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Full text of "Der sexuelle Kampf der Jugend"

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Wilhelm Reich 



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»D:ER sexuelle KAMPF 
DER JUGEND« 

wurde bereits 1 931 verfaßt. Die poli- 
tischen Ereignisse seither l<onnten 
nicht mehr berUdcsichtigt werden. 
Die Hinweise auf die Notverord- 
nung sind von der Entwid<lun3 
überholt. 

Bitte den Fragebogen auf dem 
letzten Blatt auszusdineiden und 
ausgefüllt an den Verlag zu senden! 

VERLAG 

FÜR SEXUALPOLITIK 

BERLIN -WILMERSDORF 
Kreuznadier Straße 38 



Umsdilag: Georg Teltsdiery Berlin 



>^Leipz(ger Vollcszeitung«: 

Or. Wilhelm Reldi iit zweilellot einer der 
klarftcn, näditernstan und unbestedi- 
lldistan Denker unter den Sexualforichem 
unserer Tage. Auf knappere und treffendere 
Formeinläßt sich belmgegenwärtigenStande 
unserer soziologlsdien und psydioanaly- 
trsdien Einsiditen eine Kritik kaum bringen. 
Noch nie wurden die Zusammenhänge 
zwischen bürgerlidier Ideologie und kaplla- 
listlsdier KlassengeselUdiafl In ihrer Ver- 
flochtenheil mit der Sexualverfasiung so 

treffend enthüllt. 

Prof. Dr. Arthur Kronfeld im 
»Ardiiv für Frauenkunde«: 

Wilhelm Reidi leigt uns, weldie soilologl- 
sdie Bereldierung und weldie reformatorl- 
sdien Anregungswerte von der Psychoana- 
lyse austugehen vermägen,wenn diese - bei 
aller Strenge der Methodik - von einer 
betondari klaren, warmhcrzjs vcr- 
ständnifvollcn und den Nirkljdikcitt- 
, Problemen seölfnetcn geistigen Per- 
tönijdikeit angewandt wird. 



DR. WILHELM REICH 



DER 



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SEXUELLE KAMPF 
DER JUGEND 



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1932 



VERLAG FÜR SEXUALPOLITIK 
BERLIN • WIEN • LEIPZIG 



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INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 



ALLE RECHTE, INSBESONDERE DTF tifc \i.r>..r.^ 

UND DER ÜBERSETZUNG VORBE^^^^^ 
DRUCK: KOCH . WERNER. WIEN V^SoS NR. U 



INHALT 



Seite 
Vorhenicrkang 

I. Die Fortpflanzung 

A. Gesdilechtsapparat und Befriidituiig .... 1 

B. SdiwangL'i-sdiaft und Geburt 1^ 

C. Der Abtreibungsparagraph J2 

- D. Empfängnisverhütung ^^ 

II. Sexuelle Spannung und Befriedigung .... 28 

A. Die sexuelle Reifung ^8 

B. Die Onanie der Jugendlidieu ■'*' 

. C. Der Gesddeditsakt 59 

D. Die Störungen heim Geschleditsverkehr . . 43 

E. Gesdücditskraukheiten und ihre Verhütung . . 57 

F. Selbstregulierung der Gesdileditslebens durdi 
Befriedigung ^^ 

G. Enthaltsamkeit und Arbeitsleistung .... 64 

III. Zur Frage der Homosexualität ?2 

IV. Die Sdiwierigkeiten der kameradsdtaftlidien Be- 
ziehungen der Jugend 78 

V. Der Sinn der Unter drü<kung des Gesdileditslebens 

der Jugendlidien im Kapitalismus 98 

VI. Die soziale Reoolutiou als Vorbedingung der sexuel- 
len Befreiung < ^5 

VII. Politisierung der Sexualfrage der Jugend . . .125 

Fragebogen ^^^ 



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I 



VORBEMERKUNG 



Diese Sdirift ist für die Jugend ohne untere oder 
obere Altersgrenze gesdirieben. Sie bezwedit nidit die 
üblidie „Aufklärung", die um die Frage des Gesdiledits- 
verkehxs im Jugendalter herumgeht, sondern sie -will 
nach bester wissensdiaftlidier Überzeugung der Jugend 
bestimmte Antwort geben auf die große Frage ihrer 
sexuellen Reifung, indem sie die unerbittlidien Folge- 
rungen aus den bisberigen Ergebnissen der Sexual- 
wissenschaft und der Gesellschaftslehre zieht, Folge- 
rungen, denen man sonst beharrlich ausweicht. Der 
Jugendliciie. der dieses Buch zur Hand nimmt, will 
wissen: 

worin der Vorgang der sexuellen Reifung besteht, 
warum das Geschlechtliche von der Schule, dem 
Elternhaus und der gesamten Öffentlichkeit so geheim- 
nisvoll behandelt wird, .. t 

w^as die Verstimmungen, die Erregungszustände, 
die zwanghaften Tagträume, die Vereinsamung und 
andere Erscheinungen, die in diesem Alter auftreten, 
zu bedeuten haben, 

welchen Ausweg es gibt und ob die Lösung der 
sexuellen Frage der Jugend unter den heutigen gesell- 
schaftlichen Bedingungen möglich ist oaer uidit. 

Es ist die gesellschaftliche Lage, die heutige Art des 
Elternhauses und der Schule, der Einfluß der gesaraten 
öffentlichen Meinung, die die Jungens und Mädels aus 
Arbeiter-, Angestellten- und Bauernkreisen veranlassen, 
gierig nach sexuellen Aufklarungssc^iriften zu greifen. 
Dabei stoßen sie unter hundert Fällen neunundneunzig- 
mal auf Sdhund, auf die Madiwerke gewissenloser Ge- 



V 



sdiäftemadier oder in sexuellen Fragen ungebildeter 
Ärzte, die das große Bedürfnis der Jugend aller Kreise 
nadi Klarheit gründlidi auszunützen verstehen. Und ' 
die Behörden geben vor, die Jugend vor sexueller Ver- 
derbnis zu schützen, indem sie nadi wie vor die sexuelle 
Unwissenheit der Jugendlidien unter 18 Jahren mit 
allen Mitteln verteidigen. Und in Wirklichkeit? Moral- 
und Enthaltsamkeitsprediger auf der einen, sexuelle 
Sdimutzliteratur auf der anderen Seite verseudien die 
Jugend, beide in gemeingefährlidister Weise, die erste 
nicht minder als die zweite. A 

Die sexuelle Verelendung der heutigen Jugend ist 
unermeßlich. Das meiste daran spielt sic^i unterirdisch 
ab, gelangt nidit an die Obcrfläcie der Ersdieinungen, 
weil die herrschenden Zustände das nicht zulassen. Und 
unsere Sexualwissensciiaft ist mitsciiuldig daran, denn 
sie fälscht entweder die Tatsachen oder sie weicht den 
Konsequenzen aus, wenn sie sicäi nicht in menschen- 
freundlichem Klagen über das Elend und in ethisdien 
Phrasen gefällt, so sehr gefüllt, daß sie keinen Schritt 
darüber hinaus in den Bereich des Staatsanwaltes 
riskiert. 

Wir wollen die Tatsachen bringen, die zeigen, daß 
die ganze Frage der Jugend ganz anders liegt, als man 
allgemein glaubt, daß sie nidit lautet: moralisdi-enthalt- 
sames Leben oder sexueller Schmutz, sondern: gesundes 
oder krankhaftes Gesdiledii sieben. Denn sexuell betä- 
tigen sich alle Jugendlidien und Kinder ausnahmslos, 
auch die christlichen, audi die, die am lautesten „die 
sexuelle Sittlichkeit" propagieren. Es muß endgiiltig 
klarwerden, daß die moralisciie Einsctüditerung letzten 
Endes denselben Effekt hat wie die wirkliche Schmutz- 
literatur und die elenden materiellen Verhältnisse, in 
denen die Masse unserer Jugendlichen aufwäcbst. 

Die zentrale Frage der Jugend ist die des Ge- 

VI 



sdileditsverkehrs im jugendlichen Alter und der Stel- 
lung der Gesellsdiaftsorduung, des bürgerlidien Staates 
und seiner Behörden dazu. Die Jugend hat mehr als 
bloß ein Recht auf „Aufklärung"; sie hat volles Recht 
auf ihre Sexualität. Dieses Recht hat man ihr genom- 
men. Bei unzähligen Jugendlichen ist sogar das Bewußt- 
sein ihrer Sexualität geschwunden, nicht ohne sehr 
schweren Störungen des psychischen Gleiciigewiciits im 
Alter der Reifung Raum zu geben. Wir geben daher 
keine Ratschläge „von oben" und „klären nicht auf", 
sondern wir sind entschlossen, der Jugend die volle, 
unverfälsciite Wirklichkeit zu zeigen, sie verstehen zu 
lehren, in welcher Lage sie sich befindet und daß sie 
ihre Sache selbst in die Hand nehmen muß, wenn sie 
ernstlich gewillt sein will, mit dem Elend, über das 
soviel gescii^vätzt ^vird, ernstlich und endgültig Schluß 
zu madien. Wir wollen sie überzeugen, daß man um 
ein gutes Recht nicht bettelt, sondern kämpft. Wir sind 
entschlossen, aucii diejenige Jugend davon zu über- 
zeugen, die unklar und dumpf den Predigern der Sitt- 
lichkeit, wie sie es verstehen, folgt und dabei sicii selbst 
ruiniert. Es wird viele Jungen und Mädel zwischen 
etwa 15 bis 17 Jahren geben, denen die hier behandel- 
ten Fragen selbstverständlich erscheinen oder ohne viel 
Mühe einleuchten werden. Es wird viele andere Jugend- 
liche im gleiciien Alter geben, die den Inhalt dieser 
Sdirift nidit ohne Schwierigkeiten zur Kenntnis nehmen 
werden. Und es wird wieder viele andere im gleichen 
Alter geben, die durch Moral und Erziehung derart ver- 
baut sind, daß sie ihn zunädist scheu oder empört ab- 
lehnen werden. Mandier reifende Jugendliche muß, nur 
mn sidi einen künstlichen Halt zu geben, eine moralisch- 
abwehrende Haltung gegen das unbewußte Drängen 
seiner Sexualität ebenso wie gegen jedes von außen 
kommende Wissen entwickeln. Der Zusammenhang 



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seiner ihu quälenden Tagträume, seiner Verstimmungen, 
seiner Erregungen und sonstigen Nöte mit seiner 
Sexualität ist ihm nidit bewußt; er handelt und denkt 
unter dem Zwang eines fremden Willens, der ihm die 
Aufnahme sexuellen Wissens verbietet. Dieser fremde 
Wille stammt aus der Erziehung und wurde zu einem 
Stiidc seines eigenen Wesens, das nunmehr in Wider- 
sprudi tritt zu seiner biologischen Organisation. Wir 
müssen ganz klar wissen, daß die Sexualfrage der 
Jugend nidit nur sdhwierig, sondern in vielen Fällen 
eine geradezu explosible Angelegenheit ist. So offen, 
wie wir die Frage stellen, wird sie viel Aufruhr ver- 
ursadien. Aber davor darf man uidit zurückschredüen. 
Es bleibt kein anderer Weg. Man muß sidi entsdieiden: 
entweder weiter seelisdxe Verelendung, Leiden, Selbst- 
morde und Sdiwängerungen ohne Ende oder unter den 
heutigen Bedingungen manchmal hart wirkende Wahr- 
heit, aber dafür auch Aussicht auf eine endgültige 
Lösung. ° 

Diese Broschüre wurde von Vertretern versdiiedener 
Jugendorgan.sat,onen gelesen, kritisiert und ergänzt sie 
gibt also nicht nur meine Meinung wieder TlnT j 
Jugend ist die dringende Bitte gerietet „ii "• 
Leser za sein, sondern zu dieser Schrift fU^J^Tl 
Stellung zu nehmen und ihre Meinung M ;£,tot 
wendige Ergänzungen oder Abänderungen schrift^l 
durch Ausfüllung des angehängten Fragebogens dem 
Verlag bekanntzugeben. Die endgültige Grnf ^r 
der Se.ualpolitik der Jugend mnl kXt^^er ZtS 
. werden, und zwar yon der Jugend selbst. ^"^''^ 

Im Jänner 1932. 

Wilhelm Reich. 



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L DIE FORTPFLANZUNG 



A. GESCHLECHTSAPPARAT UND 
BEFRUCHTUNG 



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Der Gesdileditsapparat dient bei der Frau in glei- 
cher Weise wie beim Mann von frühester Kindheit bis 
ins hohe Alter der Funktion der sexuellen Lust und 
Befriedigung; von der Geschlechtsreife, in der die 
Zeugungsfähigkeit beginnt, bis zu den sogenannten 
„Wechseljahren", in denen die Zeugungsfähigkeit auf- 
hört (bei der Frau gewöhnlidi zwischen dem vierzigsten 
und fünfzigsten, beim Mann zwischen dem fünfzigsten 
und sechzigsten Lebensjahr), dient er überdies der 
Fortpflanzung. Schon daraus geht hervor, daf? die 
Funktion der sexuellen Befriedigung im Geschlechtsleben 
bedeutsamer ist als die der Fortpflanzung. Trotzdem 
umgeht man ihre genaue Erörterung vor Jugend- 
lichen gerade dann, wenn man darüber sprechen 
sollte, und beschränkt sicii gewöhnlich auf die Fort- 
pflanzungsfunktion. Wir werden in den nädistfolgen- 
den Abschnitten die politischen Gründe dieser Sciieu 
genau erörtern. 

Die Fortpflanzung muß besprodien werden, weil 
jeder, der zur Zeugung und Empfängnis eines Kindes 
reif geworden ist, nicht nur diese Tatsachen kennen 
muß, sondern auch wissen muß, welche Gefahren in der 
bürgerlichen Gesellschaft für den Jugendlidien damit 
verbunden sind. Wenn wir hier die Gefahren hervor- 
heben, so nidit, um Schrecken einzujagen, sondern um 
besser daranzugehen, diese Gefahren zu bekämpfen. 
Wir werden die Frage der Fortpflanzung nicht so er- 
ledigen, wie es die Pfaffen im Aufklarergewande tun, 

I 



kirnt Sauf' J"^'"^. ^"^^«^^«^nikeit predigen. Es 
gersdiaft Vnr. 7 ""^ '^^®^^^' ^^^ ^^ ^u einer Sdiwan- 
'^enG^^^^^ ^'^ J"^-^I^^^ - Kapitalist:- 

wird unrl ! Existenz läuft, wenn sie sdiwanger 

verhüten kaTu. "^"'^ '^'^ *^^^ Befruchtung am besten 

FunkTion're'Txui^^ entsprecixend die 

Pflanzung und verW ^^j^^^^^^^^g von der der Fort- 
die sexuelle Befld ^" ^'^ Standpunkt, daß jedem 
<^aß er Sklave de^ F ?! ^"^^"fflida sein muß, ohne 

Znnädist wnn ^^'^'^P^^^^^ing wird, 
über den ^^^ f"^ ^''^'^ """^^ ^^ ^^^^ ^<^t AhhMmx^en 

sdileditsorffanP ZT '^^'''^^''^^^ und weiblichen Ge- 
Die " ,^^^^"^*eren. 

gende Teiv'^Hnfr ^^'^l^<hisorgane umfassen fol- 
Wäscteu. VorstehTrd ^^^'j^^^^^'^- Samenleiter, Samen- 
<»as Glied. '*'^'^^'^"«^' die Cowperschen Drüsen und 

lidien Keimzellen''^ f\^''^^'^^^ in denen die männ- 
^«^ Hormone gen , männlichen Sexualreizstoffe, 
bühnereigroße Gebilrl "^i'- ^""^^^^^ werden. Sie sind 
sacfc; stedcen, und best\ ''' ^'''^"^ Hautsade (Hoden- 
dünnen Samenkanäldie H"^"?^ ^"^^"^ ^n^u^l von haar- 
^^^enmulierzellen enth'h ^™ ^^^^^^^ die sogenannten 
erzeugen die Samenf^ ^'^^^ Samenmutterzellen 

liehe Samenkanälchen'^j ^P^^^^iozoen. Sämt- 

in ein Kaualsystem ^'''''^^'^ "^'^ ^^^^^ offenen Ende 
hodens nennt, der .p^p^ '^^'^ **^^ ^^P^ des iVe&en- 
lagert ist. Von hier f "f ^^"^^^ ^^^^ dem Hoden ge- 
etwas abwärts dann h^ f ^^^ Samenleiier zunächst 
die Baudihöhle bis ^^^^^^^"^^ den Leistenkanal in 
erweitern. Die s'am<.>,M-^ 1^ ^^ den Samenbläsdien 
für den erzeugten 1 v? ^^^^^^ ^'^ Vorratskammer 
gten mannhdien Samen. Sie sind etwa 



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Fig". 1. Längssdinitt durdi den Leib des Mannes 



A = Darmsdllinge 
B = Sdianibein 
C = Harnblase 
D = Harnröhre 
E u. F = Sdiwellkörper 
des Gliedes 



G = Nebenhoden 
H = Hoden 

J = Vorhaut über 

der Eichel 
K = Hodensack 

L = Samenbläsdieii 



M = Vorsteherdrüse 

N = Cowpersdie Drüsen 

O = Darm 

P = Samenleiter 



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6 cm lange und 2 cm breite, sackförmige Ausbuchtun- 
gen der Samenleiter uud haben die Aufgabe, den Samen- 
fäden eine sdileimige, eiweißhaltige Flüssigkeit beizu- 
fügen, die in denSamenblösctendrüsen erzeugt wird. Von 
da ab verläuft der Samenleiter bis zu der Stelle, wo er 
sidi mit der Harnröhre vereinigt. Hier gibt es eine 
weitere Drüse, die Vorsteherdrüse, die ein dünnflüssiges 
Sekret absondert und dem Samen beifügt. In der Nähe 
münden audi die Coropersdien Drüsen, die ein alkali- 
sches Sekret absondern; dieses hat die Aufgabe, die 
Harnröhre sdilüpfrig zu madien und die Samenfäden 
am Leben zu erhalten. Alkalisch ist das Gegenteil von 
sauer. In sauren Flüssigkeiten gehen die Samenfäden 
zugrunde, während sie sicii in alkalischen sehr gut 
halten. 

Das Glied selbst, auch Penis genannt, dient sowohl 
als Harnleiter als aucJi zur geschlechtlichen Vereinigung 
mit der Frau. Es ist bei verschiedenen Männerji 
verschieden groß, seine Länge im erregten Zustand 
schwankt durchschnittlidi zwischen 12 und 16 cm. Seine 
Länge im schlaffen Zustand sagt nichts über die im 
Steif ungszustand aus, denn das hängt einzig und allein 
von dem Gefäßsystem ab, weiches das Glied innen 
erfüllt. Die Steifung des Gliedes kommt dadurch zu- 
stande, daß durch eine Erregung der Nerven die Blut- 
gefäße mit Blut straff gefüllt werden. Das engmaschige 
Gefäßnetz befindet sich in drei sogenannten Schwell- 
körpern, von denen sidh zwei an beiden Seiten und einer 
an der Unterseite befinden. Die Spitze des Gliedes, 
die Eichel, ist diejenige Stelle, die mit den feinsten und 
erregbarsten Nervenendigungen, darunter besonders 
gebauten Tastkörperchen, ausgestattet ist. Die Eichel 
wird umhüllt von einer gefalteten Haut, der Vorhaut, 
die an der Wurzel der Eichel entspringt, diese, sich nach 
vorn legend, bedeckt und wieder zur Eichelwurzel 



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Fig, 2. Längssdinitt durdi den Leib der Frau 



A = Eileiter 

B = Eierstock 

C = großes Baudigefafl 

D = Gebärmutter 



E = Gebörmuttermund 
F = SÄambein 
G = Harnblase 
H = Mastdarm 



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M 



Sdieide 

HarnrÖlire 

kleine Sdiamlippen 

große Sdiamlippeu 



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5 



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zurückkelirt. Die Besdiiieidung besteht lüdit, wie sehr 
viele Kinder und audi Jugendlidie glauben, in einem 
Kürzermadieu des Gliedes, sondern in der Beseitigung 
dieser die Gliedeidiel bedeckenden Haut. Sie wird 
heute nur noch bei den Arabern, bei rechtgläubigen 
Juden und anderen semitisciien Völkern geübt. Aucii 
die Mohammedaner üben die Bescineidung aus. 

Die roeihlidien GesdUeditsorgane bestehen aus den 
Eierstöcken, den Eileitern, der Gebärmutter und der 
Scieide. i 

Die Eierstödce, Ovarien genannt, sind die wichtig- 
sten Gescilechtsdrüsen der Frau. Sie enthalten eben- 
falls zweierlei Drüsen, von denen die eine die weib- 
licien Eier, die andere sexualerregende Stoffe erzeugt 
Sie sind etwa von der Größe eines Taubeueies und 
hegen rechts und links von der Gebärmutter in der 
liefe der Baucihöhle. Von ihnen führen die Eileiler 
oder Muttertrompeten zur Gebärmutter. Diese haben 
die Aufgabe, die Eizellen, die sid, jeden Monat ein Mal 
von den Eierstöcken loslösen, in die Gebärmutter zu 
leiten. Sie smd etwa 12 cm lange, gewundene Röhren, 
die am oberen Ende der Gebärmutter naci rechts und 

in dl «"'Tf'^,^"'^ "'r^ ''^''^'^^ '^^^ Eierstöcke frei 
triZ ^f!'^*^""'^ "^«"den. Diese Mündungsstellen sind 
trichterförmig erweitert und mit zipfelartigen Fransen 
besetzt. Das Innere der Eileiter ist mit Flimmerhärchen 
t '^"fgekleidet, die die Aufgabe haben, das Ei, wenn 
es aus dem Eierstock in den Eileiter gelangt ist, in die 
Gebarmutter weiterzubefördern. Die Gebärmutter liegt 
tiet unten m der Baudihöhle, hinter dem Schambein, 
von diesem durch die Harnblase getrennt. An der 
^ebarniutter unterscheidet man den Gebärmuttergrund, 
den Gebarmutterkörper und den Gebärmutierhais. Der 
Gebarmuttergrund ist der oberste Teil; an ihm entsprin- 
gen die Elleiter. Der Gebärmutterkörper ist birnen- 



förmig und enthält die GebärmutterKöhle, die bei 
Frauen, die nodi nidit geboren haben, keinen wirklichen 
Hohlraum darstellt sondern nur einen sdimalen Spalt 
zwisdien den aneinanderliegenden Gebärmutter wänden. 
Der unterste Teil der Gebärmutter, der Gebärmutter- 
hals, reidit in die Sdieide hinein und hat dort eine 
Öffnung (Gebärmuttermund), die in den Gebärmutter- 
kanal und durch diesen in die Gebärmutterhöhle führt. 
Die Sdieide oder Vagina dient der gesdilechtlicien 
Vereinigung mit dem Mann und der Aufnahme der 
männlidien Samenflüssigkeit. Sie ist ein faltenreicJier, 
sehr dehnbarer Sciilauch, dessen vordere und hintere 
Wand eng aneinanderliegen und mit sehr zarten emp- 
findlichen Schleimhäuten ausgekleidet sind. Oben ragt 
in diesen Schlauch der Gebärmutterhals hinein, an dem, 
wie wir später hören werden, das weiblidie Empfängnis- 
verhütungsmittel, das Pessar, angebradit wird. So ^vie 
das Glied ist auch das Sdieidenorgan in seinen Wänden 
mit einem kompliziert gebauten Blutgefäßsystem aus- 
gestattet, das sich bei sexueller Erregung prall mit Blut 
füllt. Die Sciieide mündet zwisciieu den Sciienkeln nach 
außen. Hat nocii kein Gesdilechtsverkehr stattgefunden, 
so wird die Sdieide nach außen durdbi ein Häuteten, das 
Jungfernhäutchen, zum Teil abgeschlossen; dieses Häut- 
eten reißt beim ersten Geschlechtsverkehr ein, was einen 
ganz geringfügigen Sdimerz und eine geringe Blutung 
zur Folge hat. Betrachten wir das weibliciie Geschlechts- 
organ von außen, so sehen wir zunächst die großen 
Schamlippen, die im gewöhnlidien Zustand aneinander- 
liegen. Spreizen wir die großen Schamlippen, so sehen 
wir von oben nadi unten beim Liegen (oder von vorn 
nach, hinten beim Stehen) erstens den Kitzler oder die 
Clitoris, zweitens eine kleine Öffnung, die Mündung der 
weiblidien Harnröhre und, von zwei kleineren Lippen 
oder Sciileimhautfalten umgeben, den sdilitzförmigen 



T 



Eingang in die Sdieide, Dann folgt der Damm und 
dahinter die Öffnung des Afters. Der Kitzler ist ein 
Schwellkörper und entspricht einem unentwidtelten 
männlidien Gesdilediisorgan. Er ist sexuell sehr leidit 
erregbar, übermittelt aber bei der gesunden Frau die 
Erregung der Sdieide, die der eigeutlidie Sitz der weib- 
lidien Sexualerregung ist. 

In den Jahren der Gesdilechtsreife, etwa zwisdien 
dem zwölften und sedizehnten Lebensjahr, wird der 
Junge reif zur Zeugung und das Mädel zur Empfängnis 
eines Kindes. Im Hoden beim Jungen und in den Eier- 
stöcken beim Mädel beginnen um diese Zeit kleinste 
Zellen heranzureifen, die man mit freiem Auge nidit 
wahrnehmen kann. Die männlichen Samenfäden, die 
der Befrnditnng dienen, haben einen kleinen Kopf mit 

Sit d K "" Vr^; "!^ ^''^'^ ^'^ ^- männlidien 
mZT Ti^^l^^^^- J- ^^^ Hoden gibt es Hunderte 
Millionen soldier Samenfäden und im weiblidien Eier- 

Ibet nu? ""•''' ^^^V""^ ^^^- - Laufe cilebens 
Oesdileditsverkehr gelangen die Samenfäden in die 




Fig. 3. Weibliches Ei und anstürmende männlidie Samenzellen 



A u. B ^ Ran'dsdiidit 
J- = tisubstanz 
D = Eikern 
E = Keimblästhen 



8 



F = 



EmpfäDgnishUffel 
niit einer ein- 
oiiflgünden 
raännlifhen Zelle 



G = Samenzellen, die 
nidit mebr eia- 
dringen könneo 






weiblidie Sdieide. Sie bewegen sieb in dieser selir rasdi 
hinauf zum Muttermund und dringen durdi den Mutter- 
halskanal in die GebärmutterhÖhle ein. Besonders 
kräftige Samenfäden wandern weiter durcb die Gebär- 
mutterböble bis in die Eileiter. Treffen die Samenfäden 
in der Gebärmutter oder in den Eileitern ein Ei an, so 
drängen sie sidi an dieses beran und versudien, die ver- 
dickte Randsdiidit zu durdibohren, um in das Innere 
des Eies einzudringen. Ist das einem der Samenfäden 
gelungen, so verhärtet sidi die Randsdiidite des Eies, so 
daß andere Samenfäden nidit mehr eindringen können. 
Die Befruditung bat stattgefunden. 

Das an sidi unbeweglidie Ei gelangt aus dem Eier- 
stock in den Eileiter und weiter durcii die Bewegung der 
Flimmerfäden in die Gebärmutter. Ist ein soldies Ei 
auf der Wanderung, was jeden Monat ein Mal der Fall 
ist, so bereitet sidi die Sdbleimbaut, die die Gebär- 
mutterhÖhle innen bedeckt, zum Empfang des Eies vor; 
das heifit, die Zellen der Sdileimhaut vermehren sidi, 
die Blutgefäße werden straff mit Blut gefüllt und die 
Scbleimbaut verdidct sidi. 

Man untersdieidet siciiere und unsichere Zeidien der 
Sdiwangersdiaft. In den ersten Wochen der Sdiwanger- 
sdiaft treten leicht Sdiwindelanfälle, Übelkeit, Er- 
bredieu, Appetitmangel oder Heißhunger auf. Es sind 
unsichere Zeidien, weil sie vorhanden sein können, ohne 
daß eine Schwan gersdiaft vorliegt; sie können zum Bei- 
spiel audi durdi unbewußte Schwangerschaftspfeanfa- 
sien erzeugt werden. Ausbleiben der Menstruation kann 
mandimal audi andere Gründe haben, deutet aber 
gcM^öhnlidi auf Sdiwangersdiaft hin. Die sidi ver- 
größernde Gebärmutter ist erst von der vierten bis 
seciisten Sdiwangerschaftswodie durch Tasten als 
sdiwanger festzustellen. Im fünften Monat beginnt die 
Mutter die sichersten Schwangerschaftszeidien zu spü- 



ren, die Bewegungen des Kindes. Jetzt kann man audi 
die Herztöne des Kindes hören. Man soll sidi aber auf 
nidxts anderes verlassen als auf die Feststellungen eines 
frauenarztes, den man aufsudit, sobald die Regel aus- 
geblieben ist. 

Ist keine Befruchtung des Eies erfolgt, so nistet es 
sidi in die Sdileimbaut nidit ein. Die verdickte Sciileim- 
taut selbst löst sidi von der Gebärmutterwand los und 
gelangt zusammen mit dem Blut durdi die Sdieide nadi 
außen. Das ist die „monatlidie Regel" (Menstruation 
„Unwohlsein"), welche alle 28 Tage auftritt und drei 
bis fünf Tage dauert. Wenn also die monatliche Blutung 
auftritt, so liegt keine Sciiwangersdiaft vor. Ist aber 
das Ei befmditet worden, so nistet es sich in die 
Schleimhaut ein, die sich dann nidii ablöst; es erfolgt 
daher keine Blutung, das heißt die Regel bleibt aus, und 
diese Schleimhaut wird zum künftigen Nährboden des 
befruchteten Eies, zum sogenannten Mutterkuchen. 



l 



B, SCHWANGERSCHAFT UND GEBURT 

Das Ei beginnt nun, sich zu teilen. Zunächst ent- 
stehen aus der einen Zelle zwei, dann vier, ac^it, sedi- 
zehn zweinuddreißig, vierundsechzig Zellen und so fort; 
das El "vWrd zu einem sichtbaren Klümpchen von Zellen. 
Durch fortschreitende Teilung der Zellen und durch 
Formung entsteht zunächst die Gestalt einer Hohlkugel. 
Dann stülpt sidi die Kugel ein und es entsteht ein 
doppelwandiger Sad: mit einer Öffnung. Aus diesem 
geformten Zellenhaufen entwidceln sidi im Laufe von 
neun Monaten alle Organe des mensdilidien Körpers. 
So entstehen aus der Außenwand des Sadces Gehirn. 



10 




QO 

^6B 



Fig. 4. Zellteilung 

1 = befruchtete Eizelle I 5a u. 3b = vier bzw. adit Zellen 

2 = erste Teilung | 4 = Zellliauten 



Haut und Sinnesorgane, aus der Innenwand durdi wei- 
tere Teilung Darm, Gefäßsystem und Muskulatur. 

Es ist eine Gemeinsdiaft von lebenden Zellen, aber 
bis zum dritten Monat der Sdiwangersdiaft gibt es nodi 
keine Nervensdieiden; das Gehirn ist unausgebildet, 
nodi nidit melir als eine große Blase, so daß kein 
Bewußtsein vorhanden ist. Das muß hier erwähnt wer- 
den, weil die Kirdie und die in ihrer Gefolgschaft 
stehenden Ärzte den Standpunkt vertreten, daß man 
bei Unterbrediung der Sdiwangersdiaft durdi Aus- 
kratzung der Sdileimhaut und der Frudit in den ersten 
drei Monaten einen „Mord an einem Lebewesen" be- 
gehe. Das sagen dieselben Pfaffen und pfäffisdien 
Ärzte, die nidits dagegen haben, wenn die Mutter durch 
Krankheit oder Not an diesem Klumpen von Zellen 
zugrunde geht. 

Im Laufe der Sdiwangersdiaft madit der „Embryo" 
mehrere Stufen der Entwidmung durdi, ehe er die volle 
Gestalt eines mensdilidien Wesens bekommt. Am Ende 
des neunten Monats, genauer zwisdien dem 270. und 
280. Tag, vom ersten Tag der letzten monatlidien Regel 
geredinet, erfolgt unter normalen Umständen die Geburt. 
Der Kopf des Kindes, der normalerweise am Ende der 

11 





Fig. 5. Embryo im Anfang der Entwidclung 



6 ^"P "= Kieraenan lagen 
^ = Arme 

F = Sdiwanzende 



G = Frudit bereits 
mensdienähnlidi 



Kind un^hüUt und das ci^r "''"^ P^^*^*' ^^ das 

Geburt beginnt. dI £keS" 70 l'-^ '''""'*• °'^ 
sich regelmäfiis zus«™!! ™r f Gebärmutter ziehen 

Kopf des Kindes :rr" Sf ''"^ "»'» ^-l'- ^en 
die Sdieide und bab.f <^^ T\ *"^^eitert allmähliA 

terten Geburtskanal Bef. " T ^'^ '^"'* <1- «--' 
Frauen ist d:e Surt un'"; ^ ".""^ ""^»^^ ^'''^-''=" 
i-naer mehr durT e 1 7jt 'l^ ™^ ^^'^ ^eute 
gemildert. .- ° '^'**'^^ EinsAläferungsmittel 

" - ■ ' • 1 ■ .' ■> 

p 

. j i 

C. DER ABTREIBUNGSPARAGRAPH 

warf ani*ganit"ord'" "atürüAen Vorgang handelt. 

li<te Geburltechnik dfe^rf.""" '.° '°^'''- ^'^ ^^^ ^'^*- 

In der kapitahsti,r^.^,f '''■'"' ^*'* S«"^ aussdiließt. 

PitahstisAen Gesellschaft ist aber die Sdiwan- 

12 



lül 



' V-^* n-^- 




■ 1 



Fig. 6. Frudit knapp vor der Geburt 



A = hodigepreßte Darmedilingen 
B = Harnblase 
C = Sfiambeiü 



D = Fruditblase mit Fruditwasser 
vor dem Platzen 

E = Mastdarm; der Kopf des Kin- 
des wird gerade durdigeprcßt 



0-- .-:.*■_;;■. Vi;': 



13 



i:i'i 



gersdiaft zu einem ungeheuren Problem geworden, das 
heute Milhonen von Meusdien in allen kapitalistisdien 
Landern und besonders audi in ihren Kolonien besdiäf- 
tigt. Um die ganze Frage der Geburtenregelung und des 
btreites und Kampfes um das Verbot der Schwanger- 
sdiattsunterbrediung und der Propaganda von Mitteln 
zur Verhütung der Schwangerschaft zu verstehen, 
müssen wir uns ganz kurz darüber klarwerden 
warum im Kapitalismus die Frauen gezwungen 
werden, jedes Kind auszutragen, auch dann, wenn 
sie unter schwerer materieller Not leiden, bereits 
viele Kinder haben, die sie nic^it ernähren können 
oder aber selbst so krank sind, daß sie durcJi Ge- 
burt und Schwangerschaft sehr oft sosar ;,m T u 
gefährdet sind. ^^^ ^^ ^^^^^ 

Die Unterbrechung der Schwangerschaft icf ■ a 
meisten kapitalistischen Ländp^ w '"^ ^^" 

über mrXeifsWt vff '* ^'''- B-°lkeru„g, die nur 
den SAiAtet S d en h"' :,''"*i'^ kapitalbesitzen- 
-ittel befinde;; n>irdel?p"nd\T'^ '" Produktions- 

Der Arbeiter Pr„ 7 i! ""' '="™ Leben braudit. 

Kapifa tten dem b' "l^"' T^^^^^^ Werte, als er vom 
für seine Arber^ufl t' ^^""^^^ ^^ Masdbinen, 
vollen We^ dl tf^^'^''--'- Er erhält nicht den 
bestenfalls 1 viel u ''^"'"^'*'° ^üter, sondern 

gern, gan^ unaZ "" !I *'''"'^*' "™ "'^t ^"^ ^«'J^""' 
diese We"se alA?/ '^f '°"' ^•^^'<^' « "zeugt. Auf 
liA für de^ Ka'Jt t' ^^"'" "'''^'■^^« Stunden tag- 
ifar/ A/.t de M f '" ™^°°^*- D^« °'=n»t man nach 
Marx den „Mehr^verf. den der Arbeiter erzeugt. 

14 



Stehen dem Kapitalisten mehr Arbeiter zur Verfügung 
als beschäftigt werden, das heißt, gibt es ständig Arbeits- 
lose, die Arbeit suchen, so kann der Kapitalist den Lohn 
der beschäftigten Arbeiter leiditer driidten. Die Kapita- 
listen braudben also, um den Lohn bei den Arbeitenden 
drücken zu können, ein ständiges Heer von Arbeitslosen; 
sie benötigen dieses ganz besonders audi, um in Zeiten 
der Konjunktur, wo viele Gesdiäftsaufträge kommen 
und sie mehr Arbeiter braudien, rechtzeitig genügend 
Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Aus diesem 
Grunde haben sie großes Interesse am Bevölkerungszu- 
wachs,zu dessen Sichcrstellung der Kapitalismus aber nur 
die armen Frauen zwingt. Dazu kommt, daß die kapita- 
listischen Länder miteinander Kriege führen um Ge- 
biete, in denen sie ihre überflüssigen Waren absetzen 
könnten. Ein kapitalistisches Land gerät mit dem 
anderen bei dem Streit um Absatzmärkte für ihre 
Waren und Anlageplätze für ihr Kapital in Konflikt. 
Solche Konflikte führen zu Kriegen zwischen den ver- 
schiedenen Ländern („imperialistische Kriege"); um 
Kriege zu führen, braucht man Kanonenfutter, das heißt 
all die vielen Millionen Kinder der Arbeitermütter, die 
in Not und Elend ausgetragen werden, um später auf 
dem „Felde der Ehre" wie die Hasen abgeschossen zu 
werden. Aus diesen Gründen haben alle kapitalistischen 
Länder die gesetzliche Bestimmung, daß die Schwanger- 
schaft unter keinen Umständen unterbrodien werden 
darf. Je nach den Interessen der herrsciienden Kapita- 
listenklasse wird das Gesetz strenger oder weniger 
streng gehandhabt, sind die angedrohten Strafen höher 

oder niedriger. 

Neben diesen unmittelbar wirtschaftlichen Gründen 
wirkt entsdieidend audi das Motiv der „Sittlichkeit". 
Das Bürgertum ist gegen den außerehelichen Ge- 
schlechtsverkehr, insbesondere gegen den der Jugend- 

15 



lidien, und glaubt durdi den Abtreibungsparagraphen 
die Jugend zur „keusdien Lebensweise" anhalten zu 
können. So sagte einmal in einer öffentlichen Versamm- 
lung der sozialdemokratisdie Sozialhygieniker Grotjahn, 
er sei gegen die Aufhebung des Abtreibungsparagra- 
phen, denn das könnte verheerende Wirkungen auf den. 
Verkehr unter „Verlobten" haben. Der Mann hat Sor- 
gen! Nicht die Zehntausende verunglüdcender Frauen, 
sondern die „Keuschheit" und „Sittlidikeit" der Jugend 
liegen ihm am Herzen. Warum dem Kapital und seineu 
Verteidigern an der „Sittliciikeit" so viel gelegen ist, 
werden wir später auseinandersetzen. Tatsadie ist, daß 
sicii durcii den Abtreibungsparagraphen niemand vora 
Gesdiledhts verkehr abhalten läßt. Das Gesetz wird 
obwohl es seinen Zwedc nidit erfüllt, erhalten, weil 
Freigabe der Abtreibung und der Verhütungsmittel 
Verlust an Autorität und damit Anerkennung des 
aufierehelidien und jugendlichen Gesdilechtsverkehrs 
bedeuten würde. 

Während die armen Frauen so gezwungen werden 
Kanonenfutter und industrielle Reservearmeen zu 
schaffen, kann sich jede reiciie Frau die Unterbreciiung 
der Schwangerschaft für viel Geld leisteu. Die armen 
trauen, die unter dem Kinderreichtum körperlich und 
seelisch zusammenbrechen oder infolge ihrer Not dem 
Kinderreichtum vorbeugen wollen, umgehen das Gesetz, 
indem sie mit den verschiedenartigsten und schädlich- 
sten Mitteln bei Kurpfuschern und durdi Leute, die nictt 
einmal wissen, Avie der weibliche Körper gebaut ist, sicii 
die Frudbt abtreiben lassen. Jede Abtreibung der 
Leibesfrucht, die nicht von speziell geschulten Ärzten 
durchgeführt wird, ist lebensgefährlich. Di^ Winkel- 
abtreiber benutzen so gefährliciie Mittel wie Strick- 
nadeln, Zangen und ähnliches. So kommt es leicht zu 
Durchbohrungen der Gebärmutter, zu starkem Blutver- 



16 



lust oder zu Blutvergiftung durdi Versdileppung von 
Bakterien in die blutende Gebärmutter. In Deutschland 
zum Beispiel werden jäbrlidi trotz des Verbotes etwa 
eine Million Abtreibungen vorgenommen. Dabei gehen 
durdi die gefährlidie Art der Abtreibung ungefähr 
10.000 bis 20.000 Frauen jährlidi zugrunde, erkranken 
60.000 bis 80.000 Frauen jährlidi, wandern 6000 bis 
8000 Frauen jährlidi in den Kerker. 

Als die komniunistisdie Reidistagsfraktion im 
Februar 1951 anläßlidi der Verhaftung von Kienle und 
Wolf den Antrag auf Aufhebung des Abtreibungs- 
paragraphen stellte, stimmte die sozial demokratisdie 
Fraktion dagegen. Sozialdemokraten und Kommunisten 
hätten zusammen genügend Stimmen zur Aufhebung 
aufgebradit. Diese „Ruhmestat" der Sozialdemokratie 
hat sie viele Parteigänger gekostet, aber nodi immer 
haben zu wenige die wahre Rolle dieser Partei als 
Stütze der kapitalistisdien Ordnung erkannt. 

