Skip to main content

Full text of "Sombart, Werner - Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911)"

See other formats


Die Juden 

und das Wirtschaftsleben 


Digitized by 



Digitized by 



Werner Sombart 

Die Juden 

und 

das Wirtschaftsleben 



Leipzig 

Verlag von Duntker & Humblot 
1911 


Digitized by 



Alle Rechte Vorbehalten 
Copyright 1911 b y Dnncker & Hnmblot 


Altenbtarg 

PUrarsohe Hoftraohdruokoroi 
Stophan Gelb«! k Co. 


Digitized by Google 



© g.fyM 


V 


DS 

im 

£ 6 ^ 



Vorwort 

Vielleicht interessiert es doch manchen Leser, zu erfahren, 
wie ich dazu gekommen bin, dieses sonderbare Buch zu schreiben, 
und interessiert ihn auch zu wissen, wie ich möchte, daß es 
gelesen würde. 

Ich bin ganz durch Zufall auf das Judenproblem gestoßen, 
als ich darauf aus war, meinen „Modernen Kapitalismus" von Grund 
aus neu zu bearbeiten. Da galt es unter andern die Gedanken- 
gän ge, die zu dem Ursprünge des „kapitalistischen Geistes“ 
führten, um einige Stollen tiefer zu treiben. Max Webers 
Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Puritanismus 
und Kapitalismus mußten mich notwendig dazu führen, dem Ein- 
flüsse der Religion auf das Wirtschaftsleben mehr nachzuspüren, 
als ich es bisher getan hatte, und dabei kam ich zuerst an das 
Judenproblem heran. Denn wie eine genaue Prüfung der Weber- 
sehen Beweisführung ergab, waren alle diejenigen Bestandteile 
des puritanischen Dogmas, die mir von wirklicher Bedeutung 
für die Herausbildung des kapitalistischen Geistes zu sein scheinen, 
Entleimungen aus dem Ideenkreise der jüdischen Religion. 

Aber diese Erkenntnis allein hätte mir noch keinen Anlaß 
geboten, in der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus 
den Juden eine ausführliche Betrachtung zu widmen, wenn sich 
mir nicht im weiteren Verlauf meiner Studien — wiederum rein 
zufällig — die Überzeugung aufgedrängt hätte, daß auch am 
Aufbau der modernen Volkswirtschaft der Anteil der Juden weit 
größer sei, als man bisher geahnt hatte. Zu dieser Einsicht 
führte mich das Bestreben, jene Wandlungen im europäischen 
Wirtschaftsleben mir plausibel zu machen, die seit dem Ende 
des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts etwa 
sich vollziehen, und die eine Verschiebung des wirtschaftlichen 


Digitized by t^ooQle 



VI 


Schwergewichts aus den südeuropäischen in die nordwest- 
europäischen Länder im Gefolge haben. Der plötzliche Nieder- 
gang Spaniens, der plötzliche Aufschwung Hollands, das Dahin- 
welken so vieler Städte Italiens und Deutchlands und das Empor- 
blühen anderer, wie etwa Livornos, Lyons (vorübergehend), 
Antwerpens (vorübergehend), Hamburgs, Frankfurts a.M., schienen 
mir durch die bisherigen Gründe (Entdeckung des Seewegs nach 
Ostindien, Verschiebung der staatlichen Machtverhältnisse) keines- 
wegs genügend erklärt. Und da offenbarte sich mir plötzlich 
die zunächst rein äußerliche Parallelität zwischen dem wirt- 
schaftlichen Schicksal der Staaten und Städte und den Wanderungen 
der Juden, die damals, wie bekannt, eine fast völlige Um- 
schichtung ihrer räumlichen Lagerung wieder einmal erlebten. 
Und bei näherem Zusehen ergab sich mir mit unzweifelhafter 
Sicherheit die Erkenntnis, daß in der Tat die Juden es waren, 
die an entscheidenden Punkten den wirtschaftlichen Aufschwung 
dort forderten, wo sie erschienen, den Niedergang dort herbei- 
führten, von wo sie sich wegwandten. 

Diese tatsächliche Feststellung enthielt nun aber erst das 
eigentliche wissenschaftliche Problem. Was bedeutete „wirt- 
schaftlicher Aufschwung“ in jenen Jahrhunderten? Durch welche 
spezifischen Leistungen trugen die Juden dazu bei, jenen „Auf- 
schwung“ zu bewirken? Was befähigte sie, diese besonderen 
Leistungen zu vollbringen? 

Die gründliche Beantwortung dieser Fragen war natürlich 
im Rahmen einer allgemeinen Geschichte des modernen Kapi- 
talismus nicht möglich. Sie schien mir aber reizvoll genug, um 
auf ein paar Jahre die Arbeit an meinem Hauptwerk zu unter- 
brechen und mich ganz in das judaistische Problem einzuspinnen. 
So ist dieses Buch entstanden. 

Die Hoffnung, es in etwa Jahresfrist vollenden zu können, 
erwies sich bald als trügerisch, da Vorarbeiten so gut wie keine 
vorhanden sind. 

Es ist wirklich höchst seltsam : so viel über das Judenvolk 
geschrieben ist: über das wichtigste Problem: seine Stellung im 
Wirtschaftsleben ist kaum etwas von grundlegender Bedeutung 
gesagt worden. Was wir an sogenannten jüdischen Wirtschafts- 
geschichten oder Wirtschaftsgeschichten der Juden besitzen, 
verdient diese Namen meist gar nicht, denn es sind immer nur 


Digitized by t^ooQle 



— vn — 

Rechtsgeschichten oder gar nur Rechtschroniken, die überdies 
die neuere Zeit ganz und gar unberücksichtigt lassen. Ich 
muhte also zunächst das Tatsachenmaterial aus Hunderten (zum 
Teil vorzüglichen) Monographien oder aus den Quellen Zusammen- 
tragen, um überhaupt zum ersten Male ein Bild — zu zeichnen 
wage ich nicht zu sagen, sondern — zu skizzieren von der wirt- 
schaftlichen Tätigkeit der Juden während der letzten drei Jahr- 
hunderte. 

Hatten sich zahlreiche Lokalhistoriker doch wenigstens be- 
müht, das äußere Wirtschaftsleben der Juden und ihr Schicksal 
während der letzten Jahrhunderte aufzuzeichnen, so hat fast 
niemand bisher die Frage auch nur allgemein zu stellen gewagt: 
weshalb haben die Juden jenes eigentümliche Schicksal gehabt 
oder genauer: was hat sie befähigt, jene überragende Rolle beim 
Aufbau der modernen Volkswirtschaft zu spielen, die wir sie 
tatsächlich spielen sehen. Und was etwa doch zur Beantwortung 
dieser Frage beigebracht worden ist, bleibt in ganz dürftigen, 
veralteten Schematen stecken: „äußere Zwangslage“, „Befähigung 
zum Handeln und Schachern“, „Skrupellosigkeit“ : solche und 
ähnliche allgemeine Phrasen haben herhalten müssen, um Ant- 
wort auf eine der delikatesten Fragen der Völkergeschichte zu 
geben. 

Also mußte zunächst sehr genau festgestellt werden: was 
man eigentlich erklären, mit andern Worten: eine Eignung der 
Juden wofür man nachweisen will. Dann erst konnten die 
Möglichkeiten geprüft werden, die die spezifische Eignung der 
Juden: Begründer des modernen Kapitalismus zu werden, plau- 
sibel machten. Dieser Prüfung ist ein großer Teil des Buches 
gewidmet, und es ist hier nicht der Ort, die Ergebnisse meiner 
Untersuchungen im einzelnen mitzuteilen. Nur dieses will ich, 
damit es dem Leser gleichsam als Leitmotiv in den Ohren 
klinge, sagen: daß ich die große, die alle andern Einflüsse weit 
übergipfelnde Bedeutung der Juden für das moderne Wirtschafts- 
(und überhaupt Kultur-)leben in der ganz eigenartigen Ver- 
einigung äußerer und innerer Umstände erblicke: daß ich sie 
der (historisch zufälligen) Tatsache zuschreibe, daß ein ganz be- 
sonders geartetes Volk — ein Wüstenvolk und ein Wandervolk, 
ein heißes Volk — unter wesensverschiedene Völker — naß- 
kalte, schwerblütige, bodenständige Völker — verschlagen worden 


Digitized by t^ooQle 



vm 


ist und hier unter abermals ganz einzigartigen äußeren Be- 
dingungen gelebt und gearbeitet hat. Wären sie alle im Orient 
geblieben oder in andere heiße Länder verschlagen worden, so 
hätte natürlich ihre Eigenart auch Eigenartiges gewirkt, aber 
die Wirkung wäre keine so dynamische geworden. Sie hätten 
vielleicht eine ähnliche Rolle nur gespielt wie heute etwa die 
Armenier im Kaukasus, wie die Kabylen in Algier, wie die 
Chinesen, Afghanen oder Perser in Indien. Aber es wäre nie- 
mals zu dem Knalleffekt der menschlichen Kultur : dem modernen 
Kapitalismus gekommen. 

Wie ganz singulär die Erscheinung des modernen Kapitalismus 
ist, zeigt gerade auch diese, sein Wesen zum guten Teil er- 
klärende Tatsache: daß nur die rein „zufällige" Kombination 
so sehr verschiedenartiger Völker und nur deren rein „zufälliges", 
von tausend Umständen bedingtes Schiksal seine Eigenart be- 
gründet hat. Kein moderner Kapitalismus, keine moderne Kultur 
ohne die Versprengung der Juden über die nördlichen Länder 
des Erdballs! 

Ich habe meine Untersuchungen bis in die Gegenwart ge- 
führt und habe, wie ich hoffe, für jedermann den Nachweis er- 
bracht, daß in wachsendem Maße das Wirtschaftsleben unserer 
Tage jüdischem Einflüsse unterworfen ist. Ich habe nicht ge- 
sagt — und will es deshalb hier tun — daß allem Anschein 
nach dieser Einfluß des Judenvolkes in der allerletzten Zeit sich 
zu verringern beginnt. Daß äußerlich in wichtigen Stellungen: 
zum Beispiel in den Direktorialposten oder in den Aufsichtsrats- 
stellen der großen Banken die jüdischen Namen seltener werden, 
ist ganz zweifellos und kann durch bloße Auszählung ermittelt 
werden. Aber es scheint auch eine wirkliche Zurückdrängung 
des jüdischen Elements stattzufinden. Und nun ist es interessant, 
den Gründen dieser bedeutsamen Erscheinung nachzugehen. Sie 
können mehrfacher Art sein. Sie können einerseits liegen in 
einer Veränderung der personalen Fähigkeiten der Wirtschafts- 
subjekte: die Nichtjuden haben sich den Anforderungen des 
kapitalistischen Wirtschaftssystems mehr angepaßt, sie haben 
„gelernt" ; die Juden hingegen haben durch die Veränderungen, 
die ihr äußeres Schicksal erfahren hat (Besserung ihrer bürger- 
lichen Stellung, Abnahme des religiösen Sinnes) aus äußeren 
und inneren Gründen einen Teil der ihnen früher eigenen Be- 


Digitized by t^ooQle 



IX 


fähigung zum Kapitalismus eingebüßt ; anderseits aber müssen 
wir die Gründe für die Verringerung des jüdischen Einflusses 
in unserm Wirtschaftsleben wahrscheinlich auch in einer Ver- 
änderung der sachlichen Bedingungen, unter denen gewirtschaftet 
wird, erblicken : die kapitalistischen Unternehmungen (man denke 
an unsere Großbanken!) bilden sich mehr und mehr in bureau- 
kratische Verwaltungen um, die nicht mehr in gleichem Maße wie 
früher spezifische Händlereigenschaften heischen: der Bureau- 
kratismus tritt an die Stelle des Kommerzialismus. 

Genauen Untersuchungen wird es Vorbehalten bleiben müssen, 
festzustellen: inwieweit die allemeueste Ära des Kapitalismus 
tatsächlich eine Verringerung des jüdischen Einflusses aufweist. 
Einstweilen verwerte ich die von mir und andern gemachten 
persönlichen Beobachtungen, um in der allein denkbaren Be- 
gründung, die ich den beobachteten Vorgängen unterlege, eine 
Bestätigung dafür zu finden, daß ich mit der in diesem Buche 
versuchten Erklärung des bisherigen jüdischen Einflusses in der 
Tat die richtigen Wege gewandelt bin. Die Abnahme dieses 
.Einflusses zeigt gleichsam wie ein Experiment, worin der Ein- 
fluß selber seinen Grund gehabt haben muß. 

In der Tat glaube ich, daß dieser Teil meiner Ausführungen, 
der die Eignung der Juden zum Kapitalismus erklärt, also der 
zweite Abschnitt des Buches, ebensowenig wie der erste, der 
ihren Anteil am Aufbau der modernen Volkswirtschaft als Tat- 
sächlichkeit darstellt, in den Grundgedanken nicht erschüttert 
werden kann. Sie mögen Berichtigungen, sie mögen (vor allem l) 
Ergänzungen erfahren : die Richtigkeit ihrer Gedankengänge wird 
nicht zu widerlegen sein. 

Nicht ganz dasselbe Gefühl der ruhigen Sicherheit habe 
ich angesichts des dritten Hauptabschnittes meines Buches, 
der die Frage nach der Herkunft des jüdischen Wesens und 
nach dessen eigener Wesenheit zu beantworten sucht. Hier sind 
wir heute noch — und vielleicht für immer — an entscheidenden 
Punkten der Beweisführung auf Vermutungen angewiesen, die 
selbstverständlich ein stark persönliches Gepräge tragen müssen. 
Immerhin ist es mein Bemühen gewesen, in einem besonderen 
Kapitel, das ich der Erörterung des „Rassenproblems* gewidmet 
habe, diejenigen Einsichten kritisch zusammenzustellen, die wir 
heute als einigermaßen gesicherte betrachten dürfen und vor 


Digitized by t^ooQle 



X 


allem die vielen unsicheren Hypothesen als solche aufzuweisen. 
Das Kapitel ist infolgedessen ein wahres. Monstrum geworden : 
schwerfällig, zerhackt, formlos, und Unterläßt ein quälendes 
Gefühl der Unbefriedigtheit, der Unausgeglichenheit, das ich mit 
dem letzten Kapitel, in dem ich „das Schicksal des jüdischen 
Volkes“ in seinen Grundzügen zu schildern versuche, wieder zu 
verwischen mich bestrebt habe. Das war aber nur möglich, 
wenn alle die disparaten Einzeltatsachen, die uns die wissen- 
schaftliche Forschung in ihrer rücksichtslosen Art wahllos vor die 
Füße wirft, in einer persönlichen Schau zu einem einheitlichen 
Bilde vereinigt wurden. Wie weit hier aber meine subjektive 
Art zu sehen der Wirklichkeit gerecht geworden ist, wird erst 
eine spätere Zukunft — vielleicht! — entscheiden können. 
Jedenfalls gebe ich ohne weiteres zu, daß hier andere Augen 
anders schauen werden. 

Nun will ich schließlich noch auf einige Besonderheiten 
dieses Buches hinweisen und hoffe damit zu verhüten, daß in 
Mißverständnissen die Umrisse meines Gedankengefüges wie ein 
Gebäude im Nebel verschwimmen und ein ganz anderes dem 
„kritischen“ Beschauer vor Augen zu stehen scheint, als ich 
hingebaut habe. 

1. Dieses Buch ist ein einseitiges Buch; es will ein- 
seitig sein, weil es, um in den Köpfen seine umwälzende 
Wirkung ausüben zu können, einseitig sein muß. 

Das heißt: dieses Buch will die Bedeutung der Juden für 
das moderne Wirtschaftsleben aufdecken. Es trägt zu diesem 
Behufe alles Material zusammen, aus dem sich diese Bedeutung 
erkennen läßt, ohne die anderen Faktoren, die, außer den Juden, 
am Aufbau des modernen Kapitalismus beteiligt gewesen sind, 
auch nur zu erwähnen. Damit soll aber natürlich deren Einfluß 
nicht etwa geleugnet werden. Man könnte mit ebensolchem 
Rechte ein Buch über die Bedeutung der nordischen Rassen für 
den modernen Kapitalismus schreiben; oder könnte mit dem- 
selben Rechte, wie ich vorhin sagte : ohne Juden kein moderner 
Kapitalismus, den Satz prägen: ohne die Errungenschaften der 
Technik keiner, ohne die Entdeckung der Silberschätze Amerikas 
keiner. 

Obwohl nun also solcherart mein Buch, wie ich selbst es 
nenne, ein einseitiges ist, ist es doch 


Digitized by t^ooQle 



XI 


2. ganz und gar kein Thesenbuch. Ich meine: es soll 
in ihm und durch es nicht etwa eine bestimmte „Geschichts- 
auffassung“ als richtig erwiesen, es soll durch dieses Buch nicht 
etwa eine „rassenmäßige“ Begründung des Wirtschaftslebens 
gegeben werden. Welche „theoretischen“ oder „geschichts- 
philosophischen“ Folgerungen aus meiner Darstellung gezogen 
werden können oder müssen, steht ganz dahin und hat mit dem 
Inhalt des Buches selbst zunächst gar nichts zu tun. Dieses 
will vielmehr nur wiedergeben, was ich gesehen habe, und will 
versuchen, die beobachteten Tatsachen zu erklären. Deshalb 
sollte aber auch eine „Widerlegung“ meiner Behauptungen, wenn 
sie jemand versuchen wollte, immer von der empirisch-historischen 
Tatsächlichkeit ausgehen, sollte mir Irrtümer nachweisen dort, 
wo ich bestimmte Wirklichkeiten behauptet habe, oder Trug- 
schlüsse in jedem einzelnen Falle, wo ich es unternommen habe, 
eine solche Wirklichkeit ursächlich zu begreifen. 

Endlich betone ich mit einem so starken Nachdrucke, daß 
es auffallen kann: 

3. das Buch ist ein streng wissenschaftliches Buch. 
Damit will ich ihm selbstverständlich kein Lob ausstellen, sondern 
im Gegenteil einen Mangel des Buches erklären. Weil es ein 
wissenschaftliches Buch ist, beschränkt es sich nämlich auf die 
Feststellung und Erklärung von Tatsachen und enthält sich aller 
Werturteile. Werturteile sind immer subjektiv, können immer 
nur subjektiv sein , weil sie letzten Endes in der höchst- 
persönlichen Welt- und Lebensanschauung jedes einzelnen be- 
gründet sind. Die Wissenschaft aber will objektive Erkenntnis 
vermitteln, sie sucht die Wahrheit, die grundsätzlich immer nur 
eine ist, während es Werte grundsätzlich so viele wie wertende 
Menschen gibt. Die objektive Erkenntnis wird aber getrübt in 
dem Augenblicke, in dem sie mit irgendwelchem subjektiv ge- 
färbten Werturteile vermischt wird, und deshalb sollten die Wissen- 
schaft und ihre Vertreter vor der Bewertung dessen, was sie 
erkannt haben, fliehen wie vor der Pest. Nirgends aber hat die 
subjektive Bewertung so viel Unfug angerichtet, nirgends hat 
sie die Erkenntnis objektiver Wirklichkeiten so sehr aufgehalten 
wie im Gebiete der „Rassenfrage“ und ganz besonders im Be- 
reiche der sogenannten „Judenfrage“. 

Dieses Buch soll seine ganz eigenartige Note dadurch er- 


Digitized by 


Google 



— xn — 

halten, daß es auf 500 Seiten von Juden spricht, ohne auch nur 
an einer einzigen Stelle so etwas wie eine Bewertung der Juden, 
ihres Wesens und ihrer Leistungen, durchblicken zu lassen. 

Gewiß — man kann auch in streng wissenschaftlichem Sinne 
das Wertproblem, in diesem Falle: die Frage nach dem Wert 
oder Unwert einer bestimmten Bevölkerungsgruppe abhandeln. 
Machen wir uns einen Augenblick klar, daß das immer nur in 
einem aufklärenden oder kritisch-wamenden Sinne geschehen 
dürfte. Und zwar etwa in folgender Weise: 

* Man könnte erst einmal darauf aufmerksam machen, daß 
man Völker wie Menschen nach dem, was sie sind, und nach 
dem, was sie leisten, bewerten kann, und müßte dann zeigen: 
daß in jedem Falle der letzte Maßstab ein subjektiver ist. Daß 
es deshalb unzulässig ist, etwa von „niederen“ und „höheren“ 
Rassen zu sprechen, und die Juden als „niedere“ oder als „höhere“ 
Rasse zu bezeichnen, weil es von dem höchstpersönlichen Wert- 
gefühl des einzelnen abhängt, welche Wesenheit und welche 
Leistung er als wertvoll oder unwert ansehen will. 

Dazu führen folgende Erwägungen. 

Man betrachte etwa das Schicksal der Juden: sie über 
allen Völkern sind ein ewiges Volk. „Ein Volk steht auf, das 
andere verschwindet, aber Israel bleibt ewig“, heißt es stolz im 
Midrasch zu Psalm 36. Ist diese lange Dauer eines Volkes, die 
noch heute viele Juden rühmen, nun auch wertvoll? Heinrich 
Heine dachte anders darüber, als er einmal schrieb: 

„Dieses Urübelvolk ist längst verdammt und schleppt seine 
Verdammnisqualen durch Jahrtausende. 0 dieses Ägypten 1 
seine Fabrikate trotzen der Zeit; seine Pyramiden stehen noch 
immer unerschütterlich ; seine Mumien sind noch so unzerstörbar 
wie sonst und ebenso unverwüstlich wie jene Volksmumie, die 
über die Erde wandelt, eingewickelt in ihren uralten Buchstaben- 
Windeln, ein verhärtet Stück Weltgeschichte, ein Gespenst, das 
zu seinem Unterhalte mit Wechseln und alten Hosen handelt.“ 

Die Leistungen der Juden: sie haben uns den Einigen Gott 
und Jesum Christum und also das Christentum geschenkt mit 
seiner dualistischen Moral. 

Ein wertvolles Geschenk? Friedrich Nietzsche dachte 
anders darüber. 

Die Juden haben den Kapitalismus in seiner heutigen Gestalt 


Digitized by t^ooQle 



XIH 


möglich gemacht. Eine dankenswerte Leistung? Auch diese 
Frage wird ganz und gar verschieden beantwortet werden je 
nach dem persönlichen Verhältnis, das der einzelne zur kapita- 
listischen Kultur hat. 

Wer sollte entscheiden, wenn nicht Gott, was die „objektiv“ 
wertvollere Leistung, die objektiv wertvollere Wesenheit zweier 
Menschen, zweier Völker sei? Kein einziger Mensch, keine 
einzige Rasse läßt sich in diesem Sinne höher als die andere 
bewerten. Und wenn ernste Männer den Versuch doch immer 
wieder machen, solche Bewertungen vorzunehmen, so steht ihnen 
natürlich das Recht zu, ihre höchstpersönliche Ansicht zu äußern. 
Sobald die Werturteile aber den Charakter eines objektiven und 
allgemeinen Urteils annehmen wollen, müssen wir sie unerbittlich 
ihrer fälschlich angemaßten Würde entkleiden und dürfen — an- 
gesichts der Gefährlichkeit solcher Erschleichungen — vor der 
schärfsten Waffe im Kampfe der Geister: der Lächerlichmachung, 
nicht zurückschrecken. 

Es hat wirklich etwas Komisches, mit anzusehen, wie Ver- 
treter bestimmter Rassen, Angehörige bestimmter Völker ihre 
Rasse, ihr Volk als das „auserwählte“, das schlechthin wertvolle, 
das höhere und, was weiß ich, anpreisen. (Just wie der Bräutigam 
die Braut I) Neuerdings sind ja zwei Rassen (oder Völkergruppen) 
besonders im Kurse in die Höhe getrieben, ich möchte fast 
sagen, weil für sie am meisten Reklame gemacht wird: die 
Germanen und gerade auch die Juden, die (mit vollem Rechte) 
nationalgesinnte Juden gegen die Angriffe in Schutz nehmen, die 
eingebildete Wortführer anderer, namentlich der germanischen, 
Völker, gegen sie erhoben haben. Natürlich ist es wiederum das 
gute Recht der Angehörigen der beiden Gruppen, ihre Gruppe für 
die wertvollere zu halten und als solche zu lieben. (Just wie der 
Bräutigam die Braut!) Aber wie schnurrig, diesen Geschmack 
andern aufdrängen zu wollen! Wenn einer die germanischen 
Völker preist, warüm soll man ihm nicht die Worte Victor 
Hehns, der wahrhaftig auch Einer war, entgegenhalten, die in 
der Behauptung gipfeln: „daß der Italiener in der Stufenreihe, 
die von den niedersten Typen zu immer edleren Organismen auf- 
wärts führt, eine höhere Stelle einnehme, eine geistigere, reicher 
vermittelte Menschenbildung darstelle als z. B. der Engländer“. 
(Hehn spricht natürlich mit diesem Urteil ebensowenig eine 


Digitized by t^ooQle 



XIV 


objektive Erkenntnis aus wie die Germ&nenfreunde mit dem 
entgegengesetzten.) 

Oder wer will mich widerlegen, wenn ich die Neger höher 
stelle als die weihen Bewohner der Vereinigten Staaten? Wäre 
es eine Widerlegung, wenn man mir die höchst entwickelte 
materielle Kultur als Leistung der Yankees entgegenhielte? 
Dann mühte mir doch erst noch weiter „bewiesen“ werden, 
dah diese amerikanische Kultur wertvoller sei als die Neger- 
unkultur usw. 

Eine wissenschaftliche Analyse des Problems der Rassen- 
bewertung hätte aber noch andere Aufgaben. Sie mühte (2) nach* 
weisen, wie sich die Wertmahstäbe im Laufe der Zeit verschieben 
und würde bei dieser historischen Betrachtung für das letzte 
Jahrhundert die Feststellung machen müssen, dah eine Ent- 
wicklungsreihe, wie es ein geistvoller Mann einmal ausgedrückt 
hat, von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität 
führt, dah aber von diesem Wege — kurz vor dem Abhang, der 
zur Bestialität abwärts führt — sich eine andere Auffassung ab- 
zweigt, deren Leitspruch sich vielleicht dahin prägen liehe: von 
der Humanität (die übrigens hier nicht als die regulative Idee 
der Menschlichkeit, sondern nur als die papieme Gleichbewertung 
aller Menschen gemeint ist) durch die Nationalität (und Rassen- 
verherrlichung) zur Spezialität (oder Qualität): das heiht zur 
Bewertung des Menschen ohne Rücksicht auf seine Stammes- 
zugehörigkeit nach seiner blutsmähigen Artbeschaffenheit. Wir 
erleben gerade jetzt, wie sich der Begriff der Rasse neu bildet 
und man darunter eine ideale Forderung und nicht mehr eine 
entwicklungsgeschichtliche Tatsache versteht. 

Man will, wenn man jetzt allmählich die Kollektivbewertung 
ganzer Rassen und Völker als allzu plebejisches Ideal fallen 
läßt, nicht etwa zu der noch plebejischeren Auffassung von 
der Gleichwertigkeit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, 
zurück, sondern zu der „höheren“ (!) Auffassung Vordringen: dah 
zwar das Blut den Menschen wertvoll mache, aber dah es gleich- 
gültig sei, ob es Germanenblut oder Judenblut oder Negerblut 
ist. „Rassig“ soll der Mensch sein, und nach dieser Betrachtungs- 
weise ist eine rassige Jüdin wertvoller als eine verpanschte und 
schlappe Germanin und umgekehrt. 

Endlich könnte in einer wissenschaftlichen Abhandlung über 


Digitized by 


Google 



XV 


die Bewertung ganzer Bevölkerungsgruppen auch noch darauf 
hingewiesen werden, daß es Leute gibt, denen die Bassen und 
Völker überhaupt Hekuba sind ; die nur den einzelnen Menschen 
werten, und die der Meinung sind: alle Massen, ob Rassen: 
oder sonst etwas, seien angefüllt mit wertlosem Füllsel, in 
dem hie und da ein wertvoller Mensch, ein Edelmensch steckt. 
Das sind die Leute, die längst aufgehört haben, die Menschen 
vertikal zu teilen, die sie durch eine horizontale Linie in 
„Menschen“ und anderes sondern, und die dann natürlich „über 
dem Strich“ ebenso häufig (oder ebenso selten) Juden wie 
Christen, Eskimos wie Negern begegnen (denn daß in jeder 
Menschengruppe sich auch „Menschen“ finden: das wird man 
nicht leugnen können: hinter welchem Germanen oder Juden 
ganz hoher Klasse stünde etwa der Neger Booker Washington 
zurück oder so mancher andere geistig, künstlerisch und sittlich 
höchst qualifizierte Vertreter dieser gemeinhin als Spülicht be- 
werteten Rasse). 

Daß diese letzte Art der Bewertung die Einschätzung einer 
bestimmten Bevölkerungsgruppe ganz und gar von der persön- 
lichen Lebenserfahrung abhängig macht, liegt auf der Hand. Wie 
gewiß sehr viele von uns modernen Menschen, ganz ohne es zu 
wollen, zu einer Hochbewertung gerade der Juden gelangt sind, 
das hat ein für allemal in klassischen Worten unser geliebter 
Fontane ausgesprochen in seinen Versen: 

„An meinem Fünfundsiebzigsten. 


Aber die zum Jubeltag da kamen, 

Das waren doch sehr andre Namen, 

Auch »sans peur et reproche*, ohne Furcht und Tadel, 
Aber fast schon von prähistorischem Adel: 

Die auf ,berg* und auf ,heim‘ sind gar nicht zu fassen, 
Sie stürmen ein in ganzen Massen, 

Meyers kommen in Bataillonen, 

Auch Pollacks, und die noch östlicher wohnen; 

Abram, Isak, Israel, 

Alle Patriarchen sind zur Stell, 

8tellen mich freundlich an ihre Spitze, 

Was sollen mir da noch die Itzenplitze! 

Jedem bin ich was gewesen, 

Alle haben sie mich gelesen, 

Alle kannten mich lange schon, 

Und das ist die Hauptsache . . . , Kommen Sie, Cohn. (U 


Digitized by 


Google 



XVI 


Eine wissenschaftliche Untersuchung über das Problem der 
Rassenbewertung mühte auch — sage ich — diese Spielart der 
Werturteile berücksichtigen und würde damit den höchstpersön- 
lichen Charakter solcher Urteile ganz besonders drastisch dartun. 
Ihren höchstpersönlichen und darum „ unwissenschaftlichen u 
Charakter. Mein Buch aber soll ein wissenschaftliches Buch 
sein, und darum enthält es keine Werturteile. Die persönliche 
Meinung des Verfassers interessiert aber nicht die weite Welt, 
sondern nur seine Freunde. Und die kennen sie ja. 

Werner Sombart. 


Digitized by t^ooQle 



XVH 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Vorwort V 

Erster Abschnitt 

Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volks- 


wirtschaft 

Erstes Kapitel: Ermittloiigsmethoden — Art and Um- 
fang des Anteils 3 

Statistische and genetische liethode zur Ermittlung des Wirtschaft- 


liehen Anteile 8. 3. Vorzüge und Mängel der statistischen Methode 
S. 3. Notwendige Ergänzung durch die genetische Methode 8. 5; 
deren richtige Anwendung 8. 6. 

Richtige Dimensionierung des Anteils der J. am Aufbau der 
modernen Volkswirtschaft 8. 7: er erscheint teils zu groß 8. 7; teils 
zu klein 8. 8, weil sich ein groBer Teil der Vorgänge unserer Kenntnis 
entzieht 8. 8, weil sich nicht immer feststellen läBt, wo Juden be- 
teiligt waren 8. 9. Begriff des Juden 8. 9. Schwer zu ermitteln der 
Anteil der getauften Juden 8. 10, der weiblichen Judenschaft 8. 10, 
der Scheinjuden 8. 10, der Juden, die heimlich wirken 8. 12. 

Zweites Kapitel: Die Verschiebung des Wirtschafts- 

Zentrums seit dem 16« Jahrhundert 13 

Verschiebung des ökonomischen Energiezentrums aus dem 
Bannkreise der südeuropäischen Nationen unter die nordeuropäischen 
Völker 8. 13. Unzulänglichkeit der bisherigen Erklärungsversuche 
8. 13. Parallelität zwischen jener Verschiebung und den Wanderungen 
der Juden 8. 15. Versuch, zwischen diesen beiden Erscheinungen 
einen Zusammenhang herzustellen 8. 19. Urteile der Zeitgenossen 
des 16. und 17. Jahrhunderts in England 8. 20, in Frankreich 8. 21, 
in den Niederlanden 8. 21, in Deutschland 8. 23. Wodurch jener 
Zusammenhang tatsächlich sich erklärt: äuBerlicher und innerlich- 
geistiger EinfluB der Juden 8. 24. 

Bomb art, Die Juden II 


Digitized by t^ooQle 



xvm 


Seite 

Drittes Kapitel: Die Belebung des internationalen 
Warenhandels 25 

Quantitativ hervorragende Beteiligung der Juden an den Waren- 
umsätzen im 16., 17. und 18. Jahrhundert S. 25; ihr Anteil an der 
Leipziger Messe S. 26; am spanisch-portugiesischen Handel S. 26, am 
Levantehandel S. 27. 

Ihre große Bedeutung noch mehr durch die Artbeschaffenheit 
ihres Handels erklärt S. 27; ihr Handel mit Luxuswaren S. 28, mit 
den ersten Massenprodukten S. 28, mit neuen Artikeln S. 28; Mannig- 
faltigkeit und Reichhaltigkeit der gehandelten Waren S. 29; ihr 
Handel mit den Gold- und Silberländem 8. 29. 

Viertes Kapitel: Die Begründung der modernen 

Kolonialwirtschaft 30 

Starker Anteil der Juden an allen kolonialen Gründungen: im 
Osten S. 30, in Australien S. 31, in Südafrika S. 31, besonders aber 
in Amerika: Amerika — ein Judenland S. 31. Anteil am Entdeckungs- 
werk selbst S. 32. Hineinströmen der Juden nach der Entdeckung 
S. 33. Jüdischer Einfluß in Südamerika S. 34, in Westindien S. 36, 
in den Vereinigten Staaten von Amerika S. 38. Die besondere Be- 
deutung der Juden für dieses Land S. 39. Die Durch tränkung des 
gesamten amerikanischen Wirtschaftslebens mit jüdischem Wesen 
S. 44. 

Fünftes Kapitel: Die Begründung des modernen Staates 49 

Die Juden, das „unstaatliche" Volk, scheinbar unbeteiligt am 


Aufbau des modernen Staats S. 49, in Wirklichkeit sehr beteiligt: 

Jude und Fürst: zwei untrennbare Erscheinungen in den Anfängen 
des modernen Staats S. 50. 

L Die Juden als Lieferanten 51 

In England S. 51, in Frankreich S. 52, in Deutschland und 
Österreich S. 53, in den Vereinigten Staaten S. 53. 

II. Die Juden als Finanzmänner 54 

In Holland S. 54, in England S. 54, in Frankreich S. 56, in 


Deutschland und Österreich: „die Hofjuden" S. 57. Ausschaltung des 
Hofjuden durch die Entwicklung des modernen Anleihewesens S. 59; 
diese selbst nur ein Teil einer allgemeinen Umbildung des Wirt- 
schaftslebens S. 59. 

Sechstes Kapitel: Die Kommerzialisierung des Wirt- 
schaftslebens 60 

Was unter Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens su ver- 
stehen ist S. 60. 


Digitized by t^ooQle 



1 


— XIX — 


Seite 

L Die Entstehung der Wertpapiere 61 

Die Entstehung der Wertpapiere : der äuBere Ausdruck für die 
Versachlichung der Kreditbeziehungen S. 61; diese selbst nur ein 
einzelnes Glied in der Kette von Versachlichungen, der charakte- 
ristischen Tendenz der hochkapitalistischen Wirtschaftsepoche S. 61. 
Haupttypen der Wertpapiere S. 68. Methode zur Ermittlung des An- 
teils der Juden an ihrer Entstehung S. 64. 


1. Der indossable Wechsel 66 

Anfänge des Wechselgiros S. 66. Die Genueser Messen S. 67. 

2. Die Aktie 68 

Die moderne Aktie entsteht im 17. und 18. Jahrhundert S. 68. 
Bedeutung der Spekulation für die Versachlichung des Aktien- 
verhältnisses S. 69. 

3. Die Banknote 69 

Die Entstehung der „Banknote" ist noch immer in Dunkel ge- 
hüllt S. 70. Ihr wahrscheinlicher Geburtsort: Venedig S. 71, oder 
Spanien S. 71. 

4. Die Partialobligation 72 


Versachlichung der öffentlichen Schuldverschreibung nicht vor 
dem 18. Jahrhundert S. 72. Geschichte des Pfandbriefs S. 74, seine 
Wiege in Holland S. 75. 

Bedeutung der Bechtsform des Inhaberpapiers für 
die Entwicklung des Wertpapiers S. 77. Die verschiedenen Theorien 
über die Entstehung des Inhaberpapiers S. 79; Ableitung des modernen 
Inhaberpapiers aus dem talmudisch-rabbinischen Recht S. 81. 


n. Der Handel mit Wertpapieren 91 

1. Die Ausbildung des Verkehrsrechts 91 


Bestimmung des Effekts für den Verkehr S. 91. Bedeutung des 
Verkehrsrechts für die leichte Verkäuflichkeit der Wertpapiere S. 92. 
Anteil der Juden an der Herausbildung verkehrsfreundlicher Rechts- 
grundsätz e S. 98. 

2. Die Börse 94 

Bedeutung der Börse für den Handel mit Wertpapieren S. 94. 
Begriff der Spekulation S. 95 und ihre Bedeutung für den Effekten, 
handel S. 96. 

Die Geschichte der Börse zerfällt in zwei Perioden: die 
erste reicht vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts S. 98. Ursprung 
der modernen Effektenbörse im Wechselhandel S. 99: dieser in den 
Händen der Juden S. 99. Anfänge der Effektenspekulation nicht vor 
dem 17. Jahrhundert S. 101. Die Juden: „die Väter des Termin. 

U* 


Digitized by t^ooQle 



XX 


Seite 

handele“ S. 102, die Beherrscher der Amsterdamer Börse im 17. Jahr- 
hundert S. 108, die Begründer der Londoner Weltbörse am Ende 
des 17. Jahrhunderts S. 105, der Börsen in Frankreich S. 108, in 
Deutschland S. 109. 

Auch die neue Periode des Börsen wesens leiten die Juden ein 
S. 111: durch bewußte Förderung der Kreditwirtschaft S. 112, durch 
extensive und intensive Steigerung des Fonds Verkehrs S. 114. Die 
Bedeutung des Hauses Rothschild S. 115: die Internationalisierung 
des Kreditverkehrs S. 116; die Benutzung der Börse zu Emissions- 
zwecken (Stimmungsmache) S. 117. 

ILL Die Schaffung von Wertpapieren 118 

Die Herausbildung eines Emissionsgewerbes S. 118. Anteil der 
Juden daran S. 120. Das Gründungsgeschäft S. 121. Die Rothschilds 
die ersten „Eisenbahnkönige“ S. 122. Jüdische „Gründer“ in Deutsch- 
land in den 1870er Jahren S. 128. 

Die Verwertung des Aktienprinzips für die Effektenproduktion 
leitet die Epoche der Spekulationsbanken ein S. 124; ihr Urtypus der 
Credit mobilier S. 126, eine Schöpfung der Gebrüder Pereire S. 128. 

Der Anteil der Juden an den deutschen Spekulationsbanken S. 128. 

IV. Die Kommerzialisierung der Industrie 129 

Der wachsende Einfluß von Banken und Börsen auf das ge- 
samte Wirtschaftsleben S. 129. Typus der modernen, „kommerziali- 
sierten“ Industrie: die Elektrizitätsindustrie S. 181. Jüdische Ge- 
schäftsleute und ihre Organisation S. 181. 

Geschichte der Juden als „Industrielle“ S. 132. Heutiger Anteil 
der Juden an den Stellungen der Direktoren und Aufsichtsräte der 
deutschen Industrieuntemehmungen S. 134. 

Siebentes Kapitel: Die Herausbildung einer kapitalisti- 
schen Wirtschaftsgesinnung 186 

Die Juden erscheinen überall als Störer der „Nahrung“ S. 137: 
in Deutschland S. 137, in England S. 138, in Frankreich, in Schweden 
und in Polen S. 139. Als Grund führen die Zeitgenossen ihre betrüge- 
rische Geschäftsführung an S. 140. In Wirklichkeit vertreten sie eine 
neue Wirtschaftsgesinnung S. 141. Bis in die frühkapitalistische 
Wirtschaftsepoche hatte die feudal-handwerksmäßige Grundauffassung 
in der Wirtschaftsführung geherrscht S. 141, mit ihrer ständischen 
Abgrenzung personaler Tätigkeitsgebiete S. 143, ihrer Verpönung des 
„Kundenfangs“ S. 144, insbesondere vermittels der Geschäftsanzeige 
S. 145 oder gar der Reklame S. 147; mit ihrem Leitgedanken: gute 
Gebrauchsgüter herzustellen S. 148 und ihrer Idee vom gerechten 
Preise S. 149. Geruhsames Sichausleben : die Gesamtstimmung S. 150. 

Entgegengesetzte Auffassung der Juden vom Sinn des Wirt- 
schaftens S. 151. Ihre Praktiken nur vereinzelt wirklich verbreche- 


Digitized by 


Google 



XXI 


Seite 

risch S. 154, im wesentlichen ans einem andern Geiste geboren S. 155. 
Primat des Erwerbszwecks bei den Juden S. 155, ihre Mißachtung 
der zunftmäßigen Abgrenzung der Gewerbe- und Handelsbetriebe 
8. 158. Intemationalität des „Judenkommerzes" S. 160. Die Juden 
greifen den Kunden an S. 161 ; sind deshalb (wahrscheinlich) auch die 
Väter der Reklame S. 164. Die Juden unterbieten im Preise S. 165. 

Grunde für ihre billigen Preise S. 168: die „notorische" Un- 
rechtlichkeit der Juden S. 169; ihre unsaubern Praktiken S. 170; ihre 
Herabminderung der Qualität S. 171 (die Juden : die Väter des Surro- 
gats S. 172); die Herabminderung der Herstellungskosten S. 174, in- 
folge geringerer Lebensanspröche S. 174, durch Beschleunigung des 
Umsatzes S. 175, durch Verwendung billiger Arbeitskräfte S. 176. 

Die Juden als kommerzielle Erfinder 8. 177. 

Das grundsätzlich Neue in der jüdischen Auffassung: die 
Idee der freien Konkurrenz S. 179. Die Juden : die Väter des „Frei- 
handels" S. 180. 

Zweiter Abschnitt 

Die Befähigung der Joden zum Kapitalismus 

Achtes Kapitel: Das Problem 188 

Notwendigkeit genauer Fragestellung: die Befähigung der 
Juden wozu? und die Befähigung wodurch? nachgewiesen werden 
soll S. 183. 

Nachweis der Befähigung zum Kapitalismus ist das Problem 
S. 188. Nebelhafte Vorstellungen der Früheren S. 184. 

Die Befähigung kann in objektiven Umständen oder in einer 
subjektiven Eignung begründet sein S. 184. Gedankengang der folgen- 
den Untersuchung S. 185. 

Neuntes Kapitel: Die Funktionen der kapitalistischen 

Wirtschaftssubjekte 186 

Begriff des Kapitalismus S. 186. Tragende Ideen: Erwerbsidee 
und Ökonomischer Rationalismus S. 186. Sinn einer glücklichen Ge- 
schäftsführung im kapitalistischen Sinne S. 188. Anforderungen an 
die kapitalistischen Wirtschaftssubjekte : gute Unternehmer und gute 
Händler zu sein S. 189. Das Wesen des guten Unternehmers S. 190, 
des guten Händlers S. 193. 

Zehntes Kapitel: Die objektiye Eignung der Juden cum 


Kapitalismus 198 

Überblick S. 198. 

I. Die räumliche Verbreitung 199 


Vorteile ihrer Zerstreuung über alle Länder S. 199; ihre Organi- 
sierung des Nachrichtenverkehrs S. 201 ; ihre Sprachkenntnisse S. 208. 
Vorteile ihrer Verteilung über das Innere der Länder S. 204. 


Digitized by t^ooQle 



xxn 


8*ito 


II. Die Fremdheit 205 

Ihre Stellung als Neueingewanderte S. 205; ihre Fremdheit im 
psychologisch-sozialen Sinne S. 206. 

ÜL Das Halbbürgertnm 207 


Ihre gewerberechtliche und polizeiliche Stellung S. 207, deren 
Einfluß meist übertrieben wird S. 207. Bedeutsam ihre Ausschließung 
aus allen genossenschaftlichen Verb&nden S. 210; ebenso ihre Stellung 
im Öffentlichen Leben S. 210. 

IV. Der Reichtum 212 

Tatsache des jüdischen Reichtums bei den flüchtigen Spaniolen 
S. 213; bei den holländischen Juden im 17. Jahrh. S. 213; bei den 
französischen, englischen, deutschen Juden des 17. und 18. Jahrh. 

S. 214. Statistische Erfassung des jüdischen Reichtums im heutigen 
Deutschland S. 217. 

Bedeutung des jüdischen Reichtums S. 220, insbesondere für die 
Entwicklung der Geldleihe S. 222, aus der der Kapitalismus geboren 
ist S. 222. 

Elftes Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion 
für das Wirtschaftsleben 225 

Vorbemerkung: Aufgabe dieses Kapitels S. 225. 

1. Die Wichtigkeit der Religion für das jüdische Volk . 226 
Allgemeine Bedeutung der Religionssysteme für das Wirt- 
schaftsleben 8. 226. Besondere Bedeutung der jüdischen Religion 
8. 227. Gründe 8. 228. Strenggläubigkeit bei Hoch und Niedrig 
8. 280. 

IL Die Quellen der jüdischen Religion 231 

Übersicht S. 232. Realistische Ansicht der Quellen 8. 232. Die 
Bibel 8. 232. Der Talmud 8. 234. Die drei Kodizes 8. 236. Die 
traditionelle Auffassung des frommen Judentums 8. 237. Die Gel- 
tungskraft der einzelnen Quellen 8. 238. Interpretationsgrundsätze 
S. 240. 

HL Die Grundideen der jüdischen Religion 242 

Verwandtschaft der jüdischen Religion mit dem Kapitalismus 
S. 242. Die jüdische Religion: ein Verstandesprodukt, mechanisch- 
kunstvoll gestaltet 8. 242, ohne Mysterium S. 243, feind dem Bildlich- 
Sinnlichen 8. 244. Sie beruht auf vertragsmäßiger Regelung aller 
Beziehungen zwischen Jahve und Israel S. 244. Aufrechnung von 
Guttat und Sünde mit Hilfe einer verwickelten Buchführung 8. 245. 

Die unorganische, rein quantifizierende Auffassung vom Wesen der 
Sünde: der Erwerbsidee verwandt S. 247. Hochbewertung des Geld- 
erwerbes in der theologischen Literatur S. 248. Auktionen als Be- 


Digitized by t^ooQle 



XXIIT 


Seite 

standteile des Gottesdienstes S. 249. Geschäftskundigkeit der Rab- 
banen S. 249. 

IV. Der Bewährungsgedanke 250 

Die jüdische Auffassung vom Wesen der „Vergeltung" S. 250. 

Im 9 Wohlergehen auf Erden" bewährt sich die echte Frömmigkeit 
S. 251. Zum Wohlergehen gehört auch materielles Wohlbefinden 
S. 252. Die Verherrlichung des Reichtums in den jüdischen Religions- 
schriften S. 253. Bedeutung dieser reichtumsfreudigen Auffassung für 
das Erwerbsleben 8. 260. 

V. Die Rationalisierung des Lebens 261 

Die Gegenleistung der Frommen : Gesetzerfüllung und Heiligkeit 
der Lebensführung S. 261, die allmählich zu Einem Begriffe zu- 
sammenschmelzen 8. 261. Heiligkeit heißt: Rationalisierung des 
Lebens 8. 265. Wirkung des Gesetzes durch sein bloBes Dasein 
8. 266. Die einzelnen Vorschriften: bezwecken Ausschaltung alles 
Tuns aus naturalem Antriebe 8. 268. Rationalisierung des Natur- 
genusses 8. 269, der gesamten Lebensführung 8. 269. Kardinal- 
tugenden der Frommen 8. 270. Rationalisierung des Hungers 8. 271 
und der Liebe S. 272. Starrer Dualismus in der Auffassung des Ge- 
schlechtslebens 8. 272. Die Angst vor dem Weibe 8. 272. Ratio- 
nalisierung des Geschlechts Verkehrs in der Ehe 8. 274. 

Bedeutung für das Wirtschaftsleben 8. 276. Entwicklung der 
„bürgerlichen“ Tugenden 8. 277. Pflege des Familienlebens 8. 277. 
„Heiligkeit der Ehe“ bei den Juden 8. 278. Physiologische Wirkungen 
der systematischen Regelung des Geschlechtsverkehrs 8. 279. Zu- 
sammenhang zwischen Liebesieben und Gelderwerb 8. 280. Gewöhnung 
der Juden an ein Leben gegen die Natur (oder neben der Natur) 
steigert ihre Befähigung zum Kapitalismus 8. 281. 

VI. Israel und die Fremden 282 

Das „Gesetz“ bewirkt eine AbschlieBung des jüdischen Stammes 
8. 282 und stärkt das Bewufitsein der Fremdheit 8. 285. Entwicklung 
eines eigenartigen Fremdenrechts : Zinsgestattung S. 285. Laxere Ge- 


schäftsgrundsätze im Verkehr mit Fremden S. 287. Starke Förderung 
der freiwirtschaftlichen Auffassung durch das Fremdenrecht S. 290. 
Freihandel und Gewerbefreiheit: göttliches Gebot 8. 291. 

VIL Judaismus und Puritanismus 292 

Übereinstimmung vieler Bestandteile im jüdischen und puri- 
tanischen Religionssystem S. 292. Die äuBere Beeinflussung des 
Puritanismus durch die jüdische Religion bleibt ein Problem 8. 293. 

Zwölftes Kapitel: Jfidische Eigenart 296 

I. Das Problem 296 

Notwendige Annahme einer kollektiven Psyche 8. 297, weil die 
Erklärung historischer Vorgänge aus bloB äußeren Umständen nicht 


Digitized by ^.ooQle 



XXIV 


Seite 

ausreicht S. 297, gezeigt am Beispiel der jüdischen Geschichte S. 298. 
Schwierigkeit, aber doch nicht Unmöglichkeit kollekti ^psychologischer 
Feststellungen S. 301. Ablehnung der alten Vorstellung von einer 
„Volksseele“ S. 302. Wie ist Kollektivpsychologie möglich? S. 303, 
wissenschaftliches Verfahren S. 303, künstlerisches Verfahren S. 307. 

Die sozialen Gruppen S. 308. „Die Juden 4 als Einheit S. 310. 
Leits&tze, die bei der Feststellung einer Jüdischen Eigenart“ zu be- 
folgen sind S. 311. 

U. Ein Lösungsversuch 312 

Große Übereinstimmung aller Beurteiler der jüdischen Psyche 
S. 813. 

Grundzug des jüdischen Wesens: die überragende Geistigheit 
(ihr Intellektualismus) S. 313. Keine empfindungs- und gefühlhafte 
Beziehung zur Welt S. 316. Mangel an Anschaulichkeit S. 317. Ge- 
ringer Sinn für das Persönliche 8. 318. Die Juden: die geborenen 
Vertreter einer „liberalen“ Lebensauffassung S. 318 und einer ratio- 
nalen Deutung der Welt S. 319. 

Die Zweckbedachtheit der Juden (ihr Teleologismus) S. 320. 
„Tachlis“ S. 321. Melancholie 8. 321. 

Zielstrebigkeit 8. 322 und Beweglichkeit 8. 822. 

Aus diesen vier Grundzügen folgen alle anderen Eigenarten, 
z. B. Rastlosigkeit und Anpassungsfähigkeit S. 323. Eignung der Juden 
zum Journalisten, Advokaten, Schauspieler 8. 327. 

III. Jüdisches Wesen im Dienste des Kapitalismus. . . . 328 
Übereinstimmung zwischen den Grundideen des Kapitalismus 
und den Grundideen des jüdischen Wesen 8. 328. Besondere Eignung 
der Juden zum „Unternehmer“ 8. 331, zum „Händler“ 8. 332. 


Dritter Abschnitt 

Wie jfldlscbes Wesen entstand 

Dreizehntes Kapitel: Das Rassenproblem 337 

Vorbemerkung 327 


Neues Problem: welcher Art die jüdische Art sei? S. 337. Die 
verschiedenen theoretischen Möglichkeiten S. 338. Notwendig vor 
allem eine klare Fragestellung und urteilsvolle Sichtung des Materials 
S. 339. 

I. Die anthropologische Eigenart der Juden 340 

Die Herkunft der Juden 8. 340; ihr Blutsschicksal S. 342. Über- 
Schätzung des Proselytentums als anthropologischen Faktors 8. 342. 

Der Übertritt der Ohazaren Chagane zum Judentum 8. 343. Die 
Mischehen S. 344. Problem der blonden Juden 8. 345. Die anthropo- 
logische Homogenität des jüdischen Stammes in der Gegenwart S. 346 ; 


Digitized by ^.ooQle 



XXV 


Seit« 


ihre physiologisch-pathologische Sonderveranlagung zweifelhaft 8. 347. 
Konstanz der jüdischen Physiognomie 8. 347. 

IL Die jüdische „Basse“ 849 

Doppelbegriff „Rasse“ S. 349. Mißlungene Versuche einer 
Klassifizierung der Menschen S. 350, schließt deren Unterschiedlich, 
keit nicht aus 8. 352. Der Streit ist ein Wortstreit S. 353. 

DL Die Konstanz des jüdischen Wesens 354 


Bedeutsame Symptome einer solchen Konstanz sind: 1. Die 
Stellung der Juden zu den Wirtsvölkern S. 355 ; 2. das Phänomen 
der jüdischen Diaspora S. 358; 3. die jüdische Religion S. 361; 4. die 
auffallende Gleichheit ihrer wirtschaftlichen T&tigkeit zu allen Zeiten 
S. 362. Überblick über den Verlauf der jüdischen Wirt- 
schaftsgeschichte S. 363. 5. Ihre Begabung für Geldgeschäfte 
S. 375; 6. die Tatsache des jüdischen Reichtums zu allen Zeiten S. 379; 
die Gründe des jüdischen Reichtums S. 381. 

IV. Die rassenmäßige Begründung volklicher Eigen- 

arten 384 

Saloppe Beweisführungen unserer „Rassentheoretiker“ S. 384. 

Nicht minder unzulängliche Beweisführung der Anpassungs- und 
Milieutheoretiker S. 388. Einstweilen: non liquet S. 390. Das Problem 
der Artbildung in genetischer Betrachtungsweise S. 391. Vorzüge 
dieser Betrachtungsweise S. 394. Das Problem der Vererbung S. 397; 
insbesondere die Vererbung erworbener Eigenschaften S. 396. Große 
Konstanz der Menschentypen S. 399. Mißverständnisse der „Milieu- 
theoretiker“ S. 400. 

Vierzehntes Kapitel: Das Schicksal des jüdischen 
Volkes 403 

Das große Ereignis : daß ein orientalisches Volk unter Nordlands- 
völker verschlagen wurde S. 403. Die Juden: ein Wüstenvolk und 
ein Wandervolk 8. 404, erobern Kanada 8. 405, bleiben auch dort 
von nomadischem Geiste erfüllt 8. 406. Zeugnis dafür: ihre Religion 
8. 406. Nomade — kein „Schimpfwort“ 8. 409. Einfluß der Exile 
8. 409. Die Bedeutung der Diaspora 8. 411. Fortgesetzte Wande- 
rungen der Juden 8. 413. Wanderungsstatistik für Deutschland 8. 413. 

Die Juden: Städtebewohner 8. 415. Kontrast der Nordlands Völker 
8. 415. Gegensatz von Wüste und Wald 8. 416. 

Ableitung des jüdischen Wesens aus dem Lebensschicksale des 
Volks: exakt-biologisch bisher nur einmal versucht 8. 419. Einst« 
weilen sind wir auf erlebnismäßige Erklärung angewiesen 8. 420: die 
überragende Geistigkeit 8. 420; der Rationalismus 8. 421; die An- 
passungsfähigkeit und Beweglichkeit 8. 423; die Zielstrebigkeit 8. 423. 


Digitized by t^ooQle 



XXVI 


Seite 

Gegensatz der Wesen sbetätigung zwischen naßkalten und heißen 
Völkern S. 424; der Kapitalismus : ein Kind des Nomadismus S. 426. 

Das Geld: auch ein Schicksal des jüdischen Volkes S. 426. 
Überflutung Palästinas mit Edelmetallen und Geld S. 427. Entwick- 
lung der Geldkunst durch die Juden? S. 429. Erklärung ihrer Geld- 
liebe 8. 429. 

Das Ghettoschicksal S. 429. Gegensatz zwischen Ghettojuden 
und freien Juden, zwischen Aschkenazim und Sephardim S. 430. Das 
Ghetto nicht Ursache, sondern Wirkung bestimmter Wesenheiten? 

S. 431. Die Bedeutung des Ghettoschicksals darf nicht überschätzt 
werden S. 432. Seine größte Bedeutung liegt darin, daß es art- 
erhaltend gewirkt hat S. 433. 

Quellen und Literaturnachweis 

Erstes Kapitel: Ermittlungsmethoden — Art und Umfang des 

Anteils 437 

Zweites Kapitel: Die Verschiebung des Wirtschaftssentrums 

seit dem 16« Jahrhundert 

Drittes Kapitel: Die Belebung des internationalen Warenhandels 
Viertes Kapitel: Die Begründung der modernen Kolonial- 

Wirtschaft 

Fünftes Kapitel: Die Begründung des modernen Staates . . . 
Sechstes Kapitel: Die Kommerzialisierung des Wirtschafts- 


lebens 450 

Siebentes Kapitel: Die Herausbildung einer kapitalistischen 

Wirtschaftsgesinnung 457 

Neuntes Kapitel: Die Funktionen der kapitalistischen Wirt- 
schaftssubjekte 462 

Zehntes Kapitel: Die objektire Eignung der Juden zum Kapi- 
talismus 462 

Elftes Kapitel: Die Bedeutung der jüdischen Religion für das 

Wirtschaftsleben 464 

Zwölftes Kapitel: Jüdische Eigenart 469 

Dreizehntes Kapitel: Das Rassenproblem 470 

Vierzehntes Kapitel: Das Schicksal des jüdischen Volkes . . 474 


Digitized by t^ooQle 





Erster Abschnitt 

Der Anteil der Juden am Aufbau der 
modernen Volkswirtschaft 


Sombftrt, Die Juden 


1 


Digitized by t^ooQle 



Digitized by 



3 


Erstes Kapitel 

ErmltODDgsmstboileii — Art und Umfang des Anteils 


XJm den Anteil festzustellen, den eine Bevölkerungsgruppe 
an einer bestimmten wirtschaftlichen Tatsächlichkeit hat, stehen 
uns zwei Methoden zur Verfügung: die statistische und die 
genetische, wie man sie nennen könnte. 

Mittels der statistischen Methode, wie es der Name aus- 
drückt, würde man versuchen, die Anzahl der Wirtschaftssubjekte 
zu ermitteln, die überhaupt an einer wirtschaftlichen Aktion 
beteiligt sind, also beispielsweise den Handel mit einem be- 
stimmten Lande, die Industrie einer bestimmten Gattung in ge- 
gebenen Zeitepochen ins Leben rufen, und dann die Prozentzahl 
herauszurechnen, die von diesen die Angehörigen der unter- 
suchten Bevölkerungsgruppe ausmachen. Zweifellos hat diese 
Methode ihre großen Vorzüge. Es gibt gewiß eine deutliche 
Vorstellung von der Bedeutung sage der Ausländer oder der 
Juden für die Entwicklung eines Handelszweiges, wenn ich 
ziffermäßig feststellen kann, daß 50 oder 75°/o der beteiligten 
Personen einer bestimmten Art sind. Zumal wenn die Statistik 
sich noch auf andere ökonomisch bedeutsame Tatbestände außer 
•der Person des Wirtschaftssubjektes bezieht: die Größe des 
werbend angelegten Kapitals, die Menge der erzeugten Güter, 
die Höhe des Warenumsatzes u. dgl. Man wird daher sich der 
statistischen Methode bei den Untersuchungen wie den hier an- 
gestellten gern und mit Vorteil bedienen. Wird aber auch sehr 
bald einsehen, daß mit ihr allein die Aufgabe nicht gelöst werden 
kann. Zum ersten deshalb nicht, weil auch die beste Statistik 
noch nicht alles, oft sogar nicht einmal das Wichtigste von dem 
aussagt, was in unserem Falle gefragt wird. Sie bleibt stumm 
gegenüber dem Problem der dynamischen Wirkung, die im Wirt- 

1 * 


Digitized by t^ooQle 



4 


schaftsleben (wie überall, wo Menschenwerk vollbracht wird) 
einzelne kräftige Individualitäten auszuüben vermögen, deren 
Einfluß weit über den Bereich ihres unmittelbaren Tätigkeits- 
kreises hinausragt, deren Anteil an dem Gange einer bestimmten 
Entwicklung deshalb aber natürlich auch unverhältnismäßig viel 
großer ist, als ihr ziffermäßiger Anteil an der Berufsgruppe und 
ihren Lebensäußerungen zum Ausdruck bringt Wenn das Ge- 
schäftsgebaren eines Bankhauses für zehn andere bestimmend 
wird und das allgemeine Geschäftsgebaren einer Zeit und eines 
Landes dadurch sein Gepräge erhält, so ist diese Wirkung und 
somit der Anteil dieses einen, Richtung gebenden Bankhauses 
an der Entwicklung des Bankwesens offensichtlich durch keine 
noch so genaue ziffermäßige Feststellung wiederzugeben. Die 
statistische Methode würde also auf alle Fälle durch andere 
Untersuchungsmethoden ergänzt werden müssen. 

Nun macht aber ein anderer Mangel der statistischen Methode 
sich vielleicht noch empfindlicher fühlbar als der eben be- 
sprochene: daß sie nämlich in den allermeisten Fällen wegen 
des ungenügenden Zahlenmaterials überhaupt nicht anwendbar 
ist. Es sind ganz besonders glückliche Umstände, die uns für 
die Vergangenheit genaue Zifferangaben über die Zahl der an 
einer Industrie, an einem Handelszweige beteiligten Personen, 
über die Größe des Umsatzes usw. mit dem genauen Prozent- 
Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen — in unserem 
Falle also mit dem ziffermäßigen Anteil der Juden — hinter- 
lassen haben. Für die Gegenwart und die Zukunft wäre e» 
vielleicht — unter besonders günstigen Verhältnissen — möglich,, 
in größerem Umfange statistische Feststellungen der gedachten 
Art zu machen. Von einigen wird im Verlaufe dieser Arbeit 
selbst die Rede sein. Nur sollte man sich der Ungeheuern 
Schwierigkeiten bewußt bleiben, denen die Ausführung solcher 
Untersuchungen begegnet. Die allgemeinen Berufs- und Gewerbe- 
zählungen lassen uns vollständig im Stich dabei. Im günstigsten 
Fall läßt sich aus ihnen der Anteil der Konfessionen an den 
verschiedenen Zweigen wirtschaftlicher Tätigkeit entnehmen. 
Damit ist uns aber nur wenig gedient: erstens bedeuten, wie 
schon hervorgehoben wurde, die bloßen Personenziffem ohne 
Angaben über die Größe des Kapitals oder der Produktions- oder 
Absatzkapazität, die sie vertreten, nicht genug; zweitens ent- 


Digitized by t^ooQle 



5 


ziehen sich dabei alle Personen der Ermittlung, die einen Kon- 
fessionswechsel vorgenommen haben, aber doch noch der unter- 
suchten Bevölkerungsgruppe zugeordnet werden sollten. Will 
man zu einigermaßen zuverlässigen Ergebnissen gelangen, so 
werden derartige ziffermäßige Feststellungen unter vergleichen- 
der Benutzung verschiedener Quellen (wie namentlich der 
kommerziellen und industriellen Handbücher, der Handels- und 
Industrieadreßbücher , der Steuerrollen der jüdischen Ge- 
meinden usw.) monographisch von Personen gemacht werden 
müssen, die über eine genaue Branchenkenntnis und namentlich 
über eine genaue Personenkenntnis verfügen. Ich gebe mich der 
Hoffnung hin, daß mein Buch die Anregung bieten wird, der- 
artige Untersuchungen (die zu allem anderen noch beträchtlicher 
Geldmittel benötigen) in größerem Stile zu unternehmen. Im 
Augenblick aber besitzen wir — außer der von Herrn Sigmund 
Mayr in Wien geplanten Enquete — keine brauchbare Arbeit der 
gedachten Art. Und ein Buch wie dieses müßte ungeschrieben 
bleiben, gäbe es nur die statistische Methode, um den Anteil 
der Juden an unserem Wirtschaftsleben festzustellen. Wie ich 
aber eingangs schon erwähnt habe, besitzen wir noch eine andere 
Methode, die ich die genetische nannte, die sogar nicht nur als 
Lückenbüßerin erscheint, sondern die selbst große Vorzüge vor 
der statistischen Methode aufweist, so daß sie als gleichwertig 
lieben diese gestellt werden kann. 

Diese genetische Methode läßt sich etwa wie folgt kenn* 
zeichnen: ermitteln wollen wir vor allem, inwieweit eine Be- 
völkerungsgruppe (Juden) bestimmend wird (oder geworden ist) 
für Gang und Richtung, Wesen und Art des modernen Wirt- 
schaftslebens, gleichsam also ihre qualitative, oder wie ich es 
oben nannte, ihre dynamische Bedeutung. Das aber können wir 
am ehesten, wenn wir untersuchen: ob bestimmte, unser Wirt- 
schaftsleben besonders auszeichnende Züge ihre erste ent- 
scheidende Prägung etwa von den Juden erfahren haben : sei es, 
daß gewisse äußere Gestaltungen standortlicher oder organi- 
satorischer Natur auf ihre Wirksamkeit sich zurückführen lassen ; 
sei es, daß Geschäftsgrundsätze, die sich zu allgemeinen , unser 
Wirtschaftsleben tragenden Wirtschaftsmaximen ausgewachsen 
haben, aus spezifisch jüdischem Geiste geboren sind. Die An- 
wendung dieser Methode erheischt, wie ersichtlich, die Zurück- 


Digitized by t^ooQle 



6 


Verfolgung wirtschaftlicher Entwicklungsreihen tunlichst bis in 
ihre ersten Anfänge hinauf, zwingt unsere Betrachtung also, sich 
dem Kindheitsalter des modernen Kapitalismus zuzuwenden oder 
doch wenigstens jener Zeit, in der er sein heutiges Gepräge zu- 
erst empfing. Sie läßt uns aber keineswegs nur in jener Jugend» 
zeit verweilen, sondern fordert unsere Aufmerksamkeit auch in» 
der Verfolgung des Reifeprozesses kapitalistischen Wesens, weil 
ja während dieser ganzen Zeit bis in die Gegenwart hinein immer 
„neu und neuer Stoff 1 “ sich zudrängt und Wesenseigentttmlich- 
keiten oft genug erst in einem späteren Alter einem Wirtschafts» 
Systeme sich aufprägen: es muff nur immer der Augenblick 
wahrgenommen werden, wenn das Neue sich zum ersten Male 
verspüren läßt und untersucht werden: wer in diesem ent- 

scheidenden Augenblick die führende Rolle in dem besonderen 
Zweige des Wirtschaftslebens, der den neuen Trieb ansetzt y 
gerade gespielt habe. 

Wer die entscheidende Rolle gespielt hat, muh festgestellt 
werden. Obwohl dabei natürlich oft genug eine genaue und ein- 
wandfreie Feststellung sehr schwierig, wenn nicht Unmöglich 
ist: der wissenschaftliche Takt muß hier, wie in den meisten 
Fällen, das Richtige treffen. Daß übrigens diejenigen Persönlich- 
keiten, die eine Einrichtung, eine leitende Idee in das Wirt- 
schaftsleben schöpferisch hineintragen, keineswegs immer die 
„Erfinder“ im engeren Verstände sind, versteht sich von selbst. 
Man hat oft gesagt, daß die Juden nicht eigentlich erfinderische 
Köpfe seieu, daß nicht nur auf technischem, sondern auch auf 
wirtschaftlichem Gebiete die neuen „Erfindungen“ von Nicht- 
juden gemacht wurden und daß die Juden die Ideen der anderen 
nur geschickt auszunutzen verstünden. Ich halte diese These in 
ihrer Allgemeinheit nicht für richtig : auch in technischen, sicher 
aber in ökonomischen Dingen begegnen wir jüdischen „Erfindern“ 
im engeren und eigentlichen Sinne (wie diese Untersuchungen 
in verschiedenen Fällen erweisen werden). Aber wenn sie auch 
in ihrem vollen Umfange richtig wäre, so bewiese sie noch 
nichts gegen die Annahme, daß etwa die Juden bestimmten 
Teilen des Wirtschaftslebens ihr eigenartiges Gepräge aufgedrückt 
haben, da es in der wirtschaftlichen Welt gar nicht so sehr auf 
die Erfindung als auf die „Ausbeutung“ der Erfindung ankommt ; 
das heißt also auf die Fähigkeit, irgend einer Idee Leben zu ver- 


* 


Digitized by 


Google 



7 


leihen, irgend einen neuen Gedanken im Boden der Wirklichkeit 
zu verankern: nicht das entscheidet über den Gang und die 
Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung , ob irgend ein 
ingeniöser Kopf die theoretische Möglichkeit sage des Abzahlungs- 
geschäftes in seinem lieben Gemüte erwogen hat, sondern dieses: 
ob solcherart geeignete Menschen da waren, die diese neue 
Geschäftsform in die Menge hineinzustoßen das Interesse und 
die Fähigkeit besahen. 

* * 

* 

Ehe ich nun den Anteil selbst festzustellen versuche, den 
die Juden am Aufbau unseres modernen Wirtschaftslebens gehabt 
haben, möchte ich mit ein paar Worten noch die Frage erörtern : 
bis zu welchem Grade es der Darstellung gelingen kann, die 
Größe des wirklichen Anteils zum Ausdruck zu bringen, wenn 
in möglichst vorteilhafter Weise die beiden der Untersuchung 
zur Verfügung stehenden Methoden: die statistische und die 
genetische, zu gemeinsamer Anwendung gelangen. 

Da wird es zunächst nicht zweifelhaft sein, daß die Be- 
deutung der Juden für die moderne Wirtschaftsentwicklung 
größer erscheinen muß, als sie in Wirklichkeit ist, weil alle Er- 
scheinungen unter dem einen Gesichtspunkte betrachtet werden : 
wie waren die Juden an ihrer Lebendigmachung beteiligt? Diese 
Wirkung, die Wichtigkeit eines Faktors in einem komplexen 
Gesamtergebnis zu überschätzen, wird immer erzielt werden 
müssen (und sollen), wenn man diesen einen Faktor einer 
isolierenden Analyse unterzieht. Schriebe man die Geschichte 
der modernen Technik und ihren Einfluß auf den Gang des 
Wirtschaftslebens, so würde genau so sehr alles technisch be- 
dingt erscheinen, wie im anderen Falle etwa staatsorganisatorisch 
bedingt, wenn man einseitig die Bedeutung des modernen Staates 
für die Genesis des Kapitalismus zur Darstellung bringen wollte. 
Das versteht sich von selbst, soll aber doch ausdrücklich betont 
werden, damit ich von vornherein dem Vorwurf die Spitze ab- 
breche: ich hätte den Einfluß der Juden auf den Gang unseres 
Wirtschaftslebens überschätzt. Natürlich haben tausend andere 
Umstände gleichermaßen dazu beigetragen, daß unsere Volks- 
wirtschaft die Gestalt bekommen hat, die sie heute trägt. Ohne 
die Entdeckung Amerikas und seiner Silberschätze, ohne die 
Erfindungen der modernen Technik, ohne die volklichen Eigen* 


Digitized by 


Google 



8 


arten der europäischen Nationen und ihre historischen Schick- 
sale wäre der moderne Kapitalismus ebenso unmöglich wie 
ohne das Einwirken der Juden. Der Einfluß der Juden bildet 
ein Kapitel in dem großen Geschichtsbuche und wird auch von 
mir in der neuen genetischen Darstellung des modernen Kapitalis- 
mus, die ich in nicht allzu ferner Zeit hoffe geben zu können, 
in dem großen Zusammenhänge an der gebührenden Stelle in 
seiner teilhaften Bedeutung gewürdigt werden, wo er dann in 
dem richtigem Maße neben den anderen bestimmenden Faktoren 
erscheinen wird. Das ist hier nicht möglich und deshalb kann 
leicht (beim ungeübten Leser) eine Verschiebung des Wirklichkeits- 
bildes zugunsten eines Faktors eintreten. Die hier ausgesprochene 
Warnung wird aber hoffentlich ihre (subjektive) Wirkung nicht 
verfehlen und zusammen mit einem anderen (objektiven) Tat- 
bestände eine annähernd richtige Dimensionierung herbeiführen. 
Dieser zweite Tatbestand, an den ich denke, ist der: daß auf 
der anderen Seite der Einfluß der Juden auf den Gang unseres 
Wirtschaftslebens zweifellos weit größer ist als er in der Go- 
Schichtsdarstellung erscheint. 

Und zwar aus dem sehr einfachen Grunde: weil dieser 
Einfluß nur zu einem Teile überhaupt festgestellt werden kann, 
zu einem anderen (vielleicht größeren, jedenfalls beträchtlichen) 
Teile sich aber überhaupt unserer Kenntnis entzieht. Sei es 
zunächst wegen ungenügender Wissenschaft von den Sachvor- 
gängen. Wie sehr diese in statistischer Hinsicht zu wünschen 
übrig läßt, wurde schon hervorgehoben. Aber auch bei rein 
genetisch-dynamischer Betrachtungsweise: wer weiß heute noch 
Genaues über die Personen oder Gruppen von Personen, die 
diese oder jene Industrie begründet, diesen oder jenen Handels- 
zweig entwickelt, diesen oder jenen Geschäftsgrundsatz zuerst 
vertreten haben? Freilich bin ich der Meinung, daß sehr viel 
mehr über diese Dinge noch an Kenntnis gewonnen werden 
kann, als wir heute besitzen, ja ich zweifle nicht, daß wir schon 
weit mehr Kenntnis heute davon haben, als ich weiß und als 
infolgedessen auch nur in meiner Darstellung zum Ausdruck 
kommen kann. Zu der objektiven (in den Verhältnissen ge- 
legenen) Unzulänglichkeit unseres Wissens kommt also in diesem 
Falle noch eine subjektive (in der Unzulänglichkeit des Bericht- 
erstatters begründete) Mangelhaftigkeit der Kenntnis von der 


Digitized by 


Google 



9 


Wirklichkeit, die es bewirkt, daß nur ein (vielleicht sehr kleiner) 
Teil der wissenswerten Tatbestfinde dem Leser dieses Buches 
berichtet wird. Jedenfalls wird er sich jederzeit dessen bewußt 
bleiben müssen, daß das, was ich von den Juden und ihrer Anteil- 
nahme an dem Aufbau der modernen Volkswirtschaft zu sagen weiß, 
immer nur ein Minimum der Wirklichkeit darstellt und des weiteren : 
daß dieses Minimum aus einem anderen Grunde noch mehr in 
seinem Verhältnisse zu der Ganzheit des tatsfichlichen Verlaufes 
sich verringert. Deshalb nämlich, weil innerhalb der Kenntnis 
von der Entstehung unserer Volkswirtschaft, die, wie wir sahen, 
äußerst lückenhaft ist, soweit es sich um Personalfeststellungen 
handelt, wir noch ganz besonders unzulänglich unterrichtet sind 
über die Frage, ob denn nun Personen, deren Einfluß wir in 
einem günstigen Falle nachweisen können, selbst wenn wir im- 
stande sind, sie namhaft zu machen und ihre Personalien genau 
festzustellen, Juden gewesen sind oder nicht. 

„Juden“ — das heißt also Angehörige des Volkes, das sich 
zum mosaischen Glauben bekennt. (Ich vermeide bei dieser 
Begriffsbestimmung absichtlich jede Ausrichtung auf blutsmäßige 
Sonderheit, die wir vielmehr — einstweilen — als zweifelhaft 
oder wesensunwichtig beiseite lassen wollen.) Ich brauche nicht 
erst zu sagen, daß bei dieser Art, den Begriff des Juden zu 
fassen (trotz der Ausscheidung aller rassenhaften Merkmale bei 
der Begriffsbestimmung), doch auch derjenige Jude bleibt, der 
aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausscheidet. Und daß 
seine Nachkommen Juden bleiben, soweit historisches Erinnern 
reicht. (Über die Berechtigung dieser Auffassung werde ich mich 
im weiteren Verlaufe dieser Darstellung noch äußern.) 

Bei dem Bemühen, den Anteil der Juden am Wirtschafts- 
leben festzustellen, erweist sich nun unausgesetzt als ein lästiges 
Hindernis der Umstand, daß immer wieder als Christen Leute 
erscheinen, die Juden sind, nur weil sie oder ihre Vorfahren 
einmal getauft wurden. Ich sagte schon, daß sich diese Ver- 
schleierung des Tatbestandes besonders fühlbar macht bei An- 
wendung der statistischen Methode, da ja statistisch immer nur 
die Konfession erfaßt wird. Aber auch bei der anderen Methode 
empfinden wir es oft genug als einen Übelstand, daß uns der 
wirkliche Status einer Person verborgen bleibt, weil der religiöse 
Mantel gewechselt ist. 


Digitized by 


Google 



10 


Da& aber nicht geringe Mengen von Juden zu allen Zeiten 
ihren Glauben verlassen haben, dürfen wir als gewiß annehmen. 
In früheren Jahrhunderten waren es vornehmlich die Zwangs- 
taufen, die aus dem jüdischen zum christlichen Glauben hinüber- 
führten. Wir erfahren von ihnen seit dem frühesten Mittelalter : 
in Italien während des 7. und 8. Jahrhunderts, ebenso in Spanien 
um jene Zeit und im Merovingerreiche ; wir begegnen ihnen aber 
durch alle späteren Jahrhunderte hindurch bei allen christlichen 
Völkern bis in die neueste Zeit hinein. Fast bis in die Zeit 
hinein, in der nun der freiwillige Religionswechsel als Massen- 
erscheinung auf tritt. Das ist das 19. Jahrhundert vor allem in 
seinem letzten Drittel. Für die letzten Jahrzehnte besitzen wir 
auch erst zuverlässige Statistiken, während für die frühere Zeit 
oft recht unglaubwürdige Mitteilungen überliefert sind. So scheint 
es mir beispielsweise nicht sehr wahrscheinlich zu sein, was 
Jakob Fromer berichtet, daß gegen Ende des 2. Jahrzehntes 
des 19. Jahrhunderts ungefähr die Hälfte der Berliner Judenheit 
zum Christentum übergetreten sei 1 . Ebenso wenig dürfte sich 
die Behauptung als richtig erweisen lassen, die unlängst in einer 
Versammlung des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen 
Glaubens“ der Referent des Abends, Rabbiner Dr. Werner- 
München (nach Zeitungsberichten) aufstellte: in Berlin seien 
bisher 120000 Juden getauft worden. Die Ziffern, die wir aus 
der Zeit zuverlässiger statistischer Feststellungen besitzen , 
sprechen dagegen. Nach diesen setzt eine stärkere Austritts- 
bewegung erst in den 1890er Jahren ein: doch steigt der Prozent- 
satz der Ausgetretenen in keinem Jahre über 1,28 °/oo (dieses 
Maximum wird 1905 erreicht), während der Durchschnitt etwa 
1 °/o o (seit 1895) beträgt. Immerhin sind die in Berlin aus der 
jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetretenen Personen eine 
ansehnliche Schar, die jährlich nach Hunderten zählt und seit 
1873 (bis 1906) sich genau auf 1869 beläuft *• 

Stärker ist die Austrittsbewegung unter den Juden Öster- 
reichs, namentlich Wiens. Jetzt treten in Wien jedes Jahr 
5 — 600 Personen aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus 
und in den 36 Jahren von 1868 — 1903 sind es ihrer 9085. Die 
Zahl der Austritte wächst rasch an. Im Durchschnitt der Jahre 
1868/79 kam ein Tauffall auf 1200 Juden im Jahre, 1880/89 auf 
420 — 430, 1890/1903 dagegen schon auf 260 — 270 8 . 


Digitized by t^ooQle 



11 


Aber wenn nur die getauften Juden die einzigen Juden 
wären, die einem entgehen, wenn man den Anteil dieses Volkes 
am Wirtschaftsleben ermitteln will! Es gibt noch verschiedene 
andere Gruppen von Juden, deren Wirksamkeit sich schwer oder 
gar nicht nachweisen läßt. 

Ich denke gar nicht einmal an die ganze weibliche 
Judenschaft, die in christliche Familien hineinheiratet und 
hier natürlich ein für allemal dem Namen nach als Jüdinnen 
verschwindet, ohne doch aller Wahrscheinlichkeit nach (worüber 
wir uns erst später unterhalten können) ihre Wesenheit aufzu- 
geben (und damit natürlich jüdische Eigenart weiter zu verbreiten). 
Ich denke vielmehr zunächst an die geschichtlich so außerordent- 
lich bedeutsame Gruppe der Scheinjuden, denen wir (wie 
auch noch genauer zu berichten sein wird) in allen Jahrhunderten 
begegnen, und die in manchen Zeiten recht beträchtliche Teile 
der Judenheit ausmachten. Diese Krypto-Juden wußten sich nun 
aber so vortrefflich als Nicht-Juden aufzuführen, daß sie in der 
Meinung der Leute tatsächlich als Christen (oder Muhamedaner) 
galten. Von den Juden portugiesisch-spanischer Herkunft in Süd- 
frankreich während des 15. und 16. Jahrhunderts (und später) 
erfahren wir beispielsweise — ähnlich aber lebten alle Marranos 
auf der Pyrenäenhalbinsel und außerhalb — : „Ils obeissaient k 
toutes les pratiques exterieures de la rdligion catholique; leurs 
naissances, leurs marriages , leurs ddcös dtaient inscrits sur les 
registres de PEglise, qui leur octroyait les sacrdments chrdtiens 
du baptöme, du marriage et de l’extröme-onction. Plusieurs möme 
entrörent dans les ordrcs et devinrent prötres“ 4 . Kein Wunder 
also, daß sie in allen Berichten über Handelsunternehmungen, 
Industriegründungen usw. nicht als Juden erscheinen und daß 
einige Historiker noch heute von dem günstigen Einfluß „spanischer" 
oder „portugiesischer" Einwanderer zu singen wissen. Die Schein- 
Christen wußten manchmal so gut ihr wirkliches Volkstum zu 
verbergen, daß sich heute Spezialisten auf dem Gebiete juda- 
istischer Forschung darüber streiten, ob eine bestimmte Familie 
jüdischen Ursprungs gewesen sei oder nicht 5 . Die Ungewißheit 
ist natürlich besonders groß, wenn die Krypto-Juden christliche 
Namen angenommen haben. Besonders zahlreich müssen die 
Juden unter den protestantischen Refugiös im 17. Jahrundert 
gewesen sein, wie wir aus allgemeinen Gründen, aber auch aus 


Digitized by 


Google 



12 


den vielen jüdischen Namen schließen können, die uns unter den 
Huguenots begegnen 9 . 

Endlich entziehen sich der Feststellung alle diejenigen Juden, 
die tatsächlich in vormärzlicher Zeit sich im Wirtschaftsleben 
betätigten, von der Behörde jedoch nicht gekannt waren, weil 
das Gesetz die Ausübung ihrer Berufe verbot. Sie mußten sich 
entweder eines christlichen Strohmannes bedienen oder den 
Schutz der privilegierten Juden suchen oder irgend einen anderen 
Trick an wenden, um zwischen den Gesetzen ihre Tätigkeit ent- 
falten zu können. Nach sehr guten Kennern muß dieser im 
Verborgenen blühende Teil der Judenheit manchen Orts sehr 
beträchtlich gewesen sein. So soll beispielsweise in Wien in 
den 1840 er Jahren die Zahl der Juden „nach mäßiger Schätzung 11 
schon 12 000 betragen haben: in ihren Händen lag schon damals 
der gesamte Textil-Engrosbandel ; ganze Teile der inneren Stadt 
waren nur von jüdischen Geschäften erfüllt. Und dabei zählt 
das amtliche Handelsschema von 1845 nur 63 Juden auf, die 
als „tolerierte jüdische Handelsleute" mit der Beschränkung auf 
bestimmte Artikel im Anhänge angeführt sind 7 . 

Genug — worauf es mir hier ankam, war: zu zeigen — 
daß aus sehr verschiedenen Gründen die Zahl der Juden, von 
der wir erfahren, geringer ist als die, die wirklich da waren 
oder da sind. Sodaß — das sollte dem Leser zum Bewußtsein 
gebracht werden — auch dieserhalb der Anteil der Juden am 
Aufbau unserer Volkswirtschaft kleiner erscheinen muß, als er 
in Wirklichkeit ist. Und nun endlich wollen wir versuchen, 
diese Anteilnahme selber zu schildern. 


Digitized by t^ooQle 



13 


Zweites Kapitel 

Die Verschiebung des Wlrtscbaftszentrums seit dem 
16. Jahrhundert 


Cime für den Verlauf der modernen wirtschaftlichen Ent- 
wicklung entscheidend wichtige Tatsache ist die Verlegung dea 
Schwergewichts der weltwirtschaftlichen Beziehungen ebenso 
wie des ökonomischen Energiezentrums aus dem Bannkreise der 
südeuropäischen Nationen (Italiener, Spanier, Portugiesen, denen 
sich einige süddeutsche Gebiete angliederten) unter die nordwest- 
europäischen Völker: zuerst die (Belgier und) Holländer, dann 
die Franzosen, die Engländer, die Norddeutschen. Das wesent- 
liche Ereignis war die plötzlich ausbrechende Blüte Hollands, 
die den Anstoß für die intensive Entfaltung der wirtschaftlichen 
Kräfte namentlich Frankreichs und Englands bildete: während 
des ganzen 17. Jahrhunderts gibt es für alle Theoretiker und 
Praktiker der nordwestlichen Nationen Europas nur ein Zielr 
Holland nachzueifern in Handel, Industrie, Schiffahrt und 
Kolonialbesitz. 

Für diese bekannte Tatsache sind von den „Historikern“ 
die schnurrigsten Gründe angeführt worden. 

So soll beispielsweise die Entdeckung Amerikas und des. 
Seewegs nach Ostindien schuld daran sein, daß die italienischen 
und süddeutschen Stadtstaaten, daß Spanien und Portugal an 
wirtschaftlicher Bedeutung verloren: dadurch sei der Levante- 
handel in seiner Wichtigkeit beeinträchtigt worden und dadurch 
sei die Stellung namentlich der süddeutschen und italienischen 
Städte als dessen Träger erschüttert. Das ist eine ganz und 
gar nicht schlüssige Beweisführung: zum ersten behauptete der 
Levantehandel das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch seine 
Vorherrschaft vor dem Handel mit fast allen anderen Ländern ; 


Digitized by t^ooQle 



14 


Die Blüte der südfranzösischen Handelsstädte etwa ebenso wie 
die des Hamburger Handels beruhten während dieser ganzen 
Zeit vornehmlich auf ihm. Zum anderen haben verschiedene 
italienische Städte, die dann im 17. Jahrhundert an Macht ver- 
loren, das ganze 16. Jahrhundert hindurch trotz der verödeten 
Handelswege noch stark am Levantehandel teilgenommen (wie 
z. B. Venedig). Warum aber die bis zum 15. Jahrhundert 
führenden Völker : Italiener, Spanier und Portugiesen, durch die 
Entfaltung der neuen Handelsbeziehungen mit Amerika und 
Ostasien (auf dem Seewege) hätten Schaden leiden sollen, wes- 
halb sie auch nur im geringsten wegen ihrer geographischen 
Lage gegenüber Franzosen, Engländern, Holländern. Hamburgern 
hätten benachteiligt sein sollen, ist erst recht nicht verständlich. 
Als ob der Weg von Genua nach Amerika oder Ostindien nicht 
derselbe wäre wie der von Amsterdam oder London oder 
Hamburg dorthin? Als ob nicht die portugiesischen und spa- 
nischen Häfen die nächsten zu den neuerschlossenen Gebieten 
gewesen wären, die von Italienern und Portugiesen entdeckt, 
von Spaniern und Portugiesen zuerst waren besessen worden. 

Ebenso wenig stichhaltig erscheint ein anderer Grund, der 
angeführt wird, um die Verlegung des Wirtschaftszentrums unter 
die nordwesteuropäischen Völker plausibel zu machen : die 
stärkere Staatsgewalt, die ihnen ein Übergewicht über die zer- 
splitterten Deutschen und Italiener verliehen hätte. Wiederum 
fragt man erstaunt, ob denn die mächtige Königin der Adria 
eine geringere Staatsmacht dargestellt habe — sage im 1 6. Jahr- 
hundert — , als im 17. Jahrhundert die sieben Provinzen? Und 
ob denn nicht das Reich Philipps n. an Macht und Ansehen 
alle Reiche zu seiner Zeit übertroffen habe? Fragt erstaunt, 
weshalb einzelne Städte im politisch zerrissenen deutschen Reiche, 
wie Frankfurt a. M. oder Hamburg, während des 17. und 18. Jahr- 
hunderts eine Blüte erreichen, die von wenigen französischen 
oder englischen Städten erreicht wurde? 

Es ist hier nicht der Ort, die in Frage stehende Erscheinung 
auf die Gesamtheit ihrer Verursachung hin zu untersuchen. 
Natürlich hat eine ganze Reihe von Umständen zusammengewirkt, 
um das endliche Ergebnis herbeizuführen. Es soll vielmehr, dem 
Zusammenhänge entsprechend, in dem wir das Problem be- 
handeln, auf eine Möglichkeit hingewiesen werden, das seltsame 


Digitized by 


Google 



15 


Phänomen zu erklären, die, wie mir scheint, allerernsteste Be- 
rücksichtigung verdient und an die man seltsamerweise, soviel 
ich sehe, überhaupt noch nicht gedacht hat. Ich meine natürlich 
die Möglichkeit, die Verschiebung des wirtschaftlichen Schwer- 
punkts aus dem Süden nach dem Norden Europas (wie wir nicht 
ganz genau der Kürze halber sagen wollen) in Zusammenhang 
zu bringen mit den Wanderungen der Juden. Kaum daß man 
diesen Gedanken gefaßt hat, breitet sich mit einem Male ein 
wunderbares Licht über die Vorgänge jener Zeit aus, die uns 
bisher im Dunkel zu liegen schienen. Und wir erstaunen, daß 
man bisher nicht wenigstens die äußere Parallelität zwischen 
den örtlichen Bewegungen des jüdischen Volkes und den öko- 
nomischen Schicksalen der verschiedenen Völker und Städte 
wahrgenommen hat. Wie die Sonne geht Israel über Europa: 
wo es hinkommt, sprießt neues Leben empor, von wo es weg- 
zieht, da modert dies, was bisher geblüht hatte. Eine kurze 
Erinnerung an die bekannten Wechselfälle, denen das jüdische 
Volk seit Ende des 15. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist, 
wird diese Beobachtung ohne weiteres in ihrer Richtigkeit be- 
stätigen. 

Das große welthistorische Ereignis, dessen hier zuerst und 
vor allem andern zu gedenken wäre, ist die Vertreibung der 
Juden aus Spanien und Portugal (1492 bezw. 1495 und 1497). 
Es sollte niemals vergessen werden, daß am Tage, ehe Columbus 
aus Palos absegelte, um Amerika zu entdecken (3. August 1492), 
wie man sagt, 800000 Juden aus Spanien nach Navarra, Frank- 
reich, Portugal und nach dem Osten auswanderten. Und daß in den 
Jahren, in denen Vasco de Gama den Seeweg nach Ostindien 
fand, andere Teile der Pyrenäenhalbinsel ihre Juden vertrieben. 

Eine genaue zifferm&ßige Erfassung der örtlichen Verschiebungen, 
die die Juden seit Ende des 15. Jahrhunderts erfahren, ist nicht möglich. 
Die Versuche, die in dieser Richtung unternommen sind, bleiben doch zum 
großen Teil in Konjekturalziffern stecken. Die beste mir bekannte Unter- 
suchung ist die von Js. Loeb , Le nombre des juifs de Gastille et d’Espagne 
au moyen ftge in der Revue des 6tudes juives 14 (1887), 161 ff. Obwohl 
auch sehr viele der Loschen Zahlen nur berechnet sind (meist aus der Be- 
völkerungsziffer der heute an den verschiedenen Orten lebenden Juden), 
will ich die Ergebnisse seiner fleißigen Arbeit doch mitteilen. Danach 
lebten 1492 in Spanien und Portugal etwa 235000 Juden. Annähernd so 
viel wie 200 Jahre früher; davon 160000 in Kastilien, einschließlich Anda- 


Digitized by 


Google 



16 


lusien, Granada uaw., 80000 in Navarra. Der Verbleib dieser spanisch- 
portugiesischen Juden soll nun folgender sein: getauft werden 50000; auf 
der Überfahrt sterben 20000; ausgewandert sind 165000. Davon nehmen auf: 
Europäische und asiatische Türkei .... 90000 


Ägypten und Tripolis 2000 

Algier 10000 

Marokko 20000 

Frankreich 3 000 

Italien 9 000 

Holland, Hamburg, England, Skandinavien 25000 

Amerika 5 000 

Verschiedene Länder 1000 


Zur Ergänzung fuge ich noch eine Zahlenangabe bei, die ich in dem 
Berichte eines der meist ja sehr gut unterrichteten venetianischen Ge- 
sandten finde: „si giudica in Castilia ed in altre province di Spagna il 
terzo esser Marrani un terzo dico di coloro che sono cittadini e mer- 
canti perchö il populo minuto ö vero cristiano, e cosl la maggior parte delli 
grandi. a Vicenzo Qnerini (1506) bei Alberi, Bel. degli Amb. Ser. 1. 
t. I p. 29. Also nach der offiziellen Vertreibung ein Drittel der 
Bourgeoisie Juden! Danach sollte man glauben (was auch aus anderen 
Gründen manches für sich hat), daß die Entleerung Spaniens (und Portugals) 
doch vornehmlich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts erfolgt sei. 

Ein seltsamer Zufall hat diese in ihrer Art gleich denk- 
würdigen Ereignisse: die Erschließung neuer Erdteile und die 
mächtigste Umschichtung des jüdischen Volkes in dieselben Jahre 
verlegt. Aber diese öffentliche Vertreibung der Juden aus der 
Pyrenäenhalbinsel schließt deren Geschichte an diesem Orte noch 
nicht sogleich ab. Es bleiben zunächst zahlreiche Juden als 
Scheinchristen (Marranos) zurück, die erst durch die insbesondere 
seit Philipp UI. immer schroffer vorgehende Inquisition 8 im Laufe 
des nächsten Jahrhunderts dem Lande verloren gehen : ein großer 
Teil der spanischen und portugiesischen Juden siedelt erst 
während des 16. Jahrhunderts, namentlich gegen dessen Ende in 
andere Länder über. In dieser Zeit ist aber auch das Schicksal 
der spanisch-portugiesischen Volkswirtschaft vollendet. 

Bas 15. Jahrhundert bringt den Juden die Vertreibung aus 
den wichtigsten deutschen Handelsstädten: Köln (1424/25), 
Augsburg (1489/40), Straßburg (1438), Erfurt (1458), Nürnberg 
(1498/99), Ulm (1499), Regensburg (1519). 

Im 16. Jahrhundert ereilt sie dasselbe Schicksal in einer 
Anzahl italienischer Städte: sie werden 1492 aus Sizilien, 
1540/41 aus Neapel, 1550 aus Genua, in demselben Jahre aus 


Digitized by t^ooQle 



17 


Venedig vertrieben. Auch hier fällt zeitlich wirtschaftlicher 
Rückgang und Abwanderung der Juden zusammen. 

Wie denn nun auf der anderen Seite der wirtschaftliche Auf- 
schwung — zum Teil ein ganz plötzlicher Aufschwung — der 
Städte und Länder, wohin sich namentlich die Spaniolen wandten, 
seit der Zeit des Eintreffens der Judenflüchtlinge zu rechnen ist. 
So war eine der wenigen italienischen Städte, die im 16. Jahr- 
hundert mächtig emporblühten, Livorno 9 , das Ziel der meisten 
nach Italien fliehenden Juden. 

In Deutschland sind es vor allem Frankfurt a. M. und 
Hamburg, die zahlreiche Juden während des 16. und 17. Jahr- 
hunderts aufnahmen. 

Nach Frankfurt a. M. zogen vor allein die aus den übrigen süd- 
deutschen Städten während des 15. und 16. Jahrhunderts vertriebenen 
Juden. Aber auch aus Holland muß während des 17. und 18. Jahrhunderts 
Zuzug gekommen sein: darauf lassen die engen Handebbeziehungen 
schließen, die zwischen Frankfurt und Amsterdam während des 17. und 
18. Jahrhunderts bestanden. Nach den Feststellungen Friedrich Bothes 
(Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Reichsstadt Frankfurt 
[1906], 70 ff.) steigt die Zahl der Juden während des 16. Jahrhunderts auf 
das Zwanzigfache; sie beträgt 1612 etwa 2800; 1709 werden (laut einer 
offiziellen Volkszählung) 8019 Köpfe in der Judenschaft ermittelt (bei einer 
Einwohnerzahl von etwa 18000). Wir sind über die Herkunft der Frank- 
furter Juden besonders gut unterrichtet durch das fleißige Werk von 
A. Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden. Geschichtliche Mitteilungen 
über die Frankfurter jüdischen Familien von 1549 — 1849. 1907. Dietz hat 
in den mebten Fällen den Ort feststellen können, aus dem eine Familie 
nach Fr. zugewandert ist. Leider können wir daraus nicht immer mit 
Sicherheit auf die weitere Herkunft schließen : Osten Deutschlands, 
Holland, Spanien usw. Für die frühere Zeit (bis 1500) siehe K. Bücher, 
Bevölkerung von Frankfurt a. M. (1886), 526—601. 

In Hamburg siedeln sich die ersten jüdischen Flüchtlinge — zunächst 
unter der Maske des Katholizismus — 1577 bzw. 1583 an. Sie kamen und 
ergänzten sich aus Flandern, Italien, Holland und aus Spanien und Portugal 
direkt Während des 17. Jahrhundert beginnt dann auch die Zuwanderung 
der östlichen (deutschen) Juden. 1668 gab es nach der Beschreibung des 
Grafen Galeazzo Gualdo Priorato in Hamburg 40 — 50 deutsche jüdische 
Häuser neben 120 portugiesisch-jüdischen Familien. Zeitschr. für Hamb. 
Gesch. 3, 140 ff. Über die Ansiedlung und die früheste Geschichte der J. 
in Hamburg unterrichten A. Feilchenfeld, Die älteste Geschichte der 
deutschen J. in Hbg. in der Monatsschrift für Geschichte und Wissen- 
schaft des Judentums 43 (1899); auch selbständig erschienen; M. Grün wa Id, 
Portugiesengräber auf deutscher Erde, 1902. Derselbe, Hamburgs 
deutsche Juden, 1904. 

Sombart, Die Juden 2 


Digitized by t^ooQle 



18 


Vom Ende des 17. Jahrhunderts an w&chst dann die Zahl der J. in 
Hamburg rasch. Mitte des 18. Jahrhunderts wird schon eine „entsetzliche 
Judenmenge“ konstatiert, die man (natürlich übertreibend) auf 20 — 30000 
schätzt Chr. Ludw. v. Griesheim, Die Stadt Hamburg (1760), 47 f. 

Und seltsam: wenn Einer mit offenem Blicke im 18. Jahr- 
hundert Deutschland bereiste, so fand er alle ehemaligen (Reichs-)- 
Handelsstädte im Verfall: Ulm, Nürnberg, Augsburg/ Mainz, 
Köln, und konnte nur von zwei Reichsstädten sagen, daß sie 
ihren alten Glanz bewahren und täglich steigern : Frankfurt a. M. 
und Hamburg 10 . 

In Frankreich sind während des 17. und 18. Jahrhunderts 
besonders blühende Städte Marseille, Bordeaux, Rouen : seltsamer- 
weise wieder die Reservoirs, die die jüdischen Flüchtlinge auf- 
fangen n . 

Daß Hollands volkswirtschaftliche Entwicklung Ende des 
16. Jahrhunderts mit einem plötzlichen Ruck nach aufwärts (im 
kapitalistischen Sinne) geht, ist bekannt. Die ersten portu- 
giesischen Marranen siedeln sich in Amsterdam im Jahre 1593 
an und erhalten bald Zuzug. 1598 wird bereits die erste Syna- 
goge in Amsterdam eröffnet. Mitte des 17. Jahrhunderts gibt 
es schon in mehreren holländischen Städten zahlreiche Juden- 
gemeinden. Anfang des 18. Jahrhunderts wird die Zahl der 
„huisgezinnen“ in Amsterdam allein auf 2400 geschätzt 1 *. Ihr 
geistiger Einfluß ist schon Mitte des 17. Jahrhunderts ein über- 
ragender : die Staatsrechtler und Staatsphilosophen sprechen vom 
Staate der alten Hebräer als von einem Musterstaate, nach dem 
die holländische Verfassung sich bilden sollte 18 . Die Juden 
selbst nennen Amsterdam in jener Zeit ihr neues, großes Jeru- 
salem w - 

Nach Holland waren die Spaniolen teils direkt, teils aus den 
spanisch gebliebenen Teilen der Niederlande, vor allem aus Ant- 
werpen eingewandert, wohin sie sich während der letzten Jahr- 
zehnte des 15. Jahrhunderts und nach ihrer Vertreibung aus 
Spanien und Portugal begeben hatten. Die Placards von 1532 
und 1549 verbieten zwar den Aufenthalt der Scheinchristen in 
Antwerpen, bleiben aber ohne Erfolg. 1550 wird das Verbot 
erneuert, betrifft jedoch nur die, die noch nicht sechs Jahre an- 
wesend sind. Auch dieses Verbot bleibt unbeachtet: „les is- 
raölites clandestins se multipliaient de jours en jours“. Sie 


Digitized by 


Google 



19 


nehmen regen Anteil an dem Befreiungskämpfe der Niederlande, 
dessen Verlauf sie dann allmählich nach den nördlichen Provinzen 
abzuwandern veranlaßt 15 . Nun fällt aber ganz wunderbarer Weise 
die kurze Blüte Antwerpens als Mittelpunkt des Welthandels 
und als Weltbörse just wieder in diese Zeit zwischen Ankunft 
und Abzug der Marranen 15 . 

Endlich scheint auch in England der sogenannte wirt- 
schaftliche Aufschwung, das heißt also das Auswachsen kapita- 
listischen Wesens 17 , parallel zu gehen mit dem Zustrom jüdischer 
Elemente, namentlich spanisch-portugiesischer Herkunft 18 . 

Man nahm früher an, daß es in England seit ihrer Ver- 
treibung unter Eduard I. (1290) bis zu ihrer (mehr oder weniger 
offiziellen) Wiederzulassung unter Cromwell (1654 — 1656) keine 
Juden gegeben habe. Diese Auffassung wird heute von den 
besten Kennern der englisch-jüdischen Geschichte nicht mehr 
.geteilt. Juden gab es in allen Jahrhunderten in England. Aber 
im 16. Jahrhundert wurden sie zahlreich. Das Zeitalter der 
Elisabeth sah ihrer schon viele. Elisabeth selbst besaß eine Vor- 
liebe für hebräische Studien und jüdischen Umgang. Ihr Arzt 
war Rodrigo Lopez : der Jude, nach dem Shakespeare den Shylock 
prägte 18 . 

Bekannt ist, wie dann dank der Fürsprache Manasseh ben 
Israels die Juden Mitte der 1650 er Jahre auch öffentlich in Eng- 
land wieder zugelassen werden und wie sie sich seitdem durch 
Zuzug (seit dem 18. Jahrhundert auch aus Deutschland) rascher 
vermehren. Nach dem Verfasser der Anglia Judaica sollen um das 
Jahr 1788 in London allein 6000 Juden ansässig gewesen sein 19 . 

* * 

♦ 

Nun ist natürlich die Feststellung, daß die Judenwande- 
rungen und das wirtschaftliche Schicksal der Völker zeitlich eine 
Parallelbewegung aufweisen, noch ganz und gar kein Beweis für 
•die Tatsache, daß ihr Wegzug den wirtschaftlichen Niedergang 
eines Landes, ihre Zuwanderung dessen wirtschaftlichen Auf- 
.Schwung bewirkt habe. Das anzunehmen, hieße einen 
schlimmen Trugschluß „post hoc ergo propter hoc“ machen. 

Auch sind für den Nachweis jenes Kausalzusammenhanges 
nicht beweiskräftig genug die Ansichten späterer Historiker, ob- 
'wohl ihre Meinung, wenn sie etwa Montesquieu heißen, immer- 

2 * 


Digitized by 


Google 



20 


hin ins Gewicht fällt. Ich verzichte deshalb darauf, Zeugnisse 
dieser Art anzuführen. 

Aus Pietät jedoch möchte ich die Worte eines ganz un- 
bekannten Mannes vor dem Vergessenwerden bewahren, der in 
merkwürdig hellseherischer Weise wohl als einziger bishei die* 
nicht so durchsichtigen Zusammenhänge zwischen der Ver- 
treibung der Juden aus den deutschen Handelsstädten und deren 
Niedergang erkannt hat. Jos. F. Richter schrieb in den 1840er 
Jahren : „Überhaupt läßt sich beurkunden, daß der Handel Nürn- 
bergs genau zu der Zeit der Judenausweisung seinen Wende- 
punkt erreichte, da ihm auch von jener Zeit an zum wenigsten 
die Hälfte der benötigten Kapitalien fehlte, und der von nun an 
fühlbare Verfall desselben, den man gewöhnlich der Entdeckung* 
des Seewegs nach Ostindien durch die Portugiesen zuschreibt,, 
muß weit richtiger auf Rechnung des von nun an mangelnden 
kühnen Spekulationsgeistes der Juden gesetzt werden“ 20 - 

Dagegen verdienen eine stete Beachtung, wie mir scheint,, 
die Urteile der Zeitgenossen, von denen ich einige be- 
sonders sprechende doch dem Leser mitteilen möchte, weil sin 
über die Vorgänge ihrer Epoche oft mit einem Wort uns ein 
Licht verbreiten, das wir auf anderem Wege erst durch müh- 
selige Studien gewinnen müssen. 

Als im Jahre 1550 der Senat von Venedig beschloß, die* 
Mammen auszuweisen und den Handel mit ihnen ganz zu ver- 
bieten, erklärten die christlichen Kaufleute der Stadt: das würde* 
ihren Ruin bedeuten, dann könnten sie selber gleich mit aus- 
wandern, denn sie lebten von dem Handel mit den. 
Juden. Diese hätten in ihren Händen: 

1. den spanischen Wollhandel, 

2. den Handel in spanischer Seide und Karmesin, Zucker,. 
Pfeffer, indischen Kolonialwaren und Perlen, 

8. einen großen Teil des Ausfuhrhandels : die Juden schicken 
die Waren den Venetianem in Kommission „acciochö gele 
vendiamo per lor conto guadagnando solamente le nostre 
solite provisione“ (I), 

4. den Wechselhandel 21 . 

Begünstiger der Juden in England war, wie wir wissen, 
Crorawell, und die Gründe seiner Sympathie sind, wie wir 
erfahren, nicht zuletzt Rücksichten auf die Volkswirtschaft desi 


Digitized by 


Google 



21 


Landes gewesen: er glaubte, der reichen, jüdischen Handels» 
häuser zu bedürfen, um Waren- und Geldhandel in Blüte zu 
bringen, ebenso aber auch, um für die Regierung leistungsfähige 
Freunde zu gewinnen 22 . 

Ebenso viel Sympathie brachte den Juden der große franzö- 
sische Staatsmann des 17. Jahrhunderts Colbert. entgegen. Und 
ich glaube, es ist besonders bedeutsam, daß diese beiden größten 
Organisatoren des modernen Staates die Eignung der Juden er- 
kannten, die (kapitalistische) Volkswirtschaft des Landes zu 
fördern. In einer Ordonnanz weist Colbert den Intendanten des 
Languedoc darauf hin, welchen großen Vorteil die Stadt Marseille 
von der kaufmännischen Geschicklichkeit der Juden ziehen 
könne 28 . Die Einwohner der großen französischen Handels- 
städte, in denen die Juden eine Rolle spielten, hatten diesen 
Vorteil längst an ihrem eigenen Leibe wahrgenommen und 
legten daher auf die Erhaltung der Judenschaft in den Mauern 
ihrer Stadt das größte Gewicht. Mehrfach vernehmen wir, ins- 
besondere aus den Kreisen der Einwohner von Bordeaux, günstige 
Urteile über die Juden. Als im Jahre 1675 ein Söldnerheer in 
Bordeaux wütet, rüsten sich zahlreiche wohlhabende Juden zur 
Abreise. Das erschreckt den Gemeinderat, und die Geschworenen 
berichten voll Angst: „Les Portugais, qui tiennent des rues 
•entiferes et font un commerce considörable , ont demandö leurs 
passeports. Les Portugais et ötrangers, qui font les plus grandes 
affaires cherchent k se retirer d’ici : Gaspard Gonzales et Alvar&s 
ont quittd depuis peu, qui dtaient des plus considerables parmi 
eux. Nous nous apercevons que le commerce cesse“ 24 . 
Ein paar Jahre später faßt der Sous-Intendant sein Urteil über 
die Bedeutung der Juden für das Languedoc in die Worte zu- 
sammen: „Ohne sie würde der Handel von Bordeaux und der 
der Provinz unfehlbar zugrunde gehen“ (pörirait infaillible- 
ment) 25 . 

Nach der größten Handelsstadt der spanischen Niederlande 
Antwerpen hatten wir im 16. Jahrhundert mit Vorliebe die 
spanisch-portugiesischen Flüchtlinge strömen gesehen. Als Mitte 
des Jahrhunderts der Kaiser die ihnen zunächst gewährten Frei- 
briefe zurückzog (durch Dekret vom 17. Juli 1549), wandten sich 
der Bürgermeister, die Schöffen und der Konsul der Stadt mit 
einer Bittschrift an den Bischof von Arras, worin sie auf die 


Digitized by t^ooQle 



22 


Schwierigkeiten hinwiesen , das Dekret durchzuführen. Die 
Portugiesen seien große Unternehmer, hätten beträchtliche Reich- 
tümer aus ihrer Heimat mitgebracht und unterhielten einen aus- 
gedehnten Handel „Wir müssen bedenken“ , heißt es weiter, 
„daß Antwerpen nur sehr langsam groß geworden ist und eine 
Zeit lang gebraucht hat, bis es den Handel an sich reißen konnte. 
Und der Ruin dieser Stadt würde zugleich den Ruin des Landes 
nach sich ziehen. Das alles muß bei der Vertreibung der Portu- 
giesen in Betracht gezogen werden.“ Der Bürgermeister 
Nicolas v. d. Meeren unternahm noch weitere Schritte. Als die 
Königin Marie von Ungarn, die Regentin der Niederlande, sich 
in Ruppelmonde aufhielt, begab sich der Bürgermeister zu ihr, 
um die Sache der Neuchristen zu vertreten. Er entschuldigte- 
das Verhalten des Magistrats von Antwerpen, der die kaiserliche 
Verordnung nicht publizieren könne, weil sie den teuersten 
Interessen der Stadt zuwiderliefe**. 

Diese Bemühungen hatten aber keinen Erfolg; die Amt- 
werpener Juden und Neuchristen wandten sich, wie wir sahen, 
nach Amsterdam. 

Als Antwerpen dann durch den Fortzug der Juden schon 
viel von seinem früheren Glanze eingebüßt hatte: im 17. Jahr- 
hundert empfand man erst recht, welche Bedeutung der Juden- 
schaft als Mehrer des Wohlstandes zukam. Die zur Prüfung der 
Frage, ob die Juden nach Antwerpen zuzulassen seien, im Jahre 
1653 eingesetzte Kommission äußerte sich darüber, wie folgt: 
„Et quant aux autres inconvänients que Ton poumdt craindre 
et apprähendre au regard de l’intäröt public, k savoir qu’ils atti- 
reront k eux tout le commerce, qu’ils commettront mille fraudes- 
et tromperies, et que par leur usure ils mangeront les substances» 
des bons sujets et catholiques, il nous semble au contraire que 
par le commerce qu’ils rendront plus grand qu’il n’est 
k präsent, le bänäfice sera commun k tout le pays et que Tor 
et l’argent seront en plus grande abondance pour les 
besoins de l’Etat“* 7 . 

Die Holländer des 17. Jahrhunderts aber sahen deutlich 
genug ein, was sie an den Juden gewonnen hatten. Als Manasseh 
ben Israel in seiner bekannten Mission nach England gegangen 
war, schöpfte die holländische Regierung Verdacht: es könne 
sich darum handeln, die holländischen Juden nach England hin- 


Digitized by t^ooQle 



23 


überzuziehen. Sie beauftragte daher ihren Gesandten in Eng- 
land, Neuport, Manasseh über seine Absichten zu fragen. Neuport 
berichtet (Dezember 1655) in beruhigendem Sinne an seine 
Regierung : es sei keine Gefahr vorhanden. Manasseh ben Israel 
hath been to see me and did assure me, that he doth not desire 
any thing for the Jews in Holland, but only for these as sit in 
the inquisition, in Spain and Portugal“ 28 . 

Dasselbe Bild in Hamburg. Im 17. Jahrhundert wächst 
die Bedeutung der Juden dermaßen, daß man sie für unentbehr- 
lich für Hamburgs Gedeihen erachtet. Der Senat tritt einmal 
für Zulassung der Synagogen ein, mit der Begründung, daß sonst 
die Juden wegziehen würden und daß Hamburg dann zu einem 
Dorfe herabzusinken Gefahr liefe 29 . 1697 richtet umgekehrt die 
Hamburger Kaufmannschaft an den Rat das dringende Ersuchen, 
(die Juden sollten vertrieben werden), ihnen entgegenzukommen, 
um schwere Schädigungen des Hamburger Handels zu ver- 
hindern 80 . Im Jahre 1733 heißt es in einem Gutachten, das 
sich bei den Senatsakten befindet: Im Wechselgeschäft, im 
Handel mit Galanteriewaren und in der Herstellung gewisser 
Stoffe sind die Juden „fast gantz Meister“ , sie haben „die 
Unseren überflügelt“. Früher brauchte man sich nicht um die 
Juden zu kümmern. Doch „sie nehmen an Zahl merklich zu. 
Es ist fast kein Teil des großen Commercii, der fabriquen und 
der täglichen Nahrung, worin sie nicht stark mit eingeflochten 
sind. Sie sind uns schon ein malum necessarium geworden“ 81 . 
Den Geschäftszweigen, in denen sie eine hervorragende Rolle 
spielten, könnte man noch das Seeversicherungsgeschäft hinzu- 
fügen 8a . 

Aber auch die Aussprüche und Urteile der Zeitgenossen ver- 
mögen uns noch nicht völlig von der Richtigkeit eines Tat- 
bestandes zu überzeugen: wir wollen, wenn es irgend möglich 
ist, selbst urteilen. Und das können wir natürlich nur, wenn 
wir die wirklichen Zusammenhänge durch eigenes Nachforschen 
aufdecken; in diesem Falle: wenn wir versuchen, aus den 
Quellen die Erkenntnis zu schöpfen, welchen Anteil die Juden 
wirklich und wahrhaftig an dem Aufbau unserer modernen Volks- 
wirtschaft, also — um immer genau im Ausdruck zu bleiben: 
an der Entfaltung des modernen kapitalistischen Wirtschafts- 
systems gehabt haben. Das alles seit dem Ende des 15. Jahr- 


Digitized by t^ooQle 



24 


hunderts vornehmlich, das heißt von jenem Zeitpunkte ab, an 
dem (wie wir schon sahen) der Weg der jüdischen Geschichte 
und der der europäischen Wirtschaftsgeschichte scharf umbiegen 
in der Richtung der Gegenwartsentwicklung. Denn erst diese 
Feststellung gestattet uns auch ein endgültiges Urteil in der 
Frage: in welchem Umfange die Verschiebung des Wirtschafts- 
gebietes jüdischem Einfluß zuzuschreiben ist. 

Ich sehe, wie ich im voraus bemerken will, die Bedeutung 
der Juden für den Aufbau und Ausbau des modernen Kapitalis- 
mus in einer mehr äußerlichen und einer innerlich-geistigen Ein- 
wirkung. Äußerlich haben sie wesentlich dazu beigetragen, daß 
die internationalen Wirtschaftsbeziehungen ihr heutiges Gepräge 
erhielten, aber auch daß der moderne Staat — dieses Gehäuse 
des Kapitalismus — in der ihm eigenen Weise erstehen konnte. 
Sie haben sodann der kapitalistischen Organisation selbst dadurch 
eine besondere Form gegeben, daß sie eine ganze Reihe der das 
moderne Geschäftsleben beherrschenden Einrichtungen ins Leben 
riefen und an der Ausbildung anderer hervorragenden Anteil 
nahmen. 

Innerlich-geistig ist ihre Bedeutung für die Ausbildung kapita- 
listischen Wesens deshalb so groß, weil sie es recht eigentlich 
sind, die das Wirtschaftsleben mit modernem Geiste durch- 
tränken ; weil sie die innerste Idee des Kapitalismus erst zu ihrer 
vollen Entwicklung bringen. 

Es wird sich nun empfehlen, daß wir die einzelnen Punkte 
der Reihe nach durchgehen, damit ich dem Leser wenigstens 
zum Bewußtsein bringe: wie das Problem richtig gestellt wird. 
Mehr als anregend zu fragen, und hie und da tupfenweise, ver- 
suchsweise, eine Antwort anzudeuten, liegt, wie ich des öfteren 
hervorgehoben habe, gar nicht in der Absicht dieser Unter- 
suchung. Zukünftiger Forschung muß es Vorbehalten bleiben, 
durch systematische Materialbeschaffung dann endgültig fest- 
zustellen, ob und inwieweit die hier behaupteten Zusammen- 
hänge in Wirklichkeit bestehen. 


Digitized by 


Google 



25 


Drittes Kapitel 

Die Belebnng des Internationalen Warenhandels 


Mächtig ist der Anteil, den die Juden an der Neugestaltung 
des Handels genommen haben, wie sie sich seit der Verschiebung 
des Wirtschaftsgebietes vollzieht. Mächtig zunächst durch die 
offenbar rein quantitativ hervorragende Beteiligung an den be- 
wirkten Warenumsätzen. Nach dem, was ich eingangs dieses 
Abschnitts ausgeführt habe, ist eine ziffermäßige Erfassung der 
auf die Juden entfallenden Quote der bewegten Warenmenge 
unmöglich, wo nicht ganz besonders günstige Umstände einen 
Einblick gewähren. Vielleicht daß eingehende Forschungen noch 
eine Reihe von genauen Ziffern zutage fördern. Einstweilen 
sind (mir) nur wenige bekannt, die aber immerhin (gleichsam 
paradigmatisch) recht lehrreich sind. 

So soll sich der Umfang des Handels der Juden, schon vor 
ihrer Zulassung, also in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, 
auf ein Zwölftel des gesamten englischen Handels belaufen 
haben 88 . Leider erfahren wir nicht, welcher Quelle diese Ziffer 
entnommen ist. Daß sie aber nicht allzuweit von der Wirklich- 
keit sich entfernt, beweist eine Angabe, die wir in einer Denk- 
schrift der Londoner Kaufleute finden. Es handelte sich darum, 
ob die Juden den Fremdenzoll auf Einfuhrgüter zahlen sollten 
oder nicht. Die Denkschreiber meinen, wenn er aufgehoben 
würde, würde die Krone einen Verlust von jährlich mindestens 
10000 erleiden 84 . 

Auffallend gut sind wir unterrichtet über die Beteiligung 
der Juden an der Leipziger Messe 85 , die ja lange Zeit hindurch 
der Mittelpunkt des deutschen Handels war und für dessen 
intensive und extensive Entwicklung einen guten Gradmesser 
bildet, die aber auch für einige der angrenzenden Länder, 


Digitized by t^ooQle 



26 


namentlich Polen und Böhmen, eine wichtige Bolle gespielt 
hat. Hier auf der Leipziger Messe finden wir nun seit dem 
Ende des 17. Jahrhunderts in wachsendem Umfange Juden als 
Meßfieranten , und die Bearbeiter des Ziffermaterials kommen 
sämtlich dahin überein, daß die Juden es seien, die den Olanz 
der Leipziger Messe begründet haben 86 . 

Leider ist eine Vergleichung der Zahl der Juden mit der 
der christlichen Kaufleute erst seit der Ostermesse 1756 möglich, 
da die archivalischen Quellen erst von diesem Zeitpunkt an 
statistische Angaben über die Christen auf den Messen enthalten. 
Die Zahl der Juden auf der Oster- und Michaelismesse betrug 
durchschnittlich im Jahr 


1675—1680 

416 

1767—1769 

995 

1681—1690 

489 

1770—1779 

1652 

1691—1700 

834 

1780—1789 

1073 

1701—1710 

854 

1790—1799 

1473 

1711—1720 

769 

1800—1809 

3370 

1721—1730 

899 

1810—1819 

4896 

1731—1740 

874 

1820—1829 

3747 

1741—1748 

708 

1830—1839 

6444 


Beachtenswert: das rasche Anwachsen Ende des 17. und 18. 
sowie Anfang des 19. Jahrhunderts 1 

Überblicken wir den ganzen Zeitraum von 1766 — 1839, so 
zeigt sich, daß die Messen durchschnittlich im Jahre von 3185 
jüdischen Meßfieranten besucht waren, denen 13005 Christen 
gegenüberstehen : die Zahl betrug demnach 24,49 °/o oder fast 
ein Viertel von der der christlichen Kaufleute. In einzelnen 
Jahren, wie z. B. zwischen 1810 und 1820 steigt das Verhältnis 
der Juden zu den Christen bis auf 83 1 ls°lo (4896 Juden, 
14366 Christen!) (Dabei ist noch zu beachten, daß alle diese 
Ziffern wahrscheinlich erheblich hinter der Wirklichkeit Zurück- 
bleiben, da neuere, genauere Untersuchungen noch viel mehr 
Juden auf den Messen festgestellt haben : siehe die Anmerkung 85.) 

Zuweilen kann man auf Umwegen den ziffermäßig großen 
Anteil der Juden an dem Gesamthandel eines Landes oder einer 
Stadt ermitteln. So wissen wir beispielsweise, daß der Handel 
Hamburgs mit Spanien und Portugal sowohl als mit Holland 
während des 17. Jahrhunderts fast ausschließlich in den Händen 
der Juden lag 87 . Nun fuhren aber in jener Zeit rund 20°/o aller 


Digitized by 


Google 



27 


von Hamburg auslaufenden Schiffslasten nach Spanien und 
Portugal, etwa 30% nach Holland 88 . 

Oder wir erfahren, daß der Levantehandel der bedeutsamste 
Zweig des französischen Handels im 18. Jahrhundert ist : „peut etre 
la plus brillante (branche) du commerce de France“ und hören 
gleichzeitig, daß er ganz und gar von den Juden beherrscht wird : 
„Käufer, Verkäufer, Makler, Wechselagenten, Kommissionäre usw. y 
alles sind Juden“ 89 . 

Ganz allgemein aber genügt die Erwägung, daß während 
des 16. und 17. Jahrhunderts bis tief ins 18. hinein der Levante- 
handel und der Handel mit und über Spanien-Portugal noch die 
bei weitem wichtigsten Zweige des Welthandels bildeten, tun 
die überragende Bedeutung der Juden für dessen Entwicklung 
zunächst in rein quantitativer Betrachtung zu ermessen. Denn 
diese Handelswege beherrschten sie fast ausschließlich. Schon 
von Spanien aus hatten sie den größten Teil des Levante- 
handels in die Hände bekommen ; schon damals hatten sie überall 
in den levantinischen Seeplätzen Kontore. Nun, bei der Ver- 
treibung aus der Pyrenäenhalbinsel ging ein großer Teil der 
Spaniolen selbst in den Orient; ein anderer Teil zog nordwärts 
und somit glitt ganz unmerklich der Orienthandel zu den nor- 
dischen Völkern hinüber. Speziell Holland wird durch die 
Knüpfung dieser Beziehungen erst eine Welthandelsmacht. Das 
Netz des Welthandels wurde größer und engmaschiger genau in 
dem Maße, wie die Juden ihre Kontore an entferntere und in 
näher beieinander liegende Orte verlegten 40 . Zumal dann, als 
— wiederum im wesentlichen durch sie — der Westen der Erde 
in den Welthandel einbezogen wurde. Diese Etappe der Ent- 
wicklung verfolgen wir aber erst, wenn wir den Anteil an der 
Begründung der modernen Kolonialwirtschaft festzustellen ver- 
suchen. 

Abermals ein Weg, auf dem man zur Einsicht in die Be- 
deutung der Juden für die Ausbildung des modernen Welthandels 
kommt, ist die Feststellung derjenigen Warengattungen, mit 
denen sie hauptsächlich handelten. Durch die Artbeschaffenheit 
ihres Handels fast noch mehr als durch dessen Umfang gewinnen 
sie so großen Einfluß auf die Gesamtgestaltung des Wirtschafts- 
lebens, wirken sie teilweise revolutionierend auf die alten Lebens- 
formen ein. 


Digitized by t^ooQle 


28 


Da tritt uns zunächst die wichtige Tatsache entgegen, daß 
die Juden den Handel mit Luxuswaren lange Zeit hindurch so 
gut wie monopolisiert haben. Und während des aristokratischen 
17. und 18. Jahrhunderts bedeutete dieser Handel das meiste. 
Die Luxusgegenstände, über die die Juden vor allem verfügten, 
sind Bijouterien, Edelsteine, Perlen, Seide und Seiden waren 41 . 
Bijouterien aus Gold und Silber, weil sie von jeher den Edel- 
metallmarkt beherrscht hatten; Edelsteine und Perlen, weil sie 
die Fundstätten (namentlich Brasilien) als die ersten besetzt 
hatten ; Seide und Seidenwaren wegen ihrer uralten Beziehungen 
zu den östlichen Handelsgebieten. 

Auf der anderen Seite finden wir die Juden überall dort 
allein oder mit überragendem Einfluß am Handel beteiligt, wo 
es den Vertrieb von Massenprodukten gilt. Ja, man kann, glaube 
ich, mit einigem Recht behaupten, daß sie es wiederum sind, die 
als die ersten die großen Stapelartikel des modernen Welthandels 
zu Markte gebracht haben. Das sind aber neben einigen Landes- 
produkten: Getreide, Wolle, Flachs, später Spiritus, während des 
17. und 18. Jahrhunderts vornehmlich die Erzeugnisse der rasch 
wachsenden kapitalistischen Textilindustrie 48 sowie die neu auf 
dem Weltmärkte erscheinenden Kolonialprodukte Zucker und 
Tabak. Ich zweifle nicht, daß, wenn man einmal anfangen wird, 
die Handelsgeschichte der neueren Zeit zu schreiben, man gerade 
bei der Geschichte der Massenartikel immerfort auf jüdische 
Händler stoßen wird. Die wenigen Belege, die mir rein zufällig 
in die Hände gekommen sind, lassen schon jetzt die Richtigkeit 
meiner Behauptung durchscheinen 48 . 

Stark aufreizend und umstürzend wirkte auf den Gang des 
Wirtschaftslebens dann aber vor allem der Handel mit neuen, 
alte Verfahr ungsweisen umwälzenden, Artikeln ein, an dem 
wiederum die Juden offenbar einen besonders starken Anteil 
hatten. Ich denke an den Handel mit Baumwolle 44 , ausländischen 
Baum woll waren (Kattunen), Indigo usw. 45 . Die Vorliebe für 
solche Artikel, die man nach damaliger Denkweise als Stören- 
friede der heimischen „Nahrung“ empfand, trug dem Handel 
der Juden wohl gelegentlich den Vorwurf des „unpatriotischen 
Handels“ ein, des „Judenkommerz, welches wenige deutsche 
Hände nützlich beschäftigt und größtenteils auf der inländischen 
Verzehrung beruht“ 4T . 


Digitized by t^ooQle 



29 


Was das „Judenkommerz“ sonst noch auszeichnete und es 
vorbildlich für allen Handel machte, der dadurch in neue Bahnen 
gelenkt wurde, war die Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit der 
gehandelten Waren. Als sich die Kaufleute von Montpellier über 
die Konkurrenz beschweren, die ihnen die jüdischen Händler 
bereiteten, antwortete ihnen der Intendant (1740): wenn sie, die 
Christen, ebenso wohlassorkierte Läger hätten wie die Juden, 
würde die Kundschaft schon ebenso gern zu ihnen kommen wie 
zu den jüdischen Konkurrenten 48 . Und von der Tätigkeit der 
Juden auf den Leipziger Messen entwirft uns Rieh* Markgraf 
in seinem Schlußwort folgende Schilderung 49 : „Fürs zweite wirkten 
sie (die jüdischen Fieranten) fördernd auf die Meßgeschäfte durch 
die Mannigfaltigkeit ihrer Einkäufe, insofern sie dadurch den 
Meßhandel immer vielseitiger gestalteten und die Industrie, be- 
sonders die inländische, zu immer größerer Mannigfaltigkeit in 
der Produktion anspornten. Auf vielen Messen waren die Juden 
wegen ihrer verschiedenen und umfangreichen Einkäufe sogar 
ausschlaggebend. “ 

Worin ich aber vor allem die Bedeutung sehe, die das „Juden- 
kommerz“ während der frühkapitalistischen Epoche für die meisten 
Volkswirtschaften gewann, ist der Umstand, daß die Juden gerade 
diejenigen Handelsgebiete fast ausschließlich beherrschten, aus 
denen große Mengen Bargeld zu holen waren: also die neu- 
erschlossenen Silber- und Goldländer (Mittel- und Südamerika), 
sei es im direkten Verkehr, sei es auf dem Umwege über Spanien 
und Portugal. Oft genug hören wir denn auch berichten, daß 
die Juden bares Geld ins Land hineinbringen 50 . Und daß hier 
die Quelle aller (kapitalistischen) „Volkswohlfahrt“ floß, wußten 
die Theoretiker und Praktiker ihrer Zeit sehr genau, und haben 
wir, nachdem der Nebel der Smithschen Doktrinen gesunken ist, 
jetzt endlich auch wieder eingesehen. Begründung der modernen 
Volkswirtschaft hieß zu einem guten Teile Herbeiziehung von 
Edelmetallen, und daran war niemand so sehr beteiligt als die 
jüdischen Kaufleute. Diese Feststellung aber führt uns un- 
mittelbar hinüber zu dem nächsten Kapitel, das insbesondere 
den Anteil der Juden an der Entwicklung der modernen Kolonial- 
wirtschaft erörtern soll. 


Digitized by t^ooQle 



80 


Viertes Kapitel 

Die Begründung der modernen Kolonlalwirtschaft 


D&n nicht zuletzt durch das Mittel der kolonialen Expansion 
der moderne Kapitalismus zur Blüte gelangt, fangen wir jetzt 
.an, deutlich zu erkennen. Und daß bei dieser kolonialen 
Expansion wiederum die Juden eine hervorragende, um nicht 
xu sagen: die entscheidende Bolle gespielt haben, sollen die 
folgenden Ausführungen wahrscheinlich machen. 

Es ist nur natürlich, daß die Juden bei allen kolonialen 
Gründungen stark beteiligt gewesen sind (da ihnen die neue 
Welt, wenn sie auch nur eine alte ummodelte, immer mehr 
Lebensglück in Aussicht stellte als das mürrische alte Europa, 
xumal seit hier das letzte Dorado sich auch als unwirtliches 
Land erwiesen hatte). Das gilt für den Osten ebenso wie für 
«len Westen und für den Süden der Erde. In Ostindien waren 
offenbar schon seit dem Mittelalter zahlreiche Juden ansässig 51 , 
«lie dann, als die europäischen Nationen nach 1498 ihre Hände 
nach den alten Kulturländern ausstreckten, als willkommene 
Stützpunkte der europäischen Herrschaft und namentlich als 
Pioniere des Handels dienen konnten. Mit den Schiffen der 
Portugiesen und Holländer kamen dann aller Wahrscheinlichkeit 
nach — genaue Ermittlungen sind noch nicht angestellt — 
größere Scharen von Juden in die indischen Besitzungen mit 
herüber. Jedenfalls finden wir die Juden an allen holländischen 
Gründungen auch im Osten stark beteiligt. Wir erfahren, daß 
beträchtliche Teile des Aktienkapitals der holländisch-ostindischen 
Kompagnie in jüdischem Besitze sich befanden 58 . Wir wissen, 
•daß derjenige Generalgouverneur der holländisch- ostindischen 
Kompagnie, der, „wenn man ihn auch nicht als Gründer der 


Digitized by 


Googlv 



31 


niederländischen Macht auf Java bezeichnen kann, doch sicher 
am meisten zur Befestigung derselben beigetragen hat“ 58 , Cohn 
(Coen) hieß. Und können uns leicht davon überzeugen, daß er 
nicht der einzige jüdische Gouverneur der holländisch-indischen 
Besitzungen war, wenn wir etwa die Porträts dieser Beamten 
einer Musterung unterziehen 54 . Wir finden aber Juden ebenso 
als Direktoren der Ostindischen Kompagnie 55 , kurz überall in 
den kolonialen Geschäften 56 . 

In welchem Umfange die Juden dann an der Kolonial- 
wirtschaft in Indien teilnahmen, als die Engländer sich zu 
den Herren machten, ist noch unbekannt. Dagegen sind wir 
verhältnismäßig gut unterrichtet über den Anteil der Juden 
an der Begründung der englischen Kolonien in Südafrika und 
Australien und wissen, daß hier (namentlich in der Kapkolonie) 
so gut wie alle wirtschaftliche Entwicklung den Juden zu- 
zuschreiben ist. In den 1820 er und 1830 er Jahren kommen 
Benj. Norden und Simeon Markus nach Südafrika: ihnen ist „the 
industrial awakening of almost the whole interior of Cape Colony “ 
zu danken; Julius, Adolph, James Mosenthal begründen den 
Woll- und Häutehandel und die Mohair-Industrie; Aaron und 
Daniel de Pass monopolisieren den Walfischfang; Joel Myers 
begründet die Straußenzucht ; Lilienfeld von Hopetown kauft die 
ersten Diamanten usw, usw. 57 Eine ähnlich führende Bolle 
haben die Juden in den übrigen südafrikanischen Staaten, nament- 
lich auch in Transvaal gespielt, wo heute 25 000 von den 50 000 
südafrikanischen Juden leben sollen 58 . InAustralien finden wir 
als einen der ersten Großhändler den Montefiore. Sodaß es keine 
Übertreibung zu sein scheint, wenn behauptet wird: „a large 
Proportion of the English colonial shipping trade was for a con- 
siderable time in the hands of the Jews“ 5 ®. 

Recht eigentlich aber das Feld jüdischer Wirksamkeit in 
Koloniallanden , zumal in den Jahrhunderten der frühkapi- 
talistischen Wirtschaftsverfassung, ist der von dem Europäer- 
tum ganz neu gestaltete Westen der Erde. Amerika in allen 
seinen Teilen ist ein Judenland: das ist das Ergebnis, 
zu dem ein Studium der Quellen unweigerlich führen muß. 
Und durch den überragenden Elinfluß, den Amerika von dem 
Tage seiner Entdeckung an auf das europäische Wirtschafts- 
leben und die gesamte europäische Kultur gewonnen hat, 


Digitized by t^ooQle 



32 


ist natürlich die starke Beteiligung der Juden an dem Aufbau 
der amerikanischen Welt von ganz besonderer Bedeutung für 
den Ablauf unserer Geschichte geworden. Ich werde deshalb 
etwas länger bei diesem Gegenstände verweilen, auf die Gefahr 
hin, den Leser durch allzuviele Details zu ermüden. Die Größe 
des Problems wird doch, denke ich, die etwas pedantische Art 
der Behandlung rechtfertigen 60 . 

In einer ganz seltsamen Weise sind die Juden gleich mit 
der Entdeckung Amerikas auf das innigste verwoben : es ist als 
ob die neue Welt für sie allein, durch ihre Beihilfe entdeckt 
worden sei, als ob die Columbusse nur die Geschäftsführer Israels 
gewesen seien. So betrachten jetzt auch stolze Juden selbst die ge- 
schichtliche Lage, wie sie durch neuere archivalische Forschungen 61 
klargelegt worden ist. Danach soll zunächst (was hier nur im 
Vorübergehen erwähnt werden mag) erst die jüdische Wissen- 
schaft die Seefahrtstechnik auf eine so hohe Stufe gehoben haben,, 
daß die transozeanischen Reisen überhaupt unternommen werden 
konnten. Abraham Zacuto, Professor für Mathematik und Astro- 
nomie an der Universität Salamanca, verfaßt 1473 seine astrono- 
mischen Tabellen und Tafeln (Almanach perpetuum) ; Jose 
Vecuho, Astronom und Leibarzt Johanns II. von Portugal und 
der Mathematiker Moses erfinden 1484 auf Grund der Zacuto- 
sehen Tafeln im Vereine mit zwei christlichen Kollegen da» 
nautische Astrolab (ein Instrument, um aus dem Stande der 
Sonne die Entfernung des Schiffes vom Äquator zu bestimmen). 
Jose übersetzt den Almanach seines Lehrers Zacuto ins Lateinische 
und Spanische. 

Sodann soll die materielle Unterlage der Columbusschen 
Expeditionen von den Juden geschaffen sein. Jüdische Gelder 
haben die beiden ersten Reisen des Columbus ermöglicht. Die 
erste unternimmt er mit Hilfe des Darlehns, das ihm der KgL 
Rat Luis de Santangel gewährt. An Santangel, den eigentlichen 
Protektor der Columbus-Expedition , sind auch der erste und 
zweite Brief des Columbus adressiert; an ihn und an den 
Schatzmeister von Aragonien, Gabriel Saniheg, einen Marranen. 
Die zweite Expedition des Columbus wird wiederum mit 
jüdischem Gelde ausgerüstet, das dieses Mal freilich nicht frei- 
willig gespendet worden war: nämlich mit dem Gelde, das 
von den vertriebenen Juden zurückgelassen war und das 1493 


Digitized by t^ooQle 



33 


Ferdinand von Aragonien für den Staatsschatz hatte einziehen 
lassen. 

Aber weiter: im Schiffe des Columbus waren eine Anzahl 
Juden und der erste Europäer, der amerikanischen Boden betrat, 
war ein Jude: Luis de Torres. So will es die neueste „akten- 
mäßige“ Forschung 62 . 

Und was das Allerschönste ist: neuerdings wird Columbus 
selber für das Judentum reklamiert! Ich teile diese neueste 
Entdeckung mit, ohne imstande zu sein, ihre Richtigkeit nach- 
prüfen zu können. In einer Sitzung der Geographischen Ge- 
sellschaft zu Madrid hat der Gelehrte Don Celso Garcia de la 
Riega über seine Columbus-Forschungen berichtet, aus denen 
hervorgeht, daß Christobal Colon (nicht Colombo) ein Spanier 
und mütterlicherseits von jüdischer Abstammung 
war. Don Garcia de la Riega hat aus bischöflichen und Notariats- 
akten der Stadt Pontevedra in der Provinz Galicien nachgewiesen, 
daß dort zwischen 1428 und 1528 die Familie des Colon ansässig 
war, und daß in dieser Familie dieselben Vornamen üblich waren, 
die man bei den Verwandten des Admirals wiederfindet. Zwischen 
diesen Colons und der Familie Fonterosa haben Heiraten statt- 
gefunden. Die Fonterosas waren zweifellos ein jüdisches Ge- 
schlecht, oder doch erst seit kurzer Zeit zum Christentum be- 
kehrt. Die Mutter Christobal Colons hieß Suzanna Fonterosa. Als 
in der Provinz Galicien Unruhen ausbrachen, haben die Eltern 
des Entdeckers Spanien verlassen und sind nach Italien aus- 
gewandert. Diese Behauptungen werden von dem spanischen 
Gelehrten noch durch weitere Beobachtungen gestützt. Er findet 
in den Schriften des Columbus zahlreiche Anklänge an die 
hebräische Literatur ; die ältesten Porträts des Amerika-Ent- 
deckers zeigen einen echt jüdischen Gesichtstypus. 

Und kaum waren die Tore der neuen Welt den Europäern 
geöffnet, so strömten nun in Scharen die Juden hinein. Wir 
sahen ja, daß die Entdeckung Amerikas in genau dasselbe Jahr 
feilt, in dem die Juden in Spanien heimatlos werden; sahen, 
daß die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts und die ersten Jahr- 
zehnte des folgenden Jahrhunderts Zeiten sind, in denen Myriaden 
von Juden zum Wandern gezwungen werden, in denen die europä- 
ische Judenheit wie ein Ameisenhaufen, in den man einen Stock 
steckt, in Bewegung gerät: kein Wunder, wenn von diesem 

Sombart, Die Juden 3 


Digitized by t^ooQle 



34 


Haufen ein großer Teil sich in die hoffnungsreichen Gebiete der 
neuen Welt begab. Die ersten Kaufleute drüben waren Juden 6 *. 
Die ersten industriellen Anlagen in den amerikanischen Kolonien 
rührten von Juden her. Schon 1492 lassen sich portugiesische 
Juden in St. Thomas nieder und beginnen hier die Plantagen- 
wirtschaft im Großen: sie errichten zahlreiche Zuckerfabriken 
und beschäftigen bald 8000 Negersklaven 68 . Der Zustrom der 
Juden nach Südamerika gleich nach der Entdeckung war so groß, 
daß im Jahre 1511 die Königin Johanna es für notwendig er- 
achtete, dagegen einzuschreiten 64 . Offenbar aber blieb diese 
Verordnung ohne Wirkung, denn der Juden drüben wurden immer 
mehr. Durch Gesetz vom 21. Mai 1577 wurde dann endlich das 
Verbot der gesetzlichen Auswanderung in die spanischen Kolonien 
formell aufgehoben. 

Um die rege Wirksamkeit, die die Juden als Begründer des 
kolonialen Handels und der kolonialen Industrie in dem Bereiche 
südamerikanischen Gebietes entfalteten, ganz würdigen zu können, 
tut man gut, das Schicksal einiger Kolonien im einzelnen zu 
verfolgen. 

Die Geschichte der Juden in den amerikanischen Kolonien 
und damit deren Geschichte selbst zerfällt in zwei große Ab- 
schnitte, die gebildet werden durch die Vertreibung der Juden 
aus Brasilien (1654). 

Wie die Juden gleich nach der Entdeckung im Jahre 1492 
in S. Thomö die Zuckerindustrie begründen, wurde schon er- 
wähnt. Um 1550 finden wir diese Industrie auf der Insel schon 
in voller Blüte: 60 Plantagen, mit Zuckermühlen und Siede- 
pfannen versehen, erzeugen, wie der an den König entrichtete 
Zehnte ausweist, jährlich 150000 Arroben Zucker (ä 25 Pfd.) 65 . 

Von hier aus oder von Madeira aus 66 , wo sie ebenfalls seit 
langem die Zuckerindustrie betrieben, verpflanzen die Juden diesen 
Industriezweig in die größte der amerikanischen Kolonien: nach 
Brasilien, das damit in seine erste Blüteperiode — die durch 
die Vorherrschaft der Zuckerindustrie bestimmt wird — ein- 
tritt. Das Menschenmaterial für die neue Kolonie lieferten in der 
ersten Zeit fast ausschließlich Juden und Verbrecher, von denen 
jährlich zwei Schiffsladungen von Portugal hinübergehen 67 . Die 
Juden werden sehr bald die herrschende Kaste: „ein nicht ge- 
ringer Teil der wohlhabendsten brasilianischen Kaufmannschaft 


Digitized by t^ooQle 


35 


bestand aus , neuen Christen 4 “ 68 . Einer ihres Volksstammes war 
4S auch, der als erster Generalgouvemeur die Verwaltung der 
Kolonie in Ordnung brachte: in der Tat begann die neue Be- 
sitzung erst recht in Blüte zu kommen, als man im Jahre 1549 
Thome de Souza, einen Mann von hervorragenden Eigenschaften, 
hinüberschickte 69 . Aber ihren vollen Glanz beginnt die Kolonie 
erst zu entfalten, als sie (1624) in die Hfinde der Holländer 
übergeht und nun die reichen holländischen Juden anfangen, 
hinüberzuströmen . 1624 vereinigen sich zahlreiche amerikanische 
Juden und gründen in Brasilien eine Kolonie, in die 600 an- 
gesehene Juden von Holland her übersiedeln 70 . Noch in dieser 
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren alle groben Zucker- 
plantagen in den Händen von Juden 71 , von deren umfassender 
Wirksamkeit und von deren Reichtum uns die Reisenden be- 
lichten. So äußert sich Nienhoff, der Brasilien 1640 bis 1649 
bereiste, wie folgt 78 : Among the free inhabitants of Brazil that 
were not in the (Dutsch West India) Companys Service the Jews 
were the most considerable in number, who had transplan ted 
themselves thither from Holland. They had a vast traffic beyond 
the rest, they purchased sugar-mills and built stately houses 
in the Receif. They were all traders, which would have been of 
great consequence to the Dutsch Brazil had they kept themselves 
within the due bounds of traffic.“ Und in F. Pyrards Reise- 
bericht lesen wir 78 : „The profits they mako after being nine 
or ten years in those lands are marvellous, for they all corae 
back rieh.“ 

Diese Vorherrschaft des jüdischen Elements im Plantagen- 
betrieb überdauerte die Episode der holländischen Herrschaft 
über Brasilien und dehnte sich — trotz der „Vertreibung“ 78 der 
Juden im Jahre 1654 — bis in das 18. Jahrhundert aus. Jeden- 
falls erfahren wir noch aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunders 74 : 
einmal „als mehrere der angesehensten Kaufleute von Rio de 
Janeiro dem Heiligen Amte (der Inquisition !) in die Hände fielen, 
stockte der Betrieb auf so vielen Plantagen, daß Produktion und 
Handel der Provinz (sc. Bahia) sich erst nach längerer Zeit von 
diesem Schlage erholen konnte.“ Durch Dekret vom 2. März 1768 
werden dann alle Register über die neuen Christen zur Ver- 
nichtung eingeliefert; durch Gesetz von 25. März 1773 werden 
die „neuen Christen“ in bürgerlicher Hinsicht den alten Christen 

3 * 


Digitized by t^ooQle 



36 


vollkommen gleichgestellt. Es haben sich also offenbar wieder 
zahlreiche Kryptojuden auch nach der Besitzergreifung des 
Landes durch die Portugiesen im Jahre 1654 in Brasilien 
an hervorragender Stelle erhalten und haben dem Lande zu 
seiner Zuckerblüte dann noch die Edelsteinblüte gebracht, da 
sie den Handel mit Edelsteinen sehr bald ebenfalls sich unter* 
warfen. 

Aber darum bleibt das Jahr 1654 in der j üdisch-amerika- 
nischen Geschichte doch von epochaler Bedeutung. Denn ein 
sehr grober Teil der brasilianischen Juden wandte sich doch 
damals anderen Gebieten Amerikas zu und verlegte dadurch das 
wirtschaftliche Schwergewicht dorthin. 

Vor allem sind es einige wichtige Teile des westindischen 
Archipels und der angrenzenden Küste, die durch die Erfüllung 
mit jüdischem Wesen seit dem 17. Jahrhundert erst recht zur 
Blüte kommen. So Barbados 75 , das fast nur von Juden be- 
völkert wurde. Es war 1627 von den Engländern in Besitz ge- 
nommen worden; 1641 wurde das Zuckerrohr eingeführt; 1648 
begann der Zuckerexport. Die Zuckerindustrie konnte sich aber 
nicht behaupten, da die Zucker wegen ihrer schlechten Qualität 
die Transportkosten nach England nicht deckten. Erst die aus 
Brasilien vertriebenen „Holländer“ führten daselbst eine regel- 
mäßige Fabrikation ein und lehrten die Einwohner, trockenen 
und haltbaren Zucker zubereiten, dessen Ausfuhr alsbald in 
raschem Maße zunahm. 1661 konnte schon Karl H. 13 Besitzer, 
die aus Barbados eine Einnahme von 10000 bezogen, zu 
Baronen ernennen, und um 1676 war die Insel bereits imstande, 
jährlich 400 Schiffe mit je 180 t Rohzucker zu beladen. 

Von Barbados führte 1664 Thomas Modyford die Zucker- 
fabrikation nach Jamaica 76 ein, das damit rasch zu Reichtum 
gelangte. 1656 hatten es die Engländer den Spaniern endgültig 
entrissen. Während es damals nur drei kleinere Siedereien auf 
Jamaica gab, waren 1670 schon 75 Mühlen im Betriebe, deren 
manche 2000 Ztr. Zucker erzeugten und ,im Jahre 1700 war 
Zucker der Hauptartikel Jamaicas und die Quelle seines Wohl- 
standes. Wie stark die Juden an dieser Entwicklung beteiligt 
waren, schließen wir aus der Tatsache, daß schon 1671 von den 
christlichen Kaufleuten bei der Regierung der Antrag auf Aus- 
schließung gestellt wird, der aber nur die Wirkung hat, daß die 


Digitized by t^ooQle 



37 


Ansiedlung der Juden von der Regierung noch mehr befördert 
wird. Der Governor verwarf die Petition mit den denkwürdigen 
Worten 77 : „he was of opinion that His Majesty could not have 
more profitable subjects than the Jews and the Holländers ; they 
had great Stocks and correspondance. a So kam es, daß die 
Juden aus Jamaica nicht ausgewiesen wurden, vielmehr „they 
became the first traders and merchants of the English colony“ 78 . 
Im 18. Jahrhundert tragen sie alle Steuern und haben Industrie 
und Handel größtenteils in ihren Händen. 

Von den übrigen englischen Kolonien bevorzugten sie ins- 
besondere Surinam 79 . Hier saßen seit 1644 Juden, die bald 
mit Privilegien ausgestattet wurden, „whereas we have found 
that the Hebrew nation . . have . . proved themselves useful 
and beneficial to the colony.“ Diese bevorzugte Lage dauerte 
natürlich an, als Surinam (1667) von England auf Holland über- 
ging. Ende des 17. Jahrhunderts ist ihr numerisches Verhältnis 
wie 1 zu 3. Sie besitzen 1730 von den 344 Plantagen in Surinam, 
auf denen meist Zucker gebaut wurde, 115. 

Dasselbe Bild wie die englischen und holländischen Kolonien 
gewähren die wichtigeren französischen : Martinique, Guadeloupe, 
S. Domingo 80 . Auch hier ist die Zuckerindustrie die Quelle des 
„Wohlstandes“ und auch hier sind die Juden die Beherrscher 
dieser Industrie und des Zuckerhandels. 

In Martinique wurde die erste große Plantage und Siederei 
1655 von Benjamin Dacosta angelegt, der dorthin mit 900 Glaubens- 
genossen und 1100 Sklaven aus Brasilien geflüchtet war. 

ln S. Domingo wurde die Zuckerindustrie schon 1587 be- 
gonnen, aber erst die „holländischen“ Flüchtlinge aus Brasilien 
bringen sie in Blüte. 

Man muß sich nun immer vor Augen halten, daß in jenen 
kritischen Jahrhunderten, als die amerikanische Kolonialwirtschaft 
begründet wurde (und durch sie der moderne Kapitalismus), die 
Zuckergewinnung (außer natürlich der Silberproduktion und der 
Gewinnung von Gold und Edelsteinen in Brasilien) das Rückgrat 
der ganzen kolonialen Volkswirtschaft und damit indirekt der 
einheimischen Volkswirtschaft bildete. Man kann sich kaum 
noch eine richtige Vorstellung machen von der überragenden 
Bedeutung, die Zuckerindustrie und Zuckerhandel in jenen Jahr- 
hunderten hatten. Es war gewiß keine Übertreibung, wenn es 


Digitized by 


Google 



88 


in einem Beschluß des Pariser Handelsrates vom Jahre 1701 
heißt: „Frankreichs Schiffahrt verdankt ihren Glanz dem Handel 
seiner Zuckerinseln und kann nur durch diesen erhalten und 
erweitert werden/ Und diesen Handel hatten die Juden fast 
monopolisiert (den französischen insbesondere das reiche Haus 
Gradis aus Bordeaux) 81 . 

Bedeutsam wurde aber diese Machtstellung , die sich die 
Juden in Mittel- und Südamerika erobert hatten, ganz besonders 
noch durch die enge Verbindung, in die seit dem Ende des 
17. Jahrhunderts die englischen Kolonien Nordamerikas mit West- 
indien traten : eine Verbindung, der, wie wir sehen werden, das 
europäische Nordamerika sein Leben verdankte und die im wesent- 
lichen wieder durch jüdische Kaufleute hergestellt wurde. Damit 
sind wir zu der Besprechung der Rolle gekommen, die die Juden 
in der Entwicklung der nordamerikanischen Volkswirtschaft ge- 
spielt haben. Das heißt aber, um es gleich deutlich zu sagend 
bei der Genesis der Vereinigten Staaten von Amerika. 
Auch diese sind in wirtschaftlicher Beziehung ganz wesentlich 
durch den Einfluß jüdischer Elemente zu ihrer endlichen Gestalt 
gelangt. Was wiederum einer ausführlichen Erläuterung bedarf r 
da es der landläufigen Auffassung der Dinge (wenigstens in 
Europa) offenbar widerspricht. 

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob gerade 
das nordamerikanische Wirtschaftsleben wesentlich ohne Mit- 
wirkung der Juden sich ausgebildet habe. Und oft genug ist 
mir die Entwicklung der Vereinigten Staaten als Beweis für die 
Richtigkeit des Gegenteils vorgehalten worden, wenn ich be- 
hauptete, daß der moderne Kapitalismus doch im Grunde nichts 
anderes sei als eine Ausstrahlung jüdischen Wesens. Die Yankees 
selbst pochen darauf, daß sie ohne die Juden fertig geworden 
seien. Ein amerikanischer Schriftsteller, wenn ich nicht irre 
wars Mark Twain, hat einmal des längeren ausgeführt, wes- 
halb die Juden bei ihnen drüben keine Rolle spielten: weil sie,, 
die Yankees, ebenso „gerissen“ (smart) seien wie die Juden, 
wenn nicht gerissener. (Dasselbe übrigens, was die Schotten 
von sich behaupten.) Und in der Tat: unter den ganz großen 
Industriellen und Spekulanten der Vereinigten Staaten, unter 
den „Trustmagnaten“ begegnen wir heute nicht allzuviel jüdischen 
Namen. Das mag alles zugegeben werden. Und dennoch halte 


Digitized by t^ooQle 


89 


ich meine Behauptung aufrecht, daß auch die Vereinigten Staaten, 
ja daß vielleicht kein Land mehr als die Vereinigten Staaten 
angefüllt sind mit jüdischem Wesen bis oben hinaus. Das weiß 
man übrigens in manchen und gerade den urteilsfähigen Kreisen 
Amerikas sehr wohl. Als vor einigen Jahren der 250 . Jahrestag 
der Einwanderung der Juden in die Vereinigten Staaten mit 
großem Pomp gefeiert wurde, da schrieb der Präsident Roosevelt 
einen Brief an das Festkomitee, worin er seine Glückwünsche 
in eine ganz besonders ehrende Form kleidete. Er sagte: es 
sei das erstemal während seiner Präsidentschaft, daß er bei 
Gelegenheit einer Feier ein Begrüßungsschreiben sende; aber 
diese eine Ausnahme müsse er machen: die Veranlassung sei 
zu überwältigend groß. Die Verfolgungen, denen die Juden 
gerade in jener Zeit wieder ausgesetzt seien, machten es ihm 
ganz besonders dringlich zur Pflicht, zu betonen, welche hervor- 
ragenden Bürgereigenschaften die Männer jüdischen Glaubens 
und jüdischer Rasse entfaltet hätten, seit sie in das Land ge- 
kommen seien. Indem er dann von den Verdiensten der Juden 
um die Vereinigten Staaten erzählt, bedient er sich der durchaus 
den Kern der Sache treffenden Wendung: die Juden haben das 
Land aufbauen helfen : „the Jews participated in the upbuilding 
of this country“ 8Ä . Und der Expräsident Grover Cleveland 
sagte bei derselben Gelegenheit: „Wenige, wenn überhaupt 
eine, von den das amerikanische Volk bildenden Nationalitäten 
haben direkt oder indirekt mehr Einfluß auf die Ausbildung des 
modernen Amerikanismus ausgeübt als die jüdische“ („I believe 
that it can be safely claimed that few, if any, of those contri- 
buting nationahties have directly and indirectly been more in- 
fluential in giving shape and direction to the Americanism of 
to day“ 8a ). 

Worin liegt denn nun aber die große Bedeutung der Juden 
gerade für die Vereinigten Staaten? Zunächst doch darin, daß 
ihr ziffermäßiger Anteil am amerikanischen Geschäftsleben 
niemals so ganz gering gewesen ist, wie es auf den ersten Blick 
hin scheint. Weil unter dem halben Dutzend bekannter Namen 
von Milliardären, die heute wegen des Lärms, den ihre Träger 
(und namentlich Trägerinnen) machen, in aller Leute Ohren 
klingen, keine Juden sind, ist der amerikanische Kapitalismus 
doch nicht etwa arm an jüdischen Elementen. Erstensmal gibt 


Digitized by t^ooQle 



40 


es auch unter den ganz großen Trusts einige, deren Leitung 
sich in den Händen von Juden befindet. So ist der Smelters 
Trust, der mit allen kontrollierten Werken zusammen (1904) 
ein Kapital von (nominal) 201 Millionen $ repräsentierte, eine 
Schöpfung jüdischer Männer (der Guggenheims). Ebenso sind 
im Tobacco-Trust (500 Mill- $), im Asphalt-Trust, im Telegraph- 
Trust u. a. Juden in leitenden Stellungen 84 . Ebenso sind unter 
den ganz großen Bankfirmen eine ganze Reihe in jüdischem 
Besitze, durch die natürlich wiederum ein sehr großer Teil des 
amerikanischen Wirtschaftslebens kontrolliert wird. So wurde 
beispielsweise das „Harriman-System“, das die Zusammenfassung 
aller amerikanischen Eisenbahnnetze zum Ziele hatte, im wesent- 
lichen durch das New-Yorker Bankhaus Kuhn, Loeb <fe Co. unter- 
stützt und gefördert. Ganz dick sitzen die Juden in herrschender 
Stellung im Westen: Kalifornien ist zum guten Teil ihre 
Schöpfung. Bei der Begründung dieses Staates haben sich die 
Juden hervoigetan als Richter, Abgeordnete, Governors, Bürger- 
meister usw. und nicht zuletzt als Geschäftsleute. Die Gebrüder 
Seligman, Wilh. Henry, Jesse, James in S. Francisco; die Louis 
Stoß, Lewis Gerstle in Sacramento (wo sie die Alasca Commercial 
Co. begründeten); die Hellman und Newmark in Los Angelos 
sind einige der bekannteren Firmen, die hier gewirkt haben. 
Während der Goldperiode waren es die Juden, die Beziehungen 
zum Osten und zu Europa anknüpften. Die wichtigsten finanziellen 
Transaktionen jener Zeit waren unternommen von Männern wie 
Benj. Davidsohn, den Agenten der Rothschilds; Alb. Priest 
von Rhode Island; Alb. Dyer von Baltimore usw.; den drei 
Brüdern Lazard, die das internationale Bankhaus Lazard Fröres 
(in Paris, London und S. Francisco) begründeten ; wie den Selig- 
mans, den Glaziers und Wormsers. Moritz Friedländer war einer 
der großen Weizenkönige. Adolph Sutro beutete die Comstock 
Lodes aus. Und noch heute ist wohl der überwiegende Teil 
des kalifornischen Bankwesens, aber auch der industriellen Unter- 
nehmungen in den Händen von Juden. Ich erinnere an: The 
London, Paris and American Bank (Sigm. Greenebaum, Rieh. 
Altschulz) ; die Angl. California Bank (Phil. N. Lilienthal, Ignatz 
Steinhart); die Nevada Bank; die Union Trust Company; die 
Farmers and Merchants Banks of Los Angelos u. a. Erinnere 
an die Ausbeutung der Kohlenfelder durch John Rosenfeld; an 


Digitized by 


Google 



41 


dieNachfolgerin der Hudson Bay Co. : the Alasca Commercial Co., 
an the North Americ. Comm. Co. u. a. 85 . 

Daß durch die Einwanderung zahlreicher Juden während der 
letzten Jahrzehnte sich überall im Lande die quantitative Be- 
deutung der Juden für das amerikanische Wirtschaftsleben in 
geradezu gigantischer Weise fühlbar machen wird, dürfte kaum 
zweifelhaft sein. Man erwäge, daß jetzt schon mehr als eine 
Million Juden allein in New York lebt und daß von den ein- 
gewanderten Juden der größte Teil die kapitalistische Karriere 
überhaupt noch nicht begonnen hat. Wenn sich die Verhältnisse 
in Amerika so weiter entwickeln, wie im letzten Menschenalter, 
wenn die Zuwanderungsziffern und die Zuwachsraten der ver- 
schiedenen Nationalitäten dieselben bleiben, so erscheinen die 
Vereinigten Staaten nach 50 oder 100 Jahren in unserer Phan- 
tasie ganz deutlich als ein Land, das nur noch von Slaven, 
Negern und Juden bewohnt sein wird und in dem die Juden 
natürlich die wirtschaftliche Hegemonie an sich gerissen haben. 

Aber das sind Zukunftsspiegelungen, die in diese Zusammen- 
hänge, wo Vergangenheit und Gegenwart erkannt werden sollen, 
nicht hinein gehören. Für Vergangenheit und Gegenwart mag 
zugegeben werden, daß der quantitative Anteil der Juden am 
amerikanischen Wirtschaftsleben zwar immer noch recht ansehn- 
lich und keinesweg so geringfügig ist wie eine oberflächliche 
Beobachtung annehmen läßt, daß sich aber aus dem bloß quanti- 
tativen Anteil noch nicht jene überragende Bedeutung ableiten 
läßt, die ich (mit vielen andern urteilsfähigen Leuten) dem 
jüdischen Stamme zurechne. Diese muß vielmehr aus ziemlich 
verwickelten Zusammenhängen heraus als eine in ganz hervor- 
ragendem Sinne qualitativ bestimmte erkannt werden. 

Deshalb möchte ich auch noch nicht einmal so großen Nach- 
druck auf die immerhin nicht unwichtige Tatsache legen, daß die 
Juden in Amerika eine Reihe ganz wichtiger Handelszweige bis 
zur Monopolstellung in ihnen beherrschen oder doch wenigstens 
lange Zeit hindurch beherrscht haben. Ich denke da vornehmlich 
an den Getreidehandel, namentlich im Westen; an den Tabak- 
handel; an den Baumwollhandel. Man sieht auf den ersten 
Blick, daß dies drei Hauptnervenstränge der amerikanischen 
Volkswirtschaft sind und begreift, daß diejenigen, in deren Ge- 
walt diese drei mächtigen Wirtschaftszweige liegen, schon ohne 


Digitized by t^ooQle 



42 


weiteres hervorragenden Anteil an dem wirtschaftlichen Gesamt- 
prozesse nehmen müssen. Aber wie gesagt: ich urgiere diesen 
Umstand gar nicht so sehr, weil ich die Bedeutung der Juden 
für die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten aus noch viel 
gröberen Tiefen deuten möchte. 

Die Juden sind wie ein ganz besonderer Faden, man könnte 
sagen : wie ein goldener Faden in einem Gewebe, von Anfang bis zu 
Ende in die amerikanische Volkswirtschaft hineingewoben, sodaß 
diese ihre eigentümliche Musterung durch sie vom ersten Augen- 
blick an empfängt. 

Denn seit dem ersten Erwachen des kapitalistischen Geistes 
an den Küsten des Atlantischen Ozeans und in den Wäldern 
und Steppen des neuen Erdteils sind sie da. Als das Jahr ihrer 
Ankunft wird das Jahr 1655 betrachtet 89 : als ein Schiff mit 
Juden aus dem meist portugiesisch gewordenen Brasilien am 
Hudson landete und Einlaß in die dort von der Holländisch- 
westindischen Kompagnie begründete Kolonie begehrte. Schon 
nicht mehr nur als Bittende. Schon als Angehörige eines Volks- 
stammes, der stark beteiligt an der neuen Gründung war und 
dessen Einfluß schon die Gouverneure der Kolonie sich zu beugen 
hatten. Damals, als das Schiff mit den jüdischen Einwanderern 
eintraf, führt Stuyvesant das Regiment in N eu- Amsterdam. Und 
Stuyvesant war kein Freund der Juden und hatte alle Lust, den 
Einlaß Begehrenden die Türe zu verschließen. Da kam aber 
die Weisung aus Amsterdam in einem Briefe der Direktoren der 
Kompagnie (vom 26. 4. 1655): die Juden sind zum Handel und 
zur Niederlassung in dem Gebiete der westindischen Kompagnie 
zuzulassen: „also because of the large amount of Capital which 
they have invested in sbares in this Company“ 87 . Von Neu- 
Amsterdam kamen sie bald nach Long Island, Albany, Rhode 
Island, Philadelphia. 

Und von nun an beginnt ihre rege Wirksamkeit, die zunächst 
einmal dafür Sorge trug, daß die neuen Kolonien überhaupt 
ökonomisch bestehen konnten. Wenn die Vereinigten Staaten 
heute da sind, so wissen wir, daß dies nur deshalb geschah, 
weil die englischen Kolonien Nordamerikas sich durch eine Kette 
günstiger Umstände zu einer Machtstellung hinauf entwickeln 
konnten, die ihnen schließlich die Fähigkeit zu selbständiger 
Existenz verlieh. Und gerade bei diesem Aufbau der kolonialen 


Digitized by 


Google 



43 


Größe sehen wir die Juden als die ersten und eifrigsten Förderer 
am Werke. 

Ich denke wiederum nicht an die naheliegende Tatsache, 
daß durch die Unterstützung einiger mächtiger jüdischer Häuser 
allein es dem Staatswesen der Kolonien gelang, sich zur 
Selbständigkeit herauszubilden, weil jene ihnen die ökonomische 
Unterlage bereiteten , auf der sie stehen konnten. Durch 
Lieferungen im Kriege und vor allem durch die Darreichung 
der nötigen Geldmittel, ohne die die Unabhängigkeit der „Ver- 
einigten Staaten“ niemals zu erreichen gewesen wäre. Diese 
Leistungen der Juden sind nichts den amerikanischen Verhält- 
nissen Eigentümliches: wir werden ihnen noch als einer ganz 
allgemeinen Erscheinung begegnen, die in der Geschichte des 
modernen, auf kapitalistischer Basis ruhenden Staates überall 
fast gleichmäßig wiederkehrt und der wir daher in einem größeren 
Zusammenhänge noch Gerechtigkeit müssen widerfahren lassen. 

Dagegen sehe ich in einer anderen Wirksamkeit der jüdischen 
Elemente im kolonialen Nordamerika ebenso eine Amerika kon- 
stituierende Tat, die zudem noch ein auf die amerikanische Welt 
beschränktes Phänomen darstellt. Ich meine die simple Tat- 
sache, daß während des 17. und 18. Jahrhunderts das Juden- 
kommerz die Quelle war, aus der die Volkswirtschaft der amerika- 
nischen Kolonie ihr Leben schöpfte. Weil nur die Handels- 
beziehungen, die die Juden unterhielten, ihnen die Möglichkeit 
gewährten, in dauernder ökonomischer Gebundenheit dem Mutter- 
lande gegenüber zu verharren und doch zu eigener wirtschaft- 
licher Blüte zu gelangen. Planer gesprochen : durch die Nötigung, 
die England seinen Kolonien auferlegte, alle gewerblichen Erzeug- 
nisse im Mutterlande zu kaufen, kam es ganz von selbst, daß 
die Handels- (und damit natürlich auch die Zahlungs-) Bilanz 
der Kolonien stets passiv war. Ihr Wirtschaftskörper hätte 
sich verbluten müssen, wenn nicht von außen ein beständiger 
Blutstrom in Gestalt von Edelmetall ihm zugeflossen wäre. Diesen 
Blutstrom aber leitete das „Judenkommerz“ aus den süd- und 
mittelamerikanischen Ländern in die englischen Kolonien Nord- 
amerikas hinein. Dank ihren engen Beziehungen, die die nach 
Nordamerika gewanderten Juden mit den westindischen Inseln 
und Brasilien unterhielten, entfalteten sie einen regen Handels- 
verkehr mit jenen Gebieten, der im wesentlichen aktiv für die 


Digitized by 


Google 



44 


nordamerikaoischen Kolonien war und deshalb unausgesetzt die 
in jenen Ländern selbst gewonnenen oder unmittelbar aus der 
Nachbarschaft reichlich in sie hineinströmenden Edelmetalle (seit 
Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem auch das brasilianische 
Gold) in die Adern der nordamerikanischen Volkswirtschaft über- 
leitete 88 . 

Kann man im Hinblick auf die eben berührten Tatbestände 
mit einigem Recht sagen, daß die Vereinigten Staaten es den 
Juden verdanken, wenn sie überhaupt da sind, so kann man mit 
demselben Rechte behaupten, daß sie dank allein dem jüdischen 
Einschlag so da sind wie sie da sind, das heißt eben amerikanisch. 
Denn das, was wir Amerikanismus nennen, ist ja zu einem sehr 
großen Teile nichts anderes als geronnener Judengeist. 

Woher aber stammt diese starke Tränkung der amerika- 
nischen Kultur mit dem spezifisch jüdischen Geiste? 

Wie mir scheint: aus der frühen und ganz allgemeinen 
Durchsetzung der Kolonistenbevölkerung mit jüdischen Ele- 
menten. 

So viel ich sehe, ist die Besiedlung Nordamerikas in den 
meisten Fällen so vor sich gegangen: ein Trupp kernfester 
Männer und Frauen — sage zwanzig Familien — zog in die 
Wildnis hinein, um hier ihr Leben neu zu begründen. Unter 
diesen zwanzig Familien waren neunzehn mit Pflug und Sense 
ausgerüstet und gewillt, die Wälder zu roden, die Steppe abzu- 
brennen und mit ihrer Hände Arbeit sich ihren Unterhalt durch 
Bebauung des Landes zu verdienen. Die zwanzigste Familie 
aber machte einen Laden auf, um rasch die Genossen auf dem 
Wege des Handels, vielleicht sogar des Wanderhandels, mit den 
notwendigsten Gebrauchsgegenständen, die der Boden nicht her- 
vorbrachte, zu versehen. Diese zwanzigste F amili e kümmerte 
sich dann auch sehr bald um den Vertrieb der von den neunzehn 
anderen der Erde abgewonnenen Produkte. Sie war diejenige, 
die am ehesten über Bargeld verfügte und deshalb in Notfällen 
den anderen mit Darlehnen nützlich werden konnte. Sehr häufig 
gliederte sich an den „Laden“, den sie offen hielt, eine Art von 
Landleihbank an. Oft wohl auch eine Landverkaufsagentur und 
ähnliche Gebilde. Der Bauer in Nordamerika wurde also durch 
die Wirksamkeit unserer zwanzigsten Familie von vornherein 
mit der Geld- und Kreditwirtschaft der alten Welt in Fühlung 


Digitized by 


Google 



45 


gebracht. Das ganze Produktionsverhältnis baute sich von vorn- 
herein auf einer modernen Basis auf. Das städtische Wesen 
drang gleich in die entlegenen Dörfer siegreich vor. Die Durch- 
tränkung der amerikanischen Volkswirtschaft mit kapitalistischer 
Organisation und kapitalistischem Geiste nahm, möchte man 
sagen, vom ersten Tage der Siedlung an ihren Anfang. Denn 
jene ersten Zellen kommerzialistischen Wesens wuchsen sich 
alsobald zu alles umspannenden Organisationen aus. Und von wem 
ist — soweit wie persönliche Faktoren hier den Ausschlag gaben 
und nicht etwa die bloße Sachlage die neuen Entwicklungsreihen 
erzeugte — von wem ist diese „Neue Welt“ kapitalistischen 
Gepräges erbaut worden? Von der zwanzigsten Familie in 
jedem Dorf. 

