politisdier Sdiulungskurse verlangen und
selbst tätig mithelfen, daß diese Sdiulnngsknrse Zu-
standekommen. Sonst stehen wir einem nationalsozia-
listischen Jugendlidien, der von der „Theorie" des
Untersdiiedes zwischen raffendem und schaffendem
Kapital ebenso restlos durchdrungen ist wie von der
verlogenen Ideologie der „deutschen Mannes-Ehre", ohn-
mächtig gegenüber; denn wir müssen ihm ebenso be-
weisen können, daß es gar keinen Unterschied gibt
zwisdien jüdischem und nichtjüdischem Kapital, daß
Thyssen nicht weniger ausbeutet als Rothsdiild und daß
die Juden ebenso in Klassen gespalten sind, in Ausge-
beutete und Ausbeutende, wie die Arier; ebenso wie wir
ihm zeigen müssen, daß das Kapital ihn mit Hilfe seiner
Keuschheitsideologie zum treuen Gefolger des gleichen
macht, was er zu bekämpfen glaubt.
Die Grundlage des gesamten sozialen, also auch des
sexuellen Lebens ist die Wirtschaft, die Produktion der
zum Leben notwendigen Güter. Die Art des sozialen
und sexuellen Lebens wird von der Art bestimmt, in
der die Güter produziert und verteilt Averden. In den
Urzeiten der menschlichen Gesellschaft, als die Produk-
tionsmittel nodi völlig unentwidcelt waren, ^vu^de ge-
meinsam gearbeitet und die Früchte wurden nach der
Arbeitsleistung verteilt [Urkommunismus). Als die
Werkzeuge ausgestaltet wurden, trat eine Teilung der
Arbeit ein; damit begann der Austausch der Erzeugnisse
und mit ihm die Warenwirtchaft, Je weiter die Werk-
zeuge tedinisch fortschritten, desto mehr verzweigte sich
der Arbeitsprozeß. Es entstanden die verschiedensten
Handwerkszweige. Als aber die großen Maschinen ent-
deckt wurden, bestanden auf der einen Seite bereits
Gruppen, die genügend Mittel besaßen, um sich die
Maschinen anzuschaffen, während auf der anderen Seite
116
die kleineren Handwerker zugrunde gingen, weil ihre
Erzeugnisse Yiel teiirer waren als die duxdi Masdbinen
erzeugten. Die Besitzer der Masdiinen waren in der Lage,
die ruinierten Handwerker als Arbeiter an den Masdii-
nen arbeiten zu lassen. So teilte sidi die Gesellsdiaft in
eine Klasse von Kapitalisten, das heißt Besitzern der
Produktionsmittel, und eine Klasse von Lohnarbeitern,
den Proletariern, die nichts als ihre Arbeitskraft besaßen.
Damit begann der Kapitalismus als höchste Stufe der
Warenwirtschaft. Dazu kam, daß die adeligen Feudal-
herren sidi das Bauernland aneigneten, sodaß die ver-
elendeten Bauern zu einem großen Teil in die Städte
wanderten, wo die junge Industrie aufblühte. Sie wur-
den Fabrikarbeiter, Proletarier. Der junge Kapitalismus
beutete sdiamlos aus. Sechzehn- bis achtzehnstündige
Arbeitszeit, keine Sozialversicherung, Kinderarbeit,
Hunger und Elend kennzeichneten den frühen Kapita-
lismus. Jetzt begann die Organisation des Proletariats,
das sidi in verschiedenen Aufständen und Revolutionen
(Revolution von 1848 in Deutschland und Österreich,
Pariser Kommune 1871, 1905 Aufstand in Rußland usw.)
Arbeiterschutz, Lohnsteigerung und Herabsetzung der
Arbeitszeit erkämpfte. Die Revolution von 1918 brachte
den Achtstundentag, der allerdings seither wieder zum
großen Teil verloren gegangen ist. Niemals hat das
Bürgertum etwas für das Proletariat getan, immer muß-
ten sich die Arbeiter und Angestellten Besserungen ihrer
Lage selbst erkämpfen.
Im Kapitalismus kommt der Fortschritt der Technik,
der mensciiliche Arbeitskräfte erspart, den Massen der
Arbeitenden nicht zugute. Im Gegenteil, die Verbes-
serung der Maschinen steigert die Arbeitslosigkeit. Die
Löhne werden nidxt erhöht, sondern sie sind im Ver-
hältnis zur Produktivität der Arbeit bedeutend gefallen.
Die Arbeitszeit wird nicht herabgesetzt. (Wenn man
117
heute bei uns von der Einführung der Fünftagewoche
spricht, so hat das keine Bedeutung, weil kein Lohnaus-
gleich erfolgt, und die Arbeiter weniger verdienen
würden als früher.) Das ist die hapUalistüdie Ratio-
nalisierung der Arbeit.
Der Kapitalismus torkelt von Krisen zu Krisen, die
immer schärfer werden. Die jetzige Krise der kapita-
listisdien Wirtschaft ist eine ausweglose Weltkrise. Auf
der einen Seite wächst ständig die Produktivität der
Arbeit, auf der andern sind die Massen der Arbeitenden
vom Genuß der Produktionsgüter ausgeschlossen, weil
sie I/o/inarbeiter sind, die immer nur gerade soviel be-
kommen, daß sie nicht verhungern. Was sie mehr
erarbeiten, gehört nach dem kapitalistischen Gesetz den
Besitzern der Produktionsmittel, den Kapitalisten. In-
folge der kapitalistischen Rationalisierung und dadurch,
daß fast alle rückständigen Länder ihre eigenen Indu-
strien aufbauen, verliert der Kapitalismus ständig
Absatzmärkte; es ist ein Überfluß an Waren vorhanden.
Aber die Massen können nichts kaufen, weil sie ent-
weder arbeitslos sind oder weil ihr Lohn ständig sinkt.
Nur ein Beispiel für die Anarchie der kapitalistischen
Wirfschaft: In Argentinien werden ganze Schiffsladun-
gen von Getreide ins Meer versenkt, weil sonst die
Getreidepreise fallen, aber in China sterben Millionen
Hungers.
Die russische Revolution im Jahre 1917 hat dem
unter Führung der kommunistischen Partei für das
Gebiet der Sowjetunion ein Ende gemacht. Die Fabrik-
besitzer und die Großgrundbesitzer wurden enteignet.
Die Fabriken gehören heute den Arbeitern und das
Land den Bauern. Die Ausbeutung wurde beseitigt. Ein
zentraler Volks wirtschaftsrat regelt die Wirtschaft und
die Produktion nadi den ständig wachsenden Bedürf-
nissen der Massen. Die Verbesserung der Maschinen und
118
der sozial ist is die Aufbau des Landes haben — im Laufe
von 14 Jakren — den Arbeitern die Fünftagearbeits-
wodie (vier Tage Arbeit, ein Tag Ruhe) bei steigen-
dem Lohn, eine ungeheure Steigerung der sozialen Für-
sorge, Beseitigung der Arbeitslosigkeit gebracht. Sowjet-
rufiland ist das einzige Land, das keine Wirtsdiaftskrise
kennt, weil es den Kapitalismus vernichtet hat. Im
Gegenteil, es mangelt dort an Arbeitskräften und an
Waren trotz ungeheuren Tempos der Steigerung der
Produktion, weil die Ansprü<iie der 160 Millionen
Arbeiter und Bauern, die reidilidi verdienen, sehr rasch
anwachsen.
Wenn 130 Millionen, die im Zarismus in Fetzen
gingen und von Kwas und Maisbrot lebten, auf einmal
anfangen, Butter, Eier und Fleisch essen und Sdiuhe
und gute Kleider tragen zu wollen, so muß eine Wadis-
tumskrise entstehen. Bei uns Warenüberfluß, aber keine
Kaufkraft der Massen; in Sowjetrufiland starke Kauf-
kraft der Massen, aber Warenmangel. Wenn dazu
kommt, daf? die zaristische Industrie durdi die Inter-
vention der Imperialisten zerstört und erst wieder auf-
gebaut werden mußte, wenn ferner der Sowjetstaat ge-
zwungen ist, sich gegen einen imperialistischen Überfall
durch starke Beschleunigung der Industrialisierung des
Landes zu sdiützen und Lebensmittel auszuführen, um
Maschinen zu kaufen, so entsteht Knappheit an Ge-
braudisartikeln im Verhältnis zu den steigenden Bedürf-
nissen. Aber der Spießer wird nie den Unterschied be-
greifen zwischen dieser Art Entbehrungen der Masse im
eigenen Interesse und Massennot in den einfadisten Din-
gen im Interesse des Kapitals. In Sowjetrußland ist
keine Klasse nachzuweisen, die ein Interesse an diesen
Entbehrungen hat außer der werktätigen Bevölkerung
selbst. Man hebe die Lage der Arbeiterschaft in Deutsch-
land so, daß alle kaufen können, was sie brauchen, und
U9
es wird sofort Warenknappheit entstehen. Man ent-
waffne die Imperialisten, nnd Sowjetrnfiland würde,
was Versorgung der Gesamtbevoikerung mit den fein-
sten Nahrungsmitteln und guten Gebraudisartikeln an-
belangt, die fortschrittlichsten kapitalistischen Länder
weit überholen.
Die Arbeitszeit für Jugendlidie im kommunistisdien
Rußland hat sidi folgendermaßen verringert: Vor dem
Kriege betrug die durchschnittlidie Arbeitszeit für
Jugendliche zwisdien 14 und 18 Jahren 9,8 Stunden;
1918 nach der Revolution 7,8 Stunden, 1925 5,4, 1928 4,9
und 1950 4,5 Stunden; und die Arbeitszeit wird weiter
fortschreitend herabgesetzt. Jugendliche im Alter von
14 bis 16 arbeiten 4 Stunden pro Tag, sind von Nadit-
arbeit und gesundheitssdiädigender Arbeit völlig be-
freit und erhalten einen bezahlten Urlaub von einem
bis eineinhalb Monaten. Während man im kapita-
listisdien System die Arbeitszeit nicht oder nur auf
Kosten des Lohnes verringert wird, und die Lohne der
Jugendlidien sinken, steigt in der Sowjetunion der Lohn
der jugendliciien Arbeiter trotz sinkender Arbeitszeit.
