V era ümidt
(Moskau)
PSYCHOANALYTISCHE ERZIEHUNG
IN SOWJETRUSSLAND
üeriait
über aas Ivmoemeim--'Laooratorium
in .M-Oskau
Internationaler
Psychoanalytischer Verlag
Leipzig / Wi en / Z ixricn
IMAGO -BÜCHER
I,
DER KÜNSTLER
ANSÄTZE ZU EINER SEX UAL-PSYCH OLO Gl E
Von Dr. OTTO RANK
Das Werk Rank» behandelt In lichtvoller Darstellung entscheidende Fragen. Der Weg ist kühn — aber kein
Marsen aut der straUe. Die Zeit.
Viele sehr verdienstvolle, wenn auch harte und beinahe rücksichtslose Meinungen. Es gehört eine große Freiheit
des freistes und eine sehr schätzbare Unbefangenheit dazu. Rank hat autdem Wege zur Seelenschau des Künstlers
eine ganze Menge psychologischer Probleme auf ihren sexuellen Gehalt hin geprüft und mit schöner Prägnanz
demonstriert. Münchner Allgemeine Zeitung.
IL
TOLSTOIS KINDHEITSERINNERUNGEN
EIN BEITRAG ZU FREUDS LIBID OTHEORIE
Von Dr. N, OSSIPOW
Auf der gigantischen Persönlichkeit dieses großen Russen, erschütternd entgegenschimmemd aus seinem künst-
lerischen bchaHen, last nacktgeschürft in dem Autobiographischen, ruht hier zum erstenmal der geschärfte und
geläuterte Blick psychoanalytischer Erkenntnis. Der Mensch und Künstler, selbst ein Zerglieäerer, selbst ein
1 rager genialischer Tiefenpsychologie, tritt hierin den Leuchtkegel modernster wissen schaftlicher Seeleneinsicht.
H« m £ r ^ i e E r W l lae kreuzen sich dabei die Wege Tolstoischer Sexualgrübelei mit denen der psychoana-
lytischen Eroslehre. Die Studie beansprucht, sowohl von den Genießern Tolstoischer Kunst willkommen ge-
holfen zu werden, als auch bei dem wissenschaftlich orientierten Leser brennendes Interesse vorzufinden.
III.
DER EIGENE UND DER FREMDE GOTT
ZUR PSYCHOANALYSE DER RELIGIÖSEN ENTWICKLUNG
Von Dr. THEODOR REIK
Inhalt: Über kollektives Vergessen. — Jesus und Maria im Talmud. — Der W. Epiphanius verschreibt sich. —
Die wiederauierstandenen Götter. — Das Evangelium des Judas Isehkarioth. — Die psychoanalytische Deutung
des Judasproblems. - Gott und Teufel. - Die Uuheimliebkeit fremder Götter und Kulte. - Das Unheimliche
aus infantilen Komplexen. — Die Äquivalenz der Triebgegensatzpaare. — Über die Differenzierung.
Diese Arbeiten sollen schreibt der Verfasser in der Vorbemerkung, „einen Versuch darstellen, von analytischen
tjesiehtspunkten aus die Erscheinungen der religiösen Feindseligkeit und Intoleranz psychologisch zu erklären
und zugleich den tieferen Ursachen der religiösen Verschiedenheiten nachzuforschen. Woferne die Konvergenz
der Ergebnisse in diesen von verschiedenen Seiten hergeführten Untersuchungen einen Schluß auf die Richtigkeit
des Ganzen zulaßt, wurde ich hoffen, daß die vorliegende Aufsatzreihe ein wichtiges Stück der religiösen Ent-
wicklung In einem neuen Lichte erscheinen läßt".
IV.
DOSTOJEWSKI
SKIZZE ZU SEINER PSYCHOANALYSE
Von JOLAN NEUFELD
Wie ist es möglich, daß ein Mensch so loyal gesinnt ist und dabei an einer Verschwörung gegen den Zaren
teilnimmt? Wie kann jemand tief religiös und zugleich absolut ungläubig sein? Woher kommt es, daß ein
Mensch, der mit jeder Nervenfaser an seiner Heim atsch olle klebt, Monate, ja Jahre im Auslande verbringt'
Woher kommt es, daß er dem Gelde ununterbrochen nachjagt, um es dann wie etwas vollkommen Wertloses
zum Benster hinauszuwerfen? Wie das Leben, so ist auch die Dichtung Dostojewskis enigmatisch. Rätselhafte
Charaktere, entgleiste Perverse sind die Helden seiner Romane und gehen uns Rätsel über Rätsel auf, die mit
der Bewußtseinspsychologie überhaupt nicht lösbar sind. Der Zaüberschlüssel der Psychoanalyse aber sprengt
die Schlösser, die diese Rätsel wahren.
GEMEINSAME TAGTRÄUME
Von HANNS SACHS
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
Psychoanalytische Erziehung
in Sowjetrußland
Bericht
über das Kinderheim-Laboratorium in Moskau
Von
Wera Schmidt
(Moskau"!
1924
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Leipzig / Wien / Zürich
— . v — — -
i
Alle Rechte,
insbesondere das der Übersetzung vorbehalten
Copyright 1924
by „Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H.", Wien
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Gesellschaft fftr Graphite Industrie, Wi.n, 111., ROden^.e U
I
Die äußeren Schicksale des Kinderheim-
Laboratoriums
Das Interesse für Erziehungsfragen, insbesondere für die
Gemeinschaftserziehung im Kindesalter, hat sich in Rußland
wahrend der Ereignisse der letzten Jahre bedeutend gesteigert.
So kam es, daß in unserem kleinen, für die Psychoanalyse
interessierten Kreise der Gedanke auftauchte, ein Kinderheim
zu gründen, das neben einer Gelegenheit für wissenschaftliche
Beobachtung die Möglichkeit bieten sollte, auf Grund psycho-
analytischer Erkenntnisse neue Wege der Erziehung zu suchen.
Zu diesem Zweck wurde eine Villa zur Verfügung gestellt, das
Volkskommissariat für Aufklärung gab die Geldmittel und wir
konnten am 19. August 1921 das Kinderheim-Laboratorium
eröffnen, das sich offiziell dem Moskauer Psychoneurologischen
Institut anschloß. An der Spitze des Heimes stand Professor
Ermakow, der Leiter der psychoanalytischen Bewegung in
Rußland. Es war damals in Moskau fast unmöglich, geschulte
Mitarbeiter zu finden, die eine wenn auch nur theoretische
Kenntnis der Psychoanalyse besaßen. So mußten wir uns damit
begnügen, Pädagogen heranzuziehen, die sich für die spezielle
Aufgabe des Heimes interessierten und ihre weitere Ausbildung
erst im Laufe ihrer Mitarbeit erhalten sollten.
Wir nahmen dreißig Kinder auf, die wir in folgender Weise
auf drei Gruppen verteilten.
1. Gruppe 6 Kinder im Alter von 1-4 % Jahren
2. 9 » - » 2 ~ 3
3. - 15 N » " » 4 ~ 5 *
Wera Schmidt
Ihre Eltern gehörten den verschiedensten sozialen Schichten,
dem Arbeiter- und Bauernstand, wie auch intellektuellen
Kreisen an.
Obwohl die wissenschaftliche Arbeit des Heimes in aller
Stille vor sich ging, verbreiteten sich schon nach drei Monaten
allerlei auf sie bezügliche Gerüchte in der Stadt. Es hieß, daß
in unserer Anstalt die schrecklichsten Dinge geschehen, daß
wir die Kinder zum Zwecke der Beobachtung vorzeitig sexuell
erregten und ähnliches mehr. Die Behörde leitete daraufhin
eine Untersuchung ein. Die Untersuchungskommission, die
aus einem Kinderarzt, einem Pädagogen, einem Psychologen
und einem Vertreter des Kommissariats für Aufklärung bestand,
arbeitete mit Sitzungen, Beratungen und dergleichen mehrere
Monate. Schließlich teilten sich ihre Stimmen. Der Arzt und
der Pädagoge sprachen sich zugunsten des Kinderheims aus
und bezeichneten die von uns geleistete Arbeit als nützlich
und wertvoll. Der Psychologe dagegen kritisierte die Tätigkeit
des Heimes vom pädagogischen wie vom wissenschaftlichen
Standpunkt aus aufs schärfste. Daraufhin erklärte das Volks-
kommissariat für Aufklärung durch seinen Vertreter, das
Kinderheim nicht länger erhalten zu wollen, motivierte aber
seinen Entschluß nur mit den übergroßen Erhaltungskosten der
Anstalt.
Bald darauf ordnete das Psychoneurologische Institut,
an dessen Spitze inzwischen bei einem Direktionswechsel
ein überzeugter Gegner der Psychoanalyse, Professor N.,
getreten war, seinerseits eine Revision unserer Anstalt
an. Das Urteil dieser Untersuchungskommission war höchst
affektiv gefärbt und geradezu vernichtend. In einer öffent-
lichen Sitzung beschimpfte Professor N. den Direktor, die
Mitarbeiter und sogar die Kinder des Kinderheim-Labora-
toriums. Daraufhin stellte das Psychoneurologische Institut
nicht nur jede weitere Unterstützung des Kinderheim-Labora-
toriums ein, sondern beeilte sich auch, sich ideologisch von
ihm loszusagen.