Nicht nötig zu sagen, daß diese zwanzigste Familie jedesmal 
die jüdische Familie war, die sich einem Siedlertrupp anschloß 
oder ihn bald nach seiner Niederlassung aufsuchte. 

Diese Zusammenhänge sehe ich einstweilen so allgemein 
nur mit meinem geistigen Auge, indem ich die Fälle, in denen 
sie nachzuweisen sind, zu einem Gesamtbilde zusammenfüge. 
Die nach mir kommenden Forscher werden unter dem von mir 
hervorgekehrten Gesichtspunkte die Wirtschaftsgeschichte der 
Vereinigten Staaten zu schreiben haben. Das, was mir an Be- 
legen untergelaufen ist, darf einstweilen nur als die ersten 
Elemente einer späteren ausführlichen Darstellung angesehen 
werden. Immerhin lassen die Gleichförmigkeit und Natürlichkeit 
der Entwicklung mit einiger Sicherheit vermuten, daß es sich 
dabei nicht um vereinzelte Fälle, sondern um typische Er- 
scheinungen handelt. 

Was ich von der Einwirkung der Juden auf den Gang des 
amerikanischen Wirtschaftslebens behaupte, hat ein anderer ein- 
mal so ausgedrückt : „he (the Jew) has been the leading financier 
of thousand prosperous communities. He has been enterprising 
and aggressive“ 89 . 

In beliebiger Reihenfolge mögen folgende Tatsachen als 
Proben mitgeteilt werden. 

In Alabama siedelte sich 1785 Abram Mordecai an. „He established 
a trading-post two miles west of Line crcek, carrying on an extensive 
trade with the Indians, and exchanging his goods for pinkroot, hickoxy, 
nnt oil and peltries of all kinds 4 “ 90 . 


Digitized by t^ooQle 



In Albany: „As early as 1661, when Albany was but a small trading 
post, a Jewisb trade r, named Asser Levi (or Leevi) became tbe owner of 
real estate tbere . .“ 91 . 

Ein beliebtes Ziel wurde Chicago, seitdem dieses Eisenbahn- und 
Handelsmittelpunkt zu werden beginnt Das erste Steinhaus wird dort 
von dem Juden Ben. Schubert gebaut der darin das erste Schneidergesch&ft 
in Chicago errichtet; Ph. Neuburg fuhrt als erster den Tabakhandel in 
Chicago ein 98 . 

In Kentucky begegnen wir schon in den ersten Jahren des 19. Jahr- 
hunderts jüdischen Bewohnern. Ein Mr. Salomon, der 1808 einwandert» 
wird 1816, als die Bank of the U. S. eine Filiale in Lasington errichtet 
deren Kassierer 98 . 

Gleich unter den ersten Ansiedlern von Maryland 94 , Michigan 96 , 
Ohio 98 , Pennsyl vanien 97 finden wir den jüdischen Händler, ohne 
daß wir bisher Näheres über ihre Tätigkeit wüßten. 

Ganz deutlich wiederum können wir ihre Wirksamkeit als Pioniere 
kapitalistischen Wesens in Texas verfolgen. Hier entfalten Männer wie 
Jac. de Cordova, Mor. Koppere, Henry Castro ihre folgenreiche Tätigkeit. 
Cordova „was by far the most extensive land locator in the State 
until 1856 tf . The Cordova’s Land Agency soon became well known, not 
only in Texas, but in New York, Philadelphia, and Baltimore, where the 
owners of large tracts of Texas lands resided.“ Mor. Koppere wird (1863) 
Präsident der National Bank of Texas. Henry Castro betreibt das Geschäft 
des Au8wandererunternebmers: „between the years 1843—46 C. introduced 
into Texas over 5000 emigrants . . . transporting them in 27 ships, chiefly from 
the Rhenish provinces.“ Dann nach ihrer Ankunft versieht er die Kolonisten 
mit den notwendigen Gerätschaften, Saatgetreide usw. : „he fed his colonists 
for a year, furnished them with cows, farming implements, seeds, medecine 
and in fact whatever they needed“ 98 . 

Über eine ganze Reibe von Staaten verbreiten sich andere jüdische 
Familien, die dann durch ihren Zusammenhang noch wirksamer arbeiten 
können. Besonders charakteristisch für die Entfaltung der jüdischen 
Tätigkeit ist wohl die Geschichte der Familie Seligman, von der 
acht Brüder (die Söhne des David Seligman aus Bayersdorf) ein Geschäft 
begründen, das sich schließlich über die Hauptplätze der 
Staaten ausdehnte. Sie ist in Kürze diese: 1837 wandert 
nach den Vereinigten Staaten aus. 1839 folgen zwei Brüder, 1841 folgt der 
dritte. Diese gründen ein kleines Kleidergeschäft in Lancaster. Von dort 
gehen sie nach Selma Ala und von dort eröffnen sie Filialen in drei 
amerikanischen Orten. 1848 wandern sie mit noch zwei Brüdern nach dem 
Norden. 1850 gründet Jesse ein Ladengeschäft in S. Francisco: in dem 
einzigen dort vorhandenen Backsteinbau. 1857 wird dem Kleidergeschäft 
ein Bankgeschäft angegliedert. 18ö2 begründen sie die Firma S. in 
New York, S. Francisco, London, Paris, Frankfurt a. M. (Sie tun sich 
nunmehr besonders bei der Geldbeschatfung zur Zeit des Bürgerkrieges 
hervor) 99 . 


Vereinigen 
Joseph S. 


Digitized by t^ooQle 



47 


Auch in den Südstaaten der Union spielt der Jade zum Teil eine 
ähnliche Bolle, wie in den anderen Staaten : die des Händlers unter acker- 
bauenden Kolonisten 100 . Daneben freilich finden wir ihn hier auch früh- 
zeitig schon (ähnlich wie in Mittel- und Südamerika) als reichen Plantagen- 
besitzer. In Süd-Carolina beispielsweise ist „Jews Land tt synonym mit 
großen Plantagen 101 . Hier hat unter anderen Moses Lindo seine Tätig- 
keit entfaltet als Hauptförderer der Indigogewinnung (wovon schon die 
Rede war). 

Eine wertvolle Unterstützung findet die genetische Methode 
der Betrachtung im vorliegenden Falle doch auch wiederum 
durch die Beobachtung, daß während der ganzen Entstehungszeit 
der Vereinigten Staaten der Zustrom der Juden stark und stetig 
gewesen ist. Freilich haben wir, um dies zu erweisen, für die 
frühere Zeit keine Ziffern zur Verfügung, die unmittelbar den 
zahlenmäßigen Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung oder 
an der Einwanderungsmenge zum Ausdruck brächten. Wir 
können doch aber aus einer ganzen Menge von Anzeichen mit 
einiger Sicherheit schließen, daß immer viele Juden nach Amerika 
ausgewandert sind. 

Um ihre (quantitative) Bedeutung zu ermessen, muß man 
auch die in den früheren Jahren außerordentlich dünne Be- 
siedlung des Landes in Berücksichtigung ziehen. Wenn wir 
beispielsweise erfahren, daß Neu-Amsterdam Mitte des 17. Jahr- 
hunderts noch weniger als 1000 Einwohner hatte loa , dann werden 
wir die paar Schiffsladungen Juden, die damals aus Brasilien 
nach dort übersiedelten, schon recht hoch veranschlagen in ihrer 
Wirkung auf das gesamte Wirtschaftsleben der Gegend 108 , 
ebenso wie wir es als eine starke Durchsetzung mit jüdischen 
Elementen ansehen werden, wenn in den allerersten Jahren der 
Besiedlung Georgias dort ein Schiff mit 40 Juden landet, und 
wenn in Savannah, einer kleinen Handelszentrale, im Jahre 1733, 
als die Salzburger dort eintreffen, 12 jüdische Familien in der 
Kolonie ansässig waren 104 . 

Wie beliebt die Vereinigten Staaten als Wanderziel der 
deutschen (und polnischen) Juden frühzeitig wurden, ist im all- 
gemeinen bekannt und wird uns durch Berichte aus den Ab- 
wanderungsgebieten bestätigt. „Unter den ärmeren jüdischen 
Familien Posens fand sich im zweiten Viertel des 19. Jahr- 
hunderts nur selten eine, die nicht einen ihrer Söhne, und 
zwar gewöhnlich den tüchtigsten und anschlägigsten der Enge 


Digitized by t^ooQle 



48 


und dem Drucke der Heimat über den Ozean hatte entweichen 
sehen“ 10 *. 

Sodafi uns die enorme Ziffer der jüdischen Soldaten, die im 
Bürgerkriege gedient haben : 7248 10Ä , nicht überrascht und wir 
geneigt sind, die Schätzung der Zahl der Juden, die Mitte des 
19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten gelebt haben sollen: 
200000 (davon 80000 zu NewYork) 107 , eher für zu niedrig zu 
halten. 


Digitized by t^ooQle 



49 


Fünftes Kapitel 

Die Begrflndnng des modernen Staates 


Die Ausbüdung der modernen Kolonialwirtschaft und die 
Entstehung des modernen Staates sind zwei einander bedingende 
Erscheinungen. Beide sind, die eine ohne die andere nicht denk- 
bar und wiederum von beiden gleichmäßig abhängig ist die 
Genesis des modernen Kapitalismus. Wenn wir also die Be- 
deutung irgend eines geschichtlichen Faktors für dessen Werde- 
gang abschätzen wollen, so müssen wir nachprüfen: ob und 
gegebenenfalls in welchem Umfange er Einfluß gehabt hat auf 
die beiden genannten Phänomene. Ich frage deshalb hier nach 
dem Anteü der Juden an der Herausbildung des modernen 
Staates. 

Auf den ersten Blick gewinnt es den Anschein, als ob die 
Juden an allem anderen, nur nicht an der Entstehung des Staates 
Anteil hätten: sie — das im innersten Wesen „unstaatliche“ Volk. 
Denn keiner der großen Staatsmänner, an deren Namen wir zu- 
erst denken, wenn wir für die Ausbüdung des modernen Staates 
bedeutende Menschen verantwortlich machen wollen, ist Jude: 
nicht Karl V., nicht Ludwig XI., nicht Richelieu, nicht Mazarin, 
nicht Colbert, nicht Cromwell, nicht Friedrich Wilhelm I. oder 
Friedrich H. von Preußen. 

Freilich möchte unser Urteü wohl wesentlich anders lauten, 
wenn wir bedenken, daß die Grundzüge des modernen Staates 
schon während der späteren Jahrhunderte des „Mittelalters“ in 
Italien und namentlich in Spanien ausgebildet worden sind, und 
daß hier jüdische Staatsmänner in leitender Stellung zahlreich nach- 
gewiesen werden können. Es ist bedauerlich, daß die Geschichte 
eds modernen Staates (soviel mir bekannt) noch niemals unter 

Sombart, Ule Jaden 4 


Digitized by t^ooQle 



50 


diesem Gesichtspunkt geschrieben worden ist: ich glaube, daß 
man ganz neue Seiten dem Stoffe abgewinnen konnte. Aber 
zwischen den Werken, die die Geschichte der Juden in Spanien 
und Portugal behandeln, wie etwa Lindo, de los Rios, Kayser- 
ling, Mendes dos Remedios und denen, die dem Ursprung des 
modernen Staates in Spanien und Portugal nachgehen, wie 
etwa Ranke oder Baumgarten, besteht nicht der geringste Zu- 
sammenhang. 

Aber wenn wir auch unter den Regierenden des modernen 
Staats keine Juden finden, so können wir uns diese Regierenden, 
können wir uns den modernen Fürsten nicht gut ohne den Juden 
denken. (Etwa wie Faust nicht ohne Mephistopheles.) Arm in 
Arm schreiten die beiden in den Jahrhunderten, die wir die Neu- 
zeit nennen, einher. Ich möchte geradezu in dieser Vereinigung 
von Fürst und Jud* eine Symbolisierung des aufstrebenden 
Kapitalismus und damit des modernen Staates erblicken. Rein 
äußerlich sehen wir in den meisten Ländern die Fürsten als die 
Beschützer der gehetzten Juden gegen Stände und Zünfte — 
also gegen die vorkapitalistischen Mächte auftreten. Und inner- 
lich laufen ihre Interessen, laufen ihre Gesinnungen zu einem 
guten Teile nebeneinander und ineinander. Der Jude verkörpert 
den modernen Kapitalismus und der Fürst verbindet sich mit 
dieser Macht, um seine Stellung zu erobern oder zu erhalten. 
Planer gesprochen: Wenn ich von einem Anteil der Juden an 
der Begründung des modernen Staates spreche, so denke ich 
nicht sowohl an ihre unmittelbare Wirksamkeit als staats- 
männische Organisatoren, als vielmehr an eine mehr indirekte 
Mitwirkung an dem großen staatsbildenden Prozesse der letzten 
Jahrhunderte. Ich denke daran, daß sie es vor allem waren, die 
dem werdenden Staate die materiellen Mittel zur Verfügung 
stellten, mit deren Hilfe er sich erhalten und weiter entwickeln 
konnte, daß sie auf zwiefache Weise das Fundamentum stützten, 
auf dem alles moderne Staatswesen ruht: die Armee. Auf 
zwiefache Weise: durch deren Versorgung mit Waffen, Monturen 
und Lebensmitteln im Kriege und durch Beschaffung der not- 
wendigen Geldbeträge, die natürlich nicht nur (wenn auch vor- 
wiegend in frühkapitalistischer Zeit) für Heereszwecke, sondern 
auch zur Deckung des übrigen Hof- und Staatsbedarfs Ver- 
wendung fanden. Mit anderen Worten : ich erblicke in den Juden 


Digitized by t^ooQle 



51 


namentlich während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts die ein- 
flußreichsten Heereslieferanten und die leistungsfähigsten Geld- 
geber der Fürsten und glaube diesem Umstande eine überragende 
Bedeutung für den Entwicklungsgang des modernen Staates zu- 
messen zu sollen. Dafür wird es keiner besonderen Begründung 
bedürfen. Worauf es nur wieder ankommt, ist dies: den 
quellenmäßigen Nachweis für die Richtigkeit des behaupteten 
Tatbestandes zu erbringen. Das soll im folgenden versucht 
werden: abermals mit all* den Vorbehalten, die ich schon bei 
den vorhergehenden Abschnitten glaubte machen zu sollen: ins- 
besondere mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß die wenigen 
Belege, die ich für die jetzt in Rede stehende Behauptung er- 
bringe, selbstverständlich nur den Anfang einer gründlichen und 
•erschöpfenden Behandlung des Problems bilden sollen, und nicht 
den geringsten Anspruch erheben, vollständig zu sein. Wieder- 
um ist hier eine Stelle, von wo aus Dutzende von Spezialunter- 
suchungen in Zukunft ihren Ausgangspunkt nehmen möchten. 

L Die Juden als Lieferanten 

Ich will nicht auf die Zeit vor 1492 zurückgreifen, weil sie 
aus dem Kreise dieser Betrachtungen im wesentlichen aus- 
geschieden werden soll (und für uns nur als Vorgeschichte in 
ihrer ursächlichen Bedeutung für spätere Vorgänge in Betracht 
kommt). Sonst ließen sich für die Wirksamkeit der Juden als 
Heereslieferanten in Spanien und anderswo zahlreiche Zeugnisse 
anführen. 

Wir verfolgen sie aber gleich in ihrem neuen Wirkungs- 
kreise und begegnen ihnen hier zunächst in England während 
des 17. und 18. Jahrhunderts in der gedachten Eigenschaft. 
Während des Commonwealth ist der bei weitem bedeutendste 
Heereslieferant Ant, Fern. Carvajal, „the great Jew“, der zwischen 
1680 und 16^5 in London einwandert und sich bald zu einem 
der leitenden Kaufleute des Landes aufschwingt. Im Jahre 1649 
gehört er zu den fünf Londoner Kaufleuten, denen der Staatsrat 
die Getreidelieferung für das Heer überträgt 108 . Er soll jährlich 
für 100000 j£ Silber nach England gebracht haben. In der 
darauffolgenden Periode, namentlich in den Kriegen Wilhelms HL, 
tritt als „the great contractor“ vor allem Sir Solomon Medina, 

4* 


Digitized by t^ooQle 



52 


„the Jew Medina“, hervor, der daraufhin in den Adelstand er» 
hoben wird: er ist der erste (ungetaufte) adlige Jude in Eng- 
land 109 . 

Und ebenso sind es Juden, die auf der feindlichen Seite im 
spanischen Erbfolgekriege die Heere mit dem Nötigen versorgen : 
„Und bedient sich Frankreich jederzeit ihrer HQlffe, bey Krieges- 
Zeiten seine Reuterey beritten zu machen“ no . 1716 berufen sich 
die Straßburger Juden auf die Dienste, die sie der Armee 
Ludwigs XIV. durch Nachrichten und Proviant geleistet haben m . 
Jacob Worms hieß der Hauptkriegslieferant Ludwigs XIV. 112 . Im 
18. Jahrhundert treten sie dann in dieser Eigenschaft in Frank- 
reich immer mehr hervor. Im Jahre 1727 lassen die Juden von 
Metz innerhalb von sechs Wochen 2000 Pferde zum Verzehr und 
mehr als 5000 als Remonte in die Stadt kommen 118 . Der 
Marschall Moritz von Sachsen, der Sieger bei Fontenoy, Äußerte r 
daß seine Armeen niemals besser verproviantiert gewesen seien, 
als wenn er sich an die Juden gewandt hätte 114 . Eine als. 
Lieferant hervorragende Persönlichkeit zur Zeit der beiden letzten 
Ludwige war Cerf Beer, von dem es in seinem Naturalisations- 
patent heißt: „que la deraiere guerre ainsi que la disette, qui 
s’est fait sentir en Alsace pendant les annöes 1770 et 1771 
lui ont donnö Poccasion de donner des preuves de zele dont 
il est anime pour notre Service et celui de PEtat“ 115 . Ern 
Welthaus ersten Ranges im 18. Jahrhundert sind die Gradis 
von Bordeaux: der Abraham Gradis errichtete in Quebec große- 
Magazine, um die in Amerika fechtenden französischen Truppen, 
zu versorgen 11 ®. Eine hervorragende Rolle spielen die Juden in 
Frankreich als Fournisseure unter der Revolution, während dea 
Direktoriums und auch in den napoleonischen Kriegen 117 . Ein 
hübscher Beleg für ihre überragende Bedeutung ist das Plakat, 
das 1795 in den Straßen von Paris angeschlagen wurde, als dieses 
von einer Hungersnot bedroht war, und in dem die Juden auf- 
gefordert werden, sich für die ihnen von der Revolution ver- 
liehenen Rechte dadurch erkenntlich zu erweisen, daß sie Ge- 
treide in die Stadt kommen ließen. „Eux seuls“, meint der Ver- 
fasser des Plakats, „peuvent mener cette entreprise 4 bonne fin, 
vu leurs nombreuses relations, dont ils doivent faire profiter 
leurs concitoyens“ lld . 

Ein ähnliches Bild: wie im Jahre 1720 der Hofjude Jonaa 


Digitized by t^ooQle 



58 


Meyer durch Herbeischaffung großer Mengen von Getreide (der 
Chronist spricht von 40 000 Scheffeln) Dresden vor einer Hungers- 
not bewahrte I10 . 

Auch in Deutschland finden wir die Juden frühzeitig und oft 
ausschließlich in den Stellungen der Heereslieferanten. Im 
16. Jahrhundert ist da der Isaak Meyer, dem Kardinal Albrecht 
bei seiner Aufnahme zu Halberstadt 1537 mit Rücksicht auf die 
bedrohlichen Zeitläufte die Bedingung stellt „unser Stift mit 
gutem Geschütz, Harnisch, Rüstung zu versorgen tt ; und der Josef 
von Rosheim, der 1548 einen kaiserlichen Schutzbrief empfängt, 
weil er dem Künig in Frankreich Geld und Proviant für das 
Kriegsvolk verschafft hatte. Im Jahre 1546 begegnen wir 
böhmischen Juden, die Decken und Mäntel an das Kriegsheer 
liefern 120 . Im 17. Jahrhundert (1633) wird dem böhmischen 
Juden Lazarus bezeugt, daß er „Kundschaften und Avisen, daran 
der Kaiserlichen Armada viel gelegen, einholte oder auf seine 
Kosten einholen ließ, und sich stets bemühte, allerlei Kleidung 
und Munitionsnotdurft der Kaiserlichen Armada zuzuführen“ 121 . 
Der große Kurfürst bediente sich der Leimann Gompertz und 
Salomon Elias „bei seinen kriegerischen Operationen mit großem 
Nutzen, da sie für die Notwendigkeiten der Armeen mit vielen 
Lieferungen an Geschütz, Gewehr, Pulver, Mondierungsstücken 
etc. zu tun hatten“ 129 . Samuel Julius: Kaiserl. Königl. 

(Remonte-)Pferde-Lieferant unter Kurfürst Friedrich August von 
Sachsen; die Familie Model: Hof- und Kriegslieferanten im 
Fürstentum Ansbach (17., 18. Jahrhundert) 128 . „Dannenhero 
sind alle Commissarii Juden, und alle Juden sind Commissarii“ 
sagt apodiktisch Moscherosch in den Gesichten Philanders von 
Sitte wald 194 . 

Die ersten reichen Juden, die unter Kaiser Leopold nach der 
Austreibung (1670) wieder in Wien wohnen durften: die Oppen- 
heimer, Wertheimer, Mayer Herschel usw. waren alle auch 
Armeelief eranten 125 . Zahlreiche Belege für die auch im 18. Jahr- 
hundert fortgesetzte Tätigkeit als Armeelieferanten besitzen wir 
für alle österreichischen Lande 126 . 

Endlich sei noch der jüdischen Lieferanten Erwähnung getan, 
die während des Revolutionskrieges (ebenso wie später während 
des Bürgerkriegs) die amerikanischen Truppen verprovian- 
tierten 197 . 


Digitized by t^ooQle 



54 


H. Die Jaden als Finanzmänner 

Auf diese Tätigkeit der Juden haben die Historiker schon 
früher ihr Augenmerk gerichtet und wir sind daher über die 
Bolle, die die Juden zu allen Zeiten der europäischen Geschichte 
als Finanzverwalter oder Geldgeber der Fürsten gespielt haben, 
verhältnismäßig gut unterrichtet. Ich kann mich deshalb hier 
kürzer fassen und mich mit einigen Hinweisen auf bekannte Tat- 
sachen begnügen. 

Schon während des Mittelalters finden wir die Juden aller- 
orts als Steuerpächter, Pächter der Salinen und Domänen, als 
Schatzmeister und Geldgeber: am häufigsten natürlich auf der 
Pyrenäenhalbinsel, wo die Almoxarife und die Rendelros mit 
Vorliebe aus der Reihe der reichen Juden genommen wurden. 
Da jedoch diese Zeit hier nicht besonders behandelt werden soll, 
so verzichte ich auf die Nennung einzelner Namen und verweise 
im übrigen auf die umfassende General- und Spezialliteratur 128 . 

Aber gerade erst in der neueren Zeit, als der moderne Staat 
gebildet wird, wird die Wirksamkeit der Juden als finanzielle 
Beiräte der Fürsten von eingreifender Kraft. 

In Holland gelangen sie rasch in leitende Stellungen (ob- 
wohl auch hier offiziell von der Beamtenlaufbahn ausgeschlossen). 
Wir erinnern uns des Günstlings Wilhelms HI. Moses Machado, 
der Gesandtenfamilie der Belmonte (Herren van Schoonenberg), 
des reichen Suasso, der Wilhelm im Jahre 1688 2 Millionen 
Gulden leiht und anderer 122 . 

Die Bedeutung der holländisch-jüdischen Hochfinanz reichte 
aber weit über die Grenzen Hollands hinaus, weil Holland 
während des 17. und 18. Jahrhunderts das Reservoir war, aus 
dem alle geldbedürfenden Fürsten Europas schöpften. Männer 
wie die Pintos, Delmontes, Bueno de Mesquita, Francis Meis 
und andere darf man geradezu als die leitenden Finanzleute des 
nördlichen Europa in jener Zeit betrachten 180 . 

Dann aber werden vor allem die englischen Finanzen 
während des 1 7. und 1 8. Jahrhunderts sehr stark von den Juden 
beherrscht. Jn England 181 hatten die Geldbedürfnisse des 
Langen Parlaments den ersten Anstoß gegeben, reiche Juden in 
das Land zu ziehen. Längst ehe ihre Zulassung durch Cromwell 
sanktioniert wurde, wanderten reiche Kryptojuden vor allem aus 


Digitized by t^ooQle 



55 


Spanien und Portugal meist über Amsterdam ein — das Jahr 
1643 brachte einen besonders reichen Zustrom — und fanden 
ihren Mittelpunkt im Hause des portugiesischen Gesandten zu 
London, Antonio de Souza, der selbst ein Marranos ist. Unter 
ihnen ragte der uns schon bekannte Antonio Femandez Carvajal 
hervor, der als Geldgeber ebenso bedeutend war, wie als Liefe- 
rant : er war recht eigentlich der Finanzmann des Commonwealth. 
Eine neue Stärkung erfährt die reiche englische Judenschaft 
unter den jüngeren Stuarts, vor allem Karl H. Dieser führte be- 
kanntlich die Katharina von Braganza als Gemahlin heim und in 
ihrem Gefolge finden wir eine ganze Reihe jüdischer Hoch- 
finanzier, unter ihnen die Gebrüder da Sylva, jüdisch-portugie- 
sische Bankiers aus Amsterdam, denen die Verwaltung bezugs- 
weise die Überführung der Mitgift Katharinas übertragen worden 
war. Aus Spanien und Portugal kommen um diese Zeit noch 
die Mendes und die Da Costa nach England, und vereinigen hier 
ihre Häuser als Mendes da Costa. 

„The chief men of the new immigration were wealthy Portugues 
Marranos. Some of them came to London to assit Daarte da Sylva in 
the administration of the Queens dowry. This must have been a very profi- 
table bnsinesa and the Marranos seem to have formed a syndicate to keep 
it to themselves. The Kings drawfts and warrants were always running 
ahead of the instelments of the dowry and considerable amounts of Capital 
were required to discount them. The provision of this Capital was confined 
to the Jews“ 18? . 

Gleichzeitig aber beginnt auch die Einwanderung der asch- 
kenazischen Juden , die zwar im groben Ganzen nicht auf dem 
Reichtumsniveau stehen, wie die sephardischen Juden, unter 
denen sich aber auch Kapitalmagnaten wie etwa Benjamin Levy 
befinden. 

Mit Wilhelm HI. kommt neuer Zuzug und die Bande 
zwischen Hof (Regierung) und reichem Judentum werden noch 
enger. Sir Solomon Medina, den wir ebenfalls schon kennen 
gelernt haben, folgt dem Oranier nach England als sein Beistand 
in Geldangelegenheiten und mit ihm kommen die Suasso, eine 
andere Familie der Hochfinanz. Im Zeitalter der Königin Anna 
ist der leitende Finanzmann Englands Menasseh Lopez. 

Als der Südseeschwindel über England hereinbricht, sehen 
wir die Judenschaft schon als die größte Finanzmacht im Lande 
stehen: sie halten sich von der wilden Spekulation 'fern und 


Digitized by t^ooQle 



56 


retten ihre großen Vermögen. So sind sie in der Lage, von der 
Anleihe, die die Regierung auf die Landtax aufnimmt , ein 
ganzes Viertel zu übernehmen. Das Haus, das in diesen 
kritischen Zeiten die Führung hat, sind die Gideon, vertreten 
durch Sampson Gideon (1699- 1762), dem „trusted adviser of the 
Government“, dem Freunde Walpoles, dem „Pillar of the State 
credit“. Er ist es auch, der im Jahre 1745, in sehr kritischer 
Zeit , eine Anleihe von 1 700 000 £ aufbringt Nach dem Tode 
Sampson Gideons wird die Firma Francis and Joseph Salvador 
die leitende Finanzmacht Englands, bis dann im Anfang des 
19. Jahrhunderts die Rothschild auch hier die Führung über- 
nehmen. 

Um die Bedeutung der Juden als Finanzleute in Frank- 
reich zu erweisen, genügt es, an die einflußreiche Stellung zu 
erinnern, die Samuel Beraard während der späteren Zeiten 
Ludwigs XIV. und während der Regierung Ludwigs XV. ein- 
nimmt. Wir sehen Ludwig XIV. mit diesem Geldmanne, „dont 
tout le merite est d’avoir soutenu l’Etat comme la corde tient 
le pendu“, wie ein etwas galliger Beurteiler meint 188 , in seinen 
Gärten spazieren. Wir finden ihn als den Geldgeber im 
spanischen Erbfolgekriege, als den Unterstützer des französischen 
Kionprätendenten in Polen, als den finanziellen Beirat des 
Regenten wieder. Sodaß es kaum übertrieben gewesen sein wird, 
wenn ihn der Marquis de Dangeau in einem Briefe „gegenwärtig 
den größten Bankier Europas“ nennt 184 . Auch in Frankreich sind 
übrigens die Juden stark beteiligt an der Sanierung der Com- 
pagnie des Indes nach den Schrecknissen des Südseeschwindels 185 . 
Ihre führende Rolle auf dem Geldmärkte und als Großfinanzer 
beginnen sie in Frankreich aber wohl doch erst im 19. Jahr- 
hundert zu spielen, als die Rothschild, die Helphen, die Fould, 
die Cerfberr, die Dupont, die Goudchaux, die Dalmbert, die 
Pereire u. a. ihre Geschäfte betrieben. Sehr leicht möglich ist 
es freilich, daß (außer den schon genannten Namen) doch auch im 
17. und 18. Jahrhundert noch mehr jüdische Finanzmänner in 
Frankreich ihre Wirksamkeit entfaltet haben, die bei der strengen 
Ausschließung der Juden sich als Kryptojuden den Nachforschungen 
entziehen. 

In Deutschland und Österreich ist es wieder leichter, 
ihrem Treiben auf die Spur zu kommen, weil hier — auch wenn 


Digitized by t^ooQle 



57 


die Juden von Rechts wegen in einem Lande sich nicht aufhalten 
durften — durch die sinnreiche Einrichtung der „Hofjuden“ 
immer einige privilegierte Juden von den Fürsten zu ihrer Ver- 
fügung gehalten wurden. 

Nach Graetz sollen diese „Hofluden“ eine „Erfindung“ der 
deutschen Kaiser während des Dreißigjährigen Krieges gewesen 
sein. „Der Wiener Hof“, meint der genannte Autor, „erfand auch 
ein anderes Mittel, die Finanzquelle der Juden für den Krieg 
ergiebig zu machen. Er ernannte jüdische Kapitalisten zu Hof- 
juden, räumte ihnen die ausgedehnteste Handelsfreiheit ein, be- 
freite sie von den Beschränkungen, denen andere Juden unter- 
worfen waren usw.“ 188 . Wie dem auch sei: Tatsache ist, daß 
während des 17. und 18. Jahrhunderts kaum ein deutscher Staat 
namhaft zu machen ist, der nicht einen oder mehrere Hofluden 
hielt, von deren Unterstützung im wesentlichen die Finanzen 
des Landes abhängig waren. 

So finden wir am kaiserlichen Hofe während des 17. Jahr- 
hunderts 187 Josef Pinkherle von Görz, Moses und Jacob Marburger 
von Gradisca, Ventura Parente von Triest, Jacob Bassewi 
Batscheba Schmieles in Prag (den Ferdinand wegen seiner 
Dienste unter dem Namen von Treuenburg in den Adelstand 
erhob). Wir begegnen unter Leopold I. dem angesehenen Hause 
Oppenheimer, von dem der Staatskanzler Ludewig aussagte 138 : 
„Anno 1690 illustre Oppenhemii Judaei nomen floruit inter 
mercatores et trapezitas non Europae tan tum, verum cultioris 
orbis universi,“ nachdem er eben über die Wiener Juden ge- 
äußert hat: „praesertim Viennae ab opera et fide judaeorum res 
saepius pendent maximi momenti“ : daß von ihnen die Ent- 
scheidung in allerwichtigsten Dingen abhänge. Nicht minder 
berühmt war unter Kaiser Leopold I. der Judenrichter und Hof- 
faktor Wolf Schlesinger, der zusammen mit Lewei Sinzheim dem 
Staate mehrere große Anleihen verschafft. Maria Theresia be- 
diente sich außer diesen noch der Wertheimer, Amsteiner, Es- 
keles u. a. Mehr als ein Jahrhundert hindurch waren die Hof- 
bankiers am Wiener Hof nur Juden 189 . Wie groß deren wirt- 
schaftliche Macht und Einfluß in Wien war, erhellt aus der 
Tatsache, daß sich die Hofkammer anläßlich eines Judenkrawalls 
in Frankfurt a. M. veranlaßt sah, die Reichshofkanzlei im Inter- 
esse des Kredits um ihre Intervention zum Schutze der Frank- 


Digitized by t^ooQle 



58 


furter Juden zu ersuchen, da diese mit ihren Wiener Glaubens- 
genossen in Handelsbeziehungen Ständen 140 . 

Nicht anders lagen die Dinge an den kleineren deutschen 
Fürstenhöfen. „ Schon die verfeinerten Ansprüche der im Luxus 
miteinander wetteifernden zahlreichen Hofhaltungen erforderten 
bei den Schwierigkeiten des Verkehrs gewandte Agenten in den 
großen Mittelpunkten des Handels. Solche hatten die Mecklen- 
burger Herzöge in Hamburg, Bischof Joh. Philipp von Würzburg 
in der Person Moses Eikhans um 1700 in Frankfurt a. M. Damit 
war ihnen die Pforte eröffnet ; der betriebsame Mann, der Schmuck 
für die Fürstin, Livreestoffe für den Oberstkämmerer, Delikatessen 
für den Küchenmeister besorgte, war auch gern bereit, eine An- - 
leihe zu negociieren 14 *. Solche „Agenten“, die ortsfernen Fürsten 
die notwendigen Geldmittel beschaffen, gab es manche in den 
großen Judenstädten Hamburg und Frankfurt a. M. Außer den 
genannten erinnere ich an den 1711 in Hamburg gestorbenen 
portugiesischen Jpden Daniel Abensur, der Ministerresident des 
Königs von Polen in Hamburg war und der polnischen Krone 
beträchtliche Summen lieh 142 . Andere dieser Agenten zogen 
dann an den Hof des Darlehnsempfängers und wurden die 
eigentlichen Hofjuden. In Chursachsen begegnen wir so (seitdem 
1694 Friedrich August den Thron bestiegen hatte) dem Leffmann 
Berentz aus Hannover, dem J. Meyer aus Hamburg, dem Berend 
Lehmann aus Halberstadt (der das Geld für die polnische Königs- 
wahl vorschießt) und vielen anderen Hofjuden 148 . In Hannover 
wirkten die Behrend als Oberhoffaktoren und Kammeragenten 144 ; 
im Fürstentum Ansbach die Model, die Fränkel, die Nathan u. a. ; 
in Kurpfalz die Lernte Moyses und Michel May, denen 1719 
eine Forderung des Kurfürsten an den Kaiser im Betrage von 
2 V* Millionen Gulden zediert wird 145 ; und in der Markgrafschaft 
Bayreuth die Baiersdorf 146 . 

Bekannt in weiteren Kreisen sind ja dann auch die Hof- 
juden der brandenburg- preußischen Fürsten: Lippold unter 
Joachim n. ; Gomperz und Joost Liebmann unter Friedrich HI. (I) ; 
Veit unter Friedrich Wilhelm I.; Ephraim, Moses Isaac, Daniel 
Itzig unter Friedrich II. 

Aber der bekannteste der deutschen Hofjuden, der recht 
eigentlich als deren Grundbild gelten kann, ist der Süß-Oppen- 
heimer am Hofe Karl Alexanders von Württemberg 147 . 


Digitized by t^ooQle 


59 


Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß gerade auch als 
Finanzmänner namentlich während des 18. Jahrhunderts und 
insbesondere in der Zeit der Befreiungskriege die Juden in den 
Vereinigten Staaten eine große Rolle gespielt haben. Neben* 
dem Haym Salomon 148 , den Minis und Cohen in Georgia 149 , 
und vielen anderen, die die Regierung mit Geld unterstützen, 
ist hier vor allem Robert Morris zu nennen: der Finanzmann 
der amerikanischen Revolution schlechthin 150 . 

* * 

* 

Nun ereignet sich aber etwas Seltsames: während Jahr* 
hunderte lang und wie wir sehen gerade während des für den 
Aufbau des modernen Staates entscheidenden 17. und 18. Jahr- 
hunderts die Juden persönlich dem Fürsten ihre Dienste leihen, 
vollzieht sich langsam schon während jener Zeit, dann aber vor 
allem während des letzten Jahrhunderts eine Neubildung in der 
Gestaltung des öffentlichen Schuldenwesens, die den großen 
Geldgeber mehr und mehr aus seiner beherrschenden Stellung 
verdrängt und eine immer mehr und mehr wachsende Menge 
von Gläubigem aller Vermögenslagen an seinen Platz treten 
läßt. Durch die Entwicklung des modernen Anleihewesens, an 
die ich natürlich denke, wird, wie man gesagt hat, der öffent- 
liche Kredit „demokratisiert“ : der Hofjude wird ausgeschaltet. 
Und nun sind es nicht zuletzt wiederum die Juden, die dieses 
moderne Anleihewesen haben ausbilden helfen, sind sie es also, 
die sich selbst als monopolistische Geldgeber überflüssig gemacht 
und damit noch viel mehr bei der Begründung der großen Staaten 
mitgeholfen haben. 

Die Ausgestaltung des öffentlichen Kreditsystems bildet aber 
nur einen Bestandteil einer viel größeren, allgemeinen Umbildung, 
die unsere Volkswirtschaft erfahren hat und an der ich ebenfalls 
ganz allgemein die Juden hervorragenden Anteil nehmen sehe. 
Es empfiehlt sich deshalb, diese Umbildung in ihrer Ganzheit 
zu betrachten und darzustellen. 


Digitized by t^ooQle 


60 


Sechstes Kapitel 

Die Kommerzialisierung des WlrtschafUebens 

Ich verstehe unter der Kommerzialisierung des Wirtschafts- 
lebens (wie ich einstweilen ganz vage umschreiben will) die Auf- 
lösung aller wirtschaftlichen Vorgänge in Handelsgeschäfte ; oder 
doch ihre Beziehung auf Handelsgeschäfte; oder ihre Unter- 
werfung unter Handelsgeschäfte und damit, wie man es nicht 
ganz klar auszudrücken pflegt, unter die „Börse“ als dem 
Zentralorgan alles hochkapitalistischen Handels. 

Ich meine also, wie ersichtlich, den jedermann vertrauten 
Prozeß, der sich heute seiner Vollendung naht und der die Er- 
füllung des Kapitalismus bedeutet: den Prozeß der Verbörsianisie- 
rung der Volkswirtschaft, wie man ihn unter Vergewaltigung der 
deutschen Sprache nennen könnte. Aber auf den Namen kommt 
es nicht so sehr an, als auf die Einsicht in die Wesenheit der 
Erscheinung, die sich bei näherer Prüfung in drei — sowohl 
historisch wie systematisch unterscheidbare — Bestandteile auf- 
löst *. 

Zunächst vollzieht sich ein Prozeß , den man die Ver- 
sachlichung des Kredits (oder allgemeiner : der Forderungsrechte) 
und ihre Objektivierung (Verkörperung) in „Wertpapieren“ nennen 
mag. An ihn schließt sich der Vorgang, der unter dem Namen 
der Mobilisierung oder wenn man ein deutsches Wort vorzieht: 

* Ich bemerke, daß die Darstellung, die ich hier von den Ent- 
wicklungstendenzen der (hoch-)kapitalistischen Volkswirtschaft gebe, nur 
eine vorläufige und skizzenhafte ist (soweit sie für die Lösung der in 
diesem Buche gestellten Sonderaufgabe unentbehrlich erscheint); daß ich 
die ausführliche Erörterung aller hier nur kursorisch berührten Punkte in 
der neuen Auflage meines „Mod. Kap. tt hoffe vornehmen zu können. 


Digitized by t^ooQle 



61 


der Vermarktung dieser Forderungsrechte und ihrer Träger be- 
kannt ist. Beides aber findet seine Ergänzung in der Ausbildung 
selbständiger Unternehmungen zum Zweck der Schaffung von 
Forderungsrechten (Wertpapieren); also in deren Kreierung au» 
Gewinnabsichten . 

Die folgende Darstellung soll den Nachweis erbringen, daß 
an allen diesen Vorgängen die Juden schöpferischen Anteil ge- 
nommen haben, ja daß die in dieser Entwicklung zum Ausdruck 
kommende Eigenart des modernen Wirtschaftslebens recht 
eigentlich dem jüdischen Einflüsse ihre Entstehung verdankt. 

I. Die Entstehung der Wertpapiere 

Wenn die Juristen das wesentliche Merkmal des Wert- 
papiers in seiner eigentümlichen Bedeutung für die Geltend- 
machung des in ihm verbrieften Rechtes erblicken 161 : daß nämlich 
dessen Ausübung oder Übertragung oder beide ohne den Besitz 
der Urkunde rechtlich nicht statthat, so müssen wir vom wirt- 
schaftswissenschaftlichen Standpunkt aus — ohne in einen Gegen- 
satz zu der juristischen Auffassung zu treten, diese vielmehr in 
ihrer Richtigkeit bestärkend — vor allem den Umstand betonen,, 
daß in einem Wertpapier (wenn es die eigenartige und von allen 
andern grundsätzlich zu unterscheidende Natur einer besonderen 
Art von Urkunden in voller Reinheit aufweist) sich ein nicht 
persönliches sondern „versachlichtes“ Schuld- (oder Forderungs- 
oder auch im weiteren Sinne Kredit-) Verhältnis 168 „verkörpert“.. 
Die Entstehung der Wertpapiere ist somit der äußere Ausdruck 
der Versachlichung der Kreditbeziehungen, die selbst wiederum 
nur ein einzelnes Glied in der Kette von Versachlichungen bildet,, 
dieser für alles hochkapitalistische Wesen mehr denn irgendein 
anderer Vorgang kennzeichnenden Erscheinung. Eine „Ver- 
sachlichung“ eines ursprünglich persönlichen Verhältnisses voll- 
zieht sich überall dort, wo an Stelle des unmittelbaren Ein- 
wirkens oder Zusammenwirkens lebendiger Menschen die Wirk- 
samkeit eines von Menschen erst geschaffenen Systems von 
Einrichtungen (Organisationen) tritt. (Die Parallelerscheinung 
beobachten wir in der Technik, wo die Versachlichung darin be- 
steht, daß die lebendige Menschenarbeit einem System lebloser 
Körper übertragen wird: Maschinismus oder Chemismus.) Also 
die Kriegführung „versachlicht“ sich, wenn nicht mehr die höchst- 


Digitized by 


Google 



62 


persönliche Initiative des Heerführers den Kampf entscheidet, 
sondern die geschickte Befolgung aller im Laufe der Jahre auf- 
gesammelten Erfahrungen und die Anwendung des kunstvollen 
Systems der Strategie und Taktik, der Geschützestechnik und 
der Verproviantierungsmethoden usw. Ein Detailhandelsgeschäft 
wird versachlicht, wenn der einst allein die Leitung ausübende 
Chef, der persönlich mit dem Personal und persönlich mit den 
Kunden verkehrt, ersetzt wird durch ein Direktorium, dem ein 
Stab von Zwischenleitem untersteht , unter denen wiederum 
Tausende von Angestellten tätig sind : alle nur kraft des 
Organisationsplanes, dem jeder einzelne unterworfen ist ; in dem 
aber auch das einzelne Kaufgeschäft nicht mehr eine höchst- 
persönliche Verständigung zwischen Käufer und Verkäufer ist, 
sondern ein sich nach bestimmten festen Normen abspielender, 
automatischer Vorgang. Der kollektive Arbeitsvertrag „ver- 
sachlicht“ das Lohnverhältnis usw. 

Solcherart Versachlichung erfahren nun auch die Kredit- 
verhältnisse in einem bestimmten Stadium der kapitalistischen Ent- 
wicklung (und diese Versachlichung des Kredits ist, wie ich sagte, 
das charakteristische Merkmal der modernen Volkswirtschaft, nicht 
etwa die Entstehung oder auch nur die stärkere Ausdehnung des 
Kreditverhältnisses selbst, das in aller vor- und frühkapita- 
listischen Zeit, wenigstens als konsumtiver Kredit, eine oft über- 
ragende Bedeutung hat: Altertum I) Ganz allgemein gesprochen 
wird ein Kreditverhältnis „versachlicht“, wenn es nicht mehr 
aus der persönlichen Vereinbarung zwischen zwei bekannten 
Personen entsteht, sondern durch ein System menschlicher Ein- 
richtungen zwischen einander unbekannten Personen nach objek- 
tivierten Normen und in schematisierten Formen zustande kommt. 
Den Angelpunkt dieser Einrichtungen eben bilden die Wert- 
papiere, in denen das Forderungs- und Schuldverhältnis zwischen 
Unbekannt und Unbekannt „objektiviert“ ist, und durch deren 
Besitz jederzeit ein neuer Gläubiger in das Kreditverhältnis ein- 
treten kann. Ein unpersönliches Kreditverhältnis wird also durch 
das Wertpapier begründet. Das lehrt eine genaue Analyse des 
durch die bekannten Typen der Wertpapiere geschaffenen 
Schuldnexus. Diese sind hauptsächlich: der girierte Wechsel, 
die Aktie, die Banknote, die öffentlich-rechtliche und privat- 
rechtliche „Obligation“. 


Digitized by 


Google 



63 


Der girierte Wechsel (im Gegensatz zum nichtgirierten 
Wechsel) ebenso wie der Blankowechsel begründet das Forde- 
rungsrecht eines beliebigen dem Schuldner (Trassaten) ebenso 
wie dem ursprünglichen Gläubiger (Trassanten) ganz unbekannten 
Dritten, mit dem den Schuldner niemals ein wirtschaftliches 
Band sonst verknüpft zu haben braucht. Er wird nun ein all- 
gemeines Zahlungsmittel. Das Indossament macht das persönliche 
Erscheinen der Interessenten an bestimmten Ausgleichtagen 
(Meßwechsel 1) unnötig 168 . 

Die Aktie schafft dem beliebigen Besitzer ein Anteilsrecht 
an dem Kapital und dem Profit einer ihm persönlich ganz 
fremden Unternehmung. Die Beziehung einer Person zu einem 
Geschäftsbetriebe wird losgelöst nicht nur von der persönlichen 
Mitwirkung, sondern sogar von dem einer Person gehörigen 
Sachvermögen: sie wird objektiviert in einer abstrakten Geld- 
summe, die zu ganz verschiedenen Vermögenskomplexen gehören 
kann. 

Die Banknote schafft dem Inhaber ein Forderungsrecht 
gegenüber der Bank, mit der er niemals ein Vertragsverhältnis 
braucht eingegangen zu haben. Sein Anspruch besteht ohne 
jede Beziehung etwa auf eine persönlich begründete Schuld- 
tatsache (wie ein Depositum). 

Die (Partial-)Obligation begründet ebenso ein Kredit- 
verhältnis zwischen Unbekannt (dem Publikum, wie wir be- 
zeichnend sagen) und einem Dritten: dieser sei ein öffentlicher 
Körper oder eine Aktiengesellschaft oder eine Privatperson. 
Der Staat oder die Gemeinde, die eine öffentliche Anleihe auf- 
nehmen, kennen ihre Gläubiger ebensowenig wie die industrielle 
Unternehmung, die Obligationen ausgibt oder der Landwirt, der 
sich flüssige Mittel durch den Verkauf von Pfandbriefen ver- 
schafft. Die Obligation weist sogar noch verschiedene Grade 
der Versachlichung des Kreditverhältnisses auf: je nachdem der 
Schuldner eine individuelle (und dadurch bekannte) Person ist 
oder nicht. Man kann danach die (Partial)obligationen in In- 
dividual- und Kollektivobligationen teilen. Bei jenen steht den 
Gläubigem als Schuldner ein bestimmtes Unternehmen (oder 
etwa ein bestimmter „Standesherr“) gegenüber; bei diesen eine 
unbekannte Menge von Schuldnern. Das trifft, wie man weiß, 
bei dem Pfandbrief Verhältnis zu, bei dem die gesamten (oder 


Digitized by t^ooQle 



64 


viele) Grundbesitzer eines Bezirks, von deren Existenz der 
Pfandbriefinhaber vielleicht gar nichts weih, als Schuldner ver- 
pflichtet sind. 

Den Anteil der Juden an der Entstehung dieser Einrichtung 
„quellenmäßig“ nachzuweisen, ist wohl eine Aufgabe, die nie restlos 
wird gelöst werden können. Selbst dann nicht, wenn man sich 
mehr mit der Stellung der Juden in früheren Wirtschaftsepochen 
befaßt haben, selbst dann nicht, wenn man die bisher fast ganz 
vernachlässigten und doch gerade für die hier erörterten Probleme 
entscheidend wichtigen Partien der Wirtschaftsgeschichte, wie 
namentlich die Geschichte des Geld- und Bankwesens auf der 
Pyrenäenhalbinsel während der letzten Jahrhunderte des Mittel- 
alters besser bearbeitet haben wird als bisher. Aus dem ein- 
fachen Grunde, weil sich die Genesis wirtschaftlicher Organi- 
sationen ebenso wenig wie die von Rechtsinstituten in ihren 
letzten Gründen „quellenmäßig“ wird nachweisen lassen. Es 
handelt sich ja dabei, wie die Haupt Vertreter der „quellen- 
mäßigen“ Rechts- und Wirtschaftsgeschichte selbst oft genug 
hervorheben, nicht um „Erfindungen“ oder „Entdeckungen“, 
die von einem bestimmten Tage datieren, sondern um lang- 
same, gleichsam organische Wachstumsprozesse, deren An- 
fänge sich im Dunkel des Alltagslebens verlieren. Womit wir 
uns benügen müssen, ist die Feststellung, daß in einer be- 
stimmten Zeit die geschäftlichen Gepflogenheiten diesen oder 
jenen Grundzug aufgewiesen haben, daß der wirtschaftliche Ver- 
kehr (bildlich gesprochen) auf diesen oder jenen Ton abgestimmt 
war. Diese Feststellung zu machen, reichen aber die oft genug 
lächerlich geringen Quellenbelege ganz und gar nicht aus, und 
deshalb wird man immer wieder zur Korrektur der „quellenmäßigen“ 
Erforschung eines Instituts die Schlüsse aus der allgemeinen 
Wirtschafts- (oder Rechtslage , in der sich eine Zeit oder eine 
bestimmte Bevölkerungsgruppe befand, heranziehen müssen. 

Ich denke beispielsweise an die Geschichte des Wechsels; 
die wird man ganz gewiß niemals aus den paar Wechseln aufbauen 
können, die uns der Zufall aus dem Mittelalter überliefert hat. 
Diese werden uns immer nur als wertvolle Bestätigungen oder 
Berichtigungen allgemeiner Schlüsse dienen. Aber ohne diese 
allgemeinen Schlüsse werden wir nicht viel einzusehen vermögen. 
Gewiß haben diejenigen recht, die aus der Tatsache, daß der 


Digitized by 


Google 



65 


früher sog. „älteste“ Wechsel von dem Juden Simon Rubens 
(1207) ausgestellt gewesen sein soll, nicht den Schluß zulassen 
wollen: die Juden seien die „Erfinder“ des Wechsels 164 . Aber 
ebensowenig ist es natürlich angängig, aus der anderen Tat- 
sache, daß ältere Wechsel von Nichtjuden herrühren, darauf 
schließen zu wollen: die Juden seien nicht „die Erfinder“ des 
Wechsels. Was wissen wir, wieviel Tausend Wechsel in jener 
Zeit von dieser oder jener Bevölkerungsgruppe, in Florenz oder 
Brügge ausgestellt sind, von deren Dasein wir nichts erfahren? 
Aber was wirsehr genau wissen, ist dieses: daß die Juden die 
Träger des Geldverkehrs während des ganzen Mittelalters waren, 
daß sie an den verschiedensten Plätzen Europas saßen und unter- 
einander Beziehungen unterhielten. Und was wir daraus mit 
einiger Sicherheit schließen können, ist dieses: daß „die Juden, 
als einflußreiche Vermittler internationalen Handels, das im 
Vulgarrecht der Mittelmeerländer traditionell überkommene Re- 
mittierungsgeschäft in größerem Umfange verwendet und weiter 
ausgebildet haben.“ 166 . 

Daß, wenn man historische Erkenntnis solcher Art deduktiv 
gewinnen will, äußerste Vorsicht geboten ist, braucht nicht erst 
ausdrücklich hervorgehoben zu werden. Aber darum sollen wir 
auf die Anwendung dieser Methode nicht verzichten. Und bei 
einem Problem, wie dem hier behandelten, kommen wir ohne 
sie überhaupt zu keinem Ergebnis. Freilich gibt es auch Fälle, 
wie wir noch sehen werden, in denen sich der Anteil der Juden 
an der Ausbildung einer wirtschaftlichen Einrichtung mit aller 
nur wünschbaren „Quellenmäßigkeit“ nach weisen läßt. Aber 
daneben bleibt doch eine Fülle von Erscheinungen übrig, die 
sich in ihrer Genesis durch keinerlei quellenmäßige Belege auf- 
hellen lassen. Bei ihnen müssen wir uns schon zufrieden geben, 
wenn wir etwa den Nachweis erbringen können, daß Juden in 
der Epoche und in dem Gebiete, wann und wo vermutlich die 
Anfänge der neuen Gebilde zu suchen sind, eine hervorragende 
Rolle im Geschäftsleben gespielt haben, oder daß Juden an der 
Ausbildung eines bestimmten Wirtschafts- (oder Rechts-)instituts 
ein ganz besonderes Interesse haben mußten. Vielleicht, daß 
dann spätere Untersuchungen auch noch mehr „quellenmäßiges“ 
Beweismaterial zutage fördern, jetzt, nachdem der Blick für das 
Problem geschärft ist. Was ich hier über die zur Anwendung 

Sombart, Die Jaden 5 


Digitized by CjOOQle 



66 


gebrachte Methode sage, gilt allgemein, ganz besonders aber für 
den kurzen geschichtlichen Oberblick, den ich im folgenden über 
die Genesis der oben skizzierten Typen der neueren Wertpapiere 
geben will. 

1. Der indossdble Wechsel 

Nicht die Entstehung des Wechels ist das, was uns hier 
interessiert, sondern (wie man sagen könnte) die des modernen, 
das heißt des versachlichten, weil girierten, Wechsels. 

Man nimmt im allgemeinen an, daß das Wechselgiro vor 
dem 17. Jahrhundert jedenfalls nicht zu voller Entwicklung ge- 
langt und in Holland die trüheste unbedingte Anerkennung findet 
(in der Amsterdamer Willkür vom 24. 1. 1651) 156 . Was aber 
auf dem Gebiete des Geld- und Kreditwesens während des 
17. Jahrhunderts in Holland sich vollzieht, ist, wie wir noch 
genauer sehen werden, immer mehr oder weniger auf jüdischen 
Einfluß zuruckzuf ühren. Goldschmidt verlegt die Anfänge der 
Wechselgirata nach Venedig, wo sie jedenfalls in einem Gesetz 
vom 14. 12. 1593 verboten wird (während die erste ihm be- 
kannte Wechselgirata 1600 in einer neapolitanischen Urkunde 
vorkommt) 16T . Die Entstehung der Zirkulationsfigur des Giro in 
Venedig würde mit ziemlicher Sicherheit auf jüdischen Ursprung 
schließen lassen, da wir wissen, daß im 16. Jahrhundert der 
Wechsel verkehr dort vornehmlich in jüdischen Händen lag. In 
der schon erwähnten Eingabe der christlichen Kaufleute Venedigs 
an den Staat vom Jahre 1550 lautet die auf das Wechselgeschäft 
der Juden bezugnehmende Stelle wörtlich wie folgt 158 : 

„D medesimo comertio tegniamo con loro etiam in materia de cambii, 
perch& ne rimettano continuamente i lor danari ; . . . vero mandano con- 
tanti, acciochä geli cambiamo per Lion Fiandra et altre parti del Mondo 
su questa piazza de Rialto o vero ge compriamo Panni de seda o altre 
mercantie secondo il commodo loro, guadagnando le nostre solite pro- 
visioni.“ 

„Qucsto che dicemo delii habbitanti in Fiorenza snccede anche per 
li altri mercadanti di simil nation Spagnuola et Portngeza che abita in 
Fiandra, Lion, Roma, Napoli, Sicilia et altri paesi quali se estendono a 
negociar con noi, non solo in cambii ma in mandar qui mercantie de Fiandra, 
formend di Sicilia per vender et comprar altre mercantie da condur in altri 
paesi. u 

Eine weitere Ausbildung scheint dann das Indossament auf 
den Genueser Messen im 16. Jahrhundert erfahren zu haben. 


Digitized by t^ooQle 


67 


Hier finden wir wenigstens zuerst das „Giro-Aval“, wie man es 
neuerdings genannt hat, das wir als einen Vorgänger des eigent- 
lichen Wechselgiros zu betrachten haben. 

Wer waren die „Genuesen“, denen wir im 16. Jahrhundert 
an verschiedenen Orten, namentlich auf den berühmten Messen 
zu Besan^on als den Herren des Gold- und Kreditmarktes be- 
gegnen? Die mit einem Male einen „genialen Geschäftsgeist“ 
entfalten und Formen des internationalen Zahlungsverkehrs ent- 
wickeln, die man bis dahin nicht gekannt hatte? Daß die alten 
reichen Familien Genuas mit ihren großen Vermögen als die 
Hauptgläubiger der spanischen Krone und der anderen geld- 
bedürftigen Fürsten auftraten, wissen wir. Aber daß die Spröß- 
linge der Grimaldi, der Spinola, der Lercara jenen „genialen 
Geschäftsgeist“ entfaltet hätten, der dem Wirken der Genuesen 
im 16. Jahrhundert sein Gepräge gab; daß sich die alten Adels- 
geschlechter auf den Messen in Besangon oder sonstwo herum- 
getrieben haben sollten oder auch nur mit seltsamer Betrieb- 
samkeit ihre Faktoren dahingesandt haben sollten, erscheint mir 
ohne Annahme eines besonderen äußeren Anstoßes wenig plausibel. 
War hier neues Blut dem alternden Körper des genuesischen 
Wirtschaftslebens durch Juden zugeführt worden? Wir wissen 
jedenfalls, daß Flüchtlinge aus Spanien auch in Genua landen, 
und daß ein Teil dieser jüdischen Emigranten zum Christentum 
Übertritt; während ein anderer Teil in dem Städtchen Novi bei 
Genua aufgenommen wird, und daß diese Juden von Novi auch 
in der Hauptstadt verkehrten; wissen, daß diese Zuzügler 
„meistens gewerbtätige, intelligente Juden, Kapitalisten, Ärzte“ 
waren und daß sie sich in Genua in der kurzen Spanne Zeit bis 
1550 unliebsam genug gemacht hatten, um den Haß der Be- 
völkerung zu erwecken. Wir wissen aber auch, daß zwischen 
den Bankhäusern Genuas und den jüdischen (bezugsweise damals 
schon marranischen) Bankhäusern der spanischen Städte, z. B. dem 
führenden Bankhause Sevillas, denEspinosas, lebhafte Beziehungen 
bestanden 160 . 

Bisher ist, soviel ich sehe, die Frage, welche Rolle die Juden auf 
den Genueser Messen gespielt haben, noch nicht aufgeworfen. Sie zu be- 
antworten, wird auch deshalb ganz besonders schwierig sein, weil die in 
Genua sich niederlassenden Juden ihre Abkunft auf das sorgfältigste 
geheimhalten mußten, zumal nach der offiziellen Vertreibung im Jahre 
1550. Sie werden voraussichtlich in den meisten Fällen auch ihre Namen 

5* 


Digitized by 


Google 



68 


gewechselt und, wie so oft in ähnlichen Lagen, ein ganz besonders strenge» 
Scheinchristentum zur Schau getragen haben. Immerhin w&re es lohnend, 
den Versuch zu machen, ihnen hier auf die Spur zu kommen. Es ist, 
soviel ich sehe, der einzige Fall, in dem in nachmittelalterlicher Zeit ein 
großer Geld- und Kreditverkehr sich abgespielt hat ohne nachweisliche 
Beteiligung jüdischer (d. h. marranischer) Elemente. Vielleicht ist mir 
dieser Nachweis auch nur entgangen, und er ist bereits geführt Dann 
würde ich für eine Benachrichtigung dankbar sein. 

2. Die Aktie 

Will man von einer Aktie schon dort sprechen, wo ein 
Kapital in mehrere Teile zerlegt ist, auf die sich die Haftung 
der an der Unternehmung beteiligten Kapitalisten beschränkt, 
so wird man in den genuesischen Maonen des 14. Jahrhunderts 161 
in der Casa die S. Giorgio (1407) und in den groben Handels- 
kompagnien des 17. Jahrhunderts schon Aktiengesellschaften er- 
blicken. Legt man das entscheidende Gewicht auf die „Ver- 
sachlichung 0 des Kapitalverhältnisses, so wird man die Anfänge 
der Aktiengesellschaft und der Aktie nicht früher als in das 
18. Jahrhundert verlegen. Alle früheren Kapitalvereinigungen 
mit beschränkter Haftung bewahrten mehr oder weniger ihren 
personalen Charakter. Ganz deutlich sind die italienischen Montes 
stark mit persönlichem Geiste durchsetzt. Die Person des Maonesen 
spielte eine nicht geringere Rolle als das Kapital. Bei der Banca 
di S. Giorgio wird eifersüchtig darauf gehalten, daß der Anteil 
bestimmter Familien an der Leitung der Bank gewahrt und ge- 
hörig verteilt wird. Aber auch in den großen Handelskompagnien 
des 17. Jahrhunderts ist die Versachlichung des Aktienrechtes 
noch keine vollständige. In der englisch-ostindischen Kompagnie, 
die erst seit 1612 einen joint stock, also ein Aktienkapital, hatte 
(bis dahin hatte sie nur gleichsam einen Rahmen gebildet, inner- 
halb dessen die einzelnen Mitglieder ihre Geschäfte selbständig 
geführt hatten, nach Art der regulated Companies), setzt bis 1640 
die Beteiligung an dem Fonds immer noch die Mitgliedschaft in 
der Kompagnie voraus. Der Anteil konnte also immer nur an 
ein Mitglied abgetreten werden. Erst 1650 wird Übertragung 
an Fremde möglich, aber diese müssen Mitglieder werden. 

Bei anderen Gesellschaften war die Übertragung der Aktie 
(die ursprünglich immer auf ungleiche und ungerade Beträge 
lautete, also auch von dieser Seite her ein individuelles Gepräge 


Digitized by t^ooQle 



69 


bewahrte) an die Genehmigung der Generalversammlung gebunden 
oder stand der Kompagnie ein Vorkaufsrecht zu. Die Aktie ist 
nur „Mitgliedschein“ (noch nicht „dispositive Urkunde“). Das 
ganze 18. Jahrhundert über überwiegt noch die Namenaktie 162 - Und 
wo auch die Aktie frei veräußerlich war (wie bei der Ostindischen 
Kompagnie in Holland), konnte sie doch nur mittels eines un- 
endlich kunstvollen und langwierigen Umschreibeverfahrens von 
einer Person losgelöst und auf eine andere übertragen werden 168 . 

Will man also der Entstehung der Aktie als eines modernen 
Wertpapiers nachspüren, so muß man im 18. Jahrhundert, nicht 
im 14. Jahrhundert Umschau halten. Und danach wäre auch 
die Frage: welchen Anteil die Juden an der Herausbildung des 
modernen Aktienverhältnisses haben, nur mit dem Nachweis zu 
beantworten, daß sie während der letzten 150 bis 200 Jahre 
auf die Versachlichung des ursprünglich noch stark persönlich 
orientierten Aktienverhältnisses Einfluß ausgeübt haben. Einen 
unmittelbaren Einfluß dieser Art vermag ich nicht nachzuweisen. 
Indirekt aber haben sie wohl von zwei Seiten her nachhaltig 
bei der Versachlichung auch der Aktie mitgewirkt: durch ihre 
eigentümliche Stellung zur Spekulation und zum Inhaberpapier, 
worüber weiter unten ausführlich zu handeln sein wird. Die 
Spekulation drängte auf Versachlichung hin, die Verwandlung 
der Namenaktien in Inhaberaktien bot eines der wirksamsten 
Mittel dar, die Versachlichung durchzuführen: das sagt uns die 
bloße Überlegung. Wir können sogar in einzelnen Fällen nach- 
weisen, daß die Versachlichung des Aktienverhältnisses unmittel- 
bar durch die Interessen der Spekulation gefördert worden ist. 
So ist diese es offenbar gewesen, die die ursprünglich auf un- 
gleiche und ungerade Beträge lautenden Aktien der holländisch- 
ostindischen Kompagnie in den einförmigen 3000 fl.-Typ um- 
gewandelt hat 164 . 


3. Die Banknote 

Wann die erste „Banknote“ das Licht der Welt erblickt hat, 
ist noch immer strittig und wird es voraussichtlich noch lange 
Zeit bleiben, nicht nur weil immer neues „Quellenmaterial“ zu- 
tage gefördert wird, sondern vor allem auch deshalb, weil die 
verschiedenen Schriftsteller je verschiedene Merkmale als wesent- 
liche für das Vorhandensein einer Banknote ansehen. 


Digitized by 


Google 



70 


So erblicken die einen schon in den fedi di deposito (Gold- 
schmidt), die anderen in den fedi di credito (Nasse), die dritten 
in den englischen Goldsmith notes (Rogers), die vierten in den 
Scheinen der Bank von England (Salvioni u. a.), die fünften 
in den Anweisungen, die die Stockholmer Bank im Jahre 1661 
zur Vermeidung des Kupfermünzentransports ausgab (Roscher), 
die ersten Banknoten. 

Hält man, wie ich es tue, auch hier wieder denjenigen 
Moment der Entwicklung für den entscheidenden, in dem das 
durch die Bankierscheine verbriefte Schuldverhftltnis „versach- 
licht“ wurde, so wird man in dem Augenblick von einem neuen 
Typus von Wertpapieren sprechen können, als ein Bankier zum 
ersten Male ein auf den Inhaber lautendes schriftliches Zahlungs- 
versprechen ohne Beziehung auf ein Bardepot ausstellte. Vorher 
gab es auch schon Bankierscheine. Aber sie waren auf ein Gut- 
haben ausgestellt und lauteten auf den Namen. Der Namens- 
inhaber erschien in dem Zettel als Gläubiger der Bank: diese 
hatte auf seine Anweisungen und Ordres hin die Bankscheine 
zu honorieren oder als Zahlung anzunehmen. So beschreibt 
besonders ausführlich die Scheine der römischen Bank zum 
heiligen Geist Ansaldus in seinem Discursus generalis N. 166 ff 165 . 
Da sehen wir noch deutlich die personale Verankerung des Bankier- 
scheines, die auch noch z. B. in den Depositenscheinen mit der 
Ordreklausel, wie sie 1422 in Palermo Vorkommen, und selbst 
noch in den Bolognaer Depositenscheinen mit der Inhaberklausel 
aus dem Jahre 1606 160 vorhanden zu sein scheint. 

Wo und wann ist die Nabelschnur, mit der der Bankier- 
schein mit dem Bankdepot zusammenhing, durchschnitten worden? 
Nach dem, was uns bisher an „Quellenmaterial“ vorliegt, scheint 
es mir das Wahrscheinlichste, daß dieser Geburtsakt des un- 
persönlichen Bankierscheines in Venedig etwa im Anfang des 
15. Jahrhunderts stattgefunden hat. Denn dort begegnen wir 
um jene Zeit schriftlichen Zahlungsversprechen seitens der Banken, 
die über das Bardepot hinaus gewährt wurden und auch schon 
im Jahre 1421 einem Verbote des Senats, mit solchen Zahlungs- 
versprechungen Handel zu treiben 16T . Waren die beiden Juden, 
denen im Jahre 1400 als den ersten die Ermächtigung erteilt worden 
sein soll, eine Bank „im eigentlichen Sinne“ zu begründen (deren 
Erfolg dann so groß war, daß die Nobili sich beeilten, sie nach- 


Digitized by t^ooQle 


71 


zuahmen) 108 , die Väter dieser ersten unpersönlichen Bank- 
scheine ? 

Man wird vielleicht auch hier gar nicht eine einzelne Firma 
als die Schöpferin der neuen Schuldform ansehen können. Man 
wird auch hier eine Entstehung aus einem dazu gestimmten Milieu 
heraus annehmen mössen. Aber vielleicht läßt sich doch ein 
Gebiet wie das einer Stadt als Entstehungsherd abgrenzen. Und 
es hat viel für sich, den dort anzunehmen, wo überhaupt das 
Bankwesen seine erste vollkommenste Ausbildung erfahren hat. 
Das aber ist nach dem, was wir heute wissen, Venedig. Und 
Venedig — das ist das, was uns hier interessiert — war eine 
rechte Judenstadt. Nach einem Verzeichnis vom Jahre 1152 soll 
es damals in Venedig schon eine jüdische Kolonie von 1300 Seelen 
gegeben haben 169 . Im 16. Jahrhundert (nach der „Vertreibung“ ?) 
wird ihre Zahl in Venedig auf 6000 geschätzt; jüdische Fabrikanten 
beschäftigen 4000 christliche Arbeiter 170 . Diese Ziffern haben 
natürlich keinen „statistischen Wert“. Sie zeigen aber immerhin, 
daß es eine beträchtliche Menge Juden in Venedig gab, von 
deren Wirksamkeit uns nun andere charakteristische Zeugnisse 
vorliegen. Im 15. Jahrhundert begegnen wir unter den führenden 
Bankhäusern zahlreichen jüdischen (eins der größten waren die 
Lipmans). Und 1550 erklärten ja, wie wir wissen, die christ- 
lichen Kaufleute Venedigs: sie könnten gleich mit auswandem, 
wenn man ihnen den Handel mit den Marranen verböte. 

Aber vielleicht hatten die Marranen in Spanien schon 
früher das moderne Bankwesen begründet. Es ist an der Zeit, 
daß wir darüber Genaueres erfahren. Denn was uns Capmany 
über die taula de cambi in Barcelona (1401); was uns die 
neueren Wirtschaftshistoriker über andere Banken in Spanien 
mitteilen 171 , läßt ganz und gar unbefriedigt. Daß die Juden die 
führenden Bankiers auf der Pyrenäenhalbinsel waren, als man 
gegen sie einschritt (16. Jahrhundert), ist sehr wahrscheinlich. 
Wer sollte vorher an ihrer Stelle gestanden haben? 

Daß Juden dann überall beteiligt waren, wo im 17. Jahr- 
hundert „Banken“ gegründet wurden, namentlich auch bei der 
Begründung der berühmtesten drei Banken jenes Jahrhunderts: 
der Amsterdamer, Londoner und Hamburger, mag nur im Vorbei- 
gehen erwähnt werden: da diese Bankgründungen wohl als ad- 
ministrativ-organisatorische, aber nicht als kapitalistisch-organisato- 


Digitized by 


Google 



72 


rische Akte Epoche gemacht haben: denn die private Girobank 
mit der idealen Geldeinheit war wohl schon in den italienischen 
Städten während des 15. Jahrhunderts entwickelt, jedenfalls 
begegnen wir ihr schon als einen fertigen Typ auf den Genueser 
Messen; .so ziehe ich sie nicht in den Kreis dieser Erörterungen 
hinein. 

Ich registriere nur kurz die Tatsachen: 

Ihre bei der Gründung der Amsterdamer Bank gesammelten Er- 
fahrungen verwerten die Juden bei der bald nachher (1619) gegründeten 
Hamburger Bank, bei der wir 40 jüdische Familien beteiligt finden. 

Und auch die Bank of England soll, wie neuere Darsteller ihrer Ge- 
schichte wollen, wesentlich durch die Mitte des Jahrhunderts aus Holland 
ein wandernden Juden inspiriert sein. A. Andr6ades, Hist, of the Bank 
of E. (1909), 28. Zu dieser Auffassung wird man kommen, wenn man der 
Eingabe Sam. Lambes aus dem Jahre 1658 (abgedruckt in Somers Tracts 
Vol. VI) entscheidende Bedeutung für die Engl. Bank beimißt. Andr£ades 
datiert von ihr geradezu die Idee der Bank und meint: seit die n&chst- 
vorhergehende, eine Bankgründung heischende Schrift — es ist die von 
Balthasar Gerbier im Jahre 1651 — erschienen sei, habe sich das für das 
Schicksal der B. of E. entscheidende Ereignis vollzogen: die offizielle 
Wiederzulassung der Juden durch Cromwell. Ich kann „the superiority“ 
der Lambeschen Schrift nicht in gleichem Maße wie A. anerkennen. 
Übrigens wird der hervorragende Anteil der Juden an der Begründung 
der B. of E. auch von anderen hervorgehoben. 

4. Die Partialobligation 

Es hat lange gedauert, ehe die öffentliche Schuld- 
verschreibung den Grad von Versachlichung erreichte, den 
sie heute besitzt. Die eingehenden Darstellungen, die uns in 
neuerer Zeit das Staatschuldenwesen der deutschen Länder 
während des 18. Jahrhunderts in seiner Wesenheit haben er- 
kennen lassen, zeigen doch, daß bis in die zweite Hälfte des 
18. Jahrhunderts beispielsweise die Finanzen Österreichs und 
Sachsens noch durchaus das altüberkommene persönliche Ge- 
präge trugen. In Österreich sind während der vörtheresianischen 
Zeit Überbringerpapiere im öffentlichen Schuldenwesen überhaupt 
nicht bekannt; die Staatsschulden sind privatrechtlicher Natur: 
Schuldner ist der Monarch oder das Amt 172 . Erst die Anleihe 
von 1761 stellt einen schon etwas stark modernisierten Typ 
dar: die Zinsen werden zum erstenmal nicht mehr gegen eine 
vom Berechtigten ausgestellte Quittung verabfolgt, sondern gegen 
Abgabe jedesmal des der Obligation beigefügten Interessen- 


Digitized by t^ooQle 


73 


Scheines 178 . Ebenso sind in Sachsen bis in die Mitte des Jahr- 
hunderts die Anleihen durchaus persönlich gefärbt : Schuld- 
summe, Sicherheit, Zinshöhe, Zinstermin, Fälligkeit: alles trägt 
individuelles Gepräge, ist individuell von Fall zu Fall verschieden. 
Die signierten Quittungen heißen „Kammer- oder Steuerscheine“. 
Sie weisen nach, was der einzelne Vertreter von seinem Bar- 
vorrat in die Steuer oder Kammer eingeliehen hat. Sie sind , 
Hauptobligationen in dem Sinne, daß sie die gesamte Schuld 
des Gläubigers umfassen. Dementsprechend lautet jede Forde- 
rung auf einen individuellen, von anderen verschiedenen Be- 
trag 174 . 

Daß um jene Zeit der Versachlichungsprozeh in den west- 
lichen Ländern schon weiter (wenn auch nicht sehr viel weiter) 
fortgeschritten war, ist unzeif eihaft. In England wird 1660 den 
bis dahin unübertragbaren tallies eine ordre of repayment bei- 
gefügt, aber die entscheidenden Anleihen im modernen Sinne 
sind doch erst die von 1693, 1694 175 . Und die niederländischen 
Obligationen sollen durchgängig schon im 16. Jahrhundert die 
Inhaberklausel enthalten. Freilich tragen die Obligationen auch 
hier das ganze 17. Jahrhundert hindurch noch die Eierschalen 
der Personalschuld an sich: 1672 muß jede Obligation noch 
geschrieben werden, und ihr Wortlaut stand damals noch ebenso 
wenig ein für allemal fest wie der Betrag der einzelnen Obli- 
gation 17Ä . 

Mitwirkung der Juden bei der Herausbildung des modernen 
Anleihetypus? Was sich nachweisen läßt, ist dieses: daß 
Wilhelms HL Vertrauensmänner in Finanzsachen Juden waren, 
daß den östlichen Staaten die Anregung zur Weiterbildung aus den 
Niederlanden gebracht wird, und zwar aller Wahrscheinlichkeit 
nach durch holländische Juden, die während des 18. Jahrhunderts 
die Hauptfinanziers deutscher und österreichischer Lande sind. 
Ich habe in anderem Zusammenhänge schon darauf verwiesen. 
Ganz im allgemeinen ist zu bemerken, daß die Beziehungen 
der holländischen Juden zu den europäischen Finanzen während 
des 18. Jahrhunderts offenbar sehr enge und weitverzweigte 
waren. Als ein symptomatisches Zeugnis für diese Tatsache 
kann eine Schrift dienen, die in unseren Kreisen wenig bekannt 
zu sein scheint (auch Däbritz hat sie, soviel ich sehe, in seiner 
verdienstvollen Arbeit nicht benutzt), und auf die ich wenigstens 


Digitized by 


Google 



74 


verweisen will. Sie trägt den langen Titel: Ephraim justifiö. 
Mömoire historique et raisonnö sur l’Etat passö, present et 
futur des finances de Saxe. Avec le parallele de TOeconomie 
prussienne et de l’Oeconomie Saxonne. Ouvrage utile aux 
Cröanciers et Correspondans , aux Amis et aux Ennemis de la 
Prusse et de la Saxe. Adresse par le Juif Ephraim de Berlin 
& son Cousin Manassös d’ Amsterdam. Erlangen. A l’enseigne 
de „Tout est dit“. 1785. 

Über die Geschichte der privaten Partialobligation wissen 
wir noch weniger als über die der öffentlichen Schuld- 
verschreibungen. Es scheint , als ob die Obligationen der 
holländisch-ostindischen Kompagnie (die im Gegensatz zu den 
Aktien von vornherein auf runde Beträge lauteten) die ersten 
ihres Geschlechts gewesen seien. Dann begegnen wir bei den 
Lawschen Gesellschaften einer Art von Obligation, insofern 
nämlich die Inhaber der Aktien, solange sie nicht einen be- 
stimmten (ziemlich hoch bemessenen) Minimalbetrag von Aktien 
zeichneten, nur mit einem festen Zinse abgefunden wurden (also 
kein Anrecht auf Dividende hatten). Aber recht eigentlich zur 
Entwicklung ist das Institut der privaten Partialobligation doch 
wohl erst in neuerer Zeit gekommen, seitdem sich die Aktien- 
gesellschaften so rasch vermehrt haben. Ich vermag also auch 
über den unmittelbaren Anteil, den die Juden an ihrer Ausbildung 
etwa gehabt haben, nichts Bestimmtes zu sagen. 

Sehr wahrscheinlich dagegen läßt sich machen, daß die Juden 
die Väter der privaten Obligation „höherer Ordnung“ sind, des- 
jenigen Typs nämlich, den ich als kollektive Partialobligation 
bezeichnet habe, und der im Grundbesitzkredit als Pfandbrief so 
weite Verbreitung gefunden hat. 

In allen Darstellungen der Hypothekarkreditorganisationen 
und ihrer Geschichte, die mir zu Gesicht gekommen sind, wird 
als erstes Pfandbriefinstitut die im Jahre 1769 (1770) von 
Friedrich H. errichtete Schlesische Landschaft angesehen, zu der, 
wie bekannt, „ein Berliner Kaufmann, namens Bühring (oder 
Büring) im Jahre 1767 die Anregung gegeben hatte“. Die 
Hypothekenbanken seien dann nichts anderes gewesen, als die 
Durchdringung des ursprünglich genossenschaftlichen Pfandbrief- 
verhältnisses mit dem Erwerbsprinzip. 

Diese Geschichtskonstruktion ist falsch. Der Pfandbrief, 


Digitized by 


Google 



75 


ebenso wie die Hypothekenbank sind im 18. Jahrhundert in 
Holland entstanden. Ihre Väter sind aller Wahrscheinlichkeit 
nach holländische Juden. Es wird uns nämlich berichtet, daß 
etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts holländische Bankiers 
den Pflanzern (Plantagenbesitzem) in den Kolonien dadurch 
Gelder verschafften, daß sie zinstragende Obligationen auf den 
Inhaber ausgaben und sich dafür die Besitzungen’ der Pflanzer 
mittels Hypotheken verpfänden ließen. Die Obligationen zirku- 
lierten an der Börse, „wie öffentliche Schuldverschreibungen“. 
Die Kaufleute (Bankiers), die diese Geschäfte machten, hießen 
„ correspondentie “ oder „Directeurs van de negotiatie“, französisch 
„correspondants“ , „negociants chargds de la correspondance“ ; 
die Pfandbriefe „obligatie“ oder „obligations“. Es waren offen- 
bar Privatbankiers, die hier die Geschäfte unserer heutigen 
Hypothekenbanken besorgten. Solche Pfandbriefe zirkulierten 
für 100 Millionen Gulden, bis schließlich (in den 1770er Jahren) 
ein großer Zusammenbruch der emittierenden Häuser erfolgte 
(aus genau denselben Gründen, nebenbei bemerkt, weshalb heute 
unsere Hypothekenbanken gelegentlich bankrott machen , vor 
allem wegen Überbeleihung der Grundstücke). Doch das gehört 
nicht hierher, wo nur nachgewiesen werden sollte, daß Pfand- 
brief und Hypothekenbank in Holland schon im 18. Jahrhundert 
in voller Blüte standen. Die Quelle, der ich diese wichtige Tat- 
sache entnommen habe, ist der im vorliegenden Falle natürlich 
durchaus zuverlässige Luzac, der an mehreren Stellen von dem 
Krache der Hypothekenbankiers spricht. Eine der darauf bezüg- 
lichen Ausführungen will ich hier im Wortlaut wiedergeben ; sie 
heißt 177 : 

„On imagina de lever de l’argent pour les colons par voie de nd- 
gociations gdndrales, auxquelles tout particulier pourrait prendre pari Lea 
avances dtaient faites sur des re$us ou des obligations k un ndgociant 
comrae directeur, de la mßme fa$on k peu prds & sur le mdme pied que 
les emprnnts se font pour les Souverains et pour les corps publice. Ce 
ndgociant comme directeur dtait ehargd de recevoir les produits des plan- 
tages, que les colons s'engageaient de lui envoyer & de fournir k leurs 
besoins. Les colons prenaient ces engagements par des actes d’hypothdque, 
faits en faveur des possesseurs des obligations, & ddlivrds au directeur. 
Pour donner plus de credit k ces ndgociations on y faisait intervenir deux 
ou trois personnes de rdputation comme commissaires , & qui, comme re- 
prdsentant ceuz qui faisaient les avances, devaient avoir soin de veilier k 
leurs intdrdts. Le directeur dtait d’ailleurs obligd de rendre tous les ans 


Digitized by 


Google 



76 


A ces commissaires compte de son Administration & de l’6tat de la nögocia- 
tion. On ne peut nier que l’idde d’int£resser de cette fa$on tont le public 
A l’£tat des colonies, de fournir aux personnes aisöes un mojen de pl&cer 
leur argent & aux colons la facilitä de trouver des avances, ne fnt trAa- 
bonne; aussi eut-elle da succös. Les obligations A la Charge des coions 
de Surinam eurent cours comme d’autres effets pu blies : eiles augmentArent 
la masse des objets de commerce & produisirent avec celles des autres 
colonies la circulation d’environ cent millions de florins: car on prötend 
que les avances faites de cette fa$on A la colonie de Surinam montent 4 
soixante millions & que celles qui sont faites aux autres colonies vont 4 
quarante millions. On ne saurait croire la facilit£ avec laquelle ces ndgo- 
ciations furent remplies; mais bientöt cette möme facilitö fut cause qu'elle 
ne se soutinrent pas & qu’on en abusa. On prüfend que les propriätaires 
de plantages trouvörent mojen de les faire 6valuer beaucoup au-dessus de 
leur valeur reelle; & que donnant ces fausses övaluations comme v6ri- 
tables, ils surent obtenir des avances bien au-delA de la väritable valeur 
de leurs plantages; tandis que ces avances n’auraient dü aller qu’A la cinq- 
huitiöme partie de cette valeur." 

Es findet sich nun in keiner der Darstellungen dieser Vor- 
gänge, die mir zu Gesichte gekommen sind, der ausdrückliche 
Hinweis, daß die hier geschilderten Spekulationen von jüdischen 
Bankiers ausgegangen wären. Für jeden aber, der die holländi- 
schen Geld- und Kreditverhältnisse im 18. Jahrhundert auch nur 
oberflächlich kennt, kann diese Tatsache gar nicht zweifelhaft 
sein. Wir wissen (und ich werde dafür noch Beweismaterial 
beibringen): daß in jener Zeit alles, was mit dem Geldleihe- 
geschäft, namentlich aber mit Börse und Spekulation in Holland 
nur irgendwie in Beziehung stand, von jüdischem Wesen durch- 
setzt war. Zu diesem durchaus schon hinreichenden Grunde all- 
gemeiner Natur kommt mm im vorliegenden Falle noch der besonders 
bemerkenswerte Umstand, daß jene Hypothekenkreditgeschäfte 
vornehmlich mit der Kolonie Surinam gemacht w;orden waren: 
von den 100 Millionen Gulden, die in Pfandbriefen ausgegeben 
waren, entfielen 60 Millionen auf Surinam. Surinam aber war, 
wie wir an anderer Stelle schon feststellen konnten, die Juden- 
kolonie par excellence. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß diese 
Kreditbeziehungen gerade zwischen Surinam und dem Mutter- 
lande um jene Zeit von andern als jüdischen Häusern hätten unter- 
halten werden sollen. 

* * 

* 


Digitized by t^ooQle 


77 


Das ist das, was ich an „quellenmäßigen“ Belegen für den 
Anteil der Juden an der Entwicklung der modernen Wertpapiere 
gefunden habe. Es weist gewiß noch viele Lücken auf und wird 
sich durch manchen neuen Zug ergänzen lassen, den die spätere 
Forschung hineinzuzeichnen berufen ist. Immerhin denke ich, 
kann schon jetzt der Gesamteindruck nur der sein , daß an der 
Versachlichung der Kreditverhältnisse in sehr beträchtlichem 
Umfange jüdische Männer beteiligt gewesen sind. Dieser Ein- 
druck wird nun noch ganz erheblich verstärkt, wenn wir in Rück- 
sicht ziehen, daß diejenige Einrichtung, die jenen Versach- 
lichungsprozeß recht eigentlich herbeigeführt oder doch ermög- 
licht und jedenfalls ganz wesentlich beschleunigt hat, aller Wahr» 
scheinlichkeit nach jüdischen Ursprungs ist; ich meine die 
Rechtsform des Inhaberpapiers. 

Daß das Streben des Schuldverhältnisses nach Versach- 
lichung erst im Inhaberpapier seinen reinen Ausdruck findet, 
kann nicht zweifelhaft sein. Erst im Inhaberpapier ist der Ver- 
pflichtungswille von seiner persönlichen Quelle ganz frei gemacht. 
Erst im Inhaberpapier wird die Loslösbarkeit des Rechtswillens 
durch Fixierung in einer Skriptur vollständig anerkannt. Das 
Inhaberpapier bedeutet, wie ein geistvoller Gelehrter es aus- 
gedrückt hat, die „Befreiung des menschlichen Geistes von den 
unmittelbar gegebenen Naturbezügen (oratio, verba)“ 178 und ist 
eben darum das geeignete Mittel, ein Verpflichtungsverhältnis zu 
„entpersönlichen“, zu versachlichen. Das Bedeutsame am Inhaber- 
papier für den Juristen ist naturgemäß die eigentümliche Beweis- 
kraft, die es besitzt : daß aus ihm der Berechtigte ein durchaus 
selbständiges, durch Einreden aus der Person des ersten Nehmers 
oder der andern Vordermänner an sich nicht zerstörbares Recht 
hat. Auch damit ist der Zustand rein sachlicher Beziehungen 
anerkannt: Diese Skripturrechtspapiere sind damit „Papiere 

öffentlichen Glaubens“ (Brunner) geworden, in denen der letzte 
Rest persönlicher Kreditbeziehungen ausgelöscht ist. 

Bekannt ist, daß sich die Inhaberpapiere zu dieser reinen 
Form langsam entwickelt haben, ^bekannt aber auch, daß wir 
einstweilen noch ziemlich wenig von dieser Entwicklung deutlich 
zu erkennen vermögen. Soviel ich sehe, schließen die bisherigen 
Forschungsergebnisse, soweit sie einwandfrei sind, die Richtig- 
keit der hier verfochtenen These jedenfalls nicht aus, die im 


Digitized by 


Google 



78 


Gegenteil, wie mir scheinen will, durch eine so große Reihe 
stichhaltiger Argumente gestützt wird, wie sie keine der andern 
Hypothesen auch nur entfernt aufzuweisen vermag. 

Inhaberpapiere hat es seit dem frühen Mittelalter in den 
europäischen Ländern (außer Großbritannien) gegeben. Der 
Rechtsverkehr schon der fränkischen Zeit und dann des deutschen 
und französischen Mittelalters kannte Schuldbriefe mit Ordre- 
und Inhaberklausel. Die Inhaberklausel muß ziemlich häufig an- 
gewandt sein, denn in den Rechtsbüchem wird sie oft, in der 
Rechtsprechung manchmal erwähnt 179 . 

Dann kommt eine Zeit des Niedergangs dieses Instituts, die 
seit der Rezeption des römischen Rechts ihren Anfang nimmt. 
Das römische Recht und die romanistische Jurisprudenz zersetzen 
allmählich das Recht des Inhaberpapiers. Ende des 16. Jahr- 
hunderts kommt diese Zersetzung zum Abschluß: der Inhaber 
muß sich durch Vollmacht oder wenn er im eigenen Namen 
klagen will, durch den Zessionsbeweis legitimieren. „Der starke 
romanische Luftzug, wie er sich unter dem Einfluß von Cujas 
und Dumoulin in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei 
der Revision der Coutumes und in der Praxis geltend machte, 
hat dem Rechtsinstitut des Inhaberpapiers die Seele ausgeblasen, 
indem er das Inhaberpapier zum schlichten Namenpapier degra- 
dierte“ (Brunner). 

Damals tauchte nun „plötzlich“ eine neue Form von Schuld- 
briefen auf: die „promesses en blanc“, „billets en blanc“, welche 
die Stelle, wo der Name des Gläubigers stehen sollte, leer ließen l8 °, 
also Blankopapiere, während gleichzeitig die Indossabilität des 
Ordrepapiers Fortschritte machte. 

Dann beginnt seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, nament- 
lich im 17. Jahrhundert, das Inhaberpapier sich „wieder“ zu 
entwickeln, und namentlich in Holland finden wir es während 
des 17. Jahrhunderts schon ziemlich verbreitet: für Staatspapiere, 
für die Obligationen der Ostindischen Kompagnie (die Aktien 
lauteten noch, wie wir sahen, auf den Namen), für Versicherungs- 
policen und für Lombardzettel 181 . 

Von Holland nimmt es dann seinen Weg überallhin; zunächst 
nach Deutschland, wo es uns im 17. Jahrhundert bei den Aktien 
der brandenburgischen Handelskompagnie, im 18. Jahrhundert 
bei den sächsischen Staatsschuldscheinen begegnet; dann nach 


Digitized by t^ooQle 



79 


Österreich, wo wir es ebenfalls unter Maria Theresia bei der 
Finanzverwaltung in Aufnahme kommen sahen; später nach 
Frankreich, wo es das ganze 17. und einen Teil des 18. Jahr- 
hunderts hindurch von der Gesetzgebung verboten ist; zuletzt 
nach England. 

Welchem Rechtskreise sind nun die Inhaberpapiere ent- 
sprossen? In welchem Interessenkreise sind sie zur Entwicklung 
gelangt? 

Nach den einen sind die Inhaberpapiere hellenischen 
Ursprungs. Das ist die Hypothese, die namentlich Gold- 
Schmidt vertreten hat 189 . Soviel ich sehe, hat Goldschmidt 
nicht viele Anhänger gefunden. Gegen die Richtigkeit seiner 
Hypothese sprechen die neueren Ergebnisse namentlich auch auf 
dem Gebiete der Papyrosforschung. „Schuldscheine, welche 
unsern Wechseln gleichkämen, lassen sich in den Papyri nicht 
nachweisen. Auch Inhaber- und Ordrepapieren begegnen wir 
nicht . . . Eine Vergleichung mit den inschriftlich uns erhaltenen 
griechischen Urkunden von Orchomenos und Amorges fährt zur 
Bestätigung dieser Auffassung. Nicht minder stark spricht zu 
ihren Gunsten ein Fragment eines gortynischen Gesetzes“, so 
spricht sich die neueste Arbeit auf dem Forschungsgebiete der 
hellenischen Rechtsgeschichte aus 188 . Nehmen wir immerhin an, 
das Vorkommen des Inhaberpapiers im griechischen Recht sei 
„kontrovers“ (die von Goldschmidt beigebrachten Stellen lassen 
ja erhebliche Zweifel zu), so müßte man doch, wie es Brunner 
getan hat 184 , gegen die Ableitung der modernen Inhaberpapiere 
aus denen in Griechenland das Bedenken erheben, daß zwischen 
den hellenischen und den fränkischen Urkunden ein Zeitraum von 
800 Jahren liegt und daß zwischen ihnen ein rechtsgeschichtlicher 
Zusammenhang irgend welcher Art sich nicht nachweisen läßt. 

Dem gegenüber nimmt die (wohl herrschende) Auffassung, 
zumal nach den Brunnerschen Forschungen, unbesehens an, daß 
die modernen Inhaberpapiere eine unmittelbare Fortsetzung der 
deutschrechtlichen Schuldscheine mit Inhaberklausel sind, an 
denen, wie wir sahen, schon das Mittelalter reich ist. Gegen 
die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen doch aber auch ge- 
wichtige Gründe. Auch zwischen den mittelalterlichen Urkunden 
und denen des 17. Jahrhunderts läßt sich wohl kaum eine lücken- 
lose Kontinuität nachweisen, nachdem das römische Recht, wie 


Digitized by 


Google 



80 


wir sahen, mit den alten Inhaberschuldscheinen germanistischer 
Herkunft so gründlich aufgeräumt hatte. Aber was mir immer 
die größten Bedenken verursacht hat, ist dieses: daß innerlich, 
dem Wesen nach, zwischen den alten und den modernen Inhaber- 
papieren doch nicht der geringste Zusammenhang besteht. Ge- 
wiß: „qui dabit hanc cartam u ist wörtlich die lateinische Über- 
setzung der Wendung: „dem Einlieferer dieser Banknote." Aber 
es hat doch geradezu etwas Komisches, wenn wir uns das 
13. Jahrhundert mit „Inhaberpapieren" in dem Sinne, den wir 
dem Worte beilegen, erfüllt denken. Ich komme auf die allem 
Wesen eines modernen Inhaberpapiers ganz und gar entgegen- 
gesetzte Grundauffassung des deutschen Vertragsrechts noch 
zurück. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß man ja ganz genau 
weiß — und es ist ein Verdienst Brunners, diesen Tatbestand 
gegen alle Einwände sicher gestellt zu haben — , welchen Sinn 
die Inhaber- oder Ordreklausel im alten deutschen Rechte hatte : 
sie sollte dazu dienen, die mangelnde Zessibilität der Forderung 
zu ersetzen, sollte die prozessuale Stellvertretung des Gläubigers 
möglich machen 186 . Ein Gedanke, der offenbar mit der unserm 
Inhaberpapier zugrunde liegenden Idee der Versachlichung eines 
Schuldverhältnisses auch nicht das allergeringste zu tun hat. 

Angesichts dieser doch mindestens nicht völligen Einwands- 
freiheit der herrschenden Auffassung muß es statthaft sein, eine 
dritte Hypothese zu vertreten, die meines Wissens bisher nur 
einmal von Kuntze flüchtig geäußert, von Goldschmidt 186 , 
Salvioli 187 u. a. mit wenigen Worten als falsch verworfen 
worden ist, die aber niemand bisher ernstlich zu begründen 
gewagt hat: die Hypothese, daß das moderne Inhaberpapier 
wesentlich jüdisch-rechtlichen Ursprungs sei. 

Daß diese Ableitung möglich ist, kann keinem Zweifel 
unterliegen, wenn wir uns der wesentlich gewohnheitsrechtlichen 
Entstehung der modernen „Skripturobligation" erinnern: einein 
Kaufmannskreisen, die stark mit jüdischen Elementen durchsetzt 
waren, in Übung gekommene Form der Schuldverschreibung kann 
sehr wohl in der Rechtsprechung und von da aus in dem statu- 
tarischen Rechte etwa der niederländischen Städte zur Anerkennung 
gebracht sein (auf die bedeutsamen Antwerpener Costume von 
1582 komme ich noch zu sprechen). 

Fragt sich nur, ob die Ableitung des modernen Inhaber- 


Digitized by t^ooQle 



81 


papiers aus dem talmudisch-rabbinischen Recht auch wahr- 
scheinlich ist. Ich stelle im folgenden die Gründe zusammen 9 
die, meiner Meinung nach, dafür sprechen. 

1. Bibel und Talmud kennen das „Inhaberpapier“, und zwar 
in völlig einwandfreier Form. 

Die Stelle in der Bibel findet sich in Tobias und lautet 
(in De Wettescher Übersetzung) wie folgt: 

4, 20. „Und nun zeige ich Dir die 10 Talente Silbers, die ich nieder- 

gelegt habe bei Gabael, dem [Bruder] Gabrias zu Rages in Medien . .“ 

5, 1. „Und Tobia antwortete und sprach: Vater, ich will alles tun, was 

Du mir geboten; 

2. Aber wie werde ich können das Geld in Empfang nehmen, da ich 
ihn nicht kenne? 

3. Da gab er ihm die Handschrift und sprach zu ihm: Suche Dir 
einen Mann, der mit Dir ziehe, und ich will ihm Lohn geben, 
während ich lebe, und so gehe hin, und nimm das Geld in 
Empfang." 

9, 1. „Und Tobia rief Raphael und sprach zu ihm: . . ziehe nach Rages 
in Medien zu Gabael und hole mir das Geld." 

5. „Da zog Raphael hin und kehrte bei Gabael ein und übergab ihm 
die Handschrift. Er aber brachte die Beutel mit den Siegeln und 
gab sie ihm." 

Die bekannteste Stelle im Talmud (Baba batra Fol. 172) 
lautet (in Goldschmidtscher Übersetzung 6, 1398) so: 

„Einst wurde in einem Gerichtskollegium R. Honas ein Schein 
vorgelegt, in welchem es hieß : Ich N., Sohn des N., habe von dir eine 
Mine geborgt. Da entschied R. Hona: Von Dir, auch vom Exiliarchen, 
von Dir, auch vom König Sapor." 

Die Anmerkung, die Goldschmidt dazu macht: „d. h. der 
Inhaber des Schuldscheins kann nicht nachweisen, daß er der 
Gläubiger ist und er braucht daher nicht bezahlt zu werden“ 
verkehrt den Tatbestand genau in sein Gegenteil; wie Gold- 
schmidt zu dieser seltsamen Auslegung kommt, die aller talmudisch- 
rabbinischen Jurisprudenz widerspricht, ist nicht einzusehen. 
Denn es ist gar nicht zweifelhaft, daß die Rabbiner während 
des ganzen Mittelalters die Rechtsform der Inhaberpapiere ge- 
kannt und aus der zitierten Talmudstelle abgeleitet haben. Damit 
berühre ich einen Punkt, den ich als zweites Argument für die 
Richtigkeit meiner Hypothese anführe: 

2. Die Kontinuität der Rechtsentwicklung, die zweifellos für 
das jüdische Inhaberpapier besteht. Sowohl die nicht unter* 

Sombart, Die Juden 6 


Digitized by t^ooQle 



82 


brochene Geschäftspraxis der Juden spricht dafür als auch die 
ebenso ununterbrochene Talmudexegese. Für jene bedarf es 
keines besonderen Nachweises, für diese führe ich folgende 
Rabbiner an, die sich mit dem Inhaberpapier beschäftigt haben 
und die ohne Zweifel ein lebendiges Recht aus der Talmudstelle 
herausgedeutet haben 188 : 

Vor allem R\ Ascher (1250—1327), dessen Bedeutung 
für die Praxis bekannt ist, und der Resp. 68, 6 und 68, 8 vom 
Inhaberpapier spricht. „Wenn einer sich zweien verpflichtet 
und in einer Klausel vermerkt: ,„ zahlbar dem Inhaber des Schuld- 
scheins von diesen beiden“*, so darf nur diesem gezahlt werden, 
denn ein solcher Schtar ist eben ein Inhaberpapier“ (Resp. 68, 6). 

R\ Josef Karo (16. sc.) im Choschen Mischpat: „Wenn 
in einer Verschreibung der Name des Verleihers nicht benannt ist, 
sondern sie lautet auf „Inhaber dieses“, so wird ein jeder 
bezahlt, der solche vorzeigt“ 61, 10; zu vergleichen sind 50; 
61, 4. 10; 71, 23. 

R’. Schabatai Cohen (17. sc.) im Schach (dem Kom- 
mentar Sziphe Cohen zum Ch. M.) 50, 7; 71, 54 (nach Auerbach). 

3. Vielleicht ganz unabhängig vom talmudisch-rabbinischen 
Recht haben die Juden aus der Geschäftspraxis heraus ein Wert- 
papier entwickelt, das an Unpersönlichkeit alle früheren und 
späteren Schuldbriefe übertroffen hat: den Mamre (Mamram, 
Mamran) 189 . Der Mamre soll während des 16. Jahrhunderts 
(oder noch früher) im Gebiete des polnischen Judentums ent- 
standen sein. Es war eine Blankourkunde: der Raum, auf den 
der Name des Gläubigers (zuweilen sogar auch der Betrag der 
Schuld) geschrieben werden sollte, wurde freigelassen und dann 
kam das Papier in den Verkehr. Die Zeugnisse der Rechts- 
gelehrten, zum Teil auch richterliche Entscheidungen lassen keinen 
Zweifel darüber, daß der Mamre während dreier Jahrhunderte 
ein sehr beliebtes Geschäftspapier gewesen ist, das auch im Ver- 
kehr zwischen Juden und Christen zur Anwendung gelangte. 
Das Bedeutsame ist, daß die Rechtsmerkmale des vollentwickelten, 
modernen Inhaberpapiers im Mamre schon vereinigt sind, 
nämlich : 

a) der Inhaber handelt im eigenen Namen; 

b) Einreden aus den persönlichen Beziehungen des Schuldners 
zu den Vorinhabem sind unzulässig; 


Digitized by 


Google 



83 


•c) der Schuldner kann keinen Nachweis der Zession oder 
Indossierung verlangen; 

4 ) wenn der Schuldner ohne Vorzeigung des Mamre schon 
bezahlt hat, deliberiert er sich nicht; 
e) die heutigen Formen der Nichtigkeitserklärung sind schon 
in Anwendung (im Falle des Verlustes oder Diebstahls teilt 
der Inhaber dies dem Schuldner mit ; eine Bekanntmachung 
wird vier Wochen lang an der Synagoge angeschlagen, 
worin der jetzige Inhaber ersucht wird, sich zu melden; 
nach Ablauf dieser Frist macht der Anzeiger seine Forderung 
geltend). 

4. An mehreren wichtigen Punkten scheint sich auch äußer- 
lich eine Beeinflussung der Rechtsentwicklung durch jüdische 
Elemente nachweisen zu lassen. Ich denke vornehmlich an 
folgendes : 

a) als „plötzlich“ (kein Mensch weiß woher) während des 

16. Jahrhunderts an verschiedenen Stellen Europas Blanko- 
papiere auftauchten : stammten sie nicht vielleicht aus den 
Kreisen der jüdischen Geschäftsleute, die sie nach Art des 
Mamre gewiß schon längere Zeit im Gebrauch hatten? 
Wir begegnen ihnen in den Niederlanden 190 , in Frank- 
reich 191 , in Italien 193 . In den Niederlanden tauchten sie 
Anfang des 16. Jahrhunderts auf den Antwerpener Messen 
auf, als dort die Juden eine größere Rolle zu spielen be- 
gannen. Eine Verordnung Karls des V. vom Jahre 1536 
berichtet ausdrücklich : die Waren wurden auf den Messen 
zu Antwerpen gegen Inhaberschuldscheine verkauft; diese 
konnten vor Verfall ohne besondere Zession an Dritte in 
Zahlung gegeben werden. Die Fassung des Textes belehrt 
uns, daß jene Gewohnheit, Schuldscheine in Zahlung zu 
geben, sich erst seit kurzem eingebürgert hatte. Die Ver- 
ordnung erklärte übrigens diese Inhaberschuldscheine für 
eine Formalobligation nach Art des Wechsels. Was waren 
das für seltsame Papiere? Christianisierte Mamrem? Noch 
jüdischer muten uns die Blankopapiere an, denen wir im 

17. Jahrhundert in Italien begegnen. Ich denke an das 
erste uns bekannte Blanko-Indossament, das die jüdische 
Wechslerfirma Giudetti in Mailand ausstellte. Die Campsores 
Giudetti in Mailand hatten einen Wechsel über 500 Scudi 

6 * 


Digitized by t^ooQle 



84 


ausgestellt, zahlbar durch Joh. Bapt. Germanus auf den 
nächsten nundinae Sanctorum in Novi all’ordine senza 
procura di Marco Studendolo in Venezia; die Valutaklausel 
lautete per la Valuta conta. Studendolus übersandte den 
Wechsel an die Gebrüder de Zagnoni in Bologna, und zwar 
„cum subscriptione ipsius Studendoii relicto spatio sufficienti 
in albo ad finem illud replendi pro ea girata et ad favorem 
illius cui Zagnoni solutionem fieri maluissent.“ Der uns 
diesen Fall mitteilt 99 , bemerkt dazu: „Eaum würde der 
italienische Verkehr auf einen solchen Ausweg gekommen 
sein, wenn er nicht anderswo ein Vorbild dafür gehabt 
hätte. Und ein solches bot sich ihm im — französischen 
Recht, wo seit Anfang des 17. Jahrhunderts Blankopapiere 
in voller Verkehrsübung waren.“ Der erste Satz mag zu 
Recht bestehen. Zum zweiten ist man versucht, anmerkend 
zu fragen: woher kam die Übung in Frankreich? Doch 
wohl aus den Niederlanden? Übrigens kann auch in Italien 
marranischer Einfluß direkt mitgespielt haben. Studendolo (?) 
in Venedig! Giudetti in Mailand! 

b) Bahnbrechend für die Entwicklung des Rechts der modernen 
Inhaberpapiere wird die Antwerpener Costume von 1582, 
in der dem Inhaber zum ersten Male ein Klagerecht zu- 
erkannt wird 198 . Von Antwerpen verbreitet sich diese 
Rechtsauffassung rasch nach Holland weiter: ungefähr so 
rasch wie die aus Belgien nach Holland auswandernden 
Familien sich in dem neuen Lande verbreiten 194 . 

c) In Deutschland drangen (wie schon erwähnt wurde) die 

Inhaberpapiere in die Staatsschuldenverwaltung von Sachsen 
her ein. Hier war die 1748 auf dem Landtage bewilligte 
Anleihe zum ersten Male auf Inhaberpapiere gestellt. In 
der Motivierung heißt es: „Weil auch aus bisheriger 

Observanz sich zutage geleget, daß durch Einrichtung 
der Steuerscheine auf Briefes Inhaber alle weitläufigen 
gerichtlichen Cessiones und Transactiones , dem Kredit 
und Creditoribus zum besten abgekürzet worden, so hat 
es dabei ferner sein Verbleiben.“ Im Jahre 1747 hatte 
ein Abenteurer Bischopfield dem Minister den Plan einer 
„Leib* und Familien-Renten-Negotiation" vorgelegt: „Bischop- 
field stand, wie es scheint, mit holländischen Juden in 


Digitized by 


Google 



85 


Verbindung“ 1#B . Gegen die Spekulation der holländischen 
Juden in sächsischen Staatspapieren richtet sich das Mandat 
vom 20. September 1751. Und während auf der einen 
Seite die holländischen Juden Sachsens Finanzwesen be- 
einflußten, kamen von der andern Seite die Einflüsse der 
polnischen Juden durch die Verbindung des chursächsischen 
Fürstenhauses mit Polen. Diese notorische Mitwirkung 
der jüdischen Finanzmänner und Kaufleute bei der Moder- 
nisierung der sächsischen Finanzen war es, die Kuntze 
zu der Vermutung kommen lieh, „daß (für die Anwendung 
des Inhaberpapiers) der Gebrauch des Mamre als Anhalt 
und Muster gedient habe“ 196 . 

d) Zu den ersten Papieren, bei denen die Inhaberklausel in 
neuerer Zeit wieder angewendet wurde, gehörten die See- 
versicherungspolicen, „quas vocant caricamenti.“ Es wird 
uns nun ausdrücklich berichtet, daß es die jüdischen 
Kaufleute aus Alexandrien waren, die sich zuerst der 
Formeln „o quäl si voglia altera persona“, „et quaevis 
alia persona“ , „sive quamlibet aliam personam“ be- 
dienten 19T . 

Diese Feststellung erscheint mir nun aber noch aus einem 
andern Grunde wichtig: weil wir nämlich bei dieser Gelegenheit 
gleichzeitig über die Gründe unterrichtet werden, die „die 
jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ veranlagten , sich der 
Rechtsform der Inhaberpapiere zu bedienen. Und damit berühre 
ich einen Punkt, auf dessen Hervorkehrung ich das allergrößte 
Gewicht lege. Viel bedeutsamer als alle Nachweise eines äußer- 
lich wahrnehmbaren Zusammenhangs zwischen Juden und In- 
haberpapier (die sich sicher noch vermehren lassen) erscheint 
mir der Umstand, daß wir die Vaterschaft der Juden für die In- 
haberpapiere aus zwingenden inneren Gründen annehmen müssen. 
Denn so unmodern diese Auffassung ist, ich wage sie doch mit 
allem Nachdruck immer wieder zu vertreten : die geringste Ratio 
•eines Ereignisses gilt mir ebensoviel wie die „quellenmäßigen“ 
Nachweise aus tausend Urkunden. 

Die inneren Gründe aber, die die Ableitung der modernen 
Inhaberpapiere aus dem jüdischen Recht (oder der jüdischen 
Praxis) nahe legen, sind 

5. das Interesse, das die Juden in besonders hohem 


Digitized by 


Google 



86 


Maße und in mancher Beziehung nur die Juden an der Rechts- 
form des Inhaberpapiers hatten. 

Was bewog denn „die jüdischen Kaufleute aus Alexandrien“ 
dazu, die Inhaberklausel in ihre Policen aufzunehmen? Straccha 
(a. a. 0.) teilt es uns mit: die Angst um ihre Schiffsladungen. 
Diese nämlich schwebten in der Gefahr, von den christlichen Piraten,, 
von dem Navarch und Präfekten der katholischen kgl. Flotte ge- - 
kapert zu werden, da die Waren der Hebräer und Türken von 
ihnen als Freibeute angesehen wurden. „Die jüdischen Kauf- 
leute aus Alexandrien“ setzten nun in die Police einen beliebig' 
erdichteten christlichen Namen, z. B. Paulus oder Scipio, ein und 
nahmen doch die Waren in Empfang — dank der hinzugefügten 
Inhaberklausel. 

Wie oft aber, während des ganzen Mittelalters und noch in 
der neueren Zeit, muß dieses Motiv bei den Juden: durch irgend 
eine Vornahme sich als den eigentlichen Empfänger einer 
Sendung, einer Schuld usw. zu verbergen, wirksam gewesen seinl 
Und da bot sich die Form des Inhaberpapiers als das will- 
kommene Mittel dar, jene Verborgenheit zu bewirken. Die In- 
haberpapiere gewährten die Möglichkeit, Vermögen verschwinden 
zu lassen, bis eine Verfolgungswelle über die Judenschaft eines 
Ortes hinweggegangen war. Die Inhaberpapiere gestatteten den 
Juden, ihr Geld beliebig wo anzulegen und im Augenblick, da 
es gefährdet wurde, durch einen Strohmann beheben zu lassen 
oder ihre Forderungen zu übertragen, ohne die geringste Spur 
ihres früheren Besitzes zu hinterlassen. (Nebenbei bemerkt: die 
schier unerklärliche Tatsache, daß den Juden während des Mittel- 
alters alle Augenblicke ihr „ganzes Vermögen“ abgenommen 
wurde, und daß sie nach ganz kurzer Zeit wieder reiche Leute 
waren, wird ihre Aufhellung gewiß zum Teil von der Seite der 
hier erörterten Probleme finden: es wurde eben den Juden 
nie ihr ganzes Vermögen abgenommen, ein beträchtlicher Teil 
war auf einen Strohmann übertragen worden.) Es ist, wie mir 
scheint, mit Recht darauf hinge wiesen 1 98 worden, daß diese Ver- 
bergungszwecke allerdings die Form des reinen Inhaberpapiers er- 
heischten, aber auch nur sie, während alle übrigen Zwecke, die 
man im Mittelalter mit der Inhaberklausel verband (also vor allem 
die Erleichterung der Stellvertretung vor Gericht), ebenso gut 
oder besser durch die alternative Inhaberklausel erreicht wurden- 


Digitized by 


Goo e 



87 


Ein wesentliches Interesse an der Ausbildung des Inhaber- 
papiers (richtiger: an seiner Verbreitung, denn in ihren Kreisen 
bestand es ja von jeher) gewannen die Juden, seit sie (wie wir 
noch genauer verfolgen werden) die börsenmäßige Spekulation in 
Waren und Effekten zu entwickeln begannen. 

In welch raffinierter Weise die Rechtsform des Inhaber- 
papiers zur Durchführung von Warentermingeschäften schon im 
17. Jahrhundert ausgenutzt wurde, zeigt uns ein Amsterdamer 
Gutachten vom Jahre 1670 (es handelt sich um eine ä la hausse- 
Spekulation in Walfischbarten, die der Spekulant durch Ein- 
schiebung von Strohmännern zu cachieren versucht 199 ). 

Und dann mußte natürlich der Spekulationshandel in Effekten 
die Einbürgerung des Inhaberpapiers ungemein begünstigen. Ins- 
besondere, seit die Juden anfingen, sich mit der Emittierung von 
Effekten gewerbsmäßig zu befassen, mußte ihr ganzes Sinnen 
darauf gerichtet sein, dem Inhaberpapier immer weitere Ver- 
breitung zu verschaffen. Es ist einleuchtend, daß die Unter- 
bringung kleiner Schuldbeträge bei einer großen Anzahl von Per- 
sonen, namentlich bei öffentlichen Schuldverschreibungen, ohne 
die Erleichterungen und Vereinfachungen, die das Inhaberpapier 
gewährte, fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Man bringt des- 
halb auch mit Recht die Entwicklung der gewerbsmäßigen 
Emissionstätigkeit und die der Inhaberpapiere in einen ursäch- 
lichen Zusammenhang 900 . 

Wie sehr das geschäftliche Interesse, genauer: der Wunsch, 
den börsenmäßigen Handel in Effekten zu erleichtern und zu 
fördern, bei den Juden maßgebend bei der Ausbildung und Hand- 
habung des Inhaberpapiers war, erkennen wir auch aus gelegent- 
lichen Äußerungen der Rabbiner. So lautet eine sehr lehrreiche 
Stelle bei R\ Schabbatai Cohen (Schach 50, 7) (nach der 
Übersetzung bei Auerbach, 281) wie folgt: 

„Der Käufer des Inhaberp&piers hat gegen den Schuldner eine Forde- 
rung auf Schadenersatz, wenn der Schuldner gegen eine chirographische 
Quittung oder gar ohne diese, so daß eine Publizität der Zahlung nicht 
hervorgebracht wurde, zahlte, um nicht den Handel mit solchen 
Papieren zu gefährden. Wenn auch R\ Ascher und Konsorten von 
Schtarot jede Verordnung, die die Rabbiner überhaupt zur Ausbreitung 
des Handels eingeführt hatten (!), fernhalten, weil ein Handel mit Schuld- 
scheinen ihrer umständlichen Übertragung wegen nicht stark sein kann, 
so sprechen diese Autoren es nur für Schtarot (resp. Chirographien) als 


Digitized by 


Google 



88 


Rektapapiere aus, bei Inhaberpapieren hingegen, deren Umsatz 
in jetziger Zeit — also im 17. Jahrhundert — ein bedeutend 
größerer ist als der Umsatz von Mobilien, sind alle Ver- 
ordnungen der Rabbiner für eine Ausdehnung des Handels 
sehr zu berücksichtigen." 

Und damit habe ich schon wieder einen neuen Punkt be- 
rührt, dessen Hervorhebung mir abermals wichtig erscheint. Ich 
meine nämlich, daß aus diesen Worten des Rabbi ein ganz be- 
stimmter „Geist“, ein sehr klarer „Rechtswille“ spricht, und ich 
glaube, daß diese Äußerung keine vereinzelte ist. Wenn wir 
nämlich das jüdische Recht der Inhaherpapiere in seiner Ganz- 
heit überblicken und in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen 
trachten, so bemerken wir unzweifelhaft (und damit mache ich 
den allertriftigsten Grund geltend, der für die Richtigkeit meiner 
Hypothese spricht), daß 

6. die Idee des Inhaberpapiers sich zwanglos aus dem 
innersten Wesen, aus dem „Geiste des jüdischen Rechtes“ ab- 
leiten läßt; daß die Rechtsform des Inhaberpapiers dem jüdischen 
Rechte ebenso gemäß ist, wie sie dem römischen und dem 
germanischen Rechte ihrer innerster Natur nach fremd sein mußte, 
weil sie ein unpersönliches Schuldverhältnis begründet. 

Daß die spezifische Auffassung des römischen Rechtes von 
der Obligation eine ganz und gar persönliche Färbung trug, ist 
bekannt: die Obligatio war eine Bindung zwischen den Personen 
und demzufolge auch zwischen ganz bestimmten Personen. Die 
Bestimmung für ihr Zustandekommen : daß zwei oder mehr Per- 
sonen „ex diversis animi motibus in unum consentiunt, id est in 
unam sententiam decurrunt“ (Ulp. L. I, § 3 D. de pact. 2, 14). 
Die Konsequenz dieser Auffassung war dann die , daß der 
Gläubiger seine Forderung eigentlich überhaupt nicht übertragen 
konnte, und wenn er es doch tun wollte, er es nur unter sehr 
schweren Bedingungen tun konnte. Wenn auch im späteren 
römischen Rechte durch die Ausbildung der Delegations-, 
Novations- und insbesondere der Zessionslehre die Forderungen 
etwas freier übertragbar wurden : an dem persönlichen Charakter 
der Obligation ist dem inneren Wesen nach nichts geändert. Vor 
allem behielt der Schuldschein seinen ursprünglichen Charakter 
bei: er war nur akzessorisches Beweismittel. Trotz seiner 

konnten allerhand Einreden gegen eine aus ihm folgende Zahlungs- 


Digitized by 


Google 



89 


pflicht erhoben werden, Einreden aus den persönlichen Verhält- 
nissen zum ersten Gläubiger oder einem seiner Nachfolger. 

Aber diesen grundpersönlichen Zug trug doch das deutsche 
Vertragsrecht wohl auch. Ja bis zu einem gewissen Grade war 
er in ihm stärker ausgeprägt als im römischen. Das germanische 
Recht hatte den Grundsatz, daß der Schuldner keinem andern 
zu leisten verpflichtet sei, als demjenigen, welchem zu leisten er 
versprochen hatte. Die Forderung war überhaupt nicht über- 
tragbar (wie denn das englische Recht bis 1873 an der Unüber- 
tragbarkeit der Forderung grundsätzlich festgehalten hat). Erst 
mit der Rezeption des römischen Rechts dringt die Übertragbar- 
keit der Forderungen in Deutschland ein. Und eben wegen 
dieses starr persönlichen Charakters, um die mangelnde Zessi- 
bilität der Forderungen zu umgehen, behalf man sich ja (wie wir 
sahen) mit der Eselsbrücke der Ordre- und Inhaberklausel. Ich 
meine doch: damit ist deutlich genug ausgedrückt, daß das In- 
haberpapier als „Verkörperung“ eines rein unpersönlichen Schuld- 
verhältnisses ganz und gar außerhalb des Ideenkreises des 
deutschen Rechtes gelegen war: gerade das Vorkommen der In- 
haberklausel beweist das. 

Jenen Rechtsgedanken, der den modernen Ordre-Inhaber- und 
Blankopapieren zugrunde liegt: „daß nämlich die Urkunde auch 
in der Hand jedes folgenden (sukzessive) z. Z. der ersten Be- 
gabung noch völlig imbestimmten Nehmers Träger des beurkunde- 
ten Rechts ist“ , hat „weder das Altertum noch auch nur das 
Mittelalter voll entwickelt“ 201 . 

Diese Auffassung ist zweifellos richtig, wenn man eine Ein- 
schränkung hinzufügt: soweit nicht das jüdische Recht in Betracht 
gezogen wird. Denn daß dieses jenes, durch das moderne In- 
haberpapier ausgedrückte, „sachliche“ Schuld Verhältnis kannte, 
dürfte sich unschwer nach weisen lassen 202 . 

Die Grundidee des jüdischen Obligationenrechts ist die: es 
gibt auch Verpflichtungen gegen unbestimmte Personen; man 
kann auch mit Herrn Omnis Geschäfte abschließen. Dieser Grund- 
gedanke ist in den einzelnen Lehren wie folgt verankert: 

Das jüdische Recht kennt kein Wort für Obligation, sondern 
nur eines für Schuld (Chow), eines für Forderung (Thwia). 
Forderung und Schuld werden im jüdischen Recht als selb- 
ständige Gegenstände angesehen. Ein sehr charakteristischer 


Digitized by 


Google 



90 


Beleg für die Bechtsidentitfit einer Forderung und Verpflichtung 
an sich mit einer körperlichen Sache ist die Entstehung eines 
Forderungsrechtes durch das Erwerbssymbol. Selbstverständlich 
ist demnach, daß gegen die Übertragung von Forderungen und 
gegen die Stellvertretung zur Abschließung eines Vertrages kein 
gesetzliches Hindernis besteht. Die Person, gegen welche eine 
Forderung oder Verpflichtung vorhanden ist, braucht daher nicht 
an sich bestimmt zu sein, sondern sie kann auch ihre Be- 
stimmung durch den Besitz gewisser Sachen und Eigenschaften 
erlangen, sodaß sich die Forderung oder Verpflichtung eigentlich 
gegen die Sache oder Eigenschaft richtet, und nur, um den 
persönlichen Charakter des obligatorischen Verhältnisses zu 
wahren, direkt auf den Inhaber dieser Gegenstände oder Eigen- 
schaften sich beziehen muß. 

Das obligatorische Rechtsverhältnis geht zwar von seinen 
Subjekten aus, aber es wird, sobald es entstanden ist, in seinen 
beiden Faktoren, Forderung und Verpflichtung (siehe oben Dar- 
gelegtes), zu einer in sich begründeten, absoluten, von jeder 
Individualität getrennten Substanz, deren Kräfte und Eigen- 
schaften sich sinnlich in den Handlungen beliebiger Personen 
darstellen. Daher eben die Auffassung: daß eine Verpflichtung 
ebenso wie gegen einen bestimmten Gläubiger, auch gegen die 
Gesamtheit aller Menschen, gegen die Allgemeinheit entstehen 
kann. Demnach findet eine Übertragung der Obligation durch 
bloße Überlieferung des Papiers statt, da ja das Geschäft, das 
vermittels des Papiers mit dem Publikum eingegangen ist, sich 
ebenso auf den Zessionär wie auf den Zedenten bezieht. Der 
Inhaber des Papiers ist also gleichsam Mitglied einer Gesamt- 
gläubigerschaft (dies ist die juristische Konstruktion Auerbachs). 

Es liegt also (wie man denselben Gedanken mit anderer 
Wendung ausdrücken kann) im jüdischen Recht keine Nötigung 
vor, unter den Subjekten einer Obligation Personen zu denken. 
Auch Eigenschaften oder Sachen können durch ihre natürlichen 
Vertreter eine Obligation bilden. Der Wille des Herrn kann auf 
eine Sache übertragen werden, wodurch dem leblosen Gegen- 
stände die einem Rechtssubjekt notwendige Willensmanifestation, 
also ein Tatbestand, der durchaus nicht in der Natur des Rechts- 
subjekts eine Begründung zu haben braucht, zugesprochen werden 
soll. Beim Inhaberpapier kann denn auch der Inhaber als 


Digitized by t^ooQle 


91 


Gläubiger nur insoweit als Gläubiger erklärt werden, als er das» 
Papier inne hat: der übrige Teil seiner Persönlichkeit tritt gar 
nicht in den Schuldnexus und das Verpflichtungsverhältnis ein. 
Also ändert sich auch mit der Übertragung des Papiers im 
Grunde der Gläubiger gar nicht, da von dem neuen Inhaber 
wieder nur gleichsam eine Abstraktion, nämlich nur derjenige 
Teil von allen seinen individuellen Eigenschaften in die Gläubiger- 
schaft eintritt, der ihn als den Besitzer des Papiers kenn- 
zeichnet. Die Rechtssubjekte sind die bestimmten Eigenschaften 
an Personen, die tätigen Personen an sich sind die Träger, die 
Vertreter jener Rechtssubjekte. 

Eine gewiß kühne Konstruktion, die zum Teil deutlich subjek- 
tive Färbung trägt. Was aber aus einer vorurteilsfreien Prüfung 
des von Auerbach beigebrachten Materials sich wohl für jeden 
ergibt , ist die so sehr viel abstraktere Grundrichtung des 
jüdischen Rechts, die einer unpersönlichen, „sachlichen" Auf- 
fassung vom Rechtsverhältnis im schroffen Gegensatz zum 
römischen und altgermanischen Rechte die Wege ebnet. Daß 
aber aus einem solchen „Geiste“ ein Rechtsinstitut, wie daä 
moderne Inhaberpapier, wie von selbst herauswachsen mußte, 
scheint mir keine übermäßig gewagte Annahme zu sein. Sodaß 
zu allen äußeren Gründen noch dieser tief innerliche Grund einer 
Übereinstimmung der Wesenheit des Inhaberpapiers mit der 
Wesenheit der gesamten jüdischen Rechtsauffassung hinzukommt, 
um die von mir aufgestellte Hypothese zu stützen: daß das 
Rechts- (und Verkehrs I-) Institut des modernen Inhaberpapiers 
in der Hauptsache (natürlich werden andere Einflüsse mitgewirkt 
haben) jüdischen Ursprungs ist. 

II. Der Handel mit Wertpapieren 

1 . Die Ausbildung des Verkehrsrechts 

In den modernen Wertpapieren, die wir Effekten nennen, 
kommt der kommerzialistische Zug unseres Wirtschaftslebens am 
deutlichsten zum Ausdruck. Das Effekt ist seinem inneren Wesen 
nach dazu bestimmt, „in den Verkehr“ zu kommen. Es hat 
seinen Beruf verfehlt, wenn es nicht gehandelt wird. Man könnte 
zwar einwenden, daß ein sehr großer Teil der Effekten ein geruh- 
sames Dasein in dem Geldschrank des Rentners führt und von 
seinem Besitzer nur als Renteninstrument, nicht als Handels- 


Digitized by t^ooQle 



92 


Objekt betrachtet wird, das er behalten, nicht verkaufen will» 
Aber als solches Besitzobjekt im ruhenden Zustande funktioniert 
das Wertpapier gar nicht als Effekt, es brauchte um diese Rolle 
zu spielen, gar nicht es selber zu sein : eine irgendwelche persön- 
liche Schuldurkunde könnte denselben Dienst leisten» Spezifisch 
ist ihm nur seine leichte Verkäuflichkeit und nur um derentwillen 
muhte jener mühsame Prozeß der Versachlichung vollzogen 
werden. Alle Eigenart, die unser Wirtschaftsleben durch di© 
Ausbildung der Effekten erfährt, beruht ausschließlich in d^ren 
Beweglichkeit, die sie zum raschen Besitzwechsel geeignet machen. 
Das sind ja Selbstverständlichkeiten, die ich nur um des Zu- 
sammenhanges willen hier aussprechen mußte. 

Ist aber der Lebensberuf des Effekts der, leicht und mühelos 
von Hand zu Hand zu gleiten, so sind für die Entwicklung des 
Effektenwesens alle diejenigen Einrichtungen von entscheidender 
Bedeutung, die den Besitzwechsel dieser Vermögenswerte er- 
leichtern. Zu diesen Einrichtungen gehört in erster Linie ein 
passendes Recht. Passend für den gedachten Zweck ist aber 
ein Recht dann, wenn es eine rasche Entstehung neuer Be- 
ziehungen zweier Personen zueinander oder einer Person zu 
einer Sache möglich macht. 

Beruhen die Lebensbedingungen einer Gesellschaft darin, 
daß jedes Ding der Regel nach in den Händen eines und des- 
selben Eigentümers verbleibt — wie etwa in einer eigenwirt- 
schaftlich organisierten Volksgemeinschaft — , so wird das Recht 
alles aufbieten, um die Beziehungen zwischen Person und Sache 
so fest wie möglich zu gestalten, während umgekehrt, wenn die 
Bevölkerung auf dem unausgesetzten Neuerwerbe von Gütern ihr 
Dasein aufbaut, das Recht grundsätzlich auf Sicherung des Ver- 
kehrs ausgerichtet sein wird. Wiederum Selbstverständlichkeiten, 
deren Erwähnung uns nun aber mitten in das hier zur Erörterung 
stehende Problem hineingeführt hat. 

Und zwar so: unser reges Verkehrsleben, vor allem aber 
der Handel mit Wertpapieren, heischt namentlich ein Besitz- 
recht, das die Vernichtung alter und die Entstehung neuer 
Rechtsbeziehungen nach Möglichkeit erleichtert , also gerade 
das Gegenteil von dem bestimmt, was etwa das deutsche und 
das römische Recht anstrebten. Diese beiden erschwerten den 
Eigentumsübergang in jeder Hinsicht und versuchten, die Eigen- 


Digitized by 


Google 



93 


tumsbeziehungen vor allem auch dadurch zu festigen, daß sie 
dem Eigentümer eine weitreichende Vindikationsbefugnis ver- 
liehen. Insbesondere konnte nach römischem und älterem 

deutschen Recht der Eigentümer ein ihm unrechtmäßig ab- 
handen gekommenes Gut auch vom gutgläubigen Besitzer ohne 
Entschädigung zurückfordern. Dem gegenüber steht der in das 
moderne Recht fast durchgängig übergegangene Satz, daß die 
Auslieferung nur gegen Erstattung der Summe zu erfolgen braucht, 
die der jetzige Besitzer gezahlt hat, wenn nicht etwa überhaupt 
keine Verpflichtung des gutgläubigen Erwerbers besteht, die 
Sache dem früheren Eigentümer herauszugeben. 

Woher nun dieser den älteren Rechten fremde Grundsatz 
unserer modernen Gesetzgebungen? Antwort: aller Wahr- 
scheinlichkeit nach aus dem jüdischen Rechtskreise, in dem von 
jeher das verkehrsfreundliche Recht gegolten hat. 

Den Schutz des gutgläubigen Erwerbers finden wir schon 
im Talmud ausgesprochen. Die Mischna in B. Q. 114b, 115 a 
lautet also: „Wenn jemand seine Geräte oder seine Bücher im 
Besitze eines anderen erkennt, so soll, falls ein bei ihm verübter 
Diebstahl in der Stadt bekannt geworden ist, der Käufer schwören, 
wieviel er dafür bezahlt hat und sein Geld erhalten, wenn aber 
nicht, so ist er dazu nicht berechtigt, denn man nehme an, daß 
er sie an jemand verkauft und dieser sie von jemand gekauft 
hat a (Übersetzung Goldschmidt 6, 430). Also auf jeden Fall 
kann der gutgläubige Erwerber Schadenersatz verlangen; unter 
bestimmten Umständen kann er die Sache ohne weiteres behalten. 
Die Gemara schwankt zwar; aber im allgemeinen kommt sie 
doch auch zu dem Entscheide : dem gutgläubigen Erwerber muh 
„Marktschutz" gewährt werden; der Eigentümer muß ihm den 
gezahlten Preis ersetzen. 

Diese verkehrsfreundliche Auffassung des Talmud haben 
dann die Juden während des ganzen Mittelalters in ihrem Rechte 
beibehalten und — was das Wichtigste ist — sie haben schon 
frühzeitig durchgesetzt, daß sie auch in der Rechtsprechung 
christlicher Gerichte zur Anwendung gelange. Für den Erwerb 
beweglicher Sachen durch Juden hat Jahrhunderte lang ein be- 
sonderes Judenrecht in Geltung gestanden; es hat seine erste 
Anerkennung in dem Privileg gefunden, das König Heinrich IV. im 
Jahre 1090 den Juden Speiers erteilt: „Wird bei einem Juden 


Digitized by 


Google 



94 


eine gestohlene Sache gefunden und behauptet der Jude, sie 
gekauft zu haben, so darf er mit dem Eide nach seinem Gesetze 
erhärten, für welche Summe er sie gekauft habe ; zahlt ihm dann 
soviel der Eigentümer, so soll er sie diesem dafür herausgeben." 
Dieses besondere jüdische Recht finden wir nicht nur in Deutsch- 
land, sondern auch in anderen Ländern (in Frankreich schon 
Mitte des 12. Jahrhunderts) in Anwendung 808 . Im Sachsen- 
spiegel ist es UJ, 7, § 4 aufgenommen. Es scheint, daß der 
wichtige Rechtsgrundsatz dann durch die neueren Kodifikationen 
zu allgemeiner Geltung erhoben worden ist. Goldschmidt, 
der „den Ausschluß der Vindikation sogar gestohlenen Gutes in 
dritter Hand“ ebenfalls auf jüdisch-rechtlichen Ursprung zurück- 
führt, nimmt einen Einfluß der jüdischen Rechtsauffassung vor 
allem auf das Handelsgewohnheitsrecht 804 an (obwohl er 
im allgemeinen die Bedeutung der Juden für die Entwicklung 
-des Handels und des Handelsrechts zu verkleinern, wenn nicht 
überhaupt zu leugnen krampfhaft bemüht ist. Es gibt nämlich 
im Grunde gar keine Juden I) 

2. Die Börse 

Aber die Hauptsache war natürlich, daß für die Wertpapiere 
ein ihnen angemessener Markt geschaffen wurde. Und das war 
die Börse. 

Wie die Gegenstände, die man in den Handel bringen wollte, 
versachlichte Forderungsrechte waren, so wurde in der Börse 
•der Handel damit ebenfalls seiner persönlichen Färbung entkleidet. 
Denn das ist das Wesen der Börse und unterscheidet sie von 
anderen Märkten. Die Verträge, die hier abgeschlossen werden, 
sind nicht mehr in ihren einzelnen Bestandteilen der Ausfluß 
persönlicher Bewertung und persönlichen Befundes, sondern 
kommen durch das Zusammenwirken untereinander fremder 
Personen zustande. Nicht das Vertrauen, das der einzelne Ge- 
schäftsmann bei seinen Geschäftsfreunden auf Grund persönlichen 
Umgangs genießt, befähigt ihn mehr, wie ehedem, Geschäfte 
•einzugehen, sondern eine allgemeine, abstrakte Bewertung seiner 
Kreditwürdigkeit, die ditta di Borsa, genügt nun, wie Ehren- 
berg hervorgehoben hat, um Verträge abzuschließen. Nicht 
ein individueller Preis, der durch gegenseitige Aussprache zweier 
•oder auch mehrerer Käufer und Verkäufer zustande kam, liegt 


Digitized by t^ooQle 


95 


mehr den Abmachungen zugrunde , sondern ein aus tausend 
Einzelpreisen mechanisch gebildete!:, abstrakter Durchschnittspreis. 
Und der spezifisch börsenmäßige Handel selbst ist ein aller persön- 
licher Beimischung entkleideter, versachlichter, automatisierter 
Vorgang geworden. 

Man nennt jetzt mit Recht die Börse einen Markt für fun- 
gible (vertretbare) Tauschgüter oder Werte (Weber, Ehrenberg, 
Bernhard) ; aber man muß sich klar machen, daß der Handel selbst 
auf der Börse, wie man im übertragenen Sinne sagen könnte, 
ebenfalls „fungibel“ geworden, besser: versachlicht ist, wie die 
Objekte, auf die er sich bezieht (denn auch die Standardisierung 
der Waren, die eine Voraussetzung des börsenmäßigen Handels 
in Sachgütern ist, läuft auf nichts anderes hinaus, als auf eine 
„Entpersönlichung“ der Ware, die nicht mehr in ihrer individuellen, 
sondern nur noch in ihrer generellen Eigenart bewertet wird). 

Es erübrigt sich, hier den Nachweis zu führen, daß die Ver- 
marktung der Wertpapiere an die Existenz eines börsenmäßigen 
Handels geknüpft war. Nur ein Wort möchte ich noch sagen 
über die besondere Rolle, die in meiner Auffassung innerhalb 
des Börsenhandels die „Spekulation“ spielt, weil hier jeder 
Schriftsteller seine eigene Terminologie und seine eigene An- 
sicht hat 

Eine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung für die 
„Spekulation", wie wir sie in der obengenannten Definition für die 
Börse besitzen, gibt es heute noch nicht. Die meisten Autoren 
fassen den Begriff ganz allgemein, in dem Sinne von „Wagen 
und Gewinnen“ etwa, und zwar dann wieder schwankend, bald 
als eine bestimmte Tätigkeit, bald als eine bestimmte Art von 
Geschäften. Daß dabei eine Erscheinung nicht bestimmt wird, 
die sich ganz deutlich innerhalb jenes weiten Rahmens als 
„Spekulation“ im engeren Sinne abhebt, ist zweifellos. Auch 
diese hat man zu fassen versucht: Ehrenberg, indem er Handel 
und Spekulation gegenüberstellt, jenen sich in der Ausnutzung 
örtlicher, diese zeitlicher Preisunterschiede erschöpfen sieht. 
Aber dann fällt unter den Begriff Spekulation ganz gewiß noch 
eine ganze Menge von Geschäften , die man auch im kauf- 
männischen Sprachgebrauch nie und nimmer als „Spekulation" 
bezeichnen würde: im effektiven Warenhandel kommt es doch 
immer auch auf eine Ausnutzung zeitlicher Preisunterschiede an 


Digitized by 


Google 



96 


(Handel mit Emteerzeugnissen !) und kein Mensch wird einen 
Kaufmann, der Weizen nach der Ernte kauft, weil er auf ein 
Steigen im Frühjahr rechnet, einen Spekulanten nennen. Eher 
liehe sich schon diese Begriffsbestimmung verwerten, wenn wir 
(mit Max Weber) die Beschränkung auf den Handel mit börsen- 
gängiger Ware hinzufügen. Nur möchte ich dann auch gleich 
den Begriff noch ein wenig enger (und damit präziser) fassen, 
indem ich Spekulation in einen Gegensatz zum Effektivgeschäft 
setze, also darunter alle nicht auf effektive Lieferung der Ware 
oder (was dem in der Sphäre des Effektenhandels gleichkommt) 
nicht auf den Erwerb von Anlagepapieren abzielenden Käufe 
verstehe (die ja damit von selbst in den Nexus der Börsenusance 
und des durch diese geschaffenen Geschäftsmechanismus ein- 
geschlossen sind). 

Jedenfalls wird man den Begriff Spekulation in diesem 
engen Sinne verstehen müssen, wenn man von der Bedeutung 
der Spekulation für den börsenmäßigen Handel spricht, da man 
ja alsdann diese beiden Begriffe in einen Gegensatz zueinander 
bringt. Dieser Gegensatz kann aber dann nur der sein zwischen 
effektivem Geschäft und Differenzgeschäft (in dem oben um- 
schriebenen, weiteren Sinne), innerhalb dessen man dann wieder- 
um als wichtigste Form der Spekulation das Differenzgeschäft 
im engeren (eigentlichen) Sinne unterscheiden kann. Daß dieses 
in der Tat für das effektive Geschäft die Bedeutung mindestens 
des Schrittmachers habe, ist heute wohl allgemein anerkannt. 
Insbesondere für den Effektenmarkt bleibt es außer Zweifel, daß 
die „Spekulation“ den Markt der Spekulationspapiere vergrößert 
und die Sicherheit, effektive Geschäfte machen zu können, steigert. 
Die Gründe (die die Verteidiger dieser Ansicht nicht immer mit 
der wünschbaren Deutlichkeit anführen, wie denn überhaupt die 
Markt bildende Funktion der Spekulation gegenüber ihrer Preis 
ausgleichenden Wirkung, obwohl sie mindestens ebenso bedeut- 
sam ist — hier übrigens allein in Betracht kommt — immer 
stiefmütterlich behandelt wird), hat in mustergültiger Welse 
schon Isaac de Pinto wie folgt zusammengestellt 205 , dessen Aus- 
führungen ich hier im Wortlaut wiedergebe, weil es immer reiz- 
voll ist, zu vernehmen, wie zuerst bestimmte Wahrheiten er- 
kannt und ausgesprochen sind: 

1. La facilite de vendre son fonds ä terme et de donner 


Digitized by 


Google 



97 


et prendre des primes sur ce mOme fonds, engage d’abord beau- 
coup de gens ä placer leur argent qui ne placeraient pas sans 
ces avantages; 

2. il y a un grand nombre de gens päcunieux, tant en Angle- 
terre qu’en Hollande, qui ne veulent pas placer dOfinitivement 
leur argent dans les nouveaux fonds pour ne point en courir les 
risques pendent la guerre. Mais que font-ils? Hsplacent cepen- 
dent pour 10, 15 ou 20 milles livres Sterling en annuitäs, qu’ils 
vendent ä termes aux agioteurs: au moyen de quoi ils ont un gros 
intäröt de leur argent, sans ötre sujets aux variantes, qui sont 
pour le compte de l’agioteur; ce manöge ce continue pour 
desann4es; et cela s’est fait pour des millions . . . 

De Sorte que le Gouvernement d'Angeleterre a, par ce jeu-lä, 
balayO non seulement l’argent de ceux qui voulaient de ces fonds, 
mais encore tout l’argent de ceux mOme qui n’en 
voulaient pas.“ 

Und dann: 

. la circulation, que le jeu procure est prodigieuse; on 
ne peut imaginer combien il facilite les moyens de se däfaire 
ä tout moment et ä toute heure de ces fonds et cela pour des 
sommes considärables. C'est ä cette facilitd que les particuliers 
ont ä se d4faire de ces fonds, que l’Angleterre est redevable en 
partie de celle qu’elle a eu de faire ces Onormes emprunts.“ 
Nicht zu vergessen der Tendenz zur Nivellierung und 
Unifizierung des Effektenwesens , durch deren Entfaltung die 
Spekulation ebenfalls unzweifelhaft marktbildend wirkt, weil sie 
den Besitzwechsel der einzelnen Stücke, die dann auch im 
Termine gehandelt werden können, natürlich erleichtert: ich 
denke an Vereinheitlichung der Zinssätze, der Zinstermine, Ab* 
lOsung von der einzelnen Kasse usw. >0Ä . 

Dann wäre aber auch npch festzustellen, daß das, was man 
die „Berufsspekulation“ nennt, diesen Namen nur zum Teil ver- 
dient. Jene 1000 oder 2000 Personen an den großen Börsen, 
die, wie man sagt, „die Spekulation“ gewerbsmäßig betreiben, 
betreiben in Wirklichkeit und genau gesprochen den Effekten- 
handel gewerbsmäßig und zwar teilweise als Effektiv-, teilweise 
als Differenzhandel und ersetzen in gewissem Sinne den dealer 
der Londoner Stock Exchange. Im Jobber schneiden sich also 
die beiden Kreise : Effektivhandel und Spekulationshandel, sodaß 

Sombart, Die Jaden 7 


Digitized by t^ooQle 



98 


wir folgende Kategorien börsenmäßigen Handels zu unterscheiden 
haben : 

1. gelegentlichen Effektivhandel (Handel des anlagesuchenden 
Publikums oder seiner Beauftragten); 

2. gelegentlichen Spekulationshandel (Spekulation der nicht 
„berufsmäßigen“ Spekulanten, die wieder Spekulation von 
Insiders [die Großspekulation] und Outsiders ist) ; 

3. berufsmäßigen Effektivhandel 1 das Gewerbe des 

4. berufsmäßigen Spekulationshandel J „Jobbers“. 

Will man nun die Entwicklung der „Börse“ verfolgen, so 
wird man (von der allmählichen Herausbildung der äußeren 
Organisation abgesehen) nachzugehen haben: 

1. der Entwicklung eines berufsmäßigen Effektenhandels ; 

2. der Entwicklung der Spekulations-(Terminhandels-)Technik. 

Um diese beiden Entwicklungsreihen ranken sich oder in sie 

fügen sich ein alle andern Erscheinungen, die zusammen mit 
jenen beiden die „Börse“ ausmachen. 

Daß uns bis heute eine Entwicklungsgeschichte der Börse 
fehlt, ist ein nicht genug zu beklagender Übelstand. Ich muß 
deshalb, da ich natürlich in diesem Zusammenhänge jene Riesen, 
lücke auch nicht einmal oberflächlich stopfen kann, mich damit 
begnügen, um die Paar Flicken, auf deren Aufzeigung es mir 
ankommt, auch nur befestigen zu können, notdürftig ein bißchen 
Hintergrund herzurichten, auf dem sich die besonderen Tat- 
sachen, über die ich zu berichten habe — und das ist ja der 
Anteil der Juden an der Herausbildung der Effektenbörse (die 
Produktenbörse muß ich einstweilen mangels jeglichen Materials 
unberücksichtigt lassen) — so gut wie möglich abheben. 

* * 

♦ 

Die Geschichte der Börse zerfällt in zwei große Perioden: 
in die Zeit seit ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bis etwa um 
die Wende des 19. Jahrhunderts: die Periode des inneren 
Wachstums, während welcher sich alle Einrichtungen der Börse 
zur Reife entwickeln, ohne daß sie selbst schon einen organi- 
schen Bestandteil des Wirtschaftslebens bildete, und in die Zeit 
seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts bis heute: die Periode, 
in der nach und nach alle Teile der Volkswirtschaft vom Börsen- 
wesen durchdrungen werden. 


Digitized by 


Google 



99 


Unser Augenmerk wird sich natürlich vornehmlich wieder 
auf die erste Periode zu richten haben: die Zeit der intensiven 
Entwicklung, des stillen Reifens. 

Daß wir den Ursprung der modernen Effektenbörse 
im Wechselhandel oder wenn man den Begriff mehr im äußer- 
lichen Sinne fassen will: in der Vereinigung der Wechselhändler 
zu suchen haben, darf jetzt wohl als sicher gelten 907 : die Plätze, 
an denen im 16. und dann namentlich im 17. Jahrhundert nam- 
hafte Börsen entstehen, sind sämtlich vorher Mittelpunkte eines 
regeren Wechselverkehrs gewesen. 

Nun können wir aber deutlich wahrnehmen, daß in der Zeit, 
in der die Börsen emporblühen, die Juden den Wechselmarkt 
fast ausschließlich beherrschten. Das Wechselgeschäft gilt im 
16. und 17. Jahrhundert, zum Teil noch später, vielerorts gerade- 
zu als eine Domäne der Juden. 

Für Venedig (im 16. Jahrhundert) habe ich in anderem Zu- 
sammenhänge die Belege schon beigebracht 908 . 

In Amsterdam begegnen wir ihnen gleichfalls als hervor- 
ragende Wechsel- und Geldsortenhändler, ausdrücklich erwähnt 
freilich erst für das Ende des 17. Jahrhunderts 909 ; es liegt aber 
kein Grund vor, anzunehmen , daß sie es vorher nicht gewesen 
wären. 

Gleichsam eine Filiale von Amsterdam war im 17. Jahr- 
hundert Frankfurt a. M. Nim: schon im 16. Jahrhundert berichtet 
uns Stephanus 910 von den Juden, welche der Messe zwar „nicht 
zur Zierde, wohl aber zum Vorteil gereichten, besonders im 
Wechselgeschäft". Im Jahre 1685 klagen die christlichen Kauf- 
leute Frankfurts, daß die Juden das ganze Wechselgeschäft und 
die Maklertätigkeit an sich gezogen hätten 911 . Freunde der 
Glückei von Hameln haben „Handel mit Wechseln und sonstigem, 
wie es bei Juden Brauch ist,“ geführt 919 . 

In Hamburg bürgern die Juden das Wechsel- und Bank- 
geschäft erst ein. Ein Jahrhundert nachher (1733) äußert sich 
ein Gutachten bei den Senatsakten über die Bedeutung der Juden 
als Wechselhändler dahin, daß im Wechselgeschäft . . die Juden 
„fast gantz Meister“ seien , „die Unsrigen überflügelt“ hätten 918 . 
Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Juden in Ham- 
burg fast die einzigen regelmäßigen Wechselkäufer. 

Von deutschen Städten wird uns noch von Fürth ausdrück- 

7* 


Digitized by 


Google 



100 


lieh bestätigt, daß der Wechselliandel (während des 18. Jahr- 
hunderts) „größten Teils in ihren Händen“ lag 314 . 

Über die Zustände in Wien, das bekanntlich seit dem Ende 
des 18. Jahrhunderts sich als Börsenplatz eine hervorragende 
Stellung eroberte, berichtet der Staatskanzler Ludewig aus der 
Regierungszeit Leopolds 1. 315 „Praesertim Viennae ab opera et 
fide Judaeorum res saepius pendent maximi momenti. Cambia 
praesertim et negotia primi ordinis nundinatorum“. 

Von den Juden in Bordeaux heißt es 310 : „leur principal 
commerce est de prendre les lettres de change et d’introduire 
Vor et l’argent dans le royaume“. 

Daß die Juden in Stockholm im Anfang des 19. Jahrhunderts 
den Wechselmarkt beherrschten, erfahren wir aus einem Gut- 
achten des Abgeordneten Wegelin (1815) 817 . 

Wurden die Juden als die Beherrscher des Wechselhandels 
die Begründer der modernen Effektenbörse, so müssen wir doch 
nun aber als die viel bedeutsamere Tatsache feststellen, daß sie 
der Börse und dem Börsenhandel auch ihr eigenartiges Gepräge 
aufgedrückt haben. Dies aber dadurch, daß sie offenbar die 
„Väter des Termingeschäfts“ , die Schöpfer der Technik des 
börsenmäßigen Handels, wenn man will, also auch die Väter der 
Börsenspekulation gewesen sind. 

In welche Zeit wir die Anfänge der Effektenspekulation 
verlegen sollen, können wir im Augenblick noch nicht mit Be- 
stimmtheit sagen. Die Italianisten möchten gern auch für diese Er- 
scheinung des modernen Wirtschaftslebens die Priorität Italiens- 
gewahrt sehen. Wenn’s nach Sieveking ginge, hätten wir im 
IS. oder doch spätestens im 14. Jahrhundert in Genua schon alle 
Arten von Stockjobberei in höchster Blüte. Er meint darüber 218 : 
„Die Anteile an der Staatsschuld waren veräußerlich . . Die 
schwankenden Kurse gaben Anlaß zu einem lebhaften Handel 
mit Schuldanteilen, wie wir ihn in Genua schon im 13. Jahr- 
hundert verfolgen können. Ja aus den Akten des Genueser 
Handelsgerichts und aus Venedig lassen sich um 1400 Speku- 
lationsgeschäfte in solchen loca nachweisen, die die Form von 
Termin- und Differenzgeschäften trugen“. Was er selbst aber 
bisher aus diesen Akten mitgeteilt hat, rechtfertigt dieses Urteil 
nicht 819 . Im Notfall könnte man für Venedig im 15. Jahrhundert 
Spuren des Differenzgeschäftes nachweisen — wie denn dort. 


Digitized by t^ooQle 



101 


auch schon im Jahre 1421 ein Verbot gegen den Handel mit 
Bankierscheinen erlassen wurde. Die Beispiele jedoch, die wir 
für den Verkehr mit loca in Genua kennen lernen, ganz sicher 
die aus dem 13. Jahrhundert, aber wie mir scheint, auch die aus 
dem 15. Jahrhundert, entbehren jeden „spekulativen 8 Charakters, 
auch wenn man den Begriff Spekulation recht weit faßt. Es 
sind alles Effektivgeschäfte, die von Privatpersonen, nicht ein- 
mal von berufsmäßigen Stockhändlem, abgeschlossen werden. 

Will man nicht völlig in die Irre gehen und sich durch irgend 
eine gelegentlich auftauchende Erscheinung in den Sumpf locken 
lassen, so muß man immer die allgemeine Stimmung, die Wirt- 
schaftsgesinnung, wie ich es nenne, zu Rate ziehen. Da sehen 
wir denn nun in unserem Falle, daß noch im 16. Jahrhundert 
alles, was nach Blanko verkauf aussah, strengstens verpönt war, 
nicht etwa nur in der konservativen Menge oder in den Regie- 
rungsstuben, sondern bei den allerfortgeschrittensten Leuten, 
wie es beispielsweise Seravia della Calle unstreitig war. Der 
schreibt denn nun aber in seinen „Institutionen 8 : „ö molto piu 
malvagio mercato quello che fanno coloro che vendono una cosa 
prima che la comprino“ 22 °. 

Ich denke daher, es wird einstweilen sein Bewenden haben 
bei dem Urteile Ehrenbergs, das dahin lautet 2 * 1 : Das Termin- 
geschäft kommt zwar im 16. Jahrhundert schon vor, ist aber 
nirgends schon als Hauptwerkzeug der Spekulation erwähnt. 

Nicht im 13. Jahrhundert in Genua, sondern im 17. Jahr- 
hundert in Amsterdam haben wir die Anfänge der modernen 
Börsenspekulation zu suchen. Und zwar, wie ziemlich deut- 
lich sich erkennen läßt, sind es die Aktien der ostindischen 
Kompagnie gewesen, an denen sich die Stockjobberei empor- 
gerankt hat. 

Die große Masse gleichartiger Papiere, die plötzlich in Um- 
lauf kamen, die stark verbreitete Spielsucht, das starke Interesse, 
das man an dem Unternehmen von Anfang an genommen hatte, 
die schwankenden Erträge und die sich daran knöpfenden 
Stimmungsschwankungen: alles dies wirkte offenbar zusammen, 
um auf dem wohlvorbereiteten Boden der Amsterdamer Börse 
die Spekulation in Aktien rasch zur Blüte zu bringen 222 . In 
der kurzen Zeit von acht Jahren war sie schon so allgemein 
verbreitet und wurde sie schon so eifrig betrieben, daß sie von 


Digitized by t^ooQle 



102 


der Öffentlichen Gewalt als Übelstand empfunden wurde, den es 
galt, durch Gesetze aus der Welt zu schaffen: das Plakat der 
Generalstaaten vom 26. 2. 1610 verbot bereits, mehr Aktien zu 
verkaufen, als man wirklich besaß. (Diesem Verbot sind dann — 
natürlich ohne daß sie den geringsten Erfolg gehabt hätten — 
noch viele gefolgt: 1621, 1628, 1677, 1700 usw.) 

Würde man fragen, wer in Aktien spekulierte, so würde die 
Antwort lauten müssen: jeder, der das Geld dazu aufbringen 
konnte. Vor allem wohl die reichen Besucher der Börse, wahr- 
scheinlich ohne Unterschied der Konfession. 

Trotzdem aber werden wir annehmen dürfen, daß die Juden 
bei dieser Entwicklung der ersten Börsenspekulation eine hervor- 
ragende Rolle vor den andern Beteiligten gespielt haben. Was, 
wie es scheint, ihr eigenstes Werk dabei war, war die Aus- 
bildung eines berufsmäßigen Effektenhandels einerseits , der 
Technik des Termingeschäfts anderseits. Wir haben einige 
Zeugnisse, die die Richtigkeit dieser Annahme ausdrücklich be- 
bestätigen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts galt es als aus- 
gemacht, daß die Juden den Aktienhandel „ erfunden “ hätten 288 . 
Das ist natürlich noch kein Beweis dafür, daß die behauptete 
Tatsache wahr sei. Immerhin ist eine derartige allgemein ver- 
breitete Ansicht, auch wenn sie in späterer Zeit ausgesprochen 
ist, nicht ohne weiteres als belanglos von der Hand zu weisen, 
zumal wenn sie in ihrer Richtigkeit durch andere Indizien be- 
stätigt wird. Zunächst dies: die Ansicht beweist, daß man die 
Juden für besonders geeignet hielt, jene Erfindung gemacht zu 
haben. Sie waren also jedenfalls in jener Zeit die Haupt- 
beteiligten. Das wird uns auch von anderer Seite bestätigt. 
Sogar (was wichtig ist) für eine erheblich frühere Zeit: die 
zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts durch den schon genannten 
Nie. Muys van Holy. Was wir ferner als verbürgt ansehen 
können, ist der Umstand, daß die Juden am Aktienbesitz bei 
beiden indischen Kompagnien stark beteiligt waren. Für die 
ostindische haben wir dafür das zuverlässige Zeugnis de Pintos 824 ; 
für die westindische, deren Aktien ein noch wilderes Spekulations- 
fieber entfachten, den Brief der Direktoren an Stuyvesant 
in dem sie ihn anweisen: die. Juden in Neu- Amsterdam zuzu- 
lassen „also because of the large amount of Capital which they 
haye invested in shares in this Company“; für beide Kom- 


Digitized by t^ooQle 



103 


pagnien den Bericht Manasseh ben Israels an Cromwell 226 , in 
dem der Verfasser bemerkt „that the Jews were enjoying a good 
part of the (Dutch) East and West India Company.“ 

Besonderen Wert lege ich aber auf die Tatsache, daß am 
Ende des 17. Jahrhunderts ein portugiesischer Jude in Amster- 
dam dasjenige Buch schrieb, das zum ersten Male den börsen- 
mäßigen Handel in allen seinen Verzweigungen erschöpfend 
behandelte, und zwar, wie uns ein gewiegter Kenner versichert, 
in einer Weise, daß es „bis zum heutigen Tage nach Form und 
Inhalt die beste Darstellung des Fondsverkehrs geblieben" ist. 
Ich meine Don Jos. de laVegas Confusion de confusiones usw., 
die 1688 erschien 287 . Daß also ein Jude der erste „Theoretiker“ 
des Terminhandels war, ist durch das Dasein dieser Schrift ver- 
bürgt De la Vega war aber selbst Kaufmann und seine Dar- 
stellung ist offenbar nichts anderes als der Niederschlag der 
geistigen Atmosphäre, in der er lebte. Bringen wir diese schrift- 
stellerische Leistung in Zusammenhang mit allem übrigen, was 
wir von der Wirksamkeit der Juden an der Amsterdamer Börse 
in Erfahrung gebracht haben, angefangen von ihrer Tätigkeit 
als Wechselhändler, ziehen wir in Betracht die Anschauungen, 
die im 18. Jahrhundert über die Rolle, die sie bei der Entstehung 
des Aktienhandels gespielt haben, allgemein verbreitet waren, 
so wird, da doch immerhin einige rationale Erwägungen unsere 
Schlüsse in gleicher Richtung bestimmen werden, das Gesamt- 
urteil tatsächlich, denke ich, in dem oben genannten Sinne dahin 
lauten müssen: mindestens, daß die Juden bei der Genesis des 
modernen Börsenhandels in entscheidender Weise mitgewirkt 
haben, wenn nicht: daß sie seine Väter sind. 

Möchte aber noch immer jemand an der Richtigkeit dieser 
Ansicht zweifeln, so bin ich in der glücklichen Lage, jenem 
Indizienbeweis noch einen unmittelbaren Zeugenbeweis beifügen 
zu können, von dem ich selbst erst (dank einem Hinweise meines 
Freundes Andrö E. Sayous in Paris) Kenntnis erhalten habe, 
nachdem ich jene Zeilen niedergeschrieben (und an anderer Stelle 
veröffentlicht) hatte. 

Wir besitzen nämlich einen Bericht, wahrscheinlich des 
französischen Gesandten im Haag an seine Regierung, aus dem 
Jahre 1698, in dem klipp und klar ausgesprochen ist, daß die 
Juden den Börsenhandel in Wertpapieren in ihrer 


Digitized by t^ooQle 



104 


Hand haben und nach ihrem Gutdünken gestalten. 
Die wichtigsten Stellen dieses Berichtes lauten wie folgt* 28 : 

„Dans cet £tat (Holland) les Jaifs font ane grosse partie; et c’est 
snr les pronostics de ces prätendas sp 4 cnlatenrs poiitiqaes, trös vacillants 
eox-mömes , qne les prix de ces actions sont dans des v&riations si con- 
tinnelles qa’elles donnent lieu plusieurs fois le jonr k des nägociations qui 
m£riteraient mieux le nom de jea oa de pari, et d'antant mieux qne les 
Jaifs, qui en sont les ressorts, 7 joignent des artifices qui lai font 
tonjonrs de nonvelles dapes möme de gens da premier ordre.“ (Also schon 
künstliche Beeinflussung der Börse!) 

..leurs coartiers et agents jaifs, les hommes les plas adroits en 
ce genre qn’il 7 ait au monde . . „change et actions, dans toos lesquels 
genres de choses ayant tonjonrs entre eux de grosses masses et pro- 
visions . . / 

Also zu deutsch etwa: 

„In diesem Staat (Holland) spielen die Jaden eine große Bolle, and 
nach den Prognostiken dieser vorgeblich politischen Spekulanten, die selbst 
oft in Ungewißheit sind, sind die Preise dieser Aktien in so beständigem 
Schwanken, daß sie mehrere Male des Tages Handelsgeschäfte verursachen, 
welche eher den Namen eines Spieles oder einer Wette verdienten, am so 
mehr, als die Jaden, welche die Triebfedern dieses Gebarens 
sind, Kanststückchen dabei aasüben, welche die Leate immer wieder aufs 
neue foppen and zum Besten halten, selbst wenn es die tüchtigsten sind." 

. . ihre jüdischen Makler and Agenten , die geschicktesten Leute 
dieser Art, die es auf der Welt gibt, . . .** „Wechsel und Aktien, in welcher 
Art von Dingen sie immer große Summen und Vorräte halten/ 

Der mit allen Geheimnissen der Börsenmache vertraute Ver- 
fasser berichtet uns sehr ausführlich, wodurch vornehmlich es 
den Juden gelang, jene beherrschende Stellung an der Amster- 
damer Börse einzunehmen. Ich komme darauf in anderem Zu- 
sammenhänge noch zu sprechen. 

Helles Licht fällt aber auch auf die Zustände an der Amster- 
damer Börse, wenn wir die anderen Börsen jener Zeit in ihrer 
Entwicklung verfolgen. 

Wir wenden uns zunächst nach London, demjenigen 
Platze, der vom 18. Jahrhundert ab Amsterdam den Rang ab- 
lief und sich, wie bekannt, zum bei weitem ersten Börsenplätze 
entwickelte. In London ist aber der Einfluß der Juden auf die 
Effektenbörse vielleicht noch deutlicher wahrzunehmen als in 
Amsterdam. Und es läßt sich außerdem mit einiger Sicherheit 
nachweisen, daß die große Förderung, die die Börsenspekulation 
in London gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfuhr, auf die 


Digitized by 


Google 



105 


Tätigkeit Amsterdamer Juden zurückzuführen ist, die damals 
nach London übersiedelten. Dadurch aber wird die Geschichte 
der Londoner Börse zu einem neuen Beleg für die Richtigkeit 
der Ansicht, daß die Ausbildung des börsenmäßigen Handels in 
Amsterdam vornehmlich das Werk der Juden gewesen ist. Denn 
offenbar waren sie dann so erfahren in diesen Dingen, daß sie 
zu Lehrmeistern an einer doch immerhin schon recht bedeutenden 
Stätte kaufmännischen Lebens werden konnten. 

Über die einzelnen Etappen, in denen die Juden die Londoner 
Börse eroberten, wissen wir folgendes. 

Im Jahre 1657 muß Sol. Dormido seine Aufnahme in die 
Royal Exchange erst noch beantragen, denn die Juden sind 
offiziell von dem Besuch der Börse ausgeschlossen. Das Gesetz, 
das diese Ausschließung bestimmt, scheint aber ganz und gar 
in Vergessenheit geraten zu sein. Jedenfalls finden wir gegen 
Ende des 17. Jahrhunderts die Börse (seit 1698 ’ Change Alley) 
schon voller Juden. Ihre Anzahl war so groß, daß ein besonderer 
Teil des Gebäudes als Jews Walk bezeichnet wurde. „Die 
Börse ist gedrängt voll von Juden“ („the Alley throngs with 
Jews“) schreibt ein Zeitgenosse 829 . Hing die Auswanderung 
nach ’ Change Alley mit der wachsenden Beteiligung der in der 
Royal Exchange mißliebig bemerkten Juden zusammen? Mit 
dem Exodus beginnt jedenfalls die Fondsspekulation in England 88 °. 

Woher diese plötzliche Überflutung? Wir wissen es genau. 
Sie rührte von den zahlreichen Juden her, die im Gefolge 
Wilhelms HI. von Amsterdam herübergekommen waren. Und 
diese brachten nun, wie schon erwähnt, die ausgebildete Technik 
des Börsenhandels mit nach London. Daß die Darstellung, die 
John Francis von diesen Vorgängen gibt, der Wirklichkeit 
durchaus entspricht, wird durch zahlreiche Zeugnisse, die erst 
in neuerer Zeit namentlich von den Judaisten beigebracht sind, 
bestätigt: 

Die Börse erschien wie Minerva: sie sprang völlig gerüstet 
hervor ; die Hauptnegozianten der ersten englischen Anleihe 
waren Juden; sie standen dem Oranier Wilhelm HL mit ihren 
Ratschlägen zur Seite und einer von ihnen, der reiche Medina, 
war Marlboroughs Bankier, zahlte ihm jährlich 6000 SS Pension 
und erntete dafür die Erstlinge der Kampagnenachrichten. 
Die Siegestage des englischen Heeres waren für ihn ebenso 


Digitized by 


Google 



106 


gewinnabwerfend als für Englands Waffen ruhmreich. Alle 
Kunstgriffe der Hausse und Baisse, die falschen Nachrichten vom 
Kriegsschauplatz, die angeblich angekommenen Kuriere, die ge- 
heimen Börsenkoterien, das ganze geheime Räderwerk des Mammons 
war den ersten Vätern der Börse bekannt und ward auch von 
ihnen gehörig ausgebeutet. 

Neben Sir Solomon Medina, the Jew Medina, wie er hieß, 
den man als den Begründer der Fondsspekulation in England 
ansehen darf, kennen wir noch eine ganze Reihe anderer großer 
jüdischer Geldleute aus der Zeit der Königin Anna, die im großen 
Stile an der Börse spekulierten. Manasseh Lopez, wissen wir, 
gewann ein großes Vermögen dadurch, daß er eine (infolge 
falschen Alarms: die Königin sei tot, entstandene) Panik aus- 
nutzte und alle Regierungsfonds, die rasch im Preise fielen, auf- 
kaufte. Ähnliches wird aus einer späteren Zeit von Sampson 
Gideon berichtet, der als „the Great Jew broker* unter den 
„Gentile“ bekannt war 881 . Um die finanzielle Stärke der Juden 
im damaligen London zu ermessen, muß man bedenken, daß man 
im Anfang des 18. Jahrhunderts die Anzahl der jüdischen Familien 
mit 1000 — 2000 SS Jahreseinkommen auf 100, die mit 800 SS auf 
1000 schätzte (Picciotto), während einzelne Juden, wie die Mendes 
da Costa, Moses Hart, Aaron Francks, Baron d’Aguilar, Moses Lopez 
Pereira, Moses oder Anthony da Costa (der Ende des 17. Jahr- 
hunderts Direktor der Bank of England war) u. a. zu den reichsten 
Kaufleuten Londons gehörten. 

Aber fast noch bedeutsamer als diese Kreierung der groß- 
zügigen Börsenspekulation durch große Geldleute erscheint mir 
der Umstand, daß offenbar auch der berufsmäßige Effektenhandel 
und damit die sogenannte „Berufsspekulation® an der Londoner 
Börse durch Juden eingeführt sind. Diese beiden Erscheinungen 
sind während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenfalls 
erst aufgetaucht, und zwar sind sie allem Anschein nach von 
den Brokers ins Leben gerufen. Der Broker hat also seinen 
schroffen Widerpart: den Jobber selbt erzeugt. 

Dieser Vorgang ist, soviel ich sehe, bisher nicht bemerkt 
worden. Er läßt sich aber mit aller nur wünschbaren Deutlich- 
keit an der Hand der zeitgenössischen Quellen verfolgen. 

Postlethwayt, der in allen diesen Dingen ein durchaus zu- 
verlässiger Gewährsmann ist, berichtet uns darüber wie folgt 288 : 


Digitized by 


Google 



107 


„Stock Jobbing . . was at first only the simple occasional 
transferring of interest and shares from one to another as 
persons alienated their estates; butby the industryof the 
stock-brokers, who got the business into their 
hands, it became a trade; and one, perhaps, whichhasbeen 
managed with the greatest intrigue, artifice and trick that every 
any thing which appeared with a face of honesty could be hand- 
led with; for, while the brokers held the box, the made the 
whole exchange the gamesters, and raised and lowered the 
prices of Stocks as they pleased and always has both buyers 
and sellers, who stood ready, innocently to commit their money 
to the mercy of their mercenary tongues“ usw. 

Nun wissen wir aber aus anderen Berichten, daß die Juden 
an dem Stande der Brokers einen ganz besonders starken Anteil 
hatten. Schon 1697 wurden an der Londoner Börse von ins- 
gesamt 100 vereidigten Brokers 20 auf Fremde und Juden ge- 
rechnet 889 . Und wir dürfen annehmen, daß sich in den folgen- 
den Jahrzehnten ihre Anzahl noch vermehrte. „The Hebrews 
flocked to ’ Change Alley from every quarter underheaven“, urteilt 
Francis an der Hand zeitgenössischer Quellen. Jedenfalls er- 
fahren wir von einem sehr gewissenhaften Beobachter aus den 
1730 er Jahren (also ein Menschenalter nach ihrem Einbruch in 
die Londoner Börse), daß es zu viel jüdische Makler gab, um sie 
alle als Makler zu beschäftigen und daß diese Übersetzung des 
Gewerbes die Veranlassung bot, mehr als die Hälfte von ihnen 
in den (berufsmäßigen) Effektenhandel zu drängen*, sie also aus 
brokers in Jobbers zu verwandeln: ihre Überzahl, schreibt unser 
Gewährsmann 288 , „has occasion’d almost on Half of the Jew 
Brokers to run into Stock-jobbing“. Nach demselben Gewährs- 
mann sollen im damaligen London schon 6000 Juden ansässig 
gewesen sein. 

