Die Juden
und das Wirtschaftsleben
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Werner Sombart
Die Juden
und
das Wirtschaftsleben
Leipzig
Verlag von Duntker & Humblot
1911
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Alle Rechte Vorbehalten
Copyright 1911 b y Dnncker & Hnmblot
Altenbtarg
PUrarsohe Hoftraohdruokoroi
Stophan Gelb«! k Co.
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DS
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£ 6 ^
Vorwort
Vielleicht interessiert es doch manchen Leser, zu erfahren,
wie ich dazu gekommen bin, dieses sonderbare Buch zu schreiben,
und interessiert ihn auch zu wissen, wie ich möchte, daß es
gelesen würde.
Ich bin ganz durch Zufall auf das Judenproblem gestoßen,
als ich darauf aus war, meinen „Modernen Kapitalismus" von Grund
aus neu zu bearbeiten. Da galt es unter andern die Gedanken-
gän ge, die zu dem Ursprünge des „kapitalistischen Geistes“
führten, um einige Stollen tiefer zu treiben. Max Webers
Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Puritanismus
und Kapitalismus mußten mich notwendig dazu führen, dem Ein-
flüsse der Religion auf das Wirtschaftsleben mehr nachzuspüren,
als ich es bisher getan hatte, und dabei kam ich zuerst an das
Judenproblem heran. Denn wie eine genaue Prüfung der Weber-
sehen Beweisführung ergab, waren alle diejenigen Bestandteile
des puritanischen Dogmas, die mir von wirklicher Bedeutung
für die Herausbildung des kapitalistischen Geistes zu sein scheinen,
Entleimungen aus dem Ideenkreise der jüdischen Religion.
Aber diese Erkenntnis allein hätte mir noch keinen Anlaß
geboten, in der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus
den Juden eine ausführliche Betrachtung zu widmen, wenn sich
mir nicht im weiteren Verlauf meiner Studien — wiederum rein
zufällig — die Überzeugung aufgedrängt hätte, daß auch am
Aufbau der modernen Volkswirtschaft der Anteil der Juden weit
größer sei, als man bisher geahnt hatte. Zu dieser Einsicht
führte mich das Bestreben, jene Wandlungen im europäischen
Wirtschaftsleben mir plausibel zu machen, die seit dem Ende
des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts etwa
sich vollziehen, und die eine Verschiebung des wirtschaftlichen
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Schwergewichts aus den südeuropäischen in die nordwest-
europäischen Länder im Gefolge haben. Der plötzliche Nieder-
gang Spaniens, der plötzliche Aufschwung Hollands, das Dahin-
welken so vieler Städte Italiens und Deutchlands und das Empor-
blühen anderer, wie etwa Livornos, Lyons (vorübergehend),
Antwerpens (vorübergehend), Hamburgs, Frankfurts a.M., schienen
mir durch die bisherigen Gründe (Entdeckung des Seewegs nach
Ostindien, Verschiebung der staatlichen Machtverhältnisse) keines-
wegs genügend erklärt. Und da offenbarte sich mir plötzlich
die zunächst rein äußerliche Parallelität zwischen dem wirt-
schaftlichen Schicksal der Staaten und Städte und den Wanderungen
der Juden, die damals, wie bekannt, eine fast völlige Um-
schichtung ihrer räumlichen Lagerung wieder einmal erlebten.
Und bei näherem Zusehen ergab sich mir mit unzweifelhafter
Sicherheit die Erkenntnis, daß in der Tat die Juden es waren,
die an entscheidenden Punkten den wirtschaftlichen Aufschwung
dort forderten, wo sie erschienen, den Niedergang dort herbei-
führten, von wo sie sich wegwandten.
Diese tatsächliche Feststellung enthielt nun aber erst das
eigentliche wissenschaftliche Problem. Was bedeutete „wirt-
schaftlicher Aufschwung“ in jenen Jahrhunderten? Durch welche
spezifischen Leistungen trugen die Juden dazu bei, jenen „Auf-
schwung“ zu bewirken? Was befähigte sie, diese besonderen
Leistungen zu vollbringen?
Die gründliche Beantwortung dieser Fragen war natürlich
im Rahmen einer allgemeinen Geschichte des modernen Kapi-
talismus nicht möglich. Sie schien mir aber reizvoll genug, um
auf ein paar Jahre die Arbeit an meinem Hauptwerk zu unter-
brechen und mich ganz in das judaistische Problem einzuspinnen.
So ist dieses Buch entstanden.
Die Hoffnung, es in etwa Jahresfrist vollenden zu können,
erwies sich bald als trügerisch, da Vorarbeiten so gut wie keine
vorhanden sind.
Es ist wirklich höchst seltsam : so viel über das Judenvolk
geschrieben ist: über das wichtigste Problem: seine Stellung im
Wirtschaftsleben ist kaum etwas von grundlegender Bedeutung
gesagt worden. Was wir an sogenannten jüdischen Wirtschafts-
geschichten oder Wirtschaftsgeschichten der Juden besitzen,
verdient diese Namen meist gar nicht, denn es sind immer nur
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Rechtsgeschichten oder gar nur Rechtschroniken, die überdies
die neuere Zeit ganz und gar unberücksichtigt lassen. Ich
muhte also zunächst das Tatsachenmaterial aus Hunderten (zum
Teil vorzüglichen) Monographien oder aus den Quellen Zusammen-
tragen, um überhaupt zum ersten Male ein Bild — zu zeichnen
wage ich nicht zu sagen, sondern — zu skizzieren von der wirt-
schaftlichen Tätigkeit der Juden während der letzten drei Jahr-
hunderte.
Hatten sich zahlreiche Lokalhistoriker doch wenigstens be-
müht, das äußere Wirtschaftsleben der Juden und ihr Schicksal
während der letzten Jahrhunderte aufzuzeichnen, so hat fast
niemand bisher die Frage auch nur allgemein zu stellen gewagt:
weshalb haben die Juden jenes eigentümliche Schicksal gehabt
oder genauer: was hat sie befähigt, jene überragende Rolle beim
Aufbau der modernen Volkswirtschaft zu spielen, die wir sie
tatsächlich spielen sehen. Und was etwa doch zur Beantwortung
dieser Frage beigebracht worden ist, bleibt in ganz dürftigen,
veralteten Schematen stecken: „äußere Zwangslage“, „Befähigung
zum Handeln und Schachern“, „Skrupellosigkeit“ : solche und
ähnliche allgemeine Phrasen haben herhalten müssen, um Ant-
wort auf eine der delikatesten Fragen der Völkergeschichte zu
geben.
Also mußte zunächst sehr genau festgestellt werden: was
man eigentlich erklären, mit andern Worten: eine Eignung der
Juden wofür man nachweisen will. Dann erst konnten die
Möglichkeiten geprüft werden, die die spezifische Eignung der
Juden: Begründer des modernen Kapitalismus zu werden, plau-
sibel machten. Dieser Prüfung ist ein großer Teil des Buches
gewidmet, und es ist hier nicht der Ort, die Ergebnisse meiner
Untersuchungen im einzelnen mitzuteilen. Nur dieses will ich,
damit es dem Leser gleichsam als Leitmotiv in den Ohren
klinge, sagen: daß ich die große, die alle andern Einflüsse weit
übergipfelnde Bedeutung der Juden für das moderne Wirtschafts-
(und überhaupt Kultur-)leben in der ganz eigenartigen Ver-
einigung äußerer und innerer Umstände erblicke: daß ich sie
der (historisch zufälligen) Tatsache zuschreibe, daß ein ganz be-
sonders geartetes Volk — ein Wüstenvolk und ein Wandervolk,
ein heißes Volk — unter wesensverschiedene Völker — naß-
kalte, schwerblütige, bodenständige Völker — verschlagen worden
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ist und hier unter abermals ganz einzigartigen äußeren Be-
dingungen gelebt und gearbeitet hat. Wären sie alle im Orient
geblieben oder in andere heiße Länder verschlagen worden, so
hätte natürlich ihre Eigenart auch Eigenartiges gewirkt, aber
die Wirkung wäre keine so dynamische geworden. Sie hätten
vielleicht eine ähnliche Rolle nur gespielt wie heute etwa die
Armenier im Kaukasus, wie die Kabylen in Algier, wie die
Chinesen, Afghanen oder Perser in Indien. Aber es wäre nie-
mals zu dem Knalleffekt der menschlichen Kultur : dem modernen
Kapitalismus gekommen.
Wie ganz singulär die Erscheinung des modernen Kapitalismus
ist, zeigt gerade auch diese, sein Wesen zum guten Teil er-
klärende Tatsache: daß nur die rein „zufällige" Kombination
so sehr verschiedenartiger Völker und nur deren rein „zufälliges",
von tausend Umständen bedingtes Schiksal seine Eigenart be-
gründet hat. Kein moderner Kapitalismus, keine moderne Kultur
ohne die Versprengung der Juden über die nördlichen Länder
des Erdballs!
Ich habe meine Untersuchungen bis in die Gegenwart ge-
führt und habe, wie ich hoffe, für jedermann den Nachweis er-
bracht, daß in wachsendem Maße das Wirtschaftsleben unserer
Tage jüdischem Einflüsse unterworfen ist. Ich habe nicht ge-
sagt — und will es deshalb hier tun — daß allem Anschein
nach dieser Einfluß des Judenvolkes in der allerletzten Zeit sich
zu verringern beginnt. Daß äußerlich in wichtigen Stellungen:
zum Beispiel in den Direktorialposten oder in den Aufsichtsrats-
stellen der großen Banken die jüdischen Namen seltener werden,
ist ganz zweifellos und kann durch bloße Auszählung ermittelt
werden. Aber es scheint auch eine wirkliche Zurückdrängung
des jüdischen Elements stattzufinden. Und nun ist es interessant,
den Gründen dieser bedeutsamen Erscheinung nachzugehen. Sie
können mehrfacher Art sein. Sie können einerseits liegen in
einer Veränderung der personalen Fähigkeiten der Wirtschafts-
subjekte: die Nichtjuden haben sich den Anforderungen des
kapitalistischen Wirtschaftssystems mehr angepaßt, sie haben
„gelernt" ; die Juden hingegen haben durch die Veränderungen,
die ihr äußeres Schicksal erfahren hat (Besserung ihrer bürger-
lichen Stellung, Abnahme des religiösen Sinnes) aus äußeren
und inneren Gründen einen Teil der ihnen früher eigenen Be-
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fähigung zum Kapitalismus eingebüßt ; anderseits aber müssen
wir die Gründe für die Verringerung des jüdischen Einflusses
in unserm Wirtschaftsleben wahrscheinlich auch in einer Ver-
änderung der sachlichen Bedingungen, unter denen gewirtschaftet
wird, erblicken : die kapitalistischen Unternehmungen (man denke
an unsere Großbanken!) bilden sich mehr und mehr in bureau-
kratische Verwaltungen um, die nicht mehr in gleichem Maße wie
früher spezifische Händlereigenschaften heischen: der Bureau-
kratismus tritt an die Stelle des Kommerzialismus.
Genauen Untersuchungen wird es Vorbehalten bleiben müssen,
festzustellen: inwieweit die allemeueste Ära des Kapitalismus
tatsächlich eine Verringerung des jüdischen Einflusses aufweist.
Einstweilen verwerte ich die von mir und andern gemachten
persönlichen Beobachtungen, um in der allein denkbaren Be-
gründung, die ich den beobachteten Vorgängen unterlege, eine
Bestätigung dafür zu finden, daß ich mit der in diesem Buche
versuchten Erklärung des bisherigen jüdischen Einflusses in der
Tat die richtigen Wege gewandelt bin. Die Abnahme dieses
.Einflusses zeigt gleichsam wie ein Experiment, worin der Ein-
fluß selber seinen Grund gehabt haben muß.
In der Tat glaube ich, daß dieser Teil meiner Ausführungen,
der die Eignung der Juden zum Kapitalismus erklärt, also der
zweite Abschnitt des Buches, ebensowenig wie der erste, der
ihren Anteil am Aufbau der modernen Volkswirtschaft als Tat-
sächlichkeit darstellt, in den Grundgedanken nicht erschüttert
werden kann. Sie mögen Berichtigungen, sie mögen (vor allem l)
Ergänzungen erfahren : die Richtigkeit ihrer Gedankengänge wird
nicht zu widerlegen sein.
Nicht ganz dasselbe Gefühl der ruhigen Sicherheit habe
ich angesichts des dritten Hauptabschnittes meines Buches,
der die Frage nach der Herkunft des jüdischen Wesens und
nach dessen eigener Wesenheit zu beantworten sucht. Hier sind
wir heute noch — und vielleicht für immer — an entscheidenden
Punkten der Beweisführung auf Vermutungen angewiesen, die
selbstverständlich ein stark persönliches Gepräge tragen müssen.
Immerhin ist es mein Bemühen gewesen, in einem besonderen
Kapitel, das ich der Erörterung des „Rassenproblems* gewidmet
habe, diejenigen Einsichten kritisch zusammenzustellen, die wir
heute als einigermaßen gesicherte betrachten dürfen und vor
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allem die vielen unsicheren Hypothesen als solche aufzuweisen.
Das Kapitel ist infolgedessen ein wahres. Monstrum geworden :
schwerfällig, zerhackt, formlos, und Unterläßt ein quälendes
Gefühl der Unbefriedigtheit, der Unausgeglichenheit, das ich mit
dem letzten Kapitel, in dem ich „das Schicksal des jüdischen
Volkes“ in seinen Grundzügen zu schildern versuche, wieder zu
verwischen mich bestrebt habe. Das war aber nur möglich,
wenn alle die disparaten Einzeltatsachen, die uns die wissen-
schaftliche Forschung in ihrer rücksichtslosen Art wahllos vor die
Füße wirft, in einer persönlichen Schau zu einem einheitlichen
Bilde vereinigt wurden. Wie weit hier aber meine subjektive
Art zu sehen der Wirklichkeit gerecht geworden ist, wird erst
eine spätere Zukunft — vielleicht! — entscheiden können.
Jedenfalls gebe ich ohne weiteres zu, daß hier andere Augen
anders schauen werden.
Nun will ich schließlich noch auf einige Besonderheiten
dieses Buches hinweisen und hoffe damit zu verhüten, daß in
Mißverständnissen die Umrisse meines Gedankengefüges wie ein
Gebäude im Nebel verschwimmen und ein ganz anderes dem
„kritischen“ Beschauer vor Augen zu stehen scheint, als ich
hingebaut habe.
1. Dieses Buch ist ein einseitiges Buch; es will ein-
seitig sein, weil es, um in den Köpfen seine umwälzende
Wirkung ausüben zu können, einseitig sein muß.
Das heißt: dieses Buch will die Bedeutung der Juden für
das moderne Wirtschaftsleben aufdecken. Es trägt zu diesem
Behufe alles Material zusammen, aus dem sich diese Bedeutung
erkennen läßt, ohne die anderen Faktoren, die, außer den Juden,
am Aufbau des modernen Kapitalismus beteiligt gewesen sind,
auch nur zu erwähnen. Damit soll aber natürlich deren Einfluß
nicht etwa geleugnet werden. Man könnte mit ebensolchem
Rechte ein Buch über die Bedeutung der nordischen Rassen für
den modernen Kapitalismus schreiben; oder könnte mit dem-
selben Rechte, wie ich vorhin sagte : ohne Juden kein moderner
Kapitalismus, den Satz prägen: ohne die Errungenschaften der
Technik keiner, ohne die Entdeckung der Silberschätze Amerikas
keiner.
Obwohl nun also solcherart mein Buch, wie ich selbst es
nenne, ein einseitiges ist, ist es doch
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2. ganz und gar kein Thesenbuch. Ich meine: es soll
in ihm und durch es nicht etwa eine bestimmte „Geschichts-
auffassung“ als richtig erwiesen, es soll durch dieses Buch nicht
etwa eine „rassenmäßige“ Begründung des Wirtschaftslebens
gegeben werden. Welche „theoretischen“ oder „geschichts-
philosophischen“ Folgerungen aus meiner Darstellung gezogen
werden können oder müssen, steht ganz dahin und hat mit dem
Inhalt des Buches selbst zunächst gar nichts zu tun. Dieses
will vielmehr nur wiedergeben, was ich gesehen habe, und will
versuchen, die beobachteten Tatsachen zu erklären. Deshalb
sollte aber auch eine „Widerlegung“ meiner Behauptungen, wenn
sie jemand versuchen wollte, immer von der empirisch-historischen
Tatsächlichkeit ausgehen, sollte mir Irrtümer nachweisen dort,
wo ich bestimmte Wirklichkeiten behauptet habe, oder Trug-
schlüsse in jedem einzelnen Falle, wo ich es unternommen habe,
eine solche Wirklichkeit ursächlich zu begreifen.
Endlich betone ich mit einem so starken Nachdrucke, daß
es auffallen kann:
3. das Buch ist ein streng wissenschaftliches Buch.
Damit will ich ihm selbstverständlich kein Lob ausstellen, sondern
im Gegenteil einen Mangel des Buches erklären. Weil es ein
wissenschaftliches Buch ist, beschränkt es sich nämlich auf die
Feststellung und Erklärung von Tatsachen und enthält sich aller
Werturteile. Werturteile sind immer subjektiv, können immer
nur subjektiv sein , weil sie letzten Endes in der höchst-
persönlichen Welt- und Lebensanschauung jedes einzelnen be-
gründet sind. Die Wissenschaft aber will objektive Erkenntnis
vermitteln, sie sucht die Wahrheit, die grundsätzlich immer nur
eine ist, während es Werte grundsätzlich so viele wie wertende
Menschen gibt. Die objektive Erkenntnis wird aber getrübt in
dem Augenblicke, in dem sie mit irgendwelchem subjektiv ge-
färbten Werturteile vermischt wird, und deshalb sollten die Wissen-
schaft und ihre Vertreter vor der Bewertung dessen, was sie
erkannt haben, fliehen wie vor der Pest. Nirgends aber hat die
subjektive Bewertung so viel Unfug angerichtet, nirgends hat
sie die Erkenntnis objektiver Wirklichkeiten so sehr aufgehalten
wie im Gebiete der „Rassenfrage“ und ganz besonders im Be-
reiche der sogenannten „Judenfrage“.
Dieses Buch soll seine ganz eigenartige Note dadurch er-
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— xn —
halten, daß es auf 500 Seiten von Juden spricht, ohne auch nur
an einer einzigen Stelle so etwas wie eine Bewertung der Juden,
ihres Wesens und ihrer Leistungen, durchblicken zu lassen.
Gewiß — man kann auch in streng wissenschaftlichem Sinne
das Wertproblem, in diesem Falle: die Frage nach dem Wert
oder Unwert einer bestimmten Bevölkerungsgruppe abhandeln.
Machen wir uns einen Augenblick klar, daß das immer nur in
einem aufklärenden oder kritisch-wamenden Sinne geschehen
dürfte. Und zwar etwa in folgender Weise:
* Man könnte erst einmal darauf aufmerksam machen, daß
man Völker wie Menschen nach dem, was sie sind, und nach
dem, was sie leisten, bewerten kann, und müßte dann zeigen:
daß in jedem Falle der letzte Maßstab ein subjektiver ist. Daß
es deshalb unzulässig ist, etwa von „niederen“ und „höheren“
Rassen zu sprechen, und die Juden als „niedere“ oder als „höhere“
Rasse zu bezeichnen, weil es von dem höchstpersönlichen Wert-
gefühl des einzelnen abhängt, welche Wesenheit und welche
Leistung er als wertvoll oder unwert ansehen will.
Dazu führen folgende Erwägungen.
Man betrachte etwa das Schicksal der Juden: sie über
allen Völkern sind ein ewiges Volk. „Ein Volk steht auf, das
andere verschwindet, aber Israel bleibt ewig“, heißt es stolz im
Midrasch zu Psalm 36. Ist diese lange Dauer eines Volkes, die
noch heute viele Juden rühmen, nun auch wertvoll? Heinrich
Heine dachte anders darüber, als er einmal schrieb:
„Dieses Urübelvolk ist längst verdammt und schleppt seine
Verdammnisqualen durch Jahrtausende. 0 dieses Ägypten 1
seine Fabrikate trotzen der Zeit; seine Pyramiden stehen noch
immer unerschütterlich ; seine Mumien sind noch so unzerstörbar
wie sonst und ebenso unverwüstlich wie jene Volksmumie, die
über die Erde wandelt, eingewickelt in ihren uralten Buchstaben-
Windeln, ein verhärtet Stück Weltgeschichte, ein Gespenst, das
zu seinem Unterhalte mit Wechseln und alten Hosen handelt.“
Die Leistungen der Juden: sie haben uns den Einigen Gott
und Jesum Christum und also das Christentum geschenkt mit
seiner dualistischen Moral.
Ein wertvolles Geschenk? Friedrich Nietzsche dachte
anders darüber.
Die Juden haben den Kapitalismus in seiner heutigen Gestalt
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möglich gemacht. Eine dankenswerte Leistung? Auch diese
Frage wird ganz und gar verschieden beantwortet werden je
nach dem persönlichen Verhältnis, das der einzelne zur kapita-
listischen Kultur hat.
Wer sollte entscheiden, wenn nicht Gott, was die „objektiv“
wertvollere Leistung, die objektiv wertvollere Wesenheit zweier
Menschen, zweier Völker sei? Kein einziger Mensch, keine
einzige Rasse läßt sich in diesem Sinne höher als die andere
bewerten. Und wenn ernste Männer den Versuch doch immer
wieder machen, solche Bewertungen vorzunehmen, so steht ihnen
natürlich das Recht zu, ihre höchstpersönliche Ansicht zu äußern.
Sobald die Werturteile aber den Charakter eines objektiven und
allgemeinen Urteils annehmen wollen, müssen wir sie unerbittlich
ihrer fälschlich angemaßten Würde entkleiden und dürfen — an-
gesichts der Gefährlichkeit solcher Erschleichungen — vor der
schärfsten Waffe im Kampfe der Geister: der Lächerlichmachung,
nicht zurückschrecken.
Es hat wirklich etwas Komisches, mit anzusehen, wie Ver-
treter bestimmter Rassen, Angehörige bestimmter Völker ihre
Rasse, ihr Volk als das „auserwählte“, das schlechthin wertvolle,
das höhere und, was weiß ich, anpreisen. (Just wie der Bräutigam
die Braut I) Neuerdings sind ja zwei Rassen (oder Völkergruppen)
besonders im Kurse in die Höhe getrieben, ich möchte fast
sagen, weil für sie am meisten Reklame gemacht wird: die
Germanen und gerade auch die Juden, die (mit vollem Rechte)
nationalgesinnte Juden gegen die Angriffe in Schutz nehmen, die
eingebildete Wortführer anderer, namentlich der germanischen,
Völker, gegen sie erhoben haben. Natürlich ist es wiederum das
gute Recht der Angehörigen der beiden Gruppen, ihre Gruppe für
die wertvollere zu halten und als solche zu lieben. (Just wie der
Bräutigam die Braut!) Aber wie schnurrig, diesen Geschmack
andern aufdrängen zu wollen! Wenn einer die germanischen
Völker preist, warüm soll man ihm nicht die Worte Victor
Hehns, der wahrhaftig auch Einer war, entgegenhalten, die in
der Behauptung gipfeln: „daß der Italiener in der Stufenreihe,
die von den niedersten Typen zu immer edleren Organismen auf-
wärts führt, eine höhere Stelle einnehme, eine geistigere, reicher
vermittelte Menschenbildung darstelle als z. B. der Engländer“.
(Hehn spricht natürlich mit diesem Urteil ebensowenig eine
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objektive Erkenntnis aus wie die Germ&nenfreunde mit dem
entgegengesetzten.)
Oder wer will mich widerlegen, wenn ich die Neger höher
stelle als die weihen Bewohner der Vereinigten Staaten? Wäre
es eine Widerlegung, wenn man mir die höchst entwickelte
materielle Kultur als Leistung der Yankees entgegenhielte?
Dann mühte mir doch erst noch weiter „bewiesen“ werden,
dah diese amerikanische Kultur wertvoller sei als die Neger-
unkultur usw.
Eine wissenschaftliche Analyse des Problems der Rassen-
bewertung hätte aber noch andere Aufgaben. Sie mühte (2) nach*
weisen, wie sich die Wertmahstäbe im Laufe der Zeit verschieben
und würde bei dieser historischen Betrachtung für das letzte
Jahrhundert die Feststellung machen müssen, dah eine Ent-
wicklungsreihe, wie es ein geistvoller Mann einmal ausgedrückt
hat, von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität
führt, dah aber von diesem Wege — kurz vor dem Abhang, der
zur Bestialität abwärts führt — sich eine andere Auffassung ab-
zweigt, deren Leitspruch sich vielleicht dahin prägen liehe: von
der Humanität (die übrigens hier nicht als die regulative Idee
der Menschlichkeit, sondern nur als die papieme Gleichbewertung
aller Menschen gemeint ist) durch die Nationalität (und Rassen-
verherrlichung) zur Spezialität (oder Qualität): das heiht zur
Bewertung des Menschen ohne Rücksicht auf seine Stammes-
zugehörigkeit nach seiner blutsmähigen Artbeschaffenheit. Wir
erleben gerade jetzt, wie sich der Begriff der Rasse neu bildet
und man darunter eine ideale Forderung und nicht mehr eine
entwicklungsgeschichtliche Tatsache versteht.
Man will, wenn man jetzt allmählich die Kollektivbewertung
ganzer Rassen und Völker als allzu plebejisches Ideal fallen
läßt, nicht etwa zu der noch plebejischeren Auffassung von
der Gleichwertigkeit alles dessen, was Menschenantlitz trägt,
zurück, sondern zu der „höheren“ (!) Auffassung Vordringen: dah
zwar das Blut den Menschen wertvoll mache, aber dah es gleich-
gültig sei, ob es Germanenblut oder Judenblut oder Negerblut
ist. „Rassig“ soll der Mensch sein, und nach dieser Betrachtungs-
weise ist eine rassige Jüdin wertvoller als eine verpanschte und
schlappe Germanin und umgekehrt.
Endlich könnte in einer wissenschaftlichen Abhandlung über
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XV
die Bewertung ganzer Bevölkerungsgruppen auch noch darauf
hingewiesen werden, daß es Leute gibt, denen die Bassen und
Völker überhaupt Hekuba sind ; die nur den einzelnen Menschen
werten, und die der Meinung sind: alle Massen, ob Rassen:
oder sonst etwas, seien angefüllt mit wertlosem Füllsel, in
dem hie und da ein wertvoller Mensch, ein Edelmensch steckt.
Das sind die Leute, die längst aufgehört haben, die Menschen
vertikal zu teilen, die sie durch eine horizontale Linie in
„Menschen“ und anderes sondern, und die dann natürlich „über
dem Strich“ ebenso häufig (oder ebenso selten) Juden wie
Christen, Eskimos wie Negern begegnen (denn daß in jeder
Menschengruppe sich auch „Menschen“ finden: das wird man
nicht leugnen können: hinter welchem Germanen oder Juden
ganz hoher Klasse stünde etwa der Neger Booker Washington
zurück oder so mancher andere geistig, künstlerisch und sittlich
höchst qualifizierte Vertreter dieser gemeinhin als Spülicht be-
werteten Rasse).
Daß diese letzte Art der Bewertung die Einschätzung einer
bestimmten Bevölkerungsgruppe ganz und gar von der persön-
lichen Lebenserfahrung abhängig macht, liegt auf der Hand. Wie
gewiß sehr viele von uns modernen Menschen, ganz ohne es zu
wollen, zu einer Hochbewertung gerade der Juden gelangt sind,
das hat ein für allemal in klassischen Worten unser geliebter
Fontane ausgesprochen in seinen Versen:
„An meinem Fünfundsiebzigsten.
Aber die zum Jubeltag da kamen,
Das waren doch sehr andre Namen,
Auch »sans peur et reproche*, ohne Furcht und Tadel,
Aber fast schon von prähistorischem Adel:
Die auf ,berg* und auf ,heim‘ sind gar nicht zu fassen,
Sie stürmen ein in ganzen Massen,
Meyers kommen in Bataillonen,
Auch Pollacks, und die noch östlicher wohnen;
Abram, Isak, Israel,
Alle Patriarchen sind zur Stell,
8tellen mich freundlich an ihre Spitze,
Was sollen mir da noch die Itzenplitze!
Jedem bin ich was gewesen,
Alle haben sie mich gelesen,
Alle kannten mich lange schon,
Und das ist die Hauptsache . . . , Kommen Sie, Cohn. (U
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XVI
Eine wissenschaftliche Untersuchung über das Problem der
Rassenbewertung mühte auch — sage ich — diese Spielart der
Werturteile berücksichtigen und würde damit den höchstpersön-
lichen Charakter solcher Urteile ganz besonders drastisch dartun.
Ihren höchstpersönlichen und darum „ unwissenschaftlichen u
Charakter. Mein Buch aber soll ein wissenschaftliches Buch
sein, und darum enthält es keine Werturteile. Die persönliche
Meinung des Verfassers interessiert aber nicht die weite Welt,
sondern nur seine Freunde. Und die kennen sie ja.
Werner Sombart.
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Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort V
Erster Abschnitt
Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volks-
wirtschaft
Erstes Kapitel: Ermittloiigsmethoden — Art and Um-
fang des Anteils 3
Statistische and genetische liethode zur Ermittlung des Wirtschaft-
liehen Anteile 8. 3. Vorzüge und Mängel der statistischen Methode
S. 3. Notwendige Ergänzung durch die genetische Methode 8. 5;
deren richtige Anwendung 8. 6.
Richtige Dimensionierung des Anteils der J. am Aufbau der
modernen Volkswirtschaft 8. 7: er erscheint teils zu groß 8. 7; teils
zu klein 8. 8, weil sich ein groBer Teil der Vorgänge unserer Kenntnis
entzieht 8. 8, weil sich nicht immer feststellen läBt, wo Juden be-
teiligt waren 8. 9. Begriff des Juden 8. 9. Schwer zu ermitteln der
Anteil der getauften Juden 8. 10, der weiblichen Judenschaft 8. 10,
der Scheinjuden 8. 10, der Juden, die heimlich wirken 8. 12.
Zweites Kapitel: Die Verschiebung des Wirtschafts-
Zentrums seit dem 16« Jahrhundert 13
Verschiebung des ökonomischen Energiezentrums aus dem
Bannkreise der südeuropäischen Nationen unter die nordeuropäischen
Völker 8. 13. Unzulänglichkeit der bisherigen Erklärungsversuche
8. 13. Parallelität zwischen jener Verschiebung und den Wanderungen
der Juden 8. 15. Versuch, zwischen diesen beiden Erscheinungen
einen Zusammenhang herzustellen 8. 19. Urteile der Zeitgenossen
des 16. und 17. Jahrhunderts in England 8. 20, in Frankreich 8. 21,
in den Niederlanden 8. 21, in Deutschland 8. 23. Wodurch jener
Zusammenhang tatsächlich sich erklärt: äuBerlicher und innerlich-
geistiger EinfluB der Juden 8. 24.
Bomb art, Die Juden II
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Seite
Drittes Kapitel: Die Belebung des internationalen
Warenhandels 25
Quantitativ hervorragende Beteiligung der Juden an den Waren-
umsätzen im 16., 17. und 18. Jahrhundert S. 25; ihr Anteil an der
Leipziger Messe S. 26; am spanisch-portugiesischen Handel S. 26, am
Levantehandel S. 27.
Ihre große Bedeutung noch mehr durch die Artbeschaffenheit
ihres Handels erklärt S. 27; ihr Handel mit Luxuswaren S. 28, mit
den ersten Massenprodukten S. 28, mit neuen Artikeln S. 28; Mannig-
faltigkeit und Reichhaltigkeit der gehandelten Waren S. 29; ihr
Handel mit den Gold- und Silberländem 8. 29.
Viertes Kapitel: Die Begründung der modernen
Kolonialwirtschaft 30
Starker Anteil der Juden an allen kolonialen Gründungen: im
Osten S. 30, in Australien S. 31, in Südafrika S. 31, besonders aber
in Amerika: Amerika — ein Judenland S. 31. Anteil am Entdeckungs-
werk selbst S. 32. Hineinströmen der Juden nach der Entdeckung
S. 33. Jüdischer Einfluß in Südamerika S. 34, in Westindien S. 36,
in den Vereinigten Staaten von Amerika S. 38. Die besondere Be-
deutung der Juden für dieses Land S. 39. Die Durch tränkung des
gesamten amerikanischen Wirtschaftslebens mit jüdischem Wesen
S. 44.
Fünftes Kapitel: Die Begründung des modernen Staates 49
Die Juden, das „unstaatliche" Volk, scheinbar unbeteiligt am
Aufbau des modernen Staats S. 49, in Wirklichkeit sehr beteiligt:
Jude und Fürst: zwei untrennbare Erscheinungen in den Anfängen
des modernen Staats S. 50.
L Die Juden als Lieferanten 51
In England S. 51, in Frankreich S. 52, in Deutschland und
Österreich S. 53, in den Vereinigten Staaten S. 53.
II. Die Juden als Finanzmänner 54
In Holland S. 54, in England S. 54, in Frankreich S. 56, in
Deutschland und Österreich: „die Hofjuden" S. 57. Ausschaltung des
Hofjuden durch die Entwicklung des modernen Anleihewesens S. 59;
diese selbst nur ein Teil einer allgemeinen Umbildung des Wirt-
schaftslebens S. 59.
Sechstes Kapitel: Die Kommerzialisierung des Wirt-
schaftslebens 60
Was unter Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens su ver-
stehen ist S. 60.
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1
— XIX —
Seite
L Die Entstehung der Wertpapiere 61
Die Entstehung der Wertpapiere : der äuBere Ausdruck für die
Versachlichung der Kreditbeziehungen S. 61; diese selbst nur ein
einzelnes Glied in der Kette von Versachlichungen, der charakte-
ristischen Tendenz der hochkapitalistischen Wirtschaftsepoche S. 61.
Haupttypen der Wertpapiere S. 68. Methode zur Ermittlung des An-
teils der Juden an ihrer Entstehung S. 64.
1. Der indossable Wechsel 66
Anfänge des Wechselgiros S. 66. Die Genueser Messen S. 67.
2. Die Aktie 68
Die moderne Aktie entsteht im 17. und 18. Jahrhundert S. 68.
Bedeutung der Spekulation für die Versachlichung des Aktien-
verhältnisses S. 69.
3. Die Banknote 69
Die Entstehung der „Banknote" ist noch immer in Dunkel ge-
hüllt S. 70. Ihr wahrscheinlicher Geburtsort: Venedig S. 71, oder
Spanien S. 71.
4. Die Partialobligation 72
Versachlichung der öffentlichen Schuldverschreibung nicht vor
dem 18. Jahrhundert S. 72. Geschichte des Pfandbriefs S. 74, seine
Wiege in Holland S. 75.
Bedeutung der Bechtsform des Inhaberpapiers für
die Entwicklung des Wertpapiers S. 77. Die verschiedenen Theorien
über die Entstehung des Inhaberpapiers S. 79; Ableitung des modernen
Inhaberpapiers aus dem talmudisch-rabbinischen Recht S. 81.
n. Der Handel mit Wertpapieren 91
1. Die Ausbildung des Verkehrsrechts 91
Bestimmung des Effekts für den Verkehr S. 91. Bedeutung des
Verkehrsrechts für die leichte Verkäuflichkeit der Wertpapiere S. 92.
Anteil der Juden an der Herausbildung verkehrsfreundlicher Rechts-
grundsätz e S. 98.
2. Die Börse 94
Bedeutung der Börse für den Handel mit Wertpapieren S. 94.
Begriff der Spekulation S. 95 und ihre Bedeutung für den Effekten,
handel S. 96.
Die Geschichte der Börse zerfällt in zwei Perioden: die
erste reicht vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts S. 98. Ursprung
der modernen Effektenbörse im Wechselhandel S. 99: dieser in den
Händen der Juden S. 99. Anfänge der Effektenspekulation nicht vor
dem 17. Jahrhundert S. 101. Die Juden: „die Väter des Termin.
U*
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Seite
handele“ S. 102, die Beherrscher der Amsterdamer Börse im 17. Jahr-
hundert S. 108, die Begründer der Londoner Weltbörse am Ende
des 17. Jahrhunderts S. 105, der Börsen in Frankreich S. 108, in
Deutschland S. 109.
Auch die neue Periode des Börsen wesens leiten die Juden ein
S. 111: durch bewußte Förderung der Kreditwirtschaft S. 112, durch
extensive und intensive Steigerung des Fonds Verkehrs S. 114. Die
Bedeutung des Hauses Rothschild S. 115: die Internationalisierung
des Kreditverkehrs S. 116; die Benutzung der Börse zu Emissions-
zwecken (Stimmungsmache) S. 117.
ILL Die Schaffung von Wertpapieren 118
Die Herausbildung eines Emissionsgewerbes S. 118. Anteil der
Juden daran S. 120. Das Gründungsgeschäft S. 121. Die Rothschilds
die ersten „Eisenbahnkönige“ S. 122. Jüdische „Gründer“ in Deutsch-
land in den 1870er Jahren S. 128.
Die Verwertung des Aktienprinzips für die Effektenproduktion
leitet die Epoche der Spekulationsbanken ein S. 124; ihr Urtypus der
Credit mobilier S. 126, eine Schöpfung der Gebrüder Pereire S. 128.
Der Anteil der Juden an den deutschen Spekulationsbanken S. 128.
IV. Die Kommerzialisierung der Industrie 129
Der wachsende Einfluß von Banken und Börsen auf das ge-
samte Wirtschaftsleben S. 129. Typus der modernen, „kommerziali-
sierten“ Industrie: die Elektrizitätsindustrie S. 181. Jüdische Ge-
schäftsleute und ihre Organisation S. 181.
Geschichte der Juden als „Industrielle“ S. 132. Heutiger Anteil
der Juden an den Stellungen der Direktoren und Aufsichtsräte der
deutschen Industrieuntemehmungen S. 134.
Siebentes Kapitel: Die Herausbildung einer kapitalisti-
schen Wirtschaftsgesinnung 186
Die Juden erscheinen überall als Störer der „Nahrung“ S. 137:
in Deutschland S. 137, in England S. 138, in Frankreich, in Schweden
und in Polen S. 139. Als Grund führen die Zeitgenossen ihre betrüge-
rische Geschäftsführung an S. 140. In Wirklichkeit vertreten sie eine
neue Wirtschaftsgesinnung S. 141. Bis in die frühkapitalistische
Wirtschaftsepoche hatte die feudal-handwerksmäßige Grundauffassung
in der Wirtschaftsführung geherrscht S. 141, mit ihrer ständischen
Abgrenzung personaler Tätigkeitsgebiete S. 143, ihrer Verpönung des
„Kundenfangs“ S. 144, insbesondere vermittels der Geschäftsanzeige
S. 145 oder gar der Reklame S. 147; mit ihrem Leitgedanken: gute
Gebrauchsgüter herzustellen S. 148 und ihrer Idee vom gerechten
Preise S. 149. Geruhsames Sichausleben : die Gesamtstimmung S. 150.
Entgegengesetzte Auffassung der Juden vom Sinn des Wirt-
schaftens S. 151. Ihre Praktiken nur vereinzelt wirklich verbreche-
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Seite
risch S. 154, im wesentlichen ans einem andern Geiste geboren S. 155.
Primat des Erwerbszwecks bei den Juden S. 155, ihre Mißachtung
der zunftmäßigen Abgrenzung der Gewerbe- und Handelsbetriebe
8. 158. Intemationalität des „Judenkommerzes" S. 160. Die Juden
greifen den Kunden an S. 161 ; sind deshalb (wahrscheinlich) auch die
Väter der Reklame S. 164. Die Juden unterbieten im Preise S. 165.
Grunde für ihre billigen Preise S. 168: die „notorische" Un-
rechtlichkeit der Juden S. 169; ihre unsaubern Praktiken S. 170; ihre
Herabminderung der Qualität S. 171 (die Juden : die Väter des Surro-
gats S. 172); die Herabminderung der Herstellungskosten S. 174, in-
folge geringerer Lebensanspröche S. 174, durch Beschleunigung des
Umsatzes S. 175, durch Verwendung billiger Arbeitskräfte S. 176.
Die Juden als kommerzielle Erfinder 8. 177.
Das grundsätzlich Neue in der jüdischen Auffassung: die
Idee der freien Konkurrenz S. 179. Die Juden : die Väter des „Frei-
handels" S. 180.
Zweiter Abschnitt
Die Befähigung der Joden zum Kapitalismus
Achtes Kapitel: Das Problem 188
Notwendigkeit genauer Fragestellung: die Befähigung der
Juden wozu? und die Befähigung wodurch? nachgewiesen werden
soll S. 183.
Nachweis der Befähigung zum Kapitalismus ist das Problem
S. 188. Nebelhafte Vorstellungen der Früheren S. 184.
Die Befähigung kann in objektiven Umständen oder in einer
subjektiven Eignung begründet sein S. 184. Gedankengang der folgen-
den Untersuchung S. 185.
Neuntes Kapitel: Die Funktionen der kapitalistischen
Wirtschaftssubjekte 186
Begriff des Kapitalismus S. 186. Tragende Ideen: Erwerbsidee
und Ökonomischer Rationalismus S. 186. Sinn einer glücklichen Ge-
schäftsführung im kapitalistischen Sinne S. 188. Anforderungen an
die kapitalistischen Wirtschaftssubjekte : gute Unternehmer und gute
Händler zu sein S. 189. Das Wesen des guten Unternehmers S. 190,
des guten Händlers S. 193.
Zehntes Kapitel: Die objektiye Eignung der Juden cum
Kapitalismus 198
Überblick S. 198.
I. Die räumliche Verbreitung 199
Vorteile ihrer Zerstreuung über alle Länder S. 199; ihre Organi-
sierung des Nachrichtenverkehrs S. 201 ; ihre Sprachkenntnisse S. 208.
Vorteile ihrer Verteilung über das Innere der Länder S. 204.
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xxn
8*ito
II. Die Fremdheit 205
Ihre Stellung als Neueingewanderte S. 205; ihre Fremdheit im
psychologisch-sozialen Sinne S. 206.
ÜL Das Halbbürgertnm 207
Ihre gewerberechtliche und polizeiliche Stellung S. 207, deren
Einfluß meist übertrieben wird S. 207. Bedeutsam ihre Ausschließung
aus allen genossenschaftlichen Verb&nden S. 210; ebenso ihre Stellung
im Öffentlichen Leben S. 210.
IV. Der Reichtum 212
Tatsache des jüdischen Reichtums bei den flüchtigen Spaniolen
S. 213; bei den holländischen Juden im 17. Jahrh. S. 213; bei den
französischen, englischen, deutschen Juden des 17. und 18. Jahrh.
S. 214. Statistische Erfassung des jüdischen Reichtums im heutigen
Deutschland S. 217.
Bedeutung des jüdischen Reichtums S. 220, insbesondere für die
Entwicklung der Geldleihe S. 222, aus der der Kapitalismus geboren
ist S. 222.
Elftes Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion
für das Wirtschaftsleben 225
Vorbemerkung: Aufgabe dieses Kapitels S. 225.
1. Die Wichtigkeit der Religion für das jüdische Volk . 226
Allgemeine Bedeutung der Religionssysteme für das Wirt-
schaftsleben 8. 226. Besondere Bedeutung der jüdischen Religion
8. 227. Gründe 8. 228. Strenggläubigkeit bei Hoch und Niedrig
8. 280.
IL Die Quellen der jüdischen Religion 231
Übersicht S. 232. Realistische Ansicht der Quellen 8. 232. Die
Bibel 8. 232. Der Talmud 8. 234. Die drei Kodizes 8. 236. Die
traditionelle Auffassung des frommen Judentums 8. 237. Die Gel-
tungskraft der einzelnen Quellen 8. 238. Interpretationsgrundsätze
S. 240.
HL Die Grundideen der jüdischen Religion 242
Verwandtschaft der jüdischen Religion mit dem Kapitalismus
S. 242. Die jüdische Religion: ein Verstandesprodukt, mechanisch-
kunstvoll gestaltet 8. 242, ohne Mysterium S. 243, feind dem Bildlich-
Sinnlichen 8. 244. Sie beruht auf vertragsmäßiger Regelung aller
Beziehungen zwischen Jahve und Israel S. 244. Aufrechnung von
Guttat und Sünde mit Hilfe einer verwickelten Buchführung 8. 245.
Die unorganische, rein quantifizierende Auffassung vom Wesen der
Sünde: der Erwerbsidee verwandt S. 247. Hochbewertung des Geld-
erwerbes in der theologischen Literatur S. 248. Auktionen als Be-
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Seite
standteile des Gottesdienstes S. 249. Geschäftskundigkeit der Rab-
banen S. 249.
IV. Der Bewährungsgedanke 250
Die jüdische Auffassung vom Wesen der „Vergeltung" S. 250.
Im 9 Wohlergehen auf Erden" bewährt sich die echte Frömmigkeit
S. 251. Zum Wohlergehen gehört auch materielles Wohlbefinden
S. 252. Die Verherrlichung des Reichtums in den jüdischen Religions-
schriften S. 253. Bedeutung dieser reichtumsfreudigen Auffassung für
das Erwerbsleben 8. 260.
V. Die Rationalisierung des Lebens 261
Die Gegenleistung der Frommen : Gesetzerfüllung und Heiligkeit
der Lebensführung S. 261, die allmählich zu Einem Begriffe zu-
sammenschmelzen 8. 261. Heiligkeit heißt: Rationalisierung des
Lebens 8. 265. Wirkung des Gesetzes durch sein bloBes Dasein
8. 266. Die einzelnen Vorschriften: bezwecken Ausschaltung alles
Tuns aus naturalem Antriebe 8. 268. Rationalisierung des Natur-
genusses 8. 269, der gesamten Lebensführung 8. 269. Kardinal-
tugenden der Frommen 8. 270. Rationalisierung des Hungers 8. 271
und der Liebe S. 272. Starrer Dualismus in der Auffassung des Ge-
schlechtslebens 8. 272. Die Angst vor dem Weibe 8. 272. Ratio-
nalisierung des Geschlechts Verkehrs in der Ehe 8. 274.
Bedeutung für das Wirtschaftsleben 8. 276. Entwicklung der
„bürgerlichen“ Tugenden 8. 277. Pflege des Familienlebens 8. 277.
„Heiligkeit der Ehe“ bei den Juden 8. 278. Physiologische Wirkungen
der systematischen Regelung des Geschlechtsverkehrs 8. 279. Zu-
sammenhang zwischen Liebesieben und Gelderwerb 8. 280. Gewöhnung
der Juden an ein Leben gegen die Natur (oder neben der Natur)
steigert ihre Befähigung zum Kapitalismus 8. 281.
VI. Israel und die Fremden 282
Das „Gesetz“ bewirkt eine AbschlieBung des jüdischen Stammes
8. 282 und stärkt das Bewufitsein der Fremdheit 8. 285. Entwicklung
eines eigenartigen Fremdenrechts : Zinsgestattung S. 285. Laxere Ge-
schäftsgrundsätze im Verkehr mit Fremden S. 287. Starke Förderung
der freiwirtschaftlichen Auffassung durch das Fremdenrecht S. 290.
Freihandel und Gewerbefreiheit: göttliches Gebot 8. 291.
VIL Judaismus und Puritanismus 292
Übereinstimmung vieler Bestandteile im jüdischen und puri-
tanischen Religionssystem S. 292. Die äuBere Beeinflussung des
Puritanismus durch die jüdische Religion bleibt ein Problem 8. 293.
Zwölftes Kapitel: Jfidische Eigenart 296
I. Das Problem 296
Notwendige Annahme einer kollektiven Psyche 8. 297, weil die
Erklärung historischer Vorgänge aus bloB äußeren Umständen nicht
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ausreicht S. 297, gezeigt am Beispiel der jüdischen Geschichte S. 298.
Schwierigkeit, aber doch nicht Unmöglichkeit kollekti ^psychologischer
Feststellungen S. 301. Ablehnung der alten Vorstellung von einer
„Volksseele“ S. 302. Wie ist Kollektivpsychologie möglich? S. 303,
wissenschaftliches Verfahren S. 303, künstlerisches Verfahren S. 307.
Die sozialen Gruppen S. 308. „Die Juden 4 als Einheit S. 310.
Leits&tze, die bei der Feststellung einer Jüdischen Eigenart“ zu be-
folgen sind S. 311.
U. Ein Lösungsversuch 312
Große Übereinstimmung aller Beurteiler der jüdischen Psyche
S. 813.
Grundzug des jüdischen Wesens: die überragende Geistigheit
(ihr Intellektualismus) S. 313. Keine empfindungs- und gefühlhafte
Beziehung zur Welt S. 316. Mangel an Anschaulichkeit S. 317. Ge-
ringer Sinn für das Persönliche 8. 318. Die Juden: die geborenen
Vertreter einer „liberalen“ Lebensauffassung S. 318 und einer ratio-
nalen Deutung der Welt S. 319.
Die Zweckbedachtheit der Juden (ihr Teleologismus) S. 320.
„Tachlis“ S. 321. Melancholie 8. 321.
Zielstrebigkeit 8. 322 und Beweglichkeit 8. 822.
Aus diesen vier Grundzügen folgen alle anderen Eigenarten,
z. B. Rastlosigkeit und Anpassungsfähigkeit S. 323. Eignung der Juden
zum Journalisten, Advokaten, Schauspieler 8. 327.
III. Jüdisches Wesen im Dienste des Kapitalismus. . . . 328
Übereinstimmung zwischen den Grundideen des Kapitalismus
und den Grundideen des jüdischen Wesen 8. 328. Besondere Eignung
der Juden zum „Unternehmer“ 8. 331, zum „Händler“ 8. 332.
Dritter Abschnitt
Wie jfldlscbes Wesen entstand
Dreizehntes Kapitel: Das Rassenproblem 337
Vorbemerkung 327
Neues Problem: welcher Art die jüdische Art sei? S. 337. Die
verschiedenen theoretischen Möglichkeiten S. 338. Notwendig vor
allem eine klare Fragestellung und urteilsvolle Sichtung des Materials
S. 339.
I. Die anthropologische Eigenart der Juden 340
Die Herkunft der Juden 8. 340; ihr Blutsschicksal S. 342. Über-
Schätzung des Proselytentums als anthropologischen Faktors 8. 342.
Der Übertritt der Ohazaren Chagane zum Judentum 8. 343. Die
Mischehen S. 344. Problem der blonden Juden 8. 345. Die anthropo-
logische Homogenität des jüdischen Stammes in der Gegenwart S. 346 ;
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XXV
Seit«
ihre physiologisch-pathologische Sonderveranlagung zweifelhaft 8. 347.
Konstanz der jüdischen Physiognomie 8. 347.
IL Die jüdische „Basse“ 849
Doppelbegriff „Rasse“ S. 349. Mißlungene Versuche einer
Klassifizierung der Menschen S. 350, schließt deren Unterschiedlich,
keit nicht aus 8. 352. Der Streit ist ein Wortstreit S. 353.
DL Die Konstanz des jüdischen Wesens 354
Bedeutsame Symptome einer solchen Konstanz sind: 1. Die
Stellung der Juden zu den Wirtsvölkern S. 355 ; 2. das Phänomen
der jüdischen Diaspora S. 358; 3. die jüdische Religion S. 361; 4. die
auffallende Gleichheit ihrer wirtschaftlichen T&tigkeit zu allen Zeiten
S. 362. Überblick über den Verlauf der jüdischen Wirt-
schaftsgeschichte S. 363. 5. Ihre Begabung für Geldgeschäfte
S. 375; 6. die Tatsache des jüdischen Reichtums zu allen Zeiten S. 379;
die Gründe des jüdischen Reichtums S. 381.
IV. Die rassenmäßige Begründung volklicher Eigen-
arten 384
Saloppe Beweisführungen unserer „Rassentheoretiker“ S. 384.
Nicht minder unzulängliche Beweisführung der Anpassungs- und
Milieutheoretiker S. 388. Einstweilen: non liquet S. 390. Das Problem
der Artbildung in genetischer Betrachtungsweise S. 391. Vorzüge
dieser Betrachtungsweise S. 394. Das Problem der Vererbung S. 397;
insbesondere die Vererbung erworbener Eigenschaften S. 396. Große
Konstanz der Menschentypen S. 399. Mißverständnisse der „Milieu-
theoretiker“ S. 400.
Vierzehntes Kapitel: Das Schicksal des jüdischen
Volkes 403
Das große Ereignis : daß ein orientalisches Volk unter Nordlands-
völker verschlagen wurde S. 403. Die Juden: ein Wüstenvolk und
ein Wandervolk 8. 404, erobern Kanada 8. 405, bleiben auch dort
von nomadischem Geiste erfüllt 8. 406. Zeugnis dafür: ihre Religion
8. 406. Nomade — kein „Schimpfwort“ 8. 409. Einfluß der Exile
8. 409. Die Bedeutung der Diaspora 8. 411. Fortgesetzte Wande-
rungen der Juden 8. 413. Wanderungsstatistik für Deutschland 8. 413.
Die Juden: Städtebewohner 8. 415. Kontrast der Nordlands Völker
8. 415. Gegensatz von Wüste und Wald 8. 416.
Ableitung des jüdischen Wesens aus dem Lebensschicksale des
Volks: exakt-biologisch bisher nur einmal versucht 8. 419. Einst«
weilen sind wir auf erlebnismäßige Erklärung angewiesen 8. 420: die
überragende Geistigkeit 8. 420; der Rationalismus 8. 421; die An-
passungsfähigkeit und Beweglichkeit 8. 423; die Zielstrebigkeit 8. 423.
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Seite
Gegensatz der Wesen sbetätigung zwischen naßkalten und heißen
Völkern S. 424; der Kapitalismus : ein Kind des Nomadismus S. 426.
Das Geld: auch ein Schicksal des jüdischen Volkes S. 426.
Überflutung Palästinas mit Edelmetallen und Geld S. 427. Entwick-
lung der Geldkunst durch die Juden? S. 429. Erklärung ihrer Geld-
liebe 8. 429.
Das Ghettoschicksal S. 429. Gegensatz zwischen Ghettojuden
und freien Juden, zwischen Aschkenazim und Sephardim S. 430. Das
Ghetto nicht Ursache, sondern Wirkung bestimmter Wesenheiten?
S. 431. Die Bedeutung des Ghettoschicksals darf nicht überschätzt
werden S. 432. Seine größte Bedeutung liegt darin, daß es art-
erhaltend gewirkt hat S. 433.
Quellen und Literaturnachweis
Erstes Kapitel: Ermittlungsmethoden — Art und Umfang des
Anteils 437
Zweites Kapitel: Die Verschiebung des Wirtschaftssentrums
seit dem 16« Jahrhundert
Drittes Kapitel: Die Belebung des internationalen Warenhandels
Viertes Kapitel: Die Begründung der modernen Kolonial-
Wirtschaft
Fünftes Kapitel: Die Begründung des modernen Staates . . .
Sechstes Kapitel: Die Kommerzialisierung des Wirtschafts-
lebens 450
Siebentes Kapitel: Die Herausbildung einer kapitalistischen
Wirtschaftsgesinnung 457
Neuntes Kapitel: Die Funktionen der kapitalistischen Wirt-
schaftssubjekte 462
Zehntes Kapitel: Die objektire Eignung der Juden zum Kapi-
talismus 462
Elftes Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion für das
Wirtschaftsleben 464
Zwölftes Kapitel: Jüdische Eigenart 469
Dreizehntes Kapitel: Das Rassenproblem 470
Vierzehntes Kapitel: Das Schicksal des jüdischen Volkes . . 474
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Erster Abschnitt
Der Anteil der Juden am Aufbau der
modernen Volkswirtschaft
Sombftrt, Die Juden
1
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3
Erstes Kapitel
ErmltODDgsmstboileii — Art und Umfang des Anteils
XJm den Anteil festzustellen, den eine Bevölkerungsgruppe
an einer bestimmten wirtschaftlichen Tatsächlichkeit hat, stehen
uns zwei Methoden zur Verfügung: die statistische und die
genetische, wie man sie nennen könnte.
Mittels der statistischen Methode, wie es der Name aus-
drückt, würde man versuchen, die Anzahl der Wirtschaftssubjekte
zu ermitteln, die überhaupt an einer wirtschaftlichen Aktion
beteiligt sind, also beispielsweise den Handel mit einem be-
stimmten Lande, die Industrie einer bestimmten Gattung in ge-
gebenen Zeitepochen ins Leben rufen, und dann die Prozentzahl
herauszurechnen, die von diesen die Angehörigen der unter-
suchten Bevölkerungsgruppe ausmachen. Zweifellos hat diese
Methode ihre großen Vorzüge. Es gibt gewiß eine deutliche
Vorstellung von der Bedeutung sage der Ausländer oder der
Juden für die Entwicklung eines Handelszweiges, wenn ich
ziffermäßig feststellen kann, daß 50 oder 75°/o der beteiligten
Personen einer bestimmten Art sind. Zumal wenn die Statistik
sich noch auf andere ökonomisch bedeutsame Tatbestände außer
•der Person des Wirtschaftssubjektes bezieht: die Größe des
werbend angelegten Kapitals, die Menge der erzeugten Güter,
die Höhe des Warenumsatzes u. dgl. Man wird daher sich der
statistischen Methode bei den Untersuchungen wie den hier an-
gestellten gern und mit Vorteil bedienen. Wird aber auch sehr
bald einsehen, daß mit ihr allein die Aufgabe nicht gelöst werden
kann. Zum ersten deshalb nicht, weil auch die beste Statistik
noch nicht alles, oft sogar nicht einmal das Wichtigste von dem
aussagt, was in unserem Falle gefragt wird. Sie bleibt stumm
gegenüber dem Problem der dynamischen Wirkung, die im Wirt-
1 *
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4
schaftsleben (wie überall, wo Menschenwerk vollbracht wird)
einzelne kräftige Individualitäten auszuüben vermögen, deren
Einfluß weit über den Bereich ihres unmittelbaren Tätigkeits-
kreises hinausragt, deren Anteil an dem Gange einer bestimmten
Entwicklung deshalb aber natürlich auch unverhältnismäßig viel
großer ist, als ihr ziffermäßiger Anteil an der Berufsgruppe und
ihren Lebensäußerungen zum Ausdruck bringt Wenn das Ge-
schäftsgebaren eines Bankhauses für zehn andere bestimmend
wird und das allgemeine Geschäftsgebaren einer Zeit und eines
Landes dadurch sein Gepräge erhält, so ist diese Wirkung und
somit der Anteil dieses einen, Richtung gebenden Bankhauses
an der Entwicklung des Bankwesens offensichtlich durch keine
noch so genaue ziffermäßige Feststellung wiederzugeben. Die
statistische Methode würde also auf alle Fälle durch andere
Untersuchungsmethoden ergänzt werden müssen.
Nun macht aber ein anderer Mangel der statistischen Methode
sich vielleicht noch empfindlicher fühlbar als der eben be-
sprochene: daß sie nämlich in den allermeisten Fällen wegen
des ungenügenden Zahlenmaterials überhaupt nicht anwendbar
ist. Es sind ganz besonders glückliche Umstände, die uns für
die Vergangenheit genaue Zifferangaben über die Zahl der an
einer Industrie, an einem Handelszweige beteiligten Personen,
über die Größe des Umsatzes usw. mit dem genauen Prozent-
Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen — in unserem
Falle also mit dem ziffermäßigen Anteil der Juden — hinter-
lassen haben. Für die Gegenwart und die Zukunft wäre e»
vielleicht — unter besonders günstigen Verhältnissen — möglich,,
in größerem Umfange statistische Feststellungen der gedachten
Art zu machen. Von einigen wird im Verlaufe dieser Arbeit
selbst die Rede sein. Nur sollte man sich der Ungeheuern
Schwierigkeiten bewußt bleiben, denen die Ausführung solcher
Untersuchungen begegnet. Die allgemeinen Berufs- und Gewerbe-
zählungen lassen uns vollständig im Stich dabei. Im günstigsten
Fall läßt sich aus ihnen der Anteil der Konfessionen an den
verschiedenen Zweigen wirtschaftlicher Tätigkeit entnehmen.
Damit ist uns aber nur wenig gedient: erstens bedeuten, wie
schon hervorgehoben wurde, die bloßen Personenziffem ohne
Angaben über die Größe des Kapitals oder der Produktions- oder
Absatzkapazität, die sie vertreten, nicht genug; zweitens ent-
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5
ziehen sich dabei alle Personen der Ermittlung, die einen Kon-
fessionswechsel vorgenommen haben, aber doch noch der unter-
suchten Bevölkerungsgruppe zugeordnet werden sollten. Will
man zu einigermaßen zuverlässigen Ergebnissen gelangen, so
werden derartige ziffermäßige Feststellungen unter vergleichen-
der Benutzung verschiedener Quellen (wie namentlich der
kommerziellen und industriellen Handbücher, der Handels- und
Industrieadreßbücher , der Steuerrollen der jüdischen Ge-
meinden usw.) monographisch von Personen gemacht werden
müssen, die über eine genaue Branchenkenntnis und namentlich
über eine genaue Personenkenntnis verfügen. Ich gebe mich der
Hoffnung hin, daß mein Buch die Anregung bieten wird, der-
artige Untersuchungen (die zu allem anderen noch beträchtlicher
Geldmittel benötigen) in größerem Stile zu unternehmen. Im
Augenblick aber besitzen wir — außer der von Herrn Sigmund
Mayr in Wien geplanten Enquete — keine brauchbare Arbeit der
gedachten Art. Und ein Buch wie dieses müßte ungeschrieben
bleiben, gäbe es nur die statistische Methode, um den Anteil
der Juden an unserem Wirtschaftsleben festzustellen. Wie ich
aber eingangs schon erwähnt habe, besitzen wir noch eine andere
Methode, die ich die genetische nannte, die sogar nicht nur als
Lückenbüßerin erscheint, sondern die selbst große Vorzüge vor
der statistischen Methode aufweist, so daß sie als gleichwertig
lieben diese gestellt werden kann.
Diese genetische Methode läßt sich etwa wie folgt kenn*
zeichnen: ermitteln wollen wir vor allem, inwieweit eine Be-
völkerungsgruppe (Juden) bestimmend wird (oder geworden ist)
für Gang und Richtung, Wesen und Art des modernen Wirt-
schaftslebens, gleichsam also ihre qualitative, oder wie ich es
oben nannte, ihre dynamische Bedeutung. Das aber können wir
am ehesten, wenn wir untersuchen: ob bestimmte, unser Wirt-
schaftsleben besonders auszeichnende Züge ihre erste ent-
scheidende Prägung etwa von den Juden erfahren haben : sei es,
daß gewisse äußere Gestaltungen standortlicher oder organi-
satorischer Natur auf ihre Wirksamkeit sich zurückführen lassen ;
sei es, daß Geschäftsgrundsätze, die sich zu allgemeinen , unser
Wirtschaftsleben tragenden Wirtschaftsmaximen ausgewachsen
haben, aus spezifisch jüdischem Geiste geboren sind. Die An-
wendung dieser Methode erheischt, wie ersichtlich, die Zurück-
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6
Verfolgung wirtschaftlicher Entwicklungsreihen tunlichst bis in
ihre ersten Anfänge hinauf, zwingt unsere Betrachtung also, sich
dem Kindheitsalter des modernen Kapitalismus zuzuwenden oder
doch wenigstens jener Zeit, in der er sein heutiges Gepräge zu-
erst empfing. Sie läßt uns aber keineswegs nur in jener Jugend»
zeit verweilen, sondern fordert unsere Aufmerksamkeit auch in»
der Verfolgung des Reifeprozesses kapitalistischen Wesens, weil
ja während dieser ganzen Zeit bis in die Gegenwart hinein immer
„neu und neuer Stoff 1 “ sich zudrängt und Wesenseigentttmlich-
keiten oft genug erst in einem späteren Alter einem Wirtschafts»
Systeme sich aufprägen: es muff nur immer der Augenblick
wahrgenommen werden, wenn das Neue sich zum ersten Male
verspüren läßt und untersucht werden: wer in diesem ent-
scheidenden Augenblick die führende Rolle in dem besonderen
Zweige des Wirtschaftslebens, der den neuen Trieb ansetzt y
gerade gespielt habe.
Wer die entscheidende Rolle gespielt hat, muh festgestellt
werden. Obwohl dabei natürlich oft genug eine genaue und ein-
wandfreie Feststellung sehr schwierig, wenn nicht Unmöglich
ist: der wissenschaftliche Takt muß hier, wie in den meisten
Fällen, das Richtige treffen. Daß übrigens diejenigen Persönlich-
keiten, die eine Einrichtung, eine leitende Idee in das Wirt-
schaftsleben schöpferisch hineintragen, keineswegs immer die
„Erfinder“ im engeren Verstände sind, versteht sich von selbst.
Man hat oft gesagt, daß die Juden nicht eigentlich erfinderische
Köpfe seieu, daß nicht nur auf technischem, sondern auch auf
wirtschaftlichem Gebiete die neuen „Erfindungen“ von Nicht-
juden gemacht wurden und daß die Juden die Ideen der anderen
nur geschickt auszunutzen verstünden. Ich halte diese These in
ihrer Allgemeinheit nicht für richtig : auch in technischen, sicher
aber in ökonomischen Dingen begegnen wir jüdischen „Erfindern“
im engeren und eigentlichen Sinne (wie diese Untersuchungen
in verschiedenen Fällen erweisen werden). Aber wenn sie auch
in ihrem vollen Umfange richtig wäre, so bewiese sie noch
nichts gegen die Annahme, daß etwa die Juden bestimmten
Teilen des Wirtschaftslebens ihr eigenartiges Gepräge aufgedrückt
haben, da es in der wirtschaftlichen Welt gar nicht so sehr auf
die Erfindung als auf die „Ausbeutung“ der Erfindung ankommt ;
das heißt also auf die Fähigkeit, irgend einer Idee Leben zu ver-
*
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7
leihen, irgend einen neuen Gedanken im Boden der Wirklichkeit
zu verankern: nicht das entscheidet über den Gang und die
Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung , ob irgend ein
ingeniöser Kopf die theoretische Möglichkeit sage des Abzahlungs-
geschäftes in seinem lieben Gemüte erwogen hat, sondern dieses:
ob solcherart geeignete Menschen da waren, die diese neue
Geschäftsform in die Menge hineinzustoßen das Interesse und
die Fähigkeit besahen.
* *
*
Ehe ich nun den Anteil selbst festzustellen versuche, den
die Juden am Aufbau unseres modernen Wirtschaftslebens gehabt
haben, möchte ich mit ein paar Worten noch die Frage erörtern :
bis zu welchem Grade es der Darstellung gelingen kann, die
Größe des wirklichen Anteils zum Ausdruck zu bringen, wenn
in möglichst vorteilhafter Weise die beiden der Untersuchung
zur Verfügung stehenden Methoden: die statistische und die
genetische, zu gemeinsamer Anwendung gelangen.
Da wird es zunächst nicht zweifelhaft sein, daß die Be-
deutung der Juden für die moderne Wirtschaftsentwicklung
größer erscheinen muß, als sie in Wirklichkeit ist, weil alle Er-
scheinungen unter dem einen Gesichtspunkte betrachtet werden :
wie waren die Juden an ihrer Lebendigmachung beteiligt? Diese
Wirkung, die Wichtigkeit eines Faktors in einem komplexen
Gesamtergebnis zu überschätzen, wird immer erzielt werden
müssen (und sollen), wenn man diesen einen Faktor einer
isolierenden Analyse unterzieht. Schriebe man die Geschichte
der modernen Technik und ihren Einfluß auf den Gang des
Wirtschaftslebens, so würde genau so sehr alles technisch be-
dingt erscheinen, wie im anderen Falle etwa staatsorganisatorisch
bedingt, wenn man einseitig die Bedeutung des modernen Staates
für die Genesis des Kapitalismus zur Darstellung bringen wollte.
Das versteht sich von selbst, soll aber doch ausdrücklich betont
werden, damit ich von vornherein dem Vorwurf die Spitze ab-
breche: ich hätte den Einfluß der Juden auf den Gang unseres
Wirtschaftslebens überschätzt. Natürlich haben tausend andere
Umstände gleichermaßen dazu beigetragen, daß unsere Volks-
wirtschaft die Gestalt bekommen hat, die sie heute trägt. Ohne
die Entdeckung Amerikas und seiner Silberschätze, ohne die
Erfindungen der modernen Technik, ohne die volklichen Eigen*
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8
arten der europäischen Nationen und ihre historischen Schick-
sale wäre der moderne Kapitalismus ebenso unmöglich wie
ohne das Einwirken der Juden. Der Einfluß der Juden bildet
ein Kapitel in dem großen Geschichtsbuche und wird auch von
mir in der neuen genetischen Darstellung des modernen Kapitalis-
mus, die ich in nicht allzu ferner Zeit hoffe geben zu können,
in dem großen Zusammenhänge an der gebührenden Stelle in
seiner teilhaften Bedeutung gewürdigt werden, wo er dann in
dem richtigem Maße neben den anderen bestimmenden Faktoren
erscheinen wird. Das ist hier nicht möglich und deshalb kann
leicht (beim ungeübten Leser) eine Verschiebung des Wirklichkeits-
bildes zugunsten eines Faktors eintreten. Die hier ausgesprochene
Warnung wird aber hoffentlich ihre (subjektive) Wirkung nicht
verfehlen und zusammen mit einem anderen (objektiven) Tat-
bestände eine annähernd richtige Dimensionierung herbeiführen.
Dieser zweite Tatbestand, an den ich denke, ist der: daß auf
der anderen Seite der Einfluß der Juden auf den Gang unseres
Wirtschaftslebens zweifellos weit größer ist als er in der Go-
Schichtsdarstellung erscheint.
Und zwar aus dem sehr einfachen Grunde: weil dieser
Einfluß nur zu einem Teile überhaupt festgestellt werden kann,
zu einem anderen (vielleicht größeren, jedenfalls beträchtlichen)
Teile sich aber überhaupt unserer Kenntnis entzieht. Sei es
zunächst wegen ungenügender Wissenschaft von den Sachvor-
gängen. Wie sehr diese in statistischer Hinsicht zu wünschen
übrig läßt, wurde schon hervorgehoben. Aber auch bei rein
genetisch-dynamischer Betrachtungsweise: wer weiß heute noch
Genaues über die Personen oder Gruppen von Personen, die
diese oder jene Industrie begründet, diesen oder jenen Handels-
zweig entwickelt, diesen oder jenen Geschäftsgrundsatz zuerst
vertreten haben? Freilich bin ich der Meinung, daß sehr viel
mehr über diese Dinge noch an Kenntnis gewonnen werden
kann, als wir heute besitzen, ja ich zweifle nicht, daß wir schon
weit mehr Kenntnis heute davon haben, als ich weiß und als
infolgedessen auch nur in meiner Darstellung zum Ausdruck
kommen kann. Zu der objektiven (in den Verhältnissen ge-
legenen) Unzulänglichkeit unseres Wissens kommt also in diesem
Falle noch eine subjektive (in der Unzulänglichkeit des Bericht-
erstatters begründete) Mangelhaftigkeit der Kenntnis von der
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9
Wirklichkeit, die es bewirkt, daß nur ein (vielleicht sehr kleiner)
Teil der wissenswerten Tatbestfinde dem Leser dieses Buches
berichtet wird. Jedenfalls wird er sich jederzeit dessen bewußt
bleiben müssen, daß das, was ich von den Juden und ihrer Anteil-
nahme an dem Aufbau der modernen Volkswirtschaft zu sagen weiß,
immer nur ein Minimum der Wirklichkeit darstellt und des weiteren :
daß dieses Minimum aus einem anderen Grunde noch mehr in
seinem Verhältnisse zu der Ganzheit des tatsfichlichen Verlaufes
sich verringert. Deshalb nämlich, weil innerhalb der Kenntnis
von der Entstehung unserer Volkswirtschaft, die, wie wir sahen,
äußerst lückenhaft ist, soweit es sich um Personalfeststellungen
handelt, wir noch ganz besonders unzulänglich unterrichtet sind
über die Frage, ob denn nun Personen, deren Einfluß wir in
einem günstigen Falle nachweisen können, selbst wenn wir im-
stande sind, sie namhaft zu machen und ihre Personalien genau
festzustellen, Juden gewesen sind oder nicht.
„Juden“ — das heißt also Angehörige des Volkes, das sich
zum mosaischen Glauben bekennt. (Ich vermeide bei dieser
Begriffsbestimmung absichtlich jede Ausrichtung auf blutsmäßige
Sonderheit, die wir vielmehr — einstweilen — als zweifelhaft
oder wesensunwichtig beiseite lassen wollen.) Ich brauche nicht
erst zu sagen, daß bei dieser Art, den Begriff des Juden zu
fassen (trotz der Ausscheidung aller rassenhaften Merkmale bei
der Begriffsbestimmung), doch auch derjenige Jude bleibt, der
aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausscheidet. Und daß
seine Nachkommen Juden bleiben, soweit historisches Erinnern
reicht. (Über die Berechtigung dieser Auffassung werde ich mich
im weiteren Verlaufe dieser Darstellung noch äußern.)
Bei dem Bemühen, den Anteil der Juden am Wirtschafts-
leben festzustellen, erweist sich nun unausgesetzt als ein lästiges
Hindernis der Umstand, daß immer wieder als Christen Leute
erscheinen, die Juden sind, nur weil sie oder ihre Vorfahren
einmal getauft wurden. Ich sagte schon, daß sich diese Ver-
schleierung des Tatbestandes besonders fühlbar macht bei An-
wendung der statistischen Methode, da ja statistisch immer nur
die Konfession erfaßt wird. Aber auch bei der anderen Methode
empfinden wir es oft genug als einen Übelstand, daß uns der
wirkliche Status einer Person verborgen bleibt, weil der religiöse
Mantel gewechselt ist.
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10
Da& aber nicht geringe Mengen von Juden zu allen Zeiten
ihren Glauben verlassen haben, dürfen wir als gewiß annehmen.
In früheren Jahrhunderten waren es vornehmlich die Zwangs-
taufen, die aus dem jüdischen zum christlichen Glauben hinüber-
führten. Wir erfahren von ihnen seit dem frühesten Mittelalter :
in Italien während des 7. und 8. Jahrhunderts, ebenso in Spanien
um jene Zeit und im Merovingerreiche ; wir begegnen ihnen aber
durch alle späteren Jahrhunderte hindurch bei allen christlichen
Völkern bis in die neueste Zeit hinein. Fast bis in die Zeit
hinein, in der nun der freiwillige Religionswechsel als Massen-
erscheinung auf tritt. Das ist das 19. Jahrhundert vor allem in
seinem letzten Drittel. Für die letzten Jahrzehnte besitzen wir
auch erst zuverlässige Statistiken, während für die frühere Zeit
oft recht unglaubwürdige Mitteilungen überliefert sind. So scheint
es mir beispielsweise nicht sehr wahrscheinlich zu sein, was
Jakob Fromer berichtet, daß gegen Ende des 2. Jahrzehntes
des 19. Jahrhunderts ungefähr die Hälfte der Berliner Judenheit
zum Christentum übergetreten sei 1 . Ebenso wenig dürfte sich
die Behauptung als richtig erweisen lassen, die unlängst in einer
Versammlung des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens“ der Referent des Abends, Rabbiner Dr. Werner-
München (nach Zeitungsberichten) aufstellte: in Berlin seien
bisher 120000 Juden getauft worden. Die Ziffern, die wir aus
der Zeit zuverlässiger statistischer Feststellungen besitzen ,
sprechen dagegen. Nach diesen setzt eine stärkere Austritts-
bewegung erst in den 1890er Jahren ein: doch steigt der Prozent-
satz der Ausgetretenen in keinem Jahre über 1,28 °/oo (dieses
Maximum wird 1905 erreicht), während der Durchschnitt etwa
1 °/o o (seit 1895) beträgt. Immerhin sind die in Berlin aus der
jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetretenen Personen eine
ansehnliche Schar, die jährlich nach Hunderten zählt und seit
1873 (bis 1906) sich genau auf 1869 beläuft *•
Stärker ist die Austrittsbewegung unter den Juden Öster-
reichs, namentlich Wiens. Jetzt treten in Wien jedes Jahr
5 — 600 Personen aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus
und in den 36 Jahren von 1868 — 1903 sind es ihrer 9085. Die
Zahl der Austritte wächst rasch an. Im Durchschnitt der Jahre
1868/79 kam ein Tauffall auf 1200 Juden im Jahre, 1880/89 auf
420 — 430, 1890/1903 dagegen schon auf 260 — 270 8 .
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11
Aber wenn nur die getauften Juden die einzigen Juden
wären, die einem entgehen, wenn man den Anteil dieses Volkes
am Wirtschaftsleben ermitteln will! Es gibt noch verschiedene
andere Gruppen von Juden, deren Wirksamkeit sich schwer oder
gar nicht nachweisen läßt.
Ich denke gar nicht einmal an die ganze weibliche
Judenschaft, die in christliche Familien hineinheiratet und
hier natürlich ein für allemal dem Namen nach als Jüdinnen
verschwindet, ohne doch aller Wahrscheinlichkeit nach (worüber
wir uns erst später unterhalten können) ihre Wesenheit aufzu-
geben (und damit natürlich jüdische Eigenart weiter zu verbreiten).
Ich denke vielmehr zunächst an die geschichtlich so außerordent-
lich bedeutsame Gruppe der Scheinjuden, denen wir (wie
auch noch genauer zu berichten sein wird) in allen Jahrhunderten
begegnen, und die in manchen Zeiten recht beträchtliche Teile
der Judenheit ausmachten. Diese Krypto-Juden wußten sich nun
aber so vortrefflich als Nicht-Juden aufzuführen, daß sie in der
Meinung der Leute tatsächlich als Christen (oder Muhamedaner)
galten. Von den Juden portugiesisch-spanischer Herkunft in Süd-
frankreich während des 15. und 16. Jahrhunderts (und später)
erfahren wir beispielsweise — ähnlich aber lebten alle Marranos
auf der Pyrenäenhalbinsel und außerhalb — : „Ils obeissaient k
toutes les pratiques exterieures de la rdligion catholique; leurs
naissances, leurs marriages , leurs ddcös dtaient inscrits sur les
registres de PEglise, qui leur octroyait les sacrdments chrdtiens
du baptöme, du marriage et de l’extröme-onction. Plusieurs möme
entrörent dans les ordrcs et devinrent prötres“ 4 . Kein Wunder
also, daß sie in allen Berichten über Handelsunternehmungen,
Industriegründungen usw. nicht als Juden erscheinen und daß
einige Historiker noch heute von dem günstigen Einfluß „spanischer"
oder „portugiesischer" Einwanderer zu singen wissen. Die Schein-
Christen wußten manchmal so gut ihr wirkliches Volkstum zu
verbergen, daß sich heute Spezialisten auf dem Gebiete juda-
istischer Forschung darüber streiten, ob eine bestimmte Familie
jüdischen Ursprungs gewesen sei oder nicht 5 . Die Ungewißheit
ist natürlich besonders groß, wenn die Krypto-Juden christliche
Namen angenommen haben. Besonders zahlreich müssen die
Juden unter den protestantischen Refugiös im 17. Jahrundert
gewesen sein, wie wir aus allgemeinen Gründen, aber auch aus
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12
den vielen jüdischen Namen schließen können, die uns unter den
Huguenots begegnen 9 .
Endlich entziehen sich der Feststellung alle diejenigen Juden,
die tatsächlich in vormärzlicher Zeit sich im Wirtschaftsleben
betätigten, von der Behörde jedoch nicht gekannt waren, weil
das Gesetz die Ausübung ihrer Berufe verbot. Sie mußten sich
entweder eines christlichen Strohmannes bedienen oder den
Schutz der privilegierten Juden suchen oder irgend einen anderen
Trick an wenden, um zwischen den Gesetzen ihre Tätigkeit ent-
falten zu können. Nach sehr guten Kennern muß dieser im
Verborgenen blühende Teil der Judenheit manchen Orts sehr
beträchtlich gewesen sein. So soll beispielsweise in Wien in
den 1840 er Jahren die Zahl der Juden „nach mäßiger Schätzung 11
schon 12 000 betragen haben: in ihren Händen lag schon damals
der gesamte Textil-Engrosbandel ; ganze Teile der inneren Stadt
waren nur von jüdischen Geschäften erfüllt. Und dabei zählt
das amtliche Handelsschema von 1845 nur 63 Juden auf, die
als „tolerierte jüdische Handelsleute" mit der Beschränkung auf
bestimmte Artikel im Anhänge angeführt sind 7 .
Genug — worauf es mir hier ankam, war: zu zeigen —
daß aus sehr verschiedenen Gründen die Zahl der Juden, von
der wir erfahren, geringer ist als die, die wirklich da waren
oder da sind. Sodaß — das sollte dem Leser zum Bewußtsein
gebracht werden — auch dieserhalb der Anteil der Juden am
Aufbau unserer Volkswirtschaft kleiner erscheinen muß, als er
in Wirklichkeit ist. Und nun endlich wollen wir versuchen,
diese Anteilnahme selber zu schildern.
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13
Zweites Kapitel
Die Verschiebung des Wlrtscbaftszentrums seit dem
16. Jahrhundert
Cime für den Verlauf der modernen wirtschaftlichen Ent-
wicklung entscheidend wichtige Tatsache ist die Verlegung dea
Schwergewichts der weltwirtschaftlichen Beziehungen ebenso
wie des ökonomischen Energiezentrums aus dem Bannkreise der
südeuropäischen Nationen (Italiener, Spanier, Portugiesen, denen
sich einige süddeutsche Gebiete angliederten) unter die nordwest-
europäischen Völker: zuerst die (Belgier und) Holländer, dann
die Franzosen, die Engländer, die Norddeutschen. Das wesent-
liche Ereignis war die plötzlich ausbrechende Blüte Hollands,
die den Anstoß für die intensive Entfaltung der wirtschaftlichen
Kräfte namentlich Frankreichs und Englands bildete: während
des ganzen 17. Jahrhunderts gibt es für alle Theoretiker und
Praktiker der nordwestlichen Nationen Europas nur ein Zielr
Holland nachzueifern in Handel, Industrie, Schiffahrt und
Kolonialbesitz.
Für diese bekannte Tatsache sind von den „Historikern“
die schnurrigsten Gründe angeführt worden.
So soll beispielsweise die Entdeckung Amerikas und des.
Seewegs nach Ostindien schuld daran sein, daß die italienischen
und süddeutschen Stadtstaaten, daß Spanien und Portugal an
wirtschaftlicher Bedeutung verloren: dadurch sei der Levante-
handel in seiner Wichtigkeit beeinträchtigt worden und dadurch
sei die Stellung namentlich der süddeutschen und italienischen
Städte als dessen Träger erschüttert. Das ist eine ganz und
gar nicht schlüssige Beweisführung: zum ersten behauptete der
Levantehandel das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch seine
Vorherrschaft vor dem Handel mit fast allen anderen Ländern ;
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14
Die Blüte der südfranzösischen Handelsstädte etwa ebenso wie
die des Hamburger Handels beruhten während dieser ganzen
Zeit vornehmlich auf ihm. Zum anderen haben verschiedene
italienische Städte, die dann im 17. Jahrhundert an Macht ver-
loren, das ganze 16. Jahrhundert hindurch trotz der verödeten
Handelswege noch stark am Levantehandel teilgenommen (wie
z. B. Venedig). Warum aber die bis zum 15. Jahrhundert
führenden Völker : Italiener, Spanier und Portugiesen, durch die
Entfaltung der neuen Handelsbeziehungen mit Amerika und
Ostasien (auf dem Seewege) hätten Schaden leiden sollen, wes-
halb sie auch nur im geringsten wegen ihrer geographischen
Lage gegenüber Franzosen, Engländern, Holländern. Hamburgern
hätten benachteiligt sein sollen, ist erst recht nicht verständlich.
Als ob der Weg von Genua nach Amerika oder Ostindien nicht
derselbe wäre wie der von Amsterdam oder London oder
Hamburg dorthin? Als ob nicht die portugiesischen und spa-
nischen Häfen die nächsten zu den neuerschlossenen Gebieten
gewesen wären, die von Italienern und Portugiesen entdeckt,
von Spaniern und Portugiesen zuerst waren besessen worden.
Ebenso wenig stichhaltig erscheint ein anderer Grund, der
angeführt wird, um die Verlegung des Wirtschaftszentrums unter
die nordwesteuropäischen Völker plausibel zu machen : die
stärkere Staatsgewalt, die ihnen ein Übergewicht über die zer-
splitterten Deutschen und Italiener verliehen hätte. Wiederum
fragt man erstaunt, ob denn die mächtige Königin der Adria
eine geringere Staatsmacht dargestellt habe — sage im 1 6. Jahr-
hundert — , als im 17. Jahrhundert die sieben Provinzen? Und
ob denn nicht das Reich Philipps n. an Macht und Ansehen
alle Reiche zu seiner Zeit übertroffen habe? Fragt erstaunt,
weshalb einzelne Städte im politisch zerrissenen deutschen Reiche,
wie Frankfurt a. M. oder Hamburg, während des 17. und 18. Jahr-
hunderts eine Blüte erreichen, die von wenigen französischen
oder englischen Städten erreicht wurde?
Es ist hier nicht der Ort, die in Frage stehende Erscheinung
auf die Gesamtheit ihrer Verursachung hin zu untersuchen.
Natürlich hat eine ganze Reihe von Umständen zusammengewirkt,
um das endliche Ergebnis herbeizuführen. Es soll vielmehr, dem
Zusammenhänge entsprechend, in dem wir das Problem be-
handeln, auf eine Möglichkeit hingewiesen werden, das seltsame
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Phänomen zu erklären, die, wie mir scheint, allerernsteste Be-
rücksichtigung verdient und an die man seltsamerweise, soviel
ich sehe, überhaupt noch nicht gedacht hat. Ich meine natürlich
die Möglichkeit, die Verschiebung des wirtschaftlichen Schwer-
punkts aus dem Süden nach dem Norden Europas (wie wir nicht
ganz genau der Kürze halber sagen wollen) in Zusammenhang
zu bringen mit den Wanderungen der Juden. Kaum daß man
diesen Gedanken gefaßt hat, breitet sich mit einem Male ein
wunderbares Licht über die Vorgänge jener Zeit aus, die uns
bisher im Dunkel zu liegen schienen. Und wir erstaunen, daß
man bisher nicht wenigstens die äußere Parallelität zwischen
den örtlichen Bewegungen des jüdischen Volkes und den öko-
nomischen Schicksalen der verschiedenen Völker und Städte
wahrgenommen hat. Wie die Sonne geht Israel über Europa:
wo es hinkommt, sprießt neues Leben empor, von wo es weg-
zieht, da modert dies, was bisher geblüht hatte. Eine kurze
Erinnerung an die bekannten Wechselfälle, denen das jüdische
Volk seit Ende des 15. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist,
wird diese Beobachtung ohne weiteres in ihrer Richtigkeit be-
stätigen.
Das große welthistorische Ereignis, dessen hier zuerst und
vor allem andern zu gedenken wäre, ist die Vertreibung der
Juden aus Spanien und Portugal (1492 bezw. 1495 und 1497).
Es sollte niemals vergessen werden, daß am Tage, ehe Columbus
aus Palos absegelte, um Amerika zu entdecken (3. August 1492),
wie man sagt, 800000 Juden aus Spanien nach Navarra, Frank-
reich, Portugal und nach dem Osten auswanderten. Und daß in den
Jahren, in denen Vasco de Gama den Seeweg nach Ostindien
fand, andere Teile der Pyrenäenhalbinsel ihre Juden vertrieben.
Eine genaue zifferm&ßige Erfassung der örtlichen Verschiebungen,
die die Juden seit Ende des 15. Jahrhunderts erfahren, ist nicht möglich.
Die Versuche, die in dieser Richtung unternommen sind, bleiben doch zum
großen Teil in Konjekturalziffern stecken. Die beste mir bekannte Unter-
suchung ist die von Js. Loeb , Le nombre des juifs de Gastille et d’Espagne
au moyen ftge in der Revue des 6tudes juives 14 (1887), 161 ff. Obwohl
auch sehr viele der Loschen Zahlen nur berechnet sind (meist aus der Be-
völkerungsziffer der heute an den verschiedenen Orten lebenden Juden),
will ich die Ergebnisse seiner fleißigen Arbeit doch mitteilen. Danach
lebten 1492 in Spanien und Portugal etwa 235000 Juden. Annähernd so
viel wie 200 Jahre früher; davon 160000 in Kastilien, einschließlich Anda-
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16
lusien, Granada uaw., 80000 in Navarra. Der Verbleib dieser spanisch-
portugiesischen Juden soll nun folgender sein: getauft werden 50000; auf
der Überfahrt sterben 20000; ausgewandert sind 165000. Davon nehmen auf:
Europäische und asiatische Türkei .... 90000
Ägypten und Tripolis 2000
Algier 10000
Marokko 20000
Frankreich 3 000
Italien 9 000
Holland, Hamburg, England, Skandinavien 25000
Amerika 5 000
Verschiedene Länder 1000
Zur Ergänzung fuge ich noch eine Zahlenangabe bei, die ich in dem
Berichte eines der meist ja sehr gut unterrichteten venetianischen Ge-
sandten finde: „si giudica in Castilia ed in altre province di Spagna il
terzo esser Marrani un terzo dico di coloro che sono cittadini e mer-
canti perchö il populo minuto ö vero cristiano, e cosl la maggior parte delli
grandi. a Vicenzo Qnerini (1506) bei Alberi, Bel. degli Amb. Ser. 1.
t. I p. 29. Also nach der offiziellen Vertreibung ein Drittel der
Bourgeoisie Juden! Danach sollte man glauben (was auch aus anderen
Gründen manches für sich hat), daß die Entleerung Spaniens (und Portugals)
doch vornehmlich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts erfolgt sei.
Ein seltsamer Zufall hat diese in ihrer Art gleich denk-
würdigen Ereignisse: die Erschließung neuer Erdteile und die
mächtigste Umschichtung des jüdischen Volkes in dieselben Jahre
verlegt. Aber diese öffentliche Vertreibung der Juden aus der
Pyrenäenhalbinsel schließt deren Geschichte an diesem Orte noch
nicht sogleich ab. Es bleiben zunächst zahlreiche Juden als
Scheinchristen (Marranos) zurück, die erst durch die insbesondere
seit Philipp UI. immer schroffer vorgehende Inquisition 8 im Laufe
des nächsten Jahrhunderts dem Lande verloren gehen : ein großer
Teil der spanischen und portugiesischen Juden siedelt erst
während des 16. Jahrhunderts, namentlich gegen dessen Ende in
andere Länder über. In dieser Zeit ist aber auch das Schicksal
der spanisch-portugiesischen Volkswirtschaft vollendet.
Bas 15. Jahrhundert bringt den Juden die Vertreibung aus
den wichtigsten deutschen Handelsstädten: Köln (1424/25),
Augsburg (1489/40), Straßburg (1438), Erfurt (1458), Nürnberg
(1498/99), Ulm (1499), Regensburg (1519).
Im 16. Jahrhundert ereilt sie dasselbe Schicksal in einer
Anzahl italienischer Städte: sie werden 1492 aus Sizilien,
1540/41 aus Neapel, 1550 aus Genua, in demselben Jahre aus
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17
Venedig vertrieben. Auch hier fällt zeitlich wirtschaftlicher
Rückgang und Abwanderung der Juden zusammen.
Wie denn nun auf der anderen Seite der wirtschaftliche Auf-
schwung — zum Teil ein ganz plötzlicher Aufschwung — der
Städte und Länder, wohin sich namentlich die Spaniolen wandten,
seit der Zeit des Eintreffens der Judenflüchtlinge zu rechnen ist.
So war eine der wenigen italienischen Städte, die im 16. Jahr-
hundert mächtig emporblühten, Livorno 9 , das Ziel der meisten
nach Italien fliehenden Juden.
In Deutschland sind es vor allem Frankfurt a. M. und
Hamburg, die zahlreiche Juden während des 16. und 17. Jahr-
hunderts aufnahmen.
Nach Frankfurt a. M. zogen vor allein die aus den übrigen süd-
deutschen Städten während des 15. und 16. Jahrhunderts vertriebenen
Juden. Aber auch aus Holland muß während des 17. und 18. Jahrhunderts
Zuzug gekommen sein: darauf lassen die engen Handebbeziehungen
schließen, die zwischen Frankfurt und Amsterdam während des 17. und
18. Jahrhunderts bestanden. Nach den Feststellungen Friedrich Bothes
(Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Reichsstadt Frankfurt
[1906], 70 ff.) steigt die Zahl der Juden während des 16. Jahrhunderts auf
das Zwanzigfache; sie beträgt 1612 etwa 2800; 1709 werden (laut einer
offiziellen Volkszählung) 8019 Köpfe in der Judenschaft ermittelt (bei einer
Einwohnerzahl von etwa 18000). Wir sind über die Herkunft der Frank-
furter Juden besonders gut unterrichtet durch das fleißige Werk von
A. Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden. Geschichtliche Mitteilungen
über die Frankfurter jüdischen Familien von 1549 — 1849. 1907. Dietz hat
in den mebten Fällen den Ort feststellen können, aus dem eine Familie
nach Fr. zugewandert ist. Leider können wir daraus nicht immer mit
Sicherheit auf die weitere Herkunft schließen : Osten Deutschlands,
Holland, Spanien usw. Für die frühere Zeit (bis 1500) siehe K. Bücher,
Bevölkerung von Frankfurt a. M. (1886), 526—601.
In Hamburg siedeln sich die ersten jüdischen Flüchtlinge — zunächst
unter der Maske des Katholizismus — 1577 bzw. 1583 an. Sie kamen und
ergänzten sich aus Flandern, Italien, Holland und aus Spanien und Portugal
direkt Während des 17. Jahrhundert beginnt dann auch die Zuwanderung
der östlichen (deutschen) Juden. 1668 gab es nach der Beschreibung des
Grafen Galeazzo Gualdo Priorato in Hamburg 40 — 50 deutsche jüdische
Häuser neben 120 portugiesisch-jüdischen Familien. Zeitschr. für Hamb.
Gesch. 3, 140 ff. Über die Ansiedlung und die früheste Geschichte der J.
in Hamburg unterrichten A. Feilchenfeld, Die älteste Geschichte der
deutschen J. in Hbg. in der Monatsschrift für Geschichte und Wissen-
schaft des Judentums 43 (1899); auch selbständig erschienen; M. Grün wa Id,
Portugiesengräber auf deutscher Erde, 1902. Derselbe, Hamburgs
deutsche Juden, 1904.
Sombart, Die Juden 2
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18
Vom Ende des 17. Jahrhunderts an w&chst dann die Zahl der J. in
Hamburg rasch. Mitte des 18. Jahrhunderts wird schon eine „entsetzliche
Judenmenge“ konstatiert, die man (natürlich übertreibend) auf 20 — 30000
schätzt Chr. Ludw. v. Griesheim, Die Stadt Hamburg (1760), 47 f.
Und seltsam: wenn Einer mit offenem Blicke im 18. Jahr-
hundert Deutschland bereiste, so fand er alle ehemaligen (Reichs-)-
Handelsstädte im Verfall: Ulm, Nürnberg, Augsburg/ Mainz,
Köln, und konnte nur von zwei Reichsstädten sagen, daß sie
ihren alten Glanz bewahren und täglich steigern : Frankfurt a. M.
und Hamburg 10 .
In Frankreich sind während des 17. und 18. Jahrhunderts
besonders blühende Städte Marseille, Bordeaux, Rouen : seltsamer-
weise wieder die Reservoirs, die die jüdischen Flüchtlinge auf-
fangen n .
Daß Hollands volkswirtschaftliche Entwicklung Ende des
16. Jahrhunderts mit einem plötzlichen Ruck nach aufwärts (im
kapitalistischen Sinne) geht, ist bekannt. Die ersten portu-
giesischen Marranen siedeln sich in Amsterdam im Jahre 1593
an und erhalten bald Zuzug. 1598 wird bereits die erste Syna-
goge in Amsterdam eröffnet. Mitte des 17. Jahrhunderts gibt
es schon in mehreren holländischen Städten zahlreiche Juden-
gemeinden. Anfang des 18. Jahrhunderts wird die Zahl der
„huisgezinnen“ in Amsterdam allein auf 2400 geschätzt 1 *. Ihr
geistiger Einfluß ist schon Mitte des 17. Jahrhunderts ein über-
ragender : die Staatsrechtler und Staatsphilosophen sprechen vom
Staate der alten Hebräer als von einem Musterstaate, nach dem
die holländische Verfassung sich bilden sollte 18 . Die Juden
selbst nennen Amsterdam in jener Zeit ihr neues, großes Jeru-
salem w -
Nach Holland waren die Spaniolen teils direkt, teils aus den
spanisch gebliebenen Teilen der Niederlande, vor allem aus Ant-
werpen eingewandert, wohin sie sich während der letzten Jahr-
zehnte des 15. Jahrhunderts und nach ihrer Vertreibung aus
Spanien und Portugal begeben hatten. Die Placards von 1532
und 1549 verbieten zwar den Aufenthalt der Scheinchristen in
Antwerpen, bleiben aber ohne Erfolg. 1550 wird das Verbot
erneuert, betrifft jedoch nur die, die noch nicht sechs Jahre an-
wesend sind. Auch dieses Verbot bleibt unbeachtet: „les is-
raölites clandestins se multipliaient de jours en jours“. Sie
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19
nehmen regen Anteil an dem Befreiungskämpfe der Niederlande,
dessen Verlauf sie dann allmählich nach den nördlichen Provinzen
abzuwandern veranlaßt 15 . Nun fällt aber ganz wunderbarer Weise
die kurze Blüte Antwerpens als Mittelpunkt des Welthandels
und als Weltbörse just wieder in diese Zeit zwischen Ankunft
und Abzug der Marranen 15 .
Endlich scheint auch in England der sogenannte wirt-
schaftliche Aufschwung, das heißt also das Auswachsen kapita-
listischen Wesens 17 , parallel zu gehen mit dem Zustrom jüdischer
Elemente, namentlich spanisch-portugiesischer Herkunft 18 .
Man nahm früher an, daß es in England seit ihrer Ver-
treibung unter Eduard I. (1290) bis zu ihrer (mehr oder weniger
offiziellen) Wiederzulassung unter Cromwell (1654 — 1656) keine
Juden gegeben habe. Diese Auffassung wird heute von den
besten Kennern der englisch-jüdischen Geschichte nicht mehr
.geteilt. Juden gab es in allen Jahrhunderten in England. Aber
im 16. Jahrhundert wurden sie zahlreich. Das Zeitalter der
Elisabeth sah ihrer schon viele. Elisabeth selbst besaß eine Vor-
liebe für hebräische Studien und jüdischen Umgang. Ihr Arzt
war Rodrigo Lopez : der Jude, nach dem Shakespeare den Shylock
prägte 18 .
Bekannt ist, wie dann dank der Fürsprache Manasseh ben
Israels die Juden Mitte der 1650 er Jahre auch öffentlich in Eng-
land wieder zugelassen werden und wie sie sich seitdem durch
Zuzug (seit dem 18. Jahrhundert auch aus Deutschland) rascher
vermehren. Nach dem Verfasser der Anglia Judaica sollen um das
Jahr 1788 in London allein 6000 Juden ansässig gewesen sein 19 .
* *
♦
Nun ist natürlich die Feststellung, daß die Judenwande-
rungen und das wirtschaftliche Schicksal der Völker zeitlich eine
Parallelbewegung aufweisen, noch ganz und gar kein Beweis für
•die Tatsache, daß ihr Wegzug den wirtschaftlichen Niedergang
eines Landes, ihre Zuwanderung dessen wirtschaftlichen Auf-
.Schwung bewirkt habe. Das anzunehmen, hieße einen
schlimmen Trugschluß „post hoc ergo propter hoc“ machen.
Auch sind für den Nachweis jenes Kausalzusammenhanges
nicht beweiskräftig genug die Ansichten späterer Historiker, ob-
'wohl ihre Meinung, wenn sie etwa Montesquieu heißen, immer-
2 *
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20
hin ins Gewicht fällt. Ich verzichte deshalb darauf, Zeugnisse
dieser Art anzuführen.
Aus Pietät jedoch möchte ich die Worte eines ganz un-
bekannten Mannes vor dem Vergessenwerden bewahren, der in
merkwürdig hellseherischer Weise wohl als einziger bishei die*
nicht so durchsichtigen Zusammenhänge zwischen der Ver-
treibung der Juden aus den deutschen Handelsstädten und deren
Niedergang erkannt hat. Jos. F. Richter schrieb in den 1840er
Jahren : „Überhaupt läßt sich beurkunden, daß der Handel Nürn-
bergs genau zu der Zeit der Judenausweisung seinen Wende-
punkt erreichte, da ihm auch von jener Zeit an zum wenigsten
die Hälfte der benötigten Kapitalien fehlte, und der von nun an
fühlbare Verfall desselben, den man gewöhnlich der Entdeckung*
des Seewegs nach Ostindien durch die Portugiesen zuschreibt,,
muß weit richtiger auf Rechnung des von nun an mangelnden
kühnen Spekulationsgeistes der Juden gesetzt werden“ 20 -
Dagegen verdienen eine stete Beachtung, wie mir scheint,,
die Urteile der Zeitgenossen, von denen ich einige be-
sonders sprechende doch dem Leser mitteilen möchte, weil sin
über die Vorgänge ihrer Epoche oft mit einem Wort uns ein
Licht verbreiten, das wir auf anderem Wege erst durch müh-
selige Studien gewinnen müssen.
Als im Jahre 1550 der Senat von Venedig beschloß, die*
Mammen auszuweisen und den Handel mit ihnen ganz zu ver-
bieten, erklärten die christlichen Kaufleute der Stadt: das würde*
ihren Ruin bedeuten, dann könnten sie selber gleich mit aus-
wandern, denn sie lebten von dem Handel mit den.
Juden. Diese hätten in ihren Händen:
1. den spanischen Wollhandel,
2. den Handel in spanischer Seide und Karmesin, Zucker,.
Pfeffer, indischen Kolonialwaren und Perlen,
8. einen großen Teil des Ausfuhrhandels : die Juden schicken
die Waren den Venetianem in Kommission „acciochö gele
vendiamo per lor conto guadagnando solamente le nostre
solite provisione“ (I),
4. den Wechselhandel 21 .
Begünstiger der Juden in England war, wie wir wissen,
Crorawell, und die Gründe seiner Sympathie sind, wie wir
erfahren, nicht zuletzt Rücksichten auf die Volkswirtschaft desi
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21
Landes gewesen: er glaubte, der reichen, jüdischen Handels»
häuser zu bedürfen, um Waren- und Geldhandel in Blüte zu
bringen, ebenso aber auch, um für die Regierung leistungsfähige
Freunde zu gewinnen 22 .
Ebenso viel Sympathie brachte den Juden der große franzö-
sische Staatsmann des 17. Jahrhunderts Colbert. entgegen. Und
ich glaube, es ist besonders bedeutsam, daß diese beiden größten
Organisatoren des modernen Staates die Eignung der Juden er-
kannten, die (kapitalistische) Volkswirtschaft des Landes zu
fördern. In einer Ordonnanz weist Colbert den Intendanten des
Languedoc darauf hin, welchen großen Vorteil die Stadt Marseille
von der kaufmännischen Geschicklichkeit der Juden ziehen
könne 28 . Die Einwohner der großen französischen Handels-
städte, in denen die Juden eine Rolle spielten, hatten diesen
Vorteil längst an ihrem eigenen Leibe wahrgenommen und
legten daher auf die Erhaltung der Judenschaft in den Mauern
ihrer Stadt das größte Gewicht. Mehrfach vernehmen wir, ins-
besondere aus den Kreisen der Einwohner von Bordeaux, günstige
Urteile über die Juden. Als im Jahre 1675 ein Söldnerheer in
Bordeaux wütet, rüsten sich zahlreiche wohlhabende Juden zur
Abreise. Das erschreckt den Gemeinderat, und die Geschworenen
berichten voll Angst: „Les Portugais, qui tiennent des rues
•entiferes et font un commerce considörable , ont demandö leurs
passeports. Les Portugais et ötrangers, qui font les plus grandes
affaires cherchent k se retirer d’ici : Gaspard Gonzales et Alvar&s
ont quittd depuis peu, qui dtaient des plus considerables parmi
eux. Nous nous apercevons que le commerce cesse“ 24 .
Ein paar Jahre später faßt der Sous-Intendant sein Urteil über
die Bedeutung der Juden für das Languedoc in die Worte zu-
sammen: „Ohne sie würde der Handel von Bordeaux und der
der Provinz unfehlbar zugrunde gehen“ (pörirait infaillible-
ment) 25 .
Nach der größten Handelsstadt der spanischen Niederlande
Antwerpen hatten wir im 16. Jahrhundert mit Vorliebe die
spanisch-portugiesischen Flüchtlinge strömen gesehen. Als Mitte
des Jahrhunderts der Kaiser die ihnen zunächst gewährten Frei-
briefe zurückzog (durch Dekret vom 17. Juli 1549), wandten sich
der Bürgermeister, die Schöffen und der Konsul der Stadt mit
einer Bittschrift an den Bischof von Arras, worin sie auf die
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22
Schwierigkeiten hinwiesen , das Dekret durchzuführen. Die
Portugiesen seien große Unternehmer, hätten beträchtliche Reich-
tümer aus ihrer Heimat mitgebracht und unterhielten einen aus-
gedehnten Handel „Wir müssen bedenken“ , heißt es weiter,
„daß Antwerpen nur sehr langsam groß geworden ist und eine
Zeit lang gebraucht hat, bis es den Handel an sich reißen konnte.
Und der Ruin dieser Stadt würde zugleich den Ruin des Landes
nach sich ziehen. Das alles muß bei der Vertreibung der Portu-
giesen in Betracht gezogen werden.“ Der Bürgermeister
Nicolas v. d. Meeren unternahm noch weitere Schritte. Als die
Königin Marie von Ungarn, die Regentin der Niederlande, sich
in Ruppelmonde aufhielt, begab sich der Bürgermeister zu ihr,
um die Sache der Neuchristen zu vertreten. Er entschuldigte-
das Verhalten des Magistrats von Antwerpen, der die kaiserliche
Verordnung nicht publizieren könne, weil sie den teuersten
Interessen der Stadt zuwiderliefe**.
Diese Bemühungen hatten aber keinen Erfolg; die Amt-
werpener Juden und Neuchristen wandten sich, wie wir sahen,
nach Amsterdam.
Als Antwerpen dann durch den Fortzug der Juden schon
viel von seinem früheren Glanze eingebüßt hatte: im 17. Jahr-
hundert empfand man erst recht, welche Bedeutung der Juden-
schaft als Mehrer des Wohlstandes zukam. Die zur Prüfung der
Frage, ob die Juden nach Antwerpen zuzulassen seien, im Jahre
1653 eingesetzte Kommission äußerte sich darüber, wie folgt:
„Et quant aux autres inconvänients que Ton poumdt craindre
et apprähendre au regard de l’intäröt public, k savoir qu’ils atti-
reront k eux tout le commerce, qu’ils commettront mille fraudes-
et tromperies, et que par leur usure ils mangeront les substances»
des bons sujets et catholiques, il nous semble au contraire que
par le commerce qu’ils rendront plus grand qu’il n’est
k präsent, le bänäfice sera commun k tout le pays et que Tor
et l’argent seront en plus grande abondance pour les
besoins de l’Etat“* 7 .
Die Holländer des 17. Jahrhunderts aber sahen deutlich
genug ein, was sie an den Juden gewonnen hatten. Als Manasseh
ben Israel in seiner bekannten Mission nach England gegangen
war, schöpfte die holländische Regierung Verdacht: es könne
sich darum handeln, die holländischen Juden nach England hin-
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23
überzuziehen. Sie beauftragte daher ihren Gesandten in Eng-
land, Neuport, Manasseh über seine Absichten zu fragen. Neuport
berichtet (Dezember 1655) in beruhigendem Sinne an seine
Regierung : es sei keine Gefahr vorhanden. Manasseh ben Israel
hath been to see me and did assure me, that he doth not desire
any thing for the Jews in Holland, but only for these as sit in
the inquisition, in Spain and Portugal“ 28 .
Dasselbe Bild in Hamburg. Im 17. Jahrhundert wächst
die Bedeutung der Juden dermaßen, daß man sie für unentbehr-
lich für Hamburgs Gedeihen erachtet. Der Senat tritt einmal
für Zulassung der Synagogen ein, mit der Begründung, daß sonst
die Juden wegziehen würden und daß Hamburg dann zu einem
Dorfe herabzusinken Gefahr liefe 29 . 1697 richtet umgekehrt die
Hamburger Kaufmannschaft an den Rat das dringende Ersuchen,
(die Juden sollten vertrieben werden), ihnen entgegenzukommen,
um schwere Schädigungen des Hamburger Handels zu ver-
hindern 80 . Im Jahre 1733 heißt es in einem Gutachten, das
sich bei den Senatsakten befindet: Im Wechselgeschäft, im
Handel mit Galanteriewaren und in der Herstellung gewisser
Stoffe sind die Juden „fast gantz Meister“ , sie haben „die
Unseren überflügelt“. Früher brauchte man sich nicht um die
Juden zu kümmern. Doch „sie nehmen an Zahl merklich zu.
Es ist fast kein Teil des großen Commercii, der fabriquen und
der täglichen Nahrung, worin sie nicht stark mit eingeflochten
sind. Sie sind uns schon ein malum necessarium geworden“ 81 .
Den Geschäftszweigen, in denen sie eine hervorragende Rolle
spielten, könnte man noch das Seeversicherungsgeschäft hinzu-
fügen 8a .
Aber auch die Aussprüche und Urteile der Zeitgenossen ver-
mögen uns noch nicht völlig von der Richtigkeit eines Tat-
bestandes zu überzeugen: wir wollen, wenn es irgend möglich
ist, selbst urteilen. Und das können wir natürlich nur, wenn
wir die wirklichen Zusammenhänge durch eigenes Nachforschen
aufdecken; in diesem Falle: wenn wir versuchen, aus den
Quellen die Erkenntnis zu schöpfen, welchen Anteil die Juden
wirklich und wahrhaftig an dem Aufbau unserer modernen Volks-
wirtschaft, also — um immer genau im Ausdruck zu bleiben:
an der Entfaltung des modernen kapitalistischen Wirtschafts-
systems gehabt haben. Das alles seit dem Ende des 15. Jahr-
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24
hunderts vornehmlich, das heißt von jenem Zeitpunkte ab, an
dem (wie wir schon sahen) der Weg der jüdischen Geschichte
und der der europäischen Wirtschaftsgeschichte scharf umbiegen
in der Richtung der Gegenwartsentwicklung. Denn erst diese
Feststellung gestattet uns auch ein endgültiges Urteil in der
Frage: in welchem Umfange die Verschiebung des Wirtschafts-
gebietes jüdischem Einfluß zuzuschreiben ist.
Ich sehe, wie ich im voraus bemerken will, die Bedeutung
der Juden für den Aufbau und Ausbau des modernen Kapitalis-
mus in einer mehr äußerlichen und einer innerlich-geistigen Ein-
wirkung. Äußerlich haben sie wesentlich dazu beigetragen, daß
die internationalen Wirtschaftsbeziehungen ihr heutiges Gepräge
erhielten, aber auch daß der moderne Staat — dieses Gehäuse
des Kapitalismus — in der ihm eigenen Weise erstehen konnte.
Sie haben sodann der kapitalistischen Organisation selbst dadurch
eine besondere Form gegeben, daß sie eine ganze Reihe der das
moderne Geschäftsleben beherrschenden Einrichtungen ins Leben
riefen und an der Ausbildung anderer hervorragenden Anteil
nahmen.
Innerlich-geistig ist ihre Bedeutung für die Ausbildung kapita-
listischen Wesens deshalb so groß, weil sie es recht eigentlich
sind, die das Wirtschaftsleben mit modernem Geiste durch-
tränken ; weil sie die innerste Idee des Kapitalismus erst zu ihrer
vollen Entwicklung bringen.
Es wird sich nun empfehlen, daß wir die einzelnen Punkte
der Reihe nach durchgehen, damit ich dem Leser wenigstens
zum Bewußtsein bringe: wie das Problem richtig gestellt wird.
Mehr als anregend zu fragen, und hie und da tupfenweise, ver-
suchsweise, eine Antwort anzudeuten, liegt, wie ich des öfteren
hervorgehoben habe, gar nicht in der Absicht dieser Unter-
suchung. Zukünftiger Forschung muß es Vorbehalten bleiben,
durch systematische Materialbeschaffung dann endgültig fest-
zustellen, ob und inwieweit die hier behaupteten Zusammen-
hänge in Wirklichkeit bestehen.
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25
Drittes Kapitel
Die Belebnng des Internationalen Warenhandels
Mächtig ist der Anteil, den die Juden an der Neugestaltung
des Handels genommen haben, wie sie sich seit der Verschiebung
des Wirtschaftsgebietes vollzieht. Mächtig zunächst durch die
offenbar rein quantitativ hervorragende Beteiligung an den be-
wirkten Warenumsätzen. Nach dem, was ich eingangs dieses
Abschnitts ausgeführt habe, ist eine ziffermäßige Erfassung der
auf die Juden entfallenden Quote der bewegten Warenmenge
unmöglich, wo nicht ganz besonders günstige Umstände einen
Einblick gewähren. Vielleicht daß eingehende Forschungen noch
eine Reihe von genauen Ziffern zutage fördern. Einstweilen
sind (mir) nur wenige bekannt, die aber immerhin (gleichsam
paradigmatisch) recht lehrreich sind.
So soll sich der Umfang des Handels der Juden, schon vor
ihrer Zulassung, also in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts,
auf ein Zwölftel des gesamten englischen Handels belaufen
haben 88 . Leider erfahren wir nicht, welcher Quelle diese Ziffer
entnommen ist. Daß sie aber nicht allzuweit von der Wirklich-
keit sich entfernt, beweist eine Angabe, die wir in einer Denk-
schrift der Londoner Kaufleute finden. Es handelte sich darum,
ob die Juden den Fremdenzoll auf Einfuhrgüter zahlen sollten
oder nicht. Die Denkschreiber meinen, wenn er aufgehoben
würde, würde die Krone einen Verlust von jährlich mindestens
10000 erleiden 84 .
Auffallend gut sind wir unterrichtet über die Beteiligung
der Juden an der Leipziger Messe 85 , die ja lange Zeit hindurch
der Mittelpunkt des deutschen Handels war und für dessen
intensive und extensive Entwicklung einen guten Gradmesser
bildet, die aber auch für einige der angrenzenden Länder,
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26
namentlich Polen und Böhmen, eine wichtige Bolle gespielt
hat. Hier auf der Leipziger Messe finden wir nun seit dem
Ende des 17. Jahrhunderts in wachsendem Umfange Juden als
Meßfieranten , und die Bearbeiter des Ziffermaterials kommen
sämtlich dahin überein, daß die Juden es seien, die den Olanz
der Leipziger Messe begründet haben 86 .
Leider ist eine Vergleichung der Zahl der Juden mit der
der christlichen Kaufleute erst seit der Ostermesse 1756 möglich,
da die archivalischen Quellen erst von diesem Zeitpunkt an
statistische Angaben über die Christen auf den Messen enthalten.
Die Zahl der Juden auf der Oster- und Michaelismesse betrug
durchschnittlich im Jahr
1675—1680
416
1767—1769
995
1681—1690
489
1770—1779
1652
1691—1700
834
1780—1789
1073
1701—1710
854
1790—1799
1473
1711—1720
769
1800—1809
3370
1721—1730
899
1810—1819
4896
1731—1740
874
1820—1829
3747
1741—1748
708
1830—1839
6444
Beachtenswert: das rasche Anwachsen Ende des 17. und 18.
sowie Anfang des 19. Jahrhunderts 1
Überblicken wir den ganzen Zeitraum von 1766 — 1839, so
zeigt sich, daß die Messen durchschnittlich im Jahre von 3185
jüdischen Meßfieranten besucht waren, denen 13005 Christen
gegenüberstehen : die Zahl betrug demnach 24,49 °/o oder fast
ein Viertel von der der christlichen Kaufleute. In einzelnen
Jahren, wie z. B. zwischen 1810 und 1820 steigt das Verhältnis
der Juden zu den Christen bis auf 83 1 ls°lo (4896 Juden,
14366 Christen!) (Dabei ist noch zu beachten, daß alle diese
Ziffern wahrscheinlich erheblich hinter der Wirklichkeit Zurück-
bleiben, da neuere, genauere Untersuchungen noch viel mehr
Juden auf den Messen festgestellt haben : siehe die Anmerkung 85.)
Zuweilen kann man auf Umwegen den ziffermäßig großen
Anteil der Juden an dem Gesamthandel eines Landes oder einer
Stadt ermitteln. So wissen wir beispielsweise, daß der Handel
Hamburgs mit Spanien und Portugal sowohl als mit Holland
während des 17. Jahrhunderts fast ausschließlich in den Händen
der Juden lag 87 . Nun fuhren aber in jener Zeit rund 20°/o aller
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27
von Hamburg auslaufenden Schiffslasten nach Spanien und
Portugal, etwa 30% nach Holland 88 .
Oder wir erfahren, daß der Levantehandel der bedeutsamste
Zweig des französischen Handels im 18. Jahrhundert ist : „peut etre
la plus brillante (branche) du commerce de France“ und hören
gleichzeitig, daß er ganz und gar von den Juden beherrscht wird :
„Käufer, Verkäufer, Makler, Wechselagenten, Kommissionäre usw. y
alles sind Juden“ 89 .
Ganz allgemein aber genügt die Erwägung, daß während
des 16. und 17. Jahrhunderts bis tief ins 18. hinein der Levante-
handel und der Handel mit und über Spanien-Portugal noch die
bei weitem wichtigsten Zweige des Welthandels bildeten, tun
die überragende Bedeutung der Juden für dessen Entwicklung
zunächst in rein quantitativer Betrachtung zu ermessen. Denn
diese Handelswege beherrschten sie fast ausschließlich. Schon
von Spanien aus hatten sie den größten Teil des Levante-
handels in die Hände bekommen ; schon damals hatten sie überall
in den levantinischen Seeplätzen Kontore. Nun, bei der Ver-
treibung aus der Pyrenäenhalbinsel ging ein großer Teil der
Spaniolen selbst in den Orient; ein anderer Teil zog nordwärts
und somit glitt ganz unmerklich der Orienthandel zu den nor-
dischen Völkern hinüber. Speziell Holland wird durch die
Knüpfung dieser Beziehungen erst eine Welthandelsmacht. Das
Netz des Welthandels wurde größer und engmaschiger genau in
dem Maße, wie die Juden ihre Kontore an entferntere und in
näher beieinander liegende Orte verlegten 40 . Zumal dann, als
— wiederum im wesentlichen durch sie — der Westen der Erde
in den Welthandel einbezogen wurde. Diese Etappe der Ent-
wicklung verfolgen wir aber erst, wenn wir den Anteil an der
Begründung der modernen Kolonialwirtschaft festzustellen ver-
suchen.
Abermals ein Weg, auf dem man zur Einsicht in die Be-
deutung der Juden für die Ausbildung des modernen Welthandels
kommt, ist die Feststellung derjenigen Warengattungen, mit
denen sie hauptsächlich handelten. Durch die Artbeschaffenheit
ihres Handels fast noch mehr als durch dessen Umfang gewinnen
sie so großen Einfluß auf die Gesamtgestaltung des Wirtschafts-
lebens, wirken sie teilweise revolutionierend auf die alten Lebens-
formen ein.
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28
Da tritt uns zunächst die wichtige Tatsache entgegen, daß
die Juden den Handel mit Luxuswaren lange Zeit hindurch so
gut wie monopolisiert haben. Und während des aristokratischen
17. und 18. Jahrhunderts bedeutete dieser Handel das meiste.
Die Luxusgegenstände, über die die Juden vor allem verfügten,
sind Bijouterien, Edelsteine, Perlen, Seide und Seiden waren 41 .
Bijouterien aus Gold und Silber, weil sie von jeher den Edel-
metallmarkt beherrscht hatten; Edelsteine und Perlen, weil sie
die Fundstätten (namentlich Brasilien) als die ersten besetzt
hatten ; Seide und Seidenwaren wegen ihrer uralten Beziehungen
zu den östlichen Handelsgebieten.
Auf der anderen Seite finden wir die Juden überall dort
allein oder mit überragendem Einfluß am Handel beteiligt, wo
es den Vertrieb von Massenprodukten gilt. Ja, man kann, glaube
ich, mit einigem Recht behaupten, daß sie es wiederum sind, die
als die ersten die großen Stapelartikel des modernen Welthandels
zu Markte gebracht haben. Das sind aber neben einigen Landes-
produkten: Getreide, Wolle, Flachs, später Spiritus, während des
17. und 18. Jahrhunderts vornehmlich die Erzeugnisse der rasch
wachsenden kapitalistischen Textilindustrie 48 sowie die neu auf
dem Weltmärkte erscheinenden Kolonialprodukte Zucker und
Tabak. Ich zweifle nicht, daß, wenn man einmal anfangen wird,
die Handelsgeschichte der neueren Zeit zu schreiben, man gerade
bei der Geschichte der Massenartikel immerfort auf jüdische
Händler stoßen wird. Die wenigen Belege, die mir rein zufällig
in die Hände gekommen sind, lassen schon jetzt die Richtigkeit
meiner Behauptung durchscheinen 48 .
Stark aufreizend und umstürzend wirkte auf den Gang des
Wirtschaftslebens dann aber vor allem der Handel mit neuen,
alte Verfahr ungsweisen umwälzenden, Artikeln ein, an dem
wiederum die Juden offenbar einen besonders starken Anteil
hatten. Ich denke an den Handel mit Baumwolle 44 , ausländischen
Baum woll waren (Kattunen), Indigo usw. 45 . Die Vorliebe für
solche Artikel, die man nach damaliger Denkweise als Stören-
friede der heimischen „Nahrung“ empfand, trug dem Handel
der Juden wohl gelegentlich den Vorwurf des „unpatriotischen
Handels“ ein, des „Judenkommerz, welches wenige deutsche
Hände nützlich beschäftigt und größtenteils auf der inländischen
Verzehrung beruht“ 4T .
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29
Was das „Judenkommerz“ sonst noch auszeichnete und es
vorbildlich für allen Handel machte, der dadurch in neue Bahnen
gelenkt wurde, war die Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit der
gehandelten Waren. Als sich die Kaufleute von Montpellier über
die Konkurrenz beschweren, die ihnen die jüdischen Händler
bereiteten, antwortete ihnen der Intendant (1740): wenn sie, die
Christen, ebenso wohlassorkierte Läger hätten wie die Juden,
würde die Kundschaft schon ebenso gern zu ihnen kommen wie
zu den jüdischen Konkurrenten 48 . Und von der Tätigkeit der
Juden auf den Leipziger Messen entwirft uns Rieh* Markgraf
in seinem Schlußwort folgende Schilderung 49 : „Fürs zweite wirkten
sie (die jüdischen Fieranten) fördernd auf die Meßgeschäfte durch
die Mannigfaltigkeit ihrer Einkäufe, insofern sie dadurch den
Meßhandel immer vielseitiger gestalteten und die Industrie, be-
sonders die inländische, zu immer größerer Mannigfaltigkeit in
der Produktion anspornten. Auf vielen Messen waren die Juden
wegen ihrer verschiedenen und umfangreichen Einkäufe sogar
ausschlaggebend. “
Worin ich aber vor allem die Bedeutung sehe, die das „Juden-
kommerz“ während der frühkapitalistischen Epoche für die meisten
Volkswirtschaften gewann, ist der Umstand, daß die Juden gerade
diejenigen Handelsgebiete fast ausschließlich beherrschten, aus
denen große Mengen Bargeld zu holen waren: also die neu-
erschlossenen Silber- und Goldländer (Mittel- und Südamerika),
sei es im direkten Verkehr, sei es auf dem Umwege über Spanien
und Portugal. Oft genug hören wir denn auch berichten, daß
die Juden bares Geld ins Land hineinbringen 50 . Und daß hier
die Quelle aller (kapitalistischen) „Volkswohlfahrt“ floß, wußten
die Theoretiker und Praktiker ihrer Zeit sehr genau, und haben
wir, nachdem der Nebel der Smithschen Doktrinen gesunken ist,
jetzt endlich auch wieder eingesehen. Begründung der modernen
Volkswirtschaft hieß zu einem guten Teile Herbeiziehung von
Edelmetallen, und daran war niemand so sehr beteiligt als die
jüdischen Kaufleute. Diese Feststellung aber führt uns un-
mittelbar hinüber zu dem nächsten Kapitel, das insbesondere
den Anteil der Juden an der Entwicklung der modernen Kolonial-
wirtschaft erörtern soll.
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80
Viertes Kapitel
Die Begründung der modernen Kolonlalwirtschaft
D&n nicht zuletzt durch das Mittel der kolonialen Expansion
der moderne Kapitalismus zur Blüte gelangt, fangen wir jetzt
.an, deutlich zu erkennen. Und daß bei dieser kolonialen
Expansion wiederum die Juden eine hervorragende, um nicht
xu sagen: die entscheidende Bolle gespielt haben, sollen die
folgenden Ausführungen wahrscheinlich machen.
Es ist nur natürlich, daß die Juden bei allen kolonialen
Gründungen stark beteiligt gewesen sind (da ihnen die neue
Welt, wenn sie auch nur eine alte ummodelte, immer mehr
Lebensglück in Aussicht stellte als das mürrische alte Europa,
xumal seit hier das letzte Dorado sich auch als unwirtliches
Land erwiesen hatte). Das gilt für den Osten ebenso wie für
«len Westen und für den Süden der Erde. In Ostindien waren
offenbar schon seit dem Mittelalter zahlreiche Juden ansässig 51 ,
«lie dann, als die europäischen Nationen nach 1498 ihre Hände
nach den alten Kulturländern ausstreckten, als willkommene
Stützpunkte der europäischen Herrschaft und namentlich als
Pioniere des Handels dienen konnten. Mit den Schiffen der
Portugiesen und Holländer kamen dann aller Wahrscheinlichkeit
nach — genaue Ermittlungen sind noch nicht angestellt —
größere Scharen von Juden in die indischen Besitzungen mit
herüber. Jedenfalls finden wir die Juden an allen holländischen
Gründungen auch im Osten stark beteiligt. Wir erfahren, daß
beträchtliche Teile des Aktienkapitals der holländisch-ostindischen
Kompagnie in jüdischem Besitze sich befanden 58 . Wir wissen,
•daß derjenige Generalgouverneur der holländisch- ostindischen
Kompagnie, der, „wenn man ihn auch nicht als Gründer der
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31
niederländischen Macht auf Java bezeichnen kann, doch sicher
am meisten zur Befestigung derselben beigetragen hat“ 58 , Cohn
(Coen) hieß. Und können uns leicht davon überzeugen, daß er
nicht der einzige jüdische Gouverneur der holländisch-indischen
Besitzungen war, wenn wir etwa die Porträts dieser Beamten
einer Musterung unterziehen 54 . Wir finden aber Juden ebenso
als Direktoren der Ostindischen Kompagnie 55 , kurz überall in
den kolonialen Geschäften 56 .
In welchem Umfange die Juden dann an der Kolonial-
wirtschaft in Indien teilnahmen, als die Engländer sich zu
den Herren machten, ist noch unbekannt. Dagegen sind wir
verhältnismäßig gut unterrichtet über den Anteil der Juden
an der Begründung der englischen Kolonien in Südafrika und
Australien und wissen, daß hier (namentlich in der Kapkolonie)
so gut wie alle wirtschaftliche Entwicklung den Juden zu-
zuschreiben ist. In den 1820 er und 1830 er Jahren kommen
Benj. Norden und Simeon Markus nach Südafrika: ihnen ist „the
industrial awakening of almost the whole interior of Cape Colony “
zu danken; Julius, Adolph, James Mosenthal begründen den
Woll- und Häutehandel und die Mohair-Industrie; Aaron und
Daniel de Pass monopolisieren den Walfischfang; Joel Myers
begründet die Straußenzucht ; Lilienfeld von Hopetown kauft die
ersten Diamanten usw, usw. 57 Eine ähnlich führende Bolle
haben die Juden in den übrigen südafrikanischen Staaten, nament-
lich auch in Transvaal gespielt, wo heute 25 000 von den 50 000
südafrikanischen Juden leben sollen 58 . InAustralien finden wir
als einen der ersten Großhändler den Montefiore. Sodaß es keine
Übertreibung zu sein scheint, wenn behauptet wird: „a large
Proportion of the English colonial shipping trade was for a con-
siderable time in the hands of the Jews“ 5 ®.
Recht eigentlich aber das Feld jüdischer Wirksamkeit in
Koloniallanden , zumal in den Jahrhunderten der frühkapi-
talistischen Wirtschaftsverfassung, ist der von dem Europäer-
tum ganz neu gestaltete Westen der Erde. Amerika in allen
seinen Teilen ist ein Judenland: das ist das Ergebnis,
zu dem ein Studium der Quellen unweigerlich führen muß.
Und durch den überragenden Elinfluß, den Amerika von dem
Tage seiner Entdeckung an auf das europäische Wirtschafts-
leben und die gesamte europäische Kultur gewonnen hat,
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32
ist natürlich die starke Beteiligung der Juden an dem Aufbau
der amerikanischen Welt von ganz besonderer Bedeutung für
den Ablauf unserer Geschichte geworden. Ich werde deshalb
etwas länger bei diesem Gegenstände verweilen, auf die Gefahr
hin, den Leser durch allzuviele Details zu ermüden. Die Größe
des Problems wird doch, denke ich, die etwas pedantische Art
der Behandlung rechtfertigen 60 .
In einer ganz seltsamen Weise sind die Juden gleich mit
der Entdeckung Amerikas auf das innigste verwoben : es ist als
ob die neue Welt für sie allein, durch ihre Beihilfe entdeckt
worden sei, als ob die Columbusse nur die Geschäftsführer Israels
gewesen seien. So betrachten jetzt auch stolze Juden selbst die ge-
schichtliche Lage, wie sie durch neuere archivalische Forschungen 61
klargelegt worden ist. Danach soll zunächst (was hier nur im
Vorübergehen erwähnt werden mag) erst die jüdische Wissen-
schaft die Seefahrtstechnik auf eine so hohe Stufe gehoben haben,,
daß die transozeanischen Reisen überhaupt unternommen werden
konnten. Abraham Zacuto, Professor für Mathematik und Astro-
nomie an der Universität Salamanca, verfaßt 1473 seine astrono-
mischen Tabellen und Tafeln (Almanach perpetuum) ; Jose
Vecuho, Astronom und Leibarzt Johanns II. von Portugal und
der Mathematiker Moses erfinden 1484 auf Grund der Zacuto-
sehen Tafeln im Vereine mit zwei christlichen Kollegen da»
nautische Astrolab (ein Instrument, um aus dem Stande der
Sonne die Entfernung des Schiffes vom Äquator zu bestimmen).
Jose übersetzt den Almanach seines Lehrers Zacuto ins Lateinische
und Spanische.
Sodann soll die materielle Unterlage der Columbusschen
Expeditionen von den Juden geschaffen sein. Jüdische Gelder
haben die beiden ersten Reisen des Columbus ermöglicht. Die
erste unternimmt er mit Hilfe des Darlehns, das ihm der KgL
Rat Luis de Santangel gewährt. An Santangel, den eigentlichen
Protektor der Columbus-Expedition , sind auch der erste und
zweite Brief des Columbus adressiert; an ihn und an den
Schatzmeister von Aragonien, Gabriel Saniheg, einen Marranen.
Die zweite Expedition des Columbus wird wiederum mit
jüdischem Gelde ausgerüstet, das dieses Mal freilich nicht frei-
willig gespendet worden war: nämlich mit dem Gelde, das
von den vertriebenen Juden zurückgelassen war und das 1493
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Ferdinand von Aragonien für den Staatsschatz hatte einziehen
lassen.
Aber weiter: im Schiffe des Columbus waren eine Anzahl
Juden und der erste Europäer, der amerikanischen Boden betrat,
war ein Jude: Luis de Torres. So will es die neueste „akten-
mäßige“ Forschung 62 .
Und was das Allerschönste ist: neuerdings wird Columbus
selber für das Judentum reklamiert! Ich teile diese neueste
Entdeckung mit, ohne imstande zu sein, ihre Richtigkeit nach-
prüfen zu können. In einer Sitzung der Geographischen Ge-
sellschaft zu Madrid hat der Gelehrte Don Celso Garcia de la
Riega über seine Columbus-Forschungen berichtet, aus denen
hervorgeht, daß Christobal Colon (nicht Colombo) ein Spanier
und mütterlicherseits von jüdischer Abstammung
war. Don Garcia de la Riega hat aus bischöflichen und Notariats-
akten der Stadt Pontevedra in der Provinz Galicien nachgewiesen,
daß dort zwischen 1428 und 1528 die Familie des Colon ansässig
war, und daß in dieser Familie dieselben Vornamen üblich waren,
die man bei den Verwandten des Admirals wiederfindet. Zwischen
diesen Colons und der Familie Fonterosa haben Heiraten statt-
gefunden. Die Fonterosas waren zweifellos ein jüdisches Ge-
schlecht, oder doch erst seit kurzer Zeit zum Christentum be-
kehrt. Die Mutter Christobal Colons hieß Suzanna Fonterosa. Als
in der Provinz Galicien Unruhen ausbrachen, haben die Eltern
des Entdeckers Spanien verlassen und sind nach Italien aus-
gewandert. Diese Behauptungen werden von dem spanischen
Gelehrten noch durch weitere Beobachtungen gestützt. Er findet
in den Schriften des Columbus zahlreiche Anklänge an die
hebräische Literatur ; die ältesten Porträts des Amerika-Ent-
deckers zeigen einen echt jüdischen Gesichtstypus.
Und kaum waren die Tore der neuen Welt den Europäern
geöffnet, so strömten nun in Scharen die Juden hinein. Wir
sahen ja, daß die Entdeckung Amerikas in genau dasselbe Jahr
feilt, in dem die Juden in Spanien heimatlos werden; sahen,
daß die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts und die ersten Jahr-
zehnte des folgenden Jahrhunderts Zeiten sind, in denen Myriaden
von Juden zum Wandern gezwungen werden, in denen die europä-
ische Judenheit wie ein Ameisenhaufen, in den man einen Stock
steckt, in Bewegung gerät: kein Wunder, wenn von diesem
Sombart, Die Juden 3
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34
Haufen ein großer Teil sich in die hoffnungsreichen Gebiete der
neuen Welt begab. Die ersten Kaufleute drüben waren Juden 6 *.
Die ersten industriellen Anlagen in den amerikanischen Kolonien
rührten von Juden her. Schon 1492 lassen sich portugiesische
Juden in St. Thomas nieder und beginnen hier die Plantagen-
wirtschaft im Großen: sie errichten zahlreiche Zuckerfabriken
und beschäftigen bald 8000 Negersklaven 68 . Der Zustrom der
Juden nach Südamerika gleich nach der Entdeckung war so groß,
daß im Jahre 1511 die Königin Johanna es für notwendig er-
achtete, dagegen einzuschreiten 64 . Offenbar aber blieb diese
Verordnung ohne Wirkung, denn der Juden drüben wurden immer
mehr. Durch Gesetz vom 21. Mai 1577 wurde dann endlich das
Verbot der gesetzlichen Auswanderung in die spanischen Kolonien
formell aufgehoben.
Um die rege Wirksamkeit, die die Juden als Begründer des
kolonialen Handels und der kolonialen Industrie in dem Bereiche
südamerikanischen Gebietes entfalteten, ganz würdigen zu können,
tut man gut, das Schicksal einiger Kolonien im einzelnen zu
verfolgen.
Die Geschichte der Juden in den amerikanischen Kolonien
und damit deren Geschichte selbst zerfällt in zwei große Ab-
schnitte, die gebildet werden durch die Vertreibung der Juden
aus Brasilien (1654).
Wie die Juden gleich nach der Entdeckung im Jahre 1492
in S. Thomö die Zuckerindustrie begründen, wurde schon er-
wähnt. Um 1550 finden wir diese Industrie auf der Insel schon
in voller Blüte: 60 Plantagen, mit Zuckermühlen und Siede-
pfannen versehen, erzeugen, wie der an den König entrichtete
Zehnte ausweist, jährlich 150000 Arroben Zucker (ä 25 Pfd.) 65 .
Von hier aus oder von Madeira aus 66 , wo sie ebenfalls seit
langem die Zuckerindustrie betrieben, verpflanzen die Juden diesen
Industriezweig in die größte der amerikanischen Kolonien: nach
Brasilien, das damit in seine erste Blüteperiode — die durch
die Vorherrschaft der Zuckerindustrie bestimmt wird — ein-
tritt. Das Menschenmaterial für die neue Kolonie lieferten in der
ersten Zeit fast ausschließlich Juden und Verbrecher, von denen
jährlich zwei Schiffsladungen von Portugal hinübergehen 67 . Die
Juden werden sehr bald die herrschende Kaste: „ein nicht ge-
ringer Teil der wohlhabendsten brasilianischen Kaufmannschaft
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bestand aus , neuen Christen 4 “ 68 . Einer ihres Volksstammes war
4S auch, der als erster Generalgouvemeur die Verwaltung der
Kolonie in Ordnung brachte: in der Tat begann die neue Be-
sitzung erst recht in Blüte zu kommen, als man im Jahre 1549
Thome de Souza, einen Mann von hervorragenden Eigenschaften,
hinüberschickte 69 . Aber ihren vollen Glanz beginnt die Kolonie
erst zu entfalten, als sie (1624) in die Hfinde der Holländer
übergeht und nun die reichen holländischen Juden anfangen,
hinüberzuströmen . 1624 vereinigen sich zahlreiche amerikanische
Juden und gründen in Brasilien eine Kolonie, in die 600 an-
gesehene Juden von Holland her übersiedeln 70 . Noch in dieser
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren alle groben Zucker-
plantagen in den Händen von Juden 71 , von deren umfassender
Wirksamkeit und von deren Reichtum uns die Reisenden be-
lichten. So äußert sich Nienhoff, der Brasilien 1640 bis 1649
bereiste, wie folgt 78 : Among the free inhabitants of Brazil that
were not in the (Dutsch West India) Companys Service the Jews
were the most considerable in number, who had transplan ted
themselves thither from Holland. They had a vast traffic beyond
the rest, they purchased sugar-mills and built stately houses
in the Receif. They were all traders, which would have been of
great consequence to the Dutsch Brazil had they kept themselves
within the due bounds of traffic.“ Und in F. Pyrards Reise-
bericht lesen wir 78 : „The profits they mako after being nine
or ten years in those lands are marvellous, for they all corae
back rieh.“
Diese Vorherrschaft des jüdischen Elements im Plantagen-
betrieb überdauerte die Episode der holländischen Herrschaft
über Brasilien und dehnte sich — trotz der „Vertreibung“ 78 der
Juden im Jahre 1654 — bis in das 18. Jahrhundert aus. Jeden-
falls erfahren wir noch aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunders 74 :
einmal „als mehrere der angesehensten Kaufleute von Rio de
Janeiro dem Heiligen Amte (der Inquisition !) in die Hände fielen,
stockte der Betrieb auf so vielen Plantagen, daß Produktion und
Handel der Provinz (sc. Bahia) sich erst nach längerer Zeit von
diesem Schlage erholen konnte.“ Durch Dekret vom 2. März 1768
werden dann alle Register über die neuen Christen zur Ver-
nichtung eingeliefert; durch Gesetz von 25. März 1773 werden
die „neuen Christen“ in bürgerlicher Hinsicht den alten Christen
3 *
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vollkommen gleichgestellt. Es haben sich also offenbar wieder
zahlreiche Kryptojuden auch nach der Besitzergreifung des
Landes durch die Portugiesen im Jahre 1654 in Brasilien
an hervorragender Stelle erhalten und haben dem Lande zu
seiner Zuckerblüte dann noch die Edelsteinblüte gebracht, da
sie den Handel mit Edelsteinen sehr bald ebenfalls sich unter*
warfen.
Aber darum bleibt das Jahr 1654 in der j üdisch-amerika-
nischen Geschichte doch von epochaler Bedeutung. Denn ein
sehr grober Teil der brasilianischen Juden wandte sich doch
damals anderen Gebieten Amerikas zu und verlegte dadurch das
wirtschaftliche Schwergewicht dorthin.
Vor allem sind es einige wichtige Teile des westindischen
Archipels und der angrenzenden Küste, die durch die Erfüllung
mit jüdischem Wesen seit dem 17. Jahrhundert erst recht zur
Blüte kommen. So Barbados 75 , das fast nur von Juden be-
völkert wurde. Es war 1627 von den Engländern in Besitz ge-
nommen worden; 1641 wurde das Zuckerrohr eingeführt; 1648
begann der Zuckerexport. Die Zuckerindustrie konnte sich aber
nicht behaupten, da die Zucker wegen ihrer schlechten Qualität
die Transportkosten nach England nicht deckten. Erst die aus
Brasilien vertriebenen „Holländer“ führten daselbst eine regel-
mäßige Fabrikation ein und lehrten die Einwohner, trockenen
und haltbaren Zucker zubereiten, dessen Ausfuhr alsbald in
raschem Maße zunahm. 1661 konnte schon Karl H. 13 Besitzer,
die aus Barbados eine Einnahme von 10000 bezogen, zu
Baronen ernennen, und um 1676 war die Insel bereits imstande,
jährlich 400 Schiffe mit je 180 t Rohzucker zu beladen.
Von Barbados führte 1664 Thomas Modyford die Zucker-
fabrikation nach Jamaica 76 ein, das damit rasch zu Reichtum
gelangte. 1656 hatten es die Engländer den Spaniern endgültig
entrissen. Während es damals nur drei kleinere Siedereien auf
Jamaica gab, waren 1670 schon 75 Mühlen im Betriebe, deren
manche 2000 Ztr. Zucker erzeugten und ,im Jahre 1700 war
Zucker der Hauptartikel Jamaicas und die Quelle seines Wohl-
standes. Wie stark die Juden an dieser Entwicklung beteiligt
waren, schließen wir aus der Tatsache, daß schon 1671 von den
christlichen Kaufleuten bei der Regierung der Antrag auf Aus-
schließung gestellt wird, der aber nur die Wirkung hat, daß die
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Ansiedlung der Juden von der Regierung noch mehr befördert
wird. Der Governor verwarf die Petition mit den denkwürdigen
Worten 77 : „he was of opinion that His Majesty could not have
more profitable subjects than the Jews and the Holländers ; they
had great Stocks and correspondance. a So kam es, daß die
Juden aus Jamaica nicht ausgewiesen wurden, vielmehr „they
became the first traders and merchants of the English colony“ 78 .
Im 18. Jahrhundert tragen sie alle Steuern und haben Industrie
und Handel größtenteils in ihren Händen.
Von den übrigen englischen Kolonien bevorzugten sie ins-
besondere Surinam 79 . Hier saßen seit 1644 Juden, die bald
mit Privilegien ausgestattet wurden, „whereas we have found
that the Hebrew nation . . have . . proved themselves useful
and beneficial to the colony.“ Diese bevorzugte Lage dauerte
natürlich an, als Surinam (1667) von England auf Holland über-
ging. Ende des 17. Jahrhunderts ist ihr numerisches Verhältnis
wie 1 zu 3. Sie besitzen 1730 von den 344 Plantagen in Surinam,
auf denen meist Zucker gebaut wurde, 115.
Dasselbe Bild wie die englischen und holländischen Kolonien
gewähren die wichtigeren französischen : Martinique, Guadeloupe,
S. Domingo 80 . Auch hier ist die Zuckerindustrie die Quelle des
„Wohlstandes“ und auch hier sind die Juden die Beherrscher
dieser Industrie und des Zuckerhandels.
In Martinique wurde die erste große Plantage und Siederei
1655 von Benjamin Dacosta angelegt, der dorthin mit 900 Glaubens-
genossen und 1100 Sklaven aus Brasilien geflüchtet war.
ln S. Domingo wurde die Zuckerindustrie schon 1587 be-
gonnen, aber erst die „holländischen“ Flüchtlinge aus Brasilien
bringen sie in Blüte.
Man muß sich nun immer vor Augen halten, daß in jenen
kritischen Jahrhunderten, als die amerikanische Kolonialwirtschaft
begründet wurde (und durch sie der moderne Kapitalismus), die
Zuckergewinnung (außer natürlich der Silberproduktion und der
Gewinnung von Gold und Edelsteinen in Brasilien) das Rückgrat
der ganzen kolonialen Volkswirtschaft und damit indirekt der
einheimischen Volkswirtschaft bildete. Man kann sich kaum
noch eine richtige Vorstellung machen von der überragenden
Bedeutung, die Zuckerindustrie und Zuckerhandel in jenen Jahr-
hunderten hatten. Es war gewiß keine Übertreibung, wenn es
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88
in einem Beschluß des Pariser Handelsrates vom Jahre 1701
heißt: „Frankreichs Schiffahrt verdankt ihren Glanz dem Handel
seiner Zuckerinseln und kann nur durch diesen erhalten und
erweitert werden/ Und diesen Handel hatten die Juden fast
monopolisiert (den französischen insbesondere das reiche Haus
Gradis aus Bordeaux) 81 .
Bedeutsam wurde aber diese Machtstellung , die sich die
Juden in Mittel- und Südamerika erobert hatten, ganz besonders
noch durch die enge Verbindung, in die seit dem Ende des
17. Jahrhunderts die englischen Kolonien Nordamerikas mit West-
indien traten : eine Verbindung, der, wie wir sehen werden, das
europäische Nordamerika sein Leben verdankte und die im wesent-
lichen wieder durch jüdische Kaufleute hergestellt wurde. Damit
sind wir zu der Besprechung der Rolle gekommen, die die Juden
in der Entwicklung der nordamerikanischen Volkswirtschaft ge-
spielt haben. Das heißt aber, um es gleich deutlich zu sagend
bei der Genesis der Vereinigten Staaten von Amerika.
Auch diese sind in wirtschaftlicher Beziehung ganz wesentlich
durch den Einfluß jüdischer Elemente zu ihrer endlichen Gestalt
gelangt. Was wiederum einer ausführlichen Erläuterung bedarf r
da es der landläufigen Auffassung der Dinge (wenigstens in
Europa) offenbar widerspricht.
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob gerade
das nordamerikanische Wirtschaftsleben wesentlich ohne Mit-
wirkung der Juden sich ausgebildet habe. Und oft genug ist
mir die Entwicklung der Vereinigten Staaten als Beweis für die
Richtigkeit des Gegenteils vorgehalten worden, wenn ich be-
hauptete, daß der moderne Kapitalismus doch im Grunde nichts
anderes sei als eine Ausstrahlung jüdischen Wesens. Die Yankees
selbst pochen darauf, daß sie ohne die Juden fertig geworden
seien. Ein amerikanischer Schriftsteller, wenn ich nicht irre
wars Mark Twain, hat einmal des längeren ausgeführt, wes-
halb die Juden bei ihnen drüben keine Rolle spielten: weil sie,,
die Yankees, ebenso „gerissen“ (smart) seien wie die Juden,
wenn nicht gerissener. (Dasselbe übrigens, was die Schotten
von sich behaupten.) Und in der Tat: unter den ganz großen
Industriellen und Spekulanten der Vereinigten Staaten, unter
den „Trustmagnaten“ begegnen wir heute nicht allzuviel jüdischen
Namen. Das mag alles zugegeben werden. Und dennoch halte
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ich meine Behauptung aufrecht, daß auch die Vereinigten Staaten,
ja daß vielleicht kein Land mehr als die Vereinigten Staaten
angefüllt sind mit jüdischem Wesen bis oben hinaus. Das weiß
man übrigens in manchen und gerade den urteilsfähigen Kreisen
Amerikas sehr wohl. Als vor einigen Jahren der 250 . Jahrestag
der Einwanderung der Juden in die Vereinigten Staaten mit
großem Pomp gefeiert wurde, da schrieb der Präsident Roosevelt
einen Brief an das Festkomitee, worin er seine Glückwünsche
in eine ganz besonders ehrende Form kleidete. Er sagte: es
sei das erstemal während seiner Präsidentschaft, daß er bei
Gelegenheit einer Feier ein Begrüßungsschreiben sende; aber
diese eine Ausnahme müsse er machen: die Veranlassung sei
zu überwältigend groß. Die Verfolgungen, denen die Juden
gerade in jener Zeit wieder ausgesetzt seien, machten es ihm
ganz besonders dringlich zur Pflicht, zu betonen, welche hervor-
ragenden Bürgereigenschaften die Männer jüdischen Glaubens
und jüdischer Rasse entfaltet hätten, seit sie in das Land ge-
kommen seien. Indem er dann von den Verdiensten der Juden
um die Vereinigten Staaten erzählt, bedient er sich der durchaus
den Kern der Sache treffenden Wendung: die Juden haben das
Land aufbauen helfen : „the Jews participated in the upbuilding
of this country“ 8Ä . Und der Expräsident Grover Cleveland
sagte bei derselben Gelegenheit: „Wenige, wenn überhaupt
eine, von den das amerikanische Volk bildenden Nationalitäten
haben direkt oder indirekt mehr Einfluß auf die Ausbildung des
modernen Amerikanismus ausgeübt als die jüdische“ („I believe
that it can be safely claimed that few, if any, of those contri-
buting nationahties have directly and indirectly been more in-
fluential in giving shape and direction to the Americanism of
to day“ 8a ).
Worin liegt denn nun aber die große Bedeutung der Juden
gerade für die Vereinigten Staaten? Zunächst doch darin, daß
ihr ziffermäßiger Anteil am amerikanischen Geschäftsleben
niemals so ganz gering gewesen ist, wie es auf den ersten Blick
hin scheint. Weil unter dem halben Dutzend bekannter Namen
von Milliardären, die heute wegen des Lärms, den ihre Träger
(und namentlich Trägerinnen) machen, in aller Leute Ohren
klingen, keine Juden sind, ist der amerikanische Kapitalismus
doch nicht etwa arm an jüdischen Elementen. Erstensmal gibt
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40
es auch unter den ganz großen Trusts einige, deren Leitung
sich in den Händen von Juden befindet. So ist der Smelters
Trust, der mit allen kontrollierten Werken zusammen (1904)
ein Kapital von (nominal) 201 Millionen $ repräsentierte, eine
Schöpfung jüdischer Männer (der Guggenheims). Ebenso sind
im Tobacco-Trust (500 Mill- $), im Asphalt-Trust, im Telegraph-
Trust u. a. Juden in leitenden Stellungen 84 . Ebenso sind unter
den ganz großen Bankfirmen eine ganze Reihe in jüdischem
Besitze, durch die natürlich wiederum ein sehr großer Teil des
amerikanischen Wirtschaftslebens kontrolliert wird. So wurde
beispielsweise das „Harriman-System“, das die Zusammenfassung
aller amerikanischen Eisenbahnnetze zum Ziele hatte, im wesent-
lichen durch das New-Yorker Bankhaus Kuhn, Loeb <fe Co. unter-
stützt und gefördert. Ganz dick sitzen die Juden in herrschender
Stellung im Westen: Kalifornien ist zum guten Teil ihre
Schöpfung. Bei der Begründung dieses Staates haben sich die
Juden hervoigetan als Richter, Abgeordnete, Governors, Bürger-
meister usw. und nicht zuletzt als Geschäftsleute. Die Gebrüder
Seligman, Wilh. Henry, Jesse, James in S. Francisco; die Louis
Stoß, Lewis Gerstle in Sacramento (wo sie die Alasca Commercial
Co. begründeten); die Hellman und Newmark in Los Angelos
sind einige der bekannteren Firmen, die hier gewirkt haben.
Während der Goldperiode waren es die Juden, die Beziehungen
zum Osten und zu Europa anknüpften. Die wichtigsten finanziellen
Transaktionen jener Zeit waren unternommen von Männern wie
Benj. Davidsohn, den Agenten der Rothschilds; Alb. Priest
von Rhode Island; Alb. Dyer von Baltimore usw.; den drei
Brüdern Lazard, die das internationale Bankhaus Lazard Fröres
(in Paris, London und S. Francisco) begründeten ; wie den Selig-
mans, den Glaziers und Wormsers. Moritz Friedländer war einer
der großen Weizenkönige. Adolph Sutro beutete die Comstock
Lodes aus. Und noch heute ist wohl der überwiegende Teil
des kalifornischen Bankwesens, aber auch der industriellen Unter-
nehmungen in den Händen von Juden. Ich erinnere an: The
London, Paris and American Bank (Sigm. Greenebaum, Rieh.
Altschulz) ; die Angl. California Bank (Phil. N. Lilienthal, Ignatz
Steinhart); die Nevada Bank; die Union Trust Company; die
Farmers and Merchants Banks of Los Angelos u. a. Erinnere
an die Ausbeutung der Kohlenfelder durch John Rosenfeld; an
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41
dieNachfolgerin der Hudson Bay Co. : the Alasca Commercial Co.,
an the North Americ. Comm. Co. u. a. 85 .
Daß durch die Einwanderung zahlreicher Juden während der
letzten Jahrzehnte sich überall im Lande die quantitative Be-
deutung der Juden für das amerikanische Wirtschaftsleben in
geradezu gigantischer Weise fühlbar machen wird, dürfte kaum
zweifelhaft sein. Man erwäge, daß jetzt schon mehr als eine
Million Juden allein in New York lebt und daß von den ein-
gewanderten Juden der größte Teil die kapitalistische Karriere
überhaupt noch nicht begonnen hat. Wenn sich die Verhältnisse
in Amerika so weiter entwickeln, wie im letzten Menschenalter,
wenn die Zuwanderungsziffern und die Zuwachsraten der ver-
schiedenen Nationalitäten dieselben bleiben, so erscheinen die
Vereinigten Staaten nach 50 oder 100 Jahren in unserer Phan-
tasie ganz deutlich als ein Land, das nur noch von Slaven,
Negern und Juden bewohnt sein wird und in dem die Juden
natürlich die wirtschaftliche Hegemonie an sich gerissen haben.
Aber das sind Zukunftsspiegelungen, die in diese Zusammen-
hänge, wo Vergangenheit und Gegenwart erkannt werden sollen,
nicht hinein gehören. Für Vergangenheit und Gegenwart mag
zugegeben werden, daß der quantitative Anteil der Juden am
amerikanischen Wirtschaftsleben zwar immer noch recht ansehn-
lich und keinesweg so geringfügig ist wie eine oberflächliche
Beobachtung annehmen läßt, daß sich aber aus dem bloß quanti-
tativen Anteil noch nicht jene überragende Bedeutung ableiten
läßt, die ich (mit vielen andern urteilsfähigen Leuten) dem
jüdischen Stamme zurechne. Diese muß vielmehr aus ziemlich
verwickelten Zusammenhängen heraus als eine in ganz hervor-
ragendem Sinne qualitativ bestimmte erkannt werden.
Deshalb möchte ich auch noch nicht einmal so großen Nach-
druck auf die immerhin nicht unwichtige Tatsache legen, daß die
Juden in Amerika eine Reihe ganz wichtiger Handelszweige bis
zur Monopolstellung in ihnen beherrschen oder doch wenigstens
lange Zeit hindurch beherrscht haben. Ich denke da vornehmlich
an den Getreidehandel, namentlich im Westen; an den Tabak-
handel; an den Baumwollhandel. Man sieht auf den ersten
Blick, daß dies drei Hauptnervenstränge der amerikanischen
Volkswirtschaft sind und begreift, daß diejenigen, in deren Ge-
walt diese drei mächtigen Wirtschaftszweige liegen, schon ohne
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weiteres hervorragenden Anteil an dem wirtschaftlichen Gesamt-
prozesse nehmen müssen. Aber wie gesagt: ich urgiere diesen
Umstand gar nicht so sehr, weil ich die Bedeutung der Juden
für die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten aus noch viel
gröberen Tiefen deuten möchte.
Die Juden sind wie ein ganz besonderer Faden, man könnte
sagen : wie ein goldener Faden in einem Gewebe, von Anfang bis zu
Ende in die amerikanische Volkswirtschaft hineingewoben, sodaß
diese ihre eigentümliche Musterung durch sie vom ersten Augen-
blick an empfängt.
Denn seit dem ersten Erwachen des kapitalistischen Geistes
an den Küsten des Atlantischen Ozeans und in den Wäldern
und Steppen des neuen Erdteils sind sie da. Als das Jahr ihrer
Ankunft wird das Jahr 1655 betrachtet 89 : als ein Schiff mit
Juden aus dem meist portugiesisch gewordenen Brasilien am
Hudson landete und Einlaß in die dort von der Holländisch-
westindischen Kompagnie begründete Kolonie begehrte. Schon
nicht mehr nur als Bittende. Schon als Angehörige eines Volks-
stammes, der stark beteiligt an der neuen Gründung war und
dessen Einfluß schon die Gouverneure der Kolonie sich zu beugen
hatten. Damals, als das Schiff mit den jüdischen Einwanderern
eintraf, führt Stuyvesant das Regiment in N eu- Amsterdam. Und
Stuyvesant war kein Freund der Juden und hatte alle Lust, den
Einlaß Begehrenden die Türe zu verschließen. Da kam aber
die Weisung aus Amsterdam in einem Briefe der Direktoren der
Kompagnie (vom 26. 4. 1655): die Juden sind zum Handel und
zur Niederlassung in dem Gebiete der westindischen Kompagnie
zuzulassen: „also because of the large amount of Capital which
they have invested in sbares in this Company“ 87 . Von Neu-
Amsterdam kamen sie bald nach Long Island, Albany, Rhode
Island, Philadelphia.
Und von nun an beginnt ihre rege Wirksamkeit, die zunächst
einmal dafür Sorge trug, daß die neuen Kolonien überhaupt
ökonomisch bestehen konnten. Wenn die Vereinigten Staaten
heute da sind, so wissen wir, daß dies nur deshalb geschah,
weil die englischen Kolonien Nordamerikas sich durch eine Kette
günstiger Umstände zu einer Machtstellung hinauf entwickeln
konnten, die ihnen schließlich die Fähigkeit zu selbständiger
Existenz verlieh. Und gerade bei diesem Aufbau der kolonialen
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Größe sehen wir die Juden als die ersten und eifrigsten Förderer
am Werke.
Ich denke wiederum nicht an die naheliegende Tatsache,
daß durch die Unterstützung einiger mächtiger jüdischer Häuser
allein es dem Staatswesen der Kolonien gelang, sich zur
Selbständigkeit herauszubilden, weil jene ihnen die ökonomische
Unterlage bereiteten , auf der sie stehen konnten. Durch
Lieferungen im Kriege und vor allem durch die Darreichung
der nötigen Geldmittel, ohne die die Unabhängigkeit der „Ver-
einigten Staaten“ niemals zu erreichen gewesen wäre. Diese
Leistungen der Juden sind nichts den amerikanischen Verhält-
nissen Eigentümliches: wir werden ihnen noch als einer ganz
allgemeinen Erscheinung begegnen, die in der Geschichte des
modernen, auf kapitalistischer Basis ruhenden Staates überall
fast gleichmäßig wiederkehrt und der wir daher in einem größeren
Zusammenhänge noch Gerechtigkeit müssen widerfahren lassen.
Dagegen sehe ich in einer anderen Wirksamkeit der jüdischen
Elemente im kolonialen Nordamerika ebenso eine Amerika kon-
stituierende Tat, die zudem noch ein auf die amerikanische Welt
beschränktes Phänomen darstellt. Ich meine die simple Tat-
sache, daß während des 17. und 18. Jahrhunderts das Juden-
kommerz die Quelle war, aus der die Volkswirtschaft der amerika-
nischen Kolonie ihr Leben schöpfte. Weil nur die Handels-
beziehungen, die die Juden unterhielten, ihnen die Möglichkeit
gewährten, in dauernder ökonomischer Gebundenheit dem Mutter-
lande gegenüber zu verharren und doch zu eigener wirtschaft-
licher Blüte zu gelangen. Planer gesprochen : durch die Nötigung,
die England seinen Kolonien auferlegte, alle gewerblichen Erzeug-
nisse im Mutterlande zu kaufen, kam es ganz von selbst, daß
die Handels- (und damit natürlich auch die Zahlungs-) Bilanz
der Kolonien stets passiv war. Ihr Wirtschaftskörper hätte
sich verbluten müssen, wenn nicht von außen ein beständiger
Blutstrom in Gestalt von Edelmetall ihm zugeflossen wäre. Diesen
Blutstrom aber leitete das „Judenkommerz“ aus den süd- und
mittelamerikanischen Ländern in die englischen Kolonien Nord-
amerikas hinein. Dank ihren engen Beziehungen, die die nach
Nordamerika gewanderten Juden mit den westindischen Inseln
und Brasilien unterhielten, entfalteten sie einen regen Handels-
verkehr mit jenen Gebieten, der im wesentlichen aktiv für die
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nordamerikaoischen Kolonien war und deshalb unausgesetzt die
in jenen Ländern selbst gewonnenen oder unmittelbar aus der
Nachbarschaft reichlich in sie hineinströmenden Edelmetalle (seit
Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem auch das brasilianische
Gold) in die Adern der nordamerikanischen Volkswirtschaft über-
leitete 88 .
Kann man im Hinblick auf die eben berührten Tatbestände
mit einigem Recht sagen, daß die Vereinigten Staaten es den
Juden verdanken, wenn sie überhaupt da sind, so kann man mit
demselben Rechte behaupten, daß sie dank allein dem jüdischen
Einschlag so da sind wie sie da sind, das heißt eben amerikanisch.
Denn das, was wir Amerikanismus nennen, ist ja zu einem sehr
großen Teile nichts anderes als geronnener Judengeist.
Woher aber stammt diese starke Tränkung der amerika-
nischen Kultur mit dem spezifisch jüdischen Geiste?
Wie mir scheint: aus der frühen und ganz allgemeinen
Durchsetzung der Kolonistenbevölkerung mit jüdischen Ele-
menten.
So viel ich sehe, ist die Besiedlung Nordamerikas in den
meisten Fällen so vor sich gegangen: ein Trupp kernfester
Männer und Frauen — sage zwanzig Familien — zog in die
Wildnis hinein, um hier ihr Leben neu zu begründen. Unter
diesen zwanzig Familien waren neunzehn mit Pflug und Sense
ausgerüstet und gewillt, die Wälder zu roden, die Steppe abzu-
brennen und mit ihrer Hände Arbeit sich ihren Unterhalt durch
Bebauung des Landes zu verdienen. Die zwanzigste Familie
aber machte einen Laden auf, um rasch die Genossen auf dem
Wege des Handels, vielleicht sogar des Wanderhandels, mit den
notwendigsten Gebrauchsgegenständen, die der Boden nicht her-
vorbrachte, zu versehen. Diese zwanzigste F amili e kümmerte
sich dann auch sehr bald um den Vertrieb der von den neunzehn
anderen der Erde abgewonnenen Produkte. Sie war diejenige,
die am ehesten über Bargeld verfügte und deshalb in Notfällen
den anderen mit Darlehnen nützlich werden konnte. Sehr häufig
gliederte sich an den „Laden“, den sie offen hielt, eine Art von
Landleihbank an. Oft wohl auch eine Landverkaufsagentur und
ähnliche Gebilde. Der Bauer in Nordamerika wurde also durch
die Wirksamkeit unserer zwanzigsten Familie von vornherein
mit der Geld- und Kreditwirtschaft der alten Welt in Fühlung
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gebracht. Das ganze Produktionsverhältnis baute sich von vorn-
herein auf einer modernen Basis auf. Das städtische Wesen
drang gleich in die entlegenen Dörfer siegreich vor. Die Durch-
tränkung der amerikanischen Volkswirtschaft mit kapitalistischer
Organisation und kapitalistischem Geiste nahm, möchte man
sagen, vom ersten Tage der Siedlung an ihren Anfang. Denn
jene ersten Zellen kommerzialistischen Wesens wuchsen sich
alsobald zu alles umspannenden Organisationen aus. Und von wem
ist — soweit wie persönliche Faktoren hier den Ausschlag gaben
und nicht etwa die bloße Sachlage die neuen Entwicklungsreihen
erzeugte — von wem ist diese „Neue Welt“ kapitalistischen
Gepräges erbaut worden? Von der zwanzigsten Familie in
jedem Dorf.