In der Sowjetunion, wo die Arbeiter, Bauern und 
Angestellten die Madit ergriffen haben, indem sie die 
Kapitalisten verjagten und Besitz von den Produktions- 
mitteln und dem Boden ergriffen, das Ausbeutungs- 
system abgesdiafft wurde, wo also kein Interesse an 
Arbeitslosenheeren und Kanonenfutter besteht, hat jede 
Frau das Redit, sidi die Sdiwangersdiaft bis zum drit- 
ten Monat unterbredien zu lassen. Das gesdiieht kosten- 
los und bei Gutgestellten um geringes Entgelt in öffent- 
lidien Krankenanstalten nur durdi Ärzte. Man betreibt 
in der Sowjetunion, um die Abtreibungen mit der Zeit 
überflüssig zu madien, eine sidi ständig steigernde Für- 
sorge für Mutter und Kind und propagiert die besten 
Empfängnisverhütungsmittel. 

Das Budget der Sowjetunion für die Zwedte des 
Mutter- und Säuglingssdiutzes betrug: 



17 



.-■?ffl 



;■ 1. 
Uli 



1925/26 
1926/27 

1927/28 
1927/28 
1950/31 



22,800.000 Rubel 

32.800.000 

40,000.000 

40,300.000 

77,000.000 



Den Fortsdiritt der Säuglings fürsorge kann man 
audi am Ansteigen der Zahl der Sommerkrippen sehen: 
1924 .... 950 



1925 
1926 
1927 
1928 
Dagegen wurden 
1 bis 20 im Januar 



2614 
4052 
5391 



. 6697 
in Berlin allein für die Bezirke 
931 75 Prozent der Säuglinffsfür- 

Zulagen für die Beamten"o6 MüHnnr , 'f ^'"''''" 
weiteren 1600 MüIionenVa rk d " H.> '''w '° *"'''T 
kerung zu tragen bekl^ an' t ^«l^'ätige Bevöl- 

1 

D. EMPFÄNGNISVERHÜTUNG 

und tttu;tn ''"'?"' ^'' "' ^''^«^'' -- '^^^■• 
fängnisver^iH 7"'' Jugendlichen über die Emp- 

<«e rei;t jr/ M*f ?**'^' '""^- W- behaupten, daß 
deraztöm! ^ ^''^'^''' <*" Jugendlidxen zwischen 
d e aull! .■ ""t ^"""^'Ssfen Lebensjahr, insbesondere 

EmpfäLnt ^r *'" Angesfelltenkreisen über die 
SaAT' r "1?^ °'*' unterrichtet sind, trotzdem 

W^n^lhZl ^''^^'"^''^''^'^^ kommen ui d so der 
W.nkelabfreibung zum Opfer fallen. 

18 



Angeblidi nm die Jugend vor Jen Gefahren, die 
die Sdawangersdiaft und der Gesdileditsverkelir in 
sozialer Hinsicht mit sidi bringen, zu bewahren, in Wirk- 
lidikeit, um sie fest an der sittlidtien Kandare zu halten, 
predigt man ihr keusdie Enthaltsamkeit und drütkt die 
Augen vor der Tatsadie zu, daß dieser Ratschlag von 
den wenigsten Jugendlichen befolgt wird. Auch die 
Vertröstung auf die Ehe ist eine Irreführung, denn 
erstens steht die Frage der Sdiwangerschaft in der Ehe 
nicht viel anders als außerhalb und zweitens machen 
sich die Eheprediger mit ihrem Ratsdilag nur lächerlicii, 
denn sie wissen genau so gut wie wir, daß der Jugend- 
lidie gar nidit erst in eine feste Arbeit, sondern heute 
sofort aus der Lehre zur Stempelstelle kommt, eine 
Eheschließung also ganz ausgeschlossen ist. Die Frage 
steht demnadi nicht so: Schwangersdiaft oder Enthalt- 
samkeit, sondern: Elend durch Sdiwangerschaftsunter- 
brechung bei Kurpfuschern oder gute Empfängnisver- 
hütungsmittel, durch die man die Schwangerschaft ver- 
meidet. 

In Deutschland wird nadi § 184 mit Gefängnis bis 
zu einem Jahr oder mit einer entspredbeuden Geldstrafe 
bestraft, wer „Gegenstände, die zu unzüchtigem Ge- 
brauch bestimmt sind, an Orten, die dem Publikum 
zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem 
Publikum ankündigt oder anpreist" (Absatz 3). Und 
nach einem Entwurf (§ 225, Absatz 1) der deutschen 
und österreidiisfhen parlamentarischen Konferenzen 
(Reidistagßdrucksadien, 21. Ausschuß, 70. und 71. Sitzung 
vom 11. und 12. Juni 1929) wird bestraft „mit Gefäng- 
nis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe, wer zu 
Zwedcen der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Ver- 
fahren Öffentlich ankündigt, anpreist oder ausstellt". 
Nach Absatz 2 ist straflos die „Ankündigung soldier 
Mittel an Ärzte oder an Personen, die mit solchen Mit- 



19 



teln erlaubterweise Handel treiben, oder in ärztlidien 
Fadizeitsdiriften". Dazu sdireibt Felix Halle in seinem 
ßudie über „Sexualität und Strafredit" voUkommeu 
ricbtig: 

„Die Regelung entspridit vollkommen den Klassen- 
zuständen und Machtverhältnissen, wie wir sie in Mittel- 
europa haben. Durdi das Verbot der Öffentlichen Anpreisung 
und Ausstellung der genannten Mittel soll verhindert wer- 
den, daß die breiten Bevölkerungsmassen Kenntnis von 
Abtreibungsmitteln erhalten. Anderseits wird das Geschäfts 
Interesse der Hersteller (zum Beispiel Chemietrusts) unH 
der Engrosverkäufer gewahrt. Eine klassenmäßig einge 
stellte Ärztesdiaft wird privilegiert, über die neuesten 
Mittel Gegenstände und Verfahren orientiert zu sein, um 
eine hodizahlende Pnvatkundsdiaft aus der herrschenden 

können -^^ ° ^""^ ^'^'^"^ ^^^'^^^ bedienen zu 

Und in einem Gesetzentwurf „zum Sdiutz des 
deutschen Volkes" (Plenardrudisadie Nr. 1741 vom 
12. März 1930) haben die Nationalsozialisten folgenden 
§ 5 eingebracht, der ihre „positive Bevölkerungspolitik" 
kennzeichnet: 

„Wer es unternimmt, die natürliche Fruditbarkeit des 
dexitschen Volkes zum SAaden der deutsdien Nation künst! 
hdx zu hemmen, oder in Wort, Sdirift, Druck, Bild oder 
m anderer Weise soldie Bestrebungen fördert, oder wer 
durdi Vermisdiung mit Angehörigen der jüdisdien Bluts- 
gemeinsdiaft oder farbigen Rasseu zur rassischen Ver- 
schlechterung und Zersetzung des deutschen Volkes bei 
tragt oder beizutragen droht, wird wegen Rassen verrats 
mit Zuchthaus bestraft." 

Und der Papst: 

"Jeder Gebrauch der Ehe, bei deren Vollzug der Akt 
durch die Willkür der Menschen seiner natürlidien Kraft 
zur Wedcung neuen Lebens beraubt wird, verstößt gegen 
das Gesetz Gottes und der Natur." (Enzyklika über „Die 
diristlidie Ehe". 1930.) 

So sieht die internationale Reaktion aus. 
20 



1 



Viele Jugendlidie fragen, ob die Sdiwangersdiafts- 
verhütungsmittel, die es heute gibt, hundertprozentig 
sidier sind, wo man sie bekommt und "warum sie so 
teuer sind. Zur ersten Frage kann man nur sagen, daß 
es hundertprozentig sidiere Sdiwangersdiaftsverhü- 
tungsmittel nicht gibt, dodi kann man einen sehr hohen 
Grad von Sidderheit erzielen, wenn man die besten 
Verhütungsmittel gebraudit, die es gibt, und wenn man 
sidi von einem Arzt beraten und kontrollieren laßt. 
Die vielen Brosdiüren, in denen in hochtrabend wissen- 
sehaftlitlier Tonart Dutzende von Verhütungsmitteln 
besprodien werden, haben gar keinen Sinn, denn sie 
verwirren nur den Jugendlidien und er steht am Ende 
da wie der Esel an der Wegscheide und fragt sich: 
„Was soll ich also jetzt tun?" Es gibt im Kapitalismus 
keine Sexualberatungsstellen für Jugendliche. Die 
revolutionären Organisationen könnten solche einzu- 
richten versuchen. Und w^enn die Sittenpolizei sie 
arbeiten ließe, würde sich bald herausstellen, daß sie 
der Masse der Anforderungen gar nicht gewachsen 
wären. Der Mangel an Geburtenberatungsstellen wird 
sici erst fühlbar maciien, wenn alle Jugendlichen davon 
Gebrauch maciien werden. Da es aber heute an vielen 
Orten und besonders auf dem Lande überhaupt keine 
Geburtenberatungsstellen gibt, müssen wir hier die 
besten Empfängnisverhütungsmittel nennen. 

Das verhältnismäßig sicherste ist ein gutes Condom 
(Gummi, „Fromms Act"), welciies vor der Einführung 
des Gliedes in die Scheide über das angefeuchtete Glied 
gestülpt wird. Es hat den Naciiteil, daß es die Empfin- 
dung beim Jungen mehr oder weniger stark herabsetzt 
und auf diese Weise den Genuß stört. Es ist auch für 
den Arbeiter, insbesondere den jugendlichen, sehr teuer, 
denn es kostet etwa 30 Pfennig. Man bekommt es in 
allen Apotheken, Drogerien, auch bei Friseuren. Bis vor 



21 



kurzem waren Aufomaten mit Condoms in öffentlidien] 
Pissoirs aufgestellt. Um die bürgerlidie Sittlidikeitj 
bangend, hat nun der preußische Innenminister Se- 
vering, der sich Sozialist und Demokrat nennt, verfügt, 
daß diese Automaten entfernt werden. Manche Jugend- 
liche haben eine Scheu, Condoms zu kaufen; wer diese 
Scheu nidit überwinden kann, soll sie durch einen 
älteren Kameraden kaufen lassen. 

Das Condom erfüllt seinen Z-\ve<k nur, wenn es nirii*- 
zu alt ist. Man untersudit es auf seine Festigkeit, imj^ 
man es gegen das Licht hält und nachsieht, ob es keir» ^ 
Risse, Körner oder Fledten hat. Man muß es audi n ^ 
seine Dehnbarkeit prüfen; ein sciiadhaftes Cond 
reißt leicht. Man soll das Condom nicht in der West ^ 
tas(he tragen, weil es in der Wärme schadhaft wi^^" 
Reißt einmal ein Gummi und bemerkt mau es erst n^^' 
dem Verkehr, so muß sich das Mädel die Scheide sofo";^ 
mit einer Lösung von einem Eßlöffel Essig in eine^" 
Liter Wasser ausspülen. Proletarische Jugendliche we^ 
den hier mit Recht sagen, daß die Umstände, unter ^ 
denen sie den Geschleditsverkehr ausüben, eine solche 
Ausspülung selten gestatten. Darauf kann man nur ant 
Worten daß das ein Grund mehr sein muß, daß man 
sich nicht nur um die Möglidikeit des Geschlechts ver 
kehrs kümmert, sondern auch die Gesellschaftsordnung 
verstehen lernt, die der Jugend soWie Schwierigkeiten 
macht. Man wird dann bald klar sehen, daß die büa-- 
gerliche Gesellschaft nicht etwa nachlässig ist in dieser 
Frage, sondern ganz bestimmte Interessen hat, der 
Jugend ihr Geschlechtsleben vorzuenthalten und unmög- 
lich zu machen. i 
Man vermeidet Schwierigkeiten, wenn man statt 
eines Condoms für den Jungen ein gutes Pessar für 
das Mädel benützt. Wie man aus der Zeichnung sehen 
kann, besteht das Pessar aus einer Hohlkugel von 



22 







Fig. 7. Die Einführung des Pessars 



A = Pessar, richtig angelegt 
B = erster Handgriff zur Ein- 
führung 



C — die Einführung selbst 

D = HerauBiiehmen des Pessars 



23 



» 



und angelegt wer- 
es keine störenden 
vor, während odep 
seine Sidierheit zu 
ein diemisdies Ver- 



Silber, Aluminium, Gummi oder Zelluloid, die auf 
den Gebärmutterhals gestülpt wird. Das Pessar 
muß von einem Arzt angepaßt 
den. Es hat den Vorteil, daß 
und unangenehmen Handlungen 
nach dem Akt erfordert. Um 

erhöhen ist es gut, auch nodi ^.^ ^^^ä±lloki±cö v er- 
hütungsmittel zu gebrauchen, das ebenfalls am beste 
von einem Arzt empfohlen wird. Da es aber hevi + 
sehr leiciit passieren kann, daß ein Arzt sich Aveia-e 
ein solches Mittel zu bestimmen und das Pessar an» ' 
passen, nur weil das Mädel nodi nidit sechzehn Tah " 
alt ist oder weil es keinen Trauschein in der Tasche h ^ 
da ferner solche Ärztebesuche in Gegenden, wo es ke' 
Geburtenberatungssfollen gibt, Geld kosten, das d^ 
Jugendliche nicht hat. nützen diese Ratschläge weuf^ 
und der Junge muß dann ein Gummi benutzen. Chem*^ 
sehe Mittel allein sind unsicher. Sie erhöhen nur d.;' 
Wirkung des Pessars. Solche chemisdien Mittel sind- 
Semoritabletten, Spetontabletten, Patentex, Antibiou 
Die Semori- und Spetontabletten werden kurz vor dem" 
Akt tief in die Scheide hineingeschoben. Diese Mittel 
sind alle sehr teuer, weil die Fabrikanten an ihnen viel 
Geld verdienen; sie wären viel billiger, wenn es eine 
zentrale staatliche Stelle für Empfängnisverhütungsmit, 
tel gäbe, wie in der Sowjetunion, die diese Mittel zum 
Selbstkostenpreis und an Unbemittelte gratis ausgeben 
könnte. Welcher Jngendlidie kann sich heute drei bis 
vier Älark auf einmal für ein Dutzend solcher Tabletten 
leisten? Was können wir dagegen machen? Nicht kla- 
gen, sondern verstehen lernen, warum die Fabrikanten, 
über diese Dinge verfügen und daran reich werden, 
begreifen, daß dies im System unserer GesellsdiaftsI 
Ordnung liegt. 

Am Schluß müssen wir noch die Unterbrechung des 



24 



Gesdileditsverkehrs bespredien, die nodi immer von 
einer Masse von Jugendlidien als Mittel der Empfäng- 
nisverhütung angewendet wird. Vor diesem Unterneh- 
men muß man dringend M^arnen. Wer den Gescblechts- 
akt lange Zeit hindurdi unterbricht, läuft Gefahr, nervös 
zu erkranken. Man unterbricht ja den Gesdilechtsver- 
kehr im Augenblidc der hödxsten Erregung, gerade 
dann, wenn sidi der ganze Körper und der seelische 
Apparat dagegen sträuben. Das bedeutet eine gewalt- 
same Hemmung des Ablaufes der natürlichen Nerven- 
erregung; ferner ist eine Befriedigung sowohl beim 
Manne wie bei der Frau ausgeschlossen, weil die Befrie- 
digung selbst gestört wird und weil beide Teile „auf- 
passen" müssen, daß sie den riciitigen Moment nicht ver- 
säumen. Im übrigen ist die Unterbrechung des Ge- 
schleditsverkehrs ganz uusidier, denn entweder erfolgt 
sie zu spät, oder aber der Samen gerat an die äußeren 
Gesdilechtsteile der Frau, und die beweglidien Samen- 
fäden gelangen trotzdem in die Gebärmutter. 

Der Glaube, daß die Frau zu bestimmten Zeiten 
völlig unempfänglich ist, ist weit verbreitet. So soll 
knapp nach Aufhören der monatlidien Blutung keine 
Empfängnis möglich sein. Richtig ist zwar, daß die 
Empfänglichkeit der Frau in dieser Zeit eine geringere 
ist, aber darauf darf man sidi auf keinen Fall verlassen. 



25 



IL SEXUELLE SPANNUNG UND 
BEFRIEDIGUNG 



Man pflegt die Aufklärung der Jugend üblidier-i 
^^■eise mit dem „Mysterium der Fortpflanzung" zu beJ 
ginnen und zu beenden. Wir wissen aber und wollen 
klar heraussagen, was alle wissen und nur nidit auszu-l 
spredien wagen, daß es in Wirklidikeit die große Frage] 
der sexuellen Erregung und der verbotenen Lust bei^ 
der Befriedigung ist, die den Jugendlidien Kopfzer- 
brechen madit; "svir wissen audi, daß es gerade dieser 
Punkt ist, gerade diese Seite der Gesddeditsfrage, um 
die die mildherzigen „Aufklärer" wie die Katze um den. 
heißen Brei herumgehen. 

Nur selten kommt es zur gesdileditlidbeii Vereini- 
gung zwischen Mann und Frau mit der bewußten 
Absicht, ein Kind zu zeugen. Kirche, bürgerliche Sciiule 
und Wissenschaft wollen uns allerdings glauben machen, 
daß der Geschlechtsakt nur um der Fortpflanzung willen 
da ist. Wäre dem so, die Menschheit wäre sdion lange, 
sidier aber unter dem heutigen wirtsdiaftlichen Elend 
der Massen, innerhalb zweier oder dreier Generationen 
ausgestorben. In WirkUchkeit wird der Gesdilecfitsver- 
kehr ausgeübt wegen der sexuellen Spannung, die dazu 
treibt, und wegen der sexuellen Befriedigung, die er 
MAhuT ^'■^"St- Die sexuelle Befriedigung sichert die Fortpflau- 
^^ zung, da ja mit dem Geschlechtsakt die Befruditung 
verbunden ist. Die Kirche beruft sich immer auf die 
„Natur", wenn sie behauptet, daß der Geschleciitsver- 
kehl-, der einem anderen Zweck als dem der Fortpflan- 
zung dient, „gegen die Natur" sei. Merkwürdigerweise 
hat die Natur aber einen großen Fehler begangeu, 
indem sie nämlicii nicht einen Geschlechtsapparat ge- 



I 



26 t 



^m 



schaffen Iiat, der nur so oft zur gesdilech fliehen Ver- 
einigung drängt, als man Kinder haben will oder kann, 
sondern^ indem sie es so eingeridiitet hat, daß der 
gesunde Mensch durdisdinittlidi ein- bis dreimal 
Avödientlich Verlangen nadi Geschlechtsverkehr hat, im 
Leben also einige tausend Male Gesdileciitsvcrkehr aus- 
übt, dabei aber durchschnittlich nur ein- bis dreimal 
zum Zwedv der Fortpflanzung. Und nodi merkwürdiger 
ist es, vom Standpunkt der Kirche und der bürgerlic^ien 
Moral aus gesehen, daß die Fortpflanzung im ganzen 
Tierreich, zu dem auch der Mensch gehört, mit hoc3i- 
gradiger sexueller Lust verbunden ist, also gerade mit 
dem, was in unserer Gesellsciiaft am meisten verdammt 
ist und worüber unsere Jugendlidien am ^\enigsten 
iinterriciitet sein dürfen. Wir müssen also sagen: Wer 
über die Gesdilechts frage spricht und an der Frage der 
sexuellen Lust vorbeiredet, führt, absichtlich oder 
unabsiditlidi, irre und steht, bewußt oder unbewußt, im 
Dienste der herrsciienden Klasse. Das behaupten wir 
nicht nur, wir ^\'erdeii es beweiseu. 

Wir haben auf diesem Gebiet folgende Fragen zu 
unterscheiden: 

1. Wie ist die natürlidie Arbeitsweise des Ge- 
schlecttsapparats? 

2. Wie sind die Einrichtungen der Klassengescll- 
sdiaft? Hemmen oder fördern sie die Sexualbefriedi- 
gung der Mensdien? 

5. Wenn sie sie hemmen, aus welchem Grunde und 
zu w^elchem Z\vedc? ■ t 

4. Gibt es in der kapitalistisdicn Gesellsdaaft eine 
Möglidikeit, die sexuelle Not der Jugend zu beheben? 

5. Wenn nicht, unter welchen Bedingungen ist die 
sexuelle Befreiung der Jugend möglich, und was muß 
die Jugend heute tun, um diese Befreiung herbeizu- 
führen? . , _ . 



■37 



A, DIE SEXUELLE REIFUNG ! :- 

Die sexuelle Spannung oder Erregung, die jeder 
Jugendlidie kennt, ist der Ausdruck eines körperlidieii 
Vorganges, der darin besteht, daß der Gesdiledits- 
apparat, beim Manne bestimmte Teile des Hodens, bei 
der Frau gewisse Gewebe des Eierstockes, Stoffe pro- 
duzieren, die man Hormone nennt und die, in die 
Blutbahn geratend, das Nervensystem in sexuelle 
Erregung versetzen. Hoden und Eierstöcke sind zwar 
die wichtigsten Quellgebiete der sexuellen Erregung^ 
aber nicht die einzigen. Neben ihnen wirken als 
Quellen der Sexualerregung andere Drüsen mit innerer 
Absonderung, wie etwa die Schilddrüse, Gehirnanhang- 
drüse und andere. Ganz wesentlich wirken überdies 
geschlechtliche Reize, die von den Sinnesorganen aus- 
gehen, von Auge, Haut, Geruch, Gehör; ja es gibt keinen 
Körperteil, von dem nicht mehr oder minder starke 
sexuelle Spannungsreize ausgingen. Solche Körpep- 
stellen mit besonderer sexueller Erregbarkeit nennt man 
„erogene Zonen". Der körperliche Zustand sexueller 
Spannung kommt seelisch als Drang nac^i Entspannung, 
das heifit nadi sexueller Befriedigung, zum Vorschein. 
Die Wissenschaft hat jahrzehntelang, wie sidi nachwei- 
sen läßt, aus moralischen Gründen übersehen, daß diese 
Sexuellen Spannungszustände nicit erst zur Zeit der 
Geschlechtsreife, sondern schon im frühen Kindesalter 
auftreten und zu wirken beginnen. In der Geschlechts- 
reife werden sie nur besonders stark dadurch, daß die 
Erzeugung von Fortpflanzungszellen im Geschlechts- 
apparat hinzutritt und der ganze Körper zur voUeu 
Reife kommt. 

Die Verstärkung der Arbeit des Geschlecitsapparats 
bringt auch eine erhöhte seelisdie Reizbarkeit mit sict, 
die unter den Bedingungen, denen die Jugend heute 



28 



unterworfen ist, fast immer zu gequälter Unruhe, Tag- 
träumerei und tlber uaidiern der Ptantasietätigkeit 
führt. Die Gesdileditsreife beginnt bei verschiedenen 
Jugendlichen verschieden früh, durchschnittlich aber 
zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr. 
Beim Jungen beginnt die Stimme rauh zu werden, am 
Geschleciitsorgan tritt starke Behaarung auf, nicht sel- 
ten kommt es auch zu den ersten nächtlichen Samen- 
ergüssen. Beim Mädel beginnen die Brüste zu schwel- 
len, die monatlidie Blutung setzt ein. Bei beiden 
Geschlechtern tritt allmählich ein Zustand allgemeiner 
Spannung auf. Es ist das Alter, in dem sich die 
Arbeitsfähigkeit zu verringern pflegt, denn die Auf- 
merksamkeit wendet sich nunmehr verstärkt sexuellen 
Dingen zu. Die häufig auftretenden Steifungen des 
Gliedes beim Jungen und die stärkere Durdiblutung 
und Spannung der Gcschleditsorgane heim Mädel zeigten 
an, daß die Zeit der i^eife zum Geschlechtsverkehr kör- 
perlidi gekommen ist. Bis zur völligen Ausreifung 
brauchen verschiedene Jugendliche verschieden lang; 
bei dem einen dauert es Wochen oder Monate, bei dem 
anderen Jahre. Die Frage, wann man zum Gesdilechts- 
verkehr reif wird, ist also nicht allgemein zu beant- 
worten. Es gibt kein Gesetz, das für alle gilt. Tatsache 
ist aber, daß in unseren Kulturkreisen die seelische 
Heranreifung infolge der herrschenden Sexualordnung 
und unterdrückenden Sexualerziehung mit der körper- 
lichen nicht Schritt hält, da die moralische Sexualimter- 
drückung gewöhnlic^i ein Zurückbleiben der seelisdieu 
Reife bedingt. 

Die bedeutend verstärkte sexuelle Spannung sucht 
nach einem Ausweg. An dieser Stelle beginnt die 
sexuelle Frage der Jugend, denn es gibt nur drei Mö«-- 
lichkeiten : Geschledits verkehr, Ojianie oder Enthalt- 
samkeit. Bevor wir auf jede dieser drei Möglichkeiten 



29 



eingehen, müssen wir uns ganz klar madien, daß die 
Tatsadien sehr versdiieden sind, je nadi der geseU- 
sdiaftlidieii Sdiidile, der der Jugendlidie entstammt. Die 
Frage steht anders für den großbürgerlidien Jugend- 
lichen, das Kind des Bankiers und Fabrikanten, anders 
für den kleinbürgerlichen, den Sohn und die Toditer 
des Kaufmannes oder Beamten, und anders für den 
proletarisdien Jugendlidien, dessen Eltern m der 
Fabrik arbeiten. Dieser Unterschied kommt schon bei 
der körperlidien Reife zum Ausdruck; denn korperlidxe 
Unterernährung behindert die körperliche Reifung, so 
daß man so oft vierzehn-, fünfzehn-, sechzehnjährige 
Proletarier, Jungens und Mädels, sieht, die körperlic^i 
wie Zehnjährige und im übrigen durch Not, Entbehrung 
und andere miserable Lebensverhältnisse wie Greise 
aussdiauen, dagegen bei bürgerlichen Jugendlidien oft 
gut genährte, kÖrperlidi über das Alter hinaus Gereifte 
mit kindlich zurückgebliebenem seelisciiein Apparat. 
Proletaristiie Jugendliche kommen oft infolge der Wohn- 
verhältnisse früher zum Geschlechtsverkehr, als ihrem 
Reifezustand entspridit. Unter sexueller „Frühreife" 
darf man aber nidit verstehen, daß der Heranreifende 
sidi überhaupt sexuell betätigt, sondern nur in welcher 
Form er es tut, ob seinem Alter cntsprediend oder 
nicht. 



B. DIE ONAiNIE DER JUGENDLICHEN 

Ehe der Jugendliche zum GescJilechtsverkehr reif 
wird, betätigt sidi der sexuelle Antrieb, und zwar von 
früher Kindheit an in versdiiedensten Formen. Eine 
dieser Formen, die sdiließlichi immer mehr in den 
Yordeigrund tritt und die Überleitung zum reifen 



30 



Gesdilcditslebeii riarstcllt, ist die sogenannte Onanie 
(Masturbation, Selbstbefriedigung). Kirdie und bürger- 
lidie Wissenschaft baben die Onanie der Kinder und 
Jugendlidien als ein sdiweres Laster, als eineu selir 
gefährlidien und gesundheitssdiädigenden Vorgang hin- 
gestellt. Erst die neuere Sexuahvissensdiaft hat sidi 
dazu bequemt, die Onanie als eine ganz normale Durdi- 
gangsform der kindlidien und jugendlichen Sexualität 
zu erkennen. Man hat sidx viel den Kopf darüber zer- 
brodien, was für Gründe den Jugendlidien zur Onanie 
treiben. Erst nadidem man sidi von der Auffassung, ^ / 

daß sie ein Laster sei, freigemadit hat, war es möglidi '^•^i/'?^ 
festzustellen, daß sie der einfadie Ansdrudc der körper- 
lidien und seelisdien sexuellen Spannung im jugend- 
lidien Organismus ist und sidi im Prinzip gar nidit 
vom Kratzen oder Reiben einer jud^enden Hautstelle 
untersdieidet, da sie ebenfalls auf der Spannung iu 
einem Organ beruht, die durdi das Reiben beseitigt 
-werden kann. Freilidb untersdieidet sidi die Onanie 
vom gewöhnlidien Judereiben durdi bedeutend größere 
Stärke in der Spannung und Befriedigung. 

Es ist audi viel darüber gestritten worden, ob die 
Onanie sdiädlidi oder unschädlidi ist. Die einen ver- 
teidigen ihre Unsdiädlichkeit. die anderen ebenso 
unverdrossen ihre Sdiädlidikeit. Die Frage ist in 
dieser Weise falsdi gestellt. Wir müssen fragen, wann 
und unter ^veldien Bedingungen ist die Onanie sdiäd- 
lidi oder unsdiädlidi. So wie man bis vor kurzem die 
Enthaltsamkeit als die einzig möglidie Lebensweise 
der Jugend und als den besten Ausweg aus den Sdiwie- 
rigkeiten betont hat, so verfiel man nadihcr in den ent- 
gegengesetzten Fehler, die Onanie als unbedingt hariri- 
los liinzustellen und als den einzigen Ausweg und die 
beste Lösung des Problems der Jugend zu propagieren. 
Wir werden später sehen, daß diese Auffassung nur ein 

31 



Ausweidieu bedeutet vor der wichtigsten inul sdiwierig- 
sten Frage des jugendlidien Gesclileditslebeus, der 
Frage des Gesdiledits Verkehrs. Die Selbstbefriedigung 
oder die wechselseitige Befriedigung von Kindern und 
Jugendlidien vor der Gesdileditsreife hat im wesent- 
lidien nur körperlidi natürlidie Ursadien. In der Zeit 
der vollen Gesdileditsreife aber ist die Onanie als aus- 
sdiließlidie Sexualbetätigung der Jugendlidien bereits 
audi gesellsdiaftlidi bedingt, da der Gesdiledits verkehr 
in, diesem Alter offiziell verboten, verpönt und durdi 
versdiiedene Einriditungcn ersdiwert oder unmöglidv 
gemadit ist. Daß die Onanie im Alter der Reife keine 
natürlidie Sexualbetätigung mehr ist, kann man daran 
sehen, dal? sie bei soldien primitiven Völkern, bei denen 
dem Gesdileditsverkehr der Jugendlidien kein Hinder- 
nis in den Weg gelegt wirds nur eine unbedeutende 
Rolle spielt. 

Zur ridbtigen Beurteilung der Onanie müssen wir 
die gestörten uud ungestörten Formen der Selbstbefrie- 
digung untersdieiden. 

Um zu beurteilen, was die gesunde, nidit sdiädlidie 
Form der Onanie im Beginn der Reife ist, müssen wir 
uns an den Jugendlidien halten, der, von Eltern, Kirdie 
und Sdinndliteratur über die Onanie unbeeinflußt, zur 
Selbstbefriedigung kommt. Der Junge fühlt eine Span- 
nung im Gesdileditsorgan, tastet und greift zum ersten 
Male ganz unbewußt daran herum, und es kommt für 
ihn oft ganz überrasdiend zum Samenerguß, der eine 
sexuelle Entspannung herbeiführt. Dann tritt für zwei 
bis vier oder fünf Tage sexuelle Ruhe ein, bis sidi 
die sexuelle Spannung wieder einstellt. Der Jugendlidie 
kennt bereits das Gefühl der Spannung und Entspan- 
nung und vollzieht die Selbstbefriedigung jetzt mit 
größerer Bewußtheit. Er hat kein Sdiuldgefühl, denkt 
nidit daran, sidi daduidi zu sdiädigen und stört daher 



32 



nidit den Ablauf der Erregung. Solclie Jugendlidie 
bleiben absolut gesund, bis sie durdi irgendeinen 
Kameraden, die Eltern oder eines der üblidieu Sdiund- 
büdier, das ihnen in die Hand fällt, Sdiredien eingejagt 
bekommen; jetzt erst wird in ihnen der Gedanke wach, 
daß sie da etwas ganz Furchtbares tun; erst jetzt 
beginnen sie, gegen den Drang zur Selbstbefriedigung 
anzukämpfen. Das spielt sidi beim Jungen und beim 
Mädel in ganz genau der gleidben Weise ab. Entweder ^\L( 1 
sie versuchen den Drang zur Betätigung am Geschledits- '' , ^ ! 

Organ völlig zu uuterdrüdcen oder aber sie gestatten sidi 
die Onanie bis zu einem gewissen Grad, glauben aber 
gewöhnlidi, daß gerade die Befriedigung, die sidi in 
emer leichten Trübung des Bewußtseins (beim Mädel yv^fl&^c^ 
überdies m starker Durdifeuditung der Sdieide) äußert, 
besonders sdiädlidi sei. Und gerade das ist verkehrt; 
gerade daran beginnen sidi dann wirklidie körperliche 
und seelisdie Schäden zu eutwidkeln, richtiger ausge- 
drückt Sdiäden infolge der Hemmung oder Behinderung 
des normalen Ablaufs der sexuellen Erregung. Durcii 
die Störung des Reizablaufs wird das Nervensystem 
ersdiüttert und die Beschwerden, über die solche Jugend- 
liche dann klagen, sind der Ausdrude einer wirklidien 
körperlidien Schädigung. Es ist also nidit die Onanie, 
sondern ihre Hemmung, das Sdiuldgefühl, di& Angst 
M\\6. die Reue, die diese Störungen verursadien. Man 
muß daher die einmal begonnene Onanie glatt ablaufen 
lassen, um die Befriedigung nidit zu stören. Wer ein be- 
wußtes oder unbewußtes Onaniesdiuldgefühl hat, wird 
diese Regel erst danu befolgen können, wenn er sidi 
in eine Sexualberatungsstelle begibt oder seinem Grup- 
penleiter, der dafür Verständnis haben muß, anvertraut. 
Denn das Onaniesdiuldgefühl wird durch Geheimhalten 
und Vereinsamung nur gesteigert. Wir wollen nun 
einige soldier gesundheitsschädigender Verhaltungs- 



35 



— .BS..J--.I.U 



weisea bei der Onanie nennen, das sind: Reizung ohne 
Endbefriedigung {beim Jungen durdi Verhinderung 
des Samenergusses), Verlängerung der Reizung durdi 
allzu häufiges Unterbredien oder durch Unterlassen der 
weiteren Reizung; Versuche, das sdilaffe Glied, ohne daß 
sexuelle Erregung vorhanden ist, zur Steifung zu brin- 
gen; bei Mädels Onanie in der Scheide mit scharfen 
oder spitzen Gegenständen (was sehr häufig vorkommt); 
gegenseitige Reizung zwischen Jungen und Mädel, 
Mädel und Mädel oder Jungen und Jungen ohne Zu- 
lassimg der Endbefriedigung. 

Mit der Onanie sind immer audi bewußt oder unbe- 
wußt sexuelle Phantasien verknüpft. Solange der Junge 
und das Mädel mit der Phantasie vom Gesdileciits- 
verkehr oder Küssen und Umarmungen onanieren, be- 
steht kein Grund zur Beunruhigung. Beginnen aber bei 
der Selbstbefriedigung Phantasien vom Schlagen, Ge- 
schlagenwerden oder mit anderen ähnlichen Inhalten 
aufzutreten, so sollte der Jugendlidbe sehr bald in eine 
Sexualberatungsstelle kommen oder sich zunächst 
älteren Kameraden anvertrauen, wenn er nicht selbst 
den Weg zum Geschleditsverkehr findet; der ungestörte 
und befriedigende Geschlechtsverkehr ist gewöhnlidi die 
beste Hilfe gegen solche beginnenden Störungen der 
vSexualität. Voraussetzung bleibt immer Verniditung der 
Geheimtuerei in der Gruppe oder Organisation. Jeder 
Junge und jedes Mädel müssen das sidiere Gefühl 
bekommen, daß sie ruhig über ihre sexuellen Sdiwierig- 
keiten mit ihren Gruppengenossen sprec^ien können. 

Viele Jugendliche haben Angst, sich durdi die Onanie 
am Genitale zu beschädigen oder später impotent 
zu werden. Wir können heute bereits mit voller Sidier- 
heit sagen, daß, solange die Selbstbefriedigung ungestört 
mit voller Befriedigung und Entspannung verläuft, 
keine Gefahr für die Gegenwart oder Zukunft zu 



34 



S3 



befürdiieii ist. Die Dauer dieses Zustaiules der befrie- 
digenden Onauie ist aber bei versdiiedenen Jugend- 
lichen sehr verschieden. Beim einen ist die Onauie von 
vornherein gestört, dann namlidi, wenn er schon von 
Kindheit auf durch die genossene Sexualerziehung mit 
Schuldgefühlen und Angst an die sexuelle Betätigung 
überhaupt herantritt. Das ist heute bei den meisten der 
Fall. Der andere kann einige Jahre lang ohne Schädi- 
gung die onanistische Befriedigung vertragen, ehe sie 
aufhört, ihm die volle Entspannung zu bieten. Bei dem 
dritten tritt der Znstand der Unbefriedigtheit bei und 
nacii der Onanie sehr bald ein, und da können wir vom 
rein ärztlichen Standpunkt nichts anderes sagen als: 
Sobald die Onanie ihre Funktion der Befriedigung nicht 
mehr erfüllt, sobald sie sich mit Ekel, Schuldgefühlen 
und Unlust zu verbinden beginnt, soll der Jugendlidie 
nicht davor zurücksdieuen, zum Gesdilechtsvcrkchr zu 
kommen. Dieser rein ärztlidie Standpunkt ist aber, wie 
die Jugendlichen aus eigenem Erleben genau wissen, für 
die meisten kaum durchzuführen. Da setzt bereits die 
Frage der Behinderung des Geschleditsverkehrs der 
Jugendlichen durdi unsere gesellschaftlidie Sexual- 
ordnung ein, Ein Jugendlicher, der bis zu seinem sieb- 
zehnten oder aditzehnten Lebensjahr mit der Onanie 
auskommt, hat es verbal tnismäfiig leicht. Wenn aber 
ein Junge oder ein Mädel, schon früher körperlich und 
seelisch vollkommen reif, die Onanie nicht mehr verträgt 
und den intensiven Drang nadi Geschlechtsverkehr 
nicht mehr übertönen kann, dann steheu wir vor einer 
grofien und schwierigen Frage nidit nur in jedem Ein- 
zelfall, sondern aucii vom Standpunkt der Masse dieser 
Jugendlichen aus gesehen. Wir erkennen, daß es ein 
Unsinn ist, ein bestimmtes Alter als Grenze zwischen 
Unreife und Reife festzusetzen, et^va zu sagen, bis zum 
sedizehnten Geburtstag darfst du nidit gesdiledxtlich 



35 



verkehren, vom sechzehnten Geburtstag au ist es ehr 
gestattet. Solche Jugeudliche verspüren die sonst mehr 
oder weniger in den Hintergrund tretenden Nachteile 
der Onanie gegenüber dem Geschlechtsverkehr in unge- 
heuer verstärktem Maß. Nicht nur ist die Unlust und 
der Ekel nachher größer, es -wachsen au(h die Gefahren, 
die mit der unbefriedigenden Onanie verbunden sind, 
von denen wir hier einige aufzählen ^vollen: Gelingt es 
dem Jugendlidien nicht, den Sdiritt zum Geschlechts- 
verkehr und zum reifen Gesdilechtsleben aus äußereii 
oder inneren Gründen zu machen, ist ihm der Weg 
nach vorn versperrt, so begintit er leidit rückmärts zu 
schreiten, das heifit auf kindliche und vom jetzt natür- 
lich gegebenen Ziel abwegige Phantasien zurüdczu- 
greifen. Wir sehen dann bei soldien Jugendlichen ver- 
schiedene Antriebe immer stärker werden. Es verstärkt 
sich zum Beispiel die normale Neigung zum Gleich- 
geschlechtlidieii ; das Überwuchern der weciiselseitigcn 
Onanie unter Gleichgeschlechtlichen in den Jugend- 
gruppen hat in der gesellschaftlichen Behinderung des 
Gesdilechts Verkehrs und in der Trennung der Gesdilech- 
ter eine seiner wesentlichsten Gründe. Die lüsterne 
Neigung, nackte Körper zu sehen oder die eigenen 
Geschleditsorgane zu entblößen, die Versuchung, sich 
mit Kindern geschlechtlich abzugeben, tritt oft jetzt zum 
ersten Male auf; sadistische (Sdilagen) und masochisti- 
sche (Geschlagenwerden) Neigungen, die normaler- 
weise im Getriebe der Sexualität abgesdiwächt im 
Hintergrund stehen, bekommen durch die Stauung der 
sexuellen Energie infolge Unbefriedigtheit jetzt ihre 
volle Wirksamkeit. Es liegt uns fern, jemandem damit 
Angst zu machen; wir behaupten nur, daß die Behinde- 
rung der Aufnahme des normalen Gesdilechtslebens 
dann, wenn der Jugendliche es dringend benötigt, die 
Grundlage solcher Störungen werden kann. Wir können 



36 



Tatsadien nidit ableugnen und müssen eben gegen die 
gesellsdiaftlidie Sexualorduung mit allen Mitteln kämp- 
fen, die soldie SdiUden bei der Jugend anriditet. Wir 
müssen mit allen Kräften traditen, der Masse der 
Jugendlieben ganz nabe zu bringen, daß iiire Onanie- 
kämpfe, ibre Sdiuldgefüble, ibre Störungen, ihre 
Gesdilecblsverirrungen weder ibre Sdiuld nodi vererbt 
sind, sondern im wesentlidisten Folgen der bürgerlidi- 
kapitalistisdien Sexualordnung sind, die die Entwick- 
lung und den natürlicben, normalen Ablauf der Sexuali- 
tät in einen Rahmen preßt, in den unmöglich alle 
Jugendlidieu hineinpassen können. 