Psychoanalytische Klndererriehnag In RaSland
Angesichts dieser hoffnungslosen tage standen wir vor
der Nötigung, das Kinderheim-Laboratorium aufzulösen. An
dem Tag! aber, an dem dieser —lubveröffentUebt ^werden
sollte, erschien bei uns ein Vertreter der deutschen Berg
ei ervereinigung „Union", der sich gerade zum Besuch -
Kongresses in Moskau authielt. Er stellte uns im Kamen des
deutschen und russischen Bergarbeiterbundes das Anerbieten,
unsere neue wissenschaftliche Organisation matenell zu ermög-
lichen und ideologisch zu stützen. Tatsächlich wird das Heim
seit damals (April 1922) von der deutschen Vereinigung „Un on
mit Lebensmitteln, von den russischen Bergarbeitern mit allem
Heizmaterial versorgt. Das Kinderheim änderte nun seinen
Namen in Kinderheim-Laboratorium „Internationale Solidarität .
Die Mitarbeiter, die ihren Gehalt vom Akademischen Zentrum
des Volkskommissariates für Aufklärung erhalten, dem alle
wissenschaftlichen Institutionen der Republik unterstehen
wurden unter den neuen Verhältnissen auf die Hälfte der Anzahl
vermindert. Die Zahl der Kinder ging auf zwölf zurück.
Im Herbst 1922 wurde das staatliche Institut für Psycho-
analyse gegründet, dem sich das Kinderheim-Laboratorium als
eine Hilfsorganisation anschloß. Das Heim wurde in, Herbst
und Winter 1922 zweimal revidiert. Beide Male war das Urte.l
über seine pädagogische und wissenschaftliche Tätigkeit em
lttfc tTÄ nicht, daß im Früher 192B, als es an GeU-
mittein zur Erhaltung der notwendigsten Organisationen fehlte,
von selten der höheren Staatsorgane der Bestand des Kinder-
„ L-Laboratoriums ueuerdings in Erage gestellt wurde. Gleich-
zeitig erhob sich auch wieder eine Diskussion darüber, mwie fern
TL stenz einer solchen Anstalt, die ihr Erzi«system
auf psychoanalytische Erkenntnisse auftaut, überhaupt
wünsc nswert s'ei. Ein Teil der Pädagogen und Psychologen
sprach sich dafür, ein anderer dagegen aus. Es wurde wieder
ele aus fünf Mitgliedern bestehende Komm.ss.on emg ,etzt
welche die Tätigkeit des Heimes während des laufenden
S
_
Wera Schmidt
Herbstes zu überwachen hat. So ist also der Fortbestand der
Anstalt auch heute noch ungesichert Uns aber ist das lebendige
Interesse, das die Pädagogen und Psychologen für die Anwendung
der Psychoanalyse auf Erziehungsfragen äußern, die beste
Gewähr dafür, daß es dem Kinderheim-Laboratorium als einer
der notwendigsten Organisationen für die gegenwärtige
Pädagogik auch weiterhin gelingen wird, seine Existenz zu
behaupten.
n
Die innere Einrichtung des Kinderheim-
Laboratoriums
Das Kinderheim beherbergt derzeit zwölf Kinder, darunter
fünf Knaben und sieben Mädchen.
1. Gruppe 6 Kinder im Alter von 3— &% Jahren
2. „ 6 n » » » 4_5 »
Von den Kindern der ersten Gruppe befinden sich vier seit
dem Tag der Eröffnung im Heim, eines länger als ein Jahr,
eines vier Monate. Von den Kindern der zweiten Gruppe traten
vier in den ersten Monaten nach der Eröffnung ein, zwei vor
eineinhalb Jahren. Wie oben erwähnt, gehören die Kinder den
verschiedensten sozialen Schichten an. Einige von ihnen sind
Waisen und Halbwaisen. Sämtliche Kinder sind physisch und
psychisch normal entwickelt
Jede Gruppe bewohnt zwei Zimmer der schönen Garten-
villa des Heimes, von denen eines als Schlaf-, das andere als
Spiel- und Eßraum dient. Ein Isolierzimmer für Kranke steht
zur Verfügung.
Die physische Pflege und pädagogische Leitung der Kinder
besorgen die Erzieherinnen, die einander nach je sechs Stunden
in der Arbeit abwechseln. Ursprünglich hatte jede Gruppe
vier unter den jetzigen Verhältnissen nur drei Erzieherinnen.
(Wärterinnen gibt es im Kinderheim-Laboratorium nicht.) Zu
den Pflichten der Erzieherinnen gehört auch die Anlegung der
Charakterskizzen, Tagebücher und Beobachtungen, in die
täglich nach Übergabe der Arbeit Notizen eingetragen werden.
Außerdem besitzen wir von jedem einzelnen Kind der jüngeren
»u.^w. ^°
.,. -.
Wera Schmidt
Gruppe lückenlos fortgeführte tägliche Aufzeichnungen über
die körperlichen Verrichtungen (im Anschluß an die Erziehung
zur Reinlichkeit), über die Zahl der Schlafstunden bei Tag und
Nacht, den Zustand der Haut, Appetit und Stimmung.
In gewissen Zeiträumen werden Charakterskizzen einzelner
Kinder entworfen und, je nach den Bedürfnissen der praktischen
Arbeit, psychologische und pädagogische Fragen zur Diskussion
gestellt. Die pädagogische und psychologische Arbeit sind über-
haupt innig miteinander verbunden. Die pädagogische Tätigkeit
gründet sich auf die Erkenntnisse der Psychoanalyse ; ihrerseits
aber liefert sie der analytischen Beobachtung wieder eine über-
reiche Fülle von Material zur Klärung schwebender Probleme
und zur Aufstellung neuer.
III
Psychoanalytische Leitsätze für die Arbeit im
Kinderheim-Laboratorium
1. Die Psychoanalyse lehrt, daß es in der menschlichen Psyche
neben dem bewußten Seelenleben das große Reich des Unbe-
wußten gibt. Das kleine Kind steht stärker als der Erwachsene
unter der Herrschaft seines Unbewußten. Seine bewußte Per-
sönlichkeit entwickelt sich nur langsam und allmählich.
Wir lernen daraus für unsere pädagogische Arbeit, daß jeder
Erzieher imstande sein soll, die Abkömmlinge des kindlichen
Unbewußten zu erkennen, zu deuten, und von seinen bewußten
Äußerungen zu sondern. Statt das Kind für Regungen zu verurteilen,
die aus seinem Unbewußten stammen und denen es darum ohnmächtig
gegenüber steht, sollen wir ihm bei ihrer Bewältigung behilflich
sein. So kann es gelingen, ihm ein Kraftbewußtsein zu geben, anstatt
es seine Schwäche fühlen zu lassen.
2. Die Psychoanalyse hat uns zwei Prinzipien des psychischen
Geschehens erkennen gelehrt : das Lustprinzip und das Realitäts-
prinzip. Das kleine Kind steht noch völlig unter der Herrschaft
des Lustprinzips. Sein triebhaftes Streben ist ohne Rücksicht
auf die Forderungen der Realität auf die Gewinnung von Lust
und Vermeidung von Unlust gerichtet.
Es wäre also unsere Auf gäbe, das Kind allmählich die Bedeutung
der realen Verhältnisse der Außenwelt verstehen zu lehren und es
so zur Überwindung des Lustprinzips, zur Ersetzung desselben durch
das Realitätsprinzip anzuregen.
3, Die Psychoanalyse hat gezeigt, daß es ein unhaltbarer
Irrtum ist, dem Kinde ein Sexualleben abzusprechen und anzu-
nehmen, daß die Sexualität erst zur Zeit der Pubertät und der
.
10
Wera Schmidt
Reifung der Genitalien einsetze. Das Kind hat im Gegenteil von
Anfang an ein reichhaltiges Sexualleben, das aber organisch
nicht an die Genitalien gebunden ist und natürlich noch nichts
mit der Fortpflanzungsfunktion zu tun hat. Man könnte es am
ehesten als polymorph-pervers bezeichnen. Durch eine Reihe
von Umbildungen entwickelt sich aus dieser infantilen Sexualität
die normale erwachsene.
Wenn aber die infantile Sexualität eine biologisch begründete,
gesetzmäßige Erscheinung ist, dann sind auch ihre Äußerungen
normale und notwendige Phänomene, mit denen wir bei unserer
erzieherischen Arbeit rechnen müssen.
4. Die Sexualentwicklung des Kindes führt über eine
Reihe von Sexualorganisationen, welche die Psychoanalyse als
prägenitale Phasen bezeichnet, weil die Genitalzone in ihnen
noch nicht die herrschende Rolle spielt. Gleichzeitig macht die
Beziehung der einzelnen Sexualstrebungen (Partialtriebe) zu
ihrem Objekt eine Reihe von Entwicklungen durch, die vom
Autoerotismus (der Befriedigung an verschiedenen Zonen des
eigenen Körpers) bis zur Objektwahl (Vereinigung aller
Begehrungen auf ein fremdes Objekt) führen.