Nicht nötig zu sagen, daß diese zwanzigste Familie jedesmal
die jüdische Familie war, die sich einem Siedlertrupp anschloß
oder ihn bald nach seiner Niederlassung aufsuchte.
Diese Zusammenhänge sehe ich einstweilen so allgemein
nur mit meinem geistigen Auge, indem ich die Fälle, in denen
sie nachzuweisen sind, zu einem Gesamtbilde zusammenfüge.
Die nach mir kommenden Forscher werden unter dem von mir
hervorgekehrten Gesichtspunkte die Wirtschaftsgeschichte der
Vereinigten Staaten zu schreiben haben. Das, was mir an Be-
legen untergelaufen ist, darf einstweilen nur als die ersten
Elemente einer späteren ausführlichen Darstellung angesehen
werden. Immerhin lassen die Gleichförmigkeit und Natürlichkeit
der Entwicklung mit einiger Sicherheit vermuten, daß es sich
dabei nicht um vereinzelte Fälle, sondern um typische Er-
scheinungen handelt.
Was ich von der Einwirkung der Juden auf den Gang des
amerikanischen Wirtschaftslebens behaupte, hat ein anderer ein-
mal so ausgedrückt : „he (the Jew) has been the leading financier
of thousand prosperous communities. He has been enterprising
and aggressive“ 89 .
In beliebiger Reihenfolge mögen folgende Tatsachen als
Proben mitgeteilt werden.
In Alabama siedelte sich 1785 Abram Mordecai an. „He established
a trading-post two miles west of Line crcek, carrying on an extensive
trade with the Indians, and exchanging his goods for pinkroot, hickoxy,
nnt oil and peltries of all kinds 4 “ 90 .
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In Albany: „As early as 1661, when Albany was but a small trading
post, a Jewisb trade r, named Asser Levi (or Leevi) became tbe owner of
real estate tbere . .“ 91 .
Ein beliebtes Ziel wurde Chicago, seitdem dieses Eisenbahn- und
Handelsmittelpunkt zu werden beginnt Das erste Steinhaus wird dort
von dem Juden Ben. Schubert gebaut der darin das erste Schneidergesch&ft
in Chicago errichtet; Ph. Neuburg fuhrt als erster den Tabakhandel in
Chicago ein 98 .
In Kentucky begegnen wir schon in den ersten Jahren des 19. Jahr-
hunderts jüdischen Bewohnern. Ein Mr. Salomon, der 1808 einwandert»
wird 1816, als die Bank of the U. S. eine Filiale in Lasington errichtet
deren Kassierer 98 .
Gleich unter den ersten Ansiedlern von Maryland 94 , Michigan 96 ,
Ohio 98 , Pennsyl vanien 97 finden wir den jüdischen Händler, ohne
daß wir bisher Näheres über ihre Tätigkeit wüßten.
Ganz deutlich wiederum können wir ihre Wirksamkeit als Pioniere
kapitalistischen Wesens in Texas verfolgen. Hier entfalten Männer wie
Jac. de Cordova, Mor. Koppere, Henry Castro ihre folgenreiche Tätigkeit.
Cordova „was by far the most extensive land locator in the State
until 1856 tf . The Cordova’s Land Agency soon became well known, not
only in Texas, but in New York, Philadelphia, and Baltimore, where the
owners of large tracts of Texas lands resided.“ Mor. Koppere wird (1863)
Präsident der National Bank of Texas. Henry Castro betreibt das Geschäft
des Au8wandererunternebmers: „between the years 1843—46 C. introduced
into Texas over 5000 emigrants . . . transporting them in 27 ships, chiefly from
the Rhenish provinces.“ Dann nach ihrer Ankunft versieht er die Kolonisten
mit den notwendigen Gerätschaften, Saatgetreide usw. : „he fed his colonists
for a year, furnished them with cows, farming implements, seeds, medecine
and in fact whatever they needed“ 98 .
Über eine ganze Reibe von Staaten verbreiten sich andere jüdische
Familien, die dann durch ihren Zusammenhang noch wirksamer arbeiten
können. Besonders charakteristisch für die Entfaltung der jüdischen
Tätigkeit ist wohl die Geschichte der Familie Seligman, von der
acht Brüder (die Söhne des David Seligman aus Bayersdorf) ein Geschäft
begründen, das sich schließlich über die Hauptplätze der
Staaten ausdehnte. Sie ist in Kürze diese: 1837 wandert
nach den Vereinigten Staaten aus. 1839 folgen zwei Brüder, 1841 folgt der
dritte. Diese gründen ein kleines Kleidergeschäft in Lancaster. Von dort
gehen sie nach Selma Ala und von dort eröffnen sie Filialen in drei
amerikanischen Orten. 1848 wandern sie mit noch zwei Brüdern nach dem
Norden. 1850 gründet Jesse ein Ladengeschäft in S. Francisco: in dem
einzigen dort vorhandenen Backsteinbau. 1857 wird dem Kleidergeschäft
ein Bankgeschäft angegliedert. 18ö2 begründen sie die Firma S. in
New York, S. Francisco, London, Paris, Frankfurt a. M. (Sie tun sich
nunmehr besonders bei der Geldbeschatfung zur Zeit des Bürgerkrieges
hervor) 99 .
Vereinigen
Joseph S.
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Auch in den Südstaaten der Union spielt der Jade zum Teil eine
ähnliche Bolle, wie in den anderen Staaten : die des Händlers unter acker-
bauenden Kolonisten 100 . Daneben freilich finden wir ihn hier auch früh-
zeitig schon (ähnlich wie in Mittel- und Südamerika) als reichen Plantagen-
besitzer. In Süd-Carolina beispielsweise ist „Jews Land tt synonym mit
großen Plantagen 101 . Hier hat unter anderen Moses Lindo seine Tätig-
keit entfaltet als Hauptförderer der Indigogewinnung (wovon schon die
Rede war).
Eine wertvolle Unterstützung findet die genetische Methode
der Betrachtung im vorliegenden Falle doch auch wiederum
durch die Beobachtung, daß während der ganzen Entstehungszeit
der Vereinigten Staaten der Zustrom der Juden stark und stetig
gewesen ist. Freilich haben wir, um dies zu erweisen, für die
frühere Zeit keine Ziffern zur Verfügung, die unmittelbar den
zahlenmäßigen Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung oder
an der Einwanderungsmenge zum Ausdruck brächten. Wir
können doch aber aus einer ganzen Menge von Anzeichen mit
einiger Sicherheit schließen, daß immer viele Juden nach Amerika
ausgewandert sind.
Um ihre (quantitative) Bedeutung zu ermessen, muß man
auch die in den früheren Jahren außerordentlich dünne Be-
siedlung des Landes in Berücksichtigung ziehen. Wenn wir
beispielsweise erfahren, daß Neu-Amsterdam Mitte des 17. Jahr-
hunderts noch weniger als 1000 Einwohner hatte loa , dann werden
wir die paar Schiffsladungen Juden, die damals aus Brasilien
nach dort übersiedelten, schon recht hoch veranschlagen in ihrer
Wirkung auf das gesamte Wirtschaftsleben der Gegend 108 ,
ebenso wie wir es als eine starke Durchsetzung mit jüdischen
Elementen ansehen werden, wenn in den allerersten Jahren der
Besiedlung Georgias dort ein Schiff mit 40 Juden landet, und
wenn in Savannah, einer kleinen Handelszentrale, im Jahre 1733,
als die Salzburger dort eintreffen, 12 jüdische Familien in der
Kolonie ansässig waren 104 .
Wie beliebt die Vereinigten Staaten als Wanderziel der
deutschen (und polnischen) Juden frühzeitig wurden, ist im all-
gemeinen bekannt und wird uns durch Berichte aus den Ab-
wanderungsgebieten bestätigt. „Unter den ärmeren jüdischen
Familien Posens fand sich im zweiten Viertel des 19. Jahr-
hunderts nur selten eine, die nicht einen ihrer Söhne, und
zwar gewöhnlich den tüchtigsten und anschlägigsten der Enge
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48
und dem Drucke der Heimat über den Ozean hatte entweichen
sehen“ 10 *.
Sodafi uns die enorme Ziffer der jüdischen Soldaten, die im
Bürgerkriege gedient haben : 7248 10Ä , nicht überrascht und wir
geneigt sind, die Schätzung der Zahl der Juden, die Mitte des
19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten gelebt haben sollen:
200000 (davon 80000 zu NewYork) 107 , eher für zu niedrig zu
halten.
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49
Fünftes Kapitel
Die Begrflndnng des modernen Staates
Die Ausbüdung der modernen Kolonialwirtschaft und die
Entstehung des modernen Staates sind zwei einander bedingende
Erscheinungen. Beide sind, die eine ohne die andere nicht denk-
bar und wiederum von beiden gleichmäßig abhängig ist die
Genesis des modernen Kapitalismus. Wenn wir also die Be-
deutung irgend eines geschichtlichen Faktors für dessen Werde-
gang abschätzen wollen, so müssen wir nachprüfen: ob und
gegebenenfalls in welchem Umfange er Einfluß gehabt hat auf
die beiden genannten Phänomene. Ich frage deshalb hier nach
dem Anteü der Juden an der Herausbildung des modernen
Staates.
Auf den ersten Blick gewinnt es den Anschein, als ob die
Juden an allem anderen, nur nicht an der Entstehung des Staates
Anteil hätten: sie — das im innersten Wesen „unstaatliche“ Volk.
Denn keiner der großen Staatsmänner, an deren Namen wir zu-
erst denken, wenn wir für die Ausbüdung des modernen Staates
bedeutende Menschen verantwortlich machen wollen, ist Jude:
nicht Karl V., nicht Ludwig XI., nicht Richelieu, nicht Mazarin,
nicht Colbert, nicht Cromwell, nicht Friedrich Wilhelm I. oder
Friedrich H. von Preußen.
Freilich möchte unser Urteü wohl wesentlich anders lauten,
wenn wir bedenken, daß die Grundzüge des modernen Staates
schon während der späteren Jahrhunderte des „Mittelalters“ in
Italien und namentlich in Spanien ausgebildet worden sind, und
daß hier jüdische Staatsmänner in leitender Stellung zahlreich nach-
gewiesen werden können. Es ist bedauerlich, daß die Geschichte
eds modernen Staates (soviel mir bekannt) noch niemals unter
Sombart, Ule Jaden 4
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50
diesem Gesichtspunkt geschrieben worden ist: ich glaube, daß
man ganz neue Seiten dem Stoffe abgewinnen konnte. Aber
zwischen den Werken, die die Geschichte der Juden in Spanien
und Portugal behandeln, wie etwa Lindo, de los Rios, Kayser-
ling, Mendes dos Remedios und denen, die dem Ursprung des
modernen Staates in Spanien und Portugal nachgehen, wie
etwa Ranke oder Baumgarten, besteht nicht der geringste Zu-
sammenhang.
Aber wenn wir auch unter den Regierenden des modernen
Staats keine Juden finden, so können wir uns diese Regierenden,
können wir uns den modernen Fürsten nicht gut ohne den Juden
denken. (Etwa wie Faust nicht ohne Mephistopheles.) Arm in
Arm schreiten die beiden in den Jahrhunderten, die wir die Neu-
zeit nennen, einher. Ich möchte geradezu in dieser Vereinigung
von Fürst und Jud* eine Symbolisierung des aufstrebenden
Kapitalismus und damit des modernen Staates erblicken. Rein
äußerlich sehen wir in den meisten Ländern die Fürsten als die
Beschützer der gehetzten Juden gegen Stände und Zünfte —
also gegen die vorkapitalistischen Mächte auftreten. Und inner-
lich laufen ihre Interessen, laufen ihre Gesinnungen zu einem
guten Teile nebeneinander und ineinander. Der Jude verkörpert
den modernen Kapitalismus und der Fürst verbindet sich mit
dieser Macht, um seine Stellung zu erobern oder zu erhalten.
Planer gesprochen: Wenn ich von einem Anteil der Juden an
der Begründung des modernen Staates spreche, so denke ich
nicht sowohl an ihre unmittelbare Wirksamkeit als staats-
männische Organisatoren, als vielmehr an eine mehr indirekte
Mitwirkung an dem großen staatsbildenden Prozesse der letzten
Jahrhunderte. Ich denke daran, daß sie es vor allem waren, die
dem werdenden Staate die materiellen Mittel zur Verfügung
stellten, mit deren Hilfe er sich erhalten und weiter entwickeln
konnte, daß sie auf zwiefache Weise das Fundamentum stützten,
auf dem alles moderne Staatswesen ruht: die Armee. Auf
zwiefache Weise: durch deren Versorgung mit Waffen, Monturen
und Lebensmitteln im Kriege und durch Beschaffung der not-
wendigen Geldbeträge, die natürlich nicht nur (wenn auch vor-
wiegend in frühkapitalistischer Zeit) für Heereszwecke, sondern
auch zur Deckung des übrigen Hof- und Staatsbedarfs Ver-
wendung fanden. Mit anderen Worten : ich erblicke in den Juden
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namentlich während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts die ein-
flußreichsten Heereslieferanten und die leistungsfähigsten Geld-
geber der Fürsten und glaube diesem Umstande eine überragende
Bedeutung für den Entwicklungsgang des modernen Staates zu-
messen zu sollen. Dafür wird es keiner besonderen Begründung
bedürfen. Worauf es nur wieder ankommt, ist dies: den
quellenmäßigen Nachweis für die Richtigkeit des behaupteten
Tatbestandes zu erbringen. Das soll im folgenden versucht
werden: abermals mit all* den Vorbehalten, die ich schon bei
den vorhergehenden Abschnitten glaubte machen zu sollen: ins-
besondere mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß die wenigen
Belege, die ich für die jetzt in Rede stehende Behauptung er-
bringe, selbstverständlich nur den Anfang einer gründlichen und
•erschöpfenden Behandlung des Problems bilden sollen, und nicht
den geringsten Anspruch erheben, vollständig zu sein. Wieder-
um ist hier eine Stelle, von wo aus Dutzende von Spezialunter-
suchungen in Zukunft ihren Ausgangspunkt nehmen möchten.
L Die Juden als Lieferanten
Ich will nicht auf die Zeit vor 1492 zurückgreifen, weil sie
aus dem Kreise dieser Betrachtungen im wesentlichen aus-
geschieden werden soll (und für uns nur als Vorgeschichte in
ihrer ursächlichen Bedeutung für spätere Vorgänge in Betracht
kommt). Sonst ließen sich für die Wirksamkeit der Juden als
Heereslieferanten in Spanien und anderswo zahlreiche Zeugnisse
anführen.
Wir verfolgen sie aber gleich in ihrem neuen Wirkungs-
kreise und begegnen ihnen hier zunächst in England während
des 17. und 18. Jahrhunderts in der gedachten Eigenschaft.
Während des Commonwealth ist der bei weitem bedeutendste
Heereslieferant Ant, Fern. Carvajal, „the great Jew“, der zwischen
1680 und 16^5 in London einwandert und sich bald zu einem
der leitenden Kaufleute des Landes aufschwingt. Im Jahre 1649
gehört er zu den fünf Londoner Kaufleuten, denen der Staatsrat
die Getreidelieferung für das Heer überträgt 108 . Er soll jährlich
für 100000 j£ Silber nach England gebracht haben. In der
darauffolgenden Periode, namentlich in den Kriegen Wilhelms HL,
tritt als „the great contractor“ vor allem Sir Solomon Medina,
4*
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52
„the Jew Medina“, hervor, der daraufhin in den Adelstand er»
hoben wird: er ist der erste (ungetaufte) adlige Jude in Eng-
land 109 .
Und ebenso sind es Juden, die auf der feindlichen Seite im
spanischen Erbfolgekriege die Heere mit dem Nötigen versorgen :
„Und bedient sich Frankreich jederzeit ihrer HQlffe, bey Krieges-
Zeiten seine Reuterey beritten zu machen“ no . 1716 berufen sich
die Straßburger Juden auf die Dienste, die sie der Armee
Ludwigs XIV. durch Nachrichten und Proviant geleistet haben m .
Jacob Worms hieß der Hauptkriegslieferant Ludwigs XIV. 112 . Im
18. Jahrhundert treten sie dann in dieser Eigenschaft in Frank-
reich immer mehr hervor. Im Jahre 1727 lassen die Juden von
Metz innerhalb von sechs Wochen 2000 Pferde zum Verzehr und
mehr als 5000 als Remonte in die Stadt kommen 118 . Der
Marschall Moritz von Sachsen, der Sieger bei Fontenoy, Äußerte r
daß seine Armeen niemals besser verproviantiert gewesen seien,
als wenn er sich an die Juden gewandt hätte 114 . Eine als.
Lieferant hervorragende Persönlichkeit zur Zeit der beiden letzten
Ludwige war Cerf Beer, von dem es in seinem Naturalisations-
patent heißt: „que la deraiere guerre ainsi que la disette, qui
s’est fait sentir en Alsace pendant les annöes 1770 et 1771
lui ont donnö Poccasion de donner des preuves de zele dont
il est anime pour notre Service et celui de PEtat“ 115 . Ern
Welthaus ersten Ranges im 18. Jahrhundert sind die Gradis
von Bordeaux: der Abraham Gradis errichtete in Quebec große-
Magazine, um die in Amerika fechtenden französischen Truppen,
zu versorgen 11 ®. Eine hervorragende Rolle spielen die Juden in
Frankreich als Fournisseure unter der Revolution, während dea
Direktoriums und auch in den napoleonischen Kriegen 117 . Ein
hübscher Beleg für ihre überragende Bedeutung ist das Plakat,
das 1795 in den Straßen von Paris angeschlagen wurde, als dieses
von einer Hungersnot bedroht war, und in dem die Juden auf-
gefordert werden, sich für die ihnen von der Revolution ver-
liehenen Rechte dadurch erkenntlich zu erweisen, daß sie Ge-
treide in die Stadt kommen ließen. „Eux seuls“, meint der Ver-
fasser des Plakats, „peuvent mener cette entreprise 4 bonne fin,
vu leurs nombreuses relations, dont ils doivent faire profiter
leurs concitoyens“ lld .
Ein ähnliches Bild: wie im Jahre 1720 der Hofjude Jonaa
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Meyer durch Herbeischaffung großer Mengen von Getreide (der
Chronist spricht von 40 000 Scheffeln) Dresden vor einer Hungers-
not bewahrte I10 .
Auch in Deutschland finden wir die Juden frühzeitig und oft
ausschließlich in den Stellungen der Heereslieferanten. Im
16. Jahrhundert ist da der Isaak Meyer, dem Kardinal Albrecht
bei seiner Aufnahme zu Halberstadt 1537 mit Rücksicht auf die
bedrohlichen Zeitläufte die Bedingung stellt „unser Stift mit
gutem Geschütz, Harnisch, Rüstung zu versorgen tt ; und der Josef
von Rosheim, der 1548 einen kaiserlichen Schutzbrief empfängt,
weil er dem Künig in Frankreich Geld und Proviant für das
Kriegsvolk verschafft hatte. Im Jahre 1546 begegnen wir
böhmischen Juden, die Decken und Mäntel an das Kriegsheer
liefern 120 . Im 17. Jahrhundert (1633) wird dem böhmischen
Juden Lazarus bezeugt, daß er „Kundschaften und Avisen, daran
der Kaiserlichen Armada viel gelegen, einholte oder auf seine
Kosten einholen ließ, und sich stets bemühte, allerlei Kleidung
und Munitionsnotdurft der Kaiserlichen Armada zuzuführen“ 121 .
Der große Kurfürst bediente sich der Leimann Gompertz und
Salomon Elias „bei seinen kriegerischen Operationen mit großem
Nutzen, da sie für die Notwendigkeiten der Armeen mit vielen
Lieferungen an Geschütz, Gewehr, Pulver, Mondierungsstücken
etc. zu tun hatten“ 129 . Samuel Julius: Kaiserl. Königl.
(Remonte-)Pferde-Lieferant unter Kurfürst Friedrich August von
Sachsen; die Familie Model: Hof- und Kriegslieferanten im
Fürstentum Ansbach (17., 18. Jahrhundert) 128 . „Dannenhero
sind alle Commissarii Juden, und alle Juden sind Commissarii“
sagt apodiktisch Moscherosch in den Gesichten Philanders von
Sitte wald 194 .
Die ersten reichen Juden, die unter Kaiser Leopold nach der
Austreibung (1670) wieder in Wien wohnen durften: die Oppen-
heimer, Wertheimer, Mayer Herschel usw. waren alle auch
Armeelief eranten 125 . Zahlreiche Belege für die auch im 18. Jahr-
hundert fortgesetzte Tätigkeit als Armeelieferanten besitzen wir
für alle österreichischen Lande 126 .
Endlich sei noch der jüdischen Lieferanten Erwähnung getan,
die während des Revolutionskrieges (ebenso wie später während
des Bürgerkriegs) die amerikanischen Truppen verprovian-
tierten 197 .
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H. Die Jaden als Finanzmänner
Auf diese Tätigkeit der Juden haben die Historiker schon
früher ihr Augenmerk gerichtet und wir sind daher über die
Bolle, die die Juden zu allen Zeiten der europäischen Geschichte
als Finanzverwalter oder Geldgeber der Fürsten gespielt haben,
verhältnismäßig gut unterrichtet. Ich kann mich deshalb hier
kürzer fassen und mich mit einigen Hinweisen auf bekannte Tat-
sachen begnügen.
Schon während des Mittelalters finden wir die Juden aller-
orts als Steuerpächter, Pächter der Salinen und Domänen, als
Schatzmeister und Geldgeber: am häufigsten natürlich auf der
Pyrenäenhalbinsel, wo die Almoxarife und die Rendelros mit
Vorliebe aus der Reihe der reichen Juden genommen wurden.
Da jedoch diese Zeit hier nicht besonders behandelt werden soll,
so verzichte ich auf die Nennung einzelner Namen und verweise
im übrigen auf die umfassende General- und Spezialliteratur 128 .
Aber gerade erst in der neueren Zeit, als der moderne Staat
gebildet wird, wird die Wirksamkeit der Juden als finanzielle
Beiräte der Fürsten von eingreifender Kraft.
In Holland gelangen sie rasch in leitende Stellungen (ob-
wohl auch hier offiziell von der Beamtenlaufbahn ausgeschlossen).
Wir erinnern uns des Günstlings Wilhelms HI. Moses Machado,
der Gesandtenfamilie der Belmonte (Herren van Schoonenberg),
des reichen Suasso, der Wilhelm im Jahre 1688 2 Millionen
Gulden leiht und anderer 122 .
Die Bedeutung der holländisch-jüdischen Hochfinanz reichte
aber weit über die Grenzen Hollands hinaus, weil Holland
während des 17. und 18. Jahrhunderts das Reservoir war, aus
dem alle geldbedürfenden Fürsten Europas schöpften. Männer
wie die Pintos, Delmontes, Bueno de Mesquita, Francis Meis
und andere darf man geradezu als die leitenden Finanzleute des
nördlichen Europa in jener Zeit betrachten 180 .
Dann aber werden vor allem die englischen Finanzen
während des 1 7. und 1 8. Jahrhunderts sehr stark von den Juden
beherrscht. Jn England 181 hatten die Geldbedürfnisse des
Langen Parlaments den ersten Anstoß gegeben, reiche Juden in
das Land zu ziehen. Längst ehe ihre Zulassung durch Cromwell
sanktioniert wurde, wanderten reiche Kryptojuden vor allem aus
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Spanien und Portugal meist über Amsterdam ein — das Jahr
1643 brachte einen besonders reichen Zustrom — und fanden
ihren Mittelpunkt im Hause des portugiesischen Gesandten zu
London, Antonio de Souza, der selbst ein Marranos ist. Unter
ihnen ragte der uns schon bekannte Antonio Femandez Carvajal
hervor, der als Geldgeber ebenso bedeutend war, wie als Liefe-
rant : er war recht eigentlich der Finanzmann des Commonwealth.
Eine neue Stärkung erfährt die reiche englische Judenschaft
unter den jüngeren Stuarts, vor allem Karl H. Dieser führte be-
kanntlich die Katharina von Braganza als Gemahlin heim und in
ihrem Gefolge finden wir eine ganze Reihe jüdischer Hoch-
finanzier, unter ihnen die Gebrüder da Sylva, jüdisch-portugie-
sische Bankiers aus Amsterdam, denen die Verwaltung bezugs-
weise die Überführung der Mitgift Katharinas übertragen worden
war. Aus Spanien und Portugal kommen um diese Zeit noch
die Mendes und die Da Costa nach England, und vereinigen hier
ihre Häuser als Mendes da Costa.
„The chief men of the new immigration were wealthy Portugues
Marranos. Some of them came to London to assit Daarte da Sylva in
the administration of the Queens dowry. This must have been a very profi-
table bnsinesa and the Marranos seem to have formed a syndicate to keep
it to themselves. The Kings drawfts and warrants were always running
ahead of the instelments of the dowry and considerable amounts of Capital
were required to discount them. The provision of this Capital was confined
to the Jews“ 18? .
Gleichzeitig aber beginnt auch die Einwanderung der asch-
kenazischen Juden , die zwar im groben Ganzen nicht auf dem
Reichtumsniveau stehen, wie die sephardischen Juden, unter
denen sich aber auch Kapitalmagnaten wie etwa Benjamin Levy
befinden.
Mit Wilhelm HI. kommt neuer Zuzug und die Bande
zwischen Hof (Regierung) und reichem Judentum werden noch
enger. Sir Solomon Medina, den wir ebenfalls schon kennen
gelernt haben, folgt dem Oranier nach England als sein Beistand
in Geldangelegenheiten und mit ihm kommen die Suasso, eine
andere Familie der Hochfinanz. Im Zeitalter der Königin Anna
ist der leitende Finanzmann Englands Menasseh Lopez.
Als der Südseeschwindel über England hereinbricht, sehen
wir die Judenschaft schon als die größte Finanzmacht im Lande
stehen: sie halten sich von der wilden Spekulation 'fern und
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retten ihre großen Vermögen. So sind sie in der Lage, von der
Anleihe, die die Regierung auf die Landtax aufnimmt , ein
ganzes Viertel zu übernehmen. Das Haus, das in diesen
kritischen Zeiten die Führung hat, sind die Gideon, vertreten
durch Sampson Gideon (1699- 1762), dem „trusted adviser of the
Government“, dem Freunde Walpoles, dem „Pillar of the State
credit“. Er ist es auch, der im Jahre 1745, in sehr kritischer
Zeit , eine Anleihe von 1 700 000 £ aufbringt Nach dem Tode
Sampson Gideons wird die Firma Francis and Joseph Salvador
die leitende Finanzmacht Englands, bis dann im Anfang des
19. Jahrhunderts die Rothschild auch hier die Führung über-
nehmen.
Um die Bedeutung der Juden als Finanzleute in Frank-
reich zu erweisen, genügt es, an die einflußreiche Stellung zu
erinnern, die Samuel Beraard während der späteren Zeiten
Ludwigs XIV. und während der Regierung Ludwigs XV. ein-
nimmt. Wir sehen Ludwig XIV. mit diesem Geldmanne, „dont
tout le merite est d’avoir soutenu l’Etat comme la corde tient
le pendu“, wie ein etwas galliger Beurteiler meint 188 , in seinen
Gärten spazieren. Wir finden ihn als den Geldgeber im
spanischen Erbfolgekriege, als den Unterstützer des französischen
Kionprätendenten in Polen, als den finanziellen Beirat des
Regenten wieder. Sodaß es kaum übertrieben gewesen sein wird,
wenn ihn der Marquis de Dangeau in einem Briefe „gegenwärtig
den größten Bankier Europas“ nennt 184 . Auch in Frankreich sind
übrigens die Juden stark beteiligt an der Sanierung der Com-
pagnie des Indes nach den Schrecknissen des Südseeschwindels 185 .
Ihre führende Rolle auf dem Geldmärkte und als Großfinanzer
beginnen sie in Frankreich aber wohl doch erst im 19. Jahr-
hundert zu spielen, als die Rothschild, die Helphen, die Fould,
die Cerfberr, die Dupont, die Goudchaux, die Dalmbert, die
Pereire u. a. ihre Geschäfte betrieben. Sehr leicht möglich ist
es freilich, daß (außer den schon genannten Namen) doch auch im
17. und 18. Jahrhundert noch mehr jüdische Finanzmänner in
Frankreich ihre Wirksamkeit entfaltet haben, die bei der strengen
Ausschließung der Juden sich als Kryptojuden den Nachforschungen
entziehen.
In Deutschland und Österreich ist es wieder leichter,
ihrem Treiben auf die Spur zu kommen, weil hier — auch wenn
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die Juden von Rechts wegen in einem Lande sich nicht aufhalten
durften — durch die sinnreiche Einrichtung der „Hofjuden“
immer einige privilegierte Juden von den Fürsten zu ihrer Ver-
fügung gehalten wurden.
Nach Graetz sollen diese „Hofluden“ eine „Erfindung“ der
deutschen Kaiser während des Dreißigjährigen Krieges gewesen
sein. „Der Wiener Hof“, meint der genannte Autor, „erfand auch
ein anderes Mittel, die Finanzquelle der Juden für den Krieg
ergiebig zu machen. Er ernannte jüdische Kapitalisten zu Hof-
juden, räumte ihnen die ausgedehnteste Handelsfreiheit ein, be-
freite sie von den Beschränkungen, denen andere Juden unter-
worfen waren usw.“ 188 . Wie dem auch sei: Tatsache ist, daß
während des 17. und 18. Jahrhunderts kaum ein deutscher Staat
namhaft zu machen ist, der nicht einen oder mehrere Hofluden
hielt, von deren Unterstützung im wesentlichen die Finanzen
des Landes abhängig waren.
So finden wir am kaiserlichen Hofe während des 17. Jahr-
hunderts 187 Josef Pinkherle von Görz, Moses und Jacob Marburger
von Gradisca, Ventura Parente von Triest, Jacob Bassewi
Batscheba Schmieles in Prag (den Ferdinand wegen seiner
Dienste unter dem Namen von Treuenburg in den Adelstand
erhob). Wir begegnen unter Leopold I. dem angesehenen Hause
Oppenheimer, von dem der Staatskanzler Ludewig aussagte 138 :
„Anno 1690 illustre Oppenhemii Judaei nomen floruit inter
mercatores et trapezitas non Europae tan tum, verum cultioris
orbis universi,“ nachdem er eben über die Wiener Juden ge-
äußert hat: „praesertim Viennae ab opera et fide judaeorum res
saepius pendent maximi momenti“ : daß von ihnen die Ent-
scheidung in allerwichtigsten Dingen abhänge. Nicht minder
berühmt war unter Kaiser Leopold I. der Judenrichter und Hof-
faktor Wolf Schlesinger, der zusammen mit Lewei Sinzheim dem
Staate mehrere große Anleihen verschafft. Maria Theresia be-
diente sich außer diesen noch der Wertheimer, Amsteiner, Es-
keles u. a. Mehr als ein Jahrhundert hindurch waren die Hof-
bankiers am Wiener Hof nur Juden 189 . Wie groß deren wirt-
schaftliche Macht und Einfluß in Wien war, erhellt aus der
Tatsache, daß sich die Hofkammer anläßlich eines Judenkrawalls
in Frankfurt a. M. veranlaßt sah, die Reichshofkanzlei im Inter-
esse des Kredits um ihre Intervention zum Schutze der Frank-
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furter Juden zu ersuchen, da diese mit ihren Wiener Glaubens-
genossen in Handelsbeziehungen Ständen 140 .
Nicht anders lagen die Dinge an den kleineren deutschen
Fürstenhöfen. „ Schon die verfeinerten Ansprüche der im Luxus
miteinander wetteifernden zahlreichen Hofhaltungen erforderten
bei den Schwierigkeiten des Verkehrs gewandte Agenten in den
großen Mittelpunkten des Handels. Solche hatten die Mecklen-
burger Herzöge in Hamburg, Bischof Joh. Philipp von Würzburg
in der Person Moses Eikhans um 1700 in Frankfurt a. M. Damit
war ihnen die Pforte eröffnet ; der betriebsame Mann, der Schmuck
für die Fürstin, Livreestoffe für den Oberstkämmerer, Delikatessen
für den Küchenmeister besorgte, war auch gern bereit, eine An- -
leihe zu negociieren 14 *. Solche „Agenten“, die ortsfernen Fürsten
die notwendigen Geldmittel beschaffen, gab es manche in den
großen Judenstädten Hamburg und Frankfurt a. M. Außer den
genannten erinnere ich an den 1711 in Hamburg gestorbenen
portugiesischen Jpden Daniel Abensur, der Ministerresident des
Königs von Polen in Hamburg war und der polnischen Krone
beträchtliche Summen lieh 142 . Andere dieser Agenten zogen
dann an den Hof des Darlehnsempfängers und wurden die
eigentlichen Hofjuden. In Chursachsen begegnen wir so (seitdem
1694 Friedrich August den Thron bestiegen hatte) dem Leffmann
Berentz aus Hannover, dem J. Meyer aus Hamburg, dem Berend
Lehmann aus Halberstadt (der das Geld für die polnische Königs-
wahl vorschießt) und vielen anderen Hofjuden 148 . In Hannover
wirkten die Behrend als Oberhoffaktoren und Kammeragenten 144 ;
im Fürstentum Ansbach die Model, die Fränkel, die Nathan u. a. ;
in Kurpfalz die Lernte Moyses und Michel May, denen 1719
eine Forderung des Kurfürsten an den Kaiser im Betrage von
2 V* Millionen Gulden zediert wird 145 ; und in der Markgrafschaft
Bayreuth die Baiersdorf 146 .
Bekannt in weiteren Kreisen sind ja dann auch die Hof-
juden der brandenburg- preußischen Fürsten: Lippold unter
Joachim n. ; Gomperz und Joost Liebmann unter Friedrich HI. (I) ;
Veit unter Friedrich Wilhelm I.; Ephraim, Moses Isaac, Daniel
Itzig unter Friedrich II.
Aber der bekannteste der deutschen Hofjuden, der recht
eigentlich als deren Grundbild gelten kann, ist der Süß-Oppen-
heimer am Hofe Karl Alexanders von Württemberg 147 .
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Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß gerade auch als
Finanzmänner namentlich während des 18. Jahrhunderts und
insbesondere in der Zeit der Befreiungskriege die Juden in den
Vereinigten Staaten eine große Rolle gespielt haben. Neben*
dem Haym Salomon 148 , den Minis und Cohen in Georgia 149 ,
und vielen anderen, die die Regierung mit Geld unterstützen,
ist hier vor allem Robert Morris zu nennen: der Finanzmann
der amerikanischen Revolution schlechthin 150 .
* *
*
Nun ereignet sich aber etwas Seltsames: während Jahr*
hunderte lang und wie wir sehen gerade während des für den
Aufbau des modernen Staates entscheidenden 17. und 18. Jahr-
hunderts die Juden persönlich dem Fürsten ihre Dienste leihen,
vollzieht sich langsam schon während jener Zeit, dann aber vor
allem während des letzten Jahrhunderts eine Neubildung in der
Gestaltung des öffentlichen Schuldenwesens, die den großen
Geldgeber mehr und mehr aus seiner beherrschenden Stellung
verdrängt und eine immer mehr und mehr wachsende Menge
von Gläubigem aller Vermögenslagen an seinen Platz treten
läßt. Durch die Entwicklung des modernen Anleihewesens, an
die ich natürlich denke, wird, wie man gesagt hat, der öffent-
liche Kredit „demokratisiert“ : der Hofjude wird ausgeschaltet.
Und nun sind es nicht zuletzt wiederum die Juden, die dieses
moderne Anleihewesen haben ausbilden helfen, sind sie es also,
die sich selbst als monopolistische Geldgeber überflüssig gemacht
und damit noch viel mehr bei der Begründung der großen Staaten
mitgeholfen haben.
Die Ausgestaltung des öffentlichen Kreditsystems bildet aber
nur einen Bestandteil einer viel größeren, allgemeinen Umbildung,
die unsere Volkswirtschaft erfahren hat und an der ich ebenfalls
ganz allgemein die Juden hervorragenden Anteil nehmen sehe.
Es empfiehlt sich deshalb, diese Umbildung in ihrer Ganzheit
zu betrachten und darzustellen.
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Sechstes Kapitel
Die Kommerzialisierung des WlrtschafUebens
Ich verstehe unter der Kommerzialisierung des Wirtschafts-
lebens (wie ich einstweilen ganz vage umschreiben will) die Auf-
lösung aller wirtschaftlichen Vorgänge in Handelsgeschäfte ; oder
doch ihre Beziehung auf Handelsgeschäfte; oder ihre Unter-
werfung unter Handelsgeschäfte und damit, wie man es nicht
ganz klar auszudrücken pflegt, unter die „Börse“ als dem
Zentralorgan alles hochkapitalistischen Handels.
Ich meine also, wie ersichtlich, den jedermann vertrauten
Prozeß, der sich heute seiner Vollendung naht und der die Er-
füllung des Kapitalismus bedeutet: den Prozeß der Verbörsianisie-
rung der Volkswirtschaft, wie man ihn unter Vergewaltigung der
deutschen Sprache nennen könnte. Aber auf den Namen kommt
es nicht so sehr an, als auf die Einsicht in die Wesenheit der
Erscheinung, die sich bei näherer Prüfung in drei — sowohl
historisch wie systematisch unterscheidbare — Bestandteile auf-
löst *.
Zunächst vollzieht sich ein Prozeß , den man die Ver-
sachlichung des Kredits (oder allgemeiner : der Forderungsrechte)
und ihre Objektivierung (Verkörperung) in „Wertpapieren“ nennen
mag. An ihn schließt sich der Vorgang, der unter dem Namen
der Mobilisierung oder wenn man ein deutsches Wort vorzieht:
* Ich bemerke, daß die Darstellung, die ich hier von den Ent-
wicklungstendenzen der (hoch-)kapitalistischen Volkswirtschaft gebe, nur
eine vorläufige und skizzenhafte ist (soweit sie für die Lösung der in
diesem Buche gestellten Sonderaufgabe unentbehrlich erscheint); daß ich
die ausführliche Erörterung aller hier nur kursorisch berührten Punkte in
der neuen Auflage meines „Mod. Kap. tt hoffe vornehmen zu können.
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der Vermarktung dieser Forderungsrechte und ihrer Träger be-
kannt ist. Beides aber findet seine Ergänzung in der Ausbildung
selbständiger Unternehmungen zum Zweck der Schaffung von
Forderungsrechten (Wertpapieren); also in deren Kreierung au»
Gewinnabsichten .
Die folgende Darstellung soll den Nachweis erbringen, daß
an allen diesen Vorgängen die Juden schöpferischen Anteil ge-
nommen haben, ja daß die in dieser Entwicklung zum Ausdruck
kommende Eigenart des modernen Wirtschaftslebens recht
eigentlich dem jüdischen Einflüsse ihre Entstehung verdankt.
I. Die Entstehung der Wertpapiere
Wenn die Juristen das wesentliche Merkmal des Wert-
papiers in seiner eigentümlichen Bedeutung für die Geltend-
machung des in ihm verbrieften Rechtes erblicken 161 : daß nämlich
dessen Ausübung oder Übertragung oder beide ohne den Besitz
der Urkunde rechtlich nicht statthat, so müssen wir vom wirt-
schaftswissenschaftlichen Standpunkt aus — ohne in einen Gegen-
satz zu der juristischen Auffassung zu treten, diese vielmehr in
ihrer Richtigkeit bestärkend — vor allem den Umstand betonen,,
daß in einem Wertpapier (wenn es die eigenartige und von allen
andern grundsätzlich zu unterscheidende Natur einer besonderen
Art von Urkunden in voller Reinheit aufweist) sich ein nicht
persönliches sondern „versachlichtes“ Schuld- (oder Forderungs-
oder auch im weiteren Sinne Kredit-) Verhältnis 168 „verkörpert“..
Die Entstehung der Wertpapiere ist somit der äußere Ausdruck
der Versachlichung der Kreditbeziehungen, die selbst wiederum
nur ein einzelnes Glied in der Kette von Versachlichungen bildet,,
dieser für alles hochkapitalistische Wesen mehr denn irgendein
anderer Vorgang kennzeichnenden Erscheinung. Eine „Ver-
sachlichung“ eines ursprünglich persönlichen Verhältnisses voll-
zieht sich überall dort, wo an Stelle des unmittelbaren Ein-
wirkens oder Zusammenwirkens lebendiger Menschen die Wirk-
samkeit eines von Menschen erst geschaffenen Systems von
Einrichtungen (Organisationen) tritt. (Die Parallelerscheinung
beobachten wir in der Technik, wo die Versachlichung darin be-
steht, daß die lebendige Menschenarbeit einem System lebloser
Körper übertragen wird: Maschinismus oder Chemismus.) Also
die Kriegführung „versachlicht“ sich, wenn nicht mehr die höchst-
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62
persönliche Initiative des Heerführers den Kampf entscheidet,
sondern die geschickte Befolgung aller im Laufe der Jahre auf-
gesammelten Erfahrungen und die Anwendung des kunstvollen
Systems der Strategie und Taktik, der Geschützestechnik und
der Verproviantierungsmethoden usw. Ein Detailhandelsgeschäft
wird versachlicht, wenn der einst allein die Leitung ausübende
Chef, der persönlich mit dem Personal und persönlich mit den
Kunden verkehrt, ersetzt wird durch ein Direktorium, dem ein
Stab von Zwischenleitem untersteht , unter denen wiederum
Tausende von Angestellten tätig sind : alle nur kraft des
Organisationsplanes, dem jeder einzelne unterworfen ist ; in dem
aber auch das einzelne Kaufgeschäft nicht mehr eine höchst-
persönliche Verständigung zwischen Käufer und Verkäufer ist,
sondern ein sich nach bestimmten festen Normen abspielender,
automatischer Vorgang. Der kollektive Arbeitsvertrag „ver-
sachlicht“ das Lohnverhältnis usw.
Solcherart Versachlichung erfahren nun auch die Kredit-
verhältnisse in einem bestimmten Stadium der kapitalistischen Ent-
wicklung (und diese Versachlichung des Kredits ist, wie ich sagte,
das charakteristische Merkmal der modernen Volkswirtschaft, nicht
etwa die Entstehung oder auch nur die stärkere Ausdehnung des
Kreditverhältnisses selbst, das in aller vor- und frühkapita-
listischen Zeit, wenigstens als konsumtiver Kredit, eine oft über-
ragende Bedeutung hat: Altertum I) Ganz allgemein gesprochen
wird ein Kreditverhältnis „versachlicht“, wenn es nicht mehr
aus der persönlichen Vereinbarung zwischen zwei bekannten
Personen entsteht, sondern durch ein System menschlicher Ein-
richtungen zwischen einander unbekannten Personen nach objek-
tivierten Normen und in schematisierten Formen zustande kommt.
Den Angelpunkt dieser Einrichtungen eben bilden die Wert-
papiere, in denen das Forderungs- und Schuldverhältnis zwischen
Unbekannt und Unbekannt „objektiviert“ ist, und durch deren
Besitz jederzeit ein neuer Gläubiger in das Kreditverhältnis ein-
treten kann. Ein unpersönliches Kreditverhältnis wird also durch
das Wertpapier begründet. Das lehrt eine genaue Analyse des
durch die bekannten Typen der Wertpapiere geschaffenen
Schuldnexus. Diese sind hauptsächlich: der girierte Wechsel,
die Aktie, die Banknote, die öffentlich-rechtliche und privat-
rechtliche „Obligation“.
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Der girierte Wechsel (im Gegensatz zum nichtgirierten
Wechsel) ebenso wie der Blankowechsel begründet das Forde-
rungsrecht eines beliebigen dem Schuldner (Trassaten) ebenso
wie dem ursprünglichen Gläubiger (Trassanten) ganz unbekannten
Dritten, mit dem den Schuldner niemals ein wirtschaftliches
Band sonst verknüpft zu haben braucht. Er wird nun ein all-
gemeines Zahlungsmittel. Das Indossament macht das persönliche
Erscheinen der Interessenten an bestimmten Ausgleichtagen
(Meßwechsel 1) unnötig 168 .
Die Aktie schafft dem beliebigen Besitzer ein Anteilsrecht
an dem Kapital und dem Profit einer ihm persönlich ganz
fremden Unternehmung. Die Beziehung einer Person zu einem
Geschäftsbetriebe wird losgelöst nicht nur von der persönlichen
Mitwirkung, sondern sogar von dem einer Person gehörigen
Sachvermögen: sie wird objektiviert in einer abstrakten Geld-
summe, die zu ganz verschiedenen Vermögenskomplexen gehören
kann.
Die Banknote schafft dem Inhaber ein Forderungsrecht
gegenüber der Bank, mit der er niemals ein Vertragsverhältnis
braucht eingegangen zu haben. Sein Anspruch besteht ohne
jede Beziehung etwa auf eine persönlich begründete Schuld-
tatsache (wie ein Depositum).
Die (Partial-)Obligation begründet ebenso ein Kredit-
verhältnis zwischen Unbekannt (dem Publikum, wie wir be-
zeichnend sagen) und einem Dritten: dieser sei ein öffentlicher
Körper oder eine Aktiengesellschaft oder eine Privatperson.
Der Staat oder die Gemeinde, die eine öffentliche Anleihe auf-
nehmen, kennen ihre Gläubiger ebensowenig wie die industrielle
Unternehmung, die Obligationen ausgibt oder der Landwirt, der
sich flüssige Mittel durch den Verkauf von Pfandbriefen ver-
schafft. Die Obligation weist sogar noch verschiedene Grade
der Versachlichung des Kreditverhältnisses auf: je nachdem der
Schuldner eine individuelle (und dadurch bekannte) Person ist
oder nicht. Man kann danach die (Partial)obligationen in In-
dividual- und Kollektivobligationen teilen. Bei jenen steht den
Gläubigem als Schuldner ein bestimmtes Unternehmen (oder
etwa ein bestimmter „Standesherr“) gegenüber; bei diesen eine
unbekannte Menge von Schuldnern. Das trifft, wie man weiß,
bei dem Pfandbrief Verhältnis zu, bei dem die gesamten (oder
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viele) Grundbesitzer eines Bezirks, von deren Existenz der
Pfandbriefinhaber vielleicht gar nichts weih, als Schuldner ver-
pflichtet sind.
Den Anteil der Juden an der Entstehung dieser Einrichtung
„quellenmäßig“ nachzuweisen, ist wohl eine Aufgabe, die nie restlos
wird gelöst werden können. Selbst dann nicht, wenn man sich
mehr mit der Stellung der Juden in früheren Wirtschaftsepochen
befaßt haben, selbst dann nicht, wenn man die bisher fast ganz
vernachlässigten und doch gerade für die hier erörterten Probleme
entscheidend wichtigen Partien der Wirtschaftsgeschichte, wie
namentlich die Geschichte des Geld- und Bankwesens auf der
Pyrenäenhalbinsel während der letzten Jahrhunderte des Mittel-
alters besser bearbeitet haben wird als bisher. Aus dem ein-
fachen Grunde, weil sich die Genesis wirtschaftlicher Organi-
sationen ebenso wenig wie die von Rechtsinstituten in ihren
letzten Gründen „quellenmäßig“ wird nachweisen lassen. Es
handelt sich ja dabei, wie die Haupt Vertreter der „quellen-
mäßigen“ Rechts- und Wirtschaftsgeschichte selbst oft genug
hervorheben, nicht um „Erfindungen“ oder „Entdeckungen“,
die von einem bestimmten Tage datieren, sondern um lang-
same, gleichsam organische Wachstumsprozesse, deren An-
fänge sich im Dunkel des Alltagslebens verlieren. Womit wir
uns benügen müssen, ist die Feststellung, daß in einer be-
stimmten Zeit die geschäftlichen Gepflogenheiten diesen oder
jenen Grundzug aufgewiesen haben, daß der wirtschaftliche Ver-
kehr (bildlich gesprochen) auf diesen oder jenen Ton abgestimmt
war. Diese Feststellung zu machen, reichen aber die oft genug
lächerlich geringen Quellenbelege ganz und gar nicht aus, und
deshalb wird man immer wieder zur Korrektur der „quellenmäßigen“
Erforschung eines Instituts die Schlüsse aus der allgemeinen
Wirtschafts- (oder Rechtslage , in der sich eine Zeit oder eine
bestimmte Bevölkerungsgruppe befand, heranziehen müssen.
Ich denke beispielsweise an die Geschichte des Wechsels;
die wird man ganz gewiß niemals aus den paar Wechseln aufbauen
können, die uns der Zufall aus dem Mittelalter überliefert hat.
Diese werden uns immer nur als wertvolle Bestätigungen oder
Berichtigungen allgemeiner Schlüsse dienen. Aber ohne diese
allgemeinen Schlüsse werden wir nicht viel einzusehen vermögen.
Gewiß haben diejenigen recht, die aus der Tatsache, daß der
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früher sog. „älteste“ Wechsel von dem Juden Simon Rubens
(1207) ausgestellt gewesen sein soll, nicht den Schluß zulassen
wollen: die Juden seien die „Erfinder“ des Wechsels 164 . Aber
ebensowenig ist es natürlich angängig, aus der anderen Tat-
sache, daß ältere Wechsel von Nichtjuden herrühren, darauf
schließen zu wollen: die Juden seien nicht „die Erfinder“ des
Wechsels. Was wissen wir, wieviel Tausend Wechsel in jener
Zeit von dieser oder jener Bevölkerungsgruppe, in Florenz oder
Brügge ausgestellt sind, von deren Dasein wir nichts erfahren?
Aber was wirsehr genau wissen, ist dieses: daß die Juden die
Träger des Geldverkehrs während des ganzen Mittelalters waren,
daß sie an den verschiedensten Plätzen Europas saßen und unter-
einander Beziehungen unterhielten. Und was wir daraus mit
einiger Sicherheit schließen können, ist dieses: daß „die Juden,
als einflußreiche Vermittler internationalen Handels, das im
Vulgarrecht der Mittelmeerländer traditionell überkommene Re-
mittierungsgeschäft in größerem Umfange verwendet und weiter
ausgebildet haben.“ 166 .
Daß, wenn man historische Erkenntnis solcher Art deduktiv
gewinnen will, äußerste Vorsicht geboten ist, braucht nicht erst
ausdrücklich hervorgehoben zu werden. Aber darum sollen wir
auf die Anwendung dieser Methode nicht verzichten. Und bei
einem Problem, wie dem hier behandelten, kommen wir ohne
sie überhaupt zu keinem Ergebnis. Freilich gibt es auch Fälle,
wie wir noch sehen werden, in denen sich der Anteil der Juden
an der Ausbildung einer wirtschaftlichen Einrichtung mit aller
nur wünschbaren „Quellenmäßigkeit“ nach weisen läßt. Aber
daneben bleibt doch eine Fülle von Erscheinungen übrig, die
sich in ihrer Genesis durch keinerlei quellenmäßige Belege auf-
hellen lassen. Bei ihnen müssen wir uns schon zufrieden geben,
wenn wir etwa den Nachweis erbringen können, daß Juden in
der Epoche und in dem Gebiete, wann und wo vermutlich die
Anfänge der neuen Gebilde zu suchen sind, eine hervorragende
Rolle im Geschäftsleben gespielt haben, oder daß Juden an der
Ausbildung eines bestimmten Wirtschafts- (oder Rechts-)instituts
ein ganz besonderes Interesse haben mußten. Vielleicht, daß
dann spätere Untersuchungen auch noch mehr „quellenmäßiges“
Beweismaterial zutage fördern, jetzt, nachdem der Blick für das
Problem geschärft ist. Was ich hier über die zur Anwendung
Sombart, Die Jaden 5
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66
gebrachte Methode sage, gilt allgemein, ganz besonders aber für
den kurzen geschichtlichen Oberblick, den ich im folgenden über
die Genesis der oben skizzierten Typen der neueren Wertpapiere
geben will.
1. Der indossdble Wechsel
Nicht die Entstehung des Wechels ist das, was uns hier
interessiert, sondern (wie man sagen könnte) die des modernen,
das heißt des versachlichten, weil girierten, Wechsels.
Man nimmt im allgemeinen an, daß das Wechselgiro vor
dem 17. Jahrhundert jedenfalls nicht zu voller Entwicklung ge-
langt und in Holland die trüheste unbedingte Anerkennung findet
(in der Amsterdamer Willkür vom 24. 1. 1651) 156 . Was aber
auf dem Gebiete des Geld- und Kreditwesens während des
17. Jahrhunderts in Holland sich vollzieht, ist, wie wir noch
genauer sehen werden, immer mehr oder weniger auf jüdischen
Einfluß zuruckzuf ühren. Goldschmidt verlegt die Anfänge der
Wechselgirata nach Venedig, wo sie jedenfalls in einem Gesetz
vom 14. 12. 1593 verboten wird (während die erste ihm be-
kannte Wechselgirata 1600 in einer neapolitanischen Urkunde
vorkommt) 16T . Die Entstehung der Zirkulationsfigur des Giro in
Venedig würde mit ziemlicher Sicherheit auf jüdischen Ursprung
schließen lassen, da wir wissen, daß im 16. Jahrhundert der
Wechsel verkehr dort vornehmlich in jüdischen Händen lag. In
der schon erwähnten Eingabe der christlichen Kaufleute Venedigs
an den Staat vom Jahre 1550 lautet die auf das Wechselgeschäft
der Juden bezugnehmende Stelle wörtlich wie folgt 158 :
„D medesimo comertio tegniamo con loro etiam in materia de cambii,
perch& ne rimettano continuamente i lor danari ; . . . vero mandano con-
tanti, acciochä geli cambiamo per Lion Fiandra et altre parti del Mondo
su questa piazza de Rialto o vero ge compriamo Panni de seda o altre
mercantie secondo il commodo loro, guadagnando le nostre solite pro-
visioni.“
„Qucsto che dicemo delii habbitanti in Fiorenza snccede anche per
li altri mercadanti di simil nation Spagnuola et Portngeza che abita in
Fiandra, Lion, Roma, Napoli, Sicilia et altri paesi quali se estendono a
negociar con noi, non solo in cambii ma in mandar qui mercantie de Fiandra,
formend di Sicilia per vender et comprar altre mercantie da condur in altri
paesi. u
Eine weitere Ausbildung scheint dann das Indossament auf
den Genueser Messen im 16. Jahrhundert erfahren zu haben.
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Hier finden wir wenigstens zuerst das „Giro-Aval“, wie man es
neuerdings genannt hat, das wir als einen Vorgänger des eigent-
lichen Wechselgiros zu betrachten haben.
Wer waren die „Genuesen“, denen wir im 16. Jahrhundert
an verschiedenen Orten, namentlich auf den berühmten Messen
zu Besan^on als den Herren des Gold- und Kreditmarktes be-
gegnen? Die mit einem Male einen „genialen Geschäftsgeist“
entfalten und Formen des internationalen Zahlungsverkehrs ent-
wickeln, die man bis dahin nicht gekannt hatte? Daß die alten
reichen Familien Genuas mit ihren großen Vermögen als die
Hauptgläubiger der spanischen Krone und der anderen geld-
bedürftigen Fürsten auftraten, wissen wir. Aber daß die Spröß-
linge der Grimaldi, der Spinola, der Lercara jenen „genialen
Geschäftsgeist“ entfaltet hätten, der dem Wirken der Genuesen
im 16. Jahrhundert sein Gepräge gab; daß sich die alten Adels-
geschlechter auf den Messen in Besangon oder sonstwo herum-
getrieben haben sollten oder auch nur mit seltsamer Betrieb-
samkeit ihre Faktoren dahingesandt haben sollten, erscheint mir
ohne Annahme eines besonderen äußeren Anstoßes wenig plausibel.
War hier neues Blut dem alternden Körper des genuesischen
Wirtschaftslebens durch Juden zugeführt worden? Wir wissen
jedenfalls, daß Flüchtlinge aus Spanien auch in Genua landen,
und daß ein Teil dieser jüdischen Emigranten zum Christentum
Übertritt; während ein anderer Teil in dem Städtchen Novi bei
Genua aufgenommen wird, und daß diese Juden von Novi auch
in der Hauptstadt verkehrten; wissen, daß diese Zuzügler
„meistens gewerbtätige, intelligente Juden, Kapitalisten, Ärzte“
waren und daß sie sich in Genua in der kurzen Spanne Zeit bis
1550 unliebsam genug gemacht hatten, um den Haß der Be-
völkerung zu erwecken. Wir wissen aber auch, daß zwischen
den Bankhäusern Genuas und den jüdischen (bezugsweise damals
schon marranischen) Bankhäusern der spanischen Städte, z. B. dem
führenden Bankhause Sevillas, denEspinosas, lebhafte Beziehungen
bestanden 160 .
Bisher ist, soviel ich sehe, die Frage, welche Rolle die Juden auf
den Genueser Messen gespielt haben, noch nicht aufgeworfen. Sie zu be-
antworten, wird auch deshalb ganz besonders schwierig sein, weil die in
Genua sich niederlassenden Juden ihre Abkunft auf das sorgfältigste
geheimhalten mußten, zumal nach der offiziellen Vertreibung im Jahre
1550. Sie werden voraussichtlich in den meisten Fällen auch ihre Namen
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gewechselt und, wie so oft in ähnlichen Lagen, ein ganz besonders strenge»
Scheinchristentum zur Schau getragen haben. Immerhin w&re es lohnend,
den Versuch zu machen, ihnen hier auf die Spur zu kommen. Es ist,
soviel ich sehe, der einzige Fall, in dem in nachmittelalterlicher Zeit ein
großer Geld- und Kreditverkehr sich abgespielt hat ohne nachweisliche
Beteiligung jüdischer (d. h. marranischer) Elemente. Vielleicht ist mir
dieser Nachweis auch nur entgangen, und er ist bereits geführt Dann
würde ich für eine Benachrichtigung dankbar sein.
2. Die Aktie
Will man von einer Aktie schon dort sprechen, wo ein
Kapital in mehrere Teile zerlegt ist, auf die sich die Haftung
der an der Unternehmung beteiligten Kapitalisten beschränkt,
so wird man in den genuesischen Maonen des 14. Jahrhunderts 161
in der Casa die S. Giorgio (1407) und in den groben Handels-
kompagnien des 17. Jahrhunderts schon Aktiengesellschaften er-
blicken. Legt man das entscheidende Gewicht auf die „Ver-
sachlichung 0 des Kapitalverhältnisses, so wird man die Anfänge
der Aktiengesellschaft und der Aktie nicht früher als in das
18. Jahrhundert verlegen. Alle früheren Kapitalvereinigungen
mit beschränkter Haftung bewahrten mehr oder weniger ihren
personalen Charakter. Ganz deutlich sind die italienischen Montes
stark mit persönlichem Geiste durchsetzt. Die Person des Maonesen
spielte eine nicht geringere Rolle als das Kapital. Bei der Banca
di S. Giorgio wird eifersüchtig darauf gehalten, daß der Anteil
bestimmter Familien an der Leitung der Bank gewahrt und ge-
hörig verteilt wird. Aber auch in den großen Handelskompagnien
des 17. Jahrhunderts ist die Versachlichung des Aktienrechtes
noch keine vollständige. In der englisch-ostindischen Kompagnie,
die erst seit 1612 einen joint stock, also ein Aktienkapital, hatte
(bis dahin hatte sie nur gleichsam einen Rahmen gebildet, inner-
halb dessen die einzelnen Mitglieder ihre Geschäfte selbständig
geführt hatten, nach Art der regulated Companies), setzt bis 1640
die Beteiligung an dem Fonds immer noch die Mitgliedschaft in
der Kompagnie voraus. Der Anteil konnte also immer nur an
ein Mitglied abgetreten werden. Erst 1650 wird Übertragung
an Fremde möglich, aber diese müssen Mitglieder werden.
Bei anderen Gesellschaften war die Übertragung der Aktie
(die ursprünglich immer auf ungleiche und ungerade Beträge
lautete, also auch von dieser Seite her ein individuelles Gepräge
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bewahrte) an die Genehmigung der Generalversammlung gebunden
oder stand der Kompagnie ein Vorkaufsrecht zu. Die Aktie ist
nur „Mitgliedschein“ (noch nicht „dispositive Urkunde“). Das
ganze 18. Jahrhundert über überwiegt noch die Namenaktie 162 - Und
wo auch die Aktie frei veräußerlich war (wie bei der Ostindischen
Kompagnie in Holland), konnte sie doch nur mittels eines un-
endlich kunstvollen und langwierigen Umschreibeverfahrens von
einer Person losgelöst und auf eine andere übertragen werden 168 .
Will man also der Entstehung der Aktie als eines modernen
Wertpapiers nachspüren, so muß man im 18. Jahrhundert, nicht
im 14. Jahrhundert Umschau halten. Und danach wäre auch
die Frage: welchen Anteil die Juden an der Herausbildung des
modernen Aktienverhältnisses haben, nur mit dem Nachweis zu
beantworten, daß sie während der letzten 150 bis 200 Jahre
auf die Versachlichung des ursprünglich noch stark persönlich
orientierten Aktienverhältnisses Einfluß ausgeübt haben. Einen
unmittelbaren Einfluß dieser Art vermag ich nicht nachzuweisen.
Indirekt aber haben sie wohl von zwei Seiten her nachhaltig
bei der Versachlichung auch der Aktie mitgewirkt: durch ihre
eigentümliche Stellung zur Spekulation und zum Inhaberpapier,
worüber weiter unten ausführlich zu handeln sein wird. Die
Spekulation drängte auf Versachlichung hin, die Verwandlung
der Namenaktien in Inhaberaktien bot eines der wirksamsten
Mittel dar, die Versachlichung durchzuführen: das sagt uns die
bloße Überlegung. Wir können sogar in einzelnen Fällen nach-
weisen, daß die Versachlichung des Aktienverhältnisses unmittel-
bar durch die Interessen der Spekulation gefördert worden ist.
So ist diese es offenbar gewesen, die die ursprünglich auf un-
gleiche und ungerade Beträge lautenden Aktien der holländisch-
ostindischen Kompagnie in den einförmigen 3000 fl.-Typ um-
gewandelt hat 164 .
3. Die Banknote
Wann die erste „Banknote“ das Licht der Welt erblickt hat,
ist noch immer strittig und wird es voraussichtlich noch lange
Zeit bleiben, nicht nur weil immer neues „Quellenmaterial“ zu-
tage gefördert wird, sondern vor allem auch deshalb, weil die
verschiedenen Schriftsteller je verschiedene Merkmale als wesent-
liche für das Vorhandensein einer Banknote ansehen.
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So erblicken die einen schon in den fedi di deposito (Gold-
schmidt), die anderen in den fedi di credito (Nasse), die dritten
in den englischen Goldsmith notes (Rogers), die vierten in den
Scheinen der Bank von England (Salvioni u. a.), die fünften
in den Anweisungen, die die Stockholmer Bank im Jahre 1661
zur Vermeidung des Kupfermünzentransports ausgab (Roscher),
die ersten Banknoten.
Hält man, wie ich es tue, auch hier wieder denjenigen
Moment der Entwicklung für den entscheidenden, in dem das
durch die Bankierscheine verbriefte Schuldverhftltnis „versach-
licht“ wurde, so wird man in dem Augenblick von einem neuen
Typus von Wertpapieren sprechen können, als ein Bankier zum
ersten Male ein auf den Inhaber lautendes schriftliches Zahlungs-
versprechen ohne Beziehung auf ein Bardepot ausstellte. Vorher
gab es auch schon Bankierscheine. Aber sie waren auf ein Gut-
haben ausgestellt und lauteten auf den Namen. Der Namens-
inhaber erschien in dem Zettel als Gläubiger der Bank: diese
hatte auf seine Anweisungen und Ordres hin die Bankscheine
zu honorieren oder als Zahlung anzunehmen. So beschreibt
besonders ausführlich die Scheine der römischen Bank zum
heiligen Geist Ansaldus in seinem Discursus generalis N. 166 ff 165 .
Da sehen wir noch deutlich die personale Verankerung des Bankier-
scheines, die auch noch z. B. in den Depositenscheinen mit der
Ordreklausel, wie sie 1422 in Palermo Vorkommen, und selbst
noch in den Bolognaer Depositenscheinen mit der Inhaberklausel
aus dem Jahre 1606 160 vorhanden zu sein scheint.
Wo und wann ist die Nabelschnur, mit der der Bankier-
schein mit dem Bankdepot zusammenhing, durchschnitten worden?
Nach dem, was uns bisher an „Quellenmaterial“ vorliegt, scheint
es mir das Wahrscheinlichste, daß dieser Geburtsakt des un-
persönlichen Bankierscheines in Venedig etwa im Anfang des
15. Jahrhunderts stattgefunden hat. Denn dort begegnen wir
um jene Zeit schriftlichen Zahlungsversprechen seitens der Banken,
die über das Bardepot hinaus gewährt wurden und auch schon
im Jahre 1421 einem Verbote des Senats, mit solchen Zahlungs-
versprechungen Handel zu treiben 16T . Waren die beiden Juden,
denen im Jahre 1400 als den ersten die Ermächtigung erteilt worden
sein soll, eine Bank „im eigentlichen Sinne“ zu begründen (deren
Erfolg dann so groß war, daß die Nobili sich beeilten, sie nach-
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zuahmen) 108 , die Väter dieser ersten unpersönlichen Bank-
scheine ?
Man wird vielleicht auch hier gar nicht eine einzelne Firma
als die Schöpferin der neuen Schuldform ansehen können. Man
wird auch hier eine Entstehung aus einem dazu gestimmten Milieu
heraus annehmen mössen. Aber vielleicht läßt sich doch ein
Gebiet wie das einer Stadt als Entstehungsherd abgrenzen. Und
es hat viel für sich, den dort anzunehmen, wo überhaupt das
Bankwesen seine erste vollkommenste Ausbildung erfahren hat.
Das aber ist nach dem, was wir heute wissen, Venedig. Und
Venedig — das ist das, was uns hier interessiert — war eine
rechte Judenstadt. Nach einem Verzeichnis vom Jahre 1152 soll
es damals in Venedig schon eine jüdische Kolonie von 1300 Seelen
gegeben haben 169 . Im 16. Jahrhundert (nach der „Vertreibung“ ?)
wird ihre Zahl in Venedig auf 6000 geschätzt; jüdische Fabrikanten
beschäftigen 4000 christliche Arbeiter 170 . Diese Ziffern haben
natürlich keinen „statistischen Wert“. Sie zeigen aber immerhin,
daß es eine beträchtliche Menge Juden in Venedig gab, von
deren Wirksamkeit uns nun andere charakteristische Zeugnisse
vorliegen. Im 15. Jahrhundert begegnen wir unter den führenden
Bankhäusern zahlreichen jüdischen (eins der größten waren die
Lipmans). Und 1550 erklärten ja, wie wir wissen, die christ-
lichen Kaufleute Venedigs: sie könnten gleich mit auswandem,
wenn man ihnen den Handel mit den Marranen verböte.
Aber vielleicht hatten die Marranen in Spanien schon
früher das moderne Bankwesen begründet. Es ist an der Zeit,
daß wir darüber Genaueres erfahren. Denn was uns Capmany
über die taula de cambi in Barcelona (1401); was uns die
neueren Wirtschaftshistoriker über andere Banken in Spanien
mitteilen 171 , läßt ganz und gar unbefriedigt. Daß die Juden die
führenden Bankiers auf der Pyrenäenhalbinsel waren, als man
gegen sie einschritt (16. Jahrhundert), ist sehr wahrscheinlich.
Wer sollte vorher an ihrer Stelle gestanden haben?
Daß Juden dann überall beteiligt waren, wo im 17. Jahr-
hundert „Banken“ gegründet wurden, namentlich auch bei der
Begründung der berühmtesten drei Banken jenes Jahrhunderts:
der Amsterdamer, Londoner und Hamburger, mag nur im Vorbei-
gehen erwähnt werden: da diese Bankgründungen wohl als ad-
ministrativ-organisatorische, aber nicht als kapitalistisch-organisato-
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rische Akte Epoche gemacht haben: denn die private Girobank
mit der idealen Geldeinheit war wohl schon in den italienischen
Städten während des 15. Jahrhunderts entwickelt, jedenfalls
begegnen wir ihr schon als einen fertigen Typ auf den Genueser
Messen; .so ziehe ich sie nicht in den Kreis dieser Erörterungen
hinein.
Ich registriere nur kurz die Tatsachen:
Ihre bei der Gründung der Amsterdamer Bank gesammelten Er-
fahrungen verwerten die Juden bei der bald nachher (1619) gegründeten
Hamburger Bank, bei der wir 40 jüdische Familien beteiligt finden.
Und auch die Bank of England soll, wie neuere Darsteller ihrer Ge-
schichte wollen, wesentlich durch die Mitte des Jahrhunderts aus Holland
ein wandernden Juden inspiriert sein. A. Andr6ades, Hist, of the Bank
of E. (1909), 28. Zu dieser Auffassung wird man kommen, wenn man der
Eingabe Sam. Lambes aus dem Jahre 1658 (abgedruckt in Somers Tracts
Vol. VI) entscheidende Bedeutung für die Engl. Bank beimißt. Andr£ades
datiert von ihr geradezu die Idee der Bank und meint: seit die n&chst-
vorhergehende, eine Bankgründung heischende Schrift — es ist die von
Balthasar Gerbier im Jahre 1651 — erschienen sei, habe sich das für das
Schicksal der B. of E. entscheidende Ereignis vollzogen: die offizielle
Wiederzulassung der Juden durch Cromwell. Ich kann „the superiority“
der Lambeschen Schrift nicht in gleichem Maße wie A. anerkennen.
Übrigens wird der hervorragende Anteil der Juden an der Begründung
der B. of E. auch von anderen hervorgehoben.
4. Die Partialobligation
Es hat lange gedauert, ehe die öffentliche Schuld-
verschreibung den Grad von Versachlichung erreichte, den
sie heute besitzt. Die eingehenden Darstellungen, die uns in
neuerer Zeit das Staatschuldenwesen der deutschen Länder
während des 18. Jahrhunderts in seiner Wesenheit haben er-
kennen lassen, zeigen doch, daß bis in die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts beispielsweise die Finanzen Österreichs und
Sachsens noch durchaus das altüberkommene persönliche Ge-
präge trugen. In Österreich sind während der vörtheresianischen
Zeit Überbringerpapiere im öffentlichen Schuldenwesen überhaupt
nicht bekannt; die Staatsschulden sind privatrechtlicher Natur:
Schuldner ist der Monarch oder das Amt 172 . Erst die Anleihe
von 1761 stellt einen schon etwas stark modernisierten Typ
dar: die Zinsen werden zum erstenmal nicht mehr gegen eine
vom Berechtigten ausgestellte Quittung verabfolgt, sondern gegen
Abgabe jedesmal des der Obligation beigefügten Interessen-
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Scheines 178 . Ebenso sind in Sachsen bis in die Mitte des Jahr-
hunderts die Anleihen durchaus persönlich gefärbt : Schuld-
summe, Sicherheit, Zinshöhe, Zinstermin, Fälligkeit: alles trägt
individuelles Gepräge, ist individuell von Fall zu Fall verschieden.
Die signierten Quittungen heißen „Kammer- oder Steuerscheine“.
Sie weisen nach, was der einzelne Vertreter von seinem Bar-
vorrat in die Steuer oder Kammer eingeliehen hat. Sie sind ,
Hauptobligationen in dem Sinne, daß sie die gesamte Schuld
des Gläubigers umfassen. Dementsprechend lautet jede Forde-
rung auf einen individuellen, von anderen verschiedenen Be-
trag 174 .
Daß um jene Zeit der Versachlichungsprozeh in den west-
lichen Ländern schon weiter (wenn auch nicht sehr viel weiter)
fortgeschritten war, ist unzeif eihaft. In England wird 1660 den
bis dahin unübertragbaren tallies eine ordre of repayment bei-
gefügt, aber die entscheidenden Anleihen im modernen Sinne
sind doch erst die von 1693, 1694 175 . Und die niederländischen
Obligationen sollen durchgängig schon im 16. Jahrhundert die
Inhaberklausel enthalten. Freilich tragen die Obligationen auch
hier das ganze 17. Jahrhundert hindurch noch die Eierschalen
der Personalschuld an sich: 1672 muß jede Obligation noch
geschrieben werden, und ihr Wortlaut stand damals noch ebenso
wenig ein für allemal fest wie der Betrag der einzelnen Obli-
gation 17Ä .
Mitwirkung der Juden bei der Herausbildung des modernen
Anleihetypus? Was sich nachweisen läßt, ist dieses: daß
Wilhelms HL Vertrauensmänner in Finanzsachen Juden waren,
daß den östlichen Staaten die Anregung zur Weiterbildung aus den
Niederlanden gebracht wird, und zwar aller Wahrscheinlichkeit
nach durch holländische Juden, die während des 18. Jahrhunderts
die Hauptfinanziers deutscher und österreichischer Lande sind.
Ich habe in anderem Zusammenhänge schon darauf verwiesen.
Ganz im allgemeinen ist zu bemerken, daß die Beziehungen
der holländischen Juden zu den europäischen Finanzen während
des 18. Jahrhunderts offenbar sehr enge und weitverzweigte
waren. Als ein symptomatisches Zeugnis für diese Tatsache
kann eine Schrift dienen, die in unseren Kreisen wenig bekannt
zu sein scheint (auch Däbritz hat sie, soviel ich sehe, in seiner
verdienstvollen Arbeit nicht benutzt), und auf die ich wenigstens
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verweisen will. Sie trägt den langen Titel: Ephraim justifiö.
Mömoire historique et raisonnö sur l’Etat passö, present et
futur des finances de Saxe. Avec le parallele de TOeconomie
prussienne et de l’Oeconomie Saxonne. Ouvrage utile aux
Cröanciers et Correspondans , aux Amis et aux Ennemis de la
Prusse et de la Saxe. Adresse par le Juif Ephraim de Berlin
& son Cousin Manassös d’ Amsterdam. Erlangen. A l’enseigne
de „Tout est dit“. 1785.
Über die Geschichte der privaten Partialobligation wissen
wir noch weniger als über die der öffentlichen Schuld-
verschreibungen. Es scheint , als ob die Obligationen der
holländisch-ostindischen Kompagnie (die im Gegensatz zu den
Aktien von vornherein auf runde Beträge lauteten) die ersten
ihres Geschlechts gewesen seien. Dann begegnen wir bei den
Lawschen Gesellschaften einer Art von Obligation, insofern
nämlich die Inhaber der Aktien, solange sie nicht einen be-
stimmten (ziemlich hoch bemessenen) Minimalbetrag von Aktien
zeichneten, nur mit einem festen Zinse abgefunden wurden (also
kein Anrecht auf Dividende hatten). Aber recht eigentlich zur
Entwicklung ist das Institut der privaten Partialobligation doch
wohl erst in neuerer Zeit gekommen, seitdem sich die Aktien-
gesellschaften so rasch vermehrt haben. Ich vermag also auch
über den unmittelbaren Anteil, den die Juden an ihrer Ausbildung
etwa gehabt haben, nichts Bestimmtes zu sagen.
Sehr wahrscheinlich dagegen läßt sich machen, daß die Juden
die Väter der privaten Obligation „höherer Ordnung“ sind, des-
jenigen Typs nämlich, den ich als kollektive Partialobligation
bezeichnet habe, und der im Grundbesitzkredit als Pfandbrief so
weite Verbreitung gefunden hat.
In allen Darstellungen der Hypothekarkreditorganisationen
und ihrer Geschichte, die mir zu Gesicht gekommen sind, wird
als erstes Pfandbriefinstitut die im Jahre 1769 (1770) von
Friedrich H. errichtete Schlesische Landschaft angesehen, zu der,
wie bekannt, „ein Berliner Kaufmann, namens Bühring (oder
Büring) im Jahre 1767 die Anregung gegeben hatte“. Die
Hypothekenbanken seien dann nichts anderes gewesen, als die
Durchdringung des ursprünglich genossenschaftlichen Pfandbrief-
verhältnisses mit dem Erwerbsprinzip.
Diese Geschichtskonstruktion ist falsch. Der Pfandbrief,
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ebenso wie die Hypothekenbank sind im 18. Jahrhundert in
Holland entstanden. Ihre Väter sind aller Wahrscheinlichkeit
nach holländische Juden. Es wird uns nämlich berichtet, daß
etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts holländische Bankiers
den Pflanzern (Plantagenbesitzem) in den Kolonien dadurch
Gelder verschafften, daß sie zinstragende Obligationen auf den
Inhaber ausgaben und sich dafür die Besitzungen’ der Pflanzer
mittels Hypotheken verpfänden ließen. Die Obligationen zirku-
lierten an der Börse, „wie öffentliche Schuldverschreibungen“.
Die Kaufleute (Bankiers), die diese Geschäfte machten, hießen
„ correspondentie “ oder „Directeurs van de negotiatie“, französisch
„correspondants“ , „negociants chargds de la correspondance“ ;
die Pfandbriefe „obligatie“ oder „obligations“. Es waren offen-
bar Privatbankiers, die hier die Geschäfte unserer heutigen
Hypothekenbanken besorgten. Solche Pfandbriefe zirkulierten
für 100 Millionen Gulden, bis schließlich (in den 1770er Jahren)
ein großer Zusammenbruch der emittierenden Häuser erfolgte
(aus genau denselben Gründen, nebenbei bemerkt, weshalb heute
unsere Hypothekenbanken gelegentlich bankrott machen , vor
allem wegen Überbeleihung der Grundstücke). Doch das gehört
nicht hierher, wo nur nachgewiesen werden sollte, daß Pfand-
brief und Hypothekenbank in Holland schon im 18. Jahrhundert
in voller Blüte standen. Die Quelle, der ich diese wichtige Tat-
sache entnommen habe, ist der im vorliegenden Falle natürlich
durchaus zuverlässige Luzac, der an mehreren Stellen von dem
Krache der Hypothekenbankiers spricht. Eine der darauf bezüg-
lichen Ausführungen will ich hier im Wortlaut wiedergeben ; sie
heißt 177 :
„On imagina de lever de l’argent pour les colons par voie de nd-
gociations gdndrales, auxquelles tout particulier pourrait prendre pari Lea
avances dtaient faites sur des re$us ou des obligations k un ndgociant
comrae directeur, de la mßme fa$on k peu prds & sur le mdme pied que
les emprnnts se font pour les Souverains et pour les corps publice. Ce
ndgociant comme directeur dtait ehargd de recevoir les produits des plan-
tages, que les colons s'engageaient de lui envoyer & de fournir k leurs
besoins. Les colons prenaient ces engagements par des actes d’hypothdque,
faits en faveur des possesseurs des obligations, & ddlivrds au directeur.
Pour donner plus de credit k ces ndgociations on y faisait intervenir deux
ou trois personnes de rdputation comme commissaires , & qui, comme re-
prdsentant ceuz qui faisaient les avances, devaient avoir soin de veilier k
leurs intdrdts. Le directeur dtait d’ailleurs obligd de rendre tous les ans
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76
A ces commissaires compte de son Administration & de l’6tat de la nögocia-
tion. On ne peut nier que l’idde d’int£resser de cette fa$on tont le public
A l’£tat des colonies, de fournir aux personnes aisöes un mojen de pl&cer
leur argent & aux colons la facilitä de trouver des avances, ne fnt trAa-
bonne; aussi eut-elle da succös. Les obligations A la Charge des coions
de Surinam eurent cours comme d’autres effets pu blies : eiles augmentArent
la masse des objets de commerce & produisirent avec celles des autres
colonies la circulation d’environ cent millions de florins: car on prötend
que les avances faites de cette fa$on A la colonie de Surinam montent 4
soixante millions & que celles qui sont faites aux autres colonies vont 4
quarante millions. On ne saurait croire la facilit£ avec laquelle ces ndgo-
ciations furent remplies; mais bientöt cette möme facilitö fut cause qu'elle
ne se soutinrent pas & qu’on en abusa. On prüfend que les propriätaires
de plantages trouvörent mojen de les faire 6valuer beaucoup au-dessus de
leur valeur reelle; & que donnant ces fausses övaluations comme v6ri-
tables, ils surent obtenir des avances bien au-delA de la väritable valeur
de leurs plantages; tandis que ces avances n’auraient dü aller qu’A la cinq-
huitiöme partie de cette valeur."
Es findet sich nun in keiner der Darstellungen dieser Vor-
gänge, die mir zu Gesichte gekommen sind, der ausdrückliche
Hinweis, daß die hier geschilderten Spekulationen von jüdischen
Bankiers ausgegangen wären. Für jeden aber, der die holländi-
schen Geld- und Kreditverhältnisse im 18. Jahrhundert auch nur
oberflächlich kennt, kann diese Tatsache gar nicht zweifelhaft
sein. Wir wissen (und ich werde dafür noch Beweismaterial
beibringen): daß in jener Zeit alles, was mit dem Geldleihe-
geschäft, namentlich aber mit Börse und Spekulation in Holland
nur irgendwie in Beziehung stand, von jüdischem Wesen durch-
setzt war. Zu diesem durchaus schon hinreichenden Grunde all-
gemeiner Natur kommt mm im vorliegenden Falle noch der besonders
bemerkenswerte Umstand, daß jene Hypothekenkreditgeschäfte
vornehmlich mit der Kolonie Surinam gemacht w;orden waren:
von den 100 Millionen Gulden, die in Pfandbriefen ausgegeben
waren, entfielen 60 Millionen auf Surinam. Surinam aber war,
wie wir an anderer Stelle schon feststellen konnten, die Juden-
kolonie par excellence. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß diese
Kreditbeziehungen gerade zwischen Surinam und dem Mutter-
lande um jene Zeit von andern als jüdischen Häusern hätten unter-
halten werden sollen.
* *
*
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77
Das ist das, was ich an „quellenmäßigen“ Belegen für den
Anteil der Juden an der Entwicklung der modernen Wertpapiere
gefunden habe. Es weist gewiß noch viele Lücken auf und wird
sich durch manchen neuen Zug ergänzen lassen, den die spätere
Forschung hineinzuzeichnen berufen ist. Immerhin denke ich,
kann schon jetzt der Gesamteindruck nur der sein , daß an der
Versachlichung der Kreditverhältnisse in sehr beträchtlichem
Umfange jüdische Männer beteiligt gewesen sind. Dieser Ein-
druck wird nun noch ganz erheblich verstärkt, wenn wir in Rück-
sicht ziehen, daß diejenige Einrichtung, die jenen Versach-
lichungsprozeß recht eigentlich herbeigeführt oder doch ermög-
licht und jedenfalls ganz wesentlich beschleunigt hat, aller Wahr»
scheinlichkeit nach jüdischen Ursprungs ist; ich meine die
Rechtsform des Inhaberpapiers.
Daß das Streben des Schuldverhältnisses nach Versach-
lichung erst im Inhaberpapier seinen reinen Ausdruck findet,
kann nicht zweifelhaft sein. Erst im Inhaberpapier ist der Ver-
pflichtungswille von seiner persönlichen Quelle ganz frei gemacht.
Erst im Inhaberpapier wird die Loslösbarkeit des Rechtswillens
durch Fixierung in einer Skriptur vollständig anerkannt. Das
Inhaberpapier bedeutet, wie ein geistvoller Gelehrter es aus-
gedrückt hat, die „Befreiung des menschlichen Geistes von den
unmittelbar gegebenen Naturbezügen (oratio, verba)“ 178 und ist
eben darum das geeignete Mittel, ein Verpflichtungsverhältnis zu
„entpersönlichen“, zu versachlichen. Das Bedeutsame am Inhaber-
papier für den Juristen ist naturgemäß die eigentümliche Beweis-
kraft, die es besitzt : daß aus ihm der Berechtigte ein durchaus
selbständiges, durch Einreden aus der Person des ersten Nehmers
oder der andern Vordermänner an sich nicht zerstörbares Recht
hat. Auch damit ist der Zustand rein sachlicher Beziehungen
anerkannt: Diese Skripturrechtspapiere sind damit „Papiere
öffentlichen Glaubens“ (Brunner) geworden, in denen der letzte
Rest persönlicher Kreditbeziehungen ausgelöscht ist.
Bekannt ist, daß sich die Inhaberpapiere zu dieser reinen
Form langsam entwickelt haben, ^bekannt aber auch, daß wir
einstweilen noch ziemlich wenig von dieser Entwicklung deutlich
zu erkennen vermögen. Soviel ich sehe, schließen die bisherigen
Forschungsergebnisse, soweit sie einwandfrei sind, die Richtig-
keit der hier verfochtenen These jedenfalls nicht aus, die im
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78
Gegenteil, wie mir scheinen will, durch eine so große Reihe
stichhaltiger Argumente gestützt wird, wie sie keine der andern
Hypothesen auch nur entfernt aufzuweisen vermag.
Inhaberpapiere hat es seit dem frühen Mittelalter in den
europäischen Ländern (außer Großbritannien) gegeben. Der
Rechtsverkehr schon der fränkischen Zeit und dann des deutschen
und französischen Mittelalters kannte Schuldbriefe mit Ordre-
und Inhaberklausel. Die Inhaberklausel muß ziemlich häufig an-
gewandt sein, denn in den Rechtsbüchem wird sie oft, in der
Rechtsprechung manchmal erwähnt 179 .
Dann kommt eine Zeit des Niedergangs dieses Instituts, die
seit der Rezeption des römischen Rechts ihren Anfang nimmt.
Das römische Recht und die romanistische Jurisprudenz zersetzen
allmählich das Recht des Inhaberpapiers. Ende des 16. Jahr-
hunderts kommt diese Zersetzung zum Abschluß: der Inhaber
muß sich durch Vollmacht oder wenn er im eigenen Namen
klagen will, durch den Zessionsbeweis legitimieren. „Der starke
romanische Luftzug, wie er sich unter dem Einfluß von Cujas
und Dumoulin in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei
der Revision der Coutumes und in der Praxis geltend machte,
hat dem Rechtsinstitut des Inhaberpapiers die Seele ausgeblasen,
indem er das Inhaberpapier zum schlichten Namenpapier degra-
dierte“ (Brunner).
Damals tauchte nun „plötzlich“ eine neue Form von Schuld-
briefen auf: die „promesses en blanc“, „billets en blanc“, welche
die Stelle, wo der Name des Gläubigers stehen sollte, leer ließen l8 °,
also Blankopapiere, während gleichzeitig die Indossabilität des
Ordrepapiers Fortschritte machte.
Dann beginnt seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, nament-
lich im 17. Jahrhundert, das Inhaberpapier sich „wieder“ zu
entwickeln, und namentlich in Holland finden wir es während
des 17. Jahrhunderts schon ziemlich verbreitet: für Staatspapiere,
für die Obligationen der Ostindischen Kompagnie (die Aktien
lauteten noch, wie wir sahen, auf den Namen), für Versicherungs-
policen und für Lombardzettel 181 .
Von Holland nimmt es dann seinen Weg überallhin; zunächst
nach Deutschland, wo es uns im 17. Jahrhundert bei den Aktien
der brandenburgischen Handelskompagnie, im 18. Jahrhundert
bei den sächsischen Staatsschuldscheinen begegnet; dann nach
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Österreich, wo wir es ebenfalls unter Maria Theresia bei der
Finanzverwaltung in Aufnahme kommen sahen; später nach
Frankreich, wo es das ganze 17. und einen Teil des 18. Jahr-
hunderts hindurch von der Gesetzgebung verboten ist; zuletzt
nach England.
Welchem Rechtskreise sind nun die Inhaberpapiere ent-
sprossen? In welchem Interessenkreise sind sie zur Entwicklung
gelangt?
Nach den einen sind die Inhaberpapiere hellenischen
Ursprungs. Das ist die Hypothese, die namentlich Gold-
Schmidt vertreten hat 189 . Soviel ich sehe, hat Goldschmidt
nicht viele Anhänger gefunden. Gegen die Richtigkeit seiner
Hypothese sprechen die neueren Ergebnisse namentlich auch auf
dem Gebiete der Papyrosforschung. „Schuldscheine, welche
unsern Wechseln gleichkämen, lassen sich in den Papyri nicht
nachweisen. Auch Inhaber- und Ordrepapieren begegnen wir
nicht . . . Eine Vergleichung mit den inschriftlich uns erhaltenen
griechischen Urkunden von Orchomenos und Amorges fährt zur
Bestätigung dieser Auffassung. Nicht minder stark spricht zu
ihren Gunsten ein Fragment eines gortynischen Gesetzes“, so
spricht sich die neueste Arbeit auf dem Forschungsgebiete der
hellenischen Rechtsgeschichte aus 188 . Nehmen wir immerhin an,
das Vorkommen des Inhaberpapiers im griechischen Recht sei
„kontrovers“ (die von Goldschmidt beigebrachten Stellen lassen
ja erhebliche Zweifel zu), so müßte man doch, wie es Brunner
getan hat 184 , gegen die Ableitung der modernen Inhaberpapiere
aus denen in Griechenland das Bedenken erheben, daß zwischen
den hellenischen und den fränkischen Urkunden ein Zeitraum von
800 Jahren liegt und daß zwischen ihnen ein rechtsgeschichtlicher
Zusammenhang irgend welcher Art sich nicht nachweisen läßt.
Dem gegenüber nimmt die (wohl herrschende) Auffassung,
zumal nach den Brunnerschen Forschungen, unbesehens an, daß
die modernen Inhaberpapiere eine unmittelbare Fortsetzung der
deutschrechtlichen Schuldscheine mit Inhaberklausel sind, an
denen, wie wir sahen, schon das Mittelalter reich ist. Gegen
die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen doch aber auch ge-
wichtige Gründe. Auch zwischen den mittelalterlichen Urkunden
und denen des 17. Jahrhunderts läßt sich wohl kaum eine lücken-
lose Kontinuität nachweisen, nachdem das römische Recht, wie
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wir sahen, mit den alten Inhaberschuldscheinen germanistischer
Herkunft so gründlich aufgeräumt hatte. Aber was mir immer
die größten Bedenken verursacht hat, ist dieses: daß innerlich,
dem Wesen nach, zwischen den alten und den modernen Inhaber-
papieren doch nicht der geringste Zusammenhang besteht. Ge-
wiß: „qui dabit hanc cartam u ist wörtlich die lateinische Über-
setzung der Wendung: „dem Einlieferer dieser Banknote." Aber
es hat doch geradezu etwas Komisches, wenn wir uns das
13. Jahrhundert mit „Inhaberpapieren" in dem Sinne, den wir
dem Worte beilegen, erfüllt denken. Ich komme auf die allem
Wesen eines modernen Inhaberpapiers ganz und gar entgegen-
gesetzte Grundauffassung des deutschen Vertragsrechts noch
zurück. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß man ja ganz genau
weiß — und es ist ein Verdienst Brunners, diesen Tatbestand
gegen alle Einwände sicher gestellt zu haben — , welchen Sinn
die Inhaber- oder Ordreklausel im alten deutschen Rechte hatte :
sie sollte dazu dienen, die mangelnde Zessibilität der Forderung
zu ersetzen, sollte die prozessuale Stellvertretung des Gläubigers
möglich machen 186 . Ein Gedanke, der offenbar mit der unserm
Inhaberpapier zugrunde liegenden Idee der Versachlichung eines
Schuldverhältnisses auch nicht das allergeringste zu tun hat.
Angesichts dieser doch mindestens nicht völligen Einwands-
freiheit der herrschenden Auffassung muß es statthaft sein, eine
dritte Hypothese zu vertreten, die meines Wissens bisher nur
einmal von Kuntze flüchtig geäußert, von Goldschmidt 186 ,
Salvioli 187 u. a. mit wenigen Worten als falsch verworfen
worden ist, die aber niemand bisher ernstlich zu begründen
gewagt hat: die Hypothese, daß das moderne Inhaberpapier
wesentlich jüdisch-rechtlichen Ursprungs sei.
Daß diese Ableitung möglich ist, kann keinem Zweifel
unterliegen, wenn wir uns der wesentlich gewohnheitsrechtlichen
Entstehung der modernen „Skripturobligation" erinnern: einein
Kaufmannskreisen, die stark mit jüdischen Elementen durchsetzt
waren, in Übung gekommene Form der Schuldverschreibung kann
sehr wohl in der Rechtsprechung und von da aus in dem statu-
tarischen Rechte etwa der niederländischen Städte zur Anerkennung
gebracht sein (auf die bedeutsamen Antwerpener Costume von
1582 komme ich noch zu sprechen).
Fragt sich nur, ob die Ableitung des modernen Inhaber-
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papiers aus dem talmudisch-rabbinischen Recht auch wahr-
scheinlich ist. Ich stelle im folgenden die Gründe zusammen 9
die, meiner Meinung nach, dafür sprechen.
1. Bibel und Talmud kennen das „Inhaberpapier“, und zwar
in völlig einwandfreier Form.
Die Stelle in der Bibel findet sich in Tobias und lautet
(in De Wettescher Übersetzung) wie folgt:
4, 20. „Und nun zeige ich Dir die 10 Talente Silbers, die ich nieder-
gelegt habe bei Gabael, dem [Bruder] Gabrias zu Rages in Medien . .“
5, 1. „Und Tobia antwortete und sprach: Vater, ich will alles tun, was
Du mir geboten;
2. Aber wie werde ich können das Geld in Empfang nehmen, da ich
ihn nicht kenne?
3. Da gab er ihm die Handschrift und sprach zu ihm: Suche Dir
einen Mann, der mit Dir ziehe, und ich will ihm Lohn geben,
während ich lebe, und so gehe hin, und nimm das Geld in
Empfang."
9, 1. „Und Tobia rief Raphael und sprach zu ihm: . . ziehe nach Rages
in Medien zu Gabael und hole mir das Geld."
5. „Da zog Raphael hin und kehrte bei Gabael ein und übergab ihm
die Handschrift. Er aber brachte die Beutel mit den Siegeln und
gab sie ihm."
Die bekannteste Stelle im Talmud (Baba batra Fol. 172)
lautet (in Goldschmidtscher Übersetzung 6, 1398) so:
„Einst wurde in einem Gerichtskollegium R. Honas ein Schein
vorgelegt, in welchem es hieß : Ich N., Sohn des N., habe von dir eine
Mine geborgt. Da entschied R. Hona: Von Dir, auch vom Exiliarchen,
von Dir, auch vom König Sapor."
Die Anmerkung, die Goldschmidt dazu macht: „d. h. der
Inhaber des Schuldscheins kann nicht nachweisen, daß er der
Gläubiger ist und er braucht daher nicht bezahlt zu werden“
verkehrt den Tatbestand genau in sein Gegenteil; wie Gold-
schmidt zu dieser seltsamen Auslegung kommt, die aller talmudisch-
rabbinischen Jurisprudenz widerspricht, ist nicht einzusehen.
Denn es ist gar nicht zweifelhaft, daß die Rabbiner während
des ganzen Mittelalters die Rechtsform der Inhaberpapiere ge-
kannt und aus der zitierten Talmudstelle abgeleitet haben. Damit
berühre ich einen Punkt, den ich als zweites Argument für die
Richtigkeit meiner Hypothese anführe:
2. Die Kontinuität der Rechtsentwicklung, die zweifellos für
das jüdische Inhaberpapier besteht. Sowohl die nicht unter*
Sombart, Die Juden 6
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82
brochene Geschäftspraxis der Juden spricht dafür als auch die
ebenso ununterbrochene Talmudexegese. Für jene bedarf es
keines besonderen Nachweises, für diese führe ich folgende
Rabbiner an, die sich mit dem Inhaberpapier beschäftigt haben
und die ohne Zweifel ein lebendiges Recht aus der Talmudstelle
herausgedeutet haben 188 :
Vor allem R\ Ascher (1250—1327), dessen Bedeutung
für die Praxis bekannt ist, und der Resp. 68, 6 und 68, 8 vom
Inhaberpapier spricht. „Wenn einer sich zweien verpflichtet
und in einer Klausel vermerkt: ,„ zahlbar dem Inhaber des Schuld-
scheins von diesen beiden“*, so darf nur diesem gezahlt werden,
denn ein solcher Schtar ist eben ein Inhaberpapier“ (Resp. 68, 6).
R\ Josef Karo (16. sc.) im Choschen Mischpat: „Wenn
in einer Verschreibung der Name des Verleihers nicht benannt ist,
sondern sie lautet auf „Inhaber dieses“, so wird ein jeder
bezahlt, der solche vorzeigt“ 61, 10; zu vergleichen sind 50;
61, 4. 10; 71, 23.
R’. Schabatai Cohen (17. sc.) im Schach (dem Kom-
mentar Sziphe Cohen zum Ch. M.) 50, 7; 71, 54 (nach Auerbach).
3. Vielleicht ganz unabhängig vom talmudisch-rabbinischen
Recht haben die Juden aus der Geschäftspraxis heraus ein Wert-
papier entwickelt, das an Unpersönlichkeit alle früheren und
späteren Schuldbriefe übertroffen hat: den Mamre (Mamram,
Mamran) 189 . Der Mamre soll während des 16. Jahrhunderts
(oder noch früher) im Gebiete des polnischen Judentums ent-
standen sein. Es war eine Blankourkunde: der Raum, auf den
der Name des Gläubigers (zuweilen sogar auch der Betrag der
Schuld) geschrieben werden sollte, wurde freigelassen und dann
kam das Papier in den Verkehr. Die Zeugnisse der Rechts-
gelehrten, zum Teil auch richterliche Entscheidungen lassen keinen
Zweifel darüber, daß der Mamre während dreier Jahrhunderte
ein sehr beliebtes Geschäftspapier gewesen ist, das auch im Ver-
kehr zwischen Juden und Christen zur Anwendung gelangte.
Das Bedeutsame ist, daß die Rechtsmerkmale des vollentwickelten,
modernen Inhaberpapiers im Mamre schon vereinigt sind,
nämlich :
a) der Inhaber handelt im eigenen Namen;
b) Einreden aus den persönlichen Beziehungen des Schuldners
zu den Vorinhabem sind unzulässig;
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83
•c) der Schuldner kann keinen Nachweis der Zession oder
Indossierung verlangen;
4 ) wenn der Schuldner ohne Vorzeigung des Mamre schon
bezahlt hat, deliberiert er sich nicht;
e) die heutigen Formen der Nichtigkeitserklärung sind schon
in Anwendung (im Falle des Verlustes oder Diebstahls teilt
der Inhaber dies dem Schuldner mit ; eine Bekanntmachung
wird vier Wochen lang an der Synagoge angeschlagen,
worin der jetzige Inhaber ersucht wird, sich zu melden;
nach Ablauf dieser Frist macht der Anzeiger seine Forderung
geltend).
4. An mehreren wichtigen Punkten scheint sich auch äußer-
lich eine Beeinflussung der Rechtsentwicklung durch jüdische
Elemente nachweisen zu lassen. Ich denke vornehmlich an
folgendes :
a) als „plötzlich“ (kein Mensch weiß woher) während des
16. Jahrhunderts an verschiedenen Stellen Europas Blanko-
papiere auftauchten : stammten sie nicht vielleicht aus den
Kreisen der jüdischen Geschäftsleute, die sie nach Art des
Mamre gewiß schon längere Zeit im Gebrauch hatten?
Wir begegnen ihnen in den Niederlanden 190 , in Frank-
reich 191 , in Italien 193 . In den Niederlanden tauchten sie
Anfang des 16. Jahrhunderts auf den Antwerpener Messen
auf, als dort die Juden eine größere Rolle zu spielen be-
gannen. Eine Verordnung Karls des V. vom Jahre 1536
berichtet ausdrücklich : die Waren wurden auf den Messen
zu Antwerpen gegen Inhaberschuldscheine verkauft; diese
konnten vor Verfall ohne besondere Zession an Dritte in
Zahlung gegeben werden. Die Fassung des Textes belehrt
uns, daß jene Gewohnheit, Schuldscheine in Zahlung zu
geben, sich erst seit kurzem eingebürgert hatte. Die Ver-
ordnung erklärte übrigens diese Inhaberschuldscheine für
eine Formalobligation nach Art des Wechsels. Was waren
das für seltsame Papiere? Christianisierte Mamrem? Noch
jüdischer muten uns die Blankopapiere an, denen wir im
17. Jahrhundert in Italien begegnen. Ich denke an das
erste uns bekannte Blanko-Indossament, das die jüdische
Wechslerfirma Giudetti in Mailand ausstellte. Die Campsores
Giudetti in Mailand hatten einen Wechsel über 500 Scudi
6 *
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ausgestellt, zahlbar durch Joh. Bapt. Germanus auf den
nächsten nundinae Sanctorum in Novi all’ordine senza
procura di Marco Studendolo in Venezia; die Valutaklausel
lautete per la Valuta conta. Studendolus übersandte den
Wechsel an die Gebrüder de Zagnoni in Bologna, und zwar
„cum subscriptione ipsius Studendoii relicto spatio sufficienti
in albo ad finem illud replendi pro ea girata et ad favorem
illius cui Zagnoni solutionem fieri maluissent.“ Der uns
diesen Fall mitteilt 99 , bemerkt dazu: „Eaum würde der
italienische Verkehr auf einen solchen Ausweg gekommen
sein, wenn er nicht anderswo ein Vorbild dafür gehabt
hätte. Und ein solches bot sich ihm im — französischen
Recht, wo seit Anfang des 17. Jahrhunderts Blankopapiere
in voller Verkehrsübung waren.“ Der erste Satz mag zu
Recht bestehen. Zum zweiten ist man versucht, anmerkend
zu fragen: woher kam die Übung in Frankreich? Doch
wohl aus den Niederlanden? Übrigens kann auch in Italien
marranischer Einfluß direkt mitgespielt haben. Studendolo (?)
in Venedig! Giudetti in Mailand!
b) Bahnbrechend für die Entwicklung des Rechts der modernen
Inhaberpapiere wird die Antwerpener Costume von 1582,
in der dem Inhaber zum ersten Male ein Klagerecht zu-
erkannt wird 198 . Von Antwerpen verbreitet sich diese
Rechtsauffassung rasch nach Holland weiter: ungefähr so
rasch wie die aus Belgien nach Holland auswandernden
Familien sich in dem neuen Lande verbreiten 194 .
c) In Deutschland drangen (wie schon erwähnt wurde) die
Inhaberpapiere in die Staatsschuldenverwaltung von Sachsen
her ein. Hier war die 1748 auf dem Landtage bewilligte
Anleihe zum ersten Male auf Inhaberpapiere gestellt. In
der Motivierung heißt es: „Weil auch aus bisheriger
Observanz sich zutage geleget, daß durch Einrichtung
der Steuerscheine auf Briefes Inhaber alle weitläufigen
gerichtlichen Cessiones und Transactiones , dem Kredit
und Creditoribus zum besten abgekürzet worden, so hat
es dabei ferner sein Verbleiben.“ Im Jahre 1747 hatte
ein Abenteurer Bischopfield dem Minister den Plan einer
„Leib* und Familien-Renten-Negotiation" vorgelegt: „Bischop-
field stand, wie es scheint, mit holländischen Juden in
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Verbindung“ 1#B . Gegen die Spekulation der holländischen
Juden in sächsischen Staatspapieren richtet sich das Mandat
vom 20. September 1751. Und während auf der einen
Seite die holländischen Juden Sachsens Finanzwesen be-
einflußten, kamen von der andern Seite die Einflüsse der
polnischen Juden durch die Verbindung des chursächsischen
Fürstenhauses mit Polen. Diese notorische Mitwirkung
der jüdischen Finanzmänner und Kaufleute bei der Moder-
nisierung der sächsischen Finanzen war es, die Kuntze
zu der Vermutung kommen lieh, „daß (für die Anwendung
des Inhaberpapiers) der Gebrauch des Mamre als Anhalt
und Muster gedient habe“ 196 .
d) Zu den ersten Papieren, bei denen die Inhaberklausel in
neuerer Zeit wieder angewendet wurde, gehörten die See-
versicherungspolicen, „quas vocant caricamenti.“ Es wird
uns nun ausdrücklich berichtet, daß es die jüdischen
Kaufleute aus Alexandrien waren, die sich zuerst der
Formeln „o quäl si voglia altera persona“, „et quaevis
alia persona“ , „sive quamlibet aliam personam“ be-
dienten 19T .
Diese Feststellung erscheint mir nun aber noch aus einem
andern Grunde wichtig: weil wir nämlich bei dieser Gelegenheit
gleichzeitig über die Gründe unterrichtet werden, die „die
jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ veranlagten , sich der
Rechtsform der Inhaberpapiere zu bedienen. Und damit berühre
ich einen Punkt, auf dessen Hervorkehrung ich das allergrößte
Gewicht lege. Viel bedeutsamer als alle Nachweise eines äußer-
lich wahrnehmbaren Zusammenhangs zwischen Juden und In-
haberpapier (die sich sicher noch vermehren lassen) erscheint
mir der Umstand, daß wir die Vaterschaft der Juden für die In-
haberpapiere aus zwingenden inneren Gründen annehmen müssen.
Denn so unmodern diese Auffassung ist, ich wage sie doch mit
allem Nachdruck immer wieder zu vertreten : die geringste Ratio
•eines Ereignisses gilt mir ebensoviel wie die „quellenmäßigen“
Nachweise aus tausend Urkunden.
Die inneren Gründe aber, die die Ableitung der modernen
Inhaberpapiere aus dem jüdischen Recht (oder der jüdischen
Praxis) nahe legen, sind
5. das Interesse, das die Juden in besonders hohem
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Maße und in mancher Beziehung nur die Juden an der Rechts-
form des Inhaberpapiers hatten.
Was bewog denn „die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“
dazu, die Inhaberklausel in ihre Policen aufzunehmen? Straccha
(a. a. 0.) teilt es uns mit: die Angst um ihre Schiffsladungen.
Diese nämlich schwebten in der Gefahr, von den christlichen Piraten,,
von dem Navarch und Präfekten der katholischen kgl. Flotte ge- -
kapert zu werden, da die Waren der Hebräer und Türken von
ihnen als Freibeute angesehen wurden. „Die jüdischen Kauf-
leute aus Alexandrien“ setzten nun in die Police einen beliebig'
erdichteten christlichen Namen, z. B. Paulus oder Scipio, ein und
nahmen doch die Waren in Empfang — dank der hinzugefügten
Inhaberklausel.
Wie oft aber, während des ganzen Mittelalters und noch in
der neueren Zeit, muß dieses Motiv bei den Juden: durch irgend
eine Vornahme sich als den eigentlichen Empfänger einer
Sendung, einer Schuld usw. zu verbergen, wirksam gewesen seinl
Und da bot sich die Form des Inhaberpapiers als das will-
kommene Mittel dar, jene Verborgenheit zu bewirken. Die In-
haberpapiere gewährten die Möglichkeit, Vermögen verschwinden
zu lassen, bis eine Verfolgungswelle über die Judenschaft eines
Ortes hinweggegangen war. Die Inhaberpapiere gestatteten den
Juden, ihr Geld beliebig wo anzulegen und im Augenblick, da
es gefährdet wurde, durch einen Strohmann beheben zu lassen
oder ihre Forderungen zu übertragen, ohne die geringste Spur
ihres früheren Besitzes zu hinterlassen. (Nebenbei bemerkt: die
schier unerklärliche Tatsache, daß den Juden während des Mittel-
alters alle Augenblicke ihr „ganzes Vermögen“ abgenommen
wurde, und daß sie nach ganz kurzer Zeit wieder reiche Leute
waren, wird ihre Aufhellung gewiß zum Teil von der Seite der
hier erörterten Probleme finden: es wurde eben den Juden
nie ihr ganzes Vermögen abgenommen, ein beträchtlicher Teil
war auf einen Strohmann übertragen worden.) Es ist, wie mir
scheint, mit Recht darauf hinge wiesen 1 98 worden, daß diese Ver-
bergungszwecke allerdings die Form des reinen Inhaberpapiers er-
heischten, aber auch nur sie, während alle übrigen Zwecke, die
man im Mittelalter mit der Inhaberklausel verband (also vor allem
die Erleichterung der Stellvertretung vor Gericht), ebenso gut
oder besser durch die alternative Inhaberklausel erreicht wurden-
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Ein wesentliches Interesse an der Ausbildung des Inhaber-
papiers (richtiger: an seiner Verbreitung, denn in ihren Kreisen
bestand es ja von jeher) gewannen die Juden, seit sie (wie wir
noch genauer verfolgen werden) die börsenmäßige Spekulation in
Waren und Effekten zu entwickeln begannen.
In welch raffinierter Weise die Rechtsform des Inhaber-
papiers zur Durchführung von Warentermingeschäften schon im
17. Jahrhundert ausgenutzt wurde, zeigt uns ein Amsterdamer
Gutachten vom Jahre 1670 (es handelt sich um eine ä la hausse-
Spekulation in Walfischbarten, die der Spekulant durch Ein-
schiebung von Strohmännern zu cachieren versucht 199 ).
Und dann mußte natürlich der Spekulationshandel in Effekten
die Einbürgerung des Inhaberpapiers ungemein begünstigen. Ins-
besondere, seit die Juden anfingen, sich mit der Emittierung von
Effekten gewerbsmäßig zu befassen, mußte ihr ganzes Sinnen
darauf gerichtet sein, dem Inhaberpapier immer weitere Ver-
breitung zu verschaffen. Es ist einleuchtend, daß die Unter-
bringung kleiner Schuldbeträge bei einer großen Anzahl von Per-
sonen, namentlich bei öffentlichen Schuldverschreibungen, ohne
die Erleichterungen und Vereinfachungen, die das Inhaberpapier
gewährte, fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Man bringt des-
halb auch mit Recht die Entwicklung der gewerbsmäßigen
Emissionstätigkeit und die der Inhaberpapiere in einen ursäch-
lichen Zusammenhang 900 .
Wie sehr das geschäftliche Interesse, genauer: der Wunsch,
den börsenmäßigen Handel in Effekten zu erleichtern und zu
fördern, bei den Juden maßgebend bei der Ausbildung und Hand-
habung des Inhaberpapiers war, erkennen wir auch aus gelegent-
lichen Äußerungen der Rabbiner. So lautet eine sehr lehrreiche
Stelle bei R\ Schabbatai Cohen (Schach 50, 7) (nach der
Übersetzung bei Auerbach, 281) wie folgt:
„Der Käufer des Inhaberp&piers hat gegen den Schuldner eine Forde-
rung auf Schadenersatz, wenn der Schuldner gegen eine chirographische
Quittung oder gar ohne diese, so daß eine Publizität der Zahlung nicht
hervorgebracht wurde, zahlte, um nicht den Handel mit solchen
Papieren zu gefährden. Wenn auch R\ Ascher und Konsorten von
Schtarot jede Verordnung, die die Rabbiner überhaupt zur Ausbreitung
des Handels eingeführt hatten (!), fernhalten, weil ein Handel mit Schuld-
scheinen ihrer umständlichen Übertragung wegen nicht stark sein kann,
so sprechen diese Autoren es nur für Schtarot (resp. Chirographien) als
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Rektapapiere aus, bei Inhaberpapieren hingegen, deren Umsatz
in jetziger Zeit — also im 17. Jahrhundert — ein bedeutend
größerer ist als der Umsatz von Mobilien, sind alle Ver-
ordnungen der Rabbiner für eine Ausdehnung des Handels
sehr zu berücksichtigen."
Und damit habe ich schon wieder einen neuen Punkt be-
rührt, dessen Hervorhebung mir abermals wichtig erscheint. Ich
meine nämlich, daß aus diesen Worten des Rabbi ein ganz be-
stimmter „Geist“, ein sehr klarer „Rechtswille“ spricht, und ich
glaube, daß diese Äußerung keine vereinzelte ist. Wenn wir
nämlich das jüdische Recht der Inhaherpapiere in seiner Ganz-
heit überblicken und in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen
trachten, so bemerken wir unzweifelhaft (und damit mache ich
den allertriftigsten Grund geltend, der für die Richtigkeit meiner
Hypothese spricht), daß
6. die Idee des Inhaberpapiers sich zwanglos aus dem
innersten Wesen, aus dem „Geiste des jüdischen Rechtes“ ab-
leiten läßt; daß die Rechtsform des Inhaberpapiers dem jüdischen
Rechte ebenso gemäß ist, wie sie dem römischen und dem
germanischen Rechte ihrer innerster Natur nach fremd sein mußte,
weil sie ein unpersönliches Schuldverhältnis begründet.
Daß die spezifische Auffassung des römischen Rechtes von
der Obligation eine ganz und gar persönliche Färbung trug, ist
bekannt: die Obligatio war eine Bindung zwischen den Personen
und demzufolge auch zwischen ganz bestimmten Personen. Die
Bestimmung für ihr Zustandekommen : daß zwei oder mehr Per-
sonen „ex diversis animi motibus in unum consentiunt, id est in
unam sententiam decurrunt“ (Ulp. L. I, § 3 D. de pact. 2, 14).
Die Konsequenz dieser Auffassung war dann die , daß der
Gläubiger seine Forderung eigentlich überhaupt nicht übertragen
konnte, und wenn er es doch tun wollte, er es nur unter sehr
schweren Bedingungen tun konnte. Wenn auch im späteren
römischen Rechte durch die Ausbildung der Delegations-,
Novations- und insbesondere der Zessionslehre die Forderungen
etwas freier übertragbar wurden : an dem persönlichen Charakter
der Obligation ist dem inneren Wesen nach nichts geändert. Vor
allem behielt der Schuldschein seinen ursprünglichen Charakter
bei: er war nur akzessorisches Beweismittel. Trotz seiner
konnten allerhand Einreden gegen eine aus ihm folgende Zahlungs-
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89
pflicht erhoben werden, Einreden aus den persönlichen Verhält-
nissen zum ersten Gläubiger oder einem seiner Nachfolger.
Aber diesen grundpersönlichen Zug trug doch das deutsche
Vertragsrecht wohl auch. Ja bis zu einem gewissen Grade war
er in ihm stärker ausgeprägt als im römischen. Das germanische
Recht hatte den Grundsatz, daß der Schuldner keinem andern
zu leisten verpflichtet sei, als demjenigen, welchem zu leisten er
versprochen hatte. Die Forderung war überhaupt nicht über-
tragbar (wie denn das englische Recht bis 1873 an der Unüber-
tragbarkeit der Forderung grundsätzlich festgehalten hat). Erst
mit der Rezeption des römischen Rechts dringt die Übertragbar-
keit der Forderungen in Deutschland ein. Und eben wegen
dieses starr persönlichen Charakters, um die mangelnde Zessi-
bilität der Forderungen zu umgehen, behalf man sich ja (wie wir
sahen) mit der Eselsbrücke der Ordre- und Inhaberklausel. Ich
meine doch: damit ist deutlich genug ausgedrückt, daß das In-
haberpapier als „Verkörperung“ eines rein unpersönlichen Schuld-
verhältnisses ganz und gar außerhalb des Ideenkreises des
deutschen Rechtes gelegen war: gerade das Vorkommen der In-
haberklausel beweist das.
Jenen Rechtsgedanken, der den modernen Ordre-Inhaber- und
Blankopapieren zugrunde liegt: „daß nämlich die Urkunde auch
in der Hand jedes folgenden (sukzessive) z. Z. der ersten Be-
gabung noch völlig imbestimmten Nehmers Träger des beurkunde-
ten Rechts ist“ , hat „weder das Altertum noch auch nur das
Mittelalter voll entwickelt“ 201 .
Diese Auffassung ist zweifellos richtig, wenn man eine Ein-
schränkung hinzufügt: soweit nicht das jüdische Recht in Betracht
gezogen wird. Denn daß dieses jenes, durch das moderne In-
haberpapier ausgedrückte, „sachliche“ Schuld Verhältnis kannte,
dürfte sich unschwer nach weisen lassen 202 .
Die Grundidee des jüdischen Obligationenrechts ist die: es
gibt auch Verpflichtungen gegen unbestimmte Personen; man
kann auch mit Herrn Omnis Geschäfte abschließen. Dieser Grund-
gedanke ist in den einzelnen Lehren wie folgt verankert:
Das jüdische Recht kennt kein Wort für Obligation, sondern
nur eines für Schuld (Chow), eines für Forderung (Thwia).
Forderung und Schuld werden im jüdischen Recht als selb-
ständige Gegenstände angesehen. Ein sehr charakteristischer
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90
Beleg für die Bechtsidentitfit einer Forderung und Verpflichtung
an sich mit einer körperlichen Sache ist die Entstehung eines
Forderungsrechtes durch das Erwerbssymbol. Selbstverständlich
ist demnach, daß gegen die Übertragung von Forderungen und
gegen die Stellvertretung zur Abschließung eines Vertrages kein
gesetzliches Hindernis besteht. Die Person, gegen welche eine
Forderung oder Verpflichtung vorhanden ist, braucht daher nicht
an sich bestimmt zu sein, sondern sie kann auch ihre Be-
stimmung durch den Besitz gewisser Sachen und Eigenschaften
erlangen, sodaß sich die Forderung oder Verpflichtung eigentlich
gegen die Sache oder Eigenschaft richtet, und nur, um den
persönlichen Charakter des obligatorischen Verhältnisses zu
wahren, direkt auf den Inhaber dieser Gegenstände oder Eigen-
schaften sich beziehen muß.
Das obligatorische Rechtsverhältnis geht zwar von seinen
Subjekten aus, aber es wird, sobald es entstanden ist, in seinen
beiden Faktoren, Forderung und Verpflichtung (siehe oben Dar-
gelegtes), zu einer in sich begründeten, absoluten, von jeder
Individualität getrennten Substanz, deren Kräfte und Eigen-
schaften sich sinnlich in den Handlungen beliebiger Personen
darstellen. Daher eben die Auffassung: daß eine Verpflichtung
ebenso wie gegen einen bestimmten Gläubiger, auch gegen die
Gesamtheit aller Menschen, gegen die Allgemeinheit entstehen
kann. Demnach findet eine Übertragung der Obligation durch
bloße Überlieferung des Papiers statt, da ja das Geschäft, das
vermittels des Papiers mit dem Publikum eingegangen ist, sich
ebenso auf den Zessionär wie auf den Zedenten bezieht. Der
Inhaber des Papiers ist also gleichsam Mitglied einer Gesamt-
gläubigerschaft (dies ist die juristische Konstruktion Auerbachs).
Es liegt also (wie man denselben Gedanken mit anderer
Wendung ausdrücken kann) im jüdischen Recht keine Nötigung
vor, unter den Subjekten einer Obligation Personen zu denken.
Auch Eigenschaften oder Sachen können durch ihre natürlichen
Vertreter eine Obligation bilden. Der Wille des Herrn kann auf
eine Sache übertragen werden, wodurch dem leblosen Gegen-
stände die einem Rechtssubjekt notwendige Willensmanifestation,
also ein Tatbestand, der durchaus nicht in der Natur des Rechts-
subjekts eine Begründung zu haben braucht, zugesprochen werden
soll. Beim Inhaberpapier kann denn auch der Inhaber als
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Gläubiger nur insoweit als Gläubiger erklärt werden, als er das»
Papier inne hat: der übrige Teil seiner Persönlichkeit tritt gar
nicht in den Schuldnexus und das Verpflichtungsverhältnis ein.
Also ändert sich auch mit der Übertragung des Papiers im
Grunde der Gläubiger gar nicht, da von dem neuen Inhaber
wieder nur gleichsam eine Abstraktion, nämlich nur derjenige
Teil von allen seinen individuellen Eigenschaften in die Gläubiger-
schaft eintritt, der ihn als den Besitzer des Papiers kenn-
zeichnet. Die Rechtssubjekte sind die bestimmten Eigenschaften
an Personen, die tätigen Personen an sich sind die Träger, die
Vertreter jener Rechtssubjekte.
Eine gewiß kühne Konstruktion, die zum Teil deutlich subjek-
tive Färbung trägt. Was aber aus einer vorurteilsfreien Prüfung
des von Auerbach beigebrachten Materials sich wohl für jeden
ergibt , ist die so sehr viel abstraktere Grundrichtung des
jüdischen Rechts, die einer unpersönlichen, „sachlichen" Auf-
fassung vom Rechtsverhältnis im schroffen Gegensatz zum
römischen und altgermanischen Rechte die Wege ebnet. Daß
aber aus einem solchen „Geiste“ ein Rechtsinstitut, wie daä
moderne Inhaberpapier, wie von selbst herauswachsen mußte,
scheint mir keine übermäßig gewagte Annahme zu sein. Sodaß
zu allen äußeren Gründen noch dieser tief innerliche Grund einer
Übereinstimmung der Wesenheit des Inhaberpapiers mit der
Wesenheit der gesamten jüdischen Rechtsauffassung hinzukommt,
um die von mir aufgestellte Hypothese zu stützen: daß das
Rechts- (und Verkehrs I-) Institut des modernen Inhaberpapiers
in der Hauptsache (natürlich werden andere Einflüsse mitgewirkt
haben) jüdischen Ursprungs ist.
II. Der Handel mit Wertpapieren
1 . Die Ausbildung des Verkehrsrechts
In den modernen Wertpapieren, die wir Effekten nennen,
kommt der kommerzialistische Zug unseres Wirtschaftslebens am
deutlichsten zum Ausdruck. Das Effekt ist seinem inneren Wesen
nach dazu bestimmt, „in den Verkehr“ zu kommen. Es hat
seinen Beruf verfehlt, wenn es nicht gehandelt wird. Man könnte
zwar einwenden, daß ein sehr großer Teil der Effekten ein geruh-
sames Dasein in dem Geldschrank des Rentners führt und von
seinem Besitzer nur als Renteninstrument, nicht als Handels-
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Objekt betrachtet wird, das er behalten, nicht verkaufen will»
Aber als solches Besitzobjekt im ruhenden Zustande funktioniert
das Wertpapier gar nicht als Effekt, es brauchte um diese Rolle
zu spielen, gar nicht es selber zu sein : eine irgendwelche persön-
liche Schuldurkunde könnte denselben Dienst leisten» Spezifisch
ist ihm nur seine leichte Verkäuflichkeit und nur um derentwillen
muhte jener mühsame Prozeß der Versachlichung vollzogen
werden. Alle Eigenart, die unser Wirtschaftsleben durch di©
Ausbildung der Effekten erfährt, beruht ausschließlich in d^ren
Beweglichkeit, die sie zum raschen Besitzwechsel geeignet machen.
Das sind ja Selbstverständlichkeiten, die ich nur um des Zu-
sammenhanges willen hier aussprechen mußte.
Ist aber der Lebensberuf des Effekts der, leicht und mühelos
von Hand zu Hand zu gleiten, so sind für die Entwicklung des
Effektenwesens alle diejenigen Einrichtungen von entscheidender
Bedeutung, die den Besitzwechsel dieser Vermögenswerte er-
leichtern. Zu diesen Einrichtungen gehört in erster Linie ein
passendes Recht. Passend für den gedachten Zweck ist aber
ein Recht dann, wenn es eine rasche Entstehung neuer Be-
ziehungen zweier Personen zueinander oder einer Person zu
einer Sache möglich macht.
Beruhen die Lebensbedingungen einer Gesellschaft darin,
daß jedes Ding der Regel nach in den Händen eines und des-
selben Eigentümers verbleibt — wie etwa in einer eigenwirt-
schaftlich organisierten Volksgemeinschaft — , so wird das Recht
alles aufbieten, um die Beziehungen zwischen Person und Sache
so fest wie möglich zu gestalten, während umgekehrt, wenn die
Bevölkerung auf dem unausgesetzten Neuerwerbe von Gütern ihr
Dasein aufbaut, das Recht grundsätzlich auf Sicherung des Ver-
kehrs ausgerichtet sein wird. Wiederum Selbstverständlichkeiten,
deren Erwähnung uns nun aber mitten in das hier zur Erörterung
stehende Problem hineingeführt hat.
Und zwar so: unser reges Verkehrsleben, vor allem aber
der Handel mit Wertpapieren, heischt namentlich ein Besitz-
recht, das die Vernichtung alter und die Entstehung neuer
Rechtsbeziehungen nach Möglichkeit erleichtert , also gerade
das Gegenteil von dem bestimmt, was etwa das deutsche und
das römische Recht anstrebten. Diese beiden erschwerten den
Eigentumsübergang in jeder Hinsicht und versuchten, die Eigen-
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tumsbeziehungen vor allem auch dadurch zu festigen, daß sie
dem Eigentümer eine weitreichende Vindikationsbefugnis ver-
liehen. Insbesondere konnte nach römischem und älterem
deutschen Recht der Eigentümer ein ihm unrechtmäßig ab-
handen gekommenes Gut auch vom gutgläubigen Besitzer ohne
Entschädigung zurückfordern. Dem gegenüber steht der in das
moderne Recht fast durchgängig übergegangene Satz, daß die
Auslieferung nur gegen Erstattung der Summe zu erfolgen braucht,
die der jetzige Besitzer gezahlt hat, wenn nicht etwa überhaupt
keine Verpflichtung des gutgläubigen Erwerbers besteht, die
Sache dem früheren Eigentümer herauszugeben.
Woher nun dieser den älteren Rechten fremde Grundsatz
unserer modernen Gesetzgebungen? Antwort: aller Wahr-
scheinlichkeit nach aus dem jüdischen Rechtskreise, in dem von
jeher das verkehrsfreundliche Recht gegolten hat.
Den Schutz des gutgläubigen Erwerbers finden wir schon
im Talmud ausgesprochen. Die Mischna in B. Q. 114b, 115 a
lautet also: „Wenn jemand seine Geräte oder seine Bücher im
Besitze eines anderen erkennt, so soll, falls ein bei ihm verübter
Diebstahl in der Stadt bekannt geworden ist, der Käufer schwören,
wieviel er dafür bezahlt hat und sein Geld erhalten, wenn aber
nicht, so ist er dazu nicht berechtigt, denn man nehme an, daß
er sie an jemand verkauft und dieser sie von jemand gekauft
hat a (Übersetzung Goldschmidt 6, 430). Also auf jeden Fall
kann der gutgläubige Erwerber Schadenersatz verlangen; unter
bestimmten Umständen kann er die Sache ohne weiteres behalten.
Die Gemara schwankt zwar; aber im allgemeinen kommt sie
doch auch zu dem Entscheide : dem gutgläubigen Erwerber muh
„Marktschutz" gewährt werden; der Eigentümer muß ihm den
gezahlten Preis ersetzen.
Diese verkehrsfreundliche Auffassung des Talmud haben
dann die Juden während des ganzen Mittelalters in ihrem Rechte
beibehalten und — was das Wichtigste ist — sie haben schon
frühzeitig durchgesetzt, daß sie auch in der Rechtsprechung
christlicher Gerichte zur Anwendung gelange. Für den Erwerb
beweglicher Sachen durch Juden hat Jahrhunderte lang ein be-
sonderes Judenrecht in Geltung gestanden; es hat seine erste
Anerkennung in dem Privileg gefunden, das König Heinrich IV. im
Jahre 1090 den Juden Speiers erteilt: „Wird bei einem Juden
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eine gestohlene Sache gefunden und behauptet der Jude, sie
gekauft zu haben, so darf er mit dem Eide nach seinem Gesetze
erhärten, für welche Summe er sie gekauft habe ; zahlt ihm dann
soviel der Eigentümer, so soll er sie diesem dafür herausgeben."
Dieses besondere jüdische Recht finden wir nicht nur in Deutsch-
land, sondern auch in anderen Ländern (in Frankreich schon
Mitte des 12. Jahrhunderts) in Anwendung 808 . Im Sachsen-
spiegel ist es UJ, 7, § 4 aufgenommen. Es scheint, daß der
wichtige Rechtsgrundsatz dann durch die neueren Kodifikationen
zu allgemeiner Geltung erhoben worden ist. Goldschmidt,
der „den Ausschluß der Vindikation sogar gestohlenen Gutes in
dritter Hand“ ebenfalls auf jüdisch-rechtlichen Ursprung zurück-
führt, nimmt einen Einfluß der jüdischen Rechtsauffassung vor
allem auf das Handelsgewohnheitsrecht 804 an (obwohl er
im allgemeinen die Bedeutung der Juden für die Entwicklung
-des Handels und des Handelsrechts zu verkleinern, wenn nicht
überhaupt zu leugnen krampfhaft bemüht ist. Es gibt nämlich
im Grunde gar keine Juden I)
2. Die Börse
Aber die Hauptsache war natürlich, daß für die Wertpapiere
ein ihnen angemessener Markt geschaffen wurde. Und das war
die Börse.
Wie die Gegenstände, die man in den Handel bringen wollte,
versachlichte Forderungsrechte waren, so wurde in der Börse
•der Handel damit ebenfalls seiner persönlichen Färbung entkleidet.
Denn das ist das Wesen der Börse und unterscheidet sie von
anderen Märkten. Die Verträge, die hier abgeschlossen werden,
sind nicht mehr in ihren einzelnen Bestandteilen der Ausfluß
persönlicher Bewertung und persönlichen Befundes, sondern
kommen durch das Zusammenwirken untereinander fremder
Personen zustande. Nicht das Vertrauen, das der einzelne Ge-
schäftsmann bei seinen Geschäftsfreunden auf Grund persönlichen
Umgangs genießt, befähigt ihn mehr, wie ehedem, Geschäfte
•einzugehen, sondern eine allgemeine, abstrakte Bewertung seiner
Kreditwürdigkeit, die ditta di Borsa, genügt nun, wie Ehren-
berg hervorgehoben hat, um Verträge abzuschließen. Nicht
ein individueller Preis, der durch gegenseitige Aussprache zweier
•oder auch mehrerer Käufer und Verkäufer zustande kam, liegt
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mehr den Abmachungen zugrunde , sondern ein aus tausend
Einzelpreisen mechanisch gebildete!:, abstrakter Durchschnittspreis.
Und der spezifisch börsenmäßige Handel selbst ist ein aller persön-
licher Beimischung entkleideter, versachlichter, automatisierter
Vorgang geworden.
Man nennt jetzt mit Recht die Börse einen Markt für fun-
gible (vertretbare) Tauschgüter oder Werte (Weber, Ehrenberg,
Bernhard) ; aber man muß sich klar machen, daß der Handel selbst
auf der Börse, wie man im übertragenen Sinne sagen könnte,
ebenfalls „fungibel“ geworden, besser: versachlicht ist, wie die
Objekte, auf die er sich bezieht (denn auch die Standardisierung
der Waren, die eine Voraussetzung des börsenmäßigen Handels
in Sachgütern ist, läuft auf nichts anderes hinaus, als auf eine
„Entpersönlichung“ der Ware, die nicht mehr in ihrer individuellen,
sondern nur noch in ihrer generellen Eigenart bewertet wird).
Es erübrigt sich, hier den Nachweis zu führen, daß die Ver-
marktung der Wertpapiere an die Existenz eines börsenmäßigen
Handels geknüpft war. Nur ein Wort möchte ich noch sagen
über die besondere Rolle, die in meiner Auffassung innerhalb
des Börsenhandels die „Spekulation“ spielt, weil hier jeder
Schriftsteller seine eigene Terminologie und seine eigene An-
sicht hat
Eine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung für die
„Spekulation", wie wir sie in der obengenannten Definition für die
Börse besitzen, gibt es heute noch nicht. Die meisten Autoren
fassen den Begriff ganz allgemein, in dem Sinne von „Wagen
und Gewinnen“ etwa, und zwar dann wieder schwankend, bald
als eine bestimmte Tätigkeit, bald als eine bestimmte Art von
Geschäften. Daß dabei eine Erscheinung nicht bestimmt wird,
die sich ganz deutlich innerhalb jenes weiten Rahmens als
„Spekulation“ im engeren Sinne abhebt, ist zweifellos. Auch
diese hat man zu fassen versucht: Ehrenberg, indem er Handel
und Spekulation gegenüberstellt, jenen sich in der Ausnutzung
örtlicher, diese zeitlicher Preisunterschiede erschöpfen sieht.
Aber dann fällt unter den Begriff Spekulation ganz gewiß noch
eine ganze Menge von Geschäften , die man auch im kauf-
männischen Sprachgebrauch nie und nimmer als „Spekulation"
bezeichnen würde: im effektiven Warenhandel kommt es doch
immer auch auf eine Ausnutzung zeitlicher Preisunterschiede an
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(Handel mit Emteerzeugnissen !) und kein Mensch wird einen
Kaufmann, der Weizen nach der Ernte kauft, weil er auf ein
Steigen im Frühjahr rechnet, einen Spekulanten nennen. Eher
liehe sich schon diese Begriffsbestimmung verwerten, wenn wir
(mit Max Weber) die Beschränkung auf den Handel mit börsen-
gängiger Ware hinzufügen. Nur möchte ich dann auch gleich
den Begriff noch ein wenig enger (und damit präziser) fassen,
indem ich Spekulation in einen Gegensatz zum Effektivgeschäft
setze, also darunter alle nicht auf effektive Lieferung der Ware
oder (was dem in der Sphäre des Effektenhandels gleichkommt)
nicht auf den Erwerb von Anlagepapieren abzielenden Käufe
verstehe (die ja damit von selbst in den Nexus der Börsenusance
und des durch diese geschaffenen Geschäftsmechanismus ein-
geschlossen sind).
Jedenfalls wird man den Begriff Spekulation in diesem
engen Sinne verstehen müssen, wenn man von der Bedeutung
der Spekulation für den börsenmäßigen Handel spricht, da man
ja alsdann diese beiden Begriffe in einen Gegensatz zueinander
bringt. Dieser Gegensatz kann aber dann nur der sein zwischen
effektivem Geschäft und Differenzgeschäft (in dem oben um-
schriebenen, weiteren Sinne), innerhalb dessen man dann wieder-
um als wichtigste Form der Spekulation das Differenzgeschäft
im engeren (eigentlichen) Sinne unterscheiden kann. Daß dieses
in der Tat für das effektive Geschäft die Bedeutung mindestens
des Schrittmachers habe, ist heute wohl allgemein anerkannt.
Insbesondere für den Effektenmarkt bleibt es außer Zweifel, daß
die „Spekulation“ den Markt der Spekulationspapiere vergrößert
und die Sicherheit, effektive Geschäfte machen zu können, steigert.
Die Gründe (die die Verteidiger dieser Ansicht nicht immer mit
der wünschbaren Deutlichkeit anführen, wie denn überhaupt die
Markt bildende Funktion der Spekulation gegenüber ihrer Preis
ausgleichenden Wirkung, obwohl sie mindestens ebenso bedeut-
sam ist — hier übrigens allein in Betracht kommt — immer
stiefmütterlich behandelt wird), hat in mustergültiger Welse
schon Isaac de Pinto wie folgt zusammengestellt 205 , dessen Aus-
führungen ich hier im Wortlaut wiedergebe, weil es immer reiz-
voll ist, zu vernehmen, wie zuerst bestimmte Wahrheiten er-
kannt und ausgesprochen sind:
1. La facilite de vendre son fonds ä terme et de donner
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et prendre des primes sur ce mOme fonds, engage d’abord beau-
coup de gens ä placer leur argent qui ne placeraient pas sans
ces avantages;
2. il y a un grand nombre de gens päcunieux, tant en Angle-
terre qu’en Hollande, qui ne veulent pas placer dOfinitivement
leur argent dans les nouveaux fonds pour ne point en courir les
risques pendent la guerre. Mais que font-ils? Hsplacent cepen-
dent pour 10, 15 ou 20 milles livres Sterling en annuitäs, qu’ils
vendent ä termes aux agioteurs: au moyen de quoi ils ont un gros
intäröt de leur argent, sans ötre sujets aux variantes, qui sont
pour le compte de l’agioteur; ce manöge ce continue pour
desann4es; et cela s’est fait pour des millions . . .
De Sorte que le Gouvernement d'Angeleterre a, par ce jeu-lä,
balayO non seulement l’argent de ceux qui voulaient de ces fonds,
mais encore tout l’argent de ceux mOme qui n’en
voulaient pas.“
Und dann:
. la circulation, que le jeu procure est prodigieuse; on
ne peut imaginer combien il facilite les moyens de se däfaire
ä tout moment et ä toute heure de ces fonds et cela pour des
sommes considärables. C'est ä cette facilitd que les particuliers
ont ä se d4faire de ces fonds, que l’Angleterre est redevable en
partie de celle qu’elle a eu de faire ces Onormes emprunts.“
Nicht zu vergessen der Tendenz zur Nivellierung und
Unifizierung des Effektenwesens , durch deren Entfaltung die
Spekulation ebenfalls unzweifelhaft marktbildend wirkt, weil sie
den Besitzwechsel der einzelnen Stücke, die dann auch im
Termine gehandelt werden können, natürlich erleichtert: ich
denke an Vereinheitlichung der Zinssätze, der Zinstermine, Ab*
lOsung von der einzelnen Kasse usw. >0Ä .
Dann wäre aber auch npch festzustellen, daß das, was man
die „Berufsspekulation“ nennt, diesen Namen nur zum Teil ver-
dient. Jene 1000 oder 2000 Personen an den großen Börsen,
die, wie man sagt, „die Spekulation“ gewerbsmäßig betreiben,
betreiben in Wirklichkeit und genau gesprochen den Effekten-
handel gewerbsmäßig und zwar teilweise als Effektiv-, teilweise
als Differenzhandel und ersetzen in gewissem Sinne den dealer
der Londoner Stock Exchange. Im Jobber schneiden sich also
die beiden Kreise : Effektivhandel und Spekulationshandel, sodaß
Sombart, Die Jaden 7
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wir folgende Kategorien börsenmäßigen Handels zu unterscheiden
haben :
1. gelegentlichen Effektivhandel (Handel des anlagesuchenden
Publikums oder seiner Beauftragten);
2. gelegentlichen Spekulationshandel (Spekulation der nicht
„berufsmäßigen“ Spekulanten, die wieder Spekulation von
Insiders [die Großspekulation] und Outsiders ist) ;
3. berufsmäßigen Effektivhandel 1 das Gewerbe des
4. berufsmäßigen Spekulationshandel J „Jobbers“.
Will man nun die Entwicklung der „Börse“ verfolgen, so
wird man (von der allmählichen Herausbildung der äußeren
Organisation abgesehen) nachzugehen haben:
1. der Entwicklung eines berufsmäßigen Effektenhandels ;
2. der Entwicklung der Spekulations-(Terminhandels-)Technik.
Um diese beiden Entwicklungsreihen ranken sich oder in sie
fügen sich ein alle andern Erscheinungen, die zusammen mit
jenen beiden die „Börse“ ausmachen.
Daß uns bis heute eine Entwicklungsgeschichte der Börse
fehlt, ist ein nicht genug zu beklagender Übelstand. Ich muß
deshalb, da ich natürlich in diesem Zusammenhänge jene Riesen,
lücke auch nicht einmal oberflächlich stopfen kann, mich damit
begnügen, um die Paar Flicken, auf deren Aufzeigung es mir
ankommt, auch nur befestigen zu können, notdürftig ein bißchen
Hintergrund herzurichten, auf dem sich die besonderen Tat-
sachen, über die ich zu berichten habe — und das ist ja der
Anteil der Juden an der Herausbildung der Effektenbörse (die
Produktenbörse muß ich einstweilen mangels jeglichen Materials
unberücksichtigt lassen) — so gut wie möglich abheben.
* *
♦
Die Geschichte der Börse zerfällt in zwei große Perioden:
in die Zeit seit ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bis etwa um
die Wende des 19. Jahrhunderts: die Periode des inneren
Wachstums, während welcher sich alle Einrichtungen der Börse
zur Reife entwickeln, ohne daß sie selbst schon einen organi-
schen Bestandteil des Wirtschaftslebens bildete, und in die Zeit
seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts bis heute: die Periode,
in der nach und nach alle Teile der Volkswirtschaft vom Börsen-
wesen durchdrungen werden.
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Unser Augenmerk wird sich natürlich vornehmlich wieder
auf die erste Periode zu richten haben: die Zeit der intensiven
Entwicklung, des stillen Reifens.
Daß wir den Ursprung der modernen Effektenbörse
im Wechselhandel oder wenn man den Begriff mehr im äußer-
lichen Sinne fassen will: in der Vereinigung der Wechselhändler
zu suchen haben, darf jetzt wohl als sicher gelten 907 : die Plätze,
an denen im 16. und dann namentlich im 17. Jahrhundert nam-
hafte Börsen entstehen, sind sämtlich vorher Mittelpunkte eines
regeren Wechselverkehrs gewesen.
Nun können wir aber deutlich wahrnehmen, daß in der Zeit,
in der die Börsen emporblühen, die Juden den Wechselmarkt
fast ausschließlich beherrschten. Das Wechselgeschäft gilt im
16. und 17. Jahrhundert, zum Teil noch später, vielerorts gerade-
zu als eine Domäne der Juden.
Für Venedig (im 16. Jahrhundert) habe ich in anderem Zu-
sammenhänge die Belege schon beigebracht 908 .
In Amsterdam begegnen wir ihnen gleichfalls als hervor-
ragende Wechsel- und Geldsortenhändler, ausdrücklich erwähnt
freilich erst für das Ende des 17. Jahrhunderts 909 ; es liegt aber
kein Grund vor, anzunehmen , daß sie es vorher nicht gewesen
wären.
Gleichsam eine Filiale von Amsterdam war im 17. Jahr-
hundert Frankfurt a. M. Nim: schon im 16. Jahrhundert berichtet
uns Stephanus 910 von den Juden, welche der Messe zwar „nicht
zur Zierde, wohl aber zum Vorteil gereichten, besonders im
Wechselgeschäft". Im Jahre 1685 klagen die christlichen Kauf-
leute Frankfurts, daß die Juden das ganze Wechselgeschäft und
die Maklertätigkeit an sich gezogen hätten 911 . Freunde der
Glückei von Hameln haben „Handel mit Wechseln und sonstigem,
wie es bei Juden Brauch ist,“ geführt 919 .
In Hamburg bürgern die Juden das Wechsel- und Bank-
geschäft erst ein. Ein Jahrhundert nachher (1733) äußert sich
ein Gutachten bei den Senatsakten über die Bedeutung der Juden
als Wechselhändler dahin, daß im Wechselgeschäft . . die Juden
„fast gantz Meister“ seien , „die Unsrigen überflügelt“ hätten 918 .
Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Juden in Ham-
burg fast die einzigen regelmäßigen Wechselkäufer.
Von deutschen Städten wird uns noch von Fürth ausdrück-
7*
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100
lieh bestätigt, daß der Wechselliandel (während des 18. Jahr-
hunderts) „größten Teils in ihren Händen“ lag 314 .
Über die Zustände in Wien, das bekanntlich seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts sich als Börsenplatz eine hervorragende
Stellung eroberte, berichtet der Staatskanzler Ludewig aus der
Regierungszeit Leopolds 1. 315 „Praesertim Viennae ab opera et
fide Judaeorum res saepius pendent maximi momenti. Cambia
praesertim et negotia primi ordinis nundinatorum“.
Von den Juden in Bordeaux heißt es 310 : „leur principal
commerce est de prendre les lettres de change et d’introduire
Vor et l’argent dans le royaume“.
Daß die Juden in Stockholm im Anfang des 19. Jahrhunderts
den Wechselmarkt beherrschten, erfahren wir aus einem Gut-
achten des Abgeordneten Wegelin (1815) 817 .
Wurden die Juden als die Beherrscher des Wechselhandels
die Begründer der modernen Effektenbörse, so müssen wir doch
nun aber als die viel bedeutsamere Tatsache feststellen, daß sie
der Börse und dem Börsenhandel auch ihr eigenartiges Gepräge
aufgedrückt haben. Dies aber dadurch, daß sie offenbar die
„Väter des Termingeschäfts“ , die Schöpfer der Technik des
börsenmäßigen Handels, wenn man will, also auch die Väter der
Börsenspekulation gewesen sind.
In welche Zeit wir die Anfänge der Effektenspekulation
verlegen sollen, können wir im Augenblick noch nicht mit Be-
stimmtheit sagen. Die Italianisten möchten gern auch für diese Er-
scheinung des modernen Wirtschaftslebens die Priorität Italiens-
gewahrt sehen. Wenn’s nach Sieveking ginge, hätten wir im
IS. oder doch spätestens im 14. Jahrhundert in Genua schon alle
Arten von Stockjobberei in höchster Blüte. Er meint darüber 218 :
„Die Anteile an der Staatsschuld waren veräußerlich . . Die
schwankenden Kurse gaben Anlaß zu einem lebhaften Handel
mit Schuldanteilen, wie wir ihn in Genua schon im 13. Jahr-
hundert verfolgen können. Ja aus den Akten des Genueser
Handelsgerichts und aus Venedig lassen sich um 1400 Speku-
lationsgeschäfte in solchen loca nachweisen, die die Form von
Termin- und Differenzgeschäften trugen“. Was er selbst aber
bisher aus diesen Akten mitgeteilt hat, rechtfertigt dieses Urteil
nicht 819 . Im Notfall könnte man für Venedig im 15. Jahrhundert
Spuren des Differenzgeschäftes nachweisen — wie denn dort.
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auch schon im Jahre 1421 ein Verbot gegen den Handel mit
Bankierscheinen erlassen wurde. Die Beispiele jedoch, die wir
für den Verkehr mit loca in Genua kennen lernen, ganz sicher
die aus dem 13. Jahrhundert, aber wie mir scheint, auch die aus
dem 15. Jahrhundert, entbehren jeden „spekulativen 8 Charakters,
auch wenn man den Begriff Spekulation recht weit faßt. Es
sind alles Effektivgeschäfte, die von Privatpersonen, nicht ein-
mal von berufsmäßigen Stockhändlem, abgeschlossen werden.
Will man nicht völlig in die Irre gehen und sich durch irgend
eine gelegentlich auftauchende Erscheinung in den Sumpf locken
lassen, so muß man immer die allgemeine Stimmung, die Wirt-
schaftsgesinnung, wie ich es nenne, zu Rate ziehen. Da sehen
wir denn nun in unserem Falle, daß noch im 16. Jahrhundert
alles, was nach Blanko verkauf aussah, strengstens verpönt war,
nicht etwa nur in der konservativen Menge oder in den Regie-
rungsstuben, sondern bei den allerfortgeschrittensten Leuten,
wie es beispielsweise Seravia della Calle unstreitig war. Der
schreibt denn nun aber in seinen „Institutionen 8 : „ö molto piu
malvagio mercato quello che fanno coloro che vendono una cosa
prima che la comprino“ 22 °.
Ich denke daher, es wird einstweilen sein Bewenden haben
bei dem Urteile Ehrenbergs, das dahin lautet 2 * 1 : Das Termin-
geschäft kommt zwar im 16. Jahrhundert schon vor, ist aber
nirgends schon als Hauptwerkzeug der Spekulation erwähnt.
Nicht im 13. Jahrhundert in Genua, sondern im 17. Jahr-
hundert in Amsterdam haben wir die Anfänge der modernen
Börsenspekulation zu suchen. Und zwar, wie ziemlich deut-
lich sich erkennen läßt, sind es die Aktien der ostindischen
Kompagnie gewesen, an denen sich die Stockjobberei empor-
gerankt hat.
Die große Masse gleichartiger Papiere, die plötzlich in Um-
lauf kamen, die stark verbreitete Spielsucht, das starke Interesse,
das man an dem Unternehmen von Anfang an genommen hatte,
die schwankenden Erträge und die sich daran knöpfenden
Stimmungsschwankungen: alles dies wirkte offenbar zusammen,
um auf dem wohlvorbereiteten Boden der Amsterdamer Börse
die Spekulation in Aktien rasch zur Blüte zu bringen 222 . In
der kurzen Zeit von acht Jahren war sie schon so allgemein
verbreitet und wurde sie schon so eifrig betrieben, daß sie von
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der Öffentlichen Gewalt als Übelstand empfunden wurde, den es
galt, durch Gesetze aus der Welt zu schaffen: das Plakat der
Generalstaaten vom 26. 2. 1610 verbot bereits, mehr Aktien zu
verkaufen, als man wirklich besaß. (Diesem Verbot sind dann —
natürlich ohne daß sie den geringsten Erfolg gehabt hätten —
noch viele gefolgt: 1621, 1628, 1677, 1700 usw.)
Würde man fragen, wer in Aktien spekulierte, so würde die
Antwort lauten müssen: jeder, der das Geld dazu aufbringen
konnte. Vor allem wohl die reichen Besucher der Börse, wahr-
scheinlich ohne Unterschied der Konfession.
Trotzdem aber werden wir annehmen dürfen, daß die Juden
bei dieser Entwicklung der ersten Börsenspekulation eine hervor-
ragende Rolle vor den andern Beteiligten gespielt haben. Was,
wie es scheint, ihr eigenstes Werk dabei war, war die Aus-
bildung eines berufsmäßigen Effektenhandels einerseits , der
Technik des Termingeschäfts anderseits. Wir haben einige
Zeugnisse, die die Richtigkeit dieser Annahme ausdrücklich be-
bestätigen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts galt es als aus-
gemacht, daß die Juden den Aktienhandel „ erfunden “ hätten 288 .
Das ist natürlich noch kein Beweis dafür, daß die behauptete
Tatsache wahr sei. Immerhin ist eine derartige allgemein ver-
breitete Ansicht, auch wenn sie in späterer Zeit ausgesprochen
ist, nicht ohne weiteres als belanglos von der Hand zu weisen,
zumal wenn sie in ihrer Richtigkeit durch andere Indizien be-
stätigt wird. Zunächst dies: die Ansicht beweist, daß man die
Juden für besonders geeignet hielt, jene Erfindung gemacht zu
haben. Sie waren also jedenfalls in jener Zeit die Haupt-
beteiligten. Das wird uns auch von anderer Seite bestätigt.
Sogar (was wichtig ist) für eine erheblich frühere Zeit: die
zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts durch den schon genannten
Nie. Muys van Holy. Was wir ferner als verbürgt ansehen
können, ist der Umstand, daß die Juden am Aktienbesitz bei
beiden indischen Kompagnien stark beteiligt waren. Für die
ostindische haben wir dafür das zuverlässige Zeugnis de Pintos 824 ;
für die westindische, deren Aktien ein noch wilderes Spekulations-
fieber entfachten, den Brief der Direktoren an Stuyvesant
in dem sie ihn anweisen: die. Juden in Neu- Amsterdam zuzu-
lassen „also because of the large amount of Capital which they
haye invested in shares in this Company“; für beide Kom-
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103
pagnien den Bericht Manasseh ben Israels an Cromwell 226 , in
dem der Verfasser bemerkt „that the Jews were enjoying a good
part of the (Dutch) East and West India Company.“
Besonderen Wert lege ich aber auf die Tatsache, daß am
Ende des 17. Jahrhunderts ein portugiesischer Jude in Amster-
dam dasjenige Buch schrieb, das zum ersten Male den börsen-
mäßigen Handel in allen seinen Verzweigungen erschöpfend
behandelte, und zwar, wie uns ein gewiegter Kenner versichert,
in einer Weise, daß es „bis zum heutigen Tage nach Form und
Inhalt die beste Darstellung des Fondsverkehrs geblieben" ist.
Ich meine Don Jos. de laVegas Confusion de confusiones usw.,
die 1688 erschien 287 . Daß also ein Jude der erste „Theoretiker“
des Terminhandels war, ist durch das Dasein dieser Schrift ver-
bürgt De la Vega war aber selbst Kaufmann und seine Dar-
stellung ist offenbar nichts anderes als der Niederschlag der
geistigen Atmosphäre, in der er lebte. Bringen wir diese schrift-
stellerische Leistung in Zusammenhang mit allem übrigen, was
wir von der Wirksamkeit der Juden an der Amsterdamer Börse
in Erfahrung gebracht haben, angefangen von ihrer Tätigkeit
als Wechselhändler, ziehen wir in Betracht die Anschauungen,
die im 18. Jahrhundert über die Rolle, die sie bei der Entstehung
des Aktienhandels gespielt haben, allgemein verbreitet waren,
so wird, da doch immerhin einige rationale Erwägungen unsere
Schlüsse in gleicher Richtung bestimmen werden, das Gesamt-
urteil tatsächlich, denke ich, in dem oben genannten Sinne dahin
lauten müssen: mindestens, daß die Juden bei der Genesis des
modernen Börsenhandels in entscheidender Weise mitgewirkt
haben, wenn nicht: daß sie seine Väter sind.
Möchte aber noch immer jemand an der Richtigkeit dieser
Ansicht zweifeln, so bin ich in der glücklichen Lage, jenem
Indizienbeweis noch einen unmittelbaren Zeugenbeweis beifügen
zu können, von dem ich selbst erst (dank einem Hinweise meines
Freundes Andrö E. Sayous in Paris) Kenntnis erhalten habe,
nachdem ich jene Zeilen niedergeschrieben (und an anderer Stelle
veröffentlicht) hatte.
Wir besitzen nämlich einen Bericht, wahrscheinlich des
französischen Gesandten im Haag an seine Regierung, aus dem
Jahre 1698, in dem klipp und klar ausgesprochen ist, daß die
Juden den Börsenhandel in Wertpapieren in ihrer
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Hand haben und nach ihrem Gutdünken gestalten.
Die wichtigsten Stellen dieses Berichtes lauten wie folgt* 28 :
„Dans cet £tat (Holland) les Jaifs font ane grosse partie; et c’est
snr les pronostics de ces prätendas sp 4 cnlatenrs poiitiqaes, trös vacillants
eox-mömes , qne les prix de ces actions sont dans des v&riations si con-
tinnelles qa’elles donnent lieu plusieurs fois le jonr k des nägociations qui
m£riteraient mieux le nom de jea oa de pari, et d'antant mieux qne les
Jaifs, qui en sont les ressorts, 7 joignent des artifices qui lai font
tonjonrs de nonvelles dapes möme de gens da premier ordre.“ (Also schon
künstliche Beeinflussung der Börse!)
..leurs coartiers et agents jaifs, les hommes les plas adroits en
ce genre qn’il 7 ait au monde . . „change et actions, dans toos lesquels
genres de choses ayant tonjonrs entre eux de grosses masses et pro-
visions . . /
Also zu deutsch etwa:
„In diesem Staat (Holland) spielen die Jaden eine große Bolle, and
nach den Prognostiken dieser vorgeblich politischen Spekulanten, die selbst
oft in Ungewißheit sind, sind die Preise dieser Aktien in so beständigem
Schwanken, daß sie mehrere Male des Tages Handelsgeschäfte verursachen,
welche eher den Namen eines Spieles oder einer Wette verdienten, am so
mehr, als die Jaden, welche die Triebfedern dieses Gebarens
sind, Kanststückchen dabei aasüben, welche die Leate immer wieder aufs
neue foppen and zum Besten halten, selbst wenn es die tüchtigsten sind."
. . ihre jüdischen Makler and Agenten , die geschicktesten Leute
dieser Art, die es auf der Welt gibt, . . .** „Wechsel und Aktien, in welcher
Art von Dingen sie immer große Summen und Vorräte halten/
Der mit allen Geheimnissen der Börsenmache vertraute Ver-
fasser berichtet uns sehr ausführlich, wodurch vornehmlich es
den Juden gelang, jene beherrschende Stellung an der Amster-
damer Börse einzunehmen. Ich komme darauf in anderem Zu-
sammenhänge noch zu sprechen.
Helles Licht fällt aber auch auf die Zustände an der Amster-
damer Börse, wenn wir die anderen Börsen jener Zeit in ihrer
Entwicklung verfolgen.
Wir wenden uns zunächst nach London, demjenigen
Platze, der vom 18. Jahrhundert ab Amsterdam den Rang ab-
lief und sich, wie bekannt, zum bei weitem ersten Börsenplätze
entwickelte. In London ist aber der Einfluß der Juden auf die
Effektenbörse vielleicht noch deutlicher wahrzunehmen als in
Amsterdam. Und es läßt sich außerdem mit einiger Sicherheit
nachweisen, daß die große Förderung, die die Börsenspekulation
in London gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfuhr, auf die
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105
Tätigkeit Amsterdamer Juden zurückzuführen ist, die damals
nach London übersiedelten. Dadurch aber wird die Geschichte
der Londoner Börse zu einem neuen Beleg für die Richtigkeit
der Ansicht, daß die Ausbildung des börsenmäßigen Handels in
Amsterdam vornehmlich das Werk der Juden gewesen ist. Denn
offenbar waren sie dann so erfahren in diesen Dingen, daß sie
zu Lehrmeistern an einer doch immerhin schon recht bedeutenden
Stätte kaufmännischen Lebens werden konnten.
Über die einzelnen Etappen, in denen die Juden die Londoner
Börse eroberten, wissen wir folgendes.
Im Jahre 1657 muß Sol. Dormido seine Aufnahme in die
Royal Exchange erst noch beantragen, denn die Juden sind
offiziell von dem Besuch der Börse ausgeschlossen. Das Gesetz,
das diese Ausschließung bestimmt, scheint aber ganz und gar
in Vergessenheit geraten zu sein. Jedenfalls finden wir gegen
Ende des 17. Jahrhunderts die Börse (seit 1698 ’ Change Alley)
schon voller Juden. Ihre Anzahl war so groß, daß ein besonderer
Teil des Gebäudes als Jews Walk bezeichnet wurde. „Die
Börse ist gedrängt voll von Juden“ („the Alley throngs with
Jews“) schreibt ein Zeitgenosse 829 . Hing die Auswanderung
nach ’ Change Alley mit der wachsenden Beteiligung der in der
Royal Exchange mißliebig bemerkten Juden zusammen? Mit
dem Exodus beginnt jedenfalls die Fondsspekulation in England 88 °.
Woher diese plötzliche Überflutung? Wir wissen es genau.
Sie rührte von den zahlreichen Juden her, die im Gefolge
Wilhelms HI. von Amsterdam herübergekommen waren. Und
diese brachten nun, wie schon erwähnt, die ausgebildete Technik
des Börsenhandels mit nach London. Daß die Darstellung, die
John Francis von diesen Vorgängen gibt, der Wirklichkeit
durchaus entspricht, wird durch zahlreiche Zeugnisse, die erst
in neuerer Zeit namentlich von den Judaisten beigebracht sind,
bestätigt:
Die Börse erschien wie Minerva: sie sprang völlig gerüstet
hervor ; die Hauptnegozianten der ersten englischen Anleihe
waren Juden; sie standen dem Oranier Wilhelm HL mit ihren
Ratschlägen zur Seite und einer von ihnen, der reiche Medina,
war Marlboroughs Bankier, zahlte ihm jährlich 6000 SS Pension
und erntete dafür die Erstlinge der Kampagnenachrichten.
Die Siegestage des englischen Heeres waren für ihn ebenso
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gewinnabwerfend als für Englands Waffen ruhmreich. Alle
Kunstgriffe der Hausse und Baisse, die falschen Nachrichten vom
Kriegsschauplatz, die angeblich angekommenen Kuriere, die ge-
heimen Börsenkoterien, das ganze geheime Räderwerk des Mammons
war den ersten Vätern der Börse bekannt und ward auch von
ihnen gehörig ausgebeutet.
Neben Sir Solomon Medina, the Jew Medina, wie er hieß,
den man als den Begründer der Fondsspekulation in England
ansehen darf, kennen wir noch eine ganze Reihe anderer großer
jüdischer Geldleute aus der Zeit der Königin Anna, die im großen
Stile an der Börse spekulierten. Manasseh Lopez, wissen wir,
gewann ein großes Vermögen dadurch, daß er eine (infolge
falschen Alarms: die Königin sei tot, entstandene) Panik aus-
nutzte und alle Regierungsfonds, die rasch im Preise fielen, auf-
kaufte. Ähnliches wird aus einer späteren Zeit von Sampson
Gideon berichtet, der als „the Great Jew broker* unter den
„Gentile“ bekannt war 881 . Um die finanzielle Stärke der Juden
im damaligen London zu ermessen, muß man bedenken, daß man
im Anfang des 18. Jahrhunderts die Anzahl der jüdischen Familien
mit 1000 — 2000 SS Jahreseinkommen auf 100, die mit 800 SS auf
1000 schätzte (Picciotto), während einzelne Juden, wie die Mendes
da Costa, Moses Hart, Aaron Francks, Baron d’Aguilar, Moses Lopez
Pereira, Moses oder Anthony da Costa (der Ende des 17. Jahr-
hunderts Direktor der Bank of England war) u. a. zu den reichsten
Kaufleuten Londons gehörten.
Aber fast noch bedeutsamer als diese Kreierung der groß-
zügigen Börsenspekulation durch große Geldleute erscheint mir
der Umstand, daß offenbar auch der berufsmäßige Effektenhandel
und damit die sogenannte „Berufsspekulation® an der Londoner
Börse durch Juden eingeführt sind. Diese beiden Erscheinungen
sind während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenfalls
erst aufgetaucht, und zwar sind sie allem Anschein nach von
den Brokers ins Leben gerufen. Der Broker hat also seinen
schroffen Widerpart: den Jobber selbt erzeugt.
Dieser Vorgang ist, soviel ich sehe, bisher nicht bemerkt
worden. Er läßt sich aber mit aller nur wünschbaren Deutlich-
keit an der Hand der zeitgenössischen Quellen verfolgen.
Postlethwayt, der in allen diesen Dingen ein durchaus zu-
verlässiger Gewährsmann ist, berichtet uns darüber wie folgt 288 :
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„Stock Jobbing . . was at first only the simple occasional
transferring of interest and shares from one to another as
persons alienated their estates; butby the industryof the
stock-brokers, who got the business into their
hands, it became a trade; and one, perhaps, whichhasbeen
managed with the greatest intrigue, artifice and trick that every
any thing which appeared with a face of honesty could be hand-
led with; for, while the brokers held the box, the made the
whole exchange the gamesters, and raised and lowered the
prices of Stocks as they pleased and always has both buyers
and sellers, who stood ready, innocently to commit their money
to the mercy of their mercenary tongues“ usw.
Nun wissen wir aber aus anderen Berichten, daß die Juden
an dem Stande der Brokers einen ganz besonders starken Anteil
hatten. Schon 1697 wurden an der Londoner Börse von ins-
gesamt 100 vereidigten Brokers 20 auf Fremde und Juden ge-
rechnet 889 . Und wir dürfen annehmen, daß sich in den folgen-
den Jahrzehnten ihre Anzahl noch vermehrte. „The Hebrews
flocked to ’ Change Alley from every quarter underheaven“, urteilt
Francis an der Hand zeitgenössischer Quellen. Jedenfalls er-
fahren wir von einem sehr gewissenhaften Beobachter aus den
1730 er Jahren (also ein Menschenalter nach ihrem Einbruch in
die Londoner Börse), daß es zu viel jüdische Makler gab, um sie
alle als Makler zu beschäftigen und daß diese Übersetzung des
Gewerbes die Veranlassung bot, mehr als die Hälfte von ihnen
in den (berufsmäßigen) Effektenhandel zu drängen*, sie also aus
brokers in Jobbers zu verwandeln: ihre Überzahl, schreibt unser
Gewährsmann 288 , „has occasion’d almost on Half of the Jew
Brokers to run into Stock-jobbing“. Nach demselben Gewährs-
mann sollen im damaligen London schon 6000 Juden ansässig
gewesen sein.