Die Onanie in der Gesdilechtsreife hat ja, vom rein 
sexualhygienisthen Standpunkt aus gesehen, gegenüber 
dem Gesddeditsverkehr überhaupt eine Reihe von Nadi- 
teilen. Sie verweist den Jugendlidieu in der Gesdiledit- 
lidikeit auf sidi selbst, erleiditert ihm die Erlangung 
der Befriedigung und sdiwädit so seinen Impuls, einen 
Sexualpartiier zu sudien und seinen Körper und Geist 
im Kampf um einen Partner zu entwidsieln. Sie ist die 
Ursadie der Vereinsamung einer Riesenmasse von 
Jugendlidien, Jungens sowohl wie Mädels, denn die 
Onanieperiode dauert heute bei den meisten infolge der 
gesellsdiaftlidien Behinderung des Gesdiledits Verkehrs 
über die Zeit ihrer Unsdiädlidikeit hinaus; die Gefahr 
des Verfalls in Tagträumereien und der Abwendung des 
Interesses von den widitigen politisdien Fragen der 
Welt ist mit der Onanie gegeben, wenn audi nidit in 
der ersten Zeit, so dodi ständig wadisend mit ihrer 
Dauer; da ferner das Bürgertum alles darauf anlegt, 
die Gesdilediter voneinander zu trennen und fernzu- 
halten, züditet es dadurdi geradezu die homosexuelle 
Onanie unter Jungens und Mädels; es erzeugt also ge- 
rade das, was es dann mit seinen Homosexuellenpara- 
graphen sdiAver bestraft. Als letzten Naditeil bei zu 



iiil 



57 



h 



^i 



lang dauernder Onanie ohne nadifolgenden Übergang 
zum Gesdileditsverkekr müssen wir nodi erwähnen, daß 
viele Jugendlidie, die der Onanie überdrüssig gewordeii 
sind, zum Geschlechtsverkehr aus inneren oder äußeren 
Gründen (sexuelle Hemmungen, Scheu, Befangenheit; 
Geldmangel, allzngroße materielle Not) nicht kommen 
können. Wenn sie auch den Ausweg in die homosexuelle 
Betätigung ablehnen, fangen sie schließlich mit siebzehn, 
achtzehn oder neunzehn Jahren, also gerade in der Zeit 
des Aufblühens ihrer Sexualität, an, diese zu unter- 
drückten und die sexuellen Vorstellungen zu verdrängen. 
Dadurch bereiten sie für später eine sexuelle Störung, 
Potenzstörung oder Empfindungsstörung beim Ge- 
sdilechts verkehr vor und legen so oft die Grundlage zu 
späteren seelischen Störungen. 

Die Masse der sexuellen Störungen, der wir in der 
Sexualberatungsstelle begegnen (es sind ungefähr 
80 Prozent der Ratsuchenden sexuell gestört), ist 
zurückzuführen entweder auf Störungen des Sexual- 
lebens in der Kindheit, auf Unterdrückung der sexuel- 
len Betätigung in der Zeit der Reifung oder aber auf 
längere Enthaltsamkeitsperioden, die einer kürzeren 
oder längeren Ouanieperiode in der Reifezeit folgten. 

Wir müssen also zusammenfassend sagen: Die 
Onanie in der Reifezeit ist wohl heute, unter den im 
Kapitalismus gegebenen Bedingungen des Gesdilechts- 
lebens für Jugendliche der beste Ausweg. Aber das ist 
sie nur für eine bestimmte Zeit; das gilt ferner nidit für 
alle Jugendliche, denn viele von ihnen müssen viel 
früher zum Geschlechtsverkehr kommen; andere wieder, 
wohl die Mehrheit der Jugendlidien, können sidi dieses 
Auswegs aus den Noten mit Hilfe der Onanie nicht er- 
freuen, weil sie durdi die Sexualunterdrückung, der sie 
in der Kindheit unterworfen w^aren, bereits so sehr 
geschädigt sind, daß sie unfähig wurden, sidi die Onanie 



38 



ohne Sdiuldge fühle zu gestatten. Die Onanie ist also 
keineswegs, wie viele meinen, die Lösung der Frage der 
jugendlidien Sexualität. 

\ C. DER GESCHLECHTSAKT 

Ehe wir zu den Schwierigkeiten des Jugendlidieu 
kommen, die ihm durch die kapitalistische und privat- 
wirtschaftliche Cesellsdiafts- und Sexualordnung hin- 
siditlich des Geschlechtsverkehrs bereitet werden, müs- 
sen wir uns erst darüber unterrichten, wie sich die 
gesdileditlidbe Befriedigung im Gesdilechtsakt unter 
natürlichen Bedingungen, wie etwa bei den Jugend- 
lichen mutterrechtlic^i-urkommunistischer Völker und 
bei einzelnen gesunden Jugendlichen bei uns, abspielt. 

Der Geschlechtsakt, zu dem der Jugendliche in der 
Geschleditsreife fähig geworden ist und zu dem es ihn 
normalerweise treibt, wenn er die sexuelle Erregung 
und die sexuellen Vorstellungen nicht verdrängt hat, 
wird eingeleitet durch Steifung des Gliedes beim Jungen 
und Erregung der weiblichen Gesdilcchtsorgaue beim 
Mädel. Bei beiden beruht diese Vorbereitung, wie er- 
w^ähnt, auf einer starken Durchblutung der Geschlechts- 
organe. Wir wollen versuchen, uns an einer Kurve 
(Fig. 8) die Phasen des Geschlechtsaktes beim gesunden 
Mensciien zu vergegenwärtigen. Die kÖrperlidie und 
seelische Spannung ist auf einer gewissen Höhe. Vor 
dem Beginn des Geschlechtsaktes wird diese Spannung 
durch gegenseitige Liebkosungen, Küssen, Betasten, 
Streicheln und andere Liebeshandlungen, für die es 
keine sittlichen Regeln geben kann, gesteigert. 

Beginnt man sofort mit dem Geschlechtsverkehr 
ohne vorhergehendes Liebesspiel, so entfaltet sich nur 
ein Teil der vorhandenen sexuellen Erregung und man 
bleibt nadi dem Akt unbefriedigt. Besonders das Mädel 



39 



k^M-lAA, 



L^ictc^ 



/ 



leidet darunter. Daher ist ein hastiger Geödilediteaki:, 
der ia Kleidern bei der erstbesten Gelegenheit ausgeübt 
wird» meist von Überdruß oder Ekel gefolgt. Beim Lie- 
besspiel muß besonders beaditet werden, was gesunde 
Mensdien von selbst wissen, daß das Küssen der Brust- 
warzen und Ohrläppchen und das sanfte Streidieln der 
kleinen Schamlippen und des Kitzlers bei der Frau die 
Erregung besonders steigern und dadurch zur vollen 
Befriedigung verhelfen. Viele Frauen sdieuen sich, das 
Glied des Mannes zu liebkosen; das stört bei mandien 
Paaren die sexuelle Übereinstimmung. Es hat wenig 
Sinn, alle die verschiedenen Arten des Liebesspiels zu 
beschreiben. Wer sich von seinen sexuellen Hemmungeu 
freimachen kann, findet selbst heraus, was sein Partner 
begehrt. Sexuelle Gesdiicklidikeit kann man nicht aus 
Büchern lernen. Man muß nur wissen, daß nichts unsitt- 
lidi ist, was keinem sdiadet und dem Partner zu größerer 
Lust verhilft. -^ t kt^j jj. 




Fig. 8. Kurve der Erregung beim normalen Gesdilcdits- 
verkehr bei Mann und Frau 



A = Linie der Uiierregtbeit 

V = Vorlust — Liebesspiel 

J = Beginn des G e schlecht sver- 

keurs 
I = Phase der vollkommen be- 

herrsdibaren Erregung 
II = Steigerung und Übergang: 
zur unwiilkürlidien Reiz- 
steigerung 



III = plÖtzUdies Ansteigen der 

Erregung 
A ^ Einsetzen der „Auslosung 

IV = Orgasmus 

V = Sinken der Erregung ~ 

Entspannung 
K = Verebben der Erregung bis 

zur vollkommenen Ruhe 



40 



Der eigentlidie Akt beginnt mit der langsamen Ein- 
fülirung des Gliedes in die weiblidie Sdieide. In der 
ersten Pkase (I) können beide Partner ihre Erregung 
behensdien und nadi Belieben steigern oder hemmen. 
Die weiblidie Sdieide ist stiilüpfrig, so daß die Ein- 
fütrting und die folgende Bewegung des mänulidien 
Organs in ihr nicht sdimerzlidi, sondern lustvoll ist. 
Je langsamer und gelinder diese Bewegung ist, desto 
größer die Lust, welche die vollkommene Befriedigung 
vorbereitet. Die in unseren Kulturkreisen übliciie Stel- 
lung beim Geschlechtsverkehr ist die, daß die Frau auf 
dem Rücken liegt, die Beine weit gespreizt hat, und der 
Mann, mit der Hauptlast auf seine Knie und Ellenbogen 
gestützt, auf ihr ruht. Bei manchen Naturvölkern wird 
der Akt in hockender Stellung ausgeführt. Es hat gar 
keinen Sinn, moralisch entrüstet zu sein, wenn eine 
andere Stellung eingenommen wird, etwa die, daß das 
Mädel auf dem Jungen „reitet" oder daß man den 
Geschlechtsakt von hinten oder von der Seite ausübt. 
Das bleibe jedem überlassen, da es keinem Menschen 
etwas schadet, wenn nur beide Partner einig sind und 
dadurch befriedigt werden. Die Bewegung des Beckens, 
das heißt der Hüftgegend, ist eine gegenseitige, wodurch 
die allgemeine körperliche Spannung sich immer mehr 
auf die Geschledits teile überträgt, bis sie eine bestimmte 
Höhe erreidit, um von da ab nicht mehr beherrsdit 
werden zu können (II und III). Beide Partner spüren, 
wenn sie ganz gesund sind, daß die Erregung sie über- 
wältigt, daß sie sie nicht mehr regulieren können und 
wollen. Die Auslösung oder Endbefriedigung, die nun 
folgt, kündigt sich beim Jungen in dem bekannten 
„Samengefühl", beim Mädel in einem Drang zur voll- 
kommenen Aufnahme des männlichen Organs an. Dort, 
wo in der Zeichnung die Kurve steil hinaufgeht (III), 
um dann spitz umzuschlagen (lY und V) und dann all- 



41 



raählidi zu verlaufen (E), ist die Auslösung angedeutet. 
Sie bestellt also in einer plötzlidien Steigerung der 
Erregung bis zur leiditen Bewußtlosigkeit und sdilägt 
dann in Befriedigung und Entspannung um. Es ist 
leidit begreiflidi, daß jede Unterbrediung oder Störung 
gerade in dieser letzten Phase des Gesdileditsverkelirs 
nur sdiledite Folgen für den Allgemeinzustand haben 
muß, so zum Beispiel wenn man den Gesdileditsverkehr 
durdi Herausziehen des Gliedes zum Zwedte der 
Sdiwaugersdiaftsverhütung unterbridit oder wenn die 
Partner in diesem Augenblidce aufpassen müssen, ob 
nidit jemand kommt, und ähnlidies mehr. 

Nadi der Befriedigung, die am vollkommensten 
dann ist, wenn die beiden Partner gleidizeitig oder 
knapp nadieinander zur Auslösung gelangen, fühlt 
man sidi entspannt, ruhig, müde, ohne matt zu sein; 
man hat eine starke zärtlidie Beziehung zum Partner 
und verfällt, wenn die Möglidikeit dazu vorhanden ist, 
in ruhigen, tiefen Sdilummer. Nadi dem Erwadien ist 
man gestärkt, froh und arbeitsfähig und hat starkes 
Selbstbewußtsein. Die Lösung der sexuellen Spannung 
bedingt nämlidi, daß man durdi seine sexuellen Be- 
dürfnisse nidit abgelenkt ist und sidi ungestört der 
Arbeit widmen kann. Der befriedigende Akt hat audi 
Bedeutung für den Körper, denn die rege Durdiblutung 
aller Gewebe fördert den Stoffwedisel. So erklärt sidi 
das frisdie, kernige Aussehen der befriedigten und das 
meist bleidie, käsige der enthaltsam lebenden Mensdien, 
der Opfer der kirdilidien und bürgerlidien Einflüsse 
auf das Gesdileditsleben. 

Das, was wir bisher besprochen haben an natür- 
lidien Vorgängen beim Gesdileditsverkehr, wird man- 
diem sehr fremd klingen. Viele werden das Gefühl 
haben, daß es bei ihnen gar nidit so glatt und ohne 
Störungen verläuft, und wir werden audi glcidi darüber 



42 




\ 



zu spredieii haben, ^varuni es uidit glatt verlauft, 
warum ihnen das alles fremd vorkommt, warum es in 
Wirklidikeit heute so ganz anders aussieht. Der unge- 
störte Ablauf des Gesdbleditsaktes, wie wir ihn früher 
besdarieben haben, ist keine Phantasie sondern, in 
unseren Kreisen bei Jugendlidien eine seltene Aus- 
nahme, bei den Jugendlidien der urkommunistisdien 
Gesellsdiaft die Regel. 



D. DIE STÖRUNGEN BEIM GESCHLECHTS- "" 

VERKEHR 

Aus den sdiriftlidien Fragen, die Jugendlidie in 
Versammlungen und an Gruppenabenden nadi Sexual- 
referaten zu stellen pflegen, geht hervor, daß sie sidi 
für weniges andere mehr interessieren als für die 
Störungen der Gesdiledits funkt ion, und sie interessieren 
sidi mit Redit dafür; denn nidit nur leiden sehr viele 
Jugendlidie unter gesdileditlidien Störungen, man muß 
audi ganz genau wissen, daß es sidi dabei um eine 
Erziehungsfrage, also letzten Endes wieder um eine 
Frage unserer Gesellsdiaftsordnung handelt. Mandie 
solcher Störungen, die bei längerer Dauer das Leben 
sdion von vielen Jugendlidien zerstört oder sie zumin- 
dest arbeitsunfähig gemadit haben, lassen sidi durdi 
genaue Kenntnis ihres Wesens im Beginne ihres Auf- 
tretens unsdiwer beheben, während sie bei Unkenntnis 
der riditigen Verhältnisse sidi zu dauernden Störungen 
entwidielu können. Wir müssen sie daher hier, so knapp 
audi unser Raum ist, wenigstens in den Grundzügen 
bespredien. 

Eine der häufigsten Fragen, die von Jugendlidien 
gestellt werden, ist, was man gegen die Kälte des Mädels 



43 



N 



uud gegen den verfrühten SamenergTiß beim Jungen 
inadien kann. Dazu müssen wir vorerst feststellen, was 
für Störungen es überhaupt gibt und wie sie Zustande- 
kommen. 

Bei den Jungen gibt es im ganzen drei wesentlidie 
Störungsformen und ebenso beim Mädel. Die Störungen 
beim Jungen sind: 

1. Die mangelhafte oder unoolhtändige Gliedsteif ung, 
die sogenannte Impotenz. Sie beruht, von Ausnahme- 
fällen, die körperlidi bedingt sind, abgesehen, auf einer 
unbeM'ußten Angst vor dem Gesdiledits verkehr oder 
einer Sdieu vor dem w^eiblidiien Gesdileditsorgan. 
Be^vußt äußern sich diese Angst und Sdieu meist als 
sexuelles Minderwertigkeitsgefühl. Sehr oft beruht die 
Enthaltsamkeitsideologie auf einer Potenzstörung. Man 
glaubt, aus moralisdxen Gründen nitlit verkehren zu 
wollen und hat in Wirklidikeit nur Angst vor dein 
Verkehr. Durdi Bewußtmadien der unbewußten Angst- 
vorstellungen, die die Impotenz erzeugen, kann diese 
behoben werden. Zu Beginn der Impotenz ist es oft 
nur eine allgemeine Sdieu vor dem andern Gesdiledit, 
durdi die Erziehung bedingt, die den Ablauf der 
sexuellen Erregung durdi Angstvorstellungen hemmt. 
Die Impotenz kommt dann so zustande, daß der Junge 
glaubt, eine sehr sdiwierige Aufgabe vor sidi zu haben, 
wenn er mit einem Mädel gesdileditlidi verkehren will. 
Seine Angst wird dadurdi nur größer; wenn man aber 
Angst hat, kann man nidit sexuell erregt werden. 
Gewöhnlidi versudit dann der Junge, sidi und dem 
Mädel zu beweisen, daß er nidit impotent ist, er versudit 
also den Akt trotzdem, der unter soldien Umständen 
natürlidi nidit gelingen kann. Die Mädels wieder pflegen 
gern in soldien Fällen den Jungen zu verladien, was 
seine Sdieu und sein Impoteuzgefühl nur steigert. Er 
wird dann allmählidi wirklidi gestört, wenn er sidi von 



44 



diesem Gefühl iiljerwältigeu läßt. Soldie beginnenden 
Hemmungen kommen bei sonst ganz gesunden Jugend- 
lidien sehr häufig vor uud lassen sich oft leicht beheben, 
wenn man niciit gerade das Verkehrte tut, nämlich 
gerade dann, wenn man keine Lust hat oder eine Scheu 
in sich spürt, trotzdem verkehren zu wollen. Die 
Gliedsteifung kann niemals durcii den Willen erzwun- 
gen werden, denn sie ist ein unbewußter Gefühlsvor- 
gang, und jede bewußte Absiciit und jeder Zwang 
erzielen nur das Gegenteil. Wenu man im Zustand zu 
großer ängstlidier Erregung nidits tut, sondern ruhig 
liegen bleibt und abwartet, wenn das Mädel niciit die 
Dummheit begeht, den Jungeu zu verlachen, woran 
wieder nur unsere Sexualerziehung sdiuld ist, die aus 
der Sexualität oft eine Ehrgeizangelegenheit macht, so 
stellt sich die Steifung früher oder später leiciit wieder 
ein, wenn der Junge sonst gesund ist. 

Infolge der allgemeinen gesellsdiaftlicheii, ärztlidica 
und kirchlichen Emstellung gegen die Onanie glanben 
die meisten Jugendliciien, daß sie uun infolge der 
Selbstbefriedigung impotent geworden sind. Dies ist 
unriciitig. Niemals führt ungestörte und befriedigende 
Onanie zur Impotenz. Immer sind es nur die Angst- 
und die Schuldgefühle, die sich infolge unserer Moral 
und Erziehung mit der Onanie verbinden, dann die 
sexuelle Sciieu verstärken und so den Boden für eine 
Potenzstörung vorbereiten. Das beste Mittel gegen 
soldie Stiiwierjgkeiten bei der Aufnahme des Ge- 
schlecitsverkehrs ist abwarten, bis bei geeigneter 
Gelegenheit zwanglos Steifungen auftreten und die 
Ängstlichkeit geringer ist. Hat der Junge einmal die 
Gesciileciitslust im Verkehr erlebt, so festigt sich seine 
Potenz mit regelmäßigem Geschledits verkehr immer 
mehr. Nodi einmal: Nidits ist sctlimmer für leichte 
Hemmungen im Anfang als Verzweiflung und sidi 

4S 



zwingen. Wären genügend Jugendberatungsstelleu vor- 
handen, würde sidi die Gesellschaft um diese Fragen 
der Jugendlichen kümmern, es gäbe keine Selbstmorde 
aus diesen Gründen, kein Unglüdc, keine Ausbreitung 
und Vertiefung der anfänglidien Hemmung bis zur 
riditigen Impotenz. 

In vielen Fällen handelt es sidi um tiefer sitzende 
Störungen seelischer Natur, die durdi eine psydio- 
analytisfhe Behandlung behoben werden können, da sie 
von der unbewußten Angst befreit. Nun kommt die 
Schwierigkeit hinzu, daß es kaum einen Bruchteil der 
Behandlungsstätten gibt, die für die Masse der sexuellen 
Störungen notwendig wären; auch sind unsere Ärzte 
infolge der vollkommen mangelnden Ausbildung an 
unseren Hochschulen in den Fragen des Sexuallebens, 
so daß sie meist nitlits davon verstehen oder gerade das 
Verkehrte tun, der Sache nicht gewadisen. Sdiuld an 
den Potenzstörungen ist die sexualuuterdrückende Er- 
ziehung, die damit beginnt, daß die niciitsahnenden 
Eltern, wenn das kleine Kind onaniert, was es normaler- 
weise selbstverständlich tut, mit allen möglichen Strafen, 
mit Abschneiden, Händefestbinden, mit Teufel und 
Gott, die bekanntlich alles sehen, drohen und so den 
ersten schweren Schlag gegen die künftige Potenz und 
sexuelle Gesundheit des Kindes führen. Wir werden 
später hören, daß dieses Verhalten der Eltern indirekt 
begründet ist in den Klasseninteressen des Bürgertums. 
Das gilt audb für die anderen Störungen, die wir jetzt 
besprechen werden. 

2. Der verfrühte Samenerguß. Diese Störung besteht 
darin, daß der Samenerguß beim Jungen nicht erst nach 
einer gewissen Dauer des Geschlechtsverkehrs (etwa 
5 bis 15 Minuten) erfolgt, sondern entweder schon vor 
dem Eindringen des Gliedes in die Scheide oder sehr 
bald nachher. Durch den verfrühten Samenerguß wird 



46 




A \^u 

Fig. 9. Kurve bei verfrülitem Samenerguß 



Gestrichelte Linie = normale 

Erreffuug 
V = Vorlust 
D = Ubererrcgtheit (meist infolge 

Angstlidikeit vor dem Akt) 



J = EiiifUhriuig des Gliedes; 
Samenerguß folgt bald dar- 
auf, die Erregung kann nidit 
ansteigen, die Befriedigung 
bleibt aus 

U = nadifolgendes Uubehagen 



die volle sexuelle Entspannung verhindert, "wie man 
an nadisteliender Zeidinung sehen kann. Es bleibt 
keine Zeit für die Konzentration der sexuellen 
Erregung am Gesdbileditsorgan, es kann also audi nidit 
die ganze vorhandene Sexualerregung entspannt wer- 
den. Der verfrühte Samenerguß des Jungen hat natür- 
lidi zur Folge, daß audi das Mädel nidit zur Befriedi- 
gung kommen kann. Diese Störung entsteht ebenfalls 
durdi die Unterdrüdcung des kindlidien Gesdiledits- 
lebens und die Erzeugung sexueller Angstlidikeit. Sie 
kann in mandien Fällen sehr leidit durdi riditiges Ver- 
halten beseitigt oder gemildert werden. Sie beruht oft 
entweder auf äugstUdier Hast beim Verkehr, auf zu 
langer Reizung vorher, oder sie kommt bei proletarisdien 
Jugendlidien besonders dadurdi häufig zustande, daß 
sie in Kleidern oder in ständiger Angst vor Entdedcung 
gesdileditlidi verkehren. Nidit selten ist die VerfrUhung 
des Samenergusses einfadier Ausdrude zu seltenen 
Gesdileditsverkehrs. Je nadi der Ursadie kann man die 
Störung beseitigen, indem man sidi beim Verkehr eben 
nidit hastig benimmt, sondern ihn langsam und vor- 



47 



I 



I 



siditig einleitet, indem man nidit in Kleidern gesdiledit* 
lidi verkehrt, sondern nadct, indem man sidi vorher 
nidit zu lange reizt und so oft geschleditlidi verkehrt, 
als notwendig ist. Jugendliche werden nun hier mit 
Redit sagen, dal^ das Erteilen solcher Ratsdiläge sehr be- 
quem ist, was man aber tun soll, wenn man eben keine 
Gelegenheit hat, den Geschledits verkehr nadtt und in 
Ruhe auszuführen, und wenn man durch die Verhältnisse» 
in denen unsere proletarische Jugend lebt, gezwungen 
ist, froh zu sein, sein Geschlechtsbedürfnis wenigstens 
selten befriedigen zu können. Mit dieser Entgegnung 
spredien die Jugendlichen selbst aus, was wir immer 
wieder sagen, daß man den Kampf um ein befriedigen- 
des Sexualleben nur in Verbindung mit dem Kampf 
gegen den Kapitalismus und die Sexualreaktion erfolg- 
reich führen kann. Wir müssen auch zur Selbsthilfe 
greifen, indem wir von den revolutionären Organisa- 
tionen aus Sexualberatungsstellen für Jugendliche er- 
richten, in denen sie nidit nur Empfängnisverhütungs- 
mittel bekommen, sondern auch politisdi und sexuell 
riditig aufgeklärt werden. Das muß auch im Interesse 
der Steigerung ihrer Kampfesfähigkeit und geistigen 
Frische geschehen, die außer durch materielle Not durdi 
nichts so sehr wie durch die Schwierigkeiten des Ge- 
schlechtslebens untergraben werden. 

3. Die Störung der Befriedigungs fähig keil. Hat der 
Jugendlidie eine Störung der Gliedsteifung oder ver- 
frühten Samenerguß, so ist naturlich auch die Befriedi- 
gung gestört. Es kommt aber auch sehr häufig vor, daß 
Jugendliche sonst ganz in Ordnung sind und nur bei 
der Endlust keine ordentliche Entspannung erfahren. 
Das hängt vor allem mit Hemmungen, sich voll hinzu- 
geben, infolge der heutigen Erziehung und mit den Um- 
ständen, unter denen die Jugendlidien aus den proletari- 
schen Kreisen der Bevölkerung den Geschlechtsverkehr 



48 



ausüben, zusammen. Eine entsprechende Entspannung 
und Befriedigung ist in Gegenwart Dritter, in beklei- 
detem Zustande und bei Angst vor Uberrasdiung ganz 
ausgesdilossen. Dazu kommt, daß die Jugendlidien teils 
durdi innere seelisdie Sdiwierigkeiten, teils aber durdi 
die miserable soziale Lage nidit sehr häufig eine Be- 
ziehung so auszubauen in der Lage sind, daß sidi die 
gegenseitige sexuelle Anpassung vollziehen könnte. Die 
Jugendlithen wechseln sehr oft den Partner, wenn sie 
den Gesdiledits verkehr aufgenommen haben, was wir 
nidit moralisdi, sondern medizinisdi und politisdi vom 
Standpunkt der unterdrückten Klasse bewerten wollen. 
Allzu häufiger Wedisel schließt eben gesciilechtliche 
Anpassung und damit vollkommene Befriedigung der 
sinnlidien und zärtlicJien Bedürfnisse im Gesciileciifs- 
akt aus. Wir wollen damit nicht nach bekanntem Muster 
für ewige Treue und gegen einen Wechsel des Partners 
überhaupt auftreten. Wir halten einen solchen Stand- 
punkt für absolut unbereciitigt. 

Wir müssen aber sehr genau zwischen Partner- 
wechsel und Partnerwecisel unterscheiden, denn dafür 
gibt es sehr versdiiedene Gründe, nach denen wir ihn 
beurteilen und zu ihm Stellung nehmen können. 

Es kommt sehr oft vor, daß ein Junge oder ein 
Mädel, ehe sie den passenden Partner finden, eine Zeit- 
lang herumsucJien, mit diesem oder jenem schlafen, um 
weiter zu suchen. Es liegt gar kein Grund vor, das zu 
verdammen, denn die Ansicht, daß man auf den ersten 
Blici: den Passenden erkennt, ist nicht weit entfernt von 
der kirchlichen und bürgerlichen Überzeugung, daß mau 
sicii erst für ewig vor dem Altar Gottes binden müsse, 
ehe man sich körperlich kennenlernen darf, audi wenn 
man dabei unter hundert Fällen neunund neunzigmal 
eine Katze im Sack kauft. 
;, . Es gibt eine Notwendigkeit, den Partner zu wedi- 



49 






sein, wenn man sexuell nidit oder nidit mehr zusammen- 
paßt oder wenn eine ernste anderweitige Bindung eiu- 
getreten ist. Ein soldier Wedasel ist für den anderen 
Teil immer ein mehr oder minder sdimerzlidier Vor- 
gang. Je gesünder der frühere Partner ist, desto leiditer 
überwindet er die Trennung; je abhängiger er durdi 
die Erziehung und die Umstände vom Partner wurde, 
was heute besonders für die Mädels gilt, desto mehr 
leidet er darunter; Man tut daher gut daran, keine 



^ sexuelle Bindung einzugehen, wenn man sieht, daß eine 
künftige Trennung sidi für den anderen zu einer 




Katastrophe auswadxsen könnte, 
Af. ^^ > Im jugendlichen Alter ist häufig das Tempo und die 
^^aA^y^^Art der geistigen Entwicklung so versdiieden, daß sidi 
mit der Zeit Schwierigkeiten der Bezieliung einstellen, 
die zu einer Trennung drängen. 

Es gibt aber auch einen Wechsel des Partners aus 
krankhaften Gründen: Unfähigkeit, bei einem Partner 
längere Zeit zu verharren, Unfähigkeit zur sexuellen 
Befriedigung überhaupt, unterdrückte und verdrängte 
Homosexualität, die jede andersgeschlechtlidie Be- 
ziehung stört oder deren Vertiefung niciit zuläßt. Est 
gibt aucii einen rasdien Wechsel des Partners aus Ehr- 
geiz („Icii muß so und so viele Jungens, bzw. Mädels 
.gehabt' haben"); so ein Verhalten ist nicht nur für den 
Betreffenden selbst sciiädlicii, sondern audi für die 
anderen. Es stört audi meist die Zusammenarbeit in 
der Gruppe. Wenn zum Beispiel ein Junge unausgesetzt 
ein Mädel nadi dem anderen nimmt, so leiden die 
Mädels darunter schwer. So ein Junge ist erfahrungs- 
gemäß sexuell nicht in Ordnung. Ebenso ungesund, 
sdiädlicii und ein Zeidien unserer verrotteten Sexual- 
verhältnisse ist es, wenn ein Mädel aus Ehrgeiz oder 
Machtbedürfnis viele Jungen an sicii bindet, mit ihnen 
wie die Katze mit der Maus spielt, keinen wirklicii ernst 



50 



nimmt, nur Freude daran findet, die Jungen zu reizen 
und keinem eine sexuelle Freundin wird. Das beruht 
immer auf einer Störung beim Mädel: An die Stelle 
des Liebeus ist das Beherrsdien getreten. 

Wenn wir sagen, daß man oft gezwungen ist, mit 
diesem oder jenem zu sdilafen, ehe man den passenden 
Partner findet, so soll also daraus keine Theorie gemadxt 
werden. Tatsadxe ist, daß der gesunde Junge und das 
gesunde Mädel mit entwickelter Sexualität meist sdion 
vorher spüren, ob ein Mädel oder ein Junge zu ihnen 
paßt oder nicht. Es kann natürlich immer wieder 
Fehlsdiläge geben. Die gesdilechtlidie Anpassung und 
Befriedigung hängen von so vielen Bedingungen ab, daß 
man sie nie genau bestimmen kann (Fähigkeit zur 
kameradsdiaftlichen Anpassung, Temperament, Inter- 
essengemeinschaft, Bau der Geschlechtsorgane, Rhythmus 
der sexuellen Bedürfnisse und anderes). Und die bür- 
gerliche Sexualerziehung hat diese Bedingungen so un- 
geheuer kompliziert, indem sie die Sexualität von 
Kindheit auf verkrüppelt, daß die Sdiwierigkeiten zur 
Regel und das ruhige, geordnete und befriedigende 
Gesdilechtsleben zur Ausnahme geworden sind. 

Im Kapitalismus gibt es in dieser Hinsicht für die 
Massen keine Hilfe. Aber es steht außer Frage, daß 
Klassenbewußtheit und verantwortungsvolle und wich- 
tige politische Arbeit audi die Einstellung zur Sexualität 
verändern; daß sie aus solchen Schwierigkeiten oft 
heraushelfen, von einer sonst nidit zu beseitigenden 
Überspannung der sexuellen Bedürfnisse befreien, indem 
sie sexuelle Energie verbrauchen und dadurdi gleich- 
zeitig zu einem befriedigenden Sexualleben verhelfen. 

Wollen wir die sexuellen Interessen der Jugend mit 
ihren politischen Aufgaben, die wir an erste Stelle 
rüdcen, iu Einklang bringen, so müssen wir für ein 
geordnetes und befriedigendes Geschlechtsleben der 



51 



Jugend eintreten. Das sdiafft aber gewöniJidi weder die 
ewige Treue nodi das Gesdiledit sieben nadi der „Glas- 
wassertheorie*'. Wir wollen auch da keine moralisdien 
Grundsätze aufstellen, weil sie sidi nie durdisetzen wer- 
den. Wir anerkennen nur ein moralisdies Prinzip, wel- 
dies lautet: Wir braudien deine Kräfte für die großen 
Aufgaben, die wir alle leisten müssen, uni die Befreiung 
der Mensdien von jeder Art Kneditsdiaft des Kapitalis- 
mus durdizusetzen; befreie didi daher, so gut du kannst, 
von der bürgerlidien Moral und bring, so gut du kannst, 
deine Sexualität in Ordnung. Wir müssen audi ent- 
gegen der Ansidit vieler Genossen, die selbst nidit klar 
sind in diesen Dingen, den Standpunkt vertreten, daß 
man nidit sofort erbleidien oder erröten oder gar die 
Jugend verdammen darf, wenn sie gelegentlidb einmal 
bei irgend einer Gelegenheit die Glaswassertheorie in 
die Praxis umsetzt. Wir werden ja audi niemand ver- 
dammen oder veraditen, der es zustande bringt, nadi 
dem Prinzip der ewigen Treue zu leben. Wir haben, 
um es nodi einmal zu sagen, einzig und allein die 
Paidit, die Jugendlidien für den Klassenkampf zu ge- 
winnen und sie soweit als mÖglidi kräftig und mutig zu 
madien, diesen Kampf auch gründlidi zu führen bis zum 
vollkommenen Sieg des Sozialismus. In den Fragen des 
Sexuallebens der ]ugend haben wir nidits anderes zu 
tun, als sie restlos aufzuklären und ihr bei der Er- 
ledigung ihrer Sdiwierigkeiten behilflidi zu sein. 

Bei den Mädeln gibt es aus den gleidien Gründen, 
die für den Jungen gelten, nur hier nodi in bedeutend 
versdiärftem Maße, Störungen, die wir an folgender 
Zeidinung übersiditlidi madien wollen. 

Wir sehen hier die gestridielte Linie, die den unge- 
störten, vollbefriedigenden Ablauf der sexuellen Er- 
regung beim Mädel darstellt, und weiter vier Kurven, 
die vier versdiiedene Störungen darstellen. 



52 







Fi^. 10. Kui\en der Empfindungsstönmgen bei der Frau 



Gesiridielte Linie = nonualt; 
EmpGiidung 

A = voll komme iie Uneuipfindlidi- 
keit in der Scbeidc und Un- 
lust (Sdimerz, Ekel) beim 
Akt; der Akt bereitet statt 
Lust Ilulust 

B = Unterempfindlidikeit; die Er- 
regung kann wegen ilcmniun- 
gen (H) nidit ansteigen; Be- 
friedigung bleibt vollkommen 
aus 



C = normale Kmpfindlidikcit im 
Beginn des Aktes; die Hem- 
mung (H) setzt erst vor der 
Auslösug eiu; Endbefriedi- 
gung bleibt aus oder ist un- 
genügend 

D = Störung der Sexualität bei 
Mannstollheit; die Erregung 
ist von Beginn an viel höher 
als normal, kann aber weder 
ansteigen uodi abfallen, die 
Befriedigung bleibt aus, die 
sexuelle Erregung ist oft stär- 
ker als zuvor 



1. Die vollkommene Unempfindlidikeit, „Ge- 
sdileditskälte" genannt, die gewöhnlidi mit Schmerzen 
oder mit großer Unlust für das Mädel beim Akt einher- 
geht Das ist die Linie A. Soldie Mädels haben nidit 
nur keine Befriedigung beim Verkehr, sondern im 
Gegenteil, sie verabscheuen ihn und ekeln sich Tor ihm. 
Ihre genitale Sexualität ist vollkommen unterdrückt, 
von unbewußter Angst oder Ablehnung des Mannes, oft 
von homosexuellen und männlichen Neigungen über- 
baut. Sehr oft handelt es sich aber nur um eine ober- 
flächliche Störung, die sich, wenn der Junge potent ist 
und die Sexualität des Mädels beim Akt zu wecken ver- 
steht, im Laufe der Zeit früher oder später gibt. Unter 
soldien Mädeln findet man manche, die bei voller 



5^5 



Unempfindlidikeit in der Sdieide am Kitzler über- 
empfindlidi sind. Sie benehmen sidi oft äufierlidi selir 
sexuell, fürditen sidi aber in Wirklidikeit vor dem 
Gesdileditsakt und lehnen ibn ab. ^ 

2. Die Linie B stellt die mangelhafte Empfindung 
in der Sdieide dar. Das Mädel empfindet zwar eine 
gewisse Lust beim Verkehr, kann aber nidit zur Befrie- 
digung kommen. 

5. Die Linie C zeigt den besonderen Fall, daß ein 
Mädel im Akt zunädist ganz normal empfindet, aber 
vor der Auslösung versagt. Das beruht oft auf einer 
Angst vor der Erregung bei der Auslösung, die plötzlidi 
ansteigt und das Bewußtsein trübt. Manche haben diese 
Angst ganz bewußt in der Form, daß sie fürditen, ihnen 
könnte dabei irgend etwas Sdirccklidies passieren. 
Soldie Mädels erleben also Befriedigung bis zu einem 
gewissen Grade, aber nidit die riditige, normale Ent- 
spannung. Beide Arten von Störungen, B und C, 
braudien entweder seelisdie Behandlung oder aber sie 
geben idi im Laufe der Zeit, ^venn der Junge nur zart 
und gesdiidct genug vorgeht, indem er große Riidcsidit 
auf das Mädel nimmt. Man muß dringend davor war- 
nen, sidi soldie Störungen mit den heute in der Medizin, 
die von diesen Dingen wenig versteht, üblidien Mitteln, 
etwa durdi Dehnung der Sdieide oder ähnlidie Proze- 
duren, behandeln zu lassen. Das gilt ganz besonders für 
den Sdieidenhrampf. Dieser ist eine reflexartige Ab- 
wehrbewegimg des Mädels gegen das Eindringen des 
männlidien Gliedes. Es bestehen dabei immer sdiwere 
Angstvorstellungen vom Gesdiledits verkehr, und die 
gew^altsame Dehnung der Sdieide hat nidit nur keinen 
Wert, sondern sie verstärkt nur, da sie mit Sdimerzeu 
verbunden ist, die sexuelle Angst des Mädels. 

4. Die Linie D stellt folgende Störung dar. Das 
Mädel ist übererregt und sdieint im Akt große Befrie^ 



54 



"^ 



diguiig zu erleben. Das ist aber jiidit der Fall. Die 
Erregung befindet sidi bloß auf einer ge^vissen Höbe, 
kann aber weder zur Auslösung ansteigen noch autb 
durdi Befriedigung abfallen. Soldie Mädels sind immer 
sehr unglüdilidi und leiden scbwer, denn sie geben stän- 
dig mit ungelöster sexueller Erregung herum, sind ge- 
wöhnlich, wie man das so schön nennt, „mannstoU" und 
spielen im Geschlecixt sieben der Jugend, da sie jeden 
einigermaßen sexuell stark aussehenden Jungen ver- 
folgen, eine sehr störende Rolle. Man sollte sie nicht 
verachten oder verdammen, denn sie sind meist die 
Opfer einer sehr verwickelten und koniliktreiciien 
Sexualerziehung und gehören in eine gründlidie 
seelisciie Behandlung. Verlieren sie ihre sexuelle Stö- 
rung, werden sie fähig, zur Befriedigung zu gelangen, 
sei es durch eine Behandlung, sei es durch irgendein 
besonderes Sexualerlebnis oder durcii die Geburt eines 
Kindes, so hört ihre Mannstollheit sofort auf. Daß sie 
nie bürgerlicii brave Ehefrauen w^erden können, ist 
selbstverständlich. Wer solche Frauen als „unproleta- 
riscb" verdammt, ist selbst ein unproletarischer, bürger- 
lich befangener Moralist. Stören sie die Organisation, 
so muß man mit ihnen kameradsdiaftlich sprechen und 
sie der Jugend beratung zuführen. 

Die Störungen der Sexualität sind bei den Mädeln 
und Frauen im allgemeinen viel weiter verbreitet als 
bei den Jungen und Männern. Das entspriciit vollkom- 
men der Tatsache, daß die Frauen von Kindheit auf in 
der bürgerliciien Gesellschaft w^eit mehr sexuell unter- 
drückt sind, aucii in der proletarisdien Familie eine 
weit strengere sexuelle Erziehung genossen haben als 
die Jungen. 

So wie es in der mutterrechtlicJi-urkommunistisdien 
Gesellschaft keine sexuelle und materielle Unter- 
drückung der Frau und daher keine Sexualstörungen 



55 



gibt, so werden in der kommunis tischen Gesellsdiaft die 
■weiblidieii SexnalstÖrungen aufhören und damit audi 
die Spekulation der bürgerlidi befangenen Sexualwis- 
sensdaaft über die Frage „Wie bist du, Weib?"; denn die 
soziale Revolution befreit die Frauen nidit nur von ihrer 
materiellen Ausbeutung durdi die Unternehmer und von 
ihrer Versklavung durdi ihre Ehemänner sondern auch 
von der Unterdrüdiung ihres Sexuallebens und ihrer 
sexuellen Entwidmung. Und gerade das müßten wir 
all jenen Mädeln sagen, die, wie wir genau wissen, viel 
über diese Dinge spredien, aber nidit zu uns in die 
Organisation kommen, weil sie glauben, daß sie das poli- 
tisdie und sexuelle Wissen nidit notwendig haben. Diese 
Mädels, die auf dem Tanzboden sexuelle Befriedigung 
sudien, sidi dabei verbraudien und dadurdi dem Kampf 
um die Befreiung der Frau verlorengehen, müssen wir 
heranziehen; wir müssen sie mit allen Mitteln für uns 
gewinnen; bei uns können sie dodi den heute einzig 9 

möglidien Ausweg aus ihren Nöten finden. Denn drü- ^ 
ben, im Lager der Kirdie, der Bars und der amerikani- ^ 

sdien „ Jazz" werden sie nicht nur materiell unterdriidct, 
sondern audi sexuell an ihrem Körper ausgebeutet, dort 
gehen sie körperlidi und seelisdi schließlich zugrunde, 
nachdem sie eine kurze Zeit, betäubt von dem Firlefanz 
des Lichterscheins und der bürgerliciien Lebensart, 
glauben, daß sie darin ihren Lebensgenuß finden. Sie 
gehören hierher zu uns, wo sie statt eines späteren 
Zusammenbruchs durch Geschlechtskrankheiten, seeli- 
sdie Erkrankung oder bürgerlich trostlose Ehe ein Leben 
zwar des harten Kampfes, aber audi der geistigen Be- 
friedigung, des Sports und unter günstigen Umständen 
ein befriedigendes Sexualleben finden, was sie dort 
ja nur vergebens erwarten. Sie gehören in die Front 
der gegen die schamlose Erniedrigung und Ausbeutung 
des weiblichen Gesddechts wie des gesamten Proletariats 



56 



kämpfenden Mädels und Frauen, die den Sieg der 
unterdrückten Klassen über die Ausbeuter herbeiführen 
und den Sozialismus begründen wird. Es ist unsere 
Sache und Pflidit, sie davon zu überzeugen. 