Diese Entstehung der Stock-jobberei aus dem Maklertum, 
wie wir sie hier für die Londoner Börse deutlich aus den zeit- 
genössischen Berichten ablesen können, scheint übrigens nicht 
auf London beschränkt zu sein. Auch in Frankfurt a. M. dürfte 
sich die Entwicklung ähnlich vollzogen haben. Jedenfalls wissen 
wir, daß dort gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Juden zu- 
nächst auch das Maklergewerbe ganz in ihre Hände gebracht 
hatten 884 , von welcher Stellung aus sie dann wahrscheinlich sich 


Digitized by 


Google 



108 


dort ebenfalls den berufsmäßigen Fondshandel (und die damit 
verbundene „Berufsspekulation“) erobert haben. 

Auch in Hamburg haben die Portugiesen schon 1617 4 Makler, 
später 20 ***. 

Ziehen wir nun noch in Betracht, daß die allgemeine 
Meinung den Juden auch die Ausbildung des Arbitragegeschäfts 
an der Londoner Börse zuschrieb 980 , ferner, daß bei der gleich 
zu besprechenden grandiosen Ausgestaltung, die die Fondsspeku- 
lation seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in London 
erfährt, die Juden ebenfalls stark beteiligt sind, so werden wir 
kaum umhin können, dem Urteil, zu dem ein anderer Forscher 
auf Grund eingehender Studien gelangt ist 987 , beizupflichten: daß 
London, wenn es heute der Mittelpunkt des Geldverkehrs der 
ganzen Erde ist, es dies vornehmlich den Juden verdankt. 

Hinter Amsterdam und London treten alle anderen Effekten- 
börsen während der ganzen frühkapitalistischen Epoche weit 
zurück. Auch in Paris erwacht doch erst gegen Ende des 
18. Jahrhunderts ein regeres Leben. Den ersten Spuren der 
Fondsspekulation oder Agiotage, wie sie bekanntlich in Frankreich 
heißt, begegnen wir dort im Anfänge des 18. Jahrhunderts. 
Ranke 988 findet das Wort „Agioteur“ zum ersten Male erwähnt 
in einem Schreiben der Elis. Charlotte vom 18. Jänner 1711. 
Die Schreiberin meint, der Ausdruck stamme von den Billets de 
monnaye: früher habe man nichts davon gewußt. Die Law- 
Periode hinterließ offenbar keine dauernden Spuren. Denn noch 
in den 1730 er Jahren empfindet man den Abstand gegenüber 
den kapitalistisch fortgeschrittenen oder doch wenigstens börsen- 
mäßig schon stärker bewegten Nachbarländern Holland und Eng- 
land in Frankreich sehr. Mölon äußert sich darüber also 989 : 
„La circulation des fonds est une des plus grandes richesses de 
nos voisins; leur banque, leurs annuitäs, leurs actions, tout est 
en commerce chez eux”. Also in Frankreich noch nicht. Und 
noch im Jahre 1785 sagt ein Edikt (vom 7. August): „le roi est 
informö, que depuis quelque temps il s’est introduit dans 
la Capitale un genre de marchö“ etc., nämlich der Terminhandel 
in Effekten. 

Dieser niedrige Stand, den die Entwicklung des Börsen- 
handels in Frankreich während des 18. Jahrhunderts noch auf- 
wies, ist der deutliche Ausdruck der verhältnismäßig geringen 


Digitized by 


Google 



109 


Bedeutung, die die Juden fQr da s französische, in Sonderheit 
Pariser Wirtschaftsleben in jener Zeit hatten. Da die Orte, wo 
sie schon damals auch in Frankreich eine gröbere Bolle spielten, 
wie Lyon und Bordeaux, doch wohl als Pflanz- und Pflegestätten 
des Effektenhandels nicht geeignet waren. (In Lyon war die 
kurze, in ihren Ursachen noch nicht genügend aufgedeckte Blüte» 
zeit, während welcher der Platz Mittelpunkt eines regeren 
Effektenverkehrs während des 16. Jahrhunderts gewesen war 240 , 
doch ohne Nachwirkung geblieben.) 

Das wenige immerhin, was Paris während des 18. Jahr* 
hunderts an Börsenspekulation und berufsmäßigem Effekten- 
handel besaß, verdankte es doch wohl auch den Juden. Der 
Sitz der Fondsspekulation in Paris, wo auch die erste Agio- 
tage mit den „billets de monnaye“ sich abspielte, war (und 
blieb lange Zeit hindurch) die durch den Law-Schwindel später 
so bekannt gewordene Rue Quincampoix. Hier aber wohnten, 
wie uns ein etwas später schreibender Gewährsmann be- 
richtet* 41 , „viele Juden“. Der Mann aber, an dessen Namen 
sich diese erste Fondsspekulation recht eigentlich knüpfte, ein 
großer Meister der Agiotage vor Law, war der bekannte Finanz- 
mann Ludwigs XIV., Samuel Bemard. Nach ihm heißen die 
Billets de monnaye, als sie nachher entwertet waren, „Bemar- 
dines“* 4 *. Was aber John Law außer seinem Phantasmus an 
börsentechnischen Kenntnissen besaß, hatte er in Amsterdam ge- 
lernt 24a . Ob Law selbst Jude war (Law = Levy), wie be- 
hauptet wird* 44 , habe ich nicht feststellen können. Möglich ist 
es. Sein Vater war bekanntlich „Goldschmied“ (und Bankier), 
Daß er „reformiert“ war, ist natürlich kein Hinderungsgrund, 
Für sein Judentum spricht das jüdische Aussehen des Mannes 
auf manchen Bildern (zum Beispiel auf dem in der deutschen Aus- 
gabe seiner „Gedanken vom Waren- und Geldhandel“ usw. aus 
dem Jahre 1720). Dagegen eigentlich der Grundzug seines 
Wesens, der doch ein seltsames Gemisch von Seigneurialismus 
und Abenteurertum war. 

In Deutschland gelangten während des 17. und 18. Jahr- 
hunderts nur die Börsen von Frankfurt a. M. und Hamburg, 
also der beiden Judenstädte par excellence, zu einiger Bedeutung, 
Wie deutlich sich der Einfluß der Juden auf diese beiden Börsen 
nachweisen läßt, wurde an anderer Stelle schon gezeigt. 


Digitized by 


Google 



110 


Als eine wesentlich jüdische Institution ist aber auch die 
Berliner Börse von vornherein ins Leben getreten. Im Anfang 
des 19. Jahrhunderts schon, noch ehe die Juden die Freiheit er- 
langten (1812), ragten sie selbst ziffennäßig hervor: von den 
vier „Vorstehern der Börse“ waren zwei (!) Juden; das „Börsen- 
Committö“ aber bildeten folgende Personen: 


1. die Herren Börsenvorsteher 4 

2. die Ältesten der beiden Gilden 10 

8. von der Elbschiffergilde 1 


4. von den Kaufleuten jüdischer Nation dazu erwählt 8 

23 

Also von 28 Mitgliedern waren 10 (NB. anerkannte!) Juden; 
wieviel außerdem getaufte und Kryptojuden, läßt sich nicht 
feststellen. 

Wiederum sehen wir sie auch in Berlin stark im Makler- 
gewerbe vertreten: von sechs vereidigten Wechselmaklem sind 
drei Juden (von den zwei vereideten Warenmaklem der Tuch- 
und Seidenhandlung ist einer Jude, und der Substitut ist auch 
Jude ; also von drei im ganzen sind zwei jüdischer Konfession) 245 . 

Fondshandel und Fondsspekulation hat es in Deutschland 
während des 18. Jahrhunderts wohl nur in Hamburg und Frank- 
furt a. M. gegeben. Von Hamburg wissen wir, daß schon im 
Anfang des 18. Jahrhunderts der Aktienhandel verboten wurde. 
Ein Mandat des Hamburger Rats vom 19. Juli 1720 läßt sich 
also vernehmen: „Demnach E. E. Rath mit großer Befrem- 
dung und Mißfallen vernommen, welcher Gestalt einige Privati, 
unter dem Prätext einer Assecuranze - Compagnie sich eigen- 
mächtig unternommen, einen sog. Actien-Handel zu veranlassen 
und anzufangen; daraus aber gar viel gefährliche und dem 
Publico sowohl als Privatis höchst nachtheilige Folgen zu be- 
sorgen“ usw. In dem Hamburger Münz- und Medaillen- 
vergnügen (1753), Seite 143, Nr. 4 findet sich eine auf den Aktien- 
handel geprägte Denkmünze. Auch Raumburger klagt in der 
Vorrede zu seiner Justitia selecta Gent. Eur. in Cambiis etc. 
über den „so heillosen und verderblichen fatalen Papier- und 
Aktienhandel“. 

Juden die Väter? Wenigstens das mag festgestellt werden: 
Die Anregung zum „Aktienhandel“ stammte aus den Eireisen 


Digitized by 


Google 



111 


der Assecuradeurs, wie aus dem Mandat des Jahres 1720 hervor- 
geht. Wir wissen aber, daß bei der Seeversicherung in Ham- 
burg die Juden eine hervorragende Rolle spielten 84Ä . Im übrigen 
erfahren wir durch die genannten Zeugnisse über den Börsen- 
handel in Hamburg nicht sehr viel und gar nichts Genaues; 
ebenso können wir für Frankfurt a. M. nur Vermutungen an- 
stellen. Auf die erste ganz sichere Spur stoßen wir in Augs- 
burg im Jahre 1817. Wir kennen das Urteil des dortigen 
Wechselgerichts vom 14. Februar 1817, worin eine Klage auf 
Zahlung eines Differenzgewinnes mit der Begründung abgelehnt 
wird, daß solche Geschäfte „Hazardspiel“ seien. Es hatte sich 
um eine Kursdifferenz von 17 630 fl. gehandelt, die aus einem 
Kauf auf Lieferung von 90000 fl. in Bayrischen Lotterielosen 
entstanden war. Der Kläger hieß Heymann , der Beklagte 
H. E. Ullmannl Das ist der erste sicher verbürgte Fall einer 
Effektenspekulation in Deutschland 847 . 

Damit haben wir nun aber schon in eine Zeit hinüber- 
gegriffen, die ich von der eben betrachteten als eine neue 
Periode der Börsenspekulation abgehoben wissen wollte. 
Wodurch kennzeichnet sie sich? Was verleiht ihr das eigenartige 
Gepräge, das wir immer nur mit dem schrecklichen Worte 
„modern“ bezeichnen können? 

Daß die Börse beute eine grundandere Stellung einnimmt 
als noch vor hundert Jahren, erkennt man am deutlichsten an 
der Beurteilung, die sie in den maßgebenden Kreisen damals 
erfuhr und heute erfährt. 

Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein will man auch in 
kapitalistisch interessierten Kreisen von Fondsspekulation gar 
nichts wissen. Die großen Handbücher und Lexika der Kauf- 
mannschaft, die wir in englischer, französischer, italienischer, 
deutscher Sprache aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 
18. Jahrhunderts besitzen, erwähnen entweder (in den ökonomisch 
„rückständigen“ Ländern) den Fondshandel und die Fonds- 
spekulation gar nicht; oder — wenn sie davon sprechen, wie 
Postlethwayt — können sie sich gar nicht genug tun in Ent- 
rüstung diesen unerhörten Verirrungen gegenüber. Wie heute 
der Kleinbürger oder der Agrarier über „die Börse“, das heißt 
eben die Börsenspekulation urteilt, so urteilte im 18. Jahrhundert 
auch der solide Großkaufmann. Als man im Jahre 1783 die Sir 


Digitized by 


Google 



112 


John Bcrnards Act im englischen Parlament beriet, waren sich 
alle Redner einig in der Verurteilung der „infanious practice of 
stockjobbing.“ Und dieselbe scharfe Ausdrucks weise finden wir 
noch ein halbes Mcnschenalter später bei Postlethway t, der von 
„tliose mountebanks, we very properly call stock-brokers a spricht. 
Stock-jobbing nennt er ein „public grievance“, das „scandalous 
to the nation“ geworden sei* 48 . 

Kein Wunder, wenn bei dieser allgemeinen Verurteilung der 
Fondsspekulation alle Gesetzgebungen noch das ganze 18. Jahr« 
hundert hindurch sie strengstens verbieten. 

Aber die Mißstimmung gegen die „Börse“ reichte noch tiefer. 

Sie reichte bis zu den Grundlagen, auf denen sie aufgebaut war: 
sie richtete sich gegen das Effektenwesen selbst. Hier natürlich 
trat das Interesse der Staatsgewalt auf Seite derer, die es ver- 
teidigten. Aber Fürst und Jobber standen in voller Einsamkeit 
allein gegenüber der geschlossenen Masse aller übrigen Leute, 
die sich überhaupt ein Urteil bildeten (die Privaten, die 
sich gern Schuldtitel kauften, kann man natürlich nicht mit* 
rechnen). Das öffentliche Schuldenwesen galt als eine partie * 

honteuse der Staaten. Die besten Männer erblickten in der fort- 
schreitenden Verschuldung einen der schwersten Übelstände, den 
man mit allen Mitteln zu beseitigen trachtete. Praktiker und 
Theoretiker waren darin einig. Man denkt in den Kreisen £er 
Kaufmannschaft ernstlich daran, wie man die Staatsschulden 
kassieren könnte ; und erörtert den Gedanken : ob nicht der frei- 
willige Staatsbankerott als letzte Rettung zu erstreben sei Und 
das in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts * 4 * l 
Die Theoretiker urteilten nicht milder. David Hume nennt die 
Staatsanleihen „a practice . . ruinous beyond all controversy“ * 50 . 

Und Adam Smith braucht auch, wie bekannt, die stärksten Aus- 
drücke, um seinem Unwillen über die immer mehr anwachsende 
Verschuldung der Staaten Luft zu machen: „the ruinous practice 
of funding“ . . . „the ruinous expedient of perpetual funding“ . . . 

„has gradually enfaibled every state which has adopted it“ . . . 

„(the progress of) the enormous debts, which at present oppress 
and will in the long-run probably ruin all the great nations of 
Europe“.* 51 

Adam Smith ist wie in jeder Hinsicht auch hier der Spiegel, 
in dem sich das Wirtschaftsleben seiner Zeit ruhig und klar 


Digitized by t^ooQle 



113 


widerspiegelt. Nichts besser kann die eigentümliche Gestaltung 
der damaligen Volkswirtschaft — die ausgebildete frühkapita- 
listische Wirtschaft — im Gegensatz zu der unsrigen kenn- 
zeichnen, als die Tatsache, daß in dem grandiosen Lehrgebäude 
des Adam Smith kein einziges Kämmerlein für die Lehre von 
den Effekten oder von der Börse und dem börsenmäßigen Handel 
übrig ist. Ein vollendetes System der Nationalökonomie, in der 
der Börse auch nicht mit einem Worte Erwähnung getan wird! 

Und fast um dieselbe Zeit war ein Buch erschienen (dessen 
übrigens auch Adam Smith gedenkt, ohne den Verfasser mit 
Namen zu nennen: „one author“ hat eine verrückte Meinung 
geäußert, sagte er einmal bei Gelegenheit), in dem nur vom 
Kredit und seinen Segnungen, von der Börse und ihrer Be- 
deutung die Rede war; ein Buch, das man recht eigentlich das 
hohe Lied des öffentlichen Schuldenwesens und des Effekten- 
handels nennen kann; ein Buch, das ebensosehr mit seinem 
vollen Gesichte in die Zukunft schaute, wie der Wealth of 
Nations (als Theorie) der Vergangenheit zugewandt ist. Ich 
meine natürlich den Traitö du crödit et de la circulation, der 
1771 erschien, und dessen Verfasser Josef de Pinto hieß und 
— deshalb diese Worte — portugiesischer Jude war. In Pintos 
Buch ist haarklein und genau alles enthalten, was im 19. Jahr- 
hundert zur Verteidigung des öffentlichen Kredits (wie überhaupt 
der Versachlichung der Kreditverhältnisse) sowie zur Recht- 
c fertigung des berufsmäßigen Effektenhandels, der Fondsspekula- 
tion usw. dann vorgebracht worden ist. Ebenso wie Adam Smith 
die Epoche der börsenschwachen Volkswirtschaft mit seinem 
System beschließt, ebenso leitet Pinto die moderne Zeit mit 
seiner Kredittheorie ein, die Zeit, in der nun die Fondsspekulation 
zum Mittelpunkte des wirtschaftlichen Geschehens, die Börse 
zum „Herzen des Wirtschaftskörpers“ wurde. 

Leise, aber unaufhaltsam senkte sich von nun ab die Wage 
der öffentlichen Meinung zugunsten der Kredit- und Börsen- 
wirtschaft in dem Maße, wie diese selbst sich ausbreitete und 
vertiefte. Allmählich folgte die Gesetzgebung, und als die 
Napoleonischen Kriege zu Ende geführt waren, als Ruhe im 
Lande herrschte, da fing nun auch die Börse an — unbehindert 
von den lästigen Fesseln einer börsenfeindlichen Gesetzgebung — 
mächtig emporzublühen. 

Sombart, Die Juden 8 


Digitized by t^ooQle 


114 


Welches waren nun aber die tatsächlichen Veränderungen, 
die Effekten wesen und Fondsspekulation in dieser Zeit erfuhren ; 
worin erweist sich in der wirklichen Gestaltung der Dinge (nicht 
nur in ihrem „ideologischen“ Widerschein) die Unterschiedlich- 
keit gegen früher, derentwegen wir von einer neuen Epoche des 
Börsenverkehrs reden können; und — natürlich unsere Haupt- 
frage — : was hatten die Juden dabei zu tun? 

Die Technik der Börsengeschäfte erlebte in der neuen Zeit 
keine irgendwie wesentliche Veränderungen. Sie stand im Jahre 
1688, als de la Veja sein Buch erscheinen lieh, vollendet da. 
Daß noch diese oder jene Nebengeschäftsform hinzuwuchs, ver- 
steht sich von selbst. Auch hier werden wir immer auf Juden 
stoßen, wenn wir etwa die Recherche de la patemitö anstellen. 
So fand ich 369 zum Beispiel als Begründer des Assekuranz- 
geschäfts (in Deutschland) W. Z. Wertheimer in Frankfurt a. M., 
ebenso als Begründer des sog. Heuergeschäfts (zu dessen Betrieb 
sich in Berlin im Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene Gesell- 
schaft unter der Firma „Fromessen-Komitö“ gebildet hatte) 
Juden. 

Aber der Schwerpunkt der Entwicklung liegt doch nicht hier 
in dieser Weiterbildung der Geschäftsformen; er liegt vielmehr, 
wenn ich es in einem Schlagwort ausdrücken darf, in der 
extensiven und intensiven Steigerung des Fondsverkehrs. 

Wie rasch sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, dann 
aber noch in viel reißenderem Tempo seit dem Anfang des 
19. Jahrhunderts die Anzahl und Menge der öffentlichen Schuld- 
verschreibungen vermehrt, ist ja bekannt. Damit natürlich dehnt 
sich in gleichem (oder noch größerem) Maße die Fondsspekulation 
aus. Diese hatte bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts 
selbst in Amsterdam und London doch eigentlich nur geplänkelt, 
und zwar mit Vorliebe im Aktienhandel. Den ersten großen Vor- 
stoß gegen die öffentlichen Anleihen datiert ein zuverlässiger 
Gewährsmann für Amsterdam (und damit für die damalige Börse 
überhaupt) vom Jahre 1763: er berichtet, daß bis dahin vor- 
nehmlich in Aktien spekuliert sei; „mais depuis la demiäre 
guerre on s’est jettö dans le vaste Ocöan des annuites“ 968 . Die 
an der Amsterdamer Börse notierten Effekten bezifferten sich 
noch Mitte des 18. Jahrhunderts auf nur 44; darunter waren 
25 Sorten inländische Staats- und Provinzialobligationen und 


Digitized by 


Google 



115 


<> deutsche Anleihesorten. Bis zum Ende des Jahrhunderts war 
die Zahl der inländischen Papiere schon auf 80, die der deutschen 
auf 30 gestiegen 8M . Aber wie rasch wuchs nun der Fondsmarkt 
während und namentlich nach den Napoleonischen Kriegen anl 
Waren bis 1770 an der Amsterdamer Börse seit ihrem Bestehen 
für 250 MilL Gulden Anleihen aufgenommen worden, so emittierte 
ein einziges Londoner Haus in nur 14 Jahren (von 1818 — 1832) für 
mehr als jene Summe, nämlich für 440 Mill. Mark, öffentliche Schuld- 
anweisungen. Das sind alles bekannte Dinge. Aber man weih 
auch, wer „das einzige Londoner Haus" nur sein kann, das in 
einem Jahrzehnt für eine halbe Milliarde Mark Papiere auf den 
Markt brachte. Und mit der Erwähnung „dieses einzigen Hauses" 
und seiner vier Brüderhäuser habe ich auch schon den Zu- 
sammenhang hergestellt zwischen dieser allgemeinen Betrachtung 
/der Fondsentwicklung und der Spezialfrage, die wir aufgeworfen 
hatten. 

Ausdehnung des Effektenmarktes von 1800 bis 1850 heißt 
die Ausbreitung des Hauses Rothschild und was da drum 
und dran hing. Denn der Name Rothschild bedeutet mehr als die 
Firma, die er deckt. Er bedeutet die gesamte Judenscbaft, so- 
weit sie an der Börse tätig war. Denn allein mit ihrer Hilfe 
konnten die Rothschilds die alles überragende Machtstellung, ja 
man kann getrost sagen : die Alleinherrschaft an der Fondsbörse 
erobern, die wir sie während eines halben Jahrhunderts einnehmen 
sehen. Es ist gewiß keine Übertreibung, wenn man gesagt hat, 
daß (übrigens gilt das für manche Länder bis über die Mitte des 
Jahrhunderts hinaus) ein Finanzminister, der sich dieses Welt- 
haus entfremdete und mit ihm nicht paktieren wollte , geradezu 
seine Bureaus schließen mußte. „Es gibt nur eine Macht in 
Europa", heißt es um die Mitte des 19. Jahrhunderts, „und das ist 
Rothschild; seine Trabanten sind ein Dutzend anderer Bank- 
häuser und seine Soldaten, seine Knappen sind alle ehrlichen 
Handelsleute und Arbeiter und sein Schwert ist die Spekulation" 
{ A . Weil). Bekannt sind die vielen witzigen Bemerkungen, die 
Heine über die Rothschilds gemacht hat und in denen sich 
sicher besser als in langen Zahlenreihen die einzige Bedeutung 
-dieses seltsamen Phänomens widerspiegelt. „Herr von Roth- 
schild ist in der Tat der beste politische Thermometer, ich will 
nicht sagen Wetterfrosch, weil das Wort nicht hinlänglich respekt- 

8 * 


Digitized by 


Google 



116 


voll klänge“. „Jenes Privatkabinett ist in der Tat ein merk- 
würdiger Ort, welcher erhabene Gedanken und Gefühle erregt, 
wie der Anblick des Weltmeers oder des gestirnten Himmels: 
wir sehen hier klar, wie klein der Mensch und wie grob Gott 
ist“ usw. 

Es kann mir nun nichts ferner liegen, als die Absicht, die 
Geschichte des Hauses Rothschild hier auch nur in den Grund- 
zügen zu schreiben. Jedermann kann sich über die welt- 
geschichtliche Bedeutung dieses Hauses leicht aus der zum Teil 
recht guten, jedenfalls sehr umfangreichen Rothschildliteratur 255 
unterrichten. Was ich nur gern möchte, ist dies : ein paar der be- 
sonders charakteristischen Züge hervorzuheben, die die Rothschilds 
der Börse und dem Börsenverkehr eingeprägt haben, um so zu 
zeigen, daß nicht nur in quantitativer, sondern auch in quali- 
tativer Hinsicht die moderne Börse Rothschildsch (also jüdisch) ist» 

Das erste kennzeichnende Merkmal , das die Börse seit den 
Zeiten der Rothschilds trägt (und das sie ihr deutlich auf- 
gedrückt haben), ist ihre Intemationalität. Diese war, wie nicht 
erst nachgewiesen zu werden braucht, die notwendige Voraus- 
setzung für die gewaltige Ausdehnung des Effektenwesens , das 
zu seiner Entwicklung des Zusammenstroms der „Kapitalien“ aus 
allen Ecken und Enden der bewohnten Erde nach den Zentren 
des Leiheverkehrs , den großen Weltbörsen, bedurfte. Was uns 
heute als selbstverständlich erscheint: die Internationalität des 
Kreditverkehrs, war für den Anfang des 19. Jahrhunderts noch 
etwas, das die größte Bewunderung erregte, wo man es bemerkte. 
Daß Nathan Rothschild 1808 im Kriege Englands mit Spanien 
es übernahm, von London aus die Zahlungen für die britische 
Armee in Spanien auszuführen, galt als eine ungeheure Leistung 
und begründete recht eigentlich seinen großen Einfluß. Bis 1< 98 
hatte nur das Frankfurter Haus bestanden; 1798 wurde in London, 
1812 in Paris, 1816 in Wien, 1820 in Neapel von je einem 
Sohne des alten Mayer Amschel, wie bekannt, eine Zweig- 
niederlassung begründet. Damit war die Möglichkeit gegeben, die 
Anleihe jedes fremden Landes wie eine inländische zu behandeln, 
und damit bürgerte sich beim Publikum die Gewohnheit erst 
recht ein, sein Geld auch in fremden Papieren anzulegen, weil deren 
Zinsen und Dividenden nun im Heimatlande in einheimischer 
Münze bezahlt wurden. Die Schriftsteller aus dem Anfang des- 


Digitized by 


Google 



117 


19. Jahrhunderts berichten als über eine außerordentlich weit- 
tragende Neuerung, daß „jeder Besitzer von Staatspapieren . . die 
Zinsen nach seiner Bequemlichkeit an mehreren Orten ohne alle 
Bemühungen erheben (kann): das Haus Rothschild in Frankfurt 
bezahlt die Zinsen für mehrere Staatsregierungen , das Pariser 
Haus Rothschild bezahlt die Zinsen der österreichischen Metalli- 
ques, die neapolitanischen Renten, die Zinsen der englisch- 
neapolitanischen Obligationen nach Belieben in London, Neapel 
oder Paris“ 2Ö6 . 

Wurde auf diese Weise der Kreis der Geldgeber räumlich 
erweitert , so sorgten andere Maßnahmen der Rothschilds dafür, 
daß nun auch der letzte Groschen aus der Bevölkerung allerorts 
herausgepumpt wurde. Das geschah durch eine geschickte Be- 
nutzung der Börse zu Emissionszwecken. 

Nach allem, was wir aus den Berichten der Zeitgenossen 
herauslesen 267 , hat die Ausgabe der österreichischen Rothschild- 
lose im Jahre 1820/21 sowohl für das Anleihewesen, wie für den 
Börsenverkehr Epoche gemacht. Zum ersten Male wurden hier 
alle Register der wildesten Fondsspekulation gezogen , um 
„Stimmung“ für das Papier zu machen, und von dieser Anleihe 
datiert (wenigstens auf dem Festlande) recht eigentlich erst die 
Effektenspekulation ; man kann sie „füglich als das . . Signal 
«um lebhaften und weithin ausgebreiteten Handel mit Staats- 
papieren betrachten“ (Bender). 

Stimmung machen war die Parole, die von nun an den 
Börsenverkehr beherrschte. Stimmung zu machen war der Zweck 
der unausgesetzten Kursverschiebungen durch systematischen 
Ankauf und Verkauf der Effekten, wie sie die Rothschilds von 
Anbeginn an bei ihren Emissionen betrieben. „Um nun diese 
Börsen- und Geldmarktsmanipulationen vornehmen zu können, 
wurden alle möglichen, ihnen zu Gebote stehenden Mittel an- 
gewandt, alle nur auffindbaren Wege eingeschlagen, alle nur zu 
ersinnenden Börsen- und sonstigen Machinationen ausgeübt, alle 
Hebel in Bewegung gesetzt, Geld in größeren und kleineren 
Summen geopfert“ 268 . Die Rothschilds trieben also „Agiotage“, 
in dem engeren Sinne, den die Franzosen dem Worte beilegen : 
das war bis dahin von großen Bankhäusern, namentlich aber von 
den Anlehnsübemehmem selbst, offenbar noch niemals geschehen. 
Die Rothschilds verwendeten also das von den Amsterdamer 


Digitized by 


Google 



118 


Juden, wie wir sahen, eingeföhrte Mittel der künstlichen Markt* 
beeinflussung durch Stimmungsmache zu einem neuen Zwecke: 
der Lancierung von Effekten. 

Aber die so sehr veränderte Stellung des Bankiers zur Börse 
und zum Publikum wird uns doch erst verständlich, wenn wir 
uns vergegenwärtigen, daß in jener Zeit, von der die Rede ist 
— also in der Rothschildepoche — sich in dem kommerziellen 
Leben neue Kristallbildungen vollzogen hatten, ein neuer Go* 
schäftstyp entstanden war, der nun auch selbständiges Leben 
betätigte und selbständige Anforderungen stellte : das Emissions- 
geschäft. 


UI. Die Schaffung von Wertpapieren 

Das Emissionsgewerbe, mit dem wir hier zunächst zu tun 
haben, verfolgt den Zweck, durch Kreierung von Effekten (öffent- 
lichen Anleihen), also durch selbständige Effektenmacherei Gewinn 
zu erzielen. Seine Entstehung ist deshalb für die Weiter- 
entwicklung so entscheidend wichtig, weil in ihm ersichtlich eine 
kapitalistische Kraftquelle von ungemeiner Stärke erschlossen 
wird. Effekten entstehen von mm an nicht mehr nur aus dem 
Bedürfnis des Geldsuchenden, Kreditbegehrenden heraus, sondern 
ihre Produktion wird zum Inhalt einer eigenen kapitalistischen 
Unternehmung, deren Interessen also mit der möglichst aus- 
gedehnten Erzeugung dieser Ware aufs engste verknüpft sind. 
Hatte man früher gewartet, bis der Geldsuchende kam, so wird er 
von nun an gedrängt. Der Anlehnsübernehmer wird aggressiv; 
von ihm geht die Anleihebewegung zum guten Teil nun aus. 
Dieser Tatbestand wird (wie beim privaten Geldleihegeschäft) 
nur selten deutlich. Wie aber die innere Konstruktion des 
modernen Anleihewesens im Grunde ist, erkennen wir, wenn es 
sich etwa um die Versorgung der kleineren Staaten mit Schulden 
handelt. Bei ihnen ist, wie bekannt, geradezu eine Art von Ge- 
schäftsreisendentum in Anleihewerten organisiert: „now we have 
wealthy firms with large machinery, whose time and staff are 
devoted to hunting about the world for powers to bring out 
foreign loans m .“ 

Naturgemäß ändert sich mit dieser Neubildung auch die 
Stellung des Anlehnsübemehmers zu Börse und Publikum. Auch 
ihnen gegenüber muß er jetzt in ganz anderer Weise aggressiv 


Digitized by 


Google 



119 


werden , nachdem sein Gewerbe in der Unterbringung von 
Effekten besteht, denn vorher, als diese Tätigkeit noch eine ge- 
legentliche war. 

Eine brauchbare Geschichte des Emissionswesens 
und namentlich des Emissionsgewerbes besitzen wir nicht. Wann 
dieses entstanden ist, können wir nur vermuten; vielleicht wird 
sich die Geburtsstunde des Emissionsgewerbes auch nie mit 
Sicherheit feststellen lassen, weil es sich ganz allmählich aus 
einer gelegentlichen Anlehnsübernahme heraus entwickelt, und 
diese selbst lange Zeit zwischen kommissionsmäßiger und eigen- 
händlerischen Form schwankt. Die Entwicklung zum selb- 
ständigen Emissionsgewerbe fällt wohl im wesentlichen in das 
18. Jahrhundert, in dem wir jedenfalls die drei Etappen noch 
deutlich wahmehmen können, in denen sich die Wandlung voll- 
zieht. 

Auf der ersten Stufe der Entwicklung wird wohl ein reiches 
Bankhaus (oder ein reicher Geldmann), von dem vor der börsen- 
mäßigen Anleiheunterbringung direkt geborgt wurde (sei es, daß 
der Darleiher allein die Mittel aufbrachte, sei es, daß er sie sich 
zum Teil von andern verschaffte: dann entstand das, was man 
etwa ein Darlehn bei einer Depositenbank nennen könnte, was 
aber auch durchaus verschieden von der modernen Form der 
Anleihe ist), kommissionsweise mit der Placierung betraut worden 
sein. Das ist etwa der Zustand, wie wir ihn in Österreich 
(dessen Finanzgeschichte ganz besonders tüchtige Bearbeiter ge- 
funden hat) während des ganzen 18. Jahrhunderts antreffen. 
„Größere Anleihen, namentlich jene im Auslande, wurden meist 
durch Vermittlung eines bedeutenden Bankhauses oder eines 
Konsortiums von solchen aufgenommen. Die betreffende Firma 
besorgte dann die Aufbringung des Kapitals im Wege der öffent- 
lichen Subskription, sowie dessen Abfuhr an die Finanzverwal- 
tung oder deren Ordre, übernahm die Auszahlung der fälligen 
Zinsen und Kapitalsraten an die einzelnen Teilnehmer, nötigen- 
falls mit Hilfe von eigenen Vorschüssen auf den assignierten 
Fonds und vermittelte bei Differenzen mit den Interessenten — 
alles natürlich gegen entsprechende Provision“ 260 . Aber auch 
noch in den 1760 er Jahren sehen wir an der Wiener Börse die 
Privatbankiers lediglich als Kommissionäre der Regierung tätig: 
ihnen wird bei Konvertierungen „die Verwendung des Amorti- 


Digitized by 


Google 



120 


sationsfonds anvertraut“, aus dem sie die alten Papiere tunlichst 
1 — lVa°/o höher als die mitbietenden Privaten aufzukaufen 
haben 861 . 

Aber es gab um jene Zeit schon „Eigenhändler in Anleihen" . 
1769 „übernahmen italienische und niederländische Häuser bereit- 
willig die Aufbringung von Anlehen“ m . Und die bekannte Be- 
schreibung des Emissionswesens bei Adam Smith (B. V. ch. 3) 
läßt diese Tatsache noch deutlicher erkennen. „In England . . . 
the merchants are generally the people who advance money to 
government. But advancing it, they do not mean to diminish, 
but, on the contrary, to increase their mercantile capitals; and 
unless they expected to seil with some profit their share in the 
subscription for a new loan, they never would subscribe". 
(Während in Frankreich, meint er, die direkte Beteiligung der 
reichen Geldleute als , Selbstdarleiher 4 die Regel bilde). „Seit 
einer Reihe von Jahren haben sich an den gröberen euro- 
päischen Plätzen Vereine der Hauptbankiers gebildet, welche 
auf die ihnen willkommenen Anlehn . . mitbieten.“ 868 

Die eigenen Emissionshäuser, d. h. solche Geschäfte, deren 
Haupttätigkeit die Emittierung von öffentlichen Anleihen wurde, 
scheinen sich aber nicht einmal aus der Masse der Bankiers 
herausgebildet zu haben, die wir im 18. Jahrhundert deutlich die 
Emissionstätigkeit, aber offenbar immer nur als eine Neben- 
beschäftigung, ausüben sehen. Wahrscheinlicher ist es, daß sie 
dem Kreise der berufsmäßigen Effektenhändler, also in England 
der Dealer entstammen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird 
der Ring Londoner Bankiers, der das Monopol der Staatsanleihe- 
emission besaß, gebrochen durch eine Konkurrenz, die ihnen aus 
den Kreisen der Börsenleute erwächst. Und zwar ist es 
wiederum ein jüdisches Haus, das hier den ersten Schritt 
tut und dadurch eigentlich erst die ganz und gar börsenmäbige 
Emission begründet. Ich meine die Rothschilds des 18. Jahr- 
hunderts, die Beherrscher von 'Change Alley in jenen Tagen: 
Abraham und Benjamin Goldsmid. Sie treten im Jahre 1792 — 
als die ersten Mitglieder der Stock Exchange 863 — in 
Wettbewerb mit den Bankiers bei Unterbringung einer neuen 
Anleihe und beherrschen von da ab bis zum Tode des zweiten 
Bruders, Abraham, im Jahre 1810 den Anleihemarkt: vielleicht 
das erste wirkliche Emissionshaus, das dann in seiner Tätig- 


Digitized by t^ooQle 



121 


keit unmittelbar abgelöst wird vom Hause Rothschild. Diese 
sind dann wohl das erste Haus, das die dem selbständigen 
Emissionsgeschäft eigene Geschäftsführung (wie wir schon fest- 
stellen konnten) zum ersten Mal zur Anwendung brachte. 

Aber es ist klar: von der gewerbsmäßigen Emittierung 
öffentlicher Anleihen konnten auch nur ganz wenige, große 
Firmen leben. Die Effektenmacherei als Beruf hätte keine sehr 
große Ausdehnung annehmen können, wenn sie sich hätte auf 
die Fabrizierung öffentlicher Schuldtitel beschränken müssen. Ein 
ganz anderes weites Feld der Tätigkeit bot sich in dem Augen- 
blicke dar, da man Mittel und Wege fand, auch für den privaten 
Bedarf Effekten herzustellen. Hier durfte man hoffen, bei nur 
entsprechender Intensität des Angriffs , unübersehbar große 
Massen von Abnehmern künstlich zu schaffen. Aus diesem 
Drang der Effektenfabrikanten heraus, ihren Absatz zu erweitern, 
entstehen dann die beiden, für alles moderne Wirtschaftsleben 
so entscheidend wichtigen Untemehmungszweige : das Gründungs- 
geschäft und das Pfandbriefgeschäft. 

Das Gründungsgeschäft hat also zum Inhalt die Her- 
stellung von Aktien und Obligationen zum Zweck des Verkaufs; es 
wird betrieben von Firmen: „whose business it professedly is to 
make money by manufacturing Stocks and shares Wholesale and 
forcing them upon the public“ (Crump). Welch ungeheurer 
Drang damit in das Wirtschaftsleben kam, braucht nicht erst 
gesagt zu werden. Wurde es doch von nun an das Geschäfts- 
interesse zahlreicher und zum Teil wichtiger Unternehmen, immer 
wieder neue Kraftzentren des Kapitalismus in Gestalt neuer oder 
erweiterter Unternehmungen zu schaffen, ganz ohne Rücksicht 
auf den Bedarf oder ähnliche stabilisierende Kategorien. Es 
tritt nun „eine Kraft in Tätigkeit, welche mit übermäßiger, 
wucherischer Fruchtbarkeit Großbetriebe in Form von Aktien- 
gesellschaften hervorbringt“ (Knies). 

Daß aber die Juden an dieser Steigerung der dynamischen 
Natur des Kapitalismus , nämlich an der Entwicklung des 
Gründungsgeschäftes, wiederum hervorragenden Anteil haben, 
wenn sie es nicht ganz und gar aus sich herausgeboren haben, 
dürfte kaum noch zweifelhaft sein. 

Die Anfänge des Gründungsgeschäfts liegen ebenfalls im 
Dunkeln. Als erster belichteter Punkt in seiner Geschichte hebt 


Digitized by 


Google 



122 


sich, soviel ich sehe, abermals die Wirksamkeit des Hauses Roth- 
schild heraus. Eine umfassende Gründertfttigkeit, die wohl auch 
erst die gewerbsmäßige Gründerei erzeugte resp. möglich machte» 
entfaltete sich scheinbar zum ersten Male, als Eisenbahnen gebaut 
werden sollten, also seit den 1830 er Jahren. Und hier scheinen 
in der Tat die Rothschilds (neben einigen anderen jüdischen 
Häusern, wie den d’Eichthal, den Fould u. a.) die ersten gewesen 
zu sein, die den neuen Geschäftszweig pflegten und zur Blüte 
brachten. 

Eine genaue ziffermäßige Erfassung dieser Vorgänge besitzen 
wir meines Wissens nur immer, insoweit die Länge der kon- 
zessionierten Linien oder allenfalls soweit die Höhe des inves- 
tierten Kapitals in Frage kommt, nicht aber was den Anteil 
der einzelnen Gründungshäuser anbetrifft. Wir kennen aber 
immerhin eine große Menge bedeutender Eisenbahnlinien, die 
von den Rothschilds „erbaut“ sind (französische Nordbahn, 
österreichische Nordbahn, die italienisch-österreichischen Bahnen 
und viele andere). 

Wir dürfen vor allem aus den Zeugnissen urteilsfähiger 
Zeitgenossen schließen, daß in der Tat die Rothschilds die ersten 
„Eisenbahnkönige“ gewesen sind. „Als in den letzten Jahren“ 
(vor 1843), heißt es in einem viel bemerkten (und nachher viel 
zitierten) Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 
Jahre 1843, „der Spekulationsgeist sich den industriellen Unter- 
nehmungen zuwandte und die Eisenbahnen ein Bedürfnis des 
Kontinents wurden, ergriffen die Rothschilds die Initiative und 
stellten sich an die Spitze der Bewegung.“ Jedenfalls war das 
Haus Rothschild in der Eisenbahngründung tonangebend geworden, 
wie ehedem in der Anleiheemission. „Selten, haben sich Ge- 
sellschaften gebildet ohne seine Gönnerschaft und bilden sie 
sich doch und er läßt sie allein walten, so ist sicher nicht viel 
daran zu verdienen“ (in Deutschland). „Das Haus Rothschild 
bildet gegenüber den Eisenbahnen keine Sozietät; submissio- 
niert es die Konzession einer Bahn, so ist jede Beteiligung, die 
jenes Haus einzelnen Personen gewährt, eine Vergünstigung, ja 
ein Geldgeschenk, welches es seinen Freunden angedeihen läßt. . . 
Die sogenannten Promessen stehen nämlich schon mehrere Francs 
über Pari. . . Daraus erhellt die Überlegenheit und Gewalt Roth- 
schilds in allen seinen Unternehmungen, deren glückliches Re- 


Digitized by 


Google 



123 


sultat — mit nur geringen Ausnahmen — allein in seinen Händen 
ruht“ (in Frankreich). „Rothschild ist der Chef der Eisenbahnen 
den Regierungen gegenüber. Da, wo sonst nur eine starke Faust 
herrschte, herrscht jetzt eine Gesellschaft . . . und diese Gesell- 
schaften alle stehen unwillkürlich unter einem Chef, weil dieses 
Haupt, wenn es will, die anderen alle zerstören kann. Und 
dieser Chef ist Rothschild. Das sagte Ad. Weil in seiner Flug- 
schrift über Rothschild im Jahre 1844 und heute, im Jahre 1857, 
ist es ungefähr (?) noch dieselbe Wahrheit“ 864 . Diese Urteile 
zeitgenössischer Schriftsteller können uns deshalb sehr wohl als 
Quelle dienen, weil sie erstens vielerlei Tatsächliches enthalten, 
zweitens aber von Bewunderern wie Feinden der Rothschilds in 
gleichem Sinne gefällt werden. 

Seit den Zeiten der Rothschilds ist dann aber Jahrzehnte 
hindurch das Gründungsgeschäft recht eigentlich eine Spezialität 
jüdischer Geschäftsmänner geblieben. Ganz große Gründemamen, 
wie die etwa des Baron Hirsch oder des Dr. Strousberg, hatten 
Juden als Träger. (Einen Typus für sich, den wir nicht eigentlich 
als berufsmäßigen Gründer bezeichnen dürfen, wie etwa den 
Dr. Strousberg, bilden die amerikanischen Trustmagnaten.) Und 
auch die Masse der kleineren und mittleren gewerbsmäßigen 
Gründer bilden Juden. Ein Blick auf die Gründungen während 
der Jahre 1871 bis 73 in Deutschland, wie ihn die folgende Zu- 
sammenstellung zu tun versucht, zeigt, daß damals eine gerade- 
zu erstaunlich große Menge von Juden an allen Unternehmungen 
beteiligt gewesen sein muß 865 . Denn der Anteil der Juden 
an den Gründungen kommt in den mitgeteilten Ziffern nur un- 
vollständig zum Ausdruck: 1. weil die Übersicht sich nur auf 
eine Auswahl von Gründungen bezieht (und zwar gerade die 
„faulsten“, von denen sich die vorsichtigen Juden vielleicht am 
ehesten zurückhielten) und 2. weil gerade damals in sehr vielen 
Fällen die Juden die Schieber, die anderen die Geschobenen 
(und vorgeschobenen Strohmänner!) waren. Immerhin geben 
doch auch diese Ziffern schon ein ganz hübsches Bild. 

Von 25 großen privaten Gründungshäusem ersten Ranges 
tragen 16 jüdische Namen. 

Königs- und Laurahütte : Unter 13 Gründern 5 Juden. 
Continentale Eisenbahnbaugesellschaft (10 MilL Taler Kap.): 
6 Gründer, 4 Juden. 


Digitized by 


Google 



124 


Bei 12 Berliner Terraingesellschaften von 80 Aufsichtsräten 
27 Juden. 

Bauverein U. d. Linden: 8 Gründer, 4 Juden. 

Bei 9 Baubanken unter 104 Gründern 37 Juden. 

Bei 9 Berliner Brauereien unter 54 Gründern 27 Juden. 

Bei 20 norddeutschen Maschinenfabriken unter 148 Gründern 
47 Juden. 

Bei 10 norddeutschen Gaswerken unter 49 Gründern 18 Juden* 
Bei 20 Papierfabriken unter 89 Gründern 22 Juden. 

Bei 12 norddeutschen chem. Fabriken unter 67 Gründern 22 Juden. 
Bei 12 norddeutschen Textilfabriken unter 65 Gründern 27 Juden. 

Den Anteil der Juden am „Gründungsgeschäft“ in der Gegen- 
wart festzustellen, ist nur dort leicht möglich, wo die Privat- 
bankiers noch eine größere Rolle spielen, wie in England. Hier 
erweisen sich von den im Bankier- Almanach für 1904 verzeichneten 
63 Merchant-Bankers 33 Firmen als jüdisch oder mit jüdischem 
Einschlag; von diesen 33 gehören 13 Häuser zu den allerersten 
(Mitteilung meines Kollegen Jaffe). 

In demjenigen Ländern dagegen, wo die Privatbankiers durch 
die Aktienbank in größerem Umfange verdrängt sind (wie also 
namentlich in Deutschland), ist es außerordentlich* schwierig, 
genau zu ermitteln, wie groß der Prozentsatz der Juden ist. Da 
kommt uns nun aber die im wesentlichen von mir in diesen 
Untersuchungen angewandte „genetische“ Methode zustatten, 
insofern sie uns gerade in dieser Entwicklung: die Aktienbank 
zur Trägerin des Gründungsgeschäfts zu machen, den Einfl uß der 
Juden deutlich verspüren läßt. 

Die Verwertung des Aktienprinzips für die 
Effektenproduk tion oder, wie es in meiner Terminologie 
heißen würde : die Versachlichung des Emissions- und Gründungs- 
geschäftes bedeutete seinerzeit abermals eine Etappe in der Ent- 
wicklung des Kapitalismus, deren Wichtigkeit wir abermals nicht 
hoch genug anschlagen können, weil durch diese Neuerung 
wiederum das dynamische Prinzip der kapitalistischen Organi- 
sation eine ungeheuere Ausweitung erfuhr, der Atmosphären- 
druck der kapitalistischen Interessen um ein Vielfaches durch 
sie gesteigert wurde. 

Die eigentlichen großen Gründungsepochen sind ohne die 
Spekulationsbanken nicht denkbar, weder die der 1850er 


Digitized by t^ooQle 


125 


Jahre, die sie erst erzeugte, noch die der 1870 er, noch viel weniger 
die letzte der 1890 er Jahre. Das gewaltige Werk des Eisenbahn- 
baues ist doch nur durch die Vermittlung der großen Gründungs- 
banken vollendet worden. Wenn auch die Privathäuser in den 
1880er und 1840er Jahren Großes geleistet hatten: es reichte 
doch nicht heran an das, was die großen Banken vollbrachten. 
In Frankreich hatte man für Eisenbahnbauten 1842 bis 1847 
144 Mill. Francs, 1848 bis 51 130 Millionen Francs ausgegeben; 
nun aber verausgabte man in den Jahren 1852 bis 1854 250 Mill., 
in dem Einen Jahre 1855 500, 1856 520 Millionen für denselben 
Zweck 266 . Dasselbe gilt für die übrigen Länder. »Die ganze 
Arbeit des in diesen Zeitraum (1848 bis 1870) fallenden überaus 
großen Ausbaus unseres (des deutschen) Eisenbahnnetzes (ist) 
lediglich durch . . . Vermittlung von Banken . . . geleistet worden“ 267 . 
Wir begreifen auch sehr wohl, worin diese soviel größere Leistungs- 
fähigkeit der Banken gegenüber den Privathäusern ihre Be- 
gründung fand. 

Auf der einen Seite wurde durch die Zusammenballung großer 
Kapitalmassen in riesigen Aktienbanken die Operationsbasis 
natürlich beträchtlich ausgeweitet, auf der nunmehr die Produktion 
neuer Unternehmungen stattfinden konnte. Sie wurde ins un- 
ermeßliche vergrößert, wenn man (wie bei uns) die Gründungs- 
bank auf der Depositenbank aufbaute. Auf der andern Seite 
wuchs der Drang zur fortgesetzten Neugründung in dem Maße, 
wie überhaupt die Aktiengesellschaft energischer auf Betätigung 
drängt als die Privatuntemehmung. Die Notwendigkeit, hohe 
Dividenden herauszuwirtschaften, erweist sich allemal als zwingen- 
der denn das bloße Gewinnstreben des Einzeluntemehmers. 

Wie sehr die Zeitgenossen sich bewußt waren, daß sie ein 
Ereignis von ungeheurer Tragweite miterlebten, als man nun 
daran ging, Aktiengesellschaften durch Aktiengesellschaften zu 
fabrizieren, beweist eine dithyrambische Verherrlichung dieser 
neuen Gebilde, zu der sich der schon erwähnte Kuntze in damals 
noch völlig naiver Anbetung des Kapitalismus hinreißen läßt, 
wenn er sagt: »Diese Idee — nämlich der sozialen Zentralisation 
der Kräfte — hat in dem Institut des Inhaberpapiers gleichsam 
ihre juristische Kunstform gefunden und in der alleijüngsten 
Gestalt der Kreditvereine ... ist jener Idee die umfassendste 
Anwendung zuteil geworden, welche nach menschlichem Ermessen 


Digitized by 


Google 



126 


überhaupt wohl möglich ist. In diesen neuen Zentral-Kredit- 
vereinen, durch welche unberechenbare Massen yon auf Inhaber 
lautenden Spekulations- und Kapitalpapieren in den Verkehr ge- 
bracht werden, hat das moderne Streben nach Organisation und 
Assoziation der sozialökonomischen Werte und Kräfte seinen 
vollendetsten Ausdruck gefunden : der Zentralkreditverein ist der 
Aktienverein schlechthin und vorzüglich; er ist ein assoziatives 
Bankhaus, ein Kapitalist en gros, das lebendig gewordene Sozial- 
prinzip selbst“ * 68 . 

Die „Zentralkreditvereine“ aber, auf die Kuntze sein be- 
geistertes Loblied anstimmt, waren der 1852 gegründete Crödit 
mobilier und die nach seinem Vorbilde in den nächsten Jahren 
ins Leben gerufenen Gründungsbanken in den übrigen Ländern. 
Ich sage mit Absicht Gründungsbanken, weil in der bankmäßigen 
Betreibung des Gründungsgeschäfts die grundsätzlich bedeutsame 
Neuerung lag, an die sich dann eine zweite Neuerung anschloß : 
die börsenmäßige Spekulation in Effekten. 

Man hat noch immer für die neuen (und nun schon recht 
alten) Gebilde, die mit dem Crödit mobilier auf die Welt kamen, 
keine Bezeichnung ausfindig gemacht, die ihren Charakter treffend 
und eindeutig zum Ausdruck brächte. Effektenbanken sind es, 
weil sie mit Effekten zu tun haben ; aber diese Bezeichnung er- 
faßt doch zu sehr nur ein äußerliches Moment. Schließlich ist 
eine Bank, die Effekten lombardiert, auch eine Effektenbank, da 
sie ja auch „mit Effekten zu tun hat.“ Besser ist schon der 
Name „Spekulationsbank“, denn diese Banken spekulieren in der 
Tat; aber „Gründen“ ist doch nicht spekulieren, und sie wollen 
doch gerade das Gründungsgeschäft betreiben. „Mobiliarkredit- 
banken“, die Übersetzung des ebenfalls sehr wenig bezeichnen- 
den Wortes Credits mobiliers, trifft am allerwenigsten ihre 
Gründungs- und Spekulationsgeschäfte. „Anlagebanken“ sind sie 
natürlich auch, aber daß sich Banken an kapitalistischen Produk- 
tions- (oder Handels-) Unternehmungen beteiligen, ist gerade das, 
was den Credits mobiliers nicht eigentümlich ist. 

„Anlagebanken“ gab es längst vor dem Jahre 1852. Eine 
Amlagebank war schon die Lawsche Bank. Eine Anlagebank 
war die 1761 in Österreich projektierte Handelsbank, die mit 
«inem Kapital von 10 bis 15 (später 60) Mill. die Schiffahrt nach 
der Levante betreiben, die Militärlieferungen, das Tabaksmonopol 


Digitized by 


Google 



127 


und den Talerhandel, sowie auch den Produktenverschleiß der 
Bergwerkserzeugnisse übernehmen, etwa neue Fabriken begründen 
und bereits bestehende an sich bringen sollte 269 . Eine Anlage- 
bank war die 1822 zu Brüssel gegründete Societö gönörale des 
Pays Bas pour favoriser l’industrie nationale, die schon 1849 
von 46 verschiedenen Aktienunternehmungen 90836 Va Aktien 
mit einem Nominalwerte von 68 729 202 Francs in ihrem Porte- 
feuille hatte. Eine Anlagebank war der 1848 begründete Schaaff- 
hausensche Bankverein, dessen Konto „Beteiligung bei industriellen 
Unternehmungen" im Jahre 1851 schon 434 706 Taler aufwies, 
und in dessen Geschäftsbericht vom Jahre 1852 (S. 3) es heißt: 
„Die Direktion ist dabei von dem Grundsatz ausgegangen, daß 
es die Aufgabe eines großen Bankinstituts sei, nicht sowohl durch 
eigene große Beteiligung neue Industriepapiere ins Leben zu 
rufen, als durch die Autorität ihrer auf gründlicher Prüfung be- 
ruhenden Empfehlung die Kapitalisten des Landes zu veranlassen, 
die müßigen Kapitalien solchen Unternehmungen zuzu wenden." 
Nein — die neue Idee war: sich nicht an industriellen und 
ähnlichen Werken zu „beteiligen" und doch an ihnen zu ver- 
dienen: nicht durch die Dividende, die sie abwarfen, sondern 
durch den Agiogewinn, den man bei der Ausgabe der Aktien 
machte. Es ist die Parallele zum Spekulationshandel, die in dem 
Gründungsgeschäft deutlich zutage tritt: keine Effektivgründung, 
sondern der „Differenz“gewinn an der Gründung ist das Ziel, 
dem man zustrebt. Insofern deckt der Name Spekulationsbanken 
am ehesten die spezifische Tätigkeit der Crödits mobiliers, die 
natürlich gar nicht mehr mit einer einzigen Bezeichnung zu 
charakterisieren sind, sobald sie auch nicht ihnen eigentümliche 
Geschäfte betreiben, wie also das Anlagegeschäft, das Emissions- 
geschäft, die „echten" Bankgeschäfte usw. In Frankreich nennt 
man jetzt die Banken von der Art der früheren Grödits mobiliers 
Banques d’affaires 970 : das ist eine vortreffliche Bezeichnung, die 
(für uns) nur den einen Fehler hat, daß sie nämlich nicht — 
übersetzbar ist. 

Aber auch hier wird es nicht sowohl auf den Namen, als 
auf die Sache ankommen. Und über diese k ann ja kein Zweifel 
herrschen : mit dem Credit mobilier wird der bankmäßige Betrieb 
des Gründungsgeschäftes (und wie wir gleich hinzufügen können: 
der Fondsspekulation) eingeführt. Und diese Neuerung — darum 


Digitized by t^ooQle 



128 


unser so sehr reges Interesse für die Sache — war jüdischen 
Ursprungs. 

Die Geschichte der Credit mobilier ist sehr bekannt* 71 . Hier 
interessiert uns daran im wesentlichen die Tatsache, daß seine 
geistigen und finanziellen Väter die beiden portugiesischen Juden 
Isaac und Emil Pereire waren und daß auch die übrigen Haupt- 
teilnehmer Juden waren. Die Liste der von den einzelnen 
Gründern gezeichneten Aktienbeträge weist aus, daß die beiden 
Pereire zusammen 11446, Fould-Oppenheim 11415 Aktien be- 
saßen, daß unter den großen Aktionären sich noch Mailet Freres, 
Ben. Fould, Torlonia-Rom, Salomon Heine-Hamburg, Oppenheim- 
Köln, also die Hauptvertreter der europäischen Judenschaft, be- 
fanden (die Rothschilds nicht, weil ja gegen sie der Grödit 
mobilier seine Spitze richtete). 

Der französische Crödit mobilier zeugte dann in den nächsten 
Jahren eine Reihe (legitimer und unlegitimer) Kinder: alle 
jüdischen Blutes. 

In Österreich hieß der erste Credit mobilier „K. K. privi- 
legierte österreichische Kreditanstalt“ und wurde 1855 von 
S. M. Rothschild gegründet. 

Die erste Anstalt, die in Deutschland die Grundsätze des 
Crödit mobilier vertrat , war die Bank für Handel und Industrie 
(die Darmstädter Bank), 1853 gegründet auf die Initiative der 
Kölner Oppenheims hin. „Wahrscheinlich ist die Gründung der 
Darmstädter Bank von den beiden französischen Finanzgenies 
nicht nur inspiriert, sondern auch unmittelbar inszeniert, wie 
man ja die ‘wesentliche, für unentbehrlich erachtete Beihilfe aus- 
ländischer Kapitalien*, von welcher der Geschäftsbericht von 1 853 
spricht, mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Crödit mobilier 
beziehen kann 4 * 72 . Einer der ersten Direktoren der Darmstädter 
Bank, der den Namen Heß trug, war einer der höheren Be- 
amten des Credit mobilier gewesen. 

Ursprünglich christlichen Ursprung ist die Berliner Diskonto- 
gesellschaft : die Gründung David Hansemanns. Was dieser aber 
aus eigener Initiative 1851 ins Leben rief, war eine reine Um- 
laufsbank, die mit Gründung und Spekulation gar nichts zu tun 
hatte. Erst in der Zuschrift, die Hansemann am 22. April 1855 
den Mitgliedern übersandte, wird die Ausdehnung auf jene Ge- 


Digitized by 


Google 



129 


schäfte angeregt. Die Worte Hansemanns klingen wie ein mattes 
Echo der Credit mobilier-Statuten. 

Die dritte grobe Spekulationsbank, die in den 1850 er Jahren 
begründet wurde, war die Berliner Handelsgesellschaft. Unter 
den Gründern finden wir einen Teil jener Kölner Häuser wieder, 
welche die Darmstädter Bank ins Leben gerufen hatten. Daneben 
stehen diesmal die bedeutendsten Berliner Bankgeschäfte, so 
Mendelssohn & Co., S. Bleichröder, Robert Warschauer & Co., 
Gebr. Schickler u. a. 

Auch unter den Gründern der Deutschen Bank (1870) über- 
wiegen die jüdischen Elemente. 

IT. Die Kommerzialisierung der Industrie 

In den Spekulationsbanken erreicht die kapitalistische Ent- 
wicklung ihren einstweilen höchsten Punkt. Mit ihrer Hilfe 
wird die Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens auf die Spitze 
getrieben. Die börsenhafte Organisation kommt zur Vollendung. 

Aus der Börse geboren, bringen die Spekulationsbanken die 
Börse, das heißt also die Spekulation, erst zu ihrer vollen Blüte, 
Der Effektenhandel wird durch sie zu früher ungeahntem Um- 
fange ausgeweitet 278 . Drängt doch ihr inneres Wesen, wie wir 
sahen, auf unausgesetzte Vermehrung der Effekten — des Agio- 
gewinnes wegen. Aber auch ihre eigenen Aktien bieten oft 
genug den stärksten Anlaß zur Spekulation. Und sie selbst be- 
teiligen sich in nicht geringem Maße an der Spekulation, sei 
es direkt, sei es auf dem Umwege des Reportgeschäfts, das heute 
ja bekanntlich zum „mächtigsten und wichtigsten Hebel der 
Spekulation" geworden ist. Mittels der Beleihung von Speku- 
lationspapieren ist den Banken die Möglichkeit gegeben, da- 
durch, daß sie für billige Sätze „Stücke hereinnehmen", den An- 
schein zu erwecken, als herrsche Geldfülle, die von Kauflust 
gern begleitet wird. Also Antrieb zu einer Haussebewegung. 
Wie sie anderseits durch Verwertung des Papiervorrats im um- 
gekehrten Sinne den Kurs zu drücken, leicht in den Stand ge- 
setzt werden. Die Reportsätze können sie ganz bemessen nach 
den eigenen Spekulationsplänen usw. Die großen Banken haben 
also den Dampfhahn der Maschine, die man Börse nennt, jetzt 
tatsächlich in ihrer Hand. Und man hat aus dieser beherrschen- 

Sombart, Die Juden 9 


Digitized by 


Google 



180 


den Stellung der Großbanken — namentlich in Deutschland — 
sowie aus der Tatsache, daß sie bei ihrem ausgedehnten Kunden- 
kreise den Kauf und Verkauf der Effekten zu einem großen Teile 
durch Ausgleich in sich bewerkstelligen können, den Schluß ge- 
zogen 274 , die Entwicklung führe zu einer Aufhebung der Börse 
durch die einzelnen Geldmächte, wie sie namentlich in den Groß- 
banken jetzt wieder erstehen. Diese Ansicht wird doch aber 
immer nur in dem Sinne als richtig gelten dürfen, daß man sagt: 
die „Börse“ wird durch die Hoch-Finanz beseitigt, indem diese 
selbst die Börse in sich aufnimmt. Die „Börse“ als öffentlicher 
Markt mag unter der modernen Entwicklung leiden: als Form 
und Prinzip der wirtschaftlichen Beziehungen gewinnt sie sicher 
immer mehr an Bedeutung, insofern immer weitere Gebiete des 
Wirtschaftslebens ihren Gesetzen untertan werden. 

Und damit vollzieht sich eben jener Prozeß in immer größe- 
rem Umfange, den ich als Kommerzialisierung bezeichnete. 

Will man die Richtung, in der sich die moderne Volkswirt- 
schaft bewegt, in einem Satze ausdrücken, so wird man sagen 
können: die Börsendisponenten der Banken werden immer mehr 
die Beherrscher des Wirtschaftslebens. 

Alles wirtschaftliche Geschehen wird immer mehr durch die 
Finanz bestimmt. Ob ein industrielles Unternehmen neu ent- 
stehen, ob ein bestehendes erweitert werden soll ; ob ein Waren- 
hausbesitzer die Mittel bekommen soll, um sein Geschäft noch 
weiter auszudehnen : alles wird in den Bureaus der Banken und 
Bankiers entschieden. Ebenso wird der Absatz der Erzeugnisse 
in immer größerem Umfange ein Problem der Finanzkunst. 
Unsere größten Industrien sind ja heute schon ebenso Finanz- 
gesellschaften wie Industrieunternehmungen. Aber auch die 
anderen Industrien sind immer mehr auf finanzielle oder börsen- 
mäßige Transaktionen angewiesen, um sich ihr Absatzgebiet zu 
erobern (Lieferungswesen I). Von der Börse wird der Preis der 
meisten Weltfabrikate und Rohstoffe und vieler Fertigfabrikate 
beeinflußt und die Börse beherrschen muß der, der im Kon- 
kurrenzkämpfe obsiegen will. Unsere großen Transportunter- 
nehmungen sind aber auch schon längst nichts anderes als große 
Finanz- und Handelsgesellschaften. Sodaß man getrost sagen darf: 
alle wirtschaftlichen Vorgänge lösen sich immer mehr in reine 
Handelsgeschäfte auf, nachdem zuvor das Technische ausgesondert 


Digitized by t^ooQle 


131 


und besondeni , eigens dazu Angestellten Kräften, überantwortet 
worden ist. 

Das lehrreichste Beispiel für die Kommerzialisierung der In- 
dustrie bietet bekanntlich die Elektrizitätsindustrie. Will man 
diese als einen neuen Typus industrieller Organisation kennzeichnen, 
so wird man zusammenfassend sagen dürfen : die Leiter der Elek- 
trizitätswerke waren die ersten, die es als die wichtigste Auf- 
gabe der Industrie erkannten, sich selber ein Absatzgebiet zu 
schaffen. Bis dahin hatte auch die großkapitalistische Industrie 
im wesentlichen sich damit begnügt, die Bestellungen, die da 
kommen sollten, abzuwarten. Man übertrug die Vertretung der 
Fabrik einem Agenten in einer großen Stadt, der als General- 
agent oft genug der Vertreter vieler anderer Werke daneben war 
und keine sehr starke Initiative bei der Anwerbung neuer 
Kunden entfalten konnte. Nun aber griff man die Kundschaft 
an. Von zwei Seiten her versuchte man an das Ziel heran- 
zukommen. Zunächst dadurch, daß man direkt (durch Ankauf 
von Aktien usw.) auf diejenigen Instanzen Einfluß zu gewinnen 
suchte, von denen die Bestellungen ausgehen mußten: Pferde- 
bähngesellschaften , die sich in elektrische Bahnen umwandeln 
sollten usw., oder daß man sich an Neuschöpfungen solcher Unter- 
nehmungen selbst beteiligte oder sie gar selbst ins Leben rief. 
Durch derartige Tätigkeit sind die großen Elektrizitätswerke 
heute den großen Gründungs- oder Spekulationsbanken immer 
Ähnlicher geworden. 

Sodann aber suchte man das Absatzgebiet dadurch aus- 
zuweiten, daß man ein großes Netz von Filialen über die 
Lande ausspannte, das immer mehr Kunden zu fesseln im- 
stande war. Hatte man sich früher auf den „Agenten" verlassen, 
so übertrug man jetzt die Anwerbung neuer Kunden dem un- 
mittelbar im Auftrag der eigenen Gesellschaft tätigen Vertreter, 
-deren, wie gesagt, immer mehr wurden, sodaß man immer näher 
an die Kundschaft heranrückte, deren Bedarf immer genauer 
kennen lernen, ihren besonderen Wünschen immer mehr Rechnung 
tragen konnte. 

Man weiß, daß mit diesem System der Absatzorganisation 
die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft vorangegangen ist, und 
daß Felix Deutsch die Ausbildung dieses neuen Typus industriell- 
kommerzieller Unternehmungen vor allem gefördert hat. Die 

9 * 


Digitized by t^ooQle 


132 


Alteren Werke haben sich nur langsam entschlossen, die neuen 
Wege zu wandeln. Siemens & Halske haben sich lange Jahre 
fQr „zu vornehm“ gehalten, „den Kunden nachzulaufen" (wie sie 
sagten), bis auch hier der Direktor Berliner die neuen Prinzipien 
annahm und damit den Vorsprung wieder einholte, den die 
A. E. G. gewonnen hatte. 

Dieser Fall aber ist typisch, so daß man gewiß ganz all- 
gemein wird sagen dürfen: mit der Kommerzialisierung der 
Industrie ist die Stunde erfüllt, da die Juden in das weite Ge- 
biet der Güterproduktion (und des Gütertransports) ebenso ein- 
dringen, wie sie in das Gebiet des (börsenmäßigen ) Handels und 
des Geld- und Kreditwesens schon früher eingedrungen sind. 

Nicht als begänne jetzt erst die Geschichte der Juden 
als „Industrielle". Das wäre auch sehr wunderbar, da die 
Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Juden seit dem Beginne 
der kapitalistischen Produktion sich auch an dieser beteiligt haben: 
bedeutet doch Kapitalismus seinem Wesen nach nichts anderes 
als Auflösung des wirtschaftlichen Prozesses in seine beiden Be- 
standteile Technik und Kommerz und den Primat des Kommerzes 
über die Technik. Sodaß von Anbeginn an die kapitalistische 
Industrie den Juden Gelegenheit bot, sich in ihrer Eigenart zu 
betätigen (wenn auch diese Gelegenheit anfangs nicht so günstig 
war, wie sie sich im Laufe der Zeit gestaltete). Und in der Tat 
finden wir während der frühkapitalistischen Epoche überall Juden 
als „Industrielle" und vielfach als die ersten kapitalistischen 
Unternehmer in einem Gewerbezweige. 

Hier sind sie die Begründer der Tabakindustrie (in Mecklen- 
burg, Österreich) ; dort der Schnapsbrennerei (in Polen , in 
Böhmen). Hier finden wir sie als Lederfabrikanten (in Frank- 
reich, in Österreich); dort als Seidenfabrikanten (in Preußen, in 
Italien, in Österreich). Hier machen sie Strümpfe (Hamburg), 
dort Spiegelglas (Fürth); hier Stärke (Frankreich), dort Baum- 
wollzeug (Mähren). Fast überall sind sie die Begründer der 
Konfektionsindustrie. Und so fort 275 . Ich könnte aus dem 
Material, das ich gesammelt habe, noch zahlreiche Belege an- 
führen für die Betätigung der Juden als (kapitalistische) Indu- 
strielle während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Aber mir 
scheint eine ausführliche Darstellung dieser Seite der jüdischen 
Wirtschaftsgeschichte zwecklos zu sein, weil sie, soviel ich sehe,. 


Digitized by t^ooQle 



133 


gar nichts spezifisch Jüdisches aufweist. Die Juden sind durch 
etwelche historische Zufälligkeit in eine Industrie hineingedrängt 
worden, die ohne sie sich vermutlich ebenso entwickelt haben 
würde. Hier ist es ihre Stellung als Faktoren der Grundherren 
(in Polen , Österreich) , die sie zu Schnapsbrennern werden läßt, 
dort ihre Stellung als Hofjuden , die ihnen das Tabakmonopol 
einträgt. In den meisten Fällen ist es wohl ihre Funktion als 
Händler, die sie zu Verlegern der Hausindustriellen werden läßt 
(Textilindustrie), aber diese Umwandlung aus Garnhändlern in 
Textilindustrielle haben in ebensoviel oder mehr Malen auch 
nicht-jüdische Geschäftsmänner vollzogen. Sodaß wir auch 
hierin keine besondere jüdische Note feststellen können. Eine 
jüdische „Spezialität“ war der Altkleiderhandel, aus dem sich 
der Handel mit neuen Kleidern entwickelte, der wiederum die 
Konfektionsindustrie erzeugte. Aber die hiermit geschaffenen Zu- 
sammenhänge sind doch entweder zu äußerlicher Natur, um aus 
ihnen bestimmte jüdische Einflußreihen abzuleiten, oder sie 
werden durch die im folgenden dargestellten Entwicklungsreihen 
mit umfaßt. Diese nämlich erscheinen uns als besondere durch die 
Feststellung, daß die Juden eine Rolle als Industrielle erst zu 
spielen beginnen, seitdem der Kommerzialisierungsprozeß auch 
die Güterproduktion und den Gütertransport ergriffen hat. Seit- 
dem also das kapitalistische Wesen auch in diesen Sphären rein 
zum Durchbruch gekommen, die technische Farblosigkeit des 
Unternehmers das Merkmal geworden ist. Das ist ja die Eigen- 
tümlichkeit, die unsere Industrie immer mehr ausprägt: daß ihre 
Leiter beliebig die Branche wechseln können, ohne ihre Tüch- 
tigkeit zu vermindern, weil eben alle Schlacken der technischen 
Besonderheit abgefallen sind und das reine Gold der nui\kommer- 
zial kapitalistischen Allgemeinheit übrig geblieben ist. Erst seit 
dieser Zeit ist es gar keine Seltenheit mehr, daß ein „Unter- 
nehmer“ in Leder anfängt und in Eisen aufhört', nachdem er 
durch Spiritus und Schwefelsäure etwa hindurchgegangen ist. 
Der Unternehmer alten Stils trug noch ein branchenhaftes Ge- 
präge, der neue Unternehmertyp ist gänzlich farblos. Wir 
können uns nicht vorstellen, daß Alfred Krupp anderes als Guß- 
stahl, Borsig anderes als Maschinen, Werner von Siemens anderes 
als Elektrizitätsgüter herstellten oder daß H. H. Meier etwas 
anderem als dem Norddeutschen Lloyd Vorstand. Wenn Rathenau, 


Digitized by 


Google 



134 


Deutsch , Berliner, Arnold, Friedlflnder, Ballin morgen ihre 
Stellungen untereinander vertauschten, würde vermutlich ihre 
Leistungsfähigkeit nicht sehr beträchtlich verringert werden. 
Weil sie alle Händler sind , ist ihr zufälliges Tätigkeitsgebiet 
gleichgültig. 

Man hat das auch so ausgedrückt : der Christ nimmt seinen 
Weg in die Höhe vom Techniker, der Jude vom Geschäftsreisen- 
den oder Kommis. 

Gern würde man nun auch genau erfahren, welchen Umfang 
heute die Beteiligung <\er Juden an der Industrie angenommen 
hat. Aber dazu fehlen doch die Hilfsmittel. Man wird sich 
damit begnügen müssen, annäherungsweise den Anteil der Juden 
an der Industrie festzustellen. Das kann man, wenn man die 
jüdischen Direktoren und Aufsichtsräte der Industrie- 
unternehmungen auszählt und ihre Zahl mit der der christlichen 
vergleicht. Wie unvollkommen dieses Ermittlungsverfahren 
ist, leuchtet ein. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, im 
einzelnen Falle festzustellen, wer Jude ist, wer nicht (wie viele 
Leute wissen z. B., daß der Inhaber der meisten Aufsichtsrats- 
posten — Hagen-Köln — früher Levy hieß ?) : gibt die bloße Zahl 
(wie ich im ersten Kapitel schon ausgeführt habe) niemals einen 
irgendwie genauen Aufschluß über den Einfluß. Dazu kommt, 
daß namentlich die Aufsichtsratsposten nach allerhand Rück- 
sichten — nur nicht nach der geschäftlichen Tüchtigkeit — be- 
setzt werden, und daß in sehr vielen Gesellschaften die Neigung 
besteht, keine jüdischen Männer an leitende Stellungen gelangen 
zu lassen. Jedenfalls stellen also die Ziffern, die man ermittelt, 
immer nur ein Minimum jüdischen Einflusses innerhalb der 
Industrie dar. 

Allen diesen Bedenken zum Trotz, will ich die Ergebnisse 
der Auszüge hier mitteilen, die Herr stud. Arthur Löwenstein 
aus dem letzten Jahrgang des Handbuchs der deutschen Aktien- 
gesellschaften freundlichst für mich gemacht hat. (Ich ziehe 
die Ziffern für die Hauptbranchen zusammen und ordne diese in 
der ersten Tabelle nach der Größe des Anteils an den Direktions- 
stellen, in der zweiten nach der des Anteils an den Aufsichtsrats- 
stellen. Berücksichtigt sind bei der Elektrizitätsindustrie alle 
Gesellschaften mit 6, bei Montan-, Kali-, chemischer Industrie 


Digitized by t^ooQle 



185 


die mit 5, bei Maschinen- und Textilindustrie die mit 4, bei 
den übrigen die mit 8 Mill. Mark Kapital und mehr.) 


I. Zahl der Direktoren 


Branche 

Überhaupt 

Davon 

Juden 

Prozentsatz 

der 

jüdischen 

Direktoren 

I. Leder-, Kautschukindustrie 

19 

6 

81,5 

11. Metallindustrie 

52 

mm 


III. Klektrische Industrie . . . 

95 


28,1 

IV. Brauereien 

71 

Hl 

15,7 

V. Textilindustrie 

59 

8 

18,5 

VI. Chemische Industrie . . . 

46 

6 

18,0 

VII. Montanindustrie 

183 

23 

12,8 

VIII. Maschinenindustrie . . . 


11 

12,2 

IX. Kaliwerke 

86 

4 

11,1 

X. Zement-, Holz-, Glas-, 
Porzellanindustrie .... 

57 

4 

7,- 

I-X 

808 

108 

18,3 


II. Zahl der Anfslchtsrlte 


Branche 

Überhaupt 

Davon 

Juden 

Prozentsatz 

derjüdischen 

Aufsichts- 

räte 

I. Brauereien 

165 

52 

31,5 

IL Matallindustrie 

180 

40 

30,7 

HI. Zement-, Holz-, Glas-, 




Porzellanindustrie .... 

187 

41 

29,9 

IV. Kaliwerke 

156 

46 

29,4 

V. Leder- usw. Industrie . . 

42 

12 

28,6 

VI. Elektrische Industrie . . 

339 

91 

26,8 

VII. Montanindustrie .... 

640 

158 

28,9 

VIII. Chemische Industrie . . . 

127 

29 

22,8 

IX. Maschinenindustrie. . . . 

215 

48 

21,4 

X. Textilindustrie 

141 

19 

13,5 

1— X 

2092 

511 

24,4 


Ist der Anteil der Juden an diesen Industrieunternehmungen 


(sofern er rein zifferm&ßig betrachtet wird) groß oder nicht? 
Ich denke doch: er ist enorm, auch wenn man ihn nur quanti- 
tativ faßt und nur diese (wie wir sahen Minimal-)Ziffem in Be- 
tracht zieht. Denn bedenken muß man, daß diese selbe Be- 
völkerungsgruppe, die fast ein Siebentel aller Direktorposten und 
fast ein Viertel aller Aufsichtsratsposten besetzt, von der Gesamt- 
einwohnerzahl des Deutschen Reiches genau — ein Hundertstel 
ausmacht 1 


Digitized by 


Google 



















136 


Siebentes Kapitel 

Dis Herausbildung einer kapitalistischen Wirtschafts- 
geslnnnng 


Schon das, was über den Anteil der Juden an der Ver- 
sachlichung des modernen Wirtschaftslebens zu sagen war, [hat 


durchscheinen lassen, daß der Judeneinfluß noch weiter reicht 
als bis zu den Süßeren Geschäftsformen, die sie ausgebildet 
haben. Denn der Börsenverkehr, wie er sich im Laufe der 


letzten Jahrhunderte entwickelt hat, ist schon gar nicht mehr 
bloß eine bestimmte Ordnung, eine bestimmte äußere Organi- 
sation der wirtschaftlichen Vorgänge : er wird in seiner Eigenart 


erst festgestellt, wenn wir ebenso den ihn beherrschenden Geist 
richtig einschätzen. Die neuen Formen industrieller Organisation 


werden ebenfalls aus einem ganz besonderen „Geiste" geboren 
und sind nur zu verstehen als Ausflüsse dieses besonderen 


„Geistes“. Und das ist es, worauf ich nunmehr die Aufmerksam- 
keit des Lesers lenken möchte: auf die Tatsache, daß unsere 
Volkswirtschaft ihr Gepräge nicht nur insoweit von den Juden 
miterfahren hat, als wichtige Teile ihrer äußeren Struktur ihnen 
ihr Dasein verdanken, daß vielmehr auch das innere Getriebe 
des modernen Wirtschaftslebens, daß auch die Grundsätze der 
Wirtschaftsführung, daß das, was man den Geist des Wirtschafts- 
lebens oder vielleicht noch treffender die Wirtschaftsgesinnung 
nennen kann, größtenteils auf jüdischen Einfluß sich zurückführen 
lassen. 


Um dafür den Beweis der Richtigkeit zu erbringen, müssen 
wir teilweise andere Wege gehen als bisher. 

„ Dokumentarisch “ läßt sich ein solcher Einfluß, wie er hier 
behauptet wird, natürlich nicht oder nur sehr unvollkommen nach- 


Digitized by t^ooQle 


137 


weisen. Was uns vielmehr vor allem als Anhaltspunkt dienen 
muß, ist die „Stimmung“, die jeweils in den Kreisen herrschte, 
die den eigenartigen jüdischen Geist als etwas Fremdes zuerst 
und am deutlichsten wahmehmen mußten. Das aber sind die 
nichtjüdischen Geschäftsleute oder aber deren Wortführer. Die 
Äußerungen dieser Elemente sind, bei aller Einseitigkeit und 
oft genug Gehässigkeit, doch die zuverlässigste Quelle, um das 
zu erkennen, was uns am Herzen liegt, weil sie die ganz naive 
Reaktion auf das anders geartete jüdische Wesen darstellen, 
dieses also gleichsam wie in einem Spiegel (der freilich oft genug 
wohl ein Hohlspiegel war) auffangen. Natürlich müssen wir, 
wenn wir die Urteile der interessierten Zeitgenossen (die, wie 
sich denken läßt, in den Juden ihre schlimmsten Feinde er- 
blickten) als Quelle für die Erkenntnis jüdischer Geschäftseigenart 
verwerten wollen, vor allem zwischen den Zehen lesen und aus 
ganz anders gemeinten Äußerungen das Richtige herausdeuten. 
Das aber wird uns wesentlich erleichtert durch die fast schema- 
tische Gleichförmigkeit der Urteile, die offenbar nicht auf Ent- 
lehnung, sondern auf Gleichartigkeit oder Gleichheit der ver- 
anlassenden Umstände zurückzuführen ist, und durch die natürlich 
die (wenn auch oft indirekte) Beweiskraft der Äußerungen er- 
heblich gesteigert wird. 

Da ist denn nun vor allem festzustellen, daß überall, wo 
auch immer Juden als Konkurrenten auftreten, Klagen ertönen 
über ihren nachteiligen Einfluß auf die Lage der christlichen 
Geschäftsleute: diese werden, heißt es in den Denk- und Bitt- 
schriften, in ihrer Existenz bedroht, die Juden bringen sie um 
ihren „Verdienst“, beeinträchtigen ihnen die „Nahrung“, weil 
die Kundschaft zu ihnen, den Juden, übergeht. Ein paar Aus- 
züge aus Schriftstücken des 17. und 18. Jahrhunderts — also 
der Zeit, die für uns vor allem in Betracht kommt — wird das 
ersichtlich machen. 

Deutschland. 1672 klagen die Stände der Mark Branden- 
burg, die Juden nähmen „den andern Einwohnern des Landes . . . 
die Nahrung von dem Munde weg“ 27Ä . Fast wörtlich heißt es 
in dem Einbringen der Danziger Kaufmannschaft vom 19. März 
1717: „Durch diese Beschädiger“ werde ihnen „das Brot von 
dem Munde weggerissen“ 217 . Die Bürger der Altstadt Magde- 
burg sträuben sich (1712, 1717) gegen die Zulassung der Juden: 


Digitized by 


C ogle 



138 


„weil der Stadt Wolfahrt und der glückliche Success des Com- 
mercii darauf beruhet , daß keine . . . Judenhandlung hier ge- 
duldet wird“ 278 . 

In einer Vorstellung Ettenheims (1740) an den Fürstbischof 
wird bemerkt, daß „bekanntermaßen die Juden gemeinem Wesen 
anders nicht als zum größten Schaden und Verderben gereichen“. 
Eine Auffassung, die zu dem Sprichwort verallgemeinert wurde : 
„Alles verdirbt in der Stadt, 

Wo es viele Jaden hat“* 79 . 

In der allgemeinen Einleitung des (preußischen) Edikts von 
1750 heißt es : „Die so genandte Kauffleute in unsem Stödten . . . , 
so respectu der rechten en gros handelnden Kauff Leute nur vor 
Krämer zu halten, klagen . . daß ihnen die handelnden Juden, 
welche mit ihnen gleichen Krahm führen , großen Abbruch 
thäten.“ Wie denn die (christlichen) Kaufleute Nürnbergs mit 
ansehen mußten, daß ihre Kunden zu den Juden kaufen gingen. 
Als nämlich die Juden aus Nürnberg vertrieben waren (1469), 
siedelten sie sich vielfach in Fürth an. Die Nürnberger Bürger — 
die als Konsumenten natürlich ihren Vorteil suchten — erachteten 
es für ratsam, ihre Einkäufe fürderhin in Fürth zu machen. Und 
nun regnet es während des ganzen 17. und 18. Jahrhundert un- 
zählige Ratsverordnungen, die das Kaufen bei den Fürther Juden 
verbieten oder doch wenigstens einzuschränken suchen 280 . 

Daß alle Kaufmannsgilden (ebenso natürlich alle Handwerker- 
zünfte) noch während des ganzen 18. Jahrhunderts den Juden 
die Aufnahme nicht gestatteten, ist bekannt 281 . 

England. Dieselbe feindselige Haltung der christlichen 
Geschäftsleute gegen die Juden während des 17. und 18. Jahr- 
hunderts: „the Jews are a subtil people . . . depriving the Eng- 
lish merchant of that profit he would otherwise gain“ ; sie treiben 
ihre Geschäfte zum Nachteil der englischen Kaufleute: „to the 
prejudice of the Englisch Merchants“ 282 . Im Jahre 1753 ging 
bekanntlich ein Gesetz durch, das den Juden die Naturalisierung 
ermöglichen sollte. Aber der Unwille in der Bevölkerung gegen 
das verhaßte Volk war so groß, daß das Gesetz im nächsten 
Jahre wieder kassiert werden mußte. Unter den Gründen, die 
gegen die Aufnahme der Juden in den englischen Untertanen- 
verband geltendgemacht wurden, war nicht der letzte die Be- 
fürchtung: die Juden, die nach der Naturalisation das Land über- 


Digitized by t^ooQle 



139 


schwemmen würden, würden die Engländer von ihren Plätzen 
verdrängen: „oust the natives from their employment“ 288 . 

Frankreich. Dieselben Klagen von Marseille bis Nantes. 
Eingabe der Kaufleute von Nantes (1752): „Le commerce pro- 
hibö de ces etrangers . . - a causö et fait un tort considörable 
aux marchands de cette ville, de Sorte que s’ils n’ont lc bonheur 
de möriter Tautorite de ces Messieurs, üs seront dans la dure 
nöcessitö de ne pouvoir soutenir leur famille, ni s’acquitter de 
leur imposition.“ 284 

„Alle Welt läuft zu den jüdischen Kaufleuten“, klagen die 
christlichen Geschäftsmänner von Toulouse im Jahre 1745 28ß . 
„Wir bitten Euch inständig, die Fortschritte dieser Nation auf- 
zuhalten, die zweifellos den ganzen Handel des Languedoc zer- 
stören mühte“ (bouleverserait) , heißt es in einer Eingabe der 
Handelskammer von Montpellier 286 . 

Und die Kaufleutezunft in Paris vergleicht die Juden mit 
den Wespen, die sich auch in die Bienenstöcke nur eindrängten, 
um die Bienen zu töten, ihnen den Leib zu öffnen und den 
darin aufgesammelten Honig aufzusaugen: „L’admission de cette 
espöce d’hommes ne peut etre que tres dangereuse. On peut 
les comparer ä des guöpes qui ne s’introduisent dans les ruches 
que pour tuer les abeilles, leur ouvrir le ventre et en tirer le 
miel qui est dans leurs entrailles: tels sont les juifs.“ 287 

„Qu’on juge par cette gen^ralite et cette unanimite de la 
gravitö de la question des juifs envisagee sous son aspect com- 
merciale.“ 288 

In Schweden* 89 , in Polen 290 : immer dasselbe Lied: 1619 
klagt der Posener Magistrat in einer Adresse an König Sigis- 
mund IH. , daß den „Handelsleuten und Handwerkern Schwierig- 
keiten und Hindernisse durch die Konkurrenz der Juden erwüchsen.“ 

Aber mit dieser bloßen Feststellung der Tatsache: daß 
die Juden die „Störer der Nahrung“ sind, ist uns noch nicht ge- 
dient. Wir möchten gern die Gründe kennen lernen, weswegen 
sie den christlichen Geschäftsleuten diese vernichtende Konkurrenz 
machen konnten. Denn offenbar erst wenn wir diesen Gründen 
nachspüren, kommen wir hinter die Eigenart des jüdischen Ge- 
schäftsgebarens, in der ja doch offenbar jene Gründe verborgen 
liegen müssen; enthüllen wir „les secrets du negoce“, von denen 
Savary in der unten zitierten Stelle spricht. 


Digitized by 


Google 



140 


Wiederum befragen wir die unmittelbar betroffenen Zeit- 
genossen oder Leute, die den Dingen des täglichen Lebens nahe 
genug standen, um Witterung zu haben. Und bekommen zu- 
nächst wieder eine ganz übereinstimmende Antwort: was die 
Juden so überlegen macht, ist ihre betrügerische Geschäfts- 
führung. „Die Juden und Kommissarii haben ein Gesetz und 
Freiheit, welches heißet Lügen und Trügen, wenn cs ihnen nur 
einträgt,“ meint Philander von Sittewald 291 . Ebenso allgemein 
und selbstverständlich lautet das Urteil in dem schnurrigen Betrugs- 
lexikon, das der „Geheimrat und Amtmann“ Georg Paul Hönn 
zusammengestellt hat 292 . Hier findet sich hinter dem Stichwort 
„Juden“ — als einziger Fall im ganzen Lexikon — das Ein- 
schiebsel: „Juden betrügen, wie insgemein, also in Sonder- 
heit . .“ Ähnlich ist der Artikel „Juden“ in der „Allgemeinen 
Schatzkammer der Kauffmannschaft“ gehalten 298 . Oder ein „Sitten- 
schilderer“ berichtet schlankweg von der Judenschaft Berlins: 
„Sie — nähren sich vom Raube und Betrüge, die nach ihren 
Begriffen keine Verbrechen sind“ 294 . 

Und das französische Gegenbild dazu: „das Urteil Savarys: 
„les juifs ont la reputation d’etre tres habiles dans le commerce ; 
mais aussi ils sont soup<jonn6s de ne le pas faire avec toute la 
probitö et la fidelitö possible“ 295 . 

Und diese ganz allgemeinen Urteile finden dann fast in 
jeder Eingabe christlicher Geschäftsleute ihre besondere Be- 
stätigung für den Ort und die Branche, auf die sich die Eingabe 
gerade bezieht. 

Schaut man sich dann aber die Geschäftspraktiken im 
einzelnen an, die man den Juden zum Vorwurf machte, so findet 
man sehr bald, daß viele von ihnen mit Betrug — auch wenn 
man den Begriff sehr weit faßt, etwa im Sinne einer absicht- 
lichen Verletzung oder Unterdrückung der Wahrheit oder einer 
arglistigen, auf Vermögensschädigung gerichteten Täuschung — 
kaum etwas zu tun haben. Die Bezeichnung „Betrug“ ist viel- 
mehr offenbar dazu bestimmt, schlagwortartig die Tatsache zum 
Ausdruck zu bringen, daß die Juden bei ihrer Geschäftsführung 
auf die bestehenden Rechts- oder Sittennormen nicht immer 
Rücksicht zu nehmen pflegten. Was also die Handlungsweise 
der jüdischen Geschäftsleute kennzeichnete, war die Verletzung 
gewisser traditioneller Gepflogenheiten der christlichen Geschäfts- 


Digitized by t^ooQle 



141 


leute, war die Gesetzesübertretung (in seltenen Fällen), war vor 
allem der Verstoß gegen die guten Sitten der Kaufmannschaft. 
Und wenn wir noch genauer hinsehen, wenn wir vor allem die 
einzelnen Verfehlungen, die den Juden vorgeworfen wurden, auf 
ihre grundsätzliche Bedeutung hin untersuchen, so werden wir 
alsobald gewahr, daß es sich bei dem Kampfe zwischen jüdischen 
und christlichen Kaufleuten um den Kampf zweier Weltanschau- 
ungen oder doch wenigstens zweier grundsätzlich verschieden 
oder entgegengesetzt orientierter Wirtschaftsgesinnungen handelt. 
Um das zu verstehen, müssen wir aber uns vergegenwärtigen, 
welchen Geist das Wirtschaftsleben atmete, in das die jüdischen 
Elemente seit dem 16 . Jahrhundert immer mehr eindrangen und 
zu dem sie sich offenbar in so schroffen Gegensatz brachten, 
daß man sie überall als die „Störer“ der Nahrung empfand. 

Während der ganzen Zeit, die ich als die frühkapitalistische 
Epoche bezeichne, also auch in den Jahrhunderten, in denen 
sich das jüdische Wesen durchsetzte, herrscht noch dieselbe 
Grundauffassung in der Wirtschaftsführung vor, die 
während des Mittelalters gegolten hatte: die feudal-handwerks- 
mäßige, die ihren äußeren Ausdruck in der ständischen Gliederung 
der Gesellschaft findet. 

Danach — und das ist die tragende, alles übrige Denken 
und Tun bestimmende Idee — steht im Mittelpunkt auch der 
wirtschaftlichen Interessen der Mensch. Der Mensch als Güter- 
erzeuger oder als Güterverbraucher bestimmt mit seinen Inter- 
essen das Verhalten der einzelnen wie der Gesamtheit, bestimmt 
die äußere Ordnung des wirtschaftlichen Prozesses ebenso wie 
die Gestaltung des geschäftlichen Lebens in der Praxis. Alle 
Maßnahmen der Gesamtheit wie des einzelnen, die auf die 
Regelung wirtschaftlicher Vorgänge abzielen, sind personal 
orientiert. Die Grundstimmung aller an der Wirtschaft Be- 
teiligten trägt eine persönliche Färbung. Was freilich nicht 
dahin zu verstehen ist, als ob das einzelne Wirtschaftssubjekt 
frei hätte schalten und walten können. Vielmehr war das Indi- 
viduum, wie bekannt, in seinem Tun und Lassen an feste, ob- 
jektive Normen gebunden ; aber diese Normen selbst, das ist hier 
das Entscheidende, waren aus rein personalem Geiste geboren. 
Güter werden erzeugt und gehandelt, damit die Konsumenten 
gut und reichlich ihren Bedarf an Gebrauchsgütern decken können. 


Digitized by 


Google 



142 


aber auch die Produzenten und Händler ihr gutes und reichliches 
Auskommen finden : beides so, wie es das Herkommen mit sich 
brachte. Man könnte auch sagen: der wirtschaftliche Prozeß 
wurde noch unter wesentlich naturalem Gesichtspunkte betrachtet, 
das heißt: die Kategorie des qualitativ bestimmten Gebrauchs- 
gutes stand noch im Mittelpunkte der Bewertung. 

Produzent und Händler sollen durch ihre recht und schlecht 
geübte Tätigkeit ihr standesgemäßes Auskommen finden: diese 
Idee der Nahrung beherrscht noch durchaus die Anschauungen 
der meisten Wirtschaftssubjekte während der frühkapitalistischen 
Epoche, auch dort, wo sie schon in kapitalistischen Formen ihr 
Geschäft betreiben und findet demgemäß in den schriftlich 
fixierten Ordnungen seine äußere Anerkennung und in den 
Schriften über Handel und Wandel seine theoretische Begründung: 
„Abfall der Nahrung oder Verfall der Nahrung ist, wenn einer 
in einen solchen Zustand versetzt wird, daß er weniger einnimmt 
als zu seinem ehrlichen Auskommen oder auch zur Befriedigung 
seiner Gläubiger nötig“ 296 . 

Das schrankenlose, unbegrenzte Streben nach Gewinn galt 
noch während dieser ganzen Zeit bei den meisten Wirtschafts- 
subjekten als unstatthaft, als „unchristlich“, wie denn der Geist 
der alten Thomistischen Wirtschaftsphilosophie noch immer 
wenigstens offiziell die Gemüter beherrschte. „So Du . . . eine Ware 
allein hast, kannst Du wol einen ehrlichen Profit suchen; doch 
also, daß es christlich sey und Dein Gewissen keinen Verlust 
erleide oder Du an Deiner Seele schaden nehmest“ 297 . 
Hier wie in allen Wechselfällen des Wirtschaftslebens blieb das 
religiöse oder sittliche Gebot doch immer das oberste : von einer 
Herauslösung der ökonomischen Welt aus dem religiös-sittlichen 
Gesamtverbande war noch keine Bede. Jede einzelne Handlung 
ressortierte noch unmittelbar von der obersten ethischen Instanz : 
dem göttlichen Willen. Und dieser war — soweit mittelalter- 
licher Geist herrschend geblieben war — wie allgemein bekannt, 
der mammonistischen Auffassung der Dinge im strengsten Sinne 
abhold, also, daß alles christliche Erwerbsleben alten Stils schon 
aus diesem Grunde immer ethisch temperiert blieb. 

Produzent und Händler sollen ihr Auskommen finden : dieser 
leitende Gedanke mußte vor allem zu einer Abgrenzung bestimmter 
' Tätigkeitskreise für die gesamte Händlerschaft eines Landes, eines 


Digitized by 


Google 



143 


Ortes ebenso wie für das einzelne Wirtschaftssubjekt an seinem 
Platze führen. Das, was für das Mittelalter gesagt ist 898 ,, gilt 
bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts für alle wirtschaftliche 
Auffassung: daß sich mit einem Rechte stets eine bestimmte 
Machtsphäre verband, daß nicht durch den Hinweis auf allgemeine 
Berechtigungen, sondern durch die Zuteilung einer bestimmten 
Machtsphäre die Stellung des Individuums begründet wurde. 

Darum sorgte die Gemeinschaft (die sich für den einzelnen 
noch immer verantwortlich fühlt) zunächst dafür, daß die Ge* 
samtheit ihrer Produzenten und Händler ein hinreichend grobes 
Gebiet für fruchtbare Tätigkeit hatte: der Grundgedanke aller 
merkantilistischen Politik, die (wie hier nicht im einzelnen nach- 
gewiesen werden kann) die gradlinige Fortsetzung der mittel- 
alterlich-städtischen Wirtschaftspolitik war. Der Tätigkeitsbereich, 
den die Angehörigen eines Staates benötigen, ist mit Gewalt, 
wenn erforderlich, zu erobern und zu verteidigen. Alle merkan- 
tilistische Handels- und Kolonialpolitik ruht noch, wie bekannt, 
auf diesem Grundgedanken. Ausdehnung der Handelsbeziehungen 
und damit Erweiterung des Absatzgebietes für den einheimischen 
Produzenten ist danach durchaus und ausschließlich ein kriege- 
risches Problem, ein Problem höchster Machtentfaltung. Wo 
überhaupt ein Wettbewerb stattfindet — und das war nur der 
Fall außerhalb der Landesgrenze — , wird der Erfolg entschieden 
durch die höchste kriegerische, nicht kommerzielle Tüchtigkeit. 

Dagegen ist im Innern des Landes jeder Wettbewerb etwa 
der einzelnen Wirtschaften untereinander grundsätzlich aus- 
geschlossen. 

Der einzelne erhält sein Tätigkeitsgebiet: darauf kann er 
schalten und walten, wie es Sitte und Überlieferung vorschreiben, 
aber er soll sein Auge nicht auf seines Nachbarn Reich lenken, 
wo dieser, wie er, seines Daseins Kreise in ungestörter Ruhe 
vollendet. So erhielt der Vollbauer seine Hufe: so viel Land 
und Weide und Wald, als er zum Betriebe seiner Landwirtschaft 
und zum Unterhalt seiner Familie bedurfte. Von dieser bäuer- 
lichen Besitz- und Wirtschaftseinheit sind dann alle späteren 
Anschauungen abgeleitet, auch die, die Gewerbe und Handel 
gestalteten. Immer schwebte die bäuerliche Nahrung als Ideal- 
gebilde vor: wie der Bauer sollten auch der gewerbliche Pro- 
duzent und der Händler seinen umfriedeten Bezirk haben, inner- 


Digitized by t^ooQle 



144 


halb dessen sie ihres Amtes walten konnten. Was für den Bauern 
sein Landlos, das war für den Städter die Kundschaft: sie, die 
Abnehmerin seiner Erzeugnisse, war gleich wie die Scholle für 
den Bauern die Quelle seines Unterhalts. Sie muhte eine be- 
stimmte Größe haben, damit ein Geschäft in traditionellem Um- 
fang von dem Absatz an sie bestehen konnte. Sie sollte dem 
einzelnen Wirtschaftssubjekt gesichert bleiben, damit er stets 
sein Auskommen habe: auf dieses Ziel sind eine Menge wirt- 
schaftspolitische Mahregeln gerichtet; dieses Ziel verfolgt vor 
allem auch die kaufmännische Moral. Recht und Sitte während 
dieser ganzen Zeit, noch ebenso wie im Mittelalter, verfolgen 
gleichermahen den Zweck, den einzelnen Produzenten oder Händler 
gegen Übergriffe seines Nachbarn in seinem Tätigkeitskreis, also 
in seiner Kundschaft zu sichern. 

Wo die Sicherung des Geschäftszweiges gegen die Über- 
griffe aus einem andern Geschäftszweige in Frage kam, sorgte 
ja die Zunftordnung für Aufrechterhaltung des Besitzstandes, 
ebenso in zahlreichen Fällen durch Schliehung der Zunft, wo der 
Besitzstand eines Gewerbes als Ganzen in Frage stand. Den 
einzelnen Geschäftsinhaber gegen seinen Kollegen zu schützen, 
war vornehmlich die kaufmännische Sitte berufen, die uns hier 
ganz besonders angeht, weil in ihr die Wirtschaftsgesinnung am 
unverfälschtesten zum Ausdruck kommt. 

Die Geschäftsmoral gebot nun aber mit aller Entschieden- 
heit, ruhig in seinem Laden der Kundschaft zu harren, die aller 
Voraussicht nach sich einstellen muhte. So schließt D e Foe (der 
oder dessen Fortsetzer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
das berühmte Kaufmannsbuch schrieben) seinen Sermon: „and 
then with God’s blessing and his own care, he may expect his 
share of trade with his neighbours“ m . Das ist ganz und gar 
„handwerksmäßig“ gedacht: er mag — der Kaufmann — ruhig 
ab warten, daß ihm sein Anteil am Gesamthandel zufalle. 

Auch der Meßbesucher (im 18. Jahrhundert) „wartet Tag und 
Nacht seines Gewölbs wohl ab“ 800 . 

Auf das strengste verpönt war aller „Kundenfang“ : es galt 
als „unchristlich“, als unsittlich, seinem Nachbarn die Käufer ab- 
spenstig zu machen 801 . Unter den „Regeln der Kaufleute, die 
mit Waren handeln“, befindet sich eine, die lautet: „Wende 
keinem seine Kunden oder Handelsmann weder münd- noch 


Digitized by t^ooQle 



145 


schriftlich ab ; und tue einem andern auch nicht, was Du wilt, daß 
Dir nicht geschehe 80 *.“ Diesen Grundsatz schärfen denn auch die 
Kaufmannsordnungen immer wieder von neuem ein: in der 
„Mayntzischen Policey Ordnung“ (18. sc.) heißt es 808 „daß nie- 
mand den andern vom Kauff abtreiben oder mit höherem Bieten 
demselben eine Ware verteuern soll, bey Verlust der gekauften 
Ware; niemand (sollte) sich in des andern Handel eindringen 
oder seinen eigenen so stark führen, daß andere 
Bürger darüber zu Grunde gehen.“ Die sächsischen 
Kramer-Ordnungen von 1672, 1682, 1692 bestimmen in Art. 18 804 : 
„Soll kein Gramer dem andern seine Kaufleute von seinen Buden 
oder Cram Laden abruffen noch mit Wincken oder andern Ge- 
berden und Zeichen vom Kauf abhalten weniger die Kaufleute 
für eines andern Buden oder Gewölben mahnen, ob sie ihm gleich 
mit Schulden verhafiftet seyn“. 

Ganz folgerichtig waren dann aber auch alle Vornahmen im 
einzelnen verpönt, die darauf hinausliefen, seine Kundschaft zu 
vergrößern. 

Noch während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt 
es selbst in London als unschicklich, wenn ein Kaufmann seinen 
Laden prächtig ausstattet und durch geschmackvolle oder sonst- 
wie reizvolle Auslagen Käufer anzulocken trachtet. Der schon 
erwähnte De Foe nicht nur, sondern auch noch die späteren 
Herausgeber seines Werks (beispielsweise die der 5. Auflage von 
1745) entrüsten sich über solcherlei unlautem Wettbewerb, dessen 
bisher freilich — wie sie mit einiger Befriedigung feststellen — nur 
einige Konditoren und toy-men sich schuldig gemacht hätten 805 . 

Zu den unerlaubten Dingen gehört auch lange Zeit noch 
während der frühkapitalistischen Periode, soviel ich sehe (Holland, 
über das ich nicht genau unterrichtet bin, ausgenommen: hier 
scheint schon im 17. Jahrhundert das Eis gebrochen zu sein), bis 
tief in das 18. Jahrhundert hinein die Geschäftsanzeige , zumal 
in der Form der Anpreisung. 

Die Geschäftsanzeige kommt in Holland nach der Mitte, 
in England gegen Ende des 17. Jahrhunderts, in Frankreich noch 
viel später überhaupt erst in Aufnahme. Die im Jahre 1667 be- 
gründete Ghentsche Post-Tijdingen brachte in ihrer Nummer vom 
3. Oktober desselben Jahres die erste Anzeige 806 . Die Londoner 
Annoncenblätter der 1660 er Jahre enthalten überhaupt noch 

Sombart, Die Jaden 10 


Digitized by 


Google 



146 


keine Gesch&ftsanzeigen : selbst der große Brand veranlaßte kein 
einziges Geschäft, auch nur seine neue Adresse bekannt zu geben« 
Einigermaßen gewöhnt sich die Geschäftswelt daran, nachdem 
sie vorher schon vereinzelt Zettel auf der Straße hatte verteilen 
lassen, die Zeitung als Insertionsorgan zu betrachten, seit Be- 
gründung der „Collection for the Improvement of Husbandry and 
trade" durch John Hougthon im Jahre 1682 807 . 

Zwei Menschenalter später schreibt Postlethwayt 808 : 
Das Annoncieren in den Zeitungen sei jetzt mehr in Aufnahme 
gekommen. Noch vor wenigen Jahren (a few years since) hätten 
Geschäftsleute von Ansehen es für gemein und schimpflich (mean 
and disgraceful) erachtet, sich mittels einer öffentlichen Anzeige 
an das Publikum zu wenden; jetzt (1751) sei es anders geworden; 
jetzt hielten selbst sehr kreditwürdige Personen die Zeitungs- 
annonce für die einfachste und billigste Methode, dem ganzen 
Lande zur Kenntnis zu bringen, was sie etwa anzubieten hätten. 

In Frankreich war man um dieselbe Zeit offenbar noch nicht 
so weit. Savary 800 verzeichnet in seinem Dictionnaire (1726) 
unter dem Stichwort „Röclame“: „terme d’imprimerie ; c’est le 
premier mot d’un cahier d’un livre“ etc. ; und unter dem „affiche“ : 
terme de maltres pescheurs; „afficher“ : terme de cordonnier etc. 
Erst im Supplement (1782) trägt er unter dem Stichwort „Affiche“ 
(das also offenbar noch ein wenig gebräuchliches Wort war, das 
einem nationalökonomischen Fachlexikographen entgehen konnte) 
nach: „Placard attachö en lieu public pour rendre une chose 
notoir ä tout le monde.“ Aber unter den Dingen, die mittels 
öffentlichen Anschlags „aller Welt" bekannt gemacht werden, 
zählt er nur auf: Verkauf von Schiffen; Abfahrt von Schiffen; 
Ankündigung angekommener Schiffsladungen durch die großen 
Kompagnien, wenn sie öffentlich verkauft werden sollten; Er- 
richtung neuer Fabriken; Wohnungswechsel. Die Geschäfts- 
anzeige fehlt. Sie fehlt aber auch als Annonce in den Zeitungen 
bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein: so enthält 
beispielsweise die erste Nummer des berühmten Annoncenblatts 
„Les Petites Affiches“, die am 13. Mai 1751 erschien, keine ein- 
zige wirkliche Geschäftsanzeige 810 . Also selbst die ganz simple 
Geschäftsanzeige: „ich verkaufe (verfertige) da und da die und 
die Waren“ bürgert sich in England erst während der ersten 
Hälfte des 18. Jahrhunderts, in Frankreich noch später ein (in 


Digitized by 


Google 



147 


Deutschland haben wir in einzelnen Städten: Berlin, Hamburg, 
vereinzelte Fälle der Geschäftsanzeige aus dem Anfang des 
18. Jahrhunderts; nur Bücher wurden allgemein viel früher an- 
gezeigt, bildeten aber durch die Natur ihres Vertriebes eine 
leicht erklärliche Ausnahme). 

Als durchaus verwerflich galt aber offenbar noch lange Zeit, 
während welcher die Geschäftsanzeige schon bestand, die Ge- 
schäftsreklame, das heißt die Anpreisung, der Hinweis auf 
besondere Vorzüge, die ein Geschäft etwa vor andern aufzuweisen 
sich anmaßte. Als den höchsten Grad kaufmännischer Unan- 
ständigkeit aber betrachtete man die Ankündigung: daß man 
billigere Preise nehme als die Konkurrenz. 

Das „Unterbieten“, das „underselling“ galt in jeder Gestalt 
als unschicklich: „Seinem Neben-Bürger zu Schaden zu verkauften, 
und allzusehr zu schleudern, bringt keinen Segen“ 811 . 

Als eine geradezu schmutzige Praktik aber galt der öffent- 
liche Hinweis darauf. In der fünften Auflage des Complete 
English Trademan (1745) findet sich eine Anmerkung der Heraus- 
geber folgenden Inhalts 819 : „Seit unser Autor schrieb (De Foe 
starb 1781), ist die Unsitte des Unterbieten so schamlos ent- 
wickelt (this underselling practice is grown to such a shameful 
height), daß gewisse Leute öffentlich bekanntmachen: daß sie 
ihre Waren billiger als die übrige Kaufmannschaft abgeben (that 
particular persons publickly advertise that they undersell the 
rest of the trade).“ Und gleich dabei die aus der herrschenden 
Wirtschaftsgesinnung folgerichtig sich ergebende Erklärung für 
die Entrüstung, mit der auf die genannte Unsitte hingewiesen 
wird: Wir haben Händler gekannt, die ihre Waren zu Preisen 
ausbieten, bei denen ein solider Kaufmann nicht bestehen kann 
(we have had grocers advertising their under-selling one another, 
at a rate a fair trader cannot seil for and live) : das alte Nahrungs- 
ideal! Das übliche Auskommen fest gegeben; das Ausmaß des 
Absatzes fest gegeben: also dürfen die Preise, zu denen die 
einzelnen Waren verkauft werden, nicht unter eine bestimmte 
Mindesthöhe sinken. 

Ein besonders wertvolles Zeugnis besitzen wir für Frank- 
reich, sogar aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, woraus 
mit aller Deutlichkeit hervorgeht, wie unerhört die Preisunter- 
bietung und deren öffentliche Bekanntmachung damals selbst in 

10 * 


Digitized by t^ooQle 



148 


Paris noch waren. Es heißt darin (einer Ordonnanz des Jahres 
1761), daß derartige Machenschaften nur als die letzte Ver- 
zweiflungstat eines unsoliden Geschäftsmanns angesehen werden 
müssen. Die Ordonnanz verbietet auf das strengste allen en gros- 
und en dötail-Kaufleuten in Paris und seinen Vororten, „daß 
einer hinter dem andern herlaufe“, um ihren Waren Absatz zu 
verschaffen; insbesondere aber Zettel zu verteilen, um darauf 
auf ihre Waren hinzuweisen. Die Begründung dieser Verordnung 
ist so bezeichnend für den Geist, der damals noch die maß- 
gebenden Kreise beherrschte, daß ich die wichtigsten Stellen 
daraus wiederum im Wortlaut mitteilen muß. Es heißt da 818 : 
„Quelques marchands de cette ville — Paris — ont affectö 
depuis quelque temps de faire röpandre dans le public des billets 
en leur nom, pour annoncer la vente de leurs Stoffes et autres 
marchandises, ä un prix qu’ils exposent ötre införieur 
ä celui que les dites marchandises ont coutume d’ötre vendues 
par les autres marchands : qu’une pareille contrevention, qui est 
presque toujours la derniäre ressource d’un nögociant 
infidäle, ne peut &tre trop sövdrement reprimöe.“ 

Über dem Produzenten und Händler wurde nun aber auch 
der Konsument nicht vergessen. Ja in gewissen Sinne blieb 
dieser die Hauptperson, da ja noch die naive Anschauung nicht 
ganz aus der Welt verschwunden war: daß Gütererzeugung und 
Güterhandel am Ende für den Güterverzehr, um diesen gut zu 
gestalten, da seien. 

Die naturale Orientierung, wie ich es nannte, waltete auch 
hier noch ob : Gebrauchsgüterbeschaffung ist noch immer Zweck 
aller wirtschaftlichen Tätigkeit, noch ist nicht die reine Waren- 
produktion deren Inhalt geworden. Daher denn vor allem 
während der ganzen frühkapitalistischen Epoche immer noch 
das Bestreben deutlich zutage tritt: gute Waren herzustellen; 
Waren, die das sind, was sie scheinen : also auch echte Waren. 
Von diesem Bestreben sind alle die unzähligen Reglementationen 
der Warenerzeugung getragen, die gerade das 17. und 18. Jahr- 
hundert wie keine Zeit zuvor ausfüllen. Nur daß der Staat jetzt 
die Kontrolle in die Hand nahm und an seinen Amtsstellen die 
Waren der obrigkeitlichen Schau unterwarf. 

Diese staatliche Fürsorge für ordentliche Ware, könnte man 
nun freilich sagen, sei gerade ein Beweis dafür, daß die Wirt* 


Digitized by t^ooQle 



149 


Schaftsgesinnung der Zeit nicht mehr auf Herstellung guter Ge- 
brauchsgüter gerichtet gewesen sei. Der Einwand wäre aber un- 
berechtigt. Die staatliche Kontrolle sollte doch nur die Ver- 
gehen einzelner weniger gewissenhafter Produzenten unmöglich 
machen. Im allgemeinen war noch die Absicht vorhanden, gute 
und echte Waren zu liefern ; die Absicht, die allem echten Hand- 
werk eigen ist und die auch die frühkapitalistische Industrie 
zum guten Teil übernommen hatte. 

Wie langsam sich der rein-kapitalistische Grundsatz durch- 
setzte: daß allein der Tauschwert der Waren für den Unter- 
nehmer entschied, daß also das kapitalistische Interesse indifferent 
gegenüber der Gebrauchsgütereigenschaft sei, vermögen wir bei- 
spielsweise aus den Meinungskämpfen zu ersehen, die in Eng- 
land noch während des 18. Jahrhunderts deswegen ausgefochten 
wurden. Offenbar stand Jos. Child, wie in so vielen Dingen, 
im Gegensatz zu der groben Mehrzahl seiner Zeitgenossen und 
wohl auch seiner Berufskollegen, wenn er dafür eintrat, daß es 
der Einsicht des Unternehmers zu überlassen sei, welcher Art 
Waren und von welcher Güte er sie auf den Markt bringen 
wolle. Wie seltsam mutet es uns heute an, wenn Child noch 
für das Hecht des Fabrikanten auf Schundwarenproduktion 
kämpft I „Wenn wir“, ruft er aus 814 , „den Weltmarkt erobern 
wollen, müssen wir es den Holländern nachmachen, die die 
schlechteste Ware ebenso wie die beste produzieren, damit wir 
in den Stand gesetzt werden, alle Märkte und alle Geschmäcker 
zufrieden zu stellen“. 

Durchaus organisch gliedert sich in diese Vorstellungswelt 
die Idee vom gerechten Preise ein, die offenbar auch noch 
tief in das frühkapitalistische Zeitalter hinein ihre Geltung be- 
wahrt. Der Preis ist nicht ein Ding, mit dem das einzelne Wirt- 
schaftssubjekt nach Belieben schalten und walten kann. Auch 
die Preisbildung unterliegt den obersten Religions- und Sitten- 
gesetzen wie jeder wirtschaftliche Vorgang. Sie soll so gestaltet 
werden, daß dem Wohle des Produzenten, wie des Händlers, wie 
des Konsumenten damit gedient werde. Und wie das geschehe, 
darüber entscheidet nicht das Gutdünken des einzelnen, sondern 
entscheiden objektive Normen. Woher diese zu entnehmen seien : 
diese Frage wurde freilich im Lauf der Jahrhunderte verschieden 
beantwortet. Der mittelalterlichen Anschauung, wie sie in voller 


Digitized by 


Google 



150 


Reinheit etwa noch Luther vertritt, entsprach es ja, die Hohe 
des Preises nach den Kosten und der Arbeit zu bestimmen, die 
dem Produzenten (Händler) erwachsen waren : der Preis, würden 
wir sagen , wurde nach den Produktionskosten bemessen* 
Während sich unter dem Einfluß des wachsenden Verkehrs, deut- 
lich wahrnehmbar wohl seit dem 16. Jahrhundert, eine Ver- 
schiebung in den Ansichten vom gerechten Preise vollzieht, die 
mehr und mehr die preisbildende Kraft des Marktes anerkennen 
müssen. Saravia della Calle, der mir für die Entwicklung 
der Preislehre eine entscheidende Bedeutung zu haben scheint, 
leitet das justum pretium schon ganz ab aus dem Verhältnis von 
Angebot und Nachfrage (würden wir sagen) 816 . Aber was das 
Wichtige ist: so oder so: der Preis bleibt immer ein dem will- 
kürlichen Eingriff des einzelnen entzogenes, nach objektiven 
Normen sich für jedes Wirtschaftssubjekt verbindlich durch- 
setzendes Gebilde. Das ist auch noch durchaus die Anschauung 
der Schriftsteller des 17. Jahrhunderts: der Scaccia, Straccha, 
Turri usw. Und zwar ist das objektiv Zwingende in der Preis- 
bildung eine ethische (nicht wie später eine „ naturgesetzliche “ ) 
Potenz: der einzelne soll den Preis nicht willkürlich bemessen 
(während es später höchstens hieß: er kann ihn nicht willkür- 
lich bemessen). 

Die Gesamtstimmung, die sich aus der Befolgung all dieser 
einzelnen Grundsätze ergab, war denn wohl das ganze früh- 
kapitalistische Zeitalter hindurch die eines geruhsamen Sichaus- 
lebens. Der Grundzug war noch die Stabilität, der Traditiona- 
lismus. Der einzelne Mensch, auch wenn er Geschäfte betrieb, 
hatte sich noch nicht im Lärm und Trubel dieser Geschäfte ver- 
loren. Er war noch Herr seiner selbst. Er hatte sich auch noch 
die Würde des selbständigen Mannes bewahrt, der sich nicht 
wegwirft um eines Profites willen. Überall im Handel und 
Verkehr herrscht noch ein persönlicher Stolz. Der Kaufmann 
— kann man es in einem Worte zusammenfassen — hat noch 
Haltung. In der Provinz natürlich mehr als in den großen 
Städten, den Zentren des sich entwickelnden kapitalistischen 
Lebens. Den „stolzen und hochgemuten Ton des Provinz- 
kaufmanns" (ton fier et haut des nägocians provinciaux) hebt 
ein guter Beobachter seiner Zeit mit Nachdruck hervor 816 . Wir 
sehen den Kaufmann alten Stils deutlich vor uns: wie er ein 


Digitized by t^ooQle 



151 


wenig steif und ungelenk in Kniehosen und langem Rock, mit 
der Perücke angetan, würdevoll daherschreitet: gewohnt, seine 
Geschäfte ohne viel Nachdenken und ohne viel Eifer zu voll- 
bringen. Im gewohnten Kreise seine gewohnte Kundschaft in 
gewohnter Weise bedienend, ohne Überstürzung, ohne Hast. 

Was heute als das beste Wahrzeichen eines blühenden Ge- 
schäftslebens gilt: daß alle Welt rennt und hastet: das sah 
man noch Ende des 18. Jahrhunderts als den Ausfluß des Müßig- 
gangs an, während gerade der Mann, der in Geschäften be- 
fangen war, gemessenen Schrittes einherging. Als der schon ge- 
nannte Schriftsteller Me rci er 1788 Grimold de la Reyniöre um 
sein Urteil über die Kaufleute und Industriellen von Lyon er- 
suchte, machte dieser die unendlich wertvolle, die Zeitumstände 
wie mit einem grellen Schlaglicht beleuchtende Feststellung 817 : 
„In Paris rennt man, hat man’s eilig, weil man dort 
nichts zu tun hat; hier (in Lyon, dem Zentrum der Seiden- 
industrie und einer blühenden Handelsstadt) geht man 
ruhigen Schritt, weil (1) man beschäftigt ist“ (A Paris 
on court, on se presse parce qu’on y est oisif; ici Ton marche 
posöment, parce que l’on y est occupö). 

In dieses Bild paßt auch vortrefflich der fromme Non-con- 
formist, der Quäker, der Methodist hinein, den wir ja gern als 
einen der frühesten Träger der kapitalistischen Ideen ansehen. 
Aber würdevoll, voller Haltung schritt er seines Weges dahin. 
Wie das innere Leben, so sollte auch das äußere Verhalten wohl 
abgemessen sein. „Walk with a sober pace, not tinkling with 
your feet“, sagt ein Gebot der puritanischen Sitten 818 . „The 
believer hath or at least ought to have and, if he be like him- 
self , will have, a well ordred walk and will be in his carriage 
stately and princely“ 819 . 

♦ * * 

Und gegen diese festgefügte Welt nun rannten die Juden 
Sturm. Gegen diese Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsgesinnung 
sehen wir sie auf Schritt und Tritt verstoßen. Denn daß den 
Klagen der christlichen Geschäftsleute, die uns als die wichtigste 
Quelle dienen, greifbare Tatsachen zugrunde liegen, ergibt sich, 
wie schon an anderer Stelle hervorgehoben wurde, nicht nur aus 
der Übereinstimmung aller Zeugnisse, sondern auch aus der Art 
und Weise, wie die Klagen vergegenständlicht sind. 


Digitized by t^ooQle 



152 


Waren denn nun aber die Juden die einzigen, die wider 
Recht und Sitte verstießen? War es berechtigt, den „Juden- 
kommerz“ vom anderen Handel und Wandel grundsätzlich da- 
durch zu unterscheiden , daß man jenen als „unsolide“, zu Lug 
und Trug und zu Verstößen gegen Gesetze und Ordnung eher 
geneigt, diesen aber als abhold allem unrechtmäßigen Tun kenn- 
zeichnete? Ganz gewiß war auch die Geschäftsgebarung der 
christlichen Produzenten und Händler nicht frei von Vergehungen 
gegen die Vorschriften des Rechtes und der guten Sitte. Die 
Tendenz dazu liegt in der menschlichen Natur begründet und 
daß das Zeitalter, das wir im Auge haben, durchschnittlich pflicht- 
treuere Menschen erzeugt hätte, als andere, wird man bei einiger 
Kenntnis der Dinge nicht behaupten wollen. Schon die er- 
drückende Fülle von Geboten und Verboten, unter denen das 
Wirtschaftsleben jener Zeit stand, läßt darauf schließen, daß die 
Neigung, Unrecht zu tun, bei den Geschäftsleuten nicht gering 
war. Aber wir haben auch sonst eine Menge von Zeugnissen, 
aus denen wir entnehmen können, daß die kaufmännische Moral 
keineswegs eine besonders hohe war. 

Wenn man das schon erwähnte „Betrugslexikon“ durch- 
blättert, das im Anfang des 18. Jahrhunderts erschien und das 
zu seiner Zeit ein sehr gelesenes Buch war (es erlebte in 
wenigen Jahren mehrere Auflagen), so kann einem himmelangst 
werden. Die ganze Welt, will es dann scheinen, ist ein einziger 
großer Betrug. Aber wenn man auch in Rücksicht zieht, daß 
der Eindruck durch die Zusammenstellung so vieler Betrugs- 
möglichkeiten auf kleinem Raum besonders stark wird : die Über- 
zeugung, daß in jener Zeit allerwegen tüchtig besch — ummelt 
wurde, wird man aus der Lektüre dieses seltsamen Buches doch 
mitnehmen. Und sie wird gekräftigt durch so manches andere 
Zeugnis. Der Verfasser der Allgemeinen Schatzkammer der 
Kaufmannschaft (1742) meint 820 z. B.: „so sind heutigen Tages 
gar wenig Waren zu finden, welche nicht einer Verfälschung 
sollten unterworfen sein“. Verschiedene Reichsabschiede (wie 
der von 1497), Polizeiordnungen (wie die Augsburger von 1548), 
Kaufmannsordnungen (wie die Lübeckische von 1607) befassen 
sich ausdrücklich mit dem Verbot der Warenverfölschung. Und 
wie es mit der Gütererzeugung nicht immer gut bestellt war, so 
war der Schwindel auch in der allgemeinen Geschäftsführung 


Digitized by t^ooQle 


153 


keine Seltenheit. Der betrügerische Bankrott muh für die Leute 
des 17. und 18. Jahrhunderts ein ganz besonders häufiges und 
schwer zu lösendes Problem gebildet haben. Immerfort hören 
wir Klagen über sein häufiges Vorkommen 82! . Die laxe Ge- 
schäftsmoral der englischen Kaufleute während des 17. Jahr- 
hunderts war berüchtigt 822 . Fälschungen und Betrügereien 
werden „the besetting sin of English tradesmen“ genannt. „Unsere 
Landleute“, sagt ein Schriftsteller 828 des 17. Jahrhunderts, „geben 
durch ihr ungeheures Aufschlagen auf die Preise aller Welt zu 
verstehen, daß sie jedermann betrügen würden, wenn es in 
ihrer Macht stünde“ (by their infinite over-asking for Commo- 
dities proclaim to the world that they would cheat all if it 
were in their power). 

Was also war denn mm das spezifisch Jüdische? Und darf 
man überhaupt eine besondere jüdische Eigenart in dem Ver- 
halten gegenüber den bestehenden Ordnungen annehmen? Ich 
glaube ja und glaube, diese spezifisch jüdische „Gesetzesüber- 
tretung“ äußert sich vor allem darin, daß es sich bei den Ver- 
stößen der Juden gegen Recht und Sitte gar nicht handelt um 
die vereinzelte Unmoral eines einzelnen Sünders, sondern daß 
diese Verstöße der Ausfluß der für die Juden gültigen allgemeinen 
Geschäftsmoral waren, daß in ihnen also nur die von der Ge- 
samtheit der jüdischen Geschäftsleute gebilligte Geschäftspraxis 
zum Ausdruck kommt. Wir müssen aus der allgemeinen und 
fortgesetzten Übung bestimmter Gebräuche den Schluß ziehen, 
daß die Juden diese ordnungswidrige Handlungsweise gar nicht 
als unsittlich und somit unerlaubt empfanden, sondern bei ihrem 
Tun das Bewußtsein hatten, die richtige Moral, das „richtige 
Recht“ gegenüber einer unsinnigen Rechts- und Sittenordnung 
zu vertreten. Natürlich gilt das nicht für diejenigen Fälle, in 
denen es sich um Kapitalvergehen gegen das Eigentum über- 
haupt handelte. Man muß, wie kaum besonders hervorgehoben 
zu werden braucht, unterscheiden zwischen den Geboten und 
Verboten, die sich aus der Institution beispielsweise des Eigen- 
tums (das Gesagte gilt natürlich für alle Rechtsgebiete gleich- 
mäßig) als solcher und denen, die sich aus bestimmten Formen 
und Handhabungen des Eigentumsrechts ergeben. Verstöße gegen 
jene werden so lange allgemein als rechtswidrig und strafbar 
gelten, als die Institution des Eigentums überhaupt besteht; 


Digitized by t^ooQle 



154 


Verstöße gegen diese werden eine verschiedene Beurteilung er- 
fahren, je nach den im Laufe der Zeit sich wandelnden An- 
schaungen von der Art und Weise, wie man das Eigentum ge- 
brauchen dürfe (Wucherverbot! Privilegierungen! usw.). 

In dem eigentümlichen Geschäftsgebaren der Juden gingen 
Verfehlungen beider Art durcheinander. Offenbar haben die 
Juden in früherer Zeit sich auch solcher Vergehen häufig schuldig 
gemacht, die als unrechtmäßige in dem höheren allgemeinen 
Sinne anzusehen waren: wenn sie z. B. (was man ihnen aller- 
orten immer wieder vorwarf) sich der Hehlerei schuldig machten 
und mit notorischer Diebesware Handel trieben 884 . Und diese 
Art im engeren Sinne verbrecherischer Praktiken erfreute sich 
auch bei der Judenschaft keineswegs einer allgemeinen Billigung. 
Hier werden die „anständigen“ Elemente sich ebenso in ihrer 
Auffassung von den skrupellosen unterschieden haben, wie inner- 
halb der christlichen Welt. Oder die Neigung zu solcherart 
Verfehlungen beschränkte sich auf bestimmte Gruppen des jüdi- 
schen Volks, die dann ganz oder teilweise als verdächtig an- 
gesehen wurden und zu deren Auffassung von Recht und Unrecht 
die Moral der übrigen Judenschaft ebenso in einen Gegensatz 
trat wie die der Christen. Für das tatsächliche Vorhandensein eines 
solchen Gegensatzes zwischen verschiedenen Bestandteilen des 
jüdischen Volkes haben wir interessante Belege aus der Geschichte 
der hamburgischen Judenschaft. Hier übernimmt im 17. Jahr- 
hundert die Portugiesengemeinde der Behörde gegenüber eine 
gewisse Verantwortung für das geschäftliche Gebaren der neu 
eingewanderten deutschen Juden. Gleich nach ihrem Erscheinen 
mußten sich die „tedescos“ der portugiesischen Nation gegenüber 
verpflichten, keine gestohlenen Sachen zu kaufen und 
sonst keine unehrenhafte Geschäfte zu treiben. Schon im nächsten 
Jahre wurden die Alten der tedescos vor den Mahamad (den Ge- 
meindevorstand der Sephardim) berufen und verwarnt, weil 
einzelne von ihnen gegen die obige Verpflichtung gehandelt 
hätten; ein anderes Mal desgleichen, weil sie geraubte Sachen 
von Soldaten gekauft hatten usw. 825 . 

Will man also die Verstöße der Juden gegen Recht und 
Sitte, wie man sie ihnen während der ganzen frühkapitalistischen 
Epoche zum Vorwurf machte und wie sie zweifellos stattfanden, 
als Ausfluß einer von der Judenschaft allgemein gebilligten Ge- 


Digitized by t^ooQle 



155 


schäftsmoral , somit als die spezifisch jüdische Geschäftspraxis 
ansehen, so wird man solche kapitale Vergehen gegen die Straf- 
gesetze, die von einem großen Teile der Judenschaft gemißbilligt 
wurden, ausscheiden (oder ihnen jedenfalls eine besondere Würdi- 
gung zuteil werden lassen) müssen und wird sich zu beschränken 
haben auf eine Namhaftmachung desjenigen Rechtsbeugungen und 
(vor allem) Sittenverletzungen, für die wir den Consensus omnium 
innerhalb der jüdischen Geschäftswelt voraussetzen, und von 
denen wir sonach auf das Vorhandensein einer besondem jüdi- 
schen Wirtschaftsgesinnung schließen dürfen. 

Und was sehen wir da? 

Deutlich hebt sich vor unsern Augen der Jude zunächst 
einmal ab als der, sagen wir, reinere Geschäftsmann, als der in 
Geschäften Nur-Geschäftsmann, als derjenige, der im Geiste echt 
kapitalistischer Wirtschaft allen naturalen Zwecken gegenüber 
den Primat des Erwerbszwecks anerkennt. 

Zum Belege wüßte ich nichts besseres anzuführen als die 
Memoiren der Glückei von Hameln. Dieses Buch, das 
jetzt ins Deutsche übertragen ist, ist in vieler Hinsicht eine 
außerordentlich wertvolle Quelle, wenn wir das Judentum, seine 
Wesenheit und seine Wirksamkeit in frühkapitalistischer Zeit 
beurteilen wollen. Glückei von Hameln war eine Hamburger 
Kaufmannsfrau und lebte in der Zeit des ersten mächtigen Auf- 
stiegs der Hamburg- Altonaer Judenschaft (1645 — 1724). Diese 
außergewöhnliche Frau stellt sich uns als ein wahrhaft lebendiger 
Typus der damaligen Juden dar. Ihre Erzählung ist (namentlich 
in den ersten Büchern, nachher machen sich Spuren von Alter 
bemerkbar) von einer packenden Natürlichkeit, von einer herz- 
erquickenden Frische und Ursprünglichkeit. Ich habe immer 
wieder an die Frau Rat denken müssen, wenn ich diese Memoiren 
las, in denen ein ganzer Mensch ein wahrhaft reiches Leben uns 
erzählt hat. 

Wenn ich nun dieses prachtvolle Buch anführe, um damit 
das Vorwalten der Geldinteressen bei den Juden jener Zeit zu 
erweisen, so geschieht es deshalb, weil ich meine, daß jene 
Eigenart ganz gewiß eine sehr verbreitete gewesen ist, wenn sie 
selbst in einer so hervorragenden Frau wie der Glückei den 
eigentlich hervorstechenden Charakterzug bildet. Denn in der 
Tat: alles Dichten und Trachten, alles Denken und Fühlen dreht 


Digitized by 


Google 



156 


sich bei jener Frau — und wir merken auch: bei allen andern 
Personen, von denen sie etwas zu berichten hat — ums Geld. 
Obwohl die eigentlichen Geschäftsberichte in den Memoiren nur 
einen kleinen Baum einnehmen, ist darin doch an 609 ver- 
schiedenen Stellen von Geld, Reichtum, Erwerb usw. die Rede 
(auf 318 Seiten). Die Personen und ihre Handlungen werden 
uns immer nur vorgeführt mit einem irgend weichen Vermerke, 
der auf Geldsachen Bezug hat. Und vor allem steht im Mittel- 
punkte des Interesses: die pekuniär vorteilhafte Heirat. Die 
Verheiratung der Kinder ist der Hauptinhalt der geschäftlichen 
Tätigkeit der Glückei. „Er hat meinen Sohn auch gesehen, und 
sind auch gar nahe daran gewesen, haben aber um tausend Mark 
nicht zusammen kommen können“ (S. 238.) Derartigen Wen- 
dungen begegnet man auf Schritt und Tritt. Ihre eigene (Wieder-) 
Verheiratung erzählt sie mit den Worten (S. 280): „Nachmittag 
hat mich mein Mann mit einem vornehmen Trauring von einer 
Unze geehelicht“. 

Ich möchte diese früher ganz übliche eigentümliche Be- 
handlung der Heiraten bei den Juden allgemein als ein Symptom 
betrachten für ihre starke Bewertung des Geldes und vor allem 
für ihre Neigung, auch die unschätzbarsten Dinge in den Kreis 
geschäftlicher Erwägungen zu ziehen. Auch Kinder haben einen 
Preis: das ist für die Juden in jenen Zeiten ganz selbstverständ- 
lich. „Sie sind alle meine lieben Kinder, und es sei ihnen ver- 
ziehen, sowohl denen, die mich viel Geld gekostet haben, als 
denjenigen, die mich nichts gekostet haben,“ schreibt Glückei. 
Sie haben (namentlich als Heiratsobjekte) einen Preis, ja sie 
haben einen Kurs, je nach der Marktlage. Besonders gefragt 
sind Gelehrte oder Kinder von Gelehrten. So hören wir denn 
auch gelegentlich, daß ein Vater in Kindern spekulierte. Be- 
kannt hierfür und oft angeführt ist das Schicksal des Salomon 
Maimon, von dem uns Graetz folgendes berichtet: „Mit 11 Jahren 
beherrschte er den Talmud stofflich und formell so vollständig, 
daß er ... als Bräutigam gesucht wurde. Sein dürftiger Vater 
verschaffte ihm zum Übermaß aus Spekulation zwei Bräute zu- 
gleich, ohne daß der junge Bräutigam eine ... zu sehen bekam“. 
Derartige Fälle lassen sich zu Dutzenden nachweisen, so daß sie 
uns durchaus als typisch erscheinen müssen. 

Nun kann man vielleicht einwenden: in nicht-jüdischen 


Digitized by VjOOQle 



157 


Familien sei das Geldinteresse ebenso lebendig, man wolle es 
nur nicht zugeben. Man heuchle. Vielleicht ist dieser Einwand 
zum Teil berechtigt. Dann würde ich aber als das spezifisch 
Jüdische gerade diese Naivität, diese Selbstverständlichkeit, diese 
Unverblümtheit ansehen, mit der das Geldinteresse in den Mittel- 
punkt aller Lebensinteressen gestellt wird. 

So urteilten auch die Zeitgenossen im 17. und 18. Jahr- 
hundert ganz allgemein über den Juden. Und dieser Con- 
sensus omnium darf doch wohl als ein weiterer Beweis 
für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht betrachtet 
werden. Der Jude gilt in den Zeiten unvollkommen ent- 
wickelter kapitalistischer Wirtschaft gleichsam als der Ver- 
treter der ausschließlich auf Geldgewinn gerichteten Wirt- 
schaftsgesinnung. Nicht daß er „wucherte“, unterschied ihn 
von dem Christen, nicht daß er Gewinn erstrebte, nicht daß er 
Reichtümer aufhäufte, sondern daß er all das nicht heimlich, 
sondern ganz offen tat, und daß er sich zu all diesen Dingen 
offen bekannte. Und daß er rücksichtslos und unbarmherzig sein 
geschäftliches Interesse verfolgte. Von christlichen „Wucherern“ 
wissen Sebastian Brandt und Geyler von Kaisersberg viel 
schlimmere Dinge zu berichten, und daß sie’s „ärger trieben als 
die Juden“. Und was das Schlimmste ist, weshalb man „zu 
halten vil eiger weder kein Juden“ sollte, ist das, daß sie ihr 
schmutziges Gewerbe mit heuchlerischer Christenmiene betreiben. 
„Dann ein Jud setzt sein Seel öffentlich daxauff, und schembt 
sich solches nicht, aber diese Wucherhels richten solches 
alles auß under dem schein des Christlichen nammens 826 .“ 

In einem Berichte des Rev. Johannes Megalopolis vom 
18. März 1655 heißt es von den Juden: „these people have no 
other god but the unrighteous mammon and no other aim than 
to get possession of Christian property . . . they . . . look at 
everything for their profit“ 827 : ihr einziger Gott der Mammon ; 
ihr einziger Zweck: Profit zu machen 1 Und ein anderer auch 
recht klar blickender Beobachter jener Zeit 828 urteilt vielleicht 
noch schärfer, wenn er sich folgendermaßen über die Juden 
ausläßt: „No trust should be put in the promises made there 
(in Brazil) by the Jews, a race faithless and pusillanimous, 
enemies to all the world and especially to all Christians, 
caring not whose house bums so long as they may warm them- 


Digitized by t^ooQle 



158 


selves at the coals, who would rather see a hundred thousand 
Christians perish than suffer the loss of a hundred crowns.“ 

„Man nennt einen echten Juden einen wucherischen oder 
allzu interessierten Kaufmann, der übervorteilt und diejenigen 
schindet, die mit ihm zu tun haben“ : „un marchand usurier ou 
trop intöressö qui surfait et qui ran$onne ceux qui ont affaire 
ä lui“, meint der den Juden wohlwollende Savary 880 und er 
fügt hinzu: „Man sagt: Einer ist in die Hände von Juden ge- 
fallen, wenn die, mit denen man Geschäfte zu machen hat, hart, 
zäh und genau (?) sind“ (durs, tenaces et difficiles). Das Wort: 
„in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf“ ist zwar von einem 
sehr christlichen Kaufmann geprägt worden. Der Grundsatz 
selber aber ist unzweifelhaft zuerst mit Entschiedenheit und 
Offenheit von jüdischen Geschäftsleuten vertreten worden. 

Nicht unbeachtet sollen wir auch lassen, daß in den Sprich- 
wörtern aller Nationen von jeher den Juden ein überragend 
starker Erwerbssinn, eine besondere Vorliebe für das Gold 
nachgesagt wird : „Auch dem Juden ist Maria eine heilige Frau“ 
— nämlich auf den Kremnitzer Golddukaten (ungarisch); „Gelb 
ist des Juden Leibfarbe“ (russisch); „Des Juden liebste Farbe 
ist gelb“ (deutsch). 

Aus diesem starken, ethisch nicht mehr temperierten, Ge- 
-winnstreben ergeben sich nun all die einzelnen Geschäfts- 
maximen und Geschäftspraktiken, die man an den 
Juden tadelte, ganz von selbst. Gleich ihre Eigenart, oder wie 
•die Vertreter der alten ständischen Wirtschaftsordnung sagten: 
ihre Unart, keine von Gesetz oder Satzung den einzelnen Berufe- 
zweigen oder Gewerbearten gezogene Schranke zu achten. Eine 
immer wiederholte Klage der christlichen Produzenten und 
Händler an allen Orten, wo Juden neben ihnen wirtschaften, 
ist die: die Juden begnügen sich nicht mit einer Beschäftigung; 
sie greifen unausgesetzt in alle andern Branchen hinüber und 
stören so die zünftlerische Ordnung; sie möchten am liebsten 
den ganzen Handel und alle Produktion an sich reißen ; sie sind 
von einer unerträglichen Expansionstendenz beherrscht. „Die 
Juden streben nach der Vernichtung aller englischen Kaufleute 
dadurch, daß sie allen Handel an sich bringen“ (by drawing all 
trade towards themselves), heißt es in einem Berichte 880 aus 
-dem Jahre 1655. „Die Juden sind ein scharfsinniges Volk, das 


Digitized by t^ooQle 



159 


in alle Arten von Geschäften seine Nase steckt“ (prying into 
all' kinds of Trade), faßt Child das Urteil seiner Zeitgenossen 
zusammen*® 1 . Und Glückei von Hameln erzählt uns (S. 25): 
„meinem Vater sein Handel war mit Edelsteinen und mit 
andern Sachen, wie ein Jude, der von allem was nascht“. 

Zahlreich sind Beschwerden der deutschen Zünfte über die 
Juden: daß sie sich nicht um die zunftmäßige Abgrenzung der 
Gewerbe- und Handelsbetriebe kümmern. 1685 klagt der Rat 
von Frankfurt a. M.: die Juden griffen in jede Art von Hand- 
lung ein, so in die Leinen- und Seidenkrämerei, in den Material- 
waren- und Buchhandel usw. 882 . Beschwerde der Stadt Frank- 
furt a. O. (17. Jahrh.) 888 : die Juden handeln mit fremden Borten 
zum Schaden der Posamentierer usf. Eine Neigung zur Univer- 
salität der Branchen hatten die Juden frühzeitig schon dadurch, 
daß sich in ihren Läden allerhand verfallene Pfänder verschieden- 
artigster Natur (neben dem schon erwähnten Beutegut usw.) zum 
Verkauf aufhäuften, die ohne jeden inneren Zusammhang rein 
durch den Zufall hier zusammengeführt waren und nun natürlich 
in die Kompetenzkreise der verschiedensten Produzenten und 
Händler hineinragten. Diese Trödelläden — das Urbild des 
modernen Warenhauses — spotteten jeder zunftmäßigen Gliede- 
rung und bedeuteten durch ihr bloßes Dasein eine beständige 
Auflehnung gegen die bestehende Ordnung von Handel und Ge- 
werbe. Wir haben (schon aus dem 15. Jahrhundert, später haben 
sich diese Verhältnisse sicher nur noch eigenartiger in derselben 
Richtung weiter entwickelt) eine sehr anschauliche Beschreibung 
eines solchen „Altwarenhauses“, als des Sitzes des Juden- 
kommerzes in einem Regensburger Lied 884 : 

„Hanger and Not and großen Zwang, 

Das leidt der arme Handwerksmann. 

Es war kein Handwerk also schlecht, 

Dem der Jnd einen großen Schaden brächt. 

So einer ein Kleid kaufen wollt, 

Gar bald er za dem Jaden trollt, 

Silbergeschirr, Zinn, Leinwand, Barett, 

Und was er sonst im Hans nit hätt, 

Das fand er bei den Jaden zahand, 

Es war ihnen alles gesetzt zu Pfand. 

Denn was man stahl und raubt mit Gewalt, 

Das hat alles da sin Aufenthalt. 


Digitized by t^ooQle 



160 


Mäntel and Hosen und anderlei, 

Das fand man bei dem Juden feil; 

Der Handwerksmann könnt’ nichts verkaufen, 

Es war alles zum Juden laufen.“ 

Hängt mit dieser Nichtachtung aller ständischen Gliederung 
und also einer Durchsetzung der rein geschäftlichen Zwecke allen 
Schranken zum Trotz die Tatsache zusammen, daß wir die Juden 
auch als Rebellen gegenüber dem merkantilistischen Staat an- 
treffen? Daß sie auch hier ohne Rücksicht auf, die der merkan- 
tilistischen Handelspolitik zugrunde liegenden, nationalwirtschaft- 
lichen Ideen die freie Handelsbewegung durchzusetzen trachteten? 
„ Judenkommerz tt wurde z. B. der Frankfurter Handel im 18. Jahr- 
hundert genannt, weil er wesentlich Einfuhrhandel war, „welches 
wenige deutsche Hände nützlich beschäftigt und größtenteils auf 
der inländischen Verzehrung beruht" 885 . Als im Anfang des 
19. Jahrhunderts Deutschland mit den überproduzierten billigen 
englischen Waren überschwemmt wurde, die man vornehmlich 
auf Auktionen absetzte, galten die Juden als die Beförderer dieser 
Einfuhr: „die Juden, die in deutschen Handelsstädten soviel an 
sich zu ziehen gewußt, (haben) jene obgedachten Auctionen fast 
ausschließlich in Beschlag genommen." „Da der Handel mit den 
Manufakturwaren so ganz in die Hände der Juden geraten, so 
ist demnach das Geschäft der Britten hauptsächlich nur mit 
diesen." „Der gesamte und ungemein bedeutungsvolle, aus zahl- 
losen, unendlichen Artikeln bestehende Detailhandel aller nur 
denkbaren sogenannten Manufakturwaren (ist) mit dem aus- 
wärtigen Handel derselben verbunden.“ Der Jude (hat) „seinen 
Laden mit ausländischen Hüten, Schuhen, Strümpfen, ledernen 
Handschuhen, Blechschmidt-, Kupferschmiedarbeit, Lackier- Arbeit 
aller Art, mit Mobilien, mit gemachten Kleidern jeder Gattung, 
die auf englischen Schiffen herbeigeführt sind, angefüllt“ 886 . 
Dasselbe Urteil hören wir von jenseits des Rheins : „presque toutes 
les marchandises qu’ils apportent sont ötrangöres" 887 . 

Umgekehrt führten sie die Rohstoffe mit Vorliebe außer 
Landes, was ja ebenfalls eine Versündigung am heiligen Geiste 
des Merkantilismus bedeutete : z. B. Klage der Gewerbetreibenden 
Hannovers im 18. Jahrhundert 887 “. 

Achteten die Juden in der Verfolgung ihrer Geschäftsinteressen 
nicht die Schranken, die zwischen den Staaten aufgerichtet waren, 
nicht die gesetzlichen Scheidewände, die die einzelnen Gewerbe 


Digitized by t^ooQle 



161 


voneinander trennten, so nahmen sie auf die Umfriedungen, die 
namentlich durch die Sitte, aber auch durch gesetzliche Verbote 
für die einzelnen Geschäfte der Produzenten und Händler ge- 
schaffen waren, noch viel weniger Rücksicht. Wir sahen, daß 
es ein oberster Grundsatz aller handwerksmäßigen und auch noch 
zum guten Teil der frühkapitalistischen Wirtschaftsverfassung 
war: dem Nachbarn seine Kunden nicht abspenstig zu machen. 
Und gerade gegen diesen Grundsatz sehen wir die Juden immer- 
fort verstoßen. Überall lauern sie Verkäufern oder Käufern auf, 
statt, wie es der kaufmännische Anstand heischte, ihrer im Ge- 
wölbe zu harren: diese Tatsache wird durch ein überreiches 
Material allerorten bestätigt. 

Eine Beschwerde des Kürschner-Gewerkes in Königsberg 
i. Pr. vom Jahre 1703 beklagt 888 : „daß die Juden Hirsch und 
Moses mit ihrem Anhänge es ihnen im Ein- und Verkauf des 
rohen und aufgearbeiteten Pelzwerkes zuvortäten, wodurch ihnen 
großer Schaden erwachse.“ 

Die Juweliere, Gold- und Silberarbeiter in Frankfurt a. M. 
beschweren sich (1685) 889 , daß sie all ihr altes Bruchgold und 
Silber von den Juden kaufen müßten, da diese es durch ihre 
unzähligen Spione den Christen immer vor der Nase weg- 
fischten. Die Kaufmannschaft derselben Stadt hatte sich wenige 
Jahre vorher in einer Beschwerde an den Rat ganz allgemein 
darüber beklagt, daß die Juden „die Geschäfte der christlichen 
Kaufleute ausspähen“. 

Noch ein paar Jahre früher (1647) hatten schon die christ- 
lichen Schneidermeister der Stadt Frankfurt a. M. beantragt 840 , 
man solle den Juden den Verkauf neuer Kleider verbieten: 
„bitterlich zu beweinen sei, daß die Juden die Freiheit hätten, 
fremden Personen höheren und niederen Standes, sobald sie nach 
Frankfurt kämen, auf allen Straßen mit allerhand Waren, Tüchern, 
wie die Kamele und Esel beladen, entgegenzulaufen und 
uns so um unser tägliches Brot zu bringen 840 .“ 

Und ganz ähnlich hatten sich schon im Jahre 1635 die 
Seiden- und Gewandkrämer in einer Eingabe also geäußert 840 : 
„Außerhalb der (Juden-)Gasse terminieren sie in die Stadt und 
in die Gasthöfe oder wo sie sonst Gelegenheit finden, 
heimlich und öffentlich laufen sie den Soldaten, 

Sombart, Die Jaden 11 


Digitized by 


Google 



162 


Offizieren und Obersten, wenn diese in die Stadt 
kommen, ganze Gassen lang entgegen. Etliche Meister 
des Schneiderhandwerks haben sie in ihr Konsortium gezogen, 
denen sie bei Truppendurchzügen (während welcher die Juden- 
gasse geschlossen bleiben muhte) die Häuser und Läden voll 
Kleider stecken und dieselben verparthieren lassen/ 

1672 klagen die Stände der Mark Brandenburg 841 : „die 
Juden liefen auf den Dörfern und in den Städten herum hausieren 
und drängten den Leuten ihre Waren auf.“ 

Sehr eingehend begründet ist eine Beschwerde der Stadt 
Frankfurt a. 0. aus derselben Zeit 841 , worin ebenfalls den 
Juden vorgeworfen wird: sie liefen den Kunden nach: den 
Reisenden in die Hotels, dem Adel auf die Schlösser, den 
Studenten auf ihre Buden: „weil die Juden nicht damit content 
seyn, daß sie allerhand Waaren in den Gewölben gleich uns 
öffentlich feil haben, besonderen es hat ein jeder von ihnen ge- 
wisse emissarios, die da nicht allein in der Stadt von Hause zu 
Hause, absonderlich da etwa reisende Leute einkehren, und auff 
den Stuben bei den Studenten allerhand Waren an seidenen 
Stoffen, weihen Gattonen, Nettel-Tüchern, Spitzen, Leinewandten 
und anderen Galanterien feil bieten, besondern auch von Dorffe 
zu Dorffe auff dem Lande bey denen von Adel . . . herum vagierep," 
„sie seynd auch gewohnt, in den Messen alle Wirthshäuser täglich ' 
zu durchwandern, alle Käuffer an sich zu locken.“ 

„Der Jude,“ wird aus Nikolsburg in Österreich berichtet 842 , 
„hat allen Handel, alles Geld, alles Materiale an sich gezogen. 
Er wartet vor der Stadt, dringt sich schon den Reisenden am 
Wege auf und sucht Gespräche mit ihnen anzubinden und sie 
von den Nikolsburger christlichen Bürgern abzuleiten.“ 

Wie der Jude immer nach neuen Kunden ausspäht, schildert 
uns ein gut unterrichteter Schriftsteller aus dem Anfänge des 
19. Jahrhunderts 848 , der als jüdische Gewohnheit bezeichnet 
„das mit der Agentschaft in Verbindung stehende stete Be- 
suchen und aufdringende Frequentieren aller und jeder öffent- 
licher Örter, um durch die hier so wohlfeil zu erlangende 
Lektüre der zahlreichen öffentlichen Blätter zu aller und 
jeder Kundschaft zu gelangen, besonders was Ankunft 
der Fremden betrifft, um jedes Gespräch lauschend, zu Kunden 
um kommen, welche Häuser etwa von Unglücksfällen bedroht 


Digitized by t^ooQle 



163 


werden, um mit solchen Kaufkontrakte, Zessionsanträge usw. 
abschließen und unternehmen zu können." 

Was hier ein raffiniertes System von Kundschaftereien be- 
wirken sollte: eines Kunden habhaft zu werden, vollzog sich in 
den Straften, wo die jüdischen Altwarenhändler ihre Geschäfte 
hatten, auf naiv-ursprüngliche Weise durch unmittelbare körper- 
liche Nötigung. Ganz so, wie wir es heute noch täglich in unera 
Groftstädten beobachten können, wo das, was der Breslauer 
die „ Ärmelausreiftgeschäfte u nennt, in Flor steht. Von diesen 
Blüten des allerneuesten Kapitalismus hatte ich früher einmal 
gesprochen und hatte, um das Bild, das ich von ihnen entwarf, 
anschaulicher zu machen, Männer mit fingierten jüdischen Namen 
in die Läden gestellt. Man hat diese dichterische Freiheit, die 
ich mir nahm, übelwollend als antisemitische Tendenz ausgelegt. 
Ais Antwort auf diese Beschuldigung kann ich heute die geschicht- 
liche Tatsache feststellen, daft in der Wirklichkeit jene „Ärmel- 
ausreiftgeschäfte" eine Schöpfung jüdischen Geschäftsgeistes sind. 
Wir erfahren von ihrer Existenz in dem Paris des 18. Jahr- 
hunderts, wo sie von den fripiers, den Altwarenhändlern, be- 
trieben werden, die nach Aussage eines Zeitgenossen 844 zum 
größten Teile Juden waren. Die Schilderung, die uns Mercier 
von* ihnen und ihren Praktiken entwirft, ist zu hübsch, um sie 
nicht im Wortlaut hier wiederzugeben 845 : „Des courtauds de 
boutiques desceuvres vous appellent assez incivilement; et quand 
Tun d’eux vous a invitö, tous ces boutiquiers recommencent sur 
votre route l'assommante invitation. La femme, la fille, la ser- 
vante ; le chien, tous vous aboyent aux oreilles . . . Quelquefois 
ces dröles-la saisissent un honnöte homme par les bras ou par 
les öpaules et le forcent d’entrer malgrö lui; ils se font un 
passe-tems de ce jeu indöcent ..." 

Ein Reisender, der um dieselbe Zeit etwa Westdeutschland 
durchwanderte, berichtet von dort: „Es ist eine Last in einer 
Statt, in der die Menge der Juden so groft ist, auf den Gassen 
zu gehen; alle Augenblicke und Schritte ist man von ihrem 
Handel belästigt: Beständig hört man die Frage: Ist nichts zu 
handeln? Kauft man nicht dieft, nicht das oder jenes, nicht 
etwa was anderes?“ 846 . 

Oder sie werden zu „fliegenden Händlern“, um besser an 
die Kundschaft heranzupürschen. „In gedehnter Reihe macht der 

11 * 


Digitized by 


Google 



164 


Jude die, an den Seiten der Hausstufen befindlichen, Sitze zu 
seinem Kramtisch, hie und da durch Gestelle sie noch erweiternd ; 
oder stellt auch eine Bank, einen Tisch an die Häuser, wo er 
ankommen kann, hin; oder nimmt den Eingang der Flur eines 
Hauses zu seinem Kramladen; oder wählt Karren zu seiner be- 
weglichen Boutique, wobey es nicht fehlt, daß die Dreistigkeit 
der Letzteren so weit geht, vor dem Laden deijenigen Bürger 
zu halten, wo dieselben Artikel verkauft werden“ 847 . 

„An die Kunden heranzukommen,“ ist die Losung. Wir 
erinnern uns, wie heute dieser Grundsatz auch die große Industrie 
beherrscht, wie die geniale Organisation etwa der A. E. G. nichts 
anderes bezweckt als dieses. 

Daß die Kundengewinnung zu einem System erst in der Re- 
klame ausgebildet ist, ist bekannt. Die „assommante* invitation“, 
die wir eben von dem kleinen fripier ausgehen sahen, ist heute die 
Aufgabe der tausendfältigen Geschäftsreklame geworden. Haben 
wir die Juden als die Väter der Kundeneroberungssysteme 
kennen gelernt, so müßten wir sie folgerichtig auch als die Väter 
der modernen Reklame begrüßen dürfen. Ich bin jedoch nicht 
in der Lage, für diesen Zusammenhang hinreichende Beweise 
beizubringen. Hier müßten erst einmal die ältesten Zeitungen 
auf die Namen der Inserenten hin durchgesehen werden, um sich 
ein Urteil bilden zu können. Für die Geschichte der Reklame 
besitzen wir einstweilen (soviel ich sehe) überhaupt noch keine 
Vorarbeiten. Was man leidlich genau untersucht hat, ist immer 
nur die Geschichte der Annonce (der einfachen Geschäfts- 
anzeige) gewesen, die sich wahrscheinlich erst spät, wohl kaum 
wesentlich vor dem 19. Jahrhundert allgemein zur Geschäfts- 
anpreisung (der Reklame) auswächst. Was ich an vereinzelten 
Belegen kenne, aus denen auf die Ausbildung der Reklame 
durch die Juden geschlossen werden kann, ist folgendes: 

1. Die mir überhaupt bekannte erste Reklame finde ich in 
Nr. 63 der „Vossischen Zeitung“ vom 28. Mai 1711. Sie 
lautet : 

Es wird jederm&nnigl. zu wissen gethan, daß bey Hr. Advocat 
Boltzen in die Judenstrasse ein Holländischer (jüdischer?) Kauff- 
mann gekommen ist mit allerhand feinen Thee zu wohlfeilen Preise. 


* Assommant: fatigant, ennuyeux ä l'exc&s nach — Pierre Larousse l 


Digitized by t^ooQle 



165 


Wer nun Lust und Belieben hat, etwas zu kauften, kan sich bey 
Zeiten melden, denn er über 8 Tage nicht hier bleiben wird. 

2. die erste bekannte Reklame im Text der Zeitung, die 
man in das Jahr 1753 nach Holland verlegt, rührt von 
einem Augenheilkünstler namens Laazer her 848 ; 

3. eine sehr alte (ob die älteste, weih ich nicht) Reklame in 
den Vereinigten Staaten erschien am 17. 8. 1761 im New 
York Mercury und batte folgenden Wortlaut 849 : 

„To be sold by Hayman Levy, in Bayard Street, Camp Equi- 
pages of all sorts , best soldiers english shoes . . and everything 
that goes to make up the pomp and circumstance of glorious war“ ; 

4. die Juden sind die Väter der modernen Zeitungspresse, 
also des eigentlichen Organs der Reklame; insbesondere 
haben sie die billige Sous-Presse begründet 850 : Polydore 
Millaud ist der Begründer des Petit Journal, das mit seinem 
billigen Preise bekanntlich zum Vorbilde aller späteren 
Zeitungen geworden ist. 

Aber Adressen ermitteln, ankommenden Fremden auf den 
Leib rücken, seinen Kram anpreisen : das alles ist doch nur die 
eine Seite des „Kundenfangs 1 *. Man könnte all diese Tricks zu- 
sammenfassen unter der Bezeichnung des äußerlichen Kunden- 
fangs und könnte ihnen dann als innerlichen Kundenfang alle 
jene Machenschaften gegenüberstellen, die die Darbietung der 
Ware selbst so zu gestalten bestimmt sind, daß die Käufer an- 
gelockt werden. Kulanz im weitesten Sinne habe ich früher 
einmal diese auf Zufriedenstellung und Gewinnung der Kund- 
schaft abzielende Politik des Geschäftsmanns genannt. Und bei 
der Ausbildung dieser Seite unseres Wirtschaftslebens sehen wir 
nun abermals die Juden in ganz hervorragendem Maße beteiligt. 
Ja, es läßt sich fast im einzelnen „quellenmäßig** nachw eisen, 
daß sie gegenüber der herrschenden Anschauung den Grundsatz 
zuerst und mit Entschiedenheit vertreten: der einzelne Geschäfts- 
mann habe das Recht (und die Pflicht), sein Angebot so zu ge- 
stalten, daß er einen möglichst großen Teil der vorhandenen 
Kundschaft an sich fessele oder aber durch Schaffung neuer Be- 
dürfnisse die Abnehmerschaft vergrößere. 

Inmitten einer auf gute Leistungen Wert legenden Wirt- 
schaftsverfassung konnte nun das einzig wirksame Mittel, jenen 
Zweck zu erreichen, nur die Unterbietung imPreise sein. 


Digitized by t^ooQle 



166 


Und dieses Mittels sehen wir in der Tat den Juden sich mit Vor- 
liebe bedienen. Und das vor allem war es, was ihn in den Kreisen 
der christlichen Kaufleute, die ihrer ganzen Wirtschaftsgesinnung 
gemäß „auf Preise halten tt mußten, so grundverhaßt machte. Der 
Jude schleudert. Der Jude verdirbt die Preise. Der Jude lockt 
die Kunden durch seine billigen Preise an. Das ist das Lied, 
das, wo immer Juden Geschäfte machen, während des 17. und 
18. Jahrhunderts in allen Tonarten gesungen wird. 

Aus der erdrückenden Fülle von Beweismaterial will ich nur 
folgende Belege beibringen. 

Als, wie schon erwähnt, in England 1753 der Sturm gegen 
die Juden losbrach, war einer der gewichtigsten Gründe, die 
man gegen ihre Zulassung als Staatsbürger geltend machte : daß 
sie bei völliger Freiheit die Einheimischen um ihre Nahrung 
bringen würden, da sie sie unterbieten (undersell them) 851 . 

In Frankreich: „les Stoffes . . . que portent les Juifs 
dans les foires . , . valent mieux par les prix auxquels ils 
les vendent que celles qu’on trouve dans les boutiques des mar- 
chands“ , antwortet der Intendant von Languedoc den sich be- 
schwerenden Kaufleuten von Montpellier (31. 5. 1740) 8M . 

Während die Kaufleute von Nantes (merciers et quincailliers) 
der Meinung sind: „le public sous l’apparence dubonmarchö 
est toujours le dupe a beim Kauf von Judenwaren, aber daß sie 
billiger sind, wird ausdrücklich hervorgehoben 858 . Dieselbe Fest- 
stellung machen die Pariser Kaufleute in einer Klageschrift : daß 
die Juden alle Waren „ä un prix beaucoup au dessous de celui 
des fabriques“ (also sogar: erheblich billiger als die Fabriken I) 
verkaufen 864 . 

In einer Eingabe der Bronzewarenhändler von Paris heißt 
es von einem Juden aus Fürth, Abraham Oulman 855 : „il vend 
ces memes bronzes au dessous de la valeur de ce qu’on les vend 
dans le pays“: er verkauft dieselben Bronzen billiger, als 
„man“ (!) sie sonst hier zu Lande zu verkaufen pflegt. 

Und die Zunftmeister der Lyoner Seidenweber schreiben in 
einem Beschluß vorft 22. 10. 1760 die ungünstige Konjunktur den 
Juden zur Last, die mit den Waren geschleudert und dadurch 
sich zu Herren des Seidenhandels in allen Provinzen ge- 
macht hätten: „cette nation . . . les (les etoffes) donnant ä vil 


Digitized by t^ooQle 



167 


prix, s’est rendu par ce moyen maitresse du commerce de toutes 
les provinces“ 866 . 

Als im Jahre 1815 im schwedischen Reichstage darüber 
debattiert wurde, ob man den Juden allen Handel frei geben 
solle, war ebenfalls, wie ein paar Menschenalter vorher in Eng- 
land, einer der Hauptgründe, der dagegen geltend gemacht 
wurde: sie drückten die Preise 857 . 

Auf die Klagen der christlichen Kaufleute Polens erwidern 
die Juden : wenn sie, die christlichen Geschäftsleute, die Waren 
ebenso billig verkauften wie sie, die Juden, würden sie eben- 
soviele Kunden haben 858 . 

Genau auf denselben Ton gestimmt sind die häufigen Be- 
schwerden der Kaufleute (und Fabrikanten) in Deutschland, 
von denen ich schon öfters Proben mitgeteilt habe. 

Klagen der Stände der Mark Brandenburg vom Jahre 
1672 859 , Klagen der Zünfte in Frankfurt a. M. (17. Jahr- 
hundert 880 ), Bericht der Kriegs- und Domänenkammer über den 
wirtschaftlichen Niedergang des Herzogtums Magdeburg (vom 
Jahre 1710 801 ): „Es ist hiernächst bekannt, daß allhier und an 
anderen Orten dieses Herzogtums verschiedene Juden geduldet 
werden, dadurch dann dem Publico auf verschiedene Weise eben- 
falls nicht wenig präjudiziert wird, angesehen dergleichen Leute 
. . . sich mit Kaufen und Verkaufen ernähren und oftmals . . . 
Sachen . . . wohlfeiler verkaufen, darunter dann die Kauf- 
leute notwendig leiden müssen" . . . Ein in Deutschland um 
diese Zeit reisender Wallache berichtet von den „bitteren Klagen 
wider den Handel der Juden“; „diese sind es, sprechen die 
Kaufleute , die allen Handel verderben, die Preise gering 
setzen und uns hierdurch, wollen wir anderst einen Absatz 
unserer Waren erhalten, vermöchten und zwingen, soviel mög- 
lich, ihnen hierinnen zu folgen“ 868 . 

Diese Beobachtung wird in ihrer Richtigkeit bestätigt durch 
die Begründung, mit der das allgemeine (preußische) Edikt von 
1750 erlassen wird: „die . . Kauffleute in unseren Städten . . 
klagen . ., daß ihnen die handelnden Juden, welche mit ihnen 
gleichen Krahm führen, großen Abbruch thäten, weil sie ihre 
Waaren gemeiniglich wohlfeiler verkaufen“. 

Die Klagen setzen sich bis in das 19. Jahrhundert fort. So 
heißt es in einer „Supplik der Augsburger Großhändler gegen 


Digitized by 


Google 



168 


die Zulassung der Juden“ (1803) 868 : die Juden wüßten eigent- 
lich aus der allgemeinen Not ihren Vorteil zu ziehen ; sie 
drückten dem Dürftigen, der Geld brauche, die Waaren zu Schand- 
preisen ab, und verderbten durch wolfeilen Wieder- 
verkauf den ordentlichen Handel. 

(Daß noch heutigen Tages in zahlreichen Industriezweigen 
die christlichen Fabrikanten und Kaufleute das „Schleudern“, 
wie es die Juden belieben, als eine schwere Schädigung ihres 
Gewerbes empfinden, ist ein offenes Geheimnis und wird sogar 
oft genug öffentlich ausgesprochen. Ich komme auf diesen P unkt 
noch zu sprechen.) 

Daß übrigens die Juden in allen Fällen als diejenigen gelten, 
die eine Sache billiger als die anderen machten, dafür sprechen 
auch Zeugnisse aus der Finanzgeschichte. Als die österreichische 
Regierung im Anfang des 18. Jahrhunderts wieder einmal eine 
Anleihe (wie meist: in Holland) aufnehmen wollte, wurde mit 
Reskript vom 9. Dezember 1701 der Hofkammerrat Baron Pech- 
mann beauftragt, sich unter der Hand zu erkundigen, ob nicht 
auf das Pfandobjekt des Ertrages des ungarischen Kupferberg- 
werkes ein höherer Betrag aufgenommen werden könne. Und 
zwar soll er bei den portugiesischen Juden in Holland 
anfragen, da die übrigen Untertanen der Generalstaaten außer 
der allgemeinen Garantie immer zugleich eine effektive Spezial- 
hypothek verlangten 864 . Die Wiener Hofkanzlei macht in einer 
Eingabe vom 12. May 1762 u. a. den Vorschlag: „Es sey räth- 
lieh, mit den Juden Militärlieferungen abzuschließcn, maßen die- 
selben . . auf weit wohlfeilere Lieferungspreise eingehen“. 

4c 4c 

4t 

Und nun steckten die Neunmalweisen ihre Köpfe zusammen 
und fragten einander — in den Werkstätten, in den Gewölben, 
Sonntag nachmittags auf dem Spaziergang vor dem Tor, abends 
beim Schoppen, wenn der fremde Geschäftsfreund daher gereist 
war: immer und immer wieder, mit bohrender Hartnäckigkeit 
— wie geht es zu, wie in aller Welt ist es möglich, daß der 
Jud seine „schmutzige“ Praktik der Unterbietung durchführen 
kann? Was ist der Grund seiner billigen Preise? 

Je nach dem größeren oder geringeren Maß von Urteils- 
fähigkeit, je nach der größeren oder geringeren Unbefangenheit 


Digitized by t^ooQle 



169 


des einzelnen fiel natürlich die Antwort auf diese Frage recht 
verschieden aus. Und wir stehen vor einer Fülle von Erklärungs- 
versuchen, die wir nun nicht ebenso wie die Behauptung, daß 
die Juden die Preise drückten (an deren Richtigkeit angesichts 
der Üereinstimmung hierüber ganz voneinander unabhängiger Aus- 
sagen zu zweifeln keinerlei Grund vorliegt), ganz einfach als bare 
Münze nehmen dürfen, sondern die wir auf ihre größere oder 
geringere Glaubwürdigkeit hin erst im einzelnen prüfen müssen. 
Wobei immer im Auge zu behalten ist, daß uns die Gründe für 
die billigen Preise der Judenwaren hier einstweilen immer nur 
insoweit interessieren, als wir aus ihnen eine grundsätzlich eigen- 
artige Geschäftspraxis ableiten oder aus ihnen auf eine grund- 
sätzlich eigenartige Geschäftsmoral schließen können. 

Die Erklärung, die uns vielleicht am häufigsten begegnet, 
ist die mit Hilfe der „notorischen“ Unrechtlichkeit der Juden. 
Man argumentiert so: da die Juden dieselben Spesen haben, da 
die Herstellungskosten der Waren dieselben sind, so kann, wenn 
trotzdem ein geringerer Preis gefordert wird, dies nicht mit 
rechten Dingen zugehen. Die Juden müssen auf unrechtmäßige 
Weise in den Besitz der Waren gekommen sein. Es muß sich 
um Diebeswaren handeln oder um Räubergut. Der schlechte 
Ruf, in dem, wie wir schon sahen, die Juden vielfach standen, 
machte diese Erklärung um so wahrscheinlicher, wie denn wohl 
zweifellos umgekehrt die Preisunterbietung oft genug als Be- 
stätigung für die Richtigkeit jenes Verdachtes der Hehlerei hat 
dienen müssen. 

Ich verzichte darauf, einzelne Belege für das Vorkommen 
dieser wie gesagt sehr häufigen Begründung beizubringen (fast 
jede der öfters genannten Beschwerden macht sie sich zu eigen), 
um so leichter, als diese Erklärung die alleruninteressanteste ist. 
Zweifellos ist sie in vielen Fällen die richtige gewesen (Vorgänge 
wie die in Hamburg im 17. Jahrhundert bestätigen das, ganz 
abgesehen davon, daß die Wahrscheinlichkeit dafür spricht). 
Aber wenn wirklich kein anderer Grund dafür vorläge, daß die 
Juden die Preise drückten, als der, daß sie gestohlenes und 
geraubtes Gut in den Handel brachten, dann wäre über die ganze 
Sache kein Wort zu verlieren. Dann hätte diese Praktik über- 
haupt nicht die große Bedeutung gewinnen können, die sie doch 
offenbar besitzt. 