Die Lehrlinge in Betriebsschulen bezogen (nach den An-
gaben in: Kosarew: „Jugend der Freiheit, Jugend der
Sklaverei" (Verlag der Jugendinternationale):
Industriezweige
Monatlidi in Tadierwonzen-Rubel u. Kopeken 1
1929 in % zum
1926
1927
1928
1929
Vergl. zu 1926
Transp., Baumwolle
19,74
22,26
27.66
31,26
158.2
Metallurgie ....
17,87
20,57
26,03
27.67
156,5
Lithographie . . •
26,8^
30.95
39,06
41,49
154,8
Baumwolle ....
24,19
28,72
30.95
30,37
125,8
Wolle
21,88
24.77
31.68
30,40
138,8
Fladis
19,95
22,05
24,82
23,59
118,0
24,83
31.47
30.86
34,72
140,0
120
In der Sowjetunion stehen den werktätigen Jugend-
lidien Arbeiterfakultäten, Tediniken, Hodisdiulen und
wissensdiaftliche Institute jeder Art kostenlos zur Ver-
fügung. Man muß audi gebührend einschätzen, was die
steigende Zahl an Theatern, Klubs, Büchereien usw. für
die Jugend bedeutet.
Wir sehen also, daß unsere proletarisdien Jugend-
lidien das größte Interesse daran haben müssen, die
Stellung des Jugeudlidien in der Sowjetunion ganz
genau kennenzulernen, damit der Zustand aufhört, daß
in Deutschland nodi zehntausende Jugendliche solcie
Märchen glauben, wie daß in Rußland die Menschen
Hungers sterben, daß Stalin ein blutiger Diktator ist,
der die werktätige Bevölkerung mit einer Knute unter
seiner Herrschaft hält, und daß die Bolschewisten über-
haupt Menschen sind, die ständig nur mit einem Messer
zwisciien den Zähnen herumlaufen. Heute wissen nicht
einmal alle Jungkommunisten, daß die höchsten Funk-
tionäre der Sowjetunion nicht mehr als 300 Rubel
( — 600 Mark) Monatslohn beziehen dürfen. Wir haben
alle Beweise und Argumente für den Sozialismus und
gegen den Kapitalismus in unserer Hand und verstehen
niciit sie auszunützen, weil unsere Reihen nicht genügend
gesciiult sind.
Es wird sehr viele Jugendlidie geben, die sagen
werden: Ja, wir sind sehr für die sexuelle Befreiung,
aber wir sind nicht für den Sozialismus. Diesen Jugend-
lichen muß man eben ganz klar beweisen, daß sie einem
Phantom nadirennen, daß es keinen anderen Weg der
sexuellen Befreiung der Jugend gibt als den der Re-
volution. ' ■>'■}''■
Warum geht es denn niciit ohne soziale Revolution?
werden viele diristlidie, liberale und andere politiscix
niditsahnende Jugendlidie fragen. Darauf gibt es nur
eine Antwort: Werden die Kapitalisten freiwillig auf
121
den Besitz der Masdiinen, der Fabriken, der Häuser und
des Bodens verzidifeu? Werden sie freiwillig die Pro-
duktionsmittel und das Land denen überlassen, die
durdi ihre Arbeit den Reichtum der Gesellsdiaft sdiaf-
fen? Nein, das werden sie nidit tun, im Gegenteil, sie
werden umso brutaler, umso grausamer gegen die
unterdrückte Klasse werden, je weniger sie imstande sein
werden, ihre Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Das be-
weist die Gegenwart 1931. Will die Masse der Jugend-
lichen nicht körperlich und moralisdb restlos zugrunde-
gehen, will sie jene Wirtsciiaftsordnung, die nidit nur
ihre leiblichen Bedürfnisse, sondern audi ihre geistigen
und sexuellen voll berücksiditigt und befriedigt, so muß
sie eben zur Kenntnis nehmen, daß die revolutionäre
Auseinandersetzung mit der herrschenden Klasse unver-
meidlidi ist.
Wir müssen ganz klar sowohl selbst begreifen als
auch der Masse der indifferenten sowie heute noch politisch
reaktionären Jugendlichen begreiflich mathen, daß eine
wirkliche Lösung der sexuellen Frage der Jugend in be-
friedigendem Sinn erst dann und nur dann möglich sein
wird, wenn die Masse der Jugendlichen mit Wohnung,
Kleidung, Nahrung ausreidiend versehen sein und die
Möglichkeit haben wird, sich jenes Wissen anzueignen
und jene Kulturstufe der mensdilichen Gesellschaft tat-
sächlich zu erreichen, die heute nur eijiem kleinen Häuf-
chen von Kindern aus reichen Häusern zugänglich sind.
Erst dann wird die wirtschaftlidie und soziale Basis
gegeben sein, auf der sich ein befriedigendes, beglüdcen-
des, dem Wesen aller Jugendlichen voll Rechnung tra-
gendes Geschlechtsleben wird aufbauen können. Und
das ist unter anderem ein widitiges Ziel der sozialen
Revolution.
122
VII. POLITISIERUNG DER SEXUAL-
FRAGE DER JUGEND
Wir müssen nun zu klaren Schlüssen kommen,
welcher Ausweg der werktätigen Jugend innerhalb der
kapitalistischen Gesellschaft offensteht. Da der kom-
munistische Jugendverband auf der klaren politischen
Linie der sozialen Revolution arbeitet, wäre er zum
Führer der Jugend audi auf diesem Gebiet berufen.
Und die werktätige Jugend würde diese Führung an-
erkennen, wenn er sich nur in richtiger Weise und un-
erbittlich offen in dieser ebenso brennenden wie heiklen
Frage an sie wenden würde, wenn sie fühlen würde,
daß er ihre Nöte kennt und daß er ihre Sadie vertritt.
Wir müssen wahre Selbstkritik an uns üben,
wir müssen uns fragen, warum wir gerade in dieser
Angelegenheit bisher so sehr im Dunkeln gehockit haben,
uns nicht heraugetraut haben an die Möglichkeiten, die
für die gesamte werktätige Jugend einzig überbleiben.
Als erstes müssen wir feststellen, daß wir uns der
Sexualfrage gegenüber benommen haben wie ein Schlä-
fer, der eine störende Fliege immer wieder vergebens
mit einer Handbewegung zu verscheudien versucht.
Immer wieder wurde in den revolutionären Jugend-
verbänden festgestellt, daß die „sexuelle Frage" stört
und den Kampf für die Revolution behindert; ilnd
immer wieder wurde gesagt: Wir müssen die Frage bei-
seite schieben, wir haben keine Zeit, uns mit ihr zu be-
schäftigen, wir haben Wichtigeres zu tun. Wenn aber
diese Frage immer wieder aufgetaucht ist, immer bren-
nender und dringender, ja wenn sogar, was wir offen
heraussagen müssen, die Jugendorganisationen durch
die sexuellen Schwierigkeiten der Jugendlichen häufig
123
zerfallen, so müssen wir fragen, warnm diese Frage
stört, und dürfen nidit einfadi desKalb, weil sie stört,
erklären, wir hätten keine Zeit dazu, wir haften Widi-
tigeres zu tun, Sexualleben sei Privatangelegenheit usw.
Das Sexualleben ist eben keine Prioatangelegenheii,
wenn es die Jugend beroegt und in der bisherigen Form
den polHisdten Kampf stört. Auf welche andere Frage,
die Sdiwierigkeiten bereitet, würde man eine solche Ant-
wort geben? Was würden w^ir in einer beliebigen Frage
zu einer solchen Stellungnahme sagen? Wir würden mit
Re<ht sagen, daß das ein Ausweichen ist, und wir wür-
den mit Recht jeden bekämpfen, der derartige Aus-
reden gebraucht. Wir würden unseren konsequenten
Standpunkt vertreten, daß es für Bolschewisten keine
unüberwindlidhen Schwierigkeiten gibt, daß wir keine
unlösbaren Fragen kennen, daß solche Standpunkte
bürgerlich opportunistische Ausflüchte bedeuten. Wenn
solche Fragen auftauchen, so kommen sie niciit vom
Himmel sondern aus der Wirkliciikeit der Widersprüche
unseres Gesellsdiaftssystems und heischen Antwort. Wir
haben die Fragen des Sports, des Theaters, der Religion,
des Radios in unsere Klassenkampf front eingereiht,
warum bleiben wir nicht auch konsequent in der sexuel-
len Frage der Jugend? Nehmen wir also an, daß wir
vor dieser Frage ausweidien, so müssen wir nun klar-
stellen, aus welchen Gründen.
Ein oberflächlicher Grund ist die Tatsache, daß wir
uns durch die Ausschließung der Sexualfrage ganz der
revolutionären Arbeit w^idmen zu können glauben und
von dem bürgerlichen Typus abgrenzen wollen, für den
die sexuelle Frage im Zentrum seines Interesses steht,
der nichts anderes kennt als über Sexualität schwätzen.
Dadurch sind wir in einen schweren Fehler verfallen,
indem nämlich viele von uns die Sexualität überhaupt
als etwas unwesentliciies, ja „bürgerliches" ausschalten
124
wollten. Wir haben unredit gehabt. Das lehrt die Wirk-
liAkeit. Wir müssen die Sexualfrage revolutionär losen,
indem wir zu einer klaren sexualpolitisdien Theorie,
von hier zu einer sexualrevolutionären Praxis gelangen
und beide der gesamten proletarisdben Bewegung ein-
ordnen. Das ist unserer Überzeugung nadi der ridiiige
Weg zur endgültigen Lösung.