E. GESCHLECHTSKRANKHEITEN UND IHRE 

VERHÜTUNG^ 

Die Gesdileditsleiden gehören zu den Infek- 
tionskrankheiten. Sie unterscheiden sich von den ande- 
ren Seudien nur dadurch, daß sie weniger leicht über- 
tragbar sind: Während man Grippe oder Schwindsucht 
zum Beispiel durch bloßes Anhusten übertragen kann, 
gehört zur Ansteckung mit Gesdblechtskrankheiten eine 
so intime Berührung, wie sie der Geschlechtsverkehr 
darstellt. Die gefährlichste Geschlechtskrankheit, die 
Syphilis, kann audi durch Küssen übertragen werden. 
Die Geschleditskrankheiten haben in den letzten Jah- 
ren an Verbreitung abgenommen. Das ist nicht so sehr 
den Verhütungsmaßnahmen als der Tatsache zuzusc^irei- 
ben, daß der Gesciilechtsverkehr mit den Mädeln der 
eigenen Kreise zunimmt, so daß die Jungens weniger 
zu Prostituierten gehen. Die Geschlechtskrankheiten 
sind mit eine Folge der doppelten Moral und der Ehe- 
institution. Selbst bürgerliche Sexual forsdi er müssen 
heute bereits zugeben, daß der freie Geschlechtsverkehr 
nicht nur die Geschlechtskrankheiten nicht steigert, son- 
dern sogar verhütet, weil er die Prostitution aussdialtct. 

Die häufigste der Geschleditskrankheiten ist die 

^ Die spezialärztlichen Ausführungen sind entnommen 
dem Aufsatz des Fadiarztes Dr. R. Rosenthal in Berlin, er- 
schienen in der „Warte", Organ des „Einheitsverbandes für 
proletarisdie Sexualreform und Mutterschutz", Oktober 1951. 



57 



Gonorrhoe, audi Tripper genannt. Drei bis vierzehn 
Tage nadi dem ansteckenden Verkehr kommt es beim 
Mann zu Juckreiz in der Harnröhre, Brennen beim 
Wasserlassen und eitrigem Ausfluß. Bei der Frau stel- 
len sidb starker Ausfluß und Harnbesdiwerden ein. dodi 
können die Krankheitsersdieinungen auch ganz gering- 
fügig sein oder sogar völlig fehlen. Zwar ist der Tripper 
des öfteren harmlos und in drei bis sedis Wodien ge- 
heilt, wenn er nidit zu spät in Behandlung kommt, dodi 
kommt es gar nidit so selten zu Komplikationen: Er- 
krankung der Blase, der anliegenden Drüsen, des Neben- 
hodens oder des Eileiters. Dann entstehen bisweilen 
sdiwere Erkrankungen der Gelenke, die Krankenhaus- 
aufenthalt und mehrmonatlidie Arbeitsunfähigkeit be- 
dingen. Nebenhoden- und Eileiterentzündung führen 
bei doppelseitiger Erkrankung audi nur eines Partners 
zur Kinderlosigkeit. Die gonorrhoische Eileiterentzün- 
dung ist die häufigste Ursache vieler Frauenleiden. 
Gerade bei Proletarierfrauen, die nicht monatelang in 
Moorbädern Heilung suchen können, ist eine nidit immer 
erfolgreiche Operation unumgänglidi. 

Die zweite Krankheit, die gewöhnlich redit harmlos 
verläuft, ist der meidie Sdianker, der sdion nadi zwei 
bis drei Tagen in Ersdieinung tritt. Es kommt gewöhn- 
lidi zu mehreren, ganz oberflädilidi liegenden, eitrigen 
Gesdiwüren, die bei riditiger Behandlung nadi einigen 
Tagen abheilen. Als unangenehme Versdilimmerung 
entwidielt sidi mandimal eine sdimerzhafte Entzündung 
der Leistendrüsen, Bubo genannt, die dann möglidier- 
weise vereitert und gesdmitten werden muß. 

Der weidie Sdianker wird nur dann gefährlidi. 
wenn sidi in ihm ein harter Sdianker verstedtt aus- 
bildet. Dieser tritt sonst erst nadi drei bis vier Wociien 
in Ersdieinung und stellt den Beginn der Syphilis dar. 
Der harte Sdianker äußert sidi als eine wunde, nässende 



58 



(' 



Stelle, die allmählidi hart und erhaben wird. Bei sofort 
einsetzender Behandlung innerhalh der ersten sedas 
Wochen nach dem Anstectungstermin kann der Erreger, 
die Syphilisspirociiete, durcii eine energisdie Kur abge- 
tötet werden, sonst aber ergreift die Erkrankung das 
Blut und den ganzen Körper, nachdem die Leisten- 
drüsen hart angeschwollen, aber nicht stiimerzhaft ge- 
worden sind wie beim weidien Sdianker. In diesem 
Stadium treten oft Hautausschläge auf. Alle diese Er- 
sdieinungen können zwar bei ungenügender oder ganz 
fehlender Behandlung abheilen, aber nacii Jahren Ge- 
sciiwülste oder sdiwere Erkrankungen des Nerven- 
systems, wie Rückenmarksdiwindsuciit oder Hirn- 
erweichung, zur Folge haben. Letztere verlief bisher 
immer tödlich, kann aber neuerdings durdi die Malaria- 
impfung in ihrem Fortschreiten aufgehalten, ja sogar 
geheilt werden. 

I Was nun die Verhütung der Geschleciitskrankheiten 
anlangt, so ist der wichtigste Punkt der, daß man min- 
destens in den Entwicklungsjahren den Alkohol meidet, 
weil unter seiner Einwirkung allzu leidit gesciileditlicJie 
Verbindungen mit Personen eingegangen werden, die 
man niciit genau kennt. Ebenso wiciitig ist die Kenntnis 
und bei wechselndem G es chledhts verkehr die regel- 
mäßige Anwendung von Präservativen (Gummiüber- 
ziehern). Man sollte nie mit Partnern, die man gerade 
kennen gelernt hat, ohne Gummi verkehren. Wurde 
dieser Sciiutz nidat benützt, so ist eine nachträgliche 
chemische Desinfektion innerhalb der nächsten zwei 
Stunden unbedingt durchzuführen. Eine Tube „Dubio- 
san", die vor Syphilis und Tripper sdiützen soll, gibt 
es in jeder Apotheke, auch ist in jeder Unfallstation 
eine Desinfektion möglich; kommt es nicht reditzeitig 
zur Desinfektion, so tut man gut, am näciisten Tag einen 
Arzt zur Vornahme einer verhütenden Spritze aufzu- 



V 1' 



sudien. Besonders widitig ist es aber, dann zum Arzt 
zu gehen, wenn man Ausfluß oder eine wunde Stelle 
an den Gesdileditsteilen bemerkt. Nur der Facharzt 
oder die fadiärztlicb geleitete Beratungsstelle kann 
beurteilen, ob es sidi um einen harmlosen Katarrh oder 
einen beginnenden Tripper, ob um eine durchgeriebene 
Stelle oder Sdianker handelt. Beginnender Tripper 
ebensogut wie harter Sdianker können bei rechtzeitiger 
Behandlung im Keim erstickt werden, dodi darf dann 
gerade beim Tripper audi nictt ein einziger Tag ver- 
paßt werden. Die Besorgung des Kassenkrankensdieines 
muß in solchem Fall naditräglidi erfolgen. 

Die Übertragung der Geschledtitskrankheiten ge- 
sdiieht fast nie aus Bösartigkeit, sondern nur infolge 
Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Der anstedtende 
Partner weiß im Moment des Verkehrs kaum je, daß er 
anstehend ist. In der Zeit zwischen Ansteckung und 
Ausbrudi der Krankheit kann man sdion anstedtend 
sein. Man soll daher nie mit Personen verkehren, von 
denen man nidit einmal Name und Adresse weiß. 

Die Aufklärung der Jugendlidien über das Wesen 
und die Verhütung der Gesdileditskrankheiten ist 
äußerst widitig, dodi wird erst ein kommunistisciier 
Staat diese Aufklärung riditig besorgen können. Die 
bürgerlichen „Aufklärungsfilme" sind geradezu gemein- 
gefährlidi, weil sie ungeheuren Sdiredien vor der 
Sexualität überhaupt einjagen, zur Abstinenz zwingen 
wollen und dadurch Massen von Hypochondrien (Ein- 
bildung von Krankheiten) und Augstzustände erzeugen. 
Sie stehen im Dienst der Filmindustrie, die einerseits 
mit dem sexuellen Thema große Profite macht, ander- 
seits aber die bürgerliche Enthaltsamkeitsmoral den 
ZuBciiauern einhämmert. 



60 



F. SELBSTREGULIERUNG DES GESCHLECHTS- 
LEBENS DURCH BEFRIEDIGUNG 

Man zerbridit sidi heute in allen Kreisen so- 
viel den Kopf darüber, \vie man den sexuellen Sumpf, 
das sexuelle Unglück, Mord und Selbstmord, Jammer 
imd Elend, die aus den sexuellen Sdiwierigkeiten strö- 
men, beseitigen könnte; das Bürgertum in allen seinen 
Sdiattierungen versdireibt immer neue moralisdae 
Rezepte, predigt Verantwortung, verurteilt, sperrt Mas- 
sen von Jugendlidien wegen sexueller Verbrechen ein 
und siebt doch die einfachste Tatsache uicit, daß, solange 
diese Gesellschaftsordnung mit ihrer Unterdrüdkung 
auch des Geschlechtslebens besteht, sexuelle Verbredien, 
Not und Elend herrschen müssen. Wir werden auf die 
Frage, welchen Sinn die sexuelle Unterdrückung, die 
soviel Elend erzeugt, in der kapitalistischen Gesellschaft 
hat, noch genau eingehen, aber wir müssen jetzt schon 
feststellen, was eine Selbstverständlichkeit ist, daß 
ebenso wie der Hungernde zu Mord und Totschlag fähig 
wird, wenn er sich nicht einreiht in die gesamte Front 
der unterdrückten Massen, die den Kapitalismus ziel- 
bewußt und zu allem entschlossen stürzen wollen, auch 
der sexuelle Hunger die Menschen, wenn sie nicht in 
Vereinsamung oder dem Selbstmord verfallen, zu grau- 
samen Tieren macht und aus ihnen manchmal sogar die 
Haarmanns und die Kürtens erzeugt. Wer satt ist, 
stiehlt nicht. Bei den Naturvölkern, die urkommunistisdi 
leben, gibt es kein Wort für Diebstahl, weil er einfach 
nicht existiert. Diebstahl und Raubmord treten in der 
Geschickte der menschliciien Gesellschaft erst mit Hunger 
und materieller Unterdrückung auf, und ganz genau 
dasselbe gilt für Sexualverbredben. Bei diesen Naturvöl- 
kern, die ein befriedigendes, ungehindertes Geschlechts- 
leben führen, gibt es keine sexuellen Verbrechen, keine 



61 



GesdileAtsverirruBgen, keine sexuelle Brutalitat zwi- 
sdien Mann und Frau; Vergewaltigung ist ihnen unaus- 
denkbar, denn sie Kaben es nidit notwendig. Ihre 
sexuelle Betätigung strömt in geordneten Bahnen, die 
zwar jeden Pfaffen mit Entrüstung und Sdirecken er- 
füllen, weil der bleidie asketisdie Jüngling und die 
„treuen", dafür um so mehr tratsdienden und die Kin- 
der prügelnden Frauen dort nicht vorkommen. Sie lieben 
die Nacktheit, freuen sicii ihrer Sexualität und haben 
eine wenn auch auf primitiver Stufe stehende, so dodi 
geordnete Wirtschaft und g e r e <h t e Verteilung der 
Arbeitsprodukte. Sic begreifen nicht, warum Junge und 
Mädel sich ihrer Sexualität nicht freuen sollten. Erst 
mit dem Einbredien der kapitahstischen Räuber und der 
Kirdie, die ihnen „Kultur" bringen, gleichzeitig mit Aus- 
beutung, Alkohol und Syphilis, beginnt bei ihnen der 
gleiche Jammer wie bei uns. Sie beginnen „moralisch" 
zu leben, das heißt ihr Geschlechtsleben zu unter- 
drückeu, und verfallen von da ab immer mehr der 
sexuellen Not, der Folge der sexuellen Unterdrückung. 
In dem gleichen Maße werden sie sexuell gefährlich; es 
beginnen Gattenmorde, sexuelle Krankheiten und Ver- 
brechen aufzutreten. So wie sie früher keine sexuellen 
Verbredien begingen, weil sie es nicht notwendig hatten. 
so heginnen sie jetzt sexuelle Verbreciien zu begehen, 
weil sie dazu durdi die nunmehr erzeugte sexuelle Gier 

getrieben werden. 

Es ist eine Tatsache, daß nur der Unbe friedigte, in 
seinem Sexualleben Behinderte und Gestörte, durdi die 
moralische Hemmung Verseuchte sexuell gefährlich tvird, 
während der sexuell Gesunde und Befriedigte, er mag 
Beziehungen haben wieviel und wie er will für das 
gesellsdiaftliche Zusammenleben an sich keine Gefahr 
(nicht zu verwechseln mit „bürgerlich staatstreu sein") 
bedeutet; das können wir bei uns leidit feststellen. Wer 



62 



kennt einen gesunden, sexuell Vollreifen, aufgeklärten 
und befriedigten erwaciisencn Mensdien, der Kinder 
verführt oder gar mordet, um sidi au ihren Leichen zu 
befriedigen? Wer kennt Männer oder Jungens mit ge- 
sunder Sexualität, die Frauen vergewaltigen oder, außer 
in Zeiten besonderer sexueller Not, zu käuflidien Frauen 
gehen? Wer kennt ein Mädel oder eine Frau, die ihre 
Sexualität voll entwidielt hat und weiß, was sexuelle 
Befriedigung hinsichtlidi Gesundheit und Tatkraft be- 
deutet, die sith Avahllos jedem erstbesten, der daher- 
kommt, hingibt? Das gibt es nicbt, das kommt nicht vor. 
Die sexuelle Befriedigung, die regelmäßige Entlastung 
von den sexuellen Spannungen ordnet in Verbindung mit 
nicht allzu ermüdender Arbeit das Gesdilechtsleben ganz 
von selbst. Können die Grundbedingungen der Selbst- 
steuerung des Gesdilechtslebens im Kapitalismus erfüllt 
werden? Nein, denn die kapitalistische Sexualerziehung 
zerstört systematisdi die sexuelle Befriedigungsfähig- 
keit und der kapitalistisdie Arbeitsprozeß, die mafilose 
Ausbeutung und die Antreibereien reiben die körper- 
lichen Kräfte auf. Die moralische, sexualfeindlidie Er- 
ziehung schlägt in die Massen der Kinder und Jugend- 
lichen kräftig hinein, so daß sie unfähig werden, die 
natürliche Funktion der Sexualität zu erfüllen, und ihre 
Spannungen nie los werden; so entsteht Hysterie, so wird 
das Sexualleben zu einem w^ertlosen, der Kotentleerung 
gleichenden Vorgang, so entstehen Gier und Lüsternheit, 
so entstehen die Verbredien, die gewaltsamen Verfüh- 
rungen, die sexuellen Kindermorde. Hier ist nicht der 
Ort, diese Feststellungen ausführlich zu beweisen; das 
werden wir an anderer Stelle gründlidi besorgen mit 
soviel Material aus der furchtbaren Wirklichkeit dieser 
verfaulten Gesellsdiaftsordnung, daß ihre Prediger und 
Vertreter, sie mögen noch so hocii in Aditung und 
Rang stehen, kein Wort der Erwiderung, außer dem 



65 



einen: „Kulturbolsdiewismus", finden werden. Aber das 
kann nur mit Hilfe der revolutionären Jugend ge- 
sdiehen. Wir sehen Hunderte von Fällen, die Masse der 
Jugendlidien sieht und erlebt Zehntausende von Fällen. 
Wenn wir das alles richtig sammeln und medizinisdi 
und politisch tüchtig auswerten werden, so werden wir 
der Kirdie, der reaktionären Schule und Universität, 
den reaktionären Wissensdiaftlern und allen denjenigen, 
die da von Moral schwätzen und die Jugend ver- 
unglüdien, ihre Maske vom Gesicht reißen, und wir 
werden uns, ebenso wie auf dem Gebiet der wirtschaft- 
lichen Ausbeutung, davon überzeugen, daß hinter all 
diesem Asketentum und Moralistentum eine furditbare 
Fratze verborgen ist, die Fratze des Kapitals. 



G. ENTHALTSAMKEIT UND ARBEITSLEISTUNG 

Einer der wichtigsten Einwände, den die bürger- 
lidbLen Sexual- und Jugendforsdier gegen den Ge- 
schlechtsverkehr der Jugendlichen erheben und der sie 
veranlaßt, von der Jugend Enthaltsamkeit zu fordern, 
ist der Hinweis, daß der Geschlechtsverkehr der 
Jugendlichen ihre, wie sie sich ausdrüdcen, „kulturellen" 
und sonstigen Leistungen beeinträditigen würde. Man 
kann den Standpunkt der Gegner des Geschleditsver- 
kehrs der Jugendlichen etwa wie folgt zusammen- 
fassen: „Du hast hundert Prozent sexuelle Energie; die 
sexuelle Energie ist ablenkbar, kann zu versdiiedenen 
nicht sexuellen Zwecken verwendet werden. Wenn du 
zehn Prozent davon auf Arbeit ablenkst, so leistest du 
wenig; wenn du dreißig Prozent ablenkst, so ist es schon 
mehr, sechzig Prozent sind nodh besser, aber am aller- 
besten ist, wenn du die vollen hundert Prozent auf 



64 



Arbeit verwendest; denn dann leistest du nidit nur am 
meisten, weil du nidits »auslebst', sondern du ersparst dir 
audi viele Sdiwierigkeiten, die das Gesdileditsleben dem 
Jugendlidien heute bereitet; du bist vor dem .Ausleben' 
bewahrt." Dieser „hundertprozentige Staudpunkt", der 
die restlose Ablenkung und anderweitige A^erwendung 
der sexuellen Interessen vertritt, ist erstens sadilidd 
falsch und zweitens, audi "^venn ein Sozialist oder Kom- 
munist ihn vertritt, möndiisdi bürgerlidi, denn die ihn 
vertreten, weidien damit nur der sachlich riditigen Be- 
antwortung aus. Tatsache ist, daß gerade die Behinderung 
des Gesdilethts Verkehrs durch die Erziehung und die 
gesamte Sexualordnung im Kapitalismus den Jugend- 
lichen die größten Schwierigkeiten macht, und daß man 
gar nichts ausrichtet, wenn man undurchführbare Ver- 
haltungsweisen predigt. Denn wir wollen uns nichts 
vormachen; dieser Standpunkt ist noch nie durchgesetzt 
worden und wird auch nie durchgesetzt werden. Es gibt 
auch keine Begründung für ihn außer der bürgerlichen. 
Er ist sachlich falsch, denn wenn es auch stimmt, daß die 
sexuellen Interessen vorübergehend (für kurze Zeit ganz 
und für längere Dauer nur zum Teil) abgelenkt werden 
können, so ist die restlose Ablenkung lange Zeit hin- 
durdi schädlich. Geht die Ablenkung zu meit, so sdilägi 
die Förderung der nichtsexuellen, politischen und 
wissenschaftlidien Interessen und der Arbeitsfähigkeit 
der Jugendlichen in ihr Gegenteil um, der unterdrückte 
Sexualtrieb beginnt die Arbeit zu stören. Wir werden 
also hier den nachweisbar richtigeren Standpunkt ver- 
treten: Bis zu einem gewissen Grade kann die sexuelle 
Energie und Spannung in Arbeit, politisciie und wissen- 
schaftliciie Interessen umgesetzt werden; über einen be- 
stimmten Punkt hinaus sdilägt die Hemmung der 
Sexualbefriedigung in Arbeitsstörung um. Und das hat 
folgende Gründe: 



63 



Nadi einer gewissen Zeit der entkaltsamen Lebens- 
weise, in der es gelungen ist, sidi ganz in irgendeine 
widitige Arbeit zu stürzen, die den sexuellen Drang 
übertönt und die sexuellen Interessen aufgesogen hat, 
beginnt beim durdisdinittlidien Jugendlidien der Um- 
setzungsprozeß nadizulassen, die sexuellen Phantasien 
drängen sidi immer mehr in den Vordergrund, gleidi- 
gültig ob sie bewußt oder unbewußt sind. Die Erfah- 
rung lehrt, daß die Störung der Arbeitsfähigkeit um so 
rasdier um sidi greift, je unbewußter die sexuellen 
Phantasien sind, denn dann werden größere Mengen an 
seelisdier Energie zur Niederhaltung der sexuellen 
Phantasien aufgebraucht. Als erste Anzeichen des Nadi- 
lassens der Arbeitsfähigkeit treten Störungen der Auf- 
merksamkeit bei der Arbeit hervor („Abschweifen der Ge- 
danken"), Unkonzentriertheit, die von den Jugendlidien 
sogenannte „Gedädituissdi wache", Unlustgefühle, Ner- 
vosität. Unruhe. Der Rest der nidit ablenkbaren, viel- 
mehr zur Befriedigung drängenden sexuellen Interessen 
stört die Arbeit. Je mehr nun der Jugendliche versucht, 
sich in Arbeit zu stürzen, um die Arbeitsstörung wett- 
zumachen, je mehr er sidi zusammennehmen will und 
je mehr Vorwürfe er sich macht, desto schwerer gelingt 
es ihm. Er ist verzweifelt über seine Tagträume und 
Phantasien, aber er kann sie nicht beherrschen, und bei 
großer Anstrengung gelingt es ihm nur für kurze Zeit. 
Die praktische Erfahrung in den Sexualberatungsstellen 
lehrt unwiderlegbar, daß, wenn ein soldier Jugendlicher 
die Enthaltsamkeit reditzeitig aufgibt, entweder indem 
er zu onanieren anfängt oder aber zum Gesdileditsver- 
kehr kommt, sidi die Arbeitsstörungen sofort verlieren. 
Wir werden später sehen, daß dieser Ausweg für die 
meisten Jugendlidien unter den im KapitaHsmus herr- 
sdienden Verhältnissen sehr sdiwierig. wenn nidit uu- 
mÖglidi ist. 



66 



Einigen wenigen gelingt es z^var vielleidit, sidi aus 
den Sdiwierigkeiten des Gesdileditslebens für viele Jahre 
diirdi irgend eine Arbeit zu befreien. Und die Enthalt- 
samkeitsprediger berufen sidi immer wieder auf diese 
wenigen, denen es gelingt. Aber im Interesse der 
Gesundheit müssen wir einen solcben Standpunkt hier 
verurteilen; denn wir haben nidit einige wenige sondern 
die Masse der Jugendlichen zu berücksiditigen, und 
denen gelingt es auf die Dauer nicht. 

Viele verweisen auch auf den Sport als eine Mög- 
lidikeit zur Ablenkung sexueller Interessen. Es ist ge- 
wiß riditig, daß der Sport bis zu einem gewissen Grade 
und für eine gewisse Zeit aus der Schwierigkeit heraus- 
hilft, indem die verstärkte Muskelarbeit sexuelle 
Energie verbraucht. Aber wer, wie die ärztlichen 
Jugendberater in den Sexualberatungsstellen, die lange 
Reihe von Sportlern gesehen hat, die dann mit 25, 28, 
30 Jahren kommen, große, kräftige Menschen, die dar- 
über klagen, daß sie eine Sexnalstörung oder sonstige 
nervöse Krankheitserscheinungen haben, dem wird 
sofort klar, daß jeder, der die Enthaltsamkeit in den 
jugendlichen Jahren scheinbar ohne Sdiwierigkeit durch- 
führt, für später aufs schwerste gefährdet ist. Daher 
ist die Enthaltsamkeitspredigerei allein vom rein ärzt- 
lichen Standpunkt aufs schärfste zu bekämpfen. Die 
Moralisten sehen aber nur das, was gelegentlici einmal 
vor ihren Augen ihre Theorie bestätigt, sie sehen nicht 
und wollen nicht sehen, daß ihre Lehren auf die Masse 
insbesondere der proletarischen Jugendlichen nicht an- 
zuwenden sind, und sie drücken sich vor der Verantwor- 
tung für das, was in Zukunft bevorsteht, wenn man ihre 
Lehren befolgt. Mit dem Sexualapparat geseliicht dann 
dasselbe, was mit jedem Organ passiert, wenn man es 
längere Zeit seine natürliche Tätigkeit nicht ausführen 
läßt: Man sdiädigt es. Madie einen Arm für einige 

67 



Monate unbeweglidi und sieh zu, ob und wie du ilin 
später nodi bewegen kannst. 

Das, was wir hier sagen, wird vielen wie ein Ein- 
rennen offener Türen erscheinen. Klassenbewußte prole- 
tarisdie Jugendlidie werden sagen: „Wozu erzählst du 
uns das? Das alles wissen wir ja sdion längst, wir halten 
uns ja sowieso nidit an die Lehren der Moralprediger. 
Aber wir wollen wissen, wie wir uns verhalten sollen 
unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesell- 
sdiaftsordnnng, wenn wir uns unser Gesdileditsleben 
einriditen wollen. Es gibt hunderte anderer Fragen zu 
bespredien, die für uns drängender sind." Diese 
Jugendlichen haben recht. Man sollte heute mit dieser 
Frage längst fertig sein, aber wir sind deshalb darauf 
eingegangen, weil es nicht nur eine bereits politisch 
klare und sexuell fortgeschrittene Jugend gibt, sondern, 
und darüber dürfen wir nidit hinweggehen, weil es 
heute noch Massen von Jugendlichen gibt, die unter der 
Fuchtel moralisch strenger Eltern, der Kirche und reak- 
tionärer Lehrer stehen, und deshalb mit dieser Frage 
nicht fertig werden; ja ein Teil der Jugend, die national- 
sozialistische zum Beispiel, hat die Frage der sexuellen 
Keusdiheit sogar auf ihre Fahnen gesdbrieben, wenn sie 
sich auch praktisch nicht daran hält und in weit größeren 
Sdiwierigkeiten steckt als die revolutionäre Jugend. In 
der Frage der sexuellen Enthaltsamkeit sehen wir eine 
klare Scheidung der Klassenfront. Die kommunistische 
Jugend und die rote Sport Jugend lehnen die Ent- 
haltsamkeit ab und treten für ein gesundes und befrie- 
digendes Geschlechtsleben der Jngendlidien ein. Wenn 
audi hier und dort Unklarheit herrscht, wenn sich a.u<h. 
gelegentlich Prediger der „Moral" in diese Reihen ver- 
irrt haben, so kommt das doch nicht zur Geltung, bleibt 
ohne Bedeutung. Die Aufmerksamkeit gilt in erster 
Linie dem Kampf für den Sturz des Kapitalismus. Die 



68 



sozialdemokratisdie Jugend ist überwiegend sexuell 
ebenso unklar wie politisch, steht nodi immer unter 
starkem Einfluß der kleinbürgerlicbeu Fübrer, dieser 
gefäbrlidisten, weil mit sozialistisdier Maske auftreten- 
den Feinde der sozialen Revolution. Bei der Ablenkung 
der sozialistisch gesinnten Jugend vom Klassenkampf 
bedienen sie sich auch ganz wesentlich der autoritären 
Hemmung des Sexuallebens; sie vertreten den kleinbür- 
gerlidien Standpunkt der Familie und der Enthaltsam- 
keit, bis die Möglichkeit der „verantwortungsvollen 
Paarung und Kinderzeugung" gegeben ist. Das ist 
natürlich eine Illusion, denn im Kapitalismus gibt es 
diese Möglichkeit für die Jugend nie und wird es nie 
geben. Das werden wir später beweisen. Dadurch ge- 
langen aber die Gruppenführer sehr oft in offenen Kon- 
flikt mit den jüngeren Gruppenmitgliedern, die sich 
dem nidit fügen wollen, so daß die Gruppen zerfallen 
und sich Cliquen bilden. Je weiter nach rechts ins 
Lager der Reaktion wir kommen, desto stärker sehen 
wir die Keuschheitsideologie vertreten. Die christliciie, 
deutschnationale und nationalsozialistische Jugend er- 
hebt diese Frage zu einer Kampffrage der deutsdien 
Nation, während die „demokratisch-liberale" Jugend, 
die oft über die nötigen geldlichen Mittel, ihrer sexuellen 
Not abzuhelfen, verfügt, in Worten moralisch tut, im 
übrigen aber ebenso unklar und ausweglos in dieser 
Frage ist wie die übrigen. 

Wir sehen also, die Frage der Enthaltsamkeit der 
Jugend ist keine rein ärztliche, sondern sie hängt mit 
der Stellung zur Gesellschaftsordnung und zum revolu- 
tionären Klassenkampf sehr eng zusammen. 



Wir sind hier prinzipiell und offen dafür eingetre- 
ten, daß es keine Losung der sexuellen Not der Jugend 



69 



/ 



/ 



gibt ohne Bejahung und Befiirsorgung ihres Geschledits- 
lebens, ohne befriedigenden Gesdilcdits verkehr. Wir 
werden im vorletzten Abschnitt beweisen, daß der 
Kapitalismus diese Lösung niemals bringen kann. Kön- 
nen wir aber heute im Kapitalismus unter den bestehen- 
den Bedingungen der Jugend ganz allgemein sagen: 
„Ihr könnt ruhig gesdileditlidi verkehren?" Nein, das 
können wir nidit, denn dazu fehlen alle Voraus- 
setzungen. Unsere Jugendlichen sind meist, und zwar 
auch die proletarischen, durch die Erziehung verbaut 
und sexuell verkrüppelt, sie sind unsicher und unaufge- 
klärt, es gibt keine Wohnungen für die Jugendlichen 
und keine Verhütungsmittel, es gibt ein Elternhaus, das 
den Jugendlichen aufs schwerste bedroht, wenn er 
ernst madien will mit dem Geschlechtsleben, es gibt eine 
Schule, die ihn sozial verniditet, wenn er Geschlechts- 
verkehr aufnimmt, es gibt Paragraphen, die die Auf- 
klärung der Jugendlichen unter Strafe stellen. Und das 
ist nicht nur ein Zwang von außen, denn diese Ein- 
richtungen der bürgerlichen Gesellschaft sind tief im 
Seelenleben des Jugendlichen ideologisch verankert. 
Massen von Jugendlichen, besonders solche klein- 
bürgerlicher nnd nationalistischer Kreise, bejahen trotz 
ihrer sexnellen Nöte, unter denen sie vielfach zusam- 
menbrechen, selbst die Unterdrückung ihres Gesdilechts- 
lebens. Darüber müssen wir noch kurz sprechen, weil es 
für unsere sexuelle Aufklärungsarbeit unter den poli- 
tisch unaufgeklärten und daher bewußt oder unbe- 
wußt reaktionären Jugendlichen ganz wesentlicii ist. 

Zwischen dem Nahrungsbedürfnis und dem Sexual- 
bedürfnis besteht nämlich bei sonstiger Ähnlidikeit ein 
grundlegender Unterschied. Wenn ein Jugendliciier 
hungert, so weiß er, daß er hungert, er bejaht nidit 
seinen Hunger und er bejaht audi nicht die Ordnung, 
die ihn zum Hungern zwingt. Es gibt keine Verdräu- 



70 



^ 



gung des Nahrungstriebes, Beim Sexualtrieb ist die 
Sadie viel komplizierter. Wenn ein Jugendlicher sexuell 
hungert, das heißt unter seiner sexuellen Unbefriedigt- 
heit leidet, so überwindet er entweder, wenn er gesund 
ist, die Schranken, die ihn behindern, oder aber, was 
meist infolge der vorangegangenen kindlidien Sexual- 
unterdrüdkung der Fall ist, er verdrängt seine Sexuali- 
tät. Um sich vor einem Durchbruch seiner Sexualität zu 
schützen, nimmt er die Forderung der kapitalistischen 
Gesellsdiaft, asketisch zu leben, unbewußt vollkommen 
auf und errichtet so in sich ein Bollwerk gegen seine 
eigenen sexuellen Wünsche. Das ist bei den religiösen 
Jugendlichen besonders der Fall. In dieser sexuel- 
len Verdrängung der Jugendlichen findet die Kirche 
ihre stärkste ideologische Stütze; sie lehnen dann selbst 
die Sexualität ab und bejahen die sexual feindliche und 
kapitalistisdie Moral, unter der sie schwer leiden. In den 
Jugendverbänden der deutscheu Zentrumspartei allein 
befinden sicii i% Million soldier Jungens und Mädels. 
Kommen wir an einen soldien Jugendlichen heran 
und gehen wir nicht sehr geschickt vor in der Klärung 
der Ursachen seiner Vereinsamung, seiner Angst- 
zustände, seines Onanieschuldgefühls und der sonstigen 
Nöte, so kann es uns leicht passieren, daß wir, statt die 
sexuelle Auflehnung, die in ihm steckt, zu fördern und 
ihn so zu unserem Klassenfreund und zu einem Kämp- 
fer gegen den Kapitalismus zu machen, auf seine 
moralisdie Einstellung stoßen und ihn dadurch nidit 
nur nidit gewinnen, sondern sogar zu einem gefährlichen 
Gegner macben. Ich wollte auf diese Sdiwierigkeit der 
sexualpolitisdien Arbeit unter christlichen und nationa- 
listischen Jugendlichen nur hinweisen, um nicht den 
Gedanken aufkommen zu lassen, daß wir jetzt so ohne 
weiteres den Geschledits verkehr allgemein propagieren 
können. 



71 



/ 

III. ZUR FRAGE DER HOMO- 
SEXUALITÄT 

/ 

Man hört oft die Frage, ob die Homosexualität 
natürlidi ist oder nidit, warum man sie bestraft und ob 
es denn gar so sdiledit und sdiädlidi ist, wenn man 
homosexuelle Beziehungen hat. Es wäre sehr "widitig, 
zur Beantwortung dieser Frage den ganzen Streit, der 
in der Sexualwissenschaft und im Reditsleben darüber 
tobt, hier zu entwidceln. Das würde aber zu weit füh- 
ren und wir müssen uns daher auf 6inige Hauptpunkte 
beschränken, vor allem darauf, wie unsere Stellung zu 
dieser Frage ist oder mit guter Begründung sein sollte. 

Jeder Mensdi ist, wie die neueste wissensdiaftlidie 
Forschung ergeben hat, von vornherein doppeltge- 
schleditlidb angelegt, und zwar sowohl körperlich als 
auch, in Abhängigkeit davon, seelisch. Bis zum dritten 
Monat der Sciiwangersciiaft kann sidi jede Leibesfruciit 
zum weibliciien oder zum männliciien Geschledit hin 
entwickeln, da sowohl das weibliche als audi das männ- 
liche Geschlechtsorgan mit allem, was dazu gehört, sich 
entfalten. Erst von dritten Monat an beginnt si<h. in der 
Regel entweder die männlidae oder die weibliche Anlage 
stärker zu entwickeln, während die entgegengesetzte in 
der Entwicklung zurückbleibt. Diese zurückgebliebene 
Anlage des anderen Geschlechts bleibt dauernd be- 
stehen, wenn sie auch zn keinerlei Funktion fähig ist. 
Der Mann hat an einer bestimmten Stelle seines mänii- 
lidien Geschlecktsorgans auch die Spuren einer welb- 
licken Sciieide, und der weibliche Kitzler ist nichts 
anderes als ein zurückgebliebener männlicher Ge- 
sch-lechtsteil. Die Brustwarzen beim Mann sind zurück- 
gebliebene weiblidie Brüste. 



72 



T 



Nun gibt es Mensdien, bei denen diese sonst zurück- 
gebliebenen Anlagen sidi gleidxzeitig mit denen des 
eigenen Gesdiledits ein großes Stüdc weiter entwickeln, 
so daß beide Gesdileciitsorgane nebeneinander oder 
irgendwie miteinander kombiniert vorhanden sind. 
Solcte Fälle nennt man „Zwitter". Es gibt Männer mit 
weiblicii gebautem Becken und weibliciien Brüsten, und 
es gibt Frauen, die das männliche Glied vollkommen 
zur Entwidilung braditen. Es gibt auch Mensdxen, die 
in ihren Drüsen Gewebe des anderen Geschlechts ent- 
halten. Gewöhnlich empfinden soldie Zwitter oder mit 
Organen des anderen Geschlechts ausgestattete Mensdien 
auch in seelischer Hinsicht mehr oder minder wie das 
andere Geschledit, das heißt sie fühlen sich zum eigenen 
Geschlecht sexuell hingezogen. Man findet unter ihnen 
aber auch solche, die ganz anders empfinden. Dieses 
Rätsel ist noch nicht gelöst und noch sehr verwickelt. 

Während diese eben kurz beschriebenen körperlidx 
bedingten Homosexuellen in der Minderheit sind, ist die 
große Mehrzahl der Homosexuellen, was ihren Körper- 
bau anbelangt, ganz normal, das heifit die Mehrzahl 
der gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen hat, 
wenigsteus nach den bisherigen Feststellungen, keinerlei 
entwickelte körperlidie Zeichen des anderen Ge- 
schlechts. Wenn solche Kennzeichen in Ausdruck, Gang, 
Spradie vorhanden sind, kann man durch eine genaue 
Untersuchung ihrer seelischen Entwicklung feststellen, 
daß sie nicht immer so waren, sondern durch besondere 
Sdhiicksale ihres Sexualtriebes diese Haltungen ausge- 
bildet haben und nun jenem Geschledit äußerlich 
gleidien, das sie sexuell nicht begehren. Ja mehr, es 
gibt sehr viele Männer, die körperlich und seelisch ganz 
entsprechend ihren Geschleditsorganen gebaut sind und 
jüngere weiblidi aussehende Männer begehren, denen 
gegenüber sie sich wie ein Mann zu einer Frau ver- 

73 



halten; und es gibt Frauen, die vollkommen weiblidi 
sind und sidi zu härteren und mannlidier aussehenden 
Frauen, wie eine Frau zum Manne verhalten. Diese 
Arten von Homosexuellen sind nidit körperlidi homo- 
sexuell geworden sondern durcfi eine fehlerhafte 
sexuelle Entwicklung in der frühen Kindheit, die darin 
bestand, daß sie sehr früh eine sdiwere Enttäuschung 
am anderen Geschledit erfahren haben. So werden 
zum Beispiel männlidie Kinder leicht offen homosexuell, 
wenn sie an ihrer strengen, harten Mutter zu starke 
und zu viele Liebesenttäusdiungen erfahren haben. 
Ebenso werden Mäddien im frühen Alter leidit zur 
Homosexualität gebradit, wenn sie an ihren Vätern 
sdiwere Enttäusdiungen erfuhren. Soldie Kinder wen- 
den sidi leicht vom anderen Gesdiledit in sexueller 
Hinsidit ab und dem eigenen Gesdiledxt zu. Diese 
frühen Enttäusdiungen sind in der Regel verdrängt. 
Die Betreffenden wissen als Erwadisene nidits mehr 
davon und erinnern sidi dann, wenn sie durdi eine 
besondere Art seelisdier Behandlung, die Psydioanalyse, 
jene frühe Zeit der Entwidclung wieder erleben. 

Beide Arten der Homosexualität sind also abwegige 
Entwidilungen, die man als Krankheit bezeidinen muß, 
wenn die Betreffenden, was meist der Fall ist, darunter 
leiden. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß dieses Leiden 
nur sozial durdi die gesetzlidie Verfolgung der Homo- 
sexuellen bedingt ist. Viele Homosexuelle (es läßt sidi 
nidit feststellen in w^eldiem Prozentsatz) sind audi 
sonst seelisdi und sexuell nidit in Ordnung, das heißt 
neurotisdi. Viele Homosexuelle, die es sidi eingeriditet 
haben, die in ihrer Art zu leben sidb wohl fühlen, 
protestieren dagegen, daß man die Homosexualität als 
Leiden oder als abwegiges Entwidclungsresultat be- 
zeidinet. Sie erblidcen darin eine Herabsetzung ihrer 
sexuellen Riditung, ja viele von ihnen betraditen sidi 



74 




als sogenanntes „Drities Gesdiledit", als eine besondere 
gesdilecbtlidie Artung. Dagegen muß man aus rein 
wissensdiaftlidien Gründen Stellung nehmen. Vor allem 
müssen die Jugendlichen vor der endgültigen Wendung 
zur Homosexualität bewahrt werden, nicht aus morali- 
schen sondern aus rein sexualökonomischen Gründen; 
denn es läßt sidi feststellen, daß die durchsdinittliche 
sexuelle Befriedigung beim gesunden, andersgeschleciit- 
lidi Gerichteten noch immer viel intensiver ist als die 
Befriedigung beim gesunden Homosexuellen. Und das 
bedeutet viel für die Ordnung des seelischen Haushalts. 
Als stärkster Einwand gegen die Behauptung so vieler 
Homosexueller, daß sie eine besondere sexuelle Art 
darstellen und keine Fehlentwicklung, müssen wir vor- 
bringen, daß durch eine ganz bestimmte Art seelisciier 
Behandlung jeder Homosexuelle aufhören kann, so zu 
empfinden, während es niemals vorkommt, daß ein 
normal Entwidcelter durch dieselbe Behandlung zum 
Homosexuellen wird. Wenn die Homosexualität nicJit 
zu alt ist und nidit die Beziehungen zum andern 
Geschledit völlig verschüttet hat, wenn sich der Be- 
treffende ferner dabei nicht wohl fühlt und sie loswerden 
will, ist sie durch eine psyciioanalytisdie Behandlung, 
die die kindliche Fehlentwicklung der Sexualität rück- 
gängig macht, prinzipiell zu heilen. 

Was wir bisher gesagt haben, ist wissensdiaftlidi 
gesicherte Tatsadie, die nodi dadurch zu erhärten ist, 
daß bei primitiven Völkern, die ein befriedigendes, 
ungestörtes Sexualleben führen und die die sexuelle 
Entwicklung der Kinder nidit behindern, Homosexuali- 
tät, außer in vergeistigter Form als Freundschaft, nidit 
vorkommt. Nach den neuesten Feststellungen von 
MalinoTDski, einem englisdien Völkerforscher, beginnt 
die Homosexualität bei den Primitiven in dem Maße 
aufzukommen, wie die Missionare, diese Zutreiber des 

75 



/ 




Kapitals, anfangen, die diristlidie Moral in das natür- 
lidbe Geschleditsleben zu tragen und die Gesdilediter 
voneinander zu trennen. Das bestätigt audi die Beob- 
aditung, die wir immer madien können, daß dort, wo 
der normale Verkehr zwischen Mann und Frau und 
Junge und Mädel unterbunden oder ersdiwert ist 
(Internate, Heer, Marine usw.), die Homosexualität sich 
im gleidien Maße entwickelt. Die Homosexualität ist 
also, das ist unser vorläufiger Sdbluß aus den Tatsadien, 
ausgenommen die Fälle, die körperlidi begründet sind, 
eine rein soziale Ersdieinung, eine Frage der sexuellen 
Erziehung und Entwidmung. Das beste Vorbeugungs- 
mittel ist gemeinsdiaftlidie Erziehung der Gesdilediter 
und reditzeitiger Beginn des Gesdileditsverkehrs. 