Digitized by t^ooQle 



170 


Man mußte sich denn auch in der Tat entschließen — selbst 
in den verbissensten Zünftlerkreisen — , noch nach anderen 
Gründen Ausschau zu halten, die die niedrigen Judenpreise ver- 
ständlich machten. Man fand sie zunächst in nächster Nähe 
jener ersten Gruppe von Gründen: zwar nicht in offenbar un- 
rechtmäßigen, verbrecherischen Handlungen, aber doch in Prak- 
tiken, die nicht ganz sauber waren. 

Dahin gehören z. B. : 

Handel mit verbotenen Waren (wie Kriegskontrebande usw.); 

Handel mit verpfändeten Waren; 

Handel mit konfiszierten Waren (Zollkontrebande) ; 

Handel mit Waren , die man „von Schulden Gedrängeten, 
welche selbige um ein Spottgeld verkauffen müssen“ 8 * 6 , 
erworben oder „dem Dürftigen, der Geld brauchte — zu 
Schandpreisen abgedrückt“ 866 hatte ; 

Handel mit alter verlegener Ware, die sie „aus gerichtlichen 
Ausrüffen oder Auctionibus“ billig erstanden hatten 8 * 6 ; 

Handel mit Waren, die von einem Bankerottem* billig los- 
geschlagen waren: „en favorisant les banqueroutiers qui 
leurs vendent ces marchandises ä moitiö perte“ 8 * 7 ; 

Handel in der stillschweigenden Absicht, selbst Bankerott zu 
machen 868 ; 

Handel mit reglementwidrig hergestellten Waren: „fabriquöes 
dans le royaume en contrevention des reglements“ 86 9 . 

Wie weit es sich bei diesen und ähnlichen Praktiken, 
diesen „miserables moyens des juifs“, wie es in einer Kund- 
gebung der Metzer Kaufleute 870 heißt, um vereinzelte und all- 
zurasch verallgemeinerte Fälle, wie weit um weitverbreitete Ge- 
pflogenheit der jüdischen Geschäftsleute gehandelt hat, wird sich 
schwer feststellen lassen, ist für das, was uns interessiert, aber 
auch nur von untergeordneter Bedeutung. Daß alle derartige 
Anschuldigungen aus der Luft gegriffen wären, ist nicht anzu- 
nehmen ; und wichtig ist vor allem, daß die Anwendung solcher 
Mittel den Juden zugetraut und geradezu als ihnen eigen be- 
trachtet wurde. Wenn wir auch nur einen ganz geringen Teil 
der damit ausgesprochenen Beschuldigungen als der Wirklichkeit 
entsprechend in Rechnung stellen wollen, so bleibt immerhin ein 
gewisser symptomatischer Wert dieser Feststellungen übrig, die 
zur Ergänzung anders woher gewonnener Einsichten zu dienen 


Digitized by t^ooQle 



171 


berufen sein können. Ich werde erst später die Nutzanwendung 
dieser Erwägungen machen können. 

Einstweilen fahren wir fort in der Aufzählung der Gründe, 
die man zur Erklärung der billigen Preise, zu denen die Juden 
ihre Waren feilboten, geltend zu machen wußte. 

Da stoßen wir nun wiederum außerordentlich häufig auf die 
Behauptung: die von den Juden gehandelten oder gefertigten 
Waren seien minderwertig an Qualität. Diese Anklage 
(die die Behauptung im Sinne der damals herrschenden Wirt- 
schaftsgesinnung unzweifelhaft war) kehrt so oft unter den ver- 
schiedensten Umständen wieder, daß wir nicht daran zweifeln 
dürfen, sie sei zum guten Teil begründet gewesen. 

Der schon erwähnte Bericht der Kriegs- und Domänenkammer 
über den wirtschaftlichen Niedergang des Herzogtums Magdeburg 
spricht von den „oftmals gestohlenen oder sonst verdorbenen 
Sachen“, die die Juden an sich bringen, um sie wohlfeil zu ver- 
kaufen. Die ebenfalls erwähnten Klagen der Stände der Mark 
Brandenburg meinen, daß die von Juden gehandelten Waren 
„größtenteils alt und verlegen“ seien. Die Passamentiere in 
Frankfurt a. M. beschweren sich, daß die Juden nicht nur „uff- 
richtige und gerechte“, sondern auch „verfälschte und betrügliche“ 
Waren ihres Handwerks aufkauften und verpartierten 871 . Das 
öfters von mir als eine zuverlässige Quelle herangezogene Kauff- 
mannslexikon spricht dieselbe Ansicht aus: daß die Juden mit 
verdorbenen Waren handeln, „die sie doch so stattlich wieder 
aufzuputzen, umzufärben, ihnen von außen eine gute Lage oder 
Ansehen, schönen Einband und Aufzierung, neuen Geruch und 
Geschmack zu geben wissen, daß der beste Kenner oftmals damit 
betrogen wird.“ 

Fast wörtlich wird dasselbe gesagt in der uns auch schon 
bekannten Denkschrift der Kaufleute von Nantes: trotz ihrer 
Billigkeit seien die von Juden feilgebotenen Waren teuer: es 
seien eine Menge havarierte Waren, aus der Mode gekommene 
Gegenstände und andere darunter, die für den Gebrauch überhaupt 
nicht mehr geeignet seien. Soidenstrümpfe beispielsweise ließen 
sie wieder auffärben, unter den Kalander durchgehen, um sie 
als neu zu verkaufen: tragen könne man sie aber höchstens ein 
einziges Mal. 

Die Lyoner Seidenweber klagen (18 sc.) 878 , daß durch die 


Digitized by t^ooQle 



172 


Juden die Seidenindustrie ruiniert werde, da sie, um billig ver- 
kaufen zu können, nur minderwertige Ware hersteilen lassen: 
„cette nation ne fait fabriquer que des Stoffes införieures et de 
mauvaise qualitö.“ 

In einem Bericht der böhmischen Statthalterei vom Jahre 1 705 
heißt es 878 : „ die Juden bringen Handwerk, Handel und Wandel 
an sich, lassen selbst aber, wegen ihrer meist untüchtigen 
Manufakturen und verdorbenen Waren keinen einträglichen 
Handel nach auswärts aufkomm en.“ 

Das ebenfalls schon öfters herangezogene Gutachten Wegelins 
im schwedischen Reichstage (1815) meint: die Kattundruckerei 
hätten die Juden freilich allein betrieben, allein durch eine 
schlechte Ware — den sogenannten Judenkattun — verdorben. 

Auch hier ist der Prozeß, der, wie aus den obigen Klagen 
zu entnehmen ist, in der frühkapitalistischen Epoche begann, 
heute noch längst nicht zum Abschluß gekommen. Jene Klage 
christlicher Fabrikanten: die Juden drückten die Preise, von denen 
oben die Rede war, findet ihre natürliche Ergänzung in der 
andern: die Juden drückten eben, weil sie Billigkeit um jeden 
Preis erstrebten, die Qualität herab. 

Man wird nicht weit von der Wahrheit bleiben, wenn man 
alle diese Beobachtungen zu dem Urteil zusammenfaßt : die Juden 
sind auch die Väter des Surrogats im allerweitesten Ver- 
stände. 

Des Surrogats: denn oft ist das spezifisch Neue gar nicht 
eine im engeren Sinne schlechtere Ware, das heißt dieselbe 
Ware wie früher, nur in minderer Qualität hergestellt, sondern 
ist eine schlechtere Ware nur in dem Sinne, daß es eine Ware 
mit gleichem Gebrauchszweck, aber eine mit anderem billigeren 
Material oder auf eine andere billigere Art hergestellte, also 
eigentlich eine andere : eben das Surrogat im engeren, technischen 
Verstände ist. Gerade auch von diesem Surrogat im eigentlichen 
Sinne sind in wichtigen Fällen die Juden die Väter. Besonders 
häufig handelt es sich um die neuen Surrogatstoffe der Textil- 
industrie, aber auch um Surrogate in anderen Industrien : Kaffee- 
surrogate z. B. In gewissem Sinne gehört auch die Farben- 
industrie hierher, die erst in ihrem zweiten, durch jüdischen 
Einfluß bezeichneten Entwicklungsstadium, und zwar eben infolge 
Ersatzes des teuem von den Erfindern des künstlichen Alizarins 


Digitized by t^ooQle 


173 


zuerst verwandten Hilfsstoffes durch einen billigen, zu praktischer 
Bedeutung gelangt ist. 

Endlich gehört in diesen Zusammenhang noch die hie und 
da erhobene Anschuldigung hinein: die Juden könnten deshalb 
soviel billiger verkaufen, als die Christen, weil sie quantitativ 
nicht vollgewichtige oder vollbemessene Ware lieferten : in 
Avignon beispielsweise sollen sie billigere Wollwaren liefern, 
weil ihre Waren ein geringeres Gewicht hatten 874 ; von den 
deutschen Juden heißt es: „zu diesem allen kommt unter anderem 
noch, daß die Juden auf den allerkleinsten Vorteil raffiniert 
Mißt er zehn Ellen aus, so sind es nur 9 7 /s. Der Christ weiß 
es, er sagt aber: der Jude mißt knapp, an zehn Ellen fehlt immer 
eine Kleinigkeit; er verkauft aber so viel wohlfeiler“ 87Ä . 

Was uns nun aber hier interessiert, und weshalb ich diese 
einzelnen Tatsachen aufgezfihlt habe, ist die Frage: ob und be- 
jahendenfalls inwiefern diese verschiedenen Praktiken, mittels 
deren die Juden die Preise herabzudrücken versuchten, auf be- 
stimmte allgemeine Geschäftsgrundsätze sich zurückführen lassen, 
die wir etwa dann mit der von uns gesuchten jüdisch eigen- 
artigen Wirtschaftsgesinnung in Zusammenhang bringen könnten. 
Da scheint mir nun, daß das, was sich aus den verschiedenen 
Praktiken ergibt, sich etwa fassen lasse als eine gewisse In- 
differenz gegenüber den Mitteln, die man zur Erreichung des 
geschäftlichen Endzwecks anwenden muß. Sowohl die Rücksicht- 
nahme auf fremde personale Werte als auch der Respekt vor der 
gesetzlichen und gesellschaftlichen Ordnung als endlich auch das 
Festhalten an der naturalen Orientierung bei der Güterbeschaffung 
verlieren an Stärke, und die ausschließlich tauschwertorientierte, 
rein chrematistische Auffassung von der Aufgabe des Geschäfts- 
mannes gewinnt die Oberhand. 

Das, was ich an anderer Stelle die dem Kapitalismus inne- 
wohnende Tendenz zum rücksichtslosen Erwerb genannt 
habe, sehen wir hier in ihren ersten Anfängen, und zwar noch in 
dem Stadium einer erst personal zufälligen Bestimmtheit. 

Aber mit der bisherigen Aufzählung der von den Juden 
behufs Verbilligung der Warenpreise angewandten Mittel haben 
wir keineswegs alle tatsächlich von ihnen benutzten Mittel er- 
schöpft. Solche von ebenfalls grundsätzlicher Bedeutung sind 
noch namhaft zu machen. Nur liegen sie freilich in wesentlich 


Digitized by t^ooQle 



174 


anderer Richtung als die früher besprochenen. Das was sie von 
diesen vornehmlich unterscheidet , ist der Uihstand, daß sie 
Mittel sind, die eine wirkliche Sach-Verbilligung herbeizuführen 
vermögen, während die bisher aufgezählten Praktiken doch ent- 
weder überhaupt nur eine Scheinverbilligung hervorrufen konnten 
oder aber die Verbilligung für den Käufer durch Schädigung 
anderer Personen möglich machten. 

Anders steht es mit den jetzt noch zu erwähnenden Ver- 
billigungsmethoden. Sie stimmen alle darin überein, daß sie die 
Herstellungskosten der Waren verringern helfen. Und zwar ent- 
weder durch Herabminderung der eigenen Ansprüche des Produ- 
zenten oder Händlers (subjektive „Kosten“) oder durch Ver- 
ringerung des Aufwandes an Kosten, die der verkaufende Produ- 
zent oder Händler zu zahlen hat: sei es wiederum, daß er die 
an der Produktion beteiligten Personen (Arbeiter) niedriger ent- 
lohnt, sei es, daß er die Herstellungs- oder Absatzmethoden 
produktiver, also billiger gestaltet. 

Daß alle diese Methoden zur Verbilligung der Warenpreise 
von den Juden — und zwar offenbar von ihnen zuerst — an- 
gewandt sind, dafür besitzen wir zahlreiche Belege. 

Der Jude kann billigere Waren liefern, weil er weniger An- 
sprüche macht als der christliche Kaufmann oder Gewerbe- 
treibende : das sagen vorurteilslose Beobachter häufig aus, 
müssen aber auch die Interessenten selbst gelegentlich zu- 
geben : 

Die Juden verkaufen die Waren billiger, „darunter dann die 
Kaufleute notwendig leiden müssen, indem diesemehrver- 
zehren als ein Jude und also sich mit dem Verkauf 
ihrer Waren einigermaßen nach ihrem Zustande 
richten müssen“ 876 . (Das alte Nahrungsideal in seiner ganzen 
Protzigkeit !) „Der Jude begnügt sich mit einem kleineren Ge- 
winn als der Christ“ 877 . Wenn die christlichen Kaufleute nicht 
so verschwenderisch lebten, würden sie ihre Waren ebenso billig 
verkaufen können, wie die Juden, sagen die polnischen Juden zu 
den christlichen Polen 878 . Dasselbe Urteil fällt ein guter Be- 
obachter, der Ende des 18. Jahrhunderts Deutschland bereiste: 
„Man sieht aber nun hieraus wohl ein , wo der Grund der 
Klage allenfalls liegt. Kein andrer ist der, als der verschwende- 
rische Stolz des hochmütigen Krämers, der bei seinem Handel 


Digitized by 


Google 



175 


auf den Pracht so vieles verwendet, daß es ihme, niedrige 
Preise zu setzen, versaget. Dank des Publikums seye also dem 
Juden, der durch frugalere Lebensart demselben Gewinn ist und 
den unnötig Aufwand machenden Krämer dahin bringt, entweder 
eine bessere Haushaltung zu fahren oder bald zu verderben* 879 . 

Die Wiener Hofkanzlei weist in einer Eingabe vom 12. May 
1762 darauf hin, daß die Juden „wegen ihrer Sparsamkeit und 
ihrer eingezogenen Lebensweise“ billiger als die Christen liefer- 
ten. In der am 9. Januar 1786 von der ungarischen und sieben- 
bürger Hofkanzlei abgefaßten Denkschrift, welche in Angelegen- 
heit der von Josef H. geplanten Einschränkung des jüdischen 
Schankwesens eingegeben wurde, wird ebenfalls die „viel ein- 
gezogenere und schlechtere Lebensweise der Juden“ als Grund 
angeführt, weshalb sie höhere Pachten zahlen könnten 880 . 

„Sie sind ein an Mangel gewohntes Volk, leben elend und 
können sich deshalb mit weniger Profit begnügen als die Eng- 
länder“, meint Child 881 ; sie unterbieten uns wegen ihrer außer- 
ordentlichen Bedürfnislosigkeit (by the exercise of extreme 
frugality), heißt es Mitte des 18. Jahrhunderts in England 888 . 

„Je suis persuadö“ , redet der Intendant des Languedoc die 
ewig klagenden Kaufleute von Montpellier an 888 , „que le commerce 
des Juifs dans les foires . . fait moins de tort aux marchands de 
Montpellier que leur peu d'attention pour le Service du public et 
leurs volontes determinees pour de trop grands 
profits.“ 

Aber sie haben einen Trick herausgefunden, sagen andere 
(und das waren -offenbar die Hellsehenden), mittels dessen es 
ihnen gelingt, trotz eines geringeren Aufschlages auf die Waren, 
doch einen ebenso hohen (oder höheren) Profit zu machen als 
ihre christlichen Konkurrenten: sie beschleunigen den 

Umsatz. Noch im Anfang des 19. Jahrhunderts gilt es als eine 
jüdische „von der Gegenpartei nicht zu befolgende Handels- 
maxime : öfterer Umsatz mit geringen Prozenten ist ungleich ein- 
träglicher als seltener Umsatz mit höherem Gewinn“ 884 . „Weit 
mehr hat die folgende . . Maxime im Handel der Juden ihr so 
mächtiges Emporkommen gar sehr erleichtert: öfterer Umsatz mit 
geringem Vorteil (Prozenten) ist imgleich mehr wert, als seltener 
Umsatz mit höherem Gewinn“. Der Verfasser beweist dann, daß 
Christen sich diese Maxime nie zu eigen machen können 886 . 


Digitized by t^ooQle 



176 


Die Juden: die Väter dieses Grundsatzes, der ganz und gar 
gegen alle auf dem Prinzip der Nahrung aufgebaute Wirtschafts- 
gesinnung sich auflchnt: kleiner Nutzen, grober Umsatz! 

Der Aufschlag, der Profit (wie schon vorher der Preis) aus 
der Dämmerung des Traditionalismus herausgeholt und zum 
Gegenstände höchstpersönlich • zweckmäßigster Gestaltung ge- 
macht! Das war die große, verblüffende Neuerung, die wieder 
von den Juden kam. Jüdisch war es, die Höhe des Aufschlags 
(Profits) nach Gutdünken zu bestimmen; jüdisch willkürlich fest- 
zusetzen, ob überhaupt ein Profit gemacht oder ob etwa eine 
Zeit lang ohne Profit gearbeitet werden sollte, um nachher desto 
mehr zu verdienen. Ebenfalls noch im Anfang des 19. Jahr- 
hunderts berichtet uns ein guter Beobachter 886 von folgendem 
Sachverhalt als von einer verwerflichen jüdischen Praktik (aller- 
dings mit Bezug auf Deutschland, das natürlich hinter den west- 
lichen Ländern ökonomisch zurückgeblieben war): „Es wird ein 
Kapital zusammengeschossen (ein Vehikel, welches desto leichter 
werden muß, je höher der Vermögensstand der Juden steigt, vom 
merkantilischen Gemeingeist usw. unterstützt); anfangs wird 
mit wenigen Prozenten, oft sogar selbst mit Ver- 
lust gearbeitet. Ist nun dies oder jenes Geschäft völlig zu 
Grunde gerichtet, ist erst ein sicheres Monopol erlangt, so ge- 
schieht die Steigerung der Preise auf eine willkürliche Art“ usw. 

Endlich wäre dann noch der ebenfalls an den Juden öfters 
bemerkten Eigenart Erwähnung zu tun : bei der Herstellung der 
Güter möglichst billig zu verfahren : sei es dadurch, daß man die 
billigste Arbeitskraft aufsucht, sei es dadurch, daß man sich voll- 
kommenerer Produktionsmethoden bedient. 

Daß die Juden billigere Waren liefern können, weil sie 
niedrigere Arbeitslöhne bezahlen, wird öfters hervorgehoben: 
Wollfabrikanten in Avignon (18. sc.) 887 , Kaufleute von Mont- 
pellier 888 , Rat der Stadt Frankfurt a. O. 889 , Schneiderzunft der 
Stadt Frankfurt a. M. Das Gemeinsame aller dieser zuletzt ge- 
nannten Praktiken ist natürlich, was die Zeitgenossen nicht 
sehen konnten, dies: daß die Juden sich wohl am frühesten 
wichtiger Zweige der kapitalistischen Industrie bemächtigt haben, 
namentlich da, wo diese als Hausindustrie sich in Anlehnung an 
den Handel entwickelt hat. Der Anteil der Juden an der Ent- 
stehung beispielsweise (und namentlich) der kapitalistischen 


Digitized by 


Google 



177 


Textilindustrie ist viel größer als man bisher angenommen hat. 
Aber diese Zusammenhänge hier weiter zu verfolgen, liegt nicht 
in meiner Absicht f weil ich in diesen Betätigungen der Juden 
nichts typisch Jüdisches sehe. Es sei denn, was für die hier ent- 
wickelte Gedankenfolge von Belang ist : daß sie mit Bewußtsein 
aus rationalen Erwägungen sich der neuen Formen der Produk- 
tion ebenso zuerst bedienten, wie der neuen Formen des Handels. 

Und dabei wäre mm noch einer Eigenart jüdischer Geschäfts- 
führung zu gedenken, von der wir zwar in den Berichten aus 
der frühkapitalistischen Epoche nichts vermeldet finden, viel- 
leicht weil sie sich erst später deutlicher ausgeprägt hat, die 
aber demselben Geiste entstammt, wie all die bisher betrach- 
teten Züge ihrer Geschäftsführung: ich meine das bewußte Sinnen 
auf immer neue Kunstgriffe, durch die etwa die Kundschaft ge- 
wonnen werden könnte: es mag sich um neue Gruppierung der 
Waren, um neue Zahlungsmodalitäten, um neue Branchenkombi- 
nationen, um neue Formen der Darbietung von Diensten: kurz 
um irgend eine Neugestaltung des Geschäftslebens handeln, die 
Käufer anlockt. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, einmal alle die 
„Neuerungen“ zusammenzustellen, die Handel und Wandel (tech- 
nische Neuerungen kommen fast gar nicht in Betracht) den Juden 
verdanken. Ich will nur auf ein paar solcher kommerzieller Er- 
findungen (wie man sagen könnte) hin weisen, von denen wir 
jetzt schon feststellen können, daß sie jüdischen Ursprungs 
sind (ich zweifle nicht, daß sie sich leicht vermehren ließen): 
(wobei unentschieden bleiben mag, ob die schöpferische Idee 
selbst oder nur deren geschäftliche Ausnutzung jüdischen 
Hirnen entstammt). 

Die schon erwähnten mannigfachen Methoden, billig „ver- 
legene“ oder alte Waren einzukaufen und sie billig zu ver- 
kaufen, war natürlich auch eine „ingeniöse Idee“, auf die erst 
einmal einer kommen mußte; der Handel mit Resten und Ähn- 
lichem gehört alles hierher; ebenso die oft gerühmte Eigen- 
art der Juden, „aus den verworfensten Dingen hier und da sich 
Unterhalt und Gewinn zu verschaffen“ 890 und ihre damit ver- 
bundene Kunst, „die gemeinsten Artikel, die vordem gar keinen 
Wert hatten, wie Hadem, Hasenbälge und Knoppern“ zu wert- 
vollen Handelsartikeln zu machen Vielleicht könnte man sie 
auch die Väter der Abfallindustrie nennen. 

Sombart, Die Juden 12 


Digitized by t^ooQle 



178 


Im Berlin des 18. Jahrhunderts begegnen uns Juden als die 
ersten Federverschleißer, die ersten Kammerjäger und als die Er- 
finder des Weißbiers 891 . 

Wie weit die Idee des Warenhauses jüdischen Ursprungs 
ist, müßte „quellenmäßig" noch genauer festgestellt werden. 
(Jedenfalls waren, wie wir schon sahen, die Juden als Pfand- 
leiher die ersten, in deren Laden sich Gegenstände heterogenster 
Art zusammenfanden. Und in dieser krassen Gegeneinander- 
stellung von Artikeln, die möglichst verschiedenen Branchen an- 
gehören und auch möglichst verschiedenen Gebrauchszwecken 
dienen, liegt doch wohl eines der charakteristischen Merkmale 
des modernen Warenhauses. Eine vollendete Indifferenz des 
Geschäftsleiters gegenüber dem Sachinhalte seiner Tätigkeit, die 
dadurch ganz und gar zu einer nur-kommerziellen werden kann, 
macht somit die Eigenart des Warenhausbesitzers aus und sie 
ist [wie sich aus der eigentümlichen Stellung der Juden zur 
Industrie schon ergibt] eine jüdischem Wesen gemäße Er- 
scheinung. Daß heutigen Tages in den Vereinigten Staaten 898 
ebenso wie in Deutschland 898 die Warenhäuser fast durchgängig 
in jüdischen Händen sind, ist bekannt.) 

Eine bedeutsame Neuerung der Detailhandelorganisation war 
seinerzeit die Einführung der Ratenzahlung bei Abnahme von 
größeren Posten oder kostspieliger Gegenstände. Wenigstens 
für Deutschland läßt sich nun feststellen, daß die Väter des „Ab- 
zahlungsgeschäftes“ Juden waren. In einer Schrift aus dem An- 
fang des 19. Jahrhunderts lesen wir: „Es gibt eine Art Krämer 
unter den Juden, die dem gemeinen Manne unentbehrlich, der 
Handlung aber äußerst nützlich sind. Es sind Leute, die dem 
gemeinen Manne Kleider oder Stoffe dazu verkaufen und sie 
nach und nach in kleinen Abträgen bezahlt nehmen“ 894 . 

Eine ganze Menge von Neuerungen in der Ausgestaltung 
der „Gast- und Schankwirtschaft“ sind ebenfalls jüdischen Ur- 
sprungs : 

Das erste Kaffeehaus in England (also wohl das erste über- 
haupt?) ist von einem Juden, namens Jacobs, im Jahre 1650 
oder 1651 in Oxford eröffnet worden (erst 1*652 erhält London 
sein erstes Kaffeehaus) 895 . 

Eine ganz neue Ära des Restaurationswesens ist bekanntlich 
durch die Juden Kempinsky eröffnet worden: Standardisierung 


Digitized by 


Google 



179 


des Konsums und der Preise ist hier das tragende , neue 
Prinzip. 

Das wichtige Institut der berufemäßigen Kreditvermittlung 
ist (sicher in Deutschland) von jüdischen Geschäftsmännem ins 
Leben gerufen. 

Was uns aber an all diesen Neuschöpfungen an dieser Stelle 
interessiert, ist nicht die darin etwa zutage tretende spezifische 
Begabung (von der ich früher schon gesprochen habe und von der 
später noch einmal in anderem Zusammenhänge zu reden sein 
wird), sondern allein die in ihnen sich ausprägende, eigentüm- 
liche Wirtschaftsgesinnung: der Wille zum neuen Trick. Und 
deshalb auch habe ich davon in diesem Kapitel gesprochen, das 
ja vom jüdischen Geist, von der jüdischen Geschäftsmoral, von 
der spezifisch jüdischen Wirtschaftsgesinnung handelte. 

Wir sind nun am Ende dieses Abschnittes und schauen einen 
Augenblick auf die durchwanderte Wegstrecke zurück. Was wir 
deutlich vor uns sahen, war der schroffe Gegensatz, in dem 
während der ganzen frühkapitalistischen Epoche jüdische und 
nicht-jüdische Wirtschaftsgesinnung sich gegenüberstehen. Die 
herrschende Wirtschaftsgesinnung habe ich in ihren Grundgedanken 
zu erfassen versucht: Traditionalismus, Nahrungsideal, Idee der 
ständischen Gliederung und Stabilität sind ihre wichtigsten Be- 
standteile. Was aber ist nun das grundsätzlich Neue in der Be- 
trachtungsweise , die wir als die spezifisch jüdische kennen 
lernten? Wir können es in einem einzigen inhaltschweren 
Wort zusammenfassen: es ist der „moderne“ Geist, wie er 
heute die Wirtschaftssubjekte durchgehends beherrscht. Wenn 
wir das „Sündenregister“ überblicken, das man während des 
17. und 18. Jahrhunderts den Juden vorhielt, so nehmen wir 
sehr bald wahr, daß (abgesehen von den grundsätzlich nicht in 
Betracht kommenden verbrecherischen Manipulationen) es nichts 
enthält, was der moderne Geschäftsmann nicht für das selbst- 
verständlich Richtige erachtete, was nicht das tägliche .Brot in 
jeder modernen Geschäftsführung bildete. Was der Jude durch 
all die Jahrhunderte gegenüber den herrschenden Anschauungen 
vertritt, ist die grundsätzlich individualistische Auffassung von 
der Wirtschaft: daß die Wirkenssphäre des einzelnen Wirt- 
schaftssubjektes nach oben und nach unten hin durch keine ob- 
jektive Satzung irgend wie begrenzt sei, weder was die Größe 

12 * 


Digitized by t^ooQle 



180 


des Absatzes, noch was die Gliederung von Berufen betrifft; da& 
jedes Wirtschaftssubjekt jederzeit sich seine Stellung neu er- 
obern und jederzeit sie gegen Angriffe verteidigen müsse; daß 
es aber auch das Recht habe, sich auf Kosten anderer einen so 
breiten Spielraum zu erkämpfen, als es in seiner Macht steht; 
daß die Kampfesmittel wesentlich in der geistigen Sphäre liegen, 
List, Schlauheit, Verschlagenheit seien; daä andere Rücksichten 
als die auf das Strafgesetzbuch im wirtschaftlichen Konkurrenz- 
kämpfe nicht zu nehmen seien; daß alle wirtschaftlichen Vor- 
gänge nach eigenem Gutdünken so zweckmäßig wie möglich von 
dem einzelnen gestaltet werden müssen. Was sich hiermit sieg- 
reich durchgesetzt hat, sind, wie man sieht, nichts anderes als 
die Ideen des „Freihandels“ , der „freien Konkurrenz“ , ist der 
ökonomische Rationalismus, ist der reine kapitalistische Geist, 
ist eben die moderne Wirtschaftsgesinnung, bei deren Aus- 
bildung die Juden also eine große, wenn nicht die entscheidende* 
Rolle gespielt haben. Denn sie sind es gewesen, die von außen, 
her in einen anders gearteten Ideenkreis hinein diese An- 
schauungen trugen. 

Mit dieser Erwägung aber sind wir vor ein neues Problem 
gestellt; vor die Frage: wie erklärt sich diese schon vor dem 
Kapitalismus vorhandene Eignung der Juden für kapitalistisches 
Wesen; eine Frage, die wir dahin erweitern müssen: was ist es 
überhaupt, das die Juden befähigt hat, einen so entscheidenden 
Einfluß auf den Gang des modernen Wirtschaftslebens auszuüben, 
wie wir ihn nun im Verlaufe der vorstehenden Untersuchungen, 
haben feststellen können? 


Digitized by 


Google 



Zweiter Abschnitt 

Die Befähigung der Juden zum Kapitalismus 


Digitized by 



Digitized by 



183 


Achtes Kapitel 

Das Problem 


So stehen wir denn also vor der gewaltigen Aufgabe : jene 
eigenartige Rolle zu erklären, die wir die Juden in dem Wirt- 
schaftsleben der letzten Vergangenheit haben spielen sehen. 
Daß hier ein Problem vorliegt, wird nur von den paar Sonder- 
lingen bestritten werden, die eine besondere Stellung der Juden 
im modernen Wirtschaftsleben überhaupt leugnen (weil es ihrer 
Meinung nach überhaupt keine Juden gibt, oder — auch diese 
Spielart ist mir begegnet — weil sie der Meinung sind, die Juden 
seien eine wirtschaftlich so minderbegabte Bevölkerungsgruppe, 
daß sie für die Herausbildung unserer Wirtschaftsformen ohne 
alle Bedeutung gewesen seien). Auf sie brauchen wir keine 
Rücksicht zu nehmen. Meine Ausführungen sind nur für die- 
jenigen bestimmt, die mit mir eine (größere oder geringere, aber) 
entscheidende Anteilnahme der Juden am Aufbau der modernen 
Volkswirtschaft als erwiesen betrachten. 

Soll unsere Untersuchung zu einem Ergebnis führen, so 
werden wir uns mit aller Deutlichkeit und Schärfe klar zu 
machen haben: die Befähigung „wozu?" und die Befähigung 
„wodurch?“ wir an den Juden nachweisen wollen. 

Wozu? Nun: zu all dem, was wir sie in dem ersten Teile 
dieses Buches haben tun und erstreben sehen: Begründer und 
Förderer des modernen Welthandels, der modernen Finanzwirt- 
schaft, der Börse wie überhaupt aller Kommerzialisierung des 
Wirtschaftslebens; die Väter des Freihandels und der freien 
Konkurrenz, die Verbreiter des modernen Geistes im Wirt- 
schaftsleben zu werden. Aber die Überschrift dieses Teiles 
spricht nur von der Befähigung zum Kapitalismus. So werden 
also alle jene einzelnen Leistungen in diesem einen Worte 


Digitized by t^ooQle 



184 


„Kapitalismus" zusammengefaßt sein. Und es wird die Aufgabe 
eines besondem (des neunten) Kapitels bilden müssen, dieses im 
einzelnen nachzuweisen: wie alle jene Einzeltatsachen in einem 
inneren Zusammenhänge stehen und wie sie zusammengehalten 
werden durch das Gefüge der kapitalistischen Organisation. Diese 
wird deshalb wenigstens in ihren Grundzügen darzustellen sein, 
damit daraus auch noch ein Zweites ersehen werden könne (was 
erst ganz deutlich macht, welcherart Befähigung wir feststellen 
wollen): welche eigentümlichen Funktionen die kapitalistischen 
Wirtschaftssubjekte auszuüben haben, damit jene besonderen 
Wirkungen, die wir beobachten konnten, zustande kommen. 
Endgültig verschwinden sollen damit aus der Erörterung des 
Judenproblems die nebelhaften Vorstellungen von einer unbe- 
stimmten „Befähigung zum Wirtschaften“, „zum Handel“, „zum 
Schachern“, „zum Geschäftchen machen“. Mit diesen dilettanti- 
schen Ausdrücken ist schon unendlich viel Unfug angerichtet 
worden. 

Wodurch aber kann jemand befähigt werden, eine Leistung 
zu vollbringen? Wenn Einer einen Ertrinkenden von dem Tode 
rettet, so konnte er dieses Hilfswerk vollbringen, weil er gerade 
an der Stelle des Ufers stand, wo ein Kahn angebunden war 
oder auf der Brücke, wo ein Rettungsgürtel hing: seine „zu- 
fällige“ Anwesenheit an jenen Orten setzte ihn in den Stand, 
mit dem Kahn hinauszurudem, den Rettungsgürtel hinabzuwerfen. 
Oder er konnte die Tat tim , weil’ er unter Hunderten , die am 
Ufer standen, derjenige war, der den Mut hatte, ins Wasser zu 
springen, und der so gut schwimmen konnte, daß er zu dem Er- 
trinkenden hingelangte und ihn lebend ans Land zog. In jenem 
Falle ist das Rettungswerk in „objektiven Umständen“, in diesem 
Falle ist es in der „subjektiven Eignung“ des Menschen be- 
gründet gewesen. Und genau dieselbe Unterscheidung läßt sich 
treffen, wenn wir eine Frage wie die nach der Befähigung der 
Juden zum Kapitalismus beantworten wollen. Auch diese Be- 
fähigung kann grundsätzlich eine objektiv oder eine subjektiv 
bedingte gewesen sein. 

Meine Aufgabe wird es nun sein, zunächst nach jener — 
deren Feststellung also eine objektivistische Deutung des Juden- 
problems sein würde — Ausschau zu halten. Und zwar aus 
folgenden Gründen. 

Jeder Erklärungsversuch ist peinlichst darauf hin zu prüfen, 


Digitized by t^ooQle 


185 


ob er nicht eine unbewiesene Hypothese zur Unterlage hat und 
ob das, was erklftrt werden soll, nicht etwa als Dogma von vorn- 
herein geglaubt wird. Ich brauche nicht weiter auszufahren, 
wie gefährlich gerade in unserm Falle namentlich rassen- 
theoretische und konfessionelle Vorurteile werden können und 
der .großen Mehrzahl meiner Vorgänger geworden sind. Was in 
meinen Kräften steht, werde ich tun, um solche Fehler zu ver- 
meiden. Ich lege besonderen Wert darauf, daß meine Unter- 
suchung vom methodischen Standpunkt aus als einwandsfrei be- 
funden werde und bitte dringend darum, mir Verstöße, die ich 
etwa doch begehe, als solche nachzuweisen. Mein Bestreben ist 
es jedenfalls, ohne jede Voreingenommenheit die tatsächlichen Zu- 
sammenhänge wahrheitsgemäß aufzudecken und den Beweis so 
zu fahren, daß mir jeder folgen kann: der Assimilationsjude 
ebenso wie der Nationaljude ; der Rassengläubige ebenso wie der 
Milieufanatiker; der Antisemit ebenso wie der Bekämpf er des 
Antisemitismus. Deshalb aber muß ich von unbestrittenen Tat- 
beständen ausgehen und versuchen, aus ihnen soviel abzuleiten, 
als möglich ist. Es ist danach unzulässig, von vornherein so 
etwas wie eine „Rassen Veranlagung“ oder auch nur eine „jüdische 
Eigenart“ zur Erklärung heranzuziehen: dagegen ließe sich mit 
Recht einwenden, daß das dogmatisch verfahren hieße. Denn 
von wo andersher als aus dem Glauben könnten wir solche Vor- 
aussetzungen entnehmen? 

Jeder, der eine besondere jüdische Art leugnet, kann bean- 
spruchen, daß man die eigentümliche Rolle, die die Juden im 
modernen Wirtschaftsleben gespielt haben, verständlich zu machen 
versuche ohne die Annahme solcher besonderen Art, also — was 
dann zu leisten wäre — kann den Nachweis verlangen, daß be- 
stimmte äußere Umstände, in die die Juden durch den geschicht- 
lichen „Zufall“ versetzt worden sind, ihnen zu ihrer Sonder- 
stellung verholten haben. Dieser Nachweis wird im zehnten Kapitel 
versucht. 

Erst wenn sich heraussteilen sollte, daß eine vollständige 
Ableitung der Leistungen des Judentums aus ihrer äußeren Lage 
nicht möglich ist , wird man zur Erklärung auf subjektive 
Momente zurückgreifen dürfen (und müssen). Dann erst ist es 
an der Zeit, das Problem einer „jüdischen Eigenart“ zu erörtern. 
Dieser Aufgabe unterzieht sich das zwölfte Kapitel. 


Digitized by 


Google 



186 


Neuntes Kapitel 

Die Funktionen der kapitalistischen Wlrtschaftssnhlekte 


Kapitalismus 395 nennen wir diejenige verkehrswirtschaftliche 
Organisation, bei der regelmäßig zwei verschiedene Bevölkerungs- 
gruppen — die Inhaber der Produktionsmittel, die gleichzeitig 
die leitende Arbeit ausführen, und die besitzlosen Nurarbeiter — 
Zusammenwirken, so zwar, daß die Vertreter des „Kapitals“ (des 
zur Einleitung und Durchführung des wirtschaftlichen Prozesses 
erforderlichen Sachgütervorrats) die Wirtschaftssubjekte sind, 
das heißt den Entscheid über Art und Richtung des Wirtschaften 
und die Verantwortung für dessen Erfolg tragen. 

Die dem kapitalistischen Wirtschaftssysteme eigentümliche 
Triebkraft für alles wirtschaftliche Geschehen ist das Verwertungs- 
streben des Kapitals, das den einzelnen kapitalistischen Unter- 
nehmern als eine objektiv zwingende Gewalt gegenübertritt und 
ihr Verhalten in ganz bestimmte Bahnen zwingt. Was man auch 
so ausdrücken kann, daß man sagt: die eine das kapitalistische 
Wirtschaftssystem beherrschende Idee ist die Erwerbsidee. 

Aus diesem obersten Zweck kapitalistischen Wirtschaften 
und den äußeren Bedingungen, unter denen es stattfindet, ergibt 
sich nun von selbst die spezifische Art dieses Wirtschaften, das 
im Rahmen der kapitalistischen Unternehmung sich abspielt; 
ergibt sich also das besondere Wesen der kapitalistischen Unter- 
nehmung. 

An einer systematisch auf Erzielung von Gewinn gerichteten 
Wirtschaftsführung, die damit zu dem Streben nach beständiger 
Expansion der Betriebe den Anlaß gibt, folgt ohne weiteres 
eine bewußte Ausrichtung alles Handelns auf die höchst ver- 
nünftige Methode des wirtschaftlichen Verhaltens. An die Stelle 
der allen vorkapitalistischen, auf dem Prinzip der Ruhe aufge- 


Digitized by t^ooQle 



187 


bauten Wirtschaftsverfassungen eigentümlichen traditionalistischen 
Gestaltung der Wirtschaft (wie wir jetzt mit Max Weber sagen 
wollen) tritt die dem im Bewegungsprinzip verankerten kapitalisti- 
schen Wirtschaftssystem entsprechende Rationalisierung der Wirt- 
schaft. Der ökonomische Rationalismus, wie ich die Gesamtheit 
der dieses Phänomen umschließenden Erscheinungen jetzt in 
meiner gegen früher etwas abweichenden Terminologie bezeichnen 
will, wird (neben der Idee des Erwerbes) die zweite tragende 
Idee im System des modernen Kapitalismus. 

Die Rationalisierung erfolgt nach drei verschiedenen Rich- 
tungen hin und stellt sich damit in einem dreifach verschiedenen 
Geschäftsverfahren dar, wie es der entwickelten kapitalistischen 
Unternehmung dreifach eigen ist. Der ökonomische Rationalismus 
äußert sich: 

1. in der Planmäßigkeit der Wirtsthaftsführung. Alle 
echt kapitalistische Wirtschaft ruht auf einem so weit als möglich 
in die Zukunft reichenden Wirtschaftsplane. Hier wird die erst 
in der modernen Wirtschaft zur Geltung gekommene Methode 
der langen Produktionswege eingeschlossen; 

2. in der Zweckmäßigkeit. Dem weitausschauenden 
Wirtschaftsplane entspricht die peinlich sorgfältige Auswahl der 
zu seiner Verwirklichung dienenden Mittel, deren jedes — ent- 
gegen der traditionalistischen Methode unbedachter Verwendung — 
auf seine höchste Zweckdienlichkeit hin geprüft wird; 

3. in der Rechnungsmäßigkeit. Da ja alle wirt- 
schaftlichen Vorgänge innerhalb des kapitalistischen Nexus auf 
ihren Geldwert ausgerichtet werden und da, wie gleich des ge- 
naueren darzulegen sein wird, alle kapitalistische Wirtschafts- 
führung auf die Erzielung eines letzten Gewinnsaldos hinausläuft, 
so ergibt sich für die kapitalistische Unternehmung die Not- 
wendigkeit exakt-ziffermäßiger Berechnung und Registrierung 
aller in den Vertragschlüssen niedergeschlagenen wirtschaftlichen 
Einzelerscheinungen und ihre rechnerische Zusammenfassung zu 
einem sinnvoll geordneten Zahlensystem. 

Daß sich der Betrieb einer „neuzeitlichen“ Unternehmung 
nicht im Erzeugen von Schienen oder Garn oder Elektromotoren 
oder im Transport von Steinen oder Menschen erschöpft, weiß 
man. Man weiß, daß das alles nur einen Bestandteil im Gesamt- 
getriebe der Unternehmung bildet. Man weiß auch, daß die spezi- 


Digitized by 


Google 



188 


fische Unternehmertätigkeit gar nicht in der Vollziehung jener 
technischen Vorgänge, sondern in ganz etwas anderem besteht. 
Dieses andere ist — einstweilen soll es nur ganz grob Umrissen 
werden, um später im Detail ausgeführt zu werden — , wie man 
ebenfalls weih, ein beständiges Kaufen und Verkaufen (von Pro- 
duktionsmitteln, Arbeitskräften, Waren) oder wie ich es genannt 
habe : ein Vertragschließen über geldwerte Leistungen und Gegen- 
leistungen. 

Was heißt nun eine glückliche Geschäftsführung im kapitalisti- 
schen Sinne ? Doch wohl, daß diese vertragschließende Tätigkeit 
von Erfolg begleitet war. Woran aber läßt sich dieser Erfolg 
bemessen? An der Qualität der Leistungen doch sicher nicht, 
ebenso wenig an der naturalen Quantität. Vielmehr doch wohl 
einzig und allein daran, ob am Ende einer Wirtschaftsperiode die 
vorgeschossene Geldsumme (ohne die unserer Definition der kapita- 
listischen Wirtschaftsverfassung gemäß überhaupt kein produktiver 
Akt zustande kommt) wieder da ist und außerdem einen Über- 
schuß gebracht hat, den wir „Profit“ nennen. Auf die geschickte 
Bewerkstelligung jener Vertragsabschlüsse über geldwerte Leistun- 
gen und Gegenleistungen läuft am letzten Ende die Kunst des 
Wirtschaftsleiters hinaus und deren Inhalt entscheidet die Frage, 
ob die Zwecke der Unternehmung erreicht sind. Mögen Arbeits- 
leistungen gegen Sachgüter oder Sachgüter gegen Sachgüter ein- 
getauscht werden: immer kommt es darauf an, daß dabei am 
letzten Ende jenes Plus an Sachvermögen in den Händen des 
kapitalistischen Unternehmers zurückbleibt. „In der Beziehung 
auf das allgemeine Warenäquivalent, auf die Verkörperung des 
Tauschwertes im Gelde wird aller Inhalt der Verträge über Liefe- 
rung von Waren oder Arbeitsleistungen aller qualitativen Unter- 
schiedlichkeit beraubt und nur noch quantitativ vorgestellt, so- 
daß nun eine Aufrechnung in dem zahlenmäßigen Debet und 
Kredit möglich ist. Daß das Soll und Haben des Hauptbuchs 
mit einem Saldo zugunsten des kapitalistischen Unternehmens 
abschließe: in diesem Effekt liegen alle Erfolge wie aller Inhalt 
der in der kapitalistischen Organisation unternommenen Hand- 
lungen eingeschlossen.“ 

Worauf es nun aber hier vor allem ankommt , ist dieses : 
daß wir uns klar machen, welcherart Funktion innerhalb dieses 
Wirtschaftssystems den Wirtschaftssubjekten, also den kapitalisti- 


Digitized by 


Google 



189 


sehen Unternehmern erwachsen (denn daß wir die Eignung der 
Juden nur für diese [nicht etwa auch für die Objekte der kapi- 
talistischen Wirtschaft] nachweisen wollen, ist wohl jedermann 
klar); welche besonderen Fertigkeiten infolgedessen den geeig- 
netsten Unternehmer ausmachen, der im Konkurrenzkämpfe ob- 
siegt und also den Typus bestimmt. Da ist denn das, was mir 
am ehesten das Verständnis für die Eigenart des kapitalistischen 
Unternehmertums zu vermitteln scheint, die Einsicht, daß sich 
hier die Lebensäußerungen zweier wesensverschiedener Naturen 
zu einer Einheit verbinden : daß gleichsam zwei Seelen auch im 
kapitalistischen Unternehmer wohnen, die aber zum Unterschiede 
von denen Faustens sich nicht voneinander trennen wollen, die 
vielmehr dort, wo das kapitalistische Unternehmertum zu seiner 
reinsten und höchsten Entfaltung kommt, in inniger Harmonie 
gemeinsames Werk vollbringen. Was ich hier vereinigt finde, 
sind der Unternehmer und der Händler, wie wir einst- 
weilen die beiden Typen benennen wollen; Unternehmer und 
Händler, die beide außerhalb des kapitalistischen Nexus ge- 
sondert Vorkommen, ihre Seelen aber nur im kapitalistischen 
Wirtschaftssubjekt zu ganz neuer und eigenartiger Individualität 
zusammenfügen. 

Unternehmer. Das ist ein Mann, der eine Aufgabe zu 
erfüllen hat und dieser Erfüllung sein Leben opfert. Eine Auf- 
gabe, zu deren Lösung er die Mitwirkung anderer Menschen 
braucht, weil es sich immer um ein Werk handelt, das in die 
Außenwelt projiziert werden soll. Dieses V erwirklichungsbedürfnia 
unterscheidet ihn vom Künstler und vom Propheten, mit denen 
gemeinsam ihm die Werkerfülltheit, das Bewußtsein der Aufgabe 
ist. Ein Mann also mit langausschauendem Sachinteresse, dessen 
einzelne Handlungen immer im Hinblick auf das zu bewältigende 
Gesamtwerk geplant und ausgeführt werden. Ein reiner Unter- 
nehmertyp ohne kapitalistisches Gepräge ist beispielsweise der 
Afrikareisende großen Stils oder der Nordpolfahrer. Der Unter- 
nehmer wird zum kapitalistischen Unternehmer dadurch, daß 
sich mit ihm ein Händler vereinigt. 

Händler. Das ist ein Mensch, der lukrative Geschäfte 
machen will. Dessen gesamte Vorstellungs- und Gefühlswelt 
auf die geldwerte Bedeutung von Zuständen und Handlungen 
ausgerichtet ist, der deshalb beständig alle Phänomene in Geld 


Digitized by 


Google 



190 


umrechnet. Für den die Welt ein großer Markt ist mit Angebot 
und Nachfrage, mit Konjunkturen und Gewinn- oder Verlust- 
chancen. Der immerfort fragt: was kostets, was tragts? Und 
dessen fortgesetztes Fragen in diesem Sinne in die inhaltschwere 
letzte Frage ausmündet: „was kostet die Welt?“ Der Gedanken- 
kreis des Händlers umspannt immer nur Ein Geschäft, auf dessen 
vorteilhaften Abschluß sich seine ganze Energie konzentriert, auf 
dessen Erfolg hin er die Gesamtheit der Marktverhältnisse be- 
trachtet und bewertet. 

Im Prozeß der kapitalistischen Wirtschaft bildet der Unter- 
nehmer die Konstante; der Händler die Variable. 

Konstanz ist die Wesenheit des Unternehmers, weil der auf 
ein bestimmtes fernes Ziel gerichtete Wille die Einhaltung eines 
bestimmten Programms, das unentwegte Fortschreiten in der 
einmal eingeschlagenen Richtung heischt. Wechsel in der Zweck- 
setzung ist gegen seine Natur, da mit ihm ein beständiger Wechsel 
in der Mittelwahl verbunden ist, der der Erreichung des vor- 
gesteckten Ziels hinderlich erscheint. Zielstrebigkeit macht 
den Grundzug seines Charakters aus. Der Händler ist das variable 
Element, weil seine Aufgabe darin besteht, sein Handeln der 
jeweiligen von ihm in ihrer Eigenart zu erkundenden Marktlage 
bedingungslos anzupassen. Also muß er Richtung und Art seiner 
wirtschaftlichen Tätigkeit von Augenblick zu Augenblick wechseln 
können, sobald es die veränderte Konjunktur verlangt. Ge- 
schäftigkeit vor allem soll er entfalten. 

So bildet — um es durch ein Gleichnis noch zu verdeut- 
lichen, was ich meine — der Unternehmer den Rhythmus, der 
Händler die Melodie im kapitalistischen Tonwerk; der Unter- 
nehmer ist die Kette, der Händler der Einschlag im kapitalistischen 
Gewebe. 

Diese „Zweiseelentheorie“ soll natürlich nur dazu dienen, 
die Anordnung der einzelnen Untemehmerfunktionen übersicht- 
licher zu gestalten. Worauf es sachlich vor allem ankommt, ist 
nunmehr, diese selbst in ihrer Eigenart richtig zu erfassen und 
zu beschreiben. 

Im Unternehmer 

sehe ich folgende Menschentypen vereinigt: 

1. Den Erfinder. Nicht sowohl (obwohl auch dieser Fall 
nicht ausgeschlossen und in Wirklichkeit sogar, wie man weiß, 


Digitized by 


Google 



191 


häufig ist) von technischen Neuerungen als vielmehr von öko- 
nomisch-organisatorisch neuen Formen der Produktion, des Trans- 
portes und des Absatzes. Als Erfinder-Unternehmer fohlt 
er sich nun aber nicht befriedigt, wie der „reine“ Erfinder, wenn 
er seine Erfindung gemacht hat: es treibt ihn, ihr in tausend- 
fältiger Gestalt Leben zu verleihen; 

2. den Entdecker. Entdecker wird der Unternehmer von 
neuen Absatzmöglichkeiten : intensiv wie extensiv neuen. Dieser 
wenn er ein räumlich neues Feld für seine Betätigung ausfindig 
macht: den Eskimos Badehosen, den Negern Antiphone liefert; 
jener wenn er in einem schon eroberten Gebiete neue Bedürf- 
nisse „entdeckt“. 

Der rechte Unternehmer ist 

3. ein Eroberer. Er muß die Entschlossenheit und die 
Kraft besitzen, alle Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellen, 
niederzukämpfen. Er ist immer — so lange er spezifische Unter- 
nehmerfunktionen ausübt — ein Conquestador auf ökonomischem 
Terrain. 

Ein Eroberer aber muß er sein auch in dem Sinne eines 
Mannes, der viel zu wagen die Kraft hat. Der alles — das heißt 
in unserem Falle im wesentlichen sein Vermögen, aber doch auch 
seine bürgerliche Ehre und schließlich sein Leben, wenn es not- 
tut — einsetzt, um für sein Unternehmen Großes zu gewinnen. 
Es handle sich um die Einführung eines neuen Verfahrens, um 
die Angliederung eines neuen Betriebszweiges, um die Aus- 
dehnung des Geschäfts auf schwanker Kreditbasis usw. 

Endlich die vielleicht bedeutsamste Untemehmerfunktion 
ist die 

4. des Organisators. ' Organisieren heißt: viele Menschen 
zu einem glücklichen, erfolgreichen Wirken zusammenfügen; 
heißt Menschen und Dinge so disponieren, daß die gewünschte 
Nutzwirkung uneingeschränkt zutage tritt. Darin ist nun ein 
sehr mannigfaches Vermögen und Handeln eingeschlossen. 

Zum ersten muß, wer organisieren will, die Fähigkeit be- 
sitzen, Menschen auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu beurteilen, 
die zu einem bestimmten Zweck geeigneten Menschen also aus 
einem großen Haufen herauszufinden. 

Dann muß er das Talent haben, sie statt seiner arbeiten zu 
lassen: also namentlich auch Personen in leitende Stellung zu 


pigitized by 


Google 



192 


bringen, die (wenn der Umfang der Unternehmung wächst) einen 
Bestandteil nach dem andern systematisch von der Gesamttätig- 
keit des Chefs auf sich übernehmen. 

Im Zusammenhänge mit der eben berührten Aufgabe steht 
dann die andere nicht minder wichtige : jeden Arbeiter an seine 
richtige Stelle zu setzen, wo er das Maximum von Leistung voll- 
bringt und ihn immer so anzutreiben, daß er die seiner Leistungs- 
fähigkeit entsprechende Höchstsumme von Tätigkeit auch wirklich 
entfaltet, nachdem es vorher gelungen ist, ihn überhaupt heran- 
zuholen. 

Endlich liegt es dem Unternehmer ob, dafür Sorge zu tragen, 
daß die zu gemeinsamer Wirksamkeit zusammengefügten Menschen- 
gruppen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht richtig zu- 
sammengesetzt sind und untereinander — wenn es sich um 
mehrere solcher Einheiten handelt — in bester Beziehung stehen. 
Ich berühre damit das Problem der zweckmäßigen Betriebs- 
gestaltung, das ja zu den schwierigsten gehört, die dem Unter- 
nehmer gestellt sind. 

Betriebsorganisation bedeutet aber nicht nur eine geschickte 
Wahl der sachlich (d. h. technisch) richtigen Kristallisationspunkte 
für die einzelnen Menschengruppen, sondern ebenso eine glück- 
liche Einfügung in geographische, ethnologische, konjunktürliche 
Besonderheiten. Es gibt nicht nur eine absolut, sondern — die 
praktisch wichtigere Form — auch eine relativ beste Betriebs- 
gestaltung. Beispiel : die Organisation der Westinghouse Electric Co. 
in den Vereinigten Staaten ist eine der genialsten Leistungen 
der Organisationskunst. Als die Gesellschaft beschloß, den eng- 
lischen Markt zu erobern und zu diesem Behufe in England einen 
Betrieb einrichtete, organisierte sie ihn ganz nach dem Vor- 
bilde der amerikanischen Musteranstalt. Ergebnis nach wenigen 
Jahren: finanzieller Zusammenbruch der englischen Zweignieder- 
lassung. Grund: ungenügende Berücksichtigung der englischen 
Eigenart. 

Damit sind wir mm aber schon an diejenige Funktion des 
kapitalistischen Unternehmers herangekommen, die in der ge- 
schickten Benutzung der Konjunktur, in einer sinnvollen An- 
passung an die Marktverhältnisse gipfelt und die ich als diejenige 
des Händlers glaube betrachten zu sollen. Von ihr muß nun 
ausführlicher gehandelt werden. 


Digitized by t^ooQle 


193 


Händler 

nenne ich in diesem Zusammenhang nicht einen Menschen, der 
einen bestimmten Beruf ausübt, sondern einen, dem bestimmte 
Funktionen im kapitalistischen Wirtschaftsprozeß obliegen. Händler 
ist also nicht etwa jemand, der berufsmäßig Güterumsatz betreibt, 
also im gemeinen Verstände „Kaufmann" ist. Es gibt vielmehr 
Kaufleute im Sinne der berufsmäßigen Gütervermittler, die alles 
andere als Händler im hier gemeinten Sinne sind. Alle jene 
Leute, die 

„Güter zu suchen“ 

ausgehen, von denen die Heldenlieder singen und sagen, und von 
denen unsere guten „Historiker“ so viel Erbauliches zu berichten 
wissen, gehören meist nicht zur Kategorie der „Händler“. Weil 
die spezifische Tätigkeit, die sie entfalten, um ihren Beruf aus- 
zuüben, mit der, die ich dem Händler zurechne, ganz und gar 
nichts zu tun hat. 

Man muß endlich einsehen, daß „Handeltreiben“ sehr Ver- 
schiedenes bedeuten kann. Beispielsweise : Schiffe ausrüsten und 
bewaffnen, Krieger anwerben, Länder erobern, die Einheimischen 
mit Flinten und Säbeln zu Paaren treiben, ihnen ihr Hab und 
Gut abnehmen, es auf die Schiffe laden und im Mutterlande auf 
öffentlichen Auktionen an den Meistbietenden versteigern. 

Oder aber: ein paar alte Hosen erwerben durch schlaues 
Ausbaldowern eines geldbedürftigen Kavaliers, zu dessen Wohnung 
man fünfmal vergeblich gelaufen ist und sie unter Aufgebot aller 
Überredungskünste einem Bäuerlein aufschwatzen. 

Oder aber: Differenzgeschäfte in Effekten an der Börse 
machen. 

Offenbar sind die funktionellen Spezifika bei den handelnden 
Personen im einen und andern Falle grundverschieden vonein- 
ander. Um in vorkapitalistischer Zeit „Handel zu treiben“, das 
heißt im großen Stil, wie es die „königlichen Kaufleute“ in den 
italienischen und deutschen Handelsstädten etwa taten, mußte 
man vor allem „Unternehmer“ sein, so wie ich ihn im vorstehenden 
geschildert habe : Entdecker und Eroberer in erster Linie. „Jeder 
(der Bürger Genuas) hat einen Turm in seinem Hause; bricht 
Krieg unter ihnen aus, so dienen ihnen die Zinnen der Türme 
als Schlachtfeld. Sie beherrschen das Meer; bauen sich Schiffe, 
Galeeren genannt, und ziehen zum Raube aus in die entlegensten 

Sombart, Die Juden 13 


Digitized by t^ooQle 



194 


Ortschaften. Die Beute bringen sie nach Genua. Mit Pisa leben 
sie in ewigem Streit a . „Königliche Kaufleute". Aber nicht das, 
was ich hier Händler nenne. 

Händlerfunktionen ausüben, Händler sein (nicht im beruf- 
lichen, sondern im funktionellen Verstände) heißt (wie ich schon 
bei der allgemeinen Umschreibung des Begriffes sagte) : lukrative 
Geschäfte treiben ; heißt zwei Tätigkeiten zu einem gemeinsamen 
Zwecke vereinigen: Berechnen und Verhandeln. Der Händler 
muß also — um ihn wie den Unternehmer auch durch Personal- 
bezeichnungen zu charakterisieren, obwohl hier so geläufige Aus- 
drücke wie dort nicht zur Verfügung stehen — 

1. spekulierender Kalkulator, 

2. Geschäftsmann, Verhändler 

sein. Was im einzelnen folgendes bedeutet. 

In seiner ersten Eigenschaft hat der Händler lukrative 
Geschäfte zu machen. Das heißt auf eine einzige Formel ge- 
bracht: er muß billig einkaufen und teuer verkaufen — was 
immer es auch sei. 

Also (im Rahmen einer kompletten Unternehmung) muß er : 
die sachlichen ebenso wie die persönlichen Produktionsfaktoren 
zum billigsten Preise einhandeln. Während des Produktions- 
prozesses hat er unausgesetzt auf sparsame Verwendung der 
Produktionsfaktoren bedacht zu sein. Der „gute Hausvater“ muß 
ihm im Blute stecken. „Verschwendung auch im kleinsten zu 
bekämpfen, ist nicht kleinlich, denn sie ist eine fressende Krank- 
heit, die sich nicht lokalisieren läßt. Es gibt große Unter- 
nehmungen, deren Existenz davon abhängt, ob die mit Erde ge- 
füllten Kippwagen rein entleert werden oder ob eine Schaufel 
voll Sand darin zurückbleibt“ (W. Rathenau). 

Dann — vor allem — hat er die fertigen Produkte (oder 
was sonst abzusetzen ist) vorteilhaft zu verkaufen: je an die 
zahlungsfähigste Person am aufnahmefähigsten Markte zur nach- 
fragestärksten Zeit. 

Für die Bewältigung dieser Aufgaben muß er „spekulative" 
und „kalkulatorische“ Fähigkeiten mitbringen. Spekulation (in 
diesem besonderen Verstände) nenne ich die Ableitung richtiger 
Schlüsse für den Einzelfall aus der Beurteilung des Gesamtmarktes. 
Es ist eine ökonomische Diagnose. Es heißt alle vorhandenen 
Erscheinungen des Marktes überblicken und in ihrem Zusammen- 


Digitized by t^ooQle 



195 


hange erkennen; bestimmte Symptome richtig bewerten; die 
Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung richtig abwägen und 
dann vor allem mit unfehlbarer Sicherheit aus hundert Möglich- 
keiten die vorteilhafteste herausfinden. 

Zu diesem Behufe muß der Händler mit tausend Augen 
sehen, mit tausend Ohren hören, mit tausend Tastern fühlen 
können. Hier gilt es kreditbedürftige Kavaliere, kriegslüsterne 
Staaten auszukundschaften und ihnen im rechten Augenblick ein 
Darlehen anzubieten; dort eine Arbeiterkategorie zu erspähen, 
die um ein paar Pfennige billiger arbeitet. Hier gilt es die 
Chance richtig zu ermessen, die ein neueinzuftlhrender Artikel 
beim Publikum hat; dort den Einfluß richtig einzuschätzen, den 
ein politisches Ereignis auf die Stimmung des Effektenmarktes 
ausüben wird usw. Daß der Händler alle seine Beobachtungen 
sofort in einer Geldziffer auszudrücken, daß er die tausend Einzel- 
ziffern sicher zu einer Gesamtberechnung der Gewinn- und Ver- 
lustchancen zusammenzufügen versteht , das macht ihn zum 
„Kalkulator“, zum Berechner. Und wenn er in dieser Kunst, 
jedes Phänomen im Augenblick auf eine Ziffer im Hauptbuch zu 
reduzieren, ein Meister ist, dann nennt man ihn in den Vereinigten 
Staaten „a wonderfully shrewd calculator“ : „einen wundervoll 
gerissenen Rechner.“ 

Aber der Händler muß nicht nur den sicheren Blick haben, 
will er reüssieren, wo und wann und wie ein lukratives Ge- 
schäft gemacht werden könne: er muß es auch zu machen 
verstehen. Hier berührt sich die Funktion, die er ausüben soll, 
mit der des Unterhändlers, der zwischen zwei streitenden Parteien 
vermitteln soll. Unser deutsches Wort drückt die Verwandtschaft 
der beiden Tätigkeiten wenigstens zum Teil noch aus. Ganz 
und gar dieselbe Bezeichnung für den Begriff: Waren verhandeln 
und Staatsverträge verhandeln haben die Griechen in ihrem Worte 
Xpr^atfCetv : Es bedeutet ganz allgemein „Geschäfte machen“ und 
nur im besonderen : Handels- oder Geldgeschäfte machen, Handel- 
treiben, wird aber ebenso für den Abschluß öffentlicher Geschäfte 
gebraucht im Sinne von Staatsangelegenheiten verhandeln. *0 
Xp^atiorifc ist Einer, der Geschäfte, besonders Handels- oder 
Geldgeschäfte „treibt, ein betriebsamer Mensch, guter Wirt, der 
sich auf die Kunst zu erwerben, gewinnen wohl versteht“. Plato, 
Rep. 434 a: Syjjxioopyoc <3v ^ xic äXXoc xp^fiaxiffnij? (I); XP1' 

13* 


Digitized by t^ooQle 



196 


paxtotixuc heißt „zum xp^fiatlCeiv geschickt; daher 1. zu Handels- 
und Geldgeschäften, zum Erwerb von Vermögen, zum Gewinn 
geschickt; 2. zur Abmachung öffentlicher oder von Staats- 
geschäften gehörig, geschickt“ (Pape, griechisch-deutsches Lexikon). 
Ähnlich wird ja auch unser deutsches Wort „Geschäft“ in dem 
hier verzeichneten Doppelsinne gebraucht, wenn wir von Geld- 
geschäften und Staatsgeschäften, vom Geschäftsmann und Ge- 
schäftsträger sprechen. Worin besteht nun diese Geschäfts- 
tätigkeit, dieses spezifisch chrematistische Gebaren? 

Ich denke, wir finden darauf am ehesten eine zutreffende 
Antwort, wenn wir den im Namen des Wortes ausgedrückten 
Sinn uns vergegenwärtigen: „verhandeln“ ist der Inhalt der 
Tätigkeit sowohl des Händlers wie des Unterhändlers. Zwie- 
sprache halten mit einem andern, um ihn durch Beibringung von 
Gründen und Widerlegung seiner Gegengründe zur Annahme 
einer bestimmten Handlung zu bewegen. Verhandeln heißt ein 
Ringkampf mit geistigen Waffen. 

Handel treiben in diesem besonderen Sinne heißt also wegen 
Kaufe oder Verkaufs einer Ware (Aktie, Unternehmung, Anleihe) 
verhandeln. Handel treibt (immer in diesem spezifischen Ver- 
stände) der kleine Hausierer, der mit der Köchin um die Über- 
lassung eines Hasenfelles „feilscht“ oder der Altkleideijude, der 
wegen Verkaufe einer Hose eine Stunde auf den Fuhrmann vom 
Lande einredet; aber auch der Nathan Rothschild, der in seiner 
viele Tage währenden Konferenz mit dem preußischen „Unter- 
händler“ unter besonders komplizierten Verhältnissen eine 
Millionenanleihe abschließt. Das sind rein quantitative Unter- 
schiede, die hier hervortreten : der Kern der Sache ist derselbe : 
die Seele alles (modernen) „Handels“ ist die Verhandlung, die 
nun ganz gewiß nicht immer mündlich, Auge in Auge zu erfolgen 
braucht. Sie kann auch stillschweigend sich vollziehen: indem 
der Verkäufer beispielsweise durch allerhand Kunstgriffe einem 
p. t. Publico die Vorzüge seiner Ware dermaßen plausibel macht, 
daß dieses sich genötigt sieht, die Ware bei ihm zu kaufen. 
Reklame heißen derart Kunstgriffe. Hier könnte man — in An- 
lehnung an Vorgänge in der Kindheit des Warenaustausches — 
von einem „stummen Tauschhandel" sprechen, wenn anders 
man Anpreisungen in Wort und Bild als stumme bezeichnen will. 

Immer handelt es sich darum, Käufer (oder Verkäufer) von 
der Vorteilhaftigkeit des Vertragsabschlusses zu überzeugen. Das 


Digitized by 


Google 



197 


Ideal des Verkäufers ist dann erreicht, wenn die ganze Be- 
völkerung nichts mehr für wichtiger erachtet, als den von ihm 
gerade angepriesenen Artikel einzukaufen. Wenn sich der 
Menschenmassen eine Panik bemächtigt, nicht rechtzeitig mehr 
zum Erwerb zu kommen (wie es der Fall ist in Zeiten fieber- 
hafter Erregung auf dem Effektenmärkte). 

Großen Absatz haben heißt: daß die Interessen, die ein 
Geschäftsmann erregt und sich dienstbar macht, entweder sehr 
starke oder sehr allgemeine sein müssen. „Wer eine Million 
umzusetzen wünscht, muß tausend Menschen zu dem schweren 
Entschluß zwingen, je tausend Mark bei ihm gegen Waren ein- 
zutauschen oder er muß seinen Einfluß so stark über die Menge 
verbreiten, daß hunderttausend Menschen sich gedrängt fühlen, 
mit ihm um zehn Mark zu handeln. Freiwillig — besser: aus 
freien Stücken (W. S.) — suchen ihn weder die Tausend noch 
Hunderttausend auf, denn sie alle empfinden längst andere Be- 
dürfnisse der Anschaffung, die zurückgedrängt werden müssen (?), 
wenn der neue Geschäftsmann reüssieren soll.“ (W. Rathenau.) 

Interesse erregen, Vertrauen erwerben, die Kauflust wecken : 
in dieser Klimax stellt sich die Wirksamkeit des glücklichen 
Händlers dar. Womit er das erreicht, bleibt sich gleich. Genug, 
daß es keine äußeren, sondern nur innere Zwangsmittel 
sind, daß der Gegenpart nicht wider Willen, sondern aus eigenem 
Entschlüsse den Pakt eingeht. Suggestion muß die Wirkung 
des Händlers sein. Der inneren Zwangsmittel aber gibt es viele. 

Eines der wirksamsten besteht in der Erweckung der Vor- 
stellung, daß der sofortige Abschluß des Geschäftes be- 
sondere Vorteile gewähre. „Es sieht nach Schneewetter aus, 
Knaben — sagten die Finnen — denn sie hatten Aanderer (eine 
Art von Schneeschuhen) zu verkaufen“, heißt es in der Magnus 
Barford-Sage (1006 n. Chr.). Das ist das Urbild aller Händler; 
der hier spricht, und die Aufforderung an die norwegischen 
Knaben, Schneeschuhe zu kaufen, ist das Prototyp der Reklame : 
dieser Waffe, mit der heute der Händler kämpft, der nicht mehr 
auf festen Burgen thront, wie sein Vorgänger in Genua zur Zeit 
Benjamins von Tudela, der aber auch nicht mehr mit Kanonen 
# die Wohnplätze der Eingeborenen niederschießen kann, wenn sie 
sich weigern mit ihm „Handel zu treiben“, wie etwa der Ost- 
indienfahrer des 17. Jahrhunderts. 


Digitized by 


Google 



198 


Zehntes Kapitel 

Die olU8ktlve Eignung der Juden zum Kapitalismus 


Nun wäre also, nachdem wir erfahren haben, was dem 
kapitalistischen Wirtschaftssubjekt, damit es sich durchsetze, zu 
leisten obliegt, die Frage zu beantworten: welche äußeren Um- 
stände möglicherweise es bewirkt haben, daß die Juden eine 
so hervorragende Bolle bei der Herausbildung dieses kapita- 
listischen Wirtschaftssystems spielen konnten. Einer Prüfung zu 
unterwerfen ist also die eigentümliche Lage, in die die Juden 
Westeuropas und Amerikas seit dem Ende des 15. Jahrhunderts 
gerieten und in der sie sich während der folgenden drei oder 
vier Jahrhunderte, also in dem Zeitraum, in dem der moderne 
Kapitalismus gebildet wurde, befunden haben. 

Wodurch wird sie gekennzeichnet? 

Ganz allgemein hat das der Gouverneur von Jamaica in 
einem Brief an den Staatssekretär vom 17. Dezember 1671 
treffend ausgesprochen, als er schrieb 8 ® 7 : „he was of opinion 
that His Majesty could not have more profitable subjects than the 
Jews: they had great Stocks and correspondance“. 
In der Tat ist mit diesen beiden Besonderheiten ein wesent- 
licher Teil des Vorsprungs bezeichnet, den die Juden vor den 
andern voraus hatten. Nur muß zur Vervollständigung hinzu- 
gefügt werden : ihre eigentümliche Stellung innerhalb der Volks- 
gemeinschaften, in denen sie wirkten. Sie läßt sich als Fremd- 
heit und als Halbbürgertum kennzeichnen. Ich will also vier 
Umstände hervorheben , die die Juden besonders geeignet 
machten (und machen), so Bedeutsames zu leisten : 

I. ihre räumliche Verbreitung; 

H. ihre Fremdheit; 

Dl. ihr Halbbürgertum; 

IV. ihren Reichtum. 


Digitized by t^ooQle 



199 


I. Die räumliche Verbreitung 

Bedeutungsvoll für das Verhalten der Juden ist natürlich zu- 
nächst und vor allem ihre Zerstreuung über alle Länder 
der bewohnten Erde geworden, wie sie ja seit dem ersten Exil 
bestand , wie sie aber von neuem in besonders wirkungs- 
reicher Weise sich seit ihrer Vertreibung aus Spanien und Por- 
tugal und seit ihrer Rückströmung aus Polen wieder vollzogen 
hatte. Wir sind ihnen auf ihrer Wanderung während der letzten 
Jahrhunderte gefolgt und haben sie sich in Deutschland und in 
Frankreich, in Italien und in England, im Orient und in Amerika, 
in Holland und in Österreich, in Südafrika und in Ostasien frisch 
ansiedeln sehen. 

Die natürliche Folge dieser abermaligen Verschiebungen 
innerhalb kulturell zum Teil schon hoch entwickelter Länder war 
die, daß Teile einer und derselben Familie an den verschieden- 
sten Zentren des Wirtschaftslebens sich ansiedelten und große 
Welthäuser mit zahlreichen Filialen bildeten. Um nur ein paar 
zu nennen 898 : 

die Familie Lopez hat ihren Sitz in Bordeaux und Zweig- 
häuser in Spanien, England, Antwerpen, Toulouse; die Familie 
Mend&s, ein Bankhaus, residiert ebenso in Bordeaux und hat 
Filialen in Portugal, Frankreich, Flandern ; ein Zweig der Familie 
Mend&s sind wieder die Gradis mit zahlreichen Zweignieder- 
lassungen ; die Carceres finden wir in Hamburg, in England, in Öster- 
reich, Westindien, Barbados, Surinam ansässig; andere bekannte 
Familien mit einem weltumspannenden Netz von Filialen sind 
die Costa (Acosta, D’Acosta), die Conegliano, die Alhadib, die 
Sassoon, die Pereire, die Rothschild. Aber es hat keinen Sinn, 
die Liste zu verlängern: die jüdischen Geschäftshäuser, die wenig- 
stens an zwei Handelsplätzen der Erde vertreten sind, zählten 
und zählen nach Hunderten und Tausenden. Es gibt kaum eines 
von Bedeutung, das seinen Fuß nicht mindestens in zwei ver- 
schiedenen Ländern hätte. 

Und was für eine große Bedeutung diese Zerstreuung für 
das Fortkommen der Juden haben mußte, braucht auch kaum 
ausführlich begründet zu werden : es liegt auf der Hand und ist 
in dem ersten Teile dieses Buches öfters an Beispielen verdeut- 
licht worden. Was sich christliche Häuser erst mit Mühe 
schaffen mußten, was sie aber nur in den seltensten Fällen in 


Digitized by t^ooQle 



200 


gleich vollkommener Weise erreichten: das nahmen die Juden 
von Anbeginn ihrer Tätigkeit mit auf den Weg: die Stützpunkte 
für alle internationalen Handels- und Kreditoperationen : die 
„great correspondance“, diese Grundbedingung erfolgreicher inter- 
nationaler Geschäftstätigkeit. 

Ich erinnere an das, was ich über die Anteilnahme der 
Juden am spanisch-portugiesischen Handel, am Levantehandel, 
an der Entwicklung Amerikas gesagt habe: ganz besonders 
wichtig war der Umstand, daß sich ein großer Teil von ihnen 
gerade von Spanien aus verzweigte: dadurch leiteten sie den 
Strom des Kolonialhandels und vor allem den Silberstrom in die 
Betten der neu emporkommenden Mächte: Holland, England, 
Frankreich, Deutschland. 

Bedeutsam, daß sie gerade nach diesen Ländern, die im Be- 
griffe waren, einen großen wirtschaftlichen Aufschwung zu er- 
leben, mit Torliebe sich wandten und damit gerade diesen 
Ländern die Vorteile ihrer internationalen Beziehungen zuteil 
werden ließen. Bekannt ist es, daß die flüchtigen Juden mit 
Vorbedacht den Strom des Handels von den Ländern, die sie 
vertrieben hatten, ablenkten, um ihn denjenigen zuzuführen, die 
sie gastlich aufgenommen hatten. 

Bedeutsam, daß sie Livorno und damit das Einfallstor in die 
Levante beherrschten: Livorno wird im 18. Jahrhundert genannt: 
„Tun des grands magasins de l’Europe pour le commerce de la 
Möditerranöe.“ 899 

Bedeutsam, daß sie zwischen Süd- und Nordamerika ein 
Band herstellten, das, wie wir sahen, den nordamerikanischen 
Kolonien erst ihre wirtschaftliche Existenz möglich machte. 

Bedeutsam natürlich vor allem (wie auch gezeigt wurde), 
daß sie durch die Beherrschung der großen Börsen an den 
Hauptplätzen Europas die Intemationalisierung des Kredit- 
verkehrs anzubahnen berufen waren. Alles zunächst nur dank 
der Tatsache ihrer Zerstreuung. 

Sehr hübsch veranschaulicht diese eigentümliche Bedeutung 
des jüdischen Internationalismus für die Entwicklung des modernen 
Wirtschaftslebens ein Bild, dessen sich vor zweihundert Jahren ein 
geistvoller Beobachter in einer Studie über^die Juden bediente, 
und das noch heute seine Frische vollauf bewahrt hat. In einer 
Korrespondenz des Spectator vom 27. September 1712 heißt es 400 : 


Digitized by 


Google 



201 


„They are . . so disseminated through all the trading Parts of tbe 
World, tbat tbey are become tbe Instraments by wbicb tbe most distant 
Nations converse with one another and by whicb mankind are knit too- 
gether in a general Correspondance : tbey are like tbe Pegs and Nails 
in a great Bailding, wbicb, thoagb tbey are but little valued in tbemselves, 
are absolutely necessary to keep the whole Frame together.“ 

Wie die Juden den großen Vorteil, den ihnen ihre räum- 
liche Verbreitung gewährte, systematisch ausüutzten, um sich 
über die Lage an den verschiedenen Plätzen der Erde rasch und 
zuverlässig zu unterrichten und im Besitze bester Informationen 
dann an der Börse ihr geschäftliches Verhalten je nach dem 
Stande der Dinge vorteilhaft einzurichten: das erzählt uns mit 
Angabe aller wünschbaren Einzelheiten der schon einmal er- 
wähnte Bericht des französischen Gesandten im Haag aus dem 
Jahre 169 8 401 . Auf diesem genauen Unterrichtetsein , meint 
unser Gewährsmann, beruht zum guten Teil die überragende 
Stellung, die die Juden an der Amsterdamer Börse einnehmen: 
denn daß sie diese im wesentlichen beherrschen, hatte er schon 
ausgeführt. 

Angesichts der Wichtigkeit dieses einwandfreien Zeugnisses 
will ich im folgenden die Hauptpunkte daraus mitteilen und da 
der französische Text nicht leicht verständlich ist und für die 
Übersetzung Schwierigkeiten macht, so gebe ich erst die Original- 
fassung wieder und füge die Übersetzung hinzu, die mir den 
Sinn richtig zu treffen scheint. 

„Hs ß’entretiennent sur les deux (sc. nou veiles et commerce) avec ce 
qu’ils appellen t leurs congregues (sic) dont celle de V6nise (qnoique moins 
riebe et moins nombrense) est näanmoins comptäe pour la premiäre entre 
celles qu’ils nomment grandes parce qu'elle lie l’Occident avec l’Orient et 
le Midi par la congregae de Salonique, qni r£git leur nation en ces deox 
autres parties du monde et en räpond avec celle de Venise qui, avec celle 
d’ Amsterdam, r£git toutes les parties du nord (dang lesquelles ils comptent 
celle tol£r£e de Londres et celles geerbtes de France) en sorte qu’ä ces 
deux 4gards, commerce et nouvelles, on peut dire qu’ils sont les premiers 
et les mieux inform4s de tout ce qui se meut dans le monde, 
dont ils b&tissent leur Systeme de chaque semaine dans leurs 
assembl6es qu’ils tiennent fort k propos le lendemain du samedi, c’est-ä- 
dire le dimanebe, pendant que les ebrätiens de toutes sectes sunt occup£s 
aux devoirs de leur religion. Ces systÄmes, qui sont le plus subtil de 
tout ce qu’ils ont re$u de nouvelles de la semaine, alambiqu6es par leurs 
rabis et chefs de congregues, sont d&s l’apr&s-midi du dimanebe, d61ivr6s 
k leurs courtiers et agents juifs, les bonunes les plus adroits en ce 
genre qu’il y ait au monde, qui, ayant aussi concert4 entre eux, vont 


Digitized by 


Google 



202 


slparäment, dfes le m&me jottr, r6pandre les nouvelles accom- 
m o d e e 8 k leurs fing qu’ils vont commencer k suivre d£a le lendemain, 
lundi matin, selon qu’ils voient la disposition des esprits k tous les 6gards 
particuliers: vente, achat, change et actions, dans tous lesquels genres 
de choses, ayant tonjonrs entre eux de grosses masses et provisions, ils 
sont 4clair4s k faire le coup dans l’actif, dans le passif ou souvent daus 
tous les deux en mßme temps. a 

„Sie unterhalten sich über die beiden (d. h. Neuigkeiten und 
Handel) mit dem, was sie ihre Brüderschaften (congregues) 
nennen, von denen die von Venedig (obgleich weniger reich und 
zahlreich) als die erste angesehen wird unter denen, die sie die 
groben nennen, weil sie den Westen mit dem Osten und dem 
Süden verbinde durch die Brüderschaft von Salonichi, welche 
ihre Nation in jenen beiden anderen Weltteilen regiert und für 
sie haftet (? en repond) mit der von Venedig, welche, mit der 
von Amsterdam, alle nördlichen Teile beherrscht (unter die sie 
die von London nur geduldete und die geheimen in Frank- 
reich zählen), sodab sie in diesen beiden Beziehungen, Handel 
und Neuigkeiten, die ersten und am besten unterrichtet sind 
über das, was in der Welt vorgeht, woraus sie dann ihr System 
aufbauen jede Woche, in ihren Versammlungen, welche sie sehr 
zweckmäßig den Tag nach dem Samstag, das heibt am Sonntag, 
halten, während die Christen aller Sekten mit den Pflichten ihrer 
Religion beschäftigt sind. Diese Systeme, die aus dem Feinsten 
und Spitzfindigsten bestehen, was sie von Neuigkeiten während 
der Woche empfangen haben, durchsiebt und geläutert durch 
ihre Rabbis und Schriftgelehrten, werden schon am Sonntag 
nachmittag ihren jüdischen Börsenmaklern und Agenten zu- 
gestellt, welche die denkbar gewitzigsten in dieser Art sind. 
Nachdem sich diese nun auch untereinander besprochen haben, 
gehen sie einzeln noch am selben Tage diese für ihre Zwecke 
zurechtgelegten Nachrichten zu verbreiten; den nächsten Tag 
(Montag morgen) fangen sie sodann gleich an, sie ins Werk zu 
setzen, je nachdem sie die Stimmung der einzelnen geneigt 
finden: zu Verkauf, Kauf, Wechsel und Aktien. Da sie immer grobe 
Summen und Vorräte in allen diesen Artikeln bereit halten, sind 
sie stets in der Lage, richtig abmessen zu können, wann der beste 
Moment gekommen ist, ä la hausse oder ä la baisse oder auch 
zu gleicher Zeit in beiden Richtungen ihre Coups auszuführen.“ 

Von wesentlichem Vorteil wurde den Juden ihre Inter- 


Digitized by 


Google 



203 


nationalitfit auch dort, wo es sich darum handelte, das Vertrauen 
der Großen zu gewinnen. Ihr Weg in die Haute Finance ist 
häufig der gewesen: erst machten sie sich den Fürsten als 
Dolmetscher durch ihre Sprachkenntnis nützlich, dann wurden 
sie als Zwischenträger und Unterhändler an fremde Höfe ge* 
schickt, dann vertraute ihnen der Fürst die Verwaltung seines 
Vermögens an (indem er sie gleichzeitig damit beehrte, ihr 
Schuldner zu werden) und dadurch wurden sie die Beherrscher 
der Finanzen (und in späteren Zeiten der Börsen). 

Wir dürfen annehmen, daß ihre Sprachkenntnisse und ihre 
Vertrautheit mit fremden Kulturen schon im Altertum es waren, 
die ihnen den Zugang zum Vertrauen der Könige erschlossen: 
von Josef in Ägypten angefangen über den Alabarchen Alexander, 
den Vertrauensmann des Königs Agrippa und der Mutter des 
Kaisers Claudius, von dem uns Josephus berichtet, bis zu dem 
jüdischen Schatzmeister der Königin Kandake von Äthiopien, 
von dem wir in der Apostelgeschichte (8, 27) lesen. 

Von den berühmten Hof juden des Mittelalters wird uns meist 
ausdrücklich bestätigt, daß sie sich als Dolmetscher oder Unter- 
händler ihre Sporen verdient haben: wir wissen es von dem 
Juden Isaac, den Karl d. Gr. an den Hof Harun al Raschids 
sandte ; von dem Juden Kalonymos, dem Freunde und Günstling 
Kaiser Ottos H. ebenso wie von den Juden, die um dieselbe 
Zeit auf der Pyranäenhalbinsel zu Ruhm und Ansehen gelangten: 
der berühmte Chasdai Ibn Schaprut (915-970) war zunächst 
diplomatischer Vertreter des Kalifen Abdul-Rahman HI. bei dessen 
Verhandlungen mit den christlichen Höfen Nordspaniens 408 . 
Umgekehrt machten sich die Juden unentbehrlich an den 
Höfen der christlichen Könige in Spanien. Als Alfons VI. von 
Castilien (11. Jahrh.) die kleinen muhamedanischen Könige gegen 
einander ausspielen wollte, wußte er niemand besseres an die 
Höfe von Toledo, Sevilla, Granada zu senden als die sprach- 
gewandten und fremdgewohnten Juden. Überall finden wir 
dann in der Folgezeit jüdische Gesandte an den christlichen 
spanischen Höfen hin bis zu den länder- und völkerkundigen 
Juden, die Joao H. nach Asien schickte, um Mitteilungen an 
seine Auskundschafter zu bringen und zu empfangen, die nach 
dem fabelhaften Lande des Priesters Johann forschten 408 oder bis 
zu den zahlreichen Dolmetschern und Vertrauensmännern, die 


Digitized by t^ooQle 



204 


wir bei der Entdeckung der Neuen Welt tätig finden 404 . An- 
gesichts der großen Bedeutung, die die glänzende spanische Epi- 
sode für die gesamte Weiterentwicklung des Judentums und 
namentlich für die Gestaltung ihres wirtschaftlichen Schicksals 
besitzt, ist es natürlich von besonderem Interesse zu verfolgen! 
auf welchem Wege sie gerade hier zu dem hohen Ansehn ge- 
langten. Aber auch in nachspanischer Zeit finden wir noch 
häufig jüdische Diplomaten vornehmlich im Verkehr der General- 
staaten mit den Mächten: wie die Behnontes, die Mesquitas 406 
und andere. Bekannt ist le Seigneur Hebraeo, wie Richelieu 
den reichen üdefonso Lopez nannte, den er zu einer geheimen 
politischen Mission nach Holland benutzte, um ihn nach seiner 
Rückkehr zum „Conseiller d’Etat ordinaire“ zu machen 406 . 

Die „räumliche Verbreitung der Juden“ ist nun aber nicht 
nur dadurch bedeutsam, daß sie die internationale Zerstreuung 
der Juden herbeiführte: sie dient zur Erklärung mancher Er- 
scheinungen auch nur insoweit, als sie sich auf die Verteilung 
über das Innere der Länder erstreckt. Wenn wir beispiels- 
weise den Juden besonders oft als Lieferanten von Kriegsmaterial 
und Lebensmitteln für die Armeen begegnet sind — sie sind auch 
das seit alten Zeiten gewesen: bei der Belagerung Neapels 
durch Beiisar erklärten die dortigen Juden die Stadt mit Lebens- 
mitteln versorgen zu wollen 407 — , so hat das seinen Grund gewiß 
zum guten Teil in der Tatsache, daß sie leichter als die Christen 
rasch eine große Masse von Gütern, namentlich Lebensmitteln, 
aus dem Lande zusammenbringen konnten : dank den Ver- 
bindungen, die sie von Stadt zu Stadt unterhielten. „Der jüdische 
Entrepreneur darf sich vor allen diesen Schwierigkeiten nicht 
scheuen. Er darf nur die Judenschaft am rechten Orte elek- 
trisieren und im Augenblick hat er so viele Helfer und Helfers- 
helfer als er immer braucht“ 408 . Denn in der Tat handelte der 
Jude früherer Zeit „niemals als isoliertes Individuum, sondern als 
Glied der ausgebreitetsten Handelskompagnie in der Welt“ 408 . 
„Ce sont des particules de vif argent qui courent, qui s^garent 
et qui ä la moindre pente se räunissent en un bloc principal“, 
wie es in einer Eingabe der Pariser Kaufleute aus der zweiten 
Hälfte des 18. Jahrhunderts heißt 410 . 


Digitized by t^ooQle 


205 


n. Die Fremdheit 

Fremde sind die Juden während der letzten Jahrhunderte 
in den meisten Ländern zunächst einmal in dem rein äußerlichen 
Sinne der Neueingewanderten gewesen. Gerade an den Orten, 
wo sie ihre wirksamste Tätigkeit entfaltet haben, waren sie nicht 
alteingesessen, ja: dorthin waren sie meist nicht einmal aus der 
näheren Umgebung, sondern von fernher, aus Ländern mit andern 
Sitten und Gebräuchen, zum Teil sogar andern Elimaten gelangt. 
Nach Holland, Frankreich und England kamen sie aus Spanien 
und Portugal und dann aus Deutschland; nach Hamburg und 
Frankfurt aus anderen deutschen Städten und dann nach ganz 
Deutschland aus dem russisch-polnischen Osten. 

Was die übrigen europäischen Nationen mit ihnen in der 
Neuen Welt teilten, das hatten sie vor diesen in den Ländern 
der alten Kultur voraus: sie waren Kolonisten Überall, 
wohin sie kamen und damit ohne weiteres zu ganz bestimmtem 
Verhalten und Handeln gezwungen. 

Neusiedler müssen die Augen offen halten, damit sie sich 
in der neuen Lage rasch zurechtfinden, müssen acht haben auf 
ilir Vorgehen, damit sie sich unter den neuen Verhältnissen doch 
ihren Unterhalt erwerben. Wenn die Alteingesessenen in ihren 
wannen Betten liegen, stehen sie draußen in der frischen Morgen- 
luft und müssen erst trachten, sich ein Nest zu bauen. Draußen 
stehen sie : allen Eingesessenen gegenüber als Eindringlinge. 
Und in freier Luft stehen sie : ihre wirtschaftliche Energie wird 
stärker angespomt. 

Bedenken müssen sie, wie sie Boden gewinnen in der neuen 
Umgebung: das wird für ihre ganze Wirtschaftsführung ent- 
scheidend, die nun von der ganzen Wucht der Zweckmäßigkeits- 
erwägungen ergriffen wird. Bedenken, wie die Wirtschaft am 
besten, am zweckmäßigsten eingerichtet werde: welchen Pro- 
duktions- oder Handelszweig man wählen solle, mit welchen 
Personen man Beziehungen anknüpfen solle, welche Geschäfts- 
grundsätze man anwenden solle, um am schnellsten sich durch- 
zusetzen: das heißt aber nichts anderes als den ökonomischen 
Rationalismus an Stelle des Traditionalismus setzen. Wir sahen 
die Juden das tun; und wir finden nun einen ersten, sehr 
zwingenden Grund, weshalb sie es taten: weil sie Fremde in 


Digitized by 


Google 



206 


den Ländern waren, wo sie wirtschaften sollten: Neusiedler, 
Frischeingewanderte. 

Fremd aber war Israel unter den Völkern all die Jahr- 
hunderte hindurch noch in einem andern, man könnte sagen 
psychologisch-sozialen Sinne, im Sinne einer innerlichen Gegen- 
sätzlichkeit zu der sie umgebenden Bevölkerung, im Sinne einer 
fast kastenmäßigen Abgeschlossenheit gegen die Wirtsvölker. 
Sie, die Juden, empfanden sich als etwas Besonderes und wurden 
von den Wirts Völkern als solches wieder empfunden. Und dadurch 
wurden alle die Handlungsweisen und die Gesinnungen bei den 
Juden zur Entwicklung gebracht, die notwendig sich im Verkehr 
mit „Fremden“ zumal in einer Zeit, die dem Begriff des Welt- 
bürgertums noch fern stand, ergeben müssen. 

Die bloße Tatsache, daß man es mit einem „Fremden“ zu 
tun habe, hat zu allen Zeiten, die noch nicht von humanitären 
Erwägungen angekränkelt waren, genügt, das Gewissen zu 
erleichtern und die Bande der sittlichen Verpflichtungen zu 
lockern. Der Verkehr mit Fremden ist stets „rücksichtsloser“ 
gestaltet worden. Und die Juden hatten es immerfort, zumal 
wenn sie in das große wirtschaftliche Getriebe 'eingriffen, mit 
„Fremden“, mit „Nicht-Genossen“ zu tun, weil sie ja obendrein 
stets in kleiner Minderheit waren. Brachte für einen Angehörigen 
des Wirtsvolkes jeder zehnte oder jeder hundertste Verkehrsakt 
eine Beziehung zu einem „Fremden“, so erfolgten umgekehrt 
bei den Juden neun Akte von zehn oder neunundneunzig vom 
Hundert im Verkehr mit Fremden: sodaß die „Fremdenmoral", 
wenn ich diesen Ausdruck ohne mißverstanden zu werden ge- 
brauchen darf, eine immer wieder geübte wurde, auf die sich das 
ganze Geschäftsgebaren dann gleichsam einstellen mußte. Der 
Verkehr mit Fremden wurde für den Juden das „Normale“, 
während er für die anderen die Ausnahme blieb. 

Engstens im Zusammenhänge mit ihrer Fremdheit steht die 
eigentümliche und absonderliche Rechtslage, in der sie sich aller 
Orten befanden. Doch hat sie als Erklärungsgrund ihre eigene 
Bedeutung und soll daher in folgender selbständiger Darstellung 
.abgehandelt werden. 


Digitized by 


Google 



207 


III. Das Halbbflrgertnm 

Es scheint auf den ersten Blick, als sei die bürgerliche 
Rechtsstellung der Juden insbesondere dadurch für ihr Ökono- 
misches Schicksal von Bedeutung gewesen, daß sie ihnen be- 
stimmte Beschränkungen in der Wahl der Berufe, wie überhaupt 
in ihrer Erwerbstätigkeit auferlegte. Aber ich glaube, daß die 
Einwirkung, die die Rechtslage in dieser Hinsicht ausgeübt hat, 
überschätzt worden ist. Ich möchte umgekehrt diesen gewerbe- 
rechtlichen Bestimmungen nur eine ganz verschwindende Be- 
deutung beimessen, möchte fast sagen: sie seien belanglos ge- 
wesen für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung des Judentums. 
Jedenfalls wüßte ich beim besten Willen keine der wirklich be- 
deutsamen Einwirkungen, die wir die Juden auf den Gang des 
modernen Wirtschaftslebens haben ausüben sehen, auf irgend 
welche gewerberechtliche Bestimmung zurückzuführen. 

Daß diese nicht von nachhaltigem und tiefgehendem Einfluß 
gewesen sein können, geht ja schon aus der Tatsache hervor, daß 
die gewerberechtliche oder gewerbepolizeiliche Stellung 
der Juden während des Zeitraums, der uns hier interessiert, 
außerordentlich verschieden gestaltet war, und daß trotzdem eine 
große Gleichartigkeit des jüdischen Einwirkens im gesamten Um- 
kreis der kapitalistischen Kultur sich nachweisen läßt. 

Wie grundverschieden die Rechtslage der Juden in dieser 
Hinsicht war, macht man sich selten genügend klar. 

Sie wechselte zunächst von Land zu Land in den großen 
Zügen. Während die Juden in Holland und England fast volle 
Gleichberechtigung mit den Christen genossen, was das Erwerbs- 
leben anbetrifft, unterlagen sie in den übrigen Ländern mehr 
oder weniger großen Beschränkungen, abgesehen wiederum von 
einzelnen Gebietsteilen und Städten, wo volle Handels- und Ge- 
werbefreiheit für sie bestand, wie etwa innerhalb Frankreichs in 
den Besitzungen der Päpste 411 . 

Aber diese Einschränkungen waren nun wieder nach Maß 
und Art in den verschiedenen Ländern verschieden und inner- 
halb eines und desselben Landes oft grundverschieden von Ort 
zu Ort. Und zwar erscheinen die einzelnen Bestimmungen ganz 
und gar willkürlich. Von einer irgendwelchen Grundidee, die 
sich etwa in den verschiedenen Verfügungen durchfühlen ließe, 
ist keine Rede. Hier ist ihnen das Hausieren verboten, dort 


Digitized by 


Google 



208 


das Halten fester Läden; hier dürfen sie Handwerke betreiben, 
dort nicht; hier dieses, dort jenes Handwerk; hier dürfen sie 
mit Wolle handeln, dort nicht; hier mit Leder, dort nicht; hier 
ist ihnen die Pachtung von Branntweinschenken erlaubt, dort 
verboten ; hier werden sie zur Anlage von Fabriken und Manufak- 
turen ermuntert, dort ist ihnen die Beteüiguug an kapitalistischer 
Industrie untersagt u. s. f. 

Man sehe sich etwa den Rechtszustand an, wie er inner- 
halb des preußischen Staats um die Wende des 18. Jahrhunderts 
sich herausgebildet hatte. Da galten in den verschiedenen 
Landesteilen mehrere Dutzend Gesetze, deren Bestimmungen zum 
Teil sich geradezu widersprachen. 

Während mancherorts die Ausübung der Handwerke ver- 
boten war (Revidiertes Generalprivilegium von 1750 art. XL, 
Schwedisches Gesetz von 1777 für Neu Vorpommern und Rügen), 
gestattete die Kabinettsordre vom 21. Mai 1790 den Breslauer 
Schutzjuden „allerlei mechanische Künste zu treiben“ und be- 
sagte, daß es „Uns zum gnädigsten Wol wollen gereichen (werde), 
wenn die christlichen Handwerker freiwillig Juden-Jungen in die 
Lehre und in der Folge in ihre Innung nehmen.“ Das Gleiche 
bestimmte das GeneralJuden-Reglement für Süd- und Neu-Ost- 
preußen vom 17. April 1797 (§ 10). 

Während den Berliner Juden verboten war, Bier und Brannt- 
wein an Nichtjuden zu verschänken, Fleisch an Nichtjuden zu 
verkaufen (General-Privileg vom 17. April 1750 art. XV. XIH), 
hatten die sämtlichen Stammjuden in Schlesien die Erlaubnis, 
Bier- und Branntweinurbars , Fleischereien, Bäckereien, Meth-, 
Bier- und Branntweinschenken zu pachten oder zu verwalten (laut 
Ordre vom 18. Februar 1769). 

Die Liste der erlaubten oder verbotenen Handelsartikel 
scheint oft mit einer geradezu sinnlosen Willkür zusammen- 
gestellt, wenn ihnen etwa freisteht: „mit aus- und einländischem 
ungefärbtem gar gemachtem Leder“ zu handeln, dagegen nicht 
„mit rohem oder gefärbtem Leder“; zwar „mit rohen Kalb- 
und Schaffellen“, nicht aber „mit rohen Rind- und Pferde- 
häuten“ ; zwar „mit allerhand hier im Lande fabrizierten 
ganz und halbwollenen und baumwollenen Waren“, nicht aber 
„mit roher Wolle und wollenen Garnen auch nicht mit fremden 
wollenen Waren“ usw. (Alles aus dem Generalprivileg von 1750). 


Digitized by 


Google 



209 


Das Bild wird noch bunter, wenn wir die verschiedene 
Rechtslage in Betracht ziehen, in der sich die verschieden berech- 
tigten Kategorien von Juden befanden. So bestand z. B. die 
Breslauer Judengemeinde bis zur K.O. vom 21. Mai 1790 aus 
folgenden Gruppen: 

1. den Generalprivilegierten, das ist : solchen jüdischen 
Glaubensgenossen, die christliche Rechte im Handel und 
Wandel in und außer Gericht hatten und deren Vorrechte 
erblich waren; 

2. den Privilegierten, welche das Recht hatten, mit ver- 
schiedenen, in ihren Spezialprivilegien enthaltenen Arten 
von Sachen zu handeln; ihr Vorrecht war nicht erblich, 
doch wurde auf ihre Kinder bei offenen Privilegiis Rück- 
sicht genommen; 

3. den Tolerierten, welche ebenfalls auf Lebenszeit ihr 
Recht, in Breslau zu wohnen, erhalten, deren Gewerbe 
aber eingeschränkter als das der Privilegierten war; 

4. den sogenannten Fixen tristen, welche nur auf eine be- 
stimmte oder unbestimmte Zeit zu bleiben die Erlaubnis hatten. 

Endlich ist noch zu bedenken, daß alle diese nach Ort und 
Personen so sehr verschiedenen Berechtigungen alle Augenblick 
im Zeitablauf geändert wurden. Beispiel: 

1769 war, wie wir sahen, den schlesischen Landjuden die 
Erlaubnis erteilt worden, Bier- und Branntweinurbars , Fleische- 
reien usw. zu pachten ; 1780 wurden ihnen alle derartigen Pach- 
tungen verboten; 1787 aber schon wieder nachgegeben. 

Jeder, der die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahr- 
hunderte auch nur einigermaßen in ihrer Eigentümlichkeit be- 
griffen hat, weiß ja nun aber auch, daß die gewerberechtlichen 
Bestimmungen zum guten Teile nur auf dem Papiere standen, 
daß namentlich alle kapitalistischen Interessen sich sehr wohl 
ihnen zum Trotz durchzusetzen vermochten. Dazu gab es mehr 
als ein Mittel. Nicht bloß die Gesetzesübertretung, der der bureau- 
kratische Staat immer lässiger gegenüberstand ; auch eine Menge 
erlaubter Mittel und Wege gab es, sich lästige Beschränkungen 
vom Halse zu halten: Konzessionierungen, Privilegierungen und 
wie sonst die Freibriefe hießen, die die Fürsten so gern aus- 
stellten, wenn sie sich damit einen kleinen Nebenverdienst ver- 
schaffen konnten. Und nicht zuletzt waren es die Juden, die 

Somb art, Die Juden 14 


Digitized by 


Google 



210 


sich solcherart Vergünstigungen zu verschaffen wußten. Was die 
preußischen Edikte von 1787 und 1750 ausdrücklich sagten: daß 
den Juden dieses und jenes verboten sei: „ohne Unsere dazu 
erhaltene besondere Konzession, als deshalb sie sich in gewissen 
Fällen bei Unserm General-Direktorio zu melden haben“, das 
verstand sich bei allen gewerberechtlichen Beschränkungen still- 
schweigend von selbst. Denn wenn nicht irgendwo sich ein 
Ausweg gefunden hätte : wie sollte es sich sonst erklären lassen, 
daß die Juden in manchem gerade derjenigen Handelszweige, 
die ihnen vom Gesetze ausdrücklich verschlossen wurden , wie 
etwa in der Leder- oder Tabakbranche, von jeher eine Führer- 
stellung eingenommen haben? 

Und doch läßt sich an einem Punkte die Einwirkung der 
alten Gewerbe Verfassung auf den Werdegang der Juden nach- 
weisen: das ist dort, wo das Wirtschaftsleben durch die Herr- 
schaft korporativer Verbände beeinflußt wurde oder richtiger: wo 
die wirtschaftlichen Vorgänge sich im Rahmen genossenschaft- 
licher Organisation abspielten. In die Zünfte und Innungen 
fanden die Juden keinen Zutritt : das Kruzifix, das in allen Amts- 
stuben dieser Verbände aufgestellt war, und um das sich alle 
Mitglieder versammelten, hielt sie zurück. Und darum: wenn 
sie ein Gewerbe betreiben wollten, so konnten sie es nur außer- 
halb der Kreise, die von den christlichen Genossenschaften be- 
setzt gehalten wurden; gleichgültig, ob ein Produktionsgebiet 
oder ein Handelsgebiet in Frage stand. Und deshalb waren sie 
— wiederum zunächst aus äußeren Gründen — die geborenen 
„interlopers“, die Bönhasen, die Zunftbrecher, die „Freihändler“, 
als die wir sie allerorten angetroffen haben. 

Viel einschneidender haben das Schicksal der Juden offen- 
bar diejenigen Teile der Rechtsordnung bestimmt, die ihr Ver- 
hältnis zur Staatsgewalt, also insbesondere ihre Stellung im 
öffentlichen Leben regelten. Sie weisen zunächst in allen 
Staaten eine auffallende Übereinstimmung auf, denn sie laufen 
letzten Endes sämtlich darauf hinaus : die Juden von der Anteil- 
nahme am öffentlichen Leben auszuschließen, also ihnen den Zu- 
gang zu den Staats- und Gemeindeämtern, zur Barre, zum Parla- 
mente, zum Heere, zu den Universitäten zu versperren. Das 
gilt auch für die Weststaten — Frankreich, Holland, England — 
und Amerika. Eine eingehende Darstellung des bürgerlichen 


Digitized by t^ooQle 


211 


Status der Juden vor der „Emanzipation“ erübrigt sich um so 
mehr, als ja diese Dinge im allgemeinen bekannt sind. Erinnert 
mag nur daran werden, daß ihr staatsrechtliches Halbbürgertum 
in den meisten Staaten bis tief ins 19. Jahrhundert hinein an- 
gedauert hat. Nur die Vereinigten Staaten erklärten schon 
1788 die politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unter- 
schied des Glaubens ; Frankreichs berühmtes Emanzipationsgesetz 
trägt das Datum des 27. Septembers 1791, und in Holland brachte 
den Juden die Vollbürgerfreiheit die Batavische Nationalversamm- 
lung im Jahre 1796. Aber selbst in England kämpften die Juden 
noch in den 1840 er Jahren um den Eintritt ins Parlament (der 
-erste gewählte Abgeordnete war Baron Lionel de Rothschild im 
Jahre 1847) und erst das Jahr 1859 brachte ihnen volle Gleich- 
berechtigung. In den deutschen Staaten beginnt diese doch erst 
seit 1848 und wird zu einer endgültigen und allgemeinen erst 
durch das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 8. Juli 1869; 
Österreich folgte 1867, Italien 1870 usw. 

Und daß der Buchstabe des Gesetzes noch lange nicht die 
wirkliche Gleichberechtigung brachte — bis auf den heutigen 
Tag nicht gebracht hat — , lehrt ein Blick in eine beliebige frei- 
-sinnige Zeitung, in der wir Tag für Tag die Klagen finden, daß 
wieder ein jüdischer Freiwilliger nicht Offizier bei den Zieten- 
husaren geworden ist oder wieder nicht genug Richter- oder 
Notarstellen mit Juden besetzt worden sind. 

Was diese Zurücksetzung der Juden im öffentlichen Leben 
für Wirkungen haben mußte, ist von mir schon des öfteren dar- 
gelegt worden : das Wirtschaftsleben zog zunächst insofern 

Nutzen daraus, als es die gesamte Tatkraft, die im jüdischen 
Volke aufgespeichert war, aufnehmen konnte. Wenn aus andern 
Volksschichten die besten Talente an dem Wettbewerb um die 
Macht im Staate sich beteiligten, mußten sie im Judentum not- 
gedrungen (wenn sie nicht etwa in der Beth-midrasch sich durch 
scholastische Studien aufzehrten) sich im Wirtschaftsleben be- 
tätigen. Sie mußten aber auch in diesem — je mehr es auf 
dem Gelderwerb aufgebaut wurde und je mehr der Geldbesitz 
zu einer Machtquelle wurde — das Feld erblicken, auf dem sie 
das erobern konnten, was ihnen das Gesetz auf geradem Wege 
zu erringen versagte: Ansehen und Einfluß im Staate. Wieder- 
um ist damit eine der Wurzeln bloßgelegt, aus denen die starke 

14* 


Digitized by t^ooQle 



212 


Bewertung des Geldes erwuchs, wie wir sie bei Juden an- 
getroffen haben. 

Die Ausschließung aus dem Gemeinschaftsleben mußte aber 
noch in anderer Richtung die Stellung der Juden im Wirtschafts- 
leben verbessern, sodaß sie abermals einen Vorsprung vor ihren 
christlichen Mitbewerbern erlangten. 

Sie erzeugte nämlich das, was man politische Farblosigkeit 
nennen könnte: eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem 
Staat, in dem sie lebten und noch mehr gegenüber der Regierung, 
die in diesem Staate jeweils das Heft in den Händen hatte. Dank 
dieser Gleichgültigkeit waren sie mehr denn irgend jemand sonst 
befähigt, die Träger der kapitalistischen Weltwirtschaft zu werden, 
indem sie den verschiedenen Staaten „die Kapitalkräfte der Welt- 
wirtschaft zur Verfügung stellten 11 . Nationale Konflikte wurden 
geradezu eine Hauptquelle für jüdischen Erwerb. 

Nur dank dieser politischen Farblosigkeit war es ihnen aber 
auch möglich, in Ländern wie Frankreich, die einen häufigen 
Systemwechsel erlebten, den verschiedenen Dynastien und Regie- 
rungen zu dienen: die Geschichte der Rothschilds enthält die 
Bestätigung für diese Behauptung. Die Juden halfen also, dank 
ihrer Zurücksetzung im Staate, die schließlich dem Kapitalismus 
als solchem anhaftende Indifferenz gegenüber allen nicht dem 
Erwerbsinteresse dienenden Werten zur Entwicklung zu bringen, 
wurden also auch nach dieser Seite hin Förderer und Mehrer 
des kapitalistischen Geistes. 

IV. Der Reichtum 

Wir können einstweilen zu den objektiven Bedingungen, 
unter denen die Juden ihre ökonomische Mission während der 
letzten drei oder vier Jahrhunderte erfüllt haben, und deren eigen- 
artige Gestaltung ihr Werk selbst zu einem eigenartigen machte, 
die Tatsache rechnen, daß sie immer und überall, wo sie eine 
Rolle im Wirtschaftsleben gespielt haben, über einen großen 
Geldreichtum verfügten (und wenn man die Wirkung jener eigen- 
artigen Bedingtheit ihrer Tätigkeit bis in die Gegenwart ver- 
folgen will: noch heute verfügen). Mit dieser Feststellung ist 
nichts über den Reichtum der „Juden" im allgemeinen aus- 
gesagt. Und es darf ihr also auch nicht die Tatsache entgegen- 
gehalten werden, daß es zu allen Zeiten sehr arme und wohl 


Digitized by t^ooQle 



213 


auch sehr viele arme Juden gegeben habe. Man braucht gar 
nicht lange erst nach Beweismitteln für die Richtigkeit dieser 
Behauptung zu suchen: wer einmal seinen Fuß in eine K’hilla 
des Ostens gesetzt hat, oder wer die Judenquartiere in New 
York kennt, kennt auch das Phänomen der jüdischen Armut zur 
Genüge. Was hier in Frage steht, ist vielmehr ein viel enger 
umschriebener Tatbestand: ich behaupte, daß unter den Juden, 
die seit dem 17. Jahrhundert in den europäischen Kulturstaaten 
des Westens und der Mitte so hervorragenden Anteil an der 
wirtschaftlichen Entwicklung nahmen: daß unter diesen viel 
Reichtum verbreitet war und ist; noch mehr zugespitzt : daß es 
unter ihnen stets sehr viele reiche Leute gab und daß die Juden 
allerorts reicher waren, als die sie umgebenden Christen (immer 
natürlich im großen Durchschnitt gerechnet; ein Narreneinwand 
ist es : der reichste Mann in Deutschland oder die drei reichsten 
Männer in den Vereinigten Staaten seien gerade keine Juden). 

Schwerreich muß eine große Anzahl der Flüchtlinge ge- 
wesen sein, die seit dem 16. Jahrhundert die Pyrenäen- 
halbinsel verließen. Wir vernehmen von einem „exodo de 
capitaes“, einer Auswanderung des Kapitals, die durch sie herbei- 
geführt sein soll. Wir wissen aber auch, daß sie bei ihrer Ver- 
treibung ihre zahlreichen Besitzungen verkaufen und sich in 
Wechseln auf fremde Plätze dafür bezahlen lassen 412 . 

Die Allerreichsten wandten sich wohl nach Holland. 
Wenigstens erfahren wir hier von den ersten Ansiedlern: den 
Manuel Lopez Homen, Maria Nunez, Miguel Lopez und andern, 
daß sie große Reichtümer besaßen 418 . Ob dann im 17. Jahr- 
hundert viele reiche Spagniolen noch einwanderten oder ob die 
Alteingesessenen zu immer größerem Reichtum gelangten, wird 
kaum für die Gesamtheit festzustellen sein. Es genügt auch, zu 
wissen: daß die Juden in Holland während des 17. und 18. Jahr- 
hunderts durch ihren Reichtum berühmt waren. Wir besitzen 
zwar keine Vermögensstatistik aus jener Zeit, dafür aber genug 
andere Zeugnisse, die den Reichtum der Juden erkennen lassen. 
Vor allem ihre Prachtentfaltung, die alle Reisebeschreiber nicht 
genug zu bewundern wissen; ihren Wohnluxus, der sich in den 
herrlichsten Palästen ausprägt. Wer eine Sammlung von Kupfer- 
stichen aus jener Zeit durchblättert, findet bald heraus, daß die 
glänzendsten Paläste etwa in Amsterdam oder im Haag von 


Digitized by 


Google 



214 


Juden erbaut oder von Juden bewohnt waren ; wie der Hof van 
den Baron Belmonte, der Hof van den E. Heer de Pinto, der 
Hof van den E. Heer d’Acoste und andere. (De Pinto wurde 
Ende des 17. Jahrhunderts auf 8 Millionen 11. geschätzt.) Von 
dem fürstlichen Luxus, der bei einer reichen Judenhochzeit in 
Amsterdam entfaltet wurde, gibt uns Glückei von Hameln, 
die eine Tochter nach dort verheiratete, ein lebendiges Bild in 
ihren Memoiren 414 . 

Aber auch in den andern Ländern ragten die Juden durch 
ihren Reichtum hervor. Der kluge Savary bestätigt uns das für 
das Frankreich des 17. und angehenden 18. Jahrhunderts, in- 
dem er ganz summarisch ein allgemeines Urteil folgenden Inhalts 
vermittelt: „on dit qu’un marchand est riche comme un 
Juif, quand il a k röputation d’avoir amassö de grands 
biens“ 415 . 

Und für England besitzen wir sogar ziffermäßige Angaben 
über die Vermögenslage der reichen Spagniolen bald nach ihrer 
offiziellen Zulassung. Wir erfuhren schon, daß nach England ein 
Schweif reicher Juden der Braut Karls H., Katherina von Braganza, 
folgte. Wurden 1661 erst 35 Familienhäupter in der Sephardim- 
gemeinde gezählt, so kommen allein im Jahre 1663 57 neue 
Namen hinzu. Für dieses Jahr ergeben sich aber aus den 
Büchern des Alderman Backwell folgende Halb Jahresumsätze 
reicher jüdischer Geschäftshäuser 416 . 

Jacob Aboab £ 13 085 

Samuel de Vega . . . . „ 18 309 

Duarte da Sylva . . . . „ 41441 

Francisco da Sylva . . . „ 14646 

Fernando Mendes da Costa „ 30490 
Isaac Dazevedo . . . . „ 13 605 

George & Domingo Francia „ 35 759 
Gomes Rodrigues . . . . „ 13124 

In Deutschland waren die Zentren jüdischen Lebens 
während des 17. und 18. Jahrhunderts, wie wir gesehen haben, 
Hamburg und Frankfurt a. M. Für beide Städte .können wir 
ziffermäfng genau den Vermögensstand der Juden~feststellen, und 
was wir erfahren, bestätigt unser Urteil durchaus."' 

In Hamburg waren es auch zunächst spanisch-portu- 
giesische Juden, die sich niederließen. Ihrer fanden wir schon 


Digitized by ^.ooQle 



215 


im Jahre 1619 40 Familien bei der Gründung der Hamburger 
Bank beteiligt : also mindestens in guten Vermögens Verhältnissen. 
Bald begannen die Klagen über den zunehmenden Reichtum und 
das zunehmende Ansehen der Juden: 1649 wird geklagt, sie 
begrüben ihre Toten gar prächtig und führen in Kutschen 
spazieren; eine Beschwerde des Jahres 1650 sagt: die Juden 
bauweten Häuser als palläste ; Luxusgesetze verbieten den Juden 
eine zu große Prachtentfaltung 417 u. dgl. Bis zum Ende des 
17. Jahrhunderts scheint der Reichtum auf die sephardischen 
Juden beschränkt zu sein; um diese Zeit kamen aber auch die 
Ashkenazim rasch in die Höhe: Glückei von Hameln gibt die 
sichersten Belege dafür. Sie erzählt von zahlreichen deutsch- 
jüdischen Familien, die in ihrer Kindheit noch in dürftigen Ver- 
hältnissen gelebt hätten, nun aber recht wohlhabend geworden 
seien. Ihre aus ihrer reichen Erfahrung geschöpften Beobach- 
tungen finden wir durchaus bestätigt in den vermögensstatistischen 
Angaben, die wir aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts 
besitzen 418 : 1729 besteht die Altonaer Judengemeinde aus 

297 Kontribuierten, darunter sind 145 Wohlhabende mit einem Be- 
sitze von mehr als 1500 Mark Banco ; ihr Gesamtvermögen belief 
sich auf 5434 800 Mark, also auf mehr als 37 000 Mark im Durch- 
schnitt; die Hamburger Gemeinde bestand aus 160 Kontri- 
buierten, darunter 16 mit mehr als 1000 Mark und einem Ge- 
samtvermögen von zusammen 501500 Mark. Diese Ziffern er- 
scheinen fast als zu niedrig, wenn wir damit die genauen Ver- 
mögensangaben vergleichen, die uns über die einzelnen reichen 
Juden gemacht werden. Im Jahre 1725 finden wir nämlich 
folgende vermögende Juden in Hamburg, Altona und Wands- 
beck : 


Joel Salomon .... 

. 210000 Mf. 

Seinen Schwiegersohn . 

. 50000 

» 

Elias Oppenheimer . . 

. 300000 

n 

Moses Goldschmidt . . 

. 60000 

n 

Alex Papenheim . . . 

. 60000 

n 

Elias Salomon .... 

. 200000 

» 

Philip Elias 

. 50000 

» 

Samuel Schiesser . . . 

. 60000 

» 

Berend Heyman . . . 

75 000 

n 

Samson Nathan . . . 

. 100000 

n 


Digitized by t^ooQle 



216 


Moses Hamm . . . 


75 000 Mf. 

Sam. Abrahams Wwe 


60 000 

1) 

Alexander Isaac . . 


60000 

» 

Meyer Berend . . . 


400000 

» 

Salomon Berens . . 


1600000 

ff 

Isaac Hertz .... 


150000 

» 

Mangelus Heymann . 


200000 

ff 

Nathan Bendix . . . 


100000 

» 

Philip Mangelus . . 


100000 

ff 

Jac. Philip .... 


50000 

n 

Abrah. Oppenheimers Wwe 
Zacharias Daniels Wwe und 

60000 

ff 

Tochter Wwe . . 


150000 

n 

Sim. del Banco . . 


150000 

ff 

Marz Casten . . . 


200000 

» 

Carsten Marx . . . 


60000 

» 

Abrah. Lazarus . . . 


150000 

ff 

Berend Salomon . . 


600000 Rthlr. 

Meyer Berens . . . 


400000 

» 

Abr. von Halle . . 


150000 

» 

Abr. Nathan . . . 


150000 

71 


Besaßen doch diese 31 oder 32 Personen schon zusammen 
mehr als 6 Millionen Mf. Auf jeden Fall wird an der Existenz 
reicher und sehr reicher Juden in Hamburg seit dem 17. Jahr- 
hundert nicht gezweifelt werden dürfen. 

Dasselbe Bild, vielleicht noch glänzender in den Farben, 
bieten uns die Fr an kfurter Juden dar. Ihr Reichtum beginnt 
sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu entwickeln und steigt 
von da an rasch in die Höhe. 

Im Jahre 1593 finden wir in Frankfurt a. M. erst vier Juden 
(neben 54 Christen = 7,4 °/o), die ein Vermögen von mehr als 
15 000 fl. versteuern; bis 1607 sind es schon 16 (neben 90 Christen 
= 17,7 °/o) 419 . Im Jahre 1618 mußte der ärmste Jude ein Bar- 
vermögen von 1000 fl., der ärmste Christ von 50 fl. versteuern; 
in diesem Jahre bringen die Juden 3627,85 fl. an Schatzung auf, 
während die Gesamteinnahme der Stadt nur 20 872,225 fl. betrug. 
Etwa 300 jüdische Haushaltungen zahlen an Soldatenquartier und 
Schanzengeldem in den Jahren 1634 — 1650 100 900 fl.; z. B. im 
Jahre 1634 14400 fl.; 1635 14800 fl.; 1636 11200 fl. usw. 4ao . 


Digitized by t^ooQle 


217 


Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist dann die Zahl der 
jüdischen Steuerzahler in Frankfurt a. M. auf 758 gestiegen, die 
zusammen mindestens 6 Mill. fl. besahen. Davon entfällt mehr 
als die Hälfte auf die 12 reichsten Familien, nämlich folgende 491 : 


Speyer 

604000 fl. 

Reifi-Ellissen .... 

299916 

n 

Haas, Kann, Stern . . 

256500 

9 

Schuster, Getz, Amschel 

258075 

9 

Goldschmidt .... 

235 000 

9 

May 

211000 

9 

Oppenheimer .... 

171 500 

9 

Wertheimer .... 

188600 

9 

Flörsheim 

166666 

9 

Rindskopf 

115 600 

9 

Rothschild 

109875 

9 

Sichel 

107000 

9 


Und selbst die Berliner Juden des frühen 18. Jahrhunderts 
sind keine armen Schnorrer mehr. Von den 120 jüdischen 
Familien, die es 1787 in Berlin gab, hatten nur 10 weniger als 
1000 Taler im Vermögen, alle übrigen 2000 bis 20 000 Taler 
und mehr 499 . 

Diese eigentümliche und interessante Tatsache, daß die Juden 
immer die reichsten Leute waren, hat sich durch die Jahrhunderte 
unverändert erhalten und besteht noch heute so wie vor zwei 
und dreihundert Jahren. Nur daß sie vielleicht heute noch viel 
ausgeprägter und allgemeiner ist als in früheren Zeiten. An- 
gesichts der überragenden Wichtigkeit, die sie als Symptom 
sowohl der Eigenart unserer wirtschaftlichen Zustände wie als 
Erklärung dieser Eigenart besitzt, will ich hier in größerer Aus- 
führlichkeit die Ergebnisse einiger Berechnungen mitteilen, die 
ich auf Grund zuverlässiger Quellen habe anstellen lassen über 
das Verhältnis des Einkommens jüdischer zu dem christlicher 
Steuerzahler in dem Deutschland unserer Tage. Sie lassen 
die ganz ungeheuer große Überlegenheit der jüdischen Bevölkerung 
über die nichtjüdische im Vermögensstande mit aller nur wünsch- 
baren Deutlichkeit erkennen und können an Bedeutung nicht 
leicht durch andere Ziffern der Statistik überboten werden. Es 
wird oft die Behauptung: die Juden seien viel reicher als die 
Christen, durch den Einwand zu widerlegen versucht : man lasse 


Digitized by 


Google 



218 


sich durch einzelne reiche Juden täuschen ; die große Masse der 
Juden sei gar nicht reicher als die übrige Bevölkerung. Nun — 
aus den folgenden Ziffern geht hervor, daß dieser Einwand nicht 
berechtigt ist: sie zeigen, daß die Juden im ganzen um ein 
mehrfaches, in zahlreichen Orten um ein vielfaches reicher sind 
als ihre Umgebung. Man betrachte die Ziffern für Berlin und 
Mannheim I Sie weisen den sechs- bis siebenfachen Reichtum 
der gesamten jüdischen Bevölkerung im Vergleich mit den Christen 
nach. Besonders lehrreich sind auch die Ziffern für die ober- 
schlesischen Städte oder für die Stadt Posen, wo die Juden etwa 
sechsmal so reich wie die übrige Bevölkerung sind : lehrreich, weil 
es sich hier um sogenannte „arme" Judenschaften handelt. (Daß 
übrigens auch in Rußland und Galizien, obwohl dort sehr arme 
Judengemeinden leben, diese immer noch um ein vielfaches 
reicher als die sie umgebende christliche Bevölkerung sind, darf 
nach den wenigen, freilich sehr unzulänglichen, Statistiken eben- 
falls nicht in Zweifel gezogen werden.) 

Was die Ziffern der folgenden Tabellen anbelangt, so sind 
die Bevölkerungszahlen der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 ent- 
nommen. 

Für das Großherzogtum Baden sind des Vergleiches mit den folgenden 
Zahlen wegen wiedergegeben die Zahlen für die Amtsbezirke mit über 
30000 Einwohnern (außer den Amtsbezirken Waldshut, Heidelberg, Sins- 
heim, Mosbach, da sich für diese Amtsbezirke nicht die späteren ent- 
sprechenden Zahlen ermitteln ließen). 

Die allgemeinen Steuerbeträge sind für die preußischen Städte der 
Statistik des kgl. preuß. Finanzministeriums, die Voranschläge der all- 
gemeinen Kirchensteuern in Baden für 1908 dem Statistischen Jahrbuch 
entnommen. Sie sind für Steuerkommissärbezirke wiedergegeben; es 
wurden daher den Amtsbezirken die Zahlen für die entsprechenden Steuer- 
kommissärbezirke gegenübergestellt bzw. erst berechnet. 

Wie aber sollte man den von den Juden aufgebrachten Steuerbetrag 
ermitteln ? Die allgemeinen Steuerstatistiken sondern ihn nicht aus. Da bot 
sich als eine wertvolle Quelle das „Handbuch der jüdischen Ge- 
rn ei ndeverwaltung“, dessen Jahrgang für 1907 ich benutzt habe, um 
die Ziffern denen der Volkszählung von 1905 möglichst anzunähem. In 
diesem wird für jede Kultusgemeinde der von ihr erhobene Steuerbetrag 
angegeben: von vielen Gemeinden in einer absoluten Ziffer mit dem Ver- 
merke, wieviel Prozent diese Summe von dem Einkommen oder der Staats- 
einkommensteuer ausmacht In diesem letzten Falle konnte die von den 
Juden bezahlte Einkommensteuer ermittelt und nun der von der Gesamt- 
bevölkerung des Bezirks aufgebrachten Steuer gegenübergestellt werden. 
Die Ergebnisse dieser Berechnungen enthalten die Tabellen I und II für 


Digitized by t^ooQle 


219 


alle diejenigen Städte bzw. Bezirke, für die vergleichbare Ziffern zu er- 
langen waren. 

ln denjenigen Fällen, wo die Kultussteuern der jüdischen Gemeinden 
in Prozenten des Einkommens angegeben waren, mußte das Gesamt- 
einkommen aller Einwohner gegenübergestellt werden. Das war möglich 
für Breslau und Frankfurt a. M. (Tab. III). 

Was insbesondere noch die Zahlen für die Stadt Berlin be- 
trifft, so sind sie auf eine besondere Weise ermittelt bzw. zusammen- 
gestellt Sie sind dem Berliner Statistischen Amt von dem Beamten der 
evangelischen Stadtsynode berichtet worden; dieser hat, laut persönlicher 
Mitteilung, nach Einsicht in die Steuerlisten der katholischen, jüdischen usw. 
Bevölkerung für die einzelnen Konfessionen die entsprechenden Angaben 
zusammengestellt. Die Zahlen beziehen sich jedoch, was aus dem Berliner 

Tabelle I 


Stadt 

Einwohner 

Zahl d< 

darunter 

Juden 

sr 

Prozentueller 
Anteil der 
Juden an der 
Gesamt- 
einwohner- 
zahl 

Summe c 
▼on 

sämtlichen 

Ein- 

wohnern 

ler aufgebrac 

▼on den 
Juden 

hten Steuern 

Prozentueller 
Anteil der tob 
den Juden 
aufgebrachten 
Steuern am 
Gesamt- 
steuerertrag 

Aachen .... 

144095 

1665 

1,16 

1672 641 

130 357,14 

7,79 

Barmen. . . . 

156 080 

584 

0,87 

1502 489 

26333,33 

1,75 

Berlin .... 

2484285 

125 728 

5,06 

34 182231 

10 517 535,— 

80,77 

Beuthen . . . 

60 076 

2 425 

4,04 

327 402 

88 086,42 

26,90 

Bielefeld . . . 

71796 

838 

1,16 

622 985 

44 873,24 

7,20 

Bochum. . . . 

118464 

1043 

0,88 

760 951 

40000,— 

5,26 

Bonn 

81 996 

1202 

1,47 

1480 565 

53802,40 

8,76 

Brandenburg . 

51 289 

273 

0,58 

353 394 

8 125,— 

2,80 

Bromberg. . . 

54281 

1513 

2,79 

455 059 

62 500 — 

18,78 

Crefeld .... 

110344 

1884 

1,66 

1 121 652 

73 638,50 

6,57 

Dortmund. . . 

175 577 

2104 

1,20 

1503 532 

78471,67 

5,22 

Düsseldorf . . 

258 274 

2 877 

1,14 

3546139 

125 723,08 

8,55 

Duisburg . . . 
Elberfeld . . . 

192 846 

1035 

0,54 

1503379 

81 111,— 

2,07 

162 858 

1754 

1,08 

1841053 

70000 — 

8,80 

Essen 

231860 

2 411 

1,04 

2 250 853 

104 888,89 

4,66 

Frankfurt a. 0. 

64304 

755 

1,17 

440289 

30224,- 

6,86 

Gelsenkirchen. 

147 005 

1171 

0,80 

735 067 

22 000,- 

2,99 

Gleiwitz . . . 

61 826 

1962 

8,20 

288256 

68 894,31 

28,90 

Kiel 

168 7721 

470 

0,29 

1428488 

11 272,73 

0,79 

Koblenz . . . 

53 897 

638 j 

1,18 

623 019 

2 692,31 

0,48 

Königshütte . 
Magdeburg . . 
Mülheim a. Bh. 

66 042i 

990 

1,50 

172 165 

25 000,— 

14,52 

240 688 

1935 

0,80 

2 581 680 

102 500,- 

8,58 

50 811 

263 

0,52 

349 034 

7 666,67 

2,20 

Mülheim a. d. B. 
München-Glad- 

93 599 

747 

0,80 

687 254 

18533,33 

2,70 

bach .... 

60 709 

784 

1,29 

579441 

40000 — 

6,90 

Münster . . . 

81468 

510 

0,68 

878 328 

23 000,— 

2,68 

Oberhausen . . 

52166 

380 

0,68 

292 768 

4571,43 

1,56 

Osnabrück . . 

59 580 

474 

0,80 

420 051 

11 428,57 

2,72 

Posen .... 

186 808 

5 761 

4,21 

1 017 173 

244521,— 

24,02 

Wiesbaden . . 

100958 

2651 

2,68 

2487 644 

200 000,— 

8,20 


Digitized by t^ooQle 





220 


Tabelle n 


Amtsbezirke mit 
über 

30 000 Einwohnern 

Bevölk 
im ganzen 

erung (1. D 

darunter 

Juden 

•ez. 1905) 

Juden in Pro- 
zenten der 
Gesamt- 
berOlkerung 

V ermOgen b« teuer- 
en söhlige für An- 
gehörige der drei 
Konfessionen, 
aufgestellt zum 
Zwecke der 
Kirchensteuer 
(1908) 

Konstanz 

59 912 

1178 

1,97 

190465 900 

Villingen 

30263 

61 

0,20 

62 568 600 

Emmendingen .... 

52 393 

642 

tm 

122 239 100 

Freiburg 

104951 

1124 

1,07 

615 656600 

Lörrach 

46420 

287 

0,62 

114 386 600 

Lahr 

43445 

373 

0,86 

123 282 000 

Offenburg 

62 826 

461 

0,78 

146046 700 

Rastatt 

65 996 

411 

0,62 

104087 800 

Bruchsal 

68196 

1088 

1,60 

120 169 500 

Durlach 

43274 

471 1 

1,09 

67 422 900 

Karlsruhe 

151222 

2 891 

1,91 

648 721 500 

Pforzheim 

94161 

664 

0,71 

316 369 900 

Mannheim 

195 723 

6273 

3,21 

880 576 800 

Schwetzingen .... 

35 674 

235 

0,66 

48702200 

Baden 

32 858 

228 

0,68 

229 542 100 

Bühl 

32 227 

212 

0,66 

73 619300 

Großherzogtum Baden 

2 010 728 

25 893 

1,29 

6 091 568350 


Tabelle ffl 


Stadt 

Gesamt- 

bevOlke- 

rung 

Zahl der 
Juden 

Anteil der 
Juden an 
der 

Gesamt- 

berölke- 

rung 

Gesamtein- 

kommen 

aUer 

Steuer- 

zahler 

Ein- 

kommen 

der 

Juden 

Anteil des 
Einkom- 
mens der 
Juden am 
Gesamtein- 
kommen 

Breslau . . . 
Frankfurt a.M. 

470 904 
334978 

20 356 
23476 

4,8 °/o 
7,0% 

213 635 475 43 347 482 
461 lUöOO'üeOOOOOOj 

20,8 °/o 
20,8% 


Jahrbuch nicht ersichtlich ist und auch dem Amte nicht bekannt war, 
auf Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Teile von Wilmersdorf. Um den 
Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung zu berechnen, war daher die Gesamt- 
bevölkerung dieses kleinen Großberlins zugrunde zu legen (Wilmersdorf ganz). 

Sämtliche Berechnungen hat in meinem Aufträge Herr Dr. Rudolf 
Meerwarth ausgeführt. 

Fragen wir nun wieder nach der Bedeutung, die solcherart 
hervorragender Geldbesitz für das ökonomische Schicksal der 
Juden haben mußte, so ist diese offensichtlich ganz allgemeiner 
Natur wie gleich des näheren darzulegen sein wird. 

Es muß aber auch der besonderen Bedeutung Erwähnung 


Digitized by t^ooQle 









221 


Tabelle II 


Vermögens- 
steueransehl&ge 
der Juden 

Prozente der 
Vermögens- 
steuer der Juden 
▼on der Gesamt* 
Vermögens- 
steuer 

Einkommen- 
steuer&nsohlftge 
für Angehörige 
der drei Kon- 
fessionen, auf- 
gestel t zum 
Zwecke der 
Kirohensteuer 
(1908) 

Binkommen- 
steueranschlkge 
der Juden 

Prozente der Ein- 
kommensteuer 
der Juden von 
der Gesamt- 
einkommen- 
Steuer 

17 916 700 

9,41 

12 022370 

999875 

8,32 

352 500 

0,56 

3462 385 

30 575 

0,88 

3 987 500 

8,26 

6149025 

235 400 

8,88 

32 246 200 

5,24 

31 776 190 

1549 925 

4,88 

1523 300 

1,88 

6975 295 

105 775 

1,62 

2 062 500 

1,67 

6125 375 

130900 

2,14 

3 344 700 

2,29 

8519845 

270 450 

847 

3254 000 

8,18 

6 979 410 

225 100 

8,28 

21 097 300 

17,66 

7 552 155 

1294700 

17,14 

3 891500 

5,77 

4956610 

186 800 

8,77 

75675 300 

11,67 

48 908525 

5413900 

11,07 

16 535 100 

5,28 

30088870 

1670435 

5,55 

252 393 000 

28,66 

77 667 915 

17 377 975 

22,87 

3384100 

6,95 

4115 375 

112 450 

2,78 

7 596 900 

8,40 

10409 020 

400 725 

8,85 

2 951 300 

4,01 

3 101 070 

168 050 

5,42 

512 800 650 

8,42 

379078795 

! 34 328370 

9,06 


geschehen, die das Judengeld für jeweils diejenigen Staaten hatte, 
die den Strom der Wandernden in sich aufnahm en. Für die 
Gesamtentwicklung des Kapitalismus (der wir hier ja allein unser 
Augenmerk schenken) kommt diese Sonderbedeutung insofern in 
Betracht, als diejenigen Völker, die von den Juden gefördert wurden, 
selbst wieder in so hervorragender Weise geeignet waren, die 
kapitalistische Entwicklung zu fördern. Darum müssen wir die 
Tatsache als wichtig verzeichnen, daß durch die Wanderung der 
reichen Juden sich eine Verschiebung des Edelmetallvorrats (wie 
sie dann allmählich infolge der Neugestaltung der Handelsbezieh- 
ungen sich einstellte) plötzlich vollzog, die auf den Gang des 
Wirtschaftslebens nicht ohne tiefgreifende Wirkung beiben konnte : 
Spanien und Portugal wurden leer gepumpt; Holland und Eng- 
land angefüllt. 

Und es läßt sich nun ziemlich deutlich verfolgen, wie es 
zum guten Teile das Geld der Juden ist, mit dem die groben 
kapitalheischenden Unternehmungen des 17. Jahrhunderts ins 
Leben gerufen werden. 


Digitized by t^ooQle 



222 


Wie die Expedition des Columbus nicht möglich gewesen 
wäre, hätten die reichen Juden ein Menschenalter früher Spanien 
verlassen, so würden voraussichtlich die groben Indienkompagnien 
ebenso wenig wie die groben Banken, die im 17. Jahrhundert 
entstehen, in gleicher Mächtigkeit lebig geworden sein, wäre 
nicht der beträchtliche Reichtum der flüchtigen Juden den Hol- 
ländern, Engländern, Hamburgern zu Hilfe gekommen, wären 
also die Juden ein Jahrhundert später aus Spanien und Portugal 
vertrieben worden. 

Damit sind wir aber schon mitten in der allgemeinen Be- 
wertung des jüdischen Reichtums, der natürlich darum so be- 
deutsam war, weil er die Inangriffnahme aller kapitalistischen 
Werke, wenn nicht überhaupt ermöglichte, so wesentlich er- 
leichterte : Bankgründungen , Verlegertätigkeit, Börsenspekula- 
tion — all dieses wurde den Juden leichter als den andern in 
dem Mabe als ihre Taschen reicher gefüllt waren. Was ja Selbst- 
verständlichkeiten sind. 

Auch dab ihr Reichtum sie befähigte, die Bankiers der 
Könige zu werden, ist eine Feststellung, die nicht allzuviel Auf- 
wand an Scharfsinn erheischt. 

Dagegen verdient ein anderer Umstand, der ebenfalls mit 
dem Geldbesitz der Juden im Zusammenhänge steht, etwas heller 
beleuchtet zu werden. Ich meine den ausgiebigen Gebrauch, 
den die Juden von ihrem Gelde zu Leihezwecken machten. 
Diese besondere Verwendungsart nämlich (an deren allgemeiner 
Verbreitung nicht gezweifelt werden kann) ist offenbar eine der 
wichtigsten Vorbereitungen für den Kapitalismus selbst geworden. 
Wenn die Juden in jeder Hinsicht sich als geeignet erweisen, 
die kapitalistische Entwicklung zu fördern, so verdanken sie das 
ganz gewib nicht zuletzt ihrer Eigenschaft als Geldleiher (im 
Groben wie im Kleinen). 

Denn: 

aus der Geldleihe ist der Kapitalismus geboren. 

Seine Grundidee ist schon in der Geldleihe im Keime enthalten ; 
seine wichtigsten Merkmale hat er aus der Geldleihe empfangen. 

In der Geldleihe ist alle Qualität ausgelöscht und der 
wirtschaftliche Vorgang erscheint nur noch quantitativ be- 
stimmt. 


Digitized by 


Google 



223 


In der Geldleihe ist das Vertragsmäßige des Geschäfts das 
Wesentliche geworden: die Verhandlung über Leistung und 
Gegenleistung, das Versprechen für die Zukunft, die Idee der 
Lieferung bilden seinen Inhalt. 

In der Geldleihe ist alles Nahrungsmäßige verschwunden. 

In der Geldleihe ist alle Körperlichkeit (alles „Technische“) 
ausgemerzt: die wirtschaftliche Tat ist rein geistiger Natur 
geworden. 

In der Geldleihe hat die wirtschaftliche Tätigkeit als solche 
allen Sinn verloren: die Beschäftigung mit Geldausleihen hat 
aufgehört, eine sinnvolle Betätigung des Körpers wie des Geistes 
zu sein. Damit ist ihr Wert aus ihr selbst in ihren Erfolg ver- 
rückt. Der Erfolg allein hat noch Sinn. 

In der Geldleihe tritt zum ersten Male ganz deutlich die 
Möglichkeit hervor, auch ohne eigenen Schweiß durch eine wirt- 
schaftliche Handlung Geld zu verdienen ; ganz deutlich erscheint 
die Möglichkeit: auch ohne Gewaltakt fremde Leute für sich 
arbeiten zu lassen. 

Man sieht : in der Tat sind alle diese eigentümlichen Merk- 
male der Geldleihe auch die eigentümlichen Merkmale aller 
kapitalistischen Wirtschaftsorganisation. 

Dazu kommt nun noch, daß ein recht beträchtlicher Teil 
des modernen Kapitalismus historisch aus der Geldleihe (dem 
Vorschuß, dem Darlehn) erwachsen ist. Überall nämlich dort, 
wo wir die Form des Verlags als die Urform der kapitalistischen 
Unternehmung finden. Aber auch dort, wo diese aus Kommenda- 
verhältnissen erwachsen ist. Und schließlich doch auch dort, 
wo sie in irgend welcher Aktienform, zuerst aufgetreten ist. 
Denn in höchstprinzipieller Konstruktion ist doch die Aktien- 
gesellschaft nichts anderes als ein Geldleihegeschäft mit un- 
mittelbar produktivem Inhalt. 

So haben wir denn in der Ausübung des Geldleihegeschäfts 
abermals einen Umstand aufgedeckt, der die Juden objektiv be- 
fähigte, kapitalistisches Wesen zu schaffen, zu fördern, zu ver- 
breiten. Aber die letzten Ausführungen haben uns doch schon 
einen Schritt weiter gebracht: über das Gebiet der rein ob- 
jektivistischen Deutung hinaus. Stecken in der Qualifikation zum 
Kapitalismus, die das Geldleihegeschäft erzeugt, nicht schon 


Digitized by 


Google 



224 


psychologische Elemente, die also auf eine bestimmte Eigenart 
des Geldleihers schließen lassen? 

Diese Frage müssen wir erweitern zu der allgemeinen Frage : 
ob die hier dargelegten „objektiven“ Umstände überhaupt hin- 
reichen, die wirtschaftliche Rolle der Juden zu erklären ; ob also 
überhaupt die rein objektivistische Deutung ihrer Wirksamkeit 
sich als ausreichende Begründung erweist, oder ob nicht etwa 
diese „Begründung“ so etwas wie eine jüdische Eigenart als 
Glied in der Kausalkette notwendig macht. Ehe wir aber 
dieser Frage (im zwölften Kapitel) nähertreten, muß sich unsere 
Aufmerksamkeit einem Phänomen von ganz besonderer Eigenart 
zuwenden, aus Gründen, die im Ein g an g zum folgenden Kapitel 
dargelegt werden: der Religion der Juden. 


Digitized by t^ooQle 



225 


Elftes Kapitel 

Die Bedeutung der jüdischen Religion für das Wirtschaftsleben 

Vorbemerkung 

Warn ich hier in einem besonderen Kapitel die Religion 
des jüdischen Volkes in Betracht ziehe und den Nachweis zu 
führen versuche, daß sie eine überragend große Bedeutung für 
die Leistungen der Juden bei der Herausbildung des Kapitalismus 
gehabt habe, so bestimmt mich dazu erstens die Erwägung, daß 
die Wichtigkeit dieses Erklärungsmomentes neben den andern 
„objektiven“ Umständen in der Tat nur dann zu einer richtigen 
Anerkennung gelangt, wenn man in verhältnismäßig großer Aus- 
führlichkeit und in eigenem Rahmen diese Seite des Juden- 
problems abhandelt. 

Sodann aber erscheint mir eine gesonderte Erörterung des 
Religionsproblems durch die ganz und gar besondere Methode 
erheischt, die bei seiner Darstellung angewandt werden muß« 

Endlich spricht für diese Gruppierung des Stoffes der Umstand, 
daß die Einwirkung der Religion auf das wirtschaftliche Ver- 
halten der Gläubigen schon gar nicht mehr nur unter der 
Kategorie der rein objektiven Verumständungen begriffen werden 
kann, sintemal die Religion selber ja schon deutlich als der 
Ausdruck einer besonderen Geistesrichtung, also einer subjektiven 
Eigenart, erscheint (wie freilich hier noch nicht des näheren aus- 
zuführen ist). Anderseits tritt das Religionssystem, in das der 
einzelne hineingeboren wird, diesem doch als ein fest gegebenes 
„Objektives“ gegenüber. Und was die Ausübung religiöser 
Pflichten etwa an Wirkungen auf das wirtschaftliche Voll- 
bringen im Gefolge hat, kann in gewissem Sinne ebenso zu 
den objektiven Ursachen gerechnet werden, wie die Wirkungen, 

Sombart, Die Juden 15 


Digitized by t^ooQle 



226 


die aus einer bestimmten Rechtslage folgen. Schließlich aber 
erscheint das Religionssystem in häufigen Fällen selbst als Ur- 
sache, sei es bestimmter äußerer Schicksalsfügungen des jüdischen 
Volkes (eben der von uns hervorgehobenen „objektiven Um- 
stände“), sei es bestimmter Eigenarten des jüdischen Wesens. 
Die Religion steht also gleichsam zwischen den objektiven und 
(etwaigen I) subjektiven Befähigungsgründen mitteninne und ver- 
dient auch deshalb einen besonderen Platz in der Ordnung dieses 
Buches, den ich ihr in diesem Kapitel hiermit anweise. 

I. Die Wichtigkeit der Religion für das jüdische Volk 

Daß die Religion eines Volkes oder einer Gruppe innerhalb 
des Volkes von großer Bedeutung für die Gestaltung des Wirt- 
schaftslebens werden kann, dürfen wir als zweifellos annehmen. 
Noch unlängst hat uns Max Weber den Zusammenhang auf- 
gedeckt, der zwischen Puritanismus und Kapitalismus besteht. 
Und gerade Max Webers Untersuchungen haben ein gut Teil 
Schuld an der Entstehung dieses Buches : sie mußten jeden auf- 
merksamen Beobachter vor das Problem stellen, ob denn nicht 
etwa das, was Weber dem Puritanismus zuschreibt, schon lange 
vorher und später in erhöhtem Maße von dem Judaismus ge. 
leistet sei; ja: ob denn das, was wir Puritanismus nennen, in 
seinen Wesenszügen nicht eigentlich Judaismus sei. Wir werden 
über diese innere Verwandtschaft der beiden Religionen noch 
mehr im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen zu erfahren 
haben. 

Haben aber andere Religionssysteme, wie der Puritanismus, 
Einfluß auf die Gestaltung des Wirtschaftslebens ausgeübt, so 
dürfen wir ohne weiteres annehmen, daß es der Judaismus auch 
getan habe, weil ja wohl bei keinem andern Kulturvolke die 
Religion eine so große Bedeutung gehabt hat wie bei den Juden. 

Die Religion war ja bei ihnen nicht nur eine Angelegenheit 
der Sonntage und der Feste, sondern sie durchdrang das Alltags- 
leben bis in die kleinsten Verrichtungen hinein. Alle Lebens- 
verhältnisse erhielten ihre religiöse Weihe. Bei jedem Tim und 
Lassen wurde — wie man weiß und wie wir im einzelnen noch 
erfahren werden — die Erwägung angestellt: ob die göttliche 
Majestät damit anerkannt oder verleugnet werde. Nicht nur die 


Digitized by 


Google 



227 


Beziehungen zwischen Mensch und Gott regelt das jüdische 
„Gesetz“, nicht nur einem metaphysischen Bedürfnisse kommen 
die Sätze der Religion entgegen : auch für alle andern denkbaren 
Beziehungen zwischen Mensch und Mensch oder zwischen Mensch 
und Natur enthalten die Religionsbücher die bindende Norm. 
Das jüdische Recht bildet ebenso einen Bestandteil des Religions- 
systems wie die jüdische Sittenlehre. Das Recht ist von Gott 
gesetzt und sittlich gut und Gott gefällig; sittliches Gesetz und 
göttliche Verordnung sind für das Judentum völlig untrennbare 
Begriffe 428 . In konsequenter Auffassung gibt es sogar gar keine 
selbständige „Ethik des Judentums“. „Die jüdische Sittenlehre 
bildet den inneren Quell, genauer das sachliche Prinzip der 
jüdischen Glaubenslehre. Die jüdische Ethik ist das Prinzip der 
jüdischen Religion. Sie ist das Prinzip und nicht die Kon- 
sequenz. Sie kann aus der jüdischen Religion nur in dem Sinne 
abgeleitet werden, wie man die Axiome aus dem Lehrgehalt der 
mathematischen Sätze ableitet ... Es besteht eine imabtrenn- 
bare, unauflösliche Einheit zwischen der jüdischen Sittenlehre 
und der jüdischen Gotteslehre . . . Die jüdische Sittenlehre ist 
nichts anderes als die jüdische Glaubenslehre.“ 424 

Bei keinem Volke ist aber auch so gut wie bei den Juden 
Vorsorge getroffen, daß der Geringste die Vorschriften der 
Religion auch wirklich kennt. Schon Josephus meinte: bei den 
Juden könne man den ersten besten über die Gesetze befragen : 
er werde sämtliche Bestimmungen leichter hersagen als seinen 
eigenen Namen. Der Grund liegt in der systematischen Aus- 
bildung, die jedes Judenkind in Religionssachen erfährt; liegt 
in der Einrichtung, daß der Gottesdienst selber zu einem guten 
Teile dazu benutzt wird, Stellen aus den heiligen Schriften vor- 
zulesen und zu erläutern, so zwar, daß während des Jahres 
einmal die ganze Thora zur Verlesung kommt; liegt darin, daß 
nichts so sehr dem einzelnen eingeschärft wird als die Ver- 
pflichtung zum Thorastudium und Schemalesen. „In der heiligen 
Schrift (Deut. 6, 5) heißt es mit Bezug auf die Gebote und Vor- 
schriften Gottes: ,Du sollst davon reden, wenn du zu Hause 
sitzest, wenn du auf Reisen bist, wenn du dich niederlegst und 
wenn du aufstehst*“. 426 

Aber kein zweites Volk ist wohl auch so streng in den 
Bahnen gewandelt, die Gott ihm gewiesen, hat die Vor- 

15* 


Digitized by 


Google 



228 


Schriften der Religion so peinlich zu befolgen sich bemüht wie 
die Juden. 

Man hat gesagt, die Juden seien das „unfrömmste“ aller 
Völker. Ich will hier nicht entscheiden, mit welchem Rechte 
man das von ihnen behauptet. Sicherlich aber sind sie gleich- 
zeitig das „ gottesfürchtigste “ Volk, das jemals auf Erden ge- 
wandelt ist. In zitternder Angst haben sie immer gelebt, in 
zitternder Angst vor Gottes Zorn. „Ich fürchte mich vor Dir, 
daß mir die Haut schaudert und entsetze mich vor Deinen Ge- 
richten.“ Diese Worte des Psalmisten (119, 120) haben zu allen 
Zeiten für das jüdische Volk ihre Gültigkeit bewahrt „Heil 
dem Menschen, dem allezeit bange ist“ (vor Gott), Prov. 28, 14. 
„Die Frommen“, sagt Tanchuma Chukkat 24, „legen die Furcht 
nicht ab.“ 4M Welch ein Gott aber auch, was für ein schreck- 
haftes, grauenerregendes Wesen, das so fluchen kann, wie Jahve! 
Es ist wohl niemals wieder in der Weltliteratur, weder vorher 
noch nachher, so viel Übles Menschen angedroht worden, wie in 
dem berühmten 28. Kapitel des Deuteronomiums Jahve dem an 
den Hals wünscht, der seine Gebote nicht befolgt. 

Dieser starken Macht: der Gottesfurcht (im engen Wort- 
sinn) sind dann aber im Lauf der Geschichte noch andere Mächte 
zu Hilfe gekommen, die in gleicher Weise wie jene den Juden 
die peinliche Befolgung der religiösen Vorschriften förmlich auf- 
gedrängt haben. Ich meine vor allem ihr Schicksal als Volk 
oder Nation. Daß der jüdische Staat zerstört wurde, hat es be- 
wirkt, daß die Pharisäer und Schriftgelehrten, das heißt die- 
jenigen Elemente, die die Tradition Esras pflegten und die Ge- 
setzeserfüllung zum Kernwert machen wollten, daß diese Männer, 
die bis dahin höchstens moralisch geherrscht hatten, nunmehr 
an die Spitze der gesamten Judenschaft gehoben und also in die 
Lage versetzt wurden , diese ganz und gar in ihre Bahnen zu 
lenken. Die Juden, die aufgehört hatten, einen Staat zu bilden, 
deren nationale Heiligtümer zerstört waren, sammeln sich nun 
unter der Führung der Pharisäer um die Thora (dieses „portative 
Vaterland“ wie es Heine genannt hat); werden eine religiöse 
Sekte, die von einer Schar von frommen Schriftgelehrten gelenkt 
wird (etwa als wenn die Jünger Loyolas die versprengten 
Angehörigen eines modernen Staates um sich scharen würden). 
Die Pharisäer treten die Erbschaft der gestürzten Machthaber 


Digitized by ^.ooQle 



229 


an. Ihre vornehmsten Babbinen bilden ein Kollegium, das als 
Fortsetzung des alten Synedriums sich betrachtete und galt, und 
das nunmehr die oberste Instanz in allen geistlichen und welt- 
lichen Angelegenheiten für alle Juden auf der Erde wurde 4iT . 
Damit war also die Herrschaft der Rabbinen begründet, die dann 
nur durch die Schicksale, die die Juden wahrend des Mittel- 
alters erlitten, immer mehr befestigt wurde, und die so drückend 
wurde, daß sich die Juden selbst zuweilen über das schwere 
Joch beklagten, das ihnen ihre Rabbinen auflegten. Je mehr 
die Juden von den Wirtsvölkem abgeschlossen wurden (oder 
sich abschlossen), desto größer natürlich wurde der Einfluß der 
Rabbinen ; desto leichter also konnten diese die Judenschaft zur 
Gesetzestreue zwingen. Das Leben in der Gesetzeserfüllung, 
zu dem ihre Rabbinen sie anhielten, mußte aber den Juden auch 
aus inneren Gründen, aus Herzensgründen, als das wertvollste 
Leben erscheinen: weil es das einzige war, das ihnen inmitten 
der Verfolgungen und Demütigungen, denen sie von allen Seiten 
ausgesetzt waren, ihre Menschenwürde und damit überhaupt eine 
Daseinsmöglichkeit gewährte. Die längste Zeit war das Religions- 
system im Talmud eingeschlossen, und dieser ist es darum auch, 
in dem, für den, durch den die Judenschaft Jahrhunderte hin- 
durch allein gelebt hat. Der Talmud wurde „das Grundbesitztum 
des jüdischen Volkes, sein Lebensodem, seine. Seele“. Er wurde 
vielen Geschlechtern eine „Familiengeschichte“, in der sie sich 
heimisch fühlten, denn „sie lebten und webten, der Denker in 
dem Gedankenstoffe , der Gemütvolle in den verklärten Ideal- 
bildern. Die äußere Welt, die Natur und die Menschen, die 
Gewaltigen und die Ereignisse waren für die Generationen über 
ein Jahrtausend unwichtig, zufällig, ein bloßes Phantom, die 
wahre Wirklichkeit war der Talmud“ 428 . Man hat treffend den 
Talmud (von dem mir in besonders hohem Maße gilt, was doch 
von den jeweils herrschenden Religionsbüchem im allgemeinen zu 
sagen ist) mit einer Kruste verglichen, mit der sich die Juden 
während des Exils umgaben : sie machte sie gegen jeden äußeren 
Reiz unempfindlich und schützte ihre innere Lebenskraft 429 . 

Was uns hier einstweilen zu erfahren am Herzen liegt, ist 
dieses: daß eine Reihe von äußeren Umständen dazu verhelfen, 
die Juden bis in die neue Zeit hinein mehr als irgendein anderes 
Volk in der Furcht des Herrn zu bewahren, sie religiös bis in 


Digitized by 


Google 



230 


die Knochen zu machen ; oder wenn man an dem Worte religiös 
Anstand nimmt: eine allgemeine und strenge Erfüllung der 
Religionsvorschriften bei Hoch und Niedrig lebendig zu erhalten. 

Wichtig für unsere Zwecke ist vor allem, festzustellen, daß 
diese Strenggläubigkeit nicht etwa nur in der großen Masse des 
jüdischen Volkes angetroffen wird, sondern gerade auch bei den- 
jenigen Juden, die wir so entscheidenden Einfluß auf den Gang 
des Wirtschaftslebens haben ausüben sehen. Selbst die Marranen 
des 16., 17. und 18. Jahrhunderts müssen wir uns als orthodoxe 
Juden vorstellen. „Die Marranen oder geheimen Juden (so urteilt 
über sie einer der besten Kenner jener Epoche der jüdischen 
Geschichte) 480 gehörten in überwiegender Mehrzahl dem Juden- 
tum weit inniger an, als allgemein angenommen wird. Sie 
fügten sich dem Zwange (Anussim) und waren Christen zum 
Schein, dabei lebten sie als Juden und beobachteten die Gesetze 
und Vorschriften der jüdischen Religion ..." Sie machten kein 
Feuer am Sabbat, hatten ihren bestimmten Schlächter, der 
rituell schlachtete, ebenso einen Mann, der ihre Kinder be- 
schneiden ließ usw. „Diese bewundernswerte Treue“, meint unser 
Gewährsmann, „wird erst dann völlig erkannt und gewürdigt 
werden können, wenn das überreiche Aktenmaterial, das in den 
Staatsarchiven zu Alcalä de Henares und Simancas sowie in 
mehreren Archiven Portugals aufgehäuft ist . . . gesichtet und 
bearbeitet sein wird.“ 

Wir wissen aber auch, daß unter den Juden selbst die An- 
gesehensten, die Reichsten auch die besten Talmudkenner waren. 
Talmudstudium war jahrhundertelang die Brücke zu Ehren, 
Reichtum, Gunst unter den Juden. Die größten Talmudgelehrten 
waren zumeist gleichzeitig die geschicktesten Finanzmänner, 
Ärzte, Juweliere, Kaufleute. Von vielen z. B. spanischen Finanz- 
ministem, Banquiers , Leibärzten wissen wir, daß sie wie die 
ganz Frommen nicht nur am Sabbat, sondern außerdem noch 
zwei Nächte in der Woche sich ausschließlich mit dem Studium 
der heiligen Schriften befaßten. Dasselbe wird vom alten 
Amschel Rothschild erzählt, der 1855 starb. Der lebte streng 
nach dem jüdischen Gesetze und aß nie einen Bissen an fremder 
Tafel, auch wenn er neben dem Kaiser saß. Von ihm berichtet 
ein Augenzeuge, der in der Nähe des Barons gelebt hat, wie er 
den Sabbat feierte : „Er gilt für den frömmsten Juden von ganz 


Digitized by t^ooQle 



231 


Frankfurt. Ich habe nie einen Menschen sich so peinigen, die 
Brust zerschlagen, zum Himmel aufschreien, zum Allvater auf- 
weinen sehen wie den Baron Rothschild am langen Tage in der 
Synagoge. Von den Anstrengungen des unausgesetzten Betens 
und seiner fortwährenden Teilnahme am Gesang fällt er häufig 
ohnmächtig hin : es werden ihm dann starke narkotische Pflanzen 
aus seinem Garten vor die Nase gehalten, um ihn wieder zur 
Besinnung zu bringen“ 481 . Aber auch sein Neffe, der letzte 
Frankfurter Rothschild, Wilhelm Karl, der 1901 starb, hat das 
Ritualgesetz noch bis in seine letzten Verzweigungen hinein be- 
obachtet: Da es dem frommen Juden verboten ist, unter be- 
stimmten Umständen Dinge zu berühren, die durch frühere Be- 
rührung „unrein“ geworden sind, so ging diesem Rothschild 
immer ein Diener voraus, der die Türklinke abwischte ; und das 
Papiergeld, das Baron Rothschild in die Hand nahm, muhte eben 
erst die Druckpresse verlassen haben : er berührte keinen Schein, 
der schon durch mehrere Hände gegangen war. 

Wenn so ein Rothschild lebt, dann wird es uns nicht in 
Erstaunen setzen, wenn wir heute noch dem jüdischen Geschäfts- 
reisenden begegnen, der ein halbes Jahr lang keinen Bissen 
Fleisch genießt, weil er selbst in den als koscher bezeichneten 
Restaurants der fremden Städte nicht sicher ist, daß die Schäch- 
tung wirklich nach strengem Ritus erfolgt ist. 

Heute findet sich das ganz strenge Judentum kompakt nur 
noch im Osten Europas. Dort muß man es studieren: durch 
Augenschein oder mit Hilfe der vielen guten Schriftwerke, die 
von ihm handeln oder auch von ihm selbst herrühren. Im 
Westen Europas bilden heute die orthodoxen Juden nur noch 
die Minderheit der Judenschaft. Will man aber die Einwirkung 
der jüdischen Religion auf das Wirtschaftsleben feststellen, so 
muß man natürlich den echten, unverfälschten Judenglauben 
nehmen, der ja doch auch im Westen bis vor ein paar Menschen- 
altem der herrschende war, und der allein es sicher gewesen 
ist, dessen Fahnen die Judenschaft zu so vielen Siegen geführt 
haben. 


£L Die Quellen der jüdischen Religion 

Mohamed hat die Juden das Volk des Buches genannt. 
Und das mit Recht. Es gibt kaum ein Volk, das so ganz nacli 


Digitized by 


Google 



232 


einem Buche gelebt hat, wie die Juden. Ihre Religion war 
immer in einem bestimmten Buche verkörpert, und diese Bücher 
sind [demnach auch als die „Quellen“ der jüdischen Religion zu 
betrachten. Es sind im Ablauf der Jahrhunderte folgende ge- 
wesen , die sich (wie wir noch sehen werden) zu bestimmten 
Zeiten ergänzt haben und noch ergänzen : ! 

1. bis zur Zerstörung des zweiten Tempels „die Bibel“, unser 
Altes Testament: in Palästina in hebräischer Sprache ge- 
lesen, in der Diaspora vielfach in griechischer Sprache : die 
sogenannte Septuaginta; 

2. seit dem zweiten bezugsweise sechsten nachchristlichen 
Jahrhundert der Talmud (insbesondere der babylonische 
Talmud), der bekanntermaßen der Mittelpunkt des jüdischen 
Religionslebens wurde; 

3. der Kodex des Maimonides, der im 12. Jahrhundert entstand ; 

4. der Kodex, die „Turim“, des Jakob von Ascher (1248 — 1340) ; 

5. der Kodex des Joseph Karo : der Schulchan Aruch (16. Jahrh.). 
Diese „Quellen“, aus denen die jüdische Religion entsprungen 

ist, nehmen ein ganz und gar verschiedenes Gesicht an, je nach- 
dem wir sie mit den Augen des wissenschaftlichen Forschers 
oder mit denen des gläubigen Juden betrachten. 

Jener sieht, was die Quellen „in Wirklichkeit“ gewesen sind, 
diesem erscheinen sie in verklärtem Lichte. 

Jene realistische Ansicht interessiert uns hier nur in unter- 
geordnetem Maße. Danach ergibt sich etwa folgendes Bild: 
Die Bibel, unser Altes Testament, das Fundament, auf das 
sich das Judentum aufbaute, ist ein von den verschiedensten 
Schriftstellern bunt zusammengesetztes Mosaik 48 *. 

Die Thora, das heißt die Fünf Bücher Mosis, die den wichtig- 
sten Bestandteil des jüdischen Religionssystems bildet, ist in 
ihrer heutigen Gestalt nach Esra durch die Einrenkung und 
Durcheinanderschiebung zweier fertiger Werke entstanden: des 
alten mit dem neuen Deuteronomium verbundenen Gesetzbuches 
einerseits (etwa 650) und des Esraischen Stiftshüttengesetzbuches 
anderseits (440). Den Kern der Thora bilden also zwei Gesetz- 
bücher: das Gesetz des sog. Deuteronomikers: Deut. 5, 45 — 26, 69 
(um 650 entstanden), und das Gesetz Esras und Nehemias: 
Ex. 12, 25—31; 35 bis Lev. 15; Num. 1—10; 15—19; 27—36 
(um 445 entstanden): um sie herum schlingt sich eine ausführ- 


Digitized by 


Google 



233 


liehe Geschichtserzählung. Ihren Charakter — das ist das 
Wichtige — hat die Thora (und damit die jüdische Religion) 
erhalten durch die beiden auf Anregung der babylonischen 
Judenschaft nach Palästina entsandten Statthalter des Perser- 
königs: Esra und Nehemia , die den Priesterkodex und mit ihm 
die strenge Gesetzlichkeit einführen. 

Mit Esra und dem von ihm begründeten Sopherismus 
nimmt das Judentum in der Gestalt, in der es heute noch be- 
steht, seinen Anfang. Seit der Einführung des Gesetzes durch 
Esra und Nehemia im Jahre 445 v. Chr. ist das Judentum 
aber auch fast unverändert bis auf den heutigen Tag geblieben. 

Neben der Thora interessieren uns von den Schriften des 
Alten Testaments noch diejenigen, die von der heutigen Wissen. 
Schaft als Weisheitsliteratur zusammengefa&t werden. Zu ihnen 
gehören : Psalmen, Job, Ecclesiastes, das Buch Jesus Sirach, die 
Sprüche Salomonis (Proverbien). Die Literatur der Chokmah ge- 
hört ganz der nachexilischen Zeit an, da erst in ihr die histo- 
rischen Bedingungen zu ihrer Entstehung gegeben sind ; ihre Vor- 
aussetzung ist das Gesetz mit seiner durch die Erfahrung des 
Exils zur unerschütterlichen Wahrheit gewordenen Lehre, daß 
Gott auf die Erfüllung seiner Gebote Leben, auf Übertretung 
Tod gesetzt habe. Die Chokmah beschränkt sich (im Gegensatz 
zu Prophetie und Apokalyptik) auf das praktische Leben. Die 
einzelnen Schriften sind meist Ablagerungen einer langen Ent- 
wicklung und stammen zum Teil aus ganz früher Zeit, die 
Proverbien, die für unsere Zwecke wichtigste Schrift, aus der 
Zeit um 180 v. Chr. 488 . 

Von der Bibel gehen zwei Ströme aus: der eine, dessen 
Quelle vornehmlich die griechische Septuaginta ist, mündet teils 
in der hellenistischen Philosophie, teils im paulinischen Christen- 
tum (und kommt für uns nicht mehr* in Betracht); der andere, 
der an die in Palästina hebräisch gelesene Bibel anknüpft, 
mündet in dem jüdischen „Gesetz“ , ist also derjenige , dessen 
Lauf wir zu verfolgen haben. 

Die spezifisch jüdische Weiterentwicklung der heiligen 
Schriften nimmt ihren Anfang schon zur Zeit des Esra; sie ist 
im wesentlichen das Werk der alten Sopherim, zu dem das Zeit- 
alter der großen Schulen Hillel und Schammai nur ausgestaltend 
und ergänzend das Seinige hinzufügte. Die Weiterentwicklung 


Digitized by 


Google 



234 


besteht äußerlich in den Auslegungen, Erläuterungen und Er- 
gänzungen der heiligen Schriften durch die Schriftgelehrten, die 
meist in der von der hellenistischen Umwelt in Aufnahme ge- 
brachten Form der Disputation gegeben wurden. Inhaltlich be- 
deutet die Weiterbildung eine Verschärfung des gesetzlichen 
Formalismus der alten Schriften, die zu dem Zwecke vor- 
genommen wurde, um das Judentum gegen den Ansturm der 
hellenistischen Philosophie zu schützen. Wie denn die jüdische 
Religion in allen ihren Entwicklungsepochen der Ausdruck einer 
Reaktion gegen das Andringen auflösender Tendenzen gewesen 
ist. Das Gesetz des Deuteronomikers war die Reaktion gegen 
den Baalsdienst ; der Priesterkodex gegen den babylonischen Ein- 
fluß; später die Kodizes des Maimuni, des Ascher, des Karo 
gegen die spanische Kultur. So also sollten jetzt in den Jahr- 
hunderten vor und nach Christi Geburt die Lehren der Tannaim 
einen Schutzwall gegen die zersetzenden Einflüsse des Hellenis- 
mus aufrichten 484 . 

Die ursprünglich mündliche Tradition „der Weisen“ wurde 
dann kodifiziert um das Jahr 200 durch R. Jehuda ha-Nassi (meist 
schlechthin Rabbi genannt) : sein Werk ist die Mischna. An sie 
knüpfen dann abermals die Auslegungen, Erläuterungen und Er- 
gänzungen der Rabbinen an, die im 6. Jahrhundert durch die 
Saboräer (500 — 550) fixiert werden. Die Erörterungen der 
Gelehrten, die sich auf die Mischnaabschnitte beziehen, sind die 
Gemara : die Verfasser der Gemara sind die Amoräer. Mischna und 
Gemara zusammen bilden den Talmud, der selbst wieder, in einen 
babylonischen und einen palästinensischen zerfällt. Jener ist der 
wichtigere. In der von den Saboräem redigierten Gestalt wurde 
der Talmud der Nachwelt überliefert. Nach ihnen hat der Tal- 
mud schwerlich neue Zusätze erhalten. 

Wer sich mit dem Geist des Talmud vertraut machen will, muß natürlich 
den Text selber lesen. Er liegt jetzt größtenteils in deutscher Übersetzung 
vor, deren Verfasser Lazarus Goldschmidt ist. Der Talmud hat die 
Eigentümlichkeit, daß seine Teile zwar nach einer gewissen Folge geordnet, 
wenn auch nicht immer zusammenhängend sind; jeder Traktat von einigem 
Umfang jedoch berührt fast das ganze Gebiet des Talmud und bringt die 
verschiedenen Teile in Beziehung zu einander. Wer demnach einen (oder 
einige) der (63) Traktate ernstlich durchstudiert, erlangt hierdurch eine 
ziemlich gute Kenntnis von dem Inhalt des Gesamtwerks, bekommt wenig- 
stens die Fähigkeit, sich leicht in dem Wust zurechtzufinden. Zu ein- 


Digitized by 


Google 



235 


gehendem Studium eignet sich besonders der Traktat Baba mezia, nebst 
seinen Brüdern, den beiden andern „Baben“. Baba mezia ist besonders ge- 
druckt, übersetzt und mit einem guten Vorwort versehen von Dr. Sa mm t er. 
1876. 