Diese Entstehung der Stock-jobberei aus dem Maklertum,
wie wir sie hier für die Londoner Börse deutlich aus den zeit-
genössischen Berichten ablesen können, scheint übrigens nicht
auf London beschränkt zu sein. Auch in Frankfurt a. M. dürfte
sich die Entwicklung ähnlich vollzogen haben. Jedenfalls wissen
wir, daß dort gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Juden zu-
nächst auch das Maklergewerbe ganz in ihre Hände gebracht
hatten 884 , von welcher Stellung aus sie dann wahrscheinlich sich
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108
dort ebenfalls den berufsmäßigen Fondshandel (und die damit
verbundene „Berufsspekulation“) erobert haben.
Auch in Hamburg haben die Portugiesen schon 1617 4 Makler,
später 20 ***.
Ziehen wir nun noch in Betracht, daß die allgemeine
Meinung den Juden auch die Ausbildung des Arbitragegeschäfts
an der Londoner Börse zuschrieb 980 , ferner, daß bei der gleich
zu besprechenden grandiosen Ausgestaltung, die die Fondsspeku-
lation seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in London
erfährt, die Juden ebenfalls stark beteiligt sind, so werden wir
kaum umhin können, dem Urteil, zu dem ein anderer Forscher
auf Grund eingehender Studien gelangt ist 987 , beizupflichten: daß
London, wenn es heute der Mittelpunkt des Geldverkehrs der
ganzen Erde ist, es dies vornehmlich den Juden verdankt.
Hinter Amsterdam und London treten alle anderen Effekten-
börsen während der ganzen frühkapitalistischen Epoche weit
zurück. Auch in Paris erwacht doch erst gegen Ende des
18. Jahrhunderts ein regeres Leben. Den ersten Spuren der
Fondsspekulation oder Agiotage, wie sie bekanntlich in Frankreich
heißt, begegnen wir dort im Anfänge des 18. Jahrhunderts.
Ranke 988 findet das Wort „Agioteur“ zum ersten Male erwähnt
in einem Schreiben der Elis. Charlotte vom 18. Jänner 1711.
Die Schreiberin meint, der Ausdruck stamme von den Billets de
monnaye: früher habe man nichts davon gewußt. Die Law-
Periode hinterließ offenbar keine dauernden Spuren. Denn noch
in den 1730 er Jahren empfindet man den Abstand gegenüber
den kapitalistisch fortgeschrittenen oder doch wenigstens börsen-
mäßig schon stärker bewegten Nachbarländern Holland und Eng-
land in Frankreich sehr. Mölon äußert sich darüber also 989 :
„La circulation des fonds est une des plus grandes richesses de
nos voisins; leur banque, leurs annuitäs, leurs actions, tout est
en commerce chez eux”. Also in Frankreich noch nicht. Und
noch im Jahre 1785 sagt ein Edikt (vom 7. August): „le roi est
informö, que depuis quelque temps il s’est introduit dans
la Capitale un genre de marchö“ etc., nämlich der Terminhandel
in Effekten.
Dieser niedrige Stand, den die Entwicklung des Börsen-
handels in Frankreich während des 18. Jahrhunderts noch auf-
wies, ist der deutliche Ausdruck der verhältnismäßig geringen
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Bedeutung, die die Juden fQr da s französische, in Sonderheit
Pariser Wirtschaftsleben in jener Zeit hatten. Da die Orte, wo
sie schon damals auch in Frankreich eine gröbere Bolle spielten,
wie Lyon und Bordeaux, doch wohl als Pflanz- und Pflegestätten
des Effektenhandels nicht geeignet waren. (In Lyon war die
kurze, in ihren Ursachen noch nicht genügend aufgedeckte Blüte»
zeit, während welcher der Platz Mittelpunkt eines regeren
Effektenverkehrs während des 16. Jahrhunderts gewesen war 240 ,
doch ohne Nachwirkung geblieben.)
Das wenige immerhin, was Paris während des 18. Jahr*
hunderts an Börsenspekulation und berufsmäßigem Effekten-
handel besaß, verdankte es doch wohl auch den Juden. Der
Sitz der Fondsspekulation in Paris, wo auch die erste Agio-
tage mit den „billets de monnaye“ sich abspielte, war (und
blieb lange Zeit hindurch) die durch den Law-Schwindel später
so bekannt gewordene Rue Quincampoix. Hier aber wohnten,
wie uns ein etwas später schreibender Gewährsmann be-
richtet* 41 , „viele Juden“. Der Mann aber, an dessen Namen
sich diese erste Fondsspekulation recht eigentlich knüpfte, ein
großer Meister der Agiotage vor Law, war der bekannte Finanz-
mann Ludwigs XIV., Samuel Bemard. Nach ihm heißen die
Billets de monnaye, als sie nachher entwertet waren, „Bemar-
dines“* 4 *. Was aber John Law außer seinem Phantasmus an
börsentechnischen Kenntnissen besaß, hatte er in Amsterdam ge-
lernt 24a . Ob Law selbst Jude war (Law = Levy), wie be-
hauptet wird* 44 , habe ich nicht feststellen können. Möglich ist
es. Sein Vater war bekanntlich „Goldschmied“ (und Bankier),
Daß er „reformiert“ war, ist natürlich kein Hinderungsgrund,
Für sein Judentum spricht das jüdische Aussehen des Mannes
auf manchen Bildern (zum Beispiel auf dem in der deutschen Aus-
gabe seiner „Gedanken vom Waren- und Geldhandel“ usw. aus
dem Jahre 1720). Dagegen eigentlich der Grundzug seines
Wesens, der doch ein seltsames Gemisch von Seigneurialismus
und Abenteurertum war.
In Deutschland gelangten während des 17. und 18. Jahr-
hunderts nur die Börsen von Frankfurt a. M. und Hamburg,
also der beiden Judenstädte par excellence, zu einiger Bedeutung,
Wie deutlich sich der Einfluß der Juden auf diese beiden Börsen
nachweisen läßt, wurde an anderer Stelle schon gezeigt.
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110
Als eine wesentlich jüdische Institution ist aber auch die
Berliner Börse von vornherein ins Leben getreten. Im Anfang
des 19. Jahrhunderts schon, noch ehe die Juden die Freiheit er-
langten (1812), ragten sie selbst ziffennäßig hervor: von den
vier „Vorstehern der Börse“ waren zwei (!) Juden; das „Börsen-
Committö“ aber bildeten folgende Personen:
1. die Herren Börsenvorsteher 4
2. die Ältesten der beiden Gilden 10
8. von der Elbschiffergilde 1
4. von den Kaufleuten jüdischer Nation dazu erwählt 8
23
Also von 28 Mitgliedern waren 10 (NB. anerkannte!) Juden;
wieviel außerdem getaufte und Kryptojuden, läßt sich nicht
feststellen.
Wiederum sehen wir sie auch in Berlin stark im Makler-
gewerbe vertreten: von sechs vereidigten Wechselmaklem sind
drei Juden (von den zwei vereideten Warenmaklem der Tuch-
und Seidenhandlung ist einer Jude, und der Substitut ist auch
Jude ; also von drei im ganzen sind zwei jüdischer Konfession) 245 .
Fondshandel und Fondsspekulation hat es in Deutschland
während des 18. Jahrhunderts wohl nur in Hamburg und Frank-
furt a. M. gegeben. Von Hamburg wissen wir, daß schon im
Anfang des 18. Jahrhunderts der Aktienhandel verboten wurde.
Ein Mandat des Hamburger Rats vom 19. Juli 1720 läßt sich
also vernehmen: „Demnach E. E. Rath mit großer Befrem-
dung und Mißfallen vernommen, welcher Gestalt einige Privati,
unter dem Prätext einer Assecuranze - Compagnie sich eigen-
mächtig unternommen, einen sog. Actien-Handel zu veranlassen
und anzufangen; daraus aber gar viel gefährliche und dem
Publico sowohl als Privatis höchst nachtheilige Folgen zu be-
sorgen“ usw. In dem Hamburger Münz- und Medaillen-
vergnügen (1753), Seite 143, Nr. 4 findet sich eine auf den Aktien-
handel geprägte Denkmünze. Auch Raumburger klagt in der
Vorrede zu seiner Justitia selecta Gent. Eur. in Cambiis etc.
über den „so heillosen und verderblichen fatalen Papier- und
Aktienhandel“.
Juden die Väter? Wenigstens das mag festgestellt werden:
Die Anregung zum „Aktienhandel“ stammte aus den Eireisen
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der Assecuradeurs, wie aus dem Mandat des Jahres 1720 hervor-
geht. Wir wissen aber, daß bei der Seeversicherung in Ham-
burg die Juden eine hervorragende Rolle spielten 84Ä . Im übrigen
erfahren wir durch die genannten Zeugnisse über den Börsen-
handel in Hamburg nicht sehr viel und gar nichts Genaues;
ebenso können wir für Frankfurt a. M. nur Vermutungen an-
stellen. Auf die erste ganz sichere Spur stoßen wir in Augs-
burg im Jahre 1817. Wir kennen das Urteil des dortigen
Wechselgerichts vom 14. Februar 1817, worin eine Klage auf
Zahlung eines Differenzgewinnes mit der Begründung abgelehnt
wird, daß solche Geschäfte „Hazardspiel“ seien. Es hatte sich
um eine Kursdifferenz von 17 630 fl. gehandelt, die aus einem
Kauf auf Lieferung von 90000 fl. in Bayrischen Lotterielosen
entstanden war. Der Kläger hieß Heymann , der Beklagte
H. E. Ullmannl Das ist der erste sicher verbürgte Fall einer
Effektenspekulation in Deutschland 847 .
Damit haben wir nun aber schon in eine Zeit hinüber-
gegriffen, die ich von der eben betrachteten als eine neue
Periode der Börsenspekulation abgehoben wissen wollte.
Wodurch kennzeichnet sie sich? Was verleiht ihr das eigenartige
Gepräge, das wir immer nur mit dem schrecklichen Worte
„modern“ bezeichnen können?
Daß die Börse beute eine grundandere Stellung einnimmt
als noch vor hundert Jahren, erkennt man am deutlichsten an
der Beurteilung, die sie in den maßgebenden Kreisen damals
erfuhr und heute erfährt.
Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein will man auch in
kapitalistisch interessierten Kreisen von Fondsspekulation gar
nichts wissen. Die großen Handbücher und Lexika der Kauf-
mannschaft, die wir in englischer, französischer, italienischer,
deutscher Sprache aus der Mitte und der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts besitzen, erwähnen entweder (in den ökonomisch
„rückständigen“ Ländern) den Fondshandel und die Fonds-
spekulation gar nicht; oder — wenn sie davon sprechen, wie
Postlethwayt — können sie sich gar nicht genug tun in Ent-
rüstung diesen unerhörten Verirrungen gegenüber. Wie heute
der Kleinbürger oder der Agrarier über „die Börse“, das heißt
eben die Börsenspekulation urteilt, so urteilte im 18. Jahrhundert
auch der solide Großkaufmann. Als man im Jahre 1783 die Sir
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John Bcrnards Act im englischen Parlament beriet, waren sich
alle Redner einig in der Verurteilung der „infanious practice of
stockjobbing.“ Und dieselbe scharfe Ausdrucks weise finden wir
noch ein halbes Mcnschenalter später bei Postlethway t, der von
„tliose mountebanks, we very properly call stock-brokers a spricht.
Stock-jobbing nennt er ein „public grievance“, das „scandalous
to the nation“ geworden sei* 48 .
Kein Wunder, wenn bei dieser allgemeinen Verurteilung der
Fondsspekulation alle Gesetzgebungen noch das ganze 18. Jahr«
hundert hindurch sie strengstens verbieten.
Aber die Mißstimmung gegen die „Börse“ reichte noch tiefer.
Sie reichte bis zu den Grundlagen, auf denen sie aufgebaut war:
sie richtete sich gegen das Effektenwesen selbst. Hier natürlich
trat das Interesse der Staatsgewalt auf Seite derer, die es ver-
teidigten. Aber Fürst und Jobber standen in voller Einsamkeit
allein gegenüber der geschlossenen Masse aller übrigen Leute,
die sich überhaupt ein Urteil bildeten (die Privaten, die
sich gern Schuldtitel kauften, kann man natürlich nicht mit*
rechnen). Das öffentliche Schuldenwesen galt als eine partie *
honteuse der Staaten. Die besten Männer erblickten in der fort-
schreitenden Verschuldung einen der schwersten Übelstände, den
man mit allen Mitteln zu beseitigen trachtete. Praktiker und
Theoretiker waren darin einig. Man denkt in den Kreisen £er
Kaufmannschaft ernstlich daran, wie man die Staatsschulden
kassieren könnte ; und erörtert den Gedanken : ob nicht der frei-
willige Staatsbankerott als letzte Rettung zu erstreben sei Und
das in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts * 4 * l
Die Theoretiker urteilten nicht milder. David Hume nennt die
Staatsanleihen „a practice . . ruinous beyond all controversy“ * 50 .
Und Adam Smith braucht auch, wie bekannt, die stärksten Aus-
drücke, um seinem Unwillen über die immer mehr anwachsende
Verschuldung der Staaten Luft zu machen: „the ruinous practice
of funding“ . . . „the ruinous expedient of perpetual funding“ . . .
„has gradually enfaibled every state which has adopted it“ . . .
„(the progress of) the enormous debts, which at present oppress
and will in the long-run probably ruin all the great nations of
Europe“.* 51
Adam Smith ist wie in jeder Hinsicht auch hier der Spiegel,
in dem sich das Wirtschaftsleben seiner Zeit ruhig und klar
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widerspiegelt. Nichts besser kann die eigentümliche Gestaltung
der damaligen Volkswirtschaft — die ausgebildete frühkapita-
listische Wirtschaft — im Gegensatz zu der unsrigen kenn-
zeichnen, als die Tatsache, daß in dem grandiosen Lehrgebäude
des Adam Smith kein einziges Kämmerlein für die Lehre von
den Effekten oder von der Börse und dem börsenmäßigen Handel
übrig ist. Ein vollendetes System der Nationalökonomie, in der
der Börse auch nicht mit einem Worte Erwähnung getan wird!
Und fast um dieselbe Zeit war ein Buch erschienen (dessen
übrigens auch Adam Smith gedenkt, ohne den Verfasser mit
Namen zu nennen: „one author“ hat eine verrückte Meinung
geäußert, sagte er einmal bei Gelegenheit), in dem nur vom
Kredit und seinen Segnungen, von der Börse und ihrer Be-
deutung die Rede war; ein Buch, das man recht eigentlich das
hohe Lied des öffentlichen Schuldenwesens und des Effekten-
handels nennen kann; ein Buch, das ebensosehr mit seinem
vollen Gesichte in die Zukunft schaute, wie der Wealth of
Nations (als Theorie) der Vergangenheit zugewandt ist. Ich
meine natürlich den Traitö du crödit et de la circulation, der
1771 erschien, und dessen Verfasser Josef de Pinto hieß und
— deshalb diese Worte — portugiesischer Jude war. In Pintos
Buch ist haarklein und genau alles enthalten, was im 19. Jahr-
hundert zur Verteidigung des öffentlichen Kredits (wie überhaupt
der Versachlichung der Kreditverhältnisse) sowie zur Recht-
c fertigung des berufsmäßigen Effektenhandels, der Fondsspekula-
tion usw. dann vorgebracht worden ist. Ebenso wie Adam Smith
die Epoche der börsenschwachen Volkswirtschaft mit seinem
System beschließt, ebenso leitet Pinto die moderne Zeit mit
seiner Kredittheorie ein, die Zeit, in der nun die Fondsspekulation
zum Mittelpunkte des wirtschaftlichen Geschehens, die Börse
zum „Herzen des Wirtschaftskörpers“ wurde.
Leise, aber unaufhaltsam senkte sich von nun ab die Wage
der öffentlichen Meinung zugunsten der Kredit- und Börsen-
wirtschaft in dem Maße, wie diese selbst sich ausbreitete und
vertiefte. Allmählich folgte die Gesetzgebung, und als die
Napoleonischen Kriege zu Ende geführt waren, als Ruhe im
Lande herrschte, da fing nun auch die Börse an — unbehindert
von den lästigen Fesseln einer börsenfeindlichen Gesetzgebung —
mächtig emporzublühen.
Sombart, Die Juden 8
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114
Welches waren nun aber die tatsächlichen Veränderungen,
die Effekten wesen und Fondsspekulation in dieser Zeit erfuhren ;
worin erweist sich in der wirklichen Gestaltung der Dinge (nicht
nur in ihrem „ideologischen“ Widerschein) die Unterschiedlich-
keit gegen früher, derentwegen wir von einer neuen Epoche des
Börsenverkehrs reden können; und — natürlich unsere Haupt-
frage — : was hatten die Juden dabei zu tun?
Die Technik der Börsengeschäfte erlebte in der neuen Zeit
keine irgendwie wesentliche Veränderungen. Sie stand im Jahre
1688, als de la Veja sein Buch erscheinen lieh, vollendet da.
Daß noch diese oder jene Nebengeschäftsform hinzuwuchs, ver-
steht sich von selbst. Auch hier werden wir immer auf Juden
stoßen, wenn wir etwa die Recherche de la patemitö anstellen.
So fand ich 369 zum Beispiel als Begründer des Assekuranz-
geschäfts (in Deutschland) W. Z. Wertheimer in Frankfurt a. M.,
ebenso als Begründer des sog. Heuergeschäfts (zu dessen Betrieb
sich in Berlin im Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene Gesell-
schaft unter der Firma „Fromessen-Komitö“ gebildet hatte)
Juden.
Aber der Schwerpunkt der Entwicklung liegt doch nicht hier
in dieser Weiterbildung der Geschäftsformen; er liegt vielmehr,
wenn ich es in einem Schlagwort ausdrücken darf, in der
extensiven und intensiven Steigerung des Fondsverkehrs.
Wie rasch sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, dann
aber noch in viel reißenderem Tempo seit dem Anfang des
19. Jahrhunderts die Anzahl und Menge der öffentlichen Schuld-
verschreibungen vermehrt, ist ja bekannt. Damit natürlich dehnt
sich in gleichem (oder noch größerem) Maße die Fondsspekulation
aus. Diese hatte bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts
selbst in Amsterdam und London doch eigentlich nur geplänkelt,
und zwar mit Vorliebe im Aktienhandel. Den ersten großen Vor-
stoß gegen die öffentlichen Anleihen datiert ein zuverlässiger
Gewährsmann für Amsterdam (und damit für die damalige Börse
überhaupt) vom Jahre 1763: er berichtet, daß bis dahin vor-
nehmlich in Aktien spekuliert sei; „mais depuis la demiäre
guerre on s’est jettö dans le vaste Ocöan des annuites“ 968 . Die
an der Amsterdamer Börse notierten Effekten bezifferten sich
noch Mitte des 18. Jahrhunderts auf nur 44; darunter waren
25 Sorten inländische Staats- und Provinzialobligationen und
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115
<> deutsche Anleihesorten. Bis zum Ende des Jahrhunderts war
die Zahl der inländischen Papiere schon auf 80, die der deutschen
auf 30 gestiegen 8M . Aber wie rasch wuchs nun der Fondsmarkt
während und namentlich nach den Napoleonischen Kriegen anl
Waren bis 1770 an der Amsterdamer Börse seit ihrem Bestehen
für 250 MilL Gulden Anleihen aufgenommen worden, so emittierte
ein einziges Londoner Haus in nur 14 Jahren (von 1818 — 1832) für
mehr als jene Summe, nämlich für 440 Mill. Mark, öffentliche Schuld-
anweisungen. Das sind alles bekannte Dinge. Aber man weih
auch, wer „das einzige Londoner Haus" nur sein kann, das in
einem Jahrzehnt für eine halbe Milliarde Mark Papiere auf den
Markt brachte. Und mit der Erwähnung „dieses einzigen Hauses"
und seiner vier Brüderhäuser habe ich auch schon den Zu-
sammenhang hergestellt zwischen dieser allgemeinen Betrachtung
/der Fondsentwicklung und der Spezialfrage, die wir aufgeworfen
hatten.
Ausdehnung des Effektenmarktes von 1800 bis 1850 heißt
die Ausbreitung des Hauses Rothschild und was da drum
und dran hing. Denn der Name Rothschild bedeutet mehr als die
Firma, die er deckt. Er bedeutet die gesamte Judenscbaft, so-
weit sie an der Börse tätig war. Denn allein mit ihrer Hilfe
konnten die Rothschilds die alles überragende Machtstellung, ja
man kann getrost sagen : die Alleinherrschaft an der Fondsbörse
erobern, die wir sie während eines halben Jahrhunderts einnehmen
sehen. Es ist gewiß keine Übertreibung, wenn man gesagt hat,
daß (übrigens gilt das für manche Länder bis über die Mitte des
Jahrhunderts hinaus) ein Finanzminister, der sich dieses Welt-
haus entfremdete und mit ihm nicht paktieren wollte , geradezu
seine Bureaus schließen mußte. „Es gibt nur eine Macht in
Europa", heißt es um die Mitte des 19. Jahrhunderts, „und das ist
Rothschild; seine Trabanten sind ein Dutzend anderer Bank-
häuser und seine Soldaten, seine Knappen sind alle ehrlichen
Handelsleute und Arbeiter und sein Schwert ist die Spekulation"
{ A . Weil). Bekannt sind die vielen witzigen Bemerkungen, die
Heine über die Rothschilds gemacht hat und in denen sich
sicher besser als in langen Zahlenreihen die einzige Bedeutung
-dieses seltsamen Phänomens widerspiegelt. „Herr von Roth-
schild ist in der Tat der beste politische Thermometer, ich will
nicht sagen Wetterfrosch, weil das Wort nicht hinlänglich respekt-
8 *
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116
voll klänge“. „Jenes Privatkabinett ist in der Tat ein merk-
würdiger Ort, welcher erhabene Gedanken und Gefühle erregt,
wie der Anblick des Weltmeers oder des gestirnten Himmels:
wir sehen hier klar, wie klein der Mensch und wie grob Gott
ist“ usw.
Es kann mir nun nichts ferner liegen, als die Absicht, die
Geschichte des Hauses Rothschild hier auch nur in den Grund-
zügen zu schreiben. Jedermann kann sich über die welt-
geschichtliche Bedeutung dieses Hauses leicht aus der zum Teil
recht guten, jedenfalls sehr umfangreichen Rothschildliteratur 255
unterrichten. Was ich nur gern möchte, ist dies : ein paar der be-
sonders charakteristischen Züge hervorzuheben, die die Rothschilds
der Börse und dem Börsenverkehr eingeprägt haben, um so zu
zeigen, daß nicht nur in quantitativer, sondern auch in quali-
tativer Hinsicht die moderne Börse Rothschildsch (also jüdisch) ist»
Das erste kennzeichnende Merkmal , das die Börse seit den
Zeiten der Rothschilds trägt (und das sie ihr deutlich auf-
gedrückt haben), ist ihre Intemationalität. Diese war, wie nicht
erst nachgewiesen zu werden braucht, die notwendige Voraus-
setzung für die gewaltige Ausdehnung des Effektenwesens , das
zu seiner Entwicklung des Zusammenstroms der „Kapitalien“ aus
allen Ecken und Enden der bewohnten Erde nach den Zentren
des Leiheverkehrs , den großen Weltbörsen, bedurfte. Was uns
heute als selbstverständlich erscheint: die Internationalität des
Kreditverkehrs, war für den Anfang des 19. Jahrhunderts noch
etwas, das die größte Bewunderung erregte, wo man es bemerkte.
Daß Nathan Rothschild 1808 im Kriege Englands mit Spanien
es übernahm, von London aus die Zahlungen für die britische
Armee in Spanien auszuführen, galt als eine ungeheure Leistung
und begründete recht eigentlich seinen großen Einfluß. Bis 1< 98
hatte nur das Frankfurter Haus bestanden; 1798 wurde in London,
1812 in Paris, 1816 in Wien, 1820 in Neapel von je einem
Sohne des alten Mayer Amschel, wie bekannt, eine Zweig-
niederlassung begründet. Damit war die Möglichkeit gegeben, die
Anleihe jedes fremden Landes wie eine inländische zu behandeln,
und damit bürgerte sich beim Publikum die Gewohnheit erst
recht ein, sein Geld auch in fremden Papieren anzulegen, weil deren
Zinsen und Dividenden nun im Heimatlande in einheimischer
Münze bezahlt wurden. Die Schriftsteller aus dem Anfang des-
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117
19. Jahrhunderts berichten als über eine außerordentlich weit-
tragende Neuerung, daß „jeder Besitzer von Staatspapieren . . die
Zinsen nach seiner Bequemlichkeit an mehreren Orten ohne alle
Bemühungen erheben (kann): das Haus Rothschild in Frankfurt
bezahlt die Zinsen für mehrere Staatsregierungen , das Pariser
Haus Rothschild bezahlt die Zinsen der österreichischen Metalli-
ques, die neapolitanischen Renten, die Zinsen der englisch-
neapolitanischen Obligationen nach Belieben in London, Neapel
oder Paris“ 2Ö6 .
Wurde auf diese Weise der Kreis der Geldgeber räumlich
erweitert , so sorgten andere Maßnahmen der Rothschilds dafür,
daß nun auch der letzte Groschen aus der Bevölkerung allerorts
herausgepumpt wurde. Das geschah durch eine geschickte Be-
nutzung der Börse zu Emissionszwecken.
Nach allem, was wir aus den Berichten der Zeitgenossen
herauslesen 267 , hat die Ausgabe der österreichischen Rothschild-
lose im Jahre 1820/21 sowohl für das Anleihewesen, wie für den
Börsenverkehr Epoche gemacht. Zum ersten Male wurden hier
alle Register der wildesten Fondsspekulation gezogen , um
„Stimmung“ für das Papier zu machen, und von dieser Anleihe
datiert (wenigstens auf dem Festlande) recht eigentlich erst die
Effektenspekulation ; man kann sie „füglich als das . . Signal
«um lebhaften und weithin ausgebreiteten Handel mit Staats-
papieren betrachten“ (Bender).
Stimmung machen war die Parole, die von nun an den
Börsenverkehr beherrschte. Stimmung zu machen war der Zweck
der unausgesetzten Kursverschiebungen durch systematischen
Ankauf und Verkauf der Effekten, wie sie die Rothschilds von
Anbeginn an bei ihren Emissionen betrieben. „Um nun diese
Börsen- und Geldmarktsmanipulationen vornehmen zu können,
wurden alle möglichen, ihnen zu Gebote stehenden Mittel an-
gewandt, alle nur auffindbaren Wege eingeschlagen, alle nur zu
ersinnenden Börsen- und sonstigen Machinationen ausgeübt, alle
Hebel in Bewegung gesetzt, Geld in größeren und kleineren
Summen geopfert“ 268 . Die Rothschilds trieben also „Agiotage“,
in dem engeren Sinne, den die Franzosen dem Worte beilegen :
das war bis dahin von großen Bankhäusern, namentlich aber von
den Anlehnsübemehmem selbst, offenbar noch niemals geschehen.
Die Rothschilds verwendeten also das von den Amsterdamer
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118
Juden, wie wir sahen, eingeföhrte Mittel der künstlichen Markt*
beeinflussung durch Stimmungsmache zu einem neuen Zwecke:
der Lancierung von Effekten.
Aber die so sehr veränderte Stellung des Bankiers zur Börse
und zum Publikum wird uns doch erst verständlich, wenn wir
uns vergegenwärtigen, daß in jener Zeit, von der die Rede ist
— also in der Rothschildepoche — sich in dem kommerziellen
Leben neue Kristallbildungen vollzogen hatten, ein neuer Go*
schäftstyp entstanden war, der nun auch selbständiges Leben
betätigte und selbständige Anforderungen stellte : das Emissions-
geschäft.
UI. Die Schaffung von Wertpapieren
Das Emissionsgewerbe, mit dem wir hier zunächst zu tun
haben, verfolgt den Zweck, durch Kreierung von Effekten (öffent-
lichen Anleihen), also durch selbständige Effektenmacherei Gewinn
zu erzielen. Seine Entstehung ist deshalb für die Weiter-
entwicklung so entscheidend wichtig, weil in ihm ersichtlich eine
kapitalistische Kraftquelle von ungemeiner Stärke erschlossen
wird. Effekten entstehen von mm an nicht mehr nur aus dem
Bedürfnis des Geldsuchenden, Kreditbegehrenden heraus, sondern
ihre Produktion wird zum Inhalt einer eigenen kapitalistischen
Unternehmung, deren Interessen also mit der möglichst aus-
gedehnten Erzeugung dieser Ware aufs engste verknüpft sind.
Hatte man früher gewartet, bis der Geldsuchende kam, so wird er
von nun an gedrängt. Der Anlehnsübernehmer wird aggressiv;
von ihm geht die Anleihebewegung zum guten Teil nun aus.
Dieser Tatbestand wird (wie beim privaten Geldleihegeschäft)
nur selten deutlich. Wie aber die innere Konstruktion des
modernen Anleihewesens im Grunde ist, erkennen wir, wenn es
sich etwa um die Versorgung der kleineren Staaten mit Schulden
handelt. Bei ihnen ist, wie bekannt, geradezu eine Art von Ge-
schäftsreisendentum in Anleihewerten organisiert: „now we have
wealthy firms with large machinery, whose time and staff are
devoted to hunting about the world for powers to bring out
foreign loans m .“
Naturgemäß ändert sich mit dieser Neubildung auch die
Stellung des Anlehnsübemehmers zu Börse und Publikum. Auch
ihnen gegenüber muß er jetzt in ganz anderer Weise aggressiv
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119
werden , nachdem sein Gewerbe in der Unterbringung von
Effekten besteht, denn vorher, als diese Tätigkeit noch eine ge-
legentliche war.
Eine brauchbare Geschichte des Emissionswesens
und namentlich des Emissionsgewerbes besitzen wir nicht. Wann
dieses entstanden ist, können wir nur vermuten; vielleicht wird
sich die Geburtsstunde des Emissionsgewerbes auch nie mit
Sicherheit feststellen lassen, weil es sich ganz allmählich aus
einer gelegentlichen Anlehnsübernahme heraus entwickelt, und
diese selbst lange Zeit zwischen kommissionsmäßiger und eigen-
händlerischen Form schwankt. Die Entwicklung zum selb-
ständigen Emissionsgewerbe fällt wohl im wesentlichen in das
18. Jahrhundert, in dem wir jedenfalls die drei Etappen noch
deutlich wahmehmen können, in denen sich die Wandlung voll-
zieht.
Auf der ersten Stufe der Entwicklung wird wohl ein reiches
Bankhaus (oder ein reicher Geldmann), von dem vor der börsen-
mäßigen Anleiheunterbringung direkt geborgt wurde (sei es, daß
der Darleiher allein die Mittel aufbrachte, sei es, daß er sie sich
zum Teil von andern verschaffte: dann entstand das, was man
etwa ein Darlehn bei einer Depositenbank nennen könnte, was
aber auch durchaus verschieden von der modernen Form der
Anleihe ist), kommissionsweise mit der Placierung betraut worden
sein. Das ist etwa der Zustand, wie wir ihn in Österreich
(dessen Finanzgeschichte ganz besonders tüchtige Bearbeiter ge-
funden hat) während des ganzen 18. Jahrhunderts antreffen.
„Größere Anleihen, namentlich jene im Auslande, wurden meist
durch Vermittlung eines bedeutenden Bankhauses oder eines
Konsortiums von solchen aufgenommen. Die betreffende Firma
besorgte dann die Aufbringung des Kapitals im Wege der öffent-
lichen Subskription, sowie dessen Abfuhr an die Finanzverwal-
tung oder deren Ordre, übernahm die Auszahlung der fälligen
Zinsen und Kapitalsraten an die einzelnen Teilnehmer, nötigen-
falls mit Hilfe von eigenen Vorschüssen auf den assignierten
Fonds und vermittelte bei Differenzen mit den Interessenten —
alles natürlich gegen entsprechende Provision“ 260 . Aber auch
noch in den 1760 er Jahren sehen wir an der Wiener Börse die
Privatbankiers lediglich als Kommissionäre der Regierung tätig:
ihnen wird bei Konvertierungen „die Verwendung des Amorti-
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120
sationsfonds anvertraut“, aus dem sie die alten Papiere tunlichst
1 — lVa°/o höher als die mitbietenden Privaten aufzukaufen
haben 861 .
Aber es gab um jene Zeit schon „Eigenhändler in Anleihen" .
1769 „übernahmen italienische und niederländische Häuser bereit-
willig die Aufbringung von Anlehen“ m . Und die bekannte Be-
schreibung des Emissionswesens bei Adam Smith (B. V. ch. 3)
läßt diese Tatsache noch deutlicher erkennen. „In England . . .
the merchants are generally the people who advance money to
government. But advancing it, they do not mean to diminish,
but, on the contrary, to increase their mercantile capitals; and
unless they expected to seil with some profit their share in the
subscription for a new loan, they never would subscribe".
(Während in Frankreich, meint er, die direkte Beteiligung der
reichen Geldleute als , Selbstdarleiher 4 die Regel bilde). „Seit
einer Reihe von Jahren haben sich an den gröberen euro-
päischen Plätzen Vereine der Hauptbankiers gebildet, welche
auf die ihnen willkommenen Anlehn . . mitbieten.“ 868
Die eigenen Emissionshäuser, d. h. solche Geschäfte, deren
Haupttätigkeit die Emittierung von öffentlichen Anleihen wurde,
scheinen sich aber nicht einmal aus der Masse der Bankiers
herausgebildet zu haben, die wir im 18. Jahrhundert deutlich die
Emissionstätigkeit, aber offenbar immer nur als eine Neben-
beschäftigung, ausüben sehen. Wahrscheinlicher ist es, daß sie
dem Kreise der berufsmäßigen Effektenhändler, also in England
der Dealer entstammen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird
der Ring Londoner Bankiers, der das Monopol der Staatsanleihe-
emission besaß, gebrochen durch eine Konkurrenz, die ihnen aus
den Kreisen der Börsenleute erwächst. Und zwar ist es
wiederum ein jüdisches Haus, das hier den ersten Schritt
tut und dadurch eigentlich erst die ganz und gar börsenmäbige
Emission begründet. Ich meine die Rothschilds des 18. Jahr-
hunderts, die Beherrscher von 'Change Alley in jenen Tagen:
Abraham und Benjamin Goldsmid. Sie treten im Jahre 1792 —
als die ersten Mitglieder der Stock Exchange 863 — in
Wettbewerb mit den Bankiers bei Unterbringung einer neuen
Anleihe und beherrschen von da ab bis zum Tode des zweiten
Bruders, Abraham, im Jahre 1810 den Anleihemarkt: vielleicht
das erste wirkliche Emissionshaus, das dann in seiner Tätig-
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keit unmittelbar abgelöst wird vom Hause Rothschild. Diese
sind dann wohl das erste Haus, das die dem selbständigen
Emissionsgeschäft eigene Geschäftsführung (wie wir schon fest-
stellen konnten) zum ersten Mal zur Anwendung brachte.
Aber es ist klar: von der gewerbsmäßigen Emittierung
öffentlicher Anleihen konnten auch nur ganz wenige, große
Firmen leben. Die Effektenmacherei als Beruf hätte keine sehr
große Ausdehnung annehmen können, wenn sie sich hätte auf
die Fabrizierung öffentlicher Schuldtitel beschränken müssen. Ein
ganz anderes weites Feld der Tätigkeit bot sich in dem Augen-
blicke dar, da man Mittel und Wege fand, auch für den privaten
Bedarf Effekten herzustellen. Hier durfte man hoffen, bei nur
entsprechender Intensität des Angriffs , unübersehbar große
Massen von Abnehmern künstlich zu schaffen. Aus diesem
Drang der Effektenfabrikanten heraus, ihren Absatz zu erweitern,
entstehen dann die beiden, für alles moderne Wirtschaftsleben
so entscheidend wichtigen Untemehmungszweige : das Gründungs-
geschäft und das Pfandbriefgeschäft.
Das Gründungsgeschäft hat also zum Inhalt die Her-
stellung von Aktien und Obligationen zum Zweck des Verkaufs; es
wird betrieben von Firmen: „whose business it professedly is to
make money by manufacturing Stocks and shares Wholesale and
forcing them upon the public“ (Crump). Welch ungeheurer
Drang damit in das Wirtschaftsleben kam, braucht nicht erst
gesagt zu werden. Wurde es doch von nun an das Geschäfts-
interesse zahlreicher und zum Teil wichtiger Unternehmen, immer
wieder neue Kraftzentren des Kapitalismus in Gestalt neuer oder
erweiterter Unternehmungen zu schaffen, ganz ohne Rücksicht
auf den Bedarf oder ähnliche stabilisierende Kategorien. Es
tritt nun „eine Kraft in Tätigkeit, welche mit übermäßiger,
wucherischer Fruchtbarkeit Großbetriebe in Form von Aktien-
gesellschaften hervorbringt“ (Knies).
Daß aber die Juden an dieser Steigerung der dynamischen
Natur des Kapitalismus , nämlich an der Entwicklung des
Gründungsgeschäftes, wiederum hervorragenden Anteil haben,
wenn sie es nicht ganz und gar aus sich herausgeboren haben,
dürfte kaum noch zweifelhaft sein.
Die Anfänge des Gründungsgeschäfts liegen ebenfalls im
Dunkeln. Als erster belichteter Punkt in seiner Geschichte hebt
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122
sich, soviel ich sehe, abermals die Wirksamkeit des Hauses Roth-
schild heraus. Eine umfassende Gründertfttigkeit, die wohl auch
erst die gewerbsmäßige Gründerei erzeugte resp. möglich machte»
entfaltete sich scheinbar zum ersten Male, als Eisenbahnen gebaut
werden sollten, also seit den 1830 er Jahren. Und hier scheinen
in der Tat die Rothschilds (neben einigen anderen jüdischen
Häusern, wie den d’Eichthal, den Fould u. a.) die ersten gewesen
zu sein, die den neuen Geschäftszweig pflegten und zur Blüte
brachten.
Eine genaue ziffermäßige Erfassung dieser Vorgänge besitzen
wir meines Wissens nur immer, insoweit die Länge der kon-
zessionierten Linien oder allenfalls soweit die Höhe des inves-
tierten Kapitals in Frage kommt, nicht aber was den Anteil
der einzelnen Gründungshäuser anbetrifft. Wir kennen aber
immerhin eine große Menge bedeutender Eisenbahnlinien, die
von den Rothschilds „erbaut“ sind (französische Nordbahn,
österreichische Nordbahn, die italienisch-österreichischen Bahnen
und viele andere).
Wir dürfen vor allem aus den Zeugnissen urteilsfähiger
Zeitgenossen schließen, daß in der Tat die Rothschilds die ersten
„Eisenbahnkönige“ gewesen sind. „Als in den letzten Jahren“
(vor 1843), heißt es in einem viel bemerkten (und nachher viel
zitierten) Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom
Jahre 1843, „der Spekulationsgeist sich den industriellen Unter-
nehmungen zuwandte und die Eisenbahnen ein Bedürfnis des
Kontinents wurden, ergriffen die Rothschilds die Initiative und
stellten sich an die Spitze der Bewegung.“ Jedenfalls war das
Haus Rothschild in der Eisenbahngründung tonangebend geworden,
wie ehedem in der Anleiheemission. „Selten, haben sich Ge-
sellschaften gebildet ohne seine Gönnerschaft und bilden sie
sich doch und er läßt sie allein walten, so ist sicher nicht viel
daran zu verdienen“ (in Deutschland). „Das Haus Rothschild
bildet gegenüber den Eisenbahnen keine Sozietät; submissio-
niert es die Konzession einer Bahn, so ist jede Beteiligung, die
jenes Haus einzelnen Personen gewährt, eine Vergünstigung, ja
ein Geldgeschenk, welches es seinen Freunden angedeihen läßt. . .
Die sogenannten Promessen stehen nämlich schon mehrere Francs
über Pari. . . Daraus erhellt die Überlegenheit und Gewalt Roth-
schilds in allen seinen Unternehmungen, deren glückliches Re-
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123
sultat — mit nur geringen Ausnahmen — allein in seinen Händen
ruht“ (in Frankreich). „Rothschild ist der Chef der Eisenbahnen
den Regierungen gegenüber. Da, wo sonst nur eine starke Faust
herrschte, herrscht jetzt eine Gesellschaft . . . und diese Gesell-
schaften alle stehen unwillkürlich unter einem Chef, weil dieses
Haupt, wenn es will, die anderen alle zerstören kann. Und
dieser Chef ist Rothschild. Das sagte Ad. Weil in seiner Flug-
schrift über Rothschild im Jahre 1844 und heute, im Jahre 1857,
ist es ungefähr (?) noch dieselbe Wahrheit“ 864 . Diese Urteile
zeitgenössischer Schriftsteller können uns deshalb sehr wohl als
Quelle dienen, weil sie erstens vielerlei Tatsächliches enthalten,
zweitens aber von Bewunderern wie Feinden der Rothschilds in
gleichem Sinne gefällt werden.
Seit den Zeiten der Rothschilds ist dann aber Jahrzehnte
hindurch das Gründungsgeschäft recht eigentlich eine Spezialität
jüdischer Geschäftsmänner geblieben. Ganz große Gründemamen,
wie die etwa des Baron Hirsch oder des Dr. Strousberg, hatten
Juden als Träger. (Einen Typus für sich, den wir nicht eigentlich
als berufsmäßigen Gründer bezeichnen dürfen, wie etwa den
Dr. Strousberg, bilden die amerikanischen Trustmagnaten.) Und
auch die Masse der kleineren und mittleren gewerbsmäßigen
Gründer bilden Juden. Ein Blick auf die Gründungen während
der Jahre 1871 bis 73 in Deutschland, wie ihn die folgende Zu-
sammenstellung zu tun versucht, zeigt, daß damals eine gerade-
zu erstaunlich große Menge von Juden an allen Unternehmungen
beteiligt gewesen sein muß 865 . Denn der Anteil der Juden
an den Gründungen kommt in den mitgeteilten Ziffern nur un-
vollständig zum Ausdruck: 1. weil die Übersicht sich nur auf
eine Auswahl von Gründungen bezieht (und zwar gerade die
„faulsten“, von denen sich die vorsichtigen Juden vielleicht am
ehesten zurückhielten) und 2. weil gerade damals in sehr vielen
Fällen die Juden die Schieber, die anderen die Geschobenen
(und vorgeschobenen Strohmänner!) waren. Immerhin geben
doch auch diese Ziffern schon ein ganz hübsches Bild.
Von 25 großen privaten Gründungshäusem ersten Ranges
tragen 16 jüdische Namen.
Königs- und Laurahütte : Unter 13 Gründern 5 Juden.
Continentale Eisenbahnbaugesellschaft (10 MilL Taler Kap.):
6 Gründer, 4 Juden.
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124
Bei 12 Berliner Terraingesellschaften von 80 Aufsichtsräten
27 Juden.
Bauverein U. d. Linden: 8 Gründer, 4 Juden.
Bei 9 Baubanken unter 104 Gründern 37 Juden.
Bei 9 Berliner Brauereien unter 54 Gründern 27 Juden.
Bei 20 norddeutschen Maschinenfabriken unter 148 Gründern
47 Juden.
Bei 10 norddeutschen Gaswerken unter 49 Gründern 18 Juden*
Bei 20 Papierfabriken unter 89 Gründern 22 Juden.
Bei 12 norddeutschen chem. Fabriken unter 67 Gründern 22 Juden.
Bei 12 norddeutschen Textilfabriken unter 65 Gründern 27 Juden.
Den Anteil der Juden am „Gründungsgeschäft“ in der Gegen-
wart festzustellen, ist nur dort leicht möglich, wo die Privat-
bankiers noch eine größere Rolle spielen, wie in England. Hier
erweisen sich von den im Bankier- Almanach für 1904 verzeichneten
63 Merchant-Bankers 33 Firmen als jüdisch oder mit jüdischem
Einschlag; von diesen 33 gehören 13 Häuser zu den allerersten
(Mitteilung meines Kollegen Jaffe).
In demjenigen Ländern dagegen, wo die Privatbankiers durch
die Aktienbank in größerem Umfange verdrängt sind (wie also
namentlich in Deutschland), ist es außerordentlich* schwierig,
genau zu ermitteln, wie groß der Prozentsatz der Juden ist. Da
kommt uns nun aber die im wesentlichen von mir in diesen
Untersuchungen angewandte „genetische“ Methode zustatten,
insofern sie uns gerade in dieser Entwicklung: die Aktienbank
zur Trägerin des Gründungsgeschäfts zu machen, den Einfl uß der
Juden deutlich verspüren läßt.
Die Verwertung des Aktienprinzips für die
Effektenproduk tion oder, wie es in meiner Terminologie
heißen würde : die Versachlichung des Emissions- und Gründungs-
geschäftes bedeutete seinerzeit abermals eine Etappe in der Ent-
wicklung des Kapitalismus, deren Wichtigkeit wir abermals nicht
hoch genug anschlagen können, weil durch diese Neuerung
wiederum das dynamische Prinzip der kapitalistischen Organi-
sation eine ungeheuere Ausweitung erfuhr, der Atmosphären-
druck der kapitalistischen Interessen um ein Vielfaches durch
sie gesteigert wurde.
Die eigentlichen großen Gründungsepochen sind ohne die
Spekulationsbanken nicht denkbar, weder die der 1850er
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Jahre, die sie erst erzeugte, noch die der 1870 er, noch viel weniger
die letzte der 1890 er Jahre. Das gewaltige Werk des Eisenbahn-
baues ist doch nur durch die Vermittlung der großen Gründungs-
banken vollendet worden. Wenn auch die Privathäuser in den
1880er und 1840er Jahren Großes geleistet hatten: es reichte
doch nicht heran an das, was die großen Banken vollbrachten.
In Frankreich hatte man für Eisenbahnbauten 1842 bis 1847
144 Mill. Francs, 1848 bis 51 130 Millionen Francs ausgegeben;
nun aber verausgabte man in den Jahren 1852 bis 1854 250 Mill.,
in dem Einen Jahre 1855 500, 1856 520 Millionen für denselben
Zweck 266 . Dasselbe gilt für die übrigen Länder. »Die ganze
Arbeit des in diesen Zeitraum (1848 bis 1870) fallenden überaus
großen Ausbaus unseres (des deutschen) Eisenbahnnetzes (ist)
lediglich durch . . . Vermittlung von Banken . . . geleistet worden“ 267 .
Wir begreifen auch sehr wohl, worin diese soviel größere Leistungs-
fähigkeit der Banken gegenüber den Privathäusern ihre Be-
gründung fand.
Auf der einen Seite wurde durch die Zusammenballung großer
Kapitalmassen in riesigen Aktienbanken die Operationsbasis
natürlich beträchtlich ausgeweitet, auf der nunmehr die Produktion
neuer Unternehmungen stattfinden konnte. Sie wurde ins un-
ermeßliche vergrößert, wenn man (wie bei uns) die Gründungs-
bank auf der Depositenbank aufbaute. Auf der andern Seite
wuchs der Drang zur fortgesetzten Neugründung in dem Maße,
wie überhaupt die Aktiengesellschaft energischer auf Betätigung
drängt als die Privatuntemehmung. Die Notwendigkeit, hohe
Dividenden herauszuwirtschaften, erweist sich allemal als zwingen-
der denn das bloße Gewinnstreben des Einzeluntemehmers.
Wie sehr die Zeitgenossen sich bewußt waren, daß sie ein
Ereignis von ungeheurer Tragweite miterlebten, als man nun
daran ging, Aktiengesellschaften durch Aktiengesellschaften zu
fabrizieren, beweist eine dithyrambische Verherrlichung dieser
neuen Gebilde, zu der sich der schon erwähnte Kuntze in damals
noch völlig naiver Anbetung des Kapitalismus hinreißen läßt,
wenn er sagt: »Diese Idee — nämlich der sozialen Zentralisation
der Kräfte — hat in dem Institut des Inhaberpapiers gleichsam
ihre juristische Kunstform gefunden und in der alleijüngsten
Gestalt der Kreditvereine ... ist jener Idee die umfassendste
Anwendung zuteil geworden, welche nach menschlichem Ermessen
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126
überhaupt wohl möglich ist. In diesen neuen Zentral-Kredit-
vereinen, durch welche unberechenbare Massen yon auf Inhaber
lautenden Spekulations- und Kapitalpapieren in den Verkehr ge-
bracht werden, hat das moderne Streben nach Organisation und
Assoziation der sozialökonomischen Werte und Kräfte seinen
vollendetsten Ausdruck gefunden : der Zentralkreditverein ist der
Aktienverein schlechthin und vorzüglich; er ist ein assoziatives
Bankhaus, ein Kapitalist en gros, das lebendig gewordene Sozial-
prinzip selbst“ * 68 .
Die „Zentralkreditvereine“ aber, auf die Kuntze sein be-
geistertes Loblied anstimmt, waren der 1852 gegründete Crödit
mobilier und die nach seinem Vorbilde in den nächsten Jahren
ins Leben gerufenen Gründungsbanken in den übrigen Ländern.
Ich sage mit Absicht Gründungsbanken, weil in der bankmäßigen
Betreibung des Gründungsgeschäfts die grundsätzlich bedeutsame
Neuerung lag, an die sich dann eine zweite Neuerung anschloß :
die börsenmäßige Spekulation in Effekten.
Man hat noch immer für die neuen (und nun schon recht
alten) Gebilde, die mit dem Crödit mobilier auf die Welt kamen,
keine Bezeichnung ausfindig gemacht, die ihren Charakter treffend
und eindeutig zum Ausdruck brächte. Effektenbanken sind es,
weil sie mit Effekten zu tun haben ; aber diese Bezeichnung er-
faßt doch zu sehr nur ein äußerliches Moment. Schließlich ist
eine Bank, die Effekten lombardiert, auch eine Effektenbank, da
sie ja auch „mit Effekten zu tun hat.“ Besser ist schon der
Name „Spekulationsbank“, denn diese Banken spekulieren in der
Tat; aber „Gründen“ ist doch nicht spekulieren, und sie wollen
doch gerade das Gründungsgeschäft betreiben. „Mobiliarkredit-
banken“, die Übersetzung des ebenfalls sehr wenig bezeichnen-
den Wortes Credits mobiliers, trifft am allerwenigsten ihre
Gründungs- und Spekulationsgeschäfte. „Anlagebanken“ sind sie
natürlich auch, aber daß sich Banken an kapitalistischen Produk-
tions- (oder Handels-) Unternehmungen beteiligen, ist gerade das,
was den Credits mobiliers nicht eigentümlich ist.
„Anlagebanken“ gab es längst vor dem Jahre 1852. Eine
Amlagebank war schon die Lawsche Bank. Eine Anlagebank
war die 1761 in Österreich projektierte Handelsbank, die mit
«inem Kapital von 10 bis 15 (später 60) Mill. die Schiffahrt nach
der Levante betreiben, die Militärlieferungen, das Tabaksmonopol
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127
und den Talerhandel, sowie auch den Produktenverschleiß der
Bergwerkserzeugnisse übernehmen, etwa neue Fabriken begründen
und bereits bestehende an sich bringen sollte 269 . Eine Anlage-
bank war die 1822 zu Brüssel gegründete Societö gönörale des
Pays Bas pour favoriser l’industrie nationale, die schon 1849
von 46 verschiedenen Aktienunternehmungen 90836 Va Aktien
mit einem Nominalwerte von 68 729 202 Francs in ihrem Porte-
feuille hatte. Eine Anlagebank war der 1848 begründete Schaaff-
hausensche Bankverein, dessen Konto „Beteiligung bei industriellen
Unternehmungen" im Jahre 1851 schon 434 706 Taler aufwies,
und in dessen Geschäftsbericht vom Jahre 1852 (S. 3) es heißt:
„Die Direktion ist dabei von dem Grundsatz ausgegangen, daß
es die Aufgabe eines großen Bankinstituts sei, nicht sowohl durch
eigene große Beteiligung neue Industriepapiere ins Leben zu
rufen, als durch die Autorität ihrer auf gründlicher Prüfung be-
ruhenden Empfehlung die Kapitalisten des Landes zu veranlassen,
die müßigen Kapitalien solchen Unternehmungen zuzu wenden."
Nein — die neue Idee war: sich nicht an industriellen und
ähnlichen Werken zu „beteiligen" und doch an ihnen zu ver-
dienen: nicht durch die Dividende, die sie abwarfen, sondern
durch den Agiogewinn, den man bei der Ausgabe der Aktien
machte. Es ist die Parallele zum Spekulationshandel, die in dem
Gründungsgeschäft deutlich zutage tritt: keine Effektivgründung,
sondern der „Differenz“gewinn an der Gründung ist das Ziel,
dem man zustrebt. Insofern deckt der Name Spekulationsbanken
am ehesten die spezifische Tätigkeit der Crödits mobiliers, die
natürlich gar nicht mehr mit einer einzigen Bezeichnung zu
charakterisieren sind, sobald sie auch nicht ihnen eigentümliche
Geschäfte betreiben, wie also das Anlagegeschäft, das Emissions-
geschäft, die „echten" Bankgeschäfte usw. In Frankreich nennt
man jetzt die Banken von der Art der früheren Grödits mobiliers
Banques d’affaires 970 : das ist eine vortreffliche Bezeichnung, die
(für uns) nur den einen Fehler hat, daß sie nämlich nicht —
übersetzbar ist.
Aber auch hier wird es nicht sowohl auf den Namen, als
auf die Sache ankommen. Und über diese k ann ja kein Zweifel
herrschen : mit dem Credit mobilier wird der bankmäßige Betrieb
des Gründungsgeschäftes (und wie wir gleich hinzufügen können:
der Fondsspekulation) eingeführt. Und diese Neuerung — darum
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128
unser so sehr reges Interesse für die Sache — war jüdischen
Ursprungs.
Die Geschichte der Credit mobilier ist sehr bekannt* 71 . Hier
interessiert uns daran im wesentlichen die Tatsache, daß seine
geistigen und finanziellen Väter die beiden portugiesischen Juden
Isaac und Emil Pereire waren und daß auch die übrigen Haupt-
teilnehmer Juden waren. Die Liste der von den einzelnen
Gründern gezeichneten Aktienbeträge weist aus, daß die beiden
Pereire zusammen 11446, Fould-Oppenheim 11415 Aktien be-
saßen, daß unter den großen Aktionären sich noch Mailet Freres,
Ben. Fould, Torlonia-Rom, Salomon Heine-Hamburg, Oppenheim-
Köln, also die Hauptvertreter der europäischen Judenschaft, be-
fanden (die Rothschilds nicht, weil ja gegen sie der Grödit
mobilier seine Spitze richtete).
Der französische Crödit mobilier zeugte dann in den nächsten
Jahren eine Reihe (legitimer und unlegitimer) Kinder: alle
jüdischen Blutes.
In Österreich hieß der erste Credit mobilier „K. K. privi-
legierte österreichische Kreditanstalt“ und wurde 1855 von
S. M. Rothschild gegründet.
Die erste Anstalt, die in Deutschland die Grundsätze des
Crödit mobilier vertrat , war die Bank für Handel und Industrie
(die Darmstädter Bank), 1853 gegründet auf die Initiative der
Kölner Oppenheims hin. „Wahrscheinlich ist die Gründung der
Darmstädter Bank von den beiden französischen Finanzgenies
nicht nur inspiriert, sondern auch unmittelbar inszeniert, wie
man ja die ‘wesentliche, für unentbehrlich erachtete Beihilfe aus-
ländischer Kapitalien*, von welcher der Geschäftsbericht von 1 853
spricht, mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Crödit mobilier
beziehen kann 4 * 72 . Einer der ersten Direktoren der Darmstädter
Bank, der den Namen Heß trug, war einer der höheren Be-
amten des Credit mobilier gewesen.
Ursprünglich christlichen Ursprung ist die Berliner Diskonto-
gesellschaft : die Gründung David Hansemanns. Was dieser aber
aus eigener Initiative 1851 ins Leben rief, war eine reine Um-
laufsbank, die mit Gründung und Spekulation gar nichts zu tun
hatte. Erst in der Zuschrift, die Hansemann am 22. April 1855
den Mitgliedern übersandte, wird die Ausdehnung auf jene Ge-
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129
schäfte angeregt. Die Worte Hansemanns klingen wie ein mattes
Echo der Credit mobilier-Statuten.
Die dritte grobe Spekulationsbank, die in den 1850 er Jahren
begründet wurde, war die Berliner Handelsgesellschaft. Unter
den Gründern finden wir einen Teil jener Kölner Häuser wieder,
welche die Darmstädter Bank ins Leben gerufen hatten. Daneben
stehen diesmal die bedeutendsten Berliner Bankgeschäfte, so
Mendelssohn & Co., S. Bleichröder, Robert Warschauer & Co.,
Gebr. Schickler u. a.
Auch unter den Gründern der Deutschen Bank (1870) über-
wiegen die jüdischen Elemente.
IT. Die Kommerzialisierung der Industrie
In den Spekulationsbanken erreicht die kapitalistische Ent-
wicklung ihren einstweilen höchsten Punkt. Mit ihrer Hilfe
wird die Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens auf die Spitze
getrieben. Die börsenhafte Organisation kommt zur Vollendung.
Aus der Börse geboren, bringen die Spekulationsbanken die
Börse, das heißt also die Spekulation, erst zu ihrer vollen Blüte,
Der Effektenhandel wird durch sie zu früher ungeahntem Um-
fange ausgeweitet 278 . Drängt doch ihr inneres Wesen, wie wir
sahen, auf unausgesetzte Vermehrung der Effekten — des Agio-
gewinnes wegen. Aber auch ihre eigenen Aktien bieten oft
genug den stärksten Anlaß zur Spekulation. Und sie selbst be-
teiligen sich in nicht geringem Maße an der Spekulation, sei
es direkt, sei es auf dem Umwege des Reportgeschäfts, das heute
ja bekanntlich zum „mächtigsten und wichtigsten Hebel der
Spekulation" geworden ist. Mittels der Beleihung von Speku-
lationspapieren ist den Banken die Möglichkeit gegeben, da-
durch, daß sie für billige Sätze „Stücke hereinnehmen", den An-
schein zu erwecken, als herrsche Geldfülle, die von Kauflust
gern begleitet wird. Also Antrieb zu einer Haussebewegung.
Wie sie anderseits durch Verwertung des Papiervorrats im um-
gekehrten Sinne den Kurs zu drücken, leicht in den Stand ge-
setzt werden. Die Reportsätze können sie ganz bemessen nach
den eigenen Spekulationsplänen usw. Die großen Banken haben
also den Dampfhahn der Maschine, die man Börse nennt, jetzt
tatsächlich in ihrer Hand. Und man hat aus dieser beherrschen-
Sombart, Die Juden 9
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180
den Stellung der Großbanken — namentlich in Deutschland —
sowie aus der Tatsache, daß sie bei ihrem ausgedehnten Kunden-
kreise den Kauf und Verkauf der Effekten zu einem großen Teile
durch Ausgleich in sich bewerkstelligen können, den Schluß ge-
zogen 274 , die Entwicklung führe zu einer Aufhebung der Börse
durch die einzelnen Geldmächte, wie sie namentlich in den Groß-
banken jetzt wieder erstehen. Diese Ansicht wird doch aber
immer nur in dem Sinne als richtig gelten dürfen, daß man sagt:
die „Börse“ wird durch die Hoch-Finanz beseitigt, indem diese
selbst die Börse in sich aufnimmt. Die „Börse“ als öffentlicher
Markt mag unter der modernen Entwicklung leiden: als Form
und Prinzip der wirtschaftlichen Beziehungen gewinnt sie sicher
immer mehr an Bedeutung, insofern immer weitere Gebiete des
Wirtschaftslebens ihren Gesetzen untertan werden.
Und damit vollzieht sich eben jener Prozeß in immer größe-
rem Umfange, den ich als Kommerzialisierung bezeichnete.
Will man die Richtung, in der sich die moderne Volkswirt-
schaft bewegt, in einem Satze ausdrücken, so wird man sagen
können: die Börsendisponenten der Banken werden immer mehr
die Beherrscher des Wirtschaftslebens.
Alles wirtschaftliche Geschehen wird immer mehr durch die
Finanz bestimmt. Ob ein industrielles Unternehmen neu ent-
stehen, ob ein bestehendes erweitert werden soll ; ob ein Waren-
hausbesitzer die Mittel bekommen soll, um sein Geschäft noch
weiter auszudehnen : alles wird in den Bureaus der Banken und
Bankiers entschieden. Ebenso wird der Absatz der Erzeugnisse
in immer größerem Umfange ein Problem der Finanzkunst.
Unsere größten Industrien sind ja heute schon ebenso Finanz-
gesellschaften wie Industrieunternehmungen. Aber auch die
anderen Industrien sind immer mehr auf finanzielle oder börsen-
mäßige Transaktionen angewiesen, um sich ihr Absatzgebiet zu
erobern (Lieferungswesen I). Von der Börse wird der Preis der
meisten Weltfabrikate und Rohstoffe und vieler Fertigfabrikate
beeinflußt und die Börse beherrschen muß der, der im Kon-
kurrenzkämpfe obsiegen will. Unsere großen Transportunter-
nehmungen sind aber auch schon längst nichts anderes als große
Finanz- und Handelsgesellschaften. Sodaß man getrost sagen darf:
alle wirtschaftlichen Vorgänge lösen sich immer mehr in reine
Handelsgeschäfte auf, nachdem zuvor das Technische ausgesondert
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131
und besondeni , eigens dazu Angestellten Kräften, überantwortet
worden ist.
Das lehrreichste Beispiel für die Kommerzialisierung der In-
dustrie bietet bekanntlich die Elektrizitätsindustrie. Will man
diese als einen neuen Typus industrieller Organisation kennzeichnen,
so wird man zusammenfassend sagen dürfen : die Leiter der Elek-
trizitätswerke waren die ersten, die es als die wichtigste Auf-
gabe der Industrie erkannten, sich selber ein Absatzgebiet zu
schaffen. Bis dahin hatte auch die großkapitalistische Industrie
im wesentlichen sich damit begnügt, die Bestellungen, die da
kommen sollten, abzuwarten. Man übertrug die Vertretung der
Fabrik einem Agenten in einer großen Stadt, der als General-
agent oft genug der Vertreter vieler anderer Werke daneben war
und keine sehr starke Initiative bei der Anwerbung neuer
Kunden entfalten konnte. Nun aber griff man die Kundschaft
an. Von zwei Seiten her versuchte man an das Ziel heran-
zukommen. Zunächst dadurch, daß man direkt (durch Ankauf
von Aktien usw.) auf diejenigen Instanzen Einfluß zu gewinnen
suchte, von denen die Bestellungen ausgehen mußten: Pferde-
bähngesellschaften , die sich in elektrische Bahnen umwandeln
sollten usw., oder daß man sich an Neuschöpfungen solcher Unter-
nehmungen selbst beteiligte oder sie gar selbst ins Leben rief.
Durch derartige Tätigkeit sind die großen Elektrizitätswerke
heute den großen Gründungs- oder Spekulationsbanken immer
Ähnlicher geworden.
Sodann aber suchte man das Absatzgebiet dadurch aus-
zuweiten, daß man ein großes Netz von Filialen über die
Lande ausspannte, das immer mehr Kunden zu fesseln im-
stande war. Hatte man sich früher auf den „Agenten" verlassen,
so übertrug man jetzt die Anwerbung neuer Kunden dem un-
mittelbar im Auftrag der eigenen Gesellschaft tätigen Vertreter,
-deren, wie gesagt, immer mehr wurden, sodaß man immer näher
an die Kundschaft heranrückte, deren Bedarf immer genauer
kennen lernen, ihren besonderen Wünschen immer mehr Rechnung
tragen konnte.
Man weiß, daß mit diesem System der Absatzorganisation
die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft vorangegangen ist, und
daß Felix Deutsch die Ausbildung dieses neuen Typus industriell-
kommerzieller Unternehmungen vor allem gefördert hat. Die
9 *
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132
Alteren Werke haben sich nur langsam entschlossen, die neuen
Wege zu wandeln. Siemens & Halske haben sich lange Jahre
fQr „zu vornehm“ gehalten, „den Kunden nachzulaufen" (wie sie
sagten), bis auch hier der Direktor Berliner die neuen Prinzipien
annahm und damit den Vorsprung wieder einholte, den die
A. E. G. gewonnen hatte.
Dieser Fall aber ist typisch, so daß man gewiß ganz all-
gemein wird sagen dürfen: mit der Kommerzialisierung der
Industrie ist die Stunde erfüllt, da die Juden in das weite Ge-
biet der Güterproduktion (und des Gütertransports) ebenso ein-
dringen, wie sie in das Gebiet des (börsenmäßigen ) Handels und
des Geld- und Kreditwesens schon früher eingedrungen sind.
Nicht als begänne jetzt erst die Geschichte der Juden
als „Industrielle". Das wäre auch sehr wunderbar, da die
Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Juden seit dem Beginne
der kapitalistischen Produktion sich auch an dieser beteiligt haben:
bedeutet doch Kapitalismus seinem Wesen nach nichts anderes
als Auflösung des wirtschaftlichen Prozesses in seine beiden Be-
standteile Technik und Kommerz und den Primat des Kommerzes
über die Technik. Sodaß von Anbeginn an die kapitalistische
Industrie den Juden Gelegenheit bot, sich in ihrer Eigenart zu
betätigen (wenn auch diese Gelegenheit anfangs nicht so günstig
war, wie sie sich im Laufe der Zeit gestaltete). Und in der Tat
finden wir während der frühkapitalistischen Epoche überall Juden
als „Industrielle" und vielfach als die ersten kapitalistischen
Unternehmer in einem Gewerbezweige.
Hier sind sie die Begründer der Tabakindustrie (in Mecklen-
burg, Österreich) ; dort der Schnapsbrennerei (in Polen , in
Böhmen). Hier finden wir sie als Lederfabrikanten (in Frank-
reich, in Österreich); dort als Seidenfabrikanten (in Preußen, in
Italien, in Österreich). Hier machen sie Strümpfe (Hamburg),
dort Spiegelglas (Fürth); hier Stärke (Frankreich), dort Baum-
wollzeug (Mähren). Fast überall sind sie die Begründer der
Konfektionsindustrie. Und so fort 275 . Ich könnte aus dem
Material, das ich gesammelt habe, noch zahlreiche Belege an-
führen für die Betätigung der Juden als (kapitalistische) Indu-
strielle während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Aber mir
scheint eine ausführliche Darstellung dieser Seite der jüdischen
Wirtschaftsgeschichte zwecklos zu sein, weil sie, soviel ich sehe,.
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133
gar nichts spezifisch Jüdisches aufweist. Die Juden sind durch
etwelche historische Zufälligkeit in eine Industrie hineingedrängt
worden, die ohne sie sich vermutlich ebenso entwickelt haben
würde. Hier ist es ihre Stellung als Faktoren der Grundherren
(in Polen , Österreich) , die sie zu Schnapsbrennern werden läßt,
dort ihre Stellung als Hofjuden , die ihnen das Tabakmonopol
einträgt. In den meisten Fällen ist es wohl ihre Funktion als
Händler, die sie zu Verlegern der Hausindustriellen werden läßt
(Textilindustrie), aber diese Umwandlung aus Garnhändlern in
Textilindustrielle haben in ebensoviel oder mehr Malen auch
nicht-jüdische Geschäftsmänner vollzogen. Sodaß wir auch
hierin keine besondere jüdische Note feststellen können. Eine
jüdische „Spezialität“ war der Altkleiderhandel, aus dem sich
der Handel mit neuen Kleidern entwickelte, der wiederum die
Konfektionsindustrie erzeugte. Aber die hiermit geschaffenen Zu-
sammenhänge sind doch entweder zu äußerlicher Natur, um aus
ihnen bestimmte jüdische Einflußreihen abzuleiten, oder sie
werden durch die im folgenden dargestellten Entwicklungsreihen
mit umfaßt. Diese nämlich erscheinen uns als besondere durch die
Feststellung, daß die Juden eine Rolle als Industrielle erst zu
spielen beginnen, seitdem der Kommerzialisierungsprozeß auch
die Güterproduktion und den Gütertransport ergriffen hat. Seit-
dem also das kapitalistische Wesen auch in diesen Sphären rein
zum Durchbruch gekommen, die technische Farblosigkeit des
Unternehmers das Merkmal geworden ist. Das ist ja die Eigen-
tümlichkeit, die unsere Industrie immer mehr ausprägt: daß ihre
Leiter beliebig die Branche wechseln können, ohne ihre Tüch-
tigkeit zu vermindern, weil eben alle Schlacken der technischen
Besonderheit abgefallen sind und das reine Gold der nui\kommer-
zial kapitalistischen Allgemeinheit übrig geblieben ist. Erst seit
dieser Zeit ist es gar keine Seltenheit mehr, daß ein „Unter-
nehmer“ in Leder anfängt und in Eisen aufhört', nachdem er
durch Spiritus und Schwefelsäure etwa hindurchgegangen ist.
Der Unternehmer alten Stils trug noch ein branchenhaftes Ge-
präge, der neue Unternehmertyp ist gänzlich farblos. Wir
können uns nicht vorstellen, daß Alfred Krupp anderes als Guß-
stahl, Borsig anderes als Maschinen, Werner von Siemens anderes
als Elektrizitätsgüter herstellten oder daß H. H. Meier etwas
anderem als dem Norddeutschen Lloyd Vorstand. Wenn Rathenau,
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134
Deutsch , Berliner, Arnold, Friedlflnder, Ballin morgen ihre
Stellungen untereinander vertauschten, würde vermutlich ihre
Leistungsfähigkeit nicht sehr beträchtlich verringert werden.
Weil sie alle Händler sind , ist ihr zufälliges Tätigkeitsgebiet
gleichgültig.
Man hat das auch so ausgedrückt : der Christ nimmt seinen
Weg in die Höhe vom Techniker, der Jude vom Geschäftsreisen-
den oder Kommis.
Gern würde man nun auch genau erfahren, welchen Umfang
heute die Beteiligung <\er Juden an der Industrie angenommen
hat. Aber dazu fehlen doch die Hilfsmittel. Man wird sich
damit begnügen müssen, annäherungsweise den Anteil der Juden
an der Industrie festzustellen. Das kann man, wenn man die
jüdischen Direktoren und Aufsichtsräte der Industrie-
unternehmungen auszählt und ihre Zahl mit der der christlichen
vergleicht. Wie unvollkommen dieses Ermittlungsverfahren
ist, leuchtet ein. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, im
einzelnen Falle festzustellen, wer Jude ist, wer nicht (wie viele
Leute wissen z. B., daß der Inhaber der meisten Aufsichtsrats-
posten — Hagen-Köln — früher Levy hieß ?) : gibt die bloße Zahl
(wie ich im ersten Kapitel schon ausgeführt habe) niemals einen
irgendwie genauen Aufschluß über den Einfluß. Dazu kommt,
daß namentlich die Aufsichtsratsposten nach allerhand Rück-
sichten — nur nicht nach der geschäftlichen Tüchtigkeit — be-
setzt werden, und daß in sehr vielen Gesellschaften die Neigung
besteht, keine jüdischen Männer an leitende Stellungen gelangen
zu lassen. Jedenfalls stellen also die Ziffern, die man ermittelt,
immer nur ein Minimum jüdischen Einflusses innerhalb der
Industrie dar.
Allen diesen Bedenken zum Trotz, will ich die Ergebnisse
der Auszüge hier mitteilen, die Herr stud. Arthur Löwenstein
aus dem letzten Jahrgang des Handbuchs der deutschen Aktien-
gesellschaften freundlichst für mich gemacht hat. (Ich ziehe
die Ziffern für die Hauptbranchen zusammen und ordne diese in
der ersten Tabelle nach der Größe des Anteils an den Direktions-
stellen, in der zweiten nach der des Anteils an den Aufsichtsrats-
stellen. Berücksichtigt sind bei der Elektrizitätsindustrie alle
Gesellschaften mit 6, bei Montan-, Kali-, chemischer Industrie
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185
die mit 5, bei Maschinen- und Textilindustrie die mit 4, bei
den übrigen die mit 8 Mill. Mark Kapital und mehr.)
I. Zahl der Direktoren
Branche
Überhaupt
Davon
Juden
Prozentsatz
der
jüdischen
Direktoren
I. Leder-, Kautschukindustrie
19
6
81,5
11. Metallindustrie
52
mm
III. Klektrische Industrie . . .
95
28,1
IV. Brauereien
71
Hl
15,7
V. Textilindustrie
59
8
18,5
VI. Chemische Industrie . . .
46
6
18,0
VII. Montanindustrie
183
23
12,8
VIII. Maschinenindustrie . . .
11
12,2
IX. Kaliwerke
86
4
11,1
X. Zement-, Holz-, Glas-,
Porzellanindustrie ....
57
4
7,-
I-X
808
108
18,3
II. Zahl der Anfslchtsrlte
Branche
Überhaupt
Davon
Juden
Prozentsatz
derjüdischen
Aufsichts-
räte
I. Brauereien
165
52
31,5
IL Matallindustrie
180
40
30,7
HI. Zement-, Holz-, Glas-,
Porzellanindustrie ....
187
41
29,9
IV. Kaliwerke
156
46
29,4
V. Leder- usw. Industrie . .
42
12
28,6
VI. Elektrische Industrie . .
339
91
26,8
VII. Montanindustrie ....
640
158
28,9
VIII. Chemische Industrie . . .
127
29
22,8
IX. Maschinenindustrie. . . .
215
48
21,4
X. Textilindustrie
141
19
13,5
1— X
2092
511
24,4
Ist der Anteil der Juden an diesen Industrieunternehmungen
(sofern er rein zifferm&ßig betrachtet wird) groß oder nicht?
Ich denke doch: er ist enorm, auch wenn man ihn nur quanti-
tativ faßt und nur diese (wie wir sahen Minimal-)Ziffem in Be-
tracht zieht. Denn bedenken muß man, daß diese selbe Be-
völkerungsgruppe, die fast ein Siebentel aller Direktorposten und
fast ein Viertel aller Aufsichtsratsposten besetzt, von der Gesamt-
einwohnerzahl des Deutschen Reiches genau — ein Hundertstel
ausmacht 1
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136
Siebentes Kapitel
Dis Herausbildung einer kapitalistischen Wirtschafts-
geslnnnng
Schon das, was über den Anteil der Juden an der Ver-
sachlichung des modernen Wirtschaftslebens zu sagen war, [hat
durchscheinen lassen, daß der Judeneinfluß noch weiter reicht
als bis zu den Süßeren Geschäftsformen, die sie ausgebildet
haben. Denn der Börsenverkehr, wie er sich im Laufe der
letzten Jahrhunderte entwickelt hat, ist schon gar nicht mehr
bloß eine bestimmte Ordnung, eine bestimmte äußere Organi-
sation der wirtschaftlichen Vorgänge : er wird in seiner Eigenart
erst festgestellt, wenn wir ebenso den ihn beherrschenden Geist
richtig einschätzen. Die neuen Formen industrieller Organisation
werden ebenfalls aus einem ganz besonderen „Geiste" geboren
und sind nur zu verstehen als Ausflüsse dieses besonderen
„Geistes“. Und das ist es, worauf ich nunmehr die Aufmerksam-
keit des Lesers lenken möchte: auf die Tatsache, daß unsere
Volkswirtschaft ihr Gepräge nicht nur insoweit von den Juden
miterfahren hat, als wichtige Teile ihrer äußeren Struktur ihnen
ihr Dasein verdanken, daß vielmehr auch das innere Getriebe
des modernen Wirtschaftslebens, daß auch die Grundsätze der
Wirtschaftsführung, daß das, was man den Geist des Wirtschafts-
lebens oder vielleicht noch treffender die Wirtschaftsgesinnung
nennen kann, größtenteils auf jüdischen Einfluß sich zurückführen
lassen.
Um dafür den Beweis der Richtigkeit zu erbringen, müssen
wir teilweise andere Wege gehen als bisher.
„ Dokumentarisch “ läßt sich ein solcher Einfluß, wie er hier
behauptet wird, natürlich nicht oder nur sehr unvollkommen nach-
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137
weisen. Was uns vielmehr vor allem als Anhaltspunkt dienen
muß, ist die „Stimmung“, die jeweils in den Kreisen herrschte,
die den eigenartigen jüdischen Geist als etwas Fremdes zuerst
und am deutlichsten wahmehmen mußten. Das aber sind die
nichtjüdischen Geschäftsleute oder aber deren Wortführer. Die
Äußerungen dieser Elemente sind, bei aller Einseitigkeit und
oft genug Gehässigkeit, doch die zuverlässigste Quelle, um das
zu erkennen, was uns am Herzen liegt, weil sie die ganz naive
Reaktion auf das anders geartete jüdische Wesen darstellen,
dieses also gleichsam wie in einem Spiegel (der freilich oft genug
wohl ein Hohlspiegel war) auffangen. Natürlich müssen wir,
wenn wir die Urteile der interessierten Zeitgenossen (die, wie
sich denken läßt, in den Juden ihre schlimmsten Feinde er-
blickten) als Quelle für die Erkenntnis jüdischer Geschäftseigenart
verwerten wollen, vor allem zwischen den Zehen lesen und aus
ganz anders gemeinten Äußerungen das Richtige herausdeuten.
Das aber wird uns wesentlich erleichtert durch die fast schema-
tische Gleichförmigkeit der Urteile, die offenbar nicht auf Ent-
lehnung, sondern auf Gleichartigkeit oder Gleichheit der ver-
anlassenden Umstände zurückzuführen ist, und durch die natürlich
die (wenn auch oft indirekte) Beweiskraft der Äußerungen er-
heblich gesteigert wird.
Da ist denn nun vor allem festzustellen, daß überall, wo
auch immer Juden als Konkurrenten auftreten, Klagen ertönen
über ihren nachteiligen Einfluß auf die Lage der christlichen
Geschäftsleute: diese werden, heißt es in den Denk- und Bitt-
schriften, in ihrer Existenz bedroht, die Juden bringen sie um
ihren „Verdienst“, beeinträchtigen ihnen die „Nahrung“, weil
die Kundschaft zu ihnen, den Juden, übergeht. Ein paar Aus-
züge aus Schriftstücken des 17. und 18. Jahrhunderts — also
der Zeit, die für uns vor allem in Betracht kommt — wird das
ersichtlich machen.
Deutschland. 1672 klagen die Stände der Mark Branden-
burg, die Juden nähmen „den andern Einwohnern des Landes . . .
die Nahrung von dem Munde weg“ 27Ä . Fast wörtlich heißt es
in dem Einbringen der Danziger Kaufmannschaft vom 19. März
1717: „Durch diese Beschädiger“ werde ihnen „das Brot von
dem Munde weggerissen“ 217 . Die Bürger der Altstadt Magde-
burg sträuben sich (1712, 1717) gegen die Zulassung der Juden:
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138
„weil der Stadt Wolfahrt und der glückliche Success des Com-
mercii darauf beruhet , daß keine . . . Judenhandlung hier ge-
duldet wird“ 278 .
In einer Vorstellung Ettenheims (1740) an den Fürstbischof
wird bemerkt, daß „bekanntermaßen die Juden gemeinem Wesen
anders nicht als zum größten Schaden und Verderben gereichen“.
Eine Auffassung, die zu dem Sprichwort verallgemeinert wurde :
„Alles verdirbt in der Stadt,
Wo es viele Jaden hat“* 79 .
In der allgemeinen Einleitung des (preußischen) Edikts von
1750 heißt es : „Die so genandte Kauffleute in unsem Stödten . . . ,
so respectu der rechten en gros handelnden Kauff Leute nur vor
Krämer zu halten, klagen . . daß ihnen die handelnden Juden,
welche mit ihnen gleichen Krahm führen , großen Abbruch
thäten.“ Wie denn die (christlichen) Kaufleute Nürnbergs mit
ansehen mußten, daß ihre Kunden zu den Juden kaufen gingen.
Als nämlich die Juden aus Nürnberg vertrieben waren (1469),
siedelten sie sich vielfach in Fürth an. Die Nürnberger Bürger —
die als Konsumenten natürlich ihren Vorteil suchten — erachteten
es für ratsam, ihre Einkäufe fürderhin in Fürth zu machen. Und
nun regnet es während des ganzen 17. und 18. Jahrhundert un-
zählige Ratsverordnungen, die das Kaufen bei den Fürther Juden
verbieten oder doch wenigstens einzuschränken suchen 280 .
Daß alle Kaufmannsgilden (ebenso natürlich alle Handwerker-
zünfte) noch während des ganzen 18. Jahrhunderts den Juden
die Aufnahme nicht gestatteten, ist bekannt 281 .
England. Dieselbe feindselige Haltung der christlichen
Geschäftsleute gegen die Juden während des 17. und 18. Jahr-
hunderts: „the Jews are a subtil people . . . depriving the Eng-
lish merchant of that profit he would otherwise gain“ ; sie treiben
ihre Geschäfte zum Nachteil der englischen Kaufleute: „to the
prejudice of the Englisch Merchants“ 282 . Im Jahre 1753 ging
bekanntlich ein Gesetz durch, das den Juden die Naturalisierung
ermöglichen sollte. Aber der Unwille in der Bevölkerung gegen
das verhaßte Volk war so groß, daß das Gesetz im nächsten
Jahre wieder kassiert werden mußte. Unter den Gründen, die
gegen die Aufnahme der Juden in den englischen Untertanen-
verband geltendgemacht wurden, war nicht der letzte die Be-
fürchtung: die Juden, die nach der Naturalisation das Land über-
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139
schwemmen würden, würden die Engländer von ihren Plätzen
verdrängen: „oust the natives from their employment“ 288 .
Frankreich. Dieselben Klagen von Marseille bis Nantes.
Eingabe der Kaufleute von Nantes (1752): „Le commerce pro-
hibö de ces etrangers . . - a causö et fait un tort considörable
aux marchands de cette ville, de Sorte que s’ils n’ont lc bonheur
de möriter Tautorite de ces Messieurs, üs seront dans la dure
nöcessitö de ne pouvoir soutenir leur famille, ni s’acquitter de
leur imposition.“ 284
„Alle Welt läuft zu den jüdischen Kaufleuten“, klagen die
christlichen Geschäftsmänner von Toulouse im Jahre 1745 28ß .
„Wir bitten Euch inständig, die Fortschritte dieser Nation auf-
zuhalten, die zweifellos den ganzen Handel des Languedoc zer-
stören mühte“ (bouleverserait) , heißt es in einer Eingabe der
Handelskammer von Montpellier 286 .
Und die Kaufleutezunft in Paris vergleicht die Juden mit
den Wespen, die sich auch in die Bienenstöcke nur eindrängten,
um die Bienen zu töten, ihnen den Leib zu öffnen und den
darin aufgesammelten Honig aufzusaugen: „L’admission de cette
espöce d’hommes ne peut etre que tres dangereuse. On peut
les comparer ä des guöpes qui ne s’introduisent dans les ruches
que pour tuer les abeilles, leur ouvrir le ventre et en tirer le
miel qui est dans leurs entrailles: tels sont les juifs.“ 287
„Qu’on juge par cette gen^ralite et cette unanimite de la
gravitö de la question des juifs envisagee sous son aspect com-
merciale.“ 288
In Schweden* 89 , in Polen 290 : immer dasselbe Lied: 1619
klagt der Posener Magistrat in einer Adresse an König Sigis-
mund IH. , daß den „Handelsleuten und Handwerkern Schwierig-
keiten und Hindernisse durch die Konkurrenz der Juden erwüchsen.“
Aber mit dieser bloßen Feststellung der Tatsache: daß
die Juden die „Störer der Nahrung“ sind, ist uns noch nicht ge-
dient. Wir möchten gern die Gründe kennen lernen, weswegen
sie den christlichen Geschäftsleuten diese vernichtende Konkurrenz
machen konnten. Denn offenbar erst wenn wir diesen Gründen
nachspüren, kommen wir hinter die Eigenart des jüdischen Ge-
schäftsgebarens, in der ja doch offenbar jene Gründe verborgen
liegen müssen; enthüllen wir „les secrets du negoce“, von denen
Savary in der unten zitierten Stelle spricht.
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Wiederum befragen wir die unmittelbar betroffenen Zeit-
genossen oder Leute, die den Dingen des täglichen Lebens nahe
genug standen, um Witterung zu haben. Und bekommen zu-
nächst wieder eine ganz übereinstimmende Antwort: was die
Juden so überlegen macht, ist ihre betrügerische Geschäfts-
führung. „Die Juden und Kommissarii haben ein Gesetz und
Freiheit, welches heißet Lügen und Trügen, wenn cs ihnen nur
einträgt,“ meint Philander von Sittewald 291 . Ebenso allgemein
und selbstverständlich lautet das Urteil in dem schnurrigen Betrugs-
lexikon, das der „Geheimrat und Amtmann“ Georg Paul Hönn
zusammengestellt hat 292 . Hier findet sich hinter dem Stichwort
„Juden“ — als einziger Fall im ganzen Lexikon — das Ein-
schiebsel: „Juden betrügen, wie insgemein, also in Sonder-
heit . .“ Ähnlich ist der Artikel „Juden“ in der „Allgemeinen
Schatzkammer der Kauffmannschaft“ gehalten 298 . Oder ein „Sitten-
schilderer“ berichtet schlankweg von der Judenschaft Berlins:
„Sie — nähren sich vom Raube und Betrüge, die nach ihren
Begriffen keine Verbrechen sind“ 294 .
Und das französische Gegenbild dazu: „das Urteil Savarys:
„les juifs ont la reputation d’etre tres habiles dans le commerce ;
mais aussi ils sont soup<jonn6s de ne le pas faire avec toute la
probitö et la fidelitö possible“ 295 .
Und diese ganz allgemeinen Urteile finden dann fast in
jeder Eingabe christlicher Geschäftsleute ihre besondere Be-
stätigung für den Ort und die Branche, auf die sich die Eingabe
gerade bezieht.
Schaut man sich dann aber die Geschäftspraktiken im
einzelnen an, die man den Juden zum Vorwurf machte, so findet
man sehr bald, daß viele von ihnen mit Betrug — auch wenn
man den Begriff sehr weit faßt, etwa im Sinne einer absicht-
lichen Verletzung oder Unterdrückung der Wahrheit oder einer
arglistigen, auf Vermögensschädigung gerichteten Täuschung —
kaum etwas zu tun haben. Die Bezeichnung „Betrug“ ist viel-
mehr offenbar dazu bestimmt, schlagwortartig die Tatsache zum
Ausdruck zu bringen, daß die Juden bei ihrer Geschäftsführung
auf die bestehenden Rechts- oder Sittennormen nicht immer
Rücksicht zu nehmen pflegten. Was also die Handlungsweise
der jüdischen Geschäftsleute kennzeichnete, war die Verletzung
gewisser traditioneller Gepflogenheiten der christlichen Geschäfts-
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leute, war die Gesetzesübertretung (in seltenen Fällen), war vor
allem der Verstoß gegen die guten Sitten der Kaufmannschaft.
Und wenn wir noch genauer hinsehen, wenn wir vor allem die
einzelnen Verfehlungen, die den Juden vorgeworfen wurden, auf
ihre grundsätzliche Bedeutung hin untersuchen, so werden wir
alsobald gewahr, daß es sich bei dem Kampfe zwischen jüdischen
und christlichen Kaufleuten um den Kampf zweier Weltanschau-
ungen oder doch wenigstens zweier grundsätzlich verschieden
oder entgegengesetzt orientierter Wirtschaftsgesinnungen handelt.
Um das zu verstehen, müssen wir aber uns vergegenwärtigen,
welchen Geist das Wirtschaftsleben atmete, in das die jüdischen
Elemente seit dem 16 . Jahrhundert immer mehr eindrangen und
zu dem sie sich offenbar in so schroffen Gegensatz brachten,
daß man sie überall als die „Störer“ der Nahrung empfand.
Während der ganzen Zeit, die ich als die frühkapitalistische
Epoche bezeichne, also auch in den Jahrhunderten, in denen
sich das jüdische Wesen durchsetzte, herrscht noch dieselbe
Grundauffassung in der Wirtschaftsführung vor, die
während des Mittelalters gegolten hatte: die feudal-handwerks-
mäßige, die ihren äußeren Ausdruck in der ständischen Gliederung
der Gesellschaft findet.
Danach — und das ist die tragende, alles übrige Denken
und Tun bestimmende Idee — steht im Mittelpunkt auch der
wirtschaftlichen Interessen der Mensch. Der Mensch als Güter-
erzeuger oder als Güterverbraucher bestimmt mit seinen Inter-
essen das Verhalten der einzelnen wie der Gesamtheit, bestimmt
die äußere Ordnung des wirtschaftlichen Prozesses ebenso wie
die Gestaltung des geschäftlichen Lebens in der Praxis. Alle
Maßnahmen der Gesamtheit wie des einzelnen, die auf die
Regelung wirtschaftlicher Vorgänge abzielen, sind personal
orientiert. Die Grundstimmung aller an der Wirtschaft Be-
teiligten trägt eine persönliche Färbung. Was freilich nicht
dahin zu verstehen ist, als ob das einzelne Wirtschaftssubjekt
frei hätte schalten und walten können. Vielmehr war das Indi-
viduum, wie bekannt, in seinem Tun und Lassen an feste, ob-
jektive Normen gebunden ; aber diese Normen selbst, das ist hier
das Entscheidende, waren aus rein personalem Geiste geboren.
Güter werden erzeugt und gehandelt, damit die Konsumenten
gut und reichlich ihren Bedarf an Gebrauchsgütern decken können.
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142
aber auch die Produzenten und Händler ihr gutes und reichliches
Auskommen finden : beides so, wie es das Herkommen mit sich
brachte. Man könnte auch sagen: der wirtschaftliche Prozeß
wurde noch unter wesentlich naturalem Gesichtspunkte betrachtet,
das heißt: die Kategorie des qualitativ bestimmten Gebrauchs-
gutes stand noch im Mittelpunkte der Bewertung.
Produzent und Händler sollen durch ihre recht und schlecht
geübte Tätigkeit ihr standesgemäßes Auskommen finden: diese
Idee der Nahrung beherrscht noch durchaus die Anschauungen
der meisten Wirtschaftssubjekte während der frühkapitalistischen
Epoche, auch dort, wo sie schon in kapitalistischen Formen ihr
Geschäft betreiben und findet demgemäß in den schriftlich
fixierten Ordnungen seine äußere Anerkennung und in den
Schriften über Handel und Wandel seine theoretische Begründung:
„Abfall der Nahrung oder Verfall der Nahrung ist, wenn einer
in einen solchen Zustand versetzt wird, daß er weniger einnimmt
als zu seinem ehrlichen Auskommen oder auch zur Befriedigung
seiner Gläubiger nötig“ 296 .
Das schrankenlose, unbegrenzte Streben nach Gewinn galt
noch während dieser ganzen Zeit bei den meisten Wirtschafts-
subjekten als unstatthaft, als „unchristlich“, wie denn der Geist
der alten Thomistischen Wirtschaftsphilosophie noch immer
wenigstens offiziell die Gemüter beherrschte. „So Du . . . eine Ware
allein hast, kannst Du wol einen ehrlichen Profit suchen; doch
also, daß es christlich sey und Dein Gewissen keinen Verlust
erleide oder Du an Deiner Seele schaden nehmest“ 297 .
Hier wie in allen Wechselfällen des Wirtschaftslebens blieb das
religiöse oder sittliche Gebot doch immer das oberste : von einer
Herauslösung der ökonomischen Welt aus dem religiös-sittlichen
Gesamtverbande war noch keine Bede. Jede einzelne Handlung
ressortierte noch unmittelbar von der obersten ethischen Instanz :
dem göttlichen Willen. Und dieser war — soweit mittelalter-
licher Geist herrschend geblieben war — wie allgemein bekannt,
der mammonistischen Auffassung der Dinge im strengsten Sinne
abhold, also, daß alles christliche Erwerbsleben alten Stils schon
aus diesem Grunde immer ethisch temperiert blieb.
Produzent und Händler sollen ihr Auskommen finden : dieser
leitende Gedanke mußte vor allem zu einer Abgrenzung bestimmter
' Tätigkeitskreise für die gesamte Händlerschaft eines Landes, eines
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Ortes ebenso wie für das einzelne Wirtschaftssubjekt an seinem
Platze führen. Das, was für das Mittelalter gesagt ist 898 ,, gilt
bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts für alle wirtschaftliche
Auffassung: daß sich mit einem Rechte stets eine bestimmte
Machtsphäre verband, daß nicht durch den Hinweis auf allgemeine
Berechtigungen, sondern durch die Zuteilung einer bestimmten
Machtsphäre die Stellung des Individuums begründet wurde.
Darum sorgte die Gemeinschaft (die sich für den einzelnen
noch immer verantwortlich fühlt) zunächst dafür, daß die Ge*
samtheit ihrer Produzenten und Händler ein hinreichend grobes
Gebiet für fruchtbare Tätigkeit hatte: der Grundgedanke aller
merkantilistischen Politik, die (wie hier nicht im einzelnen nach-
gewiesen werden kann) die gradlinige Fortsetzung der mittel-
alterlich-städtischen Wirtschaftspolitik war. Der Tätigkeitsbereich,
den die Angehörigen eines Staates benötigen, ist mit Gewalt,
wenn erforderlich, zu erobern und zu verteidigen. Alle merkan-
tilistische Handels- und Kolonialpolitik ruht noch, wie bekannt,
auf diesem Grundgedanken. Ausdehnung der Handelsbeziehungen
und damit Erweiterung des Absatzgebietes für den einheimischen
Produzenten ist danach durchaus und ausschließlich ein kriege-
risches Problem, ein Problem höchster Machtentfaltung. Wo
überhaupt ein Wettbewerb stattfindet — und das war nur der
Fall außerhalb der Landesgrenze — , wird der Erfolg entschieden
durch die höchste kriegerische, nicht kommerzielle Tüchtigkeit.
Dagegen ist im Innern des Landes jeder Wettbewerb etwa
der einzelnen Wirtschaften untereinander grundsätzlich aus-
geschlossen.
Der einzelne erhält sein Tätigkeitsgebiet: darauf kann er
schalten und walten, wie es Sitte und Überlieferung vorschreiben,
aber er soll sein Auge nicht auf seines Nachbarn Reich lenken,
wo dieser, wie er, seines Daseins Kreise in ungestörter Ruhe
vollendet. So erhielt der Vollbauer seine Hufe: so viel Land
und Weide und Wald, als er zum Betriebe seiner Landwirtschaft
und zum Unterhalt seiner Familie bedurfte. Von dieser bäuer-
lichen Besitz- und Wirtschaftseinheit sind dann alle späteren
Anschauungen abgeleitet, auch die, die Gewerbe und Handel
gestalteten. Immer schwebte die bäuerliche Nahrung als Ideal-
gebilde vor: wie der Bauer sollten auch der gewerbliche Pro-
duzent und der Händler seinen umfriedeten Bezirk haben, inner-
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halb dessen sie ihres Amtes walten konnten. Was für den Bauern
sein Landlos, das war für den Städter die Kundschaft: sie, die
Abnehmerin seiner Erzeugnisse, war gleich wie die Scholle für
den Bauern die Quelle seines Unterhalts. Sie muhte eine be-
stimmte Größe haben, damit ein Geschäft in traditionellem Um-
fang von dem Absatz an sie bestehen konnte. Sie sollte dem
einzelnen Wirtschaftssubjekt gesichert bleiben, damit er stets
sein Auskommen habe: auf dieses Ziel sind eine Menge wirt-
schaftspolitische Mahregeln gerichtet; dieses Ziel verfolgt vor
allem auch die kaufmännische Moral. Recht und Sitte während
dieser ganzen Zeit, noch ebenso wie im Mittelalter, verfolgen
gleichermahen den Zweck, den einzelnen Produzenten oder Händler
gegen Übergriffe seines Nachbarn in seinem Tätigkeitskreis, also
in seiner Kundschaft zu sichern.
Wo die Sicherung des Geschäftszweiges gegen die Über-
griffe aus einem andern Geschäftszweige in Frage kam, sorgte
ja die Zunftordnung für Aufrechterhaltung des Besitzstandes,
ebenso in zahlreichen Fällen durch Schliehung der Zunft, wo der
Besitzstand eines Gewerbes als Ganzen in Frage stand. Den
einzelnen Geschäftsinhaber gegen seinen Kollegen zu schützen,
war vornehmlich die kaufmännische Sitte berufen, die uns hier
ganz besonders angeht, weil in ihr die Wirtschaftsgesinnung am
unverfälschtesten zum Ausdruck kommt.
Die Geschäftsmoral gebot nun aber mit aller Entschieden-
heit, ruhig in seinem Laden der Kundschaft zu harren, die aller
Voraussicht nach sich einstellen muhte. So schließt D e Foe (der
oder dessen Fortsetzer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
das berühmte Kaufmannsbuch schrieben) seinen Sermon: „and
then with God’s blessing and his own care, he may expect his
share of trade with his neighbours“ m . Das ist ganz und gar
„handwerksmäßig“ gedacht: er mag — der Kaufmann — ruhig
ab warten, daß ihm sein Anteil am Gesamthandel zufalle.
Auch der Meßbesucher (im 18. Jahrhundert) „wartet Tag und
Nacht seines Gewölbs wohl ab“ 800 .
Auf das strengste verpönt war aller „Kundenfang“ : es galt
als „unchristlich“, als unsittlich, seinem Nachbarn die Käufer ab-
spenstig zu machen 801 . Unter den „Regeln der Kaufleute, die
mit Waren handeln“, befindet sich eine, die lautet: „Wende
keinem seine Kunden oder Handelsmann weder münd- noch
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schriftlich ab ; und tue einem andern auch nicht, was Du wilt, daß
Dir nicht geschehe 80 *.“ Diesen Grundsatz schärfen denn auch die
Kaufmannsordnungen immer wieder von neuem ein: in der
„Mayntzischen Policey Ordnung“ (18. sc.) heißt es 808 „daß nie-
mand den andern vom Kauff abtreiben oder mit höherem Bieten
demselben eine Ware verteuern soll, bey Verlust der gekauften
Ware; niemand (sollte) sich in des andern Handel eindringen
oder seinen eigenen so stark führen, daß andere
Bürger darüber zu Grunde gehen.“ Die sächsischen
Kramer-Ordnungen von 1672, 1682, 1692 bestimmen in Art. 18 804 :
„Soll kein Gramer dem andern seine Kaufleute von seinen Buden
oder Cram Laden abruffen noch mit Wincken oder andern Ge-
berden und Zeichen vom Kauf abhalten weniger die Kaufleute
für eines andern Buden oder Gewölben mahnen, ob sie ihm gleich
mit Schulden verhafiftet seyn“.
Ganz folgerichtig waren dann aber auch alle Vornahmen im
einzelnen verpönt, die darauf hinausliefen, seine Kundschaft zu
vergrößern.
Noch während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt
es selbst in London als unschicklich, wenn ein Kaufmann seinen
Laden prächtig ausstattet und durch geschmackvolle oder sonst-
wie reizvolle Auslagen Käufer anzulocken trachtet. Der schon
erwähnte De Foe nicht nur, sondern auch noch die späteren
Herausgeber seines Werks (beispielsweise die der 5. Auflage von
1745) entrüsten sich über solcherlei unlautem Wettbewerb, dessen
bisher freilich — wie sie mit einiger Befriedigung feststellen — nur
einige Konditoren und toy-men sich schuldig gemacht hätten 805 .
Zu den unerlaubten Dingen gehört auch lange Zeit noch
während der frühkapitalistischen Periode, soviel ich sehe (Holland,
über das ich nicht genau unterrichtet bin, ausgenommen: hier
scheint schon im 17. Jahrhundert das Eis gebrochen zu sein), bis
tief in das 18. Jahrhundert hinein die Geschäftsanzeige , zumal
in der Form der Anpreisung.
Die Geschäftsanzeige kommt in Holland nach der Mitte,
in England gegen Ende des 17. Jahrhunderts, in Frankreich noch
viel später überhaupt erst in Aufnahme. Die im Jahre 1667 be-
gründete Ghentsche Post-Tijdingen brachte in ihrer Nummer vom
3. Oktober desselben Jahres die erste Anzeige 806 . Die Londoner
Annoncenblätter der 1660 er Jahre enthalten überhaupt noch
Sombart, Die Jaden 10
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keine Gesch&ftsanzeigen : selbst der große Brand veranlaßte kein
einziges Geschäft, auch nur seine neue Adresse bekannt zu geben«
Einigermaßen gewöhnt sich die Geschäftswelt daran, nachdem
sie vorher schon vereinzelt Zettel auf der Straße hatte verteilen
lassen, die Zeitung als Insertionsorgan zu betrachten, seit Be-
gründung der „Collection for the Improvement of Husbandry and
trade" durch John Hougthon im Jahre 1682 807 .
Zwei Menschenalter später schreibt Postlethwayt 808 :
Das Annoncieren in den Zeitungen sei jetzt mehr in Aufnahme
gekommen. Noch vor wenigen Jahren (a few years since) hätten
Geschäftsleute von Ansehen es für gemein und schimpflich (mean
and disgraceful) erachtet, sich mittels einer öffentlichen Anzeige
an das Publikum zu wenden; jetzt (1751) sei es anders geworden;
jetzt hielten selbst sehr kreditwürdige Personen die Zeitungs-
annonce für die einfachste und billigste Methode, dem ganzen
Lande zur Kenntnis zu bringen, was sie etwa anzubieten hätten.
In Frankreich war man um dieselbe Zeit offenbar noch nicht
so weit. Savary 800 verzeichnet in seinem Dictionnaire (1726)
unter dem Stichwort „Röclame“: „terme d’imprimerie ; c’est le
premier mot d’un cahier d’un livre“ etc. ; und unter dem „affiche“ :
terme de maltres pescheurs; „afficher“ : terme de cordonnier etc.
Erst im Supplement (1782) trägt er unter dem Stichwort „Affiche“
(das also offenbar noch ein wenig gebräuchliches Wort war, das
einem nationalökonomischen Fachlexikographen entgehen konnte)
nach: „Placard attachö en lieu public pour rendre une chose
notoir ä tout le monde.“ Aber unter den Dingen, die mittels
öffentlichen Anschlags „aller Welt" bekannt gemacht werden,
zählt er nur auf: Verkauf von Schiffen; Abfahrt von Schiffen;
Ankündigung angekommener Schiffsladungen durch die großen
Kompagnien, wenn sie öffentlich verkauft werden sollten; Er-
richtung neuer Fabriken; Wohnungswechsel. Die Geschäfts-
anzeige fehlt. Sie fehlt aber auch als Annonce in den Zeitungen
bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein: so enthält
beispielsweise die erste Nummer des berühmten Annoncenblatts
„Les Petites Affiches“, die am 13. Mai 1751 erschien, keine ein-
zige wirkliche Geschäftsanzeige 810 . Also selbst die ganz simple
Geschäftsanzeige: „ich verkaufe (verfertige) da und da die und
die Waren“ bürgert sich in England erst während der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, in Frankreich noch später ein (in
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Deutschland haben wir in einzelnen Städten: Berlin, Hamburg,
vereinzelte Fälle der Geschäftsanzeige aus dem Anfang des
18. Jahrhunderts; nur Bücher wurden allgemein viel früher an-
gezeigt, bildeten aber durch die Natur ihres Vertriebes eine
leicht erklärliche Ausnahme).
Als durchaus verwerflich galt aber offenbar noch lange Zeit,
während welcher die Geschäftsanzeige schon bestand, die Ge-
schäftsreklame, das heißt die Anpreisung, der Hinweis auf
besondere Vorzüge, die ein Geschäft etwa vor andern aufzuweisen
sich anmaßte. Als den höchsten Grad kaufmännischer Unan-
ständigkeit aber betrachtete man die Ankündigung: daß man
billigere Preise nehme als die Konkurrenz.
Das „Unterbieten“, das „underselling“ galt in jeder Gestalt
als unschicklich: „Seinem Neben-Bürger zu Schaden zu verkauften,
und allzusehr zu schleudern, bringt keinen Segen“ 811 .
Als eine geradezu schmutzige Praktik aber galt der öffent-
liche Hinweis darauf. In der fünften Auflage des Complete
English Trademan (1745) findet sich eine Anmerkung der Heraus-
geber folgenden Inhalts 819 : „Seit unser Autor schrieb (De Foe
starb 1781), ist die Unsitte des Unterbieten so schamlos ent-
wickelt (this underselling practice is grown to such a shameful
height), daß gewisse Leute öffentlich bekanntmachen: daß sie
ihre Waren billiger als die übrige Kaufmannschaft abgeben (that
particular persons publickly advertise that they undersell the
rest of the trade).“ Und gleich dabei die aus der herrschenden
Wirtschaftsgesinnung folgerichtig sich ergebende Erklärung für
die Entrüstung, mit der auf die genannte Unsitte hingewiesen
wird: Wir haben Händler gekannt, die ihre Waren zu Preisen
ausbieten, bei denen ein solider Kaufmann nicht bestehen kann
(we have had grocers advertising their under-selling one another,
at a rate a fair trader cannot seil for and live) : das alte Nahrungs-
ideal! Das übliche Auskommen fest gegeben; das Ausmaß des
Absatzes fest gegeben: also dürfen die Preise, zu denen die
einzelnen Waren verkauft werden, nicht unter eine bestimmte
Mindesthöhe sinken.
Ein besonders wertvolles Zeugnis besitzen wir für Frank-
reich, sogar aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, woraus
mit aller Deutlichkeit hervorgeht, wie unerhört die Preisunter-
bietung und deren öffentliche Bekanntmachung damals selbst in
10 *
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Paris noch waren. Es heißt darin (einer Ordonnanz des Jahres
1761), daß derartige Machenschaften nur als die letzte Ver-
zweiflungstat eines unsoliden Geschäftsmanns angesehen werden
müssen. Die Ordonnanz verbietet auf das strengste allen en gros-
und en dötail-Kaufleuten in Paris und seinen Vororten, „daß
einer hinter dem andern herlaufe“, um ihren Waren Absatz zu
verschaffen; insbesondere aber Zettel zu verteilen, um darauf
auf ihre Waren hinzuweisen. Die Begründung dieser Verordnung
ist so bezeichnend für den Geist, der damals noch die maß-
gebenden Kreise beherrschte, daß ich die wichtigsten Stellen
daraus wiederum im Wortlaut mitteilen muß. Es heißt da 818 :
„Quelques marchands de cette ville — Paris — ont affectö
depuis quelque temps de faire röpandre dans le public des billets
en leur nom, pour annoncer la vente de leurs Stoffes et autres
marchandises, ä un prix qu’ils exposent ötre införieur
ä celui que les dites marchandises ont coutume d’ötre vendues
par les autres marchands : qu’une pareille contrevention, qui est
presque toujours la derniäre ressource d’un nögociant
infidäle, ne peut &tre trop sövdrement reprimöe.“
Über dem Produzenten und Händler wurde nun aber auch
der Konsument nicht vergessen. Ja in gewissen Sinne blieb
dieser die Hauptperson, da ja noch die naive Anschauung nicht
ganz aus der Welt verschwunden war: daß Gütererzeugung und
Güterhandel am Ende für den Güterverzehr, um diesen gut zu
gestalten, da seien.
Die naturale Orientierung, wie ich es nannte, waltete auch
hier noch ob : Gebrauchsgüterbeschaffung ist noch immer Zweck
aller wirtschaftlichen Tätigkeit, noch ist nicht die reine Waren-
produktion deren Inhalt geworden. Daher denn vor allem
während der ganzen frühkapitalistischen Epoche immer noch
das Bestreben deutlich zutage tritt: gute Waren herzustellen;
Waren, die das sind, was sie scheinen : also auch echte Waren.
Von diesem Bestreben sind alle die unzähligen Reglementationen
der Warenerzeugung getragen, die gerade das 17. und 18. Jahr-
hundert wie keine Zeit zuvor ausfüllen. Nur daß der Staat jetzt
die Kontrolle in die Hand nahm und an seinen Amtsstellen die
Waren der obrigkeitlichen Schau unterwarf.
Diese staatliche Fürsorge für ordentliche Ware, könnte man
nun freilich sagen, sei gerade ein Beweis dafür, daß die Wirt*
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Schaftsgesinnung der Zeit nicht mehr auf Herstellung guter Ge-
brauchsgüter gerichtet gewesen sei. Der Einwand wäre aber un-
berechtigt. Die staatliche Kontrolle sollte doch nur die Ver-
gehen einzelner weniger gewissenhafter Produzenten unmöglich
machen. Im allgemeinen war noch die Absicht vorhanden, gute
und echte Waren zu liefern ; die Absicht, die allem echten Hand-
werk eigen ist und die auch die frühkapitalistische Industrie
zum guten Teil übernommen hatte.
Wie langsam sich der rein-kapitalistische Grundsatz durch-
setzte: daß allein der Tauschwert der Waren für den Unter-
nehmer entschied, daß also das kapitalistische Interesse indifferent
gegenüber der Gebrauchsgütereigenschaft sei, vermögen wir bei-
spielsweise aus den Meinungskämpfen zu ersehen, die in Eng-
land noch während des 18. Jahrhunderts deswegen ausgefochten
wurden. Offenbar stand Jos. Child, wie in so vielen Dingen,
im Gegensatz zu der groben Mehrzahl seiner Zeitgenossen und
wohl auch seiner Berufskollegen, wenn er dafür eintrat, daß es
der Einsicht des Unternehmers zu überlassen sei, welcher Art
Waren und von welcher Güte er sie auf den Markt bringen
wolle. Wie seltsam mutet es uns heute an, wenn Child noch
für das Hecht des Fabrikanten auf Schundwarenproduktion
kämpft I „Wenn wir“, ruft er aus 814 , „den Weltmarkt erobern
wollen, müssen wir es den Holländern nachmachen, die die
schlechteste Ware ebenso wie die beste produzieren, damit wir
in den Stand gesetzt werden, alle Märkte und alle Geschmäcker
zufrieden zu stellen“.
Durchaus organisch gliedert sich in diese Vorstellungswelt
die Idee vom gerechten Preise ein, die offenbar auch noch
tief in das frühkapitalistische Zeitalter hinein ihre Geltung be-
wahrt. Der Preis ist nicht ein Ding, mit dem das einzelne Wirt-
schaftssubjekt nach Belieben schalten und walten kann. Auch
die Preisbildung unterliegt den obersten Religions- und Sitten-
gesetzen wie jeder wirtschaftliche Vorgang. Sie soll so gestaltet
werden, daß dem Wohle des Produzenten, wie des Händlers, wie
des Konsumenten damit gedient werde. Und wie das geschehe,
darüber entscheidet nicht das Gutdünken des einzelnen, sondern
entscheiden objektive Normen. Woher diese zu entnehmen seien :
diese Frage wurde freilich im Lauf der Jahrhunderte verschieden
beantwortet. Der mittelalterlichen Anschauung, wie sie in voller
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Reinheit etwa noch Luther vertritt, entsprach es ja, die Hohe
des Preises nach den Kosten und der Arbeit zu bestimmen, die
dem Produzenten (Händler) erwachsen waren : der Preis, würden
wir sagen , wurde nach den Produktionskosten bemessen*
Während sich unter dem Einfluß des wachsenden Verkehrs, deut-
lich wahrnehmbar wohl seit dem 16. Jahrhundert, eine Ver-
schiebung in den Ansichten vom gerechten Preise vollzieht, die
mehr und mehr die preisbildende Kraft des Marktes anerkennen
müssen. Saravia della Calle, der mir für die Entwicklung
der Preislehre eine entscheidende Bedeutung zu haben scheint,
leitet das justum pretium schon ganz ab aus dem Verhältnis von
Angebot und Nachfrage (würden wir sagen) 816 . Aber was das
Wichtige ist: so oder so: der Preis bleibt immer ein dem will-
kürlichen Eingriff des einzelnen entzogenes, nach objektiven
Normen sich für jedes Wirtschaftssubjekt verbindlich durch-
setzendes Gebilde. Das ist auch noch durchaus die Anschauung
der Schriftsteller des 17. Jahrhunderts: der Scaccia, Straccha,
Turri usw. Und zwar ist das objektiv Zwingende in der Preis-
bildung eine ethische (nicht wie später eine „ naturgesetzliche “ )
Potenz: der einzelne soll den Preis nicht willkürlich bemessen
(während es später höchstens hieß: er kann ihn nicht willkür-
lich bemessen).
Die Gesamtstimmung, die sich aus der Befolgung all dieser
einzelnen Grundsätze ergab, war denn wohl das ganze früh-
kapitalistische Zeitalter hindurch die eines geruhsamen Sichaus-
lebens. Der Grundzug war noch die Stabilität, der Traditiona-
lismus. Der einzelne Mensch, auch wenn er Geschäfte betrieb,
hatte sich noch nicht im Lärm und Trubel dieser Geschäfte ver-
loren. Er war noch Herr seiner selbst. Er hatte sich auch noch
die Würde des selbständigen Mannes bewahrt, der sich nicht
wegwirft um eines Profites willen. Überall im Handel und
Verkehr herrscht noch ein persönlicher Stolz. Der Kaufmann
— kann man es in einem Worte zusammenfassen — hat noch
Haltung. In der Provinz natürlich mehr als in den großen
Städten, den Zentren des sich entwickelnden kapitalistischen
Lebens. Den „stolzen und hochgemuten Ton des Provinz-
kaufmanns" (ton fier et haut des nägocians provinciaux) hebt
ein guter Beobachter seiner Zeit mit Nachdruck hervor 816 . Wir
sehen den Kaufmann alten Stils deutlich vor uns: wie er ein
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wenig steif und ungelenk in Kniehosen und langem Rock, mit
der Perücke angetan, würdevoll daherschreitet: gewohnt, seine
Geschäfte ohne viel Nachdenken und ohne viel Eifer zu voll-
bringen. Im gewohnten Kreise seine gewohnte Kundschaft in
gewohnter Weise bedienend, ohne Überstürzung, ohne Hast.
Was heute als das beste Wahrzeichen eines blühenden Ge-
schäftslebens gilt: daß alle Welt rennt und hastet: das sah
man noch Ende des 18. Jahrhunderts als den Ausfluß des Müßig-
gangs an, während gerade der Mann, der in Geschäften be-
fangen war, gemessenen Schrittes einherging. Als der schon ge-
nannte Schriftsteller Me rci er 1788 Grimold de la Reyniöre um
sein Urteil über die Kaufleute und Industriellen von Lyon er-
suchte, machte dieser die unendlich wertvolle, die Zeitumstände
wie mit einem grellen Schlaglicht beleuchtende Feststellung 817 :
„In Paris rennt man, hat man’s eilig, weil man dort
nichts zu tun hat; hier (in Lyon, dem Zentrum der Seiden-
industrie und einer blühenden Handelsstadt) geht man
ruhigen Schritt, weil (1) man beschäftigt ist“ (A Paris
on court, on se presse parce qu’on y est oisif; ici Ton marche
posöment, parce que l’on y est occupö).
In dieses Bild paßt auch vortrefflich der fromme Non-con-
formist, der Quäker, der Methodist hinein, den wir ja gern als
einen der frühesten Träger der kapitalistischen Ideen ansehen.
Aber würdevoll, voller Haltung schritt er seines Weges dahin.
Wie das innere Leben, so sollte auch das äußere Verhalten wohl
abgemessen sein. „Walk with a sober pace, not tinkling with
your feet“, sagt ein Gebot der puritanischen Sitten 818 . „The
believer hath or at least ought to have and, if he be like him-
self , will have, a well ordred walk and will be in his carriage
stately and princely“ 819 .
♦ * *
Und gegen diese festgefügte Welt nun rannten die Juden
Sturm. Gegen diese Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsgesinnung
sehen wir sie auf Schritt und Tritt verstoßen. Denn daß den
Klagen der christlichen Geschäftsleute, die uns als die wichtigste
Quelle dienen, greifbare Tatsachen zugrunde liegen, ergibt sich,
wie schon an anderer Stelle hervorgehoben wurde, nicht nur aus
der Übereinstimmung aller Zeugnisse, sondern auch aus der Art
und Weise, wie die Klagen vergegenständlicht sind.
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Waren denn nun aber die Juden die einzigen, die wider
Recht und Sitte verstießen? War es berechtigt, den „Juden-
kommerz“ vom anderen Handel und Wandel grundsätzlich da-
durch zu unterscheiden , daß man jenen als „unsolide“, zu Lug
und Trug und zu Verstößen gegen Gesetze und Ordnung eher
geneigt, diesen aber als abhold allem unrechtmäßigen Tun kenn-
zeichnete? Ganz gewiß war auch die Geschäftsgebarung der
christlichen Produzenten und Händler nicht frei von Vergehungen
gegen die Vorschriften des Rechtes und der guten Sitte. Die
Tendenz dazu liegt in der menschlichen Natur begründet und
daß das Zeitalter, das wir im Auge haben, durchschnittlich pflicht-
treuere Menschen erzeugt hätte, als andere, wird man bei einiger
Kenntnis der Dinge nicht behaupten wollen. Schon die er-
drückende Fülle von Geboten und Verboten, unter denen das
Wirtschaftsleben jener Zeit stand, läßt darauf schließen, daß die
Neigung, Unrecht zu tun, bei den Geschäftsleuten nicht gering
war. Aber wir haben auch sonst eine Menge von Zeugnissen,
aus denen wir entnehmen können, daß die kaufmännische Moral
keineswegs eine besonders hohe war.
Wenn man das schon erwähnte „Betrugslexikon“ durch-
blättert, das im Anfang des 18. Jahrhunderts erschien und das
zu seiner Zeit ein sehr gelesenes Buch war (es erlebte in
wenigen Jahren mehrere Auflagen), so kann einem himmelangst
werden. Die ganze Welt, will es dann scheinen, ist ein einziger
großer Betrug. Aber wenn man auch in Rücksicht zieht, daß
der Eindruck durch die Zusammenstellung so vieler Betrugs-
möglichkeiten auf kleinem Raum besonders stark wird : die Über-
zeugung, daß in jener Zeit allerwegen tüchtig besch — ummelt
wurde, wird man aus der Lektüre dieses seltsamen Buches doch
mitnehmen. Und sie wird gekräftigt durch so manches andere
Zeugnis. Der Verfasser der Allgemeinen Schatzkammer der
Kaufmannschaft (1742) meint 820 z. B.: „so sind heutigen Tages
gar wenig Waren zu finden, welche nicht einer Verfälschung
sollten unterworfen sein“. Verschiedene Reichsabschiede (wie
der von 1497), Polizeiordnungen (wie die Augsburger von 1548),
Kaufmannsordnungen (wie die Lübeckische von 1607) befassen
sich ausdrücklich mit dem Verbot der Warenverfölschung. Und
wie es mit der Gütererzeugung nicht immer gut bestellt war, so
war der Schwindel auch in der allgemeinen Geschäftsführung
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keine Seltenheit. Der betrügerische Bankrott muh für die Leute
des 17. und 18. Jahrhunderts ein ganz besonders häufiges und
schwer zu lösendes Problem gebildet haben. Immerfort hören
wir Klagen über sein häufiges Vorkommen 82! . Die laxe Ge-
schäftsmoral der englischen Kaufleute während des 17. Jahr-
hunderts war berüchtigt 822 . Fälschungen und Betrügereien
werden „the besetting sin of English tradesmen“ genannt. „Unsere
Landleute“, sagt ein Schriftsteller 828 des 17. Jahrhunderts, „geben
durch ihr ungeheures Aufschlagen auf die Preise aller Welt zu
verstehen, daß sie jedermann betrügen würden, wenn es in
ihrer Macht stünde“ (by their infinite over-asking for Commo-
dities proclaim to the world that they would cheat all if it
were in their power).
Was also war denn mm das spezifisch Jüdische? Und darf
man überhaupt eine besondere jüdische Eigenart in dem Ver-
halten gegenüber den bestehenden Ordnungen annehmen? Ich
glaube ja und glaube, diese spezifisch jüdische „Gesetzesüber-
tretung“ äußert sich vor allem darin, daß es sich bei den Ver-
stößen der Juden gegen Recht und Sitte gar nicht handelt um
die vereinzelte Unmoral eines einzelnen Sünders, sondern daß
diese Verstöße der Ausfluß der für die Juden gültigen allgemeinen
Geschäftsmoral waren, daß in ihnen also nur die von der Ge-
samtheit der jüdischen Geschäftsleute gebilligte Geschäftspraxis
zum Ausdruck kommt. Wir müssen aus der allgemeinen und
fortgesetzten Übung bestimmter Gebräuche den Schluß ziehen,
daß die Juden diese ordnungswidrige Handlungsweise gar nicht
als unsittlich und somit unerlaubt empfanden, sondern bei ihrem
Tun das Bewußtsein hatten, die richtige Moral, das „richtige
Recht“ gegenüber einer unsinnigen Rechts- und Sittenordnung
zu vertreten. Natürlich gilt das nicht für diejenigen Fälle, in
denen es sich um Kapitalvergehen gegen das Eigentum über-
haupt handelte. Man muß, wie kaum besonders hervorgehoben
zu werden braucht, unterscheiden zwischen den Geboten und
Verboten, die sich aus der Institution beispielsweise des Eigen-
tums (das Gesagte gilt natürlich für alle Rechtsgebiete gleich-
mäßig) als solcher und denen, die sich aus bestimmten Formen
und Handhabungen des Eigentumsrechts ergeben. Verstöße gegen
jene werden so lange allgemein als rechtswidrig und strafbar
gelten, als die Institution des Eigentums überhaupt besteht;
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Verstöße gegen diese werden eine verschiedene Beurteilung er-
fahren, je nach den im Laufe der Zeit sich wandelnden An-
schaungen von der Art und Weise, wie man das Eigentum ge-
brauchen dürfe (Wucherverbot! Privilegierungen! usw.).
In dem eigentümlichen Geschäftsgebaren der Juden gingen
Verfehlungen beider Art durcheinander. Offenbar haben die
Juden in früherer Zeit sich auch solcher Vergehen häufig schuldig
gemacht, die als unrechtmäßige in dem höheren allgemeinen
Sinne anzusehen waren: wenn sie z. B. (was man ihnen aller-
orten immer wieder vorwarf) sich der Hehlerei schuldig machten
und mit notorischer Diebesware Handel trieben 884 . Und diese
Art im engeren Sinne verbrecherischer Praktiken erfreute sich
auch bei der Judenschaft keineswegs einer allgemeinen Billigung.
Hier werden die „anständigen“ Elemente sich ebenso in ihrer
Auffassung von den skrupellosen unterschieden haben, wie inner-
halb der christlichen Welt. Oder die Neigung zu solcherart
Verfehlungen beschränkte sich auf bestimmte Gruppen des jüdi-
schen Volks, die dann ganz oder teilweise als verdächtig an-
gesehen wurden und zu deren Auffassung von Recht und Unrecht
die Moral der übrigen Judenschaft ebenso in einen Gegensatz
trat wie die der Christen. Für das tatsächliche Vorhandensein eines
solchen Gegensatzes zwischen verschiedenen Bestandteilen des
jüdischen Volkes haben wir interessante Belege aus der Geschichte
der hamburgischen Judenschaft. Hier übernimmt im 17. Jahr-
hundert die Portugiesengemeinde der Behörde gegenüber eine
gewisse Verantwortung für das geschäftliche Gebaren der neu
eingewanderten deutschen Juden. Gleich nach ihrem Erscheinen
mußten sich die „tedescos“ der portugiesischen Nation gegenüber
verpflichten, keine gestohlenen Sachen zu kaufen und
sonst keine unehrenhafte Geschäfte zu treiben. Schon im nächsten
Jahre wurden die Alten der tedescos vor den Mahamad (den Ge-
meindevorstand der Sephardim) berufen und verwarnt, weil
einzelne von ihnen gegen die obige Verpflichtung gehandelt
hätten; ein anderes Mal desgleichen, weil sie geraubte Sachen
von Soldaten gekauft hatten usw. 825 .
Will man also die Verstöße der Juden gegen Recht und
Sitte, wie man sie ihnen während der ganzen frühkapitalistischen
Epoche zum Vorwurf machte und wie sie zweifellos stattfanden,
als Ausfluß einer von der Judenschaft allgemein gebilligten Ge-
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schäftsmoral , somit als die spezifisch jüdische Geschäftspraxis
ansehen, so wird man solche kapitale Vergehen gegen die Straf-
gesetze, die von einem großen Teile der Judenschaft gemißbilligt
wurden, ausscheiden (oder ihnen jedenfalls eine besondere Würdi-
gung zuteil werden lassen) müssen und wird sich zu beschränken
haben auf eine Namhaftmachung desjenigen Rechtsbeugungen und
(vor allem) Sittenverletzungen, für die wir den Consensus omnium
innerhalb der jüdischen Geschäftswelt voraussetzen, und von
denen wir sonach auf das Vorhandensein einer besondem jüdi-
schen Wirtschaftsgesinnung schließen dürfen.
Und was sehen wir da?
Deutlich hebt sich vor unsern Augen der Jude zunächst
einmal ab als der, sagen wir, reinere Geschäftsmann, als der in
Geschäften Nur-Geschäftsmann, als derjenige, der im Geiste echt
kapitalistischer Wirtschaft allen naturalen Zwecken gegenüber
den Primat des Erwerbszwecks anerkennt.
Zum Belege wüßte ich nichts besseres anzuführen als die
Memoiren der Glückei von Hameln. Dieses Buch, das
jetzt ins Deutsche übertragen ist, ist in vieler Hinsicht eine
außerordentlich wertvolle Quelle, wenn wir das Judentum, seine
Wesenheit und seine Wirksamkeit in frühkapitalistischer Zeit
beurteilen wollen. Glückei von Hameln war eine Hamburger
Kaufmannsfrau und lebte in der Zeit des ersten mächtigen Auf-
stiegs der Hamburg- Altonaer Judenschaft (1645 — 1724). Diese
außergewöhnliche Frau stellt sich uns als ein wahrhaft lebendiger
Typus der damaligen Juden dar. Ihre Erzählung ist (namentlich
in den ersten Büchern, nachher machen sich Spuren von Alter
bemerkbar) von einer packenden Natürlichkeit, von einer herz-
erquickenden Frische und Ursprünglichkeit. Ich habe immer
wieder an die Frau Rat denken müssen, wenn ich diese Memoiren
las, in denen ein ganzer Mensch ein wahrhaft reiches Leben uns
erzählt hat.
Wenn ich nun dieses prachtvolle Buch anführe, um damit
das Vorwalten der Geldinteressen bei den Juden jener Zeit zu
erweisen, so geschieht es deshalb, weil ich meine, daß jene
Eigenart ganz gewiß eine sehr verbreitete gewesen ist, wenn sie
selbst in einer so hervorragenden Frau wie der Glückei den
eigentlich hervorstechenden Charakterzug bildet. Denn in der
Tat: alles Dichten und Trachten, alles Denken und Fühlen dreht
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156
sich bei jener Frau — und wir merken auch: bei allen andern
Personen, von denen sie etwas zu berichten hat — ums Geld.
Obwohl die eigentlichen Geschäftsberichte in den Memoiren nur
einen kleinen Baum einnehmen, ist darin doch an 609 ver-
schiedenen Stellen von Geld, Reichtum, Erwerb usw. die Rede
(auf 318 Seiten). Die Personen und ihre Handlungen werden
uns immer nur vorgeführt mit einem irgend weichen Vermerke,
der auf Geldsachen Bezug hat. Und vor allem steht im Mittel-
punkte des Interesses: die pekuniär vorteilhafte Heirat. Die
Verheiratung der Kinder ist der Hauptinhalt der geschäftlichen
Tätigkeit der Glückei. „Er hat meinen Sohn auch gesehen, und
sind auch gar nahe daran gewesen, haben aber um tausend Mark
nicht zusammen kommen können“ (S. 238.) Derartigen Wen-
dungen begegnet man auf Schritt und Tritt. Ihre eigene (Wieder-)
Verheiratung erzählt sie mit den Worten (S. 280): „Nachmittag
hat mich mein Mann mit einem vornehmen Trauring von einer
Unze geehelicht“.
Ich möchte diese früher ganz übliche eigentümliche Be-
handlung der Heiraten bei den Juden allgemein als ein Symptom
betrachten für ihre starke Bewertung des Geldes und vor allem
für ihre Neigung, auch die unschätzbarsten Dinge in den Kreis
geschäftlicher Erwägungen zu ziehen. Auch Kinder haben einen
Preis: das ist für die Juden in jenen Zeiten ganz selbstverständ-
lich. „Sie sind alle meine lieben Kinder, und es sei ihnen ver-
ziehen, sowohl denen, die mich viel Geld gekostet haben, als
denjenigen, die mich nichts gekostet haben,“ schreibt Glückei.
Sie haben (namentlich als Heiratsobjekte) einen Preis, ja sie
haben einen Kurs, je nach der Marktlage. Besonders gefragt
sind Gelehrte oder Kinder von Gelehrten. So hören wir denn
auch gelegentlich, daß ein Vater in Kindern spekulierte. Be-
kannt hierfür und oft angeführt ist das Schicksal des Salomon
Maimon, von dem uns Graetz folgendes berichtet: „Mit 11 Jahren
beherrschte er den Talmud stofflich und formell so vollständig,
daß er ... als Bräutigam gesucht wurde. Sein dürftiger Vater
verschaffte ihm zum Übermaß aus Spekulation zwei Bräute zu-
gleich, ohne daß der junge Bräutigam eine ... zu sehen bekam“.
Derartige Fälle lassen sich zu Dutzenden nachweisen, so daß sie
uns durchaus als typisch erscheinen müssen.
Nun kann man vielleicht einwenden: in nicht-jüdischen
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Familien sei das Geldinteresse ebenso lebendig, man wolle es
nur nicht zugeben. Man heuchle. Vielleicht ist dieser Einwand
zum Teil berechtigt. Dann würde ich aber als das spezifisch
Jüdische gerade diese Naivität, diese Selbstverständlichkeit, diese
Unverblümtheit ansehen, mit der das Geldinteresse in den Mittel-
punkt aller Lebensinteressen gestellt wird.
So urteilten auch die Zeitgenossen im 17. und 18. Jahr-
hundert ganz allgemein über den Juden. Und dieser Con-
sensus omnium darf doch wohl als ein weiterer Beweis
für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht betrachtet
werden. Der Jude gilt in den Zeiten unvollkommen ent-
wickelter kapitalistischer Wirtschaft gleichsam als der Ver-
treter der ausschließlich auf Geldgewinn gerichteten Wirt-
schaftsgesinnung. Nicht daß er „wucherte“, unterschied ihn
von dem Christen, nicht daß er Gewinn erstrebte, nicht daß er
Reichtümer aufhäufte, sondern daß er all das nicht heimlich,
sondern ganz offen tat, und daß er sich zu all diesen Dingen
offen bekannte. Und daß er rücksichtslos und unbarmherzig sein
geschäftliches Interesse verfolgte. Von christlichen „Wucherern“
wissen Sebastian Brandt und Geyler von Kaisersberg viel
schlimmere Dinge zu berichten, und daß sie’s „ärger trieben als
die Juden“. Und was das Schlimmste ist, weshalb man „zu
halten vil eiger weder kein Juden“ sollte, ist das, daß sie ihr
schmutziges Gewerbe mit heuchlerischer Christenmiene betreiben.
„Dann ein Jud setzt sein Seel öffentlich daxauff, und schembt
sich solches nicht, aber diese Wucherhels richten solches
alles auß under dem schein des Christlichen nammens 826 .“
In einem Berichte des Rev. Johannes Megalopolis vom
18. März 1655 heißt es von den Juden: „these people have no
other god but the unrighteous mammon and no other aim than
to get possession of Christian property . . . they . . . look at
everything for their profit“ 827 : ihr einziger Gott der Mammon ;
ihr einziger Zweck: Profit zu machen 1 Und ein anderer auch
recht klar blickender Beobachter jener Zeit 828 urteilt vielleicht
noch schärfer, wenn er sich folgendermaßen über die Juden
ausläßt: „No trust should be put in the promises made there
(in Brazil) by the Jews, a race faithless and pusillanimous,
enemies to all the world and especially to all Christians,
caring not whose house bums so long as they may warm them-
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158
selves at the coals, who would rather see a hundred thousand
Christians perish than suffer the loss of a hundred crowns.“
„Man nennt einen echten Juden einen wucherischen oder
allzu interessierten Kaufmann, der übervorteilt und diejenigen
schindet, die mit ihm zu tun haben“ : „un marchand usurier ou
trop intöressö qui surfait et qui ran$onne ceux qui ont affaire
ä lui“, meint der den Juden wohlwollende Savary 880 und er
fügt hinzu: „Man sagt: Einer ist in die Hände von Juden ge-
fallen, wenn die, mit denen man Geschäfte zu machen hat, hart,
zäh und genau (?) sind“ (durs, tenaces et difficiles). Das Wort:
„in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf“ ist zwar von einem
sehr christlichen Kaufmann geprägt worden. Der Grundsatz
selber aber ist unzweifelhaft zuerst mit Entschiedenheit und
Offenheit von jüdischen Geschäftsleuten vertreten worden.
Nicht unbeachtet sollen wir auch lassen, daß in den Sprich-
wörtern aller Nationen von jeher den Juden ein überragend
starker Erwerbssinn, eine besondere Vorliebe für das Gold
nachgesagt wird : „Auch dem Juden ist Maria eine heilige Frau“
— nämlich auf den Kremnitzer Golddukaten (ungarisch); „Gelb
ist des Juden Leibfarbe“ (russisch); „Des Juden liebste Farbe
ist gelb“ (deutsch).
Aus diesem starken, ethisch nicht mehr temperierten, Ge-
-winnstreben ergeben sich nun all die einzelnen Geschäfts-
maximen und Geschäftspraktiken, die man an den
Juden tadelte, ganz von selbst. Gleich ihre Eigenart, oder wie
•die Vertreter der alten ständischen Wirtschaftsordnung sagten:
ihre Unart, keine von Gesetz oder Satzung den einzelnen Berufe-
zweigen oder Gewerbearten gezogene Schranke zu achten. Eine
immer wiederholte Klage der christlichen Produzenten und
Händler an allen Orten, wo Juden neben ihnen wirtschaften,
ist die: die Juden begnügen sich nicht mit einer Beschäftigung;
sie greifen unausgesetzt in alle andern Branchen hinüber und
stören so die zünftlerische Ordnung; sie möchten am liebsten
den ganzen Handel und alle Produktion an sich reißen ; sie sind
von einer unerträglichen Expansionstendenz beherrscht. „Die
Juden streben nach der Vernichtung aller englischen Kaufleute
dadurch, daß sie allen Handel an sich bringen“ (by drawing all
trade towards themselves), heißt es in einem Berichte 880 aus
-dem Jahre 1655. „Die Juden sind ein scharfsinniges Volk, das
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in alle Arten von Geschäften seine Nase steckt“ (prying into
all' kinds of Trade), faßt Child das Urteil seiner Zeitgenossen
zusammen*® 1 . Und Glückei von Hameln erzählt uns (S. 25):
„meinem Vater sein Handel war mit Edelsteinen und mit
andern Sachen, wie ein Jude, der von allem was nascht“.
Zahlreich sind Beschwerden der deutschen Zünfte über die
Juden: daß sie sich nicht um die zunftmäßige Abgrenzung der
Gewerbe- und Handelsbetriebe kümmern. 1685 klagt der Rat
von Frankfurt a. M.: die Juden griffen in jede Art von Hand-
lung ein, so in die Leinen- und Seidenkrämerei, in den Material-
waren- und Buchhandel usw. 882 . Beschwerde der Stadt Frank-
furt a. O. (17. Jahrh.) 888 : die Juden handeln mit fremden Borten
zum Schaden der Posamentierer usf. Eine Neigung zur Univer-
salität der Branchen hatten die Juden frühzeitig schon dadurch,
daß sich in ihren Läden allerhand verfallene Pfänder verschieden-
artigster Natur (neben dem schon erwähnten Beutegut usw.) zum
Verkauf aufhäuften, die ohne jeden inneren Zusammhang rein
durch den Zufall hier zusammengeführt waren und nun natürlich
in die Kompetenzkreise der verschiedensten Produzenten und
Händler hineinragten. Diese Trödelläden — das Urbild des
modernen Warenhauses — spotteten jeder zunftmäßigen Gliede-
rung und bedeuteten durch ihr bloßes Dasein eine beständige
Auflehnung gegen die bestehende Ordnung von Handel und Ge-
werbe. Wir haben (schon aus dem 15. Jahrhundert, später haben
sich diese Verhältnisse sicher nur noch eigenartiger in derselben
Richtung weiter entwickelt) eine sehr anschauliche Beschreibung
eines solchen „Altwarenhauses“, als des Sitzes des Juden-
kommerzes in einem Regensburger Lied 884 :
„Hanger and Not and großen Zwang,
Das leidt der arme Handwerksmann.
Es war kein Handwerk also schlecht,
Dem der Jnd einen großen Schaden brächt.
So einer ein Kleid kaufen wollt,
Gar bald er za dem Jaden trollt,
Silbergeschirr, Zinn, Leinwand, Barett,
Und was er sonst im Hans nit hätt,
Das fand er bei den Jaden zahand,
Es war ihnen alles gesetzt zu Pfand.
Denn was man stahl und raubt mit Gewalt,
Das hat alles da sin Aufenthalt.
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Mäntel and Hosen und anderlei,
Das fand man bei dem Juden feil;
Der Handwerksmann könnt’ nichts verkaufen,
Es war alles zum Juden laufen.“
Hängt mit dieser Nichtachtung aller ständischen Gliederung
und also einer Durchsetzung der rein geschäftlichen Zwecke allen
Schranken zum Trotz die Tatsache zusammen, daß wir die Juden
auch als Rebellen gegenüber dem merkantilistischen Staat an-
treffen? Daß sie auch hier ohne Rücksicht auf, die der merkan-
tilistischen Handelspolitik zugrunde liegenden, nationalwirtschaft-
lichen Ideen die freie Handelsbewegung durchzusetzen trachteten?
„ Judenkommerz tt wurde z. B. der Frankfurter Handel im 18. Jahr-
hundert genannt, weil er wesentlich Einfuhrhandel war, „welches
wenige deutsche Hände nützlich beschäftigt und größtenteils auf
der inländischen Verzehrung beruht" 885 . Als im Anfang des
19. Jahrhunderts Deutschland mit den überproduzierten billigen
englischen Waren überschwemmt wurde, die man vornehmlich
auf Auktionen absetzte, galten die Juden als die Beförderer dieser
Einfuhr: „die Juden, die in deutschen Handelsstädten soviel an
sich zu ziehen gewußt, (haben) jene obgedachten Auctionen fast
ausschließlich in Beschlag genommen." „Da der Handel mit den
Manufakturwaren so ganz in die Hände der Juden geraten, so
ist demnach das Geschäft der Britten hauptsächlich nur mit
diesen." „Der gesamte und ungemein bedeutungsvolle, aus zahl-
losen, unendlichen Artikeln bestehende Detailhandel aller nur
denkbaren sogenannten Manufakturwaren (ist) mit dem aus-
wärtigen Handel derselben verbunden.“ Der Jude (hat) „seinen
Laden mit ausländischen Hüten, Schuhen, Strümpfen, ledernen
Handschuhen, Blechschmidt-, Kupferschmiedarbeit, Lackier- Arbeit
aller Art, mit Mobilien, mit gemachten Kleidern jeder Gattung,
die auf englischen Schiffen herbeigeführt sind, angefüllt“ 886 .
Dasselbe Urteil hören wir von jenseits des Rheins : „presque toutes
les marchandises qu’ils apportent sont ötrangöres" 887 .
Umgekehrt führten sie die Rohstoffe mit Vorliebe außer
Landes, was ja ebenfalls eine Versündigung am heiligen Geiste
des Merkantilismus bedeutete : z. B. Klage der Gewerbetreibenden
Hannovers im 18. Jahrhundert 887 “.
Achteten die Juden in der Verfolgung ihrer Geschäftsinteressen
nicht die Schranken, die zwischen den Staaten aufgerichtet waren,
nicht die gesetzlichen Scheidewände, die die einzelnen Gewerbe
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voneinander trennten, so nahmen sie auf die Umfriedungen, die
namentlich durch die Sitte, aber auch durch gesetzliche Verbote
für die einzelnen Geschäfte der Produzenten und Händler ge-
schaffen waren, noch viel weniger Rücksicht. Wir sahen, daß
es ein oberster Grundsatz aller handwerksmäßigen und auch noch
zum guten Teil der frühkapitalistischen Wirtschaftsverfassung
war: dem Nachbarn seine Kunden nicht abspenstig zu machen.
Und gerade gegen diesen Grundsatz sehen wir die Juden immer-
fort verstoßen. Überall lauern sie Verkäufern oder Käufern auf,
statt, wie es der kaufmännische Anstand heischte, ihrer im Ge-
wölbe zu harren: diese Tatsache wird durch ein überreiches
Material allerorten bestätigt.
Eine Beschwerde des Kürschner-Gewerkes in Königsberg
i. Pr. vom Jahre 1703 beklagt 888 : „daß die Juden Hirsch und
Moses mit ihrem Anhänge es ihnen im Ein- und Verkauf des
rohen und aufgearbeiteten Pelzwerkes zuvortäten, wodurch ihnen
großer Schaden erwachse.“
Die Juweliere, Gold- und Silberarbeiter in Frankfurt a. M.
beschweren sich (1685) 889 , daß sie all ihr altes Bruchgold und
Silber von den Juden kaufen müßten, da diese es durch ihre
unzähligen Spione den Christen immer vor der Nase weg-
fischten. Die Kaufmannschaft derselben Stadt hatte sich wenige
Jahre vorher in einer Beschwerde an den Rat ganz allgemein
darüber beklagt, daß die Juden „die Geschäfte der christlichen
Kaufleute ausspähen“.
Noch ein paar Jahre früher (1647) hatten schon die christ-
lichen Schneidermeister der Stadt Frankfurt a. M. beantragt 840 ,
man solle den Juden den Verkauf neuer Kleider verbieten:
„bitterlich zu beweinen sei, daß die Juden die Freiheit hätten,
fremden Personen höheren und niederen Standes, sobald sie nach
Frankfurt kämen, auf allen Straßen mit allerhand Waren, Tüchern,
wie die Kamele und Esel beladen, entgegenzulaufen und
uns so um unser tägliches Brot zu bringen 840 .“
Und ganz ähnlich hatten sich schon im Jahre 1635 die
Seiden- und Gewandkrämer in einer Eingabe also geäußert 840 :
„Außerhalb der (Juden-)Gasse terminieren sie in die Stadt und
in die Gasthöfe oder wo sie sonst Gelegenheit finden,
heimlich und öffentlich laufen sie den Soldaten,
Sombart, Die Jaden 11
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Offizieren und Obersten, wenn diese in die Stadt
kommen, ganze Gassen lang entgegen. Etliche Meister
des Schneiderhandwerks haben sie in ihr Konsortium gezogen,
denen sie bei Truppendurchzügen (während welcher die Juden-
gasse geschlossen bleiben muhte) die Häuser und Läden voll
Kleider stecken und dieselben verparthieren lassen/
1672 klagen die Stände der Mark Brandenburg 841 : „die
Juden liefen auf den Dörfern und in den Städten herum hausieren
und drängten den Leuten ihre Waren auf.“
Sehr eingehend begründet ist eine Beschwerde der Stadt
Frankfurt a. 0. aus derselben Zeit 841 , worin ebenfalls den
Juden vorgeworfen wird: sie liefen den Kunden nach: den
Reisenden in die Hotels, dem Adel auf die Schlösser, den
Studenten auf ihre Buden: „weil die Juden nicht damit content
seyn, daß sie allerhand Waaren in den Gewölben gleich uns
öffentlich feil haben, besonderen es hat ein jeder von ihnen ge-
wisse emissarios, die da nicht allein in der Stadt von Hause zu
Hause, absonderlich da etwa reisende Leute einkehren, und auff
den Stuben bei den Studenten allerhand Waren an seidenen
Stoffen, weihen Gattonen, Nettel-Tüchern, Spitzen, Leinewandten
und anderen Galanterien feil bieten, besondern auch von Dorffe
zu Dorffe auff dem Lande bey denen von Adel . . . herum vagierep,"
„sie seynd auch gewohnt, in den Messen alle Wirthshäuser täglich '
zu durchwandern, alle Käuffer an sich zu locken.“
„Der Jude,“ wird aus Nikolsburg in Österreich berichtet 842 ,
„hat allen Handel, alles Geld, alles Materiale an sich gezogen.
Er wartet vor der Stadt, dringt sich schon den Reisenden am
Wege auf und sucht Gespräche mit ihnen anzubinden und sie
von den Nikolsburger christlichen Bürgern abzuleiten.“
Wie der Jude immer nach neuen Kunden ausspäht, schildert
uns ein gut unterrichteter Schriftsteller aus dem Anfänge des
19. Jahrhunderts 848 , der als jüdische Gewohnheit bezeichnet
„das mit der Agentschaft in Verbindung stehende stete Be-
suchen und aufdringende Frequentieren aller und jeder öffent-
licher Örter, um durch die hier so wohlfeil zu erlangende
Lektüre der zahlreichen öffentlichen Blätter zu aller und
jeder Kundschaft zu gelangen, besonders was Ankunft
der Fremden betrifft, um jedes Gespräch lauschend, zu Kunden
um kommen, welche Häuser etwa von Unglücksfällen bedroht
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werden, um mit solchen Kaufkontrakte, Zessionsanträge usw.
abschließen und unternehmen zu können."
Was hier ein raffiniertes System von Kundschaftereien be-
wirken sollte: eines Kunden habhaft zu werden, vollzog sich in
den Straften, wo die jüdischen Altwarenhändler ihre Geschäfte
hatten, auf naiv-ursprüngliche Weise durch unmittelbare körper-
liche Nötigung. Ganz so, wie wir es heute noch täglich in unera
Groftstädten beobachten können, wo das, was der Breslauer
die „ Ärmelausreiftgeschäfte u nennt, in Flor steht. Von diesen
Blüten des allerneuesten Kapitalismus hatte ich früher einmal
gesprochen und hatte, um das Bild, das ich von ihnen entwarf,
anschaulicher zu machen, Männer mit fingierten jüdischen Namen
in die Läden gestellt. Man hat diese dichterische Freiheit, die
ich mir nahm, übelwollend als antisemitische Tendenz ausgelegt.
Ais Antwort auf diese Beschuldigung kann ich heute die geschicht-
liche Tatsache feststellen, daft in der Wirklichkeit jene „Ärmel-
ausreiftgeschäfte" eine Schöpfung jüdischen Geschäftsgeistes sind.
Wir erfahren von ihrer Existenz in dem Paris des 18. Jahr-
hunderts, wo sie von den fripiers, den Altwarenhändlern, be-
trieben werden, die nach Aussage eines Zeitgenossen 844 zum
größten Teile Juden waren. Die Schilderung, die uns Mercier
von* ihnen und ihren Praktiken entwirft, ist zu hübsch, um sie
nicht im Wortlaut hier wiederzugeben 845 : „Des courtauds de
boutiques desceuvres vous appellent assez incivilement; et quand
Tun d’eux vous a invitö, tous ces boutiquiers recommencent sur
votre route l'assommante invitation. La femme, la fille, la ser-
vante ; le chien, tous vous aboyent aux oreilles . . . Quelquefois
ces dröles-la saisissent un honnöte homme par les bras ou par
les öpaules et le forcent d’entrer malgrö lui; ils se font un
passe-tems de ce jeu indöcent ..."
Ein Reisender, der um dieselbe Zeit etwa Westdeutschland
durchwanderte, berichtet von dort: „Es ist eine Last in einer
Statt, in der die Menge der Juden so groft ist, auf den Gassen
zu gehen; alle Augenblicke und Schritte ist man von ihrem
Handel belästigt: Beständig hört man die Frage: Ist nichts zu
handeln? Kauft man nicht dieft, nicht das oder jenes, nicht
etwa was anderes?“ 846 .
Oder sie werden zu „fliegenden Händlern“, um besser an
die Kundschaft heranzupürschen. „In gedehnter Reihe macht der
11 *
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Jude die, an den Seiten der Hausstufen befindlichen, Sitze zu
seinem Kramtisch, hie und da durch Gestelle sie noch erweiternd ;
oder stellt auch eine Bank, einen Tisch an die Häuser, wo er
ankommen kann, hin; oder nimmt den Eingang der Flur eines
Hauses zu seinem Kramladen; oder wählt Karren zu seiner be-
weglichen Boutique, wobey es nicht fehlt, daß die Dreistigkeit
der Letzteren so weit geht, vor dem Laden deijenigen Bürger
zu halten, wo dieselben Artikel verkauft werden“ 847 .
„An die Kunden heranzukommen,“ ist die Losung. Wir
erinnern uns, wie heute dieser Grundsatz auch die große Industrie
beherrscht, wie die geniale Organisation etwa der A. E. G. nichts
anderes bezweckt als dieses.
Daß die Kundengewinnung zu einem System erst in der Re-
klame ausgebildet ist, ist bekannt. Die „assommante* invitation“,
die wir eben von dem kleinen fripier ausgehen sahen, ist heute die
Aufgabe der tausendfältigen Geschäftsreklame geworden. Haben
wir die Juden als die Väter der Kundeneroberungssysteme
kennen gelernt, so müßten wir sie folgerichtig auch als die Väter
der modernen Reklame begrüßen dürfen. Ich bin jedoch nicht
in der Lage, für diesen Zusammenhang hinreichende Beweise
beizubringen. Hier müßten erst einmal die ältesten Zeitungen
auf die Namen der Inserenten hin durchgesehen werden, um sich
ein Urteil bilden zu können. Für die Geschichte der Reklame
besitzen wir einstweilen (soviel ich sehe) überhaupt noch keine
Vorarbeiten. Was man leidlich genau untersucht hat, ist immer
nur die Geschichte der Annonce (der einfachen Geschäfts-
anzeige) gewesen, die sich wahrscheinlich erst spät, wohl kaum
wesentlich vor dem 19. Jahrhundert allgemein zur Geschäfts-
anpreisung (der Reklame) auswächst. Was ich an vereinzelten
Belegen kenne, aus denen auf die Ausbildung der Reklame
durch die Juden geschlossen werden kann, ist folgendes:
1. Die mir überhaupt bekannte erste Reklame finde ich in
Nr. 63 der „Vossischen Zeitung“ vom 28. Mai 1711. Sie
lautet :
Es wird jederm&nnigl. zu wissen gethan, daß bey Hr. Advocat
Boltzen in die Judenstrasse ein Holländischer (jüdischer?) Kauff-
mann gekommen ist mit allerhand feinen Thee zu wohlfeilen Preise.
* Assommant: fatigant, ennuyeux ä l'exc&s nach — Pierre Larousse l
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Wer nun Lust und Belieben hat, etwas zu kauften, kan sich bey
Zeiten melden, denn er über 8 Tage nicht hier bleiben wird.
2. die erste bekannte Reklame im Text der Zeitung, die
man in das Jahr 1753 nach Holland verlegt, rührt von
einem Augenheilkünstler namens Laazer her 848 ;
3. eine sehr alte (ob die älteste, weih ich nicht) Reklame in
den Vereinigten Staaten erschien am 17. 8. 1761 im New
York Mercury und batte folgenden Wortlaut 849 :
„To be sold by Hayman Levy, in Bayard Street, Camp Equi-
pages of all sorts , best soldiers english shoes . . and everything
that goes to make up the pomp and circumstance of glorious war“ ;
4. die Juden sind die Väter der modernen Zeitungspresse,
also des eigentlichen Organs der Reklame; insbesondere
haben sie die billige Sous-Presse begründet 850 : Polydore
Millaud ist der Begründer des Petit Journal, das mit seinem
billigen Preise bekanntlich zum Vorbilde aller späteren
Zeitungen geworden ist.
Aber Adressen ermitteln, ankommenden Fremden auf den
Leib rücken, seinen Kram anpreisen : das alles ist doch nur die
eine Seite des „Kundenfangs 1 *. Man könnte all diese Tricks zu-
sammenfassen unter der Bezeichnung des äußerlichen Kunden-
fangs und könnte ihnen dann als innerlichen Kundenfang alle
jene Machenschaften gegenüberstellen, die die Darbietung der
Ware selbst so zu gestalten bestimmt sind, daß die Käufer an-
gelockt werden. Kulanz im weitesten Sinne habe ich früher
einmal diese auf Zufriedenstellung und Gewinnung der Kund-
schaft abzielende Politik des Geschäftsmanns genannt. Und bei
der Ausbildung dieser Seite unseres Wirtschaftslebens sehen wir
nun abermals die Juden in ganz hervorragendem Maße beteiligt.
Ja, es läßt sich fast im einzelnen „quellenmäßig** nachw eisen,
daß sie gegenüber der herrschenden Anschauung den Grundsatz
zuerst und mit Entschiedenheit vertreten: der einzelne Geschäfts-
mann habe das Recht (und die Pflicht), sein Angebot so zu ge-
stalten, daß er einen möglichst großen Teil der vorhandenen
Kundschaft an sich fessele oder aber durch Schaffung neuer Be-
dürfnisse die Abnehmerschaft vergrößere.
Inmitten einer auf gute Leistungen Wert legenden Wirt-
schaftsverfassung konnte nun das einzig wirksame Mittel, jenen
Zweck zu erreichen, nur die Unterbietung imPreise sein.
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Und dieses Mittels sehen wir in der Tat den Juden sich mit Vor-
liebe bedienen. Und das vor allem war es, was ihn in den Kreisen
der christlichen Kaufleute, die ihrer ganzen Wirtschaftsgesinnung
gemäß „auf Preise halten tt mußten, so grundverhaßt machte. Der
Jude schleudert. Der Jude verdirbt die Preise. Der Jude lockt
die Kunden durch seine billigen Preise an. Das ist das Lied,
das, wo immer Juden Geschäfte machen, während des 17. und
18. Jahrhunderts in allen Tonarten gesungen wird.
Aus der erdrückenden Fülle von Beweismaterial will ich nur
folgende Belege beibringen.
Als, wie schon erwähnt, in England 1753 der Sturm gegen
die Juden losbrach, war einer der gewichtigsten Gründe, die
man gegen ihre Zulassung als Staatsbürger geltend machte : daß
sie bei völliger Freiheit die Einheimischen um ihre Nahrung
bringen würden, da sie sie unterbieten (undersell them) 851 .
In Frankreich: „les Stoffes . . . que portent les Juifs
dans les foires . , . valent mieux par les prix auxquels ils
les vendent que celles qu’on trouve dans les boutiques des mar-
chands“ , antwortet der Intendant von Languedoc den sich be-
schwerenden Kaufleuten von Montpellier (31. 5. 1740) 8M .
Während die Kaufleute von Nantes (merciers et quincailliers)
der Meinung sind: „le public sous l’apparence dubonmarchö
est toujours le dupe a beim Kauf von Judenwaren, aber daß sie
billiger sind, wird ausdrücklich hervorgehoben 858 . Dieselbe Fest-
stellung machen die Pariser Kaufleute in einer Klageschrift : daß
die Juden alle Waren „ä un prix beaucoup au dessous de celui
des fabriques“ (also sogar: erheblich billiger als die Fabriken I)
verkaufen 864 .
In einer Eingabe der Bronzewarenhändler von Paris heißt
es von einem Juden aus Fürth, Abraham Oulman 855 : „il vend
ces memes bronzes au dessous de la valeur de ce qu’on les vend
dans le pays“: er verkauft dieselben Bronzen billiger, als
„man“ (!) sie sonst hier zu Lande zu verkaufen pflegt.
Und die Zunftmeister der Lyoner Seidenweber schreiben in
einem Beschluß vorft 22. 10. 1760 die ungünstige Konjunktur den
Juden zur Last, die mit den Waren geschleudert und dadurch
sich zu Herren des Seidenhandels in allen Provinzen ge-
macht hätten: „cette nation . . . les (les etoffes) donnant ä vil
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prix, s’est rendu par ce moyen maitresse du commerce de toutes
les provinces“ 866 .
Als im Jahre 1815 im schwedischen Reichstage darüber
debattiert wurde, ob man den Juden allen Handel frei geben
solle, war ebenfalls, wie ein paar Menschenalter vorher in Eng-
land, einer der Hauptgründe, der dagegen geltend gemacht
wurde: sie drückten die Preise 857 .
Auf die Klagen der christlichen Kaufleute Polens erwidern
die Juden : wenn sie, die christlichen Geschäftsleute, die Waren
ebenso billig verkauften wie sie, die Juden, würden sie eben-
soviele Kunden haben 858 .
Genau auf denselben Ton gestimmt sind die häufigen Be-
schwerden der Kaufleute (und Fabrikanten) in Deutschland,
von denen ich schon öfters Proben mitgeteilt habe.
Klagen der Stände der Mark Brandenburg vom Jahre
1672 859 , Klagen der Zünfte in Frankfurt a. M. (17. Jahr-
hundert 880 ), Bericht der Kriegs- und Domänenkammer über den
wirtschaftlichen Niedergang des Herzogtums Magdeburg (vom
Jahre 1710 801 ): „Es ist hiernächst bekannt, daß allhier und an
anderen Orten dieses Herzogtums verschiedene Juden geduldet
werden, dadurch dann dem Publico auf verschiedene Weise eben-
falls nicht wenig präjudiziert wird, angesehen dergleichen Leute
. . . sich mit Kaufen und Verkaufen ernähren und oftmals . . .
Sachen . . . wohlfeiler verkaufen, darunter dann die Kauf-
leute notwendig leiden müssen" . . . Ein in Deutschland um
diese Zeit reisender Wallache berichtet von den „bitteren Klagen
wider den Handel der Juden“; „diese sind es, sprechen die
Kaufleute , die allen Handel verderben, die Preise gering
setzen und uns hierdurch, wollen wir anderst einen Absatz
unserer Waren erhalten, vermöchten und zwingen, soviel mög-
lich, ihnen hierinnen zu folgen“ 868 .
Diese Beobachtung wird in ihrer Richtigkeit bestätigt durch
die Begründung, mit der das allgemeine (preußische) Edikt von
1750 erlassen wird: „die . . Kauffleute in unseren Städten . .
klagen . ., daß ihnen die handelnden Juden, welche mit ihnen
gleichen Krahm führen, großen Abbruch thäten, weil sie ihre
Waaren gemeiniglich wohlfeiler verkaufen“.
Die Klagen setzen sich bis in das 19. Jahrhundert fort. So
heißt es in einer „Supplik der Augsburger Großhändler gegen
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die Zulassung der Juden“ (1803) 868 : die Juden wüßten eigent-
lich aus der allgemeinen Not ihren Vorteil zu ziehen ; sie
drückten dem Dürftigen, der Geld brauche, die Waaren zu Schand-
preisen ab, und verderbten durch wolfeilen Wieder-
verkauf den ordentlichen Handel.
(Daß noch heutigen Tages in zahlreichen Industriezweigen
die christlichen Fabrikanten und Kaufleute das „Schleudern“,
wie es die Juden belieben, als eine schwere Schädigung ihres
Gewerbes empfinden, ist ein offenes Geheimnis und wird sogar
oft genug öffentlich ausgesprochen. Ich komme auf diesen P unkt
noch zu sprechen.)
Daß übrigens die Juden in allen Fällen als diejenigen gelten,
die eine Sache billiger als die anderen machten, dafür sprechen
auch Zeugnisse aus der Finanzgeschichte. Als die österreichische
Regierung im Anfang des 18. Jahrhunderts wieder einmal eine
Anleihe (wie meist: in Holland) aufnehmen wollte, wurde mit
Reskript vom 9. Dezember 1701 der Hofkammerrat Baron Pech-
mann beauftragt, sich unter der Hand zu erkundigen, ob nicht
auf das Pfandobjekt des Ertrages des ungarischen Kupferberg-
werkes ein höherer Betrag aufgenommen werden könne. Und
zwar soll er bei den portugiesischen Juden in Holland
anfragen, da die übrigen Untertanen der Generalstaaten außer
der allgemeinen Garantie immer zugleich eine effektive Spezial-
hypothek verlangten 864 . Die Wiener Hofkanzlei macht in einer
Eingabe vom 12. May 1762 u. a. den Vorschlag: „Es sey räth-
lieh, mit den Juden Militärlieferungen abzuschließcn, maßen die-
selben . . auf weit wohlfeilere Lieferungspreise eingehen“.
4c 4c
4t
Und nun steckten die Neunmalweisen ihre Köpfe zusammen
und fragten einander — in den Werkstätten, in den Gewölben,
Sonntag nachmittags auf dem Spaziergang vor dem Tor, abends
beim Schoppen, wenn der fremde Geschäftsfreund daher gereist
war: immer und immer wieder, mit bohrender Hartnäckigkeit
— wie geht es zu, wie in aller Welt ist es möglich, daß der
Jud seine „schmutzige“ Praktik der Unterbietung durchführen
kann? Was ist der Grund seiner billigen Preise?
Je nach dem größeren oder geringeren Maß von Urteils-
fähigkeit, je nach der größeren oder geringeren Unbefangenheit
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des einzelnen fiel natürlich die Antwort auf diese Frage recht
verschieden aus. Und wir stehen vor einer Fülle von Erklärungs-
versuchen, die wir nun nicht ebenso wie die Behauptung, daß
die Juden die Preise drückten (an deren Richtigkeit angesichts
der Üereinstimmung hierüber ganz voneinander unabhängiger Aus-
sagen zu zweifeln keinerlei Grund vorliegt), ganz einfach als bare
Münze nehmen dürfen, sondern die wir auf ihre größere oder
geringere Glaubwürdigkeit hin erst im einzelnen prüfen müssen.
Wobei immer im Auge zu behalten ist, daß uns die Gründe für
die billigen Preise der Judenwaren hier einstweilen immer nur
insoweit interessieren, als wir aus ihnen eine grundsätzlich eigen-
artige Geschäftspraxis ableiten oder aus ihnen auf eine grund-
sätzlich eigenartige Geschäftsmoral schließen können.
Die Erklärung, die uns vielleicht am häufigsten begegnet,
ist die mit Hilfe der „notorischen“ Unrechtlichkeit der Juden.
Man argumentiert so: da die Juden dieselben Spesen haben, da
die Herstellungskosten der Waren dieselben sind, so kann, wenn
trotzdem ein geringerer Preis gefordert wird, dies nicht mit
rechten Dingen zugehen. Die Juden müssen auf unrechtmäßige
Weise in den Besitz der Waren gekommen sein. Es muß sich
um Diebeswaren handeln oder um Räubergut. Der schlechte
Ruf, in dem, wie wir schon sahen, die Juden vielfach standen,
machte diese Erklärung um so wahrscheinlicher, wie denn wohl
zweifellos umgekehrt die Preisunterbietung oft genug als Be-
stätigung für die Richtigkeit jenes Verdachtes der Hehlerei hat
dienen müssen.
Ich verzichte darauf, einzelne Belege für das Vorkommen
dieser wie gesagt sehr häufigen Begründung beizubringen (fast
jede der öfters genannten Beschwerden macht sie sich zu eigen),
um so leichter, als diese Erklärung die alleruninteressanteste ist.
Zweifellos ist sie in vielen Fällen die richtige gewesen (Vorgänge
wie die in Hamburg im 17. Jahrhundert bestätigen das, ganz
abgesehen davon, daß die Wahrscheinlichkeit dafür spricht).
Aber wenn wirklich kein anderer Grund dafür vorläge, daß die
Juden die Preise drückten, als der, daß sie gestohlenes und
geraubtes Gut in den Handel brachten, dann wäre über die ganze
Sache kein Wort zu verlieren. Dann hätte diese Praktik über-
haupt nicht die große Bedeutung gewinnen können, die sie doch
offenbar besitzt.