Es wäre aber ganz falsdi, aus diesen Tatsadien den 
Sdiluß abzuleiten, daß man den Homosexuellen ver- 
aditen oder bekämp f en müsse. Es ist audi ganz 
unriditig, wenn man, unbewußt bürgerlidi moralisdi 
befangen, die Homosexualität als ein „unproletarisdies 
Verhalten" verdammt. Solange die sexuelle Erziehung 
so ist, daß Mensdien homosexuell werden, geht es 
niemand etwas an, wenn sidi diese Mensdien, ohne 
jemand zu sdiädigen, ihr Leben einriditen und sidi 
dabei wohlfühlen. Die Feststellung, daß die Homo- 
sexualität eine abwegige Entwiddung ist, also nidit 
natürlidi bedingt ist, bereditigt niemand zur Ver- 
dammung oder Bestrafung. Die Homosexuellen, die 
ihre Eigenart loswerden wollen, weil sie darunter 
leiden oder weil sie nidit entsprediend befriedigt sind, 
soll man zu heilen versudieu, aber man darf niemand 
dazu zwingen. Nidit nur weil man kein Redit dazu 
hat, sondern audi weil eine erzwungene Behandlung 
keinen Erfolg hat. In der Klass engesei Isdiaft wird die 
Homosexualität leidit zu einer großen Gefahr, weil es 
Erpresser gibt, die den Homosexuellen mit der Anzeige 

76 



I 




drohen und ihnen dadurdb Geld entlodten. Das wird 
durdi die wirtsdiaftlidie Not besonders begünstigt. Es 
gibt auch viele proletarische Jugendliciie, die infolge 
ihrer Not dazu greifen, sich den Homosexuellen aus 
reichen Kreisen hinzugeben. Die Homosexualität spielt 
auch in politisch reaktionären Kreisen wie bei den natio- 
nalistisdien Studenten und den Offizieren eine nicit zu 
unterschätzende Rolle. Das hängt mit der starken 
Ausprägung der sexualmoralischen Hemmung im natür- 
lichen Geschlechtsleben dieser Kreise aufs engste zusam- 
men. Davon abgesehen scjiadet die homosexuelle 
Betätigung, die der Kapitalismus durch seine Einridi- 
tungen, durcii Kirdie, Trennung der Geschlechter, unter- 
drückende Sexualerziehung in Massen erzeugt, gewiß 
nicht so, wie die öffentliche Verdummung durch die 
religiösen Dogmen. Und so sehen wir den Unter- 
schied zwischen Kapitalismus und Sozialismus auch 
darin, daß hier die Verdummungsmaschinerie, Religion 
genannt, in höchsten Ehren ist und überdies noch viel 
Geld verdienen läßt, die Homosexualität aber bestraft 
wird. In der Sowjetunion dagegen ist die homosexuelle 
Betätigung frei, man bestraft aber die religiöse Ver- 
dummung der Jugendlichen und Kinder bis zum acht- 
zehnten Lebensjahr. 



77 



/ 

IV. DIE SCHWIERIGKEITEN 

DER KAMERADSCHAFTLICHEN 

ERZIEHUNGEN DER JUGEND 

Wir haben bisher die körperlichen Vorgänge beim 
Gesdiledbitsakt besprodien und haben nun die sogenann- 
ten kameradsdiaftlidien Beziehungen zwisthen Junge 
und Mädel zu erörtern. „Kameradschaft" ist ein Schlag- 
wort, und wir werden gleich sehen, daß wir zwar eine 
gemeinsame deutsche Sprache sprechen, daß aber 
manche Worte ganz verschiedene Bedeutung haben, je 
nachdem, ob sie von einem Bürger oder einem Pro- 
letarier gebraucht werden. 

Was versteht der Bürger unter Kameradschaft? Wir 
können feststellen, daß der Bürger, soweit er die 
bürgerliche Sexualordnung wirklich vertritt, eine 
Kameradsdiah der GesdJediter gar nicht kennen kann. 
Nehmen wir das Vorbild des bürgerlichen Jugendlidien, 
den bürgerlidien Mittel- und Hodischüler und die bür- 
gerliche Lyzealschülerin oder „Haustochter". 

Der bürgerliche Jngendliciie hat, da die doppelte 
Moral ihm den Geschlechtsakt mit Madclien der eigenen 
Kreise untersagt, seine Sexualität in Zärtlichkeit und 
Sinnlichkeit gespalten. Dementsprechend gibt es für 
ihn zweierlei Mädchen: eine Art für den Körper und 
eine andere für die „Seele". Er „verehrt" ein Mäddien 
seiner eigenen Klasse, dem er nie die Erniedrigung 
durch einen Geschlechtsverkehr zumuten würde; und 
seinen Körper befriedigt er bei einem Mädchen aus dem 
Proletariat, sei es bei Prostituierten, sei es bei Haus- 
gehilfinnen oder Büroangestellten. Wo er liebt, darf er 
nicht geschlechtlicii verkehren, und wo er Geschlechts- 
verkehr hat, kann er nicht lieben. Er würde auch sofort 
seine „Verehrte'* zu lieben aufhören, wenn es ihr eiu- 



78 



I 

t 



\ 



fiele, sidi ihm aus Liebe hinzugeben. Diese Spaltung 
der Sexualität geht oft so weit, daß mandie Biirger- 
jiingen impotent werden, wenn sie mit einem „anständi- 
gen" Mädchen gesdileditlidi verkehren wollen. Soweit 
die Frau vor der Ehe die kÖrperlidie oder sinnlidie Seite 
der Sexualität befriedigt, ist sie sexuelles Ausbeutungs- 
objekt, zumal diese Befriedigung meist gekauft ist. 
In der Ehe ist die Frau erst recht sexuelles Werkzeug 
des Mannes. Wird das „verehrte" Mäddien sdiliefilidi 
geheiratet, so verliert sie sehr bald die genossene 
Aditung, denn abgesehen von den ehelidien Konflikten 
kommt der typisdie bürgerliche Mann von der Auf- 
fassung, daß der Gesdileditsakt etwas die Frau herab- 
würdigendes ist, nidit los. Und die Sexualität bleibt 
daher audi in der Ehe gespalten; der bürgerlidie Mann 
befriedigt seine Sinnlidikeit meist weiter bei Kokotten 
oder Prostituierten, jedenfalls bei bezahlten Frauen. 

Das bürgerliche Mädel wieder muß dem ganzen 
System nadi ihre genitale Sinnlidikeit unterdrütken 
oder verdrängen; an Stelle gesunder, natürlicher 
Sexualität entwickelt sie das typisdie Wesen des Weib- 
diens mit dem Seeldien, sie wird kokett, sexuell über- 
spannt, dem Mann, den sie liebt, gefügig, ja hörig, oder 
sie nützt die Sexualität zur Beherrsdiung der Männer 
aus. Das Aussdialten der genitalen Befriedigung hat ein 
Lüstermv-erden zur Folge; ein soldier Mensdi muß von 
Sexualität zu triefen anfangen. Soweit sidi so ein 
Mädel von der bürgerlidien Moral und Lebensart be- 
freit und ein Gesdileditsleben lebt, wird der Schwer- 
punkt auf die Reizung verlegt. So kommt es zur 
Erscheinung der Halbjungfrau, die alles tut, ausnahms- 
los alles, bis auf die Aufnahme des männlidien Gliedes 

in die Sdieide. 

Von Kameradschaft zwisdien Junge und Mädel 
kann in keinem dieser Fälle die Rede sein, weder zwi- 



79 



X 



edien dem Studenten und seiner Angebeteten oder dem 
Proletariermädel, nodi zwischen Mann und Frau. Immer 
bleibt der Mann der Nutznießer der weibliAen Sexnaü- 
tät, immer „gibt" die Frau, „nimmt** der Mann. Das 
bürgerlidie Sexualleben bewegt sidi daher immer zwi- 
sdien den Widersprüdien: Verhimmelung der Frau und 
der Liebe hier, Erniedrigung und Beschmutzung der 
Frau und der Liebe dort. 

Die Spaltung der Sexualität in erniedrigte Sinn- 
lidikeit und verklärte Liebe, die im Bürgertum ganze 
philosophisdie Systeme über das Problem: „Sexualität" 
und „Erotik", erzeugt, ist dodi nur ein einfacher Aus- 
druck der für die Privatwirtschaft notwendigen Vor- 
herrschaft des Mannes (Erbrecht in der väterlichen 
Linie) und überdies Folge der Bestrebungen der bürger- 
lichen Klasse, sich durch eine besondere Moral von der 
beherrsditen Klasse abzugrenzen. Die eigenen Frauen 
dürfen nur in der Ehe und nur den bürgerlichen Män- 
nern zugänglich sein. Außerhalb der Ehe und mit Män- 
nern der Arbeiterklasse ist der Gas dileth tsver kehr ver- 
femt. Die Vorherrschaft des Mannes hat diese Ein- 
schränkungen für das männliche Gesc^iledit aufgehoben. 
So wurde der Gesdilechtsakt wirklich zu einer Ernie- 
drigung der Frau, zu etwas Gewalttätigem, und die 
Frauen wehreu sich gefühlsmäßig gegen die Sdimach, 
die der Geschlechtsakt unter diesen Bedingungen für 
sie bedeutet. • - 

Selbst dem Bürgertum begann allmählich das 
Grausen vor den Folgen seiner moralischen Prinzipien 
aufzusteigen. 

Es war nie bereit und wird nie bereit sein, seine 
Prinzipien aufzugeben, aber es will den Schmutz über- 
kleistern, den es erzeugt. Das gesdiieht vom liberalen 
Bürgertum und von der bürgerlichen Frauenbewegung, 
die das Schlagwort der Kameradsdbaft zwischen Mann 



80 



und Frau prägten. Die Frau sollte nidit mehr 
Sklavin, sondern „Kameradin des Mannes" sein, nidit 
sexuelles Objekt, sondern „Gefährtin des Lebens**. Auf 
dieser Basis sollte die morsdie Eheinstitution neu auf- 
gebaut werden. Aus dem bürgerlidien Gegensatz: 
„Geist und Körper", „zärtlidi" und „sinnlidi", „erotisdi" 
und „sexuell", aus der tatsädilidien bürgerlidien Er- 
niedrigung des Sinnlidien folgte die Ablehnung der „nur 
sinnlidien" Beziehungen. Durch die moralisdie Aus- 
schaltung der zärtlidien, durdi die wirtschaftliche Ver- 
nichtung der kameradschaftlichen Beziehungen zwisdien 
Mann und Frau wurde die sinnliche Sexualität zu einer 
der Koteutleerung ähnlidien Angelegenheit, die jedem 
menschlichen Empfinden widerspricht. 

Breite Massen des reaktionären Kleinbürgertums 
leben noch heute mit gespaltener und für den Mann zur 
einfachen Entleerung erniedrigter Sexualität wie vor 
20 oder 40 Jahren. Kleine Teile, besonders Kreise der 
bürgerlidien Intellektuellen, haben sich im Laufe der 
Zeit von den Fesseln der bürgerlichen Moral befreit. Das 
sind für uns uninteressante Einzelfälle. Sie haben trotz 
gelegentlich verwirklichter kameradsdiaftlich-sexueller 
Beziehungen keinen Einfluß auf das Sexualleben im 
gesellschaftlidieu Maßstabe. Solange die Erziehung in 
Elternhaus und Schule bleibt wie sie ist — und sie 
bleibt so, solange der Kapitalismus lebt — , gibt es keine 
wirkhche Kameradschaft der Geschlediter, außer in den 
Kreisen des ganz klassenbewußten Proletariats und 

seiner Jugend. 

Wenn der Bürger entweder überhaupt keine 
Kameradschaft zwischen Mann und Frau kennt oder 
aber dieses Wort nur als Gegensatz zur rein sinnlichen 
Sexualität gebraucht — was verstehen wir darunter? 

Es ist selbstverständlich, daß wir die bürgerliche 
sinnliche Sexualität, den jeder kameradsdiaftlichen und 



81 



zärtlidien Beziehung baren, nur der Entspannung die- 
nenden, ohne Rücksidit mit wem oder -wo ToUzogenen 
Sexualakt ablehnen. Das ist nidits anderes als bürger- 
lidie Moral mit umgekehrtem Vorzeidien. Wir lehnen 
sie nicht nur ab, weil sie die Frau erniedrigt und unge- 
sunde Sexualität ist, nidit nur, weil das die Sexualität 
der politischen Reaktion ist, sondern auch deshalb, weil 
wir wieder volle, gesunde Sinnlichkeit erzielen wollen. 
Wir dürfen, wenn wir Stellung zur körperlichen 
Sexualität nehmen, nie vergessen, daß wir dabei im 
Kapitalismus nic^it mit natürlicii körperlichen Sexnal- 
akten zu tun haben, sondern mit künstlichen, vom 
Patriarchat erzeugten, verzerrten und erniedrigten For- 
men der sexuellen Betätigung. Ihre Kennzeichen sind 
infolge Mangels, beziehungs^veise Abspaltung der Zärt- 
lidikeit: Gier und Lüsternheit vorher, Absdieu, Über- 
drufJ, ja Ekel nachher. Soldies Gesdilediisleben hat 
keinen Befriedigungswert. Es ist also falsdi, diese Art 
der „sinnlichen Sexualität" als die natürlich gegebene 
aufzufassen. Gesunde Sinnlichkeit geht immer mit zärt- 
lichen und freundsciiaftliciien Gefühlen einher. Wer 
seine Sexualität unverdorben entwickeln konnte, ist un- 
fähig, Geschleditsverkehr zu haben, wo keine persön- 
liche, zärtliche oder kameradschaftliche Beziehung vor- 
handen ist. Es ist ein Irrtum, daß die natürliclie 
Sexualität, die einheitlidtie sinnliciie und zärtliciae Liebe 
je zur „Glaswassertheorie" führt oder führen kann. Es 
ist dabei für uns gleichgültig, ob sinnliciie Anziehung 
zur Kameradschaft oder umgekehrt Kameradsdiaft zur 
körperliciien Befriedigung führt. 

Wir sind der Überzeugung, daß die Frau nicht von 
Natur aus im Vergleidi zum Manne minderwertig ist, 
sondern durch Jahrtausende alte Unterdrückung im 
Wirtschaftlidien und Sexuellen zu wirkliciier Minder- 
wertigkeit gebradit WTirde. Da die soziale Revolution 



82 



die politis(iie und sexuelle Versklavung der Frau auf- 
Lebt, begründet sie audi die völlige geistige Kamerad- 
sdiaft der Gesdilediter. Unter Kameradscbaft können 
wir entweder eine Beziehung auf Grund gemeinsamer 
geistiger Interessen oder gute Freundsdiaft audhi ohne 
solche gemeinsame Interessen, rein auf Grund sexuellen 
Zusammenpassens verstehen. Es kann audi gute 
Kameradschaft z\v-isdien Jungen und Mädel ohne ge- 
schlechtlidie Beziehungen geben; wo diese aber bestehen, 
erhöht die geistige Kameradsciiaft die sexuelle Befriedi- 
gung ganz besonders. Es wäre aber falsch zu fordern, 
daß man nur dann eine sexuelle Beziehung eingehen 
darf, wenn audi Kameradsdiaft im Sinne geistiger Inter- 
essengemeinchaft vorhanden ist. Im Jugendalter führt 
sehr oft erst eine sexuelle Freundsciiaft zur geistigen 
Kameradsdiaft. Die proletarisdie Jugendbewegung 
wäre heute nodi viel weiter als sie ist, wenn unsere 
Jungens und Mädels ihre sexuellen. Ereundsdiaf ten audi 
konsequent zur politischen Kameradsdiaft auszubauen 
verstünden. Wenn wir so oft sehen, wie unsere prole- 
tarisdien Jungens untereinander politische Kamerad- 
schaft pflegen, die Mädels aber nur zu sexuellen Zwedcen 
anerkennen, ja wenn wir ganze Gruppen finden, die 
Mädels entweder niciit aufnehmen oder aussdiließeu, so 
müssen wir wissen, daß das bürgerliche Abspaltung der 
geistigen von den sexuellen Interessen ist, die unsere 
Reihen sdiwädit und zersplittert. 

Ferner liegen die Dinge nodi sehr sdiwierig, denn 
die Mädels sind durdi die sexuelle Erziehung, die sie 
heute genießen, und zwar audi in der proletarisdien 
Familie, vom Jungen sexuell viel mehr abhängig als er 
von ihr. Und eine Liebesbeziehung bedeutet für das 
durchschnittliche Proletariermädel nidit nur körperlidi 
sondern auch seelisdi viel mehr als für den Jungen. Es 
bedeutet also ein Stück Verantwortung für den Jungen, 

83 



wenn er eine Beziehung mit einem Mädel eingeht. Auf 
dieses Stüdc Verantwortlichkeit, das nidits zu tun hat 
mit der sentimentalen Predigerei der Moralisten und 
Kultursdiwätzer, kann heute unter den kapitalistisdien 
Bedingungen des Gesdileditslebens wegen der materiel- 
len und seelischen Abhängigkeit des Mädels, wegen der 
Gefahr der Schwängerung und des Selbstmordes aus 
unglücklicher Liebe und anderen widitigen Gründen 
nicht verziditet werden. Solange die Mädels und die 
Jungens so unklar und sexuell gesdiädigt sind, wie wir 
sie heute antreffen, muß man fordern, daß kein Junge 
ein Mädel zum G es dilechts verkehr zwingt; daß er, 
wenn er eine Beziehung eingeht, genau wissen und mit 
dem Mädel auch genau darüber gesprochen haben muß, 
ob sie imstande ist, eine Trennung zu ertragen, ohne in 
Depression zu verfallen. Wir lehnen den Standpunkt, 
daß der Junge das Mädel heiraten muß, wenn er mit 
ihr Gescileditsverkehr hatte, natürlich ab, vertreten 
aber dafür den anderen, daß er niemand ins Unglüdk 
stürzen darf. Eine durdi Zwang oder unehrlidie Kniffe 
zustandegekommene Geschleciitsbeziehung bietet ge- 
wöhnlich niciit das, was beide Teile an geschlechtlicher 
Befriedigung anstreben. Man darf also die Frage nicht 
von einem moralisch abstrakten, sondern muß sie vom 
sexual-ökonomischen Standpunkt aus beurteilen. 

In politischer Hinsicht gilt im Kapitalismus in erster 
Linie, daß wir die Jugend zum äußersten entsdilossen 
und kampffähig machen müssen. Man muß also aucii 
von diesem Standpunkt aus die Roheit bekämpfen; denn 
sie schädigt die revolutionäre Arbeit, indem sie Jungens 
und Mädels trennt und oft zu Gegnern maciit. Wir 
können an den sexuellen Beziehungen der Jugend in 
der Sowjetunion sehen, daß nach der sozialen Revolution 
solche Mahnungen in dem Maße überflüssig werden, wie 
bei der Jugend natürliche und selbstverständliche An- 



84 



sdiauungen über das Gesdileditsleben Platz greifen. Die 
immer reidier und besser werdenden Möglidikeiten 
zur Befriedigung der Sexualität (Hebung des kul- 
turellen Lebens der Massen, Verkürzung der Arbeits- 
zeit, Steigerung des Lohnes, Wegfall der Überarbeitung 
und der zermürbenden Arbeitslosigkeit, steigende 
Wohnkultur, sexuelle Fürsorge usw.) beseitigen die 
sexuelle Gier und Brutalität, mit ihnen aber audi die 
Notwendigkeit, ständig zur Verantwortung zu mahnen. 
Sexuelle Verantwortlichkeit ist bei gesundem, befriedi- 
gendem Gesdileditsleben automatisdi vorhanden. 

Aus der Unterdrüdcung, Moral predigerei und Heim- 
lidituerei entstehen nur Sdiwierigkeiten, ohne daß der 
Gesdileditsverkehr tatsädilidi verhindert wird. 

Es gibt unendlidi viele Sdiwierigkeiten der kame- 
radsdiaftlidien Beziehungen in der Jugend, die teils in 
den verheerenden Wirkungen der äußeren Lebens- 
bedingungen, der proletarisdien und kleinbürgerlidien 
Jugend, teils in der inneren sexuellen Struktur unserer 
Jugend überhaupt begründet sind. Die inneren Sdiwie- 
rigkeiten, die ja letzten Endes von der kapitalistisdien 
Sexualerziehung erzeugt werden, umfassen nidit nur 
die proletarisdie Jugend. Dagegen lasten die äußeren 
Sdiwierigkeiten fast aussdiließlidi auf den Jugend- 
lidien der werktätigen Kreise. 

Idi fragte einmal in einer Fidbtegruppe die Jun- 
gens, wie es denn mit dem Gesdileditsverkehr und den 
Mädels steht, was sie als die größte Sdiwierigkeit be- 
traditen. Die Jungens antworteten, daß neben dem Man- 
gel an Gelegenheit und Empfängnisverhütungsmitteln 
die große Sdiwierigkeit ihnen viel zu sdiafFen gäbe, daß 
die Mädels „soviel Gesdiiditen madien", sidi allzu lange 
bitten lassen und daß die Jungens dazu weder Zeit nodi 
Lust hätten und nur darunter litten. Idb. bat nun die 
Mädels, ihren Standpunkt zu vertreten. Eine von ihnen 



85 



meinte, die Mädels würden ja selbst gerne den Ge- 
sdileditsverkehr aufnehmen, aber sie fürditeten sidi 
davor, denn die Jungens gingen meist wie die wilden 
Tiere drauf los, sie stürzten sidi einfadi auf die Mädels 
und nadiher kümmerten sie sich nidit mehr um sie oder 
sie redeten untereinander „sdiledit" über die Mädels. 
Dieses eine Beispiel beleuchtet grell die Situation, 
wie sie heute in der Jugend vielfadi ist. Das ist weder 
die Sdiuld der Jungens nodi der Mädels, sondern ein- 
fadi und klar das Ergebnis des Widerspruches zwischen 
der drängenden jugendlichen Sexualität und der sexual- 
unterdrückenden und heimlichtuerischen Erziehung. 
Gäbe es keine doppelte Gesdilechtsmoral und keine 
stärkere sexuelle Unterdrüdüung der Frau in der kapi- 
talistischen Gesellsdiaft, hätte die Jugend reciitzeitig die 
Wahrheit erfahren, daß die sexuelle Befriedigung nidit 
nur eine Bedürfnisbefriedigung, wie das Essen und das 
Aufs-Klosett-Gehen ist, sondern daß von der Art ihres 
Sexuallebens wie von der Art ihres materiellen Lebens 
ihre geistige Entwicklung, ihre Lebensfxische, Arbeits- 
fähigkeit und Kampfesfreude ganz wesentlicii mitbe- 
stimmt werden, hätten sie verstehen gelernt, daß die 
Sexualität eines Mensdien und ihre Befriedigung in 
diesem Alter kein Kinderspiel mehr ist, solche Dinge 
kämen nidit vor. Womit haben wir es bei diesem Bei- 
spiel zu tun? Soldie Jungens verachten offen oder 
geheim die Mädels, obwohl sie sich zu ihnen hingezogen 
fühlen. Das Prinzip der Trennung der Gesdilechter im 
Bürgertum hat die Jungens in besseres Einvernehmen 
zu Jungens als zu Mädels gebracht. Die Mädels wieder 
fühlen sich zurückgesetzt, haben viel mehr sexuelle 
Angst und Sdieu entwidcelt als die Jungens, was ihre 
sexuellen Wünsche keineswegs verringert, sondern nur 
ihren Konflikt mit diesen Wünsdien verstärkt. Wenn 
die Jungens die Mädels offen oder geheim gering- 



86 



sdiätzen, -wenn die Mädels vielfadi Angst vor dem Ge- 
sdileditsverkelir haben, wenn die Jnngens sidx nachher 
untereinander ihrer Erlebnisse rühmen und sdiledit über 
die Mädels sprechen, wenn dazu sdiließlidi die starke 
sinnliche Anziehung der Gesdilediter und der Drang 
nadi sexueller Bedürfnisbefriedigung hinzutreten, so 
kann unter soldien Widersprüdien eben nidits anderes 
herauskommen, als daß die Jungens sieht wie Tiere auf 
die Mädels stürzen und die Mädels „Geschiiditen 
machen". 

Es wäre ein großer Fehler zu glauben, daß das un- 
interessante Privatangelegenheiten sind, denn sie wur- 
zeln in unserer kapitalistischen Sexualordnung und Er- 
ziehung, sie verderben unsere Jugend und maciien sie 
überdies sehr oft kampfunfähig. Diese Frage geht uns 
also sehr an. Wir müssen in unseren Organisationen 
eine freiere Atmosphäre schaffen, Jungens und Mädels 
müssen sich offen darüber aussprechen können, wie sie 
zueinander stehen wollen, was sie aneinander nidit 
mögen, das wird die beste Grundlage für eine nidit 
phrasenhafte, sondern edite Kameradsdiaft zwischen 
Jungens und Mädels sein, für den gemeinsamen Kampf, 
den unsere Jugend heute und in der näciisten Zeit immer 
verantwortungsvoller gegen das Ausbeutungssystem des 
Kapitalismus zu führen haben wird. 

Besonders brennend in den Jugendgruppen ist das 
zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen Jungens und 
Mädels in den Gruppen, wobei meist die Mädels in der 
Minderzahl sind. Wir werden auf die organisatorisdie 
Seite dieser widitigen Frage im letzten Absdinitt 
zurückkommen und wollen uns hier nur die Sdiwierig- 
keit und ihre Ursachen selbst klarlegen. Ein jugend- 
lidier Führer aus einer Rote-Falken-Gruppe bericiitet: 

„In unserer Gruppe ist das Zahlenverhältnis der Jun- 
gens zu den Mädels wie 3 : 1. Das ist für das Gruppenleben 

87 



und den einzelnen ein unhaltbarer Zustand. Die Hälfte der 
Mädels hat dauernd bestimmte Burschen in der Gruppe 
oder in der Bewegung. Diese Jungens sind meist Genossen, 
die keine Hemmungen haben. Und daher haben diese Paare 
ein geregeltes Gesdüedit sieben. Nur in einzelnen Fällen ist 
es vorgekommen, daß zwei befreundete Jugendliche so 
starke Hemmungen hatten, daß sie nie zusammen waren 
(das heißt Gesdilettts verkehr hatten). Das war darauf zu- 
rüdczuführen, daß der Junge Angstgefühle hatte oder „sicii 
nicht traute" oder das Mädel nodi bürgerliciie Ehevorstel- 
lungen hatte oder auch Angst vor dem Akt. Der Rest der 
Jungen oder Mädels, die keinen Partner haben, sudit nun 
ein Mädel oder einen Jungen aus der Bewegung. Bei vielen 
Mädeln artet es derart aus, daß sie dieses Gefühl der Jun- 
gens merken und darauf pociiend von einem zum andern 
wandern, heute auf Fahrt den, morgen jenen nehmen. 
Diese Jungen, die fast alle überspannt sind, sind auch 
dankbare Partner. Idi kann am besten die Gefühle der 
Jungens sdiildern, da idi genau dieselbe Entwicklung durdi- 
mac£te. Das dauernde „Ohne-Mädel-Sein" entwickelt beim 
Jungen Minderwertigkeitsgefühle; er beginnt sich mit den 
anderen, die Partner haben, zu vergleichen und bildet sich 
nun diesen oder jenen Fehler ein. Diejenigen, die mal hier 
und dort auf Fahrt ein Mädel finden, sind unbefriedigt. Da 
nur der Körper befriedigt wird, werden sie seelisch Eigen- 
brötler oder sie fangen an, mit sexuellen Erlebnissen zu 
protzen und oft wollen sie mit Gewalt ein Mädel finden, 
gehen auf Tanzböden oder in ähnliche Vergnügungsstätten, 
finden dort ein bürgerlidies Mädel und gehen dann der 
Bewegung verloren. Oft versuchen die auch durch starke 
Arbeit in der Bewegung ihre Sexualität zu unterdrücken; 
dadurch gelingt es manchen, ihr sexuelles Minderwertig- 
keitsgefühl durdi das Gefühl des Wertes in der Gruppe zu 
iiberwinden. Was nützt uns die beste Aufklärung, wenn 
wir keine Partner haben, und wenn wir ideologisdi so 
denken, daß wir nur ein Fichtemädel haben wollen?" 

Diese Sdiilderung gibt klar eine Situation in der 
Jugend wieder, die fast alle Gruppen beherrscht. Fassen 
wir zusammen: ' - t . . _ 

1. Soweit Partner gefunden werden, ist das Ge- 
schleditsleben der Jugendlidien geregelt; es bestehen 
keine Schwierigkeiten. 

88 



2. Die Jungens „ohne Mädels" sind „tiberspannt", das 
heißt nervös; die Mädels merken diesen Zustand und 
werden dadurch aus ihren festen Beziehungen heraus- 
gerissen, da sie si<h diesen Jungens hingeben. Wir sehen 
hier deutlidi eine UrsacLe für ungeregelten Geschledits- 
verkehr, der weder geistig noch körperlidi befriedigt. 
Dabei wollen wir noch einmal betonen, daß wir unter 
„geregelt" nidit ewig treu sondern befriedigend ver- 
stehen. Dem Bericht dieses Jugendführers muß nodi 
angefügt werden, daß solche Jungens sehr gefährdet 
sind, wenn sie nicht bald doch einen Partner finden, 
denn die aktuelle Unbefriedigtheit produziert in ihnen 
nicht nur sexuelle Minderwertigkeitsgefühle und Prahl- 
suciit, treibt sie nicht nur aus der Organisation hinaus, 
sondern veranlaßt bei der geringsten Veranlagung zu 
einer seelischen Erkrankung, die ja meist in der Kind- 
heit erworben wurde, ein Überwuchern der sexuellen 
Phantasietätigkeit sowohl der bewußten wie insbeson- 
dere der unbeMTißten, auf deren Grundlage sich dann 
in Verbindung mit Onanieschuldgefühlen schwere 
Sexualstörungen herausbilden können. Es ist daher für 
solche Jugendlidie wichtig, so früh als möglich in die 
Beratungsstelle zu kommen, die in Verbindung mit der 
Organisationsleitung die nötigen Schritte unternehmen 
kann, um dem Jugendlichen Klarheit zu geben und die 
Partnerfrage in der Organisation zu lösen. Je früher 
der Jugendliche Klarheit bekommt und die Organisa- 
tion die Sadie berücksichtigt, desto geringer ist die Ge- 
fahr für später. Je länger der Zustand der Verein- 
samung dauert und sicii in dieser oder jener Weise zu 
äußern beginnt, desto notwendiger wird eine umständ- 
liciie Behandlung, die heute im Kapitalismus für die 
Masse der Jugendlichen nicht in Betradit kommt. 

3. Wenn solciie Jungens den Ausweg darin suchen, 
daß sie auf Tanzböden bürgerlichen Mädchen nachren- 



89 



neu, so darf man nidit glauben, daß siA dadurdi für 
den Jungen subjektiv wirklidi ein Ausweg gefunden 
hat; es ist falsdi anzunehmen, daß, was auf den Tanz- 
böden an sexuellen Erscheinungen wie echtes Gold 
glitzert, auch wirklich edtites Gold ist. Eingehende Er- 
fahrung lehrt, daß je mehr die sexuellen Erscheinungen 
sich in einer Gesellschaftsgruppe vordrängen, desto ge- 
störter, zerrissener, unbefriedigender für jeden einzel- 
nen das Geschlechtsleben im Innern und in Wirklichkeit 
ist. Wir sehen davon ab, daß überdies der klassen- 
bewußte proletarische Junge sich innerlich Gewalt an- 
tun muß, wenn er sidi den kleinbürgerlichen Unterhal- 
tungszirkeln mit ihrer Konvention anpassen will. 

Ein Gruppenleiter aus Neukölln, mit dem ich über 
diese Frage sprach, meinte, daß der proletarische 
Jugendliche sich keinerlei Gewalt antue, wenn er sidi 
den kleinbürgerlichen Unterhaltungszirkeln mit ihren 
Konventionen anpaßt, denn er stehe mitten drin; es 
sei das Bedürfnis dieser Art von proletarischen Jugend- 
lichen, der Bourgeoisie alles nachzuäffen, in Kleidung, 
Tanz, Gesellschaftsmanieren usw. Deshalb sei es auc^ 
der proletarisdien Jugendbewegung schwer möglich, 
diesen Typ der Jugend für sich zu gewinnen. 

Ich glaube, dieser Genosse sieht die Sachlage zu 
einfach. Viele von den proletarischen Jugendlidien, die 
politisch von der revolutionären Bewegung nicht gut 
genug oder gar nicht erfaßt sind, haben einen Wider- 
spruch in sich. Ihre proletarische Daseinsweise madit 
sie einerseits ganz anders als den bürgerlichen Jugend- 
lichen, sciiafft in ihnen einen revolutionären Kern, der 
sich in Denken, Gang und Haltung ausdrüdct. Sie sind 
aber gleichzeitig der bürgerlichen Umgebung der Tanz- 
böden usw. ausgesetzt und versuchen nun dort» bürger- 
liche Lebensart zu imitieren. Das ist ein Widerspruch, 
der beim bürgerlichen Jugendlichen fehlt und den pro- 



90 



letarisdien Jugendlidien in soldien Situationen ver- 
krampft madat. Und das drüdcte der Genosse axuh 
selbst aus, wenn er sagte: 

„Dort (auf den Tanzböden) sitzen die proletarisdien 
Jungen und Mädels wie Puppen, einerseits um ihren baum- 
wollenen Stoff nidit zu knüllen, anderseits um eine gute 
gesellsdiaftlidie Haltung vorzudemonstrieren. Alles sieht so 
unbeholfen- lächerlich aus, und sie erkennen ihre eigene 
Lädierlidikeit nidit. Es ist eben Mode, denn so madit es 
audi der Bourgeois." ■ 

Es ist unsere Aufgabe, soldie Widersprüdie zu ver- 
stehen und Methoden ausfindig zu madien, sie zu lösen, 
den Jugendlichen dieser Art Klarheit zu bringen und sie 
in unsere Reihen einzuordnen. Darauf werden wir im 
letzten Absdinitt nodi eingehen. 

4. Der erste Jugendgenosse hat vollkommen recht, 
wenn er sagt, daß die beste Aufklärung uidits nützt, 
wenn man keine Partner finden kann, und er hat redit, 
daß die Sctiditung der Gesellscbaft in verschiedenst - 
artige Gruppen die Partnerwahl erschwert. Aber so- 
w^ohl das erste wie das zweite sind Grunderscheinun- 
gen des kapitalistischen Gesellschaftssystems und in 
diesem nicht zu beseitigen. Die Jugend leidet sexuell 
so schwer, weil eben ihre reifwerdende Sexualität mit 
den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen im 
schärfsten Widerspruch steht sowohl was die vorange- 
gangene Erziehung als auch was die gegenwärtigen ge- 
sellschaftlichen Umstände anbelangt. 

Eine weitere Schwierigkeit der proletarischen 
Jugendorganisation ist das Cliquenwesen. Ein Jugend- 
funktionär berichtet: 

„Als icii die Leitung einer Fichte- Jugendgruppe in 
Neukölln übernahm, bestand dort eine Clique von Jungens 
und Mädels, alles geeignete Jugendfunktionäre. Alle Ge- 
nossen zwischen 16 und 18 Jahren. Es war aber ein unge- 
sundes Verhältnis. Die Mädels wurden von den Jugend- 
genossen nicht ernst genommen. Witze und gegenseitige 

91 



stänkereien führten die Trennung zwischen Jungens und 
Mädels herbei. Die Mädels isolierten sidi, machten selb- 
ständig Fahrten und waren ebenfalls nicht mehr zur weite- 
ren Jugendarbeit zu überreden. Die Jungens konnten sich 
nicht erklären, warum die Mädels nicht mehr zu ihnen 
kamen. Zu irgendeinem Gruppenvergnügen tanzten die 
Mädels immer mit fremden, auBerhalb der Organisation 
stehenden Jugendlichen. Auch in der Jugendarbeit lienen 
die Genossen von Monat zu Monat nach, man konnte sich 
nicht mehr auf sie verlassen. Seit einigen Monaten sind 
diese Genossen nun zu den „Roten Pfadfindern" überge- 
gangen. Das ungesunde Verhältnis zwischen den Genossen 
und Genossinnen führte zur Trennung. Die Genossen ver- 
standen nicht die Beziehungen zu den Mädels, die den 
Willen zum kollektiven Zusammenleben hatten, weiter 
auszubauen." 

Mit solchen Erscheinungen muß man sich ein- 
gehend beschäftigen, denn sie sind die sich^eren Anzei- 
chen des bevorstehenden Zerfalls der Gruppe. Sie 
haben, soweit wir die Sadilage überblicken können, 
zweierlei Gründe: Erstens die allgemeine Gering- 
sdiätzung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft, die 
mit der für die Privatwirtschaft wichtigen Vorherrschaft 
des Mannes zusammenhängt. Diese Geringschätzung 
der Frau nehmen die Jungens von früher Kindheit in 
sich auf. Die Klassengesellschiaft erzieht die Jungens 
von klein auf für die Zwecke der patriarchalischen 
Familie, die wir im Abschnitt V behandeln werden. 
Zweitens wirkt hier oft entscheidend die systematiscte 
Trennung der Gesdiledhter und die Unterdrückung der 
geschlechtlichen Beziehungen zwischen Jungens und 
Mädels im Sinne der Entwicklung starker homosexuel- 
ler Bindungen der Jungens untereinander, so da-ß 
Cliquen von Jungens hier und Mädels dort entstehen. 
Hier ist systematische, politische und sexuelle Aufklärung 
über die Absichten der Klassengesellschaft von entschei- 
dender Bedeutung. Wir kommen auch auf diejenigen 
organisatorischen Fragen, die damit zusammenhängen. 



92 



im letzten Absdinitt zurück und fügen hier gleidi einen 
w^eiteren Beridit desselben Jugend funktionärs an, weil 
er die äußeren Sdiwierigkeiten beleuAtet, die diese 
Cliquensituation verschärfen: 

„In einem anderen Falle wurde eine Fahrt nadi X, an- 
gesetzt. Wir hatten beschlossen, in einer Jugendherberge 
zu übernaditen. Eine Woche später setzte heftiger Protest 
ein, warum wir nidit in einer Sdieune schlafen. Da wir nun 
einmal die Herberge angemeldet hatten, konnten wir das 
nidit mehr zurückziehen. Das Resultat war, daß zwei Grup- 
pen sidi selbständig absonderten und in einer Scheune 
schliefen. Für die Zukunft forderten sie, daß wir immer in 
einer Scheune schlafen, da man in der Jugendherberge zu 
eng gebunden ist. Man muß um zehn Uhr sdilafen gehen, 
man muß Rüdcsicht nehmen auf andere Gruppen usw. Wir 
sehen, daß der sexuelle Drang stärker ist als die Disziplin. 
Zu bemerken ist, daß es in den meisten Fällen Mädels 
waren, die forderten, in einer Scheune zu schlafen." 

Hier bildete sicii die Clique, weil die Jugendlichen 
in der Herberge nidit gesdileditlicii verkebren konnten, 
während sie in der Sdieune ungestört waren. Denkt 
man daran, unter welchen sciieußliciien Bedingungen 
sich das Gescbleditsleben der Jugend in der Stadt ab- 
spielt, was für Schäden daraus entstehen, so muß man 
begreifen, daß die Jugendlichen die Raumfrage auf 
diese Weise zu lösen versuchen. Wir werden daher 
gegen diejenigen, die sich heute über solche Vorgänge 
entrüsten und sie verbieten, jederzeit auftreten. 

Bei dieser Frage spielt ganz wesentlich mit, daß 
die Jugend spürt, >vie gering ~ entsprechend ihren 
Bedürfnissen ~ das Verständnis ist, das die Erwach- 
senen ihnen im allgemeinen entgegenbringen. Die 
Jugend will sich auch ihre Partner nicht von Älteren 
rauben lassen. Dagegen kommt der einzelne verständ- 
nisvolle Jugendleiter schwer auf. Wir konstruieren also 
nicht diesen Gegensatz zwischen Jugend und „Alter", 
er sitzt in unseren Reihen. Es bleibt kein anderer Weg, 



95 



wenn man nidit ins Leere reden will, als die Tatsadie 
der Gesdileciitsreife anzuerkennen und ihr medizinisdi 
und politisdi Redinung zu tragen. Wenn unsere prole- 
tarisdien Jugendlieben sdion innerlich durdi die genos- 
sene Erziehung und äufierlidi durch Ausbeutung, Hun- 
ger, Prügelstrafe in Fürsorgeheimen usw. zerrüttet sind, 
so dürfen wir nidit noch Moralin verschreiben, was gar 
nichts nützt und diese Jugend nur zu unseren Feinden 
statt zu Feinden des Kapitals macht. Wir müssen alles 
berücksichtigen, auch unsere eigenen sexuellen Hemmun- 
gen, wenn wir den so sehr störenden Gegensatz von 
Jugendliciien und Erwachsenen, Jungens und Mädels, 
Gruppenmitgliedern und Gruppenleitern aufheben und 
in eine geschlossene Front gegen den einzigen Feind, 
das Kapital und seine Knechte, verwandeln wollen. Wer 
diese Dinge nicht sehen will oder kann, wie sie sind, wer 
bürgerliche Moral und Predigten verzapft, macht sidi 
zum Feind der Jugend als unbewußter Vertreter des 
Kapitals. Er muß bekämpft werden, denn er stört den 
Zusammenschluß der werktätigen Jugend zum Kampf 
gegen den Klassenfeind. 