Wir werden den ungestörten Fortgang dieser komplizierten
Entwicklung erleichtern, wenn unsere erzieherische Arbeit die
prä-enitalen Organisationsphasen berücksichtigt, die sich normaler-
weise nur andeutungsweise verraten. Wir müssen außerdem wissen,
daß jeder Schritt auf diesem Wege zur Ansatzstelle für eine Ent-
wicklungshemmung werden kann, die unser helfendes Eingreifen
notwendig macht.
5. Die Sexualstrebungen des Kindesalters erfahren die
verschiedensten Schicksale. Sie können von ihren sexuellen
Zielen abgelenkt und auf sozial höherstehende, nicht mehr
sexuelle gerichtet werden. Diesen Vorgang nennt man in der
Psychoanalyse eine Sublimierung. Die gleichen Strebungen
können aber auch der Verdrängung unterworfen werden. Dabei
werden sie durch eine psychische Verhinderung von der
Erreichung ihres Zieles abgehalten und ins Unbewußte ver-
Psychoanalytische Kindererziehung in Rußland 11
wiesen, behalten aber ihre Energie, die nur auf der Suehe nach
Ersatzbefriedigung in andere Bahnen gedrängt wird.
Unser neugewonnenes Verständnis der infantilen Sexual-
äulierungen müßte uns dazu verhelfen, durch richtiges pädagogisches
Verhalten ein weitergehendes Zustandekommen von Sublimierungen
zu ermöglichen. Wenn aber auf diese Weise nur ein geringerer Teil
der infantilen Triebregungen der Verdrängung zu verfallen brauchte
und ein größerer Anteil der psychischen Energie des Kindes für
kulturelle und soziale Verwendungen erhalten bliebe, dann wäre
dem Individuum auch die Möglichkeit zu einer viel reicheren,
ungehemmteren Entwicklung gegeben.
6. Die psychoanalytische Forschung hat aufgedeckt, daß
die Einstellung des Kindes zu seinen Eltern in positiver wie
in negativer Form auch auf Ersatzpersonen übertragen werden
kann. Solche Stellvertreter der Eltern sind in erster Linie
Lehrer und Erzieher und (für den Kranken) der Arzt. In der
Erziehung wird die positive Bindung an die Ersatzperson dazu
ausgenützt, das Kind zum allmählichen Verlassen des Lustprinzips
und zur Unterwerfung unter das Realitätsprinzip zu nötigen.
Andererseits steht das Kind bei negativer Einstellung zur Ersatz-
person auch den Anforderungen der Realität feindselig gegenüber.
Unsere Kenntnis des Übertragungsmechanismus stellt uns die
Aufgabe, im Interesse der pädagogischen Arbeit für eine Bindung
des Kindes an die Erziehungsperson zu sorgen. Es hängt vom
Verhalten des Erziehers ab, ob diese Bindung positiv oder negativ
ausfällt. Daraus folgt die Notwendigkeit einer ernsthaften Arbeit
des Erziehers an sich selbst.
7. Es ist eine Voraussetzung der Psychoanalyse, daß es
im Psychischen keine Zufälligkeiten gibt. Alle Handlungen,
Äußerungen und Einfälle eines Menschen, die der flüchtigen
Beobachtung als zufällig erscheinen könnten, zeigen sich bei
analytischer Betrachtung durch unbewußte Vorgänge determiniert.
Wenn wir bei unserer Erziehungsarbeit an diesem Gesichts-
punkt festhalten, dann werden uns das Verhalten und die Äußerungen
des Kindes eine Menge von Andeutungen geben, aus denen wir
Vorgänge erraten können, die sich in den Tiefen seines Unbewußten
abspielen.
mm
—
IV
Allgemein pädagogische Grundsätze für die
Arbeit im Kinderheim-Laboratorium
1 Jede Erziehung, die wirksam sein will, muß schon in
den ersten Lebenstagen des Kindes einsetzen. Man hat erkannt,
daß das Säuglingsalter eine der wichtigsten Perioden des
menschlichen Lebens ist, in der die Keime für alle künfUgen
Entwicklungsmöglichkeiten angelegt werden.
2. Der Erzieher soll bei seiner pädagogischen Arbeit nicht
von theoretischen Überlegungen ausgehen, sondern von dem
Material, welches die Beobachtung der Kinder ihm liefert.
3 Das pädagogische Verhalten dem einzelnen Kind gegen-
über muß sich nach der individuellen Besonderheit des Kindes
richten.
4 Nach dem Grundsatz der biogenetischen Auffassung der
kindlichen Entwicklung muß der Erzieher jede subjektive
Beurteilung der kindlichen Äußerungen (besonders der unbewußten
Regungen) vermeiden.
5. Der Erfolg der Erziehung wird von der Erfüllung drei
wichtiger Bedingungen abhängen ;
a) von der Herstellung einer Beziehung zwischen
Erzieher und Zögling (Bindung, Übertragung, siehe oben) ;
b) von dem Aufwachsen des Kindes in einer Gemein-
schaft von Altersgenossen;
c) von der Herstellung günstiger äußerer Verhältnisse,
der Schaffung einer vom pädagogischen Standpunkt gesunden
Umgebung.
.
Psychoanalytische Kinder erziehung in Rußland
13
6. In den ersten Lebensjahren muß vor allem die
Bewältigung drei wichtiger Erziehungsaufgaben in Angriff
genommen werden:
a) die allmähliche Anpassung an die Forderungen der
Realität ;
b) die Beherrschung der Exkretions Vorgänge ;
c) die Anbahnung von Sublimierung infantiler Trieb-
regungen.
Pädagogische Maßnahmen zur Erfüllung der
vorstehenden Forderungen
Die Beziehungen des Kindes zu den Personen seiner Umwelt
Das Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling im Kinder-
heim-Laboratorium ist auf gegenseitigem Vertrauen und Wohl-
wollen aufgebaut. Die Autorität des Erziehers wird dabei durch
den Kontakt mit dem Zögling (die Übertragung) ersetzt.
Auch die Beziehungen des Kindes zu seinen Mitzöglingen
werden von gegenseitiger Zuneigung und Wohlwollen beherrscht.
Unserer Erfahrung nach läßt sich ein so günstiges Verhältnis
aber nur erreichen, wenn die Anzahl der Zöglinge eine für
jedes Lebensalter gegebene Norm nicht überschreitet 1 Das
Kind soll sich als Mitglied einer Gemeinschaft fühlen, aber nicht
als ein in der Masse aufgegangenes Individuum.
Das Gemeinschaftsleben wird aber nur dann eine wohl-
tätige Wirkung auf das Kind haben können, wenn es fühlt,
daß sämtliche Mitglieder der Gemeinschaft untereinander
harmonieren,
Das Verhalten der Erzieherinnen
Im Kinderheim-Laboratorium gibt es keine Strafen. Die
Erzieherinnen sind angewiesen, nicht einmal in strengem Ton
mit den Kindern zu sprechen.
iNacfa unseren Beobachtungen im Kinderheim-Laboratorium soll
die Kindergemeinschaft für Ein- bl» Einundeinhalbjährige aus vier für
Zweijährige aus fünf und für Dreijährige aus sechs Zöglingen bestehen.
PsychoanalytischeKindererzi^^
15
Jede subjektive Beurteilung der Kinder soll unterbleiben.
Lob und Tadel sind, unserer Ansicht nach, für das Kind unver-
ständliche Urteilsäußerungen des Erwachsenen und dienen nur
dazu seinen Ehrgeiz und sein Selbstgefühl anzustacheln. Wir
££TL 2U *>»« -r das objektive Ergebnis es
l Endlichen Handelns, und nicht das Kind selbst zu beurteilen
Wir bezeichnen z. B. ein von einem Kind gebautes Haus als
S ebr schön, ohne aber das Kind selbst dafür zu loben Oder
wir machen bei einer Rauferei den Beleidiger auf den Schmerz
aufmerksam, den er dem Gegner zugefügt hat, ohne ihn aber
dafür zu tadeln usw.
Die Erzieherinnen müssen sich in Gegenwart der Kinder
die größte Zurückhaltung auferlegen. Vor den Ohren der
Kinder dürfen keine Bemerkungen über ihre Eigenarten und
ihr Benehmen gemacht werden. Ebenso sind alle für Kinder
nicht passende Gespräche in ihrer Gegenwart zu vermeiden.
Die Erzieherinnen müssen den Kindern gegenüber mit
Zärtlichkeiten und Liebkosungen äußerst sparsam umgehen.
Sie müssen sich darauf beschränken, Liebesbeweise, die das
Kind ihnen gibt, herzlich, aber zurückhaltend zu erwidern.
Stürmische Liebesäußerungen von Seiten der Erwachsenen
(heiße Küsse, innige Umarmungen u. dergl.), die das Kind sexuell
erregen und sein Selbstgefühl erniedrigen, sind im Kinderbeim-
Labo^atorium strenge verboten. Sie dienen viel mehr der
Befriedigung der Erwachsenen als dem Bedürfnis der Kinder.
Die Schaffung gesunder äußerer Verhältnisse
Wir bemühen uns, die gesamte Umgebung des Kindes
seinem Alter und seinen Bedürfnissen anzupassen. Die Spielzeuge
und Materialien werden so ausgewählt, daß sie den geistigen
Anforderungen der betreffenden Altersstufe entsprechen und
gleichzeitig den Tätigkeitsdrang, die schöpferischen Kräfte und
die Forschungslust anregem Mit der Entstehung neuer Bedürf-
nisse werden auch Spielzeug und Arbeitsmaterialien entsprechend
gewechselt.