Viele Genossen berufen sidi bei ihrem ablehnenden
Standpunkt auf das bereits zitierte Gesprädi Lenins
mit Klara, Zetkin, in dem er sich sdiarf gegen die sexuel-
len Debatten und Diskussionen in Arbeiterkreisen und
in Jugendzirkeln aussprach und feststellte, daß es jetzt
Wichtigeres zu tun gäbe. Wir schliel?en uns dem Stand-
punkt, den Lenin damals einnahm, vollkommen an;
denn er bekämpfte das oberflächlidie und unwissen-
schaftliche, vom wesentlichsten ablenkende sexuelle
Herumgeschwätz, und das wollen auch wir tun. Sind
docii diese sexuellen „Diskussionen" meist nidits anderes
als ein Ersatz der sexuellen Betätigung, ganz gewöhn-
liche geistige Onanie. Wir werden aber sofort ver-
stehen, wie wir die Frage zu behandeln haben, wenn
wir gleiciizeitig einen zweiten Ausspruch Lenins in dem
genannten Gesprädi mit Klara Zetkin zitieren:
„Der KommuBismiis soll nicht Askese bringen, sondern
Lebensfreude. Lebenskraft, audi durch erfülltes Liebesleben.'*
Wenn der Kommunismus die sexuelle Lebensfreude
verwirklichen soll, so muß doch auch darum gekämpft
werden.
Die Frage steht also so: Sexuell herumdiskutieren
dürfen wir nicht; die sexuelle Frage ausschalten dürfen
wir auch nicht; ohne darüber zu sprechen, können wir
sie aber nicht klären-. Was bleibt also übrig? Wir müs-
sen eben politisch über diese Frage sprechen. Und dann
werden wir richtig diskutieren und darnach riditig
handeln. Ehe wir weitere Einzelheiten bespredaen und
.w 125
Beweise dafür anführen, daß dies der einzige Ausweg
ist, müssen wir audi nodi den iieferen Grund nennen,
warum wir uns vor dieser Frage drUcken.
Wo sind wir alle erzogen worden? Unter weldien
Bedingungen sind wir aufgewadisen? Wir sind in
Familien aufgewadisen und sind im kapitalistlsdien
System aufgezogen worden. Man wird nun einwenden,
es sei ein großer Untersdiied zwisdien proletarisdien
und bürgerlidien Familien. So einfach liegt die Sadie
nidit. Wir müssen erst fragen, in weldier Hinsidit die
proletarisdie Familie proletarisch und in welcher sie gut
bürgerlich ist. Wir brauchen nicht lange nadizudenken,
um die Autwort herauszubekommen; es genügt, wenn
wir die einzelnen Elemente der Lebens- und Denkweise
gesondert betrachten. Haben wir uns von der bürger-
lichen Eigentumsicleologie freigemacht? Ja, ^veitgellend,
weil in deii Besitzverhältuissen ein scharfer Unterschied
ist zwischen Bürger- und Arbeiterfamilien. Haben wir
uns von der Religion ganz freigemacht? Da liegt die
Sache schon nicht mehr einfach. Es gibt tausende
proletarischer Familien, die religiös sind, und je weiter
wir in das kleinbürgerliche Proletariat vordringen,
desto tiefer sitzt die Religion. Und wie ist es mit der
Sexualmoral? Ist sie nicht in der Eigenheit der Familie
selbst verwurzelt, die auch der Proletarier infolge der
Lebensverhältnisse in der kapitalistlsdien Gesellschaft
zu gründen gezwungen ist? Gehört nicht die sexuelle
Unterdrückung und die Einpflanzung der bürgerlichen
Sexualmoral, wie wir das ja schon früher begründet
haben, zum Bestand der bürgerlichen Ehe und Familie?
Gewiß, die W^idersprüche zwisdien der Lebensweise des
Arbeiters und der bürgerlichen Familienmoral, der er
unterworfen ist, sind sehr groß; es sind Widersprüche,
die in der mittleren und höheren Bourgeoisie fehlen;
aber diese bürgerlidie Sexualmoral ist doch im Prole-
126
tariat vorhanden; sie ist von allen biirgerlidien Ideolo-
gien am tiefsten verankert, weil sie von frühester Kind-
heit an am stärksten eingepflanzt wurde. Sie ist eine
der mäditigsten ideologisdien Stützen des Bürgertums
innerhalb der unterdrüdcten Klasse. Wir sehen es täg-
lidi und stündlich, daß sidi andi die klassenbewußten
Jugendlichen von ihr am allerschwersten freimachen
können. Die bürgerlidie Sexualmoral deren wesent-
lidistes Stück ist, das Sexualleben nidit natürlich, selbst-
verständlidi, im klaren Zusammenhang mit der jeweili-
gen Gesellsdiaftsordnung zu sehen, es zu verneinen,
Sdieu und Angst davor zu haben, steckt uns Kommu-
nisten viel tiefer in den Knochen als wir alle glauben.
Wir dürfen uns vom Gegenteil der sexuellen Sdieu, dem
sexuellen Herumgetue, niciit täusdien lassen. Das ist
bürgerlidies Sexualleben mit umgekehrtem Vorzeidien.
Lenin hatte daher sehr redit, als er die „Glaswasser-
theorie" als „gut bürgerlicii" bezeiciinete. Es kommt auf
die sexuellen Verbauungen an, die jeder von uns infolge
der Sexualunterdrückung in sich trägt, die mit unbe-
wußten, verdrängten Einstellungen zusammenhängen,
sodaß wir in unserem Sexualleben nidit ganz Herr über
uns selbst sind. Und das sind die tieferen Gründe,
warum wir uns nicht offiziell und konsequent mit der
Frage auseinandergesetzt haben, warum jeder von uns,
ausnahmslos, auch wenn er die beste Einsidit hat, es
nictt wagt, sexuelle Befreiungsparolen in unsere son-
stige Propaganda aufzunehmen. Wir müssen verstehen
lernen, warum auch mandier Kommunist so sonderbar
zu lächeln beginnt und das gewisse Gesiciit sciineidct,
sobald vom Sexuellen die Rede ist. Damit müssen wir
ernstlidi Sdiluß madien, wie sdiwer wir es audi haben
werden, unsere eigenen Hemmungen zu überwinden.
Je weiter wir in die unaufgeklärten, niciit klassenbe-
wußten Schiciiten von Jugendliciien vordringen werden,
127
desto größere Hemmuugen in dieser Frage werden wir
antreffen. Aber die Praxis wird erweisen, wie sie es
in Einzelfällen bereits erwiesen hat, daß wir in dem
Mafie, wie es uns gelingen wird, die sexuellen Hemmun-
gen und moralisdien Vorurteile der Jugendlidien zu
überwinden, desto leiditere Arbeit Haben werden, ihnen
das so notwendige politische Wissen beizubringen. Wir
werden dabei nur dann Erfolg haben, wenn wir der
heuchlerischen und verneinenden Ideologie des Bürger-
tums eine offen und klar sexualbejahende Ideologie ent-
gegensetzen werden. An dieser Front werden viele
reaktionäre Gesinnungen zerschellen, denn erstens haben
die christlidien und nationalsozialistischen Jugendlichen
keine haltbaren Argumente gegen uns, und zweitens,
was wesentlicher ist, sie verneinen nicht nur ihre
Sexualität, sondern sie bejahen sie auch — im geheimen.
Wir wollen nun zunächst die Frage, wie sie im kom-
munistischen Jugendverband steht, an Hand der
Diskussion am Massenkritikabend über „Das erste
Mädel" von Bogdanoro am 21. April 1951 in Berlin auf-
rollen und konkret Antwort zu geben versuchen. Wenn
wir uns hier einigermaßen klar geworden sind, werden
wir leichter an andere Einzelfragen in den Fichte-
gruppen und auch in den christlidien, kleinbürgerlichen
und nationalsozialistisdien Jugendgruppen herangehen
können.
Jugendgenosse Hermann, roter Pfadfinder, stellte
unter anderem fest:
„Uns fehlt ein Buch, in dem die Fragen, die die deut-
sdie Jugend angehen, behandelt sind, die Stellung der
Jungens und Mädels in den proletarischen Organisationen,
in der Jugendbewegung überhaupt und die Fragen des
sexuellen Verhältnisses der Jugend untereinander und ver-
antwortlicher Funktionäre. Diese Fragen spielen natürlidi
für uns eine bedeutende Rolle und müssen hier diskutiert
werden. Es ist hier die Frage aufgerollt worden, wie die
128
sexuelle Not von der deutsdien Jugend überwunden wird,
weldie Versudie man unternimmt. Idi bin überzeugt, es
kann für uns keine Überwindung der sexuellen Not der
Jugend innerhalb dieses Systems in befriedigendem Sinne
geben, denn die größten Depressionen der Jugend werden
wohl hervorgerufen durch, die wirtsdiaftlidien Sorgen, da-
durdi, daß ein Mädel, das zum Beispiel den Wunsdi hat,
ein Kind zu bekommen, diesen Wunsdi nidit erfüllt be-
kommen kann. Die meisten Fragen werden audi bei uns
nodi vom bürgerlidien Standpunkt betraditet und gerade
die Moralpaukereien werden nidit nur von den Eltern,
sondern sogar von Seiten der eigenen Parteigenossen geübt
und sind durdiaus nodi nidit vorbei. Idi bin der Auffas-
sung, daß ein aktiver Kommunist, ein aktiver Funktionär
sehr wenig Zeit hat, sidi mit diesen Liebeleien zu befassen,
und dali er zu keiner hundertprozentigen Befriedigung in
dieser Hinsidit kommen kann. Im allgemeinen besteht für
uns nodi die Aufgabe, die Mädels erst eiuTual mitzureissen
und aus ihnen gleidibereditigte Genossen zu madien, denn
die bürgerlidie Erziehung hemmt sie nodi viel zu sehr; sie
haben nodi viel zu viele Minderwertigkeitsgefühle, um
Seite an Seite mit den Jungen zu kämpfen, so wie wir es
wünsdien. Darum müssen wir in ihnen das Bewußtsein
erwedcen, daß sie gleidibereditigt in der Organisation sind.