Einen besonderen Zweig der talmudischen Literatur bilden die sog. 
„kleinen Traktate“, die in den Talmudausgaben als Anhang aufgenommen, 
aber auch gesondert erschienen sind. Es sind die Traktate: Derech Erez 
Babba (etwa 3. Jahrh.), Aboth, Aboth derabbi Nathan, Derech Erez Sutta 
(nach Zun z 9. Jahrh.). Diese Traktate nennt Zunz ethische Hagada, weil 
sie das Bestreben haben, Lebensweisheit zu verkünden. Sie haben auf das 
jüdische Volksleben großen Einfluß gewonnen und sind deshalb für uns 
von besonderem Interesse. Nächst der Bibel sind sie am meisten in allen 
Volksschichten verbreitet. Sie bildeten die Hauptlektüre für den Laien, 
dem der Talmud unzugänglich war. Sie sind vielfach in Gebetbücher und 
Erbauungsschriften aufgenommen worden. Jetzt liegen sie zum Teil auch 
in verdeutschten besonderen Ausgaben vor: Rabbi Nathans System der 
Ethik und Moral. Übers, von Kaim Pollak. 1905. Derech Erez Sutta, 
übers, von Abr. Tawrogi. Königsb. In.-Diss. 1885. Derech Erez Babba, 
übers, von Moses Goldberg. Bresl. In.-Diss. 1888. 

Die nicht in die Mischna aufgenommenen Lehren, in denen der ge- 
setzliche Inhalt zurücktritt, bilden die Tosephta, die auch aus der Zeit der 
Tannaim stammt und ebenso gegliedert ist wie die Mischna, nämlich 
systematisch. 

Eine andere Klasse rabbinischer Schriftwerke schließt sich eng an 
den Schrifttext an, den sie Schritt für Schritt erläutert. Diese Kommentare, 
die Midraschim, sind teils halachischen , teils haggadischen Inhalts. Die 
älteren, wesentlich halachischen Inhalts, sind 1. Mechilta über Exodus: 
2. Siphra über Leviticus ; 3. Siphre oder Siphri über Numeri und Deutero- 
nomium. 

Targumim heißen die aramäischen Übersetzungen des A. T. 

Daß der Talmud seit seiner Entstehung im Mittelpunkt des 
jüdischen Religionslebens steht, ist bekannt. Seine universelle 
Verbreitung war wesentlich eine Folge der mohamedanischen 
Eroberungen. Zunächst wurde er Gesetzbuch und Grund- 
verfassung für das jüdisch-babylonische Gemeinwesen, dessen 
Würdenträger der Exilsfürst und die beiden Präsidenten der 
talmudischen Hochschule waren (Gaone). Durch die Ausdehnung 
des Islam erweiterte sich auch die Herrschaft des Talmud über 
seine ursprünglichen Grenzen hinaus, insofern die entferntesten 
Gemeinden mit dem Gaonat in Verbindung standen, sich bei ihm 
Rats erholten über religiöse, sittliche und zivilrechtliche Fragen, 
und die Entscheidungen, die auf Grund des Talmud gegeben 
wurden, gläubig annahmen. Denn man gewöhnte sich, in den 


Digitized by t^ooQle 



236 


babylonischen Gemeinden den (quasi-staatlichen) Mittelpunkt des 
Judentums zu sehen 436 . 

Mit der Niederschrift der Gemara schließt die Entwicklung 
des Judentums ab. Gleichwohl müssen die drei Kodizes, die 
nach dem Talmud den Religionsstoff dargestellt haben, erwähnt 
werden, weil sie den gleichen Inhalt in teilweise andrer Form 
gegeben haben, und weil sie natürlich den gewandelten Zeit- 
umständen in ihren Vorschriften wenigstens bis zu einem ge- 
wissen Grade Rechnung tragen muhten. So sind sie nach- 
einander neben dem Talmud zu anerkannter Geltung unter der 
Judenschaft gelangt, und der letzte — der Schulchan Aruch — 
ist dasjenige Religionsbuch, das heutigen Tags als letztes in den 
Kreisen der strenggläubigen Juden die offizielle Lehre enthält. 

Das Wesentliche, was uns an den Religionsbüchem des 
Maimuni, Ascher und Karo interessiert, ist der Umstand, daß 
durch sie das Religionsleben der Juden in noch festere Formen 
gegossen, zu noch größerer Erstarrung gebracht wurde. Von 
Maimonides urteilt selbst Gr aetz: dah er das rabbinische Juden- 
tum in feste Bande geschlagen habe. „Vieles, was im Talmud 
selbst noch flüssig und deutbar ist, hat er zu einem unangreif- 
baren Gesetz erstarren lassen . . . Mit seinem kodifizierenden 
Abschleifen der Gesetze hat er dem Judentum die Bewegung 
geraubt . . . Ohne Rücksicht auf die Zeitlage, in welcher die 
talmudischen Bestimmungen entstanden sind, stellte er sie für 
alle Zeiten und auch unter veränderten Umständen als verbind- 
lich hin.“ 

R. Jakob Ascheris Tut verschärft dann die peinliche Gesetz- 
lichkeit des Maimunischen Kodex noch um einige Grade und 
Karos Werk schreitet in derselben Richtung bis zum äußersten 
Punkt. An Überfrömmigkeit übertrifft der Schulchan Aruch 
noch den Tut des Aschen und auch an Menge und Genauigkeit 
der Vorschriften, die sich in unermüdlicher Kasuistik mit allen 
nur denkbaren „Fällen“ des Lebens befassen. Das religiöse 
Leben der Juden hat durch den Schulchan Aruch „einen Ab- 
schluß und eine Einheit erlangt, aber auf Kosten der Innerlich- 
keit und des freien Denkens. Durch Karo erhielt das Juden- 
tum diejenige feste Gestalt, die es bis auf den heutigen Tag be- 
wahrt hat 486 .“ (Graetz). 

Dies ist der Hauptstrom des jüdischen Religionslebens, dieses 


Digitized by 


Google 



237 


sind die Quellen, aus denen das Judentum seinen Stoff an reli- 
giösen Vorstellungen und Vorschriften schöpft. Daneben hat es 
natürlich Nebenströmungen gegeben, wie die von den Apokalyp- 
tikem in vorchristlicher Zeit, die ein überirdisch-universal-indi- 
vidualistisch gerichtetes Judentum vertreten 437 ; oder, wie die der 
Kabbala (zu Unrecht „Mystik“ benannt), die, wie bekannt, die 
Religion in Tüfteleien über Zahlen und Zeichen aufzulösen sich 
bestrebte:, sie alle aber kommen kaum in Betracht, wenn man 
das geschichtliche Judentum in seiner religiösen Eigenart er- 
fassen will: sie haben niemals das praktische Leben beeinflußt* 
Sie sind denn auch von dem „offiziellen“ Judentum niemals als 
„Quellen“ der jüdischen Religion anerkannt worden, wie ein 
Blick auf die traditionelle Auffassung zeigt, die man in jüdisch- 
orthodoxen Kreisen von dem Wesen dieser Quellen hat. Ihr 
müssen wir nunmehr noch unser Interesse schenken. Denn offen- 
bar ist die Meinung, die die frommen Juden von Entstehung 
und Bedeutung ihres Religionsstoffes haben, für die Wirksamkeit 
der einzelnen Vorschriften viel wichtiger als deren wirkliche 
Herkunft. 

Der Religionsstoff nach der traditionellen Auffassung 
des frommen Judentums ist zweifachen Ursprungs: er ist entweder 
offenbart oder von den Weisen geschaffen. Die Offenbarung 
wiederum zerfällt in einen schriftlichen und einen mündlichen 
Teil. Den schriftlichen Teil bilden die in der Bibel zusammen- 
gefaßten heiligen Bücher: der Kanon, wie er von den Männern 
der großen Synagoge festgestellt ist. Er besteht aus drei 
Teilen 488 : der Thora (Pentateuch), den Nebiim (Propheten) und 
den Ketubim (den übrigen Schriften). Die Thora ist dem Moses 
von Gott am Berge Sinai offenbart. „Moses teilte die ihm offen- 
barte Thora dem Volke während der 40jährigen Wüstenwande- 
rung allmählich, manches bei passenden Veranlassungen, zunächst 
mündlich mit, alles bis ins einzelne erklärend. Erst am Ende 
seines Lebens vollendete er die geschriebene Thora, die fünf 
Bücher Moses, und übergab sie Israel, und wir sind verpflichtet, 
jeden Buchstaben, jedes Wort der schriftlichen Thora als von 
Gott geoffenbart zu betrachten“ . . . Bei genauem Studium „er- 
kennen wir erst die tiefe, wahrhaft göttliche Weisheit der Thora, 
in welcher jedes Pünktchen, jeder Buchstabe, jedes Wort, jede 
Satz- und Wortstellung eine wichtige Bedeutung hat“ 48 ®. Die 


Digitized by 


Google 



238 


übrigen biblischen Schriften gelten zwar ebenfalls als Offen- 
barung, wenigstens sind sie von Gott inspiriert. Doch ist die 
Stellung zu den Propheten und Hagiographen freier als zur Thora. 
Eine besondere Stellung nimmt die Weisheitsliteratur ein, von 
der ich unten im Zusammenhänge spreche. 

Die mündliche Überlieferung oder die mündliche Thora ist 
die Erklärung der schriftlichen. Sie wurde ebenfalls Moses am 
Sinai offenbart, durfte aber (aus zwingenden Gründen) zunächst 
nicht niedergeschrieben werden. Die Niederschrift erfolgte erst 
nach der Zerstörung des zweiten Tempels: in Mischna und 
Gemara. Diese enthalten also zu einem Teile die einzig richtige, 
am Sinai geoffenbarte Auslegung der Thora, das heißt : sind in- 
soweit auch göttliche Inspiration. Der Talmud enthält aber außer- 
dem noch andere sehr wichtige Bestandteile; nämlich die rabbi- 
nischen Vorschriften und die Haggada : die Auslegung der heiligen 
Schrift, die sich nicht auf die Gesetze bezieht. Ihr gegenüber- 
gestellt wird meist die Halacha : diese besteht aus allen norma- 
tiven Bestimmungen des Talmud: mögen sie der mündlichen 
Thora angehören oder den rabbinischen Vorschriften. 

Zu der nicht offenbarten Halacha und der Haggada des 
Talmud treten dann als weitere „Entscheidungsschriften“ die 
drei von uns schon genannten Kodizes des Mittelalters. 

Was bedeuten nun diese verschiedenen Bestandteile des 
jüdischen Religionsstoffes für das religiöse Leben der Juden? 
Welches ist die von ihnen geglaubte Religion, welches sind die 
von ihnen befolgten Religions Vorschriften? 

Zuvörderst ist festzustellen , daß es eine systematische 
Glaubenslehre oder Dogmatik (im schulmäßigen Sinne) in der jüdi- 
schen Theologie meines Wissens kaum gibt 440 . Was an beachtens- 
werten Versuchen einer solchen „schulmäßigen“ Dogmatik vor- 
liegt, stammt fast ausschließlich von nicht-jüdischen Theologen, 
wie etwa die (beste mir bekannte) Darstellung von Ferdinand 
Weber, System der altsynagogalen palästinensischen Theologie 
-aus Targum, Midrasch und Talmud 1880; nach des Verfassers 
Tode herausgegeben von Franz Delitzsch und Georg Schneder- 
man, 2. Auflage 1897 u. d. T. Jüdische Theologie auf Grund des 
Talmud und verwandter Schriften. Die Natur der jüdischen 
Religion, insbesondere die Eigenart des Talmud, dessen Wesen- 
heit die Systemlosigkeit ist, sträubt sich gegen eine dogmatisch- 


Digitized by 


Google 



289 


systematische Formulierung. Immerhin lassen sich natürlich 
„Leitideen“ der jüdischen Religion herausarbeiten, prägt sich ihr 
„Geist“ in bestimmten Erscheinungen aus. Und solcherart 
Grundzüge der jüdischen Religion festzustellen, ist sogar eine 
gar nicht so schwierige Aufgabe angesichts der Konstanz gewisser 
Elemente dieser Religion. Im Grunde ist ja das , was man den 
„ezechielischen“ Geist genannt hat, seit Esra bis heute der 
herrschende geblieben und ist nur im Laufe der Jahrtausende 
immer mehr in seine letzten Konsequenzen entwickelt, zu immer 
größerer Reinheit ausgebildet worden. Zur Erkenntnis dieses 
„Geistes“, dieses innersten Wesens der jüdischen Religion, dient 
also als Quelle, da er ja sich gleichgeblieben ist, der Gesamt. 
Stoff der Religionsbücher: Bibel, Talmud, rabbinische Literatur 
bis zur Gegenwart. 

Schwieriger gestaltet sich das Problem, wenn es sich um 
Feststellung der Gültigkeit von Einzellehren handelt. Ob heute 
noch der Satz des Talmud „gilt“ : „Auch den Besten der Goim 
soll man erschlagen“ oder was sonst die Pfefferkorn, Eisen- 
menger, Rohling, Dr. Justus und Genossen an schröcklichen 
Aussprüchen aus den jüdischen Religionsbüchem ausgraben, und 
was heute die Rabbiner „mit Entrüstung“ als ganz und gar ob- 
solet zurückweisen. Naturgemäß haben diese Einzellehren in all 
den langen Jahrhunderten je ganz und gar verschieden gelautet. 
Und wenn man die Religionsbücher — namentlich den Talmud — 
auf solche Einzellehren hin durchsieht, so kommt man bald zu 
der Überzeugung, daß für jede Sache sich die entgegengesetztesten 
Ansichten finden, daß alles „kontrovers“ ist oder — wenn man 
lieber will — daß man aus jenen Schriften (immer besonders 
aus dem Talmud) alles, aber auch alles „beweisen“ kann. Ich 
komme in meiner Sachdarstellung auf diesen Tatbestand noch zu- 
rück, der Anlaß gegeben hat zu dem wahrhaft läppischen Spiele, 
das die Antisemiten und ihre christlichen oder jüdischen Gegner 
seit Menschengedenken aufführen: daß sie schwarz und weiß 
gleichmäßig aus dem Talmud mit „Quellenbelegen“ heraus 
beweisen. Nichts leichter wie gesagt als das, gerade wenn man 
die Eigenart des Talmud in Rücksicht zieht, der ja zum großen 
Teile nichts anderes ist als eine Sammlung von Kontroversen 
zwischen den verschiedenen Rabbinen. 

Ich meine, man sollte vielmehr, wenn man die für das prak- 


Digitized by 


Google 



240 


tische Leben entscheidenden Religionssätze feststellen will, etwa 
nach folgenden Regeln verfahren. 

Einen Unterschied gilt es vor allem zu machen, je nachdem 
es sich handelt um Selbststudium oder religiöse Lehre. So weit 
die Religionsschriften von den Laien selber gelesen wurden oder 
werden, erscheint mir als das Wesentliche, daß darin über- 
haupt irgend eine bestimmte Meinung in irgend 
einer Frage ausgesprochen wird. Gleichgültig ist es, ob 
daneben die entgegengesetzte Meinung auch vertreten wird. 
Denn für den Frommen, der sich an jenen Schriften erbaut, ge- 
nügt die Eine Ansicht, um mit ihr seine Interessen, wenn sie in 
gleicher Richtung verlaufen, zu verteidigen. Im einen Falle mag 
er durch die Schriftstelle zu einer bestimmten Handlung an- 
gespomt werden, im anderen Falle dient sie ihm vielleicht nur 
als Rechtfertigung, wenn er aus andern Gründen in ihrem Sinne 
handeln will oder gehandelt hat. Die Autorität der Schrift ge- 
nügt, um diese Wirkung auszuüben. Vor allem natürlich, wenn 
es sich um die Bibel oder gar die Thora handelt. Da hier alles 
Gottes Offenbarung ist, so ist Eine Stelle so viel wert wie die 
andere. Und soweit der Talmud und die übrigen rabbinischen 
Schriften auch von Laien gelesen wurden oder werden, gilt das- 
selbe auch von ihnen. 

Die Sachlage verändert sich aber natürlich sofort, wenn der 
Gläubige nicht selbst die Quellen liest (oder soweit er sie nicht 
liest), sondern sich auf die Ermahnungen seines Seelsorgers oder 
auf die jeweils von diesem approbierten Erbauungsschriften ver- 
läßt. Dann steht ihm natürlich eine einheitliche Auffassung 
gegenüber, die der Rabbiner durch die ihm richtig dünkende Inter- 
pretation der sich widersprechenden Textstellen gewonnen hat. 
Dies ist die von Zeit zu Zeit wechselnde herrschende Lehr- 
meinung, ist die jeweils den Zeitumständen angepaßte rabbinische 
Tradition. Sie gilt es für eine bestimmte Epoche festzustellen, 
wenn man nach ihr die bindenden Normen ermitteln will. Im 
wesentlichen wird man sich seit dem Erscheinen der „Ent- 
scheidungsschriften“ an diese halten können und wird annehmen 
dürfen, daß vom elften bis vierzehnten Jahrhundert der Jadha- 
chazaga, dann bis zum 16. der Tut und nach dem 16. Jahrhundert 
der Schulchan Aruch die „Tradition“, also die „durchschnittliche“, 
gang und gäbe Auffassung vertritt (wenigstens soweit die Halacha 


Digitized by t^ooQle 



241 


in Frage kommt). Seit dreihundert Jahren also entscheidet der 
Sehulehan Aruch, wenn etwa Meinungsverschiedenheiten über 
die Auslegung des Gesetzes entstehen (das selbst natürlich immer 
und ewig in der Thora verankert bleibt). So heißt es denn auch 
kurz und bündig in dem von mir schon erwähnten Lehrbuche 
Sterns, das sich landesrabbinerlicher Approbation erfreut, wie wir 
sahen: „In erster Reihe gilt der Sehulehan Aruch des R. Jos. 
Karo mit den Anmerkungen des R. Mose Isserlin und den Glossen, 
welche den Ausgaben beigedruckt sind, in ganz Israel als das- 
jenige Gesetzbuch, nach welchem wir unser rituelles Leben ein- 
zurichten haben“ (S. 5. Der Satz ist im Original gesperrt de- 
druckt). Niedergeschlagen gleichsam ist das Gesetz in den 613 
Vorschriften, die Maimonides aus der Thora aufgestellt hat und 
die heute noch gelten. „Nach der Überlieferung unserer Weisen 
s. A. hat Gott durch Moses dem Volke Israel 613 solche Vor- 
schriften erteilt und zwar 248 Gebote und 365 Verbote. Alle 
diese sind von ewiger Gültigkeit ; nur sind diejenigen derselben, 
welche auf das Staatsleben und den Ackerbau in Palästina und 
auf den Tempeldienst in Jerusalem sich beziehen, für die in der 
Zerstreuung lebenden Israeliten unausführbar. Für uns sind noch 
369 Vorschriften, 126 Gebote und 243 Verbote erfüllbar, wozu 
noch die 7 rabbinischen Gebote kommen“ 441 . 

Nach diesen Schriften also haben die strenggläubigen Juden 
der letzten Jahrhunderte gelebt und leben sie heute noch: 
immer soweit sie sich von der rabbinischen Lehre leiten ließen 
und nicht selbst sich auf Grund eigener Lektüre der Quellen 
eine eigene Meinung bildeten. Nach diesen Schriften haben wir 
also auch die Vorschriften zusammenzustellen, die für das religiöse 
Wesen im einzelnen Falle bestimmend waren. Das „Reform- 
judentum“ kommt für uns überhaupt nicht in Betracht. Auf 
Modernität frisierte Bücher, wie die meisten neuzeitlichen Dar- 
stellungen der „Ethik des Judentums“ sind für unsere Zwecke 
gänzlich belanglos. 

♦ * 

* 

Und zwischen jenen jüdischen Lehren echten Gepräges 
und dem Kapitalismus Zusammenhänge nachzuweisen , ihre Be- 
deutung für das moderne Wirtschaftsleben aufzuzeigen: das soll 
die Aufgabe der folgenden Darlegungen sein. 

Sombart, Die Juden 16 


Digitized by t^ooQle 



242 


m. Die Grundideen der jüdischen Religion 

Um es gleich herauszusagen: ich finde in der jüdischen 
Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakte- 
risieren; ich sehe sie von demselben Geiste erfüllt wie diesen. 

Man soll niemals vergessen, wenn man die jüdische Religion 
— nicht zu verwechseln mit der israelitischen Religion, zu der 
die jüdische in gewissem Sinne im Gegensätze steht! — recht 
verstehen will: wer sie geschaffen hat. Daß es ein Sofer war, 
ein starrgeistiger Schriftgelehrter, dem eine Schar von Schrift- 
gelehrten dann gefolgt sind, um sein Werk zu vollenden. Kein 
Prophet, kein Seher, kein Trunkener, kein mächtiger König : ein 
Sofer! Und wie sie geschaffen ist: nicht aus dem un wider- 
stehbaren Drange, aus der tiefen Herzensinbrunst zerknirschter 
Seelen, nicht aus dem Taumel wonnetrunkener, anbetender 
Geister heraus. Nein : aus vorbedachtem Plane heraus : eine aus- 
geklügelte Abwicklung gleichsam einer diplomatischen Aufgabe. 
Nach dem Programm: dem Volke muß die Religion erhalten 
werden! Und soll bedenken, daß in allen kommenden Jahr- 
hunderten diese Wohlüberlegtheit und Zweckbedachtheit es 
waren, die Lehre für Lehre neu zu den alten hinzugefügt haben. 
(Denn was an andern Bestandteilen das religiöse Leben der 
Juden vor Esra besessen hatte und nach ihm auch noch erzeugte, 
ging doch unter in den von den Soferim angestrebten und durch- 
gesetzten Formen der Religion.) 

Die Spuren dieser einzigartigen Entstehungsweise trügt 
natürlich die jüdische Religion deutlich an sich: sie erscheint 
uns in allen ihren Gründen ganz und gar als ein Verstandes- 
werk; als ein in die organische Welt hinausprojiziertes Ge- 
danken- und Zweckgebilde: mechanisch-kunstvoll gestaltet, dar- 
auf berechnet: alle natürliche Welt zu zerstören und sich zu 
unterwerfen und an ihre Stelle ihr eigenes Walten zu setzen. Wie 
es der Kapitalismus tut, der wie die jüdische Religion als ein 
Fremdtum inmitten der natürlichen, der kreatürlichen Welt, als 
ein Erdachtes und Gemachtes inmitten des triebhaften Lebens 
erscheint. Rationalismus — das ist ja das Wort, mit dem wir 
alle diese Besonderheiten zusammenfassen — Rationalismus ist 
der Grundzug des Judaismus wie des Kapitalismus. Rationalis- 
mus oder Intellektualismus : Wesensrichtungen, die gleicherweise 


Digitized by t^ooQle 



243 


dem irrational Geheimnisvollen wie dem Sinnlich-Künstlerisch- 
Schöpferischen entgegergesetzt sind. 

Die jüdische Religion kennt kein Mysterium 1 Es ist wohl 
die einzige auf dem Erdenrunde, die es nicht kennt. Kennt 
nicht den Zustand des Rausches, in dem sich der Gläubige mit 
der Gottheit vereinigt: also den Zustand, den alle andern Reli- 
gionen als den höchsten und heiligsten preisen. Man denke an 
die Libation der Soma bei den Hindus, an den rauschfrohen In- 
dra selbst, an die Homa-Opfer bei den Persern: „Der Saft, der 
so selige Wirkungen erzeugte, schien ihnen die edelste Lebens- 
kraft der Natur, das ihr innewohnende Göttliche zu sein, und, so 
wurde Homa, der Saft, das Opfer selbst zum Genius oder Gott“ ; 
man erinnere sich der Dionysien, der Orakel in Griechenland, 
ja auch nur der Sibyllinischen Schriften, aus denen sich selbst 
die nüchternen Römer Rats erholten, weil sie von Frauen ge- 
schaffen waren , die im Zustande appolinischer Begeisterung Zu- 
künftiges ge weissagt hatten. 

Selbst im späteren Römertum finden wir noch einen Zug 
im religiösen Leben, der sich im Heidentum stets gleich geblieben 
war: die weitverbreitete und meist ansteckende Neigung, sich 
in einen Zustand gewaltsamer Körper- und Geistesaufregung zu 
versetzen, der bis zu bacchantischer Raserei sich steigerte, und 
den dann die davon Befallenen sowohl als die Zuschauenden für 
etwas von der Gottheit Bewirktes, zu deren Dienst Gehöriges 
hielten. Allgemein wurde geglaubt, daß gewisse plötzliche Re- 
gungen, Leidenschaften und Entschlüsse von einem Gotte in der 
Seele des Menschen geweckt würden: man war immer bereit, 
eine Tat, der man sich schämte oder die man bereute, dem 
Gotte zuzuschreiben 442 . „Der Gott war es, der mich dazu ge- 
trieben hat,“ entschuldigt sich im Lustspiel des Plautus der Ver- 
führer einer Dime bei seinem Vater. 

So hatte auch der kranke Mohamed empfunden, als er in 
ekstatischen Anfällen zur Erde schlug und von der mystischen 
Gemütsstimmung ist doch manches in den (freilich auch ver- 
nüchterten) Islam eingedrungen. Der hat doch wenigstens die 
heulenden Derwische. 

Und auch das Christentum , soweit es nicht judaisiert ist, 
hat in der Dreieinigkeitslehre , im lieblichen Marienkultus, in 
Weihrauch und Abendmahl Raum für irrationale Gefühle und 

16 * 


Digitized by 


Google 



244 


Empfindungen. Während das Judentum mit Stolz und Verachtung* 
alle diese schwärmerisch -mystischen Züge verdammt. Wenn 
die Gläubigen der anderen Religionen in seligen Verzückungen 
Umgang mit der Gottheit pflegen: liest man in den jüdischen 
Gotteshäusern, die nicht aus Zufall „Schulen" heißen, die Thora 
vor: so hat es Esra bestimmt 1 Und so ist es mit Strenge ge- 
halten: „Seit dem Untergange der staatlichen Selbständigkeit 
war die Lehre die Seele des Judentums geworden, religiöses Tun 
ohne Kenntnis des Lehrstoffes galt als wertlos. Der Mittelpunkt 
des sabbatlichen und feiertäglichen Gottesdienstes war das Vor- 
lesen aus Gesetz und Propheten, die Verdolmetschung des Vor- 
gelesenen durch die Targumisten und die Erläuterung des Textes 
durch die Hagadisten (Homiletiker)." 

„Radix stoltitiae, cui frigida sabbat cordi 
„Sed cor frigidius relligione sua 
„Septima qaaeqae dies turpi damnata veterao 
„Ten quam lassati mollis imago dei.“ 

So sahen sie die Römer schon 448 . 

Fremd dem Mysterium. Aber ebenso fremd der heiligen 
Begeisterung für das Göttliche in der Sinnenwelt. Von Astarte,, 
von Daphne, von Isis und Osiris, von Aphrodite und Fricka, von 
der Jungfrau Maria wissen sie nichts, wollen sie nichts wissen» 
Und darum verbannen sie auch alles Bildlich-Sinnliche aus ihrem 
Kultus. „Jahve redete zu euch aus dem Feuer: den Laut der 
Rede hörtet ihr, aber keine Gestalt sähet ihr aus dem Laute." 
(Deut. 4, 12). „Verflucht der Mann, der ein geschnitztes oder 
gegossenes Bild macht, einen Greuel Jahves, ein Werk von 
Künstlers Hand . . .“ (Deut. 27, 15). Dieses Verbot: „Du sollst 
dir kein Bildnis machen" gilt noch heute streng und in dem 
Sinne, daß dem frommen Juden sogar verwehrt ist, Menschen- 
darstellungen „in tastbarer vollständiger Gestalt von Bildhauer- 
oder anderer erhabener Arbeit“, die Darstellung irgendeiner 
„Menschenfigur oder eines Menschenangesichts in ganz- oder 
halberhabener Arbeit“ zu bewirken oder bei sich aufzustellen 444 » 
Was aber mm weiter die jüdische Religion dem Kapitalismus 
gar verwandt macht, ist die vertragsmäßige Regelung — 
ich würde sagen: geschäftsmäßige Regelung, wenn dem 
Worte nicht ein häßlicher Sinn anhaftete — aller Beziehungen 
zwischen Jahve und Israel. Das ganze Religionssystem ist im 


Digitized by t^ooQle 


245 


Grunde nichts weiter als ein Vertrag zwischen Jahve und seinem 
auserwählten Volke: ein Vertrag mit allen obligatorischen Kon- 
sequenzen/ die ein Vertrags Verhältnis mit sich bringt. Gott ver- 
spricht etwas und gibt etwas, und die Gerechten haben ihm 
dafür eine Gegenleistung zu machen. 

Es gibt keine Art der Gemeinschaft zwischen Gott und dem 
Menschen, die sich nicht in der Form vollzöge, daß der Mensch 
etwas der Thora Gemäßes leiste und von Gott dafür etwas Ent- 
sprechendes empfange. Deshalb darf auch ein Mensch nicht 
betend zu Gott nahen, ohne selber oder von seinen Vätern her 
etwas in seiner Hand zu haben als Gegenleistung für das, was 
er erbittet: Sifre 12b, Wajjikra Rabba c. 31 445 . 

Das Vertrags Verhältnis wickelt sich nun in der Weise ab, 
daß dem Menschen die erfüllten Pflichten einzeln belohnt, die ver- 
absäumten Pflichten einzeln durch Übles vergolten werden (ebenso 
die guten Werke): Belohnung und Bestrafung erfolgen teils in 
dieser Welt, teils im Jenseits. Aus diesem Saehverhältnis ergibt 
sich zweierlei mit Notwendigkeit: ein beständiges Abwägen des 
Vorteils oder Schadens, den eine Handlung oder Unterlassung 
bringen kann, und eine sehr verwickelte Buchführung, um das 
Forderungs- bzw. Schuldkonto des einzelnen in Ordnung zu 
halten. 

Die eigentümlich rechenhafte Gemütsverfassung, die man von 
dem Gläubigen erwartet, kommt am besten in den Worten Rabbis 
zum Ausdruck, die man als Leitwort allen einzelnen Vorschriften 
vorausschicken könnte: „Welchen Weg soll der Mensch wählen? 
Einen, der für den Wandelnden und bei den Menschen ehren- 
wert sei. Sei ebenso gewissenhaft in betreff leichter wie wich- 
tiger Vorschriften, denn du kennst den Lohn der Gebote nicht. 
Wäge den (leiblichen) Schaden durch eine Pflichterfüllung gegen 
ihren (geistigen) Lohn und den Gewinn durch eine Übertretung 
gegen ihren Schaden ab. Habe drei Dinge stets vor Augen, so 
wirst du zu keiner Übertretung kommen : es gibt ein schauendes 
Auge, ein vernehmendes Ohr, und alle deine Taten sind in ein 
Buch verzeichnet“ 446 . Das heißt: Ob einer ein „Gerechter“ 
oder ein Verdammter sei, wird durch Aufrechnung von Mizwoth 
gegen Übertretungen festgestellt. Und um diese Aufrechnung 
schließlich vornehmen zu können, bedarf es natürlich einer fort- 
gesetzten Aufzeichnung der Worte und Taten. Jeder hat sein 


Digitized by 


Google 



246 


Konto. Alle Worte des Menschen, selbst die des Scherzes, werden 
ihm darin gebucht: nach Ruth rabba 33a ist es Elia, welcher 
Aufschreibt, nach Esther rabba 86 a besorgen die Engel dies Ge- 
schäft, nach anderen noch andere. 

So hat nun der Mensch eine Rechnung im Himmel, 

z. B. nach Sifra 224 b Israel eine besonders große. Kohelet 
rabba 77c fordert zur Todesbereitung, daß der Mensch seine 
„Rechnung“ in Ordnung bringe. Gelegentlich werden (auf 
Wunsch) Kontoauszfige gemacht : Als die Engel Ismael verklagen, 
fragt Gott: „Wie ist sein augenblicklicher Stand? Ist er im 
Augenblick ein Gerechter oder ein Frevler, d. h. überwiegen die 
Mizwoth oder die Übertretungen“? Sie antworten ihm: er ist 
ein Gerechter usw. Als Mar Ukba starb, verlangte er seine 
Rechnung, d. i. die Summe der Almosen, die er gegeben. Sie 
betrug 7000 Sus. Da er nicht glaubte, daß diese Summe zu 
seiner Rechtfertigung ausreiche, d. i. seine Übertretungen aus- 
gleiche, so verschenkte er noch sein halbes Vermögen, um sicher 
zu gehen. Kethuboth 25. Vgl. B. bathra 7. Endgültig wird 
die Frage, ob einer ein Gerechter oder ein Verdammter sei, 
aber erst entschieden, wenn es sich nach dem Tode des Menschen 
um sein ewiges Geschick handelt. Dann wird die Rechnung ge- 
schlossen und das Saldo gezogen. Aus der Summe und dem Ge- 
wicht der Mizwoth und dem Gewicht der Übertretungen ergibt sich 
Gerechtigkeit oder Verdammnis. Über das Ergebnis der Rechnung 
wird £em Menschen eine Urkunde welche seine Mizwoth 

und Aberoth enthält, ausgefertigt und zur Anerkennung vor- 
gelesen 447 . 

Daß eine solche Rechnungsführung nicht leicht ist, liegt auf 
der Hand. Während der biblischen Zeit — so lange alle guten 
und alle bösen Taten auf Erden vergolten wurden — ging es 
noch an. Später aber, als Lohn und Strafe teils zeitlich, teils 
ewig waren, wurde die Buchführung außerordentlich verwickelt 
und ist in der talmudisch-midrasischen Theologie zu einem kunst- 
vollen Buchführungssystem ausgebildet worden. Danach wird 
unterschieden zwischen dem Kapital (np) oder der Hauptsumme 
des Verdienstes und den Früchten oder Zinsen des Kapitals 
(yjw). Jenes wird für die zukünftige Welt aufbewahrt, diese 
genießt man schon hier. Damit der im Himmel aufbewahrte 
Lohn den Gerechten ungeschmälert für das zukünftige Leben 


Digitized by t^ooQle 


247 


verbleibe , erhebt Gott fQr die gewöhnlichen Wohltaten , die er 
den Gerechten erzeigt, keinen Anspruch an den himmlischen 
Lohn; nur wenn man ihnen außerordentliche, das heißt wunder- 
bare Wohltaten erweist, dann wird der himmlische Lohn dafür 
verringert. Ferner empfängt der Gerechte, um keine Einbuße im 
Himmel zu erleiden, für die im Vergleich mit seinen guten 
Werken in Minderzahl geschehenen bösen Werke auf Erden gleich 
die Züchtigung, wie der Gottlose hinieden den Lohn für sein 
geringes Gute empfängt, damit er dort die volle, ihm bestimmte 
Strafe erleide 448 . 

In der Art und Weise, wie sich die jüdische Theologie dieses 
Kontokorrent mit Gott vorstellt, kommt nun aber noch eine Auf- 
fassung zum Vorschein, die 'mit einer anderen Grundidee des 
Kapitalismus: der Erwerbsidee, eine seltsame Verwandtschaft 
aufweist. Ich meine, wenn ich es in einem Worte ausdrücken 
soll: die unorganische Auffassung vom Wesen der Sünde (und 
der Guttat). Jede Sünde [kommt nach der rabbinischen Theo- 
logie für sich — einzeln — als zähl- und wägbare Tat in Be- 
tracht. „Die Bestrafung wird nach dem Objekt, nicht nach dem 
Subjekt der Beleidigung geschätzt“ 449 . Je nach der Zahl und 
Beschaffenheit der Übertretungen wird der sittliche Wert oder 
Unwert des Menschen bemessen. Der einzelne „Schuldposten“ 
«'scheint rein quantitativ bestimmt: er ist losgelöst von der nur 
qualitativ faßbaren Persönlichkeit], losgelöst von dem gesamten 
sittlichen Zustande des Täters: wie ein Geldbetrag losgelöst ist 
von allem Zusammenhang mit persönlichen Zwecken und sach- 
licher Güterqualität, geeignet, mit einem andern, ebenso ab- 
strakten Geldbeträge 'zu einer Summe addiert zu werden. Das 
Streben des Gerechten nach Wohlergehen hüben und drüben 
muß sich nun aber äußern in einem endlosen Streben nach Ver- 
mehrung des Lohnes als dessen, was seine Aktiva vergrößert. 
Da er nicht in einem bestimmten Zustande seines Gewissens die 
Zuversicht zu gewinnen vermag, Gottes Wohltaten teilhaftig zu 
werden; und da er niemals weiß, ob der Stand seiner Forde- 
rungen und Schulden mit einem Aktiv- oder Passivsaldo ab- 
schließt, so muß er Lohn auf Lohn durch eine Guttat nach der 
andern zu häufen suchen, rastlos bis an sein Lebensende. Die 
begrenzte Endlichkeit aller persönlichen Bewertung ist aus 
seinem religiösen Vorstellungskreise verbannt, die Grenzenlosig- 


Digitized by 


Google 



248 


keit der rein quantifizierenden Betrachtung ist an ihre Stelle ge- 
treten. 

Mit dieser Auflösung des persönlichen Schuldverhältnisses 
in eine Summe von Einzeltaten , wie sie die Theologie vor- 
genommen hat, und mit der dadurch bedingten Einführung eines 
dem Erwerbsstreben verwandten Unendlichkeitsstrebens nach 
hohen Aktivposten geht in der jüdischen Moraltheologie parallel 
eine ganz eigentümliche Hochbewertung gerade des Gelderwerbes 
als des Strebens nach Vermehrung des qualitätlosen, von allen 
naturalen Güterzwecken losgelösten, rein quantitativ bestimmten 
und darum als „absolutes Mittel“ verwendbaren Wertes. Man 
findet diese Stellungnahme bei Verfassern jüdischer Erbauungs- 
schriften häufig: oft oder meist gewiß, ohne daß es den Ver- 
fassern selbst zum klaren Bewußtsein kommt, daß sie den Geld- 
erwerb als solchen verherrlichen, wenn sie ihre Gläubigen davor 
warnen, allzuviel (naturalen) Gütervorrat anzuhäufen. Die Er- 
örterungen finden sich in der Regel bei der Abhandlung des 
„Gelüstes“ (man) : wo Deut, 15, 18 „Du sollst dich nicht ge- 
lüsten . . .“ usw. besprochen wird. Man warnt vor dem 
„Gelüst“, aber man versucht, das Gelüst dadurch zu bekämpfen, 
daß man es auf den Gelderwerb gleichsam ablenkt. „Bist du 
wahrer Jisroöl“, so heißt es in einem der bekanntesten dieser 
Erbauungsbücher unserer Tage 450 , „so wirst du Gelüst nicht 
kennen; wirst keinen Besitz für dich, wirst in allem nur Mittel 
zu Gott wohlgefälliger Tat erstreben“ (daß auch materielle Mittel 
gemeint sind, geht aus dem Zusammenhänge hervor). „Ist 
ja dein ganzes Leben nur eine Aufgabe, alle Güter und Genüsse 
nur Mittel zu dieser Aufgabe . . . und zu dieser Aufgabe ge- 
hört freilich auch, wo Kraft und religiöse Möglichkeit vorhanden, 
Genüsse und Güter zu erstreben, nicht aber als Zweck, 
sondern als Mittel zur Erfüllung von Gott ausgesprochener 
Pflichten.“ 

Möchte man hier den Zusammenhang religiöser Anschauungen 
mit dem Erwerbsprinzip nicht gelten lassen — ich erinnere auch 
noch daran, was Heine über den „Nationalreichtum der Juden“ 
auszusagen hatte! — , so drängt er sich aber wieder auf, wenn 
wir die eigentümliche Gestaltung des jüdischen Gottesdienstes 
betrachten, die sich in wichtigen Abschnitten, wie man weiß, zu 
einer förmlichen Auktion auswächst. Ich denke an die Ver- 


Digitized by t^ooQle 



249 


Steigerung der Thora-Ämter an den Meistbietenden: Ehe die 
Gesetzesrolle in der Synagoge aus dem heiligen Schranke geholt 
wird, geht der Küster oder Schulklopfer rings um den Almenor, 
d. i. den Katheder herum und ruft die bei dem Heraus- und 
Hereintragen der Thora vorkommenden Ämter und Verrichtungen 
mit den Worten zum Verkauf aus: Wer kauft das Hozoa ve 
ha-chenosa (Heraus- und Hineinlegen)? Wer kauft das Ez ha- 
chajim (Verrichtung, die Thora beim Zuwickeln in der Hand zu 
halten)? Wer kauft Hagboah (Aufheben der Thora)? Wer 
kauft Gelilah (Auf- und Zuwickeln)? Diese Ämter werden auf 
Meistgebot versteigert — dem Meistbietenden beim dritten Auf- 
ruf zugeschlagen . . . Das erlöste Gold wird für die Armen der 
Synagoge verwendet. Heute ist die Auktion vielfach aus dem 
jüdischen Gottesdienst gestrichen. Man kann sie aber selbst im 
Berliner Ghetto noch in voller Blüte sehen. Früher war sie 
wohl allgemein ein Bestandteil des Gottesdienstes 491 . 

Seltsam muten uns aber auch die Beden so vieler Rabbanen 
an , die zuweilen wie gewiegte Geschäftsleute über die 
schwierigsten ökonomischen Probleme streiten, und die sehr 
häufig Grundsätze aufstellen, die gar nicht anders denn als 
Aufmunterung zu einem emsigen Erwerbsleben aufgefaßt werden 
können. Es wäre reizvoll, aus dem Talmud allein die Stellen 
zu sammeln, in denen moderne Erwerbsprinzipien von diesem 
oder jenem Rabbi vertreten werden (die ja in der Tat oft genug 
selbst große Geschäftsleute waren). Ich denke z. B. an folgende 
Ausführungen: Baba mezia 42a: Auch dieses hat R. Jizchak 
noch bemerkt: „Der Mensch soll immer sein Geld in 
Gebrauch haben". Ferner erteilte R. Jizchak den guten 
Rat: immer drittele der Mensch sein Vermögen; ein Drittel 
(lege man an) in Grundstücken; ein Drittel in Waren und ein 
Drittel behalte er in Händen. Dann fügte R. Jizchak auch 
dieses noch hinzu: der Segen waltet nur da, wo die Gegen- 
stände dem Auge entzogen sind. Denn es heißt: „Der Ewige 
wird dir den Segen befehlen in Deine Vorratshäuser“. (Ubers. 
Sammter). 

Pesahim 113 a: Rabh sprach zu seinem Sohne Ajba: . . . 
Komm ich will dich nun weltliche Dinge lehren: Während der 
Staub sich noch an Deinen Füßen befindet, verkaufe Deine Ware 
[also: rascher Umsatz wird gepredigt 1] . . . Zuerst öffne den 


Digitized by t^ooQle 



250 


Geldbeutel, nachher löse den Getreidesack . . . Lieber eine Kab 
vom Erdboden als ein Kor vom Dache. Hast Du Datteln in 
der Kiste, so laufe zum Brauer“ (Ubers. L. Goldschm.) usw. 

Was bedeutet diese auffallende Parallelität in den Grund- 
ideen zwischen jüdischer Religion und Kapitalismus? Ist es ein 
Zufall, ein schlechter Witz des Schicksals? Ist das Eine durch 
das andere bewirkt? Gehen beide auf gleiche Ursachen zurück? 
Das sind die Fragen, die sich uns aufwerfen, und die ich im 
weiteren Verlauf dieser Darstellung zu beantworten versuchen 
will. Hier lassen wir uns einstweilen dabei genügen, jene Ver- 
wandtschaft aufgewiesen zu haben, um nunmehr die viel simplere 
Aufgabe zu lösen: nachzuweisen, wie einzelne Einrichtungen, 
Auffassungen, Lehrmeinungen, Vorschriften, Regeln des jüdischen 
Religionssystems von Einfluh auf das wirtschaftliche Verhalten 
der Juden geworden sind, ob und weshalb insbesondere sie die 
kapitalistische Laufbahn des Judentums gefördert haben. Hierbei 
bewegen wir uns in den Niederungen der primär-psychologischen 
Motivation und gehen allen spekulativen Schwierigkeiten aus 
dem Wege. Zunächst handelt es sich um die Bewertung der 
grundsätzlichen Zielsteckungen in der jüdischen Religion und 
ihre Bedeutung für das Wirtschaftsleben. Ihr sind die folgenden 
Gedanken gewidmet. 

IV. Der Bewährungsgedanke 

Der Vertragsidee, die zu den tragenden Ideen des jüdischen 
Religionssystems gehört, entspricht es, daß dem, der den Vertrag 
erfüllt, Lohn zufalle, dem, der ihn verletzt (nicht erfüllt), Schaden 
erwachse. Das heißt : der jüdischen Religion ist zu allen Zeiten 
die juristisch-ethische Annahme eigen gewesen, daß es dem 
»Gerechten“ gut und dem „Gottlosen“ schlecht ergehe. Ge- 
wandelt hat sich im Lauf der Zeiten nur die Auffassung von 
dem Wesen und der Art solcher „Vergeltung“. 

Das ältere Judentum kennt, wie man weiß, kein Jenseits. 
Wohl und Wehe, das der Mensch erleidet, kann er also nur 
in dieser Welt erleiden. Will Gott strafen, will er belohnen: 
er kann es nur, so lange der Mensch auf Erden lebt. Hier also 
muß es dem Gerechten Wohlergehen, hier muß der Gottlose 
Leid erfahren. Tue meine Gebote, spricht der Herr: „auf daß 


Digitized by 


Google 



251 


Du lange lebest und auf daß es Dir wohlgehe im Lande, welches 
Jahve, dein Gott, dir gibt". 

Und darum schreit Job gen Himmel: Warum leben die 
Frevler, altem, wachsen gar an Kraft? Ihr Same besteht vor 
ihnen, gleich ihnen und ihre Sprößlinge vor ihren Augen. Ihre 
Hauser in Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute kommt nicht 
über sie. Sein Stier befruchtet und verschmähet nicht; seine 
Kuh kalbet und verwirft nicht . . . Meinen Pfad aber hat er 
umzäunt, daß ich nicht hinüber kann, und auf meine Stiege 
Finsternis gelegt; es entbrannte über mich sein Zorn und er 
achtete mich als seinen Feind. Meine Brüder hat er von mir 
entfernt. An Haut und Fleisch klebt mein Gebein • . . Warum 
all dies Elend über mich , da ich stets auf Seinen Pfaden 
wandelte ? 

Bald nach Esra dringt der Glaube an eine überirdische Welt 
(Olam ha-ba), an die Fortdauer der Seele nach dem Tode, bald 
auch der Glaube an die Auferstehung des Leibes in das Juden- 
tum ein. Dieser Glaube kam aus der Fremde, wahrscheinlich 
aus dem Parsismus. Er wurde aber wie alle Bestandteile fremder 
Religionssysteme dem Geiste des jüdischen Glaubens gemäß um- 
geformt und erhält das diesem entsprechende Gepräge des Ethi- 
zismus durch die Einschränkung: daß nur die Frommen und die 
Gerechten auferstehen werden. Der Ewigkeitsglaube wird also 
von den Sopherim in die alte Vergeltungslehre hineingearbeitet 
und geschickt dazu benutzt, „das Gefühl der sittlichen Verant- 
wortung“, das heißt also die Furcht vor den Gerichten Gottes 
noch weiter zu steigern 469 . 

Das „Wohlergehen auf Erden“ gewinnt dadurch natürlich 
im Religionssysteme (und in der Vorstellungswelt des Gläubigen) 
eine andere Bedeutung : es ist jetzt nicht die einzige Belohnung 
gerechter Lebensführung, der Lohn im Jenseits kommt hinzu. 
Aber zunächst bleibt doch der Segen des Herrn in dieser 
Welt neben dem seligen Leben in jener Welt als wertvoller Teil 
des Gesamtlohns bestehen. Und daneben wird noch ein anderer 
Sinn des irdischen Glücks offenbar: Das „Wohlergehen auf Erden“ 
wird als ein Zeichen angesehen, daß man ein dem Herrn wohl- 
gefälliges Leben führe (also auch im Jenseits auf Belohnung 
rechnen dürfe). Im irdischen Glück tritt die Gerechtigkeit zu- 
tage: bewährt sich die echte Frömmigkeit. Zwar steht 


Digitized by 


Google 



252 


man vor einem unheilvollen Schicksal nicht mehr ganz ver- 
ständnislos : man versucht es als Strafe zu deuten, die Gott dem 
Gerechten schickt, um ihn für Übertretungen zu strafen, ohne 
daß man sein „Lohnkapital“ im Himmel verringert. Aber froher 
fühlt man sich doch, wenn der Gerechte vom Glück begünstigt 
ist: wenn Gottes Segen schon hienieden auf ihm ruht: dann 
ist seiner Seele ewige Seligkeit um so sicherer gewährleistet. 

Die „ Güterlehre“ (wenn man von einer solchen im Rahmen 
des jüdischen Religionssystems überhaupt sprechen will) empfängt 
danach (insbesondere auch durch die Chokmah, die für die 
talmudisch-rabbinische Theologie in diesem Punkt vielfach Rich- 
tung gebend geworden ist, und die für das praktische Leben 
jedenfalls die größte Bedeutung erlangt hat dadurch, daß ihre 
Lehren unmittelbar von den Laien aufgenommen wurden), die 
„Güterlehre“ empfängt dadurch in der jüdischen Religion folgende 
deutlich umrissene Gestalt: Oberstes Lebensziel bleibt es, die 
Gebote Gottes zu erfüllen. Ein von Gott losgelöstes, irdisches 
Glück kann es nicht geben. Töricht wäre es deshalb, die irdischen 
Glücksgüter zu suchen um ihrer selbst willen. Aber weise ist 
es, sie zu suchen als ein in die göttliche Zweckordnung ein- 
gefügtes Gut, sodaß sie als Zeichen und Unterpfänder göttlichen 
Wohlgefallens, als ein mit der Gerechtigkeit als Lohn verknüpfter 
göttlicher Segen hingenommen werden. Zu den Glücksgütern 
dieser Erde gehört aber nach dieser Auffassung zweifellos auch 
ein wohl bestelltes Haus: gehört materielles Wohlbefinden, gehört 
Reichtum. 

Wenn wir die jüdischen Religionsquellen durchlesen — von 
denen in diesem Falle vor allem die heiligen Schriften und der 
Talmud in Betracht kommen — da die Güterlehre als nicht halachi- 
schen Charakters von den „Entscheidungsschriften“ kaum be- 
rührt wird — , so lassen sich allerdings einige ganz wenige Stellen 
nachweisen, in denen die Armut als das höhere Gut gegen- 
über dem Reichtum gepriesen wird. Aber diesen wenigen 
Stellen stehen gewiß Hunderte und Aberhunderte gegenüber, die 
den Reichtum preisen, die ihn als einen Segen des Herrn be- 
trachten und höchstens vor seinem Mißbrauch oder vor den Ge- 
fahren warnen, die er im Gefolge hat. Gelegentlich wird auch 
wohl gesagt, daß Reichtum allein nicht glücklich mache, man 
müsse auch mit andern Gütern daneben (z. B. mit Gesundheit) 


Digitized by 


Google 



253 


gesegnet sein oder: daß andere Güter ebenso viel wert seien (oder 
wertvoller) als Reichtum. Aber damit ist doch noch nichts 
gegen den Reichtum gesagt; ist vor allem nicht gesagt, daß er 
Gott ein Ägernis sei. 

Als ich diese Auffassung in einem öffentlichen Vortrage 
vertrat, habe ich nachher viel Widerspruch erfahren. Ja, kaum 
ein anderer Punkt meiner Ausführungen hat mir so viel Gegner 
eingebracht als die Behauptung : in der jüdischen Religion werde 
der Reichtum (und der Gütererwerb) als ein wertvolles Gut 
gepriesen. Verschiedene meiner Kritiker (unter denen sich 
mehrere angesehene Rabbiner befinden) haben sich in liebens- 
würdiger Weise der Mühe unterzogen, die Bibel- und Talmud- 
stellen in brieflichen und gedruckten Entgegnungen aufzuzählen, 
die ihrer Meinung nach meine Ansicht widerlegten. Ich er- 
widere darauf, was ich vorhin schon sagte: daß sich zweifellos 
in Bibel und Talmud Aussprüche nachweisen lassen, die den 
Reichtum mindestens als eine Gefahr für den Gläubigen be- 
trachten und die Armut preisen. In der Bibel sind es vielleicht 
ein halbes Dutzend; im Talmud etwas mehr. Das Wichtige ist 
aber, daß sich jeder solchen Stelle gleich zehn entgegenhalten 
lassen, die von dem andern Geiste erfüllt sind. Und in solchem 
Falle kommt es wirklich auf die Masse an. Ich habe mich 
immer so etwa gefragt: denken wir uns den alten Amschel 
Rothschild am Freitag abend, nachdem er eben an der Börse 
eine Million „verdient“ hat, seine heilige Schrift vornehmen und 
darin Erbauung suchen: was kann er ihr entnehmen; welche 
Bedeutung hat die Erinnerung an die eben erworbene Million für 
die innere Läuterung, die der alte fromme Jude am Sabbat- 
vorabend gern durchmachen möchte: wird das erworbene Geld 
auf seiner Seele brennen? oder wird er sich nicht vielmehr 
sagen dürfen (mit gutem , reinem Gewissen sagen dürfen) : 
„Gottes Segen hat auch in dieser Woche auf mir geruht; ich 
danke Dir, Herr, daß Du Deinen Knecht mit Deinem Lichte 
abermals begnadet hast. (Die Konsequenzen, die der Millionen- 
erwerb , damit ich Dir wohlgefalle , für mich im Gefolge 
hat, werde ich schon ziehen: reichlich Almosen geben und 
Deine Gebote noch strenger erfüllen als bisher).“ So wird er 
sprechen, wenn er seine Bibel gut kennt (und er kennt sie 
gut!). 


Digitized by ^.ooQle 



254 


Denn auf folgenden Stellen der heiligen Schriften kann sein 
Auge mit Wohlgefallen ruhen: 

In seiner geliebten Thora wird er immer und immer wieder 
den Segen des Herrn lesen (z. B. Deut. 7, 13 — 15): „Und wird 
Dich lieben und segnen und mehren, und wird die Frucht deines 
Leibes segnen und die Frucht deines Landes, dein Getreide, 
Most und öl, die Früchte deiner Kühe und die Früchte deiner 
Schafe auf dem Lande . • . Gesegnet wirst du sein über allen 
Völkern . . .“ Und vor allem wird sich sein Herz erheben, 
wenn er an die Worte kommt: „Der Herr dein Gott wird dich 
segnen, wie er dir geredet hat. So wirst du vielen Völkern 
leihen und du wirst von niemandem borgen.“ (Deut. 
15, 6; vgl. 28, 43. 44. Ps. 109, 11.) 

Und wenn er in den Psalmen liest, dann vernimmt er folgende 
Worte : 

„Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen; denn die ihn furchten, haben 
keinen Mangel“ (Ps. 34, 10). 

„Der Herr kennet die Tage der Frommen, und ihr Gut wird ewiglich 
bleiben. Sie werden nicht zuschanden in der bösen Zeit, und in der 
Teurung werden sie genug haben“ (Ps. 37, 18). 

„Du — Herr — suchest das Land heim und wässerst es und machst 
es sehr reich. Gottes Brünnelein hat die Fülle ... Du krönest das Jahr 
mit Deinem Gut und Deine Fußtapfen triefen von Fett“ (Ps. 65, 10 — 12). 

„Heil dem Mann, der Jahve fürchtet, an seinen Geboten große Lust 
hat . . . Reichtum und Überfluß ist in seinem Hause.“ (Ps. 112, 1. 8.) 

„Unsere Speicher seien voll, allerlei Vorrat ausspendend; unsere 
Schafe tausend-, zehntausendfältig sich mehrend auf unseren Triften.“ 
(Ps. 144, 13.) 

Und er wird sich freuen mit Job, wenn er den Schluß der 
Leidensgeschichte dieses Schwergeprüften liest und vernimmt: 
„Und der Herr segnete hernach Job mehr denn vorhin, daß er 
kriegte 14 000 Schafe und 6000 Kamele und 1000 Joch Rinder 
und 1000 Esel“ usw. (Denn unser Amschel hat ja — glück- 
licherweise — noch nichts von der modernen „Bibelkritik“ ge- 
hört und weiß deshalb auch nicht, daß im Buche Job 42, 12 ein 
spätes Einschiebsel ist). 

Auch die Propheten versprachen dem Volke Israel, wenn 
es seinen Weg zu Jahve zurückfindet, reichen Lohn an irdischen 
Glücksgütem. Freund Amschel wird etwa Jesaias aufschlagen 
und daselbst im 60. Kapitel lesen, daß die Völker Israel ihr Gold 
und Silber selbst darbringen werden. 


Digitized by 


Google 



255 


Aber am liebsten holt sich der alte Amschel Erbauung aus 
den Sprüchen Salomonis 468 („die ja am prägnantesten die im 
jüdischen Volke herrschenden Lebensanschauungen zum Ausdruck 
brachten“ , wie mir ein Rabbiner schreibt , der gerade aus den 
Proverbien mir beweisen wollte, wie irrtümlich meine Ansicht 
sei und „wie wenig die Bibel zur Erwerbung von Reichtümem 
aneifert“: unter Berufung auf Prov. 22, 1. 2; 23, 4; 28, 20, 21; 
30, 8, deren ich gleich gedenke). Er findet darin die Mahnung, 
daß man dem Reichtum allein nicht alles Glück verdankt: 
20, 1, 2; daß man im Reichtum Gottes Gebote nicht vernach- 
lässige: 30, 8; daß man im „Hasten nach Reichtum“ leicht zu 
Falle kommen könne: „wer aber eilet sich zu bereichern, 

bleibt nicht ungestraft“. (Er „eile“ gar nicht, wird er sich zum 
Tröste sagen). Bedenken auf einen Augenblick könnte ihm der 
einzige Spruch (23, 4) bereiten: „Mühe dich nicht reich zu 

werden; von (dieser) deiner Klugheit laß ab“. Er wird aber 
sofort das Lästige dieser Mahnung dadurch aus seinen Gedanken 
tilgen, daß er sie in Zusammenhang bringt mit 23, 1 — 3, wo es 
heißt: „Setzest Du dich zum Essen mit einem Herrscher, so 
merke wohl, wen du vor dir hast und setze ein Mesöer an deine 
Kehle, wenn du gierig bist ! Laß dich nicht gelüsten nach 
seinen Leckerbissen; denn es ist betrügerische Speise . . .“ 
Aber vielleicht liest er auch über die sechs Worte hinweg, die 
sechs einzigen Worte in den „Sprüchen“, die eine ausdrückliche 
Abmahnung, reich zu werden, zu enthalten scheinen; und wird 
sich statt dessen an den vielen Stellen erbauen, die gerade in 
den „Sprüchen“ den Reichtum preisen (von ihnen schrieb mein 
verehrter Rabbiner merkwürdigerweise gar nichts I). Sie sind so 
zahlreich, daß man sagen kann: sie geben geiadezu den Ton ab, 
auf den die Proverbien (wie die Chokmah überhaupt) gestimmt 
sind. „Unerschöpflich sind die Proverbien in Schilderungen der 
reichen Segnungen, welche aus wahrer Weisheit entspringen 454 “. 
Hier nur einige Proben: 

„Langes Leben ist in ihren (der Weisen) Rechten; in ihrer Linken 
Reichtum und Ehre.“ (3, 16.) 

„Im Hause des Gottlosen ist der Fluch des Herrn; aber das Haus 
des Gerechten wird gesegnet“ (8, 33). 

„Reichtum und Ehre ist bei mir, glänzender Wohlstand und Wohl- 
tätigkeit“ (8, 18). 

„Des Reichen Habe ist ihm eine feste Stadt“ (10, 15). 


Digitized by 


Google 



256 


„Der Weisen Krone ist ihr Reichtum“ (14, 24). 

„Im Hause des Gerechten ist viel Reichtum; aber im Elinkommen des 
Frevlers ist Zerrüttung“ (15, 6). 

„Die Folge der Demut, der Furcht Jahves ist Reichtum, Elhre und 
Leben“ (22, 4). 

Zur Chokmahliteratur rechnet man, wie wir sahen, den 
Prediger und die Weisheit Salomonis. 

Das Buch Kohelet 465 ist ja nun freilich nicht auf einen Ton 
abgestimmt und steckt, dank der zahlreichen Einschiebsel, voller 
Widersprüche. Aber selbst in ihm fand der Fromme nirgends 
eine Stelle, in der der Reichtum verdammt wäre, höchstens 
einige, die etwas wie Verachtung des Reichtums predigen. Da- 
für aber selbst dort in zahlreichem Wiederholen den Preis des 
Reichtums : 

„Wenn irgend einem Menschen Gott Reichtümer und Güter gegeben 
und ihm gestattet, davon zu genießen und sich zu freuen seiner Mühe: 
das ist ein Geschenk Gottes“ (5, 18); 

„Einer, dem Gott Reichtum und Güter und Ehre gibt . . . aber Gott 
gestattet ihm nicht davon zu genießen, sondern ein Fremder genießt es. 
Das ist eitel nur ein schlimmes Übel“ (6, 2). 

„Um sich zu ergötzen, bereitet man Speise, und der Wein erfreuet 
die Lebendigen, und das Gold gew&hret alles“ (10, 19). 

„Am Morgen säe deinen Samen, und auch am Abend laß deine Hand 
nicht ruhen.“ 

In der Weisheit Salomos verkünden folgende Stellen den 
Preis des Reichtums: 

„Es kam mir aber alles Gute zugleich mit ihr (der Weisheit) und 
unzähliger Reichtum in ihren Händen“ (7, 11). 

Die Weisheit . . . „machte ihn wohlhabend durch Arbeit und segnete 
seine Bemühungen. Bei der Habsucht derer, so ihn unterdrückten, stand 
sie ihm bei und bereicherte ihn“ (10, 10. 11). 

Offenbar ist es immer die spezifisch jüdische Lebensweisheit, 
die in diese eklektischen Schriften spätgriechischer Prägung die 
weltbejahende Hochwertung der irdischen Glücksgüter hinein- 
trägt und oft ganz unvermittelt neben weltmüde Reden grie- 
chischer Philosophen hinsetzt. 

„Voll weiser Sprüche“ ist auch das Buch des Jesus, Sohnes 
des Sirach, das „noch mehr in den Volksanschauungen wurzelte“ 
(schreibt mir mein Rabbiner), und das der alte Amschel Roth- 
schild deshalb gewiß auch gern zur Hand nahm. Wenn etwa 


Digitized by 


Google 



257 


ein erwerbsfeindlicher Rabbi ihm aber aus den Sprüchen des 
Jesus Sirach hätte beweisen wollen, wie sehr der Reichtum ver- 
derblich sei, wie „der Reiche dort beinahe zum Frevler ge- 
stempelt und der Reichtum als Quelle der Sünde hingestellt tf 
werde und sich dabei auf Kap. 10 — 13 berufen hätte, so würde 
er ihm geantwortet haben: „Du irrst, Rabbi An jenen Stellen 
wird nur vor den Gefahren des Reichtums gewarnt, wie z. B. 
auch an der von dir mir nicht vorgehaltenen Stelle : 31 (34), 3 ff. 
Aber es wird dort gerade auch gesagt: daß der Reiche, wenn 
er die Gefahren vermeidet, er darum nur um so mehr Verdienst 
erwirbt als der Arme, der die Gefahren gar nicht gekannt hat. 
Denn es heißt daselbst: ,Heil dem Reichen, der unsträflich er- 
funden wird . . . Wer ist er, daß wir ihn preisen? Denn er hat 
Bewundernswertes getan unter seinem Volke. Wer ist ... ver- 
sucht und vollkommen erfunden worden? Er habe Ruhm 1 Wer 
konnte übertreten und übertrat nicht, und Böses tun und tat’s 
nicht. Gesichert bleiben seine Güter, und seine Wohl- 
taten wird die Gemeinde verkünden* (31/34, 8 — 11). Und warum, 
Rabbi (wird Amschel Rothschild weitersprechen), nennst du mir 
nur diese Stellen und verschweigst die andern, in denen wohl 
geredet wird von dem Manne, der es zu vielen Millionen ge- 
bracht hat, warum verschweigst du mir dieses: 

,Güte gegen den Vater wird nicht vergessen werden, und anstatt 
Sündenstrafen wird dir Wohlstand werden* (3, 16). 

J)er Reiche, der Angesehene und der Arme — ihr Ruhm ist die 
Furcht des Herrn* (10, 25). 

, Besser ist, wer arbeitet and an allem Überfluß hat, als wer stolz 
tut und an Brot Mangel leidet* (10, 30). 

,Ein Armer wird geehrt um seiner Klugheit willen und ein Reicher 
— um seines Reichtums willen (der eben seine Klugheit beweist I)* (10, 33). 

,Wer aber in Armut geehrt wird, wie viel mehr in Reichtum?* 

,Und wer in seinem Reichtum verachtet wird, wie viel mehr in 
Armut* (!) (10, 34). 

, Armut und Reichtum kommt von dem Herrn* (11, 14). 

J)er Segen des Herrn ist der Lohn des Frommen, und in kurzer Zeit 
läßt er seinen Segen erblühen** (11, 23). 

,Gut ist der Reichtum, wobei keine Sünde* (13, 20). 

, Erwirb dir Vertrauen bei deinem Nächsten in der Armut, damit du 
zugleich an seinem Wohlergehen teilnehmen kannst* (21, 28). 

,Zur Zeit der Not halten aus bei ihm, damit du bei seiner Erbschaft 
miterbest* (21, 29). 

Sombart, Die Jaden 17 


Digitized by 


Google 



258 


,lfoi wenig und viel sei zufrieden* (29, 30). 

,Gold und Silber erhalten anf festem Faß 1 (!) (40, 25). 

, Reichtum und St&rke erhöhen den Mut* (40, 26). 

, Besser sterben als betteln* (40, 29). 

,Das Erbe der Rinder der Sünder schwindet* (41, 9). 

, Dieser Dinge schäme dich nicht: 

. . . wegen des Erwerbes von viel oder wenig, 

wegen des Gewinnes bei Kauf oder Verkauf (42, 1. 4. 5). 

Und sollte ich mich, Rabbi“, so endigte Amschel Rothschild 
seine Ansprache, „meiner Millionen schämen, sollte ich sie nicht 
vielmehr stolz als Gottes Segen empfinden, wenn der weise Jesus, 
der Sohn des Sirach, von Salomo, dem großen Könige spricht 
(47, 19. 20): ,1m Namen Gottes des Herrn, der da heißet Gott 
Israels, sammeltest du Gold wie Zinn, und wie Blei häuftest du 
Silber? 4 Ich werde hingehen und auch im Namen Gottes des 
Herrn sammeln das Gold wie Zinn und Silber wie Blei, 
Rabbi 1“ 

Angesichts solcher weit- und güterfrohen Anschauungen, wie 
sie aus dieser und aus allen andern für den frommen Juden 
wichtigen Schriften der Bibel sprechen, vermochte sich natürlich 
keine reichtumsfeindliche Lehrmeinung jemals zu entwickeln, so 
sehr die späteren Zeiten dazu Anlaß bieten mochten. Aber auch 
im Talmud gibt es doch zahlreiche Stellen, die auf ganz den- 
selben Ton wie der Bibeltext gestimmt sind: Reichtum ist ein 
Segen, wenn der Reiche in Gottes Wegen wandelt, und Armut 
ist ein Fluch. Und nirgends wohl wird der Reichtum ver- 
pönt. Um wenigstens ein paar solcher Aussprüche hier wieder- 
zugeben: 

„Rab Jahada im Namen Rabs lehrte (es heißt Deut 15, 4): ,Es soll 
jedoch kein Dürftiger unter dir sein.* Das Deinige geht dem aller übrigen 
Menschen vor“ (B. Mez. 30 b ). 

„Wer die Thora in der Armut h&lt, wird sie zuletzt im Reichtum 
halten“ (Abot IV, 9). 

„Es gibt 7 Eigenschaften, die eine Zierde für den Frommen und für 
4ie Welt sind“: eine der 7 ist Reichtum (Ab. VI, 8/9). 

„Der Mensch . . . wende sich im Gebete zu dem, dessen ist der Reich- 
tum und die Besitztümer ... In Wahrheit kommen beide, Reichtum und 
Arbeit nicht vom Geschäft, sondern alles geht nach Verdienst“ (Kidd. 82»), 

„Es heißt Ex. 2, 3: ,Da nahm sie (Moses Mutter) für ihn ein Kästchen 
von Rohr.* Warum insbesondere von Rohr? R. Ele&sar hat gesagt: 
Daraus geht hervor, daß die Gerechten (Frommen) ihr Geld mehr lieben als 
ihren Körper“ (Sota 12»). 


Digitized by t^ooQle 



259 


„Rabba ehrte die Reichen, ebenso ehrte R. Aquiba die Reichen“ 
<Ernb. 86*). 

„Die Rabbanen lehrten: Wer ist reich? Wer an seinem Reichtum 
Zufriedenheit findet — Worte R. Meirs. R. Triphon sagt: Wer 100 Wein- 
berge, 100 Felder und 100 Knechte zu deren Bearbeitung hat. R. Aquiba 
•sagt: Wer eine Frau hat, die schön ist in ihrem Betragen. R. Jose sagt: 
Wer den Abtritt in der Nähe seines Tisches hat“ (Sabb. 25*). 

„Wer das Geld im Zorn ohne Berechnung verschleudert, der wird 
nicht früher abberufen, bis er an die öffentliche Unterstützung angewiesen 
ist“ (R. Nathans Ethik a. a. O. S. 27). 

„. . . in der Zeit der Not lernt der Mensch am besten den Wert des 
Reichtums schätzen“ (ib. S. 28). 

„Wer den R. Eleasar b. Asarjah im Traume sieht, der hoffe auf 
Reichtum“ (ib. 8. 187). 

„Wer das Buch der Könige im Traume sieht, der hoffe auf Reichtum“ 
<8. 188). 

Entsprechend der von der schriftlichen wie mündlichen 
Tradition gleichmäßig verkündeten Botschaft von dem Reichtum 
und dem Wohlergehen als dem Segen, den Gott den Gerechten 
spendet, ist denn auch, soviel wir zu erkennen vermögen, die 
tatsächliche Weltauffassung der Juden zu allen Zeiten eine 
massiv-irdische gewesen, deren Diesseitigkeit (trotz aller Jenseits- 
hoffnungen 1) durch den Messianismus noch eine starke Stütze 
^erhielt. Ansätze zum (außerweltlichen) Asketentum, zur Welt- 
Bucht hat es auch im Judentum gegeben : im 9. Jahrhundert, 
als die Karäer sich zu mönchischer Lebensweise zusammentaten; 
tm 11. Jahrhundert, als Bachja Ibn Pakuda in Spanien predigte. 
Aber solche Richtungen haben niemals im Judentum Boden ge- 
faßt, das vielmehr in allem seinem Elend immer weltbejahend 
nnd reichtumsfroh durch seine Religion erhalten worden ist. 
Die Juden stehen damit im schroffsten Gegensätze zu den 
'Christen , denen die Religion die Freude an dieser Welt nach 
Kräften zu vergällen versucht hat. Ebensooft wie in den Schriften 
-des Alten Testaments der Reichtum gepriesen wird, ebensooft 
wird er im Neuen Testament verflucht, wird die Armut ver- 
herrlicht. Die ganze Weltflüchtigkeit und Weltverachtung des 
Essäers ist ja in die Evangelien hineingeflossen. Man denke 
nur an Matth. 6, 24; 10, 9. 10; 19, 28. 24 und vergleiche damit 
die zahlreichen Parallelstellen. „Leichter ist, daß ein Kamel 
•durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Himmelreich 
Aomme“: Dieses eine Wort, dem sich viele zur Seite setzen 

17* 


Digitized by t^ooQle 



260 


lassen , baut ja das ganze Religionssystem auf grundsätzlich 
anderm Fundament als das Judentum auf. Ihm entspricht kein 
einziger Satz im ganzen alten Testamente und gewiß aueh nicht 
in der gesamten tahnudisch-rabbinischen Theologie. 

Es bedarf nicht erst viele Worte, um zu zeigen, welche 
grundverschiedene Stellung der fromme Jude und der fromme 
Christ zum Erwerbsleben einnehmen müssen. Dieser muß ja 
immer erst mit Aufwendung von allerhand Kunstkniffen da» 
reichtums- und erwerbsfeindliche Essflertum aus seinen heiligen 
Schriften weginterpretieren. Welche Seelenangst muß der 
reiche Christ ausstehen, da ihm das Himmelreich verschlossen 
ist, gegenüber dem reichen Juden, der, wie wir sehen, „im Namen 
Gottes" Gold wie Zinn und Silber wie Blei sammelt. 

Daß diese weltflüchtige Religion den Christen lange Jahr- 
hunderte Hindernisse in ihrem Erwerbsleben bereitet hat, ist 
bekannt: „infructuosi in negotiis dicimur“, sagt Tertullian. 

Und außer allem Zweifel steht es, daß die Juden diese 
Hindernisse niemals gekannt haben. Je frömmer ein Jude war, 
je besser er in seinen Religionsschriften Bescheid wußte, desto 
mehr Antrieb zum Erwerben mußte er aus den Lehren seine» 
Glaubens schöpfen. Ein wunderhübsches Beispiel dafür, wie sich 
in wahrhaft frommen Judenherzen die Erwerbsinteressen mit den 
Religionsinteressen aufs innigste verschmelzen, bieten wiederum 
die Memoiren unserer Glückei von Hameln: „Gelobt sei Gott, 
der gibt und nimmt, der getreue Gott, der unsera Schaden alle- 
mal wieder so reichlich ersetzt“ (S. 178). „Also . . , hat mir 
(mein Manu) . . . einen großen Brief geschrieben, eitel Trost, 
daß ich mich doch sollt’ zufrieden geben. Gott — sein Namo 
sei gelobt — werde uns an anderer Stelle alles wiedergeben, 
welches auch geschehen ist“ (S. 155) . . . Mein Mann . . . „hat 
auf dieser Messe wieder Tausende verdient, wofür dem Höchsten 
gedankt sei, der seine Gnade und Barmherzigkeit nicht von un» 
abgetan hat“ (eb.). (Die Reise hat uns über 400 Reichstaler ge- 
kostet) „Aber wir haben es nicht viel geachtet, denn wir sind 
— Gott sei Dank — in großen Geschäften gesessen. Gelobt sei 
Gott, der seine Gnade und Wahrheit nicht von uns genommen 
hat" (S. 146). Und so ähnlich an vielen andern Stellen. 


Digitized by 


Google 



261 


V. Die Rationalisierung des Lebens 

Da die jüdische Religion auf dem Vertrage Jahves mit seinem 
Volke beruht, also gleichsam ein zweiseitiges Rechtsgeschäft ist, 
so muh der Leistung Gottes eine Gegenleistung seines Volkes 
entsprechen. 

„Und was soll ich dagegen dir erfüllen?“ 

Auf diese Frage hat der Herr durch den Mund seines Knechtes 
Moses oft und deutlich die Antwort gegeben. Zwei Dinge sind 
es, die er den Söhnen Israels immer wieder ans Herz legt : seid 
heilig und erfüllt meine Gebote. 

„Und ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges 
Volk sein“ (Ex. 19, 6; wiederholt Deut. 7, 6; 14, 2). 

„Siehe ich habe früh gelehret Gebote und Rechte, wie mir 
der Herr mein Gott geboten hat, daß ihr also tun sollt im Lande, 
darein ihr kommen werdet, daß ihr es einnehmt. So behaltet es 
nun und tut’s. Denn das wird eure Weisheit und Verstand sein 
bei allen Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote, 
daß sie müssen sagen: Ei, welche weise und verständige Leute 
sind das, und ein herrlich Volk.“ (Deut. 4, 5. 6. in unzähligen 
Wiederholungen.) 

Nicht Opfer, nicht Hingabe fordert Jahve; sondern Gehor- 
sam. „Ich habe Euera Vätern des Tages, da ich sie aus Ägypten- 
land führte, weder gesagt noch geboten von Brandopfem und 
andern Opfern; sondern dies gebot ich ihnen und sprach: Ge- 
horchet meinem Wort, so will ich Euer Gott sein und Ihr 
sollt mein Volk sein ; und wandelt auf allen Wegen, die ich Euch 
gebiete, auf daß es Euch wohl gehe“ (Jerem. 7, 22. 23). 

Man weiß nun, daß der Gang der Ereignisse das Judenvolk 
immer mehr und mehr dahin drängte, die „Gerechtigkeit“ in der 
strengen Erfüllung der Gebote zu suchen. Was anfänglich etwa 
noch daneben an innerlicher Heiligkeit erstrebt worden war, 
trat zurück und verlor an Bedeutung gegenüber dem Formalis- 
mus einer peinlichen Gesetzlichkeit. Heilig und gesetzestreu 
werden identische Begriffe. Man weiß auch, daß dieses An- 
klammem an das Gesetz eine Art von Schutzmaßregel be- 
deutete, die die Rabbinen ergriffen, um das Volk gegenüber den 
Angriffen erst des Hellenismus, dann des Christentums zu schützen 
und es später — nach der Zerstörung des zweiten Tempels — 
in seiner nationalen Selbständigkeit zu erhalten. Der Kampf 


Digitized by 


Google 



262 


gegen den Hellenismus hatte das Pharisäertum erzeugt, der Kampf 
gegen das paulinische und nachapostolische Christentum, das das 
normschaffende Gesetz aufheben wollte und an seine Stelle den 
Glauben setzte, bildete das Pharisäertum zum Talmudjudentum 
um. Die alte Tendenz der Schriftgelehrten: „das ganze Leben 
in die heilige Regel einzuspinnen“ machte nun immer größere 
Fortschritte. In ihrer politischen Vereinsamung unterwarfen sich 
die Gemeinden völlig der neuen Hierarchie : der Nomokratie der 
Schriftgelehrten: sie wollten den Zweck, nämlich die Erhaltung 
des Judaismus, und fügten sich deshalb den Mitteln. Schule und 
Gesetz überdauerten den Tempel und den Staat, der pharisäische 
Rabbinismus kam jetzt zu unbeschränkter Herrschaft. „Gerechtig- 
keit“ bedeutete von nun an soviel wie korrektes und legales Lebern 
Die Frömmigkeit bekam, unter dem Einfluß der zu Juristen ge- 
wordenen Schriftgelehrten, ein vollkommen juristisches und zwar 
privatrechtliches Gepräge. Die Religion wurde zum bürgerlichen 
und geistlichen Recht. In der Mischna ist dieser streng gesetz- 
liche, ja juristische Charakter schon völlig ausgeprägt. Die Ge- 
bote und Verbote, die pentateuchischen und die gefolgerten Be- 
stimmungen galten ihr als Befehle und Dekrete Gottes, an denen 
nicht gemäkelt noch gerüttelt werden dürfe; sie müssen unver- 
brüchlich nach Vorschrift befolgt werden. Auf Äußerlichkeiten 
wird nun ein immer größeres Gewicht gelegt ; zwischen Kleinem 
und Großem im Gesetz wird immer weniger ein Unterschied ge- 
macht. „Dem bindenden Gesetze wurde mehr als der sich selbst 
Norm gebenden Gewissenhaftigkeit vertraut“ (Graetz) 466 . 

Und so ist es bis heute durch zwei Jahrtausende geblieben» 
Das strenggläubige Judentum hält noch heute an diesem starren 
Formalismus und Nomismus fest. Keinem Wandel sind die Grund- 
lagen des jüdischen Glaubens ausgesetzt: die Thora bleibt in 
jedem Worte heute verbindlich wie am Tage, da sie Mose ver- 
kündet wurde. „Die Thora Israels, sie ist gleichsam die klassische 
hohe Schule alles Sittlich-Moralischen. Ihr Unterrichts-, ihr Lehr- 
plan besitzt ewige Aktualität. Sie ist keiner Mode des Tages r 
keiner Reform der Zeit unterworfen“ 46T . 

Und die darin enthaltenen Gebote und Verbote Gottes sind 
von dem Frommen strengstens zu halten : ob klein, ob groß ; ob- 
sie ihm sinnvoll oder sinnlos erscheinen ; sind zu erfüllen strictis- 
sime so wie sie dort stehen aus dem einzigen Grunde, weil es 


Digitized by 


Google 



263 


Gottes Gebote sind. Also ein ausgesprochener Heteronomismus. 
„Du sollst die Gebote üben und die Gesetzesschranken achten, 
weil es Gottes Gebote und von Gott gesetzte Schranken sind, 
nicht weil auch du sie für Recht einsfihest; denn auch die Ge- 
bote, deren Grund du ahnst, sollst du nicht deshalb erfüllen — 
denn dann gehorchtest du nur dir, und du sollst Gott gehorchen — , 
sondern weil Gott es dir geboten und wie alle Geschöpfe auch 
du Gottes Diener sein sollest mit jeglichem. Das ist deine Be- 
stimmung“ 468 . Und diese besinnungslose Gesetzeserfüllung: sie 
macht den „Gerechten“, sie macht den „Heiligen“. „Heilig im 
Sinne der Thora ist derjenige, der die Fertigkeit erlangt hat, den 
uns geoffenbarten Willen Gottes mit kampfloser Bereitwilligkeit 
und derselben Freudigkeit zu vollziehen, als ob es der eigene 
Wille wäre. Diese Heiligkeit, dieses volle Aufgehen des eigenen 
Willens in dem Willen Gottes ist ein erhabenes Ziel, das nur 
wenige in seiner ganzen Höhe erreicht haben und je erreichen 
werden. Das Gebot der Heiligung bezieht sich darum zunächst 
auf das Streben nach dieser Heiligkeit. Dieses Streben ist jedoch 
jedem möglich ; es besteht in fortgesetzter Selbstbewachung und 
Selbstbearbeitung, in unausgesetztem Kampfe gegen das Niedrige 
und Gemeine, Sinnliche und Tierische. Die Erfüllung der Vor- 
schriften der Thora ist die sicherste Leiter, auf welcher wir zu 
immer höheren Stufen der Heiligkeit uns emporzuschwingen ver- 
mögen.“ 

In diesen Worten ist der Zusammenhang aufgedeckt, der 
zwischen den beiden Grundforderungen: der Heiligkeit und der 
Gesetzlichkeit, obwaltet. Wir lernen verstehen, daß das oberste 
Ziel, nach dem Israel immerfort strebt, dieses bleibt : ein Priester- 
volk, ein heiliges Volk zu sein, und daß ihm hierzu als sicherster 
Weg erscheint: Gottes Gebote streng zu erfüllen. Und erst 
wenn wir diesen inneren Zusammenhang uns zu völliger Klar- 
heit gebracht haben, vermögen wir die eigentümliche Bedeutung 
zu ermessen, die die jüdische Religion für die Gesamtgestaltung 
des Lebens hat. Am letzten Ende bleibt die „äußerliche“ Ge- 
setzlichkeit doch nicht äußerlich : sie übt steten und nachhaltigen 
Einfluß auf das Innenleben aus, das eben gerade sein besonderes 
Gepräge durch die Beobachtung des starren Gesetzesformalismus 
erhält. 

Der psychologische Vorgang, der zu der späteren Auffassung 


Digitized by t^ooQle 



264 


in der jüdischen Religion geführt hat, scheint mir also dieser zu 
sein: zunächst stand man nur den Geboten Gottes gegenüber 
und kümmerte sich nicht um den Inhalt. Dann aber muhte sich 
natürlich der Inhalt als ein material sehr bestimmter allmählich 
dem Gläubigen offenbaren : ein ganz scharf umschriebenes Lebens- 
ideal trat ihm aus den Worten Gottes entgegen. Diesem Ideal 
nachzustreben — „gerecht“, „heilig“ zu werden — wurde seine 
Sehnsucht. Die Gesetzeserfüllung bot ihm die Erfüllung in drei- 
fachem Sinne: 1. weil Gott als oberstes Postulat sie aufgestellt 
hatte; 2. weil in dem Gesetz diejenigen Forderungen enthalten 
waren, deren Erfüllung das Ideal der Lebensführung verwirk- 
lichten ; 8. weil die strenge Beobachtung des Gesetzes selbst als 
ein sicheres Mittel erkannt wurde, jenem Ideal sich anzunähem. 

Wollen wir also die Wesenheit der jüdischen Religions- 
betätigung verstehen, so müssen wir uns doch — über die Ein- 
sicht in die formaUstisch-nomistische Natur der jüdischen Religion 
hinaus — Klarheit verschaffen von dem, was (material) unter 
„Heiligkeit“ von den Frommen verstanden wurde und verstanden 
wird. Erst wenn wir das erfahren haben, werden wir auch jenen 
Einfluh der religiösen Satzungen auf die praktische Lebens- 
führung (die wir doch vor allen Dingen erkennen möchten) wahr- 
zunehmen vermögen. 

Was ein heiliges Leben im Sinne jüdischer Frömmigkeit sei, 
werden wir leicht in allgemeiner Umschreibung sagen können, 
wenn wir uns des in dem vorigen Abschnitte aufgewiesenen 
Zuges von Irdischheit erinnern, der die jüdische Religion zweifel- 
los erfüllt. Dann kann gewiß heilig nicht den Sinn der Lebens- 
veraeinung und Lebensabtötung haben wie in andern Religionen, 
etwa der buddhistischen oder auch der urwüchsig-christlichen. 
Eine „ auß er weltliche “ Askese (sahen wir schon) lag dem Juden- 
tum immer fern. „Die Seele, die dir gegeben, erhalte sie, töte 
sie nicht ab“: das ist der Grundsatz, den der Talmud für die 
Lebensführung aufstellt 459 und der zu allen Zeiten gegolten hat. 

Lebensveraeinung kann also nicht Heiligkeit bedeuten ; aber 
ebensowenig das natürliche Leben des triebhaften Menschen 
führen : denn dann wäre ja das heilige Leben nicht erst eine von 
dem Gerechten zu erfüllende Aufgabe. Bleibt also nur übrig, 
daß unter einem heiligen ein Leben verstanden werde, das nach 
außeraaturalen Normen einem idealen Plane gemäß mit Bewußt- 


Digitized by t^ooQle 



265 


heit neben oder gegen das natürliche Leben gelebt wird. Heilig- 
keit heißt mit einem Worte: Die Rationalisierung 
des Lebens. Heißt die Ersetzung des naturalen , triebhaften, 
kreatürlichen Daseins durch das bedachte, zweckgewollte, sittliche 
Leben. In die Natur hinein wird das Sittengesetz gestellt, das 
grundsätzlich aller Ableitung aus natürlichen Motiven entbehrt. 
„Nicht auf die natürliche Anlage des Menschen — auch zum 
Guten — kommt es an, sondern auf das vom Naturtrieb erlösende 
Gesetz, auf die alle Natur überschreitende Schöpfung des Sitt- 
lichen — darauf kommt es an.“ Heilig werden heißt „geläutert“ 
werden, und die Läuterung besteht eben in der Überwindung 
aller realen Antriebe zum Handeln durch das formale Element 
des sittlichen Gehorsams. Die Bedeutung der rein formalen 
Gesetzeshaltung besteht darin, „daß die Menschen fort und fort 
aus den Banden des Natürlichen und Gewöhnlichen erlöst, von 
den ausschließlichen Antrieben des Nützlichen und Angenehmen 
befreit, über die alltäglichen gemeinen und feinen sinnlichen Be- 
friedigungen hinausgehoben werden, und bei allem Tim und 
Wollen mit Handlungen umgeben sind, welche einzig und allein 
einem idealen Interesse dienen“ 460 . 

Also ein schroffer Dualismus — jener furchtbare Dualismus, 
der uns allen ja noch im Blute steckt — kennzeichnet die jüdische 
Auffassung vom sittlich Wertvollen: die Natur ist zwar nicht 
unheilig, aber sie ist doch auch nicht heilig; sie ist noch nicht heilig, 
das sie erst durch uns werden solL In ihr schlummern alle Keime 
zur „Sünde“ ; die Schlange lauert im Grase immerfort wie damals 
im Garten Eden. „Gott hat den bösen Trieb geschaffen; er hat 
aber auch die Thora, die Sittenlehre als Gewürz (Heilmittel) da- 
gegen geschaffen “ 46 *. Das ganze Menschenleben ist ein einziger 
großer Kampf gegen die feindlichen Mächte der Natur: das ist 
der Leitgedanke, der die jüdische Moraltheologie beherrscht, und 
dem dann nur das System von Vorschriften und Maßregeln ent- 
spricht, mit deren Hilfe das Leben rationalisiert, entnatürlicht, 
geläutert, geheiligt werden könne, ohne doch aufgegeben oder 
auch nur abgetötet zu werden. Hier tritt der grundsätzliche 
Unterschied zwischen christlich-essenischer und jüdisch-pharisäi- 
scher Moral zutage: jene führt konsequent aus dem Leben hin- 
aus in die Einsamkeit, ins Kloster (wenn nicht in den Tod); 
diese fesselt den Gläubigen mit tausend Ketten an das leibliche 


Digitized by 


Google 



266 


Leben, auch an das bürgerliche Leben, und fordert doch, daß es 
seiner naturalen Gestalt entkleidet werde. Die christliche 
Glaubenslehre macht den „Heiligen" zum Mönch; die jüdische 
zum Rationalisten. Jene endigt in der außerweltlichen , diese 
(wie man es genannt hat) in der innerweltlichen Askese, sofern 
man unter Askese die Überwindung des Kreatürlichen im Menschen 
versteht. 

Wir werden diese Eigenart des jüdischen „Sittengesetzes 8 
(das, wie immer wieder betont werden muß, stets auch Religions- 
gesetz ist) noch besser erkennen, wenn wir nun seine Vorschriften 
im einzelnen prüfen. 

* * 

* 

Die Wirkung des Gesetzes ist in doppeltem Sinne ge- 
dacht: es soll wirken durch sein Dasein und soll wirken durch 
seinen Inhalt. 

Das Dasein des Gesetzes oder der Gesetze allein, die 
Verpflichtung, sie gewissenhaft zu erfüllen, schafft die Bewußtheit 
der Lebensführung dadurch, daß sie den Menschen zwingt, un- 
ausgesetzt seine Handlungen zu bedenken und rationell zu ge- 
stalten. Vor jede Lust wird ein Warner gestellt, jede trieb- 
hafte, impulsive Lebensäußerung wird ausgeschaltet durch die 
zahllosen Meilenzeiger und Wegweiser, Läutewerke und Signal- 
lichter, die in Gestalt hundertfacher Weisungen den Gläubigen 
umgeben. „In die natürlichen Bestrebungen des Menschen wird 
durch das Gesetz Ordnung, Regel und Maß eingeführt. Die for- 
male Gesetzlichkeit bewirkt, daß der Mensch das Leben als 
Ganzes, Einheitliches, durch den einen großen Lebenszweck : das 
Gott wohlgefällige Handeln selbst in sich Gefestigtes betrachtet.“ 
„Ist die Gesinnung des Menschen allezeit auf die Erfüllung des 
Gesetzes gerichtet, so ist sein Leben zwar noch nicht syste- 
matisch geordnet oder kunstmäßig aufgebaut, aber doch von der 
sittlichen Idee gleichmäßig durchzogen.“ Da die Erfüllung der 
zahllosen Gesetzesvorschriften — Maimonides hat bekanntlich 365 
Verbote (von denen heute noch 243 gelten) und 248 Gebote auf- 
gestellt! — nicht ohne sehr gründliche Kenntnis der Quellen 
möglich ist, so schließt die Verpflichtung zur Gesetzlichkeit das 
eifrige Studium der heiligen Schriften und namentlich der Thora 
ein, und in diesem Studium wird abermals ein Mittel erblickt, 
den Lebenswandel zu einem „heiligen“ zu gestalten: „Wenn 


Digitized by t^ooQle 



267 


dich der böse Trieb packt, so schleife ihn nach dem Lehrhause/ 
heißt es im Talmud (Kidd. 30 b). 

Daß die Fülle von Geboten und Verboten dazu bestimmt 
sei, des Gläubigen Leben zu läutern : diese Meinung ist zu allen 
Zeiten verbreitet gewesen und wird heute noch von allen ortho- 
doxen Juden geteilt. 

„Gott wollte Israel läutern, darum vermehrte er die Zahl der Gebote 4 
(Makkoth 23*) 468 ; 

„Die Gebote sind von Gott erteilt, um mittels ihrer die Menschen zu 
läutern" (Wajikra Rabba Kap. 18) 468 . 

„Es wäre wohl für den Menschen besser nicht geboren zu sein; da 
er aber einmal auf der Welt ist, so soll er oft seine Handlungen unter- 
suchen" (Erubin IS 1 ») 46 *. 

„Jede Nacht soll der Mensch seine während des verflossenen Tages 
verübten Handlungen untersuchen" (Magen Abraham zu 0. Ch. 239, 
Sch. 7) 468 . 

„Go denke und Beobachte sind in einem Ausspruch verkündigt 
worden" 464 . 

Wie heute die Auffassung von der sittlichen Bedeutung der 
Gesetzlichkeit in fromm* jüdischen Kreisen ist, ergeben die 
folgenden Aussprüche bekannter Männer: 

„Damit die Gottesfurcht . . . unser ganzes Sinnen, Denken und 
Empfinden, unser ganzes Leben so voll und ganz durchdringe, hat die 
Religion ihre Lehren und Wahrheiten in gesetzliche Vorschriften gehüllt, 
in Sitten und Bräuche ausgeprägt, die das ganze Denken und Empfinden, 
des Israeliten durchflechten, so daß kein Raum für das Böse bleibt." 469 

„Die religionsgesetzliche Lebensführung wird zur Quelle ethischer Be- 
lehrung und Erziehung. Zunächst ist es die Durchflechtung des ganzen 
menschlichen Daseins mit gesetzlichen Ordnungen, mit der Erfüllung von 
Vorschriften, welche alle Arbeit und allen Genuß des Lebens begleiten. 
Indem der Rabbi nismus . . . das Leben des einzelnen und der Gesamtheit 
mit religionsgesetzlichen Handlungen umgibt, indem so alle Zeit des Tages 
und des Jahres die Ereignisse der Natur und die Schicksale und Erlebnisse 
der Menschen gesetzlich umspannt, indem alles und jedes in der Betätigung 
und dem Genuß des Daseins durch einen Segensspruch, eine symbolische 
Handlung oder eines Brauches Übung geweiht wird, gestaltet sich alles 
Tun und Wollen und Wirken zu einer gleichartigen und zusammengefaßten 
Einheit.“ 466 

Daß diese Behauptung: „alles und jedes in der Betätigung 
und dem Genüsse des Daseins“ werde von einer religionsgesetz- 
lichen Vorschrift erfaßt, keine Übertreibung enthält, lehrt ein 
Blick in eins der heute verbreiteten jüdischen Religionsbücher, 
die ja im wesentlichen aus der Aufzählung der Gebote und Ver* 


Digitized by 


Google 



268 


bote bestehen. Auf allen deinen Wegen: deum respice et cura 
gilt auch heute noch für den frommen Juden. Er mag einem 
Könige begegnen; mag Zwerge oder Neger sehen; er mag auf 
der Reise an Ruinen vorbeikommen; er mag eine Arznei ein- 
nehmen oder in ein Bad steigen; er mag ein Gewitter heran- 
nahen oder die Stürme brausen hören; er mag aufstehen, sich 
ankleiden; er mag seine Notdurft verrichten oder die Mahlzeit 
einnehmen; er mag in das Haus treten oder es verlassen; er 
mag einen Freund begrüben oder einem Feinde begegnen: für 
jedes Ereignis ist eine Vorschrift erlassen, die beachtet werden muß. 

„Von ganz besonders heiligendem Einflüsse auf uns ist die pünktliche 
und gewissenhafte Beobachtung aller Verbote der Thora (deren, wie wir 
sahen, noch heute 243 in Geltung sind). Durch sie werden wir bei 
jedem Gedanken und Gefühle, bei jedem Wort und jeder 
Handlung veranlaßt, uns zu fragen: dürfen wir nach dem Willen Gottes 
so denken und fühlen, so sprechen oder handeln? Doch genügen wir dem 
Gebote der Heiligung noch nicht, wenn wir nur diese Vorschriften be- 
folgen; die Thora gebietet vielmehr, daß wir uns auch üben auf dem Ge- 
biete des uns Erlaubten mäßig und enthaltsam zu sein.“ 

Diese letzten Worte leiten schon hinüber zu der inhaltlichen 
Seite der Gesetzlichkeit: zu dem, was die Vorschriften material 
von dem Gläubigen verlangen. Nach dem, was wir von dem 
Geiste der jüdischen Moraltheologie bereits erfahren haben, wird 
es nicht schwer sein, diesen Inhalt des Gesetzes zu bestimmen. 
Offenbar werden alle Gesetzesvorschriften darauf abzielen, das 
Kreatürliche im Menschen zu unterdrücken, sein Triebleben zu 
bändigen, die naturale Motivation durch Zweckbedachtheit zu 
ersetzen, werden sie, wie man es mit einem Worte ausgedrückt 
hat, „die ethische Temperierung des Menschen“ anstreben. 

Nichts soll gedacht, gesprochen, getan werden, das nicht 
vorher auf seine Gesetzlichkeit hin geprüft und danach als dem 
Zwecke der Heiligung dienlich erkannt worden ist. Also: Aus- 
schaltung aller Lebensbetätigung um ihrer selbst willen; Aus- 
schaltung aller „spontanen“ Handlungen; Ausschaltung alles Tuns 
aus naturalem Antriebe. 

Keine unbefangene Freude an der Natur 1 Die man vielmehr 
nur genießen darf, indem man der Weisheit und Güte Gottes 
gedenkt. Im Frühjahr, wenn die Bäume blühen, spricht der 
Fromme: „Gelobt seist Du, ... welcher in seiner Welt nicht 
das geringste hat fehlen lassen, der in ihr schöne Bäume und 


Digitized by 


Google 



269 


Geschöpfe erschaffen hat, an denen sich die Menschen vergnügen 
können/ 1 Beim Anblick des Regenbogens erinnert er sich des 
Bundes mit Jahve. Auf hohen Bergen, in großen Wüsteneien, 
im Anblick mächtiger Ströme, kurz allemal, wenn sein Herz sich 
labt , soll er alle diese Gefühle zu dem Dankesgebet zusammen- 
fassen: „Gelobet seist Du . . ., der das Schöpfungswerk zu An- 
fang gemacht hat“ usw. 

Keine unbefangene Hingabe an die Werke der Kunst 1 Werke 
der bildenden Kunst sind schon deshalb gemieden, weil sie leicht 
zur Übertretung des zweiten Gebotes führen können. Aber auch 
die Erzeugnisse der Dichtkunst werden von dem Frommen gering 
geachtet, wenn sie nicht irgendwelche Beziehung auf Gott haben, 
und alle Lektüre ist nur heilsam, wenn sie mindestens prakti- 
schen Nutzen stiftet. „Am besten ist es, die Schriften der 
Thora zu lesen oder solche, die darauf Bezug haben. Wollen 
wir zur Erholung anderes lesen, so sollen wir nur solche Bücher 
wählen, die uns mit nützlichen Kenntnissen bereichern. 
Unter den Büchern, die zur Unterhaltung, zur Vertreibung der 
ohnehin flüchtigen Zeit geschrieben sind, gibt es gar viele, die 
geeignet sind, sündhafte Wünsche in uns hervorzurufen; es ist 
verboten, solche zu lesen“ 4 * 7 usw. 

Kein harmloses, weltliches Vergnügen 1 „Wo die Spötter 
sitzen — das sind die Theater und Zirkusse der Heiden.“ Ge- 
sang, Tanz. Zechgelage, die nicht zu den rituellen Festlichkeiten 
gehören, sind untersagt. R. Dosa b. Hyrkan sagt: „Der Morgen- 
schlaf, der Mittagswein, die Tändeleien mit den Kindern, das 
Verweilen in den Versammlungshäusem der gemeinen Leute 
schaffen den Menschen frühzeitig aus der Welt“ 4 * 8 . „Ein Mann 
des Mangels wird, wer Freude liebt; wer Wein und öl liebt, 
wird nicht reich“ (Prov. 21, 17). 

Wertlos für den Frommen oder gar ihm hinderlich sind 
danach alle Eigenschaften, die zu solcher „unbedachten" Lebens- 
betätigung der Menschen hinführen: wie Enthusiasmus, Be- 
geisterung, in der vielleicht etwas Unzweckmäßiges passiert 469 ; 
Herzensgüte oder Weichheit des Gemüts — denn du sollst gut 
sein, nur weil dich „die Idee des Wohlwollens“ leitet: „jeder 
pathologische Beigeschmack, jede Erweichung deines Gemüts 
durch den Anblick des Leidenden soll fern bleiben, und der Adel 
und die Würde des idealen Gesetzes soll(en) dir vorschweben“ 470 — ; 


Digitized by 


Google 



270 


ein sinnliches Temperament — „die Quelle der Leidenschaft (und 
damit der Sünde) ist die Sinnlichkeit" 471 ; Unbefangenheit: kurz 
alles, was den natürlichen, also den unheiligen Menschen kenn- 
zeichnet. 

Die Kardinaltugenden des Frommen sind dagegen: Selbst- 
beherrschung und Bedächtigkeit, Ordnungsliebe und Arbeitsam- 
keit, Mäßigkeit und Enthaltsamkeit, Keuschheit und Nüchternheit. 

Selbstbeherrschung und Bedächtigkeit äußern sich vor 
allem in der Beherrschung des W ortes, das immer und immer wieder ge- 
predigt wird: 

„Sei nicht voreilig mit deiner Zunge* — „der Mund des Thoren wird 
ihm zum Verderben* — „wer seine Lippen schließt, ist verständig“ : diese 
Mahnungen sind vor allem häufig in den Weisheitsschriften. Ich verweise 
nur auf folgende Stellen: Koh. 1, 8; Prov. 10, 8; 10, 10; 10, 19; 10, 31; 
14, 23; 17, 27. 28; 18, 7; 18, 21; 21, 23; Jesus Sirach 4, 34 (29); 5, 15(13); 
9, 25 (18); Kap. 19. 20. 22. 

Und so lehrt auch die spätere Tradition: „Baba sagte: wer ein 
unnützes Gespräch führt, Übertritt ein Gebot ... R. Aha b. Jäqob sagte: 
Er begeht auch ein Verbot“ (Joma 19 *). 

„Das Werk unserer Heiligung,“ sagt ein Erbauungsbuch unserer Tage, 
„ist sehr wesentlich bedingt durch die Gewalt, welche wir über unsere Zunge 
haben, durch unsere Kunst zu schweigen . . . Die Fähigkeit zu sprechen . . . 
ist (dem Menschen) zu heiligen und nützlichen Zwecken verliehen . . . Alles 
wertlose Sprechen aber, welches weder dem einen noch dem andern 
Zwecke dient, ist . . . von unsern Weisen auf Grund von Schriftstellen ver- 
boten.“ 478 

Ganz allgemein aber wird Selbstbeherrschung von dem Frommen 
verlangt: 

„Wer ist unter den Starken der Stärkste: der seine Leidenschaft be- 
zähmt“ (R. Nathan XXIII, 1). 

„Eine eingerissene Stadt ohne Mauer: ein Mann, dessen Gemüt Selbst- 
beherrschung fehlt“ (Prov. 25, 28). 

Bedachtsamkeit: 

„Die Bedachtsamkeit des Fleißigen führt zum Überfluß, wer aber 
eilet, eilet zum Mangel* (Prov. 21, 5). 

„Auch Gier ohne Einsicht ist nicht gut, und wer mit den Füßen eilet, 
der tritt fehl“ (Prov. 19, 2). 

Fleiß und Sparsamkeit: 

Der Jude soll den Tag aufwecken, nicht der Tag ihn, wobei die 
Rabbinen sich auf Ps. 57, 9 berufen. 

Arbeitsam soll er ihn verbringen: der Müßiggang wird verpönt 

„Einem Lässigen gerät sein Handel nicht, aber ein fleißiger Mensch 
wird reich“ (Prov. 12, 27) 478 . 

„Reichtum mindert sich durch Eitelkeit, wer aber in die Hand sammelt, 
mehret ihn“ (Prov. 13, 11). 


Digitized by 


Google 



271 


„Auch wer l&ssig ist in seinem Geschäft, der ist Brnder des Ver- 
schwenders“ (Prov. 18, 9). 

„Köstlicher Schatz nnd öl sind in der Weisen Wohnung, aber der 
törichte Mensch verschlemmet sie“ (Prov. 21, 20. 

„Wer das Geld im Zorn ohne Berechnung verschleudert, der wird 
nicht früher abberufen, bis er an die öffentliche Unterstützung angewiesen 
ist“ (R. Nath. Eth. HI, 2). 

Gerade die stärksten Triebe im Menschen gilt es zu zügeln, 
gilt es in geordnete Bahnen zu lenken, gilt es ihrer Ursprünglich- 
keit zu entkleiden, gilt es in einen wohlbedachten Zweckmittel- 
mechanismus einzuspannen, gilt es zu rationalisieren. 

Also die Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses. 
Auch der Hunger soll nicht gestillt werden, wie es die Lust 
gebietet, sondern nur um den Anforderungen des Leibes gerecht 
zu werden. Auch wenn der Weise ißt und trinkt, soll er es 
nach göttlichen Vorschriften und Gott zur Ehre tun. Daher die 
unübersehbare Schar der Speisevorschriften ; daher die Er- 
mahnungen zur Wohlbedachtheit auch bei der Mahlzeit, die mit 
Gebet zu eröffnen, zu begleiten und zu beschließen ist; daher 
die Empfehlung der Mäßigkeit; daher die Warnung, beim Essen 
und Trinken etwa Freude zu empfinden und sie nicht nur in 
ihrer Zweckdienlichkeit zu betrachten. Der Spruch des Predigers 
(10, 17): „Wohl dir Land . . ., dessen Fürsten zur rechten Zeit 
essen, zur Stärkung, nicht zur Schwelgerei“, ist oft in der morali- 
sierenden Literatur verwandt worden, um die Vorgänge der 
Nahrungsaufnahme zu „rationalisieren“ : siehe z. B. R Nathan 
XX, 8 — bis auf den heutigen Tag, an dem die Erbauungs- 
schriften wie die Prediger den Frommen anreden: „Nun, ... 
dein Gott, durch den du allein ein Recht hast, Geschöpfe seiner 
Welt zu deiner Nahrung zu verwenden: dem allein, wenn du 
nicht viehisch issest, auch dein Essen und Trinken geweiht ist, 
als Kräftesammeln zu seinem Dienst“ usw. 474 . 

„Wenn du nun des Wohlgefallens halber speisest, dem Gaumen- 
reiz zu dienen — dann ist dein Genuß noch nicht rein mensch- 
lich ; . . . wenn du aber nur soviel und in der Absicht issest, 
durch den Genuß dich zu stärken zu einem Gott wohlgefälligen, 
rüstigen Leben und Leibe, dann wird dein Genuß menschlich, 
wird Gottesdienst wie deine Tat . . . darum wie zu heiliger 
Handlung sollst du dich anschicken zu deinem Mahle“ 476 . 

„Der Israelite soll . . . den Nahrungsgenuß zu einer heiligen 


Digitized by 


Google 



272 


Handlung weihen, soll seinen Tisch als Altar, die Speise als 
Opfer betrachten, das er genießt, um neue Kräfte für die Er- 
füllung seiner Pflichten zu gewinnen“ 4T6 . 

(Im übrigen ist die jüdische Küche bekanntermaßen ganz 
vorzüglich.) 

Und endlich — die Hauptsache natürlich 1 — wie der 
Hunger soll auch die Liebe „rationalisiert“, also entnatürlicht 
werden. 

Nirgends stärker als im Gebiet des Erotischen kommt ja 
der starre Dualismus zum Ausdruck, den letzten Endes doch 
das Juden volk, wenn nicht in die Welt gebracht, so in der 
„Kultur“ weit (durch die Infizierung des Christentums mit seinen 
Ideen) zu fast allgemeiner Anerkennung erhoben hat. Alle 
früheren Religionen hatten in der Geschlechtlichkeit doch das 
Göttliche erblickt und hatten immer mit frommem Schauer den 
Geschlechtsakt selbst als Gottesoffenbarung betrachtet. Sie alle 
haben den Phallusdienst in gröberer oder feinerer Form gekannt. 
Bei keiner einzigen ist der Sinnenreiz als Sünde verdammt ge- 
wesen, und bei keiner einzigen ward das Weib als Trägerin der 
Sünde angesehen. Wie bei dem Juden volke seit Esras Zeiten. 

Moses hielt sich von seiner Frau fern, um würdig zu sein, 
vor dem Herrn zu erscheinen: er heiligte sich dadurch. 

Job sagte : „Mit meinen Augen schloß ich einen Bund, was 
sollte ich lüstern nach der Jungfrau schauen.“ 

Die Weisheitsbücher sind voll der Warnungen vor dem 
Weibe: „Honig träufeln des fremden Weibes Lippen, und glätter 
als öl ist ihr Gaumen; aber ihr Ausgang ist bitter wie Wermut, 
scharf wie ein zweischneidig Schwert“ (Prov. 5, 3. 4). 

Im Talmud und der rabbinischen Literatur herrscht derselbe 
Geist, man könnte sagen: die Angst vor dem Weibe. „Der 
Bann treffe den, der durch einen Gedanken sich Lust erregt“ 
(Nidda 13 b , Übers. Fasse 1). „Besser er sterbe, als daß er 
eine Sünde der Unzucht begehe“ (Sanhedrin 75 a ). (Zu den drei 
Todsünden, die selbst nicht durch den Tod gesühnt werden 
können, gehört neben Mord und Götzendienst die Unkeuschheit.) 
„Wer sein Geschäft bei Frauen hat, sei nicht mit ihnen allein 
(Kidd. 82 *, Übers. Wünsche). Durch alle Kodizes setzt sich diese 
Angst fort. Nach dem Eben-ha-äser (XIX. Abschnitt) wird der- 
jenige gesteinigt, der einer Frauensperson beigewohnt hat, die 


Digitized by t^ooQle 



273 


allgemein als zu den verbotenen Graden gehörend anerkannt ist. 
Verboten ist, auch nur die Kleider einer solchen Frau anzusehen 
oder ihren kleinen Finger, „um einen Genuß davon zu haben“ ; 
verboten, sich von einer Frau bedienen zu lassen, seine er- 
wachsene Schwester oder Tante zu umhalsen und zu küssen 
(XXI. Abschn.), mit einer Frau (verbotenen Grades) allein zu sein 
(XXII. Abschn.) usw. 

Und nicht minder streng lauten Vermahnungen, die heute 
die Rabbinen den Gläubigen machen. 

„Hüte dich selbst vor jeder Annäherung zur Unzucht . . . 
Sieh nichts, hOre nichts, lies nichts, denke nichts, das deine 
Einbildungskraft unrein beschäftigt und mit dem Unreinen ver- 
traut macht . . . Geh nicht hinter einem Frauenzimmer her auf 
der Straße, und kannst du nicht anders, betrachte sie nicht 
lüstern. Laß dein Auge nicht lüstern weilen auf Frauenzimmern ; 
nicht lüstern auf ihrem Haar; auf ihre Stimme nicht dein Ohr 
lüstern lauschen; an ihrer Gestalt nicht dein Auge sinnen; ja, 
kein Kleid darfst du betrachtend ansehen, von dem du weißt, 
welches Frauenzimmer es getragen. Meide die Gelegenheit! Nie 
dürfen zwei verschiedene Geschlechter zusammen an einem Orte 
weilen, der von andern abgeschlossen ist. Beide Geschlechter 
sollen nicht zusammen scherzen. Auch im Scherz ist Hände- 
druck und Augenwink, Umarmen und Küssen sündlich.“ 477 

Und daß die Warnungen nicht vergebens erhoben werden, 
dafür sprechen die Selbstbekenntnisse frommer Juden, wie etwa 
das des Jakob Fromer, der uns von seinen Qualen also berichtet : 
„Ich kannte die Frau bisher nur als personifizierte Sünde. Sie zu 
berühren, sie anzusehen, ihren Gesang zu hören, war ein Frevel, 
und selbst der Gedanke an sie befleckte die Seele. Schon als 
fünfjähriger Junge war ich nicht zu bewegen, wenn Weiber auf 
der Schwelle saßen, hindurchzugehen, aus Furcht, ich könnte sie 
berühren ... Ist dir der Verführer (Satan) auf der Straße be- 
gegnet, dann schleppe ihn ins Bethamidrasch . . . Auch da findet 
er keine Ruhe. . . . Dann fand ich Ratschläge, wie man sich vor 
solchen Sünden zu schützen vermöchte. Wenn einen der Gedanke 
an die Frau nicht losließ, so sollte man sich vorstellen, wie ekel- 
erregend sie sein würde, wenn ihre Haut abgeschunden wäre. 
Um sich auf der Straße vor einem unkeuschen Blick zu schützen, 

Sombart, Dl« Juden 18 


Digitized by 


Google 



274 


sollte man sich fortwährend die Buchstaben Jehova vergegen- 
wärtigen“ 4T8 . 

Aber nun wieder die Pointe! Solchen erotisch-neurastheni- 
schen Angstzuständen begegnen wir auch in anderen Religionen. 
Seit e inm al „die Sünde“ in der Gestalt des Weibes in die Welt 
gekommen ist, hat es in allen dualistischen Religionen Psycho- 
pathen gegeben, die ihr Leben damit verbracht haben, sich an 
lüsternen Vorstellungen aufzuregen und doch das Weib zu fliehen. 
Aber während diese Gemütsart ihre Träger in andern Religionen 
in die Wüste oder in die Klosterzelle, jedenfalls zur „Keusch- 
heit“ im Sinne der Enthaltung vom Geschlechtsverkehr, führte 
oder zur sexuellen Perversität, steigt mit ihr der fromme Jude 
mit fünfzehn Jahren als Mann, mit zwölf Jahren als Jungfrau 
ins — Ehebett. Was dabei herauskommen muh, ist leicht ein- 
zusehen: wir können es wieder mit einem einzigen Worte aus- 
drücken: die Rationalisierung des Geschlechtsver- 
kehrs in der Ehe. Verboten ist er nicht, aber Sünde ist er 
im Grunde doch : dabei bleibt’s. Und um ihn nun seines sündigen 
Charakters einigermaßen zu entkleiden, muß ihm seine Spon- 
taneität genommen, muß er durchgeistigt, geheiligt werden. Das 
geschieht, wenn man den Liebesakt zu Ehren Gottes nach den 
frommen Regeln ausübt, die die Weisen aufgestellt haben. 

„Der Mann nicht ohne das Weib, das Weib nicht ohne den 
Mann; aber beide nicht, ohne daß der göttliche Geist in ihrem 
Bunde waltet.“ 

Schon der Talmud enthält zahlreiche Vorschriften, wie dann 
nun — damit sie Gott Wohlgefallen — die Eheleute sich zu 
verhalten haben. 

Während des Mittelalters wurde dieser Zweig der Moral- 
theologie ganz besonders stark entwickelt. Maimonides hat 
schon sehr genaue Vorschriften. Im 11. Jahrhundert hat dann 
R.’ Elieser b. Nathan (abbr. Raben) einen eherechtlichen Kodex 
— den Eben ha-äser — verfaßt, in dem die verschiedenen Be- 
stimmungen über die Handhabung dieser Sache (erstmalig?) 
systematisiert und kodifiziert werden. Im 13. Jahrhundert 
schreibt R. Nachman eine Schrift über die Heiligung der Ehe, 
deren Grundgedanke ist: das Ehepaar soll sich jedesmal „weihen“, 
das heißt „sich mit erhabenen Ideen von der Hoheit Gottes und 
von dem sittlich heiligen Weltzweck erfüllen“ 479 . 


Digitized by 


Google 



275 


Der Eben ha-äser: „das Eherecht“ , das natürlich auch alle 
auf das Eheleben bezüglichen Rechtsbestimmungen enthält, bildet 
dann einen Teil des Tur und des Schulchan Aruch. In der Form, 
in der es hierin aufgenommen ist, ist es also heute (zuzüglich 
der Kommentare) verbindliches Gesetz für den frommen Juden. 
Die Bestimmungen des 25. Abschnitts des Eben ha-äser, der 
(neben dem 76.) hier hauptsächlich in Betracht kommt, sind fast 
wörtlich in die Religionsbücher der Gegenwart (wie Fassei, 
Hirsch u. a.) übergegangen. Die Grundgedanken sind dieselben 
geblieben, wie wir sie seit Anbeginn finden: der Mann treibe 
auch mit seiner Frau keine Leichtfertigkeiten und verunreinige 
seinen Mund nicht mit törichter Rede, wenn er allein mit ihr 
ist; auch währenddem soll er nicht mit ihr schwätzen. Selbst 
währenddem soll er nicht sein Vergnügen beabsichtigen, 
sondern soll dies betrachten als jemand, der seine Schuld be- 
zahlt, denn er ist hierzu verpflichtet, um die Gebote seines 
Schöpfers zu erfüllen, nämlich das Geschlecht zu vermehren und 
dafi ihm Kinder werden. „Jede Einigung der Geschlechter, 
die nicht zu diesem Zwecke geschieht, ist Mißbrauch der ver- 
liehenen Kräfte, ist Entwürdigung des Menschen zum Tier, ja 
unter das Tier, ist Unzucht“ (Hirsch). „Selbst in der Ehe muß 
auf einer (so!) keuschen Weise genossen werden, nicht im Über- 
maß, nicht mit geilen Gedanken beschäftigt, nicht wollüstig, 
sondern der Menschheit würdig zur Erreichung des Zwecks, 
nämlich zur Erhaltung der Gattung“ (Fas sei). 

Diesem Grundgedanken entspricht dann eine reiche Kasuistik. Ich 
hatte das Thema in meinem Manuskript erschöpfender abgehandelt, 
empfinde aber beim Anblick der gedruckten Worte einen solchen Ekel, 
daß ich im Interesse meiner Leser diese Stellen aus dem Satze heraus- 
nehme. Der Spezialist kann sich ja aus den Quellen das Fehlende leicht 
ergänzen. Die rabbinische Literatur, das sei nur noch bemerkt, berührt 
sich hier auf das engste mit der geilen Beichtstuhlerotik eines Liguori und 
Konsorten einerseits, mit der — Puritanermoral anderseits. 

Nach frommer Auffassung ist das Aaronsiege) selbst ein 
Warner : daß selbst in den Augenblicken der höchsten Lust sich 
der Jakobssohn seiner Pflichten bewußt bleibe: 

„Daß Du heilig haltest die Kräfte Deines Körpers, sie nicht 
vergeudest in schnöder Lust der Sinne, sie nicht verwendest 
gegen Deines Gottes Willen, sie verwendest wie und wozu ER 
sie Dir gab ; daß Du ganz Mensch, ganz Gottesdiener seiest, auch 

18* 


Digitized by 


Google 



276 


in tierischster Handlung eine heilige Aufgabe erblickest zum 
heiligen Zweck des Weltenbaus, diesem heiligen Zweck heilig 
haltest Deine Kräfte und auf diesen heiligen Zweck beschränkest 
des Tieres Forderung und wissest, Gott werde Rechenschaft 
fordern für jeden Splitter Kraft, den Du außer seinem Dienst ver- 
geudest oder gegen seinen Willen verwendest — das rufe Dir 
das Awrohöm-Siegel zu — und hemme Dein Beginnen, wenn Du 
Tier willst werden.“ 480 

Alle diese Gedankengänge, in denen sich zwei Jahrtausende 
lang die jüdische Auffassung vom Wesen und der Heiligung des 
Geschlechtsverkehrs bewegt, sind, wie mir scheint, vorgezeichnet 
in der wundervollen Erzählung bei Tobia Kapitel 8, Vers 4 bis 9, 
die also lautet und mit der ich dieses seltsame Kapitel würdig 
beschließen möchte: „Als aber beide eingeschlossen waren, er- 
hob sich Tobia vom Lager und sprach: Stehe auf, Schwester, 
und laß uns beten, daß der Herr sich unsrer erbarme 1 Und 
Tobia hob an zu beten: Gepriesen seist Du, Gott unsrer Väter, 
und gepriesen sei Dein heiliger Marne in Ewigkeit! Die Himmel 
und alle Deine Geschöpfe müssen Dich preisen ! Du hast Adam 
geschaffen und ihm zur treuen Gehilfin Eva, sein Weib, gegeben : 
von dieser stammt das Geschlecht des Menschen ab. Du sprachst : 
es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei : wir wollen ihm eine 
Gehilfin machen, die ihm gleich sei. 

Und nun, o Herr, nehme ich diese meine Schwester nicht 
um Wollust willen, sondern mit redlicher Absicht. Laß mich 
also Gnade finden und mit ihr ein hohes Alter erreichen! Und 
sie sprach mit ihm: Amen! Und beide schliefen die Nacht.“ 

* * 

* 

Warum ich so ausführlich gerade diese Seite der jüdischen 
Religion abgehandelt habe? Weil ich in der Tat glaube, daß 
die von der jüdischen Religion bewirkte Rationalisierung des 
Lebens und vor allem des Geschlechtslebens in ihrer Bedeutung 
für das Wirtschaftsleben nicht leicht überschätzt werden 
kann. Wenn wir überhaupt einen Einfluß der Religion auf das 
wirtschaftliche Verhalten der Juden gelten lassen wollen, so 
müssen wir ganz gewiß die Rationalisierung der Lebensführung 
als das wirksamste Mittel anerkennen, diesen Einfluß auszuüben. 

Man könnte zunächst daran denken, daß dieser Rationalisierung 


Digitized by 


Google 



277 


eine Menge von Eigenschaften, von „Tugenden“, ihr Dasein ver- 
danken, die für eine geordnete Wirtschaftsführung unentbehrlich 
sind: Arbeitsamkeit, Ordnungsliebe, Sparsamkeit und ähnliches. 
Auch der ganze Zuschnitt des Lebens, wie ihn die Weisen vor- 
schreiben, ist derart, daß dabei die Ökonomie zu ihrem Rechte 
kommt. Nüchternheit, Mäßigkeit, Frömmigkeit sind sicherlich 
für den Geschäftsmann dienliche Eigenschaften. Was in den 
heiligen Schriften und namentlich in den talmudisch-rabbinischen 
Werken als Ideal der Lebensführung gepriesen wird, kann man 
geradezu als die Moral des tugendhaften Gewürzkrämers be- 
zeichnen : sich mit einer Frau begnügen, pünktlich seine Schulden 
bezahlen, Sonntags (oder Sabbat) zur Kirche (Synagoge) gehen 
und mit grenzenloser Verachtung auf die sündige Welt um sich 
her herabblicken. 

Aber in der Züchtung dieses Typus — des tugendhaften 
Gewürzkrämers — erschöpft sich die Leistung der jüdischen 
Moralistik nicht, ja sie ist nicht einmal eine ihr gerade eigene 
Vollbringung und ist auch für den Werdegang des Wirtschafts- 
lebens nicht eine besonders wichtige Tat. Die bürgerliche Wohl- 
anständigkeit ist vielmehr ganz von selbst in der Zunftstube und 
hinter dem Ladentische ausgebildet worden. Ich werde dafür 
an einer andern Stelle den Nachweis erbringen, daß in der Tat 
alle die Tugenden, die wir heute als diejenigen des gesitteten 
Bürgers schätzen und rühmen, sich mit Notwendigkeit in der 
Enge des kleinbürgerlichen Daseins entwickeln mußten. Des 
kleinbürgerlichen Daseins : womit ihr Geltungsbereich recht 
eigentlich bezeichnet wird. Zwar ist der Kapitalismus durch 
jene spezifischen Epiciertugenden ebenfalls gefördert worden, 
namentlich in der Zeit seiner Entstehung, als Fleiß und Spar- 
samkeit, Ordnungsliebe und häuslicher Sinn erst die Grundlage 
für den Bau der kapitalistischen Wirtschaft legen mußten. Aber 
dieser selbst ist doch nicht aus jenen Eigenschaften erwachsen 
und wir wollen doch gerade immer feststellen, was die Juden 
zu der spezifisch kapitalistischen Entwicklung beigetragen haben. 

Da wäre denn schon eher zu denken an die Bedeutung, die 
die Pflege des Familienlebens für die Entfaltung wirtschaftlicher 
Energien zweifellos besitzt, und daß diese Pflege und Verfeinerung 
des Familienlebens doch recht eigentlich als das Werk der jüdischen 
Weisen (und freilich auch des äußeren Schicksals der Juden) an- 


Digitized by 


Google 



278 


Zusehen sind. Denn offenbar gewinnt die Frau zuerst im Juden- 
tum die hohe Achtung, die allein die Grundlage eines innerlichen 
und auf die Lebenshaltung des Mannes nachhaltig wirkenden 
Familienlebens bilden kann. Und alles, was äußerliche Be- 
stimmungen und ermahnendes Zureden tun können, um ein in 
sich wohlgeordnetes Familienglück zu erzeugen, das haben die 
Talmudisten und Rabbinen durch den Erlaß ihrer Vorschriften 
über die Eheschließung, das Zusammenleben der Ehegatten, die 
Kindererziehung usw. nach Kräften zu leisten versucht. Daß das 
Eheleben bei den frommen Juden noch heute „heiliger“ gehalten 
wird als bei den Angehörigen anderer Konfessionen, erweist 
(äußerlich) die Statistik der unehelichen Geburten. Diese sind 
überall erheblich weniger zahlreich bei den Juden als bei den 
Christen und sinken in heute noch streng orthodoxen Gegenden 
auf einen ganz winzigen Betrag. 


Beispiele 4 ** 1 : 

bei der 

bei den 

Gesamtbevölkerung 
Auf 1000 Köpfe kamen uneheliche 
Geburten im Königreich Preußen 

Juden 

(1904) 

2,51 

0,66 

Württemberg (1905) 

2,88 

0,16 

Hessen (1907) 

2,18 

0,82 

Bayern (1908) 

4,25 

0,56 

Rufiland (1901) 

1,29 

0,14 


Was insbesondere dieses letzte Land anbetrifft, so lehrt ein 
genauer Vergleich noch einen größeren Abstand der jüdischen 
von den verschiedenen christlichen Konfessionen in der Höhe 
der Ziffer unehelicher Geburten (daneben doch auch schon eine 
leise Lockerung der jüdischen Sexualmoral während des letzten 
Menschenalters): In Rußland waren von je 100 Geburten un- 
ehelich bei den 



Griechisch- 

orthodoxen 

Katholiken 

Protestanten 

Juden 

1868 

2,96 

8,45 

3,49 

0,19 

1878 

8,13 

8,29 

3,85 

0,25 

1898 

2,66 

8,58 

3,86 

0,87 

1901 

2,49 

8,57 

3,76 

0,46 


Digitized by t^ooQle 



279 


Erst das Familienleben, wie es die Juden führten und ein- 
führten, in das der Mann seine höchsten Lebenswerte hinein trügt, 
aus dem er Kraft und Frische und Mut und Interesse an der 
Erhaltung und Ausgestaltung seines Lebensspielraums heraus- 
nimmt, erst dieses Familienleben, dürfen wir annehmen, schafft 
Kraftzentralen für männliches Wirken, die groß genug sind, um 
damit ein so mächtig viel Kraft heischendes Wirtschaftssystem 
wie das kapitalistische in Betrieb zu setzen. Die Auslösung so 
grober Energien, wie sie dieses Wirtschaftssystem erforderlich 
macht, können wir uns nicht gut denken ohne die Vermittelung 
der psychologischen Antriebe, die das Interesse an der nicht nur 
sozial sondern vor allem individual-geistig-gemütlich erfaßten Einzel- 
familie im Manne erzeugt. 

Aber vielleicht müssen wir unsere Schachte unter die Ober- 
schicht der psychologischen Motivation hinunter in die Tiefen der 
physiologisch-somatischen Vorgänge im Menschen treiben. Ich 
meine : daß wir bedenken müssen, wie ganz eigenartig die Kon- 
stitution des männlichen Juden durch die in das Eheleben, das 
heißt hier das Geschlechtsleben, hineingetragene Rationalisierung 
beinflußt werden mußte. Das Phänomen, vor dem wir stehen, 
ist dieses: ein seinem Blute nach über das normale Maß zur 
Geschlechtlichkeit veranlagtes Volk — eine projectissima ad 
libidinem gens nennt es Tacitus — wird durch die Satzungen 
seiner Religion zu starker Beschränkung des Geschlechtstriebes 
gezwungen. Der außereheliche Geschlechtsverkehr ist ganz ver- 
boten ; jeder muß sich sein Lebenlang mit Einer Frau begnügen ; 
und auch der Umgang mit dieser ist auf ein geringes Maß zu- 
rückgeführt : zu dem, was ich schon ausführte, nehme man noch 
hinzu, daß die Schonzeit der Frau in jedem Monat 5 + 7 Tage 
betrug, und daß sie nach der Geburt eines Sohnes 7+33 Tage, 
nach der einer Tochter 14+66 Tage „unrein“ war, also nicht 
berührt werden durfte — in jedem Jahre also (denn alle Jahre 
kam ein Kind) 40 oder gar 80 Tage Karenzzeit zu den monat- 
lichen 12 Tagen hinzukamen. 

Daß aus dieser eigentümlichen Lage sich für die Energieökono- 
mie des jüdischen Mannes ganz bestimmte Konsequenzen ergeben 
mußten, sieht auch der Laie ohne weiteres ein (und sollte von 
dem medizinischen Fachmann durch genauere Untersuchungen 
wissenschaftlich festgestellt werden). Die Konsequenz, meine 


Digitized by 


Google 



280 


ich : daß starke Energien durch die Einschränkung des Geschlechts- 
verkehrs gebunden wurden, die sich nun in anderer Richtung — 
und diese Richtung war, angesichts der uns bekannten Lage der 
Juden während der ganzen christlichen Zeitrechnung, die der 
wirtschaftlichen Betätigungen — bewähren konnten. Aber man 
wird, noch einen Schritt weiter gehen, und nicht nur ganz 
allgemein einen Zusammenhang zwischen Beschränkung des 
Geschlechtstriebes und wirtschaftlicher Energie, sondern noch 
einen besonderen Zusammenhang herzustellen versuchen müssen 
zwischen jener partiellen Sexualaskese und dem Erwerbstriebe. 
Hierfür fehlen uns einstweilen noch die notwendigen wissen- 
schaftlichen Unterlagen. Der einzige Forscher, soviel ich sehe, 
der dieses — für alle moderne Soziologie grundlegende — 
Problem berührt hat, ist der Wiener Psychiater Freud 48 *. In 
seiner Lehre von der n Verdrängung der Triebe“ ist gelegentlich 
die Abdrängung des Geschlechtstriebes in der Richtung des 
Gelderwerbstriebes wenigstens als möglich angedeutet. Hier 
sollten die fachwissenschaftlichen Untersuchungen einsetzen. 
Denn mit den laienhaften Feststellungen, die wir ja freilich 
täglich machen können: daß seigneuriales Wesen sich gern in 
einer Vereinigung von Liebes Verschwendung und Geldverschwen- 
dung darstellt, während Knickrigkeit, Greiz, Habsucht, hohe Greld- 
be Wertung überhaupt Hand in Hand gehen mit einem ver- 
kümmerten oder doch kümmerlichen Geschlechtsleben — mit 
solchen Beobachtungen im Alltagsleben dürfen wir uns nicht 
vermessen, dieses tiefeingreifende Problem zu lösen. Immerhin 
kann mir das Recht nicht abgesprochen werden, dieses Argu- 
ment — wenn auch einstweilen nur in der Form der Hypo- 
these — in die Kette meiner Beweisführung einzufügen; das 
heißt also die Behauptung aufzustellen, daß ein guter Teil der 
spezifisch kapitalistischen Befähigung des Judenvolkes auf die 
partielle Sexualaskese zurückzuführen ist, zu der die jüdischen 
Männer von ihren Religionslehrern gezwungen wurden. 

Ebenfalls späteren wissenschaftlichen Untersuchungen, 
namentlich rassenhygienischer und anthropologischer Natur, ist 
es Vorbehalten, festzustellen: welchen Einfluß die gesamte 

Rationalisierung der Lebensführung auf die körperliche und 
geistige Leistungsfähigkeit der Juden ausgeübt hat : wie in dieser 
Richtung die sehr vernünftige Regelung des Geschlechtsverkehrs 


Digitized by t^ooQle 


281 


{schon längst besteht im jüdischen Recht auch eine Beschränkung 
körperlich oder geistig minderwertiger Personen in ihrer Zu- 
lassung zur Ehe); die durchgehende Rationalisierung der Er- 
nährung (Speisegesetz! Mäßigkeitsvorschriften !) und ähnliches 
gewirkt haben. Ansätze zu solchen Untersuchungen sind vor- 
handen 488 . Ich hoffe, daß sie nun bald sich zu größeren, syste- 
matischen Arbeiten auswachsen werden. 

Was ich hier zum Schlüsse dieses Abschnittes nur noch 
feststellen möchte, ist dieses: daß die Rationalisierung der 
Lebensführung für die Betätigung der Juden in der Wirtschaft 
natürlich auch insofern eine ganz große Bedeutung hat, als sie 
durch diese Gewöhnung an ein Leben gegen die Natur (oder 
neben der Natur) formal vorzüglich vorgebildet wurden, um ein 
Wirtschaftssystem wie das kapitalistische, das ebenfalls wider 
die Natur (oder neben der Natur) sich aufbaut, zu entwickeln 
und zu fördern. Die Erwerbsidee sowohl wie der ökonomische 
Rationalismus bedeuten ja im Grunde gar nichts anderes als die 
Anwendung der Lebensregeln, die den Juden ihre Religion im 
allgemeinen gab, auf das Wirtschaftsleben. Damit der Kapitalis- 
mus sich entfalten konnte, mußten dem naturalen, dem trieb- 
haften Menschen erst alle Knochen im Leibe gebrochen werden, 
mußte erst ein spezifisch rational gestalteter Seelenmechanismus 
an die Stelle des urwüchsigen, originalen Lebens gesetzt werden, 
mußte erst gleichsam eine Umkehrung aller Lebensbewertung 
und Lebensbedenkung eintreten. Der homo capitalisticus ist das 
künstliche und kunstvolle Gebilde, das aus dieser Umkehrung 
schließlich hervorgegangen ist. Natürlich daß dieser Umbildungs- 
prozeß zum großen Teil durch den Kapitalismus selbst erfolgt 
ist. Aber er wurde gefördert und vielleicht auch ursprünglich 
angeregt durch den Vorgang der Neugeburt, den jeder Jude im 
Laufe seines Lebens unter dem Einfluß seiner Religion erlebte. 
Der homo Judaeus und der homo capitalisticus gehören insofern 
derselben Spezies an, als sie beide homines rationalistici arti- 
ficiales sind. 

Insofern aber dieses der Fall ist, mußte die Rationalisierung 
des jüdischen Lebens durch die Religion unmittelbar die Be- 
fähigung des Juden zum Kapitalismus wenn nicht erzeugen, so 
ganz bestimmt steigern und mehren. 


Digitized by 


Google 



282 


TL Israel und die Fremden 

Als wir uns die äußern Umstände ins Gedächtnis riefen, die 
dem Juden bei seiner wirtschaftlichen Karriere förderlich gewesen 
sind, mußten wir als ganz besonders wichtigen Faktor die Fremd- 
heit gelten lassen, in der das jüdische Volk alle Jahrhunderte hin- 
durch gelebt hat : die Fremdheit in einem psychologisch-sozialen 
Sinne gefaßt. Hier gilt es nun festzustellen, daß die Wurzeln 
dieser Fremdheit in den Satzungen der Religion zu suchen sind, 
gilt es festzustellen, daß diese selbe Religion zu allen Zeiten die 
Fremdheit des Juden geschärft und gefestigt hat. 

Wir haben die Entwicklung der jüdischen Religion zur 
Nomokratie verfolgt und eben mit dieser Entwicklung wurde 
auch' naturgemäß die Abschließung des jüdischen Stammes ge- 
fördert. „La loi leur donnait l’esprit de clan“, hat Leroy-Beaulieu 
treffend gesagt, der überhaupt diese Seite der jüdischen Ge- 
schichte mit besonderem Glück dargestellt hat. Die bloße Tat- 
sache dieses Gesetzes mußte ja genügen, um seine Anhänger 
von allem Verkehr mit ihrer Umgebung auszuschließen. Die 
Juden mußten abgesondert von den Goim leben, wenn sie ihr 
Gesetz streng beobachten wollten: sie selbst* haben das Ghetto 
geschaffen, das ja auch vom nichtjüdischen Standpunkt aus 
ursprünglich eine Konzession, ein Privilegium, nicht etwa eine 
Feindseligkeit bedeutete. 

Und sie wollten abgesondert leben, weil sie sich erhaben 
dünkten über das gemeine Volk ihrer Umgebung; weil sie als 
das auserwählte, das priesterliche Volk sich fühlten. Die 
Rabbinen haben dann das ihrige getan, um diesen Stolz zu 
pflegen: Von Esra an, der die Mischehen verbot als eine Ent- 
weihung des edlen judäischen Blutes, bis zum heutigen Tage, 
da der fromme Jude betet: „Gelobt seist Du, o Herr, daß Du 
mich nicht zum Goi gemacht hast!“ 

Und sie haben abgesondert gelebt durch alle die Jahrhunderte 
hindurch seit der Zerstreuung, trotz der Zerstreuung und (dank 
eben den festen Banden, in die sie das Gesetz einschloß) 
wegen der Zerstreuung. Abgesondert und darum zusammen- 
geschlossen oder wenn man lieber will: zusammengeschlossen 
und darum abgesondert. 

Zusammengeschlossen. Das fängt vom babylonischen Exil 


Digitized by 


Google 



283 


an, das recht eigentlich den positiven Internationalismus der Juden 
begründet hat Viele, namentlich wohlhabende Leute, blieben 
(wohlgemerkt: freiwillig 1) in Babylon zurück, gaben aber ihr 
Judentum darum nicht auf, sondern behaupteten es mit Eifer. 
Sie unterhielten einen lebhaften Verkehr mit ihren zurück- 
gewanderten Brüdern, nahmen regen Anteil an ihrem Geschicke, 
unterstützten sie und sandten ihnen von Zeit zu Zeit neuen 
Zuzug 484 . 

Als dann die hellenistische Diaspora sich bildete, wurde der 
Zusammenhang nicht geringer. „Sie hielten eng zusammen in 
den einzelnen St&dten und in der ganzen Welt. Wo sie sich 
aufhalten mochten, behielten sie Fuß in Sion. Mitten in der 
Wüste besaßen sie eine Heimat , in der sie zuhause waren . . . 
Durch die Diaspora traten sie in die Welt ein. In den helle- 
nistischen Städten nahmen sie griechische Art und Sprache an, 
wenn auch nur als Gewand ihres jüdischen Wesens . . (Well • 
hausen). 

Und so ist es geblieben durch all die Jahrhunderte hin- 
durch, während welcher die Juden in der Verbannung gelebt 
haben: eher ist das Band fester geworden, das die gesamte 
Judenheit umschließt. „Scis quanta concordia“, ruft Cicero 485 
aus: Du weißt, wie sie Zusammenhalten! Und was aus der 
römischen Kaiserzeit berichtet wird: bei dem Aufstande des 
Jahres 130 geriet „die gesamte Judenschaft des In- und Aus- 
landes ... in Bewegung und unterstützte mehr oder minder offen 
die Insurgenten am Jordan“ 486 , das gilt ja doch wortwörtlich 
noch heute, wenn irgendwo ein Jude aus einer russischen Stadt 
ausgewiesen wird. 

Zusammengeschlossen und darum abgesondert: ihre 
fremdenfeindliche Gesinnung, ihre Abschließungstendenz reicht ja 
weit in das Altertum hinauf. Allen Völkern fiel von jeher ihre 
„Misoxenie“ auf, die ihnen nachweislich zuerst von Hekatäus 
von Abdera (um 300 v. Chr.) vorgeworfen wird. Wir finden sie 
dann erwähnt bei vielen Schriftstellern des Altertums 487 : immer 
fast mit denselben Worten. Am bekanntesten ist die Stelle bei 
Tacitus(H. V, 1 § 5): „apud eos fides obstinata, misericordia 
in promptu. Sed adversus omnes alios hostile odium. Separati 
epulis discreti cubilibus, proiectissima ad libidinem gens, alienarum 
concubitu abstinent.“ 


Digitized by 


Google 



284 


Die jüdische Apologetik , die für Juden schrieb, hat diese 
Anklagen selbst niemals zu widerlegen versucht 488 : sie waren 
also begründet. 

Gewiß hielten (und halten) sie so eng zusammen, und 
schlossen sie sich ab oft auch, weil die Wirtsvölker durch ihre 
Gesetze und ihr feindseliges Verhalten die Judenschaft von sich 
fern hielten. Aber ursprünglich und eigentlich doch, weil sie 
selbst, die Juden, so wollten und so muhten leben nach ihrem 
Schicksale, das ihre Religion war. Daß dieses der richtige Zu- 
sammenhang ist, sehen wir deutlich aus dem Verhalten der 
Juden dort, wo es ihnen gut erging, wo die Wirtsvölker ihnen 
zunächst mit aller Sympathie entgegenkamen. Das gilt für 
manche Zeiten des Altertums, für das ich deshalb absichtlich 
die Belege für ihre Abschließungstendenz beigebracht habe. Das 
gilt auch für das Mittelalter. So etwa für Arabien im 1. Jahr- 
hundert unserer Zeitrechnung. Auch dort und damals war das 
Judentum den arabischen Juden in der Form, wie es überliefert 
wurde, mit dem Gepräge, das ihnen die Tanaiten und Amoräer 
gegeben hatten, hochheilig. Sie hielten streng die Speisegesetze, 
die Festtage und den Fasttag der Juden Kippur. Den Sabbat 
beobachteten sie streng. „Obwohl sie sich in dem gastfreien 
Lande über nichts zu beklagen hatten, so sehnten sie sich doch 
nach der Rückkehr ins heilige Land ihrer Väter und erwarteten 
jeden Tag die Ankunft des Messias . . . Mit den Juden in 
Palästina standen sie in Verbindung“ usw. 489 . Dasselbe Bild 
später im maurischen Spanien : Während die Muzaraber, das heißt 
die unter den Mohamedanern wohnenden Christen, ihre Eigentüm- 
lichkeit an das arabische Wesen soweit aufgaben, daß sie ihre 
Muttersprache, das gotische Latein, vergaßen, ihre Bekenntnis- 
schriften nicht mehr verstanden und sich des Christentums 
schämten , empfanden die Juden Spaniens bei zunehmender 
Bildung nur noch mehr Vorliebe und Begeisterung für ihre 
heimatliche Sprache, ihr heiliges Schrifttum und ihre angestammte 
Religion 490 . Das spiegeln auch ihre Denker und Dichter wider: 
die größten Dichter, die das Judentum im Mittelalter erzeugt 
hat — inmitten der spanisch - arabischen Welt, in der sie in 
langen Zeiträumen geachtet lebten — , sind streng „ national“ , 
also streng religiös, ziehen ihre dichterische Kraft aus den 
Messiashoffnungen und sind erfüllt von dem unwiderstehlichen 


Digitized by t^ooQle 



285 


Drange nach „Zion, der gnadenreichen Stadt “. 491 Man denke 
an den größten: Jehuda Halevy, dessen Zionide , die höchste 
Blüte der neuhebräischen Poesie, ganz und gar diesen national- 
jüdischen Geist atmet. 

Wie eine festgeschlossene Wolke am blauen Himmel zieht 
das Judentum durch die Geschichte: mit der lebendigsten Er- 
innerung an ganz alte, heilige Zeiten, wie mit einem frischen 
Odem jederzeit belebt und erquickt. Noch heute segnet der 
fromme Jude die Kinder mit den Worten: „Gott lasse dich werden 
wie Ephraim und Manasse“. 

Die wichtige Folge dieser von der Religion bewirkten Zu- 
sammenschließung und Absonderung des jüdischen Volkskörpers 
für das Wirtschaftsleben war nun aber die von uns schon in 
ihrer Bedeutung gewürdigte Fremdheit: daß aller Verkehr der 
Juden, sobald sie aus dem Ghetto heraustraten, ein Verkehr mit 
Fremden wurde. Weshalb ich an dieser Stelle noch einmal diesen 
Punkt berühre, sagte ich bereits : um zu zeigen, daß die aus dem 
Zustande der Fremdheit naturgemäß folgenden eigenartigen Be- 
ziehungen durch die Satzungen der jüdischen Religion mit Be- 
wußtsein ihre Sanktionierung erhielten und in ihren äußersten 
Konsequenzen entwickelt wurden ; daß also auch hier das 
instinktive Gebaren des Juden als eines Fremden gegenüber 
den Angehörigen des Wirtsvolkes zur Befolgung eines göttlichen 
Gebotes wurde; sein besonderes Verhalten also wiederum die 
Weihe religiös gebotener Gesetzestreue empfing und in einem 
kunstvoll ausgebildeten Fremdenrechte ausdrücklich gebilligt, 
wenn nicht gefordert wurde. 

Die wichtigste und am häufigsten erörterte Bestimmung 
dieses jüdischen Fremdenrechtes betrifft das Zins verbot oder 
richtiger die Zinsgestattung. Im alten jüdischen Gemeinwesen 492 
war, wie überall (soviel wir zu sehen vermögen) in den An- 
fängen der Kultur, das zinslose Darlehn (würden wir in heutiger 
juridisierender Terminologie sagen) die allein zulässige oder viel- 
mehr die selbstverständliche Form der gegenseitigen Aushilfe. 
Aber es finden sich auch schon in dem ältesten Gesetz (was 
auch eine ganz allgemein beobachtete Gepflogenheit war) Be- 
stimmungen des Inhalts: daß man „vom Fremden“ (vom Nicht- 
genossen also) Zins nehmen dürfe. 

Die Hauptstelle, in der dies gesagt ist, findet sich Deut. 


Digitized by t^ooQle 



286 


28, 20. Andere Stellen der Thora, die auf das Zinsnehmen Be- 
zug haben, sind Ex. 22, 25; Lev. 25, 87. An diese Thorasätze 
knüpft sich nun seit den Zeiten der Tanaim bis heute eine überaus 
lebhafte Diskussion, deren Mittelpunkt die berühmten Aus- 
einandersetzungen in der Baba mezia fol. 70 b bilden. Ich habe 
die Empfindung, als diente ein großer Teil dieser Diskussion 
ausschließlich dem Zwecke, den außerordentlich klaren Tat- 
bestand, wie er durch die Thora geschaffen ist (und wie er sich 
übrigens in der Mischna noch fast unverändert findet), durch 
allerhand Sophismen zu verdunkeln. Deut. 28, 20 sagt deutlich : 
von Deinem Genossen darfst du keinen Zins nehmen, vom 
Fremden darfst du. Freilich: Eine Zweideutigkeit lag schon 
in diesem Urtexte eingeschlossen : bei der Gleichheit von Futurum 
und Imperativ im Hebräischen kann man die Stelle lesen: vom 
Fremden „magst du“ und: vom Fremden „sollst du“ „wuchern“ 
(das bedeutet immer nicht mehr als: Zinsen nehmen). 

Für unsere Frage genügt vollständig die Feststellung: der 
Gläubige fand in der heiligen Schrift Sätze, die ihm das Zinsnehmen 
(im Verkehr mit den Goim) mindestens gestatteten: er war 
also das ganze Mittelalter hindurch von der entsetzlichen Last 
des Zinsverbotes, unter dem die Christen seufzten, befreit. 
Dieses Recht ist aber auch von der Lehrmeinung der Rabbinen 
meines Wissens niemals ernstlich in Frage gezogen 4 * 8 . Unzweifel- 
haft aber hat es auch Zeiten gegeben, in denen die Erlaubnis, 
Zinsen zu nehmen, in eine Pflicht, mit dem Fremden zu wuchern, 
umgedeutet wurde, in der also die strengere Lesart beliebt war. 

Diese Zeiten waren aber gerade diejenigen, auf die es für 
das praktische Leben ankam: die Jahrhunderte seit dem Hoch- 
mittelalter. Es scheint von den Schriftstellern, die in unseren 
Tagen den Gegenstand behandelt haben, nicht beachtet worden 
zu sein, daß Deut. 28, 20 mit Bezug auf die Fremden unter die 
Gebote aufgenommen worden, die das Leben des Israeliten 
regeln: durch die Tradition ist gelehrt worden, daß man 
dem Fremden auf Wucher leihen soll. In dieser Form ist das 
Gebot — es ist das 198. — auch in den Schulchan Aruch über- 
gegangen. Die modernen Rabbiner 4 * 4 , denen die — ach so 
klaren ! — Bestimmungen des jüdischen Fremdenrechts unbequem 
sind (warum eigentlich?), versuchen dann die Bedeutung solcher 
Sätze wie das 198. Gebot dadurch abzuschwächen, daß sie be- 


Digitized by 


Google 



287 


haupten: „Fremde“ im Sinne der Stelle seien nicht alle Nicht- 
juden , sondern nur „die Heiden“, „die Götzendiener“. Es ist 
aber immer sehr strittig gewesen, wer zu den einen, wer zu 
den andern gehört habe. Und der Gläubige , der beispielsweise 
das 198. Gebot seinem Gedächtnis eingeprägt hat, wird die feinen 
Unterscheidungen gelehrter Rabbiner nicht gemacht haben: ihm 
genagte, daß der Mann, dem er auf Zinsen lieh, kein Jude, kein 
Genosse, kein Nächster, sondern ein Goi war. 

Und nun bedenke man, bedenke man : in was für einer ganz 
andern Lage sich der fromme Jude befand als der fromme Christ in 
jenen Zeiten, als die Geldleihe über Europa hinging und langsam 
aus sich den Kapitalismus gebar. Während der fromme Christ, 
der „Wucher getrieben“ hatte, sich auf seinem Totenbette 
in Qualen der Reue wand und rasch vor dem Ende noch sein 
Hab und Gut von sich zu werfen bereit war, weil es ihm als 
unrecht erworbenes Gut auf der Seele brannte, überblickte der 
fromme Jude an seinem Lebensabend schmunzelnd die wohl- 
gefüllten Kästen und Truhen, wo die Zecchinen angehäuft lagen, 
die er in seinem langen Leben dem elenden Christen- (oder auch 
Mohamedaner-) Volk abgezwackt hatte : ein Anblick, an dem sein 
frommes Herz sich weiden konnte, denn jeder Zinsgroschen, der 
da lag, war ja fast wie ein Opfer, das er seinem Gotte dar- 
gebracht hatte. 

Daß nun aber auch sonst die Stellung des „Fremden“ im 
jüdischen (göttlichen) Rechte eine Ausnahmestellung war, daß 
die Verpflichtungen ihm gegenüber niemals so strenge waren als 
dem „Nächsten“, dem Juden gegenüber: das kann nur Unkenntnis 
oder Böswilligkeit leugnen. Gewiß haben die Auffassungen des 
Rechts (und vor allem wohl der Sitte) von der Art und Weise, 
wie der Fremde zu behandeln sei, im Laufe der Jahrhunderte 
Veränderungen erfahren. Aber an dem Grundgedanken: dem 
Fremden schuldest du weniger Rücksicht als dem Stammes- 
genossen, ist seit der Thora bis heute nichts geändert worden. 
Diesen Eindruck hinterläßt jedes unbefangene Studium des 
Fremdenrechts in den heiligen Schriften (vor allem der Thora), 
in Talmud, Kodizes und Responsen. Man macht heute noch in apolo- 
getischen Schriften die berühmten Stellen in der Thora: Ex. 12, 
49; 28, 9; Lev. 19, 88, 84; 25, 44—46; Deut. 10, 18, 19 geltend, 
um daraus die „fremdenfreundliche“ Auffassung des jüdischen Ge- 


Digitized by 


Google 



288 


setzes zu erweisen. Aber erstens ist natürlich in einer Halacha, 
um die es sich hier doch meist handelt, die »mündliche“ Tra- 
dition nicht außer acht zu lassen; und zweitens enthalten doch 
selbst jene Stellen der Thora zwar die Mahnung, den „Fremd- 
ling“ (der natürlich zudem noch im alten Palästina eine ganz 
andere Bedeutung hatte, wie später in der Zerstreuung : der Ger 
und der Goi sind doch grundverschiedene Begriffe), den „Fremd- 
ling“ zwar gut zu behandeln, „denn ihr seid auch Fremde ge- 
wesen im Ägypterlande“, aber doch daneben schon die Weisung 
(oder die Erlaubnis), ihn als minderen Rechtes zu behandeln: 
„Also soll es zugehen mit dem Erlaßjahre: wenn einer seinem 
Nächsten etwas geliehen hat; das soll er nicht einnehmen. Von 
einem Fremdling magst du es einnehmen; aber dem, der dein 
Bruder ist, sollst du es erlassen“ (Deut. 15, 2, 3). Es ist immer 
dieselbe Sache wie beim Zinsennehmen : unterschiedliche Behand- 
lung des Juden und des Nichtjuden. Und begreiflicherweise sind 
denn die Rechtsfälle, in denen der Nichtjude minderes Recht 
hat als der Jude, im Laufe der Jahrhunderte immer zahlreicher 
geworden und bilden im letzten Kodex schon eine recht statt- 
liche Menge. Ich führe aus dem Choschen Hamischpat folgende 
Abschnitte an (die sicherlich nicht alle sind, in denen die 
differentielle Rechtslage des Fremden ausdrücklich ausgesprochen 
ist): 188, 194, 227, 231, 259, 266, 272, 283, 348, 389 ff. 

Die große Bedeutung des Fremdenrechts für das Wirtschafts- 
leben erblicke ich nun aber in zweierlei 

Zunächst darin , daß durch die fremdenfeindlichen Be- 
stimmungen des jüdischen Gewerbe- und Handelsrechts der Ver- 
kehr mit den Fremden nicht nur rücksichtsloser gestaltet wurde 
(also daß eine in allem Verkehr mit Fremden liegende Tendenz ver- 
schärft wurde), sondern daß auch die Geschäftsmoral, wenn ich 
es so ausdrücken darf, gelockert wurde. Ich gebe ohne weiteres 
zu, daß diese Wirkung nicht notwendig einzutreten brauchte, 
aber sie konnte sehr leicht eintreten und ist gewiß auch in 
häufigen Fällen namentlich im Kreise der östlichen Juden ein- 
getreten. Wenn beispielsweise ein Satz des Fremdenrechts (er 
ist oft erörtert worden I) besagte : der von den Heiden (Fremden) 
selbst begangene Irrtum in einer Rechnung darf von dem Israeliten 
zu seinem Vorteil benützt werden, ohne daß eine Verpflichtung 
bestünde, darauf aufmerksam zu machen (der Satz wurde in den Tur 


Digitized by 


Google 



289 


aufgenommen, im Kodex des Karo findet er sich zunächst nicht, 
wird dann aber durch die Glosse des Isserle hineingebracht): 
so muhte eine derartige Rechtsauffassung (und von ihr sind 
zahlreiche andere Gesetzesstellen erfüllt) in dem frommen Juden 
doch unweigerlich den Glauben erwecken: im Verkehr mit den 
Fremden brauchst Du’s überhaupt nicht so genau zu nehmen. 
Er brauchte darum sich subjektiv gar keiner unmoralischen Ge- 
sinnung oder Handlung schuldig zu machen (konnte im Verkehr 
mit den Genossen die außerordentlich strengen Vorschriften des 
Gesetzes über richtiges Maß und Gewicht 495 streng einhalten): 
er konnte im besten Glauben handeln, wenn er den Fremden 
etwa „übervorteilte“. Zwar wurde ihm in manchen Fällen aus- 
drücklich eingeschärft: du mußt auch dem Fremden gegenüber 
ehrlich sein (z. B. Ch. h. 281), aber daß man das schon aus- 
drücklich sagen mußte I Und dann hieß es ja wieder expressis 
verbis (Ch. h. 227. 26): „Einen Nichtjuden kann man über- 
vorteilen, denn es heißt in der Schrift 3. Mos. 25, 14, es soll 
niemand seinen Bruder Übervorteilen tf (hier ist nicht vom Be- 
trug die Rede, sondern von einem höheren Preise, den man 
einem Fremden abnimmt). 

Diese ganz vage Auffassung: am Fremden darfst du einen 
Schmu machen, darfst auch im Verkehr mit ihm mal fünf gerade 
sein lassen (du begehst damit keine Sünde), wurde nun wohl dort 
noch gefestigt, wo sich jene formale Rabulistik im Talmud- 
studium entwickelte, wie in vielen Judengemeinden des Ostens 
Europas. Wie diese auf das Geschäftsgebaren der Juden laxi- 
% gierend eingewirkt hat, stellt Graetz anschaulich dar, dessen 
Worte (da er ja in diesem Falle gewiß ein einwandsfreier Zeuge 
ist) ich hier ungekürzt wiedergeben möchte (da sie für manchen 
Zug im wirtschaftlichen Wirken der Aschkenaze die Erklärung 
enthalten) : „Drehen und Verdrehen, Advokatenkniffigkeit, Witzelei 
und voreiliges Absprechen gegen das, was nicht in ihrem Ge- 
sichtskreise lag, wurde . . . das Grundwesen des polnischen Juden . . . 
Biederkeit und Rechtssinn waren ihm ebenso abhanden ge- 
kommen wie Einfachheit und Sinn für Wahrheit. Der Troß 
eignete sich das kniffige Wesen der Hochschulen an und ge- 
brauchte es, um den minder Schlauen zu überlisten. Er fand 
an Betrügerei und Überlistung Lust und eine Art siegreicher 
Freude. Freilich gegen Stammesgenossen konnte List nicht gut 

Sombart, Die Juden 19 


Digitized by t^ooQle 



290 


angewendet werden, weil diese gewitzigt waren ; aber die nicht- 
jüdische Welt, mit der sie verkehrten, empfand zu ihrem Schaden 
die Überlegenheit des talmudischen Geistes des polnischen 
Juden . . . Die Verdorbenheit der polnischen Juden rächte sich 
an ihnen auf eine blutige Weise und hatte zur Folge, daß die 
übrige Judenheit in Europa von dem polnischen Wesen eine 
Zeitlang angesteckt wurde. Durch die Abwanderung der Juden 
aus Polen (infolge der kosakischen Judenverfolgungen) wurde 
das Judentum gleichsam polonisiert“ 4M . 

Die zweite, vielleicht noch bedeutsamere Wirkung, die die 
differenzielle Behandlung der Fremden im jüdischen Rechte im 
Gefolge hatte , war die , daß ganz allgemein die Auffassung von 
dem Wesen des Handels- und Gewerbebetriebes sich umgestaltete, 
und zwar frühzeitig in der Richtung, wie wir sagen würden, der 
Gewerbefreiheit und des Freihandels. Wenn wir die Juden als 
die Väter des Freihandels (und damit als die Bahnbrecher des 
Kapitalismus) kennen gelernt haben, so wollen wir hier fest- 
stellen, daß sie dazu durch ihr früh im freihändlerischen Sinne 
entwickeltes Gewerberecht (das immer als göttliches Gebot zu 
gelten hat) nicht zuletzt vorbereitet waren, und wollen ferner 
feststellen, daß dieses freiheitliche Recht offenbar durch das 
Fremdenrecht stark beeinflußt worden ist Denn es läßt sich 
ziemlich deutlich verfolgen, daß im Verkehr mit Fremden sich 
zuerst die Grundsätze des personalgebundenen Rechtes lockern 
und von freiwirtschaftlichen Gedanken ersetzt werden. 

Ich verweise auf folgende Punkte. 

Das Preisrecht (oder die Preispolitik) steht für den Verkehr 
mit Genossen in Talmud und Kodizes durchaus noch im Bannkreis 
der Idee vom justum pretium (wie das ganze Mittelalter über- 
haupt), erstrebt also eine Konventionalisierung der Preisbildung 
unter Anlehnung an die Idee der Nahrung: dem Nichtjuden 
gegenüber wird das justum pretium fallen gelassen, wird die 
„moderne“ Preisbildung als die natürliche angesehen (Gh. h. 227, 
26; vgl. schon B. m. 49 b ff.). 

Aber woher auch immer diese Auffassung stammen möge: 
überaus wichtig ist die Tatsache selbst, daß schon im Talmud 
und noch deutlicher im Schulchan Aruch gewerbefreiheitliche 
und freihändlerische Anschauungen vertreten werden, die dem 
gesamten christlichen Rechte des Mittelalters ganz und gar fremd 


Digitized by 


Google 



291 


waren. Das durch ein gründliches und systematisches Studium 
der Quellen einwandfrei und im einzelnen festzustellen, wäre 
abermals eine dankbare Aulgabe für einen gescheiten Rechts- 
und Wirtschaftshistoriker. Ich muh mich hier wieder mit der 
Hervorkehrung einiger weniger Stellen begnügen, die aber, wie 
mir scheint, schon genügen, um meine Behauptung als richtig zu 
erweisen. dH ist zunächst eine Stelle im Talmud und den Kodizes, 
die grundsätzlich die freie Konkurrenz zwischen Handel- 
treibenden anerkennt (also ein Geschäftsgebaren, das, wie wir 
in anderem Zusammenhänge sahen, aller vorkapitalistischen und 
frühkapitalistischen Auffassung vom Wesen des anständigen 
Kaufmanns widersprach). B. m. fol. 60 * b lautet (in Sammter- 
scher Übersetzung): Mischna: „R. Jehuda lehrt: Der Krämer 
soll den Kindern nicht Sangen und Nüsse verteilen, weil er sie 
dadurch gewöhnt, zu ihm zu kommen. Die Weisen jedoch 
erlauben es. Auch darf man nicht den Preis verderben. Die 
Weisen jedoch (meinen): sein Andenken sei zum Guten. Man 
soll nicht die gespaltenen Bohnen auslesen. So entscheidet Abba 
Saul; die Weisen dagegen erlauben es.“ 

Gemara: „Frage: Was ist der Grund der Rabbanen? 

Antwort: Weil er zu ihm sagen kann: ich verteile 
Nüsse, verteile du Pflaumen“ (I). 

In der Mischna stand: „Auch darf man nicht den Preis ver- 
derben, die Weisen dagegen sagen, sein Andenken sei zum 
Guten usw. Frage: Was ist der Grund der Rabbanen? Weil 
er das Tor (den Preis) erweitert (herabsetzt).“ Auf der Wanderung 
bis zum Schulchan Aruch sind dann die anti-gewerbefreiheitlichen 
Räsonnements ganz abgestorben und die „fortgeschrittene“ Auf- 
fassung ist allein stehen geblieben: „Dem Krämer ist es 
erlaubt, den Kindern, die bei ihm kaufen, Nüsse 
und dergleichen zu schenken, um sie an sich zu 
ziehen, auch kann er wohlfeiler, als der Marktpreis 
ist, verkaufen, und die Marktleute können nichts 
dagegen haben.“ (Ch. h. 228, 18.) 

Ähnlich lautet die Bestimmung Ch. h. 156, 7: (Kaufleute, 
die ihre Waren in die Stadt bringen, unterliegen verschiedenen 
Beschränkungen) „verkaufen aber die Fremden wohlfeiler oder 
ihre Waren besser als die Stadtleute, so können diese den 
Fremden nicht wehren, da das jüdische Publikum Vorteil davon 

19* 


Digitized by 


Google 



292 


hat" usw. Oder Ch. h. 156, 5: Will ein Jude einem Nichtjuden 
auf niedrigere Zinsen Geld leihen, so kann der andere ihm das 
nicht wehren. 

Ebenso finden wir im jüdischen Recht das starre Prinzip 
des Gewerbemonopols zugunsten der „Gewerbefreiheit“ (wenig- 
stens im Schulchan Aruch) durchbrochen: War eiimr unter den 
Bewohnern eines Ganges, heifit es Ch. h. 156, o, ein Hand- 
werker, und die andern haben nicht protestiert, und ein anderer 
von diesen Bewohnern will dasselbe Handwerk anfangen, so 
kann ihn der erste nicht daran hindern und sagen: er nehme 
ihm das Brot weg, selbst wenn der zweite aus einem andern 
Gange (Hofe) wäre usw. 

Es kann also keinem Zweifel unterliegen : Gott will den Frei- 
handel, Gott will die Gewerbefreiheit! Welch ein Antrieb, sie 
nun im Wirtschaftsleben wirklich zu betätigen! 

YII. Judaismus und Puritanismus 

Ich habe schon zu verschiedenen Malen gesagt, dah mich 
die Studien Max Webers über die Bedeutung des Puritanismus 
für den Kapitalismus stark angeregt haben zu meinen Unter- 
suchungen über den Judaismus, in Sonderheit weil ich den Ein- 
druck gewonnen hatte, daß die tragenden und für die kapitalistische 
Entwicklung bedeutsamen Ideen des Puritanismus in der jüdischen 
Religion viel schärfer und natürlich auch viel früher ausgebildet 
worden seien. Ich kann nun hier nicht im einzelnen den Nach- 
weis führen, in wie weit diese Annahme richtig war: dazu mühte 
ich die Ergebnisse dieses ganzen Kapitels in Vergleich stellen 
mit den Grundideen des Puritanismus, wie sie Weber heraus- 
gearbeitet hat. Mir scheint aber, daß ein solcher Vergleich in 
der Tat die fast völlige Übereinstimmung jüdischer und purita- 
nischer Anschauungen ergeben mühte, wenigstens insoweit sie 
für die hier untersuchten Zusammenhänge bedeutsam sind: die 
Präponderanz der religiösen Interessen; die Bewährungsidee; 
(vor allem!) die Rationalisierung der Lebensführung; die inner- 
weltliche Askese; die Verquickung religiöser Vorstellungen mit 
Erwerbsinteressen; die rechnerische Behandlung des Sünden- 
problems und manches andere sind in beiden Fällen dieselben. 

Um nur einen besonders wichtigen Punkt noch zu urgieren r 
die eigentümliche Stellung zum Sexualproblem , die Rationali- 


Digitized by 


Google 



293 


sierung des Geschlechtsverkehrs ist in Judaismus und Puritanis- 
mus bis in’s kleinste gleich, ln einem der ersten Hotels Phila- 
delphias fand ich in den Zimmern den gedruckten Anschlag: 
„Unsere verehrten Gäste, die Geschäfte mit Frauen zu erledigen 
haben, werden höfl. ersucht, während der Anwesenheit der Dame 
in ihrem Zimmer die Tür offen zu lassen.“ Im Talmud aber 
(Kidd. 82 a) heißen diese Worte : „Wer sein Geschäft bei Frauen 
hat, sei nicht mit ihnen allein . . .“ 

Daß der englische Sonntag der jüdische Sabbat ist, lehrt 
ohne weiteres der Vergleich usw. 

Übrigens sind die inneren Beziehungen zwischen Judaismus 
und Puritanismus — wenn auch ohne recht befriedigendes Er- 
gebnis — von anderer Seite zum Gegenstände der Untersuchung 
gemacht worden in den Studien von John G. Dow, Hebrew 
and Puritan in der Jew. Quarterly Review, Vol. 3 (1891), 52 ff. 
Und erinnern möchte ich daran, daß der helläugige Heinrich 
Heine diese Verwandtschaft zwischen Puritanismus und Juden- 
tum längst gesehen hatte : „Die protestantischen Schotten“, fragt 
er in den Geständnissen* „sind sie nicht Hebräer, deren Namen 
überall biblisch, deren Cant sogar etwas jerusalemmitisch-phari- 
säisch klingt und deren Religion nur ein Judentum ist, welches 
Schweinefleisch frißt?“. 

Puritanismus ist Judaismus. 

Auf Grund Webers und meiner Darstellungen, denke ich, 
kann es nun nicht mehr schwer sein, diesen geistigen Zusammen- 
hang, ja diese geistige Übereinstimmung, festzustellen. 

Schwieriger wird die andere Frage zu beantworten sein : ob 
etwa eine äußere Beeinflussung des Puritanismus durch die 
jüdische Religion nachweisbar ist, und welcher Art diese etwa 
gewesen sein mag. Bekannt sind die engen Beziehungen, die während 
der Reformationszeit zwischen dem Judentum und manchen christ- 
lichen Sekten sich herausbildeten, bekannt die Modeliebhaberei für 
die hebräische Sprache und judaistische Studien. Bekannt ist aber 
insbesondere auch die geradezu fanatische Verehrung, die im 
17. Jahrhundert die Juden in England namentlich bei den Puri- 
tanern genossen. Nicht nur, daß die religiösen Anschauungen 
der führenden Männer wie Oliver Cromwells durchaus im Alten 
Testamente verankert waren: Cromwell träumte von einer Ver- 
söhnung des Alten und Neuen Testamentes, von einer innigen 


Digitized by 


Google 



294 


Verbindung des jüdischen Gottesvolkes und der englisch-purita- 
nischen Gottesgemeinde. Ein puritanischer Prediger, Nathanael 
Holmes (Homesius) , wünschte nichts sehnlicher als nach dem 
Buchstaben mancher Prophetenverse der Knecht Israels zu werden, 
um ihm auf den Knien zu dienen. Das öffentliche Leben und die 
Kirchenpredigten erhielten geradezu eine israelitische Färbung. Es 
fehlte nur noch, daß die Parlamentsredner hebräisch sprachen, 
so hätte man sich nach Palästina versetzt glauben können: 
die Levellers, die sich selbst „Jews“ nannten, verlangen, daß 
die Staatsgesetze die Thora schlechthin zur Norm für England er- 
klären möchten ; Cromwells Offiziere schlagen ihm vor, den Staats- 
rat aus 70 Mitgliedern zu bilden nach der Zahl der jüdischen 
Synhedristen ; im Parlamente von 1653 sitzt der Obergeneral 
Thomas Harrison, ein Wiedertäufer, der mit seiner Partei das 
mosaische Gesetz für England eingeführt wissen wollte; 1649 
wird ein Antrag im Parlamente eingebracht: den Sonntag auf 
den Sabbat, zu verlegen; ,The Lion of Judah* war die Inschrift 
auf den Bannern der siegreichen Puritaner 4 ® 7 . Bezeugt ist 
aber auch die Tatsache, daß in jenen Zeiten nicht nur das Alte 
Testament, sondern auch die rabbinische Literatur in den Kreisen 
der christlichen Geistlichkeit und der christlichen Laienwelt 
gründlich gelesen wurde. Denkbar also wäre eine direkte Ab- 
leitung der puritanischen Lehren aus den jüdischen sehr wohL 
Dem kirchenhistorischen Fachmanne muß es überlassen bleiben, 
hier Klarheit zu schaffen. An dieser Stelle muß es mit den 
wenigen Hinweisen sein Bewenden haben. 

Zum Schlüsse möchte ich nur noch auf ein schnurriges 
Büchlein aufmerksam machen, das im Jahre 1608 erschienen ist, 
und dessen Inhalt vielleicht symptomatisch wertvoll die enge 
geistige Verbindung aufweist, in die damals in der herrschenden 
Anschauung Puritanismus (oder Calvinismus) und Judentum mit- 
einander gebracht wurden. Es hat den Titel „Der calvinische 
Judenspiegel“ und behandelt auf Seite 33 die Beziehung zwischen 
den beiden Religionsgemeinschaften in folgender amüsanter Weise: 
„Wann ich auff mein Eydt den grundt und die warhaffte Ursache 
sagen sol, warumb ich Calvinisch worden sei, so muss ich be- 
kennen, dass mich darzu nichts anders bewogen hat als nur 
allein diese nemblich dass unter allen kein gefunden werde die 
mit dem Judenthumb so gleich einstimme, unnd deren antworte 


Digitized by 


Google 



295 


als dieselbe vom Glauben und Leben: [die angeführten Gründe 
sind teils ernst teils satirisch]. 8. die Juden hassen den Namen 
Mariae unnd dulden sie nur allein wann sie von Goldt und Silber 
gemacht oder auff Geldt geschlagen: also auch wir halten ihn 
nichts mehr usw. aber Mariengroschen und Sonnenkronen, dar- 
auf! Marien Bildere gestempfft , haben wir gern und halten in 
ehren, wie auch von Goldt und Silber gefortmierte dann die in 
unsera Kraem dienen. 9. die Jüden stechen sich in alle Lande, 
das Volk zu betriegen : wir auch : Dann wir darumb unser Vatter- 
land verlassen und uns in andere Lande, da wir nicht bekand 
und unwerth sein begeben, damit wir durch unser Falsch und 
List, den betriglichen Störiem gleich ... die unverständigen ver- 
führen, betriegen und an uns bringen“ . . . usw. 

Also! 


Digitized by t^ooQle 



296 


Zwölftes Kapitel 

Jüdische Eigenart 


I. Das Problem 

ESs kostet wahrhaftig keine geringe Überwindung, in einem 
wissenschaftlichen Buche das in der Überschrift dieses Kapitels 
ausgedrückte Problem abzuhandeln. Ist doch ganz allgemein in 
letzter Zeit alles, was nach Völkerpsychologie ausschaut, zum 
Spielball dilettantischer Launen geworden und wird doch ganz be- 
sonders die Schilderung jüdischen Wesens von rohen Geistern mit 
groben Instinkten als politischer Sport ausgeübt — zum Ekel und 
Überdruß für alle, die sich in unserer grobschlächtigen Zeit Ge- 
schmack und Unbefangenheit bewahrt haben. Der unverantwort- 
liche Mißbrauch, der mit völkerpsychologischen Kategorien un- 
ausgesetzt getrieben wird, hat denn auch schon dahin geführt, 
daß man ein ganzes Heer von Gründen mobil gemacht hat, die 
die Unmöglichkeit kollektivpsychologischer Aussagen wissen- 
schaftlich erweisen sollen. Wenn man die Bücher von Friedrich 
Hertz, von Jean Finot und anderen liest 498 , bekommt man 
freilich fast den Eindruck, als sei es wirklich ein aussichtsloses 
Beginnen, in einer irgendwelchen Vielheit von Menschen psycho- 
logische Übereinstimmungen festzustellen; als hätten alle, die 
bisher eine Wissenschaft wie die Völkerpsychologie anzubahnen 
sich mühten, einem Phantome nachgejagt. Der schöne Bau liegt 
in Trümmern, und man möchte daran zweifeln, daß er je wieder 
aufgerichtet werden könnte. 

Und doch, und doch! Wir mögen noch so sehr von den 
Beweisgründen überzeugt sein, die wir in den kritischen Büchern 
zusammengetragen finden; wir mögen einen ganzen Tag, eine 
ganze Woche lang darauf ausgewesen sein, die Trugbilder zu 
zerstören, die uns frühere Schriftsteller von dem Wesen eines 


Digitized by t^ooQle 



297 


Volkes oder einer andern Menschengemeinschaft vorgegaukelt 
haben ; mögen uns (beispielshalber) köstlich amüsiert haben über 
die elegante Art, wie Jean Finot die Mähr vom französischen 
„Esprit" ins Reich der Fabel verweist und uns haarklein und 
scharfsinnig auseinander setzt: es gäbe keine Franzosen, oder 
Friedrich Hertz und die vielen andern: es gäbe keine Juden: 
wenn wir dann wieder einmal über die Straße gehen und die 
Augen aufschlagen, so rufen wir plötzlich wohl ganz erstaunt 
aus: sieh da, da steht er ja, den wir eben begraben haben; oder 
ein Buch lesen oder ein Bild betrachten: so ertappen wir uns 
plötzlich bei dem Gedanken : wie echt deutsch, wie kleinstädtisch, 
wie französisch und sehen vor unsern geistigen Augen diese ganz 
besondere Art von Menschen leibhaftig vor uns, die wir eben 
mit tausend Gründen aus der Welt fortdiskutiert haben. 

Ist das nur Spuk der Phantasie? 

Aber es ist nicht nur das instinktive Gefühl, das uns an jenen 
Bildern festhalten läßt: auch die nüchterne Überlegung führt uns 
dazu, so etwas wie volkliche Eigenart in die Kette unserer kau- 
salen Betrachtung des Menschenschicksals einzufügen. Ich 
möchte sagen, daß alle sozialen Wissenschaften notwendig einer 
solchen Hilfskonstruktion, wie die völkerpsychologische Hypo- 
these, bedürfen, um in das bunte Durcheinander der Einzeltat- 
sachen Ordnung zu bringen; daß wir Kollektivseelen (man ver- 
zeihe einstweilen das Wort, das ich gleich erklären werde) gleich- 
sam als Substanz der sozialen Welt annehmen müssen, um auf 
sie die tausendfältigen sonst in der Luft schwebenden Regungen 
der Gesellschaft, um alle Massenerscheinungen, die doch der 
Gegenstand unserer Untersuchung sind, auf sie zu beziehen. 
Die Hypostasierung einer kollektiven Psyche ist also für den 
sozialen Theoretiker eine Denknotwendigkeit. 

Um es an dem Beispiel zu verdeutlichen, das uns der In- 
halt dieses Buches gewährt: wenn wir von einer jüdischen Re- 
ligion gesprochen haben, wen anders sollen wir uns als Träger 
denken als das jüdische Volk, dessen Eigenart dieses eigenartige 
Gebilde — die Formung seiner religiösen Vorstellungen — bis 
in alle Einzelheiten hinein entspricht. Hier ist der Zusammen- 
hang deutlich und auch dem ungeübten Auge wahrnehmbar. 

Aber auch dort, wo wir die Einwirkungen der Juden auf 
den Gang des Wirtschaftslebens aus „objektiven“ Umständen zu 


\ 


Digitized by t^ooQle 



298 


erklären uns angelegen sein ließen: blieben diese Erklärungen 
nicht ganz und gar lückenhaft ohne die Annahme einer ganz 
bestimmten jüdischen Eigenart? Ich meine doch: schon ein 
flüchtiger Überblick über die Ergebnisse unserer Untersuchungen 
muß dazu führen, diese Frage mit Entschiedenheit zu bejahen. 
Ist es denn nicht absurd anzunehmen : es sei für den Verlauf der 
Wirtschaftsgeschichte gleichgültig gewesen , ob in die west- 
europäischen Länder seit dem Ausgange des Mittelalters statt 
Juden Eskimos oder warum nicht Gorillas eingewandert wären ? I 

Gehen wir die einzelnen objektiven Umstände der Reihe 
nach durch: die räumliche Verbreitung: nun ebenso- 
wenig wie wir die Entstehung der Diaspora ohne subjekti- 
vistischen Einschlag erklären können, ebensowenig ihre eigen- 
tümliche Wirkung. Wir sollen doch klar darüber sein, daß es 
mit der Zerstreuung eines Volkes noch nicht getan ist; daß 
keineswegs immer aus dieser Zerstreuung ökonomisch oder anders- 
wie kulturell bedeutsame Wirkungen hervorzugehen brauchen, 
daß vielmehr die Zerstreuung ebensogut zur Vernichtung, zur 
Auslöschung eines Volksstammes führen kann. 

Man sagt — gewiß mit Recht — daß die internationale Ver- 
breitung die Juden zum Dolmetsch befähigte. Aber auch zum 
Unterhändler, zum Vertrauensmann des Fürsten, die seit alters- 
her aus solchen Dolmetschen hervorgegangen sind? Bedurfte 
es dazu nicht erst wieder besonderer, eigener Veranlagung? 

Wir haben ohne weiteres die räumliche Verbreitung der 
Juden für einen großen Teil ihres Erfolges im internationalen 
Handels- und Kreditverkehr verantwortlich gemacht. Ja — aber 
war die Voraussetzung einer solchen Wirkung nicht der Um- 
stand, daß die über alle Lande zerstreuten Juden auch nach der 
Zerstreuung zusammenhielten? Wie, wenn sie die inneren 
und äußeren Beziehungen nicht aufrechterhielten, wie so manche 
in alle Welt versprengten Bestandteile anderer Stämme und 
Völker? 

Ich habe selbst auf die Bedeutung hingewiesen, die die Ver- 
sprengung der Juden während der letzten Jahrhunderte dadurch 
gewonnen hat, daß sie gerade unter Völkerschaften gerieten, 
die reif zur Entwicklung des Kapitalismus waren. Aber zu be- 
denken ist doch wiederum, daß diese starke Wirkung, die die 
Juden in Holland, England, Deutschland, Österreich-Ungarn aus- 


Digitized by t^ooQle 



299 


geftbt haben (und noch ausüben), die offenbar viel stärker war als 
die, die sie unter Spaniern, Italienern, Griechen oder Arabern aus- 
üben konnten, zum guten Teil auf die Kontraste zurückzuführen ist 
zwischen ihnen und den neuen Wirtsvölkern. Je schwerer, je 
dickflüssiger, je geschäftsfremder die Bevölkerung ihrer Umgebung 
ist, desto gröberen Einfluß scheint das Judentum auf das Wirt- 
schaftsleben zu gewinnen: dank doch offenbar wiederum seiner 
bestimmten Eigenart. 

Woher auch die innere Fremdheit stammen mochte: daß 
sie jene besondere Bedeutung für das Wirtschaftsleben erlangen 
konnte : das ist doch gewiß wieder nicht ohne die Annahme einer 
jüdischen Eigenart denkbar. Daß ein Volk oder ein Volksteil 
gehaßt und verfolgt wird, ist doch noch nicht Grund genug, 
damit nun daraus Anregung zu doppelt gespannter Tätigkeit er- 
wachse. Im Gegenteil : in den meisten Fällen wird diese Gering- 
schätzung und Mißhandlung moralisch verwüstend, niederdrückend 
wirken. Nur wo ganz besondere Eigenschaften in den Menschen 
vorhanden sind, gegen die sich die Verstimmung und Ver- 
unglimpfung richten, werden diese zu einem Quell gesteigerter 
Tatkraft werden. 

Und wiederum: die eigentümliche Wirkung, die die Zurück- 
setzung (oder Privilegierung) der Juden im bürger- 
lichen Leben ausübte : daß sie sie zu ökonomischen Kraftleistungen 
anspomte: wie sollte sie keine jüdische Eigenart zur Voraus- 
setzung haben? Ist es denn nicht eine Binsenwahrheit, daß 
Energien, wenn sie durch irgend welchen äußeren Umstand frei- 
gesetzt werden sollen, erst vorhanden sein müssen? Ist es denn 
nicht selbstverständlich, daß dort, wo ein äußeres Ereignis den 
Ehrgeiz eines Menschen anstachelt, dieser von besonderer Seelen- 
beschaffenheit sein mußte? Dasselbe Schicksal macht doch aus 
dem Einen einen Lumpen und Tagedieb, aus dem andern einen 
Helden und Allesbezwinger. Trivialitäten. 

Umgekehrt : in wichtigen Punkten, sahen wir, war die Rechts- 
stellung der Juden in den verschiedenen Staaten und zu ver- 
schiedenen Zeiten verschieden: z. B. wechselten die Be- 
stimmungen über die Zulassung zu den einzelnen Berufen. In 
einigen Ländern, wie England, genossen sie hierin seit ihrer 
Wiederzulassung fast völlige Gleichberechtigung: trotzdem 
sahen wir sie allerorten den gleichen Berufen Zuströmen. Gerade 


Digitized by 


Google 



300 


auch in England fangen sie als bullion merchants oder shopkeepers 
an, ebenso in Amerika, um dann ihre kommerzialistische Mission 
wie überall durchzuführen. Da müssen wir doch abermals auf 
eine besondere Eigenart schließen. 

Und daß Reichtum allein noch nicht genügt, um wirt- 
schaftlich große Dinge zu vollbringen, daß der, der ihn hat, viel- 
mehr auch bestimmte Eigenschaften des Geistes besitzen muß, 
damit der Reichtum in kapitalistischem Sinne verwertet werde : 
soll das auch erst wieder „bewiesen“ werden? 

Wie wohl eine künftige Menschheit über unsere Zeit urteilen 
mag, in der allen Ernstes in Zweifel gezogen wird, daß Juden 
anders geartet sind wie Zulukaffem; in der es notwendig ist, 
sich erst zu entschuldigen, wenn man sich unterfängt, von einer 
bestimmten Volkesart überhaupt nur zu sprechen I Und doch 
zwingen uns die vielen menschenblinden Geschichtsinterpreten, 
die überallhin ihre Eier legen, zu solcherart Umständlichkeiten. 

Ich möchte doch aber nicht unerwähnt lassen, daß auch von 
anderer Seite her ein wissenschaftliches Bedürfnis nach völker- 
psychologischen Untersuchungen immer dringend er geltend gemacht 
wird: von den „Rassetheoretikern“, den Anthropologen und 
Kraniologen. Man kann getrost sagen, daß nach den Unter- 
suchungen der letzten Jahre die nie aus den Flegeljahren her- 
ausgekommene anthropologische Kraniologie in ihrer heutigen 
Gestalt erledigt ist. Es wird heute keinem ernsten Anthro- 
pologen mehr einfallen, aus dem Schädelbau oder andern soma- 
tischen Eigenschaften auf eine bestimmte Seelenverfassung zu 
schließen. Der ganze schöne Traum von den langschädeligen 
Edelingen, die im Kampfe mit der gemeinen Rundköpfigkeit 
liegen, von der Verknüpfung ganzer Kulturen mit dem Schädel- 
index ist heute wohl endgültig ausgeträumt. Man versteht heute 
kaum noch die Unverfrorenheit, mit der ohne auch nur die 
Spur eines Beweises der Satz aufgestellt werden konnte: der 
Schädelindex bestimmt die Seelenart des Menschen I 

Aber: man wird doch heute weniger als je darauf ver- 
zichten wollen , Zusammenhänge zwischen somatischen und 
seelischen Eigentümlichkeiten festzustellen. Und darum wird 
man sich nach Beweisen für solche Zusammenhänge umsehen, 
und da wird man auf völkerpsychologische Erkenntnisse zurück- 
gehen müssen. Man wird nämlich alsbald gewahr werden, daß 


Digitized by t^ooQle 


801 


man den W eg, den man eingeschlagen hatte, umgekehrt 
gehen muh: daß man erst versuchen muh, bestimmte seelische 
Eigenarten bei bestimmten Menschengruppen herauszufinden, um 
dann die somatischen Merkmale, die man bei dieser selben 
Gruppe beobachtet hat, in Parallele mit den seelischen Eigen- 
arten zu stellen und so durch konstante Vergleichung der beiden 
Reihen vielleicht zu gesetzmäßigen Korrelatverhältnissen durch- 
zudringen. Voraussetzung für die Anwendung dieses wissen- 
schaftlich allein einwandfreien Verfahrens ist aber natürlich 
eine wohlgegründete und wissenschaftlich gefestigte Kollektiv- 
psychologie. 

Und diese sollte wirklich ein unlösbares Problem sein? Ich 
glaube doch nicht. Wenn wir nämlich die Ein wände, die gegen 
sie erhoben werden, genau prüfen, so finden wir doch bald 
heraus, daß sich alle Bedenken nur gegen eine fehlerhafte Ver- 
wirklichung, nicht aber grundsätzlich gegen die Kollektivpsycho- 
logie überhaupt richten. Ist hier auch nicht der Ort, in allen 
Einzelheiten die Möglichkeit einer Kollektivpsychologie nachzu- 
weisen, so will ich doch zum besseren Verständnis dessen, was 
ich über den besonderen Fall zu sagen habe, wenigstens einige 
Hinweise geben, wie man etwa sich eine Wissenschaft der 
Kollektivpsychologie zu denken hätte. 

Was wir erfahren möchten, ist die seelische Eigenart einer 
Gruppe von Menschen. Ich sprach deshalb von Kollektivpsycho- 
logie im Gegensatz zur Individualpsychologie, aber auch zu dem,, 
was man neuerdings als Sozialpsychologie bezeichnet, mit der 
die Kollektivpsychologie nicht zu verwechseln ist. Jene, die in 
letzter Zeit eine Reihe beachtenswerter Bearbeitungen erfahren 
hat (Eulenburg! Simmel! und doch auch Wundt, trotz 
seiner andern Terminologie), und die ihrer viel größeren Jugend 
imgeachtet der wissenschaftlichen Reife viel näher steht als ihre 
ältere Schwester, setzt sich ja zur Aufgabe, diejenigen seelischen 
Erscheinungen festzustellen und zu analysieren, die aus der Tat- 
sache der Vergesellschaftung sich ergeben; diese dagegen will 
alle seelische Eigenart der Gruppe erfassen. Und es erhebt sich 
nun die erste gewichtige Frage : welchen Sinn es hat, von einer 
Gruppe von Menschen bestimmte Seeleneigenschaften auszusagen. 
Was es also bedeutet, wenn wir etwa urteilen: die Deutschen 
sind gemütvoll; die Slaven sind musikalisch; das Proletariat ist. 


Digitized by 


Google 



302 


rationalistisch ; die Großstädter sind . . die Germanen sind . . 
die Professoren sind . . die Juden sind . . . usw. Wir müssen 
uns ja immer dem Einwande aussetzen, den unser guter Freund 
gegen eine solche Feststellung erhebt, der nämlich behauptet: 
seine verstorbene Tante oder der Kanzleirat Müller nebenan oder 
sonst noch wer seien „ganz anders“ gewesen, als wir von der 
Gruppe ausgesagt hätten, der sie angehörten. Und unser Freund 
kannte alle diese Leute sehr gut und hat gewiß recht. 

Wie also? 

Die älteren Vertreter der „Völkerpsychologie“ wußten sich 
leicht zu helfen. Sie beschränkten ihre Untersuchungen zumeist 
auf die Völker (oder was ihrer Ansicht nach dazu gehörte), und 
diese Völker statteten sie mit einer besonderen Seele aus, die 
sie auch „Volksseele“ nannten, und von der nun natürlich ebenso 
wie von einer Individualseele alle Eigenschaften ausgesagt werden 
konnten. Diese geheimnisvolle Volksseele taucht heute noch 
unter dem Namen „psychisches Diapason“ auf und schwebt den 
meisten „Völkerpsychologen" unserer Tage vor, wenn sie (wie 
etwa der geistvolle Leroy-Beaulieu) bei einer Analyse der jüdi- 
schen Eigenart 499 : „le juif et la racejuive“, „l’originalite natio- 
nale et les facultas individuelles“, „Israel en tant que peuple et 
le juif en tant qu’individu“ in einen Gegensatz zueinander 
stellen. 

Wir wollen zunächst diesen Zweig der Psychologie nicht auf „ die 
Völker“ beschränkt sehen, sondern wollen jede beliebige Gruppe 
von Menschen auf ihren seelischen Zustand untersuchen: daher 
Kollektivpsychologie (besser als Massenpsychologie, die vielmehr 
einen besonderen Zweig der Sozialpsychologie bildet) statt Völker- 
psychologie. 

Uns mutet aber auch alle „Volksseele“ mystisch an. Sie 
erscheint uns als ein trügerisches Nebelgebilde, von dem, wenn 
wir es durchleuchten, nichts übrig bleibt, das jedenfalls keine 
irgendwelche Realität ist, sondern höchstens in unserer Vor- 
stellungswelt als Hilfsmittel des Denkens seinen Platz hat. 

Die einzigen Realitäten sind vielmehr die lebendigen Menschen, 
die die Gruppe bilden (oder auch: gebildet haben und — unter 
bestimmten Voraussetzungen — bilden werden). Man könnte 
daran denken, neben ihnen noch eine zweite Realität anzunehmen : 
die in irgendwelcher Stofflichkeit verkörperten Werke jener Einzel- 


Digitized by t^ooQle 



308 


menschen: also Bauwerke, Dichtwerke, Musikwerke, technische 
Werke usw. eines Volkes etwa. Zweifellos haben diese Werke 
— auch losgelöst von ihren Schöpfern und ihren Genießern — 
ein selbständiges Leben und können in ihrer Wesenheit selb- 
ständig erfaßt Werden: äußerlich, aber auch ihrem „Geist“ 
nach, so daß man etwa von der griechischen Architektur aus- 
sagt: sie sei von edler Harmonie erfüllt, während die ägyptische 
oder babylonische anders (etwa als Verkörperung des Kolossalen 
oder sonstwie) gekennzeichnet wird. Aber sobald wir „die Seele“ 
dieser Werke fühlen wollen, können wir doch nichts anderes 
tun, als daß wir sie in ihren Beziehungen auf lebendige Menschen 
zu fassen suchen und als deren Äußerungen , als deren Be- 
tätigungen zu verstehen trachten: nicht sowohl ihres Schöpfers 
als vielmehr einer gedachten Idealperson. Kollektivpsycho- 
logie wird also immer wieder auf die Einzelpersonen hinweisen 
als auf die einzigen Realitäten, deren Wesen sie feststellen soll. 

Und diese Individuen sind alle verschieden. Wie komme 
ich zur Aussage einer bestimmten Eigenschaft, die der gesamten 
Gruppe anhaften soll? 

Nun — wenn „wissenschaftlich“ verfahren werden soll: auf 
dem Wege eines sehr verwickelten Beobachtungs- und Ab- 
straktionsverfahrens, dessen einzelne Bestandteile etwa folgende 
sind. 

Zunächst gilt es ein möglichst großes und möglichst zu- 
verlässiges Material herbeizuschaffen. (Material für die Kollektiv- 
psychologie sind aber einzelpsychologische Tatsachen.) Zu diesem 
Behufe können verschiedene Methoden angewendet werden. Es 
gibt grundsätzlich zwei Arten der Ermittlung : die unmittelbare und 
die mittelbare. (Es ist hier, wenn von Individualpsychologie] die 
Rede ist, immer nur die Vulgärpsychologie gemeint. Die so- 
genannte „wissenschaftliche“ Psychologie ist für unsera Zweck 
gar nicht verwendbar, da sie ja bisher bis zur menschlichen 
Psyche überhaupt noch nicht gelangt ist.) 

Die unmittelbare Erkenntnis gewinnt ihre Einsicht aus der 
Beobachtung lebendiger Menschen und aller ihrer Äußerungen. 
Sie kann sich des induktiven oder des statistischen Ermittlungs- 
verfahrens bedienen. Die Induktion fußt auf der Einzelbeobachtung. 
Diese kann wiederum zwiefacher Art sein: direkt und indirekt. 
Direkt ist sie, wenn sie den Menschen selbst und sein lebendiges 


Digitized by 


Google 



804 


Wirken zu umfassen trachtet , was wiederum entweder mittels 
des eigenen persönlichen Erlebnisses oder durch Erkundung 
der persönlichen Erlebnisse anderer oder durch biographische 
Berichte aus der Vergangenheit geschehen kann. Indirekt: wenn 
sie aus den stofflich festgelegten Werken auf die Psyche diesmal 
ihres Schöpfers schließt: aus dem „Tagebuch“ auf Goethe, aus 
der „Zauberflöte“ auf Mozart usw. 

Die Statistik liefert Massenbeobachtung seelischer Vorgänge 
oder (zumeist) bestimmter Symptome, aus denen sich seelische 
Eigenarten ablesen lassen: Bevölkerungsbewegung, Verbrechen, 
Lektüre usw. 

Das Ergebnis von solcherart Studien ist nun zunächst eine 
(möglichst große 1) Reihe von eigenartig gekennzeichneten Einzel- 
personen (die man persönlich kennen mag oder als Unbekannte 
mit Nummern versehen muß). An diesen Individuen werden 
nun je bestimmte Eigenarten festgestellt, die man vorher genau 
gekennzeichnet hat: es seien die Eigenarten a, b, c, d, e, f, g, 
Ä, t, Je. Die Nebeneinanderstellung der beobachteten Individuen 
ergibt nun folgendes schematisches Bild: 


Individuum A hat die Eigenschaften a, b, c, d, e, /’, g, 


. s . . 

n 

Oy by Cy dy Ä, %y Ä/j 

» O „ V 

n 

Oy by Cy 6y fy 

. D . . 

n 

f, 9, h 

» E » . 

n 

^ ff 9* 


Nun beginnt die Auszählung: es wurden ermittelt bei 5 (500, 
5 000000) Individuen 

die Eigenschaften a, 6, f, g je 4 mal = 80 °/o 
„ «i c, d, e „ 3 „ = 60 „ 

n n hf Je „ 1 „ = 20 „ 

Diese unmittelbare Beobachtung an lebendigen Menschen 
wird dann ergänzt durch die mittelbare Erkenntnis aus den (von 
ihren Schöpfern losgelösten) Werken. Diese Werke, sagte ich 
schon, können materieller oder geistiger Natur sein: die wichtigsten 
(aus denen insonderheit eine bestimmte „Volkspsyche“ abgelesen 
werden soll) sind 

in der Breite: Sprache, Recht (Sitte), Religion (Mythos), Wirt- 
schaft, traditionale Technik ; 


Digitized by t^ooQle 



305 


in den Höhen : Philosophie , Dichtkunst , bildende Künste, 
Kunstmusik, Architektur, rationale Technik; 
in den Tiefen: Volkskunst, Volkslieder, Sprichwörter usw. 

Auch diese Werke werden nun daraufhin untersucht, welche 
Eigenarten in ihnen häufig oder immer wiederkehren, und aus 
diesen Eigenarten werden bestimmte seelische Qualitäten ab- 
geleitet. Die glückliche Analyse dieser Werke liefert natürlich 
einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Lösung der Auf- 
gabe. 

(Im Vorbeigehen bemerkt : ich halte es für ganz falsch, die 
Werke der ganz Großen hier als Quellen zu benutzen. Die 
ganz Großen gehören zumeist gar nicht einer besonderen Gruppe 
[Volke, Rasse, Klasse] an, sondern sind Sie selbst in ganz 
einziger Eigenart oder allenfalls der Ausdruck einer ganzen Zeit. 
Will man aus deutscher Dichtung Schlüsse ziehen, so wähle man 
nicht Goethe, sondern Uhland; als jüdischen Philosophen be- 
trachte man nicht Spinoza, sondern Maimonides, Mendelssohn 
oder Simmel; als italienischen Maler nicht Michel Angelo, sondern 
vielleicht Tizian ; als englischen Dichter nicht Shakespeare, 
sondern Dickens usw.) 

Ich erhalte so als Ergebnis eine Fülle von Eigenschaften: 
in einem bestimmten Mengenverhältnisse die einzelnen zueinander : 
80 a, 60 c usw., ebenso wie schon vorher bei der personalen 
Beobachtung. 

Und nun kommt die synthetische Volte. Diese vielerlei 
Eigenschaften füge ich jetzt zu einem Ganzen zusammen derart, 
daß (etwa nach Art der chemischen Atomkomposition) in diesem 
Ganzen (das also die Einheit darstellt) alle Eigenschaften in 
demselben Mengenverhältnis sich wiederfinden, in dem ich sie 
vorher durch Beobachtung der Einzelindividuen ermittelt hatte. 
Vielleicht lasse ich bei dieser Zusammenfügung die in ganz ge- 
ringer Menge vorhandenen Eigenschaften als quantitö nögligeable 
ganz verschwinden; also in unserm Schema etwa die Eigen- 
schaften h und k und bilde die Einheit mit den Bestandteilen 
a, f> ffy c, d, e in dem Verhältnis, daß diese zusammen = 1 
sind. Diesem seltsamen Gebilde, dem kein lebendiger 
Mensch entspricht, jedenfalls nicht zu entsprechen 
braucht, hauche ich nun kraft meiner Schöpfungsmacht Leben 
ein, indem ich mir einen Menschen vorstelle, der mit diesen 

Sombart, Die Juden 20 


Digitized by 


Google 



306 


verschiedenen Eigenschaften in dem bestimmten Mischungs- 
verhältnisse ausgestattet ist, und diesem Gedankengebilde lege 
ich des weiteren den Namen der Gruppe bei, innerhalb deren 
ich die Untersuchungen anstelle: ich sage: das ist der Deutsche, 
das ist der Professor, das ist der Jude. 

Aber es hat vielleicht nie solch einen Deutschen, nie solch 
einen Professor, nie solch einen Juden gegeben. 

Diese Erschaffung eines neuen Menschentyps ist ein durchaus 
legitimer Akt unserer wissenschaftlichen Schöpfertätigkeit. Wir 
dürfen nur die rein geistige Natur dieses neuen Wesens nicht 
verkennen; müssen uns also jederzeit bewußt bleiben (ich wieder- 
hole es noch einmal, weil ich diese Feststellung für entscheidend 
wichtig halte) , daß ihm keinerlei Realität in der Wirklichkeit 
gegenübersteht, daß kein einziger Mensch in der Gruppe genau so 
beschaffen ist wie unser Homunculus, daß es eine ganze Menge 
von Gruppenangehörigen gibt, die vielleicht keinen einzigen Zug 
gemeinsam haben mit unserm Gedankenmenschen. Müssen uns 
bewußt bleiben, daß dieses Gebilde unseres Geistes nichts anderes 
sein soll als ein Hilfsmittel unseres Denkens, mittels dessen wir 
uns die Massenwirkungen einer sozialen Gruppe verständlich 
machen wollen. Wir müssen eine Hilfskonstruktion dort sehen, 
wo die Älteren eine Volksseele erblickten. 

(Wollte man ganz auf dem Boden der persönlichen Wirklich- 
keit bleiben, so dürfte man immer nur sagen: in dieser Gruppe 
sind diese Züge bei mehr Individuen anzutreffen als in jener, 
sind andere Züge seltener als in der andern Gruppe: es gibt aber 
auch zerstreute Offiziere und stramme Professoren.) 

Die rein geistige Natur dieses idealen Gruppenmenschen 
tritt besonders deutlich in die Erscheinung, wenn man die von 
ihm ausgesagten Eigenschaften gar nicht mehr auf Angehörige 
der Gruppe bezieht, sondern auf beliebige Andere. Dann fcunn 
es sich ereignen, daß der „Geist“, die Wesenheit, die man erst 
aus der Beobachtung einer Gruppe festgestellt hatte, nun auf 
eine andere Gruppe übertragen werden, und daß schließlich 
scheinbar höchst seltsamer Weise beispielshalber die Juden 
Christen und die Christen Juden werden, wie es Chamberlain 
in Aussicht stellt, wenn er folgende Sätze schreibt 500 : 

„Man braucht nicht die authentische Hethiternase zu be- 
sitzen, um Jude zu sein; vielmehr bezeichnet dieses Wort vor 


Digitized by 


Google 



307 


allem eine besondere Art zu fohlen und zu denken ; ein Mensch 
kann sehr schnell, ohne Israelit zu sein, Jude werden. 
Mancher braucht nur fleißig bei Juden zu verkehren, jüdische 
Zeitungen zu lesen und an jüdische Lebensauffassung, Literatur 
und Kunst sich zu gewöhnen. Anderseits ist es sinnlos, einen 
Israeliten echtester Abstammung, dem es gelungen ist, die 
Fesseln Esras und Nehemias abzuwerfen, in dessen Kopf das 
Gesetz Mose und in dessen Herzen die Verachtung anderer keine 
Stätte mehr findet, einen , Juden 4 zu nennen . . . Ein rein- 
humanisierter Jude ist . . . kein Jude mehr, weil er, indem er(I) 
der Idee des Judentums entsagt, aus dieser Nationalität, deren 
Zusammenhang durch einen Komplex von Vorstellungen, also 
einen , Glauben 4 bewirkt wird, ipso facto ausgetreten ist. Mit 
dem Apostel Paulus müssen wir einsehen lernen: ,Denn das 
ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, sondern das ist 
ein Jude, der inwendig verborgen ist. 4 “ Rechter Hand, linker 
Hand — alles vertauscht! 

Was ich hier skizziert habe, wäre das streng „wissenschaft- 
liche“ Verfahren zur Gewinnung völkerpsychologischer Urteile. 
Es ist klar, daß seine Durchführung außerordentlichen Schwierig- 
keiten begegnet, und daß wir wohl noch recht lange warten 
müßten, ehe wir auf diesem Wege zu dem ersten greifbaren Er- 
gebnis gelangten. Deshalb ist es ganz tröstlich, daß es außer 
jenem wissenschaftlichen Verfahren noch ein anderes gibt, das 
unter Umständen glänzende Resultate liefert: man kann es das 
„abgekürzte“ oder auch das „künstlerische“ Verfahren nennen. 
Mittels seiner schaut eine dazu veranlagte Persönlichkeit jenes auf 
wissenschaftlichem Wege mühsam hergerichtete Gedankengebilde 
als lebendiges Wesen mit seinem inneren Gesicht, sie schafft es 
mit Hilfe ihrer Intuition, wie wir zu sagen pflegen. Dieser 
inneren Schau genialer Menschen verdanken wir die wertvollsten 
Einblicke in die Wesenheit sozialer Gruppen, und bei unserer 
Charakteristik einer bestimmten Eigenart werden wir die Auf- 
schlüsse, die uns von jener Seite kommen, gern verwerten, um 
sie, wenn möglich, zur Grundlage des Gesamtmaterials zu machen, 
das wir dann erst mit Hilfe des nüchternen wissenschaftlichen 
Verfahrens verbessern und vervollkommnen. Wollen wir erfahren, 
was „ein Jude 44 ist, so werden wir Shylocks Reden ebenso eifrig 
studieren wie die Bankgeschichte oder die Statistik der Geistes- 

20 * 


Digitized by t^ooQle 



308 


kranken. (Und werden doch nicht zugeben, daß wir „moderne 
Obskuranten“ sind, wie allzuhelle Köpfe wohl behaupten!) 

Daß es sich auch bei den auf intuitivem Wege gewonnenen 
Ansichten immer nur um unwirkliche, das heißt nicht leibhaftige 
(darum freilich vielleicht wirklichere als diese, aber doch nur 
in einem hier nicht hergehörigen metaphysischen Verstand) 
Typenbildungen handelt, ist noch deutlicher als im zuerst be- 
sprochenen Falle der wissenschaftlichen Genese. 

* * 

* 

Die kollektivpsychologischen Probleme werden nun aber 
dadurch noch verwickelter, daß die sozialen Gruppen, von denen 
besondere Wesenheiten festgestellt werden sollen, gleichsam also 
die Individuen, denen man die eigenartige Seele andenken 
(oder andichten) will, sehr zahlreich sind. Daß diese Kollektiv- 
individuen nur „Völker“ seien, wie die Altere Richtung annahm, 
wurde schon als irrtümlich bezeichnet Vielmehr wird man 
sagen müssen, daß so viel Gruppen auf ihre seelische Sonderart 
hin untersucht werden können, als sie gemeinschaftliche und ein- 
heitliche Züge aufweisen. Danach würde sich ein ganzes System 
kollektivpsychologischer Einheiten ergeben, das wir uns schema- 
tisch wie folgt vergegenwärtigen können: 


I. Die Gruppen (Kreise) liegen neben- 
einander : Franzosen - Deutsche ; 

Schuster-Schneider. 




II. Die Kreise liegen ineinander, und 
zwar konzentrisch: Internationales 
Proletariat — deutsches Prole- 
tariat — deutsches Industrie- 
proletariat — Arbeiter der deut- 
schen — der Berliner Maschinen- 
industrie — derSiemens-Schuckert- 
werke. 



Digitized by t^ooQle 



809 


III. Die Kreise liegen ineinander 
und nebeneinander: französische 
Künstler — französische Gelehrte. 



IV. Die Kreise schneiden sich: Inter- 
nationales Proletariat — Deutsche. 



V. Die Formen I — IV treten irgendwie einfach oder mehrfach 
kombiniert auf. 

Was eine Gruppe bildet, die (gleichsam) eine selbständige 
Seele hat, kann natürlich außerordentlich mannigfaltiger Natur 
sein. Unter all den überhaupt gruppenbildenden Faktoren werden 
es einzelne sein, die sich im voraus nicht bestimmen lassen, 
da wir von keinem einzigen gruppenbildenden Faktor von vorn- 
herein wissen können (oder annehmen dürfen), ob er auch seelen- 
bildende Kraft besitzt. 

Ober die Bildung der sozialen Gruppen und ihr Verhältnis 
zueinander hat Simmel so viel Vortreffliches gesagt, daß ich hier 
darauf verzichten kann, näher auf den Gegenstand einzugehen. 
Bemerken möchte ich nur (weil es wichtig ist für das besondere 
Thema, das hier behandelt werden soll), daß eine individuell ge- 
artete Gruppe und also eine eigene Kollektivpsyche sowohl durch 
reale (objektive) als durch ideale (subjektive) Faktoren gebildet 
werden kann : zu jenen gehört das gemeinsame Blut, der gemein- 
same Beruf, die gemeinsame Sprache, der gemeinsame politische 
Verband u. a. ; diese werden durch ein irgend wie geartetes Zu- 
sammengehörigkeitsgefühl, durch den Willen zur Gemeinsamkeit 
(die durch keinen objektiven Umstand herbeigeführt wird) ge- 
bildet. Subjektive und objektive Faktoren wirken oft bei der 
Gemeinschaftsbildung zusammen. 


Digitized by 


Google 



810 


Dann möchte ich darauf aufmerksam machen, daß sich so- 
ziale Gruppen mit einheitlicher Seelenverfassung nicht nur für 
einen gegebenen Augenblick räumlich und zeitlich nebeneinander, 
sondern ebenso zeitlich nacheinander unterscheiden lassen. „Das 
deutsche Volk" ist eine bestimmte Gruppe nicht nur im Gegen- 
satz zu dem „französischen Volke“ in einer bestimmten Epoche, 
sondern auch im Gegensatz zu sich selbst in einer anderen Zeit 
(deren richtige Abgrenzung wiederum ein Problem enthält). 

Um „die Juden“ als Einheit zu fassen, werden wir zu- 
nächst natürlich an die Religionsgemeinschaft denken, die sie 
einte. 

Ich möchte aber für die hier beabsichtigte Untersuchung die 
durch die Zugehörigkeit zur mosaischen Religion gebildete Gruppe 
einerseits einschränken anderseits erweitern. Einschränken 
dadurch, daß ich nur die Juden etwa seit der Vertreibung der 
Juden aus Spanien und Portugal, also seit dem Ende des Mittel- 
alters in Betracht ziehe. Erweitern dadurch, daß ich die Ab- 
kommen der Bekenner des mosaischen Glaubens, auch wenn sie 
nicht mehr der jüdischen Religionsgemeinschaft angehören, in den 
Kreis meiner Untersuchung hereinnehme. Ob die solcherart ab- 
gegrenzte Gruppe eine gemeinsame und besondere seelische Eigen- 
art habe, läßt sich nach dem, was oben bemerkt wurde, im vor- 
hinein nicht aussagen. Bemerken will ich nur, daß die Gründe, 
mit denen das Vorhandensein eines allgemeinen jüdischen Wesens 
abgestritten werden soll, nicht stichhaltig sind. 

1. Man verweist darauf, daß die Juden Westeuropas und 
Amerikas in weitem Umfange die nationalen Eigenschaften ihrer 
Wirtsvölker angenommen hätten. Das braucht nicht geleugnet 
zu werden, auch wenn etwa eine besondere jüdische Eigenart 
sich feststellen ließe. Es ist nämlich sehr wohl möglich, wie wir 
sahen, daß Menschen und Gruppen von Menschen verschiedenen 
sich schneidenden Gemeinschaftskreisen angehören. Ich erinnere 
außer den schon angeführten Beispielen an die Deutsch-Schweizer, 
die sehr deutlich sowohl Deutsche als Schweizer sind. 

2. Man macht geltend, daß die Juden in der Diaspora kein 
„Volk“ und keine „Nation“ im üblichen Sinne 501 bildeten, da 
sie weder eine politische noch eine Kultur- noch eine Sprach- 
gemeinschaft darstellten. Darauf ist zu erwidern, daß es ganz 
gewiß noch andere Eigenart bildende Momente gibt (ich erinnere 


Digitized by t^ooQle 



811 


an die Gemeinsamkeit der Abstammung oder an die idealen 
Faktoren der Gruppenbildung); ist vor allem zu erwidern, daß 
man sich davor hüten möge, die Bedeutung einer Definition zu 
überschätzen. 

8. Man sagt, daß innerhalb der Judenschaft (in der von mir 
angegebenen Umschreibung) keine Homogenität obwalte, daß 
vielmehr sich sehr voneinander verschiedene Bestandteile, die 
sich auch im eigenen Bewußtsein feindlich gegenüberstehen, 
unterscheiden ließen. Etwa die östlichen und die westlichen 
Juden; die Sephardim und die Aschkenazim ; die Orthodoxen 
und die Liberalen; die Alltagsjuden und die Sabbatjuden (in 
Marxscher Ausdrucksweise). Das kann ebenfalls ohne weiteres 
zugegeben werden. Und doch ist es kein Beweisgrund gegen 
die Möglichkeit einer gemeinsam-jüdischen Eigenart. Ich er- 
innere wieder an die Kreisfiguren, die ich oben aufgezeichnet 
habe : innerhalb eines größeren Kreises können mehrere kleinere 
Kreise liegen, die entweder wieder konzentrisch sind oder sich 
schneiden. Man vergegenwärtige sich etwa: wie unendlich kom- 
pliziert sich die Gruppenzugehörigkeit eines Deutschen gestaltet, 
der Katholik oder Protestant, Bauer oder Professor, Norddeutscher 
oder Süddeutscher, Germane oder Slave und noch vielerlei und trotz 
alledem Deutscher sein kann. Möglich ist es also allemal, daß 
eine alljüdische Eigenart neben zahlreichen Gegensätzlichkeiten 
einzelner Gruppen innerhalb der gesamten Judenheit bestehe. 

* * 

* 

Ehe ich nun diese allgemein-jüdische Eigenart zu bestimmen 
versuche, muß ich noch einmal ausdrücklich betonen, daß es 
mir im Rahmen dieser Studien nicht darum zu tun ist, die ge- 
samte jüdische Eigenart zu zeichnen, sondern nur soviel davon, 
als für die Erklärung der wirtschaftlichen Vorgänge notwendig 
ist. Dabei freilich kann ich mich nicht in der bisher üblichen 
Weise damit begnügen, von einem jüdischen „Handelsgeiste“, 
von einem „Schachergeiste“, von einer „Qualifikation der Juden 
zum Handel“ usw. zu sprechen. 

Ich sehe ganz davon ab, daß es unsinnig ist, Eigenschaften 
wie beispielsweise die „Erwerbsgier“ als spezifische Eigenschaften 
einer bestimmten Menschengruppe nachweisen zu wollen. Sie 
sind menschlich (allzumenschlich). 


Digitized by 


Google 



812 


Ich lehne alle bisherigen Analysen der jüdischen Psyche 
(soweit sie deren Beziehungen zum Wirtschaftsleben betreffen) 
vielmehr aus folgenden Gründen ab: 

1. ist bis jetzt immer zu unbestimmt gelassen, wozu man 
die jüdische Art geeignet glaubte: „zum Wirtschaften“ , „zum 
Handel“ : das sind ganz vage Bezeichnungen, die gar nichts sagen. 
Deshalb habe ich in einem besondem Kapitel schon ausführlich 
dargelegt: für welchen ganz bestimmten Kreis wirtschaftlicher 
Tätigkeiten wir die Befähigung der Juden (und somit also jetzt : 
die subjektive Befähigung der Juden) feststellen möchten: eben 
für die im Nexus des kapitalistischen Wirtschaftssystems sich 
ergebenden Strebungen und Tätigungen; 

2. sollten wir uns doch klar darüber sein, daß Umschreibungen 
keine Erklärungen sind. Wenn ich nachweisen will, daß die 
Eigenart einen Menschen ganz besonders zum Börsenspekulanten 
befähigt, so kann ich mich doch nicht damit begnügen, daß ich 
sage: der Mann hat ein hervorragendes Talent zum Jobbern. 
So verfuhr ja bekanntlich Onkel Bräsig, als er die Armut aus 
der großen Poverteh ableitete. Aber fast immer verfahren die 
Beurteiler der jüdischen Wirtschaftstalente wie Onkel Bräsig. 
Was wir vielmehr aufsuchen müssen, sind bestimmte Veranlagungen 
der Seele, die die glückliche Ausübung der kapitalistischen Wirt- 
schaftsfunktionen gewährleisten ; sind Grundzüge des Geistes und 
Charakters, denen bestimmte Wertvorstellungen und Zweck- 
setzungen, bestimmte Leistungen und Tätigkeiten, bestimmte 
Vorstellungs- und Willenskomplexe als Funktionen entsprechen. 

Sie bei den Juden festzustellen, ist nun die Aufgabe der 
folgenden Darlegung, zu deren Ausführung nunmehr, wie ich hoffe, 
unser wissenschaftliches Gewissen genügend geschärft worden 
ist durch all die Bedenklichkeiten und Fragezeichen, mit denen 
die vorstehenden Blätter angefüllt sind. 

£L Ein Losungsversuch 

Im Grunde herrscht in der Beurteilung der Juden und ihrer 
Eigenart eine größere Übereinstimmung, als man bei der Schwierig- 
keit und Verfänglichkeit des Problems annehmen sollte. Sowohl 
in der Literatur wie im Leben kommen doch alle nur einiger- 
maßen vorurteilsfreien Männer wenigstens in diesem oder jenem 
wichtigen Punkte überein. Ob man die Analysen des jüdischen 


Digitized by 


Google 



313 


Wesens bei Jellinek oder Fromer, bei Chamberlain oder Marx, 
bei Heine oder Goethe, bei Leroy-Beaulieu oder Picdotto, bei 
Dühring oder Rathenau — also bei frommen und nicht frommen 
Juden, bei antisemitischen und philosemitischen Nichtjuden — 
lesen mag: immer empfängt man doch den Eindruck: etwas 
Eigenartiges, eine Realität wird von allen gleichermaßen empfunden. 
Das mindert ein wenig die starken Bedenken, die man doch 
nicht unterdrücken kann, wenn man nun selbst daran geht, die 
jüdische Seele in Worten zu schildern. Man sagt nichts, was 
nicht auch andere schon gesehen und gesagt hätten, wenn auch 
vielleicht in etwas anderer Beleuchtung und mit etwas anderen 
Worten. Und tut als eigenes nur hinzu: daß man die Be- 
ziehungen aufweist, die zwischen der Gesamtanlage der Juden 
sowie ihren einzelnen Veranlagungen und den Anforderungen des 
kapitalistischen Wirtschaftssystems obwalten. Aber ich werde 
das in der Weise tun, daß ich zunächst doch ein zusammen- 
hängendes Bild von der jüdischen Eigenart zu zeichnen versuche 
und danach erst jene Zusammenhänge zwischen ihr und deren 
kapitalistischem Wesen aufzudecken unternehme. 

Abweichend von den andern Beurteilem möchte ich meinen 
Ausgangspunkt nehmen von der Betrachtung einer Eigenart 
jüdischen Wesens, die zwar oft genug auch früher schon hervor- 
gehoben wurde, ohne daß man ihr doch die zentrale Bedeutung 
zugewiesen hätte, die, wie ich glaube, ihr zukommt: der über- 
ragenden Geistigheit, oder wenn man den etwas ver- 
brauchten und auch nicht ganz eindeutigen fremdsprachigen 
Ausdruck vorzieht: dem Intellektualismus des jüdischen 
Volkes. Darunter möchte ich zuerst verstanden wissen : das Vor- 
walten der geistigen Interessen und geistigen Fähigkeiten vor 
-den körperlichen (manuellen). Bei den Juden: „L’ intelligence 
prime le corps" : das ist eine Tatsache, die wir im täglichen Leben 
immer wieder beobachten können und deren Richtigkeit durch 
vielerlei Anzeichen bestätigt wird. Bei keinem Volke ist zu 
allen Zeiten der „Gelehrte“ so hoch bewertet worden wie bei 
den Juden. „Der Weise geht vor dem Könige her; der weise 
Bastard vor dem ignoranten Hohepriester“, heißt es im Talmud. 
Und diese Überbewertung des „Wissens“, der „Wissenschaft“ 
finden wir noch heutigentags bei unsera jüdischen Studenten 
wieder. Wer nicht ein „Weiser“ sein konnte, sollte wenigstens 


Digitized by 


Google 



314 


„gebildet 11 sein : der Unterricht war zu allen Zeiten in Israel ob- 
ligatorisch. Die Ausübung der Religion selbst bedeutete ein 
Lernen. Die Synagoge heißt noch heute im Osten „die Schul“. 
Unterricht und Gottesdienst sind bei diesem Volke eins und Un- 
wissenheit ist eine Todsünde ; wer nicht lesen kann, ist auf Erden 
ein Verruchter, im Jenseits ein Verdammter. Nichts wird so 
scharf gegeißelt vom Volksmund als die Narrheit. „Unrecht ist 
mir lieber als Sehlus“; „ein Narr ist ein Gesar“(=Verhängnis), 
sind bekannte Sprichwörter aus dem Ghetto 60 *. 

Der wertvolle Mensch ist der intellektuale Mensch; höchstes 
Menschtum ist höchster Intellektualismus. Das spricht jetzt 
wieder ein zweifellos gescheiter Jude mit einer förmlich frap- 
pierenden Naivität aus, wenn er folgendes (für anders veranlagte 
Naturen geradezu schreckhaftes) Bild von dem Ideal- und Über- 
menschen und vom Menschen der Zukunft entwirft: „An die 
Stelle der blinden Instinkte . . . tritt beim Kulturmenschen der be- 
wußtschaffende Intellekt. Es ist geradezu die Aufgabe desselben, 
die Instinkte auszulöschen(I) , den Zwecke setzenden Willen an 
die Stelle der Triebe, das Reflektieren an die Stelle des bloßen 
Perzipierens zu setzen. Der einzelne wird dann erst ein Voll- 
mensch, wenn seine Vernunfttätigkeit alle vorhandenen Prädis- 
positionen aufgelöst und ersetzt — seine Instinkte ausgelöscht 
hat. Ist die Losreißung von den Instinkten bis zu Ende ge- 
diehen, dann haben wir das absolute Genie vor uns, mit seiner 
absoluten, inneren Freiheit vom Naturgesetz (I). Aufgabe des 
Kulturlebens ist es (!), von aller Mystik, von allem Dunkeln und 
Triebhaften des Instinktlebens sich zu emanzipieren und die reine 
rationale Form des Intellekts zu fördem a (!!) 608 . Man denke, 
man denke I Das Genie (also gerade das noch triebhaft instinkt- 
begabte Wesen) als höchsten Ausdruck des Rationalen und In- 
tellektualen gefaßt! 

Mit der überragenden Geistigheit der Juden hängt es auch 
zusammen, daß bei ihnen zu allen Zeiten die verschiedenen Be- 
rufe in dem Maße höhere oder geringere Geltung gehabt haben, 
als sie größere oder geringere Ansprüche an geistige und vor allem 
— umgekehrt — geringere oder höhere Ansprüche an physische 
Leistungen stellten. Es mag Judenschaften gegeben haben und 
noch heute geben, in denen schwere körperliche Arbeit gern und 
mit Vorliebe geleistet wird: für unsere europäische Judenschaft 


Digitized by 


Google 



315 


gilt das nicht. Und auch die Juden der Talmudzeit zogen die 
Berufe vor, die weniger Anforderungen an körperliche Tüchtig- 
keit stellten. Nach Rabbi galt der Satz, wie wir schon sahen: 
„Die Welt kann weder des Gewürzkrämers noch des Gerbers ent- 
behren. Heil dem, dessen Beschäftigung es ist, Gewürzkrämer 
zu sein“ . . . „R. Meir sagt : immer lehre ein Mensch seinem Sohne 
ein reines und leichtes Handwerk usw.“ (Kidd. 82 b). Die 
Juden haben diese ihre überwiegende Geistigheit auch immer 
empfunden und haben sich und ihre Eigenart immer in Gegen- 
satz gestellt zu der brutalen Gewalt der Goim. Das drücken ein 
paar polnisch-jüdische Sprichwörter wiederum mit schlagendem 
Witz aus, wenn sie sagen: „Gott soll behüten var gojische Händ 
und var jüdisch Köpp“; und: „Gott soll behüten var jüdischen 
Mojech (Gehirn) und var gojischen Kojech“ (Gewalt). Mojech 
c/a Kojech: diese Worte enthalten im Grunde die ganze Juden- 
frage. Auch dieses Buch sollte die Überschrift tragen: Mojech 
c/a Kojech! 

Und wie es bei einem so begabten Volke wie den Juden 
gar nicht anders kommen konnte : dieses Überragen der geistigen 
Interessen mußte auch ein Überragen der geistigen Fähigkeiten 
bewirken. „Wus man sagt von ä Jüd: ä Narr is er nischt.“ 
„Galanter Grieche, dummer Jud’ und ehrlicher Zigeuner sind 
eine Unmöglichkeit“ : sagt das Volk in Rumänen diesseits und 
jenseits der Ghettomauem. „Ni judio necio, ni liebre perezosa“ 
sagen die Spanier 504 . Und wer möchte es nicht bestätigen, der 
mit Juden viel zu tun gehabt hat, daß sie durchschnittlich ein 
größeres Maß von Verstandesschärfe aufweisen als die andern? 
Ich sage absichtlich: von Verstandsschärfe und könnte auch statt 
dessen sagen: von Scharfsinn: ingenio muy agudo, agudeza de 
ingenio, wie es vor ein paar Hundert Jahren der beste Beobachter 
der Juden 506 auch schon ausdrückte, der sie — eine außer- 
ordentlich treffende Charakterisierung! — „agudos y de grande 
ingenio para les cosas de este siglo“ fand: freilich, meinte er, 
schon in viel geringerem Grade als früher: „ello es verdad que 
no son ahora tan agudos y solertes como mil afios atras.“ 

„I/esprit juif est un instrument de pröcision; il a Fexacti- 
tude d’une balance“ : diesem Urteil Leroy-Beaulieus wird man 
sich ohne weiteres anschließen dürfen. Und wenn Chamberlain 
gerade den „Verstand“ bei den Juden besonders wenig ent- 


Digitized by 


Google 



316 


'wickelt findet, so kann er das nicht in dem üblichen Sinne des 
Wortes meinön, unter dem wir uns die Fähigkeit vorstellen: 
rasch zu denken, scharf zu trennen, zu zersetzen und zu kom- 
binieren, den Mittelpunkt herauszufinden, Analogien aufzustellen 
und Synonyme zu unterscheiden, die letzte Konsequenz zu ziehen. 
Ad. Jellinek, der diese Seite des jüdischen Wesens mit Recht 
besonders hervorhebt, macht auf die lehrreiche Tatsache auf- 
merksam 606 , daß schon die hebräische Sprache ganz besonders 
reich ist an Ausdrücken für Tätigkeiten, die ein reger Verstand 
bevorzugt. Sie hat für suchen, forschen 11, für trennen, 
scheiden 34, für knüpfen, verbinden, kombinieren 15 Ausdrücke. 

Diese intellektuale Überlegenheit ist einer der Gründe ihrer 
zweifellosen Begabung für das Schachspiel ebenso wie für die 
Mathematik 607 und alle Zahlenkunst. Diese Tätigkeiten setzen 
ein starkes Abstraktionsvermögen und eine (wesentlich mit dem 
Verstände zusammenhängende) besondere Art von Phantasie 
voraus, die Wundt im Gegensatz zu der intuitiven Phantasie 
des Künstlers treffend die kombinatorische nannte. Zum Teil 
mag auch ihre oft gerühmte ärztliche Tüchtigkeit (Talent zur 
Diagnose!) 608 in diesem berechnenden, trennenden und kombi- 
nierenden Verstände wurzeln, der „gleich dem Wetterleuchten 
im Nu Dunkles aufhellt.“ 

Bekannt ist, daß die jüdische Verstandesschärfe oft genug 
zur Spitzfindigkeit und Rabulistik ausartet (wo die Mühle kein 
Kom zum Mahlen hat und leer gehen muß). Aber wichtiger für die 
Beurteilung der jüdischen Psyche ist der Umstand, daß sich die 
Verstandestätigkeit auch insofern einseitig zu entwickeln die 
Neigung hat, als andere wichtige Seiten des geistigen Lebens 
unter dem Überwuchern des Verstandes verkümmern und ver- 
dorren. Darin kommt nicht minder jene überragende Geistigheit 
des Juden zum Ausdruck, die ich als seiner Art besonders eigen 
hervorhob. 

Verkümmert finden wir häufig bei dem Juden das instinkt- 
mäßige Verstehen, wie denn alle empfindungs- und gefühlhafte 
Beziehung zur Welt ihm nicht so wesens verwandt ist. Wir 
können uns schwer einen jüdischen „Mystiker“ vorstellen, wie 
es etwa Jakob Böhme war, und empfinden die jüdische Be- 
sonderheit besonders stark, wenn wir uns vergegenwärtigen, was 
für eine ganz andere Art von „Mystik“ die jüdische Kabbala 


Digitized by 


Google 



817 


bedeutet. Alle Romantik ist ebenso dieser rein diskursiven 
Weltbetrachtung fremd : alles unmittelbare Sich-in-die- W eit* , 
Sich-in-die-Natur-, Sich-in-den-Menschen- Versenken. Die Reaktion 
des „jungen Deutschland“ gegen die Romantiker ist nur der 
literarische Ausdruck dieser tieferliegenden Gegensätzlichkeit 
zwischen Unmittelbarkeit und Reflektiertheit des Welterlebens; 
zwischen intuitiver und diskursiver Weltbetrachtung. In etwas 
anderer Beleuchtung ist es auch der Gegensatz zwischen 
Schwärmerei und Nüchternheit. 

Eng verwandt mit dieser Eigenart ist dann ein gewisser 
Mangel an Anschaulichkeit, an aufnehmender und schöpferischer 
Sinnenkraft. Zu mir nach Breslau kam einmal aus dem öst- 
lichen Sibirien ein jüdischer Student: eigens zu dem Zwecke, 
um bei mir „Marx zu studieren“. Er hatte fast drei Wochen zu 
der weiten Reise gebraucht; und schon den Tag nach seiner 
Ankunft suchte er mich auf und bat sich eine Schrift von Marx 
aus. Nach einigen Tagen kam er wieder, sprach mit mir über das 
Gelesene, brachte die Schrift zurück und nahm eine neue mit. 
So ging das ein paar Monate weiter. Dann reiste er wieder 
drei Wochen in sein ostsibirisches Nest zurück. Seine Umgebung 
hatte er überhaupt nicht wahrgenommen, Menschen keine kennen 
gelernt, spazieren gegangen war er überhaupt nicht: er wußte 
gar nicht recht, wo er sich denn nun die Zeit über aufgehalten 
hatte. Er war durch die Breslauer Welt gegangen, ohne sie 
wahrzunehmen, ebenso wie er durch seine frühere Welt ge- 
gangen war, und wie er die künftigen Jahre durch die Welt 
gehen wird, ohne von ihr einen Hauch zu spüren; nur Marx im 
Kopf. Ein typischer Fall? Ich denke doch. Wir erleben ihn 
täglich von neuem. Immer wieder fällt uns diese unkonkrete 
Sinnesart, diese sinnlich-unlebendige Geistesrichtung, dieses in 
einer abstrakten Welt Eingesponnensein bei den Juden auf, mit 
denen wir Zusammenkommen. Sollte es ein Zufall sein, daß es 
so sehr viel weniger jüdische Maler gibt als jüdische Literaten 
und selbst Professoren (trotz der Erschwerungen des Weiter- 
kommens)? Und haftet nicht auch bei den großen, bildenden 
Künstlern unter den Juden ihren besten Werken ein gutes Stück 
Intellektualismus an? Friedrich Naumann hat einmal Max 
Uebermann mit Spinoza verglichen und sehr fein gesagt: Er 
malt mit dem Gehirn. 


Digitized by 


Google 



318 


Der Jude sieht sehr scharf, aber er schaut nicht vieL Er 
empfindet vor allem seine Umgebung nicht als Lebendiges. 
Und darum geht ihm auch der Sinn ab für die Eigenart des 
Lebendigen, für dessen Ganzheit, für seine Nichtteilbarkeit, für 
das organisch Gewordene, für das natürlich Gewachsene. Man 
könnte auch statt all’ dessen sagen : für das Persönliche. Dafür 
gibt es — wenn man sich auf die eigene Erfahrung nicht ver- 
lassen will — gar keinen zuverlässigeren Beleg als die Eigenart 
des jüdischen Rechts , die wir in einem andern Zusammenhänge 
schon zu würdigen Gelegenheit hatten : im Gegensatz zu andern 
Rechten sehen wir in ihm die Persönlichkeit gleichsam aufgelöst 
in abstrakte Eigenschaften oder Tätigkeiten oder Zwecksetzungen. 

Wir finden unter den Juden vorzügliche „Menschenkenner“ : 
ihr scharfer Verstand läßt sie in alle Poren dringen und gleich- 
sam wie mit Röntgenstrahlen durchleuchten, so daß sie jede 
Besonderheit in seinen Geweben wahrzunehmen vermögen. Sie 
sehen die Vorzüge und die Schwächen des Menschen, und ob er 
zu dieser oder jener Teil Verrichtung , für diese oder jene Auf- 
gabe oder Stellung tauglich sei. Aber sie sehen oft genug den 
Menschen selber nicht, sehen ihn nicht in seiner unbegreiflichen 
Eigenart und Ganzheit und muten ihm deshalb oft Handlungen 
zu, die seinem verborgenen Wesen doch zuwider sind. Sie be- 
werten auch den Menschen seltener nach seinem persönlichen 
Arom als vielmehr nach seinen irgendwie besonders wahrnehm- 
baren Eigenschaften oder Leistungen. 

Deshalb liegen ihnen aber auch alle rein auf dem Persön- 
lichen aufgebauten Abhängigkeitsverhältnisse fern: persönliches 
Herrschen und persönliches Dienen, persönliche Hingabe. Der 
Jude ist seinem innersten Wesen nach aller Ritterlichkeit, aller 
Sentimentalität , aller Chevallerie , allem Feudalismus , allem 
Patriarchalismus abgeneigt. Er versteht auch ein Gemeinwesen 
nicht, das auf solchen Beziehungen aufgebaut ist. Alles Stän- 
dische, alles Zünftige ist ihm zuwider. Er ist politisch Indivi- 
dualist. Seinem Sinn entspricht der „Verfassungsstaat“, in dem 
alle Beziehungen auf klar umschriebene Rechtsverhältnisse zurück- 
geführt werden. Er ist der geborene Vertreter einer „liberalen“ 
Weltanschauung, in deren Umkreis es keine lebendigen, indivi- 
duell verschiedenen Menschen mit Fleisch und Blut, sondern 
nur abstrakte Staatsbürger mit Rechten und Pflichten gibt, die 


Digitized by 


Google 



319 


eigentlich auch nicht mehr von Volk zu Volk verschieden sind, 
sondern die die eine große Menschheit ausmachen, die selbst 
nichts anderes als eine Summe aus qualitätslosen Einheiten dar- 
stellt. Wie so viele Juden sich selbst nicht sehen — wenn sie 
ihre so deutliche Eigenart ableugnen und behaupten: zwischen 
ihnen und einem Deutschen oder Engländer usw. gäbe es gar 
keinen Unterschied — , so sehen sie auch die andern Menschen 
nicht als Lebewesen, sondern nur als Rechtssubjekte, Staats- 
bürger oder sonstwie abstrakt. Sie erkennen eben die Welt mit 
dem Verstände, nicht mit dem Blute und kommen darum leicht 
zu der Meinung, daß alles, was mit Hilfe des Verstandes auf 
dem Papiere geordnet werden kann, auch im Leben sich müsse 
ordnen lassen. Gibt es doch immer noch Juden, die „die Juden- 
frage" lediglich als ein Problem der politischen Verfassung an-' 
sehen, und die wirklich überzeugt sind, daß ein „liberales" 
Regime den Unterschied zwischen Juden und Wirtsvölkem aus 
der Welt schaffen könne. Es ist geradezu erstaunlich, wenn wir 
von einem so guten Gelehrten wie dem Verfasser des neuesten 
Werkes über die Judenfrage allen Ernstes die Meinung aus- 
sprechen hören: daß die ganze antisemitische Bewegung der 
letzten dreißig Jahre die Schuld der Schriften von Marr und 
Dühring sei; daß „einer haltlosen Theorie“ Tausende von 
Menschenleben zum Opfer gefallen seien (!). „Die Tausende der 
Opfer der Pogroms und die Auswanderung einer Million tüchtiger 
Arbeitskräfte aus ihrer bisherigen Heimat sind ein fortwirkendes 
Zeugnis der Macht — Eugen Dührings“ (!!) 509 . Papier steht 
hier gegen Blut: Verstand gegen Instinkt; Begriff gegen An- 
schauung; Abstraktion gegen Sinnlichkeit. 

Und das Weltbild, das solche rein geistig orientierte Menschen 
sich machen, wird nur das eines wohlgefügten Verstandes- 
baus sein können; die Kategorie, mit der sie die Welt zu 
verstehen trachten , wird die rationale Deutung sein. Wir 
nennen eine solche Art, die Welt anzusehen, selbst Rationalis- 
mus, indem wir das Wort in einem mehr theoretischen Sinne 
gebrauchen. 

Aber die Juden sind nicht nur theoretische, sondern auch 
praktische Rationalisten, wie ja denn natürlich die beiden Seiten 
des Rationalismus sich meist in einer Person vereinigt finden. 

Sobald mit der überwiegenden Geistigheit sich ein starkes Ich- 


Digitized by t^ooQle 



320 


gefQhl vereinigt, so wird sich leicht ergeben, daß der denkende 
Mensch die verstandesmäßig gedeutete Welt, gleichsam wie um den 
natürlichen Mittelpunkt, um sein eigenes Ich gruppiert: daß er alle 
Erscheinungen auf dessen Interessen ausrichtet, das heißt also, 
daß er die Welt unter dem Gesichtspunkte der Zwecke, unter 
der Kategorie der Zweckmäßigkeit ansieht. Sein Wesen erhält 
damit einen neuen Zug, den man als Zweckbedachtheit 
oder als Teleologismus oder aber als praktischen Rationa- 
lismus bezeichnen kann. Und kein Zug ist in dem jüdischen 
Wesen mehr ausgeprägt als diese Zweckbedachtheit, diese teleo- 
logische Sinnesart: darüber sind sich alle Beurteiler in seltener 
Übereinstimmung einig. Wenn ich ihn nicht, wie die meisten 
andern (und wie ich es selber in früheren Darstellungen getan 
habe), an den Anfang gestellt und nicht von ihm bei meiner 
Analyse ausgegangen bin, so geschah es deshalb, weil ich den 
Teleologismus selber als eine notwendige Folge der überragenden 
Geistigheit ansehe, in der, wie mir jetzt scheinen will, alle 
andern Eigenarten des jüdischen Wesens wurzeln. Ich will aber 
keineswegs mit dieser Nachstellung etwa die ganz große Be- 
deutung verkleinern, die auch nach meiner Meinung der strengen 
Zweckbedachtheit, dem folgerichtigen Teleologismus innerhalb 
der jüdischen Psyche zukommt. 

Welche Äußerungen jüdischen Wesens wir auch in Rück- 
sicht ziehen mögen: immer begegnet uns dieser selbe Zug, den 
man auch als ausgeprägten Subjektivismus bezeichnet hat. 
Lassen war es wohl, der zuerst die großen Völkergruppen der 
Semiten und der Indogermanen als die Völker mit subjektiver 
und objektiver Geistesrichtung unterschieden hat 610 . Wie weit 
diese „rassenmäßige“ Sonderung zulässig ist, steht dahin. Zweifel- 
los gehören die Juden zu den subjektivsten unter den subjektiven 
Völkern. Der Jude gibt sich nicht unbefangen der Außenwelt 
hin; er versenkt sich nicht selbstverleugnend in die Tiefen des 
Kosmos, schweift nicht hin und her in den endlosen Räumen 
auf den Schwingen seines Denkens, sondern taucht unter, wie es 
Jellinek in einem treffenden Bilde ausdrückt, um Perlen zu 
suchen. Alles bringt er in Beziehung zu seinem Ich. Die 
Fragen, die ihm das größte Interesse abgewinnen, sind: warum? 
wozu? was tragt’s? was nützt’ s? Sein lebendigstes Interesse ist 
das Erfolgsinteresse, dem das Werkinteresse, das „Sachinteresse“ 


Digitized by 


Google 



321 


gegenübersteht. Unjüdisch ist es, eine Tätigkeit — welche auch 
immer — als „Selbstzweck“ zu betrachten; unjüdisch, da9 Leben 
selber zwecklos, schicksalsmäßig zu leben; imjüdisch, sich der 
Natur harmlos zu erfreuen: hat doch die jüdische Psyche die 
Gegenstände, Erscheinungen und Einrichtungen der Natur selbst 
gestaltet „zu losen Blättern eines ethischen Lehrbuchs, welche 
das höhere sittliche Leben fördern sollen“. Wir haben genau 
gesehen, wie durchaus teleologisch die jüdische Religion orientiert 
ist, in der, wie in allen Betätigungen des jüdischen Geistes, der 
Primat der Ethik deutlich zutage tritt. Die ganze Welt ist ja 
nach der Anschauung des Juden ein Werk der freien Zweck- 
setzung. Sehr richtig erkannte Heine den Unterschied zwischen 
der jüdischen und heidnischen Religion darin: „Sie haben alle 
(die Heiden) ein unendliches, ewiges Urwesen, aber dieses ist 
bei jenen in der Welt, mit welcher es identisch, und es entfaltet 
sich mit dieser aus dem Gesetz der Notwendigkeit; der Gott der 
Juden ist außer der Welt und erschafft sie durch einen Akt des 
freien Willens.“ („Gedanken und Einfälle“.) Kein Wort klingt 
dem Ohr des Juden vertrauter als das Wort „Tachlis“, das 
Zweck, Ziel, Endresultat bedeutet. „Tachlis“ muß etwas sein, 
damit man es tue, Tachlis ist der Sinn des Lebens im ganzen 
wie in allen seinen einzelnen Betätigungen, Tachlis ist der In- 
halt der Welt. Und für törichte Schwärmer wird der Jude jene 
halten , die darauf erwidern würden : nicht Tachlis , sondern 
Tragik sei der Inhalt des Lebens, sei der Inhalt der Welt 

Wie sehr die Zweckbedachtheit tief im jüdischen Wesen ein- 
gesenkt ist, können wir besonders deutlich bei den Juden wahr- 
nehmen, in denen gerade alle Rücksichten auf die praktischen 
Zwecke des Lebens abgestorben sind wie bei den Chassidim, die, 
weil es doch „keinen Zweck hat u , für das tägliche Brot zu sorgen, 
ihre Familien hungern lassen und sich lieber dem Studium der 
heiligen Bücher widmen. Aber auch bei allen denen, denen eine 
Müdigkeit der Seele, ein mildJächelndes Verstehen und Verzeihen, 
eine weltentrückte, fruchtreife Lebensbetrachtung eigen ist. Ich 
denke an so feine Geister unter den Schriftstellern unsrer Tage wie 
GeorgHirschfeld, Arthur Schnitzler, GeorgHermann. Was 
ihren Werken den großen Reiz verleiht, ist jene mild verklärende 
Weise, mit der sie das Leben anschauen; ist der wehmühtig-weiche 
Zug, der alle ihre Dichtungen durchweht; ist das in gutem Sinne 

So mb art, Die Juden 21 


Digitized by t^ooQle 



322 


Sentimentale ihres Wesens. Gerade darin aber tritt das Willen- 
hafte, das Zweckbedachte zu Tage, das hier zum Willenlosen, 
Zwecklosen umgewandelt ist, aber doch, wenn auch mit um- 
gekehrtem Vorzeichen, das ganze Wesen beherrscht. Es klingt 
durch alle Weisen derselbe ganz still klagende Schmerzensruf 
hindurch : wie zwecklos und darum wie traurig ist die Welt. Die 
Natur selbst wird mit dieser Traurigkeit durchwebt ; im Grunde 
ist, auch wenn die ersten Blumen blühen in Garten und Wald, 
immer Herbst ; der Wind spielt mit den dürren Blättern, und die 
Sonne leuchtet mit goldener Pracht „als wolle sie eilen, da sie 
doch bald sinken wird“ am ruhigen, klaren Himmel. Zweck- 
bedachtheit und Subjektivismus, die schließlich dasselbe sind, 
rauben den jüdischen Dichtwerken ihre Unbefangenheit, ihre 
Selbstvergessenheit , ihre Unmittelbarkeit , weil ihr Schöpfer 
keiner Erscheinung dieser Welt — nicht dem Menschenschicksal, 
nicht dem Naturgeschehen — harmlos genießend oder harmlos 
betrachtend gegenübersteht, sondern immer bedenkend und be- 
dacht, immer sinnend und überlegend. Es duftet nirgend nach 
Primeln und Veilchen, nirgend stäubt der Sprühregen eines 
frischen Waldbachs. (Goethes Jugendlyrik und Heines Buch 
der Lieder!) Aber sie haben dafür dieses wundervolle Arom wie 
ganz alter Wein; den unendlichen Zauber eines halbverschleierten 
Blickes lieber, trauriger, schöner Augen. 

Paart sich dann aber die Zweckbedachtheit mit einem starken 
Willen, mit einem großen Fonds von Energien (wie es normaler 
Weise beim Juden bisher der Fall ist), so wird sie zu dem, was 
man Zielstrebigkeit nennen kann. Daß jemand ein Ziel fest ins 
Auge faßt und im Auge behält, daß er von einem Ziel, das er sich 
gesteckt hat, durch keine Widerstände abzubringen ist: das ist, 
was ihn zum zielstrebigen, ausdauernden, zähen, hartnäckigen 
Menschen macht. Oder auch zum „halsstarrigen“, wie Heine 
sein Volk charakterisiert. „Jüdisches Wesen: Energie der Grund 
von allem. Unmittelbare Zwecke.“ (Goethe). 

Wenn ich nun noch als einen vierten Grundzug des jüdischen 
Wesens die Beweglichkeit bezeichne, so bin ich nicht ganz 
mit mir einig, ob diese Eigenschaft dem Juden überhaupt oder 
nur dem aschkenazischen Juden zukommt. Lobredner der Sephardim 
rühmen diesen gerade eine gewisse Feierlichkeit der äußeren 
Geste, eine zurückhaltende Vornehmheit des Verhaltens nach: 


Digitized by 


Google 



323 


„une certaine gravitö orgueillense et une fiertö noble fait le 
caractöre distinctif de cette nation“ 511 . Wahrend bei den pol- 
nisch(- deutschen) Juden von jeher der „lebhafte, stets im Zu- 
stande der Aufgeregtheit handelnde Geist“ beobachtet worden 
ist 519 . Und auch noch heute begegnet man unter den Spaniolen 
namentlich im Orient vielen würdevollen, gemessenen, zurück- 
haltenden Mftnnem, die jedenfalls im körperlichen und moralischen 
Sinne jene eigentümliche „Beweglichkeit“ nicht haben, die wir 
an unsem europäischen Juden so häufig beobachten können. Die 
dritte Art von Beweglichkeit: die des Geistes: daß dieser rasch 
aufnimmt, sich sofort zurecht zu finden weih: die oft gerühmte 
Versatilität des Geistes besitzen aber wohl alle Juden. 

Aus diesen vier elementaren Eigenarten, die ich geschildert 
habe: wir können sie des gleichförmigen Tonfalls wegen als 
Intellektualismus, Teleologismus, Voluntarismus (oder Energis- 
mus) und Mobilismus bezeichen, baut sich nun die ganze, oft 
genug sehr komplizierte, jüdische Wesenheit auf. Ich glaube, 
daß man alle jüdische Eigenart auf einen dieser Grundzüge oder 
auf eine Verquickung mehrerer ohne Mühe wird zurückführen 
können. Ich will das nur noch mit zweien — für die wirt- 
schaftliche Betätigung der Juden besonders wichtigen — ihrer 
Eigenarten versuchen: ihre Rastlosigkeit und ihre An- 
passungsfähigkeit. 

Rastlos ist das Wesen des Juden: betriebsam kann man 
ihn auch nennen. „Keiner, auch nicht der kleinste, geringste 
Jude, der nicht ein entschiedenes Bestreben verriete und zwar 
ein irdisches, zeitliches, augenblickliches“ (Goethe). Und die 
Rastlosigkeit wird oft genug zur Unrast. Immer drängt es ihn, sich 
zu betätigen; immer, etwas zu „managen“ ; immer, etwas Neues 
anzuregen und durchzuführen. Er ist immer in Bewegung und 
stört auch diejenigen auf, die gern ihre Ruhe haben möchten. 
Alle Veranstaltungen künstlerischer oder geselliger Natur in unsem 
Großstädten haben Juden als ihre Träger. Er ist der geborene 
Verkünder des „Fortschritts“ und seiner Segnungen auf allen 
Gebieten des Kulturlebens. 

Und dazu machen ihn seine Zielstrebigkeit in Verbindung mit 
seiner Beweglichkeit und der vorwiegend intellektualen Veran- 
lagung. Diese insbesondere, weil sie niemals tiefe Wurzeln 
schlagen läßt. Aller Intellektualismus ist letzten Endes Flach- 

21 * 


Digitized by t^ooQle 



324 


wurzler: er dringt nirgends in die Tiefen der Sache, nirgends in 
die Tiefen der Seelen, nirgends in die Tiefen der Welt. Und 
darum macht er es dem, den er beherrscht, leicht, sich von dem 
einen dem andern zuzuwenden, wenn der unruhevolle Dämon ihn 
dazu treibt. Darum ruhen im Judentum auch fanatische Streng- 
gläubigkeit und „aufgeklärtes“ Zweiflertum dicht nebeneinander : 
beide sind Eines Stammes. Mit dieser flachwurzelnden Art des 
Intellektualismus hängt nun aber einenteils die vielleicht aller- 
bedeutsamste Eigenschaft der Juden zusammen, die andemteils 
durch andere Grundzüge ihres Wesens bedingt wird: die in der 
Geschichte wohl einzig dastehende Anpassungsfähigkeit dieses 
Volkes. 

Man kann sagen : seiner Hartnäckigkeit verdanke das jüdische 
Volk die Erhaltung seiner nationalen Eigenart und seiner großen 
Anpassungsfähigkeit, die es befähigten, wenn die Lage es 
erforderte, sich scheinbar den Geboten der Notwendigkeit zu 
fügen, um dann, wenn die Zeiten sich wieder besserten, doch 
seine eigene Art wieder zu entfalten. Widerstandsfähig und 
schmiegsam zugleich ist das jüdische Wesen von jeher gewesen : 
die scheinbar — aber doch eben nur scheinbar — sich wider- 
sprechenden Charakterzüge: opiniätretO und souplesse besitzt 
der Jude in hervorragendem Maße. Sehr treffend drückt das 
Leroy-Beaulieu aus, wenn er sagt (1. c. p. 224): „le juif est 
ä la fois le plus resistant et le plus pliant des hommes, le plus 
opiniätre et le plus mall^able“. 

Die Führer und Weisen des Volkes haben die Wichtigkeit, 
ja die Notwendigkeit dieser Schmiegsamkeit und Biegsamkeit für 
den Fortbestand Israels als selbständiger Volksgemeinschaft zu 
allen Zeiten erkannt und gepredigt. Die jüdische Literatur ist 
voll von Ermahnungen in dieser Richtung. 

„Sei biegsam wie Schilf, das der Wind nach jeder Richtung 
hin bewegt; denn die Thora erhält sich nur bei dem, der 
demütigen Geistes ist. Warum wird die Thora mit dem Wasser 
verglichen? Um zu lehren: wie es in der Natur des Wassers 
liegt, niemals in seinem Laufe Höhepunkte, sondern Niederungen 
zu suchen, ebenso erhält sich die Thora nur bei dem, der demütigen 
Geistes ist“ 618 . 

„Hat der Fuchs seine Zeit, so muß man sich vor ihm 
bücken“ 514 . »Wenn er vor der Welle sich beugt, so geht die 


Digitized by t^ooQle 



325 


Welle vorüber und er bleibt; wer der Welle sich entgegenstellt, 
der wird fortgerissen“ 516 . Am Schlüsse des Achtzehngebets 
heißt es: „Und meine Seele sei wie Staub für alle“ (auf den 
man tritt). 

Deshalb rieten auch ganz schlüssiger Weise die Rabbinen 
ihren Schutzbefohlenen an, sich zum Scheine als Angehörige 
der Konfession ihres Wirtsvolkes zu gebärden, wenn davon die 
Existenz im Lande abhängig gemacht würde. Und dieser Rat 
ist, wie man weiß, in weitem Umfange befolgt worden: durch 
„zeitweiliges Sichtotstellen“ (Fromer) hat der jüdische Stamm 
weiter zu leben versucht und weiter zu leben vermocht. 

Heute gibt es mm keine (oder nur vereinzelte) Schein- 
christen und Scheinmoslim mehr. Aber die wunderbare Fähig- 
keit des jüdischen Stammes, sich äußeren Bedingungen anzu- 
passen, betätigt sich vielleicht noch glänzender als früher. Heute 
will der Jude Westeuropas und Amerikas nicht mehr seinen 
Glauben erhalten und seine nationale Eigenart: umgekehrt will 
er — soweit das Nationalbewußtsein in ihm noch nicht wieder 
geweckt ist — seine Eigenart so vollständig und so rasch wie 
möglich verschwinden lassen und will aufgehen in den Kulturen 
seiner Wirtsvölker. Und siehe da: auch das glückt ihm in 
weitem Umfange. 

Vielleicht die allerdeutlichste Bestätigung jüdischer Eigenart 
müssen wir doch wohl darin finden, daß es dem Juden in Eng- 
land gelingt, wie ein Engländer zu werden, dem Juden in Frank- 
reich, wie ein Franzose und so fort; zu werden oder doch wenigstens 
zu scheinen. Daß ein Felix Mendelssohn deutsche Musik macht, 
ein Jacques Offenbach französische und ein Souza Yankee-doodle 
Musik ; daß Lord Beaconsfield sich wie ein Engländer, Gambetta 
wie ein Franzose, Lassalle wie ein Deutscher geriert; kurz: daß 
auch die jüdischen Talente so oft nichts Nationaljüdisches an sich 
haben, sondern auf den Ton ihrer Umgebung abgestimmt sind: das 
hat man seltsamerweise als Beleg dafür anzuführen versucht, daß 
es keine spezifisch jüdische Eigenart gäbe, während es doch eben 
gerade diese Eigenart auf das schlagendste beweist : diese Eigen- 
art, so weit sie in einer übemormalen Anpassungsfähigkeit zum 
Ausdruck kommt. 

Der Jude könnte den Planeten wechseln, hat man mit Recht 
gesagt: er würde doch nicht lange sich fremd fühlen. Er fühlt 


Digitized by t^ooQle 



826 


sich in alles hinein; er paßt sich an alles an. Er ist deutsch, 
wo er deutsch sein will, italienisch, wo ihm das besser zusagi^ 
Er „macht" alles und „in allem", für das er sich interessiert und 
macht es mit Erfolg : das Ur-magyarentum in Ungarn, die Irredenta 
in Italien, den Antisemitismus in Frankreich (Drumont 1). Meister- 
haft versteht er es, etwas, das im Keim vorhanden ist, rasch 
zur Blüte zu bringen : „dövelopper une chose qui existe en germe, 
perfectionner ce qui est, exprimer tout ce qui tient dans une 
id6e qu’il n’aurait pas trouvöe seul“ 51 ®: das ist es, wozu ihn 
seine Anpassungsfähigkeit geeignet macht. 

Ich sagte: dieses seltsame Anpassungsvermögen wurzele in 
den vier Elementen der jüdischen Veranlagung, die wir oben 
herausgefunden haben. Der Rationalismus des Juden ist die 
wichtigste Voraussetzung seiner großen Wandelbarkeit. Dank 
seiner tritt er an alle Dinge gleichsam von außen heran. Was 
er ist, ist er nicht, weil er es blutsmäßig sein muß, sondern 
weil er es verstandesmäßig einrichtet, so zu sein. Eine An- 
schauung ist nicht aus seinem innersten Wesen heraus 
gewachsen, sondern vom Kopfe aus gemacht. Sein Stand- 
punkt ist nicht die ebene Erde, sondern ein künstlicher Bau in 
der Luft. Er ist nicht organisch-original , sondern mechanisch- 
rational. Die Wurzelung im Mutterboden der Empfindung, 
des Instinktes fehlt. Darum kann er so sein, wie er ist, 
aber er kann auch anders sein. Daß Lord Beaconsfield oder 
daß Friedrich Julius Stahl „Konservative“ waren, verdankten 
sie einem irgendwelchen äußeren Zufall, einer politischen Kon- 
junktur : daß der Freiherr vom Stein oder Bismarck oder Carlyle 
„Konservative“ waren, lag ihnen im Blute. Wenn Marx oder 
Lassalle zu anderer Zeit in anderer Umgebung geboren wären, 
hätten sie ebensogut statt radikal konservativ werden können; 
Lassalle war ja schon drauf und dran, sich zum „Reaktionär" 
zu wandeln : er hätte die Rolle des preußischen Feudalen 
sicher ebenso glänzend gespielt wie die des sozialistischen Agi- 
tators. 

Seine Zielstrebigkeit ist natürlich die treibende Kraft, die 
nun den Juden das vorgestreckte Ziel : Anpassung an irgendeine 
Situation, wie er sie aus Zweckmäßigkeitsgründen gerade ^für 
vorteilhaft erachtet, auch wirklich hartnäckig und ausdauernd 
verfolgen läßt. 


Digitized by t^ooQle 



327 


Und seine Beweglichkeit endlich bietet ihm die äußeren 
Mittel dar, das Ziel zu erreichen. 

Es ist ja erstaunlich, wie beweglich der Jude sein kann, 
wenn er einen bestimmten Zweck im Auge hat. Es gelingt ihm 
selbst, seiner ausgesprochenen Körperlichkeit in weitem Umfange 
das Aussehen zu geben, das er ihr geben möchte. Wie er sich 
früher durch „Sichtotstellen“ zu schützen wußte, so jetzt durch 
„Farbenanpassung“ oder andere Arten von Mimicry. Das ist 
besonders deutlich zu verfolgen in den Vereinigten Staaten, wo 
jetzt der Jude schon in der zweiten und dritten Generation oft 
nur schwer vom Nichtjuden zu unterscheiden ist. Während man 
den Deutschen, den Iren, den Schweden, den Slaven auf Genera- 
tionen hinaus noch ohne weiteres aus der Masse herausfinden 
kann, hat der Jude — soweit seine rassenmäßige Körperbildung 
es nur einigermaßen zuläßt — am ehesten den Yankee-Typus 
nachzuahmen verstanden: hauptsächlich natürlich, sofern dazu 
äußere Hilfsmittel, wie Kleidung, Haartracht, Haltung usw. die 
Möglichkeit bieten. 

Viel leichter wird es ihm begreiflicherweise, kraft seiner 
geistigen und moralischen Beweglichkeit, sich das geistige Air seiner 
Umgebung zu verleihen. Die geistige Beweglichkeit — die prestesse 
d’esprit, die agilitö intellectuelle — befähigt ihn, rasch den Ton 
wahrzunehmen, auf den die Umgebung abgestimmt ist, rasch also 
zu merken, worauf es ankommt, sich rasch zu orientieren, sich 
rasch „einzufühlen“. Und die moralische Beweglichkeit? Sie 
sorgt dafür, daß ihm in seinem Anpassungsbestreben keine lästigen 
Hindernisse durch allerhand sittliche oder ästhetische Bedenken 
bereitet werden: sie macht gleichsam die Bahn frei, damit er 
sein Ziel erreichen könne. Zu Hilfe kommt ihm hierbei der ge- 
ringer entwickelte Sinn für das, was man die persönliche Würde 
nennen kann. Es kostet ihm weniger Anstrengung, sich selbst 
zu verleugnen, wenn es gilt, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. 

Daß diese Charakterzeichnung der Wirklichkeit entspreche: 
dafür ist die wahrnehmbare Anpassung an die wechselnden 
Daseinsbedingungen allein schon genügender Beweis. Wir sehen 
aber die Richtigkeit der gemachten Wahrnehmung auch noch 
bestätigt in der Eigenart mancher besonders deutlicher Be- 
gabungen der Juden. Ich denke vor allem an ihr ausgesprochenes 
Talent zum Journalisten, zum Advokaten, zum Schauspieler. 


Digitized by t^ooQle 



328 


Alle diese Talente gehen im wesentlichen zurück auf die gro&e 
Anpassungsfähigkeit der Juden und zeigen deutlich, wie in dieser 
die vier Grundzüge zu einer gemeinsamen Wirkung zusammen 
sich vereinigen. Sehr hübsch hat diese Zusammenhänge 
Ad. Jellinek in seinem mehrfach gerühmten Büchlein nach- 
gewiesen. 

n Der Journalist muß lebhaft, beweglich, rasch, enthusiastisch, 
zersetzend, auf lösend, kombinierend, zusammenfassend sein, muh 
in medias res eintreten, den Kern einer Tagesfrage, den Mittel- 
punkt einer Debatte vor Augen haben, muß in scharfen und 
markierten Umrissen seinen Gegenstand behandeln, epigramma- 
tisch, antithetisch, sententiös, in kurzen, schlagenden Sätzen ihn 
darstellen, ihm durch ein gewisses Pathos Leben, durch Esprit 
Farbe, durch Schärfe Würze verleihen“ ; alles Judenart. 

Noch deutlicher sehen wir, wie die Stärke des Schauspielers 
ebenso wie die des Juristen die Fähigkeit ausmacht, sich rasch 
in eine fremde Ideenwelt zu versetzen, Menschen und Zustände 
ohne Anstrengung zu überblicken, zu beurteilen und zu benutzen. 
Hier kommt dem Juden vor allem seine starke Subjektivität zu 
statten, kraft deren er sich in die Gedankenwelt eines anderen 
eingräbt, sich an dessen Stelle setzt, in dessen Namen denkt 
und sich verteidigt. Gerade die Jurisprudenz bildet denn auch 
einen überwiegend großen Teil der jüdischen Literatur. 

DI. Jüdisches Wesen im Dienste des Kapitalismus 

Damit sind wir nun aber auch vor die Frage gestellt: wie 
und weshalb die nun zur Genüge bekannte jüdische Eigenart 
die Juden befähigte, sich ebenso wie als Mathematiker, Statistiker, 
Ärzte, Journalisten, Schauspieler, Advokaten auch als Finanz- 
männer und Börsenleute, überhaupt als Wirtschaftssubjekte im 
Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit Erfolg zu 
betätigen : inwiefern also das besondere Talent zum Kapitalismus 
ebenso wie jene andern Talente in den Grundzügen des jüdischen 
Wesens verankert ist. 

Ganz allgemein wird man dasselbe sagen dürfen, was wir 
von den inneren Beziehungen zwischen jüdischer Religion und 
Kapitalismus glaubten berichten zu müssen : daß die Grundideen 
des Kapitalismus und die Grundideen des jüdischen Wesens in 
wahrhaft überraschendem Umfange übereinstimmen, so daß wir 


Digitized by t^ooQle 


829 


zu der bedeutsamen Parallele zwischen jüdischer Eigenart, jüdi. 
scher Religion und Kapitalismus gelangen: Fanden wir im 
jüdischen Volke als die alles beherrschende Eigenschaft eine 
überragende Geistigheit des Wesens, so sahen wir, daß dieses 
auch die Eigenart des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, die 
dieses von andern unterscheidet: in ihm ist die organisierende, 
leitende Tätigkeit ein für allemal von der ausführenden, die Kopf- 
arbeit von der Handarbeit losgelöst und gleichzeitig der Primat 
der geistig-leitenden Arbeit anerkannt: „Daß sich das größte Werk 
vollende, genügt Ein Geist für tausend Hände“. 

Je reiner kapitalistisches Wesen sich durchsetzt, desto reiner 
kommt auch die Abstraktheit alles kapitalistischen Wesens zum 
Ausdruck, das nun auch deshalb sich als ein genaues Gegenstück 
zum jüdischen Geiste darstellt, dessen Abstraktheit wir ja deut- 
lich wahrgenommen haben. Abstrakt aber ist der Kapitalismus 
seinem innersten Wesen nach, weil in ihm alle Qualitäten durch 
die Beziehung auf den rein quantitativen Tauschwert ausgelöscht 
sind; weil in ihm anstelle der vielen buntfarbigen, technischen 
Betätigungen die Eine kaufmännische getreten ist, und die vielen 
buntfarbigen Branchenbeziehungen durch das Eine reine Ge- 
schäftsverhältnis ersetzt worden sind. Man weiß, wie er dann 
alle Kulturerscheinungen ihrer Konkretheit zu entkleiden trachtet, 
wie er die Buntheit der Sitten und Gebräuche, die Farbigheit 
alles Volkstums aus der Welt schafft und an ihre Stelle die 
einzige nivellierte Art des kosmopolitichen Stadtwesens setzt: 
hier in dieser Tendenz zur Vereinheitlichung aller früheren 
Mannigfalt zeigt sich auch die innere Verwandtschaft des Kapi- 
talismus mit dem Liberalismus, den wir ja schon von gleicher 
Sippschaft wie das Judentum erkannt hatten: Kapitalismus, 
Liberalismus, Judaismus sind eng miteinander verschwistert. 

Fügen wir noch das Wichtigste hinzu, daß jener Prozeß der 
Entkonkretisierung der Welt dem Kapitalismus vor allem gelingt 
durch die Ausrichtung aller Erscheinungen auf das abstrakte 
Geld, so sind wir tatsächlich in das Zentrum aller kapitalistischen 
Wirtschaft und — alles jüdischen Wesens eingedrungen. Im 
Gelde kommt beider innerste Eigenart zum vollendeten Aus- 
druck. 

Das Geld ist für den Kapitalismus das Mittel, zu rein 
quantitativer Gestaltung des Wirtschaftslebens durchzudringen; 


Digitized by t^ooQle 



330 


es ist für ihn aber auch Ausgangspunkt und Endpunkt alles Ge- 
schehens. Wir sahen, da & die Verwertung eines Kapitals der 
absolute Sinn kapitalistischer Wirtschaft ist, die also von der 
Erwerbsidee beherrscht wird. Eine wichtige Eigenart dieser 
Wirtschaft wird damit die Hinausverlegung aller Werte in den 
Erfolg; wird der Ersatz der Werkwertung durch die Erfolgs- 
wertung. Was hat das alles aber mit der Eigenart wiederum 
des jüdischen Wesens zu tun? Sehr viel, denke ich doch. 

Für die Juden muh ebenso wie für den Kapitalismus das 
Geld und seine Vermehrung im Mittelpunkt des Interesses stehen. 
Nicht nur weil seine abstrakte Natur der ebenso abstrakten 
Natur des Judenvolkes kongenial ist, sondern vor allem weil die 
Hochwertung des Geldes einem andern Grundzuge des jüdischen 
Wesens gemäß ist: dem Teleologismus. Das Geld ist das abso- 
lute Mittel: es hat überhaupt nur einen Sinn im Hinblick auf 
die damit zu verwirklichenden Zwecke. Ganz naturgemäß aber 
muß eine beständig zweckbedachte Sinnesart, muß ein beständig 
unter dem Gesichtspunkt der Zwecke ausgerichtetes Leben die 
Erlangung dieses ebenfalls nur im Zweckmittelverhältnis wertvollen, 
aber in diesem über alles wertvollen Geldes als höchstes Ziel 
seines Strebens anerkennen. 

Auch der Teleologismus verlegt das Interesse aus der Werk- 
schöpfung in den Erfolg, just wie der Kapitalismus, und damit 
auch aus dem Heute in das Morgen. Erinnern wir uns, daß ein 
Zug jüdischen Wesens auch die Rastlosigkeit war, so sehen wir 
es noch enger sich mit dem Wesen des Kapitalismus berühren, 
dessen Natur notwendig auf ewige Neuerung, auf ewige Er- 
weiterung, auf eine ewige Opferung des Heute zum Vorteile des 
Morgen hindrängt. Nirgends kommt dieser Crastinismus , wie 
man die Sucht nach dem Erfolge, die Überbewertung des Morgen 
und Übermorgen nennen könnte, deutlicher zum Ausdruck als 
in der Eigenart der durch den Kreditverkehr geschaffenen Zu- 
sammenhänge, in denen wir ja die Juden vor allem zu Hause 
finden. Im Kreditverkehr werden offenbar Leistungen, die erst 
in einer späteren Zeit auftreten sollen bzw. können, wirksam 
gemacht schon für die Gegenwart. Der menschliche Geist kann 
sich in laufender Gegenwart Erlebnisse und Bedürfnisse der Zu- 
kunft zum voraus in Betracht nehmen, und der Kredit bietet die 
Möglichkeit, durch jetzige wirtschaftliche Handlungen zukünftige 


Digitized by t^ooQle 



331 


wirtschaftliche Tatsachen zu verursachen. Die allgemeine Ver- 
breitung und Verstärkung des Kreditverkehrs bezeugt das ver- 
allgemeinerte Eintreten auf eine Wirtschaftsführung, welche die 
spätere Zeit mit umfaßt. Dadurch werden Vorteile erzielt. Des- 
wegen aber müssen wir eben auch auf das Glück verzichten, das 
uns aus der „vollen Hingabe an die Gegenwart“ hervorgehen 
mag 617 . Wir haben gesehen, wie mit der Zweckbedachtheit 
eng verwandt der praktische Rationalismus ist, der eine zweck- 
mäßige Handlungsweise anstrebt. Hier verweise ich darauf, daß 
er ebenso sehr einen wichtigen Bestandteil der kapitalistischen 
Wirtschaft wie der jüdischen Psyche bildet, daß jene ganz und 
gar auf eine rationale Gestaltung alles wirtschaftlichen Ge- 
schehens aufgebaut ist. Wiederum also die frappante Parallelität 
zwischen Judaismus und Kapitalismus. 

Aber vielleicht leuchtet es auch hier dem gemeinen Ver- 
stände mehr ein, wenn ich statt dieser metaphysisch-ideologi- 
schen Vergleichung der beiden Wesenheiten wieder nun ganz 
einfach sage : weshalb die Eigenschaften des Juden diesen in so 
hervorragendem Maße geeignet machen zum kapitalistischen 
Unternehmer : wir kommen damit zu demselben Ergebnis, zu dem 
uns die bisherigen Betrachtungen geführt haben und zwar ohne 
Steigung: auf ebener Straße. (Die Parallelität dieser doppelten 
Art der Betrachtung zu der ebenfalls doppelten Begründung des 
Zusammenhangs zwischen jüdischer Religion und Kapitalismus 
wird der aufmerksame Leser wahrgenommen haben.) 

Zum guten „Unternehmer“ bringt der Jude vor allem mit 
seine Zielstrebigkeit und seine starken Willensspannungen. Zur 
Auffindung immer neuer Produktions- und Absatzmöglichkeiten 
verhilft ihm seine geistige Beweglichkeit. Organisationen zu 
schaffen, befähigt ihn seine partielle Menschenkenntnis, die ihn 
gerade die besondere Eignung eines Menschen für besondere Zwecke 
wahmehmen läßt. Sein Mangel an Sinn für das „Organische“, Natür- 
liche, Gewachsene bereitet ihm keine Hindernisse, da es in der 
kapitalistischen Welt nichts Organisches, Natürliches, Gewordenes, 
sondern nur Mechanisches, Künstliches, Gemachtes gibt. Auch 
die größte kapitalistische Unternehmung bleibt ein Kunst- 
mechanismus, den man beliebig vergrößern, zerteilen, verändern 
kann, wie es den jeweiligen Zwecken entspricht. Sie ist immer 
ein Zweckgebilde, niemals entstanden (wie allzu geistreiche Inter- 


Digitized by 


Google 



332 


preten des Kapitalismus annehmen) aus intuitiver Schau als un- 
teilbares Ganze , sondern aneinander gesetzt durch einzelne | 

Zweckhandlungen, wie sie der Augenblick erheischte. In diesem 
Sinne — als Schöpfer großer kapitalistischer Unternehmungen — j 

sind die Juden sehr wohl auch geniale „Organisatoren“. | 

Als spezifisch kapitalistische Organisatoren gewährt ihnen ; 

ihre Eigenart sogar noch Vorteile, sofern sie sie befähigt, leichter I 

die rein sachlichen Beziehungen herzustellen, auf denen sich 
echt kapitalistische Gebilde aufbauen sollen. Da in den Juden, 
wie wir sahen, das Gefühl für das Persönliche und die Neigung 
zu persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen geringer entwickelt 
sind, so werden sie gern gewillt sein, auf allen „Patriarchalismus“ 
zu verzichten; sie werden auch alle störenden Beimischungen 
von Sentimentalität aus der Regelung der Arbeitsverträge aus- 
scheiden und werden alle Beziehungen zu Kunden und Arbeitern 
rasch und ausschließlich auf die rein rechtliche und rein ge- 
schäftliche Basis stellen wollen. Der Kampf der Arbeiter um 
die konstitutionelle Arbeits Verfassung findet die Juden sehr häufig 
auf der Seite der Arbeiter. 

Aber noch viel mehr als zum „Unternehmer“ ist der Jude 
zum „Händler“ qualifiziert. Der Jude trieft förmlich von guten 
Händlereigenschaften. 

Der Händler, sahen wir, lebt in Zahlen, und Zahlen sind 
von jeher ein Element des Juden gewesen. Seine abstrakte Ver- 
anlagung macht ihm das Rechnen leicht. „Kalkulieren“ ist also 
seine Stärke. Paart sich ein hervorragendes kalkulatorisches 
Talent mit einem nüchternen Zweckmäßigkeitssinn, so ist ein 
großer Teil der Geschäftstüchtigkeit schon gewährleistet, deren 
ein guter Händler bedarf: die Nützlichkeitserwägung bewirkt ein 
vorsichtiges Abwägen aller Chancen, aller Aussichten und Vor- 
teile und scheidet alle gewagten Vornahmen, alle „unnützen“ 
Handlungen aus; die Rechenhaftigkeit aber gibt diesen Er- 
wägungen die ziffermäßige Exaktheit. Statten wir nun diesen 
nüchtern abwägenden, genau rechnenden Menschen noch mit 
einer starken Dosis kombinatorischer Phantasie aus, mit der, 
wie wir sahen, der Jude gut versehen ist, so steht der perfekte 
Börsenspekulant fertig vor uns. Rasch die Situation überblicken, 
tausend Möglichkeiten sehen, eine mit Treffsicherheit als die 
günstige herausgreifen und entschlossen daraufhin das Geschäft 


Digitized by 


Google 



333 


abschließen: das, sahen wir, soll der Händler leisten, und der 
Jude bringt gerade hierzu alle Fähigkeiten mit. Ich möchte 
ausdrücklich auf die innige Verwandtschaft hinweisen, die 
zwischen der Tätigkeit eines geschickten Diagnostikers und eines 
geschickten Börsenspekulanten besteht : für beide sehen wir die 
Juden geeignet, weil beide gleichartigen Tätigkeiten in der 
jüdischen Art einen günstigen Boden haben. 

Wer aber ein guter „Händler 4 * sein will, der muß vor allem 
auch ein guter „Verhandler“ sein. Und wer möchte sich besser 
zum „Verhandeln 44 eignen als die Juden? Die schon immer als 
geschickte Unterhändler im Verkehr bekannt gewesen sind. An- 
passung, Anschmiegung an die Bedürfnisse des Marktes, an die 
besonderen Anforderungen der Nachfrage ist das eine, was ver- 
langt wird: und das leistet doch das Volk der Anpassung gewiß 
tausendfältig so gut wie irgendein anderes. Und suggestive 
Kraft ist das andere, was dem Händler frommt, und sie ist aber- 
mals den Juden in hervorragendem Maße eigen dank ihrer Betrieb- 
samkeit, ihrer Beweglichkeit, in Summa wiederum dank ihrem 
Einfühlungsvermögen. 

Immer und immer wieder ist der Eindruck derselbe : höchste 
kapitalistische Leistungen zu vollbringen, eignet sich keine Eigen- 
art so gut wie die jüdische. Ich denke, ich kann darauf ver- 
zichten, noch mehr Belege dafür im einzelnen zu erbringen : der 
Leser kann, wenn er noch nicht genug Beweise hat, deren Zahl 
leicht vermehren, wenn er die Analysen miteinander vergleicht, 
die ich vom Kapitalismus und kapitalistischen Unternehmer einer- 
seits, vom jüdischen Wesen anderseits zu machen versucht 
habe. (So ließen sich beispielsweise noch interessante Parallelen 
aufstellen zwischen der Unruhe des Börsenverkehrs, der seiner 
innera Natur nach auf Veränderung des bestehenden Zustandes 
hindrängt, und der unruhevollen, rastlosen Natur des Juden und 
so fort.) Aber es ist nun genug. 

Ich habe an anderer Stelle die bestangepaßte Untemehmer- 
natur, das heißt also den erfolgreichen kapitalistischen Unter- 
nehmer mit folgenden Schlagworten zu kennzeichnen versucht: 
er muß geistig: gescheit, klug und geistvoll sein. 

Gescheit: also rasch in der Auffassung, scharf im Urteil, 
nachhaltig im Denken und mit dem sicheren „Sinn für das 
Wesentliche 44 ausgestattet, der ihn befähigt, den xaipoc, den die 


Digitized by t^ooQle 



334 


Griechen dem Glücke gleichstellen , also den günstigen Augen- 
blick zu erkennen. 

Klug: also „menschenkundig* und „weltkundig“. Sicher in 
der Beurteilung, sicher in der Behandlung von Menschen ; sicher 
in der Bewertung etwelcher Sachlage; vertraut vor allem mit 
den Schwächen und Fehlern seiner Umgebung. 

Geistvoll: also reich an „Ideen“, „Einf Allen“. 

Ch&rakterologisch muh der kapitalistische Unternehmer tat- 
kräftig, nüchtern, tüchtig sein. 

Nüchtern. Das heißt: frei von leidenschaftlichen Affekten, 
frei von übermäßiger Sinnlichkeit (um so besser, wenn die Frei- 
heit eine künstlich anerzogene ist!), frei von Sentimentalität 
und unpraktischem Idealismus. 

Tüchtig : er muh geschäftlich zuverlässig , pflichttreu, 

ordnungsliebend und sparsam sein. 

Ich denke : mit diesen wenigen Strichen ist ebenso der gute 
kapitalistische Unternehmer wie der Jude in wichtigen Grund- 
zügen gezeichnet. 


Digitized by t^ooQle 



Dritter Abschnitt 
Wie jfidisches Wesen entstand 


Digitized by t^ooQle 



Digitized by t^ooQle 


337 


Dreizehntes Kapitel 

Das Rassenproblem 


Yorbemerkung 

Die Aufgabe, die ich mir in der Einleitung zu diesem Buche 
gestellt habe, ist jetzt — genau genommen — gelöst. Ich habe 
die Bedeutung der Juden für das moderne Wirtschaftsleben in 
allen ihren Verzweigungen aufzu weisen versucht und bin den 
Zusammenhängen zwischen Judaismus und Kapitalismus in allen 
seinen Verästelungen nachgegangen , das heißt: habe dargetan, 
weshalb die Juden jene bedeutsame Rolle gespielt haben und 
noch spielen, wie sie zu ihren großen Leistungen teils durch ob- 
jektive Umstände, teils durch ihre Eigenart befähigt worden 
sind. 

Aber es kann nicht zweifelhaft sein, daß hinter diesen Ant- 
worten sich Fragen von neuem auftürmen, an denen ich nicht 
vorübergehen darf, wenn ich nicht Gefahr laufen will, daß die 
besten Leser dieses Buch mit einem Gefühl der schmerzenden 
Unbefriedigtheit aus der Hand legen. Denn in der Tat muß 
jeder, der mir bis hierher gefolgt ist, bis zu dem Punkt also, 
wo ich eine besondere jüdische Eigenart als die letzte Erklärung 
für den großen Einfluß angab, den die Juden in unserem Wirt- 
schaftsleben gespielt haben ; in der Tat muß jeder jetzt mit dring- 
lichem Eifer fragen: nun, welcher Art ist denn diese jüdische 
Art selbst, woher kommt sie, wohin geht sie? Denn daß sie 
sehr verschiedener Natur sein kann, leuchtet bei näherem Hin- 
sehen bald ein. 

Sie kann, die jüdische Eigenart, nichts sein als gleichsam 
nur eine Funktion, der gar kein Organ entspricht; die überhaupt 
nur so lange da ist, als sie geübt wird; die vom Menschen 

Somb&rt, Di« Juden 22 


Digitized by t^ooQle 



838 


selbst, der sie äußert, gar keinen Besitz nimmt, die von ihm 
geweht werden kann, wie eine Feder von seinem Bocke, die also 
selbstverständlich dann auch mit dem Menschen, der sie trägt, 
verschwindet. 

Oder sie kann sich dem, der sie hat, oder richtiger : der sie 
übt, einprägen, kann sich zu einer „Anlage“ verhärten, die die 
Übung wenigstens eine Zeitlang überdauert, wie die Schwielen 
in der Hand die Arbeit mit Beil oder Ruder überdauern. Diese 
Anlage braucht aber sich nicht auf die Kinder zu vererben, sie 
kann mit dem absterben, der sie erwarb. 

Und dann kann diese Anlage wiederum so tief sich in das 
Wesen des einzelnen einprägen, daß sie von ihm auf seine Nach- 
kommen übertragen wird, daß sie also „vererblich“ ist. 

Weiter: vererbliche Eigenschaften (oder Anlagen: die 

beiden Ausdrücke mögen als Synonyme gelten; eine irgend- 
wie feste Terminologie besteht, soviel ich sehe, in den biologi- 
schen Wissenschaften, in deren Ressort ja das Problem der Ver- 
erblichkeit gehört, nicht), vererbliche Eigenschaften können zu 
sehr verschiedenen Zeiten „erworben“ sein: in historischen 
Zeiten oder früher. Und was wir als jüdische Eigenart kennen 
gelernt haben, kann also auch seit Anbeginn der Geschichte den 
Juden im Blute stecken oder im Lauf der Geschichte — im 
Altertum oder später — ihnen ins Blut gekommen sein. 

Aber auch die vererbliche Eigenart kann nun wiederum „für 
immer“ oder für begrenzte kürzere oder längere Zeiträume den 
Menschen anhaften: sie kann demnach vergänglich, tilgbar sein 
oder nicht. 

Da es sich ja hier immer um die Eigenart einer ganzen 
Bevölkerungsgruppe handelt, so enthalten diese Fragen gleich- 
zeitig die Frage nach der „rassenmäßigen“ Abgrenzung jener 
Bevölkerungsgruppe , die Frage also: ob die Juden eine be- 
sondere Spielart oder Unterart der Menschheit bilden, die sich 
blutmäßig von den Völkern, unter denen sie leben, unterscheidet; 
die Frage aber auch: wie sie sich unterscheidet, ob die Ver- 
schiedenheiten (in der Steinmetzschen Terminologie) elemen- 
tare oder distributive oder gemischte sind. 

Wenn aber die Eigenart einer Bevölkerungsgruppe in Frage 
steht, so ist endlich noch zu beachten, daß die in den einzelnen 
Gliedern vorwaltende Eigenart auch entstanden sein kann (nicht 


Digitized by t^ooQle 


389 


durch Erwerbung neuer Eigenschaften, sondern) durch Bluts- 
vermischung mit Angehörigen anderer Gruppen oder aber inner- 
halb der Gruppe selbst durch Auslese. Kollektiv-Psychologie 
bedeutet, wie wir sahen, immer die Feststellung von Eigen- 
schaften, die in sehr vielen Individuen einer bestimmten sozialen 
Gruppe gleichmäßig wiederkehren. Dieselbe Gruppe umfaßt aber 
der Regel nach auch Individuen ganz anderer Art, oder genauer: 
andere „Varietäten 11 . Aus irgendwelchen Gründen kann sich 
nun das numerische Verhältnis der verschiedenen Varietäten 
innerhalb der Gruppe verschieben (durch Auslese), und die 
Gruppe, die zu einer bestimmten Zeit aus 3 a, 2 b, 1 c gearteten 
Individuen bestand, besteht nun aus la, 2b, 3c gearteten 
Teilnehmern. Dann hat sich natürlich ihr kollektiv-psychologi- 
scher Habitus verändert — meinetwegen unter dem Einfluß des 
„Milieus 11 — ohne daß doch irgendwelche Eigenschaften „neu 
-erworben“ wären. 

So mannigfaltig sind die Möglichkeiten, die uns eine spe- 
zifische Eigenart erklärlich machen. Und schon der Überblick 
zeigt, wie verwickelt das Problem ist und — wie täppisch die 
meisten es behandeln. 

Daß die Antworten gerade auf diese Fragen die eigentlich 
entscheidenden erst sind, bedarf keiner besonderen Begründung. 
Aber wir müssen, wenn wir ehrlich sind, auch sogleich gestehen: 
daß beim heutigen Stande unseres Wissens eine lückenlose Be- 
antwortung dieser wichtigsten Fragen nicht möglich ist. Die 
Tendenzliteratur bringt zwar wie überall so auch hier immer 
schon Lösungen, aber wer sich auch nur ein wenig in den Gegen- 
stand hineingelebt hat, der sieht einstweilen viel mehr Probleme, 
viel mehr Rätsel als Lösungen. 

Was mir aber im gegenwärtigen Augenblicke not zu tun 
scheint, und was allein die Erörterung des Judenproblems aus 
dem Zwielicht, in dem sie jetzt steckt, herausbringen kann, ist 
sine begrifflich scharfe Erfassung der strittigen Punkte, ist eine 
klare Fragestellung und eine urteilsvolle Sichtung des massen- 
haft aufgehäuften Materials. Es ist als ob bei der Behandlung 
just der „Judenfrage 11 und zumal an dem Punkte, wo sie mit 
dem allgemeinen „Rassenproblem 11 sich schneidet, alle Teufel 
sich verschworen hätten, um die Köpfe zu verwirren. 

Was Friedrich Martius unlängst für die Vererbungsfrage 

22 * 


Digitized by 


Google 



340 


im besonderen forderte 618 , das ist für die gesamte Rassenfrage und 
in ganz hervorragendem Mähe für die jüdische Rassenfrage von- 
nöten: „eine genauere Begriffskritik". Und diese kann wohl 
auch — oder gerade? — derjenigen fördern helfen, der den 
Spezialforschungen gleichmäßig fernsteht, und der deshalb die 
Ergebnisse auf den einzelnen Wissensgebieten besser zu über- 
blicken vermag. Diese Überlegung gibt mir den Mut, im folgenden 
eine Zusammenfassung dessen zu versuchen, was heute die Er- 
örterung des jüdischen Rassenproblems zutage gefördert hat : an 
sicherem Wissen und an denkbaren Möglichkeiten, aber auch, 
soweit es sich um sehr verbreitete Irrtümer handelt, an zweifellos 
falschen Hypothesen. 

L Die anthropologische Eigenart der Juden 

Über die Herkunft der Juden und ihr anthropologisch- 
ethnologisches Schicksal sind jetzt die Meinungen wenigstens in 
den entscheidenden Punkten geklärt. 

Man nimmt wohl ganz allgemein an 510 , daß Israel sowohl 
wie Juda durch die Vermischung verschiedener orientalischer 
Völker entstanden sei. Als im 15. Jahrhundert „die Hebräer“, 
ein Beduinenstamm, sich in Palästina „seßhaft“ machen wollen, 
finden sie dort schon eine seit langem angesiedelte Bevölkerung 
vor: die Kanaaniter, die selbst wahrscheinlich eine herrschende 
Oberschicht darstellten und neben Hethitern, Pheresitem, Hevitem 
und Jebusitem (Jud. 3, 5) das Land bewohnten. Mit allen diesen 
Völkerschaften leben die israelitischen und judaischen Stämme — 
das ist jetzt das Ergebnis neuer Untersuchungen gegenüber der 
früheren, entgegengesetzten Meinung — im Konnubium. 

AJs dann ein Teil der Bevölkerung (wir werden später sehen, 
welcher) in die Exile geführt wird, setzt sich die Mischung 
dort fort. Von dem Schicksal der Juden im babylonischen Exil, 
das für uns allein in Betracht kommt, sind wir durch die neueren 
Keilschriftfunde, wenigstens was ihr sexuales Verhalten anbelangt, 
ziemlich genau unterrichtet: die Inschriften machen es „zweifel- 
los“, daß eine allmähliche Verschmelzung zwischen Babyloniern 
und jüdischen Exilanten sich anbahnte. Wir sehen die Ein- 
wanderer ihren Kindern babylonische Namen geben, die Baby- 
lonier umgekehrt ihren Kindern persische, hebräische, aramäische 
Namen 620 . 


Digitized by t^ooQle 



341 


Nicht so einhellig sind die Ansichten darüber: wie die ein- 
zelnen Stämme und Völker, aus denen sich die Juden zusammen- 
setzten, unter einander verwandt waren, noch auch darüber, wie 
man sie gegen andere Volksgruppen abgrenzen, und am wenigstens 
darüber, wie man sie — benennen soll. Man weiß, daß ein be- 
sonders erbitterter Streit um den Begriff „Semiten“ entbrannt 
ist, der wohl damit geendigt hat, daß man heute in anthropo- 
logischen Kreisen das Wort „Semiten“ überhaupt nicht mehr 
gern gebraucht. 

Der Semitenstreit ist einer der Fälle (ein anderer be- 
kannter Fall ist der Arierstreit), wo eine unnütze Verfilzung 
der Fäden dadurch herbeigeführt ist, daß man linguistische 
und anthropologische Gesichtspunkte bei der Abgrenzung von 
Menschengruppen durcheinander gebracht hat. Wir wissen heute, 
daß „Semiten“ ein rein linguistischer Begriff ist, daß nämlich 
alle diejenigen Völker darunter zu verstehen sind, deren Sprachen 
semitisches Gepräge tragen, und wissen ferner, daß diese semitisch 
redenden Völker aus den anthropologisch zum Teil heterogensten 
Elementen zusammengesetzt sind 521 . 

Mir scheint der Streit um Abgrenzung und Benennung jener 
orientalischen Völker, zu denen ebenso die Ägypter wie die 
Babylonier und Assyrier, wie die Phönizier wie die Juden — 
kurz alle Kulturvölker des alten Orients — gehören, aber 
auch ziemlich müßig. Ob wir mit Friedrich Müller von 
Hamiten und Semiten; ob mit v. Luschan von Semiten, 
Amoritern, Hethitern und Kuschiten, ob mit Huxley und 
St ratz von melanochroen Völkern reden: ich fürchte, wir 
werden angesichts des völligen Mangels an Untersuchungsmaterial 
ihre anthropologische Eigenart doch niemals genau und einwands- 
frei feststellen können. Während auf der anderen Seite diese 
Lücke unseres Wissens gar nicht so sehr bedeutsam ist, an- 
gesichts der viel wichtigeren und unbestrittenen Tatsache, daß 
es sich bei all* diesen Völkern zweifellos um Angehörige einer 
ihrer Herkunft und vorgeschichtlichen Lebensweise nach ganz 
genau bekannten Menschheitsgruppe handelt, die man vielleicht 
(ich komme noch darauf zu sprechen) als Wüsten Völker oder 
Wüstenrandvölker bezeichnen kann. Denn die Annahme, daß in 
diese heißen Länder ein blonder, blauäugiger, nordischer Stamm 
verschlagen sei, wird heute wohl von den Fachleuten überein- 


Digitized by t^ooQle 



342 


stimmend in das Reich der Fabel verwiesen. Jedenfalls wird 
man sich dieser gennanomanen Hypothese*** gegenüber so lange 
ablehnend verhalten dürfen, als nicht schlüssigere Beweise wie 
die blonden (roten) Haare des Königs Saal oder die Doücho- 
zephahe der Monde Ramses* IL beigebracht worden sind. 

Wekhes ist mm das Blotschicksal dieses Völkergendsches 
geworden, aas dem wir die Joden hervorgeben sehen? Darauf 
gab man früher gern die Antwort, daß das jüdische Volk in allen 
folgenden Jahrhunderten immer so weiter sich mit den Völkern 
dann spfiter in der Diaspora gemischt habe, wie vor dem baby- 
lonischen Exil and während der ersten Zeit in Babylonien selbst. 
Renan, Loeb, Neubauer und andere waren der Ansicht, daß 
die heutigen Joden zam großen Teil Abkömmlinge der heid- 
nischen Proselyten während der hellenistischen Epoche oder aber 
Sprößlinge von Mischehen zwischen Joden und Wirtsvölkern in 
den christlichen Jahrhunderten seien. Das Vorkommen blonder 
Joden (bis 13 •/#) , namentlich in den osteuropäischen Ländern, 
bot za der abenteuerlichen Hypothese den Anlaß: hier habe man 
es mit Mischlingen jüdischen and germanisdien (oder slavischen) 
Volkstums zu tan. Die heute geltende — soweit ich sehe von 
fast allen maßgebenden Forschern geteilte — Meinung ist im 
Gegenteil die: daß der jüdische Volksstamm etwa seit Esras 
Zeiten bis heute im wesentlichen sich unvermischt fortgepflanzt 
hat, seit mehr als 2000 Jahren also eine von fremden Völkern 
unberührte, ethnisch eigenartige Menschengruppe darstellt. Daß 
Tropfen fremden Blutes in den jüdischen Volkskörper während 
der langen Zeit der Diaspora hineingekommen sind, wird natür- 
lich von niemandem geleugnet. Aber man glaubt, daß diese 
Vermischungen zu unbedeutend sind, um den ethnischen Charakter 
des jüdischen Volkes wesentlich zu beeinflussen. 

Jedenfalls kann man jetzt mit ziemlicher Sicherheit fest- 
stellen, daß man früher namentlich den Umfang des Proselyten- 
tams ganz erheblich überschätzt hat. Zweifellos hat das Juden- 
tum während der hellenistischen und urchristlichen Zeit (die 
späteren Jahrhunderte kommen — bis auf einen Sonderfall — 
überhaupt nicht in Betracht) unter den heidnischen Völkern 
Anhänger für seine Lehre gefunden: beschäftigt sich doch so- 
wohl die jüdische wie beispielweise die römische Gesetzgebung 
mit solchen Menschen. Aber wir dürfen heute mit Bestimmt- 


Digitized by t^ooQle 


343 


heit annehmen, daß es bei jenen Proselyten sich immer nur 
um sog. „Proselyten vor dem Tor“ handelte, das heißt um Be- 
kehrte, die zwar den Gottesdienst übten, aber nicht zur Be- 
schneidung und nicht zum Konnubium zugelassen wurden (die, 
nebenbei bemerkt, fast alle dem Christentum verfielen.) Seit 
Pius wurde den Juden und den Judenkindern die Beschneidung 
wieder gestattet, ihre Ausdehnung auf die Proselyten aber aus- 
drücklich verboten. Dadurch wurde der förmliche Übertritt zum 
Judentum ein strafbares Verbrechen „und wahrscheinlich ist 
das Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrecht 
erhalten worden“ 528 . Severus „Judaeos fieri sub gravi poena 
vetuit.“ 

Aber mag man immerhin, namentlich in vorchristlicher Zeit, 
auch völligen Übertritt zum und somit blutsmäßigen Eintritt in 
das Judentum vermuten: angesichts der Millionen Juden, die wir 
in der hellenistischen Epoche schon annehmen müssen, kann 
es sich doch immer nur um verschwindend geringe Dosen 
fremden Blutes gehandelt haben, das hier in das Judenvolk hin- 
einfloß, und dieses wenige Blut wird zudem noch von stammes- 
verwandten Völkern (in Kleinasien, Ägypten usw.) hergerührt 
haben. 

Daß der Proselytismus bei den Juden seit ihrem Ein- 
tritt in die europäische Geschichte so gut wie ganz aufgehört 
hat, darf als sicher angenommen werden. Und auch die aben- 
teuerliche Bekehrung der Chazaren Chagane im 8. Jahrhundert 
wird an der Tatsache nichts ändern, daß auf dem Wege des 
Proselytismus den Juden während des Mittelalters keine irgend- 
wie belangreiche Masse fremden Blutes zugeflossen ist. Es heißt 
wirklich allen Sinn für historische Dimensionierung verleugnen, 
wenn man aus jenem Übertritt der Chazaren Chagane zum Juden- 
tum auf eine starke Beimischung der Östlichen Juden mit sla- 
vischen Elementen schließt. Das „Chazarenreich“ hat nie eine 
irgendwie nennenswerte Ausdehnung gehabt. Schon im 10. Jahr- 
hundert wird es auf ein ganz kleines Gebiet — im wesentlichen 
die Krim — zurückgedrängt, und im 11. Jahrhundert geht der 
winzige jüdische Staat der Chazaren unter. Ein kleiner Rest chaza- 
rischer Juden lebt (als Karäer) in Kiew weiter. Wollte man also auch 
annehmen, daß das ganze „Volk“ der Chazaren sich zum Judentum 
bekehrt (und nebenbei sich auch dauernd zum Judentum bekannt > 


Digitized by t^ooQle 



844 


habe, so würde diese Beimischung immer noch erst eine quantitö 
nägligeable gewesen sei, die an dem ethnischen Charakter des 
jüdischen Stammes gewiß nichts zu ändern vermocht hatte. Zu allem 
Überfluß ist es nun aber noch zweifelhaft, ob der Übertritt sich 
nicht auf die Herrscher oder die herrschende Klasse beschränkt 
habe 5 * 4 . 

Bleiben die Mischehen als Quell der Blutsvermengung. Daß 
auch sie in manchen Epochen der jüdischen Geschichte statt- 
gefunden haben, dürfen wir als ausgemacht ansehen. Teils be- 
rechtigen uns zu dieser Annahme Schlüsse aus der allgemeinen 
Lage des Judentums. Wir dürfen erwarten, daß die Mischehen 
zwischen Juden und Nichtjuden in den Zeiten besonders häufig 
waren, in denen sich die Bande der jüdischen Gemeinschaft zu 
lockern begannen : also etwa in den letzten vorchristlichen Jahr- 
hunderten oder im 12. und 13. Jahrhundert in Spanien. Aber 
wir wissen auch, daß diese Lockerung immer nur ganz vorüber- 
gehender Natur war, daß die jüdische Orthodoxie sehr bald 
wieder für Zusammenschluß und schroffe Abschließung gegen 
Andersgläubige Sorge trug. Was die Pharisäer in der helleni- 
stischen Zeit vollbrachten, war im 13. Jahrhundert in Spanien 
eine Folge des Maimunistreites, der zu solcher Reaktion führte, 
daß sogar schon geschlossene Ehen mit Christinnen und Muhameda- 
nerinnen gelöst wurden 625 . 

Andernteils weisen ausdrückliche Verbote jüdisch-christlicher 
Mischehen, deren wir während der früheren Jahrhunderte auf 
den spanischen Konzilen begegnen, darauf hin, daß sie jedenfalls 
vorgekommen sind: der Kanon 16 des Konzils von Elovia (304) 
bestimmt: Die Töchter von Katholiken sollen Ketzern nicht zur 
Frau gegeben werden: es sei denn, diese bekehrten sich zum 
Katholizismus; dasselbe gilt für Juden und Schismatiker. Kan. 14 
des 8. Konzils zu Toledo (589) verbietet Juden, sich Christinnen 
als Eheweiber oder Maitressen zu halten. Alle solchen Ver- 
bindungen entsprossene Kinder sollen getauft werden. Nach Kan. 63 
des 4 Toi. Konzils (633) müssen Juden, die Christinnen zur Frau 
haben, das Christentum annehmen, wenn sie mit ihrer Frau 
weiter leben wollen 526 . Daß die gegen diese Verbote ver- 
stoßenden Ehen sehr häufig gewesen sein sollten, ist kaum anzu- 
nehmen. Die Infizierung des jüdischen Stammes mit spa- 
nischem Blut ist um so weniger bedeutend gewesen, als sicher 


Digitized by t^ooQle 


845 


: ein Teil der wirkliche Mischehen eingehenden Juden, oder 

wenigstens ihre Kinder, dem Judentum verloren gingen. 

[ Eine Vermischung mit den nordischen Völkern in irgendwie er- 

heblichem Umfang liegt nun ganz und gar außer dem Bereiche aller 
: Wahrscheinlichkeit. Denn wir wissen jetzt, daß die früher ge- 

legentlich geäußerte Meinung : die Juden hätten z. B. in Deutsch- 
f land bis zu den Kreuzzügen inmitten und im Verkehr mit der 

christlichen Bevölkerung gelebt, sich nicht aufrecht erhalten läßt. 
Brann, vielleicht der beste Kenner der deutsch-jüdischen Ge- 
schichte, erklärt die Annahme einer bis zu einem gewissen Grade 
gediehenen Assimilation im frühen Mittelalter für „ein in der Luft 
schwebendes Phantom, das vor der richtigen Erkenntnis des 
inneren Lebens der deutschen Juden jener Tage in nichts zer- 
fließen muß a 627 . 

Nun waren aber immer noch die blonden Juden da, die ein 
wandelnder Beleg für eine sogar recht beträchtliche Mischung 
mit blonden Wirtsvölkern zu sein scheinen, zumal ihre Zahl in 
nordischen Ländern (namentlich in Deutschland und Rußland) 
tatsächlich größer ist als in südlichen Ländern mit dunkler Landes- 
bevölkerung. Heute nimmt eine Entstehung dieser blonden Juden 
auf dem Wege legitimer Vermischung mit den Wirtsvölkem, so- 
viel ich sehe, kein einziger Forscher mehr als wahrscheinlich an. 

Dagegen ist unlängst die Hypothese aufgestellt worden 528 : 
die blonden Juden seien das Ergebnis illegitimer Paarungen mit 
Russen, entweder offizieller, nach denen die Judenweiber wieder 
zu ihren Männern zurückgekehrt seien, oder gewaltsam erzwunge- 
ner, als das Ergebnis von Schändungen der Jüdinnen durch 
Kosakenwildlinge bei Gelegenheit von Pogromen. Daß diese 
Hypothese auf sehr schwachen Füßen steht, leuchtet ein. Wenn 
sie selbst die Entstehung der blonden Juden in Rußland erklären 
würde: für die übrigen Länder versagt sie völlig; für Deutsch- 
land z. B. , weil die blonden Juden den blonden Germanen in 
anderen somatischen Merkmalen geradezu entgegengesetzt sind 
(Kurz- gegen Langköpfe); in südlichen Ländern, weil hier die 
massenhafte blonde Umgebung fehlt: und doch treffen wir selbst 
in Nordafrika und im heutigen Palästina blonde Juden an. 

Es läßt sich deren Dasein aber auch zwanglos erklären ohne Zu- 
hilfenahme einer Mischung mit fremden Völkern in späterer Zeit. 
Und zwar durch die Feststellung, daß alle dunkeln Rassen spontan 


Digitized by 


Google 



346 


entstandene leukoderme Varianten aufweisen , die sich dann in 
einer für sie besonders gut geeigneten Umwelt (den nordischen 
Ländern) stärker vermehrt haben als anderswo. Die bessere An- 
passung mag nun klimatisch gedacht werden, oder sie mag sich 
vollzogen haben durch die Vermittlung einer künstlichen Auslese 
durch die Frauen, deren Schönheitsideal inmitten blonder Völker 
sich mehr dem blonden Typus zugeneigt hat 5 **. 

Diese Annahme : daß die Juden sich mehr als zwei Jahr- 
tausende hindurch als eine besonders geartete ethnische Gruppe 
erhalten haben, findet mm aber ihre vollgewichtige Bestätigung 
in der Tatsache, daß die anthropologischen Merkmale der heute 
lebenden Juden auf der ganzen Erde eine sehr große Überein- 
stimmung aufweisen, in keiner Weise mit den anthropolo- 
gischen Eigenarten der Völker, unter denen sie leben, parallel 
gehen, dagegen selber eine auffallende Konstanz durch all’ die 
Jahrtausende zeigen, während deren wir sie verfolgen können. 
„Das verschiedene Schicksal, die andersartige Umgebung haben 
nicht vermocht, einen gemeinsamen, schier unverwüstlichen Typus 
zu verwischen; und gerade die Juden zeigen klarer als eine 
andere Basse, wie übermächtig der Einfluß der Vererbung im 
Rassenschicksal gegenüber dem der Anpassung ist.“ (El. Auer- 
bach.) „Immer tritt der Allotypus der Juden im Vergleich mit 
der übrigen, umgebenden Bevölkerung im gleichen Maße auf, 
was als unbestrittener Beweis für die Stabilität und Eigenart 
des anthropologischen Typus der Juden dienen kann. An der 
Richtigkeit dieser Tatsache zweifelt jetzt kaum jemand mehr.“ 
(Ark. Eikind.) 

Die anthropologische Homogenität des jüdischen Stammes 
in der Gegenwart ist durch zahlreiche Ermittlungen und 
Messungen in anatomischer Hinsicht ziemlich sicher gestellt 
worden 580 . (Überwiegen der Kurzköpfe, der Brünetten usw.) 
Zweifelhaft ist nur, ob sich der seit alters her (wie wir zu ver- 
schiedenen Malen feststellen konnten) vorhandene Gegensatz 
zwischen Aschkenazim und Sephardim auch anthropologisch be- 
gründen läßt. Einstweilen stehen sich in der Erörterung dieser 
Frage zwei Meinungen schroff gegenüber 581 . Mir scheint, als 
sei das Material, mit dem für und gegen die „Rassendifferenz“ 
der beiden Gruppen innerhalb der Judenschaft gekämpft wird, 
zu gering, um ein endgültiges Urteil zu fällen. (Daß in mancher 


Digitized by 


Google 



347 


Hinsicht eine anthropologische Unterschiedlichkeit zwischen Asch- 
kenazim und Sephardim sehr wahrscheinlich ist, ist man auf 
Grund persönlicher Beobachtung anzunehmen sehr geneigt. Der 
schlanke, elegante Spaniole mit den schmalen Händen und Füßen, 
der scharfgebogenen, knochigen Nase — Onkel Iason — und 
der plumpe, krummbeinige Aschkenaz mit der breiten, fleischigen 
Hethitemase — Vetter Julius — erscheinen dem Laien 
durchaus als zwei verschiedene Typen. Aber wie gesagt : einst' 
weilen besteht noch keine Möglichkeit, dieses „Empfinden" zu 
einer wissenschaftlich begründeten Erkenntnis zu gestalten.) 

Strittig ist im Augenblick auch noch : ob die heutige Juden- 
schaft in physiologisch-pathologischer Hinsicht einheitlich und 
unterschiedlich von den umgebenden Völkern veranlagt sei. Daß 
bestimmte physiologisch-pathologische Besonderheiten den Juden 
anhaften, kann nicht bestritten werden: frühe Menstruation, 
mangelnde Disposition für Krebs, namentlich Gebärmutterkrebs, 
starke Disposition für Diabetes, Geisteskrankheiten usw. Aber 
diejenigen, die eine physiologisch-pathologische Eigenart der Juden 
leugnen, glauben jene Besonderheiten aus der sozialen Stellung 
der Juden, ihren religiösen Gebräuchen usw. genügend erklären 
zu können 588 . Man wird sagen müssen, daß auch für den Ent- 
scheid in diesem Punkte das Material, auf das sich die Beur- 
teilung stützen muß, noch nicht umfangreich genug ist, und daß 
wir einstweilen uns mit einem non liquet zufrieden geben müssen. 

Was dagegen wiederum außer allem Zweifel steht, ist die 
physiognomische Verwandtschaft der Juden in der Gegenwart. 
Die Physiognomie ist bekanntlich das Produkt zweier Faktoren : 
bestimmter Gesichtsformen und bestimmter Ausdrucksweisen in 
diesen und mittels dieser Formen. Sie entzieht sich der Messung 
und Auszählung, denen alle anderen somatischen Eigenschaften 
unterliegen und muß geschaut werden. Ebensowenig wie es für 
den Farbenblinden Farben auf der Welt gibt, ebensowenig kann es 
für den Menschenblinden Physiognomien geben. Wenn Friedrich 
Hertz beispielweise von sich sagen würde 588 , daß er „bei gut 
drei Viertel der gebildeten und wohlhabenden Juden . . . nicht 
mit voller Sicherheit die Abstammung aus dem Äußeren fest- 
stellen" könne, so ließe sich dagegen gewiß nichts einwenden. 
Dagegen möchte ich mich entschieden gegen seine Behauptung 
wenden: das könne „ein guter Beobachter" nicht feststellen. 


Digitized by t^ooQle 



348 


Darin irrt er. Schon ein mittelmäßiger Beobachter kann es mit 
ziemlicher Sicherheit. Daß „die jüdische Physiognomie* heute 
noch eine Realität ist, wird nur von ganz wenigen in Zweifel 
gezogen werden. Wobei zu beachten ist, daß es selbstverständ- 
lich unter den Juden zahlreiche Individuen gibt, die ganz und 
gar nicht „jüdisch* aussehen und ferner: daß auch unter nicht- 
jüdischen Völkern Judenphysiognomien Vorkommen. Ich möchte 
zwar nicht mit Stratz 584 die Habsburger wegen ihrer herab- 
fallenden Lippe oder die französischen Ludwige wegen ihrer 
starken Nasen als jüdisch aussehend bezeichnen; aber unter 
manchen orientalischen Völkern (vielleicht auch unter den 
Japanern) finden sich zweifellos jüdische Typen, die (dem Reli- 
gionsbekenntnis nach) keine Juden sind. Aber das scheint 
mir nichts gegen die anthropologische Besonderheit der Juden 
zu beweisen, sondern nur dafür, daß jene Völker und die Juden 
vielleicht gemeinsame Vorfahren haben. (Nach Japan verlegt man 
bekanntlich — wie übrigens an andere Orte der Erde auch — 
das Endziel der Wanderung der verschollenen zehn Stämme 
Israels: die außerordentliche Ähnlichkeit, die zwischen japani- 
schem und jüdischem Wesen obwaltet, würde eine solche — im 
übrigen natürlich völlig phantastische — Hypothese vortrefflich 
stützen !) Die Judenphysiognomie als Dekadenzerscheinung ganz 
allgemeiner Natur anzusehen, wie es Stratz tut, oder sie (wie 
Ripley) aus dem Ghettoleben zu erklären, geht nun aber auch 
nicht wohl an angesichts der zweifellosen Tatsache, daß wir den 
echten Judentypen auf den Denkmälern Ägyptens und Baby- 
loniens schon in sehr früher Zeit begegnen. Man braucht nur 
die Abbildungen der jüdischen Kriegsgefangenen aus der Epoche 
Schischaks (973 v. Chr.) oder die Gesandten am Hofe Sal- 
manassars (884 v. Chr.) sich anzuschauen 885 , um festzustellen, 
daß sich seit jener Zeit bis heute, also in bald dreitausend Jahren, 
wesentliche Veränderungen in der Judenphysiognomie nicht voll- 
zogen haben. Auch daraus wird man eine Bestätigung für die 
Richtigkeit der Anschauung entnehmen können, daß der jüdische 
Volksstamm in anthropologischer Hinsicht eigenartig ist, und daß 
seine Eigenarten eine außergewöhnlich große Konstanz auf- 
weisen. 


Digitized by t^ooQle 


349 


n. Die jüdische „Rasse“ 

Dürfen wir nun angesichts dieser Tatsache von einer jüdi- 
schen „Rasse“ sprechen? Offenbar hat die Antwort auf diese 
Frage die Voraussetzung, daß das, was eine „Rasse“ sei, fest- 
stehe. Dies ist aber nun nicht der Fall, wie man weiß. Wir 
haben fast so viel Definitionen des Begriffes „Rasse“, wie wir 
Gelehrte haben, die von ihm sprechen. Nun steht es natürlich 
jedermann frei, zu sagen; das nenne ich Rasse, und wenn das 
Rasse ist, was ich so und so gekennzeichnet habe, dann sind 
die Juden eine Rasse, oder sind sie keine Rasse. Daß dieses 
Verfahren ein je nach dem Grad von Bösartigkeit oder Dumm- 
heit dessen, der sich seiner bedient, mehr oder weniger harm- 
loses Spiel ist, liegt auf der Bland. Eine irgendwelche Bedeutung 
für den Betrieb der Wissenschaft bekommt es immer erst, wenn 
der einzelne sich klar ist und den andern klar macht, was er 
eigentlich will ; heißt : welchem Zweck seine Begriffsbestimmung 
dienen soll. Diese Einsicht dämmert jetzt endlich auch den 
„Rassentheoretikern “ auf, und die wissenschaftlichen unter ihnen 
versuchen jetzt dem Begriffe Rasse ein erkenntniskritisches Funda- 
ment zu unterbauen. Man sieht vor allem ein, daß man sehr 
verschiedene Begriffe mit dem Namen Rasse belegt hat, und 
daß es etwas grundanderes bedeutet, wenn ich sage: dieses 
Frauenzimmer ist rassig (hat Rasse), als wenn ich sage: dieser 
Mensch gehört der mongolischen Rasse an. Das heißt : man sieht 
ein, daß im einen Fall mit dem Worte Rasse ein irgendwelches 
Zweck- oder Idealgebild bezeichnet werden soll, während das 
Wort Rasse im andern Falle nur einen klassifikatorischen Sinn hat. 
Während nun in letzter Zeit das Wort Rasse in jenem züchterischen 
Verstand mit Entschlossenheit weiter verwandt wird, ist man von 
seiner Verwendung zum Zwecke lediglich ordnender Menschen- 
einteilung mehr und mehr zurückgekommen. Das heißt aber 
nichts anderes als das : man hat darauf verzichtet, die Menschen, 
die heute auf der Erde leben, nach anthropologischen Merkmalen 
zu klassifizieren; anders gewandt: sie nach „Varietäten“ (Unter- 
arten, Spielarten) zu unterscheiden. „Bei dem Stande der heutigen 
Forschung können gegenwärtig alle Versuche, die Menschheit 
nach ihren körperlichen Verschiedenheiten in scharf voneinander 
getrennte Gruppen (Rassen oder Varietäten) zu trennen, nur 


Digitized by 


Google 



850 


provisorischen Wert haben. Hier sieht noch niemand klar, und 
kann noch niemand klar sehen/ (Joh. Ranke.) 

Im Grunde ist dieses negative Ergebnis der klassifizierenden 
Anthropologie nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, wie grob 
die wirklich feststellbaren „Merkmale“ der menschlichen Art 
sind, und vor allem : wie fern wir mit ihnen auch nur dem leib- 
lichen Menschen in seiner organischen Einheit bleiben. Wenn 
für irgend eine Wissenschaft, gilt von der modernen Anthropologie 
das verhängnisvolle Wort: „Hat die Teile in ihrer Hand, fehlt 
leider nur das geistige Band.“ Schädelform, Prognathismus, Ge- 
sichtsform und Gesichtswinkel, Nase, Ohr, Körpergröße , Haut- 
farbe, Haare, Steatopygie, weibliche Brust : das sind die Merkmale, 
die man ermittelt. Aber was jedes einzelne für den Gesamtorga- 
nismus bedeutet, was eines für das andere bedeutet, wie eines 
vom andern abhängt . davon ahnen wir kaum etwas, und werden wir 
vielleicht niemals Gewisses erfahren. Kein Wunder also, daß die 
Feststellung der verschiedenen Merkmale bei verschiedenen 
Menschengruppen ganz und gar keine Einheitlichkeit, sondern 
immer nur eine fast karikaturhafte Buntscheckigkeit des Typus ergab. 

Eine Zeitlang hatte man gehofft, mit exakten Messungen 
Ordnung in das Chaos bringen zu können, und hatte namentlich 
an die Schädelmessungen die höchsten Erwartungen geknüpft. 
Nun haben sich auch diese — und gerade diese — als gänzlich 
ungenügend erwiesen, die Menschen in unterschiedliche Gruppen 
zu teilen : die dolichozephalen Menschen finden sich in den sonst 
heterogensten Völkerschaften, ebenso wie die Kurzköpfe zerstreut. 
Buschmänner und Neger, Äthiopier und Drawida, Semiten und 
Nordeuropäer sind gleichermaßen ausgesprochene Langschädel 
und haben doch kein anderes anatomisches Merkmal miteinander 
gemein. 

Jetzt fängt man an, die physiologisch-pathologischen Eigen- 
arten der Völker zu untersuchen, um durch sie vielleicht bessere 
Einteilungen zu schaffen. Ob mit mehr Erfolg, steht dahin. 

Vielleicht aber kommt die Erleuchtung noch von einer ganz 
andern Seite: von den Ergebnissen der biologischen Forschung 
her, nachdem diese angefangen hat, sich mit der chemischen 
Beschaffenheit des Blutes zu beschäftigen. Der Volksinstinkt, 
der so oft das Richtige trifft, hatte längst geahnt, daß „Blut ein 
ganz besonderer Saft“ sei, hatte deshalb von tief im Wesen des 


Digitized by 


Google 



351 


Individuums eingegrabenen Zügen gesagt: „es steckt ihm im 
Blute“ und hatte nicht von Haar- oder Stimm- oder Nasen-, 
sondern von „Blutsverwandtschaften“ gesprochen. Nim hat in 
den letzten Jahren eine ganze Reihe von Forschern sich mit der 
Frage beschäftigt: wie sich das Blut der einzelnen Tierarten 
charakterisieren und von denen anderer unterscheiden lasse, wie 
weit also die Blutanalyse zur Artdifferenzierung und Systemati- 
sierung zu verwenden sei. Die Untersuchungen von Bordet, 
Nutall, A. Wassermann, Uhlenhut, Friedenthal u. a. 
haben zu dem Ergebnis geführt 68 ®, daß es jetzt mit Sicherheit 
gelingt, auf biologischem Wege Eiweiß zweier selbst naher ver- 
wandter Arten voneinander zu unterscheiden und fernerhin ge- 
wisse Eiweißdifferenzen innerhalb eines Organismus festzustellen. 
Was fraglich blieb, war dies: ob mit derselben Methode auch 
Unterschiede innerhalb der Art festzustellen seien, ob man 
also die Blutanalyse auch zur Klassifizierung, z. B. der mensch- 
lichen „Rassen“ , werde verwenden können. Die Arbeiten 
Neisserscher Schüler, namentlich Carl Brucks 687 , haben diese 
Frage im bejahenden Sinne beantwortet. Untersuchungen an 
Holländern , Chinesen und Malayen haben gezeigt , daß in der 
Tat es mit Hilfe eines gegen Vertreter der weißen Rasse ge- 
richteten Immunserums möglich ist, diese von Angehörigen der 
mongolischen und malayischen Rasse biologisch zu unterscheiden 
und gleichzeitig aus den erzielten Titergrößen auf die Verwandt- 
schaft der einzelnen Rassen untereinander zu schließen. 

Natürlich handelt es sich auch bei diesen Untersuchungen 
um erste Anfänge, und zu einem vollständigen Schema der 
menschlichen Rassen werden wir auch mit den biologischen 
Methoden einstweilen so bald nicht kommen. 

Nun wäre es aber ein höchst bedenklicher Trugschluß, aus 
diesen Mißerfolgen der Klassifikationsbestrebungen zu folgern: 
daß es überhaupt keine anthropologisch besonderen Menschen- 
gruppen gäbe. Weil wir bisher kein Einteilungsprinzip gefunden 
haben, braucht doch die Wirklichkeit nicht der Unterschiede zu 
entbehren I Und wir werden auch diese ethnischen Unterschiede 
der Menschengruppen wahmehmen können, ehe uns die Ethno- 
logie oder Anthropologie oder Biologie oder Physiologie das 
Menschheitsklassifikationsschema geliefert hat. Wir werden sogar 
immer auch Mittel und Wege finden, diese Unterschiedlichkeit 


Digitized by 


Google 



352 


an einzelnen Merkmalen uns klar zu machen und mitzuteilen. 
Es wäre schlimm, wenn wir mit der Feststellung, daß der Eskimo 
ein anderes Gebilde ist wie der Neger, und der Süditaliener sich 
von dem Norweger unterscheidet, warten sollten, bis die Anthro- 
pologen ein brauchbares Klassifikationssystem ausgearbeitet hatten . 
Noch viel mehr als bei der Unterscheidung der Völkerpsychen 
pochen wir bei der Sonderung der verschiedenen Menschengruppen 
nach somatischen Eigenschaften auf unser gutes Recht als ver- 
nunftbegabte Beobachter, die sich nicht weismachen lassen, daß 
ein Vogel eine Katze sei, weil die Naturforscher vielleicht noch 
nicht herausgefunden haben, weshalb und worin die beiden sich von- 
einander unterscheiden. Nur nicht bange machen lassen ! Wenn 
man wahmimmt, mit wie dürftigen Mitteln beispielsweise die 
Anthropologie (notgedrungen!) arbeiten muß, so wird man — 
bei aller Hochachtung vor ihren Errungenschaften — doch ihre 
Machtsphäre nicht allzuweit zu stecken geneigt sein. 

Auf unser Thema angewandt: auch wenn wir die Juden 
nicht als eine besondere „Varietät“ der Menschheit schulgemäß 
klassifizieren können , ihnen darum alle anthropologische Eigenart 
abzusprechen, liegt kein Grund vor. Und ich kann mir ein Wort, 
wie das v. Luschans „für mich gibt es nur (!) eine jüdische 
Religionsgemeinschaft , keine jüdische Rasse“ 588 , nur als eine 
einer momentanen (sehr wohl verständlichen!) Gereiztheit ent- 
springende, ab irato gemachte Bemerkung deuten, die ja schon 
deshalb v. Luschan nicht ihrem vollen Inhalt nach vertreten 
kann , weil sie mit seinen eigenen Forschungsergebnissen in 
vollem Widerspruch stehen würde. Ich kann verstehen, daß 
v. Luschan erklärt: „ich kenne keine jüdische Rasse,“ und damit 
meint: es gibt keine besondere jüdische Rasse 1. in dem Sinne 
einer besonderen „Varietät“ der Menschheit (aus oben dar- 
gelegten Gründen), 2. gibt es keine in dem (ganz willkürlichen 
und aus einer Verquickung des klassifikatorischen Sinnes des 
Wortes Rasse mit seiner teleoJogisch-idealisierenden Bedeutung 
hervorgegangenen) Verstände einer „reinen" Rasse (im Gegensatz 
zu einem Völkergemisch). Daß v. Luschan sich gegen diese 
Auffassung an jener Stelle insbesondere wenden wollte, geht aus 
den folgenden Worten hervor: „immer wieder von neuem auf 
das Völkergemisch hinzuweisen, aus dem die heutigen Juden 
bestehen, ist auch von praktischer Bedeutung.“ Aber wenn es 


Digitized by 


Google 


358 


nun auch in diesem doppelten Sinne keine jüdische Basse gibt : 
gibt es darum „nur eine jüdische Religionsgemeinschaft? 1“ Man 
konnte mit Recht gegen diese Auffassung einwenden, daß es 
gewiß auch so etwas wie eine jüdische Volksgemeinschaft gäbe, 
die sich in gemeinsamen Geschichtserinnerungen, auch außer- 
halb der Religionsgemeinschaft, äußere. Aber gewiß mit dem- 
selben Rechte kann man für die Judenschaft eine irgendwie 
geartete anthropologische Sonderheit — im Gegensatz zu den 
Wirtsvölkem — eine anthropologische Unterschiedlichkeit be- 
anspruchen. Und selbst wenn wir kein einziges somatisches Merk- 
mal anführen konnten, das dem Juden eigentümlich wäre und 
ihn von anderen Gruppen unterschiede, selbst dann noch würde 
ich nicht davon abzubringen sein, daß die Juden — wo auch 
immer ich sie anträfe — eine anthropologisch andersgeartete 
Gruppe seien als beispielsweise die Schweden oder die Neger. 
Also doch nicht nur „eine Religionsgemeinschaft“. 

Man sieht: der Streit läuft auf einen Wortstreit hinaus. Es 
gibt keine jüdische „Rasse“ — gut. Aber es gibt eine anthro- 
pologische Eigenart der Juden. Schade nur, daß wir zur Be- 
zeichnung dieser Eigenart kein passendes Wort haben. Wir 
können von einem Volksstamm oder so etwas reden. Aber Name 
ist auch hier Schall und Rauch. Einigt man sich, was man unter 
dem (ach! so oft mißbrauchten) Wort verstehen will, so liegt 
eigentlich auch kein Bedenken vor, von einer jüdischen Rasse, 
meinetwegen „Rasse“, zu sprechen. Ich schließe diese Aus- 
führungen mit ein paar sehr verständigen Worten des aus- 
gezeichneten Judaisten A. Ruppin, die mir zu dem Besten zu 
gehören scheinen, was über „jüdische Rasse“ geschrieben ist: 
„Man darf“, meint Ruppin 589 , „den Begriff der Rasse nicht über- 
spannen. (Ruppin denkt hier nur an die eine Bedeutung, die 
man dem Worte beigelegt hat.) Versteht man unter Rasse nur 
eine solche Gemeinschaft, die ihre charakteristischen anthro- 
pologischen Merkmale in vorgeschichtlicher Zeit ausgebildet und 
sich in geschichtlicher Zeit von jeder geschlechtlichen Ver- 
mischung mit anderen Gemeinschaften freigehalten hat, so gibt 
es unter den Menschen mit weißer Hautfarbe überhaupt keine 
Rassenverschiedenheit, denn sie alle sind im Laufe der Jahr- 
hunderte wiederholt durcheinander gewürfelt worden. Ob die 
Juden von ihrem Eintritt in die Geschichte an eine einheitliche 

Somb&rt, Die Juden 23 


Digitized by t^ooQle 



354 


Basse gebildet und diesen einheitlichen Charakter stets bewahrt 
haben, steht völlig dahin. 

„Als sicher kann aber gelten, daß die Bekenner der mosaischen 
Religion noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach vielen 
Jahrhunderten strengster Inzucht innerhalb eines relativ kleinen 
und räumlich beschränkten Kreises eine durch anthropologische 
Merkmale von ihrer christlichen Umgebung scharf unterschiedene 
Gemeinschaft bildeten. 

„Die Gesamtheit deijenigen Personen, welche genealogisch 
von dieser Gemeinschaft abstammen, kann man — mangels 
eines besseren Wortes für anthropologisch einheitliche Menschen- 
gruppen — als eine Rasse und zwar als die jüdische Rasse 
bezeichnen.“ 

III. Die Konstanz des jüdischen Wesens 

Was uns hier an diesen anthropologischen Feststellungen 
allein interessiert, ist der Zusammenhang, der etwa besteht 
zwischen gewissen somatischen Eigenarten und der geistigen 
Besonderheit des jüdischen Stammes. Denn was wir gern er* 
fahren möchten, ist ja doch : ob diese im Blute liegt oder nicht, 
ob sie — wie der beliebte Ausdruck lautet — „rassenmäßig“ 
begründet ist oder nicht. Um der Lösung dieser Frage näher 
zu kommen, müssen wir nun zunächst, ebenso wie bei den so- 
matischen Eigenarten, auch bei der geistigen Eigenart nach- 
schauen , welches ihre Schicksale während des Ablaufs der jü- 
dischen Geschichte gewesen sind ; nachschauen also : ob die Be- 
sonderheiten , die wir für Gegenwart und letzte Vergangenheit 
an dem jüdischen Volke beobachtet haben, etwa schon in früherer 
Zeit angetroffen werden, ob sie bis in die Anfänge der Geschichte 
zurückreichen, oder ob sie erst später (und wann vielleicht) sich 
eingestellt haben. 

Da ist denn nun das Ergebnis dieses: daß das jüdische 
Wesen jedenfalls eine sehr große Konstanz aufweist, daß gewisse 
Besonderheiten, gewisse eigentümliche Züge der jüdischen Psyche 
sich annähernd so weit zurückverfolgen lassen, wie die Ge- 
schlossenheit der ethnischen Gruppe reicht, die wir Juden nennen. 
Das läßt sich natürlich nicht oder doch nur sehr unvollkommen 
unmittelbar feststellen, weil wir ja zuverlässige Schilderungen 
des jüdischen Volksgeistes aus früherer Zeit nur ganz wenige 


Digitized by t^ooQle 


355 


und ganz aphoristische besitzen. Immerhin ist es ganz lehrreich, 
wenn uns der Pentateuch (an 4 Stellen : Ex. 32, 9 ; 84, 9 ; Deut. 
9, 13. 27) dasselbe sagt wie Tacitus: daß Israel ein hartnäckiges, 
ein halsstarriges Volk sei, und wenn uns Cicero von ihrem 
brüderlichen Zusammenhalten berichtet; oder wenn wir hören, 
daß Marc Aurel sie ein unruhiges Volk nannte, über das er 
jammernd ausrief: „o Marcomanni, o Quadi, o Sarmatae, tandem 
alias vobis inquietiores inveni“ ; oder wenn Juan de la Huarte 
von dem scharfsinnigen für weltliche Dinge gemachten Verstände, 
von ihrer astucia, sollercia uns erzählt usw. 

Aber aus diesen wenigen Gelegenheitsbemerkungen könnten 
wir uns doch kein rechtes Bild machen von dem Wesen des 
jüdischen Volkes in vergangenen Zeiten. Dazu kommen wir nur 
auf Umwegen: durch das Studium der äußern Lebensschicksale, 
der Lebensäußerungen des Volkes, aus denen wir wie aus Sym- 
ptomen auf das innere Wesen, die seelische Eigenart zurück- 
schließen. 

Da erscheint mir nun vor allem bedeutsam: 

1. die Stellung der Juden zu den Wirtsvölkern 
(oder deren Stellung zu ihnen), seit sie in der Diaspora leben. 
Wir sahen: diese war in den letzten Jahrhunderten eine vor- 
wiegend feindliche: die Juden wurden vom Volke als „Fremde“, 
von den Regierungen als „Halbbürger“ angesehen, ehe der Kapitalis- 
mus sie erlöste. Sie wurden gehaßt und verfolgt in allen Ländern ; 
aber sie wußten sich überall zu erhalten und schließlich durch- 
zusetzen. 

Und nun schauen wir in die Vergangenheit zurück und be- 
obachten dasselbe Schauspiel, seit wir sie mit Fremden in Ver- 
bindung kommen sehen : die Stimmung der Wirtsvölker ist immer 
dieselbe gewesen, mochten diese selbst einer Rasse oder Kultur 
oder Religion angehören, welcher sie wollten. Oberall kam es 
schließlich zu innerer Gegensätzlichkeit, überall zu Verfolgungen 
und Mißhandlungen des Gastvolkes. 

Von den Ägyptern nimmt es seinen Anfang: „Und es graute 
den Ägyptern vor den Kindern Israels“. (Ex. 1, 12). 

„Allen Menschen zuwider“ meint Paulus (I. Thess. 2, 15), 
seien die Juden. 

Während der hellenistischen Zeit, im kaiserlichen Rom : das- 
selbe Bild. Grimmiger Haß, bei geringen Anlässen: Verfolgung, 

23 * 


Digitized by ^.ooQle 



356 


Plünderung, Mord und Todschlag. Man denke an die furchtbaren 
Pogrome in Alexandria während des ersten Jahrhunderts unserer 
Zeitrechnung, von denen uns Josephus und Philo berichten. „Der 
Judenhaß und die Judenhetzen sind so alt wie die Diaspora 
selbst“ (Mommsen). Man gedenke der Judenverfolgungen unter 
den römischen Kaisern. Marc Aurel: „foetentium Judaeorum et 
tumultuantium saepe taedio percitus“. Dann: Plünderungen 
und Massacres unter Theoderich, ebenso wie unter den Lango- 
barden im 7. Jahrhundert. Aber auch: in Babylonien während 
des 6. Jahrhunderts schwere Verfolgungen durch die dem Feuer- 
kultus ergebenen Perserkönige. 

Selbst auf der Pyrenäenhalbinsel, wo sie so viel Gutes er- 
fahren haben : am letzten Ende doch immer gehaßt und verfolgt : 
ganz gleich von Moslemim und Christen. Man erinnere sich 
der Drangsalierungen im 11. Jahrhundert im zividischen Reiche 
in Granada unter dem Wesirat des Joseph Ibn-Nagrela und 
schließlich ihrer Vertreibung aus Granada. 

Das alles — und die Beispiele lassen sich leicht vermehren — 
sind Äußerungen des Judenhasses in nichtchristlichen Kultur- 
kreisen, zu denen sich dann die reichlichen Verfolgungen in christ- 
licher Zeit gesellen. 

Das alles ist natürlich ohne die Annahme einer jüdischen 
Eigenart — und zwar der gleichen — nicht denkbar : kann nicht 
geflossen sein nur aus sinnloser Laune der so sehr verschiedenen 
Wirtsvölker. 

Und immer wieder — zu allen Zeiten und in allen Ländern 
(wenn auch nicht ununterbrochen) — als Halbbürger von den 
Machthabern behandelt, wo sie unter fremden Völkern lebten. 

Nicht daß die Juden immer Halbbürger gewesen wären, weil 
man sie nicht für voll ansah und sie deshalb zurücksetzen wollte. 
Ira Altertum waren sie vielmehr oft geradezu „privilegiert“, mit 
Vorrechten ausgestattet, kraft deren sie nicht gezwungen werden 
konnten, bestimmte Funktionen im Staate auszuüben (wie den 
Kriegsdienst), oder kraft deren bestimmte Gesetze (wie die über 
Vereine und Versammlungen) ihnen gegenüber nicht in An- 
wendung kamen. Aber das hinderte nicht, daß sie doch eben 
nicht vollen Anteil an dem Leben des Staates nahmen, in dem 
sie lebten. Bestritten doch beispielsweise die Hellenen den in 
Caesaraea(!) (also in einer auf jüdischem Boden und von einer 


Digitized by t^ooQle 


357 


jüdischen Regierung geschaffenen Stadt) lebenden Juden das 
Bürgerrecht und Burnus (gest. 62), der Minister Neros 540 , gab ihnen 
Recht. Und während des Mittelalters änderte sich an diesem 
Zustand nur wenig. 

Ich meine nun, daß eine derartig von den Staaten der ver. 
schiedensten Art gleichmäßig geübte Politik ebenfalls wieder in 
der bestimmten Eigenart des jüdischen Volkes — vielleicht nur 
in ihrem strengen Religionsgesetz, wie wir es in einzelnen 
Fällen nachweisen können — seinen Grund haben mußte. 

Aber: allen Gewalten zum Trotz sich erhalten, versteht das 
Judenvolk seit ewigen Zeiten. Jenes wundersame Gemisch von 
Hartnäckigkeit und Schmiegsamkeit, das wir am Juden der Gegen- 
wart feststellen konnten, bildet den Grundzug seines Verhaltens 
während des ganzen Verlaufs seiner Geschichte. Ein wahrer 
Stehauf! Niedergestreckt und nach kurzer Zeit wieder fest auf 
den Beinen. Man denke nur an den Widerstand, den das jüdische 
Volk den römischen Kaisern zu leisten wußte, als diese alle 
Mittel anwandten, um es als selbständiges Volk zu vernichten: 
allen Maßnahmen der Regierung zum Trotz gibt es im 3. Jahr- 
hundert wieder einen Patriarchen in Jerusalem, der, wenigstens 
faktisch, die Jurisdiktion ausübt und — von der Regierung ge- 
duldet wird. Vom Altertum an durch das Mittelalter hindurch 
bis in die neueste Zeit hinein fassen die andern Völker ihr 
Urteil über die Juden in dem Wort zusammen : er ist hartnäckig 
(zäh) wie ein Jude: „ostinato come un ebreo“. 

Am wunderbarsten hat sich diese Eigenart der Juden, 
schmiegsam und doch zäh zugleich zu sein, in dem Verhalten 
fremden Regierungen gegenüber in Sachen der Religion bewährt. 
Ihr hatten sie ja die meisten Anfeindungen, die meisten Ver- 
folgungen zu danken. Und doch wollten sie ihre geliebte Re- 
ligion nicht aufgeben. Da verfielen viele von ihnen auf den Aus- 
weg: so zu tun als ob sie ihre Religion abgeschworen hätten und 
ihr im geheimen doch anzuhängen. (Wir kennen dieses Ver- 
halten aus der Zeit der Marranen, hier wollen wir feststellen, 
daß es so alt wie das Leben in der Diaspora ist. 

Das massenhafte Auftreten der jüdischen Scheinheiden, 
Scheinmuhamedaner und Scheinchristen ist ein so fabelhaftes, 
so ganz einziges Ereignis in der Menschheitsgeschichte, daß man 
immer wieder staunen muß, wenn man davon liest und hört. 


Digitized by 


Google 



358 


Zumal wenn man die besonderen Umstände bedenkt, unter denen 
dieses Scheintum betrieben wurde : daß es oft genug gerade sehr 
fromme Juden, daß es die offiziellen Vertreter des jüdischen 
Glaubens waren, die sich dieses Auskunftsmittels bedienten, um 
sich am Leben zu erhalten. 

Angefangen bei jenem R. Eliesar b. Parta, der unter Hadrian 
als Scheinheide sich betätigte 641 , bis zu jenem bekannten Ism&el 
Ibn Nagrela, der als Rabbiner Samuel Vorträge über den Talmud 
hielt, eine Methodologie schrieb, gutachtliche Bescheide auf 
religiöse Anfragen erstattete und als Wesir des muselmanischen 
Königs Habus die Erlasse mit den Worten Chamdu - 1 • Illahi er- 
Offnete und am Schlüsse diejenigen, an welche die Regierungs- 
Schreiben gerichtet waren, ermahnte, ferner nach der Vorschrift 
des Islams zu leben 646 ; bis zu dem großen Maimuni, der sein 
Scheinmuhamed anertum mit guten Gründen glaubte rechtfertigen 
zu können 648 ; bis zu dem falschen Messias Sabbatai, der Muhamed 
bekannte, ohne daß sein Ansehen bei den Gläubigen verringert 
wurde; von dem neapolitanischen Juden Basilus an, der seine 
Söhne zum Scheine taufen ließ, um unter ihrer Firma den 
Sklavenhandel weiterzuführen 644 (der den Juden verboten wurde), 
bis zu den Tausend und Abertausend Marranen, die seit den Juden- 
verfolgungen auf der Pyrenäenhalbinsel sich als Christen ausgaben 
und doch bei der ersten günstigen Gelegenheit zu ihrem alten 
Glauben zurückkehrten : welch sonderbarer Reigen von Menschen, 
in denen sich höchste Hartnäckigkeit mit höchster Schmiegsam- 
keit vereinigten! 

Wir sahen: viele der jüdischen Eigenarten kamen erst in 
der Diaspora zu voller Entfaltung. Läßt sich nun aber 

2. das Phänomen der jüdischen Diaspora selbst 
restlos aus äußeren Umständen, aus erduldetem Schicksal er- 
klären? Bezeugt es nicht selbst wieder eine besondere Eigenart? 
Anders gewandt: würde jedes beliebige andere Volk in gleicher 
Weise haben über den Erdball zerstreut werden können? Da die 
Versprengung schon zu Beginn unserer Zeitrechnung vollendet war, 
so ist die Frage mit Rücksicht lediglich auf die Juden des alten 
Palästina zu beantworten. Daß diese zu einem guten Teile gewalt- 
sam aus ihren Sitzen verdrängt und von dem Eroberer gewaltsam 
in die Fremde verschleppt oder, wenn man die mildere Ausdrucks- 
weise vorzieht: in fremde Länder angesiedelt wurden, ist bekannt. 


Digitized by 


Google 



859 


Wir wissen von Tiglat-Pilesser, der Trupps jüdischer Bevölkerung 
in Medien und Assyrien ansiedelte; ebenso wie ja ansehnliche 
Teile der Judenschaft zwangsweise nach Babylon ins Exil geführt 
wurden. Ebenso bekannt ist es, daß Ptolemäus Bagi Tausende 
von Juden aus Palästina nach Ägypten eingeschleppt und wiederum 
einen Teil der ägyptischen Juden als Kolonie nach Cyrene ver- 
setzt haben soll, bekannt, daß Antiochus der Große 2000 jüdische 
Familien aus Babylonien holte, um sie im Inneren Kleinasiens, 
Phrygien und Lydien anzusiedeln. Mommsen nennt die Juden- 
ansiedlungen außerhalb Palästinas geradezu „eine Schöpfung 
Alexanders oder seiner Marschälle“. 

Man könnte nun versucht sein, wenigstens in diesen Fällen, 
in denen die Juden ohne oder gegen ihren Willen irgendwo an- 
gesiedelt wurden, eine rein äußerliche Schicksalserzwingung zu 
erblicken, die unabhängig von jeder Eigenart des jüdischen Volkes 
sich vollzogen hätte. Aber das wäre ein übereiltes Urteil. Man 
sollte vielmehr das bedenken: hätten die Juden nicht besondere 
Eigenschaften besessen, so hätte man sie aller Wahrscheinlich- 
keit nach nicht verpflanzt. Diese Ansiedlungen hatten doch nur 
einen Sinn, wenn sich die Gewalthaber von ihnen einen Vorteil 
versprachen: für das Land, aus dem man die Juden fortführte 
oder (meist wohl) für das Land oder die Stadt, in die man sie 
versetzte. Man mußte sie in ihrem eigenen Lande fürchten als 
Unruhestifter, oder man mußte sie schätzen als reiche oder betrieb- 
same Bürger, mit deren Hilfe man einer Neuansiedlung zum 
Aufschwung verhelfen wollte, wenn nicht besondere Gründe einen 
Fürsten zur Deportation bestimmten, wie etwa den Ptolemäus 
Lagi, der ägyptische Juden (wie schon erwähnt wurde) als Kolonie 
nach Cyrene schickte, um durch ihre Anhänglichkeit seine Herr- 
schaft über Cyrene zu befestigen. 

Eine ähnliche Erwägung läßt uns auch dort ein subjektives 
Moment volklicher Eigenart in die Kausalkette einschieben, wo 
die Juden Palästina etwa aus einer Art von ökonomischem 
Zwange verließen: weil der Nahrungsspielraum zu klein wurde 
für die an wachsende Bevölkerung: ein Motiv der Abwanderung 
und also eine Ursache der Diaspora, die angesichts der Natur 
Palästinas gewiß recht häufig gewesen ist. Aber damit es zu 
dieser Zwangslage kam, war schon eine volkliche Eigenart 
Voraussetzung: die starke Bevölkerungszunahme (die bekannt- 


Digitized by t^ooQle 



360 


lieh ebenso sehr physiologischen wie psychologischen Momenten 
ihre Entstehung verdankt). Und daß die Zwangslage zur 
Abwanderung führte, setzte erst recht wieder eine volkliche 
eigenartige Veranlagung voraus. Man hat die Juden oft mit den 
Schweizern verglichen. Gewiß, auch die Schweizer wandern 
so viel aus, weil die Schweiz keine große Bevölkerung ernähren 
kann. Aber sie wandern doch vor allem aus, weil sie Schweizer 
sind, weil sie die Energie haben, sich aus eigener Kraft in eine 
bessere Lage hinüber zu retten. Der Hindu wandert halt nicht 
aus, sondern begnügt sich mit einer kleineren Portion Reis, wenn 
die Bevölkerung anwächst. 

Es wäre nun aber grundeinseitig , wollte man die alte 
und dauernde Abwanderung der palästinensischen (wie später 
wiederum der außerhalb Palästinas lebenden) Juden in allen 
Fällen als eine erzwungene ansehen. Solch ein allgemeines, 
durch die Jahrhunderte sich gleich bleibendes Phänomen ist 
gai* nicht zu erklären, ohne daß man auch selbst gewollte Be- 
wegungen neben der zwangsweisen Verpflanzung annimmt. Ob 
man hier einen spezifischen „Wandertrieb“ oder wenigstens eine 
gering entwickelte Bodenständigkeit als Grund des häufigen Orts 
Wechsels denken will, bleibt sich gleich. Eine irgendwie be- 
stimmte Eigenart wird man aber schon dem Volke, das so leicht 
von Land zu Land zog, zuerkennen müssen. Ebenso wie es ohne 
die Voraussetzung einer solchen Eigenart unerklärlich blieb, 
warum die Wanderungsziele eine so große Übereinstimmung 
aufweisen: warum es immer nur die großen Städte waren, in 
die wir schon im Altertum die Juden einziehen sehen. Herz- 
f eld , der vielleicht die vollständigste Liste der Judenansiedlungen 
in der hellenistischen Zeit aufgestellt hat, weist mit Recht auf 
die frappante Tatsache hin, daß von den aufgezählten Orten 
52 Städte und unter diesen wieder 89 blühende Handelsstädte 
gewesen seien 646 . 

Schon diese letzten Erwägungen haben uns gezeigt, daß 
die jüdische Eigenart sicher nicht erst etwa in der Diaspora 
(oder gar erst, wie die offiziös-jüdische Geschichtschreibung an- 
nimmt, während des europäischen Mittelalters) ausgebildet worden 
ist, sondern daß die Diaspora selbst ein Werk dieser Eigenart 
ist, die also schon vorher — wenigstens im Keim — vorhanden 
sein mußte. Ganz dasselbe gilt aber auch von einem anderen 


Digitized by t^ooQle 



361 


wichtigen Symptomkomplexe, an dem wir jüdische Wesenheit 
studieren können: 

8. von der Religion. 

Wenn man gesagt hat: der Jude, wie er heute sich uns 
darstellt, sei ein Erzeugnis seiner Religion; es sei ersichtlich, 
wie sehr der Jude erst zum „Juden“ gemacht worden, künst- 
lich gemacht (sozusagen), und zwar durch die bewußte, voll 
berechnende Politik einzelner Kreise und einzelner Männer 
und im Gegensatz zu jeder „organischen Entwicklung“, so 
gebe ich das gewiß zu, und meine eigenen Darlegungen in dem 
Kapitel, das die jüdische Religion behandelt, haben den Zweck 
gehabt , den großen Einfluß aufzudecken , den die jüdische 
Religion insbesondere auf das wirtschaftliche Verhalten der 
Juden ausgeübt hat. Aber : ich möchte doch hier jener 
Chamberlainschen Auffassung gegenüber mit Entschieden- 
heit betonen: daß jene Religion selber in ihrer ganzen Ab- 
sonderlichkeit nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht eine 
bestimmte Eigenart sie getragen hätte. Daß jene einzelnen 
Männer und einzelnen Kreise so wundersame Gedankengebilde 
erzeugen konnten, setzt doch bei ihnen eine geistige Eigenart 
voraus, und daß sich das ganze Volk von ihren Lehren gefangen 
nehmen ließ, sie nicht nur äußerlich, sondern mit tiefer Inbrunst 
in seinem Innersten anerkannte : auch das ist doch nicht denkbar 
ohne die Annahme, daß die Keime, die Anlagen zu der später erst 
freilich ausgeprägten Eigenart im Volke schlummerten. Wir können 
uns heute doch nicht mehr von der Anschauung freimachen, daß 
jedes Volk diejenige Religion auf die Dauer hat, die seinem 
Wesen entspricht (und daß es eine andere Religion solange um- 
gestaltet, bis sie ihm angepaßt ist). 

Man wird also, denke ich, ohne Bedenken aus der Eigenart 
der jüdischen [Religion auf die volkliche Eigenart der Juden 
zurückschließen dürfen. Und eine ganze Reihe der heute wahrnehm- 
baren Züge lassen sich damit in sehr frühe Zeit hinauf verlegen, 
mindestens in die Zeit bald nach dem babylonischen Exil. Daß 
ich dabei an den Inhalt der Legenden dächte und etwa nach 
Art der Verfasser [antisemitischer Katechismen aus der zum 
Teil recht [bedenklichen Isac • Esau - Jakob • Erzählung und ihren 
unterschiedlichen Schwindeleien eine „Neigung des jüdischen 
Volkes zu betrügerischer Handlungsweise“ ableitete, wird man 


Digitized by 


Google 



362 


mir hoffentlich nicht Zutrauen. Schwindeleien gehören zu dem 
eisernen Bestände aller Mythologien, scheint es. Wenn wir 
unsere Blicke auf den Olymp oder nach Walhall richten , sehen 
wir dort selbst die Götter sich gegenseitig auf die allemieder- 
trächtigste Weise beschwindeln, wie es die jüdischen Erzväter 
gar nicht besser gekonnt hätten. Nein : ich denke an die Grund- 
Züge des jüdischen Religionssystems, wie ich sie dargelegt habe, 
und finde, daß sie auch die Grundzüge des jüdischen Wesens 
enthalten, daß vor allem'Intellektualismus, Rationalismus, Teleo- 
logismus beiden gemein sind, daß wir in ihnen also Eigenarten 
des jüdischen Volkes erblicken müssen, die vor der Ausbildung 
seines Religionssystems (ich wiederhole: im Keime wenigstens) 
vorhanden sein mußten. 

Wenn ich nunmehr als ein Symptom für die Konstanz 
jüdischen Wesens 

4. die auffallende Gleichheit ihrer wirtschaft- 
lichen Tätigkeit 

durch fast alle Jahrhunderte der Geschichte aufzuführen wage, 
so setze ich mich damit in einen Gegensatz mit den herr- 
schenden Meinungen. Und zwar nicht nur mit deijenigen An- 
sicht, die einen Wandel der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden 
im Verlauf der Jahrhunderte annimmt, sondern auch mit der- 
jenigen, welche die auch von mir behauptete Gleichheit gelten 
läßt — deshalb, weil ich eine andere wirtschaftliche Tätigkeit 
in der jüdischen Geschichte sich wiederholen sehe als die bis- 
herige Meinung glaubte. 

Dieses aber ist der heutige Stand des Wissens (und 
Glaubens 1) vom Werdegang der jüdischen Wirtschaftsgeschichte. 

Diejenige Auffassung, die man als die assimilationsjüdisch- 
offiziöse bezeichnen kann, die aber auch von vielen national- 
gesinnten Juden vertreten wird, und die, soviel ich sehe, auf 
Heinrich Heine zurückgeht, ist etwa diese: die Juden sind 
von Haus aus ein ackerbautreibendes Volk ; auch in der Diaspora 
(selbst noch nach der Zerstörung des Tempels) widmen sie sich 
dem Ackerbau und meiden alle anderen wirtschaftlichen Tätig- 
keiten. Da ereignet sich etwa im 6. oder 7. Jahrhundert nach 
Christi Geburt, daß sie gezwungen werden, ihren Landbesitz zu 
verkaufen. Sie müssen sich nun wohl oder übel nach neuen 
Erwerbsquellen umsehen und wählen den Warenhandel als Er- 


Digitized by 


Google 



363 


satz für die ihnen versperrte Landwirtschaft Ein halbes Jahr- 
tausend etwa betätigen sie sich als Warenkaufleute. Da trifft 
sie abermals ein vernichtender Schlag: durch die in den Kreuz- 
zügen angefachte Bewegung gegen die Juden wird die Stimmung 
auch in Kaufmannskreisen eine juden-feindliche ; die nationalen 
Kaufmannschaften, die inzwischen erstarkt sind und sich zu 
Verbänden zusammengetan haben, schließen die Juden vom 
Markte aus, den sie für ihre Korporationen monopolisieren. Die 
Juden, abermals ihrer Erwerbsquellen beraubt, sind abermals 
genötigt, sich eine neue zu erschließen oder richtiger: die einzige 
zu wählen, die ihnen überhaupt noch offen steht: sie werden 
Geldleiher und bald privilegierte Geldleiher infolge der sie be- 
günstigenden Zins- und Wuchergesetze. 

Nach einer anderen Ansicht, die namentlich unter den nicht- 
jüdischen Historikern, aber doch auch bei jüdischen Geschicht- 
schreibern (wie z. B. Herzfeld) verbreitet ist, sind die Juden ein 
von Haus aus dem (Waren-)Handel zugeneigtes und ergebenes 
Volk, also nicht eigentlich ein ackerbauendes, sondern ein 
„Handelsvolk“, das sich, wo es immer nur konnte, dem Handel 
zugewandt hat: seit Salomos Zeiten durch alle Epochen der 
palästinensischen Geschichte und durch alle Wandlungen der 
Diaspora hindurch bis auf unsere Tage. 

Beide Auffassungen, wie gesagt, halte ich für falsch, 
mindestens für einseitig, und versuche das durch einen Über- 
blick über den Verlauf der jüdischen Wirtschafts- 
geschichte zu erweisen. 

Das Bild, das uns die Wirtschaft des jüdischen Volkes 
seit der Königszeit bis zum Ende der nationalen Selbständig- 
keit und wohl bis zur Kodifikation des Talmud darbietet, ist 
das einer wesentlich sich selbst genügenden Volkswirtschaft, 
die Überschüsse des Bodens an das Ausland abgibt und deren 
einzelne Wirtschaften entweder ebenfalls ihren gesamten Bedarf 
selbst erzeugen oder durch einfachen Güteraustausch mit- 
einander verbunden sind. Die Organisationstypen, denen wir 
begegnen, sind also: Eigenwirtschaft mit angegliedertem Lohn- 
werk, erweiterte Eigenwirtschaft (Fronhofwirtschaft) und Hand- 
werk. Wo sie vorherrschen, ist eine rege Handelstätigkeit, 
ist vor allem ein berufemäßiger Handel in enge Schranken ge- 
bannt. Und wenn man namentlich in der Königszeit (später soll 


Digitized by 


Google 



364 


der Handel wieder abgenommen haben I) Palästina von Kaufleuten 
aller Art erfQllt sieht, so beruht das offenbar auf einer Verkennung 
der Salomonischen Wirtschaft, die ganz deutlich sich als ein 
System großer Fronhofwirtschaften darstellt (nach Art etwa der 
Villen Karls des Großen) und natürlich beträchtliche Güter- 
bewegungen notwendig machte, die aber ganz und gar nichts 
mit „ Warenhandel“ zu tun hatte. „Und die Amtleute — wir 
würden genauer sagen: Meier = villici — die über Salomos Ge- 
schäfte waren, deren waren 560. Und Salomo machte auch Schiffe 
zu Ezeon-Geber, die bei Eloth liegt. Und Hiram sandte seine 
Knechte im Schiff, die gute Schiffsleute und auf dem Meere er- 
fahren waren, mit den Knechten Salomos. Und kamen gen 
Ophir und holten daselbst 420 Ztr. (Talente) Gold und brachten 
es dem König“ (1. Reg. c. 9). „Und man brachte dem Salomo 
Pferde aus Ägypten und allerlei Ware; und die Kaufleute des 
Königs kauften dieselbige Ware“ (1. Reg. c. 10). Diese und 
ähnliche Stellen, aus denen man rege „internationale Handels- 
beziehungen“, sogar eine „Monopolisierung des Handels“ heraus- 
gelesen hat 1 , erklären sich zwanglos, wenn man sich die kaiser- 
liche Haushaltung als Fronhofwirtschaft großen Stiles vorstellt, 
die ihre Amtmänner mit eigenen Schiffen (in Begleitung anderer 
großer Fronhofbesitzer) in die Fremde schickte, um für den 
eigenen Bedarf (kauf- oder tausch- oder zwangs- oder geschenk- 
weise) Güter herbeizuholen. Die durchaus eigenwirtschaftliche 
Struktur der Königswirtschaft erscheint auch besonders deutlich, 
wo uns der Tempelbau beschrieben wird: Salomo sendet zu 
Hiram, dem König von Tyros und läßt ihm sagen: „So sende 
mir nun einen weisen Mann, zu arbeiten mit Gold, Silber, Erz, 
Eisen, Scharlachen, Rosinrot, gelber Seide. Und sende mir Zedern, 
Tannen und Ebenholz vom Libanon; denn ich weiß, daß deine 
Knechte das Holz zu hauen wissen auf dem Libanon. Und siehe 
meine Knechte sollen mit deinen Knechten sein. Und siehe, 
ich will den Zimmerleuten deiner Knechte, die das Holz hauen, 
20000 Kor gestoßenen Weizen und 20000 Kor Gerste und 
20000 Bath Weins und 20 000 Bath Öls geben“ (2. Chr. 2, 7 ff.). 
Ebenso paßt es durchaus in das Bild einer großen Fronhof- 
organisation hinein (und beweist gar nichts für eine rege Handels- 
tätigkeit), wenn es (2. Chr. 8, 4) heißt : Salomo baute Thadmor in 
die Wüste und alle Kornstädte (Magazine), die er baute in Hemath. 


Digitized by 


Google 



365 


(Wie aus dem Cap. de villis abgeschrieben, mutet 1. Sam. 8, 
1 lff. an.) 

Aber auch keine einzige der Quellenstellen, aus denen man 
für eine spätere Zeit auf „ausgedehnten Handel“ glaubt schließen 
zu können, läßt diese Deutung zu. (Herzfeld, der diese 
Dinge am gründlichsten bearbeitet hat, begeht außer den Inter- 
pretationsfehlern noch viele Irrtümer bei der Datierung der 
Quellen: er hält im wesentlichen an der vorkritischen Chrono- 
logie der einzelnen Bibelbücher fest und verlegt deshalb die 
meisten Quellen in die vorexilische Zeit.) 

Was wir über die reichen Exulanten aus der Bibel erfahren 
(Esra 1, 4. 6; Zach. 6, 10 — 11), läßt uns doch ganz im ungewissen 
über ihre berufliche Tätigkeit und rechtfertigt doch sicher nicht 
den Schluß (Graetz), sie seien durch „Handelsbetrieb“ reich ge- 
worden. (Eher lassen schon die Keilschrifturkunden aus Nippur 
darauf schließen, daß es jüdische Großhändler in Babylonien ge- 
geben habe.) Aus ’ Ezech. 26, 2 Handelsneid der Phönizier 
herauszulesen und darauf die Hypothese einer vorexilischen 
„Handelsblüte im Großen“ aufzubauen, erscheint mir doch allzu 
kühn. 

Wie vorsichtig man sein muß, wenn man aus einer Be- 
merkung auf die Existenz eines berufsmäßigen Handels schließen 
will, beweist die oft verwertete Stelle Prov. 7, 19. 20, wo uns 
von den Machenschaften der ehebrecherischen Gattin berichtet 
wird: „Sprach das buhlerische Weib zum närrischen Jüngling: 
Komm, der Mann ist nicht daheim, er ist einen fernen Weg ge- 
zogen. Er hat den Geldsack mit sich genommen und wird erst 
auf das Fest wieder heimkommen.“ Kaufmann? Möglich. Aber 
ebenso gut konnte es ein Bauer sein, der seinen Pachtzins etwa 
an den entfernt wohnenden Yillicus abführen und bei dieser 
Gelegenheit ein Paar Ochsen einkaufen wollte. 

Dagegen bezeugen andere Stellen ganz deutlich auch noch 
für die spätere Zeit das Dasein fronhofartiger Organisationen. 
Wenn etwa Nehemia (Neh. 2, 8) für die Neuerbauung Jerusalems 
Briefe an Assaph, den Holzfürsten des Königs bekommt, daß er 
Holz gebe (oder wie De Wette übersetzt: „den Aufseher des 
kgl. Waldes“). Während wiederum andere Stellen, z. B. Lev. 19, 
35. 36, wo sich die oft herbeigezogenen Vorschriften des P über 
rechte Wagen, Maße und Gewichte finden, zum mindesten nichts 


Digitized by 


Google 



366 


gegen die Annahme einer vorwiegend eigenwirtschaftlichen Organi- 
sation beweisen. 

Natürlich gab es immer schon einen Güteraustausch und 
wohl auch schon zur Königszeit einen berufsmäßigen » Kaufmanns - 
stand“, richtiger „Krämerstand“. Wir erfahren von ihm, wenn 
der besiegte König Benhadad dem König Ahab anbietet, ihm 
Gassen (für Krämer) in Damaskus zu bauen, wie sein Vater in 
Samaria getan habe (1. Reg. 20, 34 siehe auch 1. Reg. 10, 
14. 25), oder wenn es ausdrücklich erwähnt wird, daß in dem 
neuen Jerusalem „zwischen dem Saal an der Ecke zum Schaftor 
die Goldschmiede und Krämer bauten“ (Neh. 3, 32). Wieso 
uns aber diese Mitteilung zeigen soll, „daß es in Jerusalem an- 
gesehene Kaufmannsgilden gab“ (Bert holet), ist nicht ein- 
zusehen. Man kann doch vielmehr die kleinen Budenbesitzer am 
Schaftor mit Händen greifen. 

Aber es gab wohl schon frühzeitig auch einen internationalen 
Güteraustausch auf dem Wege des Handels und vermutlich auch 
berufsmäßige „Großhändler“, die diesen Austausch vermittelten: 
das heißt im wesentlichen die überschüssigen Bodenerzeugnisse 
Palästinas wegholten und dafür Luxusware (?) hereinbrachten 546 . 
„Juda und das Land Israel haben auch mit dir — Tyros — 
gehandelt und haben dir Weizen von Minnith und Balsam und 
Honig und öl und Mastix auf deine Märkte gebracht“. Aber 
hier begegnen wir nun der merkwürdigen Tatsache, daß dieser 
wenige Handel größeren Stils nicht in den Händen jüdi- 
scher, sondern fremder Kaufleute lag, also vom Stand- 
punkt der Juden aus „Passivhandel“ war. „Es wohnten auch 
Syrer darinnen (in Jerusalem), die brachten Fische und allerlei 
Ware“. Wir sehen Karawanen durch Palästina ziehen: aber 
sie werden geführt nicht von Juden, sondern von Midianitern, 
Sabäern, Dedanitern, Nabatäem, Kedarenem und anderen Völ- 
kern 547 - Noch Ezechiel (26, 2) nennt Jerusalem „die Türe der 
Völker“, offenbar in Gedanken namentlich der Südvölker nach 
Tyros und Sydon. Selbst der Hausierhandel liegt zur Zeit der 
Proverbien noch in den Händen der Kanaaniter. Und wenn 
schon die Juden nicht einmal den Handel im eigenen Lande an 
sich zu ziehen gewußt hatten, so ist es nur natürlich, daß sie 
auch auf dem „Weltmärkte“ als Vertreter der internationalen 
Handelsbeziehungen in fremden Ländern während des Altertums 


Digitized by 


Google 



367 


keine* besonders hervorragende Rolle gespielt haben. Die „inter- 
nationalen Kaufleute“ des Altertums sind die Phönikier, die 
Syrer, die Griechen, aber nicht die Juden 648 . „Ausdrückliche 
Zeugnisse, daß die jüdische Emigration vorzugsweise eine handel- 
treibende war, fehlen fast ganz“ 649 . 

Angesichts so vieler übereinstimmender Zeugnisse sehe ich 
gar keinen Grund ein, weshalb wir die bekannte Stelle beim 
Josephus (contra Apion 1, 12) — „wir bewohnen kein Land 
am Meere und erfreuen uns nicht des Seehandels oder sonstigen 
Handels“ — für die Judenschaft der damaligen Zeit (mindestens 
für die noch ansässigen Juden Palästinas) als tendenziöse Über- 
treibung ansehen sollen. Die Aussage entspricht offenbar den 
Tatsachen. 

Und auch die folgenden Jahrhunderte brachten keine wesent- 
liche Wandlung dieses Zustandes. Auch im Talmud überwiegen 
die Aussprüche, die darauf schließen lassen, daß die handwerks- 
mäßig-eigenwirtschaftliche Organisation des jüdischen Wirtschafts- 
lebens, wenigstens im Orient, unverändert ^weiter bestand und 
daß von einer vorwiegenden „Handelstätigkeit“ gar keine Rede 
war. Zwar hören wir den Mann selig preisen, der ein „Gewürz- 
krämer“ werden kann 660 und nicht schwere Handwerkerarbeit 
zu verrichten braucht. Aber das ist doch eben das Los des 
Budikers, nicht des „Kaufmannes“. Dem „Handel“, zumal dem 
überseeischen, ist die Stimmung der Rabbinen nicht günstig. 
Manche verdammen geradezu alle marktmäßige Organisation und 
preisen die Eigenwirtschaft pur et simple : „R. Achai b. Joschiah 
sagte: Wem gleicht der, welcher Frucht vom Markte kauft? 
Einem Kinde, dem die Mutter gestorben ist ; man sucht mit ihm 
die Türen der Mütter auf, die ihre Kinder stillen und das Kind 
wird nicht gesättigt. Wer Brot vom Markte kauft, gleicht dem, 
der sich selbst ein Grab gräbt, in dem er begraben wird 661 .“ 
Rab (Abba) — 175 bis 247 — schärft seinem zweiten Sohne ein: 
lieber ein kleines Maß vom Felde als ein großes vom Söller 
(Warenlager) 669 . Die Rabbanen lehrten: an vier Perudas ist 
niemals ein Zeichen des Segens zu finden: „am Schreiberdienst, 
an der Dolmetschgebühr, am Verdienst aus Waisengeld und am 
Verdienst aus überseeischen Geschäften“. Für dieses 
wird als Grund angeführt: „weil nicht an jedem Tage ein 
Wunder geschieht“ 568 . 


Digitized by 


Google 



868 


Und wie gestalteten sich die Dinge nun im Okzident? Auch 
hier dürfen wir uns die „Handelstätigkeit* der Juden ganz und 
gar nicht großzügig vorstellen. Vielmehr erscheint der Jude 
(neben den „Syrer*) während der römischen Kaiserzeit und 
dann während der frühmittelalterlichen Jahrhunderte, wo er 
als Händler auftritt, als recht bescheidener, kleiner Packenträger, 
der den „königlichen Kaufleuten* des kaiserlichen Roms störend 
zwischen die Beine lief, wie der kleine polnische [Handels- 
mann des 17. und 18. Jahrhunderts den Kaufmannschaften 
unserer Länder. Alles was wir über jüdischen Warenhandel 
während des frühen Mittelalters erfahren, paßt in dieses Bild 
des kleinen Packenträgers sehr gut hinein. Und nichts berech- 
tigt für diese Jahrhunderte, die Juden als ein „Handelsvolk* 
anzusprechen, das sie zu keiner Zeit gewesen sind, in der der 
„Handel* — wenigstens der interlokale und (internationale 
Handel — den Charakter halb räuberischen, halb abenteuer- 
lichen Unternehmens trug: also bis in die allerletzte Zeit 
hinein. 

Also — so wird man vielleicht schließen — wenn die Juden 
kein „Handelsvolk“ waren, so haben die Vertreter der anderen 
Ansicht wenigstens damit Recht, daß sie ein „ackerbautreibendes* 
Volk waren. Darauf ist zu erwidern : gewiß, in dem Sinne, wie 
es oben ausgeführt wurde, daß die jüdische Volkswirtschaft 
während des ganzen Altertums und tief in das Mittelalter hinein 
ein eigen wirtschaftliches Gepräge trug (die Ausdrücke „Handels- 
volk“, „Ackerbauvolk“ usw., sind ihrer Unbestimmtheit wegen zu 
vermeiden; ich komme auf diesen Punkt noch zu sprechen). 
Ganz und gar nicht aber in dem anderen Sinn: als sei den 
Juden diejenige wirtschaftliche Tätigkeit, der man sie später 
fast ausschließlich obliegen sieht, und in die sie (nach assimila- 
tionsjüdisch-offiziöser Auffassung) wider ihren Willen hinein- 
gedrängt sein sollen: als sei die Geldleihe ihnen damals fremd 
gewesen. Im Gegenteil: und das ist die Tatsache, auf deren 
Feststellung ich das entscheidende Gewicht lege: seit wir eine 
jüdische Wirtschaftsgeschichte kennen, und solange wir sie durch 
die Jahrhunderte verfolgen können : immer nimmt die Geld- 
leihe in dem volkswirtschaftlichen Leben einen 
ganz großen, einen erstaunlich großen Raum ein. 
Sie begleitet die jüdische Volksgemeinschaft in allen Phasen 


Digitized by 



/ 


— 369 — 

ihrer Entwicklung: sie ist bei ihr in den Zeiten der natio- 
nalen Selbständigkeit, ebenso wie in der Diaspora ; sie schmiegt 
sich ebenso leicht (und wohl besonders gern) der bäuerlichen 
Eigenwirtschaft, wie allen andern Wirtschaftsweisen an. Und 
es sind Juden, die wir als Gläubiger finden. So wenigstens 
seit ihrer Rückkehr aus Ägypten. Während sie dort die Schuld- 
ner der Ägypter gewesen zu sein scheinen : sie nehmen bekannt- 
lich nach dem offiziellen Bericht, als sie aus Ägypten fliehen, 
die Darlehnssummen, die ihnen die Ägypter geliehen hatten, 
mit sich: „Und ich will diesem Volke Gnade geben vor den 
Ägyptern, daß, wenn Ihr ausziehet, nicht leer ausgehet". 
(Ex. 3, 21.) „Dazu hatte der Herr dem Volk Gnade gegeben 
vor den Ägyptern, daß sie ihnen leiheten; und entwandten es 
den Ägyptern“. (Ex. 12, 36.) Aber das wurde dann von Grund 
aus anders; es verkehrte sich in sein Gegenteil: Israel wurde 
der Gläubiger, und die fremden Völker wurden seine Schuldner. 
Sodaß sich der wunderbare Segen erfüllte, den man als Geleit- 
wort jeder jüdischen Wirtschaftsgeschichte voranstellen sollte, 
jener wunderbare Segen, in dem das ganze Schicksal des jüdischen 
Volkes wie in einem Sinnspruche ausgedrückt ist, das Wort 
Jahves: „Der Herr dein Gott wird dich segnen, wie er dir 
geredet hat. So wirst du vielen Völkern leihen und 
wirst von niemand borgen“. (Deut. 15, 6.) Bertholet 
macht zu dieser Stelle in seinem Deuteronomion-Kommentar die 
Anmerkung 664 : „weist auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund 
einer Periode hin, in der Israel als Handelsvolk über alle Welt 
verbreitet ist und tatsächlich durch seine Geldgeschäfte eine 
Macht auf Erden war“. Bertholet sieht (wie ich seiner freund- 
lichen brieflichen Mitteilung entnehme) in Deuteronomion 15, 4 — 6 
eine späte Einschaltung und würde, „gerade weil die Worte 
eine so große Verbreitung Israels vorauszusetzen scheinen, am 
ehesten in die griechische Zeit (also nach Alexander d. Gr.) 
hinabzugehen geneigt sein“. (Übrigens stimmt jetzt Marti in 
Kautzschs Bibelübersetzung 3 S. 266 mit dieser Ansicht überein.) 

Daß ich selbst für diese späte Zeit noch nicht recht an das 
über alle Welt verbreitete Handelsvolk der Juden glauben 
kann, habe ich schon gesagt. Um mich zu vergewissern, daß 
ich nicht etwa wichtige Quellenstellen übersehen habe, fragte 
ich bei Professor Bertholet an, worauf er sein Urteil gründe, und er 

Sombart, Dia Juden 24 


Digitized by t^ooQle 



370 


verwies mich auf Prov. 7, 19 f. ; 12, 11; 13, 11; 20,21; 23, 4 f.; 
24, 27; 28, 19, 20, 22. Jesus Sirach 26,29—27,2. 

Ich habe diese Stellen, die meist von den Gefahren des 
Reichtums handeln, schon in anderem Zusammenhänge besprochen 
und finde bei genauer Prüfung, daß keine einzige auf eine Handels- 
tätigkeit größeren Stiles hinwelst Daß Prov. 7, 19 f. auf einen 
reisenden Kaufmann gedeutet werden kann (aber nicht braucht), 
habe ich auch schon ausgeführt. Wenn wir von Tobit (auf den 
mich Professor Bertholet auch aufmerksam macht) erfahren, daß 
er des Königs Enemanassars „Einkäufer“ (ajopamr^) war und als 
solcher ein gutes Einkommen bezog, so läßt dieses Verhältnis 
gerade wieder auf fronhofartige Organisation schließen, die den 
berufsmäßigen Händler in sich selber nicht kennt. Der jüdische 
Kaufmann am Königshof von Adiabene, Ananias, den Josephus 
erwähnt, kann Händler, kann aber auch Hofjude gewesen sein. 
Wie ich denn natürlich nicht leugne, daß die Juden jederzeit 
namentlich in der Diaspora auch (internationalen) Handel ge- 
trieben haben. Nur daß dieser ihnen charakteristisch gewesen 
sei, glaube ich nicht. Charakteristisch war vielmehr das Leih- 
geschäft. Und für dieses wird gelten für jene Zeit, in die 
Deut. 15, 6 zu setzen ist, was Bertholet behauptet: daß damals 
Israel schon durch seine Geldgeschäfte eine Macht auf Erden war. 
Auch daß er in diesem Sinne das Strabocitat (Jos. Ant. XIV. 7, 2) 
deutet: „x<5iroc & ux ecrnv pa8fa>c s5psiv T7jc ofxoujjivrjc, 6c o& itapaWSsxTat 
toüto cpüXov, jiT|8* £7nxpaTeiTat öir’a&xou“, scheint mir durchaus be- 
rechtigt. Denn es wäre schwer zu sagen, worauf sich sonst das 
iiuxpaxsttat beziehen sollte, wenn nicht auf die Geldmacht der 
Juden, da ein anderes Herrschaftsverhältnis sich schwer bei ihnen 
ausfindig machen läßt. 

Die ältesten urkundlichen Belege für den hochentwickelten 
Leihverkehr im alten Israel enthält wohl die Strafrede 
Nehemias, die in ihren Hauptstellen (in De Wettescher Über- 
setzung, die Lutherische Übersetzung ist voller Ungenauigkeiten 
und in den Hauptpunkten geradezu ohne Sinn) also lautet: 
„Und es erhob sich ein großes Geschrei des Volkes und der 
Weiber gegen ihre Brüder, die Juden. Und es waren, welche 
sprachen: Unsre Söhne und unsre Töchter, unser sind viel: 
so laßt uns Getreide schaffen und essen, daß wir leben. 

„Und es waren, welche sprachen : Wir müssen unsre Felder 


Digitized by 


Google 



371 


und unsre Weinberge und unsre Häuser verpfänden, daß wir 
Getreide schaffen fQr den Hunger. 

„Und es waren, welche sprachen: Wir haben Geld entlehnet 
zu den Steuern für den König auf unsre Felder und unsre 
Weinberge. 

„Und doch ist es wie unsrer Brüder Leib unser Leib und wie 
ihre Länder unsre Länder. Und siehe, wir müssen unsre Söhne 
und unsre Töchter der Knechtschaft unterwerfen und wir haben 
kein Vermögen in unsem Händen und unsre Felder und unsre 
Weinberge gehören andern. 

„Da wurd ich sehr zornig, als ich ihr Geschrei hörte und 
diese Rede. Und mein Herz war ratlos in mir und ich haderte 
mit den Edeln und Vorstehern und sprach zu ihnen: Wucher 
treibet Ihr, einer mit seinem Bruder? Gebet ihnen doch zurück 
heute ihre Felder, ihre Weinberge, ihre ölgärten und ihre Häuser 
und den Hundertsten vom Gelde und vom Getreide und von 
dem öl, den Ihr ihnen vom Zins genommen.“ (Neh. 6, 5). 

Das Bild, das hier Nehemia entwirft, läßt an Deutlichkeit 
nichts zu wünschen übrig: das Volk geteilt in zwei Hälften: 
eine reiche Oberschicht, die sich mit Geldleihen beschäftigt, und 
eine ausgewucherte Masse Landarbeiter. Die „fremden Völker“ 
sind hier einstweilen die (wahrscheinlich) stammesfremden Volks- 
genossen im eigenen Lande. 

Dieser einheimische Kreditverkehr hat sich mm offenbar 
während der ganzen jüdischen Geschichte in Palästina und Baby- 
lonien (trotz Nehemia und anderen Reformern!) unvermindert 
erhalten. Dafür sind die Talmudtraktate ein bündiger Beweis. 
Denn in ihnen — namentlich natürlich in den verschiedenen 
Babas — spielt nächst dem Thorastudium nichts eine so große 
Rolle wie das Leihgeschäft. Die Vorstellungswelt der Rabbanen 
(die wohl in sehr vielen Fällen die Hauptgeldgeber waren): die 
Entscheidung des Rabina (des letzten Amoräers; 488 — 556) in 
Sachen des Fremdenzinses (B. m. fol. 70 b ) klingt geradezu wie 
die Erklärung eines Wuchermonopols für die Rabbanen: ist aus- 
gefüllt mit Geldgeschäften. Beispiele von Darlehnsgeschäften, 
Zinsformen usw. sind außerordentlich häufig; ebenso Diskussionen 
über Geld und Geldleiheprobleme. Jedem imbefangenen (und 
wirtschaftlicher Kenntnisse nicht ganz baren) Leser ergibt sich 

24* 


Digitized by 


Google 



372 


aus der Lektüre des Talmud der deutliche Eindruck: in dieser 
Welt wird viel Geld geliehen. 

In der Diaspora nimmt dann das Geldleihegeschäft offenbar 
erst recht seinen Aufschwung. Wie weit geregelt der Geld- 
verkehr der Juden in der ägyptischen Diaspora schon vier oder 
fünf Jahrhunderte vor der christlichen Zeit war, zeigt der Ox- 
forder Papyrus (Ms. Aram c 1 [P] 66ft ) „. . . . Sohn des Jatma . . . 
Du hast mir Geld gegeben / . . . . 1000 Segel Silber. Und ich 
will an Zinsen zahlen 2 hallur Silber / auf einen Segel Silber 
für den Monat bis zu dem Tage, an dem ich dir das Geld zurück- 
bezahle. Die Zinsen / für dein Geld sollen also 2000 hallur auf 
den Monat betragen. Zahle ich für einen Monat keine / Zinsen, 
so sollen sie zum Kapital geschlagen und gleichfalls verzinst 
werden. Ich will dir Monat für Monat bezahlen / von meinem 
Gehalte, das man mir aus dem Schatze auszahlt und du schreibst 
mir eine Quittung (?) über das ganze / Geld und die Zinsen, die 
ich dir zahlen werde. Erstatte ich dir dein ganzes / Geld nicht 
bis zum Monat Rot des Jahres .... zurück, so soll verdoppelt 
werden (?) dein Geld / und die Zinsen, die bei mir Zurückbleiben 
und es soll Monat für Monat mir zur Last verzinst werden / bis 
zu dem Tage, an dem ich es dir zurückzahle / Zeugen“ usw. usw. 

In der hellenistischen und kaiserlich-römischen Zeit begegnen 
uns die reichen Juden als die Geldgeber der Könige, und die 
ärmeren liehen in den Niederungen des Volkes. Jedenfalls ist 
damals in der römischen Welt schon von den jüdischen 
„Schachern“ die Rede 658 . 

Ebenso standen sie bereits in vorislamitischer Zeit bei den 
Arabern, denen sie gegen Zins liehen, in dem Rufe, daß ihnen 
„Schacher und Wucher“ im Blute lägen 667 . 

Und auch in den westeuropäischen Kulturkreis treten viele 
wohl von vornherein als Geldgeber ein. Wir hatten sie schon 
bei den Merowingischen Königen als Geschäftsträger und Finanz- 
verwalter (das heißt doch eben wesentlich als Gläubiger) ge- 
funden 668 . 

In Spanien aber, wo sie am freiesten sich betätigen konnten, 
ist frühzeitig das Volk ihnen verschuldet. Lange bevor es in 
den übrigen Staaten so etwas wie eine Juden (= Wucher) frage gab, 
sehen wir in Kastilien die Gesetzgebung sich mit dem Problem 
der Judenschulden befassen in einer Weise, die nicht im Zweifel 


Digitized by t^ooQle 



373 


läßt, daß das Problem bereits große praktische Bedeutung er- 
langt hatte 559 . 

Daß „seit den Kreuzzügen tt die Geldleihe den Hauptberuf 
der Juden bildet, wird von niemand bestritten. Sodaß wir also 
feststellen können : seitdem wir etwas vom jüdischen Wirtschafts- 
leben wissen, sehen wir in ihm eine hervorragende Rolle die 
Geldleilie spielen. 

Es wäre nun wirklich an der Zeit, daß die Mähr verschwände: 
die Juden seien während des europäischen Mittelalters — im 
wesentlichen erst „seit den Kreuzzügen“ — in das Geldleihgeschäft 
hineingezwungen worden, weil ihnen alle Berufe verschlossen 
gewesen seien. Die zweitausendjährige Geschichte eines jüdischen 
Leihverkehrs bis zum Mittelalter beweist doch wahrhaftig schon 
deutlich genug die Irrigkeit jener Geschichtskonstruktion. Aber 
selbst für das europäische Mittelalter und für die neuere Zeit 
ist noch nicht einmal durchgängig wahr, was die offiziöse Ge- 
schichtschreibung behauptet. Auch da war den Juden keines- 
wegs überall der Weg zu allen anderen Berufen außer dem 
„Wucher“ versperrt, und sie liehen doch mit Vorliebe auf 
Pfänder aus. Das hat Bücher z. B. für Frankfurt a./M. nach- 
gewiesen, und es läßt sich für andere Orte und Länder ebenso 
feststellen. Ja — was noch mehr für die natürliche Tendenz 
der Juden zum Geldleihegeschäft spricht — , wir erleben es im 
Mittelalter und später, daß die Regierungen sich geradezu be- 
mühen, die Juden anderen Berufszweigen zuzuführen, aber ver- 
geblich. So in England unter Eduard I. 660 , so im Posenschen 
noch im 18. Jahrhundert 551 , wo die Behörden durch Prämien 
oder andere Mittel die Juden zum Berufswechsel zu bestimmen 
suchten. Trotz dessen und trotzdem sie dort Handwerker und 
Bauern werden konnten wie alle anderen, finden wir 1797 in 
den Städten von Südpreußen 4164 jüdische Handwerker neben 
11 — 12000 jüdischen Handelsleuten (neben nur 17 — 18000 christ- 
lichen bei nur 5— 6°/o jüdischer Bevölkerung). 

Nun könnte man vielleicht einwenden: Das „Wuchern“ (die 
„Geldleihe“) brauche, auch wenn sie ganz freiwillig geübt wird, 
gar nicht einer besonderen volklichen Anlage zu entspringen, da 
„allgemein-menschliche“ Gründe — zur Erklärung — genug be- 
reit liegen. 

Überall, wo in einem Volke Leute mit großem Vermögen 


Digitized by t^ooQle 



374 


neben anderen Leuten leben, die aus irgendwelchen Gründen 
(sei es zu Konsumtion, sei es zu produktiven Zwecken) Geld 
nötig haben, wofern nur die primitivsten Bedingungen für die 
ordnungsmäßige Abwicklung eines Leihverkehrs in der Rechts- 
ordnung erfüllt sind, sind die beiden Gruppen der Bevölkerung 
stets in das Verhältnis von Gläubigem und Schuldnern zueinander 
getreten. 

Ja — wo auch überhaupt nur Reiche neben Armen gewohnt 
haben, selbst wenn es noch nicht einmal Geld in dem Lande 
gab, haben diese von ihnen — dann in natura — geborgt, ln 
den Anfängen der Kultur wohl ohne Zins zu zahlen, wo sich 
die beiden Gruppen noch als Genossen derselben Gemeinschaft 
fühlten. Später — und zwar erst im Verkehr mit Fremden — 
wird das zinstragende Darlehn in gewöhnlichen Gebraucbsgütera 
(wie Getreide, Vieh, öl) oder in Geld zu einer ständigen Ein- 
richtung jeder nur irgendwie besitzdifferenzierten Volkswirtschaft. 

Altertum, Mittelalter und Neuzeit sind gleichmäßig angefüllt 
mit Leihe und „Wucher“. Und beteiligt an ihnen sind An- 
gehörige der verschiedensten Volksstämme und der verschiedensten 
Religionen. Für das Altertum braucht nur an die großen Agrar- 
reformen in Griechenland und Rom erinnert zu werden , die uns 
deutlich zeigen, daß es in diesen Ländern zu bestimmten Zeiten 
genau so aussah wie in Palästina zur Zeit des Nehemia. Mittel- 
punkte des Geldleihe Verkehrs waren im Altertum die Tempel, in 
denen sich große Baarvorräte aufhäuften. Wenn der Tempel zu 
Jerusalem Geld auslieh — ob er es tat, läßt sich nicht einmal 
mit Sicherheit feststellen : der Talmudtraktat, der von den Tempel- 
steuem handelt (Sekalim) , verbietet sogar ausdrücklich , daß 
Überschüsse (einer bestimmten Opfergabe) zu Geschäften ver- 
wendet würden — , wenn der Tempel, sage ich, Geld auslieh, so 
tat er damit nichts anderes als was alle großen Tempel im 
Altertum taten. Von denen Babyloniens wissen wir, daß sie 
großen Geschäftshäusern glichen : der Marduktempel in Babylon, 
der Sonnentempel in Nippur. „Die als Zehnten zuströmenden 
Massen von Naturalien mußten, soweit sie nicht zu Opferzwecken, 
zur Speisung und Besoldung einer vielhundertköpfigen Priester- 
und Dienerschaft Verwendung fanden , nutzbringend angelegt 
werden, mittels Ankaufs von Häusern und Grundstücken, die 
dann vermietet, bezw. verpachtet wurden, mittels Verkaufs von 


Digitized by 


Google 



375 


Getreide und Datteln, aber vor allem Gelddarlehen, so daß die 
Tempel schließlich Bankhäuser wurden 66 8 . tt 

Dasselbe wird uns von dem Tempel zu Delphi berichtet®* 8 , 
von Delos, Ephesos, Samos. 

Ebenso bekannt ist es. daß im Mittelalter die christlichen 
Kirchen, Klöster, Stifte, Ordenshäuser ebenfalls Mittelpunkte 
eines lebhaften Geldleiheverkehrs waren (trotz Zinsverbotes!). 

Und wenn heute der Marschenbauer ein paar Hundert oder 
Tausend blanke Taler erübrigt hat, so weiß er nichts besseres 
damit anzufangen, als sie gegen „Wucherzinsen“ seinem be- 
dürftigen Nachbarn auf der Geest als Darlehn zu geben. 

Zinsen von ausgeliehenem Gelde zu beziehen, ist ein zu 
reizvolles und zu leichtes Mittel, sein Einkommen zu vergrößern, 
als daß es nicht von jedermann, der dazu imstande ist, gern an- 
gewandt werden sollte. Man braucht dazu wahrhaftig kein Jude 
zu sein. Zeiten akut gesteigerten Leiheverkehrs pflegen die- 
jenigen zu sein, in denen eine bis dahin wesentlich eigen- 
wirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft durch äußere Gründe 
in die Tauschwirtschaft hineingedrängt wird, namentlich wenn 
selbstgenügsame Bauern durch rasche Steigerung der Zinsen und 
Steuern zu großen Geldausgaben genötigt werden, während sie 
noch wenig verkaufen; oder wenn der Grundadel zu städtischer 
Lebensweise übergehen will: dann fehlen Baarmittel, die auf 
dem Wege der Anleihe beschafft werden müssen. Das sind dann 
die Zeiten, in denen „Kreditkrisen“ (und in der neueren euro- 
päischen Geschichte Judenverfolgungen) auszubrechen pflegen. 

Also: jeder der’s kann, „wuchert“ mit Freuden. Aber wenn 
nun vielleicht das „Mögen“ eine sehr weit verbreitete Erscheinung 
ist: ist dasselbe der Fall mit dem „Können“? Das führt mich 
zu einer neuen Erwägung: 

Daß die Konstanz jüdischen Wesens deutlich erkannt werden, 
kann aus ihrer 

t 

5. Begabung für Geldgeschäfte. 

Man weih, daß die Stadtherren und Stadtverwaltungen im 
Mittelalter die Juden oft genug geradezu anflehten : sie möchten 
doch ja in die Stadt „wuchern“ kommen. Sie sollten alle nur 
erdenklichen Vergünstigungen genießen. Angefangen von dem 
Bischof von Speier, der es für opportun erachtete, um seiner 
Stadt ein gewisses Cachet zu verleihen, eine Anzahl jüdischer 


Digitized by 


Google 



376 


Geldleute hereinzusetzen. Bis zu den förmlichen Verträgen, die 
die Stadtgemeinden Italiens noch im 15. und 16. Jahrhundert mit 
den angesehensten jüdischen „Wucherern“ abschlossen, damit 
diese eine Leihbank errichteten oder sonstwie auf Pfänder 
liehen. 

Nach Florenz wird in den Jahren 1436, 1437 eine Anzahl jüdischer 
Pfandleiher von der Stadtverwaltung gezogen, um der Geldnot der ärmeren 
Bevölkerung abzuhelfen. Avv. M. Ciardemi, Banchieri ebrei in Firenze 
nel secolo XV e XVL 1907. 

Als die Stadt Ravenna sich der Republik Venedig anschließen will 
(15. Jahrh.) und Bedingungen für ihren Anschluß stellt, verlangt sie u. a,, 
daß reiche Juden dahin geschickt werden, eine Leihbank zu eröffnen, damit 
der Armut der Bevölkerung gesteuert werde. Beilage bei Graetz, G. cL 
J. 8, 235. 

„Hatte man schon in der vergangenen Periode (bis 1420) ein be- 
deutendes Anwachsen der Geldgeschäfte bei den römischen Juden be- 
merkt, so nahmen dieselben, unter der Gunst der Verhältnisse, in diesem 
Zeitabschnitte (1420 — 1550) noch einen weit größeren Aufschwung. Es war 
sogar in Italien Brauch geworden , daß die einzelnen Kommunen mit den 
Juden wegen der Verleihgeschäfte förmliche Verträge und Abmachungen 
abschlossen.“ Nach Theiner, Cod. dipl. 3, 335; Paul Rieger, Gesch. 
d. J. i. Rom (1895), 114. 

Diese Vergünstigungen , die den jüdischen „Wucherern“ 
während des Mittelalters zuteil werden, legen die Vermutung 
nahe, daß doch auch irgendwie etwas persönlich Eigenartiges 
an diesen Juden gehaftet habe, weshalb man gerade sie und 
niemand anders in der Stadt als Pfandleiher haben wollte. 
Gewiß bevorzugte man sie, damit die Christenmenschen nicht 
mit der Sünde des Zinsennehmens befleckt wurden. Aber nur 
darum? Waren sie nicht auch die „geschickteren“ Geldmänner? 
Läßt sich überhaupt diese jahrhundertelange glückliche 
Leiherei, die immer wieder zu Reichtum führte, begreifen, ohne 
daß wir auch hier eine besondere Veranlagung bei denen, die 
sie übten, voraussetzen? Leihen ja: das kann jeder; aber er- 
folgreich leihen : das ist ohne bestimmte Geistes- und Charakter- 
eigenschaften nicht denkbar. 

Daß in der Tat hier bei den Juden das Geldverleihen mehr 
als das dilettantische Hingeben eines Darlehns und Hereinnehmen 
einer Zinssumme bedeutete, daß das Gelderleihen von den Juden 
zu einer Kunst ausgebildet worden war, daß sie wahrscheinlich 
die Begründer (sicher aber die Verwahrer) einer hochentwickelten 


Digitized by 


Google 



377 


Leihtechnik während all der Jahrhunderte sind, das lehrt auf 
das klarste ein Studium der Talmudtraktate, die von diesen 
weltlichen Dingen handeln. 

Es wäre wirklich an der Zeit — und ich hoffe, daß dieses 
Buch eine Anregung dazu bieten wird — , daß ein national- 
ökonomisch geschiffter Kopf einmal die wirtschaftswissenschaftlich 
bedeutsamen Teile des Talmud und der rabbinischen Literatur 
einer gründlichen Bearbeitung unterzöge. Hier kann und soll 
natürlich diese Arbeit nicht geleistet werden. Ich muß mich be- 
gnügen, auf die für eine ganz bestimmte Fragestellung wich- 
tigen Stellen kurz hinzuweisen, damit sie ein anderer dann um 
so leichter finden kann. Das heißt: ich will nur die Punkte 
zusammenstellen, die mir für ein ganz erstaunlich hohes Maß 
von Vertrautheit mit ökonomischen und insonderheit kredit- 
wirtschaftlichen Problemen zu sprechen scheinen. Wenn man 
die Zeit bedenkt, in der der Talmud entstanden ist (200 v. Chr. bis 
500 n. Chr.) und gegen ihn alles das hält, was uns das Altertum 
und das Mittelalter an nationalökonomischen Einsichten hinter- 
lassen haben, so kommt man aus der Verwunderung gar nicht 
heraus. Sprechen doch viele der Rabbanen , als hätten sie 
mindestens Ricardo und Marx gelesen, oder als wären sie ein 
paar Jahre als Broker auf der Stock exchange oder als Prokuristen 
in einer großen Spekulationsbank oder als Rechtsanwälte in 
Wucherprozessen tätig gewesen. 

Beispiele : 

a) Genaue Kenntnis von den Edelmetallen und ihrer 
Beschaffenheit: „R. Hisda sagte: Es gibt 7 Arten von 
Gold: Gold, gutes Gold, Ophir Gold (1. Reg. 10, 11), feines 
Gold (ib. 5, 18), gezogenes Gold, massives Gold und Parvajm 
Gold.“ Joma 45 a (L. G. 2, 881.) 

b) Die Einsicht in das Wesen des Geldes als eines „all- 
gemeinen Warenäquivalents“ ist vollkommen entwickelt. 
Man unterscheidet genau die beiden Edelmetalle : ob sie zu 
bestimmten Zeiten vollgültiges Währungsgeld waren oder 
nicht. Hierfür ist auf den ganzen 4. Abschnitt der Baba 
mezia zu verweisen. (Der Begriff des Geldes = all- 
gemeines Warenäquivalent wird entwickelt an dem Rechts- 
satze : daß der Kauf erst perfekt sei, wenn die Ware, nicht 
schon, wenn das Geld tradiert ist.) 


Digitized by t^ooQle 



378 


c) Vollkommen klar unterschieden werden die Kategorien des 
Konsumtiv- und Produktivkredits (der Zins für 
Darlehne zu produktiven Zwecken ist gestattet, der für 
Konsumtivkredit unter Genossen nicht). „Wenn jemand 
ein Feld von einem anderen für 10 Malter Weizen des 
Jahres (Pachtzins) pachtet (Sammter übersetzt , mietet*) ; 
darauf spricht er zu ihm (dem Verpächter): Borge mir 
200 Sus, ich will das Feld damit (besser) bestellen und gebe 
dir alsdann 12 Malter das Jahr, so ist das erlaubt. Aber man 
darf nicht mehr geben wollen beim Mieten eines Ladens 
oder Schiffes? Bemerkt Rab Nachm an (235 — 320) im 
Namen des Rabbah bar Abuha: Oftmals darf man beim 
Laden mehr geben, um dort Bilder anzubringen, oder beim 
Schiff, um einen Mastbaum aufzustellen. Ein Laden, um 
dort Bilder anzubringen — weil alsdann viele Leute 
dorthin kommen und er einen gröberen Gewinn 
erzielt. Ein Schiff, um einen Mast darin aufzustellen — 
weil, wenn der Mastbaum (das Takelwerk) gut ist, dann 
gibt es mehr Verdienst, und das Schiff wird 
mehr wert.“ B. m. 69 b (Übers. Sammter). VgL auch 
B. m. 73 a . 

d) Eine unheimlich hohe Entwicklung weisen Recht und 
Technik der Darlehnsvertrftge auf. Wenn man 
den 4. und 5. Abschnitt der Baba mezia durchliest, be- 
kommt man den Eindruck, als ob es sich etwa um eine 
Wucherenquete in Hessen vor zwanzig oder dreißig Jahren 
handelte: so tausendfältig sind die Kniffe und Pfiffe, die 
bei den Leihverträgen in Anwendung kommen. Eine hohe 
Technik des Leihverkehrs beweist auch die Einrichtung des 
Prosbul, wodurch man sich bekanntlich von der Verpflich- 
tung befreite, im Erlabjahr auf geliehene Gelder zu ver- 
zichten. Sebiith X. Abschnitt (L. G. 1, 273 t). 

e) Auch die Behandlung der Depotverträge ist eine 
merkwürdig sachkundige. „Wenn jemand Gelder bei einem 
Bankier aufzubewahren gibt, so darf sich dieser derselben (!), 
wenn sie zusammengebunden sind, nicht bedienen ; . . . sind 
sie aber lose, darf er sich ihrer bedienen; wenn sie nun 
verloren gehen, mub er dafür aufkommen. Bei einem 
Privatmann, so darf dieser weder ungebunden, noch lose 


Digitized by t^ooQle 



379 


sich derselben bedienen; gehen sie nun verloren, braucht 
er nicht dafür aufzukommen. Der Krämer gleicht dem 
Privatmann, so lehrt R. Meir (100 — 160); R. Jehuda 
(136 — 200) dagegen: der Krämer ist wie der Bankier an- 
zusehen . . .* B. m. 43 a (Übers. Sammter) usw. 
f) Mochte ich die starke rechnerische Begabung be- 
tonen, die sich deutlich bei den Talmudisten, aber auch 
schon früher bei den Juden nachweisen läßt. 

Jedermann müssen die exakten Zahlenbestimmungen , schon in der 
älteren Literatur (von der Bibel angefangen), auffallen. Al. Moreau de 
Jonn£s, Stat. des peuples de Pantiquitä 1 (1851), 98 meint im Hinblick 
auf die hervorragenden Leistungen der altjüdischen Statistik: „La race . . . 
possädait une capacitä singuli&re: Tesprit de calcul et pour ainsi dire le 
g6nie des nombres.“ Uber die Volkszählungen in der Bibel schrieb 
mit fachmännischem Urteil in neuerer Zeit Max Waldstein in der 
Statist. Monatsschrift, Wien 1881. 

Was mir aber ebeusosehr, wenn nicht mehr, als diese tief- 
gründigen Erörterungen der Rabbanen auf eine spezifisch jüdische 
Begabung für das Geld und Kreditwesen schließen läßt, ist der 
Erfolg, mit dem sie zu allen Zeiten ihre Geschäfte betrieben 
haben. Dieser Erfolg findet seinen imposanten Ausdruck in der 

6. Tatsache des jüdischen Reichtums. 

Es läßt sich mühelos feststellen, daß, solange es eine jüdische 
Geschichte gibt, die Anhäufung großer Reichtümer bei einzelnen 
Juden ebenso wie die durchschnittlich größere Wohlhabenheit 
der jüdischen Bevölkerung nicht bezweifelt werden kann, und daß 
zu allen Zeiten und in allen Kulturen der jüdische Reichtum 
gleichsam sprichwörtlich gewesen ist. 

Das fängt mit König Salomo an, der selbst unter den reichen 
orientalischen Fürsten durch seinen Reichtum berühmt war, 
wenn er auch nicht gerade aus glücklichen Geschäften seinen 
Reichtum aufgebaut hatte (obgleich man nie wissen kann!). 
Das ist der Fall während des babylonischen Exils und bald 
nachher. Wir erfahren aus den Berichten der Bibel, daß einzelne 
Exulanten nach kurzer Zeit in der Lage waren, Gold und Silber 
nach Jerusalem zu schicken (Zach. 6, 10, 11). Wir ersehen aus 
den Handelskontrakten der Nippurausgrabungen, daß die Juden 
während des Exils im Euphratlande eine hervorragende Rolle 
im Wirtschaftsleben spielten 564 . Wir wissen, daß die aus dem 
Exil Heimkehrenden große Vermögen nach Palästina zurück- 


Digitized by 


Google 



880 


brachten (Esra 1, 6—11). Berühmt wird später der Reichtum 
der Priester 665 . Auffallend ist die große Anzahl reicher und 
sehr reicher Männer unter den Talmudisten. Es läßt sich mühe* 
los eine Liste von mehreren Dutzend Rabbinen aufstellen, denen 
ein großer Reichtum nachgerühmt wurde. Würde man die 
reichen Talmudgelehrten den armen gegenüberstellen, so ergäbe 
sich — nach der Übersicht, die ich mir gemacht habe — ganz 
deutlich ein starkes Überwiegen der reichen 666 . 

Auch von den Juden in der hellenistischen Diaspora ge- 
winnen wir den Eindruck der Wohlhabenheit und des Reichtums. 
Wo Juden und Griechen nebeneinanderwohnen, sind jene an 
Besitz überlegen, wie in Caesarea 567 . Unter den Alexandrinischen 
Juden scheinen sich besonders viel reiche befunden zu haben: 
wir erfahren mehrfach von sehr reichen Alabarchen und sind 
den Alexandrinischen Juden schon an anderer Stelle als Geld- 
gebern der Fürsten begegnet.* 

Ebenso besitzen wir aus dem frühen Mittelalter eine Reihe 
von Zeugnissen, aus denen sich mit ziemlicher Sicherheit ent- 
nehmen läßt, daß viele Juden auch damals mit Glücksgütern reich 
gesegnet waren. Wir sehen sie in Spanien dem Reccared Geld 
bieten, damit er die Bestimmungen der lex vis. gegen die Juden 
rückgängig macht 668 . Wir erfahren aus vormuhamedanischer 
Zeit, daß die Araber sie wegen ihres Reichtums beneiden 56 °. 
Cordova zählte im 9. Jahrhundert „mehrere tausend (!?) wohl- 
habende“ Familien unter den Juden 670 . — Und so fort 571 . 

Für das spätere Mittelalter ist der Reichtum der Juden so 
allgemein anerkannt, daß es keiner besonderen Begründung erst 
bedarf 67 *. Und für die Zeit seit dem Ausgange des Mittelalters 
bis zur Gegenwart habe ich selbst eine Menge statistische Be- 
lege in diesem Buche beigebracht. 

Man wird also getrost sagen dürfen : von Salomo bis 
Bleichröder und Barnato zieht sich der jüdische Reichtum wie 
ein goldener Faden durch die Geschichte, ohne an einer Stelle 
abzureißen. Ist das Zufall? Und wenn wir das nicht glauben 
mögen: hat es in objektiven oder subjektiven Momenten seinen 
Grund? 

Um den Reichtum der Juden aus objektiven (äußeren) Um- 
ständen zu erklären, hat man auf die Tatsache aufmerksam 
gemacht, daß die Juden frühzeitig darauf hingewiesen wurden, 


Digitized by 


Google 



381 


im Gelde ihr höchstes Gut zu erblicken, und daß sie frühzeitig 
gezwungen wurden (wegen der Unsicherheit ihrer Lage), allen 
Reichtum nach Möglichkeit in leicht beweglicher Gestalt, also 
in Gold (Geschmeide) bei sich zu tragen, um ihn jederzeit ver- 
bergen oder mitnehmen zu können. So bedeutsam diese äußeren 
Umstände für die Entwicklung des jüdischen Reichtums gewesen 
sein mögen, so sind sie doch natürlich nicht hinreichend, diesen 
selbst zu erklären. Ich sehe ganz davon ab, daß jene äußere 
Lage, damit sie die genannte Wirkung ausüben konnte, Menschen 
ganz bestimmter Veranlagung treffen mußte (wie ich es für 
ähnliche Fälle schon ausgeführt habe); sehe davon ab, daß jene 
Tatsachen doch nur in der Diaspora wirken konnten : der wichtigste 
Einwand, der gegen die Stichhaltigkeit jener Beweisführung er- 
hoben werden muß, ist doch natürlich der, daß jene eigentüm- 
liche Lage nur den Wunsch der Juden, reich zu sein, erklärt 
(und außerdem die Vorliebe für eine bestimmte Form des Reich- 
tums). Daß aber der Wunsch in diesem Falle noch weniger als 
in anderen Fällen genügt, um auch seiner Erfüllung teilhaftig 
zu werden, ist — Gott seis geklagt — eine nur allzu bekannte 
Tatsache. 

Wir müssen also, wenn wir den jüdischen Reichtum er- 
klären wollen, nicht nach Gründen suchen, weshalb die Juden 
reich zu sein wünschen mußten (wer übrigens hätte diesen 
Wunsch auf Erden nicht, seit Alberich das Geld aus dem Rhein 
entwendete?!), sondern nach den Gründen, die sie befähigten, 
reich zu werden (oder reich zu bleiben). Da hat man denn oft 
mit Recht wiederum auf eine Eigenart der äußeren Lage hin- 
gewiesen, in der sich die Juden Jahrtausende lang befunden 
haben: daß sie nämlich infolge ihrer Zurücksetzung im bürger- 
lichen Leben viel weniger Geld auszugeben Veranlassung gehabt 
hätten als Christen in gleicher Vermögenslage. Ihnen sei der 
Begriff der standesgemäßen Lebenshaltung immer fremd geblieben 
und mit ihm „tausenderlei gemachte Bedürfnisse und Standes- 
notwendigkeiten.“ „Gewiß ist“, sagt ein Schriftsteller, der diesen 
Zusammenhängen mit feinem Gefühle nachgegangen ist 678 , „daß 
der Jude, gegen einen gleich vermögenden Christen gestellt, 
immer reicher werden muß, als dieser, da der Christ tausenderlei 
Mittel und Wege hat, von seinem Gelde zu verschwenden, die 
der Jude nicht zu betreten braucht, eben weil jener zur herr- 


Digitized by 


Google 



382 


sehenden und dieser zur tolerierten Klasse gehört. Bei den 
reich geborenen Juden aber treten wieder andere Verhältnisse 
ein : eben weil er keinen christlichen Standpunkt im gesellschaft- 
lichen Leben inne hat, so ist der Luxus, dem er sich ergeben 
kann, kein standesgemäßer Luxus". 

Sicher ist hier eine Wurzel des jüdischen Reichtums auf- 
gedeckt; wie denn dieses „unstandesgemäße" Leben des Juden 
Veranlassung zu mancher andern wichtigen Wirtschaftsgestaltung 
geworden ist. An ihm hat die antinahrungsmäßige , freikon- 
kurrenzliche Anschauung der Juden, der wir oben begegnet sind, 
sich gewiß ebenfalls entwickelt: jene modern bourgeoise Auf- 
fassung von der Wirtschaftsführung: daß man die Ausgaben 
nach den Kinnahmen zu richten habe, eine Auffassung, die ja 
aller feudalen Gesellschaft fremd ist. An ihr ist wohl auch die 
Kategorie des Sparens ausgebildet worden, das wir frühzeitig 
als eine von den Juden gern geübte Praxis erwähnen hören. 

Ein altes deutsches Sprichwort sagt schon: 

„Selten sind 7 Dinge: 

Eine Nonne, die nicht singe, 

Ein Mädchen ohne Liebe, 

Ein Jahrmarkt ohne Diebe, 

Ein Geißbock ohne Bart, 

Ein Jude, der nicht spart, 

Ein Komhaus ohne Mäuse, 

Und ein Kosak ohne Läuse.“ 

Aus ihm ist dann endlich wohl auch (als aus einer von 
vielen Wurzeln) die kapitalistische Akkumulation erwachsen: die 
Vermehrung des werbenden Vermögens aus den nicht verzehrten 
Teilen des Einkommens bei gleichzeitiger Erhaltung des kapita- 
listischen Betriebes. Was man in der Alltagsprache so aus- 
drückt: Das jüdische Geld bleibt länger im Geschäft und wächst 
rascher an als das christliche. Die Aufsaugung des Kapitals 
durch Seigneurialisierung und Feudalisierung der Lebensführung, 
also namentlich auch durch Erwerb von Landbesitz, war in früheren 
Zeiten bei den Juden nicht zu erwarten. Sparte also der Jude, 
so mußte er das Geld wieder dem Handel zuführen oder mußte 
es wenigstens doch als Rentenfonds im Darlehnsverkehr nützen, 
eine Anlage, die wir z. B. unter den Juden Hamburgs im 17. Jahr- 
hundert ganz allgemein verbreitet finden: Glückei von Hameln 
und ihre Freunde und Freundinnen, wenn sie irgend eine kleine 


Digitized by t^ooQle 


383 


Summe erübrigt haben, leihen sie „auf Pfänder“ (wie man sie 
heutzutage auf die Sparkasse bringt) aus. Das Geld „warb“ 
also weiter, konnte sich weiter vermehren. 

Aber so wichtig alle diese Beziehungen sind, sie festzustellen 
genügt nicht, um die Erscheinung des jüdischen Reichtums zu 
erklären. 

Zunächst muh wieder daran erinnert werden, daß auch die 
zuletzt besprochenen „äußeren Umstände“ — die übrigens nur 
in der Diaspora und selbst hier nicht ganz allgemein vorhanden 
waren — wirkungslos bleiben würden, wenn ihnen nicht eine 
bestimmte Eigenart der Menschen, die ihrer teilhaftig werden, 
entspräche. Daß ein Volk „sparsam“ wird, kann doch niemals 
ein äußerliches Schicksal allein bewirken. Das leuchtet ohne 
weiteres von selbst ein und wird zudem noch von ganz be- 
stimmten Erfahrungstatsachen bestätigt. Wir finden, daß heutigen- 
tags, nachdem der Ghettozwang längst beseitigt ist, nachdem auch 
den Juden der Weg zur Feudalisierung ihrer Lebensführung frei 
gegeben ist, daß auch heute noch die Juden als ein Ganzes 
sparsamer sind als die Christen. Folgende Ziffern erweisen das: 

Im Großherzogtum Baden stieg (nach dem Statist. Jahrb. 
für d. Grhzt. Baden) das Kapitalvermögen in dem Zeitraum von 
1895 bis 1903: 

bei Evangelischen von 100 auf 128,3 
„ Juden „ 100 „ 138,2 

obwohl im gleichen Zeitraum das Einkommen 
bei Evangelischen von 100 auf 146,6 
„ Juden „ 100 „ 144,5 

gestiegen war. 

Aber wie auch immer hier die subjektivistischen zu den 
objektivistischen Ursachen sich verhalten mögen: es bleibt doch 
vor allem zu bedenken, daß alle bisher angeführten Umstände 
immer nur geeignet sein konnten, vorhandenes Vermögen zu er- 
halten oder erworbenes rascher (durch Akkumulation) zu ver- 
mehren. Zu Reichtum würden die Umstände nicht führen können, 
weil dieser doch erst einmal erworben werden muß, ehe er 
erhalten und vermehrt werden kann. Und dazu gehört natürlich 
letzten Endes Talent, und wenn dieses in einer Bevölkerungs- 
gruppe so verbreitet ist wie bei den Juden, läßt es auf ein be- 
sonderes Wesen schließen. 


Digitized by 


Google 



884 


IY. Die rassenmiftige Begründung Yolklieher Eigenarten 

Das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen ist dieses : 
sehr wahrscheinlich ist der anthropologische Charakter der Juden 
ebenso wie ihr geistiges Wesen seit mehreren tausend Jahren 
konstant geblieben, weisen beide während einer sehr langen 
Periode, vielleicht sogar während der ganzen „historischen“ 
Zeit, ein bestimmtes, ein eisernes Gepräge auf. 

Was ist mit dieser Feststellung nun bewiesen? Etwa daß 
die geistige Eigenart der Juden rassenmäßig begründet sei? 
Die dogmatischen Vertreter des Rassenglaubens antworten: 
natürlich ja ; wir, die wir kritisch verfahren wollten, müssen ant- 
worten: nein — bewiesen ist noch gar nichts. 

Es verlohnt sich wohl, den Beweisführungen unserer 
„Rassentheoretiker“ nachzugehen, um zu sehen, wie alle ihre 
Behauptungen vollkommen in der Luft schweben; wie sie Sätze 
zweifelhaftester Gültigkeit mit einer Sicherheit aufstellen , die 
eben nur der durch keine Erkenntoisskrupel getrübte Glaube 
aufzubringen imstande ist. Die meisten Vertreter der „Rassen- 
theorie“ (ich brauche nicht immer zu betonen, daß ich damit 
nur diejenigen meine , die durch ihre voreiligen Schluß- 
folgerungen diese an sich höchst wertvolle Methode kompromittiert 
haben, nicht etwa alle diejenigen, die von der überragenden 
Bedeutung des „Rassenfaktors“ in der Geschichte überzeugt 
sind — zu diesen gehöre ich selber und ich glaube, daß gerade 
im Interesse einer wissenschaftlichen „Rassentheorie“ die unzu- 
längliche Art aufgedeckt werden muß, mit der bisher in zahl- 
reichen Fällen das Problem behandelt ist), alsdann (in diesem 
Sinne) : die meisten Vertreter der Rassentheorie geben sich nicht 
einmal die Mühe, einen a posteriori-Beweis für die Richtigkeit 
der von ihnen aufgestellten Behauptungen zu erbringen. Sie 
kommen vielmehr zu ihrer Einsicht auf ganz direktem Wege, 
vermittels des sehr einfachen Schlusses: Rassen haben eine 
spezifische geistige Eigenart — diese Bevölkerungsgruppe, also 
in unseren Falle: die Juden sind eine Rasse — , folglich haben 
die Juden eine rassenmäßig begründete Eigenart; oder: folglich 
ist die an den Juden heute festgestellte Eigenart in ihrer 
Rassenbesonderheit begründet. 

Es gilt nun mit aller Entschiedenheit auszusprechen, daß 
für die Richtigkeit dieses Satzes sich kein zwingender Beweis 


Digitized by t^ooQle 


885 


erbringen läßt. Seine beiden Teile: Ober* und Untersatz, ent- 
behren der Begründung. Über den Inhalt des Untersatzes : „die 
Juden sind eine Rasse“ habe ich mich schon geäußert. Er 
kommt hier aber gar nicht so sehr in Betracht angesichts der 
viel ernsteren Tatsache, daß wir, um die Richtigkeit des Ober- 
satzes : „bestimmte Rassen haben eine bestimmte geistige Eigen- 
art“ zu beweisen, einstweilen kein genügendes Beweismaterial 
besitzen. Wir müssen frank und frei bekennen: über den 
Zusammenhang zwischen bestimmten somatischen 
(anthropologischen) Merkmalen und dem psychischen 
Gehaben des Menschen — als Einzelwesen und somit 
auch als Gruppentyp — wissen wir schlechthin nichts. 

Man weiß, wie Linnö die Menschenrassen einteilte: 

Die vier Menschenrassen nach Lirmt 

I. Mensch (Homo sapiens). Erkenne Dich selbst. 

1. Homo diurnus, der Tagmensch; variierend durch Kultur 
und Wohnort. Vier Varietäten: 

a) Der Amerikaner (Americanus): Rötlich, cholerisch, gerade 
aufgerichtet. Mit schwarzen, geraden, dicken Haaren, 
weiten Nasenlöchern; das Gesicht voll Sommersprossen, 
das Kinn fast bartlos. Hartnäckig, zufrieden, frei; bemalt 
mit labyrintischen (dädalischen) Linien; regiert durch Ge- 
wohnheiten. 

b) Der Europäer (Europaeus) : Weiß, sanguinisch, fleißig. Mit 
gelblichen, lockigen Haaren, bläulichen Augen. Leicht 
beweglich, scharfsinnig, erfinderisch; bedeckt mit an- 
liegenden Kleidern; regiert durch Gesetze. 

c) Der Asiate (Asiaticus): Gelblich, melancholisch, zäh. Mit 
schwärzlichen Haaren, braunen Augen. Grausam, pracht- 
liebend, geizig. Gehüllt in weite Gewänder; regiert durch 
Meinungen. 

d) Der Afrikaner (Afer): Schwarz, phlegmatisch, schlaff. Mit 
kohlschwarzen, (contortuplicatis) Haaren, mit ganz glatter 
seidenartiger Haut (wie Samt), platter Nase, aufge- 
schwollenen Lippen; die Weiber mit Hottentottenschürzen 
und während des Säugens mit verlängerten Brüsten (feminis 
sinus pudoris, mammae lactantes prolixae). Schlau, träge, 
gleichgültig; mit Fett gesalbt; regiert durch Willkür. 

Sombart, Die Jaden 25 


Digitized by t^ooQle 



386 


Heute lächeln wir über diese Naivität. Aber haben wir 
das Recht dazu? Verfahren unsere „ Rassensystematiker “ nicht 
viel naiver, viel willkürlicher? Auch wenn sie mit noch soviel 
Schädelmaßen um sich werfen? Ist denn der Unfug nicht 
geradezu unerhört, der mit der Lang-Schädel-Kurz-Schädeltheorie 
getrieben worden ist und immer gelegentlich noch getrieben 
wird? Sollte man es überhaupt für möglich halten, daß allen 
Ernstes ein Zusammenhang zwischen Schädelform und Art und 
Maß der Kulturfähigkeit aufgestellt werden konnte, ohne die 
Probleme der Gehimanatomie und Gehirnfunktionen auch nur 
mit einem Gedanken in Rücksicht zu ziehen? Mit solchen 
Hypothesen: der Langschädel ist ein Herrenmensch, der Kurz- 
schädel ist ein Sklavenmensch, ging man ja, ohne es zu ahnen, 
weit hinter den alten Gail zurück. 

Nach den neuesten Untersuchungen Nyströms u. a. wird 
nun wohl der Lärm der Dolichozephalomanen etwas verstummen. 
Aber es hätte eigentlich derartiger Feststellungen nicht be- 
dürfen sollen, um die Windigkeit der Schädelkulturtheorien auf- 
zudecken. Man hätte den Herren einfach zurufen sollen: bitte, 
erbringt Ihr erst den Beweis, daß zwischen Schädelform (und 
natürlich ebenso zwischen Fußsohlen- und Nasenform: es gibt 
bekanntlich auch Nasen - Kulturtheoretiker) und menschlich- 
geistigem Wesen ein irgendwelcher Zusammenhang besteht. 

Oder soll man den Versuch eines solchen Beweises in 
den bekannten Worten Chamberlains erblicken: Den germa- 
nischen Langschädel habe „ein ewig schlagendes, von Sehn- 
sucht gequältes Gehirn aus der Kreislinie des tierischen Wohl- 
behagens hinaus gehämmert“ ? Zweifellos steckt in diesen 
Worten eine ganze Menge recht poetischen Empfindens, und 
niemand, der sich ein empfängliches Gemüt bewahrt hat, wird 
der eindrucksvollen Wucht dieses Gedankens sich entziehen 
können. Aber ein „Beweis“? Mit genau demselben Recht — 
wenn die neueren Untersuchungen richtig sind, wonach der 
Kurzschädel durch starke geistige Arbeit sich aus dem Lang- 
schädel herausbilden soll, sogar mit größerem Recht; es gibt 
jetzt in der Tat schon einen Brachyzephalen-Stolz ! — könnte 
ein Brachyzephalomane etwa sagen: „den von ungebändigten 
Naturtrieben nach vorn hinaus gedrängten Langschädel führt die 
gefestigte Geistigheit, die zur Harmonie durchgedrungene Seelen- 


Digitized by t^ooQle 



387 


haftigkeit des Edelmenschen an die jene in sich ruhende Wesen- 
heit gleichsam symbolisch ausdrückende Kreislinie des Rund- 
kopfes immer näher heran“. 

Oder ist das ein „Beweis“: Hier sehe ich eine Kultur, die 
mir wertvoll erscheint, als das Werk einer besonderen Rasse — 
sage der Germanen; dort sehe ich eine andere Kultur, die mir 
auch wertvoll erscheint ; Schluß : so kann sie nur das Werk von 
Germanen sein? Zwar erscheinen ganz anders geartete Völker 
als ihre Träger. Dann sind eben Germanen dort gewesen, die 
jenen den Kulturkeim eingeimpft haben. 

Sicher regt eine solche Schlußfolgerung Herz und Gemüt 
zu Freude und Befriedigung an. Sicher läßt sich in solcher 

Hypothese ein neuer „Glauben“, wennschon der alte Juden- 
oder Christenglauben nicht mehr verfängt, leidlich sicher ver- 
ankern — wie denn alle diese „Theorien“ von dem Kulturberuf 
einer „Edelrasse“ : die Ariertheorie, die Germanentheorie nichts 
anderes sind als eine dem „modernen“ Empfinden angepaßte 
Erneuerung des alten Glaubens an das auserwählte Volk Gottes. 
Sie sollen auch als solche unangefochten bleiben. 

Nur sollen sie nicht ein wissenschaftliches Mäntelchen um- 
hängen. Wissenschaft und Glaube sollen auch hier — im Inter- 
esse beider — hübsch getrennt bleiben. Wie wir die Schöpfungs- 
geschichte der Genesis oder die Himmelfahrt Christi mit in- 
brünstigem Herzen glaüben mögen, ohne doch den Anspruch 
zu erheben, daß in jenen Erzählungen wissenschaftliche Erkennt- 
nisse der Erdentstehung oder der Sternenwelt enthalten seien; 
ebenso sollen die Langschädelgläubigen oder die Germanen- 
gläubigen ruhig bei ihrem Glauben verharren, sie sollen nur 
nicht die Kreise der Wissenschaft stören dadurch, daß sie be- 
haupten: ihre Annahmen seien aus wissenschaftlicher Erkennt- 
nis hervorgegangen oder hätten überhaupt etwas mit Wissen- 
schaft zu tun. 

Aber auch wenn die Vertreter der traditionellen Rassen- 
theorie sich zu einer Art von empirischem Beweise verstehen, 
ist ihre Beweisführung ganz und gar nicht schlüssig. Sie pflegen 
nämlich als Argument für die rassenmäßige Verankerung der 
geistigen Eigenart eines Volkes deren Konstanz anzuführen und 
glauben, ihren Beweis lückenlos geführt zu haben, wenn sie die 

25 * 


Digitized by t^ooQle 


888 


volkliche Eigenart etwa bis in die Anfänge der Geschichte oder 
gar bis in die Sage oder Mythologie hinauf verfolgen können. 

Die Schilderungen der Gallier bei Cäsar, der Germanen bei 
Tacitus haben schon oft genug herhalten müssen, um gewisse 
Züge des französischen oder deutschen Volkes in der Gegenwart, 
die mit den Charakterzeichnungen jener römischen Schrift- 
steller übereinzustimmen scheinen, in einer rassenmäßigen Ver- 
anlagung zu begründen. Dasselbe Verfahren hat man natürlich 
auch bei den Juden angewandt. 

Demgegenüber ist nun zu betonen, wie ich es vorhin schon 
getan habe, daß auch der Nachweis einer sehr langen Konstanz 
gewisser geistiger und körperlicher Merkmale durchaus noch 
nicht die Annahme einer blutsmäßigen Verankerung der geistigen 
Eigenart rechtfertigt. Denn da wir, wie gesagt, über die gegen- 
seitige Bedingtheit somatischer und psychischer Wesenheit nichts 
Bestimmtes auszusagen vermögen, so müssen wir die Möglichkeit 
zugeben, daß die Konstanz bestimmter körperlicher und be- 
stimmter geistiger Merkmale eines Volkes ohne inneren Zu- 
sammenhang besteht, auf selbständig wirkende, voneinander 
unabhängige Ursachenreihen sich zurückführen läßt. 

In der Tat hegt kein Grund vor, weshalb eine durch die 
Jahrtausende konstant bleibende geistige Eigenart nicht in jeder 
Generation durch bestimmte äußere Einflüsse neu entstehen, 
oder aber von einer Generation auf die andere durch Tradition 
übertragen werden könnte. 

Gerade in einem Volke, in dem die Überlieferung so mächtig 
ist, wie im jüdischen, wo die Abschließung, der starke Familien- 
sinn, der religiöse Kultus, das ununterbrochene, eifrige Studium 
des Talmud und andere Umstände eine ganz ungewöhnlich hohe 
Technik zur Erhaltung und Übertragung eines vorhandenen Tra- 
ditionsstoffes ausgebildet haben, ist es immerhin nicht außerhalb 
des Bereichs aller Möglichkeit gelegen, daß gewisse Eigenarten 
durch Erziehung immer wieder angeeignet werden, ohne in das 
Blut einzudringen, ohne auch nur zu einer bestimmten körper- 
lichen , Anlage “ sich zu verhärten. 

Aber — und damit wende ich mich nun mit ebensolcher Ent- 
schiedenheit gegen die Anpassungs- und Milieufanatiker: 
wenn ich eben die Beweisführung der „Rassentheoretiker“ als 
unzulänglich bezeichnet habe, so ist damit noch ganz und gar 


Digitized by t^ooQle 



389 


nicht gesagt, daß sie mit ihrer Behauptung einer blutsmäßigen 
Begründung der jüdischen Eigenart unrecht haben. Denn die 
Gründe, die von den Gegnern zur Widerlegung dieser Ansicht 
angeführt werden, sind nicht stichhaltige. Man beruft sich in 
diesen Kreisen mit Vorliebe auf die Tatsache, daß die Juden 
im Altertum so ganz anders sich betätigt hätten als heute; daß 
sie damals tapfere Krieger und Ackerbauer gewesen seien, heute 
dagegen nach dem Urteil Herders „ein verächtliches Geschlecht 
schlauer Unterhändler“ (wie unlängst wieder das Zionistenblatt 
Hatikwah in einer Polemik mit mir schrieb). Das beweist nun 
aber (selbst wenn es richtig wäre: ich habe schon gezeigt, daß 
die Tatsachen falsch sind) natürlich gar nichts gegen die bluts- 
mäßige Begründung der jüdischen Eigenart. 

Denn: 

1. können sehr wohl in einer Zeit, in der das Volk sich als 
kriegerisches darstellte, Typen mit anderer — sagen wir 
kommerzieller — Veranlagung vereinzelt vorhanden ge- 
wesen sein, die im Lauf der Zeit durch Ausmerzung der 
anders veranlagten Elemente zur Mehrheit gelangt sind 
und infolge mm ebenso die volkliche Eigenart bestimmen, 
wie damals ihre Antipoden (die vielleicht jetzt auch noch 
da sind, aber dank ihrer geringen Zahl nicht ins Gewicht 
fallen). 

2. müßte erst sehr genau untersucht werden, ob scheinbar 
entgegengesetzte Betätigungsarten nicht doch auf eine und 
dieselbe Blutseigenschaft zurückzuführen sind, sodaß also 
die Gesamtanlage, somit seine eigentliche volkliche Eigen- 
art, sehr wohl dieselbe bleiben kann, während die Lebens- 
äußerungen des Volkes ganz verschiedene (als Krieger- 
oder Börsenleute) sind. 

3. wäre denkbar, daß bestimmte Anlagen zwar vorhanden 
sind und im Blute stecken, lange Zeit hindurch aber nicht 
Gelegenheit haben, sich zu betätigen, daß dann später erst 
durch äußere Umstände die Gelegenheit zur Entfaltung 
dieser Keime geboten wird. 

Ebensowenig schlüssig ist der Beweis der Milieutheoretiker, 
wenn diese die heutige Eigenart der Juden aus bestimmten 
historischen Zufälligkeiten abzuleiten versuchen. Solch ein Kom- 
plex von Ursachen, der die jüdische Eigenart bewirkt haben 


Digitized by t^ooQle 



390 


soll, ist beispielsweise die Religion; ein anderer, der mit Vor- 
liebe angeführt wird, ist das Ghettoleben. Ein dritter: ihre 
Jahrhunderte lange Beschäftigung mit Geldsachen. Nun kann 
ohne weiteres zugegeben werden, daß diese Lebensschicksale 
den Juden ihr Gepräge aufgedrQckt haben. Nur beweist das 
ganz und gar nichts gegen die Richtigkeit der Annahme, daß 
die besondere Eigenart, die man aus der Religion oder aus dem 
Ghettoelend oder aus der Leihtätigkeit erklärt, nicht doch im 
Blute steckt. 

1. enthält der Nachweis, daß eine Ursache gewirkt habe, 
noch keine Widerlegung der Annahme, daß dieselbe Er- 
scheinung, die man begründen will, nicht mehrere Ursachen 
gehabt habe. 

2. läßt der Nachweis, daß gewisse Eigenarten durch bestimmte 
historische Ereignisse hervorgerufen seien, immer noch den 
Zweifel bestehen : ob denn diese geschichtlichen Umstände 
nicht etwa selbst erst durch die Eigenart derer bewirkt 
worden seien, die sie erlebt haben. Für die jüdische 
Religion und den Leihverkehr habe ich schon einige 
Gründe angeführt, die die Umkehrung des Kausalverhält- 
nisses sehr plausibel machen. Daß aber auch das Ghetto- 
leben letzten Endes nicht die Ursache, sondern die Wir- 
kung der jüdischen Eigenart sei, dürfte sich mit ähnlichen 
Erwägungen ebenfalls leicht nachweisen lassen. Ich komme 
darauf im nächsten Kapitel noch zu sprechen. 

Die bisherigen Untersuchungen haben das Ergebnis gehabt, 
daß keine der beiden Ansichten von der Beschaffenheit der 
jüdischen Eigenart den Beweis für ihre Richtigkeit zu erbringen 
vermocht hat. Daraus folgt nun aber wiederum keineswegs, 
daß nicht die eine oder die andere Ansicht richtig sei (was ja 
selbstverständlich ist), sondern nicht einmal, daß die Richtigkeit 
der einen oder der anderen Ansicht nicht doch erwiesen werden 
könne. Wir brauchen jedenfalls die Hoffnung nicht aufzugeben, 
doch schließlich noch einmal „aus diesem Meer des Irrtums auf- 
zutauchen“. Ich glaube nur, daß wir die Wegrichtung ein wenig 
ändern müssen, um zum Ziel zu gelangen und will im folgenden 
' — ehe ich eine selbständige Deutung der jüdischen Eigenart 
versuche — angeben, wie wir uns — meiner sehr bescheidenen 
Meinung nach — bei dem heutigen Stande der anthropologisch- 


Digitized by t^ooQle 



391 


biologischen Wissenschaften zu dem Problem der Artbildung 
(in dem hier verstandenen Sinne) zu verhalten haben, indem ich 
dabei gleichzeitig den Versuch mache, die Ergebnisse jener natur- 
wissenschaftlichen Disziplinen mit einigen neueren soziologischen 
Einsichten in Verbindung zu setzen. 

Diejenige Forschungsmethode, die uns bisher die meiste 
Aufklärung über alle jene Phänomene gebracht hat, die man 
unter dem nicht ganz eindeutigen Sammelbegriff der Rassen- 
bildung zusammenfassen kann, ist die genetische, die sich viel- 
leicht als geographisch -genetische und Ökonomisch -genetische 
wiederum unterscheiden liehe. Man weih, dah jene vor allem den 
Arbeiten von Moritz Wagner, Kollmann, Bastian 574 ihre 
Entstehung verdankt, während sich um die Ökonomisch-genetischen 
Untersuchungen bisher nur wenige Forscher gekümmert haben. 
Auher den Werken von Gumplovicz 676 kommen hier hauptsäch- 
lich die Arbeiten der Ecole des Roches in Betracht, die sich um 
die „Science sociale“ gruppiert 57 * (deren Hauptmangel aber darin 
besteht, dah sie nur die Entstehung der sozialen Organisation, 
fast gar nicht die der Menschentypen selbst verfolgt). 

Was danach übereinstimmend angenommen wird, ist dieses : 
Die Spezies Mensch, man mag sich ihren Ursprung mono- 
genetisch oder polygenetisch (ganz neuerdings wieder mit Vor- 
liebe!) vorstellen, entwickelt sich während der ersten Periode 
ihres Daseins an verschiedenen Stellen der Erde — in den so- 
genannten Isolationszentren M. Wagners — in verhältnismähig 
kleinen Trupps zu verschiedenartigen Typen. Sie „differenziert“ 
sich und zwar — wie ebenfalls von keiner Seite bestritten wird — 
unter dem Einfluh der Umgebung, in die sie der Zufall der 
Wanderung gerade verschlagen hat. Was hier als „Umgebung“ 
anzusehen ist, und welche Bestandteile der „Umgebung“ von 
besonderem Einfluh auf die Herausbildung der Unterschiedlich- 
keiten gewesen sind, hat man bisher nur aphoristisch anzugeben 
vermocht. Hier werden vor allem in der Zukunft die Unter- 
suchungen einzusetzen haben , die entweder ethnographisch- 
beschreibender Natur oder experimenteller Natur sein können. 
Jene, wie etwa die Arbeiten C. Hart Merrians 677 , werden viel 
mehr noch als bisher die allgemeinen Lebensbedingungen der 
Naturvölker in ihrem Zusammenhänge mit deren anthropologischer 
Eigenart in Rücksicht ziehen müssen; diese werden zu prüfen 


Digitized by 


Google 



392 


haben, welche Wirkungen die einzelnen Faktoren der Umgebung“ 
auf willkürlich ihnen ausgesetzte Lebewesen auszuüben vermögen. 
Das Ergebnis dieser Untersuchungen wird eine Lehre von den 
Reizen sein, zu der wir bisher nur wenige Ansätze besitzen; 
denn mir scheint Rob. Sommer den Nagel auf den Kopf zu 
treffen, wenn er „Milieu“ „nichts anderes als eine grobe Summe 
von Reizen“ 5T8 nennt. 

Diese Reize ausübenden Faktoren sind nur zum Teil klima- 
tischer Natur im engeren Sinne; überwiegend wird man sich 
darunter die sekundären Naturbedingungen, wie Fauna und Flora, 
vorzustellen haben, vor allem aber die aus allen diesen Elementen 
bestimmten Lebensbedingungen des Menschen selber: die Eigenart 
der Technik und die Form des Unterhalts werden hierunter wieder 
die vornehmsten sein. Ob die Menschen zum Fischfang, oder zur 
Jagd, oder zum Ackerbau, oder zur Viehzucht, oder zu welcher 
besonderen Wirtschaftsweise durch die besondere Gestalt ihrer 
Umwelt gedrängt wurden, muhte natürlich bei der Ausbildung 
ihres Typs von entscheidender Bedeutung werden. Und mir 
scheint — im Vorbeigehen bemerkt — an dieser Stelle der Punkt 
zu liegen, wo die ökonomische Geschichtsbetrachtung und die 
rassenmäßige Geschichtsauffassung oder, um sie jener logischer 
gegenüberzustellen: die anthropologische Geschichtsbetrachtung 
sich schneiden. Die Besonderheit des Wirtschaftslebens hat in 
den Anfängen des Menschengeschlechts den anthropologischen 
Charakter der einzelnen Gruppe wesentlich mitbestimmen helfen, 
der dann im späteren Verlaufe der Menschheitsgeschichte selbst 
wieder entscheidend wurde für die Gestaltung des Wirtschafts- 
lebens. Hier ist aber auch der Punkt in der Menschheits- 
entwicklung, wo allein der funktionelle Zusammenhang zwischen 
geistiger und somatischer Besonderheit der einzelnen Gruppe 
entstanden sein kann : zu einer Zeit, als die Eigenart der gesamten 
Lebensbedingungen formend und gestaltend auf die Gesamtheit 
der menschlichen Organe einzuwirken imstande war. Wir können 
uns den Bildungsprozeß schlechterdings nicht anders vorstellen, 
als daß er gleichzeitig das körperliche und geistige Behaben 
in ganz genau derselben Richtung langsam in eigentümliche 
Bahnen lenkte. 

Langsam: denn wir müssen die Zeit der Differenzierung 
des Menschengeschlechtes in unterschiedliche Typen außer- 


Digitized by t^ooQle 



393 


ordentlich lang bemessen. Wenn sich der tertiäre Mensch wirk- 
lich nachweisen lassen sollte, wie es jetzt fast den Anschein hat, 
so werden die Anfänge des Menschengeschlechts in neue un- 
ermeßliche Fernen zurückverlegt. Aber wenn wir auch nur das 
Quartär als die Periode des Menschen ansetzen, so haben wir 
mit Zeiträumen von 250 — 500 000 Jahren zu rechnen, in denen 
sich die verschiedenen Menschenrassen entwickelt haben. Auf 
welchem Wege die Herausbildung der menschlichen Unterarten 
erfolgt ist, läßt sich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Nur 
daß man von den drei Möglichkeiten eben für jene Periode die 
Vermischung ausschließt. Dagegen bleibt die Frage offen, ob die 
Artveränderung auf dem Wege der Auslese oder durch somato- 
gene Mutation bewirkt worden ist. 

Genug — am Ende dieser Epoche, die man wohl vor die 
diluviale Eiszeit zu setzen hat, leben auf der Erde eine Anzahl bluts- 
unterschiedlich gestalteter Gruppen von Menschen, die man als Ur- 
rassen oder vielleicht als Rassen schlechthin bezeichnen kann. 
Welcher Art diese waren, worin vor allem sie sich untereinander 
unterschieden, läßt sich selbstverständlich nur vermuten. Wir 
können nur die Grenzen etwas umschreiben, innerhalb deren 
sich die Unterschiedlichkeiten bewegen konnten und müssen vor 
allem feststellen, daß diese zu keiner Zeit so groß gewesen sein 
können, um die verschiedenen Rassen als besondere Arten zu 
bezeichnen, da die Mischung zwischen ihnen stets eine lebens- 
fähige Nachkommenschaft ergab. Sie waren also immer nur 
„Unterarten“ oder gar nur „Spielarten“ der Spezies Urmensch 
und weisen somit stets eine große Menge gleicher Züge in 
somatischer wie psychischer Hinsicht auf. Es ist bekannt, daß 
diese übereinstimmende Allgemeinmenschlichkeit Anlaß geboten 
hat zu einer Fülle von Entwicklungsschematen für den Werde- 
gang der Einen Menschheit: von Herder über Hegel und 
Morgan bis Spencer und Breysig. Natürlich interessiert 
uns dieser Zweig der Forschung an dieser Stelle nicht, wo es 
uns nur darauf ankommt, im Gleichen das Verschiedene fest- 
zustellen. 

Leider gibt es nun keine Möglichkeit, die Obergrenze 
dieser Verschiedenheit mit ebensolcher Sicherheit an- 
zugeben, wie die Untergrenze. Nur daß sie über der heutigen 
Unterschiedlichkeit der verschiedenen Völker gelegen war, die 


Digitized by t^ooQle 



1 


— 394 — 

ja schon Vermischungsprodukte sind, darf als sicher angenommen 
werden. 

Das Seltsame an dieser Betrachtungsweise, die ich die 
genetische nenne 579 , aber grade auch das, was Vertrauen zu ihr 
erweckt, ist dieses: daß sie einstweilen nur Möglichkeiten, 
höchstens Wahrscheinlichkeiten kennt, die sich nur in unserm 
ordnenden Verstände einstweilen zu Notwendigkeiten verdichten, 
die aber den wunderbaren Vorzug voraus haben, daß sie mit 
keinem sicheren Ergebnis der bisherigen Erfahrung in Wider- 
spruch stehen und infolgedessen die sicherste Anwartschaft 
auf dereinstige Bestätigung durch empirische Forschung haben. 
Einstweilen wird nicht mehr behauptet als dieses: daß die im 
Augenblick denkbarste Weise der Menschenentwicklung infolge 
der verschiedenen Lebensschicksale der einzelnen Gruppen im 
Laufe von Myriaden von Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach 
deren verschiedenes Gepräge bewirkt habe, das sich uns in den 
offenbar auch heute noch von einander verschiedenen Menschen- 
gruppen darstellt. 

Wir verzichten aber einstweilen darauf, diese Verschieden- 
heiten in der Aufzählung einer Anzahl bestimmter Merkmale 
auszusprechen bezw. festzulegen; noch viel mehr aber darauf, 
die notwendigen Zusammenhänge zwischen solchen Merkmalen 
und den hypothetischen, sonderartigen Lebensschicksalen der 
einzelnen Gruppen aufzudecken: die Losung dieser Aufgabe ist 
späteren Untersuchungen Vorbehalten. 

Dabei wird voraussichtlich der Weg der sein : daß man von 
dem — unserer Erfahrung näher liegenden — Tatbestände be- 
stimmter psychischer Eigenarten ausgeht und deren Zusammen- 
hang mit bestimmten äußeren Existenzbedingungen aufweist, 
dann die Kreuzung bestimmter somatischer Merkmale mit den 
beobachteten psychischen Sonderheiten feststellt und nunmehr 
erst jene eigenartigen, anthropologischen Erscheinungen, die eine 
bestimmte Gruppe aufweist, als Ausdruck oder Wirkung jener 
eigentümlichen Lebensbedingungen der Gruppe zu deuten unter- 
nimmt. (Einen Versuch, in diesem Sinne zu forschen, enthält 
das letzte Kapitel dieses Werkes.) 

Freilich wird nun bei diesem Beginnen sich eine neue Schwierig- 
keit auftürmen: jene Urrassen, jene einseitig entwickelten Gruppen 
der Differenzierungsperiode gibt es vielleicht heute gar nicht mehr. 


Digitized by 


Google 


395 


Jedenfalls können wir mit Bestimmtheit aussagen, daß alles, was 
wir Kulturvölker nennen, ganz sicher aus einer Vermischung 
verschiedener Urrassen hervorgegangen ist. Wir haben jetzt 
gerade die deutliche Vorstellung, daß alle Staatenbildung, durch 
die allein ein Aufschwung zu höheren Formen der Kultur ge- 
dacht werden kann, auf die Zusammenschweißung jener (auf 
ihren Wanderungen endlich einmal aufeinanderprallenden) Sonder- 
gruppen (die Dürkheim das soziale Protoplasma nennt) beruht ; 
daß also alle Staatenbildung immer gleichzeitig eine anthropo- 
logische Neugestaltung durch Mischung verschiedener Rassen 
bedeutet. Auf die Periode der Differenzierung würde demnach 
eine Periode der Integrierung oder, wie es Kollmann 
bezeichnet, der Penetration folgen, in der wir heute noch leben. 

Nun müssen wir uns aber gestehen, daß von diesem Augen- 
blick an unser Wissen von den wirklichen Vorgängen (vielleicht 
weil es vom Tatsachenmaterial mehr belastet ist) noch unsicherer 
erscheint, daß also noch größere Vorsicht geboten ist, wenn wir 
uns unterfangen, irgendeine bestimmte Aussage zu machen. 

Zunächst erhebt sich die Frage: welches Ergebnis zeitigt 
eine Mischung verschiedener menschlicher Spiel- 
oder Unterarten untereinander; was wird dabei aus den 
ursprünglich verschiedenen somatischen und psychischen Be- 
sonderheiten der einzelnen Spielart? Ehrliche Antwort: wir 
wissen es nicht. Zwar ist viel philosophiert worden über die 
„Vorzüge“ und „Nachteile“ solcher Mischungen: eine Kreuzung 
verschiedener Rassen, meint Chamberlain, ergibt „gute“ 
Resultate, wenn die Rassen verwandt sind, „schlechte“, wenn 
nicht. Und antwortet auf die Frage : welche Rassen „verwandt“ 
sind: Nun, eben die, deren Kreuzung „gute“ Resultate liefert. 

Aber damit ist noch nicht allzuviel Erkenntnis gewonnen. 
Auch was wir an persönlicher Erfahrung besitzen , reicht 
natürlich nicht aus, um ein abschließendes Urteil zu fällen. 
Wir wissen von vielen Mischungen, daß sie besonders schöne 
Menschen — vor allem wunderschöne Frauen — , aber Menschen 
hervorbringen, die nicht recht lebensfähig und häufig seelisch 
oder moralisch disquilibriert sind 680 . Doch, was will das be- 
sagen? Bedeutsamer sind schon die Untersuchungen von Wolt- 
mann, Leo Sofer 681 und anderen über die „Entmischungen“. 
Danach soll es feststehen (!), „daß in den gemischten Rassen 


Digitized by t^ooQle 



396 


immer wieder , Entmischungen* stattfinden , daß die Typen bis 
zu einem gewissen Grade der organischen Verschmelzung wider- 
stehen, und daß fremdrassige Elemente, wenn sie nicht allzu 
zahlreich sind, nach mehreren Generationen wieder vollständig 
aus dem plasmatischen Keimprozeß der Rasse ausgeschaltet 
werden können.“ (Sofer glaubt solche „Entmischungen “ gerade 
bei den Juden nachweisen zu können.) 

Übrigens wird das Problem der Mischungen nur dann für 
die Erklärung volklicher Eigenart bedeutsam, wenn die sich 
mischenden Rassen sehr heterogener Art wären, das heißt also — 
nach unserer Auffassung — aus grundsätzlich verschiedenen 
Lebenskreisen hervorgegangen sein würden: wenn etwa ein 
nomadisierendes Wüstenvolk sich mit einem ackerbautreibenden 
Nordlandvolke mischt oder mit einem Volke, das in Tropen- 
wäldera die Jahrtausende verbracht hätte. Wo sich „verwandte“ 
(in dem hier genau beschriebenen Sinne) Rassen kreuzen, kann 
offenbar die Veränderung des Typs niemals eine sehr große 
sein. 

Immerhin kommt, seitdem die Rassenmischungen, d. h. die 
Völkerbildungen einsetzen, die Kreuzung als neues Art bildendes 
Moment zu den beiden übrigen: Auslese und somatogene Mu- 
tation hinzu. 

Man mag sich nun die Wirkungen der Völkermischung wie 
immer vorstellen: etwa im Bilde einer Flüssigkeit, in der ein 
fester Körper vollständig „gelöst“ ist; oder eines Sees, in dem 
auf weite Strecken hinaus die Wasser zweier Ströme, die in ihn 
münden, nebeneinander herfließen ; oder eines chemischen Körpers, 
in dem die Atome in einem bestimmten Verhältnis zu einander 
gelagert sind: immer wird man annehmen müssen, daß nach 
erfolgter Mischung nun abermals eine Gruppe von Menschen mit 
ganz bestimmter Blutseigenart entstanden ist. Denn es wäre 
eine ganz widersinnige Vorstellung, daß durch die Mischung ver- 
schiedenen Blutes das Blut selber aus der Welt geschafft werden 
könnte. 

Wenn wir damit feststellen, daß auch in jeder Volksgemein- 
schaft ebenso wie zuvor in den „reinen“ Urrassen bestimmte 
Blutseigenschaften notwendig gedacht werden müssen, so be- 
deutet das : daß bestimmte Besonderheiten des Körpers und des 
Geistes in den Angehörigen dieser Volksgemeinschaft sich dauernd 


Digitized by t^ooQle 



897 


erhalten, das heißt durch Vererbung übertragen werden 582 . 
Zu betonen wäre nur mit Entschiedenheit, daß es sich dabei 
niemals um „Fertigkeiten“ handeln kann, sondern immer nur um 
Fähigkeiten, diese Fertigkeiten (leicht oder leichter oder über- 
haupt) durch Übung zu erwerben, um „Dispositionen“, um „An- 
lagen“, deren Wesenheit man jetzt erst allmählich zu erforschen 
trachtet 588 . Nicht das Masurkatanzen und nicht das Flötenspiel 
stecken einem Menschen „im Blute“, wohl aber die tanzliche 
oder musikalische „Begabung“, die ihrerseits wieder (vielleicht 
in Gemeinschaft mit andern ähnlichen Begabungen) in bestimmten 
Grunddispositionen des Nervensystems verankert sein wird. 

Wenn nun auch eine solche blutsmäßige Veranlagung und 
dem entsprechende Ausstattung der Individuen und Völker mit be- 
sonderen vererblichen Eigenarten kaum noch von jemand ernstlich 
bestritten wird, so könnte es wenigstens den Anschein erwecken, 
als herrsche Meinungsverschiedenheit selbst zwischen berufenen 
Vertretern der Wissenschaft über das Maß von Konstanz (oder 
Veränderlichkeit), das jene blutsmäßige Veranlagung (wie ich aus 
ästhetischen Gründen statt keimplasmatische es nennen möchte) 
besitzt. Es könnte den Anschein haben, sage ich, als wären die 
einen der Meinung: die Veranlagung der Menschengruppen 
(Völker) sei mindestens seit ihrer heutigen Zusammensetzung — 
also in der sogenannten „historischen“ Zeit oder seit dem Ende 
der diluvialen Glazialepoche — unverändert, während die anderen 
eine solche Veränderung (und damit von einem gegebenen Zeit- 
punkt vorwärts schauend Veränderlichkeit) des Keimplasmas oder 
der Erbsubstanz, wie Schallmayer es ausdrückt, anzunehmen 
bereit seien. In Wirklichkeit aber, glaube ich, besteht jene 
Meinungsverschiedenheit unter den Fachleuten (und das sind in 
diesem Falle die Biologen) heute nicht mehr oder wenigstens 
nur noch in ganz geringem, für die anthropologisch-ethnologischen 
Probleme kaum noch praktischem, Umfange. Ein naiver „Lamarckis- 
mus“ wird heute wohl nur noch angetroffen unter Ärzten und 
Soziologen, die den biologischen Studien fern stehen und meistens 
nicht einmal die Fragestellung in voller Klarheit in ihrem Innern 
lebendig zu machen vermocht haben. 

Die Anschauung, als ob so ungefähr jede äußere Lebens- 
bedingung imstande wäre, den Organismus aus seinen vor- 
geschriebenen Bahnen abzulenken, darf heute als überwunden 


Digitized by 


Google 



398 


angesehen werden. Selbst diejenigen Forscher, die in gewissem 
Umfange die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ für möglich 
halten, zweifeln doch nicht mehr daran, daß diese „Eigenschaften", 
die vererbt werden sollen, ganz besonderer und seltener Natur 
sind, derart nftmlich, daß sie die Keimsubstanz selber erfassen. 
Ob aber das andere als zerstörende Einflüsse sind (wie sie durch 
Gifte bewirkt werden), ist außerordentlich zweifelhaft. Auch die 
Mneme-Theorie R. S emo ns scheint mir an dieser Auffassung 
nichts Wesentliches zu ändern. Sie besagt doch auch nur, daß 
unter besonderen Umständen die „Engramme" genügend starke 
Eindrücke hinterlassen, um die Keimzellen zu erfassen und damit 
Erblichkeit der gewonnenen Eindrücke, also der der ausgebildeten 
„Anlage“ herbeizuführen. Wann diese besonderen Umstände 
eintreten, läßt sich von vornherein natürlich nicht mit Bestimmt- 
heit sagen. Nur darüber läßt auch Semon keinen Zweifel, daß 
die Erblichkeit sich nur in den seltensten Fällen einstellt. 

Die Wage des fachmännischen Urteils neigt sich also wohl 
immer mehr zugunsten Weismanns, und damit werden auch 
die Meinungen derjenigen bestätigt, die nicht sowohl an der 
Hand naturwissenschaftlicher Spezialuntersuchungen als vielmehr 
auf dem Wege spekulativer Erwägungen längst zu demselben 
Ergebnis gelangt waren. Ich weiß nicht, ob man darauf geachtet 
hat, daß Kant die Theorie Weismanns schon ganz deutlich aus- 
gesprochen hat, in einer Zeit, als man von moderner Biologie 
noch nichts wußte 584 . 

„Diese Vorsorge der Natur“, schreibt Kant, „ihr Geschöpf 
durch versteckte innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Um- 
stände auszurüsten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit 
des Klimas oder des Bodens angemessen sei, ist bewunderungs- 
würdig und bringt bei der Wanderung und Verpflanzung der 
Tiere und Gewächse, dem Scheine nach, neue Arten hervor, 
welche nichts anderes als Abartungen und Rassen von derselben 
Gattung sind, deren Keime und natürliche Anlagen sich nur 
gelegentlich in langen Zeitläufen auf verschiedene Weise ent- 
wickelt haben. 

„Der Zufall oder allgemeine mechanische Gesetze können 
solche Zusammenpassungen nicht hervorbringen. Daher müssen 
wir dergleichen gelegentliche Auswickelungen als vorgebildet 
ansehen. Allein selbst da, wo sich nichts Zweckmäßiges zeigt, 


Digitized by t^ooQle 



399 


ist das Vermögen, seinen besonderen angenommenen Charakter 
fortzupflanzen, schon Beweis genug, daß dazu ein besonderer 
Keim oder natürliche Anlage in dem organischen Geschöpf an- 
zutreffen gewesen. Denn äußere Dinge können wohl Gelegenheits- 
aber nicht hervorbringende Ursachen von demjenigen sein, was 
notwendig anerbt und nachartet. So wenig als der Zufall oder 
physich-mechanische Ursachen einen organischen Körper hervor- 
bringen können, so wenig werden sie zu seiner Zeugungskraft 
etwas hinzusetzen, d. i. etwas bewirken, was sich selbst fort- 
pflanzt, wenn es eine besondere Gestalt oder Verhältnis der Teile 
ist. Luft, Sonne und Nahrung können einen tierischen Körper 
in seinem Wachstum modifizieren, aber diese Veränderung nicht 
zugleich mit einer zeugenden Kraft versehen, die vermögend 
wäre, sich selbst auch ohne diese Ursache wieder hervorzubringen, 
sondern, was sich fortpflanzen soll, muß in. der Zeugungskraft 
schon vorher gelegen haben, als vorher bestimmt zu einer ge- 
legentlichen Auswickelung, den Umständen gemäß, darin das 
Geschöpf geraten kann und in welchen es sich beständig er- 
halten soll.“ 

Mir scheinen die Kant sehen Worte so prächtig und in ihrer 
Schlichtheit so überzeugend, daß sie für jedermann — selbst, 
wenn er nie etwas von den Ergebnissen der Weismann sehen 
Forschungen gehört hätte — das Problem einwandsfrei und end- 
gültig lösen. Unlängst hat wieder Julius Schultz in geist- 
voller Weise dargetan, wie in der Tat die Annahme einer 
ewig sich gleichenden Form des Lebendigen auch unserer Sehn- 
sucht nach einheitlicher Erfassung der Welt am ehesten gerecht 
wird. 

Aber auch unter den Anthropologen und Ethnologen gibt 
es heute kaum noch namhafte Forscher, die die Konstanz der 
Menschentypen wenigstens für die historische Zeit leugnen. 
Man darf ohne weiteres annehmen, daß es die herrschende 
Meinung ist, wenn der außerordentlich vorsichtige Joh. Ranke 
sich dahin äußert 585 : „Soweit uns die Geschichte in die Vorzeit 
zürückblicken läßt . . . finden wir sichere Anzeichen dafür, daß 
damals schon die gleichen Unterschiede zwischen den ver- 
schiedenen Völkern und Rassen bestanden haben, wie sie uns 
heute entgegentreten. G. Fritsch hat mit Überzeugung diese 
Übereinstimmung der ältesten ägyptischen Porträtdarstellungen 


Digitized by t^ooQle 



400 


mit den heutigen in und um Ägypten lebenden Menschengruppen 
erst neuerdings hervorgehoben.“ 

Wenn, angesichts dieser außergewöhnlich weitgehenden Über- 
einstimmung der verschiedenen an erster Stelle zum Urteile be- 
rufenen Wissenschaften, gelegentlich doch immer wieder ganz 
wilde Theorien von Rassenbildung in jüngsthistorischer Zeit auf- 
gestellt und — was die Hauptsache ist — mit der Anpassung der 
Individuen an das neue Milieu erklärt werden (so ist es eine 
beliebte Vorstellung, daß in den Vereinigten Staaten eine „neue 
Rasse“ durch das neue Milieu geschaffen werde), so fragt 
man sich, wenigstens wenn es sich um sonst schätzbare Gelehrte 
handelt : ob denn nicht irrtümliche Auffassungen von dem, wor- 
auf es ankommt, Mißverständnisse, falsche Fragestellungen an 
derartigen handgreiflichen Irrtümem schuld sind. Und findet 
den Verdacht auch in zahlreichen Fällen bestätigt. 

Ein besonders lehrreiches Beispiel für derartige Verfehlungen 
bildet das vielgelesene Buch des Franzosen Jean Finot, das den 
suggestiven — um nicht zu sagen tendenziösen — Titel führt: 
Das Rassenvorurteil. Für Finot ist der Rassenbildungsprozeß 
ein höchst einfaches Ding : nimm eine beliebige Menge Menschen — 
Neger, Eskimos, Franzosen, Schweden — , setze sie in ein neues 
Milieu, und schon in der ersten Generation ist eine „neue Rasse“ 
da. „Der perfekte Italiener in zehn Stunden.“ Nim merkt man 
aber bald, daß Mons. Finot in der Tat den Kern des Problems 
ganz und gar verkannt hat. Das erweisen Ausführungen wie 
diese wohl zur Genüge: auf Seite 196f. der deutschen Über- 
setzung seines Buches führt er uns den Einfluß vor Augen, den 
das Pariser Milieu ausübt, um zu zeigen, wie rasch sich eine 
neue „Rasse“ — eben der „Pariser“ — bildet; eine neue Rasse: 
also doch wohl eine Gruppe mit besonderen vererblichen Merk- 
malen. Und dann schließt er diesen Abschnitt mit den Worten: 
„bemerken wir jedoch, daß dieselben Pariser, wenn sie in die 
Provinz übersiedeln, leicht ihre Körpergröße, Gesundheit und 
Langlebigkeit wiedererlangen“ ! ! 

In anderen Fällen merkt man, daß der Autor einen Einfluß, 
der auf Mischung oder Auslese zurückzuführen ist, dem Milieu 
zuschreibt und dort von „Vererbung erworbener Eigenschaften“ 
spricht, wo blutsmäßig begründete Eigenschaften auf einem der 
beiden anderen genannten Wege hervortreten oder verschwinden. 


Digitized by t^ooQle 



401 


Solchen Irrtümem gegenüber mag noch einmal ausdrücklich be- 
merkt werden, daß natürlich Veränderungen in der Eigenart 
eines Volkskörpers — seien sie somatischer, seien sie psychischer 
Natur — sehr wohl auch in historischer Zeit und sogar in recht 
beträchtlichem Umfange vor sich gehen können. Wenn man 
von einer „neuen Rasse tt in den Vereinigten Staaten spricht, so 
ist diese (wenn auch einstweilen wohl kaum schon vorhanden, 
so doch jedenfalls) sehr wohl denkbar: durch Kreuzung ver- 
schiedener Völkerstämme einerseits, durch Auslese best imm ter 
Typen aus der Masse des einzelnen Volkes anderseits. Ich 
wies schon an anderer Stelle darauf hin, daß auf dem Wege 
der Auslese sich das Gesamtbehaben eines Volkes in verhältnis- 
mäßig kurzer Zeit von Grund auf verändern kann. Aber man 
soll sich doch klar darüber sein, daß gerade durch diesen Aus- 
leseprozeß die Konstanz der Blutsqualität außer allen Zweifel 
gestellt wird: ausgelesen kann doch nie und nimmer etwas 
werden, das nicht vorher vorhanden gewesen ist. Und auch 
durch veränderte Lebensbetätigung, wie ich auch schon ausge- 
führt habe, kann sich das Behaben eines Volkes natürlich ändern : 
aber nicht weil „erworbene Eigenschaften“ erblich geworden 
wären , sondern weil vorhandene Anlagen jetzt ausgebildet 
werden, andere früher genutzte Anlagen jetzt verkümmern. 

* * 

* 

Wenn ich nun nach diesen klärenden und allgemein weg- 
weisenden Darlegungen im nächsten Kapitel die jüdische Eigenart 
„genetisch“ zu deuten mich unterfange, so wird mein Bestreben 
darauf gerichtet sein müssen, der Reihe nach folgende Momente 
auf ihren Einfluß hin zu prüfen: 

1. Die ursprüngliche Veranlagung derjenigen Rassen, aus 
denen sich das jüdische Volk gebildet hat, wie wir sie 
aus einer Würdigung der Lebensbedingungen, in die wir 
sie uns versetzt denken müssen, zu erkennen vermögen. 

2. Die Vermischung dieser verschiedenen Elemente. 

3. Die Auslese, wie sie unter der Einwirkung der Lebens- 
schicksale des jüdischen Volkes in historischer Zeit sich 
wahrscheinlich vollzogen hat. Und erst wenn diese drei 
Erklärungsgründe versagen, dürfte die Hypothese gewagt 
werden, daß 

Sombart, Die Jaden 26 


Digitized by t^ooQle 



402 


4. in historischer Zeit bestimmte Eigenschaften erworben 
seien. Wir werden sehen, daß diese Hilfskonstruktion 
nicht nötig ist, daß sich vielmehr das jüdische Wesen 
restlos aus den drei ersten Momenten erklären lfiJxt. Ist 
das aber möglich, so ist damit auch die blutsm&lxige Ver- 
ankerung dieses Wesens erwiesen, und es entfällt die an 
sich sehr unwahrscheinliche Hypothese, daß die durch 
Jahrtausende sich gleich bleibende Eigenart eine blofie 
Übung gewesen sei, von der das Blut nichts gewußt 
habe. 


Digitized by t^ooQle 



403 


Vierzehntes Kapitel 

Das Schicksal des jüdischen Volkes 


Wollte man die welthistorische Bedeutung der Juden, ins- 
besondere für das Wirtschaftsleben, mit einem Satze erklären 
und begründen, so mühte man sagen: das ist es, daß ein 
orientalisches Volk unter Nordlandsvölker ver- 
schlagen wurde und mit diesen eine Kultur-Paarung 
einging. Man hat behauptet (und vielerlei spricht für diese 
Hypothese, die geistvoll und anmutig zugleich ist): die eigentüm- 
lichen Kulturen des klassischen Altertums, vor allem die griechische, 
ebenso wie die der italienischen Renaissance seien aus einer Ver- 
einigung nordischer Völker, die in jenes Milieu herabgestiegen 
seien, mit den dort ansässigen Völkern hervorgegangen. 

Keine Hypothese, sondern eine durch die Tatsachen sicher 
gestellte Annahme ist es, daß umgekehrt die sogenannte kapita- 
listische Kultur unserer Zeit durch das Zusammenwirken eben 
der Juden, eines in nordische Länder vorgedrungenen Südlings- 
volkes, mit den hier einheimischen Menschen ihr eigenartiges 
Gepräge erhalten hat. Wollen wir auch noch den Anteil der 
beiden Parteien an dem gemeinsamen Werk bestimmen, so 
werden wir sagen dürfen, daß die überaus grobe kommerzielle 
Begabung der Juden und die ebenso, wie es scheint, einzige 
wissenschaftlich-technische Befähigung der nordischen Völker — 
vornehmlich wohl der Germanen — in ihrer Vereinigung jene 
ganz kuriose Blüte der kapitalistischen Kultur getrieben haben. 

Das also ist es, was wir im Auge behalten müssen, wenn 
wir das jüdische Volk in seiner Eigenart und die gewaltige 
Wirksamkeit dieser Eigenart verstehen wollen: nicht ob es 
Semiten oder Hethiter oder sonst ein besonders benamster 
Stamm sind, oder ob sie „rein“ oder „gemischt“ sind, ist das 

26 * 


Digitized by t^ooQle 


404 


Entscheidende, sondern allein dies: daß es ein orientalisches 
Volk ist, das in einer ihm völlig fremden klimatischen und volk- 
lichen Umgebung seine besten Kräfte verzehrt. 

Ein orientalisches Volk. Genauer : eines von jenen Völkern, 
die zwischen dem Atlasgebirge im Westen und dem persischen 
Golf im Osten groß geworden sind; die sich aus jenen Rassen 
gebildet haben, die in den großen Wüsten Nordafrikas, Arabiens 
und Kleinasiens oder an deren Rändern von einer glühenden 
Sonne, in einer trocken-heißen Luft ausgekocht worden sind: 
die in einer mindestens wohl seit der Eiszeit unveränderten 
ganz eigenartigen Umgebung ihre Besonderheiten ausgebildet 
haben, wozu sie also nach den Schätzungen von Forel etwa 
12000 Jahre, nach denen von Heim etwa 16000 Jahre Zeit 
gehabt hätten. 

Das Gebiet, dem auch die Juden entstammen, ist eine ein- 
zige große Sandwüste, in die sich einzelne wasserreiche Stellen 
einbetten, in denen Menschen und Vieh leben können: die 
Oasen. In den größeren dieser zerstreuten Wasserbecken haben 
sich, wie wir wissen, die ersten hohen Kulturen der Menschheit 
entwickelt: in Ägypten, in Mesopotamien, in Palästina. Das 
sind alles kleine fruchtbare Gebiete, die durchaus — auch ihrer 
Größe nach — den Charakter von Oasen in der Wüste tragen. 
Ihre Kultur ist die spezifische Oasenkultur. Das anbaufähige 
Land umfaßt in Ägypten etwa eine Fläche von der Größe der 
preußischen Provinz Sachsen, Mesopotamien war in der Blütezeit 
etwa halb so groß wie Oberitalien, das gesamte, von Israeliten 
bewohnte Palästina aber hatte höchstens die Größe des Groß- 
herzogtums Baden, während Judaea, das Land, das als Stamm- 
sitz des Judentums doch eigentlich nur in Frage kommt, 
4000 qkm umfaßte, also etwa so groß wie das Herzogtum An- 
halt und das Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha zusammen war. 
Diese kleinen Oasen, wenigstens die Heimat der Juden : Palästina, 
waren nun aber selbst wieder noch von Wüsten durchzogen. 
Juda war von der Natur am wenigsten begünstigt. Nach Süden 
reichte sein, der menschlichen Kultur erschlossenes, Gebiet weit 
über Hebron und Bersaba in die heutige Wüste hinein. 

Bodenanbau in diesen Ländern heißt Oasenkultur. Wie die 
Oase großenteils künstlich angelegt wird , und wie alles 
Wissen und alles Können sich in der Kirnst erschöpft, das für 


Digitized by t^ooQle 



405 


den Pflanzenwuchs notwendige Wasser zu sammeln, so beruht 
auch in jenen größeren Fruchtlandsenklaven, zu denen Teile von 
Palästina gehörten, alle Bodenkultur auf der Wasserbeschaffung. 
Der Landmann zittert vor der größten Plage: der Dürre, zittert 
davor, daß die Wüste ihre Arme über das kleine, ihr mühsam ab- 
gerungene Fleckchen Erde jedes Jahr von neuem ausstrecke. Er 
zittert vor der Wüste in jedem Augenblick, daß sie ihm die 
heißen, versengenden Winde oder die Heuschreckenzüge sende. 
Er zittert aber auch vor der Wüste — so wenigstens müssen 
wir uns den Zustand der früheren Zeit vorstellen — , daß aus 
ihr Beduinenstämme hervorbrechen könnten, die raubend, mordend, 
plündernd durch die Lande ziehen oder auch das Land, wenn 
es ihnen paßt, dauernd in Besitz nehmen möchten. Diese Wüsten- 
bewohner im eigentlichen Sinne, die wir heute Beduinen nennen, 
und zu denen einstmals auch die Oasenbewohner gehört hatten, 
die nun vor ihren Razzias zittern, sind umherschweifende Vieh- 
züchter, Nomaden. Ihren Räubereien danken die Oasenländer 
die frühzeitige Erbauung fester Städte mit dicken Mauern, hinter 
denen die Bewohner des flachen Landes Schutz suchten. In 
ihnen dringt dann die Wüste selbst wieder in das Herz der 
wüstenumschlossenen Fruchtländer ein, die also gleichsam wie 
mit Wüstengeist immerfort durchsetzt bleiben. 

Ein solcher ruhelos umherirrender Beduinenstamm waren 
nun auch jene Hebräer, die etwa um das Jahr 1200 v. Chr. 
raubend und mordend in das Land Kanaan einbrachen und be- 
schlossen, hier von ihrem ewigen Wandern auszuruhen. Das 
heißt: wenn möglich nichts zu tun und die stammeingesessene 
Bevölkerung für sich arbeiten zu lassen (das natürliche und 
selbstverständliche Streben jedes erobernden Volkes!). So ver- 
heißt es Jahve seinem Volke: Ich führe Dich in das Land, das 
ich Deinen Vätern gelobt und gebe Dir „große und schöne Städte, 
welche Du nicht gebauet, und Häuser voll von allem Gut, die 
Du nicht gefüllet, und gehauene Brunnen, welche Du nicht ge- 
hauen, Weinberge und ölgärten, welche Du nicht gepflanzet, und 
Du issest und wirst satt“ (Deut. 6, 10. 11). 

Was taten nun die Hebräer in diesem Lande, das ihnen 
Jahve verhießen? Wie richteten sie — was die Hauptsache 
blieb — ihr Wirtschaftsleben ein? Wir vermögen es natürlich 
nicht mit Bestimmtheit zu sagen 686 , nur vermuten können wir 


Digitized by t^ooQle 


406 


einiges. So — wie wir schon sahen — , daß die Mächtigen und 
Großen eine Art von Fronhofwirtschaft organisierten , was 
natürlich die Besitzergreifung größerer Landstrecken zur Voraus- 
setzung hatte. 

Wir dürfen annehmen , daß der erobernde Stamm solcher- 
weise den größten Teil des Landes sich abgabenpflichtig machte, 
sei es auf dem Wege der Fronpflichtigkeit, sei es (ein offenbar 
häufiger Fall) auf dem Wege der Verpachtung, sei es durch den 
Kreditnexus , und daß jedenfalls erhebliche Teile der Hebräer 
als Renten- oder Zinsherren in den Städten saßen, während die 
unteijochte Bevölkerung als Kolonen oder „ freie “ Bauern das 
Land bebaute, also „Ackerbau trieb“ oder was man so im Orient 
nennt. Immerhin mögen auch Teile des erobernden Stammes 
verarmt und in das Kolonenverhältnis hinabgesunken sein: die 
maßgebenden waren es jedenfalls nicht. Das waren die Zinsherrn 
oder auch noch weiter am Hirtenleben festhaltende Nomaden 
oder Halbnomaden. Dieses waren und blieben wohl ausschließlich 
dem Berufe nach jene Stämme, die im Süden des westjordanischen 
Landes saßen, also vor allem Juda sowie Reste von Simeon und 
Levi nebst einigen Negebstämmen : die Naturbedingungen des 
Landes gestatteten nur die Viehzucht. „Weiß sind Judas Zähne 
von Milch.“ Andere Stämme wie Rüben und Gad blieben als 
viehzüchtende Halbnomaden auf dem Osijordanlande , der halbe 
Stamm Manasse wanderte dorthin über den Jordan wieder zurück. 
Aber der Geist des Nomadismus muß in allen Stämmen rege 
geblieben sein. Denn wenn es anders gewesen wäre, wenn 
Israel auch nur im Sinne des Orients ein „ackerbautreibendes“ 
Volk geworden wäre, so würden wir die Entstehung und erste 
Gestaltung des jüdischen Religionssystems nimmermehr verstehen 
können. 

Wir dürfen doch nicht vergessen , daß die Religions- 
schriften, in denen der jüdische Glaube festgelegt wird, nament- 
lich also der Pentateuch, durchaus im Sinne eines Nomaden- 
volkes abgefaßt sind. Der Gott, der sich siegreich gegen die 
anderen falschen Götter durchsetzt: Jahve, ist ein Wüsten- und 
Hirtengott, und in der bewußten Aufrichtung des Jahvekultus 
werden die alten Traditionen des Nomadentums durch Esra und 
Nehemia unter Nichtbeachtung der dazwischenliegenden (für die 
Israeliten selbst freilich vielleicht nie vorhanden gewesenen) 


Digitized by t^ooQle 



407 


Ackerbauperiode ganz deutlich zur Richtschnur genommen. Der 
Priesterkodex „hütet sich vor jeder Hinweisung auf das ansässige 
Leben im Lande Kanaan ... er hält sich formell streng inner- 
halb der Situation der Wüstenwanderung und will allen Ernstes 
eine Wüstengesetzgebung sein“.® 87 Nehmen wir die historischen 
Bücher, die meisten Propheten — diesen Wüstenchor — , auch 
noch die Psalmen dazu: überall treten uns die Bilder und 
Gleichnisse aus dem Hirtenleben entgegen, nur äußerst selten 
sehen wir den Bauern im Hintergründe, „der genügsam vor 
seiner Hütte unter dem Feigenbaum sitzt“. Jahve ist der gute 
Hirte (Ps. 23), der den Rest Israels zusammentun wird wie 
Schafe in den Pferch (Mi. 2, 12). Das Sabbatjahr hat auch den 
Sinn: daß man aufhört, Bauer zu sein und wieder sich als 
Israelite alten Stiles fühlt. 

Israel hat auch seine Gliederung nach Familien und 'Ge- 
schlechtern nie aufgegeben und hält nach Stämmen zusammen, 
wie Hirten tun : Die Affinitas weicht nie ganz der Propinquitas. 
Sodaß wir nicht daran zweifeln dürfen, daß noch im 5. Jahr- 
hundert v. Chr. — sonst wären, wie gesagt, alle die Vorgänge 
in jener Zeit, wäre vor allem die Zusammenschweißung der 
jüdischen Religionsbücher nicht denkbar — starke, wenn nicht 
vorwiegend nomadische Instinkte und Neigungen jedenfalls in 
den maßgebenden Kreisen, aber doch schließlich auch in breiten 
Schichten des jüdischen Volkes vorhanden gewesen sind, da ohne 
diese die ganz und gar nomadistisch orientierte Religion dem 
Volk auf die Dauer nicht hätte aufoktroyiert werden können. 

War diese starke Hinneigung zum Nomadismus in jener Zeit 
nicht aber vielleicht eine Rückbildungserscheinung? Waren 
vielleicht die nomadischen Instinkte, die im Lauf der vbrher- 
gegangenen Jahrhunderte zurückgedrängt waren, unter dem Ein- 
fluß des Exils wieder lebendig geworden? Das ist sehr wohl 
denkbar. Und ich möchte nun diesen Umstand besonders be- 
tonen: daß die Schicksale des jüdischen Volkes seit den Exilen 
notwendig eine Wiederbelebung verschwindender oder eine 
Stärkung der noch vorhandenen Wüsten- und Nomadeninstinkte 
im Gefolge haben mußten. Also auch wenn wir bis zu jener Zeit 
(in dem halben Jahrtausend, das seit der Eroberung Kanaans 
verflossen war) eine teilweise Seßhaftwerdung der Kinder Israels 
anzunehmen geneigt wären, so müßten wir doch feststellen, daß 


Digitized by t^ooQle 


408 


alle M&chte sich dagegen verschworen zu haben scheinen, sie 
zur Wirklichkeit und zu einem Dauerzustände werden za lassen. 
Kaum daß die Pflanze Wurzel schlagen will (soweit sie das auf 
jenen heißen Ländern überhaupt vermag), wird sie wieder aus 
dem Boden gerissen. Unbildlich gesprochen: der ursprünglich 
den Hebräern im Blute steckende Nomadismus und Sabarismus 
(wenn man dieses symbolische Wort gebrauchen darf, um Wüsten* 
haftigkeit zu bezeichnen) wird im weiteren Verlauf der jüdischen 
Geschichte durch Anpassung oder Auslese erhalten und immer 
weiter gezüchtet. Sodaß wir als das Schicksal des jüdischen 
Volkes dieses bezeichnen können : daß es durch die Jahrtausende 
hindurch ein Wüstenvolk und ein Wandervolk geblieben ist. 

Diese Feststellung ist nicht neu. Und sie zu machen, ist nicht 
ohne Bedenken, weil antisemitische Pamphletisten aus dieser 
Tatsache in gehässiger Weise Stoff für ihre Schimpfereien ent- 
nommen haben. Das kann aber natürlich kein Grund sein, die 
Richtigkeit der Tatsache selbst in Zweifel zu ziehen oder sie als 
Erklärung der jüdischen Eigenart nicht in Berücksichtigung zu 
nehmen. Was man angesichts der kompromittierenden Ausnutzung 
des Gedankens durch die Tendenzschriftstellerei (Dühring, 
Wahrmund usw.) nur tun kann, ist eine gewissenhafte Prüfung 
des Tatsachenmaterials, ist vor allem eine einigermaßen sinn- 
volle Begründung der Wichtigkeit jener Feststellung. Was darin 
bisher geleistet worden ist, ist läppisch und gehässig entstellt 
und gibt den Gegnern freilich fast das Recht, mit Hohn und 
Spott den * Gedanken vom ewigen Nomadentum“ der Juden als 
absurd zurückzuweisen und zu sprechen von dem .merkwürdigen 
Einfall vieler Rassengläubiger, die Semiten , Nomaden 4 zu schimpfen 0 
(Hertz). 

Freilich wäre es besser gewesen, wenn diejenigen, die 
den .Einfall 0 für „merkwürdig 0 hielten, sich doch, statt sich zu 
entrüsten, im Grunde bemüht hätten, ihn als falsch zu erweisen. 
Denn das ist bisher noch niemals versucht worden, da der 
Schluß: „In Palästina wurde im Altertum Ackerbau getrieben, 
die Juden haben Palästina in jener Zeit bewohnt, also sind sie 
Ackerbauer — oder wie man sich wohl gelegentlich drastisch 
ausdrückt: , Agrarier 4 — gewesen 0 , doch ein wenig klapprig in 
seinem Gefüge ist. Auch wenn z. B. Hertz in seinem vortreff- 
lichen Buche dem Gedanken Ausdruck gibt, daß die Stadt an 


Digitized by t^ooQle 


409 


den Boden binde und die Seßhaftigkeit erzwinge, „was weder 
das leichte Holzhaus noch der Pflug vermag“ (der westfälische 
Bauer nicht „seßhaft“, wohl aber der Berliner in der Zwei- 
zimmerwohnung!), so wird er für solche Aussprüche selbst bei 
seinen allerbesten Freunden nicht auf unbedingte Zustimmung 
rechnen dürfen. 

Endlich noch dieses zur Klarstellung : in der schlichten Tat- 
sache, daß man jemanden einen „Nomaden“ nennt, liegt keinerlei 
Geringschätzung ausgedrückt: ich weise deshalb auch die Be- 
zeichnung „Nomaden schimpfen“ als unberechtigt zurück. 
Höchstens könnte man eine Beleidigung in dem Worte erblicken, 
wenn man damit die Vorstellung des „Raubes“, der ewigen 
„Razzia“, verbindet und den Nomadismus mit Razziantentum 
gleichsetzt. Aber selbst dann : Warum sollte ein forscher 
Beduinenstamm unter einem Anführer etwa nach Art des Königs 
David, selbst wenn er wie dieser von räuberischen Überfällen 
lebt, nicht ebenso „wertvoll“ sein und ebensoviel Sympathie 
erwecken wie ein ackerbautreibender, seßhafter Negerstamm in 
den Wäldern Afrikas? Von den „Werturteilen“ ist hier aber 
nicht zu reden; ich habe meine Ansicht darüber im Vorwort 
ausgesprochen. Daß das Wort „Nomade“ für die spätere Zeit der 
jüdischen Geschichte in übertragenem Sinne gebraucht wird, 
versteht sich wohl von selbst. Und nun — nach diesen vielen 
Kautelen — versuchen wir die Richtigkeit der Tatsache zu er- 
weisen: die Juden ein ewiges Wüsten- Wandervolk 
durch Anpassung oder Auslese. 

Wie das Exil die nomadischen Instinkte wieder zur Belebung 
brachte, wurde schon angedeutet. Das Exil! Von dem wir 
uns — wenn wir ehrlich sein wollen — . eigentlich gar keine 
deutliche Vorstellung machen können. Weder vom Hinausmarsch 
noch von der Zurückführung. Recht wahrscheinlich wird die 
ganze Bewegung überhaupt erst, wenn wir uns in jener Zeit 
die Kinder Israels insgesamt noch als Nomaden oder Halbnomaden 
vorstellen. Die Eroberung eines Ackerbauvolkes ist ja kaum 
recht denkbar; während zwangsweise Versetzungen von Nomaden- 
stämmen heute noch üblich sind. Sie gelten heute noch als „ein 
starkes Werkzeug der Machthaber an den Steppengrenzen, das 
besonders Rußland zu handhaben versteht “. 588 Mit der Auf- 
fassung, daß zur Zeit des Exils die Israeliten noch vorwiegend 


Digitized by 


Google 



410 


Viehzucht trieben, würde auch der Bericht zusammenstimmen, 
den wir über die Fortführung aus Palästina besitzen: „Und er 
führete ganz Israel und alle Obristen und alle Kriegsleute 
hinweg, zehntausend wurden weggeführt und alle Schmiede und 
Schlosser; nichts blieb übrig außer geringem Volke des Landes“. 
Und wiederholt: „Alle Vornehmen des Landes führte er gefangen 
hinweg von Jerusalem gen Babel und alle Kriegsleute, sieben- 
tausend, und die Schmiede und die Schlosser, tausend, alles 
Streitbare, zum Kriege taugliche, die brachte der König von 
Babel gefangen gen Babel 0 . Dann bei der zweiten Razzia: „Und 
den Rest des Volkes, die Übriggebliebenen in der Stadt, und 
die Überläufer, die übergegangen zum König von Babel und den 
Rest der Volksmenge (führte er weg). Von den Geringen aber im 
Lande ließ der Oberste der Scharfrichter zurück zu Winzern und 
Ackerleuten.“ (EL Reg. 24, 14. 15; 25, 11. 12). Diesen Bericht 
bestätigt in seiner Richtigkeit Jeremias (89, 10): „Aber vom 
Volke die Geringen, die nichts hatten, ließ Nebusaradan, der 
Oberste der Trabanten, zurück im Lande Juda und gab ihnen 
Weinberge und Aecker zu selbiger Zeit“. 

Wen man sich nun auch unter den Exilierten vorstellen 
mag: die eigentlichen Landleute waren nicht darunter. Die 
blieben vielmehr auch nach dem zweiten Abhub als Bodensatz 
zurück: die Stelle bei Jeremias scheint die Ansicht zu bewahr- 
heiten, die ich oben aussprach : daß das Land von Kolonen oder 
Fronarbeitem bestellt wurde, die nun, als ihre Herren ins Exil 
geführt winden, aus bloßen Bebauern fremden Eigens zu Eigen- 
tümern des von ihnen bewirtschafteten Landes wurden. Man 
kann sich vorstellen, daß dies größtenteils die Residuen der alten 
Eingeborenenstämme waren, die die Hebräer sich unterworfen 
hatten. Die Bevölkerung Palästinas (resp. Judaeas) würde dann 
von da ab in geringerem Grade hebräisches Blut in ihren Adern 
gehabt haben als die babylonische Judenschaft, die jedenfalls 
als eine Art von Aristokratie, von abgeschöpftem Rahm, gelten 
kann. Dies ist auch die Auffassung , die sich während der 
späteren Jahrhunderte im Judentum lebendig erhält. Selbst in 
Judaea räumte man den babylonischen Eingeborenen jüdischer 
Abkunft die lauterste Reinheit der Geschlechter ein. Ein altes 
Sprichwort sagt: „Die jüdische Bevölkerung in den (römischen) 
Ländern verhält sich in bezug auf Abstammung gegen jene in 


Digiti • d by t^ooQle 


411 


Judäa, wie vermischter Teig zu reinem Mehl, Judäa aber selbst 
ist auch nur Teig gegen Babylonien“. 589 R. Juda b. Jecheskeel 
(220 — 299) entschuldigt den frommen Esra und dessen Aus- 
wanderung aus Babylonien nur damit, daß er die Familien 
zweifelhafter Abstammung nach Judäa führte, damit die Zurück- 
bleibenden von Vermischung mit ihnen fern gehalten würden (!)® 90 

Das Wichtige für unsere Betrachtung ist dieses: das Exil 
bewirkte eine Auslese von besten Elementen in Juda, die jeden- 
falls nicht die Träger bodenständiger Tendenzen waren und durch 
die Exilierung selbst meist von aller etwa noch vorhandenen 
Bodenständigkeit und Wurzelfestigkeit abgedrängt wurden; die 
sich in die Zwangslage versetzt sahen, ihr altes Nomadendasein 
(auch wenn es eingeschlummert war) wieder zu beleben und als 
Städter (Händler) ihr Dasein zu fristen. (Daß ein Teil der nach 
Babylonien verschlagenen Juden dort auch Ackerbau trieb, 
dürfen wir angesichts des babylonischen Talmuds als wahrschein- 
lich annehmen; aber hier wiederholten sich die Zustände, die 
wir in Palästina anzutreffen geglaubt haben: städtische Herren, 
die zugleich Geldverleiher sind, lassen ihr Land durch [nicht- 
jüdische ?] Teilbauern anbauen : das wenigstens ist das typische 
Bild, das wir aus dem babylonischen Talmud empfangen, von dem 
selbstverständlich Ausnahmen Vorkommen: wir begegnen selbst 
Rabbanen, die hinter dem Pfluge hergehen.) 

Und was noch wichtiger ist: die Vorgänge des Exils bleiben 
nicht vereinzelt, sondern werden die normalen, wie man sagen 
könnte. Schon vor dem Exil hatten zahlreiche Juden in Ägypten 
und auch in andern fremden Ländern gelebt. Von nun an voll- 
zieht sich dauernd jener Prozeß einer Auslese der nicht boden- 
ständigen, der wenigstens am ehesten mobilisierbaren Elemente 
durch das freiwillige Exil, die Auswanderung, aus der sich nun 
die Diaspora bildet. In die Fremde gingen immer diejenigen, 
in denen das alte Nomadenblut noch am stärksten pochte, und 
dadurch, daß sie in die Fremde gingen, wurde dieses Blut wieder 
ganz rege und durchströmte nun wieder ihr ganzes Wesen. Denn 
daß die aus Palästina (oder Babylonien) freiwillig (oder unter 
dem Zwang bloß ökonomischer Verhältnisse) auswandemden 
Juden irgendwo eine Ackerbaukolonie oder auch nur eine dauernde 
selbständige Niederlassung gegründet hätten (wie wir es von den 
meisten andern Auswanderern namentlich auch der alten Welt 


Digitized by t^ooQle 



412 


hören): davon erfahren wir nichts. Wohl aber vernehmen wir, 
daß die auswandernden Juden sich über den ganzen be- 
wohnten Erdkreis unter die fremden Völker verteilen, mit Vor- 
liebe aber in den großen Städten ihre Unterkunft suchen 591 . 
Wir erfahren auch nichts davon, daß jene sich selbst verbannenden 
Juden etwa zur heimatlichen Scholle zurQckgekehrt wären, nach- 
dem sie sich ein kleines Vermögen erworben hatten : wie heute 
die auswandernden Schweizer oder Ungarn oder Italiener. Sie 
bleiben vielmehr in den fremden Städten und erhalten mit dem 
Heimatlande nur geistig religiöse Beziehungen aufrecht. Höch- 
stens daß sie — als echte Nomaden — ihre jährliche Pilgerfahrt 
nach Jerusalem zum Passahfeste unternehmen. 

Allmählich verliert Palästina seine Bedeutung als Heimat 
der Juden, und das Judentum lebt überwiegend in der Diaspora. 
Denn schon als der zweite Tempel zerstört wurde (70 n. Chr.), 
wohnten wohl beträchtlich mehr Juden in der Diaspora als in 
Palästina selbst. Daß dieses auch in den Zeiten der dichtesten 
Besiedlung mehr als 1 bis 1 Vs Millionen Menschen ernährt haben 
sollte (60 — 100 auf den qkm; heute beträgt die Bevölkerung 
höchstens 650000), ist kaum anzunehmen. Gesamtjudäa aber 
umfaßte 225 000 Einwohner; Jerusalem 25 000 592 . Mehr Juden 
lebten aber wohl sicher schon zu Beginn unserer Zeitrechnung 
außerhalb der Grenzen Palästinas. Im ptolemäischen Ägypten 
allein sollen von 7—8 Millionen Einwohnern 1 Million Juden 
gewesen sein 598 . Und es war doch nicht leicht, einen Ort der 
bewohnten Erde zu finden, welcher nicht von diesem Geschlechte 
bewohnt und beherrscht (I) war, wie wir Josephus aus Strabo 
zitieren hörten. Philo zählt die zu seiner Zeit von Juden be- 
wohnten Länder auf und fügt hinzu: daß sie in zahllosen (jiuptai) 
Städten Europas, Asiens und Libyens, auf den Festländern und 
auf Inseln, am Meer und im Binnenlande angesiedelt seien. 
Dasselbe hatte schon ein gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. 
verfaßtes Sibyllenorakel ausgesagt 594 und Hieronymus bestätigt, 
daß sie, „von Meer zu Meer, vom Britannischen bis zum Atlanti- 
schen Ozean, von Westen zu Süden, von Norden zu Osten, auf 
der ganzen Welt“ wohnten 595 . Wie dick sie beispielsweise im 
frühkaiserlichen Rom schon saßen, bezeugen verschiedene Be- 
richte: eine Gesandtschaft des Judenkönigs Herodes wurde an- 
geblich von 8000 ihrer in Rom ansässigen Glaubensgenossen zu 


Digitized by 


Google 



413 


Augustus begleitet und im Jahre 19 n. Chr. wurden 4000 Frei- 
gelassene im waffenfähigen Alter, die „vom ägyptischen und 
jüdischen Aberglauben angesteckt“ waren, zur Deportation nach 
Sardinien verurteilt 696 . 

Genug: wie hoch man auch den Anteil der vorchristlichen 
Diaspora an der Gesamtjudenschaft veranschlagen möge : darüber 
kann kein Zweifel obwalten, daß Israel schon über die Erde zer- 
streut war, als der zweite Tempel fiel 697 . Und auch das ist 
zweifellos, daß das Mittelalter den Ameisenhaufen nicht zur 
Ruhe kommen ließ, daß Israel rastlos über die Erde zog. 

Die großen Züge der jüdischen Wanderungen sind diese : seit 
Ende des 5. Jahrhunderts erst langsame, dann rasche Entleerung 
Babyloniens in alle Gebiete der Erde: nach Arabien, nach Indien, 
nach Europa. Seit dem 13. Jahrhundert Abfluß aus England, Frank- 
reich, Deutschland, teils nach der Pyrenäenhalbinsel, in die schon 
vorher viel Juden aus Palästina und Babylonien gewandert waren, 
teils in die europäischen Ostreiche, in die seit dem 8. Jahr- 
hundert auch von Südosten her über das Schwarze Meer der 
Strom aus dem byzantinischen Reiche sich ergoß. Gegen Ende 
des Mittelalters sind dann die beiden großen Becken die Pyrenäen- 
halbinsel und Rußland-Polen geworden (soweit sie der Orient 
nicht behalten hatte). Von da ab beginnt die Neuverteilung der 
Judenschaft, wie wir sie in ihren Hauptzügen verfolgt haben. 
Zunächst beginnen die Spaniolen, dann — seit den Kosaken- 
verfolgungen im 17. Jahrhundert — die östlichen Juden sich über 
die Erde zu verbreiten. Dieser Prozeß der Zerstäubung der 
russisch-polnischen Juden hatte einen ziemlich organischen Ver- 
lauf angenommen, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts der 
Krater plötzlich wieder große Massen auswarf: jene ungezählten 
Hunderttausende, die in den letzten Jahrzehnten ihre Zuflucht 
in der Neuen Welt gesucht haben. 

Innerhalb der einzelnen Länder weist dann der Strom der jüdischen 
Wanderungen wieder seine besonderen Sichtungen auf, die beispielsweise 
in Deutschland auch die von Osten nach Westen ist. Deutschland nahm 
ja mit der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen an dem großen 
Reservoir, das die „östlichen 11 Juden enthält, starken Anteil. Noch um 
die Mitte des 19. Jahrhunderts (1849), zu der Zeit allerdings, in der die 
meisten Posenschen Städte, was den Anteil der jüdischen Bevölkerung 
anbetrifft, ihren Höhepunkt erreichten, gab es doch von 131 Ortschaften 21, 
deren Einwohnerzahl zu 80 — 40% aus Juden bestand, während in 4 Orten 


Digitized by 


Google 



414 


41— 50%, in 3 Orten über 50% (bis 64%) der Bevölkerung Joden waren. 
In dem letzten halben Jahrhundert ist dann die Judenschaft im Posenschen 
stark zusammengeschmolzen. 1905 wurden mehr als 10% Juden nur noch 
in 10 Städten ermittelt, und der höchste Anteil an der Gesamtbevölkerung 
überstieg an keinem Orte 15%. Wenn man die Gesamtzahl der Juden 
in der Provinz Posen im Jahre 1840 mit 100 gleichsetzt, so waren davon 
im Jahre 1905 nur noch 89,4 zurückgeblieben. Die 30433 Juden, die 1905 
in der Provinz Posen ermittelt wurden, machten noch 15% der Gesamt- 
bevölkerung aus, w&hrend die 76757 Juden, die 1849 ebendaselbst gezählt 
wurden, 57% der Bevölkerung bildeten. Um mehr als 60% hat also 
die jüdische Bevölkerung der Provinz Posen in 55 Jahren abgenommen 
Aber auch im übrigen Deutschland sind die Juden während des 
letzten Menschenalters viel gewandert, meist mit dem einen Ziel: Berlin. 
In den Jahren nur von 1880 — 1905 betrug für die preußischen 


Provinzen 

Zuwanderung 

Abwanderung 

Ostpreußen 



8 035 

Westpreußen 

— 

15170 

Brandenburg 

25 539 

— 

Stadtkreis Berlin . . . 

29008 

— 

Pommern 

— 

6 603 

Posen 

— 

31 381 

Schlesien 



18 854 

Sachsen 

— 

958 

Schleswig-Holstein . . 

— 

1043 

Hannover 

— 

2934 

Westfalen 

— 

4276 

Hessen-Nassau 

— 

144 

Rheinprovinz 

— 

1522 

Staat 

54 547 

85 920 


Dies durch die Jahrhunderte von Ort zu Ort gehetzte Volk, 
dessen Schicksal in der Sage vom ewigen Juden seinen er- 
greifenden Ausdruck gefunden hat 59 ®, wäre schon der ewigen 
Unruhe wegen niemals zu einem Gefühl der Bodenständigkeit 
gekommen, selbst wenn es in den Zwischenpausen zwischen 
zwei Verfolgungen versucht hätte, in der Scholle zu wurzeln. 

Aber alles, was wir an sicheren Zeugnissen über die Lebens- 
weise der Juden in der Verb ann ung besitzen, stimmt dahin 
überein, daß immer ein verschwindend kleiner Teil sich mit 
Landbau abgegeben hat, selbst dort, wo ihnen der Betrieb der 
Landwirtschaft nicht verwehrt war. Am meisten scheinen sie 
sich dem Ackerbau ergeben zu haben in Polen während des 
16. Jahrhunderts. Aber auch hier leben sie doch mit Vorliebe 
in den Städten. Wir erfahren jedenfalls aus jener Zeit, daß auf 


Digitized by 


Google 










415 


500 christliche Großhändler 3200 jüdische in den polnischen 
Städten entfielen 600 . 

Stfidtebewohner worden sie — ob freiwillig, ob zwangsweise 
bleibt sich gleich — , Städtebewohner sind sie bis auf den heutigen 
Tag geblieben : in der Gegenwart leben die Hälfte und mehr der 
Juden in Großstädten über 50 000 Einwohner in Deutschland 
(1900: 43,46 °/o), Italien, Schweiz, Holland, Dänemark (4/5), 
England (alle), Vereinigte Staaten (alle). Die Großstadt aber 
ist die unmittelbare Fortsetzung der Wüste — sie steht der 
dampfenden Scholle ebenso fern wie diese und zwingt ihren 
Bewohnern ein nomadisierendes Leben auf wie diese. 

Durch Anpassung an die Umwelt wurden die alten Keime 
des Nomadentums und der alten Wüstensinne der Juden während 
der Jahrtausende entwickelt: und durch Auslese immer mehr 
zur Vorherrschaft gebracht, denn es ist klar, daß in dem be- 
ständigen Wechsel, dem die Judenschaft ausgesetzt war, nicht 
die behaglich-bodenständigen, sondern die rastlos-nomadischen 
Elemente diejenigen waren, die sich am widerstandsfähigsten 
erhielten und darum überlebten. 

Und dieses heiße, unruhevolle Volk, das nicht vierzig Jahre, 
sondern viertausend Jahre und länger in der Wüste gewandert 
hatte, kam nun endlich in sein Kanaan: in die Länder, wo es 
von seinen Wanderungen ausruhen wollte: in die nordischen 
Länder und begegnete hier Völkern, die selbst die Jahrtausende 
hindurch, während welcher die Juden von Oase zu Oase geirrt 
waren, in so ganz und gar verschiedener Umgebung auf ihrer 
Scholle gesessen hatten: naßkalten Völkern gleichsam, die sich 
von den Juden abhoben wie ein Ardennenpferd von einem 
arabischen Rosse. 

Man wird jetzt bald nicht mehr viel Wert darauf legen, 
die Völker, die Nord-, Mittel- und Osteuropa seit Jahrtausenden 
besiedeln, „Arier“ zu nennen (oder anders). Zwar ergeben die 
neueren Untersuchungen sowohl auf somatisch-anthropologischem 
und archäologischem als auf linguistischem Gebiet, daß wenigstens 
ein großer Teil der Völker, welche in der jüngeren Steinperiode 
Mittel- und Nordeuropa bewohnten, Arier gewesen sind 601 . Aber 
das ist ja gar nicht so wichtig. Was wissen wir denn viel 
von dem Grundwesen dieser Völker, wenn wir erfahren, daß 
es „Arier“ waren? Dann müßten wir ja alle jene mystischen 


Digitized by VjOOQle 



416 


Verirrungen wieder erleben, von denen ich mit Schaudern be- 
richtet habe, wenn wir aus der Sprache oder vielleicht auch 
aus übereinstimmenden anthropologischen Merkmalen, wie Schädel- 
form usw. auf den geistigen Habitus dieser Menschen schließen 
wollten. Wichtig und entscheidend ist, daß diese „Arier“ 
nordische Völker waren, die dem Norden entstammen und 
in heißen Ländern sich nicht haben akklimatisieren können •**. 

Sie als „Arier“ zu bewerten und verstehen zu wollen, führt 
geradezu irre; denn dann ist man immer in Versuchung, die 
dunkeln Inder als Brüder zu betrachten und versperrt sich da- 
durch sicher den Weg zur besseren Einsicht. Die blonden blau- 
äugigen Menschen, die Nord- und Mitteleuropa seit Jahrtausenden 
inne haben, haben wahrscheinlich mit jenen braunen Menschen 
der indischen Jungein, mögen ihre Sprachen auch noch so ver- 
wandt sein, blutsmäßig herzlich wenig gemein. 

Denn die Eigenart ihres Wesens haben sie nur erwerben 
können in der ganz eigenen Umgebung, die ihnen die nordischen 
Länder boten. Welches diese Eigenart war, können wir ja heute 
noch an uns erfahren, nur müssen wir immer bedenken, daß 
das spezifisch Nordische in jenen vergangenen Zeiten noch viel 
ausgeprägter war als heute. Will man diese Eigenart in ein 
Wort fassen, um es der Eigenart der Wüste entgegenzusetzen, 
so heißt dieses eine Wort: Wald. Wüste und Wald sind die 
großen Kontraste, um die alle Wesenheit der Länder wie der 
Menschen, die sie bewohnen, herumgelagert ist. Der Wald gibt 
dem Norden sein Gepräge; genauer: der nordische Wald, in 
dem die Bäche murmeln, in dem der Nebel um die Stämme 
quirlt, in dem die Kröte „im feuchten Moos und triefenden 
Gestein“ haust, in dem im Winter die matten Sonnenstrahlen im 
Rauhreif glitzern, und in dem im Sommer die Vögel singen. Wälder 
rauschten ja auch auf dem Libanon und rauschen heute noch im 
Süden von Italien, wo längst der Wüstencharakter eingesetzt 
hat ; aber wer jemals in einen südlichen Wald getreten ist, weiß, 
daß er nicht mehr als den Namen mit unsem nordischen Wäldern 
gemein hat; „der wird gestehen müssen, daß dieser Wald (schon 
in Italien) für Anblick und Gefühl ein anderer ist, als der auf 
den Alpen oder an dem Gestade der Ostsee. Der süditalienische 
Wald ist klangvoll, von reinem Licht und Blau durchschimmert, 
in seinem Aufstreben, Beugen und Schaudern elastisch und 


Digitized by 


Google 



417 


nervig; oft gleicht er einem Tempelhain.“ (Hehn.) Während 
unser nordischer Wald lieblich und gespenstisch, traulich und 
schreckhaft in einem ist. Wüste und Wald, Sand und Sumpf: 
das sind die großen Gegensätze, die letzten Endes ja auf dem 
verschiedenen Feuchtigkeitsgehalt der Luft beruhen und alle 
anderen für das Menschendasein (wie wir noch sehen 
werden) so entscheidenden Bedingungen schaffen : hier ist gleich- 
sam das Symbol der Natur die Fata morgana, dort der Nebel- 
streif. 

Und alle Eigenart dieser nordischen Natur, sagte ich, war 
in früherer Zeit viel stärker ausgeprägt als heute. Die Römer 
schildern uns Germanien als ein rauhes Land, das von Sümpfen 
und dichten Wäldern erfüllt ist, als ein Land mit düsterem 
Himmel, nebelvoller, regenreicher Luft, mit langen Wintern und 
furchtbaren Stürmen. 

Hier hausten mm Völker, wahrscheinlich seit der Eiszeit, 
deren Spuren wir jedenfalls Jahrtausende zurückverfolgen können. 
Nach neueren Hypothesen hätten die Germanen auf einer 
klimatischen Insel in einer Ecke Frankreichs sogar die Eiszeit 
hier oben überdauert. (Die erste Geschichtskunde von den 
Germanen, die wir einem römischen Schriftsteller verdanken, 
stammt aus dem Jahre 330 v. Chr.) 

(Aber auch, wenn die ersten Pfahlbaubewohner [die aber 
möglicherweise paläolithisch sind] aus dem Osten eingewandert 
sein sollten, so wären sie doch nur aus einem nicht völlig andern 
Milieu gekommen, nämlich aus dem grasreichen Steppengebiet 
Zentralasiens.) 

Jahrtausende lang, können wir also getrost sagen, saßen hier 
Rassen und Völker (die unsere Vorfahren sind) in feuchten 
Wäldern, zwischen Sümpfen, zwischen Nebeln, in Eis und Schnee 
und Regen, womöglich auf Pfahlrosten im Wasser selbst. Und 
rodeten die Wälder und machten das Land urbar und siedelten 
dort, wo ihnen Axt und Pflugschar einen Streifen in der Wildnis 
frei gemacht hatten. Auch als diese Stämme noch nicht völlig 
zur Seßhaftigkeit gelangt waren (und die Berichte des Caesar 
lassen darauf schließen, daß damals noch Jagd und Viehzucht 
die Hauptbeschäftigung waren, und daß sie ihre Aufenthalte von 
Zeit zu Zeit wechselten), erscheinen sie uns doch schon gleichsam 
mit dem Boden verwachsen. Ganz hat der Ackerbau nie gefehlt : 

Sombart, Die Juden 27 


Digitized by t^ooQle 



418 


ans den linguistischen Tatsachen ergibt sich mit Bestimmtheit, 
„daß keiner Epoche der indogermanischen Vorgeschichte der 
Feldbau ganz unbekannt gewesen sein kann a . Die ältesten 
Pfahlbauer, die wir kennen, waren schon Ackerbauer. Aber 
auch dort, wo wir uns jene nordischen Völker als „Nomaden“ 
vorstellen, ist das Bild ganz und gar ein anderes als das, das 
wir uns von einem Beduinenstamme machen und empfinden wir 
sie bodenständiger als selbst ein Ackerbauvolk in einem Oasen- 
lande. Jene sind immer Siedler, auch wenn sie Viehzucht treiben ; 
diese immer Bodenfremde, auch wenn sie Ackerbauer sind. 

Das macht der Umstand, daß doch das Verhältnis im Norden 
mit der Natur ein innigeres ist als in den heißen Ländern. Man 
bettet sich gleichsam in die Natur ein, auch wenn man nur als 
Jäger durch die Wälder streift oder als Hirt für seine Herde in das 
Dickicht eine Lichtung schlägt. Ich möchte (auf die Gefahr hin, 
als „moderner Mystiker“ verspottet zu werden), sagen: daß im 
Norden auch zwischen dem gewöhnlichen Menschen und der 
Natur sich zarte Bande der Freundschaft und Liebe knüpfen, 
die der Bewohner heißer Zonen, die schon der Italiener kaum 
noch in gleichem Maße kennt. Im Süden, hat man oft mit Recht 
bemerkt, betrachtet der Mensch die Natur nur unter dem Ge- 
sichtspunkt des Kulturzweckes. Der Mensch bleibt der Natur 
innerlich fremd, selbst wenn er das Land bebaut : ein eigentliches 
Landleben: ein Leben in der Natur und mit der Natur, ein Ver- 
wachsensein mit Baum und Strauch, mit Land und Wiese, mit 
Wild und Vögeln gibt es nicht in jenen seligeren Gefilden. 

* * 

* 

Sollte nun diese grundverschiedene Umgebung, sollte die 
durch die Eigenart der Umgebung grundverschieden gestaltete 
Lebensweise nicht das Wesen dieser Menschen selber in je einer 
besonderen Richtung bilden? Sollte also auch die jüdische Eigen- 
art, wie wir sie kennen gelernt haben, nicht beeinflußt worden 
sein, ja geradezu ihr charakteristisches Gepräge empfangen 
haben durch die Jahrtausende währende, gleichförmige Wüsten- 
wanderung? 

Wenn ich die Frage mit ja beantworte und im folgenden 
versuche, jenen Zusammenhang zu begründen, so muß freilich 
eingestanden werden, daß ein „exackter“ Beweis — und das 


Digitized by t^ooQle 



419 


müßte ein biologischer sein — für die Richtigkeit meiner An- 
nahme bei dem heutigen Stande unseres Wissens nicht geführt 
werden kann. Dazu fehlen einstweilen noch alle empirisch- 
experimentellen Unterlagen, die uns darüber Aufschluß geben 
könnten, wie die Eigenart der Umgebung und der Lebens- 
betätigung die anatomische und physiologische Art der Menschen 
und damit auch ihre psychische Beschaffenheit beeinflussen. In 
welcher Richtung diese Untersuchungen angestellt werden müßten, 
dafür gibt uns Juan Huarte de San Juan, jener kluge 
spanische Arzt aus dem 16. Jahrhundert, den ich schon erwähnt 
habe, wertvolle Fingerzeige in seinem genialen Examen de 
ingeniös, in dem er auch (der einzige bisher I) einen ernsthaften 
Versuch macht, die jüdische Eigenart aus der Vergangenheit und 
den Schicksalen des jüdischen Volkes biologisch-psychologisch zu 
erklären. Die Gedanken dieses ausgezeichneten Mannes, der, oft 
in einer für seine Zeit geradezu hellseherischen Weise, Probleme 
der menschlichen Artbildung behandelt, erscheinen mir wertvoll 
genug, um sie der unverdienten Vergessenheit zu entreißen und 
sie an dieser Stelle auszugsweise mitzuteilen 608 . 

Huarte führt die Eigenart des jüdischen Geistes auf folgende 
Bedingungen zurück, unter denen die Juden groß geworden sind : 

1. die heißen Klimata; 

2. die unfruchtbaren Gegenden; 

8. die eigentümliche Ernährung, die sie namentlich in der 
Wüste während ihrer 40 jährigen Wanderung gehabt haben. 

Während dieser Zeit genossen sie eine ganz feine Speise: 
das Manna; tranken ganz leichtes Wasser und atmeten eine 
ganz feine Luft. Dadurch wurde in den Männern ein feiner 
und verbrannter Same abgesondert; in den Frauenspersonen 
bildete sich ein zartes und reines (sutil y delicada) monatliches 
Blut : das bewirkt aber schon nach Aristoteles, daß scharfsinnige 
Kinder geboren wurden: hombre de muy agudo ingenio. 

4. „Als aber das israelitische Volk in den Besitz des ihm 
verheißenen Landes nunmehr gesetzt war, so mußte es bei 
seinem ... so scharfsinnigen Genie so viel Mühseligkeiten, Teue- 
rungen, feindliche Einfälle, Unterwerfungen, Knechtschaften und 
Verfolgungen ausstehen, daß es durch dieses elende Leben jenes 
warme, trockene und verbrannte Temperament (aquel tempera- 
mento caliento y seco y retostado) erhielt . . . Eine beständige 

27* 


Digitized by t^ooQle 



420 


Traurigkeit und ein beständiges Elend macht , daß sich die 
Lebensgeister und das Pulsaderblut sowohl in dem Gehirn als 
in der Leber und in dem Herzen häufen und sich endlich, 
weil immer mehr und mehr dazu kommen, untereinander ver- 
brennen und verzehren . . . Das Gewöhnlichste ist, daß sie viel 
schwarze und verbrannte Galle (melancolia por adustion) er- 
zeugen. Von dieser schwarzen Galle haben fast alle Juden noch 
bis jetzt sehr vieles . . . ,metus et maestitia diu durans melan- 
choliam significat* (Hippocrates). Diese verbrannte Galle (esta 
cölera retostada) ist . . . das Werkzeug der Verschlagenheit, der 
List und der Bosheit (solercia, astucia, versacia, malicia). Sie 
macht aber auch zu den medizinischen Vermutungen sehr ge- 
schickt“ usw. Der Verfasser widerlegt dann noch den Einwand : 
die Juden hätten in den 3000 Jahren, seit sie Manna nicht aßen, 
die dadurch erworbenen Eigenschaften wieder verloren, mit ernst- 
haften Erörterungen über „Vererbung erworbener Eigenschaften* 
usw. Die Pointe seiner Ausführungen ist diese: was einmal 
das Keimplasma verändert hat, wirkt lange weiter. Übrigens 
will er nicht leugnen, daß eine Abnahme der Scharfsinnigkeit 
bei den Juden doch vielleicht zu bemerken sei. 

In diese Tiefen, in die der Madrider Arzt steigt, wage ich 
also den Leser nicht zu führen: einstweilen würden wir dort 
doch auf nichts anderes als auf unbewiesene Tatsachen und 
laienhafte Vermutungen stoßen. Wir müssen vielmehr not- 
gedrungen an der Oberfläche bleiben und uns im wesentlichen 
damit begnügen, auf die Zusammenhänge hinzuweisen, die (unserer 
erlebnismäßigen Erkenntnis gemäß) zwischen bestimmten psycho- 
logischen Eigenarten, wie wir sie an den Juden wahmehmen 
konnten, und ihren Lebensschicksalen bestehen. 

Als diejenige Eigenart des jüdischen Wesens, in die wir 
alle andern Eigenarten gleichsam eingebettet fanden, wie Samen- 
körner in die Samenkapsel, erkannten wir die überragende 
Geistigheit dieses Volkes. Diese aber werden wir wohl ohne jedes 
Bedenken erklären dürfen aus der Tatsache, daß die Juden von 
der Urzeit des Hirtendaseins an niemals körperlich schwere oder 
auch nur vorwiegend körperliche Arbeit zu verrichten gehabt 
haben. Von dem Fluche, mit dem Adam und Eva aus dem 
Paradiese gestoßen wurden : daß der Mensch im Schweiße seines 
Angesichts sein Brot essen müsse, haben die Juden in allen 


Digitized by t^ooQle 



421 


Zeiten wenig mitgetragen, wenn wir den körperlichen Schweiß 
und nicht etwa Sorge und Überlegung — die aber doch mm 
einmal nur „geistige“ Arbeit in dem gewöhnlichen Verstände 
verursachen — darunter verstehen wollen. Das Hirtendasein 
verlegt schon den Schwerpunkt der Tätigkeit in die bedenkende, 
disponierende, organisierende Arbeit, und alle Berufe, die wir 
dann die Juden ergreifen sehen (ob zwangsweise, ob freiwillig, 
bleibt sich in diesem Falle gleich), erheischen nicht eigentlich 
körperliche Anstrengung, wohl aber geistige Fähigkeiten. Unser 
aller Stammbaum führt in den allermeisten Fällen spätestens 
nach zwei oder drei Generationen hinter den Pflug oder den 
Aunbos oder den Webstuhl zurück. Die Juden würden viele 
Geschlechter nennen können, die seit Jahrhunderten oder Jahr- 
tausenden nicht Bauern und nicht Handwerker, nicht eigentlich 
Werkschöpfer, sondern nur Bedenker gewesen sind: „geistige“ 
Arbeiter. Sollte sich da durch Anpassung und Auslese der zu 
solcher unkörperlichen Arbeit Geeignetsten nicht eine besondere 
Eigenart herausgebildet haben? Es wäre seltsam, wenn es 
nicht der Fall wäre. Wir müßten ohne weiteres auf eine hervor- 
ragende Geistigheit dieser Bevölkerungsgruppe aus ihrem Lebens- 
schicksal schließen. Und wenn wir mm diese Eigenart durch 
Beobachtung feststellen: sollte dann der Schluß nicht statthaft 
sein, daß sie aus der besonderen Arbeitssphäre, in die die Juden 
seit Anbeginn an eingeschlossen waren, sich ableiten lasse? 

Aber auch jene besondere Geistigheit, die wir bei den 
Juden fanden, führt schließlich in die Wüste — Sand- oder 
Steinwüste — zurück. „Abstrakt“, „rational“ sehen wir sie 
veranlagt: mit ausgeprägtem Sinn für begrifflich - diskursive Er- 
fassung der Dinge ; mit einem Mangel an sinnlicher Anschaulich- 
keit und empfindungsmäßiger Beziehung zur Welt. Wüste und 
Wald, Norden und Süden! Die scharfen Konturen heißer, 
trockner Länder, die grellen Sonnenflecke neben den tiefen 
Schlagschatten, die hellen Sternennächte, die erstarrte Natur: 
alles dieses läßt sich wohl bildlich in das eine Wort des „Ab- 
strakten“ zusammenfassen, dem das „konkrete“ Wesen alles 
Nordens, wo das Wasser reichlich fließt, gegenübertritt: die 
Verschiedenheit aller Umgebung, die Lebendigkeit der Natur 
in Wald und Feld, die dampfende Scholle. Lassen sich hier 
nicht Zusammenhänge denken zwischen dem abstrakt-verstandes- 




Digitized by 


Google 



422 


haften Wesen der Juden und dem anschauend-verträumten Sinn 
des nordischen Menschen? Ist es ein Zufall, daß Astronomie 
und Zählkunst in den heißen Ländern mit den ewig klaren 
Nächten entstanden sind und — wie wir hinzu fügen wollen — 
von Völkern ausgebildet wurden, die als Hirtenvölker das Zählen 
gelernt hatten? Könnten wir uns jene Sumerer, denen man 
die Erfindung der Keilschrift zuschreibt, und die jenes kunst- 
volle System der sog. Sexagesimalrechnung in virtuosester 
Weise handhabten* 04 , als ein nordisches Volk denken, wie 
jetzt die germanomanen Rassentheoretiker uns weismachen 
wollen? Wie sollte so leicht in einer nebligen nordischen Land- 
schaft dem Bauern hinter dem Pflug oder dem Jäger im 
Walde die abstrakte Vorstellung der Zahl in seinem Geiste auf- 
steigen? 

Auch dieses wird sich nicht wohl bezweifeln lassen, daß 
das rationale Denken nach Gründen ebenso in die südliche 
Welt mit ihrer künstlich-gebildeten, nicht gewordenen Natur, in 
die ewige Unsicherheit des Beduinenlebens hineinführt, wie das, 
sei es traditionalistische, sei es instinktive Dasein sich in unserer 
Vorstellung mit dem behäbigen, sicheren, umfriedeten Leben des 
nordischen Ackerbauers und mit der nebelhaft-mystischen Natur- 
umgebung des Nordmenschen verbindet. Daß der Sinn für das 
Lebendige, Organische, Gewachsene nur aus der tausendfältig 
lebendigen Natur des Nordens sich entwickeln kann oder leichter 
sich entwickeln wird als aus der toten Natur des Orients, scheint 
auch nicht allzu unwahrscheinlich. Wie denn ebenso wie die 
Wüste (der Süden) die Stadt, weil sie den Menschen von der 
dampfenden Scholle abdrängt und ihn loslöst von dem Zusammen- 
leben mit den Tieren und Pflanzen — organisch-gewachsenen 
Gebilden — , in ihm das eigne Miterleben des Lebendigen, 
das allein das „Verständnis“ für die organische Natur vermittelt, 
verkümmert und zerstört. Wie sie dann aber auf der andern 
Seite, ebenso wie das Nomadenleben in seiner wüstenhaften 
Form, die Fähigkeiten des Verstandes entwickelt, der als Späher, 
als Spionierer, als Zurechtweiser, als Ordner in ewig starker 
Bewegung erhalten wird. Fortwährend bedacht sein, heischt 
die Erfüllung seiner Lebensaufgabe vom „Nomaden“, fortwährend 
bedacht sein, forderte das Schicksal den Juden ab. Also auch 
zweckbedacht sein: in jedem Augenblicke eine neue Sachlage 


Digitized by 


Google 



423 


überblicken, einer neuen Sachlage gerecht werden, sein Leben 
„zweckmäßig“ einrichten. 

Anpassungsfähig uud beweglich sind die Juden. Anpassungs- 
fähigkeit und Beweglichkeit sind aber die beiden Haupteigen- 
schaften, über die der „Nomade“ verfügen muß, wenn er im 
Daseinskämpfe obsiegen will, während der seßhafte Bauer mit 
diesen Tugenden nichts anzufangen wüßte. „Das Lebensgesetz 
der Wüste schreibt den Nomaden die höchste Beweglichkeit der 
Person und des Besitzes vor. Pferd und Kamel müssen ihn 
und seine gesamte Habe rasch von Weideplatz zu Weideplatz 
tragen, da seine geringen Vorräten bald erschöpft sind und müssen 
ihn blitzschnell dem Überfall des stärkeren Feindes entziehen . . . 
Diese Beweglichkeit verlangt auch schon unter gewöhnlichen 
Umständen von den Führern der Stammabteilungen und ganzer 
Stämme ein gewisses Organisationstalent“ 606 (dessen der Acker- 
bauer gar nicht benötigt). „Der Pflug und der Stier stehen 
schwach und schwerfällig der Lanze, dem Pfeile und dem Pferde 
der Nomaden gegenüber • 0Ä .“ Das Land der Stadt, kann man 
erweiternd hinzufügen, wenn man das Lebensschicksal der Juden 
verfolgt, das von dem Augenblick an, da sie den Jordan über- 
schritten, bis heute von ihnen jenen hohen Grad von Beweglich- 
keit erheischte. 

Sind nicht auch die beiden Gegensätze der Zielstrebigkeit und 
Werkfreudigkeit auf die Gegensätze von Nomadismus und Siedler- 
tum zurückzuführen? Und die Jahrtausende langen Wande- 
rungen haben dann bei den Juden diese Zielstrebigkeit, die 
eine echte Wandertugend ist, weiter entwickelt? Von der 
Wanderung in der Wüste an bis auf unsere Tage hat das ge- 
lobte Land stets vor ihnen gelegen: ihm sind sie zugestrebt, 
wie jeder Wanderer sehnsüchtig in die Ferne, in die Zukunft 
schauend: wie jeder Wanderer wenigstens, dem die Wanderung 
selbst keine Freuden bringt. Je ärmer die Gegenwart wurde, 
desto mehr an Reizen gewann die Zukunft, an Bedeutung ; alles 
Seiende wurde schal, alle Wirklichkeit inhaltlos, alles Tun sinn- 
los: nur was hinter dem Tun in der Zukunft lag, hatte noch 
Wert: der Erfolg: das zu erreichende Ziel. (Bei welcher Ent- 
stehungsgeschichte der Erfolgsbewertung dann freilich der Ge- 
brauch des Geldes zu Leihzwecken und der gesamte kapita- 
listische Nexus, wie wir schon sahen, wesentliche Unterstützung 


Digitized by 


Google 



424 


und Förderung brachten: sodaß vielleicht die ausgesprochene 
Zielstrebigkeit der Juden ebenso sehr Wirkung wie Ursache 
ihrer Betätigung als kapitalistische Wirtschaftssubjekte ist) 

Zur Zielstrebigkeit und ebenso zur Rastlosigkeit, die nur 
eine andere Form der Betätigung jener Eigenart ist, gehört 
aber, wie wir feststellen konnten, ein hohes Maß von körper- 
licher und geistiger Energie. Sie muh natürlich in den Urrassen 
gesteckt haben, aus denen die Juden hervorgegangen sind. Und 
ist dann entfaltet worden — das läßt sich mit ziemlicher Sicher- 
heit aussagen — durch die schicksalschwere Verirrung der 
Juden in die nordischen Länder. Denn daß der Jude erst in 
diesen seine volle Kraft (wie auch erst im Zusammenwirken 
mit den nördlichen, naßkalten Völkern seine ganzen Fähigkeiten) 
entfaltet, lehrt ein Vergleich zwischen der Wirksamkeit der 
Juden auf den verschiedenen Breitegraden. Als Besitztum des 
Volkes ist dann auch diese, im Kampfe um das Dasein, besonders 
fördersame Veranlagung natürlich vermehrt worden durch die 
Auslese der „Passenden". 

Und wie das Wesen, so hat auch — was im Grunde selbst- 
verständlich ist — die Wesensbetätigung, hat das Wesenswirken 
dieser beiden verschiedenen Menschheitsgruppen grundver- 
schiedenes Gepräge durch die Verschiedenheiten der Lebens- 
bedingungen erfahren. Wasser und Wald und dampfende Scholle 
haben ihre Märchen, ihre Sagen, ihre Lieder; haben ihre Ord- 
nungen ebenso eigenartig aus sich erzeugt, wie Wüste und 
Oase die ihren. Ich weiß nicht, ob schon eine Doktordisser- 
tation vorhanden ist, die das Thema behandelt : Goethe und das 
Wasser: wenn nicht, so wäre es eine dankenswerte Aufgabe, 
darüber eingehend zu berichten. Es würde sich zeigen, daß die 
echtesten Töne in den Goetheschen Dichtungen dem eigenartigen 
Zauber entsprungen sind, den die Dunst- und Nebelstimmung 
im deutschen Walde übt. 

„Füllest wieder Busch und Tal 
Still mit Nebelglanz“ . . . 

„Gabst mir die herrliche Natur“ ... 

„Durch die Steine, durch die Basen 
Eilet Bach und Bächlein nieder“ . . . 

„Im Dämmerschein liegt schon die “Welt erschlossen“ . . . 


Digitized by 


Google 



425 


Und tausend andere Stellen — alle Brockenlieder , alle 
Sturmgesänge — zeugen dafür. 

„Schweben uns (durch die Jahrtausende) 

Von Felsen wänden, aus dem feuchten Busch 
Der Vorwelt silberne Gestalten auf“: 

dann sind wir eine eigenartige Menschheitsgruppe geworden, 
die sich von denen unterscheidet, deren Väter von heißen 
Wüstenwinden umweht waren. Aber ich darf diese Gedanken- 
gänge, so reizvoll es wäre, nicht in ihre Verzweigungen ver- 
folgen, da mir ja nur die nüchterne Aufgabe obliegt, zwischen 
jenen besonderen Umwelten und dem Wirtschaftsleben einige 
Zusammenhänge aufzudecken. 

Gewiß ist aber auch, daß gerade die verschiedene Gestaltung 
des Wirtschaftslebens sich zu einem guten Teile wenigstens 
aus dem Gegensatz von Nomadismus und Agrikulturismus, von 
Saharismus und Silvanismus erklären läßt. 

Aus dem Walde, den man rodet, aus dem Sumpfe, den man 
zur Scholle umwandelt, aus der Scholle, auf der der Pflug geht, 
ist die eigenartige Wirtschaftsverfassung erwachsen , die in 
Europa Jahrtausende lang geherrscht hat, ehe der Kapitalismus 
kam: die wir die bäuerlich- oder feudal-handwerksmäßige ge- 
nannt haben, die auf den Grundgedanken der Nahrung, der 
Werkvemchtung, der ständischen Gliederung aufgebaut ist. Das 
abgegrenzte Besitztum des Bauern erzeugt erst die Vorstellung 
eines abgegrenzten Wirkungskreises, in den das einzelne Wirt- 
schaftssubjekt für alle Zeiten eingeschlossen ist, in dem es sich 
zu allen Zeiten gleich (traditionalistisch) betätigt: von hier aus 
dringt die Idee der Nahrung in alle anderen Wirtschaftszweige 
ein und formt sie nach ihrem Bilde. Über diesen nahrungs- 
mäßig gegliederten, tatsächlich und dann rechtlich gebundenen 
Wirtschaftseinheiten baut sich dann nur organisch der Stände- 
staat auf. 

Aus der unendlichen Wüste, aus der Herdenwirtschaft 
erwächst das Widerspiel der alten bodenständigen Wirtschafts- 
ordnung: der Kapitalismus. Das Wirtschaften hat hier keinen 
umfriedeten Bezirk, keinen abgegrenzten Tätigkeitskreis mehr, 
sondern das unbeschränkte Feld der Viehzüchtung, deren Er- 
trag von heute auf morgen vereitelt sein, aber auch in wenigen 
Jahren verzehnfacht sein kann: die Herden der Rentiere, 


Digitized by 


Google 



426 


Rinder, Pferde, Schafe wachsen rasch und nehmen ebenso rasch 
durch Seuchen oder Hunger wieder ab. Hier allein in der 
Herdenwirtschaft — niemals in der Sphäre des Ackerbaues — konnte 
die Erwerbsidee Wurzel schlagen. Hier allein konnte die Wirt- 
schaft auf eine unbegrenzte Vermehrung der Produkte nmenge 
eingestellt werden: „nur die starke Vermehrung der Herden 
macht den Nomadismus wirtschaftlich möglich“ (Ratzel). Hier 
allein konnte die Vorstellung entstehen, daß die abstrakte Güter- 
quantität und nicht die Gebrauchsqualität die beherrschende 
Kategorie des Wirtschaftslebens sei. Hier wurde zum ersten 
Male beim Wirtschaften gezählt. Aber auch, wie schon ange- 
deutet wurde, dringen die rationalen Elemente in das Wirt- 
schaftsleben durch den Nomadismus ein, der somit in fast allen 
Punkten der Vater des Kapitalismus ist. Und wir sehen aber- 
mals um einige Lichtstärken besser, wie sich das Band zwischen 
Kapitalismus und Judaismus knüpft, der hier als das Bindeglied 
zwischen jenem und seinem Urbilde, dem Nomadismus, erscheint. 

Aber Wüste und Wanderung, so sehr sie die jüdische Eigen- 
art bestimmt haben, sind doch nicht die einzigen Schicksals- 
fügungen, denen die Juden ihr Wesen verdanken. Andere sind 
zu jenen hinzugekommen, keine aber die Wirkungen jener durch- 
kreuzend oder abschwächend, alle vielmehr sie verstärkend und 
verschärfend. 

Das eine große Schicksal, das den Juden noch zu tragen 
oblag, war das Geld: daß sie die Hüter des Hortes durch Jahr- 
tausende waren, das hat tiefe Spuren in ihr Wesen eingeprägt 
und hat dieses Wesen in seiner Eigenart gesteigert. Denn in 
dem Gelde vereinigten sich gleichsam die beiden Faktoren, aus 
denen sich das jüdische Wesen zusammensetzt, wie wir sehen: 
Wüste und Wanderung, Saharismus und Nomadismus. Das Geld 
ist ebenso aller Konkretheit bar wie das Land, aus dem die 
Juden kamen; es ist nur Masse, nur Menge, wie die Herde; es 
ist flüchtig wie das Wanderleben; es wurzelt nirgends in frucht- 
barem Erdreich wie die Pflanze oder der Baum. Die fortgesetzte 
Beschäftigung mit dem Gelde drängte die Juden immer wieder 
und immer mehr von einer natural-qualitativen Betrachtung der 
Welt ab und lenkte alle Sinne auf die abstrakten quantitativen 
Auffassungen und Bewertungen hin. Aber sie erschlossen auch 
alle Geheimnisse, die im Gelde verborgen lagen; sie erkannten 


Digitized by 


Google 



427 


alle Wunderkräfte, die in ihm enthalten sind. Sie wurden Herren 
des Geldes und durch das Geld, das sie sich untertan machten, 
die Herren der Welt — # wie ich das in den ersten Kapiteln 
dieses Buches eingehend geschildert habe. 

Haben sie das Geld zuerst gesucht oder ist es ihnen auf- 
gedrängt worden und haben sie sich dann erst allmählich an 
diesen fremden Gast gewöhnt? Man wird beide Entstehungs- 
arten für die Geldliebe der Juden gelten lassen müssen. 

Es scheint fast, als sei ihnen in den Anfängen ohne ihr 
Zutun viel Geld zugeflossen ; oder richtiger : Edelmetall zugeflossen, 
das sich dann später in Metallgeld umgewandelt hat. 

Man hat, soviel ich sehe, noch niemals darauf geachtet, 
welche großen Mengen von Edelmetall — damals vorwiegend 
nicht in der Gefdform natürlich — zur Königszeit in Palästina 
müssen aufgehäuft gewesen sein. 

Von David erfahren wir, daß er auf seinen Beutezügen 
überall Gold und Silber die Menge einheimste und ebenso, daß 
ihm die fremden Fürsten Edelmetall als Tribut darbrachten: 
Joram, der Sohn des Königs von Hemath, „hatte mit sich silberne 
und kupferne Geräte. Auch diese weihete der König David dem 
Jahve, nebst dem Silber und Golde, welches er geweihet von 
all den Völkern, die er überwunden: von den Syrern und von 
den Moabitern und von den Söhnen Ammons und von den 
Philistern und von den Amalekitern und von der Beute Hada- 
desers, des Sohnes Rehobs, des Königs von Zoba“ (II. Sam. 8, 
10 — 12 ). 

Was wir von der Verwendung von Gold und Silber bei dem 
Bau der Stiftshütte und des Tempels, von den Opfern und Ge- 
schenken der Fürsten lesen (die wichtigsten Stellen finden sich 
Ex. c. 25 ff. und II. Chron.), grenzt an das Wunderbare und gibt 
doch allem Anschein nach ein ziemlich getreues Abbild der 
Wirklichkeit (wenigstens lassen die für jene Zeit auffallend ge- 
nauen statistischen Angaben darauf schließen). „Und der König 
machte das Silber und das Gold zu Jerusalem den Steinen gleich“ 
(H. Chr. 1, 15). Von den Ophirfahrten König Salomos weiß 
man : hier muß ein Kalifornien erschlossen sein I Und wie Jesaias 
klagt (über Juda): „voll ist sein Land von Silber und Gold“ 
(2, 7). 

Wo ist dies viele Edelmetall geblieben? Die Gelehrten des 


Digitized by t^ooQle 



428 


Talmud haben sich diese interessante Frage vorgelegt und sind 
zu dem Ergebnis gekommen, daß es bei Israel geblieben sei: 
„Das ist was R. Alexandri sagte. Drei kehrten nach ihrer Heimat 
zurück, und zwar: Jisraöl, das Geld Mifrajims [siehe Ex. 12, 35 ; 
1. Reg. 14, 25] und die Schrift der Bundestafeln“ 607 . Doch 
wird sich ein „exakter“ Beweis solcher Wanderung gewiß nie- 
mals erbringen lassen. Wichtig bleibt nur die Tatsache, daß 
doch offenbar ein gewaltiger Vorrat der Geldware im Anfang der 
jüdischen Geschichte bei Israel sich aufgehäuft hatte, der in 
privatem Geldvermögen auch wieder aufzutauchen geneigt sein 
mußte. Wozu dann nun im Laufe der Jahrhunderte die von 
allerwärts her zusammengebrachten Geldvorräte vermehrend 
hinzutraten. 

Denn später strömten große Massen Bargeld in das Land, 
sei es in Gestalt der Tempelsteuer, sei es in Gestalt des Reise- 
geldes, das die großen Mengen von Pilgern, die jährlich nach 
Jerusalem kamen, dort ließen. 

Cicero (pro Flacco c. 28) klagt über das Gold, das jährlich 
aus Italien und allen Provinzen nach Jerusalem geht. In der 
Tat müssen die auf beide Arten dorthin zusammengeströmten 
Geldmassen sehr beträchtlich gewesen sein. 

Von Mithridates wird uns erzählt, daß er 800 Talente von 
der Tempelsteuer wegnehmen ließ, die auf der Insel Kos depo- 
niert waren; Cicero berichtet, daß der räuberische Flaccus in 
vier Städten des westlichen Kleinasien, Apamea, Laodicea, 
Pergamum und Adramyttium die jüdischen Stempelsteuern (die 
auf dem Wege nach Jerusalem waren) an sich riß, und daß die 
in Apamea erbeutete 100 Pfund Goldes betragen habe. Gewaltig 
groß aber müssen auch die Massen von Menschen gewesen sein, 
die jährlich zum Tempel beten kamen. Wenn es auch nicht 
gerade 2 700 000 waren, wie Josephus meint, und wenn auch die 
Zahl der Synagogen für die auswärtigen Juden in Jerusalem 
nicht ganz 380 betragen haben mag, wie derselbe Gewährsmann 
berichtet. Jedenfalls war hier ein mächtiger Geldkonflux, der 
recht wohl dazu beigetragen haben kann, daß zahlreiche Leute 
reich und dadurch befähigt wurden, Geld auf Zinsen auszuleihen. 
Vielleicht in erster Linie die Priester, von denen wir wissen, 
daß sie reich dotiert und Leihgeschäften nicht abgeneigt 
waren 608 . 


Digitized by t^ooQle 



429 


Haben die Juden die Geheimnisse des Geldes selbst er- 
schlossen ? Haben sie die Technik des Leihverkehrs aus sich heraus 
entwickelt oder haben sie sie von den Babyloniern gelernt? Daß 
hier in Babylon in voijüdischer Zeit ein reger Geldverkehr be- 
standen hat, scheint jetzt fast erwiesen, obwohl wir über seine 
Art und Gestalt wenig Zuverlässiges wissen. Das, was die bisher 
übersetzten Quellenstellen erkennen lassen , gibt gar keinen 
sicheren Anhalt, um festzustellen: wie hoch die Entwicklung 
des Geld- und Geldleihgeschäfts gediehen war. Immerhin mögen 
die Keime der jüdischen Geldkunst hier bei ihren Vettern von 
Babylon liegen. Die Frage, ob dieser oder jener Stamm jener 
Völker, die ja doch alle aus gleicher Wurzel getrieben sind, die 
ersten goldenen Früchte getragen habe, ist im Grunde ziemlich 
nebensächlich. Bedeutsamer — und in seinen Wirkungen durch- 
aus klar — ist der Umstand, daß das spätere Schicksal den 
Juden die Geldliebe aufnötigte und die Geldkunst anzüchten 
muhte. 

Ihre Landflüchtigkeit zwang sie ja — seit ihrem Auszug 
aus Ägypten — , ihrem Hab und Gut immer beweglichere Formen 
zu geben, und unter diesen bot sich das Geld — neben Schmuck- 
sachen — als die geeignetste dar. Es wurde ihr einziger Be- 
gleiter, wenn sie nackt auf die Straße geworfen wurden; und 
ihr einziger Beschützer, wenn man sie quälte und mißhandelte : 
sollten sie es nicht lieben lernen, wenn sie mit seiner Hilfe die 
Großen dieser Erde sich unterwürfig machen konnten? Das Geld 
wurde ihnen — und durch sie der ganzen Menschheit — zum 
Mittel Macht zu üben, ohne selbst stark zu sein : mit den feinen 
Fäden des Geldleihgeschäfts fesselte ein Volk von kleinen, in 
sozialem Sinne ganz unscheinbaren Menschen den feudal-bäuer- 
lichen Riesen: wie die Liliputaner den Gulliver banden. 

Mit diesen letzten Gedanken habe ich aber abermals an ein 
Schicksal der Juden erinnert, das von vielen als ganz besonders 
bedeutsam für die Ausbildung ihres Wesens angesehen wird und 
das sicher auch nicht ohne eigenartige Wirkung geblieben ist: ihr 
Ghettoschicksal. 

Daß dieses die gesellschaftliche Stellung der Juden ganz 
eigenartig beeinflußt hat, daß es aus ihnen eine verachtete 
Pariakaste gemacht hat, ist einleuchtend. Der größte Teil der 
Ghettojuden gehörte den sozial niederen Schichten an und wurde 


Digitized by t^ooQle 



430 


selbst von seinen Glaubensgenossen als etwas Minderwertiges 
empfunden. Der Gegensatz zwischen Ghettojuden und freien 
Juden kam ja einst in dem Gegensatz zwischen Aschkenazim 
und Sephardim zum sehr greifbaren Ausdruck. Die beiden standen 
sich wie feindliche Brüder gegenüber, das heißt genauer: die 
Sephardim sahen auf die aschkenazischen Juden mit Verachtung 
herab und empfanden sie wie lästige bettelhafte Aufdringlinge. 

So schrieb ein deutscher Jude in bitterem Spotte an seinen 
sephardischen Glaubensgenossen um die Mitte des 18. Jahr- 
hunderts (als der Gegensatz seine stärkste Spannung erhalten 
hatte) wie folgt: 60 * 

„Je s$ai, Monsieur, que les Juifs Portugais n’ont de commune 
avec les Juifs Allemans qu’une Operation religieuse et que l’ädu- 
cation et les mceurs ne laissent entr’ eux aucune ressemblance 
reelle quant ä la vie civile. Je s<jai que l’affinite entre les uns 
et les autres est d’une Tradition extrement reculee et que le 
Gaulois Vercingentorix et l’Allemand Arminius etoient plus 
proches parens du beau • Pere d’Herode que vous du Fils 
d'Ephraim.“ 

Ganz ähnlich ließ sich der Sepharde Pinto aus in seiner 
bekannten Antwort auf die Angriffe, die Voltaire „gegen die 
Juden“ schlechthin erhoben hatte. 610 Pinto legt entscheidenden 
Wert darauf, daß die Spaniolen nicht mit den deutschen Juden 
„in einen Topf geworfen“ werden: sie seien eben zwei ver- 
schiedene Nationen. 

„Un Juif de Londres ressemble aussi peu ä un Juif de Con- 
stantinople que celui-ci ä un Mandarin de la Chine. Un Juif 
Portugais de Bordeaux et un Juif Allemand de Metz paroissent 
deux etres absolument differens.“ „Mr. de Voltaire ne peut 
ignorer la d£licatesse scrupuleuse des Juifs Portugais et Espagnols 
ä ne point se mäler, par marriage, alliance ou autrement avec 
les Juifs des autres Nations.“ 

Wenn ein sephardischer Jude, meint Pinto, in England oder 
Holland eine deutsche Jüdin heimführen würde, würde er von 
den Seinen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden und 
würde nicht e inm al auf ihrem Begräbnisplatz eine Ruhestätte 
finden. 

Die Gegensätzlichkeit kam in dem äußeren Verhalten nament- 
lich der sephardischen Juden, die sich als die Aristokratie inner- 


Digitized by 


Google 



481 


halb der Judenschaft fühlten, und die sich durch die andringende 
Schar der sozial tiefer stehenden Östlinge in ihrer gesellschaft* 
liehen Stellung bedroht sahen, oft genug zum Ausdruck. 

So setzten im Jahre 1761 die portugiesischen Juden (oder 
Marranen) in Bordeaux einen dringenden Befehl durch: daß 
sämtliche fremde Juden innerhalb 14 Tagen Bordeaux zu ver- 
lassen hätten. Pinto und Pereira waren dabei die treibenden 
Kräfte; sie boten alles auf, um die „Landstreicher“ — ihre 
eigenen Glaubensgenossen aus Deutschland und Frankreich — 
sobald als möglich los zu werden. 611 

Wie in Hamburg die sephardischen Juden gleichsam eine 
Aufsichtsbehörde gegenüber den Aschkenazim bildeten, die dafür 
zu sorgen hatte, daß diese keine Schmutzereien im Handel und 
Verkehr verübten, haben wir in einem andern Zusammenhänge 
schon in Erfahrung gebracht. 

Das Gefühl der Gegensätzlichkeit, das wie gesagt haupt- 
sächlich von den Sephardim genährt wurde, hatte seine Wurzeln 
vor allem, wie auch schon angedeutet wurde, in dem Gegensatz 
der sozialen Stellung. Es wurde aber genährt durch ein stark 
aristokratisches Bewußtsein, das die Sephardim erfüllte, weil sie 
sich von edlerer Herkunft als die Aschkenazim wähnten : wollten 
sie doch sämtlich von den edelsten Familien des Stammes Juda 
ihre Abstammung ableiten und waren sie doch von dem echten 
Blutsstolze erfüllt, daß diese edle Abstammung für sie in Spanien 
und Portugal von jeher ein Antrieb zu großen Tugenden und 
ein Schutz vor Lastern und Niedrigkeit gewesen sei. 

„L’idäe, oü ils sont assez gönöralement, d’etre issus de la 
Tribe de Juda, dont ils tiennent que les principales familles 
furent envoyöes en Espagne du temps de la captivitd de Ba- 
bylone, ne peut que les porter ä ces distinctions et contribuer 
ä cette elövation de sentimens qu’on remarque en eux.“ 6,2 

Das gibt zu denken. Und veranlaßt uns vielleicht, die Be- 
deutung des Ghetto für die Entwicklung des Judentums richtiger 
einzuschätzen als bisher. Jene Auffassung der sephardischen 
Juden von Würde und Haltung als höchste Tugenden weist auf 
die Möglichkeit hin, daß diese Lebensanschauung, die den Gegen- 
satz gegen alles Aschkenazische deutlich empfand, wohl gar die 
Ursache war, weshalb die spanisch-portugiesischen Juden kein 
Ghetto gehabt haben, und nicht die Wirkung dieser Tatsache. 


Digitized by t^ooQle 


432 


Mit andern Worten: es wird sich kaum bezweifeln lassen, daß 
ein Teil der Juden nur darum dem Ghettoleben anheim fiel, weil 
es seiner Natur nach dazu neigte. 

Ob der Grund, weshalb die Einen im Ghetto endigten, die 
andern nicht, in der blutsmäßig verschiedenen Veranlagung 
der beiden Gruppen gelegen ist; ob (wofür auch vieles spricht) 
die sephardischen Juden seit altersher eine soziale Auslese dar- 
stellten, läßt sich, wie schon einmal gesagt wurde, mit den 
jetzigen Hilfsmitteln nicht entscheiden. Daß hier aber ver- 
schiedene Veranlagung das verschiedene Schicksal mindestens 
befördert habe, dürfen wir als sehr wahrscheinlich annehmen. 

Nur soll man wiederum diese Verschiedenheit der Veranlagung 
nicht zu hoch einschätzen: das spezifisch jüdische Wesen wird 
durch sie doch nicht in seiner Eigenart berührt. Die letzthin 
entscheidenden Züge der jüdischen Psyche sind hier wie dort 
dieselben. Nur insofern ist hier also das Ghettoleben von Be- 
deutung geworden, als einmal in seinem Dunstkreis eine Menge 
von Gewohnheiten, von Praktiken sich ausbildeten, die den 
Ghettojuden dann in seiner weiteren wirtschaftlichen Laufbahn 
begleiteten und sein geschäftliches Leben oft in eigenartiger 
Weise beeinflußten. Es sind zum Teil die Gewohnheiten der 
sozial niedrig Stehenden überhaupt, die aber natürlich im jüdischen 
Blute ein ganz merkwürdiges Gepräge annehmen: Neigung zu 
kleinen Betrügereien, Aufdringlichkeit, Würdelosigkeit, Taktlosig- 
keit usw. Sie haben sicher eine Bolle gespielt, als die Juden 
daran gingen , die Feste der alten handwerksmäßig-feudalen 
Wirtschaftsordnung zu erobern: in dem Kapitel, das vom Auf- 
kommen einer modernen Wirtschaftsgesinnung handelt, haben 
wir öfters die Wirkungen gerade dieser Charakterzüge feststellen 
können. 

Nur soll man eben die Bedeutung dieser mehr äußerlichen 
Züge nicht übertreiben. Sie mögen für die gesellschaftliche 
Stellung der Juden uns persönlich sehr bedeutsam erscheinen: 
für ihre wirtschaftlichen Erfolge sind sie doch nur von geringer 
Wichtigkeit. Mit ihnen allein wären die Juden sicher nicht zu 
ihrer weltbeherrschenden Stellung gelangt. 

Viel wichtiger erscheint mir eine andere Wirkung des 
Ghetto : daß es nämlich die wirklichen Grundzüge des jüdischen 
Wesens stärker und einseitiger hat ausbilden helfen. Wenn dieses, 


Digitized by t^ooQle 



438 


wie wir sahen, letzten Endes in dem Mangel an Bodenständigkeit 
und W urzelhaftdgkeit sein Gepräge findet, so ist es einleuchtend, 
daß ein paar Jahrhunderte Ghettoleben diesen Mangel vergrößern 
mußten. Aber auch hier ist nur deutlicher herausgekommen, was 
längst im Wesen, im Blute geruht hatte. 

Dieselbe Wirkung: nämlich die Eigenart des jüdischen 
Wesens zu bekräftigen, hat dann das Ghettoleben auf Umwegen 
noch dadurch ausgeübt, daß es die beiden Mächte gestärkt 
hat, auf denen zum guten Teile die zähe Konstanz des jüdischen 
Wesens beruht, die beide die Funktion gehabt haben : die durch 
Auslese herausgebrachten Charaktere weiter einseitig zu be- 
einflussen und fest zu erhalten: die Religion und die Inzucht. 

Daß die Religion eines Volkes selber aus dessen Wesen 
entspringt, wurde oben als die Auffassung ausgesprochen, die 
diesen ganzen Ausführungen zugrunde liegt. Aber darum bleibt 
es doch wahr, daß eine exklusiv-formalistische Religion, wie die 
jüdische, eine ganz gewaltige Wirkung ausüben kann auf die 
Wesenheit ihrer Anhänger, insbesondere auf die Vereinheitlichung 
und Schematisierung der Lebensführung. In welcher weit- 
gehenden Weise die jüdische Religion diese Wirkung ausgeübt 
hat, ist seinerzeit ausführlich dargelegt worden: man erinnere 
sich nur ihrer rationalisierenden Tendenz, die wir als ihren 
Grundzug kennen lernten. 

In gleicher Richtung aber: Art erhaltend, Art verstärkend 
wirkte, ich möchte sagen, die physiologische Seite der jüdischen 
Nationalreligion — denn mit dieser steht sie in engstem Zu- 
sammenhänge — , die Inzucht, die, wie wir sahen, die Juden seit 
mehreren tausend Jahren geübt haben. 

Die Inzucht, sage ich, steht mit der Religion bei den Juden 
in engem Zusammenhänge; man wird noch mehr sagen dürfen: 
sie ist eine immittelbare Folge der tragenden Idee dieser 
Religion : der Auserwählungsidee. Das ist in einer Reihe von Unter- 
suchungen in letzter Zeit mit feinem Verständnis nachgewiesen 
worden, insbesondere von Alfred Nossig, der sich darüber 
wie folgt vernehmen läßt 618 : „Als ein frappantes biologisches 
Ergebnis dieser (Auserwählungs-) Idee tritt uns die Tatsache 
des Bestehens und der noch immer ungewöhnlichen Lebens- und 
Reproduktionskraft der Juden entgegen. Der mosaische Gedanke 
eines , ewigen Volkes 4 scheint sich verwirklichen zu wollen.“ 

ombart, Die Juden 28 


Digitized by t^ooQle 


434 


Speise* und Ehegesetze sorgen für gute Erhaltung. „Selbst* 
verständlich war es dann, dah diese höchsten ethischen Schätze 
nicht der Vernichtung auf dem Wege der Vermischung mit* 
einander sorgfältig gezüchteter Rassen preisgegeben wurden. 
Das Verbot der Mischehen bewirkte es, dah der erste rasse- 
bildende Faktor, die Vererbung, seine Wirkungskraft in höchster 
Potenz betätigen konnte, indem die angedeuteten Vorzüge 
nicht nur unvermindert von Generation auf Generation über- 
gingen, sondern dank der Inzucht sich stetig steigerten*. „Die 
Inzucht hat also bewirkt, dah durch die ungemein oft fortgesetzte 
Vererbung der jüdischen Rassenmerkmale sich diese den Nach- 
kommen immer fester aufgeprägt haben, immer intensiver an 
ihnen hafteten, sodah es immer schwerer wurde, sie durch Blut- 
mischung zu beseitigen oder wesentlich zu verändern. Denn 
es ist nachgewiesen, dah, wie jede andere Funktion das Leben- 
dige durch Übung verstärkt, so auch die Vererbungsintensität 
durch fortgesetzte Inzucht zunimmt 614 “. 

Religion und Inzucht waren die beiden eisernen Reifen, 
die das jüdische Volk fest umschlossen und als eine einzige 
feste Masse durch die Jahrtausende erhalten haben. Und wenn 
sie sich lockern? Was wird dann die Wirkung sein? Auf 
diese inhaltschwere Frage zu antworten, war hier nicht als Auf- 
gabe gestellt. Denn so lange wir die Juden die eigentümliche 
Wirkung im Wirtschaftsleben ausüben sahen — also bis heute 
— hielten die Reifen fest. Und nur jene Wirkung galt es ja 
zu erklären und wiederum nur die Genesis des jüdischen 
Wesens galt es zu schildern, aus dessen Eigenart heraus wir 
jene wundersame Einwirkung der Juden auf das Wirtschaftsleben 
und die gesamte Kultur zu deuten unternommen hatten. 


Digitized by t^ooQle 


Quellen und Literaturnachweis 


28 * 


Digitized by t^ooQle 



Digitized by 



487 


Erstes Kapitel 

BrnütUangsnethoden — Art and Umfang des Anteils 

1 Jak. Fromer, Das Wesen des Judentums (1905), 144. (Ohne 
Quellenangabe.) 

1 Zeitschrift für Demographie u. Statistik d. Jud. 8, 140. 145. 

I J ak. Thon, Taufbewegung der J. in Österreich in [der Z. f. D. 
u. St. 4 , 6 ff 

4 Thäophile Malvezin, Hist des juife k Bordeaux (1875), 105. 

5 Z. B. Luc. Wolf, Jessurun Family in Jewish Quarterly Beyiew 
1 (1889), 439 f.] 

0 Siehe z. B. Chr. Weise, Histoire des r£fogi6s protest 1 (1853), 
104. 877. 879. 383 ; 2, 5. 

7 Sigm. Mayer, Die Ökonomische Entwicklung der Wiener J., 
o. J., S. 7. 

Zweites Kapitel 

Die Tersßhlebang des Vlrtsehaftszentnuns seit dsm 16. Jahrinuulert 

8 Über das Schicksal der Marranen in Portugal zusammenfassend 

M. K ay s e r 1 i n g , Gesch. der J. in^Portugal (1867), 84 ff. 167 ff Einzelheiten 
namentlich der späteren Zeit bei J. JBL Gottheil, ,The Jews and the 
Spanish Inquisition in The Jew. J Quart Rev. 15 (1903), 182 ff Elk an 

N. Adler, Auto da F6 and Jew ib. VoL XIII. XIV. XV; neuerdings 
(1907) unter demselben Titel zu einem selbständigen Buche erweitert, das 
viel interessante Details enthält 

• Vgl. z. B. Sieveking, Genueser Finanzwesen 2 (1899), 167 mit 
Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten usw. 1 (1714), 128. 

10 Bisbeck, Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an 
seinen Bruder in Paris. 1780. Auszüge bei H. Scheube, Aus den Tagen 
unserer Großväter (1878), 382 ff. 

II Besonders gut unterrichtet sind wir über die Geschichte der J. 
in Bordeaux durch das ausgezeichnete Werk von Th4oph. Malvezin, 
Les juifs k B. 1875; es ist unschätzbar wegen der großen Fülle lehrreichen 
Tatsachenmaterials, das es enthält (auch unter wirtschaftlichem Gesichts- 
punkt). Über die Schicksale der J. in Marseille [bringt einige Angaben 
Jonas Weyl, Les juifs protägäs fran^ais aux 4chelles du Levant et en 
Barbarie etc. in der Revue des 6tudes juives. 12 (1886). Über die J. in 
Bouen: Gosselin, Doc. inädits pour servir k l’histoire de la marine 
normande et du commerce rouennais pendant les XVI. et XVH. si&des. 


Digitized by t^ooQle 



498 


1876. Pigeonneau, der dies Buch zitiert (Hist du commerce 2, 123), 
spricht natürlich nur von „Esp&gnols et Portugals naturalMs*. 

Zu vergleichen auch Maignial, La question juive en France en 
1789, Paris 1908. Dieses Buch verdient als ein besonders wertvoller Bei- 
trag zur judaisti sehen Literatur ebenfalls hervorgehoben zu werden. Es 
ruht auf breiter Kenntnis der Quellen und ist mit Besonnenheit und Klug- 
heit geschrieben. Es gibt nicht nur einen guten Einblick in den Stand 
der „Juden frage“ in Frankreich zur Zeit der Revolution, sondern unter- 
richtet auch über die Entwicklung des Judenproblems bis 1789 und enthült 
zahlreiche Ausführungen , die zur Beurteilung des allgemeinen Problems 
wertvolle Beitrüge liefern. 

In Paris ist die Zahl der J. bis ins 19. Jahrhundert offenbar nicht 
sehr groß, obwohl sie auch dort (wie wir noch sehen werden) schon früher 
eine bedeutende Rolle spielen. Monographisch genau berichten über die 
Schicksale der J. in Paris wühlend des 18. Jahrhunderts die Bücher von 
Läon Kahn, Les juifs ü Paris depuis le VL si&de, 1889; Les juif sous 
Louis XV, 1892, und Les juifs ü Paris au XVIII. sc. 1894. Nur erführt 
man (wie so oft bei dieser Art Literatur) gerade das nicht, was man gern 
erfahren möchte. 

Viel Material für die Geschichte der J. in Frankreich in der Revue 
des ätudes juives. Seit 1880. Eine zusammenfassende Darstellung fehlt. 

18 Die Geschichte der J. in Holland hat ihren Darsteller ge- 
funden in H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland 1843. 
Das Werk ist heute als Gesamtdarstellung noch nicht überholt Viel 
neues Material findet sich in den judaistischen Zeitschriften Hollands. 

Von selbstündigen Schriften würen etwa noch zu erwühnen 
M. Henriquez Piment el, Geschiedkundige A an teekeningen betreffende 
de Portugesche Israeliten in den Haag, 1876. 

Sam. Back, Die Entstehungsgeschichte der portugiesischen Gemeinde 
in Amsterdam. S. A. 1883. 

E. Italie, Geschiedenes der Israelitischen Gemeente te Rotter- 
dam, 1907. 

18 Ranke, Französische Geschichte S 8 , 350. 

14 Schudt, Jüd. Merkwürdigkeiten 1 (1714), 271. VgL S. 277 £ 

15 Außer der in Anm. 11 zitierten Literatur: Carmoly in der Rerrue 
orientale 1 (1841), 42 ff. 168 ff. nam. 174 f. und Graetz, G. d. J. 9, 292. 
354 f. 490. 

19 Siehe namentlich L. Guiccardino, Totius Belgii Descriptio (Ausg. 
v. 1652), 129 seq. und vgl. R. Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2 (1896), 3ff 

17 Siehe z. B. Macaulay 4, 820 ff. und Ehrenberg, Zeitalter der 
Fugger 2 (1896), 303 ff 

18 Die Literatur zur Geschichte d. J. in England ist reich an vor- 
trefflichen Darstellungen. Noch immer eine reiche Fundgrube (wenn 
natürlich auch mit Vorsicht zu benutzen) ist das Werk: Anglia Judaica or 
the History and Antiquities of the Jews in England . . . by D'Blossiers 
T o v e y. 1738. Unter den neueren Erscheinungen der judaistischen Literatur 
hat bahnbrechend gewirkt das für seine Zeit hervorragende Buch von 


Digitized by t^ooQle 



439 


James Picciotto, Sketches of Anglo-Jewish History. 1875. Leider ist 
das (auch an ökonomischen Realien) reiche Material nicht immer „quellen- 
mäßig“ belegt Die Geschichte der Wiederkehr der J. nach England hat 
sehr eingehend, unter vorwiegend rechtshistorischem Gesichtspunkt, ge- 
schrieben H. S. Q. Henri qu es, The Return of the Jews to England. 1905. 

In allerletzter Zeit ist eine vortreffliche Gesamtdarstellung der 
englisch-jüdischen Geschichte erschienen von Albert M. Hy am so n, A 
history of the Jews in England. 1908. H. hat mit großem Geschick die 
außerordentlich reichhaltige judaistische Spezialforschung der letzten Jahr- 
zehnte zu verwerten gewußt und hat auf ihrer Grundlage ein abgerundetes 
Bild von der Geschichte der Juden in England entworfen. Die Ergebnisse 
der Sonderstudien sind vornehmlich niedergelegt in der Jewish Quarterly 
Review, die seit 1889 erscheint. Neben dieser sehr reichhaltigen Zeit- 
schrift sind zahlreiche Einzelpublikationen erschienen , auf die am 
passenden Orte zu verweisen sein wird. Besonders genannt seien nur 
noch die Publ. of the Anglo-Jewisch History Exhibition. 1888 ff. 

18 » Siehe für die Vor- Crom wellsche Zeit namentlich L. Wolf, The 
Middle- Age of Anglo-Jewish History 1290—1656 in den Publ. of the Anglo- 
Jew. Hist Exh. Nr. 1 (1888), p. 53—79. Für die Stellung der J. in England 
schon am Ende des 15. Jahrhunderts ist bezeichnend, daß ein Jude ohne 
Bedenken einen Prozeß beginnt und Aussicht hat, ihn zu gewinnen. Über 
Elisabeths Vorliebe für hebräische Studien und ihren Verkehr mit J. 
a. a. 0. S. 65 ff. Ende des 16. Jahrhunderts finden sich J. in England schon 
als industrielle Unternehmer. Cal. of State Pap. Docm. 1581—1590 p. 49, 
zit ib. p. 71. Nach der Elisabeth (1603—1656) muß es zahlreiche J. in 
England gegeben haben. In der 1625 erschienen Flugschrift The Wande- 
ring Jew Telling Fortunes to Englishmen (1. c. p. 72) heißt es: „A störe 
of Jews we have in England; a few in Court; many i’ the citty; more in 
the country.“ 

19 Anglia Judaica p. 302 „as I have been well inform’d“ schreibt 
der Verfasser. 

80 Über die ehemaligen Judengemeinden in Nürnberg in der Allg. 
Judenzeitung 1842 Nr. 24. Vgl. auch den 8. Jahresbericht des Histor. 
Vereins f. Mittelfranken und M. Brann, Eine Sammmlung Fürther Grab- 
schriften. S.A. aus dem Gedenkbuch z. E. an Dav. Kaufmann (1900). 

91 Die außerordentlich interessanten Urkunden sind abgedruckt bei 
Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus Venedig im Jahre 
1550 in The Jew. Quart Rev. 18 (1901), 520 ff. 

98 Alb. M. Hyamson, A History of the Jews in England (1908) 174 f. 

88 Maur. Bloch, Les juifs et la prospäritö publique k travers 
Thistoire (1899), 11. Die Ordonnanz enthält die denkwürdigen Worte: 
„Von s devez bien prendre garde que la jalousie du commerce portera tou- 
jours les marchands k ötre d’avis de les chasser.“ In ähnlichem Sinne ist 
eine Anweisung an den Gouverneur der Kolonie abgefaßt. Siehe den 
Text bei Cahen in dem zweiten der Anm. 80 zitierten Aufsätze. 

94 Th4oph. Malvezin, Les juifs k Bordeaux (1875), 132. 

26 Th. Malvezin, 1. c. p. 175. 


Digitized by t^ooQle 


440 


88 Nach archivalischen Urkunden Salom. Ullmann, Studien zur 
Gesch. der J. in Belgien bii zum 18. Jahrhundert (1909X 84 ff 

tt 6mile Ouverleaux, Notes et documents surlesjuifs deBelgique 
in der Bev. des 6tudes juives 7, 282. 

<s Collect of State Papers (Thurloe) 4, 383. Vgl. auch noch den 
Brief Whalleys ibicL p. 808. 

w Joh. Müller in seiner judenfeindlichen Schrift (Judaismus), 1644. 
Verteidigung des Senats aus den Jahren 1660 — 1669 bei Beils, Beiträge 
zur älteren Geschichte der J. in Hamburg in der Zeitschrift des V. f. 
Hamb. Gesch. 2, 412. 

80 Zit bei Ehrenberg, Große Vermögen*, 146. 

81 M. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden bis zur Auflösung der 
Dreigemeinden 1811 (1904), 21. 

88 Arnold Kiesselbach, Die wirtschafte- und rechtsgeschichtliche 
Entwicklung der Seeversicherung in Hamburg (1901), 24. 

Drittes Kapitel 

Die Belebung des Internationalen Warenbandeis 

88 Alb. M. Hyamson, A Hist of the Jews in E., 178. 

84 Anglia Judaica, 292. 

88 Hauptsächlich durch die fleißige Arbeit von Bich. Markgraf, 
Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig von 1664—1889 
(InJDiss. 1894), der auch die Ziffern im Texte entnommen sind. Für einen 
kleinen Zeitraum, die Jahre 1675 — 1699, ist die Untersuchung Markgrafs 
sogar noch überholt worden durch die Studien von Max Freudenthal, 
Leipziger Meßgäste in der Monatsschrift 45 (1901), 460 ff. Überholt insofern, 
als Freudenthal aus den Meßbüchern selber schöpft, während Markgraf 
nur die auf ihnen beruhenden späteren Aktenstücke des Staatsarchivs in 
Leipzig benutzt hat Das Ergebnis ist dies: daß die Originalquellen eine 
beträchtlich größere Anzahl jüdischer Meßfieranten aufweisen als die 
späteren Aktenstücke. Freudenthal hat für den Zeitraum von 1671 — 1699 
als Besucher der Messen 18 182 Volljuden ermittelt (das heißt ohne die, 
die Frei-, Kammer- und Einkaufspässe hatten), während die gleiche Ziffer 
bei Markgraf für diese Jahre nur 14705 beträgt Der Aufsatz Freudenthals 
enthält die ausführliche Liste sämtlicher Meßbesucher bis 1699, nach 
Herkunftsorten geordnet Er ist selbständig erschienen u. d. T. : Die 
jüdischen Besucher der Leipziger Messe, 1902. 

88 Markgraf a. a. O. S. 93; Freudenthal a. a. O. S. 465. Vgl. 
auch B. Funke, Die Leipziger Messen (1897), 41. 

87 Siehe z. B. Nr. 21 des Judenreglements von 1710 bei Chr. Ludw. 
v. Griesheim, Die Stadt Hamburg, Anmerkungen und Zugaben (1759), 
S. 95. 

88 E. Baasch, Hamburgs Seeschiffahrt und Warenhandel usw. in 
der Zeitschrift des Ver. f. Hamburg. Gesch. 9 (1894), 816. 824. VgL 
A. Feilchenfeld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinden in 
Hbg. Ztschr. 10 (1899), 199 ff 

89 Encyclop4die mäthodique. Manufactures 1, 403/404. 


Digitized by t^ooQle 


441 


40 Über diese Zusammenhänge spricht ausführlich H. J. Koenen, 
Geschiedenes der Joden in Nederland (1848), 176 ff. Zu vergleichen etwa 
noch H. Sommershausen, Die Geschichte der Niederlassung der Juden 
in Holland und den holländischen Kolonien in der Monatsschrift, Band 2. 

41 Juwelen- und Perlenhandel: in Hamburg s. Griesheim 
a. a. 0. S. 119. Norddeutschland , Persönliche Mitteilung des Herrn 
Dr. Bemfeld in Berlin.* Holland (Begründer der Diamantschleifereil) 
Jewisch Enc. Art. Netherlands 9, 281. £. E. Danekamp, Die Amster- 
damer Diamantindustrie 1895, zit bei N. W. Gold stein, Die J. in der 
Amsterdamer Diamantindustrie (Zeitschrift für Dem. und Stat d. J. 8, 
178 ff.).; in Bedien Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus 
Venedig usw. (Jew. Quart. Bev. 18 , 520 ff.). 

Handel mit Seide und Seidenwaren: Die Juden haben Jahr- 
tausende lang den Seidenhandel (und die Seidenzucht) gepflegt. Sie bringen 
die Seidenindustrie aus Griechenland nach Sizilien und später nach Spanien 
und Frankreich. Einiges bei Graetz, G. d. J. 6 Ä , 244. Im 16. Jahr- 
hundert finden wir sie als Herren des Seidenhandels in Italien. Dav. 
Kaufmann a. a. 0.; im 18. Jahrhundert in Frankreich, dem Zentrum 
der Seidenindustrie sowie des Seiden- und Seiden warenhandeis. Im Jahre 
1760 nennt der Vorstand der Lyoner Seidenzunft die jüdische Nation 
„Maitresse du commerce de toutes les provinces“ (für Seide- und Seiden- 
waren). Bei J. Godard, L’ouvrier en soie (1899), 224. 1755 gibt es 14, 
1759 22 jüdische Seiden Warenhändler in Paris. Kahn, Juifs de Paris 
sous Louis XV, 68. In Berlin beherrschen sie diesen Handelszweig fast 
ausschließlich. 

4 * Wie die Juden fast allein den Wiener Textil waren -Engroshandel 
(aus dem alten Meßhandel heraus) entwickeln, hat anschaulich aus seiner 
persönlichen Erfahrung heraus geschildert S. Mayer, Die ökonomische 
Entstehung der Wiener Jud., o. J., S. 8 ff. 

Eine Verordnung des Nürnberger Rats vom 28. 12. 1780 bezeichnet 
als „Judenware“: Samt, Seide und Wolle. H. Barbeck, Gesch. d. Jud. in 
Nürnberg und Fürth (1878), 71. 

4S Zuckerhandel: mit der Levante : Lippmann, Geschichte des 
Zuckers (1890), 206; Dav. Kaufmann a. a. 0.; mit Amerika: M. Grun- 
wald, Portugiesengräber auf deutscher Erde (1902), 6 ff.; A. Feil che n- 
feld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinde in Hamburg in der 
Ztschr. des Ver. f. Hamb. Gesch. 10 (1899), 211. Vgl. auch Risbeck, 
Briefe usw. 1780. 

Tabakhandel: A. Feilchenfeld a. a. 0. 

Im übrigen ist hier auf den Teil dieser Darstellung zu verweisen, 
der von dem Anteil der J. an der Begründung der modernen Kolonial- 
wirtschaft handelt. 

44 „Controlling the Cotton Trade“: Artikel „America“ U.S.A. in der 
Jew. Encycl. 1, 495 ff. 

45 Nachweislich z. B. für Hamburg: A. Feilchenfeld a. a. 0. 

46 Moses Lindo, Hauptförderer der Indigogewinnung; kommt 1756 
nach Süd Carolina und legt 120000 £ Indigo an. Von 1756 — 1776 ver- 


Digitized by t^ooQle 



442 


funffacht sich die Ind.Produktion. L. wird Generalinspektor des Indigo. 
B. A. Elgas, The Jews of South Carolina 1908; zit. im Art South Carolina 
der Jew. Encyci. 

47 Risbeck, Briefe nsw. (1780). Band II nnter Frankfurt 

48 Text bei Bloch, Les jnifs (1899), 86. 

48 Rieh. Markgraf a. a. O. S. 98. 

80 Siehe z. B. Alb. M. Hyamson, Hist, of the Jews in England, 
174 f. 178 oder den Bericht des Magistrats von Antwerpen an den Bischof 
von Arras bei Sal. Ullmann a. a. 0. S. 85 („große Reich tümer haben 
sie aus ihrer Heimat mitgebracht, insbes. Silber, Juwelen und viele 
Dukaten“). 


Viertes Kapitel 

Die Begründung der modernen Kolonlalwirtschaft 

81 Als D. Isaak Abravanel seinen Kommentar zum Buche Jeremias 
schrieb (1504), sah er ein Schreiben, das die mit Gewürzen ans Indien 
kommenden Potugiesen mitbrachten. Darin berichteten sie , daß sie dort 
viele Juden angetroffen hatten. Abr. Comm. cap. 3 zit. bei M. Kayser- 
ling, Chr. Columbus (1894), 105. Vgl. Bloch, 1. c., 15. 

88 Wie Manasseh ben Israel in seiner Denkschrift an Cromwell hervor- 
hebt Dis Denkschrift ist Öfters abgedruckt. Siehe z. B. Jewish Chronicle 
1859. Nov. Dec. Deutsch von Kayserling im Jahrbuch d. Liter. Ver. 
1861. Vgl. de Barrios, Hist, universal Judayca, p. 4. 

88 G. C. Klerk de Rens, Geschichtlicher Überblick der . . . nieder- 
ländisch-ostindischen Compagnie (1894), XIX; über die Heldentaten Coens 
ebenda XIV ff. 

84 J. P. J. Du Bois, Vie des gouvemeurs g6n6raux . . . orn6e de 
leurs portraits en vignettes au naturel etc. 1768. 

88 Tu B. Franc. Salvador. Siehe Art. Salvador in der Jew. Enc. 
und Alb. M. Hyamson, 264. 

88 1569 rüsten reiche Amsterdamer Juden die Barentzsche Expedition 
in die Karasee aus. M. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden (1904), 215. 

87 Siehe den Artikel South Africa in der Jew. Enc. und die dort ver- 
zeichnet« reiche Literatur. 

88 Rabbi Dr. J. fl. Hertz, The Jew in South Africa. Johannes- 
burg 1905. 

89 Artikel „Commerce“ in der Jew. Enc. 4, 491. 

60 Die Literatur über die Beziehungen der Juden zu 
Amerika ist ganz außergewöhnlich reichhaltig. Ich will hier keine Über- 
sicht geben, will vielmehr auf die weiter unten einzeln namhaft gemachten 
Werke verweisen, möchte aber doch wenigstens einige der wichtigsten 
Schriften und namentlich einige Sammelwerke gleich hier nennen. 

Naturgemäß ist zunächst die Jewish Encyclopedia, da sie in 
Amerika erschienen ist, besonders ausgiebig an guten Artikeln just über 
amerikanische Verhältnisse. Dann sind ein wahres Arsenal von Nach- 
richten über jüdisch-amerikanische (Wirtschafts-)Geschichte namentlich in 


Digitized by t^ooQle 


443 


den Kolonien Nord- und Südamerikas während des 17. and 18. Jahrhunderts 
die Transactions of the Jewish Historical Society of America. Seit 
1895. Mancherlei interessante Angaben enthält die Sammlung von Reden 
und Aufsätzen: The 250 anniversary of the Settlement of the Jews in the 
UJ3.A. 1905. 

Gesamtdarstellungen der jüdisch-amerikanischen Geschichte: Mar* 
keus, The Hebrews in America; C. P. Daly, History of the Settlement 
of the Jews in North America. 1893. M. C. Peters, The Jews in 
America. 1906. 

(Die beiden erstgenannten Werke habe ich nicht einsehen können: 
sie sind im Buchhandel nicht aufzutreiben, nnd keine deutsche öffentliche 
Bibliothek, auch die judaistischen Spezialbibliotheken nicht, besitzt sie. Nach 
dem, was man über ihren Inhalt erfährt, darf man annehmen, daß sie 
durch die neueren Untersuchungen, namentlich die der Transactions, 
überholt sind.) * 

61 Eine besondere Literatur hat sich (ans Anlaß der 400jährigen 
Columbusfeier) damit beschäftigt, den Anteil festzustellen, den die Juden 
an der Entdeckung Amerikas selbst genommen haben. Die gründ- 
lichste, durchgängig auf guten, ersten Quellen fußende Untersuchung ist 
die von M. Kayserling, Christoph Columbus und der Anteil der 
Juden usw. 1894. Außerdem sind zu nennen folgende Arbeiten (die ich 
jedoch nur aus zweiter Hand kenne): F. Rivas Puiqcerver, Los 
Judios y el nuevo mundo, 1891; L. Modona, Gli Ebrei e la scoperta 
delP America, 1893. Zu vergleichen der Artikel America, (The Discovery 
of) in der Jew Enc., sowie die Address by Oscar S. Strauss in The 250 
anniveroary of the Settl. of the J. in UJ3., 69 ff. 

88 M. Kayserling a. a. O. S. 112: Juan Sanchez aus Saragossa, 
der erste Kaufmann. Vgl. auch desselben Verfassers Arbeit The Coloni- 
zation of America by the Jews in der Am. Jew. Hist Soc. 2, 73 ff., wo 
der Zusammenhang zwischen der Kolonisation Amerikas und der Ver- 
treibung der Juden aus und ihrer Drangsalierung in Spanien und Portugal 
anschaulich geschildert wird. 

68 G. F. Knapp, Ursprung der Sklaverei in den Kolonien im Archiv 
f. Soz. Pol 2, 129 ff. 

64 Oscar S. Strauss a. a. O. p. 71. 

48 Ritter, Über die geographische Verbreitung des Zuckerrohrs in 
den Berichten der BerL Akad. 1839 , 397(?), bei Lippmann, Gesch. d. 
Zuckers (1890), 249. 

66 Nach Max J. Köhler, Phases of Jewish Life in New York before 
1800 (Am. Jew. Hist Soc. 2, 94). 

87 Jew. Enc. Art. „America“. VgL G. Al. Kohut, Lee Juifs dans Les 
colonies hollandaises in der Rev. des ätudes juives 81 (1895), 293 f. 

68 H. Handelmann, Geschichte von Brasilien (1860X 412. 

88 P. M. Net sch er, Les Hollandais au Bräsil (1853), 1. Über die 
reiche, jüdische Familie der Souza: M. Kayserling, Gesch. der J. in 
Portugal (1867), 307; M. Grunwald, Portugiesengräber (1902), 123. 

70 Max J. Köhler, Phases etc. Transactions 2, 94. 


Digitized by 


Google 



444 


71 Je w. Enc. Art. „America“. 

79 Transactions 2, 95. YgL auch Nets eher L c. p. 108. 

78 Eine eigentliche Vertreibung fand nicht statt Den Joden wurde 
in dem Friedensvertrage von 1654 sogar Amnestie gewährt; dann aber 
wurde die Bemerkung hinzugefügt: „Juden und andere Nichtkatholiken 
•ollen wie in Portugal behandelt werden“. Das genügte ja! Der Friedens- 
vertrag ist im Wortlaut abgedruckt bei Aitzema, Historia etc. 1626 ff, zit 
bei Netscher a. a. O. p. 163. 

74 H. Handelmann, Gesch. v. Brasil., 412/134* 

78 Juden in Barbados : John Camden Hatten, The Original 
Liste etc. (1874), p. 449; Ligon, History of Barbados, 1657, zit. beiLipp- 
mann, Gesch. d. Zuck. (1890), 301 ff.; Reed, The History of sogar and 
sogar yielding plante (1866), 7 dsgL; More ly, Abh. über den Zucker, 
deutsch von Nöldechen (1800) dsgL; M.’Culloch, Dict of Commerce 2, 
1087. Zu vergleichen sind natürlich auch die allgemeinen kolonial- 
historischen Werke, also vor allem etwa C. P. Lucas, A historical Geo- 
graphy of the British Coloniee, z. B. 2« (1905), 121 f. 274. 277. 

7e Juden auf Jamaica: M. Kayserling, The Jews in Jamaica etc. 
in The Jewish Quarterly Review 12 (1900), 708 ff. ; Alb. M. Hyamson, 
A Hist of the Jews in England (1908), Ch. XXVI. Viel Belege aus zeit- 
genössischen Quellen bei Max J. Köhler, Jewish activity in American 
Colon. Commerce in den Publ. 10, 59 ff.; derselbe, Jew. Life etc., Am. 
Jew. Hist Soc. 2, 98. 

77 Brief des Gouverneurs vom 17. 12. 1671 an den Staatssekretär Lord 
Arlington bei M. Kays erlin g in dem Anm. 76 zitierten Aufsatz p. 710. 

78 Monumental Inscriptions of the British West Indies colL by Capt 
J. H. Lawrence Archer. Introd. p. 4 bei Köhler, Jew. Life a. a. O. 
p. 98. 

79 Juden in Surinam : Die wichtigste Quelle ist der Essai sur la 
Colonie de Surinam avec l’histoire de la Nation Juive Portugaise y 
ätablie etc., 2 Vol. Paramaribo 1788. Koenen, der in seiner Geschiedenes 
der Joden in Nederland (1843), 313 f. einiges daraus mitteilt, nennt ihn 
„de hoofdbron . . . voor de geschiedenes der Joden in die gewesten“. 
Leider habe ich das Original selbst nicht einsehen können. Die neuere 
Literatur hat viel neues Material zutage gefördert: Bich. Gott heil, 
Contributions to the history of the Jews in Surinam (PubL 9, 129 ff); ent- 
hält Auszüge aus den Katasterkarten; J. S. Boos, Additional Notes on 
the History of the J. of S. (Publ. 18, 127 ff); P. A. Hilfman, Some further 
Notes on the History of the J. in S. (Publ. 16, 7 ff). Über die Beziehungen 
zwischen S. und Guiana : Sam. Oppenheimer, An early Jewish Colony 
in Western Guiana 1658 — 1666 and its relation to the Jews in Surinam, 
Cayenne and Tobago. (Publ. 16, 95—186). Vgl. auch Hyamson L c. 
Ch. XXVI und C. P. Lucas L c. 

80 Juden in Martinique, Guadeloupe und S. Domingo: Lipp- 
mann, Gesch. d. Zuckers (1890), 301 ff, wo auf Quellen und frühere 
Literatur verwiesen ist. Ab. Cahen, Les juifs de la Martinique au 
XVII sc. (Revue des ötudes juives VoL II); idem, Les juifs dans les 


Digitized by 


Google 



445 


Colonies fran$aises an XVIII sc. (Revue Vol. IV. V). Handelmann, 
Gesell, der Ins. Hayti 1856. 

81 Luc. Wolf im Jew. Chronicle 30. 11. 1894, zit. bei Köhler in den 
Transactions 10, 60. 

8t The 250 anniversary of the Settlement of the Jews in the U.S. 
(1905), 18. 

88 The 250 anniversary etc. 

84 John Moody, The truth about the trust (1905), 45 ff. 96 und öfter. 

85 Artikel „California“ in der Jew. Enc., der mit ganz besonderer 
Sachkunde und Gründlichkeit verfaßt ist 

88 Nach einer anderen Ansicht sollen schon vor den brasilianischen 
Flüchtlingen reiche jüdische Handelsherrn aus Amsterdam sich in der 
Kolonie am Hudson angesiedelt haben. Albion Morris Dyer, Points 
in the first chapter of New York Jewish History, Am. Jew. Hist Soc. 
8, 41 ff. 

87 Der Wortlaut des Briefes aus den Doc. rel. to the CoL Hist of 
New York 14, 315 mitgeteilt bei Max J. Köhler, Beginnings of New 
York Jewish History (Am. Jew. Hist Soc. 1, 43). 

88 Siehe z. B. Transactions 1, 41 ff.; 2, 78; 10, 63. Max J. Köhler, 
Jews in New Port (Publ. 6, 69 ff.). K. zitiert öfters Judge Daly, Settle- 
ment of the Jews in North America. 1893. 

89 Address by Governor Pardel of California in The 250 anniversary 
of the settlement of the J. in the U.S. (1905), 173. 

90 Art. „Alabama“ in der Jew Enc. Vol. I. 

91 Art. „Albany“ in der Jew. Enc. Vol. I. 

99 B. Felsenthal, On the History of the Jews of Chicago (Publ. 2, 
21 ff.); H. Elia 88 of, The Jews of Chicago (Publ. 11, 117 ff). 

98 Lewis N. Dembitz, Jewish Beginnings in Kentucky (PubL 1, 99). 

94 J. H. Holländer, Some unpublished material relating to Dr. Jacob 
Lumbrozo of Maryland (Publ. Vol. I). 

98 David E. Heinemann, Jew. Beginnings in Michigan before 
1850 (Publ. 18, 47 ff). 

98 David Philipson, The Jewish Pioneers of the Ohio Valley 
(PubL 8, 43 ff). 

97 Henry Necarsulmer, The early Jew. settlement at Lancaster 
Pa. (Publ. 8, 27 ff). 

98 Henry Cohen, The Jews in Texas (Publ. 4, 9ff); idem, Henry 
Castro, Pioneer and Colonist (Publ. 5, 39 ff). Über andere jüdische Land- 
händler finden sich Angaben bei Herb. Friedenwald, Some News paper 
advertisement of the 18. cent. (Publ. Vol. VI). 

99 Einiges aus dem Leben der amerikanisch-jüdischen Familie Seligman 
aus Bayersdorf in Bayern in Brülle Monatsblättern, 26. Jahrg. (1906)? 
141 ff. 

100 Leon Hühner, The Jews of Georgia in Colonial Times (PubL 
10, 65 ff.); idem, The Jews of South Carolina from the earliest Settlement 
to the End of American Revolution (Publ. 12, 39 ff); Chas. C. Jones, 
The settlement of the Jews in Georgia (Publ. 1, 12). 


Digitized by ^.ooQle 


446 


101 B. A. Elzas, The Jews of South Carolina 1903; zit. im Art. 
South Car. in der Jews Enc. 

188 Leon Hühner, Asser Levy, a noted Jew. Burgher of New 
Amsterdam (Publ. 8, 13). Vgl. noch idem, Whence came the first jewish 
•ettlers of New Yoik (Publ. 9, 75 ff.); Max J. Köhler, Civil Status of the 
Jews in Colonial New York (Publ. 6, 81 ff.). 

188 Über die Juden (die in jüdischer Sprache Geschäfte machen) im 
18. Jahrhundert in New York J. A. Doyle, The Colonies ander the 
House of Hannover (1907), 31. 

104 Chas. C. Jones, The Settlements of the Jews in Georgia (Publ. 

I, 6, 9). 

108 M. Jaff6, Die Stadt Posen (Schriften des Vereins £. 8.P. 119, 

II, 151). 

104 Hon. Simon Wolf, The american Jews as soldier and patriot 
(Publ. 8, 39). 

181 Nach Dr. Fischells Chronological Notes of the History of the Jews 
in America. 


Fünftes Kapitel 

Die BeerflnduiD des modenkeik Staates 

108 Luc. Wolf, The First English Jew. Repr. from the Transactions 
of the Jew. Hist. Soc. of England. Vol. TL Zn vergleichen Alb. 
M. Hyamson, A Hist of the Jews in E. (1908), 171 — 173« 

108 Hyamson 1. c. p. 269. J. Picciotto, Sketches of Anglo-Jewish 
History (1875), 58 ff. 

110 Th. L. Lau, Einrichtung der Intraden und Einkünfte der Sou- 
veräne usw. (1719), 258. 

1,1 Angeführt bei Liebe, Das Judentum (1903), 75. 

118 Artikel Banking in der Jew. Enc. 

118 Mämoire der Juden von Metz vom 24. 3. 1733, im Auszuge ab- 
gedruckt bei Bloch 1. c. p. 35. 

1,4 Angeführt bei Bloch L c. p. 23. 

115 Auszüge aus den Lettres patentes bei Bloch 1. c. 24. 

1IÄ Über die Gradis: Th6oph. Malvezin, Les juifs k Bordeaux 
(1875), 241 ff. und H. Gr ätz, Die Familie Gradis in der Monatsschrift 24 
(1875), 25 (1876). Beide, auf guten Quellen fußenden, Darstellungen sind 
unabhängig voneinander. 

1,T M. Capefigue, Banquiers, fournisseurs etc. (1856), 68., 214 und 
öfters. 

118 Mitgeteilt in der Revue de la Revolution fran$aise 16. 1. 1892. 

118 Historische Nachlese zu den Nachrichten der Stadt Leipzig, ed. 
M. Heinrich Engelbert Schwartze (1744), 122, zit bei Alphon se Levy, 
Geschichte der Juden in Sachsen (1900X 58. 

1,0 Bondy, Zur Geschichte der Juden in Böhmen 1, 388. 

181 Alle drei Fälle entnehme ich G. Liebe, Das Judentum (1903), 
43 f., 70, der sie ohne Quellenangabe mitteilt 


Digitized by t^ooQle 



447 


128 (König), Annalen der Jaden in den preußischen Staaten, be- 
sonders in der Mark Brandenburg (1790), 93/94. 

184 Reskript vom 28. Juni 1777; abgedruckt bei Alphonse Levy, 
Die J. in Sachsen (1900), 74; S. äaenle, Gesch. d. J. im ehemal. Fürsten- 
tum Ansbach (1867), 70. 

184 Gesichte Philanders von Sittewaldt das ist Straffs-Schriften Hanss 
Wilh. Moscherosch von Wilst&tt (1677), 779. 

185 F. von Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890^ 
132 ff. Samuel Oppenheimer, „Kaiserlicher Kriegsoberfaktor und Jud“, wie 
er offiziell bezeichnet wurde und sich auch selbst zu unterfertigen pflegte, 
schloß namentlich in den Feldzügen des Prinzen Eugen „fast alle be- 
deutenden Proviant- und Munitionslieferungsverträge“ ab (S. 133). 

186 Siehe z. B. die Eingabe der Wiener Hofkanzlei vom 12. Mai 1762 bei 
Wolf, Gesch. d. JucL in Wien (1894), 70; Komitatsarchiv Neutra Iratok; 
XK/3336 (für Mähren), nach einer Mitteilung des Herrn stud. Jos. Reizman ; 
Verproviantierung der Festungen Raab, Ofen und Komorn durch Breslauer 
Juden (1716): Wolf a. a. O. S. 61. 

127 Herb. Friedenwald, Jews mentioned in the Journal of the 
Continental Congress (Publ. of the Amer. Jew. Hist. Soc. 1, 65 — 89). 

188 Da ich die wichtigsten Werke der Literatur, die sich auf die 
(Wirtschaftsgeschichte der Juden in England, Frankreich, Holland und 
Amerika bezieht, schon namhaft gemacht habe (siehe Anm. 11. 12. 18. 60), so 
möchte ich hier das Versäumte für Deutschland und Spanien nachholen. Für 
Deutschland fehlt leider bis heute eine zusammenfassende Darstellung, 
sodaß wir darauf angewiesen sind, uns unser Wissen aus lokalen Mono- 
graphien und Zeitschriftaufsätzen zusammen zu tragen, soweit wir nicht 
aus den Quellen selbst zu schöpfen vermögen; aber das ist natürlich bei 
einer Arbeit wie dieser, die ganz große Zusammenhänge aufdecken will, 
nur in seltenen Fällen möglich. Im ganzen ist festzustellen, daß die juda- 
istische Geschichtschreibung in und für Deutschland auch nicht von ferne 
die Leistungen aufzuweisen hat, wie die in anderen Ländern, namentlich 
England, Frankreich und den Vereinigten Staaten. Vor allem ist das öko- 
nomische Moment immer besonders stiefmütterlich behandelt und die Ausbeute, 
die uns Werke wie das von L. Geyer, Die Geschichte der Juden in Berlin, 
2 Bde, 1870/71, gewähren, ist nur gering. Neuerdings hat ein Schüler von 
mir, Herr Ludwig Davidsohn, das Berliner Staatsarchiv gründlich auf Nach- 
richten über die wirtschaftliche Stellung der Juden hin durchgearbeitet 
Die Ergebnisse sind noch nicht gedruckt, von mir aber teilweise schon ver- 
wendet Mehr Material enthalten die Bücher von M. Grunwald, Portu- 
giesengräber auf deutscher Erde; und Hamburgs deutsche Juden bis zur 
Auflösung der Dreigemeinde. 1904. Für manche Einzelheit sind (mit Vor- 
sicht) zu gebrauchen (König), Annalen usw. 1790, sowie das Werk: Die 
Juden in Österreich. 2 Bde. 1842. 

Im übrigen ist man (soweit nicht die allgemeinen Werke über die 
Geschichte der Juden noch in Betracht kommen) auf die in wirtschafts- 
historischer Hinsicht außerordentlich dürftigen judaistischen Zeitschriften 
angewiesen. Unter ihnen hat wohl für unsere Zwecke die größte Be- 


Digitized by t^ooQle 


448 


deutung die Monatb 8 ehr ift für Geschichte und Wissenschaft des Juden- 
tums (seit 1851), während die Allgemeine Zeitung des Judentums 
(seit 1837) und Adolf Brülle Populärwissenschaftliche Monatsblfttter usw. 
(seit 1888) im wesentlichen jüdisch-propagandistische Zwecke verfolgen. 
Die gutgeleitete Zeitschrift für Demographie und Statistik des 
Judentums (seit 1905) befaßt sich mit wirtschaftsgeschichtlichen 
Studien nur ganz gelegentlich. 

Zuweilen findet man gute Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der 
Juden in den allgemein- oder lokalhistorischen Zeitschriften, die ich aber 
hier natürlich nicht einzeln namhaft machen kann. 

Sehr zahlreich sind monographische Darstellungen der Geschichte der 
J. an einzelnen Orten, in einzelnen Gebieten usw., die ich, soweit sie ver- 
wertbar sind, ihres Orts namhaft mache. — 

Die Regesten zur Geschichte der Juden usw. 1887 ff. befassen sich 
nur mit der frühmittelalterlichen Epoche, die hier gar nicht in Betracht 
kommt. 

Die Schicksale der Juden in Spanien sind oft in der Literatur zur 
Darstellung gebracht worden. Aber freilich gerade hier findet man die 
wirtschaftliche Seite fast ganz vernachlässigt. Ich wußte keine dankbarere 
Aufgabe für einen Wirtschaftshistoriker als eine Wirtschaftsgeschichte der 
Juden in Spanien (und Portugal) zu schreiben. Sie würde über die all- 
gemeine europäische Wirtschaftsgeschichte zweifellos ein helles Licht ver- 
breiten. Aber freilich: der Verfasser müBte wissen, was er wollte; er 
müßte fragen können. Einstweilen sind wir auch für die Erforschung der 
spanisch-jüdischen Wirtschaftsgeschichte auf die allgemeinen Werke über 
die Geschichte der Juden in Spanien angewiesen, unter denen die Arbeiten 
von M. Kayserling, Geschichte der Juden in Spanien und Portugal, 

2 Bde., 1861—1867, wohl noch heute die besten sind. 

Das spanische Hauptwerk ist D. Jos6 Amador de Los Rios, 
Historia social, politica y religiosa de los Judios de Espaüa y Portugal, 

3 Tomos, 1875/78, das sich aber ganz unzulänglich für unsere Zwecke er- 
weist. Die wenigen Stellen, die von dem Wirtschaftsleben handeln 
(z. B. 8, 69 ff.), sind unklar und lassen die Hauptsache — um welche Wirt- 
schaftsformen es sich handelt — nicht erkennen. 

E. H. Lindo, The History of the Jews of Spain and Portugal, 1848, 
enthält im wesentlichen Auszüge aus den die Juden betreffenden Gesetzen 
und Cortesbeschlüssen und hat dadurch einigen Wert 

Für Portugal ist jetzt das Hauptwerk J. Men des dos Remedios, 
Os Judeus em Portugal 1 (1895). Reicht einstweilen bis zur Vertreibung. 
Das Schema der Darstellung bleibt das alte. 

Übrigens sind gerade die Bände in Graetzens Geschichte der Juden, 
die die Blütezeit des jüdischen Stammes in Spanien behandeln (nament- 
lich Bd. 7 und 8), oft recht brauchbar durch die Fülle des herbeigeschafften 
Materials und werden durch keine der mir bekannten neueren Dar- 
stellungen wesentlich übertroffen. 

Von monographischen Arbeiten über die Stellung der Juden im 


Digitized by 


Google 


449 


spanisch-portugiesischen Wirtschaftsleben ist mir ebensowenig etwas be- 
kannt, wie von einer wissenschaftlichen judaistischen Zeitschriftenliteratur 
auf der Pyrenäenhalbinsel. Doch kann dies ein persönlich mangelhaftes 
Wissen sein. Jedenfalls enthalten die Berliner und Breslauer allgemeinen 
und judaistischen Bibliotheken nichts derart. Die Schrift von Bento 
Carqueja, 0 capitalismo moderno e m suas origens em Portugal 
(1908) streift nur an einzelnen Stellen ganz im Vorbeigehen das Juden- 
problem. 

129 H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland, 206 ff. 

18 ° Vgl. n o C h den Art. Banking in der Jew. Enc. 

181 Für die Stellung der Juden im englischen Finanzwesen 
während des 17. und 18. sc. kommen eine Menge versprengter Stellen in 
der allgemeinen Literatur in Betracht, von denen ich einige anführe : 
Picciotto, Sketches, 58ff. Hyamson, 171 ff, 217, 240, 264ff. Ferner die 
Spezialuntersuchungen von LucienWolf, The Re-Settlement of the Jews 
in England, 1888, idem, Crypto- Jews under the Commonwealth in den 
Transactions Jew. Hist. Soc. Vol. I (1895); idem, The Jewry of the Besto- 
ration (1660-1664). Bepr. from the Jew. Chronicle. 1902. 

182 L. Wolf, The Jewry, p. 11. 

188 G. Martin, La grande industrie sous Louis XIV. (1899\ 851. 

184 Victor de Swarte, Un banquier du Tresor royal au X VIII. sc. 
Samuel Bernard — sa vie — sa correspondance (1651—1739). 1898. 

188 Kahn, Les juifs de Paris au XVIII. sc. (1894), 60 ff. 

JM Graetz, G. d. J. 10, 40. 

187 Wolf, Ferdinand II. Beil. No. IV; zit. bei Graetz, G. d. J. 
10, 41. 

188 Der Wortlaut in dem Buch „Die Juden in Österreich“ 2 (1842), 41 ff, 

189 Die Juden in Österreich, 2, 64; F. von Mensi, Die Finanzen 
Österreichs von 1701 — 1740 (1890), 182 ff. und öfters. Im 18. Jahrhundert 
waren nacheinander die bedeutendsten Staatsgläubiger Oppenheimer, Wert- 
heimer, Sinzheimer; dieser hatte 1739 Forderungen an den Staat im Be- 
trage von etwa 5 Millionen Gulden, a. a. O. S. 685. Vgl auch Dav. 
Kaufmann, Urkundliches aus dem Leben Samson Wertheimers, 1892, 
und für die frühere Zeit G. Wolf, Ferdinand II. und die Juden, 1859. 

140 F. v. Mensi, a. a. O., S. 148. 

141 G. Liebe, Das Judentum (1903), 84. 

148 Jewisch Encyclopedia s. v. Abensur, Dan. 

148 A. L6vy, Notes sur l’histoire des Juifs en Saxe in der Revue des 
ötudes juives 26 (1898), 259 f. Über Berend (Behrend) Lehmann alias 
Jisachar Berman B. H. Auerbach, Geschichte der israelitischen Gemeinde 
Halberstadt (1866), 43 ff; über den Sohn Lehmann Berend S. 85. 

144 Auerbach, a. a. O. S. 82 (für Hannover); S. Haenle, Gesch. der 
Juden im ehemaligen Fürstentum Ansbach (1867), 64 ff, 70ff, 89 ff. Über 
die öttingischen Hofjuden: L. Müller, Aus fünf Jahrhunderten, in der 
Zeitschr. des hist Ver. für Schwaben u. Neuburg 26 (1899), 142 ff. 

148 F. von Mensi, Die Finanz. Österreichs, 409. 

Sombart, Die Juden 29 


Digitized by t^ooQle 


450 


144 Memoiren der Glückei v. Hameln, deutsch 1910 (Privatdrnck), 340. 

147 M. Zimmermann, Josef 8üB Oppenheimer, ein Finanzmann des 
18. Jahrhunderts. 1874, 

14t Address by Louis Marshall in The '250 anniversary of the 
Settlement usw. 102. 

149 Herb. Friedenwald, Jews mentioned in the Journal of the 
Oontinental Congress. (PubL Amt J©w« Hist Soc. 1, 63 ff.). 

194 Will Graham Sumner, The financier and the finances of the 
American Revolution. 2 Vol. 1891. 

Sechstes Kapitel 

Dis KonsrzlillsieruB das Wlrtscluftslsbm 

141 8o doch schlieBlich übereinstimmend (trotz heftiger Befehdung) 
Brunner, Endemanns Handbuch 2, 147 und Goldschmidt, Universal* 
geschieht« des Handelsrechts (1891), 386. Auch Knies, Der Credit (1876^ 
190 faßt den Begriff des Wertpapiers wesentlich juristisch , wenn er sagt, 
daß wir es in ihm „mit einer eigentümlichen neuen Grundnorm für die 
Erwahrung und Geltendmachung eines Rechts zu tun (haben) und ebenso 
mit einer neuen Grundnorm für die Übertragung eines solchen Rechts auf 
andere.“ Etwas mehr einer spezifisch nationalökonomischen Auffassung 
nähert er sich, wenn er (Credit 2, 238) von dem Verkehrsbedürfnis spricht, 
„eine Geldforderung ohne Rücksicht auf ihren Entstehungsgrund zu »objek- 
tivieren 4 und durch einen Schein — das Wertpapier — , tragen* zu lassen.“ 

154 Ich fasse den Begriff des „Kredit Verhältnisses“ in dem weiten 
Sinne, als eines Verpflichtungsverhältnisses zwischen Personen, das durch 
Hingabe eines Vermögens wertes an einen andern entsteht, der die Gegen- 
leistung in der Zukunft verspricht. Aus jedem Kreditverhältnis entsteht 
also ein Schuld- und ein Forderungsverhältnis, aber nur im ökonomischen, 
nicht auch im juristischen Sinne, da die Forderungsrechte in diesem weiten 
materiellen Sinne auch Eigentumsrechte, dingliche Rechte usw. mit um- 
fassen; z. B. das Recht des Eigentümers auf Erstattung des Pacht- oder 
Mietzinses, des Hypothekengläubigers auf Erstattung des Hypothekenzinses 
usw., des Arbeiters auf Erstattung des Arbeitslohnes usw. 

158 F. A. Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen (1859), 145. 

144 Hypothese Kuntzes und anderer. Siehe Goldschmidt, Univ 
Gesch. 408 ff. 

145 Goldschmidt, a. a. O. S. 410. Bei Goldschmidt ist natürlich 
der hier positiv gewandte Satz mit einem Fragezeichen versehen und in 
die Form gekleidet: „ob . „ist aus den z. Z. zugänglichen Quellen nicht 
zu ermitteln.“ Siehe dagegen Alb. Wahl, Traitä thäor. et prat. des 
titres au porteur 1 (1891), 15. 

144 Kuntze, Zur Geschichte der Staatspapiere auf den Inhaber in 
der Ztschr. f. das ges. Handel sR. 5, 198 ff., derselbe, Inhaber Pap. (1857), 
58. 63. Goldschmidt, Univ« Gesch« 448/49. Sieveking in Schmollen 
Jahrbuch 1902. Vor allem G* Schaps, Zur Geschichte des Wechsel- 
indossaments (1892), nam. S. 86 ft. „Im allgemeinen läßt sich das 17. und 


Digitized by t^ooQle 



451 


1 der Anfang des 18. Jahrhunderts bezeichnen als Zeit der Ausbreitung und 

i Vervollkommnung des Indossaments für ganz Europa." Zu vergleichen 

Biener a. a. 0. 8. 121 ff., 187 ft. 

157 Goldschmidt, Univ. Gesch., 452. Schaps, 92. Das erste Ver- 
bot (nach Schaps) in der Neap. Pragmatica vom 8. Nov. 1607. a. a. 0. S. 887. 

168 Text bei Dav. Kaufmann, Die Vertreibung der Marranen aus 
Venedig im Jahre 1550 in Jewish Quarterly Rev. 18 (1901), 820ff. 

109 Graetz 8, 354; 9, 328. 

160 Einstweilen unterrichten am besten über die Genueser Messen 
Ehrenberg, Zeitalter d* Fugger 2, 222 ft. und Endemann, Studien in der 
rom.-kanon. Wirtschafts- und Rechtslehre 1 (1874), 156 £ Endemann fußt 
wesentlich auf Scaccia und Raph. de TurriSf während Ehrenberg außerdem 
noch einige Akten des Fuggerarchivs als Quellen benutzt hat. 

161 Wenn nicht schon in der Gesellschaft der Pairiers, denen die 

; Toulouser Mühle du Basacle im 12. Jahrhundert auf Grund von Anteil- 

scheinen (uchaux oder saches) übertragen wurde. Edm. Guillard, Les 
Operation» de Bourse (1875), 15. 

169 Siehe vor allem K. Lehmann, Die geschichtliche Entwicklung 

, des Aktienrechts. 1895. 

108 J. P. Ricard, Le N6goce d’ Amsterdam (1723), 897—400. 

104 Das wenigstens ist das Ergebnis, zu dem gelangt Andr6-E. 
Sayous, Le fractionnement du Capital social de la Compagnie näerland. 
des Indes Orient in der Nouv. Rev. hist, du droit fran$. et Strang. 25 (1901), 
621 ff. (325. 

105 ygi Endemann, Studien 1, 457f. 

100 Goldschmidt, Univ. Gesch., 322. 

107 Das wichtigste Urkundenmaterial zur Geschichte des Bank- 
wesens in Venedig enthält noch immer die Sammlung von Elia 
Latte s, La libertä delle banche a Venezia dal secolo XIII al XVII secondo 
i documenti inediti del R. Archivio dei Frari ec. 1869. Darüber haben ge- 
schrieben Ferrara, Gli antichi banchi di V, in der Nuova Antologia VoL 
XVI (derselbe Autor bringt eine Reihe die Soranzos betreffende Urk. noch 
herbei im Archivio Veneto Vol. L (1871). E. Nasse, Das venetianische 
Bankwesen im 14, 15. und 16. Jahrhundert in den Jahrb. f. N. ö. 84, 
329 ft., 338 f. Eine gründliche Darstellung des Anteils der Juden am vene- 
tianischen Bankwesen wäre eine sehr dankbare Aufgabe« Aber offenbar 
auch eine schwierige Aufgabe, denn soweit ich aus den bisher vorliegenden 
gedruckten Quellen ersehe, sind die Juden in Venedig schon im 15. Jahr- 
hundert großenteils Scheinchristen, oft in Amt und Würden wie die Ciera 
mit christlichen Vornamen usw. 

108 Macleo d, Dict of Pol Econ. Art. Bank of Venice (Quelle?) zit. 
bei A. Andr6ad£s, Hist, of the Bank of E. (1909), 28. 

109 Gallicioli Memorie Venete II No. 874 bei Graetz, 6, 284. 

170 S. Luzzato, Disc. circa il stato degli Hebrei in Venezia (1638) 
c. I und p. 9a, p. 29a. Die Zahlen sind nicht so genau zu nehmen; sie be- 

• ruhen auf bloßer Schätzung des übrigens nicht unintelligenten rabbinischen 

Verfassers. 

29* 


Digitized by 


Google 



452 


m Siehe z. B. D. Manuel Colmeiro, Hist de la econoraia politica 
en Espafia 1, 411; 2, 497 ff. 

1,1 F. von Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890), 
nam. S. 34 ff. 

178 Ad. Beer, Das Staatsschuldenwesen und die Ordnung des Staats- 
haushalts unter Maria Theresia (1894*, 13. 

174 Walther Däbritz, Die Staatsschulden Sachsens in der Zeit von 
1763 bis 1837. Lpz. In.Diss. 1906. S. Uff. 55 f. 

178 E. v. Philippovich, Die Bank von England nsw. (1885), 26 £ 

176 Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2, 141. 299. 

177 (Luzac), Richesse de la Hollande 2 (1778), 200. Eine andere 
darauf bezügliche Stelle findet sich VoL I p. 366 ff. ln der holländischen 
Ausgabe von 1781 ist die Darstellung im wesentlichen gleichlautend mit 
der französischen; nur die Darlegungen 2, 307 ff. sind etwas ausführlicher. 
Luzac hat außer der eigenen Erfahrung, die wohl seine Hauptquelle bildete, 
noch Fermin, Tableau de Surinam, 1778, benutzt, wo aber nicht mehr 
steht als L. selbst berichtet. 

178 Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren (1857), 48. K.a 
Werk ist noch heute, wenigstens was die grundsätzliche Behandlung des 
Problems anbetrifft, unerreicht. Ihm zur Seite stellt sich das Werk des 
Franzosen Alb. Wahl, Traitä theorique et pratique des titres au porteur 
franQais et 6trangers, 2 tomes 1891 (siehe das Referat Goldschmidts 
darüber in der Ztschr. f. das ges. HR. 49, 261 ff.). Die übrigen Arbeiten 
über das Inhaberpapier sind mehr oder weniger monographischer Natur 
und werden an ihrem Orte genannt werden. 

178 Für die urkundliche Geschichte des mittelalterlichen Inhaberpapiers 
grundlegend sind jetzt die Arbeiten von H. Brunner, Das französische 
Inhaberpapier, 1879 und Zur Geschichte des Inhaberpapiers in Deutschland 
in der Ztschr. f. das ges. HR., Bd. 21. 23. 

180 Brunner, Das franz. Inhaberpapier. 69 f. 

181 F. Hecht, Gesch. der Inh.Pap. in den Niederlanden (1869), 4 ff. 
87 ff. (für Lombardzettel, die sich 1614 bei der Amsterdamer, 1662 bei der 
Enkhuysener Lombardbank nachweisen lassen). 

188 Goldschmidt, Inhaber-, Order- und exekutorische Urkunden im 
klassischen Altertum (Zt9chr. f. Rech tage sch. Rom. Abt. 10 [1889], 352 ff.). 

188 Benedict Frese, Aus dem gräko-ägyptischen Rechtsleben (1909), 
26 ff. Vgl. die dort zit. Schriften: Lipsius, Von der Bedeutung des 
griechischen Rechts 19 und Weng er, Papyrosforschung und Rswiss. 
(1903), 40. 

184 H. Brunner, Forschungen zur Gesch. des deutschen und französ. 
Rechts. Ges. Aufs. (1894), 604 ff. 

185 Brunner, Franz. InluPap. 28 ff. 57 ff. und Ztschr. f. g. HR. 
23, 234. 

188 Ztschr. f. Rsgesch. 10, 355. 

187 Gius. Salvioli, I titoli al portatore nella storia del diritto 
italiano (1883) nach dem Referat in Ztschr. f. g. HR. 30, 280 ff. 

iss Nach L. Auerbach, Das jüdische Obligationenrecht 1 (1871), 


Digitized by t^ooQle 



453 


270 ff. Andere Stellen aus 'der rabbinischen Literatur finden sich noch 
angeführt bei Hirsch B. Fassei, Das mosaisch-rabbinische Zivilrecht, 
1L Bd. , 3. Teil (1854), § 1390; Frankel, Der gerichtl. Beweis nach 
mosaischem R. (1846), bes. S. 386; Saal schütz, Mos. Recht 2 (1848), 
862, N. 1086. 

189 Über den Mamre: Lad. L’Estocq, Exercitatio de indole et jure 
instmmenti Jndaeis nsitati cui nomen „Mamre“ est 1755, §§ VH ff.; in 
J. M. G. Besekes, Thes. jnr. camb., P. 11(1783), p. 1169 ff. insbes. 1176 ff.; 
Ph. Bloch, Der Mamran (yiEtt), der jüdisch-polnische Wechselbrief; 
Sonderabdruck aus der Festschrift zum 70. Geburtstage A. Berliners, 1903. 

190 Ehrenberg, Zeitalter der Fugger 2, 141. 

191 Brunner, Franz. Inh.Pap., 69 f. 

199 Schaps, Gesch. d. Indoss., 121 f. 

198 Über die Modernisierung der belgisch -holländischen Kostümen 
spricht am besten F. Hecht, Gesch. d. Inh.Pap. i. d. Niederlanden, 44 ff. 
VgL Kuntze, Zur Gesch. der Staatspapiere auf Inhaber in der Ztschr. f. 
ges. HR. 5, 198 ff. und Eu 1er, ebenda 1, 64. 

194 Hecht a. a. O. S. 96 f. 

198 W. Däbritz a. a. O. S. 58 f. 

196 Kuntze, Inh.Pap., 85 f. 

197 Straccha, Tract. de assicur. (1568), introd. Gl. VII, p. 29. 

196 A. Wahl, Titres au porteur 1 (1891), 15. 84. 

199 Hecht, Inh.Pap. i. d. Niederl., 37. 

200 Siehe z. B. J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren (2. Aufl. 
1880), 167 f. 

901 So doch schließlich (trotz aller seiner Vorliebe für möglichst weite 
Zurückdatierung moderner Einrichtungen ; man erwartet bei G. immer den 
„quellenmäßigen“ Nachweis, daß in den Pfahlbauten Scheckbücher und beim 
Neanderthalsch&del Banknoten aufgefunden worden sind; übrigens ein 
Lieblingssport aller „Historiker“, der G. denn doch nicht war) Gold- 
schmidt, Univ.Gesch., 893. 

209 Für das folgende siehe vor allem L. Auerbach, Das jüdische 
Obligationenrecht 1 (1871), 163 ff. 251 ff. 518 ff. Das (leider unvollendete) 
Werk ist ungemein anregend geschrieben und verdient nicht die Ver- 
gessenheit, der es anheimgefallen ist. Es ist die bei weitem geistvollste 
Darstellung des talmudisch- rabbinischen Rechts, dessen grundsätzliche 
Eigenart es mit großer Schärfe herausarbeitet Viel unbedeutender, aber 
immerhin zum Vergleich heranzuziehen: Saal schütz, Mosaisches Recht, 
2 Bde. 1848; H. B. Fassei, Das mosaisch-rabbinische Zivilrecht, 2 Bde., 
1852. 1854; J. J. M. Rabbinowicz, Legislation du Talmud, Bd. 111(1878) 
enthält das Obligationenrecht. Für das Prozeßrecht Frankel, Der ge- 
richtliche Beweis nach mosaischem R., 1848. Neuerdings hat auf Grund 
der Goldschmi dtsch en Übersetzung eine „Darstellung des talmudischen 
Rechts“ gegeben J. Köhler in der Ztschr. f. vergleich. Rechtswiss. 20 
(1908), 161—264 (auch in Broschürenform); darüber V. Aptowitzer, in 
MGWJ. (1908), 37—56. 


Digitized by t^ooQle 



454 


m Otto 8tobbe, Die Juden in Deutschland während des Mittel* 
alten 0866), 119 ft 242. 

904 Goldschmidt, Universalgeschichte, 111. 

988 (I s a a c de Pinto) Traitö de la circulation et dn credit (1771W 
64 ft, 67 — 68. Za vergleichen etwa noch E. Gaillard, Les Operation« de 
Bourse (1875), 534 ft 

969 Hübsch aasgeführt z. B. bei W. Däbritz, Die Staatsschulden 
Sachsens (1906), 18. 

107 Ehrenberg, Zeitalter der Fngger 2, 244 ft und öfters. E. ist 
deijenige Schriftsteller, dem wir zweifellos die wertvollsten Aufschlüsse 
über die Geschichte der Börse verdanken. Es ist jammenchade, daß er 
seine Stadien aaf diesem Gebiete nicht fortsetzt, aaf dem ihm keiner von 
ans an Sachkenntnis gleichkommt. 

808 Siehe Anm. 21. 

709 Van Hemert, Lectuar voor het ontbijt en de Theetafel 
VH«*« Stak, bL 118. 119; zit. bei H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden 
in Nederland (1848), 212. 

910 Henr. Stephanus, Francofordiense Emporium sive Franco- 
fordienses Nundinae (1574), 24. 

911 Zit. bei Ehrenberg, Z. d. F. 2, 248. 

919 Glückei von Hameln, Memoiren, 297. 

918 Bei M. Granwald, Hamburgs deutsche Jaden bis zur Auflösung 
der Dreigemeinde 1811 (1904), 21. 

914 S. Haenle, Gesch. der Jaden im ehemaligen Fürstentum Ans- 
bach (1867), 173. 

915 In dem Werke: Die Juden in Österreich 2 (1842), 41 ft 

919 Bericht des Sons-intendant M. de Courson vom 11. 6. 1718; bei 
Th. Malvezin, Histoire des juifs k Bordeaux, 1875. 

917 E. Meyer, Die Literatur für und wider die Juden in Schweden 
im Jahre 1815, in der Monatsschrift f. Gesch«. u. Wies. d. Jud. 51 
(1907), 522. 

918 H. Sieveking, Die kapitalistische Entwicklung in den italie- 
nischen Städten des Mittelalters in der Vierteljahrsschrift für Soz. u. 
W.Gesch. 7, 85. 

919 H. Sieveking, Genueser Finanzwesen 1 (1898), 82 f., 175 f. 

990 Sara via della Calle, Institutione de’Mercanti im Compendio 
utilissimo di quelle cose le quali a Nobili e christiani mercanti appar- 
tengono (1561), 42. 

991 Artikel Börsenwesen im H.St^ 3. Aufl. 

999 Die zuverlässigsten Quellen für die Geschichte des Aktien- 
handels an der Amsterdamer Börse während der ersten Jahrzehnte des 
17. Jahrhunderts sind die Plakate der Generalstaaten, die ihn verbieten. 
Ferner sind in Rücksicht zu ziehen die verschiedenen Streitschriften, deren 
mehrere während des 17. Jahrhunderts für und gegen den Aktienhandel 
erschienen sind, namentlich die des Gegners der Spekulation Nie. Muys 
v a n H o l y. Darüber Laspeyres, Gesch« der volkswirtsch. Anschauungen, 
1863. Eine besondere Stellung nimmt das Buch de laVegas ein, von dem 


Digitized by t^ooQle 



455 


ich noch spreche. Für die sp&tere Zeit enthalten eingehende Schilderungen 
die verschiedenen Handlungsbücher, namentlich also J. P. Ricard, Le 
nögoce d’ Amsterdam (1728), 370 ff., aus dem fast alle Schriftsteller nachher 
schöpfen. Selbständigen Wert haben daneben noch die Werke Jos« 
de Pin tos aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. An neuerer 
Literatur kommen etwa in Betracht 6. C. Klerk de Reus, Geschicht- 
licher Überblick der . . . niederländisch-ostindischen Companie (1804), 177 f.; 
S. van Brakei, De Holl. Hand. Comp, der XVII. eeuw (1908), 154 f. 

228 ln der Zeitschrift De Koopmann 2, 429. 439; zit. bei Ehrenberg, 
Z. d. F. 2, 333. Leider war es mir nicht möglich, dieser Zeitschrift hab- 
haft zu werden. 

224 (J. de Pinto), De la circnlation etc« (1771), 84. 

125 Der Wortlaut des Briefes (aus Doc. rei. to the Col Hist of N. Y. 
11, 815) bei Max J. Kohljer, Beginnings of New York Jewish History 
in den PubL of Am. Jew. Hist Soc. 1, 47. 

222 Manasseh ben Israels Bericht ist selbständig erschienen im Jahre 
1655. Dann oft gedruckt (Deutsch z. B. im Jahrbuch des Literar. Vereins, 
1861; Englisch im Jewish Chronicle, 1859. 

287 Einen sehr ausführlichen Auszug ans dem seltenen Buche, der teil- 
weise einer Übersetzung gleichkommt, gibt EJhrenberg im Z. d. F. 2, 
336 ff. und in den Jahrbüchern für N.O., HL F., Band 3, S. 809Jff. 

828 Extrait d’un m&noire pr£sentä en 1698 im Archiv des französischen 
Kolonialamts; veröffentlicht in der Revue historique (ed. par Monod), 
t 44, 1895. 

229 The Anatomy of Exchange Alley (or a System of Stock Jobbing, 
1719. Abgedr. bei J. Franjeijs, Stock exchange (1849), App. 

280 Art Brokers in der Jew« Enc. 

221 J. Picciotto, Sketches of Anglo Jewisch History (1875), 58 ft 

222 Univ. Dictionary of Trade and Commerce 2 (1757), 554. 

222 D’Blossiers Tovey, Anglia Judaica or the History and Anti- 
quitiea of the Jews in England (1738), 297. 

224 Nach einer Klagschrift der christlichen Kaufleute aus dem Jahre 
1685, die Ehren berg, Z. d. F* 2, 248 erwähnt* 

228 M. Grunjwald, Portugiesengräber (1902), 6 ff. 

282 Postlethwayt, Dict 1 (1751), 95. 

227 Jos. Jacobs, Typical character of the Anglo -Jewish History 
(The Jew. Qarterly Review 10 [1898], 280)« 

288 Ranke, Französ. Geschichte 4 8 , 899. 

289 M61on , Essai pol. sur le commerce (1734); 6d. Daire p. 685. 

240 Uber den Handel mit „Königsbriefen** in Lyon seit etwa 1550 
Ehrenberg, Z. d. F. 2, 142. 

241 (du Hautchamp), Histoire du systäme des Finances sous la 
minoritä de Louis XV 1 (1789), 184. 

242 Oscar de Valläe, Les manieur» d’argent (1858), 41 f. 

242 P. A. Cochut, Law, son systöme et son äpoque (1853), 38. 

244 Ed. Drumont, La France juive. 104. 6d., 1, 259. 

242 Sämtliche Ziffern aus den „von den Gilde-Dienern Friedr. Wilh. 


Digitized by t^ooQle 


456 


Arendt und Abraham Charles Rousset heraasgegebenen Verzeich- 
nissen ... der gegenwärtigen Aelter-Männer tt nsw. usw., 1801 £ 

948 Arnold Kiesselbach, Die wirtschafts- und rechtsgeschichtliche 
Entwicklung der Seeversicherung in Hamburg (1901), 24. 

141 Der Fall ist mitgeteilt und besprochenjbei N. Th. von Gönner, 
Von Staatsschulden, deren Tilgungsanstalten und vom Handel mit Staats- 
papieren, 1826, § 80. 

948 Dict. of Comm. 2 9 , 553 f. Vgl. auch daselbst deu sehr lehrreichen 
Artikel „Monied Interest", p. 284 £ 

849 Siehe die Artikel „Monied Interest" und „Paper Credit“ im Post- 
lethwayt 2 8 , 284 ff. 404 ff. 

880 D. Hu me, Essays 2 (1793), 110. 

881 Ad. Smith, W. of N., B. V, ch. 3. 

858 von Gönner, Von Staatsschulden usw. (1826), §§ 31 £ 

858 Pinto, Träte, 310/11. 

884 Bei Ehrenberg, Z. d. F. 2, 299. 

886 Ich begnüge mich damit, folgende drei Schriften zu nennen, die 
mir als die besten erscheinen : Das Haus Rothschild. Seine Geschichte und 
seine Geschäfte. 2 Teile 1857. John Reeves, The Rothschilds: The 
financial Eulers of Nations. 1887. R. Ehrenberg, Große Vermögen usw. 
1. Band: Die Fugger- Roth sc hi Id -Krupp. 2. Aufl. 1905. 

884 J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren. 2. Aufl. 1830, S. 145. 

887 Z. B. Gönner a. a. O. S. 60£; Bender a. a. O. S. 142. 

888 Das Haus Rothschild 2, 216 £ 

889 Arth. Crump, The theory of Stock exchange, 1873. Repr. 1903, 
p. 100 f. 

960 v. Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701 — 1740 (1890), 54. 

861 Ad. Beer, Die Staatsschulden . . . unter Maria Theresia (1894), 43- 

868 J. H. Bender, Der Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 1830, § 5. 

868 J. Francis, Stock exchange (1849) 161 f. 

884 Das Haus Rothschild 2 (1857), 85 £. 

885 Für die „Gründerjahre“ in Deutschland bleiben die beste Quelle 
doch — trotz aller Tendenz, trotz aller Einseitigkeiten und Übertreibungen 
und trotz aller zum Teil recht schiefen Werturteile — die viel geschmähten 
Bücher von Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in 
Berlin, 1876; und Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland, 
1877. Das Wertvolle in diesen Büchern sind die kurzen Geschichts- 
darstellungen der verschiedenen Gründungen, in denen sich auch die 
Namen der Gründer, der ersten Aufsichtsräte und der Direktoren ver- 
zeichnet finden. Vgl. übrigens die verschiedenen Jahrgänge von Salings 
Börsenpapieren und Rud. Meyer, Die Aktiengesellschaften 1872 — 1873 
(bezieht sich nur auf Bankgründungen). Die im Text gegebenen Zu- 
sammenstellungen hat in meinem Aufträge freundlichst Herr Arthur 
Loewenstein gemacht. 

988 M. Wirth, Gesch. d. Handelskrisen, 3. Aufl. 1883, S. 184 £ 

887 Riese er, Entwicklungsgeschichte der deutschen Großbanken 
(1905), 48. 


Digitized by 


Google 



457 


988 J. E. Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren (1857), 28. 

989 Ad. Beer, Die Staatsschulden . . . unter Maria Theresia (1894), 35. 

170 C. Hegemann, Die Entwicklung des französischen Großbank- 
betriebes (1908), 9. 

971 Man findet Literatur und Quellen ausführlich verzeichnet in dem 
Buche von Joh. Plenge, Gründung und Geschichte des Crädit mobilier, 
1908. Die Darstellung P.s selbst erscheint mir nicht immer glücklich ; das 
Bestreben, den Cr. m. als Ausfluß Saint Simonistischer Philosophie zu 
erklären, doch nur insoweit berechtigt, als jene wiederum das Gepräge 
des jüdischen Geistes trägt (was ja freilich in weitem Umfange der Fall 
ist). Der Wahrheit kommt meines Erachtens, trotzdem PL ihn sehr schlecht 
beurteilt, oft viel näher üeinr. Sattler, Die Effekten banken (1890), 71 ff. 
Übrigens wird ein großer Teil des Streits, wie mir scheint, dadurch hervor- 
gerufen, daß man nicht immer scharf zwischen dem idealen Cr. m. (wie 
er nach dem Programm seiner Gründer hätte sein sollen) und dem wirk- 
lichen (wie er sich tatsächlich gestaltete) unterscheidet 

979 Model-Loeb> Die großen Berliner Effektenbanken (1895), 48 f. 
Diesem guten Buche sind auch die Angaben im Texte über die großen 
deutschen Spekulationsbanken entnommen (soweit sie nicht auf persönlicher 
Information beruhen). 

978 Vgl. etwa R. Ehrenberg, Fondsspekulation, 1883 und Ad. 
Weber, Depositenbanken und Spekulationsbanken, 1902. 

974 Siehe z. B. A. Gomoll, Die kapitalistische Mausefalle, 1908. Das 
Buch ist was sein sensationeller Titel nicht vermuten läßt, durchaus ernst 
und gehört zu den besten Darstellungen des Börsentreibens, die wir aus 
den letzten Jahren besitzen. 

976 Das Material habe ich aus unzähligen, meist lokalgeschichtlichen 
Quellen zusammengetragen, die hier einzeln aufzuzählen keinen Sinn hätte. 

Siebentes Kapitel 

Die Herausbildung einer, kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung 

978 (König), Annalen der Juden in den preußischen Staaten (1790), 97. 

977 Zur Geschichte der Juden in Danzig: Monatsschrift 6 (1857), 248. 

978 M. Güdemann, Zur Geschichte der J. in Magdeburg. Monats- 
schrift 14 (1865), 370. 

979 Zitiert bei G. Liebe, Das Judentum (1908), 91/92. 

980 Regesten bei Hugo Barbeck, Geschichte der J. in Nürnberg 
und Fürth (1878), 68 ff. 

981 Siehe z. B. das Vorgehen der Berliner Kramergilden bei Geiger, 
Gesch. d. J. in Berlin 2 (1871), 24. 84. 

989 Jos. Child, Discourse on trade, 4. ed., p. 152. Ch. gibt die „all- 
gemeine Meinung“ wieder, ohne ihre Richtigkeit (obwohl Judenfreund) 
anzuzweifeln. Er meint nur: was man den J. vorwerfe, sei gar kein Ver- 
brechen. 

988 Auszüge aus den Streitschriften jener Zeit bei Alb. M. Hyamson 
The Jews in England (1908), 274 f. 


Digitized by t^ooQle 



458 


884 Abgedruckt bei L4on Brunsch vicg, Les juifs en Bretagne 
an 18. ec. in der Revue des 4t. juives 88 (1896), 88 ff., insbes. 111 ffj 

888 Les Juifs et lee Communaut4s d’Arts et M4tiers in der Revue 
86 , 75 ff. 

,M M. Maignial, La queetion juive en France en 1789(1908). Dort 
findet eich p. 86 ff. ein reiches Material, aus dem die Stimmung der franzö- 
sischen Kaufleute gegen die J. während des 17. und 18. sc. ersichtlich ist. 

881 Requöte des marchands et nägociants de Paris contre l’admission 
des Juifs (1777), p. 14; zit bei Maignial, 92. 

888 G. Maignial, La question juive, 92. 

888 Gutachten Wegelins im Bfirgerstande (des schwedischen Reichs- 
tags) 1815 bei Ernst Meyer, Die Literatur für und wider die Juden in 
Schweden im Jahre 1815 in der Monatsschrift 51 (1907), 513 ff. 522. 

880 Czacki, Rosprava o Zydach, 82 ff.; bei Graet'z, G. d. J. 9, 
443 ff Fast wörtlich dieselben Klagen in den Berichten über Rumänien: 
Verax, La Roumanie et les Juifs. 1903. 

881 Phil, von Sittewalds Gesichte a. a. 0. 

888 Georg Paul Hönn, Betrugs-Lexicon, worinnen die meisten Be- 
trügereyen in allen Ständen nebst denen darwider guten Theils dienenden 
Mitteln entdeckt von . . . Dritte Edition. 1724. 

888 Allgemeine Schatzkammer der Kaufmannschaft oder vollständiges 
Lexikon aller Handlungen und Gewerbe 2 (1741), 1158 ff. 

884 Charakteristik von Berlin. Stimme eines Kosmopoliten in der 
Wüste (1784), 203. 

888 J. Savary (CEuvre posthume, continu4 . . . par fPhil. Louis 
Sa vary), Dictionnaire universal de commerce 2 (1726), 447. 

286 Allgemeine Schatzkammer der Kaufmannschaft 1 (1741), 17. 

887 Allgem. Schatzkammer 8 (1742), 1325» 

888 Besonders glücklich gefaftt bei Rud. Eberstadt, Französ. 
Gewerberecht (1899), 378 ff. 

888 (Dan. Defoe), The [Complete English Tradesman. 1. ed. 1726. 
Von mir wurden benutzt die 2. ed., |1 Vol» (1727) und die 5. ed., 2 VoL 
1745 (nach dem Tode D.s, der 1731 starb, herausgegeben). Die angeführte 
Stelle findet sich in der 2. ed., p. 82. 

800 Allg. Schatzkammer usw« 8, 148. 

801 Allg. Schatzkammer usw. 4, 677. 

808 Allg. Schatzkammer usw« 8, 1325/ 

808 Allg. Schatzkammer usw. 8, 1326» 

804 Allg. Schatzkammer usw. 1, 1392. 

808 Siehe den höchst lehrreichen |19. Brief (in der 2. AufL, dem der 
22. in der 5. Auflage entspricht): „Of fine shops and fine shews“. 

808 Jules de Bock, Le Journal ä travers les äges (1907), 30 ff, zit 
bei F. Kellen, Studien über das Zeitungswesen (1907), 253. 

887 Ein reiches Material, namentlich englischer Herkunft, bei Henry 
Sampson, A History of Advertising from the earliest times, 1875; siehe 
namentlich* p. 76. 83 ff. 

888 Mal. Postlethwayt, A universal Dictionnary of Trade ^and 


Digitized by ^.ooQle 



459 


Commerce, 2 VoL 1741, 2. ed. 1757, 1, 22 f. (P. nennt sein Werk selbst eine 
Übersetzung des Savaryschen Lexikons; es stellt sieb aber durch die zahl- 
reichen Ergänzungen als ein ganz selbständiges Werk dar, das — nebenbei 
bemerkt — von unschätzbarem Wert als Quelle für die Darstellung des 
englischen Wirtschaftslebens im 18. sc. ist). 

809 Sa vary, Dict du Comm. (1726), Suppl. 1732. 

8,0 P. Datz, Histoire de la Publicity (1894), 161 ff. enthält das Fac- 
simile der ganzen ersten Nummer der Petites Affiches. 

811 Allg. Schatzkammer usw. 4, 677. 

818 CompU Engl. Tradesmann, 5. ed. 2, 163. 

818 Arch. Nat M. 802 mitgeteilt bei G. Martin, La grande industrie 
sous Louis XV (1900), 247 f. 

814 Jos. Chil|d, A new discourse of trade. 4. ed. p. 159. 

818 Saravia della Calles (3) Schriften sind zusammen mit denen 
von Yenuti und Fabiano gedruckt in dem Compendio utilissimo di 
quelle cose le quali a nobili e christiani mercanti appartengono. 1561. 

8,8 (Mercier), Tableau de Paris 11 (1788), 40. 

817 Zitiert bei Just. Godard, L’ouvrier en soie 1 (1899) 38/39. 

818 Memoirs of the Rev. James Fraser, written by himself. Select 
Biographies 2, 280. Durhains Law unsealed p. 324 zit bei BukleJ, Ge- 
schichte der Zivilisation 2 8 , 377. 

819 Durhams Exposition of the Song of Solomon p. 365; zit. bei 
Bukle, a. a. O. 

880 Allgemeine Schatzkammer 4 (1742), 666 ff. 

881 Siehe z. B. Mei|cier, Tableau de Paris 2, 71 ff. (Ch. CXXVIII) 

828 Sam. Lamb in seiner bekannten Denkschrift über Errichtung einer 

Nationalbank stellt die laxe englische Geschäftsmoral in Gegensatz zu der 
Solidität, z. B. der Holländer. Die Denkschrift Lambs ist abgedruckt in 
Somers Tracts 6, 444 f. 

888 Owen Felltham in seinen 1652 erschienenen Observations. 
Zitiert bei Douglas Campbell, The Puritan in Holland, England and 
America 2 (1892), 327. 

824 Der Vorwurf, Diebswaren zu kaufen, wird den Juden seit dem 
frühen Mittelalter bis tief in unsere Zeit hinein gemacht. Siehe z. B. 
G. Caro, Soz. und Wirtschaftsgesch. der Juden 1 (1908), 222; Bloch, Les 
juifs (1899) 12. Allgem. Schatzkammer Art* „Juden“. J. H. G. von Justi, 
Staatswirtschaft l s (1758), 150. Zahlreiche Quellenbelege für Deutschland 
bei G. Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit 1903. Im 
Verlauf der Darstellung! komme ich aut diesen Punkt noch zurück und 
werde ich noch auf andere Stellen verweisen. 

888 Nach einem Protokollbuch der portugiesischen Gemeinde in Ham- 
burg A. Feilchenfeld. Die älteste Geschichte der deutschen Juden in 
Hamburg, in der Monatsschrift 48 (1899), 279. 

888 Aus der „Predigt“ Geylers von Eaisersberg zum 93. „Narren- 
geschwarm“ des Seb. Brandtscheu Narrenschiffes (in der von J. Scheible 
herausgegebenen Sammlung „Pas Kloster“, Bd. 1, S. 722) Zu vergleichen 


Digitized by t^ooQle 



460 


Oskar Franke, Der Jude in den deutschen Dichtungen des 15., 16. und 
17. Jahrhunderts, 1905; insbes. der 4. Abschnitt. 

887 Mitgeteilt von Albion Morris Dyer, Points in the first chapter 
of New York Jewish History (Am. Jew. Hist Soc. 8, 44). 

888 Will. Usselinx in einem Bericht an die Generalstaaten mitgeteilt 
bei Jameson in Am. Jew. Hist. Soc. 1, 42. Über Usselinx: E. Laspey res 
Yolksw. Ans. d. Niederlande, (1863), 59 ff. 

888 Sa vary, Dict du Commerce 2 (1726), 449. 

880 Bericht des Bev. Johannes Megalopensis (Publ. Am. Jew. Hist 
Soc. 8, 44). 

881 Jos. Child, Disc. on trade; 4. ed. p. 152. 

888 Mitgeteilt von R. Ehrenberg, Grotte Vermögen, 2. Aufl., S. 147 £. 

888 (König), Annalen der Juden in den preutt. Staaten (1790), 106—117. 

884 Mitgeteilt bei Liebe, Judentum, 34. 

886 Risbeck, Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an 
seinen Bruder in Paris. 1780. Ygl H. Scheube, Aus den Tagen unserer 
Großväter (1873), 393. 

886 Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den deutschen 
Handelsstädten (1818), 171. 252. 270. 272. 

887 Eingabe der Kaufleute von Nantes in der Revue des et. juives 
88 , lllffl 

887 » Hild. Bodemeyer, Die Juden. Ein Beitrag zur Hannoverschen 
Rechtsgeschichte (1855), 68. 

888 Mitgeteilt bei Alb. Wolf, Etwas über jüdische Kunst und ältere 
jüdische Künstler in den Mitteilungen zur jüdischen Volkskunde; heraus- 
geg. von M. Grunwald, N. Reihe, 1. Jahrgg. 1. Heft (1905), 34. 

888 Denkschrift des Rates mitgeteilt bei Ehre nb erg, Grotte Verm. ■* 

147 f. 

840 Die Urkunden sind abgedruckt bei Kracauer, Beiträge zur Ge- 
schichte der Frankfurter Juden im 30jährigen Kriege in der Zeitschrift für 
die Gesch. d. J. in Dld. 8 (1899), 147 f. Vgl. noch Schn dt, Merkwürdig- 
keiten 2, 164. 

841 (König), Annalen 97, 106—117. 

848 Versuch über die jüdischen Bewohner der österreichischen 
Monarchie (1804), 83. Das Buch enthält viel wertvolles Material. 

848 Lud. Holst, Judentum in allen dessen Teilen aus einem staata- 
wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet (1821), 293/94. 

844 „. . Les fripiers de Paris qui sont ä la plus part Juife . .“. Noel 
du Fail, Contes d’Eutrapel, XXIV; zit. bei Gust Fagniez, L’6conomie 
sociale de la France sous Henry IV (1897), 217. 

848 (Mercier), Tableau de Paris 2, 253 f. Ch. CLXXXII. 

848 Romani, eines edlen Wallachen landwirtschaftliche Reise durch 
verschiedene Landschaften Europas. Zweyter Theil 1776, S. 150. VgL 
auch Schudt, Merkwürdigkeiten 2, 164. 

847 Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den deutschen 
Handelsstädten (1818), 184. 


Digitized by t^ooQle 



461 


848 Jules de Bock, Le Journal k travers les äges (1907), 30ff. zit* 
bei T. Kellen in den Studien über das Zeitungswesen (1907), 253. 

849 Bei Max J. Köhler, Jewisb Life in New York before 1800 (Publ. 
Am. Jew. Hist Soc. 8, 82). 

880 Zit. bei Bloch, Les juifs (1899), 80. 

881 Alb. M. Hyamson, The Jews in England (1908), 274 f. 

868 Bei Salomon Kahn, Les juifs de Montpellier au 18. si&cle in 
der Revue des 4t. juives 38 (1896), 290. 

858 Bei L4on Brunschvicg, Les juifs en Bretagne au 18. sc. in 
der Revue 38, 111 ff. 

884 Requäte des marchands et n4gociants de Paris contre l’admission 
des juifs (1777), abgedruckt bei Maignial, 1. c. p. 234. 

858 Bei L. Kahn, Les juifs de Paris au XVIII. sc. (1894), 71. 

888 Bei Justin Godard, L’ouvrier en soie (1899), 224. 

887 Gutachten Wegelins in der Monatsschrift 51, 522. 

888 Czacki, Rosprava o Zydach, 82ff. bei Graetz, Gesch. d. Juden 
9, 445. 

889 (König), Annalen, 97. 

880 Bei Friedr. Bothe, Beiträge z. Wirtsch.- u. Soz.-Gesch. d. Reichs- 
stadt Frankfurt (1906), 74. 

881 Zitiert bei Liebe, Judentum, 91 f. 

888 Romanis Landw. Reise 2 (1776), 147. 

888 In der: Geschichte der Juden in der Reichsstadt Augsburg (1803), 42* 

884 F. vonMensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740 (1890), 367. 

888 Allg. Schatzkammer 2, 1158. 

888 Siehe Anm. 328. 

887 Siehe Anm. 821. 

888 Siehe Anm. 322. 

889 Revue des 4t. juives 33, lllf. Sal. Kahn, Les juifs de Mont- 
pellier au XVÜI. si4cle. 1. c. p. 289. 

870 Le cri du citoyen contre les juifs de Metz (18. sc.) zit. bei 
Maignial, 1. c., 234. 

871 Bei F. Bothe, Beiträge, 74. 

878 Siehe Anm. 323. 

878 Zitiert bei Liebe, Judentum, 91 f. 

874 N. Roubin, La vie commerciale des juifs contadines en Langue- 
doc, Revue des 4t. juives Vol. 34. 35. 36. 

875 Juden in d. deutschen Handelsstädten (1818), 254. 

878 Bericht der Kriegs- und Domänenkammer über den Wirtschaft!. 
Niedergang des Herzogtums Magdeburg; zit. bei Liebe, Judentum, 91. 

877 Juden, sind sie der Handlung schädlich? (1803), 25. 

878 Graetz, Gesch. d. Jud. 9, 445. 

879 Romanis Landwirtschaft!. Reise 2 (1776), 148. 

880 Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle der Freundlichkeit des 
Herrn Josef Reizmann. 

881 Child, Disc. on trade, 152. 

888 Hyamson 1. c. p. 274f. 


Digitized by 


Google 



462 


“• Revue de« 6t. juives 8t, 290. 

884 Ludolf Hol st , Judentum (1821), 290. 

484 Juden in den deutschen Handelsstädten (1818), 289. 

888 Lud. Holst a. a. O. 8.288. 

887 Rev. des 6t. juives YoL 86. 

884 Rev. des 6t juives 88 , 289. 

^ (König), Annalen, 90. 

,w Aus der am 9. Jan. 1786 von der ungarischen und siebenbärgischen 
Hofkanzlei abgefaßten Denkschrift (Mitteilung des Herrn Jos. Beizmann). 

891 K. Staatsarchiv nach Mitteilung des Herrn Ludwig Davidsohn. 

898 „ln the U. S. A. the most striking characteristic of Jewish 
commerce is found in the large number of departement stores held by 
Jewish firms“. Jew. Enc. Art. Commerce 4, 192. 

898 Siehe z. B. die Firmenlisten bei JuL Hirsch, Das Warenhaus 
in Westdeutschland, 1910. 

894 Juden, sind sie der Handlung schädlich? (1803X 88. 

899 Henry Sampson, A history of advertising (1875), 68. 

Neuntes Kapitel 

Die Funktionen der kapitalistischen WirtschaftssuhJekte 

894 Siehe die ausführliche Darstellung des hier nur auszugsweise be- 
handelten Gegenstandes in meiner Abhandlung: Der kapitalistische Unter- 
nehmer, im Archiv für Soz.Wiss. u. Soz.PoL, Band 29. 

Zehntes Kapitel 

Die objektive Eignung der Juden zum Kapitalismus 

897 M. Kayserling, The Jews in Jamaica in Jew. Quart Rev. 12, 

708 ff. 

898 Einen Überblick über die jüdischen Welthäuser seiner Zeit und 
ihre Verzweigungen gibt Manasseh ben Israel in seiner Denkschrift an 
Cromwell. Die Geschichte der einzelnen Familien findet man ausführlich 
dargestellt in der Jewish Encyclopedia, die naturgemäß gerade in ihren 
biographischen Teilen besonders wertvoll ist Im übrigen ist auf die juda- 
istischen Allgemein- und Spezialwerke zu verweisen. 

899 Nach den Lettres 6crites de la Suisse, dTtalie ec. Enc. m6th» 
Manuf. 1, 407. Vgl. damit den Ausspruch Jovets, den Schudt, Jüd. 
Merkw. 1, 228 anführt 

409 The Spectator Nr. 495, 7 (1749) 88 f. 

401 Revue historique 44 (1890). 

409 Siehe z. B. Graetz, G. d. J. ö 9 , 328 ff 

408 Alle die erwähnten Beispielen jüdischer Diplomaten sind ja 
aus der Geschichte jedem bekannt. Sie ließen sich natürlich leicht ver- 
mehren. Wer sich über diese Dinge genauer unterrichten will, wird zu- 
nächst immer bei Graetz nachschauen, wo das reichste Material auf- 
gestapelt ist (siehe z. B. Bd. 6, Seite 85, 224 ff.; Bd. 8, Kap. 9, Seite 360 ff) 


Digitized by 


Google 



468 


und wird von da leicht den Weg zu der Spezialliteratur und den Quellen 
finden. 

494 M. Kayserling, Chr. Columbus (1894), 106. 

499 H. J. Koenen, Geschiedenes der Joden in Nederland (1848), 
206 ff. 

409 Edm. Bonn aff 4, Dict, des amateurs fran^ais au XV XL si&cle 
(1881), 191 f. 

491 Nach Procop B» G. I 8 und 16: Friedl&nder, Sittengeschichte 
Borns 8 6 , 577. 

404 (v. Kor tum), Über Judentum und Juden (1795), 165. 

409 (v. Kortum), a. a. O. S. 90. 

410 Revue des 4t. juives 28 (1891), 90. 

411 M. de Maul de, Les juifs dang les Etats iran$ais du Saint-Si4ge 
etc. 1886. Über die Rechtsstellung der Juden unterrichtet die judaistisch- 
historische Literatur häufig sehr gut (da die meisten Autoren ja gar 
keine andere „Geschichte“ als Rechtsgeschichte kennen und fast ausschließ- 
lich Rechtsgeschichte insbesondere dann vortragen, wenn sie Wirtschafts- 
geschichte schreiben wollen). ^Besonders reich an gesetzlichem Material ist 
der Artikel „Juden“ bei Krünitz (Bd. 31), ebenso Schudt, namentlich für 
Frankfurt Besondere Sammlungen dieses Materials enthalten für Frank- 
reich: Halphen, Recueil des lois etc. concernant les Israölites. 1851; 
für Preufsent L. von Rönne und Heinr. Simon, Die früheren und 
gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämtlichen Landesteilen des 
Preußischen Staates ubw. 1843. (Die von mir im Texte zitierten Gesetzes- 
stellen sind alle dieser Sammlung entnommen.) Al fr. Michaelis, Die 
Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen seit dem Beginn des 19. Jahrh. 
Gesetze, Erlasse, Verordnungen, Entscheidungen, 1910. 

419 Siehe z. B. Bento Carqueja, O capitalismo moderao e as suas 
origens em Portugal (1908), 73 ff; 82 ff, 91 ff. 

418 Wagen aar, Beschrijving van Amsterdam Dl VIII bl. 127 bei 
H. J. Koenen, Geschiedenes, 142. Außer den bei Koenen erwähnten 
Quellen unterrichtet über den Reichtum der holländischen Juden (natürlich 
mit stark übertreibender Blague: siehe z. B. die Ziffern aus dem Testament 
De Pintos auf Seite 292) Joh. Jac. Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten 
usw. 1 (1714), 277 ff., 4 (1717), 208f. Vgl Max. Missions Reise nach 
Italien (1713), 43. Aus der neueren Literatur ist noch zu nennen: 
M. Henriqnez Pimentei, Geschiedkundige Aanteekeningen betreffende 
de Portugesche Israeliten in den Haag (1876), 34 ft. 

4,4 Glückei von Hameln, Memoiren, 134ff.) 

415 Savary, Dict. 2 (1726), 448. 

416 L. Wolf, The Jewry of the restauration 1660 — 1664; repr. from 
The Jewish Chronide (1902), p. 11. 

417 Siehe die Quellen namentlich bei H. Reils, Beiträge zur ält Ge- 
schichte der Juden in Hamburg in der Zeitschr. des Ver. f. hamb. Gesch. 
2 (1847), 857 ff, 880, 405 und M. Grunwald, Portugiesengräber auf 
deutscher Erde (1902), 16 f„ 26, 85 ft. 

418 Mitgeteilt bei BL Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, 20. 191 ffl 


Digitized by 


Google 



464 


419 F. Bot he, Die Entwicklung der direkten Besteuerung der Reichs- 
stadt Frankfurt (1906), 166; Tab. 10 und 15. 

490 Kracauer in der Zeitschr. f. d. Gosch, d. Judentums in DeutschL 
8 (1889), 341 ff. 

491 Alex. Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden (1907), 408 ff 

4,1 L. Geiger, Geschichte der Juden in Berlin 1 (1871), 43. 

Elftes Kapitel 

Die Bedeutiao der Jldlschei Religion fflr das Wlrtsehaftsleben 

4tt M. Lazarus, Ethik des Judentums (1904), 67. 85 und öfters. 

494 Hermann Cohen, Das Problem der jüdischen Sittenlehre. Eine 
(beil&ufig bemerkt: vernichtende) Kritik von Lazarus 1 Ethik des Judentums 
in der Monatsschrift für Gesch. u. Wiss. des Judentums 43. Jahrgang 
385 ff (390/91). 

488 Orach Chajim § 8. 

429 Zit bei F. Weber, Altsynagog&le Theologie (1880), 273. 

487 I. Wellhausen, Israel, und jüd. Gesch., 340. 

488 Graetz, G. d. J. 4 9 , 411. Siehe dort weiter eine natürlich ein- 
seitig optimistische, aber doch vortreffliche Würdigung des Talmud und 
seiner Bedeutung für die Judenschaft. 

499 J. Fromer, Vom Ghetto zur modernen Kultur (1906), 247. 

490 M. Kayserling, Christoph Columbus (1894), VI. 

481 Das Haus Rothschild 1 (1857), 186. 

488 Es ist hier nicht der Ort, auf die Geschichte der Bibel, das heißt 
also die Ergebnisse der modernen Bibelkritik, näher einzugehen. 
Ich begnüge mich daher damit, nur einige wenige Werke aus der Un- 
geheuern Literatur anzuführen, die als Einleitung dienen können: Zittel, 
Die Entstehung der Bibel, 5. Aufl. 1891 ; für die Geschichte des Pentateuch 
insbesondere: Adalbert Merx, Die Bücher Moses und Josua. 1907 und 
Ed. Meyer, Die Entstehung des Judentums. 1896. 

498 Lic. W. Frankenberg, Die Sprüche übers, und erläut. im Hand- 
kommentar zum A. T. her. von D. W. Nowack, II. Abt. 3. Bd. 1. Teil; 
daselbst (S. 16) findet sich auch eine Angabe der Literatur über die Weisheits- 
bücher. Siehe jetzt noch Henri Trabaud, La loi mosaique, ses origines 
et son däveloppement (1903), 77 ff. Trabaud faßt die Chokmah als einen 
Versuch auf, das strenge Gesetz zu mildern. 

484 Das Andrängen des auflösenden hellenistischen Geistes und den 
Kampf des alten Judentums dagegen behandelt jetzt vom jüdischen Stand- 
punkte aus ausführlich M. Friedländer, Geschichte der jüdischen 
Apologetik. 1903. Die christlich-theologischen Darstellungen dieser Epoche 
sind zahlreich. 

488 Die Literatur über den Talmud füllt begreiflicherweise eine 
große Bibliothek. Ich nenne daher wiederum nur einige Werke, die zur 
ersten Unterweisung geeignet sind. Unter ihnen steht obenan die vortreff- 
liche Arbeit von Herrn. L. Strack, Einleitung in den Talmud. 4. Aufl. 
1908. Sie enthält selbst eine ausführliche Bibliographie. Speziell die 


Digitized by 


Google 



465 


Literatur zur „Pflichtenlehre des Talmud 4 (die für unsere Zwecke be- 
sonders in Betracht kommt) findet man zusammengestellt bei Salo Stein, 
Materialien zur Ethik des Talmud. 1904. (Von guten Talmudkennern wird 
der Wert dieser Bibliographie angezweifelt) Neuerdings hat sich in geist- 
voller Weise mit dem Talmud (ebenso wie mit der biblischen und späteren 
rabbinischen Literatur) beschäftigt: Jac. Fromer in seinem interessanten 
Buche: „Die Organisation des Judentums 4 1908, das als Einleitung zu 
einer großen, von Fromer geplanten Realkonkordanz des Talmud dienen 
soll. Von älteren religionsgeschichtlichen Werken, die sich besonders 
gründlich mit den Quellen befassen und diese in übersichtlicher Weise 
zusammenstellen, muß besonders erwähnt werden : E. Schüler, Geschichte 
des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 8 Bände. Der erste Band 
(2. Aufl. 1890) enthält in § 8 ein sehr eingehendes Quellenverzeichnis. 
Außerdem sind die allgemeinen Geschichten der Juden — namentlich 
Graetz — bequeme Einführungen in die jüdische Religionsliteratur. 

488 Eine brauchbare Übersetzung vom Schulchan Aruch, wie wir 
sie jetzt vom Talmud bekommen, gibt es leider noch nicht Man ist 
immer noch angewiesen auf die Löwe sehe (1837), die nicht vollständig 
und auch nicht frei von Tendenz ist (Die Neuauflage dieser Übersetzung 
ist ein ganz wertloses populärtendenziöses Machwerk). Daneben ist der 
Orach Chajim und Jore Deah vom Rabb. Ph. Lederer (1906. 2. Aufl. 
bzw. 1900) leider aber nicht vollständig verdeutscht 

Die neusprachige Literatur über den Sch. Ar. trägt fast durch- 
gängig einen pamphletistischen Charakter: das Werk ist von den Anti- 
semiten mit Vorliebe als Fundgrube ausgebeutet worden, und die jüdischen 
Gelehrten haben sich fast immer nur bemüßigt gefühlt, die Angriffe der 
antisemitischen Pamphletisten abzuschlagen. Dahin gehören: Ad. Lewin, 
Der Judenspiegel des Dr. Justus 1884 und D. Hoffmann, Der Schulchan 
Aruch und die Rabbiner über das Verhältnis der Juden zu Anders- 
gläubigen. 1885. So ist für die objektiv-wissenschaftliche Darstellung 
wenig übrig geblieben. Und doch wäre der Schulchan Aruch eben so sehr 
einer gründlichen Behandlung wert, wie der Talmud. Die einzig mir 
bekannte Arbeit streng- wissenschaftlichen Charakters, die hierher gehört, 
ist die Abhandlung von S. Bäck, Die religionsgeschichtliche Literatur der 
Juden in dem Zeiträume vom 15. — 18. Jahrh. 1893. Aus Winter und 
Wünsche, Die jüdische Literatur seit Abschluß des Kanons. II. Band. 
Die Schrift enthält eine Darstellung der Sammelwerke und Kodices nebst 
allen Kommentaren sowie der Responsen: in Anbetracht ihres geringen 
Umfangs und der Riesigkeit des Stoffgebiets natürlich im wesentlichen nur 
eine Skizzierung. 

487 Paul Volz, Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba. 1903. 

488 Fürst, Untersuchungen über den Kanon des A. T. nach den Über- 
lieferungen in Talmud und Midrasch. 1868. 

489 L. Stern, Die Vorschriften der Thora, welche Israel in der Zer- 
streuung zu beobachten hat. Ein Lehrbuch der Religion für Schule und 
Familie. 4. Aufl. 1904. S. 28 f. Dieses Buch, das als Typus für andere 

Sombart, Die Jaden 30 


Digitized by t^ooQle 



466 


seinesgleichen gelten kann, vertritt die heutige Auffassung des streng- 
gläubigen Judentums und ist vom Rabb. Hirsch und vom Landesrabbiner 
Hildesheimer approbiert Ich werde öfters darauf Bezug nehmen. 

449 Über die Unmöglichkeit einer jüdisch-theologischen Dogmatik z. B. 
Eabb. Sim. Mandl, Das Wesen des Judentums (1904), S. 14. Mandl stützt 
sich auf J. Gutmann, Über Dogmenbildung und Judentum (1894), der 
freilich das Problem auch nur ganz aphoristisch behandelt VgL noch 
S. Schlechter, The Dogmas of Judaism, in der Jew. Quart Beview 1 
(1889), 48 ff., 115 ff. Bekanntlich war Moses Mendelssohn (in seinem 
„Jerusalem“) derjenige, der zuerst dem Gedanken: „das Judentum hat 
keine Dogmen“, einen scharfen Ausdruck gab. 

441 Stern a. a. 0., S. 5/6. 

448 J. Dö Hing er, Heidentum usw. (1857), 684. 

444 Kudlius Namatianus, De reditu suo bei Thöod. Bei nach, Textes 
d’auteurs grecs et romains relatifs au judaisme Font rer. jud. 1 (1895), 358. 

444 L. Stern a. a. 0. S. 49. S. B. Hirsch, Jissroöls Pflichten usw. 
4. Aufl. 1909. § 711. 

444 Bei F. Weber, Altsjnagogale Theologie (1880), 49. Weber hat 
gerade die vertragsmäßige Seite der jüdischen Religion am schärfsten 
herausgearbeitet Die Darstellung im Texte lehnt sich in diesem Punkte 
mehrfach an ihn an. Auch von den Belegstellen sind mehrere seinem 
Werke entnommen. 

444 Aboth II Anfang (in Graetz scher Übertragung). 

447 Belege bei F. Weber a. a. O. S. 270 ff., 272 ff. 

448 F. Weber a. a. O. S. 292ff. 

449 B. Jos. Albo, Buch Ikkarim. Grund- und Glaubenslehren der 
mosaischen Religion (15. Jahrh.) Deutsch von W. Schlessinger und 
Ludw. Schlesinger, (1844), Kap. 46ff., wo dieses Problem nach allen 
Seiten hin erörtert wird. Albos Buch enthält die ausführlichste der mir 
bekannten Darstellungen der Vergeltungslehre. 

480 S. B. Hirsch, Versuche über Jissroöls Pflichten in der Zer- 
streuung. 4. Aufl. 1909. Kap. 13; insbes. §§ 100, 105. 

481 J. F. Schröder, Talmudisch-rabbinisches Judentum (1851), 47 f. 

489 Graetz, G. d. J. 2 II, 203 ff. und Note 14. Aus der neueren (christ- 
lichen) Literatur: J. Bergmann, Jüdische Apologetik im neutestament- 
lichen Zeitalter (1908), 120 ff. Über den Geist der alt jüdischen Glaubens- 
lehre: J. Wellhausen, Israel, und jüd. Gesch. 15. Kapitel. 

488 Herrn. Deutsch, Die Sprüche Salomons nach der Auffassung in 
Talmud und Midrasch. 1. einl. Teil. 1885. 

484 J. Fr. Bruch, Weisheitslehre der Hebräer (1851), 135. 

488 Rabb. Sinai Schiffer, Das Buch Kohelet. Nach d. Auffassung 
der Weisen des Talmud und Midrasch usw. Teil 1. 1884. 

488 Über die Entwicklung der jüdischen Beligion zur Nomokratie 
geben alle religionsgeschichtlichen, aber auch die meisten der allgemein- 
geschichtlichen Werke befriedigenden Aufschluß. Ich verweise etwa auf 
J. Wellh ausen, Isr. n. jüd. Gesch., 250, 339 ff. Graetz, G. d. J. 4 9 , 233 ff. 
6 9 , 174ff., ferner auf die bekannten Werke von Müller, Schürer, Marti. 


i 

; 


i 


Digitized by t^ooQle 


467 


457 Babb. Bim. Mandl, Das Wesen des Judentums (1904), 14. 

488 8. R. Hirsch, Jissroöls Pflichten. 4. Aufl. 1904. § 448. 

459 Eine Reihe ähnlicher Ausspruche stellt aus der talmudisch-rabbi- 
nischen Literatur zusammen S. Schaffer, Das Recht und seine Stellung 
zur Moral nach talmudischer Sitten- und Rechtslehre (1889), 28 ff. 

460 M. Lazarus, dessen „Ethik des Judentums“ (1904), 22 diese 
Stellen entnommen sind, hat diesen Grundgedanken der jüdischen Sitten- 
= Religions-) lehre : daß heilig sein den triebhaften Menschen überwinden 
heißt, gut herausgearbeitet Freilich nicht ohne die merkliche Tendenz, die 
Ethik des Judentums mit der kantischen Ethik letzten Endes zu identi- 
fizieren. 

491 Kidd. 30 b} B. B. 16 a. 

402 Übersetzt bei S. Schaffer, Das Recht und seine Stellung zur 
Moral nach talmudischer Sitten- und Rechtslehre (1889), 54 

498 Übers, bei Hirsch B. Fassei, Tugend- und Rechtslehre des 
Talmud (1848), 38. 

494 Ausführl. erörtert von Rabb. Jos. Alb o, Buch Ikkarim; Kap. 24 ff. 

499 S. Bäck, Die religionsgeschichtl. Literatur der Juden usw. (1893) 
Vorwort 

499 M. Lazarus, Die Ethik des Judentums (1904), 20 ff. 

491 L. Stern, Die Vorschriften d. Thora 4. Aufl. 1904. Nr. 126. 

499 R’ Nathans Ethik XXI. 5. 

499 G. Fr. Oehler, Theologie des A. T. 3. Aufl. 1891. S. 878. 

470 M. Lazarus, Ethik des Judentums, 40. Lazarus verdeutlicht 
diesen Grundsatz durch die Analyse der Zwei Büchsen-Sitte des Mischan 
abelim (eines jüdischen Unterstützungsvereins in Berlin). 

«W R’ Nathans Ethik XVI. 6. Übers. S. 76. 

472 L. Stern, Die Vorschriften der Thora (1904), Nr. 127a. 

478 Die Stellen, die in den jüdischen Religionsbüchem die Arbeit 
preisen, hei L. K. Amitai, La sociologie selon la 16gislation juive (1905), 
90 ff. 

474 S. R. Hirsch, Jissroöls Pflichten (1909), § 448. Die Worte im 
Original gesperrt. * 

479 S. R. Hirsch, a. a. O. § 463. 

479 L. Stern, a. a. O. S. 239. 

477 S. R. Hirsch, a. a. O. § 443; fast gleichlautend Stern, a. a. 0. 
Nr. 125, 126 und öfters. 

478 J. Fromer, Vom Ghetto zur modernen Kultur (1906), 25 ff. 

479 Der Iggeret ha-kodesch des R’ Nachmani ist zuerst herausgegeben 
1556; ins Lateinische übersetzt von Gaffareli. Graetz, G. d. J. 7 2 , 46. 

489 S. R. Hirsch, a. a. 0. § 263; vgl. §§ 264, 267. 

481 Die Ziffern sind zusammengestellt von Hugo Nathanson, Die 
unehelichen Geburten bei den Juden in der Zeitschr. f. Dem. u. Stat. der 
Juden 6 (1910), 102 f. 

482 Sigm. Freud, Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre. 
2. Folge. 1909. 

30* 


Digitized by t^ooQle 



468 


488 Siehe z. B. Dr. Hoppe, Die Kriminalität der Juden und der 
Alkohol in der Zeitschr. f. Dero. u. Stat d. Juden. 3. Jahrg. (1907), 38 ff., 
49 ff. H. L. Eisens t&dt, Die Renaissance der jüdischen Sozialhygiene 
im Archiv f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie 5 (1908), 714 ff. L. Che inisse, 
Die Rassenpathologie und der Alkoholismus bei den Juden in der Zeitechr. 
für Dem. usw. 6. Jahrg. (1910), 1 ff. Daß die Religion es in der Tat ist, 
die bisher den Alkoholismus (wie auch die Syphilis) von den Juden fern- 
gehalten hat, läßt sich mit großer Sicherheit feststellen: z. B. wenn n»m 
in den Hospitälern die eben eingewanderten (also fremden) Juden mit den 
ansässigen vergleicht, wie es Dr. Zadoc-Kahn für Paris getan hat. 

484 J. Wellhausen, Isr. u. jüd. Gesch., 119. 

499 Cicero, pro Flacco c. 28. 

499 Mommsen, R. G. 5, 545. 

487 Zusammengestellt bei Felix Stähelin, Der Antisemitismus des 
Altertums. 1905. Vgl. Re in ach, Fontes. 

488 J. Bergmann, Jüdische Apologetik im nentestamentlichen Zeit- 
alter (1908), 157 ff. 

488 Graetz, G. d. J. 5*, 73. 

488 Graetz, G. d. J. 6 2 , 321. 

481 Graetz, G. d. J. 6, 140 ff, 161. 

488 Siehe die jetzt zusammenfassende Darstellung der Zinsgesets- 
gebung im älteren jüdischen Recht bei Joh. Heicl, Das alttestamentliche 
Zinsverbot usw. (Biblische Stud., herausgegeben v. O. Barden he wer. 
XU. Band. 4. Heft. 1907). 

488 Siehe jetzt wieder die Zusammenstellung zahlreicher Responsen 
bei Hoff mann in Schmollers Forschungen, Band 152. 

484 Vgl. z. B. Hirsch B. Fassei, Tugend- und Rechtslehre des Tal- 
mud (1848), 193 ff. E. Grünebaum, Die Sittenlehre der Juden andern 
Bekenntnissen gegenüber (2. AufL 1878), 414 ff., denselben, Der Fremde 
nach rabbinischen Begriffen in Geigers jüd. Zeitschr. Bd. 9 und 10. — 
D. Hoffmann, Der Schulchan Aruch und die Rabbiner usw. (1885), 129 ff. 
M. Lazarus, Ethik des Judentums (1904), §§ 144 ff. Die Darstellungen sind 
alle auffallend unvollständig; zum Teil möchte man glauben, der Verfasser 
färbe tendenziös. Was Lazarus z. B. im 3. Kapitel seiner Ethik über die 
Pflichten Israels gegen Fremde sagt, macht seinem humanitären Herzen alle 
Ehre: mit der historischen Wahrheit geht es recht willkürlich um. Es ist 
doch kaum statthaft, daß man alle Quellenstellen, die das Gegenteil der 
verfochtenen Meinung besagen, einfach ignoriert. 

488 „Bei seinem Erscheinen vor dem himmlischen Richter wird der 
Mensch zu allererst gefragt: Bist Du ehrlich und redlich im geschäftlichen 
Verkehr gewesen ? a Sabb. 81a. Diesen Satz des Talmud setzt als Motto 
seiner Schrift voran, in der er die auf Treu und Glauben bezugnehmenden 
Quellenstellen bespricht, Rabb. Stark, Das biblisch-rabbinische Handels- 
gesetz (Privatdruck). 

488 Graetz, G. d. J., 10, 62 ff., 81. 

487 Graetz, G. d. J., 9, 86ff., 213ff., 10, 87ff. Alb. M. Hyamson, 
Hist of the Jews in England (1908) 164ff. Jew. Quart Rev. 3 (1891), 61- 


Digitized by t^ooQle 



469 


Zwölftes Kapitel 

Jüdische Eigenart 

498 Siehe neuerdings wieder die scharfe Kritik von R. S. 'Wood- 
worth, Racialdifferences in mental traits. Ref. im Bulletin mensuel des 
Institut Solvay. 1910. Nr. 21. 

499 Anat Leroy-Beaulieu, Israel chez les nations (1898), 289. 

900 H. St Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrh. 3. Aufl. 
1901. S. 457 f. 

501 Auf den Streit über die verschiedene, sich zum Teil ausschlieftende, 
zum Teil sich deckende Bedeutung der Worte Volk, Nation, Nationalität 
gehe ich nicht näher ein. Der interessierte Leser findet alles Wissens- 
werte, was auf dieses Problem Bezug hat in der vortrefflichen Studie von 
Fr. J. Neumann, Volk und Nation. 1888. Neue wertvolle Bearbeitungen 
lieferten Otto Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, 
1907, und Felix Rosenblüth, Zur Begriffsbestimmung von Volk und 
Nation. Heidelberger In.-Diss. 1910. 

509 Ad. Jellinek, Der jüdische Stamm in Sprichwörtern. 2. Serie 
(1882), 18 ff., 91. 

908 J. Zolls chan, Das Rassenproblem unter besonderer Berück- 
sichtigung der theoretischen Grundlagen der jüdischen Rassenfrage (1910), 
298. 

984 Ad. Jellinek a. a. O. und 3. Serie (1885), S. 39. 

909 Juan Hu arte de San Juan, Exam. de ingeniös (Bibi, de aut 
esp. LXV, 469 ff.). 

906 Ad. Jellinek, Der jüdische Stamm (1869), 87. Dieses Buch des 
bekannnten Wiener Rabbiners gehört zu dem Besten, was über jüdisches 
Wesen geschrieben ist Einen hervorragenden Platz unter den Schriften, 
die sich an einer Charakteristik der Juden versucht haben, nimmt ferner 
ein das kleine Buch von D. Chwolson, Die semitischen Völker (1872), 
das sich vornehmlich mit Ronans Histoire gänärale et systöme comparö 
des langues S4mitiques (1855) auseinandersetzt Als Dritten, der in die 
jüdische Psyche tief und klar hineingeschaut hat, möchte ich Karl Marx 
(Die Judenfrage 1844) nennen. Was seit diesen Männern (die alle drei 
Juden waren!) über jüdisches Wesen ausgesagt ist, sind entweder nur 
Wiederholungen oder Entstellungen der Wirklichkeit. 

bot über die Juden als Mathematiker: Mor. Steinschneider in 
der Monatsschrift 49—51 (1905 — 1907). 

909 Über die Juden als Ärzte: M. Kayserling, Zur Gesch. d. jüd. 
Ärzte in der Monatsschrift 8 (1859) und 17 (1868). 

999 J. Zoll sch an, Das Rassenproblem (1910), 159. 

910 Chr. Lassen, Indische Altertumskunde 1 (1847), 414 ff. 

511 Pinto, Reflex, etc. in den Lettres de quelques juifs l 9 , 19. 

919 J. M. Jost, Geschichte des Judentums und seiner Sekten 8 
(1859), 207 ff Jost versucht die verschiedene Stellung, die die beiden 
jüdischen Gruppen gegenüber der Messiashoffhung eingenommen haben, 
auf ihre verschiedene „Beweglichkeit“ zurückzuführen. 


Digitized by 


Google 



470 


818 Derech Erez Sutta. Cap. VIII. Übers. Abr. Tawrogi (1885), 38. 

614 Megilla, 16. Üben. Jellinek a. a. 0. 8. 165. 

8.8 Midrasch Rabba Gen. I c. 44. Üben. Fromer a. a. O. S. 128. 

516 M. Muret, L’esprit juif (1901), 40. 

817 K. Knies, Credit 1, 240. 2, 169. 

Dreizehntes Kapitel 

Das Rassesproblem 

6.8 Friedr. Martins, Die Bedeutung der Vererbung für Krankheits- 
entstehung und Rassenerbaltung im Arch. £ Rass. und Ges. Biologie 7 
(1910), 477. 

819 Aus der neueren Literatur, die die ethnologisch-anthropo- 
logische Urgeschichte der Juden zum Gegenstände hat, ragt 
hervor: von Luschan, Die anthropologische Stellung der J. im Korre- 
spondenzblatt für Anthropologie 28 (1892). An diese Arbeit knüpft dann 
wieder eine ganze Reihe anthropologischer Untersuchungen an, deren wert- 
vollste die zusammenfassende Studie von Judt, Die Juden als Rasse, 
1908, ist Andere nenne ich noch im weiteren Verlauf der Darstellung. 
Von historischer Seite her ist viel Licht verbreitet worden durch Ed. 
Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, 1906. Neben diesem 
ausgezeichneten Werke behält von älteren Schriften noch einen selb- 
ständigen Wert A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden 
zu den Fremden, 1896. Natürlich kommt auch die gesamte reiche Literatur 
der „Babylonier“ in Betracht, also die Arbeiten von Winkler, Jeremias 
u. a.; neuerdings W. Erbt, Die Hebräer. Kanaan im Zeitalter der 
hebräischen Wanderung und hebräischen Staatengründung, 1906. 

890 H. V. Hi lp recht, The Babylonian Expedition of the University 
of Pennsylvania. Ser. A. Cuneiform Texte. Vol. IX (1898), 28. 29; idem, 
Explorations in Bible Lands during the 19*ü Century (1903), nam. 409 £ 

821 Siehe z. B. v. Luschan, Zur phys. Anthropologie der Juden in 
der Zeitschr. für Dem. u. Stat. d. J. 1 (1905), 1 ff. 

822 Hauptvertreter der Hypothese von der Ubiquität der Germanen 
ist Ludw. Wilser, der seine Ansicht in zahlreichen Schriften, am aus- 
führlichsten in seinem Buche: „Die Germanen“, 1903, niedergelegt hat 
Gegen ihn wendet sich jetzt wieder mit guten Gründen Zollschan, Das 
Rassen-Problem (1910), z. B. S. 24 f. 

828 Mommsen, R.G. 5, 549. 

824 Graetz, G. d. J. 5, 188 ff. 330 ff. 370 ff 

898 Graetz, G. d. J. 7, 63. 

828 Sämtlich bei E. H. Lindo, Hist, of the Jews of Spain etc. 
(1848), 10 ff. 

897 Gegen Hoeniger, der für Köln diese Auffassung vertreten hat, 
hat sich eine ganze Schar judaistischer Schriftsteller mit Entschiedenheit 
gewandt, wie Lau, Brann, Keussen und neuerdings Ad. Kober, 
Studie zur mittelalterlichen Gesch. der J. in Köln a. Rh. (1903), 18 f. 

898 Maurice Fishberg, Zur Frage der Herkunft des blonden Ele- 
ments im Judentum in der Ztschr. f. D. u. St. 8 (1907), 7 ff. 25 ff. Gegen 


Digitized by t^ooQle 



471 


F. in derselben Zeitschrift 8, 92 ff. Elias Auerbach, Bemerkungen zu 
F.s Theorie usw. 

BW Das ist im wesentlichen die Auffassung von F. Sofer, Über die 
Plastizität der menschL Bassen im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol. 5 (1908), 
666; Elias Auerbach, Die jüd. Bassenfrage ebenda 4, 359; v. Luschan 
(mit einigen Einschränkungen) eb. 4, 370; Zoll sch an a. a. 0. S. 125, 134 
und öfters. 

680 Siehe die Ergebnisse bei Judt a. a. O. und vgl. damit 
A. D. Eikind, Die Juden. Eine vergleichend - anthropologische Unter- 
suchung, 1903; ich kenne das Werk nur aus der Besprechung von Wein- 
berg im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol. 1 (1904), 915 f.; Desselben Aufsätze, 
AnthropoL Untersuchungen über die russ.-poln. Juden usw. in der Zeitschr. 
f. D. u. St. d. J. 2 (1906), 49 ff., 65 ff. und Versuch usw. ebenda 4 (1908), 
28 f.; Leo Sofer, Zur anthropol. Stellung der J. in der Pol. anthrop. 
Bevue, 7. Jahrg. (Bef. darüber in der Ztschr. f. D. u. St. d. J. 4, 160); 
El. Auerbach, Die jüdische Bassenfrage im Arch. f. Bass. u. Ges. Biol. 
4 (1907), 332 ff; Aron Sandler, Anthropologie und Zionismus, 1904 (Er- 
gebnisse aus zweiter Hand); Zollschan a. a. O. 39 ff. 

581 Für die „Bassendifferenz“ zwischen sephardischen und aschke- 
nasischen Juden treten ein S. Weissenberg, Das jüd. Bassenproblem 
in der Zeitschrift 1 (1905), 5. Heft; Maur. Fishberg, Beitr. zur phys. 
Anthrop. der nordafrikan. J. ebenda Heft 11. Gegner dieser Auffassung 
sind die meisten der in Anm. 530 genannten Forscher. 

682 Eine gute Übersicht über den Stand der Literatur zur Frage 
nach der physiologisch-pathologischen Sonderveranlagung 
der Juden gibt Leo Sofer, Zur Biologie und Pathologie der jüd. Basse 
in der Zeitscnrift 2 (1906), 85 ff. Seitdem ist aber der Streit erst recht ent- 
brannt. Siehe alle folgenden Jahrgänge der Zeitschrift für D. u. St. d. J.; 
ferner im Arch. für Bass. u. Ges. Biol. 4 (1907), 47 ff. 149 ff. Siegfr. Bosen- 
feld, Die Sterblichkeit der J. in Wien und die Ursachen der jüdischen 
Mindersterblichkeit (contra I). 

588 F. Hertz, Mod. Bass. Theor. (1904), 56. 

584 C. H. Stratz, Was sind Juden? Eine ethnographisch-anthro- 
pologische Studie (1908), 26. 

685 Abbildungen bei Judt und in zahlreichen Büchern archäologischen, 
historischen, kunsthistorischen, anthropologischen Inhalts. Vgl. noch 
L. Messerschmidt, Die Hettiter, 1903. 

588 Siehe z. B. Hans Friedenthal, Über einen experimentellen 
Nachweis von Blutsverwandtschaft (1900). Die Abhandlung ist zusammen 
mit anderen Untersuchungen des Verfassers ähnlichen Inhalts jetzt wieder 
erschienen in dem Werke: Arbeiten aus dem Gebiete der experimentellen 
Physiologie, 1908. 

681 Carl Bruck, Die biologische Differenzierung von Affenarten und 
menschlichen Bassen durch spezifische Blutreaktion. S.A. aus der Berliner 
Klinischen Wochenschrift, 1907, Nr. 26. 

588 v. Luschan, Offener Brief an Herrn Dr. Elias Auerbach, im 
Archiv für Bassen u. Ges. Biologie 4 (1907), 371. 


Digitized by 


Google 



472 


889 A. Rappin, Die Mischehe in der Zeitschr. f. D. u. St d. J. 4, 18. 

840 Mommsen, R.G. 6, 529. 

841 M. Braunschweiger, Die Lehrer der Mischna (1890), 27. 

849 Nach dem Berichte Ibn-Bajans: Graetz, G. d. J. 6, 22. 

848 Graetz, G. d. J. 6, 320. 

644 Gregor. Ep. IX, 36 bei Schipper a. a. O. 8. 16. 

444 Herzfeld a. a. O. 8. 204. 

546 Für die talmadische Zeit gibt Herzfeld a. a. O. 8. 118 ff. (nach 
den Talmudtraktaten) eine Übersicht über die in Palästina zum Verkauf 
gebrachten ausländischen Waren. Es sind mehr als 100. 

447 Alfred Bertholet, Die Stellung der Israel, und d. Jud. zu den 
Fremden (1896), 2 ff. 

448 Siehe z. B. Büchsen schütz, Besitz und Erwerb im griechischen 
Altertum (1869), 443 ff. 

849 Friedländer, SittGesch. 3 6 , 571. 

850 Kidduschin 82*. 

661 Rabbi Nathans Ethik XXX, 6 (Übersetzung 8. 107). 

889 PeSahim 113». 

888 Pe 8 ah im 50*; Übers. L. G. 2, 500. Siehe auch das (freilich 
ungesichtete) Material in den (nicht immer tendenzfreien) Artikeln „Welt- 
handel und „Handel“ in J. Hamburgers Real-Encyklopädie des Juden- 
tums, 1883 bzw. 1896. 

884 A. Bertholet, Deuteronomium (1899) in Martis kurz. Hand- 
kommentar zum A. T., Abt. 5, 8. 48. 

888 Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle der Freundlichkeit des 
Herrn Prof. Bertholet. 

888 E. Ränan, Les Apötres (1866), 289. 

887 J. Wellhausen, Medina vor dem Islam (1889), 4. 

888 Siehe z. B. Aronius, Reg. Nr. 45. 62. 

889 Siehe den fuero viejo von Kastilien (um 1000) bei Lindo, Hist, 
of the Jews of Spain and Port (1848), 73. 

880 Nach den Statutes of Jewry Cunningham, Growth l 4 (1905), 204. 

881 Nach v. Bergmann Rud. Wassermann, Die Entw. der jüd. 
Bevölkerung i. d. Prov. Posen in der Zeitschr. f. D. u. St 6 (1910), 67. 

889 F. Delitzsch, Handel und Wandel in Altbabylon (1910), 33. Vgl. 
Heicl, Alttestamen tliches Zins verbot (1907), 32 und öfters und die daselbst 
S. 54 mitgeteilten Urkunden. 

888 Max Weber, Art. Agrargeschichte im Altertum im H. St 8 . VgL 
Marquardt, Röm. Staats Verwaltg. 2, 55 ff. 

884 Alf. Jeremias, Das alte Testament im Lichte des alten Orients, 
2. Aufl. (1906), 534. 

888 F. Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten (1899), 88. 128. 

888 Die Lebensbeschreibungen der Talmudisten sind öfters zusammen- 
gestellt worden. Bequeme Übersichten findet man bei Herrn. L. Strack, 
Einleitung in den Talmud, 4. Aufl. 1908; bei Graetz im 4. Bande; bei 
A. Sammter, im Anhang zu seiner Übersetzung der Baba mezia, 1876; 
vgl. M. Braun sch weiger, Die Lehrer der Mischna, 1890 (populär). 


Digitized by 


Google 



478 


887 Mo mm se n, R.G. 5, 529. 

868 Can. 58 des 4. Toled. Konzils (688), zit bei E. H. Lindo, History 
of the Jews of Spain (1848), 14. 

889 J. W ellhausen, Medina vor dem Islam. Skizzen und Vorarbeiten 
4 (1889), 14. 

670 Nach Abraham Ibn-Daud, Graetz 5 S , 845. 

871 Siehe noch Graetz, 5*, 11.89.50 und die Stellen bei Schipper 
20. 35. VgL J. Aron ins, Regesten z. Gesch. d. J. im fränkischen und 
deutschen Reiche bis zum Jahre 1278 (1902), Nr. 45. 62. 178. 206. 227 usw. 
Wie Caro (S. 88) zu seinem abweichenden Urteil gelangt, ist nicht ein- 
zusehen. 

878 Siehe für die Zeit bis zum 12. Jahrhundert etwa die Zusammen- 
stellung bei Schipper a. a. 0.; im übrigen die einschlägigen Teile meines 
„Modernen Kapitalismus“, Band I. 

879 K. F. W. Freiherr von Diebitsch, Kosmopolitische, un- 
parteiische Gedanken über Juden und Christen usw. (1804), 29. 

574 Es kann wiederum nicht meine Aufgabe sein, hier eine ausführ- 
liche Bibliographie der biologischen, anthropologischen, ethnologischen usw. 
Werke zu geben, aus denen sich das heutige Wissen in diesen Disziplinen 
aufbaut Ich beguüge mich auch in diesem Kapitel damit, einige der mir 
wichtig erscheinenden Schriften besonders anzufuhren, damit der Leser 
dann von ihnen aus, wenn es ihn gelüstet, selbständig sich weiter orien- 
tieren kann. 

Die Schriften von Moritz Wagner erscheinen mir noch heute als 
grundlegend, so sehr sie auch in Einzelheiten überholt sein mögen. Es sind 
namentlich folgende: Die Darwinsche Theorie und das Migrationsgesetz. 
1868; Über den Einfluß der geographischen Isolierung und Kolonienbildung 
auf die morphologische Veränderung der Organismen, 1871; aus dem Nach- 
laß: die Entstehung der Arten durch räumliche Sonderung, ges. Aufsätze 
1889. — Von J. Kollmanns Arbeiten kommt hier namentlich in Betracht 
sein Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen, 1898; von den 
zahllosen Schriften Ad. Bastians: Das Beständige in den Menschen- 
rassen und die Spielweite ihrer Veränderlichkeit 1868. 

B7B Ludw. Gumplovicz, Der Rassenkampf 1888; die soziologische 
Staatsidee. 2. Aufl. 1901. 

B7B Führer der Ecole des Roches ist Henri de Tourville, ein 
Schüler Le Plays. Eine zusammenfassende Darstellung der Ziele dieser 
Richtung gibt Edm. Demo lins, Comment la route cr4e le type social. 
Sine Anno. 

B77 C. Hart Merrian, Distribution of Indian Tribes etc. in Science 
17. 6. 1904; zit bei Fred. Starr, The Relations of Ethnologie in Congr. 
of Art and Science (S. Louis 1904), 5, 546 f. 

578 Wochenschrift für Soziale Hygiene und Medizin, 1909, Nr. 24, S. 287. 

879 VgL noch Ward, Reine Soziologie 1, 243 ff. und die daselbst zit. 
Abhandlung von WilL H. Holmes, Sketch of the Origin Development 
and probable Destiny of the Races of Men im American Anthropologist 
N. S. Vol. IV, Nr. 3, July-8ept. 1902. 


Digitized by ^.ooQle 


474 


*** Siehe die Literatur and s. T. das Material zur Frage der „Rassen- 
mi &chung" and ihrer Wirkungen z. B. bei L. Woltmann, Politische 
Anthropologie (1908), 108 ff. 

881 Leo 8ofer, Über die Entmischung der Rassen in der Ztschr. f. 
D. u. St cL J. 1 (1905). 10. Heft Sofer nimmt dort Bezug auf eine andere 
Arbeit in der Pol. anthrop. Revue 1. Jahrgg. Nr. 6. 

#M Aus der umfangreichen Literatur über das Vererbungs- 
problem und insbesondere die Frage der Vererbbarkeit erworbener Eigen- 
schaften nenne ich nur einige neuere, den Gegenstand grundsätzlich be- 
handelnde, Schriften: H. E Ziegler, Die Vererbungslehre in der Biologie 
1905. W. Schallmeyer, Vererbung und Auslese, 2. AufL, 1910. Rob. 
Sommer, Familienforschung und Vererbungslehre, 1907. Fr. Martius, 
Das pathologische Vererbungsproblem. 1909. 

Bekanntlich ist der Streit wieder lebendig geworden im Anschluß 
an das Buch von R. Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im 
Wechsel des organischen Geschehens. 2. Aufl. 1908; dagegen unter 
anderen A. Weismann, Semons Mneme und die Vererbung erworbener 
Eigenschaften im Arch. f. Rass. Biol. 8 (1906) und Semi Meyer, Gedächtnis 
und Vererbung, ebenda. 

Eine lichtvolle Übersicht über den Stand des Problems vom mehr 
philosophischen Standpunkt gibt Jul. Schultz, Die Maschinentheorie des 
Lebens (1909), 193 ff. — In seiner bekannten anschaulichen Art führt 
W. Bülsche, Das Liebesieben in der Natur 1(1909) gut in die Frage ein. 

Ml Besonders verdient um die Erforschung der „Anlagen“ und ihre 
Vererblichkeit ist Rob. Sommer; sein Hauptwerk wurde in Anm. 582 
schon genannt. Außerdem dienen zum Verständnis seiner Methode folgende 
Arbeiten: Individualpsychologie und Psychiatrie, 1907. Die Beziehungen 
zwischen Psychologie, Psychopathologie und Kriminalpsychologie vom 
Standpunkt der Vererbungslehre in der Wochenschrift für Soziale Hygiene 
und Medizin, 1909, Nr. 21 ff. 

684 Em. Kant, Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775) 
WW. ed. Hartenstein 2. 

685 Jo h. Ranke, Der Mensch 2, 360. Vgl. auch die zusammen- 
fassende Darstellung von Alfr. Cort Haddon, Ethnology: its soope and 
Problems. Congr. of Art and Science 5, 549 ff. 

Vierzehntes Kapitel 

Das Schicksal das Jüdischen Talks 

888 Über die sozial-ükonomi sehen Zustände im alten Palästina sind 
wir bisher noch sehr dürftig unterrichtet. Das Beste darüber findet sich 
noch bei F. Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten, 1899. Jetzt 
eben ist eine hübsche kleine Schrift erschienen, die sämtliche hebräische 
Altertümer, darunter auch die, die die Wirtschaft betreffen, nach dem 
Stande der neuesten Forschung übersichtlich zur Darstellung bringt: Max 
Löhr, Israels Kulturentwicklung. Mit zahlreichen Abbildungen und einer 
Karte, 1911. 


Digitized by i^ooQle 



475 


887 Wellhausen, Prol., 10. Zu vergleichen Budde, The nomadic 
ideal in the 0. T., 1895. 

888 F. Batzel, Völkerkunde 3, 47, wo auch einige Beispiele angeführt 
werden. 

888 Kidd. 71* nach Graetz 4 8 , 273. 

880 Graetz, G. d. J. 4 8 , 321. 

881 Eine Sammlung der Belegstellen aus der Bibel findet man bei 
L. Herzfeld, Handelsgesch. d. J. des Altertums. Note 9. 

888 Siehe die Unterlagen der Schätzung bei Buhl, 52 f. 

888 Philo in Flaccum 6 (II 523 Mangey) hei St&helin, Antisemitismus 
des Altertums, 33. 

884 Bei L. Friedl&nder, Sittengesch. Roms 8 8 , 570. 

888 Bei Cassel, Art Juden in Ersch und Grub er, S. 24. 

888 Tacitus, Ann. II, 85. Sueton und Josephus sprechen nur. 
von Juden. 

887 Die besten zusammenfassenden Darstellungen der Diaspora vor 
der Zerstörung des zweiten Tempels geben: Graetz, G. d. J. 8 8 , 390 ff.; 
Frankel, Die Diaspora zur Zeit des zweiten Tempels in seiner Monats- 
schrift 2, 309 ff.; Herzfeld a. a. 0. S. 200 ff. und Note 34. 

888 Die Entwicklung der Bevölkerungsverh&ltnisse in der Provinz 
Posen in der früheren Zeit hat einen sachkundigen Bearbeiter gefunden 
in E. v. Bergmann, Zur Geschichte der deutschen, polnischen und 
jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen, 1883. Der Gegenstand ist 
dann in neuerer Zeit Öfters behandelt worden: so in der amtlichen Denk- 
schrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit** 1906; ferner in dem 
Aufsatz von Rud. Wassermann, Die Entwicklung der jüdischen Be- 
völkerung in der Provinz Posen und das Ostmarkenproblem (Zeitschr. f. 
Dem. u. Stat. d. J., Mai 1910); endlich in der von Bernh. Breslauer 
im Aufträge des Verbandes der Deutschen Juden gefertigten Denkschrift 
„Die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen“, 1909. Die all- 
gemeinen Ziffern für Preußen hat übersichtlich zusammen gestellt und 
urteilsvoll gewürdigt Bruno Blau, Judenwanderungen in Preußen, in 
der Zeitschrift f. Dem. u. Stat., Oktober 1910, Ich trage hier noch eine 
Schrift nach, die sich mit der geschichtlich so außerordentlich bedeutsamen 
Vertreibung der J. aus Wien am Ende des 17. Jahrhunderts beschäftigt, 
als beste jüdische Elemente nach Mähren, Böhmen, Ungarn, Bayern, 
Brandenburg, Polen, Frankreich versprengt wurden: Dav. Kaufmann, 
Die letzte Vertreibung der J. aus Wien und Niederösterreich; ihre Vor- 
geschichte (1625—1670) und ihre Opfer, 1889. 

888 L. Neubaur, Die Sage vom ewigen Juden, 2. Ausg. 1893. 

800 Nach Gratian, Vita Joh. Commendoni II, c. 15 und Victor 
von Karben, de vita et moribus Judseorum (1504); Graetz, G. d. J. 
8, 62 f. 

801 J. Ranke, Der Mensch 2, 533. 

808 Ratzel, Völkerkunde 3, 743. Daß schon das (westliche) indo- 
germanische „Urvolk“ seinem innersten Wesen nach ein nordisches Wald- 
volk war, lehrt die vergleichende Sprachforschung, deren letzte Ergebnisse 


Digitized by t^ooQle 



476 


jetzt auch einem größeren Kreise zugänglich gemacht sind durch Otto 
Schräder in seiner neuesten Schrift „Die Indogermanen tt , 1911. Will 
man den Unterschied zwischen einem blutsmäßigen Waldvolke und einem 
blutsmäßigen Wüstenvolke gleichsam schmecken, so lese man (und jeder 
k*nn es, da es sich um volkstümliche Darstellungen handelt) neben- 
einander dies gescheite, kleine Buch von Schräder und die in Anm. 586 
genannte Schrift von Löhr. 

999 Juan Huarte de San Juan, Examen de ingeniös para las 
sdencias. Pamplona 1575. Abgedruckt in der Biblioteca de Autores 
Espafioles. Tomo 65, p. 409 seg. 

994 F. Delitzsch, Handel und Wandel in Altbabylonien (1910X 12£ 

999 Ad. Wahrmund, Das Gesetz des Nomadentums (1887), 16. 

101 Batzel, Völkerkunde 8, 56. 

997 PeSahim foL 87*, Übers. L. G. 2, 641: Wie die Israeliten das 
Land Mi$rajim entleerten, und wie die Schütze wanderten, ib. 119* (2, 741). 

999 Wilh. Erbt, Die Hebräer (1906), 166. 

909 Ephraim justifiö (1758). L’öditeur ä Mr. Andrö de Pinto, Juif 
Portugals, Citoyen & Nögociant d f Amsterdam. 

610 Pinto, Bäflex. critiques sur le premier Chap. du VH tome des 
oeuvres de M. Voltaire (1762) in den Lettres de quelques juifs, 5. öd. 
(1781X t T. p. 10 ff. 

911 Siehe Graetz, G. d. J. 11, 54f£ 

918 Pinto 1. c. p 17. 

919 A. Nossig, Die Auserwähltheit der J. im Lichte der Biologie 
in der Zeitschr. für D. u. St d. J. 1 (1905), 8. Heft Vorher hatte sich über 
dasselbe Thema in derselben Zeitschrift, Heft 2, Curt Michaelis ge- 
äußert VgL auch dessen Prinzipien der natürlichen und sozialen Ent- 
wicklungsgeschichte der Menschheit (Natur und Staat, Bd. 5) (1904), 63 ff. 

914 Siehe Aron Sandler, Anthropologie und Zionismus (1904), 24 und 
die daselbst angeführte Literatur. 


Digitized by 


Google 



UM 


Digitized by