- " ""
16 Wera Schmidt
Die Anpassung an die Realität
Wenn die Anpassung des Kindes an die realen äußeren
Verhältnisse ohne größere Schwierigkeiten vor sich gehen soll,
darf die Außenwelt ihm nicht als eine feindliche Macht erscheinen.
Wir bemühen uns deshalb, ihm die Realität so angenehm als
möglich zu machen und ihm jede primitive Lust, auf die es
verzichten lernen soll, durch vernünftige und rationelle Freuden
zu ersetzen.
Wir können aber nicht vermeiden, dem Kind empfindliche
Beschränkungen in seiner Triebbefriedigung aufzuerlegen. Es
erträgt diese Einschränkung seiner ursprünglichen Freiheit
ungern und um so schwerer, je jünger es ist. Darum müssen
wir uns bemühen, die Anforderungen, die wir in dieser Beziehung
stellen müssen, in eine möglichst annehmbare Form zu kleiden
und sie nur langsam und allmählich zu steigern.
Wir können dem Kind die Unterwerfung unter die not-
wendigen Beschränkungen auf verschiedene Arten erleichtern:
a) Statt als eine Willkür des Erwachsenen zu erscheinen,
müssen die Forderungen sich aus den täglichen Lebensbedin-
gungen und der Lebensordnung der Kindergemeinschaft ergeben.
b) Anstatt dem Kind direkte Befehle zu geben, die nur
seinen Widerstand hervorrufen, müssen wir ihm — auch im
frühesten Alter — vernünftig erklären, was wir von ihm verlangen.
Bei richtigem Kontakt wird es uns ohne Schwierigkeiten
gelingen, unser Ziel zu erreichen.
c) Das Kind soll aus Liebe zu uns (Übertragung) auf
gewisse Triebbefriedigungen verzichten. Die Beschränkungen,
die es sich auf diese Weise selbst auferlegt, sind dauerhafter
als die von außen erzwungenen. Sie geben außerdem dem Kind,
ohne es zum Widerstand aufzureizen, ein Bewußtsein der eigenen
Kraft.
d) Unserer Erfahrung nach gelingt die Anpassung an die
Realität am leichtesten Kindern mit starkem Selbstbewußtsein
und Unabhängigkeitsgefühl. So würde also ein Weg zur Anpassung
auch über die Hebung des Selbstbewußtseins führen.
Psychoanalytische Kindererziehung in Rußland 17
Die Beherrschung der Exkretionsvorgänge
Die Exkretionsvorgänge spielen im Leben des kleinen
Kindes eine wichtige Rolle. Sie bilden für das Kind eine Quelle
von Lust, auf die es nur sehr ungern verzichtet
Wir müssen uns bemühen, dem Kind begreiflich zu machen,
daß es sich hier um das Aufgeben eines Lustgewinnes handelt,
gleichzeitig aber müssen wir ihm die Möglichkeit geben, die
aufgegebene Lust durch andere, sozial und kulturell höher
gewertete zu ersetzen.
Dieser Verzicht auf Triebbefriedigung: soll aber nicht durch
ein Verbot von Seiten des Erziehers zustande kommen. Das
Kind soll nicht deshalb aufhören, sich zu beschmutzen, weil es
sich nicht beschmutzen darf, sondern weil es langsam erfährt,
daß es auch rein bleiben kann.
Der richtige Weg zur Erziehung wird sich aber gerade
in diesem Punkt nur aus dem Verständnis der individuellen
Besonderheit des einzelnen Kindes ergeben.
Die infantile Sexualität
Die Zöglinge unseres Kinderheims ahnen nicht, daß man
ihre Sexualregungen anders beurteilen könnte als ihre übrigen
natürlichen Körperbedürfnisse. Sie befriedigen sie daher ruhig
und ohne Scheu vor den Augen der Erzieherinnen, nicht anders
als Hunger und Durstgefühle oder Müdigkeit.
Unsere Einstellung zu diesen Fragen erspart den Kindern
jede Heimlichkeit, stärkt ihr Vertrauen und ihre Bindung an
die Erzieherinnen, fördert die Anpassung an die Realität und
schafft auf diese Weise eine günstigere Grundlage für die gesamte
Entwicklung.
Die Erzieherinnen können unter diesen Verhältnissen die
Sexualentwicklung des Kindes Schritt für Schritt verfolgen und
die Sublimierung der einzelnen Triebregungen auf verschiedene
Arten (zum Beispiel durch die rechtzeitige Beistellung gewisser
Materialien, wie Sand, Tonerde, Wasser, Farben usw.) fördern
und unterstützen.
VI
Die Arbeit des Erziehers an sich selbst
Um zur richtigen Einstellung gegenüber den infantilen
Triebregungen zu gelangen, muß die Erzieherin sich erst durch
analytische Arbeit an sich selbst von den Vorurteilen befreien,
die ihre eigene Erziehung in ihr hinterlassen hat. Sie muß
versuchen, sich ihre eigenen verdrängten Triebregungen ins
Bewußtsein zu rufen und die Ähnlichkeit mit den Erscheinungen,
die ihr an den Kindern entgegentreten, erkennen. Gelingt es
ihr trotz dieser Bemühungen nicht, die infantilen Sexual-
äußerungen ohne Widerwillen und Abscheu zu betrachten, so
täte sie am besten, den Erzieherberuf überhaupt aufzugeben.
Jeder Erwachsene verdrängt im Laufe seiner Entwicklung
verschiedene Züge seines Wesens ins Unbewußte; wenn ihm
solche Eigenschaften dann an Personen der Außenwelt entgegen-
treten, erscheinen sie ihm unangenehm, widerwärtig und erregen
seinen besonderen Unwillen. Die analytisch gebildete Erzieherin,
auf die gewisse Eigenschaften eines Zöglings besonders ab-
stoßend und aufreizend wirken, so daß eine Abneigung gegen
das Kind in ihr erwachen will, wird darum versuchen, sich
diese Verdrängungsarbeit an der eigenen Person bewußt zu
machen und damit die Herkunft der überstarken Abneigung
aufzudecken. Gelingt ihr das, so schwindet auch die Abneigung
gegen das Kind, so daß die natürliche pädagogische Einstellung
wieder hervortreten kann. 1 Für die analytisch geschulte Erzieherin
1 Wir konnten in der Praxis des Kinderheim-Lab Oratoriums einige
solche Fälle beobachten. Nachdem der Erzieherin die kleine Selbstanalyse
— —
Psychoanalytische Kmdererziehnng in Rußland 19
darf es also keine geliebten und ungeliebten Kinder geben.
Sie muß sich allen Zöglingen gegenüber gleichmäßig wohl-
wollend einstellen und jedem Kind so viel Aufmerksamkeit
widmen, als seine Besonderheit erforderlich macht.
Auch im täglichen Umgang mit den Kindern kann es
geschehen, daß die Erzieherin unter der Herrschaft unbewußter
Vorgänge plötzlich alles Interesse von den Kindern abzieht,
auf sich selbst konzentriert und den Kontakt mit den Kindern
verliert. Die Kinder werden in solchen Fällen launisch und
ungeduldig; die Erzieherin kann aber nicht verstehen, was mit
ihnen vorgeht, weil sie sich gar keiner Änderung ihres Verhaltens
bewußt ist. Erst wenn es ihr gelungen ist, sich durch Nach-
denken die Ursache ihres Zustandes bewußt zu machen,
wendet sich auch die Stimmung der Kinder schnell zum
Besseren. 1
gelungen war, begriff sie nicht mehr, daß ein so reizendes Kind ihr jemals
unsympathisch sein konnte.
1 Im Kinderheim-Laboratorium glauben wir daran, daß die Launen
der Kinder nur Reaktionen auf pädagogisch falsches, durch unbewußte
Vorgänge bedingtes Verhalten der Erzieherinnen sind. Wir kennen viele
Fälle, in denen die anhaltend schlechte Laune eines Kindes sich sofort
änderte, nachdem die Erzieherin ihre Einstellung zu ihm analysiert und
bewußt gemacht hatte.
VII
Beobachtungen aus dem Leben des Kinder-
heim-Laboratoriums
ii
1. Über die praktische Durchführung der Erziehung zur
Reinlichkeit
Ich möchte vorausschicken, daß wir selber meinen, die
richtige Methode der Erziehung zur Reinlichkeit noch nicht
gefunden zu haben. Das Folgende ist deshalb nichts als ein
Bericht über die von uns in dieser Hinsicht unternommenen
Erziehungsversuche.
Vor Vollendung des zweiten Lebensjahres halten wir die
Kinder zwar schon dazu an, sich in bestimmten Zeitabständen
auf den Topf zu setzen ; wir veranlassen sie aber nicht mit
Gewalt, ihre Bedürfnisse auf diese Weise zu verrichten. Wir
tadeln sie nicht, wenn sie sich naß machen, sondern gehen
darüber hinweg, als ob es etwas ganz Natürliches wäre.