Für die Mädels spielt die sexuelle Frage immer eine
größere Rolle. Sie empfinden diese Dinge viel mehr als ein
Junge, der mal zu diesem, mal zu jenem Mädel geht. Aber
die Mädels hängen viel mehr an einem bestimmten Ge-
nossen — das ist wohl die Norm, wenn es audi Ausnahmen
gibt. Idi bin der Meinung, daß ein viel gesünderes Ver-
hältnis in dieser Beziehung eintreten muß und daß die
sexuellen Spannungen zu viel Raum einnehmen in der
proletarisdien Jugend, die den Klassenkampf als ihre erste
Aufgabe betraditen sollte, die viel zu sehr ablenken, die
fatsädilidi so raandien guten Funktionär versaut haben,
der einfadi in die Versenkung versdiwunden ist. Wertvolle
Kräfte, die für die Organisation bestimmt hätten etwas
leisten können, haben sidi durdi soldie persönlidien Ge-
schiditen vom Kampf ablenken lassen."
Dieser Jugendgenosse hat die Frage in den wesent-
lidisten Punkten riditig gestellt. Die sexuelle Not der
Jugend ist innerhalb dieses Systems in befriedigendem
129
Sinn wirklidi nidit zu lösen. Wir wollen aber gleicb in
der Selbstkritik fortfahren und an der Begründung, die
der Genosse dafür gegeben hat, zeigen, daß wir sexuell
bürgerlich befangen sind, auch wenn wir politiscii nodi
so richtig denken. Als Beispiel führt er an, daß das
Mädel infolge ihrer wirtschaftlichen Sorgen ihren
Wunsch, ein Kind zu bekommen, nicht erfüllen kann.
Das trifft gewiß für viele Mädels zu, ist aber keitie
zentrale Frage, Wir wollen uns ja nidits vormachen:
Sehr viele Mädels denken in erster Linie daran, wie sie
gesddeditlicii verkehren können, ohne ein Kind zu be-
kommen. Die Verstimmungen der Jugendlichen kom-
men daher, daß sie ihre stürmisciie Sexualität wegen
materieller Not und wegen Mangel an Gelegenheit, Geld
und Empfängnisverhütungsmitteln nicht in Ordnung
bringen können. Von den seelischen Störungen sehen
wir dabei noch ab. Daher hatte der Genosse Ernsi recht,
wenn er sagte:
„Natürlich gibt es eine große sexuelle Not in Deutsdi-
land wie in allen kapitalistisdieu Ländern, die daher rührt,
daß die Jugend zu Hause wohnt, keine eigene Wohnung
haben kann, daß viele erwerbslos sind, kein Geld für den
Lebensunterhalt haben und darum nidit mit denen zusam-
menleben können, mit denen sie leben wollen; und viele
Verhältnisse, die bei einigermaßen gesidierteu materiellen
Verhältnissen gut wären, gehen einfach in die Brüdie oder
können nidit richtig zum Leben kommen, weil einfadi die
Voraussetzungen nicht vorhanden sind."
Stellt man die Frage des Kindeswunsdies bei den
jugendliciien Mädels in die erste Linie, so bedeutet das,
mag es auch eine Rolle spielen, eine Verschiebung der
Frage auf ein Nebengeleise. Der Bürgerliciie weicht der
sexuellen Frage typisch dadurch aus, daß er die Mutter-
liebe und den Kiudeswunsdi in den Himmel hebt und
damit alles andere verdunkelt. Tatsache ist, daß sieb
der Wunsch nacb dem Kind meist erst dann einzustellen
i30
pflegt, wenn die sinnlidien Bedürfnisse einigermaßen
abgesäftigt sind. Es geht also, wenn wir uidit wieder
herumreden Avollen, bei der Jugend nicht um die Fort-
pflanzung, sondern um die Frage der Empfängnisver-
hütung und der sexuellen Befriedigung in der Zeit der
jugendlidien Reife, um die Frage der Ordnung ihres
Lieheslebens. Und für die fehlt im Kapitalismus wirk-
lich jede Voraussetzung. Der Wohnungsbau ist in den
Händen von Häuserspekulanten, die am Massenelend
interessiert sind. Nur die Sozialisierung des Wohnbau-
wesens, die Überführung des Hauseigentums in gesell-
schaftlichen Besitz, wie es heute in der Sowjetunion der
Fall ist, kann diese Frage lösen. Voraussetzung bleibt
Enteignung des Hausbesitzes und Abschaffung des Eigen-
tums an Grund und Boden. Das kann aber nur die soziale
Revolution bringen. Die Verteilung der besten Emp-
fängnisverhütungsmittel an Jugendliche, sobald sie den
Geschleditsverkehr aufnehmen wollen, ist eine weitere
Grundvoraussetzung zu geordnetem und befriedigendem
Gesdilechtsleben. Die politische Reaktion ist aber auf
diesem Gebiet ebenso sdiarf dagegen und terroristisdi
wie auf jedem anderen für den Bürger wichtigen Gebiet.
Die Möglidikeit, eine unerwünschte Sdiwangerschaft in
öffentlidien Kliniken zu unterbredien, ist ebenfalls eine
Grundvoraussetzung. Hungernde, verelendete, von jeder
Kultur ausgesdilossene, in den Straßen und Kneipen
herumlungernde Jugendliche sind nidit imstande, ein ge-
ordnetes, befriedigendes Gesdileditsleben zu führen, denn
sie sind entweder sexuell verwahrlost, was nicht ihre
sondern die Sdiuld der Gesellsdiaft ist, oder sie sind
sexuell gestört. Da die Ursache der sexuellen Störungen
und Verrohung die bürgerlidie Sexualunterdrüdcung im
Elternhaus und in der Schule ist, bedarf es, um das zu
beseitigen, wieder der Umgestaltung des gesamten wirt-
schaftlichen und sozialen Daseins in dem Sinne, daß die
131
J
Frauen materiell selbständig werden, von der Gewalt
des Mannes loskommen, und die Eltern die brutale
Herrsdiaft über ihre Kinder verlieren. Voraussetzung
dazu ist weiter gesellsdiaftlidie Erziehung der Kinder
und vollständige Umstellung in der Frage der kind-
lichen Sexualität.
Genosse Hermann hob hervor, daß die Moral-
paukereien sowohl von selten der Eltern als auch von
Seiten der eigenen Parteigenossen geübt werden. Das
ist absolut richtig. Viele ältere Genossen, die in Ehe und
Familie leben müssen, benehmen sidi der Jugend gegen-
über nicht richtig. Es ist notwendig sidi einzugestehen,
daß das ein Stück Konterrevolution im eigenen Lager
ist und letzten Endes nur der herrschenden Klasse dient.
Auf diesem Gebiet wird viel geleistet werden, wenn wir
große öffentliche Aussprachen zwisdien den Jugend-
lichen und ihren Eltern veranstalten werden, wenn die
Jugendlichen, die allein zu Hause nicht aufzutreten wagen
oder aber sich in fruditlosem Gezänk mit den Eltern auf-
zehren, in voller Öffentlichkeit unter der Kontrolle der
Massen der Jugendlichen und Eltern ihre Nöte und ihre
Klagen vorbringen werden. Wir können sicher sein
(denn das hat die Praxis bereits gezeigt), daß die Eltern
ihren Standpunkt, den sie zu Hause vertreten, in der
Öffentlichkeit nicht lange aufredit erhalten können. So
werden die Jugendlichen Sieger bleiben und Kräfte für
die Jugendorganisationen freibekommen. Auch die
Eltern werden auf diese Weise, in vielen Fällen zum
ersten Male, in Berührung mit der proletarischen Be-
wegung gelangen, Averden zum ersten Male audi über
sidi selbst und ihre Lage ins klare kommen. Ist also
die sexuelle Frage der Jugend eine politisch wichtige
Frage? Das dürfen wir nicht leugnen.
Der erstgenannte Genosse sagte audhi, daß ein
aktiver Funktionär sehr wenig Zeit hat, sich mit „Liebe-
132
leien" zu befassen und daß er zu keiner hundertprozen-
tigen Befriedigung in dieser Hinsidat kommen kann. Das
ist gewiß richtig, aber in dieser Form gesagt, unvoll-
ständig, so daß man dann leidit zu falsdien Verall-
gemeinerungen kommen kann. Hat doch der kommn-
nistisdie Jugend f unkt ionär für die Bewegung des Klas-
senkampfes eine ungeheure Verantwortung, die ihn audi
in diesen Dingen zum Vorbild der anderen madit. In die-
ser Zeit gilt es, größte persönliche Opfer zu bringen und
das Privatleben dem Klassenkampf unterzuordnen. Wir
müssen aber beim Herantreten an diese Frage unter-
scheiden, mit wem wir es zu tun haben, mit dem ganz
klassenbewußten, mit dem indifferenten, mit dem bür-
gerlichen oder nodi reaktionär denkenden proletarischen
Jugendlichen.