Ein besonders grauenhaftes Kapitel kapitalistischer 
Ordnung ist die Fürsorgeerziehung. Welch führende 
Rolle dabei die Verworrenheit in der Sexualfrage der 
Jugend und der Erzieher spielt, haben ja die Fürsorge- 
prozesse (Fall Scheuen usw.) gezeigt. Hier nur ein Bei- 
spiel, das der proletarischen Jugend klarmachen kann, 
^vie sehr die sexuelle Frage eine Frage ihrer politischen 
Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft ist. 

Im Juli 1951 brachen aus einer Fürsorgeanstalt in 
der Nähe Berlins, in der sich Mädels etwa im Alter von 
vierzehn bis neunzehn Jahren (und neun „Erzieherin- 
nen"!) befanden, sechs Mädels aus. Es gab unausgesetzt 
Streit und Prügeleien zwischen Zöglingen und Er- 
zieherinnen. Was war der wirkliche Grund? Die Mädels 



94 



hatten sämtlidi Gesdileclitsverkehr mit den Jungens aus 
der Umgebung. Sie gingen meist abends fort und kehr- 
ten erst spät nachts gewöhnUdi durdi die Fenster heim. 
Mandie dieser Mädels verkehrten jede Nadit mit ande- 
ren Jungens. Einige hatten dauernde Beziehungen. 

Von Verhütungsmitteln hatten weder die Mädels 
noch die Jungens eine Ahnung, ebensowenig von den 
Möglidikeiten, sich gegen GJeschlechtskrankheiten zu 
schützen. Es gab unter den elf Mädels vier, die ange- 
steckt waren und einige waren auch schwanger ge- 
worden. Die Erzieherinnen hatten untereinander homo- 
sexuelle Beziehungen, die die Mädels, was durch die 
Lage der Lokalitäten begünstigt wurde, direkt beobach- 
ten konnten, ohne daß die Erzieherinnen es ahnten. Es 
gab audi Beziehungen zwisdien Erzieherinnen und Zög- 
lingen. Durch die Beobachtungen wurden die Mädels 
immer sehr erregt und bekamen erst wieder Ruhe, wenn 
sie mit ihren Jungens verkehrt hatten. Viele von ihnen 
waren aber sexualgestört, so daß sie diese Beruhigung 
nicht erfuhren. Zwei Mädels waren homosexuell. 
Manche der anderen, die mit Jungens verkehrten, wur- 
den immer selbst homosexuell erregt, wenn sie die 
Beobadbitungen machten. Der Zusammenhang ihrer Er- 
regtheit mit ihren provozierten, aber nicht zu Bewußt- 
sein kommenden homosexuellen Neigungen war ihnen 
nicht bewußt, wohl aber war ihnen klar, daß die Krachs 
mit den Erzieherinnen vom Zustand ihrer sexuellen 
Spannung abhingen. 

Einmal forderten sie von der Leitung einen auf- 
klärenden Vortrag über Geschlechtskrankheiten. Man 
redete lange um die Sadie herum, der Vortrag kam nicht 
zustande. Darauf entstand eine Revolte, bei der alle 
Fensterscheiben zerschlagen und die Erzieherinnen ver- 
prügelt wurden. Die Leitung kümmerte sich um das 
zentrale Problem dieser Mädels, ihre Sexualität, gar 



95 



nidxt, und dies, obwohl man wußte, welche Rolle die 
behinderten sexuellen Bedürfnisse bei den Zusammen- 
stößen mit den Erzieherinnen spielten. Wurde ein 
Mädel erwischt, so wurde sie am nädisten Tag ärztlich 
untersucht. Das war der Weisheit höchster Schluß. 

Die Mädels waren nictt sdileciit verpflegt, aber die 
Prügelstrafe veranlaßte sie zu den Revolten und zum 
Ausbruch. Es gab auch immer wüste Szenen, wenn ein 
Mädel in den Arrest sollte. Es ist wesentlidi, daß nadi 
Angabe der Mädels die Streitereien zum Teil von ihnen 
selbst provoziert waren, und zwar immer dann, wenn 
sie sith. durch die Anstaltsmas ciiinerie in ihrem Sexual- 
leben behindert fühlten. 

Wer hatte hier die Schuld? Die Mädels? Auf kei- 
nen Fall. Sie bestanden auf dem guten Redit ihrer 
natürlidien Sexualität. (In den Fürsorgeanstalten ist 
bekannt, daß die Schwierigkeiten immer dann beginnen, 
wenn die Geschlechtsreife einsetzt, also wenn die Mädels 
zu menstruieren anfangen.) Waren die Erzieherinnen 
schuld? Nein, denn sie durften ja selbst ihr Sexualleben 
nicht öffentlich leben und mußten sicii daher mit dem 
Ersatz der Homosexualität begnügen. Schuld war einzig 
und allein diese verruchte Ordnung, die in Form von 
über „Kultur" und „Volkswohl" schwätzenden Bestien 
junge, gesunde Mädels wild und die Erzieherinnen zu 
Tierbändigerinnen mactte. Und schuld sind alle jene 
hohen und überklugen Wissenschaftler, die dicke Büdier 
über die „Objektivation der immanenten Prinzipien des 
transzendentalen perzipierenden Aktwillens der phäno- 
menalen Konfusionsphonetik des mensdiliciien Geistes" 
sciireiben, die Prediger der „Kulturpubertät", die 
Schwätzer von Geistesgnaden, sämtlich eitle, unwissen- 
schaftliciie Knechte des Kapitals, die die Wissenschaft 
einzig und allein zur Ablenkung von der Wirklichkeit 
mißbrauchen und gerade deshalb in Rang und Ehren 



96 



sind. Sdiuld sind die sozial demokratisdien Obrigkeiten 
mit ihrem von Gefühlsduselei triefenden Liberalis- 
mus, der den ganzen Schmutz raffinierter Volksverfüh- 
rung mit dem Gloriensthein des Sozialismus umkrän- 
zen will. Der eine Ausspruch eines Mädels aus der An- 
stalt: „Wer da hinein kommt, tut mir bitter leid", 
spricht das Urteil über diese Geißel der schwer arbei- 
tenden und leidenden Bevölkerung. 

Die sexuellen Zustände in diesen Anstalten sind ja 
nicht anders als die in den Zuchthäusern. Und die 
Lösung ist so einfach, wie die, die in der Sowjetunion 
getroffen wurde: Verniditung des kapitalistischen 
Staatsapparats und Unschädlichmachung eines jeden, 
der sich gegen die Befreiung von diesen Verbrechen 
stemmt. Dann wird Platz für alle Maßnahmen, die es 
gar nicht zu einer Fürsorgeerziehung kommen lassen. 



97 



V. DER SINN DER UNTERDRÜCKUNG 

DES GESCHLECHTSLEBENS DER 
JUGENDLICHEN IM KAPITALISMUS 

Weldie Zusammenhänge bestellen zwisdien der 
kapitalistisdien Gesellsdiaftsordnung, ihrer Sexualord- 
nung und der Art und Weise, in der sie die Gesdiledit- 
lidikeit der Jugend behandelt? Weldien Sinn hat die 
sexuelle Unterdrüdkung der Jugend? 

Die meisten Jugendlidien, mit Ausnahme der ganz 
klassenbewußten proletarisdien, nehmen die Tatsadie 
der Unterdrüdtung ihres Geschleditslebens durdi die 
kapitalistisdie Gesellsctiaft als eine Selbstverständlidi- 
keit hin, als etwas, was sidi so und nidit anders gehört. 
Gehen wir aus vom Vergleich der wenigen Jugend- 
lichen, die ein befriedigendes Liebesleben führen, mit 
den anderen, die sich vom Einfluß der bürgerlichen 
Familie sowie Sciiule und Kirclie nidit frei macben konn- 
ten und entweder enthaltsam leben, sich selbst befriedi- 
gen oder aber sieb gelegentlich in eine sogenannt pla- 
toniscbe Liebe verstricken und in Tagträumerei ver- 
sinken. Wir werden dann sofort feststellen können, daß 
die in sexuellen Dingen klarer denkende Jugend, die 
vorwiegend aus dem Proletariat stammt, gegen das 
Elternhaus, gegen die Schule und gegen die Kirdie offen 
rebelliert, während die sexuell gehemmten Jugend- 
lichen — dem Kern nach aus dem Kleinbürgertimi stam- 
mend — meist sehr „brave" Söhne und Tödbter sind. Das 
ist niciit zufällig, sondern hat seinen guten Sinn. Familie 
und Schule sind heute nämlicii, politiscb gesehen, nichts 
anderes als Werkstätten der bürgerliclien Gesellsdiafts- 
ordnung zur Erzeugung braver, gehorsamer Untertanen. 
Der Vater in seiner üblidien Gestalt ist der Vertreter 
der hürgerlidien Obrigkeit und Staats&uiorität in der 



98 



\ 



Familie, Dieselbe gehorsame und untertänige Stellung, 
die der Vater von seinen Kindern verlangt, wenn sie 
klein oder jugeudlidi sind, fordert die staatlidie Autori- 
tät von den Erwadisenen. Kritiklosigkeit, Niciitauf- 
mutkendürfen, Keine-eigene-Meinung-haben kennzeidi- 
nen die Beziehung der familiär treuen Kinder zu den 
Eltern ebenso wie die der obrigkeitstreuen Angestell- 
ten und Beamten zum Staat und der nodi unaufgeklär- 
ten, nicht klassenbewußten Arbeiter in der Fabrik zum 
Fabrikleiter oder Fabrikbesitzer. In dem Maße, wie sidi 
in der proletarisdien Familie die Klassenbewußtheit ent- 
widtelt, verändert sich auch die Einstellung der Elteru 
zu den Kindern, wenn auch von allen bürgerlichen Ein- 
stellungen am sdiwersten und zu allerletzt. 

Der Zusammenhang mit der Sexualunterdrückung 
ist folgender: Die Unterdrüdtung der sexuellen Span- 
nungen und Wünsche erfordert bei jedem einzelnen ein 
großes Maß an seelisdier Energie. Das hemmt und be- 
einträditigt die Entwidilung der Aktivität, des Ver- 
standes und der Kritik. Je ^ gesünder und kräftiger 
sich dagegen die Sexualität entfaltet, desto freier, akti- 
ver und kritischer wird man auch sonst iu seinem Ver- 
halten. Aber gerade das darf ja im Kapitalismus nicht 
sein, der die Autorität und Tradition sdiärfstens ver- 
tritt. Die Einsdiränkung der geistigen Bewegungsfrei- 
heit und Kritik durdi sexuelle ünterdrüdcung ist einer 
der Toiditigsten Zroedce der hürgerlidien Sexualordnung. 

Es hat daher auch seinen guten Sinn, daß das Bür- 
gertum mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung 
stehen, für die Aufrechterhaltung und Stärkung der 
Familienmoral eintritt. Denn die bürgerliche Familie 
ist, wie gesagt, vor allem seine Untertanenfabrik. 

Die Enthaltsamkeitsmoral wird besonders streng in 
der Geschlechtsreife gefordert, weil die Jugend gewöhn- 
lich gerade in diesem Alter gegen das Elternhaus zu 

99 



rebellieren beginnt; die sexuellen Interessen und Kräfte 
jedes einzelnen leimen sidi gegen die Unterdrü<ker auf. 
Die Zeit der Gesdileditsreife ist gerade diejenige, in der 
es fast ausnahmslos in allen Familien zu den sdiärfsten 
Konflikten zwisdien den Jugendlidien und den Eltern 
kommt. Sofern der Jugendlidie nidit restlos nieder- 
gedrückt wurde, wie zum Beispiel in den Kreisen der 
kleinen Kaufleute und Angestellten, beginnt er, sidi 
immer mehr und immer stärker gegen den Zwang, die 
schönsten Sonntagnadimittage in Gesellsdiaft der Er- 
wachsenen in einem Wirtshausgarten bei öden Gesprä- 
chen zu verbringen, aufzulehnen; jeder Jugendliche, ob 
Junge oder Mädel, beginnt früher oder später mehr oder 
minder klar zu ahnen, daß sie wo anders hingehören, 
unter andere Jugendlidie, daß sie sich bei den Erwach- 
senen langweilen, daß sie Luft, Sonne, Körperkultur 
und sexuelle Beziehungen ersehnen. 

Wenn unsere revolutionäre Aufklärungsarbeit diese 
Jugendlichen nicht erreicht, so versinken sie nadx einer 
kurzen und fruchtlosen Periode des Kampfes gegen die 
Eltern in die trostlose, vom polilischen Leben abschlies- 
sende Familienatmosphäre, die sie derart mit bürger- 
lichen Ideologien durchtränkt, daß sie dann höchstens 
noch zur bürgerlichen Jugendbewegung oder zur reak- 
tionären Nazibewegnng stoßen. Wir dürfen den Zusam- 
menhang nicht übersehen, daß sich die nationalsozialisti- 
sche Bewegung vorwiegend aus der kleinbürgerlichen 
Jugend rekrutiert und gleichzeitig mit Kirche und 
Kapital für die Hochhaltung der bürgerlichen Familie 
und der Keuschheit der Jugend eintritt; daß die natio- 
nalsozialistische Bewegung neben revolutionären Phra- 
sen Parolen vertritt, die die restlose Versklavung der 
Frauen (Verschärfung der Zuchthausstrafe für Schwan- 
gerschaf tsunterbrediung, „die Frau gehört an den 
Herd", Ablehnung der Gleichberechtigung der Frauen 



100 



m den politisdieii Verbänden) beinhalten, daß sidi also 
die nationalsozialistisdie Ideologie mit der bürgerlidi- 
kapitalistisdien Familienideologie dedtt. 

Es ist die Aufgabe der revolutionären Jugend, hier 
Klarheit in die Reihen der Jugend überhaupt zu 
tragen. 

Bei diesem Kampf um die Befreiung aller nidit- 
aufgeklärten Jugendlidien von den Fesseln des reaktio- 
nären Elternhauses, das sie für die politische Reaktion 
vorbereitet, müssen wir auf große Sdiwierigkeiten ge- 
faßt sein. 

Die bürgerlidie Familie hat also die Aufgabe, Unter- 
tanen zu erziehen und die Jugend ehefähig zu madien. 
Da aber das Sexualleben und auch das wirtsdiaftlidie 
Dasein außerhalb der gesetzlidi geschützten Familie für 
Frau und Kinder noch weit schwieriger, ja oft unerhört 
gefahrbringend ist für jeden, der diesen Schutz nicht ge- 
nießt, spielen die Familie und das Elternhaus im Kapi- 
talismus eine recht bedeutende Rolle als Schutzinstitu- 
tionen für die unterdrückten Frauen und Kinder. Des- 
halb verteidigen proletariscbe Frauen so oft und leiden- 
schaftlich die Ehe. Darüber hinaus bedeutet die 
Familieninstitution in den bürgerlichen und kleinbürger- 
lichen Kreisen bis tief ins Proletariat für alle Beteiligten 
nur Elend und Qual. In der Institution der Familie gibt 
es einen Widerspruch, der sie sowohl festigt als auch 
untergräbt. Auf der einen Seite ist die Familie eine der 
wichtigsten Einrichtungen der Privatwirtschaft, aber auf 
der anderen Seite zerstören die kapitalistische Wirtschaft, 
die Massenarbeitslosigkeit, die Verelendung durch Lohn- 
druck usw. die Familien der werktätigen Bevölkerung; 
proletarische Frauen und Jugendliche müssen entweder 
arbeiten gehen, um den notwendigen Lebensunterhalt 
zu bestreiten, oder aber sie müssen stempeln gehen und 
werden durch jahrelange Arbeitslosigkeit derart seelisch 



101 



zermürbt, daß die audi soast in der Familie vorhan- 
denen Spannungen mitunter bis zu unerträglichem Haß 
gesteigert werden. Und so gehen viele proletarisdie 
Familien zugrunde, zerfallen sowohl durdi ihre inneren 
Schwierigkeiten als auch durch den wirtschaftlichen 
Druck von außen. Im Kleinbürgertum sieht es heute — 
abgesehen von der kleinbürgerlichen Zerrüttung der 
Ehen ^ nicht viel anders aus. Mag das Familienleben 
in dieser Schicht in manchen Fällen durch heudb.leris(iie 
Sentimentalität, durch Phrasen vom „gemütlichen" 
Heim usw. verhüllt werden. Je unerbittlicher die wirt- 
schaftliche Not der Massen im Kapitalismus auch an die 
kleinbürgerliche Familie herantritt, desto rasciier zer- 
fallen die heucilerischen Phrasen, desto unverhüllter 
tritt die Lage, wie sie wirklicii ist, zutage. Unter den 
Prügeleien und dem Gezänk zwischen den Eltern gehen 
Massen von Jugendlichen moralisch zugrunde, wenn sie 
nicht in die Gesamtbewegung der proletariscien Jugend 
hineingezogen werden. Gelingt ihnen das nicht, so ver- 
brauchen sie ihre besten Kräfte im Kampf gegen das 
Elternhaus. 

Aber dieser Kampf der Jugend gegen das rückstän- 
dige Elternhaus darf uns nicht über die andere Seite 
der Sache hinwegtäuschen, daß diese Jugend gleichzeitig 
tief gebunden ist an ihre Eltern und innerlidi sowohl 
wie materiell von ihnen abhängt. In der proletarischen 
Jugend tritt oft eine Erleichterung dieser Abhängigkeit 
durch ihre materielle Selbständigkeit ein. Die Abhän- 
gigkeit von der elterlichen Befürsorgung und die Ge- 
bundenheit an die elterliche Autorität sind gerade das- 
jenige, um dessentwillen die Kirche sofort auf dem 
Kampffeld ersdiieint, wenn es gilt, gerüstet mit der 
ganzen Verdummungsmaschinerie, den Phrasen von 
Gott, seinem ewigen Willen und seiner weisen Voraus- 
sicht die Ehe und Familie in göttliche Regionen, weit 



102 



entiernt vom kritischen Mensdien verstand, zu entrücken. 
Denn der Vater in der heutigen Gestalt, das können 
wir uns nidit scharf und klar genug immer wieder 
vor Augen halten, ist der Vertreter der herrschenden 
Ordnung und Moral den Kindern und der Frau gegen- 
über in der Familie. Und da der Papst für diese herr- 
schende Ordnung eintritt, ist es nur konsequent von 
seinem Standpunkt aus, wenn er seine christliche Ge- 
folgschaft streng mahnt, ja Gottes Gebot zu befolgen, 
welches besagt, daß Frau und Kinder ihrem Mann und 
Vater ebenso Untertan und gehorsam zu sein haben wie 
dem ewigen Gott. 

Wenn wir aber im Moskauer antireligiösen Museum 
TTeiligenbilder aus der Zarenzeit ausgestellt sehen, auf 
denen entweder Jesus im Zarengewand oder der Zar 
mit einem Jesuskopf abgebildet ist, so verstehen wir 
leicht den ganzen Zusammenhang: Gott und Jesus sind 
ins Überirdische entrückte Darstellungsbilder des Kaisers 
und der Obrigkeit für den Erwachsenen und des Vaters 
für das Kind und den Jugendlichen. Der Kaiser und 
die Obrigkeit spielen später im Gefühlsleben der Er- 
wachsenen die gleiche Rolle, erwecken in ihm die glei- 
chen Einstellungen der Untertänigkeit und Kritiklosig- 
keit wie die Beziehungen zum Vater im Kind. Darin 
erschöpft sich zwar nicht die politische Rolle der 
Familie, aber das ist ihre politische Haupt funktion. 

In keiner Institution der bürgerlichen Gesellschaft 
tritt die autoritäre Unterjochung der Jugend so stark 
hervor, in keiner Institution beginnt diese Unterjochung 
so früh auf den kindlichen seelischen Organismus ein- 
zuwirken wie gerade im Elternhaus. Wir sehen daher 
audi immer wieder, daß famüiäre Unterwürfigkeit meist 
Hand in Hand geht mit Bindung an die herrschende 
Ordnung, und daß Rebellion gegen das Elternhaus bei 
der Jugend oft den ersten Schritt bedeutet zu klassen- 



103 



bewußtem Kampf gegen die kapitalistisdie Gesell- 
sdiaftsordnung. Es ist kein Zufall, daß die proletari- 
sche revolutionäre Jugend sidb meist, und zwar infolge 
ihrer frühen Teilnahme am Produktionsprozeß, sehr 
früh vom Elternhaus löst, während auf der anderen 
Seite die reaktionäre Jugend mit dem Elternhaus meist 
sehr innig verbunden ist. Es hat auch seinen Sinn, daß 
im sozialistisdien Staat Sowjetrußland auf die Selb- 
ständigkeit der Jugend, auf ihre Unabhängigkeit vom 
Elternhaus und auf ihre Kritik den Eltern gegenüber, 
ebenso wie auf die Beseitigung der Macht der Eltern 
über die Kinder, so großes Gewicht gelegt wird. Das 
Elternhaus bildet zumeist ein Bollwerk des Kapitals 
und der Reaktion innerhalb der unterdrückten Klasse. 
Innerhalb der eigenen vier öden Wände vergißt oft auch 
der sonst klassenbewußteste Vater seine revolutionäre 
Gesinnung; zu Hause wird er dann der brutale Patriardi 
und Herrscher Frau und Kindern gegenüber. Und damit 
dient er ganz unbewußt der politisdien Reaktion, denn 
so ein Elternhaus lähmt und schädigt die Kampfesfreude 
und die Kraft der Jugend, die sie gegen die herrschende 
Gesellschaftsordnung so dringend braucht. 

Sehen wir uns noch genau an, auf welchem Ge- 
biet sich die Autorität der Eltern am stärksten aus- 
lebt. Es ist das des Sexuallebens ihrer Kinder. Die 
sexuelle Einsdiüchterung und Verkrüppelung und die 
Erzeugung von autoritärer Angst in den Kindern wegen 
ihrer sexuellen Wünsche, Gedanken und Taten machen 
den Kern des Apparats aus, mit dessen Hilfe das Eltern- 
haus die Jugend dem Kapital botmäßig macht. 

Für den Erfolg dieser Unterdrüdcung und Bot- 
mäßigmachung der Jugend hat es wenig zu bedeuten, 
ob sie mit Hilfe von Strenge oder Überzärtlichkeit 
erfolgt. Beides bindet fest, ist auch gewöhnlich mit- 
einander gepaart, oder der eine Teil der Eltern ist 

104 



butal, der andere überzärtlidi. Das Epgebnie ist immer 
die Unselbständigkeit der Jugendlidien. Wenn bürger- 
lidie Erzieher uns sagen, die sexuelle Freiheit mache die 
Jugend erziehungsun fähig, so antworten wir: Gewiß» 
aber erziehungsunfähig für kapitalistisdie Zwecke. 

Von dieser sexuellen Unterdrüdtung der Kinder 
durch die Eltern, zu der dann die intellektuelle Unter- 
drückung durch die Schule, die geistige Verdummung 
durdi die Kirche und schließlich die materielle Unter- 
drückung und Ausbeutung durch Lehrmeister und 
Unternehmer hinzukommen, geht zu allererst ihre 
seelische und sexuelle Verelendung aus. 

Die proletarische Jugend wird unmittelbar durcii 
ihre materielle Not und ihre gesamte soziale Lage in 
die Nähe der Klassenkampf front gebradit. Breite Kreise 
von großem politischem Gewicht kommen aber wegen 
der Abhängigkeit von den meist rückständigen Eltern 
ni(ht zu voller klassenkämpferischer Entfaltung. Bei 
der kleinbürgerlichen Jugend spielt dieser Faktor eine 
noch unvergleichlidi größere Rolle als bei der prole- 
tarischen. Es gibt heute leider nur eine geringe Anzahl 
kommunistischer Eltern, die ihre klassenbewußten Über- 
zeugungen auch ihren Kindern gegenüber verwirklichen. 
Diese wenigen sind ein Vorbild dessen, was wir für alle 
wollen. Um diese Jugend in die Klassenkampf front ein- 
zubeziehen, ist es notwendig, mit ihrer Familienbindung 
ganz besonders zu redinen. Hier führt der Weg zur 
Klassenkampffront in heute noch nicht ganz abzu- 
schätzender Weise über den Kampf gegen das Eltern- 
haus und über die Aufklärung der proletarischen Eltern 
über die reaktionäre Rolle der bürgerlichen Familie. Da 
aber die Einprägung von Angst vor sexuellen Dingen 
das eigentliche Werkzeug bei der Erzeugung der Unter- 
würfigkeit ist, gibt es keine Bewußtmachung der klein- 
bürgerlidien Jugend über die Rolle der Autorität der 

105 



Eltern und mithin die Rolle der Autorität des Klassen- 
staates überhaupt ohne die Durchsetzung der Wahrheit 
bei diesen Jugendlichen, daß ihre Sexualität etwas ganz 
Selbstverständliches und Natürliches ist, wofür sie mit 
vollem Recht eintreten und kämp f en müssen gegen 
jeden, der sie darin unterdrückt. 

Ehe wir zu der Frage übergehen, ob es im Kapitalis- 
mus eine Möglichkeit gibt, die sexuelle Not der Jugend 
zu beheben oder auch nur zu lindern, müssen wir noci 
auf einen Punkt zu sprechen kommen, der bisher im 
proletarischen Kampfe gegen die Religion allzusehr ver- 
nachlässigt wurde und dessen Klarstellung den Sieg über 
die geistige Versklavung unserer Jugend nur fördern 
wird. 

Während die Sdiule vom Elternhaus die autoritäre 
und intellektuelle Niederhaltung der Jugend über- 
nimmt, setzt die Kirdie in allererster Linie die sexuelle 
Unterdrüdtung fort, die, wie man niciit oft und kräftig 
genug betonen kann, die wesentlichste individuelle 
Grundlage für die geistige und kirchliche Vernebelung 
des Verstandes und der Kritik durch den kapitalisti- 
schen Apparat darstellt. Es ist kein Zufall und hat 
einen sehr guten Sinn, daß die Konfirmation der 
Jugendlichen bei den Katholiken ungefähr mit dem 
Beginn der sexuellen Reife zusammenfällt. Standen 
schon die Kinder unter dem Einfluß der Kirdie bis zu 
ihrer Gesdileciitsreife, so kommen sie jetzt als Jugend- 
liche im Beginne der Reife völlig unter ihren Einfluß 
durch die Konfirmation, die der katholischen Kirche das 
mächtige Instrument der Beichte an die Hand gibt. Es 
ist keinem ein Geheimnis, daß bei der Beictte nicht die 
Frage, ob man gestohlen hat, sondern die, ob man nicht 
Unkeuschheit getrieben hat, das heißt ob man niciit 
onaniert oder außerehelichen Gesdilechts verkehr gehabt 
hat, die zentrale Rolle spielt. Die Beichte bedeutet die 

106 



stündige Auffrisdxung des sexuellen Sdiuldgefühls, das 
die Eltern in früher Kindheit in die Kinder zur Unter- 
drüdcung ihrer sexuellen Wißbegierde und Handlungen 
gepflanzt haben. In der Beidite bekommt der Jugend- 
liche immer wieder zu hören, daß das Sexuelle eine 
sdiwere Sünde ist und daß die höchste Autorität, Gott, 
alles sieht und alles straft, was Junge oder Mädel auf 
diesem Gebiet „verbrechen". Wir wollen hier nidit von 
dem unendlidien Unglück spredien, daß dadurch heute 
in der Welt in Millionen von gesdileditsreif werdenden 
Jugendlithen angeriditet wird. Hier entstehen ihre 
Onanieängste, die sie dann zermürben und wirklidi 
krank machen, hier werden Angstzustände und schwere 
hypochondrisdie Befürchtungen entwidtelt, hier wird 
schließlich eine weitere Grundlage gelegt für spätere 
Sexualstörungen. Würde die menschliche Gesellschaft 
heute nicht von Bankfürsten und Priestern regiert wer- 
den, die sich der Religion so glänzend und geschidtt zu 
bedienen verstehen; stünde die Sexualwissenschaft nicht 
im Dienste des Kapitals; würde sie ihre Erfahrung richtig 
und konsequent zur Kritik der Gesellschaft anwenden, 
man käme zu dem ganz selbstverständlichen Schluß, den 
wir ziehen, daß die Kiriiie wegen des Einflusses auf die 
Sexualität der Jugend, ganz abgesehen von ihrem 
direkten reaktionären Einfluß auf die materiell Ausge- 
beuteten, eine der gesundheitsschädlichsten Institutionen 
des Klassenstaates ist und daß keine Strafe hoch genug 
wäre für diejenigen, die vielfach in vollem Wissen um 
das Unglück, das sie anrichten, ihre unbesdireibbaren 
Missetaten nicht nur ungestraft ausführen können, son- 
dern dafür sogar sehr gut entlohnt werden. 

Diese Zusammenhänge zwisdien kirchlidier Reaktion 
und sexueller Unterdrückung sind keine gleichgültige 
Frage. Es gilt, die diristliche und ihr ideologisch nahe- 
stehende Jugend dem Einfluß der Kirche zu entziehen 

107 



und in unsere Front gegen die Kirdie, das bürgerlidie 
Elternhaus, die reaktionäre Sdiule, die kapitalistisAe 
Ordnung überhaupt einzureihen, denn es sind Kinder 
von ausgebeuteten Arbeitern, Angestellten und Bauern. 
Aber wir müssen dieser Jugend unsere Behauptung, daß 
die Kirche im Dienste des Kapitals steht, audi zahlen- 
mäßig beweisen können. 

Als der Papst zuletzt (Dezember 1930) in seiner 
Enzyklika „Über die diristliche Ehe" zum Zwedke der 
Rettung des Kapitalismus für die Sicberstellung der 
christlichen „Sittlidikeit" und der Ehe eintrat, schrieb 
er zuerst: 

Mannes über die Frau und Kinder und die willfährige Un- 
terordnung den bereitwilligen Gehorsam yon Seiten der 

liZ -"k t^''" /""'"'; ^'<' der Apostel mit den Worten 
beschrieb: Die Frauen (und die Kinder) sollen ihren Män- 

Mnnn'™* 7**1?"^ '!"'."*''? ''=''' "'-^ d^" "«"". denn der 
Mann ist das Haupt der Frau (und der Vater das Haupt 

der Kinder) wie Christus das Haupt der Kirdie ist." 

Dann empfiehlt er gegen die materielle Not der 
Massen „religiöse Übungen" und mahnt anflerdem die 
Keiche- ■ 



len; 



„nni;;?i Ä Überfluß leben, dürfen Geld und Gut aicht für 
unnutze Ausgaben verwenden oder geradezu versdileudern 
sondern müssen es zum Lebensunterhalt und Besten dere; 
gebraudien, denen sogar das Notwendigste fehlt." 

Wenn wir in den diristlichen Jugendverbänden den 
Jugendlichen sagen würden, daß sie im Widersprudi 
mit der Kirdie stehen, denn sie betätigen sich sexuell 
genau so, wenn auch unbewußter und gestörter als die 
gottlose Jugend, würden sie darauf antworten, daß sie 
eben mit Hilfe der Kirche und des heiligen Geistes sidi 
die Kräfte verschaffen wollen, um nicht zu onanieren 
und um ihre Sexualität niederzuringen. Dann muß man 
ihnen nicht nur von den Gefahren für Gesundheit und 



108 



Leben, die dieses Niederringen zur Folge hat, erzählen, 
sondern man muß sie audi über das Spiel aufklären, das 
mit ihnen getrieben wird, indem man ihnen die Wahr- 
heit über die Kirdie, an die sie sidi halten, sagt und 
beweist. Zum Beispiel folgende Tatsadie: Während im 
Hungerjahr 1930 in Deutsdiland an Unterstützung für 
Invalide, Arbeitslose, Kinderspeisung und ähnlidies zu- 
sammen über 1693 Millionen RM im staatlidien Haus- 
halt gestridien, während Schulen und Krankenhäuser 
gesperrt wurden, Mensdien auf der Straße verreckten, 
die Zahl der Selbstmorde Jugendlidier ungeheuer 
anstieg, steigerte die Kircte ihr Einkommen an staat- 
lichen Geldhilfen von 40 Millionen RM im Jahr 1923 
und 71 Millionen RM im Jahr 1928 auf 86 Millionen RM 
im Jahr 1929. Diese Jugendliciien sollen selbst zu er- 
klären versuchen, warum denn die Kirche in den Zeiten 
höchster Not ihre eigenen Mahnungen niciit befolgt, 
warum sie nidit nur auf nidits zugunsten der Armen 
verzichtete, sondern im Gegenteil sicii auf Kosten der 
Armen ständig steigende Einnahmen siciierte: Denn 
diese Einnahmen werden von den Steuern der armen 
Bevölkerung bestritten, das heißt die Unterdrückten 
bezahlen selbst, ohne es zu ahnen, dem Staat die Mittel 

ihrer Versklavung. 

Wie dieses eine Beispiel zeigt (leider können wir 
nicht hier in diesem Rahmen die Fülle von Material 
vorbringen, wie es notwendig wäre), muß man bei der 
Besprediung der sexuellen Nöte der Jugend den ganzen 
kirchlichen und kapitalistisdien Hintergrund aufrollen, 
sonst gehen wir fehl, sonst dringen wir nic^t bis zum 
Kern der Frage vor; wir laufen dann Gefahr, keine 
richtige Antwort zu geben, wenn Jugendliciie uns fragen, 
wie sie aus ihrer Not herausfinden sollen. 

Die Grundfrage ist: Kann das Bürgertum im eige- 
neu Rahmen die Sexualfrage der Jugend lösen? Wir 

109 



sagen darauf: Nein, im Kapitalismus, solange bürger- 
liche Wirtsdiaft und bürgerlidie Erziehung herrschen, 
gibt es für die Masse der Jugendlichen keine Lösung in 
dieser Frage, die eine ihrer brennendsten ist. In libera- 
len bürgerlichen Kreisen redet man ja sehr viel von der 
Not der Jugend, aber man muß sich einmal genau 
ansehen, wie sie denken oder zu denken vorgeben und 
wie sie wirklich handeln. Sind sie wirklich bereit, der 
Jugend vollkommene Selbstbestimmung und eine die- 
sem Alter entsprechende sexuelle Lebensweise zuzu- 
billigen? Sind sie wirklich bereit, den Geschlechtsver- 
kehr der Jugend dort, wo er notwendig und wo seine 
Unterlassung gesundheitsschädigend ist, tatsächlich an- 
zuerkennen? Sind sie bereit aufzuhören, die Jugend 
durch gemeingefährliche Aufklärungsfilme in der Frage 
der Geschlechtskrankheiten derart mit Angst zu erfüllen, 
daß während solcher Vorführungen immer einige junge 
Menschen ohnmächtig werden? (Bei diesen Filmen wer- 
den nämlidi 98 Prozent des Gewichts auf Schredten- 
einjagen und Enthalfsamkeitsideologie, nur 2 Prozent 
auf die Möglichkeiten der Heilung, die heute offen- 
stehen, und überhaupt kein Prozent auf die Verhütung 
von Geschleditskrankheiten gelegt.) Sind sie bereit und 
können sie offiziell die doppelte Geschlechtsmoral auf- 
heben, so daß die männliche Jugend des Kleinbürger- 
tums mit den Mäddien der eigenen Sdiichten und nicht 
mit Prostituierten geschlechtlich verkehrt? Sind sie 
bereit, dürfen sie ihrem ganzen System nach der Jugend 
in den Jugendberatungsstellen, die zu errichten wären, 
bedingungslos und kostenlos Empfängnisverhütungs- 
mittel zur Verfügung stellen? Wird das Bürgertum den 
Abtreibungsparagraphen streichen und die Unterbre- 
chung der Schwangersdiaft au(h für Jugendliche kosten- 
los an öffentlichen Kliniken durchführen, wenn einmal 
ein Verhütungsmittel versagt? Kann das Bürgertum die 

110 



Wohnungsfrage der Jugendlidien lösen, so daß sie nidit 
mehr in Haustoren und hinter Zäunen ein Zerrbild von 
Geschlechtsleben führen, indem jeder Jugendlidie die 
Möglichkeit bekommt, mit seinem Partner allein zu 
sein? Sind sie sdiließlidi bereit, die Kinder sexuell in 
einer Weise zu erziehen, die sie befähigt, später ein 
sexuelles Leben überhaupt aufzunehmen und riditig 

zu führen? 

Eine Statistik der Sexualberatungsstellen der Kran- 
kenkassen in Berlin ergab, daß 44 Prozent aller Rat- 
suchenden in Stube und Küche wohnen, und zwar 

527mal zu dritt, 

554;mal zu viert, 

187mal zu fünft, 
Slmal zu sedist, 
42mal zu sieben Personen. 

20 Prozent haben nur ein Zimmer mit teihveiser 
Küchenbenutzung. Darin wohnen sie 240mal zu dritt, 
76mal zu viert. 5 Prozent der Besucher wohnen nur in 
einer Kociistube zu drei und fünf Personen. Ein Drittel 
der Besucher hat kein eigenes Bett, sondern teilt es mit 
anderen, öfter mit mehreren Personen. 

Nein, das Bürgertum kann infolge seines Wirt- 
schaftssystems, das auf der Ausbeutung der überwiegen- 
den Mehrheit der Bevölkerung durdi eine gutlebeiide 
Minderheit beruht, die Sexualfrage der Jugend nidit 
lösen. Ist das Bürgertum doct nicfct einmal unstande, 
den Hunger der proletarischen Jugendlichen zu stillen. 
Und das ist ja die erste Voraussetzung für die Losung 
der Sexualfrage überhaupt. 

Nach den Angaben des „Statistisdien Jahrbuches 
für das Deutsche Reich 1930" starben 1928 durdi Selbst- 
mord 11.239 männlidie und 4797 weibliche Personen; 
darunter 5565 männliche und 1440 weibliche im Alter 
von 15 bis 30 Jahren. Wir wissen, das waren Opfer 

111 



der materiellen und sexuellen Verelendung; täglidi 
durdisdinittlidi 47 Menschen! Seither ist die Zahl unge- 
heuer angestiegen. So sieht der „Pazifismus" der weidi- 
herzigen Demokraten aus, die kein Blut sehen können. 
Wir wollen hier nicht lange theoretische Diskus- 
sionen darüber führen, warum das Bürgertum seine 
Sexualordnung nie und nimmer umstellen kann; das 
wurde an anderer Stelle gezeigt. Soweit sich im Bür- 
gertum die Sexualität von den alten Fesseln befreit, 
geschieht es nicht, weil das Bürgertum das fördert oder 
es so haben will, sondern es geschieht gegen den Willen 
des Bürgertums. Das ist nicht nur ein Zeidtien des Ver- 
falls der bürgerlichen Moral sondern des bürgerlichen 
Systems überhaupt. 

Noch nicht ganz klassenbewußte Jugendliche, wie 
etwa die sozialdemokratischen, pflegen an dieser Stelle 
zu behaupten, indem sie auf die sexuellen Freiheiten, 
die die Jugend sich heute erobert, hinweisen, daß die 
sexuelle Befreiung der Jugend ohne soziale Revolution 
im Kapitalismus möglidi sei; diese „Freiheiten", meinen 
sie. seien der beste Beweis dafür. Wir müssen diesen 
Jugendlichen ganz klar zeigen und beweisen, daß sie 
sich täuschen. Denn das ist keine sexuelle Befreiung. 
Es ist zwar richtig, daß die Jugend heute sexuell anders 
lebt als vor dreißig Jahren. Es ist auch richtig, daß das 
Elternhaus und die Kirche bei einem gewissen Teil der 
Jugend viel an Einfluß verloren haben; das geschah 
aber nur auf Grund der revolutionären Aufklärungs- 
arbeit. Doch wir dürfen das sexuelle Herumgetue von 
heute nicht als sexuelle Befreiung ansprechen. Wie 
sieht es denn in Wirklichkeit aus? An welcher seeli- 
schen und körperlichen Verfassung gehen die Jugend- 
lichen an dieses sogenannt freiere Sexualleben heran? 
Sind nidit die Schwierigkeiten der Jugend dadurch 
größer geworden, daß auf der einen Seite im Elternhaus 

112 



in früher Kindheit und in der SAule später ihre 
Sexualität mehr oder minder so gestört wurde, daß sie 
meist innerlich unfähig geworden sind, ein Sexualleben 
überhaupt aufzunehmen oder in befriedigender Weise 
durdizuführen; während auf der andern Seite die fort- 
schreitende Zusammenfassung der Jugend in Verbänden 
teilweise, bei ridbtiger Einstellung der Jugendgenossen, 
eine Erleiditerung, aber audi durch die ungewohnte Um- 
gebung eine Erschwerung des Problems brachte. Ist 
die gesellschaftliche Fürsorge in Form von naturwissen- 
schaftlicher Aufklärung, sozialer Hilfe usw. in dem 
gleichen Maß gestiegen, wie sidi die bürgerliche Moral 
zersetzte und die Jugend begann, dumpf ahnend, wie 
unüberbrückbar der Konflikt zwischen dem heutigen 
Elternhaus und der Jugend ist, in die Verbände zu 
streben? Haben nicht die sexuellen Störungen und die 
Selbstmorde aus sexuellen Motiven in den letzten Jahren 
ungeheuer zugenommen? Und die sozialdemokratische 
Jugend soll selbst sagen, wie sich ihre Partei zu ihnen 
in autoritativer und sexualmoralischer Hinsicht stellt. 
Der Bürgerliche und die Pfaffen in jeder Gestalt werden 
sagen: „Ja, die sexuelle Not der Jugend kommt daher, 
daß man die Moral der Jugend gelockert hat, und daran 
sind die Bolschewiken schuld." Wir antworten darauf 
und können es bis ins kleinste Detail beweisen, daß es 
die Unterdrüdcung der Jugend in sexueller und 
materieller Hinsicht selbst war, die diese Moral unter- 
grub; daß es sich, wie schon der bürgerliche Riditer 
Lindsey in Amerika richtig feststellte, um eine unab- 
wendbare sexuelle Rebellion der Jugend handelt, die 
heute nidit immer zu klarer revolutionärer Gesinnung 
führt, weil wir die unfruAtbare sexuelle Rebellion 
nicht in fruditbare revolutionäre Kampfesgesinnung 
verwandelt haben, die dem ganzen einen Sinn gegeben 
hätte. Die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellsdiaft. 