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Man mußte sich denn auch in der Tat entschließen — selbst
in den verbissensten Zünftlerkreisen — , noch nach anderen
Gründen Ausschau zu halten, die die niedrigen Judenpreise ver-
ständlich machten. Man fand sie zunächst in nächster Nähe
jener ersten Gruppe von Gründen: zwar nicht in offenbar un-
rechtmäßigen, verbrecherischen Handlungen, aber doch in Prak-
tiken, die nicht ganz sauber waren.
Dahin gehören z. B. :
Handel mit verbotenen Waren (wie Kriegskontrebande usw.);
Handel mit verpfändeten Waren;
Handel mit konfiszierten Waren (Zollkontrebande) ;
Handel mit Waren , die man „von Schulden Gedrängeten,
welche selbige um ein Spottgeld verkauffen müssen“ 8 * 6 ,
erworben oder „dem Dürftigen, der Geld brauchte — zu
Schandpreisen abgedrückt“ 866 hatte ;
Handel mit alter verlegener Ware, die sie „aus gerichtlichen
Ausrüffen oder Auctionibus“ billig erstanden hatten 8 * 6 ;
Handel mit Waren, die von einem Bankerottem* billig los-
geschlagen waren: „en favorisant les banqueroutiers qui
leurs vendent ces marchandises ä moitiö perte“ 8 * 7 ;
Handel in der stillschweigenden Absicht, selbst Bankerott zu
machen 868 ;
Handel mit reglementwidrig hergestellten Waren: „fabriquöes
dans le royaume en contrevention des reglements“ 86 9 .
Wie weit es sich bei diesen und ähnlichen Praktiken,
diesen „miserables moyens des juifs“, wie es in einer Kund-
gebung der Metzer Kaufleute 870 heißt, um vereinzelte und all-
zurasch verallgemeinerte Fälle, wie weit um weitverbreitete Ge-
pflogenheit der jüdischen Geschäftsleute gehandelt hat, wird sich
schwer feststellen lassen, ist für das, was uns interessiert, aber
auch nur von untergeordneter Bedeutung. Daß alle derartige
Anschuldigungen aus der Luft gegriffen wären, ist nicht anzu-
nehmen ; und wichtig ist vor allem, daß die Anwendung solcher
Mittel den Juden zugetraut und geradezu als ihnen eigen be-
trachtet wurde. Wenn wir auch nur einen ganz geringen Teil
der damit ausgesprochenen Beschuldigungen als der Wirklichkeit
entsprechend in Rechnung stellen wollen, so bleibt immerhin ein
gewisser symptomatischer Wert dieser Feststellungen übrig, die
zur Ergänzung anders woher gewonnener Einsichten zu dienen
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berufen sein können. Ich werde erst später die Nutzanwendung
dieser Erwägungen machen können.
Einstweilen fahren wir fort in der Aufzählung der Gründe,
die man zur Erklärung der billigen Preise, zu denen die Juden
ihre Waren feilboten, geltend zu machen wußte.
Da stoßen wir nun wiederum außerordentlich häufig auf die
Behauptung: die von den Juden gehandelten oder gefertigten
Waren seien minderwertig an Qualität. Diese Anklage
(die die Behauptung im Sinne der damals herrschenden Wirt-
schaftsgesinnung unzweifelhaft war) kehrt so oft unter den ver-
schiedensten Umständen wieder, daß wir nicht daran zweifeln
dürfen, sie sei zum guten Teil begründet gewesen.
Der schon erwähnte Bericht der Kriegs- und Domänenkammer
über den wirtschaftlichen Niedergang des Herzogtums Magdeburg
spricht von den „oftmals gestohlenen oder sonst verdorbenen
Sachen“, die die Juden an sich bringen, um sie wohlfeil zu ver-
kaufen. Die ebenfalls erwähnten Klagen der Stände der Mark
Brandenburg meinen, daß die von Juden gehandelten Waren
„größtenteils alt und verlegen“ seien. Die Passamentiere in
Frankfurt a. M. beschweren sich, daß die Juden nicht nur „uff-
richtige und gerechte“, sondern auch „verfälschte und betrügliche“
Waren ihres Handwerks aufkauften und verpartierten 871 . Das
öfters von mir als eine zuverlässige Quelle herangezogene Kauff-
mannslexikon spricht dieselbe Ansicht aus: daß die Juden mit
verdorbenen Waren handeln, „die sie doch so stattlich wieder
aufzuputzen, umzufärben, ihnen von außen eine gute Lage oder
Ansehen, schönen Einband und Aufzierung, neuen Geruch und
Geschmack zu geben wissen, daß der beste Kenner oftmals damit
betrogen wird.“
Fast wörtlich wird dasselbe gesagt in der uns auch schon
bekannten Denkschrift der Kaufleute von Nantes: trotz ihrer
Billigkeit seien die von Juden feilgebotenen Waren teuer: es
seien eine Menge havarierte Waren, aus der Mode gekommene
Gegenstände und andere darunter, die für den Gebrauch überhaupt
nicht mehr geeignet seien. Soidenstrümpfe beispielsweise ließen
sie wieder auffärben, unter den Kalander durchgehen, um sie
als neu zu verkaufen: tragen könne man sie aber höchstens ein
einziges Mal.
Die Lyoner Seidenweber klagen (18 sc.) 878 , daß durch die
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Juden die Seidenindustrie ruiniert werde, da sie, um billig ver-
kaufen zu können, nur minderwertige Ware hersteilen lassen:
„cette nation ne fait fabriquer que des Stoffes införieures et de
mauvaise qualitö.“
In einem Bericht der böhmischen Statthalterei vom Jahre 1 705
heißt es 878 : „ die Juden bringen Handwerk, Handel und Wandel
an sich, lassen selbst aber, wegen ihrer meist untüchtigen
Manufakturen und verdorbenen Waren keinen einträglichen
Handel nach auswärts aufkomm en.“
Das ebenfalls schon öfters herangezogene Gutachten Wegelins
im schwedischen Reichstage (1815) meint: die Kattundruckerei
hätten die Juden freilich allein betrieben, allein durch eine
schlechte Ware — den sogenannten Judenkattun — verdorben.
Auch hier ist der Prozeß, der, wie aus den obigen Klagen
zu entnehmen ist, in der frühkapitalistischen Epoche begann,
heute noch längst nicht zum Abschluß gekommen. Jene Klage
christlicher Fabrikanten: die Juden drückten die Preise, von denen
oben die Rede war, findet ihre natürliche Ergänzung in der
andern: die Juden drückten eben, weil sie Billigkeit um jeden
Preis erstrebten, die Qualität herab.
Man wird nicht weit von der Wahrheit bleiben, wenn man
alle diese Beobachtungen zu dem Urteil zusammenfaßt : die Juden
sind auch die Väter des Surrogats im allerweitesten Ver-
stände.
Des Surrogats: denn oft ist das spezifisch Neue gar nicht
eine im engeren Sinne schlechtere Ware, das heißt dieselbe
Ware wie früher, nur in minderer Qualität hergestellt, sondern
ist eine schlechtere Ware nur in dem Sinne, daß es eine Ware
mit gleichem Gebrauchszweck, aber eine mit anderem billigeren
Material oder auf eine andere billigere Art hergestellte, also
eigentlich eine andere : eben das Surrogat im engeren, technischen
Verstände ist. Gerade auch von diesem Surrogat im eigentlichen
Sinne sind in wichtigen Fällen die Juden die Väter. Besonders
häufig handelt es sich um die neuen Surrogatstoffe der Textil-
industrie, aber auch um Surrogate in anderen Industrien : Kaffee-
surrogate z. B. In gewissem Sinne gehört auch die Farben-
industrie hierher, die erst in ihrem zweiten, durch jüdischen
Einfluß bezeichneten Entwicklungsstadium, und zwar eben infolge
Ersatzes des teuem von den Erfindern des künstlichen Alizarins
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zuerst verwandten Hilfsstoffes durch einen billigen, zu praktischer
Bedeutung gelangt ist.
Endlich gehört in diesen Zusammenhang noch die hie und
da erhobene Anschuldigung hinein: die Juden könnten deshalb
soviel billiger verkaufen, als die Christen, weil sie quantitativ
nicht vollgewichtige oder vollbemessene Ware lieferten : in
Avignon beispielsweise sollen sie billigere Wollwaren liefern,
weil ihre Waren ein geringeres Gewicht hatten 874 ; von den
deutschen Juden heißt es: „zu diesem allen kommt unter anderem
noch, daß die Juden auf den allerkleinsten Vorteil raffiniert
Mißt er zehn Ellen aus, so sind es nur 9 7 /s. Der Christ weiß
es, er sagt aber: der Jude mißt knapp, an zehn Ellen fehlt immer
eine Kleinigkeit; er verkauft aber so viel wohlfeiler“ 87Ä .
Was uns nun aber hier interessiert, und weshalb ich diese
einzelnen Tatsachen aufgezfihlt habe, ist die Frage: ob und be-
jahendenfalls inwiefern diese verschiedenen Praktiken, mittels
deren die Juden die Preise herabzudrücken versuchten, auf be-
stimmte allgemeine Geschäftsgrundsätze sich zurückführen lassen,
die wir etwa dann mit der von uns gesuchten jüdisch eigen-
artigen Wirtschaftsgesinnung in Zusammenhang bringen könnten.
Da scheint mir nun, daß das, was sich aus den verschiedenen
Praktiken ergibt, sich etwa fassen lasse als eine gewisse In-
differenz gegenüber den Mitteln, die man zur Erreichung des
geschäftlichen Endzwecks anwenden muß. Sowohl die Rücksicht-
nahme auf fremde personale Werte als auch der Respekt vor der
gesetzlichen und gesellschaftlichen Ordnung als endlich auch das
Festhalten an der naturalen Orientierung bei der Güterbeschaffung
verlieren an Stärke, und die ausschließlich tauschwertorientierte,
rein chrematistische Auffassung von der Aufgabe des Geschäfts-
mannes gewinnt die Oberhand.
Das, was ich an anderer Stelle die dem Kapitalismus inne-
wohnende Tendenz zum rücksichtslosen Erwerb genannt
habe, sehen wir hier in ihren ersten Anfängen, und zwar noch in
dem Stadium einer erst personal zufälligen Bestimmtheit.
Aber mit der bisherigen Aufzählung der von den Juden
behufs Verbilligung der Warenpreise angewandten Mittel haben
wir keineswegs alle tatsächlich von ihnen benutzten Mittel er-
schöpft. Solche von ebenfalls grundsätzlicher Bedeutung sind
noch namhaft zu machen. Nur liegen sie freilich in wesentlich
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anderer Richtung als die früher besprochenen. Das was sie von
diesen vornehmlich unterscheidet , ist der Uihstand, daß sie
Mittel sind, die eine wirkliche Sach-Verbilligung herbeizuführen
vermögen, während die bisher aufgezählten Praktiken doch ent-
weder überhaupt nur eine Scheinverbilligung hervorrufen konnten
oder aber die Verbilligung für den Käufer durch Schädigung
anderer Personen möglich machten.
Anders steht es mit den jetzt noch zu erwähnenden Ver-
billigungsmethoden. Sie stimmen alle darin überein, daß sie die
Herstellungskosten der Waren verringern helfen. Und zwar ent-
weder durch Herabminderung der eigenen Ansprüche des Produ-
zenten oder Händlers (subjektive „Kosten“) oder durch Ver-
ringerung des Aufwandes an Kosten, die der verkaufende Produ-
zent oder Händler zu zahlen hat: sei es wiederum, daß er die
an der Produktion beteiligten Personen (Arbeiter) niedriger ent-
lohnt, sei es, daß er die Herstellungs- oder Absatzmethoden
produktiver, also billiger gestaltet.
Daß alle diese Methoden zur Verbilligung der Warenpreise
von den Juden — und zwar offenbar von ihnen zuerst — an-
gewandt sind, dafür besitzen wir zahlreiche Belege.
Der Jude kann billigere Waren liefern, weil er weniger An-
sprüche macht als der christliche Kaufmann oder Gewerbe-
treibende : das sagen vorurteilslose Beobachter häufig aus,
müssen aber auch die Interessenten selbst gelegentlich zu-
geben :
Die Juden verkaufen die Waren billiger, „darunter dann die
Kaufleute notwendig leiden müssen, indem diesemehrver-
zehren als ein Jude und also sich mit dem Verkauf
ihrer Waren einigermaßen nach ihrem Zustande
richten müssen“ 876 . (Das alte Nahrungsideal in seiner ganzen
Protzigkeit !) „Der Jude begnügt sich mit einem kleineren Ge-
winn als der Christ“ 877 . Wenn die christlichen Kaufleute nicht
so verschwenderisch lebten, würden sie ihre Waren ebenso billig
verkaufen können, wie die Juden, sagen die polnischen Juden zu
den christlichen Polen 878 . Dasselbe Urteil fällt ein guter Be-
obachter, der Ende des 18. Jahrhunderts Deutschland bereiste:
„Man sieht aber nun hieraus wohl ein , wo der Grund der
Klage allenfalls liegt. Kein andrer ist der, als der verschwende-
rische Stolz des hochmütigen Krämers, der bei seinem Handel
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175
auf den Pracht so vieles verwendet, daß es ihme, niedrige
Preise zu setzen, versaget. Dank des Publikums seye also dem
Juden, der durch frugalere Lebensart demselben Gewinn ist und
den unnötig Aufwand machenden Krämer dahin bringt, entweder
eine bessere Haushaltung zu fahren oder bald zu verderben* 879 .
Die Wiener Hofkanzlei weist in einer Eingabe vom 12. May
1762 darauf hin, daß die Juden „wegen ihrer Sparsamkeit und
ihrer eingezogenen Lebensweise“ billiger als die Christen liefer-
ten. In der am 9. Januar 1786 von der ungarischen und sieben-
bürger Hofkanzlei abgefaßten Denkschrift, welche in Angelegen-
heit der von Josef H. geplanten Einschränkung des jüdischen
Schankwesens eingegeben wurde, wird ebenfalls die „viel ein-
gezogenere und schlechtere Lebensweise der Juden“ als Grund
angeführt, weshalb sie höhere Pachten zahlen könnten 880 .
„Sie sind ein an Mangel gewohntes Volk, leben elend und
können sich deshalb mit weniger Profit begnügen als die Eng-
länder“, meint Child 881 ; sie unterbieten uns wegen ihrer außer-
ordentlichen Bedürfnislosigkeit (by the exercise of extreme
frugality), heißt es Mitte des 18. Jahrhunderts in England 888 .
„Je suis persuadö“ , redet der Intendant des Languedoc die
ewig klagenden Kaufleute von Montpellier an 888 , „que le commerce
des Juifs dans les foires . . fait moins de tort aux marchands de
Montpellier que leur peu d'attention pour le Service du public et
leurs volontes determinees pour de trop grands
profits.“
Aber sie haben einen Trick herausgefunden, sagen andere
(und das waren -offenbar die Hellsehenden), mittels dessen es
ihnen gelingt, trotz eines geringeren Aufschlages auf die Waren,
doch einen ebenso hohen (oder höheren) Profit zu machen als
ihre christlichen Konkurrenten: sie beschleunigen den
Umsatz. Noch im Anfang des 19. Jahrhunderts gilt es als eine
jüdische „von der Gegenpartei nicht zu befolgende Handels-
maxime : öfterer Umsatz mit geringen Prozenten ist ungleich ein-
träglicher als seltener Umsatz mit höherem Gewinn“ 884 . „Weit
mehr hat die folgende . . Maxime im Handel der Juden ihr so
mächtiges Emporkommen gar sehr erleichtert: öfterer Umsatz mit
geringem Vorteil (Prozenten) ist imgleich mehr wert, als seltener
Umsatz mit höherem Gewinn“. Der Verfasser beweist dann, daß
Christen sich diese Maxime nie zu eigen machen können 886 .
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Die Juden: die Väter dieses Grundsatzes, der ganz und gar
gegen alle auf dem Prinzip der Nahrung aufgebaute Wirtschafts-
gesinnung sich auflchnt: kleiner Nutzen, grober Umsatz!
Der Aufschlag, der Profit (wie schon vorher der Preis) aus
der Dämmerung des Traditionalismus herausgeholt und zum
Gegenstände höchstpersönlich • zweckmäßigster Gestaltung ge-
macht! Das war die große, verblüffende Neuerung, die wieder
von den Juden kam. Jüdisch war es, die Höhe des Aufschlags
(Profits) nach Gutdünken zu bestimmen; jüdisch willkürlich fest-
zusetzen, ob überhaupt ein Profit gemacht oder ob etwa eine
Zeit lang ohne Profit gearbeitet werden sollte, um nachher desto
mehr zu verdienen. Ebenfalls noch im Anfang des 19. Jahr-
hunderts berichtet uns ein guter Beobachter 886 von folgendem
Sachverhalt als von einer verwerflichen jüdischen Praktik (aller-
dings mit Bezug auf Deutschland, das natürlich hinter den west-
lichen Ländern ökonomisch zurückgeblieben war): „Es wird ein
Kapital zusammengeschossen (ein Vehikel, welches desto leichter
werden muß, je höher der Vermögensstand der Juden steigt, vom
merkantilischen Gemeingeist usw. unterstützt); anfangs wird
mit wenigen Prozenten, oft sogar selbst mit Ver-
lust gearbeitet. Ist nun dies oder jenes Geschäft völlig zu
Grunde gerichtet, ist erst ein sicheres Monopol erlangt, so ge-
schieht die Steigerung der Preise auf eine willkürliche Art“ usw.
Endlich wäre dann noch der ebenfalls an den Juden öfters
bemerkten Eigenart Erwähnung zu tun : bei der Herstellung der
Güter möglichst billig zu verfahren : sei es dadurch, daß man die
billigste Arbeitskraft aufsucht, sei es dadurch, daß man sich voll-
kommenerer Produktionsmethoden bedient.
Daß die Juden billigere Waren liefern können, weil sie
niedrigere Arbeitslöhne bezahlen, wird öfters hervorgehoben:
Wollfabrikanten in Avignon (18. sc.) 887 , Kaufleute von Mont-
pellier 888 , Rat der Stadt Frankfurt a. O. 889 , Schneiderzunft der
Stadt Frankfurt a. M. Das Gemeinsame aller dieser zuletzt ge-
nannten Praktiken ist natürlich, was die Zeitgenossen nicht
sehen konnten, dies: daß die Juden sich wohl am frühesten
wichtiger Zweige der kapitalistischen Industrie bemächtigt haben,
namentlich da, wo diese als Hausindustrie sich in Anlehnung an
den Handel entwickelt hat. Der Anteil der Juden an der Ent-
stehung beispielsweise (und namentlich) der kapitalistischen
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Textilindustrie ist viel größer als man bisher angenommen hat.
Aber diese Zusammenhänge hier weiter zu verfolgen, liegt nicht
in meiner Absicht f weil ich in diesen Betätigungen der Juden
nichts typisch Jüdisches sehe. Es sei denn, was für die hier ent-
wickelte Gedankenfolge von Belang ist : daß sie mit Bewußtsein
aus rationalen Erwägungen sich der neuen Formen der Produk-
tion ebenso zuerst bedienten, wie der neuen Formen des Handels.
Und dabei wäre mm noch einer Eigenart jüdischer Geschäfts-
führung zu gedenken, von der wir zwar in den Berichten aus
der frühkapitalistischen Epoche nichts vermeldet finden, viel-
leicht weil sie sich erst später deutlicher ausgeprägt hat, die
aber demselben Geiste entstammt, wie all die bisher betrach-
teten Züge ihrer Geschäftsführung: ich meine das bewußte Sinnen
auf immer neue Kunstgriffe, durch die etwa die Kundschaft ge-
wonnen werden könnte: es mag sich um neue Gruppierung der
Waren, um neue Zahlungsmodalitäten, um neue Branchenkombi-
nationen, um neue Formen der Darbietung von Diensten: kurz
um irgend eine Neugestaltung des Geschäftslebens handeln, die
Käufer anlockt. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, einmal alle die
„Neuerungen“ zusammenzustellen, die Handel und Wandel (tech-
nische Neuerungen kommen fast gar nicht in Betracht) den Juden
verdanken. Ich will nur auf ein paar solcher kommerzieller Er-
findungen (wie man sagen könnte) hin weisen, von denen wir
jetzt schon feststellen können, daß sie jüdischen Ursprungs
sind (ich zweifle nicht, daß sie sich leicht vermehren ließen):
(wobei unentschieden bleiben mag, ob die schöpferische Idee
selbst oder nur deren geschäftliche Ausnutzung jüdischen
Hirnen entstammt).
Die schon erwähnten mannigfachen Methoden, billig „ver-
legene“ oder alte Waren einzukaufen und sie billig zu ver-
kaufen, war natürlich auch eine „ingeniöse Idee“, auf die erst
einmal einer kommen mußte; der Handel mit Resten und Ähn-
lichem gehört alles hierher; ebenso die oft gerühmte Eigen-
art der Juden, „aus den verworfensten Dingen hier und da sich
Unterhalt und Gewinn zu verschaffen“ 890 und ihre damit ver-
bundene Kunst, „die gemeinsten Artikel, die vordem gar keinen
Wert hatten, wie Hadem, Hasenbälge und Knoppern“ zu wert-
vollen Handelsartikeln zu machen Vielleicht könnte man sie
auch die Väter der Abfallindustrie nennen.
Sombart, Die Juden 12
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Im Berlin des 18. Jahrhunderts begegnen uns Juden als die
ersten Federverschleißer, die ersten Kammerjäger und als die Er-
finder des Weißbiers 891 .
Wie weit die Idee des Warenhauses jüdischen Ursprungs
ist, müßte „quellenmäßig" noch genauer festgestellt werden.
(Jedenfalls waren, wie wir schon sahen, die Juden als Pfand-
leiher die ersten, in deren Laden sich Gegenstände heterogenster
Art zusammenfanden. Und in dieser krassen Gegeneinander-
stellung von Artikeln, die möglichst verschiedenen Branchen an-
gehören und auch möglichst verschiedenen Gebrauchszwecken
dienen, liegt doch wohl eines der charakteristischen Merkmale
des modernen Warenhauses. Eine vollendete Indifferenz des
Geschäftsleiters gegenüber dem Sachinhalte seiner Tätigkeit, die
dadurch ganz und gar zu einer nur-kommerziellen werden kann,
macht somit die Eigenart des Warenhausbesitzers aus und sie
ist [wie sich aus der eigentümlichen Stellung der Juden zur
Industrie schon ergibt] eine jüdischem Wesen gemäße Er-
scheinung. Daß heutigen Tages in den Vereinigten Staaten 898
ebenso wie in Deutschland 898 die Warenhäuser fast durchgängig
in jüdischen Händen sind, ist bekannt.)
Eine bedeutsame Neuerung der Detailhandelorganisation war
seinerzeit die Einführung der Ratenzahlung bei Abnahme von
größeren Posten oder kostspieliger Gegenstände. Wenigstens
für Deutschland läßt sich nun feststellen, daß die Väter des „Ab-
zahlungsgeschäftes“ Juden waren. In einer Schrift aus dem An-
fang des 19. Jahrhunderts lesen wir: „Es gibt eine Art Krämer
unter den Juden, die dem gemeinen Manne unentbehrlich, der
Handlung aber äußerst nützlich sind. Es sind Leute, die dem
gemeinen Manne Kleider oder Stoffe dazu verkaufen und sie
nach und nach in kleinen Abträgen bezahlt nehmen“ 894 .
Eine ganze Menge von Neuerungen in der Ausgestaltung
der „Gast- und Schankwirtschaft“ sind ebenfalls jüdischen Ur-
sprungs :
Das erste Kaffeehaus in England (also wohl das erste über-
haupt?) ist von einem Juden, namens Jacobs, im Jahre 1650
oder 1651 in Oxford eröffnet worden (erst 1*652 erhält London
sein erstes Kaffeehaus) 895 .
Eine ganz neue Ära des Restaurationswesens ist bekanntlich
durch die Juden Kempinsky eröffnet worden: Standardisierung
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179
des Konsums und der Preise ist hier das tragende , neue
Prinzip.
Das wichtige Institut der berufemäßigen Kreditvermittlung
ist (sicher in Deutschland) von jüdischen Geschäftsmännem ins
Leben gerufen.
Was uns aber an all diesen Neuschöpfungen an dieser Stelle
interessiert, ist nicht die darin etwa zutage tretende spezifische
Begabung (von der ich früher schon gesprochen habe und von der
später noch einmal in anderem Zusammenhänge zu reden sein
wird), sondern allein die in ihnen sich ausprägende, eigentüm-
liche Wirtschaftsgesinnung: der Wille zum neuen Trick. Und
deshalb auch habe ich davon in diesem Kapitel gesprochen, das
ja vom jüdischen Geist, von der jüdischen Geschäftsmoral, von
der spezifisch jüdischen Wirtschaftsgesinnung handelte.
Wir sind nun am Ende dieses Abschnittes und schauen einen
Augenblick auf die durchwanderte Wegstrecke zurück. Was wir
deutlich vor uns sahen, war der schroffe Gegensatz, in dem
während der ganzen frühkapitalistischen Epoche jüdische und
nicht-jüdische Wirtschaftsgesinnung sich gegenüberstehen. Die
herrschende Wirtschaftsgesinnung habe ich in ihren Grundgedanken
zu erfassen versucht: Traditionalismus, Nahrungsideal, Idee der
ständischen Gliederung und Stabilität sind ihre wichtigsten Be-
standteile. Was aber ist nun das grundsätzlich Neue in der Be-
trachtungsweise , die wir als die spezifisch jüdische kennen
lernten? Wir können es in einem einzigen inhaltschweren
Wort zusammenfassen: es ist der „moderne“ Geist, wie er
heute die Wirtschaftssubjekte durchgehends beherrscht. Wenn
wir das „Sündenregister“ überblicken, das man während des
17. und 18. Jahrhunderts den Juden vorhielt, so nehmen wir
sehr bald wahr, daß (abgesehen von den grundsätzlich nicht in
Betracht kommenden verbrecherischen Manipulationen) es nichts
enthält, was der moderne Geschäftsmann nicht für das selbst-
verständlich Richtige erachtete, was nicht das tägliche .Brot in
jeder modernen Geschäftsführung bildete. Was der Jude durch
all die Jahrhunderte gegenüber den herrschenden Anschauungen
vertritt, ist die grundsätzlich individualistische Auffassung von
der Wirtschaft: daß die Wirkenssphäre des einzelnen Wirt-
schaftssubjektes nach oben und nach unten hin durch keine ob-
jektive Satzung irgend wie begrenzt sei, weder was die Größe
12 *
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180
des Absatzes, noch was die Gliederung von Berufen betrifft; da&
jedes Wirtschaftssubjekt jederzeit sich seine Stellung neu er-
obern und jederzeit sie gegen Angriffe verteidigen müsse; daß
es aber auch das Recht habe, sich auf Kosten anderer einen so
breiten Spielraum zu erkämpfen, als es in seiner Macht steht;
daß die Kampfesmittel wesentlich in der geistigen Sphäre liegen,
List, Schlauheit, Verschlagenheit seien; daä andere Rücksichten
als die auf das Strafgesetzbuch im wirtschaftlichen Konkurrenz-
kämpfe nicht zu nehmen seien; daß alle wirtschaftlichen Vor-
gänge nach eigenem Gutdünken so zweckmäßig wie möglich von
dem einzelnen gestaltet werden müssen. Was sich hiermit sieg-
reich durchgesetzt hat, sind, wie man sieht, nichts anderes als
die Ideen des „Freihandels“ , der „freien Konkurrenz“ , ist der
ökonomische Rationalismus, ist der reine kapitalistische Geist,
ist eben die moderne Wirtschaftsgesinnung, bei deren Aus-
bildung die Juden also eine große, wenn nicht die entscheidende*
Rolle gespielt haben. Denn sie sind es gewesen, die von außen,
her in einen anders gearteten Ideenkreis hinein diese An-
schauungen trugen.
Mit dieser Erwägung aber sind wir vor ein neues Problem
gestellt; vor die Frage: wie erklärt sich diese schon vor dem
Kapitalismus vorhandene Eignung der Juden für kapitalistisches
Wesen; eine Frage, die wir dahin erweitern müssen: was ist es
überhaupt, das die Juden befähigt hat, einen so entscheidenden
Einfluß auf den Gang des modernen Wirtschaftslebens auszuüben,
wie wir ihn nun im Verlaufe der vorstehenden Untersuchungen,
haben feststellen können?
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Zweiter Abschnitt
Die Befähigung der Juden zum Kapitalismus
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Achtes Kapitel
Das Problem
So stehen wir denn also vor der gewaltigen Aufgabe : jene
eigenartige Rolle zu erklären, die wir die Juden in dem Wirt-
schaftsleben der letzten Vergangenheit haben spielen sehen.
Daß hier ein Problem vorliegt, wird nur von den paar Sonder-
lingen bestritten werden, die eine besondere Stellung der Juden
im modernen Wirtschaftsleben überhaupt leugnen (weil es ihrer
Meinung nach überhaupt keine Juden gibt, oder — auch diese
Spielart ist mir begegnet — weil sie der Meinung sind, die Juden
seien eine wirtschaftlich so minderbegabte Bevölkerungsgruppe,
daß sie für die Herausbildung unserer Wirtschaftsformen ohne
alle Bedeutung gewesen seien). Auf sie brauchen wir keine
Rücksicht zu nehmen. Meine Ausführungen sind nur für die-
jenigen bestimmt, die mit mir eine (größere oder geringere, aber)
entscheidende Anteilnahme der Juden am Aufbau der modernen
Volkswirtschaft als erwiesen betrachten.
Soll unsere Untersuchung zu einem Ergebnis führen, so
werden wir uns mit aller Deutlichkeit und Schärfe klar zu
machen haben: die Befähigung „wozu?" und die Befähigung
„wodurch?“ wir an den Juden nachweisen wollen.
Wozu? Nun: zu all dem, was wir sie in dem ersten Teile
dieses Buches haben tun und erstreben sehen: Begründer und
Förderer des modernen Welthandels, der modernen Finanzwirt-
schaft, der Börse wie überhaupt aller Kommerzialisierung des
Wirtschaftslebens; die Väter des Freihandels und der freien
Konkurrenz, die Verbreiter des modernen Geistes im Wirt-
schaftsleben zu werden. Aber die Überschrift dieses Teiles
spricht nur von der Befähigung zum Kapitalismus. So werden
also alle jene einzelnen Leistungen in diesem einen Worte
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184
„Kapitalismus" zusammengefaßt sein. Und es wird die Aufgabe
eines besondem (des neunten) Kapitels bilden müssen, dieses im
einzelnen nachzuweisen: wie alle jene Einzeltatsachen in einem
inneren Zusammenhänge stehen und wie sie zusammengehalten
werden durch das Gefüge der kapitalistischen Organisation. Diese
wird deshalb wenigstens in ihren Grundzügen darzustellen sein,
damit daraus auch noch ein Zweites ersehen werden könne (was
erst ganz deutlich macht, welcherart Befähigung wir feststellen
wollen): welche eigentümlichen Funktionen die kapitalistischen
Wirtschaftssubjekte auszuüben haben, damit jene besonderen
Wirkungen, die wir beobachten konnten, zustande kommen.
Endgültig verschwinden sollen damit aus der Erörterung des
Judenproblems die nebelhaften Vorstellungen von einer unbe-
stimmten „Befähigung zum Wirtschaften“, „zum Handel“, „zum
Schachern“, „zum Geschäftchen machen“. Mit diesen dilettanti-
schen Ausdrücken ist schon unendlich viel Unfug angerichtet
worden.
Wodurch aber kann jemand befähigt werden, eine Leistung
zu vollbringen? Wenn Einer einen Ertrinkenden von dem Tode
rettet, so konnte er dieses Hilfswerk vollbringen, weil er gerade
an der Stelle des Ufers stand, wo ein Kahn angebunden war
oder auf der Brücke, wo ein Rettungsgürtel hing: seine „zu-
fällige“ Anwesenheit an jenen Orten setzte ihn in den Stand,
mit dem Kahn hinauszurudem, den Rettungsgürtel hinabzuwerfen.
Oder er konnte die Tat tim , weil’ er unter Hunderten , die am
Ufer standen, derjenige war, der den Mut hatte, ins Wasser zu
springen, und der so gut schwimmen konnte, daß er zu dem Er-
trinkenden hingelangte und ihn lebend ans Land zog. In jenem
Falle ist das Rettungswerk in „objektiven Umständen“, in diesem
Falle ist es in der „subjektiven Eignung“ des Menschen be-
gründet gewesen. Und genau dieselbe Unterscheidung läßt sich
treffen, wenn wir eine Frage wie die nach der Befähigung der
Juden zum Kapitalismus beantworten wollen. Auch diese Be-
fähigung kann grundsätzlich eine objektiv oder eine subjektiv
bedingte gewesen sein.
Meine Aufgabe wird es nun sein, zunächst nach jener —
deren Feststellung also eine objektivistische Deutung des Juden-
problems sein würde — Ausschau zu halten. Und zwar aus
folgenden Gründen.
Jeder Erklärungsversuch ist peinlichst darauf hin zu prüfen,
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185
ob er nicht eine unbewiesene Hypothese zur Unterlage hat und
ob das, was erklftrt werden soll, nicht etwa als Dogma von vorn-
herein geglaubt wird. Ich brauche nicht weiter auszufahren,
wie gefährlich gerade in unserm Falle namentlich rassen-
theoretische und konfessionelle Vorurteile werden können und
der .großen Mehrzahl meiner Vorgänger geworden sind. Was in
meinen Kräften steht, werde ich tun, um solche Fehler zu ver-
meiden. Ich lege besonderen Wert darauf, daß meine Unter-
suchung vom methodischen Standpunkt aus als einwandsfrei be-
funden werde und bitte dringend darum, mir Verstöße, die ich
etwa doch begehe, als solche nachzuweisen. Mein Bestreben ist
es jedenfalls, ohne jede Voreingenommenheit die tatsächlichen Zu-
sammenhänge wahrheitsgemäß aufzudecken und den Beweis so
zu fahren, daß mir jeder folgen kann: der Assimilationsjude
ebenso wie der Nationaljude ; der Rassengläubige ebenso wie der
Milieufanatiker; der Antisemit ebenso wie der Bekämpf er des
Antisemitismus. Deshalb aber muß ich von unbestrittenen Tat-
beständen ausgehen und versuchen, aus ihnen soviel abzuleiten,
als möglich ist. Es ist danach unzulässig, von vornherein so
etwas wie eine „Rassen Veranlagung“ oder auch nur eine „jüdische
Eigenart“ zur Erklärung heranzuziehen: dagegen ließe sich mit
Recht einwenden, daß das dogmatisch verfahren hieße. Denn
von wo andersher als aus dem Glauben könnten wir solche Vor-
aussetzungen entnehmen?
Jeder, der eine besondere jüdische Art leugnet, kann bean-
spruchen, daß man die eigentümliche Rolle, die die Juden im
modernen Wirtschaftsleben gespielt haben, verständlich zu machen
versuche ohne die Annahme solcher besonderen Art, also — was
dann zu leisten wäre — kann den Nachweis verlangen, daß be-
stimmte äußere Umstände, in die die Juden durch den geschicht-
lichen „Zufall“ versetzt worden sind, ihnen zu ihrer Sonder-
stellung verholten haben. Dieser Nachweis wird im zehnten Kapitel
versucht.
Erst wenn sich heraussteilen sollte, daß eine vollständige
Ableitung der Leistungen des Judentums aus ihrer äußeren Lage
nicht möglich ist , wird man zur Erklärung auf subjektive
Momente zurückgreifen dürfen (und müssen). Dann erst ist es
an der Zeit, das Problem einer „jüdischen Eigenart“ zu erörtern.
Dieser Aufgabe unterzieht sich das zwölfte Kapitel.
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186
Neuntes Kapitel
Die Funktionen der kapitalistischen Wlrtschaftssnhlekte
Kapitalismus 395 nennen wir diejenige verkehrswirtschaftliche
Organisation, bei der regelmäßig zwei verschiedene Bevölkerungs-
gruppen — die Inhaber der Produktionsmittel, die gleichzeitig
die leitende Arbeit ausführen, und die besitzlosen Nurarbeiter —
Zusammenwirken, so zwar, daß die Vertreter des „Kapitals“ (des
zur Einleitung und Durchführung des wirtschaftlichen Prozesses
erforderlichen Sachgütervorrats) die Wirtschaftssubjekte sind,
das heißt den Entscheid über Art und Richtung des Wirtschaften
und die Verantwortung für dessen Erfolg tragen.
Die dem kapitalistischen Wirtschaftssysteme eigentümliche
Triebkraft für alles wirtschaftliche Geschehen ist das Verwertungs-
streben des Kapitals, das den einzelnen kapitalistischen Unter-
nehmern als eine objektiv zwingende Gewalt gegenübertritt und
ihr Verhalten in ganz bestimmte Bahnen zwingt. Was man auch
so ausdrücken kann, daß man sagt: die eine das kapitalistische
Wirtschaftssystem beherrschende Idee ist die Erwerbsidee.
Aus diesem obersten Zweck kapitalistischen Wirtschaften
und den äußeren Bedingungen, unter denen es stattfindet, ergibt
sich nun von selbst die spezifische Art dieses Wirtschaften, das
im Rahmen der kapitalistischen Unternehmung sich abspielt;
ergibt sich also das besondere Wesen der kapitalistischen Unter-
nehmung.
An einer systematisch auf Erzielung von Gewinn gerichteten
Wirtschaftsführung, die damit zu dem Streben nach beständiger
Expansion der Betriebe den Anlaß gibt, folgt ohne weiteres
eine bewußte Ausrichtung alles Handelns auf die höchst ver-
nünftige Methode des wirtschaftlichen Verhaltens. An die Stelle
der allen vorkapitalistischen, auf dem Prinzip der Ruhe aufge-
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187
bauten Wirtschaftsverfassungen eigentümlichen traditionalistischen
Gestaltung der Wirtschaft (wie wir jetzt mit Max Weber sagen
wollen) tritt die dem im Bewegungsprinzip verankerten kapitalisti-
schen Wirtschaftssystem entsprechende Rationalisierung der Wirt-
schaft. Der ökonomische Rationalismus, wie ich die Gesamtheit
der dieses Phänomen umschließenden Erscheinungen jetzt in
meiner gegen früher etwas abweichenden Terminologie bezeichnen
will, wird (neben der Idee des Erwerbes) die zweite tragende
Idee im System des modernen Kapitalismus.
Die Rationalisierung erfolgt nach drei verschiedenen Rich-
tungen hin und stellt sich damit in einem dreifach verschiedenen
Geschäftsverfahren dar, wie es der entwickelten kapitalistischen
Unternehmung dreifach eigen ist. Der ökonomische Rationalismus
äußert sich:
1. in der Planmäßigkeit der Wirtsthaftsführung. Alle
echt kapitalistische Wirtschaft ruht auf einem so weit als möglich
in die Zukunft reichenden Wirtschaftsplane. Hier wird die erst
in der modernen Wirtschaft zur Geltung gekommene Methode
der langen Produktionswege eingeschlossen;
2. in der Zweckmäßigkeit. Dem weitausschauenden
Wirtschaftsplane entspricht die peinlich sorgfältige Auswahl der
zu seiner Verwirklichung dienenden Mittel, deren jedes — ent-
gegen der traditionalistischen Methode unbedachter Verwendung —
auf seine höchste Zweckdienlichkeit hin geprüft wird;
3. in der Rechnungsmäßigkeit. Da ja alle wirt-
schaftlichen Vorgänge innerhalb des kapitalistischen Nexus auf
ihren Geldwert ausgerichtet werden und da, wie gleich des ge-
naueren darzulegen sein wird, alle kapitalistische Wirtschafts-
führung auf die Erzielung eines letzten Gewinnsaldos hinausläuft,
so ergibt sich für die kapitalistische Unternehmung die Not-
wendigkeit exakt-ziffermäßiger Berechnung und Registrierung
aller in den Vertragschlüssen niedergeschlagenen wirtschaftlichen
Einzelerscheinungen und ihre rechnerische Zusammenfassung zu
einem sinnvoll geordneten Zahlensystem.
Daß sich der Betrieb einer „neuzeitlichen“ Unternehmung
nicht im Erzeugen von Schienen oder Garn oder Elektromotoren
oder im Transport von Steinen oder Menschen erschöpft, weiß
man. Man weiß, daß das alles nur einen Bestandteil im Gesamt-
getriebe der Unternehmung bildet. Man weiß auch, daß die spezi-
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188
fische Unternehmertätigkeit gar nicht in der Vollziehung jener
technischen Vorgänge, sondern in ganz etwas anderem besteht.
Dieses andere ist — einstweilen soll es nur ganz grob Umrissen
werden, um später im Detail ausgeführt zu werden — , wie man
ebenfalls weih, ein beständiges Kaufen und Verkaufen (von Pro-
duktionsmitteln, Arbeitskräften, Waren) oder wie ich es genannt
habe : ein Vertragschließen über geldwerte Leistungen und Gegen-
leistungen.
Was heißt nun eine glückliche Geschäftsführung im kapitalisti-
schen Sinne ? Doch wohl, daß diese vertragschließende Tätigkeit
von Erfolg begleitet war. Woran aber läßt sich dieser Erfolg
bemessen? An der Qualität der Leistungen doch sicher nicht,
ebenso wenig an der naturalen Quantität. Vielmehr doch wohl
einzig und allein daran, ob am Ende einer Wirtschaftsperiode die
vorgeschossene Geldsumme (ohne die unserer Definition der kapita-
listischen Wirtschaftsverfassung gemäß überhaupt kein produktiver
Akt zustande kommt) wieder da ist und außerdem einen Über-
schuß gebracht hat, den wir „Profit“ nennen. Auf die geschickte
Bewerkstelligung jener Vertragsabschlüsse über geldwerte Leistun-
gen und Gegenleistungen läuft am letzten Ende die Kunst des
Wirtschaftsleiters hinaus und deren Inhalt entscheidet die Frage,
ob die Zwecke der Unternehmung erreicht sind. Mögen Arbeits-
leistungen gegen Sachgüter oder Sachgüter gegen Sachgüter ein-
getauscht werden: immer kommt es darauf an, daß dabei am
letzten Ende jenes Plus an Sachvermögen in den Händen des
kapitalistischen Unternehmers zurückbleibt. „In der Beziehung
auf das allgemeine Warenäquivalent, auf die Verkörperung des
Tauschwertes im Gelde wird aller Inhalt der Verträge über Liefe-
rung von Waren oder Arbeitsleistungen aller qualitativen Unter-
schiedlichkeit beraubt und nur noch quantitativ vorgestellt, so-
daß nun eine Aufrechnung in dem zahlenmäßigen Debet und
Kredit möglich ist. Daß das Soll und Haben des Hauptbuchs
mit einem Saldo zugunsten des kapitalistischen Unternehmens
abschließe: in diesem Effekt liegen alle Erfolge wie aller Inhalt
der in der kapitalistischen Organisation unternommenen Hand-
lungen eingeschlossen.“
Worauf es nun aber hier vor allem ankommt , ist dieses :
daß wir uns klar machen, welcherart Funktion innerhalb dieses
Wirtschaftssystems den Wirtschaftssubjekten, also den kapitalisti-
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189
sehen Unternehmern erwachsen (denn daß wir die Eignung der
Juden nur für diese [nicht etwa auch für die Objekte der kapi-
talistischen Wirtschaft] nachweisen wollen, ist wohl jedermann
klar); welche besonderen Fertigkeiten infolgedessen den geeig-
netsten Unternehmer ausmachen, der im Konkurrenzkämpfe ob-
siegt und also den Typus bestimmt. Da ist denn das, was mir
am ehesten das Verständnis für die Eigenart des kapitalistischen
Unternehmertums zu vermitteln scheint, die Einsicht, daß sich
hier die Lebensäußerungen zweier wesensverschiedener Naturen
zu einer Einheit verbinden : daß gleichsam zwei Seelen auch im
kapitalistischen Unternehmer wohnen, die aber zum Unterschiede
von denen Faustens sich nicht voneinander trennen wollen, die
vielmehr dort, wo das kapitalistische Unternehmertum zu seiner
reinsten und höchsten Entfaltung kommt, in inniger Harmonie
gemeinsames Werk vollbringen. Was ich hier vereinigt finde,
sind der Unternehmer und der Händler, wie wir einst-
weilen die beiden Typen benennen wollen; Unternehmer und
Händler, die beide außerhalb des kapitalistischen Nexus ge-
sondert Vorkommen, ihre Seelen aber nur im kapitalistischen
Wirtschaftssubjekt zu ganz neuer und eigenartiger Individualität
zusammenfügen.
Unternehmer. Das ist ein Mann, der eine Aufgabe zu
erfüllen hat und dieser Erfüllung sein Leben opfert. Eine Auf-
gabe, zu deren Lösung er die Mitwirkung anderer Menschen
braucht, weil es sich immer um ein Werk handelt, das in die
Außenwelt projiziert werden soll. Dieses V erwirklichungsbedürfnia
unterscheidet ihn vom Künstler und vom Propheten, mit denen
gemeinsam ihm die Werkerfülltheit, das Bewußtsein der Aufgabe
ist. Ein Mann also mit langausschauendem Sachinteresse, dessen
einzelne Handlungen immer im Hinblick auf das zu bewältigende
Gesamtwerk geplant und ausgeführt werden. Ein reiner Unter-
nehmertyp ohne kapitalistisches Gepräge ist beispielsweise der
Afrikareisende großen Stils oder der Nordpolfahrer. Der Unter-
nehmer wird zum kapitalistischen Unternehmer dadurch, daß
sich mit ihm ein Händler vereinigt.
Händler. Das ist ein Mensch, der lukrative Geschäfte
machen will. Dessen gesamte Vorstellungs- und Gefühlswelt
auf die geldwerte Bedeutung von Zuständen und Handlungen
ausgerichtet ist, der deshalb beständig alle Phänomene in Geld
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190
umrechnet. Für den die Welt ein großer Markt ist mit Angebot
und Nachfrage, mit Konjunkturen und Gewinn- oder Verlust-
chancen. Der immerfort fragt: was kostets, was tragts? Und
dessen fortgesetztes Fragen in diesem Sinne in die inhaltschwere
letzte Frage ausmündet: „was kostet die Welt?“ Der Gedanken-
kreis des Händlers umspannt immer nur Ein Geschäft, auf dessen
vorteilhaften Abschluß sich seine ganze Energie konzentriert, auf
dessen Erfolg hin er die Gesamtheit der Marktverhältnisse be-
trachtet und bewertet.
Im Prozeß der kapitalistischen Wirtschaft bildet der Unter-
nehmer die Konstante; der Händler die Variable.
Konstanz ist die Wesenheit des Unternehmers, weil der auf
ein bestimmtes fernes Ziel gerichtete Wille die Einhaltung eines
bestimmten Programms, das unentwegte Fortschreiten in der
einmal eingeschlagenen Richtung heischt. Wechsel in der Zweck-
setzung ist gegen seine Natur, da mit ihm ein beständiger Wechsel
in der Mittelwahl verbunden ist, der der Erreichung des vor-
gesteckten Ziels hinderlich erscheint. Zielstrebigkeit macht
den Grundzug seines Charakters aus. Der Händler ist das variable
Element, weil seine Aufgabe darin besteht, sein Handeln der
jeweiligen von ihm in ihrer Eigenart zu erkundenden Marktlage
bedingungslos anzupassen. Also muß er Richtung und Art seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit von Augenblick zu Augenblick wechseln
können, sobald es die veränderte Konjunktur verlangt. Ge-
schäftigkeit vor allem soll er entfalten.
So bildet — um es durch ein Gleichnis noch zu verdeut-
lichen, was ich meine — der Unternehmer den Rhythmus, der
Händler die Melodie im kapitalistischen Tonwerk; der Unter-
nehmer ist die Kette, der Händler der Einschlag im kapitalistischen
Gewebe.
Diese „Zweiseelentheorie“ soll natürlich nur dazu dienen,
die Anordnung der einzelnen Untemehmerfunktionen übersicht-
licher zu gestalten. Worauf es sachlich vor allem ankommt, ist
nunmehr, diese selbst in ihrer Eigenart richtig zu erfassen und
zu beschreiben.
Im Unternehmer
sehe ich folgende Menschentypen vereinigt:
1. Den Erfinder. Nicht sowohl (obwohl auch dieser Fall
nicht ausgeschlossen und in Wirklichkeit sogar, wie man weiß,
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häufig ist) von technischen Neuerungen als vielmehr von öko-
nomisch-organisatorisch neuen Formen der Produktion, des Trans-
portes und des Absatzes. Als Erfinder-Unternehmer fohlt
er sich nun aber nicht befriedigt, wie der „reine“ Erfinder, wenn
er seine Erfindung gemacht hat: es treibt ihn, ihr in tausend-
fältiger Gestalt Leben zu verleihen;
2. den Entdecker. Entdecker wird der Unternehmer von
neuen Absatzmöglichkeiten : intensiv wie extensiv neuen. Dieser
wenn er ein räumlich neues Feld für seine Betätigung ausfindig
macht: den Eskimos Badehosen, den Negern Antiphone liefert;
jener wenn er in einem schon eroberten Gebiete neue Bedürf-
nisse „entdeckt“.
Der rechte Unternehmer ist
3. ein Eroberer. Er muß die Entschlossenheit und die
Kraft besitzen, alle Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellen,
niederzukämpfen. Er ist immer — so lange er spezifische Unter-
nehmerfunktionen ausübt — ein Conquestador auf ökonomischem
Terrain.
Ein Eroberer aber muß er sein auch in dem Sinne eines
Mannes, der viel zu wagen die Kraft hat. Der alles — das heißt
in unserem Falle im wesentlichen sein Vermögen, aber doch auch
seine bürgerliche Ehre und schließlich sein Leben, wenn es not-
tut — einsetzt, um für sein Unternehmen Großes zu gewinnen.
Es handle sich um die Einführung eines neuen Verfahrens, um
die Angliederung eines neuen Betriebszweiges, um die Aus-
dehnung des Geschäfts auf schwanker Kreditbasis usw.
Endlich die vielleicht bedeutsamste Untemehmerfunktion
ist die
4. des Organisators. ' Organisieren heißt: viele Menschen
zu einem glücklichen, erfolgreichen Wirken zusammenfügen;
heißt Menschen und Dinge so disponieren, daß die gewünschte
Nutzwirkung uneingeschränkt zutage tritt. Darin ist nun ein
sehr mannigfaches Vermögen und Handeln eingeschlossen.
Zum ersten muß, wer organisieren will, die Fähigkeit be-
sitzen, Menschen auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu beurteilen,
die zu einem bestimmten Zweck geeigneten Menschen also aus
einem großen Haufen herauszufinden.
Dann muß er das Talent haben, sie statt seiner arbeiten zu
lassen: also namentlich auch Personen in leitende Stellung zu
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192
bringen, die (wenn der Umfang der Unternehmung wächst) einen
Bestandteil nach dem andern systematisch von der Gesamttätig-
keit des Chefs auf sich übernehmen.
Im Zusammenhänge mit der eben berührten Aufgabe steht
dann die andere nicht minder wichtige : jeden Arbeiter an seine
richtige Stelle zu setzen, wo er das Maximum von Leistung voll-
bringt und ihn immer so anzutreiben, daß er die seiner Leistungs-
fähigkeit entsprechende Höchstsumme von Tätigkeit auch wirklich
entfaltet, nachdem es vorher gelungen ist, ihn überhaupt heran-
zuholen.
Endlich liegt es dem Unternehmer ob, dafür Sorge zu tragen,
daß die zu gemeinsamer Wirksamkeit zusammengefügten Menschen-
gruppen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht richtig zu-
sammengesetzt sind und untereinander — wenn es sich um
mehrere solcher Einheiten handelt — in bester Beziehung stehen.
Ich berühre damit das Problem der zweckmäßigen Betriebs-
gestaltung, das ja zu den schwierigsten gehört, die dem Unter-
nehmer gestellt sind.
Betriebsorganisation bedeutet aber nicht nur eine geschickte
Wahl der sachlich (d. h. technisch) richtigen Kristallisationspunkte
für die einzelnen Menschengruppen, sondern ebenso eine glück-
liche Einfügung in geographische, ethnologische, konjunktürliche
Besonderheiten. Es gibt nicht nur eine absolut, sondern — die
praktisch wichtigere Form — auch eine relativ beste Betriebs-
gestaltung. Beispiel : die Organisation der Westinghouse Electric Co.
in den Vereinigten Staaten ist eine der genialsten Leistungen
der Organisationskunst. Als die Gesellschaft beschloß, den eng-
lischen Markt zu erobern und zu diesem Behufe in England einen
Betrieb einrichtete, organisierte sie ihn ganz nach dem Vor-
bilde der amerikanischen Musteranstalt. Ergebnis nach wenigen
Jahren: finanzieller Zusammenbruch der englischen Zweignieder-
lassung. Grund: ungenügende Berücksichtigung der englischen
Eigenart.
Damit sind wir mm aber schon an diejenige Funktion des
kapitalistischen Unternehmers herangekommen, die in der ge-
schickten Benutzung der Konjunktur, in einer sinnvollen An-
passung an die Marktverhältnisse gipfelt und die ich als diejenige
des Händlers glaube betrachten zu sollen. Von ihr muß nun
ausführlicher gehandelt werden.
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193
Händler
nenne ich in diesem Zusammenhang nicht einen Menschen, der
einen bestimmten Beruf ausübt, sondern einen, dem bestimmte
Funktionen im kapitalistischen Wirtschaftsprozeß obliegen. Händler
ist also nicht etwa jemand, der berufsmäßig Güterumsatz betreibt,
also im gemeinen Verstände „Kaufmann" ist. Es gibt vielmehr
Kaufleute im Sinne der berufsmäßigen Gütervermittler, die alles
andere als Händler im hier gemeinten Sinne sind. Alle jene
Leute, die
„Güter zu suchen“
ausgehen, von denen die Heldenlieder singen und sagen, und von
denen unsere guten „Historiker“ so viel Erbauliches zu berichten
wissen, gehören meist nicht zur Kategorie der „Händler“. Weil
die spezifische Tätigkeit, die sie entfalten, um ihren Beruf aus-
zuüben, mit der, die ich dem Händler zurechne, ganz und gar
nichts zu tun hat.
Man muß endlich einsehen, daß „Handeltreiben“ sehr Ver-
schiedenes bedeuten kann. Beispielsweise : Schiffe ausrüsten und
bewaffnen, Krieger anwerben, Länder erobern, die Einheimischen
mit Flinten und Säbeln zu Paaren treiben, ihnen ihr Hab und
Gut abnehmen, es auf die Schiffe laden und im Mutterlande auf
öffentlichen Auktionen an den Meistbietenden versteigern.
Oder aber: ein paar alte Hosen erwerben durch schlaues
Ausbaldowern eines geldbedürftigen Kavaliers, zu dessen Wohnung
man fünfmal vergeblich gelaufen ist und sie unter Aufgebot aller
Überredungskünste einem Bäuerlein aufschwatzen.
Oder aber: Differenzgeschäfte in Effekten an der Börse
machen.
Offenbar sind die funktionellen Spezifika bei den handelnden
Personen im einen und andern Falle grundverschieden vonein-
ander. Um in vorkapitalistischer Zeit „Handel zu treiben“, das
heißt im großen Stil, wie es die „königlichen Kaufleute“ in den
italienischen und deutschen Handelsstädten etwa taten, mußte
man vor allem „Unternehmer“ sein, so wie ich ihn im vorstehenden
geschildert habe : Entdecker und Eroberer in erster Linie. „Jeder
(der Bürger Genuas) hat einen Turm in seinem Hause; bricht
Krieg unter ihnen aus, so dienen ihnen die Zinnen der Türme
als Schlachtfeld. Sie beherrschen das Meer; bauen sich Schiffe,
Galeeren genannt, und ziehen zum Raube aus in die entlegensten
Sombart, Die Juden 13
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194
Ortschaften. Die Beute bringen sie nach Genua. Mit Pisa leben
sie in ewigem Streit a . „Königliche Kaufleute". Aber nicht das,
was ich hier Händler nenne.
Händlerfunktionen ausüben, Händler sein (nicht im beruf-
lichen, sondern im funktionellen Verstände) heißt (wie ich schon
bei der allgemeinen Umschreibung des Begriffes sagte) : lukrative
Geschäfte treiben ; heißt zwei Tätigkeiten zu einem gemeinsamen
Zwecke vereinigen: Berechnen und Verhandeln. Der Händler
muß also — um ihn wie den Unternehmer auch durch Personal-
bezeichnungen zu charakterisieren, obwohl hier so geläufige Aus-
drücke wie dort nicht zur Verfügung stehen —
1. spekulierender Kalkulator,
2. Geschäftsmann, Verhändler
sein. Was im einzelnen folgendes bedeutet.
In seiner ersten Eigenschaft hat der Händler lukrative
Geschäfte zu machen. Das heißt auf eine einzige Formel ge-
bracht: er muß billig einkaufen und teuer verkaufen — was
immer es auch sei.
Also (im Rahmen einer kompletten Unternehmung) muß er :
die sachlichen ebenso wie die persönlichen Produktionsfaktoren
zum billigsten Preise einhandeln. Während des Produktions-
prozesses hat er unausgesetzt auf sparsame Verwendung der
Produktionsfaktoren bedacht zu sein. Der „gute Hausvater“ muß
ihm im Blute stecken. „Verschwendung auch im kleinsten zu
bekämpfen, ist nicht kleinlich, denn sie ist eine fressende Krank-
heit, die sich nicht lokalisieren läßt. Es gibt große Unter-
nehmungen, deren Existenz davon abhängt, ob die mit Erde ge-
füllten Kippwagen rein entleert werden oder ob eine Schaufel
voll Sand darin zurückbleibt“ (W. Rathenau).
Dann — vor allem — hat er die fertigen Produkte (oder
was sonst abzusetzen ist) vorteilhaft zu verkaufen: je an die
zahlungsfähigste Person am aufnahmefähigsten Markte zur nach-
fragestärksten Zeit.
Für die Bewältigung dieser Aufgaben muß er „spekulative"
und „kalkulatorische“ Fähigkeiten mitbringen. Spekulation (in
diesem besonderen Verstände) nenne ich die Ableitung richtiger
Schlüsse für den Einzelfall aus der Beurteilung des Gesamtmarktes.
Es ist eine ökonomische Diagnose. Es heißt alle vorhandenen
Erscheinungen des Marktes überblicken und in ihrem Zusammen-
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hange erkennen; bestimmte Symptome richtig bewerten; die
Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung richtig abwägen und
dann vor allem mit unfehlbarer Sicherheit aus hundert Möglich-
keiten die vorteilhafteste herausfinden.
Zu diesem Behufe muß der Händler mit tausend Augen
sehen, mit tausend Ohren hören, mit tausend Tastern fühlen
können. Hier gilt es kreditbedürftige Kavaliere, kriegslüsterne
Staaten auszukundschaften und ihnen im rechten Augenblick ein
Darlehen anzubieten; dort eine Arbeiterkategorie zu erspähen,
die um ein paar Pfennige billiger arbeitet. Hier gilt es die
Chance richtig zu ermessen, die ein neueinzuftlhrender Artikel
beim Publikum hat; dort den Einfluß richtig einzuschätzen, den
ein politisches Ereignis auf die Stimmung des Effektenmarktes
ausüben wird usw. Daß der Händler alle seine Beobachtungen
sofort in einer Geldziffer auszudrücken, daß er die tausend Einzel-
ziffern sicher zu einer Gesamtberechnung der Gewinn- und Ver-
lustchancen zusammenzufügen versteht , das macht ihn zum
„Kalkulator“, zum Berechner. Und wenn er in dieser Kunst,
jedes Phänomen im Augenblick auf eine Ziffer im Hauptbuch zu
reduzieren, ein Meister ist, dann nennt man ihn in den Vereinigten
Staaten „a wonderfully shrewd calculator“ : „einen wundervoll
gerissenen Rechner.“
Aber der Händler muß nicht nur den sicheren Blick haben,
will er reüssieren, wo und wann und wie ein lukratives Ge-
schäft gemacht werden könne: er muß es auch zu machen
verstehen. Hier berührt sich die Funktion, die er ausüben soll,
mit der des Unterhändlers, der zwischen zwei streitenden Parteien
vermitteln soll. Unser deutsches Wort drückt die Verwandtschaft
der beiden Tätigkeiten wenigstens zum Teil noch aus. Ganz
und gar dieselbe Bezeichnung für den Begriff: Waren verhandeln
und Staatsverträge verhandeln haben die Griechen in ihrem Worte
Xpr^atfCetv : Es bedeutet ganz allgemein „Geschäfte machen“ und
nur im besonderen : Handels- oder Geldgeschäfte machen, Handel-
treiben, wird aber ebenso für den Abschluß öffentlicher Geschäfte
gebraucht im Sinne von Staatsangelegenheiten verhandeln. *0
Xp^atiorifc ist Einer, der Geschäfte, besonders Handels- oder
Geldgeschäfte „treibt, ein betriebsamer Mensch, guter Wirt, der
sich auf die Kunst zu erwerben, gewinnen wohl versteht“. Plato,
Rep. 434 a: Syjjxioopyoc <3v ^ xic äXXoc xp^fiaxiffnij? (I); XP1'
13*
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paxtotixuc heißt „zum xp^fiatlCeiv geschickt; daher 1. zu Handels-
und Geldgeschäften, zum Erwerb von Vermögen, zum Gewinn
geschickt; 2. zur Abmachung öffentlicher oder von Staats-
geschäften gehörig, geschickt“ (Pape, griechisch-deutsches Lexikon).
Ähnlich wird ja auch unser deutsches Wort „Geschäft“ in dem
hier verzeichneten Doppelsinne gebraucht, wenn wir von Geld-
geschäften und Staatsgeschäften, vom Geschäftsmann und Ge-
schäftsträger sprechen. Worin besteht nun diese Geschäfts-
tätigkeit, dieses spezifisch chrematistische Gebaren?
Ich denke, wir finden darauf am ehesten eine zutreffende
Antwort, wenn wir den im Namen des Wortes ausgedrückten
Sinn uns vergegenwärtigen: „verhandeln“ ist der Inhalt der
Tätigkeit sowohl des Händlers wie des Unterhändlers. Zwie-
sprache halten mit einem andern, um ihn durch Beibringung von
Gründen und Widerlegung seiner Gegengründe zur Annahme
einer bestimmten Handlung zu bewegen. Verhandeln heißt ein
Ringkampf mit geistigen Waffen.
Handel treiben in diesem besonderen Sinne heißt also wegen
Kaufe oder Verkaufs einer Ware (Aktie, Unternehmung, Anleihe)
verhandeln. Handel treibt (immer in diesem spezifischen Ver-
stände) der kleine Hausierer, der mit der Köchin um die Über-
lassung eines Hasenfelles „feilscht“ oder der Altkleideijude, der
wegen Verkaufe einer Hose eine Stunde auf den Fuhrmann vom
Lande einredet; aber auch der Nathan Rothschild, der in seiner
viele Tage währenden Konferenz mit dem preußischen „Unter-
händler“ unter besonders komplizierten Verhältnissen eine
Millionenanleihe abschließt. Das sind rein quantitative Unter-
schiede, die hier hervortreten : der Kern der Sache ist derselbe :
die Seele alles (modernen) „Handels“ ist die Verhandlung, die
nun ganz gewiß nicht immer mündlich, Auge in Auge zu erfolgen
braucht. Sie kann auch stillschweigend sich vollziehen: indem
der Verkäufer beispielsweise durch allerhand Kunstgriffe einem
p. t. Publico die Vorzüge seiner Ware dermaßen plausibel macht,
daß dieses sich genötigt sieht, die Ware bei ihm zu kaufen.
Reklame heißen derart Kunstgriffe. Hier könnte man — in An-
lehnung an Vorgänge in der Kindheit des Warenaustausches —
von einem „stummen Tauschhandel" sprechen, wenn anders
man Anpreisungen in Wort und Bild als stumme bezeichnen will.
Immer handelt es sich darum, Käufer (oder Verkäufer) von
der Vorteilhaftigkeit des Vertragsabschlusses zu überzeugen. Das
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Ideal des Verkäufers ist dann erreicht, wenn die ganze Be-
völkerung nichts mehr für wichtiger erachtet, als den von ihm
gerade angepriesenen Artikel einzukaufen. Wenn sich der
Menschenmassen eine Panik bemächtigt, nicht rechtzeitig mehr
zum Erwerb zu kommen (wie es der Fall ist in Zeiten fieber-
hafter Erregung auf dem Effektenmärkte).
Großen Absatz haben heißt: daß die Interessen, die ein
Geschäftsmann erregt und sich dienstbar macht, entweder sehr
starke oder sehr allgemeine sein müssen. „Wer eine Million
umzusetzen wünscht, muß tausend Menschen zu dem schweren
Entschluß zwingen, je tausend Mark bei ihm gegen Waren ein-
zutauschen oder er muß seinen Einfluß so stark über die Menge
verbreiten, daß hunderttausend Menschen sich gedrängt fühlen,
mit ihm um zehn Mark zu handeln. Freiwillig — besser: aus
freien Stücken (W. S.) — suchen ihn weder die Tausend noch
Hunderttausend auf, denn sie alle empfinden längst andere Be-
dürfnisse der Anschaffung, die zurückgedrängt werden müssen (?),
wenn der neue Geschäftsmann reüssieren soll.“ (W. Rathenau.)
Interesse erregen, Vertrauen erwerben, die Kauflust wecken :
in dieser Klimax stellt sich die Wirksamkeit des glücklichen
Händlers dar. Womit er das erreicht, bleibt sich gleich. Genug,
daß es keine äußeren, sondern nur innere Zwangsmittel
sind, daß der Gegenpart nicht wider Willen, sondern aus eigenem
Entschlüsse den Pakt eingeht. Suggestion muß die Wirkung
des Händlers sein. Der inneren Zwangsmittel aber gibt es viele.
Eines der wirksamsten besteht in der Erweckung der Vor-
stellung, daß der sofortige Abschluß des Geschäftes be-
sondere Vorteile gewähre. „Es sieht nach Schneewetter aus,
Knaben — sagten die Finnen — denn sie hatten Aanderer (eine
Art von Schneeschuhen) zu verkaufen“, heißt es in der Magnus
Barford-Sage (1006 n. Chr.). Das ist das Urbild aller Händler;
der hier spricht, und die Aufforderung an die norwegischen
Knaben, Schneeschuhe zu kaufen, ist das Prototyp der Reklame :
dieser Waffe, mit der heute der Händler kämpft, der nicht mehr
auf festen Burgen thront, wie sein Vorgänger in Genua zur Zeit
Benjamins von Tudela, der aber auch nicht mehr mit Kanonen
# die Wohnplätze der Eingeborenen niederschießen kann, wenn sie
sich weigern mit ihm „Handel zu treiben“, wie etwa der Ost-
indienfahrer des 17. Jahrhunderts.
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198
Zehntes Kapitel
Die olU8ktlve Eignung der Juden zum Kapitalismus
Nun wäre also, nachdem wir erfahren haben, was dem
kapitalistischen Wirtschaftssubjekt, damit es sich durchsetze, zu
leisten obliegt, die Frage zu beantworten: welche äußeren Um-
stände möglicherweise es bewirkt haben, daß die Juden eine
so hervorragende Bolle bei der Herausbildung dieses kapita-
listischen Wirtschaftssystems spielen konnten. Einer Prüfung zu
unterwerfen ist also die eigentümliche Lage, in die die Juden
Westeuropas und Amerikas seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
gerieten und in der sie sich während der folgenden drei oder
vier Jahrhunderte, also in dem Zeitraum, in dem der moderne
Kapitalismus gebildet wurde, befunden haben.
Wodurch wird sie gekennzeichnet?
Ganz allgemein hat das der Gouverneur von Jamaica in
einem Brief an den Staatssekretär vom 17. Dezember 1671
treffend ausgesprochen, als er schrieb 8 ® 7 : „he was of opinion
that His Majesty could not have more profitable subjects than the
Jews: they had great Stocks and correspondance“.
In der Tat ist mit diesen beiden Besonderheiten ein wesent-
licher Teil des Vorsprungs bezeichnet, den die Juden vor den
andern voraus hatten. Nur muß zur Vervollständigung hinzu-
gefügt werden : ihre eigentümliche Stellung innerhalb der Volks-
gemeinschaften, in denen sie wirkten. Sie läßt sich als Fremd-
heit und als Halbbürgertum kennzeichnen. Ich will also vier
Umstände hervorheben , die die Juden besonders geeignet
machten (und machen), so Bedeutsames zu leisten :
I. ihre räumliche Verbreitung;
H. ihre Fremdheit;
Dl. ihr Halbbürgertum;
IV. ihren Reichtum.
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I. Die räumliche Verbreitung
Bedeutungsvoll für das Verhalten der Juden ist natürlich zu-
nächst und vor allem ihre Zerstreuung über alle Länder
der bewohnten Erde geworden, wie sie ja seit dem ersten Exil
bestand , wie sie aber von neuem in besonders wirkungs-
reicher Weise sich seit ihrer Vertreibung aus Spanien und Por-
tugal und seit ihrer Rückströmung aus Polen wieder vollzogen
hatte. Wir sind ihnen auf ihrer Wanderung während der letzten
Jahrhunderte gefolgt und haben sie sich in Deutschland und in
Frankreich, in Italien und in England, im Orient und in Amerika,
in Holland und in Österreich, in Südafrika und in Ostasien frisch
ansiedeln sehen.
Die natürliche Folge dieser abermaligen Verschiebungen
innerhalb kulturell zum Teil schon hoch entwickelter Länder war
die, daß Teile einer und derselben Familie an den verschieden-
sten Zentren des Wirtschaftslebens sich ansiedelten und große
Welthäuser mit zahlreichen Filialen bildeten. Um nur ein paar
zu nennen 898 :
die Familie Lopez hat ihren Sitz in Bordeaux und Zweig-
häuser in Spanien, England, Antwerpen, Toulouse; die Familie
Mend&s, ein Bankhaus, residiert ebenso in Bordeaux und hat
Filialen in Portugal, Frankreich, Flandern ; ein Zweig der Familie
Mend&s sind wieder die Gradis mit zahlreichen Zweignieder-
lassungen ; die Carceres finden wir in Hamburg, in England, in Öster-
reich, Westindien, Barbados, Surinam ansässig; andere bekannte
Familien mit einem weltumspannenden Netz von Filialen sind
die Costa (Acosta, D’Acosta), die Conegliano, die Alhadib, die
Sassoon, die Pereire, die Rothschild. Aber es hat keinen Sinn,
die Liste zu verlängern: die jüdischen Geschäftshäuser, die wenig-
stens an zwei Handelsplätzen der Erde vertreten sind, zählten
und zählen nach Hunderten und Tausenden. Es gibt kaum eines
von Bedeutung, das seinen Fuß nicht mindestens in zwei ver-
schiedenen Ländern hätte.
Und was für eine große Bedeutung diese Zerstreuung für
das Fortkommen der Juden haben mußte, braucht auch kaum
ausführlich begründet zu werden : es liegt auf der Hand und ist
in dem ersten Teile dieses Buches öfters an Beispielen verdeut-
licht worden. Was sich christliche Häuser erst mit Mühe
schaffen mußten, was sie aber nur in den seltensten Fällen in
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200
gleich vollkommener Weise erreichten: das nahmen die Juden
von Anbeginn ihrer Tätigkeit mit auf den Weg: die Stützpunkte
für alle internationalen Handels- und Kreditoperationen : die
„great correspondance“, diese Grundbedingung erfolgreicher inter-
nationaler Geschäftstätigkeit.
Ich erinnere an das, was ich über die Anteilnahme der
Juden am spanisch-portugiesischen Handel, am Levantehandel,
an der Entwicklung Amerikas gesagt habe: ganz besonders
wichtig war der Umstand, daß sich ein großer Teil von ihnen
gerade von Spanien aus verzweigte: dadurch leiteten sie den
Strom des Kolonialhandels und vor allem den Silberstrom in die
Betten der neu emporkommenden Mächte: Holland, England,
Frankreich, Deutschland.
Bedeutsam, daß sie gerade nach diesen Ländern, die im Be-
griffe waren, einen großen wirtschaftlichen Aufschwung zu er-
leben, mit Torliebe sich wandten und damit gerade diesen
Ländern die Vorteile ihrer internationalen Beziehungen zuteil
werden ließen. Bekannt ist es, daß die flüchtigen Juden mit
Vorbedacht den Strom des Handels von den Ländern, die sie
vertrieben hatten, ablenkten, um ihn denjenigen zuzuführen, die
sie gastlich aufgenommen hatten.
Bedeutsam, daß sie Livorno und damit das Einfallstor in die
Levante beherrschten: Livorno wird im 18. Jahrhundert genannt:
„Tun des grands magasins de l’Europe pour le commerce de la
Möditerranöe.“ 899
Bedeutsam, daß sie zwischen Süd- und Nordamerika ein
Band herstellten, das, wie wir sahen, den nordamerikanischen
Kolonien erst ihre wirtschaftliche Existenz möglich machte.
Bedeutsam natürlich vor allem (wie auch gezeigt wurde),
daß sie durch die Beherrschung der großen Börsen an den
Hauptplätzen Europas die Intemationalisierung des Kredit-
verkehrs anzubahnen berufen waren. Alles zunächst nur dank
der Tatsache ihrer Zerstreuung.
Sehr hübsch veranschaulicht diese eigentümliche Bedeutung
des jüdischen Internationalismus für die Entwicklung des modernen
Wirtschaftslebens ein Bild, dessen sich vor zweihundert Jahren ein
geistvoller Beobachter in einer Studie über^die Juden bediente,
und das noch heute seine Frische vollauf bewahrt hat. In einer
Korrespondenz des Spectator vom 27. September 1712 heißt es 400 :
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201
„They are . . so disseminated through all the trading Parts of tbe
World, tbat tbey are become tbe Instraments by wbicb tbe most distant
Nations converse with one another and by whicb mankind are knit too-
gether in a general Correspondance : tbey are like tbe Pegs and Nails
in a great Bailding, wbicb, thoagb tbey are but little valued in tbemselves,
are absolutely necessary to keep the whole Frame together.“
Wie die Juden den großen Vorteil, den ihnen ihre räum-
liche Verbreitung gewährte, systematisch ausüutzten, um sich
über die Lage an den verschiedenen Plätzen der Erde rasch und
zuverlässig zu unterrichten und im Besitze bester Informationen
dann an der Börse ihr geschäftliches Verhalten je nach dem
Stande der Dinge vorteilhaft einzurichten: das erzählt uns mit
Angabe aller wünschbaren Einzelheiten der schon einmal er-
wähnte Bericht des französischen Gesandten im Haag aus dem
Jahre 169 8 401 . Auf diesem genauen Unterrichtetsein , meint
unser Gewährsmann, beruht zum guten Teil die überragende
Stellung, die die Juden an der Amsterdamer Börse einnehmen:
denn daß sie diese im wesentlichen beherrschen, hatte er schon
ausgeführt.
Angesichts der Wichtigkeit dieses einwandfreien Zeugnisses
will ich im folgenden die Hauptpunkte daraus mitteilen und da
der französische Text nicht leicht verständlich ist und für die
Übersetzung Schwierigkeiten macht, so gebe ich erst die Original-
fassung wieder und füge die Übersetzung hinzu, die mir den
Sinn richtig zu treffen scheint.
„Hs ß’entretiennent sur les deux (sc. nou veiles et commerce) avec ce
qu’ils appellen t leurs congregues (sic) dont celle de V6nise (qnoique moins
riebe et moins nombrense) est näanmoins comptäe pour la premiäre entre
celles qu’ils nomment grandes parce qu'elle lie l’Occident avec l’Orient et
le Midi par la congregae de Salonique, qni r£git leur nation en ces deox
autres parties du monde et en räpond avec celle de Venise qui, avec celle
d’ Amsterdam, r£git toutes les parties du nord (dang lesquelles ils comptent
celle tol£r£e de Londres et celles geerbtes de France) en sorte qu’ä ces
deux 4gards, commerce et nouvelles, on peut dire qu’ils sont les premiers
et les mieux inform4s de tout ce qui se meut dans le monde,
dont ils b&tissent leur Systeme de chaque semaine dans leurs
assembl6es qu’ils tiennent fort k propos le lendemain du samedi, c’est-ä-
dire le dimanebe, pendant que les ebrätiens de toutes sectes sunt occup£s
aux devoirs de leur religion. Ces systÄmes, qui sont le plus subtil de
tout ce qu’ils ont re$u de nouvelles de la semaine, alambiqu6es par leurs
rabis et chefs de congregues, sont d&s l’apr&s-midi du dimanebe, d61ivr6s
k leurs courtiers et agents juifs, les bonunes les plus adroits en ce
genre qu’il y ait au monde, qui, ayant aussi concert4 entre eux, vont
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202
slparäment, dfes le m&me jottr, r6pandre les nouvelles accom-
m o d e e 8 k leurs fing qu’ils vont commencer k suivre d£a le lendemain,
lundi matin, selon qu’ils voient la disposition des esprits k tous les 6gards
particuliers: vente, achat, change et actions, dans tous lesquels genres
de choses, ayant tonjonrs entre eux de grosses masses et provisions, ils
sont 4clair4s k faire le coup dans l’actif, dans le passif ou souvent daus
tous les deux en mßme temps. a
„Sie unterhalten sich über die beiden (d. h. Neuigkeiten und
Handel) mit dem, was sie ihre Brüderschaften (congregues)
nennen, von denen die von Venedig (obgleich weniger reich und
zahlreich) als die erste angesehen wird unter denen, die sie die
groben nennen, weil sie den Westen mit dem Osten und dem
Süden verbinde durch die Brüderschaft von Salonichi, welche
ihre Nation in jenen beiden anderen Weltteilen regiert und für
sie haftet (? en repond) mit der von Venedig, welche, mit der
von Amsterdam, alle nördlichen Teile beherrscht (unter die sie
die von London nur geduldete und die geheimen in Frank-
reich zählen), sodab sie in diesen beiden Beziehungen, Handel
und Neuigkeiten, die ersten und am besten unterrichtet sind
über das, was in der Welt vorgeht, woraus sie dann ihr System
aufbauen jede Woche, in ihren Versammlungen, welche sie sehr
zweckmäßig den Tag nach dem Samstag, das heibt am Sonntag,
halten, während die Christen aller Sekten mit den Pflichten ihrer
Religion beschäftigt sind. Diese Systeme, die aus dem Feinsten
und Spitzfindigsten bestehen, was sie von Neuigkeiten während
der Woche empfangen haben, durchsiebt und geläutert durch
ihre Rabbis und Schriftgelehrten, werden schon am Sonntag
nachmittag ihren jüdischen Börsenmaklern und Agenten zu-
gestellt, welche die denkbar gewitzigsten in dieser Art sind.
Nachdem sich diese nun auch untereinander besprochen haben,
gehen sie einzeln noch am selben Tage diese für ihre Zwecke
zurechtgelegten Nachrichten zu verbreiten; den nächsten Tag
(Montag morgen) fangen sie sodann gleich an, sie ins Werk zu
setzen, je nachdem sie die Stimmung der einzelnen geneigt
finden: zu Verkauf, Kauf, Wechsel und Aktien. Da sie immer grobe
Summen und Vorräte in allen diesen Artikeln bereit halten, sind
sie stets in der Lage, richtig abmessen zu können, wann der beste
Moment gekommen ist, ä la hausse oder ä la baisse oder auch
zu gleicher Zeit in beiden Richtungen ihre Coups auszuführen.“
Von wesentlichem Vorteil wurde den Juden ihre Inter-
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203
nationalitfit auch dort, wo es sich darum handelte, das Vertrauen
der Großen zu gewinnen. Ihr Weg in die Haute Finance ist
häufig der gewesen: erst machten sie sich den Fürsten als
Dolmetscher durch ihre Sprachkenntnis nützlich, dann wurden
sie als Zwischenträger und Unterhändler an fremde Höfe ge*
schickt, dann vertraute ihnen der Fürst die Verwaltung seines
Vermögens an (indem er sie gleichzeitig damit beehrte, ihr
Schuldner zu werden) und dadurch wurden sie die Beherrscher
der Finanzen (und in späteren Zeiten der Börsen).
Wir dürfen annehmen, daß ihre Sprachkenntnisse und ihre
Vertrautheit mit fremden Kulturen schon im Altertum es waren,
die ihnen den Zugang zum Vertrauen der Könige erschlossen:
von Josef in Ägypten angefangen über den Alabarchen Alexander,
den Vertrauensmann des Königs Agrippa und der Mutter des
Kaisers Claudius, von dem uns Josephus berichtet, bis zu dem
jüdischen Schatzmeister der Königin Kandake von Äthiopien,
von dem wir in der Apostelgeschichte (8, 27) lesen.
Von den berühmten Hof juden des Mittelalters wird uns meist
ausdrücklich bestätigt, daß sie sich als Dolmetscher oder Unter-
händler ihre Sporen verdient haben: wir wissen es von dem
Juden Isaac, den Karl d. Gr. an den Hof Harun al Raschids
sandte ; von dem Juden Kalonymos, dem Freunde und Günstling
Kaiser Ottos H. ebenso wie von den Juden, die um dieselbe
Zeit auf der Pyranäenhalbinsel zu Ruhm und Ansehen gelangten:
der berühmte Chasdai Ibn Schaprut (915-970) war zunächst
diplomatischer Vertreter des Kalifen Abdul-Rahman HI. bei dessen
Verhandlungen mit den christlichen Höfen Nordspaniens 408 .
Umgekehrt machten sich die Juden unentbehrlich an den
Höfen der christlichen Könige in Spanien. Als Alfons VI. von
Castilien (11. Jahrh.) die kleinen muhamedanischen Könige gegen
einander ausspielen wollte, wußte er niemand besseres an die
Höfe von Toledo, Sevilla, Granada zu senden als die sprach-
gewandten und fremdgewohnten Juden. Überall finden wir
dann in der Folgezeit jüdische Gesandte an den christlichen
spanischen Höfen hin bis zu den länder- und völkerkundigen
Juden, die Joao H. nach Asien schickte, um Mitteilungen an
seine Auskundschafter zu bringen und zu empfangen, die nach
dem fabelhaften Lande des Priesters Johann forschten 408 oder bis
zu den zahlreichen Dolmetschern und Vertrauensmännern, die
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204
wir bei der Entdeckung der Neuen Welt tätig finden 404 . An-
gesichts der großen Bedeutung, die die glänzende spanische Epi-
sode für die gesamte Weiterentwicklung des Judentums und
namentlich für die Gestaltung ihres wirtschaftlichen Schicksals
besitzt, ist es natürlich von besonderem Interesse zu verfolgen!
auf welchem Wege sie gerade hier zu dem hohen Ansehn ge-
langten. Aber auch in nachspanischer Zeit finden wir noch
häufig jüdische Diplomaten vornehmlich im Verkehr der General-
staaten mit den Mächten: wie die Behnontes, die Mesquitas 406
und andere. Bekannt ist le Seigneur Hebraeo, wie Richelieu
den reichen üdefonso Lopez nannte, den er zu einer geheimen
politischen Mission nach Holland benutzte, um ihn nach seiner
Rückkehr zum „Conseiller d’Etat ordinaire“ zu machen 406 .
Die „räumliche Verbreitung der Juden“ ist nun aber nicht
nur dadurch bedeutsam, daß sie die internationale Zerstreuung
der Juden herbeiführte: sie dient zur Erklärung mancher Er-
scheinungen auch nur insoweit, als sie sich auf die Verteilung
über das Innere der Länder erstreckt. Wenn wir beispiels-
weise den Juden besonders oft als Lieferanten von Kriegsmaterial
und Lebensmitteln für die Armeen begegnet sind — sie sind auch
das seit alten Zeiten gewesen: bei der Belagerung Neapels
durch Beiisar erklärten die dortigen Juden die Stadt mit Lebens-
mitteln versorgen zu wollen 407 — , so hat das seinen Grund gewiß
zum guten Teil in der Tatsache, daß sie leichter als die Christen
rasch eine große Masse von Gütern, namentlich Lebensmitteln,
aus dem Lande zusammenbringen konnten : dank den Ver-
bindungen, die sie von Stadt zu Stadt unterhielten. „Der jüdische
Entrepreneur darf sich vor allen diesen Schwierigkeiten nicht
scheuen. Er darf nur die Judenschaft am rechten Orte elek-
trisieren und im Augenblick hat er so viele Helfer und Helfers-
helfer als er immer braucht“ 408 . Denn in der Tat handelte der
Jude früherer Zeit „niemals als isoliertes Individuum, sondern als
Glied der ausgebreitetsten Handelskompagnie in der Welt“ 408 .
„Ce sont des particules de vif argent qui courent, qui s^garent
et qui ä la moindre pente se räunissent en un bloc principal“,
wie es in einer Eingabe der Pariser Kaufleute aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts heißt 410 .
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205
n. Die Fremdheit
Fremde sind die Juden während der letzten Jahrhunderte
in den meisten Ländern zunächst einmal in dem rein äußerlichen
Sinne der Neueingewanderten gewesen. Gerade an den Orten,
wo sie ihre wirksamste Tätigkeit entfaltet haben, waren sie nicht
alteingesessen, ja: dorthin waren sie meist nicht einmal aus der
näheren Umgebung, sondern von fernher, aus Ländern mit andern
Sitten und Gebräuchen, zum Teil sogar andern Elimaten gelangt.
Nach Holland, Frankreich und England kamen sie aus Spanien
und Portugal und dann aus Deutschland; nach Hamburg und
Frankfurt aus anderen deutschen Städten und dann nach ganz
Deutschland aus dem russisch-polnischen Osten.
Was die übrigen europäischen Nationen mit ihnen in der
Neuen Welt teilten, das hatten sie vor diesen in den Ländern
der alten Kultur voraus: sie waren Kolonisten Überall,
wohin sie kamen und damit ohne weiteres zu ganz bestimmtem
Verhalten und Handeln gezwungen.
Neusiedler müssen die Augen offen halten, damit sie sich
in der neuen Lage rasch zurechtfinden, müssen acht haben auf
ilir Vorgehen, damit sie sich unter den neuen Verhältnissen doch
ihren Unterhalt erwerben. Wenn die Alteingesessenen in ihren
wannen Betten liegen, stehen sie draußen in der frischen Morgen-
luft und müssen erst trachten, sich ein Nest zu bauen. Draußen
stehen sie : allen Eingesessenen gegenüber als Eindringlinge.
Und in freier Luft stehen sie : ihre wirtschaftliche Energie wird
stärker angespomt.
Bedenken müssen sie, wie sie Boden gewinnen in der neuen
Umgebung: das wird für ihre ganze Wirtschaftsführung ent-
scheidend, die nun von der ganzen Wucht der Zweckmäßigkeits-
erwägungen ergriffen wird. Bedenken, wie die Wirtschaft am
besten, am zweckmäßigsten eingerichtet werde: welchen Pro-
duktions- oder Handelszweig man wählen solle, mit welchen
Personen man Beziehungen anknüpfen solle, welche Geschäfts-
grundsätze man anwenden solle, um am schnellsten sich durch-
zusetzen: das heißt aber nichts anderes als den ökonomischen
Rationalismus an Stelle des Traditionalismus setzen. Wir sahen
die Juden das tun; und wir finden nun einen ersten, sehr
zwingenden Grund, weshalb sie es taten: weil sie Fremde in
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206
den Ländern waren, wo sie wirtschaften sollten: Neusiedler,
Frischeingewanderte.
Fremd aber war Israel unter den Völkern all die Jahr-
hunderte hindurch noch in einem andern, man könnte sagen
psychologisch-sozialen Sinne, im Sinne einer innerlichen Gegen-
sätzlichkeit zu der sie umgebenden Bevölkerung, im Sinne einer
fast kastenmäßigen Abgeschlossenheit gegen die Wirtsvölker.
Sie, die Juden, empfanden sich als etwas Besonderes und wurden
von den Wirts Völkern als solches wieder empfunden. Und dadurch
wurden alle die Handlungsweisen und die Gesinnungen bei den
Juden zur Entwicklung gebracht, die notwendig sich im Verkehr
mit „Fremden“ zumal in einer Zeit, die dem Begriff des Welt-
bürgertums noch fern stand, ergeben müssen.
Die bloße Tatsache, daß man es mit einem „Fremden“ zu
tun habe, hat zu allen Zeiten, die noch nicht von humanitären
Erwägungen angekränkelt waren, genügt, das Gewissen zu
erleichtern und die Bande der sittlichen Verpflichtungen zu
lockern. Der Verkehr mit Fremden ist stets „rücksichtsloser“
gestaltet worden. Und die Juden hatten es immerfort, zumal
wenn sie in das große wirtschaftliche Getriebe 'eingriffen, mit
„Fremden“, mit „Nicht-Genossen“ zu tun, weil sie ja obendrein
stets in kleiner Minderheit waren. Brachte für einen Angehörigen
des Wirtsvolkes jeder zehnte oder jeder hundertste Verkehrsakt
eine Beziehung zu einem „Fremden“, so erfolgten umgekehrt
bei den Juden neun Akte von zehn oder neunundneunzig vom
Hundert im Verkehr mit Fremden: sodaß die „Fremdenmoral",
wenn ich diesen Ausdruck ohne mißverstanden zu werden ge-
brauchen darf, eine immer wieder geübte wurde, auf die sich das
ganze Geschäftsgebaren dann gleichsam einstellen mußte. Der
Verkehr mit Fremden wurde für den Juden das „Normale“,
während er für die anderen die Ausnahme blieb.
Engstens im Zusammenhänge mit ihrer Fremdheit steht die
eigentümliche und absonderliche Rechtslage, in der sie sich aller
Orten befanden. Doch hat sie als Erklärungsgrund ihre eigene
Bedeutung und soll daher in folgender selbständiger Darstellung
.abgehandelt werden.
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207
III. Das Halbbflrgertnm
Es scheint auf den ersten Blick, als sei die bürgerliche
Rechtsstellung der Juden insbesondere dadurch für ihr Ökono-
misches Schicksal von Bedeutung gewesen, daß sie ihnen be-
stimmte Beschränkungen in der Wahl der Berufe, wie überhaupt
in ihrer Erwerbstätigkeit auferlegte. Aber ich glaube, daß die
Einwirkung, die die Rechtslage in dieser Hinsicht ausgeübt hat,
überschätzt worden ist. Ich möchte umgekehrt diesen gewerbe-
rechtlichen Bestimmungen nur eine ganz verschwindende Be-
deutung beimessen, möchte fast sagen: sie seien belanglos ge-
wesen für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung des Judentums.
Jedenfalls wüßte ich beim besten Willen keine der wirklich be-
deutsamen Einwirkungen, die wir die Juden auf den Gang des
modernen Wirtschaftslebens haben ausüben sehen, auf irgend
welche gewerberechtliche Bestimmung zurückzuführen.
Daß diese nicht von nachhaltigem und tiefgehendem Einfluß
gewesen sein können, geht ja schon aus der Tatsache hervor, daß
die gewerberechtliche oder gewerbepolizeiliche Stellung
der Juden während des Zeitraums, der uns hier interessiert,
außerordentlich verschieden gestaltet war, und daß trotzdem eine
große Gleichartigkeit des jüdischen Einwirkens im gesamten Um-
kreis der kapitalistischen Kultur sich nachweisen läßt.
Wie grundverschieden die Rechtslage der Juden in dieser
Hinsicht war, macht man sich selten genügend klar.
Sie wechselte zunächst von Land zu Land in den großen
Zügen. Während die Juden in Holland und England fast volle
Gleichberechtigung mit den Christen genossen, was das Erwerbs-
leben anbetrifft, unterlagen sie in den übrigen Ländern mehr
oder weniger großen Beschränkungen, abgesehen wiederum von
einzelnen Gebietsteilen und Städten, wo volle Handels- und Ge-
werbefreiheit für sie bestand, wie etwa innerhalb Frankreichs in
den Besitzungen der Päpste 411 .
Aber diese Einschränkungen waren nun wieder nach Maß
und Art in den verschiedenen Ländern verschieden und inner-
halb eines und desselben Landes oft grundverschieden von Ort
zu Ort. Und zwar erscheinen die einzelnen Bestimmungen ganz
und gar willkürlich. Von einer irgendwelchen Grundidee, die
sich etwa in den verschiedenen Verfügungen durchfühlen ließe,
ist keine Rede. Hier ist ihnen das Hausieren verboten, dort
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208
das Halten fester Läden; hier dürfen sie Handwerke betreiben,
dort nicht; hier dieses, dort jenes Handwerk; hier dürfen sie
mit Wolle handeln, dort nicht; hier mit Leder, dort nicht; hier
ist ihnen die Pachtung von Branntweinschenken erlaubt, dort
verboten ; hier werden sie zur Anlage von Fabriken und Manufak-
turen ermuntert, dort ist ihnen die Beteüiguug an kapitalistischer
Industrie untersagt u. s. f.
Man sehe sich etwa den Rechtszustand an, wie er inner-
halb des preußischen Staats um die Wende des 18. Jahrhunderts
sich herausgebildet hatte. Da galten in den verschiedenen
Landesteilen mehrere Dutzend Gesetze, deren Bestimmungen zum
Teil sich geradezu widersprachen.
Während mancherorts die Ausübung der Handwerke ver-
boten war (Revidiertes Generalprivilegium von 1750 art. XL,
Schwedisches Gesetz von 1777 für Neu Vorpommern und Rügen),
gestattete die Kabinettsordre vom 21. Mai 1790 den Breslauer
Schutzjuden „allerlei mechanische Künste zu treiben“ und be-
sagte, daß es „Uns zum gnädigsten Wol wollen gereichen (werde),
wenn die christlichen Handwerker freiwillig Juden-Jungen in die
Lehre und in der Folge in ihre Innung nehmen.“ Das Gleiche
bestimmte das GeneralJuden-Reglement für Süd- und Neu-Ost-
preußen vom 17. April 1797 (§ 10).
Während den Berliner Juden verboten war, Bier und Brannt-
wein an Nichtjuden zu verschänken, Fleisch an Nichtjuden zu
verkaufen (General-Privileg vom 17. April 1750 art. XV. XIH),
hatten die sämtlichen Stammjuden in Schlesien die Erlaubnis,
Bier- und Branntweinurbars , Fleischereien, Bäckereien, Meth-,
Bier- und Branntweinschenken zu pachten oder zu verwalten (laut
Ordre vom 18. Februar 1769).
Die Liste der erlaubten oder verbotenen Handelsartikel
scheint oft mit einer geradezu sinnlosen Willkür zusammen-
gestellt, wenn ihnen etwa freisteht: „mit aus- und einländischem
ungefärbtem gar gemachtem Leder“ zu handeln, dagegen nicht
„mit rohem oder gefärbtem Leder“; zwar „mit rohen Kalb-
und Schaffellen“, nicht aber „mit rohen Rind- und Pferde-
häuten“ ; zwar „mit allerhand hier im Lande fabrizierten
ganz und halbwollenen und baumwollenen Waren“, nicht aber
„mit roher Wolle und wollenen Garnen auch nicht mit fremden
wollenen Waren“ usw. (Alles aus dem Generalprivileg von 1750).
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209
Das Bild wird noch bunter, wenn wir die verschiedene
Rechtslage in Betracht ziehen, in der sich die verschieden berech-
tigten Kategorien von Juden befanden. So bestand z. B. die
Breslauer Judengemeinde bis zur K.O. vom 21. Mai 1790 aus
folgenden Gruppen:
1. den Generalprivilegierten, das ist : solchen jüdischen
Glaubensgenossen, die christliche Rechte im Handel und
Wandel in und außer Gericht hatten und deren Vorrechte
erblich waren;
2. den Privilegierten, welche das Recht hatten, mit ver-
schiedenen, in ihren Spezialprivilegien enthaltenen Arten
von Sachen zu handeln; ihr Vorrecht war nicht erblich,
doch wurde auf ihre Kinder bei offenen Privilegiis Rück-
sicht genommen;
3. den Tolerierten, welche ebenfalls auf Lebenszeit ihr
Recht, in Breslau zu wohnen, erhalten, deren Gewerbe
aber eingeschränkter als das der Privilegierten war;
4. den sogenannten Fixen tristen, welche nur auf eine be-
stimmte oder unbestimmte Zeit zu bleiben die Erlaubnis hatten.
Endlich ist noch zu bedenken, daß alle diese nach Ort und
Personen so sehr verschiedenen Berechtigungen alle Augenblick
im Zeitablauf geändert wurden. Beispiel:
1769 war, wie wir sahen, den schlesischen Landjuden die
Erlaubnis erteilt worden, Bier- und Branntweinurbars , Fleische-
reien usw. zu pachten ; 1780 wurden ihnen alle derartigen Pach-
tungen verboten; 1787 aber schon wieder nachgegeben.
Jeder, der die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahr-
hunderte auch nur einigermaßen in ihrer Eigentümlichkeit be-
griffen hat, weiß ja nun aber auch, daß die gewerberechtlichen
Bestimmungen zum guten Teile nur auf dem Papiere standen,
daß namentlich alle kapitalistischen Interessen sich sehr wohl
ihnen zum Trotz durchzusetzen vermochten. Dazu gab es mehr
als ein Mittel. Nicht bloß die Gesetzesübertretung, der der bureau-
kratische Staat immer lässiger gegenüberstand ; auch eine Menge
erlaubter Mittel und Wege gab es, sich lästige Beschränkungen
vom Halse zu halten: Konzessionierungen, Privilegierungen und
wie sonst die Freibriefe hießen, die die Fürsten so gern aus-
stellten, wenn sie sich damit einen kleinen Nebenverdienst ver-
schaffen konnten. Und nicht zuletzt waren es die Juden, die
Somb art, Die Juden 14
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210
sich solcherart Vergünstigungen zu verschaffen wußten. Was die
preußischen Edikte von 1787 und 1750 ausdrücklich sagten: daß
den Juden dieses und jenes verboten sei: „ohne Unsere dazu
erhaltene besondere Konzession, als deshalb sie sich in gewissen
Fällen bei Unserm General-Direktorio zu melden haben“, das
verstand sich bei allen gewerberechtlichen Beschränkungen still-
schweigend von selbst. Denn wenn nicht irgendwo sich ein
Ausweg gefunden hätte : wie sollte es sich sonst erklären lassen,
daß die Juden in manchem gerade derjenigen Handelszweige,
die ihnen vom Gesetze ausdrücklich verschlossen wurden , wie
etwa in der Leder- oder Tabakbranche, von jeher eine Führer-
stellung eingenommen haben?
Und doch läßt sich an einem Punkte die Einwirkung der
alten Gewerbe Verfassung auf den Werdegang der Juden nach-
weisen: das ist dort, wo das Wirtschaftsleben durch die Herr-
schaft korporativer Verbände beeinflußt wurde oder richtiger: wo
die wirtschaftlichen Vorgänge sich im Rahmen genossenschaft-
licher Organisation abspielten. In die Zünfte und Innungen
fanden die Juden keinen Zutritt : das Kruzifix, das in allen Amts-
stuben dieser Verbände aufgestellt war, und um das sich alle
Mitglieder versammelten, hielt sie zurück. Und darum: wenn
sie ein Gewerbe betreiben wollten, so konnten sie es nur außer-
halb der Kreise, die von den christlichen Genossenschaften be-
setzt gehalten wurden; gleichgültig, ob ein Produktionsgebiet
oder ein Handelsgebiet in Frage stand. Und deshalb waren sie
— wiederum zunächst aus äußeren Gründen — die geborenen
„interlopers“, die Bönhasen, die Zunftbrecher, die „Freihändler“,
als die wir sie allerorten angetroffen haben.
Viel einschneidender haben das Schicksal der Juden offen-
bar diejenigen Teile der Rechtsordnung bestimmt, die ihr Ver-
hältnis zur Staatsgewalt, also insbesondere ihre Stellung im
öffentlichen Leben regelten. Sie weisen zunächst in allen
Staaten eine auffallende Übereinstimmung auf, denn sie laufen
letzten Endes sämtlich darauf hinaus : die Juden von der Anteil-
nahme am öffentlichen Leben auszuschließen, also ihnen den Zu-
gang zu den Staats- und Gemeindeämtern, zur Barre, zum Parla-
mente, zum Heere, zu den Universitäten zu versperren. Das
gilt auch für die Weststaten — Frankreich, Holland, England —
und Amerika. Eine eingehende Darstellung des bürgerlichen
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211
Status der Juden vor der „Emanzipation“ erübrigt sich um so
mehr, als ja diese Dinge im allgemeinen bekannt sind. Erinnert
mag nur daran werden, daß ihr staatsrechtliches Halbbürgertum
in den meisten Staaten bis tief ins 19. Jahrhundert hinein an-
gedauert hat. Nur die Vereinigten Staaten erklärten schon
1788 die politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unter-
schied des Glaubens ; Frankreichs berühmtes Emanzipationsgesetz
trägt das Datum des 27. Septembers 1791, und in Holland brachte
den Juden die Vollbürgerfreiheit die Batavische Nationalversamm-
lung im Jahre 1796. Aber selbst in England kämpften die Juden
noch in den 1840 er Jahren um den Eintritt ins Parlament (der
-erste gewählte Abgeordnete war Baron Lionel de Rothschild im
Jahre 1847) und erst das Jahr 1859 brachte ihnen volle Gleich-
berechtigung. In den deutschen Staaten beginnt diese doch erst
seit 1848 und wird zu einer endgültigen und allgemeinen erst
durch das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 8. Juli 1869;
Österreich folgte 1867, Italien 1870 usw.
Und daß der Buchstabe des Gesetzes noch lange nicht die
wirkliche Gleichberechtigung brachte — bis auf den heutigen
Tag nicht gebracht hat — , lehrt ein Blick in eine beliebige frei-
-sinnige Zeitung, in der wir Tag für Tag die Klagen finden, daß
wieder ein jüdischer Freiwilliger nicht Offizier bei den Zieten-
husaren geworden ist oder wieder nicht genug Richter- oder
Notarstellen mit Juden besetzt worden sind.
Was diese Zurücksetzung der Juden im öffentlichen Leben
für Wirkungen haben mußte, ist von mir schon des öfteren dar-
gelegt worden : das Wirtschaftsleben zog zunächst insofern
Nutzen daraus, als es die gesamte Tatkraft, die im jüdischen
Volke aufgespeichert war, aufnehmen konnte. Wenn aus andern
Volksschichten die besten Talente an dem Wettbewerb um die
Macht im Staate sich beteiligten, mußten sie im Judentum not-
gedrungen (wenn sie nicht etwa in der Beth-midrasch sich durch
scholastische Studien aufzehrten) sich im Wirtschaftsleben be-
tätigen. Sie mußten aber auch in diesem — je mehr es auf
dem Gelderwerb aufgebaut wurde und je mehr der Geldbesitz
zu einer Machtquelle wurde — das Feld erblicken, auf dem sie
das erobern konnten, was ihnen das Gesetz auf geradem Wege
zu erringen versagte: Ansehen und Einfluß im Staate. Wieder-
um ist damit eine der Wurzeln bloßgelegt, aus denen die starke
14*
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212
Bewertung des Geldes erwuchs, wie wir sie bei Juden an-
getroffen haben.
Die Ausschließung aus dem Gemeinschaftsleben mußte aber
noch in anderer Richtung die Stellung der Juden im Wirtschafts-
leben verbessern, sodaß sie abermals einen Vorsprung vor ihren
christlichen Mitbewerbern erlangten.
Sie erzeugte nämlich das, was man politische Farblosigkeit
nennen könnte: eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem
Staat, in dem sie lebten und noch mehr gegenüber der Regierung,
die in diesem Staate jeweils das Heft in den Händen hatte. Dank
dieser Gleichgültigkeit waren sie mehr denn irgend jemand sonst
befähigt, die Träger der kapitalistischen Weltwirtschaft zu werden,
indem sie den verschiedenen Staaten „die Kapitalkräfte der Welt-
wirtschaft zur Verfügung stellten 11 . Nationale Konflikte wurden
geradezu eine Hauptquelle für jüdischen Erwerb.
Nur dank dieser politischen Farblosigkeit war es ihnen aber
auch möglich, in Ländern wie Frankreich, die einen häufigen
Systemwechsel erlebten, den verschiedenen Dynastien und Regie-
rungen zu dienen: die Geschichte der Rothschilds enthält die
Bestätigung für diese Behauptung. Die Juden halfen also, dank
ihrer Zurücksetzung im Staate, die schließlich dem Kapitalismus
als solchem anhaftende Indifferenz gegenüber allen nicht dem
Erwerbsinteresse dienenden Werten zur Entwicklung zu bringen,
wurden also auch nach dieser Seite hin Förderer und Mehrer
des kapitalistischen Geistes.
IV. Der Reichtum
Wir können einstweilen zu den objektiven Bedingungen,
unter denen die Juden ihre ökonomische Mission während der
letzten drei oder vier Jahrhunderte erfüllt haben, und deren eigen-
artige Gestaltung ihr Werk selbst zu einem eigenartigen machte,
die Tatsache rechnen, daß sie immer und überall, wo sie eine
Rolle im Wirtschaftsleben gespielt haben, über einen großen
Geldreichtum verfügten (und wenn man die Wirkung jener eigen-
artigen Bedingtheit ihrer Tätigkeit bis in die Gegenwart ver-
folgen will: noch heute verfügen). Mit dieser Feststellung ist
nichts über den Reichtum der „Juden" im allgemeinen aus-
gesagt. Und es darf ihr also auch nicht die Tatsache entgegen-
gehalten werden, daß es zu allen Zeiten sehr arme und wohl
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213
auch sehr viele arme Juden gegeben habe. Man braucht gar
nicht lange erst nach Beweismitteln für die Richtigkeit dieser
Behauptung zu suchen: wer einmal seinen Fuß in eine K’hilla
des Ostens gesetzt hat, oder wer die Judenquartiere in New
York kennt, kennt auch das Phänomen der jüdischen Armut zur
Genüge. Was hier in Frage steht, ist vielmehr ein viel enger
umschriebener Tatbestand: ich behaupte, daß unter den Juden,
die seit dem 17. Jahrhundert in den europäischen Kulturstaaten
des Westens und der Mitte so hervorragenden Anteil an der
wirtschaftlichen Entwicklung nahmen: daß unter diesen viel
Reichtum verbreitet war und ist; noch mehr zugespitzt : daß es
unter ihnen stets sehr viele reiche Leute gab und daß die Juden
allerorts reicher waren, als die sie umgebenden Christen (immer
natürlich im großen Durchschnitt gerechnet; ein Narreneinwand
ist es : der reichste Mann in Deutschland oder die drei reichsten
Männer in den Vereinigten Staaten seien gerade keine Juden).
Schwerreich muß eine große Anzahl der Flüchtlinge ge-
wesen sein, die seit dem 16. Jahrhundert die Pyrenäen-
halbinsel verließen. Wir vernehmen von einem „exodo de
capitaes“, einer Auswanderung des Kapitals, die durch sie herbei-
geführt sein soll. Wir wissen aber auch, daß sie bei ihrer Ver-
treibung ihre zahlreichen Besitzungen verkaufen und sich in
Wechseln auf fremde Plätze dafür bezahlen lassen 412 .
Die Allerreichsten wandten sich wohl nach Holland.
Wenigstens erfahren wir hier von den ersten Ansiedlern: den
Manuel Lopez Homen, Maria Nunez, Miguel Lopez und andern,
daß sie große Reichtümer besaßen 418 . Ob dann im 17. Jahr-
hundert viele reiche Spagniolen noch einwanderten oder ob die
Alteingesessenen zu immer größerem Reichtum gelangten, wird
kaum für die Gesamtheit festzustellen sein. Es genügt auch, zu
wissen: daß die Juden in Holland während des 17. und 18. Jahr-
hunderts durch ihren Reichtum berühmt waren. Wir besitzen
zwar keine Vermögensstatistik aus jener Zeit, dafür aber genug
andere Zeugnisse, die den Reichtum der Juden erkennen lassen.
Vor allem ihre Prachtentfaltung, die alle Reisebeschreiber nicht
genug zu bewundern wissen; ihren Wohnluxus, der sich in den
herrlichsten Palästen ausprägt. Wer eine Sammlung von Kupfer-
stichen aus jener Zeit durchblättert, findet bald heraus, daß die
glänzendsten Paläste etwa in Amsterdam oder im Haag von
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214
Juden erbaut oder von Juden bewohnt waren ; wie der Hof van
den Baron Belmonte, der Hof van den E. Heer de Pinto, der
Hof van den E. Heer d’Acoste und andere. (De Pinto wurde
Ende des 17. Jahrhunderts auf 8 Millionen 11. geschätzt.) Von
dem fürstlichen Luxus, der bei einer reichen Judenhochzeit in
Amsterdam entfaltet wurde, gibt uns Glückei von Hameln,
die eine Tochter nach dort verheiratete, ein lebendiges Bild in
ihren Memoiren 414 .
Aber auch in den andern Ländern ragten die Juden durch
ihren Reichtum hervor. Der kluge Savary bestätigt uns das für
das Frankreich des 17. und angehenden 18. Jahrhunderts, in-
dem er ganz summarisch ein allgemeines Urteil folgenden Inhalts
vermittelt: „on dit qu’un marchand est riche comme un
Juif, quand il a k röputation d’avoir amassö de grands
biens“ 415 .
Und für England besitzen wir sogar ziffermäßige Angaben
über die Vermögenslage der reichen Spagniolen bald nach ihrer
offiziellen Zulassung. Wir erfuhren schon, daß nach England ein
Schweif reicher Juden der Braut Karls H., Katherina von Braganza,
folgte. Wurden 1661 erst 35 Familienhäupter in der Sephardim-
gemeinde gezählt, so kommen allein im Jahre 1663 57 neue
Namen hinzu. Für dieses Jahr ergeben sich aber aus den
Büchern des Alderman Backwell folgende Halb Jahresumsätze
reicher jüdischer Geschäftshäuser 416 .
Jacob Aboab £ 13 085
Samuel de Vega . . . . „ 18 309
Duarte da Sylva . . . . „ 41441
Francisco da Sylva . . . „ 14646
Fernando Mendes da Costa „ 30490
Isaac Dazevedo . . . . „ 13 605
George & Domingo Francia „ 35 759
Gomes Rodrigues . . . . „ 13124
In Deutschland waren die Zentren jüdischen Lebens
während des 17. und 18. Jahrhunderts, wie wir gesehen haben,
Hamburg und Frankfurt a. M. Für beide Städte .können wir
ziffermäfng genau den Vermögensstand der Juden~feststellen, und
was wir erfahren, bestätigt unser Urteil durchaus."'
In Hamburg waren es auch zunächst spanisch-portu-
giesische Juden, die sich niederließen. Ihrer fanden wir schon
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215
im Jahre 1619 40 Familien bei der Gründung der Hamburger
Bank beteiligt : also mindestens in guten Vermögens Verhältnissen.
Bald begannen die Klagen über den zunehmenden Reichtum und
das zunehmende Ansehen der Juden: 1649 wird geklagt, sie
begrüben ihre Toten gar prächtig und führen in Kutschen
spazieren; eine Beschwerde des Jahres 1650 sagt: die Juden
bauweten Häuser als palläste ; Luxusgesetze verbieten den Juden
eine zu große Prachtentfaltung 417 u. dgl. Bis zum Ende des
17. Jahrhunderts scheint der Reichtum auf die sephardischen
Juden beschränkt zu sein; um diese Zeit kamen aber auch die
Ashkenazim rasch in die Höhe: Glückei von Hameln gibt die
sichersten Belege dafür. Sie erzählt von zahlreichen deutsch-
jüdischen Familien, die in ihrer Kindheit noch in dürftigen Ver-
hältnissen gelebt hätten, nun aber recht wohlhabend geworden
seien. Ihre aus ihrer reichen Erfahrung geschöpften Beobach-
tungen finden wir durchaus bestätigt in den vermögensstatistischen
Angaben, die wir aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts
besitzen 418 : 1729 besteht die Altonaer Judengemeinde aus
297 Kontribuierten, darunter sind 145 Wohlhabende mit einem Be-
sitze von mehr als 1500 Mark Banco ; ihr Gesamtvermögen belief
sich auf 5434 800 Mark, also auf mehr als 37 000 Mark im Durch-
schnitt; die Hamburger Gemeinde bestand aus 160 Kontri-
buierten, darunter 16 mit mehr als 1000 Mark und einem Ge-
samtvermögen von zusammen 501500 Mark. Diese Ziffern er-
scheinen fast als zu niedrig, wenn wir damit die genauen Ver-
mögensangaben vergleichen, die uns über die einzelnen reichen
Juden gemacht werden. Im Jahre 1725 finden wir nämlich
folgende vermögende Juden in Hamburg, Altona und Wands-
beck :
Joel Salomon ....
. 210000 Mf.
Seinen Schwiegersohn .
. 50000
»
Elias Oppenheimer . .
. 300000
n
Moses Goldschmidt . .
. 60000
n
Alex Papenheim . . .
. 60000
n
Elias Salomon ....
. 200000
»
Philip Elias
. 50000
»
Samuel Schiesser . . .
. 60000
»
Berend Heyman . . .
75 000
n
Samson Nathan . . .
. 100000
n
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216
Moses Hamm . . .
75 000 Mf.
Sam. Abrahams Wwe
60 000
1)
Alexander Isaac . .
60000
»
Meyer Berend . . .
400000
»
Salomon Berens . .
1600000
ff
Isaac Hertz ....
150000
»
Mangelus Heymann .
200000
ff
Nathan Bendix . . .
100000
»
Philip Mangelus . .
100000
ff
Jac. Philip ....
50000
n
Abrah. Oppenheimers Wwe
Zacharias Daniels Wwe und
60000
ff
Tochter Wwe . .
150000
n
Sim. del Banco . .
150000
ff
Marz Casten . . .
200000
»
Carsten Marx . . .
60000
»
Abrah. Lazarus . . .
150000
ff
Berend Salomon . .
600000 Rthlr.
Meyer Berens . . .
400000
»
Abr. von Halle . .
150000
»
Abr. Nathan . . .
150000
71
Besaßen doch diese 31 oder 32 Personen schon zusammen
mehr als 6 Millionen Mf. Auf jeden Fall wird an der Existenz
reicher und sehr reicher Juden in Hamburg seit dem 17. Jahr-
hundert nicht gezweifelt werden dürfen.
Dasselbe Bild, vielleicht noch glänzender in den Farben,
bieten uns die Fr an kfurter Juden dar. Ihr Reichtum beginnt
sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu entwickeln und steigt
von da an rasch in die Höhe.
Im Jahre 1593 finden wir in Frankfurt a. M. erst vier Juden
(neben 54 Christen = 7,4 °/o), die ein Vermögen von mehr als
15 000 fl. versteuern; bis 1607 sind es schon 16 (neben 90 Christen
= 17,7 °/o) 419 . Im Jahre 1618 mußte der ärmste Jude ein Bar-
vermögen von 1000 fl., der ärmste Christ von 50 fl. versteuern;
in diesem Jahre bringen die Juden 3627,85 fl. an Schatzung auf,
während die Gesamteinnahme der Stadt nur 20 872,225 fl. betrug.
Etwa 300 jüdische Haushaltungen zahlen an Soldatenquartier und
Schanzengeldem in den Jahren 1634 — 1650 100 900 fl.; z. B. im
Jahre 1634 14400 fl.; 1635 14800 fl.; 1636 11200 fl. usw. 4ao .
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217
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist dann die Zahl der
jüdischen Steuerzahler in Frankfurt a. M. auf 758 gestiegen, die
zusammen mindestens 6 Mill. fl. besahen. Davon entfällt mehr
als die Hälfte auf die 12 reichsten Familien, nämlich folgende 491 :
Speyer
604000 fl.
Reifi-Ellissen ....
299916
n
Haas, Kann, Stern . .
256500
9
Schuster, Getz, Amschel
258075
9
Goldschmidt ....
235 000
9
May
211000
9
Oppenheimer ....
171 500
9
Wertheimer ....
188600
9
Flörsheim
166666
9
Rindskopf
115 600
9
Rothschild
109875
9
Sichel
107000
9
Und selbst die Berliner Juden des frühen 18. Jahrhunderts
sind keine armen Schnorrer mehr. Von den 120 jüdischen
Familien, die es 1787 in Berlin gab, hatten nur 10 weniger als
1000 Taler im Vermögen, alle übrigen 2000 bis 20 000 Taler
und mehr 499 .
Diese eigentümliche und interessante Tatsache, daß die Juden
immer die reichsten Leute waren, hat sich durch die Jahrhunderte
unverändert erhalten und besteht noch heute so wie vor zwei
und dreihundert Jahren. Nur daß sie vielleicht heute noch viel
ausgeprägter und allgemeiner ist als in früheren Zeiten. An-
gesichts der überragenden Wichtigkeit, die sie als Symptom
sowohl der Eigenart unserer wirtschaftlichen Zustände wie als
Erklärung dieser Eigenart besitzt, will ich hier in größerer Aus-
führlichkeit die Ergebnisse einiger Berechnungen mitteilen, die
ich auf Grund zuverlässiger Quellen habe anstellen lassen über
das Verhältnis des Einkommens jüdischer zu dem christlicher
Steuerzahler in dem Deutschland unserer Tage. Sie lassen
die ganz ungeheuer große Überlegenheit der jüdischen Bevölkerung
über die nichtjüdische im Vermögensstande mit aller nur wünsch-
baren Deutlichkeit erkennen und können an Bedeutung nicht
leicht durch andere Ziffern der Statistik überboten werden. Es
wird oft die Behauptung: die Juden seien viel reicher als die
Christen, durch den Einwand zu widerlegen versucht : man lasse
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218
sich durch einzelne reiche Juden täuschen ; die große Masse der
Juden sei gar nicht reicher als die übrige Bevölkerung. Nun —
aus den folgenden Ziffern geht hervor, daß dieser Einwand nicht
berechtigt ist: sie zeigen, daß die Juden im ganzen um ein
mehrfaches, in zahlreichen Orten um ein vielfaches reicher sind
als ihre Umgebung. Man betrachte die Ziffern für Berlin und
Mannheim I Sie weisen den sechs- bis siebenfachen Reichtum
der gesamten jüdischen Bevölkerung im Vergleich mit den Christen
nach. Besonders lehrreich sind auch die Ziffern für die ober-
schlesischen Städte oder für die Stadt Posen, wo die Juden etwa
sechsmal so reich wie die übrige Bevölkerung sind : lehrreich, weil
es sich hier um sogenannte „arme" Judenschaften handelt. (Daß
übrigens auch in Rußland und Galizien, obwohl dort sehr arme
Judengemeinden leben, diese immer noch um ein vielfaches
reicher als die sie umgebende christliche Bevölkerung sind, darf
nach den wenigen, freilich sehr unzulänglichen, Statistiken eben-
falls nicht in Zweifel gezogen werden.)
Was die Ziffern der folgenden Tabellen anbelangt, so sind
die Bevölkerungszahlen der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 ent-
nommen.
Für das Großherzogtum Baden sind des Vergleiches mit den folgenden
Zahlen wegen wiedergegeben die Zahlen für die Amtsbezirke mit über
30000 Einwohnern (außer den Amtsbezirken Waldshut, Heidelberg, Sins-
heim, Mosbach, da sich für diese Amtsbezirke nicht die späteren ent-
sprechenden Zahlen ermitteln ließen).
Die allgemeinen Steuerbeträge sind für die preußischen Städte der
Statistik des kgl. preuß. Finanzministeriums, die Voranschläge der all-
gemeinen Kirchensteuern in Baden für 1908 dem Statistischen Jahrbuch
entnommen. Sie sind für Steuerkommissärbezirke wiedergegeben; es
wurden daher den Amtsbezirken die Zahlen für die entsprechenden Steuer-
kommissärbezirke gegenübergestellt bzw. erst berechnet.
Wie aber sollte man den von den Juden aufgebrachten Steuerbetrag
ermitteln ? Die allgemeinen Steuerstatistiken sondern ihn nicht aus. Da bot
sich als eine wertvolle Quelle das „Handbuch der jüdischen Ge-
rn ei ndeverwaltung“, dessen Jahrgang für 1907 ich benutzt habe, um
die Ziffern denen der Volkszählung von 1905 möglichst anzunähem. In
diesem wird für jede Kultusgemeinde der von ihr erhobene Steuerbetrag
angegeben: von vielen Gemeinden in einer absoluten Ziffer mit dem Ver-
merke, wieviel Prozent diese Summe von dem Einkommen oder der Staats-
einkommensteuer ausmacht In diesem letzten Falle konnte die von den
Juden bezahlte Einkommensteuer ermittelt und nun der von der Gesamt-
bevölkerung des Bezirks aufgebrachten Steuer gegenübergestellt werden.
Die Ergebnisse dieser Berechnungen enthalten die Tabellen I und II für
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219
alle diejenigen Städte bzw. Bezirke, für die vergleichbare Ziffern zu er-
langen waren.
ln denjenigen Fällen, wo die Kultussteuern der jüdischen Gemeinden
in Prozenten des Einkommens angegeben waren, mußte das Gesamt-
einkommen aller Einwohner gegenübergestellt werden. Das war möglich
für Breslau und Frankfurt a. M. (Tab. III).
Was insbesondere noch die Zahlen für die Stadt Berlin be-
trifft, so sind sie auf eine besondere Weise ermittelt bzw. zusammen-
gestellt Sie sind dem Berliner Statistischen Amt von dem Beamten der
evangelischen Stadtsynode berichtet worden; dieser hat, laut persönlicher
Mitteilung, nach Einsicht in die Steuerlisten der katholischen, jüdischen usw.
Bevölkerung für die einzelnen Konfessionen die entsprechenden Angaben
zusammengestellt. Die Zahlen beziehen sich jedoch, was aus dem Berliner
Tabelle I
Stadt
Einwohner
Zahl d<
darunter
Juden
sr
Prozentueller
Anteil der
Juden an der
Gesamt-
einwohner-
zahl
Summe c
▼on
sämtlichen
Ein-
wohnern
ler aufgebrac
▼on den
Juden
hten Steuern
Prozentueller
Anteil der tob
den Juden
aufgebrachten
Steuern am
Gesamt-
steuerertrag
Aachen ....
144095
1665
1,16
1672 641
130 357,14
7,79
Barmen. . . .
156 080
584
0,87
1502 489
26333,33
1,75
Berlin ....
2484285
125 728
5,06
34 182231
10 517 535,—
80,77
Beuthen . . .
60 076
2 425
4,04
327 402
88 086,42
26,90
Bielefeld . . .
71796
838
1,16
622 985
44 873,24
7,20
Bochum. . . .
118464
1043
0,88
760 951
40000,—
5,26
Bonn
81 996
1202
1,47
1480 565
53802,40
8,76
Brandenburg .
51 289
273
0,58
353 394
8 125,—
2,80
Bromberg. . .
54281
1513
2,79
455 059
62 500 —
18,78
Crefeld ....
110344
1884
1,66
1 121 652
73 638,50
6,57
Dortmund. . .
175 577
2104
1,20
1503 532
78471,67
5,22
Düsseldorf . .
258 274
2 877
1,14
3546139
125 723,08
8,55
Duisburg . . .
Elberfeld . . .
192 846
1035
0,54
1503379
81 111,—
2,07
162 858
1754
1,08
1841053
70000 —
8,80
Essen
231860
2 411
1,04
2 250 853
104 888,89
4,66
Frankfurt a. 0.
64304
755
1,17
440289
30224,-
6,86
Gelsenkirchen.
147 005
1171
0,80
735 067
22 000,-
2,99
Gleiwitz . . .
61 826
1962
8,20
288256
68 894,31
28,90
Kiel
168 7721
470
0,29
1428488
11 272,73
0,79
Koblenz . . .
53 897
638 j
1,18
623 019
2 692,31
0,48
Königshütte .
Magdeburg . .
Mülheim a. Bh.
66 042i
990
1,50
172 165
25 000,—
14,52
240 688
1935
0,80
2 581 680
102 500,-
8,58
50 811
263
0,52
349 034
7 666,67
2,20
Mülheim a. d. B.
München-Glad-
93 599
747
0,80
687 254
18533,33
2,70
bach ....
60 709
784
1,29
579441
40000 —
6,90
Münster . . .
81468
510
0,68
878 328
23 000,—
2,68
Oberhausen . .
52166
380
0,68
292 768
4571,43
1,56
Osnabrück . .
59 580
474
0,80
420 051
11 428,57
2,72
Posen ....
186 808
5 761
4,21
1 017 173
244521,—
24,02
Wiesbaden . .
100958
2651
2,68
2487 644
200 000,—
8,20
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220
Tabelle n
Amtsbezirke mit
über
30 000 Einwohnern
Bevölk
im ganzen
erung (1. D
darunter
Juden
•ez. 1905)
Juden in Pro-
zenten der
Gesamt-
berOlkerung
V ermOgen b« teuer-
en söhlige für An-
gehörige der drei
Konfessionen,
aufgestellt zum
Zwecke der
Kirchensteuer
(1908)
Konstanz
59 912
1178
1,97
190465 900
Villingen
30263
61
0,20
62 568 600
Emmendingen ....
52 393
642
tm
122 239 100
Freiburg
104951
1124
1,07
615 656600
Lörrach
46420
287
0,62
114 386 600
Lahr
43445
373
0,86
123 282 000
Offenburg
62 826
461
0,78
146046 700
Rastatt
65 996
411
0,62
104087 800
Bruchsal
68196
1088
1,60
120 169 500
Durlach
43274
471 1
1,09
67 422 900
Karlsruhe
151222
2 891
1,91
648 721 500
Pforzheim
94161
664
0,71
316 369 900
Mannheim
195 723
6273
3,21
880 576 800
Schwetzingen ....
35 674
235
0,66
48702200
Baden
32 858
228
0,68
229 542 100
Bühl
32 227
212
0,66
73 619300
Großherzogtum Baden
2 010 728
25 893
1,29
6 091 568350
Tabelle ffl
Stadt
Gesamt-
bevOlke-
rung
Zahl der
Juden
Anteil der
Juden an
der
Gesamt-
berölke-
rung
Gesamtein-
kommen
aUer
Steuer-
zahler
Ein-
kommen
der
Juden
Anteil des
Einkom-
mens der
Juden am
Gesamtein-
kommen
Breslau . . .
Frankfurt a.M.
470 904
334978
20 356
23476
4,8 °/o
7,0%
213 635 475 43 347 482
461 lUöOO'üeOOOOOOj
20,8 °/o
20,8%
Jahrbuch nicht ersichtlich ist und auch dem Amte nicht bekannt war,
auf Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Teile von Wilmersdorf. Um den
Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung zu berechnen, war daher die Gesamt-
bevölkerung dieses kleinen Großberlins zugrunde zu legen (Wilmersdorf ganz).
Sämtliche Berechnungen hat in meinem Aufträge Herr Dr. Rudolf
Meerwarth ausgeführt.
Fragen wir nun wieder nach der Bedeutung, die solcherart
hervorragender Geldbesitz für das ökonomische Schicksal der
Juden haben mußte, so ist diese offensichtlich ganz allgemeiner
Natur wie gleich des näheren darzulegen sein wird.
Es muß aber auch der besonderen Bedeutung Erwähnung
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221
Tabelle II
Vermögens-
steueransehl&ge
der Juden
Prozente der
Vermögens-
steuer der Juden
▼on der Gesamt*
Vermögens-
steuer
Einkommen-
steuer&nsohlftge
für Angehörige
der drei Kon-
fessionen, auf-
gestel t zum
Zwecke der
Kirohensteuer
(1908)
Binkommen-
steueranschlkge
der Juden
Prozente der Ein-
kommensteuer
der Juden von
der Gesamt-
einkommen-
Steuer
17 916 700
9,41
12 022370
999875
8,32
352 500
0,56
3462 385
30 575
0,88
3 987 500
8,26
6149025
235 400
8,88
32 246 200
5,24
31 776 190
1549 925
4,88
1523 300
1,88
6975 295
105 775
1,62
2 062 500
1,67
6125 375
130900
2,14
3 344 700
2,29
8519845
270 450
847
3254 000
8,18
6 979 410
225 100
8,28
21 097 300
17,66
7 552 155
1294700
17,14
3 891500
5,77
4956610
186 800
8,77
75675 300
11,67
48 908525
5413900
11,07
16 535 100
5,28
30088870
1670435
5,55
252 393 000
28,66
77 667 915
17 377 975
22,87
3384100
6,95
4115 375
112 450
2,78
7 596 900
8,40
10409 020
400 725
8,85
2 951 300
4,01
3 101 070
168 050
5,42
512 800 650
8,42
379078795
! 34 328370
9,06
geschehen, die das Judengeld für jeweils diejenigen Staaten hatte,
die den Strom der Wandernden in sich aufnahm en. Für die
Gesamtentwicklung des Kapitalismus (der wir hier ja allein unser
Augenmerk schenken) kommt diese Sonderbedeutung insofern in
Betracht, als diejenigen Völker, die von den Juden gefördert wurden,
selbst wieder in so hervorragender Weise geeignet waren, die
kapitalistische Entwicklung zu fördern. Darum müssen wir die
Tatsache als wichtig verzeichnen, daß durch die Wanderung der
reichen Juden sich eine Verschiebung des Edelmetallvorrats (wie
sie dann allmählich infolge der Neugestaltung der Handelsbezieh-
ungen sich einstellte) plötzlich vollzog, die auf den Gang des
Wirtschaftslebens nicht ohne tiefgreifende Wirkung beiben konnte :
Spanien und Portugal wurden leer gepumpt; Holland und Eng-
land angefüllt.
Und es läßt sich nun ziemlich deutlich verfolgen, wie es
zum guten Teile das Geld der Juden ist, mit dem die groben
kapitalheischenden Unternehmungen des 17. Jahrhunderts ins
Leben gerufen werden.
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222
Wie die Expedition des Columbus nicht möglich gewesen
wäre, hätten die reichen Juden ein Menschenalter früher Spanien
verlassen, so würden voraussichtlich die groben Indienkompagnien
ebenso wenig wie die groben Banken, die im 17. Jahrhundert
entstehen, in gleicher Mächtigkeit lebig geworden sein, wäre
nicht der beträchtliche Reichtum der flüchtigen Juden den Hol-
ländern, Engländern, Hamburgern zu Hilfe gekommen, wären
also die Juden ein Jahrhundert später aus Spanien und Portugal
vertrieben worden.
Damit sind wir aber schon mitten in der allgemeinen Be-
wertung des jüdischen Reichtums, der natürlich darum so be-
deutsam war, weil er die Inangriffnahme aller kapitalistischen
Werke, wenn nicht überhaupt ermöglichte, so wesentlich er-
leichterte : Bankgründungen , Verlegertätigkeit, Börsenspekula-
tion — all dieses wurde den Juden leichter als den andern in
dem Mabe als ihre Taschen reicher gefüllt waren. Was ja Selbst-
verständlichkeiten sind.
Auch dab ihr Reichtum sie befähigte, die Bankiers der
Könige zu werden, ist eine Feststellung, die nicht allzuviel Auf-
wand an Scharfsinn erheischt.
Dagegen verdient ein anderer Umstand, der ebenfalls mit
dem Geldbesitz der Juden im Zusammenhänge steht, etwas heller
beleuchtet zu werden. Ich meine den ausgiebigen Gebrauch,
den die Juden von ihrem Gelde zu Leihezwecken machten.
Diese besondere Verwendungsart nämlich (an deren allgemeiner
Verbreitung nicht gezweifelt werden kann) ist offenbar eine der
wichtigsten Vorbereitungen für den Kapitalismus selbst geworden.
Wenn die Juden in jeder Hinsicht sich als geeignet erweisen,
die kapitalistische Entwicklung zu fördern, so verdanken sie das
ganz gewib nicht zuletzt ihrer Eigenschaft als Geldleiher (im
Groben wie im Kleinen).
Denn:
aus der Geldleihe ist der Kapitalismus geboren.
Seine Grundidee ist schon in der Geldleihe im Keime enthalten ;
seine wichtigsten Merkmale hat er aus der Geldleihe empfangen.
In der Geldleihe ist alle Qualität ausgelöscht und der
wirtschaftliche Vorgang erscheint nur noch quantitativ be-
stimmt.
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223
In der Geldleihe ist das Vertragsmäßige des Geschäfts das
Wesentliche geworden: die Verhandlung über Leistung und
Gegenleistung, das Versprechen für die Zukunft, die Idee der
Lieferung bilden seinen Inhalt.
In der Geldleihe ist alles Nahrungsmäßige verschwunden.
In der Geldleihe ist alle Körperlichkeit (alles „Technische“)
ausgemerzt: die wirtschaftliche Tat ist rein geistiger Natur
geworden.
In der Geldleihe hat die wirtschaftliche Tätigkeit als solche
allen Sinn verloren: die Beschäftigung mit Geldausleihen hat
aufgehört, eine sinnvolle Betätigung des Körpers wie des Geistes
zu sein. Damit ist ihr Wert aus ihr selbst in ihren Erfolg ver-
rückt. Der Erfolg allein hat noch Sinn.
In der Geldleihe tritt zum ersten Male ganz deutlich die
Möglichkeit hervor, auch ohne eigenen Schweiß durch eine wirt-
schaftliche Handlung Geld zu verdienen ; ganz deutlich erscheint
die Möglichkeit: auch ohne Gewaltakt fremde Leute für sich
arbeiten zu lassen.
Man sieht : in der Tat sind alle diese eigentümlichen Merk-
male der Geldleihe auch die eigentümlichen Merkmale aller
kapitalistischen Wirtschaftsorganisation.
Dazu kommt nun noch, daß ein recht beträchtlicher Teil
des modernen Kapitalismus historisch aus der Geldleihe (dem
Vorschuß, dem Darlehn) erwachsen ist. Überall nämlich dort,
wo wir die Form des Verlags als die Urform der kapitalistischen
Unternehmung finden. Aber auch dort, wo diese aus Kommenda-
verhältnissen erwachsen ist. Und schließlich doch auch dort,
wo sie in irgend welcher Aktienform, zuerst aufgetreten ist.
Denn in höchstprinzipieller Konstruktion ist doch die Aktien-
gesellschaft nichts anderes als ein Geldleihegeschäft mit un-
mittelbar produktivem Inhalt.
So haben wir denn in der Ausübung des Geldleihegeschäfts
abermals einen Umstand aufgedeckt, der die Juden objektiv be-
fähigte, kapitalistisches Wesen zu schaffen, zu fördern, zu ver-
breiten. Aber die letzten Ausführungen haben uns doch schon
einen Schritt weiter gebracht: über das Gebiet der rein ob-
jektivistischen Deutung hinaus. Stecken in der Qualifikation zum
Kapitalismus, die das Geldleihegeschäft erzeugt, nicht schon
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224
psychologische Elemente, die also auf eine bestimmte Eigenart
des Geldleihers schließen lassen?
Diese Frage müssen wir erweitern zu der allgemeinen Frage :
ob die hier dargelegten „objektiven“ Umstände überhaupt hin-
reichen, die wirtschaftliche Rolle der Juden zu erklären ; ob also
überhaupt die rein objektivistische Deutung ihrer Wirksamkeit
sich als ausreichende Begründung erweist, oder ob nicht etwa
diese „Begründung“ so etwas wie eine jüdische Eigenart als
Glied in der Kausalkette notwendig macht. Ehe wir aber
dieser Frage (im zwölften Kapitel) nähertreten, muß sich unsere
Aufmerksamkeit einem Phänomen von ganz besonderer Eigenart
zuwenden, aus Gründen, die im Ein g an g zum folgenden Kapitel
dargelegt werden: der Religion der Juden.
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225
Elftes Kapitel
Die Bedeutung der jüdischen Religion für das Wirtschaftsleben
Vorbemerkung
Warn ich hier in einem besonderen Kapitel die Religion
des jüdischen Volkes in Betracht ziehe und den Nachweis zu
führen versuche, daß sie eine überragend große Bedeutung für
die Leistungen der Juden bei der Herausbildung des Kapitalismus
gehabt habe, so bestimmt mich dazu erstens die Erwägung, daß
die Wichtigkeit dieses Erklärungsmomentes neben den andern
„objektiven“ Umständen in der Tat nur dann zu einer richtigen
Anerkennung gelangt, wenn man in verhältnismäßig großer Aus-
führlichkeit und in eigenem Rahmen diese Seite des Juden-
problems abhandelt.
Sodann aber erscheint mir eine gesonderte Erörterung des
Religionsproblems durch die ganz und gar besondere Methode
erheischt, die bei seiner Darstellung angewandt werden muß«
Endlich spricht für diese Gruppierung des Stoffes der Umstand,
daß die Einwirkung der Religion auf das wirtschaftliche Ver-
halten der Gläubigen schon gar nicht mehr nur unter der
Kategorie der rein objektiven Verumständungen begriffen werden
kann, sintemal die Religion selber ja schon deutlich als der
Ausdruck einer besonderen Geistesrichtung, also einer subjektiven
Eigenart, erscheint (wie freilich hier noch nicht des näheren aus-
zuführen ist). Anderseits tritt das Religionssystem, in das der
einzelne hineingeboren wird, diesem doch als ein fest gegebenes
„Objektives“ gegenüber. Und was die Ausübung religiöser
Pflichten etwa an Wirkungen auf das wirtschaftliche Voll-
bringen im Gefolge hat, kann in gewissem Sinne ebenso zu
den objektiven Ursachen gerechnet werden, wie die Wirkungen,
Sombart, Die Juden 15
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226
die aus einer bestimmten Rechtslage folgen. Schließlich aber
erscheint das Religionssystem in häufigen Fällen selbst als Ur-
sache, sei es bestimmter äußerer Schicksalsfügungen des jüdischen
Volkes (eben der von uns hervorgehobenen „objektiven Um-
stände“), sei es bestimmter Eigenarten des jüdischen Wesens.
Die Religion steht also gleichsam zwischen den objektiven und
(etwaigen I) subjektiven Befähigungsgründen mitteninne und ver-
dient auch deshalb einen besonderen Platz in der Ordnung dieses
Buches, den ich ihr in diesem Kapitel hiermit anweise.
I. Die Wichtigkeit der Religion für das jüdische Volk
Daß die Religion eines Volkes oder einer Gruppe innerhalb
des Volkes von großer Bedeutung für die Gestaltung des Wirt-
schaftslebens werden kann, dürfen wir als zweifellos annehmen.
Noch unlängst hat uns Max Weber den Zusammenhang auf-
gedeckt, der zwischen Puritanismus und Kapitalismus besteht.
Und gerade Max Webers Untersuchungen haben ein gut Teil
Schuld an der Entstehung dieses Buches : sie mußten jeden auf-
merksamen Beobachter vor das Problem stellen, ob denn nicht
etwa das, was Weber dem Puritanismus zuschreibt, schon lange
vorher und später in erhöhtem Maße von dem Judaismus ge.
leistet sei; ja: ob denn das, was wir Puritanismus nennen, in
seinen Wesenszügen nicht eigentlich Judaismus sei. Wir werden
über diese innere Verwandtschaft der beiden Religionen noch
mehr im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen zu erfahren
haben.
Haben aber andere Religionssysteme, wie der Puritanismus,
Einfluß auf die Gestaltung des Wirtschaftslebens ausgeübt, so
dürfen wir ohne weiteres annehmen, daß es der Judaismus auch
getan habe, weil ja wohl bei keinem andern Kulturvolke die
Religion eine so große Bedeutung gehabt hat wie bei den Juden.
Die Religion war ja bei ihnen nicht nur eine Angelegenheit
der Sonntage und der Feste, sondern sie durchdrang das Alltags-
leben bis in die kleinsten Verrichtungen hinein. Alle Lebens-
verhältnisse erhielten ihre religiöse Weihe. Bei jedem Tim und
Lassen wurde — wie man weiß und wie wir im einzelnen noch
erfahren werden — die Erwägung angestellt: ob die göttliche
Majestät damit anerkannt oder verleugnet werde. Nicht nur die
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227
Beziehungen zwischen Mensch und Gott regelt das jüdische
„Gesetz“, nicht nur einem metaphysischen Bedürfnisse kommen
die Sätze der Religion entgegen : auch für alle andern denkbaren
Beziehungen zwischen Mensch und Mensch oder zwischen Mensch
und Natur enthalten die Religionsbücher die bindende Norm.
Das jüdische Recht bildet ebenso einen Bestandteil des Religions-
systems wie die jüdische Sittenlehre. Das Recht ist von Gott
gesetzt und sittlich gut und Gott gefällig; sittliches Gesetz und
göttliche Verordnung sind für das Judentum völlig untrennbare
Begriffe 428 . In konsequenter Auffassung gibt es sogar gar keine
selbständige „Ethik des Judentums“. „Die jüdische Sittenlehre
bildet den inneren Quell, genauer das sachliche Prinzip der
jüdischen Glaubenslehre. Die jüdische Ethik ist das Prinzip der
jüdischen Religion. Sie ist das Prinzip und nicht die Kon-
sequenz. Sie kann aus der jüdischen Religion nur in dem Sinne
abgeleitet werden, wie man die Axiome aus dem Lehrgehalt der
mathematischen Sätze ableitet ... Es besteht eine imabtrenn-
bare, unauflösliche Einheit zwischen der jüdischen Sittenlehre
und der jüdischen Gotteslehre . . . Die jüdische Sittenlehre ist
nichts anderes als die jüdische Glaubenslehre.“ 424
Bei keinem Volke ist aber auch so gut wie bei den Juden
Vorsorge getroffen, daß der Geringste die Vorschriften der
Religion auch wirklich kennt. Schon Josephus meinte: bei den
Juden könne man den ersten besten über die Gesetze befragen :
er werde sämtliche Bestimmungen leichter hersagen als seinen
eigenen Namen. Der Grund liegt in der systematischen Aus-
bildung, die jedes Judenkind in Religionssachen erfährt; liegt
in der Einrichtung, daß der Gottesdienst selber zu einem guten
Teile dazu benutzt wird, Stellen aus den heiligen Schriften vor-
zulesen und zu erläutern, so zwar, daß während des Jahres
einmal die ganze Thora zur Verlesung kommt; liegt darin, daß
nichts so sehr dem einzelnen eingeschärft wird als die Ver-
pflichtung zum Thorastudium und Schemalesen. „In der heiligen
Schrift (Deut. 6, 5) heißt es mit Bezug auf die Gebote und Vor-
schriften Gottes: ,Du sollst davon reden, wenn du zu Hause
sitzest, wenn du auf Reisen bist, wenn du dich niederlegst und
wenn du aufstehst*“. 426
Aber kein zweites Volk ist wohl auch so streng in den
Bahnen gewandelt, die Gott ihm gewiesen, hat die Vor-
15*
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228
Schriften der Religion so peinlich zu befolgen sich bemüht wie
die Juden.
Man hat gesagt, die Juden seien das „unfrömmste“ aller
Völker. Ich will hier nicht entscheiden, mit welchem Rechte
man das von ihnen behauptet. Sicherlich aber sind sie gleich-
zeitig das „ gottesfürchtigste “ Volk, das jemals auf Erden ge-
wandelt ist. In zitternder Angst haben sie immer gelebt, in
zitternder Angst vor Gottes Zorn. „Ich fürchte mich vor Dir,
daß mir die Haut schaudert und entsetze mich vor Deinen Ge-
richten.“ Diese Worte des Psalmisten (119, 120) haben zu allen
Zeiten für das jüdische Volk ihre Gültigkeit bewahrt „Heil
dem Menschen, dem allezeit bange ist“ (vor Gott), Prov. 28, 14.
„Die Frommen“, sagt Tanchuma Chukkat 24, „legen die Furcht
nicht ab.“ 4M Welch ein Gott aber auch, was für ein schreck-
haftes, grauenerregendes Wesen, das so fluchen kann, wie Jahve!
Es ist wohl niemals wieder in der Weltliteratur, weder vorher
noch nachher, so viel Übles Menschen angedroht worden, wie in
dem berühmten 28. Kapitel des Deuteronomiums Jahve dem an
den Hals wünscht, der seine Gebote nicht befolgt.
Dieser starken Macht: der Gottesfurcht (im engen Wort-
sinn) sind dann aber im Lauf der Geschichte noch andere Mächte
zu Hilfe gekommen, die in gleicher Weise wie jene den Juden
die peinliche Befolgung der religiösen Vorschriften förmlich auf-
gedrängt haben. Ich meine vor allem ihr Schicksal als Volk
oder Nation. Daß der jüdische Staat zerstört wurde, hat es be-
wirkt, daß die Pharisäer und Schriftgelehrten, das heißt die-
jenigen Elemente, die die Tradition Esras pflegten und die Ge-
setzeserfüllung zum Kernwert machen wollten, daß diese Männer,
die bis dahin höchstens moralisch geherrscht hatten, nunmehr
an die Spitze der gesamten Judenschaft gehoben und also in die
Lage versetzt wurden , diese ganz und gar in ihre Bahnen zu
lenken. Die Juden, die aufgehört hatten, einen Staat zu bilden,
deren nationale Heiligtümer zerstört waren, sammeln sich nun
unter der Führung der Pharisäer um die Thora (dieses „portative
Vaterland“ wie es Heine genannt hat); werden eine religiöse
Sekte, die von einer Schar von frommen Schriftgelehrten gelenkt
wird (etwa als wenn die Jünger Loyolas die versprengten
Angehörigen eines modernen Staates um sich scharen würden).
Die Pharisäer treten die Erbschaft der gestürzten Machthaber
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229
an. Ihre vornehmsten Babbinen bilden ein Kollegium, das als
Fortsetzung des alten Synedriums sich betrachtete und galt, und
das nunmehr die oberste Instanz in allen geistlichen und welt-
lichen Angelegenheiten für alle Juden auf der Erde wurde 4iT .
Damit war also die Herrschaft der Rabbinen begründet, die dann
nur durch die Schicksale, die die Juden wahrend des Mittel-
alters erlitten, immer mehr befestigt wurde, und die so drückend
wurde, daß sich die Juden selbst zuweilen über das schwere
Joch beklagten, das ihnen ihre Rabbinen auflegten. Je mehr
die Juden von den Wirtsvölkem abgeschlossen wurden (oder
sich abschlossen), desto größer natürlich wurde der Einfluß der
Rabbinen ; desto leichter also konnten diese die Judenschaft zur
Gesetzestreue zwingen. Das Leben in der Gesetzeserfüllung,
zu dem ihre Rabbinen sie anhielten, mußte aber den Juden auch
aus inneren Gründen, aus Herzensgründen, als das wertvollste
Leben erscheinen: weil es das einzige war, das ihnen inmitten
der Verfolgungen und Demütigungen, denen sie von allen Seiten
ausgesetzt waren, ihre Menschenwürde und damit überhaupt eine
Daseinsmöglichkeit gewährte. Die längste Zeit war das Religions-
system im Talmud eingeschlossen, und dieser ist es darum auch,
in dem, für den, durch den die Judenschaft Jahrhunderte hin-
durch allein gelebt hat. Der Talmud wurde „das Grundbesitztum
des jüdischen Volkes, sein Lebensodem, seine. Seele“. Er wurde
vielen Geschlechtern eine „Familiengeschichte“, in der sie sich
heimisch fühlten, denn „sie lebten und webten, der Denker in
dem Gedankenstoffe , der Gemütvolle in den verklärten Ideal-
bildern. Die äußere Welt, die Natur und die Menschen, die
Gewaltigen und die Ereignisse waren für die Generationen über
ein Jahrtausend unwichtig, zufällig, ein bloßes Phantom, die
wahre Wirklichkeit war der Talmud“ 428 . Man hat treffend den
Talmud (von dem mir in besonders hohem Maße gilt, was doch
von den jeweils herrschenden Religionsbüchem im allgemeinen zu
sagen ist) mit einer Kruste verglichen, mit der sich die Juden
während des Exils umgaben : sie machte sie gegen jeden äußeren
Reiz unempfindlich und schützte ihre innere Lebenskraft 429 .
Was uns hier einstweilen zu erfahren am Herzen liegt, ist
dieses: daß eine Reihe von äußeren Umständen dazu verhelfen,
die Juden bis in die neue Zeit hinein mehr als irgendein anderes
Volk in der Furcht des Herrn zu bewahren, sie religiös bis in
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230
die Knochen zu machen ; oder wenn man an dem Worte religiös
Anstand nimmt: eine allgemeine und strenge Erfüllung der
Religionsvorschriften bei Hoch und Niedrig lebendig zu erhalten.
Wichtig für unsere Zwecke ist vor allem, festzustellen, daß
diese Strenggläubigkeit nicht etwa nur in der großen Masse des
jüdischen Volkes angetroffen wird, sondern gerade auch bei den-
jenigen Juden, die wir so entscheidenden Einfluß auf den Gang
des Wirtschaftslebens haben ausüben sehen. Selbst die Marranen
des 16., 17. und 18. Jahrhunderts müssen wir uns als orthodoxe
Juden vorstellen. „Die Marranen oder geheimen Juden (so urteilt
über sie einer der besten Kenner jener Epoche der jüdischen
Geschichte) 480 gehörten in überwiegender Mehrzahl dem Juden-
tum weit inniger an, als allgemein angenommen wird. Sie
fügten sich dem Zwange (Anussim) und waren Christen zum
Schein, dabei lebten sie als Juden und beobachteten die Gesetze
und Vorschriften der jüdischen Religion ..." Sie machten kein
Feuer am Sabbat, hatten ihren bestimmten Schlächter, der
rituell schlachtete, ebenso einen Mann, der ihre Kinder be-
schneiden ließ usw. „Diese bewundernswerte Treue“, meint unser
Gewährsmann, „wird erst dann völlig erkannt und gewürdigt
werden können, wenn das überreiche Aktenmaterial, das in den
Staatsarchiven zu Alcalä de Henares und Simancas sowie in
mehreren Archiven Portugals aufgehäuft ist . . . gesichtet und
bearbeitet sein wird.“
Wir wissen aber auch, daß unter den Juden selbst die An-
gesehensten, die Reichsten auch die besten Talmudkenner waren.
Talmudstudium war jahrhundertelang die Brücke zu Ehren,
Reichtum, Gunst unter den Juden. Die größten Talmudgelehrten
waren zumeist gleichzeitig die geschicktesten Finanzmänner,
Ärzte, Juweliere, Kaufleute. Von vielen z. B. spanischen Finanz-
ministem, Banquiers , Leibärzten wissen wir, daß sie wie die
ganz Frommen nicht nur am Sabbat, sondern außerdem noch
zwei Nächte in der Woche sich ausschließlich mit dem Studium
der heiligen Schriften befaßten. Dasselbe wird vom alten
Amschel Rothschild erzählt, der 1855 starb. Der lebte streng
nach dem jüdischen Gesetze und aß nie einen Bissen an fremder
Tafel, auch wenn er neben dem Kaiser saß. Von ihm berichtet
ein Augenzeuge, der in der Nähe des Barons gelebt hat, wie er
den Sabbat feierte : „Er gilt für den frömmsten Juden von ganz
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231
Frankfurt. Ich habe nie einen Menschen sich so peinigen, die
Brust zerschlagen, zum Himmel aufschreien, zum Allvater auf-
weinen sehen wie den Baron Rothschild am langen Tage in der
Synagoge. Von den Anstrengungen des unausgesetzten Betens
und seiner fortwährenden Teilnahme am Gesang fällt er häufig
ohnmächtig hin : es werden ihm dann starke narkotische Pflanzen
aus seinem Garten vor die Nase gehalten, um ihn wieder zur
Besinnung zu bringen“ 481 . Aber auch sein Neffe, der letzte
Frankfurter Rothschild, Wilhelm Karl, der 1901 starb, hat das
Ritualgesetz noch bis in seine letzten Verzweigungen hinein be-
obachtet: Da es dem frommen Juden verboten ist, unter be-
stimmten Umständen Dinge zu berühren, die durch frühere Be-
rührung „unrein“ geworden sind, so ging diesem Rothschild
immer ein Diener voraus, der die Türklinke abwischte ; und das
Papiergeld, das Baron Rothschild in die Hand nahm, muhte eben
erst die Druckpresse verlassen haben : er berührte keinen Schein,
der schon durch mehrere Hände gegangen war.
Wenn so ein Rothschild lebt, dann wird es uns nicht in
Erstaunen setzen, wenn wir heute noch dem jüdischen Geschäfts-
reisenden begegnen, der ein halbes Jahr lang keinen Bissen
Fleisch genießt, weil er selbst in den als koscher bezeichneten
Restaurants der fremden Städte nicht sicher ist, daß die Schäch-
tung wirklich nach strengem Ritus erfolgt ist.
Heute findet sich das ganz strenge Judentum kompakt nur
noch im Osten Europas. Dort muß man es studieren: durch
Augenschein oder mit Hilfe der vielen guten Schriftwerke, die
von ihm handeln oder auch von ihm selbst herrühren. Im
Westen Europas bilden heute die orthodoxen Juden nur noch
die Minderheit der Judenschaft. Will man aber die Einwirkung
der jüdischen Religion auf das Wirtschaftsleben feststellen, so
muß man natürlich den echten, unverfälschten Judenglauben
nehmen, der ja doch auch im Westen bis vor ein paar Menschen-
altem der herrschende war, und der allein es sicher gewesen
ist, dessen Fahnen die Judenschaft zu so vielen Siegen geführt
haben.
£L Die Quellen der jüdischen Religion
Mohamed hat die Juden das Volk des Buches genannt.
Und das mit Recht. Es gibt kaum ein Volk, das so ganz nacli
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einem Buche gelebt hat, wie die Juden. Ihre Religion war
immer in einem bestimmten Buche verkörpert, und diese Bücher
sind [demnach auch als die „Quellen“ der jüdischen Religion zu
betrachten. Es sind im Ablauf der Jahrhunderte folgende ge-
wesen , die sich (wie wir noch sehen werden) zu bestimmten
Zeiten ergänzt haben und noch ergänzen : !
1. bis zur Zerstörung des zweiten Tempels „die Bibel“, unser
Altes Testament: in Palästina in hebräischer Sprache ge-
lesen, in der Diaspora vielfach in griechischer Sprache : die
sogenannte Septuaginta;
2. seit dem zweiten bezugsweise sechsten nachchristlichen
Jahrhundert der Talmud (insbesondere der babylonische
Talmud), der bekanntermaßen der Mittelpunkt des jüdischen
Religionslebens wurde;
3. der Kodex des Maimonides, der im 12. Jahrhundert entstand ;
4. der Kodex, die „Turim“, des Jakob von Ascher (1248 — 1340) ;
5. der Kodex des Joseph Karo : der Schulchan Aruch (16. Jahrh.).
Diese „Quellen“, aus denen die jüdische Religion entsprungen
ist, nehmen ein ganz und gar verschiedenes Gesicht an, je nach-
dem wir sie mit den Augen des wissenschaftlichen Forschers
oder mit denen des gläubigen Juden betrachten.
Jener sieht, was die Quellen „in Wirklichkeit“ gewesen sind,
diesem erscheinen sie in verklärtem Lichte.
Jene realistische Ansicht interessiert uns hier nur in unter-
geordnetem Maße. Danach ergibt sich etwa folgendes Bild:
Die Bibel, unser Altes Testament, das Fundament, auf das
sich das Judentum aufbaute, ist ein von den verschiedensten
Schriftstellern bunt zusammengesetztes Mosaik 48 *.
Die Thora, das heißt die Fünf Bücher Mosis, die den wichtig-
sten Bestandteil des jüdischen Religionssystems bildet, ist in
ihrer heutigen Gestalt nach Esra durch die Einrenkung und
Durcheinanderschiebung zweier fertiger Werke entstanden: des
alten mit dem neuen Deuteronomium verbundenen Gesetzbuches
einerseits (etwa 650) und des Esraischen Stiftshüttengesetzbuches
anderseits (440). Den Kern der Thora bilden also zwei Gesetz-
bücher: das Gesetz des sog. Deuteronomikers: Deut. 5, 45 — 26, 69
(um 650 entstanden), und das Gesetz Esras und Nehemias:
Ex. 12, 25—31; 35 bis Lev. 15; Num. 1—10; 15—19; 27—36
(um 445 entstanden): um sie herum schlingt sich eine ausführ-
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liehe Geschichtserzählung. Ihren Charakter — das ist das
Wichtige — hat die Thora (und damit die jüdische Religion)
erhalten durch die beiden auf Anregung der babylonischen
Judenschaft nach Palästina entsandten Statthalter des Perser-
königs: Esra und Nehemia , die den Priesterkodex und mit ihm
die strenge Gesetzlichkeit einführen.
Mit Esra und dem von ihm begründeten Sopherismus
nimmt das Judentum in der Gestalt, in der es heute noch be-
steht, seinen Anfang. Seit der Einführung des Gesetzes durch
Esra und Nehemia im Jahre 445 v. Chr. ist das Judentum
aber auch fast unverändert bis auf den heutigen Tag geblieben.
Neben der Thora interessieren uns von den Schriften des
Alten Testaments noch diejenigen, die von der heutigen Wissen.
Schaft als Weisheitsliteratur zusammengefa&t werden. Zu ihnen
gehören : Psalmen, Job, Ecclesiastes, das Buch Jesus Sirach, die
Sprüche Salomonis (Proverbien). Die Literatur der Chokmah ge-
hört ganz der nachexilischen Zeit an, da erst in ihr die histo-
rischen Bedingungen zu ihrer Entstehung gegeben sind ; ihre Vor-
aussetzung ist das Gesetz mit seiner durch die Erfahrung des
Exils zur unerschütterlichen Wahrheit gewordenen Lehre, daß
Gott auf die Erfüllung seiner Gebote Leben, auf Übertretung
Tod gesetzt habe. Die Chokmah beschränkt sich (im Gegensatz
zu Prophetie und Apokalyptik) auf das praktische Leben. Die
einzelnen Schriften sind meist Ablagerungen einer langen Ent-
wicklung und stammen zum Teil aus ganz früher Zeit, die
Proverbien, die für unsere Zwecke wichtigste Schrift, aus der
Zeit um 180 v. Chr. 488 .
Von der Bibel gehen zwei Ströme aus: der eine, dessen
Quelle vornehmlich die griechische Septuaginta ist, mündet teils
in der hellenistischen Philosophie, teils im paulinischen Christen-
tum (und kommt für uns nicht mehr* in Betracht); der andere,
der an die in Palästina hebräisch gelesene Bibel anknüpft,
mündet in dem jüdischen „Gesetz“ , ist also derjenige , dessen
Lauf wir zu verfolgen haben.
Die spezifisch jüdische Weiterentwicklung der heiligen
Schriften nimmt ihren Anfang schon zur Zeit des Esra; sie ist
im wesentlichen das Werk der alten Sopherim, zu dem das Zeit-
alter der großen Schulen Hillel und Schammai nur ausgestaltend
und ergänzend das Seinige hinzufügte. Die Weiterentwicklung
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besteht äußerlich in den Auslegungen, Erläuterungen und Er-
gänzungen der heiligen Schriften durch die Schriftgelehrten, die
meist in der von der hellenistischen Umwelt in Aufnahme ge-
brachten Form der Disputation gegeben wurden. Inhaltlich be-
deutet die Weiterbildung eine Verschärfung des gesetzlichen
Formalismus der alten Schriften, die zu dem Zwecke vor-
genommen wurde, um das Judentum gegen den Ansturm der
hellenistischen Philosophie zu schützen. Wie denn die jüdische
Religion in allen ihren Entwicklungsepochen der Ausdruck einer
Reaktion gegen das Andringen auflösender Tendenzen gewesen
ist. Das Gesetz des Deuteronomikers war die Reaktion gegen
den Baalsdienst ; der Priesterkodex gegen den babylonischen Ein-
fluß; später die Kodizes des Maimuni, des Ascher, des Karo
gegen die spanische Kultur. So also sollten jetzt in den Jahr-
hunderten vor und nach Christi Geburt die Lehren der Tannaim
einen Schutzwall gegen die zersetzenden Einflüsse des Hellenis-
mus aufrichten 484 .
Die ursprünglich mündliche Tradition „der Weisen“ wurde
dann kodifiziert um das Jahr 200 durch R. Jehuda ha-Nassi (meist
schlechthin Rabbi genannt) : sein Werk ist die Mischna. An sie
knüpfen dann abermals die Auslegungen, Erläuterungen und Er-
gänzungen der Rabbinen an, die im 6. Jahrhundert durch die
Saboräer (500 — 550) fixiert werden. Die Erörterungen der
Gelehrten, die sich auf die Mischnaabschnitte beziehen, sind die
Gemara : die Verfasser der Gemara sind die Amoräer. Mischna und
Gemara zusammen bilden den Talmud, der selbst wieder, in einen
babylonischen und einen palästinensischen zerfällt. Jener ist der
wichtigere. In der von den Saboräem redigierten Gestalt wurde
der Talmud der Nachwelt überliefert. Nach ihnen hat der Tal-
mud schwerlich neue Zusätze erhalten.
Wer sich mit dem Geist des Talmud vertraut machen will, muß natürlich
den Text selber lesen. Er liegt jetzt größtenteils in deutscher Übersetzung
vor, deren Verfasser Lazarus Goldschmidt ist. Der Talmud hat die
Eigentümlichkeit, daß seine Teile zwar nach einer gewissen Folge geordnet,
wenn auch nicht immer zusammenhängend sind; jeder Traktat von einigem
Umfang jedoch berührt fast das ganze Gebiet des Talmud und bringt die
verschiedenen Teile in Beziehung zu einander. Wer demnach einen (oder
einige) der (63) Traktate ernstlich durchstudiert, erlangt hierdurch eine
ziemlich gute Kenntnis von dem Inhalt des Gesamtwerks, bekommt wenig-
stens die Fähigkeit, sich leicht in dem Wust zurechtzufinden. Zu ein-
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235
gehendem Studium eignet sich besonders der Traktat Baba mezia, nebst
seinen Brüdern, den beiden andern „Baben“. Baba mezia ist besonders ge-
druckt, übersetzt und mit einem guten Vorwort versehen von Dr. Sa mm t er.
1876.
Einen besonderen Zweig der talmudischen Literatur bilden die sog.
„kleinen Traktate“, die in den Talmudausgaben als Anhang aufgenommen,
aber auch gesondert erschienen sind. Es sind die Traktate: Derech Erez
Babba (etwa 3. Jahrh.), Aboth, Aboth derabbi Nathan, Derech Erez Sutta
(nach Zun z 9. Jahrh.). Diese Traktate nennt Zunz ethische Hagada, weil
sie das Bestreben haben, Lebensweisheit zu verkünden. Sie haben auf das
jüdische Volksleben großen Einfluß gewonnen und sind deshalb für uns
von besonderem Interesse. Nächst der Bibel sind sie am meisten in allen
Volksschichten verbreitet. Sie bildeten die Hauptlektüre für den Laien,
dem der Talmud unzugänglich war. Sie sind vielfach in Gebetbücher und
Erbauungsschriften aufgenommen worden. Jetzt liegen sie zum Teil auch
in verdeutschten besonderen Ausgaben vor: Rabbi Nathans System der
Ethik und Moral. Übers, von Kaim Pollak. 1905. Derech Erez Sutta,
übers, von Abr. Tawrogi. Königsb. In.-Diss. 1885. Derech Erez Babba,
übers, von Moses Goldberg. Bresl. In.-Diss. 1888.
Die nicht in die Mischna aufgenommenen Lehren, in denen der ge-
setzliche Inhalt zurücktritt, bilden die Tosephta, die auch aus der Zeit der
Tannaim stammt und ebenso gegliedert ist wie die Mischna, nämlich
systematisch.