Bleiben wir zunächst beim Funktionär. Gewiß,
unsere Funktionäre sind mit dringender Parteiarbeit
ungeheuer überlastet, sie haben keine Zeit zu „Liebe-
leien". Wir kennen aus der proletarischen Jugendbewe-
gung drei Typen von Funktionären: erstens den Funk-
tionär, der gar kein Sexualleben führt und sich mit allen
seinen Kräften der Parteiarbeit verschrieben hat; dann
den zweiten Typus, der, ohne daß man viel davon hört
und sieht, ein geordnetes Geschlechtsleben mit irgend-
einer Genossin führt und dabei ebenfalls alle seine Kräfte
der Partei widmet; wir kennen schließlidi den dritten
Typus, der ständig in einem mehr oder weniger schwie-
rigen Konflikt zwischen seiner Parteiaufgabe und seinen
Liebesangelegenheiten steckt. Wenn wir uns diese Ge-
nossen nicht nur für einen Augenblick vor Augen füh-
ren, sondern ihre Laufbahn übersdiauen. so werden wir
feststellen, daß der beste Funktionär, das heißt der-
jenige, der nicht nur seine Arbeit am gründlichsten
sondern auch am ausdauerndsten verrichtet und der
Bewegung erhalten bleibt, der Funktionär mit dem
155
/
geordneten Liebesleben ist. Die Sexualität hat für ihn
aufgehört, ein Problem zu sein. Audi der erste Typus
ist ein guter Funktionär, aber, wie die Erfahrung lehrt,
oft nur für besdiränkte 2eit. Das erklärt sich daraus,
daß er seine persönlichen Sdiwierigkeiten zunächst in
Arbeit zu erstidcen suchte, um dann später dodi irgend-
wie zusammenzuklappen oder unserer Bewegung auf
andere Weise verloren zu gehen. Aus der ärztlidien und
politischen Erfahrung mit solchen Funktionären geht
eindeutig hervor, daß in solchen Fällen nicht, wie all-
gemein geglaubt wird oder wie es den Anschein hat, die
Überarbeitung der alleinige oder wesentliche Grund des
späteren Zusammenbruches ist, sondern daß die Sdiwie-
rigkeiten der Sexualität, die Schwierigkeiten des „Pri-
vatlebens" in Verbindung mit den hohen Anforderungen
der Partei den Betreffenden kampfunfähig machten.
Man verträgt eben den völligen Mangel eines Sexual-
lebens auf die Dauer nidit ohne allzu große Störungen.
Wir nehmen diesen Standpunkt hier nidit nur im Inter-
esse der Gesundheit sondern auch der revolutionären
Arbeit ein. Diese wird durch das ständige Fluktuieren
der Funktionäre gesdiädigt; wir haben ein Interesse an
möglichst ausgedehnter Dauer der Arbeitsfähigkeit jedes
Parteifunktionärs, und dafür ist ein halbwegs geordnetes
Gesdxleciitsleben eine der wichtigsten Voraussetzungen.
Man glaubt Kräfte zu gewinnen, wenn mau das
Sexualleben ganz ausschließt. Das ist ein Irrtum. Tat-
sache ist, daß zumindest die ArheiisintensUät leidet,
wenn man sein Sexualleben zu sehr einschränkt, und
man bringt durch die Arbeits fr isciie bei halbwegs be-
friedigendem Geschlechtsleben reidilich an Zeit herein,
was man durch das Privatleben verliert, weil man dann
rascher und besser arbeitet.
Gewiß, es gibt im Parteileben Zeiten, manciimal
Wochen, manchmal Monate, in denen die Aufgaben so
154
groß sind, daß man audi das notwendige Mindestmaß
an sexueller Befriedigung einsdiränken oder ganz auf-
geben muß. Damit muß man redinen. Aber das kann
nidit die Regel für die durdisdinittlidien Zeiten sein.
Und audi in soldien Perioden findet sidi eine Erleidi-
terung für gesunde Genossen in der Weise, daß mau
eben, durdi die Verhältnisse gezwungen, kameradsdiaft-
\i<h.e Beziehungen von kürzerer Dauer eingeht; dadurdi
braudien die dauernden Beziehungen nidbt geschädigt zu
werden, wenn man nur in voller Offenheit die Ange-
legenheit behandelt und ordnet. Wir sehen also, daß
wir diese Fragen nidit abstrakt behandeln dürfen, son-
dern immer in Beziehung zu der Situation, in der sie
auftauchen.
Zum dritten Typus, den wir genannt haben, ist nodi
zu sagen, daß die Funktionäre, die ständig im Konflikt
sind zwisdien Parteiarbeit und Privatleben, gewöhnlich
solche Genossen sind, die sidi von einer gewissen bürger-
lidien Kompliziertheit des Gesdiledbtslebens nidit frei-
gemadit haben, was besonders für die Genossinnen gilt;
in den meisten Fällen handelt es sidi um sexuelle
Störungen in irgendeiner Form. Dann ist es nidit die
Sexualität, die ihnen Sdiwierigkeiten madit, sondern im
Gegenteil die Störung, unter der sie leiden. In soldien
Fällen ist guter Rat teuer, denn hürgerlidie Verbau-
ungen und sexuelle Störungen lassen sidi nur im Einzel-
fall durdi langwierige seelenärztlidie Behandlung be-
seitigen, was für die Masse nidit in Betradit kommt. Wir
dürfen aber audi hier nidit skeptisdi werden und
müssen uns darauf einstellen, daß wir durdi Sdiaffung
einer offeneren und freieren sexuellen Atmosphäre in
der Organisation audi vielen von diesen Genossen helfen
werden, aus ihren Sdiwierigkeiten herauszufinden und
ihren Parteiaufgaben besser geredit zu werden.
Genosse Hermann meinte ferner sehr riditig, daß
155
fi
y
es eine unserer widitigsten Aufgaben sei, die Mädels
erst einmal mitzureißen und aus ihnen gleidibereditigte
Genossen zu madien. Und an demselben Abend bat den
Kern der Sadie wohl die Genossin Loiie getroffen,
welche sagte:
„Wie sieht es in der Praxis im K. J. V. aus? Es ist
wichtiger, auf die Tagesordnung des Themas zu setzen
^wie wir mehr Mädels in den K. J. V. hineinbekommen
können, denn wenn in einer Gruppe von 38 Jungen nur
2 Mädel sind, dann sieht diese Frage schon ein bißdien
anders aus. Gestern abend hat die erste Jungarbeiterinnen-
Konferenz Deutschlands stattgefunden. Die Mädels des
K. J. V. haben sie sich gestern abend in Berlin zusammen-
geholt und es waren knorke Mädels darunter. Im Verhält-
nis zu der Anzahl der Frauen, sind natürlich viel zu wenig
organisiert, aber wenn sie erst einmal drin sind, arbeiten
sie mit viel größerer Ausdauer und Begeisterung als die
Juugens. Wenn wir in die Gruppen hineinsehen, ist das Ver-
hältnis meistens 20 Jungen zu 2 Mädel. Gerade weil nur
zwei Mädels da sind, haben sie eine ganz komisdie Stellung
und es gibt tatsächlich Komplikationen. Die Jungen gehen
zu anderen Mädels, die nidit in der Gruppe sind und die
sie auch nicht gleich in die Gruppe hineinbekommen; so
kommt es, daß die Juugens oft abfallen."
Wir müssen also feststellen;
1. daß die Mädels schwerer in die Organisation zu
bekommen sind als die Jungeus;
2. daß das Zahlenmißverhältnis zwischen Mädels
und Juugens in der Organisation die Arbeit auf das
stiiwerste schädigt, indem die Jungeus zu anderen
Mädels gehen und die Organisation verlassen;
5. daß somit vor uns die wiciitige praktisdie Frage
steht, wie wir Mädels in die Organisationen hineinbe-
kommen können, um die Mißstände zu bebeben.
Genossin Lotte untersudite auci die Frage, warum
wir die Mädels nicht bekommen. Sie meinte, das läge
daran, daß unsere Methoden nicht immer so sind, daß
sich ein Jugendlicher lange bei uns wohlfüblt. Die kom-
136
«
I I
I
munistiedie Jugend versudie neue Methoden ausfindig
zu madien. Ein Grund sei, daß die Referate zu lang,
zu gelehrt und überhaupt so sind, daß „kein Mensch sie
versteht". Sie sagte sehr richtig: „Wenn unsere Methoden
i lebendiger wären, dann würden wir die ganzen Verhält-
* nisse verbessern, auch das Verhältnis der Jungens und
c Mädels untereinander. Aber erst müssen wir Methoden
i haben, die die Jugend mitreißen, so daß sie aus sich
' herausgeht. Es ist verkehrt, erst einen politisdien Kur-
sus abzuhalten und sich dann fünf Minuten für das
Persönliche zu lassen."
Zur ersten Frage: Warum sind die Mädels schwerer
in die Organisation zu bekommen als die Jungens? Es
ist allgemein bekannt und w^urde auch an dem Abend
ausgesprochen, daß viele Mädels lieber auf den Tanz-
boden gehen. Genossin Lotte hat besonders betont, daß
man riciitige Methoden finden müsse, um die Mädels vom
Tanzboden zu holen; dazu dürfe man, meinte sie, niciit
nur Mädels hinschicken, sondern man sollte gerade
Jungens dazu verwenden. Genossin Lotte hat, wie wir
überzeugt sein dürfen, das Richtige getroffen. Sie hat
die Sc^eu. die sexuellen Bedürfnisse der Jugend anzu-
erkennen und bei der Einrichtung der politisdien
Arbeit für deren Belebung zu berüdtsichtigen, über-
wunden.
Wir müssen fragen: Warum gehen die Mädels
lieber auf den Tanzboden als in die politisdie Organisa-
tion? Wenn wir diese ganze Frage mit dem Sdilagwort
„bürgerlidi" oder unproletarisdi abtun, so haben wir
gar nichts getan. Nodi weniger, wenn wir die Mädels
als rückständig betrachten oder gar verackten. Wir haben
eben bisher übersehen, daß das Jugendalter mehr von den
sexuellen als von den politischen Sorgen erfüllt ist, wir
haben den Fehler begangen, das Sexuelle als eine „bür-
gerliche Angelegenheit** beiseite zu schieben; wir müssen
137
/
daher lernen, die sexuellen Sdiwierigkeiten des Jugend-
lidien als für ihu ebenso widitig zu betrachten wie seine i
materielle Not. Sind dodi beide Sdiwierigkeiten in glei- \
dier Weise, nur die eine mittelbar, die andere unmittel- *
bar, in unserer kapitalistisdien Gesellsdiaft verwurzelt.