113 



l! ' 



die Unfähigkeit des Kapitalismus, die wirtsdiaftlidien 
Beziehungen der Mensdien befriedigend zu regeln, sein 
fortsdireitender Zerfall garantieren ganz ohne unsere 
Beihilfe allein schon, daß seine Moral nur nodi weiter 
zerfallen, aber nie wiederkehren kann. Nicht wir haben 
diese Moral untergraben; wir haben audi die wirtschaft- 
licheu Krisen nicht gesdiaffen und ebensowenig die 
Familie zerstört. Das hat das kapitalistische System 
ganz von selbst vollbracht. Wir erfüllen nur unsere Auf- 
gabe als revolutionäre Jugend und als revolutionäre 
Partei, wenn wir diesen schmerzhaften, die Massen ver- 
elendenden Prozeß beschleunigen, wenn wir das Ster- 
bende töten, in jeder Hinsidit und wo immer wir es 
treffen, um daraus eine neue Ordnung der menschliciien 
Gesellschaft zu bauen, die endgültig Schluß madit mit 
der Klassenherrschaft und der wirtschaftlichen Ausbeu- 
timg, der geistigen und sexuellen Unterjochung, und 
endlicii den Sinn der Vergesellschaftung der Menschen 
erfüllt, die Befriedigung der Grundbedürfnisse des 
Hungers und der Liebe und der kulturellen Ansprüche 
der Massen zu siciiern. !r, 









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114 



VI. DIE SOZIALE REVOLUTION ALS 
VORBEDINGUNG DER SEXUELLEN 

BEFREIUNG 



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Weun die sexuelle Frage der Jugend im Kapitalis- 
mus nidit lösbar ist, so müssen wir der Masse der 
Jugendlidien beweisen können, daß der Sozialismus 
diese Frage lösen kann. Wir haben es heute nidit 
schwer, diesen Beweis zu führen; denn weldies Land 
der Erde hat für die Jugend entsprechendes wie die 
Sowjetunion geleistet? In welchem Lande ist die 
Jugend wirklich frei? Welches Land hat mit der Be- 
freiung der Sexualität Ernst zu machen begonnen und 
welche Länder und Parteien haben entweder nur ge- 
schwätzt oder aber die kapitalistische Unterdrückung 
des Sexuallebens verschärft. Die Sowjetunion hat be- 
freit und Italien hat versdiärft. Das sind die Tatsachen. 

Warum konnte die Sowjetunion schon bis heute eine 
große Reihe von Maßnahmen zur Befreiung des Sexual- 
lebens treffen? Sie konnte es, weil sie an der sexuellen 
Unterdrückung kein Interesse hat, weil sie die kapita- 
listische Wirtschaftsordnung beseitigt hat, indem dort 
die soziale Revoluion tatsächlidi durchgeführt wurde. 
Wir werden von den unorientierten und politisch ver- 
bildeten Jugendlidien nicht verstanden werden, wenn 
wir ihnen nicht das Wesen der sozialen Revolution sehr 
genau werden erklären können. Zu diesem Zwecke ist 
eine gründlidie politisdie Durdibildung der revolutio- 
nären Jugend erste Voraussetzung. Diese ist aber heute 
noch gar nicht entsprechend der politischen Situa- 
tion erfüllt. Wollen wir den sexuellen Kampf der 
Jugend organisieren, wollen wir die Masse der Jugend- 
lichen über den ganzen Hintergrund ihrer sexuellen 
Nöte aufklären und dadurch gewinnen, so müssen wir 

U5 



in allererster Linie Ton den Organisationen reidiliche 
Einriditung politisdier Sdiulungskurse verlangen und 
selbst tätig mithelfen, daß diese Sdiulnngsknrse Zu- 
standekommen. Sonst stehen wir einem nationalsozia- 
listischen Jugendlidien, der von der „Theorie" des 
Untersdiiedes zwischen raffendem und schaffendem 
Kapital ebenso restlos durchdrungen ist wie von der 
verlogenen Ideologie der „deutschen Mannes-Ehre", ohn- 
mächtig gegenüber; denn wir müssen ihm ebenso be- 
weisen können, daß es gar keinen Unterschied gibt 
zwisdien jüdischem und nichtjüdischem Kapital, daß 
Thyssen nicht weniger ausbeutet als Rothsdiild und daß 
die Juden ebenso in Klassen gespalten sind, in Ausge- 
beutete und Ausbeutende, wie die Arier; ebenso wie wir 
ihm zeigen müssen, daß das Kapital ihn mit Hilfe seiner 
Keuschheitsideologie zum treuen Gefolger des gleichen 
macht, was er zu bekämpfen glaubt. 

Die Grundlage des gesamten sozialen, also auch des 
sexuellen Lebens ist die Wirtschaft, die Produktion der 
zum Leben notwendigen Güter. Die Art des sozialen 
und sexuellen Lebens wird von der Art bestimmt, in 
der die Güter produziert und verteilt Averden. In den 
Urzeiten der menschlichen Gesellschaft, als die Produk- 
tionsmittel nodi völlig unentwidcelt waren, ^vu^de ge- 
meinsam gearbeitet und die Früchte wurden nach der 
Arbeitsleistung verteilt [Urkommunismus). Als die 
Werkzeuge ausgestaltet wurden, trat eine Teilung der 
Arbeit ein; damit begann der Austausch der Erzeugnisse 
und mit ihm die Warenwirtchaft, Je weiter die Werk- 
zeuge tedinisch fortschritten, desto mehr verzweigte sich 
der Arbeitsprozeß. Es entstanden die verschiedensten 
Handwerkszweige. Als aber die großen Maschinen ent- 
deckt wurden, bestanden auf der einen Seite bereits 
Gruppen, die genügend Mittel besaßen, um sich die 
Maschinen anzuschaffen, während auf der anderen Seite 



116 



die kleineren Handwerker zugrunde gingen, weil ihre 
Erzeugnisse Yiel teiirer waren als die duxdi Masdbinen 
erzeugten. Die Besitzer der Masdiinen waren in der Lage, 
die ruinierten Handwerker als Arbeiter an den Masdii- 
nen arbeiten zu lassen. So teilte sidi die Gesellsdiaft in 
eine Klasse von Kapitalisten, das heißt Besitzern der 
Produktionsmittel, und eine Klasse von Lohnarbeitern, 
den Proletariern, die nichts als ihre Arbeitskraft besaßen. 
Damit begann der Kapitalismus als höchste Stufe der 
Warenwirtschaft. Dazu kam, daß die adeligen Feudal- 
herren sidi das Bauernland aneigneten, sodaß die ver- 
elendeten Bauern zu einem großen Teil in die Städte 
wanderten, wo die junge Industrie aufblühte. Sie wur- 
den Fabrikarbeiter, Proletarier. Der junge Kapitalismus 
beutete sdiamlos aus. Sechzehn- bis achtzehnstündige 
Arbeitszeit, keine Sozialversicherung, Kinderarbeit, 
Hunger und Elend kennzeichneten den frühen Kapita- 
lismus. Jetzt begann die Organisation des Proletariats, 
das sidi in verschiedenen Aufständen und Revolutionen 
(Revolution von 1848 in Deutschland und Österreich, 
Pariser Kommune 1871, 1905 Aufstand in Rußland usw.) 
Arbeiterschutz, Lohnsteigerung und Herabsetzung der 
Arbeitszeit erkämpfte. Die Revolution von 1918 brachte 
den Achtstundentag, der allerdings seither wieder zum 
großen Teil verloren gegangen ist. Niemals hat das 
Bürgertum etwas für das Proletariat getan, immer muß- 
ten sich die Arbeiter und Angestellten Besserungen ihrer 
Lage selbst erkämpfen. 

Im Kapitalismus kommt der Fortschritt der Technik, 
der mensciiliche Arbeitskräfte erspart, den Massen der 
Arbeitenden nicht zugute. Im Gegenteil, die Verbes- 
serung der Maschinen steigert die Arbeitslosigkeit. Die 
Löhne werden nidxt erhöht, sondern sie sind im Ver- 
hältnis zur Produktivität der Arbeit bedeutend gefallen. 
Die Arbeitszeit wird nicht herabgesetzt. (Wenn man 



117 



heute bei uns von der Einführung der Fünftagewoche 
spricht, so hat das keine Bedeutung, weil kein Lohnaus- 
gleich erfolgt, und die Arbeiter weniger verdienen 
würden als früher.) Das ist die hapUalistüdie Ratio- 
nalisierung der Arbeit. 

Der Kapitalismus torkelt von Krisen zu Krisen, die 
immer schärfer werden. Die jetzige Krise der kapita- 
listisdien Wirtschaft ist eine ausweglose Weltkrise. Auf 
der einen Seite wächst ständig die Produktivität der 
Arbeit, auf der andern sind die Massen der Arbeitenden 
vom Genuß der Produktionsgüter ausgeschlossen, weil 
sie I/o/inarbeiter sind, die immer nur gerade soviel be- 
kommen, daß sie nicht verhungern. Was sie mehr 
erarbeiten, gehört nach dem kapitalistischen Gesetz den 
Besitzern der Produktionsmittel, den Kapitalisten. In- 
folge der kapitalistischen Rationalisierung und dadurch, 
daß fast alle rückständigen Länder ihre eigenen Indu- 
strien aufbauen, verliert der Kapitalismus ständig 
Absatzmärkte; es ist ein Überfluß an Waren vorhanden. 
Aber die Massen können nichts kaufen, weil sie ent- 
weder arbeitslos sind oder weil ihr Lohn ständig sinkt. 
Nur ein Beispiel für die Anarchie der kapitalistischen 
Wirfschaft: In Argentinien werden ganze Schiffsladun- 
gen von Getreide ins Meer versenkt, weil sonst die 
Getreidepreise fallen, aber in China sterben Millionen 
Hungers. 

Die russische Revolution im Jahre 1917 hat dem 
unter Führung der kommunistischen Partei für das 
Gebiet der Sowjetunion ein Ende gemacht. Die Fabrik- 
besitzer und die Großgrundbesitzer wurden enteignet. 
Die Fabriken gehören heute den Arbeitern und das 
Land den Bauern. Die Ausbeutung wurde beseitigt. Ein 
zentraler Volks wirtschaftsrat regelt die Wirtschaft und 
die Produktion nadi den ständig wachsenden Bedürf- 
nissen der Massen. Die Verbesserung der Maschinen und 



118 



der sozial ist is die Aufbau des Landes haben — im Laufe 
von 14 Jakren — den Arbeitern die Fünftagearbeits- 
wodie (vier Tage Arbeit, ein Tag Ruhe) bei steigen- 
dem Lohn, eine ungeheure Steigerung der sozialen Für- 
sorge, Beseitigung der Arbeitslosigkeit gebracht. Sowjet- 
rufiland ist das einzige Land, das keine Wirtsdiaftskrise 
kennt, weil es den Kapitalismus vernichtet hat. Im 
Gegenteil, es mangelt dort an Arbeitskräften und an 
Waren trotz ungeheuren Tempos der Steigerung der 
Produktion, weil die Ansprü<iie der 160 Millionen 
Arbeiter und Bauern, die reidilidi verdienen, sehr rasch 
anwachsen. 

Wenn 130 Millionen, die im Zarismus in Fetzen 
gingen und von Kwas und Maisbrot lebten, auf einmal 
anfangen, Butter, Eier und Fleisch essen und Sdiuhe 
und gute Kleider tragen zu wollen, so muß eine Wadis- 
tumskrise entstehen. Bei uns Warenüberfluß, aber keine 
Kaufkraft der Massen; in Sowjetrufiland starke Kauf- 
kraft der Massen, aber Warenmangel. Wenn dazu 
kommt, daf? die zaristische Industrie durdi die Inter- 
vention der Imperialisten zerstört und erst wieder auf- 
gebaut werden mußte, wenn ferner der Sowjetstaat ge- 
zwungen ist, sich gegen einen imperialistischen Überfall 
durch starke Beschleunigung der Industrialisierung des 
Landes zu sdiützen und Lebensmittel auszuführen, um 
Maschinen zu kaufen, so entsteht Knappheit an Ge- 
braudisartikeln im Verhältnis zu den steigenden Bedürf- 
nissen. Aber der Spießer wird nie den Unterschied be- 
greifen zwischen dieser Art Entbehrungen der Masse im 
eigenen Interesse und Massennot in den einfadisten Din- 
gen im Interesse des Kapitals. In Sowjetrußland ist 
keine Klasse nachzuweisen, die ein Interesse an diesen 
Entbehrungen hat außer der werktätigen Bevölkerung 
selbst. Man hebe die Lage der Arbeiterschaft in Deutsch- 
land so, daß alle kaufen können, was sie brauchen, und 



U9 



es wird sofort Warenknappheit entstehen. Man ent- 
waffne die Imperialisten, nnd Sowjetrnfiland würde, 
was Versorgung der Gesamtbevoikerung mit den fein- 
sten Nahrungsmitteln und guten Gebraudisartikeln an- 
belangt, die fortschrittlichsten kapitalistischen Länder 
weit überholen. 

Die Arbeitszeit für Jugendlidie im kommunistisdien 
Rußland hat sidi folgendermaßen verringert: Vor dem 
Kriege betrug die durchschnittlidie Arbeitszeit für 
Jugendliche zwisdien 14 und 18 Jahren 9,8 Stunden; 
1918 nach der Revolution 7,8 Stunden, 1925 5,4, 1928 4,9 
und 1950 4,5 Stunden; und die Arbeitszeit wird weiter 
fortschreitend herabgesetzt. Jugendliche im Alter von 
14 bis 16 arbeiten 4 Stunden pro Tag, sind von Nadit- 
arbeit und gesundheitssdiädigender Arbeit völlig be- 
freit und erhalten einen bezahlten Urlaub von einem 
bis eineinhalb Monaten. Während man im kapita- 
listisdien System die Arbeitszeit nicht oder nur auf 
Kosten des Lohnes verringert wird, und die Lohne der 
Jugendlidien sinken, steigt in der Sowjetunion der Lohn 
der jugendliciien Arbeiter trotz sinkender Arbeitszeit. 
Die Lehrlinge in Betriebsschulen bezogen (nach den An- 
gaben in: Kosarew: „Jugend der Freiheit, Jugend der 
Sklaverei" (Verlag der Jugendinternationale): 



Industriezweige 


Monatlidi in Tadierwonzen-Rubel u. Kopeken 1 










1929 in % zum 




1926 


1927 


1928 


1929 


Vergl. zu 1926 


Transp., Baumwolle 


19,74 


22,26 


27.66 


31,26 


158.2 


Metallurgie .... 


17,87 


20,57 


26,03 


27.67 


156,5 


Lithographie . . • 


26,8^ 


30.95 


39,06 


41,49 


154,8 


Baumwolle .... 


24,19 


28,72 


30.95 


30,37 


125,8 


Wolle 


21,88 


24.77 


31.68 


30,40 


138,8 


Fladis 


19,95 


22,05 


24,82 


23,59 


118,0 




24,83 


31.47 


30.86 


34,72 


140,0 



120 



In der Sowjetunion stehen den werktätigen Jugend- 
lidien Arbeiterfakultäten, Tediniken, Hodisdiulen und 
wissensdiaftliche Institute jeder Art kostenlos zur Ver- 
fügung. Man muß audi gebührend einschätzen, was die 
steigende Zahl an Theatern, Klubs, Büchereien usw. für 
die Jugend bedeutet. 

Wir sehen also, daß unsere proletarisdien Jugend- 
lidien das größte Interesse daran haben müssen, die 
Stellung des Jugeudlidien in der Sowjetunion ganz 
genau kennenzulernen, damit der Zustand aufhört, daß 
in Deutschland nodi zehntausende Jugendliche solcie 
Märchen glauben, wie daß in Rußland die Menschen 
Hungers sterben, daß Stalin ein blutiger Diktator ist, 
der die werktätige Bevölkerung mit einer Knute unter 
seiner Herrschaft hält, und daß die Bolschewisten über- 
haupt Menschen sind, die ständig nur mit einem Messer 
zwisciien den Zähnen herumlaufen. Heute wissen nicht 
einmal alle Jungkommunisten, daß die höchsten Funk- 
tionäre der Sowjetunion nicht mehr als 300 Rubel 
( — 600 Mark) Monatslohn beziehen dürfen. Wir haben 
alle Beweise und Argumente für den Sozialismus und 
gegen den Kapitalismus in unserer Hand und verstehen 
niciit sie auszunützen, weil unsere Reihen nicht genügend 
gesciiult sind. 

Es wird sehr viele Jugendlidie geben, die sagen 
werden: Ja, wir sind sehr für die sexuelle Befreiung, 
aber wir sind nicht für den Sozialismus. Diesen Jugend- 
lichen muß man eben ganz klar beweisen, daß sie einem 
Phantom nadirennen, daß es keinen anderen Weg der 
sexuellen Befreiung der Jugend gibt als den der Re- 
volution. ' ■>'■}''■ 

Warum geht es denn niciit ohne soziale Revolution? 
werden viele diristlidie, liberale und andere politiscix 
niditsahnende Jugendlidie fragen. Darauf gibt es nur 
eine Antwort: Werden die Kapitalisten freiwillig auf 



121 



den Besitz der Masdiinen, der Fabriken, der Häuser und 
des Bodens verzidifeu? Werden sie freiwillig die Pro- 
duktionsmittel und das Land denen überlassen, die 
durdi ihre Arbeit den Reichtum der Gesellsdiaft sdiaf- 
fen? Nein, das werden sie nidit tun, im Gegenteil, sie 
werden umso brutaler, umso grausamer gegen die 
unterdrückte Klasse werden, je weniger sie imstande sein 
werden, ihre Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Das be- 
weist die Gegenwart 1931. Will die Masse der Jugend- 
lichen nicht körperlich und moralisdb restlos zugrunde- 
gehen, will sie jene Wirtsciiaftsordnung, die nidit nur 
ihre leiblichen Bedürfnisse, sondern audi ihre geistigen 
und sexuellen voll berücksiditigt und befriedigt, so muß 
sie eben zur Kenntnis nehmen, daß die revolutionäre 
Auseinandersetzung mit der herrschenden Klasse unver- 
meidlidi ist. 

Wir müssen ganz klar sowohl selbst begreifen als 
auch der Masse der indifferenten sowie heute noch politisch 
reaktionären Jugendlichen begreiflich mathen, daß eine 
wirkliche Lösung der sexuellen Frage der Jugend in be- 
friedigendem Sinn erst dann und nur dann möglich sein 
wird, wenn die Masse der Jugendlichen mit Wohnung, 
Kleidung, Nahrung ausreidiend versehen sein und die 
Möglichkeit haben wird, sich jenes Wissen anzueignen 
und jene Kulturstufe der mensdilichen Gesellschaft tat- 
sächlich zu erreichen, die heute nur eijiem kleinen Häuf- 
chen von Kindern aus reichen Häusern zugänglich sind. 
Erst dann wird die wirtschaftlidie und soziale Basis 
gegeben sein, auf der sich ein befriedigendes, beglüdcen- 
des, dem Wesen aller Jugendlichen voll Rechnung tra- 
gendes Geschlechtsleben wird aufbauen können. Und 
das ist unter anderem ein widitiges Ziel der sozialen 
Revolution. 



122 



VII. POLITISIERUNG DER SEXUAL- 
FRAGE DER JUGEND 



Wir müssen nun zu klaren Schlüssen kommen, 
welcher Ausweg der werktätigen Jugend innerhalb der 
kapitalistischen Gesellschaft offensteht. Da der kom- 
munistische Jugendverband auf der klaren politischen 
Linie der sozialen Revolution arbeitet, wäre er zum 
Führer der Jugend audi auf diesem Gebiet berufen. 
Und die werktätige Jugend würde diese Führung an- 
erkennen, wenn er sich nur in richtiger Weise und un- 
erbittlich offen in dieser ebenso brennenden wie heiklen 
Frage an sie wenden würde, wenn sie fühlen würde, 
daß er ihre Nöte kennt und daß er ihre Sadie vertritt. 

Wir müssen wahre Selbstkritik an uns üben, 
wir müssen uns fragen, warum wir gerade in dieser 
Angelegenheit bisher so sehr im Dunkeln gehockit haben, 
uns nicht heraugetraut haben an die Möglichkeiten, die 
für die gesamte werktätige Jugend einzig überbleiben. 
Als erstes müssen wir feststellen, daß wir uns der 
Sexualfrage gegenüber benommen haben wie ein Schlä- 
fer, der eine störende Fliege immer wieder vergebens 
mit einer Handbewegung zu verscheudien versucht. 

Immer wieder wurde in den revolutionären Jugend- 
verbänden festgestellt, daß die „sexuelle Frage" stört 
und den Kampf für die Revolution behindert; ilnd 
immer wieder wurde gesagt: Wir müssen die Frage bei- 
seite schieben, wir haben keine Zeit, uns mit ihr zu be- 
schäftigen, wir haben Wichtigeres zu tun. Wenn aber 
diese Frage immer wieder aufgetaucht ist, immer bren- 
nender und dringender, ja wenn sogar, was wir offen 
heraussagen müssen, die Jugendorganisationen durch 
die sexuellen Schwierigkeiten der Jugendlichen häufig 



123 



zerfallen, so müssen wir fragen, warnm diese Frage 
stört, und dürfen nidit einfadi desKalb, weil sie stört, 
erklären, wir hätten keine Zeit dazu, wir haften Widi- 
tigeres zu tun, Sexualleben sei Privatangelegenheit usw. 
Das Sexualleben ist eben keine Prioatangelegenheii, 
wenn es die Jugend beroegt und in der bisherigen Form 
den polHisdten Kampf stört. Auf welche andere Frage, 
die Sdiwierigkeiten bereitet, würde man eine solche Ant- 
wort geben? Was würden w^ir in einer beliebigen Frage 
zu einer solchen Stellungnahme sagen? Wir würden mit 
Re<ht sagen, daß das ein Ausweichen ist, und wir wür- 
den mit Recht jeden bekämpfen, der derartige Aus- 
reden gebraucht. Wir würden unseren konsequenten 
Standpunkt vertreten, daß es für Bolschewisten keine 
unüberwindlidhen Schwierigkeiten gibt, daß wir keine 
unlösbaren Fragen kennen, daß solche Standpunkte 
bürgerlich opportunistische Ausflüchte bedeuten. Wenn 
solche Fragen auftauchen, so kommen sie niciit vom 
Himmel sondern aus der Wirkliciikeit der Widersprüche 
unseres Gesellsdiaftssystems und heischen Antwort. Wir 
haben die Fragen des Sports, des Theaters, der Religion, 
des Radios in unsere Klassenkampf front eingereiht, 
warum bleiben wir nicht auch konsequent in der sexuel- 
len Frage der Jugend? Nehmen wir also an, daß wir 
vor dieser Frage ausweidien, so müssen wir nun klar- 
stellen, aus welchen Gründen. 

Ein oberflächlicher Grund ist die Tatsache, daß wir 
uns durch die Ausschließung der Sexualfrage ganz der 
revolutionären Arbeit w^idmen zu können glauben und 
von dem bürgerlichen Typus abgrenzen wollen, für den 
die sexuelle Frage im Zentrum seines Interesses steht, 
der nichts anderes kennt als über Sexualität schwätzen. 
Dadurch sind wir in einen schweren Fehler verfallen, 
indem nämlich viele von uns die Sexualität überhaupt 
als etwas unwesentliciies, ja „bürgerliches" ausschalten 



124 



wollten. Wir haben unredit gehabt. Das lehrt die Wirk- 
liAkeit. Wir müssen die Sexualfrage revolutionär losen, 
indem wir zu einer klaren sexualpolitisdien Theorie, 
von hier zu einer sexualrevolutionären Praxis gelangen 
und beide der gesamten proletarisdben Bewegung ein- 
ordnen. Das ist unserer Überzeugung nadi der ridiiige 
Weg zur endgültigen Lösung. 

Viele Genossen berufen sidi bei ihrem ablehnenden 
Standpunkt auf das bereits zitierte Gesprädi Lenins 
mit Klara, Zetkin, in dem er sich sdiarf gegen die sexuel- 
len Debatten und Diskussionen in Arbeiterkreisen und 
in Jugendzirkeln aussprach und feststellte, daß es jetzt 
Wichtigeres zu tun gäbe. Wir schliel?en uns dem Stand- 
punkt, den Lenin damals einnahm, vollkommen an; 
denn er bekämpfte das oberflächlidie und unwissen- 
schaftliche, vom wesentlichsten ablenkende sexuelle 
Herumgeschwätz, und das wollen auch wir tun. Sind 
docii diese sexuellen „Diskussionen" meist nidits anderes 
als ein Ersatz der sexuellen Betätigung, ganz gewöhn- 
liche geistige Onanie. Wir werden aber sofort ver- 
stehen, wie wir die Frage zu behandeln haben, wenn 
wir gleiciizeitig einen zweiten Ausspruch Lenins in dem 
genannten Gesprädi mit Klara Zetkin zitieren: 

„Der KommuBismiis soll nicht Askese bringen, sondern 
Lebensfreude. Lebenskraft, audi durch erfülltes Liebesleben.'* 

Wenn der Kommunismus die sexuelle Lebensfreude 
verwirklichen soll, so muß doch auch darum gekämpft 
werden. 

Die Frage steht also so: Sexuell herumdiskutieren 
dürfen wir nicht; die sexuelle Frage ausschalten dürfen 
wir auch nicht; ohne darüber zu sprechen, können wir 
sie aber nicht klären-. Was bleibt also übrig? Wir müs- 
sen eben politisch über diese Frage sprechen. Und dann 
werden wir richtig diskutieren und darnach riditig 
handeln. Ehe wir weitere Einzelheiten bespredaen und 



.w 125 



Beweise dafür anführen, daß dies der einzige Ausweg 
ist, müssen wir audi nodi den iieferen Grund nennen, 
warum wir uns vor dieser Frage drUcken. 

Wo sind wir alle erzogen worden? Unter weldien 
Bedingungen sind wir aufgewadisen? Wir sind in 
Familien aufgewadisen und sind im kapitalistlsdien 
System aufgezogen worden. Man wird nun einwenden, 
es sei ein großer Untersdiied zwisdien proletarisdien 
und bürgerlidien Familien. So einfach liegt die Sadie 
nidit. Wir müssen erst fragen, in weldier Hinsidit die 
proletarisdie Familie proletarisch und in welcher sie gut 
bürgerlich ist. Wir brauchen nicht lange nadizudenken, 
um die Autwort herauszubekommen; es genügt, wenn 
wir die einzelnen Elemente der Lebens- und Denkweise 
gesondert betrachten. Haben wir uns von der bürger- 
lichen Eigentumsicleologie freigemacht? Ja, ^veitgellend, 
weil in deii Besitzverhältuissen ein scharfer Unterschied 
ist zwischen Bürger- und Arbeiterfamilien. Haben wir 
uns von der Religion ganz freigemacht? Da liegt die 
Sache schon nicht mehr einfach. Es gibt tausende 
proletarischer Familien, die religiös sind, und je weiter 
wir in das kleinbürgerliche Proletariat vordringen, 
desto tiefer sitzt die Religion. Und wie ist es mit der 
Sexualmoral? Ist sie nicht in der Eigenheit der Familie 
selbst verwurzelt, die auch der Proletarier infolge der 
Lebensverhältnisse in der kapitalistlsdien Gesellschaft 
zu gründen gezwungen ist? Gehört nicht die sexuelle 
Unterdrückung und die Einpflanzung der bürgerlichen 
Sexualmoral, wie wir das ja schon früher begründet 
haben, zum Bestand der bürgerlichen Ehe und Familie? 
Gewiß, die W^idersprüche zwisdien der Lebensweise des 
Arbeiters und der bürgerlichen Familienmoral, der er 
unterworfen ist, sind sehr groß; es sind Widersprüche, 
die in der mittleren und höheren Bourgeoisie fehlen; 
aber diese bürgerlidie Sexualmoral ist doch im Prole- 



126 



tariat vorhanden; sie ist von allen biirgerlidien Ideolo- 
gien am tiefsten verankert, weil sie von frühester Kind- 
heit an am stärksten eingepflanzt wurde. Sie ist eine 
der mäditigsten ideologisdien Stützen des Bürgertums 
innerhalb der unterdrüdcten Klasse. Wir sehen es täg- 
lidi und stündlich, daß sidi andi die klassenbewußten 
Jugendlichen von ihr am allerschwersten freimachen 
können. Die bürgerlidie Sexualmoral deren wesent- 
lidistes Stück ist, das Sexualleben nidit natürlich, selbst- 
verständlidi, im klaren Zusammenhang mit der jeweili- 
gen Gesellsdiaftsordnung zu sehen, es zu verneinen, 
Sdieu und Angst davor zu haben, steckt uns Kommu- 
nisten viel tiefer in den Knochen als wir alle glauben. 
Wir dürfen uns vom Gegenteil der sexuellen Sdieu, dem 
sexuellen Herumgetue, niciit täusdien lassen. Das ist 
bürgerlidies Sexualleben mit umgekehrtem Vorzeidien. 
Lenin hatte daher sehr redit, als er die „Glaswasser- 
theorie" als „gut bürgerlicii" bezeiciinete. Es kommt auf 
die sexuellen Verbauungen an, die jeder von uns infolge 
der Sexualunterdrückung in sich trägt, die mit unbe- 
wußten, verdrängten Einstellungen zusammenhängen, 
sodaß wir in unserem Sexualleben nidit ganz Herr über 
uns selbst sind. Und das sind die tieferen Gründe, 
warum wir uns nicht offiziell und konsequent mit der 
Frage auseinandergesetzt haben, warum jeder von uns, 
ausnahmslos, auch wenn er die beste Einsidit hat, es 
nictt wagt, sexuelle Befreiungsparolen in unsere son- 
stige Propaganda aufzunehmen. Wir müssen verstehen 
lernen, warum auch mandier Kommunist so sonderbar 
zu lächeln beginnt und das gewisse Gesiciit sciineidct, 
sobald vom Sexuellen die Rede ist. Damit müssen wir 
ernstlidi Sdiluß madien, wie sdiwer wir es audi haben 
werden, unsere eigenen Hemmungen zu überwinden. 
Je weiter wir in die unaufgeklärten, niciit klassenbe- 
wußten Schiciiten von Jugendliciien vordringen werden, 

127 



desto größere Hemmuugen in dieser Frage werden wir 
antreffen. Aber die Praxis wird erweisen, wie sie es 
in Einzelfällen bereits erwiesen hat, daß wir in dem 
Mafie, wie es uns gelingen wird, die sexuellen Hemmun- 
gen und moralisdien Vorurteile der Jugendlidien zu 
überwinden, desto leiditere Arbeit Haben werden, ihnen 
das so notwendige politische Wissen beizubringen. Wir 
werden dabei nur dann Erfolg haben, wenn wir der 
heuchlerischen und verneinenden Ideologie des Bürger- 
tums eine offen und klar sexualbejahende Ideologie ent- 
gegensetzen werden. An dieser Front werden viele 
reaktionäre Gesinnungen zerschellen, denn erstens haben 
die christlidien und nationalsozialistischen Jugendlichen 
keine haltbaren Argumente gegen uns, und zweitens, 
was wesentlicher ist, sie verneinen nicht nur ihre 
Sexualität, sondern sie bejahen sie auch — im geheimen. 
Wir wollen nun zunächst die Frage, wie sie im kom- 
munistischen Jugendverband steht, an Hand der 
Diskussion am Massenkritikabend über „Das erste 
Mädel" von Bogdanoro am 21. April 1951 in Berlin auf- 
rollen und konkret Antwort zu geben versuchen. Wenn 
wir uns hier einigermaßen klar geworden sind, werden 
wir leichter an andere Einzelfragen in den Fichte- 
gruppen und auch in den christlidien, kleinbürgerlichen 
und nationalsozialistisdien Jugendgruppen herangehen 
können. 

Jugendgenosse Hermann, roter Pfadfinder, stellte 
unter anderem fest: 

„Uns fehlt ein Buch, in dem die Fragen, die die deut- 
sdie Jugend angehen, behandelt sind, die Stellung der 
Jungens und Mädels in den proletarischen Organisationen, 
in der Jugendbewegung überhaupt und die Fragen des 
sexuellen Verhältnisses der Jugend untereinander und ver- 
antwortlicher Funktionäre. Diese Fragen spielen natürlidi 
für uns eine bedeutende Rolle und müssen hier diskutiert 
werden. Es ist hier die Frage aufgerollt worden, wie die 

128 



sexuelle Not von der deutsdien Jugend überwunden wird, 
weldie Versudie man unternimmt. Idi bin überzeugt, es 
kann für uns keine Überwindung der sexuellen Not der 
Jugend innerhalb dieses Systems in befriedigendem Sinne 
geben, denn die größten Depressionen der Jugend werden 
wohl hervorgerufen durch, die wirtsdiaftlidien Sorgen, da- 
durdi, daß ein Mädel, das zum Beispiel den Wunsdi hat, 
ein Kind zu bekommen, diesen Wunsdi nidit erfüllt be- 
kommen kann. Die meisten Fragen werden audi bei uns 
nodi vom bürgerlidien Standpunkt betraditet und gerade 
die Moralpaukereien werden nidit nur von den Eltern, 
sondern sogar von Seiten der eigenen Parteigenossen geübt 
und sind durdiaus nodi nidit vorbei. Idi bin der Auffas- 
sung, daß ein aktiver Kommunist, ein aktiver Funktionär 
sehr wenig Zeit hat, sidi mit diesen Liebeleien zu befassen, 
und dali er zu keiner hundertprozentigen Befriedigung in 
dieser Hinsidit kommen kann. Im allgemeinen besteht für 
uns nodi die Aufgabe, die Mädels erst eiuTual mitzureissen 
und aus ihnen gleidibereditigte Genossen zu madien, denn 
die bürgerlidie Erziehung hemmt sie nodi viel zu sehr; sie 
haben nodi viel zu viele Minderwertigkeitsgefühle, um 
Seite an Seite mit den Jungen zu kämpfen, so wie wir es 
wünsdien. Darum müssen wir in ihnen das Bewußtsein 
erwedcen, daß sie gleidibereditigt in der Organisation sind. 
Für die Mädels spielt die sexuelle Frage immer eine 
größere Rolle. Sie empfinden diese Dinge viel mehr als ein 
Junge, der mal zu diesem, mal zu jenem Mädel geht. Aber 
die Mädels hängen viel mehr an einem bestimmten Ge- 
nossen — das ist wohl die Norm, wenn es audi Ausnahmen 
gibt. Idi bin der Meinung, daß ein viel gesünderes Ver- 
hältnis in dieser Beziehung eintreten muß und daß die 
sexuellen Spannungen zu viel Raum einnehmen in der 
proletarisdien Jugend, die den Klassenkampf als ihre erste 
Aufgabe betraditen sollte, die viel zu sehr ablenken, die 
fatsädilidi so raandien guten Funktionär versaut haben, 
der einfadi in die Versenkung versdiwunden ist. Wertvolle 
Kräfte, die für die Organisation bestimmt hätten etwas 
leisten können, haben sidi durdi soldie persönlidien Ge- 
schiditen vom Kampf ablenken lassen." 

Dieser Jugendgenosse hat die Frage in den wesent- 
lidisten Punkten riditig gestellt. Die sexuelle Not der 
Jugend ist innerhalb dieses Systems in befriedigendem 



129 



Sinn wirklidi nidit zu lösen. Wir wollen aber gleicb in 
der Selbstkritik fortfahren und an der Begründung, die 
der Genosse dafür gegeben hat, zeigen, daß wir sexuell 
bürgerlich befangen sind, auch wenn wir politiscii nodi 
so richtig denken. Als Beispiel führt er an, daß das 
Mädel infolge ihrer wirtschaftlichen Sorgen ihren 
Wunsch, ein Kind zu bekommen, nicht erfüllen kann. 
Das trifft gewiß für viele Mädels zu, ist aber keitie 
zentrale Frage, Wir wollen uns ja nidits vormachen: 
Sehr viele Mädels denken in erster Linie daran, wie sie 
gesddeditlicii verkehren können, ohne ein Kind zu be- 
kommen. Die Verstimmungen der Jugendlichen kom- 
men daher, daß sie ihre stürmisciie Sexualität wegen 
materieller Not und wegen Mangel an Gelegenheit, Geld 
und Empfängnisverhütungsmitteln nicht in Ordnung 
bringen können. Von den seelischen Störungen sehen 
wir dabei noch ab. Daher hatte der Genosse Ernsi recht, 
wenn er sagte: 

„Natürlich gibt es eine große sexuelle Not in Deutsdi- 
land wie in allen kapitalistisdieu Ländern, die daher rührt, 
daß die Jugend zu Hause wohnt, keine eigene Wohnung 
haben kann, daß viele erwerbslos sind, kein Geld für den 
Lebensunterhalt haben und darum nidit mit denen zusam- 
menleben können, mit denen sie leben wollen; und viele 
Verhältnisse, die bei einigermaßen gesidierteu materiellen 
Verhältnissen gut wären, gehen einfach in die Brüdie oder 
können nidit richtig zum Leben kommen, weil einfadi die 
Voraussetzungen nicht vorhanden sind." 

Stellt man die Frage des Kindeswunsdies bei den 
jugendliciien Mädels in die erste Linie, so bedeutet das, 
mag es auch eine Rolle spielen, eine Verschiebung der 
Frage auf ein Nebengeleise. Der Bürgerliciie weicht der 
sexuellen Frage typisch dadurch aus, daß er die Mutter- 
liebe und den Kiudeswunsdi in den Himmel hebt und 
damit alles andere verdunkelt. Tatsache ist, daß sieb 
der Wunsch nacb dem Kind meist erst dann einzustellen 



i30 



pflegt, wenn die sinnlidien Bedürfnisse einigermaßen 
abgesäftigt sind. Es geht also, wenn wir uidit wieder 
herumreden Avollen, bei der Jugend nicht um die Fort- 
pflanzung, sondern um die Frage der Empfängnisver- 
hütung und der sexuellen Befriedigung in der Zeit der 
jugendlidien Reife, um die Frage der Ordnung ihres 
Lieheslebens. Und für die fehlt im Kapitalismus wirk- 
lich jede Voraussetzung. Der Wohnungsbau ist in den 
Händen von Häuserspekulanten, die am Massenelend 
interessiert sind. Nur die Sozialisierung des Wohnbau- 
wesens, die Überführung des Hauseigentums in gesell- 
schaftlichen Besitz, wie es heute in der Sowjetunion der 
Fall ist, kann diese Frage lösen. Voraussetzung bleibt 
Enteignung des Hausbesitzes und Abschaffung des Eigen- 
tums an Grund und Boden. Das kann aber nur die soziale 
Revolution bringen. Die Verteilung der besten Emp- 
fängnisverhütungsmittel an Jugendliche, sobald sie den 
Geschleditsverkehr aufnehmen wollen, ist eine weitere 
Grundvoraussetzung zu geordnetem und befriedigendem 
Gesdilechtsleben. Die politische Reaktion ist aber auf 
diesem Gebiet ebenso sdiarf dagegen und terroristisdi 
wie auf jedem anderen für den Bürger wichtigen Gebiet. 
Die Möglidikeit, eine unerwünschte Sdiwangerschaft in 
öffentlidien Kliniken zu unterbredien, ist ebenfalls eine 
Grundvoraussetzung. Hungernde, verelendete, von jeder 
Kultur ausgesdilossene, in den Straßen und Kneipen 
herumlungernde Jugendliche sind nidit imstande, ein ge- 
ordnetes, befriedigendes Gesdileditsleben zu führen, denn 
sie sind entweder sexuell verwahrlost, was nicht ihre 
sondern die Sdiuld der Gesellsdiaft ist, oder sie sind 
sexuell gestört. Da die Ursache der sexuellen Störungen 
und Verrohung die bürgerlidie Sexualunterdrüdcung im 
Elternhaus und in der Schule ist, bedarf es, um das zu 
beseitigen, wieder der Umgestaltung des gesamten wirt- 
schaftlichen und sozialen Daseins in dem Sinne, daß die 



131 



J 



Frauen materiell selbständig werden, von der Gewalt 
des Mannes loskommen, und die Eltern die brutale 
Herrsdiaft über ihre Kinder verlieren. Voraussetzung 
dazu ist weiter gesellsdiaftlidie Erziehung der Kinder 
und vollständige Umstellung in der Frage der kind- 
lichen Sexualität. 

Genosse Hermann hob hervor, daß die Moral- 
paukereien sowohl von selten der Eltern als auch von 
Seiten der eigenen Parteigenossen geübt werden. Das 
ist absolut richtig. Viele ältere Genossen, die in Ehe und 
Familie leben müssen, benehmen sidi der Jugend gegen- 
über nicht richtig. Es ist notwendig sidi einzugestehen, 
daß das ein Stück Konterrevolution im eigenen Lager 
ist und letzten Endes nur der herrschenden Klasse dient. 
Auf diesem Gebiet wird viel geleistet werden, wenn wir 
große öffentliche Aussprachen zwisdien den Jugend- 
lichen und ihren Eltern veranstalten werden, wenn die 
Jugendlichen, die allein zu Hause nicht aufzutreten wagen 
oder aber sich in fruditlosem Gezänk mit den Eltern auf- 
zehren, in voller Öffentlichkeit unter der Kontrolle der 
Massen der Jugendlichen und Eltern ihre Nöte und ihre 
Klagen vorbringen werden. Wir können sicher sein 
(denn das hat die Praxis bereits gezeigt), daß die Eltern 
ihren Standpunkt, den sie zu Hause vertreten, in der 
Öffentlichkeit nicht lange aufredit erhalten können. So 
werden die Jugendlichen Sieger bleiben und Kräfte für 
die Jugendorganisationen freibekommen. Auch die 
Eltern werden auf diese Weise, in vielen Fällen zum 
ersten Male, in Berührung mit der proletarischen Be- 
wegung gelangen, Averden zum ersten Male audi über 
sidi selbst und ihre Lage ins klare kommen. Ist also 
die sexuelle Frage der Jugend eine politisch wichtige 
Frage? Das dürfen wir nicht leugnen. 

Der erstgenannte Genosse sagte audhi, daß ein 
aktiver Funktionär sehr wenig Zeit hat, sich mit „Liebe- 



132 



leien" zu befassen und daß er zu keiner hundertprozen- 
tigen Befriedigung in dieser Hinsidat kommen kann. Das 
ist gewiß richtig, aber in dieser Form gesagt, unvoll- 
ständig, so daß man dann leidit zu falsdien Verall- 
gemeinerungen kommen kann. Hat doch der kommn- 
nistisdie Jugend f unkt ionär für die Bewegung des Klas- 
senkampfes eine ungeheure Verantwortung, die ihn audi 
in diesen Dingen zum Vorbild der anderen madit. In die- 
ser Zeit gilt es, größte persönliche Opfer zu bringen und 
das Privatleben dem Klassenkampf unterzuordnen. Wir 
müssen aber beim Herantreten an diese Frage unter- 
scheiden, mit wem wir es zu tun haben, mit dem ganz 
klassenbewußten, mit dem indifferenten, mit dem bür- 
gerlichen oder nodi reaktionär denkenden proletarischen 

Jugendlichen. 