Wenn die Kinder etwas größer und verständiger werden,
lenken wir ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf die Gelegen-
heiten, bei denen sie nach dem Topf verlangt haben und trocken
geblieben waren. Wir heben hervor, daß sie schon groß sind,
schon trocken sein können und es verstehen, ihre Bedürfnisse
selber zu melden.
Gleichzeitig bemühen wir uns, ihnen in jeder Beziehung
ein gesundes und von zahlreichen Interessen erfülltes Leben
zu schaffen. In physischer Hinsicht gewöhnen wir sie an Rein-
lichkeit der Wohnung, der Betten und der Kleidung, an eine
kalte Abreibung des Morgens, eine Waschung vor dem Schlafen-
Psychoanalytische Kindererziehung in Kußland 21
gehen und ein wöchentliches Bad. (Bis zweiundeinhalb Jahren
zweimal wöchentlich.) Der Aufenthalt in frischer Luft wird
möglichst ausgedehnt.
Die Erfolge dieser Bemühungen sind bei den einzelnen
Kindern verschieden groß. Von den zwölf Zöglingen des Heimes
waren fünf schon bei der Aufnahme zur Reinlichkeit erzogen.
Eines dieser fünf Kinder, ein Mädchen von einem Jahre zehn
Monaten, fing im Heim mit großem Vergnügen an, ihre Wäsche
neuerlich zu nässen. Dieser Rückfall dauerte drei Monate, dann
wurde sie von selber wieder rein. In dieser Zeit änderte sich
aber ihr ganzer Charakter; sie verwandelte sich aus einem in
sich gekehrten, schweigsamen, trotzigen Kind in ein zutrauliches,
heiteres und geselliges Mädchen.
Die sieben Kinder, die noch völlig unerzogen ins Heim
kamen, melden jetzt bei Tag ihre Bedürfnisse immer und
bleiben trocken. Eine Ausnahme machen zwei Kinder, die den
Harn bis zum äußersten zurückzuhalten pflegen und deshalb
manchmal ihre Wäsche befeuchten; aber auch sie machen sich
nicht mehr wirklich naß.
Schlimmer sieht es in der Nacht aus. Von den zwölf
Kindern machen zwei gelegentlich ins Bett, Ein Knabe von
fünf Jahren und ein Mädchen von vierundeinhalb sind gewohn-
heitsmäßige Bettnässer. (Die letztgenannten Kinder wurden erst
im Alter von drei Jahren bei uns aufgenommen. Die Ursache
der Störung könnte also in der häuslichen Erziehung zu
suchen sein.)
Die Einstellung der Kinder zur Frage der Reinlichkeit ist
durchaus ruhig und bewußt; Widerstand und Launen lassen
sich nicht bemerken. Ein Gefühl von Scham oder den Begriff
der „Schande" verbinden sie mit diesen Vorgängen nicht.
Unsere Methode scheint uns dazu geeignet, die Kinder
vor den schweren traumatischen Erlebnissen zu bewahren, die
sonst so häufig eine Folge der Erziehung zur Beherrschung
der Exkretionsvorgänge sind; mangelhaft ist sie aber darin,
daß der Verzicht auf den Lustgewinn aus diesen Quellen noch
23 Wera Schmidt
•I
nicht schnell und gründlich genug vor sich geht. Letzteres
läßt sich wahrscheinlich erst erreichen, wenn wir ausfindig
gemacht haben, welche Lust dem Kind am ehesten als Ersatz für
die aufgegebene Lust an den Exkretionsvorgängen dienen könnte.
2. Über die Äußerungen der infantilen Sexualität und die
Wege ihrer Sublimierung
Be tätigungen der Oral erotik. — Das Lutschen.
Wir geben den Kindern volle Freiheit zu lutschen, bemühen
uns aber, durch die Schaffung mannigfaltiger Interessen eine
Fixierung an dieses primitive Vergnügen zu verhüten. Mit
Beendigung des dritten Lebensjahres hatten alle unsere Kinder
das Lutschen aufgegeben. In einem Fall handelte es sich sogar
um eine selbständige, bewußte Entwöhnung, und zwar bei einem
Kind, das während einer Krankheit vom Arzt gehört hatte,
daß es besser sei, nicht zu lutschen.
Ein Mädchen von drei Jahren saugt jetzt beim Einschlafen
an seiner Unterlippe.
Ein Knabe von drei Jahren hat die Gewohnheit, sich beim
Küssen an den Lippen anzusaugen. Er steckt auch gerne allerlei
Gegenstände (Brosamen, Papierstückchen, Blumen, Knöpfe,
Nägel usw.) in den Mund.
Analerotik. Bei den kleinsten Kindern (bis Ende des
zweiten Jahres) konnten wir bemerken, daß sie gerne lange
auf dem Topf sitzen blieben, woran sie auch in keiner Weise
gehindert wurden. Jetzt lassen sich solche Wünsche nicht mehr
beobachten. Früher saßen sie während der Verrichtung ihres
Bedürfnisses in den Vorgang und die ihn begleitenden Empfin-
dungen versunken auf dem Topf, jetzt pflegen sie während dieser
Zeit zu spielen, zumeist zu bauen. Zugleich ließ sich auch
deutlich ein zärtliches Interesse für den Topf beobachten, mit dem
die Kinder gerne spielten (wenn er rein gewaschen war). Diese
Spiele wurden aber bald von neuen, ihnen interessanteren ver-
drängt (Sand und Wasser). Etwas später zeigte sich eine Neigung,
Puppen und andere Spielzeuge auf den Topf zu setzen.
Psychoanalytische Kindererziehung in Rußland 23
Das Interesse für die Darmentleerung selber trat in
verschieden großem Maße zwischen dem zweiten und dritten
Lebensjahr auf. Die Kinder begannen sich für die eigenen
Exkremente zu interessieren, wie auch für die Exkremente der
anderen Kinder und der Haustiere. (Stolz auf die Menge des
eigenen Kotes.) Sie lernten, den Kot der verschiedenen Tiere von-
einander zu unterscheiden, fragten, warum die Tiere auf den
Boden und nicht ins Töpfchen machten, warum ihr Kot anders
aussehe und anderes mehr.
In der Zeit zwischen drei und dreieinhalb Jahren trat
das Interesse für den Geruch der Exkremente auf. Dieser Geruch
wird von den Kindern mit wenigen Ausnahmen nicht als
unangenehm empfunden und ruft noch kein Gefühl von Wider-
willen hervor. Es kommt vor, daß die Kinder bei der Mahlzeit
ein Gericht scherzhaft als „Kaka" bezeichnen und dann mit
doppeltem Appetit verzehren.
Das Beschmutzen mit dem eigenen Kot kommt nach
dem Alter von zweieinhalb Jahren kaum mehr vor. Bei einem
Mädchen war deutlich zu beobachten, daß es ihr ein besonderes
Vergnügen machte, sich mit dem Kot zu beschmieren.
Im Anfang des Sommers (mit zwei bis drei Jahren) fingen
die Kinder an, den Vorgang der Darmentleerung beieinander zu
beobachten. Gelegenheit dazu gaben die Spaziergänge, auf denen
die Bedürfnisse häufig im Freien verrichtet werden mußten.
Die Kinder pflegten sich dabei so zu stellen, daß sie von hinten
beobachten konnten und freuten sich alle miteinander beim
Erscheinen der Kotsäule. Ihr Interesse war ausschließlich darauf
konzentriert, Äußerungen von Eshibitionslust wurden dabei
nicht auffällig.
Da die Kinder nicht gelehrt werden, daß alles mit den
analen Vorgängen Zusammenhängende unanständig und verpönt
ist, fällt es den Erwachsenen leicht, ihre Einstellung zu diesem
wichtigen Teil ihres Lebens aufmerksam zu verfolgen. Die
Kinder verheimlichen nichts und teilen ihre Beobachtungen
und Zweifel vertrauensvoll mit. Infolgedessen geht auch die
24 Wera Schmidt
Sublimierung normal vonstatten. Von Materialien, welche die
Sublimierung dieser Strebungen unterstützen, erhalten die Kinder
Sand, Farben, Wasser und Tonerde.
Die Äußerungen der Urethralerotik waren
weniger auffällig. Über Bettnässen, Erziehung zur Reinlichkeit usw.
siehe Absatz 1. Die Kinder zeigen eine Vorliebe lür Wasser,
besonders für warmes Wasser, für die Wasserhähne und den
Wasserstrahl (vor allem die Knaben). Ein besonderes Interesse
für den eigenen Wasserstrahl ließ sich nicht beobachten.
Haut- und Muskelerotik. Die Hauterotik ist bei
den Mädchen stärker ausgeprägt, aber auch bei den Knaben
zu bemerken. Zur Befriedigung der diesbezüglichen Strebungen
erhalten die Kinder möglichst mannigfaltiges Material in allen
Abstufungen der Glätte, Rauheit, Weichheit, Wolligkeit usw. 1
Die Muskelerotik tritt besonders bei den Knaben deutlich
in den Vordergrund. Einer von ihnen ist das Mustor eines fast
rein ausgeprägten motorischen Typus, mit schwach entwickelten
Hemmungen. Im Gegensatz dazu ist ein anderer mit früh
ausgeprägten Hemmungen das Muster eines Denkertypus; er
1 In Beziehung zur Hauterotik steht das Bestreben eines unserer
Mädchen, sich am ganzen Körper mit dem eigenen Kot zu beschmieren.