Eine andere Klasse rabbinischer Schriftwerke schließt sich eng an
den Schrifttext an, den sie Schritt für Schritt erläutert. Diese Kommentare,
die Midraschim, sind teils halachischen , teils haggadischen Inhalts. Die
älteren, wesentlich halachischen Inhalts, sind 1. Mechilta über Exodus:
2. Siphra über Leviticus ; 3. Siphre oder Siphri über Numeri und Deutero-
nomium.
Targumim heißen die aramäischen Übersetzungen des A. T.
Daß der Talmud seit seiner Entstehung im Mittelpunkt des
jüdischen Religionslebens steht, ist bekannt. Seine universelle
Verbreitung war wesentlich eine Folge der mohamedanischen
Eroberungen. Zunächst wurde er Gesetzbuch und Grund-
verfassung für das jüdisch-babylonische Gemeinwesen, dessen
Würdenträger der Exilsfürst und die beiden Präsidenten der
talmudischen Hochschule waren (Gaone). Durch die Ausdehnung
des Islam erweiterte sich auch die Herrschaft des Talmud über
seine ursprünglichen Grenzen hinaus, insofern die entferntesten
Gemeinden mit dem Gaonat in Verbindung standen, sich bei ihm
Rats erholten über religiöse, sittliche und zivilrechtliche Fragen,
und die Entscheidungen, die auf Grund des Talmud gegeben
wurden, gläubig annahmen. Denn man gewöhnte sich, in den
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babylonischen Gemeinden den (quasi-staatlichen) Mittelpunkt des
Judentums zu sehen 436 .
Mit der Niederschrift der Gemara schließt die Entwicklung
des Judentums ab. Gleichwohl müssen die drei Kodizes, die
nach dem Talmud den Religionsstoff dargestellt haben, erwähnt
werden, weil sie den gleichen Inhalt in teilweise andrer Form
gegeben haben, und weil sie natürlich den gewandelten Zeit-
umständen in ihren Vorschriften wenigstens bis zu einem ge-
wissen Grade Rechnung tragen muhten. So sind sie nach-
einander neben dem Talmud zu anerkannter Geltung unter der
Judenschaft gelangt, und der letzte — der Schulchan Aruch —
ist dasjenige Religionsbuch, das heutigen Tags als letztes in den
Kreisen der strenggläubigen Juden die offizielle Lehre enthält.
Das Wesentliche, was uns an den Religionsbüchem des
Maimuni, Ascher und Karo interessiert, ist der Umstand, daß
durch sie das Religionsleben der Juden in noch festere Formen
gegossen, zu noch größerer Erstarrung gebracht wurde. Von
Maimonides urteilt selbst Gr aetz: dah er das rabbinische Juden-
tum in feste Bande geschlagen habe. „Vieles, was im Talmud
selbst noch flüssig und deutbar ist, hat er zu einem unangreif-
baren Gesetz erstarren lassen . . . Mit seinem kodifizierenden
Abschleifen der Gesetze hat er dem Judentum die Bewegung
geraubt . . . Ohne Rücksicht auf die Zeitlage, in welcher die
talmudischen Bestimmungen entstanden sind, stellte er sie für
alle Zeiten und auch unter veränderten Umständen als verbind-
lich hin.“
R. Jakob Ascheris Tut verschärft dann die peinliche Gesetz-
lichkeit des Maimunischen Kodex noch um einige Grade und
Karos Werk schreitet in derselben Richtung bis zum äußersten
Punkt. An Überfrömmigkeit übertrifft der Schulchan Aruch
noch den Tut des Aschen und auch an Menge und Genauigkeit
der Vorschriften, die sich in unermüdlicher Kasuistik mit allen
nur denkbaren „Fällen“ des Lebens befassen. Das religiöse
Leben der Juden hat durch den Schulchan Aruch „einen Ab-
schluß und eine Einheit erlangt, aber auf Kosten der Innerlich-
keit und des freien Denkens. Durch Karo erhielt das Juden-
tum diejenige feste Gestalt, die es bis auf den heutigen Tag be-
wahrt hat 486 .“ (Graetz).
Dies ist der Hauptstrom des jüdischen Religionslebens, dieses
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sind die Quellen, aus denen das Judentum seinen Stoff an reli-
giösen Vorstellungen und Vorschriften schöpft. Daneben hat es
natürlich Nebenströmungen gegeben, wie die von den Apokalyp-
tikem in vorchristlicher Zeit, die ein überirdisch-universal-indi-
vidualistisch gerichtetes Judentum vertreten 437 ; oder, wie die der
Kabbala (zu Unrecht „Mystik“ benannt), die, wie bekannt, die
Religion in Tüfteleien über Zahlen und Zeichen aufzulösen sich
bestrebte:, sie alle aber kommen kaum in Betracht, wenn man
das geschichtliche Judentum in seiner religiösen Eigenart er-
fassen will: sie haben niemals das praktische Leben beeinflußt*
Sie sind denn auch von dem „offiziellen“ Judentum niemals als
„Quellen“ der jüdischen Religion anerkannt worden, wie ein
Blick auf die traditionelle Auffassung zeigt, die man in jüdisch-
orthodoxen Kreisen von dem Wesen dieser Quellen hat. Ihr
müssen wir nunmehr noch unser Interesse schenken. Denn offen-
bar ist die Meinung, die die frommen Juden von Entstehung
und Bedeutung ihres Religionsstoffes haben, für die Wirksamkeit
der einzelnen Vorschriften viel wichtiger als deren wirkliche
Herkunft.
Der Religionsstoff nach der traditionellen Auffassung
des frommen Judentums ist zweifachen Ursprungs: er ist entweder
offenbart oder von den Weisen geschaffen. Die Offenbarung
wiederum zerfällt in einen schriftlichen und einen mündlichen
Teil. Den schriftlichen Teil bilden die in der Bibel zusammen-
gefaßten heiligen Bücher: der Kanon, wie er von den Männern
der großen Synagoge festgestellt ist. Er besteht aus drei
Teilen 488 : der Thora (Pentateuch), den Nebiim (Propheten) und
den Ketubim (den übrigen Schriften). Die Thora ist dem Moses
von Gott am Berge Sinai offenbart. „Moses teilte die ihm offen-
barte Thora dem Volke während der 40jährigen Wüstenwande-
rung allmählich, manches bei passenden Veranlassungen, zunächst
mündlich mit, alles bis ins einzelne erklärend. Erst am Ende
seines Lebens vollendete er die geschriebene Thora, die fünf
Bücher Moses, und übergab sie Israel, und wir sind verpflichtet,
jeden Buchstaben, jedes Wort der schriftlichen Thora als von
Gott geoffenbart zu betrachten“ . . . Bei genauem Studium „er-
kennen wir erst die tiefe, wahrhaft göttliche Weisheit der Thora,
in welcher jedes Pünktchen, jeder Buchstabe, jedes Wort, jede
Satz- und Wortstellung eine wichtige Bedeutung hat“ 48 ®. Die
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übrigen biblischen Schriften gelten zwar ebenfalls als Offen-
barung, wenigstens sind sie von Gott inspiriert. Doch ist die
Stellung zu den Propheten und Hagiographen freier als zur Thora.
Eine besondere Stellung nimmt die Weisheitsliteratur ein, von
der ich unten im Zusammenhänge spreche.
Die mündliche Überlieferung oder die mündliche Thora ist
die Erklärung der schriftlichen. Sie wurde ebenfalls Moses am
Sinai offenbart, durfte aber (aus zwingenden Gründen) zunächst
nicht niedergeschrieben werden. Die Niederschrift erfolgte erst
nach der Zerstörung des zweiten Tempels: in Mischna und
Gemara. Diese enthalten also zu einem Teile die einzig richtige,
am Sinai geoffenbarte Auslegung der Thora, das heißt : sind in-
soweit auch göttliche Inspiration. Der Talmud enthält aber außer-
dem noch andere sehr wichtige Bestandteile; nämlich die rabbi-
nischen Vorschriften und die Haggada : die Auslegung der heiligen
Schrift, die sich nicht auf die Gesetze bezieht. Ihr gegenüber-
gestellt wird meist die Halacha : diese besteht aus allen norma-
tiven Bestimmungen des Talmud: mögen sie der mündlichen
Thora angehören oder den rabbinischen Vorschriften.
Zu der nicht offenbarten Halacha und der Haggada des
Talmud treten dann als weitere „Entscheidungsschriften“ die
drei von uns schon genannten Kodizes des Mittelalters.
Was bedeuten nun diese verschiedenen Bestandteile des
jüdischen Religionsstoffes für das religiöse Leben der Juden?
Welches ist die von ihnen geglaubte Religion, welches sind die
von ihnen befolgten Religions Vorschriften?
Zuvörderst ist festzustellen , daß es eine systematische
Glaubenslehre oder Dogmatik (im schulmäßigen Sinne) in der jüdi-
schen Theologie meines Wissens kaum gibt 440 . Was an beachtens-
werten Versuchen einer solchen „schulmäßigen“ Dogmatik vor-
liegt, stammt fast ausschließlich von nicht-jüdischen Theologen,
wie etwa die (beste mir bekannte) Darstellung von Ferdinand
Weber, System der altsynagogalen palästinensischen Theologie
-aus Targum, Midrasch und Talmud 1880; nach des Verfassers
Tode herausgegeben von Franz Delitzsch und Georg Schneder-
man, 2. Auflage 1897 u. d. T. Jüdische Theologie auf Grund des
Talmud und verwandter Schriften. Die Natur der jüdischen
Religion, insbesondere die Eigenart des Talmud, dessen Wesen-
heit die Systemlosigkeit ist, sträubt sich gegen eine dogmatisch-
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289
systematische Formulierung. Immerhin lassen sich natürlich
„Leitideen“ der jüdischen Religion herausarbeiten, prägt sich ihr
„Geist“ in bestimmten Erscheinungen aus. Und solcherart
Grundzüge der jüdischen Religion festzustellen, ist sogar eine
gar nicht so schwierige Aufgabe angesichts der Konstanz gewisser
Elemente dieser Religion. Im Grunde ist ja das , was man den
„ezechielischen“ Geist genannt hat, seit Esra bis heute der
herrschende geblieben und ist nur im Laufe der Jahrtausende
immer mehr in seine letzten Konsequenzen entwickelt, zu immer
größerer Reinheit ausgebildet worden. Zur Erkenntnis dieses
„Geistes“, dieses innersten Wesens der jüdischen Religion, dient
also als Quelle, da er ja sich gleichgeblieben ist, der Gesamt.
Stoff der Religionsbücher: Bibel, Talmud, rabbinische Literatur
bis zur Gegenwart.
Schwieriger gestaltet sich das Problem, wenn es sich um
Feststellung der Gültigkeit von Einzellehren handelt. Ob heute
noch der Satz des Talmud „gilt“ : „Auch den Besten der Goim
soll man erschlagen“ oder was sonst die Pfefferkorn, Eisen-
menger, Rohling, Dr. Justus und Genossen an schröcklichen
Aussprüchen aus den jüdischen Religionsbüchem ausgraben, und
was heute die Rabbiner „mit Entrüstung“ als ganz und gar ob-
solet zurückweisen. Naturgemäß haben diese Einzellehren in all
den langen Jahrhunderten je ganz und gar verschieden gelautet.
Und wenn man die Religionsbücher — namentlich den Talmud —
auf solche Einzellehren hin durchsieht, so kommt man bald zu
der Überzeugung, daß für jede Sache sich die entgegengesetztesten
Ansichten finden, daß alles „kontrovers“ ist oder — wenn man
lieber will — daß man aus jenen Schriften (immer besonders
aus dem Talmud) alles, aber auch alles „beweisen“ kann. Ich
komme in meiner Sachdarstellung auf diesen Tatbestand noch zu-
rück, der Anlaß gegeben hat zu dem wahrhaft läppischen Spiele,
das die Antisemiten und ihre christlichen oder jüdischen Gegner
seit Menschengedenken aufführen: daß sie schwarz und weiß
gleichmäßig aus dem Talmud mit „Quellenbelegen“ heraus
beweisen. Nichts leichter wie gesagt als das, gerade wenn man
die Eigenart des Talmud in Rücksicht zieht, der ja zum großen
Teile nichts anderes ist als eine Sammlung von Kontroversen
zwischen den verschiedenen Rabbinen.
Ich meine, man sollte vielmehr, wenn man die für das prak-
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240
tische Leben entscheidenden Religionssätze feststellen will, etwa
nach folgenden Regeln verfahren.
Einen Unterschied gilt es vor allem zu machen, je nachdem
es sich handelt um Selbststudium oder religiöse Lehre. So weit
die Religionsschriften von den Laien selber gelesen wurden oder
werden, erscheint mir als das Wesentliche, daß darin über-
haupt irgend eine bestimmte Meinung in irgend
einer Frage ausgesprochen wird. Gleichgültig ist es, ob
daneben die entgegengesetzte Meinung auch vertreten wird.
Denn für den Frommen, der sich an jenen Schriften erbaut, ge-
nügt die Eine Ansicht, um mit ihr seine Interessen, wenn sie in
gleicher Richtung verlaufen, zu verteidigen. Im einen Falle mag
er durch die Schriftstelle zu einer bestimmten Handlung an-
gespomt werden, im anderen Falle dient sie ihm vielleicht nur
als Rechtfertigung, wenn er aus andern Gründen in ihrem Sinne
handeln will oder gehandelt hat. Die Autorität der Schrift ge-
nügt, um diese Wirkung auszuüben. Vor allem natürlich, wenn
es sich um die Bibel oder gar die Thora handelt. Da hier alles
Gottes Offenbarung ist, so ist Eine Stelle so viel wert wie die
andere. Und soweit der Talmud und die übrigen rabbinischen
Schriften auch von Laien gelesen wurden oder werden, gilt das-
selbe auch von ihnen.
Die Sachlage verändert sich aber natürlich sofort, wenn der
Gläubige nicht selbst die Quellen liest (oder soweit er sie nicht
liest), sondern sich auf die Ermahnungen seines Seelsorgers oder
auf die jeweils von diesem approbierten Erbauungsschriften ver-
läßt. Dann steht ihm natürlich eine einheitliche Auffassung
gegenüber, die der Rabbiner durch die ihm richtig dünkende Inter-
pretation der sich widersprechenden Textstellen gewonnen hat.
Dies ist die von Zeit zu Zeit wechselnde herrschende Lehr-
meinung, ist die jeweils den Zeitumständen angepaßte rabbinische
Tradition. Sie gilt es für eine bestimmte Epoche festzustellen,
wenn man nach ihr die bindenden Normen ermitteln will. Im
wesentlichen wird man sich seit dem Erscheinen der „Ent-
scheidungsschriften“ an diese halten können und wird annehmen
dürfen, daß vom elften bis vierzehnten Jahrhundert der Jadha-
chazaga, dann bis zum 16. der Tut und nach dem 16. Jahrhundert
der Schulchan Aruch die „Tradition“, also die „durchschnittliche“,
gang und gäbe Auffassung vertritt (wenigstens soweit die Halacha
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in Frage kommt). Seit dreihundert Jahren also entscheidet der
Sehulehan Aruch, wenn etwa Meinungsverschiedenheiten über
die Auslegung des Gesetzes entstehen (das selbst natürlich immer
und ewig in der Thora verankert bleibt). So heißt es denn auch
kurz und bündig in dem von mir schon erwähnten Lehrbuche
Sterns, das sich landesrabbinerlicher Approbation erfreut, wie wir
sahen: „In erster Reihe gilt der Sehulehan Aruch des R. Jos.
Karo mit den Anmerkungen des R. Mose Isserlin und den Glossen,
welche den Ausgaben beigedruckt sind, in ganz Israel als das-
jenige Gesetzbuch, nach welchem wir unser rituelles Leben ein-
zurichten haben“ (S. 5. Der Satz ist im Original gesperrt de-
druckt). Niedergeschlagen gleichsam ist das Gesetz in den 613
Vorschriften, die Maimonides aus der Thora aufgestellt hat und
die heute noch gelten. „Nach der Überlieferung unserer Weisen
s. A. hat Gott durch Moses dem Volke Israel 613 solche Vor-
schriften erteilt und zwar 248 Gebote und 365 Verbote. Alle
diese sind von ewiger Gültigkeit ; nur sind diejenigen derselben,
welche auf das Staatsleben und den Ackerbau in Palästina und
auf den Tempeldienst in Jerusalem sich beziehen, für die in der
Zerstreuung lebenden Israeliten unausführbar. Für uns sind noch
369 Vorschriften, 126 Gebote und 243 Verbote erfüllbar, wozu
noch die 7 rabbinischen Gebote kommen“ 441 .
Nach diesen Schriften also haben die strenggläubigen Juden
der letzten Jahrhunderte gelebt und leben sie heute noch:
immer soweit sie sich von der rabbinischen Lehre leiten ließen
und nicht selbst sich auf Grund eigener Lektüre der Quellen
eine eigene Meinung bildeten. Nach diesen Schriften haben wir
also auch die Vorschriften zusammenzustellen, die für das religiöse
Wesen im einzelnen Falle bestimmend waren. Das „Reform-
judentum“ kommt für uns überhaupt nicht in Betracht. Auf
Modernität frisierte Bücher, wie die meisten neuzeitlichen Dar-
stellungen der „Ethik des Judentums“ sind für unsere Zwecke
gänzlich belanglos.
♦ *
*
Und zwischen jenen jüdischen Lehren echten Gepräges
und dem Kapitalismus Zusammenhänge nachzuweisen , ihre Be-
deutung für das moderne Wirtschaftsleben aufzuzeigen: das soll
die Aufgabe der folgenden Darlegungen sein.
Sombart, Die Juden 16
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242
m. Die Grundideen der jüdischen Religion
Um es gleich herauszusagen: ich finde in der jüdischen
Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakte-
risieren; ich sehe sie von demselben Geiste erfüllt wie diesen.
Man soll niemals vergessen, wenn man die jüdische Religion
— nicht zu verwechseln mit der israelitischen Religion, zu der
die jüdische in gewissem Sinne im Gegensätze steht! — recht
verstehen will: wer sie geschaffen hat. Daß es ein Sofer war,
ein starrgeistiger Schriftgelehrter, dem eine Schar von Schrift-
gelehrten dann gefolgt sind, um sein Werk zu vollenden. Kein
Prophet, kein Seher, kein Trunkener, kein mächtiger König : ein
Sofer! Und wie sie geschaffen ist: nicht aus dem un wider-
stehbaren Drange, aus der tiefen Herzensinbrunst zerknirschter
Seelen, nicht aus dem Taumel wonnetrunkener, anbetender
Geister heraus. Nein : aus vorbedachtem Plane heraus : eine aus-
geklügelte Abwicklung gleichsam einer diplomatischen Aufgabe.
Nach dem Programm: dem Volke muß die Religion erhalten
werden! Und soll bedenken, daß in allen kommenden Jahr-
hunderten diese Wohlüberlegtheit und Zweckbedachtheit es
waren, die Lehre für Lehre neu zu den alten hinzugefügt haben.
(Denn was an andern Bestandteilen das religiöse Leben der
Juden vor Esra besessen hatte und nach ihm auch noch erzeugte,
ging doch unter in den von den Soferim angestrebten und durch-
gesetzten Formen der Religion.)
Die Spuren dieser einzigartigen Entstehungsweise trügt
natürlich die jüdische Religion deutlich an sich: sie erscheint
uns in allen ihren Gründen ganz und gar als ein Verstandes-
werk; als ein in die organische Welt hinausprojiziertes Ge-
danken- und Zweckgebilde: mechanisch-kunstvoll gestaltet, dar-
auf berechnet: alle natürliche Welt zu zerstören und sich zu
unterwerfen und an ihre Stelle ihr eigenes Walten zu setzen. Wie
es der Kapitalismus tut, der wie die jüdische Religion als ein
Fremdtum inmitten der natürlichen, der kreatürlichen Welt, als
ein Erdachtes und Gemachtes inmitten des triebhaften Lebens
erscheint. Rationalismus — das ist ja das Wort, mit dem wir
alle diese Besonderheiten zusammenfassen — Rationalismus ist
der Grundzug des Judaismus wie des Kapitalismus. Rationalis-
mus oder Intellektualismus : Wesensrichtungen, die gleicherweise
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dem irrational Geheimnisvollen wie dem Sinnlich-Künstlerisch-
Schöpferischen entgegergesetzt sind.
Die jüdische Religion kennt kein Mysterium 1 Es ist wohl
die einzige auf dem Erdenrunde, die es nicht kennt. Kennt
nicht den Zustand des Rausches, in dem sich der Gläubige mit
der Gottheit vereinigt: also den Zustand, den alle andern Reli-
gionen als den höchsten und heiligsten preisen. Man denke an
die Libation der Soma bei den Hindus, an den rauschfrohen In-
dra selbst, an die Homa-Opfer bei den Persern: „Der Saft, der
so selige Wirkungen erzeugte, schien ihnen die edelste Lebens-
kraft der Natur, das ihr innewohnende Göttliche zu sein, und, so
wurde Homa, der Saft, das Opfer selbst zum Genius oder Gott“ ;
man erinnere sich der Dionysien, der Orakel in Griechenland,
ja auch nur der Sibyllinischen Schriften, aus denen sich selbst
die nüchternen Römer Rats erholten, weil sie von Frauen ge-
schaffen waren , die im Zustande appolinischer Begeisterung Zu-
künftiges ge weissagt hatten.
Selbst im späteren Römertum finden wir noch einen Zug
im religiösen Leben, der sich im Heidentum stets gleich geblieben
war: die weitverbreitete und meist ansteckende Neigung, sich
in einen Zustand gewaltsamer Körper- und Geistesaufregung zu
versetzen, der bis zu bacchantischer Raserei sich steigerte, und
den dann die davon Befallenen sowohl als die Zuschauenden für
etwas von der Gottheit Bewirktes, zu deren Dienst Gehöriges
hielten. Allgemein wurde geglaubt, daß gewisse plötzliche Re-
gungen, Leidenschaften und Entschlüsse von einem Gotte in der
Seele des Menschen geweckt würden: man war immer bereit,
eine Tat, der man sich schämte oder die man bereute, dem
Gotte zuzuschreiben 442 . „Der Gott war es, der mich dazu ge-
trieben hat,“ entschuldigt sich im Lustspiel des Plautus der Ver-
führer einer Dime bei seinem Vater.
So hatte auch der kranke Mohamed empfunden, als er in
ekstatischen Anfällen zur Erde schlug und von der mystischen
Gemütsstimmung ist doch manches in den (freilich auch ver-
nüchterten) Islam eingedrungen. Der hat doch wenigstens die
heulenden Derwische.
Und auch das Christentum , soweit es nicht judaisiert ist,
hat in der Dreieinigkeitslehre , im lieblichen Marienkultus, in
Weihrauch und Abendmahl Raum für irrationale Gefühle und
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Empfindungen. Während das Judentum mit Stolz und Verachtung*
alle diese schwärmerisch -mystischen Züge verdammt. Wenn
die Gläubigen der anderen Religionen in seligen Verzückungen
Umgang mit der Gottheit pflegen: liest man in den jüdischen
Gotteshäusern, die nicht aus Zufall „Schulen" heißen, die Thora
vor: so hat es Esra bestimmt 1 Und so ist es mit Strenge ge-
halten: „Seit dem Untergange der staatlichen Selbständigkeit
war die Lehre die Seele des Judentums geworden, religiöses Tun
ohne Kenntnis des Lehrstoffes galt als wertlos. Der Mittelpunkt
des sabbatlichen und feiertäglichen Gottesdienstes war das Vor-
lesen aus Gesetz und Propheten, die Verdolmetschung des Vor-
gelesenen durch die Targumisten und die Erläuterung des Textes
durch die Hagadisten (Homiletiker)."
„Radix stoltitiae, cui frigida sabbat cordi
„Sed cor frigidius relligione sua
„Septima qaaeqae dies turpi damnata veterao
„Ten quam lassati mollis imago dei.“
So sahen sie die Römer schon 448 .
Fremd dem Mysterium. Aber ebenso fremd der heiligen
Begeisterung für das Göttliche in der Sinnenwelt. Von Astarte,,
von Daphne, von Isis und Osiris, von Aphrodite und Fricka, von
der Jungfrau Maria wissen sie nichts, wollen sie nichts wissen»
Und darum verbannen sie auch alles Bildlich-Sinnliche aus ihrem
Kultus. „Jahve redete zu euch aus dem Feuer: den Laut der
Rede hörtet ihr, aber keine Gestalt sähet ihr aus dem Laute."
(Deut. 4, 12). „Verflucht der Mann, der ein geschnitztes oder
gegossenes Bild macht, einen Greuel Jahves, ein Werk von
Künstlers Hand . . .“ (Deut. 27, 15). Dieses Verbot: „Du sollst
dir kein Bildnis machen" gilt noch heute streng und in dem
Sinne, daß dem frommen Juden sogar verwehrt ist, Menschen-
darstellungen „in tastbarer vollständiger Gestalt von Bildhauer-
oder anderer erhabener Arbeit“, die Darstellung irgendeiner
„Menschenfigur oder eines Menschenangesichts in ganz- oder
halberhabener Arbeit“ zu bewirken oder bei sich aufzustellen 444 »
Was aber mm weiter die jüdische Religion dem Kapitalismus
gar verwandt macht, ist die vertragsmäßige Regelung —
ich würde sagen: geschäftsmäßige Regelung, wenn dem
Worte nicht ein häßlicher Sinn anhaftete — aller Beziehungen
zwischen Jahve und Israel. Das ganze Religionssystem ist im
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Grunde nichts weiter als ein Vertrag zwischen Jahve und seinem
auserwählten Volke: ein Vertrag mit allen obligatorischen Kon-
sequenzen/ die ein Vertrags Verhältnis mit sich bringt. Gott ver-
spricht etwas und gibt etwas, und die Gerechten haben ihm
dafür eine Gegenleistung zu machen.
Es gibt keine Art der Gemeinschaft zwischen Gott und dem
Menschen, die sich nicht in der Form vollzöge, daß der Mensch
etwas der Thora Gemäßes leiste und von Gott dafür etwas Ent-
sprechendes empfange. Deshalb darf auch ein Mensch nicht
betend zu Gott nahen, ohne selber oder von seinen Vätern her
etwas in seiner Hand zu haben als Gegenleistung für das, was
er erbittet: Sifre 12b, Wajjikra Rabba c. 31 445 .
Das Vertrags Verhältnis wickelt sich nun in der Weise ab,
daß dem Menschen die erfüllten Pflichten einzeln belohnt, die ver-
absäumten Pflichten einzeln durch Übles vergolten werden (ebenso
die guten Werke): Belohnung und Bestrafung erfolgen teils in
dieser Welt, teils im Jenseits. Aus diesem Saehverhältnis ergibt
sich zweierlei mit Notwendigkeit: ein beständiges Abwägen des
Vorteils oder Schadens, den eine Handlung oder Unterlassung
bringen kann, und eine sehr verwickelte Buchführung, um das
Forderungs- bzw. Schuldkonto des einzelnen in Ordnung zu
halten.
Die eigentümlich rechenhafte Gemütsverfassung, die man von
dem Gläubigen erwartet, kommt am besten in den Worten Rabbis
zum Ausdruck, die man als Leitwort allen einzelnen Vorschriften
vorausschicken könnte: „Welchen Weg soll der Mensch wählen?
Einen, der für den Wandelnden und bei den Menschen ehren-
wert sei. Sei ebenso gewissenhaft in betreff leichter wie wich-
tiger Vorschriften, denn du kennst den Lohn der Gebote nicht.
Wäge den (leiblichen) Schaden durch eine Pflichterfüllung gegen
ihren (geistigen) Lohn und den Gewinn durch eine Übertretung
gegen ihren Schaden ab. Habe drei Dinge stets vor Augen, so
wirst du zu keiner Übertretung kommen : es gibt ein schauendes
Auge, ein vernehmendes Ohr, und alle deine Taten sind in ein
Buch verzeichnet“ 446 . Das heißt: Ob einer ein „Gerechter“
oder ein Verdammter sei, wird durch Aufrechnung von Mizwoth
gegen Übertretungen festgestellt. Und um diese Aufrechnung
schließlich vornehmen zu können, bedarf es natürlich einer fort-
gesetzten Aufzeichnung der Worte und Taten. Jeder hat sein
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Konto. Alle Worte des Menschen, selbst die des Scherzes, werden
ihm darin gebucht: nach Ruth rabba 33a ist es Elia, welcher
Aufschreibt, nach Esther rabba 86 a besorgen die Engel dies Ge-
schäft, nach anderen noch andere.
So hat nun der Mensch eine Rechnung im Himmel,
z. B. nach Sifra 224 b Israel eine besonders große. Kohelet
rabba 77c fordert zur Todesbereitung, daß der Mensch seine
„Rechnung“ in Ordnung bringe. Gelegentlich werden (auf
Wunsch) Kontoauszfige gemacht : Als die Engel Ismael verklagen,
fragt Gott: „Wie ist sein augenblicklicher Stand? Ist er im
Augenblick ein Gerechter oder ein Frevler, d. h. überwiegen die
Mizwoth oder die Übertretungen“? Sie antworten ihm: er ist
ein Gerechter usw. Als Mar Ukba starb, verlangte er seine
Rechnung, d. i. die Summe der Almosen, die er gegeben. Sie
betrug 7000 Sus. Da er nicht glaubte, daß diese Summe zu
seiner Rechtfertigung ausreiche, d. i. seine Übertretungen aus-
gleiche, so verschenkte er noch sein halbes Vermögen, um sicher
zu gehen. Kethuboth 25. Vgl. B. bathra 7. Endgültig wird
die Frage, ob einer ein Gerechter oder ein Verdammter sei,
aber erst entschieden, wenn es sich nach dem Tode des Menschen
um sein ewiges Geschick handelt. Dann wird die Rechnung ge-
schlossen und das Saldo gezogen. Aus der Summe und dem Ge-
wicht der Mizwoth und dem Gewicht der Übertretungen ergibt sich
Gerechtigkeit oder Verdammnis. Über das Ergebnis der Rechnung
wird £em Menschen eine Urkunde welche seine Mizwoth
und Aberoth enthält, ausgefertigt und zur Anerkennung vor-
gelesen 447 .
Daß eine solche Rechnungsführung nicht leicht ist, liegt auf
der Hand. Während der biblischen Zeit — so lange alle guten
und alle bösen Taten auf Erden vergolten wurden — ging es
noch an. Später aber, als Lohn und Strafe teils zeitlich, teils
ewig waren, wurde die Buchführung außerordentlich verwickelt
und ist in der talmudisch-midrasischen Theologie zu einem kunst-
vollen Buchführungssystem ausgebildet worden. Danach wird
unterschieden zwischen dem Kapital (np) oder der Hauptsumme
des Verdienstes und den Früchten oder Zinsen des Kapitals
(yjw). Jenes wird für die zukünftige Welt aufbewahrt, diese
genießt man schon hier. Damit der im Himmel aufbewahrte
Lohn den Gerechten ungeschmälert für das zukünftige Leben
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verbleibe , erhebt Gott fQr die gewöhnlichen Wohltaten , die er
den Gerechten erzeigt, keinen Anspruch an den himmlischen
Lohn; nur wenn man ihnen außerordentliche, das heißt wunder-
bare Wohltaten erweist, dann wird der himmlische Lohn dafür
verringert. Ferner empfängt der Gerechte, um keine Einbuße im
Himmel zu erleiden, für die im Vergleich mit seinen guten
Werken in Minderzahl geschehenen bösen Werke auf Erden gleich
die Züchtigung, wie der Gottlose hinieden den Lohn für sein
geringes Gute empfängt, damit er dort die volle, ihm bestimmte
Strafe erleide 448 .
In der Art und Weise, wie sich die jüdische Theologie dieses
Kontokorrent mit Gott vorstellt, kommt nun aber noch eine Auf-
fassung zum Vorschein, die 'mit einer anderen Grundidee des
Kapitalismus: der Erwerbsidee, eine seltsame Verwandtschaft
aufweist. Ich meine, wenn ich es in einem Worte ausdrücken
soll: die unorganische Auffassung vom Wesen der Sünde (und
der Guttat). Jede Sünde [kommt nach der rabbinischen Theo-
logie für sich — einzeln — als zähl- und wägbare Tat in Be-
tracht. „Die Bestrafung wird nach dem Objekt, nicht nach dem
Subjekt der Beleidigung geschätzt“ 449 . Je nach der Zahl und
Beschaffenheit der Übertretungen wird der sittliche Wert oder
Unwert des Menschen bemessen. Der einzelne „Schuldposten“
«'scheint rein quantitativ bestimmt: er ist losgelöst von der nur
qualitativ faßbaren Persönlichkeit], losgelöst von dem gesamten
sittlichen Zustande des Täters: wie ein Geldbetrag losgelöst ist
von allem Zusammenhang mit persönlichen Zwecken und sach-
licher Güterqualität, geeignet, mit einem andern, ebenso ab-
strakten Geldbeträge 'zu einer Summe addiert zu werden. Das
Streben des Gerechten nach Wohlergehen hüben und drüben
muß sich nun aber äußern in einem endlosen Streben nach Ver-
mehrung des Lohnes als dessen, was seine Aktiva vergrößert.
Da er nicht in einem bestimmten Zustande seines Gewissens die
Zuversicht zu gewinnen vermag, Gottes Wohltaten teilhaftig zu
werden; und da er niemals weiß, ob der Stand seiner Forde-
rungen und Schulden mit einem Aktiv- oder Passivsaldo ab-
schließt, so muß er Lohn auf Lohn durch eine Guttat nach der
andern zu häufen suchen, rastlos bis an sein Lebensende. Die
begrenzte Endlichkeit aller persönlichen Bewertung ist aus
seinem religiösen Vorstellungskreise verbannt, die Grenzenlosig-
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248
keit der rein quantifizierenden Betrachtung ist an ihre Stelle ge-
treten.
Mit dieser Auflösung des persönlichen Schuldverhältnisses
in eine Summe von Einzeltaten , wie sie die Theologie vor-
genommen hat, und mit der dadurch bedingten Einführung eines
dem Erwerbsstreben verwandten Unendlichkeitsstrebens nach
hohen Aktivposten geht in der jüdischen Moraltheologie parallel
eine ganz eigentümliche Hochbewertung gerade des Gelderwerbes
als des Strebens nach Vermehrung des qualitätlosen, von allen
naturalen Güterzwecken losgelösten, rein quantitativ bestimmten
und darum als „absolutes Mittel“ verwendbaren Wertes. Man
findet diese Stellungnahme bei Verfassern jüdischer Erbauungs-
schriften häufig: oft oder meist gewiß, ohne daß es den Ver-
fassern selbst zum klaren Bewußtsein kommt, daß sie den Geld-
erwerb als solchen verherrlichen, wenn sie ihre Gläubigen davor
warnen, allzuviel (naturalen) Gütervorrat anzuhäufen. Die Er-
örterungen finden sich in der Regel bei der Abhandlung des
„Gelüstes“ (man) : wo Deut, 15, 18 „Du sollst dich nicht ge-
lüsten . . .“ usw. besprochen wird. Man warnt vor dem
„Gelüst“, aber man versucht, das Gelüst dadurch zu bekämpfen,
daß man es auf den Gelderwerb gleichsam ablenkt. „Bist du
wahrer Jisroöl“, so heißt es in einem der bekanntesten dieser
Erbauungsbücher unserer Tage 450 , „so wirst du Gelüst nicht
kennen; wirst keinen Besitz für dich, wirst in allem nur Mittel
zu Gott wohlgefälliger Tat erstreben“ (daß auch materielle Mittel
gemeint sind, geht aus dem Zusammenhänge hervor). „Ist
ja dein ganzes Leben nur eine Aufgabe, alle Güter und Genüsse
nur Mittel zu dieser Aufgabe . . . und zu dieser Aufgabe ge-
hört freilich auch, wo Kraft und religiöse Möglichkeit vorhanden,
Genüsse und Güter zu erstreben, nicht aber als Zweck,
sondern als Mittel zur Erfüllung von Gott ausgesprochener
Pflichten.“
Möchte man hier den Zusammenhang religiöser Anschauungen
mit dem Erwerbsprinzip nicht gelten lassen — ich erinnere auch
noch daran, was Heine über den „Nationalreichtum der Juden“
auszusagen hatte! — , so drängt er sich aber wieder auf, wenn
wir die eigentümliche Gestaltung des jüdischen Gottesdienstes
betrachten, die sich in wichtigen Abschnitten, wie man weiß, zu
einer förmlichen Auktion auswächst. Ich denke an die Ver-
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Steigerung der Thora-Ämter an den Meistbietenden: Ehe die
Gesetzesrolle in der Synagoge aus dem heiligen Schranke geholt
wird, geht der Küster oder Schulklopfer rings um den Almenor,
d. i. den Katheder herum und ruft die bei dem Heraus- und
Hereintragen der Thora vorkommenden Ämter und Verrichtungen
mit den Worten zum Verkauf aus: Wer kauft das Hozoa ve
ha-chenosa (Heraus- und Hineinlegen)? Wer kauft das Ez ha-
chajim (Verrichtung, die Thora beim Zuwickeln in der Hand zu
halten)? Wer kauft Hagboah (Aufheben der Thora)? Wer
kauft Gelilah (Auf- und Zuwickeln)? Diese Ämter werden auf
Meistgebot versteigert — dem Meistbietenden beim dritten Auf-
ruf zugeschlagen . . . Das erlöste Gold wird für die Armen der
Synagoge verwendet. Heute ist die Auktion vielfach aus dem
jüdischen Gottesdienst gestrichen. Man kann sie aber selbst im
Berliner Ghetto noch in voller Blüte sehen. Früher war sie
wohl allgemein ein Bestandteil des Gottesdienstes 491 .
Seltsam muten uns aber auch die Beden so vieler Rabbanen
an , die zuweilen wie gewiegte Geschäftsleute über die
schwierigsten ökonomischen Probleme streiten, und die sehr
häufig Grundsätze aufstellen, die gar nicht anders denn als
Aufmunterung zu einem emsigen Erwerbsleben aufgefaßt werden
können. Es wäre reizvoll, aus dem Talmud allein die Stellen
zu sammeln, in denen moderne Erwerbsprinzipien von diesem
oder jenem Rabbi vertreten werden (die ja in der Tat oft genug
selbst große Geschäftsleute waren). Ich denke z. B. an folgende
Ausführungen: Baba mezia 42a: Auch dieses hat R. Jizchak
noch bemerkt: „Der Mensch soll immer sein Geld in
Gebrauch haben". Ferner erteilte R. Jizchak den guten
Rat: immer drittele der Mensch sein Vermögen; ein Drittel
(lege man an) in Grundstücken; ein Drittel in Waren und ein
Drittel behalte er in Händen. Dann fügte R. Jizchak auch
dieses noch hinzu: der Segen waltet nur da, wo die Gegen-
stände dem Auge entzogen sind. Denn es heißt: „Der Ewige
wird dir den Segen befehlen in Deine Vorratshäuser“. (Ubers.
Sammter).
Pesahim 113 a: Rabh sprach zu seinem Sohne Ajba: . . .
Komm ich will dich nun weltliche Dinge lehren: Während der
Staub sich noch an Deinen Füßen befindet, verkaufe Deine Ware
[also: rascher Umsatz wird gepredigt 1] . . . Zuerst öffne den
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Geldbeutel, nachher löse den Getreidesack . . . Lieber eine Kab
vom Erdboden als ein Kor vom Dache. Hast Du Datteln in
der Kiste, so laufe zum Brauer“ (Ubers. L. Goldschm.) usw.
Was bedeutet diese auffallende Parallelität in den Grund-
ideen zwischen jüdischer Religion und Kapitalismus? Ist es ein
Zufall, ein schlechter Witz des Schicksals? Ist das Eine durch
das andere bewirkt? Gehen beide auf gleiche Ursachen zurück?
Das sind die Fragen, die sich uns aufwerfen, und die ich im
weiteren Verlauf dieser Darstellung zu beantworten versuchen
will. Hier lassen wir uns einstweilen dabei genügen, jene Ver-
wandtschaft aufgewiesen zu haben, um nunmehr die viel simplere
Aufgabe zu lösen: nachzuweisen, wie einzelne Einrichtungen,
Auffassungen, Lehrmeinungen, Vorschriften, Regeln des jüdischen
Religionssystems von Einfluh auf das wirtschaftliche Verhalten
der Juden geworden sind, ob und weshalb insbesondere sie die
kapitalistische Laufbahn des Judentums gefördert haben. Hierbei
bewegen wir uns in den Niederungen der primär-psychologischen
Motivation und gehen allen spekulativen Schwierigkeiten aus
dem Wege. Zunächst handelt es sich um die Bewertung der
grundsätzlichen Zielsteckungen in der jüdischen Religion und
ihre Bedeutung für das Wirtschaftsleben. Ihr sind die folgenden
Gedanken gewidmet.
IV. Der Bewährungsgedanke
Der Vertragsidee, die zu den tragenden Ideen des jüdischen
Religionssystems gehört, entspricht es, daß dem, der den Vertrag
erfüllt, Lohn zufalle, dem, der ihn verletzt (nicht erfüllt), Schaden
erwachse. Das heißt : der jüdischen Religion ist zu allen Zeiten
die juristisch-ethische Annahme eigen gewesen, daß es dem
»Gerechten“ gut und dem „Gottlosen“ schlecht ergehe. Ge-
wandelt hat sich im Lauf der Zeiten nur die Auffassung von
dem Wesen und der Art solcher „Vergeltung“.
Das ältere Judentum kennt, wie man weiß, kein Jenseits.
Wohl und Wehe, das der Mensch erleidet, kann er also nur
in dieser Welt erleiden. Will Gott strafen, will er belohnen:
er kann es nur, so lange der Mensch auf Erden lebt. Hier also
muß es dem Gerechten Wohlergehen, hier muß der Gottlose
Leid erfahren. Tue meine Gebote, spricht der Herr: „auf daß
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Du lange lebest und auf daß es Dir wohlgehe im Lande, welches
Jahve, dein Gott, dir gibt".
Und darum schreit Job gen Himmel: Warum leben die
Frevler, altem, wachsen gar an Kraft? Ihr Same besteht vor
ihnen, gleich ihnen und ihre Sprößlinge vor ihren Augen. Ihre
Hauser in Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute kommt nicht
über sie. Sein Stier befruchtet und verschmähet nicht; seine
Kuh kalbet und verwirft nicht . . . Meinen Pfad aber hat er
umzäunt, daß ich nicht hinüber kann, und auf meine Stiege
Finsternis gelegt; es entbrannte über mich sein Zorn und er
achtete mich als seinen Feind. Meine Brüder hat er von mir
entfernt. An Haut und Fleisch klebt mein Gebein • . . Warum
all dies Elend über mich , da ich stets auf Seinen Pfaden
wandelte ?
Bald nach Esra dringt der Glaube an eine überirdische Welt
(Olam ha-ba), an die Fortdauer der Seele nach dem Tode, bald
auch der Glaube an die Auferstehung des Leibes in das Juden-
tum ein. Dieser Glaube kam aus der Fremde, wahrscheinlich
aus dem Parsismus. Er wurde aber wie alle Bestandteile fremder
Religionssysteme dem Geiste des jüdischen Glaubens gemäß um-
geformt und erhält das diesem entsprechende Gepräge des Ethi-
zismus durch die Einschränkung: daß nur die Frommen und die
Gerechten auferstehen werden. Der Ewigkeitsglaube wird also
von den Sopherim in die alte Vergeltungslehre hineingearbeitet
und geschickt dazu benutzt, „das Gefühl der sittlichen Verant-
wortung“, das heißt also die Furcht vor den Gerichten Gottes
noch weiter zu steigern 469 .
Das „Wohlergehen auf Erden“ gewinnt dadurch natürlich
im Religionssysteme (und in der Vorstellungswelt des Gläubigen)
eine andere Bedeutung : es ist jetzt nicht die einzige Belohnung
gerechter Lebensführung, der Lohn im Jenseits kommt hinzu.
Aber zunächst bleibt doch der Segen des Herrn in dieser
Welt neben dem seligen Leben in jener Welt als wertvoller Teil
des Gesamtlohns bestehen. Und daneben wird noch ein anderer
Sinn des irdischen Glücks offenbar: Das „Wohlergehen auf Erden“
wird als ein Zeichen angesehen, daß man ein dem Herrn wohl-
gefälliges Leben führe (also auch im Jenseits auf Belohnung
rechnen dürfe). Im irdischen Glück tritt die Gerechtigkeit zu-
tage: bewährt sich die echte Frömmigkeit. Zwar steht
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man vor einem unheilvollen Schicksal nicht mehr ganz ver-
ständnislos : man versucht es als Strafe zu deuten, die Gott dem
Gerechten schickt, um ihn für Übertretungen zu strafen, ohne
daß man sein „Lohnkapital“ im Himmel verringert. Aber froher
fühlt man sich doch, wenn der Gerechte vom Glück begünstigt
ist: wenn Gottes Segen schon hienieden auf ihm ruht: dann
ist seiner Seele ewige Seligkeit um so sicherer gewährleistet.
Die „ Güterlehre“ (wenn man von einer solchen im Rahmen
des jüdischen Religionssystems überhaupt sprechen will) empfängt
danach (insbesondere auch durch die Chokmah, die für die
talmudisch-rabbinische Theologie in diesem Punkt vielfach Rich-
tung gebend geworden ist, und die für das praktische Leben
jedenfalls die größte Bedeutung erlangt hat dadurch, daß ihre
Lehren unmittelbar von den Laien aufgenommen wurden), die
„Güterlehre“ empfängt dadurch in der jüdischen Religion folgende
deutlich umrissene Gestalt: Oberstes Lebensziel bleibt es, die
Gebote Gottes zu erfüllen. Ein von Gott losgelöstes, irdisches
Glück kann es nicht geben. Töricht wäre es deshalb, die irdischen
Glücksgüter zu suchen um ihrer selbst willen. Aber weise ist
es, sie zu suchen als ein in die göttliche Zweckordnung ein-
gefügtes Gut, sodaß sie als Zeichen und Unterpfänder göttlichen
Wohlgefallens, als ein mit der Gerechtigkeit als Lohn verknüpfter
göttlicher Segen hingenommen werden. Zu den Glücksgütern
dieser Erde gehört aber nach dieser Auffassung zweifellos auch
ein wohl bestelltes Haus: gehört materielles Wohlbefinden, gehört
Reichtum.
Wenn wir die jüdischen Religionsquellen durchlesen — von
denen in diesem Falle vor allem die heiligen Schriften und der
Talmud in Betracht kommen — da die Güterlehre als nicht halachi-
schen Charakters von den „Entscheidungsschriften“ kaum be-
rührt wird — , so lassen sich allerdings einige ganz wenige Stellen
nachweisen, in denen die Armut als das höhere Gut gegen-
über dem Reichtum gepriesen wird. Aber diesen wenigen
Stellen stehen gewiß Hunderte und Aberhunderte gegenüber, die
den Reichtum preisen, die ihn als einen Segen des Herrn be-
trachten und höchstens vor seinem Mißbrauch oder vor den Ge-
fahren warnen, die er im Gefolge hat. Gelegentlich wird auch
wohl gesagt, daß Reichtum allein nicht glücklich mache, man
müsse auch mit andern Gütern daneben (z. B. mit Gesundheit)
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gesegnet sein oder: daß andere Güter ebenso viel wert seien (oder
wertvoller) als Reichtum. Aber damit ist doch noch nichts
gegen den Reichtum gesagt; ist vor allem nicht gesagt, daß er
Gott ein Ägernis sei.
Als ich diese Auffassung in einem öffentlichen Vortrage
vertrat, habe ich nachher viel Widerspruch erfahren. Ja, kaum
ein anderer Punkt meiner Ausführungen hat mir so viel Gegner
eingebracht als die Behauptung : in der jüdischen Religion werde
der Reichtum (und der Gütererwerb) als ein wertvolles Gut
gepriesen. Verschiedene meiner Kritiker (unter denen sich
mehrere angesehene Rabbiner befinden) haben sich in liebens-
würdiger Weise der Mühe unterzogen, die Bibel- und Talmud-
stellen in brieflichen und gedruckten Entgegnungen aufzuzählen,
die ihrer Meinung nach meine Ansicht widerlegten. Ich er-
widere darauf, was ich vorhin schon sagte: daß sich zweifellos
in Bibel und Talmud Aussprüche nachweisen lassen, die den
Reichtum mindestens als eine Gefahr für den Gläubigen be-
trachten und die Armut preisen. In der Bibel sind es vielleicht
ein halbes Dutzend; im Talmud etwas mehr. Das Wichtige ist
aber, daß sich jeder solchen Stelle gleich zehn entgegenhalten
lassen, die von dem andern Geiste erfüllt sind. Und in solchem
Falle kommt es wirklich auf die Masse an. Ich habe mich
immer so etwa gefragt: denken wir uns den alten Amschel
Rothschild am Freitag abend, nachdem er eben an der Börse
eine Million „verdient“ hat, seine heilige Schrift vornehmen und
darin Erbauung suchen: was kann er ihr entnehmen; welche
Bedeutung hat die Erinnerung an die eben erworbene Million für
die innere Läuterung, die der alte fromme Jude am Sabbat-
vorabend gern durchmachen möchte: wird das erworbene Geld
auf seiner Seele brennen? oder wird er sich nicht vielmehr
sagen dürfen (mit gutem , reinem Gewissen sagen dürfen) :
„Gottes Segen hat auch in dieser Woche auf mir geruht; ich
danke Dir, Herr, daß Du Deinen Knecht mit Deinem Lichte
abermals begnadet hast. (Die Konsequenzen, die der Millionen-
erwerb , damit ich Dir wohlgefalle , für mich im Gefolge
hat, werde ich schon ziehen: reichlich Almosen geben und
Deine Gebote noch strenger erfüllen als bisher).“ So wird er
sprechen, wenn er seine Bibel gut kennt (und er kennt sie
gut!).
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Denn auf folgenden Stellen der heiligen Schriften kann sein
Auge mit Wohlgefallen ruhen:
In seiner geliebten Thora wird er immer und immer wieder
den Segen des Herrn lesen (z. B. Deut. 7, 13 — 15): „Und wird
Dich lieben und segnen und mehren, und wird die Frucht deines
Leibes segnen und die Frucht deines Landes, dein Getreide,
Most und öl, die Früchte deiner Kühe und die Früchte deiner
Schafe auf dem Lande . • . Gesegnet wirst du sein über allen
Völkern . . .“ Und vor allem wird sich sein Herz erheben,
wenn er an die Worte kommt: „Der Herr dein Gott wird dich
segnen, wie er dir geredet hat. So wirst du vielen Völkern
leihen und du wirst von niemandem borgen.“ (Deut.
15, 6; vgl. 28, 43. 44. Ps. 109, 11.)
Und wenn er in den Psalmen liest, dann vernimmt er folgende
Worte :
„Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen; denn die ihn furchten, haben
keinen Mangel“ (Ps. 34, 10).
„Der Herr kennet die Tage der Frommen, und ihr Gut wird ewiglich
bleiben. Sie werden nicht zuschanden in der bösen Zeit, und in der
Teurung werden sie genug haben“ (Ps. 37, 18).
„Du — Herr — suchest das Land heim und wässerst es und machst
es sehr reich. Gottes Brünnelein hat die Fülle ... Du krönest das Jahr
mit Deinem Gut und Deine Fußtapfen triefen von Fett“ (Ps. 65, 10 — 12).
„Heil dem Mann, der Jahve fürchtet, an seinen Geboten große Lust
hat . . . Reichtum und Überfluß ist in seinem Hause.“ (Ps. 112, 1. 8.)
„Unsere Speicher seien voll, allerlei Vorrat ausspendend; unsere
Schafe tausend-, zehntausendfältig sich mehrend auf unseren Triften.“
(Ps. 144, 13.)
Und er wird sich freuen mit Job, wenn er den Schluß der
Leidensgeschichte dieses Schwergeprüften liest und vernimmt:
„Und der Herr segnete hernach Job mehr denn vorhin, daß er
kriegte 14 000 Schafe und 6000 Kamele und 1000 Joch Rinder
und 1000 Esel“ usw. (Denn unser Amschel hat ja — glück-
licherweise — noch nichts von der modernen „Bibelkritik“ ge-
hört und weiß deshalb auch nicht, daß im Buche Job 42, 12 ein
spätes Einschiebsel ist).
Auch die Propheten versprachen dem Volke Israel, wenn
es seinen Weg zu Jahve zurückfindet, reichen Lohn an irdischen
Glücksgütem. Freund Amschel wird etwa Jesaias aufschlagen
und daselbst im 60. Kapitel lesen, daß die Völker Israel ihr Gold
und Silber selbst darbringen werden.
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Aber am liebsten holt sich der alte Amschel Erbauung aus
den Sprüchen Salomonis 468 („die ja am prägnantesten die im
jüdischen Volke herrschenden Lebensanschauungen zum Ausdruck
brachten“ , wie mir ein Rabbiner schreibt , der gerade aus den
Proverbien mir beweisen wollte, wie irrtümlich meine Ansicht
sei und „wie wenig die Bibel zur Erwerbung von Reichtümem
aneifert“: unter Berufung auf Prov. 22, 1. 2; 23, 4; 28, 20, 21;
30, 8, deren ich gleich gedenke). Er findet darin die Mahnung,
daß man dem Reichtum allein nicht alles Glück verdankt:
20, 1, 2; daß man im Reichtum Gottes Gebote nicht vernach-
lässige: 30, 8; daß man im „Hasten nach Reichtum“ leicht zu
Falle kommen könne: „wer aber eilet sich zu bereichern,
bleibt nicht ungestraft“. (Er „eile“ gar nicht, wird er sich zum
Tröste sagen). Bedenken auf einen Augenblick könnte ihm der
einzige Spruch (23, 4) bereiten: „Mühe dich nicht reich zu
werden; von (dieser) deiner Klugheit laß ab“. Er wird aber
sofort das Lästige dieser Mahnung dadurch aus seinen Gedanken
tilgen, daß er sie in Zusammenhang bringt mit 23, 1 — 3, wo es
heißt: „Setzest Du dich zum Essen mit einem Herrscher, so
merke wohl, wen du vor dir hast und setze ein Mesöer an deine
Kehle, wenn du gierig bist ! Laß dich nicht gelüsten nach
seinen Leckerbissen; denn es ist betrügerische Speise . . .“
Aber vielleicht liest er auch über die sechs Worte hinweg, die
sechs einzigen Worte in den „Sprüchen“, die eine ausdrückliche
Abmahnung, reich zu werden, zu enthalten scheinen; und wird
sich statt dessen an den vielen Stellen erbauen, die gerade in
den „Sprüchen“ den Reichtum preisen (von ihnen schrieb mein
verehrter Rabbiner merkwürdigerweise gar nichts I). Sie sind so
zahlreich, daß man sagen kann: sie geben geiadezu den Ton ab,
auf den die Proverbien (wie die Chokmah überhaupt) gestimmt
sind. „Unerschöpflich sind die Proverbien in Schilderungen der
reichen Segnungen, welche aus wahrer Weisheit entspringen 454 “.
Hier nur einige Proben:
„Langes Leben ist in ihren (der Weisen) Rechten; in ihrer Linken
Reichtum und Ehre.“ (3, 16.)
„Im Hause des Gottlosen ist der Fluch des Herrn; aber das Haus
des Gerechten wird gesegnet“ (8, 33).
„Reichtum und Ehre ist bei mir, glänzender Wohlstand und Wohl-
tätigkeit“ (8, 18).
„Des Reichen Habe ist ihm eine feste Stadt“ (10, 15).
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„Der Weisen Krone ist ihr Reichtum“ (14, 24).
„Im Hause des Gerechten ist viel Reichtum; aber im Elinkommen des
Frevlers ist Zerrüttung“ (15, 6).
„Die Folge der Demut, der Furcht Jahves ist Reichtum, Elhre und
Leben“ (22, 4).
Zur Chokmahliteratur rechnet man, wie wir sahen, den
Prediger und die Weisheit Salomonis.
Das Buch Kohelet 465 ist ja nun freilich nicht auf einen Ton
abgestimmt und steckt, dank der zahlreichen Einschiebsel, voller
Widersprüche. Aber selbst in ihm fand der Fromme nirgends
eine Stelle, in der der Reichtum verdammt wäre, höchstens
einige, die etwas wie Verachtung des Reichtums predigen. Da-
für aber selbst dort in zahlreichem Wiederholen den Preis des
Reichtums :
„Wenn irgend einem Menschen Gott Reichtümer und Güter gegeben
und ihm gestattet, davon zu genießen und sich zu freuen seiner Mühe:
das ist ein Geschenk Gottes“ (5, 18);
„Einer, dem Gott Reichtum und Güter und Ehre gibt . . . aber Gott
gestattet ihm nicht davon zu genießen, sondern ein Fremder genießt es.
Das ist eitel nur ein schlimmes Übel“ (6, 2).
„Um sich zu ergötzen, bereitet man Speise, und der Wein erfreuet
die Lebendigen, und das Gold gew&hret alles“ (10, 19).
„Am Morgen säe deinen Samen, und auch am Abend laß deine Hand
nicht ruhen.“
In der Weisheit Salomos verkünden folgende Stellen den
Preis des Reichtums:
„Es kam mir aber alles Gute zugleich mit ihr (der Weisheit) und
unzähliger Reichtum in ihren Händen“ (7, 11).
Die Weisheit . . . „machte ihn wohlhabend durch Arbeit und segnete
seine Bemühungen. Bei der Habsucht derer, so ihn unterdrückten, stand
sie ihm bei und bereicherte ihn“ (10, 10. 11).
Offenbar ist es immer die spezifisch jüdische Lebensweisheit,
die in diese eklektischen Schriften spätgriechischer Prägung die
weltbejahende Hochwertung der irdischen Glücksgüter hinein-
trägt und oft ganz unvermittelt neben weltmüde Reden grie-
chischer Philosophen hinsetzt.
„Voll weiser Sprüche“ ist auch das Buch des Jesus, Sohnes
des Sirach, das „noch mehr in den Volksanschauungen wurzelte“
(schreibt mir mein Rabbiner), und das der alte Amschel Roth-
schild deshalb gewiß auch gern zur Hand nahm. Wenn etwa
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ein erwerbsfeindlicher Rabbi ihm aber aus den Sprüchen des
Jesus Sirach hätte beweisen wollen, wie sehr der Reichtum ver-
derblich sei, wie „der Reiche dort beinahe zum Frevler ge-
stempelt und der Reichtum als Quelle der Sünde hingestellt tf
werde und sich dabei auf Kap. 10 — 13 berufen hätte, so würde
er ihm geantwortet haben: „Du irrst, Rabbi An jenen Stellen
wird nur vor den Gefahren des Reichtums gewarnt, wie z. B.
auch an der von dir mir nicht vorgehaltenen Stelle : 31 (34), 3 ff.
Aber es wird dort gerade auch gesagt: daß der Reiche, wenn
er die Gefahren vermeidet, er darum nur um so mehr Verdienst
erwirbt als der Arme, der die Gefahren gar nicht gekannt hat.
Denn es heißt daselbst: ,Heil dem Reichen, der unsträflich er-
funden wird . . . Wer ist er, daß wir ihn preisen? Denn er hat
Bewundernswertes getan unter seinem Volke. Wer ist ... ver-
sucht und vollkommen erfunden worden? Er habe Ruhm 1 Wer
konnte übertreten und übertrat nicht, und Böses tun und tat’s
nicht. Gesichert bleiben seine Güter, und seine Wohl-
taten wird die Gemeinde verkünden* (31/34, 8 — 11). Und warum,
Rabbi (wird Amschel Rothschild weitersprechen), nennst du mir
nur diese Stellen und verschweigst die andern, in denen wohl
geredet wird von dem Manne, der es zu vielen Millionen ge-
bracht hat, warum verschweigst du mir dieses:
,Güte gegen den Vater wird nicht vergessen werden, und anstatt
Sündenstrafen wird dir Wohlstand werden* (3, 16).
J)er Reiche, der Angesehene und der Arme — ihr Ruhm ist die
Furcht des Herrn* (10, 25).
, Besser ist, wer arbeitet and an allem Überfluß hat, als wer stolz
tut und an Brot Mangel leidet* (10, 30).
,Ein Armer wird geehrt um seiner Klugheit willen und ein Reicher
— um seines Reichtums willen (der eben seine Klugheit beweist I)* (10, 33).
,Wer aber in Armut geehrt wird, wie viel mehr in Reichtum?*
,Und wer in seinem Reichtum verachtet wird, wie viel mehr in
Armut* (!) (10, 34).
, Armut und Reichtum kommt von dem Herrn* (11, 14).
J)er Segen des Herrn ist der Lohn des Frommen, und in kurzer Zeit
läßt er seinen Segen erblühen** (11, 23).
,Gut ist der Reichtum, wobei keine Sünde* (13, 20).
, Erwirb dir Vertrauen bei deinem Nächsten in der Armut, damit du
zugleich an seinem Wohlergehen teilnehmen kannst* (21, 28).
,Zur Zeit der Not halten aus bei ihm, damit du bei seiner Erbschaft
miterbest* (21, 29).
Sombart, Die Jaden 17
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,lfoi wenig und viel sei zufrieden* (29, 30).
,Gold und Silber erhalten anf festem Faß 1 (!) (40, 25).
, Reichtum und St&rke erhöhen den Mut* (40, 26).
, Besser sterben als betteln* (40, 29).
,Das Erbe der Rinder der Sünder schwindet* (41, 9).
, Dieser Dinge schäme dich nicht:
. . . wegen des Erwerbes von viel oder wenig,
wegen des Gewinnes bei Kauf oder Verkauf (42, 1. 4. 5).
Und sollte ich mich, Rabbi“, so endigte Amschel Rothschild
seine Ansprache, „meiner Millionen schämen, sollte ich sie nicht
vielmehr stolz als Gottes Segen empfinden, wenn der weise Jesus,
der Sohn des Sirach, von Salomo, dem großen Könige spricht
(47, 19. 20): ,1m Namen Gottes des Herrn, der da heißet Gott
Israels, sammeltest du Gold wie Zinn, und wie Blei häuftest du
Silber? 4 Ich werde hingehen und auch im Namen Gottes des
Herrn sammeln das Gold wie Zinn und Silber wie Blei,
Rabbi 1“
Angesichts solcher weit- und güterfrohen Anschauungen, wie
sie aus dieser und aus allen andern für den frommen Juden
wichtigen Schriften der Bibel sprechen, vermochte sich natürlich
keine reichtumsfeindliche Lehrmeinung jemals zu entwickeln, so
sehr die späteren Zeiten dazu Anlaß bieten mochten. Aber auch
im Talmud gibt es doch zahlreiche Stellen, die auf ganz den-
selben Ton wie der Bibeltext gestimmt sind: Reichtum ist ein
Segen, wenn der Reiche in Gottes Wegen wandelt, und Armut
ist ein Fluch. Und nirgends wohl wird der Reichtum ver-
pönt. Um wenigstens ein paar solcher Aussprüche hier wieder-
zugeben:
„Rab Jahada im Namen Rabs lehrte (es heißt Deut 15, 4): ,Es soll
jedoch kein Dürftiger unter dir sein.* Das Deinige geht dem aller übrigen
Menschen vor“ (B. Mez. 30 b ).
„Wer die Thora in der Armut h<, wird sie zuletzt im Reichtum
halten“ (Abot IV, 9).
„Es gibt 7 Eigenschaften, die eine Zierde für den Frommen und für
4ie Welt sind“: eine der 7 ist Reichtum (Ab. VI, 8/9).
„Der Mensch . . . wende sich im Gebete zu dem, dessen ist der Reich-
tum und die Besitztümer ... In Wahrheit kommen beide, Reichtum und
Arbeit nicht vom Geschäft, sondern alles geht nach Verdienst“ (Kidd. 82»),
„Es heißt Ex. 2, 3: ,Da nahm sie (Moses Mutter) für ihn ein Kästchen
von Rohr.* Warum insbesondere von Rohr? R. Ele&sar hat gesagt:
Daraus geht hervor, daß die Gerechten (Frommen) ihr Geld mehr lieben als
ihren Körper“ (Sota 12»).
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„Rabba ehrte die Reichen, ebenso ehrte R. Aquiba die Reichen“
<Ernb. 86*).
„Die Rabbanen lehrten: Wer ist reich? Wer an seinem Reichtum
Zufriedenheit findet — Worte R. Meirs. R. Triphon sagt: Wer 100 Wein-
berge, 100 Felder und 100 Knechte zu deren Bearbeitung hat. R. Aquiba
•sagt: Wer eine Frau hat, die schön ist in ihrem Betragen. R. Jose sagt:
Wer den Abtritt in der Nähe seines Tisches hat“ (Sabb. 25*).
„Wer das Geld im Zorn ohne Berechnung verschleudert, der wird
nicht früher abberufen, bis er an die öffentliche Unterstützung angewiesen
ist“ (R. Nathans Ethik a. a. O. S. 27).
„. . . in der Zeit der Not lernt der Mensch am besten den Wert des
Reichtums schätzen“ (ib. S. 28).
„Wer den R. Eleasar b. Asarjah im Traume sieht, der hoffe auf
Reichtum“ (ib. 8. 187).
„Wer das Buch der Könige im Traume sieht, der hoffe auf Reichtum“
<8. 188).
Entsprechend der von der schriftlichen wie mündlichen
Tradition gleichmäßig verkündeten Botschaft von dem Reichtum
und dem Wohlergehen als dem Segen, den Gott den Gerechten
spendet, ist denn auch, soviel wir zu erkennen vermögen, die
tatsächliche Weltauffassung der Juden zu allen Zeiten eine
massiv-irdische gewesen, deren Diesseitigkeit (trotz aller Jenseits-
hoffnungen 1) durch den Messianismus noch eine starke Stütze
^erhielt. Ansätze zum (außerweltlichen) Asketentum, zur Welt-
Bucht hat es auch im Judentum gegeben : im 9. Jahrhundert,
als die Karäer sich zu mönchischer Lebensweise zusammentaten;
tm 11. Jahrhundert, als Bachja Ibn Pakuda in Spanien predigte.
Aber solche Richtungen haben niemals im Judentum Boden ge-
faßt, das vielmehr in allem seinem Elend immer weltbejahend
nnd reichtumsfroh durch seine Religion erhalten worden ist.
Die Juden stehen damit im schroffsten Gegensätze zu den
'Christen , denen die Religion die Freude an dieser Welt nach
Kräften zu vergällen versucht hat. Ebensooft wie in den Schriften
-des Alten Testaments der Reichtum gepriesen wird, ebensooft
wird er im Neuen Testament verflucht, wird die Armut ver-
herrlicht. Die ganze Weltflüchtigkeit und Weltverachtung des
Essäers ist ja in die Evangelien hineingeflossen. Man denke
nur an Matth. 6, 24; 10, 9. 10; 19, 28. 24 und vergleiche damit
die zahlreichen Parallelstellen. „Leichter ist, daß ein Kamel
•durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Himmelreich
Aomme“: Dieses eine Wort, dem sich viele zur Seite setzen
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260
lassen , baut ja das ganze Religionssystem auf grundsätzlich
anderm Fundament als das Judentum auf. Ihm entspricht kein
einziger Satz im ganzen alten Testamente und gewiß aueh nicht
in der gesamten tahnudisch-rabbinischen Theologie.
Es bedarf nicht erst viele Worte, um zu zeigen, welche
grundverschiedene Stellung der fromme Jude und der fromme
Christ zum Erwerbsleben einnehmen müssen. Dieser muß ja
immer erst mit Aufwendung von allerhand Kunstkniffen da»
reichtums- und erwerbsfeindliche Essflertum aus seinen heiligen
Schriften weginterpretieren. Welche Seelenangst muß der
reiche Christ ausstehen, da ihm das Himmelreich verschlossen
ist, gegenüber dem reichen Juden, der, wie wir sehen, „im Namen
Gottes" Gold wie Zinn und Silber wie Blei sammelt.
Daß diese weltflüchtige Religion den Christen lange Jahr-
hunderte Hindernisse in ihrem Erwerbsleben bereitet hat, ist
bekannt: „infructuosi in negotiis dicimur“, sagt Tertullian.
Und außer allem Zweifel steht es, daß die Juden diese
Hindernisse niemals gekannt haben. Je frömmer ein Jude war,
je besser er in seinen Religionsschriften Bescheid wußte, desto
mehr Antrieb zum Erwerben mußte er aus den Lehren seine»
Glaubens schöpfen. Ein wunderhübsches Beispiel dafür, wie sich
in wahrhaft frommen Judenherzen die Erwerbsinteressen mit den
Religionsinteressen aufs innigste verschmelzen, bieten wiederum
die Memoiren unserer Glückei von Hameln: „Gelobt sei Gott,
der gibt und nimmt, der getreue Gott, der unsera Schaden alle-
mal wieder so reichlich ersetzt“ (S. 178). „Also . . , hat mir
(mein Manu) . . . einen großen Brief geschrieben, eitel Trost,
daß ich mich doch sollt’ zufrieden geben. Gott — sein Namo
sei gelobt — werde uns an anderer Stelle alles wiedergeben,
welches auch geschehen ist“ (S. 155) . . . Mein Mann . . . „hat
auf dieser Messe wieder Tausende verdient, wofür dem Höchsten
gedankt sei, der seine Gnade und Barmherzigkeit nicht von un»
abgetan hat“ (eb.). (Die Reise hat uns über 400 Reichstaler ge-
kostet) „Aber wir haben es nicht viel geachtet, denn wir sind
— Gott sei Dank — in großen Geschäften gesessen. Gelobt sei
Gott, der seine Gnade und Wahrheit nicht von uns genommen
hat" (S. 146). Und so ähnlich an vielen andern Stellen.
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V. Die Rationalisierung des Lebens
Da die jüdische Religion auf dem Vertrage Jahves mit seinem
Volke beruht, also gleichsam ein zweiseitiges Rechtsgeschäft ist,
so muh der Leistung Gottes eine Gegenleistung seines Volkes
entsprechen.
„Und was soll ich dagegen dir erfüllen?“
Auf diese Frage hat der Herr durch den Mund seines Knechtes
Moses oft und deutlich die Antwort gegeben. Zwei Dinge sind
es, die er den Söhnen Israels immer wieder ans Herz legt : seid
heilig und erfüllt meine Gebote.
„Und ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges
Volk sein“ (Ex. 19, 6; wiederholt Deut. 7, 6; 14, 2).
„Siehe ich habe früh gelehret Gebote und Rechte, wie mir
der Herr mein Gott geboten hat, daß ihr also tun sollt im Lande,
darein ihr kommen werdet, daß ihr es einnehmt. So behaltet es
nun und tut’s. Denn das wird eure Weisheit und Verstand sein
bei allen Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote,
daß sie müssen sagen: Ei, welche weise und verständige Leute
sind das, und ein herrlich Volk.“ (Deut. 4, 5. 6. in unzähligen
Wiederholungen.)
Nicht Opfer, nicht Hingabe fordert Jahve; sondern Gehor-
sam. „Ich habe Euera Vätern des Tages, da ich sie aus Ägypten-
land führte, weder gesagt noch geboten von Brandopfem und
andern Opfern; sondern dies gebot ich ihnen und sprach: Ge-
horchet meinem Wort, so will ich Euer Gott sein und Ihr
sollt mein Volk sein ; und wandelt auf allen Wegen, die ich Euch
gebiete, auf daß es Euch wohl gehe“ (Jerem. 7, 22. 23).
Man weiß nun, daß der Gang der Ereignisse das Judenvolk
immer mehr und mehr dahin drängte, die „Gerechtigkeit“ in der
strengen Erfüllung der Gebote zu suchen. Was anfänglich etwa
noch daneben an innerlicher Heiligkeit erstrebt worden war,
trat zurück und verlor an Bedeutung gegenüber dem Formalis-
mus einer peinlichen Gesetzlichkeit. Heilig und gesetzestreu
werden identische Begriffe. Man weiß auch, daß dieses An-
klammem an das Gesetz eine Art von Schutzmaßregel be-
deutete, die die Rabbinen ergriffen, um das Volk gegenüber den
Angriffen erst des Hellenismus, dann des Christentums zu schützen
und es später — nach der Zerstörung des zweiten Tempels —
in seiner nationalen Selbständigkeit zu erhalten. Der Kampf
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gegen den Hellenismus hatte das Pharisäertum erzeugt, der Kampf
gegen das paulinische und nachapostolische Christentum, das das
normschaffende Gesetz aufheben wollte und an seine Stelle den
Glauben setzte, bildete das Pharisäertum zum Talmudjudentum
um. Die alte Tendenz der Schriftgelehrten: „das ganze Leben
in die heilige Regel einzuspinnen“ machte nun immer größere
Fortschritte. In ihrer politischen Vereinsamung unterwarfen sich
die Gemeinden völlig der neuen Hierarchie : der Nomokratie der
Schriftgelehrten: sie wollten den Zweck, nämlich die Erhaltung
des Judaismus, und fügten sich deshalb den Mitteln. Schule und
Gesetz überdauerten den Tempel und den Staat, der pharisäische
Rabbinismus kam jetzt zu unbeschränkter Herrschaft. „Gerechtig-
keit“ bedeutete von nun an soviel wie korrektes und legales Lebern
Die Frömmigkeit bekam, unter dem Einfluß der zu Juristen ge-
wordenen Schriftgelehrten, ein vollkommen juristisches und zwar
privatrechtliches Gepräge. Die Religion wurde zum bürgerlichen
und geistlichen Recht. In der Mischna ist dieser streng gesetz-
liche, ja juristische Charakter schon völlig ausgeprägt. Die Ge-
bote und Verbote, die pentateuchischen und die gefolgerten Be-
stimmungen galten ihr als Befehle und Dekrete Gottes, an denen
nicht gemäkelt noch gerüttelt werden dürfe; sie müssen unver-
brüchlich nach Vorschrift befolgt werden. Auf Äußerlichkeiten
wird nun ein immer größeres Gewicht gelegt ; zwischen Kleinem
und Großem im Gesetz wird immer weniger ein Unterschied ge-
macht. „Dem bindenden Gesetze wurde mehr als der sich selbst
Norm gebenden Gewissenhaftigkeit vertraut“ (Graetz) 466 .
Und so ist es bis heute durch zwei Jahrtausende geblieben»
Das strenggläubige Judentum hält noch heute an diesem starren
Formalismus und Nomismus fest. Keinem Wandel sind die Grund-
lagen des jüdischen Glaubens ausgesetzt: die Thora bleibt in
jedem Worte heute verbindlich wie am Tage, da sie Mose ver-
kündet wurde. „Die Thora Israels, sie ist gleichsam die klassische
hohe Schule alles Sittlich-Moralischen. Ihr Unterrichts-, ihr Lehr-
plan besitzt ewige Aktualität. Sie ist keiner Mode des Tages r
keiner Reform der Zeit unterworfen“ 46T .
Und die darin enthaltenen Gebote und Verbote Gottes sind
von dem Frommen strengstens zu halten : ob klein, ob groß ; ob-
sie ihm sinnvoll oder sinnlos erscheinen ; sind zu erfüllen strictis-
sime so wie sie dort stehen aus dem einzigen Grunde, weil es
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Gottes Gebote sind. Also ein ausgesprochener Heteronomismus.
„Du sollst die Gebote üben und die Gesetzesschranken achten,
weil es Gottes Gebote und von Gott gesetzte Schranken sind,
nicht weil auch du sie für Recht einsfihest; denn auch die Ge-
bote, deren Grund du ahnst, sollst du nicht deshalb erfüllen —
denn dann gehorchtest du nur dir, und du sollst Gott gehorchen — ,
sondern weil Gott es dir geboten und wie alle Geschöpfe auch
du Gottes Diener sein sollest mit jeglichem. Das ist deine Be-
stimmung“ 468 . Und diese besinnungslose Gesetzeserfüllung: sie
macht den „Gerechten“, sie macht den „Heiligen“. „Heilig im
Sinne der Thora ist derjenige, der die Fertigkeit erlangt hat, den
uns geoffenbarten Willen Gottes mit kampfloser Bereitwilligkeit
und derselben Freudigkeit zu vollziehen, als ob es der eigene
Wille wäre. Diese Heiligkeit, dieses volle Aufgehen des eigenen
Willens in dem Willen Gottes ist ein erhabenes Ziel, das nur
wenige in seiner ganzen Höhe erreicht haben und je erreichen
werden. Das Gebot der Heiligung bezieht sich darum zunächst
auf das Streben nach dieser Heiligkeit. Dieses Streben ist jedoch
jedem möglich ; es besteht in fortgesetzter Selbstbewachung und
Selbstbearbeitung, in unausgesetztem Kampfe gegen das Niedrige
und Gemeine, Sinnliche und Tierische. Die Erfüllung der Vor-
schriften der Thora ist die sicherste Leiter, auf welcher wir zu
immer höheren Stufen der Heiligkeit uns emporzuschwingen ver-
mögen.“
In diesen Worten ist der Zusammenhang aufgedeckt, der
zwischen den beiden Grundforderungen: der Heiligkeit und der
Gesetzlichkeit, obwaltet. Wir lernen verstehen, daß das oberste
Ziel, nach dem Israel immerfort strebt, dieses bleibt : ein Priester-
volk, ein heiliges Volk zu sein, und daß ihm hierzu als sicherster
Weg erscheint: Gottes Gebote streng zu erfüllen. Und erst
wenn wir diesen inneren Zusammenhang uns zu völliger Klar-
heit gebracht haben, vermögen wir die eigentümliche Bedeutung
zu ermessen, die die jüdische Religion für die Gesamtgestaltung
des Lebens hat. Am letzten Ende bleibt die „äußerliche“ Ge-
setzlichkeit doch nicht äußerlich : sie übt steten und nachhaltigen
Einfluß auf das Innenleben aus, das eben gerade sein besonderes
Gepräge durch die Beobachtung des starren Gesetzesformalismus
erhält.
Der psychologische Vorgang, der zu der späteren Auffassung
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in der jüdischen Religion geführt hat, scheint mir also dieser zu
sein: zunächst stand man nur den Geboten Gottes gegenüber
und kümmerte sich nicht um den Inhalt. Dann aber muhte sich
natürlich der Inhalt als ein material sehr bestimmter allmählich
dem Gläubigen offenbaren : ein ganz scharf umschriebenes Lebens-
ideal trat ihm aus den Worten Gottes entgegen. Diesem Ideal
nachzustreben — „gerecht“, „heilig“ zu werden — wurde seine
Sehnsucht. Die Gesetzeserfüllung bot ihm die Erfüllung in drei-
fachem Sinne: 1. weil Gott als oberstes Postulat sie aufgestellt
hatte; 2. weil in dem Gesetz diejenigen Forderungen enthalten
waren, deren Erfüllung das Ideal der Lebensführung verwirk-
lichten ; 8. weil die strenge Beobachtung des Gesetzes selbst als
ein sicheres Mittel erkannt wurde, jenem Ideal sich anzunähem.
Wollen wir also die Wesenheit der jüdischen Religions-
betätigung verstehen, so müssen wir uns doch — über die Ein-
sicht in die formaUstisch-nomistische Natur der jüdischen Religion
hinaus — Klarheit verschaffen von dem, was (material) unter
„Heiligkeit“ von den Frommen verstanden wurde und verstanden
wird. Erst wenn wir das erfahren haben, werden wir auch jenen
Einfluh der religiösen Satzungen auf die praktische Lebens-
führung (die wir doch vor allen Dingen erkennen möchten) wahr-
zunehmen vermögen.
Was ein heiliges Leben im Sinne jüdischer Frömmigkeit sei,
werden wir leicht in allgemeiner Umschreibung sagen können,
wenn wir uns des in dem vorigen Abschnitte aufgewiesenen
Zuges von Irdischheit erinnern, der die jüdische Religion zweifel-
los erfüllt. Dann kann gewiß heilig nicht den Sinn der Lebens-
veraeinung und Lebensabtötung haben wie in andern Religionen,
etwa der buddhistischen oder auch der urwüchsig-christlichen.
Eine „ auß er weltliche “ Askese (sahen wir schon) lag dem Juden-
tum immer fern. „Die Seele, die dir gegeben, erhalte sie, töte
sie nicht ab“: das ist der Grundsatz, den der Talmud für die
Lebensführung aufstellt 459 und der zu allen Zeiten gegolten hat.
Lebensveraeinung kann also nicht Heiligkeit bedeuten ; aber
ebensowenig das natürliche Leben des triebhaften Menschen
führen : denn dann wäre ja das heilige Leben nicht erst eine von
dem Gerechten zu erfüllende Aufgabe. Bleibt also nur übrig,
daß unter einem heiligen ein Leben verstanden werde, das nach
außeraaturalen Normen einem idealen Plane gemäß mit Bewußt-
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heit neben oder gegen das natürliche Leben gelebt wird. Heilig-
keit heißt mit einem Worte: Die Rationalisierung
des Lebens. Heißt die Ersetzung des naturalen , triebhaften,
kreatürlichen Daseins durch das bedachte, zweckgewollte, sittliche
Leben. In die Natur hinein wird das Sittengesetz gestellt, das
grundsätzlich aller Ableitung aus natürlichen Motiven entbehrt.
„Nicht auf die natürliche Anlage des Menschen — auch zum
Guten — kommt es an, sondern auf das vom Naturtrieb erlösende
Gesetz, auf die alle Natur überschreitende Schöpfung des Sitt-
lichen — darauf kommt es an.“ Heilig werden heißt „geläutert“
werden, und die Läuterung besteht eben in der Überwindung
aller realen Antriebe zum Handeln durch das formale Element
des sittlichen Gehorsams. Die Bedeutung der rein formalen
Gesetzeshaltung besteht darin, „daß die Menschen fort und fort
aus den Banden des Natürlichen und Gewöhnlichen erlöst, von
den ausschließlichen Antrieben des Nützlichen und Angenehmen
befreit, über die alltäglichen gemeinen und feinen sinnlichen Be-
friedigungen hinausgehoben werden, und bei allem Tim und
Wollen mit Handlungen umgeben sind, welche einzig und allein
einem idealen Interesse dienen“ 460 .
Also ein schroffer Dualismus — jener furchtbare Dualismus,
der uns allen ja noch im Blute steckt — kennzeichnet die jüdische
Auffassung vom sittlich Wertvollen: die Natur ist zwar nicht
unheilig, aber sie ist doch auch nicht heilig; sie ist noch nicht heilig,
das sie erst durch uns werden solL In ihr schlummern alle Keime
zur „Sünde“ ; die Schlange lauert im Grase immerfort wie damals
im Garten Eden. „Gott hat den bösen Trieb geschaffen; er hat
aber auch die Thora, die Sittenlehre als Gewürz (Heilmittel) da-
gegen geschaffen “ 46 *. Das ganze Menschenleben ist ein einziger
großer Kampf gegen die feindlichen Mächte der Natur: das ist
der Leitgedanke, der die jüdische Moraltheologie beherrscht, und
dem dann nur das System von Vorschriften und Maßregeln ent-
spricht, mit deren Hilfe das Leben rationalisiert, entnatürlicht,
geläutert, geheiligt werden könne, ohne doch aufgegeben oder
auch nur abgetötet zu werden. Hier tritt der grundsätzliche
Unterschied zwischen christlich-essenischer und jüdisch-pharisäi-
scher Moral zutage: jene führt konsequent aus dem Leben hin-
aus in die Einsamkeit, ins Kloster (wenn nicht in den Tod);
diese fesselt den Gläubigen mit tausend Ketten an das leibliche
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Leben, auch an das bürgerliche Leben, und fordert doch, daß es
seiner naturalen Gestalt entkleidet werde. Die christliche
Glaubenslehre macht den „Heiligen" zum Mönch; die jüdische
zum Rationalisten. Jene endigt in der außerweltlichen , diese
(wie man es genannt hat) in der innerweltlichen Askese, sofern
man unter Askese die Überwindung des Kreatürlichen im Menschen
versteht.
Wir werden diese Eigenart des jüdischen „Sittengesetzes 8
(das, wie immer wieder betont werden muß, stets auch Religions-
gesetz ist) noch besser erkennen, wenn wir nun seine Vorschriften
im einzelnen prüfen.
* *
*
Die Wirkung des Gesetzes ist in doppeltem Sinne ge-
dacht: es soll wirken durch sein Dasein und soll wirken durch
seinen Inhalt.
Das Dasein des Gesetzes oder der Gesetze allein, die
Verpflichtung, sie gewissenhaft zu erfüllen, schafft die Bewußtheit
der Lebensführung dadurch, daß sie den Menschen zwingt, un-
ausgesetzt seine Handlungen zu bedenken und rationell zu ge-
stalten. Vor jede Lust wird ein Warner gestellt, jede trieb-
hafte, impulsive Lebensäußerung wird ausgeschaltet durch die
zahllosen Meilenzeiger und Wegweiser, Läutewerke und Signal-
lichter, die in Gestalt hundertfacher Weisungen den Gläubigen
umgeben. „In die natürlichen Bestrebungen des Menschen wird
durch das Gesetz Ordnung, Regel und Maß eingeführt. Die for-
male Gesetzlichkeit bewirkt, daß der Mensch das Leben als
Ganzes, Einheitliches, durch den einen großen Lebenszweck : das
Gott wohlgefällige Handeln selbst in sich Gefestigtes betrachtet.“
„Ist die Gesinnung des Menschen allezeit auf die Erfüllung des
Gesetzes gerichtet, so ist sein Leben zwar noch nicht syste-
matisch geordnet oder kunstmäßig aufgebaut, aber doch von der
sittlichen Idee gleichmäßig durchzogen.“ Da die Erfüllung der
zahllosen Gesetzesvorschriften — Maimonides hat bekanntlich 365
Verbote (von denen heute noch 243 gelten) und 248 Gebote auf-
gestellt! — nicht ohne sehr gründliche Kenntnis der Quellen
möglich ist, so schließt die Verpflichtung zur Gesetzlichkeit das
eifrige Studium der heiligen Schriften und namentlich der Thora
ein, und in diesem Studium wird abermals ein Mittel erblickt,
den Lebenswandel zu einem „heiligen“ zu gestalten: „Wenn
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dich der böse Trieb packt, so schleife ihn nach dem Lehrhause/
heißt es im Talmud (Kidd. 30 b).
Daß die Fülle von Geboten und Verboten dazu bestimmt
sei, des Gläubigen Leben zu läutern : diese Meinung ist zu allen
Zeiten verbreitet gewesen und wird heute noch von allen ortho-
doxen Juden geteilt.
„Gott wollte Israel läutern, darum vermehrte er die Zahl der Gebote 4
(Makkoth 23*) 468 ;
„Die Gebote sind von Gott erteilt, um mittels ihrer die Menschen zu
läutern" (Wajikra Rabba Kap. 18) 468 .
„Es wäre wohl für den Menschen besser nicht geboren zu sein; da
er aber einmal auf der Welt ist, so soll er oft seine Handlungen unter-
suchen" (Erubin IS 1 ») 46 *.
„Jede Nacht soll der Mensch seine während des verflossenen Tages
verübten Handlungen untersuchen" (Magen Abraham zu 0. Ch. 239,
Sch. 7) 468 .
„Go denke und Beobachte sind in einem Ausspruch verkündigt
worden" 464 .
Wie heute die Auffassung von der sittlichen Bedeutung der
Gesetzlichkeit in fromm* jüdischen Kreisen ist, ergeben die
folgenden Aussprüche bekannter Männer:
„Damit die Gottesfurcht . . . unser ganzes Sinnen, Denken und
Empfinden, unser ganzes Leben so voll und ganz durchdringe, hat die
Religion ihre Lehren und Wahrheiten in gesetzliche Vorschriften gehüllt,
in Sitten und Bräuche ausgeprägt, die das ganze Denken und Empfinden,
des Israeliten durchflechten, so daß kein Raum für das Böse bleibt." 469
„Die religionsgesetzliche Lebensführung wird zur Quelle ethischer Be-
lehrung und Erziehung. Zunächst ist es die Durchflechtung des ganzen
menschlichen Daseins mit gesetzlichen Ordnungen, mit der Erfüllung von
Vorschriften, welche alle Arbeit und allen Genuß des Lebens begleiten.
Indem der Rabbi nismus . . . das Leben des einzelnen und der Gesamtheit
mit religionsgesetzlichen Handlungen umgibt, indem so alle Zeit des Tages
und des Jahres die Ereignisse der Natur und die Schicksale und Erlebnisse
der Menschen gesetzlich umspannt, indem alles und jedes in der Betätigung
und dem Genuß des Daseins durch einen Segensspruch, eine symbolische
Handlung oder eines Brauches Übung geweiht wird, gestaltet sich alles
Tun und Wollen und Wirken zu einer gleichartigen und zusammengefaßten
Einheit.“ 466
Daß diese Behauptung: „alles und jedes in der Betätigung
und dem Genüsse des Daseins“ werde von einer religionsgesetz-
lichen Vorschrift erfaßt, keine Übertreibung enthält, lehrt ein
Blick in eins der heute verbreiteten jüdischen Religionsbücher,
die ja im wesentlichen aus der Aufzählung der Gebote und Ver*
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bote bestehen. Auf allen deinen Wegen: deum respice et cura
gilt auch heute noch für den frommen Juden. Er mag einem
Könige begegnen; mag Zwerge oder Neger sehen; er mag auf
der Reise an Ruinen vorbeikommen; er mag eine Arznei ein-
nehmen oder in ein Bad steigen; er mag ein Gewitter heran-
nahen oder die Stürme brausen hören; er mag aufstehen, sich
ankleiden; er mag seine Notdurft verrichten oder die Mahlzeit
einnehmen; er mag in das Haus treten oder es verlassen; er
mag einen Freund begrüben oder einem Feinde begegnen: für
jedes Ereignis ist eine Vorschrift erlassen, die beachtet werden muß.
„Von ganz besonders heiligendem Einflüsse auf uns ist die pünktliche
und gewissenhafte Beobachtung aller Verbote der Thora (deren, wie wir
sahen, noch heute 243 in Geltung sind). Durch sie werden wir bei
jedem Gedanken und Gefühle, bei jedem Wort und jeder
Handlung veranlaßt, uns zu fragen: dürfen wir nach dem Willen Gottes
so denken und fühlen, so sprechen oder handeln? Doch genügen wir dem
Gebote der Heiligung noch nicht, wenn wir nur diese Vorschriften be-
folgen; die Thora gebietet vielmehr, daß wir uns auch üben auf dem Ge-
biete des uns Erlaubten mäßig und enthaltsam zu sein.“
Diese letzten Worte leiten schon hinüber zu der inhaltlichen
Seite der Gesetzlichkeit: zu dem, was die Vorschriften material
von dem Gläubigen verlangen. Nach dem, was wir von dem
Geiste der jüdischen Moraltheologie bereits erfahren haben, wird
es nicht schwer sein, diesen Inhalt des Gesetzes zu bestimmen.
Offenbar werden alle Gesetzesvorschriften darauf abzielen, das
Kreatürliche im Menschen zu unterdrücken, sein Triebleben zu
bändigen, die naturale Motivation durch Zweckbedachtheit zu
ersetzen, werden sie, wie man es mit einem Worte ausgedrückt
hat, „die ethische Temperierung des Menschen“ anstreben.
Nichts soll gedacht, gesprochen, getan werden, das nicht
vorher auf seine Gesetzlichkeit hin geprüft und danach als dem
Zwecke der Heiligung dienlich erkannt worden ist. Also: Aus-
schaltung aller Lebensbetätigung um ihrer selbst willen; Aus-
schaltung aller „spontanen“ Handlungen; Ausschaltung alles Tuns
aus naturalem Antriebe.
Keine unbefangene Freude an der Natur 1 Die man vielmehr
nur genießen darf, indem man der Weisheit und Güte Gottes
gedenkt. Im Frühjahr, wenn die Bäume blühen, spricht der
Fromme: „Gelobt seist Du, ... welcher in seiner Welt nicht
das geringste hat fehlen lassen, der in ihr schöne Bäume und
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Geschöpfe erschaffen hat, an denen sich die Menschen vergnügen
können/ 1 Beim Anblick des Regenbogens erinnert er sich des
Bundes mit Jahve. Auf hohen Bergen, in großen Wüsteneien,
im Anblick mächtiger Ströme, kurz allemal, wenn sein Herz sich
labt , soll er alle diese Gefühle zu dem Dankesgebet zusammen-
fassen: „Gelobet seist Du . . ., der das Schöpfungswerk zu An-
fang gemacht hat“ usw.
Keine unbefangene Hingabe an die Werke der Kunst 1 Werke
der bildenden Kunst sind schon deshalb gemieden, weil sie leicht
zur Übertretung des zweiten Gebotes führen können. Aber auch
die Erzeugnisse der Dichtkunst werden von dem Frommen gering
geachtet, wenn sie nicht irgendwelche Beziehung auf Gott haben,
und alle Lektüre ist nur heilsam, wenn sie mindestens prakti-
schen Nutzen stiftet. „Am besten ist es, die Schriften der
Thora zu lesen oder solche, die darauf Bezug haben. Wollen
wir zur Erholung anderes lesen, so sollen wir nur solche Bücher
wählen, die uns mit nützlichen Kenntnissen bereichern.
Unter den Büchern, die zur Unterhaltung, zur Vertreibung der
ohnehin flüchtigen Zeit geschrieben sind, gibt es gar viele, die
geeignet sind, sündhafte Wünsche in uns hervorzurufen; es ist
verboten, solche zu lesen“ 4 * 7 usw.
Kein harmloses, weltliches Vergnügen 1 „Wo die Spötter
sitzen — das sind die Theater und Zirkusse der Heiden.“ Ge-
sang, Tanz. Zechgelage, die nicht zu den rituellen Festlichkeiten
gehören, sind untersagt. R. Dosa b. Hyrkan sagt: „Der Morgen-
schlaf, der Mittagswein, die Tändeleien mit den Kindern, das
Verweilen in den Versammlungshäusem der gemeinen Leute
schaffen den Menschen frühzeitig aus der Welt“ 4 * 8 . „Ein Mann
des Mangels wird, wer Freude liebt; wer Wein und öl liebt,
wird nicht reich“ (Prov. 21, 17).
Wertlos für den Frommen oder gar ihm hinderlich sind
danach alle Eigenschaften, die zu solcher „unbedachten" Lebens-
betätigung der Menschen hinführen: wie Enthusiasmus, Be-
geisterung, in der vielleicht etwas Unzweckmäßiges passiert 469 ;
Herzensgüte oder Weichheit des Gemüts — denn du sollst gut
sein, nur weil dich „die Idee des Wohlwollens“ leitet: „jeder
pathologische Beigeschmack, jede Erweichung deines Gemüts
durch den Anblick des Leidenden soll fern bleiben, und der Adel
und die Würde des idealen Gesetzes soll(en) dir vorschweben“ 470 — ;
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270
ein sinnliches Temperament — „die Quelle der Leidenschaft (und
damit der Sünde) ist die Sinnlichkeit" 471 ; Unbefangenheit: kurz
alles, was den natürlichen, also den unheiligen Menschen kenn-
zeichnet.
Die Kardinaltugenden des Frommen sind dagegen: Selbst-
beherrschung und Bedächtigkeit, Ordnungsliebe und Arbeitsam-
keit, Mäßigkeit und Enthaltsamkeit, Keuschheit und Nüchternheit.
Selbstbeherrschung und Bedächtigkeit äußern sich vor
allem in der Beherrschung des W ortes, das immer und immer wieder ge-
predigt wird:
„Sei nicht voreilig mit deiner Zunge* — „der Mund des Thoren wird
ihm zum Verderben* — „wer seine Lippen schließt, ist verständig“ : diese
Mahnungen sind vor allem häufig in den Weisheitsschriften. Ich verweise
nur auf folgende Stellen: Koh. 1, 8; Prov. 10, 8; 10, 10; 10, 19; 10, 31;
14, 23; 17, 27. 28; 18, 7; 18, 21; 21, 23; Jesus Sirach 4, 34 (29); 5, 15(13);
9, 25 (18); Kap. 19. 20. 22.
Und so lehrt auch die spätere Tradition: „Baba sagte: wer ein
unnützes Gespräch führt, Übertritt ein Gebot ... R. Aha b. Jäqob sagte:
Er begeht auch ein Verbot“ (Joma 19 *).
„Das Werk unserer Heiligung,“ sagt ein Erbauungsbuch unserer Tage,
„ist sehr wesentlich bedingt durch die Gewalt, welche wir über unsere Zunge
haben, durch unsere Kunst zu schweigen . . . Die Fähigkeit zu sprechen . . .
ist (dem Menschen) zu heiligen und nützlichen Zwecken verliehen . . . Alles
wertlose Sprechen aber, welches weder dem einen noch dem andern
Zwecke dient, ist . . . von unsern Weisen auf Grund von Schriftstellen ver-
boten.“ 478
Ganz allgemein aber wird Selbstbeherrschung von dem Frommen
verlangt:
„Wer ist unter den Starken der Stärkste: der seine Leidenschaft be-
zähmt“ (R. Nathan XXIII, 1).
„Eine eingerissene Stadt ohne Mauer: ein Mann, dessen Gemüt Selbst-
beherrschung fehlt“ (Prov. 25, 28).
Bedachtsamkeit:
„Die Bedachtsamkeit des Fleißigen führt zum Überfluß, wer aber
eilet, eilet zum Mangel* (Prov. 21, 5).
„Auch Gier ohne Einsicht ist nicht gut, und wer mit den Füßen eilet,
der tritt fehl“ (Prov. 19, 2).
Fleiß und Sparsamkeit:
Der Jude soll den Tag aufwecken, nicht der Tag ihn, wobei die
Rabbinen sich auf Ps. 57, 9 berufen.
Arbeitsam soll er ihn verbringen: der Müßiggang wird verpönt
„Einem Lässigen gerät sein Handel nicht, aber ein fleißiger Mensch
wird reich“ (Prov. 12, 27) 478 .
„Reichtum mindert sich durch Eitelkeit, wer aber in die Hand sammelt,
mehret ihn“ (Prov. 13, 11).
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271
„Auch wer l&ssig ist in seinem Geschäft, der ist Brnder des Ver-
schwenders“ (Prov. 18, 9).
„Köstlicher Schatz nnd öl sind in der Weisen Wohnung, aber der
törichte Mensch verschlemmet sie“ (Prov. 21, 20.
„Wer das Geld im Zorn ohne Berechnung verschleudert, der wird
nicht früher abberufen, bis er an die öffentliche Unterstützung angewiesen
ist“ (R. Nath. Eth. HI, 2).
Gerade die stärksten Triebe im Menschen gilt es zu zügeln,
gilt es in geordnete Bahnen zu lenken, gilt es ihrer Ursprünglich-
keit zu entkleiden, gilt es in einen wohlbedachten Zweckmittel-
mechanismus einzuspannen, gilt es zu rationalisieren.
Also die Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses.
Auch der Hunger soll nicht gestillt werden, wie es die Lust
gebietet, sondern nur um den Anforderungen des Leibes gerecht
zu werden. Auch wenn der Weise ißt und trinkt, soll er es
nach göttlichen Vorschriften und Gott zur Ehre tun. Daher die
unübersehbare Schar der Speisevorschriften ; daher die Er-
mahnungen zur Wohlbedachtheit auch bei der Mahlzeit, die mit
Gebet zu eröffnen, zu begleiten und zu beschließen ist; daher
die Empfehlung der Mäßigkeit; daher die Warnung, beim Essen
und Trinken etwa Freude zu empfinden und sie nicht nur in
ihrer Zweckdienlichkeit zu betrachten. Der Spruch des Predigers
(10, 17): „Wohl dir Land . . ., dessen Fürsten zur rechten Zeit
essen, zur Stärkung, nicht zur Schwelgerei“, ist oft in der morali-
sierenden Literatur verwandt worden, um die Vorgänge der
Nahrungsaufnahme zu „rationalisieren“ : siehe z. B. R Nathan
XX, 8 — bis auf den heutigen Tag, an dem die Erbauungs-
schriften wie die Prediger den Frommen anreden: „Nun, ...
dein Gott, durch den du allein ein Recht hast, Geschöpfe seiner
Welt zu deiner Nahrung zu verwenden: dem allein, wenn du
nicht viehisch issest, auch dein Essen und Trinken geweiht ist,
als Kräftesammeln zu seinem Dienst“ usw. 474 .
„Wenn du nun des Wohlgefallens halber speisest, dem Gaumen-
reiz zu dienen — dann ist dein Genuß noch nicht rein mensch-
lich ; . . . wenn du aber nur soviel und in der Absicht issest,
durch den Genuß dich zu stärken zu einem Gott wohlgefälligen,
rüstigen Leben und Leibe, dann wird dein Genuß menschlich,
wird Gottesdienst wie deine Tat . . . darum wie zu heiliger
Handlung sollst du dich anschicken zu deinem Mahle“ 476 .
„Der Israelite soll . . . den Nahrungsgenuß zu einer heiligen
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Handlung weihen, soll seinen Tisch als Altar, die Speise als
Opfer betrachten, das er genießt, um neue Kräfte für die Er-
füllung seiner Pflichten zu gewinnen“ 4T6 .
(Im übrigen ist die jüdische Küche bekanntermaßen ganz
vorzüglich.)
Und endlich — die Hauptsache natürlich 1 — wie der
Hunger soll auch die Liebe „rationalisiert“, also entnatürlicht
werden.
Nirgends stärker als im Gebiet des Erotischen kommt ja
der starre Dualismus zum Ausdruck, den letzten Endes doch
das Juden volk, wenn nicht in die Welt gebracht, so in der
„Kultur“ weit (durch die Infizierung des Christentums mit seinen
Ideen) zu fast allgemeiner Anerkennung erhoben hat. Alle
früheren Religionen hatten in der Geschlechtlichkeit doch das
Göttliche erblickt und hatten immer mit frommem Schauer den
Geschlechtsakt selbst als Gottesoffenbarung betrachtet. Sie alle
haben den Phallusdienst in gröberer oder feinerer Form gekannt.
Bei keiner einzigen ist der Sinnenreiz als Sünde verdammt ge-
wesen, und bei keiner einzigen ward das Weib als Trägerin der
Sünde angesehen. Wie bei dem Juden volke seit Esras Zeiten.
Moses hielt sich von seiner Frau fern, um würdig zu sein,
vor dem Herrn zu erscheinen: er heiligte sich dadurch.
Job sagte : „Mit meinen Augen schloß ich einen Bund, was
sollte ich lüstern nach der Jungfrau schauen.“
Die Weisheitsbücher sind voll der Warnungen vor dem
Weibe: „Honig träufeln des fremden Weibes Lippen, und glätter
als öl ist ihr Gaumen; aber ihr Ausgang ist bitter wie Wermut,
scharf wie ein zweischneidig Schwert“ (Prov. 5, 3. 4).
Im Talmud und der rabbinischen Literatur herrscht derselbe
Geist, man könnte sagen: die Angst vor dem Weibe. „Der
Bann treffe den, der durch einen Gedanken sich Lust erregt“
(Nidda 13 b , Übers. Fasse 1). „Besser er sterbe, als daß er
eine Sünde der Unzucht begehe“ (Sanhedrin 75 a ). (Zu den drei
Todsünden, die selbst nicht durch den Tod gesühnt werden
können, gehört neben Mord und Götzendienst die Unkeuschheit.)
„Wer sein Geschäft bei Frauen hat, sei nicht mit ihnen allein
(Kidd. 82 *, Übers. Wünsche). Durch alle Kodizes setzt sich diese
Angst fort. Nach dem Eben-ha-äser (XIX. Abschnitt) wird der-
jenige gesteinigt, der einer Frauensperson beigewohnt hat, die
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allgemein als zu den verbotenen Graden gehörend anerkannt ist.
Verboten ist, auch nur die Kleider einer solchen Frau anzusehen
oder ihren kleinen Finger, „um einen Genuß davon zu haben“ ;
verboten, sich von einer Frau bedienen zu lassen, seine er-
wachsene Schwester oder Tante zu umhalsen und zu küssen
(XXI. Abschn.), mit einer Frau (verbotenen Grades) allein zu sein
(XXII. Abschn.) usw.
Und nicht minder streng lauten Vermahnungen, die heute
die Rabbinen den Gläubigen machen.
„Hüte dich selbst vor jeder Annäherung zur Unzucht . . .
Sieh nichts, hOre nichts, lies nichts, denke nichts, das deine
Einbildungskraft unrein beschäftigt und mit dem Unreinen ver-
traut macht . . . Geh nicht hinter einem Frauenzimmer her auf
der Straße, und kannst du nicht anders, betrachte sie nicht
lüstern. Laß dein Auge nicht lüstern weilen auf Frauenzimmern ;
nicht lüstern auf ihrem Haar; auf ihre Stimme nicht dein Ohr
lüstern lauschen; an ihrer Gestalt nicht dein Auge sinnen; ja,
kein Kleid darfst du betrachtend ansehen, von dem du weißt,
welches Frauenzimmer es getragen. Meide die Gelegenheit! Nie
dürfen zwei verschiedene Geschlechter zusammen an einem Orte
weilen, der von andern abgeschlossen ist. Beide Geschlechter
sollen nicht zusammen scherzen. Auch im Scherz ist Hände-
druck und Augenwink, Umarmen und Küssen sündlich.“ 477
Und daß die Warnungen nicht vergebens erhoben werden,
dafür sprechen die Selbstbekenntnisse frommer Juden, wie etwa
das des Jakob Fromer, der uns von seinen Qualen also berichtet :
„Ich kannte die Frau bisher nur als personifizierte Sünde. Sie zu
berühren, sie anzusehen, ihren Gesang zu hören, war ein Frevel,
und selbst der Gedanke an sie befleckte die Seele. Schon als
fünfjähriger Junge war ich nicht zu bewegen, wenn Weiber auf
der Schwelle saßen, hindurchzugehen, aus Furcht, ich könnte sie
berühren ... Ist dir der Verführer (Satan) auf der Straße be-
gegnet, dann schleppe ihn ins Bethamidrasch . . . Auch da findet
er keine Ruhe. . . . Dann fand ich Ratschläge, wie man sich vor
solchen Sünden zu schützen vermöchte. Wenn einen der Gedanke
an die Frau nicht losließ, so sollte man sich vorstellen, wie ekel-
erregend sie sein würde, wenn ihre Haut abgeschunden wäre.
Um sich auf der Straße vor einem unkeuschen Blick zu schützen,
Sombart, Dl« Juden 18
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sollte man sich fortwährend die Buchstaben Jehova vergegen-
wärtigen“ 4T8 .
Aber nun wieder die Pointe! Solchen erotisch-neurastheni-
schen Angstzuständen begegnen wir auch in anderen Religionen.
Seit e inm al „die Sünde“ in der Gestalt des Weibes in die Welt
gekommen ist, hat es in allen dualistischen Religionen Psycho-
pathen gegeben, die ihr Leben damit verbracht haben, sich an
lüsternen Vorstellungen aufzuregen und doch das Weib zu fliehen.
Aber während diese Gemütsart ihre Träger in andern Religionen
in die Wüste oder in die Klosterzelle, jedenfalls zur „Keusch-
heit“ im Sinne der Enthaltung vom Geschlechtsverkehr, führte
oder zur sexuellen Perversität, steigt mit ihr der fromme Jude
mit fünfzehn Jahren als Mann, mit zwölf Jahren als Jungfrau
ins — Ehebett. Was dabei herauskommen muh, ist leicht ein-
zusehen: wir können es wieder mit einem einzigen Worte aus-
drücken: die Rationalisierung des Geschlechtsver-
kehrs in der Ehe. Verboten ist er nicht, aber Sünde ist er
im Grunde doch : dabei bleibt’s. Und um ihn nun seines sündigen
Charakters einigermaßen zu entkleiden, muß ihm seine Spon-
taneität genommen, muß er durchgeistigt, geheiligt werden. Das
geschieht, wenn man den Liebesakt zu Ehren Gottes nach den
frommen Regeln ausübt, die die Weisen aufgestellt haben.
„Der Mann nicht ohne das Weib, das Weib nicht ohne den
Mann; aber beide nicht, ohne daß der göttliche Geist in ihrem
Bunde waltet.“
Schon der Talmud enthält zahlreiche Vorschriften, wie dann
nun — damit sie Gott Wohlgefallen — die Eheleute sich zu
verhalten haben.
Während des Mittelalters wurde dieser Zweig der Moral-
theologie ganz besonders stark entwickelt. Maimonides hat
schon sehr genaue Vorschriften. Im 11. Jahrhundert hat dann
R.’ Elieser b. Nathan (abbr. Raben) einen eherechtlichen Kodex
— den Eben ha-äser — verfaßt, in dem die verschiedenen Be-
stimmungen über die Handhabung dieser Sache (erstmalig?)
systematisiert und kodifiziert werden. Im 13. Jahrhundert
schreibt R. Nachman eine Schrift über die Heiligung der Ehe,
deren Grundgedanke ist: das Ehepaar soll sich jedesmal „weihen“,
das heißt „sich mit erhabenen Ideen von der Hoheit Gottes und
von dem sittlich heiligen Weltzweck erfüllen“ 479 .
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Der Eben ha-äser: „das Eherecht“ , das natürlich auch alle
auf das Eheleben bezüglichen Rechtsbestimmungen enthält, bildet
dann einen Teil des Tur und des Schulchan Aruch. In der Form,
in der es hierin aufgenommen ist, ist es also heute (zuzüglich
der Kommentare) verbindliches Gesetz für den frommen Juden.
Die Bestimmungen des 25. Abschnitts des Eben ha-äser, der
(neben dem 76.) hier hauptsächlich in Betracht kommt, sind fast
wörtlich in die Religionsbücher der Gegenwart (wie Fassei,
Hirsch u. a.) übergegangen. Die Grundgedanken sind dieselben
geblieben, wie wir sie seit Anbeginn finden: der Mann treibe
auch mit seiner Frau keine Leichtfertigkeiten und verunreinige
seinen Mund nicht mit törichter Rede, wenn er allein mit ihr
ist; auch währenddem soll er nicht mit ihr schwätzen. Selbst
währenddem soll er nicht sein Vergnügen beabsichtigen,
sondern soll dies betrachten als jemand, der seine Schuld be-
zahlt, denn er ist hierzu verpflichtet, um die Gebote seines
Schöpfers zu erfüllen, nämlich das Geschlecht zu vermehren und
dafi ihm Kinder werden. „Jede Einigung der Geschlechter,
die nicht zu diesem Zwecke geschieht, ist Mißbrauch der ver-
liehenen Kräfte, ist Entwürdigung des Menschen zum Tier, ja
unter das Tier, ist Unzucht“ (Hirsch). „Selbst in der Ehe muß
auf einer (so!) keuschen Weise genossen werden, nicht im Über-
maß, nicht mit geilen Gedanken beschäftigt, nicht wollüstig,
sondern der Menschheit würdig zur Erreichung des Zwecks,
nämlich zur Erhaltung der Gattung“ (Fas sei).
Diesem Grundgedanken entspricht dann eine reiche Kasuistik. Ich
hatte das Thema in meinem Manuskript erschöpfender abgehandelt,
empfinde aber beim Anblick der gedruckten Worte einen solchen Ekel,
daß ich im Interesse meiner Leser diese Stellen aus dem Satze heraus-
nehme. Der Spezialist kann sich ja aus den Quellen das Fehlende leicht
ergänzen. Die rabbinische Literatur, das sei nur noch bemerkt, berührt
sich hier auf das engste mit der geilen Beichtstuhlerotik eines Liguori und
Konsorten einerseits, mit der — Puritanermoral anderseits.
Nach frommer Auffassung ist das Aaronsiege) selbst ein
Warner : daß selbst in den Augenblicken der höchsten Lust sich
der Jakobssohn seiner Pflichten bewußt bleibe:
„Daß Du heilig haltest die Kräfte Deines Körpers, sie nicht
vergeudest in schnöder Lust der Sinne, sie nicht verwendest
gegen Deines Gottes Willen, sie verwendest wie und wozu ER
sie Dir gab ; daß Du ganz Mensch, ganz Gottesdiener seiest, auch
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in tierischster Handlung eine heilige Aufgabe erblickest zum
heiligen Zweck des Weltenbaus, diesem heiligen Zweck heilig
haltest Deine Kräfte und auf diesen heiligen Zweck beschränkest
des Tieres Forderung und wissest, Gott werde Rechenschaft
fordern für jeden Splitter Kraft, den Du außer seinem Dienst ver-
geudest oder gegen seinen Willen verwendest — das rufe Dir
das Awrohöm-Siegel zu — und hemme Dein Beginnen, wenn Du
Tier willst werden.“ 480
Alle diese Gedankengänge, in denen sich zwei Jahrtausende
lang die jüdische Auffassung vom Wesen und der Heiligung des
Geschlechtsverkehrs bewegt, sind, wie mir scheint, vorgezeichnet
in der wundervollen Erzählung bei Tobia Kapitel 8, Vers 4 bis 9,
die also lautet und mit der ich dieses seltsame Kapitel würdig
beschließen möchte: „Als aber beide eingeschlossen waren, er-
hob sich Tobia vom Lager und sprach: Stehe auf, Schwester,
und laß uns beten, daß der Herr sich unsrer erbarme 1 Und
Tobia hob an zu beten: Gepriesen seist Du, Gott unsrer Väter,
und gepriesen sei Dein heiliger Marne in Ewigkeit! Die Himmel
und alle Deine Geschöpfe müssen Dich preisen ! Du hast Adam
geschaffen und ihm zur treuen Gehilfin Eva, sein Weib, gegeben :
von dieser stammt das Geschlecht des Menschen ab. Du sprachst :
es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei : wir wollen ihm eine
Gehilfin machen, die ihm gleich sei.
Und nun, o Herr, nehme ich diese meine Schwester nicht
um Wollust willen, sondern mit redlicher Absicht. Laß mich
also Gnade finden und mit ihr ein hohes Alter erreichen! Und
sie sprach mit ihm: Amen! Und beide schliefen die Nacht.“
* *
*
Warum ich so ausführlich gerade diese Seite der jüdischen
Religion abgehandelt habe? Weil ich in der Tat glaube, daß
die von der jüdischen Religion bewirkte Rationalisierung des
Lebens und vor allem des Geschlechtslebens in ihrer Bedeutung
für das Wirtschaftsleben nicht leicht überschätzt werden
kann. Wenn wir überhaupt einen Einfluß der Religion auf das
wirtschaftliche Verhalten der Juden gelten lassen wollen, so
müssen wir ganz gewiß die Rationalisierung der Lebensführung
als das wirksamste Mittel anerkennen, diesen Einfluß auszuüben.
Man könnte zunächst daran denken, daß dieser Rationalisierung
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eine Menge von Eigenschaften, von „Tugenden“, ihr Dasein ver-
danken, die für eine geordnete Wirtschaftsführung unentbehrlich
sind: Arbeitsamkeit, Ordnungsliebe, Sparsamkeit und ähnliches.
Auch der ganze Zuschnitt des Lebens, wie ihn die Weisen vor-
schreiben, ist derart, daß dabei die Ökonomie zu ihrem Rechte
kommt. Nüchternheit, Mäßigkeit, Frömmigkeit sind sicherlich
für den Geschäftsmann dienliche Eigenschaften. Was in den
heiligen Schriften und namentlich in den talmudisch-rabbinischen
Werken als Ideal der Lebensführung gepriesen wird, kann man
geradezu als die Moral des tugendhaften Gewürzkrämers be-
zeichnen : sich mit einer Frau begnügen, pünktlich seine Schulden
bezahlen, Sonntags (oder Sabbat) zur Kirche (Synagoge) gehen
und mit grenzenloser Verachtung auf die sündige Welt um sich
her herabblicken.
Aber in der Züchtung dieses Typus — des tugendhaften
Gewürzkrämers — erschöpft sich die Leistung der jüdischen
Moralistik nicht, ja sie ist nicht einmal eine ihr gerade eigene
Vollbringung und ist auch für den Werdegang des Wirtschafts-
lebens nicht eine besonders wichtige Tat. Die bürgerliche Wohl-
anständigkeit ist vielmehr ganz von selbst in der Zunftstube und
hinter dem Ladentische ausgebildet worden. Ich werde dafür
an einer andern Stelle den Nachweis erbringen, daß in der Tat
alle die Tugenden, die wir heute als diejenigen des gesitteten
Bürgers schätzen und rühmen, sich mit Notwendigkeit in der
Enge des kleinbürgerlichen Daseins entwickeln mußten. Des
kleinbürgerlichen Daseins : womit ihr Geltungsbereich recht
eigentlich bezeichnet wird. Zwar ist der Kapitalismus durch
jene spezifischen Epiciertugenden ebenfalls gefördert worden,
namentlich in der Zeit seiner Entstehung, als Fleiß und Spar-
samkeit, Ordnungsliebe und häuslicher Sinn erst die Grundlage
für den Bau der kapitalistischen Wirtschaft legen mußten. Aber
dieser selbst ist doch nicht aus jenen Eigenschaften erwachsen
und wir wollen doch gerade immer feststellen, was die Juden
zu der spezifisch kapitalistischen Entwicklung beigetragen haben.
Da wäre denn schon eher zu denken an die Bedeutung, die
die Pflege des Familienlebens für die Entfaltung wirtschaftlicher
Energien zweifellos besitzt, und daß diese Pflege und Verfeinerung
des Familienlebens doch recht eigentlich als das Werk der jüdischen
Weisen (und freilich auch des äußeren Schicksals der Juden) an-
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Zusehen sind. Denn offenbar gewinnt die Frau zuerst im Juden-
tum die hohe Achtung, die allein die Grundlage eines innerlichen
und auf die Lebenshaltung des Mannes nachhaltig wirkenden
Familienlebens bilden kann. Und alles, was äußerliche Be-
stimmungen und ermahnendes Zureden tun können, um ein in
sich wohlgeordnetes Familienglück zu erzeugen, das haben die
Talmudisten und Rabbinen durch den Erlaß ihrer Vorschriften
über die Eheschließung, das Zusammenleben der Ehegatten, die
Kindererziehung usw. nach Kräften zu leisten versucht. Daß das
Eheleben bei den frommen Juden noch heute „heiliger“ gehalten
wird als bei den Angehörigen anderer Konfessionen, erweist
(äußerlich) die Statistik der unehelichen Geburten. Diese sind
überall erheblich weniger zahlreich bei den Juden als bei den
Christen und sinken in heute noch streng orthodoxen Gegenden
auf einen ganz winzigen Betrag.
Beispiele 4 ** 1 :
bei der
bei den
Gesamtbevölkerung
Auf 1000 Köpfe kamen uneheliche
Geburten im Königreich Preußen
Juden
(1904)
2,51
0,66
Württemberg (1905)
2,88
0,16
Hessen (1907)
2,18
0,82
Bayern (1908)
4,25
0,56
Rufiland (1901)
1,29
0,14
Was insbesondere dieses letzte Land anbetrifft, so lehrt ein
genauer Vergleich noch einen größeren Abstand der jüdischen
von den verschiedenen christlichen Konfessionen in der Höhe
der Ziffer unehelicher Geburten (daneben doch auch schon eine
leise Lockerung der jüdischen Sexualmoral während des letzten
Menschenalters): In Rußland waren von je 100 Geburten un-
ehelich bei den
Griechisch-
orthodoxen
Katholiken
Protestanten
Juden
1868
2,96
8,45
3,49
0,19
1878
8,13
8,29
3,85
0,25
1898
2,66
8,58
3,86
0,87
1901
2,49
8,57
3,76
0,46
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279
Erst das Familienleben, wie es die Juden führten und ein-
führten, in das der Mann seine höchsten Lebenswerte hinein trügt,
aus dem er Kraft und Frische und Mut und Interesse an der
Erhaltung und Ausgestaltung seines Lebensspielraums heraus-
nimmt, erst dieses Familienleben, dürfen wir annehmen, schafft
Kraftzentralen für männliches Wirken, die groß genug sind, um
damit ein so mächtig viel Kraft heischendes Wirtschaftssystem
wie das kapitalistische in Betrieb zu setzen. Die Auslösung so
grober Energien, wie sie dieses Wirtschaftssystem erforderlich
macht, können wir uns nicht gut denken ohne die Vermittelung
der psychologischen Antriebe, die das Interesse an der nicht nur
sozial sondern vor allem individual-geistig-gemütlich erfaßten Einzel-
familie im Manne erzeugt.
Aber vielleicht müssen wir unsere Schachte unter die Ober-
schicht der psychologischen Motivation hinunter in die Tiefen der
physiologisch-somatischen Vorgänge im Menschen treiben. Ich
meine : daß wir bedenken müssen, wie ganz eigenartig die Kon-
stitution des männlichen Juden durch die in das Eheleben, das
heißt hier das Geschlechtsleben, hineingetragene Rationalisierung
beinflußt werden mußte. Das Phänomen, vor dem wir stehen,
ist dieses: ein seinem Blute nach über das normale Maß zur
Geschlechtlichkeit veranlagtes Volk — eine projectissima ad
libidinem gens nennt es Tacitus — wird durch die Satzungen
seiner Religion zu starker Beschränkung des Geschlechtstriebes
gezwungen. Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist ganz ver-
boten ; jeder muß sich sein Lebenlang mit Einer Frau begnügen ;
und auch der Umgang mit dieser ist auf ein geringes Maß zu-
rückgeführt : zu dem, was ich schon ausführte, nehme man noch
hinzu, daß die Schonzeit der Frau in jedem Monat 5 + 7 Tage
betrug, und daß sie nach der Geburt eines Sohnes 7+33 Tage,
nach der einer Tochter 14+66 Tage „unrein“ war, also nicht
berührt werden durfte — in jedem Jahre also (denn alle Jahre
kam ein Kind) 40 oder gar 80 Tage Karenzzeit zu den monat-
lichen 12 Tagen hinzukamen.
Daß aus dieser eigentümlichen Lage sich für die Energieökono-
mie des jüdischen Mannes ganz bestimmte Konsequenzen ergeben
mußten, sieht auch der Laie ohne weiteres ein (und sollte von
dem medizinischen Fachmann durch genauere Untersuchungen
wissenschaftlich festgestellt werden). Die Konsequenz, meine
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ich : daß starke Energien durch die Einschränkung des Geschlechts-
verkehrs gebunden wurden, die sich nun in anderer Richtung —
und diese Richtung war, angesichts der uns bekannten Lage der
Juden während der ganzen christlichen Zeitrechnung, die der
wirtschaftlichen Betätigungen — bewähren konnten. Aber man
wird, noch einen Schritt weiter gehen, und nicht nur ganz
allgemein einen Zusammenhang zwischen Beschränkung des
Geschlechtstriebes und wirtschaftlicher Energie, sondern noch
einen besonderen Zusammenhang herzustellen versuchen müssen
zwischen jener partiellen Sexualaskese und dem Erwerbstriebe.
Hierfür fehlen uns einstweilen noch die notwendigen wissen-
schaftlichen Unterlagen. Der einzige Forscher, soviel ich sehe,
der dieses — für alle moderne Soziologie grundlegende —
Problem berührt hat, ist der Wiener Psychiater Freud 48 *. In
seiner Lehre von der n Verdrängung der Triebe“ ist gelegentlich
die Abdrängung des Geschlechtstriebes in der Richtung des
Gelderwerbstriebes wenigstens als möglich angedeutet. Hier
sollten die fachwissenschaftlichen Untersuchungen einsetzen.
Denn mit den laienhaften Feststellungen, die wir ja freilich
täglich machen können: daß seigneuriales Wesen sich gern in
einer Vereinigung von Liebes Verschwendung und Geldverschwen-
dung darstellt, während Knickrigkeit, Greiz, Habsucht, hohe Greld-
be Wertung überhaupt Hand in Hand gehen mit einem ver-
kümmerten oder doch kümmerlichen Geschlechtsleben — mit
solchen Beobachtungen im Alltagsleben dürfen wir uns nicht
vermessen, dieses tiefeingreifende Problem zu lösen. Immerhin
kann mir das Recht nicht abgesprochen werden, dieses Argu-
ment — wenn auch einstweilen nur in der Form der Hypo-
these — in die Kette meiner Beweisführung einzufügen; das
heißt also die Behauptung aufzustellen, daß ein guter Teil der
spezifisch kapitalistischen Befähigung des Judenvolkes auf die
partielle Sexualaskese zurückzuführen ist, zu der die jüdischen
Männer von ihren Religionslehrern gezwungen wurden.
Ebenfalls späteren wissenschaftlichen Untersuchungen,
namentlich rassenhygienischer und anthropologischer Natur, ist
es Vorbehalten, festzustellen: welchen Einfluß die gesamte
Rationalisierung der Lebensführung auf die körperliche und
geistige Leistungsfähigkeit der Juden ausgeübt hat : wie in dieser
Richtung die sehr vernünftige Regelung des Geschlechtsverkehrs
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{schon längst besteht im jüdischen Recht auch eine Beschränkung
körperlich oder geistig minderwertiger Personen in ihrer Zu-
lassung zur Ehe); die durchgehende Rationalisierung der Er-
nährung (Speisegesetz! Mäßigkeitsvorschriften !) und ähnliches
gewirkt haben. Ansätze zu solchen Untersuchungen sind vor-
handen 488 . Ich hoffe, daß sie nun bald sich zu größeren, syste-
matischen Arbeiten auswachsen werden.
Was ich hier zum Schlüsse dieses Abschnittes nur noch
feststellen möchte, ist dieses: daß die Rationalisierung der
Lebensführung für die Betätigung der Juden in der Wirtschaft
natürlich auch insofern eine ganz große Bedeutung hat, als sie
durch diese Gewöhnung an ein Leben gegen die Natur (oder
neben der Natur) formal vorzüglich vorgebildet wurden, um ein
Wirtschaftssystem wie das kapitalistische, das ebenfalls wider
die Natur (oder neben der Natur) sich aufbaut, zu entwickeln
und zu fördern. Die Erwerbsidee sowohl wie der ökonomische
Rationalismus bedeuten ja im Grunde gar nichts anderes als die
Anwendung der Lebensregeln, die den Juden ihre Religion im
allgemeinen gab, auf das Wirtschaftsleben. Damit der Kapitalis-
mus sich entfalten konnte, mußten dem naturalen, dem trieb-
haften Menschen erst alle Knochen im Leibe gebrochen werden,
mußte erst ein spezifisch rational gestalteter Seelenmechanismus
an die Stelle des urwüchsigen, originalen Lebens gesetzt werden,
mußte erst gleichsam eine Umkehrung aller Lebensbewertung
und Lebensbedenkung eintreten. Der homo capitalisticus ist das
künstliche und kunstvolle Gebilde, das aus dieser Umkehrung
schließlich hervorgegangen ist. Natürlich daß dieser Umbildungs-
prozeß zum großen Teil durch den Kapitalismus selbst erfolgt
ist. Aber er wurde gefördert und vielleicht auch ursprünglich
angeregt durch den Vorgang der Neugeburt, den jeder Jude im
Laufe seines Lebens unter dem Einfluß seiner Religion erlebte.
Der homo Judaeus und der homo capitalisticus gehören insofern
derselben Spezies an, als sie beide homines rationalistici arti-
ficiales sind.
Insofern aber dieses der Fall ist, mußte die Rationalisierung
des jüdischen Lebens durch die Religion unmittelbar die Be-
fähigung des Juden zum Kapitalismus wenn nicht erzeugen, so
ganz bestimmt steigern und mehren.
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TL Israel und die Fremden
Als wir uns die äußern Umstände ins Gedächtnis riefen, die
dem Juden bei seiner wirtschaftlichen Karriere förderlich gewesen
sind, mußten wir als ganz besonders wichtigen Faktor die Fremd-
heit gelten lassen, in der das jüdische Volk alle Jahrhunderte hin-
durch gelebt hat : die Fremdheit in einem psychologisch-sozialen
Sinne gefaßt. Hier gilt es nun festzustellen, daß die Wurzeln
dieser Fremdheit in den Satzungen der Religion zu suchen sind,
gilt es festzustellen, daß diese selbe Religion zu allen Zeiten die
Fremdheit des Juden geschärft und gefestigt hat.
Wir haben die Entwicklung der jüdischen Religion zur
Nomokratie verfolgt und eben mit dieser Entwicklung wurde
auch' naturgemäß die Abschließung des jüdischen Stammes ge-
fördert. „La loi leur donnait l’esprit de clan“, hat Leroy-Beaulieu
treffend gesagt, der überhaupt diese Seite der jüdischen Ge-
schichte mit besonderem Glück dargestellt hat. Die bloße Tat-
sache dieses Gesetzes mußte ja genügen, um seine Anhänger
von allem Verkehr mit ihrer Umgebung auszuschließen. Die
Juden mußten abgesondert von den Goim leben, wenn sie ihr
Gesetz streng beobachten wollten: sie selbst* haben das Ghetto
geschaffen, das ja auch vom nichtjüdischen Standpunkt aus
ursprünglich eine Konzession, ein Privilegium, nicht etwa eine
Feindseligkeit bedeutete.
Und sie wollten abgesondert leben, weil sie sich erhaben
dünkten über das gemeine Volk ihrer Umgebung; weil sie als
das auserwählte, das priesterliche Volk sich fühlten. Die
Rabbinen haben dann das ihrige getan, um diesen Stolz zu
pflegen: Von Esra an, der die Mischehen verbot als eine Ent-
weihung des edlen judäischen Blutes, bis zum heutigen Tage,
da der fromme Jude betet: „Gelobt seist Du, o Herr, daß Du
mich nicht zum Goi gemacht hast!“
Und sie haben abgesondert gelebt durch alle die Jahrhunderte
hindurch seit der Zerstreuung, trotz der Zerstreuung und (dank
eben den festen Banden, in die sie das Gesetz einschloß)
wegen der Zerstreuung. Abgesondert und darum zusammen-
geschlossen oder wenn man lieber will: zusammengeschlossen
und darum abgesondert.
Zusammengeschlossen. Das fängt vom babylonischen Exil
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283
an, das recht eigentlich den positiven Internationalismus der Juden
begründet hat Viele, namentlich wohlhabende Leute, blieben
(wohlgemerkt: freiwillig 1) in Babylon zurück, gaben aber ihr
Judentum darum nicht auf, sondern behaupteten es mit Eifer.
Sie unterhielten einen lebhaften Verkehr mit ihren zurück-
gewanderten Brüdern, nahmen regen Anteil an ihrem Geschicke,
unterstützten sie und sandten ihnen von Zeit zu Zeit neuen
Zuzug 484 .
Als dann die hellenistische Diaspora sich bildete, wurde der
Zusammenhang nicht geringer. „Sie hielten eng zusammen in
den einzelnen St&dten und in der ganzen Welt. Wo sie sich
aufhalten mochten, behielten sie Fuß in Sion. Mitten in der
Wüste besaßen sie eine Heimat , in der sie zuhause waren . . .
Durch die Diaspora traten sie in die Welt ein. In den helle-
nistischen Städten nahmen sie griechische Art und Sprache an,
wenn auch nur als Gewand ihres jüdischen Wesens . . (Well •
hausen).
Und so ist es geblieben durch all die Jahrhunderte hin-
durch, während welcher die Juden in der Verbannung gelebt
haben: eher ist das Band fester geworden, das die gesamte
Judenheit umschließt. „Scis quanta concordia“, ruft Cicero 485
aus: Du weißt, wie sie Zusammenhalten! Und was aus der
römischen Kaiserzeit berichtet wird: bei dem Aufstande des
Jahres 130 geriet „die gesamte Judenschaft des In- und Aus-
landes ... in Bewegung und unterstützte mehr oder minder offen
die Insurgenten am Jordan“ 486 , das gilt ja doch wortwörtlich
noch heute, wenn irgendwo ein Jude aus einer russischen Stadt
ausgewiesen wird.
Zusammengeschlossen und darum abgesondert: ihre
fremdenfeindliche Gesinnung, ihre Abschließungstendenz reicht ja
weit in das Altertum hinauf. Allen Völkern fiel von jeher ihre
„Misoxenie“ auf, die ihnen nachweislich zuerst von Hekatäus
von Abdera (um 300 v. Chr.) vorgeworfen wird. Wir finden sie
dann erwähnt bei vielen Schriftstellern des Altertums 487 : immer
fast mit denselben Worten. Am bekanntesten ist die Stelle bei
Tacitus(H. V, 1 § 5): „apud eos fides obstinata, misericordia
in promptu. Sed adversus omnes alios hostile odium. Separati
epulis discreti cubilibus, proiectissima ad libidinem gens, alienarum
concubitu abstinent.“
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284
Die jüdische Apologetik , die für Juden schrieb, hat diese
Anklagen selbst niemals zu widerlegen versucht 488 : sie waren
also begründet.
Gewiß hielten (und halten) sie so eng zusammen, und
schlossen sie sich ab oft auch, weil die Wirtsvölker durch ihre
Gesetze und ihr feindseliges Verhalten die Judenschaft von sich
fern hielten. Aber ursprünglich und eigentlich doch, weil sie
selbst, die Juden, so wollten und so muhten leben nach ihrem
Schicksale, das ihre Religion war. Daß dieses der richtige Zu-
sammenhang ist, sehen wir deutlich aus dem Verhalten der
Juden dort, wo es ihnen gut erging, wo die Wirtsvölker ihnen
zunächst mit aller Sympathie entgegenkamen. Das gilt für
manche Zeiten des Altertums, für das ich deshalb absichtlich
die Belege für ihre Abschließungstendenz beigebracht habe. Das
gilt auch für das Mittelalter. So etwa für Arabien im 1. Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung. Auch dort und damals war das
Judentum den arabischen Juden in der Form, wie es überliefert
wurde, mit dem Gepräge, das ihnen die Tanaiten und Amoräer
gegeben hatten, hochheilig. Sie hielten streng die Speisegesetze,
die Festtage und den Fasttag der Juden Kippur. Den Sabbat
beobachteten sie streng. „Obwohl sie sich in dem gastfreien
Lande über nichts zu beklagen hatten, so sehnten sie sich doch
nach der Rückkehr ins heilige Land ihrer Väter und erwarteten
jeden Tag die Ankunft des Messias . . . Mit den Juden in
Palästina standen sie in Verbindung“ usw. 489 . Dasselbe Bild
später im maurischen Spanien : Während die Muzaraber, das heißt
die unter den Mohamedanern wohnenden Christen, ihre Eigentüm-
lichkeit an das arabische Wesen soweit aufgaben, daß sie ihre
Muttersprache, das gotische Latein, vergaßen, ihre Bekenntnis-
schriften nicht mehr verstanden und sich des Christentums
schämten , empfanden die Juden Spaniens bei zunehmender
Bildung nur noch mehr Vorliebe und Begeisterung für ihre
heimatliche Sprache, ihr heiliges Schrifttum und ihre angestammte
Religion 490 . Das spiegeln auch ihre Denker und Dichter wider:
die größten Dichter, die das Judentum im Mittelalter erzeugt
hat — inmitten der spanisch - arabischen Welt, in der sie in
langen Zeiträumen geachtet lebten — , sind streng „ national“ ,
also streng religiös, ziehen ihre dichterische Kraft aus den
Messiashoffnungen und sind erfüllt von dem unwiderstehlichen
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285
Drange nach „Zion, der gnadenreichen Stadt “. 491 Man denke
an den größten: Jehuda Halevy, dessen Zionide , die höchste
Blüte der neuhebräischen Poesie, ganz und gar diesen national-
jüdischen Geist atmet.
Wie eine festgeschlossene Wolke am blauen Himmel zieht
das Judentum durch die Geschichte: mit der lebendigsten Er-
innerung an ganz alte, heilige Zeiten, wie mit einem frischen
Odem jederzeit belebt und erquickt. Noch heute segnet der
fromme Jude die Kinder mit den Worten: „Gott lasse dich werden
wie Ephraim und Manasse“.
Die wichtige Folge dieser von der Religion bewirkten Zu-
sammenschließung und Absonderung des jüdischen Volkskörpers
für das Wirtschaftsleben war nun aber die von uns schon in
ihrer Bedeutung gewürdigte Fremdheit: daß aller Verkehr der
Juden, sobald sie aus dem Ghetto heraustraten, ein Verkehr mit
Fremden wurde. Weshalb ich an dieser Stelle noch einmal diesen
Punkt berühre, sagte ich bereits : um zu zeigen, daß die aus dem
Zustande der Fremdheit naturgemäß folgenden eigenartigen Be-
ziehungen durch die Satzungen der jüdischen Religion mit Be-
wußtsein ihre Sanktionierung erhielten und in ihren äußersten
Konsequenzen entwickelt wurden ; daß also auch hier das
instinktive Gebaren des Juden als eines Fremden gegenüber
den Angehörigen des Wirtsvolkes zur Befolgung eines göttlichen
Gebotes wurde; sein besonderes Verhalten also wiederum die
Weihe religiös gebotener Gesetzestreue empfing und in einem
kunstvoll ausgebildeten Fremdenrechte ausdrücklich gebilligt,
wenn nicht gefordert wurde.
Die wichtigste und am häufigsten erörterte Bestimmung
dieses jüdischen Fremdenrechtes betrifft das Zins verbot oder
richtiger die Zinsgestattung. Im alten jüdischen Gemeinwesen 492
war, wie überall (soviel wir zu sehen vermögen) in den An-
fängen der Kultur, das zinslose Darlehn (würden wir in heutiger
juridisierender Terminologie sagen) die allein zulässige oder viel-
mehr die selbstverständliche Form der gegenseitigen Aushilfe.
Aber es finden sich auch schon in dem ältesten Gesetz (was
auch eine ganz allgemein beobachtete Gepflogenheit war) Be-
stimmungen des Inhalts: daß man „vom Fremden“ (vom Nicht-
genossen also) Zins nehmen dürfe.
Die Hauptstelle, in der dies gesagt ist, findet sich Deut.
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28, 20. Andere Stellen der Thora, die auf das Zinsnehmen Be-
zug haben, sind Ex. 22, 25; Lev. 25, 87. An diese Thorasätze
knüpft sich nun seit den Zeiten der Tanaim bis heute eine überaus
lebhafte Diskussion, deren Mittelpunkt die berühmten Aus-
einandersetzungen in der Baba mezia fol. 70 b bilden. Ich habe
die Empfindung, als diente ein großer Teil dieser Diskussion
ausschließlich dem Zwecke, den außerordentlich klaren Tat-
bestand, wie er durch die Thora geschaffen ist (und wie er sich
übrigens in der Mischna noch fast unverändert findet), durch
allerhand Sophismen zu verdunkeln. Deut. 28, 20 sagt deutlich :
von Deinem Genossen darfst du keinen Zins nehmen, vom
Fremden darfst du. Freilich: Eine Zweideutigkeit lag schon
in diesem Urtexte eingeschlossen : bei der Gleichheit von Futurum
und Imperativ im Hebräischen kann man die Stelle lesen: vom
Fremden „magst du“ und: vom Fremden „sollst du“ „wuchern“
(das bedeutet immer nicht mehr als: Zinsen nehmen).
Für unsere Frage genügt vollständig die Feststellung: der
Gläubige fand in der heiligen Schrift Sätze, die ihm das Zinsnehmen
(im Verkehr mit den Goim) mindestens gestatteten: er war
also das ganze Mittelalter hindurch von der entsetzlichen Last
des Zinsverbotes, unter dem die Christen seufzten, befreit.
Dieses Recht ist aber auch von der Lehrmeinung der Rabbinen
meines Wissens niemals ernstlich in Frage gezogen 4 * 8 . Unzweifel-
haft aber hat es auch Zeiten gegeben, in denen die Erlaubnis,
Zinsen zu nehmen, in eine Pflicht, mit dem Fremden zu wuchern,
umgedeutet wurde, in der also die strengere Lesart beliebt war.
Diese Zeiten waren aber gerade diejenigen, auf die es für
das praktische Leben ankam: die Jahrhunderte seit dem Hoch-
mittelalter. Es scheint von den Schriftstellern, die in unseren
Tagen den Gegenstand behandelt haben, nicht beachtet worden
zu sein, daß Deut. 28, 20 mit Bezug auf die Fremden unter die
Gebote aufgenommen worden, die das Leben des Israeliten
regeln: durch die Tradition ist gelehrt worden, daß man
dem Fremden auf Wucher leihen soll. In dieser Form ist das
Gebot — es ist das 198. — auch in den Schulchan Aruch über-
gegangen. Die modernen Rabbiner 4 * 4 , denen die — ach so
klaren ! — Bestimmungen des jüdischen Fremdenrechts unbequem
sind (warum eigentlich?), versuchen dann die Bedeutung solcher
Sätze wie das 198. Gebot dadurch abzuschwächen, daß sie be-
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287
haupten: „Fremde“ im Sinne der Stelle seien nicht alle Nicht-
juden , sondern nur „die Heiden“, „die Götzendiener“. Es ist
aber immer sehr strittig gewesen, wer zu den einen, wer zu
den andern gehört habe. Und der Gläubige , der beispielsweise
das 198. Gebot seinem Gedächtnis eingeprägt hat, wird die feinen
Unterscheidungen gelehrter Rabbiner nicht gemacht haben: ihm
genagte, daß der Mann, dem er auf Zinsen lieh, kein Jude, kein
Genosse, kein Nächster, sondern ein Goi war.
Und nun bedenke man, bedenke man : in was für einer ganz
andern Lage sich der fromme Jude befand als der fromme Christ in
jenen Zeiten, als die Geldleihe über Europa hinging und langsam
aus sich den Kapitalismus gebar. Während der fromme Christ,
der „Wucher getrieben“ hatte, sich auf seinem Totenbette
in Qualen der Reue wand und rasch vor dem Ende noch sein
Hab und Gut von sich zu werfen bereit war, weil es ihm als
unrecht erworbenes Gut auf der Seele brannte, überblickte der
fromme Jude an seinem Lebensabend schmunzelnd die wohl-
gefüllten Kästen und Truhen, wo die Zecchinen angehäuft lagen,
die er in seinem langen Leben dem elenden Christen- (oder auch
Mohamedaner-) Volk abgezwackt hatte : ein Anblick, an dem sein
frommes Herz sich weiden konnte, denn jeder Zinsgroschen, der
da lag, war ja fast wie ein Opfer, das er seinem Gotte dar-
gebracht hatte.
Daß nun aber auch sonst die Stellung des „Fremden“ im
jüdischen (göttlichen) Rechte eine Ausnahmestellung war, daß
die Verpflichtungen ihm gegenüber niemals so strenge waren als
dem „Nächsten“, dem Juden gegenüber: das kann nur Unkenntnis
oder Böswilligkeit leugnen. Gewiß haben die Auffassungen des
Rechts (und vor allem wohl der Sitte) von der Art und Weise,
wie der Fremde zu behandeln sei, im Laufe der Jahrhunderte
Veränderungen erfahren. Aber an dem Grundgedanken: dem
Fremden schuldest du weniger Rücksicht als dem Stammes-
genossen, ist seit der Thora bis heute nichts geändert worden.
Diesen Eindruck hinterläßt jedes unbefangene Studium des
Fremdenrechts in den heiligen Schriften (vor allem der Thora),
in Talmud, Kodizes und Responsen. Man macht heute noch in apolo-
getischen Schriften die berühmten Stellen in der Thora: Ex. 12,
49; 28, 9; Lev. 19, 88, 84; 25, 44—46; Deut. 10, 18, 19 geltend,
um daraus die „fremdenfreundliche“ Auffassung des jüdischen Ge-
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288
setzes zu erweisen. Aber erstens ist natürlich in einer Halacha,
um die es sich hier doch meist handelt, die »mündliche“ Tra-
dition nicht außer acht zu lassen; und zweitens enthalten doch
selbst jene Stellen der Thora zwar die Mahnung, den „Fremd-
ling“ (der natürlich zudem noch im alten Palästina eine ganz
andere Bedeutung hatte, wie später in der Zerstreuung : der Ger
und der Goi sind doch grundverschiedene Begriffe), den „Fremd-
ling“ zwar gut zu behandeln, „denn ihr seid auch Fremde ge-
wesen im Ägypterlande“, aber doch daneben schon die Weisung
(oder die Erlaubnis), ihn als minderen Rechtes zu behandeln:
„Also soll es zugehen mit dem Erlaßjahre: wenn einer seinem
Nächsten etwas geliehen hat; das soll er nicht einnehmen. Von
einem Fremdling magst du es einnehmen; aber dem, der dein
Bruder ist, sollst du es erlassen“ (Deut. 15, 2, 3). Es ist immer
dieselbe Sache wie beim Zinsennehmen : unterschiedliche Behand-
lung des Juden und des Nichtjuden. Und begreiflicherweise sind
denn die Rechtsfälle, in denen der Nichtjude minderes Recht
hat als der Jude, im Laufe der Jahrhunderte immer zahlreicher
geworden und bilden im letzten Kodex schon eine recht statt-
liche Menge. Ich führe aus dem Choschen Hamischpat folgende
Abschnitte an (die sicherlich nicht alle sind, in denen die
differentielle Rechtslage des Fremden ausdrücklich ausgesprochen
ist): 188, 194, 227, 231, 259, 266, 272, 283, 348, 389 ff.
Die große Bedeutung des Fremdenrechts für das Wirtschafts-
leben erblicke ich nun aber in zweierlei
Zunächst darin , daß durch die fremdenfeindlichen Be-
stimmungen des jüdischen Gewerbe- und Handelsrechts der Ver-
kehr mit den Fremden nicht nur rücksichtsloser gestaltet wurde
(also daß eine in allem Verkehr mit Fremden liegende Tendenz ver-
schärft wurde), sondern daß auch die Geschäftsmoral, wenn ich
es so ausdrücken darf, gelockert wurde. Ich gebe ohne weiteres
zu, daß diese Wirkung nicht notwendig einzutreten brauchte,
aber sie konnte sehr leicht eintreten und ist gewiß auch in
häufigen Fällen namentlich im Kreise der östlichen Juden ein-
getreten. Wenn beispielsweise ein Satz des Fremdenrechts (er
ist oft erörtert worden I) besagte : der von den Heiden (Fremden)
selbst begangene Irrtum in einer Rechnung darf von dem Israeliten
zu seinem Vorteil benützt werden, ohne daß eine Verpflichtung
bestünde, darauf aufmerksam zu machen (der Satz wurde in den Tur
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aufgenommen, im Kodex des Karo findet er sich zunächst nicht,
wird dann aber durch die Glosse des Isserle hineingebracht):
so muhte eine derartige Rechtsauffassung (und von ihr sind
zahlreiche andere Gesetzesstellen erfüllt) in dem frommen Juden
doch unweigerlich den Glauben erwecken: im Verkehr mit den
Fremden brauchst Du’s überhaupt nicht so genau zu nehmen.
Er brauchte darum sich subjektiv gar keiner unmoralischen Ge-
sinnung oder Handlung schuldig zu machen (konnte im Verkehr
mit den Genossen die außerordentlich strengen Vorschriften des
Gesetzes über richtiges Maß und Gewicht 495 streng einhalten):
er konnte im besten Glauben handeln, wenn er den Fremden
etwa „übervorteilte“. Zwar wurde ihm in manchen Fällen aus-
drücklich eingeschärft: du mußt auch dem Fremden gegenüber
ehrlich sein (z. B. Ch. h. 281), aber daß man das schon aus-
drücklich sagen mußte I Und dann hieß es ja wieder expressis
verbis (Ch. h. 227. 26): „Einen Nichtjuden kann man über-
vorteilen, denn es heißt in der Schrift 3. Mos. 25, 14, es soll
niemand seinen Bruder Übervorteilen tf (hier ist nicht vom Be-
trug die Rede, sondern von einem höheren Preise, den man
einem Fremden abnimmt).
Diese ganz vage Auffassung: am Fremden darfst du einen
Schmu machen, darfst auch im Verkehr mit ihm mal fünf gerade
sein lassen (du begehst damit keine Sünde), wurde nun wohl dort
noch gefestigt, wo sich jene formale Rabulistik im Talmud-
studium entwickelte, wie in vielen Judengemeinden des Ostens
Europas. Wie diese auf das Geschäftsgebaren der Juden laxi-
% gierend eingewirkt hat, stellt Graetz anschaulich dar, dessen
Worte (da er ja in diesem Falle gewiß ein einwandsfreier Zeuge
ist) ich hier ungekürzt wiedergeben möchte (da sie für manchen
Zug im wirtschaftlichen Wirken der Aschkenaze die Erklärung
enthalten) : „Drehen und Verdrehen, Advokatenkniffigkeit, Witzelei
und voreiliges Absprechen gegen das, was nicht in ihrem Ge-
sichtskreise lag, wurde . . . das Grundwesen des polnischen Juden . . .
Biederkeit und Rechtssinn waren ihm ebenso abhanden ge-
kommen wie Einfachheit und Sinn für Wahrheit. Der Troß
eignete sich das kniffige Wesen der Hochschulen an und ge-
brauchte es, um den minder Schlauen zu überlisten. Er fand
an Betrügerei und Überlistung Lust und eine Art siegreicher
Freude. Freilich gegen Stammesgenossen konnte List nicht gut
Sombart, Die Juden 19
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290
angewendet werden, weil diese gewitzigt waren ; aber die nicht-
jüdische Welt, mit der sie verkehrten, empfand zu ihrem Schaden
die Überlegenheit des talmudischen Geistes des polnischen
Juden . . . Die Verdorbenheit der polnischen Juden rächte sich
an ihnen auf eine blutige Weise und hatte zur Folge, daß die
übrige Judenheit in Europa von dem polnischen Wesen eine
Zeitlang angesteckt wurde. Durch die Abwanderung der Juden
aus Polen (infolge der kosakischen Judenverfolgungen) wurde
das Judentum gleichsam polonisiert“ 4M .
Die zweite, vielleicht noch bedeutsamere Wirkung, die die
differenzielle Behandlung der Fremden im jüdischen Rechte im
Gefolge hatte , war die , daß ganz allgemein die Auffassung von
dem Wesen des Handels- und Gewerbebetriebes sich umgestaltete,
und zwar frühzeitig in der Richtung, wie wir sagen würden, der
Gewerbefreiheit und des Freihandels. Wenn wir die Juden als
die Väter des Freihandels (und damit als die Bahnbrecher des
Kapitalismus) kennen gelernt haben, so wollen wir hier fest-
stellen, daß sie dazu durch ihr früh im freihändlerischen Sinne
entwickeltes Gewerberecht (das immer als göttliches Gebot zu
gelten hat) nicht zuletzt vorbereitet waren, und wollen ferner
feststellen, daß dieses freiheitliche Recht offenbar durch das
Fremdenrecht stark beeinflußt worden ist Denn es läßt sich
ziemlich deutlich verfolgen, daß im Verkehr mit Fremden sich
zuerst die Grundsätze des personalgebundenen Rechtes lockern
und von freiwirtschaftlichen Gedanken ersetzt werden.
Ich verweise auf folgende Punkte.
Das Preisrecht (oder die Preispolitik) steht für den Verkehr
mit Genossen in Talmud und Kodizes durchaus noch im Bannkreis
der Idee vom justum pretium (wie das ganze Mittelalter über-
haupt), erstrebt also eine Konventionalisierung der Preisbildung
unter Anlehnung an die Idee der Nahrung: dem Nichtjuden
gegenüber wird das justum pretium fallen gelassen, wird die
„moderne“ Preisbildung als die natürliche angesehen (Gh. h. 227,
26; vgl. schon B. m. 49 b ff.).
Aber woher auch immer diese Auffassung stammen möge:
überaus wichtig ist die Tatsache selbst, daß schon im Talmud
und noch deutlicher im Schulchan Aruch gewerbefreiheitliche
und freihändlerische Anschauungen vertreten werden, die dem
gesamten christlichen Rechte des Mittelalters ganz und gar fremd
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291
waren. Das durch ein gründliches und systematisches Studium
der Quellen einwandfrei und im einzelnen festzustellen, wäre
abermals eine dankbare Aulgabe für einen gescheiten Rechts-
und Wirtschaftshistoriker. Ich muh mich hier wieder mit der
Hervorkehrung einiger weniger Stellen begnügen, die aber, wie
mir scheint, schon genügen, um meine Behauptung als richtig zu
erweisen. dH ist zunächst eine Stelle im Talmud und den Kodizes,
die grundsätzlich die freie Konkurrenz zwischen Handel-
treibenden anerkennt (also ein Geschäftsgebaren, das, wie wir
in anderem Zusammenhänge sahen, aller vorkapitalistischen und
frühkapitalistischen Auffassung vom Wesen des anständigen
Kaufmanns widersprach). B. m. fol. 60 * b lautet (in Sammter-
scher Übersetzung): Mischna: „R. Jehuda lehrt: Der Krämer
soll den Kindern nicht Sangen und Nüsse verteilen, weil er sie
dadurch gewöhnt, zu ihm zu kommen. Die Weisen jedoch
erlauben es. Auch darf man nicht den Preis verderben. Die
Weisen jedoch (meinen): sein Andenken sei zum Guten. Man
soll nicht die gespaltenen Bohnen auslesen. So entscheidet Abba
Saul; die Weisen dagegen erlauben es.“
Gemara: „Frage: Was ist der Grund der Rabbanen?
Antwort: Weil er zu ihm sagen kann: ich verteile
Nüsse, verteile du Pflaumen“ (I).
In der Mischna stand: „Auch darf man nicht den Preis ver-
derben, die Weisen dagegen sagen, sein Andenken sei zum
Guten usw. Frage: Was ist der Grund der Rabbanen? Weil
er das Tor (den Preis) erweitert (herabsetzt).“ Auf der Wanderung
bis zum Schulchan Aruch sind dann die anti-gewerbefreiheitlichen
Räsonnements ganz abgestorben und die „fortgeschrittene“ Auf-
fassung ist allein stehen geblieben: „Dem Krämer ist es
erlaubt, den Kindern, die bei ihm kaufen, Nüsse
und dergleichen zu schenken, um sie an sich zu
ziehen, auch kann er wohlfeiler, als der Marktpreis
ist, verkaufen, und die Marktleute können nichts
dagegen haben.“ (Ch. h. 228, 18.)
Ähnlich lautet die Bestimmung Ch. h. 156, 7: (Kaufleute,
die ihre Waren in die Stadt bringen, unterliegen verschiedenen
Beschränkungen) „verkaufen aber die Fremden wohlfeiler oder
ihre Waren besser als die Stadtleute, so können diese den
Fremden nicht wehren, da das jüdische Publikum Vorteil davon
19*
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hat" usw. Oder Ch. h. 156, 5: Will ein Jude einem Nichtjuden
auf niedrigere Zinsen Geld leihen, so kann der andere ihm das
nicht wehren.
Ebenso finden wir im jüdischen Recht das starre Prinzip
des Gewerbemonopols zugunsten der „Gewerbefreiheit“ (wenig-
stens im Schulchan Aruch) durchbrochen: War eiimr unter den
Bewohnern eines Ganges, heifit es Ch. h. 156, o, ein Hand-
werker, und die andern haben nicht protestiert, und ein anderer
von diesen Bewohnern will dasselbe Handwerk anfangen, so
kann ihn der erste nicht daran hindern und sagen: er nehme
ihm das Brot weg, selbst wenn der zweite aus einem andern
Gange (Hofe) wäre usw.
Es kann also keinem Zweifel unterliegen : Gott will den Frei-
handel, Gott will die Gewerbefreiheit! Welch ein Antrieb, sie
nun im Wirtschaftsleben wirklich zu betätigen!
YII. Judaismus und Puritanismus
Ich habe schon zu verschiedenen Malen gesagt, dah mich
die Studien Max Webers über die Bedeutung des Puritanismus
für den Kapitalismus stark angeregt haben zu meinen Unter-
suchungen über den Judaismus, in Sonderheit weil ich den Ein-
druck gewonnen hatte, daß die tragenden und für die kapitalistische
Entwicklung bedeutsamen Ideen des Puritanismus in der jüdischen
Religion viel schärfer und natürlich auch viel früher ausgebildet
worden seien. Ich kann nun hier nicht im einzelnen den Nach-
weis führen, in wie weit diese Annahme richtig war: dazu mühte
ich die Ergebnisse dieses ganzen Kapitels in Vergleich stellen
mit den Grundideen des Puritanismus, wie sie Weber heraus-
gearbeitet hat. Mir scheint aber, daß ein solcher Vergleich in
der Tat die fast völlige Übereinstimmung jüdischer und purita-
nischer Anschauungen ergeben mühte, wenigstens insoweit sie
für die hier untersuchten Zusammenhänge bedeutsam sind: die
Präponderanz der religiösen Interessen; die Bewährungsidee;
(vor allem!) die Rationalisierung der Lebensführung; die inner-
weltliche Askese; die Verquickung religiöser Vorstellungen mit
Erwerbsinteressen; die rechnerische Behandlung des Sünden-
problems und manches andere sind in beiden Fällen dieselben.
Um nur einen besonders wichtigen Punkt noch zu urgieren r
die eigentümliche Stellung zum Sexualproblem , die Rationali-
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293
sierung des Geschlechtsverkehrs ist in Judaismus und Puritanis-
mus bis in’s kleinste gleich, ln einem der ersten Hotels Phila-
delphias fand ich in den Zimmern den gedruckten Anschlag:
„Unsere verehrten Gäste, die Geschäfte mit Frauen zu erledigen
haben, werden höfl. ersucht, während der Anwesenheit der Dame
in ihrem Zimmer die Tür offen zu lassen.“ Im Talmud aber
(Kidd. 82 a) heißen diese Worte : „Wer sein Geschäft bei Frauen
hat, sei nicht mit ihnen allein . . .“
Daß der englische Sonntag der jüdische Sabbat ist, lehrt
ohne weiteres der Vergleich usw.
Übrigens sind die inneren Beziehungen zwischen Judaismus
und Puritanismus — wenn auch ohne recht befriedigendes Er-
gebnis — von anderer Seite zum Gegenstände der Untersuchung
gemacht worden in den Studien von John G. Dow, Hebrew
and Puritan in der Jew. Quarterly Review, Vol. 3 (1891), 52 ff.
Und erinnern möchte ich daran, daß der helläugige Heinrich
Heine diese Verwandtschaft zwischen Puritanismus und Juden-
tum längst gesehen hatte : „Die protestantischen Schotten“, fragt
er in den Geständnissen* „sind sie nicht Hebräer, deren Namen
überall biblisch, deren Cant sogar etwas jerusalemmitisch-phari-
säisch klingt und deren Religion nur ein Judentum ist, welches
Schweinefleisch frißt?“.
Puritanismus ist Judaismus.
Auf Grund Webers und meiner Darstellungen, denke ich,
kann es nun nicht mehr schwer sein, diesen geistigen Zusammen-
hang, ja diese geistige Übereinstimmung, festzustellen.
Schwieriger wird die andere Frage zu beantworten sein : ob
etwa eine äußere Beeinflussung des Puritanismus durch die
jüdische Religion nachweisbar ist, und welcher Art diese etwa
gewesen sein mag. Bekannt sind die engen Beziehungen, die während
der Reformationszeit zwischen dem Judentum und manchen christ-
lichen Sekten sich herausbildeten, bekannt die Modeliebhaberei für
die hebräische Sprache und judaistische Studien. Bekannt ist aber
insbesondere auch die geradezu fanatische Verehrung, die im
17. Jahrhundert die Juden in England namentlich bei den Puri-
tanern genossen. Nicht nur, daß die religiösen Anschauungen
der führenden Männer wie Oliver Cromwells durchaus im Alten
Testamente verankert waren: Cromwell träumte von einer Ver-
söhnung des Alten und Neuen Testamentes, von einer innigen
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294
Verbindung des jüdischen Gottesvolkes und der englisch-purita-
nischen Gottesgemeinde. Ein puritanischer Prediger, Nathanael
Holmes (Homesius) , wünschte nichts sehnlicher als nach dem
Buchstaben mancher Prophetenverse der Knecht Israels zu werden,
um ihm auf den Knien zu dienen. Das öffentliche Leben und die
Kirchenpredigten erhielten geradezu eine israelitische Färbung. Es
fehlte nur noch, daß die Parlamentsredner hebräisch sprachen,
so hätte man sich nach Palästina versetzt glauben können:
die Levellers, die sich selbst „Jews“ nannten, verlangen, daß
die Staatsgesetze die Thora schlechthin zur Norm für England er-
klären möchten ; Cromwells Offiziere schlagen ihm vor, den Staats-
rat aus 70 Mitgliedern zu bilden nach der Zahl der jüdischen
Synhedristen ; im Parlamente von 1653 sitzt der Obergeneral
Thomas Harrison, ein Wiedertäufer, der mit seiner Partei das
mosaische Gesetz für England eingeführt wissen wollte; 1649
wird ein Antrag im Parlamente eingebracht: den Sonntag auf
den Sabbat, zu verlegen; ,The Lion of Judah* war die Inschrift
auf den Bannern der siegreichen Puritaner 4 ® 7 . Bezeugt ist
aber auch die Tatsache, daß in jenen Zeiten nicht nur das Alte
Testament, sondern auch die rabbinische Literatur in den Kreisen
der christlichen Geistlichkeit und der christlichen Laienwelt
gründlich gelesen wurde. Denkbar also wäre eine direkte Ab-
leitung der puritanischen Lehren aus den jüdischen sehr wohL
Dem kirchenhistorischen Fachmanne muß es überlassen bleiben,
hier Klarheit zu schaffen. An dieser Stelle muß es mit den
wenigen Hinweisen sein Bewenden haben.
Zum Schlüsse möchte ich nur noch auf ein schnurriges
Büchlein aufmerksam machen, das im Jahre 1608 erschienen ist,
und dessen Inhalt vielleicht symptomatisch wertvoll die enge
geistige Verbindung aufweist, in die damals in der herrschenden
Anschauung Puritanismus (oder Calvinismus) und Judentum mit-
einander gebracht wurden. Es hat den Titel „Der calvinische
Judenspiegel“ und behandelt auf Seite 33 die Beziehung zwischen
den beiden Religionsgemeinschaften in folgender amüsanter Weise:
„Wann ich auff mein Eydt den grundt und die warhaffte Ursache
sagen sol, warumb ich Calvinisch worden sei, so muss ich be-
kennen, dass mich darzu nichts anders bewogen hat als nur
allein diese nemblich dass unter allen kein gefunden werde die
mit dem Judenthumb so gleich einstimme, unnd deren antworte
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295
als dieselbe vom Glauben und Leben: [die angeführten Gründe
sind teils ernst teils satirisch]. 8. die Juden hassen den Namen
Mariae unnd dulden sie nur allein wann sie von Goldt und Silber
gemacht oder auff Geldt geschlagen: also auch wir halten ihn
nichts mehr usw. aber Mariengroschen und Sonnenkronen, dar-
auf! Marien Bildere gestempfft , haben wir gern und halten in
ehren, wie auch von Goldt und Silber gefortmierte dann die in
unsera Kraem dienen. 9. die Jüden stechen sich in alle Lande,
das Volk zu betriegen : wir auch : Dann wir darumb unser Vatter-
land verlassen und uns in andere Lande, da wir nicht bekand
und unwerth sein begeben, damit wir durch unser Falsch und
List, den betriglichen Störiem gleich ... die unverständigen ver-
führen, betriegen und an uns bringen“ . . . usw.
Also!