Wir müssen sehen, daß die geringere politisdie Neigung
des Mädels zusammenhängt mit der stärkeren Sexual-
unter drück ung, der sie im Verhältnis zum Jungen von
Kindheit auf unterworfen waren. Und wir müssen daraus
den Schluß ziehen, daß die sexuelle Unterdrückung eine
widitige politisdie Frage ist. Wir müssen audi endlidi
aussprechen, was alle Jugendlidien wissen, daß nämlidi
ein unbestimmt großer Teil Mädels und Jungens in die
Jugendorganisation aus denselben subjektiven Gründen
kommen, die sie auf den Tanzboden führen: aus ihrem
Bedürfnis nadi einem Sexualpartner, nadi einem
sexuellen Leben. Daß sie darin sdiließlidi dodi meist
mnerbdi oder äußerlich gestört sind, ändert uidits daran,
daß sie darnadi streben. Diese Tatsadie dürfen wir
nidit durdi eine bürgerlidie Bordellbrille ansdiauen.
sondern wir müssen uns als Revolutionäre eindeutig und
ohne Zögern auf die Seite der Tatsadien stellen. Wenn
es so ist, (laß die Sexualität die Jugend am meisten
bewegt und auf den Tanzboden treibt, so müssen wir
darnadi handeln und sie mit ihren sexuellen Inter-
essen in die Organisation bringen.
Es ist nidit nur Tatsadie, daß die Jugendlidien sehr
oft, viel öfter als man glaubt, weil sie es einem ja nidit
sagen und weil man nidit offen darüber spridit, wegen
ihrer sexuellen Bedürfnisse neben einem dumpfen poli-
tisdien Drang in die Organisation kommen. \^i^ Klage
in den Jugendorganisationen ist ganz allgemein, daß
mandie Jugendliche aus den Organisationen versdiwin-
den, wenn sie dort in persönlidier Hinsidit nidit das
gefunden haben, weswegen sie hingekommen sind.
138
f
Genossin Lotte behauptete, daß die Mädels und Jungens
zwisdien dem aditzehnten und zweiundzwanzigsten
Lebensjahr nidit mehr im Jugendverband sind.
„Sie sind nicht in der Jugend, sie sind nidit in der Par-
tei. Sie gehen uns verloren. Hier müssen wir Mittel und Wege
finden, um sie zu erfassen."
Das stimmt audi mit anderen Beobaditungen über-
ein. Die Jungens und Mädels kommen mit 15 und
16 Jahren in die Jugendorganisation, verschwinden dann
mit 18 oder 19 Jahren, um dann später nur sehr teil-
weise in der Partei wieder aufzutauchen.
Das hängt auch mit der Art der Kleinarbeit im
Jugendverband zusammen. Heute ist es so, daß em
kleiner Teil von Funktionären bis zum Zusammen-
brechen mit Arbeit überlastet ist, während der größere
Teil nur zur Maidemonstration erscheint, sonst aber nur
wenig tut. Wir wissen es von diesen Inaktiven, daß sie
sidi vor der Überlastung fürchten, daß sie, wie manche
sagen, nicht wie eine Zitrone ausgepreßt werden wollen.
Hier haben wir ein organisatorisciies Problem größter
Tragweite vor uns, denn es geht um die Frage der
riditigen Verteilung der Funktionen, zu der wir hier
nur eines sagen können. Wenn ungefähr gleich viel
Mädels und Jungens in der Organisation sem werclen,
wenn diese Mädels und Jungens zueinander m gutem
kameradschaftlichen und sexuellen Verhältnis stehen
werden, dann werden sie alle mitarbeiten wollen dann
wird es leiditer möglidi sein, die Funktionen auf alle
zu verteilen und so die einen zu entlasten und d^e
anderen politisch zu interessieren und zu verpflichten.
Die offizielle Bejahung des Sexuallebens m der Organi-
sation, also das Gegenteil des Standpunktes: Sexnahtät
ist Privatsache und womöglich zu unterdrücken, kann
uns auch bei rein organisatorischen Fragen ausschlag-
gebend nützen.
139
T
I
I
/
Wenn wir unsere politisöbe Sdiulungsarbeit ener-
gisdi und frudifbar durdifüliren werden, dann braudien
wir nidit zu fürditen, der Jugend gelegentlidi audi
Unterhaltung zu bieten, in Formen, die ihr entspredien
und über die wir noch sehr viel werden nadidenken
müssen. Aber wir werden nur dann Erfolg haben, wenn
wir das Muckertum gänzlich aus unseren Reihen ent-
fernen werden.
Wir müssen ferner zweierlei tun: Nicht nur die
wirtschaftlich-politischen und organisatorisdien Referate
lebendiger, jugendgemäfier gestalten, wie es die Genos-
sin vorgesciilagen hat, sondern wir müssen den Jugend-
lichen und ihren wesentlichsten Nöten Rechnung tra-
gen und im Rahmen unserer kulturellen audi sexual-
politische Referate abhalten, indem wir von den rein
persönliciien Fragen, die den Jugendlichen beschäftigen,
ausgehen und von da bis zur großen Politik, bis zu den
letzten Fragen der Wirtsdiafts- und Gesellsdiaftsord-
nung vordringen. Dadurch werden wir vermeiden, daß
die Mehrheit der Jugendlichen, wie das oft zu beobacii^
ten ist, sich entweder langweilt oder nur mit Zwang auf
die Referate einstellt. Wir werden dann erreichen, was
wir wirkhdi anstreben, eine gefühlsmäßige und sadi^
lidie Bindung der Jugendlidien an die Sädie aller Werk-
tätigen und an die kommunistisdie Partei. Die Jugend-
hdien, Ai^ Mädels sowohl wie die Jungens aus allen
Kreisen, werden so das unersdiütterlidie Gefühl be-
kommen, daß die kommunistisdie Jugend und die kom-
munistisdie Partei die einzigen sind, die ihre persönlidi-
sten Note wirklidi voll sowohl ärztlidi ^ne gesellsdiaft-
lic^ verstehen und ihnen nidit nur im Rahmen des
Moghdien Hilfe bieten, indem die Massenorganisationen
bexualberatungsstellen für Jugendlidie einriditen und
eine freiere, gesündere, der Jugend natürlidierweise
entsprediendere Atmosphäre sdiaffen, sondern indem sie
140
ihnen audi einen Ausweg aus der Not zeigen, der zwar
nidit unmittelbar ins Paradies führt, wohl aber für die
Jugend eine tatsadilidie Erfüllung und Anerkennung
ihres innersten Wesens bedeutet, den Kampf gegen die
herrsdiende Klasse, gegen Kirdie, Sdbule, bürgerlidies
Elternhaue und politisdic Reaktion, für die materielle
und sexuelle Befreiung nidit nur der Jugendlidien, son-
dern der materiell und sexuell Unterdrückten, der not-
leidenden Massen überhaupt.
Wir werden dann erleben, daß die Jugendlitten
uns in Massen zuströmen werden, und wir werden uns
vor eine neue sorgenvolle Frage gestellt sehen, wie wir
die Mittel und die organisatoiisdien Kräfte herbeisdiaf-
fen können, um diese Masse der Jugendlidien audi tat-
sädalich zu organisieren und sie mit dem Wissen, politi-
schem sowohl wie sexuellem, nadi dem sie dürsten, zu
erfüllen. Aber wir werden audi mit dieser Frage fertig
werden; Voraussetzung bleibt, daß wir nidit Anwürfe
des Bürgertums und der kleinbürgerlidien sozialdemo-
kratisdien Führer fürditen, die uns ßidier „Bordell-
leben" vorwerfen werden. Werden wir uns abhalten
lassen, für die Enteignung des Fabrik-, Haus- und
Landbesitzes Propaganda zu madien und sie audi, wenn
die Zeit gekommen ist, dnrdizu führen, nur weil uns das
Bürgertum deshalb als ein Gesindel von Dieben und
Räubern bezeidinet? Das werden wir gewiß nidit! Und
ebensowenig werden wir uns durdi das Sdilagwort
„Bordelleben" abhalten lassen, alle Mittel zu gebrau-
chen, um die Befreiung aller Werktätigen audi von der
sexuellen Unterdrückung durdizu führen. Wir müssen
endlidi aufhören, dem Bürgertum beweisen zu wollen,
daß audi wir „sittlidi" sind; im Gegenteil, wir müssen
diese „Sittlidikeit", wie sie sie verstehen, mit allen
Mitteln bekämpfen, als Bordelleben im wahrsten Sinne
des Wortes entlarven und ausrotten und an ihre Stelle
141
unsere eigene Moral setzen, die, ^.y\^ diese Schrift zeigt,
das geordnete, befriedigende Gesdileditsleben bejaht.
^ Wir werden erst dann den riditigen Weg ans der
Sdiwierigkeit finden und wir werden erst dann die
sexuelle Befreiung der Jugend riditig yorbereiteu, wenn
wir so offen spredieu werden, wie der Genosse Fritz an
jenem Diskussionabend spratt:
Man kann soldie Sadien audi bei uns in der Jugend
beobaditen daß wenn nur ein oder wenige Mädels in der
Onippe sind, man sie vollständig isoliert und sie sozusagen
rein geistigen Zwedcen zuführen will. Idi glaube, daß es
gerade für die Mädels sehr widitig ist, daß sie nidit nur
theoretische oder audi praktisdie Arbeit leisten, sondern
sowoh dem Jungen wie dem Mädel gibt es gegenseitig
f'^t ,^^^^^^"^' -^^^^ sie miteinander befreunde?
sind. Naturhdi keine Ponssaden, dagegen müßte man ffanz
energisch Front madien; man muß auch verhindern daß die
Madeis dadurdi, daß die Funktionäre glauben wenn s e
mal e"f M^' f^'f '^''''\ "^"^ ^^'^ sexLllen Din^ennur
teben leichtfertig sein dürfen, verletzt werden Die Jun^ens
es für sie. sie denken nidit mehr daran. Aber insbesondere
n n?. -^u .?f'^^^ ^^^^ ^^^«^■' Funktionär, von dem
ver^endTha^ h''^* ^^'V'^"^*' ''^ ^^°ß ^>« Zeitvertreib
verwendet hat deswegen kann es ihr genau so eehen wie
Sanja. und es ist. glaube idi. sdion öftef vorgekommen Iß
^. Ihnen genau so gegangen ist wie dem .erstr^Mäder
W müssen dafür sorgen, daß das rein zahlenmäßige Ver-'
ha tn zwischen Jangens und Mädels ein besseref wird
anstatt daß wenige Mädels einer großen Anzahl von Tun-
M^Xrder7 1^">^S T^" gleidimäfiig Jun;:ns und
Madeis m der Zelle smd, darf man auc*i nidit so bürger-
hdhe Vorwurfe madien, „heute geht er mit dem Mädel und
morgen mit dem anderen!" Die Mädels bleiben ja ia der
Zelle, und die Jungens bleiben audi in der Zelle, und es ist
ein ganz bürgerlidies Vorurteil, daß man unbedingt einige
Zeit mit_ einem Mädel befreundet sein soll; wir haben eife
proletansdie Weltansdiauung, für uns gibt es soldie Be-
dingungen nicht."