Sie pflegte das frühmorgens zu machen, wenn alle noch schlielen.
Tagsüber behielt sie dann eine deutlich gehobene Stimmung und einen
freudigen Glanz in den Augen. Wir tadelten sie nicht dafür, wuschen sie
einfach und wechselten ihre Wäsche; nur bemühten wir uns, sie im
richtigen Augenblick auf den Topf zu setzen, um ihr Tun sozusagen aur
natürlichem Wege zu verhindern. Im Alter von zweieinhalb Jahren bekam
sie Farben zur Verfügung. Anfangs verschmierte sie sie einfach mit dem
Pinger über das Papier, später lernte sie, den Pinsel dazu zu gebrauchen.
Es stellte sich heraus, daß sie ein feines Farbengefühl besaß und die
Farben mit viel Vergnügen und Verständnis wählte und kombinierte. Ihre
Malerei war immer gegenstandslos, bestand nur aus gut zusammen-
gestellten Farbenflecken, die aber einen geradezu künstlerischen Eindruck
machten. Diese Beschäftigung wurde mit der Zeit so anziehend für sie,
daß sie ihr früheres Vergnügen ohne Schwierigkeiten aufgab; es war'
durch das neue, dem Wesen nach analoge, aber kulturell und sozial
höherstehende ersetzt worden.
„ ^-„
Psychoanalytische Kindererziehung in Rußland 25
zeigt das Bestreben, alles zu erforschen und logische Verall-
gemeinerungen au ziehen.
Die Kinder werden in der Befriedigung ihrer Bewegungs-
lust in keiner Weise gehemmt, Sie haben Gelegenheit zu laufen,
zu springen, zu klettern usw. Alle Kinder, besonders die
Knaben, haben geschickte, sichere, kräftige Bewegungen. Sie
verstehen es schon im Alter von drei bis dreieinhalb Jahren,
Papier mit der Schere zu zerschneiden, Nägel mit dem Hammer
einzuschlagen, Brot, Gemüse, Pilze zu schneiden usw. Sie haben
auf diese Weise die Möglichkeit, ihre Strebungen nicht nur
auszuleben, sondern auch kulturell zu verwerten.
Onanie. Unsere Kinder onanieren verhältnismäßig wenig.
Man kann beobachten, daß die Neigung dazu periodisch und
bei den Knaben häufiger als bei den Mädchen auftritt. Bei
keinem der Kinder aber ist die onanistische Betätigung zu einer
ständigen Gewohnheit geworden.
Wir unterscheiden zwei Arten der kindlichen Onanie. Die
eine Art ist durch rein körperliche, von den Geschlechtsteilen
ausgehende Reize bedingt, dient zu deren Befriedigung und
kommt bis zum fünften bis siebenten Lebensjahr fast regel-
mäßig vor. Davon unterscheiden wir die Onanie, die als Reaktion
auf ein psychisches Erlebnis, eine von der Außenwelt erfahrene
(vermeintliche) Kränkung, Herabsetzung oder Freiheits-
beschränkung auftritt.
Unser Verhalten ist, dieser Unterscheidung entsprechend,
auch ein völlig verschiedenes. Die Onanie der erstgenannten
Art betrachten wir als eine normale und gesetzmäßige
Erscheinung, gegen die man keine besonderen Maßregeln
ergreifen muß. Wir meinen, daß sie bei Kindern, die in einer
gesunden Umgebung und bei richtiger Körperpflege aufwachsen,
nicht im Übermaß auftreten wird. Anders verhält es sich mit
der Onanie der zweiten Art. Hier halten wir es für nötig, in
jedem einzelnen Falle die Ursache der masturbatorischen
Betätigung durch eine Aussprache zu beseitigen und im Kind
das normale psychische Gleichgewicht wieder herzustellen. Wir
26
Wera Schmidt
hüten uns besonders, das Kind so weit in sich selbst und ein
Nachgrübeln über seine Erlebnisse versinken zu lassen, bis es
zu einer vollen Abwendung von der Realität gelangt. Sobald
die Verstimmung des Kindes beseitigt ist, hört auch der Drang
zu onanieren auf.
Auch die onanistische Betätigung geht, wo sie vorkommt,
ohne Heimlichkeit vor den Augen der Erzieherinnen vor sich.
Die Kinder werden nicht [gelehrt, diese Strebungen zu ver-
urteilen, überhaupt nicht eigens auf ihre Existenz aufmerksam
gemacht. Onanistische Betätigungen kommen fast nur vor dem
Einschlafen vor, die Tagesstunden sind zu sehr mit anderen
lebendigen Interessen ausgefüllt. Zeiten der Krankheit, in
denen das Kind die Gesellschaft der Gespielen entbehrt und
sich zahlreiche Beschränkungen auferlegen lassen muß, pllegen
eine verstärkte Neigung zur Onanie mit sich zu bringen, die
aber immer wieder verschwindet, wenn die Genesung und die
Rückkehr zum normalen Leben eingetreten ist.
Sexuelle Neugierde, das Interesse für die
eigenen und fremden Geschlechtsorgane. Die
Kinder der jüngeren Gruppe (drei bis dreieinhalb Jahre) kennen
zwar schon den Unterschied zwischen der Körperbildung bei
Mädchen und Knaben, zeigen aber noch kein besonderes Interesse
für diese Fragen. Bei der älteren Gruppe (viereinhalb bis fünf
Jahre) entwickelte sich die sexuelle Wißbegierde ungefähr im
vierten Lebensjahr, stieg in kurzer Zeit stark an, um bald
darauf wieder zurückzutreten. Wir ließen den Kindern volle
Freiheit, sich gegenseitig zu betrachten. Ihre Äußerungen über
den eigenen nackten Körper wie über den der Gespielen waren
durchaus sachlich und ruhig. Sie gehen an heißen Tagen völlig
nackt herum, was sie offenbar als lustvoll empfinden. Sie
schlafen auch ganz nackt, ohne Hemd, betrachten das aber als
etwas Selbstverständliches.
Wir konnten bemerken, daß das Interesse für die
Geschlechtsorgane sich nicht während des Nacktseins zeigt,
suudern nur, wenn die Kinder angezogen sind.
Psychoanalytische Kindererziehung in Rußland 27
Die Kinder erhalten auf alle Fragen (über die Geschlechts-
unterschiede, die Herkunft der Kinder, die Darmfunktionen)
klare und wahrhafte Antworten.
3. Über die Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern
Trotzdem die Kinder schon seit zwei Jahren im Heim
leben und die der jüngeren Gruppe das Elternhaus schon mit
ein bis eineinhalb Jahren verlassen haben, haben sich doch
lebhafte Beziehungen zu den Eltern erhalten. Die Eltern
kommen an jedem Sonntag zu Besuch, nehmen die Kinder
auch hie und da zu sich nach Hause. Die Kinder zeigen sich
über solche Besuche sehr erfreut, verabschieden sich aber ohne
Tränen oder Widerstand. Trotz ihrer großen Anhänglichkeit
an die Erzieherinnen, lieben sie die Eltern sehr, erinnern sich
oft an sie und spielen gerne „Mutter und Kind".
Die Kinder kennen keine elterliche Autorität, elterliche
Gewalt und dergleichen. Für sie sind Vater und Mutter schöne,
geliebte Idealwesen. Es ist auch nicht unmöglich, daß diese
guten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sich gerade
nur dort herstellen können, wo die Erziehung außerhalb des
Elternhauses vor sich geht.
Moskau, 24 September 1923. Wera Schmidt.
>
I ■><•' SU*-»
Anhang
Aus dem Tagebuche der jüngeren Gruppe
Zur Entwicklung des Sozialgefühles
(16. Juni 1923.) Wahrend des Frühstücks war Genja (2 Jahre,
10 Monate) sehr eigensinnig. Am Ende spielte sich folgende Szene ab:
Genja bat nm ein Tellerchen, um sein Stück Brot darauf zu legen.
Ich gab es ihm. Er stieß es böse von sich: „Will nicht dieses, will ein
anderes." Ehe ich ihm ein anderes geben konnte, zeigte Wolik (3 Jahre,
3 Monate) auf das von Genja zurückgewiesene Tellerchen und sagte: „Ich
aber will gerade dieses. Das ist meins, das mit dem schwarzen Fleckchen."
Im gleichen Augenblick packte Genja dasselbe Tellerchen, scheinbar
um Wolik zu reizen, und wollte es um keinen Preis zurückgeben. Wolik
versuchte das Tellerchen herauszureißen, Genja gab es nicht. Da mußte
ich mich hineinmischen, um dem Zank bei Tisch ein Ende zu machen.
Um den schon aufgebrachten Genja nicht noch mehr zu reizen,
überredete ich Wolik, ihm das TeKerchen zu lassen. Wolik willigte ein,
saß jedoch mit finsterem Gesicht da. Auch die anderen Kinder schienen
mit dieser Entscheidung unzufrieden zu sein. Hedy (3 Jahre, 5 Monate)
meinte: „Nein, das ist Woliks Tellerchen. Genja wollte es nicht nehmen
und Wolik wollte; Genja hat es später gewollt; Wolik hat es früher
gewollt." Da rief mich Wera, die im Bettchen lag, ab. Und ich betrachtete
von weitem das Vorgehende. Kaum hatte ich mich abgewandt, als
Wolodja (2 Jahre, 10 Monate) von seinem Platze aufstand, Genja das
Tellerchen wegnahm und es Wolik gab: „Nimm, Wolik, das ist deines."