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296
Zwölftes Kapitel
Jüdische Eigenart
I. Das Problem
ESs kostet wahrhaftig keine geringe Überwindung, in einem
wissenschaftlichen Buche das in der Überschrift dieses Kapitels
ausgedrückte Problem abzuhandeln. Ist doch ganz allgemein in
letzter Zeit alles, was nach Völkerpsychologie ausschaut, zum
Spielball dilettantischer Launen geworden und wird doch ganz be-
sonders die Schilderung jüdischen Wesens von rohen Geistern mit
groben Instinkten als politischer Sport ausgeübt — zum Ekel und
Überdruß für alle, die sich in unserer grobschlächtigen Zeit Ge-
schmack und Unbefangenheit bewahrt haben. Der unverantwort-
liche Mißbrauch, der mit völkerpsychologischen Kategorien un-
ausgesetzt getrieben wird, hat denn auch schon dahin geführt,
daß man ein ganzes Heer von Gründen mobil gemacht hat, die
die Unmöglichkeit kollektivpsychologischer Aussagen wissen-
schaftlich erweisen sollen. Wenn man die Bücher von Friedrich
Hertz, von Jean Finot und anderen liest 498 , bekommt man
freilich fast den Eindruck, als sei es wirklich ein aussichtsloses
Beginnen, in einer irgendwelchen Vielheit von Menschen psycho-
logische Übereinstimmungen festzustellen; als hätten alle, die
bisher eine Wissenschaft wie die Völkerpsychologie anzubahnen
sich mühten, einem Phantome nachgejagt. Der schöne Bau liegt
in Trümmern, und man möchte daran zweifeln, daß er je wieder
aufgerichtet werden könnte.
Und doch, und doch! Wir mögen noch so sehr von den
Beweisgründen überzeugt sein, die wir in den kritischen Büchern
zusammengetragen finden; wir mögen einen ganzen Tag, eine
ganze Woche lang darauf ausgewesen sein, die Trugbilder zu
zerstören, die uns frühere Schriftsteller von dem Wesen eines
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297
Volkes oder einer andern Menschengemeinschaft vorgegaukelt
haben ; mögen uns (beispielshalber) köstlich amüsiert haben über
die elegante Art, wie Jean Finot die Mähr vom französischen
„Esprit" ins Reich der Fabel verweist und uns haarklein und
scharfsinnig auseinander setzt: es gäbe keine Franzosen, oder
Friedrich Hertz und die vielen andern: es gäbe keine Juden:
wenn wir dann wieder einmal über die Straße gehen und die
Augen aufschlagen, so rufen wir plötzlich wohl ganz erstaunt
aus: sieh da, da steht er ja, den wir eben begraben haben; oder
ein Buch lesen oder ein Bild betrachten: so ertappen wir uns
plötzlich bei dem Gedanken : wie echt deutsch, wie kleinstädtisch,
wie französisch und sehen vor unsern geistigen Augen diese ganz
besondere Art von Menschen leibhaftig vor uns, die wir eben
mit tausend Gründen aus der Welt fortdiskutiert haben.
Ist das nur Spuk der Phantasie?
Aber es ist nicht nur das instinktive Gefühl, das uns an jenen
Bildern festhalten läßt: auch die nüchterne Überlegung führt uns
dazu, so etwas wie volkliche Eigenart in die Kette unserer kau-
salen Betrachtung des Menschenschicksals einzufügen. Ich
möchte sagen, daß alle sozialen Wissenschaften notwendig einer
solchen Hilfskonstruktion, wie die völkerpsychologische Hypo-
these, bedürfen, um in das bunte Durcheinander der Einzeltat-
sachen Ordnung zu bringen; daß wir Kollektivseelen (man ver-
zeihe einstweilen das Wort, das ich gleich erklären werde) gleich-
sam als Substanz der sozialen Welt annehmen müssen, um auf
sie die tausendfältigen sonst in der Luft schwebenden Regungen
der Gesellschaft, um alle Massenerscheinungen, die doch der
Gegenstand unserer Untersuchung sind, auf sie zu beziehen.
Die Hypostasierung einer kollektiven Psyche ist also für den
sozialen Theoretiker eine Denknotwendigkeit.
Um es an dem Beispiel zu verdeutlichen, das uns der In-
halt dieses Buches gewährt: wenn wir von einer jüdischen Re-
ligion gesprochen haben, wen anders sollen wir uns als Träger
denken als das jüdische Volk, dessen Eigenart dieses eigenartige
Gebilde — die Formung seiner religiösen Vorstellungen — bis
in alle Einzelheiten hinein entspricht. Hier ist der Zusammen-
hang deutlich und auch dem ungeübten Auge wahrnehmbar.
Aber auch dort, wo wir die Einwirkungen der Juden auf
den Gang des Wirtschaftslebens aus „objektiven“ Umständen zu
\
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298
erklären uns angelegen sein ließen: blieben diese Erklärungen
nicht ganz und gar lückenhaft ohne die Annahme einer ganz
bestimmten jüdischen Eigenart? Ich meine doch: schon ein
flüchtiger Überblick über die Ergebnisse unserer Untersuchungen
muß dazu führen, diese Frage mit Entschiedenheit zu bejahen.
Ist es denn nicht absurd anzunehmen : es sei für den Verlauf der
Wirtschaftsgeschichte gleichgültig gewesen , ob in die west-
europäischen Länder seit dem Ausgange des Mittelalters statt
Juden Eskimos oder warum nicht Gorillas eingewandert wären ? I
Gehen wir die einzelnen objektiven Umstände der Reihe
nach durch: die räumliche Verbreitung: nun ebenso-
wenig wie wir die Entstehung der Diaspora ohne subjekti-
vistischen Einschlag erklären können, ebensowenig ihre eigen-
tümliche Wirkung. Wir sollen doch klar darüber sein, daß es
mit der Zerstreuung eines Volkes noch nicht getan ist; daß
keineswegs immer aus dieser Zerstreuung ökonomisch oder anders-
wie kulturell bedeutsame Wirkungen hervorzugehen brauchen,
daß vielmehr die Zerstreuung ebensogut zur Vernichtung, zur
Auslöschung eines Volksstammes führen kann.
Man sagt — gewiß mit Recht — daß die internationale Ver-
breitung die Juden zum Dolmetsch befähigte. Aber auch zum
Unterhändler, zum Vertrauensmann des Fürsten, die seit alters-
her aus solchen Dolmetschen hervorgegangen sind? Bedurfte
es dazu nicht erst wieder besonderer, eigener Veranlagung?
Wir haben ohne weiteres die räumliche Verbreitung der
Juden für einen großen Teil ihres Erfolges im internationalen
Handels- und Kreditverkehr verantwortlich gemacht. Ja — aber
war die Voraussetzung einer solchen Wirkung nicht der Um-
stand, daß die über alle Lande zerstreuten Juden auch nach der
Zerstreuung zusammenhielten? Wie, wenn sie die inneren
und äußeren Beziehungen nicht aufrechterhielten, wie so manche
in alle Welt versprengten Bestandteile anderer Stämme und
Völker?
Ich habe selbst auf die Bedeutung hingewiesen, die die Ver-
sprengung der Juden während der letzten Jahrhunderte dadurch
gewonnen hat, daß sie gerade unter Völkerschaften gerieten,
die reif zur Entwicklung des Kapitalismus waren. Aber zu be-
denken ist doch wiederum, daß diese starke Wirkung, die die
Juden in Holland, England, Deutschland, Österreich-Ungarn aus-
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geftbt haben (und noch ausüben), die offenbar viel stärker war als
die, die sie unter Spaniern, Italienern, Griechen oder Arabern aus-
üben konnten, zum guten Teil auf die Kontraste zurückzuführen ist
zwischen ihnen und den neuen Wirtsvölkern. Je schwerer, je
dickflüssiger, je geschäftsfremder die Bevölkerung ihrer Umgebung
ist, desto gröberen Einfluß scheint das Judentum auf das Wirt-
schaftsleben zu gewinnen: dank doch offenbar wiederum seiner
bestimmten Eigenart.
Woher auch die innere Fremdheit stammen mochte: daß
sie jene besondere Bedeutung für das Wirtschaftsleben erlangen
konnte : das ist doch gewiß wieder nicht ohne die Annahme einer
jüdischen Eigenart denkbar. Daß ein Volk oder ein Volksteil
gehaßt und verfolgt wird, ist doch noch nicht Grund genug,
damit nun daraus Anregung zu doppelt gespannter Tätigkeit er-
wachse. Im Gegenteil : in den meisten Fällen wird diese Gering-
schätzung und Mißhandlung moralisch verwüstend, niederdrückend
wirken. Nur wo ganz besondere Eigenschaften in den Menschen
vorhanden sind, gegen die sich die Verstimmung und Ver-
unglimpfung richten, werden diese zu einem Quell gesteigerter
Tatkraft werden.
Und wiederum: die eigentümliche Wirkung, die die Zurück-
setzung (oder Privilegierung) der Juden im bürger-
lichen Leben ausübte : daß sie sie zu ökonomischen Kraftleistungen
anspomte: wie sollte sie keine jüdische Eigenart zur Voraus-
setzung haben? Ist es denn nicht eine Binsenwahrheit, daß
Energien, wenn sie durch irgend welchen äußeren Umstand frei-
gesetzt werden sollen, erst vorhanden sein müssen? Ist es denn
nicht selbstverständlich, daß dort, wo ein äußeres Ereignis den
Ehrgeiz eines Menschen anstachelt, dieser von besonderer Seelen-
beschaffenheit sein mußte? Dasselbe Schicksal macht doch aus
dem Einen einen Lumpen und Tagedieb, aus dem andern einen
Helden und Allesbezwinger. Trivialitäten.
Umgekehrt : in wichtigen Punkten, sahen wir, war die Rechts-
stellung der Juden in den verschiedenen Staaten und zu ver-
schiedenen Zeiten verschieden: z. B. wechselten die Be-
stimmungen über die Zulassung zu den einzelnen Berufen. In
einigen Ländern, wie England, genossen sie hierin seit ihrer
Wiederzulassung fast völlige Gleichberechtigung: trotzdem
sahen wir sie allerorten den gleichen Berufen Zuströmen. Gerade
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auch in England fangen sie als bullion merchants oder shopkeepers
an, ebenso in Amerika, um dann ihre kommerzialistische Mission
wie überall durchzuführen. Da müssen wir doch abermals auf
eine besondere Eigenart schließen.
Und daß Reichtum allein noch nicht genügt, um wirt-
schaftlich große Dinge zu vollbringen, daß der, der ihn hat, viel-
mehr auch bestimmte Eigenschaften des Geistes besitzen muß,
damit der Reichtum in kapitalistischem Sinne verwertet werde :
soll das auch erst wieder „bewiesen“ werden?
Wie wohl eine künftige Menschheit über unsere Zeit urteilen
mag, in der allen Ernstes in Zweifel gezogen wird, daß Juden
anders geartet sind wie Zulukaffem; in der es notwendig ist,
sich erst zu entschuldigen, wenn man sich unterfängt, von einer
bestimmten Volkesart überhaupt nur zu sprechen I Und doch
zwingen uns die vielen menschenblinden Geschichtsinterpreten,
die überallhin ihre Eier legen, zu solcherart Umständlichkeiten.
Ich möchte doch aber nicht unerwähnt lassen, daß auch von
anderer Seite her ein wissenschaftliches Bedürfnis nach völker-
psychologischen Untersuchungen immer dringend er geltend gemacht
wird: von den „Rassetheoretikern“, den Anthropologen und
Kraniologen. Man kann getrost sagen, daß nach den Unter-
suchungen der letzten Jahre die nie aus den Flegeljahren her-
ausgekommene anthropologische Kraniologie in ihrer heutigen
Gestalt erledigt ist. Es wird heute keinem ernsten Anthro-
pologen mehr einfallen, aus dem Schädelbau oder andern soma-
tischen Eigenschaften auf eine bestimmte Seelenverfassung zu
schließen. Der ganze schöne Traum von den langschädeligen
Edelingen, die im Kampfe mit der gemeinen Rundköpfigkeit
liegen, von der Verknüpfung ganzer Kulturen mit dem Schädel-
index ist heute wohl endgültig ausgeträumt. Man versteht heute
kaum noch die Unverfrorenheit, mit der ohne auch nur die
Spur eines Beweises der Satz aufgestellt werden konnte: der
Schädelindex bestimmt die Seelenart des Menschen I
Aber: man wird doch heute weniger als je darauf ver-
zichten wollen , Zusammenhänge zwischen somatischen und
seelischen Eigentümlichkeiten festzustellen. Und darum wird
man sich nach Beweisen für solche Zusammenhänge umsehen,
und da wird man auf völkerpsychologische Erkenntnisse zurück-
gehen müssen. Man wird nämlich alsbald gewahr werden, daß
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man den W eg, den man eingeschlagen hatte, umgekehrt
gehen muh: daß man erst versuchen muh, bestimmte seelische
Eigenarten bei bestimmten Menschengruppen herauszufinden, um
dann die somatischen Merkmale, die man bei dieser selben
Gruppe beobachtet hat, in Parallele mit den seelischen Eigen-
arten zu stellen und so durch konstante Vergleichung der beiden
Reihen vielleicht zu gesetzmäßigen Korrelatverhältnissen durch-
zudringen. Voraussetzung für die Anwendung dieses wissen-
schaftlich allein einwandfreien Verfahrens ist aber natürlich
eine wohlgegründete und wissenschaftlich gefestigte Kollektiv-
psychologie.
Und diese sollte wirklich ein unlösbares Problem sein? Ich
glaube doch nicht. Wenn wir nämlich die Ein wände, die gegen
sie erhoben werden, genau prüfen, so finden wir doch bald
heraus, daß sich alle Bedenken nur gegen eine fehlerhafte Ver-
wirklichung, nicht aber grundsätzlich gegen die Kollektivpsycho-
logie überhaupt richten. Ist hier auch nicht der Ort, in allen
Einzelheiten die Möglichkeit einer Kollektivpsychologie nachzu-
weisen, so will ich doch zum besseren Verständnis dessen, was
ich über den besonderen Fall zu sagen habe, wenigstens einige
Hinweise geben, wie man etwa sich eine Wissenschaft der
Kollektivpsychologie zu denken hätte.
Was wir erfahren möchten, ist die seelische Eigenart einer
Gruppe von Menschen. Ich sprach deshalb von Kollektivpsycho-
logie im Gegensatz zur Individualpsychologie, aber auch zu dem,,
was man neuerdings als Sozialpsychologie bezeichnet, mit der
die Kollektivpsychologie nicht zu verwechseln ist. Jene, die in
letzter Zeit eine Reihe beachtenswerter Bearbeitungen erfahren
hat (Eulenburg! Simmel! und doch auch Wundt, trotz
seiner andern Terminologie), und die ihrer viel größeren Jugend
imgeachtet der wissenschaftlichen Reife viel näher steht als ihre
ältere Schwester, setzt sich ja zur Aufgabe, diejenigen seelischen
Erscheinungen festzustellen und zu analysieren, die aus der Tat-
sache der Vergesellschaftung sich ergeben; diese dagegen will
alle seelische Eigenart der Gruppe erfassen. Und es erhebt sich
nun die erste gewichtige Frage : welchen Sinn es hat, von einer
Gruppe von Menschen bestimmte Seeleneigenschaften auszusagen.
Was es also bedeutet, wenn wir etwa urteilen: die Deutschen
sind gemütvoll; die Slaven sind musikalisch; das Proletariat ist.
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302
rationalistisch ; die Großstädter sind . . die Germanen sind . .
die Professoren sind . . die Juden sind . . . usw. Wir müssen
uns ja immer dem Einwande aussetzen, den unser guter Freund
gegen eine solche Feststellung erhebt, der nämlich behauptet:
seine verstorbene Tante oder der Kanzleirat Müller nebenan oder
sonst noch wer seien „ganz anders“ gewesen, als wir von der
Gruppe ausgesagt hätten, der sie angehörten. Und unser Freund
kannte alle diese Leute sehr gut und hat gewiß recht.
Wie also?
Die älteren Vertreter der „Völkerpsychologie“ wußten sich
leicht zu helfen. Sie beschränkten ihre Untersuchungen zumeist
auf die Völker (oder was ihrer Ansicht nach dazu gehörte), und
diese Völker statteten sie mit einer besonderen Seele aus, die
sie auch „Volksseele“ nannten, und von der nun natürlich ebenso
wie von einer Individualseele alle Eigenschaften ausgesagt werden
konnten. Diese geheimnisvolle Volksseele taucht heute noch
unter dem Namen „psychisches Diapason“ auf und schwebt den
meisten „Völkerpsychologen" unserer Tage vor, wenn sie (wie
etwa der geistvolle Leroy-Beaulieu) bei einer Analyse der jüdi-
schen Eigenart 499 : „le juif et la racejuive“, „l’originalite natio-
nale et les facultas individuelles“, „Israel en tant que peuple et
le juif en tant qu’individu“ in einen Gegensatz zueinander
stellen.
Wir wollen zunächst diesen Zweig der Psychologie nicht auf „ die
Völker“ beschränkt sehen, sondern wollen jede beliebige Gruppe
von Menschen auf ihren seelischen Zustand untersuchen: daher
Kollektivpsychologie (besser als Massenpsychologie, die vielmehr
einen besonderen Zweig der Sozialpsychologie bildet) statt Völker-
psychologie.
Uns mutet aber auch alle „Volksseele“ mystisch an. Sie
erscheint uns als ein trügerisches Nebelgebilde, von dem, wenn
wir es durchleuchten, nichts übrig bleibt, das jedenfalls keine
irgendwelche Realität ist, sondern höchstens in unserer Vor-
stellungswelt als Hilfsmittel des Denkens seinen Platz hat.
Die einzigen Realitäten sind vielmehr die lebendigen Menschen,
die die Gruppe bilden (oder auch: gebildet haben und — unter
bestimmten Voraussetzungen — bilden werden). Man könnte
daran denken, neben ihnen noch eine zweite Realität anzunehmen :
die in irgendwelcher Stofflichkeit verkörperten Werke jener Einzel-
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308
menschen: also Bauwerke, Dichtwerke, Musikwerke, technische
Werke usw. eines Volkes etwa. Zweifellos haben diese Werke
— auch losgelöst von ihren Schöpfern und ihren Genießern —
ein selbständiges Leben und können in ihrer Wesenheit selb-
ständig erfaßt Werden: äußerlich, aber auch ihrem „Geist“
nach, so daß man etwa von der griechischen Architektur aus-
sagt: sie sei von edler Harmonie erfüllt, während die ägyptische
oder babylonische anders (etwa als Verkörperung des Kolossalen
oder sonstwie) gekennzeichnet wird. Aber sobald wir „die Seele“
dieser Werke fühlen wollen, können wir doch nichts anderes
tun, als daß wir sie in ihren Beziehungen auf lebendige Menschen
zu fassen suchen und als deren Äußerungen , als deren Be-
tätigungen zu verstehen trachten: nicht sowohl ihres Schöpfers
als vielmehr einer gedachten Idealperson. Kollektivpsycho-
logie wird also immer wieder auf die Einzelpersonen hinweisen
als auf die einzigen Realitäten, deren Wesen sie feststellen soll.
Und diese Individuen sind alle verschieden. Wie komme
ich zur Aussage einer bestimmten Eigenschaft, die der gesamten
Gruppe anhaften soll?
Nun — wenn „wissenschaftlich“ verfahren werden soll: auf
dem Wege eines sehr verwickelten Beobachtungs- und Ab-
straktionsverfahrens, dessen einzelne Bestandteile etwa folgende
sind.
Zunächst gilt es ein möglichst großes und möglichst zu-
verlässiges Material herbeizuschaffen. (Material für die Kollektiv-
psychologie sind aber einzelpsychologische Tatsachen.) Zu diesem
Behufe können verschiedene Methoden angewendet werden. Es
gibt grundsätzlich zwei Arten der Ermittlung : die unmittelbare und
die mittelbare. (Es ist hier, wenn von Individualpsychologie] die
Rede ist, immer nur die Vulgärpsychologie gemeint. Die so-
genannte „wissenschaftliche“ Psychologie ist für unsera Zweck
gar nicht verwendbar, da sie ja bisher bis zur menschlichen
Psyche überhaupt noch nicht gelangt ist.)
Die unmittelbare Erkenntnis gewinnt ihre Einsicht aus der
Beobachtung lebendiger Menschen und aller ihrer Äußerungen.
Sie kann sich des induktiven oder des statistischen Ermittlungs-
verfahrens bedienen. Die Induktion fußt auf der Einzelbeobachtung.
Diese kann wiederum zwiefacher Art sein: direkt und indirekt.
Direkt ist sie, wenn sie den Menschen selbst und sein lebendiges
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Wirken zu umfassen trachtet , was wiederum entweder mittels
des eigenen persönlichen Erlebnisses oder durch Erkundung
der persönlichen Erlebnisse anderer oder durch biographische
Berichte aus der Vergangenheit geschehen kann. Indirekt: wenn
sie aus den stofflich festgelegten Werken auf die Psyche diesmal
ihres Schöpfers schließt: aus dem „Tagebuch“ auf Goethe, aus
der „Zauberflöte“ auf Mozart usw.
Die Statistik liefert Massenbeobachtung seelischer Vorgänge
oder (zumeist) bestimmter Symptome, aus denen sich seelische
Eigenarten ablesen lassen: Bevölkerungsbewegung, Verbrechen,
Lektüre usw.
Das Ergebnis von solcherart Studien ist nun zunächst eine
(möglichst große 1) Reihe von eigenartig gekennzeichneten Einzel-
personen (die man persönlich kennen mag oder als Unbekannte
mit Nummern versehen muß). An diesen Individuen werden
nun je bestimmte Eigenarten festgestellt, die man vorher genau
gekennzeichnet hat: es seien die Eigenarten a, b, c, d, e, f, g,
Ä, t, Je. Die Nebeneinanderstellung der beobachteten Individuen
ergibt nun folgendes schematisches Bild:
Individuum A hat die Eigenschaften a, b, c, d, e, /’, g,
. s . .
n
Oy by Cy dy Ä, %y Ä/j
» O „ V
n
Oy by Cy 6y fy
. D . .
n
f, 9, h
» E » .
n
^ ff 9*
Nun beginnt die Auszählung: es wurden ermittelt bei 5 (500,
5 000000) Individuen
die Eigenschaften a, 6, f, g je 4 mal = 80 °/o
„ «i c, d, e „ 3 „ = 60 „
n n hf Je „ 1 „ = 20 „
Diese unmittelbare Beobachtung an lebendigen Menschen
wird dann ergänzt durch die mittelbare Erkenntnis aus den (von
ihren Schöpfern losgelösten) Werken. Diese Werke, sagte ich
schon, können materieller oder geistiger Natur sein: die wichtigsten
(aus denen insonderheit eine bestimmte „Volkspsyche“ abgelesen
werden soll) sind
in der Breite: Sprache, Recht (Sitte), Religion (Mythos), Wirt-
schaft, traditionale Technik ;
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305
in den Höhen : Philosophie , Dichtkunst , bildende Künste,
Kunstmusik, Architektur, rationale Technik;
in den Tiefen: Volkskunst, Volkslieder, Sprichwörter usw.
Auch diese Werke werden nun daraufhin untersucht, welche
Eigenarten in ihnen häufig oder immer wiederkehren, und aus
diesen Eigenarten werden bestimmte seelische Qualitäten ab-
geleitet. Die glückliche Analyse dieser Werke liefert natürlich
einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Lösung der Auf-
gabe.
(Im Vorbeigehen bemerkt : ich halte es für ganz falsch, die
Werke der ganz Großen hier als Quellen zu benutzen. Die
ganz Großen gehören zumeist gar nicht einer besonderen Gruppe
[Volke, Rasse, Klasse] an, sondern sind Sie selbst in ganz
einziger Eigenart oder allenfalls der Ausdruck einer ganzen Zeit.
Will man aus deutscher Dichtung Schlüsse ziehen, so wähle man
nicht Goethe, sondern Uhland; als jüdischen Philosophen be-
trachte man nicht Spinoza, sondern Maimonides, Mendelssohn
oder Simmel; als italienischen Maler nicht Michel Angelo, sondern
vielleicht Tizian ; als englischen Dichter nicht Shakespeare,
sondern Dickens usw.)
Ich erhalte so als Ergebnis eine Fülle von Eigenschaften:
in einem bestimmten Mengenverhältnisse die einzelnen zueinander :
80 a, 60 c usw., ebenso wie schon vorher bei der personalen
Beobachtung.
Und nun kommt die synthetische Volte. Diese vielerlei
Eigenschaften füge ich jetzt zu einem Ganzen zusammen derart,
daß (etwa nach Art der chemischen Atomkomposition) in diesem
Ganzen (das also die Einheit darstellt) alle Eigenschaften in
demselben Mengenverhältnis sich wiederfinden, in dem ich sie
vorher durch Beobachtung der Einzelindividuen ermittelt hatte.
Vielleicht lasse ich bei dieser Zusammenfügung die in ganz ge-
ringer Menge vorhandenen Eigenschaften als quantitö nögligeable
ganz verschwinden; also in unserm Schema etwa die Eigen-
schaften h und k und bilde die Einheit mit den Bestandteilen
a, f> ffy c, d, e in dem Verhältnis, daß diese zusammen = 1
sind. Diesem seltsamen Gebilde, dem kein lebendiger
Mensch entspricht, jedenfalls nicht zu entsprechen
braucht, hauche ich nun kraft meiner Schöpfungsmacht Leben
ein, indem ich mir einen Menschen vorstelle, der mit diesen
Sombart, Die Juden 20
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306
verschiedenen Eigenschaften in dem bestimmten Mischungs-
verhältnisse ausgestattet ist, und diesem Gedankengebilde lege
ich des weiteren den Namen der Gruppe bei, innerhalb deren
ich die Untersuchungen anstelle: ich sage: das ist der Deutsche,
das ist der Professor, das ist der Jude.
Aber es hat vielleicht nie solch einen Deutschen, nie solch
einen Professor, nie solch einen Juden gegeben.
Diese Erschaffung eines neuen Menschentyps ist ein durchaus
legitimer Akt unserer wissenschaftlichen Schöpfertätigkeit. Wir
dürfen nur die rein geistige Natur dieses neuen Wesens nicht
verkennen; müssen uns also jederzeit bewußt bleiben (ich wieder-
hole es noch einmal, weil ich diese Feststellung für entscheidend
wichtig halte) , daß ihm keinerlei Realität in der Wirklichkeit
gegenübersteht, daß kein einziger Mensch in der Gruppe genau so
beschaffen ist wie unser Homunculus, daß es eine ganze Menge
von Gruppenangehörigen gibt, die vielleicht keinen einzigen Zug
gemeinsam haben mit unserm Gedankenmenschen. Müssen uns
bewußt bleiben, daß dieses Gebilde unseres Geistes nichts anderes
sein soll als ein Hilfsmittel unseres Denkens, mittels dessen wir
uns die Massenwirkungen einer sozialen Gruppe verständlich
machen wollen. Wir müssen eine Hilfskonstruktion dort sehen,
wo die Älteren eine Volksseele erblickten.
(Wollte man ganz auf dem Boden der persönlichen Wirklich-
keit bleiben, so dürfte man immer nur sagen: in dieser Gruppe
sind diese Züge bei mehr Individuen anzutreffen als in jener,
sind andere Züge seltener als in der andern Gruppe: es gibt aber
auch zerstreute Offiziere und stramme Professoren.)
Die rein geistige Natur dieses idealen Gruppenmenschen
tritt besonders deutlich in die Erscheinung, wenn man die von
ihm ausgesagten Eigenschaften gar nicht mehr auf Angehörige
der Gruppe bezieht, sondern auf beliebige Andere. Dann fcunn
es sich ereignen, daß der „Geist“, die Wesenheit, die man erst
aus der Beobachtung einer Gruppe festgestellt hatte, nun auf
eine andere Gruppe übertragen werden, und daß schließlich
scheinbar höchst seltsamer Weise beispielshalber die Juden
Christen und die Christen Juden werden, wie es Chamberlain
in Aussicht stellt, wenn er folgende Sätze schreibt 500 :
„Man braucht nicht die authentische Hethiternase zu be-
sitzen, um Jude zu sein; vielmehr bezeichnet dieses Wort vor
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307
allem eine besondere Art zu fohlen und zu denken ; ein Mensch
kann sehr schnell, ohne Israelit zu sein, Jude werden.
Mancher braucht nur fleißig bei Juden zu verkehren, jüdische
Zeitungen zu lesen und an jüdische Lebensauffassung, Literatur
und Kunst sich zu gewöhnen. Anderseits ist es sinnlos, einen
Israeliten echtester Abstammung, dem es gelungen ist, die
Fesseln Esras und Nehemias abzuwerfen, in dessen Kopf das
Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung anderer keine
Stätte mehr findet, einen , Juden 4 zu nennen . . . Ein rein-
humanisierter Jude ist . . . kein Jude mehr, weil er, indem er(I)
der Idee des Judentums entsagt, aus dieser Nationalität, deren
Zusammenhang durch einen Komplex von Vorstellungen, also
einen , Glauben 4 bewirkt wird, ipso facto ausgetreten ist. Mit
dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: ,Denn das
ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist
ein Jude, der inwendig verborgen ist. 4 “ Rechter Hand, linker
Hand — alles vertauscht!
Was ich hier skizziert habe, wäre das streng „wissenschaft-
liche“ Verfahren zur Gewinnung völkerpsychologischer Urteile.
Es ist klar, daß seine Durchführung außerordentlichen Schwierig-
keiten begegnet, und daß wir wohl noch recht lange warten
müßten, ehe wir auf diesem Wege zu dem ersten greifbaren Er-
gebnis gelangten. Deshalb ist es ganz tröstlich, daß es außer
jenem wissenschaftlichen Verfahren noch ein anderes gibt, das
unter Umständen glänzende Resultate liefert: man kann es das
„abgekürzte“ oder auch das „künstlerische“ Verfahren nennen.
Mittels seiner schaut eine dazu veranlagte Persönlichkeit jenes auf
wissenschaftlichem Wege mühsam hergerichtete Gedankengebilde
als lebendiges Wesen mit seinem inneren Gesicht, sie schafft es
mit Hilfe ihrer Intuition, wie wir zu sagen pflegen. Dieser
inneren Schau genialer Menschen verdanken wir die wertvollsten
Einblicke in die Wesenheit sozialer Gruppen, und bei unserer
Charakteristik einer bestimmten Eigenart werden wir die Auf-
schlüsse, die uns von jener Seite kommen, gern verwerten, um
sie, wenn möglich, zur Grundlage des Gesamtmaterials zu machen,
das wir dann erst mit Hilfe des nüchternen wissenschaftlichen
Verfahrens verbessern und vervollkommnen. Wollen wir erfahren,
was „ein Jude 44 ist, so werden wir Shylocks Reden ebenso eifrig
studieren wie die Bankgeschichte oder die Statistik der Geistes-
20 *
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kranken. (Und werden doch nicht zugeben, daß wir „moderne
Obskuranten“ sind, wie allzuhelle Köpfe wohl behaupten!)
Daß es sich auch bei den auf intuitivem Wege gewonnenen
Ansichten immer nur um unwirkliche, das heißt nicht leibhaftige
(darum freilich vielleicht wirklichere als diese, aber doch nur
in einem hier nicht hergehörigen metaphysischen Verstand)
Typenbildungen handelt, ist noch deutlicher als im zuerst be-
sprochenen Falle der wissenschaftlichen Genese.
* *
*
Die kollektivpsychologischen Probleme werden nun aber
dadurch noch verwickelter, daß die sozialen Gruppen, von denen
besondere Wesenheiten festgestellt werden sollen, gleichsam also
die Individuen, denen man die eigenartige Seele andenken
(oder andichten) will, sehr zahlreich sind. Daß diese Kollektiv-
individuen nur „Völker“ seien, wie die Altere Richtung annahm,
wurde schon als irrtümlich bezeichnet Vielmehr wird man
sagen müssen, daß so viel Gruppen auf ihre seelische Sonderart
hin untersucht werden können, als sie gemeinschaftliche und ein-
heitliche Züge aufweisen. Danach würde sich ein ganzes System
kollektivpsychologischer Einheiten ergeben, das wir uns schema-
tisch wie folgt vergegenwärtigen können:
I. Die Gruppen (Kreise) liegen neben-
einander : Franzosen - Deutsche ;
Schuster-Schneider.
II. Die Kreise liegen ineinander, und
zwar konzentrisch: Internationales
Proletariat — deutsches Prole-
tariat — deutsches Industrie-
proletariat — Arbeiter der deut-
schen — der Berliner Maschinen-
industrie — derSiemens-Schuckert-
werke.
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III. Die Kreise liegen ineinander
und nebeneinander: französische
Künstler — französische Gelehrte.
IV. Die Kreise schneiden sich: Inter-
nationales Proletariat — Deutsche.
V. Die Formen I — IV treten irgendwie einfach oder mehrfach
kombiniert auf.
Was eine Gruppe bildet, die (gleichsam) eine selbständige
Seele hat, kann natürlich außerordentlich mannigfaltiger Natur
sein. Unter all den überhaupt gruppenbildenden Faktoren werden
es einzelne sein, die sich im voraus nicht bestimmen lassen,
da wir von keinem einzigen gruppenbildenden Faktor von vorn-
herein wissen können (oder annehmen dürfen), ob er auch seelen-
bildende Kraft besitzt.
Ober die Bildung der sozialen Gruppen und ihr Verhältnis
zueinander hat Simmel so viel Vortreffliches gesagt, daß ich hier
darauf verzichten kann, näher auf den Gegenstand einzugehen.
Bemerken möchte ich nur (weil es wichtig ist für das besondere
Thema, das hier behandelt werden soll), daß eine individuell ge-
artete Gruppe und also eine eigene Kollektivpsyche sowohl durch
reale (objektive) als durch ideale (subjektive) Faktoren gebildet
werden kann : zu jenen gehört das gemeinsame Blut, der gemein-
same Beruf, die gemeinsame Sprache, der gemeinsame politische
Verband u. a. ; diese werden durch ein irgend wie geartetes Zu-
sammengehörigkeitsgefühl, durch den Willen zur Gemeinsamkeit
(die durch keinen objektiven Umstand herbeigeführt wird) ge-
bildet. Subjektive und objektive Faktoren wirken oft bei der
Gemeinschaftsbildung zusammen.
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810
Dann möchte ich darauf aufmerksam machen, daß sich so-
ziale Gruppen mit einheitlicher Seelenverfassung nicht nur für
einen gegebenen Augenblick räumlich und zeitlich nebeneinander,
sondern ebenso zeitlich nacheinander unterscheiden lassen. „Das
deutsche Volk" ist eine bestimmte Gruppe nicht nur im Gegen-
satz zu dem „französischen Volke“ in einer bestimmten Epoche,
sondern auch im Gegensatz zu sich selbst in einer anderen Zeit
(deren richtige Abgrenzung wiederum ein Problem enthält).
Um „die Juden“ als Einheit zu fassen, werden wir zu-
nächst natürlich an die Religionsgemeinschaft denken, die sie
einte.
Ich möchte aber für die hier beabsichtigte Untersuchung die
durch die Zugehörigkeit zur mosaischen Religion gebildete Gruppe
einerseits einschränken anderseits erweitern. Einschränken
dadurch, daß ich nur die Juden etwa seit der Vertreibung der
Juden aus Spanien und Portugal, also seit dem Ende des Mittel-
alters in Betracht ziehe. Erweitern dadurch, daß ich die Ab-
kommen der Bekenner des mosaischen Glaubens, auch wenn sie
nicht mehr der jüdischen Religionsgemeinschaft angehören, in den
Kreis meiner Untersuchung hereinnehme. Ob die solcherart ab-
gegrenzte Gruppe eine gemeinsame und besondere seelische Eigen-
art habe, läßt sich nach dem, was oben bemerkt wurde, im vor-
hinein nicht aussagen. Bemerken will ich nur, daß die Gründe,
mit denen das Vorhandensein eines allgemeinen jüdischen Wesens
abgestritten werden soll, nicht stichhaltig sind.
1. Man verweist darauf, daß die Juden Westeuropas und
Amerikas in weitem Umfange die nationalen Eigenschaften ihrer
Wirtsvölker angenommen hätten. Das braucht nicht geleugnet
zu werden, auch wenn etwa eine besondere jüdische Eigenart
sich feststellen ließe. Es ist nämlich sehr wohl möglich, wie wir
sahen, daß Menschen und Gruppen von Menschen verschiedenen
sich schneidenden Gemeinschaftskreisen angehören. Ich erinnere
außer den schon angeführten Beispielen an die Deutsch-Schweizer,
die sehr deutlich sowohl Deutsche als Schweizer sind.
2. Man macht geltend, daß die Juden in der Diaspora kein
„Volk“ und keine „Nation“ im üblichen Sinne 501 bildeten, da
sie weder eine politische noch eine Kultur- noch eine Sprach-
gemeinschaft darstellten. Darauf ist zu erwidern, daß es ganz
gewiß noch andere Eigenart bildende Momente gibt (ich erinnere
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an die Gemeinsamkeit der Abstammung oder an die idealen
Faktoren der Gruppenbildung); ist vor allem zu erwidern, daß
man sich davor hüten möge, die Bedeutung einer Definition zu
überschätzen.
8. Man sagt, daß innerhalb der Judenschaft (in der von mir
angegebenen Umschreibung) keine Homogenität obwalte, daß
vielmehr sich sehr voneinander verschiedene Bestandteile, die
sich auch im eigenen Bewußtsein feindlich gegenüberstehen,
unterscheiden ließen. Etwa die östlichen und die westlichen
Juden; die Sephardim und die Aschkenazim ; die Orthodoxen
und die Liberalen; die Alltagsjuden und die Sabbatjuden (in
Marxscher Ausdrucksweise). Das kann ebenfalls ohne weiteres
zugegeben werden. Und doch ist es kein Beweisgrund gegen
die Möglichkeit einer gemeinsam-jüdischen Eigenart. Ich er-
innere wieder an die Kreisfiguren, die ich oben aufgezeichnet
habe : innerhalb eines größeren Kreises können mehrere kleinere
Kreise liegen, die entweder wieder konzentrisch sind oder sich
schneiden. Man vergegenwärtige sich etwa: wie unendlich kom-
pliziert sich die Gruppenzugehörigkeit eines Deutschen gestaltet,
der Katholik oder Protestant, Bauer oder Professor, Norddeutscher
oder Süddeutscher, Germane oder Slave und noch vielerlei und trotz
alledem Deutscher sein kann. Möglich ist es also allemal, daß
eine alljüdische Eigenart neben zahlreichen Gegensätzlichkeiten
einzelner Gruppen innerhalb der gesamten Judenheit bestehe.
* *
*
Ehe ich nun diese allgemein-jüdische Eigenart zu bestimmen
versuche, muß ich noch einmal ausdrücklich betonen, daß es
mir im Rahmen dieser Studien nicht darum zu tun ist, die ge-
samte jüdische Eigenart zu zeichnen, sondern nur soviel davon,
als für die Erklärung der wirtschaftlichen Vorgänge notwendig
ist. Dabei freilich kann ich mich nicht in der bisher üblichen
Weise damit begnügen, von einem jüdischen „Handelsgeiste“,
von einem „Schachergeiste“, von einer „Qualifikation der Juden
zum Handel“ usw. zu sprechen.
Ich sehe ganz davon ab, daß es unsinnig ist, Eigenschaften
wie beispielsweise die „Erwerbsgier“ als spezifische Eigenschaften
einer bestimmten Menschengruppe nachweisen zu wollen. Sie
sind menschlich (allzumenschlich).
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812
Ich lehne alle bisherigen Analysen der jüdischen Psyche
(soweit sie deren Beziehungen zum Wirtschaftsleben betreffen)
vielmehr aus folgenden Gründen ab:
1. ist bis jetzt immer zu unbestimmt gelassen, wozu man
die jüdische Art geeignet glaubte: „zum Wirtschaften“ , „zum
Handel“ : das sind ganz vage Bezeichnungen, die gar nichts sagen.
Deshalb habe ich in einem besondem Kapitel schon ausführlich
dargelegt: für welchen ganz bestimmten Kreis wirtschaftlicher
Tätigkeiten wir die Befähigung der Juden (und somit also jetzt :
die subjektive Befähigung der Juden) feststellen möchten: eben
für die im Nexus des kapitalistischen Wirtschaftssystems sich
ergebenden Strebungen und Tätigungen;
2. sollten wir uns doch klar darüber sein, daß Umschreibungen
keine Erklärungen sind. Wenn ich nachweisen will, daß die
Eigenart einen Menschen ganz besonders zum Börsenspekulanten
befähigt, so kann ich mich doch nicht damit begnügen, daß ich
sage: der Mann hat ein hervorragendes Talent zum Jobbern.
So verfuhr ja bekanntlich Onkel Bräsig, als er die Armut aus
der großen Poverteh ableitete. Aber fast immer verfahren die
Beurteiler der jüdischen Wirtschaftstalente wie Onkel Bräsig.
Was wir vielmehr aufsuchen müssen, sind bestimmte Veranlagungen
der Seele, die die glückliche Ausübung der kapitalistischen Wirt-
schaftsfunktionen gewährleisten ; sind Grundzüge des Geistes und
Charakters, denen bestimmte Wertvorstellungen und Zweck-
setzungen, bestimmte Leistungen und Tätigkeiten, bestimmte
Vorstellungs- und Willenskomplexe als Funktionen entsprechen.
Sie bei den Juden festzustellen, ist nun die Aufgabe der
folgenden Darlegung, zu deren Ausführung nunmehr, wie ich hoffe,
unser wissenschaftliches Gewissen genügend geschärft worden
ist durch all die Bedenklichkeiten und Fragezeichen, mit denen
die vorstehenden Blätter angefüllt sind.
£L Ein Losungsversuch
Im Grunde herrscht in der Beurteilung der Juden und ihrer
Eigenart eine größere Übereinstimmung, als man bei der Schwierig-
keit und Verfänglichkeit des Problems annehmen sollte. Sowohl
in der Literatur wie im Leben kommen doch alle nur einiger-
maßen vorurteilsfreien Männer wenigstens in diesem oder jenem
wichtigen Punkte überein. Ob man die Analysen des jüdischen
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313
Wesens bei Jellinek oder Fromer, bei Chamberlain oder Marx,
bei Heine oder Goethe, bei Leroy-Beaulieu oder Picdotto, bei
Dühring oder Rathenau — also bei frommen und nicht frommen
Juden, bei antisemitischen und philosemitischen Nichtjuden —
lesen mag: immer empfängt man doch den Eindruck: etwas
Eigenartiges, eine Realität wird von allen gleichermaßen empfunden.
Das mindert ein wenig die starken Bedenken, die man doch
nicht unterdrücken kann, wenn man nun selbst daran geht, die
jüdische Seele in Worten zu schildern. Man sagt nichts, was
nicht auch andere schon gesehen und gesagt hätten, wenn auch
vielleicht in etwas anderer Beleuchtung und mit etwas anderen
Worten. Und tut als eigenes nur hinzu: daß man die Be-
ziehungen aufweist, die zwischen der Gesamtanlage der Juden
sowie ihren einzelnen Veranlagungen und den Anforderungen des
kapitalistischen Wirtschaftssystems obwalten. Aber ich werde
das in der Weise tun, daß ich zunächst doch ein zusammen-
hängendes Bild von der jüdischen Eigenart zu zeichnen versuche
und danach erst jene Zusammenhänge zwischen ihr und deren
kapitalistischem Wesen aufzudecken unternehme.
Abweichend von den andern Beurteilem möchte ich meinen
Ausgangspunkt nehmen von der Betrachtung einer Eigenart
jüdischen Wesens, die zwar oft genug auch früher schon hervor-
gehoben wurde, ohne daß man ihr doch die zentrale Bedeutung
zugewiesen hätte, die, wie ich glaube, ihr zukommt: der über-
ragenden Geistigheit, oder wenn man den etwas ver-
brauchten und auch nicht ganz eindeutigen fremdsprachigen
Ausdruck vorzieht: dem Intellektualismus des jüdischen
Volkes. Darunter möchte ich zuerst verstanden wissen : das Vor-
walten der geistigen Interessen und geistigen Fähigkeiten vor
-den körperlichen (manuellen). Bei den Juden: „L’ intelligence
prime le corps" : das ist eine Tatsache, die wir im täglichen Leben
immer wieder beobachten können und deren Richtigkeit durch
vielerlei Anzeichen bestätigt wird. Bei keinem Volke ist zu
allen Zeiten der „Gelehrte“ so hoch bewertet worden wie bei
den Juden. „Der Weise geht vor dem Könige her; der weise
Bastard vor dem ignoranten Hohepriester“, heißt es im Talmud.
Und diese Überbewertung des „Wissens“, der „Wissenschaft“
finden wir noch heutigentags bei unsera jüdischen Studenten
wieder. Wer nicht ein „Weiser“ sein konnte, sollte wenigstens
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314
„gebildet 11 sein : der Unterricht war zu allen Zeiten in Israel ob-
ligatorisch. Die Ausübung der Religion selbst bedeutete ein
Lernen. Die Synagoge heißt noch heute im Osten „die Schul“.
Unterricht und Gottesdienst sind bei diesem Volke eins und Un-
wissenheit ist eine Todsünde ; wer nicht lesen kann, ist auf Erden
ein Verruchter, im Jenseits ein Verdammter. Nichts wird so
scharf gegeißelt vom Volksmund als die Narrheit. „Unrecht ist
mir lieber als Sehlus“; „ein Narr ist ein Gesar“(=Verhängnis),
sind bekannte Sprichwörter aus dem Ghetto 60 *.
Der wertvolle Mensch ist der intellektuale Mensch; höchstes
Menschtum ist höchster Intellektualismus. Das spricht jetzt
wieder ein zweifellos gescheiter Jude mit einer förmlich frap-
pierenden Naivität aus, wenn er folgendes (für anders veranlagte
Naturen geradezu schreckhaftes) Bild von dem Ideal- und Über-
menschen und vom Menschen der Zukunft entwirft: „An die
Stelle der blinden Instinkte . . . tritt beim Kulturmenschen der be-
wußtschaffende Intellekt. Es ist geradezu die Aufgabe desselben,
die Instinkte auszulöschen(I) , den Zwecke setzenden Willen an
die Stelle der Triebe, das Reflektieren an die Stelle des bloßen
Perzipierens zu setzen. Der einzelne wird dann erst ein Voll-
mensch, wenn seine Vernunfttätigkeit alle vorhandenen Prädis-
positionen aufgelöst und ersetzt — seine Instinkte ausgelöscht
hat. Ist die Losreißung von den Instinkten bis zu Ende ge-
diehen, dann haben wir das absolute Genie vor uns, mit seiner
absoluten, inneren Freiheit vom Naturgesetz (I). Aufgabe des
Kulturlebens ist es (!), von aller Mystik, von allem Dunkeln und
Triebhaften des Instinktlebens sich zu emanzipieren und die reine
rationale Form des Intellekts zu fördem a (!!) 608 . Man denke,
man denke I Das Genie (also gerade das noch triebhaft instinkt-
begabte Wesen) als höchsten Ausdruck des Rationalen und In-
tellektualen gefaßt!
Mit der überragenden Geistigheit der Juden hängt es auch
zusammen, daß bei ihnen zu allen Zeiten die verschiedenen Be-
rufe in dem Maße höhere oder geringere Geltung gehabt haben,
als sie größere oder geringere Ansprüche an geistige und vor allem
— umgekehrt — geringere oder höhere Ansprüche an physische
Leistungen stellten. Es mag Judenschaften gegeben haben und
noch heute geben, in denen schwere körperliche Arbeit gern und
mit Vorliebe geleistet wird: für unsere europäische Judenschaft
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315
gilt das nicht. Und auch die Juden der Talmudzeit zogen die
Berufe vor, die weniger Anforderungen an körperliche Tüchtig-
keit stellten. Nach Rabbi galt der Satz, wie wir schon sahen:
„Die Welt kann weder des Gewürzkrämers noch des Gerbers ent-
behren. Heil dem, dessen Beschäftigung es ist, Gewürzkrämer
zu sein“ . . . „R. Meir sagt : immer lehre ein Mensch seinem Sohne
ein reines und leichtes Handwerk usw.“ (Kidd. 82 b). Die
Juden haben diese ihre überwiegende Geistigheit auch immer
empfunden und haben sich und ihre Eigenart immer in Gegen-
satz gestellt zu der brutalen Gewalt der Goim. Das drücken ein
paar polnisch-jüdische Sprichwörter wiederum mit schlagendem
Witz aus, wenn sie sagen: „Gott soll behüten var gojische Händ
und var jüdisch Köpp“; und: „Gott soll behüten var jüdischen
Mojech (Gehirn) und var gojischen Kojech“ (Gewalt). Mojech
c/a Kojech: diese Worte enthalten im Grunde die ganze Juden-
frage. Auch dieses Buch sollte die Überschrift tragen: Mojech
c/a Kojech!
Und wie es bei einem so begabten Volke wie den Juden
gar nicht anders kommen konnte : dieses Überragen der geistigen
Interessen mußte auch ein Überragen der geistigen Fähigkeiten
bewirken. „Wus man sagt von ä Jüd: ä Narr is er nischt.“
„Galanter Grieche, dummer Jud’ und ehrlicher Zigeuner sind
eine Unmöglichkeit“ : sagt das Volk in Rumänen diesseits und
jenseits der Ghettomauem. „Ni judio necio, ni liebre perezosa“
sagen die Spanier 504 . Und wer möchte es nicht bestätigen, der
mit Juden viel zu tun gehabt hat, daß sie durchschnittlich ein
größeres Maß von Verstandesschärfe aufweisen als die andern?
Ich sage absichtlich: von Verstandsschärfe und könnte auch statt
dessen sagen: von Scharfsinn: ingenio muy agudo, agudeza de
ingenio, wie es vor ein paar Hundert Jahren der beste Beobachter
der Juden 506 auch schon ausdrückte, der sie — eine außer-
ordentlich treffende Charakterisierung! — „agudos y de grande
ingenio para les cosas de este siglo“ fand: freilich, meinte er,
schon in viel geringerem Grade als früher: „ello es verdad que
no son ahora tan agudos y solertes como mil afios atras.“
„I/esprit juif est un instrument de pröcision; il a Fexacti-
tude d’une balance“ : diesem Urteil Leroy-Beaulieus wird man
sich ohne weiteres anschließen dürfen. Und wenn Chamberlain
gerade den „Verstand“ bei den Juden besonders wenig ent-
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'wickelt findet, so kann er das nicht in dem üblichen Sinne des
Wortes meinön, unter dem wir uns die Fähigkeit vorstellen:
rasch zu denken, scharf zu trennen, zu zersetzen und zu kom-
binieren, den Mittelpunkt herauszufinden, Analogien aufzustellen
und Synonyme zu unterscheiden, die letzte Konsequenz zu ziehen.
Ad. Jellinek, der diese Seite des jüdischen Wesens mit Recht
besonders hervorhebt, macht auf die lehrreiche Tatsache auf-
merksam 606 , daß schon die hebräische Sprache ganz besonders
reich ist an Ausdrücken für Tätigkeiten, die ein reger Verstand
bevorzugt. Sie hat für suchen, forschen 11, für trennen,
scheiden 34, für knüpfen, verbinden, kombinieren 15 Ausdrücke.
Diese intellektuale Überlegenheit ist einer der Gründe ihrer
zweifellosen Begabung für das Schachspiel ebenso wie für die
Mathematik 607 und alle Zahlenkunst. Diese Tätigkeiten setzen
ein starkes Abstraktionsvermögen und eine (wesentlich mit dem
Verstände zusammenhängende) besondere Art von Phantasie
voraus, die Wundt im Gegensatz zu der intuitiven Phantasie
des Künstlers treffend die kombinatorische nannte. Zum Teil
mag auch ihre oft gerühmte ärztliche Tüchtigkeit (Talent zur
Diagnose!) 608 in diesem berechnenden, trennenden und kombi-
nierenden Verstände wurzeln, der „gleich dem Wetterleuchten
im Nu Dunkles aufhellt.“
Bekannt ist, daß die jüdische Verstandesschärfe oft genug
zur Spitzfindigkeit und Rabulistik ausartet (wo die Mühle kein
Kom zum Mahlen hat und leer gehen muß). Aber wichtiger für die
Beurteilung der jüdischen Psyche ist der Umstand, daß sich die
Verstandestätigkeit auch insofern einseitig zu entwickeln die
Neigung hat, als andere wichtige Seiten des geistigen Lebens
unter dem Überwuchern des Verstandes verkümmern und ver-
dorren. Darin kommt nicht minder jene überragende Geistigheit
des Juden zum Ausdruck, die ich als seiner Art besonders eigen
hervorhob.
Verkümmert finden wir häufig bei dem Juden das instinkt-
mäßige Verstehen, wie denn alle empfindungs- und gefühlhafte
Beziehung zur Welt ihm nicht so wesens verwandt ist. Wir
können uns schwer einen jüdischen „Mystiker“ vorstellen, wie
es etwa Jakob Böhme war, und empfinden die jüdische Be-
sonderheit besonders stark, wenn wir uns vergegenwärtigen, was
für eine ganz andere Art von „Mystik“ die jüdische Kabbala
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bedeutet. Alle Romantik ist ebenso dieser rein diskursiven
Weltbetrachtung fremd : alles unmittelbare Sich-in-die- W eit* ,
Sich-in-die-Natur-, Sich-in-den-Menschen- Versenken. Die Reaktion
des „jungen Deutschland“ gegen die Romantiker ist nur der
literarische Ausdruck dieser tieferliegenden Gegensätzlichkeit
zwischen Unmittelbarkeit und Reflektiertheit des Welterlebens;
zwischen intuitiver und diskursiver Weltbetrachtung. In etwas
anderer Beleuchtung ist es auch der Gegensatz zwischen
Schwärmerei und Nüchternheit.
Eng verwandt mit dieser Eigenart ist dann ein gewisser
Mangel an Anschaulichkeit, an aufnehmender und schöpferischer
Sinnenkraft. Zu mir nach Breslau kam einmal aus dem öst-
lichen Sibirien ein jüdischer Student: eigens zu dem Zwecke,
um bei mir „Marx zu studieren“. Er hatte fast drei Wochen zu
der weiten Reise gebraucht; und schon den Tag nach seiner
Ankunft suchte er mich auf und bat sich eine Schrift von Marx
aus. Nach einigen Tagen kam er wieder, sprach mit mir über das
Gelesene, brachte die Schrift zurück und nahm eine neue mit.
So ging das ein paar Monate weiter. Dann reiste er wieder
drei Wochen in sein ostsibirisches Nest zurück. Seine Umgebung
hatte er überhaupt nicht wahrgenommen, Menschen keine kennen
gelernt, spazieren gegangen war er überhaupt nicht: er wußte
gar nicht recht, wo er sich denn nun die Zeit über aufgehalten
hatte. Er war durch die Breslauer Welt gegangen, ohne sie
wahrzunehmen, ebenso wie er durch seine frühere Welt ge-
gangen war, und wie er die künftigen Jahre durch die Welt
gehen wird, ohne von ihr einen Hauch zu spüren; nur Marx im
Kopf. Ein typischer Fall? Ich denke doch. Wir erleben ihn
täglich von neuem. Immer wieder fällt uns diese unkonkrete
Sinnesart, diese sinnlich-unlebendige Geistesrichtung, dieses in
einer abstrakten Welt Eingesponnensein bei den Juden auf, mit
denen wir Zusammenkommen. Sollte es ein Zufall sein, daß es
so sehr viel weniger jüdische Maler gibt als jüdische Literaten
und selbst Professoren (trotz der Erschwerungen des Weiter-
kommens)? Und haftet nicht auch bei den großen, bildenden
Künstlern unter den Juden ihren besten Werken ein gutes Stück
Intellektualismus an? Friedrich Naumann hat einmal Max
Uebermann mit Spinoza verglichen und sehr fein gesagt: Er
malt mit dem Gehirn.
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318
Der Jude sieht sehr scharf, aber er schaut nicht vieL Er
empfindet vor allem seine Umgebung nicht als Lebendiges.
Und darum geht ihm auch der Sinn ab für die Eigenart des
Lebendigen, für dessen Ganzheit, für seine Nichtteilbarkeit, für
das organisch Gewordene, für das natürlich Gewachsene. Man
könnte auch statt all’ dessen sagen : für das Persönliche. Dafür
gibt es — wenn man sich auf die eigene Erfahrung nicht ver-
lassen will — gar keinen zuverlässigeren Beleg als die Eigenart
des jüdischen Rechts , die wir in einem andern Zusammenhänge
schon zu würdigen Gelegenheit hatten : im Gegensatz zu andern
Rechten sehen wir in ihm die Persönlichkeit gleichsam aufgelöst
in abstrakte Eigenschaften oder Tätigkeiten oder Zwecksetzungen.
Wir finden unter den Juden vorzügliche „Menschenkenner“ :
ihr scharfer Verstand läßt sie in alle Poren dringen und gleich-
sam wie mit Röntgenstrahlen durchleuchten, so daß sie jede
Besonderheit in seinen Geweben wahrzunehmen vermögen. Sie
sehen die Vorzüge und die Schwächen des Menschen, und ob er
zu dieser oder jener Teil Verrichtung , für diese oder jene Auf-
gabe oder Stellung tauglich sei. Aber sie sehen oft genug den
Menschen selber nicht, sehen ihn nicht in seiner unbegreiflichen
Eigenart und Ganzheit und muten ihm deshalb oft Handlungen
zu, die seinem verborgenen Wesen doch zuwider sind. Sie be-
werten auch den Menschen seltener nach seinem persönlichen
Arom als vielmehr nach seinen irgendwie besonders wahrnehm-
baren Eigenschaften oder Leistungen.
Deshalb liegen ihnen aber auch alle rein auf dem Persön-
lichen aufgebauten Abhängigkeitsverhältnisse fern: persönliches
Herrschen und persönliches Dienen, persönliche Hingabe. Der
Jude ist seinem innersten Wesen nach aller Ritterlichkeit, aller
Sentimentalität , aller Chevallerie , allem Feudalismus , allem
Patriarchalismus abgeneigt. Er versteht auch ein Gemeinwesen
nicht, das auf solchen Beziehungen aufgebaut ist. Alles Stän-
dische, alles Zünftige ist ihm zuwider. Er ist politisch Indivi-
dualist. Seinem Sinn entspricht der „Verfassungsstaat“, in dem
alle Beziehungen auf klar umschriebene Rechtsverhältnisse zurück-
geführt werden. Er ist der geborene Vertreter einer „liberalen“
Weltanschauung, in deren Umkreis es keine lebendigen, indivi-
duell verschiedenen Menschen mit Fleisch und Blut, sondern
nur abstrakte Staatsbürger mit Rechten und Pflichten gibt, die
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eigentlich auch nicht mehr von Volk zu Volk verschieden sind,
sondern die die eine große Menschheit ausmachen, die selbst
nichts anderes als eine Summe aus qualitätslosen Einheiten dar-
stellt. Wie so viele Juden sich selbst nicht sehen — wenn sie
ihre so deutliche Eigenart ableugnen und behaupten: zwischen
ihnen und einem Deutschen oder Engländer usw. gäbe es gar
keinen Unterschied — , so sehen sie auch die andern Menschen
nicht als Lebewesen, sondern nur als Rechtssubjekte, Staats-
bürger oder sonstwie abstrakt. Sie erkennen eben die Welt mit
dem Verstände, nicht mit dem Blute und kommen darum leicht
zu der Meinung, daß alles, was mit Hilfe des Verstandes auf
dem Papiere geordnet werden kann, auch im Leben sich müsse
ordnen lassen. Gibt es doch immer noch Juden, die „die Juden-
frage" lediglich als ein Problem der politischen Verfassung an-'
sehen, und die wirklich überzeugt sind, daß ein „liberales"
Regime den Unterschied zwischen Juden und Wirtsvölkem aus
der Welt schaffen könne. Es ist geradezu erstaunlich, wenn wir
von einem so guten Gelehrten wie dem Verfasser des neuesten
Werkes über die Judenfrage allen Ernstes die Meinung aus-
sprechen hören: daß die ganze antisemitische Bewegung der
letzten dreißig Jahre die Schuld der Schriften von Marr und
Dühring sei; daß „einer haltlosen Theorie“ Tausende von
Menschenleben zum Opfer gefallen seien (!). „Die Tausende der
Opfer der Pogroms und die Auswanderung einer Million tüchtiger
Arbeitskräfte aus ihrer bisherigen Heimat sind ein fortwirkendes
Zeugnis der Macht — Eugen Dührings“ (!!) 509 . Papier steht
hier gegen Blut: Verstand gegen Instinkt; Begriff gegen An-
schauung; Abstraktion gegen Sinnlichkeit.
Und das Weltbild, das solche rein geistig orientierte Menschen
sich machen, wird nur das eines wohlgefügten Verstandes-
baus sein können; die Kategorie, mit der sie die Welt zu
verstehen trachten , wird die rationale Deutung sein. Wir
nennen eine solche Art, die Welt anzusehen, selbst Rationalis-
mus, indem wir das Wort in einem mehr theoretischen Sinne
gebrauchen.
Aber die Juden sind nicht nur theoretische, sondern auch
praktische Rationalisten, wie ja denn natürlich die beiden Seiten
des Rationalismus sich meist in einer Person vereinigt finden.
Sobald mit der überwiegenden Geistigheit sich ein starkes Ich-
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gefQhl vereinigt, so wird sich leicht ergeben, daß der denkende
Mensch die verstandesmäßig gedeutete Welt, gleichsam wie um den
natürlichen Mittelpunkt, um sein eigenes Ich gruppiert: daß er alle
Erscheinungen auf dessen Interessen ausrichtet, das heißt also,
daß er die Welt unter dem Gesichtspunkte der Zwecke, unter
der Kategorie der Zweckmäßigkeit ansieht. Sein Wesen erhält
damit einen neuen Zug, den man als Zweckbedachtheit
oder als Teleologismus oder aber als praktischen Rationa-
lismus bezeichnen kann. Und kein Zug ist in dem jüdischen
Wesen mehr ausgeprägt als diese Zweckbedachtheit, diese teleo-
logische Sinnesart: darüber sind sich alle Beurteiler in seltener
Übereinstimmung einig. Wenn ich ihn nicht, wie die meisten
andern (und wie ich es selber in früheren Darstellungen getan
habe), an den Anfang gestellt und nicht von ihm bei meiner
Analyse ausgegangen bin, so geschah es deshalb, weil ich den
Teleologismus selber als eine notwendige Folge der überragenden
Geistigheit ansehe, in der, wie mir jetzt scheinen will, alle
andern Eigenarten des jüdischen Wesens wurzeln. Ich will aber
keineswegs mit dieser Nachstellung etwa die ganz große Be-
deutung verkleinern, die auch nach meiner Meinung der strengen
Zweckbedachtheit, dem folgerichtigen Teleologismus innerhalb
der jüdischen Psyche zukommt.
Welche Äußerungen jüdischen Wesens wir auch in Rück-
sicht ziehen mögen: immer begegnet uns dieser selbe Zug, den
man auch als ausgeprägten Subjektivismus bezeichnet hat.
Lassen war es wohl, der zuerst die großen Völkergruppen der
Semiten und der Indogermanen als die Völker mit subjektiver
und objektiver Geistesrichtung unterschieden hat 610 . Wie weit
diese „rassenmäßige“ Sonderung zulässig ist, steht dahin. Zweifel-
los gehören die Juden zu den subjektivsten unter den subjektiven
Völkern. Der Jude gibt sich nicht unbefangen der Außenwelt
hin; er versenkt sich nicht selbstverleugnend in die Tiefen des
Kosmos, schweift nicht hin und her in den endlosen Räumen
auf den Schwingen seines Denkens, sondern taucht unter, wie es
Jellinek in einem treffenden Bilde ausdrückt, um Perlen zu
suchen. Alles bringt er in Beziehung zu seinem Ich. Die
Fragen, die ihm das größte Interesse abgewinnen, sind: warum?
wozu? was tragt’s? was nützt’ s? Sein lebendigstes Interesse ist
das Erfolgsinteresse, dem das Werkinteresse, das „Sachinteresse“
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gegenübersteht. Unjüdisch ist es, eine Tätigkeit — welche auch
immer — als „Selbstzweck“ zu betrachten; unjüdisch, da9 Leben
selber zwecklos, schicksalsmäßig zu leben; imjüdisch, sich der
Natur harmlos zu erfreuen: hat doch die jüdische Psyche die
Gegenstände, Erscheinungen und Einrichtungen der Natur selbst
gestaltet „zu losen Blättern eines ethischen Lehrbuchs, welche
das höhere sittliche Leben fördern sollen“. Wir haben genau
gesehen, wie durchaus teleologisch die jüdische Religion orientiert
ist, in der, wie in allen Betätigungen des jüdischen Geistes, der
Primat der Ethik deutlich zutage tritt. Die ganze Welt ist ja
nach der Anschauung des Juden ein Werk der freien Zweck-
setzung. Sehr richtig erkannte Heine den Unterschied zwischen
der jüdischen und heidnischen Religion darin: „Sie haben alle
(die Heiden) ein unendliches, ewiges Urwesen, aber dieses ist
bei jenen in der Welt, mit welcher es identisch, und es entfaltet
sich mit dieser aus dem Gesetz der Notwendigkeit; der Gott der
Juden ist außer der Welt und erschafft sie durch einen Akt des
freien Willens.“ („Gedanken und Einfälle“.) Kein Wort klingt
dem Ohr des Juden vertrauter als das Wort „Tachlis“, das
Zweck, Ziel, Endresultat bedeutet. „Tachlis“ muß etwas sein,
damit man es tue, Tachlis ist der Sinn des Lebens im ganzen
wie in allen seinen einzelnen Betätigungen, Tachlis ist der In-
halt der Welt. Und für törichte Schwärmer wird der Jude jene
halten , die darauf erwidern würden : nicht Tachlis , sondern
Tragik sei der Inhalt des Lebens, sei der Inhalt der Welt
Wie sehr die Zweckbedachtheit tief im jüdischen Wesen ein-
gesenkt ist, können wir besonders deutlich bei den Juden wahr-
nehmen, in denen gerade alle Rücksichten auf die praktischen
Zwecke des Lebens abgestorben sind wie bei den Chassidim, die,
weil es doch „keinen Zweck hat u , für das tägliche Brot zu sorgen,
ihre Familien hungern lassen und sich lieber dem Studium der
heiligen Bücher widmen. Aber auch bei allen denen, denen eine
Müdigkeit der Seele, ein mildJächelndes Verstehen und Verzeihen,
eine weltentrückte, fruchtreife Lebensbetrachtung eigen ist. Ich
denke an so feine Geister unter den Schriftstellern unsrer Tage wie
GeorgHirschfeld, Arthur Schnitzler, GeorgHermann. Was
ihren Werken den großen Reiz verleiht, ist jene mild verklärende
Weise, mit der sie das Leben anschauen; ist der wehmühtig-weiche
Zug, der alle ihre Dichtungen durchweht; ist das in gutem Sinne
So mb art, Die Juden 21
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322
Sentimentale ihres Wesens. Gerade darin aber tritt das Willen-
hafte, das Zweckbedachte zu Tage, das hier zum Willenlosen,
Zwecklosen umgewandelt ist, aber doch, wenn auch mit um-
gekehrtem Vorzeichen, das ganze Wesen beherrscht. Es klingt
durch alle Weisen derselbe ganz still klagende Schmerzensruf
hindurch : wie zwecklos und darum wie traurig ist die Welt. Die
Natur selbst wird mit dieser Traurigkeit durchwebt ; im Grunde
ist, auch wenn die ersten Blumen blühen in Garten und Wald,
immer Herbst ; der Wind spielt mit den dürren Blättern, und die
Sonne leuchtet mit goldener Pracht „als wolle sie eilen, da sie
doch bald sinken wird“ am ruhigen, klaren Himmel. Zweck-
bedachtheit und Subjektivismus, die schließlich dasselbe sind,
rauben den jüdischen Dichtwerken ihre Unbefangenheit, ihre
Selbstvergessenheit , ihre Unmittelbarkeit , weil ihr Schöpfer
keiner Erscheinung dieser Welt — nicht dem Menschenschicksal,
nicht dem Naturgeschehen — harmlos genießend oder harmlos
betrachtend gegenübersteht, sondern immer bedenkend und be-
dacht, immer sinnend und überlegend. Es duftet nirgend nach
Primeln und Veilchen, nirgend stäubt der Sprühregen eines
frischen Waldbachs. (Goethes Jugendlyrik und Heines Buch
der Lieder!) Aber sie haben dafür dieses wundervolle Arom wie
ganz alter Wein; den unendlichen Zauber eines halbverschleierten
Blickes lieber, trauriger, schöner Augen.
Paart sich dann aber die Zweckbedachtheit mit einem starken
Willen, mit einem großen Fonds von Energien (wie es normaler
Weise beim Juden bisher der Fall ist), so wird sie zu dem, was
man Zielstrebigkeit nennen kann. Daß jemand ein Ziel fest ins
Auge faßt und im Auge behält, daß er von einem Ziel, das er sich
gesteckt hat, durch keine Widerstände abzubringen ist: das ist,
was ihn zum zielstrebigen, ausdauernden, zähen, hartnäckigen
Menschen macht. Oder auch zum „halsstarrigen“, wie Heine
sein Volk charakterisiert. „Jüdisches Wesen: Energie der Grund
von allem. Unmittelbare Zwecke.“ (Goethe).
Wenn ich nun noch als einen vierten Grundzug des jüdischen
Wesens die Beweglichkeit bezeichne, so bin ich nicht ganz
mit mir einig, ob diese Eigenschaft dem Juden überhaupt oder
nur dem aschkenazischen Juden zukommt. Lobredner der Sephardim
rühmen diesen gerade eine gewisse Feierlichkeit der äußeren
Geste, eine zurückhaltende Vornehmheit des Verhaltens nach:
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„une certaine gravitö orgueillense et une fiertö noble fait le
caractöre distinctif de cette nation“ 511 . Wahrend bei den pol-
nisch(- deutschen) Juden von jeher der „lebhafte, stets im Zu-
stande der Aufgeregtheit handelnde Geist“ beobachtet worden
ist 519 . Und auch noch heute begegnet man unter den Spaniolen
namentlich im Orient vielen würdevollen, gemessenen, zurück-
haltenden Mftnnem, die jedenfalls im körperlichen und moralischen
Sinne jene eigentümliche „Beweglichkeit“ nicht haben, die wir
an unsem europäischen Juden so häufig beobachten können. Die
dritte Art von Beweglichkeit: die des Geistes: daß dieser rasch
aufnimmt, sich sofort zurecht zu finden weih: die oft gerühmte
Versatilität des Geistes besitzen aber wohl alle Juden.
Aus diesen vier elementaren Eigenarten, die ich geschildert
habe: wir können sie des gleichförmigen Tonfalls wegen als
Intellektualismus, Teleologismus, Voluntarismus (oder Energis-
mus) und Mobilismus bezeichen, baut sich nun die ganze, oft
genug sehr komplizierte, jüdische Wesenheit auf. Ich glaube,
daß man alle jüdische Eigenart auf einen dieser Grundzüge oder
auf eine Verquickung mehrerer ohne Mühe wird zurückführen
können. Ich will das nur noch mit zweien — für die wirt-
schaftliche Betätigung der Juden besonders wichtigen — ihrer
Eigenarten versuchen: ihre Rastlosigkeit und ihre An-
passungsfähigkeit.
Rastlos ist das Wesen des Juden: betriebsam kann man
ihn auch nennen. „Keiner, auch nicht der kleinste, geringste
Jude, der nicht ein entschiedenes Bestreben verriete und zwar
ein irdisches, zeitliches, augenblickliches“ (Goethe). Und die
Rastlosigkeit wird oft genug zur Unrast. Immer drängt es ihn, sich
zu betätigen; immer, etwas zu „managen“ ; immer, etwas Neues
anzuregen und durchzuführen. Er ist immer in Bewegung und
stört auch diejenigen auf, die gern ihre Ruhe haben möchten.
Alle Veranstaltungen künstlerischer oder geselliger Natur in unsem
Großstädten haben Juden als ihre Träger. Er ist der geborene
Verkünder des „Fortschritts“ und seiner Segnungen auf allen
Gebieten des Kulturlebens.
Und dazu machen ihn seine Zielstrebigkeit in Verbindung mit
seiner Beweglichkeit und der vorwiegend intellektualen Veran-
lagung. Diese insbesondere, weil sie niemals tiefe Wurzeln
schlagen läßt. Aller Intellektualismus ist letzten Endes Flach-
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wurzler: er dringt nirgends in die Tiefen der Sache, nirgends in
die Tiefen der Seelen, nirgends in die Tiefen der Welt. Und
darum macht er es dem, den er beherrscht, leicht, sich von dem
einen dem andern zuzuwenden, wenn der unruhevolle Dämon ihn
dazu treibt. Darum ruhen im Judentum auch fanatische Streng-
gläubigkeit und „aufgeklärtes“ Zweiflertum dicht nebeneinander :
beide sind Eines Stammes. Mit dieser flachwurzelnden Art des
Intellektualismus hängt nun aber einenteils die vielleicht aller-
bedeutsamste Eigenschaft der Juden zusammen, die andemteils
durch andere Grundzüge ihres Wesens bedingt wird: die in der
Geschichte wohl einzig dastehende Anpassungsfähigkeit dieses
Volkes.
Man kann sagen : seiner Hartnäckigkeit verdanke das jüdische
Volk die Erhaltung seiner nationalen Eigenart und seiner großen
Anpassungsfähigkeit, die es befähigten, wenn die Lage es
erforderte, sich scheinbar den Geboten der Notwendigkeit zu
fügen, um dann, wenn die Zeiten sich wieder besserten, doch
seine eigene Art wieder zu entfalten. Widerstandsfähig und
schmiegsam zugleich ist das jüdische Wesen von jeher gewesen :
die scheinbar — aber doch eben nur scheinbar — sich wider-
sprechenden Charakterzüge: opiniätretO und souplesse besitzt
der Jude in hervorragendem Maße. Sehr treffend drückt das
Leroy-Beaulieu aus, wenn er sagt (1. c. p. 224): „le juif est
ä la fois le plus resistant et le plus pliant des hommes, le plus
opiniätre et le plus mall^able“.
Die Führer und Weisen des Volkes haben die Wichtigkeit,
ja die Notwendigkeit dieser Schmiegsamkeit und Biegsamkeit für
den Fortbestand Israels als selbständiger Volksgemeinschaft zu
allen Zeiten erkannt und gepredigt. Die jüdische Literatur ist
voll von Ermahnungen in dieser Richtung.
„Sei biegsam wie Schilf, das der Wind nach jeder Richtung
hin bewegt; denn die Thora erhält sich nur bei dem, der
demütigen Geistes ist. Warum wird die Thora mit dem Wasser
verglichen? Um zu lehren: wie es in der Natur des Wassers
liegt, niemals in seinem Laufe Höhepunkte, sondern Niederungen
zu suchen, ebenso erhält sich die Thora nur bei dem, der demütigen
Geistes ist“ 618 .
„Hat der Fuchs seine Zeit, so muß man sich vor ihm
bücken“ 514 . »Wenn er vor der Welle sich beugt, so geht die
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Welle vorüber und er bleibt; wer der Welle sich entgegenstellt,
der wird fortgerissen“ 516 . Am Schlüsse des Achtzehngebets
heißt es: „Und meine Seele sei wie Staub für alle“ (auf den
man tritt).
Deshalb rieten auch ganz schlüssiger Weise die Rabbinen
ihren Schutzbefohlenen an, sich zum Scheine als Angehörige
der Konfession ihres Wirtsvolkes zu gebärden, wenn davon die
Existenz im Lande abhängig gemacht würde. Und dieser Rat
ist, wie man weiß, in weitem Umfange befolgt worden: durch
„zeitweiliges Sichtotstellen“ (Fromer) hat der jüdische Stamm
weiter zu leben versucht und weiter zu leben vermocht.
Heute gibt es mm keine (oder nur vereinzelte) Schein-
christen und Scheinmoslim mehr. Aber die wunderbare Fähig-
keit des jüdischen Stammes, sich äußeren Bedingungen anzu-
passen, betätigt sich vielleicht noch glänzender als früher. Heute
will der Jude Westeuropas und Amerikas nicht mehr seinen
Glauben erhalten und seine nationale Eigenart: umgekehrt will
er — soweit das Nationalbewußtsein in ihm noch nicht wieder
geweckt ist — seine Eigenart so vollständig und so rasch wie
möglich verschwinden lassen und will aufgehen in den Kulturen
seiner Wirtsvölker. Und siehe da: auch das glückt ihm in
weitem Umfange.
Vielleicht die allerdeutlichste Bestätigung jüdischer Eigenart
müssen wir doch wohl darin finden, daß es dem Juden in Eng-
land gelingt, wie ein Engländer zu werden, dem Juden in Frank-
reich, wie ein Franzose und so fort; zu werden oder doch wenigstens
zu scheinen. Daß ein Felix Mendelssohn deutsche Musik macht,
ein Jacques Offenbach französische und ein Souza Yankee-doodle
Musik ; daß Lord Beaconsfield sich wie ein Engländer, Gambetta
wie ein Franzose, Lassalle wie ein Deutscher geriert; kurz: daß
auch die jüdischen Talente so oft nichts Nationaljüdisches an sich
haben, sondern auf den Ton ihrer Umgebung abgestimmt sind: das
hat man seltsamerweise als Beleg dafür anzuführen versucht, daß
es keine spezifisch jüdische Eigenart gäbe, während es doch eben
gerade diese Eigenart auf das schlagendste beweist : diese Eigen-
art, so weit sie in einer übemormalen Anpassungsfähigkeit zum
Ausdruck kommt.
Der Jude könnte den Planeten wechseln, hat man mit Recht
gesagt: er würde doch nicht lange sich fremd fühlen. Er fühlt
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sich in alles hinein; er paßt sich an alles an. Er ist deutsch,
wo er deutsch sein will, italienisch, wo ihm das besser zusagi^
Er „macht" alles und „in allem", für das er sich interessiert und
macht es mit Erfolg : das Ur-magyarentum in Ungarn, die Irredenta
in Italien, den Antisemitismus in Frankreich (Drumont 1). Meister-
haft versteht er es, etwas, das im Keim vorhanden ist, rasch
zur Blüte zu bringen : „dövelopper une chose qui existe en germe,
perfectionner ce qui est, exprimer tout ce qui tient dans une
id6e qu’il n’aurait pas trouvöe seul“ 51 ®: das ist es, wozu ihn
seine Anpassungsfähigkeit geeignet macht.
Ich sagte: dieses seltsame Anpassungsvermögen wurzele in
den vier Elementen der jüdischen Veranlagung, die wir oben
herausgefunden haben. Der Rationalismus des Juden ist die
wichtigste Voraussetzung seiner großen Wandelbarkeit. Dank
seiner tritt er an alle Dinge gleichsam von außen heran. Was
er ist, ist er nicht, weil er es blutsmäßig sein muß, sondern
weil er es verstandesmäßig einrichtet, so zu sein. Eine An-
schauung ist nicht aus seinem innersten Wesen heraus
gewachsen, sondern vom Kopfe aus gemacht. Sein Stand-
punkt ist nicht die ebene Erde, sondern ein künstlicher Bau in
der Luft. Er ist nicht organisch-original , sondern mechanisch-
rational. Die Wurzelung im Mutterboden der Empfindung,
des Instinktes fehlt. Darum kann er so sein, wie er ist,
aber er kann auch anders sein. Daß Lord Beaconsfield oder
daß Friedrich Julius Stahl „Konservative“ waren, verdankten
sie einem irgendwelchen äußeren Zufall, einer politischen Kon-
junktur : daß der Freiherr vom Stein oder Bismarck oder Carlyle
„Konservative“ waren, lag ihnen im Blute. Wenn Marx oder
Lassalle zu anderer Zeit in anderer Umgebung geboren wären,
hätten sie ebensogut statt radikal konservativ werden können;
Lassalle war ja schon drauf und dran, sich zum „Reaktionär"
zu wandeln : er hätte die Rolle des preußischen Feudalen
sicher ebenso glänzend gespielt wie die des sozialistischen Agi-
tators.
Seine Zielstrebigkeit ist natürlich die treibende Kraft, die
nun den Juden das vorgestreckte Ziel : Anpassung an irgendeine
Situation, wie er sie aus Zweckmäßigkeitsgründen gerade ^für
vorteilhaft erachtet, auch wirklich hartnäckig und ausdauernd
verfolgen läßt.
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Und seine Beweglichkeit endlich bietet ihm die äußeren
Mittel dar, das Ziel zu erreichen.
Es ist ja erstaunlich, wie beweglich der Jude sein kann,
wenn er einen bestimmten Zweck im Auge hat. Es gelingt ihm
selbst, seiner ausgesprochenen Körperlichkeit in weitem Umfange
das Aussehen zu geben, das er ihr geben möchte. Wie er sich
früher durch „Sichtotstellen“ zu schützen wußte, so jetzt durch
„Farbenanpassung“ oder andere Arten von Mimicry. Das ist
besonders deutlich zu verfolgen in den Vereinigten Staaten, wo
jetzt der Jude schon in der zweiten und dritten Generation oft
nur schwer vom Nichtjuden zu unterscheiden ist. Während man
den Deutschen, den Iren, den Schweden, den Slaven auf Genera-
tionen hinaus noch ohne weiteres aus der Masse herausfinden
kann, hat der Jude — soweit seine rassenmäßige Körperbildung
es nur einigermaßen zuläßt — am ehesten den Yankee-Typus
nachzuahmen verstanden: hauptsächlich natürlich, sofern dazu
äußere Hilfsmittel, wie Kleidung, Haartracht, Haltung usw. die
Möglichkeit bieten.
Viel leichter wird es ihm begreiflicherweise, kraft seiner
geistigen und moralischen Beweglichkeit, sich das geistige Air seiner
Umgebung zu verleihen. Die geistige Beweglichkeit — die prestesse
d’esprit, die agilitö intellectuelle — befähigt ihn, rasch den Ton
wahrzunehmen, auf den die Umgebung abgestimmt ist, rasch also
zu merken, worauf es ankommt, sich rasch zu orientieren, sich
rasch „einzufühlen“. Und die moralische Beweglichkeit? Sie
sorgt dafür, daß ihm in seinem Anpassungsbestreben keine lästigen
Hindernisse durch allerhand sittliche oder ästhetische Bedenken
bereitet werden: sie macht gleichsam die Bahn frei, damit er
sein Ziel erreichen könne. Zu Hilfe kommt ihm hierbei der ge-
ringer entwickelte Sinn für das, was man die persönliche Würde
nennen kann. Es kostet ihm weniger Anstrengung, sich selbst
zu verleugnen, wenn es gilt, das vorgesteckte Ziel zu erreichen.
Daß diese Charakterzeichnung der Wirklichkeit entspreche:
dafür ist die wahrnehmbare Anpassung an die wechselnden
Daseinsbedingungen allein schon genügender Beweis. Wir sehen
aber die Richtigkeit der gemachten Wahrnehmung auch noch
bestätigt in der Eigenart mancher besonders deutlicher Be-
gabungen der Juden. Ich denke vor allem an ihr ausgesprochenes
Talent zum Journalisten, zum Advokaten, zum Schauspieler.
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Alle diese Talente gehen im wesentlichen zurück auf die gro&e
Anpassungsfähigkeit der Juden und zeigen deutlich, wie in dieser
die vier Grundzüge zu einer gemeinsamen Wirkung zusammen
sich vereinigen. Sehr hübsch hat diese Zusammenhänge
Ad. Jellinek in seinem mehrfach gerühmten Büchlein nach-
gewiesen.
n Der Journalist muß lebhaft, beweglich, rasch, enthusiastisch,
zersetzend, auf lösend, kombinierend, zusammenfassend sein, muh
in medias res eintreten, den Kern einer Tagesfrage, den Mittel-
punkt einer Debatte vor Augen haben, muß in scharfen und
markierten Umrissen seinen Gegenstand behandeln, epigramma-
tisch, antithetisch, sententiös, in kurzen, schlagenden Sätzen ihn
darstellen, ihm durch ein gewisses Pathos Leben, durch Esprit
Farbe, durch Schärfe Würze verleihen“ ; alles Judenart.
Noch deutlicher sehen wir, wie die Stärke des Schauspielers
ebenso wie die des Juristen die Fähigkeit ausmacht, sich rasch
in eine fremde Ideenwelt zu versetzen, Menschen und Zustände
ohne Anstrengung zu überblicken, zu beurteilen und zu benutzen.
Hier kommt dem Juden vor allem seine starke Subjektivität zu
statten, kraft deren er sich in die Gedankenwelt eines anderen
eingräbt, sich an dessen Stelle setzt, in dessen Namen denkt
und sich verteidigt. Gerade die Jurisprudenz bildet denn auch
einen überwiegend großen Teil der jüdischen Literatur.
DI. Jüdisches Wesen im Dienste des Kapitalismus
Damit sind wir nun aber auch vor die Frage gestellt: wie
und weshalb die nun zur Genüge bekannte jüdische Eigenart
die Juden befähigte, sich ebenso wie als Mathematiker, Statistiker,
Ärzte, Journalisten, Schauspieler, Advokaten auch als Finanz-
männer und Börsenleute, überhaupt als Wirtschaftssubjekte im
Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit Erfolg zu
betätigen : inwiefern also das besondere Talent zum Kapitalismus
ebenso wie jene andern Talente in den Grundzügen des jüdischen
Wesens verankert ist.
Ganz allgemein wird man dasselbe sagen dürfen, was wir
von den inneren Beziehungen zwischen jüdischer Religion und
Kapitalismus glaubten berichten zu müssen : daß die Grundideen
des Kapitalismus und die Grundideen des jüdischen Wesens in
wahrhaft überraschendem Umfange übereinstimmen, so daß wir
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zu der bedeutsamen Parallele zwischen jüdischer Eigenart, jüdi.
scher Religion und Kapitalismus gelangen: Fanden wir im
jüdischen Volke als die alles beherrschende Eigenschaft eine
überragende Geistigheit des Wesens, so sahen wir, daß dieses
auch die Eigenart des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, die
dieses von andern unterscheidet: in ihm ist die organisierende,
leitende Tätigkeit ein für allemal von der ausführenden, die Kopf-
arbeit von der Handarbeit losgelöst und gleichzeitig der Primat
der geistig-leitenden Arbeit anerkannt: „Daß sich das größte Werk
vollende, genügt Ein Geist für tausend Hände“.
Je reiner kapitalistisches Wesen sich durchsetzt, desto reiner
kommt auch die Abstraktheit alles kapitalistischen Wesens zum
Ausdruck, das nun auch deshalb sich als ein genaues Gegenstück
zum jüdischen Geiste darstellt, dessen Abstraktheit wir ja deut-
lich wahrgenommen haben. Abstrakt aber ist der Kapitalismus
seinem innersten Wesen nach, weil in ihm alle Qualitäten durch
die Beziehung auf den rein quantitativen Tauschwert ausgelöscht
sind; weil in ihm anstelle der vielen buntfarbigen, technischen
Betätigungen die Eine kaufmännische getreten ist, und die vielen
buntfarbigen Branchenbeziehungen durch das Eine reine Ge-
schäftsverhältnis ersetzt worden sind. Man weiß, wie er dann
alle Kulturerscheinungen ihrer Konkretheit zu entkleiden trachtet,
wie er die Buntheit der Sitten und Gebräuche, die Farbigheit
alles Volkstums aus der Welt schafft und an ihre Stelle die
einzige nivellierte Art des kosmopolitichen Stadtwesens setzt:
hier in dieser Tendenz zur Vereinheitlichung aller früheren
Mannigfalt zeigt sich auch die innere Verwandtschaft des Kapi-
talismus mit dem Liberalismus, den wir ja schon von gleicher
Sippschaft wie das Judentum erkannt hatten: Kapitalismus,
Liberalismus, Judaismus sind eng miteinander verschwistert.
Fügen wir noch das Wichtigste hinzu, daß jener Prozeß der
Entkonkretisierung der Welt dem Kapitalismus vor allem gelingt
durch die Ausrichtung aller Erscheinungen auf das abstrakte
Geld, so sind wir tatsächlich in das Zentrum aller kapitalistischen
Wirtschaft und — alles jüdischen Wesens eingedrungen. Im
Gelde kommt beider innerste Eigenart zum vollendeten Aus-
druck.
Das Geld ist für den Kapitalismus das Mittel, zu rein
quantitativer Gestaltung des Wirtschaftslebens durchzudringen;
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es ist für ihn aber auch Ausgangspunkt und Endpunkt alles Ge-
schehens. Wir sahen, da & die Verwertung eines Kapitals der
absolute Sinn kapitalistischer Wirtschaft ist, die also von der
Erwerbsidee beherrscht wird. Eine wichtige Eigenart dieser
Wirtschaft wird damit die Hinausverlegung aller Werte in den
Erfolg; wird der Ersatz der Werkwertung durch die Erfolgs-
wertung. Was hat das alles aber mit der Eigenart wiederum
des jüdischen Wesens zu tun? Sehr viel, denke ich doch.
Für die Juden muh ebenso wie für den Kapitalismus das
Geld und seine Vermehrung im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Nicht nur weil seine abstrakte Natur der ebenso abstrakten
Natur des Judenvolkes kongenial ist, sondern vor allem weil die
Hochwertung des Geldes einem andern Grundzuge des jüdischen
Wesens gemäß ist: dem Teleologismus. Das Geld ist das abso-
lute Mittel: es hat überhaupt nur einen Sinn im Hinblick auf
die damit zu verwirklichenden Zwecke. Ganz naturgemäß aber
muß eine beständig zweckbedachte Sinnesart, muß ein beständig
unter dem Gesichtspunkt der Zwecke ausgerichtetes Leben die
Erlangung dieses ebenfalls nur im Zweckmittelverhältnis wertvollen,
aber in diesem über alles wertvollen Geldes als höchstes Ziel
seines Strebens anerkennen.
Auch der Teleologismus verlegt das Interesse aus der Werk-
schöpfung in den Erfolg, just wie der Kapitalismus, und damit
auch aus dem Heute in das Morgen. Erinnern wir uns, daß ein
Zug jüdischen Wesens auch die Rastlosigkeit war, so sehen wir
es noch enger sich mit dem Wesen des Kapitalismus berühren,
dessen Natur notwendig auf ewige Neuerung, auf ewige Er-
weiterung, auf eine ewige Opferung des Heute zum Vorteile des
Morgen hindrängt. Nirgends kommt dieser Crastinismus , wie
man die Sucht nach dem Erfolge, die Überbewertung des Morgen
und Übermorgen nennen könnte, deutlicher zum Ausdruck als
in der Eigenart der durch den Kreditverkehr geschaffenen Zu-
sammenhänge, in denen wir ja die Juden vor allem zu Hause
finden. Im Kreditverkehr werden offenbar Leistungen, die erst
in einer späteren Zeit auftreten sollen bzw. können, wirksam
gemacht schon für die Gegenwart. Der menschliche Geist kann
sich in laufender Gegenwart Erlebnisse und Bedürfnisse der Zu-
kunft zum voraus in Betracht nehmen, und der Kredit bietet die
Möglichkeit, durch jetzige wirtschaftliche Handlungen zukünftige
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wirtschaftliche Tatsachen zu verursachen. Die allgemeine Ver-
breitung und Verstärkung des Kreditverkehrs bezeugt das ver-
allgemeinerte Eintreten auf eine Wirtschaftsführung, welche die
spätere Zeit mit umfaßt. Dadurch werden Vorteile erzielt. Des-
wegen aber müssen wir eben auch auf das Glück verzichten, das
uns aus der „vollen Hingabe an die Gegenwart“ hervorgehen
mag 617 . Wir haben gesehen, wie mit der Zweckbedachtheit
eng verwandt der praktische Rationalismus ist, der eine zweck-
mäßige Handlungsweise anstrebt. Hier verweise ich darauf, daß
er ebenso sehr einen wichtigen Bestandteil der kapitalistischen
Wirtschaft wie der jüdischen Psyche bildet, daß jene ganz und
gar auf eine rationale Gestaltung alles wirtschaftlichen Ge-
schehens aufgebaut ist. Wiederum also die frappante Parallelität
zwischen Judaismus und Kapitalismus.
Aber vielleicht leuchtet es auch hier dem gemeinen Ver-
stände mehr ein, wenn ich statt dieser metaphysisch-ideologi-
schen Vergleichung der beiden Wesenheiten wieder nun ganz
einfach sage : weshalb die Eigenschaften des Juden diesen in so
hervorragendem Maße geeignet machen zum kapitalistischen
Unternehmer : wir kommen damit zu demselben Ergebnis, zu dem
uns die bisherigen Betrachtungen geführt haben und zwar ohne
Steigung: auf ebener Straße. (Die Parallelität dieser doppelten
Art der Betrachtung zu der ebenfalls doppelten Begründung des
Zusammenhangs zwischen jüdischer Religion und Kapitalismus
wird der aufmerksame Leser wahrgenommen haben.)
Zum guten „Unternehmer“ bringt der Jude vor allem mit
seine Zielstrebigkeit und seine starken Willensspannungen. Zur
Auffindung immer neuer Produktions- und Absatzmöglichkeiten
verhilft ihm seine geistige Beweglichkeit. Organisationen zu
schaffen, befähigt ihn seine partielle Menschenkenntnis, die ihn
gerade die besondere Eignung eines Menschen für besondere Zwecke
wahmehmen läßt. Sein Mangel an Sinn für das „Organische“, Natür-
liche, Gewachsene bereitet ihm keine Hindernisse, da es in der
kapitalistischen Welt nichts Organisches, Natürliches, Gewordenes,
sondern nur Mechanisches, Künstliches, Gemachtes gibt. Auch
die größte kapitalistische Unternehmung bleibt ein Kunst-
mechanismus, den man beliebig vergrößern, zerteilen, verändern
kann, wie es den jeweiligen Zwecken entspricht. Sie ist immer
ein Zweckgebilde, niemals entstanden (wie allzu geistreiche Inter-
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preten des Kapitalismus annehmen) aus intuitiver Schau als un-
teilbares Ganze , sondern aneinander gesetzt durch einzelne |
Zweckhandlungen, wie sie der Augenblick erheischte. In diesem
Sinne — als Schöpfer großer kapitalistischer Unternehmungen — j
sind die Juden sehr wohl auch geniale „Organisatoren“. |
Als spezifisch kapitalistische Organisatoren gewährt ihnen ;
ihre Eigenart sogar noch Vorteile, sofern sie sie befähigt, leichter I
die rein sachlichen Beziehungen herzustellen, auf denen sich
echt kapitalistische Gebilde aufbauen sollen. Da in den Juden,
wie wir sahen, das Gefühl für das Persönliche und die Neigung
zu persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen geringer entwickelt
sind, so werden sie gern gewillt sein, auf allen „Patriarchalismus“
zu verzichten; sie werden auch alle störenden Beimischungen
von Sentimentalität aus der Regelung der Arbeitsverträge aus-
scheiden und werden alle Beziehungen zu Kunden und Arbeitern
rasch und ausschließlich auf die rein rechtliche und rein ge-
schäftliche Basis stellen wollen. Der Kampf der Arbeiter um
die konstitutionelle Arbeits Verfassung findet die Juden sehr häufig
auf der Seite der Arbeiter.
Aber noch viel mehr als zum „Unternehmer“ ist der Jude
zum „Händler“ qualifiziert. Der Jude trieft förmlich von guten
Händlereigenschaften.
Der Händler, sahen wir, lebt in Zahlen, und Zahlen sind
von jeher ein Element des Juden gewesen. Seine abstrakte Ver-
anlagung macht ihm das Rechnen leicht. „Kalkulieren“ ist also
seine Stärke. Paart sich ein hervorragendes kalkulatorisches
Talent mit einem nüchternen Zweckmäßigkeitssinn, so ist ein
großer Teil der Geschäftstüchtigkeit schon gewährleistet, deren
ein guter Händler bedarf: die Nützlichkeitserwägung bewirkt ein
vorsichtiges Abwägen aller Chancen, aller Aussichten und Vor-
teile und scheidet alle gewagten Vornahmen, alle „unnützen“
Handlungen aus; die Rechenhaftigkeit aber gibt diesen Er-
wägungen die ziffermäßige Exaktheit. Statten wir nun diesen
nüchtern abwägenden, genau rechnenden Menschen noch mit
einer starken Dosis kombinatorischer Phantasie aus, mit der,
wie wir sahen, der Jude gut versehen ist, so steht der perfekte
Börsenspekulant fertig vor uns. Rasch die Situation überblicken,
tausend Möglichkeiten sehen, eine mit Treffsicherheit als die
günstige herausgreifen und entschlossen daraufhin das Geschäft
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abschließen: das, sahen wir, soll der Händler leisten, und der
Jude bringt gerade hierzu alle Fähigkeiten mit. Ich möchte
ausdrücklich auf die innige Verwandtschaft hinweisen, die
zwischen der Tätigkeit eines geschickten Diagnostikers und eines
geschickten Börsenspekulanten besteht : für beide sehen wir die
Juden geeignet, weil beide gleichartigen Tätigkeiten in der
jüdischen Art einen günstigen Boden haben.
Wer aber ein guter „Händler 4 * sein will, der muß vor allem
auch ein guter „Verhandler“ sein. Und wer möchte sich besser
zum „Verhandeln 44 eignen als die Juden? Die schon immer als
geschickte Unterhändler im Verkehr bekannt gewesen sind. An-
passung, Anschmiegung an die Bedürfnisse des Marktes, an die
besonderen Anforderungen der Nachfrage ist das eine, was ver-
langt wird: und das leistet doch das Volk der Anpassung gewiß
tausendfältig so gut wie irgendein anderes. Und suggestive
Kraft ist das andere, was dem Händler frommt, und sie ist aber-
mals den Juden in hervorragendem Maße eigen dank ihrer Betrieb-
samkeit, ihrer Beweglichkeit, in Summa wiederum dank ihrem
Einfühlungsvermögen.
Immer und immer wieder ist der Eindruck derselbe : höchste
kapitalistische Leistungen zu vollbringen, eignet sich keine Eigen-
art so gut wie die jüdische. Ich denke, ich kann darauf ver-
zichten, noch mehr Belege dafür im einzelnen zu erbringen : der
Leser kann, wenn er noch nicht genug Beweise hat, deren Zahl
leicht vermehren, wenn er die Analysen miteinander vergleicht,
die ich vom Kapitalismus und kapitalistischen Unternehmer einer-
seits, vom jüdischen Wesen anderseits zu machen versucht
habe. (So ließen sich beispielsweise noch interessante Parallelen
aufstellen zwischen der Unruhe des Börsenverkehrs, der seiner
innera Natur nach auf Veränderung des bestehenden Zustandes
hindrängt, und der unruhevollen, rastlosen Natur des Juden und
so fort.) Aber es ist nun genug.
Ich habe an anderer Stelle die bestangepaßte Untemehmer-
natur, das heißt also den erfolgreichen kapitalistischen Unter-
nehmer mit folgenden Schlagworten zu kennzeichnen versucht:
er muß geistig: gescheit, klug und geistvoll sein.
Gescheit: also rasch in der Auffassung, scharf im Urteil,
nachhaltig im Denken und mit dem sicheren „Sinn für das
Wesentliche 44 ausgestattet, der ihn befähigt, den xaipoc, den die
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Griechen dem Glücke gleichstellen , also den günstigen Augen-
blick zu erkennen.
Klug: also „menschenkundig* und „weltkundig“. Sicher in
der Beurteilung, sicher in der Behandlung von Menschen ; sicher
in der Bewertung etwelcher Sachlage; vertraut vor allem mit
den Schwächen und Fehlern seiner Umgebung.
Geistvoll: also reich an „Ideen“, „Einf Allen“.
Ch&rakterologisch muh der kapitalistische Unternehmer tat-
kräftig, nüchtern, tüchtig sein.
Nüchtern. Das heißt: frei von leidenschaftlichen Affekten,
frei von übermäßiger Sinnlichkeit (um so besser, wenn die Frei-
heit eine künstlich anerzogene ist!), frei von Sentimentalität
und unpraktischem Idealismus.
Tüchtig : er muh geschäftlich zuverlässig , pflichttreu,
ordnungsliebend und sparsam sein.
Ich denke : mit diesen wenigen Strichen ist ebenso der gute
kapitalistische Unternehmer wie der Jude in wichtigen Grund-
zügen gezeichnet.
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Dritter Abschnitt
Wie jfidisches Wesen entstand
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Dreizehntes Kapitel
Das Rassenproblem
Yorbemerkung
Die Aufgabe, die ich mir in der Einleitung zu diesem Buche
gestellt habe, ist jetzt — genau genommen — gelöst. Ich habe
die Bedeutung der Juden für das moderne Wirtschaftsleben in
allen ihren Verzweigungen aufzu weisen versucht und bin den
Zusammenhängen zwischen Judaismus und Kapitalismus in allen
seinen Verästelungen nachgegangen , das heißt: habe dargetan,
weshalb die Juden jene bedeutsame Rolle gespielt haben und
noch spielen, wie sie zu ihren großen Leistungen teils durch ob-
jektive Umstände, teils durch ihre Eigenart befähigt worden
sind.
Aber es kann nicht zweifelhaft sein, daß hinter diesen Ant-
worten sich Fragen von neuem auftürmen, an denen ich nicht
vorübergehen darf, wenn ich nicht Gefahr laufen will, daß die
besten Leser dieses Buch mit einem Gefühl der schmerzenden
Unbefriedigtheit aus der Hand legen. Denn in der Tat muß
jeder, der mir bis hierher gefolgt ist, bis zu dem Punkt also,
wo ich eine besondere jüdische Eigenart als die letzte Erklärung
für den großen Einfluß angab, den die Juden in unserem Wirt-
schaftsleben gespielt haben ; in der Tat muß jeder jetzt mit dring-
lichem Eifer fragen: nun, welcher Art ist denn diese jüdische
Art selbst, woher kommt sie, wohin geht sie? Denn daß sie
sehr verschiedener Natur sein kann, leuchtet bei näherem Hin-
sehen bald ein.
Sie kann, die jüdische Eigenart, nichts sein als gleichsam
nur eine Funktion, der gar kein Organ entspricht; die überhaupt
nur so lange da ist, als sie geübt wird; die vom Menschen
Somb&rt, Di« Juden 22
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selbst, der sie äußert, gar keinen Besitz nimmt, die von ihm
geweht werden kann, wie eine Feder von seinem Bocke, die also
selbstverständlich dann auch mit dem Menschen, der sie trägt,
verschwindet.
Oder sie kann sich dem, der sie hat, oder richtiger : der sie
übt, einprägen, kann sich zu einer „Anlage“ verhärten, die die
Übung wenigstens eine Zeitlang überdauert, wie die Schwielen
in der Hand die Arbeit mit Beil oder Ruder überdauern. Diese
Anlage braucht aber sich nicht auf die Kinder zu vererben, sie
kann mit dem absterben, der sie erwarb.
Und dann kann diese Anlage wiederum so tief sich in das
Wesen des einzelnen einprägen, daß sie von ihm auf seine Nach-
kommen übertragen wird, daß sie also „vererblich“ ist.
Weiter: vererbliche Eigenschaften (oder Anlagen: die
beiden Ausdrücke mögen als Synonyme gelten; eine irgend-
wie feste Terminologie besteht, soviel ich sehe, in den biologi-
schen Wissenschaften, in deren Ressort ja das Problem der Ver-
erblichkeit gehört, nicht), vererbliche Eigenschaften können zu
sehr verschiedenen Zeiten „erworben“ sein: in historischen
Zeiten oder früher. Und was wir als jüdische Eigenart kennen
gelernt haben, kann also auch seit Anbeginn der Geschichte den
Juden im Blute stecken oder im Lauf der Geschichte — im
Altertum oder später — ihnen ins Blut gekommen sein.
Aber auch die vererbliche Eigenart kann nun wiederum „für
immer“ oder für begrenzte kürzere oder längere Zeiträume den
Menschen anhaften: sie kann demnach vergänglich, tilgbar sein
oder nicht.
Da es sich ja hier immer um die Eigenart einer ganzen
Bevölkerungsgruppe handelt, so enthalten diese Fragen gleich-
zeitig die Frage nach der „rassenmäßigen“ Abgrenzung jener
Bevölkerungsgruppe , die Frage also: ob die Juden eine be-
sondere Spielart oder Unterart der Menschheit bilden, die sich
blutmäßig von den Völkern, unter denen sie leben, unterscheidet;
die Frage aber auch: wie sie sich unterscheidet, ob die Ver-
schiedenheiten (in der Steinmetzschen Terminologie) elemen-
tare oder distributive oder gemischte sind.
Wenn aber die Eigenart einer Bevölkerungsgruppe in Frage
steht, so ist endlich noch zu beachten, daß die in den einzelnen
Gliedern vorwaltende Eigenart auch entstanden sein kann (nicht
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durch Erwerbung neuer Eigenschaften, sondern) durch Bluts-
vermischung mit Angehörigen anderer Gruppen oder aber inner-
halb der Gruppe selbst durch Auslese. Kollektiv-Psychologie
bedeutet, wie wir sahen, immer die Feststellung von Eigen-
schaften, die in sehr vielen Individuen einer bestimmten sozialen
Gruppe gleichmäßig wiederkehren. Dieselbe Gruppe umfaßt aber
der Regel nach auch Individuen ganz anderer Art, oder genauer:
andere „Varietäten 11 . Aus irgendwelchen Gründen kann sich
nun das numerische Verhältnis der verschiedenen Varietäten
innerhalb der Gruppe verschieben (durch Auslese), und die
Gruppe, die zu einer bestimmten Zeit aus 3 a, 2 b, 1 c gearteten
Individuen bestand, besteht nun aus la, 2b, 3c gearteten
Teilnehmern. Dann hat sich natürlich ihr kollektiv-psychologi-
scher Habitus verändert — meinetwegen unter dem Einfluß des
„Milieus 11 — ohne daß doch irgendwelche Eigenschaften „neu
-erworben“ wären.
So mannigfaltig sind die Möglichkeiten, die uns eine spe-
zifische Eigenart erklärlich machen. Und schon der Überblick
zeigt, wie verwickelt das Problem ist und — wie täppisch die
meisten es behandeln.
Daß die Antworten gerade auf diese Fragen die eigentlich
entscheidenden erst sind, bedarf keiner besonderen Begründung.
Aber wir müssen, wenn wir ehrlich sind, auch sogleich gestehen:
daß beim heutigen Stande unseres Wissens eine lückenlose Be-
antwortung dieser wichtigsten Fragen nicht möglich ist. Die
Tendenzliteratur bringt zwar wie überall so auch hier immer
schon Lösungen, aber wer sich auch nur ein wenig in den Gegen-
stand hineingelebt hat, der sieht einstweilen viel mehr Probleme,
viel mehr Rätsel als Lösungen.
Was mir aber im gegenwärtigen Augenblicke not zu tun
scheint, und was allein die Erörterung des Judenproblems aus
dem Zwielicht, in dem sie jetzt steckt, herausbringen kann, ist
sine begrifflich scharfe Erfassung der strittigen Punkte, ist eine
klare Fragestellung und eine urteilsvolle Sichtung des massen-
haft aufgehäuften Materials. Es ist als ob bei der Behandlung
just der „Judenfrage 11 und zumal an dem Punkte, wo sie mit
dem allgemeinen „Rassenproblem 11 sich schneidet, alle Teufel
sich verschworen hätten, um die Köpfe zu verwirren.
Was Friedrich Martius unlängst für die Vererbungsfrage
22 *
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340
im besonderen forderte 618 , das ist für die gesamte Rassenfrage und
in ganz hervorragendem Mähe für die jüdische Rassenfrage von-
nöten: „eine genauere Begriffskritik". Und diese kann wohl
auch — oder gerade? — derjenigen fördern helfen, der den
Spezialforschungen gleichmäßig fernsteht, und der deshalb die
Ergebnisse auf den einzelnen Wissensgebieten besser zu über-
blicken vermag. Diese Überlegung gibt mir den Mut, im folgenden
eine Zusammenfassung dessen zu versuchen, was heute die Er-
örterung des jüdischen Rassenproblems zutage gefördert hat : an
sicherem Wissen und an denkbaren Möglichkeiten, aber auch,
soweit es sich um sehr verbreitete Irrtümer handelt, an zweifellos
falschen Hypothesen.
L Die anthropologische Eigenart der Juden
Über die Herkunft der Juden und ihr anthropologisch-
ethnologisches Schicksal sind jetzt die Meinungen wenigstens in
den entscheidenden Punkten geklärt.
Man nimmt wohl ganz allgemein an 510 , daß Israel sowohl
wie Juda durch die Vermischung verschiedener orientalischer
Völker entstanden sei. Als im 15. Jahrhundert „die Hebräer“,
ein Beduinenstamm, sich in Palästina „seßhaft“ machen wollen,
finden sie dort schon eine seit langem angesiedelte Bevölkerung
vor: die Kanaaniter, die selbst wahrscheinlich eine herrschende
Oberschicht darstellten und neben Hethitern, Pheresitem, Hevitem
und Jebusitem (Jud. 3, 5) das Land bewohnten. Mit allen diesen
Völkerschaften leben die israelitischen und judaischen Stämme —
das ist jetzt das Ergebnis neuer Untersuchungen gegenüber der
früheren, entgegengesetzten Meinung — im Konnubium.
AJs dann ein Teil der Bevölkerung (wir werden später sehen,
welcher) in die Exile geführt wird, setzt sich die Mischung
dort fort. Von dem Schicksal der Juden im babylonischen Exil,
das für uns allein in Betracht kommt, sind wir durch die neueren
Keilschriftfunde, wenigstens was ihr sexuales Verhalten anbelangt,
ziemlich genau unterrichtet: die Inschriften machen es „zweifel-
los“, daß eine allmähliche Verschmelzung zwischen Babyloniern
und jüdischen Exilanten sich anbahnte. Wir sehen die Ein-
wanderer ihren Kindern babylonische Namen geben, die Baby-
lonier umgekehrt ihren Kindern persische, hebräische, aramäische
Namen 620 .
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341
Nicht so einhellig sind die Ansichten darüber: wie die ein-
zelnen Stämme und Völker, aus denen sich die Juden zusammen-
setzten, unter einander verwandt waren, noch auch darüber, wie
man sie gegen andere Volksgruppen abgrenzen, und am wenigstens
darüber, wie man sie — benennen soll. Man weiß, daß ein be-
sonders erbitterter Streit um den Begriff „Semiten“ entbrannt
ist, der wohl damit geendigt hat, daß man heute in anthropo-
logischen Kreisen das Wort „Semiten“ überhaupt nicht mehr
gern gebraucht.
Der Semitenstreit ist einer der Fälle (ein anderer be-
kannter Fall ist der Arierstreit), wo eine unnütze Verfilzung
der Fäden dadurch herbeigeführt ist, daß man linguistische
und anthropologische Gesichtspunkte bei der Abgrenzung von
Menschengruppen durcheinander gebracht hat. Wir wissen heute,
daß „Semiten“ ein rein linguistischer Begriff ist, daß nämlich
alle diejenigen Völker darunter zu verstehen sind, deren Sprachen
semitisches Gepräge tragen, und wissen ferner, daß diese semitisch
redenden Völker aus den anthropologisch zum Teil heterogensten
Elementen zusammengesetzt sind 521 .
Mir scheint der Streit um Abgrenzung und Benennung jener
orientalischen Völker, zu denen ebenso die Ägypter wie die
Babylonier und Assyrier, wie die Phönizier wie die Juden —
kurz alle Kulturvölker des alten Orients — gehören, aber
auch ziemlich müßig. Ob wir mit Friedrich Müller von
Hamiten und Semiten; ob mit v. Luschan von Semiten,
Amoritern, Hethitern und Kuschiten, ob mit Huxley und
St ratz von melanochroen Völkern reden: ich fürchte, wir
werden angesichts des völligen Mangels an Untersuchungsmaterial
ihre anthropologische Eigenart doch niemals genau und einwands-
frei feststellen können. Während auf der anderen Seite diese
Lücke unseres Wissens gar nicht so sehr bedeutsam ist, an-
gesichts der viel wichtigeren und unbestrittenen Tatsache, daß
es sich bei all* diesen Völkern zweifellos um Angehörige einer
ihrer Herkunft und vorgeschichtlichen Lebensweise nach ganz
genau bekannten Menschheitsgruppe handelt, die man vielleicht
(ich komme noch darauf zu sprechen) als Wüsten Völker oder
Wüstenrandvölker bezeichnen kann. Denn die Annahme, daß in
diese heißen Länder ein blonder, blauäugiger, nordischer Stamm
verschlagen sei, wird heute wohl von den Fachleuten überein-
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342
stimmend in das Reich der Fabel verwiesen. Jedenfalls wird
man sich dieser gennanomanen Hypothese*** gegenüber so lange
ablehnend verhalten dürfen, als nicht schlüssigere Beweise wie
die blonden (roten) Haare des Königs Saal oder die Doücho-
zephahe der Monde Ramses* IL beigebracht worden sind.
Wekhes ist mm das Blotschicksal dieses Völkergendsches
geworden, aas dem wir die Joden hervorgeben sehen? Darauf
gab man früher gern die Antwort, daß das jüdische Volk in allen
folgenden Jahrhunderten immer so weiter sich mit den Völkern
dann spfiter in der Diaspora gemischt habe, wie vor dem baby-
lonischen Exil and während der ersten Zeit in Babylonien selbst.
Renan, Loeb, Neubauer und andere waren der Ansicht, daß
die heutigen Joden zam großen Teil Abkömmlinge der heid-
nischen Proselyten während der hellenistischen Epoche oder aber
Sprößlinge von Mischehen zwischen Joden und Wirtsvölkern in
den christlichen Jahrhunderten seien. Das Vorkommen blonder
Joden (bis 13 •/#) , namentlich in den osteuropäischen Ländern,
bot za der abenteuerlichen Hypothese den Anlaß: hier habe man
es mit Mischlingen jüdischen and germanisdien (oder slavischen)
Volkstums zu tan. Die heute geltende — soweit ich sehe von
fast allen maßgebenden Forschern geteilte — Meinung ist im
Gegenteil die: daß der jüdische Volksstamm etwa seit Esras
Zeiten bis heute im wesentlichen sich unvermischt fortgepflanzt
hat, seit mehr als 2000 Jahren also eine von fremden Völkern
unberührte, ethnisch eigenartige Menschengruppe darstellt. Daß
Tropfen fremden Blutes in den jüdischen Volkskörper während
der langen Zeit der Diaspora hineingekommen sind, wird natür-
lich von niemandem geleugnet. Aber man glaubt, daß diese
Vermischungen zu unbedeutend sind, um den ethnischen Charakter
des jüdischen Volkes wesentlich zu beeinflussen.
Jedenfalls kann man jetzt mit ziemlicher Sicherheit fest-
stellen, daß man früher namentlich den Umfang des Proselyten-
tams ganz erheblich überschätzt hat. Zweifellos hat das Juden-
tum während der hellenistischen und urchristlichen Zeit (die
späteren Jahrhunderte kommen — bis auf einen Sonderfall —
überhaupt nicht in Betracht) unter den heidnischen Völkern
Anhänger für seine Lehre gefunden: beschäftigt sich doch so-
wohl die jüdische wie beispielweise die römische Gesetzgebung
mit solchen Menschen. Aber wir dürfen heute mit Bestimmt-
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343
heit annehmen, daß es bei jenen Proselyten sich immer nur
um sog. „Proselyten vor dem Tor“ handelte, das heißt um Be-
kehrte, die zwar den Gottesdienst übten, aber nicht zur Be-
schneidung und nicht zum Konnubium zugelassen wurden (die,
nebenbei bemerkt, fast alle dem Christentum verfielen.) Seit
Pius wurde den Juden und den Judenkindern die Beschneidung
wieder gestattet, ihre Ausdehnung auf die Proselyten aber aus-
drücklich verboten. Dadurch wurde der förmliche Übertritt zum
Judentum ein strafbares Verbrechen „und wahrscheinlich ist
das Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrecht
erhalten worden“ 528 . Severus „Judaeos fieri sub gravi poena
vetuit.“
Aber mag man immerhin, namentlich in vorchristlicher Zeit,
auch völligen Übertritt zum und somit blutsmäßigen Eintritt in
das Judentum vermuten: angesichts der Millionen Juden, die wir
in der hellenistischen Epoche schon annehmen müssen, kann
es sich doch immer nur um verschwindend geringe Dosen
fremden Blutes gehandelt haben, das hier in das Judenvolk hin-
einfloß, und dieses wenige Blut wird zudem noch von stammes-
verwandten Völkern (in Kleinasien, Ägypten usw.) hergerührt
haben.
Daß der Proselytismus bei den Juden seit ihrem Ein-
tritt in die europäische Geschichte so gut wie ganz aufgehört
hat, darf als sicher angenommen werden. Und auch die aben-
teuerliche Bekehrung der Chazaren Chagane im 8. Jahrhundert
wird an der Tatsache nichts ändern, daß auf dem Wege des
Proselytismus den Juden während des Mittelalters keine irgend-
wie belangreiche Masse fremden Blutes zugeflossen ist. Es heißt
wirklich allen Sinn für historische Dimensionierung verleugnen,
wenn man aus jenem Übertritt der Chazaren Chagane zum Juden-
tum auf eine starke Beimischung der Östlichen Juden mit sla-
vischen Elementen schließt. Das „Chazarenreich“ hat nie eine
irgendwie nennenswerte Ausdehnung gehabt. Schon im 10. Jahr-
hundert wird es auf ein ganz kleines Gebiet — im wesentlichen
die Krim — zurückgedrängt, und im 11. Jahrhundert geht der
winzige jüdische Staat der Chazaren unter. Ein kleiner Rest chaza-
rischer Juden lebt (als Karäer) in Kiew weiter. Wollte man also auch
annehmen, daß das ganze „Volk“ der Chazaren sich zum Judentum
bekehrt (und nebenbei sich auch dauernd zum Judentum bekannt >
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habe, so würde diese Beimischung immer noch erst eine quantitö
nägligeable gewesen sei, die an dem ethnischen Charakter des
jüdischen Stammes gewiß nichts zu ändern vermocht hatte. Zu allem
Überfluß ist es nun aber noch zweifelhaft, ob der Übertritt sich
nicht auf die Herrscher oder die herrschende Klasse beschränkt
habe 5 * 4 .
Bleiben die Mischehen als Quell der Blutsvermengung. Daß
auch sie in manchen Epochen der jüdischen Geschichte statt-
gefunden haben, dürfen wir als ausgemacht ansehen. Teils be-
rechtigen uns zu dieser Annahme Schlüsse aus der allgemeinen
Lage des Judentums. Wir dürfen erwarten, daß die Mischehen
zwischen Juden und Nichtjuden in den Zeiten besonders häufig
waren, in denen sich die Bande der jüdischen Gemeinschaft zu
lockern begannen : also etwa in den letzten vorchristlichen Jahr-
hunderten oder im 12. und 13. Jahrhundert in Spanien. Aber
wir wissen auch, daß diese Lockerung immer nur ganz vorüber-
gehender Natur war, daß die jüdische Orthodoxie sehr bald
wieder für Zusammenschluß und schroffe Abschließung gegen
Andersgläubige Sorge trug. Was die Pharisäer in der helleni-
stischen Zeit vollbrachten, war im 13. Jahrhundert in Spanien
eine Folge des Maimunistreites, der zu solcher Reaktion führte,
daß sogar schon geschlossene Ehen mit Christinnen und Muhameda-
nerinnen gelöst wurden 625 .
Andernteils weisen ausdrückliche Verbote jüdisch-christlicher
Mischehen, deren wir während der früheren Jahrhunderte auf
den spanischen Konzilen begegnen, darauf hin, daß sie jedenfalls
vorgekommen sind: der Kanon 16 des Konzils von Elovia (304)
bestimmt: Die Töchter von Katholiken sollen Ketzern nicht zur
Frau gegeben werden: es sei denn, diese bekehrten sich zum
Katholizismus; dasselbe gilt für Juden und Schismatiker. Kan. 14
des 8. Konzils zu Toledo (589) verbietet Juden, sich Christinnen
als Eheweiber oder Maitressen zu halten. Alle solchen Ver-
bindungen entsprossene Kinder sollen getauft werden. Nach Kan. 63
des 4 Toi. Konzils (633) müssen Juden, die Christinnen zur Frau
haben, das Christentum annehmen, wenn sie mit ihrer Frau
weiter leben wollen 526 . Daß die gegen diese Verbote ver-
stoßenden Ehen sehr häufig gewesen sein sollten, ist kaum anzu-
nehmen. Die Infizierung des jüdischen Stammes mit spa-
nischem Blut ist um so weniger bedeutend gewesen, als sicher
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: ein Teil der wirkliche Mischehen eingehenden Juden, oder
wenigstens ihre Kinder, dem Judentum verloren gingen.
[ Eine Vermischung mit den nordischen Völkern in irgendwie er-
heblichem Umfang liegt nun ganz und gar außer dem Bereiche aller
: Wahrscheinlichkeit. Denn wir wissen jetzt, daß die früher ge-
legentlich geäußerte Meinung : die Juden hätten z. B. in Deutsch-
f land bis zu den Kreuzzügen inmitten und im Verkehr mit der
christlichen Bevölkerung gelebt, sich nicht aufrecht erhalten läßt.
Brann, vielleicht der beste Kenner der deutsch-jüdischen Ge-
schichte, erklärt die Annahme einer bis zu einem gewissen Grade
gediehenen Assimilation im frühen Mittelalter für „ein in der Luft
schwebendes Phantom, das vor der richtigen Erkenntnis des
inneren Lebens der deutschen Juden jener Tage in nichts zer-
fließen muß a 627 .
Nun waren aber immer noch die blonden Juden da, die ein
wandelnder Beleg für eine sogar recht beträchtliche Mischung
mit blonden Wirtsvölkern zu sein scheinen, zumal ihre Zahl in
nordischen Ländern (namentlich in Deutschland und Rußland)
tatsächlich größer ist als in südlichen Ländern mit dunkler Landes-
bevölkerung. Heute nimmt eine Entstehung dieser blonden Juden
auf dem Wege legitimer Vermischung mit den Wirtsvölkem, so-
viel ich sehe, kein einziger Forscher mehr als wahrscheinlich an.
Dagegen ist unlängst die Hypothese aufgestellt worden 528 :
die blonden Juden seien das Ergebnis illegitimer Paarungen mit
Russen, entweder offizieller, nach denen die Judenweiber wieder
zu ihren Männern zurückgekehrt seien, oder gewaltsam erzwunge-
ner, als das Ergebnis von Schändungen der Jüdinnen durch
Kosakenwildlinge bei Gelegenheit von Pogromen. Daß diese
Hypothese auf sehr schwachen Füßen steht, leuchtet ein. Wenn
sie selbst die Entstehung der blonden Juden in Rußland erklären
würde: für die übrigen Länder versagt sie völlig; für Deutsch-
land z. B. , weil die blonden Juden den blonden Germanen in
anderen somatischen Merkmalen geradezu entgegengesetzt sind
(Kurz- gegen Langköpfe); in südlichen Ländern, weil hier die
massenhafte blonde Umgebung fehlt: und doch treffen wir selbst
in Nordafrika und im heutigen Palästina blonde Juden an.
Es läßt sich deren Dasein aber auch zwanglos erklären ohne Zu-
hilfenahme einer Mischung mit fremden Völkern in späterer Zeit.
Und zwar durch die Feststellung, daß alle dunkeln Rassen spontan
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346
entstandene leukoderme Varianten aufweisen , die sich dann in
einer für sie besonders gut geeigneten Umwelt (den nordischen
Ländern) stärker vermehrt haben als anderswo. Die bessere An-
passung mag nun klimatisch gedacht werden, oder sie mag sich
vollzogen haben durch die Vermittlung einer künstlichen Auslese
durch die Frauen, deren Schönheitsideal inmitten blonder Völker
sich mehr dem blonden Typus zugeneigt hat 5 **.
Diese Annahme : daß die Juden sich mehr als zwei Jahr-
tausende hindurch als eine besonders geartete ethnische Gruppe
erhalten haben, findet mm aber ihre vollgewichtige Bestätigung
in der Tatsache, daß die anthropologischen Merkmale der heute
lebenden Juden auf der ganzen Erde eine sehr große Überein-
stimmung aufweisen, in keiner Weise mit den anthropolo-
gischen Eigenarten der Völker, unter denen sie leben, parallel
gehen, dagegen selber eine auffallende Konstanz durch all’ die
Jahrtausende zeigen, während deren wir sie verfolgen können.
„Das verschiedene Schicksal, die andersartige Umgebung haben
nicht vermocht, einen gemeinsamen, schier unverwüstlichen Typus
zu verwischen; und gerade die Juden zeigen klarer als eine
andere Basse, wie übermächtig der Einfluß der Vererbung im
Rassenschicksal gegenüber dem der Anpassung ist.“ (El. Auer-
bach.) „Immer tritt der Allotypus der Juden im Vergleich mit
der übrigen, umgebenden Bevölkerung im gleichen Maße auf,
was als unbestrittener Beweis für die Stabilität und Eigenart
des anthropologischen Typus der Juden dienen kann. An der
Richtigkeit dieser Tatsache zweifelt jetzt kaum jemand mehr.“
(Ark. Eikind.)
Die anthropologische Homogenität des jüdischen Stammes
in der Gegenwart ist durch zahlreiche Ermittlungen und
Messungen in anatomischer Hinsicht ziemlich sicher gestellt
worden 580 . (Überwiegen der Kurzköpfe, der Brünetten usw.)
Zweifelhaft ist nur, ob sich der seit alters her (wie wir zu ver-
schiedenen Malen feststellen konnten) vorhandene Gegensatz
zwischen Aschkenazim und Sephardim auch anthropologisch be-
gründen läßt. Einstweilen stehen sich in der Erörterung dieser
Frage zwei Meinungen schroff gegenüber 581 . Mir scheint, als
sei das Material, mit dem für und gegen die „Rassendifferenz“
der beiden Gruppen innerhalb der Judenschaft gekämpft wird,
zu gering, um ein endgültiges Urteil zu fällen. (Daß in mancher
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347
Hinsicht eine anthropologische Unterschiedlichkeit zwischen Asch-
kenazim und Sephardim sehr wahrscheinlich ist, ist man auf
Grund persönlicher Beobachtung anzunehmen sehr geneigt. Der
schlanke, elegante Spaniole mit den schmalen Händen und Füßen,
der scharfgebogenen, knochigen Nase — Onkel Iason — und
der plumpe, krummbeinige Aschkenaz mit der breiten, fleischigen
Hethitemase — Vetter Julius — erscheinen dem Laien
durchaus als zwei verschiedene Typen. Aber wie gesagt : einst'
weilen besteht noch keine Möglichkeit, dieses „Empfinden" zu
einer wissenschaftlich begründeten Erkenntnis zu gestalten.)
Strittig ist im Augenblick auch noch : ob die heutige Juden-
schaft in physiologisch-pathologischer Hinsicht einheitlich und
unterschiedlich von den umgebenden Völkern veranlagt sei. Daß
bestimmte physiologisch-pathologische Besonderheiten den Juden
anhaften, kann nicht bestritten werden: frühe Menstruation,
mangelnde Disposition für Krebs, namentlich Gebärmutterkrebs,
starke Disposition für Diabetes, Geisteskrankheiten usw. Aber
diejenigen, die eine physiologisch-pathologische Eigenart der Juden
leugnen, glauben jene Besonderheiten aus der sozialen Stellung
der Juden, ihren religiösen Gebräuchen usw. genügend erklären
zu können 588 . Man wird sagen müssen, daß auch für den Ent-
scheid in diesem Punkte das Material, auf das sich die Beur-
teilung stützen muß, noch nicht umfangreich genug ist, und daß
wir einstweilen uns mit einem non liquet zufrieden geben müssen.
Was dagegen wiederum außer allem Zweifel steht, ist die
physiognomische Verwandtschaft der Juden in der Gegenwart.
Die Physiognomie ist bekanntlich das Produkt zweier Faktoren :
bestimmter Gesichtsformen und bestimmter Ausdrucksweisen in
diesen und mittels dieser Formen. Sie entzieht sich der Messung
und Auszählung, denen alle anderen somatischen Eigenschaften
unterliegen und muß geschaut werden. Ebensowenig wie es für
den Farbenblinden Farben auf der Welt gibt, ebensowenig kann es
für den Menschenblinden Physiognomien geben. Wenn Friedrich
Hertz beispielweise von sich sagen würde 588 , daß er „bei gut
drei Viertel der gebildeten und wohlhabenden Juden . . . nicht
mit voller Sicherheit die Abstammung aus dem Äußeren fest-
stellen" könne, so ließe sich dagegen gewiß nichts einwenden.
Dagegen möchte ich mich entschieden gegen seine Behauptung
wenden: das könne „ein guter Beobachter" nicht feststellen.
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Darin irrt er. Schon ein mittelmäßiger Beobachter kann es mit
ziemlicher Sicherheit. Daß „die jüdische Physiognomie* heute
noch eine Realität ist, wird nur von ganz wenigen in Zweifel
gezogen werden. Wobei zu beachten ist, daß es selbstverständ-
lich unter den Juden zahlreiche Individuen gibt, die ganz und
gar nicht „jüdisch* aussehen und ferner: daß auch unter nicht-
jüdischen Völkern Judenphysiognomien Vorkommen. Ich möchte
zwar nicht mit Stratz 584 die Habsburger wegen ihrer herab-
fallenden Lippe oder die französischen Ludwige wegen ihrer
starken Nasen als jüdisch aussehend bezeichnen; aber unter
manchen orientalischen Völkern (vielleicht auch unter den
Japanern) finden sich zweifellos jüdische Typen, die (dem Reli-
gionsbekenntnis nach) keine Juden sind. Aber das scheint
mir nichts gegen die anthropologische Besonderheit der Juden
zu beweisen, sondern nur dafür, daß jene Völker und die Juden
vielleicht gemeinsame Vorfahren haben. (Nach Japan verlegt man
bekanntlich — wie übrigens an andere Orte der Erde auch —
das Endziel der Wanderung der verschollenen zehn Stämme
Israels: die außerordentliche Ähnlichkeit, die zwischen japani-
schem und jüdischem Wesen obwaltet, würde eine solche — im
übrigen natürlich völlig phantastische — Hypothese vortrefflich
stützen !) Die Judenphysiognomie als Dekadenzerscheinung ganz
allgemeiner Natur anzusehen, wie es Stratz tut, oder sie (wie
Ripley) aus dem Ghettoleben zu erklären, geht nun aber auch
nicht wohl an angesichts der zweifellosen Tatsache, daß wir den
echten Judentypen auf den Denkmälern Ägyptens und Baby-
loniens schon in sehr früher Zeit begegnen. Man braucht nur
die Abbildungen der jüdischen Kriegsgefangenen aus der Epoche
Schischaks (973 v. Chr.) oder die Gesandten am Hofe Sal-
manassars (884 v. Chr.) sich anzuschauen 885 , um festzustellen,
daß sich seit jener Zeit bis heute, also in bald dreitausend Jahren,
wesentliche Veränderungen in der Judenphysiognomie nicht voll-
zogen haben. Auch daraus wird man eine Bestätigung für die
Richtigkeit der Anschauung entnehmen können, daß der jüdische
Volksstamm in anthropologischer Hinsicht eigenartig ist, und daß
seine Eigenarten eine außergewöhnlich große Konstanz auf-
weisen.
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349
n. Die jüdische „Rasse“
Dürfen wir nun angesichts dieser Tatsache von einer jüdi-
schen „Rasse“ sprechen? Offenbar hat die Antwort auf diese
Frage die Voraussetzung, daß das, was eine „Rasse“ sei, fest-
stehe. Dies ist aber nun nicht der Fall, wie man weiß. Wir
haben fast so viel Definitionen des Begriffes „Rasse“, wie wir
Gelehrte haben, die von ihm sprechen. Nun steht es natürlich
jedermann frei, zu sagen; das nenne ich Rasse, und wenn das
Rasse ist, was ich so und so gekennzeichnet habe, dann sind
die Juden eine Rasse, oder sind sie keine Rasse. Daß dieses
Verfahren ein je nach dem Grad von Bösartigkeit oder Dumm-
heit dessen, der sich seiner bedient, mehr oder weniger harm-
loses Spiel ist, liegt auf der Bland. Eine irgendwelche Bedeutung
für den Betrieb der Wissenschaft bekommt es immer erst, wenn
der einzelne sich klar ist und den andern klar macht, was er
eigentlich will ; heißt : welchem Zweck seine Begriffsbestimmung
dienen soll. Diese Einsicht dämmert jetzt endlich auch den
„Rassentheoretikern “ auf, und die wissenschaftlichen unter ihnen
versuchen jetzt dem Begriffe Rasse ein erkenntniskritisches Funda-
ment zu unterbauen. Man sieht vor allem ein, daß man sehr
verschiedene Begriffe mit dem Namen Rasse belegt hat, und
daß es etwas grundanderes bedeutet, wenn ich sage: dieses
Frauenzimmer ist rassig (hat Rasse), als wenn ich sage: dieser
Mensch gehört der mongolischen Rasse an. Das heißt : man sieht
ein, daß im einen Fall mit dem Worte Rasse ein irgendwelches
Zweck- oder Idealgebild bezeichnet werden soll, während das
Wort Rasse im andern Falle nur einen klassifikatorischen Sinn hat.
Während nun in letzter Zeit das Wort Rasse in jenem züchterischen
Verstand mit Entschlossenheit weiter verwandt wird, ist man von
seiner Verwendung zum Zwecke lediglich ordnender Menschen-
einteilung mehr und mehr zurückgekommen. Das heißt aber
nichts anderes als das : man hat darauf verzichtet, die Menschen,
die heute auf der Erde leben, nach anthropologischen Merkmalen
zu klassifizieren; anders gewandt: sie nach „Varietäten“ (Unter-
arten, Spielarten) zu unterscheiden. „Bei dem Stande der heutigen
Forschung können gegenwärtig alle Versuche, die Menschheit
nach ihren körperlichen Verschiedenheiten in scharf voneinander
getrennte Gruppen (Rassen oder Varietäten) zu trennen, nur
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provisorischen Wert haben. Hier sieht noch niemand klar, und
kann noch niemand klar sehen/ (Joh. Ranke.)
Im Grunde ist dieses negative Ergebnis der klassifizierenden
Anthropologie nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, wie grob
die wirklich feststellbaren „Merkmale“ der menschlichen Art
sind, und vor allem : wie fern wir mit ihnen auch nur dem leib-
lichen Menschen in seiner organischen Einheit bleiben. Wenn
für irgend eine Wissenschaft, gilt von der modernen Anthropologie
das verhängnisvolle Wort: „Hat die Teile in ihrer Hand, fehlt
leider nur das geistige Band.“ Schädelform, Prognathismus, Ge-
sichtsform und Gesichtswinkel, Nase, Ohr, Körpergröße , Haut-
farbe, Haare, Steatopygie, weibliche Brust : das sind die Merkmale,
die man ermittelt. Aber was jedes einzelne für den Gesamtorga-
nismus bedeutet, was eines für das andere bedeutet, wie eines
vom andern abhängt . davon ahnen wir kaum etwas, und werden wir
vielleicht niemals Gewisses erfahren. Kein Wunder also, daß die
Feststellung der verschiedenen Merkmale bei verschiedenen
Menschengruppen ganz und gar keine Einheitlichkeit, sondern
immer nur eine fast karikaturhafte Buntscheckigkeit des Typus ergab.
Eine Zeitlang hatte man gehofft, mit exakten Messungen
Ordnung in das Chaos bringen zu können, und hatte namentlich
an die Schädelmessungen die höchsten Erwartungen geknüpft.
Nun haben sich auch diese — und gerade diese — als gänzlich
ungenügend erwiesen, die Menschen in unterschiedliche Gruppen
zu teilen : die dolichozephalen Menschen finden sich in den sonst
heterogensten Völkerschaften, ebenso wie die Kurzköpfe zerstreut.
Buschmänner und Neger, Äthiopier und Drawida, Semiten und
Nordeuropäer sind gleichermaßen ausgesprochene Langschädel
und haben doch kein anderes anatomisches Merkmal miteinander
gemein.
Jetzt fängt man an, die physiologisch-pathologischen Eigen-
arten der Völker zu untersuchen, um durch sie vielleicht bessere
Einteilungen zu schaffen. Ob mit mehr Erfolg, steht dahin.
Vielleicht aber kommt die Erleuchtung noch von einer ganz
andern Seite: von den Ergebnissen der biologischen Forschung
her, nachdem diese angefangen hat, sich mit der chemischen
Beschaffenheit des Blutes zu beschäftigen. Der Volksinstinkt,
der so oft das Richtige trifft, hatte längst geahnt, daß „Blut ein
ganz besonderer Saft“ sei, hatte deshalb von tief im Wesen des
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Individuums eingegrabenen Zügen gesagt: „es steckt ihm im
Blute“ und hatte nicht von Haar- oder Stimm- oder Nasen-,
sondern von „Blutsverwandtschaften“ gesprochen. Nim hat in
den letzten Jahren eine ganze Reihe von Forschern sich mit der
Frage beschäftigt: wie sich das Blut der einzelnen Tierarten
charakterisieren und von denen anderer unterscheiden lasse, wie
weit also die Blutanalyse zur Artdifferenzierung und Systemati-
sierung zu verwenden sei. Die Untersuchungen von Bordet,
Nutall, A. Wassermann, Uhlenhut, Friedenthal u. a.
haben zu dem Ergebnis geführt 68 ®, daß es jetzt mit Sicherheit
gelingt, auf biologischem Wege Eiweiß zweier selbst naher ver-
wandter Arten voneinander zu unterscheiden und fernerhin ge-
wisse Eiweißdifferenzen innerhalb eines Organismus festzustellen.
Was fraglich blieb, war dies: ob mit derselben Methode auch
Unterschiede innerhalb der Art festzustellen seien, ob man
also die Blutanalyse auch zur Klassifizierung, z. B. der mensch-
lichen „Rassen“ , werde verwenden können. Die Arbeiten
Neisserscher Schüler, namentlich Carl Brucks 687 , haben diese
Frage im bejahenden Sinne beantwortet. Untersuchungen an
Holländern , Chinesen und Malayen haben gezeigt , daß in der
Tat es mit Hilfe eines gegen Vertreter der weißen Rasse ge-
richteten Immunserums möglich ist, diese von Angehörigen der
mongolischen und malayischen Rasse biologisch zu unterscheiden
und gleichzeitig aus den erzielten Titergrößen auf die Verwandt-
schaft der einzelnen Rassen untereinander zu schließen.
Natürlich handelt es sich auch bei diesen Untersuchungen
um erste Anfänge, und zu einem vollständigen Schema der
menschlichen Rassen werden wir auch mit den biologischen
Methoden einstweilen so bald nicht kommen.
Nun wäre es aber ein höchst bedenklicher Trugschluß, aus
diesen Mißerfolgen der Klassifikationsbestrebungen zu folgern:
daß es überhaupt keine anthropologisch besonderen Menschen-
gruppen gäbe. Weil wir bisher kein Einteilungsprinzip gefunden
haben, braucht doch die Wirklichkeit nicht der Unterschiede zu
entbehren I Und wir werden auch diese ethnischen Unterschiede
der Menschengruppen wahmehmen können, ehe uns die Ethno-
logie oder Anthropologie oder Biologie oder Physiologie das
Menschheitsklassifikationsschema geliefert hat. Wir werden sogar
immer auch Mittel und Wege finden, diese Unterschiedlichkeit
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an einzelnen Merkmalen uns klar zu machen und mitzuteilen.
Es wäre schlimm, wenn wir mit der Feststellung, daß der Eskimo
ein anderes Gebilde ist wie der Neger, und der Süditaliener sich
von dem Norweger unterscheidet, warten sollten, bis die Anthro-
pologen ein brauchbares Klassifikationssystem ausgearbeitet hatten .
Noch viel mehr als bei der Unterscheidung der Völkerpsychen
pochen wir bei der Sonderung der verschiedenen Menschengruppen
nach somatischen Eigenschaften auf unser gutes Recht als ver-
nunftbegabte Beobachter, die sich nicht weismachen lassen, daß
ein Vogel eine Katze sei, weil die Naturforscher vielleicht noch
nicht herausgefunden haben, weshalb und worin die beiden sich von-
einander unterscheiden. Nur nicht bange machen lassen ! Wenn
man wahmimmt, mit wie dürftigen Mitteln beispielsweise die
Anthropologie (notgedrungen!) arbeiten muß, so wird man —
bei aller Hochachtung vor ihren Errungenschaften — doch ihre
Machtsphäre nicht allzuweit zu stecken geneigt sein.
Auf unser Thema angewandt: auch wenn wir die Juden
nicht als eine besondere „Varietät“ der Menschheit schulgemäß
klassifizieren können , ihnen darum alle anthropologische Eigenart
abzusprechen, liegt kein Grund vor. Und ich kann mir ein Wort,
wie das v. Luschans „für mich gibt es nur (!) eine jüdische
Religionsgemeinschaft , keine jüdische Rasse“ 588 , nur als eine
einer momentanen (sehr wohl verständlichen!) Gereiztheit ent-
springende, ab irato gemachte Bemerkung deuten, die ja schon
deshalb v. Luschan nicht ihrem vollen Inhalt nach vertreten
kann , weil sie mit seinen eigenen Forschungsergebnissen in
vollem Widerspruch stehen würde. Ich kann verstehen, daß
v. Luschan erklärt: „ich kenne keine jüdische Rasse,“ und damit
meint: es gibt keine besondere jüdische Rasse 1. in dem Sinne
einer besonderen „Varietät“ der Menschheit (aus oben dar-
gelegten Gründen), 2. gibt es keine in dem (ganz willkürlichen
und aus einer Verquickung des klassifikatorischen Sinnes des
Wortes Rasse mit seiner teleoJogisch-idealisierenden Bedeutung
hervorgegangenen) Verstände einer „reinen" Rasse (im Gegensatz
zu einem Völkergemisch). Daß v. Luschan sich gegen diese
Auffassung an jener Stelle insbesondere wenden wollte, geht aus
den folgenden Worten hervor: „immer wieder von neuem auf
das Völkergemisch hinzuweisen, aus dem die heutigen Juden
bestehen, ist auch von praktischer Bedeutung.“ Aber wenn es
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358
nun auch in diesem doppelten Sinne keine jüdische Basse gibt :
gibt es darum „nur eine jüdische Religionsgemeinschaft? 1“ Man
konnte mit Recht gegen diese Auffassung einwenden, daß es
gewiß auch so etwas wie eine jüdische Volksgemeinschaft gäbe,
die sich in gemeinsamen Geschichtserinnerungen, auch außer-
halb der Religionsgemeinschaft, äußere. Aber gewiß mit dem-
selben Rechte kann man für die Judenschaft eine irgendwie
geartete anthropologische Sonderheit — im Gegensatz zu den
Wirtsvölkem — eine anthropologische Unterschiedlichkeit be-
anspruchen. Und selbst wenn wir kein einziges somatisches Merk-
mal anführen konnten, das dem Juden eigentümlich wäre und
ihn von anderen Gruppen unterschiede, selbst dann noch würde
ich nicht davon abzubringen sein, daß die Juden — wo auch
immer ich sie anträfe — eine anthropologisch andersgeartete
Gruppe seien als beispielsweise die Schweden oder die Neger.
Also doch nicht nur „eine Religionsgemeinschaft“.
Man sieht: der Streit läuft auf einen Wortstreit hinaus. Es
gibt keine jüdische „Rasse“ — gut. Aber es gibt eine anthro-
pologische Eigenart der Juden. Schade nur, daß wir zur Be-
zeichnung dieser Eigenart kein passendes Wort haben. Wir
können von einem Volksstamm oder so etwas reden. Aber Name
ist auch hier Schall und Rauch. Einigt man sich, was man unter
dem (ach! so oft mißbrauchten) Wort verstehen will, so liegt
eigentlich auch kein Bedenken vor, von einer jüdischen Rasse,
meinetwegen „Rasse“, zu sprechen. Ich schließe diese Aus-
führungen mit ein paar sehr verständigen Worten des aus-
gezeichneten Judaisten A. Ruppin, die mir zu dem Besten zu
gehören scheinen, was über „jüdische Rasse“ geschrieben ist:
„Man darf“, meint Ruppin 589 , „den Begriff der Rasse nicht über-
spannen. (Ruppin denkt hier nur an die eine Bedeutung, die
man dem Worte beigelegt hat.) Versteht man unter Rasse nur
eine solche Gemeinschaft, die ihre charakteristischen anthro-
pologischen Merkmale in vorgeschichtlicher Zeit ausgebildet und
sich in geschichtlicher Zeit von jeder geschlechtlichen Ver-
mischung mit anderen Gemeinschaften freigehalten hat, so gibt
es unter den Menschen mit weißer Hautfarbe überhaupt keine
Rassenverschiedenheit, denn sie alle sind im Laufe der Jahr-
hunderte wiederholt durcheinander gewürfelt worden. Ob die
Juden von ihrem Eintritt in die Geschichte an eine einheitliche
Somb&rt, Die Juden 23
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354
Basse gebildet und diesen einheitlichen Charakter stets bewahrt
haben, steht völlig dahin.
„Als sicher kann aber gelten, daß die Bekenner der mosaischen
Religion noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach vielen
Jahrhunderten strengster Inzucht innerhalb eines relativ kleinen
und räumlich beschränkten Kreises eine durch anthropologische
Merkmale von ihrer christlichen Umgebung scharf unterschiedene
Gemeinschaft bildeten.
„Die Gesamtheit deijenigen Personen, welche genealogisch
von dieser Gemeinschaft abstammen, kann man — mangels
eines besseren Wortes für anthropologisch einheitliche Menschen-
gruppen — als eine Rasse und zwar als die jüdische Rasse
bezeichnen.“
III. Die Konstanz des jüdischen Wesens
Was uns hier an diesen anthropologischen Feststellungen
allein interessiert, ist der Zusammenhang, der etwa besteht
zwischen gewissen somatischen Eigenarten und der geistigen
Besonderheit des jüdischen Stammes. Denn was wir gern er*
fahren möchten, ist ja doch : ob diese im Blute liegt oder nicht,
ob sie — wie der beliebte Ausdruck lautet — „rassenmäßig“
begründet ist oder nicht. Um der Lösung dieser Frage näher
zu kommen, müssen wir nun zunächst, ebenso wie bei den so-
matischen Eigenarten, auch bei der geistigen Eigenart nach-
schauen , welches ihre Schicksale während des Ablaufs der jü-
dischen Geschichte gewesen sind ; nachschauen also : ob die Be-
sonderheiten , die wir für Gegenwart und letzte Vergangenheit
an dem jüdischen Volke beobachtet haben, etwa schon in früherer
Zeit angetroffen werden, ob sie bis in die Anfänge der Geschichte
zurückreichen, oder ob sie erst später (und wann vielleicht) sich
eingestellt haben.
Da ist denn nun das Ergebnis dieses: daß das jüdische
Wesen jedenfalls eine sehr große Konstanz aufweist, daß gewisse
Besonderheiten, gewisse eigentümliche Züge der jüdischen Psyche
sich annähernd so weit zurückverfolgen lassen, wie die Ge-
schlossenheit der ethnischen Gruppe reicht, die wir Juden nennen.
Das läßt sich natürlich nicht oder doch nur sehr unvollkommen
unmittelbar feststellen, weil wir ja zuverlässige Schilderungen
des jüdischen Volksgeistes aus früherer Zeit nur ganz wenige
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und ganz aphoristische besitzen. Immerhin ist es ganz lehrreich,
wenn uns der Pentateuch (an 4 Stellen : Ex. 32, 9 ; 84, 9 ; Deut.
9, 13. 27) dasselbe sagt wie Tacitus: daß Israel ein hartnäckiges,
ein halsstarriges Volk sei, und wenn uns Cicero von ihrem
brüderlichen Zusammenhalten berichtet; oder wenn wir hören,
daß Marc Aurel sie ein unruhiges Volk nannte, über das er
jammernd ausrief: „o Marcomanni, o Quadi, o Sarmatae, tandem
alias vobis inquietiores inveni“ ; oder wenn Juan de la Huarte
von dem scharfsinnigen für weltliche Dinge gemachten Verstände,
von ihrer astucia, sollercia uns erzählt usw.
Aber aus diesen wenigen Gelegenheitsbemerkungen könnten
wir uns doch kein rechtes Bild machen von dem Wesen des
jüdischen Volkes in vergangenen Zeiten. Dazu kommen wir nur
auf Umwegen: durch das Studium der äußern Lebensschicksale,
der Lebensäußerungen des Volkes, aus denen wir wie aus Sym-
ptomen auf das innere Wesen, die seelische Eigenart zurück-
schließen.
Da erscheint mir nun vor allem bedeutsam:
1. die Stellung der Juden zu den Wirtsvölkern
(oder deren Stellung zu ihnen), seit sie in der Diaspora leben.
Wir sahen: diese war in den letzten Jahrhunderten eine vor-
wiegend feindliche: die Juden wurden vom Volke als „Fremde“,
von den Regierungen als „Halbbürger“ angesehen, ehe der Kapitalis-
mus sie erlöste. Sie wurden gehaßt und verfolgt in allen Ländern ;
aber sie wußten sich überall zu erhalten und schließlich durch-
zusetzen.
Und nun schauen wir in die Vergangenheit zurück und be-
obachten dasselbe Schauspiel, seit wir sie mit Fremden in Ver-
bindung kommen sehen : die Stimmung der Wirtsvölker ist immer
dieselbe gewesen, mochten diese selbst einer Rasse oder Kultur
oder Religion angehören, welcher sie wollten. Oberall kam es
schließlich zu innerer Gegensätzlichkeit, überall zu Verfolgungen
und Mißhandlungen des Gastvolkes.
Von den Ägyptern nimmt es seinen Anfang: „Und es graute
den Ägyptern vor den Kindern Israels“. (Ex. 1, 12).
„Allen Menschen zuwider“ meint Paulus (I. Thess. 2, 15),
seien die Juden.
Während der hellenistischen Zeit, im kaiserlichen Rom : das-
selbe Bild. Grimmiger Haß, bei geringen Anlässen: Verfolgung,
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Plünderung, Mord und Todschlag. Man denke an die furchtbaren
Pogrome in Alexandria während des ersten Jahrhunderts unserer
Zeitrechnung, von denen uns Josephus und Philo berichten. „Der
Judenhaß und die Judenhetzen sind so alt wie die Diaspora
selbst“ (Mommsen). Man gedenke der Judenverfolgungen unter
den römischen Kaisern. Marc Aurel: „foetentium Judaeorum et
tumultuantium saepe taedio percitus“. Dann: Plünderungen
und Massacres unter Theoderich, ebenso wie unter den Lango-
barden im 7. Jahrhundert. Aber auch: in Babylonien während
des 6. Jahrhunderts schwere Verfolgungen durch die dem Feuer-
kultus ergebenen Perserkönige.
Selbst auf der Pyrenäenhalbinsel, wo sie so viel Gutes er-
fahren haben : am letzten Ende doch immer gehaßt und verfolgt :
ganz gleich von Moslemim und Christen. Man erinnere sich
der Drangsalierungen im 11. Jahrhundert im zividischen Reiche
in Granada unter dem Wesirat des Joseph Ibn-Nagrela und
schließlich ihrer Vertreibung aus Granada.
Das alles — und die Beispiele lassen sich leicht vermehren —
sind Äußerungen des Judenhasses in nichtchristlichen Kultur-
kreisen, zu denen sich dann die reichlichen Verfolgungen in christ-
licher Zeit gesellen.
Das alles ist natürlich ohne die Annahme einer jüdischen
Eigenart — und zwar der gleichen — nicht denkbar : kann nicht
geflossen sein nur aus sinnloser Laune der so sehr verschiedenen
Wirtsvölker.
Und immer wieder — zu allen Zeiten und in allen Ländern
(wenn auch nicht ununterbrochen) — als Halbbürger von den
Machthabern behandelt, wo sie unter fremden Völkern lebten.
Nicht daß die Juden immer Halbbürger gewesen wären, weil
man sie nicht für voll ansah und sie deshalb zurücksetzen wollte.
Ira Altertum waren sie vielmehr oft geradezu „privilegiert“, mit
Vorrechten ausgestattet, kraft deren sie nicht gezwungen werden
konnten, bestimmte Funktionen im Staate auszuüben (wie den
Kriegsdienst), oder kraft deren bestimmte Gesetze (wie die über
Vereine und Versammlungen) ihnen gegenüber nicht in An-
wendung kamen. Aber das hinderte nicht, daß sie doch eben
nicht vollen Anteil an dem Leben des Staates nahmen, in dem
sie lebten. Bestritten doch beispielsweise die Hellenen den in
Caesaraea(!) (also in einer auf jüdischem Boden und von einer
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jüdischen Regierung geschaffenen Stadt) lebenden Juden das
Bürgerrecht und Burnus (gest. 62), der Minister Neros 540 , gab ihnen
Recht. Und während des Mittelalters änderte sich an diesem
Zustand nur wenig.
Ich meine nun, daß eine derartig von den Staaten der ver.
schiedensten Art gleichmäßig geübte Politik ebenfalls wieder in
der bestimmten Eigenart des jüdischen Volkes — vielleicht nur
in ihrem strengen Religionsgesetz, wie wir es in einzelnen
Fällen nachweisen können — seinen Grund haben mußte.
Aber: allen Gewalten zum Trotz sich erhalten, versteht das
Judenvolk seit ewigen Zeiten. Jenes wundersame Gemisch von
Hartnäckigkeit und Schmiegsamkeit, das wir am Juden der Gegen-
wart feststellen konnten, bildet den Grundzug seines Verhaltens
während des ganzen Verlaufs seiner Geschichte. Ein wahrer
Stehauf! Niedergestreckt und nach kurzer Zeit wieder fest auf
den Beinen. Man denke nur an den Widerstand, den das jüdische
Volk den römischen Kaisern zu leisten wußte, als diese alle
Mittel anwandten, um es als selbständiges Volk zu vernichten:
allen Maßnahmen der Regierung zum Trotz gibt es im 3. Jahr-
hundert wieder einen Patriarchen in Jerusalem, der, wenigstens
faktisch, die Jurisdiktion ausübt und — von der Regierung ge-
duldet wird. Vom Altertum an durch das Mittelalter hindurch
bis in die neueste Zeit hinein fassen die andern Völker ihr
Urteil über die Juden in dem Wort zusammen : er ist hartnäckig
(zäh) wie ein Jude: „ostinato come un ebreo“.
Am wunderbarsten hat sich diese Eigenart der Juden,
schmiegsam und doch zäh zugleich zu sein, in dem Verhalten
fremden Regierungen gegenüber in Sachen der Religion bewährt.
Ihr hatten sie ja die meisten Anfeindungen, die meisten Ver-
folgungen zu danken. Und doch wollten sie ihre geliebte Re-
ligion nicht aufgeben. Da verfielen viele von ihnen auf den Aus-
weg: so zu tun als ob sie ihre Religion abgeschworen hätten und
ihr im geheimen doch anzuhängen. (Wir kennen dieses Ver-
halten aus der Zeit der Marranen, hier wollen wir feststellen,
daß es so alt wie das Leben in der Diaspora ist.
Das massenhafte Auftreten der jüdischen Scheinheiden,
Scheinmuhamedaner und Scheinchristen ist ein so fabelhaftes,
so ganz einziges Ereignis in der Menschheitsgeschichte, daß man
immer wieder staunen muß, wenn man davon liest und hört.
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Zumal wenn man die besonderen Umstände bedenkt, unter denen
dieses Scheintum betrieben wurde : daß es oft genug gerade sehr
fromme Juden, daß es die offiziellen Vertreter des jüdischen
Glaubens waren, die sich dieses Auskunftsmittels bedienten, um
sich am Leben zu erhalten.
Angefangen bei jenem R. Eliesar b. Parta, der unter Hadrian
als Scheinheide sich betätigte 641 , bis zu jenem bekannten Ism&el
Ibn Nagrela, der als Rabbiner Samuel Vorträge über den Talmud
hielt, eine Methodologie schrieb, gutachtliche Bescheide auf
religiöse Anfragen erstattete und als Wesir des muselmanischen
Königs Habus die Erlasse mit den Worten Chamdu - 1 • Illahi er-
Offnete und am Schlüsse diejenigen, an welche die Regierungs-
Schreiben gerichtet waren, ermahnte, ferner nach der Vorschrift
des Islams zu leben 646 ; bis zu dem großen Maimuni, der sein
Scheinmuhamed anertum mit guten Gründen glaubte rechtfertigen
zu können 648 ; bis zu dem falschen Messias Sabbatai, der Muhamed
bekannte, ohne daß sein Ansehen bei den Gläubigen verringert
wurde; von dem neapolitanischen Juden Basilus an, der seine
Söhne zum Scheine taufen ließ, um unter ihrer Firma den
Sklavenhandel weiterzuführen 644 (der den Juden verboten wurde),
bis zu den Tausend und Abertausend Marranen, die seit den Juden-
verfolgungen auf der Pyrenäenhalbinsel sich als Christen ausgaben
und doch bei der ersten günstigen Gelegenheit zu ihrem alten
Glauben zurückkehrten : welch sonderbarer Reigen von Menschen,
in denen sich höchste Hartnäckigkeit mit höchster Schmiegsam-
keit vereinigten!
Wir sahen: viele der jüdischen Eigenarten kamen erst in
der Diaspora zu voller Entfaltung. Läßt sich nun aber
2. das Phänomen der jüdischen Diaspora selbst
restlos aus äußeren Umständen, aus erduldetem Schicksal er-
klären? Bezeugt es nicht selbst wieder eine besondere Eigenart?
Anders gewandt: würde jedes beliebige andere Volk in gleicher
Weise haben über den Erdball zerstreut werden können? Da die
Versprengung schon zu Beginn unserer Zeitrechnung vollendet war,
so ist die Frage mit Rücksicht lediglich auf die Juden des alten
Palästina zu beantworten. Daß diese zu einem guten Teile gewalt-
sam aus ihren Sitzen verdrängt und von dem Eroberer gewaltsam
in die Fremde verschleppt oder, wenn man die mildere Ausdrucks-
weise vorzieht: in fremde Länder angesiedelt wurden, ist bekannt.
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859
Wir wissen von Tiglat-Pilesser, der Trupps jüdischer Bevölkerung
in Medien und Assyrien ansiedelte; ebenso wie ja ansehnliche
Teile der Judenschaft zwangsweise nach Babylon ins Exil geführt
wurden. Ebenso bekannt ist es, daß Ptolemäus Bagi Tausende
von Juden aus Palästina nach Ägypten eingeschleppt und wiederum
einen Teil der ägyptischen Juden als Kolonie nach Cyrene ver-
setzt haben soll, bekannt, daß Antiochus der Große 2000 jüdische
Familien aus Babylonien holte, um sie im Inneren Kleinasiens,
Phrygien und Lydien anzusiedeln. Mommsen nennt die Juden-
ansiedlungen außerhalb Palästinas geradezu „eine Schöpfung
Alexanders oder seiner Marschälle“.
Man könnte nun versucht sein, wenigstens in diesen Fällen,
in denen die Juden ohne oder gegen ihren Willen irgendwo an-
gesiedelt wurden, eine rein äußerliche Schicksalserzwingung zu
erblicken, die unabhängig von jeder Eigenart des jüdischen Volkes
sich vollzogen hätte. Aber das wäre ein übereiltes Urteil. Man
sollte vielmehr das bedenken: hätten die Juden nicht besondere
Eigenschaften besessen, so hätte man sie aller Wahrscheinlich-
keit nach nicht verpflanzt. Diese Ansiedlungen hatten doch nur
einen Sinn, wenn sich die Gewalthaber von ihnen einen Vorteil
versprachen: für das Land, aus dem man die Juden fortführte
oder (meist wohl) für das Land oder die Stadt, in die man sie
versetzte. Man mußte sie in ihrem eigenen Lande fürchten als
Unruhestifter, oder man mußte sie schätzen als reiche oder betrieb-
same Bürger, mit deren Hilfe man einer Neuansiedlung zum
Aufschwung verhelfen wollte, wenn nicht besondere Gründe einen
Fürsten zur Deportation bestimmten, wie etwa den Ptolemäus
Lagi, der ägyptische Juden (wie schon erwähnt wurde) als Kolonie
nach Cyrene schickte, um durch ihre Anhänglichkeit seine Herr-
schaft über Cyrene zu befestigen.
Eine ähnliche Erwägung läßt uns auch dort ein subjektives
Moment volklicher Eigenart in die Kausalkette einschieben, wo
die Juden Palästina etwa aus einer Art von ökonomischem
Zwange verließen: weil der Nahrungsspielraum zu klein wurde
für die an wachsende Bevölkerung: ein Motiv der Abwanderung
und also eine Ursache der Diaspora, die angesichts der Natur
Palästinas gewiß recht häufig gewesen ist. Aber damit es zu
dieser Zwangslage kam, war schon eine volkliche Eigenart
Voraussetzung: die starke Bevölkerungszunahme (die bekannt-
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lieh ebenso sehr physiologischen wie psychologischen Momenten
ihre Entstehung verdankt). Und daß die Zwangslage zur
Abwanderung führte, setzte erst recht wieder eine volkliche
eigenartige Veranlagung voraus. Man hat die Juden oft mit den
Schweizern verglichen. Gewiß, auch die Schweizer wandern
so viel aus, weil die Schweiz keine große Bevölkerung ernähren
kann. Aber sie wandern doch vor allem aus, weil sie Schweizer
sind, weil sie die Energie haben, sich aus eigener Kraft in eine
bessere Lage hinüber zu retten. Der Hindu wandert halt nicht
aus, sondern begnügt sich mit einer kleineren Portion Reis, wenn
die Bevölkerung anwächst.
Es wäre nun aber grundeinseitig , wollte man die alte
und dauernde Abwanderung der palästinensischen (wie später
wiederum der außerhalb Palästinas lebenden) Juden in allen
Fällen als eine erzwungene ansehen. Solch ein allgemeines,
durch die Jahrhunderte sich gleich bleibendes Phänomen ist
gai* nicht zu erklären, ohne daß man auch selbst gewollte Be-
wegungen neben der zwangsweisen Verpflanzung annimmt. Ob
man hier einen spezifischen „Wandertrieb“ oder wenigstens eine
gering entwickelte Bodenständigkeit als Grund des häufigen Orts
Wechsels denken will, bleibt sich gleich. Eine irgendwie be-
stimmte Eigenart wird man aber schon dem Volke, das so leicht
von Land zu Land zog, zuerkennen müssen. Ebenso wie es ohne
die Voraussetzung einer solchen Eigenart unerklärlich blieb,
warum die Wanderungsziele eine so große Übereinstimmung
aufweisen: warum es immer nur die großen Städte waren, in
die wir schon im Altertum die Juden einziehen sehen. Herz-
f eld , der vielleicht die vollständigste Liste der Judenansiedlungen
in der hellenistischen Zeit aufgestellt hat, weist mit Recht auf
die frappante Tatsache hin, daß von den aufgezählten Orten
52 Städte und unter diesen wieder 89 blühende Handelsstädte
gewesen seien 646 .
Schon diese letzten Erwägungen haben uns gezeigt, daß
die jüdische Eigenart sicher nicht erst etwa in der Diaspora
(oder gar erst, wie die offiziös-jüdische Geschichtschreibung an-
nimmt, während des europäischen Mittelalters) ausgebildet worden
ist, sondern daß die Diaspora selbst ein Werk dieser Eigenart
ist, die also schon vorher — wenigstens im Keim — vorhanden
sein mußte. Ganz dasselbe gilt aber auch von einem anderen
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wichtigen Symptomkomplexe, an dem wir jüdische Wesenheit
studieren können:
8. von der Religion.