142
Dieser Genosse hat die Frage absolut korrekt ge-
stellt und audi riditig beantwortet. Der Bürger fordert
von der Jugend Verautwortlidikeit und meint damit
Enthaltsamkeit; er sagt, man dürfe seine Sexualität
nicht „ausleben", und versteht unter „Ausleben" den
außerehelichen Gesdileciits verkehr überhaupt; und wer
ist in Wirklidikeit verantwortungsloser und geiler als
der Moralist? Wer verführt Mädels, wer benützt sie als
Werkzeug, wer feiert Sauf- und Bordellorgien? Wir wol-
len nicht verführen, nidit zwingen, die Sexualität nicht
zu einer Klosettangelegenheit madien; das ist unsere
Verantwortlichkeit; aber wir wollen, daß Jungens und
Mädels ihr befriedigendes Sexualleben leben; man nenne
es, wenn man will, „ausleben .
Viele unserer Jungens und Mädels kennen genau
den Untersdiied zwischen dem Ausleben einer kranken
und dem Ausleben einer gesunden Sexualität. Wurden
wir bei unserer kulturpolitischen und sexualpolitischen
Arbeit nocii viel mehr die Jungens und die Mädels aus
den unteren Organisationen befragen, würden wir uns
weniger an die Meinungen so vieler komplizierter
fühlenden intellektuellen Genossen halten, wir hatten
sciion längst zur sexuellen Frage der Jugend d^e politi-
sche Stellung gefunden. Damit soll der mtellektuelle
Genosse keineswegs herabgesetzt werden; aber nicht nur
müssen wir es sagen, auch unsere intellektuellea Ge-
nossen, die Studenten, Ärzte, Lehrer Juristen usw.
müßten es ganz von selbst wissen, daß sie aus burger-
liciiem Elternhaus kommen und von dort her gerade auf
dem Gebiet der Sexualität weit mehr Unsicherheit, bür-
gerliche Wertungen, Ubersciiätzungen der sogenannten
geistigen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, ms
proletarisdie Lager hinübertragen als auf irgend einem
andern. Sie sind audi sexualideologisct weit mehr ver-
baut als der einfache Arbeiter, und die vielen morali-
143
sdien Verurteilungen des Sexuallebens der Jugendlidien
stammen meist von soldien intellektuellen Genossen, die
selbst mit der Frage nidit fertig geworden sind.
Um zu den Bemerkungen des Genossen zurüdizu-
kebren; er hat audi die Kernfrage des Budies „Das
erste Mädel" richtig erfaßt. Darauf sollen wir jetzt
ganz kurz eingehen. Was schildert dieses Buch, welche
Fragen wirft es auf und was für eine Lösung bringt es?
„Das erste Mädel" ist eine glänzende Schilderung
des Kampfes der russischen Jugend gegen die Reaktion
und für den Aufbau des Sozialismus. Aus diesem
Grunde allein verdient es, in die Hände jedes Jugend-
lieben zu gelangen. Aber es behandelt aucb zentral die
sexuelle Frage. Die kommumstische Zelle wird durcb
das erste Mädel, das in sie eintritt, ungeheuer belebt,
blüht erst von da an ricJitig auf. Obwohl aus jeder Zeile
deuthch hervorgeht, daß es die sexuelle Anziehung war,
die vom „ersten Mädel" ausstrahlte, welche diese Be-
übung herbeiführte, wird das nidit offen ausgesprochen.
Wir können sidier sein, daß eine sexuell weniger an-
ziehende Genossin, die ebensogut gearbeitet hätte, nidit
diese Kolle wie Sanja gespielt hätte. Audi in der dort
gesdiilderten Zelle lag das Problem wie bei uns ganz
allgemem: £m Mädel auf sieben Jungens. Das koLte
kein gutes Ende nehmen. Zuerst blühte die Zelle auf,
aber dann, als sich das Mädel mit den Jungens ange-
treundet hatte, begann dieses Mißverhältnis zu stören.
Das Mädel begann sexuell, wie man das so nennt, „aus-
gelassen zu leben. Wir können es nidit beweisen, aber
was wir aus der ärztlidien Erfahrung wissen, ist, daß
Tielleidit das wesentlidiste Stüd. an diesem Herum jagen
und wahllos mit Männern gesdileditlidi Verkehren in
einer Störung ihrer Sexualität begründet war. Der eine
Junge, der sidi in sie besonders verliebte, wurde eifer-
suditig. Es wäre ganz falsdi, diese Tatsadie streidien zu
144
wollen; sie geht ohne erwähnt zu sein, aus dem ganzen
Verhältnis eindeutig hervor. Es ist kein Zufall, daß
gerade der Junge, der sie ajn meisten liebte, sie dann
e^sc^^ofi. Audi andere Genossen dieser Zelle waren an
der Ehre der Gruppe interessiert, keiner aber griff zum
Gewehr, um sie zu töten, außer dem einen. Warum
mußte es zu dieser unglücklichen Lösung kommen?
Die Jungens dieser Zelle waren in der bürgerlidien
Auffassung befangen, daß die Ansteckung eine schwere
Sdiande ist und man sie daher geheim behandeln muß.
Sie haben den Grund der Schädigung der Zelle nicht
darin erblickt, daß nur ein Mädel da war und die vielen
i Männer ohne Mädels waren, nidit darin, daß diese
I Jungens und das Mädel nidit wagten, die für sie so
I brennende Frage ebenso hart anzupadten, wie sie gegen
die Deserteure kämpften; und sdiließlich war dem
Jungen, der das Mädel ersdioß, seine Eifersudit, die ihn
zu dieser Tat trieb, als letztes Glied in der Kette der
Ursadien, ganz unbewußt und daher um so gefahrlidier.
Es liegt absolut nicht im Sinne des Marxismus und
Leninismus. Tatsachen beiseitezusdiieben, nur wed in
der ersten Linie die Tatsadie des Klassenkampfes steht.
Es kommt eben auf die riditige Bewertung der versdiie-
denen Tatsaciien an; es kommt darauf an, neben der
Bindung der Kommunisten aneinander durdi das ge-
meinsame Ziel der Revolution audi die Eifersudit als
eine Tatsadie des mensdilidien Lebens anzuerkennen
sie ihrer Bedeutung entsprediend einzusdiatzen und
nidit einfadi zu erklären, das sei „unproletarisdi , also
existiere es nidit. Wäre die Frage in Sanjas Zelle offen
gestellt und besprodien worden, hätten nidit alle Mit-
glieder der Zelle an dem sehr gefährlidien Erbe des
Kapitalismus, der Sdieu vor sexuellen Dingen, gelitten,
wären sie nicht zum Teil, und vor allem das Mädel,
sexuell irgendwie gestört gewesen, hätten sie gewußt,
145
wie man Gesdileditskraiikheiten verhütet, Sanja hätte
nidit sterben müssen und die Parteiarbeit wäre nidat
ersdiütfert worden.
• Wir müssen uns mit allen Kräften frei madien von
dem speziellen bürgerlidien Begriff „Ausgelassenheit",
der auch m unseren Kreisen nodi viel zu viel herum-
spukt. Für uns darf nidit maßgebend sein, wie oft ein
Junge oder ein Uiidel und mit weldiem Kameraden sie
verkehren, sondern einzig und allein ob sie persönliches
Ungludc anriditen oder die politische Arbeit schädigen
Ganz klar herausgesagt, ganz im Sinne des Genossen
triiz: Wenn Jungeus und Mädels „heute mit dem und
morgen mit jenem" aus der Gruppe gehen, wenn das
die Parteiarbeit nicht schädigt, wenn sidi dadurcii die
Beziehungen der Genossen in der Gruppe festigen, wenn
Madeis und Jungens dadurcii in der Gruppe bleiben
und die Arbeit gefördert wird, wenn die persönlidie
l^ntwidclung beider Teile dadurdi keine Sdiädigung er-
tahrt so bedeutet es Reaktion im eigenen Lager, wenn
man dagegen ohne irgend eine Begründung und nur,
Z '^^''.^Y'^'' kleinbürgerlidien Moraifimmel hat, an-
kämpft. Wir verlieren den Boden unter den Füßen,
sobald wir anfangen in der Luft irgend etwas vorzu-
sdireiben. Der Zustand „heute mit dem und morgen
mi jenem kann in dem einen Fall förderlidi, in
vielen Fallen aber sdiädlidi sein. Es bleibt nidits
anderes übrig, als die Jugend so klar und selbständig in
diesen Dmgen zu madien, wie es die Aufgaben der
revolutionären Arbeit erfordern.