Genja fing an zu weinen. Wolik trank Kaffee, das Tellerchen lag neben
ihm. Ein paarmal nahm er es, drehte es in den Händen und legte es
wieder hin. Endlich reicht er es entschieden dem Genja. „Nimm, Genja.
Ich habe schon mit ihm gespielt, jetzt spiel' du." Genja beruhigte sich
sofort, nahm das Tellerchen und streichelte sanft Woliks Hand: „Ich
Hebe dich, Wolik." Wolik: „Ich liebe dich auch." Die Kinder lachten
30 '
l Wera Schmidt
.,.
freudig. Genja : „Bin ich dein Freund, Wolik?" Wollk ■ T. j ... '»
*•■ Hedy: „Und auch meiner," Ira und Well ' Ä*^
•und meiner," Genja ist glücklich, a„e Geeichter struMen ' -""'
*
(29. Juni 1923.) Genja (2 Jahre, 10 Monate) hat ffestern «in™ «w.- v
karren zum Geschenk bekommen. Er hat eine höWn K ,7 *"
und fährt sie herum. Da kommt Wo^ ^I^Tl ^\ ^^
ihm den Schiebkarren zu geben um ein v£l ,' \ ***** "* bi " et '
antwortet zornig: Das ff mein ^S " heruffizu ^ren. Genja
*. „uas ist mein Schiebkarren; ich gebe ihn dir nicht"
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bedeck wZ Ät &" * '"' »^ *" ">« *— ,'
Wollk Blumen pflückt lie J„ se". ^ 7°" '" P "" Cken - S ° lan « 6
komm, und wi.i'ie noLmen Wo Lechr"^ " "T" "" °^ °**
sie sind mein," Genja weine , ich A r Ih m 7T "^ "*"* ""*'■
ihm- Sieh.t ,1,, fw ! . ™°*' " Aber «* w '" die Käetchen." loh sage
n I ;tt „d 'ihm 'rt " """"e^ 1 ""' daß ^oiik dir die Kastd
»loht S£ÄS LI EÄ * d - ih ™ 4 » *""*—
und t l:r U "*T' 8Ch0n «"ontata, P^tzlich aber hleiht e s ehTn
w. ^1 IT v k" ?' rk ' w,1I,t "" meinen Wa ^" p " <*°» •<"' 2
v n Wo" die 2 li /„ T ^"^ lMÜ Z ™ W "^"' ■"" - « «*«
vertieft ^ ht . ' """^ 8ta S»»""»«-- °" W in sein Spiel
bedenkt etwas. Die Augenbrauen sind zusammengezogen die Au™ „,,f
;;:; Pn " k < •«««* *- »acht er «„»„ Schr « 5 wSiÄS
«teh en k0 h r t ihm den „^ ^ « b
ge«. zten R.ch.ung, kehrt wieder um und lauft sehne,! zu Wo )o "dlä-
ÄC" Kä,tchen? " Wolodj ° ist — "X
»*£ Sä* Genja hat ein Kästc - —- - r
*
Zur intellektuellen Entwicklung der Kinder
(24. Juni 1923.) Wolik (3 Jahre, 3 Monate) hat eine Erdbeerblüte
g unden und S agt: „Man darf sie nicht abrelflen, spater wird hier 2
Beere ,.,n,. Genja „ Jihr6i w „^ ^ ^J» ^ ^j™ ™£
;
- ■■
Bte . -k>
Psychoanalytische Kindererziehung: in Rußland 31
Wolik ist sehr unglücklich: „Oh! er hat das Blümlein abgerissen, jetzt
wird keine Beere wachsen." Hedy (3 Jahre, 5 Monate) entrüstet:
„Aber, Genja! was hast du gemacht? Wozu hast du das Blümlein abge-
rissen ?" G enj a leichthin: „Ich wollte!" Hedy: „Willst du denn die
Beere nicht essen!" Genja schweigt verlegen, dann sagt er leise:
„Natürlich will ich." Hedy: „Und jetzt wird keine Beere sein." Genja
geht auf denselben Platz und legt die Blume zurück. Alle lachen freudig.
Wolik kommt zu mir: „Mama, Mama! 1 Genja hat sie zurückgelegt, jetzt
wird wieder eine Beere sein!" Ich wollte sie nicht enttäuschen.
Nach einigen Minuten zeigt AVolik eine andere Blume: „Und diese
kann man abreißen? Aus der wird keine Beere?" — „Nein." — „Und
was wird hier später werden ?" — „Samen." — „Samen ? So wie wir in
die Beete gesäet haben ?" — „Ja." — „Und diesen Samen wird man auch
säen können ?" — „Ja." — „Dann werde ich diese Blumen nicht pflücken.
Mögen die Samen werden, und wir werden sie später ins Beet säen."
1 So nennen die Kinder eine der Erzieherinnen.
1
Inhaltsverzeichnis
Seite
I. Die äußeren Schicksale des Kinderheim-Laboratoriums .... 3
H. Die innere Einrichtung des Kinderheim- Laboratoriums .... 7
III. Psychoanalytische Leitsätze für die Arbeit im Kinderheim-
Laboratorium , 9
IV. Allgemein pädagogische Grundsätze für die Arbeit im Kinderheim-
Laboratorium 12
V. Pädagogische Maßnahmen zur Erfüllung der vorstehenden
Forderungen 14
VI. Die Arbeit des Erziehers an sich selbst 18
VII. Beobachtungen aus dem Leben des Kinderheim-Laboratoriums . 20
Anhang 29
nternationaler Psychoanalytisch
Wien VII. Andreasgasse 5
e r
Verl
ag
QUELLENSCHRIFTEN ZUR
SEELISCHEN ENTWICKLUNG
i.
lagebuch eines halbwüchsigen JM.ädch
(Von 11 bis lifÄ Jalireri)
Herausgegeben von Dr. H. Hug-Hellmutk
ens
Prof. Freud in einem Briefe an die Herausgeber»! : Das
Tagebuch ist ein kleines Juwel. Wirklich, ich glaube, noch
niemals hat man in solcher Klarheit und Wahrhaftigkeit in
die Seelenregungen hineinblicken können, welche die Ent-
wicklung des Mädchens uuserer Gesellschafts- und Kulturstufe
in den Jahren der Vorpubertät kennzeichnen. Wie die Gefühle
aus dem Kindisch- Egoistischen hervorwachsen, bis sie die
soziale Reife erreichen, wie die Beziehungen zu Eltern und
Geschwistern zuerst aussehen, und dann allmählich an Ernst
und Innigkeit gewinnen, wie Freundschaften angesponnen und
verlassen werden, die Zärtlichkeit nach ihren ersten Objekten
tastet, und vor allem, wie das Geheimnis des Geschlechts-
lebens erst verschwommen auftaucht, um dann von der kind-
lichen Seele ganz Bcsiti zu nehmen, wie dieses Kind unter
dem Bewußtsein seines geheimen Wissens Schaden leidet und
ihn allmählich überwindet, das ist so reizend, natürlich und
doch so ernsthaft in diesen kunstlosen Aufzeichnungen zum
Ausdruck gekommen, daß es Erziehern und Psychologen dag
höchste Interesse einflößen muß.
„Literarisches Echo": Weibliche Wesen der bürgerlichen
Welt werden sich beim Tagebuch Seite um Seite zurückversetzt
fühlen in ihr Einst; männlichen Wesen wird es statt dessen
manche Kleinigkeit mitteilen, die sie noch nicht wußten.
Lou Andreas -Salome.
„Vossische Zeitung": Denkt euch, Wedekinds kleine
Wen dl a, die an „Frühlings-Erwachen" so tragisch zugrunde
geht, habe ihre Erlebnisse aufgezeichnet, denkt sie euch in
Geheimratskreise und auf Wiener Boden versetzt, — so habt
ihr das .Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens".
„Neue Freie Presse"; Hier, wie vielleicht in jedem auf-
richtigen Tagebuche einer Halbwüchsigen, ist natürlich der
Brennpunkt des Interesses die Sexualität. Die Sexualität, nicht
die Erotik. Denn hier kommt die Neugier noch auf dem In-
tellektuellen, aus dem wachen Gehirn eines noch unent-
wickelten Körpers, und die Unruhe quillt aus dem Verstand,
nicht aus den noch dumpfen Zonen körperlichen Gefühls.
Nirgends reagiert hier wirkliche Befriedigung auf Erkenntnis,
im Gegenteil: der erste zufällige Einblick wird für das scheue
Kind zum seelischen Schock . . Es ist immer gut, Mensch-
liches zu verstehen, und zu diesem Verständnis der Kinder-
seele scheint mir dieses Buch eines der kostbarsten, das je
die Wissenschaft Hand in Hand mit dem Zufall dargeboten.
Stefan Zweig.