Wenn man gesagt hat: der Jude, wie er heute sich uns
darstellt, sei ein Erzeugnis seiner Religion; es sei ersichtlich,
wie sehr der Jude erst zum „Juden“ gemacht worden, künst-
lich gemacht (sozusagen), und zwar durch die bewußte, voll
berechnende Politik einzelner Kreise und einzelner Männer
und im Gegensatz zu jeder „organischen Entwicklung“, so
gebe ich das gewiß zu, und meine eigenen Darlegungen in dem
Kapitel, das die jüdische Religion behandelt, haben den Zweck
gehabt , den großen Einfluß aufzudecken , den die jüdische
Religion insbesondere auf das wirtschaftliche Verhalten der
Juden ausgeübt hat. Aber : ich möchte doch hier jener
Chamberlainschen Auffassung gegenüber mit Entschieden-
heit betonen: daß jene Religion selber in ihrer ganzen Ab-
sonderlichkeit nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht eine
bestimmte Eigenart sie getragen hätte. Daß jene einzelnen
Männer und einzelnen Kreise so wundersame Gedankengebilde
erzeugen konnten, setzt doch bei ihnen eine geistige Eigenart
voraus, und daß sich das ganze Volk von ihren Lehren gefangen
nehmen ließ, sie nicht nur äußerlich, sondern mit tiefer Inbrunst
in seinem Innersten anerkannte : auch das ist doch nicht denkbar
ohne die Annahme, daß die Keime, die Anlagen zu der später erst
freilich ausgeprägten Eigenart im Volke schlummerten. Wir können
uns heute doch nicht mehr von der Anschauung freimachen, daß
jedes Volk diejenige Religion auf die Dauer hat, die seinem
Wesen entspricht (und daß es eine andere Religion solange um-
gestaltet, bis sie ihm angepaßt ist).
Man wird also, denke ich, ohne Bedenken aus der Eigenart
der jüdischen [Religion auf die volkliche Eigenart der Juden
zurückschließen dürfen. Und eine ganze Reihe der heute wahrnehm-
baren Züge lassen sich damit in sehr frühe Zeit hinauf verlegen,
mindestens in die Zeit bald nach dem babylonischen Exil. Daß
ich dabei an den Inhalt der Legenden dächte und etwa nach
Art der Verfasser [antisemitischer Katechismen aus der zum
Teil recht [bedenklichen Isac • Esau - Jakob • Erzählung und ihren
unterschiedlichen Schwindeleien eine „Neigung des jüdischen
Volkes zu betrügerischer Handlungsweise“ ableitete, wird man
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mir hoffentlich nicht Zutrauen. Schwindeleien gehören zu dem
eisernen Bestände aller Mythologien, scheint es. Wenn wir
unsere Blicke auf den Olymp oder nach Walhall richten , sehen
wir dort selbst die Götter sich gegenseitig auf die allemieder-
trächtigste Weise beschwindeln, wie es die jüdischen Erzväter
gar nicht besser gekonnt hätten. Nein : ich denke an die Grund-
Züge des jüdischen Religionssystems, wie ich sie dargelegt habe,
und finde, daß sie auch die Grundzüge des jüdischen Wesens
enthalten, daß vor allem'Intellektualismus, Rationalismus, Teleo-
logismus beiden gemein sind, daß wir in ihnen also Eigenarten
des jüdischen Volkes erblicken müssen, die vor der Ausbildung
seines Religionssystems (ich wiederhole: im Keime wenigstens)
vorhanden sein mußten.
Wenn ich nunmehr als ein Symptom für die Konstanz
jüdischen Wesens
4. die auffallende Gleichheit ihrer wirtschaft-
lichen Tätigkeit
durch fast alle Jahrhunderte der Geschichte aufzuführen wage,
so setze ich mich damit in einen Gegensatz mit den herr-
schenden Meinungen. Und zwar nicht nur mit deijenigen An-
sicht, die einen Wandel der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden
im Verlauf der Jahrhunderte annimmt, sondern auch mit der-
jenigen, welche die auch von mir behauptete Gleichheit gelten
läßt — deshalb, weil ich eine andere wirtschaftliche Tätigkeit
in der jüdischen Geschichte sich wiederholen sehe als die bis-
herige Meinung glaubte.
Dieses aber ist der heutige Stand des Wissens (und
Glaubens 1) vom Werdegang der jüdischen Wirtschaftsgeschichte.
Diejenige Auffassung, die man als die assimilationsjüdisch-
offiziöse bezeichnen kann, die aber auch von vielen national-
gesinnten Juden vertreten wird, und die, soviel ich sehe, auf
Heinrich Heine zurückgeht, ist etwa diese: die Juden sind
von Haus aus ein ackerbautreibendes Volk ; auch in der Diaspora
(selbst noch nach der Zerstörung des Tempels) widmen sie sich
dem Ackerbau und meiden alle anderen wirtschaftlichen Tätig-
keiten. Da ereignet sich etwa im 6. oder 7. Jahrhundert nach
Christi Geburt, daß sie gezwungen werden, ihren Landbesitz zu
verkaufen. Sie müssen sich nun wohl oder übel nach neuen
Erwerbsquellen umsehen und wählen den Warenhandel als Er-
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363
satz für die ihnen versperrte Landwirtschaft Ein halbes Jahr-
tausend etwa betätigen sie sich als Warenkaufleute. Da trifft
sie abermals ein vernichtender Schlag: durch die in den Kreuz-
zügen angefachte Bewegung gegen die Juden wird die Stimmung
auch in Kaufmannskreisen eine juden-feindliche ; die nationalen
Kaufmannschaften, die inzwischen erstarkt sind und sich zu
Verbänden zusammengetan haben, schließen die Juden vom
Markte aus, den sie für ihre Korporationen monopolisieren. Die
Juden, abermals ihrer Erwerbsquellen beraubt, sind abermals
genötigt, sich eine neue zu erschließen oder richtiger: die einzige
zu wählen, die ihnen überhaupt noch offen steht: sie werden
Geldleiher und bald privilegierte Geldleiher infolge der sie be-
günstigenden Zins- und Wuchergesetze.
Nach einer anderen Ansicht, die namentlich unter den nicht-
jüdischen Historikern, aber doch auch bei jüdischen Geschicht-
schreibern (wie z. B. Herzfeld) verbreitet ist, sind die Juden ein
von Haus aus dem (Waren-)Handel zugeneigtes und ergebenes
Volk, also nicht eigentlich ein ackerbauendes, sondern ein
„Handelsvolk“, das sich, wo es immer nur konnte, dem Handel
zugewandt hat: seit Salomos Zeiten durch alle Epochen der
palästinensischen Geschichte und durch alle Wandlungen der
Diaspora hindurch bis auf unsere Tage.
Beide Auffassungen, wie gesagt, halte ich für falsch,
mindestens für einseitig, und versuche das durch einen Über-
blick über den Verlauf der jüdischen Wirtschafts-
geschichte zu erweisen.
Das Bild, das uns die Wirtschaft des jüdischen Volkes
seit der Königszeit bis zum Ende der nationalen Selbständig-
keit und wohl bis zur Kodifikation des Talmud darbietet, ist
das einer wesentlich sich selbst genügenden Volkswirtschaft,
die Überschüsse des Bodens an das Ausland abgibt und deren
einzelne Wirtschaften entweder ebenfalls ihren gesamten Bedarf
selbst erzeugen oder durch einfachen Güteraustausch mit-
einander verbunden sind. Die Organisationstypen, denen wir
begegnen, sind also: Eigenwirtschaft mit angegliedertem Lohn-
werk, erweiterte Eigenwirtschaft (Fronhofwirtschaft) und Hand-
werk. Wo sie vorherrschen, ist eine rege Handelstätigkeit,
ist vor allem ein berufemäßiger Handel in enge Schranken ge-
bannt. Und wenn man namentlich in der Königszeit (später soll
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364
der Handel wieder abgenommen haben I) Palästina von Kaufleuten
aller Art erfQllt sieht, so beruht das offenbar auf einer Verkennung
der Salomonischen Wirtschaft, die ganz deutlich sich als ein
System großer Fronhofwirtschaften darstellt (nach Art etwa der
Villen Karls des Großen) und natürlich beträchtliche Güter-
bewegungen notwendig machte, die aber ganz und gar nichts
mit „ Warenhandel“ zu tun hatte. „Und die Amtleute — wir
würden genauer sagen: Meier = villici — die über Salomos Ge-
schäfte waren, deren waren 560. Und Salomo machte auch Schiffe
zu Ezeon-Geber, die bei Eloth liegt. Und Hiram sandte seine
Knechte im Schiff, die gute Schiffsleute und auf dem Meere er-
fahren waren, mit den Knechten Salomos. Und kamen gen
Ophir und holten daselbst 420 Ztr. (Talente) Gold und brachten
es dem König“ (1. Reg. c. 9). „Und man brachte dem Salomo
Pferde aus Ägypten und allerlei Ware; und die Kaufleute des
Königs kauften dieselbige Ware“ (1. Reg. c. 10). Diese und
ähnliche Stellen, aus denen man rege „internationale Handels-
beziehungen“, sogar eine „Monopolisierung des Handels“ heraus-
gelesen hat 1 , erklären sich zwanglos, wenn man sich die kaiser-
liche Haushaltung als Fronhofwirtschaft großen Stiles vorstellt,
die ihre Amtmänner mit eigenen Schiffen (in Begleitung anderer
großer Fronhofbesitzer) in die Fremde schickte, um für den
eigenen Bedarf (kauf- oder tausch- oder zwangs- oder geschenk-
weise) Güter herbeizuholen. Die durchaus eigenwirtschaftliche
Struktur der Königswirtschaft erscheint auch besonders deutlich,
wo uns der Tempelbau beschrieben wird: Salomo sendet zu
Hiram, dem König von Tyros und läßt ihm sagen: „So sende
mir nun einen weisen Mann, zu arbeiten mit Gold, Silber, Erz,
Eisen, Scharlachen, Rosinrot, gelber Seide. Und sende mir Zedern,
Tannen und Ebenholz vom Libanon; denn ich weiß, daß deine
Knechte das Holz zu hauen wissen auf dem Libanon. Und siehe
meine Knechte sollen mit deinen Knechten sein. Und siehe,
ich will den Zimmerleuten deiner Knechte, die das Holz hauen,
20000 Kor gestoßenen Weizen und 20000 Kor Gerste und
20000 Bath Weins und 20 000 Bath Öls geben“ (2. Chr. 2, 7 ff.).
Ebenso paßt es durchaus in das Bild einer großen Fronhof-
organisation hinein (und beweist gar nichts für eine rege Handels-
tätigkeit), wenn es (2. Chr. 8, 4) heißt : Salomo baute Thadmor in
die Wüste und alle Kornstädte (Magazine), die er baute in Hemath.
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(Wie aus dem Cap. de villis abgeschrieben, mutet 1. Sam. 8,
1 lff. an.)
Aber auch keine einzige der Quellenstellen, aus denen man
für eine spätere Zeit auf „ausgedehnten Handel“ glaubt schließen
zu können, läßt diese Deutung zu. (Herzfeld, der diese
Dinge am gründlichsten bearbeitet hat, begeht außer den Inter-
pretationsfehlern noch viele Irrtümer bei der Datierung der
Quellen: er hält im wesentlichen an der vorkritischen Chrono-
logie der einzelnen Bibelbücher fest und verlegt deshalb die
meisten Quellen in die vorexilische Zeit.)
Was wir über die reichen Exulanten aus der Bibel erfahren
(Esra 1, 4. 6; Zach. 6, 10 — 11), läßt uns doch ganz im ungewissen
über ihre berufliche Tätigkeit und rechtfertigt doch sicher nicht
den Schluß (Graetz), sie seien durch „Handelsbetrieb“ reich ge-
worden. (Eher lassen schon die Keilschrifturkunden aus Nippur
darauf schließen, daß es jüdische Großhändler in Babylonien ge-
geben habe.) Aus ’ Ezech. 26, 2 Handelsneid der Phönizier
herauszulesen und darauf die Hypothese einer vorexilischen
„Handelsblüte im Großen“ aufzubauen, erscheint mir doch allzu
kühn.
Wie vorsichtig man sein muß, wenn man aus einer Be-
merkung auf die Existenz eines berufsmäßigen Handels schließen
will, beweist die oft verwertete Stelle Prov. 7, 19. 20, wo uns
von den Machenschaften der ehebrecherischen Gattin berichtet
wird: „Sprach das buhlerische Weib zum närrischen Jüngling:
Komm, der Mann ist nicht daheim, er ist einen fernen Weg ge-
zogen. Er hat den Geldsack mit sich genommen und wird erst
auf das Fest wieder heimkommen.“ Kaufmann? Möglich. Aber
ebenso gut konnte es ein Bauer sein, der seinen Pachtzins etwa
an den entfernt wohnenden Yillicus abführen und bei dieser
Gelegenheit ein Paar Ochsen einkaufen wollte.
Dagegen bezeugen andere Stellen ganz deutlich auch noch
für die spätere Zeit das Dasein fronhofartiger Organisationen.
Wenn etwa Nehemia (Neh. 2, 8) für die Neuerbauung Jerusalems
Briefe an Assaph, den Holzfürsten des Königs bekommt, daß er
Holz gebe (oder wie De Wette übersetzt: „den Aufseher des
kgl. Waldes“). Während wiederum andere Stellen, z. B. Lev. 19,
35. 36, wo sich die oft herbeigezogenen Vorschriften des P über
rechte Wagen, Maße und Gewichte finden, zum mindesten nichts
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366
gegen die Annahme einer vorwiegend eigenwirtschaftlichen Organi-
sation beweisen.
Natürlich gab es immer schon einen Güteraustausch und
wohl auch schon zur Königszeit einen berufsmäßigen » Kaufmanns -
stand“, richtiger „Krämerstand“. Wir erfahren von ihm, wenn
der besiegte König Benhadad dem König Ahab anbietet, ihm
Gassen (für Krämer) in Damaskus zu bauen, wie sein Vater in
Samaria getan habe (1. Reg. 20, 34 siehe auch 1. Reg. 10,
14. 25), oder wenn es ausdrücklich erwähnt wird, daß in dem
neuen Jerusalem „zwischen dem Saal an der Ecke zum Schaftor
die Goldschmiede und Krämer bauten“ (Neh. 3, 32). Wieso
uns aber diese Mitteilung zeigen soll, „daß es in Jerusalem an-
gesehene Kaufmannsgilden gab“ (Bert holet), ist nicht ein-
zusehen. Man kann doch vielmehr die kleinen Budenbesitzer am
Schaftor mit Händen greifen.
Aber es gab wohl schon frühzeitig auch einen internationalen
Güteraustausch auf dem Wege des Handels und vermutlich auch
berufsmäßige „Großhändler“, die diesen Austausch vermittelten:
das heißt im wesentlichen die überschüssigen Bodenerzeugnisse
Palästinas wegholten und dafür Luxusware (?) hereinbrachten 546 .
„Juda und das Land Israel haben auch mit dir — Tyros —
gehandelt und haben dir Weizen von Minnith und Balsam und
Honig und öl und Mastix auf deine Märkte gebracht“. Aber
hier begegnen wir nun der merkwürdigen Tatsache, daß dieser
wenige Handel größeren Stils nicht in den Händen jüdi-
scher, sondern fremder Kaufleute lag, also vom Stand-
punkt der Juden aus „Passivhandel“ war. „Es wohnten auch
Syrer darinnen (in Jerusalem), die brachten Fische und allerlei
Ware“. Wir sehen Karawanen durch Palästina ziehen: aber
sie werden geführt nicht von Juden, sondern von Midianitern,
Sabäern, Dedanitern, Nabatäem, Kedarenem und anderen Völ-
kern 547 - Noch Ezechiel (26, 2) nennt Jerusalem „die Türe der
Völker“, offenbar in Gedanken namentlich der Südvölker nach
Tyros und Sydon. Selbst der Hausierhandel liegt zur Zeit der
Proverbien noch in den Händen der Kanaaniter. Und wenn
schon die Juden nicht einmal den Handel im eigenen Lande an
sich zu ziehen gewußt hatten, so ist es nur natürlich, daß sie
auch auf dem „Weltmärkte“ als Vertreter der internationalen
Handelsbeziehungen in fremden Ländern während des Altertums
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367
keine* besonders hervorragende Rolle gespielt haben. Die „inter-
nationalen Kaufleute“ des Altertums sind die Phönikier, die
Syrer, die Griechen, aber nicht die Juden 648 . „Ausdrückliche
Zeugnisse, daß die jüdische Emigration vorzugsweise eine handel-
treibende war, fehlen fast ganz“ 649 .
Angesichts so vieler übereinstimmender Zeugnisse sehe ich
gar keinen Grund ein, weshalb wir die bekannte Stelle beim
Josephus (contra Apion 1, 12) — „wir bewohnen kein Land
am Meere und erfreuen uns nicht des Seehandels oder sonstigen
Handels“ — für die Judenschaft der damaligen Zeit (mindestens
für die noch ansässigen Juden Palästinas) als tendenziöse Über-
treibung ansehen sollen. Die Aussage entspricht offenbar den
Tatsachen.
Und auch die folgenden Jahrhunderte brachten keine wesent-
liche Wandlung dieses Zustandes. Auch im Talmud überwiegen
die Aussprüche, die darauf schließen lassen, daß die handwerks-
mäßig-eigenwirtschaftliche Organisation des jüdischen Wirtschafts-
lebens, wenigstens im Orient, unverändert ^weiter bestand und
daß von einer vorwiegenden „Handelstätigkeit“ gar keine Rede
war. Zwar hören wir den Mann selig preisen, der ein „Gewürz-
krämer“ werden kann 660 und nicht schwere Handwerkerarbeit
zu verrichten braucht. Aber das ist doch eben das Los des
Budikers, nicht des „Kaufmannes“. Dem „Handel“, zumal dem
überseeischen, ist die Stimmung der Rabbinen nicht günstig.
Manche verdammen geradezu alle marktmäßige Organisation und
preisen die Eigenwirtschaft pur et simple : „R. Achai b. Joschiah
sagte: Wem gleicht der, welcher Frucht vom Markte kauft?
Einem Kinde, dem die Mutter gestorben ist ; man sucht mit ihm
die Türen der Mütter auf, die ihre Kinder stillen und das Kind
wird nicht gesättigt. Wer Brot vom Markte kauft, gleicht dem,
der sich selbst ein Grab gräbt, in dem er begraben wird 661 .“
Rab (Abba) — 175 bis 247 — schärft seinem zweiten Sohne ein:
lieber ein kleines Maß vom Felde als ein großes vom Söller
(Warenlager) 669 . Die Rabbanen lehrten: an vier Perudas ist
niemals ein Zeichen des Segens zu finden: „am Schreiberdienst,
an der Dolmetschgebühr, am Verdienst aus Waisengeld und am
Verdienst aus überseeischen Geschäften“. Für dieses
wird als Grund angeführt: „weil nicht an jedem Tage ein
Wunder geschieht“ 568 .
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868
Und wie gestalteten sich die Dinge nun im Okzident? Auch
hier dürfen wir uns die „Handelstätigkeit* der Juden ganz und
gar nicht großzügig vorstellen. Vielmehr erscheint der Jude
(neben den „Syrer*) während der römischen Kaiserzeit und
dann während der frühmittelalterlichen Jahrhunderte, wo er
als Händler auftritt, als recht bescheidener, kleiner Packenträger,
der den „königlichen Kaufleuten* des kaiserlichen Roms störend
zwischen die Beine lief, wie der kleine polnische [Handels-
mann des 17. und 18. Jahrhunderts den Kaufmannschaften
unserer Länder. Alles was wir über jüdischen Warenhandel
während des frühen Mittelalters erfahren, paßt in dieses Bild
des kleinen Packenträgers sehr gut hinein. Und nichts berech-
tigt für diese Jahrhunderte, die Juden als ein „Handelsvolk*
anzusprechen, das sie zu keiner Zeit gewesen sind, in der der
„Handel* — wenigstens der interlokale und (internationale
Handel — den Charakter halb räuberischen, halb abenteuer-
lichen Unternehmens trug: also bis in die allerletzte Zeit
hinein.
Also — so wird man vielleicht schließen — wenn die Juden
kein „Handelsvolk“ waren, so haben die Vertreter der anderen
Ansicht wenigstens damit Recht, daß sie ein „ackerbautreibendes*
Volk waren. Darauf ist zu erwidern : gewiß, in dem Sinne, wie
es oben ausgeführt wurde, daß die jüdische Volkswirtschaft
während des ganzen Altertums und tief in das Mittelalter hinein
ein eigen wirtschaftliches Gepräge trug (die Ausdrücke „Handels-
volk“, „Ackerbauvolk“ usw., sind ihrer Unbestimmtheit wegen zu
vermeiden; ich komme auf diesen Punkt noch zu sprechen).
Ganz und gar nicht aber in dem anderen Sinn: als sei den
Juden diejenige wirtschaftliche Tätigkeit, der man sie später
fast ausschließlich obliegen sieht, und in die sie (nach assimila-
tionsjüdisch-offiziöser Auffassung) wider ihren Willen hinein-
gedrängt sein sollen: als sei die Geldleihe ihnen damals fremd
gewesen. Im Gegenteil: und das ist die Tatsache, auf deren
Feststellung ich das entscheidende Gewicht lege: seit wir eine
jüdische Wirtschaftsgeschichte kennen, und solange wir sie durch
die Jahrhunderte verfolgen können : immer nimmt die Geld-
leihe in dem volkswirtschaftlichen Leben einen
ganz großen, einen erstaunlich großen Raum ein.
Sie begleitet die jüdische Volksgemeinschaft in allen Phasen
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— 369 —
ihrer Entwicklung: sie ist bei ihr in den Zeiten der natio-
nalen Selbständigkeit, ebenso wie in der Diaspora ; sie schmiegt
sich ebenso leicht (und wohl besonders gern) der bäuerlichen
Eigenwirtschaft, wie allen andern Wirtschaftsweisen an. Und
es sind Juden, die wir als Gläubiger finden. So wenigstens
seit ihrer Rückkehr aus Ägypten. Während sie dort die Schuld-
ner der Ägypter gewesen zu sein scheinen : sie nehmen bekannt-
lich nach dem offiziellen Bericht, als sie aus Ägypten fliehen,
die Darlehnssummen, die ihnen die Ägypter geliehen hatten,
mit sich: „Und ich will diesem Volke Gnade geben vor den
Ägyptern, daß, wenn Ihr ausziehet, nicht leer ausgehet".
(Ex. 3, 21.) „Dazu hatte der Herr dem Volk Gnade gegeben
vor den Ägyptern, daß sie ihnen leiheten; und entwandten es
den Ägyptern“. (Ex. 12, 36.) Aber das wurde dann von Grund
aus anders; es verkehrte sich in sein Gegenteil: Israel wurde
der Gläubiger, und die fremden Völker wurden seine Schuldner.
Sodaß sich der wunderbare Segen erfüllte, den man als Geleit-
wort jeder jüdischen Wirtschaftsgeschichte voranstellen sollte,
jener wunderbare Segen, in dem das ganze Schicksal des jüdischen
Volkes wie in einem Sinnspruche ausgedrückt ist, das Wort
Jahves: „Der Herr dein Gott wird dich segnen, wie er dir
geredet hat. So wirst du vielen Völkern leihen und
wirst von niemand borgen“. (Deut. 15, 6.) Bertholet
macht zu dieser Stelle in seinem Deuteronomion-Kommentar die
Anmerkung 664 : „weist auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund
einer Periode hin, in der Israel als Handelsvolk über alle Welt
verbreitet ist und tatsächlich durch seine Geldgeschäfte eine
Macht auf Erden war“. Bertholet sieht (wie ich seiner freund-
lichen brieflichen Mitteilung entnehme) in Deuteronomion 15, 4 — 6
eine späte Einschaltung und würde, „gerade weil die Worte
eine so große Verbreitung Israels vorauszusetzen scheinen, am
ehesten in die griechische Zeit (also nach Alexander d. Gr.)
hinabzugehen geneigt sein“. (Übrigens stimmt jetzt Marti in
Kautzschs Bibelübersetzung 3 S. 266 mit dieser Ansicht überein.)
Daß ich selbst für diese späte Zeit noch nicht recht an das
über alle Welt verbreitete Handelsvolk der Juden glauben
kann, habe ich schon gesagt. Um mich zu vergewissern, daß
ich nicht etwa wichtige Quellenstellen übersehen habe, fragte
ich bei Professor Bertholet an, worauf er sein Urteil gründe, und er
Sombart, Dia Juden 24
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370
verwies mich auf Prov. 7, 19 f. ; 12, 11; 13, 11; 20,21; 23, 4 f.;
24, 27; 28, 19, 20, 22. Jesus Sirach 26,29—27,2.
Ich habe diese Stellen, die meist von den Gefahren des
Reichtums handeln, schon in anderem Zusammenhänge besprochen
und finde bei genauer Prüfung, daß keine einzige auf eine Handels-
tätigkeit größeren Stiles hinwelst Daß Prov. 7, 19 f. auf einen
reisenden Kaufmann gedeutet werden kann (aber nicht braucht),
habe ich auch schon ausgeführt. Wenn wir von Tobit (auf den
mich Professor Bertholet auch aufmerksam macht) erfahren, daß
er des Königs Enemanassars „Einkäufer“ (ajopamr^) war und als
solcher ein gutes Einkommen bezog, so läßt dieses Verhältnis
gerade wieder auf fronhofartige Organisation schließen, die den
berufsmäßigen Händler in sich selber nicht kennt. Der jüdische
Kaufmann am Königshof von Adiabene, Ananias, den Josephus
erwähnt, kann Händler, kann aber auch Hofjude gewesen sein.
Wie ich denn natürlich nicht leugne, daß die Juden jederzeit
namentlich in der Diaspora auch (internationalen) Handel ge-
trieben haben. Nur daß dieser ihnen charakteristisch gewesen
sei, glaube ich nicht. Charakteristisch war vielmehr das Leih-
geschäft. Und für dieses wird gelten für jene Zeit, in die
Deut. 15, 6 zu setzen ist, was Bertholet behauptet: daß damals
Israel schon durch seine Geldgeschäfte eine Macht auf Erden war.
Auch daß er in diesem Sinne das Strabocitat (Jos. Ant. XIV. 7, 2)
deutet: „x<5iroc & ux ecrnv pa8fa>c s5psiv T7jc ofxoujjivrjc, 6c o& itapaWSsxTat
toüto cpüXov, jiT|8* £7nxpaTeiTat öir’a&xou“, scheint mir durchaus be-
rechtigt. Denn es wäre schwer zu sagen, worauf sich sonst das
iiuxpaxsttat beziehen sollte, wenn nicht auf die Geldmacht der
Juden, da ein anderes Herrschaftsverhältnis sich schwer bei ihnen
ausfindig machen läßt.
Die ältesten urkundlichen Belege für den hochentwickelten
Leihverkehr im alten Israel enthält wohl die Strafrede
Nehemias, die in ihren Hauptstellen (in De Wettescher Über-
setzung, die Lutherische Übersetzung ist voller Ungenauigkeiten
und in den Hauptpunkten geradezu ohne Sinn) also lautet:
„Und es erhob sich ein großes Geschrei des Volkes und der
Weiber gegen ihre Brüder, die Juden. Und es waren, welche
sprachen: Unsre Söhne und unsre Töchter, unser sind viel:
so laßt uns Getreide schaffen und essen, daß wir leben.
„Und es waren, welche sprachen : Wir müssen unsre Felder
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und unsre Weinberge und unsre Häuser verpfänden, daß wir
Getreide schaffen fQr den Hunger.
„Und es waren, welche sprachen: Wir haben Geld entlehnet
zu den Steuern für den König auf unsre Felder und unsre
Weinberge.
„Und doch ist es wie unsrer Brüder Leib unser Leib und wie
ihre Länder unsre Länder. Und siehe, wir müssen unsre Söhne
und unsre Töchter der Knechtschaft unterwerfen und wir haben
kein Vermögen in unsem Händen und unsre Felder und unsre
Weinberge gehören andern.
„Da wurd ich sehr zornig, als ich ihr Geschrei hörte und
diese Rede. Und mein Herz war ratlos in mir und ich haderte
mit den Edeln und Vorstehern und sprach zu ihnen: Wucher
treibet Ihr, einer mit seinem Bruder? Gebet ihnen doch zurück
heute ihre Felder, ihre Weinberge, ihre ölgärten und ihre Häuser
und den Hundertsten vom Gelde und vom Getreide und von
dem öl, den Ihr ihnen vom Zins genommen.“ (Neh. 6, 5).
Das Bild, das hier Nehemia entwirft, läßt an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig: das Volk geteilt in zwei Hälften:
eine reiche Oberschicht, die sich mit Geldleihen beschäftigt, und
eine ausgewucherte Masse Landarbeiter. Die „fremden Völker“
sind hier einstweilen die (wahrscheinlich) stammesfremden Volks-
genossen im eigenen Lande.
Dieser einheimische Kreditverkehr hat sich mm offenbar
während der ganzen jüdischen Geschichte in Palästina und Baby-
lonien (trotz Nehemia und anderen Reformern!) unvermindert
erhalten. Dafür sind die Talmudtraktate ein bündiger Beweis.
Denn in ihnen — namentlich natürlich in den verschiedenen
Babas — spielt nächst dem Thorastudium nichts eine so große
Rolle wie das Leihgeschäft. Die Vorstellungswelt der Rabbanen
(die wohl in sehr vielen Fällen die Hauptgeldgeber waren): die
Entscheidung des Rabina (des letzten Amoräers; 488 — 556) in
Sachen des Fremdenzinses (B. m. fol. 70 b ) klingt geradezu wie
die Erklärung eines Wuchermonopols für die Rabbanen: ist aus-
gefüllt mit Geldgeschäften. Beispiele von Darlehnsgeschäften,
Zinsformen usw. sind außerordentlich häufig; ebenso Diskussionen
über Geld und Geldleiheprobleme. Jedem imbefangenen (und
wirtschaftlicher Kenntnisse nicht ganz baren) Leser ergibt sich
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aus der Lektüre des Talmud der deutliche Eindruck: in dieser
Welt wird viel Geld geliehen.
In der Diaspora nimmt dann das Geldleihegeschäft offenbar
erst recht seinen Aufschwung. Wie weit geregelt der Geld-
verkehr der Juden in der ägyptischen Diaspora schon vier oder
fünf Jahrhunderte vor der christlichen Zeit war, zeigt der Ox-
forder Papyrus (Ms. Aram c 1 [P] 66ft ) „. . . . Sohn des Jatma . . .
Du hast mir Geld gegeben / . . . . 1000 Segel Silber. Und ich
will an Zinsen zahlen 2 hallur Silber / auf einen Segel Silber
für den Monat bis zu dem Tage, an dem ich dir das Geld zurück-
bezahle. Die Zinsen / für dein Geld sollen also 2000 hallur auf
den Monat betragen. Zahle ich für einen Monat keine / Zinsen,
so sollen sie zum Kapital geschlagen und gleichfalls verzinst
werden. Ich will dir Monat für Monat bezahlen / von meinem
Gehalte, das man mir aus dem Schatze auszahlt und du schreibst
mir eine Quittung (?) über das ganze / Geld und die Zinsen, die
ich dir zahlen werde. Erstatte ich dir dein ganzes / Geld nicht
bis zum Monat Rot des Jahres .... zurück, so soll verdoppelt
werden (?) dein Geld / und die Zinsen, die bei mir Zurückbleiben
und es soll Monat für Monat mir zur Last verzinst werden / bis
zu dem Tage, an dem ich es dir zurückzahle / Zeugen“ usw. usw.
In der hellenistischen und kaiserlich-römischen Zeit begegnen
uns die reichen Juden als die Geldgeber der Könige, und die
ärmeren liehen in den Niederungen des Volkes. Jedenfalls ist
damals in der römischen Welt schon von den jüdischen
„Schachern“ die Rede 658 .
Ebenso standen sie bereits in vorislamitischer Zeit bei den
Arabern, denen sie gegen Zins liehen, in dem Rufe, daß ihnen
„Schacher und Wucher“ im Blute lägen 667 .
Und auch in den westeuropäischen Kulturkreis treten viele
wohl von vornherein als Geldgeber ein. Wir hatten sie schon
bei den Merowingischen Königen als Geschäftsträger und Finanz-
verwalter (das heißt doch eben wesentlich als Gläubiger) ge-
funden 668 .
In Spanien aber, wo sie am freiesten sich betätigen konnten,
ist frühzeitig das Volk ihnen verschuldet. Lange bevor es in
den übrigen Staaten so etwas wie eine Juden (= Wucher) frage gab,
sehen wir in Kastilien die Gesetzgebung sich mit dem Problem
der Judenschulden befassen in einer Weise, die nicht im Zweifel
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läßt, daß das Problem bereits große praktische Bedeutung er-
langt hatte 559 .
Daß „seit den Kreuzzügen tt die Geldleihe den Hauptberuf
der Juden bildet, wird von niemand bestritten. Sodaß wir also
feststellen können : seitdem wir etwas vom jüdischen Wirtschafts-
leben wissen, sehen wir in ihm eine hervorragende Rolle die
Geldleilie spielen.
Es wäre nun wirklich an der Zeit, daß die Mähr verschwände:
die Juden seien während des europäischen Mittelalters — im
wesentlichen erst „seit den Kreuzzügen“ — in das Geldleihgeschäft
hineingezwungen worden, weil ihnen alle Berufe verschlossen
gewesen seien. Die zweitausendjährige Geschichte eines jüdischen
Leihverkehrs bis zum Mittelalter beweist doch wahrhaftig schon
deutlich genug die Irrigkeit jener Geschichtskonstruktion. Aber
selbst für das europäische Mittelalter und für die neuere Zeit
ist noch nicht einmal durchgängig wahr, was die offiziöse Ge-
schichtschreibung behauptet. Auch da war den Juden keines-
wegs überall der Weg zu allen anderen Berufen außer dem
„Wucher“ versperrt, und sie liehen doch mit Vorliebe auf
Pfänder aus. Das hat Bücher z. B. für Frankfurt a./M. nach-
gewiesen, und es läßt sich für andere Orte und Länder ebenso
feststellen. Ja — was noch mehr für die natürliche Tendenz
der Juden zum Geldleihegeschäft spricht — , wir erleben es im
Mittelalter und später, daß die Regierungen sich geradezu be-
mühen, die Juden anderen Berufszweigen zuzuführen, aber ver-
geblich. So in England unter Eduard I. 660 , so im Posenschen
noch im 18. Jahrhundert 551 , wo die Behörden durch Prämien
oder andere Mittel die Juden zum Berufswechsel zu bestimmen
suchten. Trotz dessen und trotzdem sie dort Handwerker und
Bauern werden konnten wie alle anderen, finden wir 1797 in
den Städten von Südpreußen 4164 jüdische Handwerker neben
11 — 12000 jüdischen Handelsleuten (neben nur 17 — 18000 christ-
lichen bei nur 5— 6°/o jüdischer Bevölkerung).
Nun könnte man vielleicht einwenden: Das „Wuchern“ (die
„Geldleihe“) brauche, auch wenn sie ganz freiwillig geübt wird,
gar nicht einer besonderen volklichen Anlage zu entspringen, da
„allgemein-menschliche“ Gründe — zur Erklärung — genug be-
reit liegen.
Überall, wo in einem Volke Leute mit großem Vermögen
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neben anderen Leuten leben, die aus irgendwelchen Gründen
(sei es zu Konsumtion, sei es zu produktiven Zwecken) Geld
nötig haben, wofern nur die primitivsten Bedingungen für die
ordnungsmäßige Abwicklung eines Leihverkehrs in der Rechts-
ordnung erfüllt sind, sind die beiden Gruppen der Bevölkerung
stets in das Verhältnis von Gläubigem und Schuldnern zueinander
getreten.
Ja — wo auch überhaupt nur Reiche neben Armen gewohnt
haben, selbst wenn es noch nicht einmal Geld in dem Lande
gab, haben diese von ihnen — dann in natura — geborgt, ln
den Anfängen der Kultur wohl ohne Zins zu zahlen, wo sich
die beiden Gruppen noch als Genossen derselben Gemeinschaft
fühlten. Später — und zwar erst im Verkehr mit Fremden —
wird das zinstragende Darlehn in gewöhnlichen Gebraucbsgütera
(wie Getreide, Vieh, öl) oder in Geld zu einer ständigen Ein-
richtung jeder nur irgendwie besitzdifferenzierten Volkswirtschaft.
Altertum, Mittelalter und Neuzeit sind gleichmäßig angefüllt
mit Leihe und „Wucher“. Und beteiligt an ihnen sind An-
gehörige der verschiedensten Volksstämme und der verschiedensten
Religionen. Für das Altertum braucht nur an die großen Agrar-
reformen in Griechenland und Rom erinnert zu werden , die uns
deutlich zeigen, daß es in diesen Ländern zu bestimmten Zeiten
genau so aussah wie in Palästina zur Zeit des Nehemia. Mittel-
punkte des Geldleihe Verkehrs waren im Altertum die Tempel, in
denen sich große Baarvorräte aufhäuften. Wenn der Tempel zu
Jerusalem Geld auslieh — ob er es tat, läßt sich nicht einmal
mit Sicherheit feststellen : der Talmudtraktat, der von den Tempel-
steuem handelt (Sekalim) , verbietet sogar ausdrücklich , daß
Überschüsse (einer bestimmten Opfergabe) zu Geschäften ver-
wendet würden — , wenn der Tempel, sage ich, Geld auslieh, so
tat er damit nichts anderes als was alle großen Tempel im
Altertum taten. Von denen Babyloniens wissen wir, daß sie
großen Geschäftshäusern glichen : der Marduktempel in Babylon,
der Sonnentempel in Nippur. „Die als Zehnten zuströmenden
Massen von Naturalien mußten, soweit sie nicht zu Opferzwecken,
zur Speisung und Besoldung einer vielhundertköpfigen Priester-
und Dienerschaft Verwendung fanden , nutzbringend angelegt
werden, mittels Ankaufs von Häusern und Grundstücken, die
dann vermietet, bezw. verpachtet wurden, mittels Verkaufs von
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Getreide und Datteln, aber vor allem Gelddarlehen, so daß die
Tempel schließlich Bankhäuser wurden 66 8 . tt
Dasselbe wird uns von dem Tempel zu Delphi berichtet®* 8 ,
von Delos, Ephesos, Samos.
Ebenso bekannt ist es. daß im Mittelalter die christlichen
Kirchen, Klöster, Stifte, Ordenshäuser ebenfalls Mittelpunkte
eines lebhaften Geldleiheverkehrs waren (trotz Zinsverbotes!).
Und wenn heute der Marschenbauer ein paar Hundert oder
Tausend blanke Taler erübrigt hat, so weiß er nichts besseres
damit anzufangen, als sie gegen „Wucherzinsen“ seinem be-
dürftigen Nachbarn auf der Geest als Darlehn zu geben.
Zinsen von ausgeliehenem Gelde zu beziehen, ist ein zu
reizvolles und zu leichtes Mittel, sein Einkommen zu vergrößern,
als daß es nicht von jedermann, der dazu imstande ist, gern an-
gewandt werden sollte. Man braucht dazu wahrhaftig kein Jude
zu sein. Zeiten akut gesteigerten Leiheverkehrs pflegen die-
jenigen zu sein, in denen eine bis dahin wesentlich eigen-
wirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft durch äußere Gründe
in die Tauschwirtschaft hineingedrängt wird, namentlich wenn
selbstgenügsame Bauern durch rasche Steigerung der Zinsen und
Steuern zu großen Geldausgaben genötigt werden, während sie
noch wenig verkaufen; oder wenn der Grundadel zu städtischer
Lebensweise übergehen will: dann fehlen Baarmittel, die auf
dem Wege der Anleihe beschafft werden müssen. Das sind dann
die Zeiten, in denen „Kreditkrisen“ (und in der neueren euro-
päischen Geschichte Judenverfolgungen) auszubrechen pflegen.
Also: jeder der’s kann, „wuchert“ mit Freuden. Aber wenn
nun vielleicht das „Mögen“ eine sehr weit verbreitete Erscheinung
ist: ist dasselbe der Fall mit dem „Können“? Das führt mich
zu einer neuen Erwägung:
Daß die Konstanz jüdischen Wesens deutlich erkannt werden,
kann aus ihrer
t
5. Begabung für Geldgeschäfte.
Man weih, daß die Stadtherren und Stadtverwaltungen im
Mittelalter die Juden oft genug geradezu anflehten : sie möchten
doch ja in die Stadt „wuchern“ kommen. Sie sollten alle nur
erdenklichen Vergünstigungen genießen. Angefangen von dem
Bischof von Speier, der es für opportun erachtete, um seiner
Stadt ein gewisses Cachet zu verleihen, eine Anzahl jüdischer
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Geldleute hereinzusetzen. Bis zu den förmlichen Verträgen, die
die Stadtgemeinden Italiens noch im 15. und 16. Jahrhundert mit
den angesehensten jüdischen „Wucherern“ abschlossen, damit
diese eine Leihbank errichteten oder sonstwie auf Pfänder
liehen.
Nach Florenz wird in den Jahren 1436, 1437 eine Anzahl jüdischer
Pfandleiher von der Stadtverwaltung gezogen, um der Geldnot der ärmeren
Bevölkerung abzuhelfen. Avv. M. Ciardemi, Banchieri ebrei in Firenze
nel secolo XV e XVL 1907.
Als die Stadt Ravenna sich der Republik Venedig anschließen will
(15. Jahrh.) und Bedingungen für ihren Anschluß stellt, verlangt sie u. a,,
daß reiche Juden dahin geschickt werden, eine Leihbank zu eröffnen, damit
der Armut der Bevölkerung gesteuert werde. Beilage bei Graetz, G. cL
J. 8, 235.
„Hatte man schon in der vergangenen Periode (bis 1420) ein be-
deutendes Anwachsen der Geldgeschäfte bei den römischen Juden be-
merkt, so nahmen dieselben, unter der Gunst der Verhältnisse, in diesem
Zeitabschnitte (1420 — 1550) noch einen weit größeren Aufschwung. Es war
sogar in Italien Brauch geworden , daß die einzelnen Kommunen mit den
Juden wegen der Verleihgeschäfte förmliche Verträge und Abmachungen
abschlossen.“ Nach Theiner, Cod. dipl. 3, 335; Paul Rieger, Gesch.
d. J. i. Rom (1895), 114.
Diese Vergünstigungen , die den jüdischen „Wucherern“
während des Mittelalters zuteil werden, legen die Vermutung
nahe, daß doch auch irgendwie etwas persönlich Eigenartiges
an diesen Juden gehaftet habe, weshalb man gerade sie und
niemand anders in der Stadt als Pfandleiher haben wollte.
Gewiß bevorzugte man sie, damit die Christenmenschen nicht
mit der Sünde des Zinsennehmens befleckt wurden. Aber nur
darum? Waren sie nicht auch die „geschickteren“ Geldmänner?
Läßt sich überhaupt diese jahrhundertelange glückliche
Leiherei, die immer wieder zu Reichtum führte, begreifen, ohne
daß wir auch hier eine besondere Veranlagung bei denen, die
sie übten, voraussetzen? Leihen ja: das kann jeder; aber er-
folgreich leihen : das ist ohne bestimmte Geistes- und Charakter-
eigenschaften nicht denkbar.
Daß in der Tat hier bei den Juden das Geldverleihen mehr
als das dilettantische Hingeben eines Darlehns und Hereinnehmen
einer Zinssumme bedeutete, daß das Gelderleihen von den Juden
zu einer Kunst ausgebildet worden war, daß sie wahrscheinlich
die Begründer (sicher aber die Verwahrer) einer hochentwickelten
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Leihtechnik während all der Jahrhunderte sind, das lehrt auf
das klarste ein Studium der Talmudtraktate, die von diesen
weltlichen Dingen handeln.
Es wäre wirklich an der Zeit — und ich hoffe, daß dieses
Buch eine Anregung dazu bieten wird — , daß ein national-
ökonomisch geschiffter Kopf einmal die wirtschaftswissenschaftlich
bedeutsamen Teile des Talmud und der rabbinischen Literatur
einer gründlichen Bearbeitung unterzöge. Hier kann und soll
natürlich diese Arbeit nicht geleistet werden. Ich muß mich be-
gnügen, auf die für eine ganz bestimmte Fragestellung wich-
tigen Stellen kurz hinzuweisen, damit sie ein anderer dann um
so leichter finden kann. Das heißt: ich will nur die Punkte
zusammenstellen, die mir für ein ganz erstaunlich hohes Maß
von Vertrautheit mit ökonomischen und insonderheit kredit-
wirtschaftlichen Problemen zu sprechen scheinen. Wenn man
die Zeit bedenkt, in der der Talmud entstanden ist (200 v. Chr. bis
500 n. Chr.) und gegen ihn alles das hält, was uns das Altertum
und das Mittelalter an nationalökonomischen Einsichten hinter-
lassen haben, so kommt man aus der Verwunderung gar nicht
heraus. Sprechen doch viele der Rabbanen , als hätten sie
mindestens Ricardo und Marx gelesen, oder als wären sie ein
paar Jahre als Broker auf der Stock exchange oder als Prokuristen
in einer großen Spekulationsbank oder als Rechtsanwälte in
Wucherprozessen tätig gewesen.
Beispiele :
a) Genaue Kenntnis von den Edelmetallen und ihrer
Beschaffenheit: „R. Hisda sagte: Es gibt 7 Arten von
Gold: Gold, gutes Gold, Ophir Gold (1. Reg. 10, 11), feines
Gold (ib. 5, 18), gezogenes Gold, massives Gold und Parvajm
Gold.“ Joma 45 a (L. G. 2, 881.)
b) Die Einsicht in das Wesen des Geldes als eines „all-
gemeinen Warenäquivalents“ ist vollkommen entwickelt.
Man unterscheidet genau die beiden Edelmetalle : ob sie zu
bestimmten Zeiten vollgültiges Währungsgeld waren oder
nicht. Hierfür ist auf den ganzen 4. Abschnitt der Baba
mezia zu verweisen. (Der Begriff des Geldes = all-
gemeines Warenäquivalent wird entwickelt an dem Rechts-
satze : daß der Kauf erst perfekt sei, wenn die Ware, nicht
schon, wenn das Geld tradiert ist.)
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c) Vollkommen klar unterschieden werden die Kategorien des
Konsumtiv- und Produktivkredits (der Zins für
Darlehne zu produktiven Zwecken ist gestattet, der für
Konsumtivkredit unter Genossen nicht). „Wenn jemand
ein Feld von einem anderen für 10 Malter Weizen des
Jahres (Pachtzins) pachtet (Sammter übersetzt , mietet*) ;
darauf spricht er zu ihm (dem Verpächter): Borge mir
200 Sus, ich will das Feld damit (besser) bestellen und gebe
dir alsdann 12 Malter das Jahr, so ist das erlaubt. Aber man
darf nicht mehr geben wollen beim Mieten eines Ladens
oder Schiffes? Bemerkt Rab Nachm an (235 — 320) im
Namen des Rabbah bar Abuha: Oftmals darf man beim
Laden mehr geben, um dort Bilder anzubringen, oder beim
Schiff, um einen Mastbaum aufzustellen. Ein Laden, um
dort Bilder anzubringen — weil alsdann viele Leute
dorthin kommen und er einen gröberen Gewinn
erzielt. Ein Schiff, um einen Mast darin aufzustellen —
weil, wenn der Mastbaum (das Takelwerk) gut ist, dann
gibt es mehr Verdienst, und das Schiff wird
mehr wert.“ B. m. 69 b (Übers. Sammter). VgL auch
B. m. 73 a .
d) Eine unheimlich hohe Entwicklung weisen Recht und
Technik der Darlehnsvertrftge auf. Wenn man
den 4. und 5. Abschnitt der Baba mezia durchliest, be-
kommt man den Eindruck, als ob es sich etwa um eine
Wucherenquete in Hessen vor zwanzig oder dreißig Jahren
handelte: so tausendfältig sind die Kniffe und Pfiffe, die
bei den Leihverträgen in Anwendung kommen. Eine hohe
Technik des Leihverkehrs beweist auch die Einrichtung des
Prosbul, wodurch man sich bekanntlich von der Verpflich-
tung befreite, im Erlabjahr auf geliehene Gelder zu ver-
zichten. Sebiith X. Abschnitt (L. G. 1, 273 t).
e) Auch die Behandlung der Depotverträge ist eine
merkwürdig sachkundige. „Wenn jemand Gelder bei einem
Bankier aufzubewahren gibt, so darf sich dieser derselben (!),
wenn sie zusammengebunden sind, nicht bedienen ; . . . sind
sie aber lose, darf er sich ihrer bedienen; wenn sie nun
verloren gehen, mub er dafür aufkommen. Bei einem
Privatmann, so darf dieser weder ungebunden, noch lose
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379
sich derselben bedienen; gehen sie nun verloren, braucht
er nicht dafür aufzukommen. Der Krämer gleicht dem
Privatmann, so lehrt R. Meir (100 — 160); R. Jehuda
(136 — 200) dagegen: der Krämer ist wie der Bankier an-
zusehen . . .* B. m. 43 a (Übers. Sammter) usw.
f) Mochte ich die starke rechnerische Begabung be-
tonen, die sich deutlich bei den Talmudisten, aber auch
schon früher bei den Juden nachweisen läßt.
Jedermann müssen die exakten Zahlenbestimmungen , schon in der
älteren Literatur (von der Bibel angefangen), auffallen. Al. Moreau de
Jonn£s, Stat. des peuples de Pantiquitä 1 (1851), 98 meint im Hinblick
auf die hervorragenden Leistungen der altjüdischen Statistik: „La race . . .
possädait une capacitä singuli&re: Tesprit de calcul et pour ainsi dire le
g6nie des nombres.“ Uber die Volkszählungen in der Bibel schrieb
mit fachmännischem Urteil in neuerer Zeit Max Waldstein in der
Statist. Monatsschrift, Wien 1881.
Was mir aber ebeusosehr, wenn nicht mehr, als diese tief-
gründigen Erörterungen der Rabbanen auf eine spezifisch jüdische
Begabung für das Geld und Kreditwesen schließen läßt, ist der
Erfolg, mit dem sie zu allen Zeiten ihre Geschäfte betrieben
haben. Dieser Erfolg findet seinen imposanten Ausdruck in der
6. Tatsache des jüdischen Reichtums.
Es läßt sich mühelos feststellen, daß, solange es eine jüdische
Geschichte gibt, die Anhäufung großer Reichtümer bei einzelnen
Juden ebenso wie die durchschnittlich größere Wohlhabenheit
der jüdischen Bevölkerung nicht bezweifelt werden kann, und daß
zu allen Zeiten und in allen Kulturen der jüdische Reichtum
gleichsam sprichwörtlich gewesen ist.
Das fängt mit König Salomo an, der selbst unter den reichen
orientalischen Fürsten durch seinen Reichtum berühmt war,
wenn er auch nicht gerade aus glücklichen Geschäften seinen
Reichtum aufgebaut hatte (obgleich man nie wissen kann!).
Das ist der Fall während des babylonischen Exils und bald
nachher. Wir erfahren aus den Berichten der Bibel, daß einzelne
Exulanten nach kurzer Zeit in der Lage waren, Gold und Silber
nach Jerusalem zu schicken (Zach. 6, 10, 11). Wir ersehen aus
den Handelskontrakten der Nippurausgrabungen, daß die Juden
während des Exils im Euphratlande eine hervorragende Rolle
im Wirtschaftsleben spielten 564 . Wir wissen, daß die aus dem
Exil Heimkehrenden große Vermögen nach Palästina zurück-
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880
brachten (Esra 1, 6—11). Berühmt wird später der Reichtum
der Priester 665 . Auffallend ist die große Anzahl reicher und
sehr reicher Männer unter den Talmudisten. Es läßt sich mühe*
los eine Liste von mehreren Dutzend Rabbinen aufstellen, denen
ein großer Reichtum nachgerühmt wurde. Würde man die
reichen Talmudgelehrten den armen gegenüberstellen, so ergäbe
sich — nach der Übersicht, die ich mir gemacht habe — ganz
deutlich ein starkes Überwiegen der reichen 666 .
Auch von den Juden in der hellenistischen Diaspora ge-
winnen wir den Eindruck der Wohlhabenheit und des Reichtums.
Wo Juden und Griechen nebeneinanderwohnen, sind jene an
Besitz überlegen, wie in Caesarea 567 . Unter den Alexandrinischen
Juden scheinen sich besonders viel reiche befunden zu haben:
wir erfahren mehrfach von sehr reichen Alabarchen und sind
den Alexandrinischen Juden schon an anderer Stelle als Geld-
gebern der Fürsten begegnet.*
Ebenso besitzen wir aus dem frühen Mittelalter eine Reihe
von Zeugnissen, aus denen sich mit ziemlicher Sicherheit ent-
nehmen läßt, daß viele Juden auch damals mit Glücksgütern reich
gesegnet waren. Wir sehen sie in Spanien dem Reccared Geld
bieten, damit er die Bestimmungen der lex vis. gegen die Juden
rückgängig macht 668 . Wir erfahren aus vormuhamedanischer
Zeit, daß die Araber sie wegen ihres Reichtums beneiden 56 °.
Cordova zählte im 9. Jahrhundert „mehrere tausend (!?) wohl-
habende“ Familien unter den Juden 670 . — Und so fort 571 .
Für das spätere Mittelalter ist der Reichtum der Juden so
allgemein anerkannt, daß es keiner besonderen Begründung erst
bedarf 67 *. Und für die Zeit seit dem Ausgange des Mittelalters
bis zur Gegenwart habe ich selbst eine Menge statistische Be-
lege in diesem Buche beigebracht.
Man wird also getrost sagen dürfen : von Salomo bis
Bleichröder und Barnato zieht sich der jüdische Reichtum wie
ein goldener Faden durch die Geschichte, ohne an einer Stelle
abzureißen. Ist das Zufall? Und wenn wir das nicht glauben
mögen: hat es in objektiven oder subjektiven Momenten seinen
Grund?
Um den Reichtum der Juden aus objektiven (äußeren) Um-
ständen zu erklären, hat man auf die Tatsache aufmerksam
gemacht, daß die Juden frühzeitig darauf hingewiesen wurden,
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381
im Gelde ihr höchstes Gut zu erblicken, und daß sie frühzeitig
gezwungen wurden (wegen der Unsicherheit ihrer Lage), allen
Reichtum nach Möglichkeit in leicht beweglicher Gestalt, also
in Gold (Geschmeide) bei sich zu tragen, um ihn jederzeit ver-
bergen oder mitnehmen zu können. So bedeutsam diese äußeren
Umstände für die Entwicklung des jüdischen Reichtums gewesen
sein mögen, so sind sie doch natürlich nicht hinreichend, diesen
selbst zu erklären. Ich sehe ganz davon ab, daß jene äußere
Lage, damit sie die genannte Wirkung ausüben konnte, Menschen
ganz bestimmter Veranlagung treffen mußte (wie ich es für
ähnliche Fälle schon ausgeführt habe); sehe davon ab, daß jene
Tatsachen doch nur in der Diaspora wirken konnten : der wichtigste
Einwand, der gegen die Stichhaltigkeit jener Beweisführung er-
hoben werden muß, ist doch natürlich der, daß jene eigentüm-
liche Lage nur den Wunsch der Juden, reich zu sein, erklärt
(und außerdem die Vorliebe für eine bestimmte Form des Reich-
tums). Daß aber der Wunsch in diesem Falle noch weniger als
in anderen Fällen genügt, um auch seiner Erfüllung teilhaftig
zu werden, ist — Gott seis geklagt — eine nur allzu bekannte
Tatsache.
Wir müssen also, wenn wir den jüdischen Reichtum er-
klären wollen, nicht nach Gründen suchen, weshalb die Juden
reich zu sein wünschen mußten (wer übrigens hätte diesen
Wunsch auf Erden nicht, seit Alberich das Geld aus dem Rhein
entwendete?!), sondern nach den Gründen, die sie befähigten,
reich zu werden (oder reich zu bleiben). Da hat man denn oft
mit Recht wiederum auf eine Eigenart der äußeren Lage hin-
gewiesen, in der sich die Juden Jahrtausende lang befunden
haben: daß sie nämlich infolge ihrer Zurücksetzung im bürger-
lichen Leben viel weniger Geld auszugeben Veranlassung gehabt
hätten als Christen in gleicher Vermögenslage. Ihnen sei der
Begriff der standesgemäßen Lebenshaltung immer fremd geblieben
und mit ihm „tausenderlei gemachte Bedürfnisse und Standes-
notwendigkeiten.“ „Gewiß ist“, sagt ein Schriftsteller, der diesen
Zusammenhängen mit feinem Gefühle nachgegangen ist 678 , „daß
der Jude, gegen einen gleich vermögenden Christen gestellt,
immer reicher werden muß, als dieser, da der Christ tausenderlei
Mittel und Wege hat, von seinem Gelde zu verschwenden, die
der Jude nicht zu betreten braucht, eben weil jener zur herr-
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382
sehenden und dieser zur tolerierten Klasse gehört. Bei den
reich geborenen Juden aber treten wieder andere Verhältnisse
ein : eben weil er keinen christlichen Standpunkt im gesellschaft-
lichen Leben inne hat, so ist der Luxus, dem er sich ergeben
kann, kein standesgemäßer Luxus".
Sicher ist hier eine Wurzel des jüdischen Reichtums auf-
gedeckt; wie denn dieses „unstandesgemäße" Leben des Juden
Veranlassung zu mancher andern wichtigen Wirtschaftsgestaltung
geworden ist. An ihm hat die antinahrungsmäßige , freikon-
kurrenzliche Anschauung der Juden, der wir oben begegnet sind,
sich gewiß ebenfalls entwickelt: jene modern bourgeoise Auf-
fassung von der Wirtschaftsführung: daß man die Ausgaben
nach den Kinnahmen zu richten habe, eine Auffassung, die ja
aller feudalen Gesellschaft fremd ist. An ihr ist wohl auch die
Kategorie des Sparens ausgebildet worden, das wir frühzeitig
als eine von den Juden gern geübte Praxis erwähnen hören.
Ein altes deutsches Sprichwort sagt schon:
„Selten sind 7 Dinge:
Eine Nonne, die nicht singe,
Ein Mädchen ohne Liebe,
Ein Jahrmarkt ohne Diebe,
Ein Geißbock ohne Bart,
Ein Jude, der nicht spart,
Ein Komhaus ohne Mäuse,
Und ein Kosak ohne Läuse.“
Aus ihm ist dann endlich wohl auch (als aus einer von
vielen Wurzeln) die kapitalistische Akkumulation erwachsen: die
Vermehrung des werbenden Vermögens aus den nicht verzehrten
Teilen des Einkommens bei gleichzeitiger Erhaltung des kapita-
listischen Betriebes. Was man in der Alltagsprache so aus-
drückt: Das jüdische Geld bleibt länger im Geschäft und wächst
rascher an als das christliche. Die Aufsaugung des Kapitals
durch Seigneurialisierung und Feudalisierung der Lebensführung,
also namentlich auch durch Erwerb von Landbesitz, war in früheren
Zeiten bei den Juden nicht zu erwarten. Sparte also der Jude,
so mußte er das Geld wieder dem Handel zuführen oder mußte
es wenigstens doch als Rentenfonds im Darlehnsverkehr nützen,
eine Anlage, die wir z. B. unter den Juden Hamburgs im 17. Jahr-
hundert ganz allgemein verbreitet finden: Glückei von Hameln
und ihre Freunde und Freundinnen, wenn sie irgend eine kleine
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Summe erübrigt haben, leihen sie „auf Pfänder“ (wie man sie
heutzutage auf die Sparkasse bringt) aus. Das Geld „warb“
also weiter, konnte sich weiter vermehren.
Aber so wichtig alle diese Beziehungen sind, sie festzustellen
genügt nicht, um die Erscheinung des jüdischen Reichtums zu
erklären.
Zunächst muh wieder daran erinnert werden, daß auch die
zuletzt besprochenen „äußeren Umstände“ — die übrigens nur
in der Diaspora und selbst hier nicht ganz allgemein vorhanden
waren — wirkungslos bleiben würden, wenn ihnen nicht eine
bestimmte Eigenart der Menschen, die ihrer teilhaftig werden,
entspräche. Daß ein Volk „sparsam“ wird, kann doch niemals
ein äußerliches Schicksal allein bewirken. Das leuchtet ohne
weiteres von selbst ein und wird zudem noch von ganz be-
stimmten Erfahrungstatsachen bestätigt. Wir finden, daß heutigen-
tags, nachdem der Ghettozwang längst beseitigt ist, nachdem auch
den Juden der Weg zur Feudalisierung ihrer Lebensführung frei
gegeben ist, daß auch heute noch die Juden als ein Ganzes
sparsamer sind als die Christen. Folgende Ziffern erweisen das:
Im Großherzogtum Baden stieg (nach dem Statist. Jahrb.
für d. Grhzt. Baden) das Kapitalvermögen in dem Zeitraum von
1895 bis 1903:
bei Evangelischen von 100 auf 128,3
„ Juden „ 100 „ 138,2
obwohl im gleichen Zeitraum das Einkommen
bei Evangelischen von 100 auf 146,6
„ Juden „ 100 „ 144,5
gestiegen war.
Aber wie auch immer hier die subjektivistischen zu den
objektivistischen Ursachen sich verhalten mögen: es bleibt doch
vor allem zu bedenken, daß alle bisher angeführten Umstände
immer nur geeignet sein konnten, vorhandenes Vermögen zu er-
halten oder erworbenes rascher (durch Akkumulation) zu ver-
mehren. Zu Reichtum würden die Umstände nicht führen können,
weil dieser doch erst einmal erworben werden muß, ehe er
erhalten und vermehrt werden kann. Und dazu gehört natürlich
letzten Endes Talent, und wenn dieses in einer Bevölkerungs-
gruppe so verbreitet ist wie bei den Juden, läßt es auf ein be-
sonderes Wesen schließen.
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884
IY. Die rassenmiftige Begründung Yolklieher Eigenarten
Das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen ist dieses :
sehr wahrscheinlich ist der anthropologische Charakter der Juden
ebenso wie ihr geistiges Wesen seit mehreren tausend Jahren
konstant geblieben, weisen beide während einer sehr langen
Periode, vielleicht sogar während der ganzen „historischen“
Zeit, ein bestimmtes, ein eisernes Gepräge auf.
Was ist mit dieser Feststellung nun bewiesen? Etwa daß
die geistige Eigenart der Juden rassenmäßig begründet sei?
Die dogmatischen Vertreter des Rassenglaubens antworten:
natürlich ja ; wir, die wir kritisch verfahren wollten, müssen ant-
worten: nein — bewiesen ist noch gar nichts.
Es verlohnt sich wohl, den Beweisführungen unserer
„Rassentheoretiker“ nachzugehen, um zu sehen, wie alle ihre
Behauptungen vollkommen in der Luft schweben; wie sie Sätze
zweifelhaftester Gültigkeit mit einer Sicherheit aufstellen , die
eben nur der durch keine Erkenntoisskrupel getrübte Glaube
aufzubringen imstande ist. Die meisten Vertreter der „Rassen-
theorie“ (ich brauche nicht immer zu betonen, daß ich damit
nur diejenigen meine , die durch ihre voreiligen Schluß-
folgerungen diese an sich höchst wertvolle Methode kompromittiert
haben, nicht etwa alle diejenigen, die von der überragenden
Bedeutung des „Rassenfaktors“ in der Geschichte überzeugt
sind — zu diesen gehöre ich selber und ich glaube, daß gerade
im Interesse einer wissenschaftlichen „Rassentheorie“ die unzu-
längliche Art aufgedeckt werden muß, mit der bisher in zahl-
reichen Fällen das Problem behandelt ist), alsdann (in diesem
Sinne) : die meisten Vertreter der Rassentheorie geben sich nicht
einmal die Mühe, einen a posteriori-Beweis für die Richtigkeit
der von ihnen aufgestellten Behauptungen zu erbringen. Sie
kommen vielmehr zu ihrer Einsicht auf ganz direktem Wege,
vermittels des sehr einfachen Schlusses: Rassen haben eine
spezifische geistige Eigenart — diese Bevölkerungsgruppe, also
in unseren Falle: die Juden sind eine Rasse — , folglich haben
die Juden eine rassenmäßig begründete Eigenart; oder: folglich
ist die an den Juden heute festgestellte Eigenart in ihrer
Rassenbesonderheit begründet.
Es gilt nun mit aller Entschiedenheit auszusprechen, daß
für die Richtigkeit dieses Satzes sich kein zwingender Beweis
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erbringen läßt. Seine beiden Teile: Ober* und Untersatz, ent-
behren der Begründung. Über den Inhalt des Untersatzes : „die
Juden sind eine Rasse“ habe ich mich schon geäußert. Er
kommt hier aber gar nicht so sehr in Betracht angesichts der
viel ernsteren Tatsache, daß wir, um die Richtigkeit des Ober-
satzes : „bestimmte Rassen haben eine bestimmte geistige Eigen-
art“ zu beweisen, einstweilen kein genügendes Beweismaterial
besitzen. Wir müssen frank und frei bekennen: über den
Zusammenhang zwischen bestimmten somatischen
(anthropologischen) Merkmalen und dem psychischen
Gehaben des Menschen — als Einzelwesen und somit
auch als Gruppentyp — wissen wir schlechthin nichts.
Man weiß, wie Linnö die Menschenrassen einteilte:
Die vier Menschenrassen nach Lirmt
I. Mensch (Homo sapiens). Erkenne Dich selbst.
1. Homo diurnus, der Tagmensch; variierend durch Kultur
und Wohnort. Vier Varietäten:
a) Der Amerikaner (Americanus): Rötlich, cholerisch, gerade
aufgerichtet. Mit schwarzen, geraden, dicken Haaren,
weiten Nasenlöchern; das Gesicht voll Sommersprossen,
das Kinn fast bartlos. Hartnäckig, zufrieden, frei; bemalt
mit labyrintischen (dädalischen) Linien; regiert durch Ge-
wohnheiten.
b) Der Europäer (Europaeus) : Weiß, sanguinisch, fleißig. Mit
gelblichen, lockigen Haaren, bläulichen Augen. Leicht
beweglich, scharfsinnig, erfinderisch; bedeckt mit an-
liegenden Kleidern; regiert durch Gesetze.
c) Der Asiate (Asiaticus): Gelblich, melancholisch, zäh. Mit
schwärzlichen Haaren, braunen Augen. Grausam, pracht-
liebend, geizig. Gehüllt in weite Gewänder; regiert durch
Meinungen.
d) Der Afrikaner (Afer): Schwarz, phlegmatisch, schlaff. Mit
kohlschwarzen, (contortuplicatis) Haaren, mit ganz glatter
seidenartiger Haut (wie Samt), platter Nase, aufge-
schwollenen Lippen; die Weiber mit Hottentottenschürzen
und während des Säugens mit verlängerten Brüsten (feminis
sinus pudoris, mammae lactantes prolixae). Schlau, träge,
gleichgültig; mit Fett gesalbt; regiert durch Willkür.
Sombart, Die Jaden 25
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386
Heute lächeln wir über diese Naivität. Aber haben wir
das Recht dazu? Verfahren unsere „ Rassensystematiker “ nicht
viel naiver, viel willkürlicher? Auch wenn sie mit noch soviel
Schädelmaßen um sich werfen? Ist denn der Unfug nicht
geradezu unerhört, der mit der Lang-Schädel-Kurz-Schädeltheorie
getrieben worden ist und immer gelegentlich noch getrieben
wird? Sollte man es überhaupt für möglich halten, daß allen
Ernstes ein Zusammenhang zwischen Schädelform und Art und
Maß der Kulturfähigkeit aufgestellt werden konnte, ohne die
Probleme der Gehimanatomie und Gehirnfunktionen auch nur
mit einem Gedanken in Rücksicht zu ziehen? Mit solchen
Hypothesen: der Langschädel ist ein Herrenmensch, der Kurz-
schädel ist ein Sklavenmensch, ging man ja, ohne es zu ahnen,
weit hinter den alten Gail zurück.
Nach den neuesten Untersuchungen Nyströms u. a. wird
nun wohl der Lärm der Dolichozephalomanen etwas verstummen.
Aber es hätte eigentlich derartiger Feststellungen nicht be-
dürfen sollen, um die Windigkeit der Schädelkulturtheorien auf-
zudecken. Man hätte den Herren einfach zurufen sollen: bitte,
erbringt Ihr erst den Beweis, daß zwischen Schädelform (und
natürlich ebenso zwischen Fußsohlen- und Nasenform: es gibt
bekanntlich auch Nasen - Kulturtheoretiker) und menschlich-
geistigem Wesen ein irgendwelcher Zusammenhang besteht.
Oder soll man den Versuch eines solchen Beweises in
den bekannten Worten Chamberlains erblicken: Den germa-
nischen Langschädel habe „ein ewig schlagendes, von Sehn-
sucht gequältes Gehirn aus der Kreislinie des tierischen Wohl-
behagens hinaus gehämmert“ ? Zweifellos steckt in diesen
Worten eine ganze Menge recht poetischen Empfindens, und
niemand, der sich ein empfängliches Gemüt bewahrt hat, wird
der eindrucksvollen Wucht dieses Gedankens sich entziehen
können. Aber ein „Beweis“? Mit genau demselben Recht —
wenn die neueren Untersuchungen richtig sind, wonach der
Kurzschädel durch starke geistige Arbeit sich aus dem Lang-
schädel herausbilden soll, sogar mit größerem Recht; es gibt
jetzt in der Tat schon einen Brachyzephalen-Stolz ! — könnte
ein Brachyzephalomane etwa sagen: „den von ungebändigten
Naturtrieben nach vorn hinaus gedrängten Langschädel führt die
gefestigte Geistigheit, die zur Harmonie durchgedrungene Seelen-
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haftigkeit des Edelmenschen an die jene in sich ruhende Wesen-
heit gleichsam symbolisch ausdrückende Kreislinie des Rund-
kopfes immer näher heran“.
Oder ist das ein „Beweis“: Hier sehe ich eine Kultur, die
mir wertvoll erscheint, als das Werk einer besonderen Rasse —
sage der Germanen; dort sehe ich eine andere Kultur, die mir
auch wertvoll erscheint ; Schluß : so kann sie nur das Werk von
Germanen sein? Zwar erscheinen ganz anders geartete Völker
als ihre Träger. Dann sind eben Germanen dort gewesen, die
jenen den Kulturkeim eingeimpft haben.
Sicher regt eine solche Schlußfolgerung Herz und Gemüt
zu Freude und Befriedigung an. Sicher läßt sich in solcher
Hypothese ein neuer „Glauben“, wennschon der alte Juden-
oder Christenglauben nicht mehr verfängt, leidlich sicher ver-
ankern — wie denn alle diese „Theorien“ von dem Kulturberuf
einer „Edelrasse“ : die Ariertheorie, die Germanentheorie nichts
anderes sind als eine dem „modernen“ Empfinden angepaßte
Erneuerung des alten Glaubens an das auserwählte Volk Gottes.
Sie sollen auch als solche unangefochten bleiben.
Nur sollen sie nicht ein wissenschaftliches Mäntelchen um-
hängen. Wissenschaft und Glaube sollen auch hier — im Inter-
esse beider — hübsch getrennt bleiben. Wie wir die Schöpfungs-
geschichte der Genesis oder die Himmelfahrt Christi mit in-
brünstigem Herzen glaüben mögen, ohne doch den Anspruch
zu erheben, daß in jenen Erzählungen wissenschaftliche Erkennt-
nisse der Erdentstehung oder der Sternenwelt enthalten seien;
ebenso sollen die Langschädelgläubigen oder die Germanen-
gläubigen ruhig bei ihrem Glauben verharren, sie sollen nur
nicht die Kreise der Wissenschaft stören dadurch, daß sie be-
haupten: ihre Annahmen seien aus wissenschaftlicher Erkennt-
nis hervorgegangen oder hätten überhaupt etwas mit Wissen-
schaft zu tun.
Aber auch wenn die Vertreter der traditionellen Rassen-
theorie sich zu einer Art von empirischem Beweise verstehen,
ist ihre Beweisführung ganz und gar nicht schlüssig. Sie pflegen
nämlich als Argument für die rassenmäßige Verankerung der
geistigen Eigenart eines Volkes deren Konstanz anzuführen und
glauben, ihren Beweis lückenlos geführt zu haben, wenn sie die
25 *
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888
volkliche Eigenart etwa bis in die Anfänge der Geschichte oder
gar bis in die Sage oder Mythologie hinauf verfolgen können.
Die Schilderungen der Gallier bei Cäsar, der Germanen bei
Tacitus haben schon oft genug herhalten müssen, um gewisse
Züge des französischen oder deutschen Volkes in der Gegenwart,
die mit den Charakterzeichnungen jener römischen Schrift-
steller übereinzustimmen scheinen, in einer rassenmäßigen Ver-
anlagung zu begründen. Dasselbe Verfahren hat man natürlich
auch bei den Juden angewandt.
Demgegenüber ist nun zu betonen, wie ich es vorhin schon
getan habe, daß auch der Nachweis einer sehr langen Konstanz
gewisser geistiger und körperlicher Merkmale durchaus noch
nicht die Annahme einer blutsmäßigen Verankerung der geistigen
Eigenart rechtfertigt. Denn da wir, wie gesagt, über die gegen-
seitige Bedingtheit somatischer und psychischer Wesenheit nichts
Bestimmtes auszusagen vermögen, so müssen wir die Möglichkeit
zugeben, daß die Konstanz bestimmter körperlicher und be-
stimmter geistiger Merkmale eines Volkes ohne inneren Zu-
sammenhang besteht, auf selbständig wirkende, voneinander
unabhängige Ursachenreihen sich zurückführen läßt.
In der Tat hegt kein Grund vor, weshalb eine durch die
Jahrtausende konstant bleibende geistige Eigenart nicht in jeder
Generation durch bestimmte äußere Einflüsse neu entstehen,
oder aber von einer Generation auf die andere durch Tradition
übertragen werden könnte.
Gerade in einem Volke, in dem die Überlieferung so mächtig
ist, wie im jüdischen, wo die Abschließung, der starke Familien-
sinn, der religiöse Kultus, das ununterbrochene, eifrige Studium
des Talmud und andere Umstände eine ganz ungewöhnlich hohe
Technik zur Erhaltung und Übertragung eines vorhandenen Tra-
ditionsstoffes ausgebildet haben, ist es immerhin nicht außerhalb
des Bereichs aller Möglichkeit gelegen, daß gewisse Eigenarten
durch Erziehung immer wieder angeeignet werden, ohne in das
Blut einzudringen, ohne auch nur zu einer bestimmten körper-
lichen , Anlage “ sich zu verhärten.
Aber — und damit wende ich mich nun mit ebensolcher Ent-
schiedenheit gegen die Anpassungs- und Milieufanatiker:
wenn ich eben die Beweisführung der „Rassentheoretiker“ als
unzulänglich bezeichnet habe, so ist damit noch ganz und gar
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nicht gesagt, daß sie mit ihrer Behauptung einer blutsmäßigen
Begründung der jüdischen Eigenart unrecht haben. Denn die
Gründe, die von den Gegnern zur Widerlegung dieser Ansicht
angeführt werden, sind nicht stichhaltige. Man beruft sich in
diesen Kreisen mit Vorliebe auf die Tatsache, daß die Juden
im Altertum so ganz anders sich betätigt hätten als heute; daß
sie damals tapfere Krieger und Ackerbauer gewesen seien, heute
dagegen nach dem Urteil Herders „ein verächtliches Geschlecht
schlauer Unterhändler“ (wie unlängst wieder das Zionistenblatt
Hatikwah in einer Polemik mit mir schrieb). Das beweist nun
aber (selbst wenn es richtig wäre: ich habe schon gezeigt, daß
die Tatsachen falsch sind) natürlich gar nichts gegen die bluts-
mäßige Begründung der jüdischen Eigenart.
Denn:
1. können sehr wohl in einer Zeit, in der das Volk sich als
kriegerisches darstellte, Typen mit anderer — sagen wir
kommerzieller — Veranlagung vereinzelt vorhanden ge-
wesen sein, die im Lauf der Zeit durch Ausmerzung der
anders veranlagten Elemente zur Mehrheit gelangt sind
und infolge mm ebenso die volkliche Eigenart bestimmen,
wie damals ihre Antipoden (die vielleicht jetzt auch noch
da sind, aber dank ihrer geringen Zahl nicht ins Gewicht
fallen).
2. müßte erst sehr genau untersucht werden, ob scheinbar
entgegengesetzte Betätigungsarten nicht doch auf eine und
dieselbe Blutseigenschaft zurückzuführen sind, sodaß also
die Gesamtanlage, somit seine eigentliche volkliche Eigen-
art, sehr wohl dieselbe bleiben kann, während die Lebens-
äußerungen des Volkes ganz verschiedene (als Krieger-
oder Börsenleute) sind.
3. wäre denkbar, daß bestimmte Anlagen zwar vorhanden
sind und im Blute stecken, lange Zeit hindurch aber nicht
Gelegenheit haben, sich zu betätigen, daß dann später erst
durch äußere Umstände die Gelegenheit zur Entfaltung
dieser Keime geboten wird.
Ebensowenig schlüssig ist der Beweis der Milieutheoretiker,
wenn diese die heutige Eigenart der Juden aus bestimmten
historischen Zufälligkeiten abzuleiten versuchen. Solch ein Kom-
plex von Ursachen, der die jüdische Eigenart bewirkt haben
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390
soll, ist beispielsweise die Religion; ein anderer, der mit Vor-
liebe angeführt wird, ist das Ghettoleben. Ein dritter: ihre
Jahrhunderte lange Beschäftigung mit Geldsachen. Nun kann
ohne weiteres zugegeben werden, daß diese Lebensschicksale
den Juden ihr Gepräge aufgedrQckt haben. Nur beweist das
ganz und gar nichts gegen die Richtigkeit der Annahme, daß
die besondere Eigenart, die man aus der Religion oder aus dem
Ghettoelend oder aus der Leihtätigkeit erklärt, nicht doch im
Blute steckt.
1. enthält der Nachweis, daß eine Ursache gewirkt habe,
noch keine Widerlegung der Annahme, daß dieselbe Er-
scheinung, die man begründen will, nicht mehrere Ursachen
gehabt habe.
2. läßt der Nachweis, daß gewisse Eigenarten durch bestimmte
historische Ereignisse hervorgerufen seien, immer noch den
Zweifel bestehen : ob denn diese geschichtlichen Umstände
nicht etwa selbst erst durch die Eigenart derer bewirkt
worden seien, die sie erlebt haben. Für die jüdische
Religion und den Leihverkehr habe ich schon einige
Gründe angeführt, die die Umkehrung des Kausalverhält-
nisses sehr plausibel machen. Daß aber auch das Ghetto-
leben letzten Endes nicht die Ursache, sondern die Wir-
kung der jüdischen Eigenart sei, dürfte sich mit ähnlichen
Erwägungen ebenfalls leicht nachweisen lassen. Ich komme
darauf im nächsten Kapitel noch zu sprechen.
Die bisherigen Untersuchungen haben das Ergebnis gehabt,
daß keine der beiden Ansichten von der Beschaffenheit der
jüdischen Eigenart den Beweis für ihre Richtigkeit zu erbringen
vermocht hat. Daraus folgt nun aber wiederum keineswegs,
daß nicht die eine oder die andere Ansicht richtig sei (was ja
selbstverständlich ist), sondern nicht einmal, daß die Richtigkeit
der einen oder der anderen Ansicht nicht doch erwiesen werden
könne. Wir brauchen jedenfalls die Hoffnung nicht aufzugeben,
doch schließlich noch einmal „aus diesem Meer des Irrtums auf-
zutauchen“. Ich glaube nur, daß wir die Wegrichtung ein wenig
ändern müssen, um zum Ziel zu gelangen und will im folgenden
' — ehe ich eine selbständige Deutung der jüdischen Eigenart
versuche — angeben, wie wir uns — meiner sehr bescheidenen
Meinung nach — bei dem heutigen Stande der anthropologisch-
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391
biologischen Wissenschaften zu dem Problem der Artbildung
(in dem hier verstandenen Sinne) zu verhalten haben, indem ich
dabei gleichzeitig den Versuch mache, die Ergebnisse jener natur-
wissenschaftlichen Disziplinen mit einigen neueren soziologischen
Einsichten in Verbindung zu setzen.
Diejenige Forschungsmethode, die uns bisher die meiste
Aufklärung über alle jene Phänomene gebracht hat, die man
unter dem nicht ganz eindeutigen Sammelbegriff der Rassen-
bildung zusammenfassen kann, ist die genetische, die sich viel-
leicht als geographisch -genetische und Ökonomisch -genetische
wiederum unterscheiden liehe. Man weih, dah jene vor allem den
Arbeiten von Moritz Wagner, Kollmann, Bastian 574 ihre
Entstehung verdankt, während sich um die Ökonomisch-genetischen
Untersuchungen bisher nur wenige Forscher gekümmert haben.
Auher den Werken von Gumplovicz 676 kommen hier hauptsäch-
lich die Arbeiten der Ecole des Roches in Betracht, die sich um
die „Science sociale“ gruppiert 57 * (deren Hauptmangel aber darin
besteht, dah sie nur die Entstehung der sozialen Organisation,
fast gar nicht die der Menschentypen selbst verfolgt).
Was danach übereinstimmend angenommen wird, ist dieses :
Die Spezies Mensch, man mag sich ihren Ursprung mono-
genetisch oder polygenetisch (ganz neuerdings wieder mit Vor-
liebe!) vorstellen, entwickelt sich während der ersten Periode
ihres Daseins an verschiedenen Stellen der Erde — in den so-
genannten Isolationszentren M. Wagners — in verhältnismähig
kleinen Trupps zu verschiedenartigen Typen. Sie „differenziert“
sich und zwar — wie ebenfalls von keiner Seite bestritten wird —
unter dem Einfluh der Umgebung, in die sie der Zufall der
Wanderung gerade verschlagen hat. Was hier als „Umgebung“
anzusehen ist, und welche Bestandteile der „Umgebung“ von
besonderem Einfluh auf die Herausbildung der Unterschiedlich-
keiten gewesen sind, hat man bisher nur aphoristisch anzugeben
vermocht. Hier werden vor allem in der Zukunft die Unter-
suchungen einzusetzen haben , die entweder ethnographisch-
beschreibender Natur oder experimenteller Natur sein können.
Jene, wie etwa die Arbeiten C. Hart Merrians 677 , werden viel
mehr noch als bisher die allgemeinen Lebensbedingungen der
Naturvölker in ihrem Zusammenhänge mit deren anthropologischer
Eigenart in Rücksicht ziehen müssen; diese werden zu prüfen
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392
haben, welche Wirkungen die einzelnen Faktoren der Umgebung“
auf willkürlich ihnen ausgesetzte Lebewesen auszuüben vermögen.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen wird eine Lehre von den
Reizen sein, zu der wir bisher nur wenige Ansätze besitzen;
denn mir scheint Rob. Sommer den Nagel auf den Kopf zu
treffen, wenn er „Milieu“ „nichts anderes als eine grobe Summe
von Reizen“ 5T8 nennt.
Diese Reize ausübenden Faktoren sind nur zum Teil klima-
tischer Natur im engeren Sinne; überwiegend wird man sich
darunter die sekundären Naturbedingungen, wie Fauna und Flora,
vorzustellen haben, vor allem aber die aus allen diesen Elementen
bestimmten Lebensbedingungen des Menschen selber: die Eigenart
der Technik und die Form des Unterhalts werden hierunter wieder
die vornehmsten sein. Ob die Menschen zum Fischfang, oder zur
Jagd, oder zum Ackerbau, oder zur Viehzucht, oder zu welcher
besonderen Wirtschaftsweise durch die besondere Gestalt ihrer
Umwelt gedrängt wurden, muhte natürlich bei der Ausbildung
ihres Typs von entscheidender Bedeutung werden. Und mir
scheint — im Vorbeigehen bemerkt — an dieser Stelle der Punkt
zu liegen, wo die ökonomische Geschichtsbetrachtung und die
rassenmäßige Geschichtsauffassung oder, um sie jener logischer
gegenüberzustellen: die anthropologische Geschichtsbetrachtung
sich schneiden. Die Besonderheit des Wirtschaftslebens hat in
den Anfängen des Menschengeschlechts den anthropologischen
Charakter der einzelnen Gruppe wesentlich mitbestimmen helfen,
der dann im späteren Verlaufe der Menschheitsgeschichte selbst
wieder entscheidend wurde für die Gestaltung des Wirtschafts-
lebens. Hier ist aber auch der Punkt in der Menschheits-
entwicklung, wo allein der funktionelle Zusammenhang zwischen
geistiger und somatischer Besonderheit der einzelnen Gruppe
entstanden sein kann : zu einer Zeit, als die Eigenart der gesamten
Lebensbedingungen formend und gestaltend auf die Gesamtheit
der menschlichen Organe einzuwirken imstande war. Wir können
uns den Bildungsprozeß schlechterdings nicht anders vorstellen,
als daß er gleichzeitig das körperliche und geistige Behaben
in ganz genau derselben Richtung langsam in eigentümliche
Bahnen lenkte.
Langsam: denn wir müssen die Zeit der Differenzierung
des Menschengeschlechtes in unterschiedliche Typen außer-
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393
ordentlich lang bemessen. Wenn sich der tertiäre Mensch wirk-
lich nachweisen lassen sollte, wie es jetzt fast den Anschein hat,
so werden die Anfänge des Menschengeschlechts in neue un-
ermeßliche Fernen zurückverlegt. Aber wenn wir auch nur das
Quartär als die Periode des Menschen ansetzen, so haben wir
mit Zeiträumen von 250 — 500 000 Jahren zu rechnen, in denen
sich die verschiedenen Menschenrassen entwickelt haben. Auf
welchem Wege die Herausbildung der menschlichen Unterarten
erfolgt ist, läßt sich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Nur
daß man von den drei Möglichkeiten eben für jene Periode die
Vermischung ausschließt. Dagegen bleibt die Frage offen, ob die
Artveränderung auf dem Wege der Auslese oder durch somato-
gene Mutation bewirkt worden ist.
Genug — am Ende dieser Epoche, die man wohl vor die
diluviale Eiszeit zu setzen hat, leben auf der Erde eine Anzahl bluts-
unterschiedlich gestalteter Gruppen von Menschen, die man als Ur-
rassen oder vielleicht als Rassen schlechthin bezeichnen kann.
Welcher Art diese waren, worin vor allem sie sich untereinander
unterschieden, läßt sich selbstverständlich nur vermuten. Wir
können nur die Grenzen etwas umschreiben, innerhalb deren
sich die Unterschiedlichkeiten bewegen konnten und müssen vor
allem feststellen, daß diese zu keiner Zeit so groß gewesen sein
können, um die verschiedenen Rassen als besondere Arten zu
bezeichnen, da die Mischung zwischen ihnen stets eine lebens-
fähige Nachkommenschaft ergab. Sie waren also immer nur
„Unterarten“ oder gar nur „Spielarten“ der Spezies Urmensch
und weisen somit stets eine große Menge gleicher Züge in
somatischer wie psychischer Hinsicht auf. Es ist bekannt, daß
diese übereinstimmende Allgemeinmenschlichkeit Anlaß geboten
hat zu einer Fülle von Entwicklungsschematen für den Werde-
gang der Einen Menschheit: von Herder über Hegel und
Morgan bis Spencer und Breysig. Natürlich interessiert
uns dieser Zweig der Forschung an dieser Stelle nicht, wo es
uns nur darauf ankommt, im Gleichen das Verschiedene fest-
zustellen.
Leider gibt es nun keine Möglichkeit, die Obergrenze
dieser Verschiedenheit mit ebensolcher Sicherheit an-
zugeben, wie die Untergrenze. Nur daß sie über der heutigen
Unterschiedlichkeit der verschiedenen Völker gelegen war, die
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1
— 394 —
ja schon Vermischungsprodukte sind, darf als sicher angenommen
werden.
Das Seltsame an dieser Betrachtungsweise, die ich die
genetische nenne 579 , aber grade auch das, was Vertrauen zu ihr
erweckt, ist dieses: daß sie einstweilen nur Möglichkeiten,
höchstens Wahrscheinlichkeiten kennt, die sich nur in unserm
ordnenden Verstände einstweilen zu Notwendigkeiten verdichten,
die aber den wunderbaren Vorzug voraus haben, daß sie mit
keinem sicheren Ergebnis der bisherigen Erfahrung in Wider-
spruch stehen und infolgedessen die sicherste Anwartschaft
auf dereinstige Bestätigung durch empirische Forschung haben.
Einstweilen wird nicht mehr behauptet als dieses: daß die im
Augenblick denkbarste Weise der Menschenentwicklung infolge
der verschiedenen Lebensschicksale der einzelnen Gruppen im
Laufe von Myriaden von Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach
deren verschiedenes Gepräge bewirkt habe, das sich uns in den
offenbar auch heute noch von einander verschiedenen Menschen-
gruppen darstellt.
Wir verzichten aber einstweilen darauf, diese Verschieden-
heiten in der Aufzählung einer Anzahl bestimmter Merkmale
auszusprechen bezw. festzulegen; noch viel mehr aber darauf,
die notwendigen Zusammenhänge zwischen solchen Merkmalen
und den hypothetischen, sonderartigen Lebensschicksalen der
einzelnen Gruppen aufzudecken: die Losung dieser Aufgabe ist
späteren Untersuchungen Vorbehalten.
Dabei wird voraussichtlich der Weg der sein : daß man von
dem — unserer Erfahrung näher liegenden — Tatbestände be-
stimmter psychischer Eigenarten ausgeht und deren Zusammen-
hang mit bestimmten äußeren Existenzbedingungen aufweist,
dann die Kreuzung bestimmter somatischer Merkmale mit den
beobachteten psychischen Sonderheiten feststellt und nunmehr
erst jene eigenartigen, anthropologischen Erscheinungen, die eine
bestimmte Gruppe aufweist, als Ausdruck oder Wirkung jener
eigentümlichen Lebensbedingungen der Gruppe zu deuten unter-
nimmt. (Einen Versuch, in diesem Sinne zu forschen, enthält
das letzte Kapitel dieses Werkes.)
Freilich wird nun bei diesem Beginnen sich eine neue Schwierig-
keit auftürmen: jene Urrassen, jene einseitig entwickelten Gruppen
der Differenzierungsperiode gibt es vielleicht heute gar nicht mehr.
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395
Jedenfalls können wir mit Bestimmtheit aussagen, daß alles, was
wir Kulturvölker nennen, ganz sicher aus einer Vermischung
verschiedener Urrassen hervorgegangen ist. Wir haben jetzt
gerade die deutliche Vorstellung, daß alle Staatenbildung, durch
die allein ein Aufschwung zu höheren Formen der Kultur ge-
dacht werden kann, auf die Zusammenschweißung jener (auf
ihren Wanderungen endlich einmal aufeinanderprallenden) Sonder-
gruppen (die Dürkheim das soziale Protoplasma nennt) beruht ;
daß also alle Staatenbildung immer gleichzeitig eine anthropo-
logische Neugestaltung durch Mischung verschiedener Rassen
bedeutet. Auf die Periode der Differenzierung würde demnach
eine Periode der Integrierung oder, wie es Kollmann
bezeichnet, der Penetration folgen, in der wir heute noch leben.
Nun müssen wir uns aber gestehen, daß von diesem Augen-
blick an unser Wissen von den wirklichen Vorgängen (vielleicht
weil es vom Tatsachenmaterial mehr belastet ist) noch unsicherer
erscheint, daß also noch größere Vorsicht geboten ist, wenn wir
uns unterfangen, irgendeine bestimmte Aussage zu machen.
Zunächst erhebt sich die Frage: welches Ergebnis zeitigt
eine Mischung verschiedener menschlicher Spiel-
oder Unterarten untereinander; was wird dabei aus den
ursprünglich verschiedenen somatischen und psychischen Be-
sonderheiten der einzelnen Spielart? Ehrliche Antwort: wir
wissen es nicht. Zwar ist viel philosophiert worden über die
„Vorzüge“ und „Nachteile“ solcher Mischungen: eine Kreuzung
verschiedener Rassen, meint Chamberlain, ergibt „gute“
Resultate, wenn die Rassen verwandt sind, „schlechte“, wenn
nicht. Und antwortet auf die Frage : welche Rassen „verwandt“
sind: Nun, eben die, deren Kreuzung „gute“ Resultate liefert.
Aber damit ist noch nicht allzuviel Erkenntnis gewonnen.
Auch was wir an persönlicher Erfahrung besitzen , reicht
natürlich nicht aus, um ein abschließendes Urteil zu fällen.
Wir wissen von vielen Mischungen, daß sie besonders schöne
Menschen — vor allem wunderschöne Frauen — , aber Menschen
hervorbringen, die nicht recht lebensfähig und häufig seelisch
oder moralisch disquilibriert sind 680 . Doch, was will das be-
sagen? Bedeutsamer sind schon die Untersuchungen von Wolt-
mann, Leo Sofer 681 und anderen über die „Entmischungen“.
Danach soll es feststehen (!), „daß in den gemischten Rassen
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396
immer wieder , Entmischungen* stattfinden , daß die Typen bis
zu einem gewissen Grade der organischen Verschmelzung wider-
stehen, und daß fremdrassige Elemente, wenn sie nicht allzu
zahlreich sind, nach mehreren Generationen wieder vollständig
aus dem plasmatischen Keimprozeß der Rasse ausgeschaltet
werden können.“ (Sofer glaubt solche „Entmischungen “ gerade
bei den Juden nachweisen zu können.)
Übrigens wird das Problem der Mischungen nur dann für
die Erklärung volklicher Eigenart bedeutsam, wenn die sich
mischenden Rassen sehr heterogener Art wären, das heißt also —
nach unserer Auffassung — aus grundsätzlich verschiedenen
Lebenskreisen hervorgegangen sein würden: wenn etwa ein
nomadisierendes Wüstenvolk sich mit einem ackerbautreibenden
Nordlandvolke mischt oder mit einem Volke, das in Tropen-
wäldera die Jahrtausende verbracht hätte. Wo sich „verwandte“
(in dem hier genau beschriebenen Sinne) Rassen kreuzen, kann
offenbar die Veränderung des Typs niemals eine sehr große
sein.
Immerhin kommt, seitdem die Rassenmischungen, d. h. die
Völkerbildungen einsetzen, die Kreuzung als neues Art bildendes
Moment zu den beiden übrigen: Auslese und somatogene Mu-
tation hinzu.
Man mag sich nun die Wirkungen der Völkermischung wie
immer vorstellen: etwa im Bilde einer Flüssigkeit, in der ein
fester Körper vollständig „gelöst“ ist; oder eines Sees, in dem
auf weite Strecken hinaus die Wasser zweier Ströme, die in ihn
münden, nebeneinander herfließen ; oder eines chemischen Körpers,
in dem die Atome in einem bestimmten Verhältnis zu einander
gelagert sind: immer wird man annehmen müssen, daß nach
erfolgter Mischung nun abermals eine Gruppe von Menschen mit
ganz bestimmter Blutseigenart entstanden ist. Denn es wäre
eine ganz widersinnige Vorstellung, daß durch die Mischung ver-
schiedenen Blutes das Blut selber aus der Welt geschafft werden
könnte.
Wenn wir damit feststellen, daß auch in jeder Volksgemein-
schaft ebenso wie zuvor in den „reinen“ Urrassen bestimmte
Blutseigenschaften notwendig gedacht werden müssen, so be-
deutet das : daß bestimmte Besonderheiten des Körpers und des
Geistes in den Angehörigen dieser Volksgemeinschaft sich dauernd
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897
erhalten, das heißt durch Vererbung übertragen werden 582 .
Zu betonen wäre nur mit Entschiedenheit, daß es sich dabei
niemals um „Fertigkeiten“ handeln kann, sondern immer nur um
Fähigkeiten, diese Fertigkeiten (leicht oder leichter oder über-
haupt) durch Übung zu erwerben, um „Dispositionen“, um „An-
lagen“, deren Wesenheit man jetzt erst allmählich zu erforschen
trachtet 588 . Nicht das Masurkatanzen und nicht das Flötenspiel
stecken einem Menschen „im Blute“, wohl aber die tanzliche
oder musikalische „Begabung“, die ihrerseits wieder (vielleicht
in Gemeinschaft mit andern ähnlichen Begabungen) in bestimmten
Grunddispositionen des Nervensystems verankert sein wird.
Wenn nun auch eine solche blutsmäßige Veranlagung und
dem entsprechende Ausstattung der Individuen und Völker mit be-
sonderen vererblichen Eigenarten kaum noch von jemand ernstlich
bestritten wird, so könnte es wenigstens den Anschein erwecken,
als herrsche Meinungsverschiedenheit selbst zwischen berufenen
Vertretern der Wissenschaft über das Maß von Konstanz (oder
Veränderlichkeit), das jene blutsmäßige Veranlagung (wie ich aus
ästhetischen Gründen statt keimplasmatische es nennen möchte)
besitzt. Es könnte den Anschein haben, sage ich, als wären die
einen der Meinung: die Veranlagung der Menschengruppen
(Völker) sei mindestens seit ihrer heutigen Zusammensetzung —
also in der sogenannten „historischen“ Zeit oder seit dem Ende
der diluvialen Glazialepoche — unverändert, während die anderen
eine solche Veränderung (und damit von einem gegebenen Zeit-
punkt vorwärts schauend Veränderlichkeit) des Keimplasmas oder
der Erbsubstanz, wie Schallmayer es ausdrückt, anzunehmen
bereit seien. In Wirklichkeit aber, glaube ich, besteht jene
Meinungsverschiedenheit unter den Fachleuten (und das sind in
diesem Falle die Biologen) heute nicht mehr oder wenigstens
nur noch in ganz geringem, für die anthropologisch-ethnologischen
Probleme kaum noch praktischem, Umfange. Ein naiver „Lamarckis-
mus“ wird heute wohl nur noch angetroffen unter Ärzten und
Soziologen, die den biologischen Studien fern stehen und meistens
nicht einmal die Fragestellung in voller Klarheit in ihrem Innern
lebendig zu machen vermocht haben.
Die Anschauung, als ob so ungefähr jede äußere Lebens-
bedingung imstande wäre, den Organismus aus seinen vor-
geschriebenen Bahnen abzulenken, darf heute als überwunden
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398
angesehen werden. Selbst diejenigen Forscher, die in gewissem
Umfange die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ für möglich
halten, zweifeln doch nicht mehr daran, daß diese „Eigenschaften",
die vererbt werden sollen, ganz besonderer und seltener Natur
sind, derart nftmlich, daß sie die Keimsubstanz selber erfassen.
Ob aber das andere als zerstörende Einflüsse sind (wie sie durch
Gifte bewirkt werden), ist außerordentlich zweifelhaft. Auch die
Mneme-Theorie R. S emo ns scheint mir an dieser Auffassung
nichts Wesentliches zu ändern. Sie besagt doch auch nur, daß
unter besonderen Umständen die „Engramme" genügend starke
Eindrücke hinterlassen, um die Keimzellen zu erfassen und damit
Erblichkeit der gewonnenen Eindrücke, also der der ausgebildeten
„Anlage“ herbeizuführen. Wann diese besonderen Umstände
eintreten, läßt sich von vornherein natürlich nicht mit Bestimmt-
heit sagen. Nur darüber läßt auch Semon keinen Zweifel, daß
die Erblichkeit sich nur in den seltensten Fällen einstellt.
Die Wage des fachmännischen Urteils neigt sich also wohl
immer mehr zugunsten Weismanns, und damit werden auch
die Meinungen derjenigen bestätigt, die nicht sowohl an der
Hand naturwissenschaftlicher Spezialuntersuchungen als vielmehr
auf dem Wege spekulativer Erwägungen längst zu demselben
Ergebnis gelangt waren. Ich weiß nicht, ob man darauf geachtet
hat, daß Kant die Theorie Weismanns schon ganz deutlich aus-
gesprochen hat, in einer Zeit, als man von moderner Biologie
noch nichts wußte 584 .
„Diese Vorsorge der Natur“, schreibt Kant, „ihr Geschöpf
durch versteckte innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Um-
stände auszurüsten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit
des Klimas oder des Bodens angemessen sei, ist bewunderungs-
würdig und bringt bei der Wanderung und Verpflanzung der
Tiere und Gewächse, dem Scheine nach, neue Arten hervor,
welche nichts anderes als Abartungen und Rassen von derselben
Gattung sind, deren Keime und natürliche Anlagen sich nur
gelegentlich in langen Zeitläufen auf verschiedene Weise ent-
wickelt haben.
„Der Zufall oder allgemeine mechanische Gesetze können
solche Zusammenpassungen nicht hervorbringen. Daher müssen
wir dergleichen gelegentliche Auswickelungen als vorgebildet
ansehen. Allein selbst da, wo sich nichts Zweckmäßiges zeigt,
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ist das Vermögen, seinen besonderen angenommenen Charakter
fortzupflanzen, schon Beweis genug, daß dazu ein besonderer
Keim oder natürliche Anlage in dem organischen Geschöpf an-
zutreffen gewesen. Denn äußere Dinge können wohl Gelegenheits-
aber nicht hervorbringende Ursachen von demjenigen sein, was
notwendig anerbt und nachartet. So wenig als der Zufall oder
physich-mechanische Ursachen einen organischen Körper hervor-
bringen können, so wenig werden sie zu seiner Zeugungskraft
etwas hinzusetzen, d. i. etwas bewirken, was sich selbst fort-
pflanzt, wenn es eine besondere Gestalt oder Verhältnis der Teile
ist. Luft, Sonne und Nahrung können einen tierischen Körper
in seinem Wachstum modifizieren, aber diese Veränderung nicht
zugleich mit einer zeugenden Kraft versehen, die vermögend
wäre, sich selbst auch ohne diese Ursache wieder hervorzubringen,
sondern, was sich fortpflanzen soll, muß in. der Zeugungskraft
schon vorher gelegen haben, als vorher bestimmt zu einer ge-
legentlichen Auswickelung, den Umständen gemäß, darin das
Geschöpf geraten kann und in welchen es sich beständig er-
halten soll.“
Mir scheinen die Kant sehen Worte so prächtig und in ihrer
Schlichtheit so überzeugend, daß sie für jedermann — selbst,
wenn er nie etwas von den Ergebnissen der Weismann sehen
Forschungen gehört hätte — das Problem einwandsfrei und end-
gültig lösen. Unlängst hat wieder Julius Schultz in geist-
voller Weise dargetan, wie in der Tat die Annahme einer
ewig sich gleichenden Form des Lebendigen auch unserer Sehn-
sucht nach einheitlicher Erfassung der Welt am ehesten gerecht
wird.
Aber auch unter den Anthropologen und Ethnologen gibt
es heute kaum noch namhafte Forscher, die die Konstanz der
Menschentypen wenigstens für die historische Zeit leugnen.
Man darf ohne weiteres annehmen, daß es die herrschende
Meinung ist, wenn der außerordentlich vorsichtige Joh. Ranke
sich dahin äußert 585 : „Soweit uns die Geschichte in die Vorzeit
zürückblicken läßt . . . finden wir sichere Anzeichen dafür, daß
damals schon die gleichen Unterschiede zwischen den ver-
schiedenen Völkern und Rassen bestanden haben, wie sie uns
heute entgegentreten. G. Fritsch hat mit Überzeugung diese
Übereinstimmung der ältesten ägyptischen Porträtdarstellungen
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mit den heutigen in und um Ägypten lebenden Menschengruppen
erst neuerdings hervorgehoben.“
Wenn, angesichts dieser außergewöhnlich weitgehenden Über-
einstimmung der verschiedenen an erster Stelle zum Urteile be-
rufenen Wissenschaften, gelegentlich doch immer wieder ganz
wilde Theorien von Rassenbildung in jüngsthistorischer Zeit auf-
gestellt und — was die Hauptsache ist — mit der Anpassung der
Individuen an das neue Milieu erklärt werden (so ist es eine
beliebte Vorstellung, daß in den Vereinigten Staaten eine „neue
Rasse“ durch das neue Milieu geschaffen werde), so fragt
man sich, wenigstens wenn es sich um sonst schätzbare Gelehrte
handelt : ob denn nicht irrtümliche Auffassungen von dem, wor-
auf es ankommt, Mißverständnisse, falsche Fragestellungen an
derartigen handgreiflichen Irrtümem schuld sind. Und findet
den Verdacht auch in zahlreichen Fällen bestätigt.
Ein besonders lehrreiches Beispiel für derartige Verfehlungen
bildet das vielgelesene Buch des Franzosen Jean Finot, das den
suggestiven — um nicht zu sagen tendenziösen — Titel führt:
Das Rassenvorurteil. Für Finot ist der Rassenbildungsprozeß
ein höchst einfaches Ding : nimm eine beliebige Menge Menschen —
Neger, Eskimos, Franzosen, Schweden — , setze sie in ein neues
Milieu, und schon in der ersten Generation ist eine „neue Rasse“
da. „Der perfekte Italiener in zehn Stunden.“ Nim merkt man
aber bald, daß Mons. Finot in der Tat den Kern des Problems
ganz und gar verkannt hat. Das erweisen Ausführungen wie
diese wohl zur Genüge: auf Seite 196f. der deutschen Über-
setzung seines Buches führt er uns den Einfluß vor Augen, den
das Pariser Milieu ausübt, um zu zeigen, wie rasch sich eine
neue „Rasse“ — eben der „Pariser“ — bildet; eine neue Rasse:
also doch wohl eine Gruppe mit besonderen vererblichen Merk-
malen. Und dann schließt er diesen Abschnitt mit den Worten:
„bemerken wir jedoch, daß dieselben Pariser, wenn sie in die
Provinz übersiedeln, leicht ihre Körpergröße, Gesundheit und
Langlebigkeit wiedererlangen“ ! !
In anderen Fällen merkt man, daß der Autor einen Einfluß,
der auf Mischung oder Auslese zurückzuführen ist, dem Milieu
zuschreibt und dort von „Vererbung erworbener Eigenschaften“
spricht, wo blutsmäßig begründete Eigenschaften auf einem der
beiden anderen genannten Wege hervortreten oder verschwinden.
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401
Solchen Irrtümem gegenüber mag noch einmal ausdrücklich be-
merkt werden, daß natürlich Veränderungen in der Eigenart
eines Volkskörpers — seien sie somatischer, seien sie psychischer
Natur — sehr wohl auch in historischer Zeit und sogar in recht
beträchtlichem Umfange vor sich gehen können. Wenn man
von einer „neuen Rasse tt in den Vereinigten Staaten spricht, so
ist diese (wenn auch einstweilen wohl kaum schon vorhanden,
so doch jedenfalls) sehr wohl denkbar: durch Kreuzung ver-
schiedener Völkerstämme einerseits, durch Auslese best imm ter
Typen aus der Masse des einzelnen Volkes anderseits. Ich
wies schon an anderer Stelle darauf hin, daß auf dem Wege
der Auslese sich das Gesamtbehaben eines Volkes in verhältnis-
mäßig kurzer Zeit von Grund auf verändern kann. Aber man
soll sich doch klar darüber sein, daß gerade durch diesen Aus-
leseprozeß die Konstanz der Blutsqualität außer allen Zweifel
gestellt wird: ausgelesen kann doch nie und nimmer etwas
werden, das nicht vorher vorhanden gewesen ist. Und auch
durch veränderte Lebensbetätigung, wie ich auch schon ausge-
führt habe, kann sich das Behaben eines Volkes natürlich ändern :
aber nicht weil „erworbene Eigenschaften“ erblich geworden
wären , sondern weil vorhandene Anlagen jetzt ausgebildet
werden, andere früher genutzte Anlagen jetzt verkümmern.
* *
*
Wenn ich nun nach diesen klärenden und allgemein weg-
weisenden Darlegungen im nächsten Kapitel die jüdische Eigenart
„genetisch“ zu deuten mich unterfange, so wird mein Bestreben
darauf gerichtet sein müssen, der Reihe nach folgende Momente
auf ihren Einfluß hin zu prüfen:
1. Die ursprüngliche Veranlagung derjenigen Rassen, aus
denen sich das jüdische Volk gebildet hat, wie wir sie
aus einer Würdigung der Lebensbedingungen, in die wir
sie uns versetzt denken müssen, zu erkennen vermögen.
2. Die Vermischung dieser verschiedenen Elemente.
3. Die Auslese, wie sie unter der Einwirkung der Lebens-
schicksale des jüdischen Volkes in historischer Zeit sich
wahrscheinlich vollzogen hat. Und erst wenn diese drei
Erklärungsgründe versagen, dürfte die Hypothese gewagt
werden, daß
Sombart, Die Jaden 26
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402
4. in historischer Zeit bestimmte Eigenschaften erworben
seien. Wir werden sehen, daß diese Hilfskonstruktion
nicht nötig ist, daß sich vielmehr das jüdische Wesen
restlos aus den drei ersten Momenten erklären lfiJxt. Ist
das aber möglich, so ist damit auch die blutsm&lxige Ver-
ankerung dieses Wesens erwiesen, und es entfällt die an
sich sehr unwahrscheinliche Hypothese, daß die durch
Jahrtausende sich gleich bleibende Eigenart eine blofie
Übung gewesen sei, von der das Blut nichts gewußt
habe.
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Vierzehntes Kapitel
Das Schicksal des jüdischen Volkes
Wollte man die welthistorische Bedeutung der Juden, ins-
besondere für das Wirtschaftsleben, mit einem Satze erklären
und begründen, so mühte man sagen: das ist es, daß ein
orientalisches Volk unter Nordlandsvölker ver-
schlagen wurde und mit diesen eine Kultur-Paarung
einging. Man hat behauptet (und vielerlei spricht für diese
Hypothese, die geistvoll und anmutig zugleich ist): die eigentüm-
lichen Kulturen des klassischen Altertums, vor allem die griechische,
ebenso wie die der italienischen Renaissance seien aus einer Ver-
einigung nordischer Völker, die in jenes Milieu herabgestiegen
seien, mit den dort ansässigen Völkern hervorgegangen.
Keine Hypothese, sondern eine durch die Tatsachen sicher
gestellte Annahme ist es, daß umgekehrt die sogenannte kapita-
listische Kultur unserer Zeit durch das Zusammenwirken eben
der Juden, eines in nordische Länder vorgedrungenen Südlings-
volkes, mit den hier einheimischen Menschen ihr eigenartiges
Gepräge erhalten hat. Wollen wir auch noch den Anteil der
beiden Parteien an dem gemeinsamen Werk bestimmen, so
werden wir sagen dürfen, daß die überaus grobe kommerzielle
Begabung der Juden und die ebenso, wie es scheint, einzige
wissenschaftlich-technische Befähigung der nordischen Völker —
vornehmlich wohl der Germanen — in ihrer Vereinigung jene
ganz kuriose Blüte der kapitalistischen Kultur getrieben haben.
Das also ist es, was wir im Auge behalten müssen, wenn
wir das jüdische Volk in seiner Eigenart und die gewaltige
Wirksamkeit dieser Eigenart verstehen wollen: nicht ob es
Semiten oder Hethiter oder sonst ein besonders benamster
Stamm sind, oder ob sie „rein“ oder „gemischt“ sind, ist das
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404
Entscheidende, sondern allein dies: daß es ein orientalisches
Volk ist, das in einer ihm völlig fremden klimatischen und volk-
lichen Umgebung seine besten Kräfte verzehrt.
Ein orientalisches Volk. Genauer : eines von jenen Völkern,
die zwischen dem Atlasgebirge im Westen und dem persischen
Golf im Osten groß geworden sind; die sich aus jenen Rassen
gebildet haben, die in den großen Wüsten Nordafrikas, Arabiens
und Kleinasiens oder an deren Rändern von einer glühenden
Sonne, in einer trocken-heißen Luft ausgekocht worden sind:
die in einer mindestens wohl seit der Eiszeit unveränderten
ganz eigenartigen Umgebung ihre Besonderheiten ausgebildet
haben, wozu sie also nach den Schätzungen von Forel etwa
12000 Jahre, nach denen von Heim etwa 16000 Jahre Zeit
gehabt hätten.
Das Gebiet, dem auch die Juden entstammen, ist eine ein-
zige große Sandwüste, in die sich einzelne wasserreiche Stellen
einbetten, in denen Menschen und Vieh leben können: die
Oasen. In den größeren dieser zerstreuten Wasserbecken haben
sich, wie wir wissen, die ersten hohen Kulturen der Menschheit
entwickelt: in Ägypten, in Mesopotamien, in Palästina. Das
sind alles kleine fruchtbare Gebiete, die durchaus — auch ihrer
Größe nach — den Charakter von Oasen in der Wüste tragen.
Ihre Kultur ist die spezifische Oasenkultur. Das anbaufähige
Land umfaßt in Ägypten etwa eine Fläche von der Größe der
preußischen Provinz Sachsen, Mesopotamien war in der Blütezeit
etwa halb so groß wie Oberitalien, das gesamte, von Israeliten
bewohnte Palästina aber hatte höchstens die Größe des Groß-
herzogtums Baden, während Judaea, das Land, das als Stamm-
sitz des Judentums doch eigentlich nur in Frage kommt,
4000 qkm umfaßte, also etwa so groß wie das Herzogtum An-
halt und das Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha zusammen war.
Diese kleinen Oasen, wenigstens die Heimat der Juden : Palästina,
waren nun aber selbst wieder noch von Wüsten durchzogen.
Juda war von der Natur am wenigsten begünstigt. Nach Süden
reichte sein, der menschlichen Kultur erschlossenes, Gebiet weit
über Hebron und Bersaba in die heutige Wüste hinein.
Bodenanbau in diesen Ländern heißt Oasenkultur. Wie die
Oase großenteils künstlich angelegt wird , und wie alles
Wissen und alles Können sich in der Kirnst erschöpft, das für
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den Pflanzenwuchs notwendige Wasser zu sammeln, so beruht
auch in jenen größeren Fruchtlandsenklaven, zu denen Teile von
Palästina gehörten, alle Bodenkultur auf der Wasserbeschaffung.
Der Landmann zittert vor der größten Plage: der Dürre, zittert
davor, daß die Wüste ihre Arme über das kleine, ihr mühsam ab-
gerungene Fleckchen Erde jedes Jahr von neuem ausstrecke. Er
zittert vor der Wüste in jedem Augenblick, daß sie ihm die
heißen, versengenden Winde oder die Heuschreckenzüge sende.
Er zittert aber auch vor der Wüste — so wenigstens müssen
wir uns den Zustand der früheren Zeit vorstellen — , daß aus
ihr Beduinenstämme hervorbrechen könnten, die raubend, mordend,
plündernd durch die Lande ziehen oder auch das Land, wenn
es ihnen paßt, dauernd in Besitz nehmen möchten. Diese Wüsten-
bewohner im eigentlichen Sinne, die wir heute Beduinen nennen,
und zu denen einstmals auch die Oasenbewohner gehört hatten,
die nun vor ihren Razzias zittern, sind umherschweifende Vieh-
züchter, Nomaden. Ihren Räubereien danken die Oasenländer
die frühzeitige Erbauung fester Städte mit dicken Mauern, hinter
denen die Bewohner des flachen Landes Schutz suchten. In
ihnen dringt dann die Wüste selbst wieder in das Herz der
wüstenumschlossenen Fruchtländer ein, die also gleichsam wie
mit Wüstengeist immerfort durchsetzt bleiben.
Ein solcher ruhelos umherirrender Beduinenstamm waren
nun auch jene Hebräer, die etwa um das Jahr 1200 v. Chr.
raubend und mordend in das Land Kanaan einbrachen und be-
schlossen, hier von ihrem ewigen Wandern auszuruhen. Das
heißt: wenn möglich nichts zu tun und die stammeingesessene
Bevölkerung für sich arbeiten zu lassen (das natürliche und
selbstverständliche Streben jedes erobernden Volkes!). So ver-
heißt es Jahve seinem Volke: Ich führe Dich in das Land, das
ich Deinen Vätern gelobt und gebe Dir „große und schöne Städte,
welche Du nicht gebauet, und Häuser voll von allem Gut, die
Du nicht gefüllet, und gehauene Brunnen, welche Du nicht ge-
hauen, Weinberge und ölgärten, welche Du nicht gepflanzet, und
Du issest und wirst satt“ (Deut. 6, 10. 11).
Was taten nun die Hebräer in diesem Lande, das ihnen
Jahve verhießen? Wie richteten sie — was die Hauptsache
blieb — ihr Wirtschaftsleben ein? Wir vermögen es natürlich
nicht mit Bestimmtheit zu sagen 686 , nur vermuten können wir
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einiges. So — wie wir schon sahen — , daß die Mächtigen und
Großen eine Art von Fronhofwirtschaft organisierten , was
natürlich die Besitzergreifung größerer Landstrecken zur Voraus-
setzung hatte.
Wir dürfen annehmen , daß der erobernde Stamm solcher-
weise den größten Teil des Landes sich abgabenpflichtig machte,
sei es auf dem Wege der Fronpflichtigkeit, sei es (ein offenbar
häufiger Fall) auf dem Wege der Verpachtung, sei es durch den
Kreditnexus , und daß jedenfalls erhebliche Teile der Hebräer
als Renten- oder Zinsherren in den Städten saßen, während die
unteijochte Bevölkerung als Kolonen oder „ freie “ Bauern das
Land bebaute, also „Ackerbau trieb“ oder was man so im Orient
nennt. Immerhin mögen auch Teile des erobernden Stammes
verarmt und in das Kolonenverhältnis hinabgesunken sein: die
maßgebenden waren es jedenfalls nicht. Das waren die Zinsherrn
oder auch noch weiter am Hirtenleben festhaltende Nomaden
oder Halbnomaden. Dieses waren und blieben wohl ausschließlich
dem Berufe nach jene Stämme, die im Süden des westjordanischen
Landes saßen, also vor allem Juda sowie Reste von Simeon und
Levi nebst einigen Negebstämmen : die Naturbedingungen des
Landes gestatteten nur die Viehzucht. „Weiß sind Judas Zähne
von Milch.“ Andere Stämme wie Rüben und Gad blieben als
viehzüchtende Halbnomaden auf dem Osijordanlande , der halbe
Stamm Manasse wanderte dorthin über den Jordan wieder zurück.
Aber der Geist des Nomadismus muß in allen Stämmen rege
geblieben sein. Denn wenn es anders gewesen wäre, wenn
Israel auch nur im Sinne des Orients ein „ackerbautreibendes“
Volk geworden wäre, so würden wir die Entstehung und erste
Gestaltung des jüdischen Religionssystems nimmermehr verstehen
können.
Wir dürfen doch nicht vergessen , daß die Religions-
schriften, in denen der jüdische Glaube festgelegt wird, nament-
lich also der Pentateuch, durchaus im Sinne eines Nomaden-
volkes abgefaßt sind. Der Gott, der sich siegreich gegen die
anderen falschen Götter durchsetzt: Jahve, ist ein Wüsten- und
Hirtengott, und in der bewußten Aufrichtung des Jahvekultus
werden die alten Traditionen des Nomadentums durch Esra und
Nehemia unter Nichtbeachtung der dazwischenliegenden (für die
Israeliten selbst freilich vielleicht nie vorhanden gewesenen)
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407
Ackerbauperiode ganz deutlich zur Richtschnur genommen. Der
Priesterkodex „hütet sich vor jeder Hinweisung auf das ansässige
Leben im Lande Kanaan ... er hält sich formell streng inner-
halb der Situation der Wüstenwanderung und will allen Ernstes
eine Wüstengesetzgebung sein“.® 87 Nehmen wir die historischen
Bücher, die meisten Propheten — diesen Wüstenchor — , auch
noch die Psalmen dazu: überall treten uns die Bilder und
Gleichnisse aus dem Hirtenleben entgegen, nur äußerst selten
sehen wir den Bauern im Hintergründe, „der genügsam vor
seiner Hütte unter dem Feigenbaum sitzt“. Jahve ist der gute
Hirte (Ps. 23), der den Rest Israels zusammentun wird wie
Schafe in den Pferch (Mi. 2, 12). Das Sabbatjahr hat auch den
Sinn: daß man aufhört, Bauer zu sein und wieder sich als
Israelite alten Stiles fühlt.
Israel hat auch seine Gliederung nach Familien und 'Ge-
schlechtern nie aufgegeben und hält nach Stämmen zusammen,
wie Hirten tun : Die Affinitas weicht nie ganz der Propinquitas.
Sodaß wir nicht daran zweifeln dürfen, daß noch im 5. Jahr-
hundert v. Chr. — sonst wären, wie gesagt, alle die Vorgänge
in jener Zeit, wäre vor allem die Zusammenschweißung der
jüdischen Religionsbücher nicht denkbar — starke, wenn nicht
vorwiegend nomadische Instinkte und Neigungen jedenfalls in
den maßgebenden Kreisen, aber doch schließlich auch in breiten
Schichten des jüdischen Volkes vorhanden gewesen sind, da ohne
diese die ganz und gar nomadistisch orientierte Religion dem
Volk auf die Dauer nicht hätte aufoktroyiert werden können.
War diese starke Hinneigung zum Nomadismus in jener Zeit
nicht aber vielleicht eine Rückbildungserscheinung? Waren
vielleicht die nomadischen Instinkte, die im Lauf der vbrher-
gegangenen Jahrhunderte zurückgedrängt waren, unter dem Ein-
fluß des Exils wieder lebendig geworden? Das ist sehr wohl
denkbar. Und ich möchte nun diesen Umstand besonders be-
tonen: daß die Schicksale des jüdischen Volkes seit den Exilen
notwendig eine Wiederbelebung verschwindender oder eine
Stärkung der noch vorhandenen Wüsten- und Nomadeninstinkte
im Gefolge haben mußten. Also auch wenn wir bis zu jener Zeit
(in dem halben Jahrtausend, das seit der Eroberung Kanaans
verflossen war) eine teilweise Seßhaftwerdung der Kinder Israels
anzunehmen geneigt wären, so müßten wir doch feststellen, daß
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408
alle M&chte sich dagegen verschworen zu haben scheinen, sie
zur Wirklichkeit und zu einem Dauerzustände werden za lassen.
Kaum daß die Pflanze Wurzel schlagen will (soweit sie das auf
jenen heißen Ländern überhaupt vermag), wird sie wieder aus
dem Boden gerissen. Unbildlich gesprochen: der ursprünglich
den Hebräern im Blute steckende Nomadismus und Sabarismus
(wenn man dieses symbolische Wort gebrauchen darf, um Wüsten*
haftigkeit zu bezeichnen) wird im weiteren Verlauf der jüdischen
Geschichte durch Anpassung oder Auslese erhalten und immer
weiter gezüchtet. Sodaß wir als das Schicksal des jüdischen
Volkes dieses bezeichnen können : daß es durch die Jahrtausende
hindurch ein Wüstenvolk und ein Wandervolk geblieben ist.
Diese Feststellung ist nicht neu. Und sie zu machen, ist nicht
ohne Bedenken, weil antisemitische Pamphletisten aus dieser
Tatsache in gehässiger Weise Stoff für ihre Schimpfereien ent-
nommen haben. Das kann aber natürlich kein Grund sein, die
Richtigkeit der Tatsache selbst in Zweifel zu ziehen oder sie als
Erklärung der jüdischen Eigenart nicht in Berücksichtigung zu
nehmen. Was man angesichts der kompromittierenden Ausnutzung
des Gedankens durch die Tendenzschriftstellerei (Dühring,
Wahrmund usw.) nur tun kann, ist eine gewissenhafte Prüfung
des Tatsachenmaterials, ist vor allem eine einigermaßen sinn-
volle Begründung der Wichtigkeit jener Feststellung. Was darin
bisher geleistet worden ist, ist läppisch und gehässig entstellt
und gibt den Gegnern freilich fast das Recht, mit Hohn und
Spott den * Gedanken vom ewigen Nomadentum“ der Juden als
absurd zurückzuweisen und zu sprechen von dem .merkwürdigen
Einfall vieler Rassengläubiger, die Semiten , Nomaden 4 zu schimpfen 0
(Hertz).
Freilich wäre es besser gewesen, wenn diejenigen, die
den .Einfall 0 für „merkwürdig 0 hielten, sich doch, statt sich zu
entrüsten, im Grunde bemüht hätten, ihn als falsch zu erweisen.
Denn das ist bisher noch niemals versucht worden, da der
Schluß: „In Palästina wurde im Altertum Ackerbau getrieben,
die Juden haben Palästina in jener Zeit bewohnt, also sind sie
Ackerbauer — oder wie man sich wohl gelegentlich drastisch
ausdrückt: , Agrarier 4 — gewesen 0 , doch ein wenig klapprig in
seinem Gefüge ist. Auch wenn z. B. Hertz in seinem vortreff-
lichen Buche dem Gedanken Ausdruck gibt, daß die Stadt an
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den Boden binde und die Seßhaftigkeit erzwinge, „was weder
das leichte Holzhaus noch der Pflug vermag“ (der westfälische
Bauer nicht „seßhaft“, wohl aber der Berliner in der Zwei-
zimmerwohnung!), so wird er für solche Aussprüche selbst bei
seinen allerbesten Freunden nicht auf unbedingte Zustimmung
rechnen dürfen.
Endlich noch dieses zur Klarstellung : in der schlichten Tat-
sache, daß man jemanden einen „Nomaden“ nennt, liegt keinerlei
Geringschätzung ausgedrückt: ich weise deshalb auch die Be-
zeichnung „Nomaden schimpfen“ als unberechtigt zurück.
Höchstens könnte man eine Beleidigung in dem Worte erblicken,
wenn man damit die Vorstellung des „Raubes“, der ewigen
„Razzia“, verbindet und den Nomadismus mit Razziantentum
gleichsetzt. Aber selbst dann : Warum sollte ein forscher
Beduinenstamm unter einem Anführer etwa nach Art des Königs
David, selbst wenn er wie dieser von räuberischen Überfällen
lebt, nicht ebenso „wertvoll“ sein und ebensoviel Sympathie
erwecken wie ein ackerbautreibender, seßhafter Negerstamm in
den Wäldern Afrikas? Von den „Werturteilen“ ist hier aber
nicht zu reden; ich habe meine Ansicht darüber im Vorwort
ausgesprochen. Daß das Wort „Nomade“ für die spätere Zeit der
jüdischen Geschichte in übertragenem Sinne gebraucht wird,
versteht sich wohl von selbst. Und nun — nach diesen vielen
Kautelen — versuchen wir die Richtigkeit der Tatsache zu er-
weisen: die Juden ein ewiges Wüsten- Wandervolk
durch Anpassung oder Auslese.
Wie das Exil die nomadischen Instinkte wieder zur Belebung
brachte, wurde schon angedeutet. Das Exil! Von dem wir
uns — wenn wir ehrlich sein wollen — . eigentlich gar keine
deutliche Vorstellung machen können. Weder vom Hinausmarsch
noch von der Zurückführung. Recht wahrscheinlich wird die
ganze Bewegung überhaupt erst, wenn wir uns in jener Zeit
die Kinder Israels insgesamt noch als Nomaden oder Halbnomaden
vorstellen. Die Eroberung eines Ackerbauvolkes ist ja kaum
recht denkbar; während zwangsweise Versetzungen von Nomaden-
stämmen heute noch üblich sind. Sie gelten heute noch als „ein
starkes Werkzeug der Machthaber an den Steppengrenzen, das
besonders Rußland zu handhaben versteht “. 588 Mit der Auf-
fassung, daß zur Zeit des Exils die Israeliten noch vorwiegend
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Viehzucht trieben, würde auch der Bericht zusammenstimmen,
den wir über die Fortführung aus Palästina besitzen: „Und er
führete ganz Israel und alle Obristen und alle Kriegsleute
hinweg, zehntausend wurden weggeführt und alle Schmiede und
Schlosser; nichts blieb übrig außer geringem Volke des Landes“.
Und wiederholt: „Alle Vornehmen des Landes führte er gefangen
hinweg von Jerusalem gen Babel und alle Kriegsleute, sieben-
tausend, und die Schmiede und die Schlosser, tausend, alles
Streitbare, zum Kriege taugliche, die brachte der König von
Babel gefangen gen Babel 0 . Dann bei der zweiten Razzia: „Und
den Rest des Volkes, die Übriggebliebenen in der Stadt, und
die Überläufer, die übergegangen zum König von Babel und den
Rest der Volksmenge (führte er weg). Von den Geringen aber im
Lande ließ der Oberste der Scharfrichter zurück zu Winzern und
Ackerleuten.“ (EL Reg. 24, 14. 15; 25, 11. 12). Diesen Bericht
bestätigt in seiner Richtigkeit Jeremias (89, 10): „Aber vom
Volke die Geringen, die nichts hatten, ließ Nebusaradan, der
Oberste der Trabanten, zurück im Lande Juda und gab ihnen
Weinberge und Aecker zu selbiger Zeit“.
Wen man sich nun auch unter den Exilierten vorstellen
mag: die eigentlichen Landleute waren nicht darunter. Die
blieben vielmehr auch nach dem zweiten Abhub als Bodensatz
zurück: die Stelle bei Jeremias scheint die Ansicht zu bewahr-
heiten, die ich oben aussprach : daß das Land von Kolonen oder
Fronarbeitem bestellt wurde, die nun, als ihre Herren ins Exil
geführt winden, aus bloßen Bebauern fremden Eigens zu Eigen-
tümern des von ihnen bewirtschafteten Landes wurden. Man
kann sich vorstellen, daß dies größtenteils die Residuen der alten
Eingeborenenstämme waren, die die Hebräer sich unterworfen
hatten. Die Bevölkerung Palästinas (resp. Judaeas) würde dann
von da ab in geringerem Grade hebräisches Blut in ihren Adern
gehabt haben als die babylonische Judenschaft, die jedenfalls
als eine Art von Aristokratie, von abgeschöpftem Rahm, gelten
kann. Dies ist auch die Auffassung , die sich während der
späteren Jahrhunderte im Judentum lebendig erhält. Selbst in
Judaea räumte man den babylonischen Eingeborenen jüdischer
Abkunft die lauterste Reinheit der Geschlechter ein. Ein altes
Sprichwort sagt: „Die jüdische Bevölkerung in den (römischen)
Ländern verhält sich in bezug auf Abstammung gegen jene in
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Judäa, wie vermischter Teig zu reinem Mehl, Judäa aber selbst
ist auch nur Teig gegen Babylonien“. 589 R. Juda b. Jecheskeel
(220 — 299) entschuldigt den frommen Esra und dessen Aus-
wanderung aus Babylonien nur damit, daß er die Familien
zweifelhafter Abstammung nach Judäa führte, damit die Zurück-
bleibenden von Vermischung mit ihnen fern gehalten würden (!)® 90
Das Wichtige für unsere Betrachtung ist dieses: das Exil
bewirkte eine Auslese von besten Elementen in Juda, die jeden-
falls nicht die Träger bodenständiger Tendenzen waren und durch
die Exilierung selbst meist von aller etwa noch vorhandenen
Bodenständigkeit und Wurzelfestigkeit abgedrängt wurden; die
sich in die Zwangslage versetzt sahen, ihr altes Nomadendasein
(auch wenn es eingeschlummert war) wieder zu beleben und als
Städter (Händler) ihr Dasein zu fristen. (Daß ein Teil der nach
Babylonien verschlagenen Juden dort auch Ackerbau trieb,
dürfen wir angesichts des babylonischen Talmuds als wahrschein-
lich annehmen; aber hier wiederholten sich die Zustände, die
wir in Palästina anzutreffen geglaubt haben: städtische Herren,
die zugleich Geldverleiher sind, lassen ihr Land durch [nicht-
jüdische ?] Teilbauern anbauen : das wenigstens ist das typische
Bild, das wir aus dem babylonischen Talmud empfangen, von dem
selbstverständlich Ausnahmen Vorkommen: wir begegnen selbst
Rabbanen, die hinter dem Pfluge hergehen.)
Und was noch wichtiger ist: die Vorgänge des Exils bleiben
nicht vereinzelt, sondern werden die normalen, wie man sagen
könnte. Schon vor dem Exil hatten zahlreiche Juden in Ägypten
und auch in andern fremden Ländern gelebt. Von nun an voll-
zieht sich dauernd jener Prozeß einer Auslese der nicht boden-
ständigen, der wenigstens am ehesten mobilisierbaren Elemente
durch das freiwillige Exil, die Auswanderung, aus der sich nun
die Diaspora bildet. In die Fremde gingen immer diejenigen,
in denen das alte Nomadenblut noch am stärksten pochte, und
dadurch, daß sie in die Fremde gingen, wurde dieses Blut wieder
ganz rege und durchströmte nun wieder ihr ganzes Wesen. Denn
daß die aus Palästina (oder Babylonien) freiwillig (oder unter
dem Zwang bloß ökonomischer Verhältnisse) auswandemden
Juden irgendwo eine Ackerbaukolonie oder auch nur eine dauernde
selbständige Niederlassung gegründet hätten (wie wir es von den
meisten andern Auswanderern namentlich auch der alten Welt
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hören): davon erfahren wir nichts. Wohl aber vernehmen wir,
daß die auswandernden Juden sich über den ganzen be-
wohnten Erdkreis unter die fremden Völker verteilen, mit Vor-
liebe aber in den großen Städten ihre Unterkunft suchen 591 .
Wir erfahren auch nichts davon, daß jene sich selbst verbannenden
Juden etwa zur heimatlichen Scholle zurQckgekehrt wären, nach-
dem sie sich ein kleines Vermögen erworben hatten : wie heute
die auswandernden Schweizer oder Ungarn oder Italiener. Sie
bleiben vielmehr in den fremden Städten und erhalten mit dem
Heimatlande nur geistig religiöse Beziehungen aufrecht. Höch-
stens daß sie — als echte Nomaden — ihre jährliche Pilgerfahrt
nach Jerusalem zum Passahfeste unternehmen.
Allmählich verliert Palästina seine Bedeutung als Heimat
der Juden, und das Judentum lebt überwiegend in der Diaspora.
Denn schon als der zweite Tempel zerstört wurde (70 n. Chr.),
wohnten wohl beträchtlich mehr Juden in der Diaspora als in
Palästina selbst. Daß dieses auch in den Zeiten der dichtesten
Besiedlung mehr als 1 bis 1 Vs Millionen Menschen ernährt haben
sollte (60 — 100 auf den qkm; heute beträgt die Bevölkerung
höchstens 650000), ist kaum anzunehmen. Gesamtjudäa aber
umfaßte 225 000 Einwohner; Jerusalem 25 000 592 . Mehr Juden
lebten aber wohl sicher schon zu Beginn unserer Zeitrechnung
außerhalb der Grenzen Palästinas. Im ptolemäischen Ägypten
allein sollen von 7—8 Millionen Einwohnern 1 Million Juden
gewesen sein 598 . Und es war doch nicht leicht, einen Ort der
bewohnten Erde zu finden, welcher nicht von diesem Geschlechte
bewohnt und beherrscht (I) war, wie wir Josephus aus Strabo
zitieren hörten. Philo zählt die zu seiner Zeit von Juden be-
wohnten Länder auf und fügt hinzu: daß sie in zahllosen (jiuptai)
Städten Europas, Asiens und Libyens, auf den Festländern und
auf Inseln, am Meer und im Binnenlande angesiedelt seien.
Dasselbe hatte schon ein gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr.
verfaßtes Sibyllenorakel ausgesagt 594 und Hieronymus bestätigt,
daß sie, „von Meer zu Meer, vom Britannischen bis zum Atlanti-
schen Ozean, von Westen zu Süden, von Norden zu Osten, auf
der ganzen Welt“ wohnten 595 . Wie dick sie beispielsweise im
frühkaiserlichen Rom schon saßen, bezeugen verschiedene Be-
richte: eine Gesandtschaft des Judenkönigs Herodes wurde an-
geblich von 8000 ihrer in Rom ansässigen Glaubensgenossen zu
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Augustus begleitet und im Jahre 19 n. Chr. wurden 4000 Frei-
gelassene im waffenfähigen Alter, die „vom ägyptischen und
jüdischen Aberglauben angesteckt“ waren, zur Deportation nach
Sardinien verurteilt 696 .
Genug: wie hoch man auch den Anteil der vorchristlichen
Diaspora an der Gesamtjudenschaft veranschlagen möge : darüber
kann kein Zweifel obwalten, daß Israel schon über die Erde zer-
streut war, als der zweite Tempel fiel 697 . Und auch das ist
zweifellos, daß das Mittelalter den Ameisenhaufen nicht zur
Ruhe kommen ließ, daß Israel rastlos über die Erde zog.
Die großen Züge der jüdischen Wanderungen sind diese : seit
Ende des 5. Jahrhunderts erst langsame, dann rasche Entleerung
Babyloniens in alle Gebiete der Erde: nach Arabien, nach Indien,
nach Europa. Seit dem 13. Jahrhundert Abfluß aus England, Frank-
reich, Deutschland, teils nach der Pyrenäenhalbinsel, in die schon
vorher viel Juden aus Palästina und Babylonien gewandert waren,
teils in die europäischen Ostreiche, in die seit dem 8. Jahr-
hundert auch von Südosten her über das Schwarze Meer der
Strom aus dem byzantinischen Reiche sich ergoß. Gegen Ende
des Mittelalters sind dann die beiden großen Becken die Pyrenäen-
halbinsel und Rußland-Polen geworden (soweit sie der Orient
nicht behalten hatte). Von da ab beginnt die Neuverteilung der
Judenschaft, wie wir sie in ihren Hauptzügen verfolgt haben.
Zunächst beginnen die Spaniolen, dann — seit den Kosaken-
verfolgungen im 17. Jahrhundert — die östlichen Juden sich über
die Erde zu verbreiten. Dieser Prozeß der Zerstäubung der
russisch-polnischen Juden hatte einen ziemlich organischen Ver-
lauf angenommen, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts der
Krater plötzlich wieder große Massen auswarf: jene ungezählten
Hunderttausende, die in den letzten Jahrzehnten ihre Zuflucht
in der Neuen Welt gesucht haben.
Innerhalb der einzelnen Länder weist dann der Strom der jüdischen
Wanderungen wieder seine besonderen Sichtungen auf, die beispielsweise
in Deutschland auch die von Osten nach Westen ist. Deutschland nahm
ja mit der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen an dem großen
Reservoir, das die „östlichen 11 Juden enthält, starken Anteil. Noch um
die Mitte des 19. Jahrhunderts (1849), zu der Zeit allerdings, in der die
meisten Posenschen Städte, was den Anteil der jüdischen Bevölkerung
anbetrifft, ihren Höhepunkt erreichten, gab es doch von 131 Ortschaften 21,
deren Einwohnerzahl zu 80 — 40% aus Juden bestand, während in 4 Orten
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414
41— 50%, in 3 Orten über 50% (bis 64%) der Bevölkerung Joden waren.
In dem letzten halben Jahrhundert ist dann die Judenschaft im Posenschen
stark zusammengeschmolzen. 1905 wurden mehr als 10% Juden nur noch
in 10 Städten ermittelt, und der höchste Anteil an der Gesamtbevölkerung
überstieg an keinem Orte 15%. Wenn man die Gesamtzahl der Juden
in der Provinz Posen im Jahre 1840 mit 100 gleichsetzt, so waren davon
im Jahre 1905 nur noch 89,4 zurückgeblieben. Die 30433 Juden, die 1905
in der Provinz Posen ermittelt wurden, machten noch 15% der Gesamt-
bevölkerung aus, w&hrend die 76757 Juden, die 1849 ebendaselbst gezählt
wurden, 57% der Bevölkerung bildeten. Um mehr als 60% hat also
die jüdische Bevölkerung der Provinz Posen in 55 Jahren abgenommen
Aber auch im übrigen Deutschland sind die Juden während des
letzten Menschenalters viel gewandert, meist mit dem einen Ziel: Berlin.
In den Jahren nur von 1880 — 1905 betrug für die preußischen
Provinzen
Zuwanderung
Abwanderung
Ostpreußen
8 035
Westpreußen
—
15170
Brandenburg
25 539
—
Stadtkreis Berlin . . .
29008
—
Pommern
—
6 603
Posen
—
31 381
Schlesien
18 854
Sachsen
—
958
Schleswig-Holstein . .
—
1043
Hannover
—
2934
Westfalen
—
4276
Hessen-Nassau
—
144
Rheinprovinz
—
1522
Staat
54 547
85 920
Dies durch die Jahrhunderte von Ort zu Ort gehetzte Volk,
dessen Schicksal in der Sage vom ewigen Juden seinen er-
greifenden Ausdruck gefunden hat 59 ®, wäre schon der ewigen
Unruhe wegen niemals zu einem Gefühl der Bodenständigkeit
gekommen, selbst wenn es in den Zwischenpausen zwischen
zwei Verfolgungen versucht hätte, in der Scholle zu wurzeln.
Aber alles, was wir an sicheren Zeugnissen über die Lebens-
weise der Juden in der Verb ann ung besitzen, stimmt dahin
überein, daß immer ein verschwindend kleiner Teil sich mit
Landbau abgegeben hat, selbst dort, wo ihnen der Betrieb der
Landwirtschaft nicht verwehrt war. Am meisten scheinen sie
sich dem Ackerbau ergeben zu haben in Polen während des
16. Jahrhunderts. Aber auch hier leben sie doch mit Vorliebe
in den Städten. Wir erfahren jedenfalls aus jener Zeit, daß auf
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500 christliche Großhändler 3200 jüdische in den polnischen
Städten entfielen 600 .
Stfidtebewohner worden sie — ob freiwillig, ob zwangsweise
bleibt sich gleich — , Städtebewohner sind sie bis auf den heutigen
Tag geblieben : in der Gegenwart leben die Hälfte und mehr der
Juden in Großstädten über 50 000 Einwohner in Deutschland
(1900: 43,46 °/o), Italien, Schweiz, Holland, Dänemark (4/5),
England (alle), Vereinigte Staaten (alle). Die Großstadt aber
ist die unmittelbare Fortsetzung der Wüste — sie steht der
dampfenden Scholle ebenso fern wie diese und zwingt ihren
Bewohnern ein nomadisierendes Leben auf wie diese.
Durch Anpassung an die Umwelt wurden die alten Keime
des Nomadentums und der alten Wüstensinne der Juden während
der Jahrtausende entwickelt: und durch Auslese immer mehr
zur Vorherrschaft gebracht, denn es ist klar, daß in dem be-
ständigen Wechsel, dem die Judenschaft ausgesetzt war, nicht
die behaglich-bodenständigen, sondern die rastlos-nomadischen
Elemente diejenigen waren, die sich am widerstandsfähigsten
erhielten und darum überlebten.
Und dieses heiße, unruhevolle Volk, das nicht vierzig Jahre,
sondern viertausend Jahre und länger in der Wüste gewandert
hatte, kam nun endlich in sein Kanaan: in die Länder, wo es
von seinen Wanderungen ausruhen wollte: in die nordischen
Länder und begegnete hier Völkern, die selbst die Jahrtausende
hindurch, während welcher die Juden von Oase zu Oase geirrt
waren, in so ganz und gar verschiedener Umgebung auf ihrer
Scholle gesessen hatten: naßkalten Völkern gleichsam, die sich
von den Juden abhoben wie ein Ardennenpferd von einem
arabischen Rosse.
Man wird jetzt bald nicht mehr viel Wert darauf legen,
die Völker, die Nord-, Mittel- und Osteuropa seit Jahrtausenden
besiedeln, „Arier“ zu nennen (oder anders). Zwar ergeben die
neueren Untersuchungen sowohl auf somatisch-anthropologischem
und archäologischem als auf linguistischem Gebiet, daß wenigstens
ein großer Teil der Völker, welche in der jüngeren Steinperiode
Mittel- und Nordeuropa bewohnten, Arier gewesen sind 601 . Aber
das ist ja gar nicht so wichtig. Was wissen wir denn viel
von dem Grundwesen dieser Völker, wenn wir erfahren, daß
es „Arier“ waren? Dann müßten wir ja alle jene mystischen
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Verirrungen wieder erleben, von denen ich mit Schaudern be-
richtet habe, wenn wir aus der Sprache oder vielleicht auch
aus übereinstimmenden anthropologischen Merkmalen, wie Schädel-
form usw. auf den geistigen Habitus dieser Menschen schließen
wollten. Wichtig und entscheidend ist, daß diese „Arier“
nordische Völker waren, die dem Norden entstammen und
in heißen Ländern sich nicht haben akklimatisieren können •**.
Sie als „Arier“ zu bewerten und verstehen zu wollen, führt
geradezu irre; denn dann ist man immer in Versuchung, die
dunkeln Inder als Brüder zu betrachten und versperrt sich da-
durch sicher den Weg zur besseren Einsicht. Die blonden blau-
äugigen Menschen, die Nord- und Mitteleuropa seit Jahrtausenden
inne haben, haben wahrscheinlich mit jenen braunen Menschen
der indischen Jungein, mögen ihre Sprachen auch noch so ver-
wandt sein, blutsmäßig herzlich wenig gemein.
Denn die Eigenart ihres Wesens haben sie nur erwerben
können in der ganz eigenen Umgebung, die ihnen die nordischen
Länder boten. Welches diese Eigenart war, können wir ja heute
noch an uns erfahren, nur müssen wir immer bedenken, daß
das spezifisch Nordische in jenen vergangenen Zeiten noch viel
ausgeprägter war als heute. Will man diese Eigenart in ein
Wort fassen, um es der Eigenart der Wüste entgegenzusetzen,
so heißt dieses eine Wort: Wald. Wüste und Wald sind die
großen Kontraste, um die alle Wesenheit der Länder wie der
Menschen, die sie bewohnen, herumgelagert ist. Der Wald gibt
dem Norden sein Gepräge; genauer: der nordische Wald, in
dem die Bäche murmeln, in dem der Nebel um die Stämme
quirlt, in dem die Kröte „im feuchten Moos und triefenden
Gestein“ haust, in dem im Winter die matten Sonnenstrahlen im
Rauhreif glitzern, und in dem im Sommer die Vögel singen. Wälder
rauschten ja auch auf dem Libanon und rauschen heute noch im
Süden von Italien, wo längst der Wüstencharakter eingesetzt
hat ; aber wer jemals in einen südlichen Wald getreten ist, weiß,
daß er nicht mehr als den Namen mit unsem nordischen Wäldern
gemein hat; „der wird gestehen müssen, daß dieser Wald (schon
in Italien) für Anblick und Gefühl ein anderer ist, als der auf
den Alpen oder an dem Gestade der Ostsee. Der süditalienische
Wald ist klangvoll, von reinem Licht und Blau durchschimmert,
in seinem Aufstreben, Beugen und Schaudern elastisch und
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nervig; oft gleicht er einem Tempelhain.“ (Hehn.) Während
unser nordischer Wald lieblich und gespenstisch, traulich und
schreckhaft in einem ist. Wüste und Wald, Sand und Sumpf:
das sind die großen Gegensätze, die letzten Endes ja auf dem
verschiedenen Feuchtigkeitsgehalt der Luft beruhen und alle
anderen für das Menschendasein (wie wir noch sehen
werden) so entscheidenden Bedingungen schaffen : hier ist gleich-
sam das Symbol der Natur die Fata morgana, dort der Nebel-
streif.
Und alle Eigenart dieser nordischen Natur, sagte ich, war
in früherer Zeit viel stärker ausgeprägt als heute. Die Römer
schildern uns Germanien als ein rauhes Land, das von Sümpfen
und dichten Wäldern erfüllt ist, als ein Land mit düsterem
Himmel, nebelvoller, regenreicher Luft, mit langen Wintern und
furchtbaren Stürmen.
Hier hausten mm Völker, wahrscheinlich seit der Eiszeit,
deren Spuren wir jedenfalls Jahrtausende zurückverfolgen können.
Nach neueren Hypothesen hätten die Germanen auf einer
klimatischen Insel in einer Ecke Frankreichs sogar die Eiszeit
hier oben überdauert. (Die erste Geschichtskunde von den
Germanen, die wir einem römischen Schriftsteller verdanken,
stammt aus dem Jahre 330 v. Chr.)
(Aber auch, wenn die ersten Pfahlbaubewohner [die aber
möglicherweise paläolithisch sind] aus dem Osten eingewandert
sein sollten, so wären sie doch nur aus einem nicht völlig andern
Milieu gekommen, nämlich aus dem grasreichen Steppengebiet
Zentralasiens.)
Jahrtausende lang, können wir also getrost sagen, saßen hier
Rassen und Völker (die unsere Vorfahren sind) in feuchten
Wäldern, zwischen Sümpfen, zwischen Nebeln, in Eis und Schnee
und Regen, womöglich auf Pfahlrosten im Wasser selbst. Und
rodeten die Wälder und machten das Land urbar und siedelten
dort, wo ihnen Axt und Pflugschar einen Streifen in der Wildnis
frei gemacht hatten. Auch als diese Stämme noch nicht völlig
zur Seßhaftigkeit gelangt waren (und die Berichte des Caesar
lassen darauf schließen, daß damals noch Jagd und Viehzucht
die Hauptbeschäftigung waren, und daß sie ihre Aufenthalte von
Zeit zu Zeit wechselten), erscheinen sie uns doch schon gleichsam
mit dem Boden verwachsen. Ganz hat der Ackerbau nie gefehlt :
Sombart, Die Juden 27
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ans den linguistischen Tatsachen ergibt sich mit Bestimmtheit,
„daß keiner Epoche der indogermanischen Vorgeschichte der
Feldbau ganz unbekannt gewesen sein kann a . Die ältesten
Pfahlbauer, die wir kennen, waren schon Ackerbauer. Aber
auch dort, wo wir uns jene nordischen Völker als „Nomaden“
vorstellen, ist das Bild ganz und gar ein anderes als das, das
wir uns von einem Beduinenstamme machen und empfinden wir
sie bodenständiger als selbst ein Ackerbauvolk in einem Oasen-
lande. Jene sind immer Siedler, auch wenn sie Viehzucht treiben ;
diese immer Bodenfremde, auch wenn sie Ackerbauer sind.
Das macht der Umstand, daß doch das Verhältnis im Norden
mit der Natur ein innigeres ist als in den heißen Ländern. Man
bettet sich gleichsam in die Natur ein, auch wenn man nur als
Jäger durch die Wälder streift oder als Hirt für seine Herde in das
Dickicht eine Lichtung schlägt. Ich möchte (auf die Gefahr hin,
als „moderner Mystiker“ verspottet zu werden), sagen: daß im
Norden auch zwischen dem gewöhnlichen Menschen und der
Natur sich zarte Bande der Freundschaft und Liebe knüpfen,
die der Bewohner heißer Zonen, die schon der Italiener kaum
noch in gleichem Maße kennt. Im Süden, hat man oft mit Recht
bemerkt, betrachtet der Mensch die Natur nur unter dem Ge-
sichtspunkt des Kulturzweckes. Der Mensch bleibt der Natur
innerlich fremd, selbst wenn er das Land bebaut : ein eigentliches
Landleben: ein Leben in der Natur und mit der Natur, ein Ver-
wachsensein mit Baum und Strauch, mit Land und Wiese, mit
Wild und Vögeln gibt es nicht in jenen seligeren Gefilden.
* *
*
Sollte nun diese grundverschiedene Umgebung, sollte die
durch die Eigenart der Umgebung grundverschieden gestaltete
Lebensweise nicht das Wesen dieser Menschen selber in je einer
besonderen Richtung bilden? Sollte also auch die jüdische Eigen-
art, wie wir sie kennen gelernt haben, nicht beeinflußt worden
sein, ja geradezu ihr charakteristisches Gepräge empfangen
haben durch die Jahrtausende währende, gleichförmige Wüsten-
wanderung?
Wenn ich die Frage mit ja beantworte und im folgenden
versuche, jenen Zusammenhang zu begründen, so muß freilich
eingestanden werden, daß ein „exackter“ Beweis — und das
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müßte ein biologischer sein — für die Richtigkeit meiner An-
nahme bei dem heutigen Stande unseres Wissens nicht geführt
werden kann. Dazu fehlen einstweilen noch alle empirisch-
experimentellen Unterlagen, die uns darüber Aufschluß geben
könnten, wie die Eigenart der Umgebung und der Lebens-
betätigung die anatomische und physiologische Art der Menschen
und damit auch ihre psychische Beschaffenheit beeinflussen. In
welcher Richtung diese Untersuchungen angestellt werden müßten,
dafür gibt uns Juan Huarte de San Juan, jener kluge
spanische Arzt aus dem 16. Jahrhundert, den ich schon erwähnt
habe, wertvolle Fingerzeige in seinem genialen Examen de
ingeniös, in dem er auch (der einzige bisher I) einen ernsthaften
Versuch macht, die jüdische Eigenart aus der Vergangenheit und
den Schicksalen des jüdischen Volkes biologisch-psychologisch zu
erklären. Die Gedanken dieses ausgezeichneten Mannes, der, oft
in einer für seine Zeit geradezu hellseherischen Weise, Probleme
der menschlichen Artbildung behandelt, erscheinen mir wertvoll
genug, um sie der unverdienten Vergessenheit zu entreißen und
sie an dieser Stelle auszugsweise mitzuteilen 608 .
Huarte führt die Eigenart des jüdischen Geistes auf folgende
Bedingungen zurück, unter denen die Juden groß geworden sind :
1. die heißen Klimata;
2. die unfruchtbaren Gegenden;
8. die eigentümliche Ernährung, die sie namentlich in der
Wüste während ihrer 40 jährigen Wanderung gehabt haben.
Während dieser Zeit genossen sie eine ganz feine Speise:
das Manna; tranken ganz leichtes Wasser und atmeten eine
ganz feine Luft. Dadurch wurde in den Männern ein feiner
und verbrannter Same abgesondert; in den Frauenspersonen
bildete sich ein zartes und reines (sutil y delicada) monatliches
Blut : das bewirkt aber schon nach Aristoteles, daß scharfsinnige
Kinder geboren wurden: hombre de muy agudo ingenio.
4. „Als aber das israelitische Volk in den Besitz des ihm
verheißenen Landes nunmehr gesetzt war, so mußte es bei
seinem ... so scharfsinnigen Genie so viel Mühseligkeiten, Teue-
rungen, feindliche Einfälle, Unterwerfungen, Knechtschaften und
Verfolgungen ausstehen, daß es durch dieses elende Leben jenes
warme, trockene und verbrannte Temperament (aquel tempera-
mento caliento y seco y retostado) erhielt . . . Eine beständige
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Traurigkeit und ein beständiges Elend macht , daß sich die
Lebensgeister und das Pulsaderblut sowohl in dem Gehirn als
in der Leber und in dem Herzen häufen und sich endlich,
weil immer mehr und mehr dazu kommen, untereinander ver-
brennen und verzehren . . . Das Gewöhnlichste ist, daß sie viel
schwarze und verbrannte Galle (melancolia por adustion) er-
zeugen. Von dieser schwarzen Galle haben fast alle Juden noch
bis jetzt sehr vieles . . . ,metus et maestitia diu durans melan-
choliam significat* (Hippocrates). Diese verbrannte Galle (esta
cölera retostada) ist . . . das Werkzeug der Verschlagenheit, der
List und der Bosheit (solercia, astucia, versacia, malicia). Sie
macht aber auch zu den medizinischen Vermutungen sehr ge-
schickt“ usw. Der Verfasser widerlegt dann noch den Einwand :
die Juden hätten in den 3000 Jahren, seit sie Manna nicht aßen,
die dadurch erworbenen Eigenschaften wieder verloren, mit ernst-
haften Erörterungen über „Vererbung erworbener Eigenschaften*
usw. Die Pointe seiner Ausführungen ist diese: was einmal
das Keimplasma verändert hat, wirkt lange weiter. Übrigens
will er nicht leugnen, daß eine Abnahme der Scharfsinnigkeit
bei den Juden doch vielleicht zu bemerken sei.
In diese Tiefen, in die der Madrider Arzt steigt, wage ich
also den Leser nicht zu führen: einstweilen würden wir dort
doch auf nichts anderes als auf unbewiesene Tatsachen und
laienhafte Vermutungen stoßen. Wir müssen vielmehr not-
gedrungen an der Oberfläche bleiben und uns im wesentlichen
damit begnügen, auf die Zusammenhänge hinzuweisen, die (unserer
erlebnismäßigen Erkenntnis gemäß) zwischen bestimmten psycho-
logischen Eigenarten, wie wir sie an den Juden wahmehmen
konnten, und ihren Lebensschicksalen bestehen.
Als diejenige Eigenart des jüdischen Wesens, in die wir
alle andern Eigenarten gleichsam eingebettet fanden, wie Samen-
körner in die Samenkapsel, erkannten wir die überragende
Geistigheit dieses Volkes. Diese aber werden wir wohl ohne jedes
Bedenken erklären dürfen aus der Tatsache, daß die Juden von
der Urzeit des Hirtendaseins an niemals körperlich schwere oder
auch nur vorwiegend körperliche Arbeit zu verrichten gehabt
haben. Von dem Fluche, mit dem Adam und Eva aus dem
Paradiese gestoßen wurden : daß der Mensch im Schweiße seines
Angesichts sein Brot essen müsse, haben die Juden in allen
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Zeiten wenig mitgetragen, wenn wir den körperlichen Schweiß
und nicht etwa Sorge und Überlegung — die aber doch mm
einmal nur „geistige“ Arbeit in dem gewöhnlichen Verstände
verursachen — darunter verstehen wollen. Das Hirtendasein
verlegt schon den Schwerpunkt der Tätigkeit in die bedenkende,
disponierende, organisierende Arbeit, und alle Berufe, die wir
dann die Juden ergreifen sehen (ob zwangsweise, ob freiwillig,
bleibt sich in diesem Falle gleich), erheischen nicht eigentlich
körperliche Anstrengung, wohl aber geistige Fähigkeiten. Unser
aller Stammbaum führt in den allermeisten Fällen spätestens
nach zwei oder drei Generationen hinter den Pflug oder den
Aunbos oder den Webstuhl zurück. Die Juden würden viele
Geschlechter nennen können, die seit Jahrhunderten oder Jahr-
tausenden nicht Bauern und nicht Handwerker, nicht eigentlich
Werkschöpfer, sondern nur Bedenker gewesen sind: „geistige“
Arbeiter. Sollte sich da durch Anpassung und Auslese der zu
solcher unkörperlichen Arbeit Geeignetsten nicht eine besondere
Eigenart herausgebildet haben? Es wäre seltsam, wenn es
nicht der Fall wäre. Wir müßten ohne weiteres auf eine hervor-
ragende Geistigheit dieser Bevölkerungsgruppe aus ihrem Lebens-
schicksal schließen. Und wenn wir mm diese Eigenart durch
Beobachtung feststellen: sollte dann der Schluß nicht statthaft
sein, daß sie aus der besonderen Arbeitssphäre, in die die Juden
seit Anbeginn an eingeschlossen waren, sich ableiten lasse?
Aber auch jene besondere Geistigheit, die wir bei den
Juden fanden, führt schließlich in die Wüste — Sand- oder
Steinwüste — zurück. „Abstrakt“, „rational“ sehen wir sie
veranlagt: mit ausgeprägtem Sinn für begrifflich - diskursive Er-
fassung der Dinge ; mit einem Mangel an sinnlicher Anschaulich-
keit und empfindungsmäßiger Beziehung zur Welt. Wüste und
Wald, Norden und Süden! Die scharfen Konturen heißer,
trockner Länder, die grellen Sonnenflecke neben den tiefen
Schlagschatten, die hellen Sternennächte, die erstarrte Natur:
alles dieses läßt sich wohl bildlich in das eine Wort des „Ab-
strakten“ zusammenfassen, dem das „konkrete“ Wesen alles
Nordens, wo das Wasser reichlich fließt, gegenübertritt: die
Verschiedenheit aller Umgebung, die Lebendigkeit der Natur
in Wald und Feld, die dampfende Scholle. Lassen sich hier
nicht Zusammenhänge denken zwischen dem abstrakt-verstandes-
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haften Wesen der Juden und dem anschauend-verträumten Sinn
des nordischen Menschen? Ist es ein Zufall, daß Astronomie
und Zählkunst in den heißen Ländern mit den ewig klaren
Nächten entstanden sind und — wie wir hinzu fügen wollen —
von Völkern ausgebildet wurden, die als Hirtenvölker das Zählen
gelernt hatten? Könnten wir uns jene Sumerer, denen man
die Erfindung der Keilschrift zuschreibt, und die jenes kunst-
volle System der sog. Sexagesimalrechnung in virtuosester
Weise handhabten* 04 , als ein nordisches Volk denken, wie
jetzt die germanomanen Rassentheoretiker uns weismachen
wollen? Wie sollte so leicht in einer nebligen nordischen Land-
schaft dem Bauern hinter dem Pflug oder dem Jäger im
Walde die abstrakte Vorstellung der Zahl in seinem Geiste auf-
steigen?
Auch dieses wird sich nicht wohl bezweifeln lassen, daß
das rationale Denken nach Gründen ebenso in die südliche
Welt mit ihrer künstlich-gebildeten, nicht gewordenen Natur, in
die ewige Unsicherheit des Beduinenlebens hineinführt, wie das,
sei es traditionalistische, sei es instinktive Dasein sich in unserer
Vorstellung mit dem behäbigen, sicheren, umfriedeten Leben des
nordischen Ackerbauers und mit der nebelhaft-mystischen Natur-
umgebung des Nordmenschen verbindet. Daß der Sinn für das
Lebendige, Organische, Gewachsene nur aus der tausendfältig
lebendigen Natur des Nordens sich entwickeln kann oder leichter
sich entwickeln wird als aus der toten Natur des Orients, scheint
auch nicht allzu unwahrscheinlich. Wie denn ebenso wie die
Wüste (der Süden) die Stadt, weil sie den Menschen von der
dampfenden Scholle abdrängt und ihn loslöst von dem Zusammen-
leben mit den Tieren und Pflanzen — organisch-gewachsenen
Gebilden — , in ihm das eigne Miterleben des Lebendigen,
das allein das „Verständnis“ für die organische Natur vermittelt,
verkümmert und zerstört. Wie sie dann aber auf der andern
Seite, ebenso wie das Nomadenleben in seiner wüstenhaften
Form, die Fähigkeiten des Verstandes entwickelt, der als Späher,
als Spionierer, als Zurechtweiser, als Ordner in ewig starker
Bewegung erhalten wird. Fortwährend bedacht sein, heischt
die Erfüllung seiner Lebensaufgabe vom „Nomaden“, fortwährend
bedacht sein, forderte das Schicksal den Juden ab. Also auch
zweckbedacht sein: in jedem Augenblicke eine neue Sachlage
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überblicken, einer neuen Sachlage gerecht werden, sein Leben
„zweckmäßig“ einrichten.
Anpassungsfähig uud beweglich sind die Juden. Anpassungs-
fähigkeit und Beweglichkeit sind aber die beiden Haupteigen-
schaften, über die der „Nomade“ verfügen muß, wenn er im
Daseinskämpfe obsiegen will, während der seßhafte Bauer mit
diesen Tugenden nichts anzufangen wüßte. „Das Lebensgesetz
der Wüste schreibt den Nomaden die höchste Beweglichkeit der
Person und des Besitzes vor. Pferd und Kamel müssen ihn
und seine gesamte Habe rasch von Weideplatz zu Weideplatz
tragen, da seine geringen Vorräten bald erschöpft sind und müssen
ihn blitzschnell dem Überfall des stärkeren Feindes entziehen . . .