Als erster Ansatz dazu ist es ratsam, eine Liste
aller jener Sdilagworte anzulegen, die bei Diskussionen
über sexuelle Fragen die sexuelle Prüderie verdedcen
sollen und dadurdi die Frage nidit klären, sondern nur
versdileiern. Einige dieser Sdilagworte sind: „Geistige
Liebe", „Kameradsdiaft", „Sidikennenlernen der Ge-
146
sdilediter". „Entwi<klung von der sinnlidieii zur indivi-
dueUea Liebe", „Sidi verstehen" usw. Wenn irgend je-
mand auftritt, der diese Sdilagworte gebraucht, ohne
sidi klar zur Frage zu äußern, wenn wir spüren, da
redet einer um die Frage des Gesdilechts Verkehrs
herum, so müssen wir ihm mit gewohnter kommunisti-
sdier Offenheit sagen, daß er entweder nicht darüber
reden soll, wenn er nidits davon versteht, oder aber sidi
ganz genau ausdrücken soll, sonst kommen wir zu kei-
nem Ende. -rrr , 1 11
Wenn jemand kommt und sagt: „Wir braudien alle
Kräfte für die proletarische Revolution", so werden wir
ihm rectt geben, tausendmal redit geben. Wenn er aber
sagt, „es gibt kein Privatleben" oder „dein Privatleben
ist deine Privatsadie", so werden wir ihn fragen, ob er
das so ganz allgemein meint, und mit ihm darüber spre-
dien und ihn zu überzeugen versuchen, daß nicht nur die
sexuelle Frage der Jugend, sondern die gesamte Sexual-
frage ganz anders steht vor der Revolution, m der
Revolution und nadi der Revolution. Wir werden ihm
auch beweisen können, daß er unmarxistisch und gut
bürgerlich denkt, wenn er die Frage verallgemeinert,
wenn er die konkreten Tatsachen uidit sehen will.
Vor der Revolution steht vor der klassenbewußten
kommunistischen Jugend die Aufgabe, die Masse aller
Tugendliciien für die Revolution zu mobilisieren. In
dieser Phase gehört die sexuelle Frage der Jugend
hinein in die Gesamtfront der proletarisdien Bewegung.
Vor der Revolution können wir der Masse der Jugend-
lichten in sexueller Hinsiciit nicht viel helfen, aber wir
müssen diese Frage politisieren, die geheime oder offene
sexuelle Rebellion der Jugend im revolutionären Kampt
gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung ver-
wandeln.
In Zeiten der Revolution, wo alles durciiemander-
147
geworfen wird, alles Morsdie versinkt, wo wir auf den
Trümmern einer korrupten, ausbeuterisdien, grausamen
und verfaulten Gesellsdiaftsordnung stehen, gilt es, nidxi
zu moralisieren, wenn sidi die sexuellen Widersprüdie
in der Jugend zunädist steigern; da gilt es, die sexuelle
Revolution im Zusammenhang mit der gesdiiditlidien
Umwälzung verstehen und sidi auf die Seite der Jugend
: stellen, ihr helfen, so weit es möglidi ist, aber im übri-
n gen wissen, daß es Übergangszeit ist. Vor den Wirren
dieser Übergangszeit zurüctsdirecken, vor der „tollge-
wordenen Jugend" Angst bekommen und in bürgerliche
Ideologien zurückfallen, in Asketentum und Moralisten-
lum, die zu beseitigen mit eine Aufgabe der proletari-
sdaen Revolution ist, bedeutet hinter den gesdiichtlidien
Ereignissen zurückbleiben und sich gegen die Entwidc-
lung stemmen.
Nach der Revolution, wenn das von den Ausbeutern
befreite Volk endlich darangeht, den Sozialismus aufzu-
bauen, die Wirtschaft im sozialistischen Sinne umzuge-
stalten und die morschen Erbstücke des Kapitalismus auf
allen Gebieten zu vernichten, steht die Frage wieder
ganz anders. Dann tritt an die Gesellschaft aller Werk-
^ . tatigen die wichtige Aufgabe heran, audi an die künftige
Ordnung des Geschlechtslebens zu denken und sie vor-
zubereiten. Diese künftige Ordnung kann und wird
keine andere sein als die, wie Lenin sidi ausdrüdcte,
des erfüllten Liebeslebens, weldies Lebenskraft und
Lebensfreude gibt. So wenig wir über die Einzelheiten
dieses Lebens aussagen können, so ist dodi sidier, daß
die sexuellen Bedürfnisse der Menschen in der kom-
munistisdien Gesellscbaft wieder zu ihrem Redite
kommen werden; daß in dem Maße, wie durdi die sozia-
listisdie Rationalisierung der Arbeit und die Steigerung
der Arbeitsproduktivität die Arbeitszeit und der Drude
der Arbeit sich verringern werden, neben kulturellen
.148
und sportlic3ien Betätigungen audi das Gesdiledits-
leben, befreit von privatwirtsdiaftlidiem und bürger-
lidiem Sdimutz, losgelöst von Geld und Brutalität
und Erniedrigung seinen Raum in der mensdilichen
Gesellschaft auf höherer Ebene wieder einnehmen wird.
Und die Mensdien werden wieder fähig werden, ihre
Sexualität zu genießen, weil die wirtsdiaftlidie Basis
für die sexuelle Unterdrückung, die Privatwirtschaft,
die sie genufiunfähig und daher krank oder toll im
wahrsten Sinne des Wortes macht, wegfallen wird. Wir
malen keine Utopie, sondern sehen deutlich die Ent-
wicklung dahin — heute, vierzehn Jahre nadi der prole-
tarischen Revolution in der Sowjetunion. Der Beweis,
daß nur der Sozialismus die sexuelle Befreiung verwirk-
lichen kann, liegt auf unserer Seite. Im Kapitalismus
gilt es daher alle Kräfte daransetzen, die unterdrückten
Millionenmassen auch in dieser Richtung zu überzeugen
und zum unerbittlichen Kampf gegen alles, was sicii
dieser Befreiung entgegenstellt, zu mobilisieren^ Bei
dieser Mobilisierung wird die Jugend gerade auf Grund
der großen materiellen, autoritativen und sexuellen Un-
terdrückung, der sie heute unterworfen ist und die alle
Tugendlichen miteinander verbindet, in vorderster Front
marsdiieren. Und wir werden sie in dem Maße für die
Sache der Revolution gewinnen und begeistern, wie wir
sie in ihren sexuellen Nöten verstehen werden und sie
überzeugen werden, daß das einzige, was man ihr heute
im Kapitalismus mit voller Verantwortung und m voller
Wahrheit sagen kann, lautet: In der kapitalistischen
Gesellschaft gibt es keine sexuelle Befreiung der
Jugend, kein gesundes, befriedigendes Sexualleben;
willst du die sexuelle Not beseitigen, so kämpfe für den
Sozialismus. Denn der Sozialismus verwirklicht die
sexuelle Lebensfreude — ganz unabhängig von der
Meinung einzelner, die in sexuellen Dingen unklar
149
sind — indem er zunäcbst die Herrsdiaft derjenigen
beseitigt, die die Augen zum Himmel verdrehen, wenn
sie von Liebe spredien, in Wirklichkeit aber die Sexuali-
tät der Jugend zerbrechen, - ^ . : '
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FRAGEBOGEN
1. Hältst du die grundsätzlidie Linie, die in diesem BuA
entwickelt wird, für riditig und geeignet, die sexuelle Frage
der Jugend praktisdi zu lösen?
'2'weläe Mängel enthält das Buch? (Betrifft Verstand-
lidikeit aufgeworfine Fragen, politisdie Lime und anderes)
j.
5. Welche Vorschläge (Abänderungen, Ergänzungen) hast
du für die nächste Auflage?
"4'Hast du praktische Vorschläge für die Organisierung
der Juglnd zum sexualpolitischen Kampf unter revolutionärer
Führung?
5" Willst du dicii als aktiver Kämpfer für die Sadie der
Jugendlichen beteiligen?
tik, Kursuslehrer)
Name:
Adresse:
Beruf u. polit. Organisation:
151
\
Cu
Vom selben Verfasser ersAieiieii unter andercH
folgende Sdbriften:
Der triebhafte Charakter. (Eine Studie zur
Psydiopathologie des Idis.) Internationaler Psydio-
analytisdier Verlag, 1925.
Die Funktion des Orgasmus. (Psydiopatholo-
gie des Gesdilechtslebens.) Internationaler Psydio-
analytisdier Verlag, 1927.
Sexnalerregung und Sexualbefriedi-
gung. (4. Auflage, derzeit vergriffen.) Münster-
Verlag, Wien, 1929.
Dialektiscber Materialismus und Psy-
choanalyse. („Unter dem Banner des Marxis-
mus.") 1929.
Geschlechtsreife ~ Enthaltsamkeit —
Ehemoral. (Eine Kritik der bürgerlichen Sexual-
reform.) Münster-Verlag, Wien, 1930.
Soeben erschienen:
— .11
DER EINBRUCH DER
S E X U A L M O R A L
Zur Gesdiidtite der sexuellen Ökonomie
VERLAG FÜR SEXUALPOLITIK
Berlin Wien Leipzig
152
w
I
Vom selben Verfasser erschien
soeben:
DEREINBRUCHDER
SEXUALMORAL
Ein Werk von außerordentlichem
Wert nicht aHein für die Geschichte
der Moral. Reich erbringt an dem
Beispiel einer mutter rechtlich orga-
nisierten GesellschaFt den exakten
Nachweis^ daß die Unterdrückung
des kindlichen und jugendlichen
Sexuallebens auf die Ökonomischen
Prozesse zurückzufDhren ist, in
denen das Patriarchat das K>äutter-
redit ablöst. Seelische Erkrankun-
gen als soziologische Erscheinung
zu erklären, wird damit zum ersten
Male ermöglicht.
Ein Buch von grundlegender Bedeu-
tung für die Völkerkunde, Sozio-
logie, Psychoanalyse und Kulturge-
schichte. Kartoniert RM 3,75, in
Ganzleinen RM 4,80.
WENN DEIN KIND
DICH FRAGT . . .
Beispiele^Gesprache und Ratschläge
zur Sexualerziehung
von
Dr. Annie Reich
Geheftet 20 Pf., kartoniert 60 Pf.
Dr. Alexander Lubin
MUTTER UND KIND IN
DER SOWJET.UNION
Geheftet 20 Pf., kartoniert 60 PI.
VERLAG
FÜR SEXUALPOLITIK
BERLIN-WILMERSDORF
Kreuznacher Straße 38
WIEN LEIPZIG
-^ \
VerJas-tüc-Siptralpolitik ■ BsjUnfl^pzis^Wien