Bleiben wir zunächst beim Funktionär. Gewiß, 
unsere Funktionäre sind mit dringender Parteiarbeit 
ungeheuer überlastet, sie haben keine Zeit zu „Liebe- 
leien". Wir kennen aus der proletarischen Jugendbewe- 
gung drei Typen von Funktionären: erstens den Funk- 
tionär, der gar kein Sexualleben führt und sich mit allen 
seinen Kräften der Parteiarbeit verschrieben hat; dann 
den zweiten Typus, der, ohne daß man viel davon hört 
und sieht, ein geordnetes Geschlechtsleben mit irgend- 
einer Genossin führt und dabei ebenfalls alle seine Kräfte 
der Partei widmet; wir kennen schließlidi den dritten 
Typus, der ständig in einem mehr oder weniger schwie- 
rigen Konflikt zwischen seiner Parteiaufgabe und seinen 
Liebesangelegenheiten steckt. Wenn wir uns diese Ge- 
nossen nicht nur für einen Augenblick vor Augen füh- 
ren, sondern ihre Laufbahn übersdiauen. so werden wir 
feststellen, daß der beste Funktionär, das heißt der- 
jenige, der nicht nur seine Arbeit am gründlichsten 
sondern auch am ausdauerndsten verrichtet und der 
Bewegung erhalten bleibt, der Funktionär mit dem 



155 



/ 



geordneten Liebesleben ist. Die Sexualität hat für ihn 
aufgehört, ein Problem zu sein. Audi der erste Typus 
ist ein guter Funktionär, aber, wie die Erfahrung lehrt, 
oft nur für besdiränkte 2eit. Das erklärt sich daraus, 
daß er seine persönlichen Sdiwierigkeiten zunächst in 
Arbeit zu erstidcen suchte, um dann später dodi irgend- 
wie zusammenzuklappen oder unserer Bewegung auf 
andere Weise verloren zu gehen. Aus der ärztlidien und 
politischen Erfahrung mit solchen Funktionären geht 
eindeutig hervor, daß in solchen Fällen nicht, wie all- 
gemein geglaubt wird oder wie es den Anschein hat, die 
Überarbeitung der alleinige oder wesentliche Grund des 
späteren Zusammenbruches ist, sondern daß die Sdiwie- 
rigkeiten der Sexualität, die Schwierigkeiten des „Pri- 
vatlebens" in Verbindung mit den hohen Anforderungen 
der Partei den Betreffenden kampfunfähig machten. 
Man verträgt eben den völligen Mangel eines Sexual- 
lebens auf die Dauer nidit ohne allzu große Störungen. 
Wir nehmen diesen Standpunkt hier nidit nur im Inter- 
esse der Gesundheit sondern auch der revolutionären 
Arbeit ein. Diese wird durch das ständige Fluktuieren 
der Funktionäre gesdiädigt; wir haben ein Interesse an 
möglichst ausgedehnter Dauer der Arbeitsfähigkeit jedes 
Parteifunktionärs, und dafür ist ein halbwegs geordnetes 
Gesdxleciitsleben eine der wichtigsten Voraussetzungen. 

Man glaubt Kräfte zu gewinnen, wenn mau das 
Sexualleben ganz ausschließt. Das ist ein Irrtum. Tat- 
sache ist, daß zumindest die ArheiisintensUät leidet, 
wenn man sein Sexualleben zu sehr einschränkt, und 
man bringt durch die Arbeits fr isciie bei halbwegs be- 
friedigendem Geschlechtsleben reidilich an Zeit herein, 
was man durch das Privatleben verliert, weil man dann 
rascher und besser arbeitet. 

Gewiß, es gibt im Parteileben Zeiten, manciimal 
Wochen, manchmal Monate, in denen die Aufgaben so 

154 



groß sind, daß man audi das notwendige Mindestmaß 
an sexueller Befriedigung einsdiränken oder ganz auf- 
geben muß. Damit muß man redinen. Aber das kann 
nidit die Regel für die durdisdinittlidien Zeiten sein. 
Und audi in soldien Perioden findet sidi eine Erleidi- 
terung für gesunde Genossen in der Weise, daß mau 
eben, durdi die Verhältnisse gezwungen, kameradsdiaft- 
\i<h.e Beziehungen von kürzerer Dauer eingeht; dadurdi 
braudien die dauernden Beziehungen nidbt geschädigt zu 
werden, wenn man nur in voller Offenheit die Ange- 
legenheit behandelt und ordnet. Wir sehen also, daß 
wir diese Fragen nidit abstrakt behandeln dürfen, son- 
dern immer in Beziehung zu der Situation, in der sie 
auftauchen. 

Zum dritten Typus, den wir genannt haben, ist nodi 
zu sagen, daß die Funktionäre, die ständig im Konflikt 
sind zwisdien Parteiarbeit und Privatleben, gewöhnlich 
solche Genossen sind, die sidi von einer gewissen bürger- 
lidien Kompliziertheit des Gesdiledbtslebens nidit frei- 
gemadit haben, was besonders für die Genossinnen gilt; 
in den meisten Fällen handelt es sidi um sexuelle 
Störungen in irgendeiner Form. Dann ist es nidit die 
Sexualität, die ihnen Sdiwierigkeiten madit, sondern im 
Gegenteil die Störung, unter der sie leiden. In soldien 
Fällen ist guter Rat teuer, denn hürgerlidie Verbau- 
ungen und sexuelle Störungen lassen sidi nur im Einzel- 
fall durdi langwierige seelenärztlidie Behandlung be- 
seitigen, was für die Masse nidit in Betradit kommt. Wir 
dürfen aber audi hier nidit skeptisdi werden und 
müssen uns darauf einstellen, daß wir durdi Sdiaffung 
einer offeneren und freieren sexuellen Atmosphäre in 
der Organisation audi vielen von diesen Genossen helfen 
werden, aus ihren Sdiwierigkeiten herauszufinden und 
ihren Parteiaufgaben besser geredit zu werden. 

Genosse Hermann meinte ferner sehr riditig, daß 

155 






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es eine unserer widitigsten Aufgaben sei, die Mädels 
erst einmal mitzureißen und aus ihnen gleidibereditigte 
Genossen zu madien. Und an demselben Abend bat den 
Kern der Sadie wohl die Genossin Loiie getroffen, 
welche sagte: 

„Wie sieht es in der Praxis im K. J. V. aus? Es ist 
wichtiger, auf die Tagesordnung des Themas zu setzen 
^wie wir mehr Mädels in den K. J. V. hineinbekommen 
können, denn wenn in einer Gruppe von 38 Jungen nur 
2 Mädel sind, dann sieht diese Frage schon ein bißdien 
anders aus. Gestern abend hat die erste Jungarbeiterinnen- 
Konferenz Deutschlands stattgefunden. Die Mädels des 
K. J. V. haben sie sich gestern abend in Berlin zusammen- 
geholt und es waren knorke Mädels darunter. Im Verhält- 
nis zu der Anzahl der Frauen, sind natürlich viel zu wenig 
organisiert, aber wenn sie erst einmal drin sind, arbeiten 
sie mit viel größerer Ausdauer und Begeisterung als die 
Juugens. Wenn wir in die Gruppen hineinsehen, ist das Ver- 
hältnis meistens 20 Jungen zu 2 Mädel. Gerade weil nur 
zwei Mädels da sind, haben sie eine ganz komisdie Stellung 
und es gibt tatsächlich Komplikationen. Die Jungen gehen 
zu anderen Mädels, die nidit in der Gruppe sind und die 
sie auch nicht gleich in die Gruppe hineinbekommen; so 
kommt es, daß die Juugens oft abfallen." 

Wir müssen also feststellen; 

1. daß die Mädels schwerer in die Organisation zu 
bekommen sind als die Jungeus; 

2. daß das Zahlenmißverhältnis zwischen Mädels 
und Juugens in der Organisation die Arbeit auf das 
stiiwerste schädigt, indem die Jungeus zu anderen 
Mädels gehen und die Organisation verlassen; 

5. daß somit vor uns die wiciitige praktisdie Frage 
steht, wie wir Mädels in die Organisationen hineinbe- 
kommen können, um die Mißstände zu bebeben. 

Genossin Lotte untersudite auci die Frage, warum 
wir die Mädels nicht bekommen. Sie meinte, das läge 
daran, daß unsere Methoden nicht immer so sind, daß 
sich ein Jugendlicher lange bei uns wohlfüblt. Die kom- 

136 



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I 



munistiedie Jugend versudie neue Methoden ausfindig 
zu madien. Ein Grund sei, daß die Referate zu lang, 
zu gelehrt und überhaupt so sind, daß „kein Mensch sie 
versteht". Sie sagte sehr richtig: „Wenn unsere Methoden 
i lebendiger wären, dann würden wir die ganzen Verhält- 

* nisse verbessern, auch das Verhältnis der Jungens und 

c Mädels untereinander. Aber erst müssen wir Methoden 

i haben, die die Jugend mitreißen, so daß sie aus sich 

' herausgeht. Es ist verkehrt, erst einen politisdien Kur- 

sus abzuhalten und sich dann fünf Minuten für das 
Persönliche zu lassen." 

Zur ersten Frage: Warum sind die Mädels schwerer 
in die Organisation zu bekommen als die Jungens? Es 
ist allgemein bekannt und w^urde auch an dem Abend 
ausgesprochen, daß viele Mädels lieber auf den Tanz- 
boden gehen. Genossin Lotte hat besonders betont, daß 
man riciitige Methoden finden müsse, um die Mädels vom 
Tanzboden zu holen; dazu dürfe man, meinte sie, niciit 
nur Mädels hinschicken, sondern man sollte gerade 
Jungens dazu verwenden. Genossin Lotte hat, wie wir 
überzeugt sein dürfen, das Richtige getroffen. Sie hat 
die Sc^eu. die sexuellen Bedürfnisse der Jugend anzu- 
erkennen und bei der Einrichtung der politisdien 
Arbeit für deren Belebung zu berüdtsichtigen, über- 
wunden. 

Wir müssen fragen: Warum gehen die Mädels 
lieber auf den Tanzboden als in die politisdie Organisa- 
tion? Wenn wir diese ganze Frage mit dem Sdilagwort 
„bürgerlidi" oder unproletarisdi abtun, so haben wir 
gar nichts getan. Nodi weniger, wenn wir die Mädels 
als rückständig betrachten oder gar verackten. Wir haben 
eben bisher übersehen, daß das Jugendalter mehr von den 
sexuellen als von den politischen Sorgen erfüllt ist, wir 
haben den Fehler begangen, das Sexuelle als eine „bür- 
gerliche Angelegenheit** beiseite zu schieben; wir müssen 

137 



/ 



daher lernen, die sexuellen Sdiwierigkeiten des Jugend- 
lidien als für ihu ebenso widitig zu betrachten wie seine i 

materielle Not. Sind dodi beide Sdiwierigkeiten in glei- \ 

dier Weise, nur die eine mittelbar, die andere unmittel- * 

bar, in unserer kapitalistisdien Gesellsdiaft verwurzelt. 
Wir müssen sehen, daß die geringere politisdie Neigung 
des Mädels zusammenhängt mit der stärkeren Sexual- 
unter drück ung, der sie im Verhältnis zum Jungen von 
Kindheit auf unterworfen waren. Und wir müssen daraus 
den Schluß ziehen, daß die sexuelle Unterdrückung eine 
widitige politisdie Frage ist. Wir müssen audi endlidi 
aussprechen, was alle Jugendlidien wissen, daß nämlidi 
ein unbestimmt großer Teil Mädels und Jungens in die 
Jugendorganisation aus denselben subjektiven Gründen 
kommen, die sie auf den Tanzboden führen: aus ihrem 
Bedürfnis nadi einem Sexualpartner, nadi einem 
sexuellen Leben. Daß sie darin sdiließlidi dodi meist 
mnerbdi oder äußerlich gestört sind, ändert uidits daran, 
daß sie darnadi streben. Diese Tatsadie dürfen wir 
nidit durdi eine bürgerlidie Bordellbrille ansdiauen. 
sondern wir müssen uns als Revolutionäre eindeutig und 
ohne Zögern auf die Seite der Tatsadien stellen. Wenn 
es so ist, (laß die Sexualität die Jugend am meisten 
bewegt und auf den Tanzboden treibt, so müssen wir 
darnadi handeln und sie mit ihren sexuellen Inter- 
essen in die Organisation bringen. 

Es ist nidit nur Tatsadie, daß die Jugendlidien sehr 
oft, viel öfter als man glaubt, weil sie es einem ja nidit 
sagen und weil man nidit offen darüber spridit, wegen 
ihrer sexuellen Bedürfnisse neben einem dumpfen poli- 
tisdien Drang in die Organisation kommen. \^i^ Klage 
in den Jugendorganisationen ist ganz allgemein, daß 
mandie Jugendliche aus den Organisationen versdiwin- 
den, wenn sie dort in persönlidier Hinsidit nidit das 
gefunden haben, weswegen sie hingekommen sind. 

138 



f 



Genossin Lotte behauptete, daß die Mädels und Jungens 
zwisdien dem aditzehnten und zweiundzwanzigsten 
Lebensjahr nidit mehr im Jugendverband sind. 

„Sie sind nicht in der Jugend, sie sind nidit in der Par- 
tei. Sie gehen uns verloren. Hier müssen wir Mittel und Wege 
finden, um sie zu erfassen." 

Das stimmt audi mit anderen Beobaditungen über- 
ein. Die Jungens und Mädels kommen mit 15 und 
16 Jahren in die Jugendorganisation, verschwinden dann 
mit 18 oder 19 Jahren, um dann später nur sehr teil- 
weise in der Partei wieder aufzutauchen. 

Das hängt auch mit der Art der Kleinarbeit im 
Jugendverband zusammen. Heute ist es so, daß em 
kleiner Teil von Funktionären bis zum Zusammen- 
brechen mit Arbeit überlastet ist, während der größere 
Teil nur zur Maidemonstration erscheint, sonst aber nur 
wenig tut. Wir wissen es von diesen Inaktiven, daß sie 
sidi vor der Überlastung fürchten, daß sie, wie manche 
sagen, nicht wie eine Zitrone ausgepreßt werden wollen. 
Hier haben wir ein organisatorisciies Problem größter 
Tragweite vor uns, denn es geht um die Frage der 
riditigen Verteilung der Funktionen, zu der wir hier 
nur eines sagen können. Wenn ungefähr gleich viel 
Mädels und Jungens in der Organisation sem werclen, 
wenn diese Mädels und Jungens zueinander m gutem 
kameradschaftlichen und sexuellen Verhältnis stehen 
werden, dann werden sie alle mitarbeiten wollen dann 
wird es leiditer möglidi sein, die Funktionen auf alle 
zu verteilen und so die einen zu entlasten und d^e 
anderen politisch zu interessieren und zu verpflichten. 
Die offizielle Bejahung des Sexuallebens m der Organi- 
sation, also das Gegenteil des Standpunktes: Sexnahtät 
ist Privatsache und womöglich zu unterdrücken, kann 
uns auch bei rein organisatorischen Fragen ausschlag- 
gebend nützen. 



139 



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Wenn wir unsere politisöbe Sdiulungsarbeit ener- 
gisdi und frudifbar durdifüliren werden, dann braudien 
wir nidit zu fürditen, der Jugend gelegentlidi audi 
Unterhaltung zu bieten, in Formen, die ihr entspredien 
und über die wir noch sehr viel werden nadidenken 
müssen. Aber wir werden nur dann Erfolg haben, wenn 
wir das Muckertum gänzlich aus unseren Reihen ent- 
fernen werden. 

Wir müssen ferner zweierlei tun: Nicht nur die 
wirtschaftlich-politischen und organisatorisdien Referate 
lebendiger, jugendgemäfier gestalten, wie es die Genos- 
sin vorgesciilagen hat, sondern wir müssen den Jugend- 
lichen und ihren wesentlichsten Nöten Rechnung tra- 
gen und im Rahmen unserer kulturellen audi sexual- 
politische Referate abhalten, indem wir von den rein 
persönliciien Fragen, die den Jugendlichen beschäftigen, 
ausgehen und von da bis zur großen Politik, bis zu den 
letzten Fragen der Wirtsdiafts- und Gesellsdiaftsord- 
nung vordringen. Dadurch werden wir vermeiden, daß 
die Mehrheit der Jugendlichen, wie das oft zu beobacii^ 
ten ist, sich entweder langweilt oder nur mit Zwang auf 
die Referate einstellt. Wir werden dann erreichen, was 
wir wirkhdi anstreben, eine gefühlsmäßige und sadi^ 
lidie Bindung der Jugendlidien an die Sädie aller Werk- 
tätigen und an die kommunistisdie Partei. Die Jugend- 
hdien, Ai^ Mädels sowohl wie die Jungens aus allen 
Kreisen, werden so das unersdiütterlidie Gefühl be- 
kommen, daß die kommunistisdie Jugend und die kom- 
munistisdie Partei die einzigen sind, die ihre persönlidi- 
sten Note wirklidi voll sowohl ärztlidi ^ne gesellsdiaft- 
lic^ verstehen und ihnen nidit nur im Rahmen des 
Moghdien Hilfe bieten, indem die Massenorganisationen 
bexualberatungsstellen für Jugendlidie einriditen und 
eine freiere, gesündere, der Jugend natürlidierweise 
entsprediendere Atmosphäre sdiaffen, sondern indem sie 



140 



ihnen audi einen Ausweg aus der Not zeigen, der zwar 
nidit unmittelbar ins Paradies führt, wohl aber für die 
Jugend eine tatsadilidie Erfüllung und Anerkennung 
ihres innersten Wesens bedeutet, den Kampf gegen die 
herrsdiende Klasse, gegen Kirdie, Sdbule, bürgerlidies 
Elternhaue und politisdic Reaktion, für die materielle 
und sexuelle Befreiung nidit nur der Jugendlidien, son- 
dern der materiell und sexuell Unterdrückten, der not- 
leidenden Massen überhaupt. 

Wir werden dann erleben, daß die Jugendlitten 
uns in Massen zuströmen werden, und wir werden uns 
vor eine neue sorgenvolle Frage gestellt sehen, wie wir 
die Mittel und die organisatoiisdien Kräfte herbeisdiaf- 
fen können, um diese Masse der Jugendlidien audi tat- 
sädalich zu organisieren und sie mit dem Wissen, politi- 
schem sowohl wie sexuellem, nadi dem sie dürsten, zu 
erfüllen. Aber wir werden audi mit dieser Frage fertig 
werden; Voraussetzung bleibt, daß wir nidit Anwürfe 
des Bürgertums und der kleinbürgerlidien sozialdemo- 
kratisdien Führer fürditen, die uns ßidier „Bordell- 
leben" vorwerfen werden. Werden wir uns abhalten 
lassen, für die Enteignung des Fabrik-, Haus- und 
Landbesitzes Propaganda zu madien und sie audi, wenn 
die Zeit gekommen ist, dnrdizu führen, nur weil uns das 
Bürgertum deshalb als ein Gesindel von Dieben und 
Räubern bezeidinet? Das werden wir gewiß nidit! Und 
ebensowenig werden wir uns durdi das Sdilagwort 
„Bordelleben" abhalten lassen, alle Mittel zu gebrau- 
chen, um die Befreiung aller Werktätigen audi von der 
sexuellen Unterdrückung durdizu führen. Wir müssen 
endlidi aufhören, dem Bürgertum beweisen zu wollen, 
daß audi wir „sittlidi" sind; im Gegenteil, wir müssen 
diese „Sittlidikeit", wie sie sie verstehen, mit allen 
Mitteln bekämpfen, als Bordelleben im wahrsten Sinne 
des Wortes entlarven und ausrotten und an ihre Stelle 

141 






unsere eigene Moral setzen, die, ^.y\^ diese Schrift zeigt, 
das geordnete, befriedigende Gesdileditsleben bejaht. 

^ Wir werden erst dann den riditigen Weg ans der 
Sdiwierigkeit finden und wir werden erst dann die 
sexuelle Befreiung der Jugend riditig yorbereiteu, wenn 
wir so offen spredieu werden, wie der Genosse Fritz an 
jenem Diskussionabend spratt: 

Man kann soldie Sadien audi bei uns in der Jugend 
beobaditen daß wenn nur ein oder wenige Mädels in der 
Onippe sind, man sie vollständig isoliert und sie sozusagen 
rein geistigen Zwedcen zuführen will. Idi glaube, daß es 
gerade für die Mädels sehr widitig ist, daß sie nidit nur 
theoretische oder audi praktisdie Arbeit leisten, sondern 
sowoh dem Jungen wie dem Mädel gibt es gegenseitig 
f'^t ,^^^^^^"^' -^^^^ sie miteinander befreunde? 
sind. Naturhdi keine Ponssaden, dagegen müßte man ffanz 
energisch Front madien; man muß auch verhindern daß die 
Madeis dadurdi, daß die Funktionäre glauben wenn s e 

mal e"f M^' f^'f '^''''\ "^"^ ^^'^ sexLllen Din^ennur 
teben leichtfertig sein dürfen, verletzt werden Die Jun^ens 

es für sie. sie denken nidit mehr daran. Aber insbesondere 

n n?. -^u .?f'^^^ ^^^^ ^^^«^■' Funktionär, von dem 

ver^endTha^ h''^* ^^'V'^"^*' ''^ ^^°ß ^>« Zeitvertreib 
verwendet hat deswegen kann es ihr genau so eehen wie 

Sanja. und es ist. glaube idi. sdion öftef vorgekommen Iß 

^. Ihnen genau so gegangen ist wie dem .erstr^Mäder 

W müssen dafür sorgen, daß das rein zahlenmäßige Ver-' 

ha tn zwischen Jangens und Mädels ein besseref wird 

anstatt daß wenige Mädels einer großen Anzahl von Tun- 

M^Xrder7 1^">^S T^" gleidimäfiig Jun;:ns und 
Madeis m der Zelle smd, darf man auc*i nidit so bürger- 
hdhe Vorwurfe madien, „heute geht er mit dem Mädel und 
morgen mit dem anderen!" Die Mädels bleiben ja ia der 
Zelle, und die Jungens bleiben audi in der Zelle, und es ist 
ein ganz bürgerlidies Vorurteil, daß man unbedingt einige 
Zeit mit_ einem Mädel befreundet sein soll; wir haben eife 
proletansdie Weltansdiauung, für uns gibt es soldie Be- 
dingungen nicht." 

142 



Dieser Genosse hat die Frage absolut korrekt ge- 
stellt und audi riditig beantwortet. Der Bürger fordert 
von der Jugend Verautwortlidikeit und meint damit 
Enthaltsamkeit; er sagt, man dürfe seine Sexualität 
nicht „ausleben", und versteht unter „Ausleben" den 
außerehelichen Gesdileciits verkehr überhaupt; und wer 
ist in Wirklidikeit verantwortungsloser und geiler als 
der Moralist? Wer verführt Mädels, wer benützt sie als 
Werkzeug, wer feiert Sauf- und Bordellorgien? Wir wol- 
len nicht verführen, nidit zwingen, die Sexualität nicht 
zu einer Klosettangelegenheit madien; das ist unsere 
Verantwortlichkeit; aber wir wollen, daß Jungens und 
Mädels ihr befriedigendes Sexualleben leben; man nenne 
es, wenn man will, „ausleben . 

Viele unserer Jungens und Mädels kennen genau 
den Untersdiied zwischen dem Ausleben einer kranken 
und dem Ausleben einer gesunden Sexualität. Wurden 
wir bei unserer kulturpolitischen und sexualpolitischen 
Arbeit nocii viel mehr die Jungens und die Mädels aus 
den unteren Organisationen befragen, würden wir uns 
weniger an die Meinungen so vieler komplizierter 
fühlenden intellektuellen Genossen halten, wir hatten 
sciion längst zur sexuellen Frage der Jugend d^e politi- 
sche Stellung gefunden. Damit soll der mtellektuelle 
Genosse keineswegs herabgesetzt werden; aber nicht nur 
müssen wir es sagen, auch unsere intellektuellea Ge- 
nossen, die Studenten, Ärzte, Lehrer Juristen usw. 
müßten es ganz von selbst wissen, daß sie aus burger- 
liciiem Elternhaus kommen und von dort her gerade auf 
dem Gebiet der Sexualität weit mehr Unsicherheit, bür- 
gerliche Wertungen, Ubersciiätzungen der sogenannten 
geistigen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, ms 
proletarisdie Lager hinübertragen als auf irgend einem 
andern. Sie sind audi sexualideologisct weit mehr ver- 
baut als der einfache Arbeiter, und die vielen morali- 



143 



sdien Verurteilungen des Sexuallebens der Jugendlidien 
stammen meist von soldien intellektuellen Genossen, die 
selbst mit der Frage nidit fertig geworden sind. 

Um zu den Bemerkungen des Genossen zurüdizu- 
kebren; er hat audi die Kernfrage des Budies „Das 
erste Mädel" richtig erfaßt. Darauf sollen wir jetzt 
ganz kurz eingehen. Was schildert dieses Buch, welche 
Fragen wirft es auf und was für eine Lösung bringt es? 
„Das erste Mädel" ist eine glänzende Schilderung 
des Kampfes der russischen Jugend gegen die Reaktion 
und für den Aufbau des Sozialismus. Aus diesem 
Grunde allein verdient es, in die Hände jedes Jugend- 
lieben zu gelangen. Aber es behandelt aucb zentral die 
sexuelle Frage. Die kommumstische Zelle wird durcb 
das erste Mädel, das in sie eintritt, ungeheuer belebt, 
blüht erst von da an ricJitig auf. Obwohl aus jeder Zeile 
deuthch hervorgeht, daß es die sexuelle Anziehung war, 
die vom „ersten Mädel" ausstrahlte, welche diese Be- 
übung herbeiführte, wird das nidit offen ausgesprochen. 
Wir können sidier sein, daß eine sexuell weniger an- 
ziehende Genossin, die ebensogut gearbeitet hätte, nidit 
diese Kolle wie Sanja gespielt hätte. Audi in der dort 
gesdiilderten Zelle lag das Problem wie bei uns ganz 
allgemem: £m Mädel auf sieben Jungens. Das koLte 
kein gutes Ende nehmen. Zuerst blühte die Zelle auf, 
aber dann, als sich das Mädel mit den Jungens ange- 
treundet hatte, begann dieses Mißverhältnis zu stören. 
Das Mädel begann sexuell, wie man das so nennt, „aus- 
gelassen zu leben. Wir können es nidit beweisen, aber 
was wir aus der ärztlidien Erfahrung wissen, ist, daß 
Tielleidit das wesentlidiste Stüd. an diesem Herum jagen 
und wahllos mit Männern gesdileditlidi Verkehren in 
einer Störung ihrer Sexualität begründet war. Der eine 
Junge, der sidi in sie besonders verliebte, wurde eifer- 
suditig. Es wäre ganz falsdi, diese Tatsadie streidien zu 



144 



wollen; sie geht ohne erwähnt zu sein, aus dem ganzen 
Verhältnis eindeutig hervor. Es ist kein Zufall, daß 
gerade der Junge, der sie ajn meisten liebte, sie dann 
e^sc^^ofi. Audi andere Genossen dieser Zelle waren an 
der Ehre der Gruppe interessiert, keiner aber griff zum 
Gewehr, um sie zu töten, außer dem einen. Warum 
mußte es zu dieser unglücklichen Lösung kommen? 

Die Jungens dieser Zelle waren in der bürgerlidien 
Auffassung befangen, daß die Ansteckung eine schwere 
Sdiande ist und man sie daher geheim behandeln muß. 
Sie haben den Grund der Schädigung der Zelle nicht 
darin erblickt, daß nur ein Mädel da war und die vielen 
i Männer ohne Mädels waren, nidit darin, daß diese 

I Jungens und das Mädel nidit wagten, die für sie so 

I brennende Frage ebenso hart anzupadten, wie sie gegen 

die Deserteure kämpften; und sdiließlich war dem 
Jungen, der das Mädel ersdioß, seine Eifersudit, die ihn 
zu dieser Tat trieb, als letztes Glied in der Kette der 
Ursadien, ganz unbewußt und daher um so gefahrlidier. 
Es liegt absolut nicht im Sinne des Marxismus und 
Leninismus. Tatsachen beiseitezusdiieben, nur wed in 
der ersten Linie die Tatsadie des Klassenkampfes steht. 
Es kommt eben auf die riditige Bewertung der versdiie- 
denen Tatsaciien an; es kommt darauf an, neben der 
Bindung der Kommunisten aneinander durdi das ge- 
meinsame Ziel der Revolution audi die Eifersudit als 
eine Tatsadie des mensdilidien Lebens anzuerkennen 
sie ihrer Bedeutung entsprediend einzusdiatzen und 
nidit einfadi zu erklären, das sei „unproletarisdi , also 
existiere es nidit. Wäre die Frage in Sanjas Zelle offen 
gestellt und besprodien worden, hätten nidit alle Mit- 
glieder der Zelle an dem sehr gefährlidien Erbe des 
Kapitalismus, der Sdieu vor sexuellen Dingen, gelitten, 
wären sie nicht zum Teil, und vor allem das Mädel, 
sexuell irgendwie gestört gewesen, hätten sie gewußt, 



145 



wie man Gesdileditskraiikheiten verhütet, Sanja hätte 
nidit sterben müssen und die Parteiarbeit wäre nidat 
ersdiütfert worden. 

• Wir müssen uns mit allen Kräften frei madien von 
dem speziellen bürgerlidien Begriff „Ausgelassenheit", 
der auch m unseren Kreisen nodi viel zu viel herum- 
spukt. Für uns darf nidit maßgebend sein, wie oft ein 
Junge oder ein Uiidel und mit weldiem Kameraden sie 
verkehren, sondern einzig und allein ob sie persönliches 
Ungludc anriditen oder die politische Arbeit schädigen 
Ganz klar herausgesagt, ganz im Sinne des Genossen 
triiz: Wenn Jungeus und Mädels „heute mit dem und 
morgen mit jenem" aus der Gruppe gehen, wenn das 
die Parteiarbeit nicht schädigt, wenn sidi dadurcii die 
Beziehungen der Genossen in der Gruppe festigen, wenn 
Madeis und Jungens dadurcii in der Gruppe bleiben 
und die Arbeit gefördert wird, wenn die persönlidie 
l^ntwidclung beider Teile dadurdi keine Sdiädigung er- 
tahrt so bedeutet es Reaktion im eigenen Lager, wenn 
man dagegen ohne irgend eine Begründung und nur, 
Z '^^''.^Y'^'' kleinbürgerlidien Moraifimmel hat, an- 
kämpft. Wir verlieren den Boden unter den Füßen, 
sobald wir anfangen in der Luft irgend etwas vorzu- 
sdireiben. Der Zustand „heute mit dem und morgen 
mi jenem kann in dem einen Fall förderlidi, in 
vielen Fallen aber sdiädlidi sein. Es bleibt nidits 
anderes übrig, als die Jugend so klar und selbständig in 
diesen Dmgen zu madien, wie es die Aufgaben der 
revolutionären Arbeit erfordern. 

Als erster Ansatz dazu ist es ratsam, eine Liste 
aller jener Sdilagworte anzulegen, die bei Diskussionen 
über sexuelle Fragen die sexuelle Prüderie verdedcen 
sollen und dadurdi die Frage nidit klären, sondern nur 
versdileiern. Einige dieser Sdilagworte sind: „Geistige 
Liebe", „Kameradsdiaft", „Sidikennenlernen der Ge- 

146 



sdilediter". „Entwi<klung von der sinnlidieii zur indivi- 
dueUea Liebe", „Sidi verstehen" usw. Wenn irgend je- 
mand auftritt, der diese Sdilagworte gebraucht, ohne 
sidi klar zur Frage zu äußern, wenn wir spüren, da 
redet einer um die Frage des Gesdilechts Verkehrs 
herum, so müssen wir ihm mit gewohnter kommunisti- 
sdier Offenheit sagen, daß er entweder nicht darüber 
reden soll, wenn er nidits davon versteht, oder aber sidi 
ganz genau ausdrücken soll, sonst kommen wir zu kei- 
nem Ende. -rrr , 1 11 

Wenn jemand kommt und sagt: „Wir braudien alle 
Kräfte für die proletarische Revolution", so werden wir 
ihm rectt geben, tausendmal redit geben. Wenn er aber 
sagt, „es gibt kein Privatleben" oder „dein Privatleben 
ist deine Privatsadie", so werden wir ihn fragen, ob er 
das so ganz allgemein meint, und mit ihm darüber spre- 
dien und ihn zu überzeugen versuchen, daß nicht nur die 
sexuelle Frage der Jugend, sondern die gesamte Sexual- 
frage ganz anders steht vor der Revolution, m der 
Revolution und nadi der Revolution. Wir werden ihm 
auch beweisen können, daß er unmarxistisch und gut 
bürgerlich denkt, wenn er die Frage verallgemeinert, 
wenn er die konkreten Tatsachen uidit sehen will. 

Vor der Revolution steht vor der klassenbewußten 
kommunistischen Jugend die Aufgabe, die Masse aller 
Tugendliciien für die Revolution zu mobilisieren. In 
dieser Phase gehört die sexuelle Frage der Jugend 
hinein in die Gesamtfront der proletarisdien Bewegung. 
Vor der Revolution können wir der Masse der Jugend- 
lichten in sexueller Hinsiciit nicht viel helfen, aber wir 
müssen diese Frage politisieren, die geheime oder offene 
sexuelle Rebellion der Jugend im revolutionären Kampt 
gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung ver- 
wandeln. 

In Zeiten der Revolution, wo alles durciiemander- 



147 



geworfen wird, alles Morsdie versinkt, wo wir auf den 
Trümmern einer korrupten, ausbeuterisdien, grausamen 
und verfaulten Gesellsdiaftsordnung stehen, gilt es, nidxi 
zu moralisieren, wenn sidi die sexuellen Widersprüdie 
in der Jugend zunädist steigern; da gilt es, die sexuelle 
Revolution im Zusammenhang mit der gesdiiditlidien 
Umwälzung verstehen und sidi auf die Seite der Jugend 
: stellen, ihr helfen, so weit es möglidi ist, aber im übri- 

n gen wissen, daß es Übergangszeit ist. Vor den Wirren 

dieser Übergangszeit zurüctsdirecken, vor der „tollge- 
wordenen Jugend" Angst bekommen und in bürgerliche 
Ideologien zurückfallen, in Asketentum und Moralisten- 
lum, die zu beseitigen mit eine Aufgabe der proletari- 
sdaen Revolution ist, bedeutet hinter den gesdiichtlidien 
Ereignissen zurückbleiben und sich gegen die Entwidc- 
lung stemmen. 

Nach der Revolution, wenn das von den Ausbeutern 
befreite Volk endlich darangeht, den Sozialismus aufzu- 
bauen, die Wirtschaft im sozialistischen Sinne umzuge- 
stalten und die morschen Erbstücke des Kapitalismus auf 
allen Gebieten zu vernichten, steht die Frage wieder 
ganz anders. Dann tritt an die Gesellschaft aller Werk- 
^ . tatigen die wichtige Aufgabe heran, audi an die künftige 
Ordnung des Geschlechtslebens zu denken und sie vor- 
zubereiten. Diese künftige Ordnung kann und wird 
keine andere sein als die, wie Lenin sidi ausdrüdcte, 
des erfüllten Liebeslebens, weldies Lebenskraft und 
Lebensfreude gibt. So wenig wir über die Einzelheiten 
dieses Lebens aussagen können, so ist dodi sidier, daß 
die sexuellen Bedürfnisse der Menschen in der kom- 
munistisdien Gesellscbaft wieder zu ihrem Redite 
kommen werden; daß in dem Maße, wie durdi die sozia- 
listisdie Rationalisierung der Arbeit und die Steigerung 
der Arbeitsproduktivität die Arbeitszeit und der Drude 
der Arbeit sich verringern werden, neben kulturellen 



.148 



und sportlic3ien Betätigungen audi das Gesdiledits- 
leben, befreit von privatwirtsdiaftlidiem und bürger- 
lidiem Sdimutz, losgelöst von Geld und Brutalität 
und Erniedrigung seinen Raum in der mensdilichen 
Gesellschaft auf höherer Ebene wieder einnehmen wird. 
Und die Mensdien werden wieder fähig werden, ihre 
Sexualität zu genießen, weil die wirtsdiaftlidie Basis 
für die sexuelle Unterdrückung, die Privatwirtschaft, 
die sie genufiunfähig und daher krank oder toll im 
wahrsten Sinne des Wortes macht, wegfallen wird. Wir 
malen keine Utopie, sondern sehen deutlich die Ent- 
wicklung dahin — heute, vierzehn Jahre nadi der prole- 
tarischen Revolution in der Sowjetunion. Der Beweis, 
daß nur der Sozialismus die sexuelle Befreiung verwirk- 
lichen kann, liegt auf unserer Seite. Im Kapitalismus 
gilt es daher alle Kräfte daransetzen, die unterdrückten 
Millionenmassen auch in dieser Richtung zu überzeugen 
und zum unerbittlichen Kampf gegen alles, was sicii 
dieser Befreiung entgegenstellt, zu mobilisieren^ Bei 
dieser Mobilisierung wird die Jugend gerade auf Grund 
der großen materiellen, autoritativen und sexuellen Un- 
terdrückung, der sie heute unterworfen ist und die alle 
Tugendlichen miteinander verbindet, in vorderster Front 
marsdiieren. Und wir werden sie in dem Maße für die 
Sache der Revolution gewinnen und begeistern, wie wir 
sie in ihren sexuellen Nöten verstehen werden und sie 
überzeugen werden, daß das einzige, was man ihr heute 
im Kapitalismus mit voller Verantwortung und m voller 
Wahrheit sagen kann, lautet: In der kapitalistischen 
Gesellschaft gibt es keine sexuelle Befreiung der 
Jugend, kein gesundes, befriedigendes Sexualleben; 
willst du die sexuelle Not beseitigen, so kämpfe für den 
Sozialismus. Denn der Sozialismus verwirklicht die 
sexuelle Lebensfreude — ganz unabhängig von der 
Meinung einzelner, die in sexuellen Dingen unklar 



149 



sind — indem er zunäcbst die Herrsdiaft derjenigen 
beseitigt, die die Augen zum Himmel verdrehen, wenn 
sie von Liebe spredien, in Wirklichkeit aber die Sexuali- 
tät der Jugend zerbrechen, - ^ . : ' 



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FRAGEBOGEN 



1. Hältst du die grundsätzlidie Linie, die in diesem BuA 
entwickelt wird, für riditig und geeignet, die sexuelle Frage 
der Jugend praktisdi zu lösen? 



'2'weläe Mängel enthält das Buch? (Betrifft Verstand- 

lidikeit aufgeworfine Fragen, politisdie Lime und anderes) 



j. 



5. Welche Vorschläge (Abänderungen, Ergänzungen) hast 

du für die nächste Auflage? 



"4'Hast du praktische Vorschläge für die Organisierung 

der Juglnd zum sexualpolitischen Kampf unter revolutionärer 
Führung? 



5" Willst du dicii als aktiver Kämpfer für die Sadie der 

Jugendlichen beteiligen? 

tik, Kursuslehrer) 



Name: 

Adresse: 

Beruf u. polit. Organisation: 



151 



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Vom selben Verfasser ersAieiieii unter andercH 
folgende Sdbriften: 

Der triebhafte Charakter. (Eine Studie zur 
Psydiopathologie des Idis.) Internationaler Psydio- 
analytisdier Verlag, 1925. 

Die Funktion des Orgasmus. (Psydiopatholo- 
gie des Gesdilechtslebens.) Internationaler Psydio- 
analytisdier Verlag, 1927. 

Sexnalerregung und Sexualbefriedi- 
gung. (4. Auflage, derzeit vergriffen.) Münster- 
Verlag, Wien, 1929. 

Dialektiscber Materialismus und Psy- 
choanalyse. („Unter dem Banner des Marxis- 
mus.") 1929. 

Geschlechtsreife ~ Enthaltsamkeit — 
Ehemoral. (Eine Kritik der bürgerlichen Sexual- 
reform.) Münster-Verlag, Wien, 1930. 



Soeben erschienen: 

— .11 

DER EINBRUCH DER 
S E X U A L M O R A L 

Zur Gesdiidtite der sexuellen Ökonomie 

VERLAG FÜR SEXUALPOLITIK 
Berlin Wien Leipzig 



152 



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I 



Vom selben Verfasser erschien 
soeben: 

DEREINBRUCHDER 
SEXUALMORAL 

Ein Werk von außerordentlichem 
Wert nicht aHein für die Geschichte 
der Moral. Reich erbringt an dem 
Beispiel einer mutter rechtlich orga- 
nisierten GesellschaFt den exakten 
Nachweis^ daß die Unterdrückung 
des kindlichen und jugendlichen 
Sexuallebens auf die Ökonomischen 
Prozesse zurückzufDhren ist, in 
denen das Patriarchat das K>äutter- 
redit ablöst. Seelische Erkrankun- 
gen als soziologische Erscheinung 
zu erklären, wird damit zum ersten 

Male ermöglicht. 
Ein Buch von grundlegender Bedeu- 
tung für die Völkerkunde, Sozio- 
logie, Psychoanalyse und Kulturge- 
schichte. Kartoniert RM 3,75, in 
Ganzleinen RM 4,80. 

WENN DEIN KIND 
DICH FRAGT . . . 

Beispiele^Gesprache und Ratschläge 

zur Sexualerziehung 

von 

Dr. Annie Reich 

Geheftet 20 Pf., kartoniert 60 Pf. 

Dr. Alexander Lubin 

MUTTER UND KIND IN 
DER SOWJET.UNION 

Geheftet 20 Pf., kartoniert 60 PI. 



VERLAG 
FÜR SEXUALPOLITIK 

BERLIN-WILMERSDORF 
Kreuznacher Straße 38 

WIEN LEIPZIG 



-^ \ 





VerJas-tüc-Siptralpolitik ■ BsjUnfl^pzis^Wien