Diese Beweglichkeit verlangt auch schon unter gewöhnlichen
Umständen von den Führern der Stammabteilungen und ganzer
Stämme ein gewisses Organisationstalent“ 606 (dessen der Acker-
bauer gar nicht benötigt). „Der Pflug und der Stier stehen
schwach und schwerfällig der Lanze, dem Pfeile und dem Pferde
der Nomaden gegenüber • 0Ä .“ Das Land der Stadt, kann man
erweiternd hinzufügen, wenn man das Lebensschicksal der Juden
verfolgt, das von dem Augenblick an, da sie den Jordan über-
schritten, bis heute von ihnen jenen hohen Grad von Beweglich-
keit erheischte.
Sind nicht auch die beiden Gegensätze der Zielstrebigkeit und
Werkfreudigkeit auf die Gegensätze von Nomadismus und Siedler-
tum zurückzuführen? Und die Jahrtausende langen Wande-
rungen haben dann bei den Juden diese Zielstrebigkeit, die
eine echte Wandertugend ist, weiter entwickelt? Von der
Wanderung in der Wüste an bis auf unsere Tage hat das ge-
lobte Land stets vor ihnen gelegen: ihm sind sie zugestrebt,
wie jeder Wanderer sehnsüchtig in die Ferne, in die Zukunft
schauend: wie jeder Wanderer wenigstens, dem die Wanderung
selbst keine Freuden bringt. Je ärmer die Gegenwart wurde,
desto mehr an Reizen gewann die Zukunft, an Bedeutung ; alles
Seiende wurde schal, alle Wirklichkeit inhaltlos, alles Tun sinn-
los: nur was hinter dem Tun in der Zukunft lag, hatte noch
Wert: der Erfolg: das zu erreichende Ziel. (Bei welcher Ent-
stehungsgeschichte der Erfolgsbewertung dann freilich der Ge-
brauch des Geldes zu Leihzwecken und der gesamte kapita-
listische Nexus, wie wir schon sahen, wesentliche Unterstützung
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und Förderung brachten: sodaß vielleicht die ausgesprochene
Zielstrebigkeit der Juden ebenso sehr Wirkung wie Ursache
ihrer Betätigung als kapitalistische Wirtschaftssubjekte ist)
Zur Zielstrebigkeit und ebenso zur Rastlosigkeit, die nur
eine andere Form der Betätigung jener Eigenart ist, gehört
aber, wie wir feststellen konnten, ein hohes Maß von körper-
licher und geistiger Energie. Sie muh natürlich in den Urrassen
gesteckt haben, aus denen die Juden hervorgegangen sind. Und
ist dann entfaltet worden — das läßt sich mit ziemlicher Sicher-
heit aussagen — durch die schicksalschwere Verirrung der
Juden in die nordischen Länder. Denn daß der Jude erst in
diesen seine volle Kraft (wie auch erst im Zusammenwirken
mit den nördlichen, naßkalten Völkern seine ganzen Fähigkeiten)
entfaltet, lehrt ein Vergleich zwischen der Wirksamkeit der
Juden auf den verschiedenen Breitegraden. Als Besitztum des
Volkes ist dann auch diese, im Kampfe um das Dasein, besonders
fördersame Veranlagung natürlich vermehrt worden durch die
Auslese der „Passenden".
Und wie das Wesen, so hat auch — was im Grunde selbst-
verständlich ist — die Wesensbetätigung, hat das Wesenswirken
dieser beiden verschiedenen Menschheitsgruppen grundver-
schiedenes Gepräge durch die Verschiedenheiten der Lebens-
bedingungen erfahren. Wasser und Wald und dampfende Scholle
haben ihre Märchen, ihre Sagen, ihre Lieder; haben ihre Ord-
nungen ebenso eigenartig aus sich erzeugt, wie Wüste und
Oase die ihren. Ich weiß nicht, ob schon eine Doktordisser-
tation vorhanden ist, die das Thema behandelt : Goethe und das
Wasser: wenn nicht, so wäre es eine dankenswerte Aufgabe,
darüber eingehend zu berichten. Es würde sich zeigen, daß die
echtesten Töne in den Goetheschen Dichtungen dem eigenartigen
Zauber entsprungen sind, den die Dunst- und Nebelstimmung
im deutschen Walde übt.
„Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz“ . . .
„Gabst mir die herrliche Natur“ ...
„Durch die Steine, durch die Basen
Eilet Bach und Bächlein nieder“ . . .
„Im Dämmerschein liegt schon die “Welt erschlossen“ . . .
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Und tausend andere Stellen — alle Brockenlieder , alle
Sturmgesänge — zeugen dafür.
„Schweben uns (durch die Jahrtausende)
Von Felsen wänden, aus dem feuchten Busch
Der Vorwelt silberne Gestalten auf“:
dann sind wir eine eigenartige Menschheitsgruppe geworden,
die sich von denen unterscheidet, deren Väter von heißen
Wüstenwinden umweht waren. Aber ich darf diese Gedanken-
gänge, so reizvoll es wäre, nicht in ihre Verzweigungen ver-
folgen, da mir ja nur die nüchterne Aufgabe obliegt, zwischen
jenen besonderen Umwelten und dem Wirtschaftsleben einige
Zusammenhänge aufzudecken.
Gewiß ist aber auch, daß gerade die verschiedene Gestaltung
des Wirtschaftslebens sich zu einem guten Teile wenigstens
aus dem Gegensatz von Nomadismus und Agrikulturismus, von
Saharismus und Silvanismus erklären läßt.
Aus dem Walde, den man rodet, aus dem Sumpfe, den man
zur Scholle umwandelt, aus der Scholle, auf der der Pflug geht,
ist die eigenartige Wirtschaftsverfassung erwachsen , die in
Europa Jahrtausende lang geherrscht hat, ehe der Kapitalismus
kam: die wir die bäuerlich- oder feudal-handwerksmäßige ge-
nannt haben, die auf den Grundgedanken der Nahrung, der
Werkvemchtung, der ständischen Gliederung aufgebaut ist. Das
abgegrenzte Besitztum des Bauern erzeugt erst die Vorstellung
eines abgegrenzten Wirkungskreises, in den das einzelne Wirt-
schaftssubjekt für alle Zeiten eingeschlossen ist, in dem es sich
zu allen Zeiten gleich (traditionalistisch) betätigt: von hier aus
dringt die Idee der Nahrung in alle anderen Wirtschaftszweige
ein und formt sie nach ihrem Bilde. Über diesen nahrungs-
mäßig gegliederten, tatsächlich und dann rechtlich gebundenen
Wirtschaftseinheiten baut sich dann nur organisch der Stände-
staat auf.
Aus der unendlichen Wüste, aus der Herdenwirtschaft
erwächst das Widerspiel der alten bodenständigen Wirtschafts-
ordnung: der Kapitalismus. Das Wirtschaften hat hier keinen
umfriedeten Bezirk, keinen abgegrenzten Tätigkeitskreis mehr,
sondern das unbeschränkte Feld der Viehzüchtung, deren Er-
trag von heute auf morgen vereitelt sein, aber auch in wenigen
Jahren verzehnfacht sein kann: die Herden der Rentiere,
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Rinder, Pferde, Schafe wachsen rasch und nehmen ebenso rasch
durch Seuchen oder Hunger wieder ab. Hier allein in der
Herdenwirtschaft — niemals in der Sphäre des Ackerbaues — konnte
die Erwerbsidee Wurzel schlagen. Hier allein konnte die Wirt-
schaft auf eine unbegrenzte Vermehrung der Produkte nmenge
eingestellt werden: „nur die starke Vermehrung der Herden
macht den Nomadismus wirtschaftlich möglich“ (Ratzel). Hier
allein konnte die Vorstellung entstehen, daß die abstrakte Güter-
quantität und nicht die Gebrauchsqualität die beherrschende
Kategorie des Wirtschaftslebens sei. Hier wurde zum ersten
Male beim Wirtschaften gezählt. Aber auch, wie schon ange-
deutet wurde, dringen die rationalen Elemente in das Wirt-
schaftsleben durch den Nomadismus ein, der somit in fast allen
Punkten der Vater des Kapitalismus ist. Und wir sehen aber-
mals um einige Lichtstärken besser, wie sich das Band zwischen
Kapitalismus und Judaismus knüpft, der hier als das Bindeglied
zwischen jenem und seinem Urbilde, dem Nomadismus, erscheint.
Aber Wüste und Wanderung, so sehr sie die jüdische Eigen-
art bestimmt haben, sind doch nicht die einzigen Schicksals-
fügungen, denen die Juden ihr Wesen verdanken. Andere sind
zu jenen hinzugekommen, keine aber die Wirkungen jener durch-
kreuzend oder abschwächend, alle vielmehr sie verstärkend und
verschärfend.
Das eine große Schicksal, das den Juden noch zu tragen
oblag, war das Geld: daß sie die Hüter des Hortes durch Jahr-
tausende waren, das hat tiefe Spuren in ihr Wesen eingeprägt
und hat dieses Wesen in seiner Eigenart gesteigert. Denn in
dem Gelde vereinigten sich gleichsam die beiden Faktoren, aus
denen sich das jüdische Wesen zusammensetzt, wie wir sehen:
Wüste und Wanderung, Saharismus und Nomadismus. Das Geld
ist ebenso aller Konkretheit bar wie das Land, aus dem die
Juden kamen; es ist nur Masse, nur Menge, wie die Herde; es
ist flüchtig wie das Wanderleben; es wurzelt nirgends in frucht-
barem Erdreich wie die Pflanze oder der Baum. Die fortgesetzte
Beschäftigung mit dem Gelde drängte die Juden immer wieder
und immer mehr von einer natural-qualitativen Betrachtung der
Welt ab und lenkte alle Sinne auf die abstrakten quantitativen
Auffassungen und Bewertungen hin. Aber sie erschlossen auch
alle Geheimnisse, die im Gelde verborgen lagen; sie erkannten
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alle Wunderkräfte, die in ihm enthalten sind. Sie wurden Herren
des Geldes und durch das Geld, das sie sich untertan machten,
die Herren der Welt — # wie ich das in den ersten Kapiteln
dieses Buches eingehend geschildert habe.
Haben sie das Geld zuerst gesucht oder ist es ihnen auf-
gedrängt worden und haben sie sich dann erst allmählich an
diesen fremden Gast gewöhnt? Man wird beide Entstehungs-
arten für die Geldliebe der Juden gelten lassen müssen.
Es scheint fast, als sei ihnen in den Anfängen ohne ihr
Zutun viel Geld zugeflossen ; oder richtiger : Edelmetall zugeflossen,
das sich dann später in Metallgeld umgewandelt hat.
Man hat, soviel ich sehe, noch niemals darauf geachtet,
welche großen Mengen von Edelmetall — damals vorwiegend
nicht in der Gefdform natürlich — zur Königszeit in Palästina
müssen aufgehäuft gewesen sein.
Von David erfahren wir, daß er auf seinen Beutezügen
überall Gold und Silber die Menge einheimste und ebenso, daß
ihm die fremden Fürsten Edelmetall als Tribut darbrachten:
Joram, der Sohn des Königs von Hemath, „hatte mit sich silberne
und kupferne Geräte. Auch diese weihete der König David dem
Jahve, nebst dem Silber und Golde, welches er geweihet von
all den Völkern, die er überwunden: von den Syrern und von
den Moabitern und von den Söhnen Ammons und von den
Philistern und von den Amalekitern und von der Beute Hada-
desers, des Sohnes Rehobs, des Königs von Zoba“ (II. Sam. 8,
10 — 12 ).
Was wir von der Verwendung von Gold und Silber bei dem
Bau der Stiftshütte und des Tempels, von den Opfern und Ge-
schenken der Fürsten lesen (die wichtigsten Stellen finden sich
Ex. c. 25 ff. und II. Chron.), grenzt an das Wunderbare und gibt
doch allem Anschein nach ein ziemlich getreues Abbild der
Wirklichkeit (wenigstens lassen die für jene Zeit auffallend ge-
nauen statistischen Angaben darauf schließen). „Und der König
machte das Silber und das Gold zu Jerusalem den Steinen gleich“
(H. Chr. 1, 15). Von den Ophirfahrten König Salomos weiß
man : hier muß ein Kalifornien erschlossen sein I Und wie Jesaias
klagt (über Juda): „voll ist sein Land von Silber und Gold“
(2, 7).
Wo ist dies viele Edelmetall geblieben? Die Gelehrten des
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Talmud haben sich diese interessante Frage vorgelegt und sind
zu dem Ergebnis gekommen, daß es bei Israel geblieben sei:
„Das ist was R. Alexandri sagte. Drei kehrten nach ihrer Heimat
zurück, und zwar: Jisraöl, das Geld Mifrajims [siehe Ex. 12, 35 ;
1. Reg. 14, 25] und die Schrift der Bundestafeln“ 607 . Doch
wird sich ein „exakter“ Beweis solcher Wanderung gewiß nie-
mals erbringen lassen. Wichtig bleibt nur die Tatsache, daß
doch offenbar ein gewaltiger Vorrat der Geldware im Anfang der
jüdischen Geschichte bei Israel sich aufgehäuft hatte, der in
privatem Geldvermögen auch wieder aufzutauchen geneigt sein
mußte. Wozu dann nun im Laufe der Jahrhunderte die von
allerwärts her zusammengebrachten Geldvorräte vermehrend
hinzutraten.
Denn später strömten große Massen Bargeld in das Land,
sei es in Gestalt der Tempelsteuer, sei es in Gestalt des Reise-
geldes, das die großen Mengen von Pilgern, die jährlich nach
Jerusalem kamen, dort ließen.
Cicero (pro Flacco c. 28) klagt über das Gold, das jährlich
aus Italien und allen Provinzen nach Jerusalem geht. In der
Tat müssen die auf beide Arten dorthin zusammengeströmten
Geldmassen sehr beträchtlich gewesen sein.
Von Mithridates wird uns erzählt, daß er 800 Talente von
der Tempelsteuer wegnehmen ließ, die auf der Insel Kos depo-
niert waren; Cicero berichtet, daß der räuberische Flaccus in
vier Städten des westlichen Kleinasien, Apamea, Laodicea,
Pergamum und Adramyttium die jüdischen Stempelsteuern (die
auf dem Wege nach Jerusalem waren) an sich riß, und daß die
in Apamea erbeutete 100 Pfund Goldes betragen habe. Gewaltig
groß aber müssen auch die Massen von Menschen gewesen sein,
die jährlich zum Tempel beten kamen. Wenn es auch nicht
gerade 2 700 000 waren, wie Josephus meint, und wenn auch die
Zahl der Synagogen für die auswärtigen Juden in Jerusalem
nicht ganz 380 betragen haben mag, wie derselbe Gewährsmann
berichtet. Jedenfalls war hier ein mächtiger Geldkonflux, der
recht wohl dazu beigetragen haben kann, daß zahlreiche Leute
reich und dadurch befähigt wurden, Geld auf Zinsen auszuleihen.
Vielleicht in erster Linie die Priester, von denen wir wissen,
daß sie reich dotiert und Leihgeschäften nicht abgeneigt
waren 608 .
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Haben die Juden die Geheimnisse des Geldes selbst er-
schlossen ? Haben sie die Technik des Leihverkehrs aus sich heraus
entwickelt oder haben sie sie von den Babyloniern gelernt? Daß
hier in Babylon in voijüdischer Zeit ein reger Geldverkehr be-
standen hat, scheint jetzt fast erwiesen, obwohl wir über seine
Art und Gestalt wenig Zuverlässiges wissen. Das, was die bisher
übersetzten Quellenstellen erkennen lassen , gibt gar keinen
sicheren Anhalt, um festzustellen: wie hoch die Entwicklung
des Geld- und Geldleihgeschäfts gediehen war. Immerhin mögen
die Keime der jüdischen Geldkunst hier bei ihren Vettern von
Babylon liegen. Die Frage, ob dieser oder jener Stamm jener
Völker, die ja doch alle aus gleicher Wurzel getrieben sind, die
ersten goldenen Früchte getragen habe, ist im Grunde ziemlich
nebensächlich. Bedeutsamer — und in seinen Wirkungen durch-
aus klar — ist der Umstand, daß das spätere Schicksal den
Juden die Geldliebe aufnötigte und die Geldkunst anzüchten
muhte.
Ihre Landflüchtigkeit zwang sie ja — seit ihrem Auszug
aus Ägypten — , ihrem Hab und Gut immer beweglichere Formen
zu geben, und unter diesen bot sich das Geld — neben Schmuck-
sachen — als die geeignetste dar. Es wurde ihr einziger Be-
gleiter, wenn sie nackt auf die Straße geworfen wurden; und
ihr einziger Beschützer, wenn man sie quälte und mißhandelte :
sollten sie es nicht lieben lernen, wenn sie mit seiner Hilfe die
Großen dieser Erde sich unterwürfig machen konnten? Das Geld
wurde ihnen — und durch sie der ganzen Menschheit — zum
Mittel Macht zu üben, ohne selbst stark zu sein : mit den feinen
Fäden des Geldleihgeschäfts fesselte ein Volk von kleinen, in
sozialem Sinne ganz unscheinbaren Menschen den feudal-bäuer-
lichen Riesen: wie die Liliputaner den Gulliver banden.
Mit diesen letzten Gedanken habe ich aber abermals an ein
Schicksal der Juden erinnert, das von vielen als ganz besonders
bedeutsam für die Ausbildung ihres Wesens angesehen wird und
das sicher auch nicht ohne eigenartige Wirkung geblieben ist: ihr
Ghettoschicksal.
Daß dieses die gesellschaftliche Stellung der Juden ganz
eigenartig beeinflußt hat, daß es aus ihnen eine verachtete
Pariakaste gemacht hat, ist einleuchtend. Der größte Teil der
Ghettojuden gehörte den sozial niederen Schichten an und wurde
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selbst von seinen Glaubensgenossen als etwas Minderwertiges
empfunden. Der Gegensatz zwischen Ghettojuden und freien
Juden kam ja einst in dem Gegensatz zwischen Aschkenazim
und Sephardim zum sehr greifbaren Ausdruck. Die beiden standen
sich wie feindliche Brüder gegenüber, das heißt genauer: die
Sephardim sahen auf die aschkenazischen Juden mit Verachtung
herab und empfanden sie wie lästige bettelhafte Aufdringlinge.
So schrieb ein deutscher Jude in bitterem Spotte an seinen
sephardischen Glaubensgenossen um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts (als der Gegensatz seine stärkste Spannung erhalten
hatte) wie folgt: 60 *
„Je s$ai, Monsieur, que les Juifs Portugais n’ont de commune
avec les Juifs Allemans qu’une Operation religieuse et que l’ädu-
cation et les mceurs ne laissent entr’ eux aucune ressemblance
reelle quant ä la vie civile. Je s<jai que l’affinite entre les uns
et les autres est d’une Tradition extrement reculee et que le
Gaulois Vercingentorix et l’Allemand Arminius etoient plus
proches parens du beau • Pere d’Herode que vous du Fils
d'Ephraim.“
Ganz ähnlich ließ sich der Sepharde Pinto aus in seiner
bekannten Antwort auf die Angriffe, die Voltaire „gegen die
Juden“ schlechthin erhoben hatte. 610 Pinto legt entscheidenden
Wert darauf, daß die Spaniolen nicht mit den deutschen Juden
„in einen Topf geworfen“ werden: sie seien eben zwei ver-
schiedene Nationen.
„Un Juif de Londres ressemble aussi peu ä un Juif de Con-
stantinople que celui-ci ä un Mandarin de la Chine. Un Juif
Portugais de Bordeaux et un Juif Allemand de Metz paroissent
deux etres absolument differens.“ „Mr. de Voltaire ne peut
ignorer la d£licatesse scrupuleuse des Juifs Portugais et Espagnols
ä ne point se mäler, par marriage, alliance ou autrement avec
les Juifs des autres Nations.“
Wenn ein sephardischer Jude, meint Pinto, in England oder
Holland eine deutsche Jüdin heimführen würde, würde er von
den Seinen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden und
würde nicht e inm al auf ihrem Begräbnisplatz eine Ruhestätte
finden.
Die Gegensätzlichkeit kam in dem äußeren Verhalten nament-
lich der sephardischen Juden, die sich als die Aristokratie inner-
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halb der Judenschaft fühlten, und die sich durch die andringende
Schar der sozial tiefer stehenden Östlinge in ihrer gesellschaft*
liehen Stellung bedroht sahen, oft genug zum Ausdruck.
So setzten im Jahre 1761 die portugiesischen Juden (oder
Marranen) in Bordeaux einen dringenden Befehl durch: daß
sämtliche fremde Juden innerhalb 14 Tagen Bordeaux zu ver-
lassen hätten. Pinto und Pereira waren dabei die treibenden
Kräfte; sie boten alles auf, um die „Landstreicher“ — ihre
eigenen Glaubensgenossen aus Deutschland und Frankreich —
sobald als möglich los zu werden. 611
Wie in Hamburg die sephardischen Juden gleichsam eine
Aufsichtsbehörde gegenüber den Aschkenazim bildeten, die dafür
zu sorgen hatte, daß diese keine Schmutzereien im Handel und
Verkehr verübten, haben wir in einem andern Zusammenhänge
schon in Erfahrung gebracht.
Das Gefühl der Gegensätzlichkeit, das wie gesagt haupt-
sächlich von den Sephardim genährt wurde, hatte seine Wurzeln
vor allem, wie auch schon angedeutet wurde, in dem Gegensatz
der sozialen Stellung. Es wurde aber genährt durch ein stark
aristokratisches Bewußtsein, das die Sephardim erfüllte, weil sie
sich von edlerer Herkunft als die Aschkenazim wähnten : wollten
sie doch sämtlich von den edelsten Familien des Stammes Juda
ihre Abstammung ableiten und waren sie doch von dem echten
Blutsstolze erfüllt, daß diese edle Abstammung für sie in Spanien
und Portugal von jeher ein Antrieb zu großen Tugenden und
ein Schutz vor Lastern und Niedrigkeit gewesen sei.
„L’idäe, oü ils sont assez gönöralement, d’etre issus de la
Tribe de Juda, dont ils tiennent que les principales familles
furent envoyöes en Espagne du temps de la captivitd de Ba-
bylone, ne peut que les porter ä ces distinctions et contribuer
ä cette elövation de sentimens qu’on remarque en eux.“ 6,2
Das gibt zu denken. Und veranlaßt uns vielleicht, die Be-
deutung des Ghetto für die Entwicklung des Judentums richtiger
einzuschätzen als bisher. Jene Auffassung der sephardischen
Juden von Würde und Haltung als höchste Tugenden weist auf
die Möglichkeit hin, daß diese Lebensanschauung, die den Gegen-
satz gegen alles Aschkenazische deutlich empfand, wohl gar die
Ursache war, weshalb die spanisch-portugiesischen Juden kein
Ghetto gehabt haben, und nicht die Wirkung dieser Tatsache.
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Mit andern Worten: es wird sich kaum bezweifeln lassen, daß
ein Teil der Juden nur darum dem Ghettoleben anheim fiel, weil
es seiner Natur nach dazu neigte.
Ob der Grund, weshalb die Einen im Ghetto endigten, die
andern nicht, in der blutsmäßig verschiedenen Veranlagung
der beiden Gruppen gelegen ist; ob (wofür auch vieles spricht)
die sephardischen Juden seit altersher eine soziale Auslese dar-
stellten, läßt sich, wie schon einmal gesagt wurde, mit den
jetzigen Hilfsmitteln nicht entscheiden. Daß hier aber ver-
schiedene Veranlagung das verschiedene Schicksal mindestens
befördert habe, dürfen wir als sehr wahrscheinlich annehmen.
Nur soll man wiederum diese Verschiedenheit der Veranlagung
nicht zu hoch einschätzen: das spezifisch jüdische Wesen wird
durch sie doch nicht in seiner Eigenart berührt. Die letzthin
entscheidenden Züge der jüdischen Psyche sind hier wie dort
dieselben. Nur insofern ist hier also das Ghettoleben von Be-
deutung geworden, als einmal in seinem Dunstkreis eine Menge
von Gewohnheiten, von Praktiken sich ausbildeten, die den
Ghettojuden dann in seiner weiteren wirtschaftlichen Laufbahn
begleiteten und sein geschäftliches Leben oft in eigenartiger
Weise beeinflußten. Es sind zum Teil die Gewohnheiten der
sozial niedrig Stehenden überhaupt, die aber natürlich im jüdischen
Blute ein ganz merkwürdiges Gepräge annehmen: Neigung zu
kleinen Betrügereien, Aufdringlichkeit, Würdelosigkeit, Taktlosig-
keit usw. Sie haben sicher eine Bolle gespielt, als die Juden
daran gingen , die Feste der alten handwerksmäßig-feudalen
Wirtschaftsordnung zu erobern: in dem Kapitel, das vom Auf-
kommen einer modernen Wirtschaftsgesinnung handelt, haben
wir öfters die Wirkungen gerade dieser Charakterzüge feststellen
können.
Nur soll man eben die Bedeutung dieser mehr äußerlichen
Züge nicht übertreiben. Sie mögen für die gesellschaftliche
Stellung der Juden uns persönlich sehr bedeutsam erscheinen:
für ihre wirtschaftlichen Erfolge sind sie doch nur von geringer
Wichtigkeit. Mit ihnen allein wären die Juden sicher nicht zu
ihrer weltbeherrschenden Stellung gelangt.
Viel wichtiger erscheint mir eine andere Wirkung des
Ghetto : daß es nämlich die wirklichen Grundzüge des jüdischen
Wesens stärker und einseitiger hat ausbilden helfen. Wenn dieses,
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wie wir sahen, letzten Endes in dem Mangel an Bodenständigkeit
und W urzelhaftdgkeit sein Gepräge findet, so ist es einleuchtend,
daß ein paar Jahrhunderte Ghettoleben diesen Mangel vergrößern
mußten. Aber auch hier ist nur deutlicher herausgekommen, was
längst im Wesen, im Blute geruht hatte.
Dieselbe Wirkung: nämlich die Eigenart des jüdischen
Wesens zu bekräftigen, hat dann das Ghettoleben auf Umwegen
noch dadurch ausgeübt, daß es die beiden Mächte gestärkt
hat, auf denen zum guten Teile die zähe Konstanz des jüdischen
Wesens beruht, die beide die Funktion gehabt haben : die durch
Auslese herausgebrachten Charaktere weiter einseitig zu be-
einflussen und fest zu erhalten: die Religion und die Inzucht.
Daß die Religion eines Volkes selber aus dessen Wesen
entspringt, wurde oben als die Auffassung ausgesprochen, die
diesen ganzen Ausführungen zugrunde liegt. Aber darum bleibt
es doch wahr, daß eine exklusiv-formalistische Religion, wie die
jüdische, eine ganz gewaltige Wirkung ausüben kann auf die
Wesenheit ihrer Anhänger, insbesondere auf die Vereinheitlichung
und Schematisierung der Lebensführung. In welcher weit-
gehenden Weise die jüdische Religion diese Wirkung ausgeübt
hat, ist seinerzeit ausführlich dargelegt worden: man erinnere
sich nur ihrer rationalisierenden Tendenz, die wir als ihren
Grundzug kennen lernten.
In gleicher Richtung aber: Art erhaltend, Art verstärkend
wirkte, ich möchte sagen, die physiologische Seite der jüdischen
Nationalreligion — denn mit dieser steht sie in engstem Zu-
sammenhänge — , die Inzucht, die, wie wir sahen, die Juden seit
mehreren tausend Jahren geübt haben.
Die Inzucht, sage ich, steht mit der Religion bei den Juden
in engem Zusammenhänge; man wird noch mehr sagen dürfen:
sie ist eine immittelbare Folge der tragenden Idee dieser
Religion : der Auserwählungsidee. Das ist in einer Reihe von Unter-
suchungen in letzter Zeit mit feinem Verständnis nachgewiesen
worden, insbesondere von Alfred Nossig, der sich darüber
wie folgt vernehmen läßt 618 : „Als ein frappantes biologisches
Ergebnis dieser (Auserwählungs-) Idee tritt uns die Tatsache
des Bestehens und der noch immer ungewöhnlichen Lebens- und
Reproduktionskraft der Juden entgegen. Der mosaische Gedanke
eines , ewigen Volkes 4 scheint sich verwirklichen zu wollen.“
ombart, Die Juden 28
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434
Speise* und Ehegesetze sorgen für gute Erhaltung. „Selbst*
verständlich war es dann, dah diese höchsten ethischen Schätze
nicht der Vernichtung auf dem Wege der Vermischung mit*
einander sorgfältig gezüchteter Rassen preisgegeben wurden.
Das Verbot der Mischehen bewirkte es, dah der erste rasse-
bildende Faktor, die Vererbung, seine Wirkungskraft in höchster
Potenz betätigen konnte, indem die angedeuteten Vorzüge
nicht nur unvermindert von Generation auf Generation über-
gingen, sondern dank der Inzucht sich stetig steigerten*. „Die
Inzucht hat also bewirkt, dah durch die ungemein oft fortgesetzte
Vererbung der jüdischen Rassenmerkmale sich diese den Nach-
kommen immer fester aufgeprägt haben, immer intensiver an
ihnen hafteten, sodah es immer schwerer wurde, sie durch Blut-
mischung zu beseitigen oder wesentlich zu verändern. Denn
es ist nachgewiesen, dah, wie jede andere Funktion das Leben-
dige durch Übung verstärkt, so auch die Vererbungsintensität
durch fortgesetzte Inzucht zunimmt 614 “.
Religion und Inzucht waren die beiden eisernen Reifen,
die das jüdische Volk fest umschlossen und als eine einzige
feste Masse durch die Jahrtausende erhalten haben. Und wenn
sie sich lockern? Was wird dann die Wirkung sein? Auf
diese inhaltschwere Frage zu antworten, war hier nicht als Auf-
gabe gestellt. Denn so lange wir die Juden die eigentümliche
Wirkung im Wirtschaftsleben ausüben sahen — also bis heute
— hielten die Reifen fest. Und nur jene Wirkung galt es ja
zu erklären und wiederum nur die Genesis des jüdischen
Wesens galt es zu schildern, aus dessen Eigenart heraus wir
jene wundersame Einwirkung der Juden auf das Wirtschaftsleben
und die gesamte Kultur zu deuten unternommen hatten.
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Quellen und Literaturnachweis
28 *
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Erstes Kapitel
BrnütUangsnethoden — Art and Umfang des Anteils
1 Jak. Fromer, Das Wesen des Judentums (1905), 144. (Ohne
Quellenangabe.)
1 Zeitschrift für Demographie u. Statistik d. Jud. 8, 140. 145.
I J ak. Thon, Taufbewegung der J. in Österreich in [der Z. f. D.
u. St. 4 , 6 ff
4 Thäophile Malvezin, Hist des juife k Bordeaux (1875), 105.
5 Z. B. Luc. Wolf, Jessurun Family in Jewish Quarterly Beyiew
1 (1889), 439 f.]
0 Siehe z. B. Chr. Weise, Histoire des r£fogi6s protest 1 (1853),
104. 877. 879. 383 ; 2, 5.
7 Sigm. Mayer, Die Ökonomische Entwicklung der Wiener J.,
o. J., S. 7.
Zweites Kapitel
Die Tersßhlebang des Vlrtsehaftszentnuns seit dsm 16. Jahrinuulert
8 Über das Schicksal der Marranen in Portugal zusammenfassend
M. K ay s e r 1 i n g , Gesch. der J. in^Portugal (1867), 84 ff. 167 ff Einzelheiten
namentlich der späteren Zeit bei J. JBL Gottheil, ,The Jews and the
Spanish Inquisition in The Jew. J Quart Rev. 15 (1903), 182 ff Elk an
N. Adler, Auto da F6 and Jew ib. VoL XIII. XIV. XV; neuerdings
(1907) unter demselben Titel zu einem selbständigen Buche erweitert, das
viel interessante Details enthält
• Vgl. z. B. Sieveking, Genueser Finanzwesen 2 (1899), 167 mit
Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten usw. 1 (1714), 128.
10 Bisbeck, Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an
seinen Bruder in Paris. 1780. Auszüge bei H. Scheube, Aus den Tagen
unserer Großväter (1878), 382 ff.
II Besonders gut unterrichtet sind wir über die Geschichte der J.
in Bordeaux durch das ausgezeichnete Werk von Th4oph. Malvezin,
Les juifs k B. 1875; es ist unschätzbar wegen der großen Fülle lehrreichen
Tatsachenmaterials, das es enthält (auch unter wirtschaftlichem Gesichts-
punkt). Über die Schicksale der J. in Marseille [bringt einige Angaben
Jonas Weyl, Les juifs protägäs fran^ais aux 4chelles du Levant et en
Barbarie etc. in der Revue des 6tudes juives. 12 (1886). Über die J. in
Bouen: Gosselin, Doc. inädits pour servir k l’histoire de la marine
normande et du commerce rouennais pendant les XVI. et XVH. si&des.
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1876. Pigeonneau, der dies Buch zitiert (Hist du commerce 2, 123),
spricht natürlich nur von „Esp&gnols et Portugals naturalMs*.
Zu vergleichen auch Maignial, La question juive en France en
1789, Paris 1908. Dieses Buch verdient als ein besonders wertvoller Bei-
trag zur judaisti sehen Literatur ebenfalls hervorgehoben zu werden. Es
ruht auf breiter Kenntnis der Quellen und ist mit Besonnenheit und Klug-
heit geschrieben. Es gibt nicht nur einen guten Einblick in den Stand
der „Juden frage“ in Frankreich zur Zeit der Revolution, sondern unter-
richtet auch über die Entwicklung des Judenproblems bis 1789 und enthült
zahlreiche Ausführungen , die zur Beurteilung des allgemeinen Problems
wertvolle Beitrüge liefern.
In Paris ist die Zahl der J. bis ins 19. Jahrhundert offenbar nicht
sehr groß, obwohl sie auch dort (wie wir noch sehen werden) schon früher
eine bedeutende Rolle spielen. Monographisch genau berichten über die
Schicksale der J. in Paris wühlend des 18. Jahrhunderts die Bücher von
Läon Kahn, Les juifs ü Paris depuis le VL si&de, 1889; Les juif sous
Louis XV, 1892, und Les juifs ü Paris au XVIII. sc. 1894. Nur erführt
man (wie so oft bei dieser Art Literatur) gerade das nicht, was man gern
erfahren möchte.
Viel Material für die Geschichte der J. in Frankreich in der Revue
des ätudes juives. Seit 1880. Eine zusammenfassende Darstellung fehlt.
18 Die Geschichte der J. in Holland hat ihren Darsteller ge-
funden in H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland 1843.
Das Werk ist heute als Gesamtdarstellung noch nicht überholt Viel
neues Material findet sich in den judaistischen Zeitschriften Hollands.
Von selbstündigen Schriften würen etwa noch zu erwühnen
M. Henriquez Piment el, Geschiedkundige A an teekeningen betreffende
de Portugesche Israeliten in den Haag, 1876.
Sam. Back, Die Entstehungsgeschichte der portugiesischen Gemeinde
in Amsterdam. S. A. 1883.
E. Italie, Geschiedenes der Israelitischen Gemeente te Rotter-
dam, 1907.
18 Ranke, Französische Geschichte S 8 , 350.
14 Schudt, Jüd. Merkwürdigkeiten 1 (1714), 271. VgL S. 277 £
15 Außer der in Anm. 11 zitierten Literatur: Carmoly in der Rerrue
orientale 1 (1841), 42 ff. 168 ff. nam. 174 f. und Graetz, G. d. J. 9, 292.
354 f. 490.
19 Siehe namentlich L. Guiccardino, Totius Belgii Descriptio (Ausg.
v. 1652), 129 seq. und vgl. R. Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2 (1896), 3ff
17 Siehe z. B. Macaulay 4, 820 ff. und Ehrenberg, Zeitalter der
Fugger 2 (1896), 303 ff
18 Die Literatur zur Geschichte d. J. in England ist reich an vor-
trefflichen Darstellungen. Noch immer eine reiche Fundgrube (wenn
natürlich auch mit Vorsicht zu benutzen) ist das Werk: Anglia Judaica or
the History and Antiquities of the Jews in England . . . by D'Blossiers
T o v e y. 1738. Unter den neueren Erscheinungen der judaistischen Literatur
hat bahnbrechend gewirkt das für seine Zeit hervorragende Buch von
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James Picciotto, Sketches of Anglo-Jewish History. 1875. Leider ist
das (auch an ökonomischen Realien) reiche Material nicht immer „quellen-
mäßig“ belegt Die Geschichte der Wiederkehr der J. nach England hat
sehr eingehend, unter vorwiegend rechtshistorischem Gesichtspunkt, ge-
schrieben H. S. Q. Henri qu es, The Return of the Jews to England. 1905.
In allerletzter Zeit ist eine vortreffliche Gesamtdarstellung der
englisch-jüdischen Geschichte erschienen von Albert M. Hy am so n, A
history of the Jews in England. 1908. H. hat mit großem Geschick die
außerordentlich reichhaltige judaistische Spezialforschung der letzten Jahr-
zehnte zu verwerten gewußt und hat auf ihrer Grundlage ein abgerundetes
Bild von der Geschichte der Juden in England entworfen. Die Ergebnisse
der Sonderstudien sind vornehmlich niedergelegt in der Jewish Quarterly
Review, die seit 1889 erscheint. Neben dieser sehr reichhaltigen Zeit-
schrift sind zahlreiche Einzelpublikationen erschienen , auf die am
passenden Orte zu verweisen sein wird. Besonders genannt seien nur
noch die Publ. of the Anglo-Jewisch History Exhibition. 1888 ff.
18 » Siehe für die Vor- Crom wellsche Zeit namentlich L. Wolf, The
Middle- Age of Anglo-Jewish History 1290—1656 in den Publ. of the Anglo-
Jew. Hist Exh. Nr. 1 (1888), p. 53—79. Für die Stellung der J. in England
schon am Ende des 15. Jahrhunderts ist bezeichnend, daß ein Jude ohne
Bedenken einen Prozeß beginnt und Aussicht hat, ihn zu gewinnen. Über
Elisabeths Vorliebe für hebräische Studien und ihren Verkehr mit J.
a. a. 0. S. 65 ff. Ende des 16. Jahrhunderts finden sich J. in England schon
als industrielle Unternehmer. Cal. of State Pap. Docm. 1581—1590 p. 49,
zit ib. p. 71. Nach der Elisabeth (1603—1656) muß es zahlreiche J. in
England gegeben haben. In der 1625 erschienen Flugschrift The Wande-
ring Jew Telling Fortunes to Englishmen (1. c. p. 72) heißt es: „A störe
of Jews we have in England; a few in Court; many i’ the citty; more in
the country.“
19 Anglia Judaica p. 302 „as I have been well inform’d“ schreibt
der Verfasser.
80 Über die ehemaligen Judengemeinden in Nürnberg in der Allg.
Judenzeitung 1842 Nr. 24. Vgl. auch den 8. Jahresbericht des Histor.
Vereins f. Mittelfranken und M. Brann, Eine Sammmlung Fürther Grab-
schriften. S.A. aus dem Gedenkbuch z. E. an Dav. Kaufmann (1900).
91 Die außerordentlich interessanten Urkunden sind abgedruckt bei
Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus Venedig im Jahre
1550 in The Jew. Quart Rev. 18 (1901), 520 ff.
98 Alb. M. Hyamson, A History of the Jews in England (1908) 174 f.
88 Maur. Bloch, Les juifs et la prospäritö publique k travers
Thistoire (1899), 11. Die Ordonnanz enthält die denkwürdigen Worte:
„Von s devez bien prendre garde que la jalousie du commerce portera tou-
jours les marchands k ötre d’avis de les chasser.“ In ähnlichem Sinne ist
eine Anweisung an den Gouverneur der Kolonie abgefaßt. Siehe den
Text bei Cahen in dem zweiten der Anm. 80 zitierten Aufsätze.
94 Th4oph. Malvezin, Les juifs k Bordeaux (1875), 132.
26 Th. Malvezin, 1. c. p. 175.
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440
88 Nach archivalischen Urkunden Salom. Ullmann, Studien zur
Gesch. der J. in Belgien bii zum 18. Jahrhundert (1909X 84 ff
tt 6mile Ouverleaux, Notes et documents surlesjuifs deBelgique
in der Bev. des 6tudes juives 7, 282.
<s Collect of State Papers (Thurloe) 4, 383. Vgl. auch noch den
Brief Whalleys ibicL p. 808.
w Joh. Müller in seiner judenfeindlichen Schrift (Judaismus), 1644.
Verteidigung des Senats aus den Jahren 1660 — 1669 bei Beils, Beiträge
zur älteren Geschichte der J. in Hamburg in der Zeitschrift des V. f.
Hamb. Gesch. 2, 412.
80 Zit bei Ehrenberg, Große Vermögen*, 146.
81 M. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden bis zur Auflösung der
Dreigemeinden 1811 (1904), 21.
88 Arnold Kiesselbach, Die wirtschafte- und rechtsgeschichtliche
Entwicklung der Seeversicherung in Hamburg (1901), 24.
Drittes Kapitel
Die Belebung des Internationalen Warenbandeis
88 Alb. M. Hyamson, A Hist of the Jews in E., 178.
84 Anglia Judaica, 292.
88 Hauptsächlich durch die fleißige Arbeit von Bich. Markgraf,
Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig von 1664—1889
(InJDiss. 1894), der auch die Ziffern im Texte entnommen sind. Für einen
kleinen Zeitraum, die Jahre 1675 — 1699, ist die Untersuchung Markgrafs
sogar noch überholt worden durch die Studien von Max Freudenthal,
Leipziger Meßgäste in der Monatsschrift 45 (1901), 460 ff. Überholt insofern,
als Freudenthal aus den Meßbüchern selber schöpft, während Markgraf
nur die auf ihnen beruhenden späteren Aktenstücke des Staatsarchivs in
Leipzig benutzt hat Das Ergebnis ist dies: daß die Originalquellen eine
beträchtlich größere Anzahl jüdischer Meßfieranten aufweisen als die
späteren Aktenstücke. Freudenthal hat für den Zeitraum von 1671 — 1699
als Besucher der Messen 18 182 Volljuden ermittelt (das heißt ohne die,
die Frei-, Kammer- und Einkaufspässe hatten), während die gleiche Ziffer
bei Markgraf für diese Jahre nur 14705 beträgt Der Aufsatz Freudenthals
enthält die ausführliche Liste sämtlicher Meßbesucher bis 1699, nach
Herkunftsorten geordnet Er ist selbständig erschienen u. d. T. : Die
jüdischen Besucher der Leipziger Messe, 1902.
88 Markgraf a. a. O. S. 93; Freudenthal a. a. O. S. 465. Vgl.
auch B. Funke, Die Leipziger Messen (1897), 41.
87 Siehe z. B. Nr. 21 des Judenreglements von 1710 bei Chr. Ludw.
v. Griesheim, Die Stadt Hamburg, Anmerkungen und Zugaben (1759),
S. 95.
88 E. Baasch, Hamburgs Seeschiffahrt und Warenhandel usw. in
der Zeitschrift des Ver. f. Hamburg. Gesch. 9 (1894), 816. 824. VgL
A. Feilchenfeld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinden in
Hbg. Ztschr. 10 (1899), 199 ff
89 Encyclop4die mäthodique. Manufactures 1, 403/404.
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40 Über diese Zusammenhänge spricht ausführlich H. J. Koenen,
Geschiedenes der Joden in Nederland (1848), 176 ff. Zu vergleichen etwa
noch H. Sommershausen, Die Geschichte der Niederlassung der Juden
in Holland und den holländischen Kolonien in der Monatsschrift, Band 2.
41 Juwelen- und Perlenhandel: in Hamburg s. Griesheim
a. a. 0. S. 119. Norddeutschland , Persönliche Mitteilung des Herrn
Dr. Bemfeld in Berlin.* Holland (Begründer der Diamantschleifereil)
Jewisch Enc. Art. Netherlands 9, 281. £. E. Danekamp, Die Amster-
damer Diamantindustrie 1895, zit bei N. W. Gold stein, Die J. in der
Amsterdamer Diamantindustrie (Zeitschrift für Dem. und Stat d. J. 8,
178 ff.).; in Bedien Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus
Venedig usw. (Jew. Quart. Bev. 18 , 520 ff.).
Handel mit Seide und Seidenwaren: Die Juden haben Jahr-
tausende lang den Seidenhandel (und die Seidenzucht) gepflegt. Sie bringen
die Seidenindustrie aus Griechenland nach Sizilien und später nach Spanien
und Frankreich. Einiges bei Graetz, G. d. J. 6 Ä , 244. Im 16. Jahr-
hundert finden wir sie als Herren des Seidenhandels in Italien. Dav.
Kaufmann a. a. 0.; im 18. Jahrhundert in Frankreich, dem Zentrum
der Seidenindustrie sowie des Seiden- und Seiden warenhandeis. Im Jahre
1760 nennt der Vorstand der Lyoner Seidenzunft die jüdische Nation
„Maitresse du commerce de toutes les provinces“ (für Seide- und Seiden-
waren). Bei J. Godard, L’ouvrier en soie (1899), 224. 1755 gibt es 14,
1759 22 jüdische Seiden Warenhändler in Paris. Kahn, Juifs de Paris
sous Louis XV, 68. In Berlin beherrschen sie diesen Handelszweig fast
ausschließlich.
4 * Wie die Juden fast allein den Wiener Textil waren -Engroshandel
(aus dem alten Meßhandel heraus) entwickeln, hat anschaulich aus seiner
persönlichen Erfahrung heraus geschildert S. Mayer, Die ökonomische
Entstehung der Wiener Jud., o. J., S. 8 ff.
Eine Verordnung des Nürnberger Rats vom 28. 12. 1780 bezeichnet
als „Judenware“: Samt, Seide und Wolle. H. Barbeck, Gesch. d. Jud. in
Nürnberg und Fürth (1878), 71.
4S Zuckerhandel: mit der Levante : Lippmann, Geschichte des
Zuckers (1890), 206; Dav. Kaufmann a. a. 0.; mit Amerika: M. Grun-
wald, Portugiesengräber auf deutscher Erde (1902), 6 ff.; A. Feil che n-
feld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinde in Hamburg in der
Ztschr. des Ver. f. Hamb. Gesch. 10 (1899), 211. Vgl. auch Risbeck,
Briefe usw. 1780.
Tabakhandel: A. Feilchenfeld a. a. 0.
Im übrigen ist hier auf den Teil dieser Darstellung zu verweisen,
der von dem Anteil der J. an der Begründung der modernen Kolonial-
wirtschaft handelt.
44 „Controlling the Cotton Trade“: Artikel „America“ U.S.A. in der
Jew. Encycl. 1, 495 ff.
45 Nachweislich z. B. für Hamburg: A. Feilchenfeld a. a. 0.
46 Moses Lindo, Hauptförderer der Indigogewinnung; kommt 1756
nach Süd Carolina und legt 120000 £ Indigo an. Von 1756 — 1776 ver-
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funffacht sich die Ind.Produktion. L. wird Generalinspektor des Indigo.
B. A. Elgas, The Jews of South Carolina 1908; zit. im Art South Carolina
der Jew. Encyci.
47 Risbeck, Briefe nsw. (1780). Band II nnter Frankfurt
48 Text bei Bloch, Les jnifs (1899), 86.
48 Rieh. Markgraf a. a. O. S. 98.
80 Siehe z. B. Alb. M. Hyamson, Hist, of the Jews in England,
174 f. 178 oder den Bericht des Magistrats von Antwerpen an den Bischof
von Arras bei Sal. Ullmann a. a. 0. S. 85 („große Reich tümer haben
sie aus ihrer Heimat mitgebracht, insbes. Silber, Juwelen und viele
Dukaten“).
Viertes Kapitel
Die Begründung der modernen Kolonlalwirtschaft
81 Als D. Isaak Abravanel seinen Kommentar zum Buche Jeremias
schrieb (1504), sah er ein Schreiben, das die mit Gewürzen ans Indien
kommenden Potugiesen mitbrachten. Darin berichteten sie , daß sie dort
viele Juden angetroffen hatten. Abr. Comm. cap. 3 zit. bei M. Kayser-
ling, Chr. Columbus (1894), 105. Vgl. Bloch, 1. c., 15.
88 Wie Manasseh ben Israel in seiner Denkschrift an Cromwell hervor-
hebt Dis Denkschrift ist Öfters abgedruckt. Siehe z. B. Jewish Chronicle
1859. Nov. Dec. Deutsch von Kayserling im Jahrbuch d. Liter. Ver.
1861. Vgl. de Barrios, Hist, universal Judayca, p. 4.
88 G. C. Klerk de Rens, Geschichtlicher Überblick der . . . nieder-
ländisch-ostindischen Compagnie (1894), XIX; über die Heldentaten Coens
ebenda XIV ff.
84 J. P. J. Du Bois, Vie des gouvemeurs g6n6raux . . . orn6e de
leurs portraits en vignettes au naturel etc. 1768.
88 Tu B. Franc. Salvador. Siehe Art. Salvador in der Jew. Enc.
und Alb. M. Hyamson, 264.
88 1569 rüsten reiche Amsterdamer Juden die Barentzsche Expedition
in die Karasee aus. M. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden (1904), 215.
87 Siehe den Artikel South Africa in der Jew. Enc. und die dort ver-
zeichnet« reiche Literatur.
88 Rabbi Dr. J. fl. Hertz, The Jew in South Africa. Johannes-
burg 1905.
89 Artikel „Commerce“ in der Jew. Enc. 4, 491.
60 Die Literatur über die Beziehungen der Juden zu
Amerika ist ganz außergewöhnlich reichhaltig. Ich will hier keine Über-
sicht geben, will vielmehr auf die weiter unten einzeln namhaft gemachten
Werke verweisen, möchte aber doch wenigstens einige der wichtigsten
Schriften und namentlich einige Sammelwerke gleich hier nennen.
Naturgemäß ist zunächst die Jewish Encyclopedia, da sie in
Amerika erschienen ist, besonders ausgiebig an guten Artikeln just über
amerikanische Verhältnisse. Dann sind ein wahres Arsenal von Nach-
richten über jüdisch-amerikanische (Wirtschafts-)Geschichte namentlich in
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den Kolonien Nord- und Südamerikas während des 17. and 18. Jahrhunderts
die Transactions of the Jewish Historical Society of America. Seit
1895. Mancherlei interessante Angaben enthält die Sammlung von Reden
und Aufsätzen: The 250 anniversary of the Settlement of the Jews in the
UJ3.A. 1905.
Gesamtdarstellungen der jüdisch-amerikanischen Geschichte: Mar*
keus, The Hebrews in America; C. P. Daly, History of the Settlement
of the Jews in North America. 1893. M. C. Peters, The Jews in
America. 1906.
(Die beiden erstgenannten Werke habe ich nicht einsehen können:
sie sind im Buchhandel nicht aufzutreiben, nnd keine deutsche öffentliche
Bibliothek, auch die judaistischen Spezialbibliotheken nicht, besitzt sie. Nach
dem, was man über ihren Inhalt erfährt, darf man annehmen, daß sie
durch die neueren Untersuchungen, namentlich die der Transactions,
überholt sind.) *
61 Eine besondere Literatur hat sich (ans Anlaß der 400jährigen
Columbusfeier) damit beschäftigt, den Anteil festzustellen, den die Juden
an der Entdeckung Amerikas selbst genommen haben. Die gründ-
lichste, durchgängig auf guten, ersten Quellen fußende Untersuchung ist
die von M. Kayserling, Christoph Columbus und der Anteil der
Juden usw. 1894. Außerdem sind zu nennen folgende Arbeiten (die ich
jedoch nur aus zweiter Hand kenne): F. Rivas Puiqcerver, Los
Judios y el nuevo mundo, 1891; L. Modona, Gli Ebrei e la scoperta
delP America, 1893. Zu vergleichen der Artikel America, (The Discovery
of) in der Jew Enc., sowie die Address by Oscar S. Strauss in The 250
anniveroary of the Settl. of the J. in UJ3., 69 ff.
88 M. Kayserling a. a. O. S. 112: Juan Sanchez aus Saragossa,
der erste Kaufmann. Vgl. auch desselben Verfassers Arbeit The Coloni-
zation of America by the Jews in der Am. Jew. Hist Soc. 2, 73 ff., wo
der Zusammenhang zwischen der Kolonisation Amerikas und der Ver-
treibung der Juden aus und ihrer Drangsalierung in Spanien und Portugal
anschaulich geschildert wird.
68 G. F. Knapp, Ursprung der Sklaverei in den Kolonien im Archiv
f. Soz. Pol 2, 129 ff.
64 Oscar S. Strauss a. a. O. p. 71.
48 Ritter, Über die geographische Verbreitung des Zuckerrohrs in
den Berichten der BerL Akad. 1839 , 397(?), bei Lippmann, Gesch. d.
Zuckers (1890), 249.
66 Nach Max J. Köhler, Phases of Jewish Life in New York before
1800 (Am. Jew. Hist Soc. 2, 94).
87 Jew. Enc. Art. „America“. VgL G. Al. Kohut, Lee Juifs dans Les
colonies hollandaises in der Rev. des ätudes juives 81 (1895), 293 f.
68 H. Handelmann, Geschichte von Brasilien (1860X 412.
88 P. M. Net sch er, Les Hollandais au Bräsil (1853), 1. Über die
reiche, jüdische Familie der Souza: M. Kayserling, Gesch. der J. in
Portugal (1867), 307; M. Grunwald, Portugiesengräber (1902), 123.
70 Max J. Köhler, Phases etc. Transactions 2, 94.
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444
71 Je w. Enc. Art. „America“.
79 Transactions 2, 95. YgL auch Nets eher L c. p. 108.
78 Eine eigentliche Vertreibung fand nicht statt Den Joden wurde
in dem Friedensvertrage von 1654 sogar Amnestie gewährt; dann aber
wurde die Bemerkung hinzugefügt: „Juden und andere Nichtkatholiken
•ollen wie in Portugal behandelt werden“. Das genügte ja! Der Friedens-
vertrag ist im Wortlaut abgedruckt bei Aitzema, Historia etc. 1626 ff, zit
bei Netscher a. a. O. p. 163.
74 H. Handelmann, Gesch. v. Brasil., 412/134*
78 Juden in Barbados : John Camden Hatten, The Original
Liste etc. (1874), p. 449; Ligon, History of Barbados, 1657, zit. beiLipp-
mann, Gesch. d. Zuck. (1890), 301 ff.; Reed, The History of sogar and
sogar yielding plante (1866), 7 dsgL; More ly, Abh. über den Zucker,
deutsch von Nöldechen (1800) dsgL; M.’Culloch, Dict of Commerce 2,
1087. Zu vergleichen sind natürlich auch die allgemeinen kolonial-
historischen Werke, also vor allem etwa C. P. Lucas, A historical Geo-
graphy of the British Coloniee, z. B. 2« (1905), 121 f. 274. 277.
7e Juden auf Jamaica: M. Kayserling, The Jews in Jamaica etc.
in The Jewish Quarterly Review 12 (1900), 708 ff. ; Alb. M. Hyamson,
A Hist of the Jews in England (1908), Ch. XXVI. Viel Belege aus zeit-
genössischen Quellen bei Max J. Köhler, Jewish activity in American
Colon. Commerce in den Publ. 10, 59 ff.; derselbe, Jew. Life etc., Am.
Jew. Hist Soc. 2, 98.
77 Brief des Gouverneurs vom 17. 12. 1671 an den Staatssekretär Lord
Arlington bei M. Kays erlin g in dem Anm. 76 zitierten Aufsatz p. 710.
78 Monumental Inscriptions of the British West Indies colL by Capt
J. H. Lawrence Archer. Introd. p. 4 bei Köhler, Jew. Life a. a. O.
p. 98.
79 Juden in Surinam : Die wichtigste Quelle ist der Essai sur la
Colonie de Surinam avec l’histoire de la Nation Juive Portugaise y
ätablie etc., 2 Vol. Paramaribo 1788. Koenen, der in seiner Geschiedenes
der Joden in Nederland (1843), 313 f. einiges daraus mitteilt, nennt ihn
„de hoofdbron . . . voor de geschiedenes der Joden in die gewesten“.
Leider habe ich das Original selbst nicht einsehen können. Die neuere
Literatur hat viel neues Material zutage gefördert: Bich. Gott heil,
Contributions to the history of the Jews in Surinam (PubL 9, 129 ff); ent-
hält Auszüge aus den Katasterkarten; J. S. Boos, Additional Notes on
the History of the J. of S. (Publ. 18, 127 ff); P. A. Hilfman, Some further
Notes on the History of the J. in S. (Publ. 16, 7 ff). Über die Beziehungen
zwischen S. und Guiana : Sam. Oppenheimer, An early Jewish Colony
in Western Guiana 1658 — 1666 and its relation to the Jews in Surinam,
Cayenne and Tobago. (Publ. 16, 95—186). Vgl. auch Hyamson L c.
Ch. XXVI und C. P. Lucas L c.
80 Juden in Martinique, Guadeloupe und S. Domingo: Lipp-
mann, Gesch. d. Zuckers (1890), 301 ff, wo auf Quellen und frühere
Literatur verwiesen ist. Ab. Cahen, Les juifs de la Martinique au
XVII sc. (Revue des ötudes juives VoL II); idem, Les juifs dans les
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445
Colonies fran$aises an XVIII sc. (Revue Vol. IV. V). Handelmann,
Gesell, der Ins. Hayti 1856.
81 Luc. Wolf im Jew. Chronicle 30. 11. 1894, zit. bei Köhler in den
Transactions 10, 60.
8t The 250 anniversary of the Settlement of the Jews in the U.S.
(1905), 18.
88 The 250 anniversary etc.
84 John Moody, The truth about the trust (1905), 45 ff. 96 und öfter.
85 Artikel „California“ in der Jew. Enc., der mit ganz besonderer
Sachkunde und Gründlichkeit verfaßt ist
88 Nach einer anderen Ansicht sollen schon vor den brasilianischen
Flüchtlingen reiche jüdische Handelsherrn aus Amsterdam sich in der
Kolonie am Hudson angesiedelt haben. Albion Morris Dyer, Points
in the first chapter of New York Jewish History, Am. Jew. Hist Soc.
8, 41 ff.
87 Der Wortlaut des Briefes aus den Doc. rel. to the CoL Hist of
New York 14, 315 mitgeteilt bei Max J. Köhler, Beginnings of New
York Jewish History (Am. Jew. Hist Soc. 1, 43).
88 Siehe z. B. Transactions 1, 41 ff.; 2, 78; 10, 63. Max J. Köhler,
Jews in New Port (Publ. 6, 69 ff.). K. zitiert öfters Judge Daly, Settle-
ment of the Jews in North America. 1893.
89 Address by Governor Pardel of California in The 250 anniversary
of the settlement of the J. in the U.S. (1905), 173.
90 Art. „Alabama“ in der Jew Enc. Vol. I.
91 Art. „Albany“ in der Jew. Enc. Vol. I.
99 B. Felsenthal, On the History of the Jews of Chicago (Publ. 2,
21 ff.); H. Elia 88 of, The Jews of Chicago (Publ. 11, 117 ff).
98 Lewis N. Dembitz, Jewish Beginnings in Kentucky (PubL 1, 99).
94 J. H. Holländer, Some unpublished material relating to Dr. Jacob
Lumbrozo of Maryland (Publ. Vol. I).
98 David E. Heinemann, Jew. Beginnings in Michigan before
1850 (Publ. 18, 47 ff).
98 David Philipson, The Jewish Pioneers of the Ohio Valley
(PubL 8, 43 ff).
97 Henry Necarsulmer, The early Jew. settlement at Lancaster
Pa. (Publ. 8, 27 ff).
98 Henry Cohen, The Jews in Texas (Publ. 4, 9ff); idem, Henry
Castro, Pioneer and Colonist (Publ. 5, 39 ff). Über andere jüdische Land-
händler finden sich Angaben bei Herb. Friedenwald, Some News paper
advertisement of the 18. cent. (Publ. Vol. VI).
99 Einiges aus dem Leben der amerikanisch-jüdischen Familie Seligman
aus Bayersdorf in Bayern in Brülle Monatsblättern, 26. Jahrg. (1906)?
141 ff.
100 Leon Hühner, The Jews of Georgia in Colonial Times (PubL
10, 65 ff.); idem, The Jews of South Carolina from the earliest Settlement
to the End of American Revolution (Publ. 12, 39 ff); Chas. C. Jones,
The settlement of the Jews in Georgia (Publ. 1, 12).
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101 B. A. Elzas, The Jews of South Carolina 1903; zit. im Art.
South Car. in der Jews Enc.
188 Leon Hühner, Asser Levy, a noted Jew. Burgher of New
Amsterdam (Publ. 8, 13). Vgl. noch idem, Whence came the first jewish
•ettlers of New Yoik (Publ. 9, 75 ff.); Max J. Köhler, Civil Status of the
Jews in Colonial New York (Publ. 6, 81 ff.).
188 Über die Juden (die in jüdischer Sprache Geschäfte machen) im
18. Jahrhundert in New York J. A. Doyle, The Colonies ander the
House of Hannover (1907), 31.
104 Chas. C. Jones, The Settlements of the Jews in Georgia (Publ.
I, 6, 9).
108 M. Jaff6, Die Stadt Posen (Schriften des Vereins £. 8.P. 119,
II, 151).
104 Hon. Simon Wolf, The american Jews as soldier and patriot
(Publ. 8, 39).
181 Nach Dr. Fischells Chronological Notes of the History of the Jews
in America.
Fünftes Kapitel
Die BeerflnduiD des modenkeik Staates
108 Luc. Wolf, The First English Jew. Repr. from the Transactions
of the Jew. Hist. Soc. of England. Vol. TL Zn vergleichen Alb.
M. Hyamson, A Hist of the Jews in E. (1908), 171 — 173«
108 Hyamson 1. c. p. 269. J. Picciotto, Sketches of Anglo-Jewish
History (1875), 58 ff.
110 Th. L. Lau, Einrichtung der Intraden und Einkünfte der Sou-
veräne usw. (1719), 258.
1,1 Angeführt bei Liebe, Das Judentum (1903), 75.
118 Artikel Banking in der Jew. Enc.
118 Mämoire der Juden von Metz vom 24. 3. 1733, im Auszuge ab-
gedruckt bei Bloch 1. c. p. 35.
1,4 Angeführt bei Bloch L c. p. 23.
115 Auszüge aus den Lettres patentes bei Bloch 1. c. 24.
1IÄ Über die Gradis: Th6oph. Malvezin, Les juifs k Bordeaux
(1875), 241 ff. und H. Gr ätz, Die Familie Gradis in der Monatsschrift 24
(1875), 25 (1876). Beide, auf guten Quellen fußenden, Darstellungen sind
unabhängig voneinander.
1,T M. Capefigue, Banquiers, fournisseurs etc. (1856), 68., 214 und
öfters.
118 Mitgeteilt in der Revue de la Revolution fran$aise 16. 1. 1892.
118 Historische Nachlese zu den Nachrichten der Stadt Leipzig, ed.
M. Heinrich Engelbert Schwartze (1744), 122, zit bei Alphon se Levy,
Geschichte der Juden in Sachsen (1900X 58.
1,0 Bondy, Zur Geschichte der Juden in Böhmen 1, 388.
181 Alle drei Fälle entnehme ich G. Liebe, Das Judentum (1903),
43 f., 70, der sie ohne Quellenangabe mitteilt
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128 (König), Annalen der Jaden in den preußischen Staaten, be-
sonders in der Mark Brandenburg (1790), 93/94.
184 Reskript vom 28. Juni 1777; abgedruckt bei Alphonse Levy,
Die J. in Sachsen (1900), 74; S. äaenle, Gesch. d. J. im ehemal. Fürsten-
tum Ansbach (1867), 70.
184 Gesichte Philanders von Sittewaldt das ist Straffs-Schriften Hanss
Wilh. Moscherosch von Wilst&tt (1677), 779.
185 F. von Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890^
132 ff. Samuel Oppenheimer, „Kaiserlicher Kriegsoberfaktor und Jud“, wie
er offiziell bezeichnet wurde und sich auch selbst zu unterfertigen pflegte,
schloß namentlich in den Feldzügen des Prinzen Eugen „fast alle be-
deutenden Proviant- und Munitionslieferungsverträge“ ab (S. 133).
186 Siehe z. B. die Eingabe der Wiener Hofkanzlei vom 12. Mai 1762 bei
Wolf, Gesch. d. JucL in Wien (1894), 70; Komitatsarchiv Neutra Iratok;
XK/3336 (für Mähren), nach einer Mitteilung des Herrn stud. Jos. Reizman ;
Verproviantierung der Festungen Raab, Ofen und Komorn durch Breslauer
Juden (1716): Wolf a. a. O. S. 61.
127 Herb. Friedenwald, Jews mentioned in the Journal of the
Continental Congress (Publ. of the Amer. Jew. Hist. Soc. 1, 65 — 89).
188 Da ich die wichtigsten Werke der Literatur, die sich auf die
(Wirtschaftsgeschichte der Juden in England, Frankreich, Holland und
Amerika bezieht, schon namhaft gemacht habe (siehe Anm. 11. 12. 18. 60), so
möchte ich hier das Versäumte für Deutschland und Spanien nachholen. Für
Deutschland fehlt leider bis heute eine zusammenfassende Darstellung,
sodaß wir darauf angewiesen sind, uns unser Wissen aus lokalen Mono-
graphien und Zeitschriftaufsätzen zusammen zu tragen, soweit wir nicht
aus den Quellen selbst zu schöpfen vermögen; aber das ist natürlich bei
einer Arbeit wie dieser, die ganz große Zusammenhänge aufdecken will,
nur in seltenen Fällen möglich. Im ganzen ist festzustellen, daß die juda-
istische Geschichtschreibung in und für Deutschland auch nicht von ferne
die Leistungen aufzuweisen hat, wie die in anderen Ländern, namentlich
England, Frankreich und den Vereinigten Staaten. Vor allem ist das öko-
nomische Moment immer besonders stiefmütterlich behandelt und die Ausbeute,
die uns Werke wie das von L. Geyer, Die Geschichte der Juden in Berlin,
2 Bde, 1870/71, gewähren, ist nur gering. Neuerdings hat ein Schüler von
mir, Herr Ludwig Davidsohn, das Berliner Staatsarchiv gründlich auf Nach-
richten über die wirtschaftliche Stellung der Juden hin durchgearbeitet
Die Ergebnisse sind noch nicht gedruckt, von mir aber teilweise schon ver-
wendet Mehr Material enthalten die Bücher von M. Grunwald, Portu-
giesengräber auf deutscher Erde; und Hamburgs deutsche Juden bis zur
Auflösung der Dreigemeinde. 1904. Für manche Einzelheit sind (mit Vor-
sicht) zu gebrauchen (König), Annalen usw. 1790, sowie das Werk: Die
Juden in Österreich. 2 Bde. 1842.
Im übrigen ist man (soweit nicht die allgemeinen Werke über die
Geschichte der Juden noch in Betracht kommen) auf die in wirtschafts-
historischer Hinsicht außerordentlich dürftigen judaistischen Zeitschriften
angewiesen. Unter ihnen hat wohl für unsere Zwecke die größte Be-
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deutung die Monatb 8 ehr ift für Geschichte und Wissenschaft des Juden-
tums (seit 1851), während die Allgemeine Zeitung des Judentums
(seit 1837) und Adolf Brülle Populärwissenschaftliche Monatsblfttter usw.
(seit 1888) im wesentlichen jüdisch-propagandistische Zwecke verfolgen.
Die gutgeleitete Zeitschrift für Demographie und Statistik des
Judentums (seit 1905) befaßt sich mit wirtschaftsgeschichtlichen
Studien nur ganz gelegentlich.
Zuweilen findet man gute Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der
Juden in den allgemein- oder lokalhistorischen Zeitschriften, die ich aber
hier natürlich nicht einzeln namhaft machen kann.
Sehr zahlreich sind monographische Darstellungen der Geschichte der
J. an einzelnen Orten, in einzelnen Gebieten usw., die ich, soweit sie ver-
wertbar sind, ihres Orts namhaft mache. —
Die Regesten zur Geschichte der Juden usw. 1887 ff. befassen sich
nur mit der frühmittelalterlichen Epoche, die hier gar nicht in Betracht
kommt.
Die Schicksale der Juden in Spanien sind oft in der Literatur zur
Darstellung gebracht worden. Aber freilich gerade hier findet man die
wirtschaftliche Seite fast ganz vernachlässigt. Ich wußte keine dankbarere
Aufgabe für einen Wirtschaftshistoriker als eine Wirtschaftsgeschichte der
Juden in Spanien (und Portugal) zu schreiben. Sie würde über die all-
gemeine europäische Wirtschaftsgeschichte zweifellos ein helles Licht ver-
breiten. Aber freilich: der Verfasser müBte wissen, was er wollte; er
müßte fragen können. Einstweilen sind wir auch für die Erforschung der
spanisch-jüdischen Wirtschaftsgeschichte auf die allgemeinen Werke über
die Geschichte der Juden in Spanien angewiesen, unter denen die Arbeiten
von M. Kayserling, Geschichte der Juden in Spanien und Portugal,
2 Bde., 1861—1867, wohl noch heute die besten sind.
Das spanische Hauptwerk ist D. Jos6 Amador de Los Rios,
Historia social, politica y religiosa de los Judios de Espaüa y Portugal,
3 Tomos, 1875/78, das sich aber ganz unzulänglich für unsere Zwecke er-
weist. Die wenigen Stellen, die von dem Wirtschaftsleben handeln
(z. B. 8, 69 ff.), sind unklar und lassen die Hauptsache — um welche Wirt-
schaftsformen es sich handelt — nicht erkennen.
E. H. Lindo, The History of the Jews of Spain and Portugal, 1848,
enthält im wesentlichen Auszüge aus den die Juden betreffenden Gesetzen
und Cortesbeschlüssen und hat dadurch einigen Wert
Für Portugal ist jetzt das Hauptwerk J. Men des dos Remedios,
Os Judeus em Portugal 1 (1895). Reicht einstweilen bis zur Vertreibung.
Das Schema der Darstellung bleibt das alte.
Übrigens sind gerade die Bände in Graetzens Geschichte der Juden,
die die Blütezeit des jüdischen Stammes in Spanien behandeln (nament-
lich Bd. 7 und 8), oft recht brauchbar durch die Fülle des herbeigeschafften
Materials und werden durch keine der mir bekannten neueren Dar-
stellungen wesentlich übertroffen.
Von monographischen Arbeiten über die Stellung der Juden im
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spanisch-portugiesischen Wirtschaftsleben ist mir ebensowenig etwas be-
kannt, wie von einer wissenschaftlichen judaistischen Zeitschriftenliteratur
auf der Pyrenäenhalbinsel. Doch kann dies ein persönlich mangelhaftes
Wissen sein. Jedenfalls enthalten die Berliner und Breslauer allgemeinen
und judaistischen Bibliotheken nichts derart. Die Schrift von Bento
Carqueja, 0 capitalismo moderno e m suas origens em Portugal
(1908) streift nur an einzelnen Stellen ganz im Vorbeigehen das Juden-
problem.
129 H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland, 206 ff.
18 ° Vgl. n o C h den Art. Banking in der Jew. Enc.
181 Für die Stellung der Juden im englischen Finanzwesen
während des 17. und 18. sc. kommen eine Menge versprengter Stellen in
der allgemeinen Literatur in Betracht, von denen ich einige anführe :
Picciotto, Sketches, 58ff. Hyamson, 171 ff, 217, 240, 264ff. Ferner die
Spezialuntersuchungen von LucienWolf, The Re-Settlement of the Jews
in England, 1888, idem, Crypto- Jews under the Commonwealth in den
Transactions Jew. Hist. Soc. Vol. I (1895); idem, The Jewry of the Besto-
ration (1660-1664). Bepr. from the Jew. Chronicle. 1902.
182 L. Wolf, The Jewry, p. 11.
188 G. Martin, La grande industrie sous Louis XIV. (1899\ 851.
184 Victor de Swarte, Un banquier du Tresor royal au X VIII. sc.
Samuel Bernard — sa vie — sa correspondance (1651—1739). 1898.
188 Kahn, Les juifs de Paris au XVIII. sc. (1894), 60 ff.
JM Graetz, G. d. J. 10, 40.
187 Wolf, Ferdinand II. Beil. No. IV; zit. bei Graetz, G. d. J.
10, 41.
188 Der Wortlaut in dem Buch „Die Juden in Österreich“ 2 (1842), 41 ff,
189 Die Juden in Österreich, 2, 64; F. von Mensi, Die Finanzen
Österreichs von 1701 — 1740 (1890), 182 ff. und öfters. Im 18. Jahrhundert
waren nacheinander die bedeutendsten Staatsgläubiger Oppenheimer, Wert-
heimer, Sinzheimer; dieser hatte 1739 Forderungen an den Staat im Be-
trage von etwa 5 Millionen Gulden, a. a. O. S. 685. Vgl auch Dav.
Kaufmann, Urkundliches aus dem Leben Samson Wertheimers, 1892,
und für die frühere Zeit G. Wolf, Ferdinand II. und die Juden, 1859.
140 F. v. Mensi, a. a. O., S. 148.
141 G. Liebe, Das Judentum (1903), 84.
148 Jewisch Encyclopedia s. v. Abensur, Dan.
148 A. L6vy, Notes sur l’histoire des Juifs en Saxe in der Revue des
ötudes juives 26 (1898), 259 f. Über Berend (Behrend) Lehmann alias
Jisachar Berman B. H. Auerbach, Geschichte der israelitischen Gemeinde
Halberstadt (1866), 43 ff; über den Sohn Lehmann Berend S. 85.
144 Auerbach, a. a. O. S. 82 (für Hannover); S. Haenle, Gesch. der
Juden im ehemaligen Fürstentum Ansbach (1867), 64 ff, 70ff, 89 ff. Über
die öttingischen Hofjuden: L. Müller, Aus fünf Jahrhunderten, in der
Zeitschr. des hist Ver. für Schwaben u. Neuburg 26 (1899), 142 ff.
148 F. von Mensi, Die Finanz. Österreichs, 409.
Sombart, Die Juden 29
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144 Memoiren der Glückei v. Hameln, deutsch 1910 (Privatdrnck), 340.
147 M. Zimmermann, Josef 8üB Oppenheimer, ein Finanzmann des
18. Jahrhunderts. 1874,
14t Address by Louis Marshall in The '250 anniversary of the
Settlement usw. 102.
149 Herb. Friedenwald, Jews mentioned in the Journal of the
Oontinental Congress. (PubL Amt J©w« Hist Soc. 1, 63 ff.).
194 Will Graham Sumner, The financier and the finances of the
American Revolution. 2 Vol. 1891.
Sechstes Kapitel
Dis KonsrzlillsieruB das Wlrtscluftslsbm
141 8o doch schlieBlich übereinstimmend (trotz heftiger Befehdung)
Brunner, Endemanns Handbuch 2, 147 und Goldschmidt, Universal*
geschieht« des Handelsrechts (1891), 386. Auch Knies, Der Credit (1876^
190 faßt den Begriff des Wertpapiers wesentlich juristisch , wenn er sagt,
daß wir es in ihm „mit einer eigentümlichen neuen Grundnorm für die
Erwahrung und Geltendmachung eines Rechts zu tun (haben) und ebenso
mit einer neuen Grundnorm für die Übertragung eines solchen Rechts auf
andere.“ Etwas mehr einer spezifisch nationalökonomischen Auffassung
nähert er sich, wenn er (Credit 2, 238) von dem Verkehrsbedürfnis spricht,
„eine Geldforderung ohne Rücksicht auf ihren Entstehungsgrund zu »objek-
tivieren 4 und durch einen Schein — das Wertpapier — , tragen* zu lassen.“
154 Ich fasse den Begriff des „Kredit Verhältnisses“ in dem weiten
Sinne, als eines Verpflichtungsverhältnisses zwischen Personen, das durch
Hingabe eines Vermögens wertes an einen andern entsteht, der die Gegen-
leistung in der Zukunft verspricht. Aus jedem Kreditverhältnis entsteht
also ein Schuld- und ein Forderungsverhältnis, aber nur im ökonomischen,
nicht auch im juristischen Sinne, da die Forderungsrechte in diesem weiten
materiellen Sinne auch Eigentumsrechte, dingliche Rechte usw. mit um-
fassen; z. B. das Recht des Eigentümers auf Erstattung des Pacht- oder
Mietzinses, des Hypothekengläubigers auf Erstattung des Hypothekenzinses
usw., des Arbeiters auf Erstattung des Arbeitslohnes usw.
158 F. A. Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen (1859), 145.
144 Hypothese Kuntzes und anderer. Siehe Goldschmidt, Univ
Gesch. 408 ff.
145 Goldschmidt, a. a. O. S. 410. Bei Goldschmidt ist natürlich
der hier positiv gewandte Satz mit einem Fragezeichen versehen und in
die Form gekleidet: „ob . „ist aus den z. Z. zugänglichen Quellen nicht
zu ermitteln.“ Siehe dagegen Alb. Wahl, Traitä thäor. et prat. des
titres au porteur 1 (1891), 15.
144 Kuntze, Zur Geschichte der Staatspapiere auf den Inhaber in
der Ztschr. f. das ges. Handel sR. 5, 198 ff., derselbe, Inhaber Pap. (1857),
58. 63. Goldschmidt, Univ« Gesch« 448/49. Sieveking in Schmollen
Jahrbuch 1902. Vor allem G* Schaps, Zur Geschichte des Wechsel-
indossaments (1892), nam. S. 86 ft. „Im allgemeinen läßt sich das 17. und
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451
1 der Anfang des 18. Jahrhunderts bezeichnen als Zeit der Ausbreitung und
i Vervollkommnung des Indossaments für ganz Europa." Zu vergleichen
Biener a. a. 0. 8. 121 ff., 187 ft.
157 Goldschmidt, Univ. Gesch., 452. Schaps, 92. Das erste Ver-
bot (nach Schaps) in der Neap. Pragmatica vom 8. Nov. 1607. a. a. 0. S. 887.
168 Text bei Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus
Venedig im Jahre 1550 in Jewish Quarterly Rev. 18 (1901), 820ff.
109 Graetz 8, 354; 9, 328.
160 Einstweilen unterrichten am besten über die Genueser Messen
Ehrenberg, Zeitalter d* Fugger 2, 222 ft. und Endemann, Studien in der
rom.-kanon. Wirtschafts- und Rechtslehre 1 (1874), 156 £ Endemann fußt
wesentlich auf Scaccia und Raph. de TurriSf während Ehrenberg außerdem
noch einige Akten des Fuggerarchivs als Quellen benutzt hat.
161 Wenn nicht schon in der Gesellschaft der Pairiers, denen die
; Toulouser Mühle du Basacle im 12. Jahrhundert auf Grund von Anteil-
scheinen (uchaux oder saches) übertragen wurde. Edm. Guillard, Les
Operation» de Bourse (1875), 15.
169 Siehe vor allem K. Lehmann, Die geschichtliche Entwicklung
, des Aktienrechts. 1895.
108 J. P. Ricard, Le N6goce d’ Amsterdam (1723), 897—400.
104 Das wenigstens ist das Ergebnis, zu dem gelangt Andr6-E.
Sayous, Le fractionnement du Capital social de la Compagnie näerland.
des Indes Orient in der Nouv. Rev. hist, du droit fran$. et Strang. 25 (1901),
621 ff. (325.
105 ygi Endemann, Studien 1, 457f.
100 Goldschmidt, Univ. Gesch., 322.
107 Das wichtigste Urkundenmaterial zur Geschichte des Bank-
wesens in Venedig enthält noch immer die Sammlung von Elia
Latte s, La libertä delle banche a Venezia dal secolo XIII al XVII secondo
i documenti inediti del R. Archivio dei Frari ec. 1869. Darüber haben ge-
schrieben Ferrara, Gli antichi banchi di V, in der Nuova Antologia VoL
XVI (derselbe Autor bringt eine Reihe die Soranzos betreffende Urk. noch
herbei im Archivio Veneto Vol. L (1871). E. Nasse, Das venetianische
Bankwesen im 14, 15. und 16. Jahrhundert in den Jahrb. f. N. ö. 84,
329 ft., 338 f. Eine gründliche Darstellung des Anteils der Juden am vene-
tianischen Bankwesen wäre eine sehr dankbare Aufgabe« Aber offenbar
auch eine schwierige Aufgabe, denn soweit ich aus den bisher vorliegenden
gedruckten Quellen ersehe, sind die Juden in Venedig schon im 15. Jahr-
hundert großenteils Scheinchristen, oft in Amt und Würden wie die Ciera
mit christlichen Vornamen usw.
108 Macleo d, Dict of Pol Econ. Art. Bank of Venice (Quelle?) zit.
bei A. Andr6ad£s, Hist, of the Bank of E. (1909), 28.
109 Gallicioli Memorie Venete II No. 874 bei Graetz, 6, 284.
170 S. Luzzato, Disc. circa il stato degli Hebrei in Venezia (1638)
c. I und p. 9a, p. 29a. Die Zahlen sind nicht so genau zu nehmen; sie be-
• ruhen auf bloßer Schätzung des übrigens nicht unintelligenten rabbinischen
Verfassers.
29*
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452
m Siehe z. B. D. Manuel Colmeiro, Hist de la econoraia politica
en Espafia 1, 411; 2, 497 ff.
1,1 F. von Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890),
nam. S. 34 ff.
178 Ad. Beer, Das Staatsschuldenwesen und die Ordnung des Staats-
haushalts unter Maria Theresia (1894*, 13.
174 Walther Däbritz, Die Staatsschulden Sachsens in der Zeit von
1763 bis 1837. Lpz. In.Diss. 1906. S. Uff. 55 f.
178 E. v. Philippovich, Die Bank von England nsw. (1885), 26 £
176 Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2, 141. 299.
177 (Luzac), Richesse de la Hollande 2 (1778), 200. Eine andere
darauf bezügliche Stelle findet sich VoL I p. 366 ff. ln der holländischen
Ausgabe von 1781 ist die Darstellung im wesentlichen gleichlautend mit
der französischen; nur die Darlegungen 2, 307 ff. sind etwas ausführlicher.
Luzac hat außer der eigenen Erfahrung, die wohl seine Hauptquelle bildete,
noch Fermin, Tableau de Surinam, 1778, benutzt, wo aber nicht mehr
steht als L. selbst berichtet.
178 Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren (1857), 48. K.a
Werk ist noch heute, wenigstens was die grundsätzliche Behandlung des
Problems anbetrifft, unerreicht. Ihm zur Seite stellt sich das Werk des
Franzosen Alb. Wahl, Traitä theorique et pratique des titres au porteur
franQais et 6trangers, 2 tomes 1891 (siehe das Referat Goldschmidts
darüber in der Ztschr. f. das ges. HR. 49, 261 ff.). Die übrigen Arbeiten
über das Inhaberpapier sind mehr oder weniger monographischer Natur
und werden an ihrem Orte genannt werden.
178 Für die urkundliche Geschichte des mittelalterlichen Inhaberpapiers
grundlegend sind jetzt die Arbeiten von H. Brunner, Das französische
Inhaberpapier, 1879 und Zur Geschichte des Inhaberpapiers in Deutschland
in der Ztschr. f. das ges. HR., Bd. 21. 23.
180 Brunner, Das franz. Inhaberpapier. 69 f.
181 F. Hecht, Gesch. der Inh.Pap. in den Niederlanden (1869), 4 ff.
87 ff. (für Lombardzettel, die sich 1614 bei der Amsterdamer, 1662 bei der
Enkhuysener Lombardbank nachweisen lassen).
188 Goldschmidt, Inhaber-, Order- und exekutorische Urkunden im
klassischen Altertum (Zt9chr. f. Rech tage sch. Rom. Abt. 10 [1889], 352 ff.).
188 Benedict Frese, Aus dem gräko-ägyptischen Rechtsleben (1909),
26 ff. Vgl. die dort zit. Schriften: Lipsius, Von der Bedeutung des
griechischen Rechts 19 und Weng er, Papyrosforschung und Rswiss.
(1903), 40.
184 H. Brunner, Forschungen zur Gesch. des deutschen und französ.
Rechts. Ges. Aufs. (1894), 604 ff.
185 Brunner, Franz. InluPap. 28 ff. 57 ff. und Ztschr. f. g. HR.
23, 234.
188 Ztschr. f. Rsgesch. 10, 355.
187 Gius. Salvioli, I titoli al portatore nella storia del diritto
italiano (1883) nach dem Referat in Ztschr. f. g. HR. 30, 280 ff.
iss Nach L. Auerbach, Das jüdische Obligationenrecht 1 (1871),
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270 ff. Andere Stellen aus 'der rabbinischen Literatur finden sich noch
angeführt bei Hirsch B. Fassei, Das mosaisch-rabbinische Zivilrecht,
1L Bd. , 3. Teil (1854), § 1390; Frankel, Der gerichtl. Beweis nach
mosaischem R. (1846), bes. S. 386; Saal schütz, Mos. Recht 2 (1848),
862, N. 1086.
189 Über den Mamre: Lad. L’Estocq, Exercitatio de indole et jure
instmmenti Jndaeis nsitati cui nomen „Mamre“ est 1755, §§ VH ff.; in
J. M. G. Besekes, Thes. jnr. camb., P. 11(1783), p. 1169 ff. insbes. 1176 ff.;
Ph. Bloch, Der Mamran (yiEtt), der jüdisch-polnische Wechselbrief;
Sonderabdruck aus der Festschrift zum 70. Geburtstage A. Berliners, 1903.
190 Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2, 141.
191 Brunner, Franz. Inh.Pap., 69 f.
199 Schaps, Gesch. d. Indoss., 121 f.
198 Über die Modernisierung der belgisch -holländischen Kostümen
spricht am besten F. Hecht, Gesch. d. Inh.Pap. i. d. Niederlanden, 44 ff.
VgL Kuntze, Zur Gesch. der Staatspapiere auf Inhaber in der Ztschr. f.
ges. HR. 5, 198 ff. und Eu 1er, ebenda 1, 64.
194 Hecht a. a. O. S. 96 f.
198 W. Däbritz a. a. O. S. 58 f.
196 Kuntze, Inh.Pap., 85 f.
197 Straccha, Tract. de assicur. (1568), introd. Gl. VII, p. 29.
196 A. Wahl, Titres au porteur 1 (1891), 15. 84.
199 Hecht, Inh.Pap. i. d. Niederl., 37.
200 Siehe z. B. J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren (2. Aufl.
1880), 167 f.
901 So doch schließlich (trotz aller seiner Vorliebe für möglichst weite
Zurückdatierung moderner Einrichtungen ; man erwartet bei G. immer den
„quellenmäßigen“ Nachweis, daß in den Pfahlbauten Scheckbücher und beim
Neanderthalsch&del Banknoten aufgefunden worden sind; übrigens ein
Lieblingssport aller „Historiker“, der G. denn doch nicht war) Gold-
schmidt, Univ.Gesch., 893.
209 Für das folgende siehe vor allem L. Auerbach, Das jüdische
Obligationenrecht 1 (1871), 163 ff. 251 ff. 518 ff. Das (leider unvollendete)
Werk ist ungemein anregend geschrieben und verdient nicht die Ver-
gessenheit, der es anheimgefallen ist. Es ist die bei weitem geistvollste
Darstellung des talmudisch- rabbinischen Rechts, dessen grundsätzliche
Eigenart es mit großer Schärfe herausarbeitet Viel unbedeutender, aber
immerhin zum Vergleich heranzuziehen: Saal schütz, Mosaisches Recht,
2 Bde. 1848; H. B. Fassei, Das mosaisch-rabbinische Zivilrecht, 2 Bde.,
1852. 1854; J. J. M. Rabbinowicz, Legislation du Talmud, Bd. 111(1878)
enthält das Obligationenrecht. Für das Prozeßrecht Frankel, Der ge-
richtliche Beweis nach mosaischem R., 1848. Neuerdings hat auf Grund
der Goldschmi dtsch en Übersetzung eine „Darstellung des talmudischen
Rechts“ gegeben J. Köhler in der Ztschr. f. vergleich. Rechtswiss. 20
(1908), 161—264 (auch in Broschürenform); darüber V. Aptowitzer, in
MGWJ. (1908), 37—56.
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m Otto 8tobbe, Die Juden in Deutschland während des Mittel*
alten 0866), 119 ft 242.
904 Goldschmidt, Universalgeschichte, 111.
988 (I s a a c de Pinto) Traitö de la circulation et dn credit (1771W
64 ft, 67 — 68. Za vergleichen etwa noch E. Gaillard, Les Operation« de
Bourse (1875), 534 ft
969 Hübsch aasgeführt z. B. bei W. Däbritz, Die Staatsschulden
Sachsens (1906), 18.
107 Ehrenberg, Zeitalter der Fngger 2, 244 ft und öfters. E. ist
deijenige Schriftsteller, dem wir zweifellos die wertvollsten Aufschlüsse
über die Geschichte der Börse verdanken. Es ist jammenchade, daß er
seine Stadien aaf diesem Gebiete nicht fortsetzt, aaf dem ihm keiner von
ans an Sachkenntnis gleichkommt.
808 Siehe Anm. 21.
709 Van Hemert, Lectuar voor het ontbijt en de Theetafel
VH«*« Stak, bL 118. 119; zit. bei H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden
in Nederland (1848), 212.
910 Henr. Stephanus, Francofordiense Emporium sive Franco-
fordienses Nundinae (1574), 24.
911 Zit. bei Ehrenberg, Z. d. F. 2, 248.
919 Glückei von Hameln, Memoiren, 297.
918 Bei M. Granwald, Hamburgs deutsche Jaden bis zur Auflösung
der Dreigemeinde 1811 (1904), 21.
914 S. Haenle, Gesch. der Jaden im ehemaligen Fürstentum Ans-
bach (1867), 173.
915 In dem Werke: Die Juden in Österreich 2 (1842), 41 ft
919 Bericht des Sons-intendant M. de Courson vom 11. 6. 1718; bei
Th. Malvezin, Histoire des juifs k Bordeaux, 1875.
917 E. Meyer, Die Literatur für und wider die Juden in Schweden
im Jahre 1815, in der Monatsschrift f. Gesch«. u. Wies. d. Jud. 51
(1907), 522.
918 H. Sieveking, Die kapitalistische Entwicklung in den italie-
nischen Städten des Mittelalters in der Vierteljahrsschrift für Soz. u.
W.Gesch. 7, 85.
919 H. Sieveking, Genueser Finanzwesen 1 (1898), 82 f., 175 f.
990 Sara via della Calle, Institutione de’Mercanti im Compendio
utilissimo di quelle cose le quali a Nobili e christiani mercanti appar-
tengono (1561), 42.
991 Artikel Börsenwesen im H.St^ 3. Aufl.
999 Die zuverlässigsten Quellen für die Geschichte des Aktien-
handels an der Amsterdamer Börse während der ersten Jahrzehnte des
17. Jahrhunderts sind die Plakate der Generalstaaten, die ihn verbieten.
Ferner sind in Rücksicht zu ziehen die verschiedenen Streitschriften, deren
mehrere während des 17. Jahrhunderts für und gegen den Aktienhandel
erschienen sind, namentlich die des Gegners der Spekulation Nie. Muys
v a n H o l y. Darüber Laspeyres, Gesch« der volkswirtsch. Anschauungen,
1863. Eine besondere Stellung nimmt das Buch de laVegas ein, von dem
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ich noch spreche. Für die sp&tere Zeit enthalten eingehende Schilderungen
die verschiedenen Handlungsbücher, namentlich also J. P. Ricard, Le
nögoce d’ Amsterdam (1728), 370 ff., aus dem fast alle Schriftsteller nachher
schöpfen. Selbständigen Wert haben daneben noch die Werke Jos«
de Pin tos aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. An neuerer
Literatur kommen etwa in Betracht 6. C. Klerk de Reus, Geschicht-
licher Überblick der . . . niederländisch-ostindischen Companie (1804), 177 f.;
S. van Brakei, De Holl. Hand. Comp, der XVII. eeuw (1908), 154 f.
228 ln der Zeitschrift De Koopmann 2, 429. 439; zit. bei Ehrenberg,
Z. d. F. 2, 333. Leider war es mir nicht möglich, dieser Zeitschrift hab-
haft zu werden.
224 (J. de Pinto), De la circnlation etc« (1771), 84.
125 Der Wortlaut des Briefes (aus Doc. rei. to the Col Hist of N. Y.
11, 815) bei Max J. Kohljer, Beginnings of New York Jewish History
in den PubL of Am. Jew. Hist Soc. 1, 47.
222 Manasseh ben Israels Bericht ist selbständig erschienen im Jahre
1655. Dann oft gedruckt (Deutsch z. B. im Jahrbuch des Literar. Vereins,
1861; Englisch im Jewish Chronicle, 1859.
287 Einen sehr ausführlichen Auszug ans dem seltenen Buche, der teil-
weise einer Übersetzung gleichkommt, gibt EJhrenberg im Z. d. F. 2,
336 ff. und in den Jahrbüchern für N.O., HL F., Band 3, S. 809Jff.
828 Extrait d’un m&noire pr£sentä en 1698 im Archiv des französischen
Kolonialamts; veröffentlicht in der Revue historique (ed. par Monod),
t 44, 1895.
229 The Anatomy of Exchange Alley (or a System of Stock Jobbing,
1719. Abgedr. bei J. Franjeijs, Stock exchange (1849), App.
280 Art Brokers in der Jew« Enc.
221 J. Picciotto, Sketches of Anglo Jewisch History (1875), 58 ft
222 Univ. Dictionary of Trade and Commerce 2 (1757), 554.
222 D’Blossiers Tovey, Anglia Judaica or the History and Anti-
quitiea of the Jews in England (1738), 297.
224 Nach einer Klagschrift der christlichen Kaufleute aus dem Jahre
1685, die Ehren berg, Z. d. F* 2, 248 erwähnt*
228 M. Grunjwald, Portugiesengräber (1902), 6 ff.
282 Postlethwayt, Dict 1 (1751), 95.
227 Jos. Jacobs, Typical character of the Anglo -Jewish History
(The Jew. Qarterly Review 10 [1898], 280)«
288 Ranke, Französ. Geschichte 4 8 , 899.
289 M61on , Essai pol. sur le commerce (1734); 6d. Daire p. 685.
240 Uber den Handel mit „Königsbriefen** in Lyon seit etwa 1550
Ehrenberg, Z. d. F. 2, 142.
241 (du Hautchamp), Histoire du systäme des Finances sous la
minoritä de Louis XV 1 (1789), 184.
242 Oscar de Valläe, Les manieur» d’argent (1858), 41 f.
242 P. A. Cochut, Law, son systöme et son äpoque (1853), 38.
244 Ed. Drumont, La France juive. 104. 6d., 1, 259.
242 Sämtliche Ziffern aus den „von den Gilde-Dienern Friedr. Wilh.
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Arendt und Abraham Charles Rousset heraasgegebenen Verzeich-
nissen ... der gegenwärtigen Aelter-Männer tt nsw. usw., 1801 £
948 Arnold Kiesselbach, Die wirtschafts- und rechtsgeschichtliche
Entwicklung der Seeversicherung in Hamburg (1901), 24.
141 Der Fall ist mitgeteilt und besprochenjbei N. Th. von Gönner,
Von Staatsschulden, deren Tilgungsanstalten und vom Handel mit Staats-
papieren, 1826, § 80.
948 Dict. of Comm. 2 9 , 553 f. Vgl. auch daselbst deu sehr lehrreichen
Artikel „Monied Interest", p. 284 £
849 Siehe die Artikel „Monied Interest" und „Paper Credit“ im Post-
lethwayt 2 8 , 284 ff. 404 ff.
880 D. Hu me, Essays 2 (1793), 110.
881 Ad. Smith, W. of N., B. V, ch. 3.
858 von Gönner, Von Staatsschulden usw. (1826), §§ 31 £
858 Pinto, Träte, 310/11.
884 Bei Ehrenberg, Z. d. F. 2, 299.
886 Ich begnüge mich damit, folgende drei Schriften zu nennen, die
mir als die besten erscheinen : Das Haus Rothschild. Seine Geschichte und
seine Geschäfte. 2 Teile 1857. John Reeves, The Rothschilds: The
financial Eulers of Nations. 1887. R. Ehrenberg, Große Vermögen usw.
1. Band: Die Fugger- Roth sc hi Id -Krupp. 2. Aufl. 1905.
884 J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren. 2. Aufl. 1830, S. 145.
887 Z. B. Gönner a. a. O. S. 60£; Bender a. a. O. S. 142.
888 Das Haus Rothschild 2, 216 £
889 Arth. Crump, The theory of Stock exchange, 1873. Repr. 1903,
p. 100 f.
960 v. Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701 — 1740 (1890), 54.
861 Ad. Beer, Die Staatsschulden . . . unter Maria Theresia (1894), 43-
868 J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 1830, § 5.
868 J. Francis, Stock exchange (1849) 161 f.
884 Das Haus Rothschild 2 (1857), 85 £.
885 Für die „Gründerjahre“ in Deutschland bleiben die beste Quelle
doch — trotz aller Tendenz, trotz aller Einseitigkeiten und Übertreibungen
und trotz aller zum Teil recht schiefen Werturteile — die viel geschmähten
Bücher von Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in
Berlin, 1876; und Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland,
1877. Das Wertvolle in diesen Büchern sind die kurzen Geschichts-
darstellungen der verschiedenen Gründungen, in denen sich auch die
Namen der Gründer, der ersten Aufsichtsräte und der Direktoren ver-
zeichnet finden. Vgl. übrigens die verschiedenen Jahrgänge von Salings
Börsenpapieren und Rud. Meyer, Die Aktiengesellschaften 1872 — 1873
(bezieht sich nur auf Bankgründungen). Die im Text gegebenen Zu-
sammenstellungen hat in meinem Aufträge freundlichst Herr Arthur
Loewenstein gemacht.
988 M. Wirth, Gesch. d. Handelskrisen, 3. Aufl. 1883, S. 184 £
887 Riese er, Entwicklungsgeschichte der deutschen Großbanken
(1905), 48.
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988 J. E. Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren (1857), 28.
989 Ad. Beer, Die Staatsschulden . . . unter Maria Theresia (1894), 35.
170 C. Hegemann, Die Entwicklung des französischen Großbank-
betriebes (1908), 9.
971 Man findet Literatur und Quellen ausführlich verzeichnet in dem
Buche von Joh. Plenge, Gründung und Geschichte des Crädit mobilier,
1908. Die Darstellung P.s selbst erscheint mir nicht immer glücklich ; das
Bestreben, den Cr. m. als Ausfluß Saint Simonistischer Philosophie zu
erklären, doch nur insoweit berechtigt, als jene wiederum das Gepräge
des jüdischen Geistes trägt (was ja freilich in weitem Umfange der Fall
ist). Der Wahrheit kommt meines Erachtens, trotzdem PL ihn sehr schlecht
beurteilt, oft viel näher üeinr. Sattler, Die Effekten banken (1890), 71 ff.
Übrigens wird ein großer Teil des Streits, wie mir scheint, dadurch hervor-
gerufen, daß man nicht immer scharf zwischen dem idealen Cr. m. (wie
er nach dem Programm seiner Gründer hätte sein sollen) und dem wirk-
lichen (wie er sich tatsächlich gestaltete) unterscheidet
979 Model-Loeb> Die großen Berliner Effektenbanken (1895), 48 f.
Diesem guten Buche sind auch die Angaben im Texte über die großen
deutschen Spekulationsbanken entnommen (soweit sie nicht auf persönlicher
Information beruhen).
978 Vgl. etwa R. Ehrenberg, Fondsspekulation, 1883 und Ad.
Weber, Depositenbanken und Spekulationsbanken, 1902.
974 Siehe z. B. A. Gomoll, Die kapitalistische Mausefalle, 1908. Das
Buch ist was sein sensationeller Titel nicht vermuten läßt, durchaus ernst
und gehört zu den besten Darstellungen des Börsentreibens, die wir aus
den letzten Jahren besitzen.
976 Das Material habe ich aus unzähligen, meist lokalgeschichtlichen
Quellen zusammengetragen, die hier einzeln aufzuzählen keinen Sinn hätte.
Siebentes Kapitel
Die Herausbildung einer, kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung
978 (König), Annalen der Juden in den preußischen Staaten (1790), 97.
977 Zur Geschichte der Juden in Danzig: Monatsschrift 6 (1857), 248.
978 M. Güdemann, Zur Geschichte der J. in Magdeburg. Monats-
schrift 14 (1865), 370.
979 Zitiert bei G. Liebe, Das Judentum (1908), 91/92.
980 Regesten bei Hugo Barbeck, Geschichte der J. in Nürnberg
und Fürth (1878), 68 ff.
981 Siehe z. B. das Vorgehen der Berliner Kramergilden bei Geiger,
Gesch. d. J. in Berlin 2 (1871), 24. 84.
989 Jos. Child, Discourse on trade, 4. ed., p. 152. Ch. gibt die „all-
gemeine Meinung“ wieder, ohne ihre Richtigkeit (obwohl Judenfreund)
anzuzweifeln. Er meint nur: was man den J. vorwerfe, sei gar kein Ver-
brechen.
988 Auszüge aus den Streitschriften jener Zeit bei Alb. M. Hyamson
The Jews in England (1908), 274 f.
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884 Abgedruckt bei L4on Brunsch vicg, Les juifs en Bretagne
an 18. ec. in der Revue des 4t. juives 88 (1896), 88 ff., insbes. 111 ffj
888 Les Juifs et lee Communaut4s d’Arts et M4tiers in der Revue
86 , 75 ff.
,M M. Maignial, La queetion juive en France en 1789(1908). Dort
findet eich p. 86 ff. ein reiches Material, aus dem die Stimmung der franzö-
sischen Kaufleute gegen die J. während des 17. und 18. sc. ersichtlich ist.
881 Requöte des marchands et nägociants de Paris contre l’admission
des Juifs (1777), p. 14; zit bei Maignial, 92.
888 G. Maignial, La question juive, 92.
888 Gutachten Wegelins im Bfirgerstande (des schwedischen Reichs-
tags) 1815 bei Ernst Meyer, Die Literatur für und wider die Juden in
Schweden im Jahre 1815 in der Monatsschrift 51 (1907), 513 ff. 522.
880 Czacki, Rosprava o Zydach, 82 ff.; bei Graet'z, G. d. J. 9,
443 ff Fast wörtlich dieselben Klagen in den Berichten über Rumänien:
Verax, La Roumanie et les Juifs. 1903.
881 Phil, von Sittewalds Gesichte a. a. 0.
888 Georg Paul Hönn, Betrugs-Lexicon, worinnen die meisten Be-
trügereyen in allen Ständen nebst denen darwider guten Theils dienenden
Mitteln entdeckt von . . . Dritte Edition. 1724.
888 Allgemeine Schatzkammer der Kaufmannschaft oder vollständiges
Lexikon aller Handlungen und Gewerbe 2 (1741), 1158 ff.
884 Charakteristik von Berlin. Stimme eines Kosmopoliten in der
Wüste (1784), 203.
888 J. Savary (CEuvre posthume, continu4 . . . par fPhil. Louis
Sa vary), Dictionnaire universal de commerce 2 (1726), 447.
286 Allgemeine Schatzkammer der Kaufmannschaft 1 (1741), 17.
887 Allgem. Schatzkammer 8 (1742), 1325»
888 Besonders glücklich gefaftt bei Rud. Eberstadt, Französ.
Gewerberecht (1899), 378 ff.
888 (Dan. Defoe), The [Complete English Tradesman. 1. ed. 1726.
Von mir wurden benutzt die 2. ed., |1 Vol» (1727) und die 5. ed., 2 VoL
1745 (nach dem Tode D.s, der 1731 starb, herausgegeben). Die angeführte
Stelle findet sich in der 2. ed., p. 82.
800 Allg. Schatzkammer usw« 8, 148.
801 Allg. Schatzkammer usw. 4, 677.
808 Allg. Schatzkammer usw« 8, 1325/
808 Allg. Schatzkammer usw. 8, 1326»
804 Allg. Schatzkammer usw. 1, 1392.
808 Siehe den höchst lehrreichen |19. Brief (in der 2. AufL, dem der
22. in der 5. Auflage entspricht): „Of fine shops and fine shews“.
808 Jules de Bock, Le Journal ä travers les äges (1907), 30 ff, zit
bei F. Kellen, Studien über das Zeitungswesen (1907), 253.
887 Ein reiches Material, namentlich englischer Herkunft, bei Henry
Sampson, A History of Advertising from the earliest times, 1875; siehe
namentlich* p. 76. 83 ff.
888 Mal. Postlethwayt, A universal Dictionnary of Trade ^and
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Commerce, 2 VoL 1741, 2. ed. 1757, 1, 22 f. (P. nennt sein Werk selbst eine
Übersetzung des Savaryschen Lexikons; es stellt sieb aber durch die zahl-
reichen Ergänzungen als ein ganz selbständiges Werk dar, das — nebenbei
bemerkt — von unschätzbarem Wert als Quelle für die Darstellung des
englischen Wirtschaftslebens im 18. sc. ist).
809 Sa vary, Dict du Comm. (1726), Suppl. 1732.
8,0 P. Datz, Histoire de la Publicity (1894), 161 ff. enthält das Fac-
simile der ganzen ersten Nummer der Petites Affiches.
811 Allg. Schatzkammer usw. 4, 677.
818 CompU Engl. Tradesmann, 5. ed. 2, 163.
818 Arch. Nat M. 802 mitgeteilt bei G. Martin, La grande industrie
sous Louis XV (1900), 247 f.
814 Jos. Chil|d, A new discourse of trade. 4. ed. p. 159.
818 Saravia della Calles (3) Schriften sind zusammen mit denen
von Yenuti und Fabiano gedruckt in dem Compendio utilissimo di
quelle cose le quali a nobili e christiani mercanti appartengono. 1561.
8,8 (Mercier), Tableau de Paris 11 (1788), 40.
817 Zitiert bei Just. Godard, L’ouvrier en soie 1 (1899) 38/39.
818 Memoirs of the Rev. James Fraser, written by himself. Select
Biographies 2, 280. Durhains Law unsealed p. 324 zit bei BukleJ, Ge-
schichte der Zivilisation 2 8 , 377.
819 Durhams Exposition of the Song of Solomon p. 365; zit. bei
Bukle, a. a. O.
880 Allgemeine Schatzkammer 4 (1742), 666 ff.
881 Siehe z. B. Mei|cier, Tableau de Paris 2, 71 ff. (Ch. CXXVIII)
828 Sam. Lamb in seiner bekannten Denkschrift über Errichtung einer
Nationalbank stellt die laxe englische Geschäftsmoral in Gegensatz zu der
Solidität, z. B. der Holländer. Die Denkschrift Lambs ist abgedruckt in
Somers Tracts 6, 444 f.
888 Owen Felltham in seinen 1652 erschienenen Observations.
Zitiert bei Douglas Campbell, The Puritan in Holland, England and
America 2 (1892), 327.
824 Der Vorwurf, Diebswaren zu kaufen, wird den Juden seit dem
frühen Mittelalter bis tief in unsere Zeit hinein gemacht. Siehe z. B.
G. Caro, Soz. und Wirtschaftsgesch. der Juden 1 (1908), 222; Bloch, Les
juifs (1899) 12. Allgem. Schatzkammer Art* „Juden“. J. H. G. von Justi,
Staatswirtschaft l s (1758), 150. Zahlreiche Quellenbelege für Deutschland
bei G. Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit 1903. Im
Verlauf der Darstellung! komme ich aut diesen Punkt noch zurück und
werde ich noch auf andere Stellen verweisen.
888 Nach einem Protokollbuch der portugiesischen Gemeinde in Ham-
burg A. Feilchenfeld. Die älteste Geschichte der deutschen Juden in
Hamburg, in der Monatsschrift 48 (1899), 279.
888 Aus der „Predigt“ Geylers von Eaisersberg zum 93. „Narren-
geschwarm“ des Seb. Brandtscheu Narrenschiffes (in der von J. Scheible
herausgegebenen Sammlung „Pas Kloster“, Bd. 1, S. 722) Zu vergleichen
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460
Oskar Franke, Der Jude in den deutschen Dichtungen des 15., 16. und
17. Jahrhunderts, 1905; insbes. der 4. Abschnitt.
887 Mitgeteilt von Albion Morris Dyer, Points in the first chapter
of New York Jewish History (Am. Jew. Hist Soc. 8, 44).
888 Will. Usselinx in einem Bericht an die Generalstaaten mitgeteilt
bei Jameson in Am. Jew. Hist. Soc. 1, 42. Über Usselinx: E. Laspey res
Yolksw. Ans. d. Niederlande, (1863), 59 ff.
888 Sa vary, Dict du Commerce 2 (1726), 449.
880 Bericht des Bev. Johannes Megalopensis (Publ. Am. Jew. Hist
Soc. 8, 44).
881 Jos. Child, Disc. on trade; 4. ed. p. 152.
888 Mitgeteilt von R. Ehrenberg, Grotte Vermögen, 2. Aufl., S. 147 £.
888 (König), Annalen der Juden in den preutt. Staaten (1790), 106—117.
884 Mitgeteilt bei Liebe, Judentum, 34.
886 Risbeck, Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an
seinen Bruder in Paris. 1780. Ygl H. Scheube, Aus den Tagen unserer
Großväter (1873), 393.
886 Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den deutschen
Handelsstädten (1818), 171. 252. 270. 272.
887 Eingabe der Kaufleute von Nantes in der Revue des et. juives
88 , lllffl
887 » Hild. Bodemeyer, Die Juden. Ein Beitrag zur Hannoverschen
Rechtsgeschichte (1855), 68.
888 Mitgeteilt bei Alb. Wolf, Etwas über jüdische Kunst und ältere
jüdische Künstler in den Mitteilungen zur jüdischen Volkskunde; heraus-
geg. von M. Grunwald, N. Reihe, 1. Jahrgg. 1. Heft (1905), 34.
888 Denkschrift des Rates mitgeteilt bei Ehre nb erg, Grotte Verm. ■*
147 f.
840 Die Urkunden sind abgedruckt bei Kracauer, Beiträge zur Ge-
schichte der Frankfurter Juden im 30jährigen Kriege in der Zeitschrift für
die Gesch. d. J. in Dld. 8 (1899), 147 f. Vgl. noch Schn dt, Merkwürdig-
keiten 2, 164.
841 (König), Annalen 97, 106—117.
848 Versuch über die jüdischen Bewohner der österreichischen
Monarchie (1804), 83. Das Buch enthält viel wertvolles Material.
848 Lud. Holst, Judentum in allen dessen Teilen aus einem staata-
wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet (1821), 293/94.
844 „. . Les fripiers de Paris qui sont ä la plus part Juife . .“. Noel
du Fail, Contes d’Eutrapel, XXIV; zit. bei Gust Fagniez, L’6conomie
sociale de la France sous Henry IV (1897), 217.
848 (Mercier), Tableau de Paris 2, 253 f. Ch. CLXXXII.
848 Romani, eines edlen Wallachen landwirtschaftliche Reise durch
verschiedene Landschaften Europas. Zweyter Theil 1776, S. 150. VgL
auch Schudt, Merkwürdigkeiten 2, 164.
847 Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den deutschen
Handelsstädten (1818), 184.
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461
848 Jules de Bock, Le Journal k travers les äges (1907), 30ff. zit*
bei T. Kellen in den Studien über das Zeitungswesen (1907), 253.
849 Bei Max J. Köhler, Jewisb Life in New York before 1800 (Publ.
Am. Jew. Hist Soc. 8, 82).
880 Zit. bei Bloch, Les juifs (1899), 80.
881 Alb. M. Hyamson, The Jews in England (1908), 274 f.
868 Bei Salomon Kahn, Les juifs de Montpellier au 18. si&cle in
der Revue des 4t. juives 38 (1896), 290.
858 Bei L4on Brunschvicg, Les juifs en Bretagne au 18. sc. in
der Revue 38, 111 ff.
884 Requäte des marchands et n4gociants de Paris contre l’admission
des juifs (1777), abgedruckt bei Maignial, 1. c. p. 234.
858 Bei L. Kahn, Les juifs de Paris au XVIII. sc. (1894), 71.
888 Bei Justin Godard, L’ouvrier en soie (1899), 224.
887 Gutachten Wegelins in der Monatsschrift 51, 522.
888 Czacki, Rosprava o Zydach, 82ff. bei Graetz, Gesch. d. Juden
9, 445.
889 (König), Annalen, 97.
880 Bei Friedr. Bothe, Beiträge z. Wirtsch.- u. Soz.-Gesch. d. Reichs-
stadt Frankfurt (1906), 74.
881 Zitiert bei Liebe, Judentum, 91 f.
888 Romanis Landw. Reise 2 (1776), 147.
888 In der: Geschichte der Juden in der Reichsstadt Augsburg (1803), 42*
884 F. vonMensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890), 367.
888 Allg. Schatzkammer 2, 1158.
888 Siehe Anm. 328.
887 Siehe Anm. 821.
888 Siehe Anm. 322.
889 Revue des 4t. juives 33, lllf. Sal. Kahn, Les juifs de Mont-
pellier au XVÜI. si4cle. 1. c. p. 289.
870 Le cri du citoyen contre les juifs de Metz (18. sc.) zit. bei
Maignial, 1. c., 234.
871 Bei F. Bothe, Beiträge, 74.
878 Siehe Anm. 323.
878 Zitiert bei Liebe, Judentum, 91 f.
874 N. Roubin, La vie commerciale des juifs contadines en Langue-
doc, Revue des 4t. juives Vol. 34. 35. 36.
875 Juden in d. deutschen Handelsstädten (1818), 254.
878 Bericht der Kriegs- und Domänenkammer über den Wirtschaft!.
Niedergang des Herzogtums Magdeburg; zit. bei Liebe, Judentum, 91.
877 Juden, sind sie der Handlung schädlich? (1803), 25.
878 Graetz, Gesch. d. Jud. 9, 445.
879 Romanis Landwirtschaft!. Reise 2 (1776), 148.
880 Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle der Freundlichkeit des
Herrn Josef Reizmann.
881 Child, Disc. on trade, 152.
888 Hyamson 1. c. p. 274f.
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462
“• Revue de« 6t. juives 8t, 290.
884 Ludolf Hol st , Judentum (1821), 290.
484 Juden in den deutschen Handelsstädten (1818), 289.
888 Lud. Holst a. a. O. 8.288.
887 Rev. des 6t. juives YoL 86.
884 Rev. des 6t juives 88 , 289.
^ (König), Annalen, 90.
,w Aus der am 9. Jan. 1786 von der ungarischen und siebenbärgischen
Hofkanzlei abgefaßten Denkschrift (Mitteilung des Herrn Jos. Beizmann).
891 K. Staatsarchiv nach Mitteilung des Herrn Ludwig Davidsohn.
898 „ln the U. S. A. the most striking characteristic of Jewish
commerce is found in the large number of departement stores held by
Jewish firms“. Jew. Enc. Art. Commerce 4, 192.
898 Siehe z. B. die Firmenlisten bei JuL Hirsch, Das Warenhaus
in Westdeutschland, 1910.
894 Juden, sind sie der Handlung schädlich? (1803X 88.
899 Henry Sampson, A history of advertising (1875), 68.
Neuntes Kapitel
Die Funktionen der kapitalistischen WirtschaftssuhJekte
894 Siehe die ausführliche Darstellung des hier nur auszugsweise be-
handelten Gegenstandes in meiner Abhandlung: Der kapitalistische Unter-
nehmer, im Archiv für Soz.Wiss. u. Soz.PoL, Band 29.
Zehntes Kapitel
Die objektive Eignung der Juden zum Kapitalismus
897 M. Kayserling, The Jews in Jamaica in Jew. Quart Rev. 12,
708 ff.
898 Einen Überblick über die jüdischen Welthäuser seiner Zeit und
ihre Verzweigungen gibt Manasseh ben Israel in seiner Denkschrift an
Cromwell. Die Geschichte der einzelnen Familien findet man ausführlich
dargestellt in der Jewish Encyclopedia, die naturgemäß gerade in ihren
biographischen Teilen besonders wertvoll ist Im übrigen ist auf die juda-
istischen Allgemein- und Spezialwerke zu verweisen.
899 Nach den Lettres 6crites de la Suisse, dTtalie ec. Enc. m6th»
Manuf. 1, 407. Vgl. damit den Ausspruch Jovets, den Schudt, Jüd.
Merkw. 1, 228 anführt
409 The Spectator Nr. 495, 7 (1749) 88 f.
401 Revue historique 44 (1890).
409 Siehe z. B. Graetz, G. d. J. ö 9 , 328 ff
408 Alle die erwähnten Beispielen jüdischer Diplomaten sind ja
aus der Geschichte jedem bekannt. Sie ließen sich natürlich leicht ver-
mehren. Wer sich über diese Dinge genauer unterrichten will, wird zu-
nächst immer bei Graetz nachschauen, wo das reichste Material auf-
gestapelt ist (siehe z. B. Bd. 6, Seite 85, 224 ff.; Bd. 8, Kap. 9, Seite 360 ff)
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und wird von da leicht den Weg zu der Spezialliteratur und den Quellen
finden.
494 M. Kayserling, Chr. Columbus (1894), 106.
499 H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland (1848),
206 ff.
409 Edm. Bonn aff 4, Dict, des amateurs fran^ais au XV XL si&cle
(1881), 191 f.
491 Nach Procop B» G. I 8 und 16: Friedl&nder, Sittengeschichte
Borns 8 6 , 577.
404 (v. Kor tum), Über Judentum und Juden (1795), 165.
409 (v. Kortum), a. a. O. S. 90.
410 Revue des 4t. juives 28 (1891), 90.
411 M. de Maul de, Les juifs dang les Etats iran$ais du Saint-Si4ge
etc. 1886. Über die Rechtsstellung der Juden unterrichtet die judaistisch-
historische Literatur häufig sehr gut (da die meisten Autoren ja gar
keine andere „Geschichte“ als Rechtsgeschichte kennen und fast ausschließ-
lich Rechtsgeschichte insbesondere dann vortragen, wenn sie Wirtschafts-
geschichte schreiben wollen). ^Besonders reich an gesetzlichem Material ist
der Artikel „Juden“ bei Krünitz (Bd. 31), ebenso Schudt, namentlich für
Frankfurt Besondere Sammlungen dieses Materials enthalten für Frank-
reich: Halphen, Recueil des lois etc. concernant les Israölites. 1851;
für Preufsent L. von Rönne und Heinr. Simon, Die früheren und
gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämtlichen Landesteilen des
Preußischen Staates ubw. 1843. (Die von mir im Texte zitierten Gesetzes-
stellen sind alle dieser Sammlung entnommen.) Al fr. Michaelis, Die
Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen seit dem Beginn des 19. Jahrh.
Gesetze, Erlasse, Verordnungen, Entscheidungen, 1910.
419 Siehe z. B. Bento Carqueja, O capitalismo moderao e as suas
origens em Portugal (1908), 73 ff; 82 ff, 91 ff.
418 Wagen aar, Beschrijving van Amsterdam Dl VIII bl. 127 bei
H. J. Koenen, Geschiedenes, 142. Außer den bei Koenen erwähnten
Quellen unterrichtet über den Reichtum der holländischen Juden (natürlich
mit stark übertreibender Blague: siehe z. B. die Ziffern aus dem Testament
De Pintos auf Seite 292) Joh. Jac. Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten
usw. 1 (1714), 277 ff., 4 (1717), 208f. Vgl Max. Missions Reise nach
Italien (1713), 43. Aus der neueren Literatur ist noch zu nennen:
M. Henriqnez Pimentei, Geschiedkundige Aanteekeningen betreffende
de Portugesche Israeliten in den Haag (1876), 34 ft.
4,4 Glückei von Hameln, Memoiren, 134ff.)
415 Savary, Dict. 2 (1726), 448.
416 L. Wolf, The Jewry of the restauration 1660 — 1664; repr. from
The Jewish Chronide (1902), p. 11.
417 Siehe die Quellen namentlich bei H. Reils, Beiträge zur ält Ge-
schichte der Juden in Hamburg in der Zeitschr. des Ver. f. hamb. Gesch.
2 (1847), 857 ff, 880, 405 und M. Grunwald, Portugiesengräber auf
deutscher Erde (1902), 16 f„ 26, 85 ft.
418 Mitgeteilt bei BL Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, 20. 191 ffl
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419 F. Bot he, Die Entwicklung der direkten Besteuerung der Reichs-
stadt Frankfurt (1906), 166; Tab. 10 und 15.
490 Kracauer in der Zeitschr. f. d. Gosch, d. Judentums in DeutschL
8 (1889), 341 ff.
491 Alex. Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden (1907), 408 ff
4,1 L. Geiger, Geschichte der Juden in Berlin 1 (1871), 43.
Elftes Kapitel
Die Bedeutiao der Jldlschei Religion fflr das Wlrtsehaftsleben
4tt M. Lazarus, Ethik des Judentums (1904), 67. 85 und öfters.
494 Hermann Cohen, Das Problem der jüdischen Sittenlehre. Eine
(beil&ufig bemerkt: vernichtende) Kritik von Lazarus 1 Ethik des Judentums
in der Monatsschrift für Gesch. u. Wiss. des Judentums 43. Jahrgang
385 ff (390/91).
488 Orach Chajim § 8.
429 Zit bei F. Weber, Altsynagog&le Theologie (1880), 273.
487 I. Wellhausen, Israel, und jüd. Gesch., 340.
488 Graetz, G. d. J. 4 9 , 411. Siehe dort weiter eine natürlich ein-
seitig optimistische, aber doch vortreffliche Würdigung des Talmud und
seiner Bedeutung für die Judenschaft.
499 J. Fromer, Vom Ghetto zur modernen Kultur (1906), 247.
490 M. Kayserling, Christoph Columbus (1894), VI.
481 Das Haus Rothschild 1 (1857), 186.
488 Es ist hier nicht der Ort, auf die Geschichte der Bibel, das heißt
also die Ergebnisse der modernen Bibelkritik, näher einzugehen.
Ich begnüge mich daher damit, nur einige wenige Werke aus der Un-
geheuern Literatur anzuführen, die als Einleitung dienen können: Zittel,
Die Entstehung der Bibel, 5. Aufl. 1891 ; für die Geschichte des Pentateuch
insbesondere: Adalbert Merx, Die Bücher Moses und Josua. 1907 und
Ed. Meyer, Die Entstehung des Judentums. 1896.
498 Lic. W. Frankenberg, Die Sprüche übers, und erläut. im Hand-
kommentar zum A. T. her. von D. W. Nowack, II. Abt. 3. Bd. 1. Teil;
daselbst (S. 16) findet sich auch eine Angabe der Literatur über die Weisheits-
bücher. Siehe jetzt noch Henri Trabaud, La loi mosaique, ses origines
et son däveloppement (1903), 77 ff. Trabaud faßt die Chokmah als einen
Versuch auf, das strenge Gesetz zu mildern.
484 Das Andrängen des auflösenden hellenistischen Geistes und den
Kampf des alten Judentums dagegen behandelt jetzt vom jüdischen Stand-
punkte aus ausführlich M. Friedländer, Geschichte der jüdischen
Apologetik. 1903. Die christlich-theologischen Darstellungen dieser Epoche
sind zahlreich.
488 Die Literatur über den Talmud füllt begreiflicherweise eine
große Bibliothek. Ich nenne daher wiederum nur einige Werke, die zur
ersten Unterweisung geeignet sind. Unter ihnen steht obenan die vortreff-
liche Arbeit von Herrn. L. Strack, Einleitung in den Talmud. 4. Aufl.
1908. Sie enthält selbst eine ausführliche Bibliographie. Speziell die
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Literatur zur „Pflichtenlehre des Talmud 4 (die für unsere Zwecke be-
sonders in Betracht kommt) findet man zusammengestellt bei Salo Stein,
Materialien zur Ethik des Talmud. 1904. (Von guten Talmudkennern wird
der Wert dieser Bibliographie angezweifelt) Neuerdings hat sich in geist-
voller Weise mit dem Talmud (ebenso wie mit der biblischen und späteren
rabbinischen Literatur) beschäftigt: Jac. Fromer in seinem interessanten
Buche: „Die Organisation des Judentums 4 1908, das als Einleitung zu
einer großen, von Fromer geplanten Realkonkordanz des Talmud dienen
soll. Von älteren religionsgeschichtlichen Werken, die sich besonders
gründlich mit den Quellen befassen und diese in übersichtlicher Weise
zusammenstellen, muß besonders erwähnt werden : E. Schüler, Geschichte
des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 8 Bände. Der erste Band
(2. Aufl. 1890) enthält in § 8 ein sehr eingehendes Quellenverzeichnis.
Außerdem sind die allgemeinen Geschichten der Juden — namentlich
Graetz — bequeme Einführungen in die jüdische Religionsliteratur.
488 Eine brauchbare Übersetzung vom Schulchan Aruch, wie wir
sie jetzt vom Talmud bekommen, gibt es leider noch nicht Man ist
immer noch angewiesen auf die Löwe sehe (1837), die nicht vollständig
und auch nicht frei von Tendenz ist (Die Neuauflage dieser Übersetzung
ist ein ganz wertloses populärtendenziöses Machwerk). Daneben ist der
Orach Chajim und Jore Deah vom Rabb. Ph. Lederer (1906. 2. Aufl.
bzw. 1900) leider aber nicht vollständig verdeutscht
Die neusprachige Literatur über den Sch. Ar. trägt fast durch-
gängig einen pamphletistischen Charakter: das Werk ist von den Anti-
semiten mit Vorliebe als Fundgrube ausgebeutet worden, und die jüdischen
Gelehrten haben sich fast immer nur bemüßigt gefühlt, die Angriffe der
antisemitischen Pamphletisten abzuschlagen. Dahin gehören: Ad. Lewin,
Der Judenspiegel des Dr. Justus 1884 und D. Hoffmann, Der Schulchan
Aruch und die Rabbiner über das Verhältnis der Juden zu Anders-
gläubigen. 1885. So ist für die objektiv-wissenschaftliche Darstellung
wenig übrig geblieben. Und doch wäre der Schulchan Aruch eben so sehr
einer gründlichen Behandlung wert, wie der Talmud. Die einzig mir
bekannte Arbeit streng- wissenschaftlichen Charakters, die hierher gehört,
ist die Abhandlung von S. Bäck, Die religionsgeschichtliche Literatur der
Juden in dem Zeiträume vom 15. — 18. Jahrh. 1893. Aus Winter und
Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluß des Kanons. II. Band.
Die Schrift enthält eine Darstellung der Sammelwerke und Kodices nebst
allen Kommentaren sowie der Responsen: in Anbetracht ihres geringen
Umfangs und der Riesigkeit des Stoffgebiets natürlich im wesentlichen nur
eine Skizzierung.
487 Paul Volz, Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba. 1903.
488 Fürst, Untersuchungen über den Kanon des A. T. nach den Über-
lieferungen in Talmud und Midrasch. 1868.
489 L. Stern, Die Vorschriften der Thora, welche Israel in der Zer-
streuung zu beobachten hat. Ein Lehrbuch der Religion für Schule und
Familie. 4. Aufl. 1904. S. 28 f. Dieses Buch, das als Typus für andere
Sombart, Die Jaden 30
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seinesgleichen gelten kann, vertritt die heutige Auffassung des streng-
gläubigen Judentums und ist vom Rabb. Hirsch und vom Landesrabbiner
Hildesheimer approbiert Ich werde öfters darauf Bezug nehmen.
449 Über die Unmöglichkeit einer jüdisch-theologischen Dogmatik z. B.
Eabb. Sim. Mandl, Das Wesen des Judentums (1904), S. 14. Mandl stützt
sich auf J. Gutmann, Über Dogmenbildung und Judentum (1894), der
freilich das Problem auch nur ganz aphoristisch behandelt VgL noch
S. Schlechter, The Dogmas of Judaism, in der Jew. Quart Beview 1
(1889), 48 ff., 115 ff. Bekanntlich war Moses Mendelssohn (in seinem
„Jerusalem“) derjenige, der zuerst dem Gedanken: „das Judentum hat
keine Dogmen“, einen scharfen Ausdruck gab.
441 Stern a. a. 0., S. 5/6.
448 J. Dö Hing er, Heidentum usw. (1857), 684.
444 Kudlius Namatianus, De reditu suo bei Thöod. Bei nach, Textes
d’auteurs grecs et romains relatifs au judaisme Font rer. jud. 1 (1895), 358.
444 L. Stern a. a. 0. S. 49. S. B. Hirsch, Jissroöls Pflichten usw.
4. Aufl. 1909. § 711.
444 Bei F. Weber, Altsjnagogale Theologie (1880), 49. Weber hat
gerade die vertragsmäßige Seite der jüdischen Religion am schärfsten
herausgearbeitet Die Darstellung im Texte lehnt sich in diesem Punkte
mehrfach an ihn an. Auch von den Belegstellen sind mehrere seinem
Werke entnommen.
444 Aboth II Anfang (in Graetz scher Übertragung).
447 Belege bei F. Weber a. a. O. S. 270 ff., 272 ff.
448 F. Weber a. a. O. S. 292ff.
449 B. Jos. Albo, Buch Ikkarim. Grund- und Glaubenslehren der
mosaischen Religion (15. Jahrh.) Deutsch von W. Schlessinger und
Ludw. Schlesinger, (1844), Kap. 46ff., wo dieses Problem nach allen
Seiten hin erörtert wird. Albos Buch enthält die ausführlichste der mir
bekannten Darstellungen der Vergeltungslehre.
480 S. B. Hirsch, Versuche über Jissroöls Pflichten in der Zer-
streuung. 4. Aufl. 1909. Kap. 13; insbes. §§ 100, 105.
481 J. F. Schröder, Talmudisch-rabbinisches Judentum (1851), 47 f.
489 Graetz, G. d. J. 2 II, 203 ff. und Note 14. Aus der neueren (christ-
lichen) Literatur: J. Bergmann, Jüdische Apologetik im neutestament-
lichen Zeitalter (1908), 120 ff. Über den Geist der alt jüdischen Glaubens-
lehre: J. Wellhausen, Israel, und jüd. Gesch. 15. Kapitel.
488 Herrn. Deutsch, Die Sprüche Salomons nach der Auffassung in
Talmud und Midrasch. 1. einl. Teil. 1885.
484 J. Fr. Bruch, Weisheitslehre der Hebräer (1851), 135.
488 Rabb. Sinai Schiffer, Das Buch Kohelet. Nach d. Auffassung
der Weisen des Talmud und Midrasch usw. Teil 1. 1884.
488 Über die Entwicklung der jüdischen Beligion zur Nomokratie
geben alle religionsgeschichtlichen, aber auch die meisten der allgemein-
geschichtlichen Werke befriedigenden Aufschluß. Ich verweise etwa auf
J. Wellh ausen, Isr. n. jüd. Gesch., 250, 339 ff. Graetz, G. d. J. 4 9 , 233 ff.
6 9 , 174ff., ferner auf die bekannten Werke von Müller, Schürer, Marti.
i
;
i
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457 Babb. Bim. Mandl, Das Wesen des Judentums (1904), 14.
488 8. R. Hirsch, Jissroöls Pflichten. 4. Aufl. 1904. § 448.
459 Eine Reihe ähnlicher Ausspruche stellt aus der talmudisch-rabbi-
nischen Literatur zusammen S. Schaffer, Das Recht und seine Stellung
zur Moral nach talmudischer Sitten- und Rechtslehre (1889), 28 ff.
460 M. Lazarus, dessen „Ethik des Judentums“ (1904), 22 diese
Stellen entnommen sind, hat diesen Grundgedanken der jüdischen Sitten-
= Religions-) lehre : daß heilig sein den triebhaften Menschen überwinden
heißt, gut herausgearbeitet Freilich nicht ohne die merkliche Tendenz, die
Ethik des Judentums mit der kantischen Ethik letzten Endes zu identi-
fizieren.
491 Kidd. 30 b} B. B. 16 a.
402 Übersetzt bei S. Schaffer, Das Recht und seine Stellung zur
Moral nach talmudischer Sitten- und Rechtslehre (1889), 54
498 Übers, bei Hirsch B. Fassei, Tugend- und Rechtslehre des
Talmud (1848), 38.
494 Ausführl. erörtert von Rabb. Jos. Alb o, Buch Ikkarim; Kap. 24 ff.
499 S. Bäck, Die religionsgeschichtl. Literatur der Juden usw. (1893)
Vorwort
499 M. Lazarus, Die Ethik des Judentums (1904), 20 ff.
491 L. Stern, Die Vorschriften d. Thora 4. Aufl. 1904. Nr. 126.
499 R’ Nathans Ethik XXI. 5.
499 G. Fr. Oehler, Theologie des A. T. 3. Aufl. 1891. S. 878.
470 M. Lazarus, Ethik des Judentums, 40. Lazarus verdeutlicht
diesen Grundsatz durch die Analyse der Zwei Büchsen-Sitte des Mischan
abelim (eines jüdischen Unterstützungsvereins in Berlin).
«W R’ Nathans Ethik XVI. 6. Übers. S. 76.
472 L. Stern, Die Vorschriften der Thora (1904), Nr. 127a.
478 Die Stellen, die in den jüdischen Religionsbüchem die Arbeit
preisen, hei L. K. Amitai, La sociologie selon la 16gislation juive (1905),
90 ff.
474 S. R. Hirsch, Jissroöls Pflichten (1909), § 448. Die Worte im
Original gesperrt. *
479 S. R. Hirsch, a. a. O. § 463.
479 L. Stern, a. a. O. S. 239.
477 S. R. Hirsch, a. a. O. § 443; fast gleichlautend Stern, a. a. 0.
Nr. 125, 126 und öfters.
478 J. Fromer, Vom Ghetto zur modernen Kultur (1906), 25 ff.
479 Der Iggeret ha-kodesch des R’ Nachmani ist zuerst herausgegeben
1556; ins Lateinische übersetzt von Gaffareli. Graetz, G. d. J. 7 2 , 46.
489 S. R. Hirsch, a. a. 0. § 263; vgl. §§ 264, 267.
481 Die Ziffern sind zusammengestellt von Hugo Nathanson, Die
unehelichen Geburten bei den Juden in der Zeitschr. f. Dem. u. Stat. der
Juden 6 (1910), 102 f.
482 Sigm. Freud, Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre.
2. Folge. 1909.
30*
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488 Siehe z. B. Dr. Hoppe, Die Kriminalität der Juden und der
Alkohol in der Zeitschr. f. Dero. u. Stat d. Juden. 3. Jahrg. (1907), 38 ff.,
49 ff. H. L. Eisens t&dt, Die Renaissance der jüdischen Sozialhygiene
im Archiv f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie 5 (1908), 714 ff. L. Che inisse,
Die Rassenpathologie und der Alkoholismus bei den Juden in der Zeitechr.
für Dem. usw. 6. Jahrg. (1910), 1 ff. Daß die Religion es in der Tat ist,
die bisher den Alkoholismus (wie auch die Syphilis) von den Juden fern-
gehalten hat, läßt sich mit großer Sicherheit feststellen: z. B. wenn n»m
in den Hospitälern die eben eingewanderten (also fremden) Juden mit den
ansässigen vergleicht, wie es Dr. Zadoc-Kahn für Paris getan hat.
484 J. Wellhausen, Isr. u. jüd. Gesch., 119.
499 Cicero, pro Flacco c. 28.
499 Mommsen, R. G. 5, 545.
487 Zusammengestellt bei Felix Stähelin, Der Antisemitismus des
Altertums. 1905. Vgl. Re in ach, Fontes.
488 J. Bergmann, Jüdische Apologetik im nentestamentlichen Zeit-
alter (1908), 157 ff.
488 Graetz, G. d. J. 5*, 73.
488 Graetz, G. d. J. 6 2 , 321.
481 Graetz, G. d. J. 6, 140 ff, 161.
488 Siehe die jetzt zusammenfassende Darstellung der Zinsgesets-
gebung im älteren jüdischen Recht bei Joh. Heicl, Das alttestamentliche
Zinsverbot usw. (Biblische Stud., herausgegeben v. O. Barden he wer.
XU. Band. 4. Heft. 1907).
488 Siehe jetzt wieder die Zusammenstellung zahlreicher Responsen
bei Hoff mann in Schmollers Forschungen, Band 152.
484 Vgl. z. B. Hirsch B. Fassei, Tugend- und Rechtslehre des Tal-
mud (1848), 193 ff. E. Grünebaum, Die Sittenlehre der Juden andern
Bekenntnissen gegenüber (2. AufL 1878), 414 ff., denselben, Der Fremde
nach rabbinischen Begriffen in Geigers jüd. Zeitschr. Bd. 9 und 10. —
D. Hoffmann, Der Schulchan Aruch und die Rabbiner usw. (1885), 129 ff.
M. Lazarus, Ethik des Judentums (1904), §§ 144 ff. Die Darstellungen sind
alle auffallend unvollständig; zum Teil möchte man glauben, der Verfasser
färbe tendenziös. Was Lazarus z. B. im 3. Kapitel seiner Ethik über die
Pflichten Israels gegen Fremde sagt, macht seinem humanitären Herzen alle
Ehre: mit der historischen Wahrheit geht es recht willkürlich um. Es ist
doch kaum statthaft, daß man alle Quellenstellen, die das Gegenteil der
verfochtenen Meinung besagen, einfach ignoriert.
488 „Bei seinem Erscheinen vor dem himmlischen Richter wird der
Mensch zu allererst gefragt: Bist Du ehrlich und redlich im geschäftlichen
Verkehr gewesen ? a Sabb. 81a. Diesen Satz des Talmud setzt als Motto
seiner Schrift voran, in der er die auf Treu und Glauben bezugnehmenden
Quellenstellen bespricht, Rabb. Stark, Das biblisch-rabbinische Handels-
gesetz (Privatdruck).
488 Graetz, G. d. J., 10, 62 ff., 81.
487 Graetz, G. d. J., 9, 86ff., 213ff., 10, 87ff. Alb. M. Hyamson,
Hist of the Jews in England (1908) 164ff. Jew. Quart Rev. 3 (1891), 61-
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Zwölftes Kapitel
Jüdische Eigenart
498 Siehe neuerdings wieder die scharfe Kritik von R. S. 'Wood-
worth, Racialdifferences in mental traits. Ref. im Bulletin mensuel des
Institut Solvay. 1910. Nr. 21.
499 Anat Leroy-Beaulieu, Israel chez les nations (1898), 289.
900 H. St Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrh. 3. Aufl.
1901. S. 457 f.
501 Auf den Streit über die verschiedene, sich zum Teil ausschlieftende,
zum Teil sich deckende Bedeutung der Worte Volk, Nation, Nationalität
gehe ich nicht näher ein. Der interessierte Leser findet alles Wissens-
werte, was auf dieses Problem Bezug hat in der vortrefflichen Studie von
Fr. J. Neumann, Volk und Nation. 1888. Neue wertvolle Bearbeitungen
lieferten Otto Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie,
1907, und Felix Rosenblüth, Zur Begriffsbestimmung von Volk und
Nation. Heidelberger In.-Diss. 1910.
509 Ad. Jellinek, Der jüdische Stamm in Sprichwörtern. 2. Serie
(1882), 18 ff., 91.
908 J. Zolls chan, Das Rassenproblem unter besonderer Berück-
sichtigung der theoretischen Grundlagen der jüdischen Rassenfrage (1910),
298.
984 Ad. Jellinek a. a. O. und 3. Serie (1885), S. 39.
909 Juan Hu arte de San Juan, Exam. de ingeniös (Bibi, de aut
esp. LXV, 469 ff.).
906 Ad. Jellinek, Der jüdische Stamm (1869), 87. Dieses Buch des
bekannnten Wiener Rabbiners gehört zu dem Besten, was über jüdisches
Wesen geschrieben ist Einen hervorragenden Platz unter den Schriften,
die sich an einer Charakteristik der Juden versucht haben, nimmt ferner
ein das kleine Buch von D. Chwolson, Die semitischen Völker (1872),
das sich vornehmlich mit Ronans Histoire gänärale et systöme comparö
des langues S4mitiques (1855) auseinandersetzt Als Dritten, der in die
jüdische Psyche tief und klar hineingeschaut hat, möchte ich Karl Marx
(Die Judenfrage 1844) nennen. Was seit diesen Männern (die alle drei
Juden waren!) über jüdisches Wesen ausgesagt ist, sind entweder nur
Wiederholungen oder Entstellungen der Wirklichkeit.
bot über die Juden als Mathematiker: Mor. Steinschneider in
der Monatsschrift 49—51 (1905 — 1907).
909 Über die Juden als Ärzte: M. Kayserling, Zur Gesch. d. jüd.
Ärzte in der Monatsschrift 8 (1859) und 17 (1868).
999 J. Zoll sch an, Das Rassenproblem (1910), 159.
910 Chr. Lassen, Indische Altertumskunde 1 (1847), 414 ff.
511 Pinto, Reflex, etc. in den Lettres de quelques juifs l 9 , 19.
919 J. M. Jost, Geschichte des Judentums und seiner Sekten 8
(1859), 207 ff Jost versucht die verschiedene Stellung, die die beiden
jüdischen Gruppen gegenüber der Messiashoffhung eingenommen haben,
auf ihre verschiedene „Beweglichkeit“ zurückzuführen.
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818 Derech Erez Sutta. Cap. VIII. Übers. Abr. Tawrogi (1885), 38.
614 Megilla, 16. Üben. Jellinek a. a. 0. 8. 165.
8.8 Midrasch Rabba Gen. I c. 44. Üben. Fromer a. a. O. S. 128.
516 M. Muret, L’esprit juif (1901), 40.
817 K. Knies, Credit 1, 240. 2, 169.
Dreizehntes Kapitel
Das Rassesproblem
6.8 Friedr. Martins, Die Bedeutung der Vererbung für Krankheits-
entstehung und Rassenerbaltung im Arch. £ Rass. und Ges. Biologie 7
(1910), 477.
819 Aus der neueren Literatur, die die ethnologisch-anthropo-
logische Urgeschichte der Juden zum Gegenstände hat, ragt
hervor: von Luschan, Die anthropologische Stellung der J. im Korre-
spondenzblatt für Anthropologie 28 (1892). An diese Arbeit knüpft dann
wieder eine ganze Reihe anthropologischer Untersuchungen an, deren wert-
vollste die zusammenfassende Studie von Judt, Die Juden als Rasse,
1908, ist Andere nenne ich noch im weiteren Verlauf der Darstellung.
Von historischer Seite her ist viel Licht verbreitet worden durch Ed.
Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, 1906. Neben diesem
ausgezeichneten Werke behält von älteren Schriften noch einen selb-
ständigen Wert A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden
zu den Fremden, 1896. Natürlich kommt auch die gesamte reiche Literatur
der „Babylonier“ in Betracht, also die Arbeiten von Winkler, Jeremias
u. a.; neuerdings W. Erbt, Die Hebräer. Kanaan im Zeitalter der
hebräischen Wanderung und hebräischen Staatengründung, 1906.
890 H. V. Hi lp recht, The Babylonian Expedition of the University
of Pennsylvania. Ser. A. Cuneiform Texte. Vol. IX (1898), 28. 29; idem,
Explorations in Bible Lands during the 19*ü Century (1903), nam. 409 £
821 Siehe z. B. v. Luschan, Zur phys. Anthropologie der Juden in
der Zeitschr. für Dem. u. Stat. d. J. 1 (1905), 1 ff.
822 Hauptvertreter der Hypothese von der Ubiquität der Germanen
ist Ludw. Wilser, der seine Ansicht in zahlreichen Schriften, am aus-
führlichsten in seinem Buche: „Die Germanen“, 1903, niedergelegt hat
Gegen ihn wendet sich jetzt wieder mit guten Gründen Zollschan, Das
Rassen-Problem (1910), z. B. S. 24 f.
828 Mommsen, R.G. 5, 549.
824 Graetz, G. d. J. 5, 188 ff. 330 ff. 370 ff
898 Graetz, G. d. J. 7, 63.
828 Sämtlich bei E. H. Lindo, Hist, of the Jews of Spain etc.
(1848), 10 ff.
897 Gegen Hoeniger, der für Köln diese Auffassung vertreten hat,
hat sich eine ganze Schar judaistischer Schriftsteller mit Entschiedenheit
gewandt, wie Lau, Brann, Keussen und neuerdings Ad. Kober,
Studie zur mittelalterlichen Gesch. der J. in Köln a. Rh. (1903), 18 f.
898 Maurice Fishberg, Zur Frage der Herkunft des blonden Ele-
ments im Judentum in der Ztschr. f. D. u. St. 8 (1907), 7 ff. 25 ff. Gegen
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F. in derselben Zeitschrift 8, 92 ff. Elias Auerbach, Bemerkungen zu
F.s Theorie usw.
BW Das ist im wesentlichen die Auffassung von F. Sofer, Über die
Plastizität der menschL Bassen im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol. 5 (1908),
666; Elias Auerbach, Die jüd. Bassenfrage ebenda 4, 359; v. Luschan
(mit einigen Einschränkungen) eb. 4, 370; Zoll sch an a. a. 0. S. 125, 134
und öfters.
680 Siehe die Ergebnisse bei Judt a. a. O. und vgl. damit
A. D. Eikind, Die Juden. Eine vergleichend - anthropologische Unter-
suchung, 1903; ich kenne das Werk nur aus der Besprechung von Wein-
berg im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol. 1 (1904), 915 f.; Desselben Aufsätze,
AnthropoL Untersuchungen über die russ.-poln. Juden usw. in der Zeitschr.
f. D. u. St. d. J. 2 (1906), 49 ff., 65 ff. und Versuch usw. ebenda 4 (1908),
28 f.; Leo Sofer, Zur anthropol. Stellung der J. in der Pol. anthrop.
Bevue, 7. Jahrg. (Bef. darüber in der Ztschr. f. D. u. St. d. J. 4, 160);
El. Auerbach, Die jüdische Bassenfrage im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol.
4 (1907), 332 ff; Aron Sandler, Anthropologie und Zionismus, 1904 (Er-
gebnisse aus zweiter Hand); Zollschan a. a. O. 39 ff.
581 Für die „Bassendifferenz“ zwischen sephardischen und aschke-
nasischen Juden treten ein S. Weissenberg, Das jüd. Bassenproblem
in der Zeitschrift 1 (1905), 5. Heft; Maur. Fishberg, Beitr. zur phys.
Anthrop. der nordafrikan. J. ebenda Heft 11. Gegner dieser Auffassung
sind die meisten der in Anm. 530 genannten Forscher.
682 Eine gute Übersicht über den Stand der Literatur zur Frage
nach der physiologisch-pathologischen Sonderveranlagung
der Juden gibt Leo Sofer, Zur Biologie und Pathologie der jüd. Basse
in der Zeitscnrift 2 (1906), 85 ff. Seitdem ist aber der Streit erst recht ent-
brannt. Siehe alle folgenden Jahrgänge der Zeitschrift für D. u. St. d. J.;
ferner im Arch. für Bass. u. Ges. Biol. 4 (1907), 47 ff. 149 ff. Siegfr. Bosen-
feld, Die Sterblichkeit der J. in Wien und die Ursachen der jüdischen
Mindersterblichkeit (contra I).
588 F. Hertz, Mod. Bass. Theor. (1904), 56.
584 C. H. Stratz, Was sind Juden? Eine ethnographisch-anthro-
pologische Studie (1908), 26.
685 Abbildungen bei Judt und in zahlreichen Büchern archäologischen,
historischen, kunsthistorischen, anthropologischen Inhalts. Vgl. noch
L. Messerschmidt, Die Hettiter, 1903.
588 Siehe z. B. Hans Friedenthal, Über einen experimentellen
Nachweis von Blutsverwandtschaft (1900). Die Abhandlung ist zusammen
mit anderen Untersuchungen des Verfassers ähnlichen Inhalts jetzt wieder
erschienen in dem Werke: Arbeiten aus dem Gebiete der experimentellen
Physiologie, 1908.
681 Carl Bruck, Die biologische Differenzierung von Affenarten und
menschlichen Bassen durch spezifische Blutreaktion. S.A. aus der Berliner
Klinischen Wochenschrift, 1907, Nr. 26.
588 v. Luschan, Offener Brief an Herrn Dr. Elias Auerbach, im
Archiv für Bassen u. Ges. Biologie 4 (1907), 371.
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889 A. Rappin, Die Mischehe in der Zeitschr. f. D. u. St d. J. 4, 18.
840 Mommsen, R.G. 6, 529.
841 M. Braunschweiger, Die Lehrer der Mischna (1890), 27.
849 Nach dem Berichte Ibn-Bajans: Graetz, G. d. J. 6, 22.
848 Graetz, G. d. J. 6, 320.
644 Gregor. Ep. IX, 36 bei Schipper a. a. O. 8. 16.
444 Herzfeld a. a. O. 8. 204.
546 Für die talmadische Zeit gibt Herzfeld a. a. O. 8. 118 ff. (nach
den Talmudtraktaten) eine Übersicht über die in Palästina zum Verkauf
gebrachten ausländischen Waren. Es sind mehr als 100.
447 Alfred Bertholet, Die Stellung der Israel, und d. Jud. zu den
Fremden (1896), 2 ff.
448 Siehe z. B. Büchsen schütz, Besitz und Erwerb im griechischen
Altertum (1869), 443 ff.
849 Friedländer, SittGesch. 3 6 , 571.
850 Kidduschin 82*.
661 Rabbi Nathans Ethik XXX, 6 (Übersetzung 8. 107).
889 PeSahim 113».
888 Pe 8 ah im 50*; Übers. L. G. 2, 500. Siehe auch das (freilich
ungesichtete) Material in den (nicht immer tendenzfreien) Artikeln „Welt-
handel und „Handel“ in J. Hamburgers Real-Encyklopädie des Juden-
tums, 1883 bzw. 1896.
884 A. Bertholet, Deuteronomium (1899) in Martis kurz. Hand-
kommentar zum A. T., Abt. 5, 8. 48.
888 Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle der Freundlichkeit des
Herrn Prof. Bertholet.
888 E. Ränan, Les Apötres (1866), 289.
887 J. Wellhausen, Medina vor dem Islam (1889), 4.
888 Siehe z. B. Aronius, Reg. Nr. 45. 62.
889 Siehe den fuero viejo von Kastilien (um 1000) bei Lindo, Hist,
of the Jews of Spain and Port (1848), 73.
880 Nach den Statutes of Jewry Cunningham, Growth l 4 (1905), 204.
881 Nach v. Bergmann Rud. Wassermann, Die Entw. der jüd.
Bevölkerung i. d. Prov. Posen in der Zeitschr. f. D. u. St 6 (1910), 67.
889 F. Delitzsch, Handel und Wandel in Altbabylon (1910), 33. Vgl.
Heicl, Alttestamen tliches Zins verbot (1907), 32 und öfters und die daselbst
S. 54 mitgeteilten Urkunden.
888 Max Weber, Art. Agrargeschichte im Altertum im H. St 8 . VgL
Marquardt, Röm. Staats Verwaltg. 2, 55 ff.
884 Alf. Jeremias, Das alte Testament im Lichte des alten Orients,
2. Aufl. (1906), 534.
888 F. Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten (1899), 88. 128.
888 Die Lebensbeschreibungen der Talmudisten sind öfters zusammen-
gestellt worden. Bequeme Übersichten findet man bei Herrn. L. Strack,
Einleitung in den Talmud, 4. Aufl. 1908; bei Graetz im 4. Bande; bei
A. Sammter, im Anhang zu seiner Übersetzung der Baba mezia, 1876;
vgl. M. Braun sch weiger, Die Lehrer der Mischna, 1890 (populär).
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887 Mo mm se n, R.G. 5, 529.
868 Can. 58 des 4. Toled. Konzils (688), zit bei E. H. Lindo, History
of the Jews of Spain (1848), 14.
889 J. W ellhausen, Medina vor dem Islam. Skizzen und Vorarbeiten
4 (1889), 14.
670 Nach Abraham Ibn-Daud, Graetz 5 S , 845.
871 Siehe noch Graetz, 5*, 11.89.50 und die Stellen bei Schipper
20. 35. VgL J. Aron ins, Regesten z. Gesch. d. J. im fränkischen und
deutschen Reiche bis zum Jahre 1278 (1902), Nr. 45. 62. 178. 206. 227 usw.
Wie Caro (S. 88) zu seinem abweichenden Urteil gelangt, ist nicht ein-
zusehen.
878 Siehe für die Zeit bis zum 12. Jahrhundert etwa die Zusammen-
stellung bei Schipper a. a. 0.; im übrigen die einschlägigen Teile meines
„Modernen Kapitalismus“, Band I.
879 K. F. W. Freiherr von Diebitsch, Kosmopolitische, un-
parteiische Gedanken über Juden und Christen usw. (1804), 29.
574 Es kann wiederum nicht meine Aufgabe sein, hier eine ausführ-
liche Bibliographie der biologischen, anthropologischen, ethnologischen usw.
Werke zu geben, aus denen sich das heutige Wissen in diesen Disziplinen
aufbaut Ich beguüge mich auch in diesem Kapitel damit, einige der mir
wichtig erscheinenden Schriften besonders anzufuhren, damit der Leser
dann von ihnen aus, wenn es ihn gelüstet, selbständig sich weiter orien-
tieren kann.
Die Schriften von Moritz Wagner erscheinen mir noch heute als
grundlegend, so sehr sie auch in Einzelheiten überholt sein mögen. Es sind
namentlich folgende: Die Darwinsche Theorie und das Migrationsgesetz.
1868; Über den Einfluß der geographischen Isolierung und Kolonienbildung
auf die morphologische Veränderung der Organismen, 1871; aus dem Nach-
laß: die Entstehung der Arten durch räumliche Sonderung, ges. Aufsätze
1889. — Von J. Kollmanns Arbeiten kommt hier namentlich in Betracht
sein Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen, 1898; von den
zahllosen Schriften Ad. Bastians: Das Beständige in den Menschen-
rassen und die Spielweite ihrer Veränderlichkeit 1868.
B7B Ludw. Gumplovicz, Der Rassenkampf 1888; die soziologische
Staatsidee. 2. Aufl. 1901.
B7B Führer der Ecole des Roches ist Henri de Tourville, ein
Schüler Le Plays. Eine zusammenfassende Darstellung der Ziele dieser
Richtung gibt Edm. Demo lins, Comment la route cr4e le type social.
Sine Anno.
B77 C. Hart Merrian, Distribution of Indian Tribes etc. in Science
17. 6. 1904; zit bei Fred. Starr, The Relations of Ethnologie in Congr.
of Art and Science (S. Louis 1904), 5, 546 f.
578 Wochenschrift für Soziale Hygiene und Medizin, 1909, Nr. 24, S. 287.
879 VgL noch Ward, Reine Soziologie 1, 243 ff. und die daselbst zit.
Abhandlung von WilL H. Holmes, Sketch of the Origin Development
and probable Destiny of the Races of Men im American Anthropologist
N. S. Vol. IV, Nr. 3, July-8ept. 1902.
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*** Siehe die Literatur and s. T. das Material zur Frage der „Rassen-
mi &chung" and ihrer Wirkungen z. B. bei L. Woltmann, Politische
Anthropologie (1908), 108 ff.
881 Leo 8ofer, Über die Entmischung der Rassen in der Ztschr. f.
D. u. St cL J. 1 (1905). 10. Heft Sofer nimmt dort Bezug auf eine andere
Arbeit in der Pol. anthrop. Revue 1. Jahrgg. Nr. 6.
#M Aus der umfangreichen Literatur über das Vererbungs-
problem und insbesondere die Frage der Vererbbarkeit erworbener Eigen-
schaften nenne ich nur einige neuere, den Gegenstand grundsätzlich be-
handelnde, Schriften: H. E Ziegler, Die Vererbungslehre in der Biologie
1905. W. Schallmeyer, Vererbung und Auslese, 2. AufL, 1910. Rob.
Sommer, Familienforschung und Vererbungslehre, 1907. Fr. Martius,
Das pathologische Vererbungsproblem. 1909.
Bekanntlich ist der Streit wieder lebendig geworden im Anschluß
an das Buch von R. Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im
Wechsel des organischen Geschehens. 2. Aufl. 1908; dagegen unter
anderen A. Weismann, Semons Mneme und die Vererbung erworbener
Eigenschaften im Arch. f. Rass. Biol. 8 (1906) und Semi Meyer, Gedächtnis
und Vererbung, ebenda.
Eine lichtvolle Übersicht über den Stand des Problems vom mehr
philosophischen Standpunkt gibt Jul. Schultz, Die Maschinentheorie des
Lebens (1909), 193 ff. — In seiner bekannten anschaulichen Art führt
W. Bülsche, Das Liebesieben in der Natur 1(1909) gut in die Frage ein.
Ml Besonders verdient um die Erforschung der „Anlagen“ und ihre
Vererblichkeit ist Rob. Sommer; sein Hauptwerk wurde in Anm. 582
schon genannt. Außerdem dienen zum Verständnis seiner Methode folgende
Arbeiten: Individualpsychologie und Psychiatrie, 1907. Die Beziehungen
zwischen Psychologie, Psychopathologie und Kriminalpsychologie vom
Standpunkt der Vererbungslehre in der Wochenschrift für Soziale Hygiene
und Medizin, 1909, Nr. 21 ff.
684 Em. Kant, Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775)
WW. ed. Hartenstein 2.
685 Jo h. Ranke, Der Mensch 2, 360. Vgl. auch die zusammen-
fassende Darstellung von Alfr. Cort Haddon, Ethnology: its soope and
Problems. Congr. of Art and Science 5, 549 ff.
Vierzehntes Kapitel
Das Schicksal das Jüdischen Talks
888 Über die sozial-ükonomi sehen Zustände im alten Palästina sind
wir bisher noch sehr dürftig unterrichtet. Das Beste darüber findet sich
noch bei F. Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten, 1899. Jetzt
eben ist eine hübsche kleine Schrift erschienen, die sämtliche hebräische
Altertümer, darunter auch die, die die Wirtschaft betreffen, nach dem
Stande der neuesten Forschung übersichtlich zur Darstellung bringt: Max
Löhr, Israels Kulturentwicklung. Mit zahlreichen Abbildungen und einer
Karte, 1911.
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887 Wellhausen, Prol., 10. Zu vergleichen Budde, The nomadic
ideal in the 0. T., 1895.
888 F. Batzel, Völkerkunde 3, 47, wo auch einige Beispiele angeführt
werden.
888 Kidd. 71* nach Graetz 4 8 , 273.
880 Graetz, G. d. J. 4 8 , 321.
881 Eine Sammlung der Belegstellen aus der Bibel findet man bei
L. Herzfeld, Handelsgesch. d. J. des Altertums. Note 9.
888 Siehe die Unterlagen der Schätzung bei Buhl, 52 f.
888 Philo in Flaccum 6 (II 523 Mangey) hei St&helin, Antisemitismus
des Altertums, 33.
884 Bei L. Friedl&nder, Sittengesch. Roms 8 8 , 570.
888 Bei Cassel, Art Juden in Ersch und Grub er, S. 24.
888 Tacitus, Ann. II, 85. Sueton und Josephus sprechen nur.
von Juden.
887 Die besten zusammenfassenden Darstellungen der Diaspora vor
der Zerstörung des zweiten Tempels geben: Graetz, G. d. J. 8 8 , 390 ff.;
Frankel, Die Diaspora zur Zeit des zweiten Tempels in seiner Monats-
schrift 2, 309 ff.; Herzfeld a. a. 0. S. 200 ff. und Note 34.
888 Die Entwicklung der Bevölkerungsverh<nisse in der Provinz
Posen in der früheren Zeit hat einen sachkundigen Bearbeiter gefunden
in E. v. Bergmann, Zur Geschichte der deutschen, polnischen und
jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen, 1883. Der Gegenstand ist
dann in neuerer Zeit Öfters behandelt worden: so in der amtlichen Denk-
schrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit** 1906; ferner in dem
Aufsatz von Rud. Wassermann, Die Entwicklung der jüdischen Be-
völkerung in der Provinz Posen und das Ostmarkenproblem (Zeitschr. f.
Dem. u. Stat. d. J., Mai 1910); endlich in der von Bernh. Breslauer
im Aufträge des Verbandes der Deutschen Juden gefertigten Denkschrift
„Die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen“, 1909. Die all-
gemeinen Ziffern für Preußen hat übersichtlich zusammen gestellt und
urteilsvoll gewürdigt Bruno Blau, Judenwanderungen in Preußen, in
der Zeitschrift f. Dem. u. Stat., Oktober 1910, Ich trage hier noch eine
Schrift nach, die sich mit der geschichtlich so außerordentlich bedeutsamen
Vertreibung der J. aus Wien am Ende des 17. Jahrhunderts beschäftigt,
als beste jüdische Elemente nach Mähren, Böhmen, Ungarn, Bayern,
Brandenburg, Polen, Frankreich versprengt wurden: Dav. Kaufmann,
Die letzte Vertreibung der J. aus Wien und Niederösterreich; ihre Vor-
geschichte (1625—1670) und ihre Opfer, 1889.
888 L. Neubaur, Die Sage vom ewigen Juden, 2. Ausg. 1893.
800 Nach Gratian, Vita Joh. Commendoni II, c. 15 und Victor
von Karben, de vita et moribus Judseorum (1504); Graetz, G. d. J.
8, 62 f.
801 J. Ranke, Der Mensch 2, 533.
808 Ratzel, Völkerkunde 3, 743. Daß schon das (westliche) indo-
germanische „Urvolk“ seinem innersten Wesen nach ein nordisches Wald-
volk war, lehrt die vergleichende Sprachforschung, deren letzte Ergebnisse
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jetzt auch einem größeren Kreise zugänglich gemacht sind durch Otto
Schräder in seiner neuesten Schrift „Die Indogermanen tt , 1911. Will
man den Unterschied zwischen einem blutsmäßigen Waldvolke und einem
blutsmäßigen Wüstenvolke gleichsam schmecken, so lese man (und jeder
k*nn es, da es sich um volkstümliche Darstellungen handelt) neben-
einander dies gescheite, kleine Buch von Schräder und die in Anm. 586
genannte Schrift von Löhr.
999 Juan Huarte de San Juan, Examen de ingeniös para las
sdencias. Pamplona 1575. Abgedruckt in der Biblioteca de Autores
Espafioles. Tomo 65, p. 409 seg.
994 F. Delitzsch, Handel und Wandel in Altbabylonien (1910X 12£
999 Ad. Wahrmund, Das Gesetz des Nomadentums (1887), 16.
101 Batzel, Völkerkunde 8, 56.
997 PeSahim foL 87*, Übers. L. G. 2, 641: Wie die Israeliten das
Land Mi$rajim entleerten, und wie die Schütze wanderten, ib. 119* (2, 741).
999 Wilh. Erbt, Die Hebräer (1906), 166.
909 Ephraim justifiö (1758). L’öditeur ä Mr. Andrö de Pinto, Juif
Portugals, Citoyen & Nögociant d f Amsterdam.
610 Pinto, Bäflex. critiques sur le premier Chap. du VH tome des
oeuvres de M. Voltaire (1762) in den Lettres de quelques juifs, 5. öd.
(1781X t T. p. 10 ff.
911 Siehe Graetz, G. d. J. 11, 54f£
918 Pinto 1. c. p 17.
919 A. Nossig, Die Auserwähltheit der J. im Lichte der Biologie
in der Zeitschr. für D. u. St d. J. 1 (1905), 8. Heft Vorher hatte sich über
dasselbe Thema in derselben Zeitschrift, Heft 2, Curt Michaelis ge-
äußert VgL auch dessen Prinzipien der natürlichen und sozialen Ent-
wicklungsgeschichte der Menschheit (Natur und Staat, Bd. 5) (1904), 63 ff.
914 Siehe Aron Sandler, Anthropologie und Zionismus (1904), 24 und
die daselbst angeführte Literatur.
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