Zum Ztusurverbot in England
„Frankfurter Zeitung": Das Aufsehen, das A Young
Girls Diary in England verursacht, hat eine große Sittlichkeits-
kampagne zur Folge . . . Lord Alfred Douglas (derselbe, der
in seinen jüngeren Jahren wegen seiner gerichtsnotorisch ge-
wordenen Beziehungen zu Oskar Wilde viel genannt worden
ist) hat öffentlich einen großen Eid geschworen, die Psycho-
analyse in England auszurotten. Als erstes Objekt seiner
Purifixierungswut ist das Tagebuch der kleinen Gretl Lainer
auserkoren worden . . . Der Londoner Zensor ist sicher der
Meinung, es komme ausschließlich in Wien oder höchstens
noch bei sonstigen Hunnen vor, daß z B- das Denken und
Fühlen junger Mädchen durch bevorstehende physiologische
Erscheinungen lebhaft beschäftigt wird. In der Kontinental-
rasse liegt die Schweinerei.
„The New States man": Gretl Lainer (the name eliosen
by the Psycho-Analytical Society) belongs to the Casanova
type of autobiographer rather than to ihat of Rousseau and
Marie Baskirtschcff ; she is singularly utile troubled with her
own Personality. She writes from a breathless int eres t in the
world around rather than from any morbid taste for intro-
spection or s elf -ex plana tion.
gen
II.
Vom Gremeinschaltsleoen der Ju
Beiträge zur Jugendforsmung
Herausgegeben von Dr. Oieglried Jjernlela
Inhalt: Die Psychoanalyse in der Jugendforschung. Von Dr. Siegfried Bernfeld. — Ein Freundinnenkreis. Von Dr. Siegfried
Bernfeld — Ein Schülerverein. Von Gerhard Fuchs. — Ein Knabenbund in einer Schutgemeinde. Von Wilhelm Hofer.
.Knurrland. " Versuch der Analyse eines Kinderspieles. Von Gerhard Fuchs. — Die Initiationsriten der historischen Berufs-
stände. Von Erwin Kohn.
Im JLpril 1924 erscheint:
HI.
Vom dichterischen Schallen der Jugend
Neue Beiträge zur JugenJforsdiung
Herausgegeben von Dr. £>ieglnea JOernlela
Über die Fortschritte der psychoanalytischen Theorie und Praxis
informieren fortlaufend unsere 'beiden Zeitschriften:
I M A G O
Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
Redigiert von Dr. Otto Rank und Dr. Hanns Sachs
und
INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT
FÜR PSYCHOANALYSE
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
Unter Mitwirkung von Dr. Kar! Abraham (Berlin), Dr. C. Böse (Kalkutta), Dr. Jan van Emden
(Haag), Prof. Dr. Ermakow (Moskau), Dr. Ernest Jones (London), Dr. H. W. Frink (New York)
und Dr. Emil Oberholzer (Zürich)
redigiert von Dr. S. Ferenczi (Budapest) und Dr. Otto Rank (Wien)
In den beiden Zeitschriften erschienen
bisher unter anderem folgende Beitrage aus dem Gebiete der
PÄDAGOGIK
der KINDERPSYCHOLOGIE und der JUGENDFORSCHUNG
Dr. Kar! Abraham (Berlin): Zur Psychogenese der
StraBenangst im Kindesalter.
August Aichhorn (Wien); Ober die Erziehung in
Besserungsanstalten.
Dr. Beaurain (Zakopane): Ober das Symbol und
seine psychischen Bedingungen beim Kinde.
Dr. Siegfried Bernfeld (Wien): Zur Psychoanalyse
der Jugendbewegung.
— Über eine typische Form der mannliehen Pubertät.
Dr. S. Ferenczi (Budapest): Ein kleiner Hahnemann.
Anno Freud (Wien): Schlagephantasie und Tagtraum.
— Ein hysterisches Symptom bei einem zweieinviertel-
jährigen Kinde.
Doz. Dr. Josef K. Fr i e d j u n g (Wien) : Über verschiedene
Quellen kindlicher Schamhaftigkeit,
Dr. Albert Furrer (Zürich): Tagphantasie eines sechs-
einhalbjährigen Mädchens.
Prof. Dr. Paul Haeborlein (Bern): Psychoanalyse und
Erziehung.
Dr. j. Härnik (Berlin): Anatole France über die Seele
des Kindes.
Dr. Hermine Hug-Hellmuth (Wien): Ober erste
Kindheitserinncrungen.
Dr. Hermine Hug-Hellmuth (Wien): Das Kind und
seine Vorstellung vom Tode.
— Vom frühen Lieben und Hassen.
— Vom mittleren Kinde.
— Kindervergehen und Unarten.
— Kinderträume.
Dr. Ernest Jones (London): Einige Probleme des
jugendlichen Alters.
Melanie Klein (Berlin): Der Familienroman in statu
nascendi.
— Zur Frühanalyse.
— Die Rolle der Schule in der libidinösen Entwicklung
des Kindes.
Pfarrer Dr. Oskar Pf ist er (Zürich): Anwendungen
der Psychoanalyse in der Pädagogik und in der
Seelsorge.
Dr. S. Pfeifer (Budapest): Äußerungen infantil-ero-
tischer Triebe im Spiel.
Fritz van R aalte (Arnhem): Äußerungen der Sexu-
alität bei Kindern.
Dr. Sabine Spielrein-Scheftel (Genf): Die Äußer-
ungen des Ödipuskomplexes im Kindesalter.
— Die Entstehung der kindlichen Worte Papa u. Mama.
— Die drei Fragen.
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
WIEN Vll. ANDREASGASSE 3
[
Über die Fortschritte der psychoanalytischen Theorie und Praxis
r
i
1
1
informieren fortlaufend unsere beiden Zeitschriften:
i
i
1
I M A G O
1
Zeitschrift für Anwendung der Psycho an alyse auf die Geisteswissenschaften
Vera Ocnmidt
1
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
(Moskau)
1
Redigiert von Dr. Otto Rank und Dr. Hanns Sachs
und
INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT
PSYCHOANALYTISCHE ERZIEHUNG
1
FÜR PSYCHOANALYSE
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
IN SOWETRUSSLAND
1
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
1
Unter Mitwirkung von Dr. Karl Abraham (Berlin), Dr. C. Böse (Kalkutta), Dr. Jan van Emden
Bericnt
1
(Haag), Prot. Dr. Ermakow (Moskau), Dr. Ernest Jones (London), Dr. H. W. Frink (New York)
B
und Dr. Emil Oberholzer (Zürich)
über aas JVmoerlieim-Jjaboratorium
redigiert von Dr. S. Ferenczi (Budapest) und Dr. Otto Rank (Wien)
in Ä/Loskau
In den beiden Zeitschriften erschienen
1
bisher unter anderem folgende Beiträge aus dem Gebiete der
1
PÄDAGOGIK
der KINDERPSYCHOLOGIE und der JUGENDFORSCHUNG
j^rgM.
Dr. Karl Abraham (Berlin): Zur Psychogenese der Dr. Hermine Hug-Hellmuth (Wien); Das Kind und
Straßenangst im Kindesalter. seine Vorstellung vom Tode.
August Aichhorn (Wien): Ober die Erziehung in - Vom frühen L.eben und Hassen.
Bess runffsanstalten — ^ om mlttleren Kinde.
Dr. Beaura^(Zakopane): Ober das Symbol und - JSwSJT "** ^^^
seine psychischen Bedingungen beim Kinde. Q £ , ^ (L don \. Eini _ e Probleme des
Dr. Siegfried Bernfeld (Wien): Zur Psychoanalyse j ugen dlieiL. Alters.
ip
■ -
der Jugendbewegung. „,_,.-. Melanie Klein (Berlin): Der Familienroman in statu
— Ober eine typische Form der männlichen Pubertät. nascendi.
Dr. S. Ferenczi (Budapest): Ein kleiner Hahnemann. _ Zur Frühanalyse.
Anna Freud (Wien): Schlagephantasie und Tagtraum. _ rj; e R„n e der Schule in der libidinBsen Entwicklung
— Ein hysterisches Symptom bei einem iweieinviertel- d es Kjndes.
jährigen Kinde. Pfarrer Dr. Oskar Pf ister (Zürich): Anwendungen
j
Doz. Dr. Josef K. Fried jung (Wien): Ober verschiedene j er Psychoanalyse in der Pädagogik und in der
Quellen kindlicher Scham haftigkeit. Seelsorge.
Internationaler
Dr. Albert Für r er (Zürich): Tagphantasie eines sechs- Dr. S. Pfeifer (Budapest): Äußerungen infantiUro-
einhalbjährigen Mädchens, tischer Triebe im Spiet.
Prof. Dr. Paul Haeber lein (Bern): Psychoanalyse und Fritz van R aalte (Arnhem): Äußerungen der üexu-
Erziehune alitäl bei Kindern.
Dr. J. Härnik (Berlin): Anatole France über die Seele Dr. Sabine Spielrein-Scheftel (Genf): Die Außer-
dem Kindes. ^ ungen des öd.puskomp Wes im Kmdesalter.
Dr. Hermine Hucr-Hellmuth (Wien): Ober erste — Die Entstehung der kindlichen Worte Papa u. Mama.
.Psychoanalytischer V erlag
Leipzig / Wien / Zürich
Kindheitserinnerungen. — Di* d rel Fragen.
i
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
WIEN VII. ANDREASGASSE 3
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