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Full text of "Sueddeutsche Musik-Zeitung 02 Jg 1853"

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2. Jahrgang. 



tfr* 1. 



3. Januar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION HD VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



M 




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fl. 


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42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 
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• 



Inhalts Ueber die Moll-Tonart in Volksgcsängen. — Corresp. (Berlin, Wien und München). — Nachrichten. 



UEBER DIE MOLL-TONART IN VOLKSGES/EN&EN. 

Von Fr. Chrysander. 



Die Thatsache, dass in den Melodien, welche in dem Munde der 
Völker selbst entstanden sind, d h. in den ersten Volksliedern oder 
Volksgesängen das Moli vorherrscht und dass, wenn auch Dur mit 
Moll darin abwechselt, doch letzteres die Hauptbewegung bildet, der 
ganzen Melodie ihren Charakter verleiht und, damit übereinstimmend, 
der Schluss fast stets ein weicher ist, hat schon lange die Aufmerk- 
samkeit der musikalischen Aesthetiker auf sich gezogen und die 
mannigfaltigsten Erklärungen sind dafür gegeben worden. Freilich 
ist dabei bis jetzt wenig heraas gekommen. Die meisten haben sich 
mit geistreichen Apercus begnügt, basirt auf zufällige Erscheinungen, 
nur selten ist man der Sache auf den Grund gegangen und hat in 
dem Wesen der Molltonart selbst den Grund dieses Phänomen' s ge- 
sucht. Aber auch dann, wenn dies versucht wurde, nahm man ent- 
weder etwas der Molltonart erst von uns Aufgeprägtes für ihr We- 
sen und Hess das Moll, ganz entgegen der geschichtlichen Wahrheit, 
aus dem „trüben düsteren Charakter" der Natur- Völker entspringen 
oder verirrte sich so weit in musikalisch-theoretische Abstractionen 
über die Natur von Dur und Moll, dass wohl ein Liebhaber von My- 
sterien dadurch befriedigt werden konnte, aber für den, der einen 
einfachen Grund für eine einfache Thalsache suchte, nur Unverständ- 
liches zu Unverständlichem gefügt worden war. 

Ein so eben erschienenes Schriftchen von Fr. Chrysander in 
Schwerin enthält eine Abhandlung über diesen Gegenstand , welche 
einen neuen, eben so einfachen als einleuchtenden Gesichtspunkt da- 
für aufstellt und desshalb allgemeine Aufmerksamkeit verdient. Auch 
der Verfasser erklärt sich durch die bisherigen Aufschlüsse über die 
Anfänge der Tonkunst, über das Vorherrschen des Moll in den Ur- 
gesängen u. s. w. nicht befriedigt, und zwar, weil in ihnen über- 
sehen wird, dass der Grund dieser Erscheinung erstens ein „wirklich 
innerer Grund, d. h. gesund und dauernd schöpferischer Ursache", 
zweitens ein „einfacher, dem einfachen ursprünglichen Volksleben 
entsprechender" sein müsse. Der einzig richtige Weg ist nach ihm 
der : Die bestimmten geschichtlichen Thatsachen, welche sich als das 
Eigenthümliche solcher Zustände wahrnehmen lassen, zu erfassen, 
den verborgenen Entwickelungsgang der Tonkunst auf den ersten 
Cultur-Stufen des Völkerlebens zu erforschen , da „ die Geschichte 
eines Dinges die lebendige unmittelbare wahre Offenbarung seines 
Wesens" sei. 

Auf diesem Wege gelangt er zu folgenden Sätzen : 

Die Molltonart herrscht in allen ursprünglichen Volksweisen, sowie 
auch in den Urformen, aus denen sich die ganze neuere Musik ent- 
wickelt hat , nämlich in den Kirchentonarten vor. Der erste Kir- 
chenton, diejenige Tonweise des Ambrosius, welche in dem kirch- 
lichen Dienste am frühesten und am häufigsten verwendet wurde, war 
die Dorische, eine Mollweisc. Die erste Volksmusik war aber wesent- 
lich Gesang. Das Spiel der Instrumente wurde im weltlichen 
Voiksgesange lange Zeit untergeordnet, vom kirchlichen afcer ganz 
ausgeschlossen, Das Vorherrschen des Moll zeigt sich aläo nur im 



| Gesang, und dies ist so wahr, dass bei der weiteren Ausbildung der 
Instrumente diese sofort sich von den Kirchentonarten los zu machen 
suchen und das verketzerte C-dur zu ihrer Lieblingstonart erwählen« 
Das hartnäckige Festhalten des Kirchengesanges an den Kirchentönen 
charakterisirt sich darnach als das Bestreben, sich als G e s a n g zu 
bewahren. • 

Wir haben jetzt nur noch das Wesen des Gesanges zu betrach- 
ten. Im Gesang wird die Sprache in das Tonreich des menschlichen 
Organismus gesteigert. Die sprachlichen und die tonischen Organe 
des Menschen sind in ihm in vereinter Thätigkeit wirksam. Da nun 
dieses Tonreich des menschlichen Organismus in seinen Schöpfungen 
nur sich selbst wiederspiegelt, oder mit anderen Worten, da seine 
Schöpfungen durch die sie erzeugenden Organe bedingt sind, so folgt 
daraus, dass wenn wir wahrnehmen, wie aus dem Innern des Men» 
sehen heraus ohne Reflexion die Melodie und nur die Melodie, d. h* 
eine Folge einzelner Töne nach einander, nicht neben einander er- 
zeugt wird, wie diese Melodie durch den den Worten zu Grunde 
liegenden Gedanken hervorgerufen wird und wie sie zwar in ziem- 
licher Ungebundenheit der Tonarten, aber in durchdringendem Moll- 
charakter und mit einem weichen Tonschlusse auftritt — dies Alles 
seinen Grund in den sprachlich-tonischen Organen des Menschen hat. 
Ihnen wohnt die Thätigkeit inne, erstens die Melodie ohne alle har- 
monische Tönung rein aus sich zu gestalten, zweitens den Gedanken 
des gesungenen Wortes in dem Melodicngange gewissermassen to-, 
nisch zu verkörpern, drittens sich in einer Mannichfaltigkeit von 
Tonarten zu ergehen, aber mit Bewahrung des Mollcharakters und. 
eines weichen Tonschlusses. 

Der natürliche Grund des Toncharakters der Volks- 
lieder wie auch derinihnen vorherrschenden weichenTon- 
bewegung ist also in den sprachlich-tonischen Organen 
des Menschen zu finden. Der weiche Ton ist die Grund- 
form dieser Organe und dadurch das sprachlich-melo- 
dische Princip. 

Suchen wir nach dem dasselbe ergänzenden Prinzip, dem harmo- 
nisch-melodischen, so finden wir dasselbe in Durj dies trat hervor, 
nachdem der Gesang in den urchristlichen Gemeinden seine höchste 
Reinheit erlangt hatte und hiermit begann die Ausbildung der Musik 
zu einer selbstständigen Kunst. Die Melodiebewegung ging als Erb- 
theil des Gesanges auf die neue seibsständige Tonkunst, die Harmo- 
nie, über, sie erbte damit zugleich die Elemente der Molltonart, wel- 
chem sie ihrerseits die bestimmte tonische Ausprägung , die Fähigkeit 
eines besonderen musikalischen Ausdrucks und einen bleibend gülti- 
gen Charakter verlieh. Das melodische Moll setzte sich nun, 
nach dorn Ausdruck des Verfassers , auch harmonisch fest, die 
weiche Melodie gewann in den weichen Akkorden erhöhtes 
Leben und Gesetzmässigkeit, während auf der anderen Seite das har- 
monischi Dur seinen rechten Glanz erst durch die melodische Aus- 
bildung erhielt. Die Kraft der Melodie und die Kraft der Harmonie 
waren es also, welche als zwei verschiedene'Naturen in der Gemein-' 
samkeit des Klanges sich berührten und aas Ihrer Durchdringung an- 
sere Tonkunst hervorwachsen Hessen. 



— o«»<» 



— 2 — 



CORRESPONDENZEN. 



AUS BERLIN. 

(Ende November.) 

(Schluss.) 

Das dritte Hauptgebiet der Musik, welches regelmässig bei uns 
angebaut wird, ist das der Instrumentalmusik. Wir haben für die 
Sinfonie, das reine Streichquartett, das Trio mit Pianoforte und für 
gemischte Conccrtmusik feststehende Cyklen von Soireen hier. Eine 
Gattung aber fehlt uns noch; es ist die der eigentlichen Kammer- 
Instrumentalmusik, der Soli mit Orchesterbegleitung; für diese ist 
keine* regelmässige Vertretung vorhanden. Vielleicht dass sie sich 
durch die Soireen des harmonischen Vereins heranbildet. Erlauben 
Sie mir, Ihnen die obigen Gattungen in rückwärts schreitender Ord- 
nung etwas näher vorzuführen. 

Die gemischte Kammermusik, wozu auch Sologesang am 
Pianoforte gerechnet wird, hat erst seit vorigen Winter ihr festste- 
hendes Concert. Die Herren Seidel (ein sehr guter Pianist) und 
Grünwald (ein eben so guter Geiger) haben dieselben organisirt. 
Sic geben deren vier im Laufe des Winters, in denen wir Sonaten 
mit Violinbegleitung, Trios mit Pianoforte, Streichquartette und Ge- 
sangstücke hören. Werke älterer klassischer Meister wechseln mit 
denen jüngerer ab. In der ersten Soiree, die bereits Statt gefunden 
hat, wurde» ein Trio von Haydn in C-dur, Beethoven's Sonate in 
G-dur mit Violine und Mozart's Quartett in G-moll für Pianoforte 
gegeben. Dazwischen sang Frau Marchesi - Graumann mit einer 
klaren, tiefen Sopranstimme (so bezeichnen wir sie wohl am besten) 
und einer anerkennenswerthen Methode, ein Kirchenstück von Stra- 
della und einige andere Lieder. — - Die spezielle Cultur des Trio 's 
haben die Gebrüder Stahlknecht (Cello und Violin) und der vorzüg- 
liche Pianist Lösch hörn übernommen. Ihre Soireen sind die be- 
suchtesten unter denen der Kammermusik gewidmeten, und sie ver- 
dienen es durch die höchst saubere Ausführung der interessantesten 
Artikel dieser Gattung. Jeder Abend bringt ein oder zwei klassiche 
(von Haydn, Mozart und Beethoven) und ein oder zwei der besssern 
modernen, als Schubert, Mendelssohn, Rob. Schumann, und selbst 
jüngerer strebsamer Künstler. Auch der ältere der Brüder Stahl- 
knecht hat sich durch Compositionen in diesem Fache sehr achtungs- 
werth hervorgethan. Von diesen Soireen sind diesmal schon drei 
vorüber, und nur noch eine wird stattfinden, weil die drei Spieler eine 
gemeinsame Reise nach St. Petersburg beabsichtigen. In früheren 
Jahren hatten wir ähnliche sechs dieser Trio-Abende. 

Das reine Streichquartett endlich ist seit einer langen Reihe 
von Jahren stehend bei uns vertreten. Vor vierzig Jahren bereits 
hatte der damals zu den berühmtesten Violinisten seiner Zeit gehö- 
rende Concertmeister Moser Quartett- Abende gegründet. Diese ver- 
erbten sich gewissermaassen in einer Doppellinie auf zwei seiner 
besten Mitspieler, den Concertmeister Hubert Ries und Möser's 
Schüler Zimmermann, unserem vollendetsten Geiger. Ries hat 
seit einigen Jahren die stehenden Quartette aufgegeben und veranstal- 
tet davon nur noch einzelne. Zimmermann aber hält die seinigen, 
obwohl die Zahl der Theilnehmer nicht gross ist, streng fest. Vor 
acht Tagen wurden sie eröffnet, mit Haydn Opus 25, G-dur, Men- 
delssohn (F-raoll, aus seinem Nachlass) und Beethoven's Malinco- 
n i a. Ausser den Arbeiten der drei Haupt- und Grundpfeiler der 
Quartettmusik, Haydn, Mozart und Beethoven, hören wir hier Ons- 
low, Spohr, Mendelssohn, Ries und manche neuere Arbeit. Die Spie- 
ler sind vortrefflich eingeübt; das Quartett steht nur um eine kleine 
Stufe geringer da, als das berühmte der Gebrüder Müller. 

Ehe ich zu den Sinfonie-Soireen übergehe, rede ich noch ein 
Wort von den Virtuosenconcerten. Diese sind, wie überall, auch 
hei uns in tiefem Verfalle. Nur ausländische Charlatans bringen 
noch dergleichen zu Stande, weil sie mit einer Frachtladung von 
Empfehlungsbriefen, wobei gewöhnlich auch der Hof arg missbraucht 
wird, hier einrücken und sich auf eine Weise Billetabnehmer gewis- 
sermassen erzwingen, wie einheimische Musiker, wenn sie irgend 
ihre Person zugleich mit ihrer Kunst in Achtung erhalten wollen, 
es nicht vermögen. Wir haben schon einige dieser zudringlichen 
Fanfaron-Erscheümngen im Laufe des Winters hier gehabt — doch 



ich übergehe sie. — Wohl muss ich, bevor ich von den Sinfonie- 
Soireen ein Wort sage, unserer vortrefflichen Militärmusik 
und der vorzüglichen Orchester gedenken, die wir in vielen 
grossen Vcrgnügungslokalen besitzen. An der Spitze der letzteren 
steht das Kroll'sche Lokal, dessen Gleichen keine Stadt Europa's 
hat, und in demselben die ausgezeichnete Kapelle unter der Leitung 
des Musikdirektors Engel. Auch hier schon hören wir Ouvertüren 
und Sinfonien vortrefflich ausführen. Freilich aber nicht in dem 
Grade der vollendeten Schönheit , wie in den Sinfonie-Soireen des 
königlichen Orchesters, allein für ein Eintrittsgeld von fünf Silber- 
groschen doch so ausgezeichnet, wie sie vor zehn Jahren nicht in 
den besten Concerten gehört wurden. Fast möchte man es beklagen, 
dass das Höchste in den Schöpfungen der Kunst auf diese Art zu 
vulgär wird und man eine Beethoven'sche C-moll-Sinfonie zu einer 
Tasse Thee geniesst , wie man einen Zwieback , eine Cigarre oder 
eine Zeitung consumirt ! — Allein was ist gegen den Strom der Zeit 
zu lliun, zumal wenn er auf so wohlklingenden Wellen dahinrauscht l 
Es ist auch gut, dass noch nicht einmal fünf Silbergroschen zu sol- 
chen Genüssen nöthig sind, denn auf unseren Paradeplätzen kann 
man jeden Vormittag, zumal Sonntags, Concerte hören, von denen 
unsere Väter nicht die Möglichkeit geträumt haben. 

Schliesslich zu den Sinfonie-Soireen. Sie nehmen bei uns 
die Stelle der Concerte des Conservatoir's in Paris ein und sind eben 
so besucht, so dass ein Platz zu denselben nur durch Abtretung 
stehender Besucher für den einen Abend zu erhalten ist. Sie wur- 
den vor zehn Jahren von dem Kapellmeister Taubert, der damit die 
erste Thätigkeit in seinem neuen Amte bezeichnete, gegründet. Nach 
und nach gelang es seinem unermüdlichen Eifer, die Kapelle zu dem 
Grade der meisterhaften Execution zu führen, durch den sie jetzt die 
Hörer fesselt. Jeden Winter werden neun Concerte gegeben , in 2 
Cyklen, der erste zu 6, der zweite zu drei Concerten. Die acht 
Sinfonien Beethovens kommen jedesmal zur Aufführung, die 
neunte zuweilen. Ausserdem Mozart und Haydn und die besten 
Ouvertüren. Auch neuere Arbeiten gelangen einzeln auf diesen 
Ehrenplatz, im Verhältniss aber sehr selten, da das dortige Publikum 
einen so exclusiv klassischen Geschmack hat, dass es fast jede 
neuere Arbeit kalt ablehnt, ihr höchstens einen mageren Zoll der 
Achtung darbringt. Selbst Mendelssohns Sinfonien werden nur so 
aufgenommen, und auch der Dank, den man Taubert schuldet und 
ihm als Dirigenten warm darbringt, bereitet einigen seiner Ar- 
beiten keine bessere Aufnahme. Nur einige Ouvertüren haben 
das Ausnahmsrecht gewonnen, neben den Werken der drei heiligen 
Könige der Instrumentalmusik und insbesondere der Sinfonie : Haydn, 
Mozart, Beethoven , mit lebhaftem Beifall bezahlt zu werden. Vor 
diesem strengen Publikum musste sich am 27. Novbr., wo die dies- 
jährige Eröffnung der Soireen Statt fand, die Sinfonie von Richard 
Wurst stellen , die in Köln den Preis- gewonnen. Die besonders 
durch ihre verständige Handhabung und das eingehaltene, besonnene 
Maas, aber auch durch manchen schönen Zug werthvolle Arbeit 
überstieg die eherne Barriere eines kalten succes d'estime nicht. 
Dagegen wurden die freilich auch wundervoll executirten Ouvertüren 
zur „Zauberflöte" und zum „Freischütz" und schliesslich Beethovens 
zweite Sinfonie mit reichem Beifallslorbeer bekränzt. 

Wir haben hier die Generalcharte unserer Hauptmusikzu- 
stände der Gegenwart und unserer Hoffnungen für die nächste Zu- 
kunft. In der Masse des Stoffes, um alle diese Standpunkte zu be- 
zeichnen, finde die Länge des Briefes diessmal seine Enschuldigung« 



AUS WIEN. 

(Mitte Dezember.) 

Selten sind die Erscheinungen in der Musik, welche in dem 
von Genüssen aller Art übersättigten Wien eigentlich — Epoche 
machen. Als eine solche aber ist die Fest-Cantate zu bezeichnen, 
welche Hr. Josef Geiger componirte und zur Jahresfeier der Thron- 
besteigung S. M. des Kaisers in dem glänzend erleuchteten grossen 
Redoutensaale unter Mitwirkung der Mitglieder des k- k. Hofopern- 
theaters zur Aufführung brachte. Sie erregte nicht nur die allgemeine 
Heiterkeit schon vor der Aufführung, sie machte auch noch nach dersel- 
ben wenigstens 48 Stunden das Tagesgespräch aller musikalischen Zir* 



— 3 



kel; und dies will in Wien viel gesagt haben, wo der grösste Theil 
der Concertproduktionen kaum zur allgemeinen Kenntnis« des musi- 
kalischen Publikums gelangt, von jenen aber, welche durch ihre An- 
kündigungen sich ja bemerkbar machen, noch ein grosser Theil ihrer 
Erfolge von dem Schwalle der täglichen Vorkommnisse überfluthet, 
sich weiter zu gar keiner allgemeineren Beachtung aufschwingen 
kann. Unter solchen Verhältnissen lässt sich denken, dass das Werk 
des Herrn Geiger etwas ganz Au sserge wohnlich es sein müsse. 
Und so ist es auch in der That. Der Componist macht mit seiner 
Cantate das ganze Criterium der Residenz zu Schanden; denn die 
wenigen Blätter, welche über diese Aufführung referiren (die Meisten 
schweigen ganz davon) sprechen ihr Unvermögen aus, darüber eine 
Kritik schreiben zu können. Da ich aber nunmehr von dieser Pro- 
duktion schon Erwähnung gethan, so kann ich dem Beispiel der 
Mehrzahl meiner Herren Kollegen nicht mehr folgen, und schliesse 
mich daher Jenen an, welche erklären, dass es für einen Musik- 
Kritiker nichts zu kritisiren gebe, wo keine Musik! — 
Damit die auswärtigen Leser jedoch einen schwachen Begriff von 
der Idee dieser Cantate erhalten, so mögen sie erfahren, dass in der- 
selben Chöre der Industriellen , der Staatsbeamten , der Landleutc, 
Priester etc. vorkommen , welche der Tonsetzer ihrer Gattung nach 
zu char akterisiren beflissen war. Wenn schon ein solcher Ver- 
such ein Verbrechen gegen die musikalische Aesthetik genannt wer- 
den muss, so zeigt doch mehr noch die Art der Ausführung den 
niedrigen Standpunkt an, auf welchem Herrn Geigers musikalisches 
Wissen und Können basirt ist. Es ist diese Cantate keine geistige 
Verirrung eines künstlerischen Talentes, kein verunglücktes Resultat 
irgend eines musikalisch-componistischen Experimentes, es ist geradezu 
eine — Lächerlichkeit, die uns Spass machte, wäre der Anlass 
dazu nicht ein so erhabener, ernster, der es verdiente, in würdiger 
Weise festlich begangen, nicht aber durch Aufführung einer solchen 
Farce im k. k. Redoutensaale — profanirt zu werden ! 

Zur Mozartfeier fand ein grosses Concert statt, welches uns 
viel des Schönen bot. Uebrigens aber war die Wahl der Tonstücke 
eben keine durchweg gelungene zu nennen. Es wird uns kein Un- 
befangener der Impietät gegen den grossen Todten beschuldigen, 
wenn wir erklären, dass eine Composition, wie die italienische Bass- 
Arie mit obligatem Contrabass, besser unaufgeführt geblieben 
wäre. Es sind derlei Stücke immerhin sehr interessante und werth- 
volle Beiträge zu einer Sammlung Mozart'scher Werke und in musi* 
kaiischen Archiven an ihrem Platze, aber gewiss jetzt nicht mehr 
im Concertsaale. Ueberdies wurde der ungünstige Eindruck, den die 
Aufführung hervorrief, durch die Art der Aufführung noch vermehrt, 
indem Herr S t a u d i g 1 consequent distonirte , Herr S 1 a m a aber 
seinen Part nichts weniger als correct spielte. Auch mit der Wahl 
der Titus-Ouverture können wir uns in so ferne nicht einverstanden 
erklären, als bei einer so solennen Tonfeier gewiss ein anderes Ton- 
stück weit eher am Platze gewesen wäre. Die Symphonie in Es 
mit concertanter Violin und Viola , in Wien noch nicht gehört , ist 
eines der interessantesten Instrumentalstücke Mozarts und wurde 
von den Herren Hellmesberger und Heissler eben so wie vom 
ganzen Orchester in sehr gelungener Weise aufgeführt. 

Das erste diesjährige Concert lies Männergesang - Vereins bot 
wieder des Schönen und Gelungenen viel, und wenn auch die Solo- 
Piecen diesmal Manches zu wünschen übrig Hessen, so waren dage- 
gen die Ensemble-Stücke in Wahl und Ausführung sehr verdienstlich. 
Den Preis unter den aufgeführten Chören aber verdient unbedingt 
Essers ,. Gesang im Grünen", ein tief inniges und warm gefühltes 
Tonstück, eben so originell in der Idee, als gelungen in der Ausfüh- 
rung. Es musstc dieser Chor so wie „Lied der Landsknechte auf 
dem Zuge" von Gustav Barth, Chormeister des Vereins, eine sehr 
charakteristische und frische Composition, auf Verlangen des zahl- 
reich versammelten Publikums wiederholt werden. 

Ueber die Virtuosen- Concerte der Frl. Bier lieh und der HH. 
Singer und E g g h a r d nächstens. 



AUS MÜNCHEN. 

(14. Dezember.) 

Das dritte und vierte Concert unserer Hofkapelle brachte 
uns Beethoven's A dur und Mozart's C dur Sinfonie, so 
wie die von mir schon in Nro. 6 Ihres geschätzten Blattes erwähntet 
Sinfonie von J. B|a ch für Streichinstrumente in höch- 
ster Vollendung. Aus den Vokalpiecen hebe ich als werthvollste 
Perlen ein Halleluja aus dem Oratorium Esther von 
Händel für eine Sopranstimme, ein Ave verum von Cheru- 
bini für drei Frauenstimmen und den Chor der Derwische 
aus Beethoven's Ruinen von Athen, hervor. Ein Qaar- 
tettvon Kapellmeister Stuntz für Sopran, Alt, Tenor und 
Bass mit Orchesterbegleitung mag wohl den Verehrern der neueren 
italienischen Musik als etwas „Classisches" erscheinen, hat aber 
nichts weniger als wahrhaft musikalischen Werth. Vor allen Dingen 
ist ein Componist nie zu entschuldigen, wenn er bei dem grossen 
Reichthume an componirbaren Texten ein so schwaches Poetenpro* 
duet, wie in Rede stehendes, durch die Musik zu potenziren ver- 
sucht. Denken Sie sich zwei Damen und zwei Herren, die eine ge- 
raume Zeit, „die Liebe, sie ist rein, die Liebe, sie ist. himmlisch" 
ii. dgl. singen, bis endlich nach scheinbarer Erschöpfung sämmtlicher 
passender Attribute für die holde Göttin die vier Künstler auf die 
äusserst pikante Idee gerathen, dass die Liebe auch — „voll" sei, 
und demgemäss auch sogleich mit den deutlichsten Worten, „die 
Liebe sie ist voll" singen! Denken Sie sich einen solchen Text und 
eine Musik, die mit ziemlichem Mangel an Erfindung die sonderbare 
Bonhomic verbindet, es mit keiner Parthei, weder mit den Anhängern 
der deutschen, noch mit jenen der französischen, oder gar denen der 
italienischen Musik verderben zu wollen, dann werden Sie jedenfalls 
meine obenausgesprochene Ansicht über den Werth dieser Piece 
nicht ungerecht finden. Mendelsohn's Chor „an die Künst- 
ler" (wenn ich nicht irre, ursprünglich für ein grosses Sängerfest 
componirt) ist ein wohlberechne tes und durchaus edel gehaltenes 
Werk, allein gerade in dieser richtigen Berechnung liegt der Grund, 
warum der von unserer Liedertafel gesungene Chor nicht die erwar- 
tete Wirkung machte, indem die cbengenannte Sängergesellschaft 
durch die auf eine weit grössere Anzahl von Sängern berechnete 
Blechbegleitung nicht durchzudringen vermochte. 

Gestern gab Herr Fcrd. Edward Doctor, Professor am 
hiesigen Conservatorium, ein Concert im grossen Saale des Odeons 
zum Besten einer zu errichtenden Säuglingsanstalt. 

Der Orchesterdirector Herr Ignaz Lachner, hat von Hamburg 
einen Antrag als Kapellmeister erhalten. Herr Ludwig, Schüler 
des Prager Conservatoriums, ist als erster Oboist bei unserer Hof- 
kapelle engagirt worden. O 



NACHRICHTEN. 



Berlin. Im letzten Concerte des Stcrn'schen Gesang- Vereins 
wirkten Frl. Büry von Leipzig und der Violinist Joachim von Wei- 
mar mit. Beide errangen den lebhaftesten Beifall. — Im Friedrich- 
Wilhelmstädter Theater ist eine neue Oper von Teile aufgeführt 
worden. — Die Kroll'schc Oper scheint gute Geschäfte machen zn 
wollen. Die ersten Aufführungen waren äusserst zahlreich besucht. 
— Am 11. Dezbr. Nachts stürzte sich die Prima-Dohna der italieni- 
schen Operngesellschaft, Sign. L. Carra aus Parma, zwei Stock hoch 
aus dem Fenster und wurde Morgens todt gefunden. Sic hinterlässt 
ein Kind von drei Jahren. Die italienische Oper hat sich von hier 
wieder nach Brüssel begeben, von wo sie bekanntlich nach Deutsch- 
land kam. 



"Wien* Am 18. kam das neueste Produkt Flotows : Indra, 
romantische Oper in drei Akten, zur Aufführung and hatte sich des 
günstigsten Erfolges zu erfreuen. Fünf Nummern mussten wieder- 
holt werden und der Componist selbst hatte die Ehre, zehnmal ge- 
rufen zu werden. Die Ausführung war vorzüglich, da die besten 



— 4 



Kräfte : die Damen Ney , Wüdauer und die Herren Erl, Ander und 
Staudigl zur Besetzung verwendet worden waren. Die Leitung der 
ganzen Oper, die durch eine höchst splendide Austattung und In- 
scenesetzung gehoben wurde, hatte Kapellmeister Esser übernommen. 

— Der rühmlichst bekannte Violinist Edm. Singer hat bis jetzt zwei 
Conzerte gegeben. In beiden ward ihm lebfafter Beifall zu Theil 
und er musste mehrere Piecen wiederholen. Derselbe wird noch ein 
drittes Conzert veranstalten und dann nach Leipzig und Berlin gehen. 

— Die italienische Oper bleibt auch für die nächste Saison unter 
der Leitung des Sign. Moretti. Engagirt sind bereits die beiden 
Tenoristen Fraschini und Guasco sowie die Damen Fodor und Me- 
dori. Auf Gastspiel wird erwartet die ausgezeichnete Altistin Te- 
desco an der grossen Pariser Oper — gleich der Cruvelli eine Deutsche 
{aus Brunn), welche während ihres Aufenthaltes in Italien ihren 
Kamen: „Deutsch" roiuanisirte. 



Xieipzig. Meycrbeer's „Struensee" wurde hier mit Erfolg ge- 
sehen. ■ — Alexander Drcyschock , welcher unter grossem Bei- 
fall mehrere Male spielte, reist von hier nach Bremen, Oldenburg, 
Hamburg, Rostock etc., um Concerte zu geben. 



Mannheim. Seit Kurzem hat sich hier ein Streich-Quartett 
gehUder, bestehend aus den Herren Becker, Hildebrand, Mayer und 
Kündinger, welches den Sinn des Publikums für diese Musikgattung 
hoffentlich beleben wird. Bei seiner ersten Aufführung sowohl hier 
als in Heidelberg hatte sich dasselbe grossen Beifalles zu erfreuen. 



Kaiserslautern. Es gereicht uns zur grössten Freude, berich- 
ten zu können, wie die Verdienste unseres wackeren Landsmannes 
V. L. Wolsieffer aus Lohnsfeid, die er sich während seines nun 
bald 29jährigen Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten Nordame- 
rika^ durch sein unermüdliches Wirken zur Hebung der dortigen 
musikalischen Zustände als Musiklehrer, Componist, Stifter und Lei- 
ter von Singvereinen (in Baltimore und Philadelphia — siehe in 
Brockhaus Conversationslexikon, 9. Auflage, den Artikel Philadelphia) 
sowie als Mitbegründer der alljährlichen Musikfeste nach deutschem 
Muster erworben hat, auch von ausgezeichneten Musikern Deutsch- 
lands anerkannt werden. Derselbe hat als sein neuestes Werk eine 
„praktische Singlehre für Schulen und Singklassen, vollständig in 4 
Theilen, Philadelphia bei Wolsieffer und Träubel" herausgegeben, 
über welche sich eine der hervorragendsten Kunstnotabilitäten 
Deutschlands, der grossherzogl. badische Hofkapellraeister Herr Vin- 
cenz Lachner in Mannheim, in folgender Weise ausspricht: 

„Die praktische Singlehre des Herrn P. M. Wolsieffer kann ich 
nach einer genauen Prüfung derselben aufs Beste empfehlen. Sie 
führt auf gründlichem, möglichst kurzem und theilweise neuem Wege 
sur Erlangung der theoretisch-musikalischen Kenntnisse, gibt zweck- 
mässige Anleitung zur richtigen Tonbildung, übt den Lernenden in 
methodisch geordneten und gut gewählten Beispielen, und unterlässt 
überhaupt nichts, was in einem solchen Werke an Klarheit und 
Deutlichkeit gewünscht werden kann. Es eignet sich aus diesem 
Grunde ganz besonders zum Gebrauche des Unterrichts in Schulen, 
Gesangvereinen, zum Kirchen- und Chorgesang, überhaupt zum Zweck 
des Einzel- wie Gesammtgesanges. Für den letzten bereitet das 
Werk trefflich vor und geht bis an die Grenze des in diesem Kreise 
Ausführbaren. Im Interesse des Gesammtgesanges und seiner mög- 
lichst weiten Ausbreitung, ist dem Werke des Herrn Wolsieffer die 
grösste Beachtung zu wünschen." 

Möge diese auszeichnende Anerkennung dem verdienstvollen, da- 
sei so bescheidenen Verfasser ein Lohn sein für sein ausdauerndes 
Streben, die herrliche Tonkunst, in welcher Deutschland alle Natio- 
nen der Erde überstrahlt, auch auf amerikanischem Boden immer 
heimischer zu machen und ihn ermuntern, auch fernerhin seine Kräfte 
dem edlen Dienste Euterpens zu weihen. 



Coblenz. Im zweiten Abonnements-Conzert des Musik-Institu- 
tes am 26. November kamen zur Aufführung: Sinfonie Nro. 2 von 
Beethoven — Ouvertüre zu Mozart's Titus und Mendelsohns Heim- 
kehr aus der Fremde — sodann mehrere Chöre aus Schneiders Ab- 



salon und Gesänge für Sopran , Alt , Tenor und Bass von Esser a) 
Wie weit von den Bergen nieder, b) Wenn sich zwei Herzen schei- 
den, c) Hoffnung — und von Hecht: Was fehlt Dir armes Vögelein. 
Diese vier Lieder wurden hier zum ersten Male vorgetragen und de« 
ren Melodien recht schön und ansprechend gefunden. Diejenigen von 
Esser bieten keine grossen Schwierigkeiten dar, wohl aber verlangt 
das Lied von Hecht eine nicht unbedeutende Stimmengeläufigkeit. 
Sämmtlich verdienen sie, auch mit einer mehrfachen Besetzung, der 
verschiedenen Stimmen, wie es hier geschah, allen Musikvereinen 
besonders empfohlen zu werden. 

Das Theater brachte unterdess endlich eine Oper, „Martha", zu 
Stande. Die zwei hierbei bedingt gewesenen Gäste, Sopran und 
Tenor, sollen gleich nach der Aufführung wieder abgereist sein und 
somit steht die Oper jetzt wieder, zum Bedauern aller Theater- 
freunde, verwaiset da. 



tC 



Paris. Eine neue Oper von Fei. David : „das Ende der Welt' 
wird noch im Laufe des Winters im Theatre lyrique zur Aufführung 
kommen. Mad. Stolz , welche an diesem Theater engagirt worden 
ist, debutirt darin. — Ferd. Hiller befindet sich wieder hier. Wahr- 
scheinlich wird er einige Concerte veranstalten. Eben so die beiden 
Pianisten Thalberg und Gottschalck. Letzterer wird nach New- 
Orleans gehen, wo ihm für mehrere Concerte bedeutende Summen 
garantirt sind. Die neue Oper von Auber, welcher bereits seit 1813 
als Opern-Coniponist wirkt, „Marco Spada", Text von Scribe, ist ge- 
geben worden und die Berichte über die erste Aufführung sprechen 
sich recht günstig über dieselbe aus. 



Riga. Eine Musikgesellschaft, aus Dilettanten bestehend, welche 
sich hier gebildet hat, gab am 1. Dez. ihr erstes Concert und schloss 
dasselbe mit Beethovens C-moll-Sinfonie. Am 5. Dez. wurde Haydns 
„Schöpfung" aufgeführt. Seit Kurzem zeigt sich ein erfreulicher An- 
theil an dem Streich- Ouartett. Die Herren Weller, Schönfeldt, Mar- 
kus und Herrmann veranstalteten Quartettunterhaltungen, welche recht 
besucht sind. 



Pesth. Das Engagement der Frau Hasselt- Barth ist für das 
National -Theater ein glückliches Ereigniss gewesen. Die Hugenotten, 
in welchen sie die Valentine singt, machen stets so gefüllte Häuser, 
dass die Direktion diese Oper jeden zweiten Tag geben lässt. 



Stockholm. Vor Kurzem ist hier der „Prophet" zum ersten 
Male in Scene gegangen und hat einen beispiellosen Erfolg gehabt. 



St rassbarg. Hr Vieuxteraps hat hier ein Conzert im Foyer 
des Theaters unter dem grössten Beifalle, aber vor einem nicht sehr 
zahlreichen Publikum gegeben. — Louis Liebe ist zum Ehrenmitglied 
der socie'te chorale in Strassburg und der „Sängerrunde" in New- York 
ernannt worden. — Nächstens wird ein Conzert für die Opfer der 
letzten grossen Ueberschwemmung stattfinden, in welchem „die letz- 
ten Dinge" von Spohr, der Psalm „wie der Hirsch schreit nach fri- 
schem Wasser" von Mendelssohn und einige Chöre aus „Judas Ma- 
cabäus" von Händel aufgeführt werden sollen. — Therese Milanollo 
wird in diesen Tagen ihre Reise nach Deutschland und Russland an- 
treten. — Gestern starb einer der ältesten hiesigen Musiklehrer, Hr. 
Berg, welcher sich dadurch ein grosses Verdienst erworben hat, dass 
er die klassische Musik aufrecht erhielt und viele gute Schüler bil- 
dete, deren auch viele in Deutschland leben. Derselbe ist auch als 
Componist von Sonaten bekannt. Sein letztes Werk war eine grosse 
Pianoforteschule, woran er seit mehreren Jahren arbeitete und wo- 
von das erste Heft bereits erschienen ist (Mainz bei B. Schotts Söhnen), 



Zur Nachricht. Auf mehrfaches Verlangen und um Irrungen 
vorzubeugen, schliessen wir den ersten Jahrgang unseres Blattes mit 
Nr. 39. Die Abonnenten empfangen demnach , um die Rechnungen 
nicht abändern zu müssen, das erste Quartal 1853 (Nr. 1 ä 13) un- 
berechnet, und wird alsdann denselben der zweite Jahrgang nur mit 

drei Quartal (Nr. 14 ä 52) bere chnet. ______ 

fM-ntwortlicbei Redtlteni: J. J. SCHOTT. - Brack t« REUTER* WALLAU in Mainz. 



2. Jahrgang. 



Wi% 2. 



10. Januar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeltung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 

von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 





PREIS: 




n. 2. 


42 oder Thlr. 1. 


18 Sgr. 




ffir den Jahrgang 


» 


Durch die Post bezogen: 


SO kr. 


oder 15 Sgr. per 


Quartal. 



Inhalt t Literarisches. — Corresp. (Rostock, Dresden, Nürnberg und Heidelberg). — Ein Besuch bei Tom Pouce. — Nachrichten. 



LITERARISCHES. 



Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion", musikalisch- 
ästhetisch dargestellt von Dr. J. Th. Mosevius. Berlin 1852. 
J. Guttenberg. 

Eine ausführliche Erläuterung, wie wir deren nur Wenige be- 
sitzen, hervorgegangen aus liebevoller Versenkung in das wunder- 
volle Werk Bach's, aus jahrelanger Erforschung, aus genauer Er- 
kenntniss alles Einzelnen und aus wiederholter öffentlicher Auffüh- 
rung. Hiernach darf man mit Recht eine gelungene Erklärung er- 
warten. Eine solche ist zumeist, aber nicht ganz entstanden. Ein 
vollständig individualisirtcs und in seiner uumittelbaren Lebendigkeit 
zu vollster Klarheit gelangendes Bild zu entwickeln, ist desshalb dem 
gelehrten^ für hohe Schönheit erglühten Verfasser nicht ganz gelun- 
gen : 1) weil seine Sprache zu monoton dahinfliesst und nicht an 
dem festen grossen Gegenstande selber fest und stark geworden (in 
dieser Hinsicht kann die Erklärung des Messias von Rochlitz, für 
Freunde der Tonkunst, als Muster gelten); 2) weil er manches zwi- 
schen die Erörterung geschoben, z. B. üb.er. Temperatur und alte Ton- 
arten, was den Zusammenhang und Fortgang unterbricht, ohne durch 
die gewonnenen Resultate neue Lust für das Folgende zu gewähren; 
3) weil er unterlassen, nach so weiter Ausbreitung das Einzelne des- 
selben wieder als Ganzes unter festen Gesichtspunkten (Begriffen) 
zusammen zu schliessen. Dessenungeachtet liefert die Schrift des 
Belehrenden viel , führt mitten in den lieben Alten hinein und ist 
eine Schatzkammer reicher sicherer Erfahrungen, die sich auch die 
Sänger zu Nutze machen mögen. Die Mängel sind besonders dess- 
halb hervorgehoben , um andere jüngere Erklärer zu erinnern , dass 
solche Formlosigkeit nicht erspriesslich , nicht das Rechte ist ; denn 
solch Verfahren, mit weniger Gediegenheit und mehr leichtsinniger 
Phantastik ersetzt, kann aus Allem Alles machen und würde mit einer 
Menge breitspuriger kraftloser Werke uns belasten. Was hindert 
uns, die gesunden Grundsätze der Hermeneutik, auf anderen Gebieten 
längst anerkannt, auch im Bereiche der musikalischen Kunst zur 
Geltung zu bringen ? chs. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS ROSTOCK. 

(Mitte Dezember.) 

Auch in unseren von der Ostsee bespülten Auen weht deutscher 
Sinn und deutsche That — mit ihnen deutsche Kunst. Freilich kann 
sich eine an das Ende des Vaterlandes verschlagene kleinere See- 
stadt nicht eines so regen Musiklehens erfreuen, wie andere an fre- 
quenterer Landstrasse gelegene Oerter — muss man sich hier doch 
meistentheils mit dem begnügen, was Hamburg und Berlin von ihrem 
Ueberflusse herübersenden — dennoch verdient auch das hiesige 



Kunstgetriebe in einem Journale verzeichnet zu werden, und bewei- 
sen Einzelheiten, dass unsere Stadt nicht eben zurückbleibt in dem 
allgemeinen Drange, den Parnassus der Kunst zu erklimmen. Sei 
denn in diesen Referaten das Erwähnenswertheste des hiesigen Kunst- 
lebens mitgetheiltl 

Den Anfang der diesjährigen Wintersaison machten die Goncerte 
des Berliner Domchores. Dieses aus 60—70 Männer- und Knaben- 
stimmen bestehende Institut, das an Quantität und Qualität noch die 
berühmten ähnlichen Chöre zu Petersburg und Rom (Sixtinische Ka- 
pelle) übertreffen soll, leistet so Vorzügliches, dass diese Leistungen 
eben gehört werden müssen , um zu erfahren , welchen ungeahnten 
Eindruck ein Ghorgesang hervorzubringen vermag, wenn vollkommene 
Reinheit, eine Präcision, wie sie einzig in ihrer Art dasteht, gedie- 
gener Vortrag und schöne Stimmen denselben beleben. Das Chor, 
von dem jedoch hier nur die Hälfte auftrat, veranstaltete unter Di- 
rektion ihres ersten Direktors Neidthardt ein Kirchenconzert in un- 
serer rühmlichst bekannten schönen Marienkirche, deren vollendete 
Orgel die Wirkung des Ganzen noch erhöhte. Das äusserst interes- 
sante Programm enthielt Meisterwerke der ältesten Zeit, bis in die 
neueste herab, und traten neben den Chören auch verschiedene So- 
listen mit sehr passend gewählten Kirchenarien auf. Das weltliche 
Concert fand in dem zu Musikaufführungen sehr geeigneten Apollo- 
saale statt. Es bot ebenfalls eine reiche Auswahl der verschieden- 
artigsten Compositioncn und erfreute durch Aufführungen, die kaum 
noch etwas zu wünschen übrig lassen; besonders möchte ein Solo- 
quartett in dieser Art noch nicht dagewesen sein. Der in diesen 
Concerten auftretende Posaunist Belcke entsprach nicht so ganz den 
Erwartungen, die man von seinem ihm vorangehenden Rufe zu he- 
gen berechtigt war. 

Darauf folgte das Concert des Pianisten Albert Bratfisch aus 
Altenburg. Ein äusserst seelenvoller Spieler , der , alle Extravagan- 
zen des Virtuosenthums verschmähend, nur der ernsten hohen Kunst 
huldigt. Sein Repertorium besteht, ausser eigenen Salonpiccen und 
Improvisationen, nur aus den Werken Beethovens, Mendelssohns und 
Schumanns, welche Meister er denn mit hohem Verständnisse und 
tiefer Auffassung zum Vortrag bringt, um so mehr, da seine künst- 
lerische Bildung aus der Schule Mendelssohns hervorgegangen ist, 
Bratfisch ist bisher in Privatconzerlen einiger deutscher Höfe aufge- 
treten, wesswegen sein Ruf ein noch nicht allgemein verbreiteter ist. 
Tritt er jedoch mit der Zeit mehr vor das Forum der grösseren Oef- 
fentlichkeit, so möchten seine Leistungen denen der gediegensten 
klassischen Spieler anzureihen sein. 

Die Kapelle des Musikdirektors Fürstnow aus Hamburg versorgte 
unsere Stadt mit einigen modernen Salonconzerten. Dieser Industrie- 
zweig, der noch einmal alle wahre Kunst zu Grabe tragen wird, fin* 
det auch hier seine Theilnehmer und zwar desswegen, weil das €e- 
müth des Nordländers sich öfters an Orgien erwärmen muss, zu die- 
sen aber in sogenannten Musik-Unterhaltungen den passenden Vor- 
wand findet. — Wer könnte aber auch die Genüsse eines solchen 
Conzertes verschmähen? Vereint sich doch alles in ihnen, um einen 
Abend recht froh zu verleben, zuerst eine wohlservirte Tafel, dann 
charmante Conversationen, obenein die Erlaubniss rauchen zu dür- 



fen; dazu nun eine pikante Musik-Sauce, die alles, was compakt und 
unästhetisch, ätherisirt und verdünnt. Doch genug — wir wollen 
eine solche auf alle Nerven wirkende Mixtur denen anempfehlen, die 
ihre Zeit auf andere Weise nicht todt zu schlagen wissen ; wollen 
selbst noch zugestehen, diese Concerte als unterhaltende Zugift bei 
Tafelfreuden gelten zu lassen — nur dürfen sich dergleichen Pro- 
duktionen nicht noch einbilden wollen, das alleinseligmachende Prin- 
cip zu verfolgen. — Das Tafel-Musikchor des Herrn Fürstnow ge- 
hört nicht zu den schlechteren, zeigte obenein das Streben, auch für 
höhere Kunst empfänglich zu sein, indem es ein Symphonie-Conzert 
veranstaltete. Leider kamen in diesem Tonstücke Sachen vor, die 
sich nicht anhören lassen, ohne dabei an Tellergeklirre und Braten- 
düfte, welche sie sonst begleiten, erinnert zu werden; wir müssen uns 
entschieden gegen eine solche Vermischung heterogener Kunstgattun- 
tungen erklären, da der Genuss an gediegenen Werken dadureh all- 
zusehr geschmälert würde. Was nun die Aufführung selbst betrifft, 
so verdient die Umsicht des Dirigenten, die Tüchtigkeit seiner Ka- 
pelle Anerkennung und Lob ; die Kräfte , welche das Chor in sich 
schliesst, verdienten nicht blos zum Amüsement bei Kneipereien ver- 
wandt zu werden. 

Unsere hiesigen Musikfreunde haben sich eines sehr tüchtigen 
Dirigenten, des städtischen Musikdirektors Carl Schulz, zu erfreuen. 
Von diesem werden seit einigen Jahren Abonnements - Concerte ge- 
geben, die klassische Compositionen aller Zeiten zur Aufführung brin- 
gen und ausserdem engagirte Virtuosen ersten Ranges auftreten las- 
sen. Soweit es unsere Verhältnisse und Umstände erlauben, gebietet 
Herr ScLulz über ein gut geschultes Orchester , von dem besonders 
Ouvertüren mit einer Präcision und Energie executirt werden, wie 
die gebotenen Mittel sie kaum anders ausführen lassen. Zu den 
grösseren Tonwerken fehlt noch die gehörige Quantität, so dass an 
diesem Umstände mitunter die auf das Einstudiren verwandte Mühe 
und Sorgfalt scheitern. — In dem ersten diesjährigen Abonnements- 
Concerte trat der Concertmeister Ballin aus Hamburg auf; im Ver- 
gleiche zu den früher hier gehörten Leistungen ein Fehlgriff, wenn 
nicht Unpässlichkeit und andere Umstände (Concertfieber) den ver- 
fehlten Vortrag beschönigen. 

Ueber das hiesige Auditorium wäre noch zu berichten, dass es 
wie wohl allenthalben aus den verschiedenartigsten Fractionen und 
Parteien besteht. Im Allgemeinen pulsirt das Gemüth des Norddeut- 
schen nicht mit der Gluth des Südländers : eine Folge davon ist, dass 
manche durchreisende Künstler einen etwas kälteren Empfang, als 
sie v ihn anderswo gewohnt sind, vorfinden ; doch darf der Grund da- 
von nicht im Mangel anTheilnahme gesucht werden. Wie nun aber 
ein tiefes, ruhiges Gemüth bei geeigneter Veranlassung auch in das 
entgegengesetzte Extrem überzuschlagen vermag, so sieht sich eine 
besonders Glück machende Produktion auch wiederum mit grossem 
Enthusiasmus belohnt — doch trifft ein solcher Beifall meistens die- 
jenigen Leistungen, die in der Kritik ihren eifrigsten Gegner finden. 

— d— d. 



AUS DRESDEN. 

(17. Dezember.) 

Mit Schmerz vermissten wir seit mehreren Jahren die Reprise 
der grossartigen Werke des unsterblichen Meisters Gluck, die hier 
seiner Zeit in sehr zufriedenstellender Weise das Repertoir geschmückt 
hatten. Darum begrüssen wir freudig die Wiederaufnahme derselben, 
als deren Anfang wir die am 11. d. M. stattgehabte neu einstudirte 
Darstellung der Iphigenic in Aulis dieses Meisters betrachten, 
sofern wir die nicht unbegründete Hoffnung hegen dürfen, dass die- 
ser in nicht zu langen Zwischenräumen auch seine übrigen Werke 
folgen werden, um nicht wieder von unserem Repertoire zu ver- 
schwinden. 

Den Lesern einer musikalischen Zeitung gegenüber von dem 
Werthe und der Bedeutung Gluck'scher Opern reden wollen , hiesse 
in der That Eulen nach Athen tragen. Aber bei dem Werke in Rede 
bietet sich ein Umstand dar, der nicht ganz mit Stillschweigen über* 
gangen werden kann. Die Iphigenie in Aulis wird nämlich bei uns 
nicht, wie die andern Opern Glucks, vollkommen treu nach der Ori* 



ginalpartitur, sondern nach einer Bearbeitung gegeben, welche für 
die hiesige erste Aufführung im Jahr 1847 Richard Wagner gemacht 
hatte, und welche, um das von vornherein zu sagen, als eine sehr 
gelungene bezeichnet werden mttss. Sie beschränkt sich übrigens 
auf eine verstärkte Anwendung der Blasinstrumente und auf die nach 
Text und Musik mit Glück und Geschick, und natürlich mit möglich- 
stem Festhaltem am Original versuchte Abänderung des Schlusses 
der Oper. — So brachte man uns die Iphigenie wieder und ein für 
die jetzige Zeit zahlreiches, warm thcilnehmendes Publikum hatte 
sich zu der Seitens der Darsteller wie des Orchesters von wahrer 
Begeisterung getragenen Darstellung eingefunden. Die Herren Ti- 
chatscheck und Mitterwurzer waren ausgezeichnete Repräsentanten 
des Achilles und Agamemnon, Frau Krebs-Michalesi eine vortreffliche 
Klytemnestra und Frl. Agnes Bunke verdient als Iphigenie freund- 
liche Anerkennung, mag immerhin das ernste, künstlerische Streben 
nicht durchaus zu den gewünschten Resultaten geführt haben. 

Dass neben solchem Werk ein ebenfalls nach jahrelanger Ruhe 
wieder realisirte Vorführung von Lortzings „ Wildschütz " , trotz 
ihrer im Ganzen wohlgelungenen Darstellung, gänzlich in den Hinter- 
grund tritt, ist natürlich. Zu beklagen aber, dass man ein Reprise 
von Beethovens „Fidelio" in so durchaus unzulänglicher und ungenü- 
gender Besetzung und Ausführung unserem Publikum bot , wie dies 
am 21. November auf unserer Bühne geschah; lieber gar nicht, als 
in solcher Weise! 

Das schon früher erwähnte Concert unserer Liedertafel 
hat am 3. d. M. stattgefunden, und bot schon insofern einen reichen 
Genuss, als das Programm desselben zwei neue, d h. hier noch nicht 
zu Gehör gebrachte, grössere Werke — wie schon erwähnt R. Schu- 
manns „Pilgerfahrt der Rose" und Mendelssohn-Bartholdy's „Oedi- 
pus in Kolonos" — enthielt. Den Preis des Abends trug entschie- 
den das Werk Mendelssohns davon, das mit Ausschluss der Chöre 
(und Melodramen) Nr. 2 und 4 und der Anfangssätze von Nr. 7 und 
9, welche die theateristische Darstellung absolut bedingen, ausgeführt 
und durch sehr angemessen gehaltene Deklamation in seinen einzel- 
nen Theilen verbunden wurde. Die antike Grossartigkeit, die — 
man darf sagen — klassische Majestät dieses Werkes matht einen 
überwältigenden Eindruck und ich bin sehr geneigt, dasselbe noch 
über des Meisters „Antigone" zu stellen. Dabei ist es klar, frisch, 
innig, tief und wahr empfunden, ohne Prätension und Geschraubtheit, 
— unbedingt dem Trefflichsten würdig sich anreihend, das der früh 
verewigte Meister geschaffen. — Von Schumanns „Pilgerfahrt" hatte 
man bei weitem grössere Erwartungen gehegt. Mit Ausnahme eini- 
ger Nummern, in denen des Componisten unleugbar bedeutendes Ta- 
lent unzweideutig hervortritt, erkennt man mit schmerzlichem Bedauern, 
dass er der modern zerrissenen, tief sein sollenden Compositions- 
weise, die über dem ängstlichen Haschen nach deklamatorischem 
Ausdruck den Gesang vergisst und durch theilweis barocke Manirirt- 
heit die Originalität zu affectiren sucht, in bedauerlichem Masse sich 
hingegeben. Das Ganze macht den unbefriedigenden Eindruck des 
Gemachten, des Reflektirten, vielleicht in unwillkürlichem Gegensatz 
gegen den überwiegend sentimental verschwimmenden Text, dem alle 
und jede Energie mangelt und der im Stück höchstens noch flüchtig 
interessirende Mondscheinpoesie ist, so manche hübsche Einzelheiten 
darin sich finden. Auffallender Mangel an Melodie, geschraubt spe- 
kulative harmonische und modulatorische Wendungen, absonderliche 
Orchestration, Mangel an Berücksichtigung des Vocaleffektes u. dgl. 
m. findet sich hier häufig, wobei sich von selbst versteht, dass es 
an geistreicher Auffassung , an überraschenden Combinationen im All- 
gemeinen ebensowenig, als an einzelnen wahren Schönheiten fehlt. 
Das Ganze aber lässt unbefriedigt und kalt , ja man darf sagen , es 
fehle ihm nicht viel, um sogar langweilig zu werden. Schumann 
muss mit frischer Energie aus dieser Manier sich bald erheben — 
und wenige Andere haben gleich ihm das Wissen und Können dazu 1 — 
will er nicht sein schönes Talent ganz in derselben zu Grunde gehen 
lassen. 

Noch sei schliesslich der musikalischen Akademie eines wa- 
ckern und strebenden jüngeren Violinisten, des Kammermusikus Fr« 
Seelmann erwähnt, der um seiner schönen Leistungen willen warme 
Anerkennung und ein Bekanntwerden in weiteren Kreisen verdient. 
Eine Soiree der Pianistin Frl Marie W i e c k , wie eine Aufführung 
der Dreyssig'schen Akademie (Händeis „Israel in Egypten") führe ich 
referirend an, ohne Weiteres darüber zu sagen, nachdem schon neu- 



— 7 — 



lieh von mir ausgesprochenen Grundsatze, dass „die Kritik nicht zur 
Magd der Kunst oder der Kunsttreihenden sich erniedrigen" dürfe. 



AUS NÜRNBERG. 

(Dezember.) 

Am ersten Weinachtsfeiertage wurde dahier Schneider's effekt- 
volles Oratorium „das Weltgericht" unter Leitung des Cantors Köh- 
ler, Lehrer an der städtischen Gesangschule, aufgeführt. Zu den 
stark besuchten Chören lieferte die genannte Anstalt die Alte und 
Soprane, der Männergesangverein „Liederkranz" die Tenore und 
Bässe, auf gleiche Weise waren auch die Solostimmen combinirt. 
Kleinere Mängel, die ihren Grund wohl nur in äusserlichen Zufällig- 
keiten haben mochten, hindern nicht, die Aufführung als eine sehr 
gelungene zu bezeichnen, und den von allen Mitwirkenden an den 
Tag gelegten warmen Eifer anzuerkennen. Hierbei drängt sich uns 
unwillkürlich die Frage auf, warum diese reiche Fülle von Kräften, 
wie sie uns, trotz längerer Anwesenheit in hiesiger Stadt, hier zum 
ersten Male entgegen trat , so selten benützt wird ? Mit geheimem 
Neide blicken wir auf die Programme der Winter - Concerte anderer 
Städte, während die hier abgehaltenen an einer Monotonie leiden, 
welche nachgerade auf das Publikum eine ermüdende Wirkung zu 
äussern beginnt. Wohl haben uns die Unternehmer, die HH Grobe 
und Erdmannsdörfer , beide in der hiesigen musikalischen Welt auf 
das Vortheilhafteste und namentlich der erstere als umsichtiger und 
tüchtiger Dirigent , bekannt , schon viel Schönes geboten , aber sie 
scheinen nicht zu bedenken, das das Göthe'sche : „wer Vieles bringt, 
wird Jedem was bringen", sich auch noch anders ausführen lasse, 
als es gegenwärtig geschieht. Während in der ersten Abtheilung 
eines solchen Concerts gewöhnlich eine Beethoven'sche , Mozart'sche 
oder Spohr'sche Symphonie vorgeführt wird, kommen in der zweiten 
Abtheilung oft Musikstücke zum Vorschein, welche an solchen Orten 
nahe an's Triviale gränzen. Statt, wie die Unternehmer vielleicht 
glauben, die Gegensätze dadurch zu vereinigen, treten dieselben nur 
um so schroffer einander gegenüber. Das Publikum wird immer mehr 
und mehr in jene Einseitigkeit hineingedrängt, an der es leider schon 
genugsam laborirt, und ihr schönes Unternehmen, welches im Gebiete 
der Kunst einen hohen Standpunkt einnehmen könnte, wird endlich 
auf den kommen, auf welchem die hiesigen musikalischen Vereine 
glücklich angekommen sind — sie sind in der That kaum mehr, als 
Tummelplätze für das Vergnügen junger Leute ! U — t. 

AUS HEIDELBERG. 

(Ende Dezember.) 

Werfen wir einen Rückblick auf das hiesige musikalische Leben 
und Treiben im verflossenen Jahre, so gewahren wir im Allgemeinen 
eine Steigerung des Interesse für die Musik. Wenigstens erscheint 
uns die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, welche unser Publikum den 
seitherigen öffentlichen Aufführungen schenkt , als Beweis eines zu- 
nehmenden Kunstsinnes. Der Besuch sämmtlicher, in der letzten Zeit 
sogar sehr häufiger Concerte war ein ganz besonders zahlreicher. 
Wir würden auf diese an und für sich relative Thatsache weniger 
Gewicht legen, wenn sie nicht für uns hier einen wesentlichen Maas- 
stab zur Beurtheilung der musikalischen Zustände im Allgemeinen 
abgäbe. Forschen wir dabei nach den Ursachen dieser erfreulichen 
Erscheinung, so glauben wir sie hauptsächlich in dem Einflüsse zu 
finden, welchen allmälig die Thätigkeit des Musikvereins gewinnt. Ist 
doch gar nicht mehr zu verkennen, dass die Beharrlichkeit, mit wel- 
cher dieser Verein trotz so mannichfacher Schwierigkeiten sein auf 
wirkliche Förderung der Kunst gerichtetes Ziel verfolgt, ein wesent- 
liches zur Erweckung allgemeineren und höheren Sinnes für die Mu- 
sik beiträgt. Aber gerade aus diesem Grunde müssen wir nun wün- 
schen, dass auch die wichtige Bedeutung dieses Institutes für Heidel- 
berg noch viel allseitiger erkannt und genügender anerkannt werde, 
als es bis daher der Fall war. Wir sind der festen Ueberzeugung, 
dass sich ein wirkliches Kunstleben — im engeren wie weiteren 
Sinne des Wortes — nur da in ausgedehnter und dauernder Weise 
entfalten uud gestalten kann, wo Kunstinteresse und Kunstthätigkeit 



einen gemeinsamen Anhalts-, Vereinigung»- und Mittelpunkt finden, 
wie ihn in grossen Städten die Oper, die Gonservatorien, Akademien 
und dergleichen Anstalten von selbst bieten — der aber in kleineren, 
wo solche Institute nicht vorhanden sind, in den Musikvereinen ge- 
sucht und geschaffen werden muss. Dies ist vorzugsweise jene Be- 
deutung, die wir auch dem hiesigen Verein unterstellen und die wir 
zur vollständigsten Geltung gebracht wissen möchten, soll anders 
nicht unser musikalisches Leben in kleinstädtischem Treiben unter- 
gehen und die junge frische Blüthe, die es bis jetzt getrieben, wie- 
der elend verkümmern. Hoffen wir daher, dass die in dieser Bezie- 
hung bereits gemachten Erfahrungen und gewonnenen Resultate das 
gesammte hiesige gebildete Publikum veranlassen, dem Musikverefa 
eine immer grössere und wärmere Theilnahme zu schenken, damit 
derselbe diese Bedeutung auch vollständigst gewinnt und seine eigent- 
liche Mission in stets umfassenderer Weise erfüllen kann. 

Lassen wir nun dieser allgemeinen Betrachtung eine gedrängte 
Besprechung der seit unserem letzten Berichte stattgehabten öffent- 
lichen musikalischen Aufführungen folgen. So veranstalteten die HEU 
Becker, Mayer, Hildebrand und Kündinger, Mitglieder des 
Mannheimer Hof th eaterorchesters , zwei Quartett- Soireen, welche» 
wenn auch nicht ein ganz grosses Publikum vereinigten (wo wäre 
dies der Fall?) doch besuchter waren, als ähnliche Unternehmungen 
in früheren Jahren. Seit der Musikverein , wenn auch nur durch Di- 
lettanten, doch in fleissiger Ausführung seinen Mitgliedern diese 
Gattung von Musik öfter zu Gehör brachte, ist das Interesse an der 
Kammermusik im Allgemeinen gestiegen. Eine bessere Richtung im 
Musik, besonders Klavierunterricht, als sich hier durchschnittlich 
geltend macht, würde auch im engeren Kreise ein Wesentliches zur 
Hebung des Sinnes für die edelste Gattung von Musik beitragen, 
(Wir werden Gelegenheit nehmen, später auf diesen Punkt zurück- 
zukommen.) Die Leistungen der genannten Herren , die sich auch. 
bereits in Mannheim selbst durch mehrere öffentliche Aufführungen 
Beifall erworben, sind im Ganzen achtungswerlh, in rhytmi scher Hin- 
sicht präcis, in technischer klar und rein — mangelt dem Quartett 
nur noch jene harmonisch-qualitative Einheit, die es besitzen muss, 
soll es uns als ein vollendetes Kunstprodukt erscheinen. Möchten 
die Herren bei ihrem fleissigen Streben diesen wohlgemeinten Wink 
in ihrem Interesse nicht unbeachtet lassen ! 

(Schluss folgt.) 



-<■«•>- 



EIN BESUCH BEI TOM POUCE. 



Der Held unserer Erzählung ist ein ausserordentlich naiver 
Franzose aus der Provinz, welcher sich für einen grossen Musiklieb- 
haber ausgibt und in Verzweiflung darüber geräth, dass er den Soi- 
reen, welche der Zwerg Tom Pouce gegeben hat, nicht beiwohnen 
konnte. Er weiss, dass die französische Hauptstadt eine unbestimmte 
Anzahl von Monaten vor Entzücken über dies liliputische Phänomen 
ausser sich gewesen ist; er hat die Reise nach Paris unternommen, 
einzig und allein, um den kleinen General zu bewundern, welcher 
für so geistreich, so graziös, so galant gilt, und das Unglück will, 
dass die Vorstellungen dieses Weltwunders in diesem Augenblicke 
unterbrochen sind. Was thun ? Ein Empfehlungsbrief, womit unser 
Provenciale versehen ist, öffnet ihm den Salon eines Künstlers, be- 
rühmt durch sein Mystificationstalent. Als ihm der Bewunderer von 
Tom Pouce sein Missgeschick auseinander setzt, erwiedert ihm der 
Künstler: „In der That, mein Herr, ich begreife, dass dies für einen 
solchen Kunstfreund , wie Sie sind, eine grausame Enttäuschung sein 
muss. Sie kommen von Quimper, wie ich glaube? — Von Quimper- 
Corenlin, mein Herr. — Eine solche Reise nutzlos zu machen ...... 

Ach, warten Sie, ich komme auf eine Idee; Tom Pouce gibt aller- 
dings keine Vorstellungen mehr, aber er ist noch in Paris und Par- 
bleu, besuchen Sie ihn, er ist ein Gentlemen, er wird Sie vortreff- 
lich aufnehmen," — „Ach, mein Herr, wie viel Dank würde ick 
Ihnen schuldig sein, wenn ich bis zu ihm gelangen könnte. Ich 
liebe die Musik so schrl" — „0 ja, er singt nicht schlecht. Hier 
ist seine Adresse: Rue St. Lazare, Ecke der Strasse La Roche fau- 
cauld, eine lange Einfuhr, hinten quer vor steht das Haus, worin 
Tom Pouce wohnt, es ist ein geweihter Aufenthalt, welcher nachein- 
ander Talma, Mlle, Mars, Mlle. Duchesnois, H. Vernet, Thalberg ge- 



>— 8 



sehen hat und welchen Tom Poncc jetzt mit dem berühmten Pianisten 
tfceilt. Sagen Sie dem Portier nichts, gehen Sie bis ans Ende der 
Einfuhr und nach der biblischen Vorschrift — klopfet an, und es wird 
Euch aufgethan." — „Ach, mein Herr, ich eile, ich glaube ihn zu 
sehen, ich glaube ihn schon zu hören. Ich bin ganz aufgeregt da- 
von .... Sie haben keinen Begriff von meiner Leidenschaft für die 
Musik." — 

Unser Musikliebhaber läuft zur bezeichneten Adresse, er kommt 
ans Haus, klopft mit zitternder Hand — ein Coloss öffnet ihm. Der 
Zufall will, dass Lablache, welcher mit seinem Schwiegersohn Thal- 
fcerg zusammenwohnt, in demselben Augenblick ausgeht. „Zu wem 
wollen Sie?" fragt der berühmte Sänger den Fremden. — „Ich 
mochte den General Tom Pouce sprechen." — „Das bin ich", ver- 
setzt Lablache mit furchtbarem Amplomb und mit seiner stärksten 
Stimme. — „Aber . . . wie * . . man hat mir gesagt , der General sei 
sieht höher als mein Knie und dass seine liebliche Stimme der des 
Heimchens gleiche. Ich kann nicht finden ..." — „Sie können Tom 
Pouce nicht herausfinden? Und doch habe ich die Ehre, dieser be- 
ruhrote Künstler zu sein. Meine Gestalt und meine Stimme sind al- 
lerdings so, wie man sie Ihnen beschrieben hat. Sie sind so en 
public, aber Sie begreifen, dass ich es mir bequem mache, wenn ich 
so Hause bin." 

Hierauf entfernt sich Lablache majestätisch und der Musikfreund 
bleibt verblüfft stehen, roth vor Stolz und Freude, den General Tom 
Pouce zu Hause und in seiner ganzen Bequemlichkeit gesehen zu 
haben. (Aus H. Berlioz's „Orchester-Abende.) 

NACHRICHTEN. 



Dresden. Am 22. November starb hier der seit etwa acht 
Jahren pensionirte kath. Hofkirchenorganist A. A. K 1 e n g e 1 (68 
Jahre alt), vor mehreren Decennien als Schüler und Begleiter de- 
mentes auf dessen Reisen namentlich ausserhalb Deutschlands wohl 
bekannt; später hier nur in den engeren Kreisen exclusiv sich be- 
wegend, ein tüchtiger Componist, trefflicher Orgel- und Klavierspieler 
aus der Schule seines Lehrers und Freundes, und namentlich in 
gebundener Spielart, z. B. im Vortrage der Bach'schen Compositio- 
nen, einer der bedeutendsten Künstler, welche wir gehabt haben. 



Wien« Dem Personal des Ilofopertheaters stehen bedeutende 
Veränderungen bevor. Mit Ostern 1853 verlassen die Sängerinnen : 
Frau La Grangc und Frl. Engst sowie die Herren Ellinger, Steiner, 
Wack ihr bisheriges Engagement. Dagegen sind (nach der Ostdeut- 
schen Post) der Baritonist Beck aus Frankfurt und der Tenorist 
Steger von Prag neu engagirt worden. Herr Cornet wird seinen 
neuen Wirkungskreis mitAuber's „Feenscc", Donizetti's „Favoritin" 
and Flotow's „Matrosen" eröffnen. 

Die Proben zu der neuen komischen Oper von Hoven : „Der 
lustige Rath" haben bereits begonnen- 



Bremen« Die drei letzten Abonncmenls-Conccrtc im verflos- 
senen Jahre brachten eine reiche Auswahl des Schönen und Interes- 
santen. Als Gäste traten darin auf der Tenorist v. Osten, der Ba- 
ritonist Marchesi, dessen Gattin Frau Marchesi-Graumann ; ferner der 
Pianist A. Dreyschock und der Violoncellist Grützmacher aus Leip- 
zig. Von grösseren Instrumentalwerken kamen zu Gehör: Mozarts 
C-dur-§infonie, Beethoven's Pastorale, 4. Sinfonie von Gade (hier neu), 
die Ouvertüren zu Cariolan, Egmont, Euryanthe, Concert-Ouverture von 
J. Rietz und endlich R. Wagners Ouvertüre zum Tannhäuser. Letz- 
teres Tonwerk, in sehr gelungener Ausfuhrung vorgetragen, machte 
wie überall den imposantesten, wenn auch nicht den befriedigendsten 
£indruck. 

»■■■■IIB | ■*!■» 

'Weimar. Wie auswärtigen Blättern berichtet wird , hat Liszt 
auf Vorstellungen der Grossherzogin hin seinen Entschluss, nach 
Paris zu gehen, aufgegeben und bleibt in Weimar. 



CÖIn« Ein junger sehr talentvoller Componist von hier, Max 
Bruch, welcher sich um das Stipendium der Mozartstiftung in Frank- 
furt mitbeworben hatte, ist nach dem einstimmigen Urtheile der Preis- 
richter als der Würdigste anerkannt worden. Die weitere Ausbildung 
des 14jährigen Knaben wird F. Hiller übernehmen. 



Paris. Vieuxtemps hat eine neue Kunstreise projektirt und 
zwar, um aller Concurrenz auszuweichen, nach Ostindien. Ob sein 
Bogen auch dort die gewohnten Wunder thun wird, steht noch in 
Frage. ; 

Madrid. Das Theater de la Cruz, die älteste aller spanischen 
Bühnen, ist am 19. Dezember von einem reichen Gapitalisten und 
Musikfreunde, Namens Daguerra, um den Preis von 999,000 Realen 
erstanden worden. Dasselbe soll fortan nur für die spanische 
Oper verwendet werden. 



Brüssel. Die italienische Operngesellschaft des Herrn Bocca, 
welche in Berlin so schlechte Geschäfte gemacht hat, ist hier ange- 
kommen und hat ihre Vorstellungen am 31. Dez. mit „11 matrimonio 
segreto" eröffnet. 

Am 3. Januar wird Adams neueste, in Paris so glänzend aufge- 
nommene komische Oper ,.Si j'etais Roi" zum ersten Male gegeben» 



Neapel. Das Theater San Carlo eröffnete die Herbst - Saison 
mit „Idue Foscari" und „Maria di Rohan". Zwei neue Opern von 
Giosa und Baldassari etc. folgten. Für den Carneval sind neue 
Werke von Staffa, Giosa und Mercadante (Statira) bestimmt. Als 
Prima-Donnen fungiren die Damen : Giuli Borsi , Alaimo, Peruzzi, 
Borghi Mamo und Tebaldi , von denen die beiden ersten schon vor 
mehreren Jahren bei der Londoner italienischen Oper engagirt waren, 
ohne besonderes Glück zu machen. Auch die Tenore Mirate, Pon- 
cari und Laudono sind keine Grössen ersten Ranges. Ueberhaupt 
befindet sich die Oper in Italien in einem Zustande der Ermattung, 
der zu ihrem gänzlichen Ruin führen wird, wenn nicht bald ein neues 
Genie auftaucht, um mit grossartigen Schöpfungen zugleich Gesangs- 
heroen hervor zu rufen, die sich den Rubini, Tamburini u. s. w. an 
die Seite stellen können. Von neuen Componistcn scheint gegen- 
wärtig Pacini am meisten Glück zu machen. In Palermo wird eine 
Oper von ihm: „Maria d'Inghelterra" , fast täglich gegeben, und die 
Theaterdirektion hat schon eine neue bei ihm bestellt. Dagegen ge- 
fiel „Buondelmente"' von demselben Componisten, womit das Fenice 
in Venedig eröffnet wurde, nicht. Verdi hat nur in Turin die Ehre 
gehabt, die Saison zu eröffnen, und zwar mit seinem „Corsaro". In 
Rom (Argentina) wurde zu gleichem Zwecke „Poliuto" von Doni- 
zetti, in der Canobbiana in Mailand gar „Moses" von Rossini her- 
vorgeholt. Die Scala brachte „Luigi V. a von Mazzucato, das Thea- 
ter in Genua : „II Giuramente" von Marcadante. 

London. Als Dirigent der New philharmonic society in näch- 
ster Saison wird Spohr genannt Ob derselbe in seiner Stellung als 
Kapellmeister in Cassel den erforderlichen Urlaub erhält, ist freilich 
sehr zu bezweifeln. Was die beiden italienischen Opern betrifft, so 
ist noch Alles unbestimmt. Der Plan, Her majesties theatre durch eine 
Aktien-Gesellschaft verwalten zu lassen , ist so kalt aufgenommen 
worden , dass die Wiedereröffnung dieser Bühne überhaupt in Frage 
steht. Coventgarden theatre hat Mad. Viardot als Prima-Donna zu 
gewinnen versucht, aber nicht reussirt. 



New- York. Die hiesigen Blätter sprechen von der Gründung 
einer neuen italienischen Oper mit den Damen Sonntag und Al- 
boni, dem Tenoristen Salvi und dem Baritonisten Badiali, und 
suchen die New-Yorker für dieses Projekt, welches natürlich nur 
durch bedeutende Aktienzeichnungen ausgeführt werden könnte, gün- 
stig zu stimmen. 



Verantwortlicher Redakteur; J. J. SCHOTT. -Iwek Ten REUTER* WALUD in Halu. 3 



2. Jahrgang. 



Wr. a. 



17« Januar 1853. 



SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

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REDACTION UND VERLAG 

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BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



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Inhalt t Händel und das Oratorium. — Corresp. (Heidelberg, Berlin und Paris). — Nachrichten. 



HANDEL UND DAS ORATORIUM. *) 



Kaum waren auf dem Gebiete der Kirchenmusik die Hauptauf- 
gaben gelösst, katholischerseits die musikalische Durchbildung der 
Messe, protestantischerseits die Harmonisirungen der Kirchengesänge 
eutstanden, da wurde die Oper geboren. Was ihre allererste Bil- 
dung ermöglichte, was sie sodann steigender Vollkommenheit zuschrei- 
ten, was immer mehr die Gesammtkraft der musikalischen Kunst 
auf sie hinsteuern Hess, das war der Drang, mit Zuhülfenahme der 
Instrumente in ganz neuer Weise, die dramatische Bewegung ioi 
Tonreiche abzubilden. Im Tone eines durch scenische Vorführung 
in die Gegenwart versetzten, oder als gegenwärtig gedachten Ganzen 
auch den Ausdruck für das Einzelne, den Wortausdruck, zu finden 
und die ganze Gegenwart der Handlung durch die sinnliche Gewalt 
der Instrumentalbegleitung musikalisch auszudrücken: — dieses zwie- 
fach Strebende war das unwiderstehlich Treibende, dem sich fortan 
kein Tonkünstler mehr entziehen konnte. Der Gewinn der Fähigkeit 
für den dramatischen Ausdruck war der nächste Schritt, den die 
Musik ihrer Natur nach nothwendig thun musste, und insofern war 
sie auf guten Wegen Aber nicht gut war der Hochmuth ob ihrer 
Vortrefflichkeit, den sie gar bald erzeugte und der sich schon in J. 
Mattheson , seiner Zeit ein angesehener Musikmacher und Kritiker, 
so krass wie möglich aussprach. Der Oper selbst erwuchs in ihrem 
ganzen ersten, dem 17. Jahrhundert, wenig gesunde Frucht aus die- 
ser Kraft, Die immer weiter gehende Absonderung von dem christ- 
lichen Culturleben **) und von volkstümlichen Bedürfnissen, gerieth 
in eine unsägliche Flachheit und mythologische Seelenvcrwirrung, 
die wohl für die damaligen eitlen Hoffeste passte, aber jede vernünf- 
tige Fortbildung unmöglich machte. 

Ein solcher Zustand kann nicht immer währen; einmal kommt 
eine stärkere Kraft, die gewahr wird, dass solche Behandlung selbst 
das Weltliche, das rein Geschichtliche entwürdigt, entgcistigt; die 
erkennt, dass so das Beste, Zarteste und zugleich das Heldenhafteste 
unausgesprochen bleibt , und die daher strebt und ringt, diesen Ueber- 
schuss edelster Kräfte zur Geltung zu bringen. Mit andern Worten: 
einmal musste Händel kommen — denn er war es , der solches 
aufs tiefste empfand und dessen höchste Begabung in andauerndster 
Begeisterung rang, das Edle kunstvoll zu gestalten. Er kannte die 
Sprache der Helden, er war des Ausdrucks keuscher, tiefer Seelen 
mächtig; der edle Strom vergangener, aber für die Ewigkeit dagewe- 
sener Geschichte, wollte sich in seine Musik ergiessen. Dem gros- 
sen Händel war alles Geschichte, aber unvergängliche. 

*) Wir entnehmen der trefflichen Abhandlung von F. Chrysander, 
„Ueber das Oratorium," welche übrigens in einigen folgenden Arti- 
keln besonders berücksichtigt werden wird, diese interessante Skizze. 

**) Der Verfasser übersieht, dass die Oper ihren Ursprung dem 
neuen durch das Studium der Griechen erwachten Geistesleben des 
16. Jahrhunderts verdankt, in ihrem eigentlichen Wesen aus dem 
auch in Italien auftauchenden Anti-Romanismus erklärt werden muss, 
und dadurch unwiderstehlich auf ihre erste Bahn getrieben wurde. 

Die Redaction. 



Ihn beseelte zunächst kein gesondert religiöser, oder ein anderer 
Trieb vorherrschend, sondern allein der Schaffungsdrang, die Lust 
an der Bewältigung riesiger Entwürfe, seinem riesigen Geiste ent- 
sprechend ; daher eine über die damalige Bühnendramatik weit hinaus 
gehende Lebensbewegung, eine Schönheit, Fülle und Geschlossenheit 
seiner Gestalten , und eine , den ganzen Stoff durchdringende Kunst, 
so weit die Form dies ermöglichte. 

Seine Kunstform nämlich war die Oratorische, und so ent- 
stand durch ihn das zweite Mal das Oratorium *) Aus Noth ergriff 
er diese Form. Der stolze Händel war es endlich müde , Musik zu 
machen für die „Unterhaltung" des Menschen, seine Kunst sollte bei 
Allen hervorbringen, was sie ihm selbst gewährte: Erhebung. Daher 
war ihm jede Form recht , in der er seinen höheren Inhalt ausspre- 
chen konnte ; er konnte aber nur seinen Zweck erreichen durch Ab- 
wenden von dem öffentlichen Kunsttreiben. Der vermeintlich vor- 
treffliche Ersatz der früheren Volksschauspiele, das Theater, 
bezeugte sich seiner Abkunft würdig, denn Kräftiges, Gesundes, 
Ernstes, Herrliches ihm zu bieten , dess schämte man sich vor dem, 
besseren Bewusstsein. . . * Da musste ein Mittelweg eingeschlagen 
werden, man ergriff die alte Form des Oratoriums. Ein Mittelweg 
ist aber als solcher, d. h. seiner Form nach nicht das Höhere im Streit 
der Gegensätze, sondern er wehrt nur die grössten Spitzen und Här- 
ten von einander ab , trotzdem ist er wohl geeignet, einen den Streit 
überragenden höheren Inhalt zu vermitteln. So war es damals; man 
überzeugt sich daher bald, dass dieser Mittelweg zu Händeis Zeiten 
nothwendig war, denn er wurde gerade von den besten Künstlern 
ersehnt und als das einzige ihnen mögliche Auskunftsmittel ergriffen, 
welches sie in Wahrheit der Kunst erhielt und ihnen die künstleri- 
sche Freiheit gewährte. Als Künstler behagte dem Manne , der uns 
die einzig hohen Oratorien geschaffen hat, ebensowenig, was damals 
das Theater als was der damalige Zustand der Kirche von ihm for- 
derte, obgleich er persönlich sehr fromm war*... 

Wie schon die Oraiorienkomponisten des 16. Jahrhunderts, so 
also auch Händel und Andere empfingen nicht eine, aus kleinen An" 
fangen hervorgewachsene Form, welche die Fähigkeit wieder aufzu- 
streben und sich zu vollenden, besessen, so dass ein lebendiges 
Fortwachsen sich nachweisen liesse, sondern sie Alle hatten die 
scenische Darstellung als das Vollkommenere im Auge, mussten aber 
diese irgend welcher Hindernisse wegen aufgeben, und in die ora- 
torische F o r in , als Ersatzmittel , sich zurückziehen. Mit andern 
Worten: Die kirchliche Passionsmusik hat eine Geschichte, wenn 
auch keineswegs eine glänzende, da sie besonders in kirchlich un- 
kräftigen Zeiten angebauet und weitergebildet ist, das Oratorium aber 
fängt mit jedem neuen Oratoriumcomponisten , ja mit jedem neuen 



i 



*) Das erste Mal entstand dasselbe, als im 16. Jahrhundert das 
Volksspiel versank, weil der Musik noch «Alles zu einer Verbindung 
mit ihm fehlte , und in den Klöstern eine Zwittergestalf von Kunst 
und Gottesdienst, zunächst als Ersatz für die in den Fasten verbote- 
nen Volksspiele sich bildete. Dieser traurige Nothbehelf erstarrte 
indess bald. Der Verf. a. a, 0. 



10 



Oratorium von vorne an, das Oratorium hat keine Ge- 
schichte. Daher sein Schwanken, daher die bunte Vielheit seiner 
Form; daher eine bloss negative Gattungs-Einheit. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HEIDELBERG. 

(Ende Dezember.) 

(Schluss). 

Die von dem Tenoristen Stigelli in den ersten Wochen des Nov. 
gegebenen zwei Conccrtc waren überaus zahlreich besucht. Ueber 
diesen Sänger ist in musikalischen und noch mehr in unmusikalischen 
Blättern viel gesprochen worden; auch wir wollen hier ein Wörtchen 
mit hinein reden. Unserer Ansicht nach werden seine Leistungen 
weniger vom Publikum als von der Kritik überschätzt, sie erheben 
sich, einzelne technische Fertigkeiten und Eigentümlichkeiten ab- 
gerechnet, keineswegs auf jenen hohen Grad von Vollkommenheit, 
welcher demselben schon so vielseitig zugesprochen wurde. Zu die- 
ser Vollkommenheit gehören beim Sänger vor allem Seele und 
Wahrheit; aber beides vermissten wir in seinen Vorträgen. Seine 
Seele ist Berechnung und seine Wahrheit Manier. Dies beweisen 
seine eigenen Kompositionen, in denen Alles nur auf einen augen- 
blicklichen ohrenkitzelnden oder gemüthsfrappirenden Effect berech- 
net ist; dies beweisst die Thatsachc, dass er seiner ihm eigentüm- 
lichen technischen Fertigkeit jedes Musikstück, selbst das einfachste 
Schubertsche Lied , unterthan macht : ein Verhältniss, wie es sonst 
umgekehrt bei vollendeten Künstlern zu herrschen pflegt. Es fehlt 
ihm die höhere Weihe eines solchen , sonst würde er sich nicht 
einfallen lassen, am Schlüsse des ersten Es-dur Satzes in der Max- 
Arie aus dem „Freischütz" 1 eine Cadenz in's hohe B zu machen. 
Stigelli macht sich als Virtuos in seiner Art geltend, aber diese 
seine Art ist im Wesentlichsten keine Haarbreite unterschieden von 
der unserer modernen Virtuosen aller Gattungen; mag er eine Kir- 
chen - oder Opern- Arie , ein Lied oder eine Ballade singen — in 
Allem appellirt er an die Blasirtheit des Salons und in jedem Effect 
liegt die Herausforderung „Was willst Du noch mehr!" — 
Einen grossen Kunstgenuss gewährte das Conzcrt , welches das 
Mannheimer Orchester unter der Leitung seines Kapellmeisters V. 
Lachner am 8. ds- Ms. gab, in welchem Mozarts C-dur Sinfonie 
und Lachners Preisgekrönte Festouvertüre vorzüglich executirt wur- 
den. Unter den übrigen Nummern des Programmes verdienen die 
von dem Hoftheatersänger Herrn Stock hausen vorgetragenen 
Arien besonders rühmende Erwähnung. Dagegen waren die von 
Fräulein Kern gesungenen Lieder sehr schwach: mit derlei Firle- 
fanzereien möchte Fr. K. lieber nicht mehr vor die Oeflentlichkcit 
treten, wenn sie ihren Vortheil wahren will. — Das am 2ten d. M. 
stattgehabte Conzert des Musikvereins brachte "uns Beethovens 
D-dur Sinfonie , M o z a r t's Ave verum, mehrere Lieder für gemisch- 
ten Chor a capella, Rossini's Caritä und zum Schlüsse die 
Freischütz-Ouvertüre zu Gehör. Dazwischen spielte der 13jährige 
Violinvirtuos Alex. Rancheray zwei Soli, war aber nicht im Stande, 
das besondere Interesse des gebildeteren Publikums zu erregen. 
Seine ganze und alleinige Eigentümlichkeit ist die , dass er mit 
der linken Hand den Bogen führt; Alles Uebrige gewöhnlich, eine 
Treibhauspflanze ohne Farbe und Geruch — schon öfter dagewesen. 
Leider! Wir haben evidente Beweise seines mangelhaften musikali- 
schen Talentes und prognostiziren diesem gelockten Virtuosen-Embryo 
keine eigentliche Zukunft. Die Ausführung der oben angeführten 
Orchester- und Vokalwcrke, unter letzteren besonders der Caritä — 
war dagegen überraschend gut und erwarb sich einen ungetheilten 
Beifall. * 

Ein Conzert der blinden Sängerin Fräulein A. Knopp aus Berlin 
würden wir mit Stillschweigen übergangen haben, wenn uns nicht 
die im schwäbischen Merkur und andern Blättern veröffentlichten 
überschwäöglichen Lobpreisungen dieser Sängerin, gewissermassen 
zwängen, zur Steuer der Wahrheit und Beleuchtung einer gewissen 
Art von Kritik, unsere Ansicht über diese seinsollende Künstlerin 
auszusprechen. Wir können weder ihre Stimme noch ihren Gesang 



schön finden; beides ist krankhaft und ihre Leistungen dürfen unse- 
rer Ansicht nach durchaus nicht vom musikalischen Standpunkte 
aus betrachtet werden. Wer z. B. wie Fräulein Knopp, keinen rech- 
ten Athern hat, der kann auch nicht singen, oder soft wenigsten« 
nicht singen, wozu jener nicht ausreicht. In dieser Beziehung machte 
den unangenehmsten Eindruck ihr Vortrag der Arie au« Paulo« 
„Jerusalem", in welcher sie letzteres Wort bei fast jeder Wie- 
derholung durch ein noch obendrein ungeschicktes Athmen trennte. 
Von künstlerischer Auffassung kann bei ihr gar keine Rede sein; 
es mangelt ihr an jedweder technischen Ausbildung. Dabei besitzt sie 
ein durchweg widerspenstiges Organ , das unter vielen andern Män- 
geln eine Nüancirung des Tones in forte-piano kaum zulässt. Sie ist 
unglücklich, weil sie blind und mittellos ist und desshalb erregt sie 
Mitleid; wir gönnen ihr als Mensch gern die Theilnahme des Publi- 
kums, aber wenn die Kritik solche höher anschlägt, als ein jedem 
Unglücklichen dargereichtes Almosen . so begeht sie eine Sünde ge- 
gen den heiligen Geist der Kunst. Soviel hierüber. — Schliesslich 
noch unser Bedauern über einen missglückten Versuch, die Gebrüder 
Müller hier zu hören. Die Herrn verlangten aber eine Garantie 
des Ertrages, die leider unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch 
nicht unternommen werden konnte. Aus gleichen Gründen sollen 
sie auch Mannheim noch nicht besucht haben. 



AUS BERLIN. 

(30. Dezember.) 

Ich will das Jahr nicht ablaufen lassen, ohne Ihnen noch eine 
Uebersicht dessen zu senden, was uns der letzte Monat an musika- 
lischen Genüsseu gebracht. Die königliche Oper bot uns zwar nichts 
Neues, hat aber doch eine grosse Anzahl theils an sich, theils durch die 
Vorstellung ausgezeichnete Werke gebracht. Ich gebe Ihnen nicht 
den Katalog der Namen aller gediegenen und glänzenden Werke ; ein 
neu einstudirtes war auch nicht dabei. Es sei denn, das man 
Spontini's „Olympia" dahin zählen wollte, die allerdings einige Zeit 
geruht hatte und als Festoper bei der Anwesenheit des österreichi- 
schen Kaisers gegeben wurde, eben so glänzend in der Aeusserlich- 
keit, natürlich, als wahrhaft würdig in künstlerischer Hinsicht. Dem 
Adel der Vorstellung durch die beiden Sängerinnen Johanna Wagner 
(Statira) und Frau Köster (Olympia) hat jetzt schwerlich irgend eine 
deutsche, ich glaube fast auch keine ausländische Bühne etwas an 
die Seite zu setzen. Eine neue, bedeutungsvolle Erscheinung war 
und ist uns hier Carl Formes aus London, der berühmte Bassist. 
Er hat unbedingt die machtvollste Stimme, die jetzt auf der Bühne 
ertönt; sein Gesang ist mehr energisch, nach Umständen charakteri- 
stisch, als schön. Auch ist der Umfang seines Organs, obwohl dem 
Charakter nach der entschiedenste Bas s, doch nur der des Baritons. 
Bis b, a, hinab hat die Stimme eine ausserordentliche Gewalt; doch 
von da abwärts ist sie nicht stärker noch klangvoller, als die anderer 
Bassisten , eher schwächer. Als Sarastro, wo mehr Ruhe und 
Würde gefordert wird, war der Erfolg des Sängers zwar immer ein 
entschieden günstiger, doch nicht über den Grad der Achtung hin- 
aus; als Mar cell in den Hugenotten dagegen war er glänzend. 
Der Künstler stand da als die eherne Grundsäule des Werkes mit 
seiner mächtigen Stimme; die Ensembles trug er wie ein Atlas auf 
seinen Schultern. Dazu kam, dass er auch als Schauspieler, beson- 
ders in plastischer Beziehung , die Figur des alten im Dampf der 
Schlachten ergrauten Kämpfers in trefflicher Charakteristik hinstellte. 
Der eigentliche Zweck seiner schon mehrere Wochen dauernden An- 
wesenheit hierselbst ist der, eine möglichst treffliche Oper für Lon- 
don, wo deutsche Sänger englisch singen sollen, zusammen- 
zubringen. Er würde uns unsere vorzüglichsten Mitglieder entführt 
haben, wenn sie nicht im Winter alle contraktlich verpflichtet wären* 
— So weit die grosse Oper. In der Friedrich-Wilhelmsstadt hat die 
italienische Oper vor Ablauf ihres Contraktes aus Mangel an Theil- 
nahme geschlossen werden müssen. Die einzelnen Mitglieder waren 
zum Theil in sehr trauriger Lage. Dieselbe wurde noch dadurch 
erhöht, dass sie, nach unserem Gesetz, eine Einkommensteuer auf 
Grund ihrer contr aktlichen Einkünfte zahlen sollte, die ihnen aber 
aus Mangel an Einnahme des Impressario nicht wirklich gezahlt 



— 11 



waren. So paaren sich oft scheinbar Glanz und wirkliches Elend t 
Man ist übrigens ungerecht gegen sie gewesen; unser Publikum ver- 
göttert oder verwirft zu rasch. Sie waren in der tragischen Oper 
freilich sehr mittelmässig, in der komischen aber oft ganz vortreff- 
lich. Wenigstens haben sie ebensowenig diese ganz zurückstossende 
Gleichgültigkeit verdient, als frühere, nicht viel bessere Vorstellun- 
gen (bei denen die besten Mitglieder der jetzigen Truppe als pre- 
miers snjets mitspielten), den blinden Enthusiasmus. — — In der 
deutschen Oper dieser Bühne hat der December nichts Erheb- 
liches gebracht. Dagegen ist eine Nebenbuhlerin derselben im be- 
rühmten Kroll 9 sehen Lokal aufgetreten. Dieses Etablissement ist 
eigentlich nur zu Concerten, Bällen, Maskeraden und anderen Erhei- 
terungen bestimmt. Doch es besitzt auch ein kleines, sehr comforta- 
bles Theater, mit einem sehr grossen Zuschauerraum. Dort hat sich 
seit Beginn des Monats eine ganz leidliche , mitunter sogar recht 
gute Oper etablirt , die sich wahrscheinlich im Laufe der Zeiten 
noch sehr viel besser aecordiren wird. Man eröffnete dieselbe mit 
einer Vorstellung der Regimentstochter, in der Mad. Seyler 
aus Darmstadt lebhaften Beifall als Marie erndtete und verdiente. 
Ein bisheriger Chorist der königlichen Oper, Röhr, war als Tonio 
ganz wacker ; das Ensemble recht gut und das Orchester sehr gut, 
besser als es irgend eines der zweiten Theater Berlins jemals aufge- 
bracht hat. So ist denn diese Oper sehr viel, besonders in denWeih- 
nachtstagen, besucht worden, und Vorstellungen der Flottow'schen 
Martha, des Schlosser und Maurer und andere haben ähn- 
liches Glück gemacht, ähnliches Lob verdient, wie die genannte. 
— Die Concerte haben uns ziemlich das erfüllt , was sie uns , wie 
ich Ihnen in meinem letzten Berichte anzeigte, versprachen. So hat- 
ten wir erst zwei unserer klassischen Sinfonie- Soireen und erst 
ein Domchor-Concert. Glüchlicher ist der Stern'sche Verein 
gewesen, der bereits zwei seiner Concerte zu Stande gebracht hat, 
während die Sing-Akademie, obgleich ihr ihr eigener schöner 
Saal zu Gebote steht, erst eins gab, eine Aufführung des Paulus. 
Ich habe derselben schon vorläufig Erwähnung gethan in meinem 
letzten Bericht. Beide Institute, an sich rivalisirend, kämpften auch 
durch diese Aufführungen eines und desselben Werkes gegeneinander 
an. Man kann nicht sagen, dass der Stern'sche Verein gesiegt hätte, 
obwohl seine Aufführung glänzender ins Leben trat, sowohl durch 
Lokal (Concertsaal) , Besuch als äussere Ausstattung. Allein es 
waren auch manche fremde Kräfte dabei thätig, während die Sing- 
Akademie sich fest auf ihre eigenen Mitglieder stützte. Die Leitung 
in der ersten Aufführung durch Stern war feuriger , aber nicht so 
besonnen ; die Sing - Akademie gab das Werk unter Grells Leitung 
ruhiger. Einzelnes war hier, Einzelnes dort vorzüglich. Als Gan- 
zes waren Beide sehr des Lobes werth. Das ist der Vortheil der 
Concurrenz ! Das zweite Stern'sche Concert war aber auch in an- 
derer Beziehung merkwürdig. Es war eine Mischung der weltlichen 
und geistlichen Musik , ein , wenn man will , klassisches Concert. 
Kullack, einer unserer trefflichen Pianisten, spielte ein Concert von 
Seb. Bach; Dem. Bury (von hier gebürtig, doch gegenwärtig in 
Leipzig) war von dort herübergekommen und sang im ersten Theil 
eine grosse Concerfscenc von C. Maria v. Weber sehr lobenswerth, 
mit nicht starker aber klangvoller, reiner und biegsamer Sopran- 
Stimme, und im zweiten Theil, in einer vorzüglichen Aufführung der 
Musik zur „Athalia" von Mendelssohn , die Sopransoli. Aber den 
Glanzpunkt des Abends bildete der junge Violinspieler Joachim. 
Sein Name ist jetzt schon viel genannt und gekannt , er selbst 
aber, seine Kunst uugleich weniger. Er ist aus Pesth gebürtig, 
kam sehr jung nach Leipzig, war schon als Knabe dort der Liebling 
Mendelssohns, wurde demnächst von Liszt in Weimar sehr ausge- 
zeichnet und ist jetzt Conccrlmeister in Hannover. Sein bester Be- 
schützer aber ist er selbst. Er vertritt einige jener seltenen Virtuo- 
sitäten, die durch wenige^ Takte sich sogleich auf die ganze Höhe 
ihres Werthes stellen. Man sollte glauben, dass dies durch ein ein- 
faches Thema, durch einige unbedeutende leichte Figuren kaum mög- 
lich sei; und doch ist dem so. Nicht zwölf Takte ha(te Joachim ge- 
spielt, als schon das freudigste Staunen sich in Aller Mienen zeigte, 
Der weiche und doch volle Ton, dieser Reiz der melodischen Ver- 
bindung, dieses feinste Maas im Wachsen und Abnehraenlassen der 
Töne, genug, dieser Zauber der Vollendung war es, der ihn uns 
sofort als einen Künstler ersten Ranges, vielleicht als der erste jetzt 
lebende auf dem Instrumente erscheinen liess. Der grossen Cadenz, 



mit allen Kunststücken und Schwierigkeiten der Hand, die er in den* 
Beethoven'schen Concert einlegte, hätte es gar nicht bedurft. Er be- 
wies zwar dadurch, dass er die Harpeggien, Tremolo's, gleichzeitig 
Pizzicato's, Flageolets u. s. w. auch machen kann und besser 
machen kann , als die guten modernen Spieler unserer Zeit j 
allein er hatte schon zuvor bewiesen , dass er etwas kann, was ihm 
Keiner nachahmt ! Dabei ist seine äussere Erscheinung , das lin- 
kische, unfreie Auftreten, die halb blöde, halb verdriessliche Phy- 
siognomie nichts weniger als empfehlend; er thut in seinem ganzen 
Wesen dar, dass die Aussen weit ihn kaum berührt, seine Kunst es 
allein ist, die ihn ganz und gar erfüllt. Selbst ihr Erfolg — er er- 
regte natürlich einen Sturm des Beifalls, was bei den Zuhörern die- 
ser Concerte, die Gebildetsten Berlins, sehr viel ist — schien ihn. 
gleichgültig zu lassen! Er ist somit auch in der äusserlichen Selt- 
samkeit ein halber Pagauini, in derKunst scheint er ein ganzer 
werden zu wollen. — Ich wurde eben im Schreiben unterbrochen 
durch einen Besuch, der mir die Nachricht von der Anwesenheit The- 
rese Milanollo's brachte. Also wieder eine der ausgezeichnetsten 
Erscheinungen in der Kunstwelt, die wir in den nächsten Tagen hö- 
ren werden. Diese beiden können uns trösten über einen ziemlich 

pfuscherhaften Charlatan, Sign. B , der uns durch ein Gei- 

genconcert vor etlichen Wochen stark zusetzte 1 

Die Gebrüder Stahlknecht haben ihre Trio-Soireen geschlos- 
sen und werden dieser Tage nach Petersburg gehen. Die Kammer- 
musiksoireen der Herren Grünwald und Sei dl sind auch, bis auf 
eine, vorüber; die Quartette der Herren Zimmermann und Ge- 
nossen dauern noch fort. Sie feierten jüngst Beethovens Geburtstag; 
durch drei seiner gediegensten Werke für diese Gattung. 

(31. Dezember.) 

Das wäre, was das alte Jahr uns gebracht hat. Doch eins kann 
ich aus leisestem Eindruck noch hinzufügen. In der Oper schloss 
es gestern in sehr würdiger Weise , nach langen Hindernissen und 
Kämpfen. Der weiche Winter voller Nebel und Regen hat so viel 
Schnupfen und Husten erzeugt, dass trotz aller Reservecadres die 
Armee der Oper doch fortwährend Lücken hatte und bald dieses» 
bald jenes Manöver machen und geschickt verändern musste, um die- 
selbe zu decken. So waren am 30. drei Opern nacheinander ange- 
setzt, Robert der Teufel, die Hugenotten, Iphigenie in Aulis, und 
endlich wurde — Euryanlhe gegeben. Ohne Probe! Eine solch.« 
Oper, fast aus dem Stegreif, setzt eine schlagfertige Armee voraus* 
Sie griff muthig an und der Sieg gelang glänzend. Allein es war 
auch Sporn des Ehrgeizes genug da. Formes, der trotz aller die- 
ser rheumatischen Hindernisse erst dreimal zum Singen gekommen 
ist, war unter den Zuhörern. Plötzlich verbreitete sich die Nach- 
richt, auch Therese Milanollo befinde sich in einer Loge, und als 
dritte Comparation der Ereignisse erschien der berühmten Violinspie- 
lerin gegenüber eine berühmte Sängerin, Garcia-Viardot. Vor 
solchen Heroen and Heroinnen gilt es, sich zu behaupten. Die Da- 
men Wagner und K ö s t e r setzten alle Schönfahrsegel anf , und 
der Triumph gestaltete sich glanzvoll. — Möge dieser glückliche Jah- 
resschi uss uns eine glückliche Jahreszukunft bedeuten! Mit diesem 
Wunsche, und meinem besten für die Musik überhaupt, schliesse ich 
diese Zeilen. Rellstab, 



AUS PARIS. 

(Dezember.) 

Die diesjährige Saison lässt sich glänzend an, wenngleich weni- 
ger auf der Bühne, als im Concertsaale, trotz der Pracht kaiserlicher 
Titel , womit erstcre in ihren verschiedenen Verzweigungen auftritt* 
Die Conservatoire-Concerte haben noch nicht begonnen, wohl aber 
die Scghers'schcn Concerte im Saale St.-Cecile, deren zweites der 
Aufführung von Werken lebender Componisten gewidmet war. Das- 
selbe eröffnete eine wohlangelegte, sehr tüchtig gearbeitete und 
glänzend instrumentirte Conccrt-Ouverture des Hrn. Alexander Stadt- 
feld, eines jungen Deutschen, so viel wir wissen, der aus dem Brüs- 
seler Conservatoire hervorgegangen und von der belgischen Regierung 
ein Ehrenstipendium geniesst. Schon im vorigen Jahre hatte sich 
der talentvolle junge Mann durch eine bei ähnlicher Gelegenheit zur 
Aufführung gekommene Ouvertüre zum „Hamlet" gerechte Anerken- 
nung erworben. Das dann folgende Werk war eine Preiscomposition, 



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«ine „Ode an die neu, C&cilie" für Orchester, Sopransolo und Chor, 
Text von H. N i b e 1 1 e , Musik von Camille Saint-Sacns, der 
poetische Intentionen bei grosser Einfachheit nicht abzusprechen, wo- 
rin aber Nüchternheit der Erfindung und Mangel an Schwung so vor- 
herrschend sind, dass man sich während des Anhörens beängstigt 
fühlte bei dem Gedanken, dass ein so ältlich besonnenes Erzeugniss 
ans so junger Feder habe fliessen können. Vor nicht gar langer Zeit 
noch stand der Jüngling in gewissen Kreisen als Wunderkind in 
grossem Ansehen; nunmehr aber sind die Wtinderschuhe abgelegt 
und wir wollen hoffen, dass der junge Mann auch ohne sie sich be- 
währen und den gehegten Erwartungen künftig entsprechen werde — - 
Die hierauf folgende Symphonie in A von G a d e fand Anerkennung, 
ohne in dem Maasse zu befriedigen, wie es sein aus Deutschland 
"herüberschallender Ruf hätte erwarten lassen; am meisten gefiel das 
Scherzo. — Nach der Anzeige des Programms sollte nun ein „däni- 
scher Gesang " von Weckerlin zu Gehör gebracht werden , ein 
Stück, welches aus unbekannten Gründen ausfiel. Herr Weckerlin 
ist ein Künstler, der sich schon früh vorzugsweise mit Chorgesang 
und Composition dieser Gattung beschäftigte und in den Concerten 
dies Cäcilienvereins als Chordirektor fungirt. — Die edle Dame von 
Grandval, die nun auf dem Programm erschien, war uns schon 
lange vor ihrer Ehe unter dem Namen der Baronesse von Reiset 
als begabte Künstlernatur bekannt, die sich nach vielen Richtungen 
hin mit glücklichem Erfolg bethätigte. Im elterlichen Hause war sie 
oftmals unter Anwesenheit eines kleinen aber auscrwählten Kreises, 
zu welchem die ausgezeichnetsten Kunstnotabilitäten gehörten , als 
Sängerin, als Klavierspielerin und Komponistin aufgetreten und end- 
lich auch mit einer Symphonie für volles Orchester vor das grosse 
Publikum, Von dieser ward nun ein Andante vorgetragen, das sich 
zwar nicht durch Tiefe auszeichnet, wohl aber durch einfache ge- 
fällige Gedankenfolge, klare Behandlung und geschickte Instrumen- 
tirung. Das Concert schloss mit Bruchstücken aus der grossen „ly- 
rischen Epopöe", welche vor anderthalb Jahren zum beabsichtigten 
und leider unterdrückten achttägigen Fest der Universal-lndustrie von 
Merz gedichtet und von Louis L a c o m b e komponirt worden war, 
und vor einem Publikum von zwölftausend Zuhörern zur Aufführung 
kommen sollte. Fest und Aufführung unterblieben aus winzigen po- 
litischen Rücksichten und die Arbeit war vergebens. Die drei zu 
Gehör gebrachten Nummern daraus waren 1) Gesang der Memnons- 
saule, Instrumentalsatz, 2) Hymne an die Sonne, Chor, 3) Finale der 
Einleitung. Dass die auf ungewöhnliche Räume und Chor- und Or- 
chestermassen berechnete Wirkung hier in beschränkteren Verhält- 
nissen nicht die ursprünglich beabsichtigte sein, mithin nicht zu vol- 
ler Geltung kommen konnte, versteht sich von selbst. Nichtsdesto- 
weniger trat das Grandiose der Conception und die kräftige Behand- 
lung des Stoffes doch genug zum Vorschein, um selbst unter solchen 
verkümmernden Umständen aus diesen dem Zusammenhange entris- 
senen Fragmenten den ihnen inwohnenden Geistesschwung mächtig 
hervorleuchten zu lassen. Louis Lacombe gehört überdies zu den 
tüchtigsten, gediegensten Pianisten und zu den Künstlern von Geist 
und Bildung, bei welchen das Herz auf dem rechten Fleck sitzt. 

Bei den unendlichen, fast unüberwindlichen Schwierigkeiten, auf 
welche junge Componisten, die das Unglück haben, für Theater oder 
Orchester zu componiren, hier in Paris mit der Aufführung ihrer 
Instrumentalwerke stossen , kann für dieses alljährliche, den Compo- 
sitionen der Neuzeit gewidmete Concert die jüngere Künstlerwelt dem 
Begründer derselben , dem wackern Musikdirektor Seghers, nicht 
Dank genug wissen, und da das Ausland von der Probe nicht aus- 
geschlossen ist, so halten Wir die Sache für wichtig genug, um die- 
jenigen deutschen Componisten, denen eine Gelegenheit, sich in Paris 
bekannt zu machen, willkommen wäre, auf diese Einrichtung auf- 
merksam zu machen, deren Vortheil für sie einleuchtend ist. 

NACHRICHTEN. 



Mainz- (Auf. Januar.) Wir sehweben gegenwärtig in einem 
wahren Dulci jubilo , üherallher schallt Musik : hier zu einem süss- 
duftenden Thce, dort zu einem einfachen Kränzchen mit Trüffeln und 
Gänseleberpasteten; hier in den feierlichen Hallen des Weihnachts- 



Cultus, dort in Feenräumen des Ballhimmels; bald um der Casse der 
Wohlthätigkeits-Commission, bald um der Goldmine des Theaterdirek- 
tors aufzuhelfen. Nehmen wir bei unserem heutigen Berichte den 
Letzteren zuerst vor und fragen wir, was er in neuerer Zeit geleistet 
hat, so müssen wir gestehen, dass er es nicht an Mühe hat fehlen 
lassen, sein Institut zu heben. Sind auch die Opern, welche er in- 
zwischen als neue präsentirt hat — das „Käthchen von Heilbronn" 
von unserem Kapellmeister Lux und die „Favoritin" von Donizctti 
— nicht an und für sich, sondern nur in Beziehung auf uns neu, so 
boten sie doch eine erfreuliche Abwechselung im Repertoire und ga- 
ben den Grosswürdeträgern unseres Sangpersonals erwünschte Gele- 
genheit, sich von ihrer glänzendsten Seite darzustellen. Mit beson- 
derer Freude wurde auch wiedeV die seit Jahreu abhanden gewesene 
Operette von Lortzing, der „Wildschütz", aufgenommen, worin Herr 
Jaskewitz von Wiesbaden, ehedem unser hochgeschätzter Baritonist, 
zweimal als Schulmeister Baculus mit grösstem Erfolg debutirte und 
zeigte, dass die Zeit die etwaige Einbusse an Stimme durch Vervoll- 
kommnung des Spiels wohl ersetzt hat. 

Inzwischen sind auch unsere Dilettantenvereine nicht unthätig 
geblieben; namentlich hat der reconstruirte Verein, die „Mainzer 
Bürgermusik", unter der Direktion des Herrn Walther zum erstenmal 
ein Concert zum Besten der Armen gegeben und recht Anerkennens- 
werthes geleistet. — Die Liedertafel in Verbindung mit dem Da- 
mengesangverein scheint unter der Leitung des Herrn Vierling 
ein frisches Leben und einen glücklichen Aufschwung zu nehmen, 
wenigstens hat sowohl die musikalische Produktion bei der Cäcilien- 
feier, als auch das statutenmässig jährlich zum Besten der Armen 
zu gebende Coucert im Theatergebäude die Musikfreunde entzückt 
und zu den freudigsten Hoffnungen erhoben. Herrn Musikdirektor 
Vierling ist das Meisterstück gelungen, dass er, obgleich eben erst 
hierhergekommen, mit ihm noch völlig fremden Kräften, beide Auf- 
führungen (in der letzten das bekannte äusserst schwierige Orato- 
rium „Paulus" von F. Mendelssohn-Bartholdy) innerhalb vier Wo- 
chen vorbereitet und auf's Schönste zu Stande gebracht hat. Im 
„Paulus" hatten wieder einmal die tüchtigsten Mitglieder die Soli 
übernommen und bewiesen, vereint mit den ausgezeichnet eingeübten 
Chören, wie sehr die genannten Vereine fortdauernd aller Beachtung 
und Achtung würdig sind. 



Braunschweig« (Anfg. Jnr.) Am ersten Weihnachtstage wurde 
der Prophet aufgeführt. Himmer sang und spielte den Johann zur 
vollen Zufriedenheit des Publikums, das seine Leistung durch mehr- 
maligen Hervorruf anerkannte. Ganz vorzüglich war die Scene in 
der Kirche, (wo Johann seine Mutter durch Geberdenspiel zu seiner 
Verläugnung zwingt,) da Frl. Wurst die Fides nicht minder gut gab, 
als Himmer den Johann. Die vier Gebrüder Müller weilen gegen- 
wärtig noch hier, gehen aber in einigen Tagen nach Ostpreussen. 
Abt war kürzlich in Hamburg, ist jetzt aber bereits zurück gekehrt 
Schliesslich will ich noch einer neuen Oper erwähnen , die Frau 
Schmezer, Gemahlin des Hofopern-Sängers Schmezer, componirt und 
Musikdirektor Zabel hieselbst instrumentirt hat. Die Oper heisst: 
„Otto der Schütz." Jedenfalls ein sehr romantischer Stoff, der gut 
gearbeitet und characteristisch componirt, erfolgreich sein kann. Wir 
wünschen dieser Oper, falls sie zur Aufführung kommen sollte, was 
allerdings noch sehr zweifelhaft ist , einen bessern Erfolg, als den, 
welchen eine frühere Oper von Caroline Wieseneder hieselbst hatte, 
die vollständig Fiasco machte. Zwei Opern-Compositricen in einer 
Stadt; ohne Zweifel, ein sehr seltner Fall! 

Ob Frau Schmezer ihre Vorgängerin übertroffen hat, wissen wir 
nicht. Dass die Direktion aber nicht eben lüstern ist, einen zweiten 
Versuch mit einer weiblichen Oper zu wagen, nach dem schlech- 
ten Success der ersten , geht aus den Schwierigkeiten , die der An- 
nahme dieser Oper entgegengelegt werden, hervor. Vielleicht sind 
wir im Stande , Ihnen schon das nächste Mal ein Resultat darüber 
mitzutheilen. 

Rom. Die neueste Oper von Verdi II Trovatore, wird im 
Theater Apollo zum ersten Male zur Aufführung kommen. 



Verantwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER * WALLAU in Mainz. 



2. Jahrgang. 



arr. tk. 



24. Januar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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Inhalts R. "Wagner als Dichter und Musiker. — Corresp. (Wien, London und Paris). — Nachrichten. 



R. WAONER ALS DICHTER UND MUSIKER. 

Erste Aufführung des „Tannhäuser" in Frankfurt a. M. 



Endlich am 15. dieses ist der so lang erwartete „Tannhäusser" 
auch hier in Scene gegangen, nachdem die schon 8 Tage vorher an- 
gekündigte erste Vorstellung wegen Heiserkeit des Herrn Beck ver- 
schoben werden musste. Wir können wohl sagen, dass diese Auf- 
führung ein Ereigniss war. Der hitzige Federkampf zwischen den 
Freunden Wagners und seinen Gegnern hatte auch hier die Gemüther 
erregt und Alles war gespannt, das Wunder zu sehen, welches das 
gutmüthige Völkchen der Musiker so in Eifer zu bringen und so 
grelle Disharmonien unter ihnen hervorzurufen vermochte. Von allen 
Seiten waren die Nachbarn Frankfurts herbeigeeilt und das Haus von 
oben bis unten gefüllt. An lebhaften Beifallsbegrüssungen und Her- 
vorruf der Hauptpersonen fehlte es nicht, und dennoch müssen wir, 
um der Wahrheit die Ehre zu geben, erklären, dass die Meisten un- 
befriedigt und kopfschüttelnd nach Hause gingen, kurz, dass der Er- 
folg des „Tannhäuser" den gehegten Erwartungen nicht entsprochen 
hat. Noch am folgenden Tage hatten wir Gelegenheit, die verschie- 
denartigsten Urtheile zu hören , aber alle liefen darauf hinaus , dass 
das Werk neben einzelnen interessanten Stellen entsetzliche Längen 
habe, melodiearm sei", dass trotz Aufbietung aller Mittel der Instru- 
mentation der Mangel an wahrer Musik nicht verdeckt werde , dass 
das Meiste gesucht, das Uebrige gewöhnlich erscheine u. s. w. u. s w., 
kurz wir hörten Alles, was den Werken Wagners von seinen Geg- 
nern bis jetzt vorgeworfen worden ist, neben einander und auf den 
einzigen Tannhäuser gehäuft. Vergleichen wir hiermit die enthusi- 
astischen Berichte, welche von andern Orten über dieselbe Oper er- 
schienen sind — nicht blos die der Neuen Zeitschrift für Musik — , 
so scheint es fast unmöglich, ein gerechtes Urtheil zu fällen, einen 
Faden zu finden, der aus diesem Chaos widersprechender und wi- 
derstrebender Meinungen herausführen könnte. Versuchen wir es 
dennoch. 

Es handelt sich vor Allem darum, die Beurtheilenden selbst in's 
Auge zu fassen und den Standpunkt kennen zu lernen, von welchem 
aus sie urtheilen. Da stossen wir freilich gleich auf betrübende, 
wenn auch unter dem gewöhnlichen Opernpublikum sich fast von selbst 
verstehende Ansichten. Dieser verlangt in einer Oper vor Allem 
„Melodie", er will „etwas mit nach Haus nehmen", d. h. er hört 
gern muntere Arien und Liedchen ä la Martha, die er sofort 
nachpfeifen kann. Der Andere möchte im Theater immer etwas 
„Lustiges" hören, etwas, was ihn aufheitert und in die rechte Stim- 
mung versetzt, um nach der Oper noch einer munteren Gesellschaft 
beiwohnen zu können. Der Dritte ist ein Liebhaber der Gesangs- 
kunst, er ist für grosse Arien begeistert und verachtet jede Oper, in 
der die Prima Donna keine Gelegenheit findet, einen endlosen Tril- 
ler, eine 8taktige Cadenz oder dergleichen Kunststückchen los zu 
lassen. Dass Wagner bei seinem erklärten Hass aller zwecklosen, 
d. h. nicht durch die Situation nothwendig herbeigeführte und ihrem 
Charakter angemessenen Melodien, Arien u, s, w. von diesen unbe- 



dingt verurtheilt wird, darf uns nicht Wunder nehmen. Auf Gültig- 
keit darf deren Ausspruch aber erst dann Anspruch machen, wenn, 
das Theater, resp. die Opernmusik, als blosses Mittel zur Unter- 
haltung betrachtet wird. So weit sind wir aber hoffentlich noch 
nicht. 

Anders stellt sich die Sache bei der zweiten Classe: den Musi- 
kern, den gebildeten Musikfreunden oder kunstverständigen Dilettan- 
ten. Auch diese tadeln den Mangel an Melodie, aber weil sie in 
der Melodie das wesentlichste Element der Musik erkennen; auch sie 
tadeln die Verwerfung des bisherigen Opernzuschnitts, die Emancipa- 
tion von den Formen der Arie, des Duetts, des Terzetts, des Quar- 
tetts u. s. w., das Vorherrschen des Recitativ-Gesanges, aber dess- 
halb, weil sie in jenen Formen die Grundformen der Oper erken- 
nen, weil sie die durch sie geschaffene Mannichfaltigkeit und Ab- 
wechselung für wesentlich halten, weil sie in den Einschnitten zwi- 
schen den einzelnen Nummern dem Ohre des Hörers nothwendige 
Ruhepunkte erblicken und die Monotonie des Recitativ-Gesanges selbst 
durch die üppigste und brillanteste Instrumentation zu verdecken für 
unmöglich halten. Im Tannhäuser speziell verurtheilen sie die zahl- 
reichen Abweichungen von den harmonischen Gesetzen , welche sich 
Wagner erlaubt, die Härten, weiche hierdurch verursacht werden, die 
überhäufte Anwendung der Septimen-Akkorde , durch welche das 
Ohr stets gespannt, stets in Unruhe gehalten wird, ohne durch einen 
Schluss erlöst zu werden. Ausserdem vermissen sie im Ganzen 
schöne, edle und charakteristische Motive. Sie erklären die meisten 
für eine Frucht kalter Berechnung, nicht für unwillkürliche Schöpfun- 
gen des Genius , die übrigen finden sie gewöhnlich und ohne Wertb. 

Diese Gegner — und sie sind sehr zahlreich — verurtheilen und 
verwerfen, wie wir sehen, nicht nach blos sinnlichen Antrieben, wie 
die grosse Masse, sondern sie stehen, wenn wir so sagen dürfen, 
theils auf dem Boden des historischen Rechts — so weit der Streit 
dem äusseren Zuschnitt der Oper gilt — , theils auf der unerschüt- 
terlichen Basis der Grundgesetze der Harmonie , wie sie bis jetzt 
anerkannt wurden. Aber auch sie würdigen die Wagner'schen Werke 
und sein ganzes Bestreben einseitig, sie sehen nur mit dem Auge des 
Musikers und vergessen, dass in der Oper die Dichtung mit der Musik, 
wenn nicht gleiche Rechte, doch Rechte besitzt, die von der anderen 
Seite respektirt werden müssen. 

Fehlen sie hierin, so wird von der dritten Classe, den unbeding- 
ten Bewunderern der Wagner'schen Schöpfungen, diese Einseitigkeit 
durch noch grössere Einseitigkeit vollkommen wett gemacht. Wir 
dürfen diese Partei wohl die „literarische" nennen, wenn auch manche 
Musiker zu ihnen zählen. Sie schwärmt für eine radicale Reform 
der heutigen Oper vom dramatischen Standpunkt aus, d. h. sie er- 
klärt das Buch, den Text, die Handlung für das Wesentliche, die 
Musik für das Secundäre, das Helfende, das Untergeordnete; nach 
ihnen ist die Musik nur da, um die Dichtung zu begleiten, den durch 
diese ausgesprochenen Empfindungen und Gefühlen stärkeren Ausdruck 
zu verleihen, imUebrigen sich zu bescheiden. Trotz dieser verschie- 
denen Stellung der beiden Künste zu einander, in welcher die Musik, 
bisher das herrschende Element in der Oper, plötzlich zum dienen- 



— 14 — 



den herabgedrückt werden soll, träumen sie von einer Vermählung 
beider zu einem „zukünftigen" Kunstwerk, dem musikalischen Drama, 
von einer Auflösung beider Gegensätze in einer höheren Einheit. 

Diese Partei , durch Wagner's unläugbar bedeutende Schö- 
pfungen, durch seine geistvollen Schriften eigentlich bezaubert, 
durch ihn erst gebildet, behauptet ebenso hartnäckig den gewönne* 
nen „dramatischen" Standpunkt, wie die Musiker den ihrigen, 
und lässt sich eben so wenig zu Concessionen herab, wie diese. 
Den theoretischen Streit über die Berechtigung der beiden Fac- 
toren in der Oper entscheidet sie durch Argumente, die sich 
nicht leicht widerlegen lassen, zu ihren Gunsten, die Frage über die 
musikalischen Formen folgt von selbst dieser Entscheidung, denn 
ist der Text, ist die Handlung, mit anderen Worten das Drama die 
Hauptsache, wozu dann lange Arien, Duette, Terzette u. s. w., die 
das Verständniss des Textes erschweren ? Die Einwürfe der Musiker, 
die Unregelmässigkeiten in der Wagner'schen Harmonieführung etc. 
betreffend, weisen sie mit dem Namen Beethoven zurück , dem noch 
ganz andere Titel von den Musikern seiner Zeit gegeben worden seien, 
und so bleibt eben jeder Theil bei seiner Ansicht, ohne dass das 
Verständniss der Wagwers'chen Opern gefördert wäre. 

Und doch liegt für den Unbefangenen die Wahrheit offen da, ja 
sie tritt grade aus dem schroffen Gegensatz dieser Meinungen um so 
deutlicher hervor 1 Von ihrem Standpunkt aus hat jede Partei Recht, 
aber eben das Einnehmen dieses Standpunktes bei einem so prineip- 
losen heterogenen Dinge, wie unsere Oper es ist, wird zum Unrecht. 
Nicht als ob wir die so beliebte Juste-milieu-Stellung einnehmen 
wollten, wir hassen diese „rechte Mitte", die zu feig ist, die Conse- 
quenzen eines Satzes anzuerkennen; aber bei einem Dinge, welches 
schon bei seinem Ursprung ein Bastard war, erzeugt aus Hellenismus 
und Neu-Romanismus, einem Dinge, weder Fisch noch Fleisch, welches 
noch dazu im Laufe der Jahrhunderte und mit der Entwickelung der 
Tonkunst eine Menge anderer Elemente in sich aufnehmen musste, 
wird jedes Aufstellen eines Princips und eines principiellcn Stand- 
punktes zur Verurtheilung seiner Existenz. Von der Oper gilt das- 
selbe, was der Jesuiten-General Aquaviva auf einen Antrag, be- 
treffend die Reform des Ordens , antwortete : „ Sint ut sint aut not 
sint": Sie bleiben wie sie sind, oder sind nicht mehr! Wer die Oper 
reformiren will und zwar principiell, der wird unwillkürlich dazu ge- 
trieben, sie ganz zu verneinen. Will er das nicht, so muss er sie 
so lassen , wie sie ist , und es dem Zufall anheimgeben , ob einzelne 
begabte Geister, wie ein Mozart, Weber, Cherubini, die Schätze ihres 
Innern in die alten Schläuche füllen und sie dadurch wieder auf ei- 
nige Zeit auffrischen. Rieh. Wagner hat dies schon selbst erfahren. 
Von dem Versuche einer Opernreform, wie sie sein Tannhäuser auf- 
weist, ist er zum /vollständigen Aufgeben der Opernform und zum 
Versuch eines „musikalischen Drama's" getrieben worden, wobei fol- 
gerichtig der Musik immer weniger Antheil an dem eigentlichen We- 
sen der poetischen Schöpfungen zugestanden wird. Sein Lohengrin 
ist die Uebergangsstufe und die angekündigte Trilogie über den My- 
thus von Siegfried wird auch denen, die aus Wagner's „Wort an 
meine Freunde" diese innere Nothwendigkeit seiner Entwickelung und 
des endlichen Resultates seiner geistigen und künstlerischen Wehen 
noch nicht erkannt haben, beweisen, dass auf diesem Wege nur das 
reine Drama übrig bleibt; bei einer so seltenen Doppelnatur wie 
Wagner — vielleicht in einer Verbindung mit der Musik in der Weise 
der Melodramen zur Verstärkung einzelner Momente, in denen Mas- 
sen-Wirkungen erreicht werden sollten, aber sonst ohne Bedeutung 
für die Musikfreunde und die Tonkunst überhaupt. 

Wie konnte aber ein Musiker, wie konnte Wagner sich von der 
Musik nach und nach so vollständig losreissen ? Dies erklärt sich ganz 
natürlich daraus, dass er zuerst Dichter und nur in zweiter Linie 
Musiker ist. Dieses Doppelverhältniss, welches alle seine Schö- 
pfungen charakterisirt, hat ihn in seine Bahn geworfen und muss bei 
der Beurtheilung Wagner's und seines Tannhäuser's besonders ins 
Auge gefasst werden. Nur so kann er richtig gewürdigt, nur so ver- 
standen werden. 

Der Tannhäuser ist eine herrliche poetische Conception, die sich zu 
anderen Operntexten wie ein Diamant zu einem Kiesel verhält. Wie ent- 
stand er? Wagner hatte den italienischen Opernklingklang, den oft wi- 
derlichen, meist abgeschmackten Inhalt von Formen, die nur das Herkom- 
men, kein vernünftiger Grund geheiligt hatte, und Anderes, was nicht viel 
besser war, durch Studium und amtliche Thätigkeit kennen gelernt. 



sein poetisches Gefühl empörte sich dagegen, er wollte diesem Bes- 
seres, Edleres, Reineres entgegensetzen. Als Musiker war er erzo- 
gen und ausgebildet worden. Der musikalische Mensch in ihm über- 
nahm also die Ausführung eines Gedankens, der von dem dichterischen 
gefasst worden war. Er eutschloss sich Opern zu schreiben, aber Opern, 
zu denen er einen seinem Ideal von dem poetischen Inhalt derselben 
gemässen Text, in Ermangelung passender, selbst dichtete. So ent- 
stand der fliegende Holländer, so Tannhäuser, so Lohengrin. Bei jeder 
neuen Schöpfung aber trat der Zwiespalt deutlicher hervor zwischen 
dem Dichter, der sich aus Rücksicht für den executiven Menschen, 
den Musiker, auf eine bestimmte Sphäre beschränkt sah, und dein Mu- 
siker, der Conccptionen , die ursprünglich der ethischen Entrüstung 
ihren Ursprung verdankten, nach musikalischen Regeln ausführen 
sollte. Mit jedem neuen Versuch sah der Musiker ein, dass er sich 
einen Schritt weifer von den gebahnten musikalischen Wegen, dem 
gewohnten Gleise, entfernen müsse, um dem Dichter, der in ihm schon 
die Oberhand gewonnen , gerecht zu werden ; mit jedem neuen Ver- 
such aber sah sich auch der Dichter genöthigt, in der Wahl und Be- 
handlung seiner Stoffe wählerisch zu werden, um dem Musiker nicht 
Unausführbares zuzumuthen. Dichter und Musiker arbeiteten fürein- 
ander, was sonst so selten der Fall ist, nur dass sieh hier der Mu- 
siker vor dem Dichter beugte , während bisher da , wo einmal ein 
ähnliches Verhältniss stattfand, das Gegentheil der Fall war. Die For- 
derung Wagners, die Musik müsse der Dichtung dienen, ist nichts anders, 
als das Verhältniss der beiden Funktionen , wie es sich in ihm selbst 
gestaltete, zum kategorischen Imperativ für die Oper selbst erhoben! 
So kam Wagner, der Musiker, aus Rücksicht für Wagner, den Dich- 
ter, zur Verwerfung der bisherigen Musik-Formen in der Oper, zum 
Recitativ als vorherrschende Gesangform, so zu seinen grellen Ueber- 
gängen und sonstigen Härten; aber so kam auch Wagner, der Dich- 
ter, aus Rücksicht für Wagner, den Musiker, von dem er sich nicht 
trennen konnte, zur Mythe, als dem einzig möglichen Stoffe für das 
„musikalische Drama". 

Wäre es Wagner möglich, den Musiker ganz abzuschütteln, so 
könnte er, dies ist unsere feste Ueberzeugung, der erste dramatische 
Dichter der Gegenwart werden ; leider hindert ihn das Verhängniss, 
welches ihn dem Anschein nach so reich begabte, daran, wie es auf 
der andern Seite die ungestörte Entwickelung seiner musikalischen 
Fähigkeiten unmöglich machte. 

Im „ Tannhäuser " erkennt man recht klar, wie das von 
uns angedeutete Verhältniss Wagner's schönste Kräfte nieder- 
drückt, sie auf keiner Seite zur Entfaltung kommen lässt. — 
Was darin schön, ergreifend, spannend ist, gehört dem Dichter. 
Wo sich der Musiker geltend macht, geschieht dies entweder in reinen 
Instrumentalsätzen, so in der Ouvertüre, so in einigen unabhängigen 
Orchestersätzen , oder gar auf Kosten des „musikalischen Drama's, 
wie es dem theoretischen Geiste vorschwebt, so in einigen ausdrucks- 
vollen und leidenschaftlichen Phrasen der Venus , so selbst in dem 
herrlichen Lied an den Abendstern. Im Ganzen muss Wagner arm 
an Melodien, selbst arm an schönen charakteristischen Motiven ge- 
nannt werden. Es quillt nicht in ihm empor, darin haben seine mu- 
sikalischen Gegner vollkommen Recht. Dass trotzdem manche seiner 
Instrumental-Compositionen einen grossarligcn , gewaltigen Eindruck 
machen, beweist, dass er ein bedeutendes musikalisches Talent ist, 
aber ein Talent, welches geschickter zur thematischen Bearbeitung 
einzelner Motife, als zur Schilderung dramatischen Lebens, ein Ta- 
lent also, welches die reine Instrumental-Musik eultiviren müsste, 
nicht aber die dramatische Musik. 

So werden die schönen Kräfte Wagner's durch einander selbst 
paralisirt, indem sie einander in verkehrte Bahnen ziehen. Was eine 
herrliche Gabe zu sein scheint, sein Doppeltalent, ist in Wahrheit 
ein Unglück für ihn ! 

Es bleibt nun noch übrig, unser Urtheil über Tannhäuser, wie 
er vorliegt , zu geben. Es lautet einfach : Die Oper entbehrt des 
melodischen Reizes, der so vielen als das Höchste gilt; dafür besitzt 
sie etwas , was den meisten , wenn nicht allen Opern abgeht : eine 
wahrhaft poetische Grundlage, eine dramatische Entwickelung, welche 
durch ihre ergreifende Wahrheit den Mangel an Melodie vergessen 
macht, und vor Allem ein geistiges Element, weiches das Herz des 
Zuschauers erhebt und veredelt. 

Dies stellt Tannhäuser trotz seiner Mängel in musikalischer Be- 
ziehung höher, als viele andere Produkte. Dies ist aber auch die 



- 15 - 



Ursache, wesshaib er die Gunst des Opern-Publikums, welches jede 
geistige Erregung meidet, nie gewinnen wird. 

Die Aufführung selbst war im Ganzen befriedigend. Wolfram 
v. Eschenbach wurde durch unsern Beck, Elisabeth durch Frau An- 
schütz trefflich vertreten. Hr. Caspary als Tannhäuser besitzt leider 
weder ausreichende Stimmmittel noch Darstellungsgabe. Dies war 
wohl ein Hauptgrund von dem geringen Eindruck , den die Oper auf 
Viele gemacht hat. Frau Behrends- Brand als Venus wusste ihre 
Partie ebenfalls nicht zur Geltung zu bringen. J. E. 



<'1h> 



CORRESPONDENZEN. 



AUS WIEN. 

(Ende Dezember.) 

Indem ich den Faden an meinen letaten Bericht anknüpfe, be- 
ginne ich mit einer kurzen Schilderung der jüngsten Novität auf un- 
serer Opernbühne, welche die Erwartungen lange schon vor ihrer 
Aufführung auf's Höchste gespannt hatte. Es ist dies Flottow's neue 
Oper „Indra". Es erscheint als eine Eigenthümlichkeit der Werke 
dieses fruchtbaren Componisten, dass sie bei einer kritischen Analyse 
mehr verlieren als gewinnen. Es ist dies wohl bei allen musikali- 
schen Erscheinungen der Fall, welche mehr dem modernen Gesehmacke, 
als der klassischen Richtung huldigen; allein bei Flottow's Opern 
ist dies doch immerhin weniger vorauszusehen, als sie mit den neu 
italienischen Opernprodukten nicht auf den untergeordneten Stand- 
punkt gestellt werden können, um so weniger, als Flottow ein geist- 
reicher Gomponist , seine Werke auch in künstlerischer Beziehung 
reich auszustatten vermag. Seine Instrumentation zeigt von einem 
tieferen Kunststudium, sie ist elegant, geschmackvoll, charakteristisch 
und geistvoll, die Melodien sind originell, leicht fliessend, ungesucht 
und sehr ansprechend ; die musikalische Charakterzeichnung aber ist 
richtig überdacht , zeigt von innigem Verständnisse, mit stetem Hin- 
blick auf dramatische Wirksamkeit, und bei alledem, trotz aller die- 
ser Vorzüge, welche seine Opern so hoch erheben über die Dutzend- 
Arbeiten der transalpinischen Modecomponisten, halten sie doch keine 
strenge Kunstkritik aus, weil sie eben, wenn auch mit Geschick und 
Talent — gemacht sind. Sie sind nicht der reine Ausfluss des 
schöpferischen Talentes. Sie suchen wie kokette Weiber zu ge- 
fallen, was ihnen auch leicht gelingt: aber sie hinterlassen auch 
wie diese keinen tieferen, nachhaltigeren Eindruck. Es soll hier 
durchaus keine kritische Zergliederung dieses neuen Opern-Opus 
Flottow's stattfinden, sondern mehr von dem Eindruck, den es auf 
den Hörer hervorbringt, und von der Wirkung auf's allgemeine Pu- 
blikum überhaupt die Rede sein. 

Im Vergleiche mit Flottow's früheren Opern steht diese „Indra"' 
in Bezug auf Originalität und Neuheit der Erfindung weit zurück. 
Flottow hat von seinen früheren Werken für dieses jüngste Kind ge- 
borgt. Auch selbst in Bezug auf Instrumentalion ist er in dieser 
Oper mehr dem Beispiele der modernen Italiener gefolgt, wenn auch 
nicht geleugnet werden kann, dass sie oft sehr pikant und wirksam 
sich erwies. Wie in allen seinen Opern, so auch in dieser zeigt 
Flottow, wie sehr er die Wirkungen kennt und sie zu benutzen ver- 
steht. Der Erfolg konnte daher kein Anderer, als ein sehr günstiger 
sein. Die erste Aufführung war von rauschendem Beifall gekrönt 
und das Publikum ging ganz entzückt nach Hause; bei den weiteren 
Wiederholungen dieser Oper löste sich wohl dieses Entzücken in eine 
sehr bedingte Anerkennung auf; allein dessenungeachtet hatte seine 
„Indra" durchgegriffen und wird sich noch längere Zeit wirksam auf 
dem Opern-Repertoir erhalten. Unter den Darstellern gefiel am Mei- 
sten FF. Ney, Wildauer und Hr. Erl, auch Hr. Ander, weniger Hr. 
Staudigl, wie überhaupt dieser Sänger in der letzteren Zeit alle Sym- 
pathien im Publikum zu verlieren scheint, 

(Schluss folgt.) 



*»oa— 



AUS LONDON. 

(Ende Dezember.) 

Die Herbstsaison in London fasst eigentlich nichts in sich, ftJs 
Jullien's Goncerte. Ausser diesen kommt höchst selten etwas zum 
Vorschein, was die allgemeine Aufmerksamkeit auch nur einen Au- 
genblick fesseln könnte. Man kann mit Recht sagen, dass Jullien 
der Anfang und das Ende dieser Saison ist. Er versteht es, die nach 
der Hauptsaison etwas stark erschöpften Gliedmassen der Londoner 
Bourgeoisie wieder in Schwung zu bringen; er lässt ihnen so lange 
Tänze vorspielen, bis der alte Gaul am Ende von selbst seine Sprung» 
macht und der Schlussball, der bekannte bal masque, als eine Noth- 
wendigkeit erscheint. Kaum ist aber dieser Ball vorüber, so ist 
auch die eigentliche Herbstsaison zu Ende. London wird wieder 
dull, die Musiker machen lange Gesichter, sie können weder auf Jul- 
lien schimpfen, noch sein Geld einstecken, und Alles geht wieder sei» 
nen gewohnten Gang, d. h. Alles präparirt sich, einen neuen Angriff 
auf die Gesellschaft und deren Gaben zu machen. Dass Jullien diess-, 
mal glücklicher denn je gewesen ist, versteht sich von selbst. Er 
brachte besondere Hülfsmittel in Anwendung, die nie ihre Wirkung 
verfehlen : „Zum letzten Male in London vor der Abreise nach Ame- 
rika" — so etwas zieht überall, und es hat dermassen gezogen, dass 
in den letzten vierzehn Tagen kein Billet mehr zu haben war und 
dass man vergebens das Doppelte bot'. Neues brachte er in diesen 
„Abschicdsconcerten" nicht, man müsste denn seinen Pietro el Grande 
und die Zerr dazu rechnen. Was die wiederholte Vorführung der 
Oper anbetrifft, so wollte Jullien wahrscheinlich damit beweisen, 
dass auch gescheidte Leute dumme Streiche machen können, und was 
die Zerr angeht, so wollte sie es wohl noch deutlicher als in Co» 
ventgarden machen, dass Jullien mit ihr einzig und allein eine „Kö- 
nigin der Nacht" gewonnen hat. — Heute reiste die ganze ehren» 
werthe Gesellschaft in die Provinz, und im nächsten August geht es 
nach Amerika, dem eigentlichen Felde Jullienscher Thätigkeit. Zwar 
sind Einige der Ansicht, dass diese intendirte Reise nichts weiter ab 
Humbug sei , aber diese Herren vergesseu, dass einem musikalischen 
industriellen Talente, und Jullien 'ist ein solches, als letzter Zu- 
fluchtsort nichts*anders übrig bleibt, als Amerika. Es wäre zu wün- 
schen , dass dies die Hunderte und Tausende einsehen , welche sich. 
auf dem musikalischen Markte Europa's herumtummeln und in den 
meisten Fällen vergebens ihre Waare feil bieten. Vielleicht würde 
dann eine Auswanderung erfolgen, welche die beiden Hauptfaktoren 
in den Produktionen des Jahrhunderts, Kunst und Industrie, auch in 
musikalischer Hinsicht einmal zu einer strengeren Unterscheidung 
brächte. 

Bis zum ersten philharmonischen Concerte, welches im Februar 
erfolgt, kann von einer offiziellen musikalischen Thätigkeit nicht 
die Rede sein. Das Publikum ist auf einzelne nichtssagende Concerte 
und die Theater beschränkt, die um diese Zeit am treuesten den 
Standpunkt vergegenwärtigen, den das englische Theater im Allge- 
meinen einnimmt In den Pantomimen, die für einige Wochen gege- 
ben werden, sind Bildungsgrad und Lieblingsneigungen dos Zuschauers 
ausgesprochen. Die Hanswurstiade hat noch immer den grösseren 
Theil des Publikums für sich. Von allen Aeusserungen geistiger Thä- 
tigkeit, welche sich die Engländer zu Schulden kommen lassen, ist 
die dramatische unbedingt die schwächste, sie haben weder Stücke 
noch Schauspieler und zehren entweder von vergangenem Ruhme oder 
von fremden, meistens französischen Erzeugnissen. Es zeigt sien 
auch hierin der Mangel schöpferischer Kräfte, den wir sogar auf dem 
Gebiete wiederfinden, das die Engländer so vortrefflich ausgebeutet 
haben, auf dem Gebiete des Mechanischen. Erfunden haben die Eng- 
länder sehr wenig; Erfindungen zu benutzen und zu vervollkomm- 
nen, verstehen sie allerdings meisterhaft. Dieser Mangel an schöp- 
ferischer Kraft bringt es übrigens auch mit sich, dass sie kein Ver- 
ständniss z. B. für das haben, was augenblicklich in Deutsch iand anf 
dem musikalischen Kunstgebiete vorgeht, dass sie durchaus nicht 
wissen, um was es sich handelt. Der Artikel des Herrn Choclay im 
Alhenaeum, den die Musical World abgedruckt hat, beweist dies zur 
Genüge. Wir gehören gewiss nicht zu denen, welche in den soge- 
nannten neuen Kunstbestrebungen weder etwas wesentlich Neues fin- 
den, noch die Bedeutung derselben mit den Augen jugendlicher Schwär- 
merei ansehen; aber den Fortschritt, das Bessere, das in diesen Be- 
strebungen liegt, sind wir gezwungen, gegen die Angriffe des Unver- 



— 18 — 



Standes in Schatz zu nehmen , und wäre es auch nur, um uns nicht 
selbst das Zeugniss geistiger Armuth auszustellen. Fr. C. 



<iO O O« 



AUS PARIS. 

(Dezember.) 

(Schluss), 

Unter dem Namen „Symphonische Gesellschaft <f hat sich ein 
Iraner Künstler-Verein gebildet zur Ausführung grosser Orchester- 
werke. Der Begründer, Hr. Farrence, ist ein musikkundiger Mann, 
der auf kunstwissenschaftlichem Gebiete in mehr als einer Weise sei- 
nen Eifer bethätigt hat. Ihm verdankt man viele Ausgaben gediege- 
ner Werke, die er früher als Musikverleger aus Liebe zur Kunst mit 
besonderer Sorgfalt ausstattete, unter Andern eine Prachtausgabe von 
Beethoven's sämmtlichen Ciavier- Composhionen. An antiquarischen 
Kenntnissen dürfte so leicht ihn hier Keiner überbieten und diesen 
verdankt er eine nicht unbedeutende Sammlung seltener Werke und 
werthvolle Manuscripte berühmter Meister. Seine Gattin , welche 
«ine Professur am hiesigen Conservatorium bekleidet und zu den 
besten Clavierlehrerinncn gehört, nimmt im Vortrage alter klassischer 
Tonwerke eine bedeutende Höhe ein. Als Gomponistin aber steht sie 
einzig da und ohne Rivalin in der musikalischen Welt. Von ihr 
rührt die schöne Symphonie her, die vor einigen Jahren die seltene 
Ehre genoss, im hiesigen Conservatoire, dann im Brüsseler aufgeführt 
xn werden, und hier wie dort so allgemeiner Anerkennung sich zu 
erfreuen hatte. Das Repertorium ihrer Compositionen, namentlich im 
Fache der Kammermusik, ist bedeutend und alles darin zeichnet sich 
aus durch Maas und Haltung, Gediegenheit und Giassicität. Ihre 
Tochter und Schülerin macht der Mutter alle Ehre. Ueberhaupt weht 
m diesem Hause ein guter Genius, und es dürften schwerlich in 
Deutschland Bach und Händel in höherer Achtung stehen und rich- 
tigere Auffassung finden, als es in dieser für echte Kunst glühende 
Familie der Fall. 

Ob Herr Farrence mit seiner neuen Gesellschaft durchdringt, 
und nicht endlich vor den unendlichen Schwierigkeiten und Kümmer- 
nissen, die hier mit einem solchen Unternehmen verknüpft sind, den 
Mflth wird sinken lassen, ist eine andere Frage. Sein Orchester 
nesteht aus 50 geachteten Künstlern aus den verschiedenen Theatern 
und hat den ausgezeichneten Bratschisten, Hrn. Mas, zum Direktor, 
derselbe, der im trefflichen Beethoven-Quartettverein mitwirkt. Ob 
er neben seiner anerkannten Tüchtigkeit die zum Dirigircn unerläss- 
liehen Eigenschaften besitzt, wird sich zeigen. 

Das erste Concert der Gesellschaft hat am 20 Dezember im Herz- 
achen Saale stattgefunden, mit Haydn's B-dur-§»infonie eröffnet und 
Cherubini's Ouvertüre zum „Wasserträger" geschlossen. Eine junge 
Sängerin, Fl. Dietsch, sang Stradella's Aria di chiesa und eine Arie 
aus Halevy's Rosensee, erstere ohne die geringste Befähigung und 
ohne eine Ahnung von dem Style , in welchem diese in ihrer Ein- 
fachheit grandiose Arie gesungen werden muss. Frl. Bockkoltz- 
Falconi ist hier vielleicht die einzige, die so etwas zu singen ver- 
steht. Eine concertirende Symphonie für zwei Violinen von A 1 a r d 
für zwei seiner Schüler, Namens L a n c i e n und V i a u 1 1 geschrie- 
ben, die damit bei der letzten Prüfung im Conservatoire den Preis 
{gewannen, fand durch ausgezeichneten Vortrag und schönes Zusammen- 
spiel gerechte Anerkennung. Die Perle des Concerts aber war Wil- 
helmine C 1 a u s s , die Mendelssohns G-moll-Concert mit einer geisti- 
gen Reife und technischen Vollendung vortrug, die noch weitläuftig 
zu besprechen höchst überflüssig sein würde. Wilhelmine Clauss ist 
eine hochbegabte Natur, eine grosse Künstlerin und alles in ihrem 
meisterhaften Vortrag Poesie. 



NACHRICHTEN. 



Das Denkmal Lortzing's ist beendet. Der Fonds aber zur Auf- 
stellung desselben auf dem Sophienkirchhofe mangelt noch. 

Den 6. Jan. fand die erste Festliedertafel der von Tsuhn gegrün- 
deten Berliner Liedertafel statt. 

In der königl. Oper werden vorbereitet: „Indra" von Flotow 
„Feensee" von Auber und „Tannhäuser" von R. Wagner. 



Wien. Die Sängerin Frau von Strantz, welche bedeutend er- 
krankt war, befindet sich auf dem Wege der Besserung. 



Leipzig. Die „Lustigen Weiber von Windsor" von Nicolai 
wurden hier am Weihnachtsfeste zum ersten Male gegeben und fanden 
eine sehr günstige Aufnahme. 



München. Eine von der königl. Hoftheater-Intendanz zum 
Schlüsse des abgelaufenen Jahres veröffentlichte Uebersicht über 
die auf der k. Hofbühne vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1852 
gegebenen Vorstellungen gibt ein günstiges Zeugniss von den Lei- 
stungen dieser Kunstanstalt unter der strebsamen und umsichtigen 
Leitung des gegenwärtigen Intendanten. Es kamen nämlich zur 
Aufführung: 154 Schauspiele und Possen, 123 Opern und Singspiele, 
und 26 Ballete. Darunter befinden sich als Novitäten: 9 Lustspiele, 
1 Posse, 2 Schauspiele, 3 Trauerspiele, 2 Ballete, 4 Opern. Musi- 
kalische Neuigkeiten waren überdies die Musik zu „Turandot" von 
Vincenz Lachner und zu „König Oedipus" von Franz Lachner- 
Neu einstudirt wurden 17 Vorstellungen im Schauspiel und Opern- 
fache gegeben. Unter den 123 Opernvorstellungen befinden sich 27 
von klassischen Componisten, dagegen nur 15 aus der neuen italie* 
nischen Schule, die übrigen von französischen und deutschen Meistern. 

Man sieht hieraus, dass unsere Bühne sowohl in Reichhaltigkeit 
des Repertoirs als auch in gediegener Auswahl sich mit jeder Bühne 
Deutschlands messen kann. Was das Künstlerpersonal für Oper und 
Schauspiel betrifft, so kann zwar nicht geläugnet werden, dass neben 
ausgezeichneten Kräften auch immer noch einige Lücken bestehen. 
Doch ist dies gewiss nicht an unserer Bühne allein der Fall und es 
last sich überdies von dem Eifer der Intendanz für allseitige Hebung 
der Anstalt mit Zuversicht erwarten, dass zur Ausfüllung dieser 
Lücken durch Engagement tüchtiger Künstler keine sich darbietende 
Gelegenheit versäumt werden wird. 



Posen. Das hiesige Stadttheatcr ist dem Theater-Direktor 
"Wallner, jetzt in Freiburg, auf 5 Jahre überlassen worden. 



Paris. Neben Marco Spada, der neuen Oper von Auber, macht 
sich Tabarin von G. Bousquet im Theatre lyrique bemerklich. 

In der Grossen Oper hat ein neues Ballet „Orfa" mit Musik von 
Adam gefallen. Ambr. Thomas hat eine Opera buffa vollendet. 



London. Die Sacred harmonic society führte am 23. Decmbr. 
in Exeter Hall Mendelssohn's „Elias" auf. Orchester und Chor be- 
standen aus 800 Personen. Eine andere Gesellschaft, Cecilian Society, 
gab den Messias. Ueberhaupt scheint das Oratorium hier mehr cul- 
tivirt zu werden, als irgendwo. Unter anderen neuen Werken dieser 
Gattung wird „Joseph" von C. C. Horsley rühmlich erwähnt. 

Zum 31. Januar hat Mad. Pleyel ein Conzert angekündigt, mit 
Unterstützung von Sainton und Franklai. 



Amsterdam. Im Saale der ehemaligen deutschen Oper spielt 
die Stollwerk'sche Vaudeville-Gesellschaft aus Köln unter dem gröss- 
ten Beifall. Auf allgemeines Verlangen erhöhte sie die Zahl ihrer 
Vorstellungen von 6 auf 9. Von mehreren anderen Städten sind der- 
selben Einladungen zugegangen« 



Berlin. C. Formes hat als zweite Gastrolle Bertram in Roher! 
4er Teufel gesungen. 



Verantwortlicher Redakteur: J. 1, SCHOTT. - »raek wn ROTER* WALUU in Mainz. 



2. Jahrang. 



Mr. 5. 



31. Januar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitnng erscheint jeden 

MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACT10?i HD VERLAG 

von 

SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

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PREIS: 

fl. 3. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 

far den Jahrgang. 

Durch die Post bezogen: 

50 kr. «der 15 Sgr. per gnartal. 



* Inhalt S Die komische Oper in Frankreich I, — Die musik. Zustände in der bayr. Rheinpfalz/ — Corresp. (Wien, München n. Pesth). — Nachrichten, 



DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH. 



I. 

Während in Deutschland die „ romantische " Oper fast aus- 
schliesslich eultivirt wird, bearbeiten die Franzosen das Feld der 
„komischen" mit einem Eifer, der nur in der innigen Verwandtschaft 
des französischen Wesens mit dem Wesen der komischen Oper eine 
genügende Erklärung finden kann. Und in der That tritt diese Ver- 
wandtschaft überall so deutlich hervor, dass man fast glauben könnte, 
die Vernachlässigung der komischen Oper bei uns habe ihren Grund 
auch in gewissen nationalen Eigenschaften, wenn darunter auch nichts 
Anderes verstanden werden sollte, als ein Mangel an dem leichten 
Sinne, welcher über tiefes inneres Weh lachend hinweggeht und sorg- 
los und heiter auf Gräbern tanzt. — Dass wir nicht immer unfähig 
gewesen sind, komische Opern zu schaffen, beweisen die trefflichen 
Werke von Wenzel Müller, Schenck, Dittcrsdorf und in neuerer Zeit 
von Lortzing. Dass wir heute in dieser Beziehung weit hinter den 
Franzosen zurückstehen, beweist jeder Versuch eines deutschen Com- 
ponisten, eine komische Oper zu schreiben. Sehen wir diese Ver- 
suche genauer an und vergleichen wir sie sowohl mit älteren deut- 
schen als mit den besseren französischen Werken dieser Gattung, so 
stossen wir freilich auf zwei Hauptmängel, die das gänzliche Miss- 
lingen solcher Versuche erklärlich machen, auch ohne dass wir zu 
jener allgemeinen Behauptung, unsere Zeit sei dem Entstehen komi- 
scher Werke nicht günstig, unsere Zuflucht nehmen. Einmal fehlt 
den Componisten die komische Ader, welche jeder Phrase, jedem Mo- 
tif ein lachendes Aussehen zu geben weiss ; zweitens aber scheint 
die richtige Vorstellung von dem Wesen der komischen Oper, ja des 
Komischen überhaupt unter uns verloren gegangen zu sein, und un- 
sere Textdichter entwerfen Texte, die auch den grössten Humoristen 
unter den Musikern zu einem Melanoholikus umstimmen müssen. Der 
Componist ist kein Hexenmeister, der weinerliche Phrasen, langwei- 
lige oder (was meistens einerlei ist) sentimentale Situationen durch 
die Macht der Töne zu zwerchfellerschütternden Partieen umschaffen 
könnte ; er bedarf der Anregung und der Unterstützung, um sein Ta- 
lent nach einer bestimmten Richtung hin entfalten zu können, und 
diese Anregung, diese Unterstützuug kann bei der komischen Oper 
in nichts Anderem bestehen, als in einer wahrhaft komischen textli- 
chen Unterlage, d. h. einer Unterlage, deren Grandgedanke ein komi- 
scher ist und deren einzelne Partieen und Situationen komisch gehal- 
ten und ausgeführt sind. Was finden wir statt dessen bei allen 
neueren sogenannten komischen Opern? Triviale Stoffe, die meistens 
eben so weit von einer komischen Verwickelung, wie von jedem an- 
deren Interesse entfernt sind, eine handwerksmässige Verarbeitung 
dieser Stoffe nach dem musikalischen Bedürfnisse in Arien, Duette, 
Terzette, Chöre, Finales etc. ohne Geist und ohne Poesie, willkür- 
liche Erfindung oder Benatzung einer Nebenperson, die den Possen- 
reisser spielen und als solcher das komische Element darstellen muss, 
durch welches die ganze Oper dem Titel „komisch" zu Ehren gleich-' 
aam durchsäuert werden soll, und noch dazu in den meisten Fällen" 



eine Sprache, die so witzarm und unhumoristisch ist, dass man 
weniger über die Komik im Stück, als über die Einbildung des Ver- 
fassers lachen muss, der dergleichen für komisch hält. Solche Texte, 
wie die hier geschilderten, und man wird uns zugestehen, dass diese 
Schilderung nicht übertrieben ist, zu componiren, ihnen einen be- 
stimmten Charakter, einen bestimmten Ausdruck zu geben, mag aller* 
dings eine Tantalusarbeit sein, und wir dürfen es den Componisten 
nicht zu hoch anrechnen, wenn sie daran scheitern ; aber desswegen 
ist nicht weniger wahr, dass wir keine komische Oper haben und 
dass wir, wenn wir das Bedürfniss nach einer solchen fühlen; hei 
den Franzosen eine Anleihe machen müssen. Bei ihnen ist die ko- 
mische Oper Nationaloper. Ihre besten musikalischen Kräfte widmen 
sich derselben. Natürlich ! Jedes Werk , welches reussirt, macht 
die Runde durch Frankreich; sie werden dadurch in den Stand ge- 
setzt , den Componisten Honorare zu zahlen, die bei uns ins Reich 
der Fabel gehören. Diese ""brauchen wieder nicht zu gewöhnlichen 
Lohnarbeitern ihre Zuflucht zu nehmen, um ein Buch zu bekommen, 
sondern können sich an Männer wenden, welche mit Geist und poe- 
tischer Begabung genaue Kenntniss der Bühne und, was gar nicht 
gering anzuschlagen, Routine verbinden, und die Folge davon ist, 
dass die poetischen Talente, anstatt wie bei uns mit verächtlichem 
Blicke auf die Operntext- Verfertiger herabzusehen, sich dort dazu 
drängen, in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Bis ein ähnliches 
Verhältniss in Deutschland eintreten könnte, müsste erst eine Natio- 
naloper geschaffen werden , und diese setzt ihrerseits wieder eino 
Nation voraus ! Verlassen wir diesen traurigen Zirkel, aus dem kein 
Ausweg zu erblicken ist, und kehren wir zu der französischen komi- 
schen Oper zurück, deren bedeutendste Erscheinungen in den letzten 
Monaten wir unsern Lesern hier kurz vorführen wollen. Wir stos- 
sen hier sogleich auf zwei auch bei uns längst bekannte und ge- 
schätzte Namen: Adam und Auber, heute die Altmeister der komi- 
schen Oper in Frankreich; ihnen schliesst sich ein noch junger fas 
unbekannter Componist Namens Reber an, welcher mit seinem „Pere 
Gaillard ein würdiger Concurrent ihres Ruhmes geworden ist. Adam, 
dessen Unerschöpflichkeit sogar in Paris, dem fruchtbaren Boden der 
Tonmuse, sprichwörtlich geworden ist, hat mit seiner neuesten Oper „Si 
j'otais Roi" dem Theatrc lyriqnc eine unversiegbare Quelle guter Ein- 
nahmen geschaffen und zugleich seinen früheren Werken einen Nach- 
folger gegeben, worauf sie stolz sein können. 

Aubers „Marco Spada" übt noch in diesem Augenblicke die An- 
ziehungskraft auf das Pariser Publikum, welche der Name Auber in 
seinen besten Tagen ausübte und die Ope>a comique hat ihre vollen 
Häuser in den letzten Wochen nur diesem Werke zu verdanken, 
welches sowohl vom Publikum als von der Kritik als ein treffliches 
Seitenstück des „Fra Diavolo" begrüsst worden ist. Wir werden 
in unserem Nächsten versuchen, die musikalischen Schönheiten und 
Eigentümlichkeiten sowie die dramatische Grundlage dieser drei 
Werke zu skizziren. 



— 18 



DIE MUSIKALISCHEN ZUSTANDE 
in der bayerischen Rhein.Pfalz. 



Die bayerische Rheinpfalz hat hinsichtlich ihrer Leistungen auf 
dem Gebiete der Tonkunst bisher nur eine unbedeutende Stelle ein- 
genommen; ja sie ist seit Jahren in dieser Hinsicht kaum genannt 
worden, und doch sind in den Charakter- und Gemüthseigenthümlich- 
keiten sowie in den äusseren t Verhältnissen ihrer Bewohner Bedin- 
gungen gegeben, welche gediegenere musikalische Leistungen möglich 
machen. 

Die Musik liegt bei uns zum grössten Theile in den Händen von 
Dilettanten. Die Pfalz hat keine grosse Stadt, kein stehendes Thea- 
ter, somit auch keine Oper. Musiker von Fach finden sich daher bei 
uns nur in geringerer Zahl und namhafte Künstler beehren uns nur 
selten durch ihre Besuche. 

Der aus diesen Verhältnissen hervorgehende Mangel an Gele- 
genheit, die klassischen Compositionen deutscher Tondichter zu hö- 
ren, sowie der von Natur heitere, gesellige Sinn der Pfälzer waren 
es wohl, die in den letzten drei Dezennien die pfälzischen Musikfeste 
hervorriefen. Sie fanden abwechselnd in den grösseren Städten der 
Pfalz : Speyer , Neustadt , Zweibrücken , Kaiserslautern , Landau, 
Dürkheim statt, und es wurden hauptsächlich Oratorien, Symphonien 
und andere grössere Tonwerke von grossein Orchester und starkbe- 
setztem Chore ausgeführt. Zu der Leitung derselben wurden in letz- 
terer Zeit Männer wie A. Schmitt, Franz Lachner und Mendelssohn- 
Bartholdy eingeladen. 

Schöne Erinnerungen an die musikalischen Genüsse und an die 
unter Freunden, die sich hierbei zusammengefunden, verlebten frohen 
Stunden leben noch heute in den Herzen vieler Theilnehmer jener 
Musikfeste, welche leider durch die politischen Stürme der Jahre 
1848 und 1849 unterbrochen wurden. 

An musikalischen Vereinen fehlt es bei uns nicht; wir haben 
deren in jeder Stadt, in vielen Dörfern, und wenn ihre Zahl ein 
Massstab für tüchtige musikalische Leistungen wäre, so stände es 
kaum irgendwo besser als bei uns. Aber die Einrichtung dieser 
Vereine ist beinahe überall der Art, dass eine gediegene musikalische 
Bildung nicht nur nicht gefördert, sondern oft sogar gehindert wird* 
An mehreren Orten hat die Eifersüchtelei derer, die sich für den 
Präsidentenstab prädestinirt glauben, zwei oder drei Vereine hervor- 
gerufen, wo ein einziger ausreichend wäre. Die Sucht nach öffent- 
lichen Produktionen und die gegen die passiven Mitglieder der Ver- 
eine übernommene Verbindlichkeit, periodische Conccrte oft in kurzen 
Zwischenräumen zu geben, machen ein gründliches Einstudiren ge- 
radezu unmöglich und haben Halbheit und Oberflächlichkeit zur 
Folge. Die gänzliche Ausserachtlassung des Volksgesanges und des 
volkslhümlichen Elementes in der Musik überhaupt, sowie die Eitel- 
keit so vieler Dirigenten, durch Aufführung grossartiger Tonwerke 
glänzen zu wollen , wozu alle Mittel abgehen *) , machen diese Ver- 
eine meist zu zwecklosen, wenn nicht zu zweckwidrigen Instituten. 

Kein erfreulicheres Bild vermögen wir von dem Zustande der 
Kirchenmusik bei uns zu entwerfen, Von echter Kirchenmusik fin- 
det man kaum eine Spur. Eine mittelmässig ausgeführte Messe, ein 
nothdürftig eingeübter Chor an einem Festtage ist so ziemlich Alles, 
was hierin geleistet wird. Man sollte die Mittel, die an manchen 
Orten in reichem Masse gegeben sind; besser benützen. 

Wir haben hiermit unsere musikalischen Zustände im Allgemei- 
nen geschildert. Unser Urtheil ist auf eigene Anschauung und viel- 
fache Erfahrungen gegründet und nicht durch persönliche Rücksichten 
und Verhältnisse eingegeben, die ein objektives Urtheil oft unmöglich 
machen. Wem es wirklich um die Sache zu thun ist, wird uns bei- 
stimmen und mit uns den Wunsch hegen, man möge bald, ja recht 
bald eine, die Sache der Musik mehr fördernde Richtung einschlagen, 



in welchem Falle sich dann mit den bei uns vorhandenen, aber zer- 
streuten Kräften Schönes und Grosses erreichen Hesse. — x— 



CORRESPONDENZEN. 



*) Zur Bestätigung dieser Behauptung möge von vielen uns be- 
kannten Fällen nur einer hier Platz finden : Ein Lehrer auf einem 
nicht einmal grossen Dorfe ersuchte einen CoIIegen in der Stadt, er 
möge ihm Schiller's „Qlocke" von Romberg für vier Männer- 
stimmen schicken, weil er dieselbe mit seinem Gesangvereine 
einüben wolle ! 



AUS WIEN. 

(Ende Dezember.) 

(Schluss). 

Im Concertsaale häuften sich in der neuesten Zeit die Novi- 
täten dergestalt, dass eine Besprechung der einzelnen Erscheinungen 
bei weitem den Raum übersteigen würde, der diesen Berichten in 
diesem Blatte gegönnt ist, wesshalb auch nur in Kürze darüber ab- 
gehandelt werden kann. 

Die Quartett-Produktionen der HH. Hellmesberger, Durst 
Heys ler und Schlesinger bilden eine Oase in der Wüste unserer 
Virtuosen-Conccrle, denn sie zeichnen sich nicht nur durch die kunst- 
vollendete Ausführung vor allen Anderen besonders aus , sondern 
auch durch die Wahl der aufgeführten Stücke, welche stets die gröss- 
ten Meisterwerke der Kammermusik trifft. Sehr ehrend für unsere 
Geschmacksrichtung ist der sehr zahlreiche Besuch dieser Concerte. 
Gewiss es ist einzig nur an den ausübenden Künstlern gelegen, wenn 
der Geschmack des Publikums sich verflacht. — Der Violinspieler 
Eduard Singer veranstaltete schon zwei Concerte und gefiel in 
Beiden. Der junge Künstler entwickelt einen kräftigen Ton , viele 
Bravour, reine Intonation und eine schöne Bogenführung — Vorzüge 
genug, um den Beifall eines ven vornherein dem Concertgeber ge- 
neigten Publikums zu erringen. Auch seine concertanten Composi- 
tionen sind nicht werthlos. 

Das zweite Concert der „ Gesellschaft der Musikfreunde " im 
grossen Redoutensaale erwies sich als eines der besten, das von die- 
sem Vereine in neuerer Zeit geboten wurde. Wir verdanken ihm 
die Bekanntschaft mit einem der schönsten und gelungensten Werke 
Mendelssohns, nämlich die A-dur-Symphonie , die sich dem Besten 
anreiht, was Mendelssohn je geschrieben. Auch die Aufführung un- 
ter der energischen Leitung des artistischen Direktors Hrn. Hellmes- 
berger erfreute sich einer wohlverdienten beifälligen Anerkennung 
des zahlreich versammelten Publikums. — Bei einem Concerte, das 
im Hofoperntheater zum Besten des Central Vereins für Kostkinder etc. 
stattfand, wirkten FF. de la Grange, Ellinger, die HH. Ander und 
Hölzl mit ; auch Hr. Singer und ein junger Virtuose aus Petersburg, 
Hr. Joh. Seifert , liehen ihre Kunstkräfte diesem Wohlthätigkeits- 
Unternehmen. Herr Ander, ein Pianist aus Paris, fiel ohne Gnade 
des sonst bei solchen Gelegenheiten sehr gnädigen Publikums total 
durch. — Der Pianist, Hr. Egghard, hatte sich einer beifälligen Auf- 
nahme eines in seinem Concerte zahlreich versammelten Publikums 
zu erfreuen, wenn auch eben s^in Erscheinen in der hiesigen Kunst- 
welt kaum eine Spur zurücklassen wird. 

Der junge Tonsetzer, Hr. Krenn, trat mit einem grösseren Werke 
und zwar mit dem Oratorium „ Bonifacius ", wozu ihm der Dichter 
Rick einen sehr poetischen Text lieferte, vor den Richterstuhl der 
öffentlichen Kritik und zeigte seine Begabung zur Composition auf 
eine überzeugende Weise, wenn auch dieses Oratorium noch keines- 
wegs seine Unsterblichkeit sichert; denn es fehlt diesem Werke die 
religiöse Weihe, die Kraft des musikalisch-oratorischen Ausdruckes. 
Der Styl ist zu modern und es herrscht in dieser Beziehung in dem 
Werke wenig Consequenz. — Hr. G. Stanzieri, ein Ciavierspieler, 
gab ein Concert nnd spielte eine Musterkarte von Compositionen 
aller Schulen und Zeiten, ohne mit Alledem durchzugreifen. 

Auch eine Violin- Virtuosin haben wir in Frl. Johanna Bier lieh 
aus Jena gehört, welche im Salon des Ciaviermachers Schrimpf ein 
Concert veranstaltete. Ibre Vorzüge sind : reine Intonation und ge- 
schmackvoller Vortrag, übrigens ist ihr Ton weder kräftig noch auch 
so intensiv, um ihren Leistungen eine nachhaltige Wirkung zu sichern. 
Um die Instrumente des Herrn Schrimpf dem Publikum zu produzi- 
ren, musste auch eine Pianistin in diesem Concerte debutiren, näm- 
lich Frl. Mina Prybila. Es war nicht abzusehen, ob durch ihr 
Spiel Hr. Schrimpf ein Instrumenten- Verkaufsgeschäft gemacht haben 
wird. 



— 19 



Noch ist zu erwähnen die Aufführung von Haydn's „Jahreszei- 
ten**, bei welcher Frl. Ney und die Herren Erl und Staudigl mit- 
wirkten. 

Ausser der grossen Zahl von öffentlichen nnd Privat- Akademien, 
Concerten, Produktionen, ausser den musikalischen Soiree's derHH. 
Strauss - Fahrbach in allen grösseren öffentlichen Belustigungsorten 
und den Vorstellungen des Hrn. Mayer mit Gesang und Saitenspiel, 
ausser den Zither-Kränzchen mit ihren bescheidenen Leistungen und 
unverschämten Forderungen besteht noch eine perennirende Akademie- 
oder Concert-Unternehmung , welche wöchentlich eine Produktion 
gibt, Musik, Deklamation etc. bei obligatem Bier und Rauchtabak, 
unter der Direktion des Hrn. Jos. Aetlinger. 

Der grossen Oper, welche sich so lange von allen Eingriffen und 
Beeinträchtigungen durch den Dilettantismus frei erhalten, ist in dem 
Liebhaber-Theater des Bon. Pasqalati ein fürchterlicher Rivale er- 
standen, der sie um ihren Lorbeer bringen wird; so wie das k. k. 
Burgtheater durch Bon. Dieterichs Etablissement, so muss das Hof- 
operntheater durch Pasqualati — fallen! 



AUS MÜNCHEN. 

(18. Januar.) 

Das alte Jahr hat zur vollsten Zufriederhcil unseres musikali- 
schen Publikums geschlossen. Das Weihnachtsconcert der k. Hof- 
kapelle brachte uns nämlich „Beethovens neunte Sinfonie", den „22. 
Psalm Mendelssohns" (eines seiner vorzüglichsten Vocalwerke), die 
„Arie aus Titus mit obligatem Bassethorn", J. Haydns „Sturm" und 
Voglers „Ouvertüre zur Oper Castor und Pollux" — Alles in höchster 
Vollendung. 

Gleichzeitig wurde von der k. Hoftheater- Intendanz eine Ueber- 
sicht der im verflossenen Jahre gegebenen Vorstellungen veröffentlicht 
(s. Nr. 4 d. Bl.) 

So anerkennenswert!), wie die Intendanz das Jahr 1852 schloss, 
eben so schön hat sie das neue Jahr begonnen mit Mehuls „Jakob 
und seine Söhne", eine Lieblingsoper der Münchner, die leider län- 
gere Zeit vom Repertoire verschwunden war. Die Besetzung (Joseph, 
Hr. Brander; Jakob, Hr. Kindermann; Simeon, Hr. Härtinger und 
Benjamin, Frau Dietz) war eine durchaus vollkommene, die Ausstat- 
tung eine äusserst lobenswerthe. 

Nichts weniger als ebenso erfreulich begann die Hofkapelle das 
junge Jahr, denn die bisher üblichen Concerts spirituels werden 
in Zukunft nicht mehr stattfinden, indem Herr Generalmusikdirektor 
Lachner die Direktion derselben entschieden ablehnt, was bei dem 
Mangel an anderweitigen Direktoren, die mit einer Lachner auch nur 
nahe kommenden Befähigung diese Concerte zu leiten verstünden, 
trotz der vielen und äusserst schätzenswerthen Orchesterkräfte, den 
Untergang dieses unübertroffenen und für Süddeutschland epochemachen- 
den Kunstinstituts zur Folge haben muss. Systematische Intriguen 
gegen Lachner möchten wohl als nächste Ursache zu diesem unseli- 
gen Bruch zu bezeichnen sein. Werfen wir nun einen Blick rück- 
wärts, so können wir nicht umhin, der thätigen und von reinstem 
Eifer für die wahre Kunst durchglühten Leitung Lachners unsere auf- 
richtigste Anerkennnung zu zollen. Nur ihm hatten diese Concerte 
ihre ganze Grösse und Wichtigkeit zu verdanken, nur ihm allein ge- 
lang es durch eiserne Consequcnz, das Publikum zur Ueberzeugung 
zu bringen, dass die Musik mehr sei, als ein Ohrenkitzel für ein 
paar zu verdämmernde Stunden, nur ihm konnte es vorbehalten sein, 
jene Concerte, welche anfänglich nur schwach und später aus Mode 
etwas stärker besucht wurden, endlich zum allgemeinen künstlerischen 
Bedürfnisse einer reichbevölkerten Stadt zu erheben. Dass aber das 
eben Gesagte mehr, als ein nichtssagender Panegyrikus, vielmehr 
die von jedem unbefangen Urtheilenden mit mir getheilte Ansicht ist, 
möchte wohl am einfachsten durch die Thatsache bewiesen werden, 
dass vor der Direktion Lachners dasselbe treffliche Orchester diesel- 
ben Concerte trotz ihres schon damals etwa zwanzigjährigen Beste- 
hens nie über das Niveau des Gewöhnlichen emporzuheben ver- 
mochte. München wird nun in musikalischer Beziehung zu einer 
kläglichen Bedeutungslosigkeit herabsinken. 

Herr Generaldirektor Lachner befindet sich im Augenblicke in 
Leipzig, um im Gewandhaus seine neueste Sinfonie (Nr, 8 G-moll) 



zur Aufführung zu bringen. Dessen Bruder Ignaz hat den Ruf 
Hamburg (an die Stelle Barbieri's) angenommen und wird mit 
mendem Oktober in seinen neuen Wirkungskreis eintreten. Wer 
die Stelle desselben sowie an jene unseres bisherigen ersten 
ten Hrn. Salomon (dem die Intendanz wieder gekündet hat) kommes 
wird, ist noch» nicht bekannt. 

Für zweite und dritte Partieen in der Oper wurde in Herrn und 
Frau Wirth vom Mannheimer Theater eine recht brauchbare und 
äusserst nothwendige Acquisition gemacht. 

Eine neue Oper, eine Vollblutmünchnerin, soll noch diesem 
Winter das Licht der Welt erblicken. Der Text ist von Teichlei n, 
die Musik von Baron Perfall, der Titel heisst Sakontala. 

Im kgl. Conscrvatorium für Musik wurde der Sohn des Hrn. Di- 
rektor Hauser, Hr. Moritz Hauser, und ein ehemaliger Schüler dieses 
Instituts, Herr Renner, als Lehrer angestellt. Ersterer muss, so viel 
ich höre, die Opern-Parthien einstudiren, für Letzteren wurde eine 
Vorbereitungsklasse für den Violinunterricht geschaffen. — Bei dieser 
Gelegenheit fällt mir eine äusserst unangenehme Situation ein, in der 
ich vor einigen Jahren einen Klavierschüler des Conservatorinms 
während der öffentlichen Prüfung zu beobachten Gelegenheit hatte. 
Es wurde ihm nämlich die an sich unschwierige Aufgabe zu Theil, 
die Fis-moll- Scale zu spielen; allein a und ais hatten sich offenbar 
miteinander gegen den hoffnungsvollen Kunstjünger verschworen, denn 
das a blieb eigensinnig und versteckte sich, das ais hingegen drängle 
sich beständig dem Harmlosen in die Finger. Er wird stutzig und 
beginnt seinen Weg abermals beim Fis — nutzt nichts 1 a spielt Ver- 
stecken und ais ist unausstehlich zudringlich. Drei, vier und fünf 
Mal nimmt er frischen Anlauf — Alles umsonst! Der edle Priester 
Polyhymnia's muss endlich unverrichteter Dinge das Instrument ver- 
lassen. — Nie früher noch jemals später habe ich eine ähnliche Bos- 
heit unter der sonst gutgearteten Tonfamilie bemerkt l O» 



AUS PESTH. 

(Ende Dezember.) 

Um Ihnen die bunte Tafel des verschiedenartigen Treibens 
Felde der Kunst und des allseitigen geselligen Verkehrs allm&lig vor 
den Augen des Lesers aufzurollen, erübrigt in einem allgemeinen 
Ueberblick die Summe des Guten zu zählen, welches hier bereits 
geschah oder noch zu stiften wäre, und sofort alle jüngst beobachte- 
ten Phänomene , die aus dem Kreise unserer Stadt theils auf dem 
Horizonte des Lebens, theils auf dem der Kunst auftauchen, perio- 
denweise aufzuzeichnen, um von diesen Notizen zuweilen ein Scherf- 
lein der geschätzten Süddeutschen Musik-Zeitung raittheilen zu kön- 
nen. Ich meine hier aber nicht allein besondere Ereignisse und 
wichtige Begebenheiten, sondern auch mindere Vorfälle, so wie man 
sie aus dem Zeitstrome bunt herausfischt; denn man sieht ja auch 
nicht immer Feuerbälle, Mondlichter und Kometen, sondern auch 
Sternschuppen und Irrwische, die, wiewohl sie im eigentlichen Sinne 
keine Phänomene sind, dennoch sehr oft mit Vergnügen betrachtet 
werden. Also zur Sache. Im Nationaltheater gelangten als Novitä- 
ten die Opern „Hugenotten" von Meyerbeer und „Rigoletto" voa 
Verdi zur Aufführung. Erstere mit theil weise neuer Besetzung: Has- 
selt (Valentine), Young (Raoul) ; es ist nicht zu glauben, dass je ein 
so reich ausgestattetes Werk vom Grössten bis zum Kleinsten hinab 
vollständig gegeben wurde. Bedeutendes mag wohl immer gemangelt 
haben. Jede Darstellung eines solchen grossartigen Werkes wird 
immer nur eine Annäherung auch beim besten Vortrage der Haupt- 
personen sein, und Ruhmes genug, wenn einzelne hell und lebendig; 
hervorretende Theiie in befriedigender Harmonie sich einen. Valen- 
tine, die Seele des Ganzen, konnte so, wie sie hier dnreh die grosse 
Künstlerin Hasselt geboten wurde, nur in der allesverklärenden Phan- 
tasie des Compositeurs gelebt haben« Wenigen ist es gegeben, diese 
grosseAufgabe so meisterhaft zu lösen. Ueberraschend war die Lei- 
stung des Herrn Young. Dieser jugendliche Sänger hat sich schnell 
die Liebe und Verehrung des Pesther Publikums erworben und mas\ 
kann mit Recht der Direktion des Nationaltheaters Glück an einer, 
solchen Acquisition wünschen. Was die Auffuhrung der Oper „Ri- 
goletto" betrifft, so Hess die Darstellung sehr viel zu wünschen uh- 
rig, mit Ausnahme des Hm, Mazzi (Hersog)« welcher durch richtigem 



-* 20 



Vortrag sich einig« Anerkennung zu erringen wusste. — In den er* 
sten Tagen kommender Woche wird Meyerbeers „Prophet" mit neuer 
Besetzung in die Scene gehen, worin Fr. v. Hasselt-Barth die Partie 
der Fides, Hr. Young die des Propheten übernommen haben. 

Am 19; Dezember fand im Lloyd-Saale das 6. nnd letzte Concert 
spirituel des Pesth-Ofener Musikvcreins-Conservatoriums statt. Cl as- 
sisches wurde geboten. Herr Ridley Kohn£, erster Solospieler am 
Nationaltheater und Professor des Conservatoriums , versteht mit 
Zartheit und Geschmack sein Instrument zu behandeln, seinen Vor« 
trägen wurde auch stets die grösste Anerkennung zu Theil. — Wie 
ich höre, werden diese Concerte in der Fastenzeit in demselben Saale 
4er Lloyd-Gesellschaft fortgesetzt werden; hoffentlich wird aber dem 
Arrangement des Ganzen mehr Sorgfalt zugewendet werden. 

Schliesslich melde ich Ihnen noch, dass der Carneval mit seiner 
ganzen Suite jovialer Launen bereits zu den Thoren unserer Stadt 
eingezogen ist und täglich ein ganzes Heer von Friseuren und Putz- 
ateister in lebhafte Bewegungl'.setzt, um die Haartouren unserer 
Schönen gefälligst zu parfumiren und mit Hundert Papilloten und 
Guirlanden zu verzieren. 

In einer solchen Epoche, wo die Geigen so lieblich schnurren 
und die Sittenrichter so geneigt sind, tolle Streiche zu vergeben, 
kann man nicht mehr schreiben — bald ein Mehreres. 



NACHRICHTEN. 



Aegensburg. Der Chorregent an der Stiftskirche zur alten 
Capellc, Hr. J. G. Metterleiter, macht sich um Hebung der hiesigen 
musikalischen Zustände sehr verdient. Derselbe ist ein grosser Ver- 
ehrer nnd Kenner der klassischen Kirchenmusik und hat einen Chor 
von 30 bis 40 Mitgliedern zu bilden gewusst, welcher die Meister- 
werke von Orlando Lasso, Palästrina, Pergolese in trefflicher Weise 
ausfährt. Seinen Bemühungen ist es auch gelungen , die vorzüglich- 
sten Oratorien, wie die Schöpfung, Messias, Judas Maccabäus, Pau- 
lns, dem Publikum vorzuführen, und erst am 30. Dez. v. J. wurde 
4er „Elias" von Mendelssohn von einem 80 Mann starken Orchester 
und einem 100 Sänger starken Chor in sehr gelungener Weise exc- 
cutirt. 

In. der Weihnachtswoche gab der Tenorist Stigelli zwei stark 
]»esnchte Concerte. 



Dresden. Die neuengagirte Sängerin Frl. L. Meyer von Cassel 
trat kürzlich zum ersten Male als Rebecca in Marschner's „Templer 
und Jüdin" auf. Als Prima-Donna genügt sie nicht, dagegen wiid 
aie neben Fl. Ney, welche bald eintreffen wird, an ihrem Platze sein. 



Düsseldorf. 
aer* ( aufgeführt. 



Am 18. Dez. wurde hier R. Wagners „Tannhäu- 



Baroelona. Mad. Julienne hat hier die Gunst des Publikums 
in seltenem Masse errungen. Sie wird bei jedem Auftreten mit Ap- 
plaus und Blumen überschüttet. Wahrscheinlich begibt sie sich von 
hier nach London. 



London. Die Frage über das Fortbestehen von Her majestie's 
theatre ist noch immer unentschieden. 



Varia. Trotz der Lobeserhebungen der Pariser Journale steht 
mit der italienischen Oper nicht zum Besten. Das Publikum ist 
rächt zum Besuch zu verführen und die Ankündigung eines zweiten 
Abonnements zu herabgesetzten Preisen ist ein deutliches Kennzei* 
«ohea 4er finanziellen Lage der neuen Direktion. 



Neapel* Ein Sign. Bandelini hat hier eine Reihe „klassischer 
Concerte" angezeigt. Auf dem Programm befinden sich zum Staunen 
der Neapolitaner, die an dergleichen nicht gewöhnt sind, deutsche 
Namen, nämlich Mozart, Beethoven und Meyerbeer. 



Theodor Uhlig, Kammermusiker in Dresden, einer der thätigsten 
Mitarbeiter der „Neuen Zeitschrift für Musik" ist, kaum 31 Jahre 
alt, gestorben. 

Der bekannte Pianist Schulhoff reist in Russland und Polen. 
Am 27. Dez., gab er in Kamieniec ein zahlreich besuchtes Concert. 



Flotow, der Componist der „Indra", soll schon wieder 2 neue 
Opern unter der Feder haben : „Rübezahl" und die „Studenten von 
Bologna"., beide Texte vonPuttlitz. Wenn wir nicht irren, ist „Rü- 
bezahl" die kleine Gelegenheilsoper, welche der Componist vor län- 
gerer Zeit auf dem Gute eines Freundes aufführen liess. 



Frl. W. Gauss, die berühmte Pianistin, verlässt Paris in Kur- 
zem , um sich nach Berlin und von da nach St. Petersburg zu be- 
geben. 



Preis-Ansschreiben der Deutschen Tonhalle. 



Aufgabe: Die Composition beigehender Hymne für den vierstim- 
migen Chor und beliebige Soli mit Orchester, in Ermangelung dieses 
mit Orgelbegleitung. 

Preis ' Fünfzehn Ducaten. Einsendung der Bewerbungen von 
deutschen Tondichtern : frei und vor dem Monat Juni d. J. 
anher, jede mit einem deutschen Spruche versehen und von einem 
versiegelten Zettel begleitet, der den Namen des Verfassers und sei- 
nes Wohnortes enthält, aussen aber denselben Spruch führt und einen 
Künstler benennt , welchen der Einsender als Preisrichter wählt. 
(Vgl. die Satzungen der D T. H., zu haben bei C. F. Heckel hier.) 

Das Urtheil der erwählten Preisrichter wird , sobald es gegeben 
wird, unter Benennung derselben bekannt gemacht. 

Mannheim, im Januar 1853. ScHiisslei** 

DEM HÖCHSTEN. 

Dir Schöpfer der Natur, 
Ertönt der Wald, die Flur, 
Dem Herrn der Herren 
Erbrausen Luft und Meere, 
Und nah und fern 
Erschallet seine Ehre. 

Zu seiner Ehre, 
Zu seinem Ruhme 
Haucht in die Luft 
Den Balsam-Duft 
Des Frühlings holde Blume, 
Und wallt die Bahn 
Durch Azurferne 
Das lichte Heer der Sterne, 

Alliebender, Hochherrlicher, 
In Ewigkeit sei Dir geweiht 
Des Menschen Herz und Seele 1 
In Höh'n und Tiefen 
Auf jeder Lebensspur 
Erschalle Gott, 
Dem Schöpfer der Natur, 
Des Weltalls Preis nnd Ehre 1 

Nach F. Stracke. 



Tenntworttleber Redakteur: J. I. SCHOTT. - Brack jon MUTER* WALLAB laMatni. 



2. Jahrang. 



Mr. 6. 



7. Februar 1853. 



SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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Inhalt t Lefax : „Beethoven und seine drei Style". — Die komische Oper in Frankreich II. — Hamburger Briefe. — Nachrichten. 



LENZ: „BEETHOVEN UND SEINE DREI STYLE". 



In einem vor Kurzem erschienenen interessanten Werke von 
Lenz: „Beethoven et ses trois styles" wird der Versuch gemacht, 
die innere geistige und künstlerische Entwicklung Beethovens, wie 
sie sich in seinen Schöpfungen kund gibt, zu klassifiziren und die 
Grenzen der verschiedenen Phasen dieser Entwicklung zu bestimmen. 
Wenn gleich an den Ausfährungen des Verfassers Manches auszu- 
setzen ist, so sind dieselben doch im Ganzen höchst interessant. Wir 
theilen eine Skizze des Abschnittes , welcher von den drei Stylarten 
Beethovens handelt, nach der B. M. Z. mit, uns ein ausführlicheres 
Eingehen auf dies Werk vorbehaltend. 

Im Ganzen glaubt der Verfasser die Grenzen dieser Stylarten 
durch die runden Ziffern Op. 20 und Op. 100 bezeichnen zu können, 
ohne damit sagen zu wollen, dass sich nicht hie und da eine mit der 
ändern vermische. In den Werken Op. l-*~20 findet er als charak- 
teristische Kennzeichen ein grosses Maas in Allem, ein Fernhalten 
Von dem, was nicht mehr in der ersten Idee eines Stückes liegt, 
vor Allem aber den Einfluss, welchen Mozart auf Beethoven ausübte 
Beweis: das Es-dur-Quintett für Piano und Streich-Instrumente und 
das Es-dur-Trio für Streichinstrumente, Op. 3. Die Hauptwerke die- 
ser Periode sind: die 4 erbten Klaviertrios, die 4 Trios für Streich- 
Instrumente, die 5 ersten Quartette, die 3 ersten Geigensonaten, die 
beiden ersten Cellosonaten, die 10 ersten Ciaviersonaten , das Sep- 
tuor und die beiden ersten Sinfonien. 

Die zweite Stylart (Op. 20—100) charakterisirt sich nach dem 
Verfasser durch einen unendlichen Ideenrcichthum, stete Reinheit und 
Originalität. Hier reisst sich Beethoven los von der Tyrannei der 
Schule, von den alten herkömmlichen Formen sowohl der einzelnen 
S&tze als der ganzen Sonate. Der Zweivierteltakt, sonst nur im Fi- 
nale gebräuchlich, wird auch im ersten Allegro angewendet (5, 6., 
9. Sinfonie). Das Andante hat kein Wiederholungszeichen mehr, 
zuweilen ist seine letzte Note sogar schon die erste des Finales. An die 
Stelle des Menuett tritt das Allegrettoj das Scherzo wird selbst- 
ständig, während es früher dem Menuett beigegeben war; das Trio 
verschwindet. Zwar gibt es noch einen dritten Theil, aber er heisst 
nicht mehr Trio, erhält auch grössere Ausdehnung u. s. w. Die 
C-dur-Sonate Op. 50 trägt nach der Ansicht des Verfassers den Stem- 
pel dieser Stylart am vollkommensten. Die Hauptwerke dieser Pe- 
riode sind: die Sinfonien Nr. 3—8, die 3 Quartette Op. 69, das 
Es-dur- und F-moll-Quartett, die beiden Trio's Op. 70, die grosse 
A-moll-Sonate , endlich 10 Klaviersonaten von Op. 26 bis Op. 90. 
Die A-dur-Sinfonie und B-dur-Trio nähern sich der dritten Stylart 

an meisten. 

Die dritte Stylart endlich, die Werke über Op. 100 hinaus, cha- 
rakterisirt Lenz f olgendermassen : 

„Die Ideen, welche die dritte Stylart aufweist, sind immer compli- 
mirt, sind Manifestationen des Gedankens zu einer Zeit, wo derselbe 
einem exceptioneüen Leben angehörte, welches sich ausserhalb der 
wirklichen Existenz bewegte. Eine vollständige Taubheit hielt Beet- 



hoven von den äusseren Eindrücken entfernt; er reproduzirte nicht 
mehr die Welt, wie sie ist, sondern wie er sie haben wollte, oder 
doch , wie er sie sich vorstellte. Einsam in der ungeheuren Stadt 
musste wohl sein Gedanke in dem Conflikte mit seinen Erinnerungen 
und seiner inneren Zauberwelt sich verwirren. Die dritte Stylart ist 
das Erzeugniss eines immensen Nachdenkens ; sie hat nicht mehr die 
Unmittelbarkeit der beiden ersten , aber sie bewahrt das Interesse 
und wird es bewahren, das Genie im Kampfe mit den Realitäten zu 
zeigen. 

In dem Kreise unserer Empfindungen fussend ging Beethoven 
über ihn hinaus und erweiterte ihn bis jenseits der Grenfen, welche er 
für uns hat. Diese Existenz ausserhalb unserer Realitäten hat ge- 
wiss ihre Erhabenheit. Man glaubt ihn zu sehen, wie er die für Um 
verlorene wirkliche Existenz sucht und in jenen Tönen anruft, die) 
— so meint man — das Schicksal hätten beugen müssen. Ja sogar 
die Anzahl der Noten, welche Beethoven zu hören glaubte und doch 
nicht mehr hörte, musste zunehmen — liebt man nicht unmässig ein 
ewig entschwundenes Gut? Mit anderen Worten, es finden sich 
darum viel mehr Noten in der dritten Stylart Beethovens, weil es für 
ihn gar keine mehr gab. Die zuweilen widerhaarigen harmonischen). 
Fortschreitungen, die Härten, welche man in dieser Stylart kennt, 
haben keine andere Ursache. Eine gewisse Gesuchtheit, freilich nur 
eine Gesuchtheit des Genie' s , ersetzt den ursprünglichen Ideenauf« 
schwung, ein wohlüberlegter Entschluss die unmittelbaren Regungen 
des jugendlichen Herzens. 

Das Gehör musste für Beethoven mehr sein, als alle mensch* 
liehen Sinne zusammen genommen für einen Anderen. In ihm be- 
ruhten seine Glücksgüter — und ihm waren sie geraubt 1 Che faro 
senza Euridice? — ist der letzte Schrei seiner Melodieen ! Die Un- 
gewissheit bemächtigte sich sodann seiner Seele, er zweifelte an sei- 
ner Mission, er suchte nach bisher unbetretenen Pfaden, er glaubte 
Beruf zum Kirchenstyl zu haben (D-moll -Messe). Man findet in den 
Produktionen der dritten Stylart gleichsam ein unbestimmtes Ver- 
langen des Künstlers, sich zu übertreffen, gesuchtere Tonarten (CSs- 
moil-Quartett), häufigere Uebergänge (gloria der D-moll-Messe), eigen- 
tümliche Combinationen, Ideen, die einander auszuschliessen scheinen, 
das Interesse, welches sich in den Episoden kund thut, trägt den 
Sieg über die Bedeutung der ersten Idee, über das Ganze des Wer- 
kes davon , die sympathische Klarheit der Ideen existirt nicht mehr. 
Beethoven schnitt seine letzten Werke aus dem lebendigen Fleische 
seiner trüben Erinnerungen, aber nicht, ohne sie Gott als Sühnopfer 
darzubringen. Er gefiel sich in einer furchtbaren Entfaltung schola- 
stischer Kuustmittel — es ist zuweilen etwas wie Paracelsus in 
ihm." — Die bedeutendsten Werke dieser Periode sind: die & letz- 
ten Quartette, die 5 letzten Klaviersonaten, die Ouvertüre Op. 124, 
D-moll-Messe und vor Allem die 9. Sinfonie mit ihren Chören. 



— 22 



DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH. 



II. 

Si fetctis Rot von Adam, 

Das Sujet der neuesten Oper Adams ist keineswegs neu ; im 
Gegentheile sehr alt! Wer kennt nicht die Geschichte von Abou 
Hassan aus „Tausend und Einer Nacht", welchen der Kalif Harun- 
al-Raschid durch einen betäubenden Trank einschläfern, bewustlos in 
seinen Palast tragen, einen Tag Kalif spielen und am andern Morgen 
gleichfalls schlafend in seine Hütte zurückbringen lässt? Oder 
den „Verwunschenen Prinzen", das bekannte Lustspiel, welches vor 
einigen Jahren auf allen Bühnen so beifällige Aufnahme fand ? Wir 
haben hier dasselbe Sujet, nur in anderer Scenirung, einen Fischer, 
welcher auf dem Meeressand einschläft, nachdem er vorher die Worte, 
die seinen Herzenswunsch ausdrücken: „Wenn ich König wäre", in 
den Saud gekritzelt hat; einen jovialen König von Goa in Ostindien, 
welcher auf seiner Abendpromenade den bescheidenen Schläfer findet 
und, um sich einen Scherz zu machen, denselben a la Harun-al-Ra- 
schid in seinen Palast bringen lässt, wo er am andern Tage in sei- 
ner Verwirrung zu den komischsten Scenen Veranlassung gibt. Nie- 
mand wird leugnen , dass dieser Stoff ein ganz vortrefflicher ist , in 
welchem die komischen Situationen sich ganz von selbst bilden und 
in welchem die Hauptperson mit der Ungewissheit über die eigent- 
liche Persönlichkeit, mit dem steten Widerspruche zwischen Schein 
und Sein, zwischen der angenommenen Gravität und der angebornen 
Natürlichkeit der wirkliche Träger des komischen Elements der Oper 
ist, wie es immer der Fall sein seilte. Der Dichter hat das Seinige 
gethan, um die Verwirrung noch grösser zu machen. Der König will 
seine Verwandte, die Prinzessin Nemea, mit seinem Cousin, dem 
Prinzen Kador, der sie liebt, verheirathen, wie sich das fast von 
selbst versteht. Leider aber hat er nicht bedacht, dass die Liebe 
eigensinnig ist. Nemea mag den Prinzen Kador nicht, der diesen 
Korb allerdings verdient, denn er ist ein Bösewicht und hat sich 
heimlich an die Portugiesen gewendet, um mit ihrer Hülfe den König 
zu entthronen. Nemea aber hat einen anderen Grund. Sie ist ver- 
liebt. Aber in wen? In einen Unbekannten, der sie einst errettete, 
als sie beim Baden in Gefahr kam zu ertrinken und — man erstaune 
über solche Zartheit — entdoh, ehe sie Zeit hatte, ihm zu danken. 
Nicht einmal sein Gesicht kennt sie. Ueberzeugt, dass ihr Retter 
einer der vornehmen Herren vom Hofe ist, hat sie gelobt, ihm ihr 
Herz und ihre Hand zu bewahren. Wie seltsam sind die Geschicke 
der Menschen ! Dieser Unbekannte ist kein anderer, als der Fischer 
Zephoris, der nichts besitzt, als seine Hütte, seine Barke, sein Netz 
und — seine Liebe« Ja wohl, seine Liebe 1 Er hat die schöne Prin- 
zessin natürlich etwas mehr gesehen, als sie ihn, und trägt ihr Bild 
tief im Herzen. Die Fäden sind bereit, sich in einen Knoten zu 
verschlingen. Bald kommt der passende Moment Der König macht 
in Begleitung des Prinzen Kador und der Prinzessin Nemea einen 
Spaziergang uud begegnet auf demselben dem armen Zephoris. Bei 
dem Anblick seiner geliebten Schönen kann er sich nicht bezwingen, 
er geräth in Extase und treibt es so arg, dass der Prinz Kador auf 
ihn aufmerksam wird. Einige Worte, die ihm entschlüpfen, verrathen 
diesem, wen er vor sich hat, er lässt sich mit ihm in ein Gespräch 
ein, entlockt ihm die Details seines Abenteuers und lässt ihn endlich 
schwören, aus Achtung für die Prinzessin keinem Menschen weiter 
das Geheimniss zu entdecken. Zugleich befiehlt er ihm, das Land 
zu verlassen. Zephoris ist in Verzweiflung, Kador hingegen beeilt 
sich, die Früchte seiner Schlauheit zu erndten. Er begibt sich zur 
Prinzessin und erklärt ihr, da er ihre Liebe nicht anders gewinnen 
könne, wolle er endlich gestehen, dass er ihr Retter sei. Die Ein- 
zelheiten, welche er ihr mitlheilt, benehmen ihr jede Ausflucht und 
sie muss ihn als ihren Bräutigam anerkennen. Unterdessen macht 
sich Zephoris zur Abreise fertig. Noch einmal will er den Platz be- 
treten , auf welchem er die Prinzessin in jenem glücklichen Augen- 
blicke sah, noch einmal träumen. Das Luftschloss, welches er ge- 
baut, ist verflossen. Sie ist Prinzessin, er — ein armer Fischer! 
Ja, „wenn ich König wäre", seufzt er und kritzelt diese Worte ma- 
schinenmassig in den Sand, Hierauf entschläft er. Das Weitere lässt 
sich errathen. Der König kommt von seinem Spaziergang zurück» 
er findet Zephoris, liest die Worte und entschliesst sich zu dem 



Scherze, der einen lustigen Tag verspricht. So weit der erste Akt 
Im zweiten finden wir Zephoris im Palaste des Königs, angethan mit 
den Zeichen der königlichen Würde. Der König selbst hat die Rolle 
seines Premierministers übernommen. In diesem ganzen Akte herrscht 
die sprudelndste Komik. Wir begnügen uns damit, die Haupthand- 
lung zu begleiten. Zephoris findet Nemea wieder, erklärt ihr seine 
Liebe, entdeckt ihr die Wahrheit und besteht darauf, sie trotz den 
Einwendungen Kadors zu heirathen. Als dem König der Scherz 
lange genug gedauert hat, lässt er ihm eine zweite Dosis Opium rei- 
chen und in seine Hütte zurückbringen. Im dritten Akt finden wir 
den guten Zephoris von seinen Freunden umgeben und nahe daran, 
wahnsinnig zu werden, da er König zu sein behauptet und von ihnen 
als Narr hehandelt wird. Endlich klärt ihn Nemea, die aus Reue 
über das Spiel, welches man mit ihm getrieben, zu ihm kommt, auf. 
Neigung für ihn als ihren Retter und treuen Anbeter hat Antheil an 
diesem Schritte. WShrend dessen naht sich Kador in Begleitung 
zweier Sklaven, um Zephoris, den er fürchtet, den Kopf abschlagen 
zu lassen. Nemea- vertheidigt ihren Geliebten. Plötzlich kommt der 
König. Man signalisirt die portugiesische Flotte, die auf Kadors Ver- 
anlassung herbeikommt. Alles scheint verloren, denn Kador hat das 
Heer zu entfernen gewusst. Da wird Zephoris zum Retter. Er er- 
fuhr durch seinen Schwager, einen Fischer, der von Kador zur Ueber- 
lieferung seiner Depeschen an die Portugiesen gebraucht wurde, die- 
sen Vorgang, ahnte die Wahrheit und gab an dem Tage, an welchem 
man ihn König spielen Hess, heimlich Befehl zur Rückkehr des Hee- 
res. Jetzt entdeckt er dem König die Verräthcrei seines Vetters, 
stellt sich an die Spitze des Heeres, kämpft tapfer und mit Erfolg 
und erhält als Belohnung seiner Thaten — Nemea's Hand. 

Abgesehen von einigen zu künstlichen und zu gesuchten Ver- 
wickelungen ist das Buch vorzüglich, und Adam hat denn auch ein 
eben so interessantes als unterhaltendes Werk daraus geschaffen. 
Die ganze Partitur ist vortrefflich geschrieben, durchweg in dem ele- 
ganten, leichten, natürlichen, graziösen Style dieses Componisten« 
Dazu weiss er sowohl die Singstimmen als das Orchester zu behan- 
deln. Die Partitur enthält eine Fülle der anmuthigsten Phrasen, der 
ansprechendsten Stücke. Im ersten Akte tritt hervor die erste Ro- 
manze von Zephoris, die Romanze des Königs, voller Geist und 
Grazie, die Arie des Zephoris „Si j'etais Rois" und ein kleiner Chor 
ohne Accompagnement Sotto voce gesungen, welcher sich durch 
eine süsse Melodie und fliessende Harmonie auszeichnet. Im zweiten 
Akte ist hervorzuheben ein komisches Duo von heiterem Charakter, 
trefflich rhy tmisirt, eine Arie der Nemea voller Eleganz, Feinheit und 
Coquetterie, ein Duo zwischen Zephoris und der Prinzessin und ein 
Trinklied, welches sehr lebhaft applaudirt wurde. Der dritte Akt 
endlich enthält ein Duo buffo, welches allgemein als ein Meisterwerk 
betrachtet wird. Eine überraschende Wirkung bringt der Name Ze- 
lide, zwischen jeden Vers des ersten Couplets gesetzt, hervor und 
eine Reihe Seufzer ; Ali, ah, ah, ah ! von Modulation zu Modulation 
geführt, bilden einen der feinsten musikalischen Scherze, welche die 
komische Oper aufzuweisen hat. Der Erfolg, welchen diese Oper 
in Paris gehabt hat, ist Bürge, dass sie auch auf die deutschen Büh- 
nen übergehen wird, und die Freunde der komischen Oper werden 
dann Gelegenheit haben, sich zu überzeugen, ob der Componist des 
„Postillons" der Alte geblieben ist. 



<•*•>- 



HAMBURGER BRIEFE. 

(Ende Dezember.) 

Seit meinem letzten Briefe haben zwei Concerte des philharmo- 
nischen Vereins stattgefunden. In demselben sind Mozart's C-dur- 
Sinfonie mit Fuge, Beethovens 2. Sinfonie und Haydn's B-dur-Sin- 
fonie mit dem überaus edlen und schönen Adagio in F-dur */* Takt 
gegeben. Neben diesen erschienen die Coriolan-Ouverture und, mit 
besonderer Aufmerksamkeit empfangen, die Tannhäuser-Ouverture 
von Wagner. Die letztere veranlasst mich zu folgenden Bemerkun- 
gen. Die wahrlich herausfordernde Art, in welcher Wagner seine 
Werke durch mehrere begeisterte Anhänger und Jünger dem Publi- 
kum in sehr überschwänglichen Zeitungsartikeln znerst empfehlend» 



- 23 — 



erläuternd und zergliedernd vorführt, berechtigt uns alle zu einem 
ernsten Urtheil. Es ist kein Jüngling, der uns entgegentritt, sondern 
ein in Lebensstürmen gestählter Mann, ein im Gebiete seiner Kunst 
gereifter Tonkünstler, welcher seine Werke der Oeffentlichkeit über» 
gibt. Es sind zu viele harte Worte von jener Seite gegen altes Ael- 
tere gefallen, als dass nicht ein liebender Freund der Kunst das Recht 
haben sollte, die neue Composition in ihrer Berechtigung zu sol- 
chem Gebahren zu erforschen. 

Von vorn herein halte ich die Wahl des Stoffes, des Opernge- 
dichtes für eine verfehlte, insofern der Fabel durchaus Grundideen 
zum Halt dienen, die für unsere heutige Anschauungsweise veraltet 
sind. Dieser ganze Wust von alten Rittersagen und Mythen aus der 
romantischen Zeit ist nach allen Seiten, trotz unläugbarer ein- 
zelner Schönheiten, so an der Wurzel todt, so für unsere 
Augen unerquicklich, dass der Lebensfunke von vorn herein fehlt. 
Wenn Wagner sich berufen hält, das Kunstwerk der Zukunft zu 
schreiben — und der Muth dazu darf niemals als ein Verbrechen 
angerechnet, muss im Gegentheil auf alle Weise gefördert werden, 
wenn er nur die rechte Begabung zeigt — , so muss er, dünkt mich, 
auf das ernstlichste dahin trachten, seine Dichtungen der Jetztzeit 
zu entnehmen, oder wenn er in die dunkle Vorzeit einmal zurück- 
greifen will, diese Stoffe alles dessen zu entkleiden, was entschieden 
durch die Entwickelung der Geister abgethan ist. 

Nach diesen wenigen Worten gehe ich zu der Ouvertüre selbst 
über, welche dem Tannhäuser selbst als Einleitung dient. Die grosse 
Hauptidee der Oper, der Sieg der himmlischen Liebe über die ir- 
dische, ist an und für sich würdig genug, um sie in der Ouvertüre 
musikalisch darzustellen. Dies geschieht nun aber in einer, meiner 
Ansicht zufolge höchst gewöhnlichen Weise. Der Gesang der Pilger, 
welcher in der Oper selbst als der Repräsentant der himmlischen 
Liebe auftritt, beginnt ernst und feierlich. Unterbrochen durch die 
unruhig 1 zuckenden Violinen verschwindet er lange, um dann am 
Schlüsse siegreich jede leidenschaftliche Unruhe zu überwinden und 
das vielfach gequälte Gemüth endlich zum Quell aller Gnade — dem 
römischen Papste! — zurückzuführen. Die Intention ist richtig — 
aber — wie schmerzlich ist es, bei so vielen neueren Tondichtern 
dieselbe Bemerkung machen zu müssen — die Kraft der musikalischen 
Erfindung reicht nicht aus, um den grossen Rahmen mit entsprechen- 
den riesigen Figuren zu erfüllen. Es scheint, dass Mendelssohn grade 
darin so treffliche und wohlverdiente Erfolge erreichte, weil er als 
höchst gebildeter Kopf seine Kräfte genau kannte und nichts unter- 
nahm, was er nicht innerhalb dieses Kreises würdig und gross vol- 
lenden konnte. Diese Erkenntniss fehlt, meine ich, Wagner, wenn 
er nicht etwa noch andere Zeugnisse seiner Begabung vorführen 
kann, als die bis jetzt der Oeffentlichkeit übergebenen. Ich bin näm* 
lieh so frei, auch über Lohengrin, trotzdem ich ihn nur aus dem 
Ciavierauszug kenne, zu urtheilen, wobei ich natürlich sehr wohl 
weiss, dass manches und einzelnes in der vollendeten Ausführung 
sich anders gestaltet, als auf dem Papier. Die Hauptsache aber, die 
Melodie als Trägerin des Wortes, oder, in den Instrumenten als eben 
so prägnante Verkörperung eines Bildes , sie sind es, welche dem 
Kenner beim ersten Anschauen der Noten unmittelbar ein wesent- 
liches Urtheil nicht nur gestatten, sondern auch rechtfertigen. Diese 
Seite der Ouvertüre nun bietet in dem einen Thema, dem Priesterge- 
sang , allerdings eine recht charakteristische , obgleich nicht grade 
neue Melodie. Ihr gegenüber aber ist die Darstellung des Gegen- 
theils, der Frau Venus, in der unruhig leidenschaftlichen Bewegung 
allerdings lärmend genug, aber sie scheint mir nicht genügend, um 
die sinnliche Liebe auch von der holdesten Weise darzustellen, von 
welcher aus sie denn doch am gefährlichsten uns ergreift. Dass 
Wagner nun diesen Mangel der Erfindung durch eine ins Uebermaas 
gesteigerte Künstelei der Instrumentirung zu ersetzen sucht, erzengt 
nur ein wildes Chaos. Kaum bedarf es der Bemerkung, dass aller- 
dings die Idee- der leidenschaftlichen sinnlichen Liebe hier unruhig 
und unstät gemalt werden soll, dass aber in der Unordnung die ord- 
nende, siegreich regierende Hand des Künstlers sichtbar sein soll. 
Das scheint mir nicht erreicht. Aufgefallen ist mir die sehr schwache 
Benutzung, zu welcher die Geigen ganz untergeordnet sich verdammt 
. sehen. Es hat mir arm geschienen, .dass alle Violinen eine überaus 
lange Zeit hindurch sich unisono in einer undankbaren Begleitungs- 
figur ergehen, die so ermüdend für Spieler und Hörer sich gestaltet, 
dass man mit Recht fragt, wie denn die Geigen, die Königinnen im 



Reich des Orchesters, dazu kommen, eine so klägliche Rolle ztt Spie* 
len? — Den Eindruck, den das Werk auf unser Publikum gemacht 
hat, schildern zu wollen, geht über meine Kräfte. Indem ich meine 
Meinung mit Gründen angeführt habe, begnüge ich mich hinzu zu til- 
gen, dass dieUrtheile der Musiker, welche ich darüber gesprochen 
habe, mit dem meinigen übereinstimmen. Es ist passend , noch ein- 
mal hinzuzusetzen , dass Alle die Intention, das ernste Wollen, bei 
dem Componisten anerkennen, und das ist wahrlich immer hoch zu 
preisen in einer Zeit, die so viele Beispiele von Künstlern zeigt, 
welche mit vollem Bewusstsein dem goldnen Lohn der grossen Masse 
lieber nachrennen, als der keuschen Göttin der Töne einen strengen; 
und demüthig aufopfernden Dienst zu widmen. 

Die Ausführung der übrigen grossen Orchesterwerke war bis auf 
die Haydn'sche Sinfonie die allcrgewöhulichste. Die Coriolan-Onverture, 
besonders ist so erstaunlich gross, dass es schon der Mühe werlh 
wäre, sie ordentlich zu üben und vor allem die grossen Accente der 
gehaltenen halben Noten breit und schwer hervorzubringen, wobei na- 
türlich die andere aus 6 Achteln und 1 Viertel bestehende Haupt- 
figur mit ihrem bezeichnenden Legato und Staccato auch auf da« 
sorgfältigste zu üben wäre. Ferner glaube ich bedauernd erwähnen 
zu müssen, dass immer noch die allerdings schwierige Passage 
der Celli und Bratschen in 8teln in der Mitte sehr unrein gegeben 
wird. Die Musiker sind treffliche Leute und werden, wenn der Di- 
rigent seine Pflicht thäte, solche Stellen gewiss sorgfältig studiren 
und ihre Ehre darein setzen, sie glänzend zu executiren. Es fehlt 
aber an dem Eifer, der zu allen Zeiten nur der Sache wegen 
sich anstrengt und unbekümmert um Beifall oder peeuniären Gewinn 
den Geist der Töne zu erforschen und liebevoll den Hörern zu ver- 
mitteln strebt. — Die Beethoven'sche 2te Sinfonie, die für den fein- 
denkenden Dirigenten grade sehr viel Veranlassung zu wirksamster 
Thätigkeit in den Proben bietet, wurde in einer Weise gespielt, die 
an jedem anderen grösseren Orte entschieden Tadel finden würde« 
Ich will mich beschränken, hier z. B. die Ausführung des Scherzo 
zu erwähnen. Bekanntlich beginnt dieser Satz mit zwei unter den 
Streich- und Blasinstrumenten vertheilten Takten, deren 6 Viertelno- 
ten in der Tiefe beginnen und oben fortgesetzt werden. Jede Hälfte 
des Orchesters reisst nun ihre 3 gesonderten Viertel so isolirt her- 
aus, dass immer zwei Fetzen der Melodie durch eine Pause getrennt 
erscheinen. Ich wiederhole, dass die Glieder des Orchesters beinahe 
alle trefflich sind und dass ihnen eben der lebendig warme und gei- 
stig gebildete Führer fehlt, der etwas mehr thut, als den Takt anla- 
gen. — Wie schon oben gesagt, litt die Sinfonie von Haydn am 
wenigsten an den gerügten Mängeln und vorzüglich das Adagio ge- 
lang mit seinen so schönen eigenthümlichen Modulationen recht er- 
freulich. 

Von Solo-Vorträgen muss ich den Cellisten Herrn Grützmacher 
von Leipzig erwähnen, der unter andern eine Fantasie von B. Rom- 
berg vortrug. Nicht allein die, welche, wie Ihr Berichterstatter, oft 
Gelegenheit gehabt haben, grade dieses Stück von Romberg selbst 
zu hören, waren unbefriedigt. Mehr gefiel der Violinist Kökert, der 
trotz mancher unreinen Griffe doch Feuer und Flamme zeigte and 
auch theilweise einen sehr schönen Ton entwickelte, wobei ihm übri- 
gens sein Instrument nicht sehr hülfreich war. Endlich sang noch 
ein Frl Westerstrand aus Schweden durchaus ungenügend, da sie 
trotz vieler Fertigkeit und Bildung der Kehle eine passirte unschöne 
Stimme zeigte. Mad. Maximilien endlich, Sängerin des Theaters* 
trug noch die grosse Arie aus Titus vor. Ihre sehr schöne starke 
Stimme kam an jenem Abend nicht recht zur Geltung. 

Herr Capellmeistcr de Barbieri brachte in seiner Benefizvorstel- 
lung eine seit langem entbehrte doppelt erfreuliche Erscheinung des 
Titus. Diese Vorstellung, welcher noch zwei kleinere Sachen beige- 
geben waren, erregte grosse Freude durch die sehr sorgfältige Ein- 
studirung und durch die grösstenteils durchgängig genügende Bese- 
tzung. Herr Eppich als Titus, Frau Stradiot-Mende als Sextus, Mad. 
Maximilien als Vitellia, Frl. Molendo als Annius u. s. w. ergaben 
ein ganz vortreffliches Ensemble. Zugleich war in der ganzen Auf- 
führung eine Pietät gegen das Werk, ein Eifer für des unsterblichen 
Meisters Ehre sichtbar, der doppeltes Lob verdient, da unläugbar 
viele matte und veraltete Stellen die Ausführung oft allein durch die 
Anstrengung der Sänger gelingen lassen. Diese jetzt 60 Jahre alte 
Schöpfung mit ihrer so langweiligen Handlang entzückte alle Hörer 
und ist seither sehr oft gegeben. Wo werden nach 60 Jahren so 



2* - 



manche unserer heutigen grossen. Opern sein? — Der Vorstellung 
des Titos folgten an jenem ersten Abend noch ein Pastoralsinfonie- 
salz von Me,rcadan(e (!!) und Mendelssohns Finale aus Loreley. 
Letzteres ward von Mad. Maximilien und dem Chorpersonal auf der 
Bühne, aber leider ohne Dekoration oder Spiel gesungen , so dass je« 
denfalis die Partie der leidenschaftlich hin und her gerissenen Lore- 
ley verlieren musste. Ich habe aber dennoch, vorzuglich in den Chö- 
ren und der Orchesterpartie, sehr schöne Effekte gehört. 

Ernst. 

Nachschrift. Mein warmes Lob der Titus-Auflührung möge 
nicht im Widerspruch mit meiner früheren Beurtheilung der harn bur- 
gischen Oper erscheinen. Das erwähnte Werk ist für heutige Dar- 
steller durchaus leicht, ,so dass z. B. der Chor darin eine sehr ein- 
fache Aufgabe hat. Bei alledem aber wiederhole ich bereitwillig die 
lebhafteste Anerkennung. 

Meine Worte über die Leistungen der Gebrüder Müller haben 
im hamburgischen Correspondentcn Worte des heftigen Tadels her- 
vorgerufen. Ich glaube meine Meinung in der achtungsvollsten Form 
«nd mit Gründen belegt ausgesprochen zu haben. Insofern ich so 
innerhalb der Gränzen der schonendsten Kritik meine Ansicht dar- 
gelegt habe, ohne sie als unfehlbar zu bezeichnen, glaube ich ruhig 
den Verfasser jener Worte ersuchen zu dürfen , er möge sich in der 
Aeusserung seiner Meinung gleichfalls in der unter gebildeten Leu- 
ten üblichen Weise bewegen. 



NACHRICHTEN. 



Bfttnohen« Die in unserer letzten Nr. in dem Briefe aus Mün- 
chen angedeuteten Verhältnisse, welche das Unterbleiben der Con- 
certs spirituels nach sich gezogen hätten, haben sich in Folge einer 
Verständigung der Orchester-Mitglieder mit Herrn Fr. Lachner dahin 
geändert, dass die genannten Concerte auch ferner unter Lachners 
Leitung fortbestehen werden. 



Berlin Ther. MilanoIIo gab ihr letztes Concert vor ihrer Ab- 
ieise nach Petersburg am 24. im Opernhause. 



Dresden« Frl. L. Meyer hat bei ihrem zweiten Auftreten als 
Jessonda besser gefallen, als im Templer. 



Zieipzig. In dem letzten Gewandhaus • Concerte wurde unter 
Anderem die neue Sinfonie von Lachner und Introdnction nebst 
Scene aus Wagners „Lohengrin" executirt. 



Dessau« Die von Fr. Schneider begründete Musikschule wird 
seit Ostern 1852 von dessen Sohne Theod. Schneider in der frühe- 
ren Weise fortgeführt. Der vollständige Cursus der Theorie der 
Musik ist auf 3 Jahre festgesetzt. Der Unterricht umfasst Harmo- 
nielehre, Modulation, Rhylmus und Stimmenführung ; Melodiebildung, 
Formen- und Compositionslehre; Nachahmung und doppelten Contra- 
punkt; endlich Partiturstudium, Direktionskenntniss. Alljährlich 
findet eine allgemeine Prüfung statt. Das Honorar für den Unter- 
richt in der Theorie der Musik beträgt 48 Thaler. 



Hamburg. C. Formes hat seine Gastvorstellungen mit Bertram 
im Robert und Leporello im Don Juan eröffnet. Leider hatte er in 
letzter Rolle das Unglück , beim Abgang am Ende des dritten Aktes 
in eine offen gebliebene Versenkung zu stürzen, wodurch er so be- 
deutend xerUtzt wurde, dass die Fortsetzung der Oper nur durch 
einen Rollenwechsel möglich war. 

A. Dreyschock und der Violoncellist B. Hildebrand-Romberg ga- 
ben in letzter Zeit Concerte. Ersterer spielte an einem Abend nicht 
weniger als 11 verschiedene Piecen. 



Paris« In dem Concert des Geigers Vieuxtemps hörten wir 
auch den Pianisten Ascher, welcher den bereits erlangten Ruf als 



tüchtiger Virtuose durch den ehen so eleganten als kraftvollen Vor- 
trag einiger seiner eigenen Compositionen vollkommen rechtfertigte 
und mit dem entschiedensten Beifall belohnt wurde. 

Seine Compositionen gehören zu den dankbarsten und gefälligsten» 
welche die moderne Salonmusik, aufzuweisen hat, und werden ohne 
Zweifel überall eine freundliche Aufnahme finden. 

— In dem Concert der Frl. Clauss spielte auch der bekannte 
Harfenvirtuos Oberthür und riss die gewählte Versammlung zum lau- 
testen Beifall hin. Oberthür ist, wie wir hören, ein geborner Baier, 
hat jedoch seinen bleibenden Wohnsitz seit mehreren Jahren in Lon- 
don genommen, wo er durch öffentlichen Vortrag, durch Compositio- 
nen und Unterricht -Ertheiiung zum Wiederaufblühen des Harfenspiels 
nicht wenig beigetragen hat Schade, dass man in Deutschland, wo 
dieses herrliche Instrument ganz brach liegt, einen solchen Meister 
nicht zu fesseln wusste, dessen Leistungen gewiss auch dort nicht 
verfehlt hätten, der Harfe wieder manchen talentvollen Kunstjünger 
zuzuführen. Eine vollständige Harfen-Schule von H. Oberthür er- 
scheint unverzüglich im Verlag von B. Schott's Söhnen in Mainz und 
London, 



Bern. Seit Anfang voriger Woche befindet sich die Truppe 
des Theaterdirektors Herrn Hehl, welche bisher in Basel Vorstel- 
lungen gab, hier. 



Rom* Der Componist P. Raimondi, Autor des dreieinigen Ora- 
toriums, welches vor Kurzem so viel von sich reden machte, ist zum 
Kapellmeister am Vatikan ernannt worden und hat sein Amt bereits 
Anfang dieses Jahres angetreten. 



Neapel. „Statira" und „Violetta", die beiden neuen Opern 
Mercadantes, sind seit dem 8. und 10. Januar wiederholt unter gros- 
sem Beifall gegeben worden. 



* Ferd. Hiller wird den grössten Theil des Winters in Paris ver- 
leben und wie früher musikalische Soireen veranstalten, in denen 
die besten Ciavier- Werke der älteren und neueren Zeit von ihm vor- 
getragen werden. Die erste Soiree fand am 27. Januar im Salon 
Pleyel statt. Die zweite 14 Tage später u. s. f. 



* In der Didaskalia vom 18. Januar 1853 heisst es in einem der 
Weser-Zeitung entlehnten Artikel unter Anderem, dass die „Senti- 
nelle", in Deutschland bekannt unter „Kriegers Abschied" (der Ritter 
muss zum blut'gen Kampf hinaus) von Napoleon I. Stieftochter, der 
geistreichen Hortense Beauharnais , Mutter des jetzigen Kaisers Na- 
poleon III., verfasst sei. Das bedarf insofern einer Berichtigung, als 
einer vor uns liegenden Sammlung französischer Volkslieder zufolge 
die musikalische Composition von A. E. Choron ist (geb. 1771 zu 
Caen, gest. 1834 zu Paris). Diese schöne und beliebte Romanze ist 
in der Sammlung unter: „La Sentinelle" (l'astre des nuits, dans son 
paisible eclat, lancait des feux, sur les tentes de France etc.) als 
Romance heroique von Choron aufgeführt. Sie hat zwar, gegen die 
deutsche musikalische Bearbeitung, einige Varianten, aber jedenfalls 
ist sie viel bedeutender, als die beiden anderen Romanzen (Partant 
pour la Syrie et Vous me quittez), welche die Königin Hortense 
zur Verfasserin haben. 

Choron, als Correspondent der musikalischen Section im Institut 
der Akademie und als Direktor der Musik bei öffentlichen Festlich- 
keiten, mag wohl die Compositionen der schönen Hortense durchge- 
sehen und verbessert, vielleicht auch aus Galanterie seine Autorschaft 
der Sentinelle beim Publikum der Königin Hortense zugeschoben ha- 
ben ; dass aber diese Romanze, im Vergleich zu den anderen beiden, 
wirklich Napoleon III. Mütter zur Componistin haben soll, möchten 
wir stark in Zweifel ziehen, .und bitten den Verfasser besagten Ar- 
tikels, welcher, wie es scheint, vielleicht an Ort und Stelle seine 
authentischen Beobachtungen gemacht hat, in diesem Falle um gefäl- 
lige Aufklärung. * 



Vanatwartlkber BrnUkteu: J» J. SCHOTT. —Dreck ton RECTSK* WALLAU in mins. 



2. Jahrang. 



Mr. 7. 



14. Februar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Dies« Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnlrt bei allen Postämtern, 
* Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 



von 

■■ 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT <* CO. 



II. 2. 43 eder Thlr. 1. 18 Sgr. 

rar den Jahrgang. 

Durch die Pest besagen : 

50 kr. eder IS Sgr. per «aartel. 



Inhalts Künstler-Skizzen I. — Die komische Oper in Frankreich III. — Gorresp. (Dresden und Braunschweig). — Nachrichten. 



KÜNSTLER-SKIZZEN. 



Es ist nicht die Aufgabe dieser Skizzen, in einem kurzen um- 
risse die Lebensverhältnisse eines Künstlers zu schildern oder in 
einem kleinen Rahmen die Beziehungen seiner künstlerischen Entfal- 
tung zur Aussenwelt zusammen zu drängen und vor den Augen des 
Lesers ein Bild interessanter Momente aus der Lebensgeschichte des- 
selben aufzurollen; sie sollen eine Schilderung seines künstlerischen 
Wirkens, ein Abbild seiner Kunstindividualität sein, mit stetem Hin- 
Micke auf die natürliche Begabung und auf den Grad seiner künst- 
lerischen Ausbildung, eine subjective Beurtheilung seines Total Wir- 
kens und dessen Einflusses auf die Kunstinteressen seiner Zeit. Eben 
diese Subjectivität der Beurtheilung aber, wenn ihr vielleicht einer- 
seits ein den Gegenstand nicht völlig umfassendes Verständniss zum 
Vorwurfe gemacht werden kann, hat andererseits doch immerhin das 
Verdienst der Selbsständigkeit, und als solches verdient es selbst vor 
dem strengsten Tribunale der Oeffentlichkeit anerkennende Würdi- 
gung, um so mehr, wenn es aus der reinen Quelle der Ueberzeugung 
geflossen, ungetrübt von Missgunst und Parteilichkeit. 



Ständig 1. 

Staudigl ist ein Mann, dessen Bekanntschaft alle Schichten 
der Musikwelt durchdrungen; er selbst steht auf dem Höhepunkt sei- 
nes musikalischen Wirkens. Er hat den Ausfluss seines Kunstver- 
mögens auf die höchste Potenz seiner Kraft gebracht und seine 
künstlerische Entfaltung ist als beendet zu betrachten. Da ihn die 
Gegenwart nur auf die Erhaltung des gewonnenen Terrains verwie- 
sen, er aber in der Zukunft seine Bestrebungen ausschliesslich dahin 
richten muss, die Abnahme natürlicher, durch Kunstmittel zu ersetzen, 
so dürfen wir sein Wirken für völlig abgeschlossen ansehen. 

Wenn wir Staudigl's Stimme als solche einer Beurtheilung un- 
terziehen wollen, so müssen wir einen Blick in die Vergangenheit 
werfen. Wir wollen damit durchaus nicht gemeint haben, dass sie 

Nan Intensität und Wohlklang so bedeutend eingebüsst habe, als dass 
sie nicht noch jetzt eine strengere Beurtheilung aushielte; allein die 
Experimente, welche er damit unternommen, haben den Charakter der- 
selben so sehr verändert, dass Staudigl's Stimme von einst eine ganz 
andere ist, als seine jetzige. Als er unter Duport's Theaterdirektion 
aus dem Chorpersonale hervortrat, hatte seine Stimme den vollkom- 
men ausgeprägten B a s s Charakter, der zwar nie zu der Mächtigkeit 
seines Vorgängers Weinmüller hinaufreichte, oder den Silberklang 

- der Stimme seines Mitstrebenden Pöck in sich fasste, aber immerhin 
in Bezug auf Kraft und Tongleichheit zu den besseren Bassstimmen 
gezählt werden konnte. Ein hervorstehender Zag von Staudigl's Cha- 
rakter ist eine seltene Festigkeit des Willens und durch nichts zu 
entntuthigende Beharrlichkeit. Sowie er sich ungeachtet seiner Kurz- 
sichtigkeit zum ausgezeichneten Scheibenschützen und Billardspieler 
forcirte, so zerrte er nun auch seine Stimme so lange in dem Pro- 



krustes-Bett seines unbeugsamen Willens, bis sie zur Höhe des Te- 
nor-a hinanreichtc. Leider aber musste sie dadurch an intensiver 
Fülle einbüssen, was sie an extensiver Länge gewonnen. So aber 
ist es gekommen , dass seine Stimme in der Folge in den unteren 
Lagen den eigentlichen Bass-Charakter verlor, während sie in der 
Höhe dennoch den weichen Tonschmelz eines Baritons vermissen Hess, 

War durch diese Vorgänge der Verlust an Stimme für Staudigl 
ein grosser, so tauschte er dafür doch eine so ausgebreitete Kennt- 
nis» in der Behandlung seines eigenen Gesangsinstrumentes ein, wie 
sie vielleicht kein Sänger von sich rühmen kann, sie je besessen zu 
haben. Alle Künste des musikalischen Vortrages hat er vollkommen 
in seiner Gewalt, in der willkürlichen Verlängerung desAthems dürfte 
ihm wohl kein Sänger gleichkommen. Er weiss den Mangel an Tiefe 
durch Surrogat-Töne so geschickt zu maskiren, dass sie nur ein auf-* 
merksamer Zuhörer zu unterscheiden vermag; die Schwierigkeit 
eines Trillers in der Tiefe kennt er nicht, so wie die Sicherheit, mit 
welcher er Läufe und Sprünge ausführt, sprüchwörtlich geworden 
ist. Auf gleicher Höhe der Vollkommenheit steht seine musikalische 
Bildung überhaupt. Staudigl liest nicht nur vom Blatte mit einer 
Zuverlässigkeit, die in dieser Beziehung die Idee der Unfehlbarkeit 
versinnlicht; er überwindet dabei auch alle Schwierigkeiten der com- 
plicirtestcn Intonation ; er fasst zugleich den musikalischen Charak- 
ter des Tonstückes mit bewundernswerthem Scharfblick auf und 
bringt ihn zu Gehör. Durch sein seltenes musikalisches Verständ- 
niss hat er sich auch den Weg zu den innersten Geheimnissen des 
musikalischen Ausdruckes gebahnt. Wenn die Poesie des Aus- 
druckes in der Musik überhaupt denkbar, so besitzt sie Staudigl! 

Wollte. man aus dem Gesagten jedoch den Schluss ziehen, dass 
Staudigl überhaupt eine poetische Künstlernatur sei, so würde man 
sich von der Wahrheit weit entfernen. In seiner Seele klingen nicht 
die Eindrücke des Aussenlebens als Aeolsharfentöne wieder; ihm 
fehlt die Elastizität des Gemüthcs, die poetischen Naturen eigentüm- 
lich und durch welche sie sowohl Lust als Schmerz in sich aufneh- 
men und sie wieder, gleichviel ob in Worten oder Thaten, aus- 
hauchen. 

Seinem Naturell liegt jede leidenschaftliche Erregung ferne, kalt 
reflektirend behandelt er die Musik als abstraktes Studium. Aus 
dem Gesagten aber geht hervor, dass Staudigl kein dramatischer 
Sänger in der höheren Bedeutung des Wortes sein kann. Und er ist 
es auch nicht. Seine Darstellung ist nicht durchgeistigt von einer 
poetischen Intuition. Er fasst den darzustellenden Charakter Mos 
vom Standpunkte des Verstandes auf und seine Darstellung ist das 
• Resultat desselben , das Gemüth hat keinen Theil daran. Er kann 
daher auch in den Momenten des Affektes durch die Künste des 
musikalischen Vortrages blenden, rühren durch die eigene -Rührung, 
hinreissen und begeistern durch die eigene Begeisterung kann er 
nicht. Sein praktischer Blick, basirt auf sein musikalisches Ver- 
ständniss, bewahrt ihn vor Missgriffen; nur wo die Sucht, sein Re- 
pertoir nach allen Seiten hin zu vergrössern und Zu erweitern , ihn 
verleitet, ganz aus seinem Genre herauszutreten und komische Par- 
tieen wie den Leporello und Osmin in das Bereich seiner Darstellung 



tH^C 



zu ziehen, da wird er läppisch statt— komisch zu sein. Staudigl 
hat einmal den Marcell in den Hugenotten Herrn Draxler überlassen 
und dafür den Visconti gegeben, eine Partie, welche seine Vorläufe* 
darin nie alpiner Geltung bringen kcamien, er aber excellirte damit 
nicht BU^'S^raob dieselbe auch *u einer Bedeutung. Bas gewönne 
liehe Publikum war damals über «eine dramatische Auffassung mu ! 
zückt und wusste die höchst gelungene Darstellung dieses Charak- 
ters nicht genug zu preisen; und doch war es nicht diese, sondern 
nur die Virtuosität des Sängers, seine musikalische Routine, 
die in der Schwurscene die Effektmomente geschickt herauszustellen 
und damit zu wirken verstand. Staudigl hat desshalb auch immer 
nur unter den musikalischen Technikern seine unbedingten Ver- 
ehrer gehabt; gerade jene, welchen der Mangel des poetischen Ele- 
mentes in seinem Gesänge gar nicht fühlbar war, während ihnen hin- 
gegen seine immense musikalische Technik imponirte. l>ass die Ver- 
götterung aber eben auch nur so lange dauern kann, als die Kraft 
und der Wohlklang seiner Stfmme im richtigen Verhältniss zu den 
Künsten seines Vortrages stehen, beweist die Abnahme der Gunst 
des Publikums, die sich in der letzteren Zeit bei dem Auftreten Stau- 
digls augenfällig bemerkbar macht. 

Man braucht eben kein grosser Psychologe zu sein, um aus dem 
Gesagten den Schluss zu ziehen, dass ein Mann, der in seinem gan- 
zen Leben sich ausschliesslich mit sich selbst beschäftigte und dem die 
innersten Seiten des Gemüths nie erklungen bei seinem Kunstwirken, 
auch ein Fremdling geblieben sei in der Beurtheilung fremder Kunst- 
individualität und dass eine tiefer eingehende Würdigung von Kunst- 
leistungen überhaupt niemals seine Sache gewesen sein kann. Wie 
wenig daher Staudigl zum Opern-Regisseur und zuletzt sogar zum 
Vizedirektor des Operntheaters getaugt, dies haben selbst seine blin- 
den Verehrer eingesehen. Staud : gl ist überhaupt nie an seinem 
Platze, wo es sich darum handelt, aus der Contemplation des eigenen 
Produktionsvermögens heraus zu treten in die Objectivität gegenüber 
fremden Kunstleistungen. 



DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH. 



III. 

„Le Pere Gaillard 11 von Reber. 

In dem „P£re Gaillard" sehen wir uns in das französische Fa- 
milienleben versetzt. Vater Gaillard ist Gastwirth und Dichter in 
einem Dorfe der Normandie, dabei ein guter Ehemann und guter Va- 
ter. Er liebt nicht blos von ganzem Herzen seine Pauline, sondern 
auch den jungen Gervais , welchen ihm der Historiker Eude kurze 
Zeit, bevor er starb, anvertraut hat. Obgleich erst 18 Jahre alt, ist 
Gervais in Pauline, die noch einige Jahre weniger zählt, verliebt und 
will sie heirathen. Vater Gaillard ist damit zufrieden, aber seine Frau 
widersetzt sich, weil die Leutchen noch zu jung sind. Dass sie sich 
selbst mit 15 Jahren verheirathet hat, wie ihr Vater Gaillard ins Ge- 
dächtniss zurückruft, macht sie nicht williger und so wird denn die 
Entscheidung bis auf die Eröffnung des Testaments von Eude (der 
hier den Namen Mezeray führte) verschoben. Jaqucs, der Garcon 
des Gastwirths, welcher mit Marotte, der Dienerin, einig ist, entschliesst 
sich gleichfalls zu warten. Unterdessen langt ein alter einäugiger 
betrunkener Capitän Orson mit seiner Frau und einem Procurator an. 
Es sind Verwandte des Historikers, welche die Erbschaft, die ihnen, 
wie sie glauben, zufallen wird, heben wollen. Mezeray aber, wel- 
cher mit der Frau des Capitäns , Mad. Orson , seiner Cousine , in 
früheren Zeiten ein Verhältniss hatte , dessen Frucht der junge Ger- 
vais ist, hat aus Dankbarkeit den Vater Gaillard, den treuen Pfleger 
und Beschützer seines Sohnes, zum Universalerben eingesetzt, und 
die Testaments -Eröffnung, statt die Hoffnungen seiner Cousins zu 
krönen, versetzt sie tn Wuth und Zorn. Was thun ? Der Procura- 
tor weiss Rath. Die beiden Vetlern verabreden sich, den Vater Gail- 
lard glauben zu machen, das» die ihm zugefallene Erbschaft die Be- 
lohnung für gewisse Gefälligkeiten sei , welche seine Frau dem Ver- 
storbenen erwiesen habe. Hier wird die Handlung ergreifend und die 
Art und Weise, in welcher sich Francine rechtfertigt, ist einfach und 



edel. Ein schriftliches Zeugniss, welches den wahren Thatbestand 
enthält, kommt ihr zu Hülfe und das Ganze schliesst höchst befrie- 
digend., , 

Der, Verfasser des Buches hat abwechselnd das Lachen und du 
Interessö fcervorzueufen gewusst und die einzelnen Scenen sind treff» 
lieh entwürfen und ausgeführt. 

Der Componist Reber wird als einer der tüchtigsten Künstler 
schon lange geschätzt. Seine Instrumental-Compositionen und seine 
Lieder zeichnen sich durch ein ernsteres Streben, durch eine klassi- 
sche Richtung vortheilhaft aus. In der vorliegenden Partitur offen- 
bart sich derselbe Charakter seiner Musik. Die Chöre sind gut be- 
handelt, ohne Anwendung der kleinlichen Kunst- und Effektmittel, 
welche Instrumental-Componisten gewöhnlich anwenden, wenn «sie 
Vocalsachen schreiben. Seine Instrumentation zeugt gleichfalls von 
richtigem Geschmack ; nichts ist zu wenig, nichts zu viel, und doch 
bringt es stets die beabsichtigte Wirkung hervor. Ohne grade be- 
sonders originell oder pikant zu sein, ist Reber stets selbstständig, 
seine Musik ist melodisch, seine Deklamation wahr und Alles ver- 
räth den durch Erfahrung und Studien gebildeten Künstler. Nach 
der Ouvertüre, in welcher eine Introduktion voller Grazie und Lieb- 
lichkeit sowie ein herrliches Clarinettsolo hervortreten, eröffnet ein 
Duo die Scene, welches als Trio endigt. Dasselbe trägt wie die fol- 
gende Melodie : „Ma Francine , ma Pauline" , gesungen vom Vater 
Gaillard, seiner Frau und Tochter, ganz den Charakter der älteren 
Musik eines Monsigny und Gretry. Die Romanze von Gervais über 
die höchste Glückseligkeit ist ein köstlicher Dialog voll Melancholie 
und Wehmuth zwischen dem Sänger und obligatem Hörn. Die An- 
kunft des Notars bildet die Hauptpartie des Finales im ersten Akt. 
Die Behandlung von dessen Rolle im fugirten Styl ist eben so in- 
teressant als effektvoll. Von Ensembles erwähnen wir noch ein, rei- 
zendes Terzett in B-dur, ein Sextett und ein sehr schönes Terzett: 
„Nous benissons son Souvenir." Meisterhaft behandelt ist der Chor, 
welcher Vater Gaillard zu der Erbschaft Glück wünscht. Die Glanz- 
punkte aber der Partitur sind die Romanze „ J'ai perdu mon bonheur", 
eine jener Inspirationen , welche das kälteste Auditorium ergreifen 
und erweichen, und eine kleine Piece, gesungen von Marotte an 
Joseph, welcher sich weigert ihr Mann zu werden. Voller Zorn und 
Verachtung und doch mit einem wunden Herzen ruft sie ihm zu : 
„Expliquez vous, expliquez vous." Die musikalische Behandlung die- 
ser Worte ist unübertrefflich und riss das Auditorium stets zu stür- 
mischen Beifallsbezeugungen hin. Hierauf! folgt ein grosses Duo zwi- 
schen Vater Gaillard und seiner Frau. Die Umwandlung des Zornes 
in Lachen in der Partie der Letzteren ist geistreich ausgedrückt. 
Nachdem die Explikationen erfolgt, die Heirathen beschlossen sind 
und Vater Gaillard die Erbschaft angenommen hat, kommt ein Mu- 
siker von Paris an, um sich mit dem Dichtcr-Gastwirth über die 
Kunst, gut zu singen, zu unterhalten, Und das Ganze endigt mit 
Chansons. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS DRESDEN. 

(30. Januar.) 

Schon längst hätte ich gerne meine Berichte für Ihre, auch hier 
mehr und mehr sich Bahn brechende Zeitung im neuen Jahre wieder 
begonnen. Aber es ist in der That eine schwierige Aufgabe, zu be- 
richten, wo es an Ereignissen fehlt, über die man mit gutem Ge- 
wissen berichten könnte. Nicht als hätten wir während der seit 
meinem letzten Berichte verflossenen sechs Wochen an Musik fühl- 
baren Mangel gelitten 1 Zu einem so unglücklichen — man könnte 
vielleicht auch sagen glücklichen Dasein bringt man's nun mitten im 
civiusirten Deutschland, an einem Ort, der den Ruhm eines Sitzes 
der Kunst seit undenklichen Zeiten beansprucht, einmal nicht. Aber 
ich hab's leider noch nieht einmal so weit zubringen vermocht, wie 
H. Heine, der in seiner jugendkräftigen Blüthczeit bekanntlich «in* 



2T — 



9 

mal gesungen : „Mir träumt, ich war* der liebe Gott !" und Selbst 
des Mangels an Conversationsstyl der sogenannten feinen Gesellschaft 
muss ich mich anklagen. Da wird denn wohl dem verehrten Leser 
einleuchten, dass ich gänzlich ausser Stande bin, „aus Nichts Etwas 
zu machen", und nur der Gedanke vermag mich einigermassen zu 
trösten, dass ich es hier mit soliden Leuten zu thun habe, denen an 
diesem „aus Nichts Etwas machen" nicht sonderlich viel gelegen ist. 

Mag die Weihnachtszeit an sich stets eine überwiegend unmu- 
sikalische sein, sie hat sich diesmal zwiefach also bewährt, denn 
selbst die Musikalienhändler wollen seit Jahren so geringer Geschäfte 
als diesmal bei uns sich nicht entsinnen , und nur Ein freundlicher 
musikalischer Stern leuchtete in die Dämmerung des Weihnachts- 
abends hinein : eine sehr gelungene Gesanganfföhrung klassischer und 
moderner Gesang-Compositioncn, womit die Feier der Christbeschee- 
rung im hiesigen Blindeninstitut unter Leitung des dort seit Jah- 
ren angestellten verdienten Gesanglehrers Carl Nöke , der unter den 
berühmtesten Meistern Deutschlands, Italiens und Frankreichs erfolg- 
reiche Studien gemacht, freundlich und erhebend eingeleitet zu wer- 
den pflegt. — Aber auch der begonnene Carneval, der in diesem Jahre 
überdies von kurzer Dauer, zeigte bis jetzt wenig Rührigkeit in mu- 
sikalischer Beziehung. Die fremden Wundervögel, ohne Gleichniss: 
die reisenden Virtuosen verschiedensten Alters und Herkommens, die 
sonst auch bei uns diese Zeit, um etliche neue goldene oder silberne 
Schwungfedern zu erbeuten, gar reichlich benutzten, seheinen uns 
gänzlich unbeachtet zu lassen, und (sub rosa) für ein absonderliches 
Unglück vermögen wir das kaum anzusehen. Freilich haben wir ei-' 
nige Concerte gehabt, wohlthätige und nicht wohlthätige — eigent- 
lich ist jedes Concert ein Wohlthätigkeitsconcert , insofern der Con- 
certgeber wenigstens für sich die Wohlthat einer möglichst reichen 
Einnahme beabsichtigt, wenn es auch sehr fraglich bleibt, ob damit 
dem Publikum (und der Kunst) eine Wohlthat erwiesen wird. Aber 
was nützt es den fernen Lesern , von ihnen spezielle Nachricht zu 
empfangen, wenn sie nicht an sich und in rein künstlerischer Be- 
ziehung von Interesse und Bedeutung sind? Ueberdies erstreckt sich 
bei hiesigen Wohlthätigkeits-Concerten im engeren Sinne selten nur 
die Wohlthätigkeit in Gestalt eines freien Entree auf die Vertreter 
der Presse, und diese Negative, mag sie so Manchem auch unprak- 
tisch und unpolitisch erscheinen, ist meist eine sehr positive Wohl- 
that, indem sie die Presse der Verpflichtung einer Notiznahme von 
nicht selten mittelmässigen und um so anspruchsvolleren Leistungen 
überhebt. 

Dass indess in einer Stadt wie Dresden das so oft laut gewor- 
dene Desiderium nach grösseren Abonnementsconcerten , Symphonie- 
soireen oder wie man sie sonst nennen will, unserer Kapelle immer 
und immer wieder im pium desiderium bleibt ; dass dadurch gerade 
Dresden hinter einer Anzahl anderer, selbst minder bedeutender 
Städte zurücksteht , ist freilich ein nicht tief genug zu beklagender 
Uebelstand, auf dessen scheinbare Verewigung eine Menge von Um- 
ständen einwirken, deren spezielle Aufzählung ich mir heute erspa- 
ren will. Ist doch selbst für jeden Winter das Zustandekommen ei- 
nes kleinen Cyclus von Quartettakademien in Frage gestellt, für 
welche wir hier in den weitberühmten Künstlern Lipinski und F. A. 
Kummer die trefflichsten und gediegensten Stützen besitzen. Und 
dass wir wirklich, wenn auch in bescheidenem Maasse, dieses Ge- 
nusses uns zu erfreuen haben, ist die einzige musikalische Thatsache 
von Bedeutung, die ich diesmal zu berichten vermag. 

Gestern nämlich fand die erste dieser Quartettakademien, veran- 
staltet von den beiden obengenannten ausgezeichneten Künstlern im 
Verein mit den Kammermusikern Hüllweck und Göring (zweite Vio- 
line und Bratsche) statt, und ein so ausserordentlich zahlreicher 
Besuch, wie ich ihn selten bei diesen Soireen hier erlebt, liefert den 
unzweideutigsten Beweis, wie sehr man hier wahre Kunstgenüsse zu 
schätzen weiss. Ich gehöre — die geehrten Leser wissen das wohl 
bereits und ich denke , es wird mir bei ihnen eben nicht schaden 1 
— nicht zu den verhimmelnden und verzückten Enthusiasten, wie sie 
gewisse Parteien in der modernen Kunstwelt allein brauchen zu kön- 
nen meinen. Doch bei einer derartig vollendeten, in der That mei- 
sterhaften Leistung, wie der gestrige Quartettabend, eben sowohl in 
technischer, als in geistiger, wahrhaft künstlerischer Beziehung, na- 
mentlich auch im ausgezeichnetsten Ensemble, nicht dem geringsten 
Verdienst eines Quartetts, uns bot, ma'gs wohl erlaubt sein, einmal 
in gelinden Enthusiasmus zu gerathen, und ich möchte es nicht als 



facon de parter angesehen wissen» wen« ftfc die Ueberzengung aus- 
spreche, dass die gestrige Leistung der genannten Künstler jetzt 
schwerlich von irgend einem Quartettverein übertroffen wird. Wir 
hörten zuerst Mozarts Meisterquartett In C-dur (Nro. 6, Op. 10) mit 
der durch den jahrelangen theoretischen und in der That unfruchtba- 
ren Streit über ein angeblich fehlendes b auch kritisch berühmt ge- 
" Wordenen Introduction ; dann Beethoven's grossartiges Quatuor in £- 
moll, Op. 59, und endlich Haydn's anmuthiges D-dur-Quartctt; Op. 6f» 
Nr. 1 — nach der Pariser Ausgabe Nr. 63 ; in der neuen durch Li- 
pinski besorgten und hier bei W. Paul vollständig erschienenen Cote- 
lection Nr. 45. Den Lesern einer Musikzeitung gegenüber wäre es 
Anmassung, über diese Werke noch aphoristische Andeutungen ge- 
ben zu wollen, während zu einer umfassenden Analyse doch ein« 
Correspnndenz natürlich keinen Raum bietet. 

Unsere Oper zehrt von dem aufgespeicherten Vorrat!»; ho£ 
fentlich wird sie es sich angelegen sein lassen, denselben bald wieder 
zu ergänzen und zu vermehren. Mit der „weissen Dame" beschloss 
sie das alte Jahr, mit dem „Propheten" begann sie das neue; Ipfti- 
genie, Templer, Jessonda, Stradella, Hugenotten, Regimentstochter» 
folgten bis jetzt — Don Juan und die Vestalin stehen für die nächste 
Zeit in Aussicht und werden insofern ein erneuertes Interresse er* 
regen, als darin Frl. Louise Meyer von Cassel, nenengagirtes Mi* 
glied unserer Bühne, auftreten wird, die in den letzten vierzehn Ta- 
gen als Rebekka (Templer) , Jessonda und Valentine (Hugenotten) 
hier debutirte. Man hat sich von der jungen Künstlerin , die ohne* 
vorangegangenes Gastspiel hier, man sagt unter verhältnissmässig 
sehr glänzenden Bedingungen, engagirt worden, grosse Erwartungen 
gemacht. Diese sind (und die bisherigen Leistungen gestatten wohl 
ein Urtheil) keineswegs befriedigt worden; als Prima-Donna assoluta 
reicht Frl. Meyer für unsere Bühne nicht aus, während sie doch eine 
bescheidene Stellung dem Vernehmen nach ernstlichst perhorrescirt» 
obwohl das (später abgeschlossene) Engagement der Frl. Jenny Ney 
unbedingt eine solche ihr anweisen muss. Frl. Meyer zeigt ein ern- 
stes Streben, viel Bühnengewandtheit, ein sicher gerundetes, von gtt> 
ten Intentionen getragenes, nur oft zu lebendiges Spiel j sie ist eine 
anihuthige Erscheinung mit angenehmer Stimme, in der leicht an- 
sprechenden und volnbilen höheren Sopranoctave und einer recht An- 
sprechenden Manier* des Vortrages, die sie, wie so manche kleine 
Koketterien und bestechende Nuancen desselben wirkungsvoll nnd mit 
Umsicht anzubringen und geltend zu machen versteht. Aber «tili 
Stimme ist für erste dramatische Partieen von zu geringer Intensität, 
die tiefere Octave fast tonlos und so schwach , dass sie selbst beim 
discretesten Accompagnement nicht durchzudringen vermag. Dies» 
Ungleichheit der Stimme weist auf eine mangelhafte künstlerische 
Ausbildung hin, die sich auch in häufig ungelenker Coloratur, stei» 
fem Recitativvortrage , fehlerhafter Vocalisation , undeutlicher Aus- 
sprache u. s. f. bemerklich macht, und wenn ihr nicht bald ernst- 
liehst nachgeholfen wird, den frühen Ruin des Organs, den Unter» 
gang eines an sich nicht unbedeutenden Talents unfehlbar bewirken 
muss. Dass doch unsere modernen Sänger und Sängerinnen da» 
praktische Studiren für eine gar zu unbedeutende Nebensache an- 
sehen l Dass wir überdies so wenig gründlich gebildete Gesanglch* 
rer besitzen, die mit hingebender Beachtung der Stimmeigenthümlich- 
keit die gesunde und künstlerisch gediegene Ausbildung des Organs 
zu überwachen und zu leiten verstehen! — Fr. Meyer hat übrigens 
hier bei ihren Debüts eine freundliche und ehrenvolle Aufnahme ge- 
funden — von komischen (oder ärgerlichen), zumTheil missglückten 
extravaganten Bemühungen guter Freunde, getreuer Nachbarn u. dgL, 
die nirgends leicht so übel angebracht sind, sehe ich natürlich ab — 
ohne dass man über ihre Mängel sich verblendet hätte. 

Auch in diesem Monat hat der Tod wiederum zwei der jüngeres 
Mitglieder unserer Kapelle abgerufen : die Kammermusiker Uhlig 
und Friedrich Schubert, deren erstes (ViolMnat) * m 3 *» *ere* 
zweites (Gellist, Bruder unseres trefflichen Conc^rtnteistersSeliiiner^ 
am 20. Janaar starb. 



*8 



AUS BRAUNSCHWEIO. 

(Kode JlUtttr.) 



Die „Favoritin" ging hier am 21. Jan. zum ersten Male bei ge- 
fülltem, Hause in Scene. Die Oper hat im Ganzen, sehr angespro- 
chen, was aber wohl mehr an der vortrefflichen Durchführung der 
Jlauptparthieen, die sich in den Händen der Herren Himftier (Fernand), 
Kusch (König Alfonso) und des Frl. Wurst (Eleonore) befanden, ge- 
legen haben mag, als an der Oper als solche betrachtet, die, freilich 
«ein etwas besseres Erzeugniss der Donnizetti'schen Muse, doch des 
Wunderbaren und Abenteuerlichen sowohl in Text als in Musik 
»och genug enthalt, um einen Verehrer der wahren Kunst unan- 
jgenehm zu berühren. 

Von Frl. Sandvoss und Herrn Nusch, die sich anfangs nicht so 
recht in die Gunst des Publikums setzen konnten, aus den vor Kur- 
zem in diesen Blättern angeführten Gründen, haben wir zu melden, 
dass sie dieselbe jetzt in ihren Leistungen entsprechendem Maasse 
gemessen. Bei einer kürzlichen Auffährung der Lucia wurden Frl. 
Sandvoss (Lucia) und Herr Himmer (Edgardo) mehre Male und ein- 
mal sogar bei offener Scene gerufen. Ist Letzterer auch nicht ganz 
von einigen unangenehmen Manieren im Gesang freizusprechen, die 
weh ja mit ernstem Willen bald beseitigen lassen, so verdient sein 
überaus feuriges und charakteristisches Spiel die vollste Anerkennung; 
doch auch darin möchten wir ihm bisweilen etwas Mässigung wün- 
schen. Das Zuviel, sowie ebenfalls das Zuwenig, berührt stets un- 
angenehm, nur die rechte Mitte zwischen beiden ist immer des end- 
lichen Siegs und Beifalls gewiss. Das von Hrn. Himmer Gesagte gilt 
auch von Frl. Wurst, unserer Primadonna, die übrigens ein sehr 
achätzenswerthes Mitglied unserer Oper ist. Wie wir mit Bedauern 
erfahren haben, will dieselbe unsere Bühne verlassen und gedenkt 
zu ihrem Abschiedsbenefiz die neue Oper der Mad. Schmezer „Otto 
der Schütz" zu geben; wir werden dieselbe also vielleicht noch lau- 
fenden Winter zu hören bekommen- Es ist erstaunlich, wie sehr 
man sich anstrengt! Sollte Herr Abt, ein sehr kunstsinniger und 
strebender Geist, den Schlendrian, in welchen unsere Oper nach und 
nach verfallen war, ein wenig aufgerüttelt haben? Das wäre wahr- 
lich ein grosses Verdienst, und damit die verschiedenartigen Hoff- 
nungen, die sich an seinen Aufenthalt bei uns knüpfen, theilweise 
schon gerechtfertigt. Mozart's „Requiem" wird er, wie es heisst, am 
Charfreitag mit seiner Sing-Akademie zur Aufführung bringen. 

Schliesslich sei noch des letzten Liedertafelconcerts gedacht, in 
welchem Julius Otto's Composition für Männergesang und Orchester 
„Im Walde" mit gewohnter Präcision aufgeführt wurde und in wel- 
chem sich ausserdem ein Bassist des Herzogl. Hofchors, Herr Frei, 
Acren liess, der in Mozarts Arie „In diesen heil'gen Hallen" am 
Schluss bis zum Gontra-H hinabstieg und durch die Klangfülle dieses 
durchaus nicht gequetschten Tons alle Zuhörer ins äusserste Erstau- 
nen versetzte. 



NACHRICHTEN. 



Bonn» In diesem Winter fanden vier Abonnements-Concerte 
statt. Unter Anderem wurden darin aufgeführt: Beethovens B-dur- 
Sinfonie und Schumanns „Pilgerfahrt der Rose." An die Stelle des 
Herrn Professor Bischof, des bisherigen Direktors des Beethoven- 
Vereins, welcher nach Cöln übergesiedelt hat, ist Herr v. Wasie- 
lewsky (als Dirigent des Gesang- Vereins Coucordia und als 1. 
Vorgeiger hierher berufen) getreten. 

Mit den hiesigen Theaterverhältnissen sieht es traurig aus. Zwei 
Direktoren haben dabei Bankerott gemacht und die StoIIwerk'sche 
Gesellschaft aus Cöln wie die Koblenzer Theater-Truppe, welche eine 
kurze Zeit ihr Heil versuchten, hatten ebenfalls schlechte Einnahmen, 
so dass sie den Versuch aufgaben. Nun soll das erst vor 3 bis 4 
Jahren neuerbaute Haus wieder verkauft werden. 



Der Componist Netzer hat der Direktion der Hofbühne drei neu 
Opern eingereicht« 



Leipzig. Wagner's Tannhäuser ist mit grossem Beifall aufge- 
nommen worden. 

Frau Marra-Vollmer ist aufs Neue auf 1 Jahr engagirt worden. 



Breslau« Der „Fliegende Holländer" Ton Wagner wurde hier 
nach der enthusiastischen Aufnahme des Tannhäuser aufgeführt, hat 
aber weniger gefallen. 



Paris« Freunde und Liebhaber der Harfe wurden in letzter Zeit 
durch einige Matineen erfreut, welche bei Mess. Erard's stattfanden 
und wobei neue Gompositionen für dieses Instrument ausgeführt wur- 
den. Unter Anderem wurde ein grosses Quartett für 4 Harfen und 
ein sehr effektvolles Duett aus den Hugenotten, beide von Hrn. Ober- 
thür componirt, vorgetragen und erwarben sich lebhaften Beifall. 
Die Ausführenden waren neben Hrn. Oberthür die HH. Wright, Bo- 
leyne, Reeves und Trust. 

— Die Italienische Oper hat zweimal „Don Juan" gegeben. Die 
Cruvelli als Donna Anna und der Tenorist Calzolari als Octavio 
zeichneten sich besonders aus, dagegen zeigte sich der Baritonist 
Montemierle, von dessen Kunst so viel gefabelt worden war, seiner 
Aufgabe nicht gewachsen. Nach diesen beiden Vorstellungen kehrte 
man zu dem beliebten Repertoir „Norma" und „Somnambula" zurück, 
— Die Societe" St. Cecile eultivirt in ihren Concerten gute Musik. 
Ihre Programme bestehen grösstentheils aus Haydn, Mozart, Beethoven 
und Weber. 

M. Bohrer, Violoncellist aus Stuttgart, hat ein Goncert gegeben 
und darin seinen Ruf auf das Glänzendste bewährt. 

Mad. Stolz wird erwartet; sie befindet sich gegenwärtig in Lis- 
sabon. 



Venedig. Verdi hat schon wieder eine neue Oper, für das 
Fenice-Theater bestimmt, in Arbeit. Sie heisst „Trovita", Text nach 
Dumas, die Dame mit den Camellien. 



Mailand. Verdi's „Rigoletto," welcher am 18. Januar in der 
Scala zum ersten Male zur Aufführung kam, ist ziemlich kalt aufge- 
nommen worden. Man findet, dass die neue Manier, in welcher 
Verdi schreibt, eine Einschmuggelung des französischen und deut- 
schen Styls ins Italienische sei und bedauert diese Verirrung. Der 
glückliche Verdi , im Besitze dreier Style zu sein ! Auch in Genua 
ist die Oper ohne Erfolg gegeben worden. 



Liverpool. Ein Mr. Willis hat für die St.-Georges-Halle eine 
riesige Orgel erbaut, deren Bälge durch eine Dampfmaschine getrie- 
ben werden. Wohl die erste Anwendung der Dampfkraft auf Musik. 



New York. Das Projekt einer neuen Italienischen Oper mit 
den Damen Alboni und Sontag ist nicht zur Ausführung gekommen. 
Statt dessen giebt jede dieser Sängerinnen eine Reihe Vorstellungen 
in einem der gewöhnlichen Theater. Mad. Alboni hat vom 27.— 31 
Dez. im Broadwaytheatre viermal die Cenerentola gesungen. Am 3. 
Januar erschien sie als Regimentstochter. Die Preise der Plätze 
sind seit ihrem Auftreten bedeutend erhöht worden. Mad. Sontag 
beginnt ihre Vorstellungen am 10. Jan, im Niblotheatre mit der Re- 
gimentstochter. Alle Plätze sind im Voraus genommen. 



* Flotow's „Indra" wird in Hannover und. Frankfurt am Main 
vorbereitet. 



Berlin. Frl. Johanna Wagner tritt im Juni d. J, einen zeha- 
monatlichen Urlaub an« 



* Während die Hofbühnen in Wien und München unter der In- 
tendanz Laube's und Dingelstädt's im vorigen Jahre Ueberschüsse er- 
zielt haben, hat die Berliner Hofbühne ein Defizit von 80,000 Thlr. 
gehabt. 
VerwitwOTtlJeker ÄwUltenr: J« J. 8CB0TT. -DiMk.v«! REVIER* WALLAü In Malus. 



2. Jährling. 



Rfr« 8. 



21. Februar 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

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REDACTION HD VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 





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Quartal. 



Inhalt t Die komische Oper in Frankreich IV, — Musikleben in Schwerin I. — Gorresp. (Schweiz und Wien). — Nachrichten. 



DIE KOMISCHE OPER III FRANKREICH. 



IV. 

„Marco Spada 1 * von Auber, 

Auch in diesem Ruche lässt uns Scribc die Reise nach Italien 
machen, um mit den Banditen, die seine geschäftige Phantasie stets 
aufs Neue erzeugt, zusammen zu treffen. Der erste Akt spielt zu 
Aibano in einem Schlosse des Barons von Torrida. Drei Personen 
treten auf: Der Gouverneur von Rom, die Marquise San-Pie'tri, seine 
Nichte, und ein Dragoner-Capitän. Sie haben sich verirrt und kom- 
men zu dem Schlosse, um Gastfreundschaft während der einbrechen- 
den Nacht zu erbitten. Sie läuten an allen Thoren, ohne dass sich 
Jemand sehen lässt, bis es endlich gelingt, sich vernehmlich zu ma- 
chen. Die Thüre öffnet sich und ein junges, schönes, dabei schüch- 
ternes Mädchen erscheint, welches sich beeilt, den unbekannten Be- 
suchern ein Unterkommen anzubieten. Angela, das junge Mädchen, 
erfährt bald, dass sie den Gouverneur von Rom beherbergt und die- 
ser, um sich dankbar zu zeigen, ladet sie zu dem Feste ein, welches 
er morgen in seinem Palaste gibt. Angela ist darüber um so mehr 
erfreut, als sie dort den Grafen Frdderici, den Erwählten ihres Her- 
zens, finden wird. Unterdessen ist der Baron von Torrida zurückge- 
kommen, seine Tochter, die ihn anbetet, unterrichtet ihn von den 
anwesenden Gästen. Diese Gelegenheit, drei Opfer unter seiner 
Hand zu haben, an denen er sich rächen kann — denn der Baron 
v. Torrida und der gefürchtete Bandit Marco Spada sind eine Person — 
will er sich nicht entschlüpfen lassen. Er trifft die nöthigen Vorbe- 
reitungen, um sich seiner Gäste zu bemächtigen, während ihm die 
arglose Angela von Frederici, ihrem Geliebten, erzählt und durch 
ihre Bitten seine Einwilligung in ihre Verbindung zu erhalten sucht. 
Er verspricht es ihr. Die von Marco Spada benachrichtigten Ban- 
diten sind herbeigekommen und eben im Begriff, sich auf die Gäste 
zu stürzen, um sie zu fesseln, als das Geräusch von Waffen und der 
Schall von Hufschlägen hörbar wird. Eine Escadron Dragoner, von 
FreMerici geführt, kommt des Weges. Der Gouverneur und seine Ge- 
fährten, welche nichts von der Gefahr ahnten, in welcher sie schweb- 
ten, sind gerettet. — Der zweite Akt führt uns nach Rom in den 
Palast des Gouverneurs. Man singt, man tanzt, man plaudert. Der 
Baron von Torrida mit seiner Tochter Angela, welche zugegen sind, 
unterhalten sich trefflich, als sich das Gerücht verbreitet, Marco 
Spada befinde sich unter den Gästen. Marco Spada fragt den Gou- 
verneur: „Kennen Sie den Banditen?" — „Nein", antwortet dieser, 
„aber ich habe einen Dominicaner in der Nähe, welcher einmal sein 
Gefangener war; noch ehe Jemand den Salon verlassen kann, kommt 
er und wird seinen Mann bald herausgefunden haben." 

In der That erscheint der Vater Boromäus mit der Almosen- 
büchse; er geht von einem Gaste zum andern, aber ohne den Ge- 
suchten zu finden, denn dieser weiss sich auf geschickte Weise im- 
mer hinter seinem Rücken zu halten. Endlich trifft er ihn zufällig, 
als dieser mit seiner Tochter allein ist. „Marco Spada!" ruft er — 
aber schon sitzt ihm eine Pistole an der Stirn, Wie sich denken 



lässt, weicht Boromäus zurück, er muss durch eine Seitenthür das 
Haus verlassen und fällt dabei in die Hände der Banditen. 

Fre'denci, den Einige für den Banditen von Aibano gehalten ha- 
ben, erscheint nun, vom Gouverneur begleitet, der ihn dem Baron v. 
Torrida vorstellt. Da er der Tochter sicher zu sein glaubt, bittet er 
den Baron ohne Weiteres um ihre Hand. Das arme Kind jedoch, 
welches Zeuge der schrecklichen Scene zwischen ihrem Vater und 
dem Dominicaner war, sagt jetzt nein — ohne dass ihr Liebhaber 
dadurch besonders in Verzweiflung käme. Er hatte bisher hartnäckig 
die ihm angebotene Hand der Marquise San-P&tri ausgeschlagen. 
Die undankbare Angela verdient jetzt ein solches Opfer nicht mehr. 
Er kehrt zur Marquise zurück. v 

Der dritte Akt bringt uns endlich mitten in das Räuberleben 
hinein. Marco Spada hat sich mit seiner Tochter in seine Höhle be- 
geben, dem Zufluchtsort seiner Getreuen, Angela beweint ihr Un- 
glück, aber — lieber unter Räubern leben, als den Vater verlassen. Sie 
cntschliesst sich — eine zweite Marie — an der Spitze der Bande 
zu marschiren. Die Liebe lässt sie aber nicht los. Der Dragoner- 
Capitän Pepinelli und die Marquise San-Pie'tri werden als Gefangene 
in die Höhle gebracht. Marco Spada erfindet ein treffliches Mittel, 
um die Heirath zwischen dem Geliebten seiner Tochter und der Mar- 
quise zu vereiteln: Letztere muss sich auf der Stelle von Boromäus, 
der zum Glück noch da ist, mit dem Capitän, ihrem alten Anbeter, 
verbinden lassen. Die Trauung ist aber kaum vorüber, als die Dra- 
goner, welche zur Verfolgung der Banditen ausgesandt sind, heran- 
kommen und die Ueberraschten angreifen. Nach kurzem Kampfe 
werden die Banditen überwältigt, der Hauptmann selbst wird tödtlich 
verwundet. Um ihn herum stehen sämmtliche Personen , vom Gou- 
verneur bis zu dein Vater Boromäus, der gerade noch zur rechten 
Zeit kommt, um ihm seinen Segen zu geben. Noch vor seinem Tode 
aber legt er ein wichtiges Geständniss ab: Angela ist nicht seine 
Tochter, sondern nur von ihm erzogen. Diese Lüge rettet sein Kind 
vor der Schande und vor dem Elend, denn nun steht ihrer Verheirathung 
mit Freddrici nichts mehr im Wege. Der grossherzige Bandit ent- 
schläft nach diesem wohllhätigen Werke und — tout est fini ! 

Die Partitur des populären Meisters zu analysiren, würde zu viel 
Raum wegnehmen, wir müssen uns begnügen, die bedeutendsten Num- 
mern hervorzuheben. 

Im Ganzen muss das Werk den glücklichen Schöpfungen Aubers 
beigezählt werden und der Reichthum an musikalischen Ideen, wel- 
cher sich darin findet, kann nur mit dem des „Fra Diavolo" oder der 
„Stummen" verglichen werden. 

Der erste Akt enthält 6 Nummern; eine Cavatine in G, gesungen 
von Angela, welche mit einer Scene und einem Quartett von elegan- 
ter Behandlung und melodischem Schwung verbunden ist. Hierauf 
folgt eine Serenade in C mit einfachem graziösen Gesang, Zuerst 
begleitet die Guitarre, später nimmt das Orchester das Motif auf. 
Ein Duo für Sopran undBass ist sehr effektvoll, und dramatisch, vor 
Allem entzückte das Allegro in demselben die Zuhörer. Ein kleines 
Quartett in A zeichnet sich durch Zartheit und Geschmack aus. Die 
Schlussscene mit Finale ist sehr schön gearbeitet und des Meisters 
.würdig. 



— 30 — 



Der zweite Akt enthält 5 Nummern: eine Ariette in C von 
prächtigem koketten Ausdruck; eine Scene, in welche die Verfasser 
recht glücklich «ine Liebeserklärung in vier verschiedenen Sprachen 
eingeflochten haben : der Russe singt in G-molI, der Engländer in 
G-dur» der Italiener in B-dur, ebenso der Franzose. Die Combtnation 
der Sprachen und des Gesanges sind geistreich, aber es bedurfte der 
Phantasie und des Genies von Auber, um daraus so glückliche Ef- 
fekte zu ziehen. Nach einem interessanten Chor folgt eine Arie des 
Mönches in G-dur. Das Finale bildet eine Cavatine für Bass und 
ein Trio. 

In allen diesen Piccen sind die lieblichsten Motife enthalten 
und lassen die Schöpferkraft des Componisten bewundern. 

Der dritte Akt enthält wieder 6 Nummern; zuerst eine Canzo- 
nette für Angela, welche mit den lieblichsten Wendungen endigt. 
Dann eine syncopirte Arie in F-moll mit Begleitung des Chors , spi- 
rituell und glänzend, eine wahre Perle des Werkes. Hierauf eine 
Cavatine des Dominikaners in herrlichem imposanten Charakter und 
mit einer Begleitung voller Poesie und Grösse. Die folgende Arie 
für Angela ist etwas lang aber äusserst dankbar, besonders das Al- 
legro. Mlle. Duprez feierte mit dieser Nummer einen Triumph. 

Wie man sieht ist auch diese Partitur ein bedeutendes Werk und 
verdient die allgemeine Beachtung der Opernfreunde. 



MUSIKLEBEN IN SCHWERIN. 



I. Die Oper« 

Das Beste und Eigentümlichste, was an Musik geboten wird, 
.concentrirt sich auch hier in der Oper, daher fangen wir mit ihr 
an. Sehr bedeutend ist auch diese hier nicht, aber sie brachte uns 
in letzterer Zeit doch manches Bemerkenswerte. Dahin rechne ich 
den Tannhäuser von Wagner und Gluck's „Iphigenie in Tauris". 
Erstere Oper wurde in der verflossenen Saison 7mal und in der 
jetzigen bis dahin 2mal aufgeführt, woraus schon erhellt, dass sie 
mit lebhaftem Beifalle aufgenommen ist. Dies ist erklärlich, wenn 
man die Operci in neuester Zeit unbefangen betrachtet; und erfreu- 
lich, weil Wagner auf besseren Wegen wandelt. Zwischen den ver- 
schiedenen Antagonisten und den rückhaltlosen Bewunderern wird 
es den in der Mitte Stehenden bis jetzt schwer, auf- und durchzu- 
kommen, und sie thun auch wirklich am besten, den Lärm stillbe- 
obachtend vorüberranschen zu lassen. Es wird sich hoffentlich bald 
ein Urtheil über Wagner feststellen. Im Grunde bezweifelt Keiner, 
dass der Text des Tannhäuser mindestens als Ganzes besser ist, als 
die früheren Opern ; aber „hohe Poesie'* bietet er damit noch lange 
nicht Eben so ist es mit der Musik: sie schwingt sich grade so 
hoch, als der Text, und daher muss Jeder ihre innige Verschmelzung 
mit den Worten empfinden, mag er imUebrigen darüber denken, wie 
er will. Aber rein musikalische Schönheiten sind in ihr nicht ver- 
borgen (kleine Phrasen abgerechnet), warum es auch sehr erklärlich 
ist, wie Wagner die musikalische Schönheit an sich, sowie 
sie in den unvergänglichen Mustern unserer Klassiker offenbart ist, 
abstract und unlebendig findet (daher sein Ausdruck „absolute Mu- 
sik"). Die Ermattung, welche die Gesammtheit der Zuhörer über- 
kommt bei öfterem Anhören des Tannhäuser, ist wohl der deutlichste 
Wink zum Verständnisse der musikalischen Dramatik Wagner's. Nur 
möge Keiner verkennen, dass in Wagner's Opern etwas durchaus 
Gesundes und Berechtigtes und daher der Gegenwart gegenüber not- 
wendig Siegreiches vorhanden ist ; dies ist die Anlage seiner Werke 
als Ganzes, der dramatische Gedanke, die nicht zufällige instmetive, 
sondern bewusste und planvolle Charakteristik seiner Personen durch 
das einheitliche Zusammenwirken von Gesang, Spiel, Orchester und 
Dekoration, die lebendige Bewegung, die wirkliche Situation. Hierin 
ruhen alle Vorzüge Wagner's und hierin ist das Lob begründet, wel- 
ches seinem Streben gespendet werden muss. Weil diese Anschau- 
ung über Wagner die vollste Unbefangenheit bewährt beim Anhören 
seiner Werke und uns mit 4hm trotz seiner Irrungen in Frieden lo- 
hen lässt, ja weil sie den Quellpunkt anzeigt, aus dem seiu Gutes und 
Schlimmes entspringt, aus dem Wagner in seinen Tugenden und 
Schwächen verstanden werden kann — so empfehle ich sie dem ge- 
neigten Leser zu mehr als flüchtiger Beachtung. Es verschlägt nichts, 



dass im Tannhäuser noch manche Verstösse gegen gesunde Dramatik 
sich finden, denn im „Lohengrin" ist es in dieser Beziehung schon 
besser. Freilich klingt dies anders, als was Lisst, Müller, die „N. 
Ztschr. für Musik" u. A. veröffentlicht haben ; und doch, genau be- 
sehen und die Phrasen von himmelhohem Genie und von Gold- und 
Feuerkronen abgerechnet, schmilzt alles Lob dieser Verehrer auf 
das eben hier Ausgesprochene zusammen. Die Liebe und Hingebung, 
mit welcher diese Oper hier eingeübt und vorgetragen wurde, ver- 
dient das vollste Lob und sie, verbunden mit besonderer Beliebtheit 
des Hauptsängers und seiner Eingeübtheit in vielen anderen grossen 
Parthien, halfen dieselbe Oper in Aufnahme bringen. Aber das Pu- 
blikum that auch das Seine. Man hält hier den Tannhäuser für 
ein „erbauliches**, also für ein christliches oder doch moralisches 
Stück, für „eben so erbaulich als eine Predigt": daher der Zulauf 
in unserer frommen Stadt. Wagner der „Pastor der Zukunft"! es 
ist komisch, aber es ist einmal so. Wagner sagt hinsichtlich solcher 
Ansprüche von seinem Tannhäuser oder von sich selbst: „Was war 
im Grunde dieses Verlangen (Tannhäusers, d. h. Wagner's) Anders, 
als die Sehnsucht der Liebe, und zwar der wirklichen, aus dem Bo- 
den der vollsten Sinnlichkeit entkeimter Liebe, — nur einer Liebe, 
die sich auf dem ekelhaften Boden der modernen Sinnlichkeit eben 
nicht befriedigen konnte? — Wie albern müssen mir nun die in mo- 
derner Lüderlichkcit geistreich gewordenen Kritiker vorkommen, die 
meinem Tannhäuser eine spezifisch-christliche impotent verhimmelnde 
Tendenz andichten wollen! Das Gedicht ihrer eigenen Unfähigkeit 
erkennen sie einzig im Gedichte dessen, den sie eben nicht begrei- 
fen können'* (drei Operndichtungen S. 83). Das ist nun zwar wie- 
der ganz eigenthümlich niedrig gedacht und ausgedrückt, aber er hat 
doch Recht. Tannhäuser ist im Venusberg , d. h. er führt ein lüder- 
liches Leben. Endlich sehnt er sich nach Abwechslung, weil in ste- 
tem Genüsse mit der Kraft die Lust geschwunden ist. Er will fort, 
verspricht aber seiner holden Flamme, stets lüderlich bleiben zu 
wollen, nur mit „Freiheit", und hierzu werde ihm die katholische 
Maria helfen. Dieses seines neuen Evangeliums wegen geräth er 
(im Sängerkriege auf der Wartburg) in Händel mit einer Welt, die 
zwar trivial ist, aber doch noch nicht alle Feigenblätter abgeworfen 
hat; ausgestossen von ihr, pilgert er zum heil. Vater (nach Rom); 
dessen Fluch schleudert ihn wieder zurück bis an die Schwelle des 
Venusberges — aber Elisabeth, das Weib, welches er in seinem Le- 
ben der Freiheit liebte, hat für ihn gebetet , ist für ihn gestorben und 
an ihrem Sarge stirbt auch er, d. h. geht mit ihr ein in ein Reich 
rein sinnlicher, aber reiner und unendlicher Liebeswonne, wie Wag- 
ner sagt. — Dies ist in Kürze das „erbauliche" neue Evangelium, 
durch wclehes auch die Ouvertüre mindestens einen gedachten Zu- 
sammenhang erhält. Ich wiederhole es: Wagner bietet viel Gutes, 
wodurch er der dramatischen Kunst nützlich werden kann, besonders 
in der versuchten charaktervollen Durchbildung seiner dramatischen 
Persönlichkeiten; aber keine Partei und kein Gott wird verhüten 
können, dass seine Werke nur von vorübergehendem Werthe und von 
einer verhältnissmäsig sehr kurzen Lebensdauer sein werden. 

Während der „Tannhäuser" nach sorgfältigster Vorbereitung vor 
die Oeffentlichkeit trat, kam die Iphigenie in Tauris von Gluck 
(von dem höchst wahrscheinlich noch nie in Mecklenburg eine Oper 
aufgeführt ist), diese grosse Unbekannte für uns, ganz wie das erste 
beste neue Stück hervor ; und obwohl sie auf Kundige einen unaus- 
sprechlich erhebenden Eindruck machte, so stand doch die grosse 
Menge solcher Reinheit, Einfachheit und Grösse verwirrt und gelang- 
weilt gegenüber, einfach aus dem Grunde, weil sie von all dem noch 
nie etwas gehört hatte. Ist es nicht sehr schimpflich — nicht für 
die Menge, sondern- für die, welche ein solches Werk aufzuführen 
beschliessen und anordnen, wenn dieses mit so vornehmer Bequem- 
lichkeit geschieht, dass die meisten Theaterbesucher beim Lesen des 
Namens Gluck fragen: „Ist wohl noch ein junger Mann, hat er schon 
mehr componirt und wo lebt er?"— und nicht ebenfalls schimpflich, 
durch die laue Aufnahme nach solcher Vorbereitung gleich denMutn 
zu verlieren! Die Intendantur eines Hoftheaters ist schon als solche 
vor den Launen des Publikums sicher gestellt; und einseitigen Nei- 
gungen des Hofes kann sie wieder durch berechtigte Wunsche des 
Publikums die Waage halten: sie wäre also in dieser MittelsteUung 

grade der rechte Hort wahrer Kunst, wenn • üebet das 

Orchester im folgenden Berichte. 



— u — 



COBHESPOlTOENZEN. 



AUS DER SCHWEIZ. 

(Ende Januar.) 

Einen etwas höheren Standpunkt als in der Oper nimmt die Mu- 
sik in den Concerten ein, welche während des Winters in allerlei 
Orten, grossen und kleinen, gehalten werden. Die Orchesterwerke 
kommen zwar meistentheils nur in schwachen Umrissen und oft ziem- 
lich unkenntlich zur Aufführung, weil, wie schon gesagt, ausser in 
Basel, die Orchester ganz zufällig entstehen, indem ihre Glieder von 
den Herbstwinden zusammen geblasen werden, bei deren Wehen man 
erst daran denkt, die Eunstfreuden des langweiligen Winters zu or- 
ganisiren. Dagegen ist der virtuose Theil der Kapelle gar nicht übel 
bestellt, indem auch die Schweiz manchen tüchtigen Pianisten, Vio- 
linisten, Flötisten, Hornisten u. s. w. zum mächtigen Contingent der 
Künstlerarmee von heute stellen könnte. Auch gesungen wird viel, 
wiewohl minder virtuos, indem der vierstimmige Männergesang vor- 
zugsweise und mit einer wahren Leidenschaft getrieben wird, obwohl 
die schönen Stimmen zwischen Rhein, Jura und Alpen so dünn ge- 
säet vorkommen, wie draussen ringsherum. Die meisten Orte haben 
regelmässige Concerte aufzuweisen, aber nicht etwa blos Bern, Ba- 
sel und Zürich, sondern auch St. Gallen, Winterthur u. a. Städte. 
Von den reisenden Knnstnotabilitäten, den virtuosen Grössen und 
Kleinheiten, werden aber neben Genf und Lausanne im Westen nur 
jene Orte besucht. In Bern werden die Abonnements- Concerte von 
Herrn MethfesseJ, dem Sohne des bekannten Componisten, in Zürich 
von Herrn Alexander Müller, einem tüchtigen Pianisten, in St. Gallen 
von Herrn Bogler dirigirt , welche , wie die meisten Künstler und 
Kunstlehrer der Schweiz, Deutsche sind. 

Tüchtige - Violinisten sind die HH. Eichberg in Genf, Mascheick 
in Lausanne — dessen 14jähriger Sohn Ernst jetzt in mehreren 
Schweizerstädten gleichfalls schon mit grosser Bogengcwandtheit auf- 
trat — , Heisterhagen in Zürich; als tüchtige Pianisten sind noch in 
letzterem Orte Herr Baumgartner (Schüler Müllers), der sich neuer- 
dings auch in Compositionen versucht, in Genf Herr Adler aus Wien, 
in Winterthur Herr Kirchner aus Leipzig, zugleich Virtuos auf der 
Orgel und als Componist bekannt, zu nennen. 

Von grösseren Aufführungen dieses Winters waren in Genf: 
Rossini's „Stabat mater", in Zürich : Händel' s „Messias" , in St. Gal- 



len: die ganze Oper „Jessonda'' (vom Dileltantenchorverein Frohsinn). 
Das Stabat kam auf Veranlasuung der Herren Bettanchon und Du- 
bouret zu Stande, welcher Letztere die Tenorsolo's übernommen 
hatte; der Chor wie die übrigen Solostimmen waren mit Dilettanten 
besetzt. Die Magdalenenkirche war der wohlgewählte Ort der Auf- 
führung. Bei einer Wiederholung brachte man auch — seltene Ge- 
richte für das durch und durch französische Publikum! — einen Theil 
von Mendelssohn's Lobgesang und eine Arie aus dem Messias. Eben 
so neu war ein Quartett von R. Schumann, das man im ersten Con- 
certe des Künstlervereins spielte. — Der „Messias" in Zürich, in 
einem der Abonnementsconcerte vorgetragen , gerieth , namentlich in 
den Tutti's , sehr wohl j nur Schade, dass man ihn in dem niedrigen 
Concertsaale der Kasinogesellschaft geben musste l Die Chöre waren 
kräftig, volltönend und sicher. Ausserdem brachten die dortigen 
Abonnementsconcerte Symphonieen von Spohr, Mozart (beide aus 
Es-dur) und Beethoven (B-dur), welche letztere jedoch verunglückte. 
Die „Frühlingsphantasie" von Niels-Gäde, die mehr ein Orchester- 
stück mit Begleitung der Gesangstimmen , als eine Cantate ist, liess 
mit ihren Längen und Breiten kalt. — Ausserdem gaben in Genf 
Hr. Eichberg und seine Freunde seit Kurzem Quartette, worin ältere 
und neuere Meister vorkommen , nachdem Ernst dort im Sommer 
Furore gemacht hat. — In Zürich ist auch die blinde Sängerin Frl. 
Knopp aufgetreten. 

Richard Wagner, der körperlich sehr leidend ist, gedenkt näch- 
stens nach Paris zu gehen. Er hat den Text zu einer neuen deutsch- 
mythischen Oper kürzlich beendigt. 

Ueber die Oper mehr das nächste Mal. Im letzten Berichte bitte 
ich statt Stichon — Pichon, statt Zwicher — Zwicker zu lesen, 



AUS Will. 

(Ende Januar.) 

Es ist doch wahrhaftig ein trauriges Bild, wenn man so 
sieht in das Am eisentreiben des Concertisten - Schwarmes , wie sie 
auf dem öffentlichen Markte die Wenigkeit ihrer künstlerischen Ber 
deutsamkeit dem Publikum anbieten. Diese Kleinigkeitssorgen, dies* 
armselige Wichtigthuerei, dieses ängstliche Sollicitiren um die Stirn? 
men und Sümmchen der Öffentlichkeit, gepaart mit der dünkelhafter 
sten Anmassung, dies lächerliche Kokettiren mit dem Geschmack 
oder besser mit der Geschmacklosigkeit der Menge, diese erbärmlichen 
Triumphe, welche oft von ein Paar tüchtigen Fäusten gewonnener 
Claqueurs bereitot werden! — Sind dies die Künstler, belebt ven 
dem göttlichen Hauche der Kunst? Innere Kunst, welche die Seele 
hoch erhebt über die irdische Misere, und die Fantasie beflügelt «MS. 
kühnen Ideenfluge, welche den bunten Schleier aus Tönen gewoben 
hinbreitet über den Jammer und die Noth des Lebens, welche den 
Schmerz mildert und die Thräne trocknet, welche das Herz mit Wo»»* 

erfüllt, dass es aufjauchzt in Freude ? Nein, dies sind keine 

Künstler, es sind eben Geschäftsleute, die statt in Tuch und Wolle» 
Geschäfte in — Concerten machen. Ihre Kunst aber ist nur ein 
Geschäft. Von Wien holen sie sich Empfehlungsbriefe, um Klein» 
handel in Provinzstädten zu treiben, oder ein grösseres Unternehmern 
in Hamburg, Frankfurt, Paris oder London zu entriren! 

Von diesem Gesichtspunkte aus lässt sich auch der grösste Theil 
unserer Concerte nur beurtheilen, und selten erscheinen in der Fluth 
der Saison einzelne helle Punkte, welche sich erheben über dieses 
Geschäftstreiben und über die Flachheit des Dilettantismus, diese 
Wenigen aber müssen den wahren Kunstfreund entschädigen für die 
vielen vergeudeten Stunden, die er im Concertsaale hingebracht, ü| 
der Hoffnung — Musik zu hören! — • 

Das neue Jahr brachte bis heute wieder eine so grosse Menge 
von Concerten, Akademieen, Soirees, öffentliche und Privat-Musik> 
Aufführungen , Kinderproduktionen etc. , dass es wohl verzeihlich» 
wenn der Berichterstatter mehre unerwähnt lässt, und zwar aus dem 
einfachen Grunde , weil er sie gar nicht besuchte. Die Kunst wirf 
dabei wohl nichts verHeren, der Leser aber offenbar nnr gewinnen. 

Der bekannte Ciavierspieler und Componist mehrer beliebten 
Salonpiecen für Pianoforte, Herr Wilhelm Kühe, gab drei besuchte 
Concerte, in welchen er viel Beifall einerntete. Ausser einer Menge 
mehr oder minder bedeutender Salonpiecen trug er auch Mendels- 
sohns G-moll- Concert, dieses durch geistreiche Conception und Ideen- 
fülle, sowie durch eine seltene Formvollendung ausgezeichnete Werk. 
vor, Herr Kühe spielte dieses und alles andere mit anerkennen»- 
werther Fertigkeit und Reinheit, mit Geschmack und Eleganz, mit 
Bravour und Virtuosität , so dass man ihn in Bezug auf die Form 
unbedingt den besseren Clavierspielern der Gegenwart zuzählen kann. 
In geistiger Beziehung, d. h. als schaffender Künstler in seinem 
Spiele, wo Geist und Gemüth in der Tiefe des Gefühles, in der Kraft 
des Ausdrucks sich abspiegelt, da gelang es ihm weniger die Sym- 
pathieen des urteilsfähigen Publikums zu wecken. Kühe als Com» 
ponist zeigt in diesem Salon-Genre geläuterten Geschmack, er kennt 
die Effekte seines Instrumentes, weiss sie mit Geschick zu benützen 
und hat so viel Fantasie, um in melodischer Hinsicht aufs Ohr and 
wohl auch mitunter aufs Gemüth zu wirken. 

Ein zweiter Pianist, Herr Door, trat vor das Forum der Oeffent- 
lichkeit, nachdem er früher in einem sogenannten Privat -Concert 
vor einiger Zeit die Stimmung des Publikums sondirt hatte. Aach, 
er zeigte eine nicht gewöhnliche Ausbildung in der Behandlung seines 
Instruments, ja er leistete noch mehr, indem er bei dem Vortrage 
eines Quartetts von Pixis, eine Composition im ernsteren Style, be- 
müht war, in den Geist des Tondichters einzudringen. Da aber der- 
lei Tonstücke bei der Menge nicht jenen lauten Anklang finde», 
der einem Clavierspieler wünschenswert!» erscheint, so trug Herr 
Door dem Zeitgeiste auch damit Rechnung, dass er moderne Salon- 
piecen brachte, diese aber verfehlten natürlich ihre Wirkung nicht, 
und er musste die Concert-Polka von Wallace Wiederhelen. In sei- 
nem Concerte errang sich auch Herr Radwanner durch den Vertrag 
eines Preyer'schen Liedes rauschenden Beifall, den seine schöne, 
metallreiche Stimme , wäre sie mehr gebildet» im hohen Grade 
verdiente. 



- a» — 



TTm das Trifolium der' Ciaviervirtuosen voll zu machen, muss ich 
auch das Privat-Concert der Flu. Lukaseder erwähnen. Es ist diese 
Dame kein Neuling mehr auf den heissen Brettern der Privat-Con- 
cert©, schon vor mehren Jahren hatte sie sich eben so wie jetzt in 
Streichens Salon dem Privat-Concert-Publikum, und zwar unter vie- 
lem Beifalle vorgeführt. Auch sie opferte einen schwarzen Hahn 
auf dem Altar durch die Produktion des HnmmeFschen E-dur Trio, 
um die Kritik für sich zu stimmen; dann aber spielte sie allsogleich 
die Triller-Etude von Schulhoff, die D-dor-Etude von Henselt, ein 
ditto von Prudent und endlich ein ditto von Willmers, um das Ver- 
säumte gewissenhaft einzubringen, mit diesen griff sie natürlich auch 
durch, so dass sie Eines davon sogar wiederholen musste. Fräulein 
Lukaseder spielt diese Sachen ganz charmant. Bei diesem Goncerte 
hörten wir auch die liebenswürdige Dilettantin Frl. Nejebse. Die 
Stimme ist nicht gross, aber das Mädchen hat Gefühl und Poesie im 
Gesänge und gehört daher in dieser Beziehung zu den cose rare in 
unseren Concerten. 

Der französische Violinist Herr Horace Poussard gab zwei Con- 
eerte, allein in beiden zeigte er nur, dass die Violine am wenigsten 
das Instrument sei, bei dessen Behandlung man blos mit technischer 
Fertigkeit ausreicht. Ihm fehlt ein grosser Ton, um ein grosser 
Violinspieler zu sein, es fehlt ihm aber überdiess noch an Wärme, 
Empfindung, Gefühl, um auch nur einen kleinen Künstler auf der 
Geige vorzustellen. Seine Compositionen sind ein Conglomerat von 
Passagen aller Gattung, vom künstlerischen Standpunkte aus — 
werthlos. 

Von grösserem Erfolge begleitet war das Concert des Herrn 
Joseph Walter, Violinspieler aus München. Er spielte Concertstücke 
von Paganini, Vieuxtemps und Artot mit vieler Bravour, reiner In- 
tonation und kräftigem Tone. Vor Allem lobenswerth ist seine 
durchweg edle Bogenführung und sein Vortrag der Cantilenen. Wien 
ist in Bezug auf Beurtheilung von Violinspielern massgebend; ist es 
doch seit langen Jahren her in dem Besitze eines reichen Kranzes 
der ausgezeichnetsten Violinspicler, daher ein verdienter Beifall um 
so ehrenvoller. 

Der bekannte Liedersänger Stigelli veranstaltete ganz beschei- 
den ein Privat-Concert in dem sehr bescheidenen Schubert-Salon. Er 
sang einige Lieder von Schubert und von eigener Composition. Hat 
auch seine Stimme bedeutend an Tonfrische und Klangfülle verloren, 
so reichten doch seine Stimmmittel immer noch hin, um mit gewissen 
Liedern reussiren zu können. Schade, dass sein Gesang zu manier» 
irt, nicht der natürliche Ausfluss einer poetischen Auffassung ist. 
Nicht der Klang allein, nein der Gesang überhaupt entbehrt aller na- 
türlichen Frische. Seine Auffassung ist einseitig und somit sein 
Vortrag, ungeachtet er den denkenden Künstler erweist, nicht nach- 
ahmungswürdig. 

Ehe ich von der Revue dieser leichten Concerüruppen zur Wür- 
digung der beiden Concerts spirituels übergehe, die, glänzende Sterne 
am heurigen Concerthimmel, alle andern überstrahlen, nuiss ich noch 
über das Concert des Ciavierspielers Edler von Schickh berichten, 
welches in gewisser Beziehung zu den interessantesten gehört. Schon 
die Annonce an den Strassenecken lässt jeden Denkenden nicht lange 
im Zweifel , w a s er von dem Concertgeber zu erwarten habe. Da 
heisst es: „Concert des Pianisten Michael Edler von Schickh, Doctor 
»ed. und chir. und Mitglied der med. Fakultät in Wien, Heidelbergs 
Bern und der phil. Gesellschaft zu London und Edinburg. " — Der 
Mann, der sich in solcher Weise als Concertgeber annoncirt, kann 
kein Künstler sein, diese Ueberzeugung muss sich Jedem aufdrän* 
gen. Es ist jetzt 12 Jahre, dass Herr v. Schickh in Wien ein Con- 
cert veranstaltete. Man glaubte damals, der missglückte Versuch 
werde ihm alles Concertgeben für immer verleiden, allein nichts 
desto weniger gibt derselbe heute wieder ein Concert und — mit 
demselben Erfolge wie damals. Ein geistreicher Kritiker schrieb 
über ihn vor 12 Jahren beiläufig folgendes : „Als Spieler fehlt 
ihm die Deutlichkeit, so wie es ihm nicht minder an Kraft und Ener- 
gie fehlt, die Symetrie in seinem Spiele ist oft verlezt, ein tieferer 
Eindruck selten zu vernehmen. Als Componist glaube ich Hrn. 
v. Schickh alles Talent absprechen zu müssen, denn weder in des 
Gedanken, noch in der Form, noch selbst in der technischen Be- 
handlung des Instrumentes ist mir irgend etwas aufgestossen , das 
neu, geschweige denn originell genannt werden kann." — Das Ge- 
sagte ist auch als Beurtheilung seiner jetzigen Leistung zu wieder- 



holen, und findet darauf seine Anwendung. Herr Hardtmuth sang 
in den Zwischennummern zwei Lieder von Schubert. Stimme, Sen- 
timents und Affektation können blasirten Weibern gefallen, machen 
aber noch lange keinen Schubertsänger aus! 

(Schluss folgt) 

NACHRICHTE1. 



Hannover* Carl Formes trat hier im letzten Concerte unter 
grossem Beifall auf. Nach Beendigung seines Gastspiels in Hamburg, 
welches auf 12 Rollen ausgedehnt worden ist, wird er hier und in 
Bremen noch einige Male auftreten und dann nach Berlin gehen, wo 
er vor seiner Abreise nach London (Mitte März) noch eine Reihe 
von Vorstellungen geben wird. 



Hamburg« Im vierten philharmonischen Concert wurde ein 
symphonistisches Concert für grosses Orchester mit Piano von Will- 
mers executirt. Der Componist spielte die Piano-Partie selbst. 



Berlin. Die Oper brachte von neueinstudirten Werken neben 
Spontini's „Olympia", Auber's „Feensee", welcher seit 12 Jahren 
nicht gegeben worden war, da bei dem Brande des Opernhauses die 
Dekorationen und Costume zu Grunde gingen. 

— Th. Milanollo spielte am 14. Jan. zum letzten Male. 



Königsberg. Vor Kurzem fand die erste Aufführung der neuen 
Oper von Sobolewski : „Das Lied als Verräther" statt. 



Leipzig. Der Magistrat hat dem Theater-Direktor die Erlaub- 
niss zur Errichtung eines Sommertheaters ertheilt. Der Besitzer 
eines vor der Stadt gelegenen Vergnügungsortes (Tivoli) hat die Her- 
stellung einer passenden mit Glas bedeckten Lokalität auf eigene Ko- 
sten übernommen. 



PariSi Die Ope"ra comique ist ausserordentlich thätig. Sie 
brachte in jüngster Zeit wieder 3 Novitäten : „Le Miroir von Gasti- 
nel", „L'Auberge pleine" von Adam und „Les Noces de Jeanette" 
von Masse*. 

Unter den zahllosen Concerten der letzten 14 Tage sind die be- 
deutendsten die von Frl. W. Clauss, Vieuxtemps und Sivori. In 
einer Soiree von Ferd. Hiller sang die jetzige Mad. de Brok (ehe- 
mals Frau Schröder-Devrient). 

Eine neue Eründung von einem Baier Namens Carl Deininger 
macht Aufsehen. Durch eine eigentümliche Behandlung des Holzes 
besonders der Saiten -Instrumente mittelst chemischer Präparate soll 
die Resonanzfähigkeit desselben bedeutend erhöht werden, so dass 
gewöhnliche Geigen von 6 Frc. an Werth hierdurch an Güte Instru- 
menten für 300 Fr. gleichkämen. Das Conservatorium hat derartige 
Instrumente prüfen lassen und die betreffende Commission ein sehr 
günstiges ürtheil gefällt. Auch auf Piano's soll die Erfindung an- 
wendbar sein. 



London. Ueber den Wagner'schen Prozess schreibt die Engl 
Correspondenz: Der halbvergessene Prozess Lumley contra Gye 
(Gerant des Coventgarden Theatre) wegen Joh. Wagner kam nach 
der gesetzlichen Vertagung am 4. Feb. vor dem Gerichte der Queen» 
Bench wieder zur Verhandlung. Es wurde aber noch nichts ent- 
schieden und der Prozess wird möglicherweise so lange dauern wie 
der Kampf um die Griechische Helena, wird aber schwerlich so in- 
teressant werden, um einen Homer zu begeistern, wenngleich es nicht 
an einigen Episoden fehlen wird, da die Advokaten beider Parteien 
beinahe alle möglichen Geschichten von contractbrüchigen Sängern 
und Tänzern zu Gunsten ihre s Playdoyer sammeln. 
Verantwortlicher Rriaktetr: t. J. SCHOTT. - Bmk «» MNTER* WALLAU I» Hau«. 



2. Jahrang. 



UTr. 9. 



28. Februar 1863. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Dies« Zeitung ericheint jeden 
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REDACTION UND VERLAG 

von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT <% CO. 



PREIS: 

II. 2. 43 «der Thlr. 1. 18 8*t. 

rar den Jahrgang. 

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Inhalts Literarische». Neuere Werke zur Musikwissenschaft I, — Gorresp. ("Wien und Berlin). — Nachrichten, 



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VIII. & 80 S. gr. 4. In 159 §§. 

Gehen wir ohne weitere Vorrede in diese Theorie ein. Bis §. 
50 sind wir noch immer ausschliesslich im Bereiche physikalischer 
Untersuchungen, erst in §. 51 tauchen zum ersten Male Notenköpf- 
chen auf in dem weiten Meere der Wellentheorie. Dass darin auch 
nicht der geringste Tadel begründet sein soll, wollen wir hier aus- 
drücklich sagen ; vielmehr hat dieses Physikalische auch hier seinen 
Werth, es ist belehrend und unterhaltend, weil der Herr Verfasser es 
verstanden hat, dasselbe in verständlicher klarer Weise auseinander 
zu legen. Ein §., der auch an sich ausser dem Zusammenhange ver- 
ständlich und werthvoll ist, möge dies veranschaulichen. 

„§. 13. In der Regel sind es feste oder starre Körper, welche 
man zur Verstärkung des Klanges anwendet; dass aber auch die Luft 
hierzu benutzt werden kann, lehrt ein von Stramford Raffter aus Ost- 
indien mitgebrachtes Instrument, Gender genannt. Nach Wheatstone's 
Beschreibung besteht solches aus 11 Metallplatten, die in den am 
leichtesten entstehenden Schwingungsknoten mit 2 Löchern durchbohrt 
und durch diese gezogene Fäden horizontal aufgehangen sind. Unter 
jeder Platte steht ein auf den Ton der letzteren gestimmtes vertikales 
Bambusrohr, was beliebig mit einem Deckel verschlossen oder geöff- 
net werden kann. Bei gedeckten Röhren geben nun die mit einem 
kleinen Klöppel angeschlagenen Platten nur einen schwachen und 
rauhen Ton, bei geöffneten aber einen sehr wohlklingenden, welcher 
offenbar von den in den Röhren befindlichen Luftsäulen herrührt. 
Auch lässt sich die Resonanz mittelst guter Schallleiter in beträcht- 
lichen Entfernungen vom klangerregenden Körper hervorrufen. Wenn 
man z. II. auf den Resonanzboden eines im unteren Theile eines 
Gebäudes stehenden Pianoforte einen Metallstab senkrecht aufsetzt, 
welcher bis in die oberen Stockwerke reicht, und dort mit dem Re- 
'aonanzboden eines anderen Instrumentes in Verbindung gebracht 
-wird, so wird die auf jenem Instrumente gespielte Musik durch den 
Stab auf dieses obere Instrument übergetragen , so dass die Musik 
ans diesem Instrumente zu kommen scheint, wie Wheatstone beob- 
achtet hat. Pellisov spannte zu anderem Zwecke die sämmtlichen 
Saiten seines Pianoforte an eine Mauer auf, versah sie mit einer 
dieser Aufspannung entsprechenden Claviatur und führte vom Stege 
ans durch die Mauer einen Stab von Fichtenholz, welchen er mit dem 
im Nebenzimmer stehenden Resonanzboden verband. Während nun 



der Spieler selbst nur ein leises kaum vernehmliches Geräusch hörte, 
erschienen die gespielten Melodien dem Zuhörer im Nebenzimmer 
sehr deutlich und rein. Diese und andere Beobachtungen zeigen, dass 
durch eine geeignete Verbindung tonerregender und resonanzfähiger 
Körper die Klänge bedeutend verstärkt werden können, indem dadurch 
gleichsam das Instrument selbst vielfach vergrössert wird. Pellisov 
erzählt, dass der Boden des Chores der Studienkirche in München 
durch eine Bretterbühne etwa um 1 Fuss höher gemacht worden sei: 
dadurch soll sich die Wirkung des Gontrabasses auf eine ausgezeich- 
nete Weise verstärkt haben , und der Staub auf dieser Bühne soll, 
sobald der Contrabass gespielt wird, sich sogleich zn Klangfiguren) 
formen , und zwar selbst dann , wenn das ganze Chor mit Menschen 
angefüllt ist." S. 4. 

Das Alles ist gewiss sehr interessant. Und die ganze Darstel* 
lung der Gesetzmässigkeit, wie sie in dem sog. Materiellen der 
Tonwelt sich offenbart, ist entschieden von Werth. Nur vermag ich 
darin nicht zu erkennen, was der Titel verspricht; wie man denn 
auch überzeugt sein muss, dass selbst die genaueste Erforschung 
dieser physikalischen Phänomene eben so wenig das innerste Leben 
der Töne zu erklären vermag, als auf dem Gebiete der Naturwissen- 
schaft der Materialist den Lebensgeist, die „Seele" der Organismen, 
Darum hätte der Verfasser wohlgcthan, die durch die Sache selbst 
gegebene Beschränkung auf dem Titel anzudeuten. Schon an dem, 
was §. 52 und sodann in weiterer Erörterung §. 62 über das Moll 
gesagt wird, ist nur zu sehr geeignet, die geringe Tragweite, oder 
wenn man will, den Mangel dieser physikalischen Gesetze zum Be- 
wußtsein zu bringen; denn wenn hier über die Molltonleiter nur ge- 
sagt wird: „die Mollscala nimmt man aufsteigend anders als abstei- 
gend; sie gehört schon unter die künstlichen Tonfolgen, deren un- 
zählige möglich sind und deren Einrichtung durch kein besonderes 
Gesetz beschränkt wird" u. s. w. — so leuchtet hier die Armuth 
dieser Gesetze doch zu grell hervor. 

Die Untersuchungen über die Klangpulse bilden den Mittelpunkt 
dieser Schrift, und was der Verfasser aus ihnen unmittelbar ableitet, 
ist das Wcrthvollste derselben. In diesen Klangpulsen treten die 
„rhytmischen Systeme" hervor; die Hauptsache geben wir mit des 
Hrn. Verfassers eigenen Worten : „Die blosse Angabe, dass Tonver» 
bindungen wohlgefällig seien, wenn die Pulsmengen der vereinigten 
Töne in einem einfachen Zahlenverhältnisse ständen, konnte freilich 
nicht ganz befriedigen, weil man nicht einzusehen vermochte, warum, 
blosse einfache Zahlenverhältnisse auch im Gebiete des Gefühles 
Wohlgefallen erzeugen sollten, da doch grade im Gegentheil das Ge- 
fühl sich gehemmt findet, wenn der Verstand rechnen will, jenes das 
Angenehme der musikalischen Accorde schon empfindet, ehe dieser 
ein Zahlenvcrhältniss zu beurtheilen vermag. Das Dunkel versehwin- 
det aber*sogleich , wenn man nur einen Schritt weiter geht und die 
PulsverhsJtnisse (Vibrationen) nicht sowohl als Ziffern, sondern viel- 
mehr als blosse Zeichen rhytmischer Pulsgruppen ansieht : es sind- 
nicht jene Zahlen, was das Gefühl wohlgefällig findet, sondern die 
rhytmischen Gliederungen, welche ans der Vereinigung von 
Pulsreihen entstehen, deren Geschwindigkeitsverhältnisse jene Zahlen 
für den Verstand angeben. Das Gefühl rechnet nien^ es zählt aber, 



■tt 3 ii"!P 



■3- l 



und zwar so weit , als es ohne den Begriff Zahl geschehen kann ; 
was über dieses Zählvermögen des Gefühls hinausgeht (das Unrhyt- 
mischc Gestalt- oder Bildlosc) , wird ihm unverständlich , unharmo- 
nisch und da« Irrationale liegt ganz ausserhalb seiner Ötfenzea" |§. 
58), Diese Ithyfmen sind die auf 2 Und 3 beruhenden, auch noch* 
flie auf 5; völlig aufregend wirkt das 7-th eilige Mass ; unverständlich 
sind 11, 13, 17 u. s. w. (§. 54). Dies ist ein sicheres und glänzen- 
des Resultat, auf guten, auf vollkommen wissenschaftlichen Wegen 
erreicht, und in sich von Bedeutung. Um so mehr bedaure ich, das4 
sich der Verfasser der Schrankeu seines Verfahrens nicht bewusst 
ist ; denn er meint (§. 58) : „Aus dieser Hypothese lässt sich das 
Wesen der Musik ungezwungen nach allen Richtungen erklä- 
ren; insbesondere wird wenigstens darüber, ob der Octav, Quinte, 
Quarte u. s. w. bei völliger Reinheit nothwendig die Pulsverhältnisse 
i » I , I u. s. w. zukommen müssen , durchaus kein Zweifel weiter 
obwalten können. Auch der verschiedene Charakter von Dur und 
Moll erhellt hieraus: in Dur haben nämlich die charakteristischen 
grossen Terzen den ruhigeren Rhytmus |, während die charakteristi- 
schen kleinen Terzen in Moll den weniger leicht verständlichen Rhyt- 
mus f haben (§. 62). Es dürfte in der That kaum einem Zweifel 
weiter unterliegen, dass das Störende oder Angenehme in dem Ge- 
räusche, (dem) einzelnen Klange und in den Tonverbindungen von 
der nämlichen Ursache abhängt, welche uns blosse zählbare Puls- 
folgen störend oder angenehm erscheinen lässt, von einem uns inwoh- 
henden Geföhlstacte, einem Verlangen nach Gleichgewicht, Ebenmaas 
und Rhytmus. Je mehr der äussere Eindruck mit diesem inneren 
Verlangen in Widerspruch tritt , desto grösser muss die Aufregung 
sein und umgekehrt." 

Das also wäre eine „Erklärung" vom „Wesen der Musik"?? 
Ganz abgesehen davon , dass dann die Musik auf einer „Hypothese" 
ruhete, so wird man dieser Deduction erst dann glauben, wenn sich 
die Logik umkehrt und bestimmt, fortan solle das Wesen, der Geist, 
also das geistige Grundwesen einer Erscheinung in dem Materiellen, 
dem Niederen und Nebensächlichen begründet sein. Jetzt sind wir 
Gottlob noch nicht dahin. 

Gern und freudig die Bedeutung des Theiles von des Verfassers 
Untersuchungen anerkennend , durch welchen es ihm gelungen ist, 
nicht blos (wie bisher) physikalisch, sondern wirklich musikalisch 
(d. h. aus dem in der Musik wirksamen und gesetzgebenden Gefühle 
heraus) zu erklären , „ dass die Musik vom einzelnen Klange an bis 
zum vollendetsten Tongebäude (nach ihrer sinnlichen Seite) einzig auf 
dem Rhytmus in der Klangwellenbewegung beruht" (§. 132) — ver- 
mag ich ihm aber nicht beizustimmen , wenn er die Kraft dieses Er- 
gebnisses durch zu weite Verallgemeinerung wieder verflüchtigt. Ich 
bitte den Verfasser, einmal zu erwägen, ob seine werthvolle Arbeit 
nicht bedeutend gewönne, wenn er sie „musikalische Akustik" beti- 
telt und gleich am Eingange damit begonnen hätte, die Eigentüm- 
lichkeit musikalischer Akustik aus der allgemeinen oder physikali- 
schen abzuleiten und dann wissenschaftlich genau davon zu scheiden. 
Die Theorie der Klangwellenpulse würde hierzu die beste Handhabe 
bieten; wie ich denn auch glaube, dass es verdienstlicher ist, Physik 
und Musik auf klare, natürliche Weise auseinanderzusetzen, als auf 
angewandter Physik das Wesen der Tonkunst gründen zu, wollen. ") 



CORRESPONDENZEN. 



Der grosse Mangel in allen solchen Werken, wie das eben be- 
sprochene, sobald sie ihre Grenze überschreiten, ist der, dass sie 
die Geschichte der Tonkunst unberücksichtigt lassen, und es hier- 
nach den Anschein gewinnt, als ob unsere Kunst gar keine Geschichte, 
mit anderen Worten: kein Leben habe. Hier tritt in einiger Bezie- 
hung das in dem nächsten Artikel zu besprechende Werk ein» 



*) Des Verfasser ausgedehnte Untersuchungen über die 12- und 
19-stufige temporirte Scala besprechen wir hier nicht weiter, weisen 
aber darauf hin, „weil sie durch die Anregung, welche sie geben, 
höchst belehrend sind» Stehlin meint freilich : „Es war von jeher 
ein unnützes Streben, die Töne wie eine geometrische Figur abmes- 
sen zu, wollen." (S, 15.) 









'.* ^* 



(En|# J«Hr.) 



(Schluss). 

Untr n«n komme ich zu der Besprechung der beiden Concerts 
spirituels, welche bis jetzt die Glanzpunkte der heurigen Concert- 
Saisou bildeten und wohl schwerlich von einer anderen Kunstleistung 
werden übertreffen werden. 

In der hiesigen „Musikalischen Zeitung" stand bei Gelegenheit 
der Ankündigung dieser Spirituel-Concerle ein Aufsatz, welcher das 
musikalische Publikum mit der Entstehung dieser Concerte in Wien 
und mit ihren im Laufe der Zeit verschiedenen Veranstaltungen be- 
kannt macht, am Schlüsse aber die Beschuldigung ausspricht, dass 
der hiesige Musikverein, welcher für seine Mitglieder „Gesellscaafts- 
Concerte" zu geben verpflichtet ist, auf Kosten derselben diese 
Splrituel -Concerte veranstalte und durch Usnrpirung des früher so 
berühmten Namens — Geschäfte machen wolle. Ohne diesem 
Vorwurfe geradezu beizupflichten, noch überhaupt zu untersuchen, 
in wie weit er gegründet sei, drängte sich doch mir selbst und ich 
glaube jedem Unbefangenen, der diese Ankündigung las, die Frage 
auf: Waium nennt der Musikverein eben diese Concerte — 
Spirituelle und warum nicht eben so alle Anderen ? Sind aber die 
Gesellschafts-Concerte des Vereins weniger s p i r i t u e 1 , als jene , 
dann dürfte sich meines Erachtens das leitende Comite bei den Ver- 
einsmitgliedern dadurch eben nicht sehr insinuirt haben, schon dess- 
halb, weil sie bei den Letzteren den Eintritt frei haben, während 
die Vereinsmitglieder zu den Spirituel-Concerten keine Freikarten er- 
halten. Ucbrigens dem sei nun , wie ihm wolle , das musikalische 
Publikum verdankt diesem Vereins-Comite-Beschluss einen seltenen 
Kunstgenuss, zu welchem es sonst wohl nimmer gekommen wäre; 
ein zweites und fürwahr nicht geringeres Verdienst erwarb sich die- 
ses Comite* aber noch dadurch , dass es die musikalische Leitung 
der Spirituels bei Erkrankung des artistischen Vercinsdirektors Hrn. 
Hellmesberger jun. dem beim Verein angestellten Gesanglehrer Hrn. 
Ferd. Stegmayer übergab. Freilich wohl kam das Vereins-Comite" 
zu diesem Verdienste ganz unbewusst; denn das schon vor Jah* 
ren anerkannte eminente Direktions-Talent des Hrn. Stegmayer und 
sein verdienstliches Wirken als Capellmeister in Prag , Leipzig und 
Hamburg war den Herren Dilettanten unbekannt und seine ausge- 
zeichneten Leistungen als Chormeister des Wiener „Männer-Gesang- 
Vereins" konnte ihre Zweifel, ob er auch ein grosses Orchester eben 
so zu leiten verstünde, wie einen Chor von Sängern, nicht ganz nie- 
derkämpfen; da sich aber für den Moment unter den Herren Dilettan- 
ten und Vereins-Professoren gar keiner fand, der auch nur einige 
Garantien für eine entsprechende Leitung von Spirituel-Concerten ge- 
boten hätte, so wollte man einstweilen bis zur Genesung des Herrn 
Hellmesberger mit Hrn. Stegmayer den Versuch wagen. Auf welche 
Weise aber rechtfertigte dieser das in ihn gesetzte Vertrauen? Seit 
der geniale Direktor der philharmonischen Concerte, Otto Nicolai, 
welchem wir das geläuterte Verständniss der Beethoven'schen Mei- 
sterwerke verdanken, seinen Dirigentenstab für immer niederlegte, 
hat ihn keiner seiner Nachfolger bis auf Stegmayer erreicht; dieser 
aber hat ihn nicht nur erreicht, er hat ihn uns auch vollkommen — 
ersetzt. Ja, ich stelle Stegmayer in musikal. kritisch-beurtheilender 
Beziehung noch über Nicolai, so wie er diesem gegenüber jedenfalls 
schon desshalb im Vortheile ist, weil er durch sein einnehmendes, 
gewinnendes Benehmen die Sympathiecn der seiner Leitung unterste- 
henden Künstler hervorzurufen versteht« was bei der Leidenschaft- 
lichkeit Nicolai' s eben nicht der Fall war. 

Das erste Spirituel-Concert brachte uns vor Allem Beethovens» 
„Eroica", dieses Meisterwerk der Instrumental-Musik, dessen Aus- 
führung wenig zu wünschen übrig Hess, dieses Wenige aber wieder 
in reichem Masse durch ganz neue Effekte vergalt, welche der Diri- 
gent dieser grossartigen Tonschöpfung abgewann, die ein unerschöpf- 
licher Born dem denkenden Musiker noch viele verborgene Glanz- 
momente zur Benützung darbietet. 

Ausser dieser Symphonie kam noch Gluck's Ouvertüre zur. 
„Iphigenie", vom Orchester in vollendeter Weise ausgeführt, dann 



aar 



Mozart'S Clavier-Concert in D-moil, voh Hrn. Dachs ganz im Sinne 
und Geiste der klassischen Musik gespielt, und ein geistliches Lied 
von Beethoven, von Hrn. Ander leider nicht mit jener geistigen Auf- 
fassung gesungen, die man von einem so kunstgebildeten Sänger er- 
wartete, zur Aufführung» 

Im zweiten Spirituel-Concerte hörten wir die Ouvertüre zur 
Oper „Semiramis" von Catel, eine Tenor- Arie ausGluck's „Iphigenie 
auf Tauris" und Mendelssohn's Symphonie-Cantate „Lobgesang". 

Die Aufgabe, welche man sich durch die Aufführung dieses Mei- 
sterwerkes Mendelssohns setzte, war eben keine geringe. Es bietet 
diese Symphonie-Cantate in ihrer Form durch die Vereinigung des 
Vocale mit dem Instrumentale grosse Schwierigkeiten, abgesehen da- 
von, dass schon die Versinnlichung der Idee, welche in einer episch- 
dramatischen Form sich einkleidet, eine besonders schwierige ist. 
Die Ausführung aber war von Seite des Orchesters sowie des Chors 
eine durch und durch künstlerisch vollendete, durchgeistigte. Und 
hier inus das seltene Talent des Dirigenten bewundert werden, der 
jede noch so feine Nuance zur Gellung brachte, jede Schattirung 
hervorzuheben, den verwickeltsten Tonknäuel mit sicherer Hand zu 
entwirren, kurz dieses schwierig auszuführende Werk in allen seinen 
Einzelnheiten zum vollen Verständniss und zur allgemeinen Anerken- 
nung zu bringen verstand. Schade dass die Soli, repräsentirt durch 
Hrn. Erl, Frl. Tiefensee und einer Vereinsschülerin in ihrem Vor- 
trage nicht gleichen Schritt mit den Ensemble-Leistungen halten konn- 
ten. Hr. Erl Hess es an einem tieferen Eingehen in den Geist der 
Composition fehlen, Frl. Tiefensee aber mangelte noch ausserdem 
eine frische, klangkräftige Stimme. Glücklicher bewegte sich Herr 
Erl in der Gluck'schen Arie. Die Aufführung der Ouvertüre von 
Cätel aber war eine in allen Theilen vortreffliche. 

Dass der Besuch ein sehr zahlreicher und der Vereins - Saal die 
sich zudrängenden Zuhörer nicht zu fassen vermochte, der Beifall 
aber ein allgemeiner, andauernder war, ist nach dem Vorgesagten 
leicht begreiflich. 



AUS BERLIN. 

(15. Fubruar.) 

Die ersten anderthalb Monate des Jahres haben uns eine grosse 
Fülle musikalischer Ereignisse gebracht und sind doch in gewisser 
Beziehung arm daran gewesen. Das „Woher?" dieses Räthsels ist 
unschwerer gelöst. Es beruht darin, dass sich das Aehnliche unge- 
mein oft wiederholt, und wenn gleich stets von ausgezeichnetem In- 
teresse, doch immer nur ein und dasselbe war. So gab uns Therese 
Milan ollo aliein 11 Concerte, worin sie das Ausserordentliche ihres 
Talents immer wieder neu bewährte; die Sinfonie-Soireen, die 
zur Weihnachtszeit lange unterbrochen gewesen, wiederholen sich 
von Woche zu Woche , und in der Oper gab man uns Aelteres, 
wenngleich meist Werthvolles oder unvergänglich Classisches. Im 
Uebrigen einige Virtuosen-Concerte von mittlerer Bedeutung. Dies die 
General-Karte der letzten Musikereignisse; aus der Spezial -Karte 
derselben haben wir das Nachstehende herauszuholen und zu charak- 
terisiren. Die grosse Oper, die immer den Mittelpunkt unseres Mu- 
siklebens einnimmt, brachte uns von alten klassischen Opern zu- 
nächst Alceste, Iphigenie in Aulis, erstere durch die Darstel- 
lung der Frau K ö s t e r auch in dieser Hinsicht ein hervorragendes 
Werk , letztere war durch den Verein unserer beiden grösten Ta- 
lente aaf dem Gebiete des heroisch-dramatischen Gesanges, indem 
Frl. Wagner als „Klyt&mnestra", Frau Kösterals „Iphigenie", jede 
in ihrer Sphäre, die eine das Grossartigste, Erschütterndste, die an- 
dere das Liebliche, Hinreissende gaben. Don Juan, Figaro, Fi- 
del io sind uns auch in diesem Jahre gelreu geblieben; Meyerbeer 
ist in den Hugenotten und Robert der Teufel, hier wie fast auf 
allen Bühnen ein unerlässlicher Bestandtheil des Repertoirs, nnd der 
Freischutz, die Krondiamanten, Gapuleti und Montechi, 
Martha, die Regimentstochter und einige andere bildeten die 
Ergänzungstruppen. Aach in diesem Repertoir finden sich die Ein- 
gangs gedachten Gegensätze; es ist reich und doch arm. Denn es 
bietet, nicht blos für diese sechs Wochen, sondern seit Jahr und 
Tag, nichts Neues dar. Es ist, als ob alle schöpferischen Kräfte 



Deutschlands ruhten ; denn das fabrikmäßige Machwerk der Mittel 
mässigkeit, die blosse Geldspecnlation der Componisten kann da«* 
nicht entschädigen. *). In Ermangelung des Neuen würde denn fft 
letzter Woche etwas Altes hervorgesucht nnd nen ansstaffirt : 4e# 
F e e n s e e von Auber, den man schon vor 13 Jahren mit ungemein 
ner Pracht gegeben. Aber die jetzige Ausstattung abersteigt dift 
frühere noch bei weitem an Glanz und Schönheit. Und hätte ich 
nicht an eine Musik -Zeitung, sondern, an eine Ballet- oder Ma- 
lerei-Zeitung zu berichten, so würde ich Ihnen viele Spalten damit 
füllen. So sage ich Ihnen nur, dass es ein Wunderwerk ffir'a 
Auge, wenn auch ein ziemlich gleichgültiges, wiewohl nicht ohne 
leichten Reiz und Geschicklichkeitsvcrdienst füVs O h r ist. Eigent- 
lich ein Ballet mit gesungenen Pantomimen 1 

Die Sinfoniesoireen unter Kapellmeister Tauberts Leitung bleiben 
fortdauernd der Gipfelpunkt unserer musikalischen Leistungen, und 
der Mittelpunkt aller höheren Musik-Interessen. Der erste Cyclo» 
derselben, sechs Abende, ist nun vollendet. Für den zweiten sinÄ 
noch die besten Bissen, wenn das unedle Gleichniss gestattet werde» 
darf, aufgespart. Becthoven's A-dur- und C-moll-Sinfonie , vielleicht 
auch die neunte; ferner die drei Leonoren-Ouverturen, des Interesse» 
halber zusammengestellt; einige wundervolle, wenig gekannte Bal- 
letnummern von Gluck; Mozarl's grosse B-dur-Sinfonie u. s. w. ' — 
Von neueren Werken, an welche das dort versammelte Publikum 
sehr schwer geht, ist nur Mendelssohn's A-molI-Sinfbnie und Gade's 
Ouvertüre (caledonische Erinnerungen) zu nennen; Beide nur mit 
dem Erfolg der Achtung gehört. Diese Hörer sind, wie der Berliner 
scherzend sagt, zu exclusiv; die Mehrzahl will eigentlich nur 
Beethoven, wenigstens erhalten uur seine Sinfonien stürmischem 
Beifall. Doch allmälig fängt an der Sinn für Haydn's feine Mei- 
sterschaft, für seine Beherrschung des Ganzen wieder geöffneter zu 
werden. Im Uebrigen ist die Versammlung so intolerant, dass nicht 
einmal der Dirigent, dem man wegen der Meisterschaft ini Einst«- 
diren und Dirigiren die höchste Achtung und Liebe zollt, es wagt» 
eine Ouvertüre oder Sinfonie eigener Arbeit aufzuführen , weil das 
Publikum sie kalt aufnimmt, Einzelne vielleicht sogar (von einem 
unwürdigen Kabalenmacher rede ich nicht einmal) Zeichen der Miss- 
billigung geben würden; und doch hat Taubert sehr schätzbare, itt 
der Instruraentirung namentlich vortreffliche Arbeiten geliefert! 

Legt der Musiker, zumal für die Dauer, den Schwerpunkt un- 
serer musikalischen Genüsse und Leistungen in die Sinfonien, so hat 
doch das Publikum, und nicht mit Unrecht, diesmal seine Entschei- 
dung auf ein anderes Gebiet verpflanzt. Es ist die mit einem ein- 
zelnen Worte nicht zu bezeichnende, unnachahmlich reizende, stets 
sich in den reinsten und feinsten Linien des Schönen begegnend« 
Virtuosität Therese M i 1 a n o 1 1 o's , die Täusende nnd immer wieder 
Tausende angelockt und entzückt hat. Ihr Correspondent bekennt 
sich sehr gerne zu einer Einheit dieser tausendfältigen Multiplika- 
tion. Es ist was Eigenes um die ächte Schönheit. Sie weiss sich 
in allen Formen zu offenbaren. Es kann nicht leicht Jemand ge- 
ben, der von der modernen Virtuosität so fastidirt ist, als Ihr gegen- 
wärtiger Briefschreiber. Und doch war er durch den Zauber dieses 
Spiels immer neu gefesselt und hatte immer Lust nach mehr; ver- 
säumte, wo nicht nnübersteiglichc Hindernisse eintraten, kein ein- 
ziges Concert: und Alles dies, während fast alle andere, selbst sehr 
anerkennenswerlhe Virtuosität ihm nach wenigen Minuten nur noch, 
eine Gattung menschlichen Empfindens erregt — Langeweile. Unter 
dem halben Tausend musikalischer Notabilitäten , die er im Laufe, 
eines Vierteljahrhunderts und darüber kennen gelernt, ist aber noch 
kein halbes Dutzend, welches diese höchste Linie, diesen Gipfel der 
Gipfel erreichte, wobei das Virtuosenlhum die tiefe Gewalt ächter 
Kunst, sei es nach den verschiedensten Richtungen, übt Fünf 
Individuen haben diese begeisternde Macht, die ober das Wohlgefal- 
len und Staune^ hinausging , auf ihn geübt. Im Gesang Nannetto 
Schechner (vor 25 Jahren) und Jenny Lind; auf dem Pianoforte 
Lisst; auf der Violine Paganini und Therese Milanollo,; jede 
der Genannten in ganz verschiedener Weise. Nannette Schechner 
durch die gewaltige Macht des Organs, von der edelsten Leidenschaft 
durchglüht und getragen ; Jenny Lind durch eine wahrhaft heiligende 
Hoheit und zugleich die technische Vollendung auf dem höchsten 

*) Richard Wagner hat seinen „Tannhansct" zurückgezogen. — 
Flotow's „Indra" wird erwartet. 



36 — 



Gipfel; Paganini «ad Lisst, einander am nächsten verwandt, durch 
die wunderbarste Romantik und eine düstere , dämonische Gewalt ; 
endlich die letzte Künstlerin, Therese MilanoHo, durch den umspin- 
sendeten Zauber der Reinheit und Zartheit, völlig der Gegensatz 
Paganini's ; er der Dämon, sie der E n g e 1 des Violinspiels $ sie 
am nächsten der genannten Jenny Lind verwandt, doch diese noch 
in ungleich bedeutungsvollerer Sphäre schwebend, und unter den fünf 
Anserwählten sie entschieden die allseitig grösste Künstlerin. — Das 
meine Bekenntnisse 1 

Es ist noch so manches Andre sehr Schätzenswerthe bei uns den 
alten gewohnten Tritt gegangen; allein in dieser Beziehung würde 
nein Bericht von Januar und Februar ziemlich identisch mit denen 
über alle anderen Winter-Concerte ausfallen. Zimmermann hat seine 
edlen classischen Quartettabende so fleissig fortgesetzt, als es in dem 
Strudel der täglichen Ereignisse möglich war. Die Seidel-Grünwald- 
achen Soireen für gemischte Kammermusik haben uns jüngst wieder 
durch einen sehr schönen Abend erfreut. Die Concerte des Dom- 
chors sind so überfällt geblieben wie zu Anfang und brachten uns 
-viel würdige alte Musikstücke zur Kenntniss, von Lotti, Palästina, 
Caldara, Leo, Hasse, und neuere Meister, Mendelssohn, Bortnianski, 
u. s. w. — Die Sing - Akademie hat den Messias gegeben, und gibt 
Morgen die Jahreszeiten. Vielleicht ihr Schwanengesang, denn die- 
sem Institut ist leider der Untergang nah! Verkehrte Statuten, Ka- 
balen von sehr hoher Seite her, Intriguen von anderer Seite, philister- 
hafter Sinn, einseitigste Beurtheilungen, Alles scheint sich verschwo- 
ren zu haben, bei der bevorstehenden Wahl eines neuen Fuhrers dem 
Institut den Untergang zu bereiten ! — Die einzige Combination , die 
dasselbe wieder zu einem ernsten, frischen Aufschwung bringen könnte, 
wäre die Coordinirung des jetzigen, musikalisch ganz braven, aber 
in anderer Beziehung weniger geeigneten Dirigenten, Mus. Dir. Grell 
mit dem Kapellmeister Tanbert, dessen Persönlichkeit, vereinigt mit 
seinem Directionstalent, bald einen neuen Schwung erzeugen würde. 
Grell würde dann das Prinzip der Stetigkeit, Taubert das des Fort- 
schritts vertreten. Indess ist an diese Combination, wie die Elemente 
einmal liegen, kaum noch zu denken. Während dessen bereitet der 
Stern'sche Verein eine Aufführung nach der andern vor, und ehe 
vir es ahnen wird einst das so ernst angelegte und treu gepflegte In- 
stitut Fasch's und Zelters in sich zusammenstürzen. 

Ich möchte nicht gern mit dieser Dissonanz schliessen, allein 
was soll ich Ihnen noch sagen? Dass unsere zweiten Theater das 
ganze Repertoir der komischen Oper des vorigen Jahrzehends exploi- 
tiren und es abnutzen, während das königliche Thea'er unter seiner 
Masse von Aufgaben erliegt ? — Dass unsere Salon-Orchester vor- 
trefflich sind, namentlich das Engel'sche bei Kroll, und uns Sinfonien, 
Ouvertüren, Concerte für alle Instrumente in Menge darbieten? — 
JSfun das wäre wenigstens eine C o n sonanz zum Schluss , wenn ich 
auch das Beste vornweg gegeben. — Im nächsten Bericht hoffe ich 
Ihnen denn doch auch einmal von etwas Neuem sprechen zu kön- 
nen 1 Rellstab. 



NACHRICHTEN. 



Frankfurt« Indra, das neueste Kind Flotows, wurde hier be- 
reits mehrere Male gegeben. Trotz der aufgebotenen Effektmittel in 
Instrumentation und Dekoration steht sie der Martha an Lebendig- 
keit und Frische sowohl der Handlung als der Musik bei Weitem 
nach und die enthusiastische Aufnahme, welche dieses Werk in 
"Wien gefunden, lässt sich deshalb nicht wohl erklären. An musika- 
lischen Erscheinungen von einiger Bedeutung ist dieser Winter sehr 
arm. Wir sind auf einheimische Kräfte und Institute angewiesen: 
die Museums-Concerte, die Quartettabende des Violinisten Wolff, die 
Soirees musicales des Pianisten Rosenhain, welche allerdings recht 
Erfreuliches bieten und den Concerten herumziehender Virtuosen 
durchaus vorgezogen werden müssen, aber unser an stimulirende 
Büttel gewöhntes Publikum nicht recht in Bewegung zu bringen im 
Stande sind. Der Cäcilien - Verein bereitet das Oratorium „David* 
von Klein vor. 



London. Mad. Pleyel hat ihr erstes Concert gegeben. Ihr Pro- 
gramm war zusammengesetzt aus Mendelssohn (Quatuor in G-moll), 
Liszt, Beethoven, Thalberg. Gegenwärtig ist sie auf einem Ausflug 
in die Provinzen begriffen. 

— Die Schwierigkeiten, welche sich der Wiedereröffnung von 
Her Majesty's Theatre entgegenstellen, sollen endlich gehoben wor- 
den sein. Von neuen Opern, welche in der bevorstehenden Saison 
zur Aufführung kommen sollen, wird Benvenuto Cellini von Berlioz 
genannt. 

Marseille« Ernst gab hier zwei sehr besuchte Concerte. 
Ausserdem spielte derselbe in Draguignan und Nizza. 



Berlin. Die Kroll'sche Oper bereitet vor „Geborgt," Operette 
von H. Marschner. Ein Monodram von H. Truhn, für Johanna Wag- 
ner componirt, wird nächstens zur Aufführung kommen. Es führt 
den abenteuerlichen Titel : Cleopatra, in ihrem Palast gefangen , ent- 
zieht sich Octaviens Triumphzug durch freiwilligen Tod. — Meyer- 
beer ist von Paris zurückgekommen. 



Cöln. Die Oper macht trotz der Anstrengungen des Direktors 
Spiclberger kein rechtes Glück. 



Wien. Der Pianist Dreyschock ist hier und wird ein Concert 
geben. Wie es heisst fänden Unterhandlungen mit dem Sächsischen 
Hofe statt, um die Lösung des von der Sängerin J. Ney abgeschlos- 
senen Contracts zu bewirken. — Die italienische Oper wird mit der 
Semiramis von Rossini eröffnet werden. Ihr folgen die Märtyrer von 
Donizetti, Cenerentola und l'Italiana in Algeri. Engagirt sind die Da- 
men Medori, Maray und Demeric. 



Breslau. Am 10. Jan. gab der bekannte Organist Ad. Hesse 
in der neuen Evangelischen Kirche ein Orgel-Concerf. Mitten im 
Spielen stürzte plötzlich der Chordirektor herein und rief ihm zu, 
der Herr Pfarrer (welcher schon kurz vorher in einer Predigt gegen 
die „Entweihung" des Gotteshauses durch Sonaten, Fugenspiel u. 
dgl. geeifert hatte) habe auf die Polizei geschickt, um ihm das Spie- 
len verbieten zu lassen. Dies war auch der Fall, aber den Zureden 
angesehener Personen gelang es, den Sturm zu beschwören, so dass 
die polizeiliche Einschreitung unterblieb. Das geschah im Jahre 1853, 
in einem protestantischen Lande ! 



Bucharest. Ein neues 1 prachtvoll ausgeschmücktes Theater ist 
hier gebaut worden. Die Operngesellschaft besteht natürlich aus 
Italienern. 

Düsseldorf. Das diesjährige Düsseldorfer Musikfest wird von 
Ferd. Hiller in Verbindung mit R. Schumann dirigirt werden. Zur 
Aufführung kommt die grosse Passions-Musik von Bach, eine Mendels- 
sohn'sche Ouvertüre, ein Psalm von Hiller, eine Cantate von Schu- 
mann und die neunte Sinfonie von Beethoven. 



Paris« Die Grosse Oper hat mit Luisa Miller kein Glück ge- 
macht. Die Opera comique dagegen zieht die Menge durch Marco 
Spada, Le Sourd von Adam und Jeanette von Masse* an. Für die 
neue Opera buffa von Thomas, welche in Kurzem in (Scene geht, ist 
der Sänger Mocker wieder engagirt worden, — Concerte sind ange- 
kündigt von Vieuxlemps (von Bordeaux zurückgekehrt), Bazzini, M. 
Bohrer, Frl. Clauss u. s. w. Frl. S. Cruvelli ist vom Handelsgericht 
zu 2000 Frs. Strafe verurtheilt worden, weil sie ohne Grund eine 
ungekündigte Vorstellung versäumte. 

— Die musikalische Industrie der Cafes - Concerts hat m Paris 
eine solche Ausdehnung gewonnen, dass diese Etablissements ausser 
den Affischen auch Programme in die Wohnungen schicken. 



Verantwortlicher Rüaktotr: J. J. SCHOTT. -D»* ▼•« MBIER* WAIUÜ in Main«. 



2. Jahrang. 



Wi% lO. 



7. März 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

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RED ACTIO* UND VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI BEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 





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Quartal. 



Inhaltt Literarisches. Neuere Werke zur Musikwissenschaft II. — Musikleben in Schwerin II. — Corresp. (Londou). — Nachrichten. 



LITERARISCHES. 



NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT. 

II. 

8, Stehlin, die Naturgesetze im Tonreich und das euro- 
päisch - abendländische Tonsystem vom VII. Jahrhundert bis auf 
unsere Zeit. Für Freunde der Kunst, die das Harmoniereich und 
Tonsystem in den primitiven Grundgesetzen zu beobachten wün- 
schen. Eigenthum des Verfassers. Insbruck 1852. Druck und 
Kommission bei A. Wittäng. Lex.-8. Preis 1 11. 36 kr. 

Zunächst zeichnet diese Schrift (von dem langen Titel ganz ab- 
gesehen) sich aus durch das transalpinische Deutsch, in welchem sie 
abgefasst ist; sodann bei aller erstrebten Sauberkeit durch schwer- 
fälligen und besonders hinsichtlich („beziehendlich", um einen Lieb- 
lingsausdruck Opelt's zu gebrauchen) der Notenbeispiele unzweck- 
mässigen Druck, der die Schrift so unnöthig vertheuert; endlich 
schon in der „Einleitung" durch manche Behauptungen (wie die : dass 
•wir in der „Geschichte der Musik blos über die letzten 200 Jahre 
eine Aufklärung finden", da doch jetzt Jeder, der nur will, 350 Jahre 
sicher übersehen kann), welche unsere durch den Titel erregte Er- 
wartungen bedeutend herabstimmen. Doch sehen wir genauer zu. 

Stehlin steht in gradem Gegensatze zu der mathematischen, py- 
thagoräischen Methode der OpeJt'schen Schrift; er huldigt der aristo- 
xenischen und will von dieser Seite „ein höheres primitives Hauptge- 
setz", auf welches bisher noch nie das ganze Tonreich zurückgeführt 
worden sei, nachweisen. Opelt hängt sich an den reinen Dreiklang 
als die unerschütterliche Grundlage, rechnet, misst und experimentirt 
in rein geschichtlicher Weise — Stehlin dagegen zieht die alten In- 
strumente und die alte Musikgeschichte mit hervor. 

Erster Theil: Die Naturgesetze im Tonreiche, S. 1— 32. Aus- 
gehend von Betrachtungen über die Schönheit und Reinheit der Ur- 
harmonie, will Stehlin in der Tonfolge, welche 12 Waldhörner oder 
Hirtenflöten in ihrer Folge (im Quartenabstande nach oben verbun- 
den: c, f, b, es, as, des, fis, h, e, a, d, g= 12) geben, die ursprüng- 
liche grundgesetzliche Tonreihe der Musik erblicken (S. 4). Die da- 
zwischen liegenden natürlichen Intervalle kann das betreffende Hörn 
angeben, nämlich C die Töne: c, d, e; F: f, g, a u. s. w., so dass 
auf diese Weise alle 12 Stufen unserer Tonleiter hervorkommen. 
Das ist einfach, so einfach, dass es sieh kaum der Mühe verlohn^ 
davon weit und breit zu reden; indess, hält man dies einmal für 
ttöthig, so muss man zugehen, dass die Thatsache wenigstens rich- 
tig ist. Aber das begreife ieh nicht, wie man wähnen kann, die Töne 
der sog. „Naturhörner" hätten einen besonderen Zauber und eine 
besondere Geltang da, wo man den Grundgesetzen der Tonkunst 
nachspürt; wie man sie immer und immer wieder den anderen „me- 
chanischen, gemachten" Instrumenten gegenüber stellen kann, als ob 
sio nicht mechanisch und nicht gemacht wären 1 Die sog. Naturin* 
strumente, deren musikalisch-eigenthümlichen Werth ich gewiss nicht 



zu verkennen geneigt bin, veranschaulichen uns das einfache und in 
seiner Einfachheit machtvolle Wesen der Harmonie: hierin ruht ihre 
Bedeutung für die Musikwissenschaft; über die Tonleitern und das 
ganze weitere Wesen der. Musik dagegen lassen sie uns völlig rath- 
los. Der Verfasser gebraucht 36 Töne oder Tonstufen, um die 12 
Intervalle unserer Octave zu erhalten, muss also jeden Ton (in ver- 
schiedenen Stufen) dreimal berühren. Ich weiss einen eben so „na- 
türlichen" und noch kürzeren Weg. Man verbinde 5 Hörner, die 
ihrer Grundstimmung nach je in halben Tönen aufeinander folgen — 
also : C, Cis, D, Dis, E — und lasse von jedem den Grunddreiklang 
angeben (C e g u. s. w.), so hat man in 5 Tönen unsere 12 Inter- 
valle. Aber was wird dadurch erreicht? Die Anwendbarkeit mecha- 
nischer Gesetze auch im Gebiete der Tonkunst zugegeben, so wird 
jeder ein wenig Nachdenkende finden, dass darin- eine in's Unendliche 
gehende Möglichkeit, die Töne als in symetrischen Zahlverhältnissen 
stehend nachzuweisen, gegeben ist. Da kann der Eine die Quinte, 
der Andere die Quarte, ein Dritter (Stehlin) die Terz wählen, ohne 
dass Einer von ihnen einen anderen Vorzug als den der Kürze be- 
anspruchen dürfte. Es ist also schädlich und trübt die Einsicht in 
das Richtige, wenn man hierauf ein so ungebührliches Gewicht legt, 
wie z. B. Herr Stehlin. Derselbe gibt seinen „Nafur"-reihcn den 
fremdklingendon Namen „Trias" — und siehe, auf dem Grunde 
unklarer Erkcnntniss und mit Hülfe einiger Einbildung ist die lösende 
Zauberformel gefunden ! 

Also die Trias ! „Die Tonart geht aus der Trias hervor" (S. 5), 
oder vorerst die Tongeschlechte, deren der Verfasser drei 
kennt : 

Die üurtonleiter (C), dieselbe C 7b und Moll (D). 

Das erste Geschlecht ist das freudige, die sog. Urklangleiter. 
Das zweite geht aus den Urinstrnmenlen hervor: die Naturgesetze 
bedingen es für Melodie und Harmonie, so wie zur Verbindung des 
ersten und dritten. Das dritte närnlieh, unser Moll, entsteht, Wenn 
der Urton (c) verschwiegen oder verlängert wird ; „bei diesem Tonge- 
schlechte muss die menschliche Empfindung sich zum ersten Male 
den Naturgesetzen nahen (!) und, um die Octave erreichen zu können, 

einen Ton einschallen (nämlich cis) Der Grundton selbst hat 

keinen reinen Dreiklang, indem die kleine Terz als wirkliche Beglei- 
tung — die grosse aber als Naturgesetz mitklingt, daher auch die 
Naturinstrumente den Dreiklang nicht aussprechen und überhaupt 
keine Bewegung in diesem Tongeschlechte finden können, die ein 
Grundgesetz ausdrückt (wer drückt es aus ?) Dennoch (!) bildet diese 
Tonfolge ein, von allen gebildeten (?) Völkern und Generationen an- 
erkanntes eigenes Geschlecht, als ob die wehmüthigen Töne 
einen wesentlichen Theil unserer Musik ausmachen 
sollten" (S. 7—8). Diese Begründung der Molltonlciter werden 
Viele gewiss nur als Guriosität denkwürdig finden, und mit Recht: 
doch erkenne ich in dieser Verwirrtheit auch ein zum Theil wahres 
Gefühl, und werde» nicht ermangeln, /lie Aeusserung desselben mir 
gelegentlich zu Nutze zu machen. Aber mit der grössten Bereitwil- 
ligkeit, anzuerkennen, was der fernwohnende Verfasser geleistet, 
können wir doch nicht Anderes, als gestehen, dass die ganze erste 
Hälfte seiner Schrift zn solcher Anerkennung wenig Gelegenheit ge»' 



38 



boten hat. Grade über die Fragen, welche jetzt die wichtigsten nnd 
zu lösen die nöthigsten sind, bleibt er in ungewissem Dunkel. Am 
besten ist noch der vierte §., „von der Stimmung der Töne". 

Zweiter Theil: Das europäisch - abendländische Tonsystem 
von 7. Jahrhundert bis auf unsere Zeit, Stehlin glaubt, dass Na- 
turgesetze vorhanden sind, welche unsere heutigen Tonarten aus der 
alten Musik und damit den Zusammenhang beider erklären — ich 
glaube es auch und habe mich nie mit der „Revolution", die das 
Alte weggeschwemmt haben soll, befreunden können; aber über die 
Gesetze selbst bin ich anderer Meinung. Sonst ist dieser Theil re- 
lativ werthvoller; nur unlebendig nnd also auch ungeschichtlich ist 
des Verfassers Anschauung. Er Iässt (wie freilich viele Andere 
auch) Gregor den Grossen Systeme machen, so kahl weg, wie wenn 
heute Einer Musiktheorien „macht". Ucber Guido's Hexachord wird 
viel gesprochen, überall findet der Verfasser seine drei Tongeschlechte 
wieder; hier besonders in den Namen: Cantus-durus, Cantus-mollis, 
Cantus-naturalis. Wir geben zu , dass manche richtige Bemerkung 
hier niedergelegt ist ; aber im Ganzen muss der Verfasser sich noch 
ganz anders anstrengen, wenn er seine Grundgesetze aus der alten 
Musik ableiten will. Man höre nur, was er S. 43 über Gregor vor- 
bringt: „Man möchte glauben, dass die Urklangleiter (dur) als die 
erste Tonart angenommen sein sollte : es bewiesen aber alle alten 
Beispiele und ebenso die Nomenclatur, dass C-dur stets als die achte 
Tonart anerkannt wurde. Die Ursache davon ist jedoch bald aufge- 
funden : P. Gregor d. Gr. wollte das System wie die Kirchengesänge 
mit jenen wehmüthigen und klagenden Tönen beginnen, die wir moll 
nennen, und zugleich die Urklangleiter als das Centrum aufstellen, 
um welches sich Alles bewegt." Bei solchen Behauptungen wird es 
dem aufmerksamen Leser sonnenklar, dass der leerste Mechanismus 
der Webstuhl ist, auf welchem der Verfasser seine Musiktheorie 
aufzieht. Allerdings muss er so oder doch ähnlich urtheilen, wie 
stände es sonst um seine „Urklangleiter 1" Wie viel schöner ist das 
Leben der alten Musik, sobald man es unbeirrt betrachtet, die sy- 
stematischen Hüllen, mit denen es später sich selber bedeckte, leise 
weghebend! Freilich, noch sehr wenig ist gethan, hier Licht zu 
schaffen, und in so fern können auch stark irrende Versuche eine 
milde Beurtheilung beanspruchten ; -<- aber wer hier gehört und be- 
trachtet werden will von den mitstrebenden und mitforschenden 
Kunstgenossen, der muss zunächst im Allgemeinen darüber sich klar 
sein, dass und wie die Tonkunst einmal aus dem Leben der Völker 
und zugleich aus dem Wesen und Wachsen der Kunst entstanden ist. 
Stehlins unverkennbar fleissige Untersuchungen haben der hervorge- 
hobenen Grundmängel wegen nur geringe Früchte getragen; seine 
Vorschläge zur Belebung der Kirchenmusik durch Preisausschreiben 
„in 10 aufeinanderfolgenden Jahren für fünf der schönsten Messen" 
im Palestrinastyl , womit er ,,die ganze musikalische Welt in Bewe- 
gung" setzen will, würde ich gar nicht erwähnt haben, wenn er nicht 
selber nach dem im anzeigenden Beiblatte Gesagten einiges Gewicht 
darauf gelegt hätte. Als das einzig sichere, nicht unbedeutende Re- 
sultat hebe ich den Nachweis hervor , dass H u c b a 1 d's bekanntes 
Organum mit seinen Quartenfolgen der Grundton einer Orgel- 
windlade ist, und nicht die Harmonie, sondern die Stimmung 
veranschaulicht — so ist fortan allen schon an sich unvernünftigen 
Faseleien von Quarten- und Quintenfolgen, in denen die Alten ge- 
sungen haben sollen (man vergegenwärtige sich das leichtsinnige Rai- 
sonnement Ulibischef f 's, Mozart Bd. II. in der Einleitung), eine 
der besten Stützen entzogen. Herr Stehlin klagt über incorrecte Aus- 
gaben der Palestrina'schen Werke — wenn er sich entschliessen 
möchte, eine bessere Ausgabe vorzubereiten, so »ei er im Voraus 
unseres lebhaften Dankes gewiss. Aber um ein so weitgreifendes 
Problem, wie das in vorstehender Schrift behandelte, zu lösen, dazu 
fehlte ihm offenbar das Beste. 



■ ••O — 



MUSIKLEBEN IN SCHWERIN. 



II« Oonoerte. 

Während eine ziemliche Anzahl Opern atijährlich hier zur Auf- 
führung kommt, siebt es dagegen mit den Concerten traurig aus, 



so traurig, dass ich darüber nicht einmal so viel oder vielmehr so 
wenig zu berichten weiss, als das „nordische Gemüth" aus Rostock, 
welches in Nr. 2 Ihres Blattes „pulsirte". Erst seit einem Jahre 
sucht sich hier unter der Leitung des geschätzten Musiklehrers Gol- 
termann ein Gesangverein zu bilden, der ganz kürzlich in seinem 1, 
Concerte vor die Oeffentlichkeit trat und dem man schon dessfalls 
das beste Gedeihen wünschen muss, weil er nicht ganz der ober- 
flächlichen Richtung zu huldigen seheint. Es wurden aufgeführt : die 
Pilgerfahrt der Rose von R. Schumann, Cruxifixus von Lotti, Psalm 
95 von Mendelssohn und Halleluja von Händel. Diese erste Leistung 
war allerdings eine noch ausserordentlich dürftige. Ein grosser Miss- 
griff war es, Schumann's Pilgerfahrt der Rose zu wählen, musikalisch 
wie poetisch ein Werk ohne Saft und Kraft, an dem Niemand Freude 
haben kann. Ich kann dem nur beistimmen, was Ihnen kürzlich 
aus Dresden darüber berichtet wurde. Bringt man nun noch in An- 
schlag, dass das Cruxifixus ganz verkehrt aufgefasst war, dass der 
Mendelssohnsehe Psalm zwar Ansprechendes bietet, aber ebenfalls 
ermüdend lang und eine dem Grundgedanken des Textes durchaus 
nicht entsprechende Musik ist, endlich dass das Händel'sche Halle- 
luja nur im Ganzen des Messias und mit dem „vollen Werke" der 
Orgel seinen rechten Glanz zu entfalten vermag — so wird man mit 
Recht wünschen dürfen , der Verein möge künftighin Nummern von 
geringerem Umfange und geeigneterer Gomposition für seine Concert- 
vorträge wählen. 

Das einzige regelmässig wiederkehrende musikalische Vergnügen 
ausser dem Theater bieten die wöchentlichen Instrumentalconcerte in 
der „Tonhalle", einem mit so prachtvollem Namen prunkenden gros- 
sen Wein-, Bier-, Thee- und Tanzlokal, in welchem man für 5 Ngr. 
gar viele Musik, aber noch mehr Tabak einziehen muss. Löblicher 
Weise werden auch Sachen, wie die Ouvertüre zum Sommernachts- 
traum von Mendelssohn, vorgenommen; aber im Allgemeinen ist doch 
hier die musikalische Duselei in so gewaltigem Masse vorherrschend, 
dass „Traumbilder" etc. von Lumbye „mit Text" die grössten Lecker- 
bissen sind. Die Musiker verdienen hauten Tadel, dass sie derglei- 
chen so bereitwillig auftischen : denn das Publikum verlangt es kei- 
neswegs. Wie ? verlangt es nicht und ist doch so begierig darnach ? 
Beides ist nicht gleich ! Das Publikum hat ein unabweisliches Verlan- 
gen auch nach grösseren Musikstücken und zwar nach solchen, bei 
denen es sich „etwas denken kann", d. h. die durch Texte oder Pro- 
gramme zu erläutern sind — und hierin sehe ich die Aeusserung 
eines ganz gesunden Gefühls, nämlich desStrebens, dichterischen 
Gehalt in der Musik wahrzunehmen. Aber keineswegs verlangt es, 
dass der krasseste musikalische Materialismus es befriedige. Denn 
sind wir hier so rathlos? Haben wir in diesem Felde nichts Besse- 
res? Haben wir hier nicht Beethoven mit seiner Pastoralsymphonie, 
diesem Ausgangs- und künstlerischen Höhepunkt alles derartigen 
Kunststrebens, klar wie die Sonne? Dergleichen Perlen soll man 
nehmen und, nach Göthe's Rath, „in's Wasser werfen, in's allgemeine 
weite Meer, zu aller Nutz und Frommen; nicht aber soll man dabei 
viel Redens machen von „klassischer hoher Musik", damit den härm« 
losen Seelen nicht das Vergnügen verdorben wird, an dem innigen 
Naturleben, an der herzlichen Freude des grossen Beethoven theil- 
nehmen zu können. Ach, so entsetzlich viel wird gesündigt von 
heutigen Musikmachern an der Kunst und an dem Publikum, einfach 
aus dem Grunde, weil sie „ihre verfluchte Schuldigkeit" (um mit 
Riehl zu reden) zu thun versäumt haben, weil sie versäumt haben, aus 
der Geschichte unserer Kunst das Hohe, aus der Theorie das Reine, 
aus den Meisterwerken das Schöne und aus dem Menschenherzen das 
Lebendige verstehen zu lernen. Daher auch der begeisterungslose 
Vortrag. Versucht doch einmal das Bessere'. 

Begeisterungslos ist besonders das Spiel unseres Orchesters 
im Theater. Man sollte solches nicht erwarten , da wir einen tüch- 
tigen Musikdirektor haben. Dieser, Herr Mühlenbruch (ein Meck- 
lenburger), ein Mann von feiner und vielseitiger Bildung, besitzt in 
reichem Masse, was Vielen mangelt; sein Geschick, seine Behutsam- 
keit und unermüdliche Langmuth haben ihm Aller Liebe und Achtung 
erworben, obwohl er in gesellschaftlicher Hinsicht sehr isolirt dasteht. 
Aber eine bedeutende Thätigkeit hat er bisher noch nicht zu entfal- 
ten vermocht. Die Hindernisse im Einzelnen vermag ich nicht zu 
bestimmen ; im Allgemeinen werden sich dieselben auf drei Quellen 
zurückführen lassen, 1) auf des hiesigen Theatermusikdirektors be- 
schränkte gebundene Stellung; 2) auf die jetzige Fähigkeit oder Un- 



— 39 — 



fähigkcit der Gcsammtheit der Orchestermitglieder; 3) auf eine ge- 
wisse Bequemlichkeit and Mathlosigkeit des Hrn. Mühlenbrach ange- 
sichts solcher Hemmungen. Das erste Hindernis zu lösen, wäre die 
Sache der Intendantur; aber wohl Reiner wird so scharfsichtig sein, 
dass er einen irgend erheblichen Einfluss des Musikdirektors hei der 
Auswahl neu aufzufahrender Tonstücke herauszuspüren vermöchte; 
der liebe Zufall thut wohl das meiste. Der jetzige Gcsammtzustand 
(die ehrenwerthen Einzelnen sind eben Ausnahmen) des Orchesters 
ist eine eben so bemerkens- als bedauernswerthe Thatsache. Es gab 
eine Zeit, in der das Schweriner Theater mitsammt der Hofkapelle 
berühmt war, unter der Regierung des 1841 verstorbenen Grossher- 
zogs Paul Friedrich. Seit dieser Zeit sank das Theater allmälig und 
die Kapelle schmolz auf den Bruchtheil zusammen, der jetzt noch 
davon übrig und nun ganz in das Orchester aufgegangen ist. Dieser 
Rest solider Kunst sitzt in den Saiten und im Holz, dagegen ist aller 
junge und alte Nachwuchs in das Blech gefahren — dies sind die 
Stoffe des buntscheckigen Bildes, welches unser Orchester jetzt dar- 
bietet. Gebe Gott, dass hald eine innige Verschmelzung vorgehe! 

Mögen Andere nun den früheren Glanzzustand preisen, ich muss 
gestehen, dass ich mich für Verhältnisse, wo ein Fürst mehr unter 
seinen Schauspielern und Musikanten, als unter seinen Rcgierungs- 
räthen lebt, nicht begeistern kann; denn bei allem eitlen Prunke 
bleibt dort die Kunst doch nur Dienstmagd der Launen eines „Abso- 
luten 4 *, ein aufgeblasenes Gebilde ohne Halt und Solidität, wie die 
Folgezeit bewiesen hat. Man macht noch immer so viel Rühmens 
von Fürsten, die, wie Karl August von Weimar, Kunst und Künstler 
hegen, und erstrebt Aehnliches als etwas so Wünschenswerthes. Vor- 
übergehend wird solche Hut ihren grossen Nutzen gehabt haben, ja 
sie war nothwendig, um die noch nicht durchgebildeten Einzelformen 
der Künste in beschützter Stille zu der vollen künstlerischen Reife 
erstarken zu lassen: aber jetzt ist eine solche souveräne Stellung 
der Kunst durchaus schädlich, jetzt weist das Leben uns unabweis- 
lich auf etwas ganz Anderes hin. Die musikalischen Formen haben 
sich geschichtlich in ihrer Einzelheit schon durchgebildet, sie sind 
als solche nun einmal mustergültig da, und Jeder weiss, wo er zu 
lernen hat : daher ist der eigentliche fruchtreiche Boden für die Kunst 
jetzt — ziehen wir aus dem Brutto des Lebens den idealen Gehalt 
und rechnen wir alles Trübe ab — die ganze Menge aller Derer, die 
Bedürfniss haben, gleichviel ob sie Geld oder Kunstbildung be- 
sitzen. Und diesem Triebe vermag nimmer ein von fürstlicher Gunst 
getragenes Institut auf die rechte Weise entgegen zu kommen, dies 
vermag nur eine Gruppe von Künstlern, welche sich um einen kun- 
digen und energischen Mann schaart ; um einen Mann, der den Muth 
hat, aus reiner Freude an der lebendigen Kunst zu wirken, der allein 
in diesem Wirken (nicht in Titeln, in Lob und Gunst) seine Freude 
und Befriedigung findet, um einen Mann, der Alles hat, liebt und 
kennt, aber nicht als egoistisches Besitzthurn, sondern um es Alles 
als Gabe Allen wieder hinzugeben. Allein so geartete und am rech- 
ten Orten so handelnde Männer können jetzt helfen, sei es durch 
Lehre, sei es dureh AufFühruug der Kunstwerke. Von diesem Ziele 
mögen wir, hier mehr, dort weniger, noch so fern sein — erreichen 
werden wir es doch noch, bevor deutsche Kunst mit deutschem 
Volksthume zu Ende geht. Die Volksschauspiele des Mittelalters 
hatten den ganz rechten Weg eingeschlagen , allein in den Stoffen 
blieben sie noch in den allerersten Anfängen einer freien Kunstge- 
staltung hängen : die Herrschaft des italischen Musik- , Oper- und 
Ballctwesens löste sie ab. Zum zweiten Male im vorigen Jahrhun- 
dert wandte sich die Kunst auf diesen Weg zurück (in Eckhof, Les- 
sing u. A.) , aber wenn auch mit kunstvolleren Gebilden , doch nur 
einseitig als recitirendes Schauspiel : und der weimar'sche Musenhof, 
als eine Welt der Auserwählten in der Welt, folgte ihr. Jetzt end- 
lich — wir mögen thun, was. wir wollen , und erreichen soviel oder 
so wenig wir wollen — einen anderen Weg zu einer neuen Kunst- 
blüthe, als den eben angedeuteten, wird Niemand finden! 

Es kommt mir selber eigentümlich vor, dass ich Ihnen mit All- 
gemeinheiten aufwarte, wo ich pflichtmässig allerlei mittelstädtische 
Schnarren und Raritäten berichten sollte, und doch wieder ist dieser 
Zug „nicht ohne", denn wie ich mit meiner Aufgabe, just so dishar- 
monirt noch der ideale Theil unseres Lebens mit den Lasten und 
Trübungen der Gegenwart. Doch jetzt genug hiervon. Anmerken 
will ich noch, dass Herr Musikdirektor Mühlenbruch sich gewiss den 
Dank Aller erwerben and (was die Hauptsache ist) Nutzen stiften 



würde, wenn er mehr die Leitung der Concertaufführungen in die 
Hand nähme. Er ist der Einzige, der das Zeug dazu hat. Geschieht 
solches einmal, dann will ich Sie nicht fürder mit allerlei guten Win» 
sehen beschenken, sondern in buchstäblichem Sinne über Concerte 
berichten. 



CORRESPONDENZBN. 



AUS LONDON. 

(Januar.) 

Wir sind in dem Monat der Ankündigungen. Die Ausrufer ha- 
ben sich bereits heiser geschrieen; aber was thut's? Die Heiserkeit 
gehört zu ihrem Geschäfte. Wer hat je einen Ausrufer gehört, der 
nicht heiser war? Es geht diesen Leuten, wie den deutschen Säu- 
gern, wenn sie Renommee erlangt haben; man sagt, dass dies die 
Ursache ist, warum beide so oft verwechselt werden. Man siösst 
und drängt sich, um Platz zu haben, und wenn man ihn hat, ihn zu 
behalten; der Eine fällt, noch che man ihn 'gesehen, noch gehört 
hat; der Andere, ja, der fällt erst noch, nachdem man ihn gehört hat 
— Jeder will voran und oben auf sein, und wenn er nicht in Wirk- 
lichkeit der Erste ist, so dünkt er's sich doch — so geht es täglich, 
stündlich, bis dann am Ende der selige Augenblick kommt, wo Alle 
in das gemeinsame Grab purzeln, wo die Töne versagen und die Na- 
tur ihre unerbittliche Rechte fordert. Ach, wie Mancher mag dieses 
Augenblick herbeiwünschen, wie Mancher wäre zufrieden, dass der 
Herbst käme, wo es keine Concerte, keine Oper gibt, keine „Künst- 
ler" und keine „Kunst" 1 Wie Mancher, der die Komödie des Lebens 
bis zum Ueberdrusse kennt , möchte doch einmal etwas Anderes se- 
hen und wieder erlebenl Thörichtcs Wünschen, die Natur phantasut 
wohl manchmal, wie in diesem Augenblick, vom Frühling in den Win- 
ter, und vom Winter in den Frühling*; aber die bürgerliche Gesell- 
schaft, die hält fest an ihren Gesetzen, an dem, was Sitte ist, und 
so wenig sich der Einzelne seinen Kafe* versagt, ebensowenig liesse 
es sich die Gesellschaft nehmen, zur bestimmten Zeit ihre Concerte 
und sonstigen musikalischen Unterhaltungen zu haben. Die Welt ist 
rund, wehe dem, der sie eckig machen will! er zerschellt sich an 
seinem eigenen Machwerk. — Hier ist ein Klavierspieler, dort ein Vio- 
linspieler, hier ein noch nicht dagewesener Posaunist, dort eine un- 
garische Sängerin, die, wie alle Neuangekommenen, celebrated ist; 
hier das Klassische, dort das Romantische, hier eine musikalische 
Soiree, ein Wort, das im Grunde der echte John Bull am richtigsten 
ausspricht ; dort eine Soiree ohne Musik, hier eine musikalische Un- 
terhaltung, die man mit mouster bezeichnet, und dort ein Monstrum* 
das man musikalisch nennt — es ist für Alles und für Alle Platz! 
Hinter den fremden Gästen kommen die Gründer und Erhalter vom 
Gesellschaften, die künstlerische, resp. musikalische Interessen ver- 
folgen, von socieiies of Art etc. Jedes Jahr sieht neue erstehen und 
vergehen, natürlich einzig und allein im Interesse der Kunst, der „gu- 
ten Sache". Keiner der Herren Stifter, keines der geehrten Comite- 
Mitglieder denkt dabei an seine Sache, nein, nur der „gute Zweck" 
soll verfolgt, die Menschheit soll glücklich gemacht werden. Meine 
Sache, mein Glück, auch das ist ein überwundener Standpunkt. 
Und doch war es noch vor einigen Jahren der allerneueste. In letz- 
ter Instanz ist es denn Exeter Hall mit seinen bandwurmartigen Ora- 
torien, das dem „musikalischen und künstlerischen Bedürfnisse der 
englischen Gesellschaft, die aber in ihren wesentlichen Bestandteilen 
nicht mehr englisch ist, Genüge leisten muss. In keinem Land der 
Welt ist man so Oratorien toll, wie in diesem England, freilich in 
keinem Lande trifft man auch eine solche religiöse Besessenheit, wie 
gerade hier. Nicht genug, dass man den alten Händel in, Westmin* 
sterabtey aufbewahrt, nein, man setzt ihm auch allwöchentlich ein 
lebendiges Denkmal, und verfährt demnach gerade umgekehrt als in 
Deutschland. Dem Mendelssohn geht es übrigens nicht besser; er* 
der im lieben Vaterlande schon doppelt todtgemacht ist, er lebt hier 
erst recht auf, ja, er verdreht in diesem Augenblicke den Herren der 



40 - 



Musical World dermassen die Köpfe, dass sie die Leipziger veran- 
lassen wollen, einen dummen Streich zu machen. Die Herren David 
und Compagjnie sollen mit aller Gewalt die Lieder des Verstorbenen 
herausgeben^ die Leipziger, welche dieConsequenzen der Hegel'schen 
Philosophie in sich aufgenommen haben , antworten naturlich : „Nur 
die Gegenwart hat Recht" — das musikalische England erboset sich, 
wird grob, und die ehrenwerthe Gesellsaft hat ein Gericht mehr zur 
„künstlerischen" Verdauung. So sehen Sie denn — die Tafel ist 
servirt, Alles ist bereit, sich daran zu setzen; die Kritik steht im 
Hintergründe, musternd die Gerichte, macht ein saures Gesicht und 
nimmt am Ende auch Platz. Warum? Weil nach einem alten Welt- 
weisen Selbi»terhaltung die erste Pflicht ist. Ihr Correspondent wird 
ebenfalls die Tafel heimsuchen und in seinem nächsten Briefe mit- 
iheilen, wie die verschiedenen Gerichte geschmeckt haben. 

Fatal. 

NACHRICHTEN. 



Leipzig. Frl. Bochkoltz-Falconi sang am 16. Februar im Ge- 
wandhaus unter vielem Bcifalle. 



Berlin. Die Gebrüder Müller sind hier und werden eine Reihe 
von Quartett-Soireen veranstalten. 

Die Musikschule der Herren Kullak , Marx und Stern ist in ein 
Conservatorium für Musik umgewandelt worden. 

Unter der Leitung des Musidirektors J. Schneider hat sich ein 
liturgischer Sängerchor von 40 Schülern des Werdcr'schen Gymna- 
siums gebildet, welcher zu Anfang des Gottesdienstes in der Wer- 
der'schcn Kirche einen Psalm oder eine Mottette singen wird. 

Ueber das neue Melodram \on Truhn lauten die Urtheile ver- 
schieden. Die Aufnahme von Seiten des Publikums war günstig. 

Im Laufe des Sommers werden zwei fremde Operngcsellschaften 
Ker gastiren, nämlich die italienische aus Wien und eine aus 104 
Mitgliedern bestehende ungarische Truppe. Letzterer ist eine Ein- 
nahme von 10,000 Thlr. garantirt worden. 

— Zu der durch Rungenhagen's Tod erledigten Musikdirektorstelle 
an der Singacademie zu Berlin, hat der Vorstand den Mitgliedern 
dieses Instituts drei Gandidaten zur Wahl präsentirt, den seitherigen 
Vicedirektor der Singacademie Grell, den Organisten und Musik- 
direktor Hering in Bautzen und den Musikdirektor G. D. Otten zu 
Hamburg, welche letzteren auch zu Probedirektioncn nach Berlin be- 
rufen worden sind. Mit Otten (Hering, der ein tüchtiger Künstler 
sein soll, kennen wir nicht) hat der Vorstand einen sehr glücklichen 
Griff gethan, indem sich wohl selten ein Mann findet, der so voll- 
kommen dieser Stelle nach allen Seiten hin gewachsen wäre, als 
Otten. Durch und durch Musiker, tüchtiger Ciavierspieler, erfahre- 
»er und gewandter Dirigent, sattelfest in allen Theilen der Tonsetz- 
kunst, eingeweiht in die Geheimnisse der Gesang- und Instrumentir- 
Jtunst, Kunstphilosoph — wer erinnerte sich nicht mit Vergnügen 
seiner im verflossenen Winter gehaltenen öffentlichen Vorträge in 
Hamburg über Musikgegenstände? — gründlicher Kritiker, dabei ein 
Mann, der sich auch in andern Fächern tüchtig umgesehen, verbindet 
•er mit einer wahrhaft erhebenden Begeisterung für seine ihm heilige 
Kunst eine Kraft, Sicherheit und Entschiedenheit in seinem Auftre- 
ten, dass man ihn unbedenklich als den Mann bezeichnen kann, der 
im Stande ist, das so ehrwürdige Institut der Singakademie vom 
nahen Verderben zu retten. Ob Otten gewählt werden wird? Sollte 
nicht der seitherige Vicedirector Grell, für den alle Bande der An- 
ciennetät und Gewohnheit sprechen, die meisten Stimmen erhalten, 
obwohl er das sinkende Institut nicht hat halten können? Glaubt 
man ihm Dank zu schulden, so gebe man dem schon bejahrteren 
Manne einen ehrenvollen Ruhegehalt, rette aber das Institut durch 
eine jugendlich -kräftige Hand. Das schulden die Mitglieder nicht al- 
lein sich, nicht allein ihrer Stadt, sie schulden es der Welt» 

Sevilla« Der Baritonist der hier engagirten Italienischen Opern- 
gesellschaft, Assoni, wurde Abends, als er in Begleitung des Tenori- 
sten Assandro, nach Hause ging, durch einen Dolchstoss tödtiieh 
verwundet. Der Mörder wurde von seinem Begleiter festgehalten, 
tuid als ein Banderillo (einer der Kämpfer bei den Stiergefechten) er- 
kannt, den Assoni kürzlich ausgepfiffen haben sollte, wofür sich der 
beleidigte Künstlerstolz auf so eclatante Weise rächte. 






London. Am 16. März wird das erste Conoert der New Phil- 
harmonie Society stattfinden unter der Direktion von Lindpaintner, 
Spohr und Dr. Wyld. DieConcerte werden unter Anderen folgende 
Stücke aufführen: 

Weber's Cantate „Kampf und Sieg"; 

Mendelssohn' s „Walpurgis-Nacht" ; 

Spohr's Doppel-Symphonie für 2 Orchester; 

Gluck's Chöre ans „Iphigeuia"; 

Lindpaintner's Ouvertüren zu „Faust" und dem „Vampyr"; 

Beethoven's neunte Symphonie; 

Mendelssohn's Symphonie in C-moll; 
,t „ in A Nr. 3; 

Beethoven's Chöre zu den Ruinen von Athen; 

Auswahl von Stücken aus „The Island of Calypsc" von J. Loder; 

Ouvertüre zu „Genoveva" von C. Horsley; 

Vocal-Corapositionen von John Burner t, Henry Smars und Ho- 
ward Glover; 

Neue Compositionen von Silas; 

Ouvertüre zu „Don Carlos" von Macfarren; 

Erster Theil von Dr. Wyld's Musik zuMilton's „Verlornes Paradies". 



Paris« Herr E. Cheve", Direktor einer Singgesellschaft, hat 
den Plan eines Gesang- Wettstreits, welcher am Vi. Juni hier statt- 
finden soll, entworfen, und eine goldene Medaille im Werthe von 
500 frs. als Preis für den Sieger ausgesetzt. Eine Anzahl bekannter 
Musiker, von ihm als Preisrichter eingeladen, hat sich als Commission 
constituirt und ladet alle Gesangvereine Frankreichs, Belgiens und 
Deutschlands zur Theilnahme an dem Concours ein. 

Die Bedingungen sind 1) Ausführung dreier Gesänge, welche die 
Vereine selbst wählen dürfen. Z) Ausführung eines ausdrücklich für 
diesen Zweck componirten Chors, welcher den Concurrenten erst 24 
Stunden vor dem Vortrage übergeben wird. 3) Ausführung eines 
gleichen Chors und zwar vom Blatt, ohne jede vorherige Uebung, 
4) Nachschreiben einer zu demselben Zwecke componirten und von 
dem Dirigenten jeder Gesellschaft vocalisirten Melodie, Dasjenige 
Mitglied einer Gesellschaft, welches (natürlich bei der letzten Probe) 
am besten besteht, erhält den Preis. Jede dieser 4 Bedingungen 
muss erfüllt werden. 

Wir haben uns schon oft darüber ausgesprochen, dass wir die 
sog. Gesang- Wettstreite für die Ausbildung des Männergesanges für 
durchaus schädlich halten , können also die Theilnahme an diesem 
Kampfe von vorn herein nicht anrathen. Ausserdem aber beweist 
das ganze Programm, wie es vor uns liegt, einmal, dass Herr E. 
Cheve vom Wesen des deutschen Männergesangs nichts versteht, 
zweitens dass er trotz vieler Phrasen über die Notwendigkeit der 
Verbreitung musikalischer Kenntnisse im Volke mit diesem Concurs 
nichts weiter beabsichtigt als einen recht in die Augen fallenden 
Triumph seiner Zöglinge und seiner Lehrmethode zu feiern. Wundern 
müssen wir uns, wie deutsche Componisten, welche den Männerge- 
sang, seine Bedingungen, seine Bedeutung und seine eigentliche Auf- 
gabe beser kennen sollten, ihre Namen zu diesem Project hergeben 
konnten, welches auf den ersten Augenblick als todtgeboren — wenig- 
stens was die Theilnahme deutscher Männergesang- Vereine betrifft — 
erscheint. 

— Mad. Stolz ist endlich angekommen. Während der Fastenzeit 
finden in dem Jardin des plantes unter der Leitung Fei. Davids grosse 
Concerte Statt. Das Orchester besteht aus mehr als 200 Musikern. 
Am 13. Febr. executirte die neugeschaffene kaiserliche Capelle als 
erste Aufführung Cherubini's 8. Messe. Director ist Auber, Orchester- 
chef Gerard. Das Orchester besteht aus 82 Künstlern. 



Wien. Therese Milanollo wird hier erwartet. Nach anderen 
Nachrichten begibt sie sich von Berlin nach Hamburg. 



Mannheim. Per Umbau des hiesigen Theaters ist endlich de« 
finitiv beschlossen. 



Tmntwortliclm Rrfiitewl: J, J. SMOH. - Pruik tob HEüIER* WALUü in Mthu. 



2. Jahrang. 



Mr. II. 



14. März 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Dies« Zeitung; erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



RED ACT ION OD YBELAG 

von 

SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



PREIS: 

fl. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 

für den Jahrgang. 

Dnrch die Post bezogen : 

50 kr. «der 1» Sgr. per Quartal. 



Inhalts Literarisches. Neuere Werke zur Musikwissenschaft III. VI. — Hamburger Briefe. — Corresp. (Dresdeu). — Nachrichten. 



LITERARISCHES. 



NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT. 

III. 

Nene Grammatik der Tonsetzkunst von C. Wöltje, Dr.jur. 
und Oberapp.-Ger.-Procurator zu Celle. Mit 2 Notentafeln in gr. 
Fol. Leipzig, Bruno Hinze, 1853. Preis l 1 /» Rthlr. XV. und 
240 S. in gr. 8. 

„Schon beim Beginne unseres Jahrhunderts siedelte sich in mir 
die Ueberzeugung an, dass unsere Lehre vom Tonsatzc, wie man sie 
damals in Büchern und durch den Mund von Fachmännern mitgetheilt 
erhielt, eine todte sei und auf den Namen einer Wissenschaft keinen 
Anspruch habe." Schon vor 50 Jahren ! Wöltje ist mit und an G. 
Weber herangewachsen, hat schon in einem „Versuch einer rationel- 
len Construction des modernen Tonsyätems " (1832) „nachgewiesen, 
dass mittelst Fortsetzung der von Guido aufgestellten Reihe gleich- 
artiger Tedrachorde, deren jedes in Verbindung mit seinem Nachbar 
die Leiter einer Tonart liefert, nämlich G A II c,c d e f und f g a 
b, nach obenhin in b c d es,es f g as u. s. w., und nach unten hin 
in g fis e d, d eis H A u. s. w. , man auf rationellem (lies : mecha- 
nischem) Wege unser ganzes jetziges Tonsystem und alle daraus ge- 
bildeten Tonarten gefunden, darin eine ununterbrochene Kette von 
Mitgliedern einer Familie erkannt haben, und durch solche Kette un- 
mittelbar auf die Bildnng aller unserer Dreiklänge und der sog. Haupt- 
vierklänge geleitet sein würde. Schon damals erkannten namhafte 
Männer vom Fache die Wichtigkeit meiner Entdeckung, zugleich aber 
auch die Schwierigkeit der Aufgabe, solche Entdeckung ins Prak- 
tische zu bringen, d. h. in einer Grammatik die Lehre des Tonsatzes 
den Schüler von dem meinerseits aufgefundenen Grundprincip aus 
auf rationellem Wege bis zu dem Standpunkte zu führen, auf wel- 
chem die gegenwärtige Doctrin mit ihren todten, während einer Reihe 
von 800 Jahren auf allerlei dunklen Irr- und Querwegen allmälig auf- 
gefundenen, im Resultate jedoch durchschnittlich richtigen Lehr- oder 
Glaubenssätzen steht. Diese Aufgabe habe ich in der Grammatik, 
welche ich hiermit der Oeffentlichkeit übergebe, lösen wollen" (Vor- 
rede IV — V). Es ist recht fachmännisch, einen Laien zu versichern, 
seine Forschungen seien ausnehmend „wichtig" , nur schwer „prak- 
tisch" zu machen. Ich wollte aber, die „Namhaften" hätten Herrn 
Wöltje Dergleichen nicht gesagt. 

Wie man sieht, sind die verbundenen Tetrachorde Wöltje's nichts 
anderes, als die Triaden des Herrn Stehlin, und beide gehen ge- 
schichtlich oder vielmehr ungeschichtlich vom alten Guido aus: so 
ist es billig, dass Gleich und Gleich sich geselle, und ich habe dies 
wenigstens hier im kritischen Blatte thun wollen. 

„Für mich hat die, freilich sehr mühsam gewesene (— ) , Ausar- 
beitung dieses Buches den Gewinn geliefert, dass ich erhebliche 
Fragen in wenigstens mich befriedigendem Masse beantworten kann." 
Nun, damit' gebe Herr Wöltje sich zufrieden — was bedarf s mehr ? 



Sagt doch selbst Göthe: „Mit sich selbst und mit Wenigen einig zu 
werden, ist ein slolzer Wunsch" (Brief w. mit Reichard 1850, S. 7). 
Der bejahrte Herr Verfasser lasse sich daher die Freude an seinen 
„Entdeckungen" nicht durch die sogenannte Kritik trüben! Mit die« 
sem Rathe und Wunsche hebe ich den Leser über den Inhalt dieser 
„neuen Grammatik" hinweg und gleich zu folgender Schrift hin. 



» 



IV. 

Otto Kraushaar« der aecordliche Gegensatz und die Be- 
gründung der Scala. Gassei, Carl Luckhard (1852, 74 

S. in gr. 8. 

Bei dieser kleinen Schrift, aber langen, viel zu langen Abhand- 
lung wollte ich einige allgemeine Bemerkungen anbringen. Hier macht 
mir nun eine Anzeige der Kraushaar'schen Broschüre im Leipziger 
„Literarischen Centralblatt" (1853, Nr. 5, S. 86—87) einen Strich 
durch die Rechnung; dort nämlich heisst es wörtlich so: 

„Diese Abhandlung oder Skizze, welche nur, laut dem Vorwort, 
„ein Vorläufer einer umfangreichen Schrift sein soll, kann und 
„darf nicht näher angedeutet werden, denn es liegt hier ein Fal- 
„sum vor, wie wohl kaum ein zweites in der Literatur nachge- 
wiesen zu werden vermag. Das hier vorgelegte System ist 
„nämlich nicht von dem Verfasser, sondern von dem als geist- 
reichen und scharfsinnigen Theoretiker bekannten M. Haupt- 
mann, welches jenem von diesem in einem musikalisch-theore- 
tischen Lehrcursus vor mehreren Jahren als Manuscript mitge- 
„theilt wurde. Mag es mit der einfachen Anzeige hier sein Be- 
benden haben und dem Leser überlassen bleiben, selbst zu ur- 
„thcilen, was er von einem sogenannten Schriftsteller zu halten 
,hat, der einen Theil eines Systems empfängt und dieses als 



»V 



»J 



sein Werk dem Drucke überliefert." 



Gedulden wir uns daher, bis die Sache genügend aufgeklärt ist« 
Nur die Bemerkung kann ich angesichts dieser vier und einer ganzen 
Reihe ähnlicher Schriften nicht unterdrücken, dass weder die physi- 
kalische, noch die mechanische, weder die vermeintlich rationelle, 
noch die vermeintlich philosophische Methode geeignet ist, das eigent- 
liche Leben der Musik wissenschaftlich zur Anschauung zu bringen« 
Jedes Gebiet geistiger Thätigkcit hat seine eigenen Stoffe, seinen be- 
sonderen Zweck, seine eigene Wissenschaft; wer der letzteren "inne 
werden will , für den heisst es zuerst : divido ! Und bei solchem 
„Scheiden und Unterscheiden" mag dann Jeder ratio und philosophiä 
anbringen, so viel er davon auftreiben kann. \ 

chs. 



— ■ 42 



HAMBURGER BRIEFE. 

(Eoda Jtiuar.) 

Der Januar bat hier eine solche Fälle von musikalischen Ge- 
nössen, d," h. der Anzahl nach, gebracht, dass es mir unmöglich ist, 
aber alle einzelne zu berichten. Indessen ist es auch nie meine Ab- 
sicht gewesen, dass, um den Lesern Ihres Blattes eine Uebersicht über 
unsere musikalischen Verhältnisse und Zustände zu geben, es einer 
von Tag zu Tag registrirten Angabe alles dessen bedürfe, was und 
von wem es ausgeführt ist. Ich fahre dagegen wie bisher fort, ohne 
erschöpfende Aufzählung Einzelnes mit den Bemerkungen zu beglei- 
ten, zu welchen mich eigene Neigung oder zufällige äussere Anre- 
gung veranlassen. 

Im Theater hat die Adam'sche Oper „Giralda" eine Zeit lang 
sehr gefallen, wohl hauptsächlich durch die sehr genügende Besetz- 
ung, denn Herrn Adams Composition ist nicht eben gemacht, um für 
sich allein, auch in schwächerer Besetzung, irgend Eindruck machen 
zu können. Bei weitem erfolgreicher dagegen ist die Erscheinung 
des Bassisten Formes gewesen. Sein so glänzendes Wirken in Ber- 
lin hatte ihm hier eine sehr enthusiastische Aufnahme bereitet. Seine 
Leistungen haben sehr viel Lob, in mancher Hinsicht aber auch 
einen, wie ich glaube, gegründeten Tadel gefunden. Sein Stiaimma- 
terial ist ausserordentlich und in einigen besonders zusagenden Rol- 
len, wie in der Zauberflöte oder als Marcel in den Hugenotten, tritt 
dieser gewaltige Ton wahrhaftig erschütternd hervor. Ich gestehe, 
als ich zum ersten Male von ihm den Choral in der Hugenotten-Ein- 
leitung anstimmen hörte, einen hohen Genuss an diesen gleich den 
Posaunen des Gerichtes erschallenden Tönen gefunden zu haben. 
Noch mehr aber hat mich sein Sarastro wahrhaft erquickt; Die wür- 
dige Weise, in welcher er diese Rolle in einem Gusse vom 
ersten bis zum letzten Tone ausführte, hat mich zur lebhaftesten Be- 
wunderung hingerissen. Ja, mehr noch, sie hat das Höchste geleistet, 
was meiner Meinung nach der Künstler leisten kann — sie hat mich 
ihn selbst, den Ausführenden, vergessen lassen und meine Gedanken 
in höchster dankbarer Liebe zu dem Schöpfer dieser Zaubertöne, zu 
dem kleinen Salzburger Kapellmeister hingewendet. Die Arie mit 
Chor in E (O Isis und Osiris) wurde in sehr würdiger breiter Bewe- 
gung so erhaben ausgeführt, dass der Eindruck mir unvergesslich 
bleiben wird. Das war kein Theater mehr — die wahren Tempel 
des Universums hatten sich aufgethan, um die geheimnissvollen Worte 
der Lehre und der Weisheit auf den mildesten Tonwellen in unser 

Herz einziehen zu machen! Dieselbe Stimme, die hier so edel, 

so tief beseelt sich erwies, gestaltete sich in einigen anderen Rollen 
weniger günstig. In einer mir unbegreiflichen Unkenntniss seiner 
Persönlichkeit hatte Herr Formes den Leporello zu einer seiner Dar* 
Stellungen gewählt. Freilich war die Wirkung des energischen Bas 
ses in den Ensembles , wo ja Leporello meist den Grundbass gibt" 
sehr schön, und ich habe noch nie das Terzett der drei Bässe bei» 
des Comthurs Verscheiden so erschütternd gehört. Es klang wie un- 
terirdischer Donner, wenn Leporello die kleine None in jenen Worten 
angab : Entro il sen' dallo spavento palpitar il cor mi sento ! Indes- 
sen war die Auffassung der Rolle in der Hauptsache verfehlt und 
ich bedaure grade die Trivialität hervorheben zu müssen, zu der sich 
ein so begabter Sänger doch wahrlich nicht herablassen müsste. Auch 
ging er sehr dreist mit Mozart um, indem er an mehreren Stellen 
sieb erlaubte Sachen zu ändern, nur um es seiner Stimme bequemer 
oder für sie glänzender zu machen. Es bedarf wohl keines Wortes 
darüber, dass Mozarts herrliches Werk denn doch vor solchen „Ver- 
böserungen" geschützt sein sollte. — In eben so seltsamer Anschau- 
ung wählte Herr Formes den Rossini'schen Figaro und missfiel hierin 
mit Recht, da neben der ungeeigneten Persönlichkeit sich eine sehr 
willkürliche Gebahrung nach allen Seiten, den Noten und den Mit- 
spielenden geltend machte. In Summa: Herr Formes zeigte in diesen 
und einigen anderen Rollen (Bertram, Caspar) eine überaus seltene, 
mächtige, klangvolle Bassstimme, würdigste Ausführung und charak- 
teristische Auffassung in den Rollen, wo langsame, feierlich ernste 
Töne seiner Kehle entströmen, dagegen ein etwas starkes Herabzie- 
hen in den lebhafteren Rollen, bei denen er das Komische ins Tri- 
viale und das Scherzende in's Possenhafte veränderte. In der Don- 
Juan-Aufführung war Mad. Maximilien als Elvira ganz vorzüglich, 
Mad. Stradiot - Mende als Anna nicht so vortrefflich , als sie ihren 



Mitteln nach sein könnte, wenn solche Damen den Rath denkender 
Künstler hörten ; Herr Reichard ist als Ottavio sehr schwach ; Herr 
Schützky, der den Don Juan gab, scheint sich mit der Rolle nicht 
gut zu verstehen. Seine Person müsste bei weitem mehr den Cava- 
lier zu repraaontiren verstehen. Doch diese Klage über die Darstel- 
lung des Don Juan ist eine so alte und allgemeine, dass es scheint, 
es solle uns nie der zauberische Genuss werden, diese erste aller 
Opernparthieen poetisch, vornehm, feurig und musikalisch gross sin- 
gen zu hören. So lange die Sänger nicht gebildetere Leute werden, 
die sich selbst einen würdigeren Platz in der bürgerlichen Gesell- 
schaft erkämpfen, so lange sind wir verdammt, diese ungenügende 
Darstellung solches Meiserwerkes zu sehen. — Frl. Molendo (früher 
in Cassel) gab die Zerline trefflich. Sie ist entschieden musikalisch. 
Herr Formes hatte das Unglück, am Schlüsse des Sextetts in Es-dur 
beim Hinauseilcn in eine Versenkung zu stürzen, und es ward die 
Vollendung der Oper nur durch eine schnell bewirkte Vertauschung 

der Rollen ermöglicht. Herr Capellmeister de Barbieri verlässt 

im Spätsommer sein Engagement und an seine Stelle tritt alsdann 
Ignaz Lachncr. 

(Schluss folgt.) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS DRESDEN. 

(27. Februar.) 

Die in meinem neulichen Briefe ausgesprochene Hoffnung, unsere 
Oper werde bald sich angelegen sein lassen, eine erneuete regeThä- 
tigkeit zu entfalten, scheint sich, was Novitäten betrifft, vor der 
Hand leider, noch nicht realisiren zu wollen. Auch die verflossenen 
vier Wochen brachten nichts Neues dem ein über alle Maassen tri- 
viale und jämmerliche, aller oder jeden wirklichen Witzes entbeh- 
rende , und zwar mit sehr vieler (25 Nummern) , aber sehr wenig 
bedeutender Vaudevillemusik ausgestattete Fastnachtsposse unsers 
Komikers G. Räder: „Anginettc" — eine langweiliche Verhunzung 
von weiland Briton's „Aline , Königin von Golkonde" — kann, ob- 
wohl sie viel Zeit und Kraft auch musikalisch in Anspruch nahm, 
natürlich nicht zählen. Dagegen war auch musikalisch , von dem 
sich fast unwillkürlich aufdrängenden Gedanken des Contrastes ab- 
gesehen , eine neueinstudirte Vorführung der „Antigonc" mit Men- 
delssohn-Barlholdy's Musik, ein Ereigniss zu nennen und ehrt unsere 
Bühne. Vor neun Jahren gab man sie hier zum ersten Male; das 
Unternehmen fand auch hier Anklang — man konnte die Aufführung 
neunmal wiederholen. Auch gestern gab ein sehr zahlreich versam- 
meltes Publikum Zeugniss xon der lebendigen Theilnahme, welche 
man hier diesen Bestrebungen zollt, wenn man auch zugestehen muss, 
dass durch eine derartige Verbindung der antiken Tragödie mit mo- 
dern musikalischem Aufputz, mag sie auch zur Erregung allgemeiner 
Theilnahme unbedingt nothwendig sein, ein hermaphroditisches We- 
sen entsteht, das streng genommen nach keiner Seite hin vollständig 
befriedigen kann. — Die Oper brachte uns Rossini's Barbier, Au- 
ber's Stumme, Webcr's Freischütz , Mozart's Don Juan und Bellini's 
Capuleti ; in den beiden letztgenannten Opern setzte Frl. Meyer 
als Donna Anna und Giuliette (welche Contraste !) ihre Debüts fort, 
und vermochte sie als Anna, trotz mancher überraschend gelungenen, 
für ihr frisches Talent sprechenden Einzelheiten , nicht durchaus zu 
befriedigen, so war ihre Leistung als Giuliette, abgesehen von den 
früher schon erwähnten Mängeln ihrer bisherigen Gesangsbildung, 
so bedeutend , dass meine neuliche Bemerkung über das Fach , in 
welchem sie ehrenvoll und wohl befriedigend bei uns wirken könnte, 
sich vollkommen bestätigt hat. Auch der lebhafte und aufrichtige 
Beifall des Publikums, der ihr grade in dieser Partie gezollt wurde, 
muss der jungen Künstlerin einen deutlichen Fingerzeig gegeben ha- 
ben, welches das Feld ist, das ihr nachhaltig, bei weisem und gründ- 
lichem Studium, eine reiche und erfreuliche Ernte verheisst. — Dass 
übrigens mit Ausnahme des „ Don Juan " jene Opern kein tieferes 
Interesse erregten, liegt auf der Hand: sie sind schon zu oft gehört. 
So müsste denn die Theilnahme des musikliebenden Publikums vor- 
zugsweise und in erhöhtem Maasse den Concerten sich zuwen- 



— 43 — 



den , deren der verflossene Monat einige in der That auch für wei- 
tere Kreise bemerkenswerthe uns brachte. 

Zunächst gedenke ich da der zweiten Quartcftakade- 
mie, welche noch zahlreicher als die erste besucht, Haydn's schönes 
Quartett in G-dur , Op. 77 , Nr. I. (Nr. 81 der grossen Pariser — 
Nr. 63 der von unserm Lipinski besorgten neu, hier im Verlage von 
W. Paul erschienenen Ausgabe) in vollendetester Ausfuhrung brachte. 
Für Mozarts grosses D-moll-Quartctt , Op. 10, Nr. IL, schien aber 
diesmal die rechte Stimmung, die volle Begeisterung zu mangeln; 
seine Ausführung Hess, legen wir den angemessenen höheren Maass- 
stab an diese Quartettlcistungen, in der Totalität, namentlich in der 
geistigen Erhebung der Vertragenden zu wünschen übrig , während 
Beethoven's schönes Septuor (hier ein Lieblingsstück des Publikums, 
so dass es von Zeit zu Zeit in diesen Quartettakademien mit aus- 
geführt werden muss), ein Paar kleine Einzelheiten abgerechnet, 
meisterhaft von den Hrn. Lipinski, Göring, F. A. Kummer, Schmer- 
bitz (Viotin, Viola, Cello und Bass), Kotte, Suchenek, Lorenz (Cla- 
rinette, Fagott, llorn) vorgetragen ward, und nach Verdienst ausscr- 
ordentlichsten Beifalls sich zu erfreuen hatte. 

Auch unsere Kapelle gab am Aschermittwoch zum Besten 
ihres Wittwen- und Waisenpensionsfonds ein sehr zahlreich besuch- 
tes Concert, und als wollte man der vielfältig wiederholten Klage 
begegnen, dass man so selten den Hochgenuss habe, von der Ka- 
pelle Symphonien ausführen zu hören, hatte man diesmal deren drei 
aufs Programm gebracht, ein enormer Luxus zwar, aber durch die 
in der That glückliche Wahl und bei einer wahrhaft vollendeten, 
charakteristischen und begeisterten Ausführung unter Reissiger's Lei- 
tung dennoch nicht ermüdend, vielmehr das Interesse bis zu Ende 
im höchsten Grade spannend und fesselnd. Das Concert begann mit 
einer Symphonie in G-dur, weniger bekannt, als sie es zu sein ver- 
dient, (leider, ist die Nummer nicht anzugeben) von J. Haydn, meis- 
terlich gearbeitet und dabei doch so jugendfrisch, natürlich, innig- 
melodiös und voll sprudelnden Humors, dass sie sich den reichsten 
Beifall erwarb und die beiden letzten Sätze auf stürmisches Begehren 
wiederholt werden mussten. Die grosse Suite von J. S. Bach in D- 
dur (bekanntlich hat man in diesen Suiten die Grundlage der mo- 
dernen Symphonie zu suchen), für Saiteninstrumente, zwei Oboes, 
drei Trompeten und Pauken, deren er&te Aufführung schon in dem 
Chorconcert des vorigen Jahres (am 8. November) ausserordentli- 
chen Beifalls sich zu erfreuen hatte, fand diesen bei trefflichster 
Ausführung noch in erhöhtem Maasse, und ein Gleiches war bei 
Beethoven's erster Symphonie (F-dur) der Fall, welche den Schluss 
des Concerts bildete. Lotti's grandioses zehnstimmiges Crucifixus, 
eine Motette („Ehre sei Gott in der Höhe") von 0. Nicolai — beide 
vom Hoflheaterchor gesungen — und Mozart's berühmte Arie aus 
Titus: Parto, parto, durch Frl. Meyer vorgetragen, bildeten die Zwi- 
schennuinmern des Concerts , dessen Programm in der That kaum 
etwas zu wünschen übrig Hess. 

Ein Concert anderer Art hatte ein hiesiger junger Musiker, Hr. 
Moritz Siering, veranstaltet, um sich als Componist dem grösseren 
Publikum bekannt zu machen. Er führte in demselben nur eigene 
Compositionen auf, und ich würde desselben hier gar nicht erwähnen, 
wenn nicht der junge Mann ein bedeutendes Talent , eine sehr ach- 
tungswerthe Bildung und eine nach jeder Seite hin erfreuliche ge- 
sunde künstlerische Richtung bekundete, die zu bedeutenden Hoff- 
nungen berechtigt, wenn er allmälig die volle Selbstständigkeit sich 
zu eigen gemacht haben wird, nach deren Erringung das ernste Stre- 
ben unverkennbar ist , mag man auch jetzt noch die grossen Vorbil- 
der zu deutlich erkennen, an welche er sich anlehnt und als welche 
ich zunächst Beethoven und Franz Schubert bezeichnen muss. Ab- 
gesehen von den kleineren Piano- und Gesangpiecen forderten vor- 
zugsweise eine Ouvertüre (C-moll) für grosses Orchester und ein 
Trio für Piano , Violine und Cello (A-dur) bedeutende Beachtung, 
beide trefflich gearbeitet, wirkungsvoll und ansprechend. Je seltener 
unter den jüngeren Componisten heutzutage wir die entschiedene 
Richtung auf eine wirklich gesunde Musik und deren Verarbeitung 
in grössere, ernstere Formen angestrebt finden, um so mehr ist es 
Pflicht auch der Presse, auf derartige Talente auch in weiteren Krei- 
sen aufmerksam zu machen. 

Ausserdem gab noch der k. Kammermusiker Forkcrt, ein ach- 
tungswarttar Clurinettist, ein zahlreieh besuchtes und beifällig aufge- 
no^inene« Concert , mit Unterstützung der k. Kapelle , und unsere 



Liedertafel beging, wie alljährlich, unter ausserordentlicher Theil- 
nahme ihr Stiftungsfest, das durch äusserst geschmackvolle« ArttW- 
gement wiederum lebendigstes Interesse gewann. Indess trat dabei 
die musikalische Seite mehr in den Hintergrund — ein kurzes Con- 
cert bildete gewissermassen nur die Einleitung zu Souper und Ball» 
und davon hat denn natürlich eine Musikzeitung weiter nichts zu be- 
richten. t 

Unsere Kapelle hat auch im Februar wiederum zwei Mitglieder 
durch den Tod verloren: den (pensionirten) Violinisten Jauch und 
den Fagottisten P e s c h c 1 — nunmehr im Zeiträume von kaum 7 
Wochen 7 ihrer Mitglieder, wenn man % Pensionärs mit einrechnet l 



NACHRICHTE». 



Frankfurt« Der Baritonist Beck (geborner Oesterreicher) hat 
Frankfurt plötzlich verlassen müssen. Derselbe war für Wien enga- 
girt worden, konnte jedoch die Lösung seines hiesigen Contraktes 
nicht bewirken. Jetzt ist der Knoten auf unerwartete Weise gelöst 
worden. Er erhielt nämlich Befehl von seiner Heimathsbehörde, sich 
(in Folge der Einberufung der früheren Altersklassen zur Armee) 
sofort zu stellen. Ob ihm dort Urlaub gegeben werden wird, um — 
in Wien zu singen , steht dahin. Sein Abgang ist ein grosser 
Verlust für die hiesige Bühne, besonders empfindlich in diesem Au- 
genblicke, da die Messe vor der Thüre ist. 

Fioravanti's „Sängerinnen auf dem Lande" wurden von Herrn 
Dcttmer zu seinem Benefice gewählt und recht befriedigend aufge- 
führt. 

Berlin. Die Sing-Akademic hat endlich einen neuen Direktor 
bekommen und zwar in der Person des bisherigen zweiten Direktors 
Grell. Es bleibt demnach alles beim Alten. 

Der Violinist Ed. Singer ist hier angekommen. 



CÖln. Der hiesige Männergesangverein wird sein seit längerer 
Zeit entworfenes Projekt, in London Concerte für wohlth&tige Zwecke 
zu geben, endlich ausführen. Prinz Albert ist für das Unternehmen 
gewonnen worden und Mitchell, der bekannte Theater-Unternehmer, 
wird die Leitung übernehmen. 

C. Formcs ist wieder hier eingetroffen, jedoch nur, um von hier 
nach London zu gehen. 

Die Stollwerk'sche Gesellschaft verlässt den 1. April Amsterdam 
und kehrt über Antwerpen und Brüssel, wo sie gleichfalls Vorstel- 
lungen geben wird, zurück. 



Leipzig. Wagner' s Tannhäuser wurde hier bereits 9mal gege- 
ben. Diese Oper gab Gelegenheit zu den Gastspielen des Tenoristen 
Beck aus Weimar (Tannhäuser) und des Baritonisten Milterwurzer 
aus Dresden (Wolfram). Letzterer hatte einen glänzenden Erfolg. 

Mitte März wird Schumann's Musik zu Byrons „Manfred" im 
Theater aufgeführt. 

Frl. Bury, für die Gewandhaus-Concerte engagirt, hat Leipzig; 
verlassen. An ihre Stelle trat Fr. Bochkolz-Falconi . 

Mit dem 1. April tritt ein neues Gesang-Institut, eine Opernge- 
sangschule, in's Leben. 



Weimar« Am 16- Februar kam Wagner's „Fliegender Hollän- 
der" zum ersten Male zur Aufführung. In Kurzem wird Lisst die 3 
Wagner'schen Opern: Fliegender Holländer, Tannhäuser und Lohen- 
grin, in einer Woche hintereinander aufführen. — Rieh. Wagner hat 
jetzt den Text zu seinem grossen Dramen-Cyclus aus den Nibelungen 
beendet Das Ganze besteht aus 3 Dramen und 1 VorspieL Er wird 
der musikalischen Ausführung dieses Riesen -Entwurfes seine näch- 
sten Jahre widmen. 



44 — 



In dem letzten Abonnements - Concerte traten auf '* 
Ffi Buiy ans Leipzig und der Violin- Virtuos Ed. Singer. Letzterer 
spielte den 1. ' Satz ans dem Es-dur.Concert von Paganini und eine 
Phantasie eigener Composition. Zwei Tage darauf veranstalteten die 
HB. J. Joachim und C. Reinecke eine Soiree, welche herrliche Ge* 
nüsse bot. 



Hannover* Verdi's „Rigoletto", welcher hier allen Warnun- 
gen von Seiten der Kritik zum Trotze in Scene gesetzt wurde, hat 
total Fiasco gemacht. Die hiesigen Blätter erklären, dieses Mach- 
werk durch die Presse auspfeifen zu müssen, da dies im Theater selbst 
verboten gewesen sei. 

Iiondon« Wie es heisst, wird das Covent-Garden- Theater mit 
Oberon eröffnet. 

Unter den Concerten zeichnen sich besonders die Soiree' s musi- 
cales des treffliehen Pianisten E. Pauer durch gediegene Leistungen aus. 

In Camberwell, einem Orte nahe an der City von London, be- 
wohnt von den reichen Kaufleuten, hat sich eine Liedertafel gebildet, 
welche Herr Ernst Pauer dirigirt. 

Derselbe hat in einem Goncerte ausser mehreren neuen Solo- 
stücken auch eine Sonate für Piano und Violoncello seiner Compo- 
sition, diese mit Piatti vorgetragen, und allgemeinen Beifall damit 
geerndtet. Alle Kritiker sprechen von dieser Sonate als von einem 
aehr bedeutendem Werke. 

England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben 
einen internationalen Vertrag abgeschlossen zum Schutze des litera- 
rischen Eigcnthums, ähnlich dem, welcher zwischen England und 
Frankreich besteht. 



Petersburg. Die italienische Oper schliesst mit 15. März ihre 
Vorstellungen. Gegenstand der allgemeinen Huldigungen war seit 
ihrer Ankunft Mad. Viardot- Garcia, welche als Rosine, Desdemona 
und Aschenbrödel Alles entzückte. Der Prophet konnte wegen Krank- 
heit des Tenoristen Mario noch nicht gegeben werden. Doch dauer- 
ten die Proben fort. — Der berühmte Violinist Leonard ist hier. 



Moskau. Die Sängerin Frau Nissen-Salomon hat hier nach 
einer längeren Kunslreise durch Polen und Russland (bis Kasan und 
Odessa) ein brillantes Concert und 3 Matineen gegeben. Sie sang in 
letzteren Arien von Händel, Haydn, Mozart, Graun, Rossini, schot- 
tische Lieder von Beethoven und Lieder von Schubert. Grosses In- 
teresse erregten die mitwirkenden Herren Hardorff und Genuschka» 
beides treffliche Pianisten aus der Zeit Fields, letzterer sogar ein 
Schüler desselben, welche aber beide seit langer Zeit, ersterer seit 
20 Jahren, nicht mehr öffentlich gespielt hatten. 



Amsterdam. Seit drei Monaten gibt hier die italicnishe Oper 
mit den ehemaligen Grössen Persiani, Tamburini, dem Tenoristen 
Gardoni u. s. w. Vorstellungen. Letzterer wird als ein in jeder Be- 
ziehung vollendeter Künstler gerühmt. Daneben besteht noch eine 
französische Oper, welche aber schlechte Geschäfte macht. Desto 
mehr zieht die Stoliwerk'sche Vaudeville - Gesellschaft aus Köln das 
Publikum an. Sie spielt stets bei gedrückt vollen Häusern. 



Paris« Im Augenblick ist wenig Neues von Bedeutung zu be- 
lichten. Die ital. Oper erwartet die Damen La G ränge und Florio 
und Signor Rossi (bisher in Amsterdam). 

Einen interessanten Brief Ferd. Hillers in der Kölner Zt«. über 
die hiesigen musikalischrn Notabili täten und das angebliche lieber- 
wiegen der Deutschen entnehmen wir Folgendes : 

„Meyerbeer (also ein Deutscher) spielt in den Gebieten der 
gros n Oper und der grossen Instrumentalmusik allerdings die her- 
v&.kgendste Rolle. Er ist der unbestrittene Direktor der Academie 
Imperiale deMusique; aber es würde ungerecht sein, den Franzosen 
Halevy in seiner Richtung gegen ihn zurückzustellen. Beide sind 
wr Allem dramatische Componisten , beide machen hie und da Con- 
cessionen, ohne welche sie vielleicht ihre Aufgabe, die Massen zn 
bezwingen,. für ganz unlösbar halten. ~ Der Deutsche hat offenbar das 



grössere Talent für sich — im redlichen Willen steht ihm aber der 
französische Tonsetzer gewiss nicht nach. 

Auber ist dermasSen der eigentliche Ausdruck der französischen 
Theatermusik, dass man derselben in Bausch und Bogen den Krieg 
erklären müsste, um gegen Auber aufzutreten. Letzteres dürfen wir 
Deutche uns um so weniger einfallen lassen, als wir Opcrn-Componi- 
sten, wie C. Kreutzer, Lortzing u. s. w., in unserem Vaterlande fort- 
während rühmen hören, und dass diese gegen einen Meister, wie 
Auber geradezu Dilettanten sind, wird kein Musiker von Fach be- 
streiten. 

An der grossen Oper begegnen wir aber, freilich nur mit einem 
Succes d'eslime, einem jungen Componisten, Goun od» dessen Stre- 
ben ein so entschieden echtes und reines ist, wie wir es nur wün- 
schen können. Seine Oper „Sappho", seine Chöre zum „Ulysses" von 
Ponsard , einige seiner Kirchen-Cornpositionen sind gänzlich auf die 
ungetrübteste Wahrheit des Ausdrucks gerichtet, und wenn er auch 
in der Folge eine hinlänglich reichhaltige Erfindungsgabe bewährt, so 
hat er und die Oper durch ihn viele Erfolge zu hoffen. Er arbeitet 
jetzt an einem öaktigen Werke, zu welchem ihm Scribe den Text 
geliefert hat. 

Berlioz ist in Deutschland durch seine Werke und seine Schrif- 
ten berühmt genug , und seinen grossartigen künstlerischen Bestreb- 
ungen wird Niemand Verehrung verweigern, das Wohlgefallen an 
seinen Schöpfungen mag je nach Geschmack und Erziehung auch noch 
so verschieden sein. 

Fei. David hat seit seiner „Wüste" keinen grossenErfolg mehr 
errungen; auch muss ich gestehen, dass Alles, was ich von seinen 
späteren Werken gehört , jenem reizenden Erstlingswerke nachstand. 
Aber weder in seinen Versuchen für die Bühne, noch in der Instru- 
mentalmusik kann man ihm gemeine Concessionen nachweisen. Er 
veroflgt aufrichtig und gewissenhaft den eingeschlagenen Weg. 

Ein Componist, der seit 25 Jahren mit der grössten Unabhängig- 
keit, ich möchte sagen mit einer gewissen Sauvagerie , seine Bahn 
geht und sowohl für seine Kammermusik, wie für seine Lieder und 
neuerdings für seine Oper: „Lc pere Gaillard" die schönste und 
wohlverdienteste Anerkennung gefunden, ist Henri Reber. Ich gehe 
auf seine Leistungen im Einzelnen nicht ehr, weil es mir heute nur 
darum zu thun ist, die französischen Tonkünstler zu bezeichnen, 
welche „die Würde ihrer Kunst" in Paris auf's Beste und Vollstän- 
digste vertreten. 

Th. Gonvy, ein junger Tonsetzer, der schon vor einigen Jah- 
ren durch Aufführung einer Sinfonie in Leipzig reichen Enthusiasmus 
erregt, gab kürzlich ein Concert, in welchem er nur eigene Compo- 
sitionen aufführte. Eine neue Sinfonie bewies, wie reich sein Talent, 
wie würdig seine künstlerischen Intentionen sind und wie viel die 
französische Instrumentalmusik von ihm zu erwarten hat. 

Thomas, vielleicht weniger begabt, als manche seiner populä- 
ren Rivalen bei der Opera comique, componirt mit der entschieden- 
sten Gewissenhaftigkeit. Seine Opern sind so fein und sauber 
wie Filigrän-Arbeit ! Wenn es nicht der „Würde der Kunst" zu 
nahe treten heisst, eine „echt komische Oper wie den „Caid" zu 
schreiben , wa 4 » doch keinem vernünftigen Menschen einfallen wird 
zu behaupten, so wüsste ich nicht, was man in dieser Hinsicht irgend 
gegen ihn einwenden" könnte." .... 

Hierauf geht Hiller auf die Instrumental-Componisten über, unter 
denen nur 2 Deutsche von Werth, Heller und Rosenhain, sich befin- 
den. Er hebt dann die trefflichen Conservatorien-Concerte , denen 
ausschliesslich Werke deutscher Meister zu Gehör gebracht werden, 
die Concerte der Societe" de St. Cecile unter Seghers, die Matineen, 
welche Alard, der beste Schüler Baillots, Franchomme, einer der ge- 
diegensten lebenden Violoncellisten, Ackan u. s. w. geben, hervor, 
erinnert an die neuesten Kunstbestrebungen der tüchtigen Künstler 
Morin, Chevillard u. s. w., welche die letzten 6 Streich - Quartette 
Beethovens, an denen sie ein ganzes Jahr studirten, schon zwei Win- 
ter hindurch in einer Reihe von Morgen-Concerten dem Publikum vorfüh- 
ren, ohne mehr als höchstens die Kosten herauszuschlagen, berührt 
die sog. Virtuosen-Concerte und Salonspieler, deren es allerdings eine 
erkleckliche Menge gäbe , ohne aber hierin Deutschland zu übertref- 
fen, und schliesst endlich mit dem Wunsche, sich solchen Thatsachen 
gegenüber nicht in einer Weise zu erheben, die der sogenannten 
deutschen Bescheidenheit schlecht anstehe. 



Vmntwortllcher Redaktenr : J.*J. SCHOTT. - Brück von REUTER & WALLAU in Main«. 






2. Jahrang. 



BTr. 19. 



21. März 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



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Inhalt: Künstler - Skizzen. II. Tichatschek. — Hamburger Briefe (Schluss.) — Corresp. (Mainz. Paris). — Nachrichten, 



KÜNSTLER-SKIZZEN. 



If. Tichatschek. 

Ein Musikgelehrter hat einmal die Behauptung ausgesprochen, 
dass in dem Klange der Stimme eines Sängers (versteht sich wohl 
bei einem kunstgebildeten Vortrage) eine sichere Charakteristik sei- 
ner künstlerischen Individualität zu finden sei. Wenn ich diesen 
Ausspruch auch im Allgemeinen nicht als Norm anzunehmen geneigt 
bin ; so ist er doch auf Tichatschek mehr als auf so manchen 
anderen Sänger anwendbar. In der Eigentümlichkeit seiner Stimme 
spielen sich alle Vorzüge und Mängel dieses Sängers auf eine über- 
raschende Weise ab. Es geht diese Ansicht jedoch keineswegs aus 
einer Beurtheilung seiner Leistungen in der letzten Zeit seines dra- 
matischen Wirkens hervor, wo die Frische der Klangfarben seiner 
Stimme schon langsam abzubleichen anlangt, wodurch die verglei- 
chenden Beziehungen minder scharf und bestimmt hervortreten; son- 
dern sie ist das Resultat gezogen aus der Blüthezeit seiner Künstler- 
laufbahn. 

Wie es seiner Stimme an dem reichen, fülligen, dabei sanft an- 
legenden Tonschmelz fehlt, so mangelt dem Sänger selbst jene sinnige 
Empfänglichkeit der Seele, welche vor Allen, wahren poetischen Na- 
turen eigen , jene Empfindsamkeit des Gemüthes und der elegische 
Hauch, die von dem Künstler ausgehend den Hörer unwillkürlich in 
ihre Zauberkreise ziehen, und ihn mit sanfter Rührung erfüllen; da- 
gegen wohnt seiner Stimme wieder jene Bestimmtheit und Kraft inne, 
welche seiner Künstlernatur homogen , und in allen jenen Parthieen 
siegreich hervortreten, die in jener Richtung sich bewegen; wie seine 
Stimme scharf, und in so manchen Tönen den Wohlklang entbehrt, 
so ist seine Darstellung oft einseitig ; auch ihr mangelt jene wohlge- 
fällige Abrundung, jene anmuthige Natürlichkeit und Formschönheitj 
sie wird oft bizarr und stösst ab, statt anzuziehen ; gleichwie manche 
Töne gepresst, mit Zwang aus der Kehle hervorgeholt erscheinen, 
so ist seine charakteristische Auffassung oft unwahr, mehr geziert 
als bezeichnend und psychologisch richtig. Es Hessen sich bei Ti- 
chatschek diese Vergleiche noch weiter fortspinnen und in seinen 
Einzelnheiten verfolgen; allein es mag dies vor der Hand genügen. 

Tichatschek ist dem Charakter seiner Stimme nach ein 
eigentlicher Heldentenor. Jeder andere Genre liegt seiner Stimme 
und Kunst-Individualität ferne. Fehlt es ihm auch an lyrischer 
Befähigung keineswegs, so ist doch eben seine Stimme nicht weich 
und volubil genug, um auch in lyrischen Parthien vollkommen zu 
genügen; wenn ihn nicht schon zu diesen die mindere Coloralurfä- 
bigkeit seines Vortrages überhaupt weniger geeignet erscheinen Hesse. 
In jener Richtung aber leistet er mitunter Ausgezeichnetes; so ist 
er als Masaniello, Rienzi, Robert und Raoul vorzüglich, und wenn 
ich auch eben dem Ausspruche M eyer becr's, der ihn für den 
ersten jetzt lebenden „Raoul" erklärt haben soll, besonders im 
gegenwärtigen Momente nur bedingungsweise beipflichten kann, so 
muss ich doch offen gestehen, dass er gerade in dieser Parthie im- 
merhin mehr Chancen für sich hat, als: Ander, Erl und Steger 
welche in derselben floriren, 



Von dem Tenoristen Jäger seligen Angedenkens bis zu Brei- 
t i n g und von B i n d e r bis zu E r 1 ist der Vorwurf, den man mit 
dem bekannten Ausdrucke „Tenoristen -Spiel" verbindet, noch 
nicht entkräftet worden. Auch T i c h a t s c h e k's Leistungen als 
Schauspieler, seine charakteristische Auffassung und seine dramati- 
sche Darstellung entgehen diesem Vorwurfe nicht. Legt er auch in 
dieser Hinsicht viele Bühnengewandtheit an den Tag, so fehlt ihm 
doch meist ein tieferes Eingehen in den Geist seines dramatischen 
Charakters und nicht selten bietet er für Natürlichkeit — oberfläch- 
liche Auffassung, für Innerlichkeit und wahre Begeisterung aber ko- 
kette Manirirtheit. Jene den S 1 a v e n vor allen anderen Völkern 
besonders charakteri sirende Leidenschaft in Gesang und Darstellung, 
wodurch sie die Affektmomente mit schärferen Conturen zu zeichnen 
vermögen als der kältere, reflektirende Deutsche und dadurch je- 
denfalls eine schnellere Wirkung auf den Zuhörer hervorbringen, 
ihn sogar oft mit sich fortreissen, diese wohnt auch Hrn. Tichat- 
s che k's Vorstellungen inne, und verleiht ihnen einen besonderen 
Reiz ; dafür aber kränkelt auch wieder sein Vortrag an der slavi- 
schen Süsslichkeit, welche meistens den günstigen Eindruck verwischt 
und in die Länge fade und unerquicklich wird. 

Was hingegen seine musikaliche Ausbildung anbelangt, so ist 
sie eine durchwegs gründliche, und entspricht ganz dem Rufe, wel- 
chen er in der ganzen musikalischen Welt dicssfalls geniesst. So 
wie Staudigl bewahrt auch Tichatschek ein praktischer Blick 
und ein seltenes musikalisches Verständniss vor Missgriffen, aber 
auch wie Jener, lässt er sich durch Eitelkeit und Ueberschätzung 
seiner Kräfte , oder durch die Sucht um jeden Preis sein Repertoir 
zu vergrössern und zu erweitern, verleiten aus seinem Genre ganz 
herauszutreten, und schadet dadurch seinem Künstlerrufe weit mehr, 
als er er sich möglicher Weise dadurch genützt haben würde, wie 
es z. B. vor längerer Zeit bei der Partie des „Zampa" der Fall war, 
die für seine Stimmlage viel zu tief gelegen, ihm schon aus dem 
Grunde nicht zusagen konnte, weil ihm die Freiheit, Gewandtheit 
und Leichtigkeit des Spieles und Vortrages abgeht , die jene durch- 
aus bedingt. 

Dass Tichatschek von der Erbsünde der Künstler, besonders 
aber der Sänger , nämlich von eitler Anmassung nicht ganz 
frei sei, diess möge ein gewisser Theil des Publikums verantworten, 
welcher sich nicht damit begnügt die gelungenen Leistungen der 
Künstler lobend anzuerkennen, sondern sogar die Fehler seines Lieb- 
lings für Vorzüge ausgibt, uud ihn dadurch systematisch zur Eitelkeit 
und Selbstüberschätzung ausbildet. Nicht selten kommen daher Fälle 
vor, wo der Künstler aus übler Laune einzelne Parthien, die ihm 
eben nicht gefallen, mit Unlust und Nachlässigkeit gibt) und sich So- 
mit schwer versündigt an der Achtung, die er dem Publikum, aber 
auch dem Komponisten schuldig ist, dessen Werk er verunstaltet, 
statt es zu verherrlichen. 

Ein Vorwurf, der Tichatschek häufig von seinen Mit st reben- 
den gemacht wird, nämlich, dass er nicht immer ganz gerecht sei 
gegenüber den Leistungen seiner Collegen, mag wohl nicht ihn allein 
treffen; ja ich glaube, dass es überhaupt wenige Künstler geben 
werde, welche sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen haben 5 



#8 



dessen ungeachtet aber ist selbst die kleinste Intrigue immerhin eine 
Versündigung an der Kunst, und die Tragweite derselben ist in dem 
wechselvollen Künstlerleben nicht immer abzusehen. Wehe aber dem 
Künstler, der sein Gewissen mit dem absichtlich herbeigeführten Ruin 
eines jungen Künstlertalentes belastete ! — 



-<•••>- 



HAMBURGER BRIEFE. 

(Schluss). 

Herr Haffner und seine drei Collegen gaben Quartett - Unterhal- 
tungen, in welchen das grosse Dreigestirn wie natürlich seine Ober- 
herrschaft oder vielmehr seine Alleinherrschaft geltend machte. Denn 
wenn wir einige sehr schöne Arbeiten von Mendelssohn, Onslow, 
Spohr, Schubert noch so hoch achten wollen, an jene drei Meister 
reichen sie nicht heran. Jene 4 Quartettisten verdienen hohes Lob 
und erndten viel herzlichen Dank von ihren Zuhörern, deren Zahl 
denn doch immer zunimmt und die in ihrem Kommen die treueste An- 
hänglichkeit an diese tiefste Musikgattung zeigen. 

Ein sehr interessantes Goncert ward uns durch das Auftreten des 
jungen Herrn Bernhard Hildebrand Romberg bereitet. Er ist ein En- 
kel des alten Bernhard Romberg, der als Bürger Hamburgs lange 
Jahre hindurch sich die Liebe und Achtung Aller erworben hat. Der 
freundliche Willkomm, mit dem der bescheidene junge Mann begrüsst 
ward, fand seine volle Rechtfertigung in seinen treulichen Leistungen. 
Er spielte Compositionen seines Grossvaters und zeigte dabei, dass 
ihm sehr edler Ton, weiche innige Empfindung, sehr schöne Bogen- 
führung und bedeutende Fertigkeit gegeben ist. Die jugendlichen 
Jahre, in denen er steht, geben die Hoffnung, dass alle seine Vorzüge, 
zu denen im hohen Grade ein natürlicher seelenvoller Ton gehört, 
sich sehr bald zu noch glänzenderer Höhe entwickeln werden. Er 
hat seitdem in Berlin mit grossem Beifalle gespielt und bereitet sich 
jetzt vor zur Saison nach London zu gehen. Auch dort wird für das 
Tüchtige, was er leistet, ihm der hochgeehrte Künstlername, den er 
führt, die schönste Einführung sein. — 

Das philharmonische Goncert brachte die erste Leonoren-Ouver- 
türe in sehr unsorgfältiger Ausführung und dann eine neue Sinfonie 
von dem Organisten Ritter in Magdeburg in G-moll. Gewiss ken- 
nen Sie und Ihre Leser viele ähnliche Arbeiten , die in der Form 
ganz vortrefflich, in der Instrumentirung sehr hübsch, in der Modu- 
lation richtig , genug in alle dem was man lernen kann durchaus 
tadelfrei dastehen und die dennoch am Ende einer sehr langen An- 
strengung kein anderes Resultat erzielen, als ein ermüdendes Durch- 
einander, eine einschläfernde Kraft zu zeigen. „Sinfonie, que me 
veux tu ?" — Der alte Rameau hatte wohl Recht ! — Ach 1 sangbare, 
einfache, neue und dennoch natürliche Melodieen, wann werden sie 
kommen ? Wann wird der Messias kommen , der uns zwingen kann 
nicht die alten Götter zu vergessen oder weniger zu lieben, aber 
in ihren Kreis einen Jüngern aufzunehmen, an dessen Hand uns neue 
bisher unbekannte Pfade aufgeschlossen werden ? Ich gestehe , dass 
es mir schwer fällt, eine so tüchtige Arbeit, wie die des Hrn. Rit- 
ter, so wenig erfreulich zu finden; aber in diesem Worte „Arbeit" 
steckt der zermalmende Vorwurf, dem alle diese vielen Sinfonien, 
Oratorien und Opern zum Opfer fallen. 

In demselben Concert trat der Hofkapellmeister AI. Dreyschock 
auf. Seine eminente Rapidität in Läufen, die grosse Kraft seiner blitzen- 
den Octavengänge und Sprünge, vor allem aber die Bravöur seiner 
linken Hand, haben ihm eine Verehrung zu W r ege gebracht, welche 
mir ein bischen zusehr die wesentlichen Schattenseiten zu übersehen 
schien. Es fehlt Herrn Dreyschock an Seele, denn die wirkliche 
musikalische, tiefere Empfindung wie sie sich auf den heutigen treffli. 
chen Flügeln wohl darstellen lässt, liegt im edlen feinen elastischen 
Aufschlag und bedarf nicht des sehr unpassenden Mittels , welches 
Herr Dreysch'ock anwandte, nämlich ganze sehr lange Stellen im- 
merfort mit der Verschiebung zu spielen. Er trug das G-moll Con- 
cert von Mendelsohn sehr fertig und sehr keck vor, so dass die 
Wirkung in allen rakiden und heftigen Sätzen vollendet war, Alle 



sangbaren Stellen aber und vorzüglich das Larghetto schienen mir nicht 
im Entferntesten an das Ideal reichen, was Mendelsohn selbst so zau- 
berisch-schön nahezu verkörperte. Der Vortrag eiser Fuge von Hän- 
del war vollendet hinsichtlich der Deutlichkeit der Stimmführung, 
aber beinahe komisch, hinsichtlich des Charakters. Ich musste mich 
dabei unwillkürlich des trefflichen Vortrages der grossen A-moll Fuge 
von J. S. Bach (sechs Fugen und Präludien bei Mechetti in Wien) 
durch Frau Clara Schumann erinnern, welche dieselbe technische 
Vollendung denn doch nur als Mittel zum Zwecke benutzte, um in 
würdigster, ernstester Weise eben die Tiefe dieser Gattung zur Gel- 
tung zu bringen. Ueberhaupt wenn man den Unfug sieht , den jetzt 
alle diese „Virtuosen" mit den Fugen jener grossen Meister trei- 
ben, die sie dem grossen Haufen" im Galopp vorreiten, so möchte ich 
manchmal wünschen, dass die alten Riesen einmal plötzlich herein- 
träten und den Zwergen in der Musik auf die Finger klopften. — Hr. 
Dreyschock entzückte endlich Alle (?) durch den Vortrag seiner 
Variationen über „God save the King'« für die linke Hand allein, 
eine der auffallendsten Verirrungen auf dem Gebiete der Tonkunst, 
die mir je vorgekommen. Wenn Leute, die da,s schön oder gar be- 
wundernswerth finden mir gegenüber Beethoven's oder Mozart's Sin- 
fonien loben, da möchte ich immer laut lachen. — Herr Dreyschock 
gab endlich noch ein eignes Concert , worin er unter andern die un- 
vermeidliche Cis-moll Fantasie vom Meister Ludwig vortrug. Grosser 
Streit in Israel wer diese Composition besser gespielt, ob Drey- 
schock oder Rudolph Willmers, der wenige Tage früher in sei- 
nem eignen Concert dieselbe Fantasie gegeben hatte. Ich denke, 
Beethoven selbst und einige andere Leute reichen bald eine Supplik 
ein, dass doch die Herren Virtuosen so gnädig sein mögen , seine 
Sachen nicht mehr zur Schemata ihrer Grösse zu machen. Das eben 
erwähnte Concert des Herrn Willmers hat nicht viele Sensation er- 
regt, ungeachtet auch ihm grosse technische Vollendung nicht abzu- 
sprechen ist Ersichtlich aber hatte er unter dem Eindruck zu lei- 
den, den sein Nebenbuhler Dreyschock im Publikum der Dilettanti 
hervorgebracht hatte. Auch hatte Herr Willmers nicht dafür gesorgt 
mit nur einer Hand zu spielen, ein unwiderleglicher Nachtheil, indem 
er sich befand. 

Herr Grädcner führte mit einem von ihm vor einigen Jahren 
gegründeten Gesangverein die schon früher öfter hier gegebene Wal- 
purgisnacht von Mendelssohn und ein Oratorium eigner Composition 
auf. Dies letztere, unter dem Namen „Johannis der Täufer", hat 
den Anklang nicht gefunden, den der Verfasser wohl gehofft hat. — 
Dazu haben vor allem der Mangel an Erfindung, die sehr schwachen 
Formen der Solostücke und vorzüglich die unpassende Benutzung der 
menschlichen Stimme beigetragen. Ernst, 



CORRESPONDENZEN. 



AUS MAINZ. 

(Anfang März.) 

Heisa, Juchhei! Dudeldumdci! 

Das geht ja hoch her ; bin auch dabei ! 
So möchte mau jetzt voll Ingrimm mit dem humoristischen Eife- 
rer in Wallensteins Lager ausrufen, wenn man sich mitten in all dem 
ohrzerreissenden Treiben befindet, welches unsre Frühjahrsmesse her- 
beibringt. Es gehört wahrlich mehr als stoische Geduld dazu, von 
Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht bald von einem Orpheus 
mit verstimmter Drehorgel, bald von einigen Dorf-Paganini's, bald von 
einer Dekade „Bergknappen", bald von allen zugleich gemartert und 
zur Verzweiflung gebracht zu werden. Doch „Geduld, Geduld, wenn's 
Herz auch bricht 1" — Ich habe einen ziemlich langen Nachtrag un- 
serer musikalischen Ereignisse zu liefern , und fange füglich mit der 
Oper an. Ein billiger Beurtheiler wird sich hier in manchen Be- 
ziehungen befriedigt erklären müssen : wir hatten eine lobenswerthe 
Mannichfaltigkeit im Repertoire, indem nicht allein wieder eine neue 
Oper, „die lustigen Weiber von Windsor", sondern auch mehrere 
filtern Opern, wie die Jüdin, Lestocq n, s. ft , neu einstudirt auf die 
Bühne gebracht wurden. Dabei dürfen wir nicht unerwähnt lassen, 
dass sich Herr Kapellmeister Lux, uns schon lange als Musiker 
rühmlich bekannt, auch als Dirigent grössere Fertigkeit und Rührig- 



- 47 - 



keit zu gewinnen scheint, mir wäre zu wünschen, dass er auf die 
vorgeschriebenen Tempo-Bezeichnungen achtsamer wäre. Die Sänger 
und Sängerinnen lassen es ihrerseits an Anstrengungen nicht fehlen. 
Fräulein Ha 11 er, unsere Primadonna, hat durch ihre Stimmmittel, 
die anfangs etwas geschwächt schienen, wie durch Vortragskunst und 
Spiel in der Achtung des Publikums bedeutende Fortschritte gemacht ; 
die Col oratur sänger in , Fräulein Remond, ersetzt die etwa fehlen- 
den Perlen der Töne durch die Perlen ihrer Zähne, durch ihre lie- 
benswürdige Erscheinung, verbunden mit Kraft der Stimme und Fleiss 
im Einstudiren ; der erste Tenor, Herr B e i e r , findet sich in allen 
Parthien zurecht, und ist in manchen, und zwar sehr schwierigen, 
recht brav; vom lyrischen Tenor, Hrn. Krön, wünsche ich Gleiches 
berichten zu können, er ist aber, auf's Schonendste ausgedrückt, 
nicht besser geworden; — der Baritonist, Herr Meyer, verdient und 
erhält in Gesang und Spiel alles Lob ; ebenso unser wackerer Bas- 
sist, Herr Schifbenker. Das Orchester war , besonders in den 
Blasinstrumenten, früher vollkommner. 

Virtuosen-Conccrte sind bei uns gänzlich verschwunden : es 
ist hier Nichts zu machen! Dagegen hatten wir mehrere Auffüh- 
rungen der musikalischen Vereine, unter denen immer wieder die 
Liedertafel das Vorzüglichste leistete. In ihrem Concerte vom 
31. Januar, das sie in Zusammenwirkung mit dem Damengesang- 
vereine, unter der ausgezeichneten Direktion des Herrn G. Vier- 
ling, im kleinen Saale des Ca sino's veranstaltete, erfreute ein reiches 
und vorzüglich ausgeführtes Programm das zahlreiche Auditorium- 
Sehr interessant war es uns, dabei Herrn Eduard Föckerer, der 
trotz seinem kurzen Aufenthalt in unserer Stadt bereits grosse Aner- 
kennung als Lehrer im Pianoforte - Spiel gefunden hat und über und 
über beschäftigt ist, öffentlich im Solovortrage zu hören. Die zwei 
von ihm executirten Stücke seiner Composition : „Elude melodique" 
und „Scherzo grazioso" lehrten ihn uns auch als ausübenden Pianis- 
ten hochschätzen. Den lebhaftesten Beifall erhielt ferner Herr Hof- 
musiker Jean Beker aus Mannheim, der drei Solo-Nummern auf der 
Violine vortrug : 1) Concertstück für die Violine über „Gott erhalte 
Franz den Kaiser" von Leonard ; 2) „Introduction et Rondo chinoise", 
komponirt von Kettenus und 3) „Fantasie burlesque" für die Violine 
komponirt von Kettenus. Er erwies sich in jedem Betracht als ein 
trefflicher Violinspieler und seines Meisters Kettenus im höchsten 
Grade würdig. Schade, dass das Lokal im Verhältniss zu Mitwirken- 
den und Zuhörern bei Weitem zu klein war. Viel passender zeigte 
es sich einige Wochen später bei einem darin veranstalteten Abend- 
essen der Liedertafel, dessen ich vornehmlich aus dem Grunde er- 
wähne, weil während desselben ausser vielen einheimischen Dilettan- 
ten und Künstlern ein recht tüchtiger Violinist, Herr Engels, aus 
Bonn, in zwei Solovorträgen seine Meisterschaft aufs Glänzendste 
zur Geltung brachte. 



AUS PARIS. 

(Ende Februar.) 

Die Italiener singen vor leeren Bänken und werden , wenn das 
so fortgeht, mit einem enormen Deficit schliessen müssen. Die pomp- 
haften Ankündigungen und die Kniffe und Intriguen einer gewissen 
Sippe , welche sonst auf das Ausbeuten der Kunst und der Künstler 
sich gar wohl versteht, haben also nichts gefruchtet, so wenig als 
noch jetzt die lobpreisenden Reclamen etwas zu fruchten im Stande 
sind, mit welchen man das Publikum zu verblüffen sucht. Was auch 
von interessirten Blättern darüber veröffentlicht werden mag, die all- 
gemeine Meinung ist, in Uebereinstimmung mit der nicht zu leugnen- 
den Thatsache, dass die Leistungen unerträglich sind und die Anstalt 
in desolutem Zustande. Von einer solchen Vorstellung des „Don 
Juan", wie die, mit welcher jüngst die Verehrer Mozart's beglückt 
wurden, bei denen noch die herrlichen Aufführungen des Meisterwerks 
durch die frühere Truppe in so lebhaftem Andenken stehen, von die- 
sem miserablen Ensemble, von solchem Falschsingen hat man keinen 
Begriff. Und dass das böse Blut, welches der Prozess zwischen der 
Direktion und der in vollem Maasse als assoluta sich gerirenden Pri- 
madonna erzeugt, der Einheit und dem Ensemble keinen sonderlichen 
Vortheil bringt, lässt sich denken. Rechnet man nun noch hinzu den 
seit der Verurtheilung dieser Dame plötzlich eingetretenen gänzlichen 
Umschwung zweier Hauptblätter, die bis dahin die eifrigsten Lob- 



redner und Vertheidiger der Anstalt waren und nunmehr die rück- 
sichtsloseste Feindseligkeit üben, so haben wir den ganzen Jammer 
vor uns und trotz aller angekündigten Engagements neuer Sänger und 
Sängerinnen erster Grösse, von denen man nicht weiss, an welchem 
Himmel sie glänzen und woher sie kommen sollen, wenig Aussicht 
zur Besserung wie zu einem glücklichen Endaoslauf des Unterneh- 
mens. — Die kaiserliche Akademie der Musik oder die grosse Oper 
wechselt ab mit Robert, Hugenotten und Prophet, der Favorite na4 
dem ewigen Juden, und hilft sonst mit Ballet aus, Orfa erhält sich 
des hier sehr fern liegenden, fast unverständlichen Stoffs ungeachtet 
Roger, der in diesen anstrengenden Räumen vorzeitig seine Stimme 
einbüssen wird , wie Düprez gethan , und bereits gar viel verloren 
hat, während er an der komischen Oper die ihm von der Natur an- 
gewiesene schöne Stelle so vollkommen ausfüllte, sieht in Gueymard, 
dem es späterhin nicht besser gehen wird, einen gefährlichen Neben- 
buhler auftauchen , der ihm bei seiner Eitelkeit ein wahrer Dorn im 
Auge ist. Die Nachricht aus Deutschland von dem im Juni eintre- 
tenden zehnmonatlichen Urlaub der Johanna Wagner, gibt dem Ge- 
rücht von ihrem Engagement hiersclbst zum Auftreten in der neuen 
Oper Meyerbeer' s, eine bestätigende Glaubwürdigkeit. Von dem frü- 
her beregten Werk dieses Meisters für die komische Oper, das jener 
vorangehen sollte, hört man seitdem nichts. Die komische Oper mit 
ihren allerliebsten Erzeugnissen und trefflichem Personal', der wahre 
Ausdruck des französischen Nationalcharakters, hält sich immer noch 
am besten und hat mit dem Marco Spada auch jetzt noch befriedi- 
genden Zulauf. Auch das dritte lyrische Theater ist rührig und le- 
bendig und darf, trotz seiner misslichen Lage ausserhalb der gebilde- 
ten pariser Welt auf dem fernen Boulevard , sich guter Erfolge er- 
freuen. Das eigentliche Interesse der Saison bewegt sich aber nicht 
in den Theatern, sondern im Concertsaale und rh den Privatzirkeln. 

In unübertroffener Meisterschaft bietet, mit dem gleiche Vollendung 
des Vortrags anstrebenden Seghers'schen Cäcilienvereine abwechselnd, 
alle 14 Tage die Concortgesellschalt desConservaloiredie reinsten Kunst- 
genüsse einem in der Zahl leider durch die Räumlichkeit nur zu be- 
schränkten Publikum dar, soz.B.Beclhoven's 9. Symphonie und, Men- 
delssohn s Sommernachtstraum wie man sie nur wünschen kann und 
mit stets wachsendem Verständniss und Erfolg. Nur der Chorgesang 
in ersterer, überhaupt die schwache Seite der Franzosen, ist in hohem 
Grade ungenügend, unfrei und matt. Hierin bleibt noch viel zu thttn 
übrig. Unter dem Namen einer „ Concertgesellschaft der jungen 
Künstler" hat sich ein neues Orchester von fünfzig Jünglingen gebil- 
det, die sämmtlich noch jetzt als Schüler das Conservatoire besuchen 
und worunter sogar zwölfjährige Herren tapfer mitwirken. An der 
Spitze J. Pasdeloup, ein junger Musiker von grosser Rührigkeit und 
bekannt durch einige beliebte Tanzcompositionen ; die Chöre dirigirt 
von Eduard Batiste; Zweck: Uebung im Zusammenspiel und Ausfüh- 
rung auch der Werke jüngerer Componisten, die anderswo vergeblich 
anklopfen. Am 20. Februar fand im Herz'schen Saale ihr erstes 
Concert statt, und Beethovens C-dur Symphonie, Bcrlioz Ouvertüre 
zum römischen Carneval und eine Concertouverture von Louis La- 
combe fanden bei recht braver Ausführung verdienten Erfolg. Ob 
diesem neuen Vereine lange Daner bevorsteht, ist im Voraus nicht 
zu sagen, obgleich bei der Unverdrossenheit jugendlicher Kräfte, dem 
Eifer des Dirigenten und der durch öffentliche Leistungen gestachel- 
ten Eitelkeit der Jugend Aussicht dazu vorhanden sein dürfte. Wer 
aber das Pariser Pflaster kennt und die Schwierigkeilen und Hinder- 
nisse aller Art, die es dergleichen Unternehmungen entgegensetzt, der 
wird sich nicht wundern, dass die so mühsam zusammengebrachte 
„Symphonische Gesellschaft" des Herrn Farrence, deren erstes Con- 
cert die all beliebte Wilhelmine Clauss in so glänzender Weise durch 
das Mcndelssohn'sche Clavierconcert verherrlichte, schon mit dem 
zweiten Concert schliessen musste, und zwar mit einem sehr empfind- 
lichen Geldverlust für den Unternehmer. Dieses zweite und letzte 
Concert brachte eine Symphonie der Gattin des Unternehmers zu 
Gehör (dritte G-moll), dieselbe , die vor einigen Jahren die Ehre der 
Aufführung im Conservatoire genoss, später in Brüssel unter Fetis, 
und hier wie dort durch ihre klassische Haltung und Gediegenheit 
gebührende Anerkennung fand. Madame Farrence, Clavierlehrerin 
am Conservatoire und als solche hochgeachtet, ist vermöge der 
Gründlichkeit ihrer musikalischen Kenntnisse und ihres Compositione- 
talents , zumal im Fache der Kammermusik , eine sehr bomerkena- 
werthe, in ihrer Art einzig dastehende Erscheinung, 



— 48 — 



Von einem andern, also fünften Orchestervereine, der uns ganz 
unerwartet wie der diesjährige Winter aus dem Norden angeflogen 
kam, aber nicht so überwindend und stichhaltig wie dieser , können 
wir nur mit Bedauern reden, da die Sache mit so stolzer Anmassung 
auftrat und so kläglich ausfiel , da sie doch bei richtigerer Beurthei- 
iung der hiesigen Zustände, wozu es freilich einer genügenden Local- 
kenntniss bedurfte, und bei verständigerer Berücksichtigung der ob- 
waltenden Verhältnisse eines glücklichern Erfolgs sich würde haben 
erfreuen können. Wir meinen den unter dem Namen der „Berliner Con- 
certgesellschaft", gebildeten Verein deutscher Künstler, der unter der 
Leitung des Hrn. Victor von Elbel am vorigen 15. Dez. im Herz'schen 
Saale vor einem, wie es heisst, durchweg durch verschenkte .Einlass- 
karten herbeigelockten zahlreichen Publikum, worin das deutsche Ele- 
ment stark vertreten war , sein Einweihungsconcert gab. Schon die 
Benennung Concertgesellschaft war eine ungeschickte und verrieth, 
«der schien wenigstens eine beabsichtigte Concurrenz mit der gleich- 
namigen hiesigen des Conservatoire zu verrathen. Was Wunder, dass 
•die Erwartungen hochgespannt waren , da man nicht anders glauben 
konnte, als dass ein dem hiesigen weltberühmten Institut ähnliches 
aus Berlin sich vollständig aufgemacht, um den Parisern zu zeigen, 
was auch Berliner vermögen. Je grösser die Erwartungen, desto 
grösser die Enttäuschung. Ohne uns in eine ausführlichere Beurthei- 
lung der Leistungen einzulassen, — wobei wir nur bemerken wollen, 
dass die Beethoven'sche C-moll Symphonie, die man hier in so 
hoher Vollendung zu hören gewohnt ist, theilweise und durchweg im 
letzten Satze ganz vergriffen wurde und somit den widerwärtigsten 
Eindruck machte, dass Mad. Molidoff, sei es aus Befangenheit oder 
ans andern Gründen im Vortrag der grossen Arie der Agathe aus 
dem Freischütz an einer Stelle gänzlich aus Takt und Fassung ge- 
rieth, und der Begleiter am Ciavier an einer andern ; — so ging doch 
ans der Ausführung der Oberon-Ouverture, die das Concert einleitete, 
hervor, dass das Orchester aus jungen frischen Kräften bestand vol- 
ler Leben und Feuer, denen nur der höhere künstlerische Schliff ab- 
ging, die Zartheit, Eleganz und Correktheit, kurz Vorzüge, die mehr 
oder minder jedem einheimischen Künster eigen und hier vor einem 
Publikum, welches an das Beste gewöhnt ist, unerlässlich sind. Dem- 
tnngeachtet wurden sie, da wo sie es verdienten, durch rauschenden Ap- 
plaus ermuthigt, und ganz vorzüglich war das der Fall, bei dem mit 
einem wirklich ausgezeichneten Ensemble und hinreissendem Schwung, 
obgleich etwas lärmenden Dreinschlagen und Blasen ausgeführten 
grossen phantastischen Walzer „die schöne lsraclsmaid" von Herrn 
von Elbels Composition, ein sehr gelungenes und geschickt instrumen- 
iirtes Stück, das wiederholt werden ntusste. Als man dieses Glanz- 
stück vernommen, stand das Urthcil über die räthselhafte Gesellschaft, 
von deren plötzlichem Erscheinen kaum eine Anzeige in's Publikum 
gedrungen war, allgemein fest: „ein Tanzorchester ä la Strauss," — 
Und hätte sich das Orchester als solches angekündigt und statt zu 
fünf und sechs Franken im Herz'schen Saale in einem grösseren Lo- 
kale, etwa im Wintergarten, wo hinaus es später, aber zu spät zog, 
zu billigen Preisen Abendunterhaltungen gegeben, so würde es gewiss 
gute Geschäfte gemacht haben. Statt dessen hat der übelbcrathene 
Direktor, wie man vernimmt, ein nicht unbedeutendes Kapital zuge- 
setzt, kaum drei bis vier Concerte einrichten können, die nichts ein- 
gebracht, und grosse Mühe gehabt seine Leute, die ihn allmälig ver- 
liessen, nicht darben zu lassen. Jetzt hat er noch 25 Mann beisam- 
men, an deren Spitze er auf Tod und Leben zu kämpfen gedenkt. 

Im nächsten Bericht die Besprechung einer Reihe interessanter 
Concerte. 



NACHRICHTEN. 



Frankfurt. Durch den Abgang des Herrn Beck sieht sich die 
Direktion genöthigt von den benachbarten Bühnen Gäste kommen zu 
lassen. So trat im Tannhäuser Herr M i n e 1 1 i von Wiesbaden als 
Wolfram von Eschenbach, in Teil Hr. Stepan von Mannheim in der 
Titelrolle auf. 



Wiesbaden. Hans Heiling von Marschner ging hier neuein- 
studirt in Scenc. Hr. Minetti sang die Partie Heiling. Im Tannhäu- 
ser, welcher hier stets mit grossem Beifall aufgenommen wird, trat 
(als Landgraf) Hr. Dettmer von Frankfurt auf. Noch ein Gast ist 
zu erwähnen, nämlich Frln. Marx von Berlin, welche als Fides leb- 
haft applaudirt wurde. 



Darmstadt. Eine neue Oper von dem hiesigen Musikdirektor 
Schlösser: „Die Jugend Karls IL", wurde hier am 20. Febr. gegeben* 



Wien. Es wird Ihren Lesern nicht uninteressant sein, über 
den Erfolg der Aufführung von Esser's neuester Sinfonie im dritten 
Concerte der Gesellschaft der Musikfreunde Nachricht zu erhalten, 
und mit Vergnügen theile ich Ihnen mit, dass dieser Erfolg ein ent- 
schieden günstiger war, sowohl was die Aufnahme dieses interessan- 
ten Tonwerkes von Seite des Publikums, als auch die kritische Be- 
sprechung desselben in den geachtetsten hiesigen Journalen betrifft. 

Diese stimmen sämmtlich darin überein, dass Esser der grossen Auf- 
gabe, die er sich gestellt, vollkommen gewachsen ist. Es wird be- 
sonders hervorgehoben, dass diese seine neueste Sinfonie von tiefem 
Studium seiner grossen Vorgänger in diesem Zweige der Composition 
zeuge, ohne dass er übrigens seine Originalität aufgebend zsm Nach- 
ahmer geworden wäre. Der Humorist sagt darüber unter Anderem : 
„Die Selbstständigkeit des Hrn. Esser charakterisirt sich in seiner 
Sinfonie auch noch dadurch besonders interessant, dass sich in ihr 
der deutsche Zug schärfer ausprägt als in anderen neuen Produktio- 
nen, welche zum Theile sich in einem eklektischen Mischmasch ge- 
fallen oder sich in einer geschraubten und gesuchten Manier bewegen' 
welche für geistreich gelten soll, aber nur unverständlich ist," Und 
in der Theaterzeitung heisst es: „Es zeigt sich in Essers neuestem 
Werke eine so entschieden ausgeprägte Klarheit und Schönheit, die 
unter den neuen Componisten nur Mendelsohn zu erringen wusste.*« 
Auch die „Presse" und der „Wanderer" stimmen in dieses Lob mit 
ein, und muntern den „zu bescheidenen" Künstler auf, fortzu- 
schreiten auf der mit so vielem Glücke und so entschiedenem Berufe 
betretenen Cahn. Das Publikum gab seine Anerkennung durch wie- 
derholten lebhaften Beifall nach jedem einzelnen Theile der Sinfonie, 
sowie am Schlüsse derselben durch mehrmaliges Hervorrufen des 
Componisten kund. 



Hannover. Der beliebte Tanzkomponist A. Wallerstein ist 
von Paris, wo seine neuesten Compositionen Furore machten, wieder 



zurückgekehrt. 



Leipzig. Im 19. Gewandhaus-Concert sangen Hr. G. Hölzl, der 
bekannte Liedersänger und die k. k. Hofsängerin Frl. Schwarz aus 
Wien. Letztere hat nicht angesprochen. 



Weimar. Nach der N. Zeitschr. für Musik steht der schon 
vor längerer Zeit berichtete aber widersprochene Rücktritt Liszt's 
von der Direktion der Weimar'schen Kapelle nun dennoch bevor , da 
er an sein ferneres Bleiben „zum Besten des Instituts Bedingungen 
geknüpft hat, deren leider zu fürchtende Nichterfüllung die Niederle- 
gung des Kapellmeisteramts zur Folge haben würde. 



. t< 



Stuttgart. Der Kapellmeister Lindpaintner hat einen dreimo- 
natlichen Urlaub erhalten, während welcher Zeit er die Concerte der 
Londoner „New Philharmonie Society" dirigiren wird. Seine Stelle 
versieht Kapellmeister Kücken, 



London. Die Royal ltalian Opera wird am 29, März eröffnet. 
Ella hat für die „Musical Union" den Pianisten Haberbier und 
Vieuxtemps engagirt. Mit ersterer Wahl sind die Londoner Blätter 
sehr unzufrieden. 



V«r«BtwOTtUeher Bedrttem: J. J. SCHOTI. - Druck von REüTER* WALUU in lains. 



2. Jahrgang. 



Nr. 13. 



28. März 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



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Quartal. 



Inhalts Wag soll aus dem Oratorium -werden? I. — Literarisches: Musikalische Charakterköpfe. — Corresp. ("Wien). — Nachrichten. 



WAS SOLL AUS DEM ORATORIUM WERDEN ? *) 



In einer früheren Nummer dieses Blattes theilten wir aus einer 
Abhandlung von F. Ghrysander über das Oratorium einen Auszug 
mit, in welchem besonders die Stellung Händeis, des zweiten Schö- 
pfers der oratorischen Form, zu dem Oratorium berücksichtigt wurde. 
Daran schloss sich der Nachweis, dass die Oratorienform überhaupt 
nur ein Auskunftsmittel war, welches man ergriff, weil weder die 
Bühne, noch die Kirche den Künstlern der damaligen Zeit ein geeig- 
netes Feld für ihre Thätigkeit boten. Die Frage, ob die Oratorien- 
form noch heute beibehalten werden könne und solle, und was im 
Verneinungsfalle daraus gerettet werden müsse, reiht sich so natür- 
lich daran und ist dabei gleichzeitig von so praktischem Interesse, 
dass wir trotz der anscheinenden Vernachlässigung der Kirchenmusik 
in der Gegenwart, gegenüber der dramatischen Musik, einige Minuten 
dabei verweilen wollen. 

Winterfeld hat das Oratorium als das musikalische Epos hin- 
stellen und ihm durch diese Bezeichnung ein eigentliches Wesen zu- 
erkennen wollen. Wenige Betrachtungen an der Hand unseres Au- 
tors reichen hin, diesen Versuch als einen verfehlten erkennen zu 
lassen. 

Der Musik nach besteht das Oratorium aus Recitativen, Arien, 
Chören und reinen Instrumcntalsätzen. Von diesen sind ohne Wi- 
derrede die Chöre und die Instrumentalsätze das Beste, und die Chöre 
liefern, genau genommen, die einzige Stütze für das „Epische". Die 
Chöre sind es, in denen man die erzenen Gestalten, das „Grossar- 
tige und Menschlich-Hohe" nach Thibaut's Ausdruck, den helden- 
mässigen Schwung , das Wogen und Wirken der Völkermengen und 
Alles sonstige Zubehör des Epischen zu vernehmen geglaubt hat. 
Es müssen also, soll dies begründet sein, alle eigenthümlichen Merk- 
male des Epischen auch hier vorhanden sein, ja sie müssen in noch 
grösserer Klarheit hervortreten, als bei der Poesie allein, da die 
ewigen Formen der Kunst durch eine neue Ent Wickelung auch immer 
zu erhöhter Anschaulichkeit gelangen. 

Was erzählt denn der Chor? Nichts. Welche Phantasiegestalten 
bildet er? Keine. Was für eine Bewegung stellt er dar? Eine reine 
Gemüthsbewcgung. Und durch welchen Weg dringt er in den Hö- 
rer? Durch das Gefühl, durch die Empfindung. So sind Chor — 
oder sagen wir „Oratorium" und Epos grade so weit von einander 
geschieden, als Poesie und Musik überhaupt. 

Winterfeld vindicirt dem Oratorium aber auch dramatisches Le- 
ben, ja er gibt zu verstehen, dass es eigentlich die höchste und 
reinste Dramatik sei, die durch den Flitterprunk der Bühne, durch 
die kleinliche Erscheinung vielleicht eines Hundert von Menschen, die 
ein Volk vorstellen sollen, nur entstellt und profanirt werden könne. 
Seine eigenen Worte aber lassen erkennen, wie diese ideale Dra- 



*) Siehe Nro, 3 dieses Jahrganges, 



matik nicht im Oratorium selbst, sondern nur in dem Gedanken des 
durch den Stoff angeregten Zuschauers oder Hörers liegt. Behan- 
delt nämlich das Oratorium einen Stoff, dor dem Hörer bekannt und 
lieb ist, so gewährt es ihm, wie kein anderes Kunstwerk, die Frei- 
heit, mit seinem inneren Sinne sich unbeengt im Gebiete desselben 
zu ergehen, sich das Gegebene oder Angedeutete weiter auszumalen, 
zurecht zu legen, in Zusammenhang zu bringen und schliesslich um 
das Ganze einen grossen, weltgeschichtlichen, das Himmlische und 
Irdische in sich fassenden Rahmen zu legen. Weiss er aber nichts 
davon, so wird sein Gefühl bald abgestumpft und die Flugkraft sei- 
ner Phantasie bald erlahmt sein. Denn dem Oratorium fehlt die Kraft, 
welche Persönlichkeiten zu bilden und in deren folgerichtigem 
Ruhmesleben eine zusammenhängende Handlung zu entwickeln ver- 
mag. Dieses zu können, ist das Vorrecht des Drama, der Bühne. 

Das Oratorium enthält also weder „epische" noch „dramatische" 
Musik, sondern — einzelne Tonbilder, in welchen bestimmte 
Stimmungen und Bewegungen, losgelöst von der ersten Quelle , wel- 
cher sie ursprünglich entflossen, von der Persönlichkeit und in's All- 
gemeine gehoben, uns vorgeführt werden. In die Hand des Compo- 
nisten ist daher Alles gegeben, von ihm hängt der Werth eines Ora- 
toriums, die Möglichkeit, es als Ganzes erfassen zu können, in einer 
Weise ab, wie bei keinem andern poetisch-musikalischen Kunstwerke. 
Hieraus erklärt sich die besondere Hochachtung, deren wir den Com- 
ponisten eines bedeutenden Oratoriums würdig achten. Ist ihm ge« 
Jungen, einen erhabenen Inhalt zu bewältigen, so ist dies das beste 
Zeugniss der Kraft und Tiefe seines Innern und mit Ehrfurcht nahen 
wir uns dem Denkmale seines hohen Geistes. 

Anerkannt ist, dass die grössten geschichtlichen geistigen That- 
sachen den Inhalt des Oratoriums bilden. Sind nun grade dem 
Starken, dem Hohen, dem Edlen die schwachen unkenntlichen Züge 
immer am fernsten, gibt es sich als das Grosse, besonders durch seine 
markige, makellose, geschlossene Gestalt, so müsste man hinsichtlich 
des Oratoriums doch wohl mit Recht erwarten, dass der gewaltige 
Inhalt in ihm es auch zu einer entsprechenden Form bringe. Die 
rechte, die vollendete Form ist aber hier, wie überall, die, welche 
klar und unmittelbar verständlich ist, daher den Inhalt so offenbart, 
dass dieser mit der ihm inwohnenden vollen Gewalt wirken kann. 
Demnach müsste der Inhalt , der Gegenstand des Oratoriums , recht 
gestaltet, uns die vollkommenste Kunst bringen, welche wir auf die- 
sem Gebiete zu erreichen befähigt sind. Ist dies kein übereilter 
Schluss, so halten wir an ihm fest, denn es hängt die Hauptsache 
daran. Lässt sich beweissen , dass das bisherige Oratorium diese 
Form sei, dann haben wir in ihm das denkbar Vollkommenste in der 
poetisch-musikalischen Kunst zu erblicken ; lässt es sich nicht be- 
weisen, dann ist die oratorische Form für den von ihr behandelten 
Gegenstand unzulänglich. Dass sich das Erstere nicht beweisen 
lässt, ist allgemein anerkannt; auch die Fähigkeit des Andern zu 
höherer Entwickclung ist verneint, sobald es richtig ist, dass sich 
dasselbe selbst bei dem grössten Meister (Händel) nicht als Ganzes 
zu entwickeln vermocht, sondern dass sich in demselben nur die 
einzelnen musikalischen Formen fortgebildet haben. 



— 50 — 



Es bleibt also nur das Letzte übrig! Die oratorische Form muss 
zu entsprechender Darstellung des in ihr beschlossenen Inhalts auf- 
gegeben werden. 



LITERARISCHES. 



Musikalische Charakterköpfe von H, Riehl. — Stuttgart. 
Cotta'sche Buchhandlung. 

Ein recht gutes Buch, das als eine -willkommene Bereicherung 
unserer musikalischen Literatur betrachtet werden muss ; weniger, 
weil es an und für sich so bedeutend wäre, als weil es an vielen 
Stellen anklopft, wo es sehr schläfrig aussieht) und wo Rippenstösse, 
die einschlafenwollenden Künstlern ertheilt werden, stets wohlthätig 
sind. Doch wolle desshalb Niemand gering von dem eigentlichen In- 
halt des Buches denken. Es enthält eine Reihe „Charakteristiken 
musikalischer Meister", die sich einmal dadurch vor ähnlichen Arbei- 
ten auszeichnen, dass sie im Ganzen und Grossen ausgearbeitet sind, 
und den Mann mit wenigen kecken Strichen vor die Augen hinstel- 
len, wie er war, ohne jene nichtssagenden und überflüssigen Details, 
mit deren Kenntuiss sich die Autoren sonst brüsten und den Leser 
langweilen; zweitens, dass sie entweder Charaktere, die eine ge- 
wisse Beziehung zu einander haben , einander gegenüberstellen und 
das Bild dadurch anschaulicher machen, oder sie in Verbindung mit 
einer ganzen Gruppe gleichzeitiger und gleichartiger vor uns aufmar- 
schiren lassen; endlich drittens, weil sie die künstlerischen Persön- 
lichkeiten nicht willkürlich aus ihrer Umgebung, ihrer Wirkungssphäre 
herausreissen und als Individuen betrachten und untersuchen, wie etwa 
der Angler den eingefangenen Fisch, sondern weil sie dieselben in- 
mitten des Kunst- und Geisteslebens ihrer Zeit mit Berücksichtigung 
der wichtigsten culturgeschichtlichen Momente aufsuchen und so ihre 
Stellung, das was sie wurden und das was sie thaten, zu kennzeich- 
nen suchen. Allerdings ist das Letztere eigentlich die Conditio sine 
qua non jeder erträglichen Biographie und sollte sich billig von selbst 
verstehen ; aber wer die bisherige Weise der musikalischen Gc- 
schichtschreibung näher kennt, wird wissen, dass der Musiker ge- 
wöhnlich als ein Wesen angesehen wurde, welches einer anderen 
Welt angehört, und sich gegen die ihn umgebende, was geistige Be- 
ziehungen betrifft, vollkommen indifferent verhält. Das Verdienst Riehl's 
bleibt also ungeschmälert. 

Die Absicht des Verfassers bei Abfassung dieser Skizzen war, 
wie er in der Vorrede sagt, eine dreifache. Er wollte zuerst eine 
Anregung zu dem in neuerer Zeit so arg vernachlässigten historischen 
Studium geben ; zweitens zeigen , dass die Geschichte der Musik 
nicht isolirt behandelt werden kann, sondern dass sie, als Theil der 
allgemeinen Kunstgeschichte, mit dieser in untrennbarer Verbindung 
steht; drittens aber die Sünde der Vernachlässigung einigermassen 
gut machen, welche an den kleineren Meistern, die doch auch ihren 
vollwichtigen Antheil an dem grossen Entwickelungsprozesse der Ver- 
gangenheit und Gegenwart besitzen, im Vcrhältniss zu den grösseren 
Männern begangen wird. Gleich das erste Capitel bringt zwei sol- 
cher „kleinen" fast verschollenen Meister: „Wenzel Müller" und als 
Gegensatz „Astorga". Hierauf folgt : „Matthison und seine Zeitge- 
nossen", eine sehr interessante Skizze, reich an treffenden Be- 
ziehungen auf die Gegenwart; als Epilog dazu: „Eine Gruppe mo- 
derner Historiker"; „Bach und Mendelssohn" aus dem socialen Ge- 
sichtspunkte, voll bedeutender und oft neuer Fingerzeige, besonders 
über Mendelssohn und dessen Verhältniss zur Gegenwart; „Hasse 
und Faustina", als Epilog: „Meyerbeer und Roger"; „Spontini" und 
das Gegenbild Cherubini's, „C. Kreutzer und Lortzing", zwei „kleine 
Meister" unserer Tage etc. Jede dieser Skizzen ist gewürzt durch 
zahlreiche oft recht scharfe Ausfälle gegen Irrthümer, Verkehrtheiten 
und Missbräuche des heutigen künstlerischen Lebens und Treibens, 
und wir können nicht leugnen, dass der Verfasser, obwohl er sich 
ersichtlich gern mit dem „Schwert" Matthison's und seiner. Zeitge- 
nossen bewaffnet sieht, meistens Recht hat. Sollten wir etwas ta- 
deln, so wäre es die. auch schon von anderen Seiten gerügte Non- 
chalance und Burschikosität des übrigens fliessenden und lebendigen 



Styls, welche zuweilen hie und da oft gar mit dem Anschein von 
Koketterie hervortritt, und leicht auf Abwege führen kann. Wir 
lassen als Probe eine der kleinsten Skizzen folgen ; der L#se£- wh# 
darnach am. besten urtheüen können. 

„fBine Gruppe. jnqdenaer UtetorJLker. 

Wie ist es jetzt so still geworden unter den deutschen Musik- 
litcratcn gegenüber den lärmenden Gruppen jener fehdelustigen viel- 
geschäftigen Ritter von Zopf und Schwert (Matthison und seine Zeit- 
genossen)! Nur Richard Wagner, der Doctrinär des musikalischen 
Radicalismus, beschreitet jetzt wieder den Turnierplatz, vergleichbar 
jenen alten Streithähnen. Aber die Gegner bleiben zu Hause und 
zu jedem Kampfe gehören bekanntlich wenigstens zwei. 

Wir besitzen eine Gruppe wissenschaftlich selbstständigcr musi- 
kalischer Geschichtsforscher. Doch das sind stille Leute , gelehrte, 
gesetzte Männer, die nur für eine kleine Schaar von Eingeweihten 
arbeiten. Die musikalische Schriflstellerei zu Matthison's Zeit be- 
herrschte unzweifelhaft ein grosses Publikum. Einzelne bedeutende 
Literatoren waren Autoritäten sogar bei den zünftigen Musikern. Der 
populäre Styl dieser Schriftsteller mochte häufig ein handwerksbur- 
schenmässig populärer sein ; allein sie schlugen bei ihrem Publikum 
mindestens durch mit diesem Style. Den einen Tag schrieben sie 
zopfisch pedantisch, den andern frivol musikalisch; allein an allen 
Tagen waren sie doch wenigstens Autoritäten gewesen : sie fixirlen 
die Theorie einer neuen, einer modernen Musik. So ist in Matthi- 
son's „vollkommenem Kapellmeister" der Grundbau einer Aesthetik 
der Tonkunst gelegt, auf dessen Hauptpfeilern unsere Kunstphiloso- 
phen bis in die neueste Zeit weiter gebaut haben. In keckem Ueber- 
muth wurden damals die letzten Trümmer des mittelalterigcn Ton- 
satzes niedergeworfen; aber es lugt die Ahnung einer berechtigten 
Zukunft aus der oft bis zum Geckenhaftigen eitlen Selbstgefälligkeit 
dieser Zerstörer in Alongeperücken. Die vorzugsweise Gelehrten 
plagten sich nebenbei noch bas mit der Grille, die Geheimnisse der 
altgriechischen Musik wieder zu entdecken und ahnten ihrerseits wie- 
der nicht, dass gerade durch das Wegwerfen des Versuchs, eine mo- 
derne Musik antiquarisch zu construiren, eine neue griechische Ton- 
dichtung erstehen sollte : das in der mass vollen Schönheit verklärte 
musikalische Heidcnthum der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 
Denn das ist ja für uns die rechte griechische Musik, was Gluck 
und Mozart, vor Allem aber Haydn gesungen, griechisch wie Gölhe's 
Dichtung. Denn was die alten Hellenen für die Entwicklungsge- 
schichte der Menschheit gethan , das sind diese Hellenen des 18ten 
Jahrhunderts für die moderne Kunstgeschichte. 

Jetzt thun die besten unserer musikalischen Historiker Busse für 
den heiteren olympischen Traum und wenden ihren Forschereifer 
wieder dem christlichen Ernste des Kirchensatzes der früheren Jahr- 
hunderte zu. Aber diese Vorarbeiter für die noch nicht existirende 
Disciplin der „allgemeinen Kunstgeschichte" , welche sich bemühen, 
die Musik aus ihrer Vereinsamung herauszureissen und die Kunst 
der musikalischen Geschichtschreibung zu jenem Höhepunkte zu füh- 
ren, den wir bei der Poesie und den bildenden Künsten schon so 
lange und unbestritten behaupten, stehen selber vereinsamt da. Es 
sind stille, fleissige Arbeiter, keine zeitgeschichtlichen Charakter- 
köpfe. Die grosse Mehrzahl der Literatoren und Aesthetiker kann 
leider solche Bestrebungen auf dem musikalischen Felde nicht wür- 
digen. Die Musiker wollen sie nicht würdigen. 

Seit den zwanziger Jahren schon wirkt eine reformatorisch ge- 
sinnte Gruppe der ästhetisch Strenggläubigen, um der Musik diesel- 
ben Errungenschaften zu sichern, welche damals in der Malerei und 
Baukunst durch ein auf die vorrafaelische Zeit und auf die keusche 
Frühblüthe romanischer und germanischer Architektur gerichtetes 
Studium, in der Dichtkunst durch die Wiederbelebung der Volks- und 
Kunstpoesie des Mittelalters eine neue Leuchte entzündet hatte. Un- 
verlöscht im Gedächtnisse der Freunde und Schüler ist das Andenken 
des fördernden Einflusses bewahrt, welchen Thibaut in Heidelberg 
in solcher Weise übte; Gleiches erstrebte in Berlin Winterfeld, 
der Verfasser des trefflichen Buches über Gabrieli und sein Zeital- 
ter, eines wahren Kleinods in unserer so armen wissenschaftlichen 
Musikliteratur; und würdig als der Dritte zu beiden gesellte sich 
der Historiker Kiesewetter in Wien. Allein ihre Wirksamkeit 
war local, vorerst nur eine kleine örtliche Gemeinde treuer Anhän- 



51 — 



ger umfassend. Gleich dem Hause Thibauts war auch das von Kie- 
sewetter ein Sammelplatz der Freunde der „reinen Tonkunst", und 
seine Partiturensammlung barg gleich der des Heidelberger Genossen 
die seltensten Schätze alter Musik. Wie gewaltig kontrastirt diese 
kunsthistorischc Agitation, die sich .vorerst auf das Haus, den Freun- 
deskreis, auf eingeschlossene Vereine beschränkte , mit der Betrieb- 
samkeit jener literarischen Ritter von „Zopf und Schwert", die als 
Redner auf den offenen Markt traten, und wo der Marktredner nicht 
durchdringen konnte, unbedenklich auch in's Vordertreffen komman- 
dirten. So blieb Thibaut , der so tief in Geschichte und Wesen der 
Musik geblickt hatte, dem Musiker, welchem der letzte Claviervirtuos 
ein Mann von Fach ist — ein Dilettant! Thibaut' s goldenes Büchlein 
von der Reinheit in der Tonkunst hat in wissenschaftlichen Kreisen 
auf's Anregendste gewirkt; in der musikalischen Literatur aber steht 
es isolirt und wie viele Musiker mögen es gelesen haben ! Wie 
könnte sich auch ein „Mann von Fach" von einem Heidelberger Pro- 
fessor der Jurisprudenz über die Tonkunst belehren lassen! 

Die Geschichte wird die Thatsache aufbewahren, dass dieser 
ganze, auf die goldene Zeit der mittelalterigen Tonkunst zurückgrei- 
fende Aufschwung der musikalischen Literatur in Deutschland fast 
nur von Männern ausging, die der einseitig technische Musikant als 
„Dilettanten" bezeichnen wird , nämlich von den Männern , welche 
durch die Wissenschaft zur Kunst geführt werden. Den Musikern 
des Zeitalters aber wird es die Geschichte als eine Schmach vor die 
Füsse werfen, dass sie, ungleich den bildenden Künstlern und Poe- 
ten, in ihrer ungeheuren Majorität ihre Ohren verstopften und die 
Resultate der historischen Forschung unbenutzt am Wege liegen 
Hessen, während sich bei jenen rasch weitverzweigte Künstlerschulen 
entwickelten, die nach den in ihrer Reinheit wieder erkannten alten 
Formen neue Formen schufen, neues, aber in der geschichtlichen 
Ueberlieferung Gewurzeltes bildeten und dichteten und so ihre Werke 
mit dem idealen Geiste beseelten. Die Namen der Wenigen aber, 
welche, gleich Mendelssohn, den Schatz wissenschaftlicher Entdeck- 
ungen für sich praktisch zu machen suchten, wird man in desto 
grösseren Ehren nennen. 

So ist denn der grossen Masse unserer Musiker noch immer der 
Zopf geblieben , dieweil unseren modernen Geschichtsforschern und 
Theoretikern das Schwert gefehlt hat!!" 



CORRESPONDENZEN. 



AUS WIEN. 

(Ende Februar.) 

Von den öffentlichen musikalischen Produktionen in diesem Mo- 
nate sind: das Concert der Musikfreunde mit der Aufführung einer 
neuen Symphonie von Esser und die Concerte des Ciavier- Virtuosen 
Dreyschok von grösser Bedeutung , indem sie ein mehr als blos 
vorübergehendes Interesse unseres musikalischen Publikums in An* 
spruch nahm. 

Das letzte Concert der Musikfreunde brachte uns nämlich ausser 
Beethovens Musik zum Ballete: „die Geschöpfe des Prome- 
theus," interessanter in musikalisch-geschichtlicher Beziehung, als 
durch die hohe Bedeutung ihres inneren Kunstwertltes, jedenfalls aber 
mit den grossen Meisterwerken dieses Heroen der Tonkunst nicht zu 
vergleichen, wie schon gesagt eine Symphonie (D-moll) unseres hoch, 
verehrten Tonmeisters Esser. Die Erwartungen, welche wir von 
dem Werke eines Componisten hegten, dessen ausgebreitetes musi- 
kalisches Wissen jeden Musiker, der ihn näher kennt, mit grosser 
Achtung erfüllt, waren bei Ankündigung dieser Symphonie fürwahr 
nicht gering, jedenfalls aber war der Standpunkt, auf welchem sich 
unsere Kunstkritik bei Beurtheilung derselben stellte, ein sehr hoher, 
und es konnte eben nur dem künstlerischen Geiste , welchen dieses 
Tonwerk beseelt, und der gediegenen Durchführung, in der sich eine 
seltne Formvollendung ausspricht , gelingen , diesen hochgespannten 
Erwartungen in einer solchen Weise, wie es der Fall war, zu ent- 
sprechen. Esser's Symphonie ist mit einem majestätisch ruhig da* 
hinziehenden Strome zu vergleichen; der helle Spiegel seiner Ober- 



fläche widerstrahlt ein treues Abbild der&ünstIerindivido*lif6t 
Schöpfers und lässt den Blick unbeirrt bis zu seiner Tiefe dringen. 
Seine Wasser stürzen sich nicht in mächtigen Katarakten aber Fei* 
senhöhen und Bergesabhänge, seine Wogen durchbrechen nicht «fit 
rasender Gewalt die schützenden Dämme und überfluthen die weite 
Ebene, um dann in der Fläche zu versiegen oder zuletzt in Sümpfe* • 
ihren Ausgang zu finden ! — 

Esser ist sich seiner Aufgabe vollkommen bewusst , er will 
nicht durch einschmeichelnde Melodien das Gehör der Menge auf 
Kosten der Kunst für sich gewinnen, und der Vorwurf, der ihm von 
einem hiesigen Kunstrichter in Folge dessen gemacht wird, dass näm- 
lich seine Thema's in der Erfindung durchgehende schwach seien, 
wird durch die Art, wie sie Esser verarbeitet, zu einem am so 
grösseren Lobe. Ein weiters ausgesprochener Tadel, dass der Com» 
ponist im Trio des Menuetts und in manch anderen Stellen stark 
beethovenisirt, ist durchaus unbegründet, und es möchte dem 
strengen Herrn Kritiker wohl schwer fallen , dies gehörig zu begrün- 
den. Dass der Genius Beethovens auf die musikalische Bildung 
Esser's, auf seine Kunstanschauung, insbesondere aber auf die 
innere und äussere Gestaltung seines symphonistischen Werkes einen 
grossen Einfluss genommen , dies kann doch offenbar nur lobend von 
dem Tonsetzer anerkannt werden, wie nicht minder von seinem 
Werke, wenn sich ein solcher Einfluss darin offenbart. Der Compo» 
nist, an dessen Wirken die grössten Meisterwerke dieser Galtung 
spurlos vorübergegangen, der in ihnen nicht ein Vorbild zur Nach- 
eiferung erkannt, ist wahrlich zu beklagen, denn es fehlt ihm entwe- 
der an zureichendem künstlerischen Verständnisse, oder an Kraft zn 
folgen auf der Bahn, die der Genius gebrochen, oder er ist wohl gar 
von Eigendünkel und Selbstüberschätzung so sehr befangen, sich 
selbst in der Symphonie neue Bahn brechen zu wollen; dann aber 
erscheint er um so kläglicher, wenn in ihm nicht ein eben so ge- 
waltiges oder noch grösseres Genie wohnt, als das Beethovens 
war. Dass das Andante ( s l a ) in B in Bezug auf Erfindung und auf- 
ziehende Durchführung der .gelungenste Satz dieser Symphonie sei, 
anerkennen auch wir, und stimmen in dieser Beziehung mit dem Aus» 
Spruche des vorerwähnten Kritikers überein, weniger aber sind wir 
der Ansicht desselben , dass dieses Tonstück zu lang ausgesponnen 
sei. Die Phantasie des Tondichters muss um so mehr in einem freiem 
Instrumentalsatze unbeengt sich aufschwingen und nach allen Seiten 
hin ausbreiten können. Die einzelnen Symphonie-Sätze in welchen 
Beethoven und neuerer Zeit auch Mendelssohn das gewöhnliche 
Maas überschritten, der Erstere oft um's Doppelte, wird kein Musi- 
ker desshalb für weniger werthvoll erkennen, als die andern, wo dies 
nicht der Fall ist: Das öftere Auftauchen des Motivs in dem Andante- 
ist eine Rekapitulation, die um so wirksamer, je interessanter die 
Zwischensätze. Mozart und selbst Vater Haydn haben diese wie- 
derholte Einflechtung des Hauptmotivs und immer mit der schönsten. 
Wirkung in ihren Symphonien angewendet. 

Wir können im Interesse der Kunst im Allgemeinen und insbe- 
sondere gegenüber den zahllos erscheinenden flachen- und gesinnungs- 
losen Compositionen der Neuzeit, dieses Werk unseres hochgeschätz- 
ten Meisters Esser nur mit Freuden willkommen heissen, und fühlen 
uns dem hiesigen Musikvereine sehr zum Dank verpflichtet , dass er 
dieses gediegene Tonwerk zur Aufführung brachte, wir, und mit uns 
gewiss ein grosser Theil unsrer Musiker knüpfen daran die Hoffnung 
ja recht bald wieder durch ein neues Werk Esser's erfreut zu 
werden. 

Dreyschock ist uns Wienern eine bekannte Grösse. Obgleich 
sein Name , als er vor acht Jahren zum ersten Male in Wien einen 
Cyclus von Concerten gab, schon bekannt war, so überraschten doch 
seine künstlerischen Leistungen das hiesige an Clavicr - Concerten 
überreiche Publikum im hohen Grade. Die Vorzüge aber, die wir 
damals an ihm gewahrten, Briden wir auch in seinem jetzigen Kunst- 
wirken, nur treten sie jetzt bestimmter heraus. Die künstlerische 
Intuition durchgeistigt sein Spiel ebenso wie früher, nur ist es jetzt 
die anschauende Erkenntniss des gereiften Mannes, seine immense 
Technik von damals ist jetzt noch kraftvoller, ausdauernder; aber 
was man früher von ihr gesagt , dass sie in der richtigen Stellung 
und harmonischen Verbindung mit seinen übrigen künstlerischen Mit- 
teln, dieser Vorzug ist ihr auch heute eigentbümlich. < Seine ' Virtuo- 
sität, mit welcher er Tonmassen in der rapidesten Schnelligkeit, mit 
Kühnheit und Sicherheit hervorrufen, zu entwirren, und bis zur lieb- 



— 5» — 



i, einfachsten, beinahe hingehauchten Weise zurückzuführen 
vermag, und dieses Alles mit einer Reinheit, Präcision des Spieles, 
die keinen Vergleich sulfisst, dies muss von ihm lohend anerkannt 
werden, jetzt, wie damals. 

Dreyschock introducirtc sich bei den hiesigen Musikern auf eine 
sehr vorteilhafte Weise durch den genialen Vortrag von Mendels- 
sohn's D-moll-Concert, eines Werkes voll Empfindung, Geist und An- 
mntb. Wahrend wir in dem Vortrage D's. die musterhafte Correct- 
lieit bewundern , so werden wir auch wieder hingerissen durch die 
Anmuth seines gefühlvollen Vortrages , durch die Tiefe seiner Em- 
pfindung. Wir hahen dieses Concert nie noch in einer solchen Vol- 
lendung gehört. Dreyschock war nicht der Interprete Mendelssohns, 
sein Spiel ward selbst zur schaffenden Poesie! Wir erinnern uns 
aber auch den Künstler ausser heute nur einmal noch, und zwar vor 
acht Jahren, als er in dem von dem damaligen Redakteur der Wie- 
ner Musikzeitung seinen Abonnenten gegebenen Concerte zugleich 
mit Parish-Alvars, der Sängerin Marra und dem Wr. Männer- 
Gesangverein debutirte, mit solcher Begeisterung spielen gehört zu 
liaben. 

In Bezug auf seine eigenen (Kompositionen hat D. in der Zwi- 
schenzeit einen bedeutenden Schritt vorwärts gethan. Abgesehen 
von der oft genialen Erfindung und dem Reichthume an Phantasie 
charakterisirt seine jetzigen Arbeiten eine bewundernswerthe Vollen- 
dang und Gediegenheit der Form. In harmonischer wie melodischer 
Beziehung sind seine (Kompositionen von grossem Werthe; ja selbst 
seine Salonpie£en , die Bagatellen , welche er wie kleine Münze an 
den Tross der musikalischen Dilettanten auswirft, sind in Bezug auf 
Idee und Form keineswegs ohne Kunstwcrth. 

Dreyschock hat nunmehr bereits vier Concerte gegeben , und 
nach dem Beifalle, der dem Künstler gespendet wird und nach dem 
zahlreichen Besuche , dessen sich diese Concerte zu erfreuen hahen, 
zu urtheilen, dürfte sich ihre Zahl in der Folge vielleicht sogar ver- 
doppeln. 

Durch den am 27. d. M. erfolgten Tod des Hofkapellsängers Dr. 
Matthäus Lutz hat Wien einen sehr bedeutenden Verlust erlitten, 
der für den Moment in Bezug auf Oratorien • Gesang nicht ersetzt 
"werden kann. Auch die Hofkapelle hat jetzt keinen ihm ebenbürti- 
gen Nachfolger zu erwarten. 



Ct^ä^-o 



NACHRICHTEN. 



Mainz. Am 22. März fand das Theater - Benefiz für den Or- 
«chesterfond statt ; Frl. Marx, k. preuss. Kammersängerin, Hr. Pasque, 
Hr. Peez und Fi. Mendel, letztere drei Mitglieder des lloftheaters in 
Darmstadt, hatten für den Orchesterfond die Gefälligkeit, in der Oper 
„Lucrczia Borgia" aufzutreten. Die Oper fand bei überfül Item Hause 
statt und die verehrten Gäste fanden eine ihrem bedeutenden Rufe 
vollkommen angemessene Anerkennung. Das Publikum hatte einen 
sehr genussreichen Abend und noch lange Zeit wird sich dasselbe 
dieser so gelungenen Oper-Aufführung erinnern. 

Wien. Die italienische Oper hat ihre Vorstellungen begonnen. 
Ihr zweites Debüt war „I. Martiri ,<; , eines der schwächsten Werke Do- 
nizetti's, welches denn auch sehr wenig Anklang fand. Darauf folg- 
ten Rossini's „Italiana in Algeri". Die Sga.Fedor, die Sgi. Guasko 
(Tenor) and Everardi (Bariton) haben mit Ausnahme des Letzteren 
sieht gefallen. Von neuen Werken wird unter Anderem eine Oper 
▼ob Ricci, eigens für Wien componirt, vorbereitet. 

Peetha Fr. Hasselt - Barth ist noch immer das leuchtende Ge- 
stirn der hiesigen Oper. Neben ihr erringt der Tenorist Young immer 
mehr Beifall. Die hiesige ungarische Opern-Gesellschaft, welche be- 
kanntlich zu Gastvorstellungen in Berlin engagirt ist, hat sich ver- 
pflichtet, 7 ungarische Nationalopern aufzuführen. Es befinden sich 
darunter „die beiden Husaren" von Dappler und die vortreffliche 
„Hunyadi Lasslo'V 

Manchen. Die Odeon-Concerte hahen wieder unter Lachners 
Leitung begonnen und bereits zwei sind vorüber. In dem ersteren 
kam xur Aufführung Beethoven's£F-dur-Sinfonie und seine Phantasie 



für Piano, Chor tind Orchester, Op. 80 j in dem zweiten Mendels- 
sohns 4. A-dur-Sinfonie und die beiden neuanfgefundenen Nummern 
aus den früheren Bearbeitungen des „Fidelio". 

Stuttgart. Der „Schwäbische Sängerbund" wird am Pfingst- 
montag in gewohnter Weise ein Liederfest feiern ; diesmal in Schwä- 
bisch-Hall. 

Berlin. Ein Theil des Domchors (30 Mann) wird am 28. eine 
Kunstreise nach Stettin, Hamburg, Bremen, Lübeck und Hannover 
antreten. 

— Der Pianist 0. Goldschmidt (Gemahl der Jenny Lind) veranstal- 
tete kürzlich eine Matinee , in der er Compositionen von Mendels- 
sohn, Thalberg, Chopin und eigene vortrug. 

— Frl. Joh. Wagner wird im Juni zuerst nach Dresden gehen. 
Ausserdem ist sie in Frankfurt am Main auf 6, in Aachen auf 3 
Gastrollen engagirt. 

Leipzig;. Am 17. d. fand das letzte Gewandhaus-Concert statt. 

Dresden« Im Hoftheater gastirte der Tenorist H.Kreutzer aus 
Wien als Lyonel, Stradella und Max. 

London» Im Coventgarden - Theater sind engagirt die Damen 
Grisi, Castellan, Julienne, Bosio, Medori ; die Herren Mario, Formes, 
Tamberlik, Ronconi, Tagliofico, Stigelli. 

— Frl. W. Clauss spielte hier in zwei Concerten und wird den 
grössten Theil der Saison hier bleiben, obgleich sie inzwischen auf 
kurze Zeit nach Paris gereist ist. 

Edinburgh Mad. Pleyel hat hier und in Birmingham sehr be- 
suchte Concerte gegeben. 

Mailand. Am 15. März ist der Musikverleger Giovanni Ricordi 
nach einer Geschäftstätigkeit von beinahe 50 Jahren dahier ge- 
storben. 

V In San Francisco in Californien hat eine chinesische Gesell- 
schaft ein Theater eröffnet, welche gute Geschäfte macht. Das Or- 
chester besteht aus 12 Musikern, welche in den Zwischenakten ihre 
langen Pfeifen rauchen. 

V In Barcelona scheint das Theater - Orchester viel Kunstsinn 
zu besitzen. Der Courier von B. brachte nämlich vor Kurzem fol- 
gende Anzeige: „Alle Liebhaber, welche ihren Geliebten auf erfolg- 
reiche Art den Hof machen wollen, werden gebeten, sich an den 
Portier des Haupühealers zu wenden. Derselbe kann ihnen ein Or- 
chester von 14 Musikern verschaffen, welches gegen 20 Realen (5 Frc.) 
vor den ihnen bezeichneten Häusern Serenaden bringen wird. 

V (Ergänzung des „Fidelio" von Beethoven.) Prof. Dr. 0. 
Jahn in Leipzig hat in Wien die älteren Bearbeitungen dieser Oper 
(die gegenwärtige Gestalt derselben ist bekanntlich die dritte) aufge- 
funden und darin eine sehr beachtenswerthe Entdeckung gemacht. 
Es befinden sich nämlich dabei zwei Musikstücke, welche in der ur- 
sprünglichen Arbeit Beethoven' s ein Schmuck der Oper waren, die 
der Meister auch bei den Kürzungen der zweiten Bearbeitung nicht 
aufgeben wollte und die erst bei der dritten Umgestaltung gegen seine 
bessere Ueberzeugung wegfielen. Diese beiden Gesang • Nummern 
könnten dem gegenwärtigen Fidciio, der ohnedies sehr kurz ist, ganz 
leicht einverleibt werden, und es erscheint dies sogar als eine Pflicht 
sowohl gegen das Publikum , als gegen den Componisten. Es sind : 
1) ein Terzett (Nr. 3 des Cl.-A.) der Leonore : „Ein Mann ist bald 
genommen 1 ', zwischen Rocco, Jaquino und Marzelline. Dasselbe tritt 
im Akt 1 Scene 2, nachdem Rocco die Bewerbung des Schliessers 
Jaquino abgewiesen hat, nach den Worten: „Mein lieber Jaquino, 
von einer Heirath zwischen Euch und Marzelline ist keine Rede", 
hervor. Das Musikstück ist sehr launig und anmuthig und hat aus- 
serdem den Vorzug, die Partien der Marzelline und des schlecht be- 
dachten Jacqino zu verbessern. 

2) ein Duett (Nr. 10 des Cl.-A.) zwischen Leonore und Marzel- 
line, welches nach Leonorens grosser Arie (Nro. 9 des Fidelio), in 
der sie sich Muth einspricht, eintritt. Die reine süsse Unschuld 
Marcellinens und der verhaltene Schmerz Leonorens, welche in das 
Geplauder des Mädchens bald eingeht, bald ihren Schmerz über die 
Täuschung der Kleinen ausdrückt, sind in Musik und Text reizend 
charakterisirt» 



Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. - Druck tob REUTER * WALLAU in Maini. 



2. Jahrgang. 



Wr. 14. 



4. April 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint jeden 

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Inhaltt Ueber Mendelssohn-Bartholdy I. ~ Neuere Werke zur Musikwissenschaft. — Corresp. (Mainz, Dresden u. London). — Nachrichten. 



Ober mendelssohn-bartholdy. 

Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley" 

und „Christus". *) 



Wer früh aus dieser Welt scheidet, mitten ans einem segenbrin- 
genden Wirken, anscheinend in voller Kraft, der erweckt neben dem 
allgemeinen natürlichen Bedauern auch im Kreise seiner Freunde 
noch die herbe Klage, er sei für das Heil des Ganzen schon zu früh 
gestorben. Diese gehen daher den letzten verschattenden Strahlen 
eines solchen Geistes mit Liebe nach und erblicken in ihnen das 
möglichst helle Licht. Müssen wir nun auch unter allen Umständen 
unerschütterlich festhalten an dem fröhlichen Glauben, dass nach den 
grossen Zwecken des Weltlaufes Nichts zu früh weder komme noch 
schwinde, so können wir uns trotzdem dieser Liebesthat aufrichtig 
freuen. Denn sie ist nicht nur menschlich schön, sondern auch von 
öffentlichem Werthe, weil sie über die bestimmte Persönlichkeit rasch 
ein geschichtlich abschliessendes Urtheil möglich macht — für die 
rasche und gedeihliche Entwicklung, für den lebendigen Fortschritt 
bekanntlich von bedeutendem Nutzen. 

Nichts ist mehr geeignet, diese und ähnliche Gedanken zu erre- 
gen, als Op. 97 und 98 der Mendelssohn'schen Werke. Und merk- 
würdig ! Während die von Mozart und Beethoven nachgelassenen 
Kostbarkeiten eine lange Zeit mit grösster Sorglosigkeit behandelt 
wurden, ist schon jetzt von Mendelssohns Nachlass so gut wie Alles 
herausgegeben. Man sage nicht: „also sind wir jetzt in der Achtung 
vor dem Genie doch weiter, als unsere Väter!" — Das wäre nur 
ein thörichter , eitler Wahn. Der Unterschied liegt in den Genieen 
selber , nicht in ihren jeweiligen Zeitgenossen : von letzteren bleibt 
gewiss, wie viel man auch dagegen sagen möge, dass sie trotz er- 
höhter Bildung und allgemein verbreiteter Intelligenz in der Schätz- 
ung, in der Aufnahme, in der Behandlung der wahrhaft grossen Män- 
ner ihrer Zeit sich stets gleichblieben, mit anderen Worten: dass 
also in dieser Hinsicht die Menschheit nicht fortschreitet. Was heute 
unter uns mit Homer'scher, Shakespeare'scher oder Mozart'scher Kraft 
erstände und wirkte, das würde eben so aufgenommen, als diese zu 
ihrer Zeit, denn jede solche Erscheinung ist ihrem Wesen nach etwas 
absolut Neues, und desshalb so schwer zu beurtheilen, weil sie nicht 
nach vergangenen Grössen gemessen werden kann. Mit wem man 
aber bald fertig ist , der ist leicht zu ergründen ; und wieder : wer 
leicht zu erschöpfen ist, von dem sammeln die verehrenden Freunde 

*) Recitativ und Chöre aus dem unvollendeten Oratorium „Chri- 
stus" von F. M.-B. Op. 97. Nro. 36 der nachgelassenen Werke. 
Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1853. Partitur Preis 4 Thlr., Ciavier- 
Auszug 3 Thlr. 

„Loreley". Finale des ersten Aktes. Op. 98. Nr. 37 der nach- 
gelassenen Werke. Text von Geibel. Partitur 4 Thlr., Ciavier- 
Auszug V/t Thlr. Ebenda. 



Alles gern bald zusammen, damit sein Vorrath so lange als möglich 
zu leben gebe. Ein solcher ist Mendelssohn, besonders Händel- 
Mozart-Beethoven gegenüber; daher kann man über ihn auch leichter 
in's Reine kommen, als über dieses glänzende Dreigestirn. Ueber 
Händel sollten wir jetzt endlich eine geschichtlich feste Ansicht ge- 
wonnen haben; Mozart lässt ebenfalls eine solche zu; ein Biograph 
Beethovens dagegen wird bis auf diesen Tag höchstens eine nütz- 
liche Vorarbeit liefern können; und wiederum ist der erst vor Jah- 
ren heimgegangene Mendelssohn schon ganz der Geschichte anheim- 
gefallen. Nach oberflächlicher Kenntniss der Sachlage sollte man 
meinen, über keinen von den Vieren lasse sich weniger sicher ur- 
theilen, als über den so vielseitig befähigten und thätigen Mendels- 
sohn, über einen Künstler, der in sich vereinigte, was man bis dahin 
für eine Unmöglichkeit gehalten, der Vieles und Vielerlei hervor- 
brachte und zu noch Mehrerem die wunderlichsten Hoffnungen er- 
regte. In dieser schwindelnden Vielseitigkeit zeigt sich schon das 
Wesen des Mendelssohn'schen Geistes : es birgt in sich eine unver- 
kennbare Grösse, aber nicht die Grösse der ureigenen Machtfülle, 
sondern die Grösse eines Problems — Mendelssohn ist ein grosses 
Räthsel. Bekanntlich ist nichts leichter zu verstehen, alseinRäth- 
sel — sobald es gelöst ist. 

Betrachten wir zuerst einige Einzelheiten. 

Von dem Oratorium „Christus" sind zwei Bruchstücke veröffent- 
licht : eins zum ersten, eins zum zweiten Theile gehörend , wie die 
Ueberschrift angibt. Wahrscheinlich hat doch den Herausgebern der 
ganze Text vorgelegen ; sie hätten also immerhin, wenn auch densel- 
ben nicht ganz mit abdrucken lassen, doch über seine Composition 
ein Wort sagen können. Ich vermuthe, Mendelssohn hat seinen 
„Christus" in drei Theile zerlegt, oder auch dem zweiten Theile ein 
grosses Gloria anhängen wollen. Bach'sche Passionsmusik ist es 
nicht, weil es das ganze Leben und Sein des Heilandes umfasst, 
und ein rein in den Wolken fliegender Händel'scher Messias ebenfalls 
nicht, weil die Textworte meistens wörtlich der neu-testamentlichen 
Geschichtserzählung entnommen sind — vielmehr wird Mendelssohn 
das Bach'sche kirchliche Leidensbild und den Händel'schen Herrn 
der Herrlichkeit zu einer „höheren Einheit*', wie man sich jetzt aus- 
drückt, haben verschmelzen wollen. So viel ist mir aus den beiden 
Bruchstücken ganz klar geworden, und dies genügt. 

Zum „ersten Theile, Geburt Christi' 4 , gehören drei Nummern: 
1) Recitativ, Sopran-Solo: „Da Jesus geboren ward zu Bethlehem 
im jüd. Lande, kamen die Weisen vom Morgenlande gen Jerusalem 
und beteten ihn an". — 2) Terzett, Tenor, Bass I. u. IL, Andante: 
„Wo ist der neugeborene König der Juden , wir haben seinen Stern 
gesehen und sind gekommen ihn anzubeten." Beide, nur mit Saiten 
begleitet, sanft und niessend an Gesang, obwohl in keiner Beziehung 
hervorstechend. Länger ist Nro. 3, ein vierst, gem. Chor Allegro 
moderato mit voller Begleitung: „Es wird ein Stern aus Jakob auf- 
gehen und ein Scepter aus Israel kommen, der wird zerschmettern 
Fürsten und StSdte", oft wiederholt, schliessend in dem Choralvers : 
„Wie schön leuchtet der Morgenstern." Das erste Viertel dieses 
Chores ist nicht übel, in dem Ganzen ist aber viel zu viel Dunst 
und so etwas von dem „viel Lärmen um Nichts". „Der wird zer- 



.- 54 — 



schmettern" — da denkt der Componist nur an das „Zerschmettern" 
und vergisst ganz, Wer hier nach dem erhabenen Prophetenworte 
der Zerschmetterer war, und wie Der Zerschmetterte* In diese , 
wilde Hazze, welche Mendelssohn Aber den heiligen Christ anstimmen 
lässt, könnten Tilly und Napoleon sehr gut einstimmen, denn die 
zerschmetterten grade so. Dann hat Christus auch nie „Fürsten und 
Städte" zerschmettern wollen, wie der neue Umdichter des alten Bi- 
leam meint; vielmehr sollte man erst die Tragweite und den rechten 
Kern solcher Prophetenworte verstehen lernen, ehe man eine so 
blödsinnige Variante sich erlaubt. Wenn das geschieht an des 
Textes dürrem Holze, wenn falsche und unklare theologische Mei- 
nungen ein vermeintlich christliches Gerüste aus ihm zusammenzim- 
mern, in wie viel Wirrnisse und Widersprüche muss der Tondichter 
gerathen, der es unternimmt, in dieses Gerüst Leben und Fülle zu 
bringen ! Doch , wir haben erst die Bruchstucke des 1. Theiles be- 
trachtet; die des zweiten sind noch belehrender. 



<*8 



„NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT". 



Nachschrift. So eben erscheint von M. H a u p t m a n n ein 
Werk unter dem Titel: „Die Natur der Harmonik und der Metrik* 
Zur Theorie der Musik" (Leipzig, Breitkopf und Härtel). — In der 
Vorrede S. VII — VIII sagt Hauptmann: 

„Es ist vor Kurzem eine kleine Schrift unter dem Titel: „Der 
aecordliche Gegensatz und die Begründung der Scala" beiLuckhardt 
in Cassel erschienen. Der Verfasser derselben, Herr Otto Kraus- 
haar, bekennt in einer Zuschrift, mit welcher er das Werkchen mir 
übersendet, dass die darin dargelegte Theorie aus Grundbestimmungen 
entwickelt sei, die er von mir zuerst ausgesprochen gehört habe* 
Möchte er dies in der Schrift selbst mit einigen Worten erwähnt 
haben. Jetzt kann es sonderbar scheinen, dass zwei Autoren in etwas 
Neuausgesprochenem sich so auffallend mit gleichen Gedanken be-' 
gegnen, wie es in einigen Punkten von Kraushaar' s Schrift und der 
gegenwärtigen zu finden ist: namentlich in der Erklärung des Moll- 
dreiklanges , in der Nachweisung eines positiven und negativen Ver- 
haltens von akustischen Bestimmungen überhaupt und eben so in 
manchen Aeusserlichkeiten , wie die Bezeichnung der Accorde und 
des Systems der Tonart. Zu einer Kritik des Kraushaar'schen Ton- 
systems ist hier am allerwenigsten der Ort; es ist hier nur zu be- 
merken, dass Dasjenige, was in jenem mit dem vorliegenden überein- 
stimmt, Herrn Kraushaar vor Jahren bei Gelegenheit eines musika- 
lisch-theoretischen Cursus von mir mitgetheilt worden ist." 

Einer weiteren Kritik der Abhandlung von Herrn Kraushaar sind 
wir also enthoben; dagegen soll Hauptmanns Buch baldmöglichst 
besprochen werden. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS MAINZ. 

(Ende März.) 

Diese Blätter haben schon manchen Bericht über musikalische 
Vorkommnisse in unserer, für äussere Eindrücke so empfänglichen 
Stadt enthalten; allein dieselben beschränkten sich stets auf ein ein- 
faches Referat über dieses oder jenes Concert und auf eine stets 
lobende Beurtheilung der dargebotenen Kunstleistungen, ohne auf 
eine gründlichere Besprechung unserer musikalischen Zustände im 
Allgemeinen einzugehen. Es möchte daher nicht ohne Nutzen und 
der Aufgabe, die sich Ihr geschätztes Blatt gestellt hat, ganz ent- 
sprechend sein, das musikalische Treiben dahier einmal etwas tiefer 
zu sondiren und manchem frommen Wunsche, mancher gerechten 
Klage in dieser Richtung Worte zu geben. 

Zuerst gestatten Sie mir eine kurze Besprechung des letzten 



Concerts, welches die hiesige Liedertafel in Verbindung mit dem Da- 
mengesangverein am 18. d. M. veranstaltete, indem sich in den Lei- 
stungen dieser Vereine eben unsere Musikzustände am klarsten ab- 
spiegeln. 

Das in Rede stehende Concert wurde eröffnet mit der neuesten, 
preisgekrönten Fest-Ouverture von Vincenz Lachner. Dieses Werk 
des als Componist wie als ausgezeichneter Dirigent gleich rühmlich 
bekannten Meisters zeichnet sich durch ansprechende Motive, durch 
gewandte, effektvolle Instrumentirung und durch Reinheit der Formen 
aus und muss, wenn sie gut executirt wird, von vortrefflicher Wir- 
kung sein. Leider war jedoch die Aufführung durch das hiesige 
Theaterorchester durchaus nicht geeignet, die Intentionen des Com- 
ponisten zur vollen Geltung zu bringen, und wenn dieselbe die An- 
sprüche des Publikums schon durchaus nicht befriedigen konnte, so 
musste sie dem, fast hätte ich gesagt „leider" anwesenden Componi- 
sten wahrhaft zur Pein gereichen. Lückenhaftes Ensemble, besonders 
bei den Blasinstrumenten auffallend , Herbheit des Vortrages und 
Mangel aller feineren Nüancirung machten diese Produktion zu einer 
der unerquicklichsten , die ich je gehört habe. Einige darauf fol- 
gende Solovorträge wurden von Dilettanten ausgeführt und sind da- 
rum dem Bereiche der öffentlichen Besprechung entrückt. Sie boten 
zum Thcile Vortreffliches, besonders in dem Vortrage der Clavier- 
piecen. Die Herren Frisch und Arnold aus Wiesbaden spielten eine 
wenig anziehende Composition von Oberthür für Harfe und Violoncello 
mit -vielem Fleisse und Geschmack, und Herr Frisch bewies sich als 
wackerer Cellist, dem nur ein besseres Instrument zu wünschen wäre. 
Ich erwähne nur noch ein von dem Direktor der Liedertafel, Herrn 
Vierling, componirtes Capriccio für Ciavier und Orchester, welches die 
Ciavierpartie mit den begleitenden Orchesterstimmen innig verwe- 
bend, durch Gewandtheit in der harmonischen und technischen Be- 
handlung, so wie durch gefällige Formen sich vorteilhaft empfiehlt, 
um zu dem Schluss-Stücke des Concertes, nämlich Niels W. Gade's 
„Comala" überzugehen. Der Gesammteindruck auf das zahlreiche 
Publikum war kein günstiger, indem dieses Werk, welches durch 
glänzende Instrumentirung und durch charakteristische Auffassung 
des gegebenen Stoffes einerseits bedeutendes Interesse zu erwecken 
im Stande wäre , auf der anderen Seite durch seine fast ganz 
wechsellose, monotone Färbung und durch tödtliche Längen jeden 
möglicherweise günstigen Eindruck wieder zu Boden schlägt und eine 
wahrhaft einschläfernde Macht auf die Hörer ausübt. Der Componist 
scheint selbst eine dunkle Ahnung von der narkotischen Wirkung 
seines Werkes gehabt zu haben, denn er vollführt in der letzten 
Nummer urplötzlich einen so höllischen Lärmen, dass er nicht nur 
die bereits entschlummerten Zuhörer unfehlbar erwecken, sondern 
auch die Wachgebliebenen, insofern sie nicht mit ungewöhnlich star- 
ken Nerven versehen sind, durch die Nachwirkung dieses Spektakel- 
Stücks um die ersehnte Nachtruhe bringen muss. Dazu kam noch 
die Art der Aufführung selbst, welche gleich wie in der Ouvertüre 
gar Vieles zu wünschen übrig Hess. Die Gesangs - Soloparthien, 
welche theils in den besten Händen waren, vermochten kaum sich 
geltend zu machen neben oder vielmehr unter der vollkommen rück- 
sichtslosen Begleitung des Orchesters , welches fest entschlossen 
schien, kein Piano aufkommen zu lassen , und somit zu der Einfär- 
bigkeit der Composition auch noch die Eintönigkeit der Aufführung 
fügte. 

Gleichwohl kann man für die Vorführung dieses Werkes nur 
dankbar sein, von dem Grundsatze ausgehend, dass es mit zur Auf- 
gabe solcher Vereine gehöre, ihren Mitgliedern durch Aufführung von 
Werken der neueren Geschmacks-Richtungen Gelegenheit zu geben, 
ihr Urtheil über dieselben durch eigenes Hören und durch Verglei- 
chung mit den Werken älterer Meister festzustellen und kundzugeben. 

Es wird daher auch mit vielem Danke aufgenommen werden, 
wenn die, wie es heisst, beabsichtigte Aufführung des vielgelobten 
und vielgeschmähten „Tannhäuser" durch das Wiesbadener Theater- 
und Orchesterpersonal dahier zu Stande kommen sollte. 

Hiermit ist zugleich die gewichtigste und am meisten begründete 
der Klagen über unsere Musik-Zustände ausgesprochen: „Der Ver- 
fall unseres Orchesters hat sich bei dieser Aufführung 
in einer wahrhaft trostlosen Weise ausgesprochen. 
Hier ist baldige und gründliche Hülfe nöthig, wenn nicht die Leistun- 
gen des hiesigen Orchesters zu einer Bedeutungslosigkeit herabsinken 
sollen, welche mit den Ansprüchen, welche man an eine Stadt wie 



- 55 



Mainz stellen darf, sowie mit dem, was früher dahier in diesem 
Kunstfache geleistet worden ist, im grellsten Widerspruche stehen 
würde. Vor allem ist es unbedingt nöthig, dass für einen Theil der 
Blasinstrumente neue und tüchtige Kräfte gewonnen werden, und 
ich halte dies nicht für unausführbar , indem die Mittel dazu sich 
finden werden , sobald am geeigneten Orte das Bedürfniss erkannt 
wird. Ich darf mir wohl erlauben, auf einige Mittel zu diesem Zwecke 
hinzudeuten. 

Das beste und wirksamste dieser Mittel möchte es wohl sein, 
wenn bei der nun für die nächsten Jahre zu vergebenden Direktion 
des Theaters strenge darauf gesehen wird , dass der neue Direktor 
einen tüchiigen, routinirten und energischen Orchester-Dirigenten mit- 
bringe,, der den so ziemlich eingeschlummerten Kunstsinn und das 
Point d'honneur der Orchestermitglieder wieder zu wecken versteht, 
indem er durch möglichste Verbesserung der schwachen Seiten seines 
Orchesters und durch eine kraftvolle, verständige Leitung Produktio- 
nen ermöglicht, welche die lohnende Anerkennung des Publikums 
und diese wieder einen erhöhten Aufschwung der ausübenden Künst- 
ler zur Folge haben müssen. Das von den Orchestermitgliedern be- 
absichtigte Unternehmen einer gewissen Anzahl jährlicher Abonne- 
mentconcerte würde, nach Ausscheidung allenfalls sich vordrängen- 
der Einzelinteressen, diesem Zwecke ungemein förderlich sein, indem 
es einerseits durch die Aussicht auf einen ständigen Verdienst die 
Gewinnung neuer und tüchtiger Kräfte sehr erleichtern und anderer- 
seits dem ganzen Körper die unumgänglich nöthige Uebung im En- 
semble gewähren würde. Es ist daher sehr zu wünschen, dass den 
dessfallsigen Anträgen eine genaue Prüfung und der möglichste Vor- 
schub nicht versagt werden möchte. 



>OOOi 



AUS DRESDEN. 

(21. März.) 

Die nun stark ihrem Ende sich zuneigende Saison hat uns in 
musikalischer Beziehung so wenig bedeutende Genüsse geboten , wie 
kaum je eine in früheren Jahren. Selbst wenn man stark über den 
eigentlichen Begriff der ..Saison" hinausgeht (bis zum August vor. 
Jahres zurück), so bieten sich in diesem Zeiträume von 8 Monaten 
kaum etwa zwei Dutzend irgend bemerkenswerther Concerte, 
musikalischer Akademien u. dgl., während unsere Oper nun wenig- 
stens seit vier Monaten ungefähr mit eiserner Beharrlichkeit einen 
siebenten Schöpfungstag, d. h. einen Ruhetag feiert, ohne doch beim 
Rückblick mit begründeter Zufriedenheit sagen zu können : „Es war 
Alles sehr gut". Ich mag die Schuld an dieser bedenklichen Stag- 
nation , an diesem winterschlafmässigen vegetativem Stocken aller 
Lebenspulse und Zehren vom eigenen, früher angesammelten Fette 
nicht auf die Schultern Einzelner wälzen. Die Verhältnisse mögen 
immerhin diese Schuld zu tragen haben , und die Verhältnisse sind 
oft stärker als der Mensch : man muss ihnen Rechnung tragen. Aber 
der Unbefangene wird doch kaum umhin können, eben daraus , dass 
solche unüberwindlichen Verhältnisse existiren, dass sie so lange, 
so consequent eine jedenfalls nicht erspriessliche, im Gegentheil sehr 
bedauerliche Herrschaft auszuüben vermögen, zu der naheliegenden 
Conclusion gelangen : ,.,es sei", mit Hamlet zu reden, „etwas faul im 
Staate Dänemark", und daran den um so lebhafteren Wunsch knü- 
pfen, dass diese „Faulheit" — oder lieber, dieses „Faulsein" bald- 
möglichst beseitigt werden wolle, damit das Kunstinteresse auch auf 
diesem Gebiete in einem , den bedeutenden Mitteln und sehr bedeu- 
tenden, auf seine beabsichtigte Förderung verwendeten Kosten ent- 
sprechendem Maase kräftig gewahrt, gepflegt und gehoben werde. 
Ob dieser billige Wunsch durch Gastspiele, wie das des Tenoristen 
Heinrich Kreutzer vom Wiener Hofoperntheater, seine Erfüllung 
finde, bedarf hier für jetzt der Erörterung nicht. Der Künstler trat 
hier innerhalb sieben Tagen viermal, und zwar als Stradella, Max 
(Freischütz), Lyonel (Martha) und Raoul auf, und errang sich als 
tüchtig und solid geschulter Sänger und sinniger, denkender und 
gewandter Darsteller, durch die gesunde,, von effekthaschender Manier 
freie Natürlichkeit seiner Leistungen allerdings bei verständigen Kunst- 
freunden ehrenden, in gewohnter Weise auch äusserlich sich bethä- 
tigenden verdienten Beifall; aber theilweise Indisposition, theilweise 
auch wohl wirklicher Mangel an ausgiebig kräftigem Stimmfonds Hes- 
sen es, neben der unglücklichen Wahl der dargestellten Partien und 



manchen anderen Verhältnissen, zu einem wirklich nachhaltigen In* 
teresse an seinem Gastspiel nicht kommen. Es bleibt nun zu erwar- 
ten, ob das Eintreffen der Frl. Jenny Ney, die mit Ende dieses Mo- 
nats hier einen kleinen Gastrollencyclus beginnen wird, um alsdann 
mit dem Juni ganz die Unsere zu werden; ob der am i. Juli be- 
vorstehende Regiewechsel bei der Oper (Regisseur Rottmeyer maeht 
dem bisherigen trefflichen Chordirektor Fischer Platz, der schon vor 
Jahren hier längere Zeit das Amt eines Regisseurs bekleidete) $ efc 
die Anstellung eines neuen Musik- (und gleichzeitig wohl Chor-) Di- 
rektors in der Person des bisherigen Casseler Chordirektors W. Fi- 
scher (Sohnes des neuen Regisseurs), jene billigen Wünsche rea- 
lisieren; ob auf Grund dieser wesentlichen Aenderungen namentlich 
die umsichtige Energie zum Heile unseres Operninstitutes sich ent- 
wickeln werde, welche durch Wissen und Können gleich imponirend, 
dem kleinlichen Parteigetriebe fern und frei von persönlichen Ein- 
flüssen , rein die Sache im Auge mit unermüdlicher Consequenz die 
möglichste Realisirung künstlerischer Anforderungen zu vermitteln 
bestrebt ist! 

Es erscheint als natürliche Consequenz dieser Dürre der Opern- 
zustände und der verhältnissmässig geringen Ausbeute für den höhe- 
ren Kunstsinn , welche die Concerte im Allgemeinen darboten , zu- 
gleich aber auch als ein erfreuliches Zeugniss für die neben aller 
Corruption des Geschmacks doch in bedeutendem Maase sich bekun- 
dende Existenz eines derartigen höheren Kunstsinnes, dass die wirk- 
lich grossartigen Produktionen auf dem Gebiete der Goncertmusik, 
je seltener sie waren, eine um so regere Theilnahme fanden. Das 
zeigte sich schlagend in der dritten, leider der letzten Quartett- 
Akademie Lipinski's, Kummcr's etc., die in diessmal wieder mei- 
sterhafter, ja in der That vollendeter Ausführung ausser Mozart's 
schönem Quintett in D-dur (Op. 36, Nro. 4 der Collection) die Quar- 
tette von Haydn (Nro. 57, Op. 54, Nro. 1) in C-dur, und von Beet- 
hoven Op. 127 in Es brachten und eines so zahlreichen Besuchs sich 
erfreuten, wie man sich hier bei solchem Anlasse nicht zu entsinnen 
weiss. Und es zeigte sich noch mehr in dem gestrigen grossen 
Palmsonntag-Concert der k. Kapelle zum Besten ihres Wittwen- 
und Waisenpensionsfonds, das die festlich beleuchteten Räume des 
Hoftheaters wahrhaft überfüllt hatte, während schon in der (herkömm- 
lich gegen Entree dem Zutritt des Publikums geöffneten) General- 
probe eine Anzahl von Personen vergeblich Einläss begehrten, da die 
für das Publikum bestimmten Plätze für die starke Nachfrage nicht 
ausreichten. Und doch wird man behaupten dürfen, dass Beethovens 
neunte Symphonie (mit Chören) trotz ihrer grossen genialen Schön- 
heiten zu des musikalischen Titanen populären Werken nicht gehört, 
während ersichtlich sie grade es war, die die Mehrzahl der Besucher 
angelockt hatte, mochte auch ein Theil derselben vornehmlich um 
des unsterblichen Mozart Schwanengesanges , um seines Requiems 
willen (aus diesen beiden grossartigen Werken war unter Kapellmei- 
ster Krebs' tüchtiger Leitung das Concert gebildet) der Aufführung 
beiwohnen. Grade die Symphonie fand nach jedem einzelnen Satze 
den lebhaftesten Beifall, der nach dem Adagio so excessiv wurde, 
dass er fast zu einem (schmeichelhaften , aber unbilligen) Dacapo 
sich versteigen zu wollen schien. Und man muss gestehen, neben 
dem Werke selbst verdiente die wahrhaft vollendete Ausführung des- 
selben durch unsere Kapelle , die darin wieder einmal ihre ganze 
künstlerische Grösse zu Tage legte, und der sich in der schwierigen 
Vocalpartie der Theaterchor, die Dreyssig'sche Singakademie und an- 
dere Gesangskräfte (in den Solo's die Mitglieder der k. Oper, FrlL 
Meyer und Bredo, und die HH. Weixlstorfer und Mitterwurzer) in 
würdigster Weise anschlössen , diesen stürmischen Beifall vollkom- 
men. Selbst die bärbeissigste Kritik muss dies zugestehen und es 
wäre kleinlichste Krittelei, wollte man vielleicht ein Paar vereinzelte 
Kleinigkeiten, die etwa dem Ideal nicht entsprachen, hervorheben. 
Auch die Ausführung des Requiem gelang musikalisch vortrefflich, 
wenn auch die spezifisch kirchliche Weise derselben nicht intensiv 
genug aufgeprägt schien , und ich in einigen Tempi (soviel z. B. das 
Tuba mirum zu langsam, soviel war das Benedictus zu schnell) und 
kleinere Nuancen mich mit dem Dirigenten nicht vollkommen einzu- 
verstehen vermag. Das ganze Concert bot aber einen ausserordent- 
lich hohen, würdigen Kunstgenuss; es war ein wahrhaft würdiger 
Abschluss der Saison und entschädigt für so manches musikalische 
Leiden derselben. Und dass dies von dem zahlreichen Publikum , 
warm und lebhaft empfunden wurde, das gibt einen sehr erfreulichen 



— 56 — 



Beitrag anr musikalischen Charakteristik unserer Residenz, um des- 
aentwilleii man derselben manche auf musikalischem Gebiete sonst 
auch wohl begegnende Verirrung und Geschmacklosigkeit verleihen 
darf. — Unter den Concerten der letzten Wochen will ich schlieslich 
eines von bedeutender Thcilnahme des Publikums getragenen er- 
wähnen; welches das Waldhorn- Quartett der k. Kapelle» die 
HH. Kammermusiker Hubler, Moschke , Schlitterte und Lorenz , mit 
Unterstützung der Kapelle und mehrerer Mitglieder des Hoftheaters 
veranstaltet hatten und in welchem sie als tüchtige Künstler aufs 
Nene sich bewahrten. 



^•»m* 



AUS, LONDON. 

(Ende Februar.) 

Die Concerte haben begonnen und die hiesigen Kritiker haben 
wieder mehr zu thun, als ihre eigenen Sachen zu lesen. Sie müssen 
entsetzlich viel hören, oder mindestens so thun, als hätten sie etwas 
gehört; sie müssen überall sein, wesshalb so viele meinen sie wä- 
ren nirgends; sie müssen Worte machen, sehr viele Worte, und in 
dieser Hinsicht mehr Geschmack entwickeln , als die Mehrzahl sich 
träumen lässt. Denn gezwungen sein^ über Dinge zu sprechen, über 
die am Ende Alles gesagt ist, oder über die sich gar nichts sagen 
lässt, das setzt mehr Verstand und Originalität voraus, als in einem 
Concerte dieselben Fingerfertigkeiten immer wieder aufs Neue an 
den Mann zu bringen. Wahrlich, es ist keine Kleinigkeit, in einem 
Lande, wo man noch die musikalische Besprechung verlangt und 
liest, das Amt eines solchen Referenten zu bekleiden, und ich kann 
so nicht umhin , die Energie und Ausdauer zu bewundern , mit der 
die hiesigen über Erscheinungen sprechen, die schon längst für die 
Kunst gar keine Bedeutung haben, und über die im Grunde schon 
alles Mögliche gesagt ist. Da ist z. B. Mad. Pleyel. Diese Dame 
ist eine ausgezeichnete Clavierspielerin , das Publikum hat es schon 
tausendmal gehört, sie spielt alle Sorten von Romantik sehr schön, 
das Publikum weisses; sie spielt heute dieselben Sachen, die sie im 
vorigen Jahre und immer gespielt hat; auch dies ist den Leuten be- 
kannt , wozu also noch über diese Frau sprechen ? Aber freilich, 
wollte man es nicht, so würde man am Ende das ganze gesellschaft- 
liche und künstlerische Leben aufheben müssen; denn wir, die wir 
zur christlichen Welt gehören, leben im Grunde nur von Wiederho- 
lungen. Wie im Kleinen, so im Grossen. Dasselbe Princip, das uns 
heute noch über Mad. Pleyel und das ganze Heer der Concertgeber 
und Geberinnen sprechen Hesse, lässt uns sogenannte Schöpfungen als 
etwas Neues hinnehmen, die im Grunde nichts Anderes sind, als 
höchstens eine Erweiterung des früher Geschaffenen. Es ist übri- 
gens ein wahres Glück für die Herren Schöpfer, dass es so ist. 
Wäre es anders, so würde man ihrer wie ihres Herrn Urgrossvaters 
schon längst vergessen haben. Auch Mad. Pleyel kann sich dem- 
nach gratuliren. Ihr erstes Coneert fand im Anfang des Monats 
statt; darauf hat sie bald hier, bald dort gespielt; augenblicklich ist 
sie in der Provinz. Dass sie nirgends die Liszt'schen „Patincurs" 
vergisst, versteht sich von selbst, ein Musikstück, von dem es Schade 
ist, dass so geschickte Hände es der „Zukunft", wohin es eigentlich 
gehört, entnehmen und in die Gegenwart verpflanzen. 

Nach dem Goncert der Dame Pleyel kam die erste ,,klassische 
Soiree" des Herrn Sterndale - Bennet. Herr Bennet ist ein Compo- 
nist, von dem vor Jahren in Deutschland einmal die Rede war, dass 
' er unter Mendelssohn studirt habe. Seitdem hat man seiner bei uns 
nicht mehr gedacht. Er ist nach wie vor derselbe geblieben, schreibt 
noch immer „klassische" Sonaten und ist in künstlerischer Hinsicht 
durchaus „respectable". Ausserdem geniesst er hier den Ruf, der beste 
Clavierspieler und Componist zu sein, den England hervorgerufen hat. 

Es gibt nun noch sehr viele „klassische" Clavierspieler in die- 
sem London, die alle „für die Kunst" Concerte geben und theilweise 
gegeben haben* Diese Herren spielen Beethoven, Mozart, Mendels- 
sohn und sich selbst, sodann Hummel, Steibelt, Bach und andere ge- 
wesene Grössen. Sie wissen sehr genau das Forte und Piano zu 
beobachten, sie spielen sehr fertig mit allem möglichen (d. h. ihnen 
möglichen) Ausdruck, sie vergessen gewiss kein Vorschriftzeichen 
und sind durchaus gewissenhaft. Da aber alle diese Herren keine 
Ausnahme von der Regel bilden, die eben in diesem Lande das 
„Klassische" fordert, da sie im Grande dasselbe sind, nur auf einem 



anderen Felde, was vor fünfzehn Jahren die Herren Virtuosen waren, 
so wollen wir sie zu den „Ueberwundenen" rechnen, wenn uns diese 
Arbeit auch etwas sauer werden sollte. Da ist auch nicht ein Ein- 
ziger mit einer bestimmten ausgezeichneten Individualität , von dem 
man sagen könnte, er hat etwas Originelles. Doch halt — Einer 
ist da, der eine selbsständigere Richtung verfolgt und etwas Eigenes 
aufweist. Das ist Herr Pauer. Er hat bis jetzt eine von den drei 
Soireen gegeben, die er angekündigt hat. Herr Pauer spielt sehr 
sauber, corect und mit einem durchaus milden Anschlage. Man kann 
überhaupt von ihm sagen , er hat ein nobles Spiel. Da ist nichts 
Gemeines, kein forcirtes Gefühl, keine Koketterie mit der Bravour, 
es ist das Spiel eines sich selbst bewussten Künstlers. 

(Schluss folgt.) 



NACHRICHTEN. 



Leipzig. Musikdirektor Gade ist nach dem Schlüsse der Ge- 
wandhausconcerte nach Copenhagen zurückgekehrt. — Der Tenorist 
Ander ist zu Gastspielen engagirt worden. Derselbe gastirte in der 
letzten Zeit in Magdeburg. 

Braunschwelg. Den Freunden guter Musik wurde durch die 
kürzliche Aufführung des Beethoven'schen „Fidelio" ein ungemeiner 
Genuss geboten, da dieselbe bis auf Einzelheiten eine ganz vorzüg- 
liche war. Leider können wir dasselbe von einer bald darauf er- 
folgten Auffuhrung des „Don Juan" nicht sagen , denn diese war, 
Weniges abgerechnet, eine ganz traurige. Wenn man die Meister- 
werke unserer Classiker nicht würdig zu Gehör bringen will, so 

sollte man sie lieber ganz in Ruhe lassen; sie aber verhnnzt dem 
Publikum vorführen, und noch dazu an einem Hoftheater, heisst allem 

guten Geschmack, aller Pietät gegen die alten Meister Hohn sprechen. 

Die vier Gebrüder Müller sind vor Kurzem von ihrer Kunstreise 
zurückgekehrt. 

Litollf weilt schon seit Februar wieder hier. 

Man sieht mit Spannung der baldigen Auffuhrung der Schmezer- 
schen Oper entgegen. 

München> Am 19. März gab der Pianist Doktor, Prof. am hie- 
sigen Conservatorium, sein zweites Concert. Hiesige Blätter rühmen 
seine Fertigkeit, seinen Anschlag und seinen Vortrag- 
Berlin« Herr Ed. Singer , einer der bedeutendsten Violinisten 
der Gegenwart, bewährte in dem ersten hier von ihm in Gemeinschaft 
mit Frl. M. Wieck veranstalteten Concerte seinen Ruf auf das Glän- 
zendste. Er spielte mit Letzterer die Beethoven'sche Sonate Op. 
30 Nro. 2 für Piano und Violine und ein Air Varie eigener Compo- 
sition. Ein hiesiges Blatt urtheilt über ihn : „Als vorzügliche Eigen- 
schaften seines Spiels bezeichnen wir vor Allem den schönen, edlen 
und markigen Ton , der sich in allen Lagen und auf allen Saiten 
durch eine seltene Gleichheit und Fülle auszeichnet , verbunden mit 
einem seelenvollen Vortrag, der alles Unedle, Gekünstelte verschmäht. 
Dabei beherrscht der Künstler sein Instrument in allen Formen der 
Technik mit einer vollendeten Sicherheit, die überall den Meister ver- 
kündet. Wenige Virtuosen möchte es geben, die ihm an Markigkeit 
des Tons, an Correctheit in den schwierigsten Passagen gleichkommen." 

Stuttgart. Mad. Marlow ist hier auf 10 Jahre engagirt worden. 

Cöln. Frl. Bury, zuletzt für die Gewandhaus-Concerte in Leip- 
zig engagirt, sang im 8. Abonnements-Concerte. In Hannover fand 
sie reichen Beifall. Anfang April begibt sie sich nach London. 

Düsseldorf. Mad. Viardot-Garcia ist zur Mitwirkung an dem 
bevorstehenden rheinischen Musikfestc eingeladen und ihr ein Hono- 
rar von 100 Louisd'or zugesichert worden. 

Paris. In einer der letzten Soireen bei Erard sang Mad. Schrö- 
der de Vriant (-Devrient). Ausserdem Hessen sich hören Sivori und 
Frl. W. Clauss. 

Nach Ostern bringt die Opera comique „Tonelli" von A. Thomas. 
Man verspricht sich sehr viel von diesem neuesten Werke des ta- 
lentvollen Componiaften. 



Verantwortlicher lUdatteu : J. J. SCHOTT. - Bwek yn REUTER <* WALLAU In Malm. 



2. Jahrgang. 



Mr. 15. 



11. April 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



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REDACTION BND VERLAG 

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Quartal. 



Inhalt! Ueber Mendelssohn-Bartholdy II. — Corresp. (Heidelberg, Braunschweig, München u, London). — Nachrichten. 



ÜBER MENDELSSOHN-BARTHOLDY. 

Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley" 

und „Christus". 



II. 

Das Bruchstück des „zweiten Theiles, Leiden Christi", beginnt: 
„Und der ganze Haufe stand auf und fing an ihn zu verklagen und 
au schmähen (Redt.)". Chor: „Diesen finden wir, dass er das Volk 
abwendet und verbietet den Schoss dem Kaiser zu geben und spricht, 
er sei Christus, ein König." Recit. : „Pilatus sprach....: ich finde 
keine Ursach an diesem Menschen. Da schrieen Alle:" und nun 
folgt ein fugirter Chor von 29 Takten '% Allegro molto, der, gut 
ausgeführt, gewiss von ausserordentlicher Wirkung sein muss. Der 
Bass hebt mit dem Motiv an: 



Saiten und Fagotti. 



9* bV<?t >=fc6 



jb g fr £ f f ■ f »E S 



„Er hat das Volk er - regt damit, dass er ge - leh-ret hat 

Der Text heisst weiter: „hin und her im ganzen Lande, und hat in 
Galiläa angefangen bis hieher." Recit. : „Pilatus aber sprach : ich 
finde keine Schuld an ihm, darum will ich ihn zuchtigen und loslas- 
sen. Da schrie der ganze Haufe:" Chor: „Hinweg mit diesem und 
gib uns Barrabam los;" tumultarisch, gewiss den Worten und der 
Lage gemäss. Nur die endlose Wiederholung des Wortes „Barra- 
bam" ist sehr willkürlich. „Willkürlich"? nein, ich habe fast ver- 
gessen, dass es sich hier um ein Oratorium, nicht um die Wahr- 
heit der Scene handelt. Fragt man nach der Berechtigung der Kunst- 
formen, so bleibt im Oratorium Alles willkürlich, einfach desswe- 
gen, weil aus demselben nicht zu bestimmen ist, wann und warum 
sie (nämlich Fuge, Arie, Imitation u. s. w. u. s. w.) anzuwenden 
sind; man weiss nicht, woher die Behandlung des Textes feste Ge- 
setze nehmen soll, aus der fortschreitenden Handlung, oder aus der 
festen Architektonik der rein musikalischen Form des Chores, der 
Arie u. s. w. Daher drängt und stösst und hemmt Eins immer das 
Andere. Das Ganze ist wie Handlung angelegt, und doch, könnte 
man sein christliches Wissen nicht zu Hülfe rufen und sich den' 
Vorgang in seinen inneren Trieben und Beweggründen mehr ausein- 
anderlegen , des Pilatus Urtheil müsste uns hier rein unsinnig vor- 
kommen; denn was kümmert er sich um die verachteten und ver- 
ächtlichen Lärmjuden, und wie schal sind die Recitative an sach- 
lichem Gedankeninhalte! 

Weiter ! Recit. : „Da rief Pilatus abermals zu ihnen und wollte 
Jesum loslassen; sie aber schrieen:" Chor: „Kreuzige ihn!" Hin- 
sichtlich der ganzen Ausführung gilt auch von diesem 38 Takte langen 
Chore (Allegro, C- und H-moH) das eben Bemerkte; aber hinsicht- 
lich des künstlerischen Gedankens und der rein musikalischen Aus- 
führung muss er Jeden mit Staunen und Bewunderung erfüllen; er 
bildet den Glanzpunkt in diesem rhapsodischen Ganzen, und seinen 



höchsten Aufschwung erreicht er im 16. — 19. Takte (Partitur 8. 44, 
Clav. - Ausz. S. 27) in langathmigen Tönen voll unbeschreiblicher 
Wuth und Wildheit : 

FL, Ob., Cl. t Com., Tromb., Trombon., Timpani, — ff 



i=MAu 



^( ^ffTfftr 1 ^ ^ 



F=r 






kreu 



zi - ge ihn ! 




ff Geigen trem. 






* 



«4 2 -9; 






^#«- 



-A_al_ 






Cello, Bass # Fagotti. 



Alles folgende in diesem Chore erreicht diese Höhe nicht wieder, 
daher eine dreimalige, passend gesteigerte Wiederholung dieser Phrase 
gewiss der grossartigste Schluss gewesen wäre. Dem „Kreuzige" 
folgt das Recit. : „Pilatus spricht zu ihnen : Nehmet ihn hin, denn 
ich finde keine Schuld an ihm. Da antworteten sie:" in einem ein- 
fachen Chore: „Wir haben ein Gesetz u. s. w. , denn er hat sich 
selbst zu Gottes Sohn gemacht." Recit. ; „Da überantwortete er 
ihn,... sie nahmen Jesum und führten ihn hin zur Schädels* alte, es 
folgte ihm aber nach ein grosser Haufe Volks, und Weiber, die klag- 
ten und beweineten ihn." Merkwürdiger Weise sind die grausig er- 
füllten Worte : „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" aus- 
gelassen; wollte der Componist sie anderswo verwenden? — Dem 
angef. Recit. folgt ein langer 4st. Chor (Sop., Alt, Ten. tu Bass), 
Andante con inoto, */'» in G-moll, mit Fl., Ob., Cl„ Fag., Com., Timp. 
und Saiten hegleitet: „Ihr Töchter Zions, weint, über Euch selbst 
und über Eure Kinder (— im Anfange Sopr. und Alt aliein und sanft, 
dann etwas cresc. mit den anderen Summen halbwechselnd zusam- 
sammen — ). Denn, siehe (pp.) es wird die Zeit kommen, da (cresc.) 
werdet ihr sagen zu den Bergen ; fallt (F.* über uns ! y (ff. und 
trem. im Orchest.) und zu den Hügeln (dim.) : deckt uns (p* terem.), 
deckt uns (pp. trem.) I Ihr Töchter Zions , weint über euch selbst 
und über eure Kinder, weint über euch selbst, aber euch selbst." 
Der ganze Chor hat auch musikalisch nichts eigenthümlich Schönes; 
man bat ihn aber mehrfach gelobt und als wirkungsvoll gepriesen. 
Wirkungsvoll mag er sein : aber ein Blick auf den Text und sein« 



— 5S - 



Auffassung zeigt deutlich, dass das Wesen dieser Worte ganz und 
gar verkannt ist. Ich halte ihn für im Ganzen misslungen. Die 
Worte athmen nach ihrem ursprünglichen Sinne einen ganz anderen 
Geisi, als dieses Tonbild. Aber man; könnte einwenden, dass Men- 
delssohn schon insofern von den ursprünglichen Chl-istusworten habe 
abgehen vollen , als er sie nicht von einem Einzelnen (von Chr&aftis 
nämlich), sondern vom Chore singen lasse. Ganz richtig; aber dann 
wird die Composition erst recht falsch. Wer grosse Worte nicht in 
ihrer ursprünglichen Umgebung und Färbung aufnimmt, dem muss es, 
sofern sein Thun Sinn haben soll, nur um ihre ewige Bedeutung 
zu thun sein; und Mendelssohn auch ist es nur um letzteres zu thun 
gewesen , da er die Worte vom Chore singen Hess. Dann, sage 
ich, ist's erst recht verkehrt. Denn nach ihrer ewigen Bedeutung 
sind sie der Mahnruf des verklärten Christus an seine Gemeinde, 
Busse zu thun , um der Herrlichkeit werth zu werden. Dies bat die 
Kirche auch wohl verstanden und in ihren Liedern aufs Schönste 
auszuprägen gewusst. Wer aber darf wagen, den im schönsten 
Sinne so göttlichen Worten eine so ganz gewöhnliche sentimentale 
Melodie unterzubreiten? — Die Worte enthalten noch andere Bezie- 
hungen, aber diese sind mehr rein geistiger oder poetischer, als mu- 
sikalischer Natur und ich übergehe sie daher. 

Aber zu einer Bemerkung fühle ich mich, besonders durch den 
letzten Chor noch angeregt. Wie man sieht, sollte Christus selbst 
keine einzelne Stimme haben, sondern er sollte im Mendelssohn'schen 
Oratorium nur die Stimmung des Ganzen sein, die sich dann 
in entsprechenden Organen im Einzelnen auszusprechen habe. Das 
aber ist ja rein gottesdienstlich — wozu denn in letzterer und 
eigentlicher Hinsicht all der überflüssige Ballast der Instrumente, der 
Benutzung musikalischer Effekte zum Ausdruck u. s. w., wenn Christus 
als so fest und ewig seiend, auch im Rahmen dieses Tonwerkes, an- 
erkannt ist, dass seine Worte rein geistig und aufs freieste ange- 
wandt wiedergegeben werden können ! Da löst das Oratorium durch 
den Grundmangel seines Wesens sich selbst auf, und diesmal — d. 
h. bei Mendelssohn überhaupt — nicht nach der dramatischen, son- 
dern nach der gottesdienstlichen Seite hin. 

Die Analyse dieses Bruchstückes hat uns also schon deutlich 
genug gezeigt, was der grösste Oratorienkomponist der neueren Zeit 
(von Händeis Tod an gerechnet) erstrebte und dass auf diesem Wege 
es zu erreichen unmöglich war. Dasselbe lehren seine fertigen 
Werke, der „Paulus" und „Elias". Es ist mithin, dies ist das 
Schlussergebniss, für das eigentliche Wesen und Leben der Tonkunst 
von gleicher Bedeutung, ob Mendelssohn sein der Anlage nach gröss- 
tes Werk, den „Christus", vollendet oder unvollendet hinterlassen. 



-<•••>- 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HEIDELBERG. 

(Ende Mira.) 

Wir haben im Anschluss an unseren letzten Bericht noch dreier 
Aufführungen zu gedenken , mit denen der Musikverein und Lieder- 
kränz ihre Thätigkeit für diesen Wintercursus beschlossen. Das 
Concert des Musikvercins am 10. Jan. brachte uns Mozart's £ s - d u r- 
Sinfonie und dessen Don-Juan-Ouvertüre in bekannter gelun- 
gener Ausführung. Ein Violoncell-Solo, vorgetragen von Hrn. Kün- 
dinger, Mitglied des Mannheimer Orchesters, fand allgemeinen Bei- 
fall. In dem zweiten diesjährigen Concerte am 24 Febr. wurde (und 
so viel wir uns entsinnen können hier zum erstenmale) Beethoven 9 s 
E r o i c a zur Aufführung gebracht. Die Schwierigkeit dieses Instru- 
mentalwerkes erheischt grosse Mühe und Ausdauer beim Einstudiren; 
beides wurde von Seiten des Direktors wie der Mitglieder nicht ge- 
scheut und zur Anfführung selbst, welche nach dem einstimmigen 
Urtheil aller Kunstverständigen ganz vorzüglich ausfiel, noch eine 
Anzahl der besten Kräfte des Mannheimer Orchesters gewonnen. In 
demselben Concert trug Herr Concertmeister Kettenus von Mannheim 
eine eigene Composition für die Violine vor ; die bekannten Leistun- 
gen dieses Künstlers fanden den wohlverdienten Beifall. Das herr- 
liche Ca p ri c i o für Piano (mit Orchesterbegleitung) H-moll von 



Mendelssohn, von einem wackeren Dilettanten, Hrn. B., schön ge- 
spielt, entzückte die Zuhörer und riss sie am Schlüsse zum stür- 
mischsten Applaus hin. Weber' s Jubel-Ouvertüre schloss dies 
Concert in würdiger Weise, welches zweifelsohne eines der schön- 
sten und gelungensten war, die je der Musik verein veranstaltete. 

Am 11. März führte der Liederkranz Otto's „Philister" auf. 
Diese Composition fand vor einiger Zeit in der Rheinischen Musik- 
zeitnng eine sehr anerkennende Beurtheilung , die wir durch die ge- 
nannte Aufführung vollkommen bestätigt gefunden. Das kleine Werk 
gefiel ausserordentlich und wird auf allgemeinen Wunsch baldigst 
wiederholt werden. Ein nicht geringer Vorzug desselben ist die 
leichte und wirkliche „Sangbarkeit" aller Nummern: eine Eigen- 
schaft, die so vielen neueren Compositionen für Männerchöre abgeht, 
die aber immer eine Grundbedingung des guten Effektes sind. 

Virtuosen - Concerte haben wir diesmal nicht zu beklagen — 
mehrere Unternehmungen scheiterten , vielleicht zu beiderseitigem 
Wohl. Wie sich die hiesigen Theater- Verhältnisse gestalten werden, 
kann nur die Zukunft lehren ; der Bau eines Hauses ist beschlossen, 
wird auch allem Anscheine nach ausgeführt werden — alles Uebrige 
wird von der Gunst oder Ungunst der Umstände abhängen. 



no o» 



AUS BRAUNSCHWEIG. 

(Ende März.) 

In dem am Charfreitag stattgehabten Concert der Singakademie, 
von Herrn Franz Abt vor Kurzem erst gegründet und unter seiner 
Leitung stehend , kam das Requiem von Mozart und der 42. Psalm 
von Mendelssohn zur Aufführung. Es ist nicht zu leugnen , dass 
Herr Abt durch dieselbe die sprechendsten Beweise von seiner Fä- 
higkeit, einem solchen Institute mit Erfolg vorzustehen, geliefert hat. 
Machten sich bei der Ausführung einzelner Stellen, namentlich des 
Requiems, auch noch einige Mängel geltend, als etwas unreine Into- 
nation u. s. f., so darf diess durchaus nicht dem Dirigenten zur Last 
gelegt werden , der gewiss sein Möglichstes gethan , sondern man 
muss es der Aengstlichkeit der Mitglieder zuschreiben, die ja zum 
ersten Male vor die Oeffentlichkeit traten. Dieses Wenige abgerech- 
net, Hessen die Chöre an Präcision und Abrundung nichts zu wün- 
schen übrig. Unterstützt ward die Akademie von der herzoglichen 
Hofkapelle. Die Soli's wurden von Mitgliedern der Akademie und 
einigen Sängern der herzoglichen Oper, als Herr Himmer und Herr 
Hermann, ausgeführt. 

Der Besuch des Concertes war ein augenfällig starker und be- 
kundet wohl am besten, wie sehr Hr. Abt bei uns beliebt ist. Aus- 
serdem kann ich Ihnen noch mit Bestimmtheit die Nachricht mitthei- 
len, dass Hr. Abt an unserem Theater eine feste Anstellung, und 
zwar als zweiter Dirigent der herzoglichen Oper, erhalten hat. Es 
ist diese Nachricht bei uns überall mit der grössten Freude aufge- 
nommen worden , denn wir dürfen nun hoffen, Herrn Abt auf lange 
Zeit, vielleicht für immer, an Braunschweig gefesselt zu sehen. 

Die erste Aufführung der neuen Oper „Otto der Schütz" von 
Mad. Schmezer findet in diesen Tagen statt. 



AUS MÜNCHEN. 

(31. März.) 

Unsere musikalischen Ereignisse durchliefen auch in diesem 
Jahre wieder den gewohnten Turnus: vom Dreikönigstage bis zur 
Aschermittwoch ausschliesslich Str&uss und Labitzky und von da 
bis zum Ostersonntag Beethoven mit all' seinen Ahnen und sämmt- 
licher Nachkommenschaft. So kommt es, dass ich Ihnen kaum mehr 
mitzutheilen vermag, als das Programm unserer Concerts spirituels. 
Denn wenn es schon überhaupt schwer ist, über das wahrhaft Vol- 
lendete in der Musik etwas zu sagen , was nur halb so gut ist , als 
das Werk selber, so wird sich diese Schwierigkeit zur völligen Un- 
möglichkeit steigern, wenn die Gediegenheit der Ausführung mit dem 
grossen musikalischen Werthe des Repertoirs — wie dies bei unse- 
rer Kapelle fast immer der Fall ist — in geradem Verhaltniss steht. 
Ihrem Korrespondenten lacht deshalb immer das Herz im Leibe, wenn, 
in seltenen Fällen dieses gerade Verhaltniss von der einen oder, 
andern Seite in ein ungerades verwandelt wird ; dann befindet 



— 59 — 



er sich in seinem Elemente: er kann sich ärgern! und nur in dieser 
Atmosphäre ist er schreibefähig, als zur natürlichen Familie der 
Recensentcn gehörig. 

Sinfonien hörten wir fünf, und zwar im ersten Goncerte die 
Beethoven's in F, im zweiten Mendelssohn's A-dur-Sinfonie, im drit- 
ten eine in D-dur von J. Haydn und im vierten ausnahmsweise zwei 
Sinfonien , nämlich eine von Taubert und eine von J. S. Bach (Or- 
chestersuite). Mendelssohn's A-dur-Sinfonie, erst zum zweiten Male 
gegeben, hat dessenungeachtet das gesammte Publikum schon in so 
hohem Grade auf ihrer Seite, dass die grillenhaften Münchner trotz 
der Schreckensmänner am Pleissestrande die ungeheure „Geschmack- 
losigkeit" begingen, das Andante da capo zu verlangen. Das ist nun 
aber ein fait accompli und somit bleibt uns armen Haarzöpfen nichts 
anders übrig, als die zu gewärtigende Strafpredigt in aller Demnlh 
hinzunehmen. Wenn ich nicht irre , so gehört das in Rede stehende 
Werk zu den späteren Mendelssohns, und es wäre dann in der That 
interessant und zugleich für gewisse ästhetische Doctrinäre beiehrend, 
wenn man sieht, wie sehr sich Mondeissohn hier jene Klarheit in 
Erfindung und Arbeit, jene Präcision der Form, kurz Alles, was wir 
an den älteren Meistern bewundern, anzueignen suchte, während doch 
gerade er, wenn auch ohne Absicht, vielfachen Anstoss gab zu der 
jetzt sich breit machenden Hyperromantik , dieser mit falschen Dia- 
manten überladenen Strohpuppe. — Die Sinfonie in F von Taubert 
hat hier nur wenig Anklang gefunden , obgleich der Name dieses 
Componisten durch seine Lieder- und Clavier-Compositionen, in wel- 
chen Fächern Taubert wirklich so viel Schönes geliefert hat, bisher 
stets einen guten Klang für unser Publikum gehabt und die ver- 
diente Anerkennung gefunden hat. Jedenfalls ist die Sinfonie nicht 
das Feld, auf welchem Taubert sich mit Hoffnung auf Frfolg versu- 
chen dürfte, und so konnten denn selbst die Anstrengungen seiner 
eifrigsten Freunde ihn diesmal nicht vor einem Fiasko schützen. — 
Ueber Bach's zum ersten Maie hier aufgeführte Orchestersuite 
für Streichquartett, Oboen und Trompeten in vier Sätzen (Allegro, 
Andante, Gavette und Gique) brauche ich eigentlich nichts weiter zu 
sagen, als dass sie eben von Bach ist. 

Von grösseren Instrumentalstücken wurden J. Haydn's Variatio- 
nen über „Gott erhalte Franz den Kaiser" und jene aus Beethoven's 
A-dur-Quarlett (Nro. 5) mit grosser Besetzung, Cherubini's Ouvertüre 
zu den „Abencerragen" und die Mendelssohn's zu „Ruy Blas", sämmt- 
lieh in höchster Vollendung vorgetragen. Beethoven's Ciavierphan- 
tasie mit Chor Hess nur hinsichtlich des Ciavierspielers , Hrn. Spei- 
del, etwas zu wünschen übrig. Wenn ich auch mit Ausnahme eines 
nicht sehr kräftigen Anschlages in virtuoser Beziehung nichts zu ta- 
deln wüsste, so würde doch eine tiefere Auffassung dieser Vorläu- 
ferin der neunten Sinfonie keineswegs zum Schaden gereicht haben. 

Neu war uns Gade's „Frühlingsphantasie" für 4 Solostimmen, 
Orchester und Pianoforte. Sic hat im Allgemeinen wenig Theilnahme, 
jedoch auch auf keiner Seite Missfallen erregt. Ob die Subjectivi- 
tat Gade's, vielleicht in zu bestimmten Umrissen sich abspiegelnd, 
beim grösseren Publikum nicht die rechte Sympathie zu erwecken 
vermochte, wage ich nicht zu entscheiden ; mich selbst aber hat die- 
ses holde Kind der Phantasie mit unwiderstehlichem Reize an sich 
gefesselt und den schönsten Eindruck hinterlassen. Der erste Satz 
athmet Frühlingssehnsucht und der zweite führt uns durch winterver- 
treibende Stürme zum dritten, dem erwachten Frühling. Letzterer 
ist wohl etwas weniger gelungen , wofür der Grund im elegischen 
Charakter der Gade'schen Musik gesucht werden dürfte. 

Von Soloinstrumentalstücken hatten wir ein Celloconcert, 
gespielt von Herrn J. Menter, und eine Fantasie für die Clari- 
nette, componirt und vorgetragen von Herrn Bärmann. Dass beide 
Künstler nur Vorzügliches leisteten, dafür bürgen schon ihre Namen. 
Noch ist einer Caconne für die Violine von J. S. Bach mit Piano- 
fortebegleitung von Mendelssohu zu erwähnen ; zu loben ist aber nur 
die Arbeit Bach's und jene Mendelssohn's. Herr Peter Moralt, der 
diese Composition spielte, Hess nichts zu wünschen übrig, als dass 
er besser etwas anders gespielt hätte, denn er misskennt sein ent- 
schiedenes Virtuosentalent, wenn er höhere musikalische Aufgaben 
als die von der modernen Salonmusik gegebenen, zu lösen versucht. 
Jedenfalls hat Hr. Moralt, was sehr zu loben ist, seine besten Kräfte 
auf das edle Werk verwendet. 

Noch habe ich den vocalen Theil zu erwähnen: nämlich eine 
Arie aus Rossini's „Teil" und eine aus Händeis „Rinaldo", Ständ- 



chen von Schubert für 5 Frauenstimmen und endlich 2 Ensemble- 
stücke (ein Duett und ein Terzett) aus Beethoven's „Fidelio", welch 
beide letztere Herr Generaldirektor Lachner der Güte des Hrn. Prof. 
Jahn aus Leipzig verdankt. Beide, namentlich das Terzett, gehören 
zu den Perlen Beethoven'scher Musik und wurden bereits in Nr. 13 
Ihres Blattes ausführlicher besprochen. 

Am Palmsonntag und am Ostersonntag wurde jedesmal unter 
grossem Zudrange Haydn's Schöpfung auf die würdigste Weise 
aufgeführt. Die Soloparthieen wurden von den Dämmen Dietz und 
Hefner und den Herren Härtinger, Kindermann und Allfeld gesungen. 

(Schluss folgt.) 



AUS LONDON. 

(Ende Februar.) 
(Schluss ) 

Sollen wir nun noch von' den Violin- und anderen Spielern reden, 
die von sich selbst mit der grössten Naivität bekennen, dass sie „ohne 
Interesse" spielen ? Die alle an den grünen Tisch gehen, um zu ge- 
winnen? Gott bewahre, wer spielt wohl, um zu gewinnen? Nein, 
die Herren wollen verlieren, sie machen alle möglichen Anstrengun- 
gen dazu — und, weiss der Himmel ! es gelingt ihnen auch in den 
meisten Fällen. Sollen wir aller Quartett- und sonstiger Spielpartien 
gedenken, die man in allen möglichen Winkeln Londons allabend- 
lich unter sich abmacht? Warum sollen wir nur von Ausgezeich- 
netem sprechen ? Aber man sehe doch in die Zeitungen ; hier ist 
Alles ausgezeichnet Am Ende bleibt uns nichts übrig, als blindlings 
hineinzugreifen und den Ersten, Besten herauszuholen. Da ist Herr 
Jansa. Wer kennt nicht Herrn Jansa? Sein Name reicht in 
unsere frühesten musikalischen Erinnerungen j es ist ein lieber, alter 
Bekannter. Wer hätte sich träumen lassen, dass man diesen Be- 
schützer der „lieben Kleinen" , diesen Erzieher der meisten Violin- 
spieler einst in der grossen Weltstadt wiederfinden werde? Und noch 
dazu als k. k. Revolutionär? Herr Jansa ein Revolutionär, ein 
Flüchtling? Und nun sage man noch, die Zeit ist nicht reich an 
Komik. Also Herr Jansa ist in London und macht's wie die Uebri- 
gen, d. h. er gibt Stunden, spielt öffentlich, privatim, ganz, wie man's 
haben will. Seine erste Quartett-Soiree ist, wie so manches Andere 
— gewesen. Ueber seine Leistungen kann man höchstens zu einem 
englischen Publikum sprechen; ein deutsches weiss mehr davon, als 
es braucht. 

Herr Jansa, Herr Pauer, Herr Bennett, Mad. Pleyel, das sind 
alte Namen, werden Sie sagen, gibt's denn gar keine neue in dieser 
Saison? ja , man stirbt und gebiert im täglichen Leben , warum 
nicht im musikalischen? Da ist z. B. Herr Nabich, der den Leuten 
auf sehr hörbare Weise zu verstehen gibt , dass die Posaune des 
Weltgerichts eine Erfindung des Menschen ist ; und dann Mad. Doria, 
die dazu berufen scheint, die schon erloschenen ungarischen Sym- 
pathieen wieder wach zu rufen. Mad. Doria hat übrigens seit der 
Revolution gewonnen. Alle, die sie gesehen haben, stimmen darin 
überein. 

Dass in diesem Monat die „heiligen Harmonieen" gespuckt haben, 
versteht sich von selbst. Was würden wohl die Herren Benedikt 
und Costa sagen, wenn es nicht mindestens in dieser Beziehung et- 
was Heiliges gäbe? Wie oft der Geist des Messias in den weiten 
Räumen von Exetcr-Hall in diesem Monat herumgegangen ist, wissen 
wir nicht, wir glauben auch nicht, dass ausser den „700 Executa»- 
ten" irgend Einer ein wesentliches Interesse dabei empfunden hat; 
aber Eins hat unsere Theilnahme herausgefordert , nämlich die Vor- 
führung des Mozart'schen Requiem. Es war die erste öffentliche 
Aufführung in England, und insofern ein Ercigniss. Nicht blos in 
musikalischer Hinsicht, sondern vielmehr noch in politischer. Ob 
das Exetcr-Hall-Publikum das Meisterwerk eines grossen Genius ken- 
nen lernt oder nicht, ist ziemlich gleichgültig; dass man aber den 
Leuten, deren religiöses Gefühl schon verletzt wird, wenn man Sonn- 
tags eine Zeitung lies't, eine katholische Messe vorspielen kann, 
dies in Verbindung mit der ungeheuren Bewegung des hiesigen Pfaf- 
fenthums gegen die Eröffnung des Krystallpalastes am Sonntage zeigt 
auf eine ernstere Zukunft, als die Mehrzahl sich träumen lässt, wenn 
auch das Faktum, dass überhaupt so etwas noch in Frage kommen 



60 



kann, gewiss ein reicher Beitrag zur Komik der Gegenwart genannt 
werden muss. Fatal. 

NACHRICHTEN. 



Darmstadt, Der Wiener Tenorist Ander wird hier zu einem 
Gastrollen-Cyclus erwartet. 



Berlin« Da in den Monaten Juni und Juli der grösste Theil 
des Opernpersonals auf Urlaub sein wird, so hat die Intendantur für 
diese Zeit mit dem Königsberger Theater direktor Woltersdorf, wel- 
cher schon im vorigen Jahre mit seinem Opernpersonale im Friedrich- 
Wilhelmstädter Theater gastirte, einen Vertrag abgeschlossen, in Folge 
dessen derselbe während dieser zwei Monate mit seinem Personale 
12 Opern zur Aufführung bringen wird. 



Danzig. Tichatscheck gastirte hier alsEleazar und Masaniello. 



Breslau. Auch Breslau wird in diesem Jahre ein Sommer- 
Theater haben; die Direktion des Stadttheaters hat die Concession 
dazu verlangt und wird sowohl ein eigenes Lokal aufführen lassen, 
als ein besonderes Schauspielerpersonal und Orchester engagiren. 

— Musikdirektor Bleche veranstaltete im verflossenen Winter 
mehrere QuartetVJüfatineen. 



Freiburg. Nach dreimaliger Vorstellung des „Tannhäuser" 
durfte derselbe nicht mehr gegeben werden, weil — einige Mitglieder 
der Theater-Commission keinen Gefallen daran fanden. So berichten 
die Signale. Herr Wallner hat entschiedenes Unglück. Erst brennen 
ihm die Sängerinnen durch, so dass er gezwungen ist, sie, wie Mad. 
Beck-Wehtlbaum, steckbrieflich verfolgen zu lassen; dann wird ihm 
eine Oper, die seine Kasse zu füllen versprach, verboten. Da mag 
ein anderer Theaterdirektor sein ! 



In Görlitz wird Anfangs Juli ein grosses Mannergesangfest ge- 
feiert werden. 



Dresden« Frl. Jenny Ney, die neue Prima-Donna, durch die 
man die goldenen Tage der Schröder wieder herauf zu beschwören 
hofft — wenigstens deutet die ungeheure Gage , welche man ihr be- 
willigt hat, darauf hin — sollte am 30. März als Norina zum ersten 
Male auftreten. 



Gratz. Frau Krebs -Michalesi von Dresden gastirte hier mehr- 
mals mit dem glänzendsten Erfolge. — Der Kapellmeister Netzer ist 
für das hiesige Theater engagirt worden. 



Frag. Für den Tenoristen Steger, welcher nach Wien geht, 
ist Hr. Weiss von Bremen engagirt worden. 



Wien. Seit dem Einrücken der italien. Opern-Gesellschaft sind 
die Mitglieder der deutschen Oper nach allen Himmelsgegenden hin 
auseinander geflogen. Frl. J. Ney, welche künftig Dresden angehört, 
sang mit Ellinger bereits zweimal in Gratz; Hr. Er! ist nach Temi- 
sbr abgereist; Fr. Liebhardt ging nach Oldenburg; der Tenorist 
Kreuzer nach Dresden und wird sich später nach Krakau begeben. 
-"- Die ital. Oper brachte am 19. März den „Barbier" und machte 
damit etwas besseren Eindruck , als mit der „Italiana in Algeri", 
worin dritte deutsche Sänger — erste ital. Partien singen 
mussten, weil die engagirten „Künstler" noch fehlten. Fr. Pazzi, 
welche im „barbier" debütirte, besitzt eine angenehme Stimme und 
ansprechende Persönlichkeit. — Der Pianist A. Dreyschock geht von 
hier nach Pressburg und Pesth 

— Therese Milanollo ist hier angekommen und wird 6 Concerte 



geben, von denen das erste bereits am 26. März stattfand. — Die 
Prima-Donnen der ital. Oper , die Damen Medori und Marray , sind 
eingetroffen. — Frhr. von Lannoy, als musikalischer Schriftsteller 
bekannt, ist gestorben. 



Copenhagen. Eine neue Oper von Gläser, „Nökken", mit 
Text von Anderson, is beifällig aufgenommen worden. 



Liverpool. Der hier neugebaute Concert - Saal : St. George- 
Hall , ist von ungeheuren Dimensionen. Er fasst mehr als 15,000 
Personen und hat 6 grosse Thüren aus Bronce, von denen jede 700 
Pfund Sterling kostet. 



Petersburg. Eine Tochter des berühmten Sängers Lablache 
debütirte in der ital. Oper mit Glück. 



Stockholm. Im verflossenen Winter wurde Meyerbeer's „Pro- 
phet" nicht weniger als 62mal gegeben. 



Nizza. Der Violinist Haumann gab hier 3 Concerte. Die Lei- 
stungen anderer Concertgeber so wie der hiesigen ital. Operngesell- 
schaft sind zu unbedeutend, um erwähnt zu werden. 



Venedig. Die neueste Oper Verdi's, „Troviata", ist hier so 
total durchgefallen, dass der Gomponist selbst in einem Briefe an die 
France musicale sein Missgeschick nicht zu bemänteln sucht, aber 
allerdings die Schuld auf die Sänger und die schlechte Aufführung 
schiebt. 



* * 



Fr. Liszt , welcher sich bereits im Besitz des Beethoven'schen 
Claviers befindet, hat nun auch das Instrument, dessen sieh Mozart 
bediente, angekauft. Schade, dass die Geister dieser grossen Mei- 
ster nicht in ihre alten Instrumente gebannt sind ! 



V Im August dieses Jahres soll in Eutin, dem Geburtsorte Carl 
Maria v. Weber's, ein grosses Gesangfest zu Ehren Weber's gehal- 
ten werden. Alle Gesangvereine Deutschlands sollen zur Theilnahme 
an diesem schönen Feste eingeladen werden und Zeuge der Enthül- 
lung einer Gedenktafel am Geburtshause des deutschen Meisters sein. 



* * 

» 



Im nächsten Frühjahr findet in Dublin eine grosse Industrie- 
Ausstellung statt. Das Gönnte* hat sich an Meyerbeer gewandt und 
denselben gebeten, ein Vocalwerk zu componiren, welches mit der 
Bedeutung des Gegenstandes und mit der Grösse des errichteten Ge- 
bäudes im Einklang stände. 



V Die musikalische Industrie der Cafe*s - Concerts hat in Paris 
eine solche Ausdehnung genommen, dass diese Etablissements jetzt 
ausser den Affichen auch Programme in die Wohnungen schicken. 

Y Dr. Jahn in Leipzig beabsichtigt eine gründliche und erschöpfende 
Biographie Beethoven's zu schreiben, und hat zu dem Zwecke an 
Alle, welche im Besitze von Briefen oder sonstigen Notizen über 
Beethoven und seine Werke sich befinden, einen Bittruf zur geneig- 
ten Mittheilung derselben an ihn erlassen. 



» 



In Mons wird am 28. Mai ein Standbild des in der Musik- 
geschichte berühmten Niederländers Orlando de Lasso, welcher zu- 
letzt in München wirkte, enthüllt Derselbe wurde 1530 in Mon» 
geboren. Gleichzeitig findet ein musikalischer Wettstreit statt. 



Ttnntwortlicber Rrtifctm : 1. J. SCHOTT. — Braek vm R10T1R 4 WALLAU in »«iaa. 



2. Jahrgang. 



Mr. 16. 



ia a 




1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint Jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- and Buchhandlungen. 



MDACTION HD VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT * CO. 



1 

1 


PREIS: 




11. 2. 


42 oder Thlr. 1. 


18 Sgr. 




fOr den Jahrgang 


► 


Durch die Post belegen : 


SO kr. 




•der 15 Sgr. per 


Quartal. 



Inhalts Ueber Mendelssohn-Bartholdy HL — Ueber O. Kraushaar'* u. M. Hauptmanns Tonsystem. — Corr. (München u. Braunschweig). — Nachrichten. 



Ober mendelssohn-bartholdy. 

Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley" 

und „Christus". 



III. 

Es wird mir schwer, im Ganzen ein gleiches Urtheil über die 
„Loreley" auszusprechen; nicht weil ich befürchte, ungerecht zu 
werden, sondern weil es mir selber Mühe mach«, an dasselbe zu 
glauben. Dieses Finale ist so reizend und musikalisch so schön, 
dass ich oft den lebhaften Wunsch empfand , es möchte die ganze 
Oper fertig geworden sein. Und doch — auch wenn es Mendelssohn 
vergönnt gewesen, sie zu vollenden, wir hätten damit nichts wesent- 
lich Neues erhalten, wir wären im besten Falle nur um eine gute, 
mit Geschmack geschaffene Oper im alten Sinne reicher geworden, 
und andererseits würde diese Mendelssohn'sche Oper durch den Ein- 
fluss, den sie aus bekannten Ursachen gewonnen hätte, die reine und 
schnelle Entwickeiung der dramatischen Musik, nämlich der Oper, 
die als die vollkommenste Kunst des Lebens der Gegenwart von uns 
zu erstreben ist, nur getrübt und gehemmt haben. Wer jetzt noch 
Oratorien und Opern neben einander hegen und pflegen, wer wie 
Mendelssohn an „Christus" und an „Loreley" zugleich arbeiten kann, 
der mag in beidem, rein musikalisch betrachtet, vortreffliche „Num- 
mern" zu Stande bringen, aber ein musikalisch-dramatisches Kunst- 
werk wird ihm nimmer erstehen, es ist rein unmöglich, da er schon 
als Componist seine Kraft vergeudet und zersplittert. Es kommt aber 
die Rücksicht auf den Text hinzu, die unvermeidliche Unklarheit, die 
folgenschwere Verwirrung der behandelten Stoffe , wenn man meint, 
Oratorium und Oper könnten neben einander bestehen. Wenn der 
Dichter E. Geibel den Text zu der ganzen „Loreley", der doch ohne 
Zweifel längst fertig ist, herausgegeben hätte oder noch herauszuge- 
ben sich bewegen liesse , so würden wir über alles dieses viel kla- 
rer sehen können. Jetzt müssen wir uns an dieses Bruchstück hal- 
ten. In dunkler Nacht kommen zwei Züge Nixen daher und stimmen 
ihre leuchtenden Gesänge an. Sie werden unterbrochen von den 
Klagetönen der Leonore (Loreley), der Fischertochter am Rheine, 
deren Geliebter (Fürst"**) sich ihi als einfacher Waidmann genaht, 
dem sie „Alles gegeben" und der durch seine standesmässige Hei- 
rath sie nun verrathen und betrogen. Zweifelnd ruft sie : „Wo ist 
Gerechtigkeit droben? ... so ruf ich Euch, Ihr Kräfte der Tiefe!" 
Die Nixen kommen und sie machen den Pakt : Leonore will „Rache 
an ihm, an seinem Geschlecht! mögen sie fühlen den Hohn der 
Liebe, der Sehnsucht Feuer, die Qual des Herzens, das sich ver- 
zehrt!... Gebt mir Schönheit, Männerverblendende, gebt mir die 
Stimme, süss zum Verderben, gebt mir tödtliche Liebesgewalt!" 
Die Nixen fordern : „Sollst Dein Herz zum Lonn uns geben , sollst 
uns opfern Deine Liebe, Braut des Rheines sollst Du werden, Braut 
des Rheines im Felsenschloss," Sie werden einig ; Leonore : „Wie 
ich den Schleier hier zerreisse, so sei zerrissen meine Liebe, flattre 
sie hin in den Lüften ! dem Wind , dem Sturme vermach ich sie. 
Mein Herz versteine wie dieser Felsen, fühllos starrend! Dir, 



Strom, verlob' ich mich an. Wenn sich das Werk der Rache vol- 
lendet, bin ich Dein und gehöre Dir anl" So schliesst der 1. Akt. 
Sicherlich waren die folgenden nur bestimmt, den hier beschlossenen 
Strafakt zu vollziehen. 

Soll man nun überhaupt Vernunft und Folgerichtigkeit in der 
Wahl und in der Gestaltung dieses Stoffes erblicken, so muss man 
denken: auf diese Art also ist das Sagenbild der „Loreley" entstan- 
den. Nun ist es aber überhaupt schon ein unkünstlerischer Gedanke, 
der Genesis einer solchen und speziell dieser Sage nachzugehen : die 
höchste Kunst ist eben das poetische Bild von der sin- 
genden Loreley, wie es in der Sage, wie es in dem ge- 
sungenen Liede (z. B. in dem „Ich weiss nicht, was soll es be- 
deuten, dass ich so traurig bin") aufs Vollkommenste sich 
ausspricht. Alles Weitere ist hier unnütz: denn es kann die 
poetische Vorstellung in ihrer Reinheit und Schönheit nicht erhöhen; 
es kann aber auch — dies ist das weitere Bedenken — das der 
sinnlichen Wirklichkeit gegenüber immer gestaltlose oder doch unbe- 
stimmte, nicht scharf begrenzte poetische Bild durch dramatische 
Versinnlichung nicht in das Gebiet einer vollkommneren wirkungs- 
volleren Kunst erheben. An sich, d. h. in poetischem Interesse, fragt 
Keiner von poetisch gesunden Sinnen : „woher diese Gestalt ?" son- 
dern man hat seinen Halt und seine Freude an ihrem poetischen 
Dasein. Wie wird uns aber zu Muthe, wenn wir fortan bei dem. 
süsswehen Liede denken sollen : „das ist also eigentlich Jungfrau so 
und so , und sie ward zu dieser herzlosen Steingestalt , indem sie 
mehr sinnliche Gluth (in Liebe und Hass) als Adel der Seele besass 
und daher dunklen (unsittlichen , weil unmenschlichen) Gewalten 
verfiel" . , . . ? Dann ist blitzschnell aller Zauber weg und nur eine 
sittlich sehr zweideutige Person ist nachgeblieben: die poetische 
Gestalt ist vernichtet, das menschliche Herz ist an deren Stelle 
getreten. Vollständiger kann man alte Sagen nicht vernichten, als 
wenn man bei dem Bestreben, sie erst recht durch die Kunst zu 
verherrlichen, so ganz und gar aus dem Gebiet ihrer Macht und 
Schönheit heraustritt. 

Dies ist ein Vorwurf, der zunächst den Dichter trifft, von dem 
der Componist aber ebenfalls sein iTheil erhält. Ist dieses Finale für 
die ganze Oper, wie aus Obigem erhellt, von so grosser Wichtigkeit, 
dass es den Mittelpunkt des Ganzen bildet: so muss ich bekennen, 
dass es mir weder poetisch noch musikalisch zur Darstellung dieses 
Momentes genügend erscheint. Der Text ist ganz verständig und die 
Musik ist immer ganz wirkungsvoll; aber das Ganze sieht mehr so 
zusammengedacht und -gestellt aus , es ist kein nothwendiger Fluss 
darin , auf dem das einmal angeregte Interesse sich bis an's Ende 
sanftgleitend fortgetragen fühlte. 

Dagegen darf der erste Theil dieses Bruchstückes*), der Gesang 
der Nixen, gewiss dem Schönsten und Vollendetsten, was Mendels- 
sohn hervorgebracht hat, beigeordnet werden. Dieser Gesang besteht 
aus drei Theilen, in B-moll, A-moll und A-dur, alle drei vollkommen 
melodisch, de* letzte die beiden voraufgegangenen aber nach allen 



I 



•) Partltnr S. 1—28. 



— 62 — 



Seiten hin überstrahlend. Wie leuchten und glühen die wenigen 
Worte in diesen goldenen Tönen: 

Doch bei Nacht, ohne Mond, ohne Stern, 
Da führen mitsammen den Reigen wir gern. 
Wie sausen die Lüfte, wie sprudelt der Gischt, 
Wenn Wölk' und Wind und Welle sich mischt! 

Die Instrumentation dieses Theiles ist überraschend schön. Bei 
aller 'Fülle der Besetzung ist der Satz von durchsichtiger Klarheit j 
er dürfte für die Gestaltung solcher Scenen ein Muster sein. Dieser 
Chor sollte von jedem Gesangvereine, welcher nur irgend ausreichende 
Mittel auftreiben kann, eingeübt und aufgeführt werden. Ueberhaupt 
ist die scenische Aufführung des ganzen Finales sehr löblich; aber 
vor der „Vollendung" dieser Oper durch einen Mendelssobnianer, 
wie einmal aute England berichtet wurde, möge uns Gott bewahren. 



<•••>- 



CORRESPONDENZBK. 



AUS MÖNCHEN. 

(31. Hin.) 

(Schluss.) 

„Virtuoscncoiicerte" hatten wir nur ein einziges zu verspeisen, 
und zwar abermals von Hrn. Ed. Doctor, woran ausser den uner- 
quicklichen Leistungen des Concertgebers vor allen nur das einiges 
Erstaunen erregte, dass an der Kasse — 10 fl. eingingen. 

Ich brauche von Herrn Doctor nur einen ganz kleinen Seiten- 
Sprung zu machen, und ich komme an das Conservatorium für Mu- 
sik. Der als Künstler aligemein hochgeschätzte k. Hofmusikus, Hr. 
Ed. Mittermayr, welcher bisher mit dem schönsten Erfolge an ge- 
nannter Anstalt den Violinunterricht ertheilte*), hat seinen Austritt 
aus dem Conservatorium beim Cultusministerium angezeigt. Als 
Hauptmotive, welche ihn zu diesem Schritte bewogen, gibt er in dem 
betreffenden Aktenstücke folgende zwei an : 1) Die Ansichten", welche 
er über Kunst, künstlerisches Wirken und Leitung von Kunstanstal- 
ten hege, gestatteten ihm nicht weiter mehr, sich für das hiesige 
Conservatorium zu opfern und 2) er halte es für besser, freiwillig 
aus einer Anstalt zu scheiden, „welche unter einer Leitung, wie die 
jetzige bekannte ist, einer unerfreulichen Zukunft unbedingt entge- 
gen gehe." Es ist dies seit Bestehen des Conservatoriums schon 
der vierte Fall des freiwilligen Austrittes dort beschäftigter Lehrer 
(nämlich der HH. Director Ignaz Lachncr, Ed. Föckerer, Jost und 
Mittermayr) und auffallen muss es , dass auch in den ersten drei 
Fällen mehr oder minder dieselben Motive massgebend waren , wie 
wir sie so eben aus der Austriltscrklärung des Herrn Mittermayr 
kennen lernten. Ob aber die Auswanderungslust der Conscrvatorium- 
müden mit Letzterem erloschen ist, möchte sehr zu bezweifeln sein, 
man darf wohl eher das Gcgentheil annehmen, und zuletzt werden 
Herr Hauser und Sohn als unumschränktes Duumvirat die entvölkerte 
Anstalt beherrschen. Man ist nun begierig, ob die Erklärung Mit- 
termayr s in gleicher Weise berücksichtigt werde, wie das seiner Zeit 
besprochene Memorandum des Herrn Föckerer, d. h. — ad acta ge- 
legt werde. 

Das Theater bot seit meinem letzten Berichte zwar keine 
neuen, wohl aber drei neueinstudirtc Opern, nämlich Aubcr's „Mas- 
kenball", Halcvy's „Guido und Ginevra" und Marschner's „Hans 
Heiling". Aufführung und Ausstattung waren im Ganzen lobenswerth, 
nur verdient in letzterer Oper die Besetzung der Königin der Erd- 
geister durch eine im niedrigen Soubrettenfach an sich sehr schätz- 
bare Sängerin die strengste Rüge. Es ist dies gerade so, als wollte 
man den Komiker, der heute in Raymund's „Geisterkönig" als Florian 
Waschblau auftritt, dem Publikum morgen als Hamlet vorführen, und 
heisst das ein Kunstwerk geradezu ruiniren wollen. Kann man eine 



*) Ich erinnere in dieser Beziehung nur an einen dessen Schüler, 
Hrn. Jos. Walter, der in neuester Zeit in Wien mit dem glänzend- 
sten Erfolge auftrat. S. Süddeutsche Musikzeitung Nr, 8. 



Oper nicht würdig besetzen (was übrigens im concreten Falle durch 
Frau Hefner wohl möglich gewesen wäre), so lasse man lieber ganz 
davon ab. — Perfall's „Sakontala", durch mehrwöchentliche Unpaas- 
lichkcit des Hrn. Dr. Härtinger hinausgeschoben, wird am 17. April 
zur Aufführung kommen. 

Herr Kremenz, welcher für Hrn. Salomon engagirt wurde, ist im 
Vergleich zu diesem offenbar als ein Gewinn zu betrachten, denn er 
intonirt wenigstens rein. Seine sehr kräftige Stimme hat zwar einen 
ächten Basscharakter, dessenungeachtet aber hat das tiefe F nur we- 
nig Klang mehr. Was jedoch Herrn Kremenz vor allem Noth thut, 
ist tüchtiges Studium, denn bis jetzt beherrscht seine Stimme ihn, 
während doch offenbar der umgekehrte Fall der wünschenswertheste 
wäre. Auch an Aussprache und Spiel Hesse sich noch viel ver- 
bessern. 

Zum Schlüsse noch eine erfreuliche Erscheinung am sternenar- 
men Horizonte der Tenore ! Herr Grimmingcr sang als ersten 
theatralischen Versuch den Arthur in Bellini's „Puritanern" mit dem 
glänzendsten Erfolge. RundCs Spiel und gute Schule, die kaum den 
Anfänger erkennen Hessen, beide gehoben durch die Folien einer an- 
genehmen Persönlichkeit und einer liebenswürdigen Stimme würden 
allein schon einen guten Erfolg rechtfertigen. Was aber die Haupt- 
sache ist, Herr Grimminger weiss durch Auffassung und Vortrag eine 
gewisse Sympathie für sich zu erregen, immer ein sicheres Zeichen, 
dass man es mit einer ächten Künstlernatur zu thun habe. Nach 
all dem ist es wohl überflüssig zu bemerken, dass Herr Grimminger 
nicht im Conservatorium gebildet, wurde. Sein Lehrer ist Herr AI. 
Bayer, derselbe, dessen Schule wir auch Herrn Härtinger zu verdan- 
ken haben. 0. 



AUS BRAUNSCHWEIG. 

(Anfans April.) 

Die schon lange angekündigte und erwartete erste Aufführung 
von „Otto der Schütz", romantische Oper in drei Akten, Musik von 
Frau Elise Schmezcr und Instrumentation von Carl Zabel, Musikdi- 
rektor beim hiesigen Hautboisten - Corps , hat in vergangener Woche 
am Donnerstag den 31. März stattgefunden. Eine Oper muss nach 
dem Gesammteindruck, welchen sie auf den Zuhörer macht, nicht 
aber nach der Wirkung ihrer einzelnen Theilc beurlheilt werden. 
Von diesem Standpunkte aus kann vorliegende Oper auf den Titel 
eines Kunstwerkes im edleren Sinne des Wortes durchaus keinen 
Anspruch machen. Die Klippe, an welcher diese Oper, und wäre 
die Musik dazu von einem Mezart geschrieben, dennoch scheitern 
muss, ist ihr Text. Die Führung der Handlung und der Charaktere 
und die meisten Verse sind schlecht. Stände die Musik auf gleichem 
Niveau mit dem Buche , dann wäre die Oper freilich nicht zum An- 
hören gewesen. Doch dem ist, Gott sei Dank, nicht so. Madame 
Schmezcr, dem grösseren Publikum bereits durch einige ihrer Lieder 
vorteilhaft bekannt, hat, indem sie sich hier auf einen bisher von 
ihr noch ur.bctretenen Pfad der Composition gewagt, aufs Neue ihr 
unläugbares Talent bekundet. Waren die Muster, an welche sich 
Madame Schraezer hin und wieder angelehnt, auch unverkennbar, so 
muss man bedenken, dass noch nie ein Componist in seinen Erst- 
lingswerken etwas durchgängig Originelles geschaffen hat. Die Musik 
bot manche Schönheiten in einzelnen Liedern und Arien, wo sich 
Madame Schmezcr ja auf einem ihr heimischen Boden bewegte, Hess 
dagegen viel , sehr viel in den Ensemblesätzen zu wünschen übrig, 
wo der erste Versuch fast aus jeder Note guckte, ein Sextett im 2. 
Akte ausgenommen. Mad. Schmezcr muss mehreres der Art schrei- 
ben, um auch darin Besseres zu leisten. „Niuno cadde maestro dal 
cielo." Nur dem nimmer rastenden Streben wird endlich Meister- 
schaft zu Theil. 

Die Instrumentation des Herrn Zabel war im Ganzen sehr ge- 
schickt und kunstverständig gearbeitet, wenn man auch an verschie- 
denen Stellen den Posaunen, Trompeten, Trommeln u. s. f. gerne 
Pausen gewünscht hätte. Doch dem kann ja leicht abgeholfen 
werden. 

Die Mühe und der Eifer , welchen die Darsteller der Hauptpar- 
thien, als Hr. Himmer (Otto), Hr. Nusch (Graf von Ravenstein), Frl. 
Wurst (Helene, Prinzessin von Cleve), Frl. Sandvoss (Bertha, Burg- 
geist auf dem Schlosse Windeck) an den Tag legten , sicherten der. 



— 63 — 



Oper doch wenigstens einen succes d'estime. Auch wurden sie 
s&mmtlich mit Mad. Schmezer herausgemfen. Ob die dabei gewor- 
fenen Kranze und Bouquets ausschliesslich der Frl. Wurst, welche 
diese Oper zu ihrem Benefice gab, oder der Compositrice gelten 
sollten , weiss ich nicht , doch glaube ich , dass sie für die beiden 
Damen zugleich bestimmt waren. 

Herr Schmezer , der ebenfalls eine der Hauptparthieen in den 
H&ndcn hatte, nämlich den Hermann, Anfuhrer der Bogenschützen, 
gab sich auch alle mögliche Mühe, aber ohne irgend welchen Erfolg 
und warum? — weil er einen komischen Charakter darzustellen 
hatte. Ich dächte, Hr. Schmezer müsste es längst eingesehen haben, 
dass komische Charaktere nicht für ihn passen, dass seine Komik 
den Zuschauer mitunter zur Verzweiflung bringen kann. Wenn diese 
Oper für einige folgende Vorstellungen noch geniessbar bleiben soll, 
so müssen viele Längen gekürzt, die allzuschlechtcn Verse verbes- 
sert und die Parthieen des Hermann und Dietrich (Forst von Cleve) 
anders besetzt werden. In letzlerer hat Herr Herrmanns Abschied 
von uns genommen. Derselbe hat sich nie recht in die Gunst des 
Publikums setzen können; auch wird sein Abgang keine fühlbare 
Lücke machen, da Herr Freund, Bassist vom Stadtlheater in Lern- 
berg, bereits hier weilt und in den Parthieen des Marcel und des 
Bürgermeister im Czar, die er schon hier gesungen, dem Publikum 
die Wahl zwischen ihm und Hrn. Herrmanns nicht schwer gemacht 
hat. Nächstes Mal mehr von ihm. 

Frl. Wurst, die uns verlassen wollte, bleibt für's Erste noch. 



Ober o. kraushaar's und m. Hauptmanns tonsystem. 



Von Herrn 0. Kraushaar ging uns folgende „Erwiderung" mit 
dem Gesuch um Aufnahme derselben zu, was hiermit geschieht 

„In Nr. II d. Bl. ist, wie ich soeben ersehe, ein Artikel aus Nr. 
5 des literarischen Centralblattes übergegangen, in welchem ich, bei 
Gelegenheit der Anzeige nieiuer, im April v. J. bei C, Luckhardt hier- 
selbst erschienenen Abhandlung „der accordlicheGegensatz und 
die Begründung der Scala" beschuldigt werde, ein noch un- 
vollendetes Tonsystem von M. Hauptmann, das mir derselbe vor 
mehreren Jahren , bei Gelegenheit eines musikalischen Lehrcursus 
mitgetheilt, als mein Werk dem Drucke übergeben zu haben. Die 
nächste Veranlassung zu dieser Beschuldigung , auf welche bereits 
eine „Erwiderung" in Nr. 14 des liier. Central bl. (S. 241-242) er- 
folgt ist , hat H. ohne Zweifel selbst gegeben. Ohne jemals den 
wohlthätigcn und nachhaltigen Einfluss des in früherer Zeit genosse- 
nen Unterrichts H.'s auf mein bisheriges kunstwissenschaftliches Wir- 
ken in Abrede stellen zu wollen, kann ich doch, mit Rücksicht auf 
mein eigenes Interesse nicht unterlassen , einer solchen Beschuldi- 
gung auf das Entschiedensie entgegen zu treten und namentlich in 
Beziehung auf Das, was H. in dem Vorwort zu seinem bei Breitkopf 
und Härtel in Leipzig so eben erschienen theoretischen Werke „d i e 
Natur der Harmonik und der Metrik" über meine oben 
angeführte Abhandlung sagt, Folgendes zu erwidern : Das darin von 
mir aufgestellte Tonsystem, welches H. selbst, dem Schlüsse seines 
Vorwortes zufolge, als ein von dem seinigen verschiedenes anerkennt, 
stimmt mit demselben nur in einem einzigen Punkte, nämlich in der 
„Erklärung des Molldreiklanges" überein; dagegen ist die Erklärung 
aller übrigen Accorde , wie auch die Benennung und Veranschau- 
lichung der Accorde überhaupt durch besondere und allgemeine For- 
meln (s. meine Abhandlung S. 41, 45, 46 u. a.) und die mittelst der- 
selben gewonnene Begründung der Scala durchaus neu und geht aus 
meinem System eigenthümlich hervor. Was ferner die „Nachweisung 
eines positiven und negativen Verhaltens von akustischen Bestim- 
mungen überhaupt" betrifft, so ist sie etwas mathematisch-physika- 
lisch Begründetes, das gegenwärtig nicht mehr unbekannt, und kann 
daher im Grunde weder von H. , noch von mir als neues Resultat 
eigener Forschung in Anspruch genommen werden. Neu ist nur, 
was sich als spezielle Anwendung von „akustischen Bestimmungen" 
auf die Grundlehren der musikalischen Composition erweist. Und in 
Beziehung hierauf zeigt sich, mit Ausnahme der „Erklärung des Moll- 
dreiklanges" , in beiden Systemen Verschiedenes. Im Hinblick auf 



„manche andere Aeusserlichkeiten , wie die Bezeichnung der Accor- 
de und des Systems der Tonart", stimmt das H.'sche System mit 
dem meinigen nicht in einem einzigen Schema, geschweige denn im. 
Wortausdruck überein ! 

Notenbeispiele, deren meine oben näher bezeichnete Abhandlung 
33 (mein noch ungedrucktes grösseres Werk weit über 400, zum 
Theil sehr ausgeführte) enthält, hat H. seinem Buche nicht beigefügt 
Davon abgesehen , sind zum Theil verwandte Resultate von H. and 
mir auf ganz verschiedene Weise erlangt worden. H. geht bei der 
Darstellung seines Systems von bekannten akustischen Ergebnissen* 
ich dagegen (in meinem grösseren Werke) von allgemeinen Betrach- 
tungen am Tongcbilde aus, worauf meine Abhandlung S. 7 hindeutet« 
Von da aus gelange ich auf analytischem Wege zu dem Begriffe 
der Accordverwandtschaft , der Verbindung und Trennung der Töne 
und der Terzen- und Secundengestalt, als Merkmale der harmonischen 
und melodischen Form (Abhandl. S. 12-13) und sofort bis zur Quelle 
des Tönens und benutze, da angelangt, ebensowohl als H., allgemein! 
bekannte Ergebnisse der Akustik (Abhandl. S. 15-22) , mit welchen 
H. seine Betrachtungen beginnt. Mit Hülfe meiner Tabellen (Ab- 
handl. S. 17-22) gelange ich zum tonischen Gegensatz, bestimme von, 
da aus den Grundton meines Systems (Abhandl. S. 23) und vereinige 
mich mit H. in der Ansicht , dass sich Accorde mit gleich grossen 
Intervallen auf- und abwärts bilden lassen. Daher die Uebercinstim- 
mung in der „ Erklärung des Molldreiklanges" in beiden Systemen. 
Ganz anders verfährt H. in seiner „Harmonik", indem er, vom Klang 
ausgehend, auf synthetischem Wege zum Durdreiklang , zur Durton- 
art, zum Molldreiklang, zur Molltonart, zur „Moll-Durtonart", zu den 
verminderten Dreiklängen, zu dem „Tonartsystem nach der einen 
und anderen Dominantseite", zu den verminderten Dreiklängen des 
„übergreifenden Systems" etc. gelangt. Inwiefern demnach, meiner 
Seits, von einem Bekcnntniss in Beireff der von II. erhaltenen 
„Grundbestimmungen", aus welchen meine Theorie entwickelt sei, 
die Rede sein kann , — von einem Bekenntniss , das ich H. (dem 
Vorworte seines Buches zufolge) in einer Zuschrift abgelegt, die ich 
ihm mit meiner Broschüre als ein Zeichen dankbarer Erinnerung 
übersandte — , überlasse ich Jedem , nach Einsicht in die beiden 
oben angeführten Werke, selbst zu ermessen. 

Casscl, im April 1853. O» Kraushaar. 



NACHRICHTEN. 



Mainz« Das hiesige Theater wurde durch Gemeinderathsbe- 
schluss dem Tenoristen Beyer auf die nächsten drei Jahre überlas- 
sen. Die Zahl seiner Mitbewerber war sehr ansehnlich. 



Magdeburg. Ende März gastirfe hier Ander und mit ihm zu- 
gleich betrat Frl. A. Bury, welche während des letzten Winters als 
Gewaudhaussängerin engagirt war, wieder die Bühne. Sie sang die 
Lucia, Ander den Edgardo. 



Weimar. „König Alfred" von Raff kam vor Kurzem umgear- 
beitet und neu eiustudirl zur Aufführung und wurde günstig aufge- 
nommen. 



Cöln« Frl. A. Bury gastirte hier als Martha und Lucia und 
gefiel sehr. — Die hiesigen Theater - Verhältnisse sind sehr traurig» 
Ausser fortwährenden Streitigkeiten zwischen der Direktion und den 
einzelnen Bühnenmitglicdern , die in der letzten Zeit sogar zu einem 
Annoncenkrieg zwischen der Direktion und dem Gemahl der Sängerin 
Gundy geführt hatten, sind die peeuniären Verhältnisse des Herrn 
Spielbergcr so zerrüttet und in Folge dessen das Theater so schlecht,' 
dass die Abonnenten bereits erklärt haben, ihren Verbindlichkeiten 
nicht mehr nachkommen zu wollen, da Herr Spielbcrger die seinigen 
nicht erfülle. 



— 64 



Braonsobweig» Am 3. April trat FrL Wolseck von Cöl» »1s 
Julia in „Montechi und Capuleti" auf und erfreute »ich einer seht 
günstigen Aufnahme. 



Königsberg. Nicolais „Lustige Weiber von Windsor" haben 
nier bei ihrer ersten Aufführung viel Anklang gefunden. 



ISlberfeld. Die hiesige Liedertafel hat Einladungen an alle 
Gesangvereine des Nieder - Rheins zu dem hier am 12. und 13. Juli 
stattfindenden Gesangfeste erlassen. Sie bietet Alles auf, um den 
Gästen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen und hat 
an dem Zwecke unter Anderem eine Extrafahrt in's Ruhrthal projek- 
tirt. Das Concert-Programm enthält die Fest-Ouvertüre von Beetho- 
ven, die Tannhäuser-Ouverture, die Männerchöre Super Flumina ßa- 
bjlonis, Schlusschor aus David's „Wüste" und Doppelchöre aus Oedi* 
pus in Kolonos. 



Xiondon. Das Schicksal von Her majesty's theatre ist ein böses 
Omen für die bevorstehende Saison. Nach den letzten Nachrichten hat 
Mr. Gye, Direktor des Coventgardentheaters, das Privilegium desselben 
erstanden , ob in der Absicht, das Theater selbst zu eröffnen oder 
nur, um Andere zu verhindern, ihm Concurrenz zu machen, ist noch 
unbekannt. Die Effekten, Costüme, Dekorationen, Musikalien dessel- 
ben waren bereits zweimal zur Öffentlichen Versteigerung gekommen, 
ohne dass sich Jemand gefunden hätte, der 12,000 L. Sterl. — den 
festgesetzten niedrigsten Verkaufspreis — geboten. Coventgarden 
sollte am 31. März eröffnet werden. Angekündigt für die Saison sind 
folgende neue Opern: Verdi's „Rigoletto", Donizetti's „Don Seba- 
stian", Beriioz's „Benvenuto Cellini", Beoetti's „Juan Shore", Ros- 
sinis „Matilda di Shabran" und Spohr's „Jessonda". 

Die Philharmonie und die New Philharmonie Societie's haben am 
14. und 16. März ihre ersten Goncerte gegeben. In dem ersteren 
debutirte eine Frl. Jewson als Pianistin, in dem letzteren spielte Frl. 
W. Clauss. 

Die Sängerin Zerr soll von dem Direktor Chapcl auf 9 Mo- 
nate für Amerika engagirt sein und dafür 70,000 fl. Convent-Münze 
erhalten. 

Am 2. April wurde Coventgarden-Theater mft der „Stumme von 
Portici" eröffnet. C. Formes sang den Pietro. Seine nächste Rolle 
wird sein Basilio im „Barbier''. 



r-York. Der bekannte Pianist Gottschalck aus Paris, des- 
sen Compositionen in den Salons sehr beliebt sind, spielte im Febr. 
zweimal und setzte Alles durch seine enorme Fertigkeit in Staunen. 
Cinen Ehrendegen freilich wie in Spanien erhielt er nicht. Derselbe 
ist nach dem Süden abgereist. 

— Die Vereinigten Staaten zählen in diesem Augenblicke eine 
französische Oper in New-Orleans , zwei italienische Gesellschaften 
Cdie der Damen Sonntag und Alboni) in New- York , zwei englische 
Opern, die eine von Mad. Thillon, die andere von Mad. Bischoff ge- 
leitet; ferner vier reisende Gesellschaften und ausserdem die Damen 
Cath. Hayes und Biscaccianti mit ihren Begleitern , welche Califor- 
nien ausbeuten. 

Der Pianist A. Jaell spielt in Boston , Ole Bull in New-Orleans, 
der junge R. Jullien hier. 



Petersburg 1 . Endlich ist der Prophet auch hier in Scene ge- 
gangen, und zwar am 5. März zum ersten , am 7. zum zweiten Male. 
Der Titel ist in „die Belagerung von Gent" umgeändert und im 4. Akte 
di» Kirche in das Rathhaus umgewandelt worden, damit die Fröm- 
migkeit der Russen keinen Anstoss nehme. 

Der Violinist Kontski und Fr. Dobre geben beide sehr besuchte 
Goncerte. — Der Harfenist R. Thomas von London veranstaltete 
einige Matineen» Ihm folgte Mad. Parish-Alvars, welche das Talent 
ihres Mannes geerbt zu haben scheint. 

Der Violinist Leonard und seine Gattin geben Concerte in Riga 
und werden hier erwartet ; ebenso Th, Milanollo. 



Brüssel« Der „Carillonneur de Bruges" von Grisar hat hier 
sehr gefallen. 

Der Pianist A. Dupont, welcher Michelot am Conservatorium zu 
ersetzen bestimmt ist, spielte mit grossem Beifall in einem Concerte 
der Philharmonischen Gesellschaft. 

Der junge Tenorist Mathieu ist für die hiesige Bühne gewonnen 
worden. 

Im 3. Conservator.-Concert kam zum ersten Male Mendelssohn'» 
Musik zum „Sommernachtstraum" zur Aufführung. Bisher war hier 
nur die Ouvertüre bekannt. 



München. Privatnachrichten aus München entnehmen wir, 
dass am 10. d. M. die Oper „Sakontala", Text von A. Teichlein, 
Musik von Baron Perfall daselbst zur Aufführung kam. Man will 
diesem Erstlingswerke des Componisten kein langes Leben prognos- 
tiziren, und die scheinbar günstige Aufnahme mehr den Bemühungen 
der Freunde Perfall's , welcher Director der hiesigen Liedertafel ist, 
als dem wirklichen Eindruck der Oper selbst zuschreiben, indem nicht 
nur Neuheit der Erfindung, sondern sogar eine zweckmässige An- 
wendung der reichlichen Reminiszenzen darin fehle. Ueberdiess 
soll der an sich günstige Stoff nicht besonders glücklich bearbeitet 
sein. Wir werden wohl bald Näheres darüber mittheilen können. 



"Wien. Am 1. April traten in der italienischen Oper die ersten 
Mitglieder dieser Saison : Frl. Marray, die Herren Fraschini und De- 
bassini auf. Man gab Lucia. Frau JMedori debutirte als Norma und 
erntete rauschenden Beifall. 

— Frl. Th. Milanollo hat bereits mehrere Concerte gegeben. 



Lyon. Sivori Hess sich hier in 10 Tagen 5mal hören und 
wurde fast nach jeder Piece gerufen. 



Marseille. Vieuxtemps hat im Theater 4 sehr zahlreich be- 
suchte Concerte gegeben.. Die Orchestermitglteder wnrden von ihm 
vor seiner Abreise zu einem Souper eingeladen. 



Paris. „Marco Spada" von Auber macht in der Opera comique 
stets volle Häuser und wird schon auf mehreren Provinzialbübnen 
vorbereitet. 

Scudo, der bekannte musikalische Kritiker und Schriftsteller, 
wurde von einem Cabriolet überfahren und ist bedeutend verletzt 
worden. 



(Die Thürklinke als musikalisches Instrument.) Ein mit russi- 
scher Sitte liebäugelnder Fürst in Eriwan (an Rang einem deutschen 
Landedelmann vergleichbar) richtete in seinem Hause einen soge- 
nannten „europäischen Saal" ein; an den Thoren waren messingene 
Thürklinken, die in armenischen Häusern etwas Unerhörtes sind. An 
diese Thürklinken und Schlösser knüpft sich folgende Geschichte : 
Der Fürst hatte die Anwendung derselben in Tiflis kennen gelernt, 
ein Dutzend davon gekauft und einen Theil an den Thüren des „eu- 
ropäischen Saales" befestigen lassen. Die Diener des Hauses, 
welche nicht wussten, was es mit den seltsamen Maschinen auf sich 
hatte , glaubten, der Fürst habe dieselben zu musikalischen Zwecken 
anbringen lassen: denn jedesmal, wenn daran gedreht wurde, er- 
folgte in dem weiten leeren Gemache ein dröhnender Klang. So ge- 
schah es denn, dass in Abwesenheit des Hausherrn von dem dienen- 
den Personal verschiedene Concerte mit Hülfe der messingnen Thür- 
klinken veranstaltet wurden. Ein alter blinder Tartar musste dabei 
singen und der Koch, der in solchen Dingen als Autorität galt, spielte 
die Thürklinke . . • • Der Fürst merkte die musikalischen Bestrebun- 
gen seiner Leute erst, als schon drei Schlösser und Klinken zer- 
brochen waren. 

(Nach Bodenstedt, Tausend und Ein Tag im Orient 1, 149—150.) 



¥er«ntw9r(Ucliar fttftkteu: J. I. SCHOTT. - ftmefc v« BIOTER« WALLAU tn Mails, 



2. Jahrgang. 



Mr* IV. 



25. April 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



» Diese Zeitung erscheint jeden 
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REDACTION UND VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

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II. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 

für den Jahrgang. 

Durch die Post besagen: 

SO kr. »der 15 Sgr. per finartal. 



Inhalt! Heber Mendelssohn-Bartholdy IV, — Gorr. (Hamburg nnd Paris). — Nachrichten. 



ÜBER MENDELSSOHN-BARTHOLDY. 



Hit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley" 



und „Christus". 



IV. 

So zeigt sich uns Mendelssohn in seinen beiden grössten letzten 
Werken. Den vollendet hinterlassenen „Oedipus Koloneus" wollen 
wir nur nennen, um das ganze eigenlhümliche Gebiet dieses Künst- 
lers bei den folgenden allgemeinen Bemerkungen in Erinnerung zu 
bringen. 

Es schien, als ob in Mendelssohn ein zweiter Mozart erstanden sei, 
durch sein in frühester Kindheit hervortretendes Talent zur Musik, 
wie durch sein leichtes glückliches Koinponiren; ja als ob er ihn 
übertreffe durch feine Bildung , durch sehulmässiges Wissen , durch ' 
umfassende geistige Intelligenz. ' Man erblickte in ihm einen vollkom- 
menen Künstler, der die gründlichsten Studien gemacht, und bei dem 
der gelehrte Zopf im lebendigen Kunstschaffen vollkommen ver- 
schwunden schien; einen Künstler, wie er als Ideal Jung und Alt, 
den grauen Theoretikern wie der aufstrebenden Jugend damals vor- 
schwebte. Und man hielt ihn um so höher, je klarer, je begreiflicher, 
je versländlicher er war; er stand höher als all die Andern, und 
doch war er nur wie der Ihren Einer. Bis dahin hatte das Musik- 
genie immer etwas Unbändiges, oder im Sinne der Hof- und Salon- 
convenienz Unerträgliches an sich gehabt, wesswegen man nur mit 
seinen Werken sich befreundete, den Menschen im Künstler aber 
ohne grosse Zärtlichkeit im Elend verkommen Hess : hier zum ersten 
Male war das Grosse von allen Anstössigkeiten befreit, es war ver- 
borgen und offenbart in einer nobeln, polirten, geistreichen, und durch 
dieses Alles liebenswürdigen Persönlichkeit; das Genie war salon- 
fähig geworden. Welche Leichtigkeit für die grosse Zahl vornehmer 
„Kunstkenner" und „Kunstförderer", dem Mcndel&sohn'schen Genius 
Altäre zu errichten ! und welche Befriedigung musste der Wahn er- 
wecken, es gelte einem Unsterblichen ! — Solcher Götzendienst war 
von jeher nichtig, und immer stellte sich später heraus, dass man 
nur oder doch hauptsächlich das Endliche zu schätzen gewusst hatte. 
Auch hier nicht anders« Man täuschte sich über Mendelssohn als 
Künstler, und er selber täuschte sich. Er war kein Mozart , er war 
kein Musikgelehrter, er war kein in Sonnenklarheit lebender Künst- 
ler, sondern er war Alles nur fast; — aber eins war er ganz und 
unbedingt: der Künstler seiner Zeit. Aus dieser (d. h. aus 
einem geistigen Leben , welches unter bestimmten Umständen, also 
in einer gewissen Zeit, zu machtvollem Dasein gelangt und nothwen- 
dig einst wieder verblüht), kann er als einheitliche Gestalt begriffen 
werden. 

Besonders in den deutschen Freiheitskriegen trat eine Macht 
hervor, weiche das französische Revolutions - Ungeheuer vollkommen 
zu vernichten im Stande schien. Hierin zwar täuschte man sich ; 
aber die Menschen waren jetzt doch wirklich andere geworden, und 
ihre neue Ansicht der Dinge trieb auch zu neuer Gestaltung der Ver- 
hältnisse, Die revolutionären Lebensformen verachtend; die Hohlheit 



der diesen voraufgegangenen, auf Trennung und einseitigem Rationa- 
lismus basirten, lebhaft empfindend, unfähig; aber, eigene zu gewin 1 
nen — so blickte man zurück auf die feinere Vergangenheit, auf 
alle den sogenannten klassichen Zeiten vorangegangenen „ursprüng- 
lichen" Zustände zurück, im Staate auf das patriarchalische Regi- 
ment , in der Religion auf den katholischen Kultus des 12. bis 14. 
Jahrhunderts , in der Kunst auf phantastische und mythische Gestal- 
ten, auf vernachlässigte Seiten des Mittelalters wie des Morgenlandes . 
(das alte Indien, Spanien, die Märchenwelt etc.) und verwandte Ge- 
genstände. Aus alledem , von der jetzt zum ersten Male in grösster 
Kraft hervortretenden geschichtlichen Forschung zusammengetragen, 
bildete sich in den protestantischen Gemüthern, auf einem schon seit 
Luther gesäuberten Boden, ein eigentümlich zähes Bewusstsein, das, 
auf so einander widersprechenden Voraussetzungen es auch ruhete, 
doch sich vieler Gemüther bemächtigte. Dieses Streben taufte auf 
dem religiösen Gebiete sich selber als „U n i o n" : so aber können 
wir am Bezeichnendsten die ganze Richtung nennen. Sie wird durch 
ein natürliches gesundes Bedürfniss hervorgerufen; durch Gedanken, 
welche von dem Evangelium der Revolution und Napoleons zurück- 
gedrängt waren, durch einen wahrhaft heiligen und tiefen Glauben, 
durch die Ahnung einer Versöhnung , einer ursprünglichen Einheit 
des Lebens. Dieses Ringen wolten wir als unwillkürlichen Drang 
noch nicht Union, sondern Romantik nennen. Auf dem Gebiete 
der Musik fand es in Weber's Opern den schönsten und liebens- 
würdigsten Ausdruck , liebenswürdig , weil ursprünglich kräftig und 
harmlos wahr, fern von absichtlicher Tendenz. In Weber haben wir 
die Romantik jedes jugendlichen Herzens , eine Romantik Cd. h. eine 
aus unklarem lebendigen Drange hervorgegangene Vermischung an 
Rieh getrennter und in dieser Verschmelzung sich widersprechender 
Lebensgebiete), welche die klare kraftvolle Productivität des Mannes- 
alters nicht von vornherein unmöglich macht. 

Als aber diese ursprüngliche Kraft soweit erschöpft war, dass 
sie nicht mehr allein das Leben fassen konnte — und dahin kam es 
allerdings bald, hier früher dort später, wie das frühe Abblühen der 
„reinen" Romantiker Novalis, Weber u. A. zeigt, — trat eine Wand- 
lung ein : es entstand die absichtliche, systematische, man kann sa- 
gen dogmatische Verbindung aller der älteren und neueren Elemente, 
welche die historische Betrachtung als besonders bedeutsam erkannt 
hatte ; es kam der Zwang eines „gemachten" Systems , es blüheten 
Theorie und Schule. Diese Wendung der oben genannten Bewegung 
ist oft „Restauration" genannt worden; wir wollen sie theoreti- 
sche Union nennen. In diesen Kreis gehört Mendelssohn, der 
spätere Künstler : er ist der Musiker der Union. Natürlich l&m- 
men Mendelssohn' s bedeutend und „gross" angelegte Werke bei dieser 
Gesammtanschauung hauptsächlich in Betracht. Von diesen nun ist 
leicht nachweisbar, wie sie ihrer ganzen Gestaltung nach dieser 
Richtung angehören, wie geschichtliche unionistische Knnstansichten 
ihre Form hervorgerufen haben. Und damit ist Mendelssohn V ganzes 
Wesen geschichtlich gezeichnet und eingeordnet als Ring in die Kette 
geistiger Bewegung, in das Leben seiner Zeit, In ihr Glauben und 
Streben, in ihr Streiten nnd Ringen. Von diesem Gesichtspunkt« 
aus wird uns begreiflich, wie Mendelssohn Shakespeares Zauberwelt 



m 



und griechische Tragödien mit Musik ausstalten, daneben Opern und 
Oratorien komponiren konnte, und wie er diese grossen Werke noch 
mit volksmäsfligen Liedern, mit religiösen Gewingen und mit Instru- 
mentalwerken aller Art lieblich zu umranken vermochte; hierdurch 
wird Mendelssohns künstlerische Ueberaeugung erklärlich, seine all- 
gemeine Verständlichkeit und die ihm gebrachte Huldigung begreiflich \ 
hieraus, nämlich aus dem innerlich unversöhnten, also nothwendig 
flachen Wesen der Union, erklären sich die geringe Tiefe und die 
ebenfalls nur geringe Gesammtwirkung der Mendelssohn'schen Ton- 
werke. — Einzelnes, soweit es hier hervorzuheben durchaus nöthig 
war, ist in den vorigen Nummern angemerkt; weiter darf ich mich 
an diesem Orte hierauf nicht einlassen, muss daher besonders .eine 
genauere Zeichnung Mendelssohn'» als Kirchenkomponist bei einer 
späteren Gelegenheit nachholen. Nur für einen Augenblick noch er- 
bitte ich mir die Geduld des Lesers. 

Wir müssen nämlich, um die letzte Folgerung ziehen zu können, 
noch hinzufügen: Der eigentliche Boden in dem Leben der Jetztzeit 
ist der „Union" wieder entzogen, die Revolution hat ihn, wenn 
auch grösstentheils nur überschwemmt. Daher — dies folgt unmit- 
telbar — gehört Mendelssohn schon rein und ganz der „Vergangen- 
heit an, und seine „Schule" muss verkümmern, wenn sie schulmässig 
in seinem Kreise verharrt. 

Dass wir für alle unionistische Bestrebungen in dem Geiste vor 
1848 nicht mehr organisirt sind, dass die Gegensätze sich viel schrof- 
fer hervorgekehrt haben, dass die Verjüngung des Lebens entweder 
ganz durch das „Alte", oder ganz durch das „Neue" zu vollbringen 
gestrebt wird, ist in Religion, Staat und Kunst deulich genug gewor- 
den, so deutlich , dass wir «eines genaueren Nachweises überhoben 
sind. Hier möchte ich Jedem nur die Ueberzeugung mittheilen: Men- 
delssohn ist nicht zu früh gestorben, sondern, wie wir Alle auch 
einmal sterben werden, gerade zur rechten Zeit; aber als er starb, 
war der grösste Tonkünstler seiner Zeit dahin. Was Mendelssohn 
bleibend Gutes, was er Ewiges geschaffen, wird durch diese Anschau- 
ung nicht vergessen gemacht, es hebt sich nur um so reiner hervor. 
Seine kunstwissenschaftliche Bildung hat Kunst und Wissenschaft der 
Musik, das selbstständige Denken und das unwillkürliche Schaffen in 
ihr, einander viel inniger verschmolzen, als bis dahin möglich war; 
er hat ferner die „gebildete" Welt (denn nur „Gebildete" können 
das Evangelium der „Union" verstehen) nicht nur dem musikalischen 
Genüsse, sondern auch dem Menschen im Künstler näher geführt. 
Zwei Errungenschaften, die bei gesunder Entwicklung von grossem 
Segen für uns werden können. Als Musiker ist ihm Vollendetes 
(Einheitliches) gelungen, besonders im volksmässigen Liede, und wei- 
ter in den Instrumentalwerken, die durch eine natürlich thematische 
Erschöpfung der musikalischen Motive einen idealen (poetischen) 
Gegenstand musikalisch-schön darstellen. Für diese Tonbilder von 
meist geringem Umfange reichte seine rein produetive Kraft aus, da- 
her mussten sie ihm am besten gelingen; hier ist er ganz ein ur- 
sprünglicher, wahrer Künstler. Unser Leben ist schon viel anders 
und muss es noch mehr werden: sind wir aber nur einigermassen 
zur Klarheit gekommen, so werden wir Mendelssohn's Verhältniss 
zum Leben seiner Zeit auch für uns als das richtige erkennen. Mit 
andern Worten: Mendelssohn ist ein Klassiker so gut wie Mozart 
und Göthe, nur — in seiner Ar(. chs. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

(Ende Februar.) 

Am 5. Februar hat das vierte Philharmonische Concert stattge- 
funden. Beethovens achte F-dur Sinfonie und Schumann 1 « Ouver- 
türe zu Byron's. Manfred haben nebst der Oberon - Ouvertüre die 
Hauptbestandteile gebildet. Die Nachlässigkeit, mit welcher Herr 
Grund die Einstudirung des Orchesters betreibt, musste natürlich bei 
der Beethoven'schen Sinfonie doppelt hervortreten, da diese sehr viel 
feine Züge enthalt , welche bei oberflächlichem Abspielen gänzlich 



verloren gehen. Vorzüglich stellt das Finale und das reizende Scherzo 
nebst dem Trio die Aufforderung an den Dirigenten, nicht abzulassen 
bis z. B. im Trio die schwierige Cellopassage sauber und zart her- 
vortritt und bis im Finale das überaus neckische Tändeln und Scher- 
zen der Instrumente deutlich und dabei leicht in's Ohr falle. Der 
tolle Humor, der in der Mitte plötzlich einem leisesten pp und edler 
Gegenstimme Platz macht, ist allerdings für ein hastiges Durchjagen 
viel zu schwer, als dass die Zuhörer auch nur eine Ahnung von den 
Schätzen erlangen könnten, welche hier verborgen sind. 

Schumann's Ouvertüre zu Byron's Trauerspiel, Manfred, ist wie 
alle grössere Sachen dieses rastlos Schreibenden unglaublich schwül- 
stig und gesucht, wie immer des melodischen Gedankens gänzlich 
entbehrend und nur gegen den Schluss hin sich etwas klarer gestal- 
tend. Die gehäuften Dissonanzen und verwickelten Figuren lassen 
das Ganze über alle Beschreibung verworren erscheinen, und unge- 
achtet ich gern mit einem definitiven Unheil bis nach zweitem Hören 
zurückhalten will, so glaube ich doch schon jetzt bestimmt, dass das 
Werk leider nur dazu beitragen wird, Schumann dem Publikum im- 
mer mehr zu entfremden. Klarheit der Form ist im umgekehrten 
Verhältniss doppelt das erste Erforderniss, wenn der zu schildernde 
Gegenstand schon an und für sich sehr düster ist. Eins aber halte 
ich diesen modernen Componisten entgegen: gebt uns Melodieen von 
grossartigem Schwünge, von längerer Dauer 1 Ohne sie ist kein grös- 
seres Tonwerk denkbar. Der gewaltige Tumult, den die Masse des 
Orchesters zu Gehör bringt, bedarf auf das entschiedenste des rothen 
Fadens, wenn nicht alles in das unleidlichste Gewirrc auslaufen soll« 
Es mangeln mir die Worte , um zu schildern , in wie hohem Grade 
die Schumann 'sehe Ouvertüre diese Anforderungen unerfüllt lässt. 
Kaum brauche ich den Vorwurf abzuwehren , ich verstände Melodie 
etwa in dem Sinne wie er in der Opernmusik der Italiener einge- 
führt ist. Nein, nur das Sangbare , wodurch das Instrument als der 
Träger eines menschlichen Gedankens erscheint. Aber eben zu der 
Erfindung so kleiner inhaltschwerer Cantilenen, wie die Violinen z. 
B. in der Coriolan-Ouverture im zweiten Es-dur Thema angeben oder 
wie dieselben Instrumente sie als zweite Melodie in der Melusine- 
, Ouvertüre singen, gehört Genie, das vom Himmel gesendete natür- 
liche! Wie unerquicklich ist dagegen bei allen diesen verworrenen 
grossen Arbeiten, das immerwährende Ansetzen und doch nicht Wei- 
terkommen, dies vergebliche Abmühen original zu sein ! ! Als ob ir- 
gend etwas Neues schön sein könnte, wenn es nicht natürlich 
ist ! Ich denke in diesen Bemerkungen den Eindruck , welchen die 
Ouvertüre auf mich machte , genau genug und t mit Gründen belegt 
dargestellt zu haben und muss jetzt erwarten , wie das Werk von 
andern Beurtheilern wird besprochen werden. 

Herr Rudolph Willmers, welcher zwischen den grossen Or- 
chestersätzen auftrat, verdient als Spieler sehr grosses Lob. Er be- 
sitzt bedeutende Fertigkeit, Sauberkeit und Energie auch in den ver- 
wickeltesten Figuren und bewegt sich ziemlich solide innerhalb der 
Grenzen eines gesunden Taktgefühles. Er spielte aber eine „Sinfo- 
nie mit obligatem Flügel" (wenn ich mich des Titels recht erinnere), 
welche wenig ansprach, da sich in derselben eine zu grosse Menge von 
Etüdenfiguren zu erkennen gibt. Es gelang ihm nicht der allgemei- 
nen Ermüdung des Publikums zu wehren, die um so berechtigter er- 
schien, da auch noch Herr Schüttky, der erste Bassist des Thea- 
ters mehrere sehr schwache Lieder sang. — Der Vortrag so kleiner 
Gesänge in grossen Concerten erscheint mir immer so ungehörig, 
dass ich die Gelegenheit ergreife, einige Worte darüber zu sagen. 

Wohl weiss ich, dass es bei "dem feinsten Geschmack, bei der 
tiefsten Einsicht und dem besten Willen, dem Dirigenten nicht immer 
möglich ist, ein Concertprogramm zusammenzustellen, das vom Be- 
ginn bis zum Schluss als ein wohl angelegtes in sich zusammenhän- 
gendes erscheint, in welehem das Grosse, Ernste und Massenhaftige 
seinen zweckmässigen Gegensatz im Zarten , Kleineren findet , in 
welchem vorzüglich die Tonarten und der Character der einzelnen 
Werke nicht nur nicht widerstreiten , sondern sich gegenseitig har- 
monisch ergänzen und heben. Aber das wage ich, ohne Widerspruch 
su fürchten, auszusprechen, dass die Absingung kleiner Lieder, wo- 
rin vom „Liebchen, Herz, Himmel, Ade", Kuss, Blümelein" und andern 
Bestandtheilen dieser Singerei die Rede ist, eine abscheuliche Barba- 
rei da ist , wo soeben die Wellen einer grossen Sinfonie verrauscht 
sind. Die Grösse des Lokals, die lange gespannte Erwartung nnd die 
erhabeneren Schwingungen , in welche unsere Seele versetzt ward, 



67 



sind eben so viele Anforderungen, an solcher Stelle nur Bedeutendes 
zu singen, wozu denn doch wohl Auswahl genug vorhanden ist. 
Warum hört man z. B. nicht die gar herrliche Bassarie von Mozart : 
„Mentre ti lascio O figlia! in Es-dur, welche der treffliche Reichel 
früher hier öfter ausführte? Schubert's grosser Liederschatz birgt 
viele der köstlichsten Sachen, deren Vortrag den gebildeten Sängern 
Pflicht sein mösste. Die Direction der philharmonischen Concerte 
ist doch wahrlich in der beneidenswerthen Lage keine Rücksicht auf 
die Launen der Sänger nehmen zu müssen. Sie könnte, was andern 
Concertgebern sehr schwer fällt, gewiss den von ihr engagirten Sän- 
gern sagen , diese oder jene gute Composition wünschen wir in un- 
serm Concert gesungen zu sehen. Sollte aber der Geschmack des 
Publikums als Veranlassung solcher Wahl angeführt werden, so er- 
laube ich mir das als Irrthum zu bezeichnen. Gesetzt aber die Zu- 
hörer würden solche unbedeutende Sachen wirklich erwarten, so 
wäre es', denke ich, die Pflicht eben so unabhängiger Directionen stets 
nur das Bedeutende zu geben und so den Geschmack des Publikums 
zu heben und zu bilden. Ich weiss, dass diese Bemerkungen Beifall 
bei der grossen Mehrheit finden werden. 

Unter mehreren andern Concerten , welche noch Statt fanden, 
entziehen sich diejenigen, welche für die Unterstützung leidender 
Künstler gegeben wurden , allerdings in künstlerischem Bezug jeder 
entschiedenen Beurtheilung. Indessen benutze ich diese Gelegenheit 
um gegen den Missbrauch zu protestiren, welcher fortwährend auf 
diesem Gebiete mit der Tonkunst getrieben wird So wenig es mir 
einfallen kann es zu tadeln, wenn die edle Muse ihren Zauber da er- 
tönen lässt, wo es gilt die Hand des Wohlhabendem willig zu öffnen, 
so sehr scheint es mir doch eine, Herabwürdigung der Kunst zu sein, 
wenn so ausserordentlich zahlreiche grössere Musikaufführungen nur 
dann zu Stande zu bringen sind , indem irgend eine milde Anstalt 
die Hörer dazu zusammensucht. Ich glaube es bedauern zu müssen, 
dass man die Künstler, sobald sie für ihre eignen Vortheile Concerte 
geben sehr vielfältig so nachlässig behandelt, als ob sie etwas Ta- 
delnswerthes unternähmen. 

Es wäre mir höchst erfreulich, wenn meine Worte andere Ihrer 
Berichterstatter zur lebhaften Aeusscrung über diesen Gegenstand 
veranlassen sollten, den ich für unsere musikalischen Zustände von 
grosser Bedeutung halte. 

Der vortreffliche Violinspieler Herr Böie in Altona, welcher wohl 
mehr als uns angehörig betrachtet werden kann, gab am 19. Februar 
ein Concert in Altona , worin er ein Concert von David mit sehr 
shönem Vortrag ausführte. Der gebildete feinfühlende Künstler macht 
sich immer in seinen Leistungen so geltend, dass ich lebhaft bedaure, 
dass er nicht an einem Orte lebt , wo seine schönen Gaben einen 
bedeutenderen Wirkungskreis finden. Ueber ein herrliches vor Kur- 
zem erst erschienenes Quintett (für 2 V. A. und 2 Celli) in C-dur 
von Fr. Schubert, dem überreichen , der 25 Jahre nach seinem Tode 
noch in so strahlender Weise unter uns tritt, behalte ich mir einen 
Bericht vor, bis es mir vergönnt ist, es noch einmal zu hören. Mö- 
gen vorläufig alle Freunde guter Musik sich beeilen, es sich zu ver- 
schaffen. Ernst. 



<i >IO» 



AUS PARIS. 

Wenn vormals nach alter Sitte die Fastenzeit in Paris geheiligt 
wurde und das Theater vierzehn Tage lang bis Ostermontag zu 
feiern gehalten war, so ist im Laufe der Zeit nebst manchem andern 
auch dieser Zwang abgeschüttelt worden , und die fünf grossen Büh- 
nen begnügen sich die drei letzten Tage der Osterwoche zu schlies- 
sen, die kleinen gar nur einen, und am beglückenden Ostersonntage 
sind alle Thore und Eingänge wieder aufgeschlagen und des nimmer 
rastenden Besuchs gewärtig. In der stillen Woche wird freilich mit 
sogenannten geistlichen Concerten oder Conccrts spirituels geprunkt, 
die Conservatoiregesellschaft gibt deren zwei , am Charfreitage und 
am darauffolgenden Sonntage, ausnahmsweise Abends; der Seghers'- 
sche Cäcilienverein thut desgleichen , und der grosse Hülfsverein für 
Tonkünstler (Association des artistes musiciens) pflegt die 'Gelegen- 
heit zu benutzen um seinen Pensionsfonds möglichst zu bereichern. 
Unter geistlichem Concert muss man sich indess etwas ziemlich — 
oder richtiger — unziemlich anderes denken, als was in Deutschland 
gewöhnlich darunter verstanden wird, Es ist darunter nicht die Aus- 



füllung eines Abends durch Ausführung eines dem Zwecke angemes- 
senen Ganzen gemeint, etwa durch ein Oratorium oder irgend ein 
ernstes oder auch nur durch eine Reihe von Musikstücken religiösen 
Inhalts zur Erbauung der Zuhörer, sondern die Wahl beschränkt sieh 
auf das gewöhnliche. Repertoire eingeübter, mitunter höchst weltli- 
cher Werke , denen der Rubrik zu Ehren einige geistliche Stücke 
beigegeben werden. So gab das Conservatoire , oder richtiger die 
nach ihm benannte Gesellschaft (denn Viele im Auslände verwech- 
seln diese Concerte immer noch mit den wirklich - Conservatoirecon- 
certen, d. h. mit den öffentlichen Uebungen der Zöglinge der Anstalt) 
am Charfreitag nicht, wie es füglich hätte geschehen können, Mo- 
zart's Requiem vollständig, sondern nur vier Stücke daraus: Rex 
tremendae etc., Confutatis, Recordare und Lacrymosa, dazu ein Vio- 
linsolo von Dancia vorgetragen und die Freischütz - Ouvertüre , t als 
Grundlage die C-moll-Sinfonie. Am Ostcrsonntag einzelnes aus Beet- 
hoven's „Christus am Oclberg'*, Mozart's Motette „Ne pulvis", Haydn's 
Nationalhymne und Variationen von sämmtlichen Streichinstrumenten, 
eines der Kunst- und Glanzstücke der Gesellschaft und zu würdiger 
Beschliessung des geistlichen Concerts die Tellouverture. Der Cäci- 
lienverein gab, einigermassen angemessener, einiges aus Mondelssohft's 
Lobgesang mit Begleitung des Harmoniums , Lauda Sion und Kre- 
nungsmarsch von Cherubini, Adoramus te von Palestrina, Ouvertüre 
und Arie „O Isis und Osiris" aus der Zauberflöte und die Pastoral- 
Sinfonie. Das vom Hülfsverein veranstaltete Concert war glänzend 
ausgestaltet. 150 Instrumentisten von Bousquet angeführt, ein eben- 
so zahlreicher Sangerchor von Eduard Batiste, dem Director der im 
Conservatoire eröffneten Volksgesangsclasse, und Cornette geleitet; 
dabei das ganze Personal der komischen Oper, die besten, d. h. 
Bussine, Masset, die Damen Ugalde, Lefebre, Miolan, Wertheimber 
u. a. nicht ausgenommen, die der Direktor Herr Perrin nebst seinem 
Hause grossmüthig zu Gebote gestellt. Programm: Einzelne Num- 
mern aus Rossini's Stabat mater, Noel oder Weihnachtslied für So- 
pran mit Orgel- nnd Harfenbegleitung von Adolph Adam; zwei Num- 
mern aus der Cäcilienmesse von Amb. Thomas; zwei aus der Messe 
von Adam, Ave verum von Gounod, Pie Jesu von Zimmermann und 
Krönungsmarsch von Lesueur. Das Pie Jesu gefiel sehr und musstc 
j wiederholt werden. Zur Abwechslung traten dazwischen Vieuxtcmps 
und Emil Prudent auf, dieser mit Somnambule und Fecntanz. We- 
nigstens ist von diesem Concert doch zu rühmen, dass es reine fünf- 
tausend Franken eingebracht. (Fortsetzung folgt.) 



NACHRICHTEN. 



Frankfurt a. M. Herr Nolden, Opernsänger aus Gotha, ist 
hier engagirt worden. Dagegen verlässt Frau Behrens-Brandt die 
hiesige Bühne schon wieder und geht nach Prag zurück, wo sie eint 
neues Engagement angenommen hat. — Ander (rat am 22. ds. als 
Johann von Lcyden hier auf und wurde vom Publikum eben so stür- 
misch applaudirt, wie in Darmstadt, wo er seine bedeutendsten Rol- 
len gesungen hat. 



Dresden. Fräulein J. Ney ist hier angekommen und wird mit 
Beifall überschüttet. 



Leipzig. Am 2. April fand die Stiftungsfeier des hiesigen 
Conservatoirs (nach zehnjähriger Wirksamkeit) statt. Dieselbe ward 
mit einem Concert im Gewandhaussaale eröffnet, dessen Ertrag zur 
Errichtung einer neuen Freistelle bestimmt war. In demselben 
kamen zur Aufführung: Recitative und Chöre aus Mendelssohn*« 
Christus, der erste Satz einer Sinfonie von Grimm aus Petersburg 
«nd eine Festouverture von E. Büchner, beides Schüler des Conser- 
vatoriums. Ausserdem traten mit Solo- und Gesangsvortr&gen auf: 
Kammermusiker Riccius aus Dresden, 0. Goldschmidt aus Hamburg, 
Frau Dr. Reclam , Frl. Bleyl vom hiesigen Stadttheater und FräiiJ. 
Joxeli, sämmtlich ehemalige Schüler des Conscrvatoriums. Die Lei- 
stungen der letzteren Dame als Liedersängerin wurden besonders 
gerühmt. Die Anstalt zählt bis jetzt 428 Schüler und Schülerinnen, 



— 68 



*— Frl. Marra Vollmer hat ihr hiesiges Engagement angetreten. Frl. 
3, Ney von Dresden hat hier am 12. ein Gastspiel eröffnet. Ihre 
erste Rolle war „Norma". — Der Tannhäuser hat in 9 Wochen 11 
Vorstellungen zu erhöhten Preisen erieht. — Die Bach-Stiftung hat 
den zweiten Band von Bach's Werken ausgegeben. Derselbe enthalt 
10 Kircheitcantaten. 



Berlin. Die Gesellschaft des Direktors Woltersdorf aus Kö- 
nigsberg beginnt ihre Vorstellungen am 15. Mai. Sie wird unter An- 
derm die Nibelungen von Dorn aufführen. Als neue Opern, die zur 
Aufführung angenommen sind, werden genannt : Schlösser , Karl II- 
Jugendjahre. Katharina Cornaro \on Lachner wird neu einstudirt. 

Der Domchor ist von seiner Kunstreise zurückgekehrt. 



IiOndon» Im Coventgardentheatre debutjrte der Tenorist Luchesi 
im Barbier und im Liebestrank und wurde lebhaft applaudirt. Mario 
wird am 1. Mai in Rigoleüo zum Erstenmale auftreten. 



GltickstAdt. Das hiesige Theater ist zur Schlafstelle fttr die 
2ücht)inge eingerichtet worden! 

Zürich«. Am 1. April schliesst Direktor Löwe die hiesige Buhne« 
R. Wagner las vor kurzem seine neueste Opern-Dichtung : »Der Ring 
der Nibelungen" an 4 aufeinanderfolgenden Abenden öffentlich vor. 



Wien. Die bedeutendsten Mitglieder der italienischen Oper sind 
bereits für die folgende Saison engagirt worden. Die letzten Vor- 
stellungen waren Don Pasquale, Norma, Teil, Barbier, Lucia. An- 
gekündigt ist Don' Juan als Benefiz »für die Medori, welche als Donna 
Anna Ausgezeichnetes leistet. — Direktor Witte aus Pest ist hier, 
um eine deutsche Operngesellschaft für sein Theater zu rekrutiren. 
— Fräul. Therese Milanollo hat ihr Abschiedsconcert angekündigt. 
Heber ihre Erfolge ist nichts mehr zu sagen. Sie ist hier das enfant 
cheri des musikliebenden Publikums, wie überall. Leider sollen sich 
bereits Spuren zeigen , dass mit der Zeit aus dem enfant cheri ein 
enfant gate" werden kann. Doch dies ist ja das Verhängniss jedes 
Künstlers der Neuzeit. — Die Gebrüder Wieniawski, welche zu dem 
bessern Theil der concertgebenden Musiker gehören , sind nach Kra- 
kau abgereist. 

Strasburg. In dem nächsten Monate wird die Operngesell- 
schaft des Herrn Hehl, gegenwärtig in Bern, hierherkommen und eine 
Reihe Vorstellungen geben. 

Paris. Die neuen Opern folgen einander mit unglaublicher 
Schnelle und was das Beste ist ; die Theaterdirektoren , welche an- 
derwärts an einer Novität einen ganzen Winter zehren, wetteifern CJ 
hier miteinander, wer dem Publikum die meisten und besten Neuig- 
keiten vorführt. Es gilt dies zwar nur von der Opera comique und 
dem Theatre lyrique — die grosse Oper gleicht ihren auswärtigen 
Col legen auf ein Haar und bewegt sich ewig in ihrem Repertoire 
fünfaktiger Kiesenopern ; höchstens zur Abwechslung kommt einmal 
Rossini oder gar Verdi — aber die beiden genannten Bühnen ver- 
treten auch gauz allein die französische Musik und sind wirkliche 
Nationaltheater. Kaum sind die ersten Vorstellungen von Marco 
Spada (Auber), von Tonelli (A. Thomas) und Les Amours du Diable 
(Grisar) vorüber, und schon lockt ein neues Werk von Adam „Le 
Roi des Halles" das Publikum in das Theatre lyrique und verspricht 
eine Zugoper zu werden. Die Musik wird sehr gerühmt und beson- 
ders der zweite Akt soll reich an interessanten Partieen sein. Aus- 
serdem bereitet die Opera comique eine neue Oper von Halevy vor 
und auch von Gounod, einem jungen talentvolle!] Musiker wird eine 
einaktige Piece angekündigt. — Die eigentliche Concor tzeit ist zu 
Ende und die bedeutendsten Virtuosen verlassen Paris. Vieuxtemps 
und Servais sind, nach Brüssel gereist. 

Amsterdam. Die Stadt hat den Bau eines neuen Theaters im 
grossartigsten Masstabe mit einem Bazar und Galerien projeetirt 
Die Kosten sind auf 600,000 Frcs. veranschlagt. 



ChHstiania» Der König hat der hiesigen Universität die 
Summe von 2500 Spcciesthale» Übermacht» mit der Bestimmung, dass 
die Zinsen alljährlich einem talentvollen Studenten der Universität, 
welcher sich mit Erfolg der Musik widmet, zuerkannt werden sollen. 



New-York. Mad. Sonntag ist mit ihrer Truppe nach Phila- 
delphia abgegangen, wo sie eben so enthusiastische Aufnahme findet 
wie hier. Die Gesellschaft der Mlle. Alboni hat sich mit der vor 
Kurzem aus Mexico angekommenen italienischen Compagnic des Hrn. 
Maretzek vereinigt und wird im Niblo Theater folgende Opern geben : 
Die Stumme, Robert, Semiramis, Tancred, Gazza ladra u. Prophet. 



Moskau« Das grosse kaiserliche Theater ist am 27. März ein 
Raub der Flammen geworden. 



CÖln. Auf der Durchreise nach England trat Staudigl einmal 
hier auf und zwar als Bertram. — Flotows „Indra" ist bei der ersten 
Vorstellung durchgefallen. — Direktor Spielberger hat das Würzbur- 
ger Theater übernommen und wird Köln bald verlassen. 



Stuttgart. Frl. Storck von Wiesbaden eröffnete am 17. ein 
Gastspiel mit Agathe. 

Wiesbaden, Das hiesige Theater ist wie gewöhnlich vom 18. 
April bis 7. Mai geschlossen worden. In dem Personal der. Oper 
stehen bedeutende Veränderungen bevor. Kapellmeister Schindel- 
meisser hat einen Ruf nach Darmstadt erhalten. Ob er demselben 
folgen wird, ist noch unbestimmt. 



* * 

* 



Der Vorstand der Deutschen Tonhalle in Mannheim hat 
ein Mitgliederverzeichniss und den Kassenbestand des ersten Ver- 
einsjahres veröffentlicht. Letzteres stellte sich in diesem Jahre (vom 
ersten Lenzmonat 18 5 %, 1 Jahr) : 

Einnahme ; | Ausgabe : 

i a) Schreibbedürfnisse 1 4 fl. 30 kr. 
b) Druck- u. Schreib- 
kosten . . . 47 fl, 50 kr. 



a) 

c) 



d) 



94 fl. 56 kr. Eintrittsgeld. 
134 fl. 12 kr. Beiträge. 
68 fl. 41 kr. Mehr- u. über- 
haupt Beiträge 
1 fl. 58 kr. Sonstige Ein- 
nahme. 



c) Post- und Sendge- 
bühren . . 

d) Zu einem Preis 
verwendet . 

e) Verschiedenes 



39 fl. — kr. 



84 fl. ~kr. 
21 fl. 39 kr. 



299 fl. 47 kr im Ganzen .... 196 fl. 59 kr. 

(Kassen- Vorrath 102 fl. 48 kr.) 
Die Mitgliederzahl beträgt 179. 



* * 



Der Lütticher Gesangverein Orpheus hat den deutschen 
Liedertafeln angezeigt, dass am 12. Juni a. c. bei Gelegenheit der 
Geburtstagfeier des Erbprinzen ein Gesangwettstreit stattfinden wird, 
dessen Anordnung und Leitung ihm anvertraut worden ist und ladet 
sie ein, an diesem Feste theilzuuehmen. Als Preise für die fremden 
Vereine sind zwei Medaillen von 300 und 250 Frcs. Werth ausge- 
setzt. Die Fahrpreise für die Sänger sind auf den belgischen Eisen- 
bahnen auf die Hälfte herabgesetzt. 



* , * Im Jahre 1839 besuchten Lafont, der berühmte Violinist, und 
H. Herz, der bekannte Pianist, die Pyrenäen und die dortigen war ? 
men Bäder. Am 24. August befanden sie sich auf der Strasse von 
Bagneres nach Tarbes als in der Mitte des Weges der Wagen um- 
stürzte und durch seinen Sturz auf die danebengelegene Wiese Lafont 
auf der Stelle tödtete. Das Andenken an diese traurige Katastrophe, 
durch welche Frankreich einen seiner tüchtigsten und liebenswürdig* 
sten Künstler verlor, soll jetzt durch ein Denkmal, an der Stelle, wo 
Lafont starb, errichtet» verewigt werden, und es hat sich bereits eine 
Commission gebildet» welche zu Unterzeichnungen für das beabsichtigte 
Monument auffordert. 

Vm&twortlidtK R«d-Jtte-.r: 1. j. SCHOTT. - Bmk tra BÄJTER * WA1LAU m Mar» 



2. Jahrgang. 



Mr. 18. 



2. Hai 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



I 

i Dfei« Zeitung erscheint Jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Unsik- and Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 

von 



B. SCHOTT S SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI OEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 



1. 3. «3 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 

flr den Jahrtani- 

Darch dia Post beiafon: 

50 hr. «dar IS Sjr. »or Ooartai. 



Inhalts Geschichte eines Klaviers. — Corr. (Mainz, Dresden und Karlsruhe). — Nachrichten. 



GESCHICHTE EINES KLAVIERS, 

von diesem selbst erzählt und veröffentlicht durch 
Theodor Hagen« 



VORWORT. 

Wie ich dazu komme, meine Geschichte zu erzählen? Weil es 
weit weniger meine Geschichte ist, als die von Dingen und Men- 
schen, die in den letzten fünfzehn Jahren mit der Kunst oder dem, 
was man so zu nennen pflegt, in die innigste Berührung gekommen 
sind, weil ich vielleicht mehr als irgend ein Anderer, im Stande bin, 
das Innere dieser „Kunst", deren Mark und Bein, deren Triebfedern 
und Resultate an's Tageslicht zu ziehen , weil ich glaube , dass die 
Koulissengeheimnisse der modernen Kunst, ohne deren Kenntniss am 
Ende über die letztere kein vollständiges Urtheil möglich ist, 
keine kompetenteren Richter haben können als uns arme Geschöpfe, 
voll denen so Wenige Notiz nehmen, trotzdem, dass wir so entsetz- 
lich vielen Spektakel machen müssen. Vielleicht mag dieses Letztere 
mit ein Grund meines Auftretens sein, oder vielmehr, lasse es mich 
gestehen, es ist die Haupt veranlassung zu dieser Biographie; denn 
ich hege im Verein mit meinen verehrten Brüdern und Schwestern 
die Ansicht, dass von dem Augenblicke an, wo die Instrumente 
der Kunst aus freien Stücken zu reden anfangen , diese selbst viel- 
leicht zum Schweigen gebracht werden wird, was nach Meinung Vie- 
ler gar nicht so schlecht sein soll. Man sieht, auch wir, die wir 
mit Recht die Rinder des Menschengeschlechts genannt werden kön- 
nen, haben etwas von dem Erbtheil des letzteren, dem Egoismus ab- 
bekommen; aber der Wahrheit die Ehre, wir werden zu sehr in An- 
spruch genommen , als dass wir nicht zu allen möglichen Mitteln 
greifen sollten, uns etwas Ruhe zu schaffen. Und dann, wer weiss, 
ob mit der Aufzählung unserer Lebensereignisse der Kunst der Zeit 
nicht ein besserer Kommentar zu Theil werde, als durch Kritiken 
über solche Gegenstände, die die Einbildung des Kritikers sich selbst 
geschaffen hat, über Werke der Zukunft, die in der Gegenwart gar 
keine Wurzel haben, und auf die Vergangenheit hinweisen , wie der 
Zeiger einer abgelaufenen Uhr. Die Gegenwart hat ihre grossen 
Rechte. Schlimm, wer sie verkennt. Nur, wer die Gegenwart schil- 
dern kann , aber so , dass das ganze Gerippe bis in die kleinsten 
Knochengewinde hinein klar und durchsichtig vor uns liegt, nur der 
hat ein Urtheil über die Bedeutung und Bildungsfähigkeit des Inhal- 
tes dieser Gegenwart für die Zukunft. Und sollten nicht gerade wir, 
die wir so oft zu nicht beachteten Zeugen der Geheimnisse der mo- 
dernen Kunst gemacht worden, sollten nicht wir am geeignetsten sein, 
den nach Verständniss Suchenden , kurz Allen , die sich orientiren 
wollen, in solche Windungen , in solche Gänge und Höhlen des Ge- 
bäudes der Kunst zu führen, welche der Seh- und Urtheilskraft der 
Mehrzahl bis jetzt verschlossen waren. Wie — wir, die wir durch Ge- 
burt und Stellung die unabhängigsten Kritiker der Welt, die wir weder 
durch Rücksichten des Magens, der Eitelkeit, noch durch gesellschaft- 
liche Vorurtheile gefesselt sind, wir sollten von diesen ausserordent- 



lich geistigen Bedingungen, wenn auch am Ende ohne allen Nutzen 
für uns selbst , doch zum Besten der Sache , der Kunst und der 
Künstler, keinen Gebrauch machen? Nein, in diesen Tagen der Kri- 
tik hiesse es wahrlich unsere Aufgabe verkennen, dem Geiste der 
Zeit selbst dann nicht Rechnung zu tragen, wenn sich Alles zu ver- 
einigen scheint," uns den Beruf dazu aufzudringen. Mag man sagen, 
was man will , Eins ist gewiss — wenn wir Instrumente anfangen, 
unsere Geheimnisse auszuplaudern, werden die der Kunst in einem 
andern Lichte erscheinen. Desshalb , muthig voran , die Geschichte 
der Kunst wird unsern Beitrag nicht zurückweisen. 



I. 

Es mögen jetzt fünfzehn Jahre her sein, dass ich aus den Hän- 
den meiner Väter hervorging. Als achtes Pariser Kind hatte ich 
natürlich deren mehrere, und noch dazu von allen Nationen. Den 
Körper gab mir ein Franzose, an der Seele hatten Deutsche und 
Spanier gearbeitet, so dass ich Miene machte, einen metaphysisch 
sinnlichen Charakter anzunehmen, bis am Ende der Egaliseur, eine 
gute deutsche Haut, der die letzte Hand an meine Erziehung zu legen 
hatte, in die verschiedenen Theile meiner inneren Beschaffenheit 
Harmonie zu bringen wusste , und auf diese Weise bewirkte , dass 
ich als ein durch und durch wohlerzogenes Piano Demjenigen über- 
liefert werden konnte, der vor der Welt das Amt meines legitimen 
Vaters zu spielen hatte. Dieses letztere geschah von seiner Seite 
um so lieber, als ich zu den „Gelungenen" gezählt wurde, und einen 
respectablen Profit in Aussicht stellte. In der That, als ich zum 
ersten Male in den Saal gebracht wurde, wo wir Kinder des Hauses 
unsere Zusammenkünfte hielten, empfing mich das Gemurmel einer 
angenehmen Ueberraschung. Meine Geschwister wünschten mir Glück, 
einige aufrichtig, andere in einer stark prononcirten gesellschaftlichen 
Manier; mein Nachbar zur Linken, ein grosser Flügel, meinte sogar 
er hätte noch nie einen so hübschen Kollegen an seiner Seite gehabt. 
Dieses Kompliment wollte übrigens nicht viel sagen; denn besagter 
Flügel drohte schon sehr stark die Gränzen des „Gangbaren" zu 
überschreiten, und hatte demzufolge schon lange mit dem Leben und 
dessen gesellschaftlichen Atributen, als da sind : Neid, Missgunst etc. 
abgeschlossen. Als mein Vater mich zum erston Male sah, schmun- 
zelte er, und nahm mit unverschämter Gemüthsruhe die Lobeserhe- 
bungen, die man seiner vermeintlichen Vaterschaft zollte, entgegen. 
'Schon damals lernte ich erkennen, dass man in dieser Welt nur 
nöthig hat, etwas zu scheinen, um es auch schon in der Meinung 
jener zu sein. 

Ich Wurde also hübsch befunden. Man lobte mein schmuckes 
Aeussere, das, beiläufig gesagt, sehr klein war, so dass ich mit Recht 
Pianino genannt wurde, meinen feinen angenehmen Ton, die Gleichheit 
und Bildangsfähigkeit desselben. Alle Welt schien mit mir zufrieden 
zu sein, sogar meine neidischen Kollegen wurden liebenswürdig gegen 
mich und erzählten mir schnurrige Geschichten von den Menschen, 
die man Künstler nennt. Sie suchten mich für die Welt vorzuberei- 
ten , nicht , indem sie auf recht menschliche Weise einen Schleier 



- 70 



davorzogen, sondern indem sie die Blossen derselben aufdeckten. — 
Die Lehren, die ich erhielt, und die ich im Anfang für falsch und 
übertrieben erachtete, sind mir später nur zu richtig erschienen und 
meiner Urteilskraft so sehr zu Statten gekommen, dass ich noch 
jetzt an jene ersten Begegnisse auf meinem Lebenswege mit Dank 
zurückdenken muss. 

Ich mochte wohl zwei läge im Kreise meiner „Lieben" zuge- 
bracht haben , als ich am dritten , ungefähr um die Mittagszeit, eine 
junge Dame, einen ziemlich langen Herrn und meinen Papa in den 
Saal treten sah. Alle drei kamen auf mich zu. War es Galanterie 
oder eine mir innwohnende Empfänglichkeit für Schönheit und Grazie, 
genug, von den drei Personen, die mich umstanden, hatte nur eine 
Reiz und Interesse für mich, sah ich gleichsam nur eine, und diese 
eine war eben die junge Dame. Was sollte ich auch mit den beiden 
Uebrigen anfangen ? Meinen Papa kannte ich schon zur Genüge, und 
der Andere war so lang und schlottrig, und sah vielmehr einer Leiche 
denn einem lehenden Wesen gleich, als dass mein Auge mit Wohl- 
gefallen darauf hätte ruhen können. Aber sie, sie war reizend, nicht 
ganz jung, vielleicht zwei, drei und dreissig, unbedingt verheirathet, 
aber schön, mit wollüstigen , runden Formen, mit dunklen Augen, 
mit einem allerliebsten Stumpfnäschen, mit einem Grübchen im Kinn 
und einer Kreolenfarbe. Ich habe viele Frauen gesehen , keine hat 
auf mich vom ersten Augenblicke an einen solchen bleibenden Ein- 
druck gemacht, als diese, und daher mochte ich auch wohl die Schauer 
eines herannahenden Glückes empfinden, als mein Papa mich auf- 
schloss, einen Stuhl vor mich schob , und mit einer graziösen Ver- 
beugung die Dame darauf hinwies: Aber, wie erstaunte ich, als sie 
dieselbe Verbeugung, aber mit dem reizendsten Lächeln von der Welt 
wiederholte, und zwar — wem? — ihrem langen Begleiter, der mir 
nichts, dir nichts von dem Stuhle Besitz nahm, und sich anschickte, 
seine Gespensterhände auf mich zu legen. Was war das für ein 
Mensch, dem sie mit einer solchen Freundlichkeit, mit einer solchen 
Ehrerbietung, ja, ich fühlte es, mit einer so innigen Bewunderung 
den Sitz einräumte? Ich fürchtete die Berührung dieses Menschen 
und doch konnte ich nicht umhin, ihn jetzt, da er vor mir sass , in- 
teressant zu finden. Ich musste unwillkürlich in die geisterhaften 
Züge hineinsehen, und je länger ich sah, desto mehr Leben fand ich 
darin. Und als er gar die Finger über meine Tasten gleiten liess, 
als er zu spielen anfing, da wusste ich nicht mehr, was ich aus die- 
sem Menschen machen sollte? Da sah ich nur noch ihn, da waren 

die Uebrigen vergessen. 

(Fortsetzung folgt.) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS MAINZ. 

(29. April.) 

Gestern fand ein sehnlichst gehegter Wunsch unseres gesammten 
Thealerpublikuras seine Befriedigung, indem der k k. Kammersänger 
Alois Ander aus Wien, der schon seit einiger Zeit in Darmstadt 
und Frankfurt abwechselnd Gastrollen singt, auch von der hiesigen 
Theaterdirektion für eine Gastvorstellung gewonnen wurde, und dem- 
nach in der Partie des Lionel in Flotow's „Martha" unsere Bühne 
betrat. Ander ist einer der wenigen deutschen Tenoristen, welchen 
ein allenthalben anerkannter wohlbegründeter Ruf zur Seite steht, 
und es ist über die Vorzüge seiner herrlichen, metallreichen, Kraft 
mit Weichheit verbindenden Stimme, sowie über seine vortreffliche 
Schule und die durchaus edle und verständige Auffassung seiner 
Bollen schon so Vieles und von so vielen Seiten berichtet worden, 
dass wir uns wohl der Mühe überheben können das bereits ohne 
Widerspruch Anerkannte, hier noch einmal zu wiederholen. Uns 
bleibt nur zu berichten übrig , dass die wundervolle Leistung Ander's 
gerade am Schiasse, der diesjährigen Theatervorstellungen und unmit- 
telbar vor dem Abtreten der gegenwärtigen Direktion, wie köstlicher 
Balsam in die vielen und schweren Wunden desjenigen Theiles der 
leidenden Menschheit sich ergoss, welcher den ihm für den vergan- 



genen Winter beschiedenen Antheil irdischer Drangsale in der Gestalt 
von Opern Vorstellungen über sich ergehen zulassen bestimmt waren. 
Man drängte sich in das Theater, um Ander's Zaubertöne zu hören, 
und sobald diese einmal erklungen waren, vermochte nichts mehr 
die Begeisterung der entzückten Hörer abzukühlen; weder das ent- 
setzliche Detoniren der beiden Primadonnen , die , wirklich um die 
Wette falsch sangen, noch die beispiellose Confusion in der Abhas- 
pelung der Ensemblestücke, weder der schreckenerregende Anblick 
des Chors,' noch Tristan's Judenbart unter der Lockenperrücke. Allen 
Sündern ward vergeben , um des Einen Gerechten willen , um 
somehr als die halsbrechende Schnelligkeit der meisten Tempi's die 
Ungebührlichkeiten einestheils vermehrte und doch auch zugleich ab- 
kürzte. Der allgemeinen Erwartung, dass Ander uns mit einer zwei- 
ten Gastvorstellung beglücken werde , konnte leider nicht mehr ent- 
sprochen werden, und so nehme denn der holde Sänger unseren Dank 
für den seltenen Genuss, den sein Erscheinen uns bereitet , und der 
schon bei seinem Auftreten in den lebhaftesten Beifallsbezeugungen 
und reichlichen Blumenspenden seinen Ausdruck fand. 



AUS DRESDEN. 

(18. April.) 

In unserer aufgeklärten Zeit gibt es eine grosse Menge überver- 
ständiger Leute , welche die Wahrheit der alten deutschen Sprüch- 
wörter nicht nur unglSubig-lächelnd zu bezweifeln wagen , sondern 
sie ohne Weiteres vornehmthuig in die Kategorie des verbrauchten, 
längst abgenutzten mittelalterlichen Wustes werfen , und dabei ver- 
gessen, dass doch so manches andere Mittelalterliche auch in unsern 
Tagen eines gar behaglichen Daseins sich erfreut. Im Interesse der 
Wirkung des Glaubens möchte ich diese Freigeister nur an das alte 
Wort vom „hoffen und harren" erinnern, und sie zum Beweise für 
die unumstössliche Wahrheit desselben auf das Opernrepertoir unse- 
rer Bühne hinweisen. Wenn man weiss, dass seit achtzehn Mona- 
ten uns keine einzige grössere Oper geboten, dass selbst seit länger 
als vier Monaten auch keine neueinstudirte Oper uns vorgeführt, und 
so manche nach beiden Kategorien in Aussicht gestellte immer und 
immer wieder „wegen plötzlich eingetretener Hindernisse" verschoben 
oder gänzlich zurückgelegt worden : der wird in der That, er gehöre 
denn zu den radteal unverbesserlich Ungläubigen, die Wahrheit jenes 
Sprüchwortes nicht einen Augenblick länger in Zweifel ziehen, „Es 
ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu" — leider, leider! 
Aber die deutsche Geduld ist so unendlich, der deutsche Hoffnung«- 
muth so unverwüstlich, dass sich immer wieder ein Häkchen findet, 
an das man die Feder anzubringen weiss, und gerade das allerneucste, 
jetzt gerade Köpfe und Beine und Hände bewegende physikalische 
Phänomen, ich meine das wunderbare Tischrücken (das beiläufig 
bemerkt, früher in Bonn als in Bremen mit vollendeter Wirkung exer- 
cirt worden), — gerade dieses Phänomen bietet wieder ein solches 
Häkchen dar. Ich erlaube mir nämlich , da jener Veitstanz sich be- 
kanntlich auch bei anderen Gegenständen erregen lässt, den beschei- 
| denen und unmassgeblichen Vorschlag , man wolle einmal unser jet- 
ziges Opernrepertoir statt eines Tisches verwenden, vielleicht gelingt'» 
einer Anzahl robuster Kunstfreunde dasselbe in Bewegung zu setzen, 
was um so leichter möglich sein dürfte , da ja eine Art von Bewe- 
gung, nämlich die rotirende um die eigene Achse, schon vorhanden 
ist. Es käme auf einen Versuch an ; Veranlassung, auch an andern 
Orten ihn in Anwendung zu bringen, wird ja wohl auch nicht fehlen ! 
Habe ich Ihnen sonach von wirklichen Neuigkeiten aus den letzt- 
verflossenen Wochen nichts mitzutheilen , so hat es doch an Interes- 
santem nicht so ganz gefehlt, als man hiernach fast meinen sollte. 
Dahin darf man vornehmlich die Debüts unserer neuen Primadonna, 
des Frl. Jenny Ney zählen, welche die regste Theilnahme unseres 
Publikums in Anspruch nahmen und mehrmals das Haus bis auf den 
letzten Platz füllten, — ein Beweis, wie man sich freut, durch dieses 
Engagement die Sehnsucht nach einer kräftigen, schönen und jugend- 
frischen Stimme befriedigt zu sehen , und dass diese Freude in all 
den äusserlichen , bei'm Theater herkömmlichen Zeichen der Aner- 
kennung sich aussprach , war natürlich und stand zu erwarten. Es 
hätte besonderer Anstalten dazu nicht bedurft, wozu ich das sehr 



71 - 



deutliche Auftauchen einer Glaque und die hier ziemlich auffällige 
Manifestation des Kränzewerfens bei dem ersten Auftreten allerdings 
rechnen muss. Ich habe die künstlerische Bedeutung dieser Sänge- 
rin bei Gelegenheit ihres vorjährigen Gastspieles (Nr. 14. ds. Bl. v. 
vor. J.) schon zu characterisiren versucht^ und will das dort Gesagte * 
nicht wiederholen, zumal sie zum grössern Theil ihre damaligen Rol- 
len (Norma, Donna Anna, Agathe) jetzt wiederholt und nur als Va- 
lentine und Rezia uns neu war. Ihre bedeutendsten Leistungen wa- 
ren auch diesmal die Norma und die Agathe, denen sich im Ganzen 
sehr wirkungsvoll die Valentine anschloss. Die Donna Anna und 
die Rezia (letztere unbedingt die schwächste Leistung, namentlich in 
der Vision und der grossen Sceue des zweiten Aktes ) offenbarten 
eine zu prosaische Auffassung, einen Mangel an Poesie, der durch 
viele treffliche Einzelheiten, selbst durch das dramatische Feuer, 
nicht aufgewogen werden konnte. Hier ist noch eine Entwicklung 
vielleicht nur momentan schlummernder Kräfte wesentliches Bcdürf- 
niss, und man darf diese wie ein immer weiteres Fortschreiten nach 
dem Ziele möglichster Vollendung hin von der fleissigen Künstlerin 
zweifelsohne erhoffen. Bei dieser Wiedervorführung des „Oberon" 
hat sich — im Allgemeinen — die wirklich abstossende Abgeschmackt- 
heit des Textes, namentlich des Dialogs, für unsere Zeit sehr fühl- 
bar gemacht. Man hat endlich seit einigen Jahren auf den bedeu- 
tenderen deutschen Bühnen dem unsterblichen Mozart sein Recht an- 
gedeihen lassen , indem man in seinem „Don Juan" den störenden 
platten Dialog durch Aufnahme der Recitative beseitigte. Wie wäre 
es, wenn man unserm Weber einen ähnlichen Dienst erwiese, und 
an die Stelle des geschmacklosen Dialogs im Oberon kurze , verbin- 
dende Recitative setzte? Ich wünschte Reissiger oder Marschner wä- 
ren die Männer zur Ausführung dieser Idee, die sich ohne Zweifel 
praktisch bewähren wird. 

Auch der Tenorist Hr. Ellinger, vom Wiener k. k. Hofopern- 
theater, trat in den letzten Tagen zweimal (als „Prophet" und „Lio- 
nel") gastirend auf, — eine Stimme mit achtem Tenorcharacter, 
kräftig, umfangreich, gut geschult , von angemessenem Vortrage und 
gewandter, durchdachter Darstellung unterstützt: etwas weniger Tre- 
molomanicr, etwas mehr Adel des Tones, vorzugsweise in den höhe- 
ren Lagen bliebe zu wünschen. Von heimischen Kräften zeichneten 
sich, als neu in ihren Rollen, während den verflossenen Wochen na- 
mentlich Frau Krebs-Michalesi, die wir bisher stets nur als Fi- 
des, Norma, El vir e (Don Juan), Valentine zu sehen gewohnt waren, 
als Nancy (in der „Martha*') und Hr. Rudolph durch eine sehr 
gelungene Darstellung des Sever (in der „Norma") aus, die ihm selbst 
neben Frl. Ney Hervorruf in offner Scene wohlverdient einbrachte. 

Der Kammermusikus Kotte, namentlich in Bezug auf schönen 
Ton, geschmackvollen Vortrag und acht klassische Behandlung seines 
Instruments einer der trefflichsten Clarinettisten, gab nach langan- 
dauernder Krankheit zum ersten Male wieder ein grosses, zahlreich 
besuchtes und von sehr reger Theilnahme belebtes Concert. Auch 
unser Männergesangverein, „Liederkreis", veranstaltete noch ein 
solches — lud doch die immer wiederkehrende winterliche Witterung 
zu derartigen nachträglichen Experimenten ein — das um seines 
wohlthätigen Zweckes willen warme Betheiligung fand und sich die- 
selbe auch durch recht gelungene Ausführung verdiente. Vorzugs- 
weise interessant war in demselben die Vorführung der meines Wis- 
sens hier öffentlich noch nicht gehörten Cantate Mozarl's: „Das Lob 
der Freundschaft", bekanntlich während der Todeskrankheit des 
Meisters komponirt (am 15. November 1791), und sonach, abgesehen 
von einzelnen Sätzen des Requiem, sein letztes Werk. Endlich gab 
auch das Blindeninstitut vor Entlassung einer Anzahl seiner 
Zöglinge abermals ein Zeugniss seiner Gesangsleistungen in einer 
kleinen Aufführung vor eingeladenen Zuhörern. Diese Leistungen 
sind unter der trefflichen Anleitung des Gesanglehrers Carl Näke 
nicht nur die tüchtigsten im Verhältnisse zu andern Blindeninstituten, 
sondern haben selbst in wohlnuancirter, präciser und acht musikalisch 
befriedigender Ausführung so manche wesentliche Vorzüge vor Chören von 
V ollsinnigen. Ich versage mir nicht, zur Charakterisirung der wohl- 
thuend künstlerisch musikalischen Richtung der Anstalt, die doch 
natürlich immer nur ein Mittel für die pädagogischen Zwecke dersel- 
ben ist, das Programm hier anzuführen. Dasselbe enthielt ausser 
einigen mehrstimmigen Liedern ernsten und heilem Inhalts von Men- 
dd s Sohn- Bar thohjy, F. Möbring etc. noch Nanint's Stabat mater, 



Mozart's „Ave verum corpus", Chor ans Titus, J. Haydn's Motette: 
„Herr, der du mir das Leben", ein Agnus Dei vou Morlacchf, Quar- 
tett mit Chor aus Romberg's Lied von der Glocke n. s. w. 



AUS KARLSRUHE. 

(An fang April.) 

Da ich Ihnen heute zum ersten Male berichte , und unsere Kon- 
zertthätigkeit mit dem Eintritt der schönen Jahreszeit wie überall 
eine mehrmonatliche Unterbrechung erleidet , so werden sich meine 
Mittheilungen mehr auf die Vergangenheit, als die nächste Zukunft 
des hiesigen öffentlichen Musiklebens beziehen , mein Bericht wird 
demnach den Charakter eines musikalischen Rückblicks auf den ver- 
flossenen Winter annehmen. 

Im Ganzen zeigte sich derselbe im Vergleich zu früheren Jahren 
nicht sehr ergiebig, denn drei Hofkonzerte, ein Konzert der Hofka- 
pelle, sechs Konzerte des Cäcilienvereins, zwei Museumskonzerte 
und ausserdem einige andere Konzerte sind die ganze Ausbeute der 
letzten Monate. 

Bei Hofe waren drei Abende der Musik gewidmet , wozu jedes- 
mal durch seine Königliche Hoheit den Regenten ein zahlreicher 
Kreis *von Zuhörern aus den höchsten Ständen geladen war. Im 
ersten Hofkonzert kamen unter Anderem zur Aufführung: Meeres- 
stille und glückliche Fahrt von Mendelssohn-Bartholdy ; Ouvertüre 
zu Cherubini's Lodoiska , Konzertarie von Mendelssohn für Sopran 
(Kammersängerin Fischer) , Violoncellkonzert von Goltermann (ilöf- 
musikus Eichhorn ) , Klarinettkonzert von Carl Maria von Weber 
(Hofmusikus Beck), Sologesänge aus Opern; Hoftheaterdirektor 
Edmund Devrient erfreute die Versammlung durch, den Vortrag, 
von Schiller's „Kraniche des Ibikus." — Das zweite Hofkonzert 
brachte die Ouvertüren zum Sommernachtstraum von Mendelssohn 
und zur Oper Zelide von Hofkapellmeister I. Strauss, Klavierkonzert 
in G-inoll von Mendelssohn (W. Kalliwoda) , Quintett aus Cosi fan 
tutte von Mozart, Scene aus Lessing's Nathan (die „drei Ringe"), 
gesprochen von Devrient etc. Als Solosänger Hess sich Herr Stock- 
hausen, Baritonist vom grossherzoglichen Hoftheater zu Mannheim 
in Arien und Liedern hören; Vorträge, welche Gelegenheit gaben, 
des jungen Künstlers gute musikalische Auffassung , verbunden mit 
sicherer Technik und hübschen Stimmmitteln, auf vorteilhafte Weise 
kennenzulernen. Ein dritter Abend wurde der Kammermusik bestimmt; 
die ausführenden Künstler waren die Herren W, Kalliwoda, Hofmu- 
sikus Will (Violine) und Eichhorn ( Violonccll) , und neben Instru- 
mentalstücken fand sich auch die Vokalmusik durch Sologesänge 
vertreten, welche die Herren Kammersänger Heizinger und Hauser 
(Baritonist vom grossh. Hoftheater, Sohn und Schüler des Direktors 
Hauser in München) , sowie einer Gesangschülerin des Herrn Pixis 
in Baden vortrugen. 

An einem besonderen Abend hatte die Darstellung von lebenden 
Bildern statt, in ihrer artistischen Ausführung von Devrient geleitet, 
der musikalische Theil komponirt und dirigirt von Kapellmeister 
Hrn. Strauss. 

Sämmtliche vier Aufführungen bei Hofe fielen in die Zeit von 
Neujahr bis zum Eintritt der Fasten. 

Das Konzert, welches von der Hofkapelle alljährlich am Palm- 
sonntage zum Besten des Unterstützungsfonds für Wittwen und Wai- 
sen des Hoforchesters veranstaltet wird, führte uns diesmal blos 
zwei Werke vor: Beethovens pathetische Sonate in C-moll, für Or- 
chester instrumentirt von Kapellmeister Schindelmeisser , eine ver- 
dienstliche Arbeit, die ebenso vorzüglich ausgeführt, als günstig auf- 
genommen wurde, und David's Odesymphonie „die Wüste". 

Von dem Cädlicnverein , einem über 800 Mitglieder zahlenden 
Verein , der seit einer Reihe von Jahren durch Musikdirektor H. 
Giehne geleitet wird, wurden bis jetzt sechs Konzerte gegeben; zwei 
weitere stehen in nächster Aussicht 

In dem ersten Konzerte (25. Oktober v. J.) traten zwei fremde 
Künstler auf: Hfrrr C. Raif, erster Hornist der k. niederländischen 
Hofkapelle in Hltag (ein Badenser), welcher als SoIoHaser auf sei- 
nem Instrumente allenthalben hier grosse Anerkennung fand, und die 
blinde Sängerinj Fräulein A. Knopp aus Berlin. Von Ersterem hör- 
ten wir Sonaten! für Klavier und Hörn (F-dur) von Beethoven , vor- 
getragen mit H Giehne, und Trahscriptionen Schubert'schen Lieder; 



— 72 



Letztere sang die Arie aas Titas von Mozart, die Arie in Es-dur 
für Alt mit Chor aus Samson von Händel, und die ganze Altparthie 
des Orpheus aus dem 1. und 2. Akt von Gluck's gleichnamiger Oper 
in Verbindung mit den dazu gehörenden Chören. 

Das zweite und dritte Konzert (4, und 20. Dezember v. J.) bil- 
deten Haydn's Jahreszeiten; die Soli waren in den Händen von Frl. 
Druck (Haniitt) , eine Schülerin des Hofkapellmeisters Strauss , der 
Herren Hof-Opernsänger Eberius (Lucas) und Kammersänger Ober- 
hoffer (Simon). 

Von dem Inhalte des vierten Konzertes (19. Februar) führe ich 
an: Hummers grosses Sextett in D-moll (die Klavierparthic vorge- 
tragen von H. Giehne), Fantasie für die Violine von Alard (Hofmu- 
sikus Berger) , Solo für das Violoncell von Kummer (Hofmusikus 
Segisser), die schöne Kirchenkanlate Job. Seb. Bach's: „Bleib' bei 
uns, denn es will Abend werden etc." mit der ursprünglichen Or- 
chestcrbegleitung , Chöre von Mendelssohn und Händel (42. Psalm 
und Samson), Sologesänge von Schubert und Mozart (Frau Fischer). 

Mit Gade's Ouvertüre „ Nachklänge von Ossian " begann das 
fünfte Konzert (14. März), ihr folgten Beethoven's Konzert für das 
Klavier in G-dur (H. Giehne), und Mendelssohn's Musik zur Racine- 
scheit Athalia mit den Zwischenreden von Ed. Devricnt; die Haupt- 
soloparthie des Soprans gesungen von der Hofopernsängerin Fräulein 
Rochlitz, die Zwischenreden vorgetragen vom Herrn Hofschauspieler 
Mayerhofer. 

Im sechsten Konzert (22. März) waren die einzelnen Nummern 
des Programms: Klarinettquintett (A-dur) von Mozart, Konzertstück 
für Klavier von C. M. von Weber (Fräulein Wolfram) , Trio von 
Beethoven in B-dur, Op. 97 (Giehne, Berger und Segisser), Chöre aus 
Händel's Messias, Hauptmann's Salve regina und Mendelssohn's 43. 
Psalm für achtstimmigen Chor (Richte mich Gott etc.) , ferner geist- 
liche Arien für Bass von Mendelssohn und Spohr (Kammersänger 
Oberhoffer). 

Das Museum, eine dem geselligen Leben gewidmete Gesellschaft, 
welche ausser den diesem Zweck bestimmten Vergnügungen jedes 
Jahr für seine Mitglieder auch Konzerte durch die Hofkapelle veran- 
stalten lässt, gab im verflossenen Winter deren nur zwei. Im ersten 
gelangten zur Aufführung : Symphonie von Beethoven (B-dur), Ouver- 
türe aus Cantcmire von Feska, Violoncellkonzert von Romberg (Eich- 
horn), Solo für das Hörn von Merkadantc (C. Raif), Arien von Ros- 
sini und Spohr, Männerquartette , sowie eine auch durch ihren Korn- 
positionswerth sehr ansprechende melodramatische Bearbeitung des 
Uhland'schcn Gedichtes! „Des Sängers Fluch" von Musikdirektor 
Krug, wobei Herr Hofschauspicler Haase die Deklamation sprach. 

Unter den Programmstücken des zweiten Museumskonzertes sind 
hervorzuheben: Symphonie von Mozart (D-dur) und Ouvertüre zu 
Egmout von Beethoven, Soloslück für zwei Waldhörner von B Rom- 
berg (die Herren Hofinusiker Schunke und Dorn), Konzertino für die 
Violine von Kalliwoda (Will) , seltsamer Weise ohne Direktion ge- 
spielt, Sologesänge von Verdi etc. 

Von den hier bestehenden Männergesangvereinen feierte der un- 
ter der Leitung des Herrn Spohn stehenden Liederkranz am 13. De- 
zember v. J. sein Stiftungsfest mit einer Gesangsproduktion und da- 
rauffolgendem Essen; jenes der Lieder halle, deren Dirigent Musikdi- 
rektor Krug ist. wurde am 12. Januar in gleicher Weise gefeiert. 

(Schluss folgt ) 

NACHRICHTEN. 



8t. «lohann und Saarbrücken. 19. April. Auch hier soll 
während der nächsten Pfingstfciertage ein Männeigesangfest staltfin- 
den, wozu durch die hiesige Liedertafel die nächstenrheinpreussischen, 
die Mannheimer und die meisten pfälzer Verein«' eingeladen sind. 
In Anerkennung der Verdienste ihres langjährigen «nd tüchtigen Di- 
rigenten (Alberts) überreichte die jetzt aus mehr lenn 100 (activen 
und inactiven) Mitgliedern bestehende Liedertafel demselben kürzlich 
einen vergoldeten Becher (Römer). 

Nachdem Herr Musikdirektor H. Küster, der sät 1845 hier thä- 
tig gewesen, uns vorigen Winter verlassen hat, und nach Berlin zurück- 
gekehrt ist , erwarb der hiesige Instrumentalverein kürzlich in der 



Person des Herrn Musikdirektors Fr. Ott zugleich einen gewandten 
Dirigenten und braven Violinspieler. 

Mannhelm. Der bisherige Regisseur Ph. Düringer ist bereits 
nach seinem neuen Bestimmungsorte Berlin, wohin er in gleicher 
Eigenschaft bei der königl. Bühne berufen wurde, abgegangen. An 
seine Stelle tritt hier Dr. Meyer, bisher technischer Leiter des Hof- 
theaters in Wiesbaden. 

Frankfurt. Am 25. sang Ander als 2. Gastrolle die Partie 
des Lyonel in Martha. Der Beifall war beinahe ein unmässiger zu 
nennen. 

— Eine neue Oper von Kittl (aus Prag) : „Die Franzosen vor 
Nizza", wurde bei der ersten Aufführung ziemlich kalt aufgenommen. 

Die Herren Schnyder von Wartensce und Rühl (Musiklehrcr) 
haben einen neuen Orchester- Verein zur Aufführung Haydn'scher Sin- 
fonien und Mozart'scher Clavier-Concerte gegründet. Etwas weniger 
Einseitigkeit könnte diesem Programme nichts schaden und würde 
dem Vereine jedenfalls bedeutenden Vorschub vor den sich schon 
seit Jahren im Zirkel bewegenden Museums-Conzerten leisten 

Würzburg, im April 1853. Unser geehrter Landsmann, H. 
Lanterbach, Profesor am k. Conservatorium in Brüssel, gab kürzlich 
— in den Osterferien hier anwesend — ein stark besuchtes Concert. 
Er bewährte sich in einem Concert von Alard , einer Fantasie von 
Artot (Lucie von Lammermoor) und in einem Souvenir de Rossini 
eigener Komposition aufs neue als einen Violinvirtuosen ersten Ran- 
ges. Von den Lehrern und Zöglingen des hiesigen k. Musikinstituts, 
dem Lauterbach seine erste Ausbildung verdankt, wurden die Ouver- 
türen zum Wasserträger von Cherubini und zum Freischütz von 
Weber in gewohnter Trefflichkeit ausgeführt; auch die übrigen Aus- 
füll-Piecen befriedigten. fbf. 

Stattgart« Frl. Storck von Wiesbaden fand bei ihrem ersten 
Auftreten als Agathe nur laue Aufnahme. 

Düsseldorf. Die Soloparthien bei dem niederrheinischen Musik- 
fest haben übernommen die Damen Clara Novello aus England und 
S. Schloss aus Cöln, und die Herren Salomon und von Osten aus 
Berlin. 

Leipzig« Frl. Ney sang bereits 4mal unter anhaltendem Bei- 
falle. Frau Marra-Vollmer ist ihres Contraetes entbunden worden. 

Hamburg« Tichatscheck gastirt hier. 

Rom« Raimondi, der Componist des dreieinigen Oratoriums, 
welcher vor einigen Monaten die Runde durch die Blätter inachte, 
hat ein noch grösseres Kunststück zu Stande gebracht. Er hat näm- 
lich zwei Opern componirt, eine tragische und eine komische, welche 
gleichzeitig aufgeführt werden sollen ! Sie heissen : „Adelasia" und 
„I quattri rustici". Da fehlen nur noch Zuschauer, die in einem 
Athem weinen und lachen können und — die Hauptsache — sich ein 
solches Quodlibet gefallen lassen! 

Osnabrück. Der hiesige Gesangverein führte kürzlich mit 
Unterstützung mehrer Kölner Solisten F. Hillers Oratorium : ., Die 
Zerstörung von Jerusalem" auf. 

Pesth. Der Baritonist Beck, welcher von Frankfurt nach sei- 
ner Vaterstadt zurückgekehrt ist, trat hier einmal unter grossem Bei- 
fall auf. 

Paris. Die Grosse Oper wiederholt Prophet, Ewigen Juden und 
Freischütz. Anfang Mai kommt eine neue öaktige Oper von Niedermeyer : 
La Fronde zurAufführung. Die Opera comique hat wegen Unwohlsein der 
Dem. Duprez und Urlaub des Sängers Battaille, die Vorstellungen von 
Marco Spada unterbrechen müssen. Tamburini sang in einem Con- 
cert von Alary im Ital. Theater. Rossini ist zum Commandeur der 
Ehrenlegion ernannt worden. Gueymard, Tenorist der grossen Oper, 
gastirt in Lyon. Fr. W. Clauss ist nach London zurückgekehrt. 

— Am 30. fand ein grosses Hofkonzert unter Mitwirkung von 
Tamburini, Gardoni, der Tedesco und Cruvelli statt. Das Programm, 
von der Kaiserin zusammengestellt, bestand aus Nummern von Ros- 
sini und Verdi. 

Antwerpen. Am 31. März wurde Halevy's Ewiger Jude hier 
zum ersten Male aufgeführt. Der Eindruck war grossartig. Alle 
Nummern ohne Ausnahme wurden applaudirt. 

Petersburg. Der Violinist Leonard und seine Gattin sind hier 
angekommen und haben bereits ein erfolg- und beifallreichcs Concert 
gegeben. Die italienische Oper schloss am 22. März mit dem Propheten. 



VtrtBlwMtlleher H«»ak«or : J. J. SCHOTT. - »ruk von REUTEK Jr WALUV In Main. 



2. Jahrgang. 



Mr. 19. 



9. Mai 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitnot erscheint jedes 
MONTAG« 

Van abennirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Bnchhandlungen. 



REDACTM IIB VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN BXAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LOIDOR BEI SCHOTT & CO. 





,, -■■ -■■ ^g^r • 

PREIS: 


J. 3. 


09 oder Thlr. 1. 18 Str. 




Ar den Jahrfang. 


Dnrch di« Peet bezogen : 


SO kr. 


eder 15 S»r. per Quartal. 



Inhalts Geschichte eines Klaviers. (Fortsetzung.) — Corr. (Karlsruhe, Wien und Berlin). — Nachrichten. 



GESCHICHTE EINES KLAVIERS, 

von diesem selbst erzählt nnd veröffentlicht durch 
Theodor Hagen. 



(Fortsetzung.) 

Seit jener Zeit sind viele , viele Jahre verstrichen , nnd viele, 
viele Male hat man mit mir zu spielen versucht, aber nie sind wieder 
in mir jene Saiten des Schmerzes, der Rührung, der reinsten Poesie 
berührt worden , als von jenem langen Menschen. Ich glaubte ', ich 
würde unter seinen Händen Qualen zu erleiden haben, und siehe da, 
der höchste Genuss wurde mir bereitet; ich glaubte, er würde mich 
zermalmen, und siehe, er entlockte mir neues Leben. Er fing ganz 
leise an, kaum, dass ich seine Berührung fühlte, es war, als wenn 
der Hauch einer keuschen Seele über mich glitt. Später habe ich 
gehört, dass es Harfen gibt, denen der Zephir Töne zu entlocken 
weiss. Vielleicht, dass ich damals eine solche Harfe war, durch das 
Zephirrauschen einer reichen, poetischen Seele ergriffen , nur, dass 
die Töne zu einer ausgebildeten Mutik wurden, zu formell abgerun- 
deten Gedanken. Es waren wunderbare Weisen, die der Lange mir 
zu entlocken verstand, rational bizarr, oft an Inhalt unbedeutend, 
aber durch die Harmonieführung , durch den zauberischen Anschlag 
von einer ergreifenden Wirkung. Dieses letztere habe ich an keinem 
andern Pianisten wieder gefunden, selbst bei solchen nicht, die alle 
Geheimnisse der Technik inne hatten, und die mit ihrer Eleganz 
sehr angenehme Effekte zu erzielen wissen. Keiner von ihnen hat 
es so verslanden, einem dürftigen Gedanken durch Anschlag, Zurück- 
halten und Steigerung des Tons, durch eine eigenthümliche, von aller 
Tradition abweichende Behandlung des Pedals, einen solchen Schwang, 
einen solchen Zauber, ein solches Interesse au- und umzuschniiegen 
als dieser hagere, geisterhafte Mensch, der mich mir selbst zeigte, 
meinen ganzen Werth, meine ganze Benutzung, der mir die erste 
Weihe gab, gleichsam die Taufe, von dem ich im eigentlichen Sinne 
des Worts sagen kann, dass ich an seiner Hand in die vornehme 
Welt und in die Kunst eingeführt worden bin. Er mochte wohl eine 
Viertelstunde phantasirt haben, als sich nach und nach sein Spiel 
in ein wirkliches Gemurmel verlor. Beide Hände spielten Triolen, 
immer schwächer, immer langsamer, die Finger schienen sich kaum 
zu bewegen. Und doch wussten sie mir noch Töne zu entlocken 
die trotzdem, dass sie zuletzt immer dieselben waren, so verschieden 
klangen, eine solche Mannigfaltigkeit des Ausdruckes erhielten, dass 
in diesem Falle manchem Zuhörer die Meinung zu verzeihen gewesen 
wäre, der Spieler hätte andere Noten zum Vorwurfe. 

Endlich schien er geendigt zu haben ; das einzige pianissimo, 
«las je einem von meinem Geschlechte entlockt worden ist, hatte die 
zarte Gränze, die zur Tonlosigkeit führt, überschritten, nur die Fin- 
der ruhten noch auf den Tasten , es war , als wenn sie sich noch 
nicht so schnell davon trennen könnten. Ich sah in seine Augen, 
sie glänzten wie ein milder Abendstern , es spiegelte sich in ihnen 
der Gedanke der Musik wieder, die eben verklangen war, d. h, aus- 






serlich, innerlich mnsste sie in diesem Spieler noch fortklingen, sein 
ganzes Wesen verkündete es. Seine Seele rang noch mit den Tönen, 
darum mochten auch wohl seine Finger noch auf mir ruhen; denn 
bei diesem Spieler standen Finger und Seele in unmittelbarer Ver- 
bindung, jene mussten sich bewegen , sobald diese musikalisch be* 
schäftigt war. 

Meinem Herrn Papa mochte dies wohl nicht gegenwärtig oder 
auch nicht verständlich sein; denn wahrscheinlich in der Meinung, 
das Spiel sei aus , Hess er seine näselnde Stimme also vernehmen : 
„Nun, Herr Chopin, was sagen Sie zu dem Piano?*' — Chopin! 
War es Zufall oder etwas Anderes, dass in meinem Nachbar, dem 
alten Flügel, eine Saite vibrirte, als wenn mit dem Finger darüber 
gefahren würde? War es Zufall oder etwas Anderes, dass bei Nen- 
nung dieses Namens in mir etwas Aehnliches vorging? Die Schauer 
der Bewunderung äussern sich so verschieden? 

Der Meister musste die Bemerkung meines Papa's nicht gehört 
haben, oder vielmehr nicht hören wollen, es wäre denn, dass er seine 
Antwort durch ein erneuertes Spielen geben wollte. Ja, er fing von 
Neuem an, meine Seele zu bewegen, diesmal nicht so sanft, so mild» 
so lyrisch weich und zerflossen, wie das erste Mal, nein, wild, mehr 
epischer Natur; die tiefsten Chorden In mir wurden angeschlagen, 
und auf rapide Weise wurde die ganze Stimmung meines Wesens 
durchlaufen. Jetzt sollte ich auch erfahren, was sein Forte hiess, 
ich erbebte, so mächtig klang es, so intensiv drang es durch den 
Raum. Und doch war dieses Forte nicht viel stärker, als das Piano 
anderer Spieler, wie ich es später oft genug tbeils an mir, theils an 
meinen Kollegen erfahren musste. Auch hier sollte ich zum ersten 
Male erkennen , dass wie im Leben die Verhältnisse den Lauf der 
Dinge und Menschen, jene in der Kunst den Klang bestimmen. Was 
ist ein Forte, was ein Piano an sich? Weder das Eine noch das An- 
dere, nur wenn beide zusammen erklingen, können wir ihren Werth 
und ihre Stärke angeben, nnd daher ist es auch so natürlich, dass 
"wer ein Chopin'sches pianissfmo hervorzuzaubern weiss, mit seinem 
dem angepassten forte eine überraschende Stärke und Sonorität of- 
fenbaren kann. 

Trotzdem nun, dass der Spieler wieder den ganzen Reichthum 
seiner Natur offenbarte , gefiel er mir dennoch weniger , als vorher« 
Diese wilden Ausbrüche kamen mir vor , wie die Miniaturzeichnung 
einer norwegischen Felsenlandschaft. Die Melancholie, ein Grundzug 
seines Wesens, trat hier in ungewohnten Formen auf, sie überschrit- 
ten wider Willen die Gränzen ihrer Wirksamkeit, gleichwie oft der 
Mensch den Konflikt offenbaren muss, den sein Natureil der Gesell- 
schaft gegenüber hervorruft. Und wie diese dann gleichgültig vor- 
übergehn, oder auch missbiüigend den Kopf schüttelt, so musste die 
Aussenwett von dieser Seite des Chopin'schen Spiels weniger be- 
rührt werden. Als eine aparte Aeusserujig einer künstlerischen Na- 
tur konnte das Spiel den Einzelnen interessiren , als Kunstgebilde, 
das sich nie 'an den Einzelnen , sondern immer an' die Gesammtheit 
wendet» mnsste es kalt lassen. • » , • - 

Wie vorauszusehen, dauerten diese wilden Schuierzensrufo de« 
Spielers nicht lange, bald trat wieder die klage auf, erst bitter, mit 



7* - 



einem leisen Auflage von Humor, dann sanft , resignirend , wie die 
natürliche Aeusserung einer durchaus lyrischen Natur. 

Nur noch, wenige Akkorde, und 4er Meister erhob sich. Er 
schien erschöpft eu sein, denn sein Gesicht zeigte eine erschreckende 
Blasse, 

„Wollen Sie nicht versuchen, Comtesse?" horte ich meinen 
Papa fragen. 

Erst jetzt sah ich wieder auf die Dame. Ich konnte gerade noch 
einen Blick der Extase auffangen , der auf jeden Fall Chopin gegol- 
ten hatte. 

Sie schüttelte den Kopf. „Schicken Sie es mir noch heute zu, 
sagte sie. Dann nahm sie den Arm des Meisters, und alle drei ver 
Hessen den Saal. 



« 



CORBBSPONDBNZEN. 



AUS KARLSRUHE. 

(ABfenff April.) 

(Schluss.) 

Ans der Reihe der wenigen von einzelnen Künstlern wahrend 
des verflossenen Winters hier veranstalteten Konzerte erwähne ich 
zuerst jenes von Frl. Knopp aus Berlin, das am 1. November v. J. 
stattfand und sehr besucht war. Ein von dem ersten Flötisten der 
Hofkapelle, Herrn Johann Wolfram, Ende v. J. veranstaltetes 
Concert verschaffte uns auch die Gelegenheit Frl. Marx von Darm- 
stadt nach langer Zeit wieder einmal hierin ihrer Vaterstadt zu hören. 
Des Konzertgebers Tochter, eine Schülerin des Musikdirektors Giehne, 
trat zum ersten Male öffentlich als Klavierspielerin auf. 

Den Schluss der von Einzelnen gegebenen Konzerte machte am 
14. Februar jenes des Herrn Hufmusikus Eichhorn. Der Konzert- 
geber, als vortrefflicher Solospieler auf dem Violoncell hinlänglich 
bekannt, spielte mehrmals, ausserdem Hess sich Hr Schlösser, erster 
Tenorist des Mannheimer Hoftheaters , mit Beifall hören. Mit Beet- 
hoven's grossem Sextett schloss das ziemlich umfangreiche Programm. 

Ich hoffe, Ihnen in meinem nächsten Briefe auch schon von der 
Einweihung des neuen Theaters berichten zu können. Eröffnet wird 
das Hans mit Schiller's „Jungfrau von Orleans**, und als erste Oper 
in demselben wird Gluck's „Armida*' nachfolgen; der Anfang ist 
also entschieden national, Möge er eine glückliche Vorbedeutung für 
die Zukunft der neuen Bühne sein! 



AUS W I E I. 

(Mitte April.) 

Wollte ich alle musikalischen Aufführungen, welche seit meinem 
letzten Schreiben in den hiesigen Concertsälen stattfanden , ausführ- 
lich beurtheiten, es würde dieser Aufsatz die Spalten Ihres Blattes 
auf längere Zeit hinaus ganz allein füllen , da dies jedoch gewiss 
nicht in Ihrem und auch nicht im Interesse des Lesekreises Ihrer 
Zeltung gelegen ist, so will ich aus der grossen Menge nur dasje- 
nige einer detai Hirten Besprechung unterziehen, was meiner Ansicht 
nach eine solche gegenüber dem allgemeinen Kunstinteresse recht- 
fertigt. 

Der junge Pianist J. Stanzieri gab zwei Concerte, die von 
seinen Freunden auch zahlreich besucht waren; dass es seinen Leis- 
tungen unter solchen Umständen nicht an Beifall fehlte, war. vor- 
auszusehen. 

Die Geschwister Kress, Violine und Piano, veranstalteten ein 
Concert, welches uns den Beweis liefert, dass die unselige Virtuosen- 
Dressur der Kinder, trotz des vielen Eiferns dagegen, noch immer 
als Geschäft betrieben wird. Gibt es denn keine Miss Stowe-Becher, 
welche einen Roman über diese Sklaverei der Kinder schriebe, zum 
abschreckenden Beispiel für alle spekulativen Aeltern, Vormünder, 
Lehrer u. dgl.? 

Nicht allein die Clavierconcerte überfluthen den heurigen Markt 
In eitter Weise, welche die Zeit der üppigsten Blüthe des heillosen 



Virtuosenthums vergegenwärtigt, es erstehen auch wie die gespensti- 
schen Nonnen im „Robert" aus der dunklen Gruft der Vergessenheit 
die Concerte auf Ho|z- und Strohinstrumenten.. So gab ein Herr 
Pachner ein Concert auf einem von ihm vergrössertem Guztkowscheji 
Holz- und Strohinstrumente. Wenn die Concertsaison nicht bald zu 
Ende geht und der Held ^Frühling" mit seinem Schwerte aus SosV 
nenschein geschmiedet die Virtuosen - sanuitt ihrem Publikum nicht 
bald üinaustreibt auf Wiese und Anger zu einem Lerchen- und Nach- 
tigalleu-Conccrte, so werden wir's noch erleben müssen, dass Herr 
Baron Kiesheim ein paar Vorlesungen seiner Schwarzplattcl-Gedichtc 
(?) mit obligaten Gebirgsjotllern und Zitherbegleitung zu Ehren der 
Wiener Hautevolee veranstaltet l — 

Die Gebrüder Wieniawsky, Violine und Piano, gaben fünf 
Concerte. — Wie, fünf Concerte ? werden Sie fragen ? — Ja. gewiss, 
so ist's. — Sie wünschen zu wissen, wie dies zuging? — Ich er- 
spare mir eine nähere Charakteristik dieser Virtuosenleistungen und 
gebe hiermit die beste Kritik darüber, indem ich die Worte der 
GlöggPschen musikalischen Zeitung bei Gelegenheit ihres 4. Concer- 
tes anführe: Die beiden Concertgeber wurden an diesem Abende 
siebzehnmal gerufen , wohl die beste Kritik über die Vorzüglichkeit 
ihrer Leistungen. — Heinrich W. , der Violinist, wird Paganini II. 
genannt; da ich mich aber zufällig erinnere, dass Ole Bull schon 
dieses Epitheton vor längerer Zeit erhielt, so besorge ich, dass dar- 
über ein Kampf der musik. Geschichtschreiber entstehen könne, übri- 
gens will ich hoffen, dass diese hochwichtige Streitfrage, ob der II. 
oder der III. vielleicht auf diplomatischem Wege gelöst werden dürfte, 
da dieser Fall in der neuesten Geschichte nicht vereinzelt dasteht. 

Wenn früher in Wien ein Künstler ein öffentliches Concert zu 
geben wagte, so galt dies als ein Beweis, dass er sich einen hohen 
Grad musikalischer Ausbildung zutraute; zwei Concerte in einer Sai- 
son von einem Künstler gegeben, kamen sehr selten vor, dann aber 
konnte mau überzeugt sein , dass der Concertgeber gewiss ein Stern 
erster Grösse am Kunsihimmel sein müsse. Die neuere Zeit hat 
diesen pedantischen Grundsatz umgestossen , und mau braucht eben 
so wenig ein Künstler zu sein um ein Concert zu geben, als man 
sich mit mehreren in einer Saison gegebenen Concertcn einen Namen 
machen kann. In der heurigen Saison rnuss sogar jeder Concertge- 
ber wenigstens zwei Concerte geben, will er sich vor dem Verdacht 
bewahren, in seinem ersten Concerte Fiasco gemacht zu haben. So 
gab auch ein Herr von Bülow (Pianist) zwei Concerte, was zu der 
Vertnuthung berechtigt, dass er nicht Fiasco gemacht habe, und wenn 
wir, wie die hiesige musik. Zeitung, nach der Zahl der Hervorru- 
fungen den Wertn seiner Leistungen abmessen, so ist dieser sogar 
ein nicht unbedeutender , wenn diese auch eben nicht die Zahl von 
17 an einem Abende erreichten. 

Der hiesige Violinspieler Langhammer, der von dem früheren 
Posten eines Musikdirektors und Professors eines ungarischen musi- 
kalischen Conservatoriums bescheiden in's Orchester unseres Opern- 
theaters herabgestiegen ist, veranstaltete ein Concert, in welchem er 
als Concertspicler und Componist figurirte , in letzter Eigenschaft 
aber mehr reussirte. Herr Langhammer ist ein guter Violinspieler, 
es lässt sich vermuthen auch ein guter Lehrer, aber ein Concertspie- 
ler ist er nicht. Ihm fehlt Kraft, grosser Ton und Bravour. Er 
wurde von zwei Sängerinnen unterstützt, von welcher die Eine aus 
Angst zu schwach, die Andere aus eben dem Grunde zu stark sang. 
In medio virtus, d. h. wenn beide gar nicht gesungen hätten, so wäre 
dies offenbar besser gewesen. 

Eine Pianistin, Frl Henriette Fritz, trat auch in die Reihen der 
Concertgeber mit gutem Erfolge, d. h. sie erhielt rauschenden Beifall 
und um diesen Lohn ist ja unsern Virtuosen Anfangs hauptsächlich 
zu thun; um die Stimme der Kritik wird wenig gefragt. Die Kritik, 
die unbefangene, unabhängige fragt aber auch wenig um die Persön- 
lichkeiten der Virtuosen, und sagt es rund heraus, dass in dem Spiele 
der Concertgeberin der poetische Hauch und Duft trotz bedeutender 
technischer Fertigkeit und Ausbildung vermisst wurde. Staudigl 
sang in diesem Concerte Ad. Müller's schönstes Lied: „Tief drunten" 
mit dem ganzen Aufwände «einer reichen Kunstmittel. Wäre er im 
Stande die Gefühlsstellen mit jener himmlischen Begeisterung, Innig- 
keit und Wärme, die seiner Individualität ferne liegen, wiederzugeben, 
der Vortrag dieses Concert-Liedes von ihm wäre ein erhaben- 
vollendetes Meisterstflck. 

Eine Oase in der unabsehbaren Wüste der Virtuosen-Concerte, 



— 7$ — 



bildete das Concert des hiesigen Männergesang- Vereins. Hier 
findet 'wieder der von dem ew'gen Einerlei der Virtuosenkunststücke 
halb verschraachtrte Concertbesacher eine erquickende Rast. Hier 
ist Frische, hier ist Kraft, die doppelt erfreut, nach dem vielen An- 
hören der krankhaften Ausgeburten einer überreizten Phantasie, hier 
tritt die Natur in ihrer Urkraft auf, denn die Verbildung hat ihr noch 
nicht den frischen Duft der Ursprünglichkeit weggelockt, sie ist noch 
nicht verkümmert in der schwülen Salonluft ! — Man erlasse mir die 
Stücke herzuzählen, die alle zum Vortrage kamen, ich erinnere mich 
nur , dass mir alle gefielen und bei Schuberl's „Gondclfahrcr" es 
mich wie ein süsser Traum überkam, der mich mit Zauberarmen an 
den Lido versetzte, in die Zeit zurück, wo auch ich ein Gondelfahrer 
die vom Monde versilberten Wellen durchschnitten und an der Pia- 
zetta vorüber den Canal grande hinabfuhr, die Seele voll jugendlicher 
Hoffnungen, die nun alle — alle, längst schon begraben sind. Ein 
komischer Chor: „Käfer und Blume" , ich glaube von Veit, ist von 
drastischer Wirkung und brachte in dem zahlreichen Auditorium eine 
sehr heitere Stimmung hervor , er musste auch und mit ihm einige 
andere Chöre auf allgemeines Verlangen wiederholt werden. 

Bei der Gelegenheit der Besprechung des Männergesang- Vereins- 
Concertcs kann ich das von diesem Vereine zum Dank für die glück- 
liche Rettung des Kaisers in der Augustiner- Hofkirche veranstaltete 
Hochamt nicht mit Stillschweigen übergehen. Es kam bei demsel- 
ben die grosse Vocalmesse von Gustav Barth, Chormeister des Ver- 
eins, in ausgezeichneter Weise zur Aufführung. Auf die Gefahr hin, 
von den Musikern belächelt zu werden , welche Herrn Barth' s com- 
ponistische Begabung in Zweifel ziehen, ihn überhaupt als Musiker 
weit unter seinem Werthe schätzen, wahrscheinlich desshalb , weil 
er ausser seinem musikalischen Wissen auch ein vielseitig gebildeler 
Mann ist, ein Vorzug, den sie ihm nie vergeben, — erkläre ich diese 
Vocalmesse ßarth's für eines der bedeutendsten Tonwerke, welche 
in neuester Zeit geschaffen wurden, würdig den Meister-Chören Men- 
delssohn's an die Seite gesetzt zu werden. Es zeichnet dieselbe die 
gediegene Form , die geistreiche Conception und die Kenntniss und 
zweckmässige Benützung der Effecte vor Andern aus. 

(Schluss folgt ) 



XO O w 



AUS BERLIN. 

(25. April.) 

Ich bin Ihnen einen übersichtlichen Bericht unserer letzten mu- 
sikalischen Winterfreuden ziemlich lauge schuldig geblieben. Desto 
sicherer wird sich darin dasjenige hervorheben, was einen einiger- 
massen dauernden Eindruck zurückgelassen hat, gegen das, was 
schnell der Vergessenheit übergeben worden , in dem ewig fortrau- 
schenden und wirbelnden Leben des Tages. Mein letztes Kapitel der 
Chronik war von der Mitte des Februar. Damals bewegte noch die 
heilige Cäcilia des Violinspiels, Therese Milanollo, die Herzen aller 
Hörer durch ihren Bogen, wie durch einen Zauberstab. Sie setzte 
sich auch noch in anderer Weise ein schönes Denkmal in den Her- 
zen der Bewohner unserer Hauptstadt, indem sie ein Conccrt gab, 
dessen Ertrag zur Hälfte dem Gustav-Adolph- Verein, zur anderen 
Hälfte einem anderen hiesigen Wohllhätigkeits-lnstitute zufiel. In 
diesem, so ernsten Zwecken gewidmeten Concert spielte sie die edel- 
sten, ernstesten Stücke ihres Repertoirs; nie hat die sanfte Gewalt 
ihres, den innersten reinsten Ausdruck des Schönen darstelleudenSpiels 
so gewirkt, wie hier. Bald darauf folgte ihr Abschieds- Concert, 
in dem sie noch einmal auch alle ihre glänzenden Seilen eutfaltcte, 
und nach diesem vierzehnten oder fünfzehnten Concert mit demsel- 
ben Beifalls-Enthusiasmus begrüsst und entlassen wurde, wie nach 
dem ersten; das Haus war von derselben Fülle der Hörer tiberdrangt, 
wie nur je zuvor. Gegen den Schluss ihres Hierseins hatte sie eine 
lebhafte Rivalität zu bestehen durch das berühmte Quartett der Gebr. 
Müller. Diese, von einer Triumphreise durch unsere nördlichen 
Provinzen, Pommern, Preussen bis Tilsit hinauf, zurückkehrend, ga- 
ben drei überfüllte Soireen binnen fünf Tagen. Mit Ruhm gekrönt, 
und nicht, wie Göthe singt, ^arm an Beutel", kehrten sie in ihre 
Heimath zurück. 

Mit dem März begann das allntählige Erlöschen der stehenden 
Winterunterhaltungen auf dem Musik - Gebiete. Der Stahlknecht- 



sche Verein für Trios hatte wegen einer Reise der Künstler 
feussland,. wo sie Gold und Ruhm vollauf &>nten, schon früher ge- 
schlossen; der Zimmermanns' che Quartetl-Veren beendete s *ih» « 
trefflichen Soireen gleichfalls ; eben so der GrünwaU-Seidefsche für 
gemischte Kammermusik. 

Auch die Sinfonie-Soireen, dieser Gipfel unserer musikalisrhe* 
Hochgenüsse , die in der letzten Zeit sehr rasch aufeinander ge- 
folgt waren, weit im Winter der Bau d<s Schauspielhauses eine 
lange Pause verursachte, schlössen in der Mitte des März. Es ge- 
schah unter mancherlei eigentümlichen Verhältnissen, die der nähe» 
ren Berührung werth sind. Einmal war die Zusammensetzung der- 
selben grade in der letzten Zeit sehr interessant. In einet 
derselben wurden die drei Ouvertüren zur „Leonore" von Beethoven 
in ihren verschiedenen Umarbeitungen nebeneinandergestellt, welches 
einen der belehrendsten und fesselndsten Genüsse zugleich bildete. — 
jDann erregte es lebhaften Antheii , dass man gewissermassen eine 
Säcularfeier des Instituts beging, zwar nicht nach Jahren, sondern 
nach Abenden der Aufführung gerechnet ; es fand die lOOste seit 
Gründung derselben statt. Neben dem hohen Aufschwung^ den diese 
Aufführungen vom rein künstlerischen Standpunkte aus genommen, da 
sie sich als denen des Conservatoire ebenbürtig hinstellen, und neben, 
dem ächten Kunstsinn , den sie in unserer Stadt verbreitet und ge- 
pflegt, steht auch das äusserlichc , nicht so leicht zu erreichende 
Verdienst, dass sie der Orchester - Witt wenkasse im Laufe der ciif 
Jahre, seit denen sie bestehen, über 50,00<> Thaler zugeführt haben! 
So sorgt also die Kunst selbst für die Künstler, oder für die, die 
im Leben eins mit ihnen sind. Am 17. März fand die lOlste, die 
letzte diesjährige statt, die uns noch eine neue Sinfonie, von Ulrich, 
einem jungen Musiker, der schon mehrere interessante Arbeiten gelie- 
fert, brachte. Das Werk zeichnet sich, in jetziger Zeit eine rara> 
ävis, besonders durch einen klaren Blick, eine schöne Begrenzung 
in den Formen aus. Es scheint überhaupt, als wolle man doch nach- 
gerade umkehren von dem gewagten Fortsteuern in dunkle Nebelge- 
bicte, wohin freilich, es lässt sich nicht leugnen, einige der allerersten 
Meister sonst ihre Bahn genommen. Aber nicht Jeder hat das Recht, 
ein Columbus sein zu wollen, geschweige die Kraft, es wirklich 
zu sein. 

Die Sing-Akademie bat, wie ich Ihnen nur wiederhole, im Mu- 
sikdirektor Grell einen neuen Führer für ihren alten erhalten. Ich 
habe mich über das Sachverhältniss schon genügend geäussert, und 
schweige also jetzt davon. Sie hat seitdem drei Werke, nicht aus* 
gezeichnet, aber doch löblich zur Aufführung gebracht: Haydn's 
„Jahreszeiten**, Graun's „Tod Jesu", der alljährlich am Charfreitage 
zur Oslerfeier gegeben wird, und Sei». Bach's „Passionsmusik". Die 
letztere sollte schon vor Ostern stattfinden, stiess aber auf mancher« 
lei Hindernisse, die mit den jetzigen Verhältnissen des Instituts nicht 
ohne Zusammenhang waren, und wurde dann nachträglich gegeben 
in einer der Würde des Werkes angemessenen Weise. Namentlich 
waren einige Chöre von grössler Wirknng. — Das kirchliche Gebiet 
der Musik ist auch noch anderweitig mit Eifer angebaut worden. 
Wir hatten auch einige Domchor-Concerte, in denen herrliche Sachen 
alter Meister gegeben wurden: von Seh. Bach, Hasse, Palestrina, 
Lolti und anderen ; aber auch von Mendelssohn und Bernhard Klein, 
dessen grosses Maguificat, ein wundervolles Werk, trefflich cinstudirt 
war Beiläufig sei erwähnt , dass auch Meyerbeer jetzt einen Psalm 
k Capclla für dieses Institut geschrieben hat*, der mit nächstem znr 
öffentlichen Aufführung kommen wird. — Das umfassendste Werk» 
Reiches der Domchor uns zum Schlüsse darbot, war Mozart's „Re- 
duiem"; doch geriet h grade dieses in der Ausführung nicht ganz so 
glücklich. Denn, es ist eigentümlich, eben dieser so hoch ausge- 
zeichnete Chor verliert viel von seiner Bedeutung, sobald er mit 
Orchester singt. Auch gestatteten die Verhältnisse kein so starkes 
Und gewaltiges Orchester, als die Macht des colossalen Werkes es 
bedingt. — Die Coucerte für den Gustav-Adolph- Verein, welche sich 
aus geistlicher und ernster weltlicher Musik mischen, vollendeten 
gleichfalls ihren Cyclus. Sie gaben im letzten Concerte eine grosse 
Hymne von Mendelssohn, vom Domchor gesungen, doch wirkte in 
Solo Frau Köster mit. Eine Schlusshymne von Bortnianski , a Ca- 
pella, brachte einen wahrhaft erhebenden Eindruck hervor. Sonst 
war das Concert durch ein Haydn'sches Quartett, von Zimmermann 
und seinen .Kunstgefährten gespielt, und ein, Trio von Hummel , vom 
Taubert vorgetragen, wohl ausgestattet. Endlich erwähne ich meh- 



— 7« 



*er*r einzelnen Kircr«nconzerte » durch abgesonderte Gesaftgsvereine 
veranstaltet. Eines ans gemischten Stücken gab der Bill er fache Oe* 
aangvereia ; der Wetidd'sche fährte das Oratorium Spohr's> „die leti* 
ten Dinge" sehr lobenswert!* auf» Es wurde hier zum ersten Male 
mit der vollen Orchesterbi'glfitung gehört; früher ist es nur mit Or* 
gelbegleitung gegeben worden. Spohr hatte selbst die Partitur und 
ausgeschriebenen Stimmen dazu hergeliehen. — Hiermit sehliessett 
'vir die Kirche! Doch halt, wir haben noch eines Unternehmend 
der Zukunft zu erwähnen ; am 4. Mai wird der Hausmann-Schneider* 
■sehe Gesangverein , der seit über vierzig Jahren besteht , das herr- 
liehe Oratoritim „Jephta" von Bernhard Klein aufführen; Oberhaupt 
fangt man jetzt hier erst an, den hohen Werth dieses an früh ver- 
storbenen Componisten zu erkennen, dem an Tiefe der Wissenschaft 
wenige gleichkommen, den an Adel der Auffassung keiner übertrifft* 

Von unseren Theaterverhältnissen ist wenig Erfreuliches zri 
melden; der Geschmack des Publikums, durch übermässige Pracht 
im Aeussern, selbst durch den Luxus der Ausführung sybaritisch 
verwöhnt , wendet sich immer mehr von den ernsten Kunstwerken* 
ja von alten ab, die nur einen inneren Zusammenhang haben , die 
mehr als das gedankenloseste Zuhören fordern. „Aiceste" war bei 
der letzten Darstellung höchst spärlich besucht; „Euryauthe" wird 
nur voll, weil unsere beiden grössten Sängerinnen, Frl. Wagner 
und Frau Köster zugleich darin singen. Aber selbst die Operetten 
leichter Art, wie der „Barbier von Sevilla", der „Postillon von Lon- 
jumeau" , finden gar keinen Anklang mehr. Nur wo alle äusseren 
Effektmittel mitwirken , sieht man die Massen. So ist zu Auber'S 
„Feensee", wegen der Pracht der Dekorationen , nie ein Biliet zu; 
haben. Einen gleichen Erfolg hat jetzt FJotow's „Indra", ohne 
diese Hülfsmittei. Ich will sie desshaib nicht höher anschlagen, als 
den „Feensee 4 *; mit dem Propheten und anderen Zugopern ist sie 
schon der Gattung wegen, gar nicht zu vergleichen. Aber das Werk 
hat die anlockende Eigenschaft, gar keine Anstrengung des Hörers 
zu fordern; es wird dabei ganz vortrefflich gegeben (Frau Köster 
ist von bezaubernder Autuuth darin) und die Ausstattung ist , wenn 
nicht überreich, dpch dem Glanz der Bühne überhaupt entsprechend. 
Dazu bietet die Musik im graziösen Style in der Thai vtd sehr An- 
ziehendes, namentlich in dem phantastischen Gebiete, für welches 
der Dichter, Herr von Puttlitz, mit feinem Talent gesorgt hat; so er- 
klärt sich der grosse Andrang zu dem Werke, grösser, als ich ihn, 
aufrichtig gestanden, nach der ersten Darstellung prophezeiht haben 
würde Eine neue Oper desselben Autors ist schon angenommen 
und kommt im nfichsten Winter zur Aufführung, wahrscheinlich zum 
Geburtstage der Königin. — Eine nicht uninteressante Erscheinung 
war hier die Sängerin Frau Howitz-Steinau , welche eine Reihe von 
Gastvorstellungen mit grossem Erfolge der Anerkennung gab, wie- 
wohl mit geringerem „äusserlichen" , da sie meist in Opern auftrat, 
die, wie ich Ihnen oben gesagt, im Antheil des Publikums absterben. 
Doch die eben anwesend waren, zollten der Sängerin lebhaftesten 
Beifall, und sie verdiente ihn durch eleganten correcten Gesang und 
eben so elegantes Spiel. Sie hat ihre gründliche Vorbildung hier in 
Berlin erhalten und ist auch von hier gebürtig ; in ihrer öffentlichen 
Laufbahn, die sie seit zehn Jahren betreten, ist sie aber jetzt zum 
ersten Male hier erschienen. Sie wird jetzt der Oper in Karlsruhe 
angehören. — Für den Juni und Juli wird unsere „heimathlichc" 
Oper so gut wie absterben; dafür trifft der Direktor des Königsber- 
ger Theaters, Herr Woltersdorf, mit einer aus ganz Deutschland zu- 
sammengebrachten Truppe hier ein und wird, von den Hülfsmitteln 
der königlichen Oper und Chors und der Kapellmeister unterstützt, 
eine Reihe älterer, ernster und heiterer Opern hier aufführen, die 
seit langer Zeit, oder noch gar nicht hier gegeben sind, als: „Temm- 
ler und Jüdin", „Faust'' (Spohr), „Vampyr", „Fra-Diavoio", „weisse 
Dame", „schwarzer Domino", „Doctor und Apotheker" und Vieles 
andere. Bis jetzt ist es nicht dagewesen , die königliche Bühne so 
gewissermassen in Entrcprise zu geben und die schon so mit Arbeit 
überladenen Choristen und Kapellmitglieder und deren Führer gewis- 
sermassen zur Disposition eines fremden Unternehmers zu steifen« 
Aber die Noth drängt zu diesem Schritte, denn die eigenen Mittel 
gehen uns durch die nnermesslichen Beurlaubungen der Sängerinnen 
so aus, dass wir das Hans für die Oper 'ohne fremde Hülfe ganz 
schliessen müssten. Die Unternehmung muss aber sehr gnt sein, 
wenn "sie einschlagen soll , denn unsere zweiten Theater , das der 
Friedrich-Wilheluisstadt und das Kroll'sche, sind schon jetzt starke 



Concurrenten, vollends im Sommer. Sie geben alle diese genannten 
und beabsichtigten Opern, d. h. die heiteren, und wenn auch nicht 
vollkommen, so doch immer so gut, um den Nichtkenner keinen so 
grossen Unterschied empfinden zu lassen. Es wird wohl darauf an- 
kommen, wer die hübschesten Sängerinnen stellt; denn nur Ta- 
lente allerersten Ranges siegen über diese Geschmacksrichtung des 
Publikums. Ceteris paribus üben die Sommertheater im Sommer bei 
weitem die grössere Anziehung, und beide genannte Institute wer- 
den von diesem Jahre an mit solchen Theatern versorgt sein. Das 
Publikum, längst gewöhnt, die Thaternnterhaltung als Beigabe zu 
seinen sonstigen Vergnügungen zu betrachten, wird dies im Sommer 
um so lieber thun, wo ohnehin Spaziergang und freie Luft Haupt- 
erquickungen sind und sein sollen. Ob aber dabei die Pflege der 
Kunst gedeihen wird — • das ist eine Frage , die ich nicht mit J a 
beantworten möchte 1 L. R e 1 1 s t a b. 

NACHRICHTEN. 



Frankfurt. Als dritte Gastrolle sang Ander Alessandro in 
„Alessandro Stradella." 

IilgnltZy im April. Im zweiten Concerte des Violinvirtuosen 
Eduard Singer, hörten wir unter seiner Leitung eine Ouvertüre zur 
Oper „Ben venu to Cellini" von einem uns unbekannten Componisten 
B. K . . . Dieses Werk, gleich trefflich in der Anlage wie in der 
Ausarbeitung, zeigte, dass der Componist die besten Meister der 
alten und neuen Zeit mit grossem Erfolge studirt habe. Namentlich 
zeichnet sich diese Ouvertüre durch höchst geistreiche Instrumenta- 
tion aus, und wünschen wir dem talentvollen Componisten noch 
recht oft auf diesem Felde zu begegnen. A. B. 

Berlin« Am 23. April gab der rühmlichst bekannte Violinist 
und Componist Eduard Singer ein Concert unter seltenem Bei falle. 
Er spielte ein Concert von Paganini und mehrere eigene neue Com- 
positionen, eine Fantasie über Motive aus der Oper „Vanda" von 
Doppler , eine Prelnde und auf stürmisches Verlangen noch eine 
Etüde (sämmtlich im Verlage von B. Schott's Söhnen in Mainz.) 

Wien. Für den letzten Monat der ital. Saison ist statt des 
Tenoristen Quasko Herr Mirale engagirt worden. Herr K. Evers, 
welcher hier lebte, ist für die ital. Oper des Direktors Puzzi in Lon- 
don engagirt worden und bereits abgereist. 

Paris. Die hiesige ital. Oper bringt als Neuigkeit „Le Bravo" 
von Mercadante. Mad. Lagrange wird die Hauptrolle singen. Eine 
neue Acquisition der Oper ist der Tenorist Armandi von der Brüs- 
seler ital. Oper , welcher im vorigen Jahre in den ersten Städten 
Deutschlands gastirte. — ■ In der Opera comique zieht „La Tonelli" 
von Thomas fortwährend an. 

— Der ausgezeichnete Violinvirtuos und Componist Bazzini, 
welcher mit Vieuxtemps und Ernst rivalisirt, hatte sich in mehreren 
Concerten, welche er hier gab der schmeichelhaftesten Aufnahme zu 
erfreuen. Derselbe gab am 30. April ein Abschiedsconcert, in- wel- 
chem er die A-dur Sonate von Beethoven mit der Pianistin Fräul. 
Kastner, von eigenen Composifionen eine Fantasie über „Anna Bo- 
lena" und ein Quatuor aus den „Puritanern" vortrug. Das Letztere 
erregte stürmischen Enthusiasmus. Von hier geht er nach London. 

Im} on. Anfang Mai wird hier eine italienische Oper, bestehend 
aus den bekanntesten Mitgliedern der Pariser Gesellschaft, eröffnet» 
Dieselbe soll während des ganzen Sommers Vorstellungen geben. 

Turin« Mad. Stoltz, welche seit ihrer Rückkehr aus Brasilien 
in Florenz lebte, hat ein glänzendes Engagement bei dem hiesigen 
Theater Regio angenommen. 

Brüssel. Servais, der berühmte Violoncellist hat mehrere 
zahlreich besuchte Concerte gegeben. 

London. Her majesty's Theatre ist von einem Hrn. Pnzzi 
übernommen worden und soll sobald als möglich eröffnet werden. 
— Vieuxtemps concertirt unter grossem Beifall. — Auf den 11. Mai 
ist ein „Deutsches Morgen-Concert" von dem bekannten Liedersänger 
Holzet angekündigt worden. Frl. A. Zerr, Louise Spazier, N. Claus* 
sowie die Sänger Ständig!, Pischek, Reichardt nnd Andere werden 

mitwirken. !____^_— ■ 

Vtnatwoftllcitflr RtfekMu: J. J. SCHOTT. - »im* tan RKUTIR* WALUO in «»toi. 



2. Jahrgang. 



Mr. *0. 



16. Mai 1852. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint Jeden 
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von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ- 
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Durch die Post belogen : 

50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalts Literarisches: Job. Seb. Baeh'a "Werke. — Corr. (Wien, Hamburg und Schweiz). — Nachrichten. 



LITERARISCHES. 



4Toh. Seb. Bachs Werke« zweiter Jahrgang. Herausgege- 
ben von der Bach-Gesellschaft. Leipzig, 1893. 

In der Mitte März 1853 ist von dem Direktorium der Bach- 
Gesellschaft in Leipzig die zweite Lieferung, Nr. 11 bis 20, der Kir- 
chencantaten von S. Bach an die Mitglieder versandt worden. Von 
den Cantaten in diesem zweiten Bande sind die Nrn. 11, 12, 13, 15, 
16, 17, 18 und 19 nach den Originalen der königl. Bibliothek in Ber- 
lin, bestehend in Originalpartituren und Originalstimmen herausgege- 
ben. Herr Prof. Dehn, Custos der musikalischen Abtheilung dieser 
Bibliothek, hat die Abschriften besorgt und dieselben einer genauen 
Revision unterworfen. Auch die Originalstimmen sind zu Rathe ge- 
zogen, zur Vortragsbezeichnung, Bezifferung des Continus und zur 
Berichtigung des Textes und der Noten benutzt worden. Nr. 11 und 
20 haben in den Originalpartituren und Originalstimmen der Redak- 
tion selbst vorgelegen : die erstere aus der Sammlung des Hrn. Capl. 
Hauser in München, die letztere im Besitze des Hrn. Geh. Justizr. 
Rudorff in Berlin, und die Originalstimmen zu beiden aus der Biblio- 
thek der Thomasschule in Leipzig. 

Die schon früher bemerkte eigenthüfhliche S. Bach'sche Bezif- 
ferung der Bassstimmen (Continus) findet auch in diesem Bande einen 
Zusatz. In einer Arie von Nr. 13 soll sich über Einem Basston 
l und seine Auflösung =&= finden ; diese letztere steht aber über dem 
nachfolgenden Durchgange, und ist kein Stichfehler, sondern als S. 
Bach'sche Bezifferung auf den vorhergehenden Basston zu beziehen. 
JJoch andere S. Bachsche Führungen des J Akkords über den Durch- 
gang hinaus sind in der Vorrede ausführlich besprochen. Die theil- 
weise vorhandene Bezifferung auch in diesem Bande ist uns aber um 
so willkommener, da sie meistens von S. Bachs Hand geschrieben 
oder auch von derselben verbessert ist. Im Ausschreiben der Stim- 
men war S. Bach unermüdlich; die Originalstimmen von Nr. 14 der 
Leipziger Thomasschule wären durchgängig , die Hauser'schen aber 
grösstentheils von seiner Hand geschrieben. 

Auf den Inhalt dieses zweiten Bandes näher eingehend, wol- 
len wir noch vorbemerken, dass in zwei Sätzen von Nr. 11 und 12 
der Cantaten sich Erinnerungen an die grosse Messe in H-moll finden. 

In den einfach harmonisirten und figurirten Chorälen, letztere 
auch reich instrumentirt, erscheint die gegebene Eirchenmelodie, der 
Cantus firmus, in der Oberstimme. Beide Formen sind zum Schluss, 
die letztere auch zum Anfang der Cantaten benutzt. — Diese Kir- 
chencantaten sind im kirchlichen Amte von S.Bach geschrieben und 
dabei Strophen aus älteren Kirchenliedern und rhythmisch gegebene 
Bibelworte als Texte zum Grunde gelegt. Einzelne dieser Cantaten 
erscheinen in den Originalen unter dem Namen „Concerte". Es wird 
damit wohl eine Form älterer Kirchenwerke angedeutet, in welcher 
Bibelworte und Liederstrophen einander gegenüber gestellt wurden 
und sich in solofigurirten und polyphonen Chor- nnd Instrumental- 
Sätzen verbreiteten. Im vorliegenden Bande sind jene Cantaten nicht 
näher bezeichnet. Doch sind sehr wahrscheinlich die Nr. 11, welche 



den Namen Oratorium trägt, wie die Nrn. 12 und 18, die mit kurzen 
oder ausgedehnten Si nfonien eingeleitet werden, und Nr. 15, in 
welcher eine Sonate vorkommt, dadurch ausgezeichnet. 

(Schluss folgt.) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS WIEN. 

(Mitte April.) 

(Schluss.) 
Ich komme nun zu der Löwin der heutigen Concert-Saison , zur 
Violinspielerin Therese Milanollo. Würde es sich mit meiner Ver- 
pflichtung gegen Ihr Journal und mit meiner Gewissenhaftigkeit als 
Ihr Correspondent vertragen, ich schwiege lieber ganz über die Con- 
certe dieser Künstlerin und überliesse es irgend einer Privatcorre- 
spondenz aus Wien, Ihnen den Milanollo-Enthusiasmus unseres Pu- 
blikums zu schildern j so aber muss ich mein Urtheil aussprechen 
über dieses Phänomen, das den Tross unserer Journalisten beinahe 
schon um ihren Verstand gebracht , auf die Gefahr hin , dass man 
meinem offen ausgesprochenen Urtheile die Folie der Ostentation un- 
terlegt, welche sich darin zu gefallen sucht, gerade das Gegentheil 
von dem zu sagen, was alle Welt denkt und sagt. Ich habe mich 
noch nicht auf jenen Grad der Sensibilität hinauf- oder besser herab- 
gestimmt, um mein kritisches Urtheilsvermögen von momentanen Ge- 
fühlseindrücken so völlig beherrschen zu lassen, und bin leider von 
derberer Complexion, um über eine einzelne, mit Zartheit vorgetra- 
gene Gefühlsstelle in Enthusiasmus ganz und gar aufzugehen; ja ich 
entsinne mich sogar, bei dem mehrmaligen Anhören dieser Künst- 
lerin in meiner Nüchternheit niemals den kritischen Masstab verlo- 
ren zu haben. Mag nun dieser vielleicht nicht der richtige sein, so 
ist er doch der mein ige und da ich als Ihr Correspondent nun ein- 
mal nur nach diesem die musikalischen Vorkommnisse abmesse, so 
mögen Sie denn mein Urtheil über Milanollo vernehmen , so unge- 
reimt es auch in den Augen mancher „Milanollo - Schwärmer" er- 
scheinen mag. 

Die Violinspielerin Milanollo ist eine interessante, ja eine sehr 
interessante Erscheinung. Sie wäre es , wenn ihre Virtuosität auf 
der Violine nicht so bedeutend sein würde, als sie wirklich ist. Ihre 
Bogenführung ist edel, zierlich, gewandt, die Intonation rein, die 
Fertigkeit der linken Hand überraschend. Die Form ihres Vortrages 
im Allgemeinen ist vollkommen abgerundet; sie weiss mit Ruhe ihr 
Spiel zu beherrschen. Mit seltener Zartheit und Eleganz versteht 
sie die cantabilen Stellen, während sie Schwierigkeiten der Bravour 
mit Sicherheit und Leichtigkeit überwindet. Die einzelnen Theile 
ihrer technischen Ausbildung stehen im schönen Verhälthiss zu ein- 
ander und sind, für sich betrachtet, fertig, vollkommen. So ist ihr 
Triller perlend , ihre Doppelgriffe rein , ihre Sprünge in die höchste 
Applikator sicher und gewandt, ihre Octavenläufe beurkunden ein 
fleissiges Studium« Bei alledem aber ist Therese Milanollo noch kei» 



** 



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neswegs den grossen Künstlern auf der Violine an die Seite zu 
setzen. Es ist überhaupt gar kein Vergleich anzustellen zwischen 
ihr und allenfalls Ernst, Moliqoe, Vienxtempsr il A. m. Es mangelt 
ihr voieMlp einem grossen Violinspieler, und nach meiner An« 
sieht ist dies kein Geringes — ein grosser Ten; es fehlt ihr die 
Kraft nn£ Bestimmtheit , ihrer Bravour den Stempel der Grossartig« 
keit aufzudrücken, der kühne Aufschwung, das Feuer, die Begei- 
sterung in der Gantilene. Ihr Gantabile ist einförmig, farblos, es ist 
ein fortgesetztes Lamentoso, ein Conglomerat von Sentiments. Es 
fehlen in ihrem Spiele die scharfen Licht- und Schattenseiten, Alles 
ist ineinander verschwommen, Alles vom falben Lichte der Melan- 
cholie umflossen. In Bezug auf ihre Kunstanschauung, die sich in 
der Auflassung der vorgetragenen Tonstücke erweisst, zeigt sie eben 
eine Einseitigkeit, eine Subjectivität, welche die Charakteristik der- 
selben nach ihrer eigenenlndividualität umformt. Originalität in der 
Darstellung habe ich nur dann bemerkt, wenn es sich darum han- 
dfeite, in Künsteleien, wie z. B. im „Rheinweinlied", zu glänzen. 
Ueberhaupt herrscht in der Gesammtheit ihrer Leistungen eben mehr 
dieses tändelnde Element, als Gefühlstiefe und ernste Würde vor. 
Einen Beleg zu dieser Behauptung liefert schon ihr Repertoir, in 
welchem man vergebens die Goncerte von Beethoven, Mendelssohn 
oder andere ernste Compositionen von Spohr, Kreutzer, Molique su- 
chen wird. 

Ungeachtet dessen ist Therese Milanollo eine interessante Kunst- 
erscheinung , welcher ich die Vergötterung unserer Enthusiasten von 
ganzem Herzen gönne; möge sie mir nur verzeihen, dass ich in 
meiner Nüchternheit die Göttlichkeit ihrer Sendung nicht begreife 
und es überhaupt gewagt, ihr Spiel einer Kritik zu unterziehen. 

Und nun ein Paar Worte über das 3te Concert Spirituel, 
in welchem wir zwei Werke des grossen Sebastian zu hören be- 
kamen. Von der Milanollo zu — Bach! Und beides ist Musik, 
was wir von ihnen hören. Das Plätschern des Bassins im Volksgar- 
ten und der Donner der stürzenden Wogen des Rheins bei Lauffen ! 
— Das D-moll -Concert ist in der Abgeschlossenheit seiner Form ein 
Meisterwerk und wird es ewig bleiben. Diese stahlgerüsteten The- 
ma's, welche sich durch alle contrapunktischen Hindernisse gleichsam 
durchhauen» diese wunderbaren Combinationen, dieses künstliche Ge- 
webe der Stimmführung, diese gewaltige Beherrschung der Form. 
Bei der Anhörung Bach'scher Musik wird die Seele des Hörers un- 
willkürlich hineingezogen in die wunderbaren Tonverschlingungen 
und der Musiker glaubt sich in eine andere Welt versetzt. „Die 
Lehrsätze seines Kunststudiums scheinen sich zu beleben, sie neh- 
men Gestalten an und ziehen an seinem geistigen Auge vorüber. Die 
Ausführung war eine entsprechende , besonders verdient das Spiel 
des Herrn Dachs lobend erwähnt zu werden, weniger der Vortrag 
der beiden anderen Clavierspieler. Die Bach' sehe Sopran -Arie aus 
seiner Cantate: „Also hat Gott die Welt geliebt", fand keine wür- 
dige Repräsentantin. Den Schluss machte Mendelssohns bekannte 
und oft gewürdigte A-moll-Symphonie. Der Ausführung des Orchesters 
unter der Leitung Hellmesbergers jun. fehlte die Prägnanz. Sie war 
nur theilweise gelungen. So manche Einzelheit wurde von Seiten 
des jugendlichen Direktors nicht mit jener umsichtigen Gewissenhaf- 
haftigkeit gewürdigt» wie es ein so erhabenes Kunstwerk verdient. 
Ein Werk der Art muss in das Blut des Dirigenten übergegangen 
sein, er muss es völlig in sich aufgenommen haben, ehe er das Di- 
rigirpult besteigt; Correctheit der Ausführung genügt hier noch lange 
nicht. 

Der greise Contrabassist Hindle, bekannt durch seine Kunst- 
stücke auf diesem Orchester-Ungethüm , die ihm sogar in Paris An- 
erkennung verschafften , der Natur des Instrumentes aber ganz und 
gar entgegen sind, nahm Abschied von der Oeffentlichkeit in einem 
Concerte. 

Auch ein Clavierspieler Prossnitz, der die Zahl der vielen 
Pianisten-Concerte vermehrte, ohne dass wir und die Kunst es ihm 
Dank wissen, veranstaltete eine Privat-Akademie. 

Das Bürgerspitals-Concert brachte heuer wieder, wie alle Jahre, 
ein Olla potrida von Genüssen aller Art, für die verschiedensten 
Gaumen, wenig aber für einen guten Geschmack. Kindervirtuosen, 
Deklamationen, italienische Sänger, deutsche Vocalchöre, ein neues 
österreichisches Volkslied ohne Kraft und Saft, kurz: zu viel, um 
Alles anzuhören, viel zu wenig aber, um es einer kritischen Wür- 
digung au unterziehen, 



Die hiesige Musikwelt hat wieder durch den Tod des als Leiter 
der früheren Concerts Spirituels und als musikalischer Schriftsteller 
bekannten £aron Lannoy und des gleichfalls in einer anderen 
Sphäre renommirten Orgelbauers und Verbesserers der Physharmotti- 
ken, P. Deutschmann, ztrei empfindliche Verluste erlitten. 



"• a eo t* 



AUS HAMBURG. 

(April.) 

Noch nie hat uns ein Winter eine so grosse Fülle von Musik- 
aufführungen geboten , als der diesjährige. Auch der März hat Ge- 
legenheit gegeben, wahrhaft übersättigt zu werden an der reich be- 
setzten musikalischen Tafel. Ich habe demnach Vieles zu berichten, 
indem ich von vornherein darauf verzichten muss , Alles zu bespre- 
chen, und also mit der Nichterwähnung einzelner Leistungen auf 
keinen Fall eine Geringhaltung derselben ausdrücken will. 

Den Reigen eröffnete ein Concert von Frl. Malvina Sehr ad er, 
Schülerin des Herrn J. Tedcsco, der seit mehreren Jahren hier lebt. 
Die junge Virtuosin spielte Mendelssohn's H-moII-Quartett. Diese 
höchst eigenthümliche Composition, die in der übersprudelnden Fülle 
der Jugendarbeit eine grosse Schwierigkeit der Ausführung und ein 
sehr mühsames Verständniss erzeugt , bedarf eines sehr sorgfältigen 
Zusammenspiels. Leider war die Violine sehr matt und selbst un- 
sicher , so dass die junge, recht feurige Spielerin in einigen Stellen 
ihrem Begleiter tüchtig unter die Arme greifen musste. In mehreren 
anderen Vorträgen entwickelte sie eine lebendige und keineswegs des 
Geistes entbehrende Begabung. 

Am 2. März gab Herr Grädner ein Concert, worin er mehrere 
eigene Compositionen zu Gehör brachte. Eine Ouvertüre zur Oper 
„Harald" zeigte den Verfasser in die absonderliche Schumann'sche 
grübelnde Art verfallen. Dissonanzen wahrhaft unerträglicher Natur 
und Mangel an fliessender Melodie liessen die Hörer zu einem wenig 
befriedigenden Genuss gelangen. Bei weitem besser gefiel mir schon 
eine Arie für Tenor aus derselben Oper, welche Herr Dr. Garvens 
mit geistreich belebtem Tone vortrug. 

Entschiedenes Vergnügen aber hat mir ein Clavier-Concert ge- 
macht, dessen Vortrag Herr Willmers mit grosser Bravour und lie- 
bevollem Eingehen übernommen hatte. Mit lebhafter Freude erzähle 
ich von gesunden Ideen, harmonischer Anordnung der grossen Haupt- 
theile, guter und bedeutender Melodie und vor allem von sehr treff- 
licher Benutzung des Orchesters, das mit dem Piano selbst ein wür- 
diges Ganze zusammenflocht. — In demselben Concerte ward unter 
Leitung des Herrn C. Berens, Musikdirektor der Garnison, die Ro- 
bespierre-Ouverture vonLittolff sehr energisch und feurig ausgeführt. 
Wiederholt hat mich die Conception des Ganzen auf das Allerhöchste 
gespannt und wiederholt bin ich durch den Effekt der in der Mitte 
durch 2 oder 3 Schüsse geschilderten Catastrophe bis zur athcmlosen 
Erschütterung ergriffen worden. Wo diese Ouvertüre irgend mit ge- 
nügender Besetzung und im grossen Räume gemacht wird, muss sie 
unfehlbar die beabsichtigte Wirkung machen. Dass feuriger Geist 
darin ist, fühlen die Ausführenden leicht, denn sie sind von selbst 
zur grössten Aufregung fortgerissen. Ich finde darin bei weitem 
mehr Genie, als in Schumann s und Wagner' s zuletzt gehörten Ouver- 
türen. — Herr Böie endlich spielte noch das schon früher erwähnte 
etwas paganinisirende Concert von David und erntete durch seine 
treffliche Leistung den lautesten Beifall. 

Eine Soiree, welche der Cellist, Hr. d'Arien, am 3. März gab, 
bot nichts , was das Interesse Ihrer Leser ansprechen könnte. In- 
dessen muss ich erwähnen , dass darin eine junge Virtuosin , Nan- 
nette Falck, auftrat, dass ihre Leistung von dem Feuilletonisten 
Herrn Robert Heller sehr herabwürdigend beurtheilt ward und dass 
darüber eine öffentliche kleine Fehde entstand, in welcher natürlich 
weder Lob noch Tade,l zu einem entschiedenen Abschluss gebracht 
werden konnten. Dass dagegen Frl. Falck sich nicht möge beirren 
lassen, können Alle, die ihr wohlwollen, nur rathen. Sie wird leicht 
durch ein ernenefes öffentliches Auftreten und tüchtige Leistung 
neigen, was ihr an Kräften gegeben ist. Das grosse Publikum ist 
Immer, so viel Vorwürfe man ihm auch machen kann, empfänglich 
-für das wirklich WerthvoUe und lässt sich dann durchaus durch 
keine Kritiken leiten, deren Entstehung oft nach ihrem ganzen Ua« 
wertia bekannt »lud* • 



— ?9 



Das 5te Philharmonische Concert veranlasst mich zu umständ- 
licher Besprechung. Zuerst sei einmal lebhaft darüber geklagt, dass 
nicht endlich dem missverstandenen Cultus der Beethoven'schen Or- 
chesterwerke ein Ende gemacht wird. Ich bezeichne damit das be- 
harrliche Abweisen der Vorführung grösserer Sinfonien und Ouver- 
türen auch anderer älterer oder jüngerer Meister. Cherubini ist ganz 
ausserordentlich selten und beinahe nur durch die Wasserträger- und' 
Lodoiska-Ouvertüre vertreten. Nun bieten aber Fanisca, Elise, die 
Abenceragen und Anacreon ebensoviel treffliche und höchst interes- 
sante Ouvertüren. Von F. Ries , dem viel zu wenig beachteten, 
wären einige Sinfonieen und seine Ouvertüre zur „Räuberbraut" eine 
sehr dankenswerthe Erscheinung. Mendelssohns A-moll- Sinfonie Und. 
Ouvertüre zu „Ruy-Blas" warten vergeblich auf eine Aufführung. 
Die sehr hübschen ersten Orchesterwerke von Spohr, mehrere sehr 
geistreiche Ouvertüren von Onslow, die Wcber'sche Ouvertüre zum 
„Beherrscher der Geister" und überhaupt so manches Werk, welches 
an anderen Orten oft gehört wird, ist in diesen Concerten unbekannt. 
Freilich erwachsen aus solchen neuen Erscheinungen dem Direktor 
die Mühe und die Arbeit des Einstudirens, und eben das ist es, Was, 
wie ich glaube, ihrer Ausführung entgegen steht. Bequemer ist es 
freilich, Jahr aus , Jahr ein immer die 4 bis 5 der populärsten Sin- 
fonien Beethovens zu geben, in deren irgend erträglicher Ausführung 
das Verdienst durchaus auf Seite des Orchesters Hegt, welches diese 
Sachen nachgerade auswendig spielt. Die Pflicht des thätigen und 
vielseitigen Künstlers aber wäre es, das erste Gebot der Kunst: Ab- 
wechselung, herrschen zu lassen. — In dem hier zu besprechenden 
Concert wurden die Eroica, die Tannhäuser-Ouvertüre zum zweiten 
Male, Mendelssohns Scherzo in G-moll aus dem Sommernachtstraum 
und endlich Mehuls Jagd-Ouvertüre gegeben. Die Wahl des Scherzo 
von Mendelssohn ist nach meiner Meinung unpassend. Das Stück 
ist zu sehr auf den Charakter dessen , was auf der Bühne vorgehen 
soll, gerichtet, als dass es nicht so einzeln auftretend als abgerissen 
erscheinen sollte. Wie aber eine so alte zopfähnliche Composition, 
wie die Mchul'sche Ouvertüre, dazu kommt, den Platz einzunehmen, 
welcher 1 vielen werthvollen neueren vorenthalten wird , ist mir ein 
Räthsel. Ich darf nicht hinzusetzen , dass Mehuls grosses Verdienst 
nach vielen anderen Seiten hin vollkommen von mir werth gehalten 
wird. — Was nun die Ausführung betrifft, so kann ich diese nicht 
genug als sehr matt und ungenügend bezeichnen. In der Eroica war 
ersichtlich die oberflächlichste Auffassung des unsterblichen Werkes 
Wenn irgend ein Satz in der ganzen musikalischen Literatur die 
feinste Gliederung im Forte und Piano, vorzüglich aber hinsichtlich 
der Bewegung fordert , so ist es dieser. Nichts ist geeigneter , dies 
herrliche Gemälde menschlichen Lebens und irdischer Dinge zu ent- 
stellen, als das steife mathematische strenge Festhalten an einem 
einzigen stereotypen Tempo ; umgekehrt z. B. fordert das erste Al- 
legro in seinen grossartig neben einander gestellten Hauptparthieen 
.eine geistreiche Freiheit der Bewegung, die, wie immer, hier vorzüg- 
lich oft einzelne Noten durch ein breites Verweilen hervorheben 
muss, indem dann andere gleichsam Nebenworte jenen Hauptworten 
gegenüber leicht und schneller vorüberrauschen müssen in derselben 
Art, wie der gute Redner auf einzelnen Hauptsilben verweilt und 
die folgenden Partikeln als gleichsam unbedeutend eilig abfertigt. 
Von der unbeschreiblich tiefen Wirkung, welche in dem Trauermarsch 
die scharfen nebeneinander gestellten ff und p machen und in denen 
lebhaft der Jammerschrei des Klagenden sich fühlbar macht, kommt 
unter Herrn Grund's Direktion nichts zu Gehör. Es versteht sich, 
dass die Ausführung durch das Orchester, welches eine grosse An- 
zahl ganz vortrefflicher Künstler und sehr geistvoller Spieler zählt, 
auch selbst in dieser Art und Weise des Herrlichen Vieles zu Gehör 
bringt Beethoven selbst hat schon dafür gesorgt, dass man ihn nicht 
so ganz vernichten kann. Aber das , was ich vermisse , ist jener 
höhere feinere Geist, welcher von dem Führer ausgehen muss und 
mit diesem unendlich tiefen Orchesterwerke Erfolge erzielen kann 
und soll, welche Schauer des Ueberirdischen im Sinne des Hörers 
erwecken. Wer je z. B. Mendelssohn als Dirigenten beobachtet hat, 
wie derselbe mit dem feinsten Sinne, mit dem gebildetsten Geschmack 
dem Orchester die geheimen Schätze der Composition enthüllte und 
alle zur feurigsten Begeisterung zu entflammen wusste, der wird sich 
wohl erinnern, dass er einen sehr grossen Antheil am Ausdruck da- 
durch erzielte, dass er die Masse des Orchesters wie einen Solospie- 
ler zum augenblicklichen Verweilen auf einzelnen Noten oder schnei- 



[ 



len Forteilen über einzelne Reihen vermochte. Freilich Bt aHdH 
ein reich gebildeter Geist, die Gabe der Rede und 'die Liebenswür- 
digkeit des edlen Menschen zu Gebet. Als Hauptsache aber machte 
sich in allem, was er an der Spitze des Orchesters that, der reine, 
lautere Feuereifer für die Kunst geltend. Herr Grund mag früher- fit 
diesem Sinne gewirkt haben, es ist mir unbekannt; jetzt aber läset 
er in allen seiner Leitung anvertrauten Aufführungen eine Ermattung 
durchblicken, welche den Compositionen zum grössten Nachtheite 
gereicht. Das Mendelssohn'sche Scherzo in G-moll, das mit der Aus- 
nahme einiger weniger Stellen tutto pianissimo sich bewegen Soll, 
gebürdete sich so hart und scharf, dass aller Hauch der Poesie auf 
das Kläglichste verschwand. Und doch wäre natürlich eine möglichst 
delikate Ausführung das einzige Mittel, diesem Satze, so einzeln auf- 
tretend, eine irgend genügende Wirkung zu geben. +- Die Wagneri- 
sche Ouvertüre hat bei wiederholtem Hören mein Urtheil vollkommen 
unverändert gelassen und ich darf daher das früher Gesagte einfaofi 
bestätigen. Hinsichtlich der Ausführung war mir wieder die erschreck- 
lich lang fortgeführte undankbare Violinfigur am Schlüsse auffallend» 
Selbst wenn der Dirigent sie sorgfältiger, als es geschah, ausführen 
liesse, kann sie nur ermüdend und matt wirken. Da, wenn ich nicht 
irre, 10 erste und 8 zweite Geigen spielten, so kann der Vorwurf 
einer ungenügenden Besetzung nicht Statt finden. — Den Instrumon- 
talsätzen war eine sehr nachtheilige Reihenfolge gegeben, indem der 
Schluss des ganzen Concerts, nach der Eroica und der Tannhäuser- 
Ouvertüre, der Mehul'schen Jagdouvertüre überlassen blieb, die denn 
in ihrer fast kindischen Naivetät beinalle lächerlich erschien. — End- 
lich sang noch Herr von Osten, Concertsänger aus Berlin, meh- 
rere sehr unbedeutende Lieder und die bekannte Arie des Pylades 
aus Gluck's Iphigenie in Tauris in A-dur. Sein Vortrag zeigte eine 
etwas kleine Stimme von sicherer musikalischer Bildung, bedeutender 
Höhe und eine beinahe übertrieben deutliche Aussprache. Mit Be- 
dauern melde ich , dass unser Publikum grosses Gefallen an einem 
Wiegenliede von Taubert fand. Natürlich bezieht sich dieses Wort 
nicht auf die Composition, welche sehr hübsch und charakteristisch 
ist, wohl aber auf das Ungehörige, an dieser Stelle und mitten zwi- 
schen grossen Orchestersätzen eine so kleine Gattung zu bieten. Die 
Gluck'sche sowie eine Arie aus dem Paulus waren jedenfalls besser 
gewählt und wurden recht wacker ausgeführt. 

(Schluss folgt.) 



AUS DER SCHWEIZ. 

(Ende April.) 

Die Theatergesellschaft des Herrn Hehle in Basel ist dort bis 
gegen Ende des Winters geblieben und dann nach der Bundesstadt 
Bern übergesiedelt. Daneben haben die Abonnements - Concerte 
unter Methfessel einen um so regeren Fortgang genommen und 
manches Gute und Gediegene bei sehr mannigfaltigen Programmen 
gebracht. — In der Genfer Oper zeichneten sich unter den Sängern, 
neben der schon erwähnten Pretti als Prima-Donna aus : die Herren 
Baille (Baritonist) und Van Iluffeten (Bassist). Der Tenorist Herr 
Constant-David war mehr Spieltenor; gegen Ende der Saison leider 
erst trat noch ein jugendlicher Anfänger, Herr Barbot, mit einer recht 
frischen, anmuthigen, lieblichen Stimme als Georg in der „weissen 
Dame auf. Da man jedoch äusserst wenig lyrische Opern gab, so 
kam man mit den vorhandenen Kräften aus. Die moderne leicht- 
französische Oper behielt die Oberhand: da gab es denn den „Vater 
Gaillard", den „Berggeist", den Stierkämpfer", „schwarzen Do- 
mino" und — natürlich auch das letzte Werk Aubers, „Marco 
Spada". Letzteres fand äusserst lebhaften Beifall , eben so Adams 
„Wenn ich König wäre!" Gfisars „Glockenspieler von Brügge" 
Hess kalt. Dagegen begeisterte das Publikum sehr die Inscenesetzung 
Vom „Dorfwahrsager", einer Operette» mit Text und Musik von JF. J. 
Rousseau, dessen Bildsäule zuletzt bekränz! und angeredet ward« 
Natürlich waltete hierbei das vaterländische Interesse vor , indem 
man für die jetzt in Deutschland theitweise modische Oper, welche 
ans nur einer Feder geflossen, noch nicht schwärmt. — Der berühmte 
Levasseur war auch in Genf, trat aber nur einmal in 2 Akten des 
IRobert auf, nachdem er schon den Concertsaal unter, der „Sonnen- 
fceschwörung" und dem „Piff, Paff, Puff" hatte erzittern lassen. — 
Von fremden Virtuosen gaben die Herren Simori, Schüler Pagaiiinjfr» 



80 — 



«nd Bertrand, Schüler des Pariser Conservatoriums (Violinist), sowie 
die Pianisten Hr. Mulder und der 17jährige Werner Concerte. — Die 
Quartett- und Quintett - Soireen unter dem Vorspiele des wackeren 
Eichberg brachten lauter klassische Compositionen (Beethoven, Haydn, 
8, Bach, Pummel) und fanden vielen Anklang, während die Freunde 
der Kirchenmusik von der Gesellschaft, welche für dieselbe besteht, 
in einem Concerte durch Chöre von Haydn, Schicht, Mozart, Men- 
delssohn und Feska erbaut wurden. Bei der Mannigfaltigkeit und 
Fülle dieser musikalischen Kräfte Genfs ist nur der Umstand zu be- 
dauern, dass man sie nicht auf einen einzigen Mittelpunkt zusammen 
drängt. Freilich müssten dann mehrere Dirigentenstäbe und -Stäbchen 
feiernd niedersinken! — Die Oper des Herrn Löwe in Zürich war. 
wahrscheinlich die thätigste von Allen, ob die fleissigste, mag dahin 
gestellt bleiben: sie gab über 40 verschiedene Opern! Natürlich ent- 
sprach, da nur wenige Schooskinder des Publikums und die Novitä- 
ten wiederholt Wurden, dieser Zahl auch die der Proben so ziemlich, 
ein Verhältniss, das wohl nicht das richtige ist. Das Ensemble war 
aber dennoch, wenn man darunter nur das sogenannte „Gehen" der 
Oper im Takte versteht, gewöhnlich ziemlich hergestellt. Zu befrie- 
digenden Aufführungen der Mehrzahl der Opern fehlten aber ein guter 
zweiter Sopran und — der Tenor. Unter fünf Tenoristen, welche 
Herr Löwe unermüdlich hinter einander kommen liess, hatte erst der 
Letztere hinreichenden Stimmfond. Es war dies Herr Castelli, ein 
sehr wackerer erster Tenor % der aber leider nur noch einige Male 
auftreten konnte. Desshalb wollten auch die nun zur Aufführung 
gebrachten Opern: Ernani, Gesandte, die lustigen Weiber, Undine, 
nicht sehr gefallen. Dagegen ward neben den schon früher genann- 
ten Sängern der Bassist Hr. Orth, mit äusserst kräftiger, sonorer 
und umfänglicher Stimme, die er nur leider noch nicht recht zu mas- 
sigen versteht, ein Liebling des Publikums. Die Lieblingsstücke waren 
und blieben: Norma, Martha, Regimentstochter, Oberon. Letzterer 
nämlich mit einer Wandeldekoration versehen. Nach .Ostern 
siedelte die Gesellschaft nach St. Gallen über. — In den beiden letz- 
ten Concerten dirigirte R. Wagner die A-dur-Symphonie und die 
heroische von Beethoven und rief mit seiner Meisterschaft in der 
Auffassung dieser kolossalen Werke trotz des mühsam einzuübenden 
Orchesters und der grossen Schwäche vieler Mitglieder desselben ka 
Publikum eine grosse Begeisterung «hervor. — Am Charfreitag führte 
die Allgem. Musikgesellschaft in der Frauenmünsterkirche unter der 
eifrigen Leitung des Herrn Musikdirektors Müller Schneiders „Welt- 
gericht" auf. Die Chöre gingen vortrefflich, dagegen Hessen die So- 
listen , noch mehr aber die Instrumcntalisten zu wünschen übrig. — 
In dem Concerte des Herrn Heisterhagen trat wiederholt Hr. Stein- 
metz auf, der sich den hiesigen Virtuosen auf dem Piano würdig an- 
reiht. Auch seine Schwester ist eine gründlich gebildete Pianistin. 
— Der bekannte Männergesangverein „Harmonie" gab unter seinem 
neuen Dirigenten, Hrn. Heim, einem Schweizer, zuletzt Chordirigent 
in Freiburg, das erste Conccrt, welches sehr wohl ausfiel. Der Vio- 
linist Aeschmann, einer bekannten hiesigen musikalischen Familie 
angehörend, legte wiederholt Proben von seiner im Auslande erlang- 
ten weiteren Entwickelung ab. Fremde Virtuosen besuchten , eine 
nicht zu rühmende Pianistin abgerechnet, weiter keiner Zürich, das 
nun von seinen Kunstgenüssen ausruht. . 

NACHRICHTEN. 



t> 



'Wien. Fl. Milanollo hat bereits 11 Concerte gegeben. — Der 
bekannte Pianist L. v. Meyer, welcher bedeutend erkrankt war, be- 
findet sich wieder wohl, wird jedoch den Sommer über noch in Grä- 
fenberg bleiben. — Kapellmeister Schindelmeisser von Wiesbaden 
ist hier, um für die dortige Oper Mitglieder zuengagiren. — Flotow 
ist gleichfalls angekommen, und zwar, um seine für die deutsche 
Saison bestimmte Oper „Rübezahl" zu vollenden. 

Cöln. Am 23. April sang die nun sächsische Hofsängerin Jenny 
Key in einer Opernscene. Eine ganze Oper konnte das abermals ge- 
scheiterte Stadttheater nicht mehr herstellen, 

Breslau. Am 31. März fand zum Benefiz der Frl. Fischer, 
welche damit vom Theater Abschied nahm, eine treffliche Aufführung 
der nervlichen „Medea <( von Cherubini statt* 



Wttrzburg. Am 30. April führte der Männergesang -Verein 
Sängerkranz" die JSinfbnie-Cantate »Tag und Nacht" von V. E. 
Becker auf und erndtete den rauschendsten Beifall. Die Composition 
selbst wird als eine der vorzüglichsten und dankbarsten Männerge- 
sangscompositionen gerühmt und allen Männerquartetten empfohlen. 

Weimar« Kapellmeister Sobolewsky aus Königsberg gab am 
21. April im hiesigen Theater ein Concert, in welchem unter Anderem 
zwei neue Werke dieses Componisten aufgeführt wurden („Meeres- 
Phantasie" für Solo, Chor und Orchester, und „Vinvela", ein Gedicht 
Ossians für 3 Solostimmen, Chor, Streichquartett und Harfe), wovon 
besonders das letztere sich durch grosse Schönheiten auszeichnen 
soll. Sebolewsky geht von hier nach London, wo er seine neuen 
Werke aufzuführen gedenkt. 

Carisruhe. Ein Sohn des bekannten Componisten Kalliwoda, 
Schüler des Leipziger Conservatoriums, ist zum Musikdirektor an der 
hiesigen Hofbühne ernannt worden. 

Königsberg. Musikdirektor Sobolewsky hat seine Stelle nie. 
dergclegt. An seine Statt tritt Kapellmeister Witt. Vor seiner Ab- 
reise gab er ein Abschieds - Concert , in welchem seine Tochter als 
Sängerin debutirte. 

Hamburg. Die hiesige „Liedertafel" feierte vor Kurzem ihr 
30jähriges Jubiläum. Der Gründer derselben war Meethfessel. 

Wiesbaden« Das hiesige Theater ist seit dem 7. Mai wieder 
geöffnet, bringt jedoch nur Schauspiele, da in dem Opern-Personal 
erst durch neue Engagements die Lücken ausgefüllt werden müssen, 
welche durch den Abgang mehrerer Sänger und Sängerinnen entstan- 
den sind. 

Brüssel. Die ital. Operngesellschaft des Herrn Bocca, welche 
schon einmal den Wanderstab ergreifen und versuchen musste, in 
Deutschland den nöthigen Beifall und die noch nöthigeren Einnahmen 
zu finden, womit man hier so karg war, ist nun definitiv gesprengt. 
Der Direktor hat das Weite gesucht und die besten Mitglieder haben 
bei anderen ital. Opern Engagement angenommen. Die übrigen be- 
absichtigen, in Antwerpen eine neue Bühne für ital. Opernmusik zu 
errichten. In Folge der sich immer wiederholenden Theaterbankerotte 
und der dadurch herbeigeführten, für eine Residenz nicht sehr rühm- 
lichen öfteren Schliessungen derselben hat sich endlich der Stadt- 
rate entschlossen , die Verwaltang selbst zu übernehmen und nur 
einen tüchtigen technischen Direktor anzustellen. 

Paris. Die neue Oper von Niedermeyer, ,,La Fronde", welche 
von der Grossen Oper mit einem bedeutenden Aufwände in Scene 
gesetzt worden ist, hat wenig Anklang gefunden. Die Grosse Oper 
wird in diesem Sommer 6 Wochen lang geschlossen, um nothwendige 
Reparaturen vorzunehmen. Das Gouvernement hat dafür 60,000 Fr. 
bewilligt. — Armandi und Brignoli , die beiden Tenoristen der ge- 
scheiterten Brüsseler italien. Oper, von denen der letztere eine sehr 
sohöne Stimme besitzt, haben in der italien. Oper debütirt. — Mad. 
Lagrange macht hier mehr Glück, als in Deutschland. Sie wird we- 
nigstens von der Journal-Kritik gefeiert, ein Beweis, dass Kunstfer- 
tigkeit hier mehr gilt , als wahrhaft künstlerische Ausbildung. — Im 
Theater lyrique folgen die Vorstellungen von „le Roi des Halles" 
von Adam mit grosser Schnelle aufeinander. Ebenso macht in der 
Opera comique „Tonelli" von Thomas entschiedenes Glück. — ■ Die 
Pianistin R. Kastner und die Geschwister Ferni {Violine) haben 
Paris verlassen, letztere,. um sich nach Deutschland zu begeben. 

Haag« Das im vorigen Jahre wegen finanziellen Verhältnissen 
geschlossene Theater wird in der nächsten Zeit wieder eröffnet und 
zwar mittelst einer Subvention von 20,000 Gulden, welche der König 
bewilligt hat. Die Stadt gibt die angekauften Dekorationen, Co- 
stüme etc. sowie das Gebäude zur unentgeltlichen Benutzung. Eine 
Commission des Stadtraths wird einen Direktor wählen, um die Con- 
stituirung der Truppe zu beaufsichtigen. 

V In New-York produzirte sich am 81. März eine Negerin als 
Sängerin. Sie soll im Besitz einer schönen, aber noch unausgebilde- 
ten Stimme sein und sich in Europa ausbilden wollen. Schlimme 
Aussichten für unsere Sänger und Sängerinnen , wenn gar noch die 
Neger anfangen, ihnen Concurrenz zu machen 1 



tenatworttiefc« K«4t*ieu: J. J. SCHOTT. - Dmk toa HNTER« WALUü in Matal. 



2. Jahrgang. 



Mr. *f . 



23. Mai 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Dies« Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei eilen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTIOÜf UND VERLAG 

von 



B. SCHOTTS BOHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI fiEBR. SCHOTT. LOMDOR BEI SCHOTT * CO. 



1. 8. 44 oder Thlr. 1. 18 Bgr. 

für den Jahrgang. 

Durch dl« Pest bezogen: 

50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalt t Literarische«: Job. Seh. Bach'g Werke (Schloss). — Gorr. (Darmrtadt, Würzburg, Hamburg und London). — Nachrichten. 



UTERARISCHES. 



Job. Beb. Bachs Werke, zweiter Jahrgang. Herausgege- 
ben von der Bach-Gesellschaft. Leipzig, 1853. 

(Schluss.) 

Geschichtlich entwickelt sind die kirchlichen Chorgesänge aus 
dem Choral hervorgegangen. Als höhere durch reichere Mittel aus- 
gestattete Kunstformen sind sie aber auch dem Chorale entgegen ge- 
treten ; sie haben den letzteren verdunkelt und thatsächlich zu seinem 
Verfalle beigetragen. Die Freunde des Chorals mussten seinen Geg- 
nern, an deren Spitze begabte, kenntnissreiche Männer standen, un- 
terliegen. Die sich kundgebende tonkünstlerische Geringschätzung 
des Choralgesanges fand in Matthisons Aussprüchen eine gewichtige 
Stütze, die dem Musiker den Choral noch verächtlicher erscheinen 
liess. Wenn Matthison „die Strophe des Chorals" eine Pest der 
Compositionskunst, ein hartes Halseisen musikalischer Poeten , eine 
Mala die der Melodie etc. nannte: wer hätte nach diesem schnö- 
den, wegwerfenden Urtheile sich des Chorals noch annehmen mögen, 
da die erkaltete Liebe zu demselben sich schon der entgegengesetz- 
ten Richtung zugewandt hatte ? 

Und doch ist S. Bach den Kirchenmelodien treu geblieben. Mil- 
lionen von Christen haben seit der Reformation dieselben zum Aus- 
druck ihres religiösen Gefühls gemacht. Religiöser Sinn ist aus 
ihnen auch dem frommen Bach entgegengekommen und hat ihn ernst 
bei ihrer Bearbeitung geleitet. Der hochbegabte Künstler schätzte 
ihren wahren Werth in jeder Beziehung und zeigte dies in seinen 
tiefsinnigen Choralausführungen für die Orgel und besonders in den 
vorliegenden Kirchencantaten. Ueberall tritt in ihnen die Kirchen- 
melodie in tiefer Bedeutung, in eigenthümlichster Auffassung der 
ihnen zu Grunde liegenden kirchlichen Tonart und des in ihnen ver- 
borgenen harmonischen Kerns auf *). Dieser inhaltreiche harmonische 



*) Man hat gegen ihre Auffassung eingewandt, dass Bach in 
seinen Harmonien den Worten der einzelnen Strophe zu sehr nach- 
gehe ; sie sei bedingt, nicht durch kirchliches Gemeingefühl,, sondern 
durch die dichterische Absicht und beschränke sich mehr auf das 
persönliche Gefühl. 

Wir führen gegen diesen Tadel einige Worte aus der kleinen 
Biographie S. Bach's von Forkel an. Letzterer sagt S. 67 ; „Das 
Publikum will Alles menschlich haben und der wahre Künstler soll 
doch eigentlich Alles göttlich machen. Wie sollte also Beifall der 
Menge und wahre Kunst neben einander bestehen können ? Diesen 
Beifall der Menge suchte Bach nie. Er dachte wie Schiller : 
Kannst du nicht Allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk, 
Mach* es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm. 
Erarbeitete für sich, wie jedes wahre Kunstgenie; er erfüllte seinen 
eigenen Wunsch, befriedigte seinen eigenen Geschmack, wählte seine 
Gegenstände nach seiner eigenen Meinung und war endlich auch mit 
seinem "eigenen Beifalle am zufriedensten. Der Beifall der Kenner 



Kern der gegebenen Melodien geht besonders aus ihrer polyphonen 
Auffassung und Entwickelnng in den Cantaten hervor. Auch die 
Motive der Sätze sind sprechend und treffend und führen in ihrer 
Verwendung in Tongebiete, die, nicht verbraucht und abgenutzt, 
gross und herrlich in „Tonbildern'.* uns vorführen, was der fromme 
Bach im schaffenden Augenblicke schauete. 

Sollen wir noch auf Einzelheiten hinweisen, so sind es die herr- 
lichen Chöre mit Schlusschoral in Nr. 11 und Anfangschöre von Nr. 
16. 17. 19 und 20. 

Die äussere Ausgabe des zweiten Bandes entspricht, wie die 
des ersten, dem würdigen Werthe seines Inhalts. Noch bemerken 
wir, dass die erweiterte Bach-Gesellschaft an Interesse gewonnen 
hat und nahe an 500 Beiträge gezeichnet sind. g. 



CORRESPONDENZBU. 



AUS DARMSTADT. 

(». Stil.) 

Ander's Gastspiel ist zu Ende; wir hatten Gelegenheit, ihn in 
den Opern: Hugenotten, Prophet, Martha, Teil, Lucia und in einem 
Concerte zu hören. Seine Leistungen erregten aueh hier Entzücken 
und Begeisterung. Ander's vorzüglichste Eigenschaft ist unstreitig 
sein feiner Takt im Berechnen seiner Mittel. Die Vermeidung aller 
Coulissenretsserei, aller Unnatur und Uebertreibung lässt in ihm den 
wirklichen Künstler erkennen. Die Zurückhaltung in untergeordneten 
Scenen macht es ihm möglich, um so frischer und lebendiger- bei den 
Hauptscenen hervorzutreten. Seine Stimmbildung, vor allem sein An- 
satz der höheren Töne und deren schöne weiche Verbindung stellt 
ihn in die Reihe der besten Sänger; wir behaupten, dass es wenige 
deutsche Sänger gibt, die sich die Vorzüge der italienischen Gesang- 
schule so angeeignet, als Ander, und die ihrSchönheitsgefühi so vor 



konnte ihm sodann nicht entgehen, und ist ihm auch nie entgangen«. 
Wie könnte auch auf andere Art ein wahres Kunstwerk zu: Stande- 
gebracht werden? Derjenige Künstler, welcher sieb bei seinen Ar- 
beiten darauf einlässt, sie so einzurichten,, wie es diese oder jene 
Classe von Liebhabern wünscht, hat kein Kunstgenie, oder er nuss- 
braucht es. Sich nach dem herrschenden Geschmack der Menge- zm 
richten , erfordert höchstens einige Gewandtheit in einer sehr einsei- 
tigen Tonbehandlung. — Bach liess sich nie auf solche Bedingungen, 
ein. - Er meinte , der Künstler könne woht das Publikum ,. aber das 
Publikum nicht den Künstler bilden. Wenn er von lemandt um. ein: 
leichtes Ciavierstück gebeten wurde, welches oft geschah,, pflegte er 
zu sagen : „Ich will sehen, was ich kann". Er wählte in solchen 
Fällen gewöhnlieh ein leichtes Thema, fand aber bei. der Bearbeitung 
immer so viel Gründliches darüber zu sagen , dass das Stück nicht 
leicht wurde, und genügte er so seinem Kunstgeiste. 



«- 



— 82 



allen Auswuchsen unserer modernen Opernsingerei bewahrt, als es 
bei ihm der Fall ist. Ander's höhere Töne bis zum ? sind äusserst 
klangvoll und. geben bei Gesangstellen , die nicht durch allzustarke 
Begleitung gedeckt sinil, bei collaparte's mit einzelnen Forteeinschnit- 
ten des Orchesters sehr aus. Zu energischen Recitativen fehlt da« 
gegen, wie uns dünkt, der Stimme die Schärfe, zu stark insfrumen- 
mentirten, leidenschaftlich-bewegten Ensembles und Finales die nöthige 
Kraft und Ausdauer, was er auch wohl zu wissen scheint, da er gar 
keinen Versuch zum Durchdringen macht, sondern die Stellen zum 
Ausruhen benutzt. Ohne diese Klugheit würde es ihm auch wohl 
unmöglich sein , so oft und kurz -hintereinander , bald hier, bald dort 
auf seiner Reise zu singen. — In den „Hugenotten*' sang Ander von 
der hier sonst weggelassenen Entree in As an bis zum vierten Akt 
schön, aber mit Zurückhaltung, die dem Kalvinisten Raoul ganz wohl 
entsprach. Im Duett mit Valentine dagegen gerieth er nach und 
nach so in's Feuer , dass er alles mit sich fortriss. Ausgezeichnet 
war Spiel und Gesang bei den Worten : „Du liebst mich" und bei 
der folgenden Gesangstelle in Ges, wo der wundervolle Klang seiner 
Stimme bei den höheren Tonen b und ces und das herrliche Porta- 
mento alles entzückte und begeisterte. Frl. Marx unterstützte ihn im 
Spiel und Gesang getreulich. Sie moderirte sich möglichst und über- 
traf sich selbst an diesem Abend. Auch im „Propheten" , obgleich 
die Titelrolle bei weitem weniger dankbar für ihu als'Raoul ist, riss 
Ander namentlich im vierten und fünften Akte zu allgemeiner Bewun- 
derung hin. DieParthie des Lyonel in „Martha" entspricht ihm ganz 
und gar. Im Spiel und Gesang leistete er Vorzügliches vom Spinn- 
rad bis zum Wahnsinn. Dabei darf es jedoch Niemand befremden, 
wenn uns die ganze Oper gerade so wässerig , wie sonst , vorkam. 
Anders Leistung im „Wilhelm Teil" zeichnete sich besonders aus 
durch herrlichen Vortrag aller eigentlichen Gesangstellen und ganz 
besonders im Duett des zweiton Aktes mit Mathilde, wo gleichfalls 
Frl. Marx wesentlich zur Wirkung des Ganzen beitrug, und in seiner 
Arie im 4. Akt, von der er leider nur das Andante sang. Frl. Marx 
erschien zu unserem Bedauern im dritten und 4. Akte nicht mehr; 
den Grund haben wir nicht erfahren können. Das Duett (Arnold 
und Teil) im ersten Akte und das Terzett im zweiten Akte (Arnold, 
Teil und Walther Fürst) machten nicht die erwartete Wirkung. Vor- 
zugsweise mag hierzu das konsequente Detoniren des als Teil gasti- 
renden Herrn Thelen beigetragen haben ; die grandiosen Abkürzungen 
und die Transpositionen, die Herrn Ander zu Gefallen gemacht wur- 
den, hatten jedoch auch wesentlichen Einfluss. Der als Walther 
Fürst gastirende Hr. Hermanns hat eine kräftige und zugleich sehr 
wohlklingende Bassstimme. Die Chöre, namentlich die Rütliscene 
und das 3. Finale gingen mangelhaft; die Oper war lange nicht ge- 
geben worden und es mag wohl wenig oder keine Zeit geblieben sein 
zum gründlichen Wiedereinstudiren, Dagegen war die Oper reich- 
lich ausgestattet mit Ballet. In der „Lucia von Lammermoor'' befrie- 
digte Herr Ander weniger, als man erwartet hatte, was wir wohl 
einer Indisposition der Stimme zuschreiben müssen. Die Stimme 
hatte weder den Klang und den Schmelz, noch das Ausgebende, wie 
in den früheren Vorstellungen. — Im C on c e r t sang Ander wun- 
dervoll das Ave Maria von Schubert, zwei Lieder von G. Hölzl : der 
Schmerz und die Thräne, letztere besonders mit Beifall gekrönt, 
ebenso die Adelaide von Beethoven. 

Indem wir wünschen, Herrn Ander in unserer nächsten Saison 
wieder begrüssen zu können, geben wir zugleich der Hoffnung Raum, 
dass wir ihn dann auch in einer deutschen klassischen Oper zu hö- 
ren bekommen. fff 



AUS WÜRZBURG. 

(Monat Aprl.) 

Das hiesige k. Musik-Institut wirkt in gewohnter würdiger Weise 
für Pflege klassischer Musik und Ausbildung der Jugend in allen 
Zweigen der Musik anspruchslos aber sicher nnd erfolgreich fort. 
Ueber das Theater ist leider nicht viel zu sagen; wie die meisten 
der kleineren Bühnen Deutschlands ist auch die unsrige im Rück- 
schritte begriffen, und die Glanzpunkte der diesjährigen Saison bil- 
deten fast nur Gastspiele, darunter Frl. Bochkoltz-Falconi , die Te- 
noristen Stigelli, Grohn (vom Meininger Theater), Reer (vom Cob- 



lenzer Theater) — und die Tänzerin Lucile Grahn. Der Baritonist 
Roberti wird erwartet. Von unserem ständigen Personale sind nur 
die Sängerin Beck« Weichselbaum und der Baritonist Pichler des Nen- 
nens werth. Die zweite Sängerin, Fräul. Schütz, hat viel Talent, 
Stimme, Umfang und FJeiss, aber die Stimme ist noch sehr unkulti- 
virt ; dasselbe gilt von dem Tenoristen Hörn und dem Bassisten Bur- 
ger. Der Kapellmeister, Herr Friedr. Witt, ist ein routinirter, tüch- 
tiger Dirigent, ein praktisch gebildeter Musiker, der aber mit- 
unter etwas mehr Strenge gegen Chor und Orchester beim Einstudiren 
hätte anwenden sollen, denn der Chor war namentlich nicht zum 
Besten bestellt. Neue Opern wurden dieses Jahr keine gegeben. 
Wagner's „Tannhäuser" sollte gegeben werden, es kam aber nicht 
dazu. Für hier neu, wenn auch anderwärts schon Jahre lang be- 
kannt, waren: „Beatrice di Tenda" von Bellini und „Linda von 
Chamounix" von Donizetti, Beide gefielen — Furore machte keine 
von beiden. Noch muss ich des Bruchstückes , des Finale's aus 
„Loreley" von Mendelssohn gedenken, das mehrmals recht gut ge- 
geben wurde und auch sehr ansprach. Auch die Ouvertüre von „Ruy 
Blas" von Mendelssohn so wie die zum „Tannhäuser" von Wagner 
wurden mitunter aufgefüht; erstere gefiel sehr, letztere weniger. Das 
Repertoir unserer Oper ist seither sehr einseitig, wenn auch mannig- 
faltig gewesen, namentlich waren Donizetti, Bellini und Meyerbeer 
die Herrscher im Reiche der Oper, dagegen war die komische Oper 
ganz vernachlässigt und ich erinnere, mich nicht , ausser der „Regi- 
mentstochter" und Lortzings „beiden Schützen" eine komische Oper 
gesehen zu haben, wenn ich nicht die bis zum Ueberdrusse wieder- 
holte „Martha" daher rechnen will. Vom 1. Okt. d. J. an übernimmt 
Herr Spielberger, der derzeitige Direkter des Kölner Theaters, das 
hiesige; ob es dann besser werden wird, ist die Frage, doch wäre 
es für die erste Zeit möglich , denn — neue Besen kehren gut. — 
Gehen wir vom Theater zu den Concerten über, so müssen wir vor 
Allem bemerken, dass Concerte von Künstlern, sowohl einheimischen 
als Fremden, hier nicht sehr häufig sind, sich auch selten rentiren. 
Im verflossenen Winter war nur ein Concert des Kapellmeisters Witt 
dahier (das uns namentlich mit den obengenannten Ouvertüren von 
Wagner und Mendelssohn bekannt machte) und kürzlich eines des 
Violin-Virtuosen J. Lauterbach bemerkenswerh. Dagegen haben wir 
stets eine gute Anzahl von Gesellschafts-Coucerten zum Genüsse und 
hier müssen vor Allem die Concerte der Harmonie - Gesellschaft er- 
wähnt werden. Die „Harmonie", eine Gesellschaft, welche Alles, 
was Anspruch auf höhere Bildung und Stellung macht , unter ihre 
Mitglieder zählt, bietet in ihrem eigentümlichen, prächtigen Lokale 
Alles, was den Mitgliedern Vergnügen gewähren kann: Bälle, Con- 
certe, Spiel, Lektüre u. s. w. Concerte gibt sie jährlich 4 — 6 und 
strebt namentlich darnach, berühmte Virtuosen aus anderen Orten 
für die Mitwirkung zu gewinnen ; so hörten wir im jüngsten Concerte 
(Ostern) den bereits oben genannten Violinisten Lauterbach, Profes- 
sor am Conservatorium zu Brüssel, und den Clarinettisten Bärmann 
aus München. Die Programme dieser Concerte, deren Oberleitung 
der k. Studienrektor Dr. F. R. Eisenhofer dahier besorgt und welche 
bis jetzt von dem Musikdirektor G. Goltermann dirigirt wurden, bie- 
ten stets eine Auswahl verschiedenartiger Piecen, um jedem Ge- 
schmack wenigstens etwas Ansprechendes vorzuführen. 

Gesellschaften, deren Zweck ausschliessend oder vorzugsweise 
Musik ist, besitzen wir drei: die „Liedertafel", bestehend seit Sep- 
tember 1842, den „Sängerkranz**, gegründet im Januar 1847, und den 
„Liederkranz" seit 1850. Sämmtliche Vereine waren ursprünglich 
reine Männergesangvereine, die beiden letzgenannten haben jedoch 
sich auch zur Veranstaltung anderer Vergnügungen, Bälle u. dergl., 
entschlossen, in musikalischer Beziehung aber den Männerchorgesang 
als Zweck festgehalten, während die Liedertafel seit 1849 auch die 
Aufführung von Werken für gemischten Chor in ihren Bereich zieht, 
nichtmusikalische Vergnügungen aber, als dem Zwecke der Gesell- 
schaft entgegen , verschmäht. Ein Damengesangverein besteht hier 
eben so wenig, als ein Instrumentalmusikverein. Der „Sängerkranz" 
bereitet jetzt zu seinem 7. Stiftungsfeste die Aufführung eines gros- 
seren Werkes seines Dirigenten (des als Componisten bekannten V. 
E. Becker), eine grosse Cantate „Nacht und Tag", vor. — Die dritte 
Gesellschaft, „Liederkranz", unter Direktion des Organisten Stephan 
Höller, zählt 80—40 aktive Mitglieder, fast durchaus Gewerbsgehül- 
fen, welche sich durch Fleiss und Eifer rühmlich auszeichnen. 



— 83 — 



AUS HAMBURG. 

(April.) 

(Schluss.) 
Am 16. Mär« gab der Organist an der Katharinenkirche , Herr 
Schaller, ein Concert, in welchem er sich als Harfenspieler zeigte. 
Herr Schaller, ein theoretisch sehr gebildeter Künstler und braver 
Organist, ist zugleich der einzige Harfenspieler in Hamburg und als 
solcher beim Theater thätig. In seinem Concerte ward Cherubini's 
Anacreon - Ouvertüre gegeben, wogegen die gleichfalls angekündigte 
Euryanthe - Ouvertüre ausfiel. Herr Schaller spielte als Hauptsatz 
ein Concert für die Harfe mit Orchester von Bochsa, welches mir so- 
wohl wegen der gesunden interessanten Ideen, als wegen der sehr 
dankbaren hübschen Form ausnebmend gefallen hat Wenn doch 
unsere heutigen Virtuosen nur einmal solche Concerte schrieben 1 
Herr Schaller, der eine sehr werthvolle Harfe von Erard in London 
besitzt, spielte sehr ferrig und feurig und ich gestehe, dass mich 
diese Leistung einmal lebhaft erquickt hat. 

Am 17. März gab Herr Haffner mit den Herren Iversen, Brey- 
ther und Lee die 5te Quartettunterhaltung. Ein sehr feuriges Quar- 
tett in F von Haydn, Mozarts überaus tiefsinniges, edles Quatuor in 
D-moll (in welchem mir nur die Reprisen im Andante etwas ermü- 
dend von jeher erschienen sind) fanden durch die trefflichen Spieler 
eine höchst wirksame Ausführung. Herr Haffner hat gegen früher 
bei weitem an edler Ruhe gewonnen, ohne desshalb an feuriger Kraft 
zu verlieren , und die wirklich geistreiche Art, in welcher alle vor- 
züglich das erste Allegro des Mozart'schen Quartetts gaben, brachte 
ihnen von dem Publikum , welches ja bei diesen Sachen allemal die 
Auswahl der gediegenen Kenner enthält, eine wohlverdiente lebhafte 
Anerkennung. Zu diesen älteren bekannten Werken gesellte sich 
aber noch das schon oben bei Herrn Böle erwähnte kürzlich erschie- 
nene Quintett von Fr. Schubert; das zweite Cello ward darin auf 
das schönste durch Herrn Kleis gespielt. Beim wiederholten Anhören 
dieses eigenthümlichen Werkes bin ich zur Bewunderung hingerissen 
über die Fülle der Ideen , die Neuheit der Wendungen, die Rundung 
der Formen und die Originalität, mit welcher dieser unendlich begabte 
Meister den Instrumenten ganz wunderbare Geheimnisse entlockt. 
Da ich aus dem Gedächtnisse urtheilcn muss, so beschränke ich mich 
hier auf die Erwähnung des überaus derb lustigen Scherzo in C-dur, 
das in dem Charakter eines Bauerntanzes sich sehr lange prestissimo 
bewegt und welchem unmittelbar nach dem Schlüsse im jubelnden 
Juchhe! das Trio in Des-dur, Adagio folgt. In diesem sind die 
Klänge der Orgel, der Gesang der katholischen Kirche so unglaublich 
schön und so unwiderstehlich deutlich gemalt, dass man vor Bewun- 
derung gar nicht genug davon erzählen kann. In diesem Satze mo- 
dulirt denn Schubert wieder so recht, wie es nur ihm gegeben war, 
von Des-dur wieder in das Scherzo in C-dur presto hinein, dass man 
nur Alle , welche sich einmal erquicken wollen , erinnern muss , sie 
mögen eilen, sich das Werk vorspielen zu lassen. Die Ausführung 
des sehr schweren Werkes war gar trefflich. Darf man denn nicht 
dazwischen ausrufen: das sind eure Meister, ihr Deutschen! Sie dar- 
ben oder werden erst lange, nachdem ihr kümmerliches Leben been- 
det ist, anerkannt, während ihr eure Lorbeeren an Ausländer 
opfert 1 Welche Zustände im Geschmack einer so herrlich von Gott 
begabten Nation ! 

Es liegt mir nun noch ob, über eine Ausführung des „Messias" 
zu berichten, welche in der Osterwoche unter Leitung des Hrn. Grund 
in der Petrikirche Statt fand. Ich weiss indessen kaum Worte zu 
finden , welche die Direktion des Herrn Grund und die grösstentheils 
durch seine Schuld veranlasste Misshandlung des unsterblichen Wer- 
kes nach Gebühr schildern können. Ich erinnere mich nicht, je eine 
solche Behandlung dieser Composition gehört zu haben; denn wenn 
in kleinen Orten oft Chor und Orchester beinahe winzig auftreten, 
so sind doch für den sinnigen Hörer die Achtung, welche der Diri- 
gent und alle Ausführende dem Werke erweisen , die wahrhaft wür- 
devolle Begeisterung, mit welcher der Sinn und Charakter der Com- 
position aufgefasst sind, ein fast vollständiger Ersatz für die fehlende 
Grossartigkeit der äusseren Mittel. Dass bei der hier besprochenen 
Ausführung die Kirche selbst den all erstumpf esten Klang bietet, dass 
Frl. L. Scliloss, die treffliche Sängerin, stark erkältet, sich auf den 
Vortrag von kaum dem dritten Theil ihrer Aufgabe beschränken 
inusste , dass endlich Herr Dr. Garvens, welcher die Tenorsoli singen 



solle, plötzlich erkrankte und ganz ausblieb — das Alles kann natür- 
lich dem Dirigenten nicht angerechnet werden , wenn auch nicht zu 
erklären ist, dass malt dann nicht sich an Herrn Reichardt wandte 1 . 
Aber für die beispiellose Weise, in welcher der Dirigent das ganze 
so ernste breit angelegte Werk abgehetzt hat, für die unglaublichen 
Tempi, in welchen er unter anderen die Chöre: „O du die Wonne 
verkündet", „Uns ist ein Kind lein heut' geboren", vorzüglich aber 
das „Halleluja!" und das letzte „Amen!" hat singen lassen, ist es 
Pflicht, ihn der Kunst gegenüber auf das Ernstlichsie verantwortlich 
zu machen. Hier fällt die Schuld in vollster Ausdehnung auf ihn 
ganz allein. Ich erfülle eine heilige Verpflichtung, den schärfsten 
Tadel über ein solches Verfahren auszusprechen. Von jener eigent- 
lichen höheren Bedeutung der Kunst, welche die Töne zu einem 
Mittel der Gottverehrung gebraucht, welche dem würdigen Künstler 
an der Spitze s o 1 ch e r Concerte einen Platz als Priester und Leh- 
rer anweiset, ist bei Herrn Grund allerdings nie die Rede. Denn 
Auffassung und Verständniss solcher Werke sind ihm nach allen 
feineren und entscheidenderen Seiten hin versagt. Aber dass ein 
Musikus von so vieler Praxis dasHalleluja und Amen und überhaupt 
den ganzen Messias in solchen Galopp - Bewegungen herabjagen 
könne, dafür fehlte mir bisher die Erfahrung. Ich bin überzeugt, 
dass meine Erzählung nach allen Seiten von jedem kenntnissreichen 
Hörer in Hamburg bestätigt werden wird. Begierig wäre ich zu er- 
fahren, wie wohl die fremde Künstlerin, die unter Mendelssohns Lei- 
tung so manches gesungen hat , über diese Aufführung geurtheilt 
haben mag. Mit Bedauern habe ich empfunden, wie sehr eine solche 
Darstellung des Werkes daliin wirken wird, es bei der Masse des 
Publikums sehr bald von der Höhe des Ansehens herab zu stürzen, 
auf welche wahrer Werth und ehrfurchtsvolle dankbare Liebe dreier 
Geschlechter es gehoben und gehalten hatten. 

Die Aufführung des Mozart'schen Requiems, welche am Charfrei- 
tage im Stadttheater Statt fand, ist ein hors d'oeuvre, welches alle 
Kritik entwaffnet. Der Platz, an welchem täglich die italienische 
Oper und das Ballet auftritt, ist zu eigenthümlich, als dass es mög- 
lich wäre, ernsten Tönen Bedeutung zu geben. Dazu Herr Barbieri 
als Dirigent und Chöre, die, wenn auch sehr fest, denn doch nach 
Zahl, Klang der Stimme, Auffassung durchaus das Gegentheil von 
dem sind, was sie sein sollen — kurz: es ist nichts weiter darüber 
zu sagen, als dass die Theaterdirektion einen Spielabend mehr im 
Jahre zu benutzen sucht, wobei das Gesetz der Osterwoche ihr diese 
Bussfertigkeit auferlegt. Ernst. 



AUS LONDON. 

(Monat April.) 

Heute oben, morgen unten, das ist die Geschichte der Mensch- 
heit und der Menschen, das ist der Inhalt des Lebens, ja das ist das 
Leben selbst. Alles, was die Naturwissenschaften entdeckt haben, 
(und abgesehen von allem „Tischrücken" bleibt immer noch ein Er- 
kleckliches) , basirt sich auf das Oben und Unten; ohne Oben und 
Unten kein Ganzes, und wenn wir erst in allen Dingen dieses Oben 
und Unten gefunden haben, dann sind wir ganz — fertig, dann ist 
die Komödie aus. — Die Wahrheit dieses Satzes werden wir schon 
jetzt an einzelnen Individuen bestätigt finden. Da ist z. B. Lumley. 
Es ist noch keine Frage , dass dieser Mann , welcher voriges Jahr 
sehr bedeutend — oben war, in diesem Augenblick äusserst — un- 
ten ist , und dass an ihm eben das Fertigsein auf eine glänzende 
Weise zur Erscheinung kommt. Aber das ist die Macht der Mode, 
dass sich der Mensch selbst in einem solchen Zustande ihr nicht ent- 
ziehen kann. Die Mode reicht über das Grab hinaus; würde sich 
wohl sonst gerade jetzt die Erscheinung der Geisterklqpfer erklären 
lassen ? Und würde im entgegengesetzten Falle wohl Lumley , der 
doch längst schon zu den „Todten" gehört, hie und da anklopfen 
und um Einlass bitten? — Gewiss nicht; die Mode macht es, dass 
Lumley, wenn auch wider Willen, ein Geist geworden ist, etwas, 
was ihm nach der Meinung seiner Freunde bei Lebzeiten nie glücken 
wollte. — Früher spukten die Geister, heute klopfen sie; in einem 
Zeitalter des Materiellen ist dies am Ende natürlich. Und so klopft 
denn Lumley und ängstigt die Leute und seinen ehemaligen Kollegen 
Gye, Alle, Allp, mit dem Gedanken, er könnte wieder einziehen in 
die Hallen des königlichen Theaters, die, beiläufig gesagt, in diesem 



84 



Augenblicke sehr schmutzig sind. Es ist öd and traurig dort, wo 
einst das vollste Leben, die grösste Pracht, wo Ernst und Scherz 
im heiteren Wechselspiel ihr Lager aufgeschlagen hatten 3 das ganze 
Theater ist sorgfältig verschlossen, so dass nicht einmal die Luft 
eindringen kann Dies soll übrigens immer gewesen sein, was schon 
in dem bekannten Satze seine Begründung findet, dass allen Direk- 
toren in jenen Räumen die Luft ausgegangen ist. 

So weit Her majesty's theatre. Seine Geschichte bestätigt wie- 
4er, dass zwei gleiche Grössen nicht neben einander sein können, 
ojuie sich gegenseitig zu verschlingen. Es ist die alte Geschichte 
von Du oder Ich ! Coventgarden oder Her majesty ! Die Majestät 
ist zu Grunde gegangen; die City hat gesiegt, das Westend ist todt. 
Die City, item die Aristokratie des Handels und der Bank, gemessen 
denn auch ihren Triumph so recht con amore, sie füllt die Räume 
des Coventgardens mit demselben Bewusstsein, das den Eigenthümer 
beseelt, wenn er in sein Haus tritt. Die andere Aristokratie, die in 
England ausser den Ahnen auch noch Besitz und sehr viel Intelligenz 
hat, lächelt, nimmt ebenfalls Platz und beweisst dadurch, dass sie 
auf der Höhe der Zeit steht. Und so vereinigt sich denn Alles, um 
Gye comfortable zu machen. In der That, der Mann wird erst in 
diesem Jahre erfahren, dass auch ein Theaterdirektor Comfort haben 
kann. Ohne Concurrenz, ohne Zwang der Herren Artistes , die hin- 
ter ihre Forderungen nicht mehr den Popanz Her majesty's theatre 
stellen können, wird auch er es zu Stande bringen , was nach Mei- 
nung der Bibelgläubigen eine Unmöglichkeit sein soll , nämlich dass 
man wenig säen und doch viel ernten könne. Der Anfang ist schon 
gemacht. Die Vorstellungen haben ohne Prima-Donna, ohne ersten 
Tenor begonnen und waren doch voll. Und nun, da diese beiden 
notwendigen Uebet, wie ein Neu-Aesthetiker sagen würde, angelangt 
sind, ergibt sich was? Frau Grisi und Signor Mario. Es mögen 
jetzt 12 Jahre her sein, dass ich diese Inseparables zum ersten Male 
hörte. Damals standen sie auf dem Höhepunkte ihrer Kraft. Die 
Höhe ist vergangen, die Kraft auch; es bleibt also uns noch der 
Punkt, und was für einer ? Nun, umsonst handelt in der Sangeskunst 
nicht ein Kapitel von Punktionen. Es ist keine Frage, dass beide 
sich sehr gut conservirt haben, zumal Mario, dessen Passion es ist, 
keine zu haben, und der Heber alles Andere thun würde, als nur 
einen Augenblick der Methode untreu zu werden; aber was hilft alle 
Methode gegen Meyerbeer'sche Musik, und Meyerbeer gehört in Co- 
ventgarden auch unter die Propheten, die nicht blos musikalische, 
sondern auch noch andere Noten bringen müssen. Seitdem Mario 
und die Grisi Meyerbeer singen müssen, bringen sie in ihrer Stimme 
das sichere Kennzeichen aller lebenden Sänger, die man erste nennt, 
zu Gehör, nämlich die Fatigue, und dies mag auch wohl der Grund 
sein, dass so viele fatiguirte Menschen sich berufen glauben, erste 
Sänger zu werden. Und wiederum ist e» auch nur so zu erklären, 
dass ein frisches Talent, das die Anfängerschaft hinter sich hat, auf 
der heutigen Bühne eine Unmöglichkeit ist. Gye ist davon so lebhaft 
durchdrungen, dass er gar nicht einmal den Versuch macht, neue 
Menschen, neue Sachen zu bringen, er will nicht umsonst Gottvater 
der ital. Oper in England sein, und desshalb sagt er ganz in Ueber- 
einstimmung mit seinem Vorbilde : „Es bleibt Alles beim Alten 1" — 
In der That, es ist bis jetzt auch recht hübsch beim Alten geblieben. 
Da ist Mad. Castellane, die eine durchaus fertige Sängerin genannt 
werden muss; Mamsell Bosio, die im vorigen Jahre zweite Parthieen 
sang; Herr Tambcrlick, dem das Loos bevorsteht, auch bald ein 
erster Sänger zu werden ; Herr Tagliafico, der zu jenen Glücklichen 
in der Theaterwelt gehört, die nie etwas verderben können, weil sie 
nichts zum Verderben bekommen , und Herr Formes , der der erste 
dramatische Sänger hätte sein können , wenn in musikalischer und 
auch in anderer Hinsicht eine ordentliche Durchbildung vorangegan- 
gen wäre. Man sieht, es ist die alte Truppe, es sind die alten Men- 
schen. Doch halt, Einer ist nicht da, Einer, der auch zu den ersten 
Sängern — in den Zeitungen — gerechnet wurde: Herr Stigelli. 
Dieser ausserordentliche Sänger ist für diese Saison nicht ge- 
wonnen, ein Verlust, den Keiner mehr beklagen wird, als der Corre- 
spondent der Augsburgerin. Wenn die Menschen alt sind, so werden 
die Menschen nicht neu sein, und wäre es nur, um die allerletzten 
Forschungen zu bewahrheiten, dass die Dinge auch ihr Menschliches 
haben. Gye, -der den Einklang liebt und überdies nie vergisst , was 
er dem Geiste der Zeit schuldig ist, würde sich selbst untreu werden, 
wollte er alte Sänger und neue Opern an's Lampenlicht fördern' 



„Es bleibt bei'm Alten 1" Lucrezia Borgia , die Puritaner , Wilhelm 
Teil und der unvergessliche Barbier, das sind demnach die Brocken, 
die von des Herrn Tische fallen. Nun, sie machen auch satt, die 
Erfahrung lehrt's, die Gegenwart bestätigt es, und desshalb — „es 
bleibt bei'm Alten 1'' Uebrigens kann man schwerlich all' diese alten 
Geschichten irgend wo besser erzählen hören, als in Coventgarden- 
Theatre. Die Sänger sind grau darin geworden, die genannten Opern 
haben sich ihnen so an- und umgepasst , dass sie gleichsam damit 
verwachsen sind. Wollte man den Sängern der Gegenwart die Opern 
der letzten dreissig Jahre nehmen, so würde man ihnen das Herzblut 
rauben, durch das sie leben und existiren. Genug darum, genug der 
alten Welt und ihrer Kunst! Eine neue Welt strahlt uns entgegen, 
ihr Gesandter ist bereits unterwegs. Es ist ein Schwan, der Gott 
der neuen Welt. Doch denkt nicht an den Lohengrin'schen Schwan, 
das ist ein alter weisser Schwan, über den die Leute schon vor 
so und so viel hundert Jahren gespöttelt haben. Etwas Anderes ist 
es mit einem schwarzen Schwan , so einer ist selten, fragt nur 
die Naturforscher. Und so ein schwarzer Schwan ist im Anzüge, 
Amerika, die neue Welt, sendet ihn uns. England ist voll Erwar- 
tung , die Journalisten spitzen bereits die Feder , Herr Ella sperrt 
schon im Voraus den Mund auf — Alles ist voll von diesem black 
swan. Die schwarze Sängerin ist in aller Munde, Einige glauben 
sie schon in der Tasche zu haben ; kurz , the black swan muss für 
die entsetzliche Langeweile entschädigen, welche die musikalische 
Kunst in diesem Jahre ausnahmsweise (1) zur Schau trägt. Die Sai- 
son hat endlich ihre Löwin gefunden! Fatal. 

NACHRICHTEN. 



Leipzig« Frl. Ney hat ihr Gastspiel mit Agathe im „Frei- 
schütz" geschlossen. — Frl. Engst vom Wiener Hofoperntheater 
gastirte als Fides und gefiel sehr. — Von Mitte Mai an finden im 
Stadtlheater nur noch vier Vorstellungen wöchentlich statt. An den 
beiden andern Tagen wird in dem neugegründeten Sommertheater 
(Possen und Vandevilles) gespielt. 

Dessau. Das Leipziger Opernpersonal gab hier am 29. April 
Boieldieu's „Weisse Dame". Veranlassung dazu war die Vermäh- 
lungsfeier einer hiesigen Prinzessin. 

Oratz. A. Dreyschock gab hier mehrere Concerte. — Der neu 
berufene Kapellmeister Netzer hat seine Stelle bereits angetreten. 
Am 28. März wurde „Montechi und Capuleti" unter seiner Direktion 
gegeben. Derselbe wird von Juli ab auch die Direktorstelle am Con- 
servatoriuni bekleiden. 

Iiille« In dem letzten Concerte der Societe" Symphonique wurde 
unter Anderem eine Sinfonie von dem hier lebenden jungen talent- 
vollen Componisten E. Steinkühler aufgeführt, welche einen vollstän- 
digen Succes hatte. Besonders zeichnet sich das Andante und ein 
Menuett durch musikalische Schönheiten aus. Beide wurden lebhaft 
applaudirt. 

Y Ein lustiges Schriftchen mit Schellen und Narrenkappe, wel- 
ches empfohlen zu werden verdient, ist: 

Humoristischer Musik- und Theater-Kalender auf das Jahr 1853, 
von Theodor Drobisch. Mit Illustrationen und 2 Originalcom- 
positionen. Leipzig, 0. Spamer. 12' U Ngr. 

„Tütt 
Hört Musikanten und lasst Euch sagen : 
'S hat zweiten Jahrgang vom Kalender geschlagen; 
Der Preis ist der alte, erfüllt Eure Pflicht, 
Damit meiner Kasse kein Schaden geschieht" 
Sollen wir dem lustigen Kalendermanne einen Rath mit auf den 
Weg geben, so ist es der, fürderhin noch mehr Witz und weniger 
Verse zu bringen und noch dreister den lebenden sogenannten Grössen 
auf den Leib zu rücken. Der harmlos-humoristische Bänkelsängerton 
steht ihm oft sehr gut, z. B. 

„Hier ruht Elias Braune, 

Er blies die Bassposaune; 

Der Tod blies aus sein Lebenslicht 

Und — darum keine Feindschaft nicht l" 

Verantwortlicher R«4aklenr : j. J, SCHOTT. - Brack tot REUTE* 4t WALLAD in Main*. 



2. Jahrgang. 



Mr. **. 



30. Mai 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION HD VERLIG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO. 





PREIS: 




11. 2. 


42 oder Thlr. 1. 


18 Sgr. 




für den Jahrgang 


> 


Durch die Post bezogen : 


.... 


oder 15 Sgr. per 


Quartal. 



Inhalts An J. Dürrner in Edinburgh. — Italienische Oper in Wien. — Corr. (Zürich). — Nachrichten, 



AN J. DURRNER IN EDINBURGH. 



Geehrter Herr! Unter der Fluth von kleinen und grossen, meisten- 
teils leichten und leeren Compositionen, welche die Wellen der Zeit 
im verflossenen Jahre uns zuführten, befanden sich auch sechs 
Schottische Nationalgesänge, von Ihnen für 4 Männerstimmen arran- 
girt und herausgegeben *). Ermüdet von der unerquicklichen Muster- 
ung fast aller neuesten Producte , betrübt und erschreckt einerseits 
über den wuthartigen Drang zur Compositum, andererseits über die 
musikalische Unfruchtbarkeit, über die Unkeuschheit und Unklarheit, 
welche Tausende neuer Werke kennzeichnet — erquickte mich der 
klare, der bis auf den Grund durchsichtige Strom dieser Gesänge. 
Genehmigen Sie daher diesen öffentlichen Ausdruck meines Dankes, 
und schenken Sie folgenden Bemerkungen ein geneigtes Ohr. 

Sie sagen : „Sollte diese Sammlung Anklang finden, so könnten 
noch mehrere Hefte folgen. Mit dem Sammeln von englischen und 
irischen Melodieen bin ich schon seit längerer Zeit beschäftigt, so 
dass sich den schottischen Melodieen die von England und Irland 
anreihen könnten." Geben Sie nur immer her und bereiten Sie fleissig 
vor: was so tiefen Klanges ist, wird schon anklingen! 

Sie sagen aber weiter: „Da ich während eines mehrjährigen 
Aufenthaltes in Schottland Gelegenheit hatte, die schottische National- 
musik näher kennen zu lernen, so glaube ich den Kunstfreunden 
Deutschlands durch Mittheilung einer Anzahl der in Schottland all- 
gemein beliebten Volkslieder eine gewiss willkommene Gabe zu 
bieten. Um mich zu überzeugen, wie weit ich meine Aufgabe er- 
reicht, Hess ich einige von diesen drei- und vierstimmig arrangirten 
Gesängen in verschiedenen Kreisen in Edinburgh singen, — ich wurde 
nach den ersten Versuchen so ermuntert, dass ich gegenwärtig fast 
die meisten von den bekannten Melodieen bearbeitet habe." Hier 
kommt mir mein erstes Bedenken : Sic wollen also alle Gesänge für 
4 Männerstimmen bearbeitet herausgeben ? Sagen Sie, Verefirtester, 
wie weit würden Sie dann mit Ihrer Publikation kommen? Für 6 
schottische Liedchen 1 '/, Thlr., also noch keine fünfzig für 10 Thlr., 
das ist zu englisch, das kann der Deutsche nicht gut machen. Aber 
der Sache, glaube ich, schaden Sie dadurch noch mehr, als unserer 
Kasse — aus zwei Gründen. Einmal werden wir dadurch nur bruch- 
stückweise und in langen Unterbrechungen mit diesen Gesängen be- 
kannt, und zweitens ist ihnen durch die Harmonisirung für den Män- 
nerchor Gewalt angethan. Ich nehme mir die Freiheit, offen *zu sein, 
und sage daher : wollte man absichtlich die Eigenartigkeit dieser 
schottischen (und aller) Volksgesänge verwischen und wie des Berg- 
stroms Welle in dem weiten Meere der kunstm&ssigen Musik spur- 
los verschwinden lassen, so wüsste ich kein besseres Mittel als das 



*) Sechs schottische Nationalgesänge mit deutschem und eng- 
lischem Text für vier Männerstimmen eingerichtet , mit Notizen ver- 
sehen und den deutschen Liedertafeln gewidmet von J. Dürrner. 
Leipzig, 1862. Breitköpf und Härtel. Partitur und Stimmen = l'l» 
Rthlr. 



von Ihnen angewandte. Ganz besonders gehört anch zum Charakter 
der Volksgesänge, dass sie nur gezwungen eine Mehrstimmigkeit im 
Sinne unserer kunstmässigen Musik ertragen; gar im vierstimmigen 
Männergesange bewegen sie sich wie marschirende Soldaten. Ihre 
harmonische Auffassung ist treu und sinnig, und doch hat sie im 
Grunde keinen andern Eindruck bei mir hervorgebracht. Wir haben 
in Deutschland die Zeit, in welcher jedes zarte Lied für den Männer- 
gesang geplündert wurde , schon hinter uns ; wer bei uns jetzt als 
ein kundiger Mann ein musikalisches Interesse, an den Klängen des 
Volksgesangs sich bewahrt hat, der will zunächst sie selbst in un- 
getrübter Reinheit sehen, die ursprünglichen Sprachlaute tragend, 
und wenn möglich in den Umgebungen des Bodens, des Volkes, der 
begleitenden Instrumente, überhaupt aller der Bedingungen, unter de- 
nen sie entstanden sind und fortleben — mit andern Worten: unser 
Interesse will jetzt nicht ausschliesslich oder zuvörderst musikalischen 
Genuss, sondern musikalische Erkenntniss, es ist nicht mehr roman- 
tisch, sondern wissenschaftlich. 

Sie aber neigen noch stark zu den Romantikern hin. Hierauf 
deutet schon das Wort von R. Schumann, welches Sie Ihrer „Vor- 
bemerkung" voransetzten: „Höre fleissig auf alle Volkslieder, sie 
sind eine Fundgrube der schönsten Melodieen und öffnen Dir den 
Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen." Aehnliches 
hat man bei uns schon bis zum Ueberdrusse gehört; und doch er- 
schliessen diese Gesänge uns den Nationalcharakter erst im dritten 
Grade, und die schönen Melodieen sind im Volksgesange wirklich 
so häufig nicht , als man meint. Dagegen ist jeder dieser Gesänge, 
auch der dürftigste, sprachlich die Offenbarung des Tonorganes 
in seiner Eigenthümlichkeit, musikalisch der Anfang der Melodie- 
bildung, und dann meinetwegen drittens auch noch ein Fingerzeig 
für die Erkenntniss des Volkscharakters. 

Dieses angewandt auf eine treue Edition bestimmter Volksge- 
sänge, so würden an dieselbe folgende Forderungen gemacht werden 
müssen: 

Sie zeichne die Gesänge in der Tonhöhe auf, in welcher sie ge- 
meiniglich gesungen werden, füge die Begleitung bei, welche 
sich wie von selbst gebildet (und die nie consequent kunstmässig 
harmonisch ist), oder eine Beschreibung derselben und der In- 
strumente, ebenfalls historische und andere Notizen, deutsche 
Worte unter dem ursprünglichen Texte, — und suche besonders 
dadurch ein bestimmtes Gebiet (z. B. den schottisch-irisch-eng«, 
tischen Volksgesang) zu erschöpfen, dass jede Eigenthümlichkeit 
aufgezeichnet und in den heimischen Sprachlauten zu begründen, 
oder aus den Anfängen der Melodiebildung zu erklären gesucht 
wird. *) 



*) Im letzten Grunde ist das Wesen des Volksgesanges zu er- 
klären aus der Art des Volksgeistes, wie dieser in der gesammten 
Kunst sich ausspricht. Hier gewahrt man oft eine einseitige Neigung 
zu einer besonderen Kunst hin, wie in dieser Hinsicht z« B.im Bfor- 
genlande die Musik gegenüber der machtvoll hervorgetretenen Poesie 
verkümmerte. Doch dieser Gesichtspunkt kann zunächst bei einem 



— 86 



Neigung und Befähigung zu solcher Arbeit scheint Ihnen, nach 
Ihren den 6 Gesängen beigefügten Notizen zu urtheilcn, in hohem Grade 
verliehen zu sein. Ich für mein Theil gebe die Vierstimmigkeit von 
6 mal 10 Gesängen gerne preis für Ihre folgende Bemerkung zu Nr. 
2: „Eine Eigentümlichkeit der schottischen Nationalmusik ist der 
„Scots catch" oder „snap" wie Dr. Burney ihn nennt. Er besteht 
aus 2 Noten, wovon die ersterc die kürzere ist. Beide werden auf 
eine Silbe, z. B. 



O my 



oder auch getrennt 



: |1 



t 



my Kit-ty was the 

gesungen. Die zweite Art von „Scots catch" ist für deutsche Wörter 
selten anwendbar, und ich habe deshalb leider an einigen Stellen in 
diesem Licde diese rhytmische Bewegung der Melodie umändern 
müssen, weil es doch gar zu komisch klingen würde, wenn ein gan- 
zer Chor z. B. singen wollte: 



ü^ 



schön - stc 
Für diejenigen, welche die Originalwortc zu singen wünschen, füge 
ich unten die Melodie ganz correkt bei/' 

In dieser werthvollen Mittheilung beweisen Sie ^tatsächlich, dass 
ich mit meinen obigen Bemerkungen im Rechte bin, sowohl was 
Ihren Standpunkt, als was die gefährdete Treue der Volkslieder durch 
Arrangement und Ucbertragung nach den Gesetzen des Geschmackes 
betrifft. 

Ich bedaure, dass es Ihnen nicht gefallen, auch über die Eigen- 
tümlichkeit in der Mclodiebewegung ein Wort zu sagen. Mir ist 
in dieser Beziehung besonders der Melodicschritt von der Sexte in 
die Octave aufgefallen, der in diesen Gesängen oft wiederkehrt (z. 
B. in dem kräftigen Gesänge Nr. 5, im zweiten Takte); eben dieser 
um so mehr, als er mehr allgemeineren Gesetzen unterworfen scheint, 
als die von Ihnen hervorgehobene rhythmische Stossbcweguug, denn 
er findet sich vielfach in den kirchlichen Gesängen im Mittelalter, 
besonders in den Cadenzcn, wo man die aus der Sexte in die Octave 
für wohlklingender hielt, als die uns geläufige aus der Septime in 
die Octave. Dass diese Erscheinung auf einem Gesetze beruhe, kann 
nachgewiesen werden und wird hoffentlich bald seine Erklärung fin- 
den : wie wichtig ist es da, ihre Verbreitung annähernd sicher fest- 
gestellt zu wissen! Und so wird sich noch Vieles finden lassen: der 
scheinbare Wechsel des Rhythmus , des Taktes , der Tonarten , die 
Mollbcwegung, das längere ruhende Aushallen bestimmter Intervalle 
(der Quinte, Sccundc und Sexte) u. dgl. mehr. 

Keineswegs meine ich, dass man sich nicht mehr vergnügen 
solle an diesen harmlosen Gesängen : sie sind aus Freud und Leid ge- 
boren und werden stets die Freude haben, das Leid lindern zu kön- 
nen. Nur möge man, was die Hauptsache und bei dem jetzigen Zu- 
stande der musikalischen Wissenschaften so nöthig ist, auch haupt- 
sächlich ins Auge fassen. Sie, geehrter Herr, würden sich ein grosses 
Verdienst erwerben, wenn Sie eine Gesammtausgabe der schottischen, 
irischen und englischen Gesänge vorbereiten und in dieser Alles nie- 
derlegen wollten, was den Gegenstand aufzuklären dient, besonders 
auch Mittheilungen über die Originaltexte und die beliebtesten und 
häufigsten Strophcnmaasse. Dann könnte uns ein massiger Band 
das Ganze auf einmal und für einen geringen Preis nahe bringen ; denn 
der berühmte Verleger Ihrer 6 Gesänge würde sicherlich das Werk 
mit derselben soliden Schönheit und Oekonomie herstellen lassen, 
welche wir neuerdings an Werken von Tucher, Winterfeld und an- 
deren bewundert haben. 

Auf Wiedersehen ! c h s. 

Anmerkung. Dem Leser dieser Blätter folgende kurze Mit- 
theilung über den Inhalt des obigen Heftes. Nr. 1. ,.Die Blumen 
vom Walde" > weich und zart wie die „letzte Rose", ein Lieb- 



einzelnen Gebiete des Volksgesanges um so weniger in Betracht 
kommen, weil er in seiner Bedeutung im Allgemeinen bisher noch 
nicht genauer bestimmt ist. Ueber diesen letzten und mit Recht 
künstlerisch zu nennenden Grund wird in dieser Zeitschrift und 
anderswo bald ausführlicher die Rede sein. 



lingslied Mendelssohns, wie der Herausgeber uns berichtet. — 
Nr. 2. „Das Mädohcn von Gawrie". — Nr. 3. „John Anderson 
mein Lieb" , ein alter und schöner Gesang von eigentümlicher 
Melodieführung. — Nr. 4. „The bluc Beils of Scotland". — 
Nr. 5. „Schotten, deren edles Blut", ein prächtiger Schlachlhym- 
nus. — Nr. 6. „Schwarz ist die Nacht, der Weg so weit", ein 
echt kosmopolitischer Gesang, nachweislich von einem Deutschen 
mit französischem Namen (J. E. Gaillard, 1687 geb., •{• 1749 in 
London), der in England lebte und dessen Lied hier volkstüm- 
lich geworden. 



ITALIENISCHE OPER IN WIEN. 



Es ist eine schwierige Aufgabe, einen Bericht über die italieni- 
sche Oper der heurigen Stagione zu schreiben, ohne das im vorigen 
Jahre Gesagte zu wiederholen; denn nicht nur, dass dieselben 
Opern von denselben Sängern vorgetragen werden, so haben sich 
auch die Letzteren so wenig gegen früher geändert, dass der Unter- 
schied vom vorigen Jahre von keiner grossen Bedeutung ist. Die 
neuen Opcrnmitglicdcr aber, welche in diesem Jahre der Gesell- 
schaft zugewachsen, sind in ihren Leistungen keineswegs so vorzüg- 
lich, um den entfernten Leser auf sie aufmerksam machen zu sollen, 
und in ihm den Wunsch anzuregen, sie einmal zu hören. 

In Bezug auf das heurige Opcrnrepertoir finden wir wieder Hrn, 
Verdi obenan , und auch Herrn Ricci wieder ; dann wird Donizctli 
ausgebeutet, Bcllini's „Norma" für die Prima-Donna, und für die 
Kenner der Klassiker Rossini gebracht; Alles so wie jm vorigen 
Jahre. — Es hat eine Zeit gegeben, wo ich mit Bcrscrkerwuth über 
die neuen Erzeugnisse Donizetti's hergefallen, wo ich mein deutsches 
Schwert gegen den fremden Eindringling gezogen, wo ich die frivole 
Richtung dieser Musik verdammte und dieser Melodien - Tändelei, 
dieser Gefühlsheuchclci offen den Krieg erklärte , und gegen 
diese Richtung in der Musik als Geschraackvcrdcrbniss auf offenem 
Markte predigte; es gab eine Zeit, wo mir Donizetti, ohne dass ich 
sein ursprüngliches Talent ableugnete, so tief zu stehen schien gegen 
alle Coniponistcu von Gesinnung, dass ich mir einen lieferen Grad 
gesunkener Geschmacksrichtung gar nicht denken konnte, — und 
j etzt erscheint mir in der trostlosen Wüste moderner italienischer 
Opcr-Composition eine Donizclti'sche Oper als eine erquickende 
Oase! Welch' ein Reichthum an Melodie ist aber auch in einer 
solchen zu finden gegen den Melodien-Bankerott der HM. Verdi und 
Consortcn, welche Ursprünglichkcit der Erfindung, welche Naivctät 
und Natürlichkeit, welche Oekonomie und Geschmackskcnnlniss in 
der Instrumentirung ? ! — Man möchte an sich selbst , an seiner Ge- 
schmacksrichtung und an seinem Kunsturtheilc irre werden. Wie 
tief muss das Thermometer unserer Beurlhcilung gesunken sein , um 
an den italienischen Tages-Componisten noch irgend Etwas bewundern 
zu können! Jetzt zweifle ich nicht mehr, dass bei der allmälig um 
sich greifenden Oberflächlichkeit und Gescümacksverderbniss noch 
eine Zeit kommen wird, wo man Verdi für einen Klassiker an- 
erkennt ! — Lieber Gott, lass mich diese Zeit nicht erleben ! 

Die italienische Opernsaison brachte also wieder: „Semiramide" 
von Rossini, „Paulina e Poliuto" von Donizetti, eine erneuerte Be- 
kanntschaft; wir hatten diese Oper als „die Römer in Mclitour" 
längst vergessen; „L'Italiana in Algcri" und „Barbier von Sevilla" 
von Rossini, „Lucia" und „Lucrezia" von Donizetti, „Norma" von 
Bellini, „Don Pasquale" und „Linda" von Donizetti, „Wilhelm Teil" 
von Rossini, endlich die beliebte „Rigolello" von Verdi in mehrfa- 
chen Wiederholungen, Ricci's „II marito e l'aniante". Nicht eine 
einzige Novität ! 

Unter dem Opernpersonale fanden sich wieder die Autoritäten 
der vorjährigen Saison : Mad. Medori, welche von ihrer Vortrefflich- 
keit in Spiel und Gesang nichts eingebüsst — schade, dass sie durch 
den Mangel ausreichender Gesangskräfte heuer in Partien auftreten 
musste, die ihrer Kunstindividualität nicht zusagen, wie z. B. als 
Nerina in Don Pasquale — , Frl. Marray, liebenswürdig wie immer, 
Frl. D e m e r i c, Alto , Herr D e b a s s i n i , eine chevalereske Er- 
scheinung, gewandt in Spiel und Vortrag; seine Stimme schien mir 
noch gegen voriges Jahr an Kraft und Fülle gewonnen zu haben, 
während Herr Fraschini durch sein Forciren die Stimme in der 



— 87 — 



höheren Lage bereits so abnützte, dass er jetzt ohne Force nicht 
leicht auslangt , Herr B o n ch e, Herr F e r r i, Herr S c a I e s e mit 
seiner unversiegbaren Laune und Volubilität der Stimme , die als 
Muster aufgestellt werden kann; seine Darstellung im Don Pasqualc 
und in der Linda sind ausgezeichnet, Herr Mitrovich, der sich im 
Distoniren ganz consequent geblieben. Unter den Neuvorgeführten 
haben wir einen Bekannten aus alter Zeit , Herrn Q u a s c o gefun- 
den; er ist ein Schatten, der uns nur an die Vergangenheit erin- 
nert und flösst mehr Mitleid als Thcilnahme ein. Neu sind Frau 
Olivi-Vetturi, unbedeutend an Stimme und künstlerischer Aus- 
bildung, Frl. Berlrand, eine Altistin mit wenig Stimme, Hr. Bozetti 
mit wenig Stimme und noch weniger Vortrag , Frl. P o z z i , eine 
Anfängerin, Herr Evcrardo, ein Bariton mit schönen Mitteln und 
einer guten Schulbildung, von dem sich für die Folge noch Besseres 
erwarten lässt, Herr Stccchi, Tenor, und Herr Graziani, Bariton. 

Bei der Aufführung der „Italienerin in Algier" mussten wir auch 
erleben, dass deutsche Sänger minor um gentium in Hauplparthicen 
cingeschwärzt wurden, was sie aber, wie ein Herr Radi, durch den 
Unwillen des Publikums schwer büssen mussten. 

Der Besuch der italienischen Opcrnvorstellungcn ist diesmal im 
Ganzen weniger zahlreich als im vergangenen Jahre, der Beifall hin- 
gegen u n g c in c s s c n wie in einer italienischen Stagione gewöhnlich. 

Grosso Thcilnahme findet heuer das Ballet, über dessen Vortreff- 
lichkeit ich Ihnen leider nichts berichten kann , weil ich bis jetzt 
noch keiner Vorstellung beigewohnt habe. Die Saison neigt sich 
ihrem Ende zu, die schönen Frühlingstage, so sparsam sie uns auch 
noch zugemessen sind, locken die Städter nach langer Haft hinaus 
ins Freie. 

-■ -**i 6 >c<" — - 

CORRESPONDENZEN. 



AUS ZÜRICH. 

(Ende Mai.) 



Am 18. d. Mts. fand im hiesigen Theater eine von der „All- 
gemeinen Musikgcsellschafl" , veranstaltete grossartige Musikauffüh- 
rung statt, indem unter des Componistcn eigener Leitung Bruchstücke 
aus den bekannten Opern Richard Wagners conccrlmässig vorge- 
tragen wurden. Die Vorbereitungen zu diesem seltenen Unternehmen 
waren ausserordentlich und mussten es sein , sie gelangen aber 
vollkommen. Orchester und Chor mussten erst geschaffen und 
die meisten Mitglieder des Ersteren aus weiterer und näherer Ferne 
herbeigerufen werden. Die Mittel dazu wurden durch ziemlich hohe 
Subscriplionen , grösstenteils in Zürich selbst gezeichnet, gedeckt, 
wo R. Wagner sehr viele Freunde zählt, das Orchester ward dadurch 
ein ganz vollständiges, viele virtuose Tonkünstler erschienen unter 
den Solisten; es waren gegen 40 Violinen und Violen, die Contra- 
bässe 5fach, die Cellos, irren wir nicht, 8fach besetzt ; die Besetzung 
der Blcchipstrumentc war eine 4fache, während die der Holzblasin- 
strumente, wie im Lohcngrin und nach Wagners neuer Idee erfor- 
derlich, eine 3fache war. Endlich war neben der Janitscharenmusik 
auch das Tambourin, sowie die Harfe vorhanden. Der Chor war 
etwa hundert Stimmen, oder richtiger Personen stark, denn die weib- 
lichen Stimmen waren oft so zaghaft und unsicher , dass man statt 
40 keine vier zu hören glaubte. Freilich waren die Damen lediglich 
zu dieser Aufführung erst zusammengetreten , während die Sänger 
entweder den beiden hiesigen Gesangvereinen , „ Harmonie " und 
„Stadt Zürich" oder dem früheren Theater angehörten, und also für 
den Zweck eingeschult waren. Das Orchester leistete, den wenigen 
möglich gewesenen Gesamrntprobcu gegenüber, Ausgezeichnetes und 
man wusstc, was die Ausführung anlangt, in der That nicht, ob man 
mehr Wagners unbestrittenes Fcldherrntalcnt oder seiner Truppen 
strenge Subordination bewundern sollte. — An zwei folgenden Ta- 
gen fanden Wiederholungen sämmtlicher Aufführungen, aber vor 
fibervollem Hause und unter auf das Höchste gesteigerten Beifalls- 
bezeugungen statt, von denen jedoch wahrscheinlich kein geringer 
Theil zun&chst den hier in d e r Weise noch nie vereinigt gewesenen 
Kräften der Ausführenden galt. 



Den ersten Theil des Programms füllten Bruchstücke aus dem 
„Fliegenden Holländer", den zweiten, aus „Tannhäuser": jene waren: 
die „Ballade" (Sopran mit Chor) , der „Matrosenchor" (Trinklied) 
und die Ouvertüre; diese bestanden ebenfalls aus der Ouvertüre, 
dem Anfang des 2. Aktes (1. Scene, Chor, in der Festhalte der 
Wartburg) und der Introduction nebst dem Pilgerchor des 3. Aktes. 
— An der Wahl dieser Nummern wäre nichts zu tadeln, nur Hesse 
sich dagegen , dass überhaupt ausgewählt wurde, mit 
Wagners eigenen Worten der Bannstrabl schleudern , denn wunder- 
lich ist und bleibt es , dass er in einer wohlbekannten Schrift 
entschieden gegen die brockenweise Vorführung einzelner Theile 
seiner Opern, zu concertmässiger Unterhaltung, protestirt, „weil diese 
nimmer zu einem richtigen Verständniss füllten würde." Indessen 
hat er nun diesen argen Verstoss — wie oft im Leben handelt ja 
der Lehrer seinen Satzungen selbst zuwider! — dadurch wieder 
etwas gut zu machen gesucht, dass er nicht nur zu den vorkommen- 
den Gesangtexten commentirende Programme geschrieben , sondern 
auch noch sich selbst der Mühe unterzogen hatte , einige Tage vor 
der Aufführung die Texte aller drei Opern vorzulesen , welche 
schwierige Aufgabe er übrigens in acht künstlerischer Weise , mit 
wahrhaft dramatischer Wirkung löste. 

Die Musik des Holländers ist so voll innerer Düsterheit und 
äusserer Unklarheit , die Dichtung so arm und undramatisch , die 
Phantasie so in das enge Gebiet der eigenen Anschauung einge- 
zwängt, dass sie wohl jeder Unbefangene dem noch gährenden jungen 
Weine glcichachtcn wird. Vergleicht man sie aber erst, wie es hier 
ja geboten war, mit den nachfolgenden Werken des Künstlers, so 
wird ihr die Bezeichnung als erster und gescheiterter Versuch nicht 
entgehen können. In einer stimmwidrig gesetzten Ballade , einem 
wildjubelndcn Trinklicdc, namentlich aber in dem acht französischen 
Mosaikgebilile, einer Ouvertüre voll der schreiendsten und schroffsten 
Conlraste , wird Niemand und wohl auch der Komponist selbst 
nicht, der ja später jede Tonmalerei von bestimmten Zuständen als 
Gcschmackssündc hingestellt hat, Spuren eines Kunstwerkes zu fin- 
den vermeinen. Was insbesondere die Wirkung der Ouvertüre auf 
Ohr und Nerven anlangt , so weiss der gebildete Hörer in der That 
nicht, ob er die ihm zuletzt allein übrig bleibende Betäubung der 
Schärfe der gehäuften Dissonanzen oder der langen Dauer dieser 
Toninassen zuschreiben soll. 

Im „Tannhäuscr" findet man dagegen manche schöne Oase, auf 
der man wieder Athem schöpfen kann und Kraft und Lust gewinnt, 
auf die nun zugänglichere Phantasie des Dichtcr-Componistcn einzu- 
gehen. Den wohlthuendsten Eindruck machte auf uns die schöne 
Scene des zweiten Aktes mit ihren hrcitstrahlcndcn , durch die In- 
strumentation so farbenreichen Melodien , mit ihrer Bestimmtheit 
und Grazie des Ausdrucks, mit ihrem maassvollen Innehalten der 
Tragweite der Gesangorgane. Mit steigendem Interesse horchte man 
ferner dem einleitenden Vorspiele , welches die Vorgänge , die 
zwischen den 2. und 3. Akt fallen, so lebendig und treu schildert, 
in der Keckheit der Conturcn jedoch noch allzu lebhaft an Bcrlioz 
erinnernd. Auch spannt die übergrossc Länge — ein Ucbermaass 
von Tugend, das Wagner sogar noch im Lohcngrin innezuwohnen 
scheint — am Ende doch ab und lähmt die Theilnahme für den 
nachfolgenden Chor, zumal 'dieser wieder in der Stimmung tiefster 
Andacht schwebt. Die Ouvertüre ward bis auf die höchst schwie- 
rige Verbindung der beiden ^egenseillichen Hauptmotive äusserst 
brav ausgeführt und mag als ein Werk der scharfsinnigsten Combi- 
nation und der üppigsten Farben genug Bewunderung ernten; als 
eine Frucht edler , dichterischer Conccption vermöchten wir aber 
diesen ungebundenen Ausdruck eines zügellosen, wahnsinnigen 
Taumels nicht zu bezeichnen. 

Mit Freuden dagegen wenden wir uns der Besprechung des 3, 
Theiles der Aufführung zu, welcher drei Nummern des „Lohengrin" 
brachte, Sätze, welche unbedingt die hervorstrahlcnden Glanzpunkte 
des Concertes bildeten. Sind sie , wie wir gerne glauben , eben- 
bürtig den anderen Theilcn dieser Oper, dann ist dieselbe mit 
Recht ein Meisterwerk genannt worden. Das als Ouvertüre die- 
nende Orchestervorspiel macht einen tiefen, nachhaltigen Eindruck. 
Schöner als in dieser Weise, kann das Reich des Wunderbaren und 
doch Menschenverwandten , l^aum angedeutet werden , und was in 
Gedaukcn wie Formen hierin von einem Weber, Mendelssohn u. A. 
versucht worden , wird hier überaus glücklich benutzt und weiter 



«c 



88 — 



St. Johann und Saarbrücken. Aus dem von der hiesigen 
Liedertafel beabsichtigten Gesangfest während der verflossenen Pfiugst- 
tage ist leider nichts geworden. Die Polizei verlangte die Aus- 
schliessung mehrerer auswärtigen^ Vereine und Persönlichkeiten. Unter 
solchen Umständen zog man vor, den Plan fallen zu lassen. 

Frankfurt» Ander hat sein Gastspiel als Stradelia geschlos- 
sen und wurde am Abend desselben Tages mit einer Serenade be- 
grösst. — Der Baritonist Nolden aus Gotha gab mehrere Gastrollen 
und obgleich er als Nachfolger Becks einen schweren Stand hatte, 
erwarb er sich doch Beifall. Gegenwärtig gastirt der Baritonist 
Meinhardt von Braunschweig. — Seit dem 1. Mai ist als 2ter Musik- 
direktor Componist Goltermann angestellt worden. 

Wiesbaden« Die Sommersaison hat ihren Anfang genommen. 
Die Oper brachte „Prophet" mit Frau Behrendt-Brandt als Fides und 
Hrn. Wachtel von Darmstadt als Johann, und Hrn. Schiffbenker von 
Mainz als Zacharias, „Ernani" und „Tannhäuser." Die Auffuhrung 
der beiden ersten Opern war nicht vorzüglich zu nennen. Ernani, 
das lärmende und schönheitsarme „Chef d'Oeuvre" Verdi's kann auch 
hier keine Proselyten für die neuitalienische Musik machen. — Frl. 
Storck ist von ihrem Debüt in Stuttgart zurückgekehrt. — Herr Haas 
ist leider so bedeutend erkrankt, dass sein nächstes Auftreten wohl 
schwerlich vor Winter erwartet werden darf. 

Oöln. Vor Kurzem hat der hiesige Schriftsteller Hr. Hensler 
ein Literatur-Geschäftsbureau gegründet, welches den Zweck hat, 
Schriftstellern und Componisten das Suchen nach Verlegern zu er- 
sparen, in ihrem Auftrage alle Verhandlungen zu führen und die 
Contrakte abzuschli'essen, natürlich gegen eine Provision von Ä — 10 
Proc, Die Rhein. Musikztg. nennt dies Institut „zeitgemäss" und wir 
stimmen ihr darin vollkommen bei. Denn noch zu keiner Zeit gab 
es ao viele Schriftsteller und Componisten , die trotz allem Suchen 
keine Verleger (honorirende versteht sich) finden konnten. Wie er» 
wünscht muss solchen dies Institut sein 1 



fortgeführt. Der Zuhörer wird von dieser hochgespannten , harmo- | 
nisch-kühnen, und doch nicht verwegenen , dabei aber in instrumen- 
taler Hinsicht reizenden Durchführung der einfachen, melismatischen 
Motive mit einem wahrhaften Zauber umsponnen, während ihm der 
Höhepunkt des Ganzen , das Herabsinken des Gralmotivs in die 
tieferen Instrumente , beim Anschwellen der Begleitung im Fortissi- 
mo, die Gewissheit gibt, dass ihm im Drama doch auch noch das 
Menschenleben vorgeführt werden wird. Etwas auffallend ist nur 
die überaus lange Dauer der Ausspinnung dieser Gedanken bei 
immer gleich langsam bleibender Bewegung. — Die beiden andern 
Bruchstöcke waren: die Scene im Schlosshofe zu Anfang des 2. 
Aktes (Chor mit Recitativ, sowie Brautzug) und die Brautchöre nebst 
dem Orchesterspiele dazu. Diese Stücke verdienen schon für sich 
allein die Bezeichnung ächter Kunstwerke , wäien ihnen auch die 
übrigen Ensembles der Oper sowie die Solopartieen nicht ähnlich. 
Hier ist durchweg voll und frei fliessende Melodie, ebenso edel 
und frisch, wie sie den Meistern vergangener Zeiten entflossen, aber, 
in der That, von einem Ergüsse, der auf eine weit ergiebigere Quelle 
deutet, als sie Wagners frühere Opern mit ihren Zerrissenheiten er- 
kennen liessen. Hier ist durchweg eine plastische und durchsich- 
tige, kraftvolle und nur selten den Wohlklang hemmende Harmonie- 
führung : hier jene mit Recht besonders hervorgehobene , überaus 
glänzende und überraschende, jedoch überall maass- und geschmack- 
volle Instrumentation. Endlich aber, was wohl zu berichten, lässt 
sich auch noch eine rücksichtsvollere Behandlung der Gesangpar- 
tieen, wenigstens im Tutti bemerken, obwohl nicht zu leugnen ist, 
dass ein tüchtiges Orchester in dieser Opergattung wohl immer 
den ersten Preis davon tragen wird. 

Wenn übrigens die Theiloahme unseres Publikums für diese 
Aufführungen eine aufrichtige und tiefere, und mehr als eine Huldi- 
gung an das Neue ist, so wollen wir hoffen, dass sie sich auch 
weiter werde geltend machen. 

Bis jetzt huldigte es gar zu sehr dem Oberflächlichen und der 
Model 

NACHRICHTEN. 



Stuttgart. Frau Stradiot-Mende und Herr Schüttky, beide vom 
Hamburger Stadttheater, gastiren hier, erstere auf Engagement. — 
„Hans Heiling" von Marschner sollte in dieser Saison zum ersten 
Male aufgeführt werden (für unsere Hofbühne sehr bezeichnend!), 
musste aber wieder verschoben werden, da Mad. Marlow unwohl 
wurde und Pischeck seit dem 1. Mai seinen viermonatlichen Urlaub 
antrat. Mad. Marlow tritt ihr Wiener Engagement am 1. Juni an, 
indessen hofft man, sie bald wieder hier zu haben. 

Berlin. Meyer beer ist für die bevorstehende Vermählungs- 
feier der Prinzessin Anna mit der Composition eines „Fackeltanzes" 
beauftragt worden. Als Festoper ist „Iphigenie in Tauris" von Gluck 
erwählt worden. — Am 8. d. wurde in der Friedenskirche in Pots- 
dam vom Domchore eine neue Composition Meyerbeer's : „der 91ste 
Psalm" achtstimmig für 2 Chöre und Solostimmen aufgeführt, welche 
von dem König selbst verlangt worden war. — Die Gebr. Stahl- 
knecht und Herr Löschhorn, das bekannte treffliche Terzett, sind von 
ihrer russischen Reise mit Geld und Ehren zurückgekehrt. Beides 
wird ihnen zu Statten kommen, da der Sommer mit seinen unent- 
geldlichen Natur-Concerten vor der Thüre ist. 

Stettin. Vor Kurzem wurde hier „Giralda" von Adam mit 
sehr günstigem Erfolg gegeben. Die leichten und gefälligen, in Tanz- 
rhythmen sich bewegenden Figuren, die sich oft wiederholen, aber 
ohne zu ermüden; die harmlosen fröhlichen Chöre und Ensemble- 
stücke, die weniger durch die Kunst und die Tiefe der Composition 
sich auszeichnen, aber durch die pikante und naive Galanterie, durch 
Einfachheit und Verständlichkeit der Musik erheitern : kurz alle Vor- 
züge der leichteren französischen Oper und vor Allem der Werke 
des Componisten des „Postillon von Lonjumeau" traten bei der Auf- 
führung nach der Th. H. hervor und sicherten der Oper reichen 
Beifall. 

Königsberg« „Die lustigen Weiber von Windsor" von Nicolai, 
welche hier von Herrn Ueberhorst mit bedeutenden Kürzungen in 
Scene gesetzt worden ist, so dass sie nach der Th. Ch. eine ganze 
Stunde früher endet, als in Berlin , hat sehr gefallen und ist bereits 
4mal wiederholt worden. 

Hannover. Ander ist hier für einen zweiten GastroIIencyclus, 
aus 6 Vorstellungen bestehend, engagirt worden. Die erste Gastvor- 
stellung sollte bereits am 20. ds. stattfinden. 

München« Der fortwährend gesteigerte Unwille über die 
schlechte Leitung des königl. Conservatoriums , welche dem Institute 
bereits einige seiner besten Lehrer gekostet hat, scheint endlich das 
nachsichtige Ministerium des Innern aufgeweckt zu haben.. Dasselbe 
hat eine Commission zur Untersuchung der Zustände des Conserva- 
toriums niedergesetzt, welche bereits in voller Thätigkeit ist. Man 
ist auf das Resultat äusserst gespannt. Am 5. Mai wurde in der 
Ludwigskirche eine Messe von M. Nagiller (früher in Paris) aufge- 
führt. 

London. Nach dem Ecco d'Italia haben Mad. Grisi und der 
Tenorist Mario durch ihren Agenten einen Contrakt mit einem ge- 
wissen M. Hackett abgeschlossen, in welchem sie sich verbindlich 
machen, bei der Eröffnung des neuen italienischen Theaters in New- 
York mitzuwirken. JuIIien ist mit den „Vorbereitungen seiner Ab- 
reise" ebenfalls nach dem gelobten Lande der Dollars beschäftigt. 
„Ja, das Gold ist nicht Chimäre !" 

Paris* Gueymard ist von Lyon zurückgekehrt und trat bereits 
als Robert auf. — Einer der Nestoren der französischen Oper, der 
berühmte Bassist Levasseur verlässt die Bühne. In den letzten Ta- 
gen des Mai wird seine Abgangs- und Benefiz- Vorstellung stattfinden, 
bei welcher ihn die besten Kräfte der Oper unterstützen werden. — 
Die Fronde von Niedermayer ist entschieden durchgefallen. Dage- 
gen werden „Tonelli" von Thomas und „Le Roi des Halles" von 
Adam stets unter gleichem Zudrang wiederholt. — Die Qpera Co- 
mique wie das Theatre lyrique schliessen im Juni, ersteres nur auf 
vierzehn Tage , letzteres aber auf drei Monate. — Die neue k o - 
mische Oper von Halevy kommt deshalb erst Anfang Juli zur 
Aufführung. — Die italienische Oper hat ihre Hallen bereits ge- 
schlossen und ihre Mitglieder haben sich zerstreut. Die meisten sind 
nach Lyon , zu der Ital. Truppe , welche dort den Sommer über 
spielen wird, abgereist. 



s±sa 



TttUtwortUca« ItfektMi : J. J. flCIOTT. - Praek m BEtftEK * WALLAD In Minis. 



2. Jahrgang. 



Mr. «3. 



6. Juni 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 

MONTAG. 

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Musik- und Buchhandlungen. 



REDAGTION WD VERLAS 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ, 

DROSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



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Inhalts Vorschläge zur Anregung für das Stadium der Musiktheorie. — Das 31. Niederrheinische Musikfeit zu Dusseldorf. — Gorr. (Darm- 
stadt, Braunschweig. Rostock). — Nachrichten. 



VORSCHLÄGE ZUR ANREGUNG FÜR DAS STUDIUM DER 

MUSIKTHEORIE. 



In den Nummern 38 und 39 des vorigen Jahrganges dieser Blätter 
habe ich nachzuweisen versucht, dass die Preisausschreiben für neue 
Gompositionen der Kunst in gewisser Beziehung wohl förderlich sein 
können, jedoch nicht unbedingt werthvolle Tonstücke nnd respective 
ausgezeichnete Componisten in Aussicht stellen oder solche gar mit 
Sicherheit erfolgen lassen. Dagegen aber wurde namentlich mit 
Hinweisung auf die ungünstigen Resultate mancher Preisausschreiben 
der Wunsch ausgesprochen, unsere Kunstjünger möchten fleissiger 
studiren, die Gesetze und Regeln für die Kunstformen sich besonders 
aneignen, auch den geistigen Inhalt unserer klassichen Tonwerke 
erkennen zu lernen streben, um überhaupt befähigt zu werden, das 
Wesen der Tonkunst allseitig nach Inhalt und Form aufzufassen und 
dann, hiermit ausgerüstet , nach dem Beispiele unserer grösseren 
Tonmeister selbständig neue Musikstücke zu erzeugen. Endlich wurde 
am Schlüsse des oben berührten Artikels erwähnt, dass nicht alle 
Kunstjünger der Vorwurf des ünfleisses treffe, sondern dass nicht 
selten auch dem Begabtesten und Strebsamsten unübersteiglichc Hin- 
dernisse in den Weg treten. — Eines der allergrössten Hindernisse 
zur Ausbildung in der musikalischen Composition ist der Mangel des 
persönlichen Unterrichtes von Seiten wackerer Lehrer. Muss man 
schon im Allgemeinen bei der Wahl eines Musiklehrers für Gesang, 
Piano oder dgl. vorsichtig sein , da die meisten dieser Lehrer sich 
einzig und allein ihrer eigenen Existenz halber zum Lehren hin- 
drängen, und desshalb selbstverständlich aller pädagogischen und 
methodischen Grundsätze baar, ihr Geschäft nur mechanisch treiben, 
so ist bei der Wahl eines Lehrers für den Unterricht in der musi- 
kalischen Composition noch grössere Vorsicht anzuempfehlen. An 
manchen Orten , ja sogar in grösseren Städten ist aber auch nicht 
einmal ein Lehrer für die Musiktheorie zu haben. Es sollte daher 
in jeder grösseren Stadt in welcher sich keine Gelegenheit für den 
Unterricht in der musikalischen Composition von selbst darbietet, 
von Seiten der Kunstfreunde darnach gestrebt werden, wenn auch 
nicht ein förmliches Institut, als Vorbereitungsanstalt für Conserva- 
torien, zu gründen, so doch wenigstens einen Lehrer zu acquiriren, 
welcher Unterricht in der Musiktheorie gäbe. Hierbei könnten die 
Gesellschaften, welche durch Preisausschreiben ihren Eifer für För- 
derung der Musik beurkunden, die Sache in der Art unterstützen, dass 
sie dem betreffenden Lehrer eine gewisse Einnahme garantirten und 
jungen aber mittellosen Talenten das Honorar für den ihnen nöthigen 
Unterricht stellten, und lieber dafür — im Falle es wegen Mangel 
an Geldmittel geboten wäre — die auszusetzenden Preise für neue 
Compositionen verminderten. — Aber nicht immer zeigt sich bei 
jungen Leuten das Musiktalent so bestimmt, dass man ohne alles 
Weitere zum Studium der Musik als Fachstudium animiren dürfte, 
Und dieser Umstand lenkt daher ganz naturgemäss die Aufmerksamkeit 
auf diejenigen schon bestehenden höheren Bildungsanstalten, die eben 
keine Fachstudien, sondern allgemeine wissenschaftliche Vorbil- 
dung bezwecken, nämlich die Gymnasien und beziehungsweise die 



Lyceen. Es wäre gewiss zeitgemäss, wenn an diesen Anstalten nicht 
nur für den theoretischen Musikunterricht befähigte Lehrer angestellt 
würden, sondern wenn diese letzteren auch verpflichtet wären, wenig- 
stens in den oberen Klassen dieser Institute, wäre es auch nur etwa 
eine Stunde wöchentlich, gründlichen Unterricht zu ertheilen über die 
Lehre von den Tonleitern, Intervallen , Accorden und deren Verbin- 
dung , über das Wesen und die Formen des Rhythmus , die Bildung 
der Motive, Sätze, Perioden, der Melodie etc. bis zur Gestaltung der 
verschiedenartigen Tonstücke. Würde durch solche Einrichtung jun- 
gen Leuten, die sich zu den sogenannten gelehrten Ständen vorbereiten, 
nach und} nach Gelegenheit geboten, den wahren Werth der Tonkunst 
schätzen zu lernen, in ihr etwas Höheres zu suchen, als blossen 
Zeitvertreib und Unterhaltung, so würde auch manches Talent für 
Musik nicht verloren gehen , sondern der Eine oder der Andere würde 
sich angeregt fühlen , neben seinem Fachstudium an der Universität 
(an welchen übrigens auch Vorlesungen über die verschiedenen 
Zweige des musikalischen Gebietes stattfinden sollten) die Musikwissen- 
schaften fortzubetreiben , oder auch — bei etwaiger hinreichender 
Qualification sogleich nach Abgang vom Gymnasium — ein Conser- 
vatorium zu seiner weiteren Ausbildung zu besuchen. — Aber auch 
abgesehen hiervon, wäre ohnehin für viele künftige Staats- und Kir- 
chendiener, welche den Musikunterricht und die Musikproductionen 
in Schule und Kirche zu überwachen und hierüber zu berichten 
haben, eine gründliche Kcnntniss von musikalischen Dingen höchst 
erspriesslich , um eben richtige und keine, nur nach subjeetiven An- 
sichten gebildeten und daher oft ganz verkehrten Urtheile ab- 
zugeben. Man befürchte nicht, dass es bei erweiterter und sorg- 
samerer Pflege der Musik an den höheren Bildungsanstalten dann zu 
viele Componisten gäbe; an diesen Anstalten wird durch dieUeber- 
setzungen und Erklärungen der altklassischcn Dichterwerke und durch 
Bekanntmachung mit unseren deutschen poetischen Schätzen , sowie 
durch die mannichfaltigen Exercitien gewiss zur Poesie ungleich mehr 
angeregt als zur Musik , und die Zahl guter Dichter ist immer so 
übermässig gross noch nicht , doch aber vielleicht grösser, als jene 
der guten Componisten, eben weil zum Musikstudium die Anregung 
mehr fehlt. An unsern Schullehrerseminarien wird wohl Unter- 
richt in der Musiktheorie ertheilt. Erwägt man aber, dass die Zög- 
linge in der Regel für alle in diesen Anstalten aufgenommenen wis- 
senschaftlichen Fächer nur dürftig vorbereitet daselbst eintreten 
dann in dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren eine Menge Gegen- 
stände und in einem ziemlich bedeutenden Umfange zu betreiben haben, 
so kann wohl ein höheres musikalisches Studium in dieser Anstalt 
nicht bezweckt werden, sondern man muss sich damit begnügen, dass 
die Leute eben für ihren weiteren Beruf als Organisten, Lehrer tind 
Vorsteher des Gesangs für Schule und Kirche sich qualificiren. In 
musikalischer Beziehung könnten die Lehrer- Seminarien auch als 
Vorbereitungsanstalten für Conservatorien betrachtet werden, ooschon 
nach dem obenbezeichneten Vorschlage die Gymnasien und Lyceen 
doch immer in einem doch viel höheren Grade hierfür gehen würden. 
Ich kann diesen Artikel nicht schliessen , ohne mein tiefes Be- 
dauern auszusprechen, dass wir imsüdwestlicnenDeutschland noch keift" 
Conservatorium haben. Die Idee ist schon im Jahre 1838 in Frank- 



90 



& 



fürt a. M. angeregt worden, es ist auch schon ein Fonds von 
mehr als 20,000 Gulden dazu vorhanden, und doch will das Institut 
nicht ins {«eben treten! Frankfort, dem es doch gewiss an Geld nicht 
fehlt, hatte schon langst eine Ehre darein setzen sollen, ein Conser- 
vatorium zu besitzen. Wenn ihm, was nicht unmöglich ist, Stuttgart 
oder Karlsruhe damit zuvor kämen, dann würde man vielleicht zu spät 
bedauern, die musikalischen Zustände einer Stadt, welche noch vor 
einem Jahrzehent für die musikalische Hauptstadt Suddeutschlands 
galt, zu einem solchen Grad von Bedeutungslosigkeit haben herab* 
sinken zu lassen, dass sie sich von ihren Nachbarstädten, wie schon 
jetzt in den Leistungen der Opernbühne und Concerte so auch in der 
Gründung einer so wichtigen Anstalt überflügelt sehen mussl 



»«••4 



DAS 81. MIEDERRHEINISCHE MUSIKFEST ZU DÜSSELDORF. 

Durch Zufall verspätet. 

Vom herrlichsten Wetter begünstigt, fand am 15., 16. und 17. 
Mai d. J. das 31. niederrheinische Musikfest in Düsseldorf unter 
grosser Theilnahme fremder Künstler und auswärtiger Dilettanten, 
sowie eines sehr zahlreichen aus nah und fern herbeigeströmten Pub- 
likums in der voriges Jahr neu erbauten Tonhalle im Geissler'schen 
Etablissement statt. Diese Halle ist der Räumlichkeit nach für 
solche Aufführungen ein sehr passendes Lokal; schade, dass es aus 
Mangel einer gehörigen Dichtigkeit (es ist ganz aus Brettern aufge- 
baut) dem Effecte hinderlich ist Das Leben und Treiben einer fröh- 
lichen Gartengesellschaft, sowie der Wetteifer der Sänger in den 
Zweigen rundherum störten jedenfalls den Genuss der feiner nüan- 
cirten Parthieen, und anderseits lässt der Mangel einer gehörigen 
Kesonnanz grössere Massenwirkungen nicht zur vollen Geltung ge- 
langen. Doch wollen wir über derlei und andere Aeusserlichkeiten 
des Festes weiter keine Worte verlieren ; die Feuilletons der ver- 
schiedensten Blätter haben schon so manche Festbeschreibung mit- 
getheilt , dass ein Mehreres davon zu reden überflüssig erscheint. 
Wenden wir uns daher gleich zur Hauptsache, zu den Aufführungen 
selbst. — Am ersten Tage wurde unter Robert Schumann's Lei- 
tung eine Sinfonie in D-moll von seiner Composition und Händel's 
„Messias" aufgeführt. Was die Sinfonie anbelangt, so gehört sie — 
trotzdem dass sie vor 9 — 10 Jahren schon geschrieben, vielleicht 
aber auch gerade desshalb — zu dem Besten , was Schumann 
componirte, jedenfalls zu dem Klarsten und Verständlichsten, was aus 
seiner Feder geflossen. Sie besteht aus fünf einzelnen Sätzen zu einem 
Ganzen verbunden und schienen der 3. : Romanze, und 4. : Scherzo den 
meisten Anklang zu finden. Wir gestehen offen, dass wir uns bis jetzt mit 
der Schumann'schen Muse nicht befreunden konnten, und dass selbst 
dieses Werk, trotz so mancher schönen Einzelheiten, uns wenigstens 
als „Sinfonie" keinen Total-Eindruck machte. Die Aufführung war 
gut, wie bei einem Orchester von 162 Instrumcntalisten, unter denen 
an allen Pulten tüchtige Kräfte, ja ausgezeichnete Solisten sich be- 
fanden, nur zu erwarten war. Das Publikum spendete derselben 
reichlichen Beifall und Schumann wurde am Schlüsse mit dem Lor- 
beer bekränzt — jedenfalls eine etwas verfrühte Manifestation. — 
Hinsichtlich der Aufführung des Messias müssen wir gestehen, noch 
selten eine mangelhaftere gehört zu haben, ja eine äusserst mangel- 
hafte, trotz den schönen Redensarten in der „Allgemeinen Augsbur- 
gerin." Und warum wohl? Weil Schumann kein Dirigent ist. 
Schumann vereinigt gar keine Eigenschaften, 
die ihn zu einem praktischen Dirigenten quali- 
ficirten, am wenigsten versteht er grössere Massen sicher zu 
leiten. Er lässt, wie man im Sprüchwort sagt, „Gott einen guten 
Mann sein" — geht's, so ist's gut; geht's nicht, so ist's auch gut, 
wenigstens ihm. Es ist hier nicht der geeignete Ort, sonst würden 
wir einige ergötzliche Scenen aus den dem Feste vorhergegangenen 
Proben mittheilen, welche leicht Stoff böten zu einer Charakteristik 
des „Dirigenten" Schumann. Mit dieser unserer Ansicht stehen wir 
jedoch nicht vereinzelt da, sie ist bereits in Düsseldorf selbst laut, 
ja sehr laut geworden und wir haben nur deutlich ausgesprochen, 
was andere bis jetzt' nur verblümt anzudeuten wagten. Uebrigens, 
auch abgesehen von der technischen Leitung, war die Auffassung 
des Oratoriums von Seiten Schumanns nicht minder eine mangelhafte, 
ja falsche, die Durchführung mit wenig Ausnahmen eine geradezu 
unwürdige» Es verdient dies die sch&rfste Rüge , indem gerade in 



den oratorischen Aufführungen das Niederrheinische Musikfest seine 
kunstgeschichtliche Bedeutung gefunden hatte und darin zu erhalten su- 
chen muss. Oder dient Herrn Schumann ei« Chor von nahezu $00 
Stimmen nur zur Staffage, ein Oratorium nur zu einer Concession , die 
man dem Publikum macht, damit es geduldig Schumann und wieder 
Schumann hört ? — Der Chor verdient in technischer Beziehung alle 
Anerkennung, er hielt sich unter den gegebenen Verhältnissen so 
wacker als möglich ; nichts destoweniger — und dies war nicht seine 
Schuld ■ — kamen Schwankungen vor, die oft sehr gefährlich zu wer- 
den drohten. Die Tempi der Chöre waren grösstentheils übereilt; 
der Chor „denn es ist uns ein Kind geboren'* wurde so herunter. 
galoppirt, dass nicht viel dazu fehlte, und man hätte Polka darauf 
tanzen können. Total widerlichen Eindruck machten der tief-ernste 
erhabene Chor „Wahrlich" und so viele andere noch. Desshalb 
überraschte das „Amen," Welches wirklich vorzüglich gut ging — 
vielleicht war der ganze Chor froh, des kreisenden Scepters Schu- 
manns los zu sein. Was wir weiter missbilligen müssen, war der 
Ausfall so vieler Nummern ; gestrichen war trotz der Censiir einer 
kleinstädtischen Bühne ; der dritte Thcil des Oratoriums schmolz zu 
fünf Piecen zusammen. Warum? Weil ja dem Oratorium eine 
Schumann'sche Sinfonie vorausgehen musste und sonst das ganze 
Concert, das ohnedies von 6'|,— 10* |* Uhr dauerte, zu lange gewährt 
hätte. ' Hat das Niederrheinische Musikfest-Comite Ursache, und liegt 
es im Interesse des Festes selbst, einem seiner periodischen Dirigen- 
ten solche Concessionen zu gestatten ? Wir behaupten geradezu : Nein ! 

(Schluss folgt.) 



»«»*«♦ 



CORRESPONDENZEN. 



BRIEFE AUS DARMSTADT. 

Mai 1853. 

Ein kurzer Rückblick auf die musikalischen Aufführungen der 
verflossenen Monate, lässt uns des Guten vieles erkennen, was den 
hiesigen Kunstfreunden durch das Theater sowohl als durch die be- 
stehenden Vereine geboten wurde. Setze ich noch hinzu, dass Inhalt 
und Ausführung der dargestellten Werke meistens auf gleicher Stufe 
standen, dass jener mit Sorgfalt ausgewählt, diese mit allen zu Ge- 
bote stehenden Mitteln, und mit der gehörigen Weihe zum Anhören 
gebracht wurde, so dürfte das Höhemass der Productionen in diesen 
Worten eben so ausgesprochen liegen, wie die Ueberzeugung , dass 
kein Kunstwerk vollkommen gelungen dargestellt werden kann, wo 
nicht beiden Momenten vollgültige Rechnung getragen wird. Wie 
beklagenswerth ist es im Interesse der Kunst, wenn schon die Aus- 
wahl eines vorzuführenden Werkes, seinem Inhalt nach, als eine ver- 
fehlte bezeichnet werden muss, und wie oft geschieht dies durch Un- 
fähigkeit der Beurtheilung, Begünstigung, oder Nachgiebigkeit gegen 
unverständiges Verlangen einzelner oder auch der Masse. Die 
hierdurch verlorene Zeit, Mühe und Kosten sind schon sehr 
erhebliche Momente, um so erheblicher, je nachdem sie einer Hof- 
bühne oder einer Privatunternehmung zur Last fallen ; aber in der 
Waagschale der Kunst wiegt der Nachtheil der hierdurch auf die Ge- 
schmacksrichtung erzeugt wird, bedeutend schwerer. Durch das Vor- 
führen guter Werke wird das Erkennen des Wahren gefördert, das 
Gefühl für das. Schöne geweckt, der Sinn am Ganzen gestärkt, dass 
er sich nicht in's Einzelne zersplittere und endlich, was sehr wichtig 
ist , die Ostentation in gehörige Schranken gewiesen. Das Gefühl, 
dass das Kunstwerk um seiner selbst willen, und nicht der Darsteller 
wegen, vorhanden ist, bricht sich durch seinen geistigen Inhalt Bahn 
und gewinnt das Vorrecht. Dieses Gefühl gewährt jedem Theile in 
gerechter Würdigung nur das, was ihm mit Recht zukommt, wird nie 
das Werk selbst zur Dienerin, den Ausführenden zu dessen Gebieter 
machen. 

Das gerade ist die unmittelbare Wirkung der guten Musik, 
dass ihr geistig reiner Inhalt uns dergestalt ergreift, dass wir 
darüber das vermittelnde Element, sei es vokaler oder instrumen- 
taler Natur, oder beides zusammen, vergessen und nur die ei- 
gentliche Schöpfung vor Augen haben. Ich führe beispielshalber 
das Anhören einer Beethoven'schen Sinfonie, einer Mozart'schen 



— 91 



Oper, eines Mendelsohn'schen Oratoriums oder eines Haydn' sehen 
Quartetts an. So vielen Antheil auch die gediegene Ausführung auf 
den Hochgenuss derselben haben möge, um wie viel höher steht 
doch die Bewunderung der Zuhörer für die Schöpfung selbst 1 Die 
Menge nmss geleitet werden, sie besitzt keine Selbständigkeit des 
Urlheils und der Sinnenreiz überwiegt bei ihr die feinere, edlere Natur. 
Angenommen, dass dem so ist, warum wirkt man dann nicht auf die 
intellectuelle Bildung dieser unselbständigen Menge durch Werke, 
die sie nach und nach zum Verständniss des Schönen führen, die ihr 
einen wahren Begriff der Kunst geben, statt dass man Virtuosität, 
masslossc Effecthascherei , als die Götter des Tages hinstellt und 
mit pomphaften Ankündigungen die Menge hierdurch irre leitet, die 
folgerecht Aeusserlichkeit für inneres Gemüth, Zerfahrenheit für ge- 
niale Ausdrucksweise hält? Dieses verkehrte Urtheil, womit man in- 
dividuelle Fehler sogar als Vorzüge anpreisst, hat den weiteren Nach- 
theil, dass es sich auf ganze Werke ausdehnt und den Geschmack 
immer mehr verflacht. Denn Niemand wird in Abrede stellen, dass 
durch das Vorführen von süsslichen, nichts sagenden Producten, die 
nur einen vorübergehenden Genuss gewähren, aber als Paradepferd 
von so manchen Theatergrössen immer wieder aufs neue in der 
Arena getummelt werden , der höhere Sinn abgeleitet , und die Em- 
pfänglichkeit für das Edle ebenso abgestumpft werden kann, als beule 
im Gegentheil durch gesunde, Geist und Herz slärkende Nahrung ge- 
hoben werden können. Eine jede Schule hat ihre eigenthümlichen 
Vorzüge; wir finden in der italienischen, wie in der französischen 
und deutschen, Meisterwerke in einer jeden Periode. Wir wollen 
sie alle hören , unsern deutschen , kosmopolitischen Sinn an jeder 
von ihnen bewähren; das bildet Herz und Ohr. Aber nur eine 
Richtung vorzugsweise begünstigen, weil sie eben mehr Gelegenheit 
zu virtuosem Schaugepränge bietet und die minder brillante aber um 
so innerlichere, herzlichere bei Seite zu schieben, läuft eben so sehr 
gegen die Gesetze der allgemeinen Kunst, als es ein Hinderungs- 
mittel der fortschreitenden Cultur genannt werden muss. Wenn dem 
gebildetsten Volke des Alterthums, den Griechen, der feine Sinn der 
Unterscheidung, von wahrer und falscher Kunst nach dem Urtheile 
aller Schriftsteller, in so hohem Grade einwohnte, so trug hierzu 
wohl am meisten die Oeffentlichkeit seiner Kunst und Staatseinrichtung 
bei, die ihm das Höchste und Gediegenste in Tempeln, Spielen und 
Wettkämpfen vorführte, die ihm Werke der Sculptur, der Poesie, 
der Musik nur in höchster Vollendung darstellte. 

Naturgemäss entspringt aus der Wahl des Kunstwerkes von selbst 
die Weihe der Ausfuhrung. Je höher die geistige Schöpfung, um so 
tiefer die Ehrfurcht vor derselben, um so feuriger die Begeisterung, 
die sich in jedem Tone, in jedem Striche Kund gibt, und den Aus- 
führenden wie den Hörenden unwillkürlich im ätherischen Fluge mit 
sich fortreisst. Dahin brausst der gewaltige Strom der Töne, bald 
über Felsen und Höhen, bald über Thäler und Fluren sich stürzend, 
wild und majestätisch mit donnerndem Geräusch, mild und Heblich 
mit kaum vernehmbarem Säussein. Es schlagen die hochgehenden 
Tonwellen an unser Ohr, es stockt der Athera und die Pulse beben ; 
aber sanfter wird die Fluth , melodisch heben sich die gekräuselten 
Wogen und selige Beruhigung erfasst unsere Brust. 

Welchem wahren Kunstfreunde wurde diese, in keinen Worten aus- 
zudrückende Empfindung nicht schon klar , mochte er sie in der 
Kirche beim Anhören des Mozart'schen , Requiems oder 1 im Saale bei 
Händeis Messias, oder im Theater bei Beethovens Fidelio gefühlt 
haben ? Das ist die poetische Macht der Tonkunst , das ist die 
ahnungsvolle Gottesstimme, die alle Saiten vibriren macht, welche 
über unser Herz gespannt sind. — 

Indem ich mir vorbehalte, in einem späteren Artikel den ange- 
gebenen Gegenstand fortzusetzen, erwähne ich nur noch einige der 
bedeutenderen Aufführungen, von denen ich am Eingange dieses 
Aufsatzes sprach. An der Spitze derselben steht Faust von Spohr, 
zum erstenmal hier mit den vom Komponisten eingerichteten Recita- 
tiven und mit dem entschiedensten Beifall gegeben. Durch diese 
neue Bearbeitung ist die Oper aus der Zwittergattung der dialogisirten 
herausgetreten und der verehrte Autor hat ein psychologisches Meister- 
Werk in ihnen niedergelegt, das mit Bewunderung erfüllt. Armide 
von Gluck wurde nach mehr denn fünf und zwanzig Jahren wieder 
einstudiert. Beinahe völlig unbekannt für die jetzige Generation, 
bewährte sie ihre Klassicität im vollen Masse, Arien, Duette und 



I 



Chöre enthalten so viele Frische , Schönheit und Wahrheit des 
Ausdrucks, dass man mit Recht behaupten 'kann, es werde diese» 
Werk auch nach abermals 80 Jahren ebenso unvergänglich leben, 
wie heute. 

Das Fragment Loreley und die Walpurgisnacht von Mendel* 
söhn erfreuten sich der regsten Theilnahme. Unter vielem Gedie- 
genen brachte der Dilettantenverein zum erstenmal die Pilgerfahrt 
der Rose von Schumann . jedenfalls ein sehr interessantes Tonge- 
gemälde. Die in diesem Jahre gegründeten Streich-Quartett-Matineen 
brachten die klassischen Werke Haydns, Mozart's, Beethovens, unter- 
mischt mit Fesca und Onslow, und versammelten die Elite der hie- 
sigen Kunstwelt um sich. Auch die Liedertafel erheiterte ihre Be- 
sucher, durch die gelungene Aufführung von Otto's „Mordgrundbruck** 
auf die angenehmste Weise. L. S — r. 



AUS BRAUNSCHWEIG. 

(8. Mai.) 

Der bis jetzt wenigstens überaus kalt und unfreundlich gewesen» • 
Lenz mag wohl die Ursache sein, dass Concerte und Theater siclb 
eines regeren Besuchs zu erfreuen hatten, als sonst in dieser Zeit» 
Wenigstens war dies bei uns der Fall. 

Der letzte Monat war in musikalischer Beziehung der reichhal- 
tigste der ganzen Saison. Er brachte uns nicht vielerlei , aber viel 
in dem was er brachte. 3 Quartettabende der Gebrüder Müller 
und ein von der hiesigen Hofcapelle in Verbindung mit den Solo- 
sängern der Herzoglichen Oper zum Besten des Theaterpensionsfonds 
im Theater gegebenes Concert nehmen hauptsächlich diesmal unsere 
Aufmerksamkeit in Anspruch. In den Ouartettabenden wurde uns 
ausser den älteren bekannten Meisterwerken von Haydn, Beethoven, 
u. s. f.," auch ein wenigstens für uns neues Quartett in G von Fr. 
Schubert vorgeführt. Dieses, sowie ein anderes in A-moll von 
Schubert und das wegen seines genialen Ideenschwunges grossartige» 
Quartett in A von Beethoven trugen diese trefflichen Künstler mit 
einer alles hinreissenden Begeisterung vor. Der Besuch der Quar- 
tettabende war sehr zahlreich. 

In dem oben erwähnten Concert kamen von rein instrumentalen: 
Werken zur Aufführung : 2 Ouvertüren von Berlioz (zu König Lear 
und zum römischen Carneval) und die Sinfonie in A (Nr. 7) von 
Beethoven. Der Vortrag dieser Werke war ein vollendeter und zeige 
aufs Neue, dass der alte Ruf unserer Kapelle sich immer noch be- 
währt. Um so mehr muss man e3 bedauern, dass dieselbe so selten 
etwas von sich hören lässt. Wo solche Kräfte sind, darf mit Recht 
die Forderung regerer Thätigkeit gestellt werden. Warum veranstal- 
tet unsere Capelle nicht im Laufe des Winters eine Reihe von Con- 
certen, in welchen wir die Instrumental- Werke älterer und neuerer 
Meister kennen lernen? Vielleicht itis peeuniären Rücksichten? 
Das wäre doch wahrlich zu kleinlich. Oder aus Lässigkeit? Das 
wäre beinahe eben so schlimm. Was es aber auch «ein möge , die 
schärfste Rüge verdient es unter allen Umständen. In Nr. 4 des 
vorigen Jahrganges Ihres geschätzten Blattes habe ich schon einmal 
über diesen Punkt meine Missbilligung ausgesprochen. 

Die Sinfonie von Beethoven verfehlte auch dieses Mal ihre 
electrische Wirkung nicht. Die Ouvertüren von Berlioz waren für 
unser Publikum so gut als neu, denn dass sie vor so und so vielen 
Jahren einmal hier gehört worden sind, war ziemlich vergessen. 
Dennoch erfreuten sie sich des ungeteiltesten Beifalls. 

Der junge Flötenvirtuos Zizold Hess sich in jenem Concert auch 
hören. Die ungeheure Fertigkeit auf seinem Instrumente sichert ihm 
von vornherein einen günstigen Erfolg, der auch an jenem Abend 
nicht ausblieb. Lästig ist es übrigens , an einem Abend , wo eine 
Beethoven'scho Sinfonie gespielt wird, Variationen hören zu müs- 
sen, die lediglich nur geschrieben sind, um technische Kunstfertigkeit 
zu zeigen, sonst aber jeden musikalischen Werthes entbehren. Se 
verhielt es sich aber mit den Variationen von Zizold sen., vorgetim» 
gen von Hrn. Zizold jun. Der vocale Theil des Concerts bestand 
aus einigen Arien, eine von Mozart, eine von Spohr und eine von 
Verdi , einigen Männerquartetten von Abt , einem Liede von Hackel 
(der Deserteur) und einem Duett aus Rigoletto von Verdi. Eine 
nähere Besprechung dieser Piecen liegt nicht in meiner Absicht» 



9» 



doch kann reh nicht unterlassen, der Frl. Wärst für den Vortrag der 
Spohr'schen Arie, Frl. tWaiseck und Herrn Himmer für den Vortrag 
des Verdi'schen Duetts, und Herrn Nusch für den Vortrag des Deser* 
teur verdientes Lob zu spenden. 

Die Zusammenstellung dieses Concertprogramms giebt zu einer 
ähnlichen Klage Anlass, wie sie neulich Ihr Hamburger Correspon- 
dent erhob. 

Von den fünf Männergesangvereinen , die hier bestehen, haben 
drei in der letzten Zeit Concerte gegeben, nämlich die Liedertafel, die 
Iiiederhalle und der Quartettverein. Die Leistungen der drei Vereine, 
namentlich aber der Liedertafel, verdienen Beachtung und Aufmun- 
terung. Mögen diese Vereine alle in ihrem ehrenwerthen Streben 
fortfahren, es kann nur Gutes für die Kunst daraus gedeihen. 



>oao< 



AUS ROSTOCK. 

(Monat Mal.) 

Im Vergleiche zu früheren Jahren möchte es auffallen, dass sich 
die Concerte, die man hier zeitweise im Uebermasse zu hören bekam, 
der Quantität nach bedeutend verringert haben; es möchte aber eine 
solche Verminderung nnr zu beglückwünschen sein, indem sich da- 
für alles um solche Auffährungen dreht, die nicht ausschliesslich dem 
Gewinne oder Wohlthätigkeitszwecken huldigen, sondern der besseren 
Idee: die Würde und Hoheit der Kunst zu vertreten, folgen. So 
sind wir denn auch mit Virtuosenconcerten ziemlich verschont ge- 
hlieben. 

Alexander Dreyschock wurde vom hiesigen Publikum mit um so 
grösserem Interesse empfangen , indem sich derselbe hier schon in 
seiner jüngeren Periode einer grossen Theilnahmc zu erfreuen hatte. 
Mag nun dieser eminente Spieler von da bis jetzt noch an Festig- 
keit und Abrundung — an technischem Bewusstsein, wenn man so 
sagen darf — gewonnen haben , so bleibt es noch beachtenswerter, 
dass sein jetziger Standpunkt zum höheren Kunstbewusstsein heran- 
gereift ist. Ob jedoch der Virtuose vollkommen von ihm abgeschüt- 
telt? Wir können uns mit dem Vortrage Beethoven's nicht ganz ein- 
verstanden erklären und möchten gegen ein mitunter, wiewohl selten, 
vorkommendes willkührliches Verzerren des rhytmischen Fadens Pro- 
test erheben. 

Die Abonnements-Ccmzerte des städtischen Musikdirektors Carl 
Schulz haben bedeutend gewonnen dadurch, dass derselbe es ermög- 
lichte, eine grössere Besetzung der Streichinstrumente einzuführen. 
Das zweite dieser Conzerte erfreute durch das Spiel des Herrn Dr. 
Kullak aus Berlin, eines Pianisten, dessen Leistungen ebenfalls bekannt 
sind; leider mochte Unpässlichkeit daran Schuld sein» dass derselbe 
sich nicht ganz gehen lassen konnte. In dem dritten und letzten 
traten Herr und Frau Conzertmeister Raimund Dreyschock aus Leip- 
zig auf; ein bedeutender Violteist, der in allen möglichen Schwierig- 
keiten seines Instrumentes bewandert ist und diese hier in seinen 
Bravourcompositionen zu entfalten wusste. Geschah die Wahl der 
vorgetragenen Piecen in der Absicht, um dem Publikum Concessio- 
nen zu machen, so möchten wir dagegen erinnern, dass man noch 
grösseres Verlangen trägt, mit einem elegisch -gesangvollen Adagio 
beglückt zu werden; auch von unserem Standpunkte aus hätten wir 
eine nicht einseitige Wahl des Vorzutragenden gewünscht. Fr. D., 
Mezzosopranistin, beurkundete gute Schule und ansprechenden Vor- 
trag, mögen diese ersetzen, was natürliche Anlagen verweigert zu 
haben scheinen. 

Erfreulicher Weise sind von Musikdirektor Schulz auch Quar- 
tettabende eingeführt worden ; diese haben sich schon eine so grosse 
Theilnahme erworben, dass der Kritiker — der bekanntlich immer 
gerne mit dem Publikum hadert — darüber verwundert ist. Wir 
wünschen dem Unternehmen guten Erfolg, um so mehr, da auch die 
Leistungen der Vortragenden unsere Erwartungen übertrafen. Hätten 
wir allerdings Gelegenheit noch manches zu rügen, so halten wir 
doch mit spezielleren Urtheilen zurück, um eben das junge Institut 
in seiner Entwicklung nicht zu hemmen. Nur eines können wir 
nicht umhin zur Beherzigung zu erwähnen. Es scheint nämlich 
nach in unserem Orchester das allgemeine Vorurtheil ohzuwal» 
ten, als ob die singenden, piano gehaltenen Stellen eines Instru- 
mentalsatzes eines mit diversem ritartando und tenuto verbrämten 
langsameren Tempo's bedürften, die rhythmisch bewegteren, gewöhn« 



lieh forte lautenden Theile dagegen hurtig und beschlennigend dahin 
eilen müssten; ebenso scheint man zu glauben, dass ein Lauf in die 
Höhe sich überstürzen, einer in die Tiefe dagegen verschleppt wer» 
den müsse. Mag immerhin das gesunde poetische Gefühl Modifika- 
tionen des allgemeinen Taktbewusstseins erlauben — eine vollkom- 
men regelmässige Musik Hesse sich nur durch Maschinen hervorge- 
bracht denken — so darf doch keinesweges der Vortrag in eine voll- 
ständige Confusion ausarten , um den Reiz des durch Takt auf die 
höhere Einheit potenzirten Rhythmus zu tödten: „Willst du immer 
weiter schweifen, sieh, das Gute liegt so nah!" 

An neueren Tonstücken hörten wir den Winter über: Sinfonie 
Nr. 4 in B-dur von Niels-Gade; Richard Wagner's Ouvertüre zum 
Tannh&user, ein Werk, über das auch hier die Stimmen getheilt sind; 
ferner Tschirch's Nacht auf dem Meere, Mendelssohn's Christus etc. 
Von hiesigen Componistcn kamen zur Aufführung: Ouvertüre von 
Carl Schulz, Ouvertüre von Trutschel und Festgesang von Heiser. 

— 1-d. 

NACHRICHTEN. 



Königsberg. Der Violinist Ed. Singer und Frl. Bochkoltz- 
Falconi conzertiren hier mit sehr günstigem Erfolg. Ersterer gab 
hier bereits vier glänzende Concerte. Zu den beiden letzten war kein 
Billet mehr zu haben. Die Oper ist nach Elbing abgegangen und wird 
dort vor ihrer Gastreise nach Berlin mehrere Vorstellungen geben. 

Prag« Die diesjährige Conzert-Saison, die sich bis gegen die 
Hälfte des Monats Mai hinausgeschoben hat, bot uns viele Kunstge- 
nüsse seltener Art. So hat uns der wackere Cäcilien-Verein unter 
Leitung feines für die Kunst begeisterten Direktors Herrn Anton 
Apt nebst mehreren Ouvertüren und Symphonien von grösseren Mu- 
sikwerken im 1. Conzerte Mendelssohns Recitative und Chöre zu 
Christus, und die Meeresphantasie von Sobolewsky, — im 2. Con- 
zerte: Oedipus in Kolonos von Mendelssohn, im 3. die Frühlings- 
phantasie von Gade und im 4. Conzerte die Einleitung und Schluss- 
Scene des 1. Aktes aus Richard Wagner's „Lohengrin" gebracht, 
welches Fragment vom Publikum sehr günstig aufgenommen wurde. 
Der Tonkünstler- Verein führte die Oratorien „Samson" von Haendel 
und Abraham von Lindpaintner, — das Theater-Orchester-Pcrsonale 
in einem zu dessen Vortheile veranstalteten Conzerte die Ouvertüre 
zu Wagners Tannhäuser und die 9. Sinfonie von Beethoven auf. Un- 
serem trefflichen Tenoristen Steger, welcher bekanntlich für die 
Wiener Oper engagirt ist, giebt der Theater-Intendant Baron von 
Bergenthal am 26. ein Abschieds-Souper, wobei ihm ein Album über- 
reicht werden soll, zu welchem die besten Maler, Dichter und Musi- 
ker Prags Beiträge liefern. An die Stelle Stegers tritt der bereits 
früher hier engagirte Herr Reichel. Gegenwärtig gastirt Frau Gundy 
hier. 

Wien« Frl. La Grua soll für die nächste Saison mit der Un- 
geheuern Gage von 40,000 Francs engagirt sein. 

Pesth. Am 1. Mai wurde das neue deutsche Theater eröffnet. 

Berlin. Musikdirektor Gungl' hat sich mit mehreren für sein 
Orchester in Petersburg bestimmten Musikern nach Petersburg ein- 
geschifft. — Die letzten Aufführungen an der Oper waren Halevy's 
„Jüdin/ 1 Meyerbeers „Struensee," und „Jessonda." In letzterer 
gastirte der Baritonist Rieger von Breslau. Mad. Viardot-Garcia 
ist von Petersburg hier eingetroffen. 

Leipzig* Die hiesige Oper hat durch Tichatschecks Gastspiel, 
der bis jetzt als Masaniello , Raoul und Tannhäuser auftrat, neues 
Leben erhalten. Eine Mad. Fernau von Sondershausen sang auf 
Engagement zweimal Coloratur-Partien , konnte aber das Publikum 
nicht befriedigen. 

Schwerin. Der fliegende Holländer von Wagner hat hier sehr 
kalt gelassen. Frl. Geisthardt gastirte 2mal und gefiel. 

Petersburg. Für die nächste Saison der Italienischen Oper 
ist der Tenorist Stigelli engagirt worden. 

Warschau. Hier hat sich eine Italienische Oper gebildet, na- 
türlich ohne irgend einen bedeutenden Sänger zu besitzen, Von der 
zersprengten Brüsseler Italienischen Oper her ist in Deutschland be- 
kannt der Bassbuffo Zuchini. 



VwantwoiUicher Brfalteui: J # J. SCHOTT. - J>mk tob MUTER A WALLAü 1b MalM. 



2. Jahrgang. 



Mr. «4. 



13. Juni 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



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Inhaltt C. M. v. Weber'« Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — 
Corr. (Mannheim). — Nachrichten. 



Das 51. Niederrheinische Musik fest zu Düsseldorf. (Schluss.) — 



C. M. v- WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 



über 

die Coraposltlon des Freischütz und über 
Operncomposltlon überhaupt. 

Wenn ihr's nicht fohlt, Ihr werdet's nicht erjagen, 
Wenn es nicht aas dar Seele dringt. 
Und mit unkriftigem Behagen, 
Di« Herzen aller Herer zwingt. 
Götbe, F.u»t 1. 

Der „Wohlbekannte" hat in seinen „fliegenden Blättern" *) zwei 
Gespräche mit Weber veröffentlicht. Die darin besprochenen Fragen 
sind an sich von solcher Wichtigkeit und gewinnen durch die geist- 
reiche Art und Weise, in welcher sie dort behandelt werden, ein so 
hohes Interesse, dass wir glauben, eine Mittheilung und Besprechung 
derselben könne neben dem Vergnügen, welches sie zu gewähren im 
Stande ist, auch noch einigen Nutzen stiften. Und bei unserer 
heutigen Seelenverwirrung thnt es Noth, Alles an's Licht zu heben, 
was Nutzen stiften, d. h. in wichtigen Kunstfragen unser Bewusstsein 
aufhellen kann. 

Wir wollen dem Gange des Gespräches folgen, müssen aber des 
Raumes wegen und um nicht dem Vorwurfe Veranlassung zu geben, 
als hätten wir den Wohlbekannten über Gebühr ausgeschrieben, uns 
auf wörtliche Mittheilung der beregten Punkte beschränken, und die 
Leser hinsichtlich des ganzen reizenden Gespräches auf die „flieg. 
Blätter" verweisen. 

I. 

„Der Wo hl bekannte". Im Freischütz bewundere ich zunächst 
das Totale des Styls, des Tones oder wie ich es nennen soll. Es 
kommt mir vor, als gehöre jede Melodie, jeder Klang in dieser Oper 
eben nur in den Freischütz und als könnten sie unmöglich in einem 
andern Werke erscheinen. Ich höre in diesen Tönen nicht blos den 
Ausdruck bestimmter Gefühle, sondern den Ausdruck von Gefühlen 
der und der bestimmten Person, ja ich höre sogar die Zeit mit, in 
welcher die Oper spielt und den Ort, an dem die Handlung vorgeht. 
Ich empfinde bei Ihrer Musik zum Freischütz dasselbe, wie beim 
Lesen des Götz von Berlichiogen, des Tasso u. s. w. Wie man 
keine Stelle aus dem Götz in den Tasso , oder aus diesem in jenen 
versetzt denken kann, ohne ganz heterogene Elemente mit einander 
zu vermengen, so könnte meiner Meinung nach, ans dem Freischütz 
nichts in eine andere Oper versetzt werden und umgekehrt. 

Webe r. Wohl dem Freischütz , wenn dem so ist ; aber eine 
solche Empfindung werden Sie bei metner Oper nicht das erste Mal 
gehabt haben. Sie werden sich auch kein Stück aus dem Don Juan 
in die Zauberflöte versetzt denken können, oder aus dieser in jenen. 



*) Fliegende Blätter für Musik. Wahrheit über Tonkunst und 
Tonkünstler. Von dem Verfasser der „Musikalischen Briefe (2 Bd. 
Leipz. 52.)." Leipzig 53, Baumgärtner. Bis jetzt 2 Hefte, a % Thlr. 
Wir empfehlen diese „Blätter" den Lesern, welche bis jetzt die 
Bekanntschaft derselben noch nicht gemacht haben; Einzelnes daraus 
werden wir gelegentlich ausführlicher besprechen. 



Das Grösste und Bewundernswürdigste in dieser Art hat meiner 
Ansicht nach Mehul in „Joseph in Egypten" geleistet, denn in dieser 
Oper zeigt sich wahrhaft patriarchalisches Leben und orientalische 
Farbengebung. Ist es mir auch im Freischütz gelungen, einen durch- 
gehenden Charakter festzuhalten, so verdanke ich es allerdings dem 
aufmerksamen Studium der grossen Muster, die wir haben. 

Wohlb. Sic setzen mich in Erstaunen. Ich bin bisher wohl 
mit den Allermeisten des Glaubens gewesen, Ihr mächtiger Genius 
habe es Ihnen eingegeben, gerade so, wie es geschieht, den Hörer 
unwiderstehlich in das romantische Jägerleben etc. hineinzuversetzen. 
Und Sie hätten trotz Ihrer Originalität auf Vorbilder geblickt? 

Weber. Ich will und werde den Genius nicht verläugnen; 
aber niemals habe ich mich auf ihn allein verlassen. Aber ver- 
stehen Sic mich recht, wenn ich von Vorbildern spreche. Wenn 
wir an Schöpfungen unserer Vorgänger irgend eine scharf ausgeprägte 
Eigenschaft erkennen, die nothwendig da sein muss, wenn die Arbeit 
ein Kunstwerk sein soll, so müssen wir dieselbe studiren, sie 
nachzubilden und unserem Werk in gleichem Maasse mitzutheilen 
versuchen. 

Wohlb. So wäre es auch zu erlernen einem so grossen 
Werke, wie es eine Oper ist, einen Totalton zu geben? 

Weber. Gewiss; wenn das nöthige Talent da ist, versteht 
sich. Gern theile ich Ihnen mit , was ich darüber gedacht habe. 
Statt Totalton wollen wir Charakter sagen oder noch besser charak- 
teristischer Haiipttou, wie sich auch die Maler ausdrücken, und 
womit ich die Instrumentationsfarbe des Ganzen meine. Eine und 
dieselbe Landschaft hat einen ganz verschiedenen Charakter im 
Frühling, im Sommer, im Herbst, im Winter; sie hat einen andern 
am Morgen, am vollen Mittag, am Abend, in der Nacht. Der Maler 
erkennt das , was der Landschaft zu den verschiedenen Zeiten das 
Eigentümliche, den Charakter, ertheilt und versteht es, durch ent- 
sprechende Farbenmischung jenen charakteristischen Hauptton in sein 
Bild der Landschaft überzutragen, so dass dem Beschauer die Wahrheit 
der Darstellung sofort kenntlich entgegentritt. 

Wohlb. So hätte der Komponist mit Klängen, wie der Maler 
mit Farben, den Hauptcharakter seines Werkes hervorzubringen? 

Weber. Allerdings. Sic wissen ja, dass man eiue und dieselbe 
Melodie auf unendlich verschiedene Weise instrumentiren und aecom- 
pagniren und ihr dadurch einen unendlich verschiedenen Ausdruck 
oder Charakter geben kann. Sie wissen, dass es möglich ist, dieselbe 
Melodie je nach der Instrumentation zu einer weichen oder harten, 
sanften oder stürmischen, hellen oder düstern zu macheu, und Sie 
werden nun auch nicht mehr in Zweifel über das Haupt mittel 
sein, durch welches einem einzelnen Musikstücke oder einer ganzen 
grossen Oper ein gewisser Hauptcharakter zu geben ist. 

Wohlb. Wenn der Hauptcharakter einer Oper z. B. rauhe 
Kraft sein sollte, so müsste jedes Tonstück, jede Melodie rauhkräftig 
instrumentirt sein? 

Weber. In dieser Weise, bei so strengem Festhalten des Grund- 
satzes, würde der Hauptcharakter einer solchen Oper wahrscheinlich 
zur Monotonie werden. Etwas Wahres aber liegt in Ihrer Bemerkung. 
Uebcrsehen Sie nicht, dass ein Charakter nicht ans einem einzigen 



— 94 



Zuge, sondern aus einer Verbindung mehrerer Zuge besteht, die sogar 
von einander sehr verschieden sein können und von denen bald der 
eine, bald der andere hervor- oder zurück tritt. Die Züge, welche 
am häufigsten vortreten, welche demnach die vorherrschenden sind, 
geben den Begriff des Charakters. Sollte also , um bei Ihrem Bei- 
spiele zu bleiben, das Totale einer Oper rauhe Kraft sein, so würde 
dasselbe hervorgebracht werden, wenn die Mehrzahl der Gedanken 
darin jenen Charakter an sich trüge, wenn er, mit andern Worten, 
vorherrschte. In einer solchen Oper kämen jedenfalls auch Einzelnheiten 
vor, die das Gegentheil von rauher Kraft sind. Der wilde Held 
würde z. B. lieben und der Geliebten gegenüber, trotz seiner Wildheit, 
sanft sein. Ein solcher Mann ist aber gewiss auch in zärtlichen Augen- 
blicken ein Anderer als der, welcher einen sanften Charakter an sich 
selbst besitzt; ,in seine Sanftmuth und Zärtlichkeit wird sich etwas von 
seinem Charakter übertragen, er wird z. B. „ich liebe Dich" ganz 
anders singen als ein schmachtender weicher Jüngling. Lassen Sie 
also etwas, bald mehr bald weniger, von der Klangfarbe, mit 
welcher Sie Ihren Helden charakterisiren , in allen Situationen er- 
scheinend in denen er auftritt , so werden Sie in Ihrer Musik dem 
Hauptcharakter treu bleiben." 

Hier wollen wir erst einen Augenblick inne halten. Das Geist- 
reiche und Feinsinnige in Weber's Gedanken hervorzuheben, wäre 
unnütz, denn Jedermann wird es unmittelbar empfinden; auch auf 
den Freischütz wollen wir diese Grundsätze nicht anwenden, weil es 
in den unten mitzutheilenden Worten von Weber selber geschieht. Aber 
der Leser richte einmal auf die Sache selbst das Auge. Kann man 
sagen, Weber habe in Obigem einen „Grunds atz" ausgesprochen? 
Ich glaube nicht. Denn jeder Grundsatz gilt da, wo er einmal am 
Orte ist, auch unbedingt und ohne Moderation. Weber sagt aber 
selbst: „bei so strengem Festhaltendes Grundsatzes 
würde wahrscheinlich Monotonie entstehen." Man kann zugeben, 
der Wohlbekannte habe in der „rauhen Kraft" kein gutes Beispiel 
gewählt; man kann daran erinnern, dass das Leben der Grund der 
Oper ist, und dass daher ein Festhalten des Charakters in „rauh- 
kräftiger" Instrumentation todt und geistlos (materialistisch) erscheinen 
müsse; man kann daher auch, wie der Wohlbekannte selber, in 
Webers Worten die geistvollste Bestimmung der Gränzen solcher 
Verfahrungsweise finden und, soviel ich sehe, doch behaupten, Weber 
habe nicht einen Grundsatz, sondern nur eine Regel ausgesprochen, 
nicht das klare Wesen der Sache, sondern nur eine Seite an ihr 
hervorgehoben, wenngleich mit tiefer Empfindung des Ganzen. 

Die Berechtigung dieser meiner Einwendung dürfte dem Leser 

so unmittelbar noch nicht einleuchten ; ich will sie daher zu begründen 

suchen. 

(Fortsetzung folgt.) 



' O OOl 



DAS 81. NIEDERRHEIMISCHE MUSIKFEST ZU DÜSSELDORF. 

Durch Zufall verspätet. 

(Schluss). 
Gehen wir im Texte weiter und zu den Soloparthieen über. 
Herr von der Osten, ein in Berlin beliebter Concertsänger, der 
für die Tenor-Parthie gewonnen war, schien nicht sehr gut dispo- 
nirt ; er hatte sowohl Mühe durchzudringen als auch sich „r e i n" 
zu halten. Sein Vortrag war matt, wie es uns überhaupt scheint, 
als eigne sich Herr von der Osten weniger für das Oratorium als 
für das Lied. Herr Salomon, Königlich. Preuss. Hofopersänger 
a. Berlin, befriedigte in der Bass-Parthie bei weitem mehr, obgleich 
er auch manches zu wünschen übrig Hess. Fräulein Sophie Schloss 
aus Düsseldorf, eine allgemein geschätzte Altistin, führte die ihr 
nach dem „Strich" noch übrig gebliebene Parthie würdig durch, 
nur die erste Arie „O^du, die Wonne" war uns etwas zu „würdig" 
d. h. monoton gehalten; die ernsteste Grösse einer Händeischen 
Messias- Arie schliesst im Vortrage die Nuance nicht ans. Dabei kön- 
nen wir nicht umhin zu bemerken, dass die Stimme der Fräulein 
Schloss etwas gelitten zu haben scheint; die frühere Fülle des Tones 
in den untersten Chorden hat verloren und wir wollen der geschätz- 
ten Sängerin von Herzen wünschen , dass dies seinen Grund in et- 
was Vorübergehendem hat und nicht wie es hie und da hiess 
in dem Bestreben , die Stimme in eine höhere , möglicher Weise in 
eine Sopranlage zu zwangen, Fräulein Mathilde Hartmann» 



welche einen Theil der Sopranparthie übernommen, hatte insofern 
einen schwereren Standpunkt, als es kein Leichtes ist, sich neben 
einer Clara Novello zu halten; doch durfte man mit den Leist- 
ungen der liebenswürdigen Sängerin zufrieden sein. Fräulein N a ( a 1 i e 
Eschborn, königl. Würtembrg. Hofopernsängerin aus Stuttgart, war 
laut nachträglicher Anzeige des Vorstandes durch Unwohlsein ver- 
hindert zu erscheinen, und so hatte Frau Clara Novello aus London 
freien Spielraum. Fräulein Eschborn wäre ihr jedenfalls eine 
bedeutende Rivalin geworden, obgleich Frau Novello zu den gebil- 
detsten Sängerinnen gehört, eine tüchtige umfangreiche Stimme, 
schöne Tonbildung, Sicherheit und Fertigkeit besitzt — ihr aber, 
und ganz natürlich, die Frische einer jugendlichen Stimme abgeht. 
Ihr Mezzavoce ist noch immer reizend, ihr Forte dagegen ohne Wohl- 
klang. Was ihre Leistungen im Messias anbelangt, so sind wir 
durchaus nicht einverstanden mit ihr über die Auffassung und am 
allerwenigsten mit dem Anhängsel modern -italienischer Verzier- 
ungen und Cadenzen. Wenn die lieben Sänger und Sängerinnen 
doch immer berücksichtigen wollten, dass ein Oratorium keine Oper 
ist und dass Händel, obgleich er auch für Italiänische Sänger zu 
schreiben verstand, doch kein Verdi oder sonstiger „i" ist. Doch 
das ausharrende Publikum, das ohnediess durch die Gesammtauffüh- 
rung in keine höhere ernstere Stimmung versetzt werden konnte, nahm 
im Allgemeinen dies ganz gut auf und hatte wenigstens in soweit 
Recht , als es dabei der vollendeten , wenn auch schlecht placirten 
Technik den verdienten Tribut zollte. 

Der zweite Festtag, unter der Leitung Ferd. Hillers, brachte 
zunächst Webers Ouvertüre zur „Euryanthe". Welch ganz an- 
deres Ensemble als gestern! Welch eine ganz andere Direktion aber 
auch ! Die Ouvertüre erquickte und brachte Stimmung in die Zuhö- 
rerschaft. Ihr folgte eine Arie (mit Cello-Solo) aus Paulus, gesungen 
von Herrn vond. Osten, der dieselbe sehr schön vortrug und wenig- 
stens in etwas die Scharte des vergangenen Tages auswetzte. Ferner 
kam Hillers 125. Psalm für Tenor-Solo und Chor zur Aufführung, 
eine schöne gediegene Composition in welcher ganz besonders der 
Eingangschor von grosser Wirkung ist. Das Tenor-Solo hatte Herr 
Kammersänger E. Koch aus Köln übernommen, der gewiss in dieser 
Parthie vollkommen befriedigte. Der Osten schliesst den Westen 
nicht aus. Der erste Act aus Glucks „Alceste" schloss die 
erste Abtheilung dieses Concertes. Hier war Alles gut, sehr gut, 
davon gab Zeugniss der sich bis zum Enthusiasmus steigernde Bei- 
fall des Publikums. Frau C. Novello sang die Parthie der Alceste in 
grossem Style und mit grosser dramatischer Wahrheit. Mag es in einer 
individuellen Neigung liegen, oder sonst in was es wolle : sie be- 
wies mehr Pietät gegen Gluck als gegen Händel; als Alceste ver- 
diente sie im vollsten Maasse die Anerkennung, die ihr von allen 
Seiten geworden. — Den zweiten Theil des Concertes füllte Beetho- 
vens 9. Sinfonie aus. Wir gestehen, dass wir erstaunt und hoch er- 
freut waren, dieses instrumantale und vokale Riesenwerk in s o lc her 
Tüchtigkeit ausgeführt zu hören. Die 3 ersten Sätze Hessen inso- 
fern nichts zn wünschen übrig, als die ganze Durchführung klar war 
und selbst die complicirtesten Stellen dem Zuhörer verständlich werden 
konnten. Was den Schlusssatz betrifft, so ist es eine Unmöglich- 
keit, denselben so zu effectuiren, wie ihn Beethoven sich wohl ge- 
dacht und wie wir ihn uns vielleicht auch denken können; eine 
Unmöglichkeit, so lange wir keine andere Menschen mit andern 
Stimmorganen geworden sind. Eine Anstrengung, die sich höchstens 
eine musikalische Periode lang ertragen lässt, wird hier für einen 
ganzen langen Satz gefordert und selbst noch grösseren Massen, als 
den hier vereinigten, dürfte es nicht gelingen, die nöthige Ausdauer 
zu behalten, geschweige die gehörige Gradation zu erreichen. Trotz- 
dem verdient der Chor die vollste Anerkennung seiner wirklich vor- 
züglichen Leistung und ganz besonders der Sopran, der trotz der 
stets höchsten Stimmlage in der ganzen Parthie eine vollkommen reine 
Intonation bewahrte. In den Soli , die im Ganzen weniger befrie- 
digen konnten« zeichnete sich Herr Salomon insofern aus, als ihm 
bei einer der höchst liegenden Stellen der Ton überschlug: Das 
darf einem gebildeten Sänger nicht passiren, einem Sänger, der seine 
Grenzen kennen nnd wissen muss, wie er unter Umständen einen 
Ton angeben oder forciren darf. Solche Kleinigkeiten können je- 
doch bei einer so vollkommen guten Aufführung des Ganzen nicht 
in die Waagschale fallen; wir versichern, dass das ganze zweit» 
Concert einen wirklichen vollständigen Knnstgenuss gewährte; und 
dies ist unserer Ansicht nach das schönste Lob, das demselben ge* 



- 95 — 



spendet werden kann, das schönste Lob aber auch, das dem Hebens» 
würdigen Dirigenten zugesprochen werden muss , dessen Umsicht, 
Einsicht und Energie es gelang, gleich einem grossen Feldherrn 
seine Truppen dem sichern Siege entgegen zu fähren. 

Das sog. „Künstler-Concert" am dritten Tage wurde mit dem 
Händel'schen Halleluja eröffnet. Warum denn gerade diesen zwei Tage 
vorher gehörten Chor wiederholt? Vielleicht auf „vielseitiges Ver- 
langen l" Als zweite Nummer figurtrte auf dem Programm eine Arie aus 
„Paulus" von Herrn Salomon vorzutragen; derselbe war aber ver- 
anlasst, plötzlich abzureisen. Hillers Romanze ans „Ein Traum in 
der Christnacht" von Hrn. Koch vorgetragen (von Hiller selbst begleitet) 
konnte in einem Locale, wie die Gcissler'sehe Tonhalle, keinen be- 
friedigenden Effekt machen. Die Composition ist zu zart gehalten 
und verlangte eine sehr feine Nüancirung, welche Herrn Koch sehr 
gut gelungen, so dass ein kleiner Concertsaal ein viel geeigneterer 
Platz für einen derartigen Vortrag gewesen wäre. In gleicher Weise 
verhielt es sich so mit Beethoven's „A d e 1 a i d c," von Herrn v. d. 
Osten gesungen und von Frau Schumann begleitet. Hr. v. d. 
Osten legte jedoch bei dieser Gelegenheit glänzendes Zeugniss ab 
von seiner hohen Vollkommenheit im Licdervortrage. Frau Clara 
Novello *ang eine italienische Arie von Cagnoni — eine jener Arien, 
die nur dazu dienen, der Sängerin Gelegenheit zu bieten , all ihre 
Fertigkeit und einzelnen Eigentümlichkeiten in ein grelles Licht zu 
setzen. In der zweiten Abtheilung des Concertes sang die geschätzte 
Künstlerin noch ihre bekannten „Schottischen" Lieder und 
God save the queen: die chevaux de bataille. Auch ihr wurde 
zum Schlüsse der Lorbeer. Hillers „freie Fantasie" auf dem 
Piano erfreute sicher jeden Zuhörer, sie war geistreich improvisirt 
und technisch vollendet ausgeführt. Die Concertouverture von Julius 
Tausch — ist eben eine Concertouverture von Julius Tausch, der wir 
das Motto vorsetzen möchten : „Viel Lärm um nichts." Um solche 
Kompositionen aufzuführen, bedürfte es unserer Ansicht nach keines 
so bedeutenden Orchesters, als das eines Niederrheinischen Musik- 
festes; solche Kräfte verdienten, bei solchen Gelegenheiten bes- 
ser verwendet zu werden. Schumann' s Festou ver t ur e mit 
Schlusschor über das „Rheinweinlied" gehört der Zukunft an 
und wir Gegenwarts-Menschen vom „überwundenen Standpunkt" hätten 
uns zu trösten gewnsst, wenn man sie uns vorenthalten. Die Perlen 
des Abends, aber auch Perlen des reinsten Wassers, waren die Vor- 
träge von Frau Schumann und Herrn Joachim. Erstere spielte 
ein aus drei Sätzen bestehendes Concert ihres Gatten mit einer 
Meisterschaft, die einesthcils die Komposition erhob und anderntheils 
das Publikum zu enthusiastischem Beifallssturm hinriss. Frau Schu- 
mann gehört jedenfalls zu den genialsten Künstlerinnen der Jetztzeit: 
der Lorbeer war verdient. Was der Vortrag des Beethoven'schen 
D-dur-Concertes für Violine durch Herrn Joachim betrifft, so ge- 
stehen wir , dass wir bis jetzt nichts Vollendeteres gehört haben. 
Ein solches Werk mit solcher Meisterschaft, mit solchem tiefen Ein- 
gehen in den Geist der Komposition executirt, ist ein Genuss, der 
in unserer Zeit einer Oase in der Wüste gleicht. Wir wollen allen 
unseren deutschen Meistern der Geige ihre individuellen Ver- 
dienste gern zugestehen: aber wir haben von Keinem noch in sol- 
cher Weise wie von Joachim „Beethoven" gehört. Da ist die Klas- 
sizität vom ersten bis zum letzten Strich ; nicht eine Klassizität, die 
mit der Form koquettirt, nein „die es im Geiste und in der Wahr- 
heit ist", Dass ein solches Spiel den Wunsch nach einem „Mehr** 
erregen würde, war vorauszusehen. Der Beifall der entzückten Zu- 
hörer erreichte den höchsten Grad von Enthusiasmus, Herr Joachim 
musste dem stürmischon Dacapo nachgeben und trug noch Bach's 
Ciaconne vor. Uns wäre eine Wiederholung des Adagios aus dem 
Concert lieber gewesen; Bachs Composition ist originell und interes- 
sant , die Ausführung war vollendet und überraschend — doch war 
es auf das Beethoven'sche Concert ein Douchebad. Wir wollen 
durchaus dem liebenswürdigen, anspruchslosen Künstler hiermit keinen 
Vorwurf machen , denn er wurde durch seine Freunde dazu veranlasst, 
gerade dies Stück zu spielen, wir wollen hiermit nur andeuten, dass 
ein „Künstlcr-Koncert" von solchen Künstlern künstlerischere 
Rücksichten erheischte. Doch dürfen wir es an diesem Abend nicht 
allzugenau nehmen : das ganze Programm war ja eine „olla Potrida. 
möchten in Zukunft die „Künstlerkoncerte" bei solchen Gelegenheiten 
ein gewählteres Programm aufzustellen wissen — sie dürften sich 
sonst nicht leicht von den ällergewöhnlrchsten Koncerten unterscheiden 
und am allerwenigsten den Anforderungen an ein N i e d e r r h e i ai- 



sches Musikfest entsprechen. Joachim hat bewiesen, wie 1 man 
der Virtuosität bei solcher Gelegenheit Rechnung trägt: die Wahl 
der Musikstücke ist wahrlich keine Nebensache. 

Scheiden wir nun von dem Feste mit dem herzlichsten Dank 
gegen Alle, die sich um dasselbe verdient gemacht haben — und 
deren sind es Viele — und mit dem Wunsche bei der nächstjährigen 
Wiederkehr die gemachten Erfahrungen vorteilhaft benutzt zu sehen. 
Die Zeiten sind vorüber , in denen man nur auf den Musikfesten 
gute Musik hörte; die Musikfeste in unsern Tagen müssen uns das 
Beste in jeder B e z i e h u n g bringen, sonst wird sich das Interesse 
an denselben verlieren und kein Gott mag sie dann vor ihrem Erle- 
schen retten. H. W. 



CORRESPONDENZEX. 



AUS MANN HEI IN. 

Kaum weiss ich, ob Ihren Lesern jetzt noch ein Bericht über 
die während des letzten Winters hier stattgefundenen, hervorragen* 
deren Produktionen willkommen sein wird; da jedoch der Winter 
sich diesmal bis in die Zeit, die man sonst Frühling zu nennen ge- 
wohnt war, verlängert hat, und die Veranstaltung späterer Concerte 
nicht unpassend erschien , so möge dadurch der verspätete Bericht 
einige Entschuldigung finden. In den vom hiesigen Orchester gege- 
benen Concerten kamen folgende grosse Instrumental-Werke vorz 
Mozart's Sinfonie in C mit Fuge; Beethoven's C-moll und Pastoral- 
Sinfonie; Franz Lachners neuste Sinfonie in G-moll; Esser's neueste 
Sinfonie in D-moll: Fest-Ouverturc von V. Lachner, mit dem Preis 
der Mannheimer Tonhalle gekrönt, Fest-Ouverture (A-dur) vonRietz, 
Jagd-Ouverture von Mehül ; Concertante für Violine und Viola (vor- 
getragen von den hiesigen Orchester-Mitgliedern Hr. Becker und Mayer) 
von Mozart; Mendelssohn's Ciavier- Concert in D-moll, vorgetragen 
von Herrn Hechtaus Frankfurt a. M. und Hummel's A-moll Concert, 
vorgetragen von Frau Betty Schott aus Mainz. Von den hier 
angeführten neuen Werken fand die Sinfonie von Franz Lachner eine 
noch bei weitem grössere Anerkennung , als bei ihrer ersten Auf- 
führung hier, was bei diesem so gehaltvollen Werke nicht anders 
zu erwarten war. Esser's Sinfonie in D-moll wurde von den Musikern 
und den einsichtsvolleren Musik-Kennern als ein Werk voll Frische 
und Anmuth der Gedanken, und zu vollkommner Klarheit ausgear- 
beitet, freudigst begrüsst. Fand auch dasselbe, mit Ausnahme des 2, 
Satzes, der ganz besonders ansprach, von Seiten des grösseren 
Publikums keine enthusiastische Aufnahme, so ist dies nichts 
weniger, als ein Beweis gegen die Vorzüglichkeit des Werkes, denn 
noch immer ist das musikalische Publikum unbilligerweise gewöhnt 
neue Erscheinungen im Gebiet der Sinfonie hauptsächlich mit Beet- 
hovens grandiosen Erzeugnissen dieser Gattung zu vergleichen; ein 
Verfahren, wodurch der Standpunkt zur richtigen Beurtheilung eines 
solchen Werkes unmöglich gefunden werden kann. Sind ja doch 
Haydn , Mozart und Beethoven in ihren Sinfonieen , wie in ihren 
Quartetten bezüglich der .darin enthaltenen Gefühls- Aeusserungen > 
wie der Verarbeitung derselben ausserordentlich verschieden von ein- 
ander ; bei vorurteilsfreier Betrachtung wird man die jedem dieser 
Meister gebührende hohe Geltung anerkennen müssen. Ist einer 
unserer Zeitgenossen im Fach der Musik befähigt für die Kompo- 
sition einer Sinfonie, wie dies bei Esser unstreitig der Fall ist, so 
gebührt ihm auch das Recht , auf eine unpartheiische , von einsei- 
tigem Anhängen an das als klassisch anerkannte freie Beurtheilung, 
von Seiten seiner musikalischen Mitwelt Anspruch zu machen. — 
Möge uns Herr Esser bald mit einem neuen Werke dieser Art er- 
freuen! — Von den beiden Clavier-Concerten konnte sich das Men- 
delsohn'sche, obgleich von Herrn Hecht sehr gut vorgetragen, weniger 
Anerkennung erwerben, da hauptsächlich der für die Parthie des Piano* 
etwas mager ausgestattete zweite Satz zu wenig Interesse darbot. 
Weit günstiger war die Aufnahme des HummeFschen Concerts, welches 
Frau Betty Sohott aus Mainz mit der wünschenswertesten Klarheit 
und Eleganz vortrug. — An den vorgenannten Concerten betheiligte 
sich das Sängerpersonal der hiesigen Oper mit stets gleicher Bereit* 
Willigkeit durch Vorträge verschiedenster Art , wie dies auch hei* 



— 96 — 



mehreren von einzelnen Künstlern veranstalteten Conccrten gerühmt 
werden muss. 

Von auswärtigen Virtuosen war in den letzten Monaten der Vio- 
linist Herr Adolph Köckert aus Prag der Einzige, der ein 
Concert hier veranstaltete, unterstützt von mehreren Mitgliedern der 
Oper und des Orchesters. Hr. K. erwies sich in seinem Vortrag 
von Kompositionen von de Beriot, Prünie und Vieuxtcmps als ein 
gewandter Violinspieler, dem es jedoch leider an Reinheit der Into- 
nation fehlte. 

Ferner gah der Violinist Herr Becker, Mitglied des hiesigen Or- 
chesters, ein sehr besuchtes Concert, das unter Anderem zwei ganz 
besonders interessante Musikstücke brachte : Beethovens Quintett für 
Klavier und Blasinstrumente, und Mendelssohn' s Oktctt für Streich- 
instrumente, Ersteres ausgeführt von Frl. \V. Wolff und vier Mitglie- 
dern des Orchesters, Letzteres von Hr. Becker und sieben Orchester- 
Mitgliedern. In der Wahl der von Heinrich Becker allein, und im 
Verein mit Frl. Wolff (Duo concertante von Osborne, dem dieselbe 
jedoch, wie auch dem Quintett nicht vollkommen gewachsen war) 
vorgetragenen Solostücke wäre grössere Sorgfalt und mehr Geschmack 
sehr zu wünschen gewesen; denn leider waren die Hauptbestandteile 
derselben Variationen, und zwar grösstenthcils von der geist- 
losesten Sorte, womit der Spieler sich unnützerweise abarbeitet, denn 
das Interesse an solchen Dingen hat sich beim besseren Theil des 
Publikums gänzlich verloren. Frl. Rohn und Hr. Stockhausen , Mit- 
glieder der hiesigen Oper, unterstützten den Concertgeber durch 
trefflich vorgetragene Gesangstücke. 

Von den Conccrten des Musik-Vereins erwähne ich die interes- 
santen Musikstücke : „Misericordias" von Durante und „Crucifixus" 
von Lotti, beide für achtstimmigen Chor, welche von ausserordentlicher 
Wirkung waren; ferner Beethoven's Septett für Streich- und Blas- 
instrumente, und dessen Sextett Op. 81; endlich „Gloria, Sanctus, 
Benedictus und Agnus Dei" aus einer Vokal-Messe von V. Lachncr, 
Welche kurz darauf vollständig in der hiesigen Jesuiten-Kirche von 
den Mitgliedern des Musik-Vereins unter des Componistcn Leitung 
mit sehr günstigem Erfolg zur Aufführung kam. — «.In denselben 
Conccrten des Musik-Vereins produzirten sich auch die Zöglinge 
der mit Letzterem verbundenen Singschule ; konnte und musstc man 
auch den ersten Versuch, den dieselben mit einer Hymne von 
ihrem Lehrer, IL E. Kuhn, und einem „Chor der Engel" aus Mendels- 
sohns „Elias" machten, mit Nachsicht aufnehmen, so war bei ihrem 
Auftreten in einem spätem Concerte reinere Intonation und mehr 
Selbstständigkeit im Treffen zu erwarten; dagegen war es für den 
Zuhörer peinlich, zu bemerken, wie die jungen Sänger und Sängerinnen 
▼on der Ciavierbegleitung ihres Lehrers allzusehr abhängig waren, 
und demungeachtet bedeutend detonirten, so dass das Ciavier besser 
geschwiegen hätte. Hoffen wir aber, dass diese Uebelstände bis zum 
nächsten Winter sich entfernt haben, und der junge Nachwuchs zum 
ferneren Gedeihen des Musik- Vereins das Scinigc allmählig beitragen 
werde. 

Das Theater brachte im Laufe des Winters als Neuigkeit nur 
das Finale aus Mendelssohn's Lorcley, das auf die Zuhörer einen so 
günstigen Eindruck hervorbrachte, wie man kaum erwarten mochte, 
und der auch bei einer wiederholten Aufführung sich gleich blieb. — 
Erst in der letzt verflossenen Woche wurde eine Neuigkeit — 
Flotow's „Indra" — zu Gehör gebracht. Die Musik dieses Com- 
ponistcn ist nicht von der Art, dass man nothwendig, und wenigstens 
eine zweite Aufführung abzuwarten hätte, um sich ein Urtheil über 
Erstere bilden zu können; ihr Wesen ist im ersten Augenblick zu 
erkennen, es besteht darin, den Zuhörer für einen Abend leicht zu 
unterhalten, und ihm etwa einige tändelnde Melodieen mit nach Hause 
zu geben. Die Aufführung, mit der an hiesiger Bühne gewohnten 
grösstmöglichsten Sorgfalt vorbereitet, ging sehr gut von statten und 
so ist denn der Zweck des Componistcn denjenigen gegenüber, die 
sich so leichten Eindrücken hinzugeben lieben, vollständig erreicht. 
An missbilligenden Stimmen über solche Musik hat es jedoch — zur 
Ehre unseres musikalischen Publikums sei diess gesagt — keineswegs 
gefehlt. 

In den letzten Tagen hatten auch wir den Genuss, Herrn A n d e r in 
% Opern, Stradella und Martha, zu hören, und hätten namentlich nach 
Letzterer sehr gewünscht, in einer bedeutenderen Oper sein grosses 
Talent für dramatischen Gesang in ausgedehnterem Maasse kennen 
zu lernen. Der Erfolg der beiden Rollen war sowohl in Hinsicht 
auf seine Leistung im Gesang als im dramatischen Spiel ein wahr« 



haft glänzender, wie man sich hier kaum eines ähnlichen erinnern 
mag. 

Die Quartett- Unterhaltungen der Herrn Becker, Hildcbrand, 
Mayer und KündiBger, deren Beginn ich schon in meinem vorigen 
Berichte angezeigt , erfreuten sich einer so lebhaften Theilnahme , 
dass im Laufe des Winters noch ein zweiter Cyclus derselben ver- 
anstaltet werden konnte, in welchem neben Haydn, Mozart und Beet- 
hoven auch ein Quartett von Spohr (Nr. 20 in D) und von Onslow 
(Op. 9. Nr. 3 F-moll) zu Gehör kamen , welche beide jedoch unge- 
achtet der lobenswerlhen Ausführung, sich nur in einzelnen Theilcn 
einige Geltung verschaffen konnten. In Spobr's Quartelt trat uns 
Melodie, Harmonie, Modulation und Verarbeitung der Motive als 
längst bekannt, ich möchte sagen „stereotyp" entgegen und Onslow 
konnte durch die in seinen Quartetten überhaupt so auch hier, vor- 
hersehende Eleganz für die darin fehlende Wärme der Gedanken 
keinen Ersatz bieten. Die Fortsetzung dieser Quartett-Unterhaltungen 
erachten wir übrigens, bei der kundgewordenen regen Theilnahme 
daran, zum nächsten Winter für gesichert, und sehen derselben 
freudig entgegen. 

NACHRICHTEN. 

Offenbach. Am 23. April feierte der hiesige „Sängerverein" 
(von Herrn Franz Dillenberger geleitet) sein 25jähriges Jubiläum. 
Die benachbarten Sängervereine (in Frankfurt und Hanau) hatten 
zahlreiche Gäste gesandt. Das Fest verlief in äusserst heiterer Weise 
und befriedigte alle Theilnehmer, da der Verein Alles aufgeboten 
halte, um die Feier würdig zu begehen. 

Wien« Die neuangagirten Mitglieder der Oper, der Tenorist 
Steger von Prag und der Baritonist Beck von Frankfurt, sind bereits 
eingetroffen. ■— Das restaurirte Hofoperntheater wird am 30. Juni 
mit Boieldieu's „die weisse Frau" eröffnet. Neu engagirt sind Frau 
Friedrich und Frl. Titjens. Ein Gastrollen-Cyclus des Pariser Teno- 
risten Roger im Laufe des Sommers steht bevor. 

Prag» Die Abschiedsvorstellung des Tenoristen Steger wurde 
zu einem wahren Triumph für denselben. Er wurde mit Kränzen, 
Gedichten und anderen Geschenken förmlich überschüttet und ausser- 
dem hatten ihm die Mitglieder des Chors etc. (für welche er oft be- 
reitwillig Concerte und dergl. arrangirt und durch seine Mitwirkung 
einträglich gemacht hatte, Ueberraschungen bereitet. Der enthusia- 
stische Beifall und die Anhänglichkeitsbezeugungen von allen Seiten 
erschütterten ihn so, dass er unwohl wurde. — Seit einiger Zeit 
macht ein „Wunderkind", der 10jährige Altschul, Aufsehen, welches 
eine seltene Fertigheit auf dem Piano und die noch seltenere Gabe 
der freien Fantasie und Improvisation über gegebene Themas besitzt. 
Dasselbe ist dem Unterricht des Conscrv.-Direktors Kilt'l übergeben 

worden. 

Paris. Beinahe hätte die Direktion der Grossen Oper gewech- 
selt. Der frühere Direktor des 3. lyrischen Theaters und später der 
Varietes, Hr. Milon-Thibaudcau , halte sich mit vier Banquicrs zur 
Ucbcrnahme derselben vermittelst einer Entschädigungszahlung von 
7—800,000 Fr. an Herrn Roquelan geeinigt und Alles war schon in 
Ordnung, als der Minister des Innern ihnen einen Strich durch die 
Rechnung machte und seine Genehmigung versagte. Es bleibt also 
beim Alten. — Im ilalien. Theater gibt seit dem 2. Juni eine spa- 
nische Truppe Opcrnvorstellungen , was eigentlich unuöthig war, 
da die Leistungen der letzten italien. Oper Vielen „spanisch" genug 
vorgekommen sind. — Roger hat mit dem 1. Juni seinen Urlaub an- 
getreten. Gastspiele in Aachen , Breslau und München sind bereits 
von ihm abgeschlossen. — Fräul. Cruvelli ist nach ihrer Vaterstadt 
Bielefeld zurück gekehrt, wo sie wahrscheinlich wieder einige Zeit 
unter ihrem wirklichen Namen existiren wird. — Ernst, der berühmte 
Geiger, bereist das mittägige Frankreich und hat vor Kurzem in 
Toulouse und Bordeaux gespielt. 

Genf. Der bekannte Violinist Sivori, welcher mit dem Pianisten 
Mulder durch die Stadt fuhr, wurde durch Umwerfen des Wagens 
sehr bedeutend an der Unken Hand verletzt, doch hofft man ihn wie- 
der herzustellen. 

Petersburg. Ein Correspondent der Gazette musicale berich- 
tet dieser, dass in den letzten Monaten der Saison nicht weniger als 
82 Concerte stattge funden haben. Wer die alle hätte mitanhören müssenl 

"viSatwortUckei Btiaktfftr: J. J. SCHOTT. - Druck TM REIHER * WALLAU In Mal». 



2. Jahrgang. 



Mr. 25. 



20. Juni 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint Jeden 
MONTAG. 

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Musik- und Buchhandlungen. 



RIDACTION OD VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ, 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



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0. 2. 42 oder Tnlr. 1. 18 Sgr. 

rar den Jahrgang. 

Durch die Pott bezogen : 

50 kr. oder 1« Sgr. per Quartal. 



Inhalts G. Bf. v. Weber's Gespräche mit dem "Wohlbekannten etc. — Corr. (Dresden. Hamburg.) Nachrichten. 



C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

aber 

die Composition des Freischütz und Aber 
Operneompositlon überhaupt. 

(Fortsetzung ) 

Wenn Weber's im vorigen Aufsatz mit get heilte Acusscrungcn nach 
der Meinung Einiger die rechte Lehre über die Komposition dieses 
sehr wichtigen Thcilcs der Oper enthalten sollten, dann behaupte ich: 
Weber hat dem Sinne, d. h. seiner subjeetiven Empfindung nach, das 
Rechte im Auge, sein sprachlicher (logischer) Ausdruck ist aber der 
Art, dass er einem unkünstlcrischen, nämlich mechanischen und ma- 
terialistischen Verfahren das Wort redet. 

Erstens: mechanisch. Mechanisch ist Alles, was sich erlernen 
lässt. Nun wird man mir zurufen: Weber sage ja selbst : „gewiss zu er- 
lernen, wenn das nöthige Talent da ist." Aber das ist ja 
das ausserordentlich Merkwürdige , und zugleich der erste Wider- 
spruch, dass Weber Talent als das Nothwendigstc fordert und doch 
gar nicht bestimmt, was das Talent zu Ihun hat, nicht abgränzt, was 
dem Talente, was der erlernbaren Kunst zukommt. Ich höre schon 
wieder entgegnende Fragen, ob beides geschieden werden solle? 
Nein, gewiss nicht — nur stille; o ich weiss wohl, Weber hat Talent 
und erlerntes Geschick nie scheiden wollen noch können und beides 
sollte auch stets ungetrennt Eins bleiben und wie Eins wirken , so 
wie es b<ji allen wahren Künstlern immer der Fall gewesen. Beides 
soll dann aber auch im Kunst bewustsein, in der Reflexion, 
in der Kunstlchrc Eins sein; es darf daher das Eine (das Talent) 
als das Erste, nicht in ungewissem Dunkel bleiben, sondern wenn 
es einmal prius ist, so muss es auch in der Lehre (in der Kunst- 
logik) als der Vordersatz dastehen , und die andern (mehr äusser- 
lichen) Fähigkeiten müssen aus ihm erhellt, nach ihm geregelt werden, 
in steter Beziehung auf seine Kräfte , Bedürfnisse und Schöpfungen. 
Um Missverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, dass man von We- 
ber zwar keine erschöpfende logische Auseinandersetzung erwarten 
darf, die er gar nicht geben wollte, aber zu untersuchen berechtigt 
ist, wie weit seine Aeusserungen das, worüber sie sich verbreiten, 
im rechten Lichte darstellen. Und hier vermisse ich die rechte Stel- 
lung % der geistigen Faktoren , welche bei dieser Kunstschöpfung 
thätig sind, vermisse überhaupt das mit hellem theoretischen Be- 
wusstsein erkannte Tiefe und Natürliche, und wehre mich daher 
gegen alle Die, welche heute aus dergleichen Gedanken als aus festen 
Sätzen Grundsätze und Normen für die Opernkomposilion ableiten 
wollen. Sie sind unendlich werthvoll, diese Aeusserungen des edlen 
Weber, aber nur als einseitige Beiträge zur allseitigen Würdigung 
und zum rechten Verständnisse der musikalischen Dramatik. 

Denn was ist Talent ? Talent (zur Musik) ist die Fähig- 
keit des Subjekts, den rechten Ton treffen zu kön- 
nen, nicht die Tonfarbe (Instrumentation) auch nicht die Tonfülle 
(Harmonie) , sondern das Allererste, das rein Ursprüngliche, den er- 
sten Ton — die M e I o d i e Dieser Ton ist der triebkräftige Keim, dem 
ein Zweites und Drittes nicht als etwas Aeusscrliches aufgetragen 
werden muss, sondern der die harmonische Fülle und die instrumen- 



tale Farbe in sich trägt, wenngleich noch unentfaltet und allein der 
Empfindung des Schöpfers vernehmbar. Dieser Keim, die 
Melodie, ist der nächst e, eigentlichste, einfachste 
und tiefste Ausdruck eines empfundenen Gedan- 
kens, einer Situation, eines Charactcrs. Hierin 
allein hat man festen Halt für Kunstanschauung und Kunstlehrc; so- 
bald dies aufgegeben ist, beginnt die Willkür, die bei kräftigen und 
gesunden künstlerischen Geistern allein noch durch die wahre mäch- 
tige Empfindung des Rechten gezügelt wird. 

Man wird also nicht sagen dürfen, dass durch die Instrumentation 
der rechte Ton in das Ganze komme ; es ist eine falsche Lehre, 
welche durch verschiedene Instrumentation „derselben Melodie einen 
unendlich verschiedenen Ausdruck oder Character geben kann", und eine 
verkehrte Anschauung, welche hierin das „Hauptmittel'* erblickt, 
„durch welches einem einzelnen Musikstücke oder einer ganzen 
grossen Oper ein gewisser Hauptcharacter zu geben ist", und end- 
lich führt diese Lehre zu einer mechanischen Kunst, denn solche 
Kunst lässt sich lehren und lernen. 

Zweitens : materialistisch. So nennen wir alle Mittel 
und Formen , welche einen Gegenstand kunstmässig zu gestalten 
streben, aus dem sie nicht unmittelbar als Kunstgedanken entsprungen 
sind. Das ist wohl eine etwas dunkle Erklärung ; es soll nach dem 
vorher Gesagten heissen: die Melodie ist der unmittelbare Gedanke, 
die ursprüngliche Form , wodurch ein Gegenstand in's Gebiet der 
Kunst gehoben wird; wenn daher Harmonie und besonders Instru- 
mentation mehr wollten, als bloss die Melodie zu der Fülle und dem 
Glänze verklären, welche der Gegenstand in seinem Character nach dem 
dramatischen Wechsel fordert, und die Melodie nach ihrem Gehalte 
zulässt, wenn sie auch nur das Geringste losgelösst von diesem 
Grunde rein aus sich gestalten wollten , so würden sie nicht mehr 
als geistige Macht , sondern allein durch die Materialität 
des Klanges wirken. Und das ist im Gebiete der Kunst Ma- 
terialismus, Sinnlichkeit „schlechthin", wie die Philosophen sagen. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Weber im obigen Worte der 
Instrumentation eine Selbständigkeit zuerkennt , die sie nie bean- 
spruchen darf. Dies möge uns auch die Prüfung seines Vergleiches 
zwischen Instrumentation und (Landschafts) Malerei bestätigen. Er 
belehrt uns , der Maler „erkenne das einer Landschaft zu verschie- 
denen Zeiten Eigentümliche und verstehe es, durch ansprechende 
Farbenmischung jenen characteristisch.cn Haupttou in sein Bild 
zu übertragen, so dass dem Beschauer die Wahrheit der Darstel- 
lung sofort kenntlich entgegentrete." Mit diesen Worten ist es 
Webern ebenso sehr Ernst gewesen, wie dem Ritter Gluck mit sei- 
nem Vergleiche zwischen Musik und Farben im Gemälde *), und doch 

*) In der bekannten Zueignungsschrift der Alceste: „Ich wollte 
die Musik auf ihre wahre Aufgabe beschränken , der Poesie zum 
Behufe des Ausdruckes der Worte und der Situation des Gedichtes 
zu dienen , ohne die Handlung zu unterbrechen , oder diese durch 
unnütze überflüssige Zierrathen zu erkälten, und ich dachte, sie müsse 
dasselbe leisten, was bei einer richtigen und wohlangclegten Zeich- 
nung die Lebhaftigkeit der Farben, und der wohlgewählte 



98 



rren Beide, Gluck im Vergleiche selber, Weher in der Bedeutung, 
welche er der Ton- und der Lichtfarbe beilegt. Die Instrumentation 
und die Farbe haben wesentlich dieselbe Aufgabe und Bedeutung, 
ebenso auch Klavierauszug und Kupferstich. Nun kann es gar nicht 
fehlen t dato zahllose Maler und Kunstfreunde sehr erbaut sind von 
Weber*« Worten, und von Herten zustimmen; man werfe nur einen 
Blick in die Bildergallerien, auf die Hunderte von neuen Laudschafts- 
bildern, wie dort Alles in Farbe schillert und glüht und brennt, wie 
dort die physische Realität hyporealisirt und so vollsaftig ausge- 
stattet ist, dass man alle Augenblicke erwartet, es müsse „Blut aus 
den Wangen spritzen". Vor dem Bilde steht der eitle Meister und 
denkt : verstehe ich nicht die „Farbe zu mischen", und habe ich ver- 
möge meines Farbenkastens es nicht in meiner Gewalt , den hellen 
Tag dunkel zu machen, und umgekehrt? und Alles auf das Prächtig- 
ste und „Wahrste"? — Wirklich?! 

Wir wollen uns nicht blenden lassen. So frage ich den Leser: 
wann stellt ein Gemälde, welches aus freier Wahl, also zu rein 
künstlerischen Zwecken unternommen ist, z. B. den Abend dar? 
Dann, wenn es die Gegenstände mit dunklen Farben umhüllt, annähernd 
so wie wir in der sogenannten wirklichen Natur, d. h. in der Natur 
der fünf Sinne, es wahrzunehmen glauben? Mancher möchte „Ja" 
antworten, fühlt aber in sich die Gegenfrage, wie man sich dieses nich- 
tigen Zweckes wegen so viel mühen könne? — Ich frage also weiter: 
Wann wird es denn überhaupt Abend, dann etwa, wenn es dunkel 
wird? Nein, denn das Dunkel ist „eine reine Negation", wie der 
Schulausdruck lautet, ein Gewirktes, Abgeleitetes, selbst kraftlos und 
nur in sofern fähig die Kraft zu hemmen, als es selbst seiner Natur 
nach nur eine Folge hingeschwundener Kraft ist; das Dunkel ist daher nicht 
des Abends Ursache , Quelle und geistiges Merkmal , sondern blos seine 
nothwendige Folge. Also ? vielleicht wird es Abend wenn die Sonne unter- 
geht? — Nun noch einen Schritt weiter: Welchen Moment des gesammten 
Naturlebens bezeichnet der Sonnenuntergang? wenn dasselbe in die Ruhe 
sinkt. — Jetzt haben wir'sl Ganz innerlich oder mit andern Worten geistig 
und lebendig gefasst , ist der Abend der Moment des Lebens, wo dieses 
nach der Entfaltung, nach der Blüthe am voraufgegangenen lichten 
Tage in sich zusammen sinkt, sich erholt und sammelt, schläft, ver- 
schlossenen Auges sinnt und in seiner Fülle ruht. 

Dies ist der Zug, den der Künstler zu erfassen hat. Das Dunkel 
ist in "dieser Bedeutung bloss noch der letzte Schimmer der Lebens- 
Äusserung, welcher die ruhenden Gestalten umflicsst, und kann da- 
her in aller Selbständigkeit von dem sinnlich wahrnehmbaren Dunkel 
weit abgehen oder mit ihm zusammen treffen, je nach dem male- 
rischen Gedanken. Kann ich mich hier, wo meine eigenen Beobach- 
tungen sich auf verhältnissmässig wenige Kunstwerke beschränken , 
auf M. Unger's Mittheilungen *) verlassen , so haben die bekannten 
alten niederländischen Maler dies mit bewunderungswürdigem Scharf- 
sinne erkannt und in ihren Werken auf eine klare und edle Weise 
anzuwenden verstanden. Aber die Farbe ist hier erst das Zweite; 
Hauptsache bleibt die rechte Form. Für den Maler beginnt die 
Natur zu ruhen , wenn sie ihre Gestalt ändert $ die Blume zieht sich 
zusammen, der Vogel duckt sich in sein Federbette, der Waldbaum 
lässt die Zweige hängen, des Tages frohes Leben hat die Augen ge- 
schlossen , und in dieser ruhenden Harmonie erwachen des Löwen 
Gier, der Nachtigall Gesänge, des Menschenherzens heimliche Leiden 



Gegensatz von Licht und Schatten, welcher dazu dient die Figuren 
zu beleben ohne deren Umrisse zu verunstalten." Obwohl dieser 
Vergleich zu dem Wenigen gehört, wogegen Forkel „im Grunde 
nichts einzuwenden" wusste (s. die Abhandlung über Gluck, in sei- 
ner „musikalisch - kritischen Bibliothek" Bd. L, 53 bis 210. Gotha 
1778. S. 115) , so muss man sich doch dagegen erklären, wenn er 
mehr, als flüchtiger Vergleich, sein will; denn was den Gedanken 
betrifft, so verhalten sich Poesie und Musik allerdings zueinander, 
wie Form und Farbe — aber im dramatisch-musikalischen Kunst- 
werke ist die Musik ebensowohl färbe- als formgebend, und letztere 
Function ist vor der Hand viel wichtiger, als die erstere. Der 
Gluck'sche Vergleich leistet der formlosen Musik bedeutenden Vor- 
schub ; die schwachen Stellen seiner grossen Werke zeugen deutlich, 
wie leicht er selber in die Formlosigkeit verfiel. 

*) In seinem Buche: „Wesen der Malerei", Leipzig, 1862. Eine 
etwas unbeholfen abgefasste , aber höchst werthvolle Schrift. 



und Freuden — das Alles heischt zunächst die rechten Linien , den 
malerischen Ton oder Ausdruck , Form und Gestalt , die m a l e- 
rische Melodie, könnte man sagen. Und aus. diesem Innersten 
entspringt Maas» und Gefühl wie für die rechte Farbengebung , s» 
auch für Alles Andere. 

Mehr darf ich hierüber nicht sagen , wenn wir nicht aus dem 
Gleise gerathen sollen. Ist der Leser nun vielleicht mit mir einver- 
standen , dass das wirkliche Kunstwerk im Gebiet der Naturmalerei 
auf ganz andere Weise Character und Wahrheit empfängt , als aus 
Webers Aeusserungen gefolgert werden dürfte? Und erscheint es 
ihm von solchem Gesichtspunkte ans möglich , auch auf das Gebiet 
der Naturmalerei, welches dem Geistigen so fern und der sklavischen 
Naturnachahmung so sehr anheimgegeben scheint, das grosse Gesetz 
der Kunst anzuwenden : jedes Werk muss ganz und in allem Aeus- 
sern aus einem geistigen Zuge entsprungen, und zu nichts als bloss 
zur sinnlichen Gestaltung desselben da sein — dann haben wir nicht 
bloss Webers Ansicht auf das rechte Maas zurückgeführt , sondern 
haben durch unsern Widerspruch auch über das Wesen der Kunst- 
bildnng willkommnes Licht erhalten. 

Dieses Licht reicht wohl hin, um sieben Tage zu leuchten, daher 
lasst uns abbrechen, und erst nach dieser Frist unsern Weber 
weiter hören. 

(Fortsetzung folgt.) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS DRESDEN. 



(Monat Juni.) 



Im Leben des Einzelnen wie der Gesammtheit, in allen Bestre- 
bungen des Menschen auf den verschiedenartigsten Gebieten seiner 
Thätigkeit, reihet sich, gleich den Gliedern einer Kette, Eins an das 
Andere , die Kette wird immer länger , der Zeitfolge nach und dem 
Maasse ein beständiges Fortschreiten — ob aber dieses Fortschreiten 
stets auch ein Fortschritt, ob die Kette nicht auch in retrograden 
Bewegungen sich krümmt und einmal plötzlich, ehe wir's gedacht, 
durch spiralförmige Windungen wieder ganz in der Nähe ihres Aus- 
gangspunktes anlangt ? Alles schon dagewesen , sagt Rabbi Akiba, 
dem eine neunzigjährige Erfahrung wohl ein Recht giebt, mitzureden! 
Unwillkürlich drängen sich mir diese Gedanken auf, indem ich mei- 
nen heutigen Bericht an den frühern anknüpfen möchte , und in die- 
ser äusserlichen Verlängerung der Kette doch einen eigentlichen Fort- 
schritt nirgend entdecken kann. Eine Zeit von beinahe fünf Wochen 
liegt dazwischen, und von irgend welchem reellen Ergebniss dieser 
Zeit ist wahrhaftig wenig zu spüren. Man muss sich damit trösten, 
dass der Ruhe , die dem Menschen ja doch auch nothwendig , natur- 
gemäss auch wiederum eine Periode der Bewegung folgt, und hoffen, 
dass die Äuhe nicht die Legende von den Siebenschläfern zur Wahr- 
heit macht. Nicht dass wir in den verflossenen Wochen nicht viel 
Musik gehabt und gehört hätten — im Gegentheil : französische, eng- 
lische, spanische, italienische, deutsche Musik ist in rascher Folge 
vor unsern Ohren vorübergegangen; aber cui bono? ist die eine da- 
bei unwillkürlich sich aufdrängende, die andere nicht minder unab- 
weisliche Frage: ob denn diese Fülle von Musik wirklich „Musik" 
gewesen ? ! 

Seit Anfang dieses Monats gastirt auf unserer Hofbühne die 
Compagnie francaise du The*ätre loyal de Berlin sous la direction de 
Mr. Armand (Bidauf), die nichts als Vaudevilles giebt Von welcher 
Art und Bedeutung diese Coupletmusik meistentheils ist, das weiss 
die Welt. Wird sie nun aber» wie das hier der Fall, nicht selten in 
ohrzerreissender Weise , ohne Grazie oder Geschmack , ohne irgend 
eine pikante Färbung hergekreischt und hergeächzt, wie das eben 
nur bei einer Provinzialtruppe dritten , vierten Ranges möglich ist, 
da wird die Sache in der Thal sehr bös, und für den, der die der- 
artigen Leistungen auf den Pariser Theatern gehört, geradehin uner- 
träglich; das ist unsere französische Musik. — Der afrikanische 
Tragöde I ra A 1 d r i d g e hat uns auch beglückt : in dem sogenann- 
ten Vaudeville „the Padlock" hat er auch — gesungen? Nein! vor- 



99 - 



ausgesetzt, dass man nicht dem Lieder» und Mordgeschichten- Vor trag 
auf Messen etc. die Ehre anthut , ihn Gesang» zu nennen ; das war 
unsere e n g 1 i s ch e , aber wirklich eine teuflische Musik. Scnnora 
Pepita de Oliva, die ganz gemüthlich sich erste Tänzerin des 
Eönigl. Theaters zu Madrid nennt, und schon das kleine Hirn so 
mancher jungen und alten Gecken und Lüstlinge ob ihrer wirklichen 
Schönheit verdreht, und so manchen Kritiker (?) selbst zu empha- 
tisch-bombastischen Faseleien über klassische Eurythmik und roman- 
tische Grazie und zu den unsinnigsten Lobhudeleien darüber begei- 
stert hat, dass sie nicht leistet, was sie zu leisten unfähig ist*) — 
diese Sennora erscheint jetzt allabendlich auf unserer Bühne, um für 
100 Thaler klingend Courant par jour sich etwa 10 Minuten beschauen 
zu lassen , und nebenbei unermüdlich ein Paar spanische National- 
tänze mit bedeutender Grazie und ausserordentlicher Keckheit, worin 
^ie ihre einst weltberühmte Vorgängerin Lola bei weitem noch hinter 
sich zurücklässt, abzutanzen: das ist unsere spanische Musik, die 
natürlich nur mit Opernguckern genossen werden kann. 

Gegenüber solcher espece von Musik kann man wirklich fast in 
Versuchung gerathen , selbst D o n i z e 1 1 i's Linda von Ghamouny 
eine klassische zu nennen j das begreift wohl sogar, wer sonst von 
sehr schweren Begriffen ist. Diese Oper nemlich — Repräsentantin 
der italienischen Musik, war es, die, in diesem Jahre die erste 
neu einstudierte, **) den Beschluss der Vorstellungen vor den grossen 
Opernferien unserer Bühne bildete. Es wäre schwerlich noch an der 
Zeit, über diese Oper und ihren Werth bei Gelegenheit eines Referats 
sich in weitläufigen Betrachtungen zu ergchen. Sie hat bei ihrer 
ersten hiesigen Aufführungen (italienisch, zunächst mit Moriani, am 
2t. Juli 1843; später nach langer Ruhe durch die Berliner italienische 
Oper, am 7. Mai 1850) sehr geringen Erfolg gehabt, und man wäre 
•deshalb wohl zu der Frage berechtigt, weshalb man gerade sie jetzt 
neueinstudirt, zum ersten Male in deutscher Sprache gegeben, zumal 
der diesmalige Succes, wie vorauszusehen, von dem frühern wenig 
verschieden war. Bekanntlich hat der Mensch oft eine Frage an das 
Schicksal frei, während er freilich auf die Antworten gemeinhin ver- 
geblich wartet; und so mag denn in Anbetracht dessen hier nur re- 
ferirt sein , dass Kapellmeister Krebs die genannte Oper sorgfältig 
einstudirt hatte, dass die Ausführenden, (Frl. Meyer und Frau Krebs- 
Michalesi, Linda und Pierotto, die Herren Wcixelstorfer, Mitterwur- 
zer, Becker und Abiger, Vicomte, Anton, Marquis und Rector) freund- 
liche Anerkennung verdienten, wenn auch manches minder Gelungene 
mit unterlief, und dass die recht deutlich und ungeschickt hervortre- 
tende Claque , die sich allmälig auch bei uns einnisten zu wollen 
scheint, wirklich überflüssig war. 

Eines Concerts (deutsche Musik) muss ich nun noch Erwäh- 
nung thun , das zur Vorfeier des Königl. Geburtstags , am 17. Mai 
unter zahlreicher Mitwirkung hiesiger (die k. Kapelle, die Dreyssig- 
sche Akademie, der Cäcilienverein , die Singchöre der evangelischen 
Kirche, die Mehrzahl unserer Männergesangvereine) und auswärtiger 
Kräfte — in Summa über 300 Sänger, und unter Leitung des k. Ka- 
pellmeisters Reissiger, in der Frauenkirche stattfand. Es war, wie 
ein ähnliches im vorigen Jahre (Nr. 14 d. Bl. 1852) veranlasst durch 
den hiesigen pädagogischen und Pestalozzi- Verein , um von dem Er- 
trage seine wohlthätigen Schul- und Erziehungszwecke zu fördern, 
zu welchem Ende die genannten Vereine jedes Jahr verschiedene 
Male künstlerische oder literarische Kräfte * in Anspruch zu nehmen 
pflegen. Für eine so bedeutende Vereinigung reicher musikalischer 
Kräfte hätte man nun auch rücksichtsvoll das Programm aufstellen 
sollen-: zwei Hymnen von Reissiger waren trotz aller Anerkennung 
ihres Werthes, deren es hier nicht erst bedarf, zu viel; ein vierstim- 
miges Strophenlied „an das Vaterland" neu von J. G. Müller (dem 
Direktor unseres Orpheus) , gehörte ungeachtet des günstigen Ein- 
drucks, den es hervorgebracht, schwerlich in das Programm eines 
grossen Concerts, und eine neue Composition aus dem 21. Psalm 
von Gantor G. A. Schurig für Sopran- und Altstimmen, denen end- 
lich am Schlüsse der Männerchor choraliter sich beigesellte, recht 
sauber und sicher gearbeitet, zeugte von ernsten Studien und wür- 
digem Streben , aber ebenso von Mangel an frischer und selbständi- 

*) Dieser Passus ist kein Schreibfehler, der Unsinn ist factisch 
und vielleicht auch — klassisch 1 

**) Beiläufig: in meiner letzten Correspondenz (Nr. lg d. Bl.) 
muss Zeile 12 v. ob., Sp. 2, Seite 70, gelesen werden: keine ein- 
zige neue grössere Oper. 



ger Erfindungskraft und Phantasie , und ward , weil zu weit ftttsge* 
spönnen, und ohne feingeistigere Nüancirung vorgetragen, mo*e*6W. 
So blieb denn nur für Erweckung grösseren Interesses die gross« 
A*npll-Fuge von J. S. Bach, von Hoforganist Joh. Schneider treffe 
lieh vorgetragen, und des alten Meisters J. G. Naumann schönet 
103. Psalm , der übrigens eine noch sicherere , vor Allem aber ein« 
feurigere und energischere Ausführung hätte ertragen können. Dem 
um des Zweckes willen in recht erfreulicher Zahl «heil nehmenden 
Publikum gewährte das Goncert in der That die volle Befriedigung 
nicht, welche man auf Grund der trefflichen Kräfte erwarten durfte, 
wenn ein entsprechenderes Programm wäre aufgestellt worden , wie 
das z. B. im vorigen Jahre in weit höherem Maasse der Fall war. 
Schade ! 

Seit ein Paar Tagen haben die weltberühmten Akustiker und 
Mechaniker Friedrich und Friedrich Theodor Kaufmann (Vater und 
Sohn) von hier, ihre selbstspielenden Musik-Kunstwerke, mit denen 
sie vor ein Paar Jahren auch in England so ausserordentliches, wohl* 
verdientes Aufsehen erregten (Chordaulodion, Simphonion Belloneon, 
TrompeterantomatundOrchestrion), nachVornahme nicht unwesentlicher 
Verbesserungen, in denen die wackeren, in der That genialen Meister 
nie ermüden , der Bewunderung des grösseren Publikums auf einige; 
Zeit zugänglich gemacht, und dasselbe scheint ein um so lebendige- 
res Interesse daran zu nehmen, als wirklich in vielen Stücken diese 
Automaten musikalischer zu sein scheinen, als so manche Musiker l 



AUS HAMBURG. 

Mal 1853. 

Die altherkömmliche Gewohnheit des Hamburger Klima's, den 
Wonnemonat nicht im Mai sondern im April zu bringen, bat sich 
für die Verehrer der Musik auf das Erfreulichste in Bezug auf die 
Kunst bewährt. Der Domchor aus Berlin , freilich nur durch die 
Hälfte seiner Gesammtheit vertreten, hat uns am 2. und 4. April im 
Conccrtsaal und in der Kirche Festtage bereitet, welche einen Glanz- 
punkt in meinen musikalischen. Erinnerungen bilden. Wie erquicklich 
das ist, einmal sich eines ungetrübten Genusses erfreuen zu -können, 
eine, so weit menschliche Kräfte das zulassen, vollendete Leistung 
zu hören und mit vollster Ueberzeugung das aufrichtigste Lob ans* 
zusprechen. Dazu gesellt sich der ausgezeichnete Eindruck der aus 
dem ersten Bekanntwerden mit jenen erhabenen altitalienischen Werken 
a capella entsteht, das heisst insoweit es die Ausführung betrifft, 
denn welcher Künstler kennte nicht auf dem Papier die Schöpfungen 
Palestrina's und seiner Schule? Aber diese geheimni ssvollen Ton- 
verschlingungen , diese brausenden und wieder leise verhallenden 
Klangwellen durch reine, schöne Stimmen im sorgfältigsten Ensemble 
durchaus mit dem würdevollen Ernst ausgeführt zu hören, welchem 
die Gompositionen ihre Entstehung verdanken — das ist es, was ich 
als wahrhaft erhebend und erfreuend bezeichne. 

Beide Concerle, in welchen der Chor mitwirkte, fanden zum 
Besten einer Pensionskasse für alte und hülfsbedürftige Musiker 
statt, welche wie ich höre eine sehr bedeutende Einnahme dadurch 
erzielt hat. Das erste Concert war am 2. April im Apollosaal, der 
weit über 800 Zuhörer versammelt sah. Der Domchor, aus ungefähr 
20 Knaben- und 10 Männerstimmen bestehend, sang durchaus ohne 
Begleitung mehrere weltliche Lieder für 4 Stimmen. Es waren dies 
zuerst Mcndelssohn's Frühlingslied in E-dur: „O sanfter, süsser 
Hauch." Das schöne innige Lied gestaltete sich zauberisch in der 
meisterhaften Ausführung. Kurz vor dem Schluss setzt der ganze 
Chor in der Tiefe den E-dur-Accord pp. ein, wobei die klangvollen 
Bassstimmen überraschend schön wirkten, doppelt aber zur Be- 
wunderung aufforderten, als sie in dem folgenden Dominantaccord das; 
Contra-H in orgelähnlicher Fülle erklingen Hessen. — Ein Wiegenlied 
von Taubert wusste durch etwas süssliche Tonfolgen die Herzen der 
Zuhörerinnen lebhaft zu fesseln. In derselben etwas nebelnden 
Stimmung bewegten sich die übrigen Sachen mit Ausnahme der 
Motette von Haydn: Du bist's dem Ruhm und Ehr' gebührt., Die 
ausserordentlich saubre Ausführung aller Stücke entlockte den Hörern 
so lebhafte Beifallbezeugungcn dass die Sänger noch ein, sehr künstlich 
berechnetes Echolied für Tenor- und Bassstimmen, allein in, wirklich 
denkbarster Trefflichkeit ausführten. Der dankbare Jubel der Ge- 
nügenden hielt mit dieser Höhe der Leistung gleichen Sehritt. 
Ausser diesen Leistungen des Chores wurde noch anter der Leitung 



— 160 — 



des Hera H. Schäfer die Ouvertüre zur Vestaltn and die 71e (Adar) 
Sinfonie Beethovens sehr feurig und kräftig ausgeführt. Nur hätte 
ich gewünscht dass dahei nicht die erste Trompete verdoppelt wordeil 
wäre ; es hat mich gewandert ein solches Schmettern za hören, lienn 
vorzüglich die Trompeten in Octaven die Dominante auszuhaken 
haben. Sonst wiederhole ich gern die Bezeichnung dass Feuer und 
Geist in der Ausführung herrschten, 

(Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 



Wiesbaden. Die letzten Opern- Aufführungen waren Belisar, 
Norma , Lucia, und Don Juan ; theilweise mit Gastspielen des Teno- 
risten Wachtel von Darmstadt und der Frau Behrend-Brandt aus 
Frankfurt. Bemerkenswerth ist nur die abscheuliche Verzerrung 
des an und für sich schon so abgeschmackten Dialogs im Don Juan 
ins Gemein-Possenhafte durch die Improvisationen der mitwirkenden dii 
minorum gentium , welche die erbärmlichsten Localwitze einflochten. 
Wann wird solchem Unfug ein Ende gemacht werden und wann 
werden wir einmal das Meister - Werk Mozarts in seiner ursprüng- 
lichen Gestalt hören? 

Oalrsruhe. Das neue Theater wurde am 20. Mai durch Gluck's 
Armida für die Oper eröffnet. Die Aufführung wird als eine sehr 
gelungene und vielversprechende bezeichnet. Die Hauptrollen waren 
in den Händen der Hrn. Chrudimsky, Pasque" (von Dannstadt, anstatt 
des erkrankten Herrn Hauser) und Frau Fischer. 

Speier. Am 21. Mai wurde das Oratorium „Gutenberg" von 
Löwe unter Leitung des königl. Gymnasial-Musiklehrers H. B. Wiss 
aufgeführt. Die Solopartieen hatten Herr Stepan (Gutenberg) und 
HerrFlintzer (Faust und Kurfürst), beide vom Mannheimer Theater, 
übernommen. Als Maria debütirte eine mit schöner Stimme begabte 
junge Dilettantin. Die Aufführung war eine treffliche und gebührt 
dem Dirigenten dafür besonderes Lob. Leider war der Besuch sehr 
schwach und das Haus zur Hälfte leer. Ein schlimmes Zeichen für 
den Kunstsinn der Speierer! 

Weimar. Liszt tritt im Juli eine längere Reise nach Paris und 
Zürich an. Die eigentliche Leitung der Oper hat er schon längere 
Zeit niedergelegt. — Der Tenorist Beck verlasse Weimar und wird 
zunächst in Hannover gastiren. 

Dessau. Man ist hier mit der Errichtung eines neuen Hof- 
theaters beschäftigt. Seit einigen Jahren spielten in dem Hoftheater 
nur reisende Gesellschaften. Als Oberregisseur ist nach den Sig- 
nalen Herr Steiner engagirt. 

Königsberg. Am 8. Juni wurde hier unter der Leitung des 
wahrhaft ausgezeichneten Dirigenten F. Marpurg der Elias von Men- 
delssohn aufgeführt; das Zusammenwirken Hess nichts zu wünschen 
übrig. Marpurg ist ein höchst talentvoller Componist, seine Oper 
„Der König der Berge" wird gewiss -Aufsehen machen. 

Frl. Bochkoltz - Falconi hat als Norma ihr Gastspiel beendet j 
ihre Leistungen als Fidelio und Donna Anna befriedigten nicht ganz 
die Erwartungen, die man mit Recht nach der vorzüglichen Lei- 
stung als Norma an sie stellte. 

Braunsohweig. Das diesjährige Gesangfest des Elmsängerbunds, 
wozu auch einige Braunschweigische Gesangvereine gehören , wird 
nicht, wie früher in diesen Blättern angezeigt worden ist, in Neu- 
haldensleben , einer Preussischen Provinzialstadt, sondern in Schöp- 
penstedt, also im Braunschweigischen Lande, abgehalten werden und 
zwar am 26. Juni laufenden Jahres. Die Veranlassung zu dieser 
Verlegung des Festortes ist eine Erklärung des preussischen Land- 
raths in Neuhaldensleben , der geäussert haben soll, den Braun- 
schweigischen Gesangvereinen, falls dieselben mit ihren Fahnen 
kämen, den Eintritt in's Preussisuhe Gebiet zu versagen oder sie 
mit Gewalt daran zu verhindern. Das klingt unglaublich und doch 
ist es wahr. Ist man nicht in Hessen in Bezug auf Männergesang- 
vereine noch viel weiter gegangen? 

Wien. Am IL Juni wurde das Hoftheater mit Meyerbeer's 
„Prophet" eröffnet. Frau Köster- Schlegel eröffnete darin ihr Gast- 
spiel. Am 12. folgte Wilhelm Teil mit den neu eugagirten Frl. Tiet- 
jens, Herrn Beck und Steger und am 14. die weisse Dame. 

Peeth. Unser Nationaltheater entwickelt jetzt in neuester Zeit 
eine sehr' lobenswerthe Thätigkeit, Es scheint, dass auch hier 



durch die Concurrenz das Publikum gewinnt. Keinem Zweifel aber 
unterliegt es, dass diese Thätigkeit des Nationaltheaters erst durch 
die raschere Entwicklung der hiesigen deutschen Oper hervorge- 
rufen wurde. Wir hörten eine junge Magyarin Frl. Louise Tipkä 
und zwar in „Martha" und den „Hugenotten", und müssen uns ein» 
gestehen, lange keine so klangvolle, intensive und künstlerisch aus- 
gebildete Stimme in den Räumen des ungarischen Theaters vernom- 
men zu haben. Nach dem stürmischen Beifalle, der jede ihrer Lei- 
stungen begleitete , dürfte sich die Direction wohl bewogen finden , 
diese Sängerin länger an die hiesige Bühne zu fesseln, und wäre 
diess auch mit Opfern verbunden. Frl. Tipkä soll früher in Nord- 
deutschland engagirt gewesen sein und schon dort als Anfängerin 
durch ihre herrliche Stimme Aufsehen erregt, und eine glänzende 
Garriere in der Folge versprochen haben. Unser Tenor Young setzt 
sich immer mehr in der Gunst des Publikums fest. Die berühmte 
Hasselt-Barth ist an der ungar. Bühne hier engagirt und singt — 
ungarisch. Die Sonne neigt sich zum Sinken und die Ungarn haben 
mehr Pietät für geschichtliche Grösse als der Alles zersetzende 
Verstand der Deutschen! 

Paris. Meyerbeer ist seit kurzem hier. Frl. La Grua verlässt 
die grosse Oper bestimmt, um nach Wien zu gehen. Zwischen der 
France musicale und der Gazette musicale hat sich in Folge einer 
Notiz der letzteren über die ungünstige Aufnahme, welche Rigoletto 
von Verdi in London gefunden, eine Polemik entsponnen, welche 
von Seiten der Gebrüder Escudier, Besitzer der France musicale 
und Verleger von Verdis Partituren, mit klassischer Arroganz und 
Grobheit geführt wird. Die France musicale wird bekanntlich mit 
fanatischer Wuth gegen Alles, was deutsche Musik heisst, redigirt 
und es ist daher natürlich , dass es dieselbe auch bei dieser Gele- 
genheit an Ausfällen gegen letztere nicht fehlen lässt. — Die grosse 
Oper schliesst am 25. auf 6 Wochen. 

Florenz. Vor kurzem dirigirte Rossini auf den Wunsch 
des Grossherzogs persönlich seinen Wilhelm Teil. 

IiCüdoiii Frl. Agnes Burry hat bei ihrem hiesigen Auftreten 
eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Frl. W. Clauss ist, wie in 
Paris, die Löwin des Tages. — Das erste Concert des Kölner Männer- 
Gesangvereins hat bereits stattgefunden. Die Mitwirkung von Vieux- 
temps und W. Clauss wird den Productionen sehr förderlich sein. 

— Seit dem 21. April hat sich hier ein deutscher Gesangverein 
gebildet , dessen Versammlungen - alle vierzehn Tage und zwar 
Montags stattfinden. Die Direction der Gesangübungen hat der als 
Pianist und Componist rühmlichst bekannte Herrn E. Pauer (früher 
Director der Mainzer Liedertafel) freiwillig übernommen und dadurch 
sein Streben , deutsche Kunst auch im Auslande zu fördern , auf 
das Schönste documentirt. 

V Eine norddeutsche Musik-Zeitung berichtet über die italie- 
nische Oper in London und schliesst eine Stigelli betreffende Notiz 
folgendermassen: „Stigelli hat als deutscher Sänger das Verdienst, 
(?) mit Bewusstsein zu singen!" Wenn auch hier der Satz „le 
style c'est l'homme" zutrifft, welch confuser Kopf muss der Schreiber 
solchen Unsinns sein! 



DEUTSCHE TONHALLE 

Das Preisausschreiben vom Januar d. J. (eine Hymne 
betreffend) hatte die Einsendung von 14 Bewerbungen zur Folge. 
Während wir nun diese Werke den erwählten drei Herren Preis- 
richtern zur Beurtheilung vorlegen , um diese demnächst bekannt zu 
machen , setzt der Verein hiermit einen Preis von zwölf Ducaten 
aus für ein Trio in vier Sätzen für Violine, Altviole und Violoncell, 
ohne Eigenthums- Anspruch an ein oder die andere der einkommenden 
Bewerbungen zu machen. Die Einsendung derselben ist im Laufe 
des Monats October d. J. frei hierher zu bewirken, jede mit ei- 
nem deutschen Spruch versehen und begleitet von einem versie- 
gelten Zettel, der innen den Namen und Wohnort des Verfassers, 
und aussen!, unter demselben Spruch, denjenigen Künstler nennt, 
v welchen der Einsender als Preisrichter wählt. (Vergl. die „Satzungen 
der Tonhalle", zu haban bei K. Heckel hier.) Das Ergebniss wird 
sobald als möglich bekannt gemacht. 

Mannheim, im Juni 1853. Sehtt»sler 



sBt 



VMUtfwortUcliei Briakienr: J. J. 6CH0IT. - »wc* tw KEOT1R 4 WALLAU In ■*!»*. 



2. Jahrgang. 



Hr. «6. 



27. Juni 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
HONTAG. 

Man abennirt bei allen Postämtern, 
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50 kr. «dar 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalts C. M. v. Weber'» Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Corr. (Wien, München, Hamburg und Braungchweig). — Nachrichten. 



C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

über 

die Compositum des Freischütz und über 
Operncomposition überhaupt. 

(Fortsetzuog. ) 

II. 

Die Mittheilung Webers über die Art und Weise, wie er obige 
Maximen bei der Composition seines Freischütz angewandt habe, 
unterbricht der Wohlbekannte durch eine Frage , die wir hier abge- 
sondert und kurz zur Sprache bringen wollen. 

„Wohlbk. Gewiss um die Hörer daran zu erinnern, dass die 
Oper in der Jägerwelt spielt, brachten Sie Hornmelodien auch da an, 
wo nicht gerade ein Jägerlied zu bezeichnen war, also nur des Haupt- 
characters wegen ? Sie erscheinen im Adagio der Ouvertüre , im Al- 
legro (die vier Hornstösse), im Terzett: „0 lass Hoffnung dich beleben 4 ' 
im 2. Finale als wilde Jagd, zweimal im 3. Act und wiederholt als 
Jägerchor. 

Weber. Allerdings, und ich hätte diese Klangfarbe wohl noch 
öfter anbringen können, z. B. überall da, wo Max auftritt, oder 
Kaspar ; aber das Gegebene genügte , um die Hörer in das Jäger- 
und Waldleben zu versetzen. Hätte ich die Jägerfarbe, wenn ich 
so sagen darf, noch häufiger angewendet, so wäre sie am Ende 
lästig geworden." 

Hier begegnen wir derselben unbestimmten, auf das Aeusserliche 
gerichteten Ausdrucksweise. Dass Weber den Hornklang maassvoll 
angewendet, ist nicht das Verdienst seines Princips , sondern seiner 
feinen künstlerischen Empfindung. Diese Worte erhalten besonders 
dadurch für uns jetzt erhöhte Bedeutung, weil R. Wagner die ihnen 
zu Grunde liegenden Gedanken als Erinnerungsmomente und dgl. zu 
einem System durchgebildet hatj Weber ist, wie schon von Andern 
angedeutet wurde, gewissermaassen die Quelle dieser Theorie, der 
Künstler, bei dem sie sich bloss als eine vom Gefühl gebotene Praxis 
vorfindet. Ueber die Sache selbst kann und soll so beiläufig an 
diesem Orte nicht entschieden werden; es genüge die zweifache 
Hinweisung, einmal auf Webers Anschauung und dann auf das hier 
geltende Gesetz: die Kunst (die Tonkunst) ist nur das, was 
sie ist, nicht was sie bedeutet. Von diesem Gesichtspunkte 
aus kommen wir auf die beregte Erscheinung zurück. 



III. 

Nun über den Freischütz. 

„Weber. In dem Freischütz liegen zwei Haupt elemente, die 
auf den ersten Blick zu erkennen sind: Jägerleben und das Walten 
dämonischer Mächte, die Samiel personificirt. Ich hatte also bei der 
Komposition der Oper zunächst für jedes dieser beiden Elemente die 
bezeichnendsten Ton- und Klangfarben zu suchen j diese Ton- und 
Klangfarben bemühte ich mich festzuhalten und nicht bloss da an- 
zuwenden, wo der Dichter das eine oder das andere der beiden Ele- 
mente angedeutet hatte, sondern auch da wo sie sonst noch von 
Wirkung sein konnten. Die Klangfarbe, die Instrumentation, für das 
Wald« und Jägerleben war leicht zu finden; die Hörner lieferten sie. 



Die Schwierigkeit lag nur in dem Erfinden neuer Melodien für die 
Hörner, die einfach und volkstümlich sein mussten. Zu diesem 
Zwecke sah ich mich unter den Volksmelodien um und dem eifrigen 
Studium derselben habe ich es zu danken, wenn mir dieser Theil 
der Aufgabe gelungen ist. Ich habe mich sogar nicht gescheut, Ein- 
zelnes aus solchen Melodien — soll ich sagen: notlich? — zu be- 
nutzen. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass der letzte Jäger- 
chor z. B. den zweiten Theil der Melodie von Marlborough versteckt 
enthält. — Doch liegt die Haupteigenthümlichkeit des Freischütz 
nicht darin. Die wichtigste Stelle für mich waren die Worte des 
Max: „mich umgarnen finstere Mächte", denn sie deuten mir an, 
welcher Hauptcharacter der Oper zu geben sei. An diese finsteren 
Mächte musste ich die Hörer so oft als möglich durch Klang und 
Melodie erinnern. Sehr oft bot mir der Text die Gelegenheit dazu, 
sehr oft aber auch deutete ich da, wo der Dichter es nicht unmittel- 
bar vorgezeichnet hatte , durch Klänge und Figuren an , dass dämo- 
nische Mächte ihr Spiel treiben. Ich habe lange und viel gesonnen 
und gedacht, welcher der rechte Hauptklang für dies Unheimliche sein 
möchte. Natürlich musste es eine dunkele, düstere Klangfarbe sein, 
also die tiefsten Regionen der Violinen, Violen und Bässe, dann na- 
mentlich die tiefsten Töne der Clarinette, die mir ganz besonders 
geeignet zu sein scheinen zum Malen des Unheimlichen , ferner die 
klagenden Töne des Fagotts, die tiefsten Töne der Hörner, dumpfe 
Wirbel der Pauken oder einzelne dumpfe Paukenschläge. Wenn Sie 
die Partitur der Oper durchgehen, werden Sie kaum ein Stück finden, 
in welchem jene düstere Hauptfarbe nicht merkbar wäre, Sie werden 
sich überzeugen , dass die Bilder des Unheimlichen die bei weitem 
vorherrschenden sind, und es wird Ihnen deutlich werden, dass sie 
den Hauptcharacter der Oper geben. — Bisweilen wird der Kom- 
ponist, wenn er nur überhaupt den rechten Hauptton getroffen hat, 
auch durch Aeusserlichkeiten glücklich unterstützt, durch die Deco- 
rationen und Alles, was der Zuhörer auf der Bühne vor sich sieht. 
Uebersehen sie nicht, wie mir bei dem düsteren Hauptcharacter der 
Umstand zu gute kommt, dass die halbe Oper im Dunkel spielt. 
Diese dunkeln Bilder der Aussenwelt unterstützen und verstärken 
das Dunkel der Tonbilder gar wirksam. Denken Sie sich den Frei- 
schütz in einem hellen eleganten modernen Zimmer bei Tage aufge- 
führt , und von dem unheimlichen Eindruck wird ^Einiges verloren 
gehen, das Hereingreifen der finstern Mächte wird weniger fühlbar 
erschein en- 

Wohlbek. Sie haben wohl Recht, aber .... 

Weber. Ein Aber ist freilich noch ^labei. Ich glaube so 
ziemlich Alles gesagt zu haben, was sich über die Totalität in der 
Musik, über den Hauptcharakter eines Stückes sagen lässt, etwas 
Unerklärliches bleibt indess immer übrig. Wenn zehn Compo- 
nisten, die mir an Talent ganz gleich stünden, nach denselben Grund- 
sätzen, die mich leiteten, den Freischütz komponirt hätten , würde 
jeder eine andere, mancher vielleicht eine bessere Musik, die' Weber'sche 
gewiss nicht geschaffen haben. Was die meinige gerade so gemacht 
hat, wie siegeworden, ist eben meine Eigenthümlichkeit, oder 
vielmehr — e in G es c h enk v on b e n. Ich bin mir zwar bewusst, 
das Talent, das mir von Gett gegeben worden ist, fleissig und aus" 



— IQ* — 



dauernd gebildet und nach bestem Wissen angewandt zu haben ; für 
das aber, was mir gelungen, sei Gott allein die Ehre." 

Hier vernehmen wir von Weber, was Talent sei, und zwar so, 
dass Einem die Augen übergehen möchten. „Talent ist eine Gabe 
Gottes" — - wer wüsste es kürzer, schöner und erhebender zu sagen ? 
Und doppelt schwer wiegt dies Wort heutigen Tages, wo die Kunst- 
götter durch die Brunst der Parteien zu Götzen geworden sind, 
durch das zahllose Heer schwächlicher und charakterloser Kunstler, 
wovon Einer den Andern weihräuchert. Weber war einer der letzten 
von den Künstlern; die noch ungeheuchelt bitten und danken konnten 
und denen Frömmigkeit trauter und werther war, als kunstphilo- 
sophisches Wissen. Seine Nachfolger wissen Alles viel besser, ja 
sie stellen sich an, nun endlich eingesehen zu haben, dass der Glaube 
an den ewigen persönlichen Geist voll Güte und Weisheit sehr über- 
flüssig sei, dass das Kunstideal ganz anderswo vorhanden sei, als 
im christlichen Gott, und dass die künstlerische Kraft aus ganz 
andern Quellen fliesse. Und im Grunde fehlt ihnen doch nur deshalb 
die kindlich-innige Frömmigkeit, weil sie nicht die Macht des geistigen 
Lebens, des schöpferischen Kunstwerkes so wie die Alten, und wie 
Weber noch, in sich erfahren haben. 

Nichts müsse fester stehen und weniger der Beweise benöthigt 
sein, als der Glaube an Gott, und die Künstler sollten sich endlich 
überzeugen, dass an Gott recht glauben nichts heisst, als: das rein 
geistige Ideal für das höchste, und das Ringen darnach 
für die Endbestimmung des Lebens halten. 

(Fortsetzung folgt.) 



>o»p— 



CORRESPONDENZEN. 



AUS WIEN. 

Zur Ergänzung meines Berichtes über die italienische Oper , 
muss ich noch einer Novität erwähnen, welche ganz gegen Ende der 
Saison auftauchte, und zwar erst nachdem ich meinen Aufsatz bereits 
eingesendet hatte. Wäre diese neue Oper von Ricci: „Marito e 
l'amante" unaufgeführt geblieben , die Kunst hätte fürwahr- keinen 
Verlost dadurch erlitten, jedenfalls aber würde die Regie dabei ge- 
wonnen haben, da sie das Honorar an den Komponisten, sich selbst 
aber eine üble Nachrede erspart hätte. Von welchem Standpunkte 
aus mag wohl Herr Ricci das Opernpublikum Wiens beurtheilt 
haben, das die grössten Meisterwerke dramatischer Musik zum Theil 
unter seinen Augen entstehen sah, alle aber ohne Ausnahme auf seiner 
Opernbühne zu bewundern Gelegenheit hatte, als er es wagte, eine 
solche Mache der Direktion einzureichen. — - Oder sollte er von Ei- 
genliebe und Selbstüberschätzung so sehr verblendet sein, dieses mu- 
sikalische Olla potrida wirklich für würdig gehalten zu haben, auf 
der Hofopernbühne in Wien aufgeführt zu werden? — Ich glaube 
es war Herrn Ricci blos darum zu thun, sein dem italienischen 
Impressario gegebenes Versprechen: eine Novität zu schreiben, we- 
nigstens dem Scheine nach zu erfüllen und nebstbei das ausgesezte, 
eben nicht geringe Honorar dafür einzustreichen. — Da diese soi 
disant — Oper, obgleich dabei viel applaudirt, ja eine Nummer so- 
gar wiederholt wurde, die Indignation aller Kunstverständigen in dem 
höchsten Grade hervorrief, also mit Eclat durchfiel, so wäre es 
wohl eine sehr* undankbare Mühe unser Lesepublikum mit einer 
kritischen Zerlegung der einzelnen Theile derselben zu behelligen. 
Möge daher dieses Opuskulum sich wieder in seine Atome auflösen, 
ebenso schnell, wie es aus dem Gedächtnisse Jener schwinden wird, 

die es anhörten! 

» 

Als Captatio benevolentiae, welche die diesjährige italienische 
Opernsaison so sehr bedurfte, wurde noch eine Vorstellung des 
„Don Giovanni" gebracht, welche von den vorjährigen Darstellern 
aufgeführt, auch gegen die vorjährige Darstellung nichts voraus hatte 
als dass das Publikum durch diese Aufführung in so weit begütigt 
wurde um nicht mit Groll von den Sängern zu scheiden, die ihm 
so wenig des Besseren geboten. 

Gleichsam als Schlussstein der diesjährigen Concertsaison (denn 
die endlosen Concerte der Milanollo rechne ich nicht mehr zur 
Saison , da die Künstlerin von einem Vorstadttheater zum andern 



wandert und nach Bänkelsängerart so lange fortconcertiren wird, so 
lange sich die Bude mit Neugierigen füllt) erscheint die Production 
der Zöglinge des Conservatoriums. Dieses Concert sollte 
so eigentlich Rechenschaft ablegen von dem Wirken dieses musikaL 
Unterrichts-Institutes in den Fortschritten seiner Zöglinge, — Läge 
es überhaupt im Bereiche der Möglichkeit, in zwei Jahren (von so 
lang her dalirt sich die Reorganisirung dieses Institutes) Kunstre- 
sultate zu erzielen, man müsste die Fortschritte solcher Schüler 
anstaunen; denn die Ensembles des Orchesters waren in der Ouver- 
türe von Rotter, übrigens eine Compositum ohne Tendenz, Kunst- 
richtung und bestimmte Characteristik , und in der ewig jugendlich- 
frischen Haydn'schen D - Sinfonie tadellos, fein nuancirt, schwung- 
haft und präcis. Da das Conservatorium aber eben so wenig als 
ein anderes Lehrinstitut im Besitze des berühmten Nürnberger Trichters 
ist, so müssen wir annehmen, dass diese Production von fremden 
Kräften unterstützt wurde. Und so war es auch. Die Privat- 
schüler der Professoren, uneigentlich auch Schüler des Conserva- 
toriums, bildeten den Cadre der musikalischen Truppe und führten 
als Chargen die jungen Musik-Rekruten ins Feuer. Der Zweck hei- 
ligt die Mittel. — Diese Vereinsproduction reihte sich den besseren 
Concerten der Saison würdig an , die Zuhörer waren zufrieden ge- 
stellt , mehr noch die Angehörtgen der Schüler, und das Conser- 
vatorium hatte eine brillante Prüfung geliefert. 



"•>«♦•« 



AUS MÜNCHEN. 

(Anfang Juni.) 

Unsere Concertsaison hat sich diesmal bis auf die neueste Zeit 
ausgedehnt, so dass wir erst in der jüngstvergangnen Woche das 
letzte Concert des Herrn „Hanny" (wahrscheinlich synonym mit Jo- 
hann) Lauterbach hatten. Frl. Höffelmeyer, ein Mädchen von etwa 
16 bis 17 Jahren, eröffnete den Turnus. Sie ist eine recht wackere 
Violinspielerin. Damit ist aber Alles erchöpfend ausgedrückt. Leider 
will dies im Ganzen doch wenig genug sagen, zumal wenn ein der- 
artiges Talent dritten Ranges lediglich im Interesse des fahrenden 
Virtuosenthums ausgebeutet werden soll. Auf mich machen derlei 
Concertchen immer einen unbeschreiblich peinlichen Eindruck, der 
von jenem, den die Productionen der blinden Sänger, der armlosen 
Harmonikablaser u. s. w. hervorbringen, nur wenig verschieden ist. 
Mitleid hier mit einem körperlichen, dort mit einem moralischen 
Gebrechen — einer widerlichen Ausgeburt des dolee far niente — 
ist immer das vorwiegende Gefühl. Hierzu kommt noch, dass diese 
glänzenden Folterabende fast sämmtlich nach einer Schablone ange- 
fertigt sind. Da hört man jedenfalls eine Concertpiece von Beriot, 
dann etwas von Artöt und zwischendurch versucht ein angehender 
Sänger durch Lieder, welche die Menge „packen" (also nicht etwa von 
Schubert, sondern lieber von Stigelli) den für die Zukunft gehofften 
Ruhm auf eine billige Weise zu antieipiren. 

Ein Gleiches gilt von den beiden Concerten eines Violinspielers, 
Herrn Köckert aus Prag, der wohl alle Virtuosenuntugenden in vollem 
Maasse, leider aber keine Künstlertugend besitzt. 

Etwas anderes ist es mit dem Concerte unseres hochgeschätzten 
Clarinettisten C. Bärmann. Dieser bietet uns alljährig ein Concert, 
worin unter der Direction Franz Lachner's und der Mitwirkung der 
Hofkapelle nur Gediegnes zur Aufführung gebracht wird. So hörten 
wir diesmal Chelards viel zu wenig gekannte Ouvertüre zur Oper 
die Hermannschlacht, sowie jene zur Euryanthe. Beide Opern 
werden vorläufig nur piadesideria der münohner Opernfreunde bleiben. 
Bärmanns pompöse und schwungvolle Compositionen für sein In- 
strument mit Begleitung des grossen Orchesters , lassen sich nicht 
leicht beschreiben; denn wer ihn nicht gehört hat, kann sich un- 
möglich eine Vorstellung von dieser unübertrefflichen Technik, dieser 
geistvollen Auffassung und energischen Durchführung machen. 

Auch Herrn Johann Lauterbachs (Professor am Brüsseler Conser- 
vatorium) erstes Concert — dessen zweites war ich zu besuchen ver- 
hindert — muss zu den guten gerechnet werden, zumal da in der 
ersten Abtheilung Beethovens herrliches Septuor in einer äusserst 
vollendeten Weise von den Herren Lauterbach (Violine), Mittermayr 
(Viola), I. Menter CVioloncell), Sigler (Contrabass), Bärmann (Clari- 
nette), Strangs (Hörn), und Praudt (Fagott) vorgetragen wurde« In 



103 — 



der zweiten Abtheilung lernten wir in Herrn Lauterbach einen äus- 
serst schätzenswerthen Künstler kennen, der mit allen Vorzügen 
der jetzigen Technik noch den unverdorbenen gesunden Geschmack 
der älteren Schule verbindet. Untugenden, wie z. B. das moderne In« 
einanderziehcn einzelner Intervalle, würde man umsonst bei ihm 
suchen. So viel ich höre geht man damit um, Herrn Lauterbach für 
unsere Hofcapeüe zu gewinnen, eine Acquisition wozu sich diese 
nur Glück wünschen könnte. 

Die Oper bewegte sich in ihrem gewöhnlichen Repertoire d. h. in 
einem durchschnittlich guten. Nur eine einzige Novität— Perfalls Sakun- 
tala, Text von I. Teichlein kam zur Aufführung. Ich sehe, dass bereits 
in Nr. 16 der süddeutschen Musikzeitung sich eine gerechte Wür- 
digung dieser Oper befindet und ich habe desshalb nur wenig mehr 
hinzuzusetzen. Was dem Compositeur vor allem fehlt, ist Logik in 
Entwicklung der einzelnen Gedanken. Da finden sich lauter kurze 
Phrasen , die wenn auch gerade nicht neu , doch recht gut an ihrem 
Platze sein könnten, wenn der Tondichter nur all dies einzle Brauch- 
bare zu einem organisch verbundenen und ebeiimässig abgegliederten 
Ganzen zu vereinen gewusst hätte. Aber es bleibt bei der form- 
losen Anhäufung. Die Ursache hiezu darf übrigens kaum zur Hälfte 
in der musikalischen Befähigung des H. v. Pcrfall gesucht werden. 
Den andern gut zugemessnen Theil der Schuld trägt der Librettist, 
der dem Compositeur in der ziemlich langen vieractigen Oper kaum 
einigemale eine klar ausgeprägte dramatische Situation oder irgend 
eine grössere logische Steigerung als musikalichen Rast- und Lust« 
Tag gegönnt. Ueberdies leidet der Text an so unaussprechlicher 
Unklarheit, dass Niemand ohne Textbuch in der Hand das Sujet zu 
verstehen vermag, indem sich Schürzung und Lösung des Knotens 
um eine Subtilifät — ein ähnlicher Fehler wie in der Euryanthe — 
nämlich um die Verwechslung eines Armreifs dreht, was überdiess 
nicht einmal von den singenden Personen, sondern bloss vom Ballette, 
noch dazu bei verdunkelter Bühne, ausgeführt wird. Das Non plus 
ultra aller Missgriffc aber ist es , das böse Princip in der Person 
zwölf männlicher dämonenartig gekleideter Figuranlen, also aus- 
schliesslich tanzend in die Handlung einzuführen! — Zu Gunsten des 
Componisten muss ich am Schlüsse dieses Nekrologs dessen aufrich- 
tiges Streben, nur einer gediegenen Geschmacksrichtung zu huldigen, 
anerkennend und rühmend erwähnen , denn es würde ihm wohl ein 
Leichtes gewesen sein , statt der nun todten Sakuntala eine kecke 
Pratcrnymphe in's Leben zu rufen, wenn er sich, statt zu der Muse 
Mendelssohns, zu der bajaderenartigen Pseudomuse Flotow's hätte 
bekennen wollen. 

Am 12. d. M. wird Spohr's Faust neueinstudirt über die Bühne 
gehen. Von einer Oper des Herzogs von Coburg — wenn ich nicht 
irre — „Toby" betitelt, ist es nach dem unglücklichen Erfolg der 
Sakuntala wieder ganz still geworden. Es wäre auch äusserst 
unrecht, wenn man die Kräfte eines Nationalinstituts aus persön- 
lichen Rücksichten an Dilettanten- Versuche vergeuden wollte, zumal 
so lange die Intendanz die Manen so manchen Künstlers noch zu 
sühnen hat. So hat man es bei uns noch nicht einmal dahin ge- 
bracht, dass der Don Juan mit den Recitativen, statt mit der be- 
kannten lüderlichen Prosa gegeben wird. Eine Aufführung der Ent- 
führung aus dem Serail können wir beinahe schon jetzt zu den my- 
thischen Ereignissen rechnen. 

Gäste hatten wir nur einen: Frl. Löwenstein aus Berlin. Sic 
trat als Donna Anna, Valentine und Martha auf. Ihre Stimme ist an- 
genehm und biegsam, aber schwach und von sehr geringem Umfange. 
Auffassung und Spiel lassen noch viel zu wünschen übrig. Die 
Schule ist im Ganzen gut. Der Erfolg ihres Gastspieles konnte dem- 
nach nur ein geringer sein. Zu erwartende Gäste für diesen Sommer 
sindj Johanna Wagner und Roger. 

Zu der in Nr. 22 ihres geschätzten Blattes mitgetheilten , unser 
Conservatorium betreffenden Nachricht kann ich Ihnen bis jetzt nur 
die Fortsetzung liefern. Die Untersuchung der hiezu ernannten Com- 
mission (aus den Herren Ministerialrath von Rust, Professor Schaf- 
häutl, dem Director der Centralsingschule Canonicus Koch, Dr. 
Härtinger und Hofmusikus Böhm bestehend) wurde erst nach genauer 
und mehrtägiger Prüfung geschlossen. 

Jedes der Conunissionsmitglieder hat sodann ein eignes Gutachten 
abgegeben, und gleichzeitig wurden sämmtliche Lehrer aufgefordert, 
ihre etwaigen Bedenken über die Leitung der Anstalt schriftlich ein- 
zureichen. Mit Ausnahme von etwa drei, welche gänzlich schwiegen, 
haben dies auch alle mit grosser Ueberemstimmung hinsichtlich der 



Missstände gethan. Auch das Gutachten der Commissionsmitglitd 
soll nichts weniger als zu Gunsten des Directors Hauser ausgefell» 
sein. So hätten wir denn doch endlich einmal gegründete Hoffnung, 
dass mit der Entfernung des bisherigen Directoriums die Anstalt voa 
einem schmählichen Untergang gerettet werde. O* 



AUS HAMBURG. 

Mai 1853. 

(Schluss.) 
War der Eindruck des Gesangs des Berliner Domchors schon 
im Concertsaal wirklich ungewöhnlich, so war denn doch die Rück- 
sicht auf den Geschmack des S a 1 o n publikums eine zu vorwiegende 
gewesen, als dass nicht am zweiten Tage die Leistungen der Sänger und 
der durch sie erzeugte Eindruck um eben so viel höher gewesen wären, 
als eine grosse Kirche den Concertsaal, Palcstrina, Lotti und alle die an- 
dern stahlgepanzerten ernsten Meister unsre kleine heutige musikalische 
Welt überragen und als der Zuhörer eben so in den ernsten Räumen 
des Gotteshauses ein würdiger und tiefer Geniessender ist. Die hier 
zu Gehör gebrachten Sätze waren: „Wie der Hirsch schreit nach Was- 
ser" von Palestrina, „Popule meus, quid feci tibi," für Männer- 
stimmen von Vittoria, „CruciGxus" von Lotti, Motette: „Ich weiss 
dass mein Erlöser lebt" von Joh. Michael Bach, der 43(e Psalm; 
„Richte mich Gott" von Mendelssohn, „Ave verum corpus" von 
Mozart, Chor: „Gnädig und barmherzig ist der Herr" von Grell, und 
endlich ein Chor: „Ehre sei Gott in der Höhe" von Bortniansky. 
Zwischen diesen sangen noch zwei Mitglieder des Chores, der Bassist 
Herr K o t z o 1 d eine Arie aus H ä n d o l s Josua und der Tenorist Herr 
Otto die erste Es-dur Arie aus dem Elias, beide ganz vorzüglich 
durch schönste Vollendung der Schule und würdigsten, lebensvollen 
Vortrag der bedeutenden ernsten Worte. Zwischen diese vielen 
Sätze waren noch Choral-Vorspiele für Posaune und Orgel durch 
Herrn Belke und Schultz aus Berlin eingefügt , die in ihrer unbe- 
schreiblichen Geschmacklosigkeit gerechte Verwunderung erregten. 
Der Eindruck, den die Chorleistungen auf die ungefähr dritthalbtausend 
Zuhörer machten, war ein sehr würdiger und erhebender. Die drei 
alten Meister und ganz besonders der herrliche Chor von Michael 
Bach waren Meisterwerke in jeder Beziehung zu nennen, und ich 
bezeichne nur den Chor von Bortniansky als durchaus nicht aus 
innerer Begeisterung hervorgegangen. Ich weiss nicht ob der Ver- 
fasser ein Russe oder Pole ist, wohl aber dass seine Composition 
die ganze übertünchte Politur des Slaventhums zur Schau trägt, 
innerhalb dessen der Selbstherrscher auch der Kirche als untrüglicher 
Papst vorsteht. Die Reinheit der Intonation, die sauberste Ver- 
schmelzung der 6 und 8 stimmigen Accorde, die gleichmässig anschwel- 
lenden cresc. und bis zum pp. verhallenden decresc. gelangen vollendet 
schön und eben dadurch war es einem Chor von nur 30 Stimmen, ja selbst 
den ungefähr 15 bis 16 Männern allein möglich die ganze ungeheure 
Michaeliskirche (welche ganz voll gegen 6000 Menschen fasst) auf 
das wirksamste auszufüllen. Wie beneidenswert!! ist der Künstler, 
dem die Leitung' so herrlicher Kräfte übergeben ist und wie glücklich 
die Gemeinde, welcher es vergönnt ist die Gottesverehrung in ihrer 
Kirche regelmässig durch diese warhaft meisterhaften Kunstleistungen 
gehoben und geadelt zu sehen! Der Director dieses in seiner Art 
jetzt einzigen Chores ist der königliche Musikdireclor Herr Neithardt. 
Am 9. April fand das letzte philharmonische Concert statt. Meine 
früher geäusserte Meinung, dass die Wahl der hier ausgeführten 
Werke sich auf einen kleinen Zirkel immer wiederkehrender be- 
kannter Compositionen beschränke, fand ihre vollste Bestätigung in 
der Erscheinung der Haydn'schen Esdur-Sinfonie mit dem Pauken - 
wirbel und der Beethoven'schen C-moll-Sinfonie. Die letztere vor- 
züglich ist in ihrer immer wiederholten Ausführung unter derselben 
Leitung von nachtheiligem Eindruck, weil sie stets auf demselben 
Punkt der geistigen Auffassung stehen geblieben ist, ohne dass die 
Trefflichkeit der jüngeren Orchesterglieder und die stets fortschreitende 
Einsicht undErkenntniss, zu welcher beim Künstler täglich viele tausende 
von Fäden zusammenwirken können und müssen, irgend dazu geführt 
hätten, dem Werke neue und höhere Geheimnisse abzulauschen, 
das Orchester zu feinerer, tieferer Begeisterung zu entzünden, und 
. so die Hauptaufgabe dessen zu erfüllen, dem die Leitung einer Sum-- 
me von geistigen Kräften übergeben ist. Unaufhörlich ist über den 
Mangel des Piano im Orchester zu klagen, dessen sorgfältige Beob- 



- 104 



*chtong allein schon, sobald ihm ein edles Forte gegenüber steht, 
im Stande ist, wenigstens die beiden grossen Hauptseiten des Vor* 
träges in das rechte Licht zu stellen. — Frl. Schloss von Cöln sang 
die Kirchenarie von Stradella, (allerdings nicht dem Flotow'schen) 
mit einer Begleitung des Streichquartetts versehen , in ausgezeichnet 
edler und vollendeter Weise. Ich erinnere mich seit lange nicht ei- 
nen so würdevollen edlen und vor allem einfach wahren Gesang ge- 
gehört zu haben. Die Begleitung welche, wie ich glaube, von neue- 
rer Hand dazu gesetzt ist, hebt den ernsten Character der religösen 
Arie auf das ergreifendste. Endlich trat der Violinspieler Herr Joa- 
chim auf und trug zuerst Spohrs Gesangscene mit staunenswerther 
Fertigkeit, grossem edlen Ton und belebtestem Feuer durchaus ohne 
Noten spielend vor. Diese wie mich dünkt, des Solospielers einzig 
würdige Weise, trug viel dazu bei ihn den Hörern in der freien Ent- 
wicklung seiner vollen Kräfte zu zeigen. Ich wäre freilich hundert- 
fach zufriedener gewesen, wenn wir statt dieser denn doch immer sehr 
Spohr'schen Composition einmal Beethovens Violinconcert gehört 
hätten, welches Herr Joachim in Berlin meisterhaft soll gespielt haben. 
Indessen war immer die Gesangscene eine sehr schöne und würdige 
Aufgabe für den ausgezeichneten Künstler, der leider dann noch Va- 
riationen eigner Composition vortrug, die wirklich alle Schwächen 
dieser Virtuoseu-Componisten zur Schau trugen. Ich vergass oben 
noch zu erwähnen , dass Fräulein Schloss mit trefflichem Vortrage 
einige der schottischen Lieder von Beethoven zu Gehör brachte, die 
mich mit hoher Bewunderung über die sinnige Einfachheit erfüllten, 
au der sich der grosse tiefe Meister herabgelassen hat. 

Ein Concert des Militairmusikdirectors Berens habe ich nicht be- 
suchen können, wohl aber Gutes davon gehört. Herr Reichard, der 
seine Stellung bei dem hiesigen Theater verliess, veranstaltete noch 
zuletzt ein Concert in welchem er eine solche Menge von Liedern 
vortrug, dass denn doch das Kleine dieser Gattung sich recht em- 
pfindlich fühlbar machte, selbst wenn diese Sachen, wie es hier ge- 
schah, eine rechte sinnige und hübsche Ausführung erhalten. Ein 
ähnliches Concert veranstaltete Madame Cornet, welche, früher eine 
tüchtige dramatische Sängerin, seit mehreren Jahren hier als Ge- 
sangslehrerin wirksam ist. Es traten in ihrem Concert nur ihre 
Schülerinnen und der ihrem Unterricht übergebene Herr Formes, der 
dritte jüngere Bruder der bekannten Künstler, auf. Die Lehrerin 
erntete mit Allem Beifall ein, und es hat mich herzlich gefreut, die 
tüchtige Frau, die eine seltene Thätigkeit entwickelt und in der bür- 
gerlichen Gesellschaft sehr geachtet dasteht, so lebhaft anerkannt 
und für treues Streben belohnt zu sehen. 



-*••>- 



AUS BRAUNSCHWEIG. 

(6. Juni.) 

Am Schluss dieser Saison ward uns noch ein hoher Genuss durch 
ein kurzes Gastspiel der Frl. Jenny Ney aus Dresden. Auf ihrer 
Rückreise von Hamburg verweilte sie hier vergangene Woche und 
trat in drei Partien auf, als Norma, Donna Anna in Don Juan und 
Valentine in den Hugenotten. Erstere Oper gab Mad. Dcnemy Ney aus 
Wien, hier gastirend, zu ihrem Benefiz. Diese, eine Schwester der 
berühmten Sängerin sang die Adalgisa, jene die Norma. 

Frl. Jenny Ney ist von der musikalischen Kritik bereits als eine 
der ersten jetzt lebenden dramatischen Sängerinnen anerkannt worden 
und wir, nachdem wir sie gehört, können dieses nur bestätigen. Eine 
wunderbar schöne, klangvolle, zum Herzen sprechende Stimme, die 
reinste Intonation, bedeutende Fertigkeit im Coloraturgesang, vereint 
mit kunstverständigem und stets maass vollem Spiel, sind Vorzüge, 
deren sich so leicht keine andercfSängerin rühmen darf, die man ihr 
aber mit dem vollsten Rechte zusprechen muss. 

So war denn auch jeder ihrer Leistungen der Stempel der Vol- 
lendung aufgedrückt, und der ihr vom Publikum gezollte Baifall 
gewiss ein gerechter. Leider gab sich derselbe öfter durch zwei- 
maligen Hervorruf auf offner Scene zu erkennen, wodurch die Hand- 
lung der Oper allemal unterbrochen wurde. 

Frau Denemy Ney als Adalgisa und Margaretha in den Huge- 
notten, Frau Hofier als Donna Elvira in Don Juan und Herr Him~ 
mer als Sever und Don Octavio standen der geschätzten Gastin 
würdig zur Seite. 

Dass man Herrn Schmezer die Parthie des Raoul in den Huge- 
notten anvertraute, während wir in Herrn Himmer einen viel bessern 



Raoul haben, ist sehr zu beklagen. Herrn Schmezers früher so 
mächtige Stimme war schon vor Jahren nur noch ein Schimmer der 
Vergangenheit, jetzt ist sie vollständig hin, und doch kann sich 
derselbe noch nicht von den Brettern trennen, auf denen er ehedem 
glänzte. 

Wenn doch alle Sänger und Sängerinnen so klug wären, sich 
zur rechter Zeit zurück zu ziehen, dann würden sie wenigstens nicht 
Gefahr laufen, statt der gewohnten enthusiastischen Aufnahme deut- 
liche Missfallensbezeugungen entgegennehmen zu müssen. Das Pub- 
likum vergisst nun einmal über den schlechten Leistungen der Ge- 
genwart die guten der Vergangenheit! 

Unsere frühere Primadonna, die rühmlichst bekannte Madame 
Fischer Achten hat klüger gehandelt, sie nahm Anfang Mai in 
Figaros Hochzeit mit ihrem Gemahl Abschied von der Bühne. Ihre 
Leistung als Susanna war vortrefflich, und wurde mit dem entschie- 
densten Beifall gekrönt; die ihres Herrn Gemahls als Figaro war 
dagegen unter aller Kritik, dennoch schonte man seiner aus Rück- 
sicht für seine Gemahlin. Madame Fischer hat sich während ihres 
17jährigen Aufenthalts in Braunschweig so viel erübrigt, dass sie 
sich ein Gut in Steyermark kaufen konnte , auf weichem sie ihre 
Tage im Kreise ihrer Familie in Ruhe und Frieden zu beschliessen 
gedenkt. Die Abreise dahin ist bereits erfolgt. 

Frl. Jenny Ney und ihre Schwester sind nach Dresden abgereist. 
Die Theaterferien haben begonnen. Der Plan, unsere Oper während 
der Ferien für Cöln zu gewinnen , muss sich zerschlagen baben , 
denn es verlautet hier nichts mehr davon. 

NACHRICHTEN. 

Coburg. Frl. Westerstrand und Frl. Bochkoltz sind hier en- 
gagirt worden. 

Stuttgart. Am 17. Juni dirigirte Lindpaintner zum ersten Male 
seit seiner Rückkehr von London und zwar den Propheten. Er 
wurde von dem zahlreich versammelten Publikum freudig begrüsst. 
Als Fides debütirte Frau Nimbs von Breslau, die vierte Aspirantin 
auf die Stelle einer ersten Sängerin an hiesiger Bühne. 

Paris. Der von E. Cheve projeetirte Gesang - Conkurs', über 
den wir seiner Zeit berichteten, hatte am 15. Juni Statt. Wie vor- 
auszusehen war, betheiligten sich keine ausländischen Vereine dabei, 
aber selbst die französischen, ja sogar die Pariser Gesellschaften 
hatten es vorgezogen zu Hause zubleiben, so dass den Preisrichtern 
nichts anders übrig blieb, als die von E. Cheve ausgesezte Medaille 
von 500 Frc. — ihm selbst zuzuerkennen. Was will er mehr? 

London* Der Gerichtshof Bench-Court hat in der Klage des 
Herrn Lumley gegen Frl. Wagner endlich eine Entscheidung ge- 
fällt, und zwar zu Gunsten des Klägers. Die Entschädigungssumme, 
welche Frl. Wagner zu zahlen hat, wird später fixirt werden. 

— Der Kölner Männergesang - Verein hat mit seinen Concerten 
entschieden reussirt und dem deutschen Männergesange auch in Eng- 
land die gebührende Anerkennung verschafft. 

%* In Elbing wurde die Aufführung der Stummen von Portici 
untersagt. — 

In Baden ist allen Lehrern verboten worden, sich an Gesang- 
vereinen, welche profane Lieder singen, zu beiheiligen. — In Hessen- 
Cassel sind die Gesangvereine in einem Ministerial-Erlass , der sie 
ohne Umstände verbietet, gar als Hauptheerde der Revolution be- 
zeichnet worden ! 

Die heilige Cäcilia, die Schutz-Patronin der Musik, dürfte näch- 
stens an die Reihe kommen. 

V Gesangfeste. Am 2. — 4. Juli findet in Detmold das Lieder- 
fest des Norddeutschen Sängerbundes (26 Vereine) statt; am 2. und 
3. Juli wird in Neisse unter Stuckenschmidt's und Julius Otto's Lei- 
tung gleichfalls ein Gesangfest abgehalten. 

V Die Redaction "der im Verlage von Schloss in Cöln erschei- 
nenden Rheinischen Musikzeitung übernimmt vom 1. Juli an Herr 
A. F. Riccius. Prof. Bischoff gründet dagegen ein neues Blatt unter 
dem Titel „Niederrheinische Musikzeitung". 

(Todesfälle). Der als ruheloser Orgel-Concertgeber bekannte 
Professor Kloss starb auf seiner permanenten Kunstreise in Riga. 

Musik-Direktor Eisner, Verfasser der trefflichen Fahrten eines 
Musikanten, fiel bei dem letzten Freiburger Aufstände in den Reihen 
der B ü rger garde. ■ ' , 

""VerintwoimcÄer Kriakteiur; J. i. SCHOTT. - Prtek Taft REUTER* WALLAU in M»ln«. 



2. Jahrgang. 



Hfr. *7. 



4. Juli 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Min abonnirt bei allen Postamtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION HD VERLA« 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO. 



fl. 3. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 

für den Jahr sang. 

Durch die Pest bezogen : 

50 kr. «der IS Sgr. per Quartal. 



Inhalt 1 G. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Zur Beachtung für Alle etc. — Gorr. (London). — Nachrichten. 



C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

über 

die Composltlon des Freischütz and über 
Openiconipogltioii überhaupt. 

(Fortsetzung.) 

Die im vorigen Artikel angezogenen Worte Webers veranlassen 
mich noch zu drei Bemerkungen. 

1. Weber erwähnt die Schwierigkeit Hornmelodien zu erfinden, 
nnd noch späterhin spricht er von der Kraft wahrer Melodie, die er, 
der Schöpfer köstlichster Weisen, wird tief empfunden haben. Hier- 
mit deutet er auf eine, wenn ich so sagen darf, geheime Praxis hin: 
auf die Kunst , beim Gestalten der Melodie sich die Farbe und die 
Fähigkeit des bestimmten Instruments in solcher Klarheit vorstellen 
zu können, dass die Melodien aus der Individualität der Instrumente 
wie geboren und hervorgewachsen scheinen. Hier sieht man den 
ächten Künstler, den genialen und gebildeten, in seiner schönen har- 
monischen vereinten Doppelseitigkcit. Dieser Vorgang wie diese An- 
schauung sind absolut wahr, hiergegen lässt sich nichts einwenden; 
denn das Denken und Schaffen, Formen und Bilden nicht bloss mit, 
sondern in den Instrumenten, so dass sie ächte lebendige Instru- 
mente, nämlich künstlerische Organe, geworden sind, ist nur dem 
reifen Künstlergeiste möglich , und wenn wir hier irgend etwas zu 
bedauern hätten, so wäre es dies, dass Weber nicht klarer und aus- 
führlicher über den Vorgang gesprochen. Wenn ich mich damals in 
des Wohlbekannten Stelle befunden, ich wäre von hieraus weiter in 
ihn gedrungen, und vielleicht wäre es mir eben hier gelungen, den 
herrlichen Weber selbst zu dem Ausspruche zu vermögen , dass 
nicht die Instrumentation, sondern die Melodie, nämlich die Melodie 
der musikalischen Organe ' (Singstimmc und Instrumente ), 
dem musikalisch-dramatischen Kunstwerke den Character verleihe. 

2. Weber erinnert uns an die günstige Lokalität, an die 
dramatisch-decorative Scene, welche das charakteristische Tonbild oft 
sehr wirksam unterstütze. Das zu läugnen wird Niemanden einfallen. 
Dagegen lässt sich viel sagen über und gegen die Art und Weise, 
wie von Weber die Harmonie zwischen Musik und sichtbarer Scene 
aufgefasst wird. Er stellt beide in eine sehr wünschenswerte, aber 
doch mehr 'zufällige Verbindung. In letzter, in eigentlicher Be- 
ziehung ist aber auch dasLocal folgerichtig nach dem dramatischen 
Gedanken zu gestalten, es muss als das natürliche Leben dem 
geistigen dienstbar werden, die Macht der Natur muss sich dem 
in ihrem Räume wallenden Geiste fügen. In der kreatürlichen Schöpf- 
ung, wie in den Naturwissenschaften möge man von einer „reinen" 
zur Menschenwelt und zu menschlich-geistigem Leben beziehungslosen 
Natur sprechen — im Reiche der Kunst geht es nicht; denn hier ist 
Alles, wie sehr es auch als ein Abbild äusserer Vorgänge erscheine, 
nur da, dem künstlerischen Objecto die Gestalt des Lebens, den 
Sehein der Wirklichkeit zu geben. Daher hat der Dramatiker auch 
die Freiheit, oder vielmehr die Pflicht, beides in der innigen Zusam- 
mengehörigkeit zu zeigen, welche die Gesetze des dramatischen, d. i. 
des geistig- wirkliches) Lebens fordern. Hierdurch, durch diese ihre 
Sitete Willensfähigkeit im Gebiete des ihr Möglichen, wird die Natur 



ideal, während ihre äusseren Formen (Erd-, Pflanzen-. Thiergruppen 
etc.) und Wandlung (Tag und Nacht, Jahreszeit Sonnenhelle, Ge- 
witter etc.) in vollster Realität beharren. An diesem Orte, lässt 
sieb auch die Streitfrage über das Cos tum erledigen; denn dass 
dieses ebenfalls ideal, d. h. geistig bedeutungsvoll sein müsse , ist 
eine ausgemachte Sache. Aber so lange noch nicht die rechten For- 
men der Dramatik festgestellt sind, ist jedes Wort über diese Aeus- 
serlichkeiten in den Wind geredet. Doch thtit man für alle Fälle 
gut, das Aeusserliche nicht mit dem Willkürlichen zu verwechseln. 
Auf Weber zurückkommend, ist über diesen Punkt noch zu be- 
merken: dass er das Drama mit allem Zubehör nicht vom Stand- 
punkte des das Ganze überschauenden , das Ganze schaffenden 
Dichters, sondern von dem des Musikers ansieht. Dies ist an 
sich ganz natürlich, und wird in der nun folgenden Bemerkung 
noch klarer werden. 

3. „Die wichtigste Stelle für mich waren die Worte: „Mich 
umgarnen finstere Mächte" denn sie deuten mir an, welcher Haupt- 
charakter der Oper zu geben sei." Das halten gewiss Viele für ein 
vortreffliches Verfahren; und was die musikalische Kompo- 
sition betrifft, so stimme ich dem vollkommen bei, denn der Kom- 
ponist muss vor allem bedacht sein, das bedeutungsvollste Wort in 
das rechte Licht zu heben, das Nebensächlichere gruppirt sich dann 
leicht. Bei der Komposition eines Liedes ist dieses Gesetz ziemlich 
allgemein anerkannt; der Musiker muss dem Dichter zunächst da- 
durch gerecht werden, dass er aus dem Texte den Zug herausfindet, 
welcher ihm den Sinn des Ganzen erschliesst. Wagen wir uns aber 
auf das grössere Gebiet der Oper, so ändert sich die Sache etwas; 
denn hier ist das individuelle Leben selbst der drama- 
tische Gedanke, das Leben, welches sich von einem gesetzten Punkte 
aus fortbewegt und endet , Gegenstand der Kunst. Nun hat dies 
Leben zwar immer einen bestimmten Charakter, aber auch eine 
Mannigfaltigkeit von Zügen; und nur dann kann es in vollkommenster 
Freiheit, oder was dasselbe ist rein dramatisch, sich äussern, wenn 
diese verschiedenen Züge, oder besser Individualitäten, in ihrem 
Wirken und Sein, intensiv nnd extensiv, gerade so erscheinen , wie 
sie wirklich sind. Ich habe bei den Lesern dieses Blattes einen 
schweren Stand, besonders dieses Punktes wegen, weil sie grössten- 
teils Musiker, nnd weniger dramatische Dichter sind. Meine Mei- 
nung nämlich geht darauf hinaus: Weber habe durch dieses Ver- 
fahren dem Gegenstande (sofern man ihn sich rein dramatisch 
denkt, was aus andern Ursachen zu Webers Zeit noch nicht mög- 
lich war) Gewalt angethan, indem er eben das Dämonische zu stark 
d. h. unlebendig oder unnatürlich hervorkehrte und dadurch den dra- 
matischen , rein menschlichen Gedanken verletzte. Und hiernach 
ist gerade in der Seite des Freischütz, die Weber am vollendetsten 
. auszubilden bemüht war (und worin er , rein musikalisch betrachtet, 
; auch so Ausgezeichnetes geleistet hat) sein Hauptmangel versteckt, 
'wenn man die Oper als poetisch-musikalisches Drama, 
beteachtet. 

■ Der Grand dieser Erscheinung liegt nicht einfach in der Unfäh- 
igkeit des Komponisten, sondern weiter zurück. Wer kein Mozart» 
ist, mit der sichertreffenden Empfindung eines Gottes begabt, der be- 



10» 



findet als Komponist einem fertigen Texte gegenüber sich immer in 
bedenklicher Lage : er muss ans seinem Gebiete , aus dem musika- 
lischen Empfinden und Schaffen herausgehen in das Sinnen und 
Grübeln, er muss das Ganze wieder in sich durchleben , gleichsam 
noch einmal dichten. Denn die unabweisliche Forderung bleibt, das 
Ganze in Musik aufzunehmen, ein musikalisches Drama zu 
schaffen. Es liegt auf der Hand, dass den Komponisten diese seine 
kritische Thätigkeit oft in heillose Irrthümer und Missgriffe fuhren 
muss, oft schon desshalb, weil er im kritischen und poetischen Fache 
selten ein Held ist , besonders aber darum , weil er sich der Not- 
wendigkeit seiner dichterisch-dramatischen Thätigkeit nie klar be- 
wusst werden kann so lange er sich noch von einem Andern den 
Text machen lässt- Gewiss ist kein Komponist ausdauernder, leb- 
hafter und erfolgreicher bemüht gewesen, seinem musikalisch-drama- 
tischen Tonwerke Einheit und Character und menschlich-künstlerischen 
Inhalt zu verleihen als Weber; gelang es ihm hinsichtlich des Dä- 
monischen nur theilweise und konnte es ihm so unmöglich ganz ge- 
lingen , so lag dies an dem Mangel der vollkommenen Indi- 
vidualisation des dämonischen Gedankens, der 
menschl ich- po et i sc he n Durchbildung, die der musikalischen 
jederzeit voraufgehen muss. — Dass Weber bei seiner Opernkom- 
position auch in hervorragendem Maasse dichterisch thätig war» 
dafür wird unten ein vollgültiger Beweis beigebracht werden. 

(Fortsetzung folgt,) 



i»M » 



ZUR BEACHTUNG FÜR ALLE, 
welche sich der Musik widmen wollen. 

Von Prof. Fr. Kahms tedt in Eisenach*). 

Motto: 
Eh' man was Gutes macht, 
Muia man es erst recht sichur kennen. 

Göthe 

Nach einem mehr als 15jährigen Studium der Theorie der 
Musik , zu dem mich einmal das reine Interesse am Erkennen über- 
haupt, dann aber das eigne, innere Bedürfniss antrieb, die musika- 
lische Kunst nach Wesen, Zweck und Gesetzen insbesondere zu be- 
greifen, um dadurch zu einem bewussten freien Schaffen zu gelangen, 
ist es mir nach einer festen Ueberzeugung gelungen , den musika- 
lischen Satz, d. i. den musikalischen Gedanken in seiner Leibliehkeit 
mit allen seinen Eigentümlichkeiten und Modifikationen , nach Stoff 
und Form aus Einem Principe entstehen , organisch sich entwickeln 
zu lassen, somit gelungen, eine Compositionslchre in Wahrheit oder 
„eine Kunst, in Tönen zu denken" , aufstellen zu können. Diese 
Lehre verfährt demnach nicht atomistisch , nicht einseilig prac tisch 
oder abstract theoretisch; ihre Resultate sind nicht blosse Aggregate, 
gewonnen durch ein principloses Zusammensetzen der einzelnen Töne, 
sondern sie ist im wahren Sinne des Wortes Theorie d. i. sie er- 
weist sich als stufenweise Manifestation der der Kunst zu Grunde 
liegenden Idee, gleich der Lebensth&tigkeit der Natur, die, um etwas, 
z. B. einen Baum hervorbringen, nicht erst Blätter, Zweige, Biüthe 
etc. einzeln macht, nachher zusammensetzt, und zuletzt ihnen Leben 
einhaucht, sondern dies Alles mit einem Schlage durch stufenweise 
Entfaltung eines Keims zu Tage fördert. 

Als Verwirklichung eines Allgemeinen, Nothwendigen ist sie eine 
Gedanken-Erzeugungslehre. Dem Kunstjünger erschliesst sich das, 
was sein soll, und indem er dies im Erkennen zugleich als identisch 
mit seinem eigenen, individuellen Wesen begreift, erhebt er sich zur 
frei -nothwendigen Thätigkeit, zum wirklichen Schaffen. In dieser 
Theorie gibt es keine einzelnen Kegeln. Was sein soll an einer be- 
stimmten Stelle und in einer bestimmten Weise, das wird durch 
die Entwicklung des Gedankens mit innerer Notwendigkeit von 
selbst. Das stufenweise Wirklichwerden der Idee ist überall das 
Leitende, Bestimmende, das punctum saliens. Daher producirt der 
Kunstjunger nach dieser Theorie notwendigerweise auch alle Ge- 



*) Obiger Aufsatz wurde uns von Herrn Professor Kühmstedt 
gleichsam als Antwort auf einige kürzlich erschienene Artikel unseres 
Blattes, in welchen das Studium der Musiktheorie besprochen wurde, 
eingesendet, und wir räumen demselben gern einen Platz ein, da 
er in mehr als einer Hinsieht von Interesse ist. 

Die Redaction. 



setzlichkeit aus sich selbst. Ferner springt in die Augen, dass hier 
von einzelnen Accorden und einer Harmonienlehre, besonders in der 
Weise, wie sie in den bisherigen Generalbassschulen aufgestaut worden, 
nicht mehr die Rede ist. 

Ein Accord als Einzelnes, Isolirtes d. h. nicht als Glied eines 
höhern Ganzen, eines Organismus, nicht als individueller Ausdruck 
der Idee betrachtet, ist eben so unbegreiflich, als irgend ein Glied 
des menschlichen Körpers, getrennt, und ausser seinem Verhältnisse 
und seiner Beziehung zu demselben gedacht. Wie alle Glieder des 
menschlichen Körpers erst aus der Idee des Menschen hervorgehen 
und ihre Stellung und Bedeutung wieder nur durch den Zweck er- 
halten, der ihnen in dem grössern Ganzen, dem Körper, durch die 
Ent wickelung desselben wird, so entsteht auch der Accord etc. 
erst aus und mit dem musikalischen Gedanken, 
nnd erhält von demselben, als organisches, not- 
wendiges Glied von ihm, seine Stellung und Bedeutung. 
Da diese Theorie, als sistematische Darstellung der Verwirk- 
lichung eines Allgemeinen , Nothwendigen durch Töne, ein Begreifen 
der Musik vermittelt, das Begreifen aber in einem Erfassen der Ein- 
heit im Unterschied besteht, so dass mit der Erkenntniss der Musik 
zugleich die Kunst im Allgemeinen und Besondern , das Wesen der 
Wissenschaft und zuhöclist das Sein und Werden j als das Ewige, 
die Ur-Idee, von welcher die in der Wissenschaft, dem Leben und die 
Kunst pulsirenden Ideen des Wahren , Guten und Schönen nur ihre 
eigenen, unterschiedenen Momente sind, erfasst werden, so leuchtet 
ein, dass weiter diese Theorie eine wirkliche Erziehungslehre ist, 
dass sie den Kunstjünger nach allen hier in Betracht kommenden 
Seiten ausbildet und zum Bewusstsein bringt. Und dies muss ge- 
genwärtig eine Theorie der Kunst. Denn nimmer wird in unserer 
Zeit ein Künstler , wäre er auch mit dem g r ö s s t e n Talente aus- 
gestattet und im Besitze der vollendetsten Technik, ein wahres Kunst- 
werk zu Tage fördern, ohne den Kampf um innere, geistige Selbst- 
ständigkeit mitgekämpft und in demselben festen Boden gewonnen 
zu haben, und — ohne ein Mensch zu sein, dessen Leben in der Dar- 
legung und Erfüllung des Wahren, Guten und Schönen aufgeht. 

Das sind jetzt mehr als jemals nothwendige Voraussetzungen 
und Bedingungen jeder wahren künstlerischen Thätigkeit, denn die Kunst 
ist , weil sie das Ewige , Wesentliche zar Erscheinung bringen soll , 
der Gipfelpunkt der menschlichen Thätigkeit. 

Aus diesen Bemerkungen wird sich leicht ersehen lassen . dass 
meine Lehre in zwei Hauptabtheilungen zerfällt , die aber durchaus 
nicht als geschieden zu denken sind. In Folge des dein Ganzen zum 
Grunde liegenden Principsmuss natürlicherweise ein Verhältniss statt- 
finden, wie gleichsam bei dem von der Natur allein bestimmten Sein 
und Leben des Kindes zu dem des Jünglings etc. In der ersten Ab- 
theilung ist das organische, naturnothwendige Werden des musika- 
lischen Gedankens, der Logik der Musik, vorzugsweise Gegenstand. 
Hier entwickelt sich der musikalische Gedanke oder die Musik als 
Sprache schlechthin. Von den Fesseln der starren Naturnothwen- 
digkeit mehr und mehr sich emaneipirend, erhebt sich endlich der 
Gedanke in diejenige Sphäre, die wir Poesie zu nennen pflegen. 

Das Grundwesen der Poesie und somit aller wahren Kunst ist 
bewnsste, freie Gestaltung, Individualisirung des Allgemeinen, Noth- 
wendigen Demnach ist die zweite höhere Stufe eines Künstlers be- 
dingt zunächst dadurch, dass ihm das Allgemeine als sein eigenes 
Wesen aufgeht — denn Freiheit beruht in dem Bewusstsein des Noth- 
wendigen, ist Ich, Subject gewordene Nothwendigkeit — dann dadurch, 
dass ihm das Nothwendige zugleich als Sein-Sollendcs d. i. als Idee 
erscheine und als solche ihn erfülle, erhebe und ansporne, sie in 
immer vollkommncrer , in einer ihrem Wesen mehr und mehr ent- 
sprechenden Weise zum Dasein zu bringen. Dass dies Letztere 
geschehe, dass er ein wirkliches Kunstwerk liefere, ein Werk, in 
dem die Idee eine solche Gestalt, einen solchen Ausdruck gewonnen, 
dass es dem herrschenden Geiste zur höhern Offenbarung seines ei- 
genen Wesens wird, darauf kann der Unterricht freilich nur indirect 
wirken , einmal durch Hinweisung, Richtung des Geranths des jungen 
Künstlers auf das Grosse, Schöne, in dem sich in der Natur, der 
Geschichte und den Geistesproducten der Menschen die Idee bereits 
ausgeprägt hat, dann aber vorzugsweise durch Hinweisung auf den 
Kampf, den es ihr,, zur Erscheinung zu kommen, gekostet hat, oder 
i$h möchte sagen: durch die Lebens- und Leidensgeschichte der Idee« 
Die Erfassung nnd, eigentümliche Reproduktion derselben im Gemüthe 
durch welche die Produktion eines Kunstwerks bedingt ist, hingt 



— 107 



vsn der dem Menschen von der Natur verliehenen Geistes- «nd Ge- 
müthsverfassung ab. In dem Grade, in welchem ein Mensch für das 
Wahre, Schöne empfänglich ist', und in welchem es gelingt, ihn für 
dasselbe erglühen zu machen , so wird er es darstellen. Wer ge- 
mein fühlt und denkt, wird auch gemein sich äussern, und umge- 
kehrt. Wie das Innere, so das Aeussere. 

Die Theorie hat Alles gethan , wenn sie das Princip , die Idee 
selbst und die Weise ihres Wirklichwerdens aufzeigt. 

Der Ueberzeugung, dass meine Theorie dies leistet, erbiete ich 
mich, Allen, die sich ein gründliches Wissen und Können in der 
Musik aneignen wollen, die sich zu Komponisten, Organisten, 
zu Lehrern der Komposition auszubilden gedenken, Un- 
terricht zu ertheilen. 

Zu weitern Mitteilungen und Erörterungen bin ich auf frankirtc 
Anfragen gern bereit, sollten diese allerdings kurzen und aphori- 
stischen Bemerkungen nicht genügend erscheinen. 

Eisenach, im Juni 1853. 



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CORRESPONDENZEN. 



AUS LONDON. 

(Monat Hai ) 

Die grossen Rennen haben begonnen. Der Wonnemonat hat uns 
alle möglichen Sorten von Wetter, Pferden, Werten, Musik, Musik- 
machern und so viele Gäste gebracht, dass den Einheimischen nach- 
gerade bange wird. Ausserdem sind Cremorne-Vauxhall- und Surrey- 
garden offen, und der göttliche Jullien, der Altvater der heutigen 
Musikmacherei , wird erwartet Die Derbytage, die Tage der Volk 
heit, der treueste Spiegel englischer Narrheit und des täglichen Le- 
bens, sind vorüber; aber die anderen Rennen dauern fort, die musika- 
lischen Rennen sind in vollem Gange. Das ist ein Jagen und Hetzen, 
wahrlich, ein Stein sollte sich erbarmen über das arme geplagte Wild. 
Die Renner schwitzen, als wären sie zu nichts Weiterem da, ohne 
dass sie, wie ihre vierfüssigen Kollegen, sagen können: „Wir ver- 
dienen unser täglich ßrod im Schweisse unseres Angesichtes!" Die 
Meisten haben kein Brod trotz allem Rennen, und die, die endlich 
beim Brode anlangen, finden sehr oft, dass sie keinen Appetit mehr 
haben. Aber die Ehre, oder wie man es nennt, das Kunstintercsse, 
das wird doch gewahet ! Ob alle die , die London heimsuchen, dies 
•der Kunst wegen thun, ist eine Frage, die Jeder sich selbst beant- 
worten oder dem alten Wagner zu entscheiden überlassen mag. 
Glücklich der, welcher in all' diesen Conzerten , mögen sie Sinfo- 
nieen, Oratorien oder Virluosenstücke bringen, die Kunst sieht! Ich 
kann nichts darin erblicken , als die musikalische Lebensäusserung 
einer coruinpirten Gesellschaft. Es ist eine Existenzfrage, und zwar 
in der materiellsten Bedeutung des Wortes, die hier gelöst werden 
soll, und wenn eine Kunst etwas damit zu thun hat, so ist es die, 
solche Mittel zu wählen, die dieser Gesellschaft gegenüber not- 
wendig sind, um sich eine zufriedenstellende Existenz zu gründen, 
es ist die Kunst, durch Musikmacherei den echt englischen Satz zu 
bewahrheiten : „Time is money". Freilich diese Kunst zu üben, setzt 
auch Geschicklichkeit voraus; es ist ein grossartiges Getriebe, das 
dabei in Thätigkeit kommt, ein complicirtes Werk, das auseinander- 
zulegen und zusammenzufügen vielleicht nur ein Balzac hätte zu 
Stande bringen können. Schade, dass die Schilderung dieser Seite 
der comädie humaine von ihm unberücksichtigt bleiben musste. 

Wie Alles in London in quantitativer Hinsicht grossartig ist, so 
sind es auch die Conzerte. Es wäre gewiss interessant, die Zahl 
derselben zu ermitteln, und mich wundert, dass in einem Lande, wo 
die Statistik eine so grosse Rolle spielt, dies noch nicht geschehen 
ist. Fünfzig Concerte in einer Woche dürften für London eher zu 
wenig als zu viel sein; dies macht für die Saison von fünf Monaten 
gerade 1000 Concerte. Tausend Concerte! Wenn es in materieller 
Hinsicht möglich wäre, sie alle zu hören, dürfte diese Kunstpflege 
ein eigenes Kapitel in den Criminalgesetzbüchern des neuen Staates 
abgeben. Auf diese 1000 Concerte kommen mindestens 10,000 Exe- 
cutanten , natürlich lauter „Artistes". . Was die Besoldung derselben 
anbetrifft, so geht es damit, wie überall. Die zehn bis zwanzig Chefs 
haben vollauf und der Rest ist froh, wenn er das Leben hat 



Von diesen 10,000 Exeoutanten dürfte die Hälfte deutschen, ein 
Drittel französischen und italienischen und das letzte Drittel engli- 
schen Ursprungs sein. Man sieht, die Deutschen, die bei den Eng- 
ländern und Franzosen auch eine Nation sind, wenn auch nur eine 
musikalische, haben auch hier das Uebergewicht, Freilich, die Mehr- 
zahl hat sich schon so aeclimatisirt, dass sie von der deutschen Nation 
nichts mehr wissen will. Dass diese Zahl trotz der wieder Mode 
werdenden Vaterlandsliebe von Jahr zu Jahr zunimmt, versteht sich 
von selbst. Auch in diesem Jahre ist es geschehen, und sogar stel- 
lenweise mit Erfolg. Da ist z. B. eine Sängerin herübergekommen, 
die eine recht liebe Erscheinung genannt werden inuss. Ich meine 
Frl. Agnes Bury, ein blondgelocktes Mädchen mit einer allerlieb- 
sten Taille, blass genug, um interessant zu sein, und in ihrem gan- 
zen Wesen so mädchenhaft deutsch, dass ihre Anwesenheit unter den 
englischen Concerlsängerinneu eine förmliche Erfrischung genannt 
werden muss. Sie hat bald hier bald dort gesungen, natürlich nichts 
weiter, als ihre deutschen Lieder, die aber, gegen englische Balladen 
und neuitalienische Cavatinen gehallen, wahre Goldkörner sind. Das 
Mädchen bat eine Soubrettenlournüre und -Stimme und dürfte anf 
dem Theater auch nur im leichten Fache am Platze sein. Schon 
jetzt gibt sie eine recht tüchtige Soubrette im modernen Sinne ab. 
Die recht angenehme Stimme ist guten Studien unterworfen worden, . 
der Vortrag hat Geschmack und vor allen Dingen eine gewisse Na- 
türlichkeit, eine Eigenschaft, die man oft bei noch jugendlichen Sän- 
gerinnen vergebens sucht. 

Dass die Herren Pischek, Staudigl, Hölzl, Reichard nebst diver- 
sen anderen gewesenen und noch werdenden Sängern wieder da sind, 
bedarf wohl keiner Erwähnung. Auch Frl. Zerr verschmäht es nicht, 
dann und wann engagirt zu werden, und Frl. Katharina Evers, einst 
eine gefeierte Provinzialsängerin Deutschlands, soll sich in dieser 
Beziehung ebenfalls nicht lange bitten lassen. Unter all' den Sängern 
und Sängerinnen, die in den Concerten mitwirken, ist eine wieder 
hier, die, so oft sie auch erscheint, immer eine Seltenheit bleibt. 
Das ist Mad. Viardot-Garcia. Die Stimme der Frau ist gewesen, ihr 
Genius geblieben : An musikalischem Wissen, an Erfahrungskraft, an 
Ausdrucksfähigkeit steht diese Frau so hoch, wie keine andere, und 
selbst jetzt würde sie die noch immer vacante Stelle der Prima-Donna 
in Covenlgarden am besten auszufüllen verstehen. Statt ihrer haben 
wir Mad. Grisi, die einst in zwei, drei Partieen gross war und trotz 
Allem noch immer gross sein soll ; oder Mad. Julienuc, eine franzö- 
sische Sängerin, französisch gebildet und in französischen Opern den 
gewöhnlichen Ansprächen genügend. — Da wir doch einmal bei Co- 
ventgarden sind, können wir auch der neuen Oper Verdi's gedenken, 
die im Monat Mai in diesem Theater geboren und begraben wurde. 
Als Victor Hugo seinen le Roi s'amuse schrieb, dachte er gewiss 
nicht daran, dass Einer noch romantischer als er sein und eine Oper 
daraus machen könnte. Aber diese Zeit, die in Betreff der Romantik 
Dinge hervorgerufen hat, die, verglichen mit den heutigen Resultaten 
positiver Wissenschaften, fast unmöglich erscheinen, durfte es sich 
nicht nehmen lassen, aus einem poetischen Unsinn einen noch gros- 
seren musikalischen Unsinn zu machen. Le Roi s'amuse kann den 
Literarhistoriker interessiren, Rigoletto von Verdi wird trotzdem, dass 
er die Lungen der Blechinstrumenten-Bläser im Orchester mehr schont, 
als die übrigen Opern desselben Verfassers, höchstens dem Theater- 
arzt eine angenehme Gabe sein. 

Zum Schlüsse des Monats kam noch Berlioz zum Vorschein, und 
wo? In der alten Philharmonie society. Dies ist das Neue dabei, 
die Erscheinung selbst wie die Musik gehören der Vergangenheit an, 
und insofern sind die Direktoren der Gesellschaft ihren Principien 
nicht untreu geworden. Le carneval romain so wie die Haroldsin- 
fonie sind nachgerade alt, und es dürfte Zeit sein, dass der Ver- 
fasser mit etwas Neuem käme, will er als ein Componist der Gegen- 
wart betrachtet werden. Man spricht davon, dass sein Bcnvemrte 
Cellini in Coventgarden zur Aufführung kommen soll. Auch der ist 
alt, aber vielleicht wird diese Aufführung in der gegenwärtigen £e4t 
bei der Besprechung neue Punkte darbieten. So viel steht fest, die 
Wirksamkeit Berlioz ist eine geschlossene Es ist merkwürdig, wie 
schnell sich die Kräfte der Neuromantiker consumiren 1 

FataL 



— 108 



1ACHRICHTEN. 



Frankfurt a. M. Frl. Johanna Wagner gastirt hier. Ihre 
ersten Rollen waren Fides im Propheten um! Fidelio. 

Wiesbaden. Am 2. Juli wird R. Wagners „Lohengrin" hier 
zum ersten Male zur Aufführung kommen. — Der Tenorist Wachtel 
von .Darms« a dt ist auf 3 Monate engagirt worden. 

Sittlichen. Spohrs „Faust", welcher seit Jahren nicht gegeben 
worden war, kam am 12. Juni in seiner neuen Gestalt (Recitative 
statt des Dialogs) zur Aufführung. 

CÖln« Der hiesige Männergesangverein ist von seiner Londoner 
Fahrt zurückgekehrt. In Gent, Brüssel und Antwerpen sowie hier 
war ihm ein glänzender Empfang bereitet worden. — Die Nachricht, 
Herr Riccius werde die Redaktion der „Rheinischen Musikzeitung" 
übernehmen, bestätigt sich nicht. 

Aachen» Am 2. Juni wurde die hiesige Oper mit Norma er- 
öffnet. Die Herren Peez, Pasque und Rotter von Darmstadt, Strubel 
(Bass) und Frl. Oswald (von Schwerin) sind für diese Saison en- 
gagirt. 

Wien, Therese Milanollo hat endlich ihre Rund-Reise durch 
die Vorstadttheater geschlossen und sich nach Pesth begeben , wo 
sie bereits im Nationaltheater spielt. 

Berlin* Seit dem 12. gibt die Königsberger Operngesellschaft 
Gastdarstellungen. Die erste war Zampa. Unterstützt wird die Ge- 
sellschaft durch den Tenoristen Ellinger von Wien, die hiesigen 
Sänger Bötticher und Döffke und Frau Marra-Vollmer. Die musi- 
kalische Oberleitung hat Kapellmeister Dorn. 

Am 26. Juni sang Roger, dessen Gastspiel in Breslau beendet 
ist, George Brown, reiste jedoch schon anderen Tages weiter. 

Das Projekt eines Gastspiels der ungarischen Oper in Pesth hat 
sich zerschlagen. 

Dresden« R. Wagner wird abermals steckbrieflich verfolgt, 
weil er „dem Vernehmen nach" beabsichtige, nach Deutschland zu 
kommen 1 

Weimar. Das Oratorium „Moses" von Marx wurde hier am 3. 
Juni unter Liszt's Leitung aufgeführt und rechtfertigte durch den 
schönsten Erfolg die unablässigen Bestrebungen Liszt's auf gerechte 
Würdigung der Componislen der Gegenwart. 

Eutin. Dem Comiie des zur Feier von M. v. Weber' s Ge- 
burtstag veranstalteten Musikfesies ist die Benutzung der grossh. 
Reitbahn zum Festsaal abgeschlagen worden. Da keine andere ge- 
eignete Räumlichkeit vorhanden ist und die Kosten zur Erbauung 
einer Festhalle die Kräfte der Veranstalter übersteigen würden, so 
wird die Feier bedeut<nd beseht änkt weiden müssen. 

Breslau« Roger trat am 6. Juni zum erstenmale in der weissen 
Frau auf und erntete stürmischen Beifall. Frl. Geisthardt ist hier 
engagirt worden. 

Hannover. Die Nürnberger Puppe, die treffliche einaktige ko- 
mische Oper von Adam, wurde hier im Mai gegeben und machte sehr 
viel Glück. — Der neu engagirte Kapellmeister Fischer erfreut sich 
der allseitigsten Anerkennung. 

London. Die Harp-Union hat in letzterer Zeit mehrere Con- 
certe gegeben, welche von den Freunden dieses Instrumentes zahl- 
reich besucht waren. Der ausgezeichnete deutsche Harfenist Oberthür, 
Mitglied derselben, dessen Schule von allen Seilen anerkannt wird, 
war der Bedeutendste der Executanten und sowohl sein Spiel, wie 
«eine Compositioncn für Harfesolo oder 2, 8 Harfen hatten sich stets 
des lebhaftesten Beifalls zu erfreuen. 

Der Tenorist Formes, Bruder des berühmten Bassisten, ist hier 
angekommen und wird in mehreren Concerten singen. 

Carl Formes hat schon wieder eine bedeutende körperliche Ver- 
letzung erlitten. Er wollte aus seinem Fenster (Parterre) in den Hof 
springen um ankommende Gäste zu begrüssen, stiess aber dabei so 
heftig mit dem Kopfe an, dass er blutend und bewusst.os nieder- 
stürzte. 

Lille. (22. Juni.) Das Musik-Corps der hiesigen Pompiers 
unter der Leitung 'des Herrn Kapellmeisters Benard , hat bei dem 
am vorigen Sonntag in Fontainebleau bei Paris stattgehabten Con- 
cours de musique d'harinonie den ersten Preis davon getragen , ob- 
gleich die Soeiele d'harmonie aus Paris unter der Direction des Herrn 
Kapellmeisters Mohr (Chef des guides imperiales) mitconeurrirte. 



An demselben Tage und zu. derselben Zeit fanden in Fontaine- 
bleau noch zwei andere Concours, für Männergesang und Blechmusik 
(musique de fanfares) statt. 

Die Orpheonisten aus Arras haben im Gesangwettstreite den er- 
sten Preis gegen mehrere Pariser und andere Gesellschaften errungen. 
Es betheiligten sich an diesem dreifachen Concours nicht weniger 
als 60 verschiedene Gesellschaften, mit nahe an 3000 Mitgliedern. 

V Der Instrumentenbauer Sax senior in Brüssel hat kürzlich 
ein Piano mit neuer Mechanik nach Paris gebracht und die Pariser 
Blätter sprechen sich äusserst günstig darüber aus. Die Saiten laufen 
in demselben nicht waagrecht über den Resonanzboden, sondern sind 
über einen erhöhten -Steg gespannt, so dass sie einen Winkel von 
beinahe 30 Grad bilden. 

V Oeffentliche BlStter bringen ein Privat - Preisausschreiben 
auf den besten Operntext , welcher bis zu einer bestimmten Zeit in 
eine Buchhandlung in Gera eingesandt werden muss. Als Preisrichter 
sind von dem unbekannten Musikfreunde gewählt Gutzkow, Liszt und 
Genast in Weimar. Derselbe darf keinen Dialog enthalten und muss 
den Anforderungen an ein gutes Textbuch im Sinne der Gegenwart 
entsprechen. Der ausgesetzte Preis beträgt 200 Bthlr. und wird dem 
Dichter ausserdem ein Antheil von dem Ertrage bei späteren Auf- 
führungen zugesichert. 

Die Wahl des Componisten behält sich der Aussteller vor. Wir 
begrüssen das Ausschreiben als ein erfreuliches Zeichen der steigen- 
den Theilnahme an der deutschen Oper. 

V Wir machen im voraus auf eine sehr bedeutende Erscheinung 
im Gebiete der Musik-Literatur aufmerksam, welche sicher die all- 
gemeinste Theilnahme finden wird, nämlich eine grosse Clavier- 
schule von S. Thalberg, dem trefflichen Pianisten, welche im Ver- 
lage von B. Schott's Söhnen erscheinen wird. 

V Der Verein der deutschen Musikalienhändler gegen Nachdruck 
hat folgende Bekanntmachung erlassen : „A n dieDirectionen der 
deutschen Gesangvereine, Liedertafeln und Musik- 
feste, zur Verständigung und Warnung. Schon öfters 
haben Gesangvereine, Liedertafeln und Unternehmer von Musikfesten 
die Stimmen solcher Gesänge, welche sich für ihre Zwecke eigneten, 
statt dieselben von den Verlegern in der erforderlichen Anzahl zu 
entnehmen , durch Ueberdruck (Umdruck) selbst herstellen lassen; 
und dadurch die rechtmässigen Verlagseigenthümer der betreffenden 
Werke beeinträchtigt. Die Vervielfältigung durch Ueberdruck, gleich- 
viel zu welchem Zwecke, gehört, wenn sie von Nichtberechtigten ge- 
schieht , zu dem gesetzlich verbotenen und strafbaren Nachdruck. 
Sonderbarer Weise scheint aber hierüber Unklarheit zu herrschen, 
und nur dieser wird es in den meisten Fällen zuzuschreiben sein, 
dass jene Rechtsverletzungen ziemlich häufig vorgekommen sind. 

Der unterzeichnete Verein, dessen Zweck der Schutz gegen un- 
rechtmässigen Musikalien- Nachdruck und zugleich die Unterstützung 
der Verfolgung desselben ist, hält es für angemessen, auf die Unrecht- 
mässigkeit des obigen Verfahrens aufmerksam zu machen , und 
spricht dabei die Hoffnung aus, dass es nur dieser Verständigung 
bedürfen werde , um von der Wiederholung desselben abzuhalten. 
Leipzig, am 10. Juni 1853. Der Verein der deutschen Musikalien- 
händler gegen Nachdruck. In dessen Auftrag D. Härtel, d. Z. Secretär." 

Wir wissen ein besseres Mittel, dem Ueberdruck der Stimmen 
einzelner Gesänge vorzubeugen, ohne mit einer Klage auf Nachdruck 
zu drohen. Die Herren Verleger mögen den viel zu splendiden 
Druck der Stimmen einfacher einrichten und die zu hohen Preise so 
ermässigen, auch Parthiepreise gestatten, wie dieses beim Buchhandel 
geschieht, damit die Anschaffung einzelner Gesangsheftc in 30, 40, 
50 und mehrfacher Anzahl den meistens unbemittelten Gesangver- 
einen im Volke möglich wird. Dann, aber auch nur dann werden die 
Herren Verleger ihre Absicht erreichen ! Andern Falles bleibt den 
Vereinen nichts »übrig, als zu dem früher eingeführten Abschreiben 
zurückzukehren. Dies wird hoffentlich kein Nachdruck sein! 



Wir bitten nachträglich , folgende Druckfehler zu berichtigen : 
In Nr. 18 (ausCarlsrnhe) muss es heissen S. 71 Sp. 2 Z.22 „Eduard 
Devrient", statt: „Edm". S. 72 Sp. 1 Z. 1 „eine Arie aus Titus", 
statt: „die Arie". Z. 7 „Frl. Drück", statt: „Frl. Druck". 2. li 
„Septett", statt: „Sextett". In Nr, 19 (aus Carlsruhe) S. 74 Sp. 1 
TL 5 „Joseph Wolfram", statt: „Johann". 



«Mt> 



Verantwortlicher lt«lakuiir: J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER & WALUU in M^ln*. 



2. Jahrgang. 



Wir. 98. 



11. Juli 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK 




Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



RIDACT10S UND VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



PREIS: 

11. 2., 42 «4er Thlr. 1. 18 Sgr. 

für den Jahrgang. 

Durch die Post bezogen : 

SO kr. »der IS Sgr. per Quartal. 



Inhaltt C. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Literarisches. — Corr. (Dresden). — Nachrichten. 



C IH. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

über 

die Composition des Freischütz and über 
Operncompoaitioii überhaupt. 

(Fortsetzung.) 

IV. 

„Wob. Ib. Ein Werk, wie Ihr Freischütz z. B., überwindet die 
Blasirtheit und erregt das ganze Publikum mächtig. Ist das bloss die 
unbewusste That des Genies oder kommen ihm bewusste Bestre- 
bungen dabei zu Hülfe ? Wer könnte das sicherer entscheiden als Sie t 

Weber. Entscheiden wäre wohl zu viel verlangt. Was ich 
-aber darüber denke, und wie ich bei meiner Opernkomposition in 
dieser Beziehung verfahren, will ich ihnen gern sagen. — Für die 
«Aufgabe, das in mir durch den Dichter hervorgerufene Gefühl so 
zu schildern, und in eine solche musikalische Form zu fassen, dass 
es möglichst auf alle Zuhörer die gleiche und bestimmte Wirkung 
hervorbringe, habe ich zunächst drei Maximen; sie heissen: Mitten 
in die Sache hinein, Festklammern und Konzentration. 
Ich glaube nämlich, dass viele» namentlich junge Talente, von ihrem 
ungeduldigen Kompositionstriebe hingerissen, zu bald anfangen 
zu schreiben, wenn sie kaum den Blick auf das Gedicht ge- 
worfen, und das verlangte Gefühl erst in ihnen im Heraufdämmern 
begriffen ist. Wie kann man aber für Andere deutlich malen , was 
man selbst noch undeutlich sieht, und wie soll eine Schilderung 
kraftvoll und lebendig werden , deren Empfindung noch matt in uns 
selbst ist? Mein Grundsatz war und ist daher, erst dann zu schreiben, 
wenn der Gegenstand in voller Klarheit und Lebendigkeit vor meiner 
Einbildungskraft steht und das Gefühl in voller Stärke in meinem 
Gemüthe lebt. Alsdann suche ich Letzteres mit den ersten Noten 
gleich in seinem vollen Leben und so bestimmt wie möglich zu er- 
fassen und zu schildern. 

Unter Festklammern verstehe ich , dass man sich bemühe, 
jeden Takt eben so bestimmt zu halten, und keinem einzigen 
matten, unbestimmten, Einlass in das Bild gestatte. Auch in dieser 
Beziehung gehen viele Komponisten nicht sorgfältig genug zu Werke, 
sie beachten das Einzelne zu wenig — was ist ein Takt für sich 
betrachtet in ihren Augen ! Aber er ist sehr viel ! er kann durch un- 
geeignetes Betragen die Harmonie einer ganzen Melodie stören. Mich 
lahmt dieses Festklammern an den Gegenstand, oder wenn Ihnen das 
vielleicht deutlicher klingt, dieses deklamatorische Anschmie- 
gen der rhythmischen und tonischen Accente und Biegungen an das 
zu schildernde Gefühl keineswegs, es steigert vielmehr meine innere 
Wärme. Es mag Ueberwindung und längere Gewohnheit verlangen, 
an dieser Maxime festzuhalten. Ich aber muss Gott danken« dass er 
mich darauf geführt hat , denn ohne sie hätte ich überhaupt wenig 
und schwerlich etwas Gescheidtes hervorgebracht. Diese Maxime 
setzt mich nämlich in Stand, ziemlich so jeder Stunde meine Begei- 
sterung herbeibeschwören zu können und wieder da anzuknüpfen, 
uro ich abbrechen antaste. Denn bei meinen vielen Geschäften ex 
officio, und den vielfachen Anforderungen an mich von Aussen her, 



kann ich meine grösseren Arbeiten nie in einem Zuge fortführen, 
kann auch nicht , wie Göthe will, auf die günstige Stunde und Stim- 
mung warten, sondern muss arbeiten, wenn ich Zeit habe, und dann 
mir die Stimmung machen. Das gelingt mir meist durch jenes Fest- 
klammern oder Fixiren auf das Kleinste, natürlich, wenn das Object 
durch die frühere Prozedur schon deutlich in mir vorhanden ist. 
Welche Menge der heterogensten Beschäftigungen und nichts weniger 
» als künstlerischen Stimmungen haben sich in breiten Tages- ja Wo; 
chenströmen zwischen den kurzen Momenten durchgedrängt, in denen 
ich an dem Freischütz arbeiten konntet Ist er . eine Kunstströmung 
für sich geworden, so habe ich es jener Gewohnheit mit zu danken. 
Und am Ende liegt eine Hauptursache, warum wir so selten durch- 
greifende Wirkungen erfahren, doch mit in dem Leichtsinne der 
Künstler oder in ihrem falschen Glauben , dass es in dem Kunstwerk 
Kleinigkeiten gäbe, die einer sorgsamen Behandlung nicht bedürften. 

Wohl b. Das habe ich in der That auch geglaubt, wie man ja 
auch oft hört und liest, dass der Künstler gewisse Momente mit Ab- 
sicht weniger ausführe, um andere, auf denen die Haupt Wirkung be- 
ruhe, desto mehr hervorzuheben. 

Weber. Das Letztere ist richtig, aber es passt nicht auf mei- 
nen Satz und schlägt ihn nicht. Weniger ausgeführte Stellen in 
guten Kunstwerken sind nicht leichtsinnig und schlecht ausgeführte 
Stellen. Der Künstler bildet sie mit Absicht so, und um diese Ab- 
sicht zu erreichen , muss er dieselbe Sorgsamkeit darauf verwenden. 
Thun und Unterlassen, wenn es sich um das Hervorbringen einer 
bestimmten Wirkung handelt, müssen mit gleicher Ueberlegung be- 
rechnet und mit gleicher Abwägung der Mittel ausgeführt werden. In 
diesem Sinne statuire ich keine Kleinigkeiten in dem Kunstwerke, 
solche Stellen oder Züge nämlich, hei denen es einerlei wäre, ob 
ich sie so oder anders bilde. Glauben §ie mir, ob, ich in einer Me- 
lodie eine Quarte anstatt einer Terz , oder umgekehrt, steige oder 
falle, ist für den richtigen Ausdruck oft von grosser Bedeutung. — 
Unter Konzentration verstehe ich Kürze, Gedrängtheit der ganzen 
Form sowohl als aller einzelnen Theile darin. Und dies kann eben 
nur wieder durch Anwendung jener Festklammerungsmaxime , wie 
aufs kleinste, so auch auf grössere Theile erreicht werden. Wie 
nämlich in kein Motiv ein einziger schwacher Takt sich eindrängen 
darf, so darf natürlich noch weniger in einer Form ein müssiges 
oder mattes ganzes Motiv erscheinen, weil dadurch sogleich die Präg- 
nanz verloren geht, das Gefühl gestört und der Eindruck geschwächt 
Wird/' 

Die hier zusammengedrängten Gedanken sind nach meiner Aus- 
sicht die richtigsten von allen, welche Weber im Verlaufe dieser Ge- 
spräche verbringt. Mit einer bewundernswerthen geistigen Klarheit 
; und in einem eben durch seine Einfachheit und Ueberzeugungs- 
| Innigkeit klassischen Ausdruck erklärt der grosse Meister hier Kunst- 
1 gesetze, die bis dahin noch nicht in solcher Bestimmtheit ausge- 
' sprochen waren, die später bis in unsere Tage hinein vielfach wieder 
vernachlässigt wurden, und deren Wahrheit unser Weber nach sei- 
ner Stellung im der Kunstgeschichte von Allen am tiefsten empfunden 
hat. Weder Gluck, noch llozart noch Beethoven konnten so sprechen, 
obwohl sich Zahlreiches bei allen JDreUn und vielen Andern findet 



— u» — 



was die Vernünftigkeit dieser Grundsätze bestätigt. Ihnen Allen fehlte 
mehr oder minder die dramatische Anregung zn ihrer musikalischen 
Gestaltung, sie bedurften in ihrer sperifisch-iansikalischen Reichhal- 
tigkeit dieser Stütze nicht, oder wenn besonders Gluck auch in einem 
ähnlichen Verhältnisse au seinem Objeete stand, so gab er sich sei- 
nem Stoffe doch nicht mit solcher Weichheit and Andacht hin, an! 
legte auch auf die rein musikalische Form dem dramatischen 
Ausdruck gegenüber ein zu geringes Gdwicht. Weber aber sagt ganz 
einfach: „Ohne dieses Anschmiegen an den Stoff hätte ich überhaupt 
wenig und schwerlich etwas Geschcidtes gemacht." Reine Versi- 
cherung kann ernster gemeint sein, als diese; und keiner dürfen 
wir mehr Glauben schenken. Ihm floss der Quell schönster Musik 
reichlich, sobald ihn ein dichterisches Wort, eine poetische Gestalt, 
eine dramatische Scene gepackt hatte, — sonst war er leer, ruhig, 
unmusikalisch und bei Bitten schöner Mädchen, er möge Etwas auf 
dem Piano spielen, war seine stete Entschuldignng, er wisse nichts 
(ich berichte hier nach der mündlichen Mittheilung einer Holsteinerin 
an mich, in deren Kreise Weber sehr vertraut war). — 

Diesen Grundsätzen wird Niemand ungestraft untreu werden 
dürfen, das ist schon hinreichend klar geworden. Aber das heutige 
Geschlecht scheint wie über Nacht weise geworden, und da man nur 
sich bemüht eine geschichtslose , parteisüchtige Ansicht der Ge- 
schichte der Kunst zur Geltung zu bringen, so ist vor der Hand 
wenig Aussicht, man werde auf Weber ein bedeutendes Gewicht legen. 
Es geht vielmehr nach der Melodie : .,Was ist ihm Hekuba!" Daher 
feann nicht zu sehr auf diese Grundsätze hingewiesen und überhaupt 
daran erinnert werden , dass Weber der bedeutendste von denjenigen 
Komponisten ist, die vollauf und fast ausschliesslich in dichterischen 
oder dramatischen Gedanken lebten und aus diesen ihre Nahrung* 
sogen, einer der herrlichsten Schöpfer der sogenannten dramatischen 
und im Gebiete des Dramatischen, das Gcmüth in seiner ganzen Fülle 
und Tiefe in sich schliessenden Musik, dass er einer der Ausgangs- 
und Höhenpunkte der Richtung ist, welche die Musik im Grossen 
bis heute fast ausschliesslich eingeschlagen, der dichterischen 
Musik, und dass sich Muster dieser Kunstrichtung bei ihm in para- 
diesischer Reinheit finden. In seinem Verhältniss zu dem Gegen- 
stande und in der musikalischen Formung desselben ist Weber noch 
für lange Zeiten ein Ideal ; seine tiefe wahre Kunst ist bei weitem 
noch nicht erschöpft , sie ist kaum gewürdigt und ihr unsterblicher 
Gehalt wird erst der Folgezeit recht nützlich werden. — Man miiss 
darauf verzichten , dass die Mehrzahl augenblicklich dieser Ansicht 
von Herzen zustimme. Doch zu manchen altern Künstlern wird sich 
mit der Zeit hie und da ein jüngerer gesellen , dessen Empfindung 
lauter und dessen Kopf nicht verschroben ist, und „ich bin hier ge- 
zwungen, wiewohl es anmassend scheinen kann, mit dieser Meinung 
(von der Bedeutung Webers und seiner einstigen segensvotlcn Ein- 
wirkung auf die Tonkunst) mich nur an Kenner*) zu wenden** sage 
ich mit Lachmann. (Fortsetzung folgt) 

LITERARISCHES. 



Unter dem Titel: „Die Melodie der Sprache in ihrer 
Anwendung besonders auf das Lied und die Oper mit Berührung 
verwandter Kunstf ragen" (Leipzig, J. J. Weber) hat ein Herr L. K ö h I er 
ein Büchelchen herausgegeben, welches recht deutlich zeigt, was 
aus den von R. Wagner in seinen Schriften aufgestellten, von ihm 
allerdings geistvoll behandelten Sätzen in den Händen geistloser 
Nachbeter wird. Bekanntlich fordert R. Wagner ein enges Anschliessen 
der dramatischen Musik an das Drama oder vielmehr lässt sie in 
demselben aufgehen, folgerecht eifert er nicht nur gegen die gesammte 
Opernmusik der Gegenwart und Vergangenheit, sondern verwirft auch 
jede Gesang-Melodie, die nicht aus dem Gesangtexte selbst entsprungen 
und mit seinem Inhalt in der innigsten Verbindung steht. Er nennt 
dies die „absolute Melodie." Die Einseitigkeiten der Weguer'schen 
Kritik wie die Punkte worin ihm Jeder beipflichten muss, sind in 
diesen Blättern schon so oft hervorgehoben worden, dass wir sie 
Wer nicht aufs Neue zu berühren brauchen. 

Herr Köhler aber geht weiter. Ihm genügt der innige Anschluss 
der Musik an den Text, das Aufgehen der Melodie in ihm, oder 
besser, das Erschaffen derselben aas dem Sinne, dem Inhalt des 

*) Die Gedichte Walther*s von der Vogelweide von Karl Lachmann 
Ute Ausgabe, besorgt von M. Haupt. S. 0W. 



Gedichts heraus, nicht mehr, ihm ist Wort und Ton, Rede und Gosang 
im Grunde ganz dasselbe, nach ihm empfängt der Gesangton nicht 
nur seine „Gesetze" vom Worte, sondern der Gesang fusst in der 
Rede und „der Urquell , das Grund-Princip Allen Gesanges" ist — 
die Deklamation! (S. 77) 

Es ist dies nicht etwa nur so zu verstehen, als ob die sprachlichen 
Gesetze auch für den Gesang in so weit maassgebend wären, dass 
sie nicht der Melodie zu Gefallen verletzt werden dürften — diese 
Wahrheit, die schon Göthe ausgesprochen -hat und die nach ihm so oft 
wiederholt worden ist, dass sie nachgrade als feststehend und allge- 
mein anerkannt betrachtet werden darf, ist für die Herren der Zukunft 
zu alt, — o nein, Herr Köhler behauptet, dass schon in der Sprache selbst, 
in der sinngemässen Deklamation die einzig wahre und zugleich die 
schönste Melodie liege und dass Jeder der „richtig deklamirt, den 
Ton herauszulauschen weiss, die Töne in Noten zu setzen und das 
Ganze abzurunden versteht" j edenfalls — guten, gefühlvollen 
und also auch wirksamen Gesang geben könne! Zum Beweis, 
dass sein Princip „stichhaltig" sei, entwirft er nach dem dekla- 
matorischen Accente mehrerer Verse wirkliche „Sprachmelodien" 
(so zu Mignons Lied, zu „Herz mein Herz warum so traurig" Liebes- 
feier von Lenau und Andere.) 

Es ist wohl schon im Scherz versucht worden, die Sprachlaute 
nach ihren verschiedenen Accenten, ihrem Heben und Sinken ver- 
mittelst der musikalischen Zeichen annährend zu fixiren, ohne daraus, 
dass dies möglich ist, den naiven Scbluss zu ziehen, die so versinnlichten 
Lautnüancirungcn der Bettelleute , Ausrufer, Marktweiber und dergl. 
seien nun wirklich auch „Melodie und Satz" wie H. Köhler allen 
Ernstes behauptet (z. B. vom Ruf der Kalmusjungen :) 

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rr-r^r 



Drei Bunden Pfen - nig. 

Das ist noch etwas ärger als wenn man die metrischen Exercitien 
der Schulbuben für Poesie ausgeben wollte, weil ein Versmaass 
darin zu finden ist. Auf ein solches Experiment aber (das H. Köhler 
selbst ein andermal „einen interessanten Spass" nennt) vollends die 
Sprachmelodie und auf diese die Gesangmelodie „der Zukunft" zu 
gründen, ist ein so kühnes Unternehmen, dass Jedem dabei schwindelig 
werden müsste — wenn ihn nicht die von H. Köhler zur Begründung 
seines „Systems" beigegebenen „Sprachmelodien'' zu rechter Zeit 
wieder zur Besinnung brächten. 

Nehmen wir die erste von H. Köhler aus „Mignons Lied" von 
Göthe gezogene „Melodie." 



Sehr langsam. 



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Kennst du das Land, wo die Ci - lronenblühn,imdunkelnLaubdte 



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Gold-O-ran-gen glühn, ein sauf i er Wind vom blauen Him-melwcht, 

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die Myr-te still und hoch der Lorbeersleht,kcnnstdu es 
Lebhaft. >. n*#.— — »- Langsam^ ^z 



wohl? 



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S 



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dahin, da -hin, möchtichmitDir o meinGeliebtcr ziehen. 

Von den dreierlei Taktarten , dem Harmonieschlussc in F 
wollen wir gar nicht reden , das sind Einwürfe , die von dem 
über jede Form erhabenen Sprachmelodisten der Zukunft als Zopf 
des 19. Jahrhunderts mit verächtlichem Gelächter beseitigt wer- 
den. Aber ist hierin von dem guten, gefühlvollen und 
wirksamen Gesänge, den doch J^der, der richtig deklamirt und 
die nöthigen musikalischen Vorkenntnisse besitzt, geben können soll, 
auch nur eine Spur verbanden? Ist das viermalige Hinaufziehen 
des Tons in Triolen im «. 5. 7. 9. Takte nicht höchst eintönig ja 
kasslich? Weht in dieser Melodie auch nur der leiseste Hauch von 
der unaussprechlichen Sehnsucht, dem romantischen Zauber, der das 
herrliche Göthe'scke Gedicht characierisirt , streift der musikalische 
Aasdruck auch nur entfernt an das glühende Colont der Poesie ? ja 
ist der musikalische Aasdruck des sehnsüchtigen und zugleich lei- 



— lti - 



denschaftlicben Ausrufs : .„Dahin , dabin «. s. w., a wenn man «bell 
sat^ bloss den Spractocceot übersetzen, sondern die in dein Gedichte 
-vorherrschende GefüMsströmung wiedergeben will, nicht geradezu 
falsch? Mussta nicht ein Blick an/ die Liszt'sche Behandlung dieser 
Stelle , .die Herr Köhler bei einer andern Gelegenheit anfahrt , ihn 
selbst davon überzeugen? 
Ö .. Animate 



|§ äfegS^rT? jl\ r;j^^ i 



Da- Hin, da -hin, da - hin, «noch t Ich mit dir, e mein Ce - llebter den« ! 

Wiehilft sich hier Hr. Köhler? „Dies „Dahin" ist in zweierlei Be- 
deutung aufzufassen: dahin und dahin. Im ersten Falle liegt da- 
runter der Sinn „nirgends sonst wohin in der "Welt** im zweiten : 
„fort fort von hier." Beides ist richtig; wie Liszt das zweite gab, 
fühlte i c h beim Lesen stets im Sinn das d ahin : In diesen wenigen Tönen 
zu dem Worte „dahin" spiegelt sich der Genius F. Liszt's... Liszt 
ist Mann der That, er muss handeln, „vorwärts," u. s. w." 

Nein, Herr Köhler, das sind Ausflüchte. Liszt ist ein Mann von 
Geist, dcsshalb hat er die Göthe'sche Dichtung verslanden, und 
eine echte Künstlernatur, desshalb hat er den richtigen musika- 
lischen Ausdruck dafür getroffen. Das ist der ganze Unterschied, 
der zwischen Ihnen besteht' 

Hieran reiht sich aber eine zweite Frage. Ist das Köhler'sche Princip 
wirklich stichhaltig, wie ist es dann möglich, dass ein und dasselbe 
Gedicht zwei-und mehreremale componirt werden und doch jede ein- 
zelne Komposition mit musikalischem Werthe sinngemässe Deklama- 
tion verbinden kann ? Nach Herrn Köhlers System kann nur eine 
Deklamation die richtige sein , wie es auch nur eine Wahrheit 
gibt, folglich kann auch nur eine Melodie als die einzige wahre 
-und schöne daraus gezogen werden und die Andern sind blosse „Li- 
rumlarutn-Melodien", nach Hrn. Köhlers Ausdruck. Welche «on beiden 
vorliegenden Ucbertragungen des Göthe'schen Liedes ist nun „Lirum, 
larum," die Liszt'sche oder die Köhler'sche ? Aber die erste erkennt Herr 
Köhler selbst an, und die sciuige ? Nun, die soll ja eben ein Beweis 
für die Richtigkeit seines Systems sein! Meint aber Herr Köhler, 
man dürfe sein Princip nicht so streng nehmen, ein Gedicht könne 
auf verschiedene Weise aufgefasst und deklamirt werden und den- 
noch jede Auffassung berechtigt sein, es hinge dann von dem höheren 
oder niedern „Schwünge des Gefühls," von dem gröberen oder feineren 
„Geiste" der Deklamatoren ab , welches die beste sei , dann stehen 
wir auf dem allen Flecke und das „klein wenig Kunst, etwas Frei- 
heit der Fantasie und des Geschmacks" welches seinen Melodien „das 
Wenige leicht genommen hätte, was ihnen Ungelenkes etwa eigen ist", 
(warum hat Herr Köhler diese ihm doch gewiss zu Gebote stehenden 
unbedeutenden Erfordernisse nicht wenigstens bei einer angewandt ?) wird 
auch künftig die Hauptsache bleiben , wie bisher, und Herr Köhler, 
der diese wahrhaft freie, künstlerische Thätigkeit „ dcklamiren " zu 
nennen beliebt, ficht mit Windmühlen. Wen hält Herr Köhler hier 
zum Besten, sich selber oder seine Leser? 

Ucberdiess ist das Zugeständniss, dass seinen Sprachmelodien 
vielleicht etwas „Ungelenkes" eigen sein könne, eine blosse cap- 
tatio benevolentiae, denn er behauptet vorher von seinem Mignonlicd 
geradezu : „Wer es angemessen vortragen höre, könne unmöglich den 
Stein darauf werfen;" freilich ist die Begründung dieses „unmöglich" 
sehr schwach: „denn es muss ja etwas Leidliches an Gesang 
aus gebildeter, sinngemässer Deklamation zu ziehen sein, man muss 
nur zu lauschen verstehen nnd das Herausgefundene vernünftig dar- 
stellen können!" Welche Argumentation! Erst muss das Beispiel 
das Princip „stichhaltig" machen und nachher wird das Princip vor- 
geschoben , um zu beweisen , dass das Beispiel etwas tauge ! Nein 
Herr Köhler, solcher Kunstgriffe bedient sich kein Künstler und kein 
Autor, der seiner Sache gewiss ist ! 

Weiter 1 Herr Köhler entwirft auch eine „Sprachmelodie" zu 
den bekannten Lied: „Herz mein Herz warum so traurig." ia 
vollkommener Uebereinstinunung mit seinem Princip , behauptet er 
von derselben , kein anderer Text, wenn er auch gleichen Bhytmu» 
habe, lasse sich dazu singen, während dies bei blossen „Lirumlarum- 
Melodien," wie z. B. bei der bekannten Orgelmelodie dieses Liedes 
ohne Schwierigkeit geschehen könne, sobald man nur eine sentimen 
taie Dichtung von gleichem Rhytmos wähle. Das Letztere ist richtig. 
Der von ihm untergelegte Vers ans „Guter Mond" etc. peest, die 
anderen ebenfalls, aber wen He» Köhler meint, dass dies« Texte 



nicht «aueh ebenso gut au seinen Melodien passten, seist er in 
gewaltigen Irrthum begriffen, in den freilich ein so bescheidener Auler 
leicht fallen konnte. Es gehört dazu kein besserer Appetit — um in seiner 
Weise zu sprechen — - als seine Melodie überhaupt au verdanen. Ja, 
der Vers aus dem Portugiesischen, den er anführt,*) passt sogar mel 
besser auf seine Melodie als auf die andere, da in jenem das zwei- 
malige Dich dem Sinn entsprechender zur Geltung gelangt. Es ist 
dies auch gar nicht wunderbar. Sobald es dem Componisten nicht 
gelungen ist, irgend einen charakteristischen Zug, der, wenn nach 
«och so unscheinbar das Gedicht dominirt, zu erfassen , und durch 
seine Ausprägung dem Liede eine bestimmte Färbung zu verleihen, 
wird jeder Text von ähnlichem Ausdruck und gleichem Rhytmas 
auf seine Melodie passen und bei der Sprachmelodie , die im We- 
sentlichen auf dem Sprachaccent und dem Rhylmus beruht, am ersten. 

Herr Köhler theilt (S. 43 — 48) mehrere Lieder von Beethoven» 
F. Schubert, Mendelssohn, B, Schumann, Franz, Marschner, Liszt etc* 
mit, um an ihnen zu zeigen, wie sich schöne Melodie mit sinnge- 
mässer Deklamation vereinigen lasse. Es könnte unbegreiflich 
scheinen, wie Jemand diese herrlichen Lieder nur ansehen kann ohne 
den ungeheuren Unterschied zwischen dem begeisterten Schaffell 
des Künstlers , der aus der Tiefe 'seiner Seele schöpft und dem die 
Gesetze der Sprache wie die Formen der Musik längst zur andern 
Natur geworden sind , und der platten Musikmacherei nach dem 
Princip der „Sprachmelodie" sofort zu erfassen, aber bei Herrn 
Köhler, der keinen Widerspruch scheut, überrascht es nicht. Derselbe 
bricht denn auch Angesichts dieser Lieder und Angesichts seiner 
Melodieen in folgende Phrase aus : „Weil es nun eine ausge- 
machte Wahrheit ist, dass im günstigsten Falle in unserer Zeit Vera 
und Melodie wie zwei syinpathisirende Liebende wohl neben einander 
gehen, nicht aber c i n Leib und eine Seele sind , so mag es wohl 
sein, dass eine spätere Zeit, durch R. Wagners Schriften und Kunst- 
werke vorbereitet, wieder ein Urverbälmiss Beider gestaltet; Ver- 
stand und Gefühl halten dann ein schönes Gleichgewicht, Vers «nd 
Melodie (als Repräsentanten Beider) sind Eines und — die Zukunft 
ist eine Gegenwart geworden, in der man keinen anderen Gesang 
kennt, wie den der vom Dichter vorbereiteten Versmelodie; wo dieser 
Gesang für die allerschönste Sprache gilt, und zufolge dieser, auf 
höheren Gefühlswellen getragenen Sprache so schöne Melodien 
schaffen machl, dass die Melodielinge des neunzehnten Jahrhunderts 
— jener nebelhaften Vorzeit — dagegen sind , was Zuckerpuppen 
gegen Canovas und Thorwaldsens Marmorgest alten, was Wachsfigaren 
gegen lebensvolle Mcnschenwcscn.'" 

Was soll man zu so „blühendem Unsinne" um mit Herrn Köhler 
zu sprechen, sagen? Gott bewahre uus vor dieser „Zukunft," 4m 
glücklicherweise nur in nebelhafter Ferne droht und schenke Herrn 
Köhler, ihrem derzeitigen Sprachmelodisten, ein langes Leben, damit 
er dermaleinst in einem ganzen Meere von Sprachmelodienwonne 
schwelgen möge. Wir danken dafür! 

Einstweilen aber frage« wir Herrn Köhler, der am Schlüsse seines 
Buches N. Lcnau, den Dichter der von ihm a la Migiionslicd behan- 
delten „Liebesfeier'' den „melodiereichstcn Liederdichter" 
nennt: sind Lcnau und Göthe Dichter, sind ihre Verse „melodisch" und 
„musikalisch'' in seinem und seiner Sprachmelodien-Zukunft Sinne (und 
wenn seine Worte nicht das Gegentheil von dem bedeuten, was an- 
dere Menschen darunter verstehen, so scheint es so) wozu dann erst 
die Vertröstung auf eine ferne Zukunft um die verheissenen Wunder 
zu schauen? Die Dichter sind da, das Princip der Sprachmelodie, 
Dank der Entdeckung des Herrn Köhler , auch , und der beste In- 
terpret desselben in der Person des Herrn Köhler ebenfalls, also 
weshalb länger warten? Warum soll die Gegenwart erst zur „ne- 
belhaften Vorzeit" geworden sein, che die Menschheit mit den göttV 
liehen Melodien beglückt wird , die ja nach Herrn Köhlers Theorie 
schon in den Gedichten vorhanden sind? Muss die Menschheit viel- 
leicht erst andere Begriffe von dem, was musikalisch „schön" ist, an- 
nehmen, ehe Herrn Köhlers Entdeckung Glück machen kann? Dann 
Wäre der lange Termin , den Herr Köhler sich selbst gesetzt hat» 
doch einiger Trost für uns. 

Verwirft aber Herr Köhler mit den „Melodiclingen des 19. Jahr- 
hunderts," also mit Beethoven, F. Schubert, Mendelssohn, lt. Schu- 
mann, Franz, Marschner, Liszt u. s. w. auch die bisher (Ar „melodie- 



) Wäre jede, jede Wonne, die erdenkbar, wirklich mein» 
Ward* ich doch nur Dich anbetend , Dich verehrend selig sein» 



Ii& 



reich" gehaltenen Dichter, wie Göthe und Lenan, denen eich 
Heine, Geibel, Hoffmann und noch viele Andere anreihen, dann 
bleibt freilich nichts anderes übrig, als ihm seinen Willen zu lassen, 
dann rathen wir ihm aber auch , künftig die Poesie des 19. Jahr- 
hunderts so unbehelligt zu lassen, wie sie ihm fremd ist und Göthes 
und Lenaus Dichtungen fortan mit seinen Sprachmelodie - Versuchen 
au verschonen. 

Doch genug von Herrn Köhler und seiner Entdeckung. Wer das 
Wesen der Sprache und des Gesanges so verkennt , dass er Laut 
und Ton , Rede und Gesang , Deklamation und Gesangmelodie im 
Wesentlichen für identisch erklären kann , und dieser noch dazu 
auf die Autorität eines Andern gestützten Behauptung zu Gefallen 
die einfachsten Begriffe verdreht und auf den Kopf stellt , der mag 
wohl hochtrabende Journalartikel zu Stande bringen, bei denen 
ein tüchtiger Vorrath von Floskeln die Hauptsache ist, aber weiter 
■nichts. Wer die sprachlichen Gesetze, die von dem Lieder- 
komponisten nur desshalb nicht verletzt werden dürfen, weil der Ge- 
sang die Verbindung von Wort und Ton ist, für den Urquell, das 
Grundpr in c ip der Gesang -Melodie ausgeben, an die 
Stelle der freien künstlerischen Thätigkeit ein mechanisches Ab- 
messen, Anpassen und Feilen setzen und uns damit in das Zeitalter 
der florentinischen „sprechenden Musik" zurückführen will , der hat 
keine Ahnung von dem, was den Musiker zum Künstler macht , und 
gehört zu denen , von welchen Göthe sagt : „Sie haben die Theile 
in ihrer Hand, fehlt leider nur das geistige Band" 

Dieser totale Mangel einer geistigen Auffassung ist es denn auch, 
der das ganze Buch von Anfang bis zu Ende charaktcrisirt und un- 
srern ersten Ausspruch, der Autor desselben sei ein geistloser Nach- 
beter Wagners, rechtfertigt. 

Zum Schluss noch eine Bemerkung. 

Dass wir unsere Ansicht über Herrn Köhler und .sein Buch so 
unumwunden und ungeschminkt ausgesprochen haben , hat derselbe 
selbst provocirt. Hätte Herr Köhlersich damit begnügt, seine Meinnng 
aber die in der Sprache vorhandene Melodie und ihre Entwicke- 
lungsfähigkeit in bescheidener Weise, möglichst klar und verständlich 
darzulegen, so würde er wohl auch auf das Irrthümliche und Mange- 
lhafte derselben aufmerksam gemacht worden sein , aber mit der 
Schonung; die die Kritik derartigen Versuchen gegenüber so gern be- 
obachtet, wenn sie nicht im Dienste einer Coterie steht, die nur in 
persönlichen Ausfällen und den schroffsten Ausdrücken ihre Stärke 
sucht. Da aber Herr Köhler für gut befunden hat, seine Behaupt- 
tungen in einer Sprache vorzutragen, die abgesehen von dem voll- 
standigen Mangel an Logik und innerem Zusammenhang , nur ein 
widerliches Gemisch von Bombast, Hohn und der ensctzliciisten Selbst- 
überhebung bildet, so hatte er diese Nachsicht verwirkt 1 



:•»*>- 



CORRESPONDENZEN. 



AUS DRESDEN. 

(23. Juni.) 

Am 1J. dieses Monats veranstaltete unser strebsamer Männer- 
gesangverein Orpheus ein Concert zur Förderung des für Göthe 
und Schiller in Weimar zu errichtenden Denkmals. Seinen alten Ruhm 
bei jeder passenden Gelegenheit, wie für gemeinnützige Zwecke, so 
für Förderung der Bekanntschaft mit hier neuen bedeutenderen Com- 
positionen thätig zu sein, bewährte der Verein auch diesmal, was eben 
hier in letzterer Beziehung doppelte Schwierigkeiten hatte, da man 
mit Rücksicht auf den nächsten Zweck dieses Conccrtes nur Conipo- 
eitionen Schiller'scher und Göthe'scher Texte zur Ausführung bringen 
zu sollen geglaubt hatte. Schumann's Requiem für Mignon (aus 
Göthe' s Wilhelm Meister) und Riet z' Dithyrambe (von Schiller) waren 
die beiden Werke, die man für diesen Zweck gewählt, und die den 
Umständen nach — waren doch noch am Tage vor dem Concerte 
unabsichtliche und absichtliche (!!) Hindernisse dem Concert in den 
Weg gelegt worden, so dass mehrere Solopiecen wegbleiben und ein- 
zelne in den grössern Compositionen noch aushülfsweise anderweit 
besetzt werden mussten — recht gelungen ausgeführt wurden, wenn 
man auch hie und da noch mehr Frische und wirkliche Begeisterung 



hätte wünschen mögen. Schumann's Requiem (der Sopran- und Alt- 
chor von Knabenstimmen ausgeführt) ist, wie für den, der den Kom- 
ponisten und den „Wilhelm Meister* 1 kennt, selbstverständlich keine 
kirchliche, sondern eine ernst gehaltene romantische Komposition, zum 
Theil schwungvoll und von schönem Effect, weil natürlich und minder 
gesucht und manierirt, als so manche andere seiner ähnlichen Ar- 
beiten, leidet indess doch auch bisweilen an Unbedeutendheit der Mo- 
tive, an zu breiten Ausspinnungen der Einzelnheiten und an Zer- 
stückelung. Indess erschien die Gesammtwirkung als eine interessante 
und wohl befriedigende, wenn auch der Eindruck kein eigentlich durch- 
greifender genannt werden kann, was bei der Dithyrambe von Rietz in be- 
deutend stärkerem Grade der Fall war, weil sie trotz mancher ab" 
sichtlichen Barockheiten in Harmonie und Modulati ons Wendungen und 
wenig eigentlich melodischer Erfindungskraft, doch von Begeisterung 
der Conception und lebendiger Frische der Ausführung Zeugniss ab- 
legt. Auserdem brachte das Concert noch den schönen Chor der 
Engel (aus Göthe's Faust) von Frz. Schubert , Wanderers Nachtlied 
von C. G. Reissiger, Mendelssohn -Bartholdy's „An die Künstler" 
und (als Instrumentalsatz) desselben Ouvertüre: Meeresstille und 
glückliche Fahrt. 

Unsere Oper begann am 25. v. M. nach mehrwöchentlicher Pause 
ihre Thätigkeit wieder, ohne indess aus dem gewöhnlichen Gleise 
herauszugehen. Das Gastspiel der bekannten Soubrette Frau Dietz 
• (vom Münchner Hoftheater), mit angenehmer, solid geschulter Stimme, 
ansprechendem Vortrage, sehr gewandter discreter Darstellungsweise 
durch die äussere Erscheinung und durch Noblesse des Spiels nur 
wenig unterstützt, erregte für die Regimentstochter (Marie) und den 
Postillon (Madelaine), auch wohl für „Gute Nacht, Herr Pantalon" (Co- 
lombine) ein erneuertes Interesse; am meisten aber schlug die Künst- 
lerin (und das dünkt mich für die Richtung ihres Talentes bezeichnend) 
als Rosel in den Alpenscenen „'s letzte Fensterin" und „drei Jahr 
nach dem letzten Fensterin", durch. Das Debüt eines Frl. Hofmei- 
ster aus Dessau, als Marie (Czaar) konnte sehr wenig erfreuen; da- 
gegen erregte das Auftreten des Frl. Ney, wiederum als Norma (l) 
obwohl es von der Fatigue der Gastspiele deutliche Spuren zeigte, 
lebhaftes Interesse, letzteres aber concentrirte sich vorzugsweise auf 
die grossen Feierlichkeiten bei der Vermählung (am 18. d.) des Prinzen 
Albert mit der Prinzessin Caroline von Wasa, bei denen auch die 
Musik eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Am Vorabende des 
Festes wurde die Aufführung des Sommernachtstraum's befohlen, eine 
ebenso sinnige als geschmackvolle Wahl., wie die der seit dem 12. 
Mai 1844 hier nicht gegebenen Festoper T i t u s für das am 19. d. statt- 
gehabte Theätre pare*, und der als Nachfeier Tags darauf gegebenen 
Antigone. Da aber jene Festvorstellung nur vor eingeladenen Zuhö- 
rern stattfand, so muss ich den Bericht über die Ausführung der ge- 
nannten Oper bis nach der Wiederholung derselben ohne Festtrouble 
aber auch ohne Festbegeisterung, hinausschieben. 



NACHRICHTEN. 



Weimar. An die Stelle des Tenoristen Beck ist Herr Liebert 
aus Köln getreten, Frl. Taborsky ist als erste dramatische Sängerin 
engagirt worden. 

London. Coventgarden - Theater brachte in der ersten Hälfte 
des Juni : Hugenotten und Robert der Teufel , beide mehrmals wie- 
derholt , Teil und Elisire d'amore. Am 18. trat Mad. Medori in 
Maria di Rohan zum ersten Male auf. Rigoletto von Verdi wurde 
trotz seiner ungünstigen Aufnahme am 21. wiederholt und am 25. 
kam endlich der langerwartete Benvenuto Gellini von H. Berlioz zur 
Aufführung. Der Erfolg , welchen er errang , war nach Londoner 
Blättern ein sehr „zweideutiger." — Madame Tedesco, die berühmte 
Altistin der Grossen Pariser Oper war angekündigt und ihr erstes 
Debüt (in England) sollte am 1. Juli als Fides stattfinden. 

Paris. Die kaiserl. Capelle ist aufgelöst worden. Auber be- 
halt jedoch seine Stelle als kaiserl. Kapellmeister. 

New-York. tyad. Alboni hat sich nach Europa eingeschifft. 



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yvmiWTüUhtt Mitteln J. J. BCIttlX. -Stack TtaJUtüTEB * WALUO'tt MM** 



2. Jahrgang. 



Mr. «9. 



18. Juli 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG, 



Diese Zeltnng erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Mnsik- nnd Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLA« 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



PREIS: 

11. 3. 42 oder Tblr. 1. 18 Sgr. 

für den Jahrgang. 

Durch die Pos* bezogen: 

SO kr. oder 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalt t C. M. v. Weber*» Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — lieber Choral-Reform in Baiern. — Recensionen. — Literarische Kleinigkeiten, — 
Corr. (Paris), — Nachrichten, 



C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

aber 

die Composltion des Freischütz und über 
Operneomposition überlinup«. 

(Fortsetzung.) 

V. 

„Weber. Man gewinnt durch Befolgung dieser drei Maximen 
die Wahrheit des Ausdrucks und die koncise Form , und damit 
allerdings schon viel. Aber es kommt auch noch darauf an , wie 
man eine Wahrheit ausspricht, ob matt oder energisch. Ja, Energie 
des Ausdrucks mnss hinzukommen j das kalt und matt und gleich, 
gültig vor eine Kunsterscheinung (retende Publikum muss stark an- 
gegriffen , muss zur Aufmerksamkeit und Theilnahme gezwungen, 
muss mit Macht in den Kreis derselben hineingerissen werden, denn 
willig erhitzt es sich nicht. Es befindet sich nicht mehr in der Kind- 
heit, die mit Wenigem zu erfreuen oder zu rühren ist, weil Alles 
ihr noch neu und frisch erscheint , sondern es ist fast einem Greise 
zu vergleichen , der bereits Alles gesehen , Alles empfunden , Alles 
genossen hat, was ein langes und reiches Leben nur bieten mag, und 
der ganz absonderlich angegriffen sein will, wenn er aus seiner Her- 
zensruhe und seinem gewohnten bequemen Gedankenkreise herausge- 
bracht und in einen lebhaften leidenschaftlichen Zustand versetzt werden 
soll. Ich will Ihnen sagen, was m i r zur Energie des Ausdrucks 
hilft : Die Uebertreibung. Freilich ist sie ein grosser Fehler, 
wenn sie von dem Publikum an dem Kunstwerk bemerkt wird; 
aber dem Künstler ist sie ein hilfreicher Genius. Der Künstler ist 
in den Stunden des Schaffens in erhöhter gereizter Stimmung. In 
Folge davon machen die Gedanken, die ihm kommen , einen tieferen 
Eindruck auf ihn und erscheinen ihm wirkungsmächtiger , als sie in 
der That oft sind. Umgekehrt ist das Publikum vor einem neuen 
Kunstwerke noch in seiner gewöhnlichen, von Geschäften abge- 
spannten Stimmung, und die Gedanken, die ihm vorgeführt werden, 
machen oft einen geringen Eindruck auf dasselbe, erscheinen ihm wir- 
kungsloser, als sie vielleicht sind. Wie anders wäre denn die trau- 
rige und so oft vorkommende Erscheinung zu erklären, dass Künstler 
ganze grosse Werke hervorbringen, denen sie eine Wirkungskraft 
eingehaucht zu haben glauben, die Derge versetzen werde, wfihrend 
sie später bei der Aufführung mit Schrecken sehen , dass das ganze 
Publikum unbewegt dabei bleibt? An diese Selbsttäuschung nun denke 
ich bei meinen Arbeiten, misstraue der Stärke meiner Gedanken hin- 
sichtlich der Wirkung auf mich , und ü b e r t r e i b e den Ausdruck 
etwas , suche ihn auf die glühendste Weise zu gestalten, überzeugt, 
dass das, was mir in der gereizten Stimmung vielleicht als zu stark 
und übertrieben erscheint, nicht so dem Zuhörer erscheint, sondern 
für ihn erst den Grad von Lebendigkeit erhält, der ihn in die ver- 
langte Wärme und Mitempfindung zu versetzen vermag. Beispiele: 
.„AH' meine Pulse schlagen , " Vieles der Julia und Obervestalin in 
Spontinis Vestalin, und Manches in andern Opern; eben das werden 
Sie selbst von allen guten Instrumentalkomposilionen sagen können, 
es herrscht ein excentrisches'Lehen in ihnen, das Ober den Grad un- 



serer irdischen Gefühlsstärke hinausgeht , aber der gewöhnliche Zu- 
hörer empfindet das gar nicht so, für ihn ist es die wahre energische 
Ausdrucksweise, und auch den reizbaren zuhörenden Künstler stört 
es nicht. Wenigstens habe ich den Vorwurf outrirter Schilderung 
meinen Kompositionen noch nicht machen hören. 

W o h 1 b. Wäre nach diesem Grundsatze auch eine etwas Über- 
triebene, stärkere Instrumentation gerechtfertigt, da das Ohr des 
Publikums auch hier durch ein zu sparsam gebrauchtes Orchester 
nicht mehr gehörig aufzuregen sein möchte? Dem widerspricht 
aber Ihre Partitur zum Freischütz, die im Vergleich zu den Parti- 
turen vieler jetziger Komponisten oft sehr sparsam und durchsichtig 
instrumentirt ist. 

Weber. Der Himmel bewahre uns vor dem Glauben , dass 
die Masse und Anhäufung äusserer Mittel unbedingt nöthig sei, um 
starke Wirkungen hervorzubringen. Meine gesteigerte Ausdrucks- 
weise bezieht sich hauptsächlich auf die Zeichnung der Ge- 
danken*). Die Melodie muss energisch, ihre instrumentale Um- 
kleidung darf nie überladen sein. Es ist einer der allergewöhn- 
lichsten Fehler, auch grosser Komponisten, dass sie mehr Instrumente 
und mehr Figuren im Akkompagnement anwenden , als der Gedanke 
nöthig hat. Ich suche diesen stets von allem unnöthigen Beiwerk 
rein zu erhalten , damit er ungetrübt und leicht durch das Ohr in 
das Gemüth fliessen könne. Dafür suche ich jedem Gedanken die cha- 
racteristischste und wohlklingendste Instrumentirung zu geben. Diese 
Grundsätze befolgte ich nicht allein bei den zarten Partien, sondern 
auch bei den starken und gewaltigen. Zu viele rhytmisch verschiedene 
Figuren zugleich hören lassen , bringt gar leicht Wirrwarr hervor. 
Ich will nicht in Abrede stellen, dass es manchen Gedanken gebe, 
der in der Zeichnung sehr unbedeutend sei, und wo man einen 
solchen hat, da helfe man ihm auf durch das Beiwerk des instru- 
mentalen Schmuckes. Aber was kann den Künstler dazu bringen, 
melodisch nichtssagende Gedanken von seiner Phantasie anzu- 
nehmen? Entweder Mangel an melodischer Erfindung, oder Leicht- 
fertigkeit nnd Uebereilung, oder die Einbildung, es sei alles gut, was 
in seinem Kopfe erscheine. Was mich betrifft, so habe ich immer 
dafür gehalten, dass jeder Gedanke schon in seiner Zeichnung mög- 
lichst bedeutend und ausdrucksmächtig gestaltet sein müsse." 

Bravo, das sind vortreffliche Gedanken ! — höre ich Viele aus- 
rufen. Und dieselben Leute komponiren dann weiter, ebenso gedan- 
kenfade und instrumentendick und motivendunkel , als vorhin. Das 
ist überhaupt eine merkwürdige Erscheinung: man bewundert, die 
Werke und Worte der Meister, oder macht doch mindestens ein ver- 
zücktes Gesicht, hat aber nicht den Muth, Aehnliches zu versuchen, 
oder wenn die ureigene Erfindung dazu nicht ausreicht, den Bettel 
aufzugeben, mindestens nichts Grosses zu unternehmen. Der Grund 
dieser Erscheinung steckt einerseits in der schwachen Geisteskraft 
nnd mangelnden Reinheit bei vielen Menschenkindern» andererseits 
aber inder Sache selber. Einmal ist jede künstlerische Re- 



*) Der Leser sei hier an das erinnert , was Wtber oben sagte 
Aber Characteristik durch die Instrumentation, nnd an meine Be* 
merkung zu dem Punkte. 



- 114 — 



flexion untrennbar mit den subjeetiven Kunstschöpfungen verwachsen, 
-wie z. ß. Wehers Uehertreihung des Ausdrucks, jeden- 
falls eine höchst eigenthämliche Ansicht bleibt , man mag sie nun 
für recht oder für verkehrt halten (allerdings ist sie den von Weber 
genannten Erscheinungen gegenüber am Orte, also richtig, aber doch 
zu 8iibjectiv , nicht sachlich, nicht erhaben und lauter genug); und 
dann bleibt Reflexion immer Reflexion, sie verfährt demon- 
strirend und analysirend , kann aber nicht unmittelbar künstlerisch 
einwirken, selbst bei vollkommner Wahrheit nicht, denn was soll ein 
Künstler mit der unwidersprechlichcn Wahrheit (er müsse tiefe mu- 
sikalische Gedanken erfinden und in das rechte Gewand hüllen) an- 
fangen, wenn sie in Form einer Lehre von Aussen an ihn herantritt? 
Kr versteht und nimmt sie in seinem Sinne , und künstlerisch 
kann er es nicht anders: denn der lebendige Born der Kunst ist ver- 
siegt, sobald man sich selbst aufgibt. Man wundere sich daher 
nicht wenn noch so unwiderlegliche Lehrsätze der Kunst wenig auf- 
helfen, und auch nicht , wenn grammatisch noch so klare Selbstbe- 
kenntnisse wahrer Künstler nie ganz aus dem orakelhaften Dunkel 
heraustreten. (Fortsetzung folgt.) 



Ober choral-reform in Bayern. 



Es ist bereits eine ziemliche Reihe von Jahren verflossen, seit- 
dem in Bayern die kirchliche Oberbehörde die Einführung des so- 
genannten rhytmischen Chorals angeordnet hat und es dürfte jetzt 
«im so mehr an der Zeit sein , Rückblicke auf die Erfolge zu thun, 
die im Ganzen, wie im Einzelnen erzielt Morden sind, da diese Re- 
form auch in andern prol« deutschen Staaten angebahnt wird , die 
Herausgabc eines allgemeinen Gesangbuches für die ev. Kirche und 
wahrscheinlich auch ein neues Choralbuch in Aussicht steht, damit 
man eineslheils über die Zweckmässigkeit des Verfahrens bei Durch- 
führung dieser Reform, über die Ursachen des kaum merklichen Ge- 
lingens sich klar werde und andernthcils aber auch, um einiger 
Maassen beurthcilen zu können , was in Zukunft im Allgemeinen 
für den cv. Choralgcsang Erspriessliches davon zu erwarten sei. — 

Ganz abgesehen vorn wissenschaftlichen Standpunkt der Be- 
rechtigung einer Choralreform , abgeleitet aus ihrem innersten 
Wesen, denn darüber wurden im letzten Dezennium eine Blasse 
historischer Untersuchungen und musikalischer Erörterungen in theo- 
logischen und musikalischen Zeilschriften mitget heilt, beschränken 
wir uns nur ganz kurz auf die Art und Weise des Vollzugs dieser 
Reform und auf die Erfolge , die solche begleiteten. Soviel scheint 
fest zu stehen , dass die Einführung des rhytmischen Chorals die 
Existenz des modernen bedeutend gefährdete und seinen völligen 
Untergang notwendiger Weise herbeizuführen drohte, denn beide 
können nicht neben einander bestehen, da sie das Gepräge zu grosser 
Characlcrverschicdcnheit an sich tragen; hier heisstes: entweder — 
oder. Es hätte also nolcns volens der moderne Choral verschwinden 
und der antike an seine Stelle treten müssen , natürlich successive. 
Dazu wäre aber bezüglich der Durchführung die gross (e Entschiedenheit, 
der grösstc Ernst und Eifer, die hartnäckigste Ausdauer erforderlich 
gewesen, denn man hatte es mit einem Heer Organisten und Kan- 
toren zu thun, die grössten Thcils aller musikalisch-historischen 
Bildung bar, auch nicht die mindeste Begeisterung für die Sache 
besassen, die sich bei ihrem ganzen Wirken in den modernen Choral 
hineingearbeitet und ihn im Lauf der Zeit lieb gewonnen hatten, 
die also schon von vornherein Gegner der Reform waren, obschou 
nicht zu leugnen ist, dass ihnen mitunter auch triftige Gründe zu 
Gebote standen; man hatte es ferner mit den Gemeinden zu thun, die 
unter dem modernen Choral heranwuchsen und alterten, deren feier- 
lichste und wichtigste Lebensmomente in Beziehung zu diesen 
liebgewonnenen Liedern standen und deren Gesangweisen so manche 
freudige und traurige Errinncrung in ihrem Herzen erweckten. Es 
ist daher gewiss einleuchtend , dass ein plötzliches Aufgeben dieser 
Melodien — den Ersatz kannten die Gemeinden noch nicht und das 
Band des Vertrauens zwischen ihnen und der kirchlichen Behörde, 
von denen die Reform ausging, war seit von Abel und von Roth 
bedeutend gelockert — allenthalben ein Heer von Klagen, die böswil- 
ligsten Missdeutungen , ja mitunter den hartnäckigsten Widerstand 
hervorrufen musste. Hätte man aber den modernen Choral fortbe- 
stehen und nebenbei hie und da eine rhytmische Melodie einüben 



wollen, wie das auch mcistentheils geschah , um bei den Gemeinden 
nicht anzustossen, so wäre, wie es sich an allen Orten hcraustellt, 
die reichere rhytmischere Gestaltung des antiken Chorals allmählig 
wieder verschwunden, und die moderne Gestalt mit ihren gleich- 
langen Noten wäre wieder von neuem erstanden. So hört man jetzt 
in jenen wenigen, sage wenigen Gemeinden, wo die Reform 
glücklicherweise Wurzel fasste , den rhytmischen Choral vortragen. 
Was wurde nun dabei gewonnen ? — Keine reichere rhytmischere 
Gestaltung, keine höhere Begeisterung beim Gesang, kein tieferes 
innigeres Erregen der Gemüther durch den Gesang , keine allsei- 
tigere Erbauung und Theilnahmc von Seiten der Gemeindegliedcr, denn 
der Choralgesang sank wieder in die moderne Form zurück, höch- 
stens einige melodische Varianten , die nach Abstreifen der antiken 
Form zurückbliebcn und nun die neu entstandene Form von den ei- 
gentlichen modernen Melodien unterscheiden; wohl aber entstanden 
durch den Versuch , die Reform durchzuführen , grosse Störungen 
bei der gottesdienstlichcn Erbauung, Hass und Feindschaft gegen die 
Geistlichkeit, gegen Kantoren und Organisten, gute moderne Melodien 
gingen dabei verloren und unverkennbar hat der einmüthige, freudige, 
sichere Gesang mancher Gemeinde bei diesem Experimentiren be- 
deutend gelitten wo nicht gar den Todesstoss erhalten und von einer 
wahren Erbauung in Schule und Kirche konnte nicht mehr die Rede 
sein. Solche Erscheinungen sind gewiss für Jeden der es mit der 
Sache wohl meint, äusserst betrübend und fordern uns auf, den Ur- 
sachen dieses misslichen Erfolgs näher auf die Spur zu kommen. 
Alle Gründe, die zum Misslingcn der Reform mitwirkten hier näher 
zu erörtern , möchte die eigentliche Tendenz d. Bits, überschreiten, 
nur im Allgemeinen seien uns darüber einige Bemerkungen gestattet, 
die Verdienste der bayrischen kirchlichen Behörden und aller derer die 
im Interesse der Reform mitwirkten, nicht im mindesten verkennend. 

(Schluss folgt) 



RECENSIONEN. 

Sinfonie für grosses Orchester, comp, von Joh. Verhulst, 
Op. 46. Mainz bei B. Schotts Söhnen. 

Partitur . . . 9 fl. — kr. 
Orchesterstimmen 12 fl. 36 kr. 

Es ist in neuerer Zeit öfters die Behauptung ausgesprochen 
worden , dass nach der 9. Sinfonie von Beethoven die Möglichkeit 
einer Weitcrentwickelung dieser Gattung nicht mehr vorhanden sei, 
Beethoven mit diesem Werke der Sinfonie selbst gleichsam das 
Todcsurlhcil geschrieben habe. Ucberschauen wir, abgesehen von 
Allem was sich a priori dafür sagen lässl, was uns die bedeutensten 
Epigonen Beethovens auf diesem Gebiete dargereicht, so scheint es 
mit jener Ansicht allerdings seine Richtigkeit zu haben. Etwas 
das ganze Wesen der 9. Sinfonie noch potenzirendes, ist nicht ge- 
schaffen worden. *) 

Allein, wie dem auch sei, möchten wir desswegen , dass so 
herrliche Werke, wie sie uns ein Schubert, Mendelssohn und Schu- 
mann zum Thcil geliefert haben, lieber ungeschrieben geblieben 
wären? Warum sollten wir uns nicht erfreuen an den schönen Ge- 
bilden eines reichen , poetischen Geistes , die, wenn sie auch keine 
Wendepunkte in der historischen Entwickelung ausmachen , doch 
des individuell Interessanten so vieles darbieten, dass die Berech- 
tigung ihrer Existenz sicher ausser allem Zweifel steht. 

Unter die besten der modernsten Bearbeiter dieses Feldes dürfen 
wir nun unstreitig Verhulst rechnen , dessen Namen längst einen 
guten Klang und der uns jetzt mit einem Werke beschenkt hat, das 
durch poetischen Gehalt gleich sehr, wie durch meisterhaft tech- 
nische Ausführung erfreut. Vorzüglich müssen wir rühmend aner- 
kennen, dass der Componist nicht gleich den sogenannten Roman- 
tikern in jener nebelnden Schreibart sich gefällt, deren Originalität 
nur um den Preis aller Klarheit in der Gruppirung etc. etc. erworben 
wird. Da finden wir überall präcis ausgesprochene und consequent 



*) Im Gegentheil hat man dieses Werk vielfach noch so schlecht 
verstanden, dass man darin nur eine formelle Zusammenstellung von 
Chor und Sinfonie zu erblicken vermochte, welcher Anschauung ent- 
sprechend denn jene lächerlichen, (weil ganz willkürlichen) Zwitter- 
gestalten der Sinfonickantatc, Sinfonieode etc. erschienen. 



11$ 



durchgeführte Gedanken, darchsichtige, höchst wirksame, wenn auch 
etwas gesättigte Instrumentation. 

Haben wir uns so im Allgemeinen nur mit grosser Anerkennung 
Hber diese Composkion auszusprechen, so sei uns auch der Wunsch 
erlaubt, es möge der Gomponist bei späteren Arbeiten nur noch 
dieses "über steh gewinnen, die Uebcrgangsgrnppen , so logisch und 
Interessant sie an sich gestaltet sind , etwas weniger breit und um- 
ständlich anzulegen. Was dadurch an einzelnen, vielleicht reizenden 
Zügen verloren geht, wird reichlich ersetzt durch eine um so knap« 
J»ere utid präcisere Wirkung des Ganzen. 

Aber gerade in diesem Punkte liegt eine grosse Schwierigkeit 
für jüngere Componisten. Je mehr Talent und Geschicklichkeit sie 
besitzen, desto schwerer mögen sie jene Entsagung üben, die jeder- 
zeit einen der Characlerzüge des Genies ausmacht. — Wir ersparen 
uns, in das Einzelne des umfangreichen Werkes einzugehen, weil 
wir uns zu oft selbst überzeugt haben, wie wenig dadurch der Mangel 
eigner Anschauung beim Lesen ersetzt werden kann. Es genüge ein- 
fach nur noch die Erwähnung , dass keiner der 4 Sätze , wie sehr 
sie auch untereinander in innerem Zusammenhang stehen , seines 
eigentümlichen Reizes entbehrt und machen insbesondere auf das 
Andante, so wie auf das geistspriihende Finale aufmerksam, des 
in seinem luftig leichten Dahinschweben sich gewiss die meisten 
Freunde erwerben wird. 

Was schliesslich die Ausstattung des Werkes betrifft , so kann 
man diesmal wirklich mit Fug und ohne Phrase sagen , sie lasse 
nichts zu wünschen übrig. 



LITERARISCHE KLEINIGKEITEN. 

Der Verfasser nachverzeichneter Schriften möge nicht zürnen, 

Wenn ich seine Werke zu den „Kleinigkeiten" zähle. Es ist damit 

durchaus nicht böse gemeint; sondern bloss die leidige Recensen» 

tennoth treibt mich, um die Masse der musikalischen Literatur dem 

Leser einigermassen übersichtlich vorzuführen, alles Das in diese 

Rubrik zu stellen, was in seiner Sphäre gut, aber seinem Geiste 

oder seiner Tendenz nach von nicht allzugrosser Bedeutung ist 

I. Die Grundsätze der musikalischen formen und ihre 

Analyse , als Leitfaden beim Studium derselben und zunächst 

für den practischen Unterricht im Conservatoriuni der Musik zu 

Leipzig entworfen von E. Fr. Richter , Univers. -Musikdirector, 

Organist zu St. Petri und Lehrer am Conserv. d. M. zu Leipzig. 

Verlag von G. Wigand 1852. Pr. M, Rthlr. IV und 52 S. in 

gr. 8. 

„Nachfolgende Schrift wurde vor einiger Zeit von d. Verf. für 
dessen Schüler geschrieben j . . . es lag ihm daran, diesen wichtigen 
Gegenstand in seinen allgemeinsten Zügen und in möglichst scharfer 
Zeichnung hinzustellen — als möglichst kurzgefasste Grundlage zur 
praktischen Anleitung. Wenn die Formlehre hier, entgegen mancher 
neuerdings ausgesprochenen Ansicht, getrennt von den übrigen Zweigen 
4er musikal Studien erscheint, so mag in der Ucberzeugung des 
Verf. dass keiner dieser bedeutenden Zweige der Gnmposition, wie 
Harmonie, Contrapunkt u s. w. , in Verbindung mit allen übrigen 
wirklich so vollständig erfasst werden kann, als es ihre Wichtigkeit, 
Und selbst ihr dem ernsten, nicht oberflächlichen Sinn sich darbietendes 
Interesse erheischt, der Grund gefunden werden." Diese Worte der 
Vorrede geben deutlich den Standpunkt an, von dem aus Richters 
Arbeit zu beurtbeilen ist. Inhalt: Cadenzen, die einfachen, erweiterten 
lind zusammengesetzten Perioden, Schlüsse, Periodengruppen; grössere 
•musikal. Formen: Sonate (S. 26-39), Streichquartett, Sinfonio, 
Ouvertüre etc (S. 89-4«); noch Einiges über die Perioden grösserer 
Tonstücke (41-48); Allgemeine Schlussbemerkungen : grössere Umrisse, 
Methode der Arbeit. Beispiele, besonders von Beethoven, Mozart 
trtid Mendelssohn, erläutern die aufgestellten Sätze, aus ihnen folgert 
der Verf. seine Maximen. Wir wünschen dem Büchlein viele Leser,; 
es hält in grader Treue fest an den musikalischen Formen, wie 
deren Wesen bis jetzt offenbart ist, und lehrt und beweist daraus 
ihre stete Notwendigkeit — kann also sehr Wohlfhätig wirken auf 
die Unzahl der componirenden Musiker, welche jetzt durch formlose 
Musik und ästhetisch musikalisches Geschwätz selber ganz formlos 
Sind duselig geworden sind. Es ziert das Büchfein, dass es nicht in 
dem flottgeistreichen Tone geschrieben ist, der Mode wird. Alier- 



«Inge unterliegt auch die mtisikafiseh« forto höheren geistigen *3N* 
setzen» aber diese zu erkennen, ist nickt Jedermannes Sache j die 
Elemente dagegen sind für Alle zum Lernen und cur Richtschnur da. 

Es scheint naoh S. 40 des Verfassers Absicht zu sein , die 
Instrumentation ähnlich („ausführlicher" ?} zu behandeln. Ebendaselbst 
sagt Richter noch: „Eine genaue Analyse aller Beethoven'schen 
Sinfonien, deren jede auch in Beziehung auf Form ihre Eigenthfim- 
lichkeit zeigt, würde beweisen, dass sie sich auf eine Urform stützen; 
und die natürlichen Grundsätze der Fortführung, Steigerung und 
Befriedigung in acht künstlerischer Weise verfolgen. Auch in den 
Ouvertüren von Weber; die sich weniger durch die Einheit der Ge*- 
danken und künstlerische Durchführung der Motife, als durch reizende 
populäre Ausbildung und geistreiche Behandlung derselben, wie durch 
glänzende Instrumentation auszeichnen, lässt sich bei aller Mannig- 
faltigkeit des Stoffes die Grundform deutlich erkennen. Neuere 
Werke der Art zeigen nicht selten das Bestreben durch verschiedene 
Modifikation der Fortführung neue Bildungen zu gewinnen. Sollen 
sich aber solche Tonbilder als reine und kunstgemässe zeigen, so 
dürfen nie die allgemeinsten Grundsätze der Mannigfaltigkeit in der 
Einheit, die in der bereits vorhandenen Grundform sich findet, verletzt 
werden." Sollte es für H. Richter sich nicht der Mühe verlohnen, 
an Beethoven, Weber u. A dies einmal im Einzelnen genauer nach» 
zuweisen, in steter Verglcichung mit den Werken der bekanntesten 
neueren Komponisten ? Richter würde dadurch einem künftigen Bio- 
graphen Beethovens eine von den Vorarbeiten tiefern, an welchen 
wir noch immer so grossen Mangel haben. 

Zu gleicher Zeit gab Richter folgendes kleine Heft heraus : 
2. Die Elementarkenntnisse zur Harmonielehre und zur Musik 

überhaupt gr. 8. 24. S. 0. Ngr. 
Dasselbe ist ausserordentlich praktisch eingerichtet und wird daher 
Vielen Lehrern willkommen sein. 



CORRESPOTSDENZEN. 



AUS PARIS. 

Obgleich schon die musikalische Saison hinter uns liegt, die 
italienischen Singvögel längst davongeflogen sind und die der grossen 
Oper ihr Bauer auf einige Zeit geschlossen , während das heitere 
lebendige Lerchenvolk der komischen Oper lustig fortzwitschert» 
wenn auch vor der Hand im fremden Käfig, während der ihrige wie 
die andern aufgeputzt, neu vermalt, vergoldet, verbrämt und verziert 
wird : so kann ich, wenn der Rückstand des Berichterstatters abge- 
tragen und das Versäumte nachgeholt werden soll, doch nicht um- 
hin auf entflohene Freuden und Leiden zurückzukommen und die 
jüngste Vergangenheit in gedrängter Uebersicht rasch an Ihnen vor- 
überzuführen. 

Sämmtiiche Operntmppen also, mit Ausnahme der komischen 
Oper, haben ihre Ferien angetreten und lassen ihre resp, Häuser 
restanriren- Die Italiener warteten das Ende des Maimonats 
nicht ab, sondern nahmen schon am 18. diesmal bei vollem Hause, 
mit einer glänzenden Schlussvorstellung von Bruchstücken verschie- 
dener Opern Abschied, auf die wir später zurückkommen. Im letzten 
Vierteljahr hat sich die Bühne etwas wieder gehoben. Bis dahin 
bekanntlich waren die Geschäfte die schlechtesten und Herr Corti 
wird, des hessern Erfolgs in letzterer Zeit ungeachtet, eins ins andere 
tferechnet ein bedeutendes Deficit erlitten haben; ein Verlust der 
wie behauptet wiro\ nicht sowohl ihn trifft, als gewisse Herren, die 
nls Unternehmer sich von ihm in der Direction vertreten Hessen. 
-Die letzten Erfolge verdankte er dem „Barbier von Sevilla'* der in 
■einer Reihe von gelungenen Vorstellungen mit der Frau von L a- 
•g ränge, Calzolari, Bellelt i, und dem längstersehnten, oftver- 
«köndeten, vielbesprochenen und endlich eingetroffenen Nap«4eone 
Üossi, der darin als Bartolo mit grossem Beifall debütirte. Erst- 
genannte gefeierte Primadonna fand als Rosine erwünschte Ge- 
legenheit ihre drei Oclaven zu produziren und ihre ausgezeichneten 
italienischen Gurgeleten bis ia die höchsten Höhen hinanfzuschleudern, 
•wofür ihr, wie sich denken iäast, wohlverdienter reicher Beifall eust- 
•gegeurauschte, deck musste sie auch erfahren, dass solche beispiel- 
lose Kehlfertigkeit, die anfangs überrascht und zur Bewunderung hin« 



— 116 



reisst, nur für «ich allein für <lie Dauer nicht Stieb hält, und unter 
Umständen sogar widerwärtig werden könne, füge ich aus eigener 
Erfahrung hinzu. Calzolari war ein, wenn nicht heroischer oder 
pompöser, doch liebenswürdiger Almaviva; Beletti ein trefflicher 
Figaro; Rossi, der früher wahrscheinlich in weitem Ränmen ge* 
sungen hatte, in Spiel und Gesang ein Meister, ausgezeichneter Buffo 
voll leben und Feuer, nur mitunter bei zu starkem Kraftaufwand 
der Stimme, bis ihn die Erfahrung in dem ungewohnten neuen Hause 
das rechte Maass lehrte. Lucia, Norma und Linda wechselten auf 
dem Repertoir. Sophie Cruvelli bewährte in letztgenannten Rollen 
ihr schönes Talent; spielte und sang die Linda jedoch mit etwas 
starkem Auftrag und grellem Feuerwesen der Stimme. Gegen Frau 
Lagrange wollte sie nicht nachstehen und legte ein Stück von 
Alary voll Fiorituren ein, in welchem sie ihreRevalin nachahmend, 
sie in den scharfen Staccatoläufen aufwärts, deren Force, zu über- 
bieten suchte. G u o n e, trotz schwacher Stimme, und Mad. B i s c o 1 1 i n i 
hielten sich brav. Mad. Lagrange saug die ihrer Singweise 
wenig zusagende Lucia im Ganzen besser und mit grösserer Innig- 
keit als man hätte erwarten können, unterliess aber nicht, bei ei- 
nigen Stellen , die Verbrämungen zuliessen , Proben von ihrer im 
Barbier so übermässig kund gegebenen Gewandtheit zu geben, die 
nicht minder durch reiche Beifallspende belohnt wurden. B e 1 1 i n i 
als Figaro und B eilet ti als Ashton waren beide sehr gut. Auch 
Florenza, der in der „Semiramide" mit schöner Bassstimme 
als Oroe erschienen war, hielt sich als Raimondo wacker. 

Am 12. Mai erste Vorstellung des „Bravo" von Mercadante. Das 
höchst ungeschickt gearbeitete Buch voller Greuel missfiel in hohem 
Grade und schadete der Musik, deren beste Stücke jedoch , be- 
sonders die beiden ersten Finales , dann die Arie des Foscari und 
Violettas Romanze, ferner im dritten Aufzug der Soldatenchor, das 
Quartett und die Schlussscene, Anerkennung fanden. Das Finale 
des zweiten Actes musste wiederholt werden und die Sänger wurden 
gerufen. Die meisten Nummern leiden an Länge und Lärm , Origi- 
nalität fehlt, und dass der rossinirende Komponist sich auch von 
Meyerbeer's Einfluss nicht frei zu halten vermochte, schimmert an 
einigen Stellen deutlich genug hindurch. B e 1 1 i n i hatte in der 
Titelrolle, der er nicht genügte, nichtsdestoweniger schöne Momente, 
Frau von Lagrange, der die Rolle der Teodora widerstrebt, ent- 
schädigte sich durch eine ihr besser zusagende BufFoaric aus der 
„Leonora" desselben Komponisten. Die Bettramelli, eine An- 
fängerin, war als Violetto leidlich; dergleichen Guidetti und 
Fortini als Frsani und Marco. Dem Belle tti als Foscari ge- 
bührt der Ehrenkranz, obgleich auch ihm der verzierte Gesang besser 
zusagt, als der getragene, davon einiger in seiner Partie vorkommt, 
die Chöre gingen gut, das Orchester unter Castagneris Leitung 
zu derb und geräuschvoll. Ausnahmsweise hatte die Direction für 
glänzende Ausstattung gesorgt. Der Marcusplatz, die Ansicht des 
Lido im Mondschein wurden mit stürmischem Beifall begrüsst , und 
dem talentvollen Decorationsmaler Robecchi die Ehre des Her- 
vorrufens angethan. In Bezug auf das Sujet und dessen dichterische 
Behandlung bemerkt ein Recensent folgendes : Wenn das Publikum, 
hört man sagen, während der Vorstellung Zeichen der Zerstreutheit 
und der Langeweile gegeben , so lasse sich solche Unachtsamkeit 
aus dem Umstände erklären, dass die Zuschauer den Text nicht ver- 
standen. Was wäre denn erst daraus geworden, wenn sie ihn ver- 
standen hätten! Wahrlich es gehört Muth dazu Seitens der Kompo- 
nisten, und das Bewusslsein einer bedeutenden Kraft, um ein Ton- 
werk darüber zu schreiben , dem eine gewisse Breite und Haltung 
und einige grosse Schönheiten nicht abzusprechen sind. Dass die 
Direction beiläufig bemerkt kurz vor Thorschluss noch die Ein- 
studirung eines neuen Werkes bei einer so kostspieligen Ausstattung 
wagen mochte, weisst auf die Hoffnung einer künftigen Wiederauf- 
nahme hin , mithin auf die' Thatsache , dass sie sich durch die er- 
littene bedeutende finanzielle Schlappe nicht hat entmuthigen lassen. 
Nächsten Winter also, wenn nicht der Einzug der Kosaken in Paris 
oder andere unüberwindliche Hindernisse eintreten, wird Herr C o r t i 
jnit einer neuen Truppe schlagfertig dastehen. Noch haben wir 
der Schlussvorstellung am 18. zu gedenken : „Barbier" erster Aufzug, 
„Linda" zweiter, Scene aus „Attila," eine der brilliantesten der 
.ganzen Saison und die sich de» vollsten Hauses zu erfreuen hatte. 
Im ersten Aufzug des Barbiers mit Calzolari, der die Ständchen» 
cavatine überaus gut vortrug, und Ferranti, der den so beliebten, 
wahrscheinlich erkrankten Belle tti als Figaro mit Glück ersetzte 



und durch seine lebendige tüchtige Durchführung der Rolle in 
Spiel und Gesang allgemein gefiel, Hess Frau von Lagrange zu 
guter Letzt alle Schleusen ihrer Vocalisen los und übertraf in 
ihrer Cavatine womöglich alles bisher Geleistete; desgleichen in der 
eingelegten ungarischen Arie, die wiederholt werden musste R o s s i als 
Bartolo wie stets, vortrefflich, G u o n e als Basilio dürftig. Mit der Scene, 
aus Verdi's „Attila", worin ihr Susini beistand und sie in schöner 
Kriegergestalt auftrat, stolz einherschreitend in Helm und Panzer, 
in Spiel und Gesang eine ungeheuere Energie entwickelnd, nahm die 
vielbeliebte Sophie Cruvelli in glänzender Weise und gas* ihrem 
Character gemäss Abschied. Auch war des Hervorufens kein Ende, 
sie musste dreimal vortreten bei stets wachsendem Applaus. 
Im nächsten Bericht die drei französichen Singbühnen. 

NACHRICHTEN. 

Wiesbaden» R. Wagners „Lohengrin" wurde hier bereits 
dreimal gegeben und sehr günstig aufgenommen. 

Diese Oper enthält unläugbar grosse Schönheiten und zeichnet 
sich durch freiere, melodischere Gestaltung der Gedanken, durch gün- 
stigere Behandlung der weiblichen Partien, wie durch sorgfältig aus- 
gearbeitete, meist sehr effectvolle, oft schöne Chöre vor dem Tann- 
häuser aus, während der bisherige Opern-Zuschnitt noch mehr verlassen 
worden ist, als in diesem, so dass keine einzige Arie , kein Duett 
u. s. w. vorkommt. Es ist also natürlich, dass die Urtheile über 
dies Werk womöglich noch abweichender sind, als über Tannhäuser 
und dass dieselben, je nach dem sie vom Standpunkte der bisherigen 
Oper oder von dem des Schauspielfreundes, der hier ein mit Musik 
ausgestattetes Drama vor sich hat, gefällt werden, entweder voll- 
kommen verwerfend oder höchst anerkennend lauten. Eine gründliche 
Analyse der Musik könnte nur nach einem längern Studium der Par- 
tituren gegeben werden. — Die bereits bei den frühern Aufführungen des 
Tannhäuser ausgesprochene Ansicht, Wagner werde in Folge seiner 
Doppelstellung als Dichter in erster Linie und Musiker in seeundärer 
Beziehung in eine Richtung gedrängt, die ihn zuletzt von der Oper 
entfernen und zu dem reinen Drama, bei dem die Musik nur zur 
Verstärkung der Massenwirkungen diene , zurückführen müsse , hat 
sich bewahrheitet. 

Die Frage über den Werth der Wagner'schcn Tonschöpfung 
wird also zu einer Existenzfrage für die Oper überhaupt und muss 
bei aller Anerkennung Wagners als einem seltenen Talente zu seinem 
Nachtheile beantwortet werden , da die Oper, die uns so viel Meister- 
werke der dramatischen Musik geboren hat, noch Lebensfähigkeit ge- 
nug besitzt, um, trotz des augenblicklichen Mangels eines seiner 
grössten Vorgänger würdigen Componisten, als eine Kunstgattung für 
sich zu bestehen. 

Cöln. Dem Cölner Männergesang- Verein ist im Auftrage der 
Königin von England ein schwerer silberner Pocal als Erinnerung 
an sein Concert in Buckingham Palace übergeben worden. Hiller 
hat nach 5 wöchentlichem Aufenthalte London verlassen und wird 
über Paris hierher zurückkehren, um fortan beständig hier zu 
bleiben. (Ist angekommen.) 

Wien. Der Tenorist Ander ist in Folge der Anstrengungen 
auf seiner Kunstreise erkrankt und von den Aerzten nach Bad Ischl 

gesandt worden. 

München. Den hiesigen Musikern , welche sich zu dem von 
R. Wagner in Zürch veranstalteten Musikfeste begeben wollten, 
sollen die Pässe mit dem Bescheid verweigert worden sein : 

„Handwerker erhielten nach den bestehenden Gesetzen keine 

Pässe nach der Schweiz 1" 

Göttingen. Joachim, der ausgezeichnete Violinist, hört hier 
während seiner Ferien philosophische Vorlesungen. Möchte dies 
Beispiel eines so tüchtigen Künstlers recht viele Nachahmer finden, 
es würde dann besser mit der Kunst und ihren Jüngern stehen. 

London. Ein Herr Scherrat beabsichtigt hier eine National- 
Oper zu gründen und hat bereits C. Formes wie Fräulein A. Bury 
engagirt. 

toje* In der letzten Nummer (28) bitten wir folgende Druckfehler 
zu berichtigen: S. HO. Sp. 2. Melodie zu „Kennst du das Land" 

t :.Q.j , . ...j rjE 

10. Takt muss stehen: 



»fip 



S. 111. Sp. 1. Z. 5 v. uTTÖriginalmelo die statt Orgelmelodie. 

VWutwtrUldier Irttkteu: i. J. iffl«T. - Bnrt w« IMTia a WALLAB ta»«lw. 



2. Jahrgang. 



Nr. SO. 



25. Juli 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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1 



Inhalt S C. M. v. Weber'« Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Ueber Choral-Reform in Baiern. — Ueberdruck ! - Nachdruck ? — Nachrichten. 



G. IUI. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

Aber 

die Cottiposition de« Freischütz und über 
Operneompoaition überhaupt. 

(Fortsetzung.) 

VI. 

Meine Worte am Schluss des vorigen Artikels wollten den 
grossen Werth solcher Erörterungen oder vielmehr Enthüllungen des 
Kunst Vermögens nicht verkleinern , sie wollten nur in jetziger 
Zeit, wo wir an Fanatikern der Kunstdoctrin so grossen Ueber- 
fluss haben, warnen, dergleichen nicht zu überschätzen, von der Gel- 
tendmachung solcher reinen Grundsätze nicht wundergrosse Umwand- 
lungen zu erwarten. Im Gebiete der Musikwissenschaft und auch 
im weitern Leben ist das Verfechten reiner Wahrheiten immer von 
unschätzbarem Werthe; was aber in der Kunst als Neues und Be- 
deutendes das Trübe, den Wirrwarr, die Styllosigkeit überwindet, das 
ist zunächst eben neu, kann sich stärken und aufrichten und trösten 
an der Wahrnehmung, dass gewisse Grundgesetze in den Meister" 
werken aller Zeiten befolgt sind , entspringt aber seinen tiefsten 
Quellen nach aus gegenwärtigen Bedürfnissen, aus einer 
neuen Seite des ewigen Lebens, die nach Gestaltung ringt in 
eben jetzt verständlichen Formen, und erhält daher zunächst von diesem 
Drange die ideale Komposition vorgezeichner. 

Soviel für den Augenblick zur Abwehr von Missverständnissen. 
Hören wir nun erst unsern Weber zu Ende; diese seine Schluss- 
worte enthalten den oben versprochenen Beweis zu der Behauptung 
dass er bei der Ausführung seiner grossen Meisterwerke auch dich- 
terisch sehr thätig gewesen sei. 

„Wohlb. Dürfte ich Sie wohl noch mit der Frage behelligen, 
warum Sie die zwei ersten Scenen in denen zuerst der Eremit und 
dann Agathe auftritt, weggelassen haben? Man sagt, Sie hätten es 
gethan, um durch die Yolksscene beim Vogelschiessen eine lebendigere 
Introduction und namentlich einen Anfangschor zu gewinnen. 

Weber. Und wenn dies mein Grund gewesen, was meinen Sie 
dazu? 

Wohlbek. Ich werde mich wohl irren, aber mir scheint, als habe 
die Oekonomie des Stuckes einigen Schaden erlitten. Dadurch, dass 
Agathe dem Eremiten Nahrungsmittel zuträgt, wird ihr Verhältniss 
zu ihm, seine Theilnahme für sie, exponirt, und durch das Geschenk 
der weissen Rosen, das er ihr vor den Augen des Publikums macht, 
ist jenem dramatischen Gesetz genügt , welches die Motivirung der 
Entwickelung schon in der Exposition verlangt. Wie jetzt das Stück 
ist, erscheint der Eremit ziemlich wie ein Deus ex machina. , 

Weber. Der Wasserträger fängt ganz ohne Musik, mit ge- 
sprochenem Dialog an, und Cherubini hat eine Aenderung dieser 
Scene nicht verlängt. Ebensowenig würde ich aus der mir vindicirten 
Ursache jene Scene beseitigt haben. Meine Gründe waren etwas 
besserer — sie waren dramatischer Natur. Wenn ein dramatisches 
Werk einen bestimmten Land- , Zeit- nnd Sittenhintergrond hat, 
-welcher die Handlang zum Theil mit motivirt, so ist es immer als 



eine gute Maxime befunden worden, den Zuschauer gleich von vorn 
herein in diese eigentümliche Sphäre, der er sich hingeben und 
an die er glauben soll, zu versetzen. Darum eröffnet Göthe seinen 
Egmont mit den niederländischen Volksscenen, darum führt uns Schiller 
im Wilhelm Teil zuerst die Natur des Schweizerlandes und seiner 
Bewohner, im Wallenstein das Lager der Soldaten vor, Und ans 
diesem und keinem andern Grunde strich ich die beiden Anfangs- 
scenen. Der Zuschauer soll unter das Land-und Jägervolk nach 
Böhmen, in die abergläubische Zeit kurz nach dem 30jährigen Kriege 
versetzt werden. Ein Eremit, einsam im Walde vor einem Heiligen- 
bilde kniend, von einem Gesicht redend das er gehabt, macht uns 
glauben, dass hier ein Gemälde aus der Ritterzeit sich vor uns ent- 
wickeln solle. Er spricht von einer Gefahr, die Personen drohe, 
welche wir noch nicht kennen und welche uns folglich noch ganz 
gleichgültig sind. Nun erscheint zwar Agathe, und die Handlung 
exponirt sich durch das Gespräch und ein Duett. Aber beides ist 
matt und überflüssig, denn in der darauffolgenden Volkscene exponirt 
sich die Situation der Hauptpersonen noch einmal und viel lebendiger 
und anschaulicher. Was aus den beiden ersten Scenen Motivirendes 
für die Entwickelung nöthig ist, kommt in den Gesprächen zwischen 
Agathe und Aennchen im 2. und 3. Acte vor. 

Wo hlbe k. Diese Gründe müssen sogleich einleuchten, und 
um somehr ist es zu verwundern , dass Kind sich so ungeberdig 
über Ihre Aenderungen angestellt. 

Weber. Ach wie grosse Noth hat man mit den Dichtern 1 
Jede Zeile, jedes Wort ist ihnen an's Herz gewachsen j von Aendern 
wollen sie durchaus nichts wissen , und nun gar ganze Scenen ver- 
werfen! — Ich habe eine solche Liebe für jede Einzelheit nie be- 
greifen können, ich habe sie immer nur vom Standpunkte des Ganzen 
aus betrachtet und sie ohne das geringste Bedenken geopfert, wenn 
sie mir zu diesem nicht zu passen oder ihm gar schädlich zu sein 
schien. Nur wenn man diese Stufe der Entsagungskunst erstiegen, 
und ändern gelernt hat, darf man sich wenigstens für einen ver- 
nünftigen Künstler halten." — 

Der Erläuterung bedarf dieses Alles weiter gar nicht , es ist 
sonnenklar. Wie einfach, ruhig nnd besonnen überschaut Weber 
einen Stoff, an dessen Gestaltung er sein Bestes hingegeben! Diese 
Objectivität, diese Höhe und Anschauung kennzeichnet den grossen 
Geist , und nichts vermag seine glänzende dramatisch-dichterische 
Befähigung mehr zu bezeugen, als der dramatische Scharfblick, mit 
dem er eben seine poetisch-musikalische Komposition zergliedert 
und vertheidigt. Weber hat den Freischütz gleichsam zum 
zweiten Male gedichtet, wahrer und tiefer als je 
Einer seiner berühmten Vorgänger Aehnliches 
versucht und vermocht: und dies nebst vielem 
andern gereicht ihm zum e wigen R u h me, ja esist 
kunstgeschichtlich das AUerbed entendste am ganzen 
Weber, dasjenige, woraus bei ihm alle weitern Schönheiten fiiessen, 
selbst seine unbeschreiblich schöne Musik. Er selbst sagt, durch 
Anschmiegen an den Gegenstand erwachse ihm erst die Kraft zu 
künstlerischer Gestaltung. Soll dies aber möglich sein , so musste 
zuallererst der Gegenstand selber in klaren Umrissen vor 



- 118 — 



seinem Geiste stehen, und eben diese Durchbildung gewisser 
Grundgedanken zu lebendigen Individualitäten 
istdie Hauptaufgabe des dramatischen Dichters. 
Weber gibt deutlich zu verstehen , dass dieses dichterische Ver- 
deutlichen und Verinnerlichen seiner Personen immer seine erste 
künstlerische Thätigkeit gewesen. Auf diesem lichten Grunde ent- 
stand z. B. die Agathe, diese Waldblume voll unerschöpflicher Poesie, 
durch die er sein Vaterland mit einem der schönsten Ideale beschenkt 
hat. Wie eine deutsche Jungfrau liebt, betet, jubelt, seufzt und hofft, 
das Alles stand vor Webers Zeiten nicht in so reiner Idealität vor 
uns, und ist durch ihn des Vaterlandes , ja der ganzen Welt unver- 
lierbares Eigenthum geworden. 

Dass man diesen ganzen Vorgang auch mit andern Augen an- 
sehen und besonders die hervorgehobene poetische Thätigkeit 
Webers, die ganz natürlich zunächst bloss im Kritisircn des vor- 
liegenden Textes, und dann im Durchbilden einzelner Persön- 
lichkeiten und Situationen , und nicht überall in vollbewusstcr 
Klarheit sich offenbaren konnte — für verderblich und auf Irrthum 
beruhend halten kann, mögen uns einige Acusscrungcn von R. Wagner 
beweisen : 

„Nach dieser (der deutschen Volks) Melodie gestallet Weber 
Alles ; was er , gänzlich von ihr erfüllt , gewahrt und wiedergeben 
will, was er so im ganzen Gerüste der Oper für fähig erkennt oder 
fähig zu machen weiss, in dieser Melodie sich auszudrücken, sei es 
auch nur dadurch, dass er es mit ihrem Athem überhaucht, mit einem 
Thaulropfen aus dem Kelche der Blume es besprengt, das musste 
ihm gelingen zu hinreissend wahrer und treffender Wirkung zu bringen. 
Und diese Melodie war es, die Weber zum wirklichen Factor 
seiner Oper machte : das Vorgeben des Dramas fand durch diese 
Melodie in soweit seine Verwirklichung, als das ganze Drama von 
vorn herein wie vor Sehnsucht hingerissen war, in diese Melodie auf- 
genommen, von ihr verzehrt, in ihr erlöst, durch sie gerechtfertigt 
zu werden. Betrachten wir so den Freischützen als Drama, so müssen 
wir seiner Dichtung genau dieselbe Stellung zu Webers Musik zu- 
weisen , als der Dichtung des Tankredi zur Musik Kossiuis. Die 
Melodie Uossinis bedingte den Charactcr der Dichtung des Tankredi 
ganz ebenso als Webers Melodie die Dichtung des Kind'schcn Frei- 
schützen, und Weber war h i e r nichts anders, als was Bussini 
dort war, nur er edel und sinnig, was dieser frivol uud sinnlich- 
Weber öffnete nur die Anne zur Aufnahme des Dramas um so viel 
weiter, als seine Melodie die wirkliche Sprache des Herzens, wahr 
ungcfälscht war : was in ihr aufging, war wohl geborgen und sicher 
vor jeder Entstellung. Was in dieser Sprache, bei all ihrer Wahrheit 
dennoch ihrer Beschränktheit wegen nicht auszusprechen war, das 
mühte sich auch Weber vergebens herauszubringen ; und sein Stam- 
meln gilt uns hier als das redliche Bckcnntniss von der Unfähigkeit 
der Musik, selbst wirklich Drama zu werden, nämlich, das wirkliche, 
nicht blos für sie zugeschnittene, Drama in sich aufgehen lassen; 
wogegen sie vernünftiger Weise in diesem wirklichen Drama 
aufzugchen hat. *) — — — — Die in Mozarl's Hauptwerke 
von uns angetroffene , so überaschende glückliche Beziehung zwi- 
schen Dichter und Komponisten sehen wir aber im ferneren Ver- 
laufe der Entwickelung der Oper gänzlich wieder verschwinden bis 
Rossini sie gänzlich aufhob, und die absolute Melodie zum einzig 
berechtigten Factor der Oper machte, dem alles übrige Interesse 
und vor allem die Betheiligung des Dichters, sich vollkommen unter- 
zuordnen hatte. Wir sahen ferner, dass der Einspruch Webers 
gegen Rossini nur gegen die Scichtigkcit und Charakterlosigkeit dieser 
Melodie, keineswegs aber gegen die unnatürliche Stellung des Mu- 
sikers zum Drama selbst gerichtet war. Im Gcgentheile verstärkte 
Weber das Unnatürliche dieser Stellung nur noch dadurch, dass er 
durch charakterische Veredelung seiner Melodie sich eine noch er- 
höhte Stellung gegen den Dichter zuthcilte, und zwar gerade um so 
viel erhöht, als seine Melodie die Rossini'sche eben an charakte- 
ristischem Adel übertraf. Zu Rossini gesellte sich der Dichter als 
lustiger Schmarotzer, Weber dagegen, erfüllt von unbeug- 
samem Glauben an die charakteristische Reinheit seiner einen und 
tintheilbaren Melodie, knechtete sich den Dichter mit dogmatischer 
Grausamkeit und zwang ihn, den Scheiterhaufen selbst aufzurichten 
auf dem der Unglückliche, zur Nahrung des Feuers der Weberschen 
Melodie, sich zu Asche verbrennen lassen sollte. Der Dichter des 

*) Oper und Drama, I, 83—85. 



Freischützen war noch ganz ohne es zu wissen zu diesem Selbst- 
morde gekommen: aus seiner eigenen Asche heraus prolcstirte er, 
als die Wärme des Weberschen Feuers noch die Luft erfüllte, und 
behauptete diese Wärme rühre von i h m her: — er irrte sich gründlich, 
seine hölzernen Scheite gaben nur Wärme, als sie vernichtet, ver- 
brannt waren: einzig ihre Asche, den prosaischen Dialog, konnte er 
nach dem Brande noch als sein Eigenthum ausgeben. Weber suchte 
sich nach dem Freischützen einen gefügigeren Dichterknecht *) etc. 
Raisonncmcnt gegen Raisonncmcnt, dazwischen die Bekenntnisse 
Weber's und seine Werke als feste Thatsachc — der Leser sehe 
genau, vergleiche noch Wagners Zergliederung der Euryanthc , die 
ich der Länge wegen nicht ausschreiben mochte, und eigne sich dann 
dasjenige Unheil an , welches am meisten mit den nicht wegzude- 
monstrirenden Thatsachcn im Einklänge ist. 

Hiermit sind wir am Ende, und ich füge nur dcsshalb noch einen 
Abschnitt — Besprechung der Opernreform- Vorschläge des Wohl- 
bekannten — als Schlussanhang hinzu , weil die dort zur Sprache 
kommenden Punkte mit Webers Art und Kunst in engster Ver- 
bindung stehen, Ucber die pocsiercichc Musik Webers sagte Herr 
Bcrlioz **) mit Beziehung auf das kurze Solo der Clarinctlc in der 
Freischülzouverlure sehr schön : N'est cc pas la vierge isolee, la blonde 
fiancee du chasseur, qui les yeux au eiel, mele sa tendre plaintc au 
bruit des bois profonds agiles par l'orage? O Weber!! 

(Schluss folgt). 



ÜBER CHORAL-REFORM IN BAYERN. 



(Schluss.) 
Der Hauptgrund des Misslingcns liegt wohl im Wesen der Sache 
selbst, resp. in den grossen Schwierigkeiten, die manche Melodien 
darbieten. Ich weiss, man widerspricht dem sehr häufig , indessen 
statt jeglicher weitem Motivirung meiner Behauptung führe ich 
einen der wichtigsten ev. Choräle in seiner rhy (mischen Gestalt an 
und frage alle Männer die es, wie der Referent , mit der Praxis zu 
thun haben, ob sie sich getrauen, dieses evangelische Kernlied, so 
wie es unter andern Dr. Layritz in seinem „Kern des evange- 
lischen Kirchengesangs'' Heft 1. notirt hat, mit ihren Gemeinden 
bezüglich der Melodie und Hhylmik vollkommen richtig einzuüben. 



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mit Ernst ers izt meint, grossMach tu. viel List, sein grausamRüstung 



*) Ebcndas. I, 134 — 135. 

**) Grand traue* d'instrumentation etc. „les Clarinettcs" 



if9 - 




nicht seins glei chen. 



Und wenn auch wirklich die Einübung dieser Melodie zu Stande 
kommt, wird auch die Gemeinde im richtigen rhytmisehen Vortrag 
derselben erhalten werden? Und, sind bei der Einübung nicht so 
viele und bedeutende Störungen während der gottesdienstlichen 
Feier entstanden, dass dadurch alle errungene Vortueile aufgewogen 
werden, um so mehr, da dieses herrliche Kirchenlied auch in seiner 
modernen Form die Herzen der evangelischen Gemeinden so manches 
Mal schon erhob und erbaute? In Mönchen, dem Sitze jener hohen 
Kirchenbehörde, welche in ganz Bayern die Choralreform anordnete, 
scheint man die beiden letzten Fragen in ernstliche Erwägung ge- 
zogen zu haben , denn merkwürdiger Weise ist dort in der evangel. 
Stadtkirche bis dato noch nicht ein einziger rhytmischer 
Choral mit der Gemeinde eingeübt worden. Chorgesänge der 
Art , die ich während eines längeren Aufenthalts daselbst hörte, 
können hier nicht in Anschlag kommen und die Entschuldigung, dass 
es in München , wo so viele Fremde am Gottesdienst Theil nähmen, 
besonderen Schwierigkeiten unterworfen sei , kann gar nicht Platz 
greifen, da Fremde sich viel gefügiger einer Leitung unterziehen, 
da dort ein gutes Orgelwerk, ein ausgezeichneter Organist und Kan- 
tor, ein tüchtiger Sängerchor, eine zahlreiche Lehrerschaft, eine im 
Gesang gut geschulte Jugend, eine zahlreiche Geistlichkeit mit ihrem 
Einflüsse und das hohe Oberkonsistorium mit seiner vollen Autorität 
dergleichen Hindernisse, die sich ja häufig auch an andern Orten 
vorfinden, leicht beseitigen könnten. Warum also nicht in Mönchen, 
am Sitze der obersten Kirchenbehörde? Dort hätte man vor Allem 
Versuche anstellen und sich mit den Schwierigkeiten nach allen 
Richtungen hin vertraut machen sollen und zwar eher , als man für 
die gesammte evangelische Gemeinde des Königreichs Regulative 
erlassen hätte; denn die Münchner evangelische Kirchengemeinde 
steht ebensowenig zum Experiment iren zu hoch , als die übrigen 
Gemeinden des Landes und die gottesdienstliche Erbauung einer 
Landgemeinde ist ebenso wichtig, als die einer grossen Stadt» 
gemeinde. Merkwürdiger Weise aber ist in Bayern allenthalben die 
Meinung verbreitet, dass in München blos rhytmische Choräle gesungen 
würden, während dort gar keine Rede davon ist, wie sich der 
Verfasser durch einen fast jährigen Aufenthalt und fleissigen Kirchen- 
besuch daselbst erst in der neueren Zeit aus eigner Anschauung 
überzeugte. — Die Praxis erscheint hier allerdings im Wider- 
spruch mit den kirchlichen Erlassen in diesem Betreff. Dazu kommt 
dann überhaupt noch die Halbheit in der Durchführung der Reform. 
Sokrates und Xantippe vertrugen sich, aber nicht so der rhytmische 
mit dem modernen Choral; hier heisst es wie schon oben be- 
merkt, entweder — oder. — Ein weiterer Grund des Misslingens 
der Choralreform war eine mangelhafte Vorbereitung derselben. 
Eine durchgreifende Reform erfordert eine langjährige, umsichtige 
Vorbereitung in Schule, Kirche und Gemeinde, sie setzt bei Orga- 
nisten, Kantoren und Geistlichen eine gründliche nnd insbesondere 
in musikalischer Beziehung historische Bildung voraus; denn nur 
dann erst werden Alle mit gleicher Liebe und Begeisterung in 
Schule Kirche und Gesangvereinen für die Sache arbeiten, Andere 
ebenfalls dafür begeistern und so allmählig bei den Gemeinden die 
Reform anbahnen. So lange dieses nicht der Fall ist, so lange man 
die Seminaristen, die künftigen Träger der Reform, mit einer dürren 
Akkordenlehre, mit unverdauten Regelmassen und einem fürs prac- 
tischc Leben werthlosen Gedächtnisskram, ohne dass sie in ihrer 
Bildungsanstalt nur ein einziges Wort von der Musikgeschichte, noch 
yielweniger einen kurzen Abriss davon erhalten hätten , vom Semi- 
nar ins practische Leben hinüberjagt, so lange sollte man nicht von 
einer Choralreform reden und durch Störungen aller Art die gottes- 
dienstlichen Versammlungen entheiligen. Erst eine breite, feste 
für alle Zukunft berechnete Unterlage, dann wird gewiss ein guter 
Erfolg das Unternehmen segnen. 

Aus Franken, im Juni 1858. Hm» 



ÜBERDftUCK! — RACHDRUCK? 



Unter den „Nachrichten" in Nummer 27 dieser Blätter vom 4» 
Juli 185S ist eine Bekanntmachung, im Namen der deutschen Musi- 
kalienhändler durch deren Secrelär erlassen, aufgenommen, wonach 
jedwelche Vervielfältigung ihrer Verlagswerke „gleichviel zu 
welchem Zwecke" durch Ucberdruck als gesetzlich verbotener und 
daher strafbarer Nachdruck erklärt wird Jeder rechtlich gesinnte 
Mensch hat es gewiss der Billigkeit angemessen gefunden , dass die 
Verleger von literarischen und Kunst * Werken durch ein besonders 
erlassenes Gesetz gegen Nachdruck geschützt sind; die Acqnisition 
der Manuscripte dieser Wurkc kann in den meisten Fällen nur durch 
förmlichen Ankauf erfolgen : hierzu kommen dann noch die Aus- 
stattungskosten , während der Nachdrucker nur die Letzteren zu 
tragen hat, daher derselbe auch sein Fabrikat zum offenbaren Nach- 
theil des rechtmässigen Verlegers billiger absetzen kann. Ganz 
deutlich springt hier der Nachdruck als solcher in die Augen, dessen 
wesentlichstes Kennzeichen doch wohl in der Absicht eines uner- 
laubten Gewinns zu suchen ist. Nicht so klar ist es, ob eine Verviel- 
fältigung von Gesangstimmen für besondere Zwecke wie Conccrte, Mu- 
sikfeste etc. mittelst des Ueberdrucks (mit chemischer Tinte geschrieben 
und durch Steine abgeklatscht) als verbotener Nachdruck anzusehen 
sei. Dass zwischen diesen beiden Arten der Vervielfältigung ein 
Unterschied obwalte, ist leicht zu erkennen; denn der Ueberdruck 
kann in den angegebenen Fällen doch nur als ein bequemer ausführ- 
bares Abschreiben betrachtet werden, welches bisher wenigstens 
noch nicht verboten war. Es wäre daher höchst wünschenswerth, 
dass das Gesetz gegen den Nachdruck sich hierüber präeiscr aus- 
spräche ; indem eine Interpretation des Gesetzes nur von Seiten der 
Musikalienhändler als eine einseitige erscheint. — Wie schon ange- 
deutet, und wie auch aus dem bezeichneten Erlass hervorgeht, wird 
der Ueberdruck hauptsächlich zur Vervielfältigung von Gesangstimmen 
für Musikfestc angewandt. Der allerdings sehr bnachtenswerthe Vor- 
schlag, welcher dem Erlasse in diesen Blättern beigegeben ist, 
nämlich die Gesangstimmen weniger splendid auszustatten und 
weitere Begünstigung für den Ankauf der Stimmen zu gestatten, 
hebt die Misssfände nicht alle auf. Die Stimmen zu grösseren Ton- 
werken, Oratorien, Cantaten, Motetten etc. überhaupt aller Tonslückc, 
die ein, und nur ein zusammengehöriges Ganze bilden, könnten dann 
bei weniger glänzender Ausstattung von den Verlegern in Masse be- 
zogen werden; wie aber, wenn Gesänge und Lieder aus verschie- 
denen Heften oder Bänden gewählt werden , wie dieses häufig bei 
Musikfesten und besonders bei Cresangfesten der Fall ist? Ange- 
nommen, es seien 12 Gesänge für ein Fest in Aussicht gestellt; 
jedes dieser Stücke befindet sich aber je in einer besonderen Sam- 
Jung von 3, 6, 12 oder gar noch mehreren Tonstücken. Ist es billig 
und recht, die Unternehmer von solchen Festen, die überdies meistens 
zu wohlthätigen Zwecken veranstaltet werden , quasi zwingen zu 
wollen, statt zwölf Gesänge deren vierzig, achtzig, hundert oder gar 
noch mehrere für ein einziges Fest anzukaufen?! Der Erlass könnte 
nach unserer Ansicht nur dann gerechtfertigt erscheinen, wenn die 
Verleger ausser möglichst billiger Ausstattung ihrer Verlagswerke, 
namentlich solcher, die für grosse Chöre geeignet sind, jede einzelne 
Nummer von Sammlungen besonders abdrucken liessen , dabei aber 
auch ein solches Format wählten, dass je nach der Grösse des Gesang- 
stücks die beiden Seiten eines oder einiger Blätter vollständig ausgc- 
füllt würden, oder auch, dass dieselben sich bereit erklärten, Abdrücke 
in der obenbezeichnelen Form auf Bestellungen hin machen zu wollen. 
Dann — und nur dann würde dem von den Musikalienhändlern als 
verbotener Nachdruck bezeichnete Ueberdruck und auch im Falle 
dieser wirklich in allen Fällen verboten werden könnte, dem lästigen 
Abschreiben vorgebeugt werden. Wie die Sachen aber jetzt stehen, 
erscheint der berührte Erlass fast gehässig , indem er — wenn er 
Rechtskraft hätte und man auch nicht abschreiben wollte oder 
könnte — die Aufführung vieler Tonstücke geradezu unmöglich macht. 
Und ist es nicht eine Art Versündigung von Seiten der Verleger 
gegen das Publikum , demselben die Aufführung geistiger Producte 
durch kostspieligen Druck und ungeeignete Form vorzuenthalten, 
aber auch die Selbsthülfe durch Ueberdruck nicht gestatten zu wollen ? 
Ganz abgesehen von der Rechtsfrage aber möchten wir den Musi- 
kalien-Verlegern zu erwägen geben, ob die Verhinderung des Ueber- 
drucks namentlich .in 4*n obenbezeiejinatett Fällen in ihrem eigenen- 



— 120 



Interesse liege? Die Unternehmer der Musikfeste sind in der Regel 
genöthigt , ein Exemplar der Liedersammlung , woraus sie einen Ge- 
sang zur Production gewählt, anzukaufen , um ein sicheres Original 
für die Copie zu haben. Schon viele der Sänger» denen das eine 
oder das andere Lied gefällt werden dadurch zum Ankauf der ihnen 
noch unbekannten Sammlung veranlasst. Aber auch manche Zuhörer 
werden sich dieselben anschaffen, und ausserdem werden Gesänge, 
welche bei der Aufführung Beifall erhielten , gewöhnlich in öffent- 
lichen Blättern besprochen und vortheilhaft empfohlen; ohne diese 
Vorführung würden manche Lieder ganz und gar unbekannt bleiben. 
Wenn wir oben die Auslegung des Gesetzes gegen den Nachdruck 
von Seiten der Musikalienhändler eine einseitige nannten, so wollten 
wir uns damit nicht anmaassen, im Vorstehenden das allein Richtige 
bezeichnet zu haben, sondern wir betrachten vielmehr diese Frage 
vor der Hand als eine noch unentschiedene, deren Entscheidung aber 
höchst wünschen« weith erscheint. F. J. K. 

NACHRICHTEN. 

Mainz. Der beliebte Komponist Ant. Wallerstein aus Hannover 
war einige Tage hier anwesend. Er geht nach Süddeutschland und 
Oesterreich, um auch dort für die Verbreitung seiner Composilionen 
zu wirken. 

Frankfurt. Frl. Johanna Wagner, welche als Fides, Valentine, 
Fidelio und in anderen Rollen ein seltenes Talent bekundete , das 
die Vorzüge einer mit schöner Stimme begabten und technisch aus- 
gebildeten Sängerin mit den Eigenschaften einer dramatischen Künst- 
lerin, die den Geist ihrer Rolle zu erfassen und mit erschütternder 
Wahrheit zur Darstellung zu bringen versteht, vereinigt, hat trotz 
dem bei dem hiesigen Publikum nur einen massigen Beifall erringen 
können. 

Wiesbaden. Vieuxtemps ist hier und hat bereits ein Concert 
gegeben. 

— Frl. Johanna Wagner wird wahrscheinlich in einigen Rollen 
hier auftreten und uns Gelegenheit geben zu ersehen, ob die laue 
Aufnahme , welche diese Künstlerin in Frankfurt gefunden hat, 
wirklich in Mängeln ihres Gesangs und Spieles begründet ist , die 
anderwärts bisher nicht bemerkt worden octer ob Frankfurt, das die 
sonst überall durchgefallene Brüsseler Italienische Operngesellschaft 
mit rasendem Beifall begrüsste, nur in seiner Würdigung der Kunst 
und der künstlerischen Eigenschaften consequent geblieben ist! 

Carlsruhe. Ende September wird ein grosses Musikfest statt- 
finden, welches 3 Tage dauern soll. Liszt ist von dem Regenten mit 
der Organisation und Oberleitung desselben beauftragt , und wird 
darin nur Compositionen von neuern Meistern zur Aufführung bringen, 
doch aber auch die 9. Sinfonie von Beethoven. 

Baden-Baden. Am 20. August wird ein Musikfest hier statt- 
finden, H. Berlioz beabsichtigt seine Sinfonie Romeo und Julie 
dabei aufzuführen. Wie es scheint müssen Deutsche und Engländer 
dafür büssen; was die Franzosen verbrochen haben. 

Frl. S. Cruvelli wird erwartet. Mad. Lagrange und MUe. Weit- 
heimber (von der Opera comique) befinden sich hier. 

Homburg. Frl. Johanna Wagner sang hier in einem Concert« 
Vieuxtemps gab ein Concert. 

Bielefeld* In kurzem wird ein trefflich eingeübtes Männer« 
quartett von hier nach New-York gehen, um dort während der In- 
dustrie - Ausstellung zu singen. Dasselbe ist von einem dortigen 
Unternehmer engagirt worden. 

Cöln. Fr. J. Wagner gastirt hier. Von dem Ertrage seiner 
Londoner Concerte hat der Männergesangverein der Dombaukasse 
3400 Thl und der Armenschule 300 Thl. Übermacht 1 

Wien. Madame Marlow hat ihren Gastrollen Cyclus eröffnet. 
Bis jetzt sang sie Martha und Lucia unter grossem Beifall. Neben 
ihr gastirt Mad. Nottes von Hanover. 

— Der Violinist L. Wiest gab einige Concerte. Die Aufnahme, 
welche die neu engagirten Sänger und Sängerinnen der Oper gefun- 
den haben ist nicht die günstigste. 

Berlin. Die Königsberger Operngesellschaft wird Ende Juli 
ihr Gastspiel beschliessen , das bis jetzt ziemlich traurig ausgefallen 
ist. — Das Auftreten Rogers als George Brown war der einzige 
Glanzpunkt desselben, wenngleich das Repertoire im Allgemeinen 
recht gut gewählt ist. — Im August kommt die Stumme von Portici, 



neu einstudirt und in Scene gesetzt, zur Aufführung. — Die Gebr. 
Doppler aus Pesth, beide Kappelmeister und dabei ausgezeichnete 
Flötisten, liessen sich einigemal hören. 

Zürich« Arn 13. Juli brachten die hiesigen Männergesang- 
Vereine R. Wagner als Zeichen der Anerkennung seiner musi- 
kalischen Wirksamkeit einen Fackelzug, eine Ehrenbezeugung, die 
bei der bekannten Abneigung der Schweizer gegen Deutsche und be- 
sonders gegen Flüchtlinge hoch angeschlagen werden muss. Schon 
nach dem grossen Musikfest im Mai erhoben sich Stimmen, welche 
Wagner einen öffentlichen Dank gebracht wissen wollten, es wurde 
sogar vorgeschlagen, ihm das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen. Die 
erneute Verfolgung Wagners von Seiten der Dresdner Polizei scheint 
endlich den Ausschlag gegeben zu haben. Wagner erklärte in seiner 
Dankrede, Zürich nie verlassen zu wollen. 

Brüssel* Die Akademie der schönen Künste etc. hat einen 
Preis von 900 Frc. baar und ein goldne Medaille von 600 Frs. Werth 
auf die beste Komposition einer grossen Sinfonie in 4 Theilen ge- 
setzt, welche bei der Vermählung des Herzogs von Brabant aufge- 
führt werden soll. Auslander sind eingeladen zu coneuriren. Das 
Manuscript muss bis ersten August an den Secretär der Akademie 
eingesandt werden. 

Paris. Das Innere der grossen Oper wird in diesem Augen- 
blick vollständig umgewandelt. Sogar die Beleuchtung wird nach 
einem grössern Maassstabe eingerichtet. Bis zum 8. August hofft 
man fertig zu sein und den Saal eröffnen zu können. Ein Ballet, 
in welchem die Tänze und Pantomimen der Atellanen (satyrische 
Festspiele der Römer zu Nero's Zeit) nachgeahmt werden sollen, 
wird die Ehre haben, den Reigen der Wintersaison zu eröffnen! 
Die Gesellschaft der komischen Oper ist einstweilen in den Saal 
Ventadour, das italienische Opernhaus, übergesiedelt. — Madame 
Lagrange, zuletzt bei der italienischen Oper engagirt, ist für die 
nächste Saison der italienischen Oper in Petersburg engagirt worden 
und erhält, für 5 Monate 80,000 Frcs. Wer die Aufnahme kennt, 
welche Madame Lagrange bei ihrer Kunstreise in Deutschland ge- 
funden oder sie selbst gehört hat , wird billig über diese enorme 
Summe erstaunen und von dieser Thatsache einen ziemlich richtigen 
Schluss auf die Geschmacksrichtung des italienischen Opernpublikums 
ziehen können. 

London. Mad. Tedesco ist mit grossem Beifall als Fides auf- 
getreten. Frl. Ciauss bleibt noch 2 Monate hier und wird eine Kunst- 
resp. Concertreiso durch die Provinzen machen. 

— Die diesjährige Saison war eine sehr besuchte, fremde und ein- 
heimische Künstler wetteiferten dem Publikum Neues und Interessan- 
tes zu bieten. Ausser den bekannten Virtuosen Ciauss , Prudent, 
Halle, Vieuxtemps , Sainton , Piatti Hess sich auch eine junge Wie- 
nerin, Frl. Emma v. Stauddaels hören ; Herr Adolph Schlösser aus 
Frankfurt a.M. spielte ebenfalls mehrmals. Seine Compositionen fan- 
den viel Anerkennung. Die Wunderkinder Arthur, Napoleon und 
Titeo Mattei dürfen nicht vergessen werden. Neben Mad. Tedesco 
enthusiasmirt Signora Medori das Publikum von Coventgardcn. 

Gesang feste. Am 2. Juli feierte der bergische Sänger- 
bund zu Hückeswagen im Wupperthale sein jährliches Fest. Musik- 
Director Weber (Leiter des Kölner Männergesang-Vereins) hatte die 
Leitung übernommen. In denselben Tagen fand in Detmold das £än- 
gerfest der norddeutschen Liedertafeln statt. Am 2. Tage dirigirte 
Capellmeister F. Kücken. 

Neue Oper. Thalberg soll mit der Composition einer komischen 
Oper beschäftigt sein. G. Schmidt, Capellmeister iu Frankfurt, hat 
eine neue Oper „die Weiber von Weinsberg" vollendet. — Der ano- 
nyme Preisausschreiber auf den besten Operntext (s. Nr. 27 d. Bl.) 
soll der Herzog von Coburg, Componist der Casilda etc. sein. Dann 
wäre freilich erklärt, warum die Wahl des Componisten für den 
Text nicht auch einer musikälishen Jury überlassen worden ist. 

Anzeige. 

Ein jnnger Musiker, der gute Schulkenntnisse besitzt, des Cla- 
vierspiels mächtig ist und einem Streichinstrumente, oder der Po- 
saune in einem guten Orchester vorstehen kann , findet eine gute, 
dauernde und angenehme Anstellung in einer Musikalienhandlung Und 
Leihanstalt. 

Reflectirende wollen ihre Anträge unter Chiffer M. N. frankirt 
an Herren B. Schott' s Söhne in Mainz gelangen lassen. 
Ymatvwtllchw Bttakmi: 4. J. 8CH«T. -Drack von REUTER* WALLAU 1« latai. 



2. Jahrgang. 



Mr. 31. 



1. August 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jpden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern 
Mnsik- und Buchhaodlungen. 



RED1CTI0N »KD VERLAß 

von 

SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 





1 
PREIS: 


fl. 3. 


42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 


I 


für den Jahrgang. 


Dnrcb die Post bezogen: 


SO kr. 


oder IS Sgr. per gnartal. 



Inhalt : C. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. (Schluss). — Corresp. (Mainz u. London). — Nachrichten. 



C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN 

über 

die Compositioii des Freischütz und filier 
Operncompositton überhaupt. 

(Schluss.) 

VII. 
Anhangt Des Wohlbekannten Vorschläge zu einer Reform der 
Oper *). 

Wir wollen diese Vorschläge oder Vorschriften übersichtlich 
zusammenziehen. Also : 

Erstens: „die Oper daure in keinem Falle länger als höchstens 
drei Stunden, wobei ich an drei Acte denke". Angenommen — mit 
dem Vorbehalte, dass wenn einmal ein gutes Stück etwas länger 
dauert, wir nicht so genau nach der Uhr sehen wollen. Allerdings 
spannt ein vier- und fünfstündiger Kunstgcnuss leichter ab , als ein 
dreistündiger; aber die eigentliche Ursache der Ermattung bleibt 
doch immer das unreine, künstlerisch gestaltlose Werk, was übrigens 
der geehrte Verfasser ebensogut wissen wird, als wir. 

Zweitens. „Man massige sich im Gebrauch des Orchesters. 
Für die verschiedenen Kraftmomente scheint man nur ein Instrumen- 
tationsmittcl zu kennen : das ganze Orchester Fortissimo. Die 
Wirkung davon kann keine andere sein , als Abspannung des Ohrs 
und des Geistes meistentheils schon nach dem ersten Acte. Hat 
der Komponist einen sehr leidenschaftlichen Text erwählt, so handle 
er wie der gute Schauspieler, der eine leidenschaftliche Rolle darzu- 
stellen hat: dieser spart seine Kraft für die entscheidenden Momente 
auf, und hält die Anderen mit Absicht und künstlerischer Be- 
rechnung zurück." Wir sind diesen Gedanken, etwas anders gefasst, 
schon oben bei Weber begegnet. Der Vergleich mit der Schau- 
spielkunst , das vergleichende Abschätzen beider Künste , ist immer 
von Nutzen, denn das recitirende Drama ist stets auf das Ganze 
hingewiesen, es ist nichts, wenn es nicht ein Ganzes ist, den Dar- 
stellern wird das Ganze leicht klar und durchsichtig , und sie wissen 
bald , wo die Schwerpunkte liegen — dagegen ist die Oper bisher 
noch immer mehr oder weniger auf das Einzelne gerichtet ge- 
wesen, sowohl in der Gesammthaltung (durch übermässige Rücksicht 
auf den gesondert musikalischen Theil) als in den einzelnen Theilen 
durch die breiteste Entfaltung musikalischer Formen und Kunst- 
stücke) , trübte hierdurch den Blick des Sängers von vorneherein, 
und auch den des Komponisten. Hier kann, ja hier muss die Oper 
vom Schauspiel lernen und sich das aneignen, was ihr zu ihrer 
eignen Vollendung, d. h. künstlerischen Selbständigkeit, bisher noch 
gefehlt hat. Dieses Aneignen kann aber nicht ein äusserliches 
Nachahmen sein, sondern es muss sich zeigen in dem Aufnehmen 
eines eben so einfachen Grundplanes ifür die Oper wie 
für das Schauspiel , in der Wahl der Handlung , in der Gestaltung 
des Textes, in der physologischen Lebendigkeit und Folgerich- 
tigkeit des Ganzen, mit einem Worte: man muss Ernst machen 



*) In den „fliegenden Blättern" Heft 2, S. 78—86, 



mit der Wahrheit und mit der musikalischen Dramatik. 
So hat der Komponist; und später auch der Sänger, es mit einem 
Leben zu thun , dessen heftigere oder ruhigere Pulsschläge er zu 
zeichnen, dessen natürlichen Verlauf er darzustellen hat. Von diesem 
Gesichtspunkte aus würde ich diese zweite Maxime , wenn ich sie 
aufgestellt hätte, etwas bestimmter ausgedrückt haben. 

Drittens. „In den meisten Opern vermisst man plastische 
Charakteristik der Personen. Diese könnte durch eine neue Weise 
der Instrumentation vorzüglich vermittelt werden. Wagner gibt in 
seinen Opern jeder Person eine Hauptmelodie , die jene durch fast 
alle Situationen begleitet. Sollte , was mit der Melodie bewirkt 
werden kann, nicht auch mit der Instrumentation zu bewirken sein? 
Jede Person erhalte ein anderes Or c h e s ter, d h. eine 
bestimmte , von den andern sich unterscheidende Totalklangfarbe. 
z. ß. müeste es nicht das Verständniss der Charactere ausser- 
ordentlich steigern , wenn der von seiner innern Schuld ewig beäng- 
stigte Oerindur (in der bekannten Tragödie von A. Müller: „die 
Schuld") durch eine Orchesterregistrirung von vier Violen (keine 
Violine durchgängig bei ihm), zwei oder drei Violoncelles und zwei 
Kontrabässen nur, der unschuldige Knabe durch Violinen, Violen, 
Flöten, Oboen, u. s. fort jede Person durch eine andere bestimmte 
und festgehaltene Instrumentation bei jedem Auftritt begleitet würde? 
Ich will diesen Vorschlag keineswegs so streng genommen wissen, 
dass eine bezügliche Zusammensetzung von Instrumenten durchaus in 
derselben Weise bei jedem Auftritt der Person festzuhalten sei. Es 
möge hier ein Instrument hinzukommen, dort eines wegbleiben, nach 
Bedürfniss der verschiedenen Situationen und feineren Characternüan- 
cirungen ; wenn nur die Hauptfarbe vorherrschend bleibt so 
wird das Ganze , der Character, nicht verwischt und die Wirkung 
ist dieselbe." Auch dieser Punkt, besonders am Schluss , erinnert 
uns an Weber. Der Leser wird noch wissen , dass ich eine Bc- 
sekränkung und Berichtigung der Weberschen Anschauung für nöthig 
hielt , und zu geben versuchte. Das nun , worin unser Verfasser 
noch über Weber hinausgeht, ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls 
vom Uebcl. 

Die Hauptfrage bleibt, ob dergleichen Verfahren zur Wahrheit 
führt. Die Schuld liegt nun doch eigentlich nicht an den tiefen 
Saiten. Aber das ist ein billiger Einwurf, kann man sagen. Denn 
wer z. B. an J. Kerners Seherin von Prcvorst glaubt , an den 
„Nervengeist" der Gestalt und Farbe besitzt , im Zustande der 
Schuld grün , bei zunehmender Besserung gelblich aussieht u. s. f. 
der wird auch zwischen dem Geistesleben und der Ton färbe eine 
mystische oder magische Uebereinstimmung finden , und schon dess- 
halb dem Verfasser beistimmen. Ich aber kann mich hier nicht 
zu den Gläubigen zählen. Geist ist zunächst Geist, ist ohne Mater- 
ialität, ohne Farbe, gewinnt aber Gestalt in sinnlich fassbaren 
Organen. Das Organ der Aeusserung de* Geistes ist in der Musik 
zunächst die Melodie , erst zur Verklärung der Melodie tritt das 
Orchester hinzu. Der geehrto Herr Verfasser stimmt mir hier viel- 
leicht bei , aber wir beide meinen doch nicht ganz dasselbe; wenig- 
stens wurde der, welcher überzeugt ist, dass die Instrumentation 
an die Melodie gebunden, von ihr hervorgerufen sei, nicht mehr von 



122 



einer Characteristik der Personen durch sie reden können. 
Durch Verklärung und Verdeutlichung der Melodie erhellt, be- 
zeichnet, verdeutlicht die Instrumentation das Ganze und das Ein- 
zelne im Ganzen, sowie es das von dem dramatischen Leben 
von der Scene ergriffene musikalische Gefühl fordert. Da- 
gegen ist es unnatürlich und daher ganz unmöglich, von vorneherein 
wenn auch nur allgemein zu bestimmen, welche Instrumentation ein 
bestimmtes geistiges Leben, Character, Zustände ausdrücke; denn 
soll die Schuld in den tiefen Saiten, die Unschuld in den Flöten, 
der Gesang der Engel in den Harfen sitzen, so haben wir die reine 
Materialität und das po e tis che B ild d e s K I ang e s 
dem reinen abstracten Geiste gegenüber gestellt , und 
werden letzteren nie zu einem andern als zu einem mechanischen 
Ausdrucke bringen. Diesen Mechanismus oder vornehmer gesagt : 
diese Symbolik des Klanges hat das Schauspiel oft dort angewandt, 
wo es mit eigenen Mitteln nicht recht fort konnte. Hierher gehört 
Faust, Egmont , überhaupt das ganze Melodram , hierher gehören 
fast alle Dramen unserer sogenannten Romantiker, besonders Z. 
Werners Stücke der z. B. seine grossen, d. h. auf den Fussspilzen 
stehenden Heiligen unter Sphären - (Flöten - und Harfen-) klang er- 
habenen Unsinn reden lässt. 

Monotonie ist hier also unvermeidlich, sie liegt einfach in 
dem Missverhältniss des Geistigen und Sinnlichen, 
beides kann auf diese Weise nie ganz zusammen kommen, Denn 
das, was der Verfasser als geistigen Inhalt angibt, ist an sich gar 
nicht sinnlich mitzutheilen : Schuld, Unschuld und so weiter sind 
reine Abstractionen , und erst wenn es gelingt, sie dramatisch 
lebendig zu machen, kann von ihrer angemessenen künstlerischen 
Gestaltung die Rede sein. Allerdings konnte der Verfasser dies 
nicht, wollte er nicht gleich ein ganzes dramatisches Gedicht, einen 
Operntext geben ; denn die Reflexion operirt immer nur mit B e- 
griffen: aber eben desswegen ist sie wohl im Stande, ein Kunst- 
werk zu analysiren aber nicht, demselben Gesetze vorzuschreiben. 

So fehlen hier die beiden Kräfte die in ursächlicher Verbindung 
stehen, und denen eine gestaltenbildende schöpferische Kraft und 
innere Gesetzmässigkeit inwohnt: dramatisches Leben und 
Melodie. 

Ich habe wohl erwogen , was der Verfasser dem Vorwurfe der 
Monotonie entgegensetzt. Er sagt: „Dieser Einwurf ist nicht halt- 
bar. Das Streichquartett hat vier Sätze , die von denselben Instru- 
menten vorgetragen werden. Eine Quartett - Soire'e bringt in der 
Regel drei Quartette und folglich zwölf in der gleichen Total- 
farbe gehaltene Sätze. Warum empfindet der Musikfreund dabei 
kein Gefühl der Monotonie? Weil der gute Komponist innerhalb 
dieses beschränkten und festgehaltenen Klangcharacters die mannig- 
faltigsten Lichter und Schatten, die verschiedenartigsten Klang- 
nüancen bringt und durch dieselben vier Instrumente alle Affecte, 
Gefühle und Leidenschaften darstellt. Wenn uns daher eine Musik 
von gleicher Zusammensetzung gewisser Instrumente, längere Zeit 
angehört, monoton erscheint, so liegt die Ursache entweder in dem 
Mangel mannigfaltiger Nüancirung derselben , oder im Mangel an 
Gefühlsausdruck , oder in beiden zugleich. In der Oper kann aber 
von einer einzigen Instrumenten-Zusammcnsetzung gar nicht die Rede 
sein, da jede Person von der andern sich durch ihren Character 
unterscheidet, und dieser Unterschied eben durch die Instrumentation 
mit versinnlicht werden soll. Es müssen daher nothwendig in jeder 
Oper so viel verschiedene Hauptklangfarben erscheinen, als Personen 
auftreten." 

Allerdings sind matte Kompositionen die natürlichsten Ursachen 
der Monotonie und ihrer Wirkung, der Langeweile; aber hier reicht 
die Erklärung nicht aus, und der Vergleich passt nicht. Wer 
Quartette anhört, der weiss, dass er es nur mit Saiteninstrumenten 
zn thun hat, und wird, wenn er gesunde musikalische Sinne besitzt, 
nicht schon desshalb Langeweile verspüren, weil er kein Blech hört, 
wie es uns im Walde nicht desshalb unheimlich ist, weil wir nicht 
im Garten sind. Eine nothwendige, mit Bewusstsein ge- 
setzte Schranke ist nie an sich ein Hinderniss der 
geistigen Thätigkeit und Lust, und eine solche ist in ge- 
nannten Beispielen vorhanden. Bei der Oper aber können wir uns 
nicht überzeugen, dass es so sein muss, dass diese Schranke noth- 
wendig ist', ist sie nun doch da, so gibt es zuletzt kein Mittel mehr, 



sich vor der Langeweile, vor dem künstlerischen Unbehagen zu 
retten, grade die am tiefsten musikalisch Empfindenden werden davon 
heimgesucht sein, während vielleicht die Masse in demselben Momente 
sich in unkünstlerischem Behagen ergötzt. Das kommt daher, weil 
man nicht das Gefühl hat von der Notwendigkeit, Vernünftigkeit, 
Kuustgemässheit eines solchen Verfahrens. 

So etwas lässt sich wohl vorschlagen, aber nicht beweisen. 
Hier darf man dreist behaupten: Alles, was sich lernen lässt, ist 
keine Kunst, und wie die Kunst das Gelernte zu verwenden habe, 
kann ihr nur innerhalb ihrer Ringmauer, nämlich vom Künstler 
selbst, vorgeschrieben werden. Im Allgemeinen aber decken 
sich nicht Charakter und Instrumentation, sondern die 
Objecte und die Mittel stehen hier so zu einander: 

Charakter (Person) = Melodie 
Situation (Scene) = Instrumentation. 

Ueber die vom Verf. beiläufig genannte Wagner'sche Orchester- 
melodie bemerke ich ebenfalls beiläufig, dass ich diese nicht meine, 
wenn ich die Melodie als das Ursprünglichere bezeichne. 

Der H. Verf. redet einem Verfahren das Wort, welches sich in 
den Kunstwerken der letzten zwanzig Jahre in unerquicklichster 
Breite und Verwirrtheit entfaltet hat; es bliebe ihm nur das Verdienst, 
dasselbe in ein loses System gebracht und dadurch dieser Reflexions- 
musik eine vollkommene Berechtigung zugestanden zu haben. Es 
gibt aber künstlerisch nichts Unklareres, als diese Art von Musik; 
— ich für mein Theil habe vor derselben, zu der unter den Lebenden 
besonders auch Berlioz ein Bedeutendes gesteuert hat, einen solchen 
Respect, dass ich ihr möglichst aus dem Wege gehe, ebenso sehr 
wie den mit einem Kommentar versehenen Gemälden. 

Viertens. „Das Hauptprincip bei den Operncompositionen sei: 
Verständlichkeit der Worte und Töne des Sängers 
ohne alle Ausnahme. Im Leben kommen dunkle oder den be- 
schränkten innern und äussern Menschensinnen ganz unverständliche 
Erscheinungen vor, das Kunstwerk muss überall die Verständniss- 
möglichkeit für den Menschen in sich tragen, denn dadurch soll es 
sich eben von dem gewöhnlichen Leben unterscheiden und ein höheres 
und vollkommeneres offenbaren. Wenn Sänger in der Oper über- 
haupt für nöthig gehalten werden, so müssen sie jederzeit, wenn sie 
singen, zu hören sein. Vernünftigerweise ist kein Fall zu denken, 
dass man nur des Sängers geöffneten Mund sehen , Ton und Wort 
aber daraus nicht hervorklingen hören sollte. Verständlichkeit des 
Sängers verlange ich daher in Namen des gesunden Menschenver- 
standes. Wenn es nicht möglich ist, sie überall zu erreichet), so ist 
die Oper eine unvollkommene Kunstart. Aber es ist möglich : man 
mache es wie der recitirende Schauspieler ; dieser erschüttert mit 
seinen eigenen Mitteln ohne alle Orchesterhülfe bis in's tiefste Mark 
der Seele. Das mitwüthende Orchester verstärkt nicht, es schwächt 
den Ausdruck der Leidenschaft dadurch, dass der Sänger, der als 
Hauptperson klar vorstellen sollte, von dem Orchester überschrieen 
wird. Wo daher die Orchesterstimmen mitwirken , ohne die Sing- 
stimmen zu verdunkeln, da mögen sie mitklagen oder mitwüthen ; wo 
sie aber jene überdecken , da überschreiten sie die Grenzen der 
ihnen erlaubten Thätigkeit, und der Komponist muss sie unbedingt 
abweisen. — Man vermeide auch, die Singstimme durch ihr ähnliche 
Orchesterklänge zu beeinträchtigen, und hebe sie dagegen durch 
möglichst kontrastirendes Akkompagncmcnt überall hervor. Auch 
verlange ich Rücksicht auf die physischen Gesetze der Stimme: 
dazu gehört vor allem das Athemnehmen, und ferner, dass man dem 
Sänger nicht zumuthe, in den höchsten und tiefsten Stimmlagen 
viele Silben und Worte hinter einander auszusprechen, weil er sonst 
keinen ordentlichen Ton erzeugen kann. Unter den vielen Beispielen, 
die für diesen Missbrauch der Singstimme anzuführen wären, erinnere 
ich nur an die unausführbaren Gesangstellen in Beethoven's grosser 
Messe und in dem letzten Satze seiner neunten Sinfonie. Ich weiss 
wohl, dass man auch solche Verstösse gegen die physische Natur 
der Singstimme bei ihm damit hat entschuldigen wollen, dass sie 
zur Darstellung der Idee nun grade so nnd nicht anders nöthig 
und möglich gewesen. Aber das wäre eine traurige Kunst, die in 
irgend einem Falle zn unnatürlicher Verwendung ihrer Mittel zwänge, 
und der wäre ein beschränkter Künstler, der nicht irgend einen Aus- 
weg fände, um die Wahrheit des Ausdrucks mit der Ausführbarkeit 
desselben zu verbinden! Jede Idee muss vollkommen darstellbar 



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durch die Kunst sein, in welcher man sie darstellen will. Ist sie 
absolut unausführbar, so darf sie der Künstler zum Vorwurf einer 
Kunstdarstellung gar nicht wählen". 

Habe ich gegen die vorigen Forderungen des Verf. meine Be- 
denken unverholen geäussert, so erkläre ich mich mit dieser voll- 
kommen einverstanden, und habe also das Vergnügen, dem Verf. 
in dem Punkte beistimmen zu können, der ihm selber der wichtigste ist. 
Wer ähnliche Wünsche nie empfunden hat , der muss künstlerisch 
bedeutend missgebildet oder verkümmert sein. Der leidende und 
thätige Mensch „der Mensch der Leidenschaft" im Sinne 
der Griechen, ist stets der Mittelpunkt der Kunst, und seine Aeusser- 
ung, seine Gestalt, sein Gedanke, sein Wort, sein Ton muss sich 
immer seiner Umgebung soweit entheben, als die Wahrheit der Sache 
fordert, die nach allen Orten und in allen Formen einfach, klar 
und fasslich gewesen ist. Diese vollkommene Klarheit einer Kunst- 
form, welche so beschaffen ist, däss sie durch ihren Inhalt das Herz 
bewegt, ist das, was man früher Schönheit nannte, die man von 
allen Werken der Kunst forderte und als das Höchste ansah, zu 
dem der Künstler sich aufschwingen könne. Um auf diesen Gipfel 
zu gelangen, muss der Künstler einen vielverschlungenen Weg zurück- 
legen, auf dem ihm Niemand folgen kann, einen Weg lang und 
dunkel, der all seine Lust und all sein Mühen birgt; aber was ihm 
bei rechter Kunst ein nothwendiges Ergebuiss ist — das Werk, in 
herzerfreuender Schönheit prangend — , das darf von dcnEmpfangenden 
als eine stete Forderung geltend gemacht werden. Und so gewahren 
wir hier zugleich, dass wir noch wesentlich sind und thun, fordern 
und gemessen, wie die Alten, welche sich zuerst der Gesetze 
der Schönheit bewusst wurden; wir gewahren, dass nicht allein das 
geschichtliche, sondern auch das künstlerische Leben, sich bewegend 
in festen Grundformen der Menschennatur, in unzerreissbarem Zu- 
sammenhange steht. 



Der Verfasser hätte noch ernstlich warnen können vor der 
jugendlich hastigen Operncomposition ; aber vielleicht müsste er hier 
zu tief in's eigne Fleisch schneiden — er sagt nämlich vorhin in 
den Gesprächen mit einiger Wehmuth: dass „Wissen" noch kein 
„Können" sei und dass man in jungen Jahren so Grosses zu erringen 
wähne, habe er selbst erfahren. Wahrlich, eine Oper zu componiren, 
hauptsächlich weil sie Glück, Ruhm und Geld bringt und weil es so 
Mode ist, wird Niemand ungestraft wagen dürfen! Wer nicht ein 
geistiges Leben in ihr zu offenbaren hat, der sollte jetzt wenigstens 
davon bleiben. 

Ueber Operntexte will der Verf. später Vorschläge machen. 
Er hätte mit diesen zuerst hervortreten sollen, weil doch der Text 
das Erste ist, jetzt hat sich bei ihm das Verhältniss umgekehrt. 
Ist's mir möglieh, werde ich ihm auch später kritisirend zur Seite 
gehen; denn um weiter zu kommen, um die geistige Atmosphäre 
der Kunst zu reinigen, gibt es nun einmal kein anderes Mittel, als 
den Widerspruch. Auch kann ich nicht anders als offen und grade- 
zu reden — aber die literarischen Persönlichkeiten sind mir stets 
uud unter allen Umständen ein Greuel. Zum Glück kann man auch 
ohne sie zur Wahrheit gelangen. chs. 



■<+>>■ 



CORRESPONDENZEN. 



AUS MAINZ. 

Juli 1853. 

Eine geraume Zeit ist vergangen, seit ich Ihnen meinen letzten 
Bericht über die hiesigen musikalischen Zustände und Leistungen 
zugeschickt habe. Die Sache selbst machte Schweigen rathsam, denn 
des Erwähnenswerthen ist wahrlich blutwenig zum Vorscheine ge- 
kommen. Thaliens Tempel ist längst geschlossen, die Priester und 
Priesterinnen der Musen sind zerstäubt, viele zu erwünschtem 
Nichtwiedersehen. Was wird die neue Theaterdirektion (Tenorist 
Beyer) bringen? Wenn wir auch das Beste wünschen, können wir 
doch nicht sagen, dass unsere Hoffnung auf Felsengrund ruhe. So 
lange unser Theater-Institut wie eine Jahrmarktsbude be- 
handelt wird, wo man gute und schlechte Waare, wie's der Zufall 



bringt, auskramt, um so lange es eben gehen will, möglichst grosse 
Einnahmen zu machen und dann wieder abzuziehen; so lange 
nicht eine gewisse Ordnung und Stetigkeit in die Organisation ge- 
bracht und das Ganze mit Liebe und Ausdauer von Seite des 
Unternehmers geleitet wird, steht nichts Gedeihliches zu erwarten, 
während gegentheils das hiesige Publikum nicht so musenfeindlich 
ist, dass nicht in seiner Theilnahmc eifrige Bemühungen und gute 
Leistungen Unterstützung und Lohn fänden. Vor allem aber ist er* 
forderlich , dass auf irgend eine Weise die Gesellschaft jahraus 
jahrein beschäftigt bleibe, eine Aufgabe, deren Lösung zwar schwierig, 
aber bei guter Kraft und Einsicht keineswegs unmöglich ist Dann 
wird auch eine Verbesserung und Aufhülfe unsers Theater- 
Orchesters, dessen Krebsgang von den Mitgliedern selbst aner- 
kannt wird, eine ganz natürliche Folge sein. Dass dasselbe mit 
dem Plane umging, jährlich zwölf Concerte zu veranstalten, um durch 
deren Ertrag sowohl seine Subsistenz während . der vier Hnnger- 
monate zu sichern als auch seine künstlerische Kraft zu heben, 
ist schon früher in diesen Blättern angedeutet worden. Das Projekt 
aber, ein wahres Hysteron-Proteron, scheint aus Mangel an Theil- 
nehmern aufgegeben worden zu sein ; wer will von einem Orchester, 
das schon im Zusammenwirken mit der Oper und den Gesangver- 
einen so viele Ursache zur Klage gibt, noch überdies in Concerten, in 
zwölf Concerten gelangweilt werden? wer will für Concerte Geld 
ausgeben? Eine tüchtige Destillation, Ausscheidung des Unbrauch- 
baren, Zusatz besserer Bestandteile, eine energische und tüchtige 
Leitung, und vor Allem Beschäftigung während des ganzen Jahres 
das ist hier und zwar ganz allein, der Stein der Weisen. 

Mit den Leistungen unserer Musikvereine können wir uns 
nur bedingweise zufrieden erklären. Die Liedertafel hat inzwischen, 
und das ist für die Jahreszeit viel — ausser einigen Vergnügungspartien, 
zwei Concerte im Akademiesaale veranstaltet , das eine am 5. Mai, 
das andere am 10. Juli. Im ersferen erfreute uns neben mehreren 
kleineren Gesang-Nummern eine Motette „Iste dies'* von Cherubini 
und die Beethoven'sche Musik zu Göthes Egmont mit verbindendem 
Text, gesprochen von Herrn Dr. Knispel, — eine anmuthige Blumen- 
lese, die durch die wohleinstudirten Chöre wie durch die meisterhaft 
vorgetragenen Soli den angenehmsten Genuss bereitete (vom Or- 
chester volti subito!). Das zweite der angeführten Concerte 

brachte ein vom Standpunkte der Aeslhetik aus kaum zu recht- 
fertigendes Potpourri der heterogensten Musikstücke, in denen einige 
neue Solostimmen , jedoch nur theilweise mit Glück, sich hören 
Hessen. Eine ausgezeichnet klangvolle , umfangreiche und wohl- 
thuende Bassstimme bekundete ein junger Dilleiant , Herr Friedel 
in der Mozarl'schen Arie „0 Isis und Isiris"; wenn seiner offenbar 
trefflichen Natur-Anlage ein gehöriges Studium zu Theil wird, kann 
er es zu sehr Bedeutendem bringen. Mit grossem Interesse hörten 
wir einen „Ciklus arabischer Dichtungen," für eine Tenorstimme 
componirt von G. Vierling So schön und effektreich einige Theile 
dieser Composition sind , so seelenvoll und kräftig sie unser vor- 
züglicher Liedersänger, Herr A., vortrug; so blieb doch gar Manches 
unverständlich, und der Ef folg zweifelhaft: das Aneinanderreihen 
solcher verschiedenartiger Stücke mag dem Gcschmacke eines or- 
ientalischen Pascha mehr als dem unsrigen zusagen, und überdies 
übt Einfachheit im Liedc einen grösseren Reiz als Kunst. Die köst- 
lichste Perle der Matinee erglänzte in einer „Phantasie über eng- 
lische Volkslieder'* für zwei Piano von H. Herz , vorgetragen von 
zwei Damen, unter ihnen Frau Seh., deren sämmtliche Leistungen 
ebenso viele Triumphe sind. Ich kann nicht umhin, bei dieser Ge- 
legenheit wiederholt mein Bedauern auszusprechen , dass von dem 
Vereine, seit dem Fortgange Esser' s , noch immer kein Händel'sches 
Oratorium vorgeführt worden ist. Herr Vierling , der durch sein 
bisheriges Wirken seine Befähigung zur Stelle eines Musik-Directors 
so schön dargethan , überdies ein frischeres Leben der Mitglieder 
unter seiner Leitung Jiat aufblühen sehen , wird gewiss auch dahin 
streben, dass er, dem blasirten Zeitgeschmacke zum Trotze, dem 
anerkannt grössten Meister in der oratorischen Musik die gebührende 
Stelle nicht länger versagen lässt. 

Am ersten Ostertage wurde von dem Vereine für Kirchenmusik 
in der Quintinskirche eine neue lateinische Messe producirt, die wir 
besonders desshalb anführen müssen, weil sie von unserm Lands- 
mann A. Oechsner herrührt. Zu rühmen ist der Fleiss und Ge- 
schmack in der Composition, die von einem glücklichen Studium 



- tm — 



*ler besten Meister zeugt. Das mangelhafte Orchester (groastentheits 
Militär Musiker) lies die schönen Instrument aUEffette unter, die ver- 
fehlten über Gebuhr hervortreten. 

Nicht unerwähnt dürfen wir es lassen , dass im vergangene» 
Fiühjahr, wie alljährlich, Herr Gesanglehrer und Violoncellist Hol« 
«in Concert gab , worin er von Herrn Föckerer anf dem Piano, von 
Herrn uni} Frau Dr. Knispel und einigen andern Dilletantcn im Gc* 
sang unterstützt, eine schöne Auswahl des Lieblichsten und Besten 
dem zum lebhaftesten Beifalle fortgerissenen Auditorium vorführte. 



AUS LONDON. 

(Monat Juni.) 

Der Monat Juni zeichnete sich durch eine liebliche Fülle des 
himmlischen Nektars, Begen genannt, aus, durch verschiedene Donner- 
wetter und diverse nichts weniger als liebliche Sturmwinde. 
Aber was ist all der Regen gegen die Fluth der Conzerte , was alt 
das Donnergekrache gegen das Rasseln der Pianoklänge, was alles* 
Rauschen des Windes gegen das fürchterliche Tongebrause, das uns 
in diesem Monat, der mit Recht der Höhepunkt der Saison gennant 
werden kann, überkommen ist. Unter uns, es ist fürchterlich viel ge- 
sungen worden, in allen möglichen Mundarten, von allen möglichen 
Exemplaren jener Race, die die menschliche genannt wird /mit und 
ohne Schnurrbart, mit und ohne Glanz! Doch soviel auch gesungen 
worden sein mag, die Einen haben doch am besten gesungen , und 
diese Einen sind merkwürdigerweise Mehrere, nähmlich die Deutschen. 
Zwar hat sich dieser Name von jeher durch sein Singen ausge- 
zeichnet, aber das Schöne bleibt immer neu, sagt irgend ein Berliner 
Schriftsteller, und dies die Ursache, dass die Deutschen uns wie 
immer überrascht haben. In der That, der Kölner Männer-Gesang- 
Verein hat einen grossartigen Erfolg gehabt. Herr Davison gesteht 
ganz naiv, so etwas wäre noch nie gehört worden, aber als achter 
Englander kann er doch nicht umhin, seinen Glecsängern mindesten 
in einer Beziehung den Vorzug zu geben. Sie sängen bessere Sachen, 
meint er, keine kleinen, unbedeutenden Virtuosen-Stückchen , einzig 
und allein geschrieben , um die Vorzüge der Gesellschaft in's Licht 
zu stellen. Mit einem Wort, ohne, dass er's weiss, wirft er den 
deutschen Sängern vor, dass sie Virtuosen sind. Als wenn sie et- 
was Anderes sein könnten, als wenn nicht die Virtuosität, nachdem 
sie sich in dem Einzelnen concentrirt hatte, sich nach und nach 
in die Gesammtheit verflachen musste, als wenn dieser Chor mit seinen 
in's Detail gehenden, glänzenden Kunstmittelchen noch etwas Anderes 
sein könnte , als der Spiegel der ganzen Nation. Unsere Solo- 
sänger haben bekanntlich keine Stimme mehr wenn sie singen 
können, etwas dem Aehnlichcs sehen wir in den Chören im ganzen 
Volke. Gewandt sind sie geworden, aber die Kraft ist gewichen. 
Freilich der Fonds, der Kern einer ganzen Nation kann nicht mit 
einemale so morsch werden , dass. gar kein Saft mehr in ihm ist ; 
aber die Zeit ist vorüber, die «lern Ausflusse des Saftes den Weg 
bahnte. Wir leben in einer Zeit , wo wahrlich für den Chorgesang 
nichts Anderes coniponirt werden kann, als was in Berlin, Dresden, 
Wien zu Tage gefördert wird, es wäre denn, dass man die Bearbei- 
tung von Volksgesängen für mehrere Stimmen ergötzlich fände. Im 
Grunde ist jeder Masscngcsang — Volksgesang, oder sollte es min- 
destens sein , und Volksgcsängc entstehen doch nur in einer Zeit 
grossartiger Anregung. 

Die Deutschen haben also aufs Neue Lorbeeren gesammelt und 
zwar wie immer im Auslände. Sie sind wieder heimgezogen mit 
so manchen Andern, die gefunden was sie suchten, und wiederum 
manchen Andern, die zwar sehr viel gesucht, aber so gut wie nichts 
gefunden haben. Zu den ersten Glücklichen gehört auch der liebens- 
würdige Lindpaintner. Dieser wüttembergische Kapellmeister und 
Verfasser eines der populärsten Lieder in England, nämlich der 
Fahnenwaeht, hat den Engländern sehr gut gefallen, sie fanden ihn 
bescheiden und originell , das Letztere, wie mich versichert wurde, 
weil er keinen Schnurrbart trägt. Ausserdem haben sie an ihm 
die Erfahrung gemacht, dass es noch bessere Dirigenten gäbe als 
Herr Costa, was allerdings nicht viel sagen will. Lindpaintner hat 
ein Konzert der New Philharmonie Society dirigirt and awar so 
tüchtig, so gewandt und durchweg eine so selbstständige Auffassung 
und energische Handhabung der Massen offenbarend, daes *r unbe- 



dingt dem ihm hier vorangegangenen Rufe, einer der besten Diri- 
genten Deutschlands zu sein, entsprochen hat. Uebrigens stand ihm 
auch ein Orchester zu Gebote, dem man das Tüchtigste zumuthen 
kann. — Die beiden letzten Konzerten wird Spohr dirigiren , und 
zwar wird in dem einen derselben von diesem Komponisten mehr 
geführt werden, als Lindpaintner den Zuhörern in den vier vorange- 
gangenen Konzerten zusammen zugemulhet hat. Uebrigens dürfte die 
zur Aufführung kommende Doppel-Sinfonie „Irdisches und Göttliches 
im Menschenleben,, den Engländern wenn auch nur dorn Titel nach 
sehr gefallen. (Schlnss folgt ) 

NACHRICHTEN. 



Köln. Das hiesige Stadttheater ist von dem Theater-Director 
Röder übernommen worden. Dasselbe wird Mitte September mit 
Tannhäuser eröffnet. Wahrscheinlich wird das hiesige VaudeviUe- 
Theater wie das Bonner Stadttheater von demselben Director be- 
setzt werden, so dass durch diese Vereinigung endlich einmal eine 
Aussicht auf Fixirung der Theaterverhältnisse , die bisher eine 
wahre Misere darboten, eröffnet ist. 

Posen. Der hiesige Theater-Director Wallner hat die Con- 
cession für die ganze Provinz erhalten, so dass er künftig in den 
grösseren Städten abwechselnd Vorstellungen geben wird. Jeden- 
falls ein vortheilhaftes Arrangement für ihn , wie für das Publikum. 
Wien. Frl. Titjens, die Herren Beck und Steger sind defi- 
nitiv engagirt worden. (Herr Cornet bedingt vor jedem Engagement 
eine Anzahl Proberollen , bei Herrn Steger , wenn wir nicht irren 
nur achtzehn!) Erwartet werden zu Gastspielen Frau Fischer-Nimbs, 
Joh. Wagner , Agnes Bury und S. Heinefetter ; noch ist nämlich 
jeder Versuch eine Prima Donna, welche Fr. Joh. Ney zu ersetzen 
im Stande wäre zu finden, gescheitert. Fräul. La Grua trifft erst 
im November hier ein. 

Heidelberg. Der Bau des neuen Theaters geht rüstig vor- 
wärts. Die Wahl des Directors ist auf den jetzigen Regisseur des 
Frankfurter Theaters Herrn Haake gefallen. 

Berlin. Flotow's Matrosen, schon vor Slradella componirt, 
und auch hie und da aufgeführt, wurden am siebenzehnten von 
der Königsberger Gesellschaft zum erstenmale auf die hiesige 
Bühne gebracht. Text und Musik werden als sehr schwach geschil- 
dert und die Oper wurde desshalb nicht besonders günstig aufge- 
nommen. 

— Die Königsberger Operngesellschaft wird noch bis zum drei- 
zehnten August bleiben, und Auber's Braut zur Aufführung bringen, 
Breslau. „Giralda" von Adam, die in Hamburg so günstig 
aufgenommen wurde, wird in kurzem hier in Sccne gehen. 

Hamburg. Frl. ßabnigg gastirt hier und soll bereits engagirt 
sein. 

Karlsruhe. Das projeetirte Musikfest unter Liszt's Leitung 
wird am zwanzigsten und einundzwanzigsten September stattfinden 
und aus zwei Konzertaufführungen im Theater bestehen. Die Or- 
chester und Chorpersonale von Carlsruhe, Mannheim und Darm- 
stadt sollen mitwirken. Das Programm wird nach der N. Z. f. M. 
folgende grössere Werke enthalten : Wagners Ouvertüre zum Tann- 
häusser, 4 Stücke aus Lohengrin (dieselben welche in Zürch auf- 
geführt wurden) Romeo und JaUe, Sinfonie von H. Berlioz (die un- 
vermeidliche) zum Schlnss die 9te Sinforiie mit Chören von Beethoven. 
Etwas weniger Einseitigkeit dürfte dem Programm nichts geschadet 
haben. 

Cassel. Das hiesige Hoftheater scheint sehr im Argen zu 
liegen. Seit Monaten fehlt eine Primadonna und es haben eine 
Menge Gastspiele stattgefunden um diese Stelle zu besetzen. Aber 
auch nicht ein einzige Sängerin von irgend einiger Bedeutung hat 
sich bewogen gefunden, als Bewerberin aufzutreten, so dass zuletzt, 
um nur überhaupt eine Sängerin zu haben, eine Frl. Roter von 
Schwerin engagirt werden musste. 



Vtrantwortliefeer ft«4kkt«tt: J. J. SCHOTT. — Dracft voa REÜTEÄ* WALLAO i« Malm. 



2. Jahrgang. 



Nr. 39. 



8. August 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



Diese Zeitung erscheint Jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Po«tamtern, 
Uviik- ond Bnenhandlnngen. 



REDACTION UKD VERLAG 

von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ, 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT «* CO. 



PREIS: 

ft. 3. 42 oder Thlr. I. 18 Sgr. 

fBr den Jahrgang. 

Darcb die Post belogen: 

50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. I. — Corresp. (Schwerin. "Wien. London). — Nachrichten, 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext« 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



I. 

In einem vor Kurzem von Gera ausgegangenen Preisausschreiben 
für den bcslcn Stoff und Text zu einer lyrisch - romantischen Oper 
wird gefordert, derselbe solle den Anforderungen der Gegenwart ent- 
sprechend sein, ohne jedoch das Gute der bisherigen Oper unberück- 
sichtigt zu lassen. 

Das klingt recht schön. Es ist nur Schade, dass weder näher 
angegeben ist, worin das „Gute der bisherigen Oper", noch worin 
die „Anforderungen der Gegenwart" besteben j um so mehr Schade, 
als grade unt diese Frage alle Kämpfe und Feindseligkeiten der mu- 
sikalischen Gegenwart sich drehen, und über die Beantwortung der- 
selben die verschiedenartigsten Ansichten vorhanden sind. Es sollte 
uns nicht wundern, wenn alle Diejenigen, welche von den ausge- 
setzten 200 ThJrn. angelockt werden, ein Libretto zur Prüfung ein- 
zusenden, vor Allem darauf Anspruch machen, obige Bedingungen 
erfüllt zu haben, und doch am Ende ihre Arbeiten sowohl dem Stoffe 
als der Bearbeitung nach so verschieden von einander sind, als nur 
die Texte zum „Taiinhäuser", zur „Indra" und zum „Propheten" sein 
können. 

Das Preisausschreiben ist allerdings ein Beweis, dass das Bc- 
dürfniss nach einer hauptsächlich auf dem poetischen Thcil beruhen- 
den Opernreform immer allgemeiner gefühlt und anerkannt wird: aber 
zugleich ein neuer Beweis, dass über das Wie? noch vollkommene 
Unklarheit herrscht. Geht diese Unklarheit doch so weit, dass selbst 
der Urheber des Preisausschreibens in die sonderbarsten Widersprüche 
verfallen und in einem und demselben Athemzuge die „Anforderungen 
der Gegenwart" anerkennen und — leugnen konnte! Der Beweis 
dafür wird nicht schwer zu führen sein. 

Es möchte dcsshalb nicht überflüssig sein, einmal etwas schärfer 
zu untersuchen, was denn eigentlich unter den Worten des erwähn- 
ten Ausschreibens zu verstehen sei, oder worin die so sehnsüchtig 
erwartete Beform der Operntexte zu bestehen habe. 

Verständigen wir uns zuerst über den Begriff der „Oper" , als 
einer für sich bestehenden Kunstgattung, überhaupt. Denn sobald 
es uns nicht gelingt, die charakteristischen Merkmale derselben oder 
die wesentlichsten Bedingungen ihrer Existenz aufzufinden, würde jede 
fernere Untersuchung in der Luft schweben und zu falschen Resul- 
taten führen. Man kann behaupten, dass weitaus der grösste Theil 
aller Widersprüche und Sonderbarkeiten, die in dem Streit über die 
Opernreform bisher zu Tage gefördert worden sind, in derUnkcnntniss 
oder Verkennung des Wesens der Oper beruhe, und dass schon un- 
geheuer viel gewonnen wäre, wenn nur erst klar erkannt würde, wo- 
durch ihre Existenz bedingt ist. 

Was ist unter dem Worte Oper zu verstehen? Eine Verbindung 
der Musik mit einer dramatischen Dichtung? Das wird wohl nicht 
bestritten, erschöpft aber den Begriff nicht, den wir uns davon ge- 



bildet haben. Und doch hört alle Uebereinstimmung auf, sobald wir 
einen Schritt weiter gehen und nach der Art und Weise dieser Ver- 
bindung fragen. 

Denn: soll die Musik in der Oper nur zur Unterstützung und 
Verstärkung einzelner Momente der gesprochenen Dichtung dienen, 
wie im Melodrama? Gewiss nicht, rufen alle Musiker, die Opern- 
musik ist etwas Höheres. 

Oder: findet die Verbindung in der Weise statt, dass die Dich- 
tung die Grundlage, gewissermassen den Rahmen bildet, in welchem 
die Musik sich sclbstständig entfaltet? 

Neinl hören wir Wagner und seine Freunde und noch viele An- 
dere antworten. Dann hätten wir die glücklicherweise überwundene 
italienische Oper, in welcher der Textdichter nur vorhanden ist, um 
grosse Arien für die Prima-Donna oder den ersten Tenoristen zuzu- 
schneiden. 

Nun, dann ist vielleicht das Umgekehrte das Richtige, nämlich 
dass die Musik in dein Drama aufzugehen, sich innig an den Gang, 
die Entwicklung desselben anzuschliesscn habe und auf jede selbst- 
ständige Aeusscrung ausser den einleitenden Instrumentalsätzen ver- 
zichten müsse? 

Und abermals antwortet eine grosse Partei: Nein! Das hiesse nur 
das Miss verhältniss der Italienischen Oper umdrehen, anstatt zu besei- 
tigen. Die Musik soll eben so wenig die Magd der Dichtkunst sein, 
als diese die Dienerin der Musik bleiben will. 

Und neben diesem dreimaligen Nein, haben wir die herrlichen 
Schöpfungen eines Mozart, Beethoven und Weber, um nur unser 
deutsches Dreigestirn zu nennen, und alle die Nein ! gerufen haben, 
gestehen , dass hier trotz einzelner Mängel Kunstwerke vorhanden 
sind, die Jeden entzücken müssen. Und dessenungeachtet tobt der 
Streit nach wie vor fort und keiner ist im Stande das Wahre an- 
zugeben, keiner kommt darüber hinaus, zuletzt statt aller Argumente 
auf das Beste unter dem Vorhandenen als Muster hinzuweisen und 
unbekümmert um theoretische Streitigkeiten zur Nachahmung des- 
selben aufzufordern. 

Auf die Gefahr hin, hie und da missverstanden zu werden, 
weil wir hier innerhalb der engen Grenzen eines Journalartikcls nur 
Andeutungen statt Ausführungen geben können , wollen wir ver- 
suchen weiter zu gehen. 

Die dabei zu lösenden Fragen sind : 

1) Welches ist das eigentümliche Wesen der Tonkunst, und 
welches sind die ihr dadurch gesetzten Schranken. 

2) Welches ist das Charakteristische der Poesie und ihrer ver- 
schiedenen Gattungen ? 

3) Auf welchem Punkte und unter welchen Bedingungen ist 
eine Verbindung oder besser eine Vereinigung dieser beiden Künste 
möglich? 

Die Musik unterscheidet sich von den meisten übrigen Künsten 
dadurch, dass sie nicht am Sichtbaren haftet. Die Töne sind un- 
sichtbar wie ihr Medium, die Luft. Sie dringen in unser Inneres, 
als etwas Fremdes, etwas Ueberirdisches und doch als etwas Leben- 
diges, Regsames, Schwebendes. Sie ist etwas Geistiges, verwandt 
mit der Menschenseele und übertrifft desshalb an Wirksamkeit alle 



— lfee 



anderen Künste. Sie dringt in die Menschenbrnst durch den edel- 
sten Sinn, das Gehör, und wendet sich an die edelsten Kräfte 
in uns. Alles was in unserm Innern verborgen ruht , alle unsere 
Gefühle, Hoffnungen, alle Ahnungen, alle Freuden, alle Schmer- 
zen, das Unausgesprochene wie das Unaussprechliche, wird lebendig," 
wenn die zaabertsehen Melodieen unserer Tonmeister wie ein Hauch 
des Jenseits auf unser Herz wirken. Wir fühlen doppelt stark, wir 
fühlen doppelt deutlich die Freude wie den Schmerz , aber ersterer 
wird nicht zum Uebermaass, letzterer lässt nicht den Stachel zurück. 
Wir fühlen uns wie von einem höhern Wesen berührt und erhoben, 
veredelt. Was uns auf keine Weise anschaulich werden kann, wird 
mittheilbar durch die Musik, aber, wie ein flüchtiger Zauber ist auch 
der Ton vorüber, und nichts Bleibendes hinterlässt er, als die nach- 
zitternde Empfindung unsers Innern, die er berührte Und dies ist 
das Eigentümliche der Musik. Sie kann nichts und soll nichts als 
anregen. Maler, Bildhauer und Dichter schildern die Natur, stel- 
len das Wirkliche dar; jeder Versuch ihnen nachzuahmen, bestimmte 
Eindrücke zu geben, erniedrigt die Musik zu einem Handwerk. Was 
der grösste Mangel der Musik in den Augen eines Kant, eines Hegel 
war, dass sie die wenigste Kultur gewähre, nichts zu denken gebe, ist 
gerade das, was sie zur herrlichsten und zugleich zur freiesten Kunst 
erhebt. Ihr Boden ist weder das Reich der Sinnlichkeit, wie bei den 
übrigen Künsten, noch das Reich des Gedankens, wie hei den Wis- 
senschaften , sie wurzelt in dem Menschenherzen, und was 
giebt es Höheres, denn dieses? 

Die Schranken, welche der Musik gesetzt sind, gehen von selbst 
aus dieser Erklärung ihres Wesens hervor. Sie soll weder malen, 
d. h. ein Contcrfei des Reellen, des Wirklichen geben, noch den Ge- 
danken in ihre Sprache übersetzen wollen. Alles, was das mensch- 
liche Herz bewegt, Alles was empfunden, gefühlt werden kann, ge- 
hört ihr an. Alles, was darüber hinaus liegt, übersteigt ihre Macht, 
und zwar hauptsächlich, weil die Saiten des Innern, die sie berührt, 
in keiner unmittelbaren Verbindung weder mit den geistigen Funk- 
tionen, durch die wir einen Begriff von der Schönheit bestimmter 
räumlicher Verhältnisse (Malerei, Bildhauerkunst) erhalten, noch mit 
denen, welche wir Denken nennen , stehen , sondern entweder ganz 
abgesondert und für sich allein erregt, oder doch erst n a ch vorher- 
gegangenem Denkprozess in Thätigkeit gesetzt werden 

Die Poesie unterscheidet sich gleichfalls wesentlich von der 
Malerei und Plastik , sie hat manches mit der Musik , ja scheinbar 
sogar das Medium , die Luft , gemein , so dass in neuester Zeit die 
Behauptung aufgestellt werden konnte, Wort und Ton seien im We- 
sentlichen identisch; nichtsdestoweniger gibt es bestimmte Grenzen 
zwischen beiden. 

Man könnte die Poesie fast die Vereinigung aller Künste nennen. 
Sie schildert Körper, wie die Malerei und die Plastik, sie schildert 
selbst in gewissem Masse die Regungen, die Empfindungen des Her- 
zens, und nähert sich damit der Musik. Doch bleibt sie hier in ihrer 
Wirksamkeit weit hinter den Künsten, in deren Gebiet sie eingreift, 
zurück. Aber auf ihrem eigenen Gebiete ist sie Herrin und Meisterin, 
und keine Kunst darf es wagen, mit ihr darin zu wetteifern. Dies 
ist die Schilderung der Bewegungen, wie es Lessing schon so tref- 
fend ausdrückte, und zwar nicht nur der physischen Bewegungen, 
wodurch sie Malerei und Plastik übertrifft, sondern auch der geisti- 
gen, d. h. des gesammten Lebens. Poesie ist also in ihrer höch- 
sten Bedeutung die Kunst, das reiche Menschenleben in seiner gan- 
zen Energie und Leidenschaftlichkeit und mit allen Kräften, die da- 
rin wirken, geistigen wie sinnlichen, zur Darstellung zu bringen, und 
zwar, da sie eine Kunst ist, mit künstlerischer Auffassung und Be- 
handlung. Diese höchste Slufe erreicht die Poesie im Drama, und 
die ganze Galtung der Dichtkunst, worin Menschen und Charaktere 
in bestimmter Personifikation und selbstthätig , handelnd vorgeführt 
werden, vor unsern Augen eine mehr oder minder bedeutungsvolle 
Episode aus dem Menschenleben aufführen, nennen wir die drama- 
tische Poesie. Wesentlich zur Erkenntniss der Poesie als eines Ganzen 
und für uns ist noch die Betrachtung der zwei andern Haupfgattungen 
derselben : der epischen und der lyrischen. Das Epos be- 
handelt dieselben Stoffe wie das Drama, nur die Art und Weise 
der Behandlung ist verschieden. Sehen wir im Drama Personen und 
Charaktere gleichsam ein Stück ihres Lebens noch einmal vor uns 
durchleben, so erhalten wir im Epos nur die Schilderung desselben 
durch den Mund des Dichters. Er beschwört die Schatten der Ver- 



storbenen nicht herauf, wie der Dramatiker, sondern führt uns diese 
nach und nach in den bedeutungsvollsten Momenten ihres früheren 
Lebens, sei es handelnd oder leidend, vor. 

Die 1 7 r i s c h e Poesie zu der im weitern Sinne Vieles ge- 
rechnet wird, was nicht hin gehört , lässt sich recht eigentlich als 
die Gattung der Dichtkunst definiren , welche keinen ausser dem 
Dichter liegenden Gegenstand zum Objcct hat, also keine Schil- 
derungen weder aus der Natur noch aus dem Leben Anderer giebt 
sondern sein eigenes inneres Leben, seine Freuden und Schmerzen 
alles was sein Herz bewegt, zum Vorwurf hat und es besingt. 
Eine Stimmung bildet den Grundton des Ganzen. Alles was in 
den Kreis des Gedichtes gezogen wird, erhält von diesem eine ganz be- 
stimmte Farbe, einen gewissen Charakter, muss dem Dichter gleich- 
sam als Illustration dessen, was ihn erfüllt, dienen. Der Typus der 
lyrischen Poesie ist das Lied. 



-MW- 



CORRESPONDENZEN. 



MUSIKLEBEN IN SCHWERIN. 



Kirchenmusik- 
Schweriner Leser werden kaum begreifen , wie ich zu dieser 
Ueberschrift komme; und doch weiss ich für drei Dinge keine andere 
Gesammtbezeichnung. 

a) Fast alle Bewohner Mecklenburgs werden der lutherisch- 
evangelischen Confession zugerechnet. In Schwerin sind zwei Kir- 
chen (und eine kleine für Katholiken). Eine schlechtere Orgel als 
die in hiesiger Schelfkirche, ist in einer Stadt solchen Umfangs 
wohl schwerlich anderswo zu finden , und ein untüchtigerer Orga- 
nist, als der an der Domkirchc , wiederum schwerlich anderswo 
unter gleichen Verhältnissen. Dieser Organist besass als „Hoforgel- 
baner" bisher das Privilegium für Orgelhauten , haute selber und 
hatte (oder hat) die von Fremden erbauten Orgeln officiell zu be- 
gutachten. Die vielfachen Streitigkeiten, welche daraus entstanden, 
gehen uns hier nichts an , aber dass unser Land besonders auch in 
Folge dieser Verhältnisse mit hollunderfesten Orgeln beschenkt ist, 
sei kurz erwähnt. In Wismar hat seit einigen Jahren ein Herr 
Winzer (aus Thüringen) als Orgelhauer seinen Wohnsitz erhalten 
nachdem er für die dortige Marienkirche ein wahres Prachtwerk 
glücklich zu Stande gebracht ; auch kleinere Orgeln baute er schon 
an mehreren Orten mit musterhafter Oeconomie Der „Hoforgel* 
bauer" hat auch diesem wirklich künstlerischen Menschen gegenüber 
seine Virtuosität im Hervorkehren der endlichen Seiten an grossen 
Dingen auf eine glänzende , obgleich erfolglose Weise geltend ge- 
macht. Wie verlautete, war Herr Winzer schon einmal zur Revision 
der hiesigen Domorgel, die sich in einem traurigen Zustande befinden 
soll, herbernfen, die Sache scheint aber wieder eingeschlafen zu sein. 

b) Bedeutende Vereine ausschliesslich für religösen Gesang sind 
in Mecklenburg nicht (in Wismar besteht allerdings seit lange ein 
Verein der bes. in Aufführung von Oratorien sich hervorthut, so noch 
im Sommer 1852 den Mendelsohn'schen „Elias** zur Aufführung 
brachte — aber von weiterer öffentlicher Bedeutung ist auch dieser 
nicht); ich sage daher zweitens über den kirchlichen Choral ein 
Wort. Wie anderswo, dachte man auch hier an den sogenannten 
rhytmischen Gesang, es wurden hin und wieder Stimmen für und 
gegen laut, besonders in allgemeinen Predigerversammlungen ist der 
Gegenstand mehrmals verhandelt, aber nach dem zu urtheilen, was 
davon in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, in einer so kurzsichtig 
und engherzig befangenen Weise , dass das Resultat solcher Erör- 
terungen für die Sache selbst vollkommen gleichgültig ist. Die Be- 
geisterten meinen wohl mit Polycarpus Leyser: Mutata musica in 
templis, mutatur etiam genus doctrinae (Vorr. z. lutb. Liederpsalter 
von C. Becker , sechszehnhundert und zwei) — die Gegner fragen 
ob die letzten drei Jahrhunderte der Musikgeschichte so ohne wei- 
teres ausgestrichen werden könnten. Die Begeisterten erwiedern, 
was sich nicht aus und mit dem Heiligen , ja was sich offenkundig 
im Gegensatze zu ihm entwickelt habe , könne für dieses auch nicht 



— 127 - 



massgebend sein; die Gegner merken an, unser Ohr sei aber ein- 
mal zu sehr an die moderne Musik gewöhnt — und so geht man 
wieder auseinander, unklar über das Wesen des besprochenen Ge- 
genstandes, schwach an wahrer Kraft, gering an Begeisterung zu 
reiner und freier Kunst , aber mit ungeschwächter Kraft den jewei- 
ligen Lieblingsneigungcn ergeben Nur wenige scheinen zu ahnen 
von wo aus in letzter Instanz auch über diesen Gegenstand zu ent- 
scheiden ist. 

c) Wenn ich zu diesen Wenigen den hiesigen Oberkirchcnralh 
Kliefoth , die bedeutendste und einflussreichste theologische Persön- 
lichkeit in nnserm Lande, zähle, so geschieht es nicht seiner besondern 
musikalischen Bildung und Kennerschaft wegen , die er nie bean- 
sprucht, vielmehr stets abgelehnt hat, sondern wegen der allgemein 
richtigen, gesunden Grundsätze und Consequenzen , die in seinen die 
Ordnung des Gottesdienstes betreffenden Schriften klar zu Tage 
liegen. Ihm ist eine gewisse Geilerei mit der Kunst, die sich bei 
den vorzugsweise sogenannten Frommen nur zu häufig findet, ein 
Greuel,* dagegen lebt und wirkt er in einer Anschauung, welche 
allein das gesunde Verhältniss zwischen Kunst und Leben (hier: 
zwischen Kunst und Religion) wieder herstellen wird. Die Kirche 
ist gehalfen durch den Consensus doctrinae, durch ein bestimmtes 
Bekenntniss, also durch eine gemeinsame Lebensanschauung; aus 
diesem Grunde bilden sich in gerader Folge alle Ordnungs-Aemter 
und Thäfigkeiten dieser Kirche hervor. Auf diesem Grunde ruht 
mithin auch die ganze Gestalt des Gottesdienstes , und alles in dem- 
selben dient wieder dem Gesammtzwecke; von hieraus erhält auch 
die Musik ihr Gebiet zugewiesen als kirchliche Tonkunst Dies ist 
der, wie ich meine, unutnstössiieh richtige Grundsatzt für solche 
Dinge. Wer nun wie Kliefoth, in der 1 u th er i s c hen C on fes- 
s i o n die wahren christlichen Gedanken in grösster Reinheit ausge- 
sprochen findet, der wird auch in dem rein lutherischen Culfus, so- 
wie er im 16. Jahrhunderte eben auf Grund des Consensus doctrinae 
dieser Confession sich ausgeprägt hat, die ideale vollkommene Form 
einer reinen gottesdienstlichen Feier erkennen und diese im Lichte 
der Gegenwart wieder zu beleben bemuht sein müssen. Wer mei- 
ner Leser in diesem Bestreben nichts als die „vollständigste Rcaclion" 
zu erkennen vermag , dem ganz besonders gebe ich noch zu be- 
denken, dass diese rein lutherische Richtung augenblicklich die ein- 
flussreichste (wenn man will, produclivste) ist, dass die bedeutendsten 
Vertreter derselben Mitglieder der Kirchenregimenter in deutschen 
Ländern sind (in Bayern, Sachsen, Mecklenburg, auch in Witten- 
berg und trotz der „Union" auch in Preussen u. s. w.), und dass 
Kliefoth auf der letzten Conferenz in Dresden (Oct. zweiundfünfzig) 
beauftragt worden, eine rein lutherische Kirchenordnnng zu entwerfen. 
Dieses letzteren Umslamles wegen hielt ich es nicht für unange- 
messen, aus Mecklenburg über diese Richtung ein Wort zu äussern 
und Alles zusammengenommen, wird der Leser nun begreifen, wie 
ich zu dem Ausspruche komme: dass (abgesehen von der katho- 
lischen Kirche) eine nicht bloss subjeeliv religiöse, sondern wirklich 
gottesdienstlich kirchliche Musik nur entstehen kann, entweder aus 
dieser Richtung oder durch Ueberwindung derselben ; aus ihr, wenn 
die Grundvoraussetzung ihrer Vertreter von der Vollkommenheit 
des lutherischen Gottesdienstes wahr ist; im Gegensatze zu 
derselben, wenn die christlichen Gedanken in noch reinerer 
Form sich in solcher Klarheit durchzubilden vermögen , dass sie 
für die Menge erfasslich und in der daraus erstehenden gemein« 
sammen Kraft zum Aufbau eines ihnen gemässen Gottesdienstes fähig 
sind. Dies ist der Gegensatz, in den die jetzige Lage viele Tausende 
gestellt hat; Jeder sehe zu und werde sich klar, auf welche Seile 
er treten muss. Wie weit Alles, was zum Zwecke kirchlicher 
Musik sowohl literarisch, als in Begründung von Kunstinstituten 
(Berliner Domchor u. a.) in den letzten 40 Jahren unternommen und 
ausgeführt ist, auf eine endliche abschliessende Gestaltung hinweise 
wie weit es von ihr aber noch entfernt sei — dies in kurzer über- 
sichtlicher Darstellung zu veranschaulichen, möchte einigen Nutzen 
haben. Doch hier will ich dergleichen nicht versuchen ich würde 
Ihre Nachsicht missbrauchen und meine Correspondenz die ohnehin 
schon wenig speeifisch mecklenburgisch ist, durch eine neue luftige 
Ausführung bereichern. 



ERÖFFNUNG DER DEUTSCHE« OPERNSAISON IN WIEN. 



* <B t B 



Hat die deutsche Saison bei ihrer jährlich stattfindend« n Neu* 
gebär ung überhaupt schon mit ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen, 
welche hauptsächlich in der für Theaterunternehmungen so wenig 
erpriessilchen Jahreszeit begründet sind, wo Jeder, dessen Verhält- 
nisse es nur immer möglich machen, den Aufenthalt in der Residenz 
mit einem Sommersitze auf dem Lande vertauscht und selbst Jene, 
welche von ihren Geschäften in dem engen Kreis der Stadtmauern 
gebannt sind, ihre Abende überall lieber hinbringen, als in der 
drückend schwülen Atmosphäre des Theaters , wo alles Interesse 
für Goncerte und Theater beim Publikum in einem Starrkrampf der 
Theilnahmslosigkeit liegt — so ist die Ungunst der diesjährigen 
Sommersaison unserer Oper noch durch anderweitige Umstände ver- 
grössert , welche störend auf sie einwirken Herr Com et, der 
neue Director des Hofoperntheaters , hat das Personale besonders 
in Bezug auf Sängerinnen von seinem Vorgänger in einem nichts 
weniger als brillanten Zustande übernommen. Die einzige Stütze, 
Frl. Ney, hat gerade in dieser Uehergangsperiode mit der königlich 
sächsischen Intendantur ein Engagement abgeschlossen und es über- 
kam daher der neue Director als Primadonnen nur die Frl. Wil- 
dauer und Liebhardt. Die Erstere, in der französischen Spiel- 
oper sehr verwendbar, kann weder in Bezug auf Stimme noch auf 
musikalische Ausbildung Frl. Ney ersetzen, während die Letztere 
überhaupt keine erste Sängerin n, um so weniger auf einem Theater 
wie unsere Hofopern hü hue vorstellen kann. So glücklich Herr 
C o rn e t bei der Aqnisilion von Sängern war, indem er das Opern- 
personale in Herrn S t e g e r und Herrn Beck durch zwei Sänger 
mit herrlichen Stimm-Mitteln bereicherte, so erfolglos schienen seine 
Bemühungen in Bezug auf Sängerinnen Alles was er uns in dieser 
Beziehung sowohl an Gästen, als an engagirten Mitgliedern bis jetzt 
geboten, ist nicht vermögend den Anforderungen nach zu kommen, 
die unser Publikum an eine Primadonna zu stellen gewohnt ist. 
Die schwierige Stellung des Directors ist in dieser Hinsicht nicht 
zu verkennen, denn bei dem grossen Mangel an jungen Sängerinnen, 
welche mit einem ausreichenden Stimmfond auch Talent für drama- 
tische Darstellung verl-inden, haben sich selbst <!ie Provinzialhühnen 
ihrer ersten Sängerinnen mit grossen pekuniären Opfern auf längere 
Zeit versichert, und es ist daher eben nur vom günstigen Zufalle 
zu erwarten, dass entweder Herr Cor n et irgendwo ein jugend- 
liches Talent entdeckt, oder dass eine der wenigen Gesangs-Notabi- 
liläten durch Verhältnisse veranlasst , ihr jetziges Engagement mit 
dem an der hiesigen Bühne vertauscht. Man wäre ungerecht, wollte 
man die Bemühungen des Herrn Cornet, deren günstige Resultate 
sich schon jetzt theilweise bemerkbar machen , nicht lobend aner- 
kennen, allein so lange es ihm nicht gelingt diesem Uebelstande ab- 
zuhelfen , und wäre es auch nur scheinbar durch Vorführung 
einer grösseren Anzahl jugendlicher Sängerinnen , gleichsam zur 
Selbstanswahl des Publikums , so lange ist nicht daran zu denken, 
dass Herr Cornet die allgemeine Meinung für sich günstig zu 
stimmen vermag, und wenn ihm dies nicht bald gelingt, so wird 
seine Stellung hier immer schwieriger , indem das Publikum seine 
sonstigen Verdienste um diese Bühne übersieht, oder sie doch ge- 
ringer anschlägt, als billig gerade um dieses Umstandes willen. 

(Schluss folgt}. 



AUS LONDON. 

(Schluss.) 
Die alte philharmonische Gesellschaft, die diesmal die neue 
hätte heissen können, weil sie von neuen, bekannten oder berühm- 
ten Komponisten mehr gebracht hat, als ihre Rivalin, wartet eben- 
falls auf das letzte Konzert um in den ihr wie uns nöthigen Winter- 
schlaf zu verfallen. Herr Costa hat verzweifelte Anstrengungen 
gemacht, er hat sich bis zu Schumann versliegen , und was noch 
mehr sagen will, sogar in einem Concerte Hector Berlioz statt seiner 
dirigiren lassen , aber alles das findet doch keine Gnade vor den 
Engländern oder richtiger vor der hiesigen Kritik. Was Schumann, 
was Berlioz, man gebe uns Sterndale Bennett ruft die Times mit 
Entrostung aus. Und Costa antwortet: Ihr verlangt von mir auf 



- taa 



der «iß«» Seite 4a« Neue, vd?i* F©rtaoJ*r*«> «ftdfftitf der. «m*fm^M<e 
einen abgeblässten Mendelssohniatier — hat das Sinn? Aber guter 
Costa, Sterndale Bennett ist ein Engländer, und schon als solcher 
immer neu-. Wir wisse» nicht was der italienische Kapellmeister 
auf diesen letzten Einwurf geantwortet hat , soviel ist gewiss , Herr 
Sterndale Betttictt hat seine unvermeidlichen Sonaten nicht in den 
geweihten Hallen der old Philharmonie society ertönen lassen 
können. Dies hat natürlich unter den habitue's der Letzteren manchen 
Jtlissmutlt erregt und daher darf man sich auch nicht wundern, dass, 
als mau ihnen endlich Robert Schumann brachte, derselbe mit Un- 
muth zurückgewiesen ward. Schumann'sche Musik hat weder in Ellas 
reunion noch in einem Concerte der philharmonischen Gesellschaft 
Gnade vor den Ohren der Engländer gefunden , und einige exaltirte 
Dilletanten abgerechnet finden die Uebrigen in der Musik nichts als 
nonsens. Viele haben es nun merkwürdig gefunden, dass dieselben 
Leute , welche Schumann's Musik verdammen, zu den grössten Ver- 
ehrern Borlioz's gehören. Ich muss gestehen, dass mir dies sehr 
erklärlich erscheint. Gerade das, was in Berlioz's Musik vor* 
herrschend ist , die Berechnung des äussern Effects , die Malerei, 
das Fassbarc , die Conceniration aller Kraft auf die Klangwirkung, 
gerade dies sagt dem englischen Charakter zu, während der letztere 
im Grunde für die in Schuinann'scher Musik angeschlagenen tiefen 
Gefühl.slaute, für die in ihr vorwaltende Innerlichkeit kein Verstand« 
niss haben kann. Der Engländer will mit Ausnahme seiner Religion 
Alles erklären können, je mehr etwas auf die Oberfläche tritt, desto- 
mehr findet es seinen Beifall, und desshalb ist in seinen Augen 
derjenige der grösste Künstler, dessen Schöpfungen sich wie 
das Werk einer Uhr auseinanderlegen und zusammenfügen lassen. 
Berlioz hat nun sehr viel von so einem geschickten Uhrmacher, 
und desshalb ist auch Berlioz für einige Dutzend Engländer ein 
guter Komponist. Aber sogar ein Berlioz kann den alten Salz be- 
wahrheiten dass bloss diejenigen Leute, die am besten wissen sollten, 
was die Glocke geschlagen hat, sich in dieser Beziehung am ärgsten 
täuschen. Der französische Komponist hielt es nämlich an der 
Zeit, seinen Benvenuto Celliui im Covcntgarden-Theatre aufführen 
zu lassen und siehe da , es war eine schlecht gewählte Zeit. Die 
Oper Wurde von Anfang bis zu Ende ausgezischt. Dass man dies 
vor 16 Jahren in Paris mit demselben Werke vornahm, ist natürlich, 
Berlioz hatte damals keinen Namen und viele Prätensionen , die 
erst all in Erfüllung gehen sollten, aber jetzt , wo der Name da ist 
und wo der Mann zu den etabltrten Grössen gehört, jetzt durfte er 
am allerwenigsten in einem Lande Fiasko machen , wo der Autori- 
tätsglaube der vorherrschende ist. Allerdings ist in diesem Benve- 
nuto Celliui sehr wenig von dem oben erwähnten geschickten Uhr- 
macher, es ist ein Embryo, aus dem sich jener im Laufe von sechzehn 
Jahren entwickeln sollte, aber dem Coventgarden-Publikum gegen- 
über dürfte Alles dies sehr gleichgültig sein , die Oper fiel nicht 
desshalb durch, weil man sie schlecht fand, sondern weil sie über- 
haupt missfallen sollte. Und Alles dies im Angesicht der Königin 
und ihres fashionablen Gefolges, im Beisein einer der schönsten 
Frauenguirlanden, die überhaupt nur ein Theater der Welt aufweisen 
kann und endlich zum Schluss in Gegenwart des Verfassers, der 
unten am Orchester sass und Nummer für Nummer seines Werkes 
mit eignen Ohren verdammen hören musste. 

So viel ist gewiss, Benvenuto Cellini ist zum zweitenmal zu 
Grabe getragen, mit jenem Glänze, mit jenem Eclat, den man in die 
Worte umgesetzt hat „die letzte Ehre" Lasst uns für den Verfasser 
hoffen, dass es wirklich die letzte Ehre war, die seinem Werke 
geschah , und dass wenn er wieder das Bedürfniss einer solchen 
Ehre fühlt, er dasselbe mindestens mit einem neuen Werke zu 
befriedigen suchen möge. Fatal. 

NACHRICHTEN. 

Wiesbaden« Frl. S. Cruvelli gab am ersten August mit ihrer 
Schwester Marie im Kursaal ein Conzert. Sie sang Arien von Verdi 
und Rossini und mit der letzteren ein Duett von demselben« Die 
Oper hat in den letzten Wochen Wagners Lohengrin oft wieder- 
holt« Musikdirektor Hagen aus Bremen wird als Nachfolger Sichin- 
delmeissers genannt. Doch schwebt noch die Wahl zwischen ihm 
und zwei gebornen Nassauern. 

Baden-Baden. Frl. Werlheimber von der komischen Oper 
in Paris hat in einem Konzert gesungen und grossen Beifall erhalten. 



Wien« Vieuxtemps ist hier angekommen. 

Paris« Die neue komisehe Oper Halevys wird gegen 10. 
August zur Aufführung kommet. Der Direktor der italienischen 
Oper, Corti, hat seine Entlassung eingereicht Er verlangt entweder 
Erhöhung des Zuschusses der Regierung, oder unentgeltliche Be- 
nutzung des Saales. 

Brüssel. Der Violinist Leonard ist von seiner Kunstreise 
nach Petersburg zurückgekehrt. 

Achen, Joh. Wagner hat auch hier unter enthusiastischem 
Beifall gesungen. 

Braunschwefg. Die Theaterferien sind vorüber und Thaliens 
Tempel ist am 10- Juli mit Czaar und Zimmermann wieder eröffnet 
worden. Die Indra von Flotow soll nächstens aufgeführt werden; 
die Proben dazu haben bereits begonnen. Frl. Wurst, unsere Prima 
Donna ist als Frau Dr. Leisinger von ihrer Ferienreise, die diesmal 
zugleich auch Hochzeitreise war , zurückgekehrt. Ihre erste Rolle, 
die sie nachdem gab, war die Eleonore in der Favoritin. Sie hat, 
trotzdem man vor Kurzem erst Frl. Jenny Ney hier gehört, sehr ge- 
fallen. 

Am 12. Juli hörten wir in einem Privatconcert ein Quartett 
für Streichinstrumente von Bernhard Müller, ausgeführt von den vier 
ältesten Söhnen des Concertmeister Müller. Die Ausführung war 
bis auf Einzelheiten gut und wenn die Verhältnisse es den jungen 
Künstlern gestatten , einige Jahre lang beisammen zu bleiben, 
so dürfte dieses Quartett Müller junior es vielleicht seinem Vor- 
gänger senior gleichthun oder ihn sogar übertreffen. — - Carl Müller 
jun. (wie wir hören, in der Hanöverschen Hofkapelle engagirt) machte 
ausserdem in jenem Concerte durch den Vortrag der Ernst'schen 
Elegie seiner Schule Ehre. 

München. Roger hat hier eine Reihe von Gastrollen gegeben 
und besonders durch seine meisterhafte Darstellung entzückt. 

Aus der Bayr. Pfalz* Das pfälzische Musikfest scheint von 
Kaiserslautern aus etwas zu voreilig angezeigt worden zu sein, in* 
dem die Vereine der vordem Pfalz bis jetzt noch von keiner Ein- 
ladung etwas wissen ; doch soll es uns freuen, wenn wir uns in den 
sonst so unternehmenden Kaiserslautern Musikfreunden getäuscht 
hätten. Ebenso fallt allgemein die Wahl des Dirigenten auf. Robert 
Schumann ist als tüchtiger Componist bekannt, aber — wie wir 
vom Düsseldorfer Musikfest neulich erst wieder vernommen, nichts 
weniger als Dirigent — was doch hier Hauptsache sein muss. Warum 
wählte man nicht eine gerade in dieser Eigenschaft bekannte Auto- 
rität, wie z. ß. Lindpaintner, Hiller, Fr. und V. Lachner? — Es wäre 
sehr zu wünschen, dass die pfälzischen Musikfeste wieder recht bald 
ins Leben gerufen würden — s. 

Cleve. In den nächsteu Tagen wird hier ein niederrheinisches 
Gesangfest gefeiert. 



An die Besitzer von Handschriften «J» S« 

Bach'scher Werke* 

Eine schon früher erlassene Aufforderung von Seiten des unter- 
zeichneten Direktoriums, die von der Bachgesellschaft unternommene 
Herausgabe der sämmtlichen Werke Bach's durch Mittheilung und 
Nachweis handschriftlicher Kompositionen desselben zu unterstützen, 
ist nicht erfolglos geblieben und hat von verschiedenen Seiten her 
schätzbare Mittheilungen veranlasst, für welche öffentlich den auf- 
richtigsten Dank zu wiederholen eine angenehme Pflicht ist. Indessen 
sind ohne allen Zweifel noch viele handschriftliche Hülfsmiftel in 
einzelnen Sammlungen unbenutzt vorhanden, und die Unterzeichneten 
erlauben sich um so zuversichtlicher ihre bereits ausgesprochene 
Bitte zu wiederholen , da die ersten Bände ihrer Publikation jetzt 
vorliegen und die gesteigerte Theilnahme des musikliebenden Pub- 
likums die regelmässige Fortsetzung derselben garantirt. 

Jeder Nachweis handschriftlicher Composition Bach's, in der Ur- 
schrift oder in zuverlässigen Abschriften wird willkommen sein, so 
wie für die Benutzung oder Erwerbung der als brauchbar sich er- 
weisenden eine angemessene Entschädigung bereitwillig geleistet 
werden wird. 

Leipzig, 1. Juli 1863. 

Das Direktorium der Bachgesellchaft : 

Musikdirektor M. Hauptmann, Organist C F. Becker, Kapell- 

meister J. Britz, Prof. 0. Jahn, Breitkopf und Härtel. 

Verantwortlicher Ke4«kt«ur: J. J. SCE01T. — arnek ton RE11TEK * WALLAU in Main*. 



2. Jahrgang. 



Mr. 33. 



15. August 1853. 



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Quartal.. 



Inhalt i Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. II. — Eröffnung der deutschen Opernsaison in Wien. — Gorresp. (Hamburg}; 
— Nachrichten. 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



II. 

Nach der in unserm ersten Artikel gegebenen Bestimmung des 
Gebietes der Musik und der drei für uns wichtigsten poetischen 
Formen ergibt sich die Antwort auf unsere dritte Frage von selbst. 

Ist eine innige Verbindung der Musik und Poesie überhaupt 
möglich, so kann diese nur stattfinden zwischen Musik und Lyrik, 
denn nur die Letztere besitzt die wesentlichen Eigenschaften der 
Musik, ist ihr also nahe verwandt« 

Wir fanden, dass die Musik dem Menschenherzen entspringt, 
dass sie der eigentliche Ausdruck für die in demselben herrschenden 
Stimmungen und Gefühle ist , also an die Persönlichkeit des 
Künstlers geknüpft erscheint. 

Dasselbe Merkmal charakferisirt die Lyrik j Auch diese erhält 
ihre Farbe von der dichtenden Persönlichkeit. Auch sie ist ein Er- 
gebniss seiner Empfindungen. Beide leben desshalb in der Gegenwart. 

Beide wirken ferner in gleicher Weise auf unser Inneres, indem sie 
anregen, Empfindungen, Gefühle wachrufen. Denn es ist ein durch- 
gehendes Gesetz auch im Reiche der Kunst, dass die Wirkung stets 
der Ursache entspricht und dass dieselben geheimen Kräfte, die- 
selben Gefühls- und Geistesströmungen , welche der schaffende 
Künstler oder Dichter durch die Macht seines Genius zur Thätigkeit 
aufrief, durch sein Kunstwerk in den dasselbe Schauenden oder 
Vernehmenden hervorgerufen werden, vorausgesetzt natürlich , dass 
diese solcher Erregungen, die einen gewissen Grad von Geistes- und 
Herzensbildung bedingen , überhaupt oder noch fähig sind. Die 
ganze kulturhistorische Bedeutung aller Kunst lässt sich ja in letzter 
Linie auf diese wunderbare Harmonie der Menschenseelen zurück- 
führen, durch welche der Genius bevorzugter Geister erst einer fast 
ins Unendliche gehenden Vervielfältigung fähig wird. 

Jedes Blatt der Kunstgeschichte bestätigt die Richtigkeit obiger 
Sätze. 

Aller Poesie Anfang ist das lyrische Gedicht, der Ausfluss der freu- 
digen oder schmerzlichen Empfindungen des einfachen Naturmenschen. 

Aller Musik Anfang ist das gesungene Lied, das ist: die ur- 
sprüngliche Vereinigung von Wort und Ton als natürlicher Ausdruck 
der erhobenem! inneren Stimmung, die nach Aeusserrung ringt und 
zwar wohl zuerst in dem Gefühle der Gemeinsamkeit , der TheJl- 
nähme Anderer an dieser Stimmung. In der That weisen alle Spuren 
darauf hin, dass der erste Gesang— Chorgesang, das erste Lied— Volks- 
lied war. Von selbst gesellte sich tu dem Ausdruck lebhafter Em- 
pfindung in Wort und Ton die Geberde, und so haben wir schon auf 
der ersten Stufe der KunstbUditng die Vereinigung von Poesie, Musik 
und Tanz, wie noch heute dieselbe Vereinigung in derselben einfachen 
und kunstlosen Weise auf der ersten Stufe der Bildung des Indi- 
vidiums, in der Kinderwelt, wahrnehmbar ist. 
, Freilich zerfiel diese Vereiafeufig , sobald dieae «rftje j&nfe der 



Kunstbildung überschritten war. Die Entwickdung der Künste war 
keine gleichmässige. Mit dem ersten Schritt vorwärts der Einen 
war die Trennung von den Andern gegeben. Und so verfolgte bald jede,' 
wohlthätig für die vollkommene Ausbildung derselben, ihren eignen 
Weg, bis sie endlich nach Jahrtausenden, auf der höchsten Sttife 
ihrer Entfaltung, sich fast instink (massig des ehemaligen Bundes zu 
erinnern schienen und den Punkt einer neuen, vollkommneren und 
in ihrer Wirkung grossartigeren Vereinigung suchten, wie zum' 
Zeichen , dass die höchste menschliche Kultur nichts sei, als die 
Potenzirung des ersten Bildungskeimes und die Kunstgeschichte 
wie Geschichte überhaupt, nichts, als die Darstellung der verschie- 
denen Entwicklungsphasen dieser Keime. 

Die Untersuchung der wechselnden und mannichfahigen Ver- 
bindung der Lyrik mit der Musik, die allein, ihrer innern Verwandt- 
schaft halber, nie ganz abgebrochen werden konnte, ist von hohem- 
Interesse. Wir müssen uns indessen mit einigen Andeutungen be- 
gnügen , da eine Ausführung dieses Gegenstandes die ganze Kunst- 
geschichte umfassen müssfe. 

Schon im Alterthume erweiterte sich das einfache Lied, in 
welchem nur ein Bild, nur eine Empfindung vorherrscht, zum lyrischen 
Gemälde. 

Gestattet jenes höchstens kleine Wendungen desselben Bildes, 
so finden wir hier^Uobergänge eines Tones in den andern, so dass 
wir eine Reihe von Bildern haben, die allerdings von einem Grund- 
ton ausgehen und in diesem eine Einheit bilden. Selbst eine grössere 
Freiheit des Stoffs ist bemerkbar, wie in Jubel- und Siegesliedern 
zur Feier ruhmvoller Thaten, in denen die Dichtung einen leiden- 
schaftlichen Charakter annimmt und mehr oder weniger epische und 
dramatische Züge aufweist. 

Zu den ältesten und schönsten solcher Gesänge gehören die 
Psalmen, die, wie überhaupt die gesammte lyrische Poesie der Eb- 
räer, die späteren lyrischen Dichtungen des Alterthums weit über- 
treffen. Ueber den musikalischen Werth derselben haben wir na- 
türlich kein Unheil. Das aber dürfte kühn nach dem, was diese 
Poesie geleistet hat und nach einer unparteiischen Würdigung des jü- 
dischen Nationalcharakters in der Blüthezeit des Volkes, behauptet 
werden, dass dasselbe auch hierin die übrigen Völker des Alterthums 
überflügelt hat. 

Was wir von der Musik der Griechen wissen , ist nicht genug 
um ein vollständiges Bild derselben geben zu können, aber genug 
um es wenig bedauern zu lassen , dass die oft versuchte Wieder- 
erweckung derselben nicht möglich gewesen ist. 

Wie wir bereits andeuteten, ist schon in den ältesten der auf uns 
gekommenen lyrischen Gesänge, sobald dieselben einige Erweiterung 
zeigen, ein Anstreifen an epischen und dramatischen Ton und Ge- 
staltung bemerkbar, Es ist dies ein nethwendtger Fortsehnt*: tun 
einem thatkräftigen und poetischen Volke , welches eine ruhmvolle 
Vorzeit besitzt. Derselbe geht stets der wirklichen Scheidung der 
Poesie in Lyrik, Epos und, bei günstigen BJldungsverh&ltnissen, Drama 
v#ran. 

• Diese Scheidung Üssc sich hei den -Griechen aiemlich deutHehh 
verfolgen, notwendiger Weite (eher mutete im Heftige dieser StfeeUi 



- im 



düng die Poesie für die ursprüngliche Verbindung mit der Musik 
immer ungeeigneter werden, da diese für das Epische, das ja reine 
Erzählung im poetischen Gewände ist , wie für das dramatische, 
das wesentlich Handlang ist* keinen Aasdruck hat. Die Griechen 
mochten aber das Klangvolle, Wohltönende des Gesanges nicht auf- 
geben und zwangen trotz der inneren Unvereinbarkeit der neuen 
poetischen Formen mit der Musik , letztere zum Dienste derselben. 
Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Man erfand ein höchst com» 
plizirtes, künstliches, aber auf falschen Principien beruhendes, musi- 
kalisches System, combinirte Töne und Klänge danach und — hatte 
am Ende Alles , was den Körper der Musik bildet, während ihre 
Seele längst entflohen war, und der Auferstehung unter einem 
andern Himmel harrte. 

Bevor jedoch diese Wiedergeburt erfolgen, bevor Gesang und 
Musik zu ihrer künstlerischen Vollendung gelangen konnten, mussten 
zwei Bedingungen erfüllt werden, die im Alterthume nicht vorhanden 
waren. 

Die Musik musste durch selbständige Entwickelung die vollen- 
detste Ausdrucksfähigkeit für alle Nuancen der Seelenstimmungen er- 
langt haben und diese durch feste, aus ihrem eigenen Wesen abge- 
leitete, Kunstgesetze fixirbar sein. 

Auf der andern Seite aber musste durch eine gewaltige Um- 
wälzung der geistigen Organisation der Menschheit ein wahrhaft 
menschliches Gefühl für das Wahre, Gute und Schöne, der eigent- 
liche Boden für den vollendeten Gesang wie für die ganze Ton- 
kunst, geschaffen werden, da bei den Culturvölkern der alten Welt 
dieser rein menschliche Inhalt aller Kunst, der nicht mit dem aller- 
dings bei ihnen auf das Feinste ausgebildeten Gefühl für das sinnlich 
Schöne verwechselt werden darf, mit ihrer Jugend verloren gegangen 
war. 

Diese Bedingungen wurden erfüllt und dies war die Frucht der 
Durchdringung des germanischen Geistes mit der reinen Christen- 
lehre, den beiden Haupthebeln der Cultur der Neuzeit, und desshalb 
datirt unsere heutige Kunst erst von dem Eintritt dieser beiden 
Factoren in die Geschichte. 

Damit sehen wir denn auch sogleich das Lied wieder aufleben 
und zwar zuerst als einfachen kunstlosen Chorgesang. Bald sondert 
sich die Musik vom Gesang und gewinnt dadurch die Möglichkeit 
der allseitigsten Entfaltung. Gleichseitig flüchtet das lyrische Element 
aus dem Kirchengesang, als er in Folge des hineingetragenen unpoe- 
tischen Inhalts und contrapunktischer Künsteleien erstarrte, in das 
neuerwachte weltliche Volkslied* Als Minnesang und Meistersang 
erlebt dasselbe seine erste Blülhe. Nach dem Erschlaffen des Geistes, 
der jenen gebar, nimmt es einen neuen Aufschwung in dem prote- 
stantischen Gemeindegesang und schliesst gleich dem um dieselbe 
Zeit in Italien wiedergeborenen Einzelgcsang von nun an einen 
neuen Bund mit der unterdessen zu künstlerischer Bedeutung ge- 
reiften Tonkunst, welcher bis heute die köstlichsten Früchte trug 
und noch so lange tragen wird, als Deutschland, die eigentliche 
neue Heimath des Liedes , sein nationales Wesen und die damit 
unzertrennbar verbundenen Güter des Geistes und Herzens hewahrt. 

Doch geschah diese Wiedergeburt nicht ohne Kämpfe besonders 
mit dem Spukgeistc griechischer Musik, der mit dem Studium griech, 
Wissenschaft und Kunst im Abendland eingezogen war. Das Haupt* 
gebrechen, an dem die griechische Musik litt, ihr auf unmusikalische 
Principien gegründetes System, sollte der jungen Tonkunst eingeimpft 
werden. Glücklicherweise scheiterte der Versuch vollständig. Da- 
gegen hatte ein anderer, der auf Einführung des griechischen recitirten 
oder gesungenen Dramas gerichtet war, eine für alle Zukunft hoch- 
wichtige Entdeckung zur Folge , die den Zugang zu neuen musi- 
kalischen Schätzen eröffnete, in ihrer Verfolgung eine ungeahnte 
Fruchtbarkeit offenbarte , und eine neue Kunstgattung, unsere Oper, 
begründete. 



ERÖFFNUNG DER DEUTSCHEN OPERNSAISON IN WIEN. 



(Fortsetzung.) 
In der kurzen Zeit seit der Eröffnung des Opern-Theaters nach 
theilweiser Restaurirung , deren dasselbe so sehr bedurfte , hat die 
Direktion bei •• verschiedene Opernvorstellungen geboten« Von 



Mo zart 's „Don Juan" und Beethovens „Fidelio" bis herab zu 
Verdis „Ernani" fand eine reiche Auswahl von deutschen, fran- 
zösischen und italienischen Opern statt. Manche Aufführung konnte 
man in Berücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse sogar als 
gelungen bezeichnen und obgleich durch die plötzliche Unpässlichkeit 
des Herrn Ander, welche eine Badereise dieses Sängers zur 
Wiederherstellung seiner Gesundheit noth wendig machte, eine ge- 
waltsame Störung im Repertoir in Aussicht stand , so fand diese 
dennoch nicht statt, im Gegentheile ist das Repertoir nicht 
weniger reich an Abwechslung wie früher. 

Die . Saison wurde mit Meyerbeers „Prophet" eröffnet, in 
welchem Herr Ander einen glänzenden Triumph seiner allgemeinen 
Beliebtheit im Publikum feierte. Frau K ö s t e r vom Hoflheater 
in Berlin und Frau Herrmann sangen die Bertha und Fides, 
beide nicht genügend den Anforderungen, die man hier an die Par- 
thien zu stellen gewohnt ist, um so mehr als man besonders die 
letztere von so ausgezeichneten Vorgängerinnen in sehr gelungener 
Weise gehört hat. 

In der Vorstellung von Rossini 's „Teil" machten wir endlich 
die Bekanntschaft mit den zwei neu engagirten Sängern Herren 
Steg er und Beck, welche der hiesigen Journalistik schon so 
reichlichen Stoff zu Notizen geliefert. Das Publikum war sehr ge- 
spannt, da sich im Allgemeinen die Stimmen über Beide vor ihrem 
Auftreten sehr verschieden aussprachen. Während die Einen ihre 
Leistungen über Gebühr erhoben , setzten die Andern sie wieder 
gegen die hiesigen Sänger zu sehr in Schatten, für das Medium 
tenuere beati stimmte nur ein sehr kleiner Theil, der jedoch wie 
es gewöhnlich der Fall, der Wahrheit am nächsten kam. 

Der Standpunkt bei Beurtheilung eines Opernsängers ist von 
langeher im hiesigen Publikum ein unrichtiger, und wer da glaubte, 
dass sich derselbe in der neuesten Zeit geändert habe, ist von ei- 
nem grossen Irrthume befangen. Die Hauptanforderung, welche man 
im allgemeinen an einen Opernsänger stellt, ist eine kräftige, durch- 
greifende und umfangreiche Stimme; alle anderen Attribute eines 
guten dramatischen Sängers, werden dieser nachgesetzt, mehr, als 
es mit einem richtigen Kunstgeschmacke vereinbarlich. Man verzeiht 
einem Sänger, z. B. einem Tenor, eine unzureichende musikalische 
Ausbildung, Mangel an poetischer Auffassung, Gefühl, ja sogar die 
unumgänglich nothwendige Bühnengewandtheit , wenn er nur in ge- 
wissen Force-Stellen das hohe A oder B mit Kraft aus der Kehle 
zu schleudern vermag, ein leidliches Cantahile vorzutragen , und die 
schon allgemein bekannten Paradepferde mit Sicherheit herumzu- 
tummeln versteht. Ist bei einem Sänger das bessere Wollen vor- 
herrschend , so dass er seine musikalisch - dramatische Befähigung 
über diese Anforderungen noch zu erheben vermag, dann werden wohl 
auch diese Vorzüge gebührend anerkannt; allein Stimmkraft 
bleibt dennoch die Hauptsache. Wir haben hier die Leistungen von 
Sängern, deren Name in der deutschen Kunstwelt mit Achtung ge- 
nannt wird , kalt und theilnahmslos aufnehmen gesehen , weil ihnen 
bei aller musikalischer und ästhetischer Ausbildung die Kraft und 
Frische der Stimme fehlte, während Andere wieder mit Beifall über- 
schüttet wurden, obgleich sie ausser den Vorzügen der Stimme sehr 
wenig aufzuweisen hatten. Es soll damit keineswegs gemeint sein, 
dass Herr S t e g e r nur so beschränkten Anforderungen zu genügen 
im Stande sei; allein wir glauben , dass die Vorzüge seines Vor- 
trages bei einer minder frischen und kräftigen Stimme gewiss vom 
Publikum wenig oder gar nicht beachtet worden wären. 

Herr Steger ist im Besitze einer Tenorstimme, deren Höhe beson- 
ders frisch und klangvoll. Es ist ihr wohl nicht jener elegische Hauch, 
jene Silberhelle und füllige Weichheit eigen th um lieh, Vorzüge, die 
man sonst bei Tenoren di prime cartello mit Kraft und Ausdauer 
vereint fand , dafür aber sind ihr die letzteren Vorzüge im hohen 
Grade eigentümlich and ihre scharfen Kanten werden in einem 
grossen Lokale weniger bemerkbar, ja sie dienen sogar dazu dem 
Klange den Weg ,zu bahnen , die Ensembles der Chöre und Blech* 
harmonie moderner italienischer Lärmopern leichter zu durchdringen, 
was um so nothwendiger erscheint , als die modernen Componisten 
es eben nicht allzugut verstehen, die Solostimme in der Weise über 
das Accompagement zu stellen, dass sie dasselbe ohne grossen 
Kraftaufwand beherrschen könne. Seinem Vortrage wohnt Gefühl 
und Begeisterung inne, seine Darstellung aber, wenn ihr auch die 
Glitte und Abgeschliffenheit noch mangelt, seigt immerhin von 



— isr - 



charakteristischer Auffassung und Iftsst ein richtiges Vcrst&ndniss 
des Künstlers erkennen. Weniger zureichend ist sein Gesang vom 
Standpunkte musikalisch-ästhetischer Anschauung und Beur- 
theiiung aus. Seine Stimme ist nicht gleichmassig ausgebildet, die 
Töne nicht vollkommen ausgeglichen, die Klangfarbe noch nicht in 
jene Harmonie gebracht, was alles erst den Gesang zur — Kunst- 
lcistung erhebt. Sein Recitativ ist mangelhaft, seine musi- 
kalische Deklamation überhaupt nicht immer richtig; ausserdem 
zeigt sich auch in seinen Darstellungen, dass er nicht mit der, auch 
den begabtesten Künstler unumgänglich nölhigen Sorgfalt und Ge- 
wandtheit beim Studium seiner Opern vor sich gegangen, indem ein- 
zelne Stellen im Vortrage ganz vernachlässigt werden , während 
der Sänger in anderen wieder seine ganze Aufmerksamkeit conzen- 
trirt. Obgleit-h wir Herrn Steg er bis jetzt nicht sehr oft gehört 
haben , so ist es uns dennoch aufgefallen , dass seine Leistungen 
mitunter zu sehr abhängig sind von einer mehr oder minder guten 
Disposition , nicht sowohl seiner Stimme , (denn diese scheint uns 
nicht so empfindlicher Natur) als vielmehr seiner — Laune- - Er 
geht über so manche Stellen gleichgültig und empfindungslos hinweg, 
wie es ein vom Kunsteifer beseelter Sänger, der Künstler in der 
edelsten Bedeutung des Wortes, der stets nur Kunstgebilde zu 
schaffen bemüht sein muss, nimmer sich zu Schulden kommen 
lässt. Wir werden den Leistungen des Herrn Steger auch in 
Zukunft alle Aufmerksamkeit zuwenden , und daraus ein Gesammt- 
urtheil schöpfen, das eine richtige Anschauung seiner Vorzüge und 
Mängel zulässt; und wir glauben in dem reichen Talente desselben 
noch viele neue Vorzüge zu entdecken, die wir dann eben so freudig 
anerkennen werden, wie wir es mit den jetzt an ihm bemerkten ge- 
halten haben; wir werden aber auch den über ihn ausgesprochenen 
Tadel mildern, ja sogar auch ohne Scheu — widerrufen, wenn uns 
die Folge eines Bessern belehren sollte 

In Herrn Beck lernten wir einen Sänger kennen , der im Be- 
sitze einer volltönenden Bass-Bariton-Stimme, welche viel Metallklang, 
besonders in der Mittcllagc be>itzt, wenn ihr auch nicht jener Ton- 
schmelz eigentümlich, den wir an seinem Namens- Verwandten, dem 
einst so beliebten Sänger P ö c k bewunderten. Seine Höhe ist nicht 
sehr bedeutend und geht wenig über die Grenzen eines Basso as- 
soluto hinaus, was dem Sänger in manchen eigentlichen Bariton- 
Partien , wie z. B. in „Don Juan" u. A , mitunter Hindernisse in 
den Weg gelegt , die nicht immer glücklich überstiegen werden 
können. Seinen Gesang charakterisirt übrigens eine richtige musi- 
kalische Auffassung, so wie seiner Darstellung viel Feuer in- 
wohnt. 

Was die mitunter eingeschlichenen Intonationsschwankungen betrifft, 
so dürften sie unseres Bedünkens vielleicht nur zufällig gewesen sein. 
Wie bei Herrn S t e g e r , so lässt auch bei ihm der Vortrag des 
Recitativs noch Vieles zu wünschen übrig. In Bezug auf dramatische 
Auffassung und Gestaltung steht Herr Beck bis jetzt noch nicht 
auf dem Punkte, um in einer Weise zu genügen , wie es bei seiner 
reichen künstlerischen Begabung wünschenswert!! wäre. So ver- 
missten wir in „Lucrezia" die charakteristische Färbung und rich- 
tige Auffassung, kurz die völlige Beherrschung seines künstlerischen 
Vorwurfes; im „Don Juan" genügte er noch weniger und zwar 
sowohl in Bezug auf Darstellung, als als auch in gesanglicher Beziehung. 
Wir hoffen auch in den Leistungen dieses Sängers, wenn wir 
seine künstlerische Individualität näher kennen gelernt haben werden, 
noch viele interessante Einzelnheiten aufzufinden, welche wir in der 
Folge einer kritischen Würdigung unterziehen wollen. 

(Schluss folgt) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

Das Ende des Aprils und der Beginn des Maimonats sind durch 
das Gastspiel des Herrn Tichatschek ausgezeichnet gewesen. Dieser 
treffliche Sänger erregt durch seine Leistungen, ungeachtet er nicht 
weit vom 50. Lebensjahr stehen muss , noch immer die grösste Be- 
wunderung, die Fülle und siegende Kraft seines Organes scheinen 
durchaus ungeschwächt, hauptsächlich aber entwickelt er in Spiel und 



in der leidenschaftlichen Darstellung seiner Helden eine so grosse 
Gluth und eine so markirte Deklamation, dass ich hinsichtlich der 
Rundung der ganzen Durchführung ihm unter den deutschen Sängern, 
welche ich hörte, niemand zur Seite stellen kann, wenn auch Ander 
in Wien ihn jetzt an Frische und Stimm mit« ein übertrifft. Herr Tichat- 
schek hat hier wie früher auch diesmal grosse Triumphe gefeiert. 
Ich bedaure nur, dass wir nicht bedeutende seiner Glanzrollen in 
deutscher Musik hörten, z B. Euryanthe, worin sein Adolar zu 
dem Schönsten gehörte, was ich je auf der Bühne hörte. Ent- 
schieden bezeichne ich aber seine letzte Vorstellung als einen Miss- 
griff insofern ein so eminenter Künstler es verschmähen sollte einen 
Ragout zu geben, in welchem Sätze aus der Ves talin, Halevy's Jüdin 
und aus dem Templer von Marschner in zerissenster Weise sich 
folgten. Wann wird diese Misshandlung der Kunst einmal wenigstens 
auf den grossen Theatern aufhören ? 

Ueberhaupt war in den letzten Monaten durch mehrere bedeu- 
tende Gastspiele alles musikalische Interesse so ziemlich auf das 
Theater beschränkt. Nachdem die spanische Tänzerin Pepita de 
Oliva mit ihren unglaublichen Schaustellungen den jubelnden Bei- 
fall des vornehmen und geringen männlichen Publikums , zugleich 
aber auch den Zorn und die Entrüstung aller deren erweckt hatte, 
welche der Bühne einen edleren Beruf zuerkennen , als dass auf ihr 
eine üppige, durch nichts Künstlerisches ausgezeichnete Frau den 
lüsternen Blicken der Zuschauer zu fröhnen suche — fesselte die 
Erscheinung der schon früher vielgenannten Frl. Jenny Ney aller Musik- 
freunde Aufmerksamkeit. Wie gewöhnlich veranlasste eine in vieler 
Hinsicht eminente Leistung einen- Wirbel von sinnloser Vergötterung, 
Ich will versuchen meine Meinung über die allerdings ausgezeichnete 
Künstlerin darzulegen , indem ich die Bestätigung der von mir ge- 
setzten Ansichten schon jetzt häufig in andern öffentlichen Urtheilen 
gefunden habe. Frl. Ney, welche, aus Oestreich gebürtig, einige Zeit 
in Wien und seit vorigem Herbst in Dresden lebenslänglich engagirt 
ist, besitzt eine der stärksten klangvollsten Stimmen, welche ich je 
gehört habe. Wenn diese Stimme auch nach der Tiefe nicht sehr 
ausgiebig ist , so glänzt sie desto mehr in der Höhe bis zum c 
hinauf durch glockenhelle Kraft , Reinheit, weiche Fülle , Gleichheit 
und Leichtigkeit der Angabe und durchaus grosse Natürlichkeit des 
Klanges, der unsere durch so viele ausgeschrieene scharfe Soprane 
gemarterten Ohren einmal mit dem Genuss einer gesunden Frauen- 
stimme erfreut. Die Sängerin besitzt neben dem natürlichen Material 
eine durch gute Schule erworbene bedeutende Fertigkeit in Passagen 
und Triller. Alles bis hierher gelobte nun ist allerdings unentbehrlich 
zur bedeutenden dramatischen Sängerin, aber nicht hinlänglich zu 
solcher ehrenden Bezeichnung, sobald zwei der wesentlichsten Er- 
fordernisse fehlen, nach Aussen die würdige, edle und ästhetische 
Gestalt, nach Innen aber die eigentliche Hauptsache von allem — 
die tiefe leidenschaftliche Einbildungskraft, welche zauberisch 
schaffend nicht allein den Intentionen des Meisters genügt, sondern 
eben so vieles vom eigenen hinzulhut, dass in der Gluth des Spieles 
die schöpferische Kraft des Darstellers ihren bedeutenden Theil von 
dem Lorbeer in Anspruch nehmen darf, der dem Werke gezollt 
wird* Diese bedeutendste Seite des Künstlers geht Frl. Ney entschieden 
ab So wenig geeignet die kolossale äussere Erscheinung derselben 
für theatralischen Gesang ist , so würde dennoch dieser Mangel 
vergessen werden, sobald von Innen heraus die Funken jenes gött- 
lichen Lichtes strahlten, das eben den wahren Künstler wie von ei- 
nem Dämon besessen erscheinen lässt. Aber hier ist die Achilles- 
ferse der Sängerin Eine gewis.se Kälte , eine fast unzerstörbare 
Ruhe verlässt sie nie oder weicht nur vorübergehend. Der Beifall, 
den die Sängerin fand, hielt sich denn auch durchaus in den Gränzen 
der Mässigung, was mir wieder lebhaft gezeigt hat, dass die Masse 
der Hörer immer richtig fühlt. Ihre Donna Anna war besonders 
ein Zeugniss dessen was ihr mangelt. 

Leider war diese Aufführung des Don Juan ein trauriges Zeichen der 
Zeit* Wenn man sieht, dass z. B. die Posaunen schon im ersten Akt 
mit blasen, die der alte Meister so weise und so bestimmt bis zum 
Schluss gespart hatte, dass in der letzten Sccne Don Juan, Leporello 
' und der Furienchor von dem Abgang des Comthurs an schweigen (U) 
um Platz für die gemeinste Nürnberger Darstellung der Hölle zu 
gewinnen, dass alle Tempi abgehetzt werden , als wären es Polkas, 
und wenn von alle den erhabenen Geisteszügen der Mozart'schcn 
Partitur kein einziger hervortritt, der ein tieferes Verständniss ver« 



- 1#2 



langt» so wird es begreiflich, dass in der Oper eine Radicalum- 
wälzung das einzige ist was helfen kann. Ehe nicht die obere 
Leitung der Bühnen kundigen, gebildeten und Edles- wollenden 
Männern übergeben wird, kann nichts sich besser gestalten. Die 
Verhältnisse unserer Hamburger Bühne sind die traurigsten, die man 
sich denken kann. Als Privatunternehmen durchaus auf den Gewinn 
berechnet, sind die beiden Gesellschaften: Stadttheater und Thalia- 
theatcr seit 2 oder 3 Jahren unter den beiden Directoren Herrn 
Maurice und Wurda vereinigt. Die Entwicklung , welche beide 
Bühnen in dieser Verbindung gefunden haben , ist durchaus nicht 
so ausgefallen, dass die gleich anfangs vielfältig geäusserten Be- 
sorgnisse im Geringsten widerlegt worden wären. Wie es scheint, 
ist der Nutzen durchaus auf .der Seite des dem Herrn Maurice allein 
eigentümlichen Thaliatheaters gewesen, während das Stadttheater, 
das von jeher seit seines grossen F. L. Schröders Zeiten eine der 
allerersten Bühnen Deutschlands war, an seiner Würde und Stellung 
verloren hat , seitdem seine Mitglieder es nicht mehr ablehnen 
können, auf der an künstlerischem Ansehen bei weitem geringeren 
Thaliabühne zu spielen. Allerdings ist die ernste Oper von der 
letzteren entschieden ausgeschlossen, allein der kleinen Vermittellungs- 
wege sind sehr viele, aufweichen auch die Sänger am Ende hinüber 
gezogen werden — das alles hat eine Aenderung und Rückkehr zu 
früherer Gesondertheit wünschenswerth gemacht. Dr. Wollheim und 
ein ehemaliger Schauspieler Mäder erbieten sich jetzt das Stadt- 
theater allein zu übernehmen, während Herr Wurda sich ins Privat- 
leben zurückziehen, Herr Maurice aber die Thaliabühne wieder 
allein leiten würde. Leider steht immer zu fürchten, dass die 
Entscheidung über die Hauptbühne, welche von den Actionären des 
Gebäudes abhängt, nicht die Würdigkeit des feingebildeten begei- 
sterten und rechtschaffnen Künstlers für die Direction wird ent- 
scheiden lassen,, sondern vor allem die Frage, wer die höchste und 
sicherste Miethe für das Gebäude zahlen kann. 



NACHRICHTEN. 



Frankfurt« Frl. Job. Wagner wird in dem nahen Badeorte 
Soden einige Wochen verweilen und von da nach München und Wien 
gehen. 

Wieila Frau Marlow ist auf 8 Monate — bis zum Beginne der 
ital. Oper — engagirt worden. 

Frl. J. Ncy wird im nächsten Sommer ein längeres Gastspiel 
eröffnen. 

In den letzten Tagen kamen Aüber's „Krondiamanten" zur Auf- 
führung. Der „verlorne Sohn" desselben Componisfen sollte am 4. 
in Sccne gehen. — Dalle Aste, Bassist, früher in Dresden, zuletzt 
in Lissabon engagirt, beabsichtigt ein auf Engagement abzielendes 
Gastspiel zu eröffnen. 

Baden bei Wien. Die Virtuosen Leop. v. Meyer, Kühl und 
"Vieuxlemps verweilen hier. 

Carlsbad* Franz Liszt braucht die hiesigen Bäder. 

Braunschwelg. Das Eimsängerbund-Gesangfest hat am 26. Juni 
in Schöppenstedt stattgehabt, war aber leider nicht vom Wetter be- 
günstigt. Herr Franz Abt, der gegenwärtig war, wurde sehr gefeiert. 
Nächstes Jahr wird dieses Fest in Braunschweig stattfinden. 

Köln« Die hiesige Liedertafel machte vor einigen Wochen einen 
Ausflug in das Brohlthal j derselbe gestaltete sich zu einem halben 
Gesangfeste, da von den theilnehmenden Gästen Hiller und Frl. Bury, 
Reinecke etc., besonders Frl. Bury, die Gesangeslust durch treffliche 
Liederspenden gehoben wurde. 

Dresden« 80. Juli. In den letzten Wochen gaslirte auf unserer 
Hofbühne Fr. W i 1 d a u e r von Wien. Sie trat ausser in mehreren 
„Alpenscenen", für welche sie eine unübertreffliche Darstellerin ist, 
als „Linda" in Donizettis bekannter Oper und zweimal als Susanna 
in Mozart's „Figaro" auf. Dem Spiel nach eine der ersten jetzt auf 
den deutschen Bühnen wirkenden Soubretten, leistet sie auch als 
Sängerin sehr Tüchtiges , wenn auch die feinere Gesangsaasbildung 
im höheren Sinne., die vollendete Technik und andererseits die tiefere 
Poesie mangelt, welche s, B. zu vollster dramatischer Verkörperung 
die Susanna fordert, und sie die echte Innigkeit des Gefühls and die 
Tiefe der Leidenschaft durch ein fein ausgearbeitetes Spiel und durch 



glücklich nnancirten Gesangesvortrag z« ersetzen sucht. Sie ward 
nach Gebühr mit grosser Auszeichnung aufgenommen und wir möch- 
ten sie gerne neben Jenny Ney zu den Unsern zählen. Aber., . .1 
— Des allen Schenk immer noch junger „Dorf barbier", so attch 
des früh heimgegangen en L o r t z i n g erste, am meisten zwar dilet* 
tantenhaft, aber auch am meisten frische, echt komische Oper: „die 
beiden Schützen", gingen im Laufe der letzten acht Tage, neu einstu- 
dirt, bei uns in Scene und fanden eine so beifällige Aufnahme, dass 
wir an ihnen eine Bereicherung des ziemlich stagnirenden Opernre- 
pertoirs gewonnen zu haben glauben dürfen. — Vor 14 Tagen ver- 
anstaltete unsere Liedertafel ein, wie immer, sehr sinnig und ge- 
schmackvoll arrangirtes Sommerfest bei brillanter Erleuchtung im 
königlichen grossen Garten, zu dem sie mit grosser Liberalität Ein- 
ladungen hatte ergeben lassen. Ein Paar tausend Menschen, nament- 
lich auch aus den höheren Kreisen , wogten dort auf und ab und 
erfreuten sich an dem trefflichen Arrangement, wie an der reichen 
und sinnigen Auswahl der vorgetragenen Gesänge. 

Paris. Auf dem Theatre des Varietes lassen sich 9 deutsche 
Sänger unter der Leitung des Hrn Homann (vom Garlsruher Theater) 
hören. Ihre Programme bestehen aus Gesängen von Mozart, Weber, 
Mendelssohn, Kreutzer u. s. w. Ihre Leistungen lassen fast nichts 
zu wünschen übrig und ziehen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. 

Zürich. In Nr. ?6 dieser Blätter befindet sich unter den Nach- 
richten eine Mittheilung über den Tod eines Musikdirektors Eisner, 
welcher zugleich als der Verfasser der „Fahrten eines Musikanten', 
bezeichnet ist. 

Der in den Reihen der Bürgergarde gegenüber den Insurgenten 
Gefallene ist aber der Musiklehrer Eisner gewesen. Der Held der 
„Fahrten" lebt noch gesund und wohlgemuth : es ist diess der Dr. 
Elster, welcher als tüchtiger Gesanglehrer beim aargauischem Semi- 
nar zu Wettingen bei Baden angestellt ist* Derselbe hatte Ludwig 
Bechstein die Notizen über seine abentheuerliche Jugend übergeben, 
woraus dieser den bekannten Roman — also Wahrheit, nicht 
Dichtung — gefertigt hat. Dagegen ist, was hier beiläufig erwähnt 
sein mag, die angebliche Fortsetzung der „Fahrten", welche später 
unter dem Titel „die Clarinette" erschienen ist, eine blosse Erfindung 
Bechsteins und nichts weiter als eine buchbändterische Spekulation. 
Dr. Elster ist übrigens in seinen späteren Jahren wiederholt selbst 
schriftstellerisch aufgetreten, zuletzt mit einer musikalischen Novelle, 
„des Nachtwächters Tochter" (Frauenfeld 1853), deren Inhalt aus 
einer Episode seines bunten und anziehenden Lebens genommen ist. 

* In Gutzkow's Unterhaltungen wird darauf aufmerksam gemacht 
dass von Franz Schubert noch 8 Opernpartituren existiren müssen, 
die aber niemals zur Aufführung gekommen sind. Welche Aufgabe 
für Musikfreunde ! 

* Frl. Th. Milanollo hat ihre jährliche Kunst- und Geschäftsreise 
beendet und ist nach ihrer Villa bei Nancy abgereist, um sich von 
den Anstrengungen derselben zu erholen. 

* Dem Baritonisten Beck sind sowohl von der ital. als der deut- 
schen Operngcsellschaft in London Engagementsanträge für die Sai- 
son von 1S54 zugegangen. 

Deutsche Tonhalle« 

Zur Beurtheilung der nach unserer Anzeige vom Juni d. J. ein- 
gekommenen Bewerbungen um den für eine Hymne ausgesetzten Preis 
waren die HH Generalmusikdirektor Dr. L. Spohr, Hofkapellmeister 
Dr. F. Liszt und Hofkapellmeister V. L a ch n e r erwählt. Der Be- 
werbung mit dem Spruch : „Edlen Seelen vorzufühlen, ist wünschens- 
werthester Beruf*, von Herrn Wilhelm S ch e f f e r in Eisenach ein- 
geschickt, wurde der Preis zuerkannt, und belobt wurden die Bewer- 
bungen der Herren Karl Hering in Berlin , Herman B ö n i ck e in 
Quedlinburg, ^Aftton Leder 4n Marien Werder, V. & Becker in 
Wurzburg und Wilhelm V o 1 ck m a r in Homberg. 

Wegen Wiederausfolgung der übrigen Bewerbungen besagen die 
Vereinssatzungen (14. c.) das Nähere. 

Mannheim, 4. Äugest 1853 

I. A. des Vorstandes : 
A. ftehtUsler. 

v«nntw«rtlicktr nefektrart J» J. SCH0IT. — Brak t« BIUTBB n. WALLAD 1« «tun. 



2. Jahrgang. 



Nr. 34. 



22. August 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Dies« Zeitung erscheint Jeden 

MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACT10N UND VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 





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Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. III. — Eröffnung der deutschen Opernsaison in Wien. (Schluss.) — Corresp, 
(Hamburg). — Nachrichten. 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



III. 

Schon frühe war auch im Abendland der Sinn für scenische 
Darstellungen erwacht. Anfangs meist religösen Inhalts , Mysterien 
genannt, und bei Volksfesten und dgl. unter freiem Himmel aufge- 
führt, nahmen sie bald auch weltliche Gegenstände auf und erhielten 
nach und nach eigene Bühnen. 

In dem 13. und 14. Jahrhundert wurden sie als angenehme 
Unterhaltung bei ttoffeslen sehr beliebt. 

Unbemerkt schlich sich das Lied ein und so finden wir schon 
am Ende des 13. Jahrhunderts förmliche Liederspiele in der Pro* 
vence, dem Vaterland des Minnesangs, die noch heute fast in derselben 
Gestalt als Vaudevilles fortbestehen. 

Später, als der künstliche Satz die einfache improvisirte Melodie 
verdrängte, traten besonders in Italien mehrstimmige Gesänge und 
Chöre, die sogenannten Madrigals an die Stelle des Liedes, immer 
aber nur da, wo der Faden des Stückes selbst zum Singen führte 
oder am Schlüsse. Das eigentliche Stück bestand aus reinem Dialog. 

Die Unerquicklichkeit besonders der letzten Darstellungen , bei 
denen die gesungenen Verse einer der handelnden Personen in den 
Mund gelegt, in der That aber vielstimmig gesungen und hinter der 
Bühne von Instrumenten begleitet wurden , begann den Gebildeteren 
endlich fühlbar zu werden und führte zuerst zu der Wiedererweckung 
des Einzel-Gesangs in Italien, deren wir schon gedacht haben , und 
damit zu dem eigentlichen, nach bestimmten Gesetzen erschaffenen 
Kunstgesang, während das Lied bis dahin mehr die natürliche, 
kunstlose Acusserung eines poetischen Gcmülhs gewesen war. 

Aber das war nicht das Wichtigste, Das Gefühl der Unvoll- 
kommenheit des Vorhandenen führte bei den mit griechischer Kunst 
und Wissenschaft Vertrauten zu dem Bestreben, ein musikalisches 
Schauspiel zu schaffen, in welchem auch der Dialog in der Weise 
der muthmaaslichen Recitation des griechischen Dramas gesungen 
würde und die Versuche zur Erreichung dieses Zweckes führten zu 
der Entdeckung einer neuen Form der Verbindung von Poesie und 
Musik, dem Rec i tati v, und machten dadurch die heutige Oper 
möglich. 

Um die eigentliche Bedeutung und dadurch die eigentliche Auf- 
gabe des Recitativs kennen zu lernen, müssen wir noch einen Blick 
auf die erste Verbindung der beiden Künste werfen. 

Wir sahen, dass die erste und innigste Vereinigung derselben 
nur im gesungenen Liede stattfand und nur in diesem möglich war, 
weil es der natürliche unbewusste Ausdruck der inneren Stimmungen 
und Empfindungen ist. Wie kam es aber, dass das Wort ur- 
sprünglich kein Hemmniss für den Ton war, wie in späteren 
Zeiten ? Einfach daher , weil in dem ersten Stammeln der Mensch- 
heit Wort und Ton derselbe Ausdruck war, beide gleichzeitig und in 
derselben Bedeutung aus der Brust der ersten Menschen quollen, so- 



bald sie von Freude oder Schmerz lebhafter angegriffen wurden, mit 
einem Wort, weil Sprache und Gesang in ihrem Entstehen eines 
waren, wie Poesie und Musik in ihrem Entstehen eins! 

Mit den Anfängen der Verstandesbildung, mit dem Beginn der 
„Civilisalion" änderte sich dies. Um sich gegenseitig verständlich 
zu machen, genügten die einfachen natürlichen Laute nicht mehr, es 
mussten willkürliche zur Bezeichnung gewisser Dinge und Vor- 
stellungen gefunden werden und je weiter sich diese von den reinen 
Lauten der Empfindung entfernten, je bestimmter sie wurden, also 
je mehr die Sprache ausgebildet wurde , desto weiter entfernte sie 
sich auch von der Tonsprache, die nur im Gefühl wurzelt und des- 
halb jeder Bestimmung, jeder Willkür widerstrebt. 

Ganz unmusikalisch, den ursprünglichen Empfindungslauten ganz 
fremd , wie die neuen Sprachen, konnten aber die Sprachen der or- 
ientalischen Völker nicht werden, da sie den Urzuständen, der Kind- 
heit der Menschheit am nächsten standen und selbst die willkürlichen 
Laute noch den ersten Empfindungslauten nachgebildet, ihnen also 
verwandt waren. Bekanntlich ist das Charakteristische dieser Ur- 
sprachen gerade die Lautbildung, die gleichsam im Innern der Menschen 
vor sich geht — daher der Rcichthum an Vokalen, Dipbtongen und 
Kchlauten — während bei den neueren Völkern die Lautbildung haupt- 
sächlich auf den äusseren Organen, den Zähnen, der Zunge und den Lip- 
pen beruht und zwar desto ausschliesslicher, je mehr sie durch kältere 
Klimate dem einfachen Naturleben der Urvölker entrückt sind. 
Dessbalb konnte in den ersten lyrischen Gesängen der ältesten or- 
ientalischen Völker wie bei den Ebräern Wort und Ton gleichsam 
zusammenwachsen , und dcsshalb wurde bei ihnen und bei den 
Griechen, von deren Sprache fast dasselbe gilt, die Poesie der musi- 
kalischen Behandlung, trotz des untauglichen Musik-Systems, nicht 
ganz unzugänglich , selbst als die Lyrik epische und dramatische 
Elemente aufnahm und sich am Ende in Lyrik, Epos und Drama 
schied. 

Nur konnte diese musikalische Behandlung der letzten Formen 
nicht in dem musikalischen Ausdruck der in ihnen geschilderten 
Thaten, ausgesprochenen Gesinnungen und Gedanken bestehen, wie 
die wohl ineinten , welche das recitirte griechische Drama auf den 
Boden abendländischer Kunst verpflanzen wollten, sondern musstc 
wesentlich Tonverstärkung der an und für sich schon so 
musikalischen Sprache sein ! 

Dies ist ein durchgreifender Unterschiedi War das letztere wie 
Alles andeutet der Fall, dann war das Recitativ des griechischen 
Dramas nur eine Modifikation der ursprünglichen Einheit von Laut 
und Ton im Lied, die in der Sprache, wenn auch sehr abgeschwächt, 
noch fortlebte. Eine derartige, natürliche musikalische Behandlung 
epischer und dramatischer Stoffe war aber in den neueren Sprachen, 
die diese ursprüngliche Einheit von Laut und Ton vollständig ent- 
behren, die im Vergleich mit den Ursprachen vollkommen unmusi- 
kalisch sind, unmöglich und musste im Nolhfall durch eine künst- 
liche mehr äusserliche ersetzt werden. 

Diese neuen Sprachen konnten nur im Lied einen wirklichen Ver- 
einigungspunkt für Poesie und Musik finden , weil das Wesen des 
Liedes dem der Musik entspricht, aber auch nur so, dass der rausi« 



■* -tu 



kaiischen Seite als Aasdruck der im Liede vorherrschenden Em- 
pfindung, das Uebcrgewicht über die sprachliche Seite eingeräumt 
wurde* Jedes Bemühen, dieses Verh&ttniss umzukehren, was In der 
neuesten Zeit versucht worden ist, oder wohl ein Versuch bleiben 
wird, müsste den musikalischen Werlh des Liedes und damit «ein 
eigentliches Wesen zerstören! 

Bei dem Dialog kann von dieser innigen Vereinigung nicht die 
Rede sein, denn in der ausgebildeten Sprache, die keine einfachen, 
natürlichen Empfindungslaute, sondern nur willkürliche Bezeichnungen 
für gewisse Vorstellungen und Begriffe kennt, erweckt ein nur 
einigermaassen bedeutungsvolles Wort in einem Augenblick eine 
ganze Reihe von Vorstellungen und mittelbar selbst Empfindungen, 
welche die Musik thcils gar nicht ausdrücken, theils nur in einer 
langen Folge von Tönen fühlbar machen kann. Und im Drama, in 
welchem der Dialog möglichst ausdrucksvoll, gedrängt und bestimmt 
sein muss , um die Handlung vorwärts zu bringen , wird dies ganz 
besonders der Fall sein. 

Wenn man also nicht gänzlich auf eine durchgängige Verbindung 
der Musik mit der Poesie in dem musik. Drama und damit auf die 
nöthige Einheit desselben verzichten wollte, so inusste die Aufgabe 
gelösst werden: neben der innigen Vereinigung derselben im ly- 
rischen Gesang, der als Grundform dieser Vereinigung die Haupt- 
sache bleiben , den Kern des musikalischen Dramas bilden musste, 
auch eine Form für die Verbindung der Musik mit dem Dialog, der 
Rede, die für die innere Einheit, den Zusammenhang des Dramas 
sowie für die Characterisirung der auftretenden Personen, somit 
für die ganze dramatische Wirkung unumgänglich nothwendig ist, 
aufzufinden. 

Bei dieser Verbindung konnte nicht mehr die Musik das vor- 
herrschende Element sein , wie im Gesang , sondern der Natur der 
Sache nach die Sprache und deren Gesetze. 

Die Möglichkeit einer solchen Verbindung war in gewissem 
Maasse vorhanden. Obgleich ihrem Wesen nach vollständig ver- 
schieden, hatten doch beide noch das gemein, was hierbei die Hauptsache 
war. Beide hatten ein Substrat, den Klang, beide drangen durch das- 
selbe Organ, das Ohr, ein und die Accente der Sprache, der einzige 
Ersatz für die ursprünglichen Empfindungslaute, wie die Regeln des 
Versmases entsprachen gewissen Regeln der Tonkunst. 

Zwar konnte eine hierauf gebaute Verbindung nur eine schein- 
bare, äusserliche sein, aber es handelte sich ja auch nicht um eine 
wirkliche innere Vereinigung, sondern nur um Herstellung der 
äussern Symetric, der äussern Einheit im musikalischen Drama, in 
welcher der gesprochene Dialog wie jedes Missverhältniss der 
einzelnen Theile eines Kunstwerkes die Total-Wirkung vollständig 
zerstörte und dadurch allerdings auch jeder inneren Weiterbildung 
dieser neuen Kunstform hindernd in den Weg trat. 

Man sah sich also darauf angewiesen, den gesprochenen Dialog, 
die Declamation, nach den Gesetzen der Sprache d. h. nach ihren 
Accenten , dem Heben und Sinken des Sprachtons, unter Berück- 
sichtigung der Bedeutung der einzelnen Worte, mit Hülfe der musi- 
kalischen Zeichen auf gewisse Tonstufen des musikalischen Systems 
zu fixiren. Die stärkere oder schwächere Accentuirnng einzelner 
Stellen, die verschiedene Auffassung des Sinnes , wie die Wahl des 
musikalischen Grundtons, Hess dem schaffenden Tonkünstler auch 
hier noch einen ziemlich bedeutenden Spielraum, während er die 
herrschende Stimmung, ja die wechselnden Empfindungen des Sprechen- 
enden in der Instrumentalbegleitung ausdrücken und dadurch den 
Eindruck des Rccitativs verstärken konnte, ohne das eigentliche 
Wesen der Rede zu verwischen. Endlich öffnete sich dem darstel- 
lenden Künstler, der in einzelne Worte und Ausrufe die ganze 
Gewalt der innern Empfindung zu werfen im Stande ist, die im 
höchsten Affekt, in der höchsten Leidenschaft selbst der Sprache 
unmittelbar zu Gebote steht, in dem Recitativ gleichfalls ein weites 
Feld der Anwendung und selbst Vervollkommnung aller Kunstmittel, 
so dass es begreiflich wird, wie diese uns in dem ersten Ursprung 
so unbedeutend erscheinende Entdeckung so Grosses leisten und uns 
mit den herrlichsten Schöpfungen bereichern konnte. 

Hiermit haben wir die Bedeutung und Aufgabe des Recitativs 
dargelegt und zugleich , wie wir meinen , die entscheidende Beant- 
wortung der Frage: was kann die Oper sein und was soll sie sein? 
möglich gemacht, wenn anders nämlich unsere vorhergehenden 



Ausführungen, die allerdings nur sehr skizzenhaft und unvollkommen 
sein konnten, richtig waren. 

Die Oper erscheint demnach als eine dramatische Dichtung, in 
welcher durch die Wahl bestimmter Stoffe nicht nur einzelne Mit- 
sänge sich einflechten lassen, sondern diese, der eigentlichen musi- 
kalischen Behandlung der Composition allem zugänglichen, lyrischen 
Ergüsse, aus der Individualität der dargestellten Personen nothwendig 
entspringen und dcsshalb die Hauptparthie bilden. Auf der andern 
Seite aber erfordert das Wesen des Dramas, dass dieses Ueberwiegen 
der lyrischen Parthien weder der innern Einheit, der Oekonomie, 
der Charakterisirung , noch der Wahrheit desselben schade, sowie 
dass die äussere Einheit des ganzen Schauspiels nicht durch ge- 
sprochenen Dialog, statt des Recitativs, gestört werde. 

Unter-Gattungen des reinen , ernsten , musikalischen Dramas, 
die komische Oper und ihre Verwandten, können sich dieser letzten 
Bedingung am ehesten entziehen, da schon der Contrast des ge- 
sprochenen Dialogs mit dem Gesang eine gewisse komische Wirkung 
hat Doch ist auch dies nur eine äusserliche Hülfe und trägt zu ihrem 
Wesen nichts bei. 

Die Spieloper wie das Vaudevilie gehören nicht hierher, da sie 
eigentlich nur grössere oder kleinere Lustspiele mit willkürlich ein- 
geflochtenem Gesang sind. Nähert sich erstere dem musikalischen 
Drama, so dass der Gesang als die naturliche Sprache , als der 
Ausfluss der herrschenden Stimmung oder der Situation erscheint, 
so tritt In ihr am deutlichsten hervor, wie störend das Fehlen einer 
äusseren Einheit wirkt und wie sehr dadurch das Ganze beeinträch- 
tigt wird. 

Es geht aus dem Obigen hervor, dass schon die Herstellung 
einer zu einem Operntext geeigneten, dramatischen Dichtung — von 
der Composition ganz abgesehen — keine leichte Aufgabe sei, sondern 
zweierlei verlangt: einmal, dass der Verfasser derselben wirklich 
Dichter, zweitens dass er mit dem Wesen des Dramas vollkommen 
vertraut ist, was meistens noch seltener der Fall ist als das Erste. 
Auch lehrt schon die oberflächlichste Vergleichung der meisten vor- 
handenen Operntexte mit den hier aus dem Wesen der Oper abge- 
geleiteten Forderungen , wie viel im Ganzen und Einzelnen dagegen 
gesündigt worden ist — ohne dass wir die „Anforderungen der Ge- 
genwart" bis jetzt auch nur berührt hätten. Dieser Punkt erfordert 
eine besondere Untersuchung. 



ERFFÖNUNG DER DEUTSCHEN OPERNSAISON IN WIEN. 



(Schluss.) 
Unter den Damen nennen wir zuerst Frau K ö s t e r vom Hof- 
theater in Berlin. Diese Sängerin besitzt viel Routine, es ist ihr 
auch mitunter gebildeter Geschmack nicht abzusprechen ; wenn ihre 
Darstellung sich immer in den Gränzen der Natürlichkeit bewegt, und 
das Zuviel vermeidet, so gestaltet sich dieselbe zu einer künst- 
lerisch gelungenen, allein ihr Gesang ist manirirt, weil er auf der 
unsicheren Basis einer Stimme beruht, welche die natürliche Frische, 
die jugendliche Fülle und die leichte Beweglichkeit in allen Tonab- 
stufungen zum Theile eingebüsst hat. Der Erfolg ihres hiesigen 
Gastspieles war kein brillanter, wenn ihr auch von den Gailerien 
zugeklatscht wurde; denn wer die hiesigen Verhältnisse genau kennt, 
weiss was ein solcher Applaus zu bedeuten hat. Ihre Leistungen 
als „Bertha", „Alice" „Donna Anna" „Valentine" können wir nur 
in Einzelheiten für genügend erklären; dagegen übertraf sie in 
Beethovens „Fidclio" weit unsere Erwartungen , und der reichlich 
gezollte Beifall war ein wohlverdienter, um so ehrenvoller, als er 
von einem kleinen, aber desto gewählteren Zuhörerkreis ge- 
spendet wurde. Unsere zweite Gastin in der Reihenfolge ist Frau 
Herrmann Czillag mit einem Slirnm-Maferiale , das sie zu den 
ausgezeichnetsten Kunstleistungcn geeignet erscheinen Hesse; allein 
ihrem Gesänge fehlt — die Seele, ihrer Darstellung poetische 
Anschauung , ihren Gesammtleislnngen aber die künstlerische 
We i h c. Ihre „Lucrczia" und „Fides" waren vom Standpunkte der 
Kunst ungenügend. Ihre Leistungen sind nicht im Stande Sympa- 
thien im Publikum hervorzurufen, sie vermag es nicht den Zuhörer 
anzuregen , zu ergreifen , ihn in Extase zu bringen , weil sie selbst 
von dem Hauche der Begeisterung unberührt geblieben! 



— 135 



Frl. Tietjens von Bronn hat Vieles ffir sich, was ihr jeden- 
falls die Theilnahme des Publikums sichert , und dies ist eine klang- 
volle, wenn auch keineswegs grosse Stimme, reine Intonation, 
richtige Auffassung und angenehmes jugendliches Aeusseres. Es 
geht ihr jedoch auch nooh Vieles ab, um sich würdig auf den 
Brettern zu behaupten, auf welchen die ersten deutschen Sängerinnen 
gestanden. Stimme und theilweise musikalische Ausbildung genügen 
. noch nicht , sie müssen verherrlicht werden durch vollkommen 
■ musikalische und aesthätische Durchbildung. Eine Opernsängerin 
muss vor Allem die musikalischen und dramatischen Elemente auf 
künstlerische Weise in ihrem Gesänge zu vereinen wissen , sie be- 
herrschen; da darf keine Unsicherheit in der Auffassung und Dar- 
stellung zu erkennen sein. Das Kunstgebilde muss vollständig, fertig 
vor das geistige Auge des Zuhörers gebracht werden. Die einzelnen 
Vorzüge Frl. Tietjens geben übrigens der Hoffnung Raum, dass sie 
mit- Fleiss und Eifer sich das Fehlende noch zu erwerben bemüht 
sein werde. ^ 

Die vierte unserer Gastinen war Frau Not t es, eine Bekannte 
aus früherer Zeit. Im Hinblick auf ihre einstigen Leistungen auf 
dieser. Bühne in einer untergeordneten Sphäre , welche keineswegs 
eine besonders reiche künstlerische Begabung erkennen Hessen, 
musste es uns überraschen Fr. Nott es jetzt in Wien als erste 
Sängerin debutiren zu hören. Es ist begreiflich, dass unsere Neu- 
gierde um so gespannter war, als wir bei dem glücklichen Reussiren 
dieser Gastin an unserem kritischen Beurtheilungsvermögen selbst 
irre werden mussten. Ihre Darstellung der „Valentine" in den 
„Hugenotten" und später „Lucrezia" Hess uns jedoch bald erkennen , 
dass Frau Nott es sich während ihrer Abwesenheit von Wien aller- 
dings mehr Bühnengewandheit , eine grössere technische Fertigkeit 
im Gesänge und einen höheren Grad musikalischer Ausbildung an- 
geeignet habe; dessenungeachtet aber liefert der Totaleindruck ihres 
Kunstvermögens , des Resume ihrer Vorzüge nach Abzug der nicht 
unbedeutenden Mängel noch keineswegs ein so glänzendes Resultat, 
um unser Urlheil von Einst ganz zu entkräften. Es mag diese 
Sängerin mit ihrem Talente und ihrer künstlerischen Ausbildung 
-immerhin für eine untergeordnete Bühne genügen; allein bei den 
Anforderungen, die man an eine Prima-Donna unseres Hofopern- 
theaters stellt, reichen sie nicht ans. 

Die fünfte und jedenfalls bedeutendste unter den bis jetzt an- 
geführten Gastinen ist Frau Mar low; wenn auch durch sie noch 
lange nicht die Lücke ausgefüllt wird, die unser Opcrnpersonale 
durch den Abgang des Frl. Ney erhalten, nicht zu gedenken eines 
auch nur theilweisen Ersatzes für die Kunstgrössen, die unsere 
Oper in Fr. Zerr, Frau von Hasselt-Barth und Andern früher 
besessen. Frau Marlow hat vor den vorgenannten Mitstrebenden 
-einenlheifs Stimme, musikalische und deklamatorische Bildung, 
<anderntheils charakteristische Auffassung und Beherrschung des 
•dramatischen Vorwurfs, vor Allem aber, das poetische Vcrsländniss 
und die geistige Durchdringung ihrer Aufgabe zugleich mit der Be- 
wältigung musikalisch technischer Schwierigkeiten voraus. Frau 
Marlow steht keineswegs auf der Höhe einer auch nur theilweisen 
Kunstvollendung; allein ihre Darstellungen beurkunden eine künst- 
lerische Selbstständigkeit, die zu den Erwartungen berechtigt, dass 
sie sich aufschwingen könne und werde bis zu dem Grade einer 
vollendeten Künstlerin. Wir sehen mit grosser Theilnahme dem 
Verlaufe ihres Gastspieles entgegen und wollen dann erst ein 
detaillirtes Urtheil üjber diese Künstlerin abgeben. 

Es werden bei uns noch einige Sängerinnen von verschiedenen 
hegenden her erwartet, vielleicht findet die Direction darunter, das 
was sie sucht, und fürwahr so sehr bedarf, — eine würdige Repre- 
sentantin der ersten Parthien ! — 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

(Schluss.) 
Ende Mai gab Herr Becker (Bariton) von Dresden eine Reihe 
Gastrollen, wobei er unter andern als Jäger, als Aston und Don 
Jüan sich zu empfehlen suchte. Indessen waren Stimme und Spiel 



nicht bedeutend genug um den Beifall des Hamburger Publikums 
zu erlangen, welches jedenfalls durch die häufig ihm gebotene 
Möglichkeit Künstler ersten Ranges zu hören die Fähigkeit und das 
Recht hat viel zu verlangen. Die bedeutendste Erscheinung in diesem 
Moment war das Debüt der neu engagirten Frl. Garrigues. Mit 
wahrer Befriedigung erzähle ich von dem Gcnuss welcher mir durch 
die ganz vorzügliche Sängerin geworden ist. Ein reiner edler, acht 
weiblicher Sopran von ziemlich bedeutender Kraft, in welchem jeder 
Ton Adel und Würde hat, schöne bedeutend wirksame Gestalt und 
endlich das geistreichste lebendig bewegteste Spiel lassen ihre Dar- 
stellungen als recht erquickende Oasen in der Wüste der gewöhn- 
lichen Opernvorstellungcn erscheinen. Als Fidelio leistet sie Hin- 
reissendes und es ist vorzüglich das Mädchenhafte, Deccnte in ihrem 
ganzen Wesen was alle Herzen der Hörer mit jenem stillen Genuss 
erfüllt , der viel zu tief und heilig ist , als dass er sich durch das 
brutale Klatschen kund geben sollle. Seit den Tagen da die Schröder- 
Devrient uns alle zum ersten Male lehrte, was eine Sängerin auf 
der Bühne wirken könne , ist mir keine so geistig hochstehende 
Sopranistin vorgekommen, wenn ich allerdings J. Lind ausnehme der 
aber eine grosse Reihe der bedeutendsten Opernrollen , als Anna, 
Vestalin, Fidelio, Desdcmona versagt ist. Zu meinem innigsten Be- 
dauern muss ich hinzusetzen, dass Frl. Garrigues angegriffen er- 
scheint, so dass die Ermüdung, welche ihr als erster Sängerin an 
der hiesigen Bühne bevorsteht , vielleicht ihrer Stimme schaden 
wird. Die Darstellung des Fidelio war theilweise hinsichtlich der 
Besetzung vorzüglich , nur Herr Eppich konnte trotz seiner natür- 
lichen schönen Stimmittel unmöglich in einer Parlhie genügen, die 
in der grossen Asdur-Arie und dem folgenden Satze selbst gewiegte 
Sänger auf das Glatteis führen kann. Herr Lindeinann als Pizarro, 
Herr Schul tky als Rocco und Frl. Melcndo als Marzclline bildeten 
mit Fräulein Garrigues cinigemale vollendet schöne Ensembles. Freilich 
wurden die meisten Tempi so schnell abgejagt, dass ich missmuthig 
•mich gern entfernt hätte, wenn nicht die trefflichen Sänger mich 
gehalten. Zum ersten male habe ich von Herr Lindemann, dem 
eine imposante Figur helfend zu Gebote steht , die grosse Arie in 
D-moll mit wirklich trotziger Kraft und sicherm Feuer gehört. 
Welche Töne! Wie schlangenzüngelnd diese Violinfiguren in der 
Höhe sich bewegen und mit welcher Eigentümlichkeit sich die 
Modulation gestaltet; Und ein solches Kunstwerk hat Jahre bedurft, 
ehe es nur zu einem Minimum von Anerkennung gelangte. Meine 
Leser wissen dass kein geringer Lorbeer in dieser Hinsicht der Frau 
Sebröder-Devrient gebührt, welche mit Beharrlichkeit , indem sie der 
Rolle des Fidelio ihre schöpferische Gluth einbauchte , der Oper 
endlich ein dauernden Platz auf der deutschen Bühne eroberte. Ich 
glaube der guten Sache zu nützen , indem ich auf das angelegent- 
lichste auf die Ausgabe der zweiten Bearbeitung der Lconore 
hinweise, welche in würdigster Gestalt und mit einem überaus 
inhaltreichcn Vorwort , von Professor Jahn im vorigen Jahre bei 
Breitkopf in Leipzig erschienen ist. Zugleich erinnere ich Herrn 
Prof. Jahn an die Ungeduld, mit welcher alle deutschen Künstler 
und Kunstfreunde seiner uns versprochenen Lebensbeschreibung 
Beethovens entgegensehen. Möge doch recht bald diese Pflicht 
gegen den unsterblichen Meister erfüllt werden, dem die Erde genug 
des Jammers und des bittersten Elends bereitet hat , dass er wohl 
endlich der Verklärung von Seilen seines Volkes entgegensehen 
darf. 

Neben Frl Garrigues traten als Gäste Herr Himmer und Herr 
Bernhard, beide als Tenorsänger auf. Der Erstcre vorzüglich hat 
durch schöne klangreiche Stimme und innig beseelten Gesang sich 
grosse Beachtung erworben. In der Mille des Monats erschien 
als Gast die früher hier cngagirle Frau Hcrbst-Jazede*, welche indess 
zu ihrem Bedauern wohl die Erfahrung gemacht hat , dass die Er- 
innerung an frühere (schon damals sehr rälhsclhafie Triumphe) nach 
mehreren Jahren schon keine Spur der Anhänglichkeit mehr er- 
wecken konnte- Besser gelang es Frl. Babbnig, welche ebenfalls 
früher hier engagirt war , bei ihrer Wiedererscheinung freundliche 
Anerkennung zu finden, welche denu auch zu ihrem Engagement für 
den nächsten Winter geführt hat. Ihre Stimme ist nicht gross oder 
bedeutend, da aber die Sängerin von ihrem berühmten Vater trefflich 
gebildet und selbst entschieden musikalisch ist , so leistet sie im 
colorirten Gesänge durchaus Treffliches. Sie ersetzt an unserer 
Bühne Fräulein Gcisthardt nnd das Publikum gewinnt sicher dabei. 



— 1S6 



Das Ensemble ist jetzt vorzüglich. Frl. Garrigucs, Madame Maxi- 
milien (Sopran) Frl. Babbuig und Molenda, (zweiter Sopran), Herr 
Eppich, (erster Tenor) Herr Schuttky (Bariton) , und Herr Lindemann 
(mächtiger Bass) sind befähigt, die meisten grossen Opern genfigen 
darzustellen. Käme nur erst der rechte Leiter so tüchtiger Kriftel 

Ernst 

NACHRICHTEN. 



Mainz« Seit längerer Zeit besteht im Grossherzogthum Hessen 
ein Lehrersänger-Verein , welcher alljährlich abwechselnd an ver- 
schiedenen grösseren Orten, meistens am Namenstage des Grossherzogs 
zusammentritt. In diesem Jahre wird die Zusammenkunft in Ost- 
hofen bei Worms stattfinden, aber nicht wie gewöhnlich am 25. 
August sondern am 15. September. Es werden dabei Gesänge von 
Mozart, Beethoven, Spohr, Lachncr, Kreuzer , Mendelsobn , Abt, 
Schnydcr v. W. und Kunkel, dem Dirigenten des Vereins, zur Auf- 
führung kommen. Da der Ertrag der Aufführung in die aligemeine 
Lehrer - Wittvven - Casse fliesst , so ist ein recht zahlreicher Besuch 
dieses Sängerfestes um so mehr zu wünschen 

Leipzig« Roger gastirte hier. Seine erste Rolle (am 2. Aug ) 
war wie gewöhnlich George Brown. Er trat im Ganzen dreimal auf. 
Der Tenorist Reer von Coburg schloss am 31. Juli sein zweimonat- 
liches Gastspiel. Der Violinist Ed. Singer ist hier anwesend. Der- 
selbe wird sich »ach Carlsbad begeben, um dort zu concertiren. 

München. Am 24. Sept. wird die neueste Oper des Herzogs 
von Coburg, „Tony," in Scene gehen. Von Gästen, welche in der 
letzten Zeit ausser Roger Interesse erregten, sind Frl. Kern und Frau 
Nimbs zu nennen. Erstere sang die Norma, Vestalin und Iphigenie 
auf Tauris, letztere Fides und Donna Anna. In der letzten Woche 
iinprovisirte der hiesige Gesangverein und die Liedertafel eine Ge- 
sangs-Production zu Ehren Marschners, welcher kurze Zeit hier war. 
Am folgenden Abend wurde ihm ein Ständchen gebracht. 

Berlin. Roger trat in den letzten Tagen des Juli noch 2mal auf. 

Wiesbaden. Mit dem 1. Sept wird das bisherige Opernper- 
sonal so ziemlieh nach allen Himmelsgegenden zerstreut. Von neu 
engagirten Mitgliedern sind bereits angekommen Frl. Köhler, Sopran 
aus Danzig, und der Bassist Hr Thelen. 

— Frau Marra- Vollmer wird hier 3, wohl auf Engagement ab- 
zielende Gastrollen geben. Die Wahl ihrer Rollen ist bezeichnend 
für ihre künstlerische Ausbildung; es sind Lucia di Lammermoor, 
die Nachtwandlerin und Linda von Chamounix. Die letzten Wochen 
der Saison waren ziemlich reich an Concerten. Die hervorragend- 
sten waren natürlich die schon berichteten von Vieuxtemps und S. 
Cruvelli. Auf sie folgte Herr Franz Smolar, ein recht tüchtiger 
Ciavierspieler, welcher nach 6jährigem Aufenthalt in Russland nach 
Deutschland zurückgekehrt ist. Derselbe ist Schüler von Thoma- 
schek in Prag. Ferner ein Concert des Herrn Oerlling, Violinist von 
hier, und mehrere Concertc zu wohlthätigcn Zwecken, in welchen letz- 
teren der Violinist Remenyi unter Ichhaftem Beifall spielte. Der 
letztere wird ein besonderes Concert veranstalten. 

Bensheim. Am jüngst verflossenen Sonntag, den 7. August 
Morgens versammelte sich eine grosse Anzahl Mitglieder mehrerer 
Gesang- Vereine von Frankfurt, Darmstadt, Mannheim und Alzei, zo- 
gen dnnn gemeinschaftlich über Schönberg nach dem Fürstenlager, allwo 
dieselben an passenden Punkten auf Bergen und in Thälern Gesänge 
vortrugen. Nachmittags hatten wir dann die Freude, unsere fröh- 
lichen Sänger in Auerbach, in dem freundlichen Gasthause zur Krone, 
zu sehen, wo sie mehrere heitere und ernste Lieder gemeinschaftlich 
und auch wieder einzelne Vereine allein, sangen. Die Gesänge, unter 
Leitung wackerer Dirigenten, worunter die Herren Neb aus Frank- 
furt und Werle aus Mannheim, vorzüglich ausgeführt, fanden allge- 
meinen Beifall. Möchten solche Sängerfahrten nach unserer schönen 
Bergstrasse recht häufig kommen! Sie finden die freundlichste Auf- 
nahmet — 

Hannover. Die Oper „Tony," von dem Herzoge von Coburg, 
wird Mitte Sept. hier zur Aufführung kommen. 

Oleve. Der .bis 1851 bestehende Sängerbund der Nieder- 
rheinischen und Holländischen Vereine hat sich wie die Niederrhei- 
nische Musikzeitung meldet, ohne dass die Ursache bekannt ist, 
aufgelösst; die Holländer haben sich zurückgezogen. Bei dem am 



7. und 8. hier gefeierten Sängerfest ist nun ein neuer Sängerbund, 
der Niederrheinische genannt, gestiftet , und Elfeld für das nächste 
Jahr zum Festorte bestimmt worden. 

Brüssel. Nach statistischen Berichten zählt Belgien in diesem 
Augenblick nicht weniger als 662 Musik- und Gesang- Vereine. 

New York. Die hiesige musikalische Presse beklagt sich bit- 
ter über die Geldsummen, die geopfert würden, eine italienische Oper, 
deren Einfluss nur ein sehr schädlicher und unmoralischer sein könne, 
zu begründen, und von deren Sprache man zudem nichts verstehe. 
Wir ersehen daraus, dass in New York allein 180,000 Dollars dafür 
gezeichnet sind und dass ausserdem Philadelphia und Boston grosse 
Summen beisteuern. Die Oper soll abwechselnd in diesen 3 Städten 
Vorstellungen geben. 

— Frau Lagrange wird erwartet. Der Pianist Goltschalk von 
New Orleans ebenfalls. Mad. Sontag hat ihre Opernvorstellungen in 
Castle Garden wieder begonnen. In Philadelphia wurde das 4. Jahres- 
fest der deutschen Gesang- Vereine mit grossem Glänze gefeiert. 

Italien. In welchen Händen die neuere italienische Oper ist, 
bedarf für den, welcher die Repertoire der Italienischen Opernbühnen 
in Wien , Paris und London kennt , eigentlich keiner Schilderung. 
Indessen würde man sich doch nur eine sehr unvollständige Idee von 
dem Zustande der Oper in Italien selbst bilden können, wenn man 
nur danach urtheilen wollte. Es ist bereits dahin gekommen, dass 
die besten Italienischen Sänger nur im Auslande zu finden sind, 
und dass selbst die besten Italienischen Opern nur noch im Auslande 
gegeben werden. Rossini, Bellini, Donizetti sind, wie neulich unser 
Wiener Berichterstatter mit bitterer Ironie bemerkte, die Klassiker 
der Italienischen Oper geworden, die in ihrem Vaterlande das Schick- 
sal aller Klassiker theilen, vergessen und veraltet zu sein. Nur die 
musikalische Presse erinnert sich zuweilen hei Berichten über die 
italienische Oper im Ausland daran, dass Rossini, Bellini und Doni- 
zetti den Ruhm der italienischen Oper begründet haben, im Volke 
selbst kennt man sie nicht mehr, und wirft die Kräuze, die ihnen 
einst wurden, ihren Nachfolgern zu, den Verdis, Mercadantes, Riccis, 
und wie sie alle heissen mögen, deren Machwerke heute das Reper- 
toire der nationalen italienischen Bühne bilden, und gleich Stern- 
schuppen nach einer Saison wieder verschwinden. Es ist interessant, 
die italienischen musikalischen Blätter, welche ein möglichst voll- 
ständiges statistisches Verzeichniss dessen, was jede Provinzialbühne 
in jeder Woche zu Tage fördert, zur Hauptaufgabe ihres Strebens 
gemacht zu haben scheinen , durchzugehen und diese statistischen 
Notizen zusammenzustellen. Die Nummern der letzten Woche geben 
allein eine genügende Ausbeute, um das, was die nationale italienische 
Oper heute ist, beurlheilen zu können. Von neuen Opern finden wir 
darin aufgezeichnet: La Fiorina von Perdrotti (Florenz); II quadio 
di Wandick von Petra (ebendas.); L'operaio geutiluomo von Peri- 
fano (ebend.); II Birrajo di Preston von L. Ricci (Turin); Lisa del 
Scbino von Bauer (Mailand); L'Assedio di Malta von Graffigna 
(Padua); Alina von Braga (Neapel); Figlia della Schiava von Lillo 
(ebend.); Consiglio di reclutazione von Delfico (ebendas.); Crispino 
e la Comare von Gebr. Ricci (ebend.) Ausserdem eine neue Oper 
von Micelli. Von älteren wurde gegeben oder war angekündigt: 
Emani und Luisa Miller von Verdi und Gabriella di Vergy von 
Mercadante in Mailand; Ernani von Verdi und ein neues Ballet von 
Ileria in Vizenza ; Marino Faliero von Verdi uud La Gisella in Spe- 
zia, Rigolctto von Verdi in Siena; Rigoletto von Verdi und Elisa- 
betta regina d'Inghelterra von Giacometti, II Birrajo di Preston von 
Ricci und Cenerentola von Rossini in Triest ; Chidura vince von 
Ricci und Semiramide von Rossini in Livorno und Don Pasquale 
von Donizetti in Overza. 

Also zwei Opern von Rossini und eine von Donizetti, unter einer 
Legion neuer Grössen 1 Die Zeit ist nicht mehr fern , in der auch 
Verdi das Schicksal der Classiker theilen wird. 

Y Um dun von Brüssel ausgesetzten Preis für die beste Sin- 
fonie (zum Zweck der Verherrlichung der Vcrmählungsfeier des. 
Thronfolgers) haben sich nicht weniger als 3 t Componisten beworben. 
Vertreten sind Wien , Berlin, Dresden, Leipzig, Paris, London, 
Rotterdam, Amsterdam, Neapel und so weiter. 

Die Entscheidung der Preisrichter wird erst Ende August ge- 
fällt werden können. 



Verantwortlicher Redakteur: i. J. SCH01T. - Druck toü REUTER u. WALLAB 1* Main«. 



2. Jahrgang. 



Mr. 3». 



29. August 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG, 



Diese Zeltnng erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- and Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 

von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO. 



_^v 


PREIS: 


11. 9. 


42 eder Thlr. 1. 18 Sgr. 




für den Jahrgang. 


Durch die Pest bezogen : 


50 kr. 

1 


•der 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext, IV, — Correspondenxen. (Heidelberg. — München, — - London.) -* 
Nachrichten, 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext« 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



IV. 

Die vorausgegangenen Erörterungen mögen vielleicht Manchem 
als zu weit ausgeholt erschienen sein, nichts destoweniger waren 
sie unerlässlich. Es ist nicht möglich, feste Gesichtspunkte für die 
Bearbeitung der Operntexte und ihre Beurtheilung zu gewinnen, 
wenn wir uns nicht vorher darüber klar geworden sind , was die 
Oper selbst ist und sein kann« 

Jetzt haben wir festen Fuss gefasst und können von da aus 
leicht weiter gelangen. 

Die Oper ist, wie wir sahen, eine dramatische Dichtung, deren 
Stoff seiner Natur nach zu Situationen führt, welche lyrische Er- 
güsse nicht nur gestatten , sondern bedingen , denn hierauf beruht 
die einzige Möglichkeit der wirklich musikalischen Behandlung einer 
Solchen Dichtung. 

Hiermit haben wir die Existenzbedingungen der Oper» als einer 
besondern Kunst-Gattung gewonnen, aber auch nur eben diese. Von 
da an ist noch ein grosser Schritt bis zur Vollendung derselben, 
Itis zum vollkommenen Kunstwerk, welches sowohl der Form als 
dem Inhalt nach den Ansprüchen der Gegenwart genügt, und damit 
den Forderungen gerecht wird, die jedes Zeitalter an seine 
Kunstprodukte stellt und zu stellen berechtigt ist. 

Niemand wird läugnen, dass das plumpe Götzenbild des Allcr- 
thums ohne Füssc und mit angelegten Armen ein Erzeugniss der 
plastischen Kunst , der Skulptur sei , aber wer möchte es uns heute 
als ein Kunstwerk vorführen, welches dem Standpunkt unserer 
künstlerischen Bildung angemessen sei ? 

Auch die historischen Stücke Shakespeare's sind dramatische 
Dichtungen, auch sie sind voll seines Geistes, aber wer möchte 
sie seinen Meisterwerken, seinem Macbeth, seinem J. Cäsar, seinem 
Coriolan u. s. w. an die Seite stellen, wer sie uns als Muster des 
reinen Dramas anempfehlen? 

Die Ansprüche, welche die Gegenwart an die Oper macht, da- 
mit sie den Namen eines Kunstwerkes in ihr auch verdiene, werden 
natürlich sowohl die musikalische , als die poetische Seite derselben 
betreffen. 

Hier haben wir es nur mit der letzteren zu thun und des- 
halb zweierlei ins Auge zu fassen: wie weit auf der einen Seite 
die Form der Opern -Dichtung den künstlerischen Bedürfnissen der 
Gegenwart entspricht, auf der andern Seite: inwiefern ihr Inhalt 
(Stoff) der geistigen Bildungsstufe der letzten angemessen sei. 

Schon der laute Ruf nach dramatischer Einheit, nach drama- 
tischem Interesse lehrt, dass dio bisherigen Opern-Dichtungen an 
einem .wesentlichen Mangel litten , und wo derselbe zu suchen sei. 
Sie können mit wenigen Ausnahmen auf keinen andern Namen als 
den eine? .dramatischen oder dramatisirten Dichtung Ansprach machen. 
Zwischen dieser aber und dem reinen Drama ist ein gewaltiger 



Unterschied. Jene bezeichnet im allgemeinen die Gattung, dieses 
die Blüthe, die vollkommenste Art derselben. — Jene ist zu- 
frieden wenn sie eine Reihe von interessanten oder amüsanten 
Scenen vorführt, die durch eine und dieselbe Persönlichkeit zu 
einem lockeren Ganzen mehr vermittelt als verknüpft werden und be- 
gnügt sich mit den äusserlichen Kennzeichen des Dramas, den sce- 
nischen Erfordernissen. 

Dieses verlangt' wie jedes Kunstwerk eine Grundidee, aus welcher 
alle einzelnen Züge entspringen, sich um dieselbe gruppiren und so' 
ein unauflösliches Ganze bilden. 

Aber noch mehr! das Drama, als künstlerische Darstellung des 
Menschenlebens in seiner höchsten Bedeutung und in der Bethä- 
tigung seiner edelsten Kräfte, fordert eine Grundidee, welche be- 
deutend genug ist, um sie zur Grundlage eines Kunstwerks zu 
machen , in welchem der Mensch auf der höchsten Stufe seiner 
geistigen Entwickelung erscheinen soll. 

Dcsshälb mnss ein tiefer sittlicher Conflikt vorhanden sein,, di 
nur in der Auskämpfung eines solchen sich der Mensch in setner 
ganzen Grösse zeigt. 

Wie schwinden so viele der vorhandenen Operntexte zur Unbe- 
deutendheit, wie unwerth des Namens, den sie an der Slirne tragen 
erscheinen sie, wenn wir diesen Massstab anlegen t Wo ist in ihnen 
nur ein Gedanke dieser innern Einheit , wo ist nur eine Ahnung 
dessen, was zu einem Drama gehört? Wie streben sie ersichtlich 
nur darnach, ein recht buntes , recht verworrenes Durcheinander 
von Scenen zu geben , um das Auge des Zushauers zu fesseln, 
während der Gomponist sich anheischig macht, dasselbe für das 
Ohr derselben zu leisten. ' 

Begnügen sich doch die meisten Textdichter — und zwar gerade 
in der Gegenwart — damit, irgend ein vorhandenes Gedicht zu 
dramatisiren, wenns hoch kommt, eine Erzählung, eine Novelle zu 
demselben Zweck in Verse zu bringen ! Wir erinnern nur an die 
neuesten Produkte der Müd. Birchpfeiffer, an die Verbalihornisirung 
der lieblichen Kinkelschen Dichtung zum Besten der Erstlinge einer 
compositionslustigen Dame und ähnlicher Machwerke, die wir zu 
Dutzenden anführen könnten» 

Ist es nicht dahin gekommen, dass, wie Jeder, der eine lange 
Von einer kurzen Silbo zu unterscheiden weiss, Dichtungen heraus« 
gibt, wie Jeder, der seinen Clavier-Cursus beendet hat, zu componireft 
anfängt, wie Jeder endlich, der die Classen einer Musikschule oder 
eines Conservatoriums hinter sich hat, sich an die Komposition einer 
Oper macht, so Jeder der einen Vers zuzurichten versteht und ausser* 
dem einigemalc hinter den Coulissen gestanden hat, um dadurch die 
nöthige Bühnengewandtheit zu erlangen, komische und dramatische 
Operntexte fabricirt , so lange sich noch Jemand findet , der sie 
bezahlt ? 

Liefern nicht selbst Dichter, die diesen Namen verdienen, 
die auf einem andern Felde Gutes geschaffen haben, den Beweis, dass 
man die Dichtung eines Operntextes für das leichteste Ding von der 
Welt hält und demselben eine grosse Ehre zu erweisen glaubt, wenn 
man ihm so schön klingende Verse , so giatle zierliche Liedchen 
mitgibt, wie Putlitz seinem Text zur Indra I 



- 138 



Wir wollen diesen Text, der noch einer der bessern ist, den die 
neuere Zeit gebracht hat , und auf den wahrscheinlich Dichter wie 
Komponist gleich stolz sind, einmal betrachten und sehen, wie es 
darin mit der Einheit und den sonstigen Eigenschaften des Dramas 
aussieht. 

Camocns, der Dichter der Lusiadc, dient aus Noth als ge- 
meiner Soldat in Goa, der portugiesischen Besitzung in Ostindien. 
Seine Freunde haben die nöthige Geldsumme zusammengebracht, um 
ihn loszukaufen und händigen ihm dieselbe ein. In diesem Moment 
stürzt eine junge, schöne, indische Sklavin, die von ihrer Besitzerin 
an das Gelüste eines Offiziers verhandelt worden ist, zu seinen 
Füssen und fleht um Schutz. Camocns kämpft einen Augenblick 
mit sich selbst, dann wirft er der unterdessen nachgeeilten Sklaven- 
hänillcrin das zum Loskanf bestimmte Geld vor die Füsse, befreit 
dadurch Indra, aber nur um den Preis der eigenen längst ersehnten 
Freiheit. Dies ist der eigentliche Mittelpunkt des Ganzen. Und 
alles dies geht im ersten Act vor sich , dient nur als Einleitung 
zu den folgenden Scencn , die in Europa spielen , und in welchen 
ganz neue Personen auftreten, ganz neue Verhältnisse, ganz neue 
Verwickelungen erscheinen. 

Innere Einheit, Steigerung des Interesses, eine Hauptsccnc, die 
mehr Anspruch auf Geltung hätte , als die übrigen — von alle dem 
ist nichts vorhanden. 

Aber ist auch nur eine einiget massen bedeutende Idee, ein 
wirklicher sittlicher Conflikt vorhanden ? Wir wollen kein Ge- 
wicht darauf legen , dass noch lange keine sittliche Grösse 
dazu gehört , um ein freiwillig übernommenes Joch noch eine Zeit- 
lang zu tragen , wenn es sich darum handelt , ein unschuldiges, 
edles Geschöpf aus den Klauen des Lasters und der Gemeinheit 
zu retten — und als eine solche That soll die Aufopferung von 
Camocns doch wohl hingestellt, durch sie der Forderung des 
dramatischen Inhalts genügt werden — aber wenn diese ganze Gross- 
muth nur Schein, nur ein Knalleffekt ist, dann klärt uns dies über die 
Einsicht des Herrn Verfassers in das Wesen des Dramas oder seine 
Meinung von dem Wcrthe eines Operntextes am Besten auf. Camocns 
begnügt sich nämlich nicht mit dem Bewusstsein seiner guten That» 
die einen Dichter schon einige Zeit über seine Lage erheben sollte, 
sondern wird durch ein unendlich künstlich herbeigeführtes Zu- 
sammentreffen von Umständen bewogen — sammt seiner schönen 
Geretteten und einem lustigen Cumpan mit dem nächsten Schiff nach 
Europa zu entfliehen! Das heisst doch die Moral und die Tugend 
den Leuten mundgerecht machen. Für die Hingabe eines vollen 
Beutels im nächsten Augenblick durch den Besitz eines schönen 
liebenswürdigen Mädchens und Wiedererlangung der Freiheit ent- 
schädigt zu werden, das ist einleuchtend und muss gefallen I 

Man wende uns nicht ein, die Oper sei kein Tugcndspicgcl. 
Es handelt sich hier weder um Tugend, noch um Laster, sondern darum, 
ob eine dramatische Dichtung die Probe der dramatischen Einheit 
und Consequenz aushält oder nicht; es handelt sich darum, ob das 
ganze Gerede von Verbesserung der Operntexte, von Opernreform, 
von „Anforderungen der Gegenwart" blosses Gerede bleiben oder 
zur wirklichen Reform führen soll ! 

Dass eine Oper im Stande sei, einen Abend für Viele auf ange- 
nehme Weise auszufüllen , wird hoffentlich Niemand als Critciinm 
für den Werth derselben hinstellen. Dasselbe thut eine Posse, eine 
Kunstreiter-Produktion, ein Tanz-Orchester auch. 

Aber es ist ausserdem gewiss , dass Opern , welche sich weit 
eher musikalische Dramen nennen können , als diese Indra und 
ähnliche, auch den Amüsementsüchtigsten mehr befriedigen, als diese. 

Wie weit stehen z. B. die Texte zum Freischütz, zur Jüdin, zur 
Norma und so manche andere über jenem. Wie schön, wie er- 
greifend ist der innere Kampf zwischen der Liebe und den dä- 
monischen Mächten, die Max's Seele gefangen halten, geschildert, wie 
ringen in Eleazar die Kindesliebe und der Hass gegen den Stammes- 
und Religionsfcind um den Sieg; wie zereissen die Liebe zum Fremdling 
und zum Vater ihrer Kinder, Hass gegen den Verräther , das Gefühl 
der eigenen Treulosigkeit am Vaterlande und dessen Göttern das 
Herz der Norma! Wie klar, wie folgerichtig und künstlerisch ist die 
Entwickelung der Charaktere und der Handlung, wie wird der 
ersten Forderung der innern Einheit in ihnen genügt — verglichen 
mit der Regellosigkeit und Verworrenheit dort. 

Dort fehlt alles, sowohl künstlerische Form, als ein den An- 



forderungen der Gegenwart entsprechender Inhalt. Hier ist die Form, 
wenngleich noch nicht rein, doch wesentlich dramatisch und steht 
weit über dem, was die letzten Jahre producirt haben. 

Was wir an ihrem Inhalt auszusetzen haben , und was die 
Gegenwart überhaupt von dem Stoff eines musikalischen Dramas 
zu verlangen berechtigt ist, wollen wir im nächsten Artikel unter- 
suchen. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HEIDELBRG. 

(Mille August.) 

Der Sommercursus ist geschlossen. Wir haben diesmal sehr 
wenig zu berichten, indem grössere Konzerte gar nicht, und die 
kleineren musikalischen Abcnduntcrhaltungcn des Musikvereins in 
Folge mannichfachcr Hindernisse — wie noch zuletzt der Krankheit 
des Directors — nicht in der gewöhnlichen Anzahl stattfanden. Die 
letzte derselben verdient einige Erwähnung um der gelungenen Auf- 
führung eines Thcilcs des Händcl'schcn Oratoriums „Belsazar" u. 
des Mcndclsohn'schcn D-moll Trio's willen. — Der Sommer ist und 
bleibt einmal für Heidelberg keine Zeit zur Entfaltung einer grössern 
und allgemeineren Kunsttbätigkeit ; und wahrlich! es ist nicht zu 
verwundern, wenn man die herrliche Gegend mit all ihren reizenden 
und verlockenden Punkten in ihrer vollen Pracht so stets vor Augen 
hat. Wer genicsst nicht lieber da einen schönen Sommerabcnd in 
der göttlichen Natur und lässt Verein— Verein, und Concerl— Conccrt 
sein ! Der Winter ist lang und kann des Schönen viel bringen. — 
Die eigentliche Thäligkcit des Musikvereins beschränkt sich im 
Sommer grösstenteils auf Vorbereitungen zu den Winterconzerten. 
Von fremden Virtuosen hatten wir diesen Sommer kein Conccrt zu 
beklagen — wir danken dies einem seltenen gütigen Geschick und 
wünschten, es bleibe uns, mit seltenen Ausnahmen — treu. Der 
Liederkranz veranstaltete einige gesellige Abende im engeren Kreise 
seiner Mitglieder: derselbe erfreut sich in der letzten Zeit einer 
recht grossen Thcilnahmc. — Der Tbeaterbau schreitet rasch seiner 
Vollendung entgegen ; bis Nov. soll die Bühne eröffnet werden. Wie 
wir aus sicherer Quelle mittheilcn können, wird für Operette, Vaudc- 
villc und Drama mit Musik von Seiten der Direktion Alles Mögliche 
aufgeboten werden um allen Anforderungen nach dieser Seite hin 
in gerechter Weise und vollkommen genügend zu entsprechen , dass 
aber vorderhand keine Aussicht auf eine wirkliche Oper vorhanden 
ist, und auch bei den zu erschwingenden Geldmitteln sich [nicht leicht 
für die nächste Zukunft eröffnen dürfte. 



AUS MÜNCHEN. 

Mitte August. 

Im das Ding: pikant an machen,' 
Schöpfet au» dem Höllenrachen 
Etwas heissc Schwefelflammen. 
Doch damit'« den zarten Damen 



Nicht die zarten Nerven schwäche, 
Schöpft nur von der Oberfläche. 

^» «^» M— — • » m^ «. — — 

Jetzt werft Flach, Entsetzen, Grausen, 
Schandern , Schrecken , Siurraerfsausen, 
Und dergleichen Bagatellen 
In die ekelhaften Wellen, 
Aber nur die Redensarten, 
Die ich nannte, »erft hinein. 

So lässt der geistreiche Fr. von Sallct ') von zwei Hexen den 
Klingcmann'schen Faust charaktcrisiren- In einer späteren Selbst- 
kritik jedoch nannte er das Urthcil ein ungerechtes, und somit würde 
kaum auf eine andere Faustbearbeitung dieser bitlere Ausspruch zu 
appliciren sein , wenn nicht Bcrnard seinen Text zur Spohr'schcn 
Oper gleichen Namens geschrieben hätte. Aber nicht allein die Be- 
arbeitung ist zn tadeln, auch die Wahl des Stoffes muss als Missgriff 
bezeichnet werden; denn der Faust Göthc's hat alle weitem Faust. 
*) Sallet s sämmtliche Schriften , Breslau 1847. IV. B., pag 8. 



- 139 - 



Dichtungen unmöglich gemacht, und Prutz hat recht, wenn er meint : 
„ein Faust der Gegenwart müsste durch die Erkenntniss, die er 
durch den Teufel erlaugt, Herr des Teufels werden, und nicht die 
erbarmende Gnade des Himmels, noch gar die brutale Lüsternheit 
Mephistos, sondern die Gewalt der Erkcntniss, in welche er ge- 
kommen, müsste ihn unmittelbar erlösen, und nicht Faust, sondern 
.der Teufel wräc es, der die tragische Rolle zu spielen hat." Es 
war desshalb ein schlechtlohnendes Unternehmen des hochverehrten 
.Spohr, dass er durch Hinzusetzung neuer Rccitative seine Oper 
zeitgemäss zu restauriren suchte; denn es lag nicht etwa an der ver- 
alteten Form der Sprechoper, dass sich Faust nie halten konnte, 
sondern lediglich in der Wahl und Bearbeitung des Stoffes. Zu alle- 
dem kommt noch , dass Spohr als fast ausschliesslicher Lyriker 
über seine Individualität selten ganz hinauskommt und dadurch der 
ganzen Musik seinen ihm eigentümlichen elegischen Grundtypus 
aufdrückt, der nichts weniger, als zur Natur der Faustsage passend 
ist. So fällt mir die hie und da bis zum Ueberinaasso künstliche 
Führung der Mittelstimmen (eine bekannte Eigentümlichkeit der 
Spohr'schen Musik !) in keinem seiner Werke so sehr auf, wie ge- 
rade im Faust , und das nicht etwa , weil diese Manier hier häufiger 
als anderwärts zu finden ist, sondern weil sie gerade hier weniger 
am Platze ist. Ich werde mich wohl kaum irren, wenn ich in dem 
Ebengesagten die Ursache gefunden zu haben glaube, die die unüber- 
trefflichen Schönheiten der Faustmusik bei der etwa vor acht Wochen 
in der neuen Bearbeitung zur Aufführung gekommenen Oper , trotz 
der vollkommenen Leistungen des sämmtlichen Personals , nicht zur 
gerechten Würdigung kommen liess. Nicht einmal der grosse Höllen- 
rachen, in den zum Schlüsse eine sehr unillusorische Puppe als Faust- 
repräsentant geworfen wurde, konnte den wenigstens von der fünften 
Gallerie gehofFten Beifall hervorrufen. Derlei Plumpheiten sollte 
man, da wir doch nicht mehr in die romantische Kinderschule gehen 
soviel wie möglich vermeiden, und der Erfinder dieser extravaganten 
Provincialphantasterei (soviel ich höre ein vielgenannter hier le- 
bender Schriftsteller), hätte mit demselben Rechte und vielleicht mit 
noch mehr Geschmack, gleichwie im schütz-dreherschen Puppenspiele 
eine humoristische Scene mit Kasperle anhängen können. 

Seit dieser Zeit wurde das Opernpersonale um nichts erweitert, 
wohl aber hatten wir drei Gäste : Frl. Kern von Mannheim , Frau 
Nimbs aus Breslau und in jüngster Zeit Herrn Roger. Erstere 
beide aspirirten auf die durch Frau Palm- Spatzer, welche uns mit 
diesem Monate verlässt, in Erledigung kommende Stelle einer ersten 
Sängerin. Frl. Kern, welche als Vestalin, Norma und Iphigenie auf- 
trat, konnte wegen ihrer schreienden Stimme, der noch überdies 
mehr Regislerausgleichung zu wünschen wäre , nicht vollkommen 
entsprechen, wobei übrigens ihre Vorzüge, als musikalisches Ver« 
ständniss und Bühnenroutine, durchaus nicht zu übersehen sind. 
Frau Nimbs hingegen hat als Romeo und Fides fast allgemeinen 
und gerechten Beifall gefunden. Weniger war dies als Donna Anna 
der Fall. Wenn Frau Nimbs, wie von ihr Näherstehenden behauptet 
wird , an diesem Abend unwohl war , so muss jedes Urtheil über 
ihre Leistung suspendirt bleiben, war dies aber nicht der Fall, und 
wäre nur eine der bekannten Ausreden zum Deckmantel für künst- 
lerisches Unvermögen in Anwendung gebracht worden, so hätten wir 
nur einen neuen Beweis, dass gerade die nach modernem Geschmacke 
geschulten Sängerinnen die wenigst richtigen Begriffe vom wahrhaft 
schönem Gesangvortrage haben, und dass überhaupt in der neuesten 
Musik zehn Sängeruntugenden noch lange nicht so störend einwirken 
als z. B. im Don Juan eine einzige. Was an Frau Nimbs zu loben, 
«las ist ihr dramatisches Vcrständniss , ihre deutliche correcte Aus» 
spräche , lebendige und runde Darstellung und endlich ihr grosser 
Stimmenumfang (vom kleinen ges bis in's dreigestrichene des;) 
etwaige Mängel hingegen, nicht fehlerfreier Stimmansatz, wenig 
ausgebildete Celoratur und geringe Ausdauer. Ob Frau Nimbs cn-. 
gagirt werde oder nicht ist vorläufig ein Geheimniss, das die hohen 
Priester des Thalia tempels bisher sorgsam in ihrem Busen bewahren 
Ueber Roger und die demnächst erwartete J. Wagner werde ich 
Ihnen in meinem nächsten Berichte Ausführlicheres mittheilen. Vor- 
läufig bemerke ich Ihnen hinsichtlich des ersteren nur, das er, wenn 
auch sehr- grosse Anerkennung doch durchaus keine unbedingte 
fand. Den schlagendsten Beweiss hierfür würde wohl die empfind- 
liehe Theaterkasse Hefertf können. 
- Unsere Hofkapelle beabsichtigt während des im Spätherbste be- 



vorstehenden Theaterschlusses behufs der Einführung der Gasbe- 
leuchtung und Restaurirung des Logenhauses, wöchentlich zwei 
Sinfonie-Soirees zu geben. Zugleich kann ich ihnen mit grösster 
, Bestimmtheit die Versicherung geben , dass die in Ihr geschätzte» 
Blatt (Nr 29) übergangene Nachricht, welcher zufolge den Mit- 
gliedern der Kapelle die Pässe zum Zürcher Musik fest verweigert 
worden seien, indem man sie mit den Handwerksburschen in gleiche 
Categorie gestellt hätte, eiue durchaus lügenhafte und b ös- 
willige Erfindung ist, da schon von vornherein Niemand nach 
der Weisheit des Zürcher Propheten lüstern war. Die Verwei- 
gerung eines Passes aber, ohne dass einer verlangt wurde, gehört 
in das Bereich der Unmöglichkeit. 

Herr Lauterbach ist als Professor am Concervatorium für Mu- 
sik angestellt worden , und Herr Griminingcr, über dessen erstes 
Auftreten ich Ihnen in Nr. 16 berichtet folgt einem Rufe nach Mannheim. 

Schliesslich ersuche ich sie, einem in meinem letzten Berichte 
Nr. 26 enthaltenen sinnstörenden Druckfehler zu beiichtigen : pag 
103 Spalte 1, Zeile 25 ist nämlich statt, [logische Steigerung ly- 
rische Steigerung zu lesen. 



AUS LONDON. 

(Monat Juli) 

Wir nähern uns dem Ende der Saison, nicht Mos desshalb, wotl 
die Hundstage im Anrücken sind, sondern weil doch jedes Ding ein 
Ende haben muss und ein musikalisches Ding ganz besonders. Zwar 
ist Letzteres etwas sehr Altes, aber wenn man die neuesten Kompo- 
sitionen ansieht , sollte man wohl zu dem Glauben kommen, es 
könnte dann und wann vergessen werden. Es ist die Zeit, wo 
London sein musikalisches Kleid auszieht, die Strassenecken liefern 
nur noch spärliche Spuren jener Verwüstung, welche die Concert» 
programme mit ihnen angestellt haben, und jene Räume, die vor 
-einigen Wochen noch Tausende umschlossen, welche den musika- 
lischen Teufel in sich nicht los werden konnten, sind jetzt öde and! 
leer. Nur die fashionablen Hanovcrsquare-Rooms machen eine Aus* 
nähme, und zwar zu Gunsten zweier Liliputaner, einer neuen 
Menschenrasse, wie sich die Besitzer ausdrücken, die allerdings bis 
jetzt nur einzelne Gutturaltöne von sich geben können , aber doch; 
nach Meinung einiger Neuästhetiker sehr viele Anlagen für Musik 
haben sollen. Die vornehme Welt fängt an auszurücken, die Häuser 
der Adligen sind mit Fensterläden wohl verwahrt , die verschiedene» 
Bürgerlicher ebenfalls, wenn auch aus andern Gründen, die Bedienten- 
welt hält Siesta, und die Ladenhändler verkaufen ihren Sommer- 
vorrath ans. Die Schulen haben ihre Ferien, und die Strassen 
wimmeln von den Jäckchen und Hütchen, welche einstige Gent lernen 
abgeben sollen. Die musikalischen Lehrer sind nach Brighton , die 
andern wünschen sich dahin, kurz London gleicht in jeder Beziehung 
einer Wüste, in welcher selbst die ursprünglichen Bewohner der- 
selben, die Kameele nur in spärlicher Anzahl vorhanden sind. Wen 
aber die öden Strassen, die leeren Musikläden und endlieh die 
Kalender nicht überzeugen können, dass die Saison zu Ende ist, 
der braucht nur in den Hyde-Park zu gehen , wo er vergeben» 
die nachmittäglichen Hab'itucs desselben, die hunderte von Amazonen» 
die elt'gante Wagen weit , kurz Alles das suchen wird , was London, 
im Sommer die Einzigkeit gibt. In der That, wo sind sie hin, all 
die schönen Beschützerinnen unserer Kunst, die verschiedenen 
Lockenköpfchen, die ehrwürdigen Matronen , sie , die alltäglich hier 
versammelt waren, um zu sehen und gesehen zu werden? Sogar 
das stolze Ebenbild der jetzigen Kaiserin von Frankreich, die beste 
Reiterin auf der Bahn , das eleganteste Weib der haute volec Lon- 
dons, ist verschwunden, und mit ihm selbst in musikalischer Hin* 
Sicht die interessanteste Erscheinung der Saison. Im SurreytYeatrn 
wird eine Farce gegeben , in welcher eine englische Sängerin .die} 
Volkslieder aller Nationen und zwar jedes in seinem, ihm: Ursprüng- 
lichen Dialekte zum bestell gibt. Wenn sie an Deutschland kommt 
glaubt sie diese Nation nicht besser repräsentireri zu können, als 
'wenn sie das unvcrgessHche Lied eines leider unbekannt gebliebenen 
Komponisten singt, das da lautet: Ach, du lieber Augustin, Alle* 
1 ist hm! Wer kann dieses Lied hören , und nicht an den gegenw**- 



— 140 



tigen Zustand der Saison denken? Alles muss ruinirt werden, sagen 
die politischen Zukunftsmenschen , wahrlich die Letzteren können 
schon in der Gegenwart ihr Ideal verwirklicht sehen. Sie brauchen 
nur nach London zu kommen, uin sich zu überzeugen, dass Alles» 
was Saison heisst, bereits gründlich ruinirt ist. 

Ist denn in diesem Monat Juli gar nichts gewesen, was einer 
Besprechung werih wäre, werden Sie fragen. Doch ein gewisses 
Ereigniss hat stattgefunden, ein Ereigniss, das tief in das Fleisch 
des sozialen Körpers eingreift, und die mürben Knochen im 
eigentlichen Sinn des Worts noch mürber macht. Wir meinen 
die grossartfge Unterbrechung allen Droschkenverkehrs, die w&hrend 
dreier Tage stattfand. Drei Tage lang hatte London keine Cabs, und 
jene melodische Töne Cabbie, Cabbie ! die dem müden Wanderer jeden 
Augenblick entgegenschallten, hatten einer gewitterschwülen Stille 
Platz gemacht. Endlich hat auch London seine Julirevolution ge- 
funden, und die Herrn Revolutionäre, item die Droschkenkutscher 
haben ungefähr dasselbe damit erreicht, als die glorreiche Nation mit 
der Ihrigen int Jahre 1830. 

Aber was hat Alles dies mit der Musik zu thun ? höre ich 
einige Leser ungeduldig fragen. Herr vergib ihnen, sie wissen nicht 
was sie thun. Ihnen ist die ungeheure Bewegung unbekannt , die 
schon seit längerer Zeit im Schoosse der musikalischen Kunst vor sich 
geht, und die nichts Anderes bezweckte , als die Musik dorthin zu 
verpflanzen , wo frü her Kar t o ff e In und Rüben im brüder- 
lichen Beisammensein ungestört das Feld ihrer Thätigkeit fanden. 
"Wir sind in dem Nützlichkcits-Zeitalter, sagte Präsident Pierce bei 
Eröffnung des Krystallpalastes zu New-York. Wer hätte geglaubt, dass 
die Phrase des amerikanischen Staatsmannes eine so glänzende Be- 
stätigung in dem musikalischen Deutschland der Gegenwart finden würde. 
Wenn man die Musik dort sucht, und nach Meinung Einzelner auch wirk* 
lieh flndet, wo sie ihrem innersten Wesen nach nicht sein kann, weil 
ihr einziger Feind, der .Gedanke, bereits den Platz eingenommen hat, 
nun dann können wir von Cabs, von Pferden, Amazonen, kurz von 
allem Möglichen sprechen , ohne uns auch nur ein Haarbreit von 
dem musikalischen Felde der neuen Richtung entfernt zu haben, 
Uebecdies ist selbst das , was schon Musik sein könnte , oft so 
unmusikalisch, dass man lieber der schönen Engländerin und ihrer 
Pferde gedenken mag. Oder soll ich Ihnen von den Gartenkonzerten 
sprechen, von den Vauxhall - Cremorn - und - Surrey - Orchesters , von 
den himmlischen Nächten an diesen Orten, wo das gesellschaftliche 
Leben des jungen Englands florirt und consumirt wird, wo Alles so 
piquant , so lebensfroh und so frisch aussieht, bis der Morgen graut 
und die bunten Lampen ausgehen , dann freilich erscheint Alles 
mehr im natürlichen Zustand , d. i, grau und gräulich. Ueber- 
dies sind die Orchester in diesem Jahr bei Weitem nicht , was sie 
früher waren , als der göttliche Jullicn noch an ihrer Spitze stand. 
Apropos auch er ist hin und mit ihm dreissig der tüchtigsten 
Musiker Londons. Sie sind gegangen dahin, wo zwar keine Ci- 
tronen blühen aber die Zukunft der Welt , in das Land der Yankees 
und der Dollars. Dass Jullien im Brillantfeuer von hinnen gezogen 
ist, bedarf wohl erst keiner Erwähnung. Der Abschied war übrigens 
diesmal im eigentlichen Sinn des Worts ein brillanter , nämlich ein 
Taktirstock in diamantner Einfassung von seinen Freunden und 
Verehrern dem unermüdlichen Kämpfer für die Entwicklung 
der Tonkunst des Jahrhunderts dargebracht. Man sieht, die Zeichen 
und Wunder der alten Welt wiederholen sich auch in der heutigen» 

Fatal. 



NACHRICHTEN. 



Wien« Herr Dalle Aste wird als Sarastro, Graf (in der Zi- 
geunerin) und Marcell debutiren. 

— Frau Köster-Schlegel wird nach Schluss ihres Gastspiels nach 
Italien abreisen. Das Hoftheater hat vom Kaiser eine jährliche Do- 
tation von 200,000 Gulden erhalten, so dass sich die Gesammt-Ein- 
nahme nun auf eine halbe Million beläuft. 

Berlin. Die Königsberger Opern-Gesellschaft schloss ihre 
Vorstellungen am 13. mit „Joseph in Aegypten. " — Der Opcrnge- 
selischaft im Krollschen Etablissement ist vom Direktor gekündigt 
Worden, da derselbe sich im kommenden Winter anf Conzerte, aber 



im grossartigsten Style beschränken will. Er beabsichtigt, die aus» 
gezeichnetsten Kräfte zu diesem Zwecke zu engagiren. 

Breslau. Frl. Babnigg gastirt hier* Dieselbe ist von ihren alten 
Verehrern freudig begrüsst worden. 

Bremen- Der Abgang des Capellmeisters Hagen, welcher seit 
15 Jahren die Abonnemcnts-Concerte und seit 10 Jahren die Oper 
leitet, ist ein grosser Verlust für Bremen. An seine Stelle tritt Bar- 
bieri, bisher in Hamburg. 

Prag. Frau Behrend-Brandt giebt hier eine Reihe von Gastvor- 
stellungen. 

Oassel. Wagner's Tannhäuser wurde hier dreimal aufgeführt. 

Paris. Die grosse Oper ist mit den Hugenotten eröffnet 
worden. N. Corti Exdirektor der italienischen Oper hat an einer 
Saison genug. Wie schon gemeldet reichte derselbe vor Kurzem 
seine Entlassung ein und ist seitdem schon nach Italien abgereisst. 
Die arme Italienische Oper! 

Das Feldlager von Schlesien von Meyerbeer wird nächstens 
mit verändertem Libretto in der komischen Oper aufgeführt werden. 

* Der Violinist Sivori (in Genf durch Umwerfen des Wagens 
an der Hand beschädigt) ist wieder hergestellt und wird seine Kunst- 
reise mit Mulder fortsetzen. 

Mannheim. - F. Kühmstedt, Professor der Musik aus Eisenach, 
verweilte einige Tage in unserer Mitte; in einem kleinen Kreise 
von Musikfreunden gab derselbe, durch die freie Entwickelung einer 
Fuge über ein beliebig gegebenes Thema , Beweise seiner ausge- 
zeichneten contrapunetischen Kcntnisse. Schade, dass ein so reich 
begabter Künstler nicht eine einflussreichere Stellung einnimmt. 
Kühmstedt gehört unstreitig zu den besten Orgelcomponisten unserer 
Zeit; denkenden Organisten und Componisten kann dessen Gradus 
adparnassum, sowie die Kunst des Vorspiels, praktischen Orgel- 
spielern aber dessen Opus 12 & 19, melodiöse Vorspiele und Fugen 
und Opus 33, „kleines wohltemperirtes Klavier in fortlaufenden Hef- 
ten" — nicht genug empfohlen werden. 

— Der bekannte Tenorist Flintzer, welcher eine Reihe von 
Jahren der Liebling des hiesigen Publikums war, ist durch die Auf- 
regung, in welche ihn die Kündigung seines Contrakts versetzte, in 
der Probe zu seiner letzten Vorstellung wahnsinnig geworden. 

Wiesbaden^ Der Kapellmeister Schindelraeisser, welcher be- 
kanntlich einem Rufe nach Darmstadt folgt, gab in voriger Woche 
sein Abschieds-Conzcrt. Das Programm, an und für sich schon 
höchst anziehend, erhielt durch mehrere Gesangsvorträge der Damen 
Marra und Joh. Wagner einen noch grösseren Reiz und das Konzert 
bot desshalb einen seltenen Genuss. 

Derselbe hat als Anerkennung seiner ausgezeichneten Wirk- 
samkeit von dem Thcatcrcomite ein besonderes Dankschreiben er- 
halten. Sein Nachfolger, Herr Kapellmeister Hagen aus Bremen, ist 
dort bei seinem Scheiden gleichfalls mit einem besondern Zeichen 



der Hochachtuns 



einem silbernen Pokal — beschenkt worden. 



Man ist hier sehr begierig , ob derselbe die durch Schindclmeissers 
Abgang entstehende Lücke auszufüllen im Stande ist. 

Berlin« Frau Bochkoltz-Falconi hat als Lucrezia mehr ge- 
fallen als früher in Don- Juan (Donna Anna), doch ist es ausser 
Zweifel , dass die enthusiastischen Lobpreisungen der Dame von 
Augsburg aus (Riehl) sehr übertrieben waren. 

Königsberg« Die Opern-Vorstellungen beginnen am 21. August. 

OÖln. Am 2t. August fand ein Concert des hiesigen Männer- 
gesangvereins statt. Dasselbe war zu Ehre des anwesenden Ritters 
S. Neukomm aus London, welcher dem Verein bei seiner Londoner 
Fahrt wesentliche Dienste geleistet hat und bot, theilweise in vor- 
trefflicher Ausführung , Compositionen von Reissiger , Kreutzer, 
Kücken, Mendelssohn, Reichardt, Abt, wie von dem anwesenden Neu- 
komm Da der Ertrag zum Besten einer baufälligen Kirche bestimmt 
war, hatte man es für nöthig gehalten, die beiden Abtheilungen des 
Goncerts durch geistliche Gesänge zu eröffnen, was dem Programm 
etwas Quodlibetartiges gab und den Eindruck des Ganzen etwas 
schwächte. 

— Der neue Director Köder wird im Laufe des Winters tut 
Aufführung bringen: Tannhäuser und Lohengrtn von Wagner, die 
lustigen. Weiber von Windsor von Nicolai und Giralda von Adam. 

w . . i ■ ii ■ ■ ■ i ■■ - . . i i i. i -- ■ ^- *- ■■■- ■■ ■ — - - -^ ' 

Verantwortlicher Beaaktior: J. J. SCHOTT. «-Druck to» REDTEB u. WALLAU ta Matal. 



2. Jahrgang. 



Mr. 36. 



5. Sept. 1853. 



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B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



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Inhaltt Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. V. — Das Lied. — Zwei Autoren und die neue Zeitschrift für Musik. 
Nachrichten. 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 

an 

einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



V. 

Das Drama verlangt einen Gegensatz und einen Kampf zweier 
sittlichen Grössen. Das griechische Drama musste nach der An- 
schauungsweise des Alterthums, das keinen berechtigten Gegensatz 
in dem Menschen selbst kannte , sondern nur einen Gegensatz 
zwischen den menschlichen Trieben und der höheren Weltordnung, 
diesen Kampf äusserlich darstellen ; das Drama der Neuzeit verlegt 
ihn in das Innere des Menschen, weil au die Stelle des tragischen 
Schicksals der Alten die freie Selbstbestimmung der Charactere ge- 
treten ist. 

Das musikalische Drama nun kann recht eigentlich als der 
Conflikt zwischen Liebe und einer zweiten sittlichen Kraft bezeichnet 
werden, denn die Liebe ist die Hauptquelle des lyrischen Elementes, 
und aller lyrisch-musikalischen Ergüsse. 

Es versteht sich von selbst , dass sie in den matinichfaUigsten 
Formen auftreten kann (Kindesliebe, Gattenliebc etc.), doch wird 
die Frauenliebe stets das Vorherrschende bleiben , nicht bloss, 
weil sie das reichste Thema bildet, nicht Mos, weil das Fehlen 
weiblicher Partien Eintönigkeit zur Folge habe würde, sondern 
weil die Frauenliebe einer der wesentlichsten und characteristischsten 
Züge der Neuzeit ist und desshalb überall hervortreten muss, wo das 
innere Leben derselben geschildert werden soll. 

Es ist kein Zufall, dass die Oper erst zu Ende des Mittelalters 
erschien. 

Wo war im Alterthume , wo war im Mittelalter ein Stoff, der 
zugleich Handlung^ freie Persönlichkeiten und lyrische Elemente bot? 
Im Alterthume galt das Weib als solches nichts ; nur durch den 
Mann , als Mutter seiner Kinder, erhielt es einen gewissen Werth- 
Kein Grieche, kein Römer hätte gewankt, wenn es sich darum ge. 
handelt hätte, Vaterland, Ehre und was sonst dem Menschen heilig 
ist, einem Weibe zu opfern. Opferten sie doch nicht blos die Braut, 
sondern Weib , Kind und sich selbst, wenn es die Pflicht gebot. 

Das griechische Drama kennt die Frauenliebe nicht, wie das 
Alterthum sie überhaupt nicht kannte. , 

Das edelste Frauenbild, welches die griechische Kunst schuf, 
Antigene, bringt ihr Leben nur der Familie, dem Bruder zum Opfer, 
für den Gatten, für ihr Kind, hätte sie dies nie gethan: 
. . . „Ich hätte nimmer, war ich Mutter auch» 
Und war der Gatte sterbend mir dahin gewelkt, 
Im Widerstreite mit der Stadt die That versucht, 
Wie aber mag ich dieses Wort rechtfertigen? 
Ein anderer Gatte ward mir an des Todten Statt, 
Vom andern Manne wieder das verlorne Kind, 
Da doch der Hades Mutter mir und Vater birgt, 
So kann ein Bru der nimmerdar für mich erstehen 



Hier ist der tiefere Grund, weshalb sich selbst ein Mendelssohn 
vergebens abmühte, das Griechische Drama durch die Macht der 
Töne zu beleben. Hier auch der Grund, weshalb alle Bearbeitungen 
„classischer Stoffe" für die Oper als Zerrbilder erscheinen, die selbst 
unter der Hand eines Mozart und Gluck nur ein musikalisches, 
wenn's hoch kommt, in der Brust des wissenschaftlich Gebildeten 
und mit dem Alterthum Vertrauten, auch ein historisches Interesse 
erwecken können. Eine Griechin, die liebeglühende Arien singt, ein 
Grieche, der seine Geliebte anbetet, sind Anachronismen, die selbst 
dem einfachen Verstände fast instinktmässig widerstreben. 

Aus den Trümmern der alten Welt erhebt sich mit so manchem 
Andern auch das Weib zu grösserer Geltung. Aber selbst in den 
Tagen des Minnesanges, in welchem es sich von Tausenden gefeiert 
und besungen sah , war es in der Wirklichkeit noch weit von der 
Stellung entfernt, welche ihm die Fantasie der Sänger einräumte. 

Der Character der Frauenliebe des Mittelalters war innerlich der 
der Frömmelei — wenn wir dies Wort gebrauchen dürfen — die 
in dem Anschauen und Besingen der Geliebten ihre Genugthunng 
findet; äusserlich der der Galanteric: beidemale ein blosser 
Cultus, mehr der abstrakten Idee der Weiblichkeit, als der Persön- 
lichkeit, mehr dem ganzen Geschlecht, als einem bestimmten Gegen- 
stande gewidmet, kurz: mehr künstlich erzeugt, als frei aus den 
Tiefen der Seele entspringend. So lange diese Liebe kein Hindcr- 
niss fand, schwebte sie in den Lüften, sobald sie mit der Wirklich- 
keit zusammen stiess, verschwand sie gänzlich und machte entweder 
eben so wesenlosen Klagen oder der rohesten Sinnlichkeit Platz. 

Die tiefe, leidenschaftliche Liebe zu einem bestimmten Gegen- 
stände, welche fähig ist, mit Allem, was ihr entgegentritt, nm den 
Sieg zu kämpfen , ist ein Produkt des Geistes der Neuzeit und das 
Hereintreten derselben, und damit die Anerkennung der freien Per- 
sönlichkeit des Weibes kennzeichnet die Grenze des Mittelalters. 
Nun erst konnte die Oper, deren hauptsächlichster Inhalt eben die- 
ser Kampf ist und stets bleiben wird, erscheinen. 

Es ist aber ejn durchgehendes Gesetz in der Kunst wie in der 
Geschichte überhaupt, dass die Tendenzen, welche ein Zeitalter be- 
herrschen und dasselbe charakterisiren , selbst dann noch nicht ver- 
schwinden, wenn sie bereits faktisch durch andere verdrangt worden 
sind, sondern noch lange in das folgende Zeitalter hinein wenigstens 
formelle Geltung haben, ja dass sie eigentlich erst dann mit Bewosst- 
sein auftreten, und das verlorne Terrain wieder zu gewinnen versuchen. 

Wer die Geschichte der neuen Zeit studirt hat, weiss, wie dies 
Gesetz auch hier wirkte, und wie die Tendenzen des Mittelalters bis heute 
dem Geiste der Neuzeit den zähesten Widerstand entgegensetzten, ja 
wie dieser Streit den Mittelpunkt der ganzen geistigen Bewegung bis 
auf unsere Tage gebildet hat. 

Dieser Gegensatz musste auch in dnr Oper hervortreten, und 
wir zögern nicht, die „Anforderungen der Gegenwart" als hauptsäch- 
lich auf die Entfernung der mittelalterlichen Reminiszensen gerichtet 
zu erklären, welche die Oper aufnahm, und welche bis heule hewnsst 
und nnbewusst darin vorherrschen. Fragt man uns , welches diese 
Reminiszensen seien, so antworten wir: Forscht nach den charak- 
teristischen Zügen des Mittelalters, und dann vergleicht, ob Ihr die- 



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selben nicht in der bisherigen Oper mehr oder minder dominirend 
wieder findet. 

Auf der ejaen Seite halten wir der» dci| Ha*g «um Uebersjnn? 
liehen, Mystischen, zu phantastischen, körperlosen Träumerei«*, »uf 
der andern desto tieferes Zurücksinken in Rohheit und Materialismus, 
Neben der religiösen Vevstickung, der feurigen Andacht, der 
übertriebenen Frömmigkeit : ein Hohnsprechen jedes wahren religiösen 
Gefühls in der Handlungsweise derer, welche als die eifrigsten Pfle- 
ger jener erscheinen; neben den phantastischen Gelübden der Ritter- 
orden : die barbarischen Vorrechte auf die verlobte Jungfrau unter 
den Hörigen; neben den colossalen kirchlichen Bauten zur Ehre 
Gottes: die elenden Lehmhütten der Umwohner; neben einem Perci- 
val, der Verklarung der geistigen Natur mit Abstreifung aller Sinn- 
lichkeit : Tristan und Isalde , als Sanktion der Rechte des Fleisches 
und Verläugnung alles wahrhaft Sittlichen; neben den MinneKedern 
voll ätherischer Schwärmerei : die widerlichsten Zoten-Verse. 

In allen Verhältnissen des Mittelalters ohne Ausnahme tritt 
dieser Gegensatz hervor, und fiberall, wo in der Neuzeit mittelalter- 
liche Tendenzen verfolgt werden , lässt er sich nachweisen. Die 
phantastischen Schwärmereien der Literatur - Romantiker und die 
? ,Lucinde" Schlegels, die Bestrebungen der Neu-Romantiker und ihre 
Werke in Staat,, Kirche, Kunst und Wissenschaft sind nur eine neue 
Variation über dasselbe Thema. 

Mit dem Worte „romantisch" wird bekanntlich Alles bezeichnet, 
was mittelalterlichen Tendenzen huldigt und es gibt nichts Treffen- 
deres, als der Name, den die bisherige Grosse Oper erhalten hat. 
„Lyrisch-Romantisch" heisst nichts Anderes , als; wir stecken mit 
all tinserm Reden von den Forderungen der Gegenwart noch bis 
über die Ohren im Mittelalter und dessen Anschauungsweise, 
und was das Schlimmste ist, scheinen gar nicht zu wissen, dass wir 
einen Unsinn aussprechen , wenn wir einen Text verlangen zu einer 
„lyri sch-rqmantischen Oper, deren Inhalt und Bearbeitung den 
Anforderungen der Gegenwart entsprechend sein soll." 

Das ist ungefähr so , als wenn von einem Baumeister verlangt 
wird, er solle einen, Dom bauen , aber nach den Regeln des heu- 
tigen Geschmacks und der heutigen Architektur. 
Ein Blick auf die romantischen Opernschöpfnfigen lehrt, wie weit 
das von uns Gesagte gilt und wie fern deshalb die darin he/rscfyefidc 
Anschauungsweise von der unser igen ist. 

Das Gespenstige, Fantastische, Ritterthümliche ist der Grnndzug 
des Freischütz, der Enryanthc, des Berggeistes, des Faust, des, Temp- 
lers, Hans Heiling, Vampyr, Nachtlager und aller andern deutschen, 
italienischen und französischen Werke , welche in diese Kategorie 
gehören ; daneben herrscht in ihnen irgend eine unsittliche Macht, sei 
es die der rohen Sinnlichkeit unter dem Mantel der Liebe oder eine 
andere niedere Begierde im Gewand des Dämonischen. Der ganze 
Inhalt ist in einer, unserm Gefühl widerstrebenden, überwundenen 
und veralteten Anschauungsweise begründet. Die natürliche Folge 
davon ist, dass der Gegensatz der darin thätigen Kräfte, der dafge* 
stellte geistige Conflikt, wenn überhaupt dieser Forderung des reinen 
Dramas genügt ist, für uns seine Geltung, und damit sein Interesse 
verloren hat, dass wir den Kampf im Innern der Charactere nicht 
für einen berechtig ten erkennen , sondern dass uns derselbe 
unnatürlich, künstlich hervorgerufen , erscheint ! Nur die 
eine der thätigen' Kräfte , die Liebe* existirt für* uns in derselben 
Stärke, nur sie ergreift uns mit derselben Gewalt, aber die Dämo- 
nen (Freischütz), die Zaubergewalten (Öberon), die Ritterehre 
(Tentptel*), die Jahrhunderte hindurch gen&hrte unversöhnliche Stam- 
mes 1 feind l s6häft v (Romeo u. Julie), der blinde Stammes* und Religions- 
hass, der htfr als ein Ueberbleibsel früherer Zeiten Und Verhältnisse 
erscheint (Jüdin u. s. w) und was sonst als Gegcnäatä hingestellt 
sein mag, giebt es für uns nicht mehr, und wenn wir dann dem, 
was uns als „Vorurtheil" erscheint, die berechtigslen Gefühle 2üm 
Opfer bringen sehen oder wenigstens Zeuge eines schweren, tödtlichen 
Kampfes derselben sind, so empört sich unser Gefühl dagegen. Wir 
können dann wohl an der Ausführung ein künstlerisches Interesse 
nehmen , aber den Kampf selbst mit durchkämpfen , das vermögen 
wir nicht! 

Wir haben eigentlich nur eine einzige deutsche Oper, welche 
nicht in dieser mittelalterlichen Anschauungsweise wurzelt, sondern 
uns vollständig innerlich befriedigt. Es ist dies Fidclio , das herr- 
lichste Gemälde aufopfernder Gattenliebe. Aber Fidclio ist , wie 



Cherubini's Wasserträger, von dem fast dasselbe für die ältere fran- 
zösische Oper gilt, kein Drama, sondern ein bürgerliches Schauspiel, 
und wir; werde» nur durch den Genius Beethovens, der in ähnlicher 
Weise wie Mozart die Schwächen des Textes durch die musikalische 
Behandlung «u bedecken wasste, hingerissen. 



>o »c i 



DAS LIED, 

seine poetische und musikalische Composltion. 

Unter dieser Ueberschri ft soll in einer Reihe von Aufsätzen 
nach und nach ein Gegenstand besprochen werden , dessen Be- 
deutung ebenso gross ist, als die über ihn herrschende Unklarheit. 
Vielleicht gelingt es den Leser anzuregen und seine Einsicht zu 
fördern ; ihm sowenig wie möglich Zwang anzuthun , ihm die ent- 
scheidenden Data selber zur Prüfung vorzulegen , wird wohl der 
sicherste Weg dazu sein. 

In der Poesie und dem entsprechend nothwendig auch in der 
Musik hat jedes Volk seine Gesänge ganz eigenartig nach einem 
gewissen Grundprincipe geschaffen, an dem es zähe festhält. Ha* 
man dieses aufgefunden, dann ist es gar nicht schwer, zur Einsicht 
des Organismus seiner ganzen poetisch-musikalischen Kunst zu ge- 
langen. 

Weil nun im Volksgesange die Verschiedenen Grnndtypen der 
Poesie und Musik in aller Breite aus dem unmittelbaren Leben des 
Volksthums hervorgetreten sind , so versteht sich von selbst , dass 
wir mit ihm, und nicht mit der subjeetiven Lyrik einzelner Dichter 
und Komponisten von gestern und heute anzufangen haben. Ueber 
letztere wird am Schlüsse gehandelt , und dann kurz ; sie zu beur- 
heilen, also für die gegenwärtige Kunst feste Gesichtspunkte zu 
gewinnen, ist der Endzweck des Ganzen -» es ist uns keineswegs 
um blosse Unterhaltung oder Raritätenkrämerei zu thun. Wollten 
wir aber mit ihnen anfangen, dann wäre des Hin- und Herredens 
ebensowenig ein Ende, als heute des Dichtens und Liedercomponirens. 
Auch muss ich Sorge tragen, dass der Leser schon im Einzelnen 
an sich ein Interesse gewinne: und hier ist der Volksgesang wieder 
das beste Mittel. 

Und endlich will ich's nicht verreden t dass ich noch allerlei 
Nebenzwecke mit solcher Anordnung verbinde; diese aber werde ich 
sorgfälti» zu verbergen suchen, damit es den Leser nicht verdriessl, 
mir zu folgen. 

I. 

Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz. 

Ihr Liedlein, ihr Liedlein , woher seid ihr gekommen ? 
Vom Himmel gefallen, im Hain gewachsen ? 
Wir fielen vom Himmel nicht, wuchsen im Hain nicht, 
Uns haben die Knaben« die Mädchen ersonnen. 

Slowakisches Volkslied. 

In einem Briefe an J. Dürrner in Edinburg, dessen man aus 
Nr. 22 sich erinnern möge, versuchte ich die Grundsätze aufzu* 
stellen, nach denen Volkslieder gesammelt und der Öeffenilichkeit 
übergeben werden sollten. Ich habe heute das Vergnügen, die Leser 
mit einer Sammlung bekannt zu machen , welche meine vielfachen 
Forderungen überreichlich erfüllt und dcsshalb als ein Muster auf* 
gestellt werden kann. Es ist folgende; 

Volkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlausitz. Aus Vplks- 
munde aufgezeichnet und mit den Sangweisen , deutscher Ueber- 
setzuug . den, nöthigen Erläuterungen , einer Abhandlung über 
die Sitten und Gebräuche der Wenden und einem Anhange 
ihrer Märchen , Legenden und Sprichwörter, herausgegeben von 
Leopold Haupt, Secretair und erster Bibliothekar der ober' 
lausitzer Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz cic. , und 
J. E. Schmaler, Cand. d Theol., Mitgl. des lausitzer Vereins 
etc. 2 Bände in gr 4. Erster Theil: Volkslieder der Wenden 
in der Oberlausitz, £Vl und 302 Seilen. Zweiter Theil: 
Volksl. der Wenden in der Niederlausilz, XII und 332 Seiten. Mit 
einer grossen Karte der wendischen Lausitzen , zwei Lithographien 
(imisikalischc Instrumente > Anlage eines wendischen Dorfes 
und eines wendischen Bauerngehöftes) und drei colorirten Blät- 
tern wendischer Volkstrachten. Grimma bei S. M* Gßbhard, 
1841 und 1844. Pr. 11* | 8 Rth. 



- 143 



Die Herausgeber konnten für ihren feinen zarten Sinn kein 
besseres Zeugniss ablegen, als durch den „Reisesegen" mit 
welchem sie den ersten Band in die Welt schickten. Wie ist das 
lieblich gedacht und ausgedrückt l 

„Der Engel des Herrn begleite dich mit seinem Segen unter 

.,Slaven und Deutschen, unter Freunden und Feinden, unter 

„Gelehrten, und Ungelehrten , auf Feld und Flur, in Haus und 

,.Hof, in Hütten und Palästen, wo du gehst und stehst, wo 

„du weilst und eilst, auf allen deinen Wegen und Stegen. 

,.Wo du bescheiden klopfst an , da werde dir willig aufgethan 

.,\Vo du eintriffst mit Zucht und Sitten , da sei freundlich be» 

„grüsst und wohlgelitten» Wohin dich Winde und Wogen 

„bringen und tragen , da erschalle ein fröhliches Singen und 

„Sagen. Den Slaven und Deutschen sollst du sagen, dass die 

„Erleuchteten, Guten und Frommen sich überall mit einander 

„vertragen, sich ehren und lieben und nimmer betrüben, sich 

„helfen , fördern und rathen zu heilsamen Werken und edlen 

„,Thaten; dass jedes Volk, aus seines Geistes frischer Lebens- 

„kraft etwas Schönes und Edles und Ewiges schafft, ist gross 

„und mächtig und ehrenhaft , mög' es auch noch so klein und 

„vergesslich sein. Den Gelehrten und Ungelehrten sollst du 

„verkünden , dass tief in des niedern Volkes Gründen , nicht 

„bloss auf der Bildung lichten Höhen , wo die Weisesten und 

„Besten stehen , zu finden ist das Geistreiche und das Schöne, 

„in Perlen des Wortes und im Silber der Töne» Lass dir vor 

„den tiefen Kennern nicht grauen , die dich von Vorn und von 

„hinten beschauen, und finden sie an dir manchen Mangel Und 

„Fehl, und sehen sie dich an so bös und scheel, so sei de- 

„müthig und hab' es kein Hehl, dass du Vieles hast auf die 

„Heise mitgenommen , was ungezogen und unvollkommen , und 

jtsage ihnen, eh' sie reden, geschwind: Ich bin nur ein armes 

„Bauernkind ; habt Nachsicht mit mir Und beurtheilt mich nur 

„nach meinem Wesen und meiner Natur." 

Die Zahl der mitgethetlten Lieder ist 531 , 331 aus der Ober* 

laüsitz im ersten* 200 aus der Niederlausitz im zweiten Bande. Nur 

zu wenigen fehlen die Originalmelodien. Selbst die Namen der 

Sänger und Sängerinnen , aus deren Munde die Lieder gehört und 

aufgezeichnet wurden, sind, wo sie den Herausgebern bekannt waren 

den Liedern überall vorgesetzt, stets aber ist die Gegend angegeben, 

Wo die Lieder heimisch sind. Ucber die reichen Anmerkungen 

worin auch die Lieder anderer Völker zur Vergleichung angezogen 

werden, sprechen wir weiter unten. 

Der Text nicht allein der Lieder > sondern auch die Einlei- 
tung» Märchen u. s. w. ist deutsch und wendisch. Lässt sich nicht 
leugnen * dass hierdurch Und durch detaillirte statistische und andere 
Beschreibungen das Werk für unsern Zweck des Guten etwas zu 
viel gethan, so sind wir doch weit entfernt, dergleichen für über- 
flüssig zu halten* Besonders verdienstlich ist die ausführliche 
Darlegung der sprachlichen Eigentümlichkeiten. 

Unsere Wenden Waren früher ein grösser Volksstamm;, sie 
sind jetzt aber in diesen Gegenden bis auf circa 250,000 zusammen- 
geschmolzen, 20,000 in Preussen , 50,000 in Sachsen; *Ö,Ö00 kath. 
die übrigen protestantisch. Sie waren früher oft in heftigen Kriegen, 
traten aber nie erobernd, sondern nur vertheidigend auf, sagen die 
Herausgeber; das heisst: ihre Eroberungszüge reichen Weiter zu- 
rück als unsere geschichtliche Erinnerung > ihre Glanzzeit war vor 
Sonnenaufgang». jet»t geht's bergab mit ihrem Volksthum. 

Die Sprache der Oberlausitzer hat die meiste Aehnlichkeit mit 
der* Böhmischen ; die der Nicderlausilzer kommt der polnischen 
näher. Beide sind so verschieden, dass Ober und NiederlaUsitzer 
nur mit Mühe sich verständigen können. Eine merkwürdige Ver- 
wandtschaft findet besonders in Rücksicht der Vocälisaliöh mit dem 
Russischen statt. Manches ist germanisirt ; am reinsten spricht das 
niedre Volk, und hauptsächlich in seinen Liedern. Aus dem, was 
Herr Haupt mit unendlicher Mühe Bd. IS. 10 *- 18 zusammen* 
stellt i, ersieht man genau die Eigenthümlichkeit dieser Sprache. 
Wir können hier natürlich nur das beachten, was sich auf die 
'Tonbildnng bezieht. Aber eben hier findet sich Zweierlei, was sehr 
wichtig ist. Einmal tchlen unter den Consonanten fast alle harlcH 
Laute, k, p und t lauten immer fast wie £* b und d. Wichtiger 
ist der Jotacismus, nämlich die Neigung fast sämmllichcr Cohmi- 



nanten in einem zu endigen i bj , zsokj , zj , tschj , chj , hj , $., 
dschj, fcj, und so weiter. Die Sprache mag dadurch ganz geeignet 
sein , den Ton heiterer Geschwätzigkeit anzuschlagen , wie Haupt 
I, 23 anmerkt, aber es steht fest, dass es musikalisch ein Mangel 
ist. Weil die harten Consonanten fehlen, wird sie der Gesangton 
nicht scheidend scharf abgrenzen können > was unter Umständen be- 
sonders für deutliche Aussprache sehr hinderlich sein kann. Kommt 
dazu noch der durchgehende Gebrauch des j, welches halb Vocal und 
halb Consonant ist, so werden dadurch die Vocalo und die Con- 
sonannten vermischt, die Aussprache an, sich nimmt schon eine 
Menge von Ton weg und raubt ihn dem Gesang, das Ganze be- 
kommt etwas Verschwommenes und Unreines. Die Fähigkeit reiner 
Tonbildung, die z. B. die Deutschen schon vermöge ihrer Sprache 
in einem so hohen Grade besitzen, kann den Wenden nicht zuerkannt 
werden, und wir dürfen kaum voraussetzen, dass sie unter viel gün- 
stigeren Umständen es in der Musik weiter gebracht haben würden, 
als jetzt in ihrem Volksgesange. Der Volksgesang ist der lebendige 
Keim alles weiteren Wachsthums der Kunst; man wundere sich 
daher nicht, wenn wir das Geheimniss der verschiedenen musika- 
lischen Anlage bei den Völkern nach der einen Seite hin im Bau 
der Sprache offenbart finden. Die wendische Sprache hat viele 
Consonanten 'und durch die Verschmelzung mit den Vocalen etwas 
merkwürdig Glitschiges. Howbj, Taube; zschjass, Zeit; sawsa y Drüse 
jeejo, Ei; tuzschjeelj, Regenbogen; pschjätschjeelj , Freund; etc. 
Die Herausgeber haben die Lieder unter 7 Rubriken gebracht: 
1) Feldlieder, 2) Sätzchen oder Gesetzchen; *8) Tanzlieder; 
4) Rundgesänge; 5) Hochzeitslieder; 6) Bittlieder; 7) Legenden. 
Wir betrachten dieselben nach diesen Vorbemerkungen nun genauer 
und jede Abtheilung für sich» 

(Fortsetzung folgt)» 



ZW£l AUTOREN ÜNÖ DIE NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK. 



Herr Stehlin , der Verfasser des in Nr, 10 d. Ztg. beurrheilten 
Werks „die Naturgesetze im Tonreich" etc., hat auf diese Re- 
cension eine „Antikritik" folgen lassen (Beilage zur Leipziger N. 
Zeitsch. f. Musik), auf die ich folgendes erwiedere. Herr Stehlin 
schrieb der Redaction der Südd, Mzfg* unterm 12. April 1853 .eine 
Epistel voll ausgesuchter Grobheiten, in Welcher es hiess: „Ich be- 
rechtige &ie» dieses Schreiben zu veröffentlichen, was ich selbst 
thun werde, wenn ich binnen 14 Tagen keine Genug- 
thuung von Ihnen erhalten hab e". Eben wegen dieser un- 
geschickten Drohung ist es der Red. gar nicht eingefallen, Herrn 
Stehlin auch nur einer Antwort zu würdigen. Hätte derselbe eine 
Entgegnung eingesandt, meinetwegen in so ernstem Tone, als er für 
nöthig befunden, aber nur frei von persönlichen Ausfällen und 
Schimpfworten: so wäre ich wahrlich der Letzte gewesen, der 
die Redaction von einer Veröffentlichung derselben zurückzuhalten 
gesucht hätte , und ich würde dann mich für verpflichtet gehalten 
haben, vor denselben Lesern die nähere Erklärung und Begründung 
meiner Behauptungen zu versuchen und zwar in dem Zusammen- 
hange und in dem Tone, wie Herr Stehlin mir angegeben. Jetzt bin 
ich dess überhoben | ich lehre, erkläre und begründe das Meine 
daher in der Sachordnüng und Zeitfolge, wie es mir, und nicht wie 
es Herr Stehlin beliebt. Ich bespreche z. B. in einigen Aufsätzen 
über Lieder Und Melodien die verschiedenen Tonarten in ihrem ge- 
schichtlichen Verhältnisse \ in Briefen an den Pythagoräer Beete 
die Streitigkeiten der Aristoxener Und Pythagoräer; in einer Rc- 
cension der „Harmonik und Metrik" von Hauptmann die harmo- 
nischen bnd melodischen Gruhdverhältnisse u. s. w. Mit der 
Doppetwette jjvott 20 Stück Dukaten" und der erwarteten Antwort 
darauf „binnen 2 Monaten" mache Herr Stehlin sich doch nicht 
lächerlich. Wie kommt er dazu,, wetten zu wollen mit einem Recen- 
sehten > den er so gründlich zu verachten sich alle erdenkliche 
M&he gibt? Auch Ehrentitel wie „Sudelei, Ignoranz > Schmäh. 
aHikel" etc. sende ich unbenutzt und zu anderweitiger Verwendung 
wieder zurück; bei mir (ragen sie keine Zinsen t sie Überraschten 
nrieh unter so eigenihünilichen Verhältnissen , dass ich laut lachen 
imis»ie , und worüber man einmal recht herzlieh gelacht , hält es 



144 — 



schwer zu zürnen; auch verhehle ich nicht, dass obige Titel für 
mich in vieler Hinsicht recht schmeichelhaft gewesen sind. Herr 
Stehlin begnüge sich einstweilen damit , dass er , wie er die Re- 
daetton brieflich sehr bescheiden belehrte „mit seiner Abhandlung 
eine Polemik hervorgerufen , an der sich schon bedeutende Notabi- 
litäten und in Deutschland allein 10 — 15 Journale und Zeilschriften 
betheiligten j auch die franz. Akademie der Wissenschaften und schönen 
Künste habe sich schon durch ihren Secretair, so wie Graf von Monta- 
lembort brieflich an ihn darüber ausgesprochen* 4 — und ich vermag 
bei solcher Lage der Dinge sehr wohl zu begreifen , „dass die Süd- 
deutsche Musikzeitung sein Bewusstsein nimmermehr erschüttern 
kann". 

Der Recensent des Stehlin'schen Buches. 



Es ist eine längst bekannte Sache, dass es nichts empfindlicheres 
auf dieser Welt gibt als, Autorenei telkeit. Einen Autor, der 
sich in dem süssen Gefühle gewiegt, seine Entdeckungen würden 
seinen Namen unsterblich machen, mit einem Lächeln auf seinen 
Irrthum aufmerksam zu machen, gilt den Betreffenden mindestens für 
Hochverrath Gäbe es noch Autodafes, so würde der Recensent 
sicher den Flammen geopfert. Es hat uns deshalb nicht Wunder 
genommen, in Nr. 7 u. 8 der N. Zeitschrift für Musik, die sich bei 
dieser Gelegenheit als interimistischer Gerichtshof für empfindliche 
Autorengemüther contra „Süddeutsche Musikzeitung" constituirt zu 
haben scheint, zwei grimmige Ausfälle der Herren Stehlin und 
Wöllje, Verfasser zweier in Nr. 10 u. 11 dieser Blätter besproche- 
nen Werke gegen unser Blatt zu finden. 

Auf den ersten hat unser geschätzter Mitarbeiter oben schon 
selbst geantwortet. 

Der des Herrn Wöllje, Dr. juris und Ober-Appellations-Gerichts- 
Prokurator in Gelle , der in dem Ton gehalten ist , mit dem der 
Herr Ober-Appellations-Gerichts-Prokurator etwa armen Sündern ent- 
gegentreten mag, verdient keine Antwort. Wem keine andern 
Waffen zu Gebote stehen, um sich gegen die Kritik zu vertheidigen, 
als die gewöhnlichsten Schimpfworle , wer seine geistige Ohnmacht 
nicht anders zu bedecken weiss, als durch den schlecht verhehlten 
Wunsch, „Criminalrichter" und „Polizei" möchten, wie nach 1848 
in der Politik, so auch in „Wissenschaft und Kunst" die Ordnung 
aufrecht erhalten, dem gehört nichts als ein — Pfui! 

Die Neue Zeitschrift für Musik aber, die sich mit ihrem Streben 
nach Freiheit in Wissenschaft und Kunst so mächtig brüstet, die so 
oft die Würde und Ehre derselben als ihr Panier erhoben hat, fra- 
gen wir, wie sie es mit ihrer Ehre vereinbaren kann, Aussprüche 
wie den obigen , der Wissenschaft und Kunst schändet, in ihre 
Spalten aufzunehmen ? Hat sie vielleicht nicht verstanden, was der 
Sinn desselben war, oder wollte sie es nicht verstehen? 

Die Redaktion d. Süddeutschen Musikzeitung. 



NACHRICHTEN. 



Bad Soden« Zum Besten des hiesigen Krankenhauses 
wurde am 20. August eine grosse Soiree musicale gegeben, in 
welcher neben Frl. Johanna Wagner und deren Schwester Franciska 
mehrere Frankfurter Künstler mitwirkten. Unter Andern trug Herr 
Hecht, ein junger tüchtiger Ciavierspieler, zwei Piecen (von Schulhoff 
und eigene Composition) vor. Einige Tage vorher gab Herr Ed. 
Beyer aus Hamburg ein Conccrt auf der von ihm neuerfundenen 
Pedal Guitarre. 

Bonn» In einem Concerte zum Besteu des Cölner Dombaus 
kam Robert Schumann's neueste Composition, der Königssohn, 
Ballade für Soli, Chor und Orchester zur Aufführung. Dieselbe fand 
nach der Rheinischen Musikzeitung eine sehr günstige Aufnahme, 

Madrid« M. Bernard, Director einer französischen Schauspiel 
gesellschaft, hat das Privilegium zur Errichtung eines französischen 
Theaters erhalten. .Derselbe beabsichtigt, eine französische Opera 
comique zu gründen. 

Leipzig. Vor Kurzem fand hier eine Versammlung der 
Directoren der Cartellbühnen statt. Es hatten sieh zwar nur Wenige 
eingefunden, indessen wurden doch folgende Beschlüsse gefasst: 
1. Der Verein wird in ein bindendes Rechtsverhältniss verwandelt, 



so dass künftig gerichtliche Klage bei Contraventionen möglich ist 
2) Mit dem Centralorgan wird eine allgemeine Vereins-Agentur ver- 
bunden. 3) Zweckmässige Grundlagen zu einem allgemeinen Theater 
Pensionen-Fonds vorzubereiten. 4} Preise auf beste Trauer- und Lust- 
spiele auszusetzen. 5) Von nun an jährliche Versammlungen zu halten. 
Frankfurt. Der treffliche Baritonist Pischeck gastirt hier. 
Im Verein mit dem Tenoristen Soniheimer sang er in Homburg in 
einem Concert und wurde auch hier mit Beifall überschüttet. 

— Berlioz gab im Theater ein Conzert, in welchem mehrere 
seiner Compositionen aufgeführt wurden. 

Wien. Die neuesten Nachrichten über das Befinden Ander's 
lauten nach der Wiener Mtisikzeitung nicht sehr beruhigend. 

Berlin. Von Musikdirecktor Markuli in Danzig wird in diesem 
Herbst auf dem Friedrich Wilhelmstädter Theater eine neue „roman- 
tisch-komische Oper, das Walpurgisfest", zur Aufführung kommen. 

Musik- und Gesangfeste. Am 9. und 10. fand in Hirschberg 
das 14. grosse und Schlesische Musikgesangfest statt. Man führte 
Ouvertüren von Hesse und Lindpaintncr , kirchliche Gesänge 
von Dinzi, Klein, Tschirch , Mendelssohn und Fr. Schneider u. s w. 
auf. — Das Eutaner Musikfest zur Erinnerung an C. M v. Weber 
wird am 11 — 13 Sept. stattfinden — In Rotterdam wird im Juli 
nächsten Jahres die Niederländische Gesellschaft zur Beförderung 
der Tonkunst ihr 25jähriges Stiftungsfest feiern. Das Comite* zur 
Vorbereitung desselben ist schon in Thätigkeit und bemüht sich, die 
gefeiertsten Musiker und Sänger zur Theilnahme zu gewinnen. 

Wiesbaden« Bei Gelegenheit der Vermählung der Prinzessin 
von Nassau soll Indra von Flotow als „Festoper" gegeben werden. 

— Der neue Capellmeister Fr. Hagen ist bereits mit den Proben 
bezchäftigt. Frl. Storck, welche Eagasjementsan träge von Carlsruhe 
erhalten hat , konnte dieselbe j p<nicht annehmen , da sie aufs Neue 
durch zweijährigen Contrakt gebunden ist. Wie schwer muss es 
sein, eine gute erste Sängerin zu finden! 

London. Am 70. August schloss die Italienische Oper mit 
Wilhelm Teil. — Die englische Oper, an deren Zustande- 
kommen C. Formes den bedeutendsten Antheil hat, wurde am 22. 
im Drurylane-Theatre mit Weber's Freischütz eröffnet. Die Besetzung 
war folgende : Caspar — Formes, Max — Reichardt, Agathe — Frl. 
Caradori, Aennchen — Mad. Anschütz. — Wenngleich die Pflege 
deutscher Kunst im Auslande gerechte Anerkennung verdient, so ist 
es doch auf der andern Seite traurig, dass die bedeutendsten Kräfte, 
die eine Zierde jeder deutschen Oper in der Heimath sein würden, 
der Nationalbühne dadurch entzogen werden. C. Formes, Reichard, 
Stigelli, Frl Zerr, Frl. Cruvelli und noch so manche Andere — wie 
viele Lücken könnten durch sie ausgefüllt werden ! 

Baden In der Schweiz. Der Theaterdirektor Löwe wurde 
durch das Losgehen eines mit Schrot geladenen Gewehrs in den 
Händen des Theaterdieners so schwer verwundet, dass er wenige 
Tage nachher starb. 

Carlabad. Der Violinist Ed. Singer gab am 22. August im 
Verein mit dem Pianisten Bülow, Schüler Liszt's, ein Concert, wel- 
ches sehr besucht war. Der Erstere begiebt sich von hier nach 
Prag und Pesth. 

Mannheim. Die aus andern Blättern in unsere letzte Nummer 
übergegangene Notiz über den Tenoristen Flintzer war gänzlich un- 
richtig. Er selbst hat gekündigt. Ferner ist er nichts weniger als 
wahnsinnig geworden, auch war es nicht die Probe zu seiner letzten 
Vorstellung, denn er hätte noch einen halben Monat zu singen ge- 
habt , wofür auch das Repertoir bereits eingerichtet war. In die 
Probe von Catharina Cornaro kam Flintzer etwas verstimmt, und 
brach in der grossen Scene mit Catharina im 2. Akte plötzlich in 
anhaltendes Weinen aus. Die Probe hörte auf, F. ging nach Haus, 
und gab Niemand Gehör. Dass diese Aufregung Folge seiner Kün- 
digung war, ist nicht zu läugnen, aber kurz, er wurde nicht wahn- 
sinnig, und ist längst abgereist, vorerst nach Hause, von wo er sich 
in sein neues Engagement, Posen, begeben wird. Aus dem Berg ist 
sonach eine Maus geworden 1 



BRIEFKASTEN. 



Herrn — 8. — «1» In Dre»äen : Genehm l 



Ver.ntworUicli.r MklMr : J. J. SCHOTT. - Dnek «n RISlKEt WALLAU 1» ■«•«. 



2. Jahrgang. 



tf*. 39. 



12. Sept. 185&. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG, 



Diese Zeitung erscheint jeden 

MONTAG. 

«an ahonnirt bei allen Postämtern, 

Musik- and Buchhandlungen. 



REDAGTION UND VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



PREIS: 

II. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr, 

für den Jahrgang. 

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SO kr. oder 15 Sgr. per gnartal. 



Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. VI, — Das Lied. — Correapondenzen, (Hamburg.) — Nachrichten. 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 

einen guten Operntext* 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



VI. 

Wir haben in unserm letzten Artikel gesagt: nur eine einzige 
deutsche Oper — Fidelio — wurzele nicht in der mittelalterlichen An- 
schauungsweise, sei also keine „romantische" 

Dasselbe gilt von einigen italienischen und französischen Opern, 
deren Stoffe ausserdem die Grundbedingung jedes „Dramas", das 
Vorhandensein eines tiefen sittlichen Conflikts, erfüllen und auch 
in dieser Beziehung höher stehen , als die übrigen vorhandenen 
Operndichtungen. Wir meinen besonders vier: Auber's Stumme, 
" Ros sinis f^ir'fl^^faei^g'Hugenotten und sein Prophet. 

Dass man diese Opern theihveise als Werke der Neu-Roman- 
tischen Schule bezeichnet, kann uns nicht kümmern. In den Texten 
derselben , in ihrem Inhalt , ist nichts Romantisches , nichts , was 
an das Mittelalter erinnert, zu finden. Was die Musiker unter dem 
Wort „Neu-Romantiker" verstehen, geht uns hier nichts an. Ei« 
gentlich hat dieser Ausdruck in dieser Bedeutung gar keinen Sinn, 
denn Bezeichnungen für bestimmte Begriffe lassen sich unmög- 
lich auf die Musik übertragen , die nichts mit Begriffen zu thun hat. 
Warum spricht man nicht lieber gleich von transcendentaler Musik? 

Der Werth der Texte zu obigen 4 Opern ist nicht gleich, aber in 
allen haben wir einen Inhalt, der bedeutend genug ist, um als Stoff 
für ein reines „Drama" zu dienen, einen Inhalt, der zugleich aus dem 
Geiste der Neuzeit geschöpft ist, also mit unserer Anschauungsweise 
harmonirt. 

Die Liebe zum Vaterland, die Liebe zur Mutter, der Hass gegen 
fremde Unterdrücker, die Treue gegen verfolgte Glaubens- und Par- 
teigenossen : das sind Gefühle , die uns eben so berechtigt er- 
scheinen, als die tiefste leidenschaftlichste Frauenliebe, die für uns 
nichts Unnatürliches, Gemachtes haben, sondern die wir theilen. 
Wie Masaniello, wie Teil , wie Arnold , wie Raoul, wie Johann (im 
1. Akt des Pr.) fühlen, so fühlen auch wir, wie sie kämpfen, so 
Würden auch wir kämpfen, wenn uns das Schicksal in gleiche Lage 
brächte. Hier sind die verschiedenen Kräfte, welche in den Cha- 
rakteren wirken, gleich berechtigt , und erst dann können wir einen 
dramatischen Gonflikt mit ganzer Seele verfolgen , wenn dies der 
Fall ist. 

Das Mangelhafte in diesen Dichtungen ist nur die Form, die 
Bearbeitung, die allerdings mit Ausnahme einer einzigen, sehr viel 
zu wünschen übrig lässt Sowohl Teil, als die Stumme sind schöne 
historische Gemälde , dramatisirte Dichtungen mit lyrischen Epi- 
soden , aber keine Dramen ; auch in ihnen müssen die Schönheiten 
der Musik das ersetzen, was dem Ganzen an Einheit und Consequenz 
abgeht. So musste z. B. im Teil der Kampf Melchthals zwischen 
der Liebe zur Bertha und zum Vaterland zum Mittelpunkt des Ganzen 
gemacht werden , aber der Text- Verfertiger hielt sich sklavisch an 



die Schiller'sche Dichtung, mochte zudem die schöne Gestalt 
Teils nicht entbehren und so schwanken wir ewig zwischen Teil und 
Meichthal hin und her, ohne uns für Einen von Beiden überwiegend 
interessiren zu können. 

Ganz anders in den „Hugenotten". Man hat von kritischer 
Seite erklärt, dies sei der beste Stoff der bis jetzt für die Oper ge- 
funden worden sei. Wir sagen nein : die Stoffe zur Stumme, zum 
Teil , zum Propheten sind eben so gut , ja der Stoff zum Teil ist 
ganz dasselbe. Nur die Bearbeitung ist es, welche den Hugenotten- 
text über diese und somit über alle vorhandenen Operntexte erhebt. 
Der erschütternde innere Kampf Raouls zwischen Liebe , Ehre und 
Glauben ist hier nicht wie im Teil, zu Gunsten eines zweiten Cha- 
rakters in den Hintergrund geschoben worden, sondern bildet den 
alleinigen Inhalt. Von der ersten Scene an drängt Alles unauf- 
haltsam der Katastrophe entgegen, bis das Drama im 4. Akte seinen 
Höhepunkt erreicht. Die Scene, in welcher Raoul dort Seine Glau- 
bensgenossen, an die ihn alle Bande der Freundschaft, der politischen 
Ueberzeugung , der Ehre und des Glaubens fesseln, ohne Führer 
hinschlachten, hier die heiss Geliebte , wenn er sie verlässt , einem 
Andern hingegeben sieht, ist das Grossartigste und Erschütterndste, 
was das musikalische Drama bis jetzt geleistet hat, nicht allein 
durch die musikalische Behandlung, sondern hauptsächlich durch die 
Gewalt der Situation , durch die Macht , mit welcher dieser Conflikt 
unser Inneres ergreift. 

Es ist unbegreiflich , wie das , was diese Meyerbcer'schn Oper 
von allen übrigen, und besonders allen romantischen unterscheidet, 
nicht längst zur Erkenntniss dessen gebracht hat, was der Oper 
fehlt, um so unbegreiflicher , als nicht nur der ungeheure Erfolg 
dazu einlud, sondern wie wir schon erwähnten , der Stoff selbst als 
ein vortrefflicher anerkannt worden ist. Statt dessen hat man wie 
gewöhnlich, alle auf den Effekt berechneten Zuthaten und Aus- 
schmückungen der Textverfertiger wie des Komponisten d. h, alles 
Tadelswerthe nachzuahmen versucht und das wirklich Bedeutende 
des Mcyerbcer 'sehen Textes : die klare Einsicht in das , was die 
Gegenwart von einem Operntext, sowohl dem Inhalt als der Form 
nach verlangt , eben so wenig einer Beachtung gewürdigt , als man 
auf der andern Seite im Stande war, mit dem musikalischen Genius 
des Componisten zu wetteifern. 

Der Text zu den Hugenotten leidet allerdings an mancherlei 
Gebrechen, aber diese haben ihre Ursache weniger in dem Nicht- 
können und Nichtwissen als in dem Nichtwollen. Wir sagen nichts 
Neues, wenn wir denMeyerbeer'schen Opern einen starken Hang zu 
künstlichen nur auf augenblickliche Effekte berechnete Combinationen 
vorwerfen, wodurch die Einheit und der Zusammenhang des Ganzen 
auf das empfindlichste gestört und selbst der in den beiden letzten 
Opern mit sicherm Blick gewählte Stoff theilweise wieder verdorben 
Wird, (Robert der Teufel gehört vollständig den wüsten mittelalterlichen 
Remiszensen an und kommt hier gar nicht in Betracht). So erscheint 
um nur eines anzuführen, die Schlussscene in den Hugenotten nur 
durch das Streben nach einem recht erschütterndem Schlusseffekt 
motivirt was allerdings erreicht worden ist , über auf Kosten eines 
der ersten Kunstgesetze: dass jedes Kunstwerk das Gemüth des 



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Betrachtenden oder Hörenden zur Ruhe fuhren müsse. Der Ausgang 
der Katastrophe im Drama muss ein solcher sein, durch welchen 
wir entweder uosem menschlichen Gefühlen nach befriedigt werden* 
oder, bei einem tragischen Ausgange, das Walten einer hohem Ge- 
rechtigkeit , die Macht der sittlichen Wcltordnung , erkennen , und 
dadurch mit dem Ende Tersöhnt sind. Das Niederschiessen von 
Raoul und Valentine in der letzten Scene mag durch den Starrsinn 
und Glauhenshass des Vaters erklärlich genug und in einer Er- 
zählung ganz an seiner Stelle sein , aber das Drama hat andere 
Gesetze als historische Fakta und Niemand wird sie verletzen, ohne 
sich und seinem Werke am meisten zu schaden. 

Zeigt sich schon in dem besten Meyerbeer'schen Werke eine 
Trübung des Richtigen durch fremdartige Zwecke, so tritt dies in 
dem Texte zum Propheten in einem Grade hervor, dass es unser 
tiefstes Bedauern erregen muss. Hier dominirt die Absicht der 
äusserlichen Wirkung vollständig über alle Kunstgesetze und die 
klare Einsicht sowohl in das , was das musikalische Drama über- 
haupt als insbesondere das der Gegenwart von Stoff und Form 
verlangt, erscheint wenn nicht verdunkelt, doch nur angewandt um 
möglichst viel spannende und aufregende Situationen zu schaffen. 

Als die Hauptbedingungen der Bearbeitung des reinen musika- 
lischen Dramas dürfen wir wohl folgendes betrachten: 

Dasselbe verlangt einen Grundgedanken aus welchem Alles 
übrige entspringt und um welchen als den Mittelpunkt des Ganzen 
die einzelnen Scencn sich natürlich gruppiren. Die verschiedenen 
Momente des dargestellten Conflikts müssen rasch aufeinander folgen, 
ohne fremdartige Zuthaten und Ausschmückungen; sie müssen die 
Situation immer schärfer zeichnen, immer mächtiger zur Ent- 
scheidung , zur Katastrophe treiben. Mit der Scene , welche diese 
Entscheidung bringt, den Sieg der einen Kraft über die andere vol- 
lendet, erreicht das Drama seinen Höhepunkt. Auf diese Scene hat 
der Dichter wie der Komponist die höchste Aeusserung seiner 
künstlerischen Kraft zu versparen , sie muss das Schönste und Be- 
deutendste des ganzen Werkes sein. In der Regel wird diese Scene 
den letzten Akt bilden, an sie sich das Finale desselben und damit 
der Schluss der Oper reihen. Nur so kann den Forderungen des 
Dramas genügt, nur so die erforderliche Spannung ohne fremde Beihülfe 
erhalten, nur so die höchste und reinste Wirkung erzielt werden. 

Was die Länge der Oper betrifft, so sind wohl 3 Akte das höchste, 
was ohne Gefahr für die Reinheit und Einheit des Ganzen oder für 
das lebendige Interesse gestattet werden kann. 

In den Hugenotten tragt die übermässige Ausdehnung des 
Ganzen einen grossen Theil der Schuld , dass so viele störende 
Elemente eingeflochten sind, in dem Propheten hat diese Ausdehnung 
au den ärgsten Verstössen gegen alle Gesetze des Dramas geführt, 
zu einer Anhäufung und Verwickelung dramatischer Spannungen und 
Kämpfe, welche jede Einheit, ja jede feste Zeichnung der Charak- 
tere unmöglich machte. 

Um eine Reihe der angreifendsten Scenen zu schaffen, die 
sonst unmöglich mit einander zu vereinigen gewesen wären, haben 
die Textverfertiger den Stoff zu drei verschiedenen Dramen oder 
Opern in eine einzige gedrängt. 

Der Kampf Johanns zwischen der Liebe zur Mutter und zur 
Braut , die grässliche Wahl zwischen dem Leben der Einen und 
der Ehre der Andern — 

Fides (in der Kirche) zwischen Mutterliebe und den heiligsten 
Gefühlen des Weibes hin und her gerissen — 

Bertha in dem geliebten Bräutigam den verhassten und ver- 
fluchten Verderber des Vaterlandes erkennend — das sind Stoffe 
von denen jeder ein Drama von höchstem Interesse und der gross- 
artigsten Wirkung gegeben hätte , gewaltsam zu einer Einheit ge- 
presst, erscheinen sie missbraucht und vernichten gegenseitig ihre 
Wirkung, 

Denn da die einzelnen Charaktere nach der höchsten Aeusserung 
ihrer geistigen Kräfte immer wieder auf die Bühne gebracht werden 
müssen, war man gezwungen, auf künstliche Weise und mit Auf- 
bietung aller materiellen Mittel das Interesse für sie einigermassen 
rege zu erhalten, ohne sie doch vor der innern Herabwürdigung 
retten zu können. 

Johannes z. B., der im 2. Akt unser höchstes Interesse gewonnen 
hatte, erscheint in den folgenden als ein Schwächling und Als ein 



Betrüger. Wie steht er im 4. Akte seiner Mutter gegenüber ? Ist dies 
derselbe Charakter , der früher , als es sich um die Rettung seiner 
Braut ans den Händen eines gemeinen Wüstlings handelte, mit einem 
heroischen Entschluss Alles opferte um die Mutter zu erhalten, 
er, der jetzt einer betrügerischen, ihm noch dazu .von Andern aufge- 
drungenen Rolle zu Gefallen die heiligsten Rechte der Natur mit 
Füssen tritt und die Mutter verleugnet? 

Zu solchen Verzerrungen der Charactere führte der Abfall von 
den Gesetzen des reinen Dramas und hier haben wir den sprech- 
endsten Beweis, wie der beste, wahrhaft dramatische, allen An- 
forderungen der Gegenwart entsprechende Stoff durch mangelhafte 
Bearbeitung, sei dieselbe eine Folge der Unfähigkeit (wie im Teil) 
oder eine Folge fremdartiger Bestrebungen, verdorben werden kann. 

Dass es aber dessenungeachtet noch weit mehr an dem Ver- 
ständniss dessen fehlt, was der Geist der Zeit in Betreff der Stoff- 
wahl für Opern bedingt, als an der Fähigkeit oder dem guten 
Willen, denselben nach den dramatischen Gesetzen zu gestalten, das 
zeigen die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiet der Oper in 
Deutschland am Besten. 



DAS LIED, 
seine poetische und musikalische Compositlon. 



(Fortsetzung). 



L 

Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz. 

1. F e 1 d 1 i e d e r , d. h. solche Lieder , die beim Gange durchs 
Feld im Freien gesungen werden. Sie sind gewöhnlich romantischen 
und elegischen Inhalts, haben grösstentheils eine bedeutende Länge, 
und werden besonders von den Hirten und Hirtinnen auf dem Felde, 
sowie von den aus der Schenke heimziehenden Burschen gesungen. 
Ihrem Inhalte und ihrer Form nach könnte man sie füglich „Roman- 
zen und Elegien" nennen (I, 24). Sie machen die Hälfte der ganzen 
Sammlung aus. Ihr Inhalt erinnert sehr oft an deutsche Züge, mit- 
unter sind Lied und Melodie geradezu von hier entlehnt und leise 
umgeändert; natürlich nur recht schöne deutsche Gesänge. Die letz- 
teren zeichnen sich aber durchweg vor den wendischen aus durch 
breitere Strophen und demgemäss auch durch eine längere, vollere 
Melodie. Die Liedstrophen sind im Wendischen meist sehr klein; die 
poetische Fähigkeit der Wenden ist in dieser Beziehung eine sehr 
geringe, denn auch wo die Strophe sich zu erweitern strebt , wo sie 
über den Band von je zwei Zeilen hinausgeht, bringt sie es gewöhn- 
lich nur zu blossen, rhytmisch gegliederten Wiederholungen. Am 
häufigsten so : 

Die Serben ziehn gegen die Deutschen ins Feld, 
Verstehen kein einziges Wörtlein Deutsch, 
Verstehen kein einziges Wörtlein Deulsch. 

(Nr. 4.) 
Im Walde beugt sich ein Tännelein, 
Im Walde beugt sich ein Tännelein, 
Herunter fiel ein Mägdelein. 

(Nr. 29.) 
Guten Abend, Mütterlein! 
Wo ist euer Töchterlein? 
Trudlajdu, talala, 
Wo ist eurer Töchterlein? 

(Nr. 6. Das deutsche „Frau 
Wirthin , habt ihr gut Bier 
und Wein," auch die Grund- 
züge der Melodie.) 
Hinter unserm Backofen spielen die Mücken, 
Spielen die Mücken, 
Thun sich die rothgrünen Röckelein flicken. 

(Nr. 61.) 
Herrin hat ein goldnes Ringlein, 
Herrin hat ein goldnes Ringlein, 
Ho he! 
Uoldnes Ringlein. (Nr. 59.) 



— 147 



Aber auch reine drei- und vierzeilige Strophen sind nicht selten. 

Der Barsche möchte gerne frein, 

Schwatzt Jeder was vom Nehmen ein, 

Doch keine will sein Liebchen sein. 

(Nr. 60.) 

Der Fuchs begegnet einem Frosch, welcher Briefe trägt: 
„Bin aus Ottendorf gesendet 
Mit geschrieb'nen Briefen hier: 
Ach, wer ist so hochgelehret. 
Dass er liest die Briefe mir?" 
Fuchs der las die Brief und schaute 
Immer auf den Buntrock aus, 
Zeigt die Zeilen mit dem Finger, 

Schnappt den Buntrock weg zum Schmaus. 

(Nr. 88.) 

Eine liebliche rhytmische Dehnung der vierten Zeilen zu dreien , so 

dass eine Strophe von sechs Zeilen herauskommt, findet sich z. B. 

Nr. 80 und 81, von denen der Anfang des ersten auch noch eine gute 

Moral enthält: 

Wer hoch und angesehn will sein, 

Der muss sich lassen conterfein, 

Schön weiss und roth fürs liebe Geld, 

Wie's Mode ist, 

Wic's Mode, Mode ist, 

Wie's Mod' ist in der Welt. 
Diese Bemerkung über die Strophen bezieht sich nicht bloss auf die 
„Feldliedcr," sondern auf die ganze Sammlung ; einzelne Abweichun- 
gen merken wir unten an. Der End-Reim findet sich so häufig 
nicht, als es nach den obigen Bruchstücken den Anschein haben 
könnte; und er ist überhaupt hier weniger ein durchdringendes Prin- 
cip, als in der deutschen Poesie. Auch vom Stabreim (von der 
Alliteration) findet sich nichts Bemerkenswerthes. 
Unter den Feldliedern heben wir Einige hervor. 

Nr. 18. Ungethcilte Liebe. 
Andante. 

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1. Zwei weis-se Füs-se Täubdien hat, zweiweis-se Füs-se 

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Täubchcn hat, dcrBursch zwei schöne Lieb -eben hat. 

2. Und wenn er mit der einen sprach, :,: 
Die andre seufzte Weh und Ach. 

3. ,0 seufze nicht, mein Mägdelein, :,: 
Du sollst ja auch mein Liebchen sein/ 

4. „Mit solcher Liebe lass mich sein, :, : 
Ich will dich haben ganz allein/' 

5. Da nahmen sie sich bei der Hand, :,: 
Und fährten sich am Wiesenrand. 

6. Und mitten auf dem Wicscnplan, :,: 
Da trafen sie zwei Schlösser an. 

7. ,Nun will ich, Mägdlein, dass du sagst, :, : 
In welchem du wohl wohnen magst/ 

8. „Wo du willst, Liebster, mag es sein, :,: 
Hab ich nur dich, nur dich allein." 

Diese kleine, gesangreiche Melodie scheint sehr beliebt zu sein ; Nr. 

139 findet sich dieselbe in nur geringer Variation bei einem ähnlichen 

Licde, was den Herausgebern entgangen scheint, da sie es unbemerkt 

gelassen. 

Eine wildlustige Tanzweise finden wir z. B. 

Nr. 19. 
Vivace. 




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1. Ku-kiz ist ein klei-ner Ort, Ku-kiz ist ein kleiner Ort, 

2. Starb der gros-se Her-re dort, Starb der grosse Her-re dort, 



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ha! starb der gros-se Her-re dort, 
wird der Schäfer Herr im Ort. 

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Dergleichen Melodien sind hier in grosser Menge vorhanden ; sie 
sind aber durchweg ohne gel st* gen Ausdruck , oder doch ohne den 
rechten ; ihre Tonart ist modo laseivo, nämlich die jonische oder Dar. 
tonart. Dazwischen sind andere um so lieblicher. So unter andern 
zwei Liedchen nach derselben Melodie: 

Nr. 103. 
Andante. 




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1 .Dort auf Sprembergs grünen Höhn, ja, ist ein Bir-nenbaum zu sehn. 

2. Hat ge - blüht im Son-nenschein,ja, hat ge * reift im Mondenschein. 

3. Kam da -her ein lei -ser Wind,ja, Hirnlein fie-len ab geschwind. 
3. Bursche las die Bir-nen ein, ja, trug sie hin zum Mäg-de- lein. 
5. An ihr hel-les Fenster -lein, ja, in ihr wcis-ses,Bet-te- lein. 

Nr. 104. 

1. Halte an mein Schiifersmann , will besteigen deinen Kahn. 

2. Wirst mich wiegen, wiegen fein, ruhig werd' ich schlafen ein. 
Man bemerke hier die rein Aeolische Melodie mit der Septime 

g (statt gis). Dieselbe Erscheinung bietet sich uns wiederholt dar; 
Nr. 106 haben wir sie ebenfalls , wo die Melodie zuletzt in der Do- 
rischen Tonart ausklingt. 

Nr. 106. 
Andante. _ 

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1. E - ber - c-sche beug-te sich und er-schlug den Liebsten mir, o 



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Weh! und er-schlug den Lieb - sten mir. 



2. Gott — o Leid, wo nehm ich doch 
Einen andern Liebsten her, 
Oh weh! 

Einen andern Liebsten her? 

3. Einen andern hab ich schon; 
Aber er ist mir nicht treu, 

O weh! 

Aber er ist mir nicht treu! 



4. Komm' ich in die Schenke hin, 
In die Schenke hin zu Bier, 
O weh! 

Tanzt mit einer andern er 

5. Allen andern schenket er, 
Und ich muss von ferne stehn 
O weh! 

Dazu seufzen tief und schwer. 



Sodann finden sich einige Melodien, denen nach unsern Begriffen 
ganz und gar eine feste Tonart mangelt, z. B. Nr. 117 und 120. 
Nach beiden werden, ein Zeichen ihrer Volksgemässheit, mehrere 
Lieder abgesungen. Die crslere ist S. 139 also aufgezeichnet: 
Moderato. 



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Was hab ich doch Neu-es er - fah • ren jetzt, mein Liebster der 



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will von mir fort. 

Sieben Takte, Anfang in D, Ende in E — ist doch wirklich bunt 
genug! Und doch is£Nr. 120 anscheinend noch gesetzloser: 
Andante. 



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1. Dort hin-tern Scheu-ncn auf 
2 Wer hat ihn aus - gc - tre 
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der Flur ist ein schma- 
ten doch? Mäd-chcns Lieb- 



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ler schma - - 1er Steg, bis an die Knice ist 

ster ganz al - - - lein, wenn er zum Ko - sen Ab- 



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er tief, ein - en Fuss nur ist er breit, 

ends ging, Mor-gens früh vom Ko - sen kam. 

Gerade diese Melodien werden die ältesten sein , dies darf man 
im Allgemeinen fest voraussetzen. Die Geschichte , die Entwicklung 
der Tonarten führt zu diesem Ergebniss. Dasselbe ist auch schon 
durch den negativen Beweis , dass sich nirgends in der neuern 'Mu- 
sik, sondern nur am Anfange derselben eine Möglichkeit zu solcher 
Melodicbildung darbietet, festgestellt. Zufällig las st sich bei Nr 120 
aus einem kleinen Worte (siehe S. 368) das hohe Alter des Liedes 
erweisen. 



«8 — 



Eine ähnliche Melodie , die Mancher auch unbedingt als tonar- 
tenlos bezeichnen würde, lässt sich mit Hülfe einiger Gelehrsamkeit 
doch ganz gut unterbringen. Nämlich : 
n Largo. Nr. 112. 



1. Wenn sich der Frühling wie 

2. Wenn dann die Bäume in 

3. Dann werd' ich schöne Kran 



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der näh - crn wird, wenn 
der Bio - the stchn, wenn 
ze win - den mir, dann 



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sich der Frühling wie - der 
dann die Bäume in der 
werd ich schöne Kran - • ze 



näh - ern wird, undFeld und Wiesen 
Blü - the stehn, der Gar-ten sich mit 
win • den mir, ja mir zwei Kränze 



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grü - nen wird. 

Ro - sen schmückt. 

win -den hier. u. s. w. 

Sieht mir in dorischer Tonart , nur bewegt sich die Hälfte in dem 

nahe verwandten Mixolydischen (in G, eine Quarte aufwärts), hier 

ist also nichts Gesetzloses. Aber alt ist diese Melodie, wenn irgend 

eine , gewiss auch : und ich kann mir denken , dass sie bei rechtem 

Vortrage auch von eigentümlicher Schönheit sein wird, 

(Fortsetzung folgt) 



-$••*>- 



CORRESFONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

Mehr noch als in den vorhergehenden Monaten beschränkt sich 
jetzt jeder musikalische Bericht von hier auf das was auf der Buhne 
erscheint. Jede Concertmusik ist verstummt , d. h. im Concertsaal 
und vor dem für ernstere Genüsse empfänglicheren Publikum. Denn 
allerdings ist die Zahl der Orchester, welche in den Wirthshäusern 
und in Gärten spielen, überaus gross. Schon -früher erwähnte ich 
die Namen Berens , Herzog , Fürstenow und andere, die mit ihren 
zum Theil zahlreichen Gesellschaften hauptsächlich Tänze, aber auch 
sehr viele Ouvertüren , ja Sinfoniecn bisweilen trefflich ausführen. 
Diese täglich wiederholten Hebungen haben eine grosse Menge gar 
tüchtig routinirter Spieler erzogen , so dass eine kundige Hand hier 
ein ganz vortreffliches Orchester von 40 Violinen und dem übrigen 
entsprechenden zusammensetzen könnte, dem dann nur die höhere 
geistige Führung nöthig wäre, um ernstere und tiefere Sachen zu 
erfassen. Hörncr, Trompeten, Posannen und alle Holzblasinstrumente 
sind gleichfalls trefflich. Einen grossen Ziifluss von Fremden zieht 
schon seit lange der Apollosaal an sich. Der im Anfang des Jahr- 
hunderts erbaute Concertsaal ist mit Recht berühmt wegen seiner 
schönen Resonanz , wenn er sich auch nicht mit den Lokalen in 
Berlin, München, Leipzig und andern messen kann. Er ist in diesem 
Augenblick durch die strebsamen Besitzer weiter ausgebaut, indem 
grosse Nebensäle hinzugefügt sind, wobei ein in der Mitte der 3 
Säle aufgestelltes Orchester für alle Räume ausreichen soll. Ob 
die Akustik dabei nicht verloren gegangen ist, wird sich erst zeigen 
müssen? wenn dies der Fall wäre, so würden wir es höchlich zu 
beklagen haben, da wir in ganz Hamburg keinen andern guttönend en 
Concertsaal besitzen. Indem ich aber die in Wirthshäusern und 
Gärten spielenden Orchester erwähnte , konnte ich allerdings das 
Interesse Ihrer Leser dafür nicht weiter in Anspruch nehmen. Ver- 
möge der Lokalverhältnissc hält sich, was die Damen betrifft, das 
ganze gebildetere Publikum von diesen Produclionen fern , da jede 
irgend wohlhabende Familie ihre eigene Gartenwohnung im Sommer 
bezieht, von der sie sich nur ungern und selten entfernt. Ausserdem 
ist das Programm dieser Leistungen zu sehr auf die Tanzmusik be- 
schränkt um eine bedeutendere Würdigung beanspruchen zu können. 
Und so ist es denn immer wieder die Oper , welche allein die ge- 
wählteren Hörer aller Stände vereinigt und auf Sinn und Geschmack 
der Geniessenden einen unberechenbaren Einfluss ausübt, Wenn 
nun auch bei uns Meyerbeer, Halevy, Verdi, Auber u. s. w« die 
Hauptgötter sind, so wiederhole ich doch das früher Gesagte mit 



Freude, dass nähmlich Mozart (mit Don Juan, Figaro, Zauberflöte) 
Beethoven (Fidelio) Weber (leider nicht mit Euryanthe) und andere 
deutsche Meister nicht selten zur Ausführung kommen. Im Ganzen aber 
ruinirt die Anstrengung des zu häufigen Auftretens in so grossen 
Werken Sänger und Orchester und selbst die Hörer werden gegen 
das Beste abgestumpft. Die grosse Oper beitet eine so gewaltig 
gesteigerte Vereinigung einzelner schon an sich ergreifender Künste 
und der Eindruck auf die Genicsscnden ist so anspannend, dass 
meiner innersten Ueberzeugung nach die Beschränkung auf höchstens 
zwei wöchentliche Opernabende die Leistungen der Darsteller ver- 
edeln und das Vergnügen des Publikums erhöhen würde. Wenn 
die Direction auch nur für 4 Wochen einmal den Versuch wagen 
wollte, ich bin überzeugt die Zufriedenheit würde allgemein sein. — 

(Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 



Königsberg« Sobolewsky, welcher bekanntlich sein Amt 
als Theatercapellmeister niedergelegt hat, ist jetzt alleiniger Dirigent 
der musikalischen Akademie. Die Oper ist mit grösstentheils neuer 
Besetzung in ihre Heimath zurückgekehrt. 

Wien« Der Bassist Dalle Aste hat Fiasko gemacht. Frl Bury 
wird erwartet. 

Berlin. Aubers Stumme hat bei ihrer neuen Zusammen- 
setzung abermals ihre alte Anziehungskraft bewiesen und wird 
wohl künftig auf dem Repertoire bleiben. Die Sommerbühnen machen 
in diesem Jahre glänzende Geschäfte. 

Frankfurt. Neu engagirt sind die Herrn Auerbach und Bau- 
mann, Ersterer als Heldentenor, Letzterer als Spiel tenor. Der Er- 
stere ist im Besitz einer frischen metallreichen Stimme, die aller- 
dings noch grosser Ausbildung bedarf; leider aber ist er seiner 
Persönlichkeit halber nicht zum Heldentenor geeignet. Der Letztere 
gefällt sehr. 

* CÖIn» Als Primadonna der neuen Oper wird Frau Behrendt- 
Brandt genannt, jedenfalls eine glückliche Acquisition. 

Berlin. Auf der hiesigen Opernbühne trat kürzlich ein neuer 
Tenorist, Herr Niemann, als Sever auf, welcher durch seine frische 
klangvolle Stimme grosse Hoffnungen erregt. 

Von den 31 Sinfonien, die in Folge des Brüsseler Preis-Aus- 
schreibens eingereicht worden sind, ist das Werk eines Deutschen, 
Herrn Hugo Ulrich in Berlin, als das beste anerkannt und mit dem 
Preise von 1500 Francs gekrönt worden. Dasselbe wird am 24. 
Sept. aufgeführt werden. 

Wien. Frl. Johanna Wagner sollte am 5. September zum 
ersten Male auftreten und zwar als Fides im Propheten. — Von 
Auber wird zur Aufführung kommen Maurer und Schlosser, das 
eherne Pferd und Marco Spada. Seine Krondiamanten wurden in 
den letzten Tagen gegeben. 

Prag. Frau Nottes hat als Fidelio am 28. und 30. Furore 
gemacht. 

Paris* Die Wiedereröffnung der grossen Oper ist immer 
noch unbestimmt. Das Repertoire derselben wird seine Huge- 
notten, das neue altrömische Ballet, eine Uebersetzung von Doni- 
zettis Bettly , das eherne Pferd von Auber , ein neues Ballet von 
Rosoti, eine Oper in 2 Akten von Limnander und ein grosses Werk 
in" 5 Akten : La None sanglante , Text von Scribe , Musik von 
Gounod. Die neue Oper von Halevy, Le Nabob, sollte am 27. 
August in Scene gehen. Im Theater des Varietes macht seit einiger 
Zeit Mad. Ugalde, bisher der Liebling des Publikum's der Ope*ra 
Comique, welche vor Kurzem ihren Contrakt auf schlaue Weise zu 
lösen gewusst hat, Furore. Der Direktor sieht sich plötzlich auf dem 
Wege reich zu werden. Durch die Demission Corti sind viele 
italienische Sänger die er bereits engagirt hatte, ohne Winter-En- 
gagement. Die France musicale empfiehlt lusttragenden Impressariis 
für die Armen zu sorgen. Ob eine italienische Oper für nächsten 
Winter zu Stande kommt , ist noch ungewiss. Bewerber und Pro- 
jekte zur Ausbeutung sind allerdings vorhanden. 

Verantwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER n. WALLAU In Mainz. 



2. Jahrgang. 



ur*. 38. 



19. Sept. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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REDACTM UND VERLAG 



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Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. VII. — Literarische» — Correap. (Hamburg. Dresden.) — Nachrichten. 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



VII. 

Was in Deutschland in den letzten Jahren für die Oper ge- 
schaffen worden ist, bewegt sich entweder in dem gewohnten Gleise 
oder verzichtet vollständig darauf, nach künstlerischen Gesetzen be- 
urtheilt zu werden. In jedem Falle wird das Geständniss abgelegt, 
dass man sich ebenso unfähig fühle , den Meistern der dramatischen 
Musik nachzueifern, wie die gesteigerten Ansprüche der Gegen- 
wart an die Oper als ein musikalisches Drama nur einigermassen 
befriedigen zu können. Statt um die Anerkennung der wahren 
Kunstfreunde zu werben, buhlt man um den Beifall der leicht zufrieden- 
gestellten Monge, die ihre Werke mit demselben Auge ansieht und 
mit demselben Ohre anhört, mit welchem sie morgen eine Pro- 
duktion der Kunstreiter oder die Parademusik beurtheilt. 

Nur Einer hat es versucht, die deutsche Bühne, die seit einem 
Dezennium verwaist dasteht, mit Werken zu bereichern, die sich dem 
Besten an die Seite stellen könnten , was wir besitzen und die zu- 
gleich den Forderungen der Zeit an die Oper ihr Recht werden 
Hessen. 

Mit seltenem Talente begabt, mit Ernst und Liebe sich seiner 
Aufgabe hingebend , hat dieser Eine — Richard Wagner — sein 
Ziel vollständig verfehlt, weil er eben so wenig das, was der Oper 
vom künstlerischen Standpunkte aus Nolh thut, als das, was ihrem 
Inhalt nach den Bedürfnissen der heuligen Geistesbildung fehlt, 
erkannte , sondern dort ein falsches , nur in seiner Individualität 
begründetes Princip als die Existenzbedingung der Oper aufstellte, 
hier hinter seiner Zeit, die die mittelalterlichen Tendenzen abzustreifen 
versucht, zurückgeblieben ist und Werke, die vollständig in der ro- 
mantischen Anschauungsweise leben, als den Anforderungen der 
Gegenwart oder gar der Zukunft entsprechend, hinstellen möchte. 

Ein Blick auf die Texte zum Tannhäuser und Lohengrin wird dies 
beweisen. 

Wagner dringt bekanntlich schärfer , als irgend Jemand darauf, 
das Vorgeben: die Oper sei ein musikalisches Drama, endlich wahr zu 
machen. Gleichzeitig will er den Inhalt derselben veredeln und statt 
der bisherigen mehr oder weniger unnatürlichen Stoffe das Rein- 
menschliche zum Vorwurf und zum Inhalt des Dramas gemacht 
wissen. Hat die letzte Forderung einen Sinn , so kann es nichts 
anders heissen, als: der Inhalt des Dramas der Zukunft müsse sich 
über die Anschauungsweise eines Zeitalters erheben, in welchem 
das Reinmenschliche unter cereniöntellen Formen, Dogmen, schwär* 
nierischen Vorstellungen von der Natur, des Irdischen und des 
Ewigen u. s. w. unterdrückt werde. 

Wie bestehen die Wagner'schen Texte bei diesen von ihm selbst 
aufgestellten Forderungen? 

Im Tannhäuser sehen wir eine reichbegabte Natur sich in dem 



Kampfe zwischen rein geistiger Liebe und sinnlicher Gluth ver- 
zehren. Zwei weibliche Wesen, hier die personificirte Göttin der 
Sinnlichkeit, Venus, mit dem ganzen Apparate der Mythologie, dort die 
reine, fromme Unschuld Elisabeth in der religiösen Verklärung des 
Mittelalters, bilden die beiden Pole, welche ihn bald anziehen, bald 
abstossen und seine innere Zerissenheit für uns zur Anschauung 
bringen. Bei dem Sängerkampf auf der Wartburg bricht die Er- 
innerung an die genossenen sinnlichen Freuden , bricht die lang ver- 
haltene sinnliche Gluth in ein stürmisches Loblied auf die Göttin 
der Sinnlichkeit aus. Von der frommen Elisabeth, deren Herz er 
dadurch gebrochen, mit Mühe vor den Schwertern der empörten 
Zeugen seines Geständnisses beschirmt, wallfahrtet er nach Rom zum 
Papst, um dort Vergebung für seine Sünde zu finden. Vergebens. 
Die Absolution wird ihm verweigert und er kehrt verzweiflungs- 
voll zurück, um sich — von Neuem in die Arme der Venus zu werfen, 
als im letzten Augenblick der Name der Elisabeth, von warnender 
Freudesstiinme ausgesprochen, seiner ediern Natur den Sieg verschafft. 

Doch nur um ihn an dem Sarge der Elisabeth, der voüberge- 
tragen wird, todt niederstürzen zu lassen. Dies ist seine Rettung 
aus den Banden des Fleisches.*) 

Der Grundgedanke der Dichtung , der Kampf zwischen der hö- 
hern Natur des Menschen und seinen sinnlichen Trieben, ist ein wahrhaft 
dramatischer, aber durchaus nicht neu. Nicht nur, dass derselbe 
das stete Thema des griechischen Dramas bildet, nicht nur, dass der- 
selbe in den bedeutendsten dramatischen Schöpfungen der Neuzeit 
in andrer Gestalt wiederkehrt — bei Shakespeare, Göthe, Grabbe — 
auch in der Oper ist derselbe schon benutzt worden , denn was 
ist der Inhalt von Don Juan und von Spohrs Faust anders ? 

Doch dies ist Nebensache. 

Aber wo bleibt hier das „Reinmenschliche" welches Wagner selbst 
als Inhalt des musikalischen Dramas fordert ? 

Meint er damit nichts weiter, als dass der dargestellte drama- 
tische Couflikt wirklich in der menschlichen Natur begründet, dass 
er einmal in der Seele eines Menschen vorhanden gewesen, also nur 
nicht ganz und gar erfunden sei, dann ist seine Kritik der bisherigen 
Opernstoffe vollständig aus der Luft gegriffen , denn diese Be- 
dingung erfüllen wohl alle die bisherigen Opernschöpfungen mit 
wenigen Ausnahmen auch. 

Meint er aber damit das von den Vorurthcilen früherer Zeiten, 
von formellen, künstlich erschaffenen Beschränkungen befreite 
„Reinmenschliche" wie es ewig gültig, ewig dauernd ist, dann hat ef 
am ersten gegen sein eigenes Gebot und gegen die Forderungen der 
Gegenwart — von der Zukunft ganz zu schweigen — gesündigt. v . 

Denn der Inhalt des Tannhäuser ist nicht blos ganz und gar in 
das nebelhafte mystische, über- und desshalb unnatürliche Fluidum 
des Mittelalters getaucht, welchem jede gesunde Anschauungsweise 



*) Wagner hat den Schloss des Tannhanser kürzlich dahin abgeändert, dass der Leich- 
nam der Elisabeth nicht »ehr auf die Bohne gebracht wird , sondern f annhluser in den: 
Armen Wolframs , wngtben ven den Pilgern , stirbt. Et lit «im eine rein acenlsche MM 
inderang. "' ■>> 



159 — 



der Gegenwart widerstrebt und zu dessen Verscheuchung alle gei- 
stigen Hebel unserer Zeit in Thätigkeit gesetzt werden, sondern er 
spricht der heutigen Auffassung von dem Röinmenschlichen in uns ^ 
vollständig Hohn. r 

In dem Tannhäuser haben wir das leibhaft« Ebenbild des mittel- 
alterlichen Geistes. 

Wir erblicken darin die rein geistige, allem Sinnlichen fremde 
Liebe in religiöser Weihe , die sinnliche Natur dagegen mit dem 
Fluche der Sunde beladen, als das böse Princip behandelt 

Eine Versöhnung Beider, die doch tief in unserem Wesen be- 
gründet sind, eine Versöhnung, die der Geist der Neuzeit in allen 
Verhältnissen des menschlichen Leben» erstrebt, gibt es nicht. 

Entweder : Die Natur abstreifen , entsagen und — selig werden, 
oder gemessen, was die Erde beschieden und — verdammt sein. 
Das ist die Alternative, die R. Wagner als das Reinmenschliche an- 
zusehen scheint. 

Tannhäuser kann die Sünde, seinen sinnlichen Begierden zu viel 
Herrschaft eingeräumt zu haben, nicht durch Reue, durch innere 
Besserung, durch freie Rückkehr zur Tugend sühnen, wie es unserer 
heutigen Anschauungsweise gemäss einzig und allein geschehen 
könnte. Nein. Wird ihm in Rom vergeben, dann ist er ent sündigt. 
Wenn nicht, dann muss er fortsündigen oder — sterben. Das Letztere 
Ist denn auch sein Loos. 

Die Bearbeitung dieses Stoffes verträgt den Massstab des reinen 
Dramas eben so wenig, als der Inhalt den der heutigen Geistes- 
bildung. Tannhäuser schwankt bis zum Schlüsse hin und her. Wir 
.sehen keinen stetigen Kampf der streitenden Elemente in ihm, kein 
aUmäliges Bezwingen des einen durch das andere, sondern eine 
rein äusserliche Steigerung derselben durch zufällige Begegnungen 
.«nd Launen» Es ist ein reiner Zufall , dass Tannhäuser die Höhle 
4er Venus nicht wieder betritt. Als er sie verliess , rief nicht ein 
Fremder sein edleres Selbst hervor sondern er mit eigner Kraft! 
Das Ganze ist eben kein Drama, wie sehr auch Wagner darauf 
.dringt, sondern die Tann häusersage in dramatisirter Form, 

Dasselbe gilt von seinem Lohengrin , dessen Grundgedanke der 
A&mliche ist, wie im Tannhäuser, nur in viel schwächerer Weise 
ausgedrückt. 

Der Kampf zwischen der edleren Natur des Menschen und 
den unedleren Trieben ist hier in ein Weib verlegt, aber so , dass 
er nicht das geringste Interesse an und für sich haben kann. 

Ob die sehr entschuldbare weibliche Neugierde, den Namen, 
'Stand und Heimath des Geliebten zu wissen, der sie als ihr Kämpfer 
im Gottesurtherl von schwerer Anklage reinigte, vor Schmach und 
Elend rettete, über das bestimmte Verbot ihres Retters, diese Frage 
zu thun, siegen werde oder nicht: davon hängt all ihr Glück ab 
\ind um diese Frage dreht sich das ganze Stück. 

Ein dramatischer Conflikt ist hier gar nicht vorhanden, wenn 
man nicht das Schwanken des Kindes, ob es eine ihm untersagte 
Speise gemessen solle oder nicht, auch einen solchen nennen und 
nöthigenfalls zum Drama ausarbeiten will. 

Wozu all' dieser Aufwand von geistiger Anstrengung, dieses 
Aufbieten alles Talents, aller Mittel, wenn der Inhalt so arm ist, 
Tdasra , wenn die verbotene Frage endlich geschieht und Lohengrin 
"wie das Orchester ein wahrhaftes Todtenantlitz zeigen, Alle, die 
das Textbuch nicht zur Hand haben , oder es auswendig wissen, 
«inander erstaunt ansehen, und fragen, was denn eigentlich auf die 
■Darsteller eine solche Wirkung ausgeübt habe J 

Dazu bewegt sich Lohengrin ebenso ausschliesslich in der mittel- 
alterlichen Anschauungsweise mit ihren kindischen Zaubergeschichten, 
Ihrem Wunderglauben, ihren fantastischen Traumen, wie Tannhäuser. 
Die Bearbeitung zwar ist entschieden besser als die des letzteren, 
innere Einheit, Goneetitration des Interesses, Steigerung der Situa- 
tion» Motivirnng der Entscheidung: Alles ist reiner nach den 
dramatischen Gesetzen behandelt, aber um so mangelhafter erscheint 
der Stoff, an den so viel Mühe verwandt wurde. Ueberwiegt im $ann- 
feaaser das Interresse am Inhalt, so aberwiegt liier 4as Interesse an 
4er Bearbeitung ! In keinem sind also die Forderungen des Dramas, 
die auf Inhalt und Form zugleich gehen, erfüllt. 

Was aber ausserdem beiden fehlt, das ist jene bestimmte Charak- 
terisirung der Personen« welche jsie als wirkliche Menschen von 
«»Sorem »Fleische und unserem Blute erkennen läset. Die Helden 
des Tannhäuser und Lohengrin sind Schattengestalten, Person!* 



ficationen abstracter Begriffe und Ideen, die nicht angeschaut, sondern 
mit dem Verstände zerlegt sein wollen, um ihre Bedeutung zu er- 
fahren. Recht deutlieh verräth sich hier der Gebt des Mittelalters, 
dem jede Persönlichkeit, jede individuelle, selbständige Lebens - 
äusserung ein Gräuel ist Wie anders sprechen uns z. B. die griechi- 
schen Götter und Heroengestalten an , die auch blosse Persontfi- 
cationen sind, aber aus denen in jedem Zuge der Mensch spricht! 

Aus dem Gesagten ergibt sich, wie wir meinen, dass Wagner 
merkwürdigerweise die beiden Hauptbedingungen, welche er für 
die Opern-Reform in Beziehung auf die Texte aufgestellt hat , in 
praxi vollständig negirt. 

Statt reiner Dramen gibt er dramatisirte Sagen , statt der ge- 
läuterten veredelten Stoffe , dem „Reinmenschlichen", führt er uns 
wie die frühern Romantiker, nur vollständiger und treuer mitten 
in den fremden Geist eines hinter uns liegenden Zeitalters und lässt 
uns die Wahl: mit Tannhäuser zu sündigen, oder mit ihm zu 
sterben. Von einem Verständniss des neuen Geistes, der in der 
Menschheit erwacht ist, und der auch von der Kunst seine Aner- 
kennung fordert, ist bei ihm als Künstler keine Rede. Wenn irgend 
Jemand den Namen eines „Neu-Romantikers" verdient, so ist es 
R. Wagner. 



RECEMSIONEN. 



JYeue Ausgabe Mährischer Volkslieder . Moravske 1 , Ndrodni pis ne 
etc. Se braue 1 od (professor) F. S. — Brne, Karla Winikera 
(Brunn, Karl Winiker). (Erstes, zweites und drittes Heft, 
jedes 6 Bogen Lex.-Octav , Notendruck auf Velinp. 

Von diesem Unternehmen liegen uns die drei ersten Hefte vor, 
368 Weder mit ihren Melodien enthaltend, und Referent bringt schon 
jetzt eine vorläufige Besprechung darüber, weil wir es hier mit einem 
Werke zu thun haben, welches aus seltener Befähigung "und aus 
bewundernswürdigem Fleisse hervorgegangen ist. Es wird durch 
diese Arbeit eine grosse Lücke ausgefüllt in der Kette des Wendisch- 
Böhmisch- Slavischen Gesanges, so dass von hieraus auf das Ganze 
überraschendes Licht fällt. 

Vorliegendes Werk, eine zweite, fast um das dreifache ver- 
mehrte Ausgabe, erscheint heftweise, jeden Monat ein Heft und in 
folgenden zehn Abtheilungen: I. geistliche Lieder und Legenden, 
II. historische Lieder, 111. Liebeslicder, IV. Hochzeitslieder, V. Ernte- 
lieder VI. Soldatenlieder, VII. Familienlieder, VIII. Tanzlieder, IX» 
scherzhafte Lieder, X. vermischte Lieder. Die drei ersten Hefte 
enthalten : I. geistliche Lieder (Posvätne, nämlich a, Legen dy 
bis Seite 50, Nr. 1 — 42. ; b, Lyricke bis S. 78, Nr. 43 — 84) 

II. historische Lieder (Dejepravne bis Seite 194, Nr. 85 — 189) 

III. Liebeslieder (Pisne o läscc bis Seite 288, Nr. 190 — 368) 
Die letzten sind mit dem dritten Hefte noch nicht abgeschlossen, 
doch gewährt der Umfang dieser ersten drei Abtheilungen schon einen 
ungefähren Ueberblick über die Reichhaltigkeit des Ganzen. 

Der Herausgeber muss in ausgezeichnetem Maase besitzen, 
was bei solcher Thätigkeit das beste ist: Sinn für die Naturlaute 
Und ein tiefes Gefühl, in welchem sie treu wiederklingeu. Am 
meisten bewährt sich dieses bei den Melodien, denn die Auf- 
zeichnung der Lieder ist schon von Vielen auf verwandten Gebieten 
mit Glück versucht, und verhäitnissmässig leichter. Und hier nun 
scheint mir jede Melodie ein Ehrendenkmal der Treue des Heraus- 
gebers zu sein ; er hat sie gegeben als eine frische Frucht mit aller 
individuellen Färbung. Wem dies zuviel gesagt scheint — man 
liest ja noch immer, ganz treu lasse sich dergleichen nicht auf- 
zeichnen — der trete einmal zu näherer Betrachtung heran. Man 
besehe sich z. B. Nr. 3 (Zwei prächtige und originelle Melodien); 
3 (und die ähnlichen: 18. 44. 224. 300) wegen des Tritonus, 8. 15. 
*8. «7. und 88. »1 die zwei verschiedenen Melodien zu denselben 
Worten, 107 und 129 wegen des IttiytmuS, 116 mit übermässiger 
Secunde, die Folge bei 142 und 143, 188. 202. 206. 215, den Schluss 
t>ei 230, denRhjrtmus bei 231. 269. 280. «11 wegen der Melodie 343 
368. und so weiter — ich fände kein Ende , wollte ieji alles Herk- 
Wütdige aufzdrMfcn. 



151 - 



Man gewahrt bald , dass sich ein festes Gesetz in all diesen 
Eigenthümiichkciten kund gibt, dass dies« wirklich so gesungen 
werden können und gesungen sind: der vollgültigste Beweis für die 
Treue der Aufzeichnung l 

Vielen Liedern sind mehrere Melodien beigefügt. Die Lieder 
sind in verschiedenen Lesarten gegeben in Noten unter dem Text 
Ethnographische und literarische Quellen sind unmittelbar bei jedem 
Liede angegeben. Alles auf. die übersichtlichste Weise und so, 
dass man erst bei genauer Befrachtung die Mühe erwägen kann, 
welche diese unscheinbaren Notizen voraussetzen. In Summa: der 
Herausgeber hat aus dem Vollen gearbeitet. 

Eine deutsche Uebersetzung ist nicht beigegeben, welcher Mangel 
der schnellen Verbreitung dieser schönen Sammlung etwas hinderlich 
sein dürfte. Auch das Zeitmaas, in welchem die Melodien der 
Lieder gesungen werden, hat der Herausgeber nicht bezeichnet (wie 
Haupt und Schmaler bei den Lausilzer Volksliedern), ich vcrniuthe, 
weil unsere Bezeichnungsweise ihm nicht ausreichend oder weil sie ihm 
irreführend erschien. Es wäre verdienstlich , wenn zum Schlüsse 
darüber im Allgemeinen das Nöthige gesagt würde; es kommt in 
Allem zuletzt nur auf das eigenthümlich Nationale an und dieses 
muss endlich nach so gründlicher Erforschung des Einzelnen immer 
in wenigen allgemeinen Zügen erscheinen, und sich darstellen lassen. 
Ich bin nicht näher unterrichtet, ob der geehrte Herausgeber schon 
für die Verdeutschung einiger von diesen Liedern thälig gewesen 
und ob er uns vielleicht über die sprachlichen, sittlichen und sonst 
hierhergehörenden Eigentümlichkeiten der Mähren einige Mitteilungen 
machen wird. Weil solches gewiss von grossem Nutzen sein , und 
ausserordentlich zum Verständnisse dieser Gesänge beitragen würde, 
so erlaube ich mir, ihn hierum zu bitten 

Im Uebrigen möge man diese Anzeige als eine vorläufige be- 
trachten. Auf das Ganze komme ich ausführlicher zurück. Ich habe 
hier zunächst bloss den Zweck, die Aufmeiksamkcit Aller derer, 
welche ein tiefer gehendes Interesse an Tonkunst und Volkspoesie 
hegen, diesem Werke zuzuwenden. Denn "solche verdienstvolle 
grosse Arbeiten, nachdem sie die Mühe des Sammeins hinter sich 
haben, finden noch immer eine nur sehr dürftige Unterstützung, so 
dass die Herausgabe oft mit mehr Mühseligkeiten verknüpft ist, als 
die Vorbereitung. Möge der hier besprochenen sehr sauber und 
sehr geschmackvoll geordneten und ausgestatteten schönen Samm- 
lung ein besseres Geschick zu Thcil werden! 

So viel steht fest: wenn erst alle bedeutenden Gebiete de« 
Volksgcsanges einen so gründlichen Forscher gefunden haben , wie 
jetzt das Mährische: dann ist es uns vcrhällnissmässig sehr leicht 
gemacht, denselben nach allen Seiten hin in seiner wahren Gestalt 
zu erkennen. Man wird aber dann auch vielleicht mit Ueberraschung 
gewahr werden, wie dürftig unsre Kenntnisse und wie einseitig unsre 
Urthcile bisher auf diesem Felde waren. — ihs. 



Handbüchlein für Orgelspieler und solche, die es werden wollen. 
Zunächst für Organisten, Lehrer, Cantoren, Seminaristen und 
Präparanden herausgegeben von J. M An ding, Seminar- 
lehrer. Mit 24 beim Text sich befindenden Abbildungen, nebst 
den nöfhigen Notenbeispielen. Hildburghausen, Verlag der 
Kesselring' sehen Hofbuchhandlung, 1853 Ocfav , 166 Seiten. 
Ein bei nicht grossem Umfange reichhaltiges Werk. 
Betrachten wir das im ersten Theile desselben über die Ein- 
richtung der Orgel Gesagte . so ist das Wissens würdigste über die 
Geschichte der Orgel, über die einzelnen Theile derselben , über die 
Mischung der Orgelstimmen , über das Stimmen und die vorkom- 
menden Fehler nebst deren Abhülfe mit ebensoviel Kürze und Ge- 
drängtheit, als Anschaulichkeit vorgeführt. Es ist dieses nicht so 
leicht, als es Manchem erscheinen möchte und kann nur Einer, der 
wie der Verfasser seinen Gegenstand vollkommen überschaut« hier 
stets das Rechte herausgreifen. Gleiches lässt sich auch über den 
.zweiten Theil sagen , der zuerst allgemeine Regeln für das Orgel- 
spiel (Anschlag , Pedalapplicatur olc.) bringt und dann das Orgel- 
spiel beim Gottesdienst, namentlich die einzelnen Theile desselben: 
das Vorspiel , den Choral , die Begleitung der Liturgie und Kirchen- 
musik und das Nachspiel, betrachtet. Der Behandlung des Vor- 
spiels hätten wir etwas mehr Ausdehnung gewünscht» besonders ein 
tieferes Eingehen auf die verschiedenen Formen desselben. 

Wir können den Organisten, namentlich den Bildungstatten 



derselben , das Werkchen , das durch seine überall hervortrötonde 
Wärme für den Gegenstand , mit der es geschrieben ist , kräftig 
anregen wird, mit gutem Gewissen empfehlen. t 

Dr. V o lckmar. 



-<•••>- 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

(Schluss.) 
Fortwährend erscheint eine grosse Anzahl von Gästen in der Oper, 
So interessant es ist, auch auswärtige und bisweilen berühmte 
Künstler hier zu sehen , so sehr schadet es doch dem Ensemble der 
hier engagirten, ihre Rollen jeden Augenblick an vorübergehende 
Fremde abtreten zu müssen. Frl. Garrigues , Madame Maximilien, 
Herr Eppich und andere machen daher oft längere gezwungene Pausen 1 , 
ohne dass ihnen aus einer ungeregelten Unterbrechung eine wirk- 
liche Erholung erwachsen könne. Im Laufe des Juli hat Frl. 
Babbnig ihre Darstellungen noch fortgesetzt, zum Theil zugleich mit 
dem Tenoristen Herrn Bernhardt, der eine recht beifällige Aufnahme 
gefunden hat. Später ward uns eine eigentümliche Leistung 
geboten in dem Auftreten zweier Brüder Doppler aus Pesth, welche 
mit Concerten für zwei Flöten in sehr brillanter und feuriger Aus- 
führung gerechte Anerkennung fanden , soweit nämlich die Flöte 
als Solo- und Concertinstrument auf Beachtung rechnen darf. Der 
neue Oberregisseur Herr Rottmayer setzte die Vcstalin neu in 
Scene, worin Frl. Garrigues als Julia, Madame Maximilien als Ober- 
priesterin und die Herrn Eppich , Schüttky und Herr Lindemanh 
sich würdig auszeichneten. Herr Schreiber aus Cöln trat an. 
mehreren Abenden als Viotuos auf der Ventiltrompcte auf und er- 
regte Bewunderung über die erworbene Fertigkeit. Dass er aber 
Coloraturarien aus modernen Opern blässt, kann ich nur als traurige 
Geschmacklosigkeit bezeichnen. — Im Beginn des August traten 
Herr Brandes aus München und die früher hier oft gehörte Madame 
Howitz-Steiuau auf. Herr Brandes zeigte schon beim ersten Er- 
scheinen als Prophet schöne kräftige Tenorstimme und erntete, 
trotzdem sein Darstellungsvermögcn nicht gleichen Schritt hält, all- 
gemeinen Beifall. Teil und Tamino waren bei weitem geeigneter, 
die Schönheit seiner Stimme ins glänzendste Licht zu setzen und 
vorzüglich in der Rossinischen Oper hat er unsere verwöhnten 
Ohren sehr erfreulich zur lebendigsten Anerkennung gezwungen. 

Fräulein Betty Engst, vom k. k. Theater in Wien, entwickelte 
eine sehr klangreiche Mezzosopranstimmc, vorzüglich als Fides 
machte sie die Vorzüge des Organs vereint mit sehr feurigem 
charakteristischem Spiele auf das wirksamste dahin geltend , dass 
vielfacher Hervorruf sie auszeichnete. — In der Zaubcrflöle debutirte 
ein Frl. Susanna Göthe in der Rolle der Papagcna. Sie scheint 
wohl nicht geeignet zur Sängerin zu sein, da zum Singen 1. Stimme, 
zweitens Stimme und drittens Stimme und viele andere Dinge ge- 
hören. Nachdom Herr Brandes in der Zauberflöte Abschied genom* 
men halte, wurde am 27. August Göthe's Faust neu in Scene 
gesetzt durch Herrn Rottmayer zur Aufführung gebracht. Die Zwecke 
Ihrer Zeitung veranlassen mich nur über die Musik von Lindpaintrfer 
*u sprechen, welche uns zum ersten Male dabei geboten wurde. 
Soweit ein einmaliges Anhören mir zu urtheilen erlaubt , beseichne 
ich jedenfalls den Charakter der Motive als ganz verfehlt. Um das 
tiefsinnigste Werk eines Göthe musikalisch zu commentiren , dazu 
gehören andre Kräfte, als sie dem in vieler Hinsicht roulinirten und 
formfesten Lindpaintncr gegeben sind. Ja kh habe mit lebhaftem 
Interesse die Ueberzeugung gewonnen, dass der Dilettant Rad- 
zivill auf diesem Felde den gewandten Kapellmeister gänzlich ge- 
schlagen hat, weil ihm das nervum zu Gebot stand, nämlich die 
tiefe Einsicht in die innerste Bedeutung des ernsten Gedichtes. Sa 
hoch der Geist über der leeren Form steht , so weit überragt der 
Forst Radzivill trotz seiner oft wirklich stümperhaften Formen die 
I/sche Musik, die natürlich in dieser äussern Beziehung schulmässig 
richtig i«t. unter andern lässt Lindpaintner die ganze «rste Be- 
schwörung ohne Musikbegleitung, während Radzivill , gerade hie* 



— 152 — 



das Beute bei seiner Leistung bietet, indem er bei den Worten : „Ich 
fühls, Ihr Geister, Ihr schwebt über mir!" den Gisdnraccord pp von 
der Höhe herabtönen lässt. Ein grosser Fehler liegt zugleich darin, 
dass der Componist L. uns nicht allein Musik zu vielen einzelnen 
Scenen liefert, sondern unsre Aufmerksamkeit auch noch für 5 
Zwischenacte in Anspruch nimmt. Das ist wenigstens unpraktisch, 
denn Niemand hört zu. Die Ausführung der Musik war übrigens 
sehr schwankend und verrieth Mangel an sorgfältigen Proben. Ich 
würde mit Vergnügen der Wiederholung dieser Musik die Coro» 
position von Radzivill trotz ihrer Fehler, vorziehen und endlich 
Seyfried's Ouvertüre zum Klingcmann'schen Faust für eine sehr 
Würdige Einleitung halten, da die Mozarl'sche Fuge (bei Radzivill) 
sich seltsam genug ausnimmt. 



AUS DRESDEN. 

Anfang Sept. 

In den seit meinem letzten Berichte verflossenen zehn Wochen 
hat unsere Oper mancherlei physiognoinische Veränderungen er- 
litten, oder, wenn man lieber will erfahren, denn von einem Leiden 
kann da nicht gut die Rede sein , wo eine erhöhtere Thätigkeit, 
ein frischerer Lebenspuls sich fühlbar macht. Es hat während dieser 
Zeit ein Regicwechsel stattgefunden, indem an die Stelle des 
nach Hamburg als Oberregisseur abgegangenen H. Rottmayer 
der bisherige treffliche Chordircctor W. Fischer die Regie unserer 
Oper aufs Neue übernommen , nachdem er schon früher eine lange 
Reihe von Jahren hindurch (bis 1848) diesem Amte vorgestanden. 
■Die übermässige Viclgeschäftigkcit des Abgegangenen, die, obwohl 
von bestem Willen beseelt, doch nicht selten in pedantisch-recht- 
haberische Kleinlichkeit, bisweilen selbst in Geschmacklosigkeit sich 
verlor und — zumal er der wirklichen musikalischen Bildung entbehrte, 
wiederholt zu kleinen Confliktcn führte, die dem ruhigen und einigen 
Gesammtwirkcn nicht förderlich sein konnten und so manche seiner 
guten Intentionen beeinträchtigen mussten : diese Vielgeschäftigkeit 
wird allerdings der Nachfolger nicht bekunden, dagegen legt er bis- 
her eine reelle und erfolgreiche Thätigkeit an den Tag, die in ihrer 
ruhigen und rüstigen Fortentwickeln i»g erfreuliche Resultate ver- 
heisst, da wir an das alle Sprichwort: neue Besen kehren gut, hier 
nicht glauben denken zu dürfen. Innerhalb voriger Woche sind 
drei neueinstudirte Opern, nicht nur angeblich fertig geworden, sondern 
wirklich herausgekommen: Marschner's „Hans Heiling," Lortzing's 
„die beiden Schützen" und Schenks „Dorfbarbier", während Ditters- 
dorfs „rothes Käppchen" Mehuls „Je toller je besser'* und (als 
Novität) O. Nicolais „lustige Weiber von Windsor" in mehr 
oder minder naher Aussicht stehen. Bei dem Mangel an wirklich 
guten und erfolgreichen neuen Werken aus diesem Gebiete ist das 
Zurückgreifen in die Vergangenheit, die Erfrischung des durch 
extravagante moderne Ueberreizung verdorbenen Geschmacks mittelst 
Darbietung einfach gesunder Kost und zugleich eines erheiternden 
Gegensatzes zu dem trübseligen Ernst des Lebens und seinen Ver- 
hältnissen ein glückliches und dankenswertes Unternehmen zumal 
wenn es überdies von verständiger Berücksichtung deutscher Na- 
tionalität, wie hier getragen wird, und der gute Erfolg, die freundliche 
Aufnahme, welche die bisherigen Versuche dieser Art hier unver- 
kennbar in erfreulichster Weise gefunden haben, liefern den unzwei- 
deutigen Beweis, dass unser Publikum noch hinlänglich empfänglich 
für gute und wirkliche Musik, dass man einem reellen Bedürfnisse 
desselben entgegen gekommen ist. 

(Schluss folgt). 



NACHRICHTEN. 



Mainz. Die hiesige Bühne wurde mit Lucia von Lammermoor 
eröffnet Darauf folgte Lucrezia Borgia; die zweite Aufführung be- 
friedigte mehr als die erste. Ein ürtheil über die neue Gesellschaft 
kann erst später gefällt werden. Hoffentlich vergisst der Herr Di- 
rector nicht, dass die deutschen Componisten nicht auf — ini und 
— etli endigen , und dass das Repertoir einer deutschen Bühne vor 
allem ein deutsches sein muss. 



Zur „Erholung" und zum „Amüsement" des Publikums sind die 
leichteren komischen deutschen und französischen Opern, die nicht 
mit falschem Flitterstaate von Gefühlen und Leidenschaften prunken 
wollen, wie jene, da. Wer dem verdorbenen Geschmacke des Pub- 
blikums huldigt, darf sich später nicht darüber beklagen , wenn der- 
selbe ein anderes Object findet und ihn im Stiche lässt 1 

f Braunsohweig. Im verflossenen Monat wurden aufgeführt: 
„Indra" von Flotow , zum ersten Mal. Diese Oper hat, wie wohl 
überall auch hier sehr wenig Theilnahme erregt, trotz des im Ganzen 
lobenswerthen Eifer's, den die Darsteller der Hauptparthien an den 
Tag legten. Ausserdem kamen zur Aufführung „Vestaiin" (neu ein- 
studirt.) Jüdin, Martha (die unvermeidliche), Freischütz, Hugenotten, 
Robert, Favoritin, Lucia und Romeo und Julie. Herr Himmer ist 
auf einige Wochen ▼erreist, trifft jedoch in den nächsten Tagen 
wieder hier ein. Herr Schmezer hat inzwischen Zeit gehabt , seine 
Steckenpferdsparthien Robert, Raoul und Eleazar zu singen; den 
Postillon, der auch zu diesen zählt, singt er heute Abend ! 

Die lebensgefährliche Krankheit des Herrn Kapellmeister Georg 
Müller ist gehoben; derselbe ist gänzlich hergestellt und hat bereits 
seine Wirksamkeit mit der Direction der Vestaiin wieder begonnen« 

Wiens Frl. Bury ist hier eingetroffen und bereits aufgetreten. 
Von hier geht sie nach Pesth. Ein andrer Gast ist F. Pruckner, 
früher in Carlsruhe. Frl. La Grua trifft anfangs November ein und wird 
als Valentine debutiren. Frl. Wagner wird Mitte dieses Monats er- 
wartet und wahrscheinlich als erste Gastrolle in Romeo singen. — 
Am 4. Oct zum Namenstage des Kaisers wird der Sommernachts- 
traum von A. Thomas zum ersten Male in Scene gehen. Herr Beck 
wird in Marco Spada die Titelrolle singen. 

Paris« Die komische Oper von Halevy, Le Naboh, ist zweimal 
unter grossem Beifall in der Opera-Comique aufgeführt worden. 
Die geschlossenen Theater sind bis auf die grosse Oper, deren 
Restaurationsarbeiten nocli nVht beendet sind, wieder eröffnet. (Hier- 
nach ist die in Nr. 35 d. Bl. gegebene Notiz zu berichtigen.) — 
Der Direktor der grossen Oper, Rocquelan, hat mit einer Gesellschaft 
einen Vertrag zur gemeinschaftlichen ^Exploitation" seines Privi- 
legiums abgeschlossen , dasselbe läuft bis Ende 1861. Die Gesell- 
sellschaft hat binnen 6 Wochen eine halbe Millionen Francs in den 
Gesellschafts-Fonds zu zahlen, der auf eine Million fixirt ist. Der 
ganze Vertrag ist bereits gerichtlich confirmirt 

f Ziille. Am 28. August fand in Arras ein grosses Preisgosang- 
fest statt. Man hatte 17 Gesangvereine erwartet , es waren aber 
nur 10 gekommen. Die Concordia von Aachen , welche ebenfalls 
kommen wollte, blieb auch aus. Im Grund war die Abwesenheit 
deutscher Vereine erfreulich. Dass das Preissingen nicht nur der 
Würde der Kunst schadet, sondern dass die wohlthätigen Wirkungen, 
welche die Musik auf die Gesellschaft ausüben könnte, geradezu 
vernichtet werden, hat sich hierbei wieder recht deutlich gezeigt. 
Hass und Eifersucht wird zwischen den verchiedenen Gesellschaften 
und Städten gesäot und die Musik, die Botin des Friedens, wird 
zu eiuer Beförderin der Zwietracht herabgewürdigt. Obschon die 
Jury aus anerkannt tüchtigen unparteiischen Männern gebildet, ein- 
stimmig votirt hatte, waren die Gesellschaften, welche niedrige Preise 
erhalten hatten, doch unzufrieden; und die, welche leer ausgingen, 
kehrten niedergedrückt und muthlos heim. 

Es freut mich, dass diese Unsitte in Deutschland noch nicht 
ausgebreitet ist. Hoffentlich wird man dort nicht nöthig haben den 
Eifer für die Musik durch solche Mittel zu erregen oder zu sti- 
muliren. Am 2 Tage des Festes gab die Philharmonische Gesell- 
schaft ein Concert im Theater. Die Ouvertüre zu dem ewigen 
Juden und zu Marco Spada, Gesänge von Madame La Grua, den 
Herren Morelli und Audron aus Paris , Solovorträge des trefflichen 
Hornisten J. Mohr und des Violinisten Elena bildeten das Programm. 



Bildungsanstalt für künftige Musiklehrer. 

Im Herbst beginnt ein neuer Cnrs in dieser meiner Anstalt 

Wer zu solcher Zeit in dieselbe einzutreten wünscht, habe die 

Güte, sich wegen des Nähern in Bälde an mich zu wenden, üeber 

die erfreuliche Erfolge der Anstalt — glaube ich — Hegen öffentliche 

Zeugnisse, genug vor. 

Stuttgart im September 1853. ^ ^ 

Hofrath Dr. G. Schilling. ^ 

Venntwmiichaf H<U«ktear: J. J. SCBüTT. - Druck »oa aEUTERu. WALUU ta Main». 



2. Jahrgang. 



W*S 99. 



26. Sept. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



T 



Dieae Zeitung erscheint jeden 

MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postamtern, 
Miisik- nnd Buchhandlungen. 



REDACTION MD VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO. 



PREIS: 

fl. 2. 42 oder Tbir. 1. 18 Sgl. 

für den Jahrgang. 

Durch die Post4«Mgen: 

SO kr. oder 15 Sfcr. per eaartal. 



sfc 



Inhalt I Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. Till. — Corretp. (Stuttgart, Dresden. London.) — Nachrichten, 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 

an 

einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



VIII. 

Die Hoffnung, Wagner werde später von seiner Verirrung zu- 
rückkehren und sein Talent in Werken bethätigen, die seinen eigenen 
Forderungen, wie denen der Gegenwart mehr entsprechen als Tann- 
hauser und Lohengrin, mtiss leider aufgegeben werden. 

In diesem Augenblicke arbeitet er bekanntlich an einer Trilogte, 
deren Stoffe v den „Nibelungen" entnommen sind. Vorausge- 
setzt, dass er die schwierige Aufgabe löst, diese Stoffe nach den 
Gesetzen des {reinen Dramas zu gestalten, also nicht blos unser 
grösstes nationales Epos wie die bisher bearbeiteten Sagen zu drama- 
tisiren, -** drangt «ich Me* neben der Frage «ach dem rein- 
menschlichen Inhalt noch die weitere auf: sind dies Stoffe* die für 
ein musikalisches Drama geeignet sind ? 

Wir behaupten ganz entschieden : Nein 1 sie sind weder das eine 
noch das andere. 

Grabbe konnte versuchen, die Herrmannschlacht als 
Stoff für das Drama der Gegenwart zu benutzen, denn Freiheitsliebe 
und Hass gegen fremde Unterdrücker wohnen in der Brust der 
Generationen des 19. Jahrhunderts, wie in dem Herzen unserer 
Vorfahren im Jahre 9 vor Christi Geburt. 

Aber der Geist, der aus den Nibelungen zu uns spricht, ist ein 
fremder j er ist ein Erzeugniss auf der einen Seite des Vorurtheils, 
auf der andern der Sitten und Verhältnisse einer längst überschrit- 
tenen Stufe gesellschaftlicher und nationaler Entwickelung. 

Das „Menschliche" was darin zu finden ist, hat keinen reinen 
sittlichen Gehalt , denn es wird , wie der Hass Chriemhilds gegen 
die Mörder ihres Gemahls und die Vasallentreue Hagens verdunkelt 
durch die furchtbarste dämonenartige Leidenschaft und Blutgier. 
Ueberall aber klingt die M y t h e hindurch. Wie Göthe die Iphigenie 
in Tauris wesentlich umgestalten musste , um den mythologischen 
Stoff dem Geiste seiner Zeit nur einigermassen anzupassen, obne 
doch weiter zu reuissiren, als in der Form-Vollendung, so wird auch 
jeder Dramatiker der Neuzeit an den Stoffen der Nibelungen 
scheitern , selbst wenn er versuchen sollte , sie nach seinen Be- 
dürfnissen zu inodificiren. 

Dass diese Stoffe nationale sind, dass wir mit Stolz auf 
die Nibelungen als ein acht deutsches Epos zurückblicken müssen, 
macht sie nicht fähiger, als Stoff für das Drama der Gegenwart zu 
dienen. Es ist eine traurige Selbsttäuschung, aber es ist nichts 
anders, wenn Wagner meint, durch die Rückkehr zu dem „Nationalen" 
wie er es versteht, der Oper eine höhere Bedeutung für das Volk 
und die Gegenwart geben zu können. Das „Nationale" besteht 
nicht in den verschiedenen Formen, die der Volksgeist nach» und nach 
unter fremder Einwirkung annimmt» sondern in dem Wesen, welches 
stets dasselbe bleibt und nach jeder Abstreifung einer veralteten 
Form nen verjüngt hervorgeht 



Dieses Wesen, rein von jeder Form, die ihm aufgezwungen 
worden ist, aufzuweisen, dies ist nach unserer Ansicht die Auf- 
gabe des heutigen Dramatikers, wenn er nicht blos ein formvoll- 
endetes' Kunstwerk schaffen, sondern ihm eine grössere Bedeutung, 
Einfluss auf die Gegenwart verleihen will. Wagner hält die Form 
für das Nationale und ist, so scheint es, noch nicht zur Erkenntnis» 
des deutschen Volksgeistes gelangt. 

Noch weit weniger aber als für das Drama der Neuzeit, können 
die Nibelungen als Vorwurf für das musikalische Drama dienen. 

Wer den Geist der Nibelungen nicht geradezu verfälschen will, 
wird vergeblich nach einer Quelle lyrischer Ergüsse in ihnen suchen. 
Die Helden der Nibelungen, Chriemhilde eingeschlossen, sind Menschen 
von alle unsere Begriffe übersteigenden Leidenschaften durchtobt, 
harte, eiserne Naturen, die weder Liebe noch Schmerz, sondern nur 
Pflicht und Rache kannten. Wer nicht zu den Todton hinabsteige^ 
und dort ihre Sprache lernen will, wird nur schwache Andeutungen 
. «ihres Wesens geben können. Unsere Tonsprache aber ist für solche 
Charaktere nicht vorhanden I 

Wenn man die Schwierigkeiten erwägt , welche ein solcher 
Stoff der musikalischen Behandlung entgegengesetzt, ja die Unmög- 
lichkeit, ihn für die Oper, wie wir sie verstehen, zu benutzen, so 
fragt man sich : wie kann ein Musiker , wie kann Wagner den- 
selben zum Vorwurfe für seine musikalischen Dramen nehmen ? * 

Das Rälhsel wird gelöst , sobald man Wagners Schriften auf- 
merksam durchgeht und damit seine letzten Schöpfungen, besonders 
den Lohengrin, vergleicht. 

Wagner hat sich ganz eigentümliche Ansichten von dem 
-Wesen der Oper gebildet, die den unscrigen direkt entgegenstehen. 

Er erstrebt zwar auch eine Vereinigung von Poesie und Musik, 
aber in ganz anderer Weise wie wir, und unter ganz andern 
Voraussetzungen. 

Er hat sich nicht zuerst gefragt : gibt es einen Punkt, in Welchem 
Poesie und Musik vollständig miteinander verschmelzen, so dass sie 
in Wahrheit nur eins ausmachen. 

Er hat sich nicht gefragt, unter welchen Bedingungen ist eine 
• so innige Vereinigung dieser beiden Künste möglich, dass sie eine 
neue und höhere Einheit bilden, ohne dass eine, von ihnen ihrem 
ihnerstcu Wesen, ihrer eigentlichen Bedeutung zu entsagen braucht, 
um nun von diesem Punkte aus und nach diesen Bedingungen 
das VerhäUniss der dramatischen Form zu dem musikalischen Ele- 
mente zu bestimmen, wie wir es gethan haben. 

Sondern er argumentirte : Die Basis der Verbindung von Poesie 
■und Musik, welche wir Oper nennen, ist die scenische Darstellung. 
Die edelste Form der Poesie aber» welche diese scenische Darstellung 
bedingt, ist das Drama: also ist das Drama in dieser Verbindung 
das Edelste, das Höchste, und die Musik , als das Untergeordnete, 
hat sich den Eigenthümlichkeiten desselben zu fügen. 

Es kam ihm nicht darauf an , eine neue Kunstgattung zu 
schaffen, welche aus der innern Ver wa ndtschaf t der beiden 
Künste entsprungen, sondern er erstrebte nur die grösstmöglichste 
•Bereicherung, Vervollständigung der einen durch die andre. 

Ob diese Form der Poesie, ob das Drama wirklich auch in 



- 154 



dieser Weise bereichert and vervollständigt werden könne, ob nicht 
vielleicht gerade dessen eigentümliches Wesen dnreh Aufzwingen 
eines fremdartigen Elements geschwächt werde, das kam Wagner 
wie es seheint nicht in den Sinn. Die Lehre von der Vereinigung 
4er Kflnste tu dem „Kunstwerk der Zukunft" war ihm ein unan- 
greifbares Dogma und darauf baute er, unbekümmert um den Wider« 
Spruch derselben gegen eine blos mechanische Verbindung weiter. 

Es springt in die Augen, welche Folgen die consequente Durch* 
fährung dieser Theorie für die Oper haben musste. 

Zuerst war es danach vollkommen gleichgültig, ob lyrische 
Elemente in dem Texte enthalten wären oder nicht, denn das Drama 
als solches bedarf keiner Lyrik 

Zweitens verschwand damit die Gesangmelodie, denn diese ist un- 
zcrlrennlich mit dem lyrischen Elemente verbunden. 

Drittens fielen alle Ensembles weg , denn im reinen Drama ge- 
nügt nicht blos der Dialog , sondern es fordert denselben ausschliess- 
lich. Dass Wagner Chöre anwendet, ist eine Concession an die bis- 
herige Oper, also ein Verstoss gegen seine Theorie. 

Viertens konnte nun von einer wirklichen Vereinigung der Poesie 
mit der Musik, die nur in der Gesang-Melodie, nur in der Liedform 
möglich ist, keine Rede mehr sein. An deren Stelle musste die 
seeundäre Verbindung der Musik mit der Sprache: das Recitativ, 
treten, welches durch die Gesetze der letzteren beherrscht wird. 

Statt die Missbräuche, welche sich in die neue Kunstgattung 
eingeschlichen hatten, zu beseitigen, schüttete Wagner, wie man zu 
sagen pflegt, das Kind mit dem Bade aus. Statt den Gesang, der 
nach und nach der einzige Inhalt der Oper geworden war, in dieser 
Isolirtheit zu verderben anfing, und zum bloss sinnlichen Reizmittel 
herabsank, in seiner Reinheit wiederherzustellen, ihm seine rechte 
Bedeutung für die Oper wiederzugeben, vernichtete Wagner denselben 
and setzte an seine Stelle ein Surrogat, das allerdings nicht so leicht 
entarten kann, weil es von vornherein an eine bestimmte Regel ge- 
fesselt ist, aber eben desshalb auch nie sich zu einer solchen Höhe hinauf- 
schwingen kann wie jener. Wo der Ton am Worte klebt , ist kein 
Raum für den musikalischen Genius. Derselbe verlangt Freiheit 1 

Allerdings zeichnen sich Wagners Texte durch geistige Auf- 
fassung, edle Gesinnung, grossere Beachtung der. dramatischen Ge- 
setze vor vielen anderen aus, allerdings hat er es durch eifrige 
Studien in der Behandlung des Recitativs, welches für ihn bei der 
Verwerfung aller Gesang-Melodie natürlich die Hauptsache war, zu 
einer seltenen Vollendung gebracht, — die grosse Scene im III. Acte 
des Lohengrin ist von Anfang bis zu Ende ein Meisterstück, welchem 
wir in seiner Art nichts an die Seite zu stellen wüssten — aber 
fiberall treten die Folgen der falschen Stellung , in welche das 
Drama wie das Recitativ, durch das hartnäckige Anklammern 
Wagners an seine Vorstellung von dem Wesen der Oper, gekommen 
sind, hervor. 

Das reine Drama wird sowohl durch den Zwang, den die Rück- 
sicht auf die, wenn auch noch so äusserliehe, Verbindung mit der 
Musik ausübt, als durch das, Wagnern besonders eigentümliche, Be- 
streben, den historischen Hintergrund so treu und breit als möglich 
zu zeichnen, verdorben. Das Letztere mag in einer Ahnung dessen, 
was dem Inhalt der heutigen Oper fehlt, seinen Grund haben. Wie 
Wagner diesen Gedanken ausführt, erscheint er als eine vollkommen 
ungerechtfertigte Vermischung des Epischen und Dramatischen und 
beweist aufs Neue , wie wenig Wagner das Wesen des reinen Dra- 
mas erkannt hat. 

Am Nachteiligsten aber wirkt diese Breite auf die musikalische 
Behandlung. Ist schon der Gedanke an und für sich dem musika- 
lischen Ausdruck unzugänglich, so führt der Zwang, unbedeutend 
nur zur Orient irung des Publikums und zur Erklärung der Situation 
dienende Episoden und Reden mit der Last des Tons zu beschweren, 
der ihnen eben so unnöthig als fremdartig ist, zu inhaltlosen Reci- 
tativen von höchst ermüdender Länge und Dauer, die geradezu lästig 
and langweilig werden. Wir brauchen nur an die Reden des Kaisers 
Heinrich, die Heroldsrufe und dgl. in Lohengrin ae erinnern, um das 
Gesagte zu belegen. 

Es m«s8 dem Musiker in Wagner einen harten Kampf gekostet haben, 
sich diesen Consequenzen, die seine künstlerische Freiheit tödteten, so 
«nterwerfen und wenn sich jemals ein Satz mit bitterer Ironie gegen 
den Auter selbst gekehrt hat, so ist es Wagners Ausspruch über 
■4aa Verhiltniss des Freischütz-Dickters zu Weber (in Oper and Drama): 



„Weber knechtete sich den Dichter mit dogmatischer Grausamkeit und 
zwang ihn den Scheiterhaufen selbst aufzurichten, auf dem der Un- 
glückliche sich zu Asche verbrennen sollte* 4 Wahrlich, grausamer 
konnte Weber seinen Textdichter nicht knechten, als Wagner, der 
Theoritiker, Wagnern den Musiker. 

Aber er hat sich unterworfen. Jedes neue Werk Wagners bis 
zum Lohengrin beweist dies und die angekündigte Trilogie aus den 
Nibelungen, die wir vorher als unausführbar im Sinne der Oper 
erkannten, erscheint uns nun als die consequenteste Durchführung 
seiner Theorie, denn dabei kann er auch nicht in die mindeste Ver- 
suchung kommen, lyrische Elemente einzuflechten, der Melodie auch 
nur den geringsten Spielraum zu erstatten, und so seiner eigenen 
Theorie untreu zu werden, wie dies in Tanuhäuser und Lohengrin 
oft der Fall ist. 

Nicht minder klar aber ist es , dass Wagner damit Allem was 
Oper heisst, vollständig den Rücken gekehrt hat, und dass seiue Be- 
strebungen, seine Arbeiten, so grosses Interesse dieselben in anderer 
Beziehung haben mögen , auf die Opern-Reform , d. h. auf die Ver- 
edelung, Läuterung und Vervollkommnung dieser Kunstgattung, ohne 
allen und jeden Einfluss bleiben müssen. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS STUTTGART. 

Aaftnv Sept. 

Es ist sohon gar lange, seit die letzten Nachrichten aus Stutt- 
gart in dieser Zeitung mitgetheilt wurden, und die Leser dürften au( 
die Meinung gekommen sein, dass es bei uns recht still in der Mu- 
sik aussehe. Dem ist aber nicht so. Von Ereignissen allerdings 
laast sich nicht viel berichten , wer aber die Riesenkoncerte unserer 
Militär-Musikchöre mit obligatem Gesang und Getrommel hört, oder 
auch nur angekündigt sieht, der wird sich von seiner Meinung be- 
kehren. 

Um nun mit der Schilderung unserer Musikzustande aufs Lau- 
fende zu kommen, ist es wohl passend, einen Rückblick auf des ver- 
flossenen Winter zu werfen, und da fangen wir billig mit der Oper 
an. Am Hoftheater wird häufig italienische oder französische Musik 
besser gepflegt als deutsche. Das Zahlen verhäl tniss unserer letzten 
Saison räumt aber der deutschen Musik den Vorrang ein : wir hörten 
84 deutsche Opern 26 italienische und 31 französische. Wenn wir 
freilich die 84 deutsche Opern genauer betrachten , so findet sich 
Meyerbeer 10 mal und Flotow 8 mal. Unter den Franzosen und 
Italienern leuchteten uns die bekannten Sterne Auber 10 und Bellini 
9 mal am Theaterhimmel. Drei Opern kamen zum erstenmal zur 
Aufführung: Aubers „Krondiamanten" Grisars „Gute Nacht Herr 
Pantalon," Verdis „Rigoletto." Sie wurden alle drei mit massigem 
Beifall aufgenommen. — • An Gästen hatten wir Madame Marlow, 
die sogleich engagirt wurde, uns aber jetzt wieder verlassen hat, 
dann Frl. Kathinka Heinefettcr, Grosser, Stork, Frau von Stradiot- 
Bftende, Herr Schüttky und Madame Nimbs. Die Stelle einer Prima- 
donna ist immer noch unbesetzt. Im Frühjahr wurde uns Hofka- 
pellmeister von Lindpaintner auf mehrere Wochen entzogen dureh 
sein Engagement in London , von wo er mit verdientem Ruhm im 
Juni zurückkehrte. 

Die zwölf Abonnements-Coneeite der k. Hofkapelle brachten in 
gelungener Ausführung manches Gute , doch wenig Bedeutendes. 
Das Hervorragendste war unstreitig die vollständige Aufführung von 
Haydn's Jahreszeiten. Die Sinfonien bewegen sich bei diesen Con- 
certen in einem kleinon Kreise, der innerhalb weniger Jahre zu 
häufigen Wiederholungen führt. Neu war uns diesmal Gade's Sin- 
fonie in C Mo». 

Ungerne vermieste man im lotsten Winter die Quartett-Unter- 
Haltungen von 4 Mitgliedern der Hofkapelle, welche sich in vorher- 
gehenden Jahren durch vollendete Ausführung und treffliche Wahl 
verdient gemacht haben. 

Auswärtige Virtuosen müsse» naohgersds wenig Vertrauen in 
den Kunstsinn des Stuttgarter Publikums setzen : Ehre und Rahm 
sind zwar aueh bei uns zu holen, seltener s*er volle Taschen. Wir 
hörten nur einen Geiger und zwei Ctevierspiekr : Vieuxtemps , W, 



— 195 — 



Krüger and Willmers. — Im Oktober brachte der russische General 
Lwoff sein Stabat mater zu Gehör. — Im November gab Dr. Faisst 
ein Concert in der Kirche worin er durch Aufführung eines fÄnf- 
sümmigen Magnificat (a capelia) und eines Psalms von seiner Kom- 
position , sowie durch sein meisterhaftes Orgelspiel die Zuhörer 
erfreute. 

Unter der Direction des ebengenannten Dr. Faisst steht der 
„Verein für klassische Kirchenmusik," ein Gesangverein von Dilet- 
tanten, der seinem Namen möglichst Ehre zu machen sticht, und seit 
den 6 Jahren seines Bestehens schon manches Erfreuliche geleistet 
hat. Leider kann er Oratorien und andere grössere Werke nur mit 
Ciavier oder Orgelbegleitung geben , da ihm keine Instumentalkräfte 
zu Gebote stehen; ein Mangel, der auch sonst hier oft gefühlt wird. 
Der Verein brachte im verflossenen Winter „die letzten Dinge'* von 
Spohr und den „Samson" von Händel, dann in einigen Kirchencon- 
certen verschiedene kleinere, berühmte, aber hier wenig gekannte, 
Compositionen zur Aufführung 

Der „Liederkranz," ein Männergesang • Verein , sonst wie die 
schwäbischen Liederkränze überhaupt eine friedliche gemüthliche Ge- 
sellschaft, hat sich plötzlich aufgerafft und ist auch in den Kreis 
der concertgebenden Mächte eingedrungen. Unter Mitwirkung des 
Regisseur Grunert führte er Mendelssohns „Antigone" auf. Es wurde 
präcis einstudirt und gelang; denn es war etwas hier nie Gehörtes, 
und von unerwarteter Wirkung. 

Das jährliche allgemeine Liederfest des schwäbischen Sänger- 
bundes, zu Pfingsten in Hall, gab in musikalischer Beziehung schon 
Zeugniss von der Wichtigkeit eines geregelten Strebens, und von 
dem Wirken einer gemeinschaftlichen Leitung 1 

Wir stehen nun an der Schwelle eines neuen Musikjahrs; was 
es Grosses und Gutes bringen wird , weiss der Himmel. Unser 
Theater ist wieder eröffnet, und hat sich als Erstlingsopcr Mehul's 
Joseph auserkoren. Das herrliche Werk wird jetzt mit einem Auf- 
wände von schönen Dekorationen und Costüms, und in lobenswerther 
Besetzung gegeben. Rauscher ist ein vortrefflicher Joseph, wie über- 
haupt noch immer eine Zierde unserer Bühne. Zwei Sängerinnen 
sind zu Gastrollen hier, Frau v. Marra und Mad. Palm-Spatzcr. Er- 
stere ist jetzt dreimal aufgetreten und gefällt sehr. 

Die Wagner'sche Propaganda, welche auf dem Sande von Carls- 
ruhe ein grosses Turnier vorbereitet, findet bei uns einen schweren 
Boden, der nicht leicht so Fremdartiges annimmt. Freilich gibt es 
auch Krankheiten, die in der Luft liegen. — — 



UM» 



AUS DRESDEN. 

(Schluss.) 

Die gute Inscenirung und Ausführung der in letzter Zeit ge- 
gebenen Opern hat an ihrem Erfolge natürlich auch einen bedeu- 
tenden Anlheil, und man darf dieselbe mit Recht rühmen, atieh 
wenn man sich nicht von den extravaganten Bemühungen einer 
Claque brauchen lässt , die seit einiger Zeit mit bedeutender Unver- 
schämtheit auch bei uns ihr Haupt zu erheben trachtet und mit 
einer naiven Unbefangenheit von Personen gepflegt zu werden scheint, 
von denen man dies am wenigsten erwarten sollte, da man ihnen 
klares Bewusstsein über die Unwürdigkeit und Erbärmlichkeit solcher 
Manöver und über die Herabwürdigung des Instituts, der einzelnen 
betreffenden Künstler und der Kunst selbst, durch derartige freche 
Manipulationen moss zutrauen können ! Freilich, wer die überwiegend 
egoistische Richtung der Zeit, wer das leidige Hinarbeiten auf eine 
so zu sagen materielle Virtuosität und das Verhätscheln der Träger 
dieser einseitigen, in den meisten Fällen gänzlich kunstwidrigen 
und knnstverderblichen Richtung, wer endlich das krampfhafte, ja 
demoralisirende Streben nach exclusiver Geltendmachung der eigenen 
Persönlichkeit um jeden Preis vorurtheilfrei erkennt , dem können 
derartige Wahrnehmungen und Erfahrungen als Resultate einer 
Perversität, wie beklagenswerth immer, doch nicht auffallend und un- 
erwartet erscheinen, am wenigsten auf dem Gebiete in Rede, wo die 
feile oder bornirte liebedienerische und kcnntnisslose sogenannte 
Kritik oft gänzlich unfähiger Scribler, im besten Falle verschanzt 
hinter allgemeine Redensarten , Theetischphrescn und angelernte, 
oder abgehorchte, scheinbar, tiefsinnige, im Grunde nichtssagende 
Floskeln , ihre Götzen , masculini od. feminini generis , constant 



und consequent bis in Mahomets siebenten Himmel su erheben emsig 
bemüht ist, weil sie hofft, dadurch selber mit hineingeschmuggelt 
zu werden, und sonach methodisch den guten Geschmack mit schul- 
meisterlichem Pedantismus oder mit Pikantrie, Verbitterung oder 
schlechten Witzen k la Kasperle, Alles in majorem Deorum et 
Dearum, sui quoque ipsius gloriam zu ruiniren sich abquält. 

Die Anstellung des neuen Oberregisseurs Hess eine Aushülfe 
bei der Chordirection, wenn nicht unumgänglich nöthig, doch zweck- 
massig und billig erscheinen, und der Sohn des neuen Regisseurs 
Hr. W. Fischer jun. bis dahin Chor- und Musikdirector in Casse), 
ward zu der Stelle eines Theatermusikdirectors auf Zeit mit ver- 
hält nissmässig sehr bedeutender Gage, da für die Direction 
der Vaudevilles, Ballets etc. schon längst bei uns Vorsorge mit ganz 
leidlicher peeuniärer Entschädigung getroffen worden, ersehen. Die 
Familienengagements sind mir, wo nicht eine ganz ausserordentliche 
Capacität über das Verhältniss hinaussehen lässt , stets höchst be- 
denklich erschienen und die unbedingt aus ihm selbst wider Willen 
der Beiheiligten, der Natur der Sache nach , resullirendcn , sehr er- 
heblichen Nachtheile , über die man in allen andern Branchen sich 
gar keine lllussion macht, werden gerade beim Theater am aller- 
wenigsten durch die möglicherweise vielleicht dadurch zu erreichenden 
Vortheile aufgewogen. Ich will, um mich vor jedem Missverständ- 
nisse zu verwahren, hier ausdrücklich bemerken, dass bis jetzt im vor- 
liegenden Falle von derartigen Nachtheilen oder Vortheilen, noch 
nichts bemerkbar geworden ist, und dass der neue Musikdirector, dem 
allerdings das seltene Unglück passirte , kurz nach Antritt seiner 
Function in einer vorher probirten (Frl. Wildaner gastirte) Vaudc- 
ville-Intoduction wieder zur Verwunderung des Publikums von vorn 
anfangen zu müssen, da es ihm dem Vernehmen nach durchaus nicht 
gelang, ein Mitglied des Orchesters in den richtigen Tact zu bringen' !) 
dass also der neue Musikdirector mit Fleiss und Thätigkeit seinem 
Amte vorzustehen, wenn ihm auch feinerer Geschmack, tiefere poe- 
tische und künstlerische Auffassung und Durchdringung wie Feuer 
und geistige Energie nicht in höchstem Masse innezuwohnen scheint, 
wie und soweit man aus der von gewöhnlich hausbacknem 
Standpunkte betrachtet recht lobenswerthen Einstudirung und Auf- 
führung der „beiden Schützen" (man sagt, der erbetenen Probeoper) 
schliessen konnte. 

Im Allgemeinen übrigens haben sich seit einiger Zeit manche 
erfreuliche Verbesserungen bei unserer Oper bemerkbar gemacht» 
und das Theaterpublikiim, d. h. zumeist die sehr zahlreich hier an- 
wesenden Fremden , hat dies durch ausserordentlich regen Besuch 
gerade der Opern Vorstellungen vergolten, dabei darf man indess nicht 
vergessen, dass unsere nach mehreren fatiguirenden Urlaubsreisen 
nunmehr frisch eingebürgerte Primadonna, Frl N c y, im Verein mit 
den sonstigen tüchtigen Kräften unserer Bühne, daran einen immerhin 
bedeutenden Antheil hat, und dass auch dem im Ganzen für ein 
stets wechselndes Publikum wohl befriedigenden Opernrepertoire sein 
Theil Attractionskraft ungeschmälert bleiben muss. Wir hörten 
in den verflossenen zehn Wochen ausser den schon oben genannten 
drei neu einstndirten, zum Theil in öflern Wiederholungen : M o z a r t 's 
Titus, Don Juan, Zauberflöte (mit dem sehr unbefriedigenden Debüt 
eines neu engagirlen Bassisten Herr Pcttenkofer von Zürich 
als Sarastro ohne wirklich tiefen Bass - Charakter und ohne jede 
Idee von Schule ,) und Figaro ; W e b e r ' s Obcron und Freischütz 
(seine Euryanthc immer noch nicht :) F I o t o w ' s Martha ; Lortzings 
Czaar, worin Frau S c h u s e 1 k a-B r ü n i n g unsere neu engagirtc 
Soubrette, zwar mit ausserordentlicher Gewandtheit und Keckheit, 
auch anerkennenswerther technischer Gesangsroutine , aber auch mit 
ebensoviel Manier und grisettenhaft herausfordernder Koketterie, 
ohne Grazie, Adel und wahre Naivctät als Marie debülirte; Meycr- 
heer's Prophet, Robert, Hugenotten, Aubcrs Stumme; Boiel- 
d i e u ' s weisse Dame ; Donizctti's Lucia , Lucrezia , Linda, 
(in welcher letzterer Oper Frl. W X I d a u e r von Wien als Gast in 
der Titelrolle vielen Success, namentlich auch als Darstellerin errang, 
was man ebenfalls bei ihrer Susanne im*„Figaro" sagen darf, während 
freilich hier auch die theilweise Unzulänglichkeit ihrer gesanglichen 
Ausbildung und der Mangel an Poesie und wahrhafter Empfindung; 
bemerkbar ward) u. s. w. 

Auch ein Paar interessante Concerte bot der eben au Ende 
gehende Monat. Zunächst (am 15. August) eines zum Besten der 
hier seit 12 Jahren bestehenden Ti e dg est if tun g, von deren 



— im — 



-Dasein und Wirken man leider wenig oder gar nichts erfahrt*) 
für welches der berühmte Adolph Henselt gewonnen war, und 
das jedenfalls noch reichern Ertrag geliefert haben würde, wenn man loa 
4er exclnsiven Idee, Sperrsitze a 2 Thaler einzurichten, abgesehen, 
und wenn nicht Herr Henselt ganz allein (nur Webers sehr bekanntes 
Concertstück trug er mit Accompagnement der k. Kapelle vor) den 
Abend ausgefällt hätte* Die Weber'sche grosse Sonate in D-moli 
•Op 49 in verkehrter Reihenfolge der Sätze vorzutragen, war 
eben auch nicht schön, und eine Reihe Chopinscher, Henseltscher, 
Iaszt'scher etc. Etüden, Fantasien und ähnlicher kleiner Klavierstöcke 
ermüdet auch bei einem so ausgezeichneten trefflichen Vortrage, wie 
ihn Jeder bei diesem berühmten Virtuosen präsnmiren wird. Die 
dazwischen eingeschobene, von Herr Henselt, trefflich executirte Corio- 
lanouverture gemahnte fast wie eine Oase in der Wüste; nichts 
destoweniger hätten wir sie lieber von der Kapelle gehört. Das 
zweite Concert fand vorgestern im Palais des grossen Gartens statt. 
Die Kapelle gab es, wie alle Jahre herkömmlich zum Besten der" 
Armen. Cherubini's schwunghafte Ouvertüre zur Medea, hier von 
der Kapelle noch nicht öffentlich vorgetragen, bildete den würdigen 
Eingang ; Mendelssohn'* bei aller Schönheit zu lange, (heil- 
weis monoton oder wirkungsvoller Steigerung entbehrende Symphonie* 
Cantate (Lobgesang) denSchlass desConcerts. Die grosse, auch von mir 
in diesem Blatte schon öfters erwähnte Suite von J. S. Bach ver- 
fehlte auch diesmal ihres grossartigen Eindrucks nicht (der dritte Satz 
mnsste wiederholt werden) und die grosse Aria der Constanze aus 
Mozart's „Entführung" („Martern aller Arten") von Frl. Ney, wie 
ein entsprechendes Andante für Hörn von Herrn Kammermusikus 
Eisner componirt und vorgetragen, waren ein Paar erfreuliche Zugaben» 



*) Es gebt damit gerade, wie mit dem Stande der Angelegenheit, die hier seit länger 
als zehn Jahren projeetirte Errichtung eines Denkmals für C. M. von Weber 
betreffend. Das Comite lässt nichts Ton sich hören und die Sache scheint unverantwortlicher 
Welse zn schlafen, obwohl anch ein kleiner Fonds dafür vorhanden sein muss, da doch 
s. B. die Bahnen von Berlin und München Dresden und Nürnberg Vorstellungen für jenes 
Zweck gegeben haben. 

AUS LONDON. 

Monat August. 

In diesem Monat wurde Coventgarden geschlossen, und zwar 
auf die gewöhnliche Weise. Sie nahmen Einer nach dem Anderen 
Abschied , erst die Grossen , dann die Kleinen. Seitdem fanden 
noch einige Vorstellungen im Drurylane-Theatre statt, und zwar von den 
Damen Coradori, Zimmermann den Hrn. Fornies und Reichardt. Man gab 
den Freischütz und Lucrezia Borgia. Was diese. Spcculation be- 
deuten sollte, weiss man bis jetzt noch nicht; genug, sie missglückte. 

Und seitdem dies vorüber ist, ruht London aus von den Stra- 
patzen des Sommers und der Saison. Der musikalische Spektakel 
ist am Ende oder auf den reduzirt, den die zurückgebliebenen 
Herrn Klavierlehrer unter sich machen. Sogar die Gartenconcerte 
haben ein Ende und von einer sogenannten „schönen" Welt, dem 
Hauptbestandteile dessen, was man hier Saison nennt, kann man 
höchstens noch einige übrig gebliebene und vergessene Exemplare 
antreffen , die Uebrigen sind ebenfalls — gewesen. Will man hier 
zur schönen Welt gerechnet werden, so muss man um diese Zeit 
nicht mehr existiren , mindestens nicht in London. Es muss Ihnen 
daher erklärlich sein , wenn Ihr Correspondent dieser Welt etwas 
Rechnung trägt, und ebenfalls für einige Zeit zu den Nichtcxi- 
stirenden gehört. Sie selbst, Ihre Leser und der Unterzeichnete, 
Alle werden damit einverstanden sein. „ 

Fatal. 

NACHRICHTEN. 



Bremen. Meyerbeer's „Hugenotten" eröffneten die Saison. 

MUnchen. Joh. Wagner hat ihr Gastspiel begonnen. — Die 
Mitglieder der Hofkapelle geben dem scheidenden Musikdirektor S* 
Lachner (bekanntlich nach Hamburg berufen) ein Abschiedsfest. — 
Mitte Oktober wird das Hoftheater auf einige Zeit geschlossen , da 
das Gebäude restaurirt und mit Gasbeleuchtung versehen werden soll. 



Mannheim. Herr Sontheimer von Stuttgart gastirt hier. 

Cassel. Dem hiesigen Sänger-Verein wurde nach den Signalen 
die Erlaubniss dem durchreisenden Componis|en Marschner ein Stand» 
chen zu bringen, verweigert, 

Wien. Während der Anwesenheit des Kaisers in Olmütz wer- 
den von den Mitgliedern des Hoflheaters : Martha , Stradella , Linda 
■und die Hochzeit des Figaro aufgeführt. Ander ist soweit herge- 
stellt, dass er wahrscheinlich in der ersten Gastvorstellung Johanna 
Wagners (der Prophet) am 22. da. die Titelrolle singen wird. 

Parle. Die Grosse Oper ist endlich nach dreimonatlichen Fe- 
rien wieder eröffnet "worden und zwar wie angekündigt mit den Hu- 
genotten. Dieselben wurden bereits zweimal wiederholt Auf sie 
folgt „der Prophet." — Iu der Opera comique macht die neue ko- 
mische Oper von Halevy wahrhaft Furore. Die Partitur wird als 
eine der besten des Repertoirs der komischen Oper anerkannt. Ueber 
die Italienische Oper ist noch nichts bestimmt. — Das Theatre lyrique 
bringt abwechselnd „Le Roi des Halles" von Adam und „Les Noces de 
< Jeannette" von Masse. — Für die Concert-Saison werden erwartet: 
Vieuxtemps und Servais. Frl. Clauss wird nächsten Winter in Peters- 
burg zubringen. 

Cöln. Als zweiter Gesanglehrer an der hiesigen Musikschule 
ist Herr Rein thaler aus Berlin berufen worden , welcher zwei Jahre 
jn Italien die Gesangskunst studirte. Das Theater wurde mit der 
„Weissen Dame" eröffnet. 

Wiesbaden. Letzten Freitag wurde Auber's Maskenball neu 
einstudirt gegeben. Die Rolle des Königs war in den Händen des 
Herrn Peez von Darmstadt. 

Hannover. Frau Nottes ist mit Gehaltzulage auf weitere 6 
Jahre engagirt worden. Herr Bötticher aus Berlin ist auch wieder 
für kommenden Winter gewonnen. Neu engagirt ist der Tenorist 
Bernard. Frl. Babnigg verlässt die hiesige Bühne im December. 

London. Die sog. „Deutsche Oper", welche mit dem Frei- 
schütz eröffnet wurde , hat darauf Lucrezia Borgia im Urtext folgen 
lassen. Angekündigt wurden: die Nachtwandlerin und eine Wiederho- 
lung der Lucrezia. Die Herrn Formes und Reichardt scheinen etwas 
sonderbare Begriffe von der „Deutschen Oper" zu haben« Während 
bisher die Werke eines Mozart, Beethoven, Weber, Marschner u. s, 
w. für die „Deutsche Oper" gehalten wurden, nehmen jetzt die Hrn. 
Sänger dies Epitheton in Anspruch. Freilich sind auch die Sänger 
die Hauptsache geworden, wenigstens ihre Börse. Wenn sie morgen 
otaheitisch singen sollten , so würden sie mit Vergnügen das ganze 
deutsche, italienische und französische Repertoir über Bord werfen, 
notabene wenn sie besser bezahlt werden, — Die Herren Formes, 
Reichardt und Mad. Caradori werden in Kurzem eine Tour von & 
Monaten durch England machen. Ihr Unternehmer und Garant heisst 
Jarret. — Der italienische Tenorist Tamberlick geht von hier nach 
Petersburg, wo er für die Saison 80,000 frs. bekommt, mit den 
65,000 frs. für die hiesige Saison macht dies 145,000 frs. Ein An- 
• erbieten des Herrn Roquelan, für 145,000 frs. ein Jahr an der Grossen 
Pariser Oper zu singen, hat er ausgeschlagen, weil ihm die italie- 
nischen Sachen weniger Mühe kosten ! •— Wenn wird der Moses 
kommen , der diese Anbeter des goldenen Kalbes von ihrer eingebil- 
deten Höhe herabstürzt? 



Bildungsanstalt für künftige Musiklehrer. 

Im Herbst beginnt ein neuer Curs in dieser meiner Anstalt. 

Wer zu solcher Zeit in dieselbe einzutreten wünscht, habe die 

Güte , sich wegen des Nähern in Bälde an mich zu wenden. Ueber 

die erfreulichen Erfolge der Anstalt — glaube ich — liegen öffentliche 

Zeugnisse genug vor. 

Stuttgart im September 1853. « « i. • i • 

& r Hofrath Dr. G. Schilling, 



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Ein junger, mit guten Schnlkenntnissen versehener Musiker« 
welcher in einem guten Orchester der Posaune und dem Contrabass 
vorstehen kann, findet eine gute, dauernde und angenehme Anstel- 
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VenmtwortUch«» la^Mt-r: J. J. S C*oR - Prtct t,n HEBTE» ,. WALLAÜ In M>ü»r 



2. Jahrgang. 



Mr. 40. 



3. Octbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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von 



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Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. IX, — Das Lied. 
Literarisches. — Nachrichten, 



— Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corr^ap. (Hains.) — 



DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART 



an 



einen guten Operntext. 

(Eine kunsthistorische Skizze.) 



Wir glauben bewiesen zu haben, dass der Einzige, weither 
in Deutschland über das Wesen der Oper, über ihre Existenzbe- 
dingungen, den Inhalt und die Form der Texte ernstlich nachgedacht 
und viele Mängel derselben erkannt hat — der Einzige, der zugleich 
im Stande war, von der Erkenntniss des Richtigen zur Anwendung 
in musikalischen Schöpfungen zu schreiten — dass Richard Wagner 
auf Abwege gerathen ist, die keine Hoffnung auf Umkehr zulassen. 

Desto lauter ergeht an Alle die, welche sich für die deutsche 
Oper interessiren, an Alle, denen ihre Erhebung wirklich am Herzen 
liegt, die Mahuung, mit der Einsicht in die Irrthümer Wagners, den 
Ernst, die. Liebe uud die Aufopferung zu vereinen, mit welcher er 
seinen Weg verfolgt. Der Glaube an sein Ideal, der Glaube an das 
Hohe und das Edle in der Kunst, welcher Wagnern beseelt, dieser 
fehlt den Meisten von denen, welche ihn verspotten. Erst wenn dieser 
wieder in der Brust der Künstler eingekehrt ist, erst wenn dieser 
der Erkenntniss die höhere Weihe gibt, erst dann wird die 
deutsche Oper wieder aufleben. 

Als die erste und wichtigste Bedingung aber, welche dann er- 
füllt werden muss, als die dringendste Forderung, müssen wir die 
Wahl von Stoffen bezeichnen, welche nicht mehr dem Geiste 
und den Tendenzen einer hinter uns liegenden ; überwundenen Ent- 
wicklungsstufe der Menschheit und unseres Volkes entnommen sind, 
sondern welche u n s e r n Bedürfnissen , unserer Geistesbildung, 
unserer Anschauungsweise , unsern Gefühlen entsprechen. In 
diesem Sinn müssen uns die Stumme , Teil , die Hugenotten und 
selbst der Prophet Vorbilder sein. 

Es wäre ein grosser Irrt hum, wenn man meinte, derartige Stoffe 
seien selten und schwer aufzufinden. Im Gegcntheil, sie sind häu- 
figer als andere, wenn man nur zu suchen versteht. 

Wir wollen von Stoffen ganz absehen, die eine religiöse Grund- 
lage haben , sonst könnten wir auf die Hussiteukriege , auf die 
Gräuelscenen im südlichen Frankreich zu Ludwig des XIV. Zeiten, 
die späteren confessionellen Wirren mit ihren Schrecken in Deutsch- 
land als auf eine reiche Quelle höchst ergreifender und nicht ver- 
alteter Stoffe hinweisen. 

Aber steht nicht dem dramatischen Dichter in den grossartigen 
und erschütternden Begebenheiten der letzten Jahrhunderte: den 
Anstrengungen der Italiener sich von dem Joch der Spanier und 
Franzosen zu befreien , den Befreiungskämpfen der Griechen , der 
nordamerikanischen Freistaaten, der südamerikanischen Colonien 
und der Polen , in den Schreckensscenen der französischen Revo- 
lution, den deutschen und spanischen Freiheitskriegen eine uner- 
schöpfliche Fundgrube wahrhaft dramatischer und zugleich „rein- 
menschlicher" Stoffe offen? Enthalten nicht diese grossen, der 
Geschichte anheimgefallenen Ereignisse Tausende der erschütterndste]» 



Dramen, in welchen Alles, was dem Menschen heilig ist, durch die 
Macht und den Fluch der Verhältnisse gegen einander den bit- 
tersten Kampf kämpfte ? Sind dieselben nicht historische Fakta, 
so dass der Dichter seine Fantasie nicht im Mindesten anzustrengen, 
sondern in die Annalen der Special-Geschichte, in Biographien, 
Memoiren, nur hineinzugreifen braucht, um die Wahl zu haben ? 

So lange er freilich nicht Dramatiker ist, die Gesetze des Dramas 
nicht kennt, die Meisterwerke Shakespeares und Göthes nicht Istudirt 
und besonders nicht begriffen hat, in welchem Verhältniss die Oper 
Drama und Lyrik verbunden fordert, so lange er endlich nicht im 
Stande ist , das Grossartige , Erhebende und Bedeutungsvoile seiner 
Stoffe zu erfassen — so lange wird ihm auch der beste Stoff nichts 
nützen. Wir bedürfen für Operntexte eben keiner Lohnarbeiter mehr, 
sondern Dichter von höherem Schwünge, Dichter, die nicht zu er- 
röthen brauchen , wenn sie ihre Werke neben Schiller und Göthe 
aufgeführt sehen l 

Solchen aber ihre Aufgabe zu erleichtern, sie auf die Haupt- 
eigenschaften aufmerksam zu machen , welche eine Dichtung , die 
als Text für die heutige Oper dienen soll, haben muss, dies war 
der einzige Zweck dieser Aufsätze. J. E, 



DAS LIED, 

seine poetische und musikalische Composition. 



L 

Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz« 

(Fortsetzung.) 

2) Gesetzchen; Nr. 150—175. 

„Es ist Sitte, dass jeder an einem Tanzabende mittanzende Bursch 
eine längere oder kürzere Zeit den Vortanz hat, je nachdem er sich 
mehr oder weniger Tänze für sein Geld aufspielen lässt. Tritt er 
nun vom Vortanze ab, so reicht er seinem Mädchen den Krug Bier, 
führt sie vor die Musikanten und lässt ihr ein Gesetzcheu (einen 
Satz) aufspielen. Die übrigen Burschen stellen sich um das Paar 
herum und singen das Lied, welches die Musikanten spielen. Ist das 
Lied beendigt , so trinkt das Mädchen das Bier ihrem Liebsten und 
den Musikanten zu, diese leeren den Krug und ein neuer Vortänzer 
tritt auf (I, 24). Der eigentliche Inhalt dieser Lieder wird demnach 
in Lobpreisungen der Mädchenschönheit und Tugend bestehen; ero- 
tische Zwiegespräche und Räthselfragen scheinen die natürlichste 
Form dafür zu sein. Es kommt indess auch Manches vor, was wohl 
ebensogut in eine andere Abtheilung geholte. Deutsch in ihrer brei- 
ten Strophe, in der Melodie und Empfindungsweise sind Nr, 158 und 
164. Die erste Hälfte der Melodie der ersteren 
Dolce. 

iL-JS- 




ist uns aus dem Meyerbeer'schen Propheten bekannt. 



— 158 



Von allen am meisten wendisch und charakteristisch mochte 
Nr. 168 sein, von dem ich der wenig bedeutenden Poesie wegen nur 
die erste Strophe hersetze : 
Moder ato. 

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Was doch ziert das 
Tempo di polacca. 



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Wange • lein, 



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und ihr glän-zend 



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Stir-ne - lein : das ja ziert das jun* ge Mag- de •lein. 
3) Tanzlieder; Nr. 176—241. 

Diese sind durchweg noch kürzer als die Gesetzchen , und wer- 
den während des Tanzes zu der Melodie desselben gesungen. Gleich 
das erste, Nr. 176, (Melodie für vier ähnliche Liedchen) gibt den 
Grundtypus dieser Gattung an: 
Wendisch. 



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lieb - ster ! Deutsch tanz'ich so ger - ne,Deutschtanzich so ger-ne, 



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Wendisch nochviel lie - her. 

Beim '/«-Takt ist oft das erste Viertel in zwei Achtel getheilt; 
die so rhythmisirten Tänze scheinen die acht slavischen zu sein. 
Merkwürdigerweise stehen von den hier verzeichneten 30 Tanzme- 
lodien nur 4 im "/»-, nur eine im */ t -, dagegen 25 im */ 4 -Takt. Tanz- 
arten: Wendisch 22, Polacca 3, Menuett 1; eine „Moderato", eine 
„Allegrctto", zwei gar nicht bezeichnet. Von der Eigentümlichkeit 
der „Wendischen" Tanzart im folgenden Artikel Ausführliches. 

Etwas fremd nimmt sich zwischen diesen leichthingeworfenen 
Liedchen Nr. 223 aus, ein lang ausgesponnenes „Taubenlied", 8zei- 
lige Strophe mit 4zeiligem Refrain und in sentimental - idyllischem 
Tone. Es ist in zwei Fassungen überliefert ; das erste, von dem ich 
Anfang und Ende mittheile, erinnert durch seine zarte Schlusswen- 
dung an ein südslavisches Lied („Komm, weisses Mädchen"): 
Wendisch. 




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1. Steig ich Mor-gens aus dem Bet - te, geh' und seh' ich 



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nach ge- schwind; obnochmei-ne Tau-ben schlafen, o • der schon er- 



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wa-chet sind. Tau-be ist ein schönesThierchen,Tauben,die ge- 



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fal-Ien mir. Tau-ben lieb' ich zärt-lich, Tau-ben lieb' ich zärtlich, 



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wahr-lich das versich'richdir. 

9. Und ich weiss auch eine Taube, 10. Komm zu mir, mein schönes 
Ist ein Weibchen jung und schön, Täubchen, 

Sie ist weiss undroth von Farbe, Gar zu sehr gefällst du mir, 
Soll die Wahrheit ich gestchn. Ich will dich nachHause bringen, 
Taube ist ein schönesThierchen etc. Komm in deine Wohnung hier. 

Taube is t ein schönes Thierchen etc. 
In dieser Gattung besonders offenbart sich der fröhliche Leicht- 
sinn, die unverwüstliche Heiterkeit, welche Herr Haupt den Wenden 
nachrühmt. Bei vielen , bei dem eigentlichen Stamm dieser Lieder 



handelt es sich um äusserst delikate Dinge ; die Behandlung ist 
mehr offenherzig , als zart , und macht oft einen höchst komischen 
Eindruck. 

4) Rund ge sänge; Nr. 242— 255. 

„Wenn eine Gesellschaft junger Burschen oder Mädchen bei- 
sammen ist, so werden die Reihe herum ihre Namen so" in das Lied 
eingefügt, wie dies - bei dem deutschen Studentenliede : Lasset die 
feurigen Bomben erschallen und ähnlichen der Fall ist" (1, 24). Diese 
Gesänge sind nicht zahlreich und nicht bedeutend. Theils liegt dies 
schon in der Art begründet ; würde sich aber nachweisen lassen, dass 
die Sitte selber nicht eine alte und ächtwendische ist, so wäre Alles 
leicht erklärt. 

5) H o ch z e i 1 1 i e d e r ; Nr. 256—276. 

„Werden auf dem Wege zur Trauung und von der Trauung, vor 
dem Hochzeitshause u. s. w. angestimmt". (I, 24). Die Hochzeitsge- 
bräuche der Wenden sind sehr mannigfaltige und eigenartige, daher 
auch die Lieder. Ein ächtslavisches Hochzeitslied ist z. B. Nr. 256. 
Tempo di menuetto. 



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Hei - ra - the Mag - de - lein, da du noch jung und fein.da dein alt 



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Vä - ter-chen, da dein alt Vä - ter-chen Le - ben noch 

Er wird verschaffen dir 

Dreihundert Thälerchen 

Auch buntgewirkte, 

Auch buntgewirkte 

Bettlein dazu. 
So etwas zu singen, würden wir im Deutschen nicht der Mühe werth 
achten; im Wendischen aber ist es ganz an seinem Platze. Denn 
hier wie bei allen Slaven tritt das Mädchen mit der Hei rat h aus der 
Hörigkeit der Eltern in die des Mannes , und die Mitgift hebt den 
Werth der Frau bedeutend; das reine Vcrhältniss den Eltern gegen- 
über kindlicher, dem Manne gegenüber weiblicher Pietät und Unter- 
ordnung, dessen wir Germanen uns erfreuen , ist hier noch mit dem 
andern vermischt, nach welchem die Frau als ein hausrechtliches 
(patriarchalisches) Besitzthum angesehen wird. 

Lieder der Klage, des Spottes und Muthwillens , wie N. 2 57, 
259, 261, dürfen zu den ältesten gezählt werden. Die weich-empfind- 
samen sind Jüngern Ursprungs. Auch alle die ausbündig langen, 
von reiniustigen Seelen als Hciraths- und Ehestandskatechismen ver- 
fassten sind von neuerem Datum. Letztere sind sehr gutgemeinte 
hausbackenfromme christliche Reimereien (nach dem Muster langer 
Gesangbuchsstrophen zugeschnitten), die in einem doppelten Missver- 
hältnisse stehen : einmal als Inhalt zu der poetischen Form , denn 
der Inhalt ist eine Prosa; und zweitens als frommes Gedicht zu der 
Melodie, die aus einer modernen inhaltslosen Tanzweise besteht. 
Auch stehen sie drittens noch der altnationalen Poesie entgegen: 
weil letztere aber auf einer Anschauungs- und Lebensweise beruht, 
die als eine unvollkommene immer mehr schwinden muss , so darf 
man ohne Bedauern die noch aus dem lleidcnihum erwachsenen 
alten und derben Lieder in die Vergessenheit sinken sehen , wenn 
auch einstweilen nur ein magerer Ersatz geboten werden kann. 

6. B i t tl i e d c r ; N. 277 bis 279. 

„Hat Jemand im Dorfe Brod gebacken oder ein Schwein ge- 
schlachtet, so erscheint gewöhnlich Abends eine Deputation der 
Spinnstube unter den Fenstern und singt ein solches Lied, worauf 
sie ein Brod oder etwas Wurst erhält. Die Menge der Brode und 
die Grösse der Wurst ist in manchem Dorfe durch Observanz genau 
bestimmt, im Allgemeinen bleibt es jedoch dem betreffenden Wirthe 
überlassen, wie viel er geben will — und hier und da ist die Sitte 
schon ganz abgekommen." (1, 25) Der Lieder Art und Inhalt wird man 
leicht errathen. 

7. Legenden; N. 280 bis 294. 

Es gibt auch gesprochene, in Prosa vorgetragene Logenden. 
Bei den Legenden hat man schon am Inhalte einen im Ganzen 
sicheren Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Alters; die 
meisten werden vom 12 bis zum 16. Jahrhundert entstanden sein. 
Von besonderer Wichtigkeit ist die Vergleichung mit den übrigen 
Liedern, die Bestimmung ihres Verhältnisses zu den alt- und echt- 



— 159 



wendischen Gesängen. Ueber diesen Punkt müssen wir im Allge- 
meinen ins Reine zu kommen suchen. 

Die wendischen Legenden bergen viele sinnige Zuge : so den, 
dass die Espe zittere, weil Judas sich an einer Espe erhängt (N. 384) 
dass David , der Mann im Monde , Musik mache , Gott zu Ehren 
„Gesetzchen" aufspiele, um seine Eltern aus der Hölle zu erlösen 
(N. 281); dass Johannes in des Sommers, Christus in des Winters 
Mitten geboren (N. 282), u. dgl. Trotzdem dürfen sie weder an Zahl 
noch an Inhalt reichhaltig genannt werden. Dem Stoffe nach sind 
alle etwas Fremdes , von Aussen Hereingebrachtes. Jedoch eine 
tiefe und jugendlich-kräftige Auffassung kann dies bis auf die letzte 
Spur verwischen, kann die christlichen Gedanken so in sich auf- 
nehmen, dass alle fromme Sage rein auf eigenem Grunde hervor- 
wächst , wie unter andern im spanischen und deutschen Mittelalter 
solches der Fall gewesen. Die Wenden aber müssen ihre beste 
Kraft schon verbraucht haben, als das Christenthum ihnen genaht 
ist, denn nur die frühesten Stoffe sind lokalisirt und in der kurzen 
flüchtigen wendischen Strophe geformt, viele andere sind bloss 
äusserlich übertragen. Es ist bei weitem nicht mehr die innere 
Umschmelzung des Früheren , des Welllichen zu Geistlichem , vor 
sich gegangen , etwa wie in Deutschland bei der Reformation die 
Strophen und Weisen des heimischen Volkliedes zu den schönen 
Kirchengesängen sich verklärten , sondern die wendischen Legenden- 
poesie darf, soweit sie echt ist, nur als Nachklang früherer Laute 
als späte Herbstblüthe angesehen werden. 

Am meisten zeigt sich dies in den Melodien , die von den alten 
wendischen Tonweisen schon sehr abweichen, aber sich nie oder 
nur selten zu der Feierlichkeit des Chorals zu erheben vermögen. 
Wie ganz anders bei den Deutschen! diese gaben das Eigenste und 
Beste zum Kultus her , um es so geläuterter zurückzuempfangen ; 
die Wenden dagegen mussten, um christlich zu denken, zu dichten 
und zu singen, ihrer alten Freunde vergessen. 

So stellt sich der Unterschied im Grossen, und nur auf diesen, 
nicht auf alles Einzelne, wird man meine Worte beziehen dürfen 
denn ganz vergisst und zerreisst sich ein Volk nie. 

Sind wir hierin nicht fehlgegangen, so ist auch ein fester Anhalt 
gewonnen für die Bestimmung der den Wenden (Slaven) eigenthüm- 
lichen musikalischen Formen, worauf hier besonders unser Absehen 
gerichtet sein muss. Zusammenfassend wird darüber am Schlüsse 
des Ganzen, das Nöthige zu sagen sein. 

Dem bis jetzt besprochenen ersten Baude (Oberlausitzer Ge- 
sänge) haben die Herausgeber noch einen „Anhang" von 37, zu 
verschiedenen Abtheilungen gehörenden Liedern beigefügt, die aber 
für unsern Zweck nichts Neues bieten , so dass wir jetzt uns der 
Niederlausitz zuwenden können ; — klein und lieblich ist N. 302 : 

Grosse Kälte fiel uns an 

Und vertrieb uns der Vöglein Schaar 

Liess uns allein nur die Nachtigall. 

Ich weiss nicht, warum es die Herausgeber ein „Fragment" genannt 

haben. 

(Fortsetzung folgt) 



DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN COUL 



Bei der Anerkennung , welche einzelne musikalische Vereine 
Cölns, namentlich der Männer-Gesang-Verein, sich in weiteren Kreisen 
errungen haben , dürfte ein Ueberblick seiner sämmtlichen Vereine 
nicht ohne Interesse sein, um so mehr, da dadurch am besten eine 
Einsicht in das musikalische Leben der alten Colonia Agrippina ge- 
währt wird. Der Aufgabe nach , welche sich die Vereine gestellt 
haben, zerfallen dieselben in folgende Abtheilungen: 

1) Orchester Vereine. 

2) Orchester mit Chor. 

3) Gemischte Chöre. 

4) Männerchöre. 

Neben dieser sachlichen Einthcilung lässt sich gleichzeitig eine 
persönliche machen , da in jeder der verschiedenen Abtheilungen 
jedesmal dem Vereine unter der Leitung des städtischen Kapell- 
meisters ein anderer unter der Leitung des Königl. Musikdirektors 
Weber gegenübersteht. Diese Personal-Trennung datirt aus früherer 
Zeit als dem Eintritt des jetzigen städtischen Kapellmeisters Hiller, 



nämlich von dem Augenblicke an, als Weber hier begann Aner- 
kennung zu gewinnen. Seine Anhänger waren es , die dein Sprich- 
worte gegenüber, dass der Prophet nicht jn seinem Lande gelte, 
sich die Aufgabe stellten , dem heimischen Talente Geltung zu ver- 
schaffen. Die Vereine Webers sind desshalb überall die jungem. 
Eine solche Concurrenz konnte natürlich nur fördernd wirken. Leider 
verirrte sie sich mitunter aus der Arena des künstlerischen Wett- 
eifers und führte dann mitunter zu Spannungen , wie sie leider in 
der musikalischen Welt nicht selten sind. 

Wir müssen jedoch rühmend erwähnen , dass in jüngerer Zeit 
jene unangenehmen Erscheinungen selten und kaum bemerkbar her- 
vortraten. Mag auch die Künstlereifersucht nicht ganz geschwunden 
sein, so weiss doch auf beiden Seiten die Bildung sie so ziemlich in 
Schranken zu halten. Auch bei den jüngeren Vereinen finden wir 
Aehnliches, was mitunter in schrofferer Weise hervortritt. 

Doch kommen wir auf die Vereine selbst zurück. Die musi- 
kalische Gesellschaft unter der Leitung des städtischen 
Kapellmeisters Hiller bildet ein vollständiges, vortreffliches Orchester. 
Musiker von Fach und Dilettanten , unter jenen die ersten musika- 
lischen Grössen Cölns: Hartmann, Pixis , Hocke, beide Breuer, 
Derkum u. a. sind seine Mitglieder. Der Verein pflegt die klassische 
Instrumentalmusik, Sinfonie, Ouvertüren , Solos für einzelne Instru- 
mente etc. Grosse Künstler, die Cöln bereisen , lassen sich auch ge- 
wöhnlich in seiner Mitte hören. Der Verein zählt , auch inactive 
Mitglieder , welche in den wöchentlichen Versammlungen das Audi- 
torium bilden. Jährlich macht er mit der Liedertafel eine Sängerfahrt 
auf dem Rhein. 

Die Philharmonie unter der Leitimg des Königl. Musikdirektors 
Weber ist fast derselbe Verein, der sich die gleiche Aufgabe gestellt 
hat und fast aus denselben Kräften zusammengesetzt ist. In ihrer 
Mitte hat sich ein wackerer Männerchor gebildet, der kleinere und 
grössere Musikstücke vorträgt. Der Verein veranstaltet im Sommer 
4 Concertc. 

Die Domkapelle, unter Leitung des Kapellmeisters Leibl, ge- 
mischter Chor mit Orchester, führt an Sonn- und Feiertagen im Dome 
während des Hochamtes musikalische Messen auf; der Chor bestehe 
meist aus Dilettanten, das Orchester dagegen aus Musikern von Fach. 
Letzteres lässt in der Regel an Feinheit und Gediegenheit nichts zu 
wünschen übrig. Nicht dasselbe lässt sich vom Chore rühmen , da 
der Besuch sehr unregelmässig ist, meist für die Messen gar keine 
Proben stattfinden , oder doch nur eine vor den Hauptfeiertagen, 
wenn Beethoven und Haydn zur Aufführung kommen. 

Die Concertgesellschaft, gemischter Chor mit Orchester» 
ist der grösste Verein, aus den Mitgliedern der übrigen zusammen- 
gesetzt. Er zählt deren über 300. Die Concertgesellschaft tritt nur für den 
Winter zusammen und führt unter der Leitung des städtischen Kapell- 
meisters, jetzt Herr Hiller, 8 grosse Concerte auf, deren Reinertrag; 
für wohlthätige Zwecke bestimmt ist. Alles was hier zur Aufführung 
kommt, gelangt zur grössten Feinheit und Präcision, namentlich gilt 
dieses von den Orchcsterstückcn, Ouvertüren, Sinfonien, Solos. Mit 
Chor werden die grössten Musikwerke von Beethoven, Haydn, 
Mendelssohn , als Oratorien , Psalmen etc. auch einzelne Theile ans 
Opern vorgetragen. Zu den Solos zieht man die grössten Künstler 
von nah und fern heran. So hörten wir im letzten Winter in den 
Concerten CarlFormes, Frl, Charlier aus Brüssel, Frl. Bury u. a. m. 

Der städtische Gesangverein, gemischter Chor unter 
Leitung des städt, Kap. Hiller, übt meist nur geistliche Sachen, Ora- 
torien und Psalmen Oeffentlich tritt er nie auf. Diesen Sommer 
stellte er seine wöchentlichen Proben aus Mangel an Thciluahme ein. 
Hauptsache war wohl, dass die Heerde ohne Hirt war. Herr Hiller 
bewegte sich nämlich in London und Paris, und Hess , anstatt die 
Kölner und Kölnerinnen singen zu lassen, sich im Feuilleton der 
Kölner Zeitung besingen, und besang dort auch wohl andere. Als 
er zurückgekehrt war , begab er sich , um auf seinen Lorbeeren 
von seinen Strapatzen auszuruhen, aufs Land. 

Die Singakademie, unter Leitung des Musikdirectors 
Weber pflegt, wie die Concertgesellschaft, die klassische Musik für ge- 
mischten Chor, und übt sehr fleissig im Sommer wie im Winter. 
Alljährlich hält sie eine grosse musikalische Soiree im Casinosaale. 
Gewöhnlich brachte sie ein Oratorium zur Aufführung; in der letzten 
aber das neue Werk von Robert Schumann aus Düsseldorf: „Der 
Rose Pilgerfahrt;" die Leistungen sind überaus tüchtig. 



— 1«) — 



Der Meaart-Verein ist ein jüngerer Verein mit gemischten 
Chören, der abweichend von den vorhergehenden, sieh hauptsächlich 
der Opemmuslk widmet. Er wnrde von dem leider zu früh ver- 
blichenen Kapellmeister Eschborn dem Jüngern gegründet, und 
Wechsel (e während der kurzen Frist seines Bestehens 4 mal den 
Dirigenten, was natürlich seinem Aufblühen nicht förderlich war. 
Gegenwärtig steht er unter der Leitung des verdienstlichen Lehrers 
der Rheinischen Musikschule und anerkannten Pianisten Reinecke, 
dem es ohne Zweifel gelingen dürfte seine guten Kräfte zur Geltung 



an bringen. 



(Schluss folgt.) 



CORRESPONDENZEN. 



AUS MAINZ. 

Ende Sept. 
Die allgemeinsten und zum Thcil recht schönen Genüsse der 
nun vergangenen Sommersaison boten uns auch in diesem Jahre die 
an jedem Freitag in unserer neuen Anlage stattgehabten Militärmu- 
sik-Conccrte , för die wir Mainzer sowie zahllose Fremde , welche 
dadurch immer herbeigezogen werden , der hiesigen Garnison nicht 
genug danken können. Manche dieser Aufführungen überschritten 
in Wahrheit die massigen Grenzen derartiger Produktionen , indem 
sie durch eiue treffliche Auswahl und ausgezeichnete Vorführung 
grosser und schwieriger Musikstücke auch für die Kenner reizend 
und lohnend wurden. Bei dieser Gelegenheit müssen wir unser Be- 
dauern aussprechen, dass Herr L. Stasny, den wir seit einer Reihe 
von Jahren als den tüchtigen und energischen Leiter der k. k. 
österr, Regimentsmusik kannten, seine bisherige Stellung aufgegeben 
hat, um als zweiter Kapellmeister bei unserm Theater einzutreten. — 
Ein weiterer Gegenstand unserer Besprechung sind die Concerte, 
welche zwei unserer besten Orchestcrmitglieder, die Herrn Heinefetter 
und Hom , in Verbindung mit dem Pianisten Herrn Föckerer, zur 
Aufführung classischer Compositioncn für Piano und Streichinstru- 
mente ins Leben gerufen haben. Ihre Vorträge verdienen in jeder 
Beziehung Anerkennung und Lob, und wurden von den anwesenden 
— leider nicht allzu zahlreichen — Kunstfreunden mit gebührendem 
Beifalle begleitet. Mögen die verehrten Künstler sich nicht durch 
die Schwierigkeiten, womit ihr für unsere Stadt neues Unternehmen, 
wie jede Neuerung , und wäre sie die beste und nothwendigste , zu 
kämpfen hat, zurückschrecken lassen, und mögen sie künftig ausser 
den Werken eines Mozart und Beethoven , womit sie uns in diesem 
Jahre erfreut haben, auch die übrigen uns weniger bekannten Meister- 
schöpfungen dieser Gattung einem hoffentlich stets wachsenden Au- 
ditorium zu Gehör bringen ! 

LITERARISCHES. 

Die Kirchenmusik in Rücksicht auf ihr Missverhältniss zum 
Hörer der Gegenwart u. s. w. von einem jungen Componisten, 
7 Vi Sgr. Leipzig ', J. J. Weber. 
Der Inhalt dieses Schriftchens lässt sich in dem darin ausge- 
sprochenen Satz zusammenfassen : „Es wird uns die Kirchenmusik 
mit wenigen Ausnahmen auf der einen Seite durch eine Mosaikarbeit 
von Verstandesprodukten , welche die Mehrzahl nicht versteht und 
durch allzufasslichc , allzu eintönige Musik auf der andern Seite 
verleidet." 

Mit dem ersteren sind die contrapunktischen Künste : Fuge, Canon 
etc. gemeint, die in dem sog. strengen Styl die Hauptrolle spielen, 
mit dem letzteren der Choral. Hätte der Verfasser, statt diese theils 
allgemein erkannten, theils nur vermeintlichen Uebclstände in grösster 
Breite für das unmusikalische Publikum auseinanderzusetzen , einige 
Andeutungen gegeben , wie dem abzuhelfen sei , wie eine Kirchen- 
musik beschaffen sein müsse , die dem Bedürfniss der Hörer ange- 
messen sei und besonders wie sie herzustellen wäre , dann hätte er 
sich wirklich ein Verdienst erworben. So bleibt er da, wo die Haupt- 
sache kommen sollte, stehen und weiss nichts anderes zu sagen, als 
„die Kirchenmusik müsse auf die goldene Strasse der Mitte hinge- 
lenkt werden , die sich zwischen den beiden Abgründen (dem alten 
in der Form erstarrten Styl und der modernen italienischen Richtung) 
hinziehe." Ob der Verfasser wohl geglaubt hat, mit dieser billigen 



Phrase etwas zu sagen , was nicht schon Jedermann wüsste ? Wäre 
die Anwendung freierer Formen und der vorhandenen orchestralen 
Mittel — worauf zuletzt die Forderungen des Verfassers hinaus- 
laufen — das Mittel, den Verfall der Kirchenmusik aufzuhalten, dann 
würden wir wahrscheinlich nicht mehr darüber zu klagen haben, denn 
der Versuch ist schon hundertmal gemacht worden. Dass er zu nichts 
führte, als zu unbedeutenden faden Alltäglichkeiten oder gar zu 
süsslichem italienischem Klingklang, dass die Kirchenmusik nicht re- 
generirt wurde, hat seinen Grund nicht in den Missgriffen oder 
der Tatenlosigkeit , oder dem Eigensinne der Componisten , sondern 
in etwas Tieferem: in dem Geiste unseres Zeitalters. Uns 
fehlt der innige religiöse Glaube , der die Seele eines Palästrina, 
Händel, Bach u. s. w. erfüllte und sie zu den herrlichsten Schöpfungen 
begeisterte, trotz der Hindernisse, welche ihnen. die geringere Aus- 
bildung der musikalischen Formen in den Weg legten. 

Weil der Geist, der ihre Werke gebar , verschwunden ist, dess- 
halb bringen die Kirchen • Componisten der Gegenwart nur todte 
Formen ohne Inhalt zum Vorschein , mögen sie sich nun an den 
strengen Styl anklammern , um wenigstens den Schein des ehemali- 
gen Glanzes zu retten, oder dieselben mit zeitgemässeren Formen 
vertauschen. 

Unser Zeitalter bildet offenbar eine Brücke von ausgelebten re- 
ligiösen Formen zu reineren, edleren, geläuterten, deren Inhalt nicht 
wie heute vertrocknet ist, sondern in dem Herzen aller Bekenner 
wurzelt. 

Bis dahin wird die Kirchenmusik trotz aller Ermahnungen und 
Bestrebungen vegetiren wie heute, dann aber wird sie von selbst 
zu neuem Leben erwachen! * 

NACH RICHTER. 

Mainz. In Kurzem wird ein Unterrichts-Werk für 
P i a n o f o r t e im Verlag von B. Schotts Söhne hier erscheinen, 
auf welches wir das Publikum im Voraus , als auf eine der bedeu- 
tendsten Erscheinungen auf diesem Gebiete , aufmerksam machen. 
Es genügt , den Namen des Autors : Thalberg zu nennen , einem 
der ersten jetzt lebenden Pianisten, um den Beweis zu liefern, dass 
hier nicht von einer gewöhnlichen Pianoforteschule die Rede ist, wie 
es deren schon Tausende gibt, die eine mehr oder weniger geschickt 
gearbeitete Compilation vorhandener Materialien nach einer stereo- 
typen Form , bilden , sondern dass es sich um die Quintessenz der 
Studien und Erfahrungen eines Meisters handelt, dessen ganzes 
Leben der Vervollkommnung seiner Kunst geweiht war, und der die 
höchste Stufe der Ausbildung in Bezug auf Technik , Vortrag und 
Composition selbst erreicht hat! 

Der Plan des Werkes liegt uns vor und wir können daraus 
Folgendes mittheilen. Dasselbe zerfällt in 2 Theile: der erste ent- 
hält Uebungen (de mecanisme) in welchen in 4 Serien die 
U Hauptschwierigkeiten der Technik (Tonleiter, Terzen 
und Quarten, Oktaven und Sexten, Akkorde und Arpeggien, Triller, 
gehaltene Noten, woran sich das Legato, Stakkato , Pedalübung etc. 
schlicsst) eine nach der andern in progressiver Weise entwickelt 
werden. Der zweite enthält Melodien, welche ausdrücklich zur 
Vollendung und Anwendung dieser Uebungen bestimmt und geschrieben 
sind und in welchen ausserdem die verschiedenen Style (Gesang- 
Styl, Orchester-Styl, Piano-Styl), nebst den zu vermeidenden Fehlern 
im Vortrag behandelt werden. 

Dieser zweite Theil ist durchaus originell und in dieser Weise 
noch nirgeud bearbeitet worden. 

Gewiss werden alle Pianisten diesem so viel versprechenden 
Werke mit Spannung entgegensehen. 

Carlsruhe. Das Musikfest wird vom 3.-5. Oktober stattfin- 
den. Liszt hält abwechselnd hier und in Darmstadt Proben. 

Mannheim. Der hiesige Kapellmeister V. Lachner ist bedeu- 
tend erkrankt. 

V In Arolsen wurde an den Pfingsttagen von dem dortigen Män- 
nergesangverein in Gegenwart des Fürsten von Waldeck unter An- 
derm Hiller's ^stimmiges Lied ; „ Die Rheinweine tl gesungen. Ein 
„Hofmarschall" hielt dies für unanständig und erlaubte sich belei- 
digende Aeusserungeu gegen den Vorstand des Vereins. Derselbe 
hat desshalb eine Injurienklage erhoben. 



Verantwortlicher Re«Uktw ; i. J. SCE01T. — »rock tob REWTBH a. WALLAtf la Malai. 



2. Jahrgang. 



Mr. 41. 



10. Octbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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IL , — 



Inhaltt Das Lied. — Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corrtsp. (Mannheim. Mainz.') — Nachrichten. 



DAS LIED, 
seine poetische und musikalische Oomposition. 



IL 

Niederlausitzer Volkslieder. 
(Fortsetzung.) 

Aus der Niederlausitz sind im Ganzen 200 Lieder mit nur 60 
Melodien mitgetheilt; etwas weniger reichhaltig ist diese Gegend, den 
Herausgebern waren dazu die Umstände hier weniger günstig, (S. 
Vorrede zum 2. Bd. S. VI und S. 5). So sind nur 5 Abtheilungen 
bedacht , die Gesetzchen und Bittlieder fehlen ganz : ist die Sitte, 
vorauf letztere sich gründen, hier schon mehr geschwunden ? — 

1) Feldlift der; Nr. 1— 110 
Tempo M Memtetto. 

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1. Was doch die Leu- - te mit uns ha- ben, dass sie 



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so von uns sagen und sprechen,dasswirunsbeide so inniglich lieben. 

2. Lieben aufrichtig mit herzlicher Neigung :,: 
Niemals uns lassen aus den Gedanken. 

3. Und hab ja nicht mehr Vater und Mutter :,: 
Und die sind beide mir, beide gestorben. 

4. Und noch hab ich den einzigen Bruder :,: 
Der ist gezogen weit hin in die Ferne. 

Tempo di Menuetto. (Nr. 10.) 



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1. Auf sin- ge froh- lieh Mag* de - lein, man hört dei-ne 



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Stimme weit und breit, man hört deine Stimme weit und breit. 

3. „Wie soll ich singen und fröhlich sein, 
Da ich bin immer ganz allein?" :,: 
17. Wie glucklich ist das Mädchen doch. 
Das seinen Kranz mit Ehren trägt! :,: 
(Nr, 7, Die Verlassene.) 
Moderato. 



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grü - nen Sträuche - lein wachsen aus der Er-de. 

2. Und sie grünen, ja sie grünen, 
Kleiden sich in helles Grün. 

3. Ach, du meine schöne Liebste, 
Willst da von mir scheiden? 



4. Scheide, scheid' in Gottes Namen, 
Glück und Segen wünsch ich dir. 

5. Wo ich bin und wo ich stehe, 
Immer seh ich nur nach dir. 

6. Innig freuet sich mein Herze, 
Meine Augen weinen stets. 

S. 74 steht ein merkwürdiges Lied mit einer sehr reinen und 
tiefen Melodie in E-dur. Nicht desshalb , sondern weil die Melodie 
in ihren eigentümlichen Formen von den andern slavischen so weit 
abweicht, halte ich sie für deutsch , und bedaure sehr , dass die He* 
rausgeber gerade hierüber sich nicht geäussert haben. Hinausgehend 
über den Kreis der Nationalität , vollkommen im Sinne der Kunst, 
wie die Melodie, ist auch der Gegenstand des Liedes ; es ist derselbe, 
den die Griechen in Hero und Leander verewigt haben. Freilich, 
wer keinen Leiermann mehr hören mag, wird auch an der Melodie 
nichts Schönes finden. 
Adagio. 




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1. Hinter Kamenz auf den Höhen ist der gros-se Schnee zu 



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seh- en. Wie's der Sonn' an Kraft ge - -bricht, scha-det 



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auch der Mond ihm nicht. 

2. 5. 

Kämen Winde doch , die lauen, Starbst du Liebster meinetwegen, 
Diesen Schnee hinwegzuthauen l Sterbe ich auch deinetwegen. 
Sieh, der Schnee ist aufgethaut, Ihr begrabt uns an der Strass', 
Grosses Wasser da man schaut. An der grossen Wanderstrassi 

3. 6. 

Wer hat Liebchen hintermWasser, Ihr begrabt uns an dem Steige, 
Kann nicht zu ihr durchdasWasscr? An dem Steige, an dem breiten. 
Jüngling hat sein Liebchen da, Pflanzt auf uns 'nen Rosenstrauch, 
Kann ihr nicht mehr kommen nah. Einen rothen Rosenstrauch. 

4. 7. 

Durch das Wasser schwimmt der Pflanzt auf uns auch noch zwei 

Knabe, Reben, 

Mädchen leuchtet ihm -—zu Grabe, JavomWeinstock nochzweiReben; 
Lichtlein fing an auszugehen, Pflanzt auf uns 'nenRautenstrauch. 
Und er ward nicht mehr gesehn. Einen grünen Rautenstrauch, 

8. 
Und es wachsen schön die Reben, 
In einander sich verflechtend : 
So auch unsre trene Lieb 
Reisst und trennt sich nimmermehr. (N, 81.) 

Aber die Herausgeber werden vielleicht entgegnen, dass es 
ihnen allerdings schwer fallen würde, zu dieser Melodie eine er- 
läuternde Bemerkung zu machen , weil dieselbe gar nicht in ihrer 



— 162 — 



Sammlung vorhanden sei. Nun ist wahr, ich habe : 1, bei V. 5 — 8 
die Worte gesangmässiger gesetzt; 2, die Melodie mit einem Auf- 
takte und nicht mit dem vollen Takte beginnen lassen; und 8, habe 
ich nicht, wie die Herausgeber, A-dur, sondern E-dur vorgezeichnet. 
Wird die Melodie wirklich A-dur gesungen, so ist sie alterirt 
ttnd nn vollkommen) nicht in dem nationalen , sondern in dem musi- 
kalischen Sinne , d. h. verfehlt. Wer mit rechter Empfindung die 
oben verzeichnete Melodie in A (nämlich statt dis immer d, welches 
fünfmal vorkommt) und dann in E singt , der wird mein Experiment 
erklärlich finden. 

Ganz anders verhält es sich mit N. 87, einem Gesänge, dem 
das Gepräge wendischer Volksmässigkeit und zugleich hoher Schon* 
heit in vollem Maasse aufgedrückt ist. 

Adagio, 



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1. Gin -gen zwei Ver - lieb - te aus, jung,weiss u. roth und 



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ging - en durch die Hai - de hin zu ei - nem 



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Feldgärt - - lein. 

2. Was ist in dem Feldgärtlein ? 5. „Nachtigall sitzt über uns, 

Ein Apfelbaum so klein. Das kleine Vögelein, 

Was hat dieser Apfelbaum ? Nachtigall wird rufen uns , 

Hat Aepfelchen so klein. . Bricht nun der Tag herein." 

3. Was sind das für Aepfelchen, 6. Nachtigall fängt fröhlich an 

Ach, Aepfelchen so klein? Und singt im grünen Hain. 

Soll'n auf einer Seite grün, Alles Gras das legt sich hin , 

Roth auf der andern sein. Es lauscht der ganze Hain. 

4. Sassen, schauten da sich an, 7. Sieh es dämmert schon, es tagt, 

Bis sie geschlafen ein. Das Morgenrolh ist zu sehn: 

,Wer wird aber rufen uns, Wer bei sei'm Liebchen war 

Bricht nun der Tag herein ?' Hat Zeit nach Haus zu gehn. t 

Die 6 Schlussstrophen lasse ich weg, weil sie die Geschichte 
weiter führen und dadurch diese schöne Situation trüben. Das Ober- 
lausitzer Lied (Bd. I, N. 63), ist weniger poetisch ausgeführt und 
hat eine kablere Melodie (D-moll mit grosser Sexte, also dorisch), 
fichliesst aber passend. Der Gegenstand ist ein sehr beliebter, auch 
die Kleinrussen und die Polen singen davon , bei den Polen muss 
die treue Hausschwalbe den Thurmwart spielen (s. Proben : I, 355) 
Ebenfalls im Deutschen weit und breit bekannt ; man sehe die 
„Tagelieder" bei Uhland, Volkslieder 1844 Bd. I. S. 161, besonders 
das schöne „der wechter verkündget uns den tag'* (N. 80). Man ist 
darüber noch nicht eins , ob die Taglieder aus der Provence nach 
Deutschland übertragen worden (über die provenzialen albas gibt Diez in 
seiner „Poesie der Troubadours" S. 115 Nachricht), oder ob altein- 
heimische Formen und Anschauungen den Liedern unserer Minne- 
sänger zum Grunde liegen (W. Wackernagel , Gesch. d. deutschen 
Literatur S. 229). Wenn man die weite Verbreitung, die verschie- 
dene Gestaltung und die Einfachheit des Grundgedankens wahr- 
nimmt, wird man sich wohl für die letztere Ansicht entscheiden. 

2) Tanzlieder; Nr. 111—165. 

Nr. 122. 
Wendisch. Tempo di polacca. 




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Kleines Schwäblein, Plaudertäschlein, wo hast da dein Nest- 

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„An dem Wipflein,aufdemSträachlem, da hab' ich mein 



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Nest • • chen." 



Wendisch. Tempo di polacca. 

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Nr. 132. 



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1. Ach, mein al-Ier-liebsterSchatz,hab nur mit mir Ge - duld, 



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bin zu jung zum Freien, es war jaSchad' u. Schuld. 

3) Angesänge und Zurathungen (Rundgesänge) ; Nro. 
166-173. Unbedeutend. 

4) Hochzeitlieder; Nr. 174—194. 

5) Legenden; Nr. 194—200. 

Obwohl besonders unter den Hochzeitlicdern manches Schöne 
vorkommt, ist die ganze Gattung bei den Oberwendischen Liedern 
doch genugsam characterisirt. Es mögen daher einige Mittheilungen 
über das Wendische Schenken- und Tanzleben folgen (nach II 217 f.). 

Das Bier- und Tanzhaus ist der Mittelort des wendischen öffent- 
lichen Lebens. Keine öffentliche Sache, sei sie auch noch so ernster 
Natur, kann ohne freundliches Zusammentrinken und Zutrinken be- 
endigt werden. Das Eintreten eines neuen Wirlhes in die Gemeinde, 
die Aufnahme einer jungen Frau in die Zahl der Wirthinnen , dess- 
gleichen Hochzeit und Kindtaufe müssen in der Schenke gefeiert 
werden mit Trunk, Gesang und Tanz. Selbst der Lein (Flachs) 
kann nicht gerathen , wenn die Säerin, und wäre sie auch noch 
so alt, in der Fastnachtswoche nicht ihren Reigen tanzte. Besonders 
aus diesem letzten Tanz für das Gedeihen der Saaten ersieht man, 
dass er ursprünglich ein frommes Werk war, zum Gottesdienst, zum 
Kultus gehörte. Ausgelassene Fröhlichkeit ist dadurch keineswegs 
ausgeschlossen, diese ist tief in dem innerlich ruhelosen Wesen der 
Slavcn begründet und wird sich von jeher geltend gemacht haben. 

Aber gerade hierin liegt einestheifs die Ursache zum Verderben. 
Die alten Götter wichen , der tiefe Sinn der ihnen zu Ehren be- 
gangenen Festlichkeiten verschwand, der Nationalcharakter dagegen 
blieb, weil er unaustilgbar ist. So blieb auch die Liebe zu dem 
öffentlichen Gemeindehause , selbst als dieses zuletzt nur ein Sauf- 
haus worden, selbst als für's Bier der vergiftende Branntwein und 
für die frühere Wirthsherzlichkeit der nüchterne Geldegoismus ein- 
gezogen ; und dieser Zug wird bleiben, obwohl er Verderben bringt. 
Vergessen schon ist die schöne Sitte, dass der Wirth den auf- 
brechenden Gästen,. wenn sie die Zeche bezahlt, den „heiligen Jo- 
hannes" (einen unentgeltlichen Trunk) zum Abschied reichte. Die 
Sitte schreibt sich wohl nicht allein von dem kath. Gebrauche her, 
am Tage Johannis den Laien geweiheten Wein zu schenken (wie 
die Herausgg. meinen), sondern geht gewiss zurück auf das „Minne- 
trinken", welches schon im Nibelungen-Liede vorkommt (das berühmte 
Wort von Hagen: „nu trinken wir die minne unde gelten [bezahlen] 
sküneges [des Königs] wfn", Lachmann in 4. Str. 1897. c.) und 
heidnischen Ursprungs von der Kirche aufgenommen ist, (Ausführ- 
liches bei Grimm, D. Mythologie I. 52 — 56.) Es wäre zu er- 
forschen , wie der alte wendische Gott, dessen Minne getrunken 
wurde, mag geheissen haben. 

Mehr noch als das Trinken ist das Tanzen eine Leidenschaft 
der Wenden. Sie tanzen : Böhmisch, Bautzoisch, Deutsch, Wendisch, 
wie es in den Liedern heisst. Der vom Volk „Wendisch" ge- 
nannte Tanz ist ihr einziger Nationaltanz; er hat Aehnlichkeit mit 
der Polonaise und zugleich mit dem Menuett, kann daher auch nach 
„polacca" und „tempo di menuetto" getanzt werden. Der Tanz wird 
so ausgeführt: „Ein Vortänzer tritt, sobald die Musik ertönt, mit 
seiner Tänzerin in die Nähe der Musikanten. Seine Tänzerin stellt 
sich vor ihn hin und er fasst ihre rechte Hand, hebt sie in die 
Höhe und behält einen oder ein paar Finger derselben in seiner 
Hand — darauf fängt sie an , sich auf einer Stelle rund herum zu 
drehen, der Tänzer lässt ihre Hand los, so dass sie ganz allein 
tanzt; dabei hängen ihre Arme steif an dem Leibe herab. Nach 
einer kleinen Weile beginnt der Tänzer rand um seine Tänzerin 
herum zu tanzen und drückt durch Mienen und Bewegungen immer 
heftiger seine Sehnsucht aus, sich mit ihr im Tanze zu vereinen. 
Er fängt an zu singen und zu jauchzen , stampft mit den Füssen 
and bietet alle seine Tanzkünste auf. Sie lässt ihn bald kürzere, 
bald längere Zeit schmachten, je nachdem es ihr beliebt. Endlich 
hebt sie die Hände empor, der Barsche umfasst ihren Leib und ge-- 
meinschaftlich schwingen sie sieh im lustigen Reigen rund herum. 



- 163 - 



Sobald dies geschieht , holen auch die übrigen Bursche sich ihre 
Tänzerinnen, wählen sich einen passenden Platz , und schwenken 
sich auf demselben 8 Takte lang rechts , 8 Takte lang links und so 
fort bis der Vortänzer das Zeichen zu einer gemeinschaftlichen Tour 
gibt. Die Paare stellen sich einander gegenüber, fassen sich an den 
Händen nnd chassiren so lange 8 Takte rechts und 8 links, bis der 
Yortänzer sich mit seiner Tänzerin auf seinem Platze wieder herum- 
zudrehen beginnt, was nun auch alle übrige thun. Jetzt wechselt 
dieses Herumdrehen und Chassiren so lange, bis die Musik schweigt, 
welche ab und zu mit Gesang bald von der ganzen Gesellschaft, 
bald nur von einem einzelnen Sänger begleitet wurde" (II, 218). 

Welch ein schöner, lebendiger Tanz! Leider hat er, obwohl er 
noch sehr im Gebrauch ist, durch das Eindringen der fremden Rund- 
tänze, Walzer , Galoppaden , Schottisch und dgl. an Zierlichkeit, 
Regelmässigkeit und Ansehen schon viel eingebüsst Dass ein 
solcher Tanz eine eigentümliche , wenn auch noch so kunstlose, 
Musik erfordere , wird man leicht empfinden $ auch sie schwindet 
mit dem Tanze immer mehr dahin. 

Ueber die Musik und die musikalischen Instrumente, sowie über 
Poesie und Melodie der Wendischen Lieder wird in dem nun folgen- 
den Schlussart ikcl das Nölhigc zu sagen sein. 

( Schluss folgt. ) 



* OOO I 



DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN CÖLN. 



(Forlsetzung.) 

Der Männer-Gesangverein eröffnet mit Recht den 
Reigen der ungemischten Männer-Chöre. Seine Bedeutung, sein 
Wirken u. s. w. sind wellbekannt, so dass wir hier kurz sein dürfen. 
Zuweilen führt er in Verbindung mit der Philharmonie, grössere 
Musikwerke mit Orchester auf; zuletzt : „Eine Nacht auf dem Meere* 
von Tschirch. In den 11 Jahren seines Bestehens, hat er nicht 
weniger als 25000 Thaler zu wohlthätigen und öffentlichen Zwecken 
ersungen. Seine ausserordentlichen Leistungen werden ihm dadurch 
erleichtert, dass nur gebildete Sänger, die, wenn auch nicht Männer 
von Fach, doch die Musik als Dilettanten von Kind auf übten, es 
wagen dürfen, den Eintritt zu erstreben. Dies war schon früher so, 
und ist doppelt so, seit der Verein sich in so weiten Kreisen Aner- 
kennung und Ruhm erwarb. So stehen ihm denn gewissermassen 
die besten Kräfte einer grossen Stadt zur Auswahl bereit. 

Die Liedertafel, obgleich altern Ursprungs als der vorige 
Verein, ist dagegen sehr in den Hinlergrund getreten. Sie besteht 
nur noch aus wenigen Mitgliedern, die von Zeit zu Zeit zu- 
sammentreten und bei Speis und Trank bei Lied und Sang 
sich des Lebens freuen, mit andern Worten Liedertafel halten; 
dass dieser Verein keine eigentliche künstlerische Bedeutung be- 
halten konnte, liegt wohl in der Sache selbst. Bilden die Freuden 
der Tafel die eigentliche Hauptsache und man will diese durch den 
Sang heben , so hat dieses unsern vollen Beifall. Soll aber die 
Förderung der Kunst die eigentliche Aufgabe sein , so bildet das 
Essen eine gar zu materielle Zugabe. Unwillkürlich fällt einem da- 
bei Eichendorfs Strophe ein : 

Das Essen macht viel breiter 

Und hilft zum Himmel nicht; 

Es kracht die Himmelsleiter, 

Kommt so ein schwerer Wicht. 

Das Trinken ist gescheidtcr. 

Das schmeckt schon nach Idee; 

Da braucht man keine Leiter, 

Das geht gleich in die Höh' 1 
Alljährlich macht sich der Verein bemerkbar, indem er , wie 
Schon erwähnt , eine Rhein fahrt mit der musikalischen Gesellschaft 
macht. Bei dieser Gelegenheit pflegt man die grossen Verdienste 
des Vereins im Feui]leton der Kölnischen Zeitung ins schönste Licht 
zu stellen. Anch hier dirigirt Weber die Gesänge. 

DiePolihymniaist ein junger Verein, der gleichfalls den 
Männergesang pflegt. Unter seinem früheren Dirigenten Eisenhut 
machte er so erfreuliche Fortschritte, dass er schon im ersten 
Jahre seines Bestehens auf dem vorigjährigen Concurse in Düssel- 



dorf den 2. Preis davon trug, was ihm um so mehr zur Ehre ge- 
reicht, als ihm von Haus aus nicht die gebildeten musikalischen 
Kräfte zu Gebote standen, wie den beiden früheren Vereinen, sondern 
vielen Mitgliedern die Ausbildung im Vereine sell>st et^t werden 
musste. Dieser Triumph hatte aber die, für den Verein mindestens 
böse Folge, dass er seinen Dirigenten verlor, indem Eibenhut gleich 
drauf einen Ruf nach Gummersbach ei hielt. Seitdem ohne Leiter, 
sank die Polihymiüa zurück. Seit kurzem hat Herr Manns, Kapell- 
meister beim 33. Regiment bekannt durch seine Goncerte ä la Strauss 
und Lanner im Gertrudenhof, die Leitung übernommen. Hoffen wir 
dass es ihm gelinge, den Verein zu erneuetem Aufstreben zu führen. 

(Schluss folgt.) 



CORRESPONDEKZEK. 



AUS MANNHEIM 

Die letztverflossenen Monate brachten in unserem Theater, denn 
darauf hauptsächlich beschränken sich in denselben die Öffentlichen 
Musik-Aufführungen, wenig Neues, doch nahm auch dieses Wenige 
das Interesse des Publikums lebhaft in Anspruch. Es wurde von 
Paers komischer Oper: „Le maftre de chapellc" , die vielleicht vor 
30 Jahren hier einmal gegeben war, ein kleiner Theil, die 3 ersten 
Nummern, mit der Ouvertüre voraus, in französischer Sprache ge- 
geben. Dieser Theil der Oper, der nur 3 Personen, Sopran, Buffo- 
Tenor und Bariton, erfordert, bildet einen gewissen Abschluss, und 
so mag es wohl gerechtfertigt sein, dass nicht die ganze Oper vor- 
geführt wurde, deren weiterer Verlauf noch mehrere Kräfte, als im 
Anfang, beschäftigt, wodurch vor Allem die Möglichkeit, sich des 
französischen Originaltextes zu bedienen , abgeschnitten gewesen 
wäre. Die Musik der Vorgefühl tan Nummern zeichnet sich durch 
Originalität und grosse Lebendigkeit aus , namentlich ist der Aus- 
druck des Komischeu , von Seiten des Sängers wie des Orchesters, 
in der Arie für Bariton (Herr Stuckhausen) und in dem darauf fol- 
genden Duett, (Frl. Rohn und der eben Genannte) ein gelungner. 
Die drei Darsteller , Herr Rocke als Buffbtenor, der französischen 
Sprache vollkommen mächtig, führten ihre Rollen mit der erforder- 
lichen Lebendigkeit , die sich zu dramatischer Wahrheit gestaltete, 
durch, und brachten somit einen sehr günstigen Eindruck hervor, der 
sich auch bei den schnell nacheinander erfolgten Wiederholungen 
des Stückes in gleicher Frische erhielt. — „Der Zweikampf" von 
Herold wurde neu einstudirt und zweimal gegeben, hatte jedoch 
keinen bedeutenden Erfolg , wenn auch das Ansprechende und zu- 
weilen Pikante der darin befindlichen Melodieen anerkannt wurde. 
Solche Opern vollenden nach ihrem ersten Erscheinen ihren Kreis- 
lauf schnell , und werden bei der stets nach grössern Effekten haschenden 
Richtung unserer Zeit, respective unserer Operncomponisten als zn 
bescheidene Produkte bald wieder bei Seite gelegt. — Das alte musi- 
kalische Quodlibet, „Der Kapellmeister von Venedig", wurde, gänz- 
lich aufgefrischt durch viele neue , von Musikdirektor Ketsch theits 
in8trumcntirte Einlagen , unter allgemeinem Beifall wieder zur Auf- 
führung gebracht. Namentlich erwarben sich ein grosses Quodlibet 
für Orchester, als Ouvertüre, und ein solches für die Rollen von 
Hannchen und Peter, durch ihre oft sehr pikanten Contraste, einen 
sehr günstigen Erfolg. Von den Darstellern , die sichtlich mit Lust 
zusammenwirkten , zeichnete sich besonders Herr Nebe als Peter 
durch seine wirksame Komik aus. Im Laufe des Sommers hatten 
wir Gelegenheit, Herrn Sontheim, vom K. Hoftheater in Stuttgart in 
der Rolle desEleazar (Jüdin) und des Othello zu hören. Die Stimme 
desselben gehört unstreitig zu den Besten jetzt existirenden Tenor- 
Stimmen , nur bedauerten wir , dieselbe fast nie anders , als tremu- 
lirend gehört zu haben. Die Darstellung des Eleazar war eine sehr 
gelungene, und veranlasste mehrmaliges Hervorrufen. Weniger scheint» 
mit Ausnahme des Duetts mit Jago im 2. Akt, sein Othello an- 
angesprochen zu haben. Vom musikalischen Standpunkt aus wäre 
sehr zu wünschen, dass Herr Sontheim in der Oper nicht fast aus- 
schliesslich als Solosänger hervortrete. — Die neuste Erscheinung 
an unserm Theater ist der junge Tenorist Herr Grimmingcr, der 
kürzlich hier zum erstenmal auftrat als „Edgar" in Lucia von Lämmer* 



— 164 



mor. Herr Gr. ist im Besitz einer schönen, klangvollen und bieg- 
samen Stimme, und führte uns in Gesang wie in Spiel, obgleich erst 
Anfänger auf der Bühne , eine sehr beachtenswerte Leistung vor. 
Derselbe ist ein Schäler des rühmlichst bekannten Tenoristen Herrn 
Bayer in München , und zeigte sich seines Lehrers vollkommen 
würdig. Seine Acquirirung für das hiesige Theater scheint ausser 
Zweifel zu sein. 



>oa» » 



AUS MAINZ. 

4. October. 

Während das hiesige Publikum mit einem, durch langes 
EntLehren gesteigerten Interesse sich den Kunstleistungen in dem 
kürzlich wieder eröffneten städtischen Theater zuwendet, und zwi- 
schen den Vorzügen der Damen Molendo und Amend in zweifeln- 
der Wahl zu schwanken scheint, während ferner die lange vorbe- 
reitete Aufführung des Händcl'schen Alexanderfestes durch den 
hiesigen Verein für Kirchenmusik auf neue Hindernisse gestossen ist, 
und in der Liedertafel die Wahl eines neuen Direktors endlich 
glücklich zu Stande kam, ist in aller Stille eine Erscheinung an uns 
vorübergegangeil , welche, wenn sie aus ihrem seihst gewählten 
Inkognito herauszutreten beliebt hätte, ohne Zweifel sämmtliche 
Partei- Ansichten des Mainzer Publikums, (und deren sind nicht wenige) 
zu einem einstimmigen Chorus allgemeiner Bewunderung und Aner- 
kennung vereinigt haben würde. Ich spreche nämlich von einem 
liebenswürdigen Schwesternpaar, den beiden Frl. Sophie und 
Isabella D nicken aus London, welche von den Anstrengungen einer 
zehnmonal liehen Kunstreise in Polen und Kussland eine kurze Zeit 
hier ausruhten, um sieh dann von hier aus direkt nach Paris zu be- 
geben; von dort wollen sie sich nach Belgien und Holland wenden, 
wo wir ihrem Auftreten im Voraus den schönsten Erfolg versprechen 
zu können glauben. Sophie, die ältere der beiden Schwestern, ist 
Claviervii tuosin. Das will anscheinend nicht viel sagen , denn wer 
spielt denn heut zu Tage nicht Ciavier, oder glaubt wenigstens zu 
spielen? Wer zählt denn das Heer der Claviervirtuosen, deren Zahl 
Legion und die täglich neu aufschlössen , wie die Pilze nach einem 
warmen Regen? Aber gerade in Mitte der Drangsale, die wir von 
der stümperhaften Miüelmässigkeit oder der geistlosen Fingerfertig- 
keit der zahllosen Pianisten beiderlei Geschlechts täglich und unaus- 
weichlich zu erdulden haben , ist die zeitweilige Erscheinung ächter 
Künstler nöthig, die das Instrument wieder zu Ehren bringen damit man 
nicht in Versuchung geräth, Alles was mit stumpfen Fingern oder 
langgespitzten Nägeln auf weissem Beine klappert sammt dem Er- 
finder des dreifach besaiteten , und verschicbungsf&higen Tonkastens 
dahin zu, wünschen , wohin man in Frankreich mitunter viel harm- 
losere Leute schickt. Frl. Sophie Dulcken ist eine vom Hauche des 
ächten, wahren Genius beseelte Künstlerin, wie wir durch eigenes 
Anhören in einem Privatkreise uns zu überzeugen Gelegenheit hatten. 
Die Sicherheit und Eleganz, mit der sie die schwierigsten Bravourstücke 
spielt, der tändelnde Humor, den sie in kleinen pikanten Salon-Piecen 
entwickelt, das tiefe Verständniss und die künstlerische Begeisterung 
beim Vortrage Bach'scher Fugen und anderer klassischer Meisterwerke 
— wahrlich, wir wussten nicht, welchen von allen diesen der Künst- 
lerin eigenen Vorzügen wir am meisten bewundern sollten. Damit 
verbindet sie eine unermüdliche Ausdauer, und , am eigenen Spiele 
sich begeisternd, scheint sie keine Ermüdung zu kennen. Die jüngere 
Schwester, Isabella, spielt auf dem Conzertina (eine verbesserte Art 
Melodikon) mit einer solchen vollendeten Meisterschaft, wie wir es 
auf diesem Instrument überhaupt nicht für möglich gehalten hätten. 
Sic weiss nicht nur alle Nuancen des vollendetsten Gesanges von 
der höchsten Kraft bis zum weichsten Piano auf ihrem kleinen 
Instrumente wiederzugeben , sondern sie führt auch die schwierigsten 
Läufe und Passagen mit einer Reinheit und Sicherheit aus, welche 
selbst auf der Violine nicht vollkommener erreicht werden könnte. 
Dazu kömmt noch das jugendlich-liebliche Wesen der beiden Schwe- 
stern, welches Jedermann für sie einnehmen muss. Da ist keine Spur 
von der hohläugigen 'kränkelnden Erscheinung ehemaliger Wunder- 
kinder, welche im 16. oder 17. Lebensjahre angelangt, die bis zum 
Unsinn gesteigerten Anstrengungen ihrer frühesten Jugend mit dem 
Verluste ihrer Gesundheit büssen, und in einer kurzen vorübergehen« 



den Berühmtheit keinen Ersatz finden für die seligen Jahre der Kind- 
heit, um welche sie die Eitelkeit oder Habgier herzloser Eltern be- 
trogen hat. Nichts von dem Alien ist da zu bemerken. Aus rosigen 
Wangen blitzen muntere und kluge Augen, und ohne übermässige und 
geisttödtende Anstrengungen hat bei diesen beiden, so reich begabten 
Mädchen, sich das schönste Talent unter der liebevollen und verstän- 
digen Leitung ihres Vaters ganz naturgemäss zur höchsteu Stufe der 
Vollendung entwickelt. Sicherlich werden wir bald von Paris aus 
unser Vrtheil über die beiden jungen Künstlerinnen bestätigen hören, 
und hoffen, recht bald wieder einmal die Freude zu haben, denselben 
auf ihrer weitern Künstlerlaufbahn zu begegnen. — r. 

NACHRICHTEN. 



Wiesbaden. Am 2. Oktober wurde Indra zum ersten Male 
gegeben. Herr Frei vom Stadttheater zu Mainz sang den Sebastian. 
Als Festoper bei der vor einigen Tagen stattgefundenen Vermählung 
der Prinzessin wurde statt der zuerst bestimmten Iudra die Nacht- 
wandlerin gegeben, wahrscheinlich weil es gelungen war, Frl. S. 
Cruvelli für diese Vorstellung zu gewinnen und diese natürlich vor- 
zog, eine ihrer Parade-Rollen zu singen. 

Prag. Frl. Meyer vom Dresdner Hoftheater ist auf drei Jahre 
bei der hiesigen' Bühne engagirt worden. 

Würzburg. Die hiesige Oper scheint unter der neuen Direk- 
tion (Hrn. Spielberger) einen grösseren Aufschwung zu nehmen. Die 
beiden ersten Vorstellungen : Freischütz und Norma befriedigten, be- 
sonders die zweite. Leider erkrankte der Kapellmeister (K. Reiss) 
schon nach der zweiten Vorstellung so bedeutend, dass er bis jetzt 
nicht zu dirigiren vermochte, 

Wien« Ander sollte am 3. October zum ersten Male wieder 
auftreten. — Frl. Johanna Wagner hat bereits zweimal den Romeo ge- 
sungen.— Der Ciavier- Virtuos Willmers wird diese Saison in Wien 
zubringen. — Das Archiv der Akademie der Tonkunst in Wien ist von 
dem Mitgliede Herrn Carl Czerny mit einem Exemplare seines neue- 
sten Werkes „Gradus ad Parnassum, Collection de grands Exercices 
de tout genre dans le Style severe pour le Piano*' Op. 822 in sehr 
schätzbarer Weise bereichert worden. Diese Sammlung ernster 
Studien reiht sich würdig an die früheren Schulwerke des bekannten 
praktischen Meisters an, deren Schlussstein sie nach der Absicht des 
Autors zu bilden bestimmt ist, und erschien im Verlage von B. 
Schott' s Söhne in Mainz in zwei Abtheilungen und in vol- 
lendet schöner und eleganter Ausstattung. 

Berlin. In Kurzem wird eine neue Oper von dem k. Kapel- 
meister Taubert : „Jöggeli" zur Aufführung kommen. Darauf wird 
Gretrys Richard Löwenherz neu in Scene gesetzt folgen, und zwar 
am Geburtstage des Königs. Diese Oper hat bekanntlich während 
der französischen Revolution besonders durch das Lied „o Richard, 
o mon roi" auch eine politische Bedeutung erlangt. 

Vicuxtemps wird im November hier eintreffen. 

Y Das Theater in Würzburg hat von dem Magistrate einen jähr- 
lichen Zuschuss von 2400 Gulden erhalten. 

V Gervinus arbeitet an einer Biographie J. Haydn's. Er soll 
in England treffliche Materialien dazu aufgefunden haben. 



i ii 2 e i g e, 



Ein junger, mit guten Schnlkenntnissen versehener Musiker, 
welcher in einem guten Orchester der Posaune und dem Contrabass 
vorstehen kann, findet eine gute, dauernde und angenehme Anstel- 
lung in einer Musikalienhandlung mit Leihanst*lt. 

Reflectirende wollen ihre Anträge unter Chiffre A. B. frankirt 
an die Redaction in Mainz gelangen lassen. 



Vertahr.rttlcl.er Btitkteir: J. J. »CH01T. -Dreck waWWTERu. WALUÜ ia Malm. 



2. Jahrgang. 



Mr. 4«. 



17. Octbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK- ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
IKONTAG. 

Man abonnirt bei allen Post&mtern, 
Musik- und Bachhandlangren. 



REDACTION HD VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 





PREIS: 


fl. 2. 


42 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 




für den Jahrgang. 


Durch die^ost bezogen: 


50 kr. 




oder 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalts Das Lied. — Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corresp. (Hamburg. Dresden.) — Nachrichten. 



DAS LIED, 
seine poetische und musikalische Gomposition. 



IL 

Niedcrlausitzer Volkslieder. 
(Schluss.) 

Die alten Instrumente der Wenden sind schon mehr und 
mehr verdrängt; natürlich, denn für die leichten modernen Tanz- 
weisen sind sie zu unbeholfen. Die dreisaitige Geige, husla, ist 
ein musikalisches Hausgeräth aller Serben , wir werden ihr unten 
bei den südlichen Serben unter dem Namen „Gusle" wieder begegnen 
Eigenthümlich ist ihnen ferner die Tarakawa, ein durchdringendes, 
gellendes, der Oboe ähnliches Instrument Zählt man hierzu noch das 
Ha c k eb r e 1 1 (cymbal) und die embryonische Orgel, den Dudelsack, 
so hat man ihr ganzes Orchester beisammen. „Vom Dudelsack gibt 
es zwei Arten , einen grössern und einen kleinem. Der grössere 
trägt den ganzen gehörnten Kopf des Ziegenbockes und heisstKozol; 
der kleinere (mjeehawa) entbehrt dieser Zierde. Beide Arten bestehen 
aus einem Sack von geschmeidigem Leder, einem Blasenbalg und 
zwei vorn heruntergehenden Röhren. Beim Spielen wird der Sack 
unter den linken, der in denselben einmündende Blasebalg unter den 
rechten Arm genommen und fortwährend gedrückt, um die Luft ein- 
zupumpen, welche durch den Sack den beiden Röhren mitgetheilt 
wird. Von den Röhren ist die eine mit 9 Löchern und einem 
Daumenloch versehen : auf diesen wird die Melodie gespielt. Die 
andere, welche auf der Seite mit einem Stimmer verschen ist, bläst 
in einem und demselben Tone mit unaufhörlichem dumpfen Ge- 
brumme den Bass dazu" (II, 219.). 

Soviel über die immerhin rohen , aber den nationalen Bedürf- 
nissen der Wenden vollkommen entsprechenden Instrumente. Nun 
über die Poesie und Melodie ihrer Lieder im Ganzen ein Wort. 

Die Poesie unserer Wenden , obwohl zuweilen sehr schön, 
bietet nichts auffallend Eigen thümliches dar. Ueber ihre leibliche 
Gestalt, den Strophenbau, ist schon oben bemerkt, dass das deutsche 
Volkslied hierin vollkommner sei ; die wendische Strophe ist ent- 
blösst fast von jeder Schönheit, ihr bleibt nichts, als die verschieden 
rhytmisirte Wiederholung. Der Grund hiervon ist (für Manchen 
gewiss merkwürdig zu hören) musikalischer Natur ; eine Ver- 
gleichung mit der Poesie der Südslaven wird dies später beweisen. 
Die Wenden drücken ihre Empfindungen nämlich ganz einfach, 
schlicht und geradezu aus, die Bild- und Gleichnissrede, auch wo sie 
vorkommt^ geht selten aus der musikalischen Lyrik in die bildliche 
Anschauung über, sondern Alles ist auf den gemeinsamen Gesang 
gerichtet und kann durchaus gesungen werden. Hierdurch kommen 
sie dem deutschen Liede nahe, entbehren aber des sonnenhellen Ge- 
wandes, in welchem die südslavische Poesie prangt. Dass die 
Wenden bei solcher Richtung doch nicht völlig die denischen zu 
erreichen vermochten, dies ist allerdings nicht mehr in musikalischen 
Verhältnissen begründet, sondern in ihrer geistigen Anlage, in der 



Art und Weise ihres Volkscharakters, in ihrer Gestaltungsfähigkcit. 
Sehr wohl muss man den Charakter ganzer Völker in Anschlag 
bringen, er ist das Erste und Letzte, er gibt allen ihren Schöpfungen 
Gehalt und Richtung und Lebensdauer; nur muss man nichts direct 
aus ihm ableiten, was Mittelstufen voraussetzt. 

Hier nun kommt all das ruhelose Wesen zu Tage , welches 
allen Slaven mehr oder minder eigen ist , verschwistert mit fröh- 
lichem Leichtsinn, hervorgehend aus einem nicht genug bewussten 
versöhnten, tiefen, sichern Geiste. Es offenbart sich in der lücken- 
haften Darstellung des psychologischen Vorgang in einer Darstellung, 
die , so rührend und ergreifend sie oft wirkt , im Ganzen doch als 
unzulänglich bezeichnet werden kann, weil in derselben musikalisch- 
lyrischen Weise Vollendeteres denkbar und wirklich vorhanden ist, 
nämlich im deutschen Volksgesange. Der Kürze wegen muss ich 
den Leser auf die vorhin gegebenen Proben verweisen ; im Verlaufe 
kommen wir hierauf noch öfter zurück. 

Die Melodien. Während die Herausgeber über die Poesie 
der Wenden von allgemeinen Gesichtspunkten aus sieh nicht ausge- 
sprochen haben , finden wir zum Glück über die Melodien sehr 
werlhvolle Mitlheilungen. „Was die Melodien anbetrifft", sagt Herr 
Haupt I, 25 -— 26, „so stellen wir sie dreist den besten deutschen 
Volksweisen an die Seite. Einige zum Thcil aus den alten Kirchen- 
tonarten gehend , verrathen ein hohes Alter. Die meisten tragen 
ganz den Character des slavischen Volksliedes an. sich; andere, 
deutscher Singart sich mehr annähernd, zeugen von ihrem spätem 
Ursprünge. Eine besondere Aehnlichkeit haben sie mit den Melodien 
der grossrussischen Volkslieder. Mit Ausnahme der Tanzlieder 
werden sie, gleich diesen, sehr langsam gesungen. Es geschieht 
dies durchgehends mit tremulirender Stimme und häufiger Anwendung 
des sogenannten Bockstrillers. Ein solcher wird wenigstens allemal 
beim Anfange jedes Taktes auf der ersten Note und am Schlüsse 
auf der letzten angebracht. Endigt das Lied in der tiefern Octave 
oder Quinte, so wird ohne Absetzen der letzte Ton des Verses mit 
dem ersten Tone des in der höhern Octave oder Quinte darauf fol- 
genden trillernd so verbunden , dass nach einem Decrescendo, 
welches auf dem letzten Tone des erstem Verses in ein Morendo 
übergeht, der erste Ton des folgenden mit vollem Forte eingesetzt 
wird; ganz ähnlich dem Gesänge der Kosaken und einiger anderer 
besonders östlich slavischer Stämme. Eigenthümlich ist auch dem 
Gesänge der Wenden der häufige Gebrauch das „Ha" und „Haie". 
Sie beginnen fast jedes Lied mit einem dieser Wörter und schieben 
selbst da, wo ihnen eine Sylbe oder ein Fuss im Texte fehlt, ohne 
Rücksicht auf den Sinn , oft zwischen Bei- und Hauptwort , eines 
oder das andere ein. Bei den kathol. Wenden werden diese Wörtchen 
sogar den Kirchenliedern eingewebt, was einen ganz besondern, aber 
nicht unangenehmen Eindruck macht. Der Kirchengesang der Evan- 
gelischen ist dagegen schon mehr germanisirt und wird ohnedem mei- 
stens durch die Orgel begleitet, wobei solche dem Volhsliede ent- 
nommene Zwischenlaute nicht stattfinden können. Diese Eigentüm- 
lichkeit haben die Wenden mit den Kleinrussen gemein, bei denen 
auch Volkslieder mit „Hoj" und „Ha" anfangen. Bei den Grossrussen 
findet sich etwas Aehnliches; viele ihrer Lieder fangen bei jedem 



166 



Verse mit „Ach" an. Auch im deutschen Volksliede wird das „und" 
und „aber" nicht seilen auf gleiche Weise angewandt (Meinen 
Bruder hast du meuchlings erstochen, und aber hast ihn meuchlings 
erstochen'*. Unland.) In der Ucbersetzung ist nur hie und da diese 
Eigentümlichkeit beibehalten worden, da sie an den meisten Stellen 
eine üble Wirkung hervorgebracht haben würde". 

„Die Melodien (heisst es weiter: II. VI — VII.) sind so aufge- 
zeichnet, wie sie gehört wurden , und wir haben uns wohl gehütet, 
irgendwo willkürliche Veränderungen anzubringen, wiewohl wir auch 
hierbei nicht unkritisch zu Werke gegangen sind und die bessernde 
und berichtigende Hand überall angelegt haben, wo es uns nothwendig 
schien, um die ursprüngliche Singart herzustellen. Manche derselben 
sind mehr oder weniger mit deutschen Singweisen übereinstimmend, 
die meisten aber eigenthümlich und acht wendischen Ursprungs, 
einige offenbar sehr alt und in ihrer altertümlichen Form wohler« 
halten , nicht wenige von hohem musikalischen Werth und dem 
Studium der Musikmeister zu empfehlen. Diese nicht blos auf un- 
serem Urtheile beruhende Ueberzeugung tragen wir offen den Ken- 
nern im Fache der Tonkunst entgegen Und bitten recht angelegent- 
lich um ihre Entscheidung". 

Soweit die verdienstlichen Herausgeber; den letzten Satz 
nahm ich mit , weil er zum Text gehört : der Leser wirds ent- 
schuldigen. Ich bin weder Musikmeister , noch Kenner , sondern 
«uche bloss ein Lichtlein hinzustellen da, wo Andere es dunkel 
gelassen haben. 

Allen den Melodien, die in sich einen gesangmassigen Zusammen- 
hang haben , aber nicht in der Gesetzmässigkeit und Empfindungs- 
weise unserer neuern Tonkunst geschaffen sein können , muss ein 
mehr oder minder hohes Alter zuerkannt werden. In grosser Fülle 
finden solche Weisen sich in F. Suschil's Mährischen Volks« 
liedern, *) daher wird bei einer eingehenderen Besprechung derselben 
besonders dieser wichtige Punkt genauer erörtert werden, und zwar 
mit Bezugnahme auf die Wendischen Melodien. 

Hier nur dieses. Vollkommen ebenbürtig sind die Wendischen 
Gesänge den Deutschen nicht , weder in Poesie, noch in der Musik. 
Tiefer musikalisch und als Gesang schöner , als die Volksweisen 
vieler anderer Völker, fehlt ihnen doch noch ein Bedeutendes von 
der melodischen Reinheit, zu welcher die Deutschen sich durchge- 
bildet, man kann wohl sagen , durchgesungen haben. Sie sind aus 
Bich selbst schon weit gekommen, aber doch nicht so weit, dass 
sich auf ihrer volksmässigen Grundlage die Musik als eine freie 
Kunst aufbauen könnte. Im deutschen aber ist solches geschehen : 
daher blicken die „Musikmeister" auf unser Volkslied immer wie 
auf mustergiltige, den Sinn belebende und reinigende Formen zurück 
Wohl sind auch die Wendischen Gesänge eines eingehenden Stu- 
diums in hohem Grade werth ; aber die belebende, rein musikalische 
Kraft, welche den Deutschen innewohnt, ist hier nicht so vorhanden, 
wir verhalten uns ihnen gegenüber mehr kritisch. Die Wendischen 
Gesangarten bewegen sich entweder in den modernen Tonarten, und 
werden dann von den Deutschen bei weitem überboten ; oder in den 
Kirchentonarten, und sind dann gleichsam nur Absenker einer Melo- 
diebildung, die wir in den alten Kirchengesängen nicht nur reiner, 
sondern durch Palcstrina, O. Lassus und Eccard auch in bewunderns- 
würdiger harmonischer Kunst entwickelt haben; oder sie (die ältesten 
Gesänge nämlich) weichen von beiden ab, sind aber dadurch für 
uns künstlerisch ungeniessbar. 

Für direkte Entlehnung oder Aneignung ist desshalb in diesen 
Gesängen nicht viel enthalten; die Melodiejäger, übrigens eine schon 
ziemlich aus der Mode gekommene Specie, durften hier wenig Beute 
finden, Wer ihren Geist, ihre gute natürliche Kunst empfinden will, 
der muss vor allem in so ursprüngliche Zustände sich zu versetzen 
Wissen. Wem dies gelingt , dem wird hier , wie in jedem gesunden 
Volksthum, Alles voll Geist, Leben und Empfindung sein, dem wird 
die Volksgestalt in ihrer ganzen Treue und Offenherzigkeit sich 
offenbaren. Musikalisch haben die Melodien noch insofern einen 



*) Bai der Anzeige der neuen Ausgabe dieser Sammlung in Nr. 38 d. Ztg. Ist zm Be- 
merken tergessen, dass sie zuerst tu Brunn 1835 nnd 1840 erschien. Ble Herausgeber der 
Wendischen Lieder haben sie vielfach benutzt. Soeben beginnt Erk in Berlin einen „deut- 
schen Liederhort" herauszugeben. Die schöne Ausstattung und der billige Preis, mehr noch 
die t&chtige Arbelt selber, lügst uns das Unternehmen als ein sehr erfreuliches begrasten. 
Herr Erk wird den Melodien eise besondere Sorgfalt zuwenden, wie er versichert ; er wird 
wliBen, dass eben in dieser Hinsicht noch unendlich viel an thun ist. 



grossen Werth, als sie uns das Wesen der gar verschiedenen alten 
und die allmälige Bildung der neueren Tonarten veranschaulichen 
helfen. 

Wer von den oben mttgetheilten Liedern etwas singt , der hüte 
sich vor schneller, streng taktticher Bewegung und vor voller und 
stetiger harmonischer Begleitung. Aeusserltch ruhiger, innerlich 
bewegter Vortrag, deutliche Wortaussprache , fast recitativisch har- 
monische Begleitung in reinen Dreiklängen , mitunter ohne Terz — 
mehr bedarfs nicht. So wollte der oben verzeichnete Gesang : 
„Gingen zwei Verliebte aus" (II N. 87) bei stetig harmonischer Be- 
gleitung und taktmässigem Gesänge Keinem verständlich werden, 
während er bei der simpeln Haltung, wo das ganze Gewicht in dem 
Gesang, und zwar in den Vortrag der „Mähre", gelegt ist, allgemein 
ansprach. Andacht, so kann man kurz alle die erforderlichen 
Bedingungen bezeichnen, unter welchen dieser Gesang ums sein In- 
neres erschliesst j keiner weiss dies besser , als die Wenden selbst. 
Sie haben hierüber eine schöne Sage , mit der ich schliese. Also 
erzählte Frau Girt in Hermsdorf von den „andächtigen Sängern" 
(U, 175): 

Es geschah aber, dass der Herr Christus und der heilige Petrus 
in der Welt herumwandelten. Und sie kamen in ein Dörflein, wo 
man in einem Hause so schön sang. Und der Herr Christus blieb 
stehen , um zu hören , der heilige Petrus ging aber immer weiter. 

Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich um 
und der Herr Christus stand noch dort. Der heilige Petrus ging 
aber immer weiter. 

Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich 
wieder um : und der Herr Christus stand noch immer da. Der heilige 
Petrus aber ging noch immer weiter. 

Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich 
noch einmal um, und siehe — der Herr Christus stand immer noch 
dort und hörte zu. 

Da kehrte der heilige Petrus auch um und kam wieder zu dem 
Hause, und dort sang man so schöne Volkslieder. Da sie nun eine 
Zeitlang zugehört hatten, gingen sie beide weiter und kamen an ein 
anderes Haus, dort sang man auch. Und der heilige Petrus blieb 
stehen, um zu horchen, der Herr Christus t ging aber immer weiter. 
Da ging der heilige Petrus auch weiter und wunderte sich gewaltig. 

Da sprach der Herr Christus : was wunderst du dich so ge- 
waltig ? Und der heilige Petrus sprach : Ich wundere mich darüber 
so gewaltig, dass du dort stehen bliebst wo sie Volkslieder sangen 
und hier vorbei gehst, wo sie geistliche Lieder singen. Da sprach 
der Herr Christus : Mein lieber heiliger Petrus, dort sangen sie Volks- 
lieder, aber mit aller möglichen Andacht, hier singen sie geistliche 
Lieder, aber ohne die geringste Andacht. 



DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN COLN. 



(Schluss.) 

Der Bürger- und Handwerke r-V e r c i n steht unter der 
Leitung des Lehrers H e r x . Die unermüdliche Thätigkeit des Diri- 
genten hat in Betracht, dass mehr noch wie in der Polihymnia, es 
fast nur rohere Kräfte sind, welche dem Vereine beitreten , wirklich 
Ausserordentliches geleistet , so dass die Gesang- Vorträge in dieser 
Berücksichtigung wahrhaft Staunen erregten. Nichts destoweniger 
möchten wir wünschen, dass Hr. H. in einer Beziehung seine Stellung 
richtiger auffasse : die Aufgabe seines Vereins kann es am wenig- 
sten sein, ein Virtuosenthnm anzustreben. Mag man sich am Schwie- 
rigen üben, aber die eigentliche Aufgabe wäre hier,' vor allem den 
Volksgesang zu pflegen. Leider schmälert der Dirigent durch 
ein leidenschaftliches Haschen nach Ehren sich die Ehre , welchö 
man ihm sonst angedeihen lassen würde und welche er gewiss ver- 
dient. Sein Verein steht übrigens in grosser Disharmonie mit der 
Polihymnia, mit der er coneurrirt. 

Die H ö m o r rh o i d a r i a, oder wie man sie in jüngster Zeit 
umgetauft bat, die Humorrhoidaria , eine heitere Gesellschaft, pflegt 
unter der Leitung des Musiklehrers Kipper die komische 'Jheater- 
«usik. Sopran- und Altparlhien übernehmen Herren mit Gebrauch 
der Fistelstimme, deren sie vortreffliche hat« wovon ihre letzte Vor* 



- 167 



stellang im Stollwerk'schen Theater-Saale den besten Beweis ge- 
geben hat. Die H. besteht ans Mitgliedern , denen es so wenig 
an musikalischer wie an geistiger Bildung mangelt. Sie besitzt eine 
kleine Bahne, auf der selbstgefertigte kleine Vaudevilles, oder auch 
bekannte komische Opernscenen und Vaudevilles, aber fast immer 
mit Anpassungen an Ort und Zeit, cur Aufführung kommen. Wir 
wünschen dem heitern Verein ein fröhliches Gedeihen } hat er auch 
bis dahin noch keine bedeutende eigne Productionen aufzuweisen, 
so kann doch ein solches Sichnähertreten der producirenden 
und ausführenden Kunst nur vortheilhaft auf musikalische Theater- 
schöpfungen einwirken, wesshalb die H. anderwärts Nachahmung 
verdient. 

Wir wollen hier wegen der grossen Beteiligung, die er in Göln 
findet, noch des Si eg - Rheini sc h en-L e hrer-V er eins Er- 
wähnung thun , obgleich er Cöln nicht ureigenthümlich angehört. 
Derselbe hat sich die Aufgabe gestellt, durch die alljährige Auf- 
führung einer alten Messe die alte Kirchenmusik zu pflegen. An 
seiner Spitze steht der Gesanglehrer des Brühler Lehrerseminars 
Töpler, als Kirchenkomponist und Verbessercr der alten Chorale 
rühmlichst bekannt. Bei der letzten Aufführung wurde in der 
Schlosskirche die „Missa Papae 'Marcelli" von Palestrina von 300 
Lehrern und 200 Knaben mit einer Meisterschaft vorgetragen, welche 
vom Wirken des Vereins das beste Zeugniss ablegte. 

Hiermit hätten wir sämmtliche eigentlich musikalischen Vereine 
von einiger Bedeutung die Revue passiren lassen. Wir könnten noch 
eine grosse Zahl hinzufügen , wollten wir alle anführen, die neben- 
bei die Musik pflegen , oder mit ihr in Wechselwirkung stehen. 
Das Obige mag indess genügen , um darzuthun , welch ein reges 
Leben auch in dieser Beziehung in Cöln pulsirt. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS HAMBURG. 

Eada September. 

In dem verflossenen Monat hat die Oper nicht die seitherige 
Thätigkeit entwickelt. Theils haben mehrere bedeutendere Gastspiele 
im Drama, theils das Auftreten der ausgezeichneten Tänzerin L. 
Grahn die Abende ausgefüllt, theils endlich mag der Umstand dazu 
beigetragen haben , das» Herr de Barbieri heute austritt und statt 
seiner morgen Herr Ignatz Lachner die Direction übernimmt. — Er- 
wähnung verdient vor allem das einmalige Auftreten Roger's von 
Paris. Er hatte sich zu drei Gastrollen erboten und natürlich war es 
nicht etwa Mangel an Beifall, was ihn zur schnellsten Rückkehr nach 
Paris bewog, sondern der durch den Telegraphen ihm am Abend 
seines ersten Auftretens gewordene Befehl der ihm vorgesetzten Di- 
rection, zur früheren Wiedereröffnung der grossen Oper sogleich zu- 
rückkehren. So war es ihm nur vergönnt in der weissen Dame vor 
der grossen Anzahl anhänglicher Verehrer aufzutreten, welche unser 
Publikum seit seinem ersten Erscheinen hier enthält. Mir hat schon 
früher die acht französische Eigentümlichkeit der Stimme wenig 
zugesagt. Dass dieses Material bei fortgesetzter Anstrengung immer 
schärfer und spitzer wird, ist natürlich und lässt dieser Umstand alle 
Cantilene in seinem Gesang nur so weit gelingen, als schärfer aus- 
geprägter Vortrag damit zu verbinden ist. Alles rein lyrische , der 
weichen Klangfülle einer edlen Stimme Bedürftige, geht durchaus \er- 
loren. So beschränken sich denn Roger's Rollert durchaus auf einen 
kleinen Kreis der sogenannten Spieloper, zu denen einige italienische 
wie z. fc. Lucia hinzutreten, in welchen allerdings ernstere Stoffe, 
aber in dürftigster welscher Weise aufgefasst, dargestellt sind. In 
diesen Gränzen bewegt sich Roger mit unglaublicher Virtuosität; 
dem sehr harmonisch gebildeten Aeussern mit dem ausdrucksvollen 
Kopfe und feinsten Mienenspiel geseilt sich eine so lebhafte schöpf- 
erische Einbildungskraft, eine so anmuthige, Wahrhaft feine Heiter- 
keit zu, dass seine Leistungen für meine ziemlich weit greifenden 1 
Erinnerungen ohne einen ebenbürtigen Nebenbuhler dastehen. Das 
Haus war an dem Abend überfüllt. Es mag nicht unerwähnt bleiben, 
dass Herr Roger in den Beziehungen des äussern Lebens, in seinen 



Verhältnisse mit Directionen und in seinem Privatleben von allen 
Seiten als wahrer Ehrenmann gepriesen wird. 

In der Mitte des Monats hat in Eutin die Aufstellung einer 
Denktafel an C. M. von Webers Geburtshause stattgefunden. Die 
natürlich durch Musik gefeierte Festlichkeit hat eine grosse Menge 
dort versammelt, die durch unglaublich schönes Wetter begünstigt 
ein recht gemüthliches Volksfest erlebte. Die Verhältnisse ha^en 
der bedeutenderen Kunst dort keinen Raum gegönnt, indessen hat die 
Gegenwart der Liedertafeln aus Hamburg , Altona , Lübeck u. s. w. 
doch der Versammlung Genüsse geboten, wie sie dem grössten Thcil 
der Hörer wohl ganz neu waren. Dass übrigens das Fest bei alle 
der durch die Umstände gebotenen Rücksicht kein Volksfest im höh- 
eren Sinne des Worts sein konnte, versteht sich von seihst. Hoffen 
wir dass die Zeit erscheine, wo ohne Beschränkung die Nation sich 
ihrer grossen Künstler und Dichter bei einer solchen Veranlassung 
frei erfreuen könne , wo sie diese unsterblichen Meister nicht ver- 
stohlen und ängstlich als dürftige bürgerliche Personen feiern, son- 
dern ihrer grossen bedeutenden Stellung zum Vaterlande , ihrer Ein- 
flechtung in das Ganze des Volkes in ungehemmtester Weise in allen 
Beziehungen gedenken darf und wo nicht die daraus hervorquellenden 
Betrachtungen nach allen Seiten der polizeilichen Ueberwachung 
unterworfen sind. Jetzt ist eine bewusste Feier eines solchen Festes 
in höherer Bedeutung geradezu unmöglich, — Dass wir hier in 
Hamburg endlich einmal des grossen Tondichters Euryanthe zu hören 
bekämen, das freilich wäre die beste Art ihn zu feiern. Der Frei- 
schütz wird freilich oft genug, aber immer nur als Lüikenbüsser ge- 
geben. Und welche Lebenskraft doch in diesen acht deutschen Tönen» 
dass sie fortwährend, trotz des unerhört albernen Gedichtes die 
Hörer zu fesseln wissen 1 — Herr Schüttky, unser erster Bassist, geht 
Ostern nach Stuttgart. Möge uns Apollo gnädig bei der Wiederbe- 
setzung der dadurch erledigten Stelle sein. Herr Barbieri hat vor 
seinem Fortgehn noch eine Benefizvorstellung gehabt, zu welcher er 
Rossinis Belagerung von Corinth neu einstudirt hatte. Trotzdem 
die Oper viel Schönes enthält und gewiss zu Rossini's bessern 
Werken gehört, und ungeachtet es dem Abschied des Herrn Bar* 
bieri galt, war die Theilnahmc des Publikums im Ganzen sehr ge- 
' ring. Die Ausführung litt an vielen Mängeln, vorzüglich im En- 
; semble. Es ist eine höchst interessante Bemerkung , dass unsre 
Sänger Rossini durchaus nicht mehr zu singen verstehen. Die gei- 
stige Form deren er sich bedient hat, ist schon jetzt völlig veraltet 
und theilweise sogar in ihrer lächerlichen Aermiichkeit zum allge- 
meinen Bewusstscin gelangt. So ist es denn natürlich, dass unsre Sänger 
vielen Figurenschmuck abkürzen, oder ganz weglassen der mehr 
oder weniger den Mantel bildet, mit dessen Fallen auch der Herzog 
fällt — denn welch dürftiges Skelett bleibt noch , wenn wir den 
Rossinischen Arien diesen äussern Glanzfirniss abstreifen! Und der 
Maestro lebt noch in voller Kraft und wird von den Mitlebenden 
schon jetzt zu Grabe getragen 1 Welch eine Lehre für die jungem 
Lernenden , wenn diese ihre Wünsche irgend nach Höherem richten 
als nach augenblicklichem Beifall der Menge und vielem Gelde! — 
Frl. Garrigues, derert Stimme leider angegriffen klang, sang die Pa- 
myrä genügend. Herr Eppich als Kleomenes findet sich jetzt immer 
besser mit dem Recitativ ab. Seine Stimme ist gross und voll in 
ihren einzelnen Tönen, aber leider ohne musikalische Bildung , ja 
selbst ohne Sicherheit. Herr Schüttky als Mahomet und Herr Linde- 
mann als Hieros waren meist trefflich ; endlich darf ich nicht ohne 
Erwähnung lassen, dass Herr Kaps den Neokles äusserst brav aus- 
führte und dass Madame Maximilien die kleine Rolle der Ismene mit 
dankenswerther Bereitwilligkeit übernommen hatte — Herr Lachner 
wird am 2. October sein Amt mit dem Fidelio beginnen. Eine wahr- 
haft ehrende Wahl l Wie sich so nach und nach die Zeiten ändern« 
Früher, d. h. vor 10 und 1* Jahren hätte ein deutscher Capellmeister 
jedenfalls eine italienische oder französische Compositum für sein 
Debüt gewählt. Also: Bravo! Herr Lachner! Möge es ihm vergönnt 
sein das Orchester zu heben. Dazu würde sein guter Wille nicht 
genügen, sondern es bedarf der Einsicht der Direktion , dass sie 
durch Anstellung von mehr Violinen und Pensionirung der älteren 
Musiker sich eine Ausgabe veranlassen würde, welche bessere Vor- 
stellungen und vollere Häuser ihr reichlich einbringen könnte. 



168 



AUS DRESDEN. 

Ende September, 

„Wenn die Schwalben heimwärts ziehen", so ist das ein Zeichen, 
dass all mal ig mit gröserer oder geringerer Emsigkeit die Vorberei- 
tungen zur Saison beginnen — auch ein Beweis, in welchem trauten, 
geheimnissvollcn Zusammenhang, trotz aller Declamationen vom Ge- 
entheil, Natur und Kunst stehen. Das schöne Vorrecht die mancher- 
lei Sorgen und Mühen des Lebens vergessen zu machen, scheint denn 
auch diesmal die letztere in ausgedehntem Maasse geltend machen 
zu wollen. Je höher die Brod,- Fleisch- und Kartoffeln-Preise steigen, 
je mehr die Hausbesitzer die Miethzinsen hinaufschrauben, je kriege- 
rischer die orientalische Frage sich gestaltet : um desto emsiger 
sind Künstler und Virtuosen bemüht , diesen sehr fühlbaren mate- 
riellen Uebelständen den lindernden Balsam der Kunstgenüsse zu 
appliciren, und wenn möglich, auch sich selber für jene unvermeid- 
lichen Angriffe auf den eignen Geldbeutel in Etwas zu revangiren. 
Das ist eben so natürlich als verzeihlich, denn Jeder sucht mit dem 
ihm verliehenen Pfunde thunlichst zu wuchern , und wer möchte et. 

V im 

was dagegen haben, wird dieser Wucher nicht um offenbaren Nach- 
theil der Consumcnten getrieben ? Was man bis jetzt in dieser Be- 
ziehung hört , scheint diese etwaige Befürchtung auch keineswegs 
rechtfertigen zu wollen. Man spricht von Q uartettakademien 
Lipinski's ; man spricht von Triosoireen Franz Schubert's in 
Verbindung mit Goldschmidt, dem Gatten der Jenny Lind, und 
schmeichelt sich mit der Hoffnung, die hochgefeierte werde in diesen 
Soire'en aus ihrer langen Zurückgezogenheit wieder hervortreten; 
von Abonnementsconcerten unserer Kapelle, die wir nun schon seit 
Jahren wieder entbehren müssen , spricht man leider nicht. Auch 
über die Herkunft fremder Viertuosen hört man bis jetzt glücklicher- 
weise Nichts ; dagegen werden einige Mitglieder unserer Kapelle so z. B. 
der wackere Waldhornist Eisner, der Violinist Trö stier u. s. w., 
nicht minder die Liedertafel, die Dreissig'sch e Akademie 
und ein Paar unserer jüngeren, strebenden Musiklehrer , die Herren 
M. Liering und Spind ler, mit eigenen grösseren Kompositionen 
vor das Publikum treten. Ein grosses Quintett des Erstgenannten 
spielte in einer bei ihm veranstalteten kleinen Matinee der geniale 
Liszt bei seiner hiesigen Anwesenheit auf eignen Wunsch — jeden- 
falls eine nicht geringe Empfehlung. (Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 



Mainz« Herr Anton Schindler, Verfasser einer Biogra- 
phie Beethovens sowie Entdecker mehrerer verloren gegangener No- 
ten und Tempobezeichnungen in Beethovens Werken, hat einen neuen 
Anspruch auf die Ehrfurcht Deutschlands gewonnen. In der letzten 
Nummer der „Niederrheinischen Musikztg." verkündet er triumphirend, 
dass es endlich an den Tag gekommen sei, wie wieder er der Einzige 
war, der das fehlende Tempo beim Benedictus in der gedruckten Par- 
titur von Beethovens Missa in D , richtig als Andante erkannt hat. 
Herr Prof, Jahn ist so glücklich gewesen, in einem Briefe B. an die 
Mainzer Verlagshandlung (B. Schott's Söhne) vom Januar 1825 den 
Beweis dafür zu finden und hat nicht gesäumt Hrn. A. Schindler so- 
fort davon in Kenntniss zu setzen, der nur seinerseits keinen Augen- 
blick zögert, diese „bedeutsame Entdeckung" bekannt zu machen. 
Er glaubt dies jedoch nicht thun zu dürfen, ohne der Mainzer 
Verlagshandlung eine Rüge über diesen (im Jahre 1827 
verschuldeten) Fehler zu ertheilen. 

Dass Herr A. Schindler diese günstige Gelegenheit , sein Licht 
leuchten zu lassen, nicht ungenützt vorübergehen Hess, konnte nicht 
Wunder nehmen. Besteht doch die öffentliche Thätigkeit dieses Herrn 
seit Jahren nur darin, den Schatten eines grossen Namens um sich 
herum zu zerren und nach jedem neuen Faltenwürfe der Welt selbst- 
gefällig zuzurufen: „Seht hier, l'ami de Beethoven!" 

Aber mit Recht hat uns die Keckheit überrascht, mit welcher 
Herr A. Schindler das Amt eines Censors an sich zu reissen sucht« 
In dem alten Rom waren dazu gewisse Eigenschaften erforderlich, 
die wir beim besten Willen bis jetzt nicht an ihm entdecken konnten. 

Wer bei seinem öffentlichen Auftreten stets so entschiedenes Un- 
glück gehabt hat, wie Hr. Schindler, wer aus einer öffentlichen Po- 
lemik so vollkommen turnierunfähig hervorgegangen ist, wie er noch 



vor wenigen Monaten, wer sich Bezeichnungen gefallen lassen musste, 
wie die vom Fürsten Galitzin in Bezug auf ihn gebrauchten — der 
hat nach unserer Ansicht jeden Anspruch auf öffentliche Geltung ver- 
loren, am allerwenigsten aber eignet er sich dazu, „Rügen" zu er- 
theilen 1 Sapienti sat! 

Baden - Baden. Privatbriefen entnehmen wir die Nachricht, 
dass die talentvolle Sängerin Frl. Elise Staudt von Mitte Juni bis zum 
gegenwärtigen Schlüsse der Saison mit stets wachsendem Beifall 
gastirt hat. Was den Werth der von ihr gefeierten Triumphe be- 
deutend erhöht, ist der Umstand, dass zu gleicher Zeit auch die be- 
rühmte Gesangskünstlerin Frl. Anna Zerr in Baden - Baden gastirte, 
ohne dass die so gefährliche Rivalin der allseitigen Anerkennung von 
Frl. Staudt's Leistungen Abbruch zu thun vermocht hätte. Auch eine 
jüngere Schwester derselben debütirte mit sehr vielem Glücke als 
Zerline, Adalgisa und Cherubin und scheint mit ihren trefflichen Na- 
turanlagen, bei fortgesetztem eifrigen Studium zu den schönsten Er- 
wartungen zu berechtigen. 

Wien. Ander wurde bei seinem ersten Auftreten am 3. als 
Lyonel mit einem Enthusiasmus empfangen, der hier lange nicht ge- 
sehen worden ist. Seine Stimme ist vollkommen hergestellt. FrL 
Johanna Wagner wird von der hies. Kritik, in der freilich auch an- 
dere als künstlerische „ Intentionen " zum Vorschein kommen , mit 
grösster Geringschätzung behandelt. Die alte Eifersucht zwischen 
„Nord und Süd" spukt mehr als jemals auch in der Kunst. 

Im Hofoperntheater haben die Proben zu Balfe's Oper „Theo- 
lanthe" unter des Componisten eigner Leitung begonnen. 

Hannover. Die hies. Oper brachte in den letzten Wochen 
ausser Flotow's Indra, die der Hof protegirt, Mozarl's „Entführung", 
dessen „Don Juan", die „Stumme", „Fidelio" und „Hugenotten," 
Berlioz wird im Oktober hierherkommen. 

Weimar. Als Hofvirtuos ist an Joachim's Stelle der bekannte 
treffliche Violinist E. Singer, auch durch seine Compositionen rühm- 
lichst bekannt, berufen worden. 

Carlsrahe. Das grosse Musikfest hat nicht den gehofften Er- 
folg gehabt. Besonders am ersten Tag blieb das zahlreiche Publikum 
sehr kalt und nicht einmal die 9. Sinfonie von Beethoven konnte 
dasselbe erwärmen. Die Aufführung derselben war freilich auch 
keine vorzügliche. (Bericht darüber folgt in der nächsten Nummer.) 
Leipzig. Am 2. Okt. fand das 1. Gewandhaus-Concert statt. 
Frl. Ney und Hr. A. Dreyschock sollten darin auftreten. Die Direk- 
tion wird wohl die bisherige bleiben müssen , da aus der Berufung 
des Mendelssohn ianers St. Bennett aus London nichts geworden ist» 
— R. Schumann wird künftig wieder hier wohnen. 

Frankfurt« Ende September starb hier die Wittwe Mendels- 
sohns. 

Berlin. Der Direktor von Krolls Etablissement Hr. Engel hat 
in Paris interessante Engagements für den Winter abgeschlossen. 
Seine Oper wird nächstens Marco Spada , Hayde* und das Thal von 
Andorra bringen. 

Paris» In diesem Augenblicke sind die beiden komischen Opern 
„Der Nabab" von Halevy und „Le Roi des Halles" von Adam en 
vogue. Von letzterem wird im Theatre lyrique in den nächsten Ta- 
gen ein neues Werk zur Aufführung kommen. — Ueber das Schick- 
sal der Italienischen Oper ist immer noch nichts bestimmt. 

Mailand« Von hier wird der Niederrheinischen Musikzeitung 
geschrieben : 

„Es ist eine durch unumstössliche Thatsachen widerlegte An- 
nahme, dass unser Publikum aus politischer Demonstrationssucht die 
Liebe zum Theater verloren. Wer die weiten Räume des grossarti- 
gen Skala-Theaters bei dessen jeweiliger Eröffnung und an solchen 
Tagen gesehen, wo dort der rühmlichen Vergangenheit dieser „Welt- 
bühne" entsprechende Vorstellungen gegeben wurden, der wird den 
gegenwärtigen kläglichen Zustand dieses Theaters in ganz andern 
Ursachen suchen , als in der vorgeschützten Gleichgültigkeit unseres 
Publikums für Kunstgenüsse/ 1 Eröffnet wurde diesmal nämlich die 
Scala mit „ H Trovatore " von Verdi. Ausstattung und Besetzung 
waren schlecht, das Publikum unwillig und schon nach zwei Tagen 
musste „II Trovatore'* den „Masnadieri" desselben Componisten Platz 
machen, die jedoch kein besseres Schicksal hatten. Das Haus war 
mit Aussnahme der ersten Probevorstellun g „fast wörtlich leer." 

YermtwtrUleher B«4ikttu: J. i. «CHOtl. — Dwc* TroÄMUEEn. WALLAU in Mal». 



2. Jahrgang. 



Mr. 43. 



24. Octbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitong erscheint jeden 

MONTAG. 

Man abonnlrt bei allen Postämtern, 
Musik» und Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 



von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT «* CO. 



PREIS: 

II. 3. 42 oder Tblr. 1. 18 8fr. 

rar den Jahrgang. 

Durch die Post belogen : 

SO hr. eder 1.1 Sgr. per Quartal. 



Inhalt t Das grosse Musikfest in Carlsruhe. — Orgelspiel in Franken. — Corresp. (Braunschweig. Dresden.) — Nachrichten. 



DAS GROSSE MUSIKFEST IN CARLSRUHE 

am 3. und 5. Oktober. 

Bereits haben verschiedene öffentliche Blätter über die an ge- 
nannten Tagen in Karlsruhe stattgehabten zwei grossen Concerte ihre 
Berichte erstattet, in denen sich des Interessanten und in gewisser 
Beziehung Merkwürdigen , doch für den Musikkundigen nicht eben 
Unerwarteten, Mancherlei befindet; lassen Sie auch für Ihre Blätter 
durch einen Ohrenzeugen über dieses musikalische Ercigniss , dem 
von vielen Seiten mit so grosser Spannung entgegengesehen wurde, 
das Genauere berichten. Das schon längere Zeit vorher bekannt ge- 
machte Programm der beiden Concerte Hess keinen Zweifel mehr da- 
rüber zu, dass dieselben dazu benützt werden sollten , der neuesten 
Richtung der musikalischen Composition in einem Thcile Deutsch- 
lands Wege zu bahnen, wo man sich nach dem Wenigen, was man 
bis jetzt davon gehört, noch keineswe?« damit vertraut machen 
köflnie*. Ofrtafcser Zweck in erheblichem 'Grade erreicht wurde, ob 
das Interesse an den Vertretern jener Richtung, deren, wenn auch 
im Prinzip übereinstimmend, Jeder doch seinen eigentümlichen Weg 
geht, und an den Erzeugnissen derselben bedeutend geweckt worden, 
wird sich bei Erwähnung des Erfolges der betreffenden einzelnen Mu- 
sikstücke herausstellen. An äussern Mitteln zur Er?ielung eines be- 
deutenden Effektes fehlte es keineswegs, da die Orchesterkräftc von 
Darmstadt, Mannheim und Carlsruhe (vom erstem wurde nur das 
Streichquartett beigezogen) und die vollständigen Theater-Singchöre 
von den 3 genannten Städten vereinigt waren. Um so mehr war es 
daher zu bedauern, dass die Leitung dieser trefflichen Kräfte nicht 
einer sicherern und kundigem Hand übertragen worden war, denn 
dass Hofkapellmeistcr Liszt der ihm zugekommenen Aufgabe als Di- 
rigent nicht gewachsen war, stellte sich ausser allen Zweifel. Die 
häufigen Schwankungen im Tempo , der oft unpräcise Anfang der 
Musikstücke, unsichere Eintritte von Instrumenten oder Singstimmen 
waren allein nur durch das unbestimmte, öfters unrichtige, manchmal 
sogar ganz ausbleibende Taktiren veranlasst worden , und sein Ver- 
dienst ist es nicht, dass dennoch das Meiste ohne grössere Störungen 
vorüberging. Wir danken dies der Intelligenz der versammelten 
Kräfte überhaupt und der einzelnen unter ihnen befindlichen Cory- 
phäen. 

Das erste Concert begann mit R. Wagners Ouvertüre zum Tann- 
häuser, welche bei so grossartiger Besetzung einen wirklich grossen 
Eindruck machte, und zu den am besten executirten Stücken gehörte. 
Ihr folgte die bekannte Concert • Arie von Beethoven , die indessen, 
nach der die Empfindungen der Zuhörer so gewallig aufregenden Ou- 
vertüre, nicht am rechten Orte auftrat, wenu es nicht überhaupt ge- 
ratener gewesen wäre, sie In dieses Programm gar nicht aufzuneh- 
men. Der Vortrag derselben von Seiten der Frau Howitz war ebenfalls 
nicht geeignet, der Arie eine bedeutendere Geltung zu verschaffen. — 
Hierauf hörten wir Hrn. Concertmeister Joachim in einem von ihm 
componirten Violin-Concert, das durch seinen Mangel an innerem Zu- 
sammenhang, durch die vielen ohne leitende Idee aneinandergereihten, 
barocken, vielleicht originell sein sollenden Theilchen weder als Com- 
position einen vorteilhaften Eindruck zu machen, noch im Stande 



war, die Virtuosität des Hern. Joachim ins rechte Licht zu stellen. 
Ueberdiess enthält diese Composition solche Schwierigkeiten für das 
Zusammenspiel des Orchesters , dass raten ungeachtet der vorausge- 
gangenen sorgfältigen Probe, öfters mit bangem Gefühle dem Verlauf 
des Stuckes folgen musste. — Wahrhaft erleichtert, und, als hätte 
man die Erlaubnis« bekommen , wieder frei zu athmen , fühlte man 
sich bei dem nun folgenden Finale aus Mendelssohn's unvollendeter 
Oper: „Loreley." Endlich wieder eine geregelte Form, wie sie dem 
musikalischen Gefühl und Verstand angemessen ist, und die Auffüh- 
rung von Seiten des Chors und Orchesters sicher und energisch. 
Frau Howitz sang die Partie der Leonore gut, doch hätten wir zu- 
weilen grössere Energie in ihrem Vortrage gewünscht. Von allen, 
in beiden Concertcn vorgekommenen Stücken hatte dieses Finale den 
glänzendsten Erfolg. Den zweiten Theil dieses Concerts eröffnete 
Schumann' s Ouvertüre zu Byron's „Manfred." Nach einmaligem Hö- 
ren möchte ich mir ein umfassendes Urtheil über dieselbe nicht er- 
lauben , doch muss ich wenigstens bemerken , dass mir dieselbe an 
Ideen arm, eines leitenden Gedankens aber gänzlich ermangelnd er- 
schien. Mit gesuchten Modulationen und Orchestercffecten lässtsich 
der gesunde, nach Gedanken verlangende Sinn des musikalischen Pub- 
likums nicht abspeisen. Ucbrigens wird, was ohne Zweifel von ge- 
wisser Seite als ein grosser Mangel an literarischer Bildung ange- 
sehen werden möchte, wohl der kleinere Theil der versammelt 
gewesenen Zuhörer Byron's Manfred gelesen haben , somit steht es 
von selbst dahin, ob die Bedeutung der Ouvertüre gewürdigt werden 

konnte. 

Es folgt nun: „Festgesang" mit Worten aus Schillers Gedicht: 

„die Künstler" , componirt für Männerstimmen , (Solo und Chor) 
nebst Begleitung von Blasinstrumenten von Liszt. Liszt wollte sich 
in dieser Composition offenbar denjenigen beigesellen, die sich be- 
streben, auch das einzelne Wort, die einzelne Phrase, auf eine, fast 
möchte ich sagen, plastische Weise auszudrücken , und darüber den 
Charakter des Ganzen vergessen. (Ich erinnere nur an die Stelle: 
„Sic sinkt mit euch".) Man kann die Erfind ungslosigkeit nicht nakter 
hinstellen, als dies in diesem Festgesang geschehen ist, und wohl 
im Bewusstscin derselben wollte der Componist seine Zuflucht zuin 
Auffallenden, Fremdartigen nehmen, was aber, in andere Worte über- 
tragen heisst: Alles, was dem Ohr und Gefühl zuwider ist, fand 
sich hier aufgehäuft, und die unbehagliche Stimmung des Publikums 
war keinen Augenblick zu verkennen. Dass eine solche Behandlung 
der Composition den Sängern in Beziehung auf Treffen und Intoniren 
die widrigsten Schwierigkeiten auferlegte, kennte gar nicht fehlen; 
kamen sie ja selbst in den misslichen Fall , vom Publikum wegen 
vermeintlichen Falschsingens angeklagt zu werden. — Den Beschluss 
dieses Concerts machte Beethovens neunte Sinfonie mit Chor , die 
Soli hatten die Damen Howitz und Hauser, die Herrn Eberius und 
Obcrhoffer übernommen. Sie wurde dem grössern Theil nach ziem- 
lich befriedigend ausgeführt, wenn man bedenkt, dass das Orchester 
bei dem schwankenden, öfters ganz ausgesetzten Taktiren, in sich 
selbst den möglichsten Halt suchen musste. Auch die Singstimmen, 
Soli wie Chor, die dem Dirigenten zunächst standen, hatten sich, wie 
dies bei der Schwierigkeit mancher Eintritte zu wünschen gewesen 



— 170 — 



wäre, keines die Sicherheit befördernden Winkes hiezu von demselben 
zu erfreuen, so ist es also ihr Verdienst allein , immer richtig bei 
der Sache geblieben zu sein. Die starke Besetzung der Streichin- 
Instrumente, hfttte in manchen Fällen, z. B. im Scherzo, eine voraus- 
gegangene genauere Bezeichung des nicht häufig genug geschehenen 
Eintrittes von Ripien-Blasinstrumenten verlangt, wodurch in mancher 
Stelle die Streichinstromente zu sehr überwiegend waren. Wo je- 
doch das richtige Verhältniss beider Instrumenten-Gattungen eintrat, 
war die Wirkung eine wahrhaft überwältigende. Leider kam im 
letzten Theil der Sinfonie, bei Eintritt des '/» Taktes in B dur, wegen 
nicht erfolgten Niederschlags von Seiten des Dirigenten der Fall vor, 
daiss dieses Tempo nochmals angefangen werden musste, da die 
wenigen Instrumente, die am Anfang desselben beschäftigt sind , und 
zu richtigem Eintreffen einzig und allein des bestimmten Niederschlags 
bedürfen , sich plötzlich von richtigem Taktiren verlassen sahen. — 
Gleichwohl war der Eindruck des Ganzen dieser Sinfonie, bei der 
auch die gut einstudirten Chöre ihre Kräfte vollkommen entwickelten, 
ein gewaltiger und das erste Conccrt endigte somit dennoch ziemlich 
befriedigend, indem man sich durch die erwähnten einzelnen Schwank- 
ungen nicht beirren liess, dem Eindruck dieses grossartigen Werkes 
so wie des sonstigen Werthvollen, was in diesem Conccrt geboten 
wurde , sich mit voller Thcilnahme hinzugeben. Am Schlüsse der 
Sinfonie wurde Liszt unter Tusch von Trompeten und Pauken gerufen 
und ich möchte, ungeachtet der in diesem Conccrt stattgefundenen 
Mangelhaftigkeit seiner Direction doch nicht behaupten mit Unrecht, 
da ihm jedenfalls das Verdienst gebührt , die Aufführung so gross- 
artiger Werke mit grossen Orchesterkräften hervorgerufen zu haben. 



< OB O < 



Ober den gegenwärtigen stand des orgelspiels 

in franken. 

Wohl kein Theil Deutschlands hat seit 6 — 8 Dezennien eine 
solche Verwahrlosung des Orgelspiels erfahren , als Unterfranken 
im Königreich Baiern. Es ist im eigentlichen Sinne des Worts nie 
ein vernünftiger Unterricht im Orgelspiel crthcilt, n i e eine zweck- 
mässige Prüfung darin abgehalten , und nie in irgend einer Bezie- 
hung, einige der letzten Jahre ausgenommen, etwas Erkleckliches 
für den Zweig kirchl. Kunst gethan worden. Das Ganze, was in 
dem Schullehrerseminar zu Würzburg, wo früher Protestanten und 
Katholiken in christl. Toleranz gemeinschaftlichen Unterricht erhielten; 
war, dass man den Zöglingen eine an Wortkram und Spitzfindig- 
keiten überreiche Theorie der Musik ins Gedächtnis» prägte , die 
im praktischen Leben weder Wurzel noch Begründung finden konnte 
sondern nur den musikalischen Verstand der Jünglinge trübte , ihr 
Talent abstumpfte und das Gedächtniss mit einem aufblähenden 
Wissen anfüllte, das im Leben völlig unanweiidbar war. Da 
war der ausgetretene Seminarist ausgezeichnet dressirt , um sich zu 
werfen mit siebenerlei Siebeuten, mit einfachen und zusammenge- 
setzten sechserlei Nonen-Akkordcn , der gr. None mit dem harten 
Dreiklang, der kl. None mit dem harten Dreiklang, der überm. None 
mit dem harten Drciklang, der gr. None mit kl. Terz und gr. Quiut, 
der gr. None mit dem überm. Dreiklang, der kleinen None mit dem 
vorm. Dreiklang, mit dem Undecimcn- , mit dem zusammengesetzten 
Undecimen-, den Undccimcn-Scptimen-, den Undecimen-Noncn-Septimen- 
mit den Terz-Dccimen- mit den Terz-Decimen-Undecimcn-Akkordcn, 
mit den Terz-Decimen-Scplimen-, mit den Terz-Dczimcn-Undccimcn- 
Seplimen- Akkorden und ihren fünf Umwandlungen, mit den Terz- 
Decimen-Undecimen-Nonen-Septimcn-Akkorden und ihren sechs Um- 
wandlungen und wie dieser kolossale Unsinn alle noch mehr heissen 
mag ; so dass es dem einfachen, schlichten Talent schwer wurde, ob- 
schon es sich öfters in der Praxis Geltung verschafft hatte, solchen 
hochgelehrten Phrasen und hohlen Wortmachercicn gegenüber noch 
an seine eigne Existenz zu glauben. Musste es ihm bei einer solchen 
musikalischen Tollhäuslerei nicht sein, als ging ihm ein Mühlrad 
im Kopfe herum ? Welche Masse Ein- und Unterabteilungen treten 
uns hier entgegen ? — Wollen wir lieber nicht gleich zu dem alten 
tapfern J. II. Knecht (Elcmentarwcrk der Harmonie) zurückkehren 
mit seinen dreitausend sechshundert Akkorden, worunter allein 
siebenhundert und zwanzig „übelklingende Stammakkorde", und 
unter diesen gross klein grosse, angenehme Terzdecimenundezimen- 



septakkorde, kleinvermindertkleine traurigklingende Terdezimenunde- 
zimennonseptimen Akkorde vorkommen und zwar „als Ur- Akkorde" l ? 
Zum Trotz aller Kunstfreunde sei es aber gesagt , dass die Kompo- 
sitionslehre dieses ganzen Ballasts nicht bedarf, obschon sich derselbe 
in der gegenwärtig im Lehrerseminar zu Würzburg, in dem unsre 
Organisten ihre Bildung erhalten, eingeführten Harmonielehre auch 
vorfindet. Es ist wahrlich leicht begreiflich , wie ein talentvoller 
Jüngling einst bei diesem Wortgeklingcl unmuthig ausrufen konnte : 
„Ueber der Beschreibung da vergess ich die ganze Musik." Das 
Heilloseste dabei aber war die völligste Vernachlässigung der Praxis 
und eine unbegreifliche Verkennung des Bedürfnisses, sowohl von 
Seite der heranzubildenden Organisten, als der Kirchengemeinden. 
Eine so völlige Verirrung in irgend einer Berufsrichtung wäre kaum 
begreiflich, wenn wir nicht wüssten, dass der gesunde Menschenver- 
stand nicht die rechten Mittel und Wege ergriff, weil er durch Au- 
toritäten eingeschüchtert wurde , die durch Wort und That , durch 
Unterricht in Allem Andern, nur nicht in dem was noth that, durch 
Herausgabc von dickleibigen Werken, durch die Leitung der Lehr- 
anstalten, u. s. w. zu wirken suchten ! In letzteren lernten die künf- 
tigen Organisten Trompeten und Posaunen , türkischen Halbmond 
und Waldhorn, Trommeln und Pauken etc. behandeln, sollten auch 
wöchentlich 6 — 8 Stunden erforderlich gewesen sein , aber die 
Orgel blieb immer Stiefkind, das Orgclspiel hielt man für zu gering- 
fügig, um Unterricht darin zu ertheilcn. Man vertraute sich blind 
der Leitung dieser Autoritäten an, gar nicht ahnend, auf welch ver- 
kehrter Bahn man sich befand. — Nun haben wir die bittern — bittern 
Folgen dieses Treibens zu büssen, und was man in mehr als einem 
halben Jahrhunderte so planmässig und gründlich ruinirte, das kann 
nicht so schnell und, leicht, etwa durch einige Regierungs- oder Con- 
sistorial-Rescripte, denen übrigens sonst alle nachdrückliche Hülfe 
und Förderung der guten Sache abgeht, wieder aufgebessert und 
gehoben werden. Doch ist es immer schon ein gutes Zeichen und 
einstweilen* wenigstens der Anfang zu einem leidlicheren Zustand, 
wenn man nur erst zu k)arer| Einsicht des Verderbens gekommen 
ist. Dieses Erkennen des Uebcls ist nun bei unsern kirchlichen und 
weltlichen Behörden schon seit geraumer Zeit bemerkbar und fast 
alljährlich erscheinen von Zeit zu Zeit Rcscripte in diesem Betreff: 
So hat erst jüngst wieder die hohe kgl. Regierung von Unterfranken 
und Aschaffenburg im Intelligenzblatt dieses Kreises und zwar in 
Nr. 105 ausgesprochen, dass sie bei der jährlichen Prüfung der 
Schulaspiranten die Wahrnehmung gemacht habe, dass die 
Mehrzahl der zur Seminaraufnahme sich Meldenden rücksichtlich 
der musikal. Vorbildung den gestellten Anforderungen nicht entsprächen 
dass, was ganz besonders das Orgelspicl anlange, ungeachtet schon 
seit mehreren Jahren dem früher gefühlten Mangel an passenden 
Hülfsmitteln zu einer gründlichen Vorbereitung zum Orgelspiel durch 
die eingeführte Lutzische Sammlung von Orgel- und Partitur-Uebungs- 
stücken abgeholfen sei, nur die allerwenigsten das Pcdalspiel nach 
der im erwähnten Werke enthaltenen, aus den besten Orgelschulen 
entnommenen Anweisung sich geübt und im General bass mit der 
Lehre von den Akkorden und deren Anwendung genügend sich be- 
kannt gemacht hätten oder ein deutsches Kirchenlied mit passenden 
Akkorden und in der getheiltcn Lage zu begleiten im Stande seien; 
es sehe sich die unterfertigte kgl. Stelle veranlasst, sowohl im All- 
gemeinen, an die Aspiranten-Lehrer die ernste Mahnung ergehen 
zu lassen rücksichtlich des Orgelspills die Reg. Entschl. vom 22. 
Juli 1847 (die Einführung der Lutzischen Sammlung betrf.) in Er- 
innerung zu bringen, sämmtlichc Schulaspiranten neuerdings darauf 
aufmerksam zu machen, dass neben der Gcncralbassschule von Geb- 
hardi (?) die oben erwähnte Lutz'schc Sammlung von Orgel- und 
Partitur- Ucbungsstückcn bei den Prüfungen am hiesigen Seminar 
zur alleinigen (?) Grundlage dienten, dass sie sämmtl. Schuldienst- 
aspiranten ohne Unterschied der Confcssion die Pflicht zur An- 
schaffung (?) besagter Werke einschärfe; zugleich aber die Aspi- 
ranten-Lehrer anweise, das Orgelspicl nach der in den mehr besagten 
Orgel und Partitur-Uebungsstücken enthaltenen Anweisung zu lehren etc. 
und dass diese Jünglinge zu dem grössten Fleisse in ihrer Vorbe- 
reitung und Ausbildung im Orgclspicle namentlich zur Erwerbung 
der Fertigkeit, die nöthigsten lateinischen Choräle und deutschen 
Kirchengesänge in getheilter Lage wohlgeordnet und rein mit der 
Orgel begleiten zu können, gemessenst ermahne. 

Es ist unläugbar , dass die hohe kgl. Reg. v. Unterfranken in 



— 171 — 



diesem hohen Erlass sehr viel Sorgfalt and guten Willen an den 
Tag legt, dem vorhandenen Uebel abzuhelfen; nichts destoweniger 
aber können wir nns bescheidener Zweifel an ein Gelingen der be- 
absichtigten Förderang des Orgelspiels nicht erwehren; denn alle 
dergl. Ermahnungen and Aufforderungen dieser hohen Stelle der Vor- 
jähre blieben bis jetzt frachtlos, wie solches das diesjährige Prüfungs- 
Resultat selbst am allerbesten beweisst, und wirksamere Mittel , die 
das tiefliegende Uebcl bei der Wurzel ergreifen würden , liess man 
unversucht. Es möchte schon im Interesse der Kunstgeschichte, 
hauptsächlich aber wegen der anzubahnenden Veredlung unsrer 
gottesdienstlichen Musik, wovon das Orgelspicl die erste Stelle 
einnimmt, sich der Mühe lohnen, vom Standpunkt der Wissen- 
schaft in steter Berücksichtigung unsrer praktischen Lebensverhält- 
nisse die Frage zu beantworten: 

„ Welches sind die Ursachen des tiefen Verfalls des Orgelspiels 
in Franken und durch welche Mittel könnte dasselbe wieder auf 
jenen Standpunkt gehoben werden dass es wieder ein Mittel zur 
Verherrlichung unserer gottesdienstlichen Feier werde, religiöse Ge- 
fühle bei der Gemeinde erwecke und die Herzen zu Gott erhebe?" 
Die wichtigste Ursache der angeführteu traurigen Erscheinung ist 
offenbar. 

1) Die frühere , völlige Vernachlässigung eines gediegenen 
Klavier- und Orgelunterrichts und die verkehrte Anschauungsweise 
der Musiklehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zög- 
linge. Statt dass man dem Jüngling eine einfache, naturgemässe 
Theorie unseres Tonsystems, etwa wie es Fr. Schneider, Töpfer etc. 
in ihren Werken entwickeln , klar vor Augen geführt hätte , statt 
dass man ihnen eine kurze, bündige Lehre des Kontrapunkts , eine, 
einfache Lehre vom Orgelbau, eine übersichtliche Zusammenstellung 
der Musikgeschichte u. dgl. gegeben hätte, bot man ihnen, wie be- 
reits oben bemerkt ein mit dem schwülstigsten Wortkram verbrämte 
complicirte Akkordenlehre und bietet ihnen leider eine solche heute 
noch. Dabei aber vernachlässigte man ganz und gar den praktischen 
Theil des Klavier- und Orgelunterrichts, wozu auch übrigens die In- 
strumente total fehlten. Die Zöglinge glaubten Wunder etwas ge- 
than zu haben, wenn sie ihr Gedächtniss mit oben angeführtem Unsinn 
und verstandlosem Akkorden- Wesen vollpfropften, das praktisch» 
Studium wurde völlig versäumt — es ist wahrlich heute noch nicht 
besser — an ein fleissiges Klavierspiel, als die erste Grundbe- 
dingung eines guten Orgelspiels, an eine im Schweiss des Angesichts 
erworbene Technik auf Klavier und Orgel , an eine Veredlung des 
musikalischen Geschmackes durch das Studium der Klavier- und 
Orgelcompositionen von Clcmenti, Haydn, Scarlatli, Mozart, Beethoven 
Kittel, Rink, Händel, S. Bach etc. glaubte man gar nicht denken zu 
müssen, wohl aber um so eifriger an das leidige Ziffer resp. Parti- 
turspiel, das durchaus geeignet ist einen jungen Organisten zu ver- 
derben und das doch endlich ein Mal aufhören sollte. Statt dass 
man den Zöglingen eine einfache, klare Satzlehre, wie sie z. B. Lobe 
in seiner musikalischen Composition so unübertrefflich aufgestellt, 
mitgetheilt hätte, damit sie mit Verstand und Gemüth präludiren er- 
lernt, und überhaupt musikalisches Verständniss bekommen hätten, 
verleitete man ihnen den so schönen Beruf eines Organisten durch 
einen trockenen , mit dem wahren Wesen der Musik gar nichts 
gemein habenden Skepticimus und elenden Gedächtnisskram einer 
Theorie, die völlig dazu geeignet scheint, jede musikalische Anschau- 
ung zu vernichten und alles eigentlich musikalische Lehen im Ge- 
müthe zu zerstören. Statt dass man methodisch geordnete Uebungen 
im Klavier- und Orgelspiel, wobei nächst der formalen Ausbildung 
vor Allem das kirchliche Bedürfniss hätte Berücksichtigung finden 
sollen, vorgenommen hätte, wurde die Jünglingszeit — die nie mehr 
zu ersetzen war — mit gar vielerlei für Kantoren, Organisten und 
Lehrer unnöthigem Zeug verbracht. Wer die Seminarverhältnisse 
zu Würzburg in früheren Jahre kannte, der weiss zu gut , was ich 
hiermit sagen will. Jene Zeiten sind Gottlob , wenigstens in ihrer 
Totalität, vorüber, doch können wir es nicht über uns gewinnen, die 
mannigfachen Sünden gegen die Kunst, gegen die Kirche , gegen die 
Gemeinden, (den dabei misshandelten Stand der Organisten gar nicht 
zu erwähnen , ) so völlig zu vergessen , dass wir ihrer gar nicht 
mehr gedenken sollten, um so mehr bei einer solchen Veranlassung. 

Es ist also eine ganz natürliche Erscheinung, die wir hier mit 
der bair. Staatsregirung und den kirchlichen Behörden schmerzlich 
beklagen, aber eigentlich gar nicht tief genug beklagen können, weil 



die Beseitigung des Uebels so schwierig ist , lange anhaltende , kon- 
sequente Einwirkung erfordert, und der Vorbestand der Calamität, 
uns eines der vorzüglichsten Mittel beraubt, wodurch wir bei gottes- 
dienstlichen Versammlungen anregend und fordernd auf die Herzen- 
der Gemeinden einzuwirken im Stande wären, denn auf Geist und 
Gemüth der Gemeinde kann nur ein klar durchdachtes aus tiefer 
Erregung des Gemüths entsprungenes schmuckloses — einfaches 
Orgclspiel in Melodie, Harmonie und Rhytmus , das die Gesetze 
des musikalischen Satzbaues gewissenhaft respectirt , einwirken. 
Was hören wir aber statt dessen ? — Ein sinn- und gedankenloses 
Hin- und Herfahren in den verschiedensten Tonarten ohne Melodie 
ohne Satzbau, ohne Klarheit und Durchsichtigkeit, ohne richtiges 
Stimmverhältniss , da die wenigsten Organisten eine Ahnung von 
obligater Pedalbehandlung haben, ohne allgemeinen und speciellen 
Gefühlsausdruck, den der kirchliche Ritus musikal. ausgeprägt verlangt 
und der sich auch durch die Musik schlechterdings aussprechen 
inuss, wenn dieser Zweig der kirchlichen Kunst nicht mehr schaden» 
als nützen soll. Unwillkührlich erinnert man sich an Beethovens 
Worte , die er bezüglich des complicirten Akkorden-Systems und 
dergl. gegen die Lehrer desselben äussert: „Wenn ihr sie (die 
Schüler) mit trockenen Regeln abstumpft, mit ewigen Verboten äng- 
stigt, mit der saft- und kraftlosen Wassersuppe eurer Akkordreihen 
abspeiset, in den sauren Apfel eurer falschen Kontrapunktübungen 
beissen lasst, und sie in dem langweiligen Pas des deux eurer zwei- 
stimmigen Fugen , mit denen ihr eine der tiefsinnigsten und frucht- 
barsten Kunstformen von Anfang an vergällt, sich abstrapaziren 
lasst: dann freilich ist es kein Wunder, dass die Mehrzahl in ihrer 
Kraft gebrochen wird, spät oder nie zu dem Vermögen und 
frischen Wohlbehagen gelangt, das ihnen von Natur bestimmt wäre"* 
Man glaube übrigens nur nicht, dass meine Klagen bezüglich des 
Orgelspiels allein dastehen ; sie sind ganz allgemein. Herr Professor 
Dr. Fröhlich sagt im 11. Theil seiner Musik-Schule S. 571 : „Man ist 
in unserm Kreise im Orgclspiele sehr weit zurück. Die Organisten 
haben meist auswendig gelernte Präludien, (wenn das nur wahr wäre) 
ohne Geist, ohne Verstand, nichts sagende Figuren in beiden Händen, 
Ausweichungen in alle Tonarten, ohne Zweck, ohne Verbindung , in 
'der Regel keine Ahnung von einem rednerischen Gebilde.** Das Be- 
dauernswertheste ist, dass es nicht leicht besser werden kann, 
weil das Vergessen viel schwerer ist, als das Lernen. Ein leerer, 
aber gut gebauter Acker trägt bessere Früchte, als einer, den ich 
erst vom Unkraut reinigen muss. An all dem ist der Lehrjammer 
im Klavier- und Orgelspiel schuld, dessen natürlichste Folge ein 
gänzliches Versinken und Verlieren dieser schönen Kunst ist. 

(Schluss folgt). 

CORRESPONDENZEN. 

AUS BRAUNSCHWEIG. 

Anfang October. 

Unsere Oper bot im vergangenen Monat sehr wenig, und unter 
diesem Wenigen viel Unerquickliches. Den Freischütz und 
den Propheten abgerechnet halten wir Martha — noch immer dio 
unvermeidliche — und fast lauter Opern italienischer Componisten, 
als Hernani, mehre Wiederholungen der Favoritin, Lucia und Lu- 
crezia. In der letzteren gastirte ein Fräulein Grimm als Orsino« 
Sie wird, da sie eine sehr schöne Altstimme besitzt, wahrscheinlich 
engagirt werden. Fräulein Walseck hat Braunschweig verlassen und 
gastirt gegenwärtig in Darmsiadt. Die Besetzung ist ziemlich dieselbe 
geblieben, sowie auch Gesang und Spiel der Sänger. 

Erfreulicheres als über die Oper, habe ich Ihnen über Herrn 
Abl's Singakadamie , die am vergangenen 4. October ihr zweites 
Goncert gab, in welchem sie Mendelssohns Athalia zur Aufführung 
brachte, zu melden. Die Chöre gingen sehr gut und bekundeten 
aufs Beste die ersichtlichen Fortschritte, da die Akademie unter 
ihrem tüchtigen Dirigenten gemacht hat, das Werk selbst hat mich, 
nicht in der Weise' befriedigt, wie ich es erwartete. Es sind einige 
sehr ansprechende Nummern darin, doch leidet es an einer gewissen 
Breite, die sich manchmal sehr fühlbar macht. Ausserdem wur- 
den von der Akademie das Ave verum aus dem Mozartschen 
Requiem und ein Morgengesang von Mendelssohn (ohne Orchester- 
begleitung) gesungen. Noch wurde in diesem Concerte die Tann« 



m - 



häuser-Onvertüre «im Erstenmale aufgeführt Es sind über diese 
Ouvertüre schon so viel Berichte eingelaufen, dass es hier nicht am 
Orteist, nochmals n&her darauf einzugehen. Ich begnüge mich, Ihnen 
au sagen , dass sie von unsrer Hofkapeile in würdiger Weise vor- 
getragen wurde und sich des entschiedensten .Beifalls von Seiten des 
Publikums im Allgemeinen zu erfreuen hatte. Herr Abt, dem wir 
diese Neuigkeit zu verdanken haben, hat ausserdem dahin gewirkt, dass 
im Laufe des Winters 4 Abonnementsconcerte im Theater stattfinden 
werden, in welchen Inslrumentalwerke der alten und neueren Meister 
zur Aufführung kommen sollen. Auch dafür nehme er im Voraus 
den Dank aller Musik-Freunde und Kenner entgegen. Man sagt, 
Qerlioz wolle Braunschweig und zwar noch diesen Monat besuchen, 
um hier 1 oder 2 Concerte zu geben. 

Das Lessingdenkmal ist endlich nach langem Zögern und Ver- 
schieben am 29. September enthüllt worden. Die Musik hatte bei 
den dabei angeordneten Feierlichkeiten wenig zu thun. Unsere 
Mannergesangvereine sangen einige Fesilieder bei der Enthüllung. 
Stünde doch jetzt ein musikalischer Lessing auf: Wir könnten ihn 
brauchen. 



I MX 



AUS DRESDEN. 

(Schluss.) 

Ein Schüler Liszt* s war es, Herr von B ü 1 o w, der gewisser- 
massen die Saison eröffnet , indem er jedenfalls auf Vermittelung 
seines Lehrers im hiesigen. Hoftheater am 12. September auftrat. 
Er trug seines Meisters bekannte grosse ungarische Rhapsodie 
mit äusserst gewandter Technik und bedeutender Virtuosität , mit 
anerkennenswerther Beherrschung 'der Aufgabe in materieller Rück- 
sicht vor j doch Hess die künstlerische Selbstfindigkeit und der geniale 
Funke sich sehr vermissen, dessen zu voller Wirkung dieses eigen- 
tümliche Tonstück unbedingt bedarf, und der durch die fortwährende 
äussere Unruhe in Takt und Tempo seinen Ausdruck nicht findet. 
Auch der Vortrag der schönen Polacca brillante in E (Op. 72) von 
C M. von Weber zeugte von grosser Bravour und fand , wie die 
erstgenannte Piecc, sehr anerkennenden Beifall, entbehrte indess auch 
des tiefern Eingehens auf des Componisten Geist und Intentionen, 
wozu jedenfalls der leidige Umstand wesentlich beitrug , dass der 
junge Künstler sie nicht in ihrer ursprünglichen Form , sondern in 
einer neuerdings von Liszt verfassten, mit Introdnction und andern 
Anhängseln versehenen Transcriptsion mit grossem Orchesteraccompag- 
nement spielte, durch die in der That trotz der sehr anerkennens- 
werthen und wohlcffektuirenden Geschicklichkeit mit der selbstver- 
ständlich die Bearbeitung gemacht ist, das Werk nichts gewonnen 
hat, sondern in seinem ursprünglichen Character wesentlich alterirt 
worden ist. Es liegt in Partitur gedruckt vor; jeder Unbefangene 
kann für sich selber die Bestätigung dieses Urtheils gewinnen : wozu 
solche Bearbeitungen, zu denen nicht die entfernteste Nolh wendigkeit 
vorliegt, und die weder dem Werk, noch dem Künstler, weder dem 
Publikum, noch der Kunst reellen Nutzen gewähren? Unsere Oper 
hat eine lebendigere Thätigkeit nicht eben entfaltet und wir haben 
auch erst von der beginnenden Saison zu erwarten, ob sie uns end- 
lich mit einer grösseren, nennenswerthen Novität beschenken werde: 
man meint als solche 0. Nicola i's lustige Weiber von Windsor, 
nnd wir haben wohl ein Anrecht auf eine solche , da nun seit zwei 
Jahren keine unsere Bühne beschritten, was denn doch in der That 
nicht ausschliesslich dem absoluten Mangel an Novitäten auf diesem 
Gebiete zugeschrieben werden kann. Dass soeben Adams Operette, 
die Nürnberger Puppe mit Flciss in Scene gegangen, darf man 
wenigstens als ein Ereigniss nicht ansehen. Einen bedeutenden Succes 
hatte des alten wackern Dittersdorf „rothe Kappe" , die neu 
einstudirt und mit vieler Laune dargestellt , um der liebenswürdig 
komischen Musik willen, so wenig interessant auch das Libretto sein 
mag, bei dreimaliger Vorstellung stets reichen Beifalls sich zu er- 
freuen hatte. Sieht man von Novitäten ab, so muss man das Ppcrn- 
repertoir des Septembers ein immerhin interessantes nennen : Mozart's 
Titus und Don Juan, Wcber's Oberon und Freischütz, Auber's Stumme 
Meyerbeers Prophet (erlebte in diesem Monat seine fünfzigste Vor- 
stellung auf unserer Bühne) Rossinis Barbier — dazu Lucia, Norma, 
Linda, Martha, Stradella; es lässt sich damit schon verkommen 



(um einer vulgären Redensarten zu gebrauchen!) aber man kann 
dabei doch auch ve rkommen~, wenn der Kreis, dem allerdings 
eine Anzahl anderer Werke abwechselnd hinzutreten , nicht wesent- 
lich erweitert wird. Zweifelsohne ist auch der gute Wille von 
Oben her vorhanden; aber die diametral auseinandergehenden An- 
sprüche und Interessen der Einzelnen, die unselige Kategorie der ein- 
getretenen Hindernisse, auch wohl Laune und Unlust, die nicht 
energisch genug beseitigt werden, stehen der Ausführung besserer 
Intentionen hemmend im Wege und verhindern die in der That nicht 
so überaus schwierige Abhilfe gerechter Klagen und die Erfüllung 
billiger Wünsche. 

NACHRICHTEN. 



Berlin. Im Friedrich-Wilhelmstädt. Theater wurde 
eine kleine einactige Oper, „Rübezahl" Text von Jansen, die Musik 
von Conradi gegeben. Das Libretto ist mit Geschick gefertigt. 
Die Musik zeigt von Gewandtheit in der Instrumentation und die 
charakteristische Art und Weise, mit der der Stoff behandelt ist, 
bekundet den tüchtigen und talentvollen Musiker. 

— Taubert's Oper: „Joggeli" hat bei ihrer ersten Auf- 
führung vielen Beifall gefunden. Der Componist der Kinderlieder 
hat einen für sein Ausdrucksvermögen passenden Text gewählt — 
idyllisch nennt ihn ein Kritiker — diesem glücklichen Griff hat er 
den Erfolg am meisten zu danken. 

Stuttgart. Mad. Palm-Spatzer ist nach einem sehr erfolg- 
reichen Gastspiele auf ein Jahr engagirt worden. Von neuen Opern 
wird vorbereitet: Lindpaintners Corsen, Flotows Indra, Verdis Attila.. 
In den letzten Tagen des Septembers wurde Hans Heiling von 
Marschner an hiesiger Hofbühne zum ersten Male gegeben. 

Augsburg. Fr. Moritz, früher in Wiesbaden, gastirt hier. 

Paria. Die grosse Oper bringt in den nächsten Tagen „Betly" 
von Donizetti und den „Barbier" von Rossini. Eine neue Oper von 
Limnander : le Maflre de Chant , sollte am 17. October zum ersten 
Male über die Bretter gehen. 

Die Italienische Oper hat endlich einen Erretter gefunden und 
zwar in der Person des Obersten Ragani. Die erste Vorstellung 
soll am 15. November stattfinden; angekündigt ist das Debüt der 
Madame la Comtesse Pepoli. 

Fr. Liszt und R. Wagner waren einige Tage hier. Die France 
musicale spricht von einem grossen dramatischen Werke des erste- 
ren, welches für eines der Pariser Theater bestimmt sei, und noch 
im Laufe dieses Winters zur Aufführung kommen soll. 

Onslow , der bekannte Quartett - Componist , Mitglied der Aka- 
demie, ist gestorben. 

. Pesth. An die Stelle von Frau Hasselt-Barth, welche die 
hiesige Oper verlässt, ist Fräulein Bury engagirt worden. 

Copenhagen. In diesem Winter wird hier eine Italienische 
Opern-Gesellschaft Vorstellungen geben. Musikdirektor Lumbye ist 
für dun Winter in London engagirt. 

New- York. JulliensRiesen-Concerteenthusiasmiren die Yankees 
wie bisher John Bull. Ueber Mad. Sontag sind in öffentlichen 
Blättern unangenehme Aufklärungen erschienen. Die Recensenten 
sind durch bedeutende Summen von dem Agenten dieser Sängerin, 
Hrn. Ullman, bestochen worden. Wunderbar ist dabei nur, dass sich 
dieselben Leute darüber ereifern, die sich seit Jahren von Barnum 
und andern Charlatanen in der grossartigsten Weise mittelst Be- 
stechung der Presse u. dgl. hinters Licht führen Hessen, 

Madame Sontag ruht auf einer Villa in Staten Island von ihren 
Anstrengungen aus, wird sich aber bald von Neuem auf den Weg 
machen. Diesmal gilt es den grösseren Städten im Innern. Unter- 
dessen nehmen die Vorstellungen der italienischen Truppe im Niblo- 
Theater ihren Fortgang. Das neue italienische Opernhaus wird 
nicht bis zum 1. December fertig, wie es bestimmt war , sondern 
wohl erst Anfang nächsten Jahres. 

Verantwortlicher BeJaktow: J. J. SCHOTT. — Drack van EZUTEBn. WALLAÜ la Mains. 



2. Jahrgang. 



Wr. 44. 



31. Octbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Die«« Zeitung erscheint Jeden 

MONTAG. 

Hau ibonnirt bei allen Poitimtern, 
Mmik- and Buchhandlungen. 



REDACTM UND VERLAG 

von 

I. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO. 



PREIS: 

fl. S. «3 oder Tblr. 1. 18 Sgr. 

fOr den Jahrgang. 

Durch die Post belogen : 

SO kr. oder IS Sg r. per «aartal. 



Inhalt« Das groase Mosikfest in Carlsruhe. II. — Orgelspiel in Franken. (Sehluss). — Nachrichten. 



DAS GROSSE HÜSIKFEST IN CARLSRUHE 

am 3. und 5. Oktober. 
(Zweites Concert,) 

Noch mehr, als im ersten Concert, trat im zweiten die Tendenz 
hervor, durch Aufführung mehrerer Stücke aus R. Wagner's Lohen- 
grin , und anderer Compositionen Ähnlicher Richtung , die Musik 
früherer Perioden zurückzudrängen. Dass in diesem zweiten Concert 
dennoch Mozart und Seb. Bach vorkamen , mag wohl nur durch die 
Mitwirkung von Fri. Rathinka Heinefetter und Herrn Concertmeister 
Joachim veranlasst worden sein , und stand dem zu Grunde liegen- 
den Plane fern. Die erste Nummer war die Ouvertüre zu ,, Struen- 



Ct 



see " von Meyerbeer. Im Vergleich mit Schumann's Ouvertüre zu 
Manfred gewinnt die Meyerbeer'sche hauptsächlich dadurch , dass 
zwei , aus Hauptstellen der Tragödie hervorgegangene Motive das 
.ganze Werk hindurch festgehalten sind, und so auch demjenigen Zu- 
hörer, dem die Tragödie selbst nicht bekannt ist, feste Anhaltspunkte 
gewähren, also wenigstens einigermassen das Verständniss für diese 
Composition öffnen. Eigentlich Neues, ausser der in der Einleitung 
befindlichen volkstümlichen Melodie, enthält diese Ouvertüre nicht. 
Dass die Instrumentation, wobei auch eine Harfe (gespielt von Mad. 
Pohl) , ausgesucht und sehr effektvoll ist , versteht sich bei Meyer- 
beer'» genauer und umfassender Kcnntuiss der Orchester-Effekte von 
selbst. Der höchst brillante Schluss der Ouvertüre riss wohl haupt- 
sächlich das Publikum zu der so bedeutenden Beifallsspende hin. — 
Es folgte nuu die B-dur-Arie des Sextus mit obligater Clarinette, 
aus Mozart' s Titus, gesungen von Frl. Kathinka Heiuefetter, die mit 
derselben nicht nur ihre voll- und wohlklingende Stimme und ihre 
treffliche Gesangsbildung, sondern selbst auch die Composition zu 
vollkommenster Geltung brachte. Einige von Seiten der Sängerin, 
wie des Clariuettisten wilikührlich angebrachte Verzierungen, die zur 
Verschönerung der betreffenden Stelleu nicht eben beitrugen , haben 
den sonst sehr schönen Eindruck des Ganzen etwas gestört. Leider 
reicht gegenwärtig selbst die Autorität der gediegensten Dirigenten 
einer Bravoursängerin gegenüber scheu mehr bin , um solche Will- 
kühr lichkeiten zu verhüten. — Die Chaconne für Violine allein, von 
Seb. Bach, welche hierauf Hr. Joachim vortrug, ist ein höchst merk- 
würdiges Musikstück, in dem, obwohl nur für ein der harmonischen 
Begleitung weniger fähiges Instrument componirt, die Grösse dieses 
Meisters sich ebensowohl offenbart , wie z. B. in der Passecaille 
(C-moll) für die Orgel — aus wenigen, ein Thema bildenden Takten 
entwickelt sich ein Reichlhum rhythmischer und melodischer Figuren, 
die das Interesse des Hörers mehr und mehr steigern, und dem Vir- 
tuosen volle Gelegenheit geben, seine technische Ausbildung, sowie 
seine Fähigkeit für geschmackvollen Vortrag im glänzendsten Lichte 
erscheinen zu lassen. Nach diesen beiden Seiten hin befriedigte denn 
auch das Spiel des Herrn Joachim vollkommen, und brachte ihm all- 
gemeinen und reich gespendeten Beifall. — Hierauf: „Fantasie über 
Motive aus „die Ruinen von Athen" von Beethoven, für Klavier und 
Orchester von Franz Liszt, vorgetragen von Herrn v. Bülow." The- 
mas aus diesen nicht sehr bedeutenden Compositionen Beethoven's 



zu einer Klavierfantasie zu wählen, war ein missliches Unternehmen, 
doch erhielt der Spieler, der wohl das Möglichste that, um sich Gel- 
tung zu verschaffen, Beifall. Uebcr sein Spiel möchte ich hier kein 
Urtheil abgeben , da die Composition dem Executanten nicht sehr 

günstig ist. 

Der zweite Theil dieses Concerts sollte nach dem Programm aus 

H. Berlioz' dramatischer Sinfonie „Romeo und Julia" den 2., 3. und 
4. Theil bringen; davon wurde nur der 2. Theil aufgeführt, dessen 
Inhalt folgendermassen im Programm bezeichnet ist: „Romeo allein. 
— Seine Traurigkeit — Concert und Ball. — Das grosse Fest bei 
Capulet." Was die zwei ersten Punkte betrifft, die die Musik dar- 
zustellen sich bemüht, so liegt demjenigen, dem ausser diesem zwei- 
ten Theil der Sinfonie nichts Weiteres davon bekannt ist, die Frage 
gewiss sehr nahe , ob die hier vorgebrachten melodischen Phrasen 
Anklänge von etwa im ersten Theil vorhandenen, mutmasslich die 
Scene zwischen Romeo und Julie malenden Melodieen , sein sollen ? 
In der Ungewissheit hierüber lässt sich auch kaum der Werth jener 
Schilderung der Gefühle Romeo's richtig ermessen; ist diese ganz 
unabhängig von dem Inhalte des ersten Theils, so erscheint sie nach 
der Vorstellung, die wir uns von Shakcspeare's Romeo machten, 
allzuscntiinental, und eines bestimmteren Charakters ermangelnd; sind 
diess aber wirklich Anklänge an den ersten Theil , so ist kaum zu 
vermuthen, dass man dort eine richtige , der Shakespear'schen Dich- 
tung entsprechende Schilderung der beiden Hauptcharaktere finden 
wird. — Während noch Romeo seine Klagen ausströmen lässt, deu- 
ten leise Tamburinschläge gleichsam aus der Ferne den Beginn des 
Ballfestes an, dessen Musik bald näher und näher heranrauscht, in 
Kurzem befinden wir uns mitten in demselben, das sich zu einer wahr- 
haft Bacchant'schen Lust erhebt. Hier scheint sich Berlioz in seinem 
wahren Elemente zu befinden, nämlich in der Aneinanderreihung der 
barocksten Gedanken, getragen durch die wunderlichste Instrumen- 
tation. Doch mag diese Musik dem Zuhörer ein Bild von einem sol- 
chen, allerdings an Ausgelassenheit grenzenden Feste geben, und so- 
mit einen charakteristischen Werth haben. Die Ausführung dieses 
Musikstücks von Seiten des Orchesters war sehr lobenswerth. — 
Hierauf folgte die Arie der Fides aus dem 5. Akt von Meyerbeer's 
Prophet, gesungen von Frl. K. Heinefetter. Die Wahl dieser Arie, 
obwohl sie der Sängerin in Beziehung auf Character und Umfang 
ihrer Stimme, so wie auf Entwickelung ihrer Virtuosität lohnend er- 
scheinen mochte, war weder an diesem Platze noch überhaupt für 
dieses Concert eine glückliche zu nennen, auch kann man ihr höch- 
stens nur stellenweise die Eigenschaft einer für Concerte passenden 
Arie zuerkennen , da sie des Zusammenhangs mit der Handlung der 
Oper benöthigt ist. Leider zeigten sich in der Begleitung einiger In- 
strumente der Sängerin gegenüber Differenzen. Nach dieser Arie, 
zu der nur ein Theil der vorhandenen Orchesterkräfte verwendet 
worden war, sehen wir den Orchesterraum sich wieder vollständig 
füllen, die Männerchöre nehmen zu beiden Seiten des Dirigenten 
ihre Plätze ein, es gilt die Vorrührung eines der Hauptbestandteile 
von beiden Concerten — einiger Scenen aus R. Wagner's „Lohen- 
grin." Dieselben wurden eingeleitet durch ein Orchestervorspiel, be- 
titelt : „der heilige Gral." Der Raum erlaubt nns nicht , die Schil- 



"-' w 



>f- 



dcrung der Bedeutung desselben und zugleich des Inhalts dieses Vor- w 
sptels, wie sie im ausführlicheren Programm gegeben ist , mitzuthei- 
len und mit müssen unsere Leser deshalb auf den Ttxt zum Leiten« 
grin verweisen. ■, "- 

Es ist unläugbar, dass der mit einiger Phantasie begabte Zuhörer 
in diesem Verspiel das allraählige Heranschweben und spätere Ver- 
schwinden einer überirdischen Erscheinung erkennen kann, und wenn 
überhaupt „Spharenklänge" dem menschlichen 'Geiste denkbar , und 
sogar durch materielle Mittel einigermassen darstellbar sind, so 
möchte es Wagner gelungen sein, sich dieser Möglichkeit in nicht 
unbedeutendem Grade genähert zu haben; es vereinigen sich in 
dieser Musik die eigentümlichsten Klänge , namentlich ist es die 
glückliche Benutzung der Flageolettöne der Violinen, wodurch Ver*f 
eint mit angehaltenen Noten höherer Blasinstrumente eine zauber- 
hafte Wirkung hervorgebracht wird. Dem Zuhörer jedoch dadurch 
die Vorstellung von einem bestimmt gedachten Gegenstand beizu- 
bringen, dazu eignet sich auch diese musikalische Malerei keines- 
wegs ; ein Programm ist hiezu doch unerlässlich. Was nun dieses 1 
Musikstück noch im besondern betrifft, so ist es bei seinem Mangel 
an einer bestimmteren Form offenbar zu lang , und ich glaube Viele 
auf meiner Seite zu habep, wenn ich behaupte , dass man so lange 
an diesen hin und her, — auf und abschwebenden Klängen ein 
gleiches Interesse nicht festhalten kann. Von den nun folgenden 
zwei Nummern aus Lohengrin, „Männerscene und Brautzug," dann 
„Hochzeits-Musik und Brautlied, " zeichnet sich die erste in der 
„Männerscene," wozu noch die von Herrn Hauser sehr gut vorgetra- 
gene Parthie des „Heerrufers" gehört, durch frische kräftige Haltung 
und im „Brautzug" durch eine äusserst edle Zartheit ganz besonders 
aus. Durch die Wahl von Doppelchören wurde der Componist in 
Stand gesetzt, der ganzen Scene eine grosse Lebendigkeit zu ver- 
leihen, und selbst vielfache Wiederholungen kleiner melodischer 
Phrasen erhielten dadurch, dass die beiden Chöre darin abwechselten 
das Interesse des Zuhörers stets wach, obgleich diese Phrasen, was 
Erfindung betrifft, eben nicht neu zu nennen sind. Auch treffen wir 
hier auf die Eigentümlichkeit , dass solche Phrasen grossentheils 
einer Mittelstimcue, dem ersten Bass zugetheüt sind, während erster 
und zweite* 1 Tenor darüherllegen Und überdies der erste Tenor durch 
einigermassen melodisches Fortschreiten sich ebenfalls geltend zu 
machen sucht. Es gehört jedenfalls das sorgfältigste Einstudiren da- 
au, wenn hier nicht die Wirkung der einen Stimme durch die der 
andern aufgehoben und solche Stellen unklar werden sollen. Ueber- 
haupt aber ist bei der „Männerscene" wie bei dem „Brautzug" die 
Wahrnehmung zu machen, dass das melodiöse Element fast zu häufig 
entweder den Mittelstimmen , oder selbst dem Bass zugetheüt ist, 
letzteren Fall treffen wir hauptsächlich im „Brautzug" und wenn, 
wie hier, auch wirklich ein schöner Effekt dadurch hervorgebracht 
wird, so möchte, diese Behandlung des melodiösen Theils der.Compo- 
sition doch auf eine gewisse Armuth an solchen Motiven schliessen 
lassen, die sich nicht scheuen dürften , als Haupt- und Oberstimme 
hervorzutreten. Einen höchst belebenden Eindruck machte hierauf 
die „Hochzeitsmusik," die in der Oper die Einleitung zum 3. Akt 
bildet, und der sich das „Brautlied" (für gemischten Chor) anschliesst 
In rein musikalischer Beziehung ist Letzteres der unbedeutendste 
Theil dessen was uns aus Lohengrin vorgeführt wurde, denn sowohl 
Melodie als Rhytmus sind von der gewöhnlichsten, verbrauchtesten 
Art; es war daher doppelt nothwendig für die Concertaufluhrung, 
auf dasselbe die Hochzeitsmusik als Nachsatz und Schluss des 
Ganzen noch einmal folgen zu lassen. Durch die Wahl dieser Musik- 
stücke aus Lohengrin mag der Zweck des Programms, für die Opern« 
Compositionen R. Wagners bei einem möglichst grossen Kreise von 
Zuhörern Interesse zu erwecken, erreicht worden sein, was aber da- 
durch um so mehr erleichtert wurde , dass das möglichst Melodiöse 
nebst dem Massenhaften daraus geboten war; ganz anders, und 
bei weitem weniger günstig rauss das Urtheil ausfallen bei Anhörung 
der ganzen Oper, in der das deklamatorische Element allzusehr über- 
wiegt, und an die Stelle der bis jetzt in der Operncomposition fest- 
gehaltenen Formen eine Formlosigkeit tritt; die einen klaren Eindruck 
von musikalischer Seite ganz ausschliesst. 

Zum Schluss dieses zweiten Concerts wurde die Ouvertüre zu 
Tannhäuser nochmals gegeben, und dadurch ein höchst effektvolles 
Ende des ganzen Musikfestes herbeigeführt. Die Ausführung sämmt- 
licher Stücke dieses Concerts war, mit geringer Ausnahme, eine bei 



weitem gelungenere, als im erster, was wohl seinen Grund theils da- 
rin hat, dass die verschiedenen Orchester und Chöre sich bereits 
mehr zusammen gewöhnt, und in die Eigentümlichkeiten des Diri- 
genten sich besser gefunden hatten. . Ungeachtet des durch einige 
Compositionen, sowie durch Unzulänglichkeit der Direktion mannig- 
fach veranlassten Missbehagens kann nicht geläugnet werden , dass 
man sich noch längere Zeit an Manches in den beiden Concerten 
Gebotene mit Vergnügen erinnern wird. Jedenfalls berechtigen 
sie zu dem Wunsche , so bedeutende Kräfte , wie sie hier ver- 
einigt waren, in einer der drei Städte, welchen sie angehören, unter 
mancherlei anderen Umständen bald wieder versammelt zu treffen. 

ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DES ORGELSPIELS 

IN FRANKEN. 

(Schluss.) 

Darauf basirt eine weitere Ursache des Verfalls des Orgelspiels, 
nämich : 2. Der völlige Mangel an guten Lehrern in diesem Kunst- 
zweig. Wenn in früherer Zeit auch noch hie und da ein alter, 
wackerer Organist, in der guten sächsischen Schule herangebildet, 
zu finden war , so wurden diese wackern Alten , die den allein 
wahren und richtigen Weg der Praxis betreten hatten, durch die 
aus dem Fröhlichischen Institut entlassenen Helden , deren Köpfe 
von Nooen-, Decimen-, Undecimen- , Undecimen-Septimen- , Tcrz-De- 
eimen-, Undecimen-Nonen- Septimen- Akkorden etc. mit ihren zahl- 
losen Umwandlungen angefüllt waren , mit denen sie übrigens nichts 
anzufangen wussten, in hochmüthiger Verblendung über die Achsel 
angesehen und da nicht selten diese Männer aus Alterschwäche 
ihrem Lehrerberuf nicht mehr zur vollkommenen Zufriedenheit vor- 
stehen konnten, so traten die Ziffern- und Akkorden-Seelen an ihre 
Posten und diese Leute sind es hauptsächlich , welche unser Orgel- 
spiel auf eine so beklagenswerthe Weise herunterkommen Hessen, 
so dass jetzt kaum mehr ein guter Lehrer zu treffen ist Und wenn 
ja noch einer hie und da sich durch günstige zufällige Verhältnisse, 
durch Talent und Ffeiss auf dem richtigen Kunstwege erhalteu und 
eine wackere Kunststufe erreicht hat, so hat er vielleicht das Un- 
glück dieses zu wissen und zu fühlen, oder in Folge seiner freieren 
kirchl. oder polit. Richtnng, wenn auch noch so unschuldig, für un- 
fähig erachtet zu werden, unter die Anserwählten zu gehören. Es 
ist wahrlich bei uns so weit gekommen, dass ein scheinbar demüthi- 
ges, gleissnerisches Wesen im äusseren Benehmen bei der Ernen- 
nung der Präparandenlehrer und bei Beförderungen auf die wichtig- 
eren Organistenstellen den Ausschlag gibt , nicht aber ihre im Be- 
reich der kirchl. Tonkunst anerkannnte Brauchbarkeit und Tüchtigkeit. 
Ist doch erst kürzlich wieder auf eine der wichtigsten Organisten- 
stellen , deren tüchtige Besetzung auf das Orgelspiel des ganzen 
Kreises von Einfluss hätte werden können, ein Mann befördert worden, 
der kaum etliche Takte auch nur leidlich zu präludiren versteht. 
Welcher Thor wird sich denn da noch Mühe geben , wenn er sieht, 
dass es sich thaisächlich um eine Förderung der kirchl. Kunst gar 
nicht handelt? Diese traurige Folgen treten jetzt sowohl in der 
evangelischen als katholischen Kirche immermehr hervor und es ist 
in der ganzen traurigen Erscheinung nur das das Unbegreifliche, wie 
man sich noch darüber wundern kann. Man muss sich im Gegentheil 
darüber wundern , dass es nicht noch viel schlechter ist. Es thut 
jetzt wahrlich Noth, ein Contingent tüchtiger Lehrer im Orgelspiel 
vom Auslande kommen zu lassen, bis endlich wieder der richtige 
Weg in diesem Zweig der kirchl. Kunst betreten , der wahre Geist 
des Orgelspiels erweckt und zu eigner selbständigen Leitung erstarkt 
sein wird. 

Auf eine gründliche Reform im Orgelspiel ist aber nicht zu 
rechnen, so lange nicht zugleich unser Orgelbauwesen einer völligen 
Reform unterworfen wird; denn wir bezeichnen als eine der wich- 
tigsten Ursachen des tiefen Verfalls des Orgelspiels 

3) den mangelhaften Bestand unserer Orgelwerke. — Durch 
die gänzliche Entartung eines einfachen, schmucklosen Orgelspiels 
hat diese Kunst ihren Einfluss auf die Gemüther der Gemeinde 
gänzlich verloren, und diese wiederum alles Interesse am Orgclspiel 
trotz des tiefen deutschen Gemüths, des angestammten musikal. 



- 17» 



Sinnes und der tiefen Religiosität. Daher kommt es auch, dass die 
Gemeinden «ich zu allen andern Alisgaben im Gemeinde- and Kirchen- 
wesen leichter verstehen, als zu einem Opfer für ihre Orgeln, 
und da kirchl. und weltl Behörden in dieser Beziehung sich in 
Sparsamkeit zu fiberbieten suchen, so sind unsre Orgelwerke allent- 
halben in einem solchen defekten Zustand, dass es wahrlich ans 
Unglaubliche gränzt. So lange das Werk brummt und schreit 
wird keine Ausgabe , auch nicht die geringste übernommen , und 
wenn das Werk nicht mehr zur weiteren Liedschäftigkeit herunter- 
geführt werden kann , so übergibt man es endlich einem Pfuscher, 
der sich dabei die Tasche füllt und am Ende noch mehr verdirbt 
als gut macht; denn noch ist es bei uns nicht so weit gekommen — 
in Sachsen und Preussen ist es längst der Fall — dass unsre Provinz, 
überhaupt Bayern , in gewisse Distrikte eingeteilt wäre, in denen 
von hoher kgl. Regierung im Fache des Orgelbaues gründlich gebildete 
und geprüfte Männer aufgestellt würden, die im Interesse des Staats, 
der Kirche und Gemeinde über die Nothwendigkeit einer Orgelrepa- 
ratur und über die Art und Weise der Durchführung ein sachver- 
ständiges Urtheil abzugeben hätten. Daher kam es z. B., dass bei 
einem Eirchenneubau in der Nähe der Kreishauptstadt Würzburg 
der Maurermeister den Orgelbau-Akkord übernahm, und solchen be- 
liebig von einem Pf — ausführen liess. Dieser Gleichgültigkeit ist es 
einzig und allein zuzuschreiben, dass unsre Orgelwerke durchgängig 
so verdorben sind, dass sie zu einem methodischen Orgelunterricht 
schlechterdings nicht zu gebrauchen sind ; namentlich ist die Ein- 
richtung d. Pedale eine höchst kümmerliche — gewöhnlich kaum im 
Umfang einer Octave und sehr häufig gebrochen. Dies gilt selbst 
von den neueren Werken , so dass eine gute Composition von 2 
Octaven Pedalumfang nicht vorgetragen werden kann. Wenn daher 
das Orgelspiel in Unterfranken nichts taugt , so wundre man sich 
nicht darüber , man wundre sich vielmehr darüber , dass es 
nicht noch schlechter ist. Man glaube auch nicht, durch leere 
Ermahnungen und Warnungen an die armen Schulaspiranten , 
die offenbar die Sünde derer tragen müssen , die in früherer 
Zeit die Leitung und Beaufsichtigung des Orgelspiels übernommen 
hatten, dem tief sitzenden Uebel beikommen zu können. Es geschieht 
dieses hauptsächlich durch Hebung und Beaufsichtigung unseres 
Orgelbaus. Zu den bereits angeführten wichtigen Ursachen kommt 
noch die gewichtigste. Diese besteht: 

4) in dem sogenannten Dienstverhältnisse der Organisten. Das 
Meillose dieses Dienstverhältnisses liegt erstens in der Ueber- 
bürdung mit einer Masse von Nebenbeschäftigungen , von denen 
der ganze Organistenberuf selbst wieder eine ist , denn der Haupt- 
beruf ist der des Lehrers, so dass dem Organisten kaum Zeit für 
eine gründliche Vor- und Fortbildung bleibt. Ferner liegt es auch 
zum Theil in der alizugeringen Besoldung — oft jährlich nur einige 
Gulden — wodurch dem strebsamen Manne die Mittel entzogen sind, 
die notwendiger Weise zur tüchtigen Fort- und Ausbildung des 
Organisten erforderlich sind, denn gerade diese BildungSmittel , klas- 
sische Orgelcompositionen Bachs , Händeis , Mendelssohns und hi- 
torisch musikal. Werke sind immer ziemlich theuer und übersteigen 
die finanziellen Kräfte der armen Organisten. Das Hauptgebrechen 
des in Rede stehenden Dienstverhältnisses ist endlich die Art und Weise 
der Beaufsichtigung. So weit haben wir uns fast in allen Zweigen 
des Staatslebens einer Entwicklung zu erfreuen, dass allenthalben 
eine sachverständige Beaufsichtigung obwaltet ; allein in dieser 
schweren und wichtigen kirchl. Kunst findet leider noch eine be- 
dauernswerthe Ausnahme statt und obschon die weltl. und kirchl. 
Oberbehörden bei der Heranbildung junger Geistlichen die Musik- 
bildung sehr in Betracht bringen, so sind dessenungeachtet gründ- 
liche musikal. gebildete Geistliche sowohl in der katholischen als 
protestantischen Kirche heute noch so selten, wie weisse Sperlinge. Wie 
kann aber ein unmusikal. Mann seinen Organisten beaufsichtigen ? 
Wie kann er ihn vor Abwegen warnen? Mit Rath und Tliat bei- 
stehen? Wie kann er ihn qualificiren ? Muss ihn nicht eine Scham- 
röthe befallen , wenn er sein ,.£«* u „ sehr gut " „ ausgezeich- 
net" „schlecht" etc. niederschreibt in einer Sache, von der er 
gar nichts versteht f Was sagt sein Gewissen dazu , wenn er 
sich erinnert , dass diese Qualifikation auf das Wohl und Weh 
seines Organisten von wesentlichem Einflüsse sein kann? Wie kann 
er seinen Organisten einer hohen kgl. Reg. zu dieser oder jener 
Stelle empfehlen? Wie kann er ihn als Präparandenlehrer vor- 



schlagen? Woher kommen die so mancherlei Missgriffe? Und 
will da noch beklagen ? — Liegt in einer solch durch und 
unzweckmässigen Beaufsichtigung, in einer der hohen Aufgehe der 
Kunst ganz und gar unwürdigen Organisation, nicht der innerste 
Keim zu all den traurigen Folgen des Verfalls des , Orgelspiels : und! 
sollte es denn hier kein wirksames Mittel zur Abhülfe geben» 
ohne die Kirche in ihrem Aufsichlsrecht zu beeinträchtigen?' 
Allerdings gibt es wirksame Mittel zur Beseitigung dieses Krebs" 
Schadens, allein mit der Angabe derselben wären wir zur BeamV 
wortung des II. Theils unsrer Frage hingeführt, welche heisst.t 
„Was für Mittel stehen den weltl. und kirchl. Behörden zu Gebote* 
um das gesunkene Orgelspiel wieder zu heben?" Aus Liebe zur 
guten Sache werden wir in einer der nächsten Nummern d- verohrl. 
Bits, unsre Ansichten hierüber frei und offen aussprechen, seihst auf 
die Gefahr hin, dass es abermals — tauben Obren gepredigt sei, 
Ja, wir halten es für die heiligste Verpflichtung desjenigen , der 
innere Berufs- und Urteilsfähigkeit bezüglich dieses Gegenstandes 
in sich fühlt, Alles hierher Gehörige klar und unumwunden auszu- 
sprechen, damit sich kirchl. und weltl. Behörden eine allseitige Sack* 
kenntniss verschaffen können und allmählig die Hoffnung aufgeben« 
dass mit, wenn auch noch so wohlgemeinten, Rescripten zu kei- 
fen sei. 

Würzburg im Oktober 1853." H 

NACHRICHTEN. 



Wiesbaden. Aus der gehofften Reorganisation der Oper ist 
leider nichts geworden. Mit Ausnahme mehrerer Choristen, der Frau 
Moritz, des Tenoristen Stritt und des (nur für den Sommer enge*» 
girten) Bassisten Schiff benker , ist das Personal geblieben« Sehe» 
ertheilte Kündigungen wurden zurückgenommen. So kommt es, dass 
die Oper im Ganzen nicht nur nicht besser, sondern wenn wir nach de* 
, letzten Aufführungen achliessen dürfen, manches schlechter gewordenist. 
Seit lange haben wir die Partie der Margarethe z. B. nicht so ver* 
unstaltcn sehen, wie in der letzten Vorstellung der Hugenotten durcii 
Frl. Köhler, eine neuengagirte Sängerin. Wenn dergleichen an einer 
Hofbühne vorkommen kann, was soll dann aus den Provinzialbühj*«* 
werden? In Herrn Thelen ist allerdings ein prächtiger markiger Baas; 
gewonnen worden, dem bei fleissigem Studium eine schöne Laufbahn 
vorhergesagt werden kann , da weder seinem Vortrag noch seinem 
Spiel die Wärme mangelt , welche die Grundbedingung jedes Fertr 
Schrittes ist — aber um so greller tritt der Unterschied der Leisten.» 
gen in dem Ensemble hervor , welches denn doch wohj die Haupt» 
sache ist. — Flotows Indra scheint nach einmaliger Wiederholung 
auszuruhen , eben so Wagners Tannbäuser und Lohengriu , die mj$ 
dem Abgang des Kapellmeisters Schindelmeisser vom Repertoir ver- 
schwunden sind. — Der neue Kapellmeister Herr Hagen hat sich bis 
jetzt der allgemeinsten Anerkennung zu erfreuen. 

Franken. Die gegenwärtig in Bayreuth versammelte General- 
synode wurde in den jüngsten Tagen von Dr. Harless, kgl. Bairischer 
Oberkonsistorialrath , eröffnet und bei der einleitenden gottcsdicnstU 
Feier die neu einzuführende Liturgie in Anwendung gebracht. 
Schon in den ersten Verhandlungen der Generalsynode soll über die 
Einführung dieser Liturgie und eines neuen Gesangbuchs 
ßerathung gepflogen werden und man ist allenthalben sehr auf das 
Resultat gespannt. Was das Gesangbuch anlangt, so beschwert man 
sich allgemein über den damit verbundenen Rückschritt und über die 
enormen Kosten , die dadurch entstehen und bezüglich der Liturgie» 
die wir bereits vor uns liegen haben und über welche wir nächstens 
ein Mehrcres zu berichten gedenken, verspricht man sich keinen wahren 
Gewinn für den musik. Theil unserer gottesdienstlichen Feier, weil» 
wenn auch die Liturgie entsprechend wäre , es in Bayern an musik*, 
gebildeten Geistlichen, an tüchtigen Cantoren und Organisten fehlt.— 
Nichts ist empörender, als der Gesang eines Geistlichen, der weder 
Ohr noch Stimme hat und eine vielleicht noch schlechtere Orgelbe- 
gleitung dazu. 

Mannheim« An hiesiger Bühne wird demnächst Auber's „Marco 
Spada" einstudirt werden. — Der Tenorist Herr Grimminger , der 
bisher noch in Martha als Lyonel, und in den Puritanern als Arthur 



tn — 



mit grossem Beifall gastirte* ist für die hiesige Bahne engagjrt 
"worden. 

Köln« S. Cruvelli trat hier „auf der Durchreise" als Norm» 
«er. Sie sang ihre Partie wie gewöhnlich italienisch. Die kölnische 
Zeitung bringt einen enthusiastischen Bericht über die „geniale Ge- 
sangesheldin" aas der Feder des Herrn Prof. Bischoff, in dem unter 
Auderm gesagt wird : Deutschland dürfe stolz auf eine solche Sän- 
gerin sein. Wir erlauben uns, diesen Ausspruch mit aller Entschie- 
denheit zurückzuweisen. Deutschland hat doppelten Grund, Frl. S. 
Cruvelli zu desavoniren. Dass Frl. Cruvelli auf einer deutschen 
Bahne in einer von Deutschen deutsch gesungenen Oper italienisch 
singt, beweist eben so sehr, dass Frl. Cruvelli von dem Wesen der 
Kunst, deren erste Bedingung Einheit ist, nichts weiss oder nichts 
wissen will, als es eine Geringschätzung dea Publikums verräth*. 
die in Frankreich und Italien mit Pfeifen und Zischen beantwortet, 
in Deutschland aber, Dank dem Kosmopolitismus, der in der Kunst, wie 
in allen übrigen Verhältnissen das Nationalgefühl und die nationale 
Ehre zu ersticken bemüht ist, beklascht wird. Es ist gar keine Ent- 
schuldigung, wenn angeführt wird, die gesammte künstlerische Bildung 
die Frl. S. Cruvelli sei italienisch und sie vermöge desshalb nicht 
deutsch zu singen. Ist.es einem Ausländer wie Roger möglich, sich 
ein fremdes Idiom zum Behtife der Darstellung auf fremden Bahnen 
so weit eigen zu machen, dass man den Ausländer kaum noch hie 
und da an der Aussprache erkennt, dann wird es auch für eine 
Deutsche möglich sein, ihre künstlerische Natur so weit umzu- 
wandeln. Der Unterschied ist ein anderer: Roger ist ein Künstler, 
der eben so viel Achtung vor der Kunst als Ehrgefühl besitzt , und 
der sich schämen würde , Fremden zuzumuthen , was er in seiner 
Heimath verdammen müsste. Frl. S. Cruvelli dagegen ist eine recht 
kluge dabei talentvolle Sängerin und weiter nichts. Ehe Deutschland 
stolz auf eine Deutsche ist, muss diese stolz aj^ ihr Vaterland sein. 
Bei Frl. S. Cruvelli ist davon nichts zu spüren. Sic verschmäht es» 
ihr bedeutendes Talent ihrem Vateriande und dessen Kunst zu 
widmen und zieht es vor, sich, wenn sie ausser Engagement ist, in 
ital ienischen Blättern als d i sponibel für italie^ 
nische Bühnen ausschreiben zu lassen (s. Gazetta 
musicale di Napoli vom 8. October) dies ist der deutlichste Beweis, 
dass sie kein anderes Vaterland kennt und kein anderes sucht, als 
die gefüllte Börse eines beliebigen Irnpressario. Frl. Cruvelli hat 
sich damit unter die Zahl der Gesangsvirtuosen begeben , die dem 
goldenen Kalbe nachziehen und die trotz aller technischen Vollendung 
die echte Kunstseele, den echten Künstlerstolz so vollständig ausge- 
zogen haben , dass ausser dem Speculanren , der sie a la Barnum 
ausbeutet, und ihr Talent zu Geld macht, Niemand mehr auf sie stolz 
sein kaun. Kann diesem entwürdigenden Schacher mit der Kunst, 
der allerdings leider an der Tagesordnung ist, kein Einhalt gethan 
werden, dann nenne man das Kind wenigstens mit seinem rechten 
Namen, und versuche nicht ihn zu bemänteln. 

Dresden. Am 16. October ging hier neu einstudirt Rossinis 
»Belagerung von C o r i n t h" mit trefflichem Arrangement 
und vorzüglicher Ausstattung vor einem fast überfüllten Hause in 
Scene. Ueber das Werk selbst darf das . musikalische Urlheil als 
abgeschlossen angesehen werden. Aber die hiesige Aufführung war 
in jeder Beziehung so ausgezeichnet, wie man sie in der That selten 
hört. Neben den Herrn Tichats check und Weixels torfer 
die nach jeder Seite hin als treffliche Vertreter der Parthien des 
Kleomenes und Neokies erschienen war es vorzugsweise Frl. Ney 
die in der That unübertrefflich als Pamyra dastand und das ander- 
weit schon ausgesprochene Unheil , sie sei jetzt in Wahrheit die 
erste dramatische Sängerin Deutschlands, glänzend rechtfertigte. Die 
Fülle, Kraft und Ausdauer dieses mächtigen hohen Soprans, der auch 
die grössten Massen siegreich und ohne jedes Forciren beherrscht, 
die stete Reinheit, Sicherheit und Brillanz der Ausführung auch in 
den schwierigsten Stellen, das Feuer der dramatischen Gestaltung 
etc. haben wir in so hohem Maasse noch in keiner andern Parthie 
bewundernd anzuerkennen gehabt, und es steht dieser Künstlerin — 
ohne Phrase, Sie wissen ich bin kein Enthusiast 1 — noch eine sehr 
glänzende Zukunft bevor. 

Einen schönen Genuss anderer Art brachte uns der 17. October, 
'wo der hier mit Recht sehr geschätzte Pianofortelehrer Fritz Spind- 
ler eine grosse Symphonie seiner Composition inH-moll (die zweite) 
unter seiner persönlichen Leitung von der K. Kapelle mit ausser- 



ordentlichem Feuer und feinem verständnissvollem Eingehen, trotz 
der mancherlei Schwierigkeiten des Werks vorgetragen, zur Auf- 
führung brachte; das Werk bekundet einen sehr erfreulichen Fort- 
schritt Es ist mehr Selbständigkeit und Eigentümlichkeit der Ideen 
darin, als wir sonst auf diesem Gebiete in neuester Zeit zu finden 
gewöhnt sind, dabei sind die Motive frisch und ansprechend , die 
thematische Arbeit äusserst lobenswerth , die Instrumentirung den 
Gedanken sehr wohl entsprechend und gewählt. Der letzte Satz 
dünkt uns indess nicht ganz auf dem Niveau des Vorhergehenden zu 
stehen. Aber der junge Componist verdient die ihm reichlich und 
freudig gespendete Anerkennung in vollem Maasse für sein ernstes 
und echt künstlerisches Streben, das unter den Mühen des Lehrer- 
lebens sich so frisch zu erhalten weiss und so schöne Früchte 



Wien. Frl. La Grua, die neuengagirte Prima-Donna, ist ange- 
kommen und wird als Alice, Valentine und Amine debütiren. Die 
Gesellschaft der Musikfreunde hat ein vorläufiges Programm ihrer 
Winter • Concerte veröffentlicht , in welchem zum ersten Male die 
Namen Schumann und Wagner figuriren. Von jenem soll nach einem 
Bericht der Niederr. Mskztg. die 2. Sinfonie in B, von diesem die 
Tannhäuserouverture aufgeführt werden. Frl. J. Wagner hat hier 
kein Glück gemacht. Ihre Unbeliebtheit ist so gross, dass die Wiener 
Mskztg. sich nicht damit begnügt, sie in den eigentlichen Theater- 
kritiken herunterzusetzen , und alles an ihr zu tadeln oder unschön 
zu finden, sondern jede Gelegenheit ergreift , ihr in kleinen Notizen 
und Lückenbüssern eins zu versetzen. Wo die Kritik so offenbar 
das Amt übernommen hat , einen misliebigen Namen zu verfolgen, 
kann von einer gerechten Würdigung natürlich keine Rede sein. Wie 
Frl. Wagner dazu kam , neben der Fides, Romeo und Leonore (in 
der Favoritin) als Gastrollen zu wählen, ist allerdings unerklärlich 
und sie hat es hauptsächlich diesem Missgriff zuzuschreiben, dass ihr 
Gastspiel nicht so glänzend ausgefallen ist, als sonst wohl der Fall 
gewesen sein würde. 

Prag. Der bekannte gediegene Violinist Laub hat am 17. 
October neue Cyclus von Quartetten eröffnet. Besonders gefiel am 
ersten Abend ein Quartett in D-moll von Veit. Im December beab- 
sichtigt A. Dreyschock 3 Abonnements - Concerte zu veranstalten, 
in welchen grosse Orchester- Werke zur Aufführung kommen sollen. 
Das Theater-Orchester unter Leitung des Kapellmeister Scroup wird 
gleichfalls einige grosse Concerte arrangiren. 

Gratz« Vieuxtemps hat im Vereine mit dem Pianisten C. Evers 
hier % Concerte gegeben und wird noch einige Quartettsoireen ver- 
anstalten. 

Pesth. Die Herren Erkel und Doppler werden im Laufe dieses 
Winters 6 „philharmonische Concerte" arrangiren. 

Paris* Im Laufe des Winters stehen zwei Meyerbeer'sche Opern 
in Aussicht : „ Der Stern des Nordens " in der Opera comique und 
„Die Afrikanerin" in der Grossen Oper. Auf die Hauptrolle in der 
letzten machen sich , wie die Niederr. Mskztg. aus „bester Quelle" 
weiss, sowohl Frl. J. Wagner als Fr. S. Cruvelli Hoffnung — Letztere 
ist n. d. Bl. auf % Jahre an der Grossen Oper mit einem vi er monatlichen 
jährl. Urlaub und einem Gehalt von 100,000 fr. jährlich engagirt 
worden. Merkwürdig bleibt es, wie diese Sängerin, bei welcher die 
italienische Gesangsbildung so in suecum et sanguinem übergegangen 
ist, dass sie, wie noch kürzlich erklärt wurde, unmöglich deutsch 
singen könne und deshalb bei ihrem Auftreten in Deutschland dem 
Publikum stets eine Olla potrida von Deutsch und Italienisch vorsetzte, 
-auf ein Mal der italienischen Oper Lebewohl sagt und französisch 
singen lernt. Ob ihr das wohl leichter geworden ist, als in ihrer 
eigenen Sprache f freilich : „K a i s e r 1 i ch e Akademie de musiaue" 
und 100,000 frs. jährlich 1 

Mailand* Die bekannte Sängerin M. Clara Novello ist für die 
nächste Carnevalsaison der Scala gewonnen worden. 

Petersburg. Die italienische Oper, die am 1. October eröffnet 
werden sollte, zählt unter den diesjährigen Mitgliedern: Tammberlik, 
Calzolari, Stigeüi; Ronconi und Bassini; Lablache und Didot. Von 
Damen: Lagrange,. Medori, Marray, Frl. Demeric. Orchesterdirigent 
ist F. Ricci, dessen Opern natürlich zur Aufführung kommen. 

Yertatwortttcbw ftcrttktcu: J. j. «CHOIT. — brtck tw» KJSDTK» *. WAL LAU m aalai. 



2. Jahrgang. 



mth 4*. 



7. Novbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

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von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

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Bunafe 



Inhalt t D«r göttliche Orpheus von Calderon. — Recensionen. — Corresp. (Mainz. Cöln.) — Nachrichten. 



DER GÖTTLICHE ORPHEUS, 
von Calderon. 

Die griechischen Sagen und Dichtungen von des Orpheus 
Wundersagen sind Allen bekannt. Gewiss nur Wenige aber kennen 
die Umbildung , welche der spanische Shakespeare , Don Pedro 
Calderon de la Barca, mit dieser Gestalt vorgenommen. Unter seinen 

t.utos sacramentales , geistlichen, in der Fastenzeit aufgeführten 
chauspielen, die auf eine Verherrlichung der katholischen Sacra- 
mente abzielen , befindet sich eins „der göttliche Orpheus" genannt 
(übersetzt von Frh. von Eichendorf in den „geistl. Schauspielen von 
Calderon", im 2. Bande Stuttgart. Cotta). Das bekannte Liebesver- 
hältniss zwischen Orpheus und Euridice ist dieser Allegorie zu, Grunde 
gelegt: Euridice ist die „menschliche Natur" Orpheus der göttl'che 
Schöpfer, der sie ins Leben ruft, als seine Braut in den Paradies- 
garten fuhrt , der Gefallenen nachgeht und sie dem „Fürsten der 
Finsterniss" und der Unterwelt wieder entreisst (Christi Kreuzweg 
und Höllenfahrt und des griechischen Orpheus Hinabsteigen in die 
Unterwelt sind hier verschmolzen.) Alles dies bewirkt Orpheus durch 
seinen Gesang. Es treten auf: der Fürst der Finsterniss — die Scheel- 
sucht — Orpheus — die Wochentage mit ihren Attributen — Lethe, 
ein Schiffer — das Vergnügen, ■ - ein Landmann — die menschliche 
Natur — die Musik (der Gesang) ; alle in Person. 

Ueber das Verhältniss des Christlichen (Göttlichen) zu dem 
Heidnischen (Menschlichen) spricht der Fürst der Finsterniss zu der 
Scheelsucht sehr naiv und vernünftig. 

. . . . es wird stets unzähl'ge 

Dinge geben in der Welt , 

Wo geheim zusammen stimmen 

Göttliche und Menschenlehre, 

In dem innern Grundton freundlich , 

Doch im Kuhns sich entgegen. 

Also auch die heil'ge Urkund' 

Ew'ger Weisheit, die der Welten 

Mass und Zahl harmonisch fasst; 

Und zur Seite ihr die Stellen 

Jesaias', der zu singen 

Anhebt im prophet'schem Sehnen 

Von dem Weinberg, der die Kirche 

Dieses Orpheus ist, des hehren. 

So mag, wer da hört, erkennen 

Dass, was hier erschallt', derselbe 

Grundton in verschiednen Klängen, 

Aber ausgeführt so strenge 

Auf des Weltalis Instrument , 

Dass wohl Jeder wird gestehen, 

Dieser Spielmann sei Gott selbst, 

Da Musik und Instrument hier 

So genan zusammenstimmen« 
Man ersieht schon aus dieser Probe , wie sehr das Ganze von 
musikalischen Gedanken und Anschauungen durchdrungen ist. So 
allegorisch die Komposition erscheint, ist sie doch eine eben so ori- 



ginelle als erhabene Dichtung; eine merkwürdige, geniale Verschmel- 
zung verschiedener Sagen und Gedanken : Orpheus , die Harmonie 
der Sphären, die Weltschöpfung durch das Wort des Gottessohnes,- 
das Leiden Christi und seine Höllenfahrt aus Liebe zu den Menschen 
und das mystische Verhältniss der Kirche als Braut des Schöpfers 
und Erlösers. *) 

Orpheus belehrt die „menschliche Natur" über die Schöpfung also : 
Meine Stimme 

Hat vor deinem Aug den grossen 
Bau der Welten aufgeführt 
In melodischen Accorden, 
Und zwar so, dass wenn der Erde 
Mangelte nur eine Rose, 
Ein Atom der Luft, dem Feuer 
Nur ein Strahl, dein Meer ein Tropfen — 
«*_ Alles sich in Mislaut löste. . 

Dass sonach denn der harmon'sche 
Ganze Wunderbau Musik ist , 
Und ich selbst ein Sohn der Sonne 
Der Gerechtigkeit, als deren 
Fackel bin zur Welt gekommen, 
Licht vom Licht und Gott von Gott. . 
Von erhabenster Wirkung ist die Stelle, wo das Herabkommen 
des licht- und lebenschaflcnden Orpheus geschildert; wird. Der Fürst 
der Finsterniss und die Scheelsucht sitzen zu Anfang des Schauspiels 
im dunkeln Chaos der Welt j nachdem einige Worte n gewechselt; 
spricht der Fürst zur Scheelsucht : 

Gesellin meiner Wirren ! 

Da wir den Tag hier ohne Tag durchirren, 

Und, in die Farbe meines Seins gehüllet, 

Die finstre Nacht noch Alles rings erfüllet, 

So lass zum Himmel deine Blicke dringen , 

Die schneidend ja das Höchste stets" erschwingen. 

Ob etwa Zeichen kreisen, £ 

Die Richtung, die wir suchen, uns zu weisen. 

DieScheelsucht. 
Trüb noch das All, und ungestaltet 
Der Dinge Urstoff j keine Seele waltet, 
Kein Athemzug, der durch das Schweigen rausche — 
Nur einen einzigen Laut vernehm ich. 
Der Fürst. 

Lausche 1 
Die Scheelsucht. 
Aus weiter Ferne tönt's. 
Der Fürst. 

Unserm Gehöre 

Gilt keine Ferne, die den Klang verstöre. 
Horch, wie dies lieblich ernste Tönen 
Befehl und Bitte mild weiss zu versöhnen. 



*) Schon das Alterthum empfind die Verwandtschaft zwischen Orpheus und Christas: 
In dem Privatgemache des rem. Kaisers Atex. Severns standen «U« Bildnisse beider beisam- 
men. 8. lampridtas in Heliogabalum ctp. 2», 



— 178 — 



Die Stimme wird mit ihren Melodien 
Noch alles, was sie will einst an sich ziehen 
Zumal wenn ich bedenke, wie so weise 
Sie Alles bannt in die harmon'schen Kreise 
Gebundner Rede, die so strenge 
Nach Mass und Zahlen fügt das Reich der Klänge, 
Dass, wenn nur eine Sylbe fehlt im Kranze, 
In Missklang auseinanderfällt das Ganze. 

Die Scheelsucht. 
Kein Wunder denn, wenn es wie holde Chöre 
Zu uns herüberklingt. 

Der Fürst. 

Hör', hör ! 
D ie S cheelsuc b t 

Ich höre. 
Jetzt tritt Orpheus aus einer sich senkenden Wolke hervor, und 
im Gesänge ruft er das schlummernde Leben wach, die Tage, einen 
nach dem Andern mit ihrem Zubehör, und als siebenten Tag , der 
das Ganze kröne und überstrahle, die menschliche Natur. Dem Gange 
des Schauspiels bei jedem Schritte zu folgen, ist hier unmöglich, 
es ist nur hervorzuheben, wie das Ganze auf musikalischem Grund 
und Boden steht. In neuer Wandlung zeigt sich dies, als Orpheus 
den Ton der Klage laut werden l&sst über die Abtrünnige : 

Auf des Lenzes Blüthenhöhen 

Fasstc, Nymphe, dich der Tod, 

Endest mit dem Morgenroth, 

Da vor seines Hauches Wehen 

Alle deine Sterne untergehen. . . . 

Doch wie gross auch deine Sünden, 

Soll ein Instrument der Minne, 

Das ich herzustellen sinne, 

Dennoch dir dereinst verkünden, 

Dass die Liebe grösser als die Sünden, 

Wann empor zum Himmel wehen 

Meines Liedes süsse Klagen 

Und, als Sang emporgetragen, 

Rufen in den lichten Höhen : 

Weh ihr, die durch ihr Vergehen 

Wahr gemacht hat, dass die Sünde tödtlich ! 

Die Tage sprechen zu einander: 

Da nur Heil herabzuthauen 
Dieser Orpheus himmlisch sinnt, 
Seh' ich wie er schon beginnt 
Sich das Instrument zu bauen, 
Das von göttllichem Erbarmen 
Ein unendlich Lied soll tönen 
Von Erlösen und Versöhnen. 
Kreuzweis auf zwei hölzern' Armen 
Will er jetzt sein Spiel bereiten , 
Macht es mit drei Wirbeln fest. 
Und die Saiten drüber lässt 
Seinen Händen er entgleiten. 

Hier mischt sich idic Klage in die Symphonie der Klänge ; dies ist 
die Geburtsstunde der Töne des Leides und der Trauer« Orpheus selbst 
spricht: 

Meine Liebe will für dich 

Zu dem Abgrund niederfahren. 

Darum hiess dies Saitenspiel 

Sie mich bauen zu der Fahrt mir, 

Unter dessen schwerer Wucht 

Meine Knie' zusammen brechen, 

Jeder Wirbel dieser Saiten 

Ist ein schneidend scharfer Nagel, 

Jede Saite eine Gcissel, 

Und ein Schlag ein jeder Klang mir. 

Und so wüst und dornenvoll 

Ist der Pfad, den du verlassen, 

Dass er rings von meines Blutes 

Thaue perlt, wo ich gegangen. 

Doch ob er auch rauh, wie schwer 

Dieses Instrument auch laste : 



Tönen soll's, wenn ich's berührt, 
An des Lethestroms Gestade. 
Man lasse sich durch die mittelalterlich-mystische Bildrede nicht 
zurückschrecken : es steckt ein Kern reiner Wahrheit und hoher 
Poesie darin. Mit der Harfe und dem Kreuzstabe dringt Orpheus in 
die Tiefe : 

Schmelzen wird vor meinem Klange 
Dieses Schloss von Diamanten. 
Und so wird die heiige Schrift 
Tiefsinnig einst von mir sagen, 
Dass ich, um die arme Erde 
Himmelwärts empor zu tragen, 
Alle, die gebunden schmachten , 
Wecke und befreie. 
Es entsteht schrecklicher Aufruhr und Kampf der Elemente, wie bei 
Christi Kreuzigung; aber Orpheus 

Triumphirend, überm Abgrund, 
Und in seiner Hand die Harfe , 
Bild und Wahrheit wiederhallend. 
Der Fürst der Finsterniss ruft: 

Charon, welch ein Schwan durchzieht 
Deine Wellen mit Gesänge? 
Die Gefangene wird frei, aus dem Tod wird Leben, ein neues Morgen- 
roth und eine zweite Sonne strahlen, und im Siegsgesang erschallen 
die Schöpfungshyinnen wieder. Der „Gesang" hat das letzte Wort: 
Fahre, menschliche Natur, 
Auf des Lebens Nachen fahre! 
Fahre, dass dich Gott bewahre! — 
Dieser göttliche Orpheus des Calderon ist ein Lobgedicht auf die* 
Musik, so erhaben und schön, dass ich ihm kein zweites an die Seite 
zu stellen weiss. Weisheit, Sage und Dichtung ist hier wie im 
Blumenkranze ineinander geschlungen. 



RECENSIONEN. 



Handbuch der modernen Instrumentirung für Orchester 
und Militairmusikcorps, mit besonderer Berücksichtigung der 
kleineren Orchester sowie der Arrangements von Bruchstücken 
grösserer Werke für dieselben, und der Tanzmusik. Von Fer- 
dinand Gleich. Leipzig, C. F. Kahnt. IV und 84 im 8. V, Thl. 
Diese kleine Schrift wird von denen, die sich um die grösseren 
Werke über Instrumentation (z. B. Marx Bd. IV, Gassncr, bes. 
Berlioz) nicht kümmern und wie echte Naturalisten frischweg instru- 
mentiren, mit Nutzen gelesen werden können. Sie ist freilich etwas 
flüchtig geschrieben, und die ästhetisirenden Bemerkungen , welche 
hie und da zwischengestreut sind, haben wenig Instructives, und 
geben dem Ganzen das Ansehen eines Journalartikcls. Bei den Hin- 
weisungen auf die Tonkünstler , welche einige Instrumente charak- 
teristisch („herrlich", „mit vielem Erfolge" „mit Glück" etc. sagt 
Herr Gleich lieber) verwendet haben , tritt dies deutlich genug her- 
vor. So z. B. S. 20. über das Engl. Hörn : „Erst in neuerer Zeit 
ist dieses schöne Instrument wieder in Aufnahme gekommen. Alan 
findet es mit Glück bei Rossini (Arie der Amenaide im Tancred und 
Ouvertüre zu Teil) , bei Meyerbeer , Halevy , Berlioz und Richard 
Wagner in herrlicher Verwendung. Beethoven und Weber haben 
sich seiner nie bedient, Gluck hat es dagegen in die Partitur einer 
seiner italienischen Opern aufgenommen , ohne jedoch wesentlichen 
Vortheil davon zu ziehen". Was soll das heissen: „Mit Glück . . . 
in herrlicher Verwendung'*?! Aber mehr noch fällt uns der letzte 
Passus auf. Denn er erinuert uns an Berlioz Worte (Grand traite 
d'instrument. p. 138): Gluck a employe cet Instrument dans ses opera 
Italiens Telcmaco, et Orfeo, mais sans intention saillanle et sans en 
tirer grandpartic, il nel'ecrivit jamais dans ses partitions Frau? aises. 
Ni Mozart , ni Beethoven , ni Weber ne s'en sont servis : je n'en 
connais pas la raison = Gluck benutzte dieses Instrument in seinen 
italien. Opern Telcmaco und Orfeo, jedoch ohne besondern Zweck 
und ohne grossen Vortheil davon zu ziehen, in seinen französischen 
Partituren schrieb er es nie. Auch Mozart, Beethoven und Weber 
haben sich seiner nie bedient" etc. Eine solche Entlehnung erfor- 
dert doch die Angabe der Quelle. Aber wie nun? Berlioz sagt: Gluck 



- 17» — 



benutzte das Engl. Hörn in Tel. und in Orfeo, also in zwei Italien» 
Opern; Herr Gleich aber: „in einer seiner italien. Opern", Wollte 
er hierdurch und durch Verrückung der Satzglieder die Quelle ver- 
tuschen? oder hat er aus Flüchtigkeit zwei Opern zu einer gemacht? 
denn wüsste Herr Gleich es besser , als Berlioz, welcher Alles mit 
eigenen Augen sah und in dergleichen Dingen unfehlbar ist, so würde 
er bestimmter gesprochen haben. Man wird dergleichen für unbe- 
deutend halten , weil es ja eigentlich nicht hierher gehöre. Aber 
eben desshalb , weil es füglich hätte wegbleiben können , brauchte 
der Verfasser sich nicht mit einer Belesenheit zu spreizen , die er 
nicht besitzt, und brauchte nicht wieder ungewiss zu machen, was 
wir genauer wussten. Man hat ohnehin schon in der musikalischen 
Literatur der schiefen und unwahren Nachrichten die Menge, und gar 
von der „Musikstadt Leipzig" (S. 70) aus will man diese noch ver- 
mehren ! 

CORRESPOKDENZEN. 



AUS MAINZ. 

Ende Ocvober. • 

Der sechste Theil der Jahres-Abonnements- Vorstellungen ist un- 
ter der neuen Direktion des Herrn H. Beyer glücklich vom Stapel 
gelaufen und gestattet uns ein Urtheil über die Tüchtigkeit unserer 
diesjährigen Theaterleitung, über den Sinn, der sie beseelt, und über 
die Leistungen der wichtigsten Mitwirkenden in der Oper. Dass be- 
reits 12 Opern, mit vernünftiger Abwechselung zwischen italienischen, 
deutschen und französischen Meistern , fast alle mit ersichtlichem 
Erfolg , jedenfalls mit gebührender Sorgfalt einstudirt und ausgestat- 
tet, zum Vorscheine kamen , zeugt von Energie und Umsicht , und 
stimmt zu Geduld und Nachsicht bei manchen beklagenswerthen Ein- 
zelheiten, dass z. B. ein sonst mit Komik wohlbegabter Künstler, 
der sich aber einer nur unbedeutenden Singstimme erfreut, heute als 
Dr. Bartolo , morgen als Papageno und übermorgen als Peter Iwa- 
now aushilft. Das Theater • Orchester hat sich offenbar gebessert, 
was wir unbedenklich dem Eifer und der Kraft des Kapellmeisters, 
H. Laudien , zu gut schreiben. Von den für die Oper gewonnenen 
Damen haben sich Frau Norsed und Fräulein Molendo durch Gesang 
und Spiel in der Gunst des Publikums, das in allen bessern Stücken 
sich zahlreich einfindet , gehoben und befestigt. Statt Frl. Amcndl, 
mit der es sehr schnell „am End" war (wir hoffen , dass sie nicht 
glaubt, mit den Schwächen und Fehlern grösserer Sängerinnen die 
ersten Stufen der Kunsthöhe gewinnen zu können , ) fahndet die I)i- 
rection nach einer dritten Sängerin, bisher ohne Glück. Als Tenorc 
traten auf Herr Frey und Herr Raffter, beide, wie es scheint , ohne 
vorangegangene Routine. DerErstere kann seine schöne und kräftige 
Stimme zur Geltung bringen, aber nicht durch einzelne Schreitöne, 
sondern durch sorgfältiges Studium und edlereu Vortrag , wozu ihm 
jedoch ein seltneres Auftreten Gelegenheit bieten müsste. Glück- 
licher "Weise haben wir in dem Direktor selbst , Herrn Beyer, einen 
gewiegten Tenor, der als Robert und Eleazar mit grossem Beifalle 
wieder erschienen ist. Recht vorzüglich und vielfach brauchbar ist 
der tiefere Bariton, Herr Herger, auch die Herrn Bussel (Bass) und 
Lettinger (höherer Bariton) sind zu rühmen. Da überdies mehrere 
andere, darunter einige für das Schauspiel vorzugsweise engagirte 
Damen und Herrn, wie auch ein zahlreicherer und besser eingeübter 
Chor tüchtig mitwirken, so ist das Publikum , in seiner vernünftigen 
Mehrzahl vergnügt und zufrieden. Desshalb „Glück auf" 1 

Einen seltneren Kunstgcnuss bot vor einigen Tagen ein vom 
Vereine für Kirchenmusik unter Mitwirkung einer ziemlichen Anzahl 
von Dilettanten und Kindern im Akademiesaale veranstaltet es Con. 
cert, in welchem unter der Leitung des Herrn Messer , des Musik- 
direktors des Frankfurter Cäcilienvereins, das Händeische „Alexander- 
fest" zur Aufführung kam. Wir freuten uns, bei dieser Gelegenheit 
Herrn Messer, den wir so lange den Unsrigen nannten , wieder ein- 
mal in seinem Elemente sich bewegen zu sehen. Es war nicht zu 
verkennen, wie sein Geschmack das Ganze durchzog, wie seine Kraft 
und Geschicklichkeit selbst einzelne schwache Punkte zu festigen 
oder zu eklipsiren wusste, wie vorzüglich ihm zu verdanken war, 



dass das so schöne Werk wieder einmal bei uns zu verdienter An- 
erkennung gebracht wurde. 

Sehr nahe liegt ein Hinblick auf die Liedertafel, die leider 
seit fast vier Monaten kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben 
hat. Die Grundursache dieser Stagnation ist darin gelegen, dass in- 
zwischen der seitherige Director, Herr Vierling, seine Demission ge- 
geben, und die Einleitung zur Wiederbesetzung seiner Stelle ein 
kräftigeres Vereinswirken paralysirt hat. Hoffentlich wird der neu- 
gewählte Musikdirektor, Herr Winkelmeyer, der seit mehreren Jahren 
in ähnlicher Eigenschaft zu Heidelberg funktionirte , durch seine 
Kenntnisse und seine Persönlichkeit im Stande sein, die bedeutenden 
Mittel, welche die Liedertafel mit dem Damengesaügverein darbietet, 
so zu concentriren und zu leiten t dass bald wieder grössere Auf- 
führungen möglich werden. Die Herrn Föckerer, Hom und Heine- 
fetter gaben am 17. d. M. unter Mitwirkung der Frl. Molendo und 
eines jungen, strebsamen Künstlers, des Herrn Diehl (Alto Viola) 
ihre letzte Trio- (od. Qualuor-) Soiree und setzten damit ihrem 
schönen Unternehmen die Krone auf, besonders durch den eben so» 
kunstvollen als gelungenen Vortrag von Beethoven's Grand Trio (B 
dur Op. 98). Wir wiederholen unsern früheren Wunsch für ein 
glückliches Gedeihen ihres rühmlichen Strebens. — eh. 



aus com. 



In October. 



Fräulein Cruvelli war da. Mitten in deutsch singender Umge- 
bung sang Fräulein Cruvelli , (wie das verwelschte Fräul. Krüwel 
nun einmal heissr,) die N o r m a und die Nachtwandlerin in 
italienischer Sprache. Es fehlte in den besuchten Vorstellungen 
nicht an Beifall und am Schlüsse jeder derselben flogen zahlreiche 
Sträusse auf die Bühne. 

Wäre Frl. C. eine ächte Italienerin, die in Deutschland deutseh 
singen gelernt hätte, und sie kehrte drauf mit verdeutschtem Namen 
in die Heimath zurück, und wagte es dort inmitten einer italienischen 
Operngesellschaft ihre Partie d e u t s ch zu singen , so würde sie 
zweifelsohne, statt mit Blumen, mit etwas Anderem beworfen werden« 
Man werfe uns keine Dcntschthümlei vor, wenn wir in diesem 
Punkte etwas mehr italienisch als deutsch empfinden. Wenn 
wir Deutschen auf unsere politischen Verhältnisse blicken, so haben 
wir freilich, Gott sei's geklagt, keine besondere Ursache zum Natio- 
nalstolz; wohl uns, dass sich mindestens beim Hinblick auf deutsche 
Kunst und Wissenschaft unser niedergedrücktes Gefühl wieder auf- 
richten kann ; und das sollten wir uns mindestens von unsern deut- 
schen Künstlern nicht verkümmern lassen ! darf doch vor allem An- 
dern die deutsche Ton- und Sanges. Kunst stolz ihr Antlitz erheben, 
selbst gegenüber ihrer italienischen Rivalin. — Eine Ironie des Zu- 
falls wollte es übrigens , dass Frl. C. diesmal mit ihrer Nationalität 
verleugnenden Kunstproduktion zwei Volksfeste verherrlichen musste, 
die man zu feiern sich bestrebte , nämlich Königsgeburtstag und den 
18. October. 

Was den Gesang der Frl. C. betrifft , so wollen wir ihr gerne 
alle diejenigen Vorzüge einräumen, die man einer italienischen Sän- 
gerin nachrühmen kann. Fülle und Umfang der Stimme, sicheres 
Einsetzen, Kehlenfertigkeit, leichten Uebergang aus einem Stimmre- 
gister in das au lere , und wie alle die Feinheiten der technischen 
Ausbildung heissen; — ja, an einzelnen Stellen wollte es uns sogar 
scheinen, als ob, trotz ihrer Verwelschtheit , ihr dennoch em kleiner 
Ueberrest von deutscher Innigkeit verblieben wäre. Im Ganzen aber 
Hess sie uns kalt , und wenn wir uns ja einmal hingerissen fühlten» 
so war es höchstens zur Bewunderung. 

Unser bischöflicher Posaunist begnügt sich aber mit dieser An- 
erkennung nicht ; nach ihm ist Frl, C. auch eine dramatische 
Sängerin ersten Ranges, und ein anderer hiesiger Kritiker, obgleich, 
er den ersteren wegen seiner Uebertreibungen angreift, nennt sie 
dennoch, nach einem Franzosen, die Rachel der Oper. Wir müs- 
sen beides geradezu verneinen. Und bedarf es dazu noch eines an* 
deren Beweises, als dass sie unter obwaltenden Umständen italienisch 
singt? — Wäre es möglich, dass sie das dramatische Verständnissso. 



180 



gering schätzte, wenn nur ein Haar einer dramatischen Sängerin 
an ihr wäre ? 

Es fehlt ihr aber auch s$nst viel an dem, was an einer dra- 
matischen Sängerin gehört Ihr Spiet ist etwas steif; es geht ihr 
die Gelenkigkeit In den Haften ab , die zur leichten «graziösen Be- 
wegung und zu schönen, plastischen Haitangen durchaus erforderlich 
ist. Ihre Geberden sind oft nicht bei der Handlung , so feiern z. B. 
bei dem Parade-Fortissimo vor einem Abgang ihre Arme ihren eig- 
nen Triumph , anstatt die Stimmung auszudrücken , indem sie damit 
eine Bewegung macht, die viel Aehnliches hat mit dem Flügelschlag 
eines gewissen Vogels , wenn er eben einen lauten Ruf erschallen 
lässt. 

Doch das ist ja eben ficht italienisch ! Wir machen da am Ende 
der Sängerin einen Vorwurf, während der Fehler mehr jener der 
S ch u 1 e ist , als i h r e i g n e r. Denkt doch der Componist bei 
solchen Abgängen selbst nicht an die Situation, sondern lediglich 
an den Schluss- und Knall-Effekt, und kann man es da der Sängerin 
verargen, wenn sie ihm nachgeht ? — Darf man überhaupt z. B. an 
diese Nachtwandlerin, in der man sich in ein Kranken- und Nerven- 
spital versetzt fühlt , dramatische Ansprüche machen ? — Gewiss 
nicht! — Geht doch bei solchen Machwerken das Streben der Ton- 
dichter oder besser gesagt der Componisten, (die deutsche Bezeich- 
nung ist hier viel zu edel,) nicht etwa dahin, das wahre Kunstschöne 
zu feiern, sondern vielmehr dahin, seine Priester und Priesterinnen 
durch technische Fertigkeiten auf den Altar zu heben, um Abgötterei 
mit ihnen treiben zn lassen. Wahrlich es lohnt sich, um solcher dra- 
matisch-musikalischen Verzerrungen willen , zur Renegatin an deut- 
scher Kunst zu werden. 

Man hat das Italienisch - Singen der Frl. C. damit entschuldigen 
wollen, dass die Composition besser den Urtext declamire, als die 
Uebersetzung. Es mag etwas Wahres darin liegen; obgleich man 
dabei einen kleinen Uebelstand nur durch einen grösseren beseitigt. 
Aber wenn es der Sängerin denn wirklich um dramatische Wahrheit 
des Ausdruckes zu thun ist, weshalb eine solche Oper wählen, die 
ebensowohl dieser Wahrheit als der Aesthetik ins Antlitz schlägt? 
Unsere Sängerinnen, die auf dieser Oper ihren Paraderitt durchs 
Land machen, mögen sich immerhin mit ihrer Sangesfertigkeit brüs- 
ten, aber sie dürfen keinen Anspruch darauf machen, Sinn und 
Geschmack für wahrhaft dramatische Musik zu besitzen. Es ist 
das ein harter Spruch, er trifft gefeierte Namen, aber — man wider- 
lege ihn, wenn man kann ! 

NACHRICHTEN. 



Oöln. Unsere Oper entspricht unter der neuen Direction von 
Herrn Röder im Allgemeinen billigen Ansprüchen. Sie hat tüchtige 
Kräfte in den Tenoristen Kahle und Krön , dem Bassisten Schmidt; 
dessen Gattin , Frau Schmidt — Kellberg, füllt als wohlgeschulte 
Sängerin die Stelle der Primadonna auch recht gut ans , wenn ihr 
gleich in der höheren Stimmlage die jugendliche Frische etwas ver- 
loren ging. Durch letztere Eigenschaft zeichnet sich dagegen die 
Altistin Frl. Marschalk aus, die neben umfangreicher Stimme als 
Schülerin des Tenoristen Mantins eine gute Schule hat, in der sie 
jedoch noch in der Entwickelung begriffen ist. Augenblicklich hat 
die Oper noch Lücken an einem Baritonisten und einer 2. Sopra- 
nistin, die hoffentlich bald ausgefüllt werden. Morgen findet das 
erste der 8 Winterconcerte unter Leitung des Kapellmeisters Hiller 
statt ; u. a. kommt darin ^ein 3stimmiges Motett von Seb. Bach zum 
Vortrag. 

Berlin* Gretrys Richard Löwenherz ging hier neu einstndirt 
in Scene , konnte aber keinen besondern Erfolg erringen. Statt 
Flotows „Rübezahl" wird am Namenstage der Königin Glucks „Ar- 
mide" zur Aufführung kommen. 

Darmstadt. Am 24. October fand die erste Vorstellung des 
Tannhäuser statt. Herr Peez sang die Titelrolle. Die Ausstattung 
war glänzend und 'die ganze Aufführung eine sehr gelungene. 

Würzburg, Die beiden letzten Opern -Vorstellungen, Figaros 
Hochzeit und Robert der Teufel wurden von dem wieder hergestellten 
Kapellmeister K. Reis dirigirt. Bisher leitete der Musikdirektor 



Kistner interimistisch das. Orchester. Das Publikum zeigt sich 
mit der Oper äusserst zufrieden und wenn das Repertoir so gut bleibt 
wie bisher und der Eifer der Direction nicht erkaltet, wird letztere 
Belohnung für ihr Streben finden. Von den Sängern haben sich die 
Damen Dresa ler-Poller t und Jenny Baur, letztre eine talent- 
volle, mit schöner Stimme begabte Anfängerin, sowie die Herrn Sonn- 
leithner (Tenor), Schiffbenker (Bass) und Pichler (Bariton) der Gunst 
des Publikums besonders zu erfreuen. 

Wien. Zu den Neuigkeiten, welche die italienische Oper bringen 
wird, gehört ohne Zweifel die neueste Oper Verdis: II Trovatore. 
Um die Wiener von der Vortrefflichkeit dieser Oper zu überzeugen 
bringt die Wiener Mskztz. folgendes Bulletin: 

„Bologna. Auch hier füllt der Trovatore das Teatro del Gorso 
zum Ersticken an. 

Gorfu. Auch hier findet man sich aus dem „Trovatore" gar 
nicht heraus und der Beifall steigert sich von Aufführung zu Aufführung. 

Malta. Auch hier ist Verdis Trovatore mit dem glänzendsten 
Erfolge gegeben worden. 

Mailand. Auch hier hätte der Trovatore in der Scala bei seiner 
ersten Aufführung gefallen, wenn er besser ausgeführt worden wäre. 

Neapel. Auch hier hatte Verdis Trovatore im Theater S. Carlo 
einen grossen Triumph gefeiert u. s. w." 

Nun steht es aber fest, dass Verdi in diesem Jahr sowohl in 
der Sealaals inS. Carlo — den beiden bedeutendsten Bühnen Italiens, ent- 
schieden durchgefallen ist und die übrigen Provinzialbühnen nicht 
die geringste Bedeutung haben. Was soll man dazu sagen , wenn 
der Welt auf so plumpe Weise Sand in die Augen gestreut werden 
soll? 

Paria. Die neue Oper von Limnander , Le Maitre - chanteur 
ist endlich in Scene gegangen. Das Resultat ist so ziemlich das- 
selbe, wie bei den vorhergegangenen Neuigkeiten. Die Journale 
wissen viel von der brillanten Instrumentation, dem Reicht h um an 
Melodien, der Meisterhand des Komponisten u. s. w. zu erzählen, 
zuletzt kommt es aber darauf hinaus , dass die Dekorationen und 
Costüme glänzender waren als Alles andere. Maximilian I. hat die Ehre, 
als „Meistersänger" in dem etwas zu sehr nach Fabrik schmeckenden 
Libretto zu figuriren und als Deus ex machina einem unglücklichen 
Liebespaar aus der Klemme, der Oper aber zu einer jener Ueber- 
raschungsscenen zu helfen, in welcher die Spieler den Zuschauern 
weiss machen wollen , sie wüssten das , was diese längst errathen 
haben, nicht eben so gut. 

Im Theatre lyrique wird in den nächsten Tagen eine neue Oper 
in 3 Akten gegeben, von welcher bis dato nur mit geheimnissvollen 
Mienen gesprochen, oder vielmehr, da man weder Autor noch Titel 
kannte, geschwiegen wurde. Endlich* ist der Schleier gelüftet. Eine 
nachgelassene Oper Donizetti's ist von der Direktion um höhen 
Preis erkauft worden und M. Seveste hofft damit die Opera Co- 
mique für diesen Winter zu schlagen. Wo jene bis jetzt geblieben 
war, wissen wir nicht. Die gesammte musikalische Welt äussert sich 
über dieses hochwichtige Ereigniss nur in On dits. — Die bekannte 
Sängerin Madame Nissen Salomon, welche längere Zeit in Russland 
reiste, befindet sich seit Kurzem in Paris und wird den Winter 
über bleiben. Frl. W. Clauss ist ebenfalls angelangt, ausserdem die Ge- 
schwister Dulken. Ein ganzes Heer von Virtuosen wird noch er- 
wartet. Liszt wird diesen Winter zurückkehren; wenigstens beruhigt 
die France musikale die Freunde L's. über dessen schnelle Abreise 
mit der bestimmten Versicherung baldiger Rückkehr. 

Kapellmeister Chelard von Weimar hat ein grosses Concert 
arangirt, in welchem seine neuesten Compositionen aufgeführt werden. 
Die ersten Sänger der französischen Oper wirken mit. Wie das ko- 
misch zusammentrifft! H. Berlioz hält die Deutschen für fähiger 
sein Genie zu schätzen und geht von Paris nach Weimar. Chelard 
scheint umgekehrt den Parisern mehr zu trauen als den Deutschen 
und geht von Weimar nach Paris, Da läugne einer noch , dass die 
Gesetze des Gleichgewichts nicht auch in der Kunst wirken. 

New-York. Jullien hat 24 Concerte im Castle-Garden gegeben 
und seit dem 26. September eine neue Reihe von Concerten in Me- 
tropoitan Hall eröffnet. 

Veitntworttlebw BoiakUw: J« J. SCHOTT. — Dreck tob BIüTER b. WALUü in natu. 



2. Jahrgang. 



tfr« 46. 



14. Novbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



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REDACT10N tND VERLAG 



von 



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Inhalts An das musikalische Sfiddeutschland. — Die musikalische Erfindung. — Corresp. (Manchen. Paris.) — Nachrichten. 



AN DAS MUSIKALISCHE SÜDDEUTSCHLAND. 



Die Tage des Carlsruher Musikfestes sind vorüber. Der Nach- 
hall desselben tönt durch ganz Deutschland , und jede Stimme , die 
ein Wort des Tadels oder ein Wort des Lobes laut werden lässt, 
trägt denselben weiter. 

Hält man diese Wirkung für unbedeutend? Glaubt man durch 
eine, wenn auch noch so gerechte Kritik der Aufführungen den Ein» 
druck derselben im Allgemeinen zu zerstören? 

Wir glauben: Nein! 

Es galt den Veranstaltern dieses Festes, die Augen von ganz 
Deutschland auf sich zu lenken ; es galt, zu zeigen, dass die Vertre- 
ter der Richtung, die daselbst dominirte, Kräfte genug besitzen, um das 
Grösste zu erstreben und zu erreichen, es galt, dieser Richtung einen 
neuen Standpunkt zu erringen und sie, die bisher nur hier und da fast 
ynr an eh s woi ee au f treten konnte, als eine «eue, den übrigen gleichbe- 
rechtigte Schule hinzustellen. 

Wenn uns nicht Alles täuscht, ist dies trotz der grösslen Mängel 
im Einzelnen, gelungen, und, sollen wir die Wahrheit sagen, wir 
freuen uns darüber! 

Nicht , dass wir zu den Anhängern jener Richtung gehörten, 
nicht, dass wir glaubten, sie sei das neue Evangelium, welches die 
musikalische Welt erlösen werde. Nein! 

Was uns auf das Carlsruher Musikfest mit Freude blicken lässt, 
ist die Hoffnung, dass endlich wieder einmal Leben in unsere musi- 
kalischen Zustäude kommen, ist die Hoffnung, dass das von Liszt 
und seinen Freunden gegebene Beispiel nicht verloren gehen werde. 

Bewegung ist Leben, Fortschritt; Stillstand — Tod, Rückschritt. 
Wie in der Natur, so iu der Kunst. Wie steht es in letzterer bei uns? 

Wir meinen, der Eifer, die Thätigkeit, die Unermüdlichkeit, mit 
welcher die Veranstalter der Ballenstädter, Züricher und Carlsruher 
Musikfeste vorgehen, dieses rastlose Bestreben, ihren Werken einen 
festen Boden zu gewinnen, die Zähigkeit, mit welcher jeder, auch der 
kleinste Erfolg festgehalten und zu dem Keim eines neuen, grösseren 
gemacht wird, die Gewandtheit, mit welcher immer neue Anhänger 
gewonnen werden , müssen jeden Unbefangenen mit einer gewissen 
Achtung, unsere Freunde aber mit einiger Beschämung erfüllen. 

Wo ist unter ihnen ein Liszt, der keine Mühe, keine Anstreng- 
ung, keine Opfer scheut, um dem, was er für das Rechte hält, Bahn 
zu brechen ? 

Wo ist unter ihnen ein Wagner, der, Verstössen aus seinem 
Vaterlande, geächtet von politischen Gegnern, verhöhnt von seinen 
Kunstgenossen, nicht ermattet , sondern unbeirrt durch die bittersten 
Kränkungen und Anfeindungen, ruhig seinen Weg fortsetzt und auf 
den Sieg seines künstlerischen Ideals baut? 

Wo ist unter ihnen die Einheit, das Zusammenwirken, wo dar 
Sinn auf das Grosse, Allgemeine, der jene beseelt ? 

Wir furchten, wer danach suchen wollte, würde vergebens suchen ! 
Und doch ist es eine alte Wahrheit, dass indifferentes Gehenlassen, 
Beschränkung auf die nächste Umgebung, bloss* Abwehr des zu nahe 
koanffieoden Fremden nicht die rechten Mittel sind, ein Princip zu 



befestigen, und wenn es noch so begründet wäre. Doch gilt auch in 
der Kunst der Satz, dass eine einige, geschlossene, energische, wenn 
auch noch so kleine Partei , mehr Aussicht auf Sieg hat , als eine 
grosse, zersplitterte, schläfrige ! 

Es ist in vielen Berichten über das Carlsruher Musikfest der 
Wunsch ausgesprochen worden : das nächste Jahr möchte Zeuge 
einer ähnlichen Vereinigung so grosser Kräfte sein. 

Und warum nicht ? Fehlt es an Kräften ? 

Süddeutschland besitzt in den Capellcn von München, Stuttgart, 
Carlsruhe, Mannheim, Frankfurt und Wiesbaden Orchesterkräftc,,die 
nirgends bei solcher Nähe in solcher Trefflichkeit vorhauden sind. 

Fehlt es an einem Dirigenten ? 

Es genügt, die Namen Franz Lachner und Lindpaintner zu nennen- 
Fehlt es an einem geeigneten Ort? 

Von München bis an den Rhein würde jede Stadt stolz darauf 
sein, ein süddeutsches Musikfest in seinen Mauern feiern zu sehen. 

Fehlt es an Mitteln? 

Konnte R. Wagner deutsche Orchestermitglieder naeh der Schweiz 
kommen lassen, um dort mit ihnen seine Werke aufzuführen, dann 
werden wohl auch die Musikfreunde von Süddeutschland im Stande 
sein, sie in Deutschland selbst zu versammeln. Und giebt es ein De- 
ficit, nun so haben wir noch so viel Vertrauen zu ihnen, dass sie 
der Kunst eben so gern ein Opfer bringen, als R. Wagner. 

Wohlan, so versuche man denn, ob das musikalische Süddeutsch- 
land nicht im Stande ist , den Handschuh aufzunehmen , den ihm 
kühne Gegner hingeworfen haben. Man versuche, ob es nicht mög- 
lich ist, die vorhandenen herrlichen Kräfte zu einigen und ihnen die 
Begeisterung einzuhauchen, die zu einem so grossen Werke erforder- 
lich ist. Man versuche, ob nicht in Süddcutschland derselbe Eifer 
für das als wahr Erkannte lebt, wie in Liszt und Wagner, ob es 
nicht zu gleicher Anstrengung für ein Kunstideal begeistert werden 
kann. Gelingt es, und wir hoffen es von ganzem Herzen, dann 
wollen wir das Carlsruher Musikfest segnen , denn dann hat es 
wahrhaft Grosses gewirkt. 



>>oa — 



DIE MUSIKALISCHE ERFINDUNG* 



In dem vierten Hefte der fliegenden Blätter für Musik finden 
wir unter diesem Titel einen Aufsatz, welcher so beherzigenswerthe 
Worte enthält, dass wir uns nicht versagen können , einen Auszug 
daraus zu geben und das darin Ausgesprochene allen Tonkünstlern, 
besonders aber allen angehenden zur Beachtung zu empfehlen. 

Der Krebsschäden an welchem die Musik der Gegenwart leidet 
und welcher die alleinige Ursache der eben so massenhaften als 
nichtssagenden und werthlosen Produktion unserer Tage ist, wird 
darin mit überzeugender Wahrheit biosgelegt. Dasselbe ist allerdings 
schon oft mit andern Worten gesagt worden, aber es kann nicht oft 
genug wiederholt werden , besonders da die Folgen jenes Uebels 
immer deutlicher hervortreten — auch in Erscheinungen welche 
auf den ersten Blick nicht dazu zu gehören scheinen. 






£s heisst dort : 

„Den Mangel an eigentümlicher und reicher Erfindung in Kunst* 
werken schrtiM nt$ik gewöhnlich einem Mangel an Erfindungsk r a f t, 
an Phantasie zu, Ich glaube an diesen Mangel nicht »echt. Die 
allermeisten Menschen haben von Natur Erfindungskraft geaug, nn* 
Eigentümliches schaffen zu können. Menschen ahne diese Kraft* 
gibt es gar nicht. Anerkannlermaassen ist die Fantasie in dem Kinde 
und Jünglinge am stärksten. Trotzdem zeugen die Jugendweihe 
fast all er Künstler von geringer Erfindung, während ihre höheren 
Schöpfungen erst eine Frucht des gereiften Mannesalters sind. Ja 
mancher grosse Meister hat seine erfindungsreichsten Werke erst 
in höherem Alter, fast als Greis, geschaffen — wie Gluck , Händel, 
Haydn, Millon. 

„Wie erklärt sich dies ? Offenbar dadurch, dass die Erfindungskraft 
früher nicht reif, dass sie nicht befruchtet worden war. Der 
Tonkünstler, der wenig Musik kannte, hat ein nur geringes Material, 
ait welchem seine Phantasie sich zu üben vermochte. Die Berliner 
Musikzeitung hat vor gar nicht langer Zeit ein Rondo von Beethoven 
aus seiner frühesten Jugend veröffentlicht. Es ist ganz und gar ge-' 
wohnlich und aus diesem Erstlings- Werke lässt sich die unge- 
wöhnlich reiche Erfindung, die seinen späteren Werken eigen, nicht 
einmal ahnen. Ganz dieselbe Bemerkung muss man bei den Kom- 
positionen Mozarts aus seiner ersten Zeit machen. Nun denke man 
sich, die beiden Meister wären zwar in der Harmonie unterrichtet 
worden, man hätte es ihnen aber unmöglich gemacht, Musik zu 
hören; würden wir ihre gefeierten Werke auch in diesem Falle von 
ihnen erhalten haben ? Die Bildungsgeschichte aller bedeutenden 
Meister lehrt uns , dass sie zunächst und vor allem erstaunlich viel 
Musik gehört und gelesen haben und zwar Musik von den ältesten 
l>is zu ihren Zeiten. Musik also der verschiedensten Art. Es lässt 
«ich demnach wobl annehmen, dass die Phantasie eines Komponisten 
um so stärker befruchtet wird, je mehr er Musik kennen lernt, dass 
also seine Werke um so reicher an Erfindung werden, je mehr er 
andere Tonwerke an sich vorübergehen lässt. 

„Reynolds sagt treffend : „Es ist ausgemacht wahr dass ein 
guter Theil des Lebens zum Aufsammeln der Materialien angewendet 
werden muss, an denen der Geist sich übt. Erfindung ist streng ge- 
nommen, wenig mehr als neue Combination der Ideen, die man vor- 
läufig gesammelt und aufbewahrt hat. Aus nichts wird nichts 5 wer 
keine Materialien gesammelt hat, kann keine Combinationen hervor- 
bringen. Ein Schüler, der die Versuche voriger Meister nicht kennt, 
pflegt seine Fähigkeiten meist viel zu hoch anzuschlagen, die unbe- 
deutendsten Streifereien für Entdeckungen von Wichtigkeit zu halten, 
jede ihm neue Küste für ein noch unentdektes Land anzusehen. 
Werke solcher Geister zeichnen sich selten durch das Gepräge 
wahrer Originalität aus. Unterscheiden sie sich in etwas von ihren 
Vorgängern, so sind es nur regellose Einfälle und nichtige Spiele- 
reien. Je ausgebreiteter die Bekanntschaft mit vortrefflichen Werken, 
desto ausgedehnter das Erfindungsvermögen, und so paradox es 
klingt, desto origineller die Ideen" 

„ Nehmen wir dies als begründet an, so lässt sich die Abnahme 
der Erfindungskraft — oder vielmehr der Mangel an Erfindung — 
in unserer Zeit bei vielen Componisten unschwer erklären. Sie 
kennen zuwenig Musik. Bei sehr vielen der Jüngeren geht 
die Bekanntschaft mit Musikwerken nur bis zu Beethoven zurück 
und alle Werke dieses Meisters kennen Wenige. Manche der 
Jüngern kennen gar nur Mendelssohn, nur Schumann u. s. w., noch 
Andere kennen nur die neuere Pianoforte-Musik und sie haben auch 
in dieser Art Werken nur Kenntniss von denen Mendelssohns, oder 
Schumanns , oder Chopins u. s. w. Eine weite breite und tiefe 
Musikkenntniss, das heisst eine Kenntniss wenigstens aller in ihrer 
Art bedeutenden deutschen und ausländischen Werke aller 
Gattungen vom alten Volksliede und der alten Oper bis zu den 
neuesten Opern, von der alten und neuen Kirchenmusik, von den 
alten und neuen Instrumental- und Klavierwerken, eine solche Kennt- 
niss der musikalischen Literatur gehört zu den allergrössten Selten- 
heiten." • 

„Freilich würde auch eine solche umfassende Kenntniss einen 
nur geringen Einfluss auf die eigene Einbildungskraft haben , wenn 
sie eine oberflächliche bliebe und nur dem Stoffe gälte. Der Ein« 
fluss kann sich erst zeigen, wenn ein tiefgehendes Studium jener 
Werke erfolgte" 



„Leider treten jetzt die fleissigen Uebungen iu allen Zweigen 
der musikalischen Studien, dem Kontrapunkt, der Fuge u. s. w. mehr 
und menr in den Hintergrund und werden als lästige Plackereien, 
als Ueberreste aus der steifen Zopfzeit angesehen. ]Ss ist dies aber 
eine fernere Hauptursache der abnehmenden retchen Erfindung und 
sie deutet auf ein weiteres Mittel , die Erfindungskraft zu wecken 
und zu . stärken ; fortgesetzte und umfassende Uebungen in allen 
Zweigen und Disciplen der Tonkunst" 

Und nun ein nach unserer Ansicht von dem Verfasser nicht 
stark genug hervorgehobener Punkt: 

„Je weniger man die Schwierigkeiten der Kunst kennt, um so 
leichter ist man mit den eignen Arbeiten zufrieden. Wer das Gute 
und Beste der Literatur seines Volkes und der andern Völker nicht 
kennt, hält wenigstens jeden seiner guten Gedanken für neu, wäh- 
rend derselbe lange vor ihm und vielleicht um Vieles besser ausge- 
sprochen wurde. So ist es auch in der Kunst. Dazu kommt in der 
Musik , dass das allgemein gewordene und so sehr vervollkommnete 
Klavierspielen eine Menge von Tonphrasen einprägt und eine ge- 
wisse Leichtigkeit giht, musikalische Gedanken von einem gewissen 
Werthgrade, ohne vorausgeschickte tiefere harmonische und konlra- 
punktische Studien auszudrücken. Diese angeflogene Produktions- 
leichtigbeit halten nun viele für ein bedeutendes Talent, für Genie 
und sie werden zu dem Wahne verleitet , Alles, was ihnen aus der 
Feder fliesst, sei vortreffliches und unverbesserlich". 

Wir setzen hinzu : 

Wie viele unserer heutigen Componisten müssten erröthen, wenn 
sie sich täglich mit den Werken guter Tonmeister beschäftigten, 
sie studirlen und dann daran dächten, dass in demselben Augenblick, 
in denen sie das Genie jener erkannten, eines ihrer ephemeren 
Produkte in die Welt gebracht wird ? Oder vielmehr, wie viele 
würden, wenn anders sie überhaupt mehr als musikalische Handwerker 
sind , die um Tagelohn dienen, wie viele würden den Muth haben, 
ihre Produkte zu veröffentlichen, wenn sie durch ernste fleissige 
Studien mit den Schätzen bekannt geworden wären, die noch mibe* 
achtet da liegen und über den Eintagsfliegen der Gegenwart ver- 
gessen werden? 

Würde nicht schon die Zeit zum Produciren fehlen, wenn 
unsere jungen Tonkünstler, statt sich mit einer oberflächlichen Kennt« 
niss der neuesten Werke in ihrem Fach zu begnügen , eine so 
gründliche und erschöpfende Kenntniss der musikalischen Literatur 
verschaffen müssten , wie es jetzt von jedem wissenschaftlich Ge* 
bildeten in seinem Fach verlangt wird? 

Wie in der Literatur von nichtssagenden unbedeutenden Pro- 
dukten nicht nur auf die Tal cn tlosigkeit, sondern auch auf die 
Kent nis slosigkeit des Autors geschlossen werden kann, so 
auch in der Musik. Dass es in ersterer nicht so traurig aussieht, 
wie in letzterer, hat seinen Grund einzig und allein darin, dass es 
mit den Erziehungs- und Bild ungsan stalten darin besser 
steht, dass wissenschaftliche Bildung nicht blos als ein Attribut der 
Gelehrten sondern als ein Gemeingut, als eine unerlässige Bedingung 
jedes, der überhaupt auf Bildung Anspruch macht, betrachtet wird und 
dass eben desshalb die Zahl derer, welche von einem Werke sowohl 
Gediegenheit des Inhalts, als Gefälligkeit der Form verlangen grösser 
ist als dort. 

CORRESPONDENZEN. 

AUS MÖNCHEN* 

Ende Oetober. 

Mit Mozarts „Entführung aus dem Serail*' wurde am 24. d M. 
das Kgl. Hoftheatcr bis auf weiteres behufs einer gründlichen Re- 
stauration geschlossen. Wenn aber Mozarts Musik und unser be- 
währtes Orchester nicht gewesen wären, so würde sich das Sprich* 
wort „Ende gut alles gut" schlecht bewährt haben. Ein talentloser 
Osmin wird unter allen Umständen die volle Wirkung dieser Oper 
vernichten und einen solchen hat uns Herr Kremenz mit einer wahr* 
haften Meisterschaft geliefert. Ich glaube, Ihnen schon in einem 
meiner früheren Berichte über diesen Sänger mitgetheilt zu haben, 
dass er mit schönen Mitteln begabt, aber fast ohne alle Schule und 
höhere musikalische und dramatische Bildung sei. Leider scheinen 



- 183 



sich diese Mängel nicht vermindert zu haben , man möchte eher am 
nehmen, dass sie im Wachsen begriffen seien. Ich würde übrigens 
dieser seit dem Engagement des Herrn Salonion fortlaufenden Bas- 
sisten-Misere selbst (diese wenigen Worte kaum widmen , wenn ich 
dadurch nicht das Mangelhafte unsres Repertoires einigermassen so 
entschuldigen gedächte. Eine absolute Notwendigkeit kann es aber 
doch auch nicht gewesen sein, dass wir in der ganzen Sommersaison 
auch nicht eine neue Oper zu hören bekamen. Wir stehen nun in 
banger Erwartung der Dinge die da kommen sollen bis zur Wieder- 
eröffnung des Thaliatempeta. Bis dorthin wird sich vielleicht auch 
eine erste dramatische Sängerin — die uns seit dem Abgange der 
Frau Palm-Spatzer fehlt — auffinden lassen. Herr Kremenz ist 
leider auf zwei Jahre engagirt und eines davon noch nicht über- 
standen! Während des erwähnten Theaterschlusses wird die Intendanz 
im Kgl. Odeon wöchentlich vier Vorstellungen {aus dem Bereich der 
Conversationsoper und des Lustspiels geben , deren Beginn am 6* 
November mit dem Barbier von Sevilla gemacht werden soll. Bis 
zur Wiedereröffnung wird Benedikts Oper, „der Alte vom Berge" 
einstudirt werden. Von R. Wagners Gesammtkunstwerken der Zu- 
kunft scheint man durch das klägliche Fiasko , welches die Fort- 
schrittsmänner beim Karlsruher Musikfest erlitten , wieder zurückge- 
schreckt worden zu sein. 

Nachträglich muss ich Ihnen noch über Roger' s und der Johanna 
Wagner Gastspiel berichten. Was ersteren betrifft, so verweise ich 
Sie, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Hamburger Correspon- 
denz in N. 42 Ihres Blattes mit deren dort aufgestellten Ansichten 
ich vollkommen übereinstimme. Aber Frl. Wagner ! — — Wenn die 
renomirte Sängerin in Wien ebeliso wie in München gesungen hat, 
dann wundert es mich durchaus nicht, wenn sie von der dortigen 
Kritik mit Geringschätzung behandelt wurde, und die Annahme als 
spuke in der Kunst die alte Eifersucht zwischen Nord und Sud 
wieder mehr als je, möchte durch diesen speciellen Fall wenigstens 
nicht leicht zu motiviren sein. Ich wenigstens glaube kaum, dass 
eine Sängerin die durch erkünstelte Tiefe das eigentlich Schöne der 
Mittellage und ihre Höhe (von F an) vollständig verloren hat , sehr 
hochzuschätzen sei. Dazu kommt noch , dass die erwähnte Tiefe 
durch Gaumenansatz ganz jenen Charakter erhält , den der Wohl- 
bekannte in seinen musikalischen Briefen (ThI 1 pag 220) freilich 
etwas derb als „Gassenjungenregister" bezeichnet , dass die Canti- 
lene ohne Wärme und die Coloratur ohne alle Vollendung ist. Nicht 
zu läugnen ist übrigens das schöne dramatische Talent der Sängerin, 
obwohl auch hier eine gründliche Schule vermisst wird, denn nur 
selten vermag sie aus ihrer mehr einer Virago entsprechenden Indi- 
vidualität herauszutreten. Desshalb gelingen ihr auch (hinsichtlich 
des dramatischen Theils !) Rollen wie die des Romeo und der Leo- 
nore (Fidelio) am besten. Der geringe Beifall , den Frl, Wagner in 
Süddeutschland gefunden, möchte somit mehr als hinreichend erklärt 
sein. Jedenfalls spielt für diesmal die norddeutsche Ueberschätzung 
eine grössere Rolle als die süddeutsche Geringschätzung und es ist 
in der That ein schlimmes Zeichen für die Blüthe deutscher Gesang- 
kunst, wenn man Sängerinnen, wie in Rede stehende, von so vielen 
Seiten her als Sterne erster und seltenster Grösse behandelt sieht. 
Hat man denn die Leistungen einer Schechner und Schrödcr-Devrient 
schon gänzlich vergessen ? Frl. Wagner trat als Fides , Valentine, 
Leonore und Romeo auf; in letztgenannter Parthie zweimal und 
zwar das zweitemal bei ganz leerem Hause, während sie als Leonore 
bei erfülltem Hause mit der grossen Arie (Akt I) Fiasco machte. 

Noch eine weitere unglückliche Gastin hatten wir in Frau Ernst- 
Kaiser aus Pesth. Sie trat ebenfalls als Fides, Valentine und dann 
als Lucrezia Borgia auf. Ich selbst habe sie nicht gehört, Sachver- 
ständige versichern mir aber, dass Fr. Kaiser eine angenehme, wenn 
auch kleine Stimme besitze , jedoch ohne alles dramatische Talent 
sei, was durch ihre auffallend kleine Figur in noch grelleres Licht 
gesetzt werde. 

Die Concerte der Kgl. Hofkapelle beginnen am 1. November 
mit Beethovens 2. Messe (Op. 123); ein musikalisches Ereiguiss 
von der grössten Bedeutung, dass unserer Kapelle zu bleibendem 
und wohlverdientem Ruhm gereichen wird. Nach der heute stattge- 
fundenen Hauptprobe , der ich beizuwohnen Gelegenheit hatte , zu 
schliessen, wird die Aufführung trotz des Nichtbetheiligtseins des 
Herrn Schindler (Cami de Beethoven I) eine äusserst vollendete 
werden« Schon sollen aus Dresden und Frankfurt Fremde hier ein- 



getroffen sein um sich dieses grössteri und i>ewund*tthgswöfa%steii 
aller Beethovenschen Meisterwerke erftWea zu können. Die folgen- 
den Concerten werden gemäss eineSf vorläufigen Programms naCh^ 
stehende grössere Toustücke bringen: Cantate vö» J. S. Bach, Beet- 
hovens Heroica und A-dur Sinfonie, die vier FfMk>*Ouvertüren und 
jene zum Coriolan , Sinfonie in Es von J. Haydn , V. Lachuer's* 
Preisouverture, Sinfonie in G-moll und Ouvertüre zu Thimoleon vdrt 
Mehul. Mendelsohn's Athalia und Elias, Adagio für 3 Clarinette 
und 2 Bassethörner von Mozart, der 23. Psalm für 4 FrauCnstimmei! 
von Franz Schubert, Quartett Concert von Spöhr und Webers Au& 
forderung zum Tanz, instrnmentirt'von Berlioz, 

Herr J. Menter und Herr Lauterbach werden im Vereine mit 
einigen ihrer Collegen diesen Winter im Saale des Kgl. Conserva- 
toriums Quartettunterhaltungen geben. Letzterer wurde sowohl fc$S 
der Hofkapelle wie auch als Lehrer beim Concervatorinm angestellt 

Zum Schlüsse leider eine Hiobspost! Im Kgl. ConservatotUini 
bleibt trotz aller Commissionsberichfe und trotz aller von den Lehrer» 
gerügten Missstände die Organisation der Hauptsache nach aleseihe* 
d. h. Herr Hauser Director. Nur Herr Hauser jr. und Herr Renne* 
haben aufgehört als Lehrer zu fungiren , und alles was vielleicht 
sonst noch geschehen wird, besteht darin, dass vielleicht einiges aflt 
Lehrplan geändert und vielleicht die unumschränkte Selbstherrschaft 
des Herrn Hauser etwas beschränkt wird. — Parturmnt monJtest 

O. 



AUS PARIS. 



Ende Ociober. 



Werden wir diesen Winter eine italienische Oper haben? 
Werden wir keine haben ? Mit dieser bedenklichen Frage , die über- 
all zur Sprache kam, hat sich das musikliebende Publikum lange ge- 
nug herumgequält. Sie ist gelöst: wir werden eine haben* und 
wenn man der Fama trauen darf, die schon gehörig in die Posaun» 
zu stossen beginnt, eine glänzende, der vormaligen berühmten wenig- 
stens gleichkommende, was Vernünftige gar sehr in Zweifel ziehen* 
Der Unternehmer ist denn wirklich der vielbesprochene, oft ge- 
nannte und höchst hypothetische Oberst Ragani, ein Oheim der 
Grisi : Derselbe soll ein grosser Musikfreund sein und dabei ein? 
Mann der seine sechszigtausend Franken jährliche Einkünfte hat, 
die er seiner Liebe zur Kunst uneigennützig zum Opfer zu bringen 
bereit ist, fern von aller Geldspeculation und persönlicher Neben- 
absicht. Wenn dem wirklich so ist, so besitzen wir in dem Manna 
wahrlich einen seltenen Vogel und müssen ihm von Herzen Glück 
wünschen, obwohl uns ob dem Auslauf des ungeheueren Unternehmens 
eine gerechte Angst befällt. Die damit verknüpften Kosten sind all- 
zu bedeutend, als dass die Maasslosigkeit derselben nicht gegründete) 
Besorgniss erregen sollte. Die Pacht des Opernhauses allein be- 
trägt 70,000 Fr. und summt sich mit den darauf lastenden Haften 
des Unterhalts, der Gratislogen u. s. w., wie es heisst, bis auf 
115,000 Fr. hinan. Im Hause haben grosse Abänderungen, neue Ver- 
änderungen stattgefunden , die nicht minder in den Beutel reisseu 
werden. Ferner das verstärkte Personal, diu neuen Decorationen» 
die glänzende Garderobe. Und dann erst die Engagements) So hat 
Mario für fünf Monate einen Gehalt von 75,000 erwirkt; Gordoni 
begnügt sich mit 40,000; die Frezzo lini mit 60,000, während die, 
Alboni 75,000 Fr. für die Saison erhält, oder aber für jeden Aben^ 
2,000 Fr., unter Verpflichtung jeden Monat an sechs Abenden auf* 
zutreten. Wenn unter solchen gewissen Ausgaben bei sehr fraglichen 
Einnahmen unser Oberst nicht erliegt , so muss er in der That ath? 
letische Schultern haben. Ein Gerücht gesellte ihm in diesem Ge- 
schäft einen von Florenz her als grosser Musikfreund und Komponist, 
bekannten, sehr vermögenden polnischen Fürsten P. zu , der nicht 
allein hier Unterstützungen angeboten, sondern auch mit grossen* 
Eifer das Unternehmen betrieben hätte; doch hat man dies Gerücht 
als ein irriges wieder fallen lassen. 

Herr Ragani diente als Oberst und focht mit Auszeichnung in 
den letzten Kaiserkriegen, auch im russischen Feldzuge; Es scheint 
dass. er die seinem vormaligen Stande eigenen Eigenschaften * Muth 
und Entschlossenheit auch auf andere Verhältnisse' des Lebens am 
fibertragen weiss. Die nunmehr offiziell angezeigte Bestellung im 



184 — 



italienischen Opernhause ist unter seiner Oberleitung und Verwaltung 
folgende:. Generatregisseur Berettonie, Kapellmeister Alary (ein 
Franzose» derselbe der vorige Saison in St, Petersburg in gleichem 
Amt» fungirte) Bühnenregisseur Caimi , Musikdirekfor Bonetti, Deco« 
rationsmaler Rodacchi. Gesangspersona! : Mario, Gardenie* Tambu« 
Fi»i, Rossi, Graziani, Ceresa, Neribaldle, Ferrara, Susini, Maccaferri 
Florefeza, Peres, Guglielmi, Talamo. Derosa , die Damen Alboni, 
Frezzolini, Walter, de Luigi, Albini, Grisi, Combardi, Weith, Judith 
Elena, Grimaldi und Matini. Ein bedeutendes Personal an der Quan- 
tität; ob auch an der Qualität, wird sich «eigen. Von Vielen, um 
nicht zu sagen von den Meisten, ist bis lang noch gar nichts bekannt 
"Wir wollen das angezeigte Programm hier nicht der Länge nach 
anfuhren, sondern nur bemerken, dass es vorzüglich aus den Neu- 
itaKenern entlehnt ist; Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi spielen 
die Hauptrollen, und ausserdem steuern Mercadante, Nicolai, Paccin 
Coppola und Alary ein Werk hinzu. Auch macht man uns Hoffnung 
zu guten Vorstellungen von Don Giovanni und Cosifantutti, doch 
möchten wir bezweifeln, dass die Werke älterer Meister wirklich 
an die Reihe kommen werden. Vorläufig ist zur Eröffnung am 15. 
November Rossinis Cenerentola angesetzt mit Alboni, Rossi, Gardoni 
und Tamburini in den Hauptparthien. Gar. leicht dürfte auf die Ge- 
schicke des Unternehmens Verdi einigen Einfluss üben, der hier ein- 
getroffen ist um, wie es heisst den Verpflichtungen eines vor zwei 
Jahren mit der Direktion der grossen Oper eingegangenen Contrakte 
nachzukommen. Welcher Art diese sind, ist unbekannt, vielleicht be- 
züglich auf das Arrangement der unglückseligen Luise Miller für das 
französische Opernhaus. 

(Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 



Heidelberg. Das hiesige neuerbaute Stadttheater wurde am 
81. October mit Schillers Braut von Messina eröffnet. 

Frankfurt. Auch der zweite der früheren Theaterdirektoren 
Hr. L. Meck ist nun von der Direktion zurückgetreten. Herr Hoff- 
mann, früher in Prag, bisher Mitdirektor, ist von dem Senat als al- 
leiniger Direktor genehmigt worden. — Die Concerte des Museums 
haben begonnen. Ebenso die Quartettabende des Violinisten Wolff. 
In ersteren trat ein Frl. Valerius aus Stockholm als Sängerin auf. 

Wien. Frl. La Grua tritt am 4. Nov. zum ersten Male (als 
Amine) auf. — Die italienische Oper wird in der nächsten Saison 
statt des Tenoristen Fraschini , der seine Stimme verloren , Naudin, 
jetzt in Petersburg , erhalten. Wie die Wiener Mskztg. berichtet, 
wird die engagirte Gesellschaft „den Creme der italienischen Ge- 
sangeskunst in sich schliessen." Die glücklichen Wiener ! — 

Braunschwelg. H. Berlioz war hier. Es hiess von ihm : veni, 
vidi, vici. Statt dreier Concerte jedoch, die beabsichtigt waren, 
blieb es „Umstände halber" bei zweien. Das erste fand am 22. 
Oktbr., das andere am 25. Oktbr. statt. Zur Aufführung kamen am 
22. : Fragmente aus Faust, dito aus einem Oratorium in „altem 
Styl* 4 (Ruhestelle der heiligen Familie in Aegypten), dito aus Romeo 
und Julie, Wie man sieht, giebt schon das Programm der Berlioz'schen 
Concerte eine nicht üble Illustration der Musik der Zukunft — „eitel 
Stückwerk," wie die Schrift sagt. Das zweite Concert brachte ausser 
einigen fragmentarischen Wiederholungen: Ouvertüre zu Lear und 
die Haroldsinfonie. Ausserdem spielte Joachim, der treffliche Vio- 
linist, dessen Meisterschaft auf seinem Instrumente ihn zu einem der 
wirksamsten und bedeutendsten Mitglieder des grossen B n n- 
d e s macht , ein Concert eigener Composition und Caprice von Pa- 
ganini mit Orchestcrbegleitung. Unser Correspondent drückt sein 
Bedauern darüber aus, dass Joachim dem Publikum nicht den Vor- 
trag einer schönen Cantilene gegönnt habe, er vergisst dabei, dass 
man die beabsichtigte Wirkung nicht durch dergleichen schwächen 
durfte. Eine Cantilene in einem Concerte von Berlioz würde gewirkt 
haben wie ein Sonnenstrahl auf Schnce-Crystalle — sie wären zu 
Wasser geworden. Zu Ehren des Hrn. Berlioz wurde natürlich so- 
fort nach dem ersten Concert-Abende eine musikalische Soiree ver- 
anstaltet, der eben so natürlich ein glänzendes Festessen folgte. Doch 
war hiermit dem Heros der Instrumentalmusik der Zukunft noch 
nicht genug gehuldigt. Kurz vor dem Anfang des 2. Concerts wurde 



ihm in dem festlich erleuchteten Sprechzimmer des Theaters in Ge- 
genwart der-Kapelle von dem Kapellmeister Müller nach einer An- 
rede ein Lorbeerkranz mit einem silbernen Taktstock 
überreicht und ihm gleichzeitig mitgetheilt, dass der mit der Einnah- 
me des Concerts z u gr ü nde nde Fonds für Wirtwen der Orchester- 
mitglieder ihm zu Ehren „Berliozfonds" genannt werden solle. — 
Wenn dergleichen in London von Julliens Verehrern mit Jullien ge- 
schieht , schreit die Welt über „Humbug;" giebt es kein deutsches 
Wort für diesen Begriff? Nicht vergessen dürfen wir freilich, dass 
sich H. Berlioz auf die Verehrung des Braunschweiger Orchesters 
gerechte Ansprüche erworben. Hat er dasselbe doch in einem auf 
es ausgebrachten Toaste „un orchestre ideal" genannt. Wo die ge- 
genseitige Schmeichelei einen solchen Grad von Ueberspanntheit er- 
reicht hat, braucht man sich über nichts mehr zu wundem I 

— Die 4 Gebrüder Müller haben eine neue Kunstreise angetre- 
ten. ' Diesmal werden sie nach Breslau, Prag und Wien gehen. 

— Die hiesige Oper bereitet den Vampyr und den Wildschütz 
vor. Die Wahl des ersteren ist eine erstaunliche Ausnahme von 
der schmachvollen Vernachlässigung eines der ersten deutschen 
Opern-Componisten , die die musikalische Gegenwart characterisirt. 
Während der Geschmack des Publikums mit den seichten Produkten 
der modernen Italiener systematisch verdorben wird, vermodern die 
herrlichen Schöpfungen Mar sehn er's in den Theaterbibliotheken. 

Berlin. Der Zudrang zu den Sinfonie-Concerten unter Tau- 
bert's Leitung ist so gross, dass fast sämmtliche Billets zu den 1000 
Sitzplätzen bereits genommen sind. Im Friedrich Wilhelmstädter 
Theater wird nach der Berl. Musikzeitung binnen kurzem Thomas' 
reizende Oper: „Ein Sommernachtsttaum" gegeben werden. 

— In den letzten Tagen des Octobers wurde hier Schindel- 
meissers Prinz Eugen zum erstenmale gegeben und hatte sich einer 
günstigen Aufnahme zu erfreuen. 

Breslau. Gretry's Richard Löwenherz hat hier eben so wenig 
gefallen, als in Berlin. Dagegen macht Adams „Giralda" stets volle 

Häuser. 

Leipzig. Im 3. Gewandhaas -Concerte trat, eine bisher unbe- 
kannte Sängerin Frl. Bergauer aus Prag auf. Dieselbe soll für die 
laufende Saison engagirt sein. Ihre erste Leistung befriedigte Wenige. 
Ausserdem kam eine neue Ouvertüre von J. Rietz und ein neues 
Werk von N. Gade, Frühlingsfantasie, zur Aufführung. Im nächsten 
Concert werden sich die Gebrüder Wieniawsky (Violine und Piano) 
hören lassen; Auch soll die neueste Sinfonie von R. Schumann zum 
erstenmalo exekutirt werden. 

R. Schumann wird Anfang nächsten Jahres hier ankommen. 
Derselbe lässt sich — seit 10 Jahren — wieder einmal in der Zeit- 
schrift für Musik, die bekanntlich von ihm gegründet wurde, hören, 
und zwar als Prophet, In begeisterter, etwas zu überschwenglicher 
Sprache macht er auf einen jungen Clavierspieler und Componisten, 
Herrn Joh. Brahms aus Hamburg , Schüler von E. Maresen dort, 
aufmerksam, dem er eine grosse Zukunft verkündigt. 

Der Berichterstalter der Zeitschrift für Musik über das Carls- 
ruher Musikfest, Hoplit aus Dresden, droht in seinem letzten Briefe, 
die Berichte der übrigen Zeitungen (die sich allerdings nicht in en- 
thusiastischen Lobpreisungen ergingen) zu beleuchten, und in einigen 
Beispielen zu verfolgen, um dem Publikum über dies Getriebe die 
Augen zu öffnen, Liszt zu gerechterer Anerkennung zu bringen, und 
seine Berichte nicht als blosse Phantasinagerien (sie!) erscheinen zu 
lassen. Er schliesst diese Drohung mit der Wendung : „Denn ent 
weder haben jene „Heuler" Recht oder wir. Ein er hat gelogen 1 
Wie ungeschickt 1 Als ob in dieser Welt Jemand ausser dem geist- 
reichen Hrn. Hoplit und seinen Collegen in der neuen Zeitschrift 
für Musik Recht haben könntet 

Carlsruhe. Die Gründung einer Gesangschule unter Leitung 
des Baritonisten Stockhausen, früher in Mannheim, wird hier projektiv. 

Cöln. Das erste Gesellschafts - Concert brachte unter Anderm 
Hillers 120. Psalm, eine Composition, welche allgemeine Anerkennung 

gefunden hat. 

London. Johanna Wagner soll für die nächst« Saison ein 
Engagement im Covent Garden Theatre angenommen haben. 

Hannover. Hier wird die neue Oper von dem Russen Lwoff, 
Biama, einstudirt. 



C( 



fmutwvrttlcktt fttfeMMf : S, J. tßMfftt. - *n* waiwmt. WatUO ta M*1m. 



2. Jahrgang. 



Ar. 47. 



21. Novbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint jeden 
MONTAG. 

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Quartal. 



Inhalt 1 Erwiederung an die Redaktion der Süddeutschen Musikzeitung, — Corresp. (Paris.) — Nachrichten. 



AN DIE GEEHRTE REDAKTION DER SÜDDEUTSCHEN 

MUSIKZEITUNG/) 



Zur Erwiederung. 

In der Ueberzeugung , dass jede Redaction eines Kunstblattes 
sich nur damit selbst ehrt, wenn sie sich über die Partheien stellt, 
indem sie nicht nur der Ansicht ihrer Referenten, sondern auch der 
entgegengesetzten ihre Spalten willig öffnet, sobald in dieser über- 
haupt wenigstens Ernst und guter Wille nicht zu verkennen sind, in 
dieser Ueberzeugung hegt auch der Verfasser einer jüngst in N. 40 
der Süddeutschen Musikzeitung besprochenen Flugschrift : „Die 
Kirchenmusik in Rücksicht auf ihr Missverhältniss zum Hörer der 
Gegenwart. Ein offnes Wort an Alle , Künstler wie Laien , denen 
es Ernst um die Kirche ist. Von einem jungen Componisten. Leip- 
zig bei J. J. Weber" die Hoffnung und Zuversicht, die geehrte 
Redaction der Süddeutschen Musikzeitung wolle ihm in ihrem Blatt 
einige Worte der Erwiederung, und theilweisen Berichtigung dieses 
Referats, nicht versagen. 

Hat es auch der Verfasser seither noch nicht der Mühe für 
werth gehalten auf sonstige öffentliche Beurteilungen seiner Compo- 
sitionen zu antworten, weil dies gegen seine Grundsätze ist, so sieht 
er sich doch in vorliegendem Fall zu einer Entgegnung veranlasst, 
weil der Zweck seiner Brochüre durchaus kein subjektiver ist, 
sondern weil er wohl bei der aufgeworfenen Frage ein allgemeines 
Interesse voraussetzen darf, weil er hofft die Theilnahme für eine 
so bedeutsame Frage im Allgemeinen wieder neu anregen zu können, 
und weil er es endlich in dem besondern Fall mit einem Referenten 
zu thtin zu haben glaubt , dessen Aasdrucksweise sich als würdig, 
ruhig und nicht wie mitunter anderwärts, als unreif und ungeziemend 
darstellt. Hat daher der Referent auf gegenwärtige Worte des Ver- 
fassers noch etwas zu erwiedem , und will die geehrte Redaction 
der Süddeutschen Musikzeitung noch etwas im Interesse der guten 
Sache aufnehmen , so wird der Verfasser Alles was ihm verständig 
und wohlmeinend eingehalten wird, mit Dank anerkennen. 

Erscheint die Erwiedrung im übrigen verhältnissmässig spät, so 
wollen dies die Leser der Süddeutschen Musikzeitung mit dem Um- 
stand entschuldigen, dass der Verfasser diese Nummer später als 
gewöhnlich erhielt. 



Zunächst möchte nun der Verfasser das Referat über besagte 
Flugschrift dahin berichtigt haben , dass mit dem Ausdruck : die 
Kirchenmusik sei theilweis allzufasslich oder vielmehr allzueintönig, 
nicht wie der Referent meint „der Choral" selbst , den der Ver- 
fasser ausdrücklich auf pag. 25 für einen „geheiligten Schatz des 
Volkes erklärt hat, wohl aber, wie aus pag. 26 deutlich erhellt, die 



*) Obiger Aufsatz erhält eine Stelle, nicht weil wir die seit einiger Zelt eingerissene 
Unsitte, dass der Autor des unbedeutendsten Machwerks in Person gegen jede tadelnde Be- 
merkung der Kritik zu Felde zieht, unterstützen , oder gar uns ihr fügen wollen, sondern 
weil der Gegenstand von allgemeinerem Interesse Ist. D. Red. 



zu häufige Wiederholung der Choräle , auf 6 und mehr Verse, 
wie sie in den protestantischen Kirchen stattfindet und namentlich 
die theilweis sogar schlecht declamirten R e c i t a ( i v c in den Ora- 
torien gemeint seien. 

Ferner dankt zwar der Verfasser dem Referenten für die gute 
Meinung, welche derselbe von jenen Ansichten zu haben scheint, 
wenn er sich dahin ausspricht, dass die in der Brochüre erwähnten 
Uebelstände theilweise wirklich allgemein anerkannt sein sollen, kann 
aber dieser, ohne alle Beweisführung von Seilen des Referenten hinge- 
stellten Behauptung unmöglich Glauben schenken , wenn er sich mit 
einem Blick auf die Wirklichkeit fort und fort überzeugen muss, wie 
man gerade in neuester Zeit, bald durch Vereine, bald durch Publi- 
kation alter Manuscripte den Götzendienst der alten und ver- 
künstelten Kirchenmusik, die grossentheils für uns nichts als leere, 
kalte , todte , zopfige Formen ohne Geist enthält , nicht nur nicht 
sistirt, sondern bis ins Unausstehlige hin anstrebt. 

Was nun aber das von dem Referenten ohne Weiteres als ver- 
mein 1 1 i c h e s, in der Auseinandersetzt! ng des Miss Verhältnisses Bezeich- 
nete betrifft, so möchte ihn der Verfasser in Bezug darauf erstlich, 
auf einen Widerspruch in seinem Referate aufmerksam machen , da 
dasselbe zuletzt offenbar zugibt, dass das Alte und Zeilherige nicht 
mehr genüge. Sodann hegt der Verfasser aber die Ansicht , dass 
überhaupt eine derartige Frage, nicht wie man gewöhnlich zu glauben 
scheint , von einem einzelnen, befangenen Contrapunklisten, sondern 
eigentlich nur von der Gesammtheit der Kirchgänger, für welche 
allein Kirchenmusik geschrieben sein kann , wirklich der Wahrheit 
gemäss beurtheiit werden würde. Da jedoch solch ein vollgültiges 
Urtheil nicht füglich zu erlangen wäre, wenn man es nicht in der 
von dem Referenten auch anerkannten allgemeineren Theilnahms- 
losigkeit unserer Zeit für die Kirchenmusik bereits angedeutet finden 
will, welche übrigens zu Gunsten des Verfassers spräche, so kann 
der Einzelne nur durch Schlussfolgcrungen von der Natur der 
menschlichen Seele auf die Unnatur der contrapunetischen Künste- 
leien z. B. oder durch die Darlegung der veränderten ästhetischen 
Ansprüche, wie es der Verfasser in seiner Flugschrift that, ein Ur- 
theil gewinnen. Nimmermehr wird aber der Verfasser seine durch 
Schlussfolgerungen bewiesenen und von Laien wie Sachverständigen 
bereits hinreichend anerkannten Ansichten, über das herrschende 
Missverhältniss, von einem zwar jedenfalls musikalisch gebildeten 
Zeitungsreferenten, damit wiederlegt sehen, dass sie derselbe ohne 
die mindeste Beweisführung für theilweis vermeintliche erklärt. 

Hat es dem Referenten beliebt die Darlegung des Verfassers mit 
dem Prädikat der grössteu Breite zu belegen, so möge er nicht ver- 
gessen, dass es dem Verfasser galt, zwar nicht für das musikalische 
Publikum, wie der Referent meint, sondern wie der Verfasser auf 
pag. 6 erklärt hat, für gebildete Laien zu schreiben. Warum er sich 
an diese wandte und nicht vielmehr an die eigentlichen Fachmänner, 
glaubt er ebenfalls in der Flugschrift wiederholt dargethan zu haben, 
als er meinte , dass die andersgesinnten Fachmänner , mit wenigen 
Ausnahmen, in der Regel durch ihre mühsamen Studien im strengen 
Styl in ihrem Urtheil befangen worden , seien um so mehr als es ja 
noch heutigen Tages so viel Ehre einbringt, zu zeigen was man 



186 — 



kann. Der Umstand, dass der Verfasser sich an Laien wenden 
uuisste, um seine ausgesprochene Ansicht unbefangen und unpar- 
teiisch beurtheilt zu sehen, und nichts anders also, hat ihn zu dieser 
vermeintlichen Breite veranlasst. 

Zu seinem Bedauern musstc ausserdem der Verfasser lesen, dass 
der Referent die Hauptsache der Flugschrift vermisst, weil er sie in 
einem Punkte sucht, der ausser dem Bereich der Aufgabe des 
Schriftchens steht , und der weder durch den Titel versprochen 
worden ist, noch überhaupt hätte weiter ausgeführt werden dürfen, 
als es bereits geschah. Das Missverhältniss der Kirchenmusik zum 
jetzigen Hörer wollte der Verfasser beleuchten, nicht aber eine 
Zeichnung der Zukunftskirchenmusik , wie man jetzt eine Zukunfts- 
oper erfunden haben will, geben. Denn er ist der Meinung, dass 
man nie ohne einen wesentlichen Verlust mit der ganzen Vergangen- 
heit abbrechen werde, um von vorn anzufangen, wohl aber, dass man 
der allmählig fortschreitenden Gultur eben so wenig einen Damm 
von Vorurtheilen in den Weg setzen dürfe, welcher doch über kurz 
oder lang überflulhet werden muss. Dem Verfasser erscheint also 
die Kirchenmusik als ein Baum, dessen Haupttrieb von den üppig 
daneben grünenden Schösslingcn überwuchert wird , und der von 
diesen zu befreien ist, weil sonst der Haupttrieb verkümmert, indem 
ihm Kraft und Licht entzogen wird. Wie kann also der Referent 
vom Verfasser den Kern zu einem neuen Baum fordern , wenn 
dieser nur den alten Baum von den Schösslingen befreien will, um 
dem Haupttrieb die zcrtheilte Kraft, ungeschwächt durch eitle lang- 
weilige Künstelei , zuzuwenden , wie kann der Referent eine neue 
Kirchenmusik fordern, wo es nur gilt die alte zu reinigen ? Freilich 
musste wohl der Verfasser auch auf die Anwendung freierer Formen 
und reicherer, früher nicht gekannter orchestraler Mittel hinweisen, 
aber wenn dem Referenten die Andeutung der goldnen Mittestrasse 
als eine billige Phrase erschienen ist, weil sie Jedermann „wisse," 
so kanu der Verfasser nur beklagen , dass wenn sie wirklich Jeder- 
mann als die goldne und in der Weise wie sie in der Flugschrift 
angedeutet wurde, kennt, sie doch zur Zeit nur so selten eingehalten 
worden ist. 

Durch obiges Gleichniss hofft der Verfasser nun auch dem 
Referenten hinreichend erklärt zu haben , warum er nicht mehr 
positive Ideen, wie sie der Referent gewünscht zu haben scheint , in 
seinem Schriftchen aufstellte und aufstellen durfte, denn vor Allem 
waren die Leser von dem Verderb der Schösslinge, die so viel gute 
Kraft verzehren, und von der Notwendigkeit sie zu beseitigen , zu 
überzeugen. Sie sollten — das war allein der Zweck des Ver- 
fassers und ist theilweiss zu seiner Genugthuung auch schon seit 
dem kurzen Erscheinen des Schriflchens geschehen — sich laut und 
ungescheut gegen das herrschende Missverhältniss aussprechen, dann 
erst konnte, gestützt auf diese Autorität, ein weiterer Schritt gethan 
Werden, und indem so die Uebelstände beseitigt waren, konnte nun 
der Verfasser allerdings einige Andeutungen geben , wie das Wahre 
und Gute, was uns in der Kirchenmusik zurückblieb anderen Kunst, 
richtungen analog entwickelt werden könnte. 

Aber wohl muss er dabei bemerken , dass solche Andeutungen, 
deren Inhalt mehr als den engen Raum seiner Flugschrift fassen 
würden, vor Allem so in das Detail einzelner Kunstformen einzugehen 
hätten, dass diese nicht mehr dem Urtheil, auch der Laien übergeben 
werden dürften, deren Richterspruch der Verfasser jedenfalls bei der 
Frage ob das Missverhältniss bestehe, als den gültigsten anruft, 
deren Stimme sich aber dann jedenfalls nicht mehr einmischen will 
und kann, wo es gilt dem Uebelstände abzuhelfen. Sodann erwartet 
Referent von diesen positiven Ideen auch nicht neue Knnstformen« 

Neu dürften diese Formen in ihrer Anwendung allerdings auf die 
erstarrte Kirchenmusik sein , alt sind sie jedoch bereits in andern 
Zweigen der Kunst geworden, die man nicht von ihrer naturgemässen 
Entwicklung zurückhielt. Wenn endlich der Referent solches Gc- 
bahren in der Kirchenmusik, welches zwar viel Altes wegräumt, aber 
doch im Grunde nichts Neues bringt, sondern nur das wirklich 
"Wahre und Gute vom Alten, seiner naturgemässen Entwicklung zu- 
zurückgiebt, nicht als eine hülfebringende Reform gelten lassen will, 
so erinnere er sich einer unvergleichlich grössern Erscheinung, 
welcher diese Reform der Kirchenmusik zu vergleichen der Verfasser 
fern ist, der Reformation im Glauben, die mit dem Feuer der Wahr- 
heit die Schlacken menschlicher Satzung verbrannte, nicht aber ein 
andres Erz statt des alten Goldes unterschob. 



Doch der Schluss des Referats beschäftigt sich ausführlicher 
mit der Ansicht, dass der Gegenwart „der innige religiöse Glaube 
fehle," der die Seele der früheren Meister erfüllte, und damit würde 
allerdings der ganze Zweck der Flugschrift ein unnützer werden. 
Der Referent erklärt weiter unser Zeitalter für eine Brücke von 
ausgelebten religiösen Formen zu reineren , edleren , geläuterteren 
und obschon der Verfasser allerdings die theilweise Richtigkeit 
solcher Worte mit Schmerz anerkennen muss, so kann er sich doch 
nicht der Frage erwehren , ob wenn es theilweis so steht , nicht 
wenigstens diejenigen denen noch nicht dieser innige religiöse Glaube 
vor dem Unglauben oder der Pietisterei gewichen ist, sich nicht ge- 
rade desshalb um jso mehr befleissigen sollten, das Wahre und 
Lautere vom Alten zu retten, um aus ihm die reineren, geläuterteren 
Formen die ,.in den Herzen aller Bekenncr wurzeln'* sollen, ge- 
winnen zu helfen, oder glaubt Referent die erwartete Zukunft werde 
kommen, wie ein neuer Messias vom Himmel, wenn Alles die Hände 
in den Schooss legt und müssig zuschaut ? Der Verfasser hat eine 
bessre Meinung von der Gegenwart , und sagt am Schlüsse seines 
Schriftchens : „Zeigen wir , dass wir im 19. Jahrhundert noch nicht 
wie Viele meinen im Materialismus versanken , sondern dass eine 
Zeit die nach allen sonstigen Richtungen hin , mit Recht eine Zeit 
des Fortschritts genannt werden darf, auch noch Lebenskraft genug 
enthält, das theure Kleinod der Religion in würdiger musikalischer 
Weise auszustatten." 

Möge er in dieser guten Meinung von unsern Zeitgenossen nicht 
getäuscht werden , möchten diese vielmehr zu dem gemeinsamen 
Werk, wozu seine eigne schwache Kraft bei weitem nicht ausreicht 
Alle hülfreiche Hand bieten. 



Sohlasswort des Referenten. 

Obige „Erwiederung" hat mich statt zu bekehren nur noch mehr 
in der Ansicht bestärkt, dass der Verfasser des in Rede stehenden 
Schriflchens den behandelten Gegenstand nur oberflächlich aufzu- 
fassen im Stande ist. Die vielen Widersprüche, in welche er ver- 
fällt, sind der beste Beweis dafür. Die Wahrheit trennt nicht, wie 
bei ihm, sondern einigt! 

Der Verfasser hat sich in seinem Schriftchen die Aufgabe ge- 
stellt, das unmusikalische Publikum — und dazu rechne ich. auch 
solche „gebildete Laien" die einer Erklärung des Canons , der Fuge 
und des Contrapunkts bedürfen — über das Missverhältniss aufzu- 
klären, in welchem die Kirchenmusik zu dem heutigen Hörer steht. 
Während „Klarheit und Einfachheit" als das erste und wesentlichste 
Erforderniss der Kirchenmusik betrachtet werden müsse, sei der 
grösste Theil derjenigen, welche wir jetzt zu hören bekommen, dem 
grössten Theil der Hörer unverständlich. Der Grund davon sei 
einmal: die unpassende Anwendung des Contrapunkts, zweitens die 
Vorführung alterthümlicher „Musik" welche der heutigen Bildungs- 
stufe, sowohl in Rucksicht auf musikalische Technik als den Geist 
der aus ihnen spricht, nicht mehr angemessen sei. Endlich aber 
müsse auch die Einförmigkeit getadelt werden , welche eine Folge 
der häufigen Wiederholung des Chorals und der Recitative in Ora- 
torien sei. 

Referent hat dies für theils allgemein erkannte, theils nur ver- 
meintliche Uebelstände erklärt, und beruft sich statt weiterer Be- 
gründung auf den Verfasser selbst. Seite 42 und 47 s. Schriftchens 
eifert derselbe gelegentlich einer Messe von Morlachi gegen die 
„frivolen Duette und koketten italienischen Solfeggien die er 
darin hörte. Weiss der Verfasser nicht , dass die Reaction gegen 
die strengen Formen in der Kirchenmusik Jahrhundertc alt ist, weiss 
er nicht, dass schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutsch- 
land eine Schule von Kirchen-Komponisten entstand, welche die 
Einführung „klarer und einfacher" Formen erstrebte, eine Schule, 
welche noch nicht ausgestorben ist, so musste ihn die von ihm selbst be- 
richtete Thatsachc davon überzeugen , dass er nicht der Erste ist, 
welcher das Unpassende „Contrapunktischer Künsteleien in der Kirche 
fühlte," sondern dass auch schon der Versuch gemacht worden ist, 
etwas „Besseres und Zeitgemässeres" an ihre Stelle zu setzen. 

Er musste sich aber auch davon überzeugen, dass die grössten 
Uebelstände theilweise nur vermeintliche waren. Wenn er 
ober eine Messe „indignirt" sein konnte, welche weder in den 
alten Kirchentonarten, noch im Roccocostyl geschrieben, dabei „zeit- 
gemfiss" instrumentirt war und endlich nicht einen einzigen Kanon, 



— 187 — 



nicht eine Fuge und nicht eine Contrapunktische Verkönstelung 
enthielt, in welcher also alle die Uebelstände vermieden waren, 
von deren Beseitigung , nach ihm , das Heil der Kirchenmusik ab- 
hängt, so ist dies doch wohl ein deutlicher Beweis, dass alle diese 
Uebelstände unwesentlich sind; und dass sich der Verfasser 
in einem grossen Irrthum befindet , wenn er meint , sie trugen die 
Schuld daran, dass die Kirchenmusik immer mehr verfällt. 

Was bezweckte nun aber der Verfasser eigentlich mit seinen 
Auseinandersetzungen ? 

S. 9. drückt er dies so aus : „die Kirchenmusik bedarf einer 
zeitgemässen Reform, welche aber ganz besonders die Laien unter- 
stützen müssen. Hiernach scheint es also , als ob den „Laien" an- 
gezeigt werden solle, sich über die Mängel in der Form der 
heutigen Kirchenmusik zu beschweren , dass also der Verfasser 
glaubt, die Kirchenmusik durch einige technische Verbesserungen, 
reformiren zu können. Es stimmt dies ganz mit seinem Ausspruch 
in obiger „Erwiedrung" überein: „ Der alte Baum müsse von den 
Schösslingen befreit werden, um dem Haupttrieb die ungeschwächte 
Kraft zuzuwenden," sowie mit seinen Andeutungen über den Inhalt 
seiner „positiven Idee** die wie es scheint auf die Anwendung von 
Formen die sich bereits in andern Zweigen der Kunst entwickelt 
haben (wohl die Formen der dramatischen Musik ?) auf die Kirchen- 
musik hinaus laufen. 

Wir halten dies wie gesagt für eine sehr oberflächliche Auf- 
fassung, sind aber noch mehr als über diese über den Widerspruch 
erstaunt, in welchen der Verfasser am Ende seines Schriftchens mit 
seinen früheren Aufstellungen geräth. Die „Indignation" über die 
Morlachische Messe bringt ihn zu der Erkenntnis« , dass es nicht 
genug sei, Fugen und Contrapunktische Künste zu vermeiden, 
sondern, dass der Kirchencomponist gerade die „inteusive Kraft 
so kernige Sätze zu gestalten, die Wahrheit der Empfindung 
welche nur denkbar ist, wenn mit ihr sein ganzer Sinn und Wandel 
harmonirt, und anstatt des ängstlichen Anklammcrns angegebener 
Gesetze, den freieren Aufschwung einer durch die Religion 
geläuterten Phantasie u. s. w. besitzen müsse. 

Hätte sich der Verfasser bei diesen Worten nur das Geringste 
gedacht, so würde er eingesehen haben , dass er damit alles über 
den Haufen wirft, was er so mühsam aufgebaut hat. 

Um die Kirchenmusik zu reformiren, sollen die Laien von dem 
Missverhältniss überzeugt werden, in welchem die heutige Kirchen- 
musik mit ihrer Bildung steht. 

Die blosse Beseitigung der Uebelstände welche dieses Missver- 
hältniss erzeugt haben , also die höchste Wirkung, welche der Ver- 
fasser von seiner Schrift erwarten könnte, nützt aber nicht nur 
nichts, sondern macht das Uebel noch ärger! 

Dies ist der Inhalt des Schriftchens , welches eine Reform der 
Kirchenmusik anbahnen soll. 

Die natürliche Schlussfolge, welche wir in unsenn Referate ge- 
zogen haben, und die auch von dem Verfasser selbst wenigstens ge- 
fühlt worden zu sein scheint ist die : also sitzt das Uebel tiefer und 
muss nicht in den Formen der Kirchenmusik, sondern in der Geistes- 
richtung oder Geistesschwäche der heutigen Kirchen-Komponisten 
gesucht werden. Solche dadurch zu heben , dass man Laien die Ru- 
dimente der Lehre vom Contrapunkt beibringt , scheint uns ein hoff- 
nungloses Bemühen. Ist der Componist — und der Verfasser ge- 
steht dies an einer andern Stelle selbst — der musikalische Aus- 
druck seines Zeitalters , so kann auch eine Erhebung über sein 
jetziges Ausdrucksvermögen nur dann erwartet werden wenn das 
ganze Zeitalter einen neuen religiösen Aufschwung nimmt. 

Der Verfasser war auch hier so freundlich , Referenten ein 
trefTendcs Beispiel von der Richtigkeit seiner Auffassung zu leihen, 
denn niemals ist es so deutlich geworden , dass der religiöse Auf- 
schwung, den ein Zeitalter nimmt, zugleich Epoche machend für die 
Kirchenmusik sei, als in den Tagen der Reformation ! 

Das Resultat unserer nochmaligen Beschäftigung mit dem Schrift- 
chen des Verfassers und seiner Erwiedrung ist kurz folgendes : Der 
Herr Verfasser hat recht guten Willen , ist aber noch in einer sehr 
bedauerlichen Unklarheit über Zwecke und Mittel in der Kunst, 
über die Bedingungen ihres Gedeihens und ihrer Blüthe , über das 
Wesentliche und Unwesentliche ihrer äusseren Erscheinungsform, 
kurz über den Unterschied zwischen Materie und Geist befangen. 



Wer da meint , der Kunst könnte von Aussen ein neues Leben 
eingehaucht werden, wenn das innere Feuer erloschen ist, verkennt 
ihr Wesen vollständig. 

Wer aber, wie der Verfasser des besprochenen Schriftchens, 
glaubt, durch einige Veränderungen und „Reformen" in ihrem Auf- 
putz auf die Geistesrichtung seines Jahrhunderts, wirken zu können, 
befindet sich in einem noch grösseren Irrthum. 

Das Heil der Kirchenmusik — wir wiederholen es — ruht nicht 
mehr in der Hand der Künstler , es ruht in der Hand desjenigen, 
der ein zweiter Luther, die Herzen seiner Zeitgenossen zu entflammen 
und mit neuem Inhalt zu erfüllen vermag. 



<*•*>■ 



CORRESPONDENZEN. 



AUS PARIS. 

(Schluss.) 

Die grosse Oper fährt fort mit Robert, Hugenotten, ewigen Juden 
und Favoritin volles Haus und volle Kasse zu machen. Limnanders 
Meistersänger (diesem hat der frühere Titel des Schwertfegers 
Tochter weichen müssen) ist am 17. über die Bühne gegangen , wie 
es heisst, nicht ohne Beifall. Ich habe der Vorstellung nicht bei- 
wohnen können. Man wirft dem Werke eine Ueberladung an Chören 
vor und Mangel an gehörigen Ruhepunkten. In der letzten Auf- 
führung des Freischütz ereignete sich der seltene Vorfall dass einer 
der Zuschauer, empört über die Verstümmelung dieses zu seinen 
Lieblingsopern gehörenden Werkes förmlich gegen die Versündigung 
protestirte und stehenden Fusses beim anwesenden Theaterpolizei- 
komissair seinen Protest zu Protokoll nehmen Hess. Dieser eifrige 
Musikfreund ist der kürzlich hier eingetroffene Graf Thaddäus von 
Tyszkiewiz. In einem an die hiesigen Theaterrecensenten erlassenen 
Rundschreiben setzt er seine Gründe mit scharfer Feder auseinander. 
Von den beiden ersten, so erbärmlich dirigirten und ausgefallenen 
Aufzügen, heisst es darin, will ich gar nicht reden, und alle Mängel 
die man über sich ergehen lassen musste , mit Stillschweigen über- 
gehen. Aber der dritte Akt! Oder vielmehr diese Fetzen des dritten 
Akts, so unsinnig zusammengewürfelt und ohne alles musikalisches 
Verständniss , ein elendes , lächerliches Potpourri. Agathens Gebet 
gestrichen , Aennchens Lied gestrichen , der Bauerntanz gestrichen, 
der Gesang des Klausners, Oltokars Part, die treffliche Erzählung 
des reuigen Max, der Chor: er war von je ein Bösewicht — alles 
alles gestrichen! Meine Indignation war aufs höchste gestiegen. 
Ich stellte mir die Frage, wie denn ein Musikdirektor seine eigene 
Würde so mit Füssen treten konnte , um zu einem solchen Frevel 
die Hand zu bieten. Ich fragte mich , woher denn Herr Roqueplan 
dieser dramatische Krämer , das Recht haben mochte , seine Waare 
so öffentlich zu verfälschen, sie nach falschem Gewichte zu verhandeln 
und mich, das Publikum , in dem Grade zu verhöhnen. Nein nie 
habe ich in Deutschland, wo ich Delikte mancherlei Art erlebte, nie, 
selbst auf der elendesten Winkelbühne nicht , habe ich ein Werk 
von Flotow , ja von Adam in dem Grade verhunzen sehen , als am 
Freitag d. 7. Oclobcr 1853 Carl Maria von Webcr's Freischütz auf 
der Bühne des Kaiserl. Opernhauses in Paris I Im Namen des Vater- 
landes des grossen Kapellmeisters , im Namen ganz Deutschlands, 
meines Kunstvaterlandes , ziehe ich diese Profanation vor das Ge- 
richt der öffentlichen Meinung. Ich kann dieses Schreiben nicht 
schliessen , ohne meine schmerzliche Verwunderung auszudrücken 
über Hektor Berlioz Mitschuld an diesem Frevel durch die Nennung 
seines Namens auf dem Theaterzettel. Doch versicherte mein Nach- 
bar, Berlioz habe seit dieser Verstümmlung keiner Vorstellung des 
Freischütz mehr beigewohnt etc. 

Man sieht der Graf geht scharf zu Werk nicht allein gegen 
Operndirektor, Musikdirektor, Flotow und Adam , sondern sogar 
gegen den ihm befreundeten Berlioz, der mit dem allgemeinen Angriff 
sehr wohl zufrieden war, und denselben wahrscheinlich unterstützt 
haben würde, wenn er nicht gerade um die Zeit nach Norddeutsch- 
land (Bremen, Braunschweig, Hannover) gereist wäre. Der Graf hat 
seine Klage , auf Verkauf verfälschter Waare lautend , sofort beim 
hiesigen Handelsgericht anhängig gemacht, und verlangt als Schade:.- 



188 - 



ersatz für seine sehn Franken Entree and seinen fortwährenden Aerger 
eine vollständige und gute Vorstellung der angekündigten Oper. 

Levasseur, der lange gedient, tritt nun wirklich ab und gab 
gestern Abend seine grosse Abschiedsvorstellung in der grossen Oper» 
Ausser einem Lustspiel und einer komischen Scene, ward gegeben 
5. Akt von Robert, der Bcnefiziant zuletzt als Bertram ; 3. Akt Huge- 
notten, 2. Akt Wilhelm Teil, Tanz aus Gustav oder der Maskenball 
von den vorzuglichsten Mitgliedern des Balletcorps. Die beliebte 
Tänzerin Aug^Stephan hat mit der der Favoritin einverleibten Madri- 
lena, die sehr gefiel, für einige Zeit Abschied genommen. 

Sophie Cruvelli, die wieder hier eingetroffen ist, steht zu allge- 
meiner Verwunderung nicht auf dem Programm der Italiener. Man 
spricht viel von ihrem Engagement bei der grossen Oper, welches 
sie früher soll abgelehnt haben. Die geistvolle und liebenswürdige 
Wilhelm» ne Claus hat sich von ihrer Schweizerreise vierzehn Tage 
in Fontainebleau erholt , und dann nach einem, kurzen Aufenthalt 
in Paris nach London begeben , von wo sie wieder hierher zurück- 
kehren und vor Antritt ihrer nunmehr beschlossenen Reise nach St. 
Petersburg uns hoffentlich noch mit einigen Concerten erfreuen wird. 
Auch Ehrlich, der sich in der vorigen Saison als einen eigentüm- 
lichen, denkenden Künstler zu erkennen gab, ist wieder hier. Liszt, 
der mit Richard Wagner hier eintraf, ist nur kurze Zeit hier ver- 
blieben, fast fortwährend unsichtbar gewesen und zum Leidwesen 
der Freunde und Verehrer die seiner nicht ansichtig wurden, 
wieder nach Weimar zurückgereist. Wagner ist noch hier. Chelard 
hat zum 5. November ein grosses Concert im Herzischen Saale an- 
gekündigt, worin er unter Mitwirkung des italienischen Orchesters, 
Panseron als Chordirektors , Roger's , Marlis , der Damen Tedesco 
und Nau und anderer Mitglieder der grossen Oper Werke von seiner 
Komposition zur Aufführung bringen wird. Ueber den leider dahin- 
gegangeneu George Onslow nächstens Biographisches. Auch über 
Zimmermann, der nach längerem Kränkeln gestern gestorben. Fetis 
aus Brüssel hat sich einige Tage hier aufgehalten, ein Mann, dessen 
kräftigen Geist und weitumfassende Wirksamkeit man bewundern 
muss. Von Stephan Heller stehen, wie man vernimmt, neue und wie 
immer originelle geistvolle Ciavierkompositionen in Aussicht. Von 
Heinrich Panofka eine vorzügliche Gesangschule die viel gänzlich 
Neues enthalten und namentlich vom logischen Standpunkte aus einen 
von allen bisherigen abweichenden Lehrgang einführen soll. 



NACHRICHTEN. 



Mttnchen. Die diesjährigen Winter - Concerte sollen Anfangs 
November eröffnet werden, und zwar mit der grossen Messe Beet- 
hovens in D-dur die der grosse Meister selbst für sein grösstes und 
und vollendcstcs Werk erklärte, trotzdem aber noch sehr selten zur 
Aufführung gekommen ist, wozu allerdings die grossen Schwierig- 
keiten für Sänger und Orchester das Ihrige beitrugen. Um so rühm- 
licher ist die Wahl und um so ehrender für das hiesige Publikum 
dem man das Verständniss eines solchen Werkes zutraut. Die Oper 
ist am 24. Oct. wegen baulicher Veränderungen auf kurze Zeit ge- 
schlossen worden. 

Augsburg. Von hier vernimmt man dieselben Klagen wie am 
Rhein. Obgleich das Theater einen nicht unbedeutenden jährl. Zu- 
schuss (diesmal ca 5000 fl.) von- Seiten der Stadt-Casse erhält, ist 
der Zustand desselben ein so schlechter, dass im vorigen Winter 
z. B. nur Singspiele und Possen zur Aufführung kamen. Und weshalb ? 
Weil mit jedem Winter eine neue aus allen Himmelsgegenden zu- 
sammengesuchte Truppe erscheint , die nach einem halben Jahre 
wieder auseinanderstiebt. Ganz richtig wird bemerkt , dass eine 
Erhöhung des Zuschusses hinreiche ein stehendes Theater zu gründen 
und die Kunst wirklich zu befördern, dass aber bis dahin jeder Zu- 
schuss weggeworfen sei. 

Stuttgart. Das erste Abonnements-Concert fand am 80, 
October statt. Frau v. Marra macht hier grösseres Glück als 
anderwärts. 

Barmen. Am 29. October wurde hier Hillers Zerstörung 
von Jerusalem unter des Componistcn eigner Leitung aufgeführt. 

Rotterdamm. Wie schon berichtet wird der niederländische 
Verein zur Beförderung der Tonkunst im Juli nächsten Jahres das 



Fest seines 25 jähr. Bestehens feiern. Der musikalische Theil des 
Festes wird von dem rühmlichst bekannten Musikdirektor Verhulst 
geleitet werden. Zur Aufführung sollen kommen am ersten Tage 
Händeis Jsrael in Aegypten ; am zweiten Hayden's Jahreszeiten ; 
am dritten der 145. Psalm von Verhulst und die 9. Sinfonie von 
Beethoven ; Solovorträge der berühmtesten Sänger und Sängerinen 
etc. schliessen sich daran. Das Fest soll im Ganzen Acht Tage 
dauern und mit Volksbelustigungen zu Wasser und Land verbunden 
werden. 

Brüssel. Die hiesige Oper entspricht den Anforderungen , die 
an ein so glänzend gestelltes Institut gemacht werden können, in 
keiner Weise. Die Vorstellungen erheben sich nicht über das 
Mittelmässige. Besser steht es mit der Opera Comique, welche einige 
gute Kräfte besitzt. 

Mit den übrigen belgischen Bühnen sieht es noch schlechter aus. 
Die Genter ist ganz unbedeutend, in Antwerpen wurden die Sänger 
sammt dem Direktor mit solchem Zischen und Pfeifen begrüsst, dass 
die ganze Gesellschaft abtreten und ein neuer Direktor (in der Person 
eines Italienischen Baritonisten Namens Montemerli, welcher letzten 
Winter in der Paris r Italienischen Oper durchfiel) ernannt werden 
musste. Lüttich hat diesmal gar keine Oper. 

Pesth. Am 13. November beginnt ein Cyclus von 4 Concerts 
classiques, welche im grossen Saale des National-Museums stattfinden 
Das Programm ist sehr interessant, und die Theilnahme des Publi- 
kums eine sehr lebhafte. Zur Aufführung kommt im ersten Concerte: 
Esdur Quartett von Beethoven, Fuge von Bach, gespielt von Szekely, 
Le trille du Diable von Tartini, gespielt von E. Singer, und zum 
Schlüsse die grosse Sonate (Kreuzer) von Beethoven , gespielt von 
Szekely und E. Singer. 

Die deutsche Operngesellschaft, durch den tüchtigen Director von 
Witte in kürzester Zeit zusammengestellt, hat sich schnell die Gunst 
des Publikums erworben namentlich ernteten Frl. Bury und H. Wolf 
den stürmischesten Beifall in der Nachtwandlerin. Hoffen wir dass 
uns H. von Witte bald gediegne Opern vorführen werde, und wir- 
können dem neuen Opernunternehmer das Beste prognosticiren. Im 
Nationaltheater wird jetzt die neue Oper von Leo Kern: „Benvenuto 
Cellini" fleissig studirt. Die Hauptparthien sind in den Händen der 
Herrn Füredy und Young. Man verspricht sich von diesem Werke 
einen grossen Erfolg. 

Die philharmonischen Concerte, welche das Orchester des Natio- 
naltheaters unter der Leitung der beiden Kapellmeister Carl Doppler 
und FranzJErkel veranstaltet beginnen am 20. Zur Aufführung kommen 
im ersten : A-dur Symphonie von Beethoven , Hochzeitsmarsch aus 
dem Sommernachtstraum und Struensee • Ouvertüre von Meyerbeer. 

Paris. Frl. Cruvelli ist hier. Ihr Engagement an der grossen 
Oper ist aber noch nicht so sicher, wie von der Niederrh. Musik- 
zeitung milgetheilt wurde. Die Unterhandlungen schweben noch. — 

Die Proben zu Belly von Donizetti sind wahrscheinlich für 
immer ausgesetzt worden, dagegen wird fleissig an der neuen Oper 
von Gounod studirt. 

Neapel. Verdi's Trovatore und Rigoletto eröffnen diesmal in 
Don Carlo und Teatro nuovo den Reigen , wie jedoch selbst die 
Gazetta di Neapoli , die feurigste Verehrerin des Maestro, gestehen 
muss, nicht mit Glück. Die Rolle Verdi's scheint in seinem Vater- 
land schon ausgespielt zu sein. Nicht mehr als billig denn, dass 
deutsche Bühnen anfangen ihn auf ihr Repertoir zu bringen. 

London. Nach Italienischen Blättern sei es ziemlich ent- 
schieden, dass Her majesly's Theatrc unter Lumly's Direktion in 
nächster Saison wieder eröffnet werde. 

Königsberg. Die musikalische Akademie hat ihr lOjähriges 
Stiftungsfest gefeiert. Händeis „Israel" kam dabei zur Aufführung. 

Y Die Oper mit deren Composition Thalberg beschäftigt ist, 
führt den Titel : Christine von Schweden und wird im Laufe der 
nächsten Saison in der italienischen Oper in Wien zur Aufführung 
kommen. Der Text ist von dem Italiener Romani. 

Y Nach der Gazette musicale de Paris wäre der bekannte 
Pianist Döhler bereits vor einigen Monaten in Rom gestorben. 

Y Frl. Schwarzbach von Wien ist nach der N Z. f. M. in 
München engagirt worden. 



Vewmtwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. - Druck ton REUTER «. WALLAD In Htioz. 



2. Jahrgang. 



Wir. 48. 



28. Novbr. 1853. 



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Inhaltt Der gegenwärtige Stand des Orgelspiels in Franken. II. 1. — Corresp. (Stuttgart. Hamburg. Schweiz.) — Nachrichten. 



DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS 

IN FRANKEN/) 



II. 1. 



Die I. Abtheilung unsres Aufsatzes „über den gegenwärtigen 
Stand des Orgelspiels in Franken" behandelte die Ursachen des 
tiefen Verfalls desselben und es wurde dabei auf die zweite Ab- 
theilung hingewiesen, welche die Mittel näher bezeichnen werde, wo- 
durch das gesunkene Orgelspiel wieder gehoben werden könne. Wir 
haben dort unter Andern als die wichtigsten Ursachen bezeichnet: 
1. Die frühere , völligo Vernachlässigung eines gediegenen Klavier- 
und Orgeluntcrrichts und die verkehrte Anschauungsweise der Musik- 
lehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zöglinge. 2. Den 
völligen Mangel an guten Lehrern in diesem Kunstzweige. 3. Den 
mangelhaften Bestand unserer Orgelwerke. 4. Das gesaminte Dicnst- 
verhältniss der Organisten. Dabei haben wir es als die heiligste 
Verpflichtung erachtet, uns vor jeder Uebertreibung aufs sorgfältigste 
zu hüten und da, wo ein Tadel ausgesprochen werden musste , nur 
einzig und allein die strengste Wahrheit zur Richtschnur zu nehmen, 
uns aber um so weniger bestimmen lassen können, schonende Rück- 
sichten eintreten zu lassen, da wir schon öfters in diesem Betreif 
die Feder ergriffen, ohne gründliche und radikal« Abhülfe errungen 
zu haben ; da uns die Wichtigkeit der Sache zu sehr am Herzen 
liegt , als dass wir sie durch allzu grosse Schonung und Nachsicht 
gefährden dürften, und überdies zeigte das von Seite unserer hohen 
Staats-Regierung erlassene Rescript (Nr. 43, S. 170) so viel guten 
Sinn für diesen kirchlichen Gegenstand , dass wir gerade in diesem 
Moment, den wir für den geeignetsten hielten, auch nicht im Min- 
desten etwas auf dem Herzen behalten zu dürfen glaubten. Wir 
haben im negativen Theile unsrer Arbeit unter andern als einen 
sehr grossen Missstand das gesaminte Dienstverhältniss 
der Organisten berührt und dort neben der Uebcrbürdung und 
schlechten Besoldung , die mit den zu bringenden Opfern , mit der 
Mühe und Schwierigkeit der Leistung in gar keinem Verhältniss 
steht, hauptsächlich auf die durch und durch unzweckmässige Beauf- 
sichtigung , die der hohen Aufgabe der Kunst ganz und gar unwür- 
dige Organisation bei Inspicirung des Kirchlich-Musikalischen hin- 
gewiesen. Wir sagten dort, dass es möglich sei, auch da Abhülfe 
zu treffen^ ohne die Kirche in ihrem Auf-sichtsrecht zu beeinträch- 
tigen, daher wenden wir uns in unserm positiven Theile, der die 
Mittel zur Hebung des gesunkenen Orgetspicls aufzählt, sogleich zur 
Ueberwachung des Kirchlich-Musikalischen und schlagen vor Allem 
zur Abhülfe des Uebels 1. eine sachverständige Beauf- 
sichtigung der Organisten vor. 

Bei der bisherigen nicht sachverständigen Beaufsichtigung der 
kirchlichen Musik im Allgemeinen, ebenso des Gesangunterrichtes in 
Volksschulen, handelte es sich unbestreitbar nur um das „Was"' 
nicht aber um das „W i e". Wenn Kantor und Organist auf ihrem 
Posten waren und sich keine Verletzung der Form ihrer Dienstes- 



*) S. Nr. 43. 44. d. Blattei. 



Obliegenheiten zu Schulden kommen Hessen, so war die ganze Sache 
in Ordnung. Wie aber die Dienstesfunktionen vollzogen wurden, 
ob „sc h 1 e cht", „m i t te 1 mä s s i g", „g u t", „sehr g u t", vor- 
züglich", „ausgezeichnet" etc. etc. , welche Berufsbe- 
fähigung überhaupt dem Organisten eigen sei , welche Wirkung er 
durch sein Spiel bei der Gemeinde hervorbrachte etc., das konnten 
die bisherigen Inspectoren der kirchlichen Musik mit wenigen Aus- 
nahmen nicht beurtheilen ; denn um dieses gründlich bcurtheilen zu 
können, muss man im Fache der kirchlichen Musik ästhetisch-histo- 
risch und theoretisch-praktisch gebildet sein und ohne diese kirchlich- 
musikalische Bildung ist nie und nimmer irgend jemand im 
Stande, sich bei seinem Urtheil über den Organisten klar der Gründe 
bewusst zu werden, die ihn bei seiner Beurtheilung desselben leiten. 
Zwar hat man in der neuern Zeit durch Geltendmachung des Satzes : 
„Die kirchliche Musik müsse geistlich gerichtet werden," eine 
Urtheilsfähigkeit , auch in Ermanglung der nöthigen Fachkenntniss, 
zu usurpiren bestrebt ; allein es sieht Jedermann beim ersten Blick, 
dass dieser Satz falsch ist. Die Organisten und Kantoren waren 
bisher im glücklichsten Falle sich selbst überlassen ; bei Allem, was 
das Kirchlich-Musikalische anlangt, waren sie ohne Rath und ohne 
Hülfe. Wir machen aber im Leben so häufig die Erfahrung , dass 
gerade solche Leute, die von irgend einer Sache wenig oder nichts 
verstehen, am liebsten darein reden und steht ihnen dann noch eine 
amtliche Befugniss zur Seite, so treten sie, eingedenk des Satzes: 
„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand" 
dietatorisch auf und werden dann für ihre Organisten und Kantoren 
eine um so grössere Pein , je gründlicher diese in ihrem Fach ge- 
bildet sind und je entschiedener sie ungereimte Anforderungen in die 
gebührenden Schranken zurückweisen. Thun sie dieses, dann ist es 
um sie geschehen und wenn sie in ihren Leistungen Götter wären. 
Ich erinnere hierbei nur an das jüngste Schicksal eines unsrer 
grössten Theoretiker , Componistcn für die Orgel und praktischen 
Meisters auf derselben, sowie allgemein hochgeachteten Mannes im 
Fache des Orgelbaues. Diesem Hauptübel könnte wohl abgeholfen 
werden, wenn dieser Quasi-Aufhicht eine sachverständige beigegeben 
würde. Es verbleibe zwar den Herrn Geistlichen einer Diöcösc oder 
eines Dekanat-Bezirkes die allgemeine Aufsicht über das Kirchlich- 
Musikalische ; aber ihnen werde ein Mann beigeordnet, der sich alle 
Zweige des musikalischen Theils des Gottesdienstes und die Vorbe- 
reitungen dazu eigen gemacht, der sowohl im Theoretischen, 
als Praktischen eine gründliche Bildung besitzt, namentlich aber 
im Fache des Orgelbaues gründliche Studien gemacht und sich 
reiche Erfahrungen hierin erworben hat. In jedem Districte könnte 
man Einen solchen Mann ernennen, der bei Kirchen-Visitationen 
dem Dcchant zur Seite stünde und der dann im Benehmen mit diesem 
Choralgesang, Orgelspiel, Kirchenmusik , Gesangunterricht einer nio- 
tivirten, gewissenhaften Beurtheilung unterstellte, der vor Allem auch 
bei der Qualifikation der bei der Kirche angestellten Männer seine 
Stimme abzugeben hätte, damit die alten unrichtigen Qualifikations- 
listen endlich berichtigt würden, der die Choral- und Melodiebücher 
revidirte , der Verwirrungen im kirchlichen Geschmacke zu rügen 
und auf den richtigen Weg hinzuleitcn hätte , der von Zeit zu Zeit 



— 190 — 



den öffentlichen Gottesverehrungen beiwohnen müsste, der die musi- 
kalischen Confercnzen der Lehrer leitete und immer für einen zweck- 
mässigen Stoff im Kirchlich-Musikalischen eifrige Sorge trüge. Wie 
nothwendig ein solcher Mann , den man Districts-Musik-Direktor 
nennen .könnte, in jedem District wäre , springt in die Augen , be- 
sonders aber durfte man nur ein Mal eine musikalische Conferenz 
besuchen und Zeuge sein, welch devote, durchaus nicht aus eigner 
Uebcrzeugung geschöpfte Urthcile über den rhytmischen Choral, 
seine Einführung und dergleichen Gegenr fände hin und wieder aus- 
gesprochen werden , wie Conferenz vorstand und Mitglieder in der 
Irre herumfaseln , welche Missgriffe bei der Einführung des rhyt- 
mischen Chorals selbst gemacht und wie wenig überhaupt man in 
den klassischen Geist dieser alten Kirchenkompositionen eingedrungen 
ist. Noch könnte man dem Districts-Musikdircktor die jährlichen 
Musikprüfungen der Schulaspiranicn übergeben, sowie das gesammte 
Orgelbauweson im District unter seine Aufsicht stellen. Er hätte 
ferner zu unterscheiden, ob eine Reparatur oder ein Neubau nöthig 
sei; die Disposition, Kostenvorschläge etc. zu entwerfen, oder ein- 
gereichte zu prüfen, bei der Abnahme des Werks anwesend zu sein, 
unter Zuziehung eines geschickten und rechtlichen Orgelbauers 
die Reparatur ausführen zu lassen und nach vollendeter Arbeit das 
reparirte oder neue Werk zu übernehmen. Dass auf diese Weise 
Kirche und Gemeinde vor bedeutendem Schaden bewahrt bleiben, ist 
erklärlich, wenn man in der Praxis die bedeutenden Ueberforderungen 
der Orgelbauer, ihre gar häufig dafür gelieferten den Kostenvoran- 
schlägen durchaus nicht entsprechenden Leistungen und die groben 
Betrügereien kennt, womit sie Gemeinde und Kirche gar häufig über- 
vortheilen. So ist dem Referenten genau bekannt , dass ein Orgel- 
bauer sich nicht scheute , Zinnregistcr herauszunehmen , an Zinn- 
giesser zu verkaufen und statt dessen gar nichts, oder nur ein Holz- 
register einzusetzen. Wie können Organisten, unter deren Augen solch 
auffallender Betrug unbeachtet vor sich gehen kann, einen Orgelbau 
oder eine Reparatur beaufsichtigen? Hier ist durchaus ein Mann, 
wie der Dislricts-Musik-Director nöthig. Alle seine Funktionen 
speciell noch anzuführen möchte hier zu weit führen , da unser 
Zweck durch blosse Andeutung erreicht sein dürfte. Was den 
Kostenpunkt anbelangt, so kann dieser kein Hinderniss sein, weil 
der Districts-Musik-Direktor bereits ein im kirchlichen Amt stehender 
Mann wäre, dem höchstens angemessene Diäten und eine ge- 
nügende Entschädigung für allenfalls ige Versäumnisse zu verab- 
reichen wären und zwar von jenen Gemeinden , für welche er seine 
Thätigkeit verwenden müsste. Es hätte also Staat und Kirche gar 
keine Kosten und die Gemeinden würden dabei auch nur gewinnen. 

(Schluss folgt ) 



-<-.«.£.. 



CORRESPONDENZEN. 



AUS STUTTGART. 

Im November. 

Nach der ersten Oper unseres im September wieder eröffneten 
Theaters, „Joseph" von Mchul, zu schliesscn, durfte man eine Reihe 
guter Bühnenwerke und gelungene Aufführungen erwarten. Wenn 
dies bisher nicht ganz nach Wunsch eingetroffen ist, so liegt wohl 
ein gewichtiger Grund darin , dass die beiden Fächer der ersten 
dramatischen und der ersten Coloratursängerin immer noch nicht 
bleibend besetzt sind, sondern für Gastrollen offen stehen. Wir 
haben zwar gegenwärtig zwei Damen , denen ein bedeutender Ruf 
zur Seite steht; allein bei Gastrollen leidet gewöhnlich das Reper- 
toire an Einseitigkeit und das Ensemble in Gesang und Spiel an 
Vielseitigkeit. So hörten wir wieder die alten Bekannten Lucia, 
Martha, Liebestrank, Norma, Regimentsto^hter u. s. w. Eine erfreu- 
liche Ausnahme macht die ohne fremde Kräfte unternommene Auf- 
führung von Marschner's Hans Heiling. Hofkapellmeister Kücken 
hat diese hier noch unbekannte Oper für das Geburtsfest des Königs 
einstudirt , und die Mitwirkenden hatten sichtlich viel Fleiss darauf 
verwendet. Dennoch fand das Slück nicht den gewünschten Erfolg. 
Einerseits ist das Publikum zu sehr an grelle , übertriebene Effekte « 
gewöhnt, und hat nicht mehr den rechten Appetit für die solide 
deutsche Kost eines Marschner ; die Italienische und Pariser Küche 



liefert viel pikantere Speisen : anderseits sind unsere Sänger , wohl 
durch dieselbe Firma verführt, nicht mehr fähig, im Charakter ihrer 
Rollen, im Spiel und im Gesang das richtige Mass zu finden. Pischek 
undSontheim, beide von der Natur mit herrlicher Stimme ausgerüstet, 
lieben es, bei jeder leidenschaftlichen Stelle, ja leider oft ganz am 
unrechten Platze, in ein Fortissimo auszubrechen, dass die Zuhörer 
erschüttern — müsste , wenn es sparsam und nur an passender 
Stelle mit wahrem Vcrständniss dessen , was der Componist will, 
angewandt würde. Der augenblickliche Beifall des grossen Haufens, 
dem ein solcher Ausbruch der Leidenschaft mächtig, grossarlig, hin- 
reissend, unnachahmlich erscheint , ist zwar die erste Folge , aber 
der Ruin der Stimme schleicht sicher hinterher und wird auch die 
kräftigste Natur vor der Zeit erfassen. Oder wäre das Tremoliren 
der oben genannten Herren nur eine willkürliche Manier , und nicht 
vielmehr das untrügliche Zeichen verlorener Elaslicität der Stimme? 
Pischek mit seiner imponirenden Gestalt und Stimme brachte als 
Meister Heiling das Dämonische seiner Rolle zur vollen Geltung, 
überhaupt wusste er den Charakter im Ganzen richtig wiederzugeben. 
In einzelnen Momenten stimmte aber sein Vortrag nicht immer mit der 
Musik überein, wie er z. B. der herrlichen Arie „An jenem Tag da 
du mir Treu versprochen" durch zu leidenschaftliche Behandlung, 
namentlich Uebereilcn einzelner Takte, zu bald eintreffendes Crescendo, 
an Ausdruck und Wirkung offenbar schadete. Die Parthic des Conrad 
hätten wir eher Herrn Jäger gewünscht, als Hrn. Sontheim, der mit 
seiner starken schneidenden S limine ebenbürdig dem Geisierfürslen 
Heiling gegenüberstand, während Jägers sanfteres Organ einen 
schönen Contrast gegen den gewaltigen Pischek gebildet hätte. Das 
Cantabile des Herrn Sontheim z. B. im Finale des zweiten Aktes 
war nicht zu loben. Frl. Eschborn, eine junge frische Stimme, 
sang die Anna recht brav , doch licss sie sich einigemal verleiten, 
Marschners Verzierungen zu verwechseln mit gewöhnlichen italienischen 
Coloraturen, die nach Belieben verändert, ritardirt oder beschleunigt 
werden dürfen. Eine fremde Einlage für sie im zweiten Akt schien 
uns überflüssig- Von der Leistung einer Debütantin als Königin der 
Erd- und Oucllengeister zu sprechen, ist hier nicht am Platze, wohl 
aber darf getadelt werden, dass man diese wenig dankbare Rolle 
für ein erstes Auftreten, und dass man für dies ers>(e Auftreten eine 
Festoper gewählt hat. 

Nach Hans Heiling hatten wir das Glück, Beethovens Fidelio in 
recht gelungner Aufführung zu hören. Es ist eine Freude, sagen zu 
dürfen, dass hier alle Mitwirkenden ihre Aufgabe genügend erfüllten. 
Mad. Palm in der Titelrolle zeigte ein wohlbedachtes Steigern, spielte 
gut und sprach deutlich aus , zwei wichtige Dinge, welche sie sonst 
oft vernachlässigt. Der etwas harte Klang ihrer Stimme war in dieser 
Rolle nicht so fühlbar, wie z. B. in der Jüdin neben dem geschmei- 
digen Organ der Frl. Eschborn. Unser Bassist, Hr. Lehr, sonst et- 
was hölzern , war als Rocco eigentlich klassisch zu nennen. Diese 
Partie sagt seinem Wesen vollkommen zu. Unübertrefflich ist Herr 
Rauscher als Florcstan; und diese drei vereinigten sich im zweiten 
Akt zu einem Ensemble, wie man es hier nicht oft so gediegen findet 
Bei der bekannten Stelle in dem Grab-Ductt lässt die Regie neuer- 
dings den Stein aus der Cisterne herauf werfen, vermuthlich weil 
in der Musik die Bassfigur aufwärts steigt. Sollte das richtig sein ? 

Zwischen Theater und Concertc stellte sich diesmal ein Zwitter- 
geschöpf, indem ein hiesiger Musiklehrer, der sich Professor der 
Gesangkunst nennt, eine dramafisch-musika lisch« Abendtinterhallung 
veranstaltete, worin Opernscenen von Bellini, Donizctli, Meyerbecr 
und moderne Lieder zu Gehör gebracht wurden. Die Aufführung 
geschah durch Dilettanten und zu wohlthätigen Zwecken. Costüme 
und Dekorationen waren recht schön. 

Am 18. October gab unser Landsmann W. Krüger ein Concert, 
das von seiner Meisterschaft auf dem Piano ebenso glänzende Be- 
weise gab, als von der allmählig um sich greifenden Abstumpfung 
des Publikums für Virtuosenleistungen. 

Den Cyklus der zwölf Abonncments-Conccrtc unserer Hofkapelle 
eröffnete Lindpäinincr mit einer Fest-Ouvertüre von Rictz , welche 
auf die Zuhörer wenig Eindruck zu machen schien. Die brav ge- 
arbeitete und instrumenlirte Compositum hat keine bedeutende Melodie: 
der Hauptmangel unserer Zeit Reich an Melodie aber unpassend 
für den Conccrt-aal war das darauffolgende Ave verum corpus von 
Mozart. Ein so durchaus kirchliches Musikstück sollte nicht zwischen 
eine Concerlouverlürc und ein Ciavierstück gestellt werden. Krüger 



— 191 — 



spielte das A-moll Concert von Schumann, eine höchst schwierige 
aber interessante Composition, und für Stuttgart ein Ereigniss, denn 
der Name Schumann war hier fast unbekannt. Mancher treue An- 
hänger der älteren Musik musste dabei gestehen, dass auch die 
„Neuromantiker*' was Tüchtiges leisten können. — Die erste Ab- 
theilung des Programmes füllten dann kleinere Stucke, z. B. eine 
Violinfantasie von Artot, vorgetragen von einem unglücklichen zwölf- 
jährigen Mädchen. Unglücklich muss ich alle solche dressirte 
Wunderkinder nennen, bei welchen nur der Fleiss und nicht innerer 
Drang Leistungen möglich macht, die über ihre natürlichen Kräfte 
gehen. Kann denn eine solche Violinvirtuosin später, wenn der 
Reiz der Neuheit schwindet, in einem Orchester angestellt werden, 
oder Violin-Unterricht geben? Beides schwerlich; was dann? — 
Hr. Krüger spielte noch drei kürzere Solopiecen, worunter das Buss- 
lied von Beethoven in der Bearbeitung von Liszt. — Gesangstücke 
wurden vorgetragen von Frau von Marra, Frl. Eschborn und Hrn. 
Jäger, unter welchen der ersleren unbedingt der Preis der Bravour 
gebührt. Mit italienischer Keckheit sang sie die Parade -Arie aus 
dem Barbier. Wichtiger als ihre Kehlfertigkeit scheint uns ihre gute 
Intonation und vortreffliche Ausspracht. — Auf das Vielerlei der 
ersten Abtheilung folgte die Einheit Beethovens. Seine achte Sin-*" 
fonie in F-dur war ein herrlicher Geimss für jedes unverdorbene, 
gebildete Ohr, und wurde recht wacker gegeben. Nur im Trio des 
Menuet setzten die Blasinstrumente nicht immer präcis ein, wodurch 
bei der Triolenfigur der Violoncello das Ganze verschwommen und 
unverständlich klang. Welch göttlicher Humor durchdringt dieses 
Werk, und wie sind die untereinander so eng verwandten Haupt- 
motife der vier Salze meisterhaft in den verschiedensten Wendungen 
verarbeitet und dabei doch immer dem Grundcharakter des Ganzen 
treu geblieben! 

Das zweite Abonnements-Concert brachte keine Sinfonie. Man 
sagt, Hr. Kücken, der mit Lindpaintner in der Direktion der Concerte 
abwechselt, liebe die Sinfonieen nicht? Statt dessen konnte ein hier 
fast unbekanntes Meisterwerk Hummels gelten, das grosse Septett in 
D-raoll. Die Clavierparlhie spielte Hr. Winternitz, Mitglied der 
Kapelle, mit Eleganz und Discretion. Die Gesammlausführung des 
brillanten Stückes war musterhaft. — Die Mehrzahl der Zuhörer 
schien indess noch lebhafter angezogen durch eine Violinfantasie von 
Alard über Themas aus der Regimentstochter, welche Hr. Barnbeck 
mit grosser Bravour spielte. — Mad. Palm sang die letzte Arie der 
Vitellia aus Titus mit obligatem Basselhorn , und das Finale aus 
Mendelssohns Lorcley mit Chor, was wir im vorigen Winter von 
Frau Marlow hörten. — Pischek trug seine Arie aus Hans Heiling 
mit Glut und Leidenschaft vor, aber auch ziemlich mit den oben 
gerügten Fehlern. Die Ouvertüren zu Obcron und Sommernachts- 
traum wurden mit aller Pracht und Feinheit würdig aufgeführt. 



AUS HAMBURG. 

Ende Octobcr. 

Es geschehen bedeutsame Zei<hen am Kunstbimmel unsrer Stadt. 
Wagners „Tannhäuser" soll innerhalb 8 bis 14 Tagen aufdcmStadl- 
theater in Scene gehen Die Anstrengung der dafür nötbigen Proben 
ist so gross, dass auch in diesem Monat die Oper eine seit lange 
ungewöhnliche Verminderung ihrer Leistungen gezeigt hat. Kam da- 
zu, dass die spanische Tänzerin Donna Carnara ihre sinnverwirrenden 
üppigen Darstellungen gegeben hat, so erklärte sich eine in mancher 
Hinsicht so erquickliche Ruhe deutlich genug. Aber nicht allein dass 
das „Werk der Zukunft" vorbereitet wird konnte mich oben veran- 
lassen xon Zeichen der Zeit zu reden , sondern ein eigentümlicher 
Umstand hat diesen Ausdruck hervorgerufen. Durch die Erscheinung 
mehrerer trefflicher Schauspieler haben sich einige gegen frühere ge- 
waltig hervorstehende Dramenaufführungen ermöglicht, die wie mir 
scheint einen tiefen und förmlich zündenden Eindruck gemacht haben. 
Das Publikum, dem seit langer Zeil jede Freude am ernsten Schau- 
spiel abhanden gekommen war (und überall fällt die Kunst durch die 
Künstler) hat mit der lebhaftesten Wärme den lang vermissten 
„Wallenstein's Tod" und ähnliche Dramen gesellen- Dadurch ist bei 
vielen Geniessenden eine Reihe von Gedanken angeregt, welche der 
tyrannischen Art in der die Oper mit ihrem unwürdigsten Reize lange 



jede andere Kunstgattung verdrängte und verdunkelte , sicher viele 
Gegner erwecken wird. Schon öfter habe ich auch unserra Publikum 
eine Stimmung nachgerühmt welche mehr oder weniger bewusst der 
Erkenntniss sich zuneigt, dass wir auf dem Wendepunkt einer gros- 
sen Zeit stehen. Das Gefallen am ernsten Schauspiel zeugt lebhaft 
dafür. Sicher wird in eben dem Masse in welchem die Ausstat- 
tungsoper im Werthe sinkt, die edlere Bühnenmusik bereitwilligere 
und dankbarere Zuhörer finden. Weleh hohen Stand, welch unzwei- 
felhaft allgemeine Anerkennung würde der Genius finden dem die 
Muse verstaltete als Prophet einer neuen Epoche in der Kunst auf- 
zutreten 1 Wird R.Wagner sich dieses hohen Ehrenkranzes bemäch- 
tigen können ? Seine Oper die in wenigen Tagen vor uns erscheinen 
soll, wird ein interressantes Urlheil erzeugen weil durch das Geschrei 
seiner unverständigen Verehrer ein lebhafter Kampf schon seit lange 
entzündet ist. Uebrigens erwähne ich noch, dass Wagner schon vor 
8 Jahren hier seinen Rienzi selbst in Scene setzte, so dass viele 
seiner Hanpfeigenthüfnlichkeitcn uns nicht mehr unbekannt sind — 
Von der Pracht, von der künstlerischen Anordnung und Ausstattung 
mit der ein so viel besprochenes Werk in Berlin , Dresden, München, 
u. s, w. in Scene gesetzt wird, kann hier bei uns gar nicht die Re- 
de sein. Das Orchester enthält nicht die Hälfte der Geiger welche 
neben solcher Verwendung der Blasinstrumente erforderlich sind, 
Der Proben können nur wenige gemacht werden und für die Regie 
würde wohl ein andrer Kopf wünschenswerth sein als der des Herrn 
Rottmayer, welchem zu wenig Porsie zu Gebote steht. Ich brauche 
Kaum zu erwähnen mit welcher Spannung der ersten Aufführung 
entgegen gesehen wird. 

, Herr Lachner, der neue Capellmeister hat, obgleich die wenigen 
bis jetzt gegebenen Opern der Veranlassung nicht so viel als früher 
boten, doch Gelegenheit gehabt sich auf das >Yürdigste einzuführen. 
Mit Vergnügen sieht man die früher so störenden Telegraphenbewe- 
gungen des Directors verschwunden. Die ernsteste Ruhe und saubre 
Feinheit der Direction lässt Gottlob die Sache, d. h. die Musik und 
nicht die Person des Leitenden in den Vorgrund treten. Seine Un- 
tergebnen rühmen mit herzlicher Achtung den mühevollen Ernst, von 
dem seine Proben erfüllt sind. Zudem weiss er seiner Stellung als 
Dirigent nicht aHein nach unten hin die nachdrücklichste Geltung 
zu verschaffen. Die Stellung der Instrumente im Orchester hat eine 
wesentliche Umgestaltung erfahren. Sämmtlichc Bogen Instrumente 
sind auf der eiuen Seite und sämmtlichc Bläser ihnen gegenüber 
placirt, eine Anordnung die sich vortrefflich erweiset, nur dass das 
Ensemble der Geigen doppelt so stark besetzt sein müsstc. Für 
Tannhäuser wird eine solche Verstärkung eintreten. Wenn doch 
die verehrliche Direction sich überzeugen wollte, dass eine dauernde 
Vergrösserung der Orchcstcrmitlcl ihr eignes pekuniäres Interesse 
fördern würde. — Frl. Molendo hat uns verlassen. Alle musikver- 
ständigen Hörer haben in ihr eine äusserst musikalische, sichere 
Künstlerin für Soubretten- und Vertrauten- Rollen scheiden sehen. — 
Ein Frl. Sedlaczek aus Wien hat mit einer noch sehr jugend- 
lich schwachen Stimme und mit einer ans Lächerliche streifenden 
Manier der Bewegung auf der Bühne, die förmlich ein stetes Hin und 
Hertrippeln war, keinen Beifall erwerben können. 1h dem Nacht- 
lager debütirten nach einander Herr Schmidt , der Enkel von Sophie 
Schmidt (der Tragikerin) und am 31. Octobcr Herr Janssen. Während 
der erste seitdem sich weitern Versuchen im Schauspiel zuge- 
wendet, gelang dem Zweiten sein Beginn der Sängerlaufbahn erträg- 
lich , insofern wohl nur Jugend und Befangenheit vieles von dem 
nicht recht wirksam ertönen liessen, was von Natur in ihm zu liegen 
scheint. Das Quartett, welches die Herrn Hafner, Ivcrsen, Breythcr 
und Lee seit Jahren gegeben hatten, erlitt eine plötzliche Störung 
indem Herr Ivcrsen (2. Violine) nach Melbourne ging, hoffentlich wird 
ein anderer tüchtiger Künstler statt seiner eintreten. In derselben 
Weise wie im vorigen Jahre wird am 5. November ein Concert im 
Apollosaal zum Besten der Musikerwittwenkasse stattfinden , in 
welchem der Domchor aus Berlin mitwirkt. Das Programm scheint mir 
nicht geeignet so treffliche Mittel zu rechter Geltung zu bringen. 
Wie ich höre wird der Chor auch in der Petrikirche zum Besten 
der Gustav Adolph, Stiftung singen. Ich bin begierig ob der Beifall 
den er im vorigen Jahr gefunden etwas mehr gewesen ist als da» 
flüchtige Gefallen am Neuen. 



^o«»— 



192 - 



AUS DER SCHWEIZ- 

Anfang November. 

Seit dem Wagner'schen Musikfeste in Zürich, hatte ich Ihrem ge- 
schätzten Blatte nichts zu berichten; denn das eidgenössische Ge- 
sangfest — was Aufführungen für gemischten Chor und Orchester 
zu bringen hat und mit dem des Männerchorgesangs Jahr um Jahr 
abwechseln soll — kam heuer nieht zu Stande, weil sich kein 
Dirigent dazu finden wollte. Das nächstjährige „Sängerfest" (für 
Männerchor) findet in Winterthur statt. 

In Zürich haben die Abonnementskoncerte noch nicht begonnen, 
dafür ist es endlich den Bemühungen von Künstlern, die es mit der 
Kunst redlich meinen, namentlich den Herrn Heisterhagen und 
Schleich gelungen, ein Streichquartett für Aufführungen klassischer 
Werke zu Stande zu bringen. Die Künstler Heisterhagen: 1. Violine, 
Schleich : Cello , — brav unterstützt von den Herren Honegger : 
3, Violine und Bauer : Viola, haben bereits zwei Soireen gegeben, 
worin die Quartette von Hayd'n, G und B-dur, von Mozart B-dur und 
D-moll , von Beethoven F-dur und C- in oll zur ganz gelungenen Auf- 
führung kamen ; Auffassung und Ensemble lassen nichts zu wünschen 
übrig. Das Publikum zeigt erstaunlicher Weise rege Theilnahme. 
Die Stadt Zürich ist endlich mit einer — früher daselbst bekanntlich 
liturgisch verpönten — Orgel beschenkt worden , welche in der 
Frauenmünsterkirche aufgestellt ist. Die Organistenstelle wird ent- 
weder Herrn Kirchner, Organist in Winterthur, den Lesern schon 
wohl bekanut, oder Herrn Natcr in Zürich zu Theil werden. Letzterer 
ist kürzlich vom Leipziger Conservatorium zurückgekommen, und gab 
neulich in Neumünster ein Concert, worin er sich dem Publikum 
auch als gewandter Orgelspieler, wie als Chordirigent kund gab.* — 
Fremde Künstler haben auch schon Zürich besucht, im Sommer 
zwei Turiner, die Herrn Operti, Pianist, und Cirutti , Violinist und 
Trompeter von welchen der Letzterer laut dem Programm der 
Trompete „Oboetöne" entlocken wollte, und zu Anfang vorigen 
Monats die Herrn Sivori und Mulder. Der Erstere, welcher im vorigen 
"Winter in Genf Furore gemacht, verdiente die schwache Theilnahme 
nicht, die ihm hier zu Theil ward. Er ist ein ganz tüchtiger Virtuos, 
spielt Paganinische Werke, dessen Schüler er sich zu sein rühmt (?) 
vortrefflich und hat einen sehr schönen, wenngleich vorherrschend 
sentimentalen und nicht gerade grossen Ton. — Das hiesige Theater 
hat eine traurige Veränderung durch den Tod seines so tüchtigen 
Direktors, Wilhelm Löwe, erlitten, dessen Wittwe die einmal abge- 
schlossenen Contracte, fortsetzt. Als Kapellmeister fungirt Herr 
Eberle von München, ein junger Anfänger, der Ensemble, Chor und 
Orchester noch nicht in seiner Gewalt hat , was schon die grosse 
Schläfrigkeit der Tempos verräth. Die Besetzung ist mangelhaft. 



NACHRICHTEN. 



Wien. Frl. La Grua hat am 4. November als Amine debutirt, 
da es in den Proben zu den Hugenotten nicht rathsam schien, 
sie als Valentine vorzuführen. Nach manchen Berichten hat sich Herr 
Cornet, der ihr 16000 fl. für 9 Monate bewilligte , gewaltig geirrt, 
wenn er geglaubt hat , endlich eine Primadonna comme il faut ge- 
funden zu haben. Ihre Stimme ist klein und voraussichtlich für 
Aufgaben wie Anna, Valentine u. s. w. zu schwach. (Nach Pariser 
Blättern haben ihre Triumphe alles übertroffen !) 

Berlin. Frl. J. Wagner trat nach ihrer Rückkehr zum ersten 
Male als Lucrezia auf. Neu einstudirt werden Catharina Cornaro 
und die lustigen Weiber von Windsor und bis Ende dieses Jahres 
soll Uübezahl von Flotow in Scene gehen. Die Trio-Soiräcn der 
Herrn Stahlknecht und Löschhorn sowie die Sinfoniesoireen haben 
begonnen. Die Singakademie hat unter Grell einen neuen Auf- 
schwung genommen. Sie wird diesen Winter das Alexanderfest von 
Händel und den Elias aufführen. 

Leipzig-. Der Todestag Mendelsohns wurde im Conserva- 
torium durch eine musikalische Aufführung gefeiert. — Die Gebrüder 
Wieniawski gaben mit Beifall einige Concerte im Theater. 

Basel. Die Abonnementskoncerte haben, würdig mit einer 
Mendelssohnschen Sinfonie eröffnet , unter Herrn Reiters Leitung 
begonnen. Dessen Gattin hatte kürzlich in der Martinskiruhe ein 



I geistliches Concert veranstaltet. Der gemischte Chor ein sehr 
gutes Institut, wie es nirgends weiter in der Schweiz besteht — trug 
eine Motette von Bach, einen Chor Palestrinas und den trefflichen 
Psalm Mendelssohns mit Soli „Non nobis" vor. 

Genf» Das hiesige, auch im Sommer geöffnete Theater fristet 
sein Dasein meist mit Reprisen von schon früher genannten 
Opern. Neuerdings, nach dem Beginn der Wintersaison , ist die 
weisse Dame und Caraffas Massaniello hinzugekommen. In Letzterer 
trat ein junger Tenorist, Hr. Killy auf, der vielen Beifall fand. Es 
finden hier nur 3 Vorstellungen statt , wobei die merkwürdige Ein- 
richtung besteht , dass die Opern-Vorstellung stets erst nach der 
Aufführung eines recitirten Stückes , ja oft nach einem 5 aktigen 
Drama erfolgt. 

Zürich. R. Wagners Aufenthalt in Paris mit L i s z t wird von 
seinen hiesigen Freunden als keineswegs mit der Absicht verbunden 
bezeichnet , dort die Annahme und Aufführung einer seiner Opern 
zu erstreben; (die Signale nennen bereits Oper und Bühne, nämlich 
Tannhäuser und Theatre lyrique.) Wir glauben dies um so mehr, als 
Wagner, der Verfasser von „Opera und Drama" ja öffentlich über 
die französische Oper, deren Koryphäen: Auber, Halevy und Meyer- 
beer und die Wertlosigkeit der französischen Sprache in musika- 
lischer Hinsicht den Stab gebrochen hat. 

Brüssel« Der junge Stadtfeld ist am Freitag 11. November 
hier gestorben und wurde Montag früh feierlich begraben. Er war 
erst 27 Jahr 6 Monat alt ! 

Am Samstag ging hier „Les Amours du Diable" über die Bühne 
ohne besondern Succes. Ueberhaupt ist das Theater hier, obgleich 
neuerdings aufs prächtigste ausgestattet, wenig besucht , was wohl 
der Composition der Truppe zuzuschreiben ist. 

Die Geschwister Ferni, beide Violinisten, haben bereits 3 mal 
im Theater de la Monaie gespielt und ziemlichen Beifall geerndet* 
Sie haben ein 4. Concert angezeigt. Den meisten Beifall ernteten 
sie mit der Meditation sur le pr. prelude de Bach par Gounod wovon 
die beiden Schwestern die Violinstimmen ä l'unison spielen. 

Lille. Am 26. October fand das erste Abonnements-Concert 
der Societe symphonique im Saale des „Cercle du Nord" statt und 
wurde in demselben die C-moll Sinfonie von Beethoven recht brav 
aufgeführt. 

Leider musste dieselbe wieder in 3 Theile zerlegt werden , und 
so kam es, dass zwischen dem ersten Satze und dem Adagio , eine 
Romanze aus der Regimentstochter, zwischen dem Adagio und 
Menuelto-Finale, nicht weniger als 3 Arien, ein Männerchor und die 
Ouvertüre zu Zauipa angehört werden mussten. 

Trotz dieses geschmacklosen und thörichten Arrangements des 
Programms, welches übrigens durch die hiesigen Verhältnisse einiger- 
massen entschuldigt wird , war in diesem Concerte doch ein Fort- 
schritt bemerkbar , denn gewöhnlich bestehen die hiesigen Concerte 
nur aus 3 — 4 Tanz-Ouverturen und der Rest des Programms wird 
mit Solo-Vorträgen ausgefüllt, an ein Zusammenwirken von Chor 
und Orchester war bisher nie zu denken. — Gesangvereine von 
Männern und Frauen wie in Deutschland, sind hier der Etiquette 
halber nicht möglich. 

In dem letzten Concerte unterstützte der Männergesang- Verein 
„l'Union chorale" die Societe* symphonique und sang zuerst einen ins 
Französische übersetzten Chor von Abt ziemlich gut und zum Schlüsse 
des Concerts führten Chor und Orchester einen Chor aus dem „Pro- 
scrit" von Verdi auf, welcher bei dem Publikum grossen Anklang 
fand, so dass man hoffen darf in Zukunft öfter und vielleicht auch 
bessere Musik dieser Gattung zu hören. 

Herr Bonneche* und Frl. Rey, sangen mit vielem Beifall ver- 
schiedene Arien, Romanzen und ein grosses oder besser gesagt, sehr 
langes Duett aus dem Belisario. *." 

Y Wenige Tage nach dem Bcgräbniss von Onslow, starb 
Zimmermann, seit 1816 Professor des Pianoforte am Pariser Conser- 
vatorium, aus dessen Schule die sämmtlichen französischen Ciavier- 
Virtuosen der Gegeuwart hervorgegangen sind. 



Berichtigung. 

Wir biHen folgende sinnentstellende Druckfehler, welche sich In der letzten Nummer 
Anden, zu berichtigen. Im „Schlusswort des Referenten" muss es heissen S. 18ff. Sp. 2. 
Z. » von unten statt „gross ten fcebelstinde" „gerügten Uebelstande." S. 187. 8p. i. 
Z. 12, 13. von oben statt „den Laien angezeigt' * „d letalen angeregt werden solle n." 

Verantwortitcher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Druck van REUTER u, WALLAC in Ma ni. 



2. Jahrgang. 



W*. 49. 



5. Decbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeltung erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen rostiatern, 
Musik- and Buchhandlungen. 



REDICTM UND VERLAG 

TOD 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT fr CO. 



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Quartal. 



Inhalt I Der gegenwärtige Stand des Orgelspiels in Franken. II. 8. — Corresp. (Wien. Stuttga: — Nachrichten. 



DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS 

IN FRANKEN. 



II. 2. 



Eine sachverständige Beaufsichtigung des Kirchlich-Musikalischen 
würde sich nur zu bald überzeugen, dass bei dem gegenwärtigen 
Bestand des Lehrwesens im Orgelspiel .nichts Erkleckliches erzielt 
werden könne und als vorzüglichstes Mittel zur Hebung des Orgel- 
spiels 2. die Aufstellung tüchtiger Lehrer in diesem 
kirchlichen Kunstzweig bei Pr Spar and e n-Anstal ten 
und Seminarien f ür nö t hi g erach t en. Dass sich gegen- 
wartig bei uns viele Lehrer officiell mit Orgelunterricht be- 
schäftigen, die zu allem andern eher tauglich wären als dazu, ja gar 
häufig nicht ein Mal ein geeignetes Instrument dazu haben, weiss 
Jedermann, der nur einige Umsicht und einige Personalkcnntniss im 
Kreise jener Männer besitzt , die die kirchlich-musikalischen Dienst- 
leistungen und den Orgelunterricht zu besorgen haben. Da übrigens 
jeder Lehrer hiezu die kirchliche und staatliche Genehmigung bedarf, 
so sollte man glauben, es könnten nur brauchbare Subjccte hiezu 
gelangen ; allein es ist dem nicht so ; denn die Ernennung zu Prä- 
paranden-Lehrern, die bei uns den Orgeluntcrricht zu ertheilen haben, 
hängt meistens von äusserlichen Rücksichten ab, wie ich das schon 
in der ersten Abtheilung klar und unumwunden aussprach, 
besonders aber wirken persönliche Ansichten der Vorgesetzten, in 
der neuern Zeit vor Allem der politische und religiöse Standpunkt 
des Mannes sehr bedeutend ein. Wenn aber auch diese für unsre 
kirchliche Kunst hemmenden und beklagcnswerthen Erscheinungen 
beseitigt und ein gerades , offnes , ehrliches und partheiloses Ein- 
greifen in die Sache selbst an deren Stelle treten würde, so könnte 
trotzdem eine entsprechende, auf Verdienst im Bereiche kirchlicher 
Kunst gestützte und das Unterrichtswesen im Orgclspiel fördernde 
Auswahl des Lehrcrpersonals nicht Platz greifen , weil die Basis 
dieser Auswahl eine unrichtige Qualificationslistc ist, 
die von gar nicht sachverständigen Männern amtlich aufgestellt, 
und angefertigt wurde. Es müssten also, wenn eine Aenderung der 
traurigen Verhältnisse in kirchlich-musikalischer Beziehung herbei- 
geführt werden sollte, diese alten, unbrauchbaren Qualificalionslisten, 
die, gelinde gesagt, auf unzähligen Jrrthümern beruhen 
müssen, cassirt und deren Stelle durch neue mit Zuziehung des 
Dislricts-Musik-Directors ersetzt werden, nach welchen dann eine 
gewissenhafte Auswahl der Lehrer im Orgelspiel statt zu finden 
hätte. Die Grundsätze, welche hierbei beobachtet werden müssten, 
die Forderungen, welche man überhaupt an einen Lehrer des Orgel- 
spiels zu machen berechtigt wäre , was dabei vorzugsweise berück- 
sichtigt zu werden verdieute, und was nicht, kann hier nicht ange- 
geben werden, sondern ist die Sache der Behörde, und wenn die 
Wahl des Districts-Musik-Direktors gelungen ist, dann werden wir 
auch bald gute Lehrer im Orgelspiel, bald gute Organisten besitzen 
und der Segen würde für unsre kirchliche Erbauung von Jahr zu 
Jahr progressiv wachsen. Haben wir einmal tüchtige Lehrer, dann 



werden wir auch, da s. : . 
und Wirkung, einen na.*» 
organische Entwickluir 
und Orgelunterricht f 
sieht, wie in #tr § 
ausführliche Methodijf _ a 



beides zu einander verhält wie Ursache 
cmässen, methodisch-geordneten, auf die 
r kirchlichen Tonkunst gebauten Klavier- 
n. Es kann ebenso wenig in unserer Ab- 
Tendenz dieses Blatts liegen, hier eino 
gesammten Klavier und Orgelunterrichts 
zu geben ; nur' allgemeine Anhaltspunkte mit strenger Bezugnahme 
auf das in der 1. Abtheilung sub. 1. Gesagte , nur Vorschläge und 
Winke über den materiellen Theil dieser Unterrichtszweige, nur An- 
deutungen über das „Was,' 4 aber nicht über das „Wie", sollen 
und können hier mitgetheilt werden. 

Wir haben in der I. Abtheilung hauptsächlich unsern Tadel 
gegen die frühere, völlige Vernachlässigung eines gediegenen Klavier- 
und Orgelunterrichts und gegen die verkehrte Anschauungsweise der 
Musiklehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zöglinge, 
sowie gegen die Mangelhaftigkeit und Lückenhaftigkeit des früheren 
und zum Theil noch bestehenden Unterrichts gerichtet und verweisen 
auf jene in Ablbeilung I. , sub 1. aufgestellten Behauptungen. Es 
fragt sich nun, wie ist diesen Uebelständen im Kirchlich-Musika- 
lischen gründlich abzuhelfen? 

Ich dächte, es müsste dabei folgendes geschehen: Neben einem 
methodischen Klavier- und praktischen Orgel-Unterricht müsste vor 
Allem auf unseren Präparanden-Austalten und Seminarien, oder bei 
der Vor- und Seminarbildung jenes complicirte Akkorden-System* 
dessen tiefe Nachtheile wir weiter oben schilderten, beseitigt und 
durch ein natur- und sachgemässeres , einfacheres ersetzt werden. 
Bei der Aufstellung aller möglichen Grund-Akkorde müsste man 
allenfalls Reductioncn derselben eintreten lassen bis auf folgende : 

I. In der Durtonart. 

Auf der 1. Stufe ein grosser Dreiklang und grosser Septimenakkord. 

Auf der 2. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord. 

Auf der 3. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord. 

Auf der 4. Stufe ein grosser Droiklang und grosser Septimenakkord. 

Auf der 5. Stufe ein grosser Dreiklang und der Domiuantcnseptimen- 
akkord. 

Auf der 6. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord. 

Auf der 7. Stufe ein kleiner verminderter Dreiklang und kleinver- 
minderter Septimenakkord. 

II. In der Molltonart. 

Auf der 1. Stufe ein kleiner Dreiklang. 

Auf der 2. Stufe ein verminderter Drciklang und ein kleinver- 

miudcrter Septiroenakkord. 
Auf der 4. Stufe ein kleiner Drciklang. 
Auf der 5. Stufe ein grosser Dreiklang und der Dominantcnseptimen- 

akkord. 
Auf der 6. Stufe ein grosser Dreiklang und grosser Septimenakkord. 

Hieraus ergeben sich als die gebräuchlichsten Grundakkorde der 
grossse, kleine und verminderte Dreiklang, der Doinjnant-Septimen- 
akkord, der grosse, kleine und klcin-verminderte Septimen-Akkord, 
also überhaupt 3 Dreiklänge und 4 Vierklänge. Die Nonenakkorde 
in der Durtonart können bei weggelassenem Grundton keine andere 



194 



Septimenakkorde geben, als in den Grundakkorden angeführt worden n 
sind. Sie unterscheiden sich von denselben durch ihre Fortschreitung 
in den um eine Stufe höher ligenden Dreiklang oder Septimenakkord, 
während die Grund-Septimen-Akkorde sich in den eine Quarte höher 
liegenden Dreiklang oder Septimen-Akkord auflösen. Will man 
dieser beträchtlichen Verminderung alter möglichen Grundakkorde — 
wodurch das Elementarstudiuin der Harmonielehre schon sehr be- 
deutend erleichtert, der Geist frisch bleibt und eine Masse Zeit ge- 
spart wird , die man für die nöthige Technik verwenden kann — 
allenfalls noch die Lehre vom übermässigen Dreiklang und von den 
gebräuchlichsten Nonen-Akkorden , den grossen Nonen-Akkord auf 
der 5. Stufe der Dur-, den kleinen Nonen-Akkord auf der 5. Stufe 
der Moll- , den grossen Septimenakkord mit grosser None auf der 
1. und 4. Stufe beifügen , so dürfte Stoff genug geboten sein und 
wenn sich dann damit noch die Lehre von den Vorhalten, dem regu- 
lären und irregulären Durchgang und den vorausgenommenen Tönen 
verbindet , so wird der junge Organist selten bei Anwendung und 
Analysirung der Harmonien in klassischen Orgel-Kompositionen in 
Verlegenheit kommen. Neben diesem theoretischen Unterrichte gehe 
der technische Unterricht im Klavier und Orgelspiel und mit beiden 
verbinde sich die musikalische Satzlehre, die schon bei den Klavier- 
übungen der Kompositionen von Czerny, Clementi, Bertini, Hummel, 
Haydn, Mozart etc. {ihren ersten Anfang nehmen und von da auf 
die leichteren Orgel-Uebungsstoffe von Rink, Schätze, F. Schneider 
Herzog etc. übertragen werden soll , bis dann später die Lehre des 
Contrapunkts, der Imitation , der Fuge hinzukommt und es möglich 
macht , grössere Werke , die Compositionen eines S. Bach etc. vor- 
zunehmen. Als Uebergang zu diesen kann dienen: Vorschule zu 
Joh. Sebastian Bachs Orgel- und Klaviercompositionen (Gradus ad 
Parnassum Opus 4) von dein trefflichen Kühmstedt , dessen 
„Kunst des Vorspiels Op. 6, oder die Kunst der Entwicklung eines 
musikalischen Motivs 11 etc. und insbesondere zur bleibenden und 
klaren Begründung des musikalischen Satzbaues 25 leichte und 
melodiöse Präludien von Kühmstedt Op. 12 u. dergl. m. Besonders zu 
empfehlen ist noch Herzogs praktisches Hülfsbuch für Organisten 
Op. 10 und dessen praktischer Organist Bd. 1 — 4, sowie die 
treffliche Orgelschule von Schütze und die 48 Trios von Fr. Schneider. 
Tritt nun zu diesem allen noch eine übersichtliche Darstellung der 
Geschichte der Tonkunst, insbesondere der kirchlichen, und ein kurz- 
gefasster auf Anschaulichkeit gegründeter Unterricht im Orgelbau, 
dann eignet sich der junge Organist für einen kirchlichen Beruf, vor- 
ausgesetzt, dass er Talent, Fleiss und Liebe für die Sache hat und 
ihm vom Staat und der Kirche Verhältnisse geboten werden, die 
ihm eine nach allen Seiten hin genügende Erfüllung seiner Berufs- 
pflichten ermöglichen. 

(Fortsetzung folgt.) 



MM*- 



CORRESPONDENZEN, 



AUS WIEN. 

Anders Wieder-Auftritt. 

Betäubt von dem Beifallsjubel, den ein freudetrunkenes Publikum 
seinem Liebling einen langen Theaterabend hindurch in allen Ab- 
stufungen begeisterter Extase darbrachte , taumelte ich nach Hause. 
Vergebens suchte ich die Eindrücke der heutigen Aufführung von 
F 1 o t o w s „Martha" in meinem Gedächtniss zu ordnen , vergebens 
wollte ich zu einer ruhigen Anschauung der Leistungen des ge- 
feierten Lieblings gelangen , es ging nicht. Noch immer tobte der 
Beifallssturm , der sich wie ein wilder Orkan von den Gallerien 
nieder wälzte, und wieder vom Parterre wie der Samum der Wüste 
betäubend zu den Gallerien aufwirbelte , in meinen Ohren, noch 
flirrten mir die zahllosen Blumen- und Kränze - Spenden vor 
den Augen , Gehör und Gesicht umgarnt von den sinnverwirrenden 
äusseren Eindrücken sind nicht im Stande sich Rechenschaft zu 
geben von. ^sm Chaos , den sie in sich aufgenommen , der kritische 
Nerv ist gelähmt, und es bleibt nur das Bewusstsein einer Verhim- 
melungsorgie beigewohnt zu haben, wie ich sie noch von keinem 
Publikum einem Künstler zu Ehren begehen sah. Herrn Anders 



i 



erstes Auftreten nach seiner längeren Unpässlichkeit bildet einen 
bleibenden Moment in der Geschichte der Künstler-Ovationen I — 
Die grossen Anstrengungen auf der letzten Kunstreise hatten die 
Stimmkraft dieses Sängers bedeutend erschüttert, so dass er nach 
seiner Heimkehr und nachdem er hier einigemale aufgetreten , von 
einem bedenklichen Unwohlsein ergriffen wurde , das die übelsten 
Folgen erwarten liess. Mehrere Tage drehte sich die Residenz zum 
Trotz aller politischen Interessen, einzig und allein um den Unfall 
welcher, den Sängerliebling getroffen, und wie es gewöhnlich der 
Fall ist, wurde das Uebel von Frau Fama noch um ein Bedeutendes 
vergrössert. Man gab die Stimme Anders bereits schon verloren 
und mit ihr so viele Genüsse, die sie noch für die Zukunft in Aus- 
sicht stellte. Einzelne Berichte welche über seine Besserung von 
dem Landaufenthalte einlangten, kamen nicht ins allgemeine Publikum 
und wenn sie sich auch bis dahin Bahn brachen , waren sie doch 
nicht im Stande, die Befürchtungen ganz zu entkräftigen. Plötzlich 
kehrt der Liebling nach der Residenz zurück und schon nach wenigen 
Tagen verkünden die Zeitungen sein erstes Auftreten in „Martha" 
Wer das hiesige Publikum kennt, der wird es begreiflich finden, dass 
an diesem Abend die Räume die Andringenden nicht aufnehmen 
konnten, wem aber der Charakter der leicht erregbaren Wiener nicht 
ganz unbekannt, den kann es nicht überraschen, wenn er hört 
wie das trunkene Publikum seinem wiedergefundenen Liebling in aus- 
gelassener Lust entgegenjubelt ! Aber auch nur unter solchen Um- 
ständen können solche Ovationen einem Sänger dargebracht, 
entschuldiget werden , unter andern Verhältnissen müsste jeder 
unbefangne Beurtheiler mitleidig die Achsel zucken über ein Publi- 
kum, das sich in einer so ernsten Zeit aufgelegt fühlt zu so 
stürmischen Ausbrüchen der Lust bei dem Wiederauftritt eines 
Sängers. 

Da die Sommer-Saison, die jetzt zur Ende ist, ohnehin so wenig 
Interessantes in musikalischer Beziehung geboten, um es dem aus- 
wärtigen Lesepublikum mitzutheilen, ergreife ich die Gelegenheit eine 
kleine Charakteristik des Sängers A n d e r , dieses Heldendes 
Tages, zu entwerfen. Es sei mir erlaubt zugleich bei Beurtheilung 
seiner Künstler- Individualität einige geschichtliche Rückblicke in 
sein Leben und seine Kunstbildung zu werfen. 

Die Kunstgeschichte, ja die Geschichte überhaupt, hat sehr 
wenige Beispiele aufzuweisen von so auffallendem Schicksalswechsel 
wie ein solcher in dem Leben des Sängers Ander die Hauptrolle 
spielt. Man hat Beispiele , dass aus der Hefe des Volkes Staats- 
männer hervorgegangen sind, welche Einfluss auf ihre Zeit gewonnen, 
welche Staaten regiert und mit den höchsten Ehrenstellen bekleidet 
waren, ja ein korsischer Artillerie-Lieutenant ist auf den Thron der 
Könige von Frankreich gestiegen und hat dasScepler über Millionen 
geschwungen; allein bei diesen Alien hat das Glück als Führer 
seine Lieblinge erst nach und nach bis zum höchsten Gipfelpunkt 
erhoben; nicht mit Einem male wurde das Höchste erreicht. Mit 
Ander hat das Glück eine seltne Ausnahme gemacht. Er ward 
über Nacht vom obskuren Diurnisten mit einem halben Gulden 
täglichen Gehalt — der gefeierte Liebling des Wiener Publikums, 
vom wenig bekannten Dilettanten — der Mann des Tages! Dass ihm 
das Glück seit seinem ersten Anftreten nunmehr durch 8 Jahre treu 
geblieben, dies mag wohl immerhin in seinem guten Sterne zu suchen 
sein, allein wie Viele vor ihm haben im Künstlerleben Momente ge- 
habt, wo ihnen das Glück freundlich zulächelte, und sie vermochten 
es nicht zu fesseln, sie verstanden es nicht den Augenblick zu be- 
nützen, sie vergassen, dass das Glück ein kokettes Weib ist, das sich 
seine Günstlinge wohl seihst aufsucht dann aber auch von ihnen 
hofirt sein will. Wer könnte es wohl leugnen, dass Herr Ander 
von dem Augenblick an , als das Glück sein in ihm schlummerndes 
Talent schon zur öffentlichen Anerkennung gebracht, sich nicht mit 
allen Kräften bemüht habe , dieses Talent zu pflegen , auf dass es 
im Sonnenschein der allgemeinen Gunst schnell aufwachse und 
erstarke, um eben diese Gunst eiuigermassen zu verdienen ? 

Sie war es auch , welche den Funken , der in seiner Seele ge- 
legen : den Drang Bedeutendes in der Kunst zu leisten , angefacht, 
und so ist Ander ein wahrer Künstler geworden, der mit Fleiss 
und Ausdauer das höchste Ziel zu erstreben sucht. Das Glück hat 
aber auch bei ihm auf die schnelle geistige Entwickelung Einfluss 
genommen, er konnte, von ihm so hoch gehoben, sich nicht herab- 
ziehen lassen zu dem handwerksmässigen Treiben vieler seiner Col- 



- 195 — 



legen. Diese allgemeine Hochschätzung war ihm ein mahnen- 
der Sporn, seine ganze Kraft einzusetzen , nm seine Leistungen auf 
den gleichen Höhepunkt mit ihr zu bringen. Mögen wir es ihr dess« 
halb auch verzeihen , wenn sie im Wettstreite mit den Bestrebungen 
des ehrgeizigen Künstlers öfter in Uebersch Atzung umschlug. 

Was seine Stimme betrifft, so steht diese jetzt in dem kurzen 
Zeiträume von 8 Jahren bereits in ihrem dritten Stadium. Im 
ersten war dieselbe wohl kräftig und umfangreich, doch fehlte ihr 
aller Schmelz, da durch einen fehlerhaften Ansatz der Ton gepresst 
aus der Kehle kam und somit einen Theil seines natürlichen Wohl- 
klanges einbösste. Was kein Studium von seiner Seite und kein 
Unterricht von Gesangslehrern früher zu beseitigen vermochte, 
sollte er auf einer Kunstreise gewinnen. Als Ander damals von 
Dresden zurückgekehrt war, hatte er eine geregelte (oder besser 
die natürliche) Bildung des Tones sich eigen gemacht; seine 
Stimme klang nun frei und zwanglos, ein eigentümlicher Reiz ent- 
faltete sich in seinem getragenen Gesänge > und die Stimme war in 
das zweite Stadium getreten. Wieder einer Kunstreise war es 
vorbehalten , eine neue Veränderung in seiner Stimme zu bewirken 
diese Veränderung aber , ich muss es mit Bedauern sagen , hat die 
Stimme um einen grossen Theil ihrer Kraft und Ausdauer gebracht 
und es ist für den Sänger und auch im Interesse der Kunst zu 
wünschen , dass die Stimme aus diesem sehr bald in ein viertes 
Stadium übertrete ; denn Stimmkraft und Tonfrische ist durch keinen 
noch so künstlerisch tiberdachten und gewandten Vortrag zu ersetzen 
und alle Palliative reichen nicht in der Länge ans; über kurz oder 
lang wird der noch so sorgfältig verhehlte Mangel sichtbar. 

In Bezug auf Darstellung hat der Sänger in der kurzen Zeit 
seiner öffentlichen Wirksamkeit Ausserordentliches geleistet. Immer 
von der Erkenntniss des Schönen geleitet, ist es ihm gelungen, so- 
wohl in Hinsicht auf musikalischen Vortrag, wie auch auf das Spiel 
den strengsten Kunstanforderungen zu genügen. Seine Auffassung 
ist, wenn auch vielleicht nicht immer die ganz richtige, doch stets 
eine poetische. Seiner Characterzeichnung mag man mitunter ein 
zu sichtbares Hinneigen zum Pathetischen vorwerfen, man wird 
ihr jedoch zugestehen müssen, dass sie, hervorgegangen von dem 
Standpunkte einer künstlerischen Anschauung, sich stets über das 
Gemeine erhebt, und nie dem Unküustlerischen huldigt. 

So weit der Künstler und nun nur noch ein Paar Worte über 
den Menschen. Eine wahrhaft poetische Natur im Künstler, 
kann auch im gewöhnlichen Leben niemals dem Gemeinen verfallen 
und ihre Fehler werden gewiss immer tief unter ihren Vorzügen 
stehen. Ander ist auch im Leben eine wahre, ächte Künstlernatur. 
Angenehm im Umgange, leicht erregbar ohne Intrigue , mit empfäng- 
lichem Gemülhe und leichtem Sinn , offen und ^teilnehmend gegen 
seine Freunde und Collegen, wenn eben auch nicht ohne Eitelkeit, 
doch gerne das Verdienst Anderer anerkennend. Ein schöner Zug 
seines dankbaren Gemüthes ist, dass er dem Männergesang- 
Verein in Wien aus dessen Mitte er hervorgegangen, bis auf die 
letzte Zeit treu anhing, eingedenk der aufrichtigen und thätigen Theil- 
nahme , welche die Mitglieder desselben damals bei seinem Hinaus- 
treten in die Oeffentlichkeit für ihn bewiesen. 

Ander ist ein Phänomen am musikalischen Himmel , dem nur 
zu wünschen, dass es sich nicht eben so bald wieder auflöse als es 
überraschend schnell erschienen! — 



p»»o« 



AUS STUTTGART. 

Im November. 

„Giulia oder die Corsen," ernste Oper in 3 Akten von Lewald 
und Lindpaintner, ging gestern zum erstenmal über die «Bühne. Das 
Stück spielt im Jahr 1768 auf Corsica, zu einer Zeit als sich Frank- 
reich und Genua um den Besitz der Insel stritten , und England die 
Unabhängigkeit des Landes vertheidigte. Die Handlung ist folgende: 
Giulia, die Tochter Paolis, des Generals von Corsika, verlobt mit 
einem Grafen Sanvitale, liebt einen Franzosen. Bei einem Zusammen- 
treffen der beiden Nebenbuhler fiel der Graf im Zweikampf und 
Oscar musste fliehen. Von dem Unglückstage an war Giulia geistes- 
krank. — Oscar tritt mittlerweile als Arzt bei der englischen Flotte 



in Dienst, und kommt nun unerkannt unter dem Namen Reynold in 
Begleitung englischer Offiziere auf Paolis Schloss. Nur Lorenzo, ein 
alter Diener des Ermordeten, wird aufmerksam auf die Fremden» 
Der bekümmerte Vater bittet den Arzt , die Heilung seiner Tochter 
zu versuchen. Er führt ihn zu ihr $ sie erkennt ihn nicht. Während 
Paoli gegen die Feinde seines Landes kämpft, sucht Reynold die 
Schwermuth Giulias durch Erinnerung an glückliche Stunden der 
Liebe zu heilen, doch vergebens. Sie erkennt in ihm nur einen 
Freund des Geliebten. Lorenzo belauert seine Schritte, und hat 
schon die vier Brüder des Erschlagenen zur Blutrache geladen. 
Auf dem Platze, wo jener gestorben, bereitet er ein Mahl für die 
Rächer und ihr Opfer. Die Gäste kommen. Man erzählt von dem 
Geiste des Ermordeten , der hier umgehe , bis sein Tod gesühnt sei. 
Sie setzen sich zu Tische. Reynold hat kein Wasser. Da reicht 
ihm Lorenzo den rostigen Dolch , mit dem jene unheilvolle That ge» 
schehen. Reynold springt entsetzt auf, und soll nun mit dem Leben 
büssen. Die Rächer dringen auf ihn ein , da erscheint der Geist , — 
doch nein ! es ist Giulia, die im Augenblicke der Gefahr ihren Ge- 
liebten wieder erkannt. Zugleich tritt Paoli auf, von einer jubelnden 
Volksmenge begleitet. Durch seine Tapferkeit und Englands Flotte 
sind die Feinde besiegt. Unter den Klängen des Rule Brittan/lia 
eilt Giulia, geheilt von ihrem Irrsinn, in des Vaters Arme, und 
dieser gibt ihre Hand dem trefflichen Arzt und treuen Bundesgenossen. 
Nach einmaligem Anhören dieser Oper ein entscheidendes Unheil 
oder gar detaillirte Recension über die Musik zu geben, wäre fart 
unausführbar, jedenfalls ungerecht. Im Ganzen ist der Eindruck 
derselben nicht bedeutend, weil die Oper an verschiedenen Stellen 
zu gedehnt ist, und die Handlung den Zuschauer nicht immer in 
gleicher Spannung erhält Schöne Motive sind viele da , aber nur 
eine zündende Melodie, nämlich das englische Flottenlied Rule Bri- 
tannia. Unter den übrigen glaubt man oft alte Bekannte zu finden» 
Aber reich ist die Musik an dramatischen Effekten, namentlich auch 
in der Instrumentirung. Darunter ist zu nennen das Allegro der 
Ouvertüre, einige Chöre, Quintett am Schluss des ersten Akts , das 
Bild einer Seeschlacht im Anfang des zweiten , die Scene zwischen 
Giulia und Reynold, der Gewittersturm im 3. Akt'., der Schwur der 
Rächer (Quintett) und die ganze folgende Scene; wie überhaupt 
dem Componisten die Parlhien, worin das unheimliche und tragische 
Element der Oper hervortritt, am besten gelungen sind. Werlhvolle 
Gesangnummern sind ausserdem im ersten Akt ein Terzett für & 
Männerstimmen (übrigens gar zu schwierig) , ein Männerquartett im 
2. Finale, und ein Terzett für 3 Soprane im 8. Akt. — Vom 
Orchester wird nicht wenig verlangt, und von den Sängern beinahe 
zu viel. Hätten wir Frau v. Marra nicht , so wäre wohl die Rolle 
der Giulia kaum zu besetzen gewesen. Um so mehr ist die Leistung 
der Dame anzuerkennen. Auch ihr Spiel war ausgezeichnet, und sie 
verdiente den Beifall des Publikums weit mehr als Pischek (Lorenzo) 
welcher manche Effekte in seiner dankbaren Parthie durch Schreien 
und Tremoliren verdarb. Gut waren auch Hr. Rauscher (Reynold), 
Frl Basse (Adina, Freundin der Giulia) und das Quartett der Grafen. 
Ueberhaupt bemühten sich alle Mitwirkenden , dieses nette Werk 
Lindpaintners würdig aufzuführen. 

NACHRICHTEN. 



Frankfürt a. M. Die letzten Tage der verflossenen Woche* 
waren in musikalischer Beziehung sehr reichhaltig, Am Donnerstag 
führte der Rühlsche Gesangverein Händeis Oratorium Allegro und 
Penseroso, Text von Milton, (zum ersten Male in Deutschland) am 
Freitag der Cäcilicn- Verein dessen Josua auf. Samstag endlich ging» 
damit der Contrast nicht fehle, Flotows neueste Oper „Rübezahl" 
zum ersten Male über die Bretter. Der Cömponist war selbst an» 
wesend, um, wie sich ein Blatt ausdrückt, das Frankfurter Publikum, 
welches von seiner so vielfach verkannten Indra entzückt ist, kennen 
zu lernen. Die Aufführung war eine sehr gelungene. Namentlich 
zeichnete sich Mad. Anschütz aus. Mehrfacher Hervorruf belohnte 
die Darsteller wie den Componisten. Die Musik enthält viele wirk- 
ungsvolle Nummern, doch ist im Ganzen auch hier wie bei der Indrav 
eine Abnahme der Kraft des Componisten nicht zu läugnen. 



m 



Darmstnclt. Die musikalische Saison ist eröffnet. Mit Au»u 
«ahme der Streicbquariett-Mattneen, die erst später beginnen werden, 
haben slte Vereine ihre Unterhaltungen begonnen* Der Dilettanten* 
verein mit Aufführung des ersten Thcils von Paulus, der Mozart- 
verein, die Liedertafel und übrigen Genossenschaften, mit den ihrer 
Tendenz entsprechenden Programmen. Zu den bestehenden Vereinen 
gesellten sich in diesem Jahre 4 Conzerte von Seilen der Grosshrzl. 
Hofmusik, wovon bereits das erste stattfand. Beethovens 7te Sin* 
fonie, Mendelssohn's Ouvertüre zur Fingais Höhle, der Gang nach 
dem Eisenhammer mit Musik von B, A. Weber und eine Arie aus 
Titos, war dessen Inhalt. 

Das Hoftheater, welches sich durch eine grosse Mannigfaltigkeit 
seines Repertoirs . rücksichtlich der älteren und neueren Oper der 
verschiedenen Schulen auszeichnet, brachte auch Wagners Tann- 
häuser zur Darstellung und zwar in der glänzendsten Ausstattung 
mit reichen Dekorationen und Costümen. Diese Oper, welche be- 
reits 3mal gegeben wurde, hat natürlich auch hier wie überall, Contro- 
versen in Menge zu Tag gefordert. Dem Erscheinen des Lohengrin 
von demselben wird im Laufe des Winters entgegengesehen. 

Heidelberg. Dem bisherigen Akademie-Musik- Direktor Herrn 
Winkelmeier, welcher als Dirigent der Liedertafel nach Mainz ge- 
gangen ist, wurde vor seiner Abreise von dem Liederkranz ein 
Ständchen gebracht und ihm ausserdem ein silberner Ehrenbecher 
überreicht. 

Köln. Die Herren Derckum, Hartmann , Peters und Breuer, 
welche seit Jahren Quartett-Aufführungen veranstalteten, haben sich 
mit den Herren Pixis, Hiller, Franke und Reinecke zu gemeinschaft- 
lichen grösseren Aufführungen vereinigt. Es werden 6 Abend -Unter- 
haltungen stattfinden , von denen die erste am 15. November ge- 
geben wurde. 

— Am 25. Nov. wurde Wagners Tannhäuser zum ersten 
Male hier aufgeführt. 

Düsseldorf. R. Schumann gibt seine hiesige Stellung, die er 
bei dem allgemeinen Missmuth über seine Leitung nicht länger be- 
haupten konnte , auf und geht nach Leipzig. J. Tausch, welcher 
schon seit längerer Zeit die Uebungen des Gesang- Vereins leitet, 
wird wahrscheinlich sein Nachfolger werden. 

Wien. Das zweite Debüt der Frl. La Grua als Valentine hatte 
sich auch nur eines getheilten Beifalls zu erfreuen. Dieselbe studirt 
gegenwärtig Fidelio ein , welche Rolle wohl ihr Prüfstein werden 
wird. — Die 4 Gebrüder Müller sind angekommen und haben unter 
grossem Beifall bereits zwei Concerte gegeben. Balfe hat seine 
Oper Th — R — oder Keolanthe (die Lesarten sind verschieden), 
die vor 13 Jahren componirt worden, nach Kräften ausgebessert 
um sie vor dem Wiener Publikum Gnade finden zu lassen. Nicht 
weniger als 7 Nummern sind neu dazu gekommen. In Aussicht 
steht Flotows Rübezahl. 

Prag. A. Dreyschock gab hier am Z7. Nov. seine erste Matinee. 
Derselbe trug das G-moll Concert von Mendelssohn , Spinnerlied 
von demselben, den 1. Satz der Sonate pathetique und eine Rhapsodie 
eigner Composition vor. Ein Duett von Veit, „Zwiegesang der Elfen" 
für Sopran und Alt, musste wiederholt werden. Die Franzosen vor 
Nizza, Oper von J. F. Kittl, gingen neu in Scene gesetzt über die 
Bühne. 

Hannover. Tony, die neue Oper von dem Herzog von 
Sachsen Coburg, kam hier zur Aufführung; über den Erfolg lauten 
die Berichte sehr verschieden. 

— Herr Berlioz hat hier im Theater 2 Concerte gegeben. 

Berlin. Im Januar soll die neue Oper von Dorn „die Nibe- 
lungen" zur Aufführung kommen. Die Kosten der Inscenirung be- 
tragen ca. 10,000 Rthlr. 

Iiemberg. Anfangs November gelangte hier eine Oper von dem 
hiesigen Kapellmeister Müller, „Roland von Toggenburg" Text von 
E. Pasque* zur Aufführung, 



Antwerpen* Bazzini giebt hier Concerte. Nach Schluss der- 
selben wird er eine längere Kunstreise in Holland machen, um später 
nochmals nach London zu gehen , wo er in der jüngsten Saison viel 
Beifall gefunden und bei Hof zu spielen sofort eingeladen wurde. 

Paris. In der letzten Sitzung der Akademie wurde der Nach- 
folger Onslows gewählt. Reber siegte mit 18 Stimmen über seine 
Mitbewerber, von denen Clapisson 16 erhielt. In den musikalischen 
Kreisen hat es grosses Aufsehen, dass die Akademie für die vakante 
Stelle Clapisson, David, Niedermayr, Reber und Lebrun vorgeschlagen 
und Hektor Berlioz übergangen hat, obgleich derselbe unter den 
Bewerbern war. 

— Der Contrakt der grossen Oper mit S. Cruvclli ist endlich unter- 
zeichnet worden. Ihr Engagement beginnt von Neujahr an. Ihre ersten 
Rollen werden Jüdin und Valentine sein. Mad. Tedesko trit mit dem 
1. Februar einen 3monatlichen Urlaub an. 

— Seit kurzem ist das Projekt einer „Entreprise geWrale de tous 
les theatres de France" aufgetaucht. — Alle Theater der Departements 
sollen von einer einzigen Administration in Paris geleitet werden. 
Das Capital soll etwa 9 — 10 Millionen Fr. betragen, indem die Sub- 
ventionen und Einnahmen der vorzüglicheren Theater Frankreichs 
in einer fruchtbaren Assocalion organisirt und von einer Central- 
Verwaltung dirigirt werden. Es soll mithin weder Aktien- noch Börsen- 
Spekulation dabei geben. Natürlich wird dem Projekte der Vorwurf 
gemacht, ein Monopol zu gründen. In der That muss man sich die 
Frage stellen , was aus einem Künstler werden würde , der sich mit 
dieser Central- Verwaltung überworfen hätte? Jedenfalls ist das S^°" 
jekt in mehr als einer Beziehung interessant. — Die italienische Oper 
wurde mit Cenerentola von Rossini eröffnet ; der Erfolg dieser ersten Vor- 
stellung war viel versprechend. Die Alboni (Gräfin Trapoli), Tamburini, 
Gordoni und Rossi sangen die Hauptparthien der Oper. 

Die Zweite der vorgeführten Opern war Lucrezia Borgia 
mit Mad. Parodi, einer Novität, die nicht besonders gefallen hat. — 
Am 29. wurden die Puritaner mit der Frezzolini vorgeführt. Jede 
Woche eine neue Oper und eine neue Sängerin. Trotzdem ist die 
italienische Oper auch in diesem Jahr — schlecht und die Unter- 
nehmer werden wie gewöhnlich die Zeche bezahlen müssen. Sogar 
französische Blätter, die sonst zu den eifrigsten Verfechtern der ita- 
lienischen Oper gehören, stellen Herrn Ragani dies unangenehme 
Prognosticon. 

New- York. Die musikalischen Ereignisse häufen sich hier so- 
dass New- York bald mit Paris coneuriren kann. Concerte folgen 
auf Concerte, eine Italienische Oper auf die andere und Jullien setzt 
dem Ganzen die Krone auf. Bemerkenswerth ist für uns nur das 
Abschieds-Concert der Begleiter der Madame Sontag : C. Eckert 
und Pozzolini, von denen der erste nach Europa zurückkehrt , der 
zweite dagegen nach Cincinati und S. Louis geht f wohin ihn glän- 
zende Engagements rufen. 

— Madame Sontag bereist gegenwärtig Pensylvanien. Rocco, 
A. Jaell und P. Jullien (der Violinist) sind diesmal ihre Begleiter. 

Boston. Jullien ist mit seinem Orchester hier angekommen. 
Bedeutende Concurrenz macht ihm ein Deutsches Orchester, dirigirt 
von einem Herrn Bergmann, welches bei den Bostonern sehr in Gunst 
steht.— Dass man hier hinter Europa nicht weit zurück ist, beweist 
das Programm des letzten Concerts, in welchem unter Andern Beeth- 
hovens C-moll- Sinfonie, Mendelsohns Ouvertüre zur Athalia und 
Wagners Ouvertüre zu Tannhäuser executirt wurden. 

Y Nach der Wiener Musikzeitung ist die von Paris aus ver- 
breitete Nachricht von dem Tode Döhlers eine der Zeitungs-Enten, 
die in aller Gcmüthlichkeit durch die Welt schwimmen , bis ihre 
wahre Natur entdeckt wird. Döhler, der sich gesund und wohl in 
Florenz befindet, hat in einem Briefe, an den Pianisten L. Meyer 
eigenhändig erklärt, dass er sich der Zeit noch unter den Lebenden 
befinde. 

y C. Eckert, von seiner Reise nach Amerika zurück , fand in 
PariB zwei Offerten als Orchesterdirigent nach München und Wien 
vor. Er hat die letztere angenommen. 



TertBtWortlichcr Redakteur: J. J. SCHOTT. - Druck tob REUTER u. WALLAU In Mtta. 



2. Jahrgang. 



Vm äO. 



12. Decbr. 1853. 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitung erscheint Jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Hnsik- nnd Buchhandlungen. 



REDACTION HD VERLAG 

von 

B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 



PREIS: 


fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Str. 


rar 4ca Jahrsang. 


Dnrch die Fest, bezogen : 


SO kr. »der 15 Sgr. per Quartal. 



Inhalt t Der gegenwärtige Stand des Orgelspieli in Franken. II. 3. — Literarisches. — Die 6 Motetten von J. S.Bach.— Corresp. (Wien.) — Nachrichten. 



DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS 

IM FRANKEN. 



IL 3. 



Um den jungen Organisten die Erfüllung ihrer Berufspflichten 
möglich zu machen müsste vor Allem: 

3. Eine gründliche Reform unseres Orgelbau* 
wesou s vorgen o mmen wer den. Wir haben bereits in der 
I. Abtheilung unserer Arbeit den jämmerlichen Zustand unserer 
Orgeln geschildert, wir haben dort namentlich auf die unvollkommne 
Anlage der Pedale, die theils gebrochen sind, theils kaum eine Octave 
umfassen, hingewiesen und dass sogar heutigen Tages noch solche 
Werke gebaut werden, obschon es nicht nur jeder Organist, sondern 
jeder Orgelbauer wissen dürfte, dass unsre guten Orgelcomposilionen 
alle auf einen Pedalumfang von 2 Octaven berechnet sind und also 
ohne diesen Umfang nicht richtig vorgetragen werden können. Es 
ist dann ferner sub. 1. bei dem Vorschlag, einen Distrikts-Musik- 
Direclor anzustellen, bereits bemerkt, was dieser Mann zur Hebung 
unsers Orgelbaues beitragen köune und auf welche Weise. Wir 
können uns daher kurz fassen über diese Materie , wenn wir zuvor 
noch einer Verordnung von Bayern gedacht haben, die sehr nach- 
theilig aufs Orgelspiel einwirkt. Unsere Behörden gehen nämlich von 
dem Grundsatze aus, dass Orgel-Virtuosen bei Orgel-Concerten die 
Orgelwerke ruiniren und haben desshalb verordnet , dass bei allen- 
fallsigen Orgelproductionen der Organist specielle Erlaubniss einzu- 
holen habe. Wir wollen davon schweigen , dass je tüchtiger der 
Künstler auf seinem Instrument ist , desto weniger dasselbe durch 
seine Behandlung leidet, und dass ein je grösserer Stümper er ist, 
er desto verderblicher auf den Mechanismus des Werks einwirke. 
Wir wollen nur das Eine erwähnen , dass grosse Orgel-Virtuosen 
einen unendlich wichtigen Einfluss auf den jungen Organisten haben, 
ja selbst auch auf den bereits herangebildeten. Sie werden seine 
Vorbilder und ziehen ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zu diesem 
erhabenen Kunstzweig hin , so dass er weder Mühe noch Opfer 
scheut , dem Ideale , das er in einem wahren Künstler erschaute, 
sich allmählig zu nähern. So wie die Bienen den Blumenstaub von 
einer Blume zur andern tragen und diese befruchten , so befruchten 
diese Künstler die junge Organistcnschaar, indem sie in unserm 
Vaterland von Ort zu Ort, von einem tüchtigen Orgelwerke zum 
andern ziehen. Uebrigens ist dieses Einholen der Erlaubniss beim 
hohen Consistorium oder bischöflichen Ordiuariat mit solchem Zeit- 
verluste und sonstigen Unannehmlichkeiten verknüpft, dass jedem 
Orgelvirtuosen , die jetzt ohnehin sehr selten geworden sind , die 
Lust vergeht, Bayern zu betretenes müsste denn viele Hochmeier 
und K 1 o s s geben , deren Chalatanerien bereits im Auslande die 
gebührende Würdigung gefunden hatten. Es liesse sich diese Ver- 
ordnung allenfalls noch rechtfertigen, wenn wir noch viele Orga- 
nisten hätten wie Vogler, der durch Anwendung seines Simplifica- 
tions-Systeras viele Werke ruioirte, der ankündigte, dass er ein Ge- 



witter, eine Seeschlacht, den Einsturz der Mauern von Jericho, das 
Reisstampfen der Afrikaner etc. darstellen werde*). 

Dieser Charlalanismus ist , Gott sei Dank ! bei den deutschen 
Organisten selten geworden und man dürfte oben erwähnte Verord- 
nung gerade zu aufheben, da die nächst vorgesetzte Kirchenbehörde 
schon dafür sorgen wird , dass aus dem rechten Gebrauch 
kein Missbrauch werde. Haben wir gehobenen Orgelbau, tüchtige 
Lehrer im Orgelspiel und eine sachverständige Beaufsichtigung , so 
wird gewiss , wenn noch eine nach Verdienst lohnende Beförderung 
guter Organisten hinzukommt, unser Orgelspiel heranblühen und es 
wäre dann nur noch dafür zu sorgen, dass der Eifer und das Streben 
nach Fortbildung unter den bereits angestellten Organisten 4, durch 
Errichtung von Conferenzen und Orgelvereine fort- 
während wachgehalten werde. Es ist nun einmal so , 
dass der Mensch selten eines äusseren Antriebs völlig entbehren 
kann, um so mehr, wenn ein z u allseitiger Beruf den Manu über 
Q.e.bjjh.r in Anspruch nimmt und seine Kräfte niederbeugt. — - Dann 
hebt und kräftigt aber ein allgemeines Streben zwischen Männern 
von gleichem Stande und gleichem Berufe ausserordentlich. Es 
würde zunächst der Zweck dieser Conferenzen oder Orgeivereine, 
deren Leitung nun auch wieder der Districts-Musik-Direktor zu über- 
nehmen hätte, kein anderer sein als, die Lücken , die theils bei der 
Vorbereitung und theils bei der Seminarbildung übrig blieben, aus- 
zufüllen und sowohl die theoretische, als praktische Organisten- 
bildung ihrer höhern Vollendung zuzuführen. Sowie schon im Semi- 
nar die musikalischen Studien mannigfaltig waren, so sind sie es 
auch jetzt und gewinnen sogar noch an Mannigfaltigkeit. Nach 
unserm Ermessen zerfallen sie : 

a) in theoretische und praktische, 

b) in mittelbare und unmittelbare und 

c) in einzelne und gemeinsame. 

Auf dem Gebiete der Theorie erscheint nunmehr das selbsthätige 
Forschen, ein umfassenderes Studium der Aesthetik und der Ge- 
schichte der Musik und der Partituren älterer und neuerer Meister. 
Die praktischen Uebungen in der Composition liefern Zwischen- 
spiele, Vor- und Nachspiele, Choralbearbeitungen, Fugetten, Fugen 
etc. und die praktischen Uebungen im Orgelspiel beschränken sich 
auf den Vortrag eigner Gompositionen und klassischer Musterwerke, 
insbesondere Partitur- Vorträge, auf der Orgel natürlich mit durch- 
gängig obligater Pedalbehandlung, der Werke von Palestrina, Nanini, 
Orlando di Lasso, Pergolese u. s. w. Daneben aber werden alle 



*) Der musikalische Almanach für Deutschland a. d. Jahre 1784 S. 137 bat einen 
merkwürdigen Konzertzetiel Voglers der Vergessenheit entzogen. Dieser enthalt folgendes 

I. Habens jüngstes Geriebt. 
I, Prachtvolle Einleitung; 2. Die Posaune erschallt dnrch die Graber, sie öffnen sieh; 
S. Der erzürnte Richter spricht das schreckliche ürtheii aber die Verworfenen ; ihr Fall 
in den Abgrund : Knirschen nnd Beulen ; 4. Die Gerechten nimmt Gott zur ewigen Seligkeit 
auf. Ihr Wonnegefühl ; 5 die Stimme der Seligen vereinigt sich mit den Chirea der Engel. 

II. Eine Sees chl «cht, 
1. Das Trommelrühren; 2. Die kriegerische Musik und Marsche; 3. Die Bewegung der 
Schilfe, 4. Durchkreuzen der Wellen. S. Kanonenschüsse; 6. Geschrei der Verwundeten ; 
7. Siegjauchxen der trlumphlrenden Flotte. *<■ 



v^ • M*fml 



jene musikal. Beschäftigungen , die einen mittelbaren Einfluss auf 
die Bildung des Organisten haben z. B. Gesang, Quartettspiel, 
Instrumentirung etc. eifrig benutzt, denn die Musik ist in ihrem Grund- 
wesen stets die eine und sich selbst gleiche ; Alles , was man sich 
auf irgend einem Gebiet derselben aneignet« wenn ea nicht etwa« 
speciell Technisches ist, kommt Einem auf jedem andern wieder' 
zu Gute. Desswegen müssen neben den unmittelbaren Studien 
auch die mittelbaren gepflegt werden , eingedenk der Worte : „Alles 
muss ineinander greifen, Eins durch das andere gedeihen und reifen." 
Und so wünschen wir denn auch , dass die Mittel , die wir 
im positiven Theil unserer Arbeit zur Hebung des gesunkenen 
Orgelspiels in Franken bezeichnet haben , in ihrer Totalität 
und nicht einzeln zur Anwendung kommen , damit auch sie sich 
gegenseitig unterstützen, durchdringen und ineinander greifen , dann 
wird gewiss ein gesegneter Erfolg unser Streben krönen und unser 
Orgelspiel auf eine ebenso erfreuliche Weise heranblühn , wie es 
bereits in verschiedenen deutschen Staaten der Fall ist* 



Würzburg. 



H. 



»o»»^» 



LITERARISCHES 



— * §. W. H. Riehl veröffentlichte in dem eben erschienenen 
vierten Hefte der „deutschen Vicrtcljahrsschrift" sechs interessante 
und lehrreiche „Briefe an einen Staatsmann über unsere musikalische 
Erziehung"' In der bekannten lebendigen und klaren Weise, seinen 
eigenen merkwürdigen Bildungsgang skizzirend, spricht er sehr ein- 
dringlich über die Notwendigkeit eines viel eindringenderen Studiums 
der Musikgeschichte. „Ein unstätes Vorwärtsdringen ohne Ziel und 
Rückhalt charakterisirt unsere gegenwärtigen Musikzustände. Ein 
Jeder will etwas unerhört Neues schaffen. Ein Jeder producirt nur 
für sich und kümmert sich nicht um das , was Andere mitschaffen 
oder vorgearbeitet haben. Dabei ein gegenseitiges Anfeinden, Par- 
teien, Neiden und Hassen. Es ist als ob die trübste Gährung des 
Jahres 1848 in dem Musiktreiben permanent geblieben wäre. In 
den meisten deutschen Musikzeitungen — es gibt auch einzelne ehren- 
volle Ausnahmen herrscht nach Form und Inhalt eine Bildungsarmuth, vor 
welcher sich der wissenschaftliche Mann mit Verachtung abwendet. Die 
Musik hat gegenwärtig fast keinen schlimmeren Feind, als die Musiker. 
Ueber nichts ist die gesammte gebildete Welt uneiniger, als über die Fra- 
gen des musikalischen Geschmackes und der obersten ästhetischen Grund- 
sätze der Tonkunst. Ein Jeder geht bei seinem Urtheil von ganz 
andern Standpunkten und Anschauungen aus , wo soll da ein all- 
gemeines Unheil herkommen? Ein gemeinsamer Ausgangspunkt kann 
aber nur gewonnen werden, wenn die historische musikalische Bildung 
eine allgemeinere wird". (181 — 82). Und vorher: „die erste Männ- 
lichkeit der Händeischen Musik theilt sich dem Charakter dessen, 
der sie mit Hingabe studirt, sympathetisch mit , und wer ein Mann 
werden will , der sollte seine historischen Studien der Musik mit 
Händel eröffnen. Ich halte es für eine Gunst des Geschickes, welche 
ich nicht dankbar genug anerkennen kann , dass es mir vergönnt 
war, in demselben Lebensalter, wo ich auf der Schule zu den 
Classikern des Alterthums geführt wurde , zugleich mit den altern, 
dem modernen Geiste fremdartigen Tonmeistern meine musikalischen 
Studien zu beginnen. Es beruht auf einem tiefbegründeten pädago- 
gischen Princip, dass wir die Jugend durch die philologische Analyse 
der nach Stoff und Form uns fernliegenden, altdeutschen, aitgriechischen, 
altrömischen Literatur vorbereiten zum Verständniss der ganzen 
Literatur- und Culturgeschichte. Gerade die Abgeschlossenheit und 
Fremdartigkeit jener alten Schriftwerke macht ihre Lesung zu einer 
Arbeit, zu einer Zucht des Geistes, und wo uns der schimmernde 
Glanz der neuesten Technik nicht besticht, da bleibt nichts anders 
übrig, als den Kern der unvergänglichen Gedanken aus der harten 
Schale zu holen. Bei dem musikalischen Unterricht dagegen fährt man 
flugs mit den neuesten Opern- und Tanzstückchen darein, wenn 
der Schüler eben noch an den Anfangsgründen sitzt" (166). 

So wahr dieser Vergleich ist, so auffallend wird er Vielen er- 
erscheinen, auch wohl übertrieben. Es ist unglaublich, wie viel die 
Wissenschaft der Musik noch nachfolgen muss, bis sie sich einiger - 
massen den übrigen Kunstwissenschaften wird an die Seite setzen 
können. Auch über verschiedene Meister macht Riehl hie und da 



vortreffliche Bemerkungen , z. B. bei Hasse : „Sein einfach schöner 
Gesang bei der durchsichtigen , sparsamen Instrumentation gibt ein 
Musterbild der Kunst, wie man mit wenig Mitteln viel sagt. Darin 
unterscheiden »ich überhaupt die meisten altern Meister von den 
neuern, dass jene wenige Mittel aufbieten , um viel zu sagen , und 
diese viele Mittel, um wenig zu sagen. Dem Schüler aber, der ge- 
wonnen werden soll für eine einfach grosse und edle Kunstrichtung, 
kann man solche Componisten, die sich in den Mitteln geflissentlich 
bescheideten, nicht fleissig genug vorführen. In diesem Sinne gehört 
Hasse zu den lehrreichsten älteren Meistern. Wenn einmal ein neuer 
Componist ersteht , der es wieder wagt , einfach zu werden , die 
Kunstgriffe einer üppigen Technik zu verschmähen, das Colorit 
sparsam aufzutragen, desto grösser und reiner aber die Zeichnung 
zu führen, dann wird der wahre Reformator unserer entarteten Ton- 
kunstgekommen sein" (169). Auch wird derselbe, nämlich der Reformator, 
ablegen Stolz, Hochmuth uad alle Selbstvergötterung, dafür mit dem 
Schmuck der Bescheidenheit geziert sein : dieses kleine Attribut er- 
laubt sich meine Wenigkeit von dem grossen Zukünftigen zu prophe- 
zeien. — Neu ist Riehls Vergleich zwischen Lully und Wagner. 
„Lully ist, wie die Philologen sagen, kein „Schulautor". Formell 
kann man bei ihm sehr wenig mehr lernen. Man müsste denn allen- 
falls durch seine leichtsinnige Harmonisirung sich veranschaulichen, 
wie man nicht harmonisiren soll. Dagegen kann man Glucks his- 
torische Bedeutung nicht würdigen, wenn man keine Lully'sche Par- 
titur studirt hat. Lully ist der Richard Wagner des 18. Jahrhunderts. 
Seine Alceste ist, wie er selber sie nennt, eine tragddie mise en 
musique, keine Oper. Sie gliedert sich nicht nach Arien , Duetten, 
Ensembles u. s. w., sondern nach fortlaufenden Scenen. Das Ganze 
ist ein stetes obligates Recitativ, von einzelnen melodiösen Stellen, 
Chören , Märschen u. dgl. unterbrochen. Ich sage dies alles von 
Lully ; man könnte auch meinen, ich sage es von Wagner ; es gilt 
für beide. An vielen Stellen ist Lully überraschend grossartig und 
wahr im dramatischen Ausdruck, ganz wie Wagner; dann fällt er 
aber auch wieder in eine ungeheure Monotonie des endlos recitirenden 
Dialogs zurück, ganz wie Wagner. Die Chöre sind einfach, aber 
sie tragen ein Gepräge der Feierlichkeit und Würde, welches, selbst 
in Einzelzügen der Harmonie , mitunter an die hohen kirchlichen 
Chorgesänge der Italiener des 16. Jhdts. erinnert. Dasselbe nicht 
kleine Lob kann man auch einzelneu Chören im Tannhäuser nicht 
versagen. Lully opfert die musikalische Architektur dem dramatischen 
Ausdruck, er bringt Ansätze zu Melodien , aber er führt sie nicht 
aus. So ergibt sich dann doch zuletzt ein zerstücktes, unruhiges, 
musikalisches Ganze, welches einen verwirrenden und langweilenden 
Eindruck hätte machen müssen, wenn nicht der Prunk einer stets 
wechselnden, reichen seenischen Ausstattung, für welchen wenigstens 
in der Alceste (und im Tannhäuser) buchstäblich Himmel und Hölle 
in Bewegung gesetzt werden , der Phantasie des Hörers bedeutend 
zu Hülfe gekommen wäre. Gerade jene Formlosigkeit der Lullyschen 
Oper aber war es, die Gluck vernichtet hat, während er das Streben 
nach Wahrheit des dramatischen Ausdrucks aufnahm und weiter- 
bildete. Gluck steht in der Formiruug seiner Tonsätzc den guten 
italienischen Operncomponisten aus der ersten Hälfte dos 18- Jhdts. 
weit näher als Lully. Würden sich unsere Musiker nur halb so 
viel den'historischen Studien widmen, wie den technischen, so würden 
sie einsehen, dass es doch nicht wohl ein so grosser Fortschritt 
sein kann, wenn man im 19 Jhdt. von der inzwischen so reich weiter- 
gebildeten Weise Glucks zurückspringt auf eine der Weise Lully's 
entsprechende Neugestaltung der Oper. Man kann auch aus lauter 
Fortschrittsbegeisterung ein Reactionär werden" (171). Riehl stellt in 
diesen Worten unzweifelhaft sehr folgereiche Gesichtspunkte auf. 
Wir wollen aber auch noch die Worte hersetzen, in welchen er die 
löblichsten Seiten Wagners zusammenfasst : „Das ernste Streben 
dieses Tondichters nach Reinheit der Dcclamation , Wahrheit und 
Kraft des dramatischen Ausdrucks , der Versuch , die grossartigen 
Bilder unserer nationalen Heldensagen in kühnen musikalischen Um- 
rissen zu zeichnen , getragen von einem würdigen und dichterisch 
reichen Text, das freiwillige Verzichten auf alle Arienschnörkel 
und Virtuosenstückchen der Sänger (womit freilich das Virtuosen- 
stück einer möglichst blendenden Orchestrirung und der Aufputz der 
trockenen Melodie durch ein Uebermass gesuchter Modulationen noch 
in Widerspruch steht) — das Alles sind Thatsachen , die auf den 
Umschwung unserer Musik zu einer tieferen, ernsteren, dem ernste- 



- 109 — 



reo Geiste der Zeit entsprechenden Richtung siegreich hinüber* eisen 
und die auch für die Reform unserer musikalischen Ersiehung nicht 
verloren gehen werden" (173). — Riehls Worte sind immer so woM- 
thuend, weil sie aas warmem Herzen strömen. Und wenn auch sein 
Staatsmann unvermögend ist , die Vorschläge zu nutzen — besser 
werden wird es doch mit unserer Ruhst , wenn nur erst sich die 
Kräfte in der Stille herangebildet haben. Die Einigkeit und Oeffent- 
lichkeit sind Dinge, die mehr oder weniger noch immer wie von 
selbst gekommen sind. 



DIE SECHS MOTETTEN VON J. S. BACH. 

Die sechs bekannten Motetten von J. S. Bach (fünf 
8stimmig, eine östimmig) erschienen vor kurzem in einer neuen 
Ausgabe bei Breitkopf und Härte!. Die achtstimmige (eigentlich 
doppelchörige) Motette „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn", 
welche in der frühern Ausgabe als ein Werk J. 8. Bach's bezeichnet 
war, ist jetzt ihrem eigentlichen Verfasser zurückgegeben, nämlich 
Johann Christoph Bach; dem Onkel Sebastians. Die Ver- 
leger sagen auf dem Titelblatte ausdrücklich; „diese Motette war 
früher irrthümlich als ein Werk von J. S. Bach unter dessen sechs 
8st. Motetten aufgenommen". Bis Köln muss diese Berichtigung 
noch nicht gedrungen sein, denn wir lesen in der Niederrh. Mztg. 
vom 29. October, am 25. Oct. sei daselbst „J. S. Bachs zweichörige 
Motette: Ich lasse dich nicht" aufgeführt worden. Nun, der Irrthum 
ist erklärlich, wenn auch nicht sehr löblich. Die lieben Kölner wollten 
einmal von Bach etwas vernehmen, und nun muss ihnen das Schick- 
sal einen Wechselbalg in die Hand spielen! Bedenklicher aber wird 
die Sache , wenn eben daselbst auf Grund dieser Motette 
ein Langes und Breites über J. S. Bachs Art und Kunst geredet wird, 
das, weil im Winde geboren, wieder in den Wind geht So z. B. 
i, Wie es den Singenden mit dem Vortrage , so geht es auch den 
Hörenden mit der Auffassung Bach'scher Gompositioncn. Es ist 
freilich nicht wahr, wenn man sagt, Bach ergreife das Gefühl nicht, 
er rege die Phantasie nicht an. Allerdings fasst er das Gefühl, aber 
nur eine Seite desselben , das Gefühl für das Grosse , für das 
Erhabene; allerdings bietet er der Phantasie Stoff, aber sehr selten 
unmittelbar, sondern erst durch das Denken vermittelt [der arme 
Bach nimmt einen zweifachen Umweg, wird erst Philosoph, dann 
Dichter, um schliesslich eine musikalische Wirkung hervorzubringen 
und alles durch Musik!]. Darum muss man, um ihn ganz zu ge- 
messen, denkend folgen und alle Theile im Ganzen und doch 
zugleich das Ganze als solches hören — und das ist nicht 
Jedermanns Sache ..... dennoch bleibt ein merkwürdiger Eindruck, 
eine Art \on Staunen , eine unbewusste Anerkennung einer , wenn 
auch unbegriffenen, Grösse auch für die Menge vorhanden". Kosibar! 
Und die Motette war gar nicht von J. S. Bachl Wenn nun aber der 
Recenscnt so weise und so gelehrt thut, dann kommen wir ihm noch 
etwas näher. Wenigstens seit 1847 , also seit 6 Jahren , musste er 
nach dem Berichte einer Autorität wissen, dass dieser Doppclchor 
von J. S. Bach nicht ist und nicht sein kann; wenn ihm solches 
sein eignes Ingenium nicht zu sagen vermochte; denn so sagt 
Winterfeld (in seiner Geschichte des ev. Kirchengesauges, im 
8. Bande 1847 S. 429) : „der herrliche Chor „Ich lasse dich nicht, 
du segnest mich denn von J. Christoph Bach, der eine Weile für 
ein Werk unseres Sebastian galt, ist seiner werth ohne Zweifel, 
tritt aber heraus auf seiner Art und Kunst," Das ist 
deutlich; Winterfeld setzt ebendaselbst noch weiter auseinander, in 
welcher Weise J. Chr. Bach sich an Schütz, Hammerschmidt und 
a. ältere Meister anschloss , und sagt über J Sebastian : „die 
trefflichen Werke von J. Chr. und J. Michael Bach hat er ohne 
Zweifel geschätzt, über den Bau 5-, 6-, und 8st. Chöre daraus Be- 
lehrung empfangen ; aber wenn auch von ihnen durchdrungen, durch 
sie belehrt, für eigenes Schaffen gekräftigt, fand er doch An- 
deres durch seine Töne, und auf andere Weise aus- 
zusagen, als sie, und ein Fort bauen auf dieselben, 
ein Weiterbilden in bestimmter Beziehung auf sie 
nehmen wir in seinen Werke n nicht wahr" (428). Aber 
auch ohne Winlerfeld muss jeder Kundige überzeugt sein , dass J. 
S. Bach die Worte „Ich lasse dich nicht" anders componirt hätte, 
als wie sein Onkel ; sonst ist alles Reden über die Style der ver- 



schiedenen Meister eben so lächerlich und windig als die Geleh* 
samkeit des Kölner Concertorakels. Wie min?? — 



-Wh**- 



CORBESPONDENZEN. 



AUS WIEN. 



Im November. 



In die Uebergangsperiode von der Sommer- in die Winter-Saison 
fiel das Gastspiel von Frl. Johanna Wagner im k, k. Hofoperntheater 
Es ist ein eigen Ding um die Gunst des Publikums l — Manche 
wollen behaupten, dass das Urtheil des allgemeinen Publikums trotz 
alles Einredens der Kritik immer Wahres in sich enthält. Wenn 
dies bei Frl. Wagner auch der Fall , so müssen ihre jetzigen Lei- 
stungen, gegen die ihres früheren Gastspiels weit zurückstehen ; denn 
wir erinnern uns, dass sich damals die allgemeine Stimme unbedingt 
günstig für sie ausgesprochen, während sie jetzt vergebens die allge- 
meine Sympathie für sich zu gewinnen sucht. Es war früher ein 
allgemeiner Wunsch, diese Sängerin an unser Operntheater gefesselt 
zu sehen, man befürchtete nur, dass sie selbst vielleicht die ihr ge- 
machten Anträge nicht annehmen dürfte, oder ihrer Entlassung vom 
preussischen Hoftheater sich Hindernisse entgegenstellen würden, 
oder endlich gar eine andere Bühne Deutschlands , Frankreichs und 
Englands der Wiener zuvorkommen werde, kurz man zitterte vor 
der Möglichkeit, um den Besitz dieser Sängerin gebracht zu werden. 
Nun erscheint sie wieder zu einem weitern Gastrollen Cyclus , und 
siehe da, das Publikum ist von seiner enthusiastischen Verehrung 
abgekühlt, ja die früheren Huldigungen des Theaterpublikums gehen 
nur jetzt mehr von einer einzelnen Part hei aus; an ein Festhallen 
dieser Sängerin au unserer Bühne wird kaum mehr gedacht* O 
Volksgunst , wie bist du doch wandelbar j den du heute jubelnd auf 
dem Schild getragen , der ist morgen vielleicht schon wieder ver- 
gessen 1 — Eine neue Gastin , oder vielleicht gar ein engagirtes 
Mitglied hörten wir in Frl. G r u a aus Paris. Die Fama erzählt, dass 
diese aus spanischer Familie in Palermo entsprossene Sängerin nach 
wenigen Versuchen, welche sie vor dem Forum der Oeffentlichkeit 
in Dresden abgelegt, nach Paris gegangen sei, um sich dort dem 
Studium des dramatischen Gesanges zu weihen , zuletzt aber als 
eine der vielen Primadonnen der Oper engagirt gewesen wäre. Von 
den Triumphen die sie in dieser Stellung in der Weltstadt gefeiert 
hat uns Frau Fama nichts erzält, und selbst die hiesigen Journale, 
welche in der Regel gegen Künstlerinnen, die aus dem Auslande hier- 
herkommen, überaus galant sind, und lieber Etwas erfinden, als 
dass sie ganz schwiegen, haben uns über Frl. G r u a bis jetzt auch 
nichts weiter mitgetheilt. Wir sehen uns daher genöthigt, diese 
junge Künstlerin einzig und allein nach ihren Leistungen zu beur- 
theilen. — Frl. Grua ist bis jetzt als „Nachtwandlerin" und am 
„Valentine" aufgetreten , und wir müssen gestehen , dass sie uns 
weder in dem einen noch in dem anderen Genre befriedigte. Mag 
immerhin der Mangel an grossen dramatischen Sängerinnen gegen- 
wärtig jede Operndirektion , welche nicht schon im Besitze einer 
solchen ist, und sich genöthigt sieht, eine herbeizuschaffen, in keine 
geringe Verlegenheit setzen, wir sehen dies ganz gut ein; allein 
wir haben nun einmal die grössten Sängerinnen gehört, und können 
bei aller Nachsicht und Galanterie gegen Damen, das Kleine nicht 
für Grosses halten. Ja wir wollten gerne Nachsicht üben gegen 
eine Anfängerin (und eine solche ist Frl. La Grua, da sie erst S 
Jahre in der Oeffentlichkeit wirkt) wenn man uns diese Sängerin 
nicht als eine Erste hingestellt hätte, und es im Publikum nicht 
bekannt geworden wäre, dass man Frl. La Grua für 16000 fl. auf 
9 Monate engagirt habe. Im Anbetrachte dieses muss jede 
Nachsicht schweigen und wir sehen uns bemüssigt unser \mt zu 
handhaben nach bestem Wissen und Gewissen. Was die Stimme von 
Frl. La Grua als solche anbelangt, so hat sie auf der einen Seite 
weder die Kraft und Ausdauer "zu einer tragischen, auf der 
anderen weder den Schmelz, die To n frische , Volubilitäl zu einer 
Colora tur-Sängerin. Noch ist ihre Stimme nicht durch gründliche 
Studien vollkommen ausgeglichen ; ihre Coloraturen sind nicht 
perlend, nicht mit der Leichtigkeit einer vollendeten Sicherheit ge- 



— 200 



bracht, der Triller nicht vollkommen gebildet. Im tragischen Gesänge 
fehlt der poetische Aufschwung, das künstlerische Erfassen und 
Bewältigen der tragischen Momente. Wenn auch hie und da Ein- 
zelheifen gelungen erscheinen , ist die Zahl der halbgelungenen oder 
mangelhaften ungleich grösser. Das Feuer ihrer Darstellung quillt 
nicht aus begeisterter Intuition, es ist Mos ein kokettes Gefühls- Af- 
fektiren. Die Sängerin wird nicht von dem Gefühle selbst hinge- 
rissen, sie will nur das Publikum zum Beifall hinreissen, was ihr 
nicht gelingt, weil nur jener Künstler wahrhaft begeistern kann, 
der selbst begeistert ist. Wenn wir eine Parallele ziehen wollten 
zwischen Frl. La G r u a und ihren Vorgängerinnen in diesen Partien, 
was für ein Resultat käme da heraus? Welche Stellung könnten wir 
ihr im Vergleiche mit unserer unvergesslichen Zerr einräumen, welche 
doch für ihre wahrhaften Kunstleistungen viel geringer honorirt war. 
Doch, wir wollen noch den weiteren Fortgang ihrer Leistungen ab- 
warten? nicht um in ihr vielleicht dennoch eine grosse Sängerin, 
wohl aber um in der Folge mehr Lobenswerteres an ihrem Ge- 
sänge zu finden, als es uns jetzt gelungen. 

(Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 



! 



Frankfurt. Frl. Diehl von Wien gastirt hier. Ihre erste Rolle 
war Romeo, Die Wiederholungen des Rübezahl von Flotow haben 
den günstigen Eindruck der ersten Vorstellung bedeutend geschwächt. 

Köln. Der hiesige Männergesangverein ist durch den bekannten 
Unternehmer Mitchel aus London , welcher sich einige Tage hier 
aufhielt, zu einer Wiederholung der Londoner Fahrt aufgefordert 
worden. Dieselbe wird im nächsten Sommer staltfinden und diesmal 
auch auf Manchester, Birmingham und Liverpool ausgedehnt werden. 
Wagners Tannhäuser ist bereits 3 mal gegeben worden, 

Wien. Frl. La Grua hat nun auch als Alice debütirt, ohne 
grösseren Erfolg als bisher. Die bedeutendsten Concertisten der Winter- 
saison sind : Vieuxtemps, Williners und Leop. v. Meyer. 

Weimar. Liszt hat sein Amt als Kapellmeister wieder ange- 
treten. Wagners „fliegender Holländer*' kam nochmals zur Aufführung. 

Leipzig. Der von Schumann verkündete Messias Brahms aus 
Hamburg ist hier und lässt sich in Privatcirkeln hören. Nach den 
Signalen werden wir bald Gelegenheit haben , über seinen Beruf 
urtheilen zu können , da in Kurzem mehrere seiner Compositonen 
hier erscheinen. 

— Am 1. December kamen im Gewandhaus unter des Compo- 
nisten Leitung mehrere Bcrlioz'sche Compositionen zur Aufführung. 
Die Sängerin Frl. K. Evers wird in den nächsten Tagen im Theater 
und im Gewandhaus auftreten. Dieselbe lässt sich ebenfalls in Italie- 
nischen Blättern als disponible für italienische Bühnen ausschreiben. 

Celle. Den 22. November 1853 führte der hiesige Singverein, 
unter Leitung seines Dirigenten, des Herrn Organisten H. W. Stolze, 
und unter Mitwirkung eines Theils der hannoverschen Kapelle, sowie 
einzelner auswärtiger Solosänger, das Oratorium Paulus von Felix 
Mendelssohn-Bartholdy in der hiesigen Stadtkirche zum Besten der 
Armen auf. Es ist dies nun schon das fünfte Jahr, dass in ununter- 
brochener Folge vor jedem Winter eine solche grössere Kirchenmusik 
in genannnter Weise zur Aufführung gekommen*), ein wahres Musik- 
fest im Kleinen in Celle gefeiert worden ist. Wollte man daraus nun 
schliessen , dass doch in und für Musik ganz Celle ein Herz und 
eine Seele wäre, so würde man freilich durch das kleine Häuflein, 
das den ständigen Chor unseres Vereins bildet , in dieser Meinung 
einigermassen schwankend werden, und es sind andere günstige 
Momente, denen jene überaus erfreuliche Erscheinung in dem Kunst- 
leben unserer Stadt zugeschrieben werden muss. Zuerst ist es die 
unverdrossene Ausdauer und das unermüdliche Streben unseres in 



*) 1849 den 14. November das Oratoriam Messlaa von 6. F. Händel ; 1890 den I Nav; 
das Oratorium Hiob von H. W. Stolze; 185t den 21. Oet. das Oratoriam Moses von Alois 
Schmitt nnd 1852 den 9. November das Oratoriam Judas Maccabaeos von Händel. 



der musikalischen Welt anerkannten Dirigenten H. W. Stolze. Dann 
aber vor Allem die vollendete Mitwirkung jener hannoverschen 
Künstler (16 an der Zahl) die ober die Innigkeit und Herzlichkeit 
der Celleschen Gastfreundschaft, sowie über die Empfänglichkeit 
und Eingenommenheit für den Kunstgenuss, den sie bereiten, Mühen 
und Strapazen der Reise ftteht achten , und bei jedem neuen Ab- 
schiedsgruss die frohe Aussicht neuen Wiedersehens eröffnen. Solcher 
Aufopferung für die Kunst schliesst sich dann die gleiche Bereit- 
willigkeit an, mit der einzelne Solosänger von fernen Städten her 
den jedesmaligen Einladungen nach Celle gefolgt sind. Doch solche 
zerstreute Strahlen zu einem wohlthätigen Feuer zu sammeln , fehlt 
es dann endlich auch dem Verein selbst nicht an den kunstbegeister- 
ten Mitgliedern, denen jeder Tag solcher Aufführung ein Festag 
ist, den zu erleben und zu schmücken keine Mühe zu gross, keine 
Vorbereitung zu schwirig erscheint. Durch solches Zusammentreffen 
günstiger Bedingungen hat denn auch die Aufführung dieses fünften 
Oratoriums, des Paulus, der Stadt Celle einen überaus festlichen 
Abend bereitet. Die reiche Mendelssohnsche Instrumentation wurde 
vorzüglich ausgeführt; die Chöre wurden mit wahrer Begeisterung 
gesungen, in den ausgezeichneten Solostimmen fand man neben der 
feinsten Kunstbildung die echteste Ursprünglichkeit, neben der herz- 
lichsten Innigkeit die unerschütterlichste Kraft, den Dirigenten aber 
lobte das ganze Werk 

Hamburg. Tannhäuser ging auch hier über die Bretter. Mit 
welchem Erfolg wird unsere hiesige Correspondenz mittheilen. Das 
erste philharmonische Concert fand am 19. November statt. 

Dessau. Fr. Schneider, der Componist des Weltgerichts, starb 
hier am 23. November im 68. Jahre. 

Berlin. Die grosse Oper brachte in der letzten Zeit Prophet 
mit Frl. Wagner als Fides, die 6. Wiederholung von Tauberts 
Joggeli. Im Fr. Wiihelmstädter Theater wurde Adams reizende 
Giralda unter stürmischem Beifall gegeben. 

Prag. Einem Schreiben Julius Schulhoffs entnehmen wir die 
Nachricht, dass auch das am 4. d. M. stattgehabte zweite Concert 
seines Kunstgenossen und Landsmannes A. Dreyschock von dem 
gelungensten Erfolg gekrönt wurde. Dreyschock trug das Es-dur 
Concert von Beethoven, Presto von Mendelssohn, Gigue von Mozart 
und einige seiner eignen brillanten Concertpiecen vor. Schulhoff 
rühmt besonders die fabelhafte Technik Dreyschocks, die er eine 
geistig durchgebildete nennt, und sein zartes fein nüancirtes Spiel, 
welche auch das Publikum zur höchsten Bewundrung hingerissen. — 
Die Gebrüder Müller haben ihr erstes Concert auf den 17. d. M. an* 
gekündigt. 

Paris. Die dritte Debütantin der italienischen Oper, Madame 
Frezzolini, hat gleich ihren Vorgängerinen und den Sängern in den 
Puritanern Fiasko gemacht; die Zeiten der Grisi , Pasta und Lab- 
lache sind vorüber. 

— Der Direktor der „Varietes" hat Bankerott gemacht. Vom Mini- 
sterium ist einstweilen ein Gerant bestellt worden. Im Thealre 
lyrique wird die neue Oper des Herzogs von Coburg einstudirt. 

Liverpool. Die „englisch-deutsche Opern-Gesellschaft" mit 
Formes, Reichard und der Caradori gab hier mit grossem Erfolge 
Vorstellungen. 

Curiosa. Die neue Zeitschrift für Musik, über das oppositionelle 
Siiddeutschland auf Höchste entrüstet, erklärt in Nr. 22 in einem Artikel 
über die „Opposition in Süddeutschland", der Gegensatz zwischen 
Nord- und Süddeutschland lässt sich mit den Worten resümiren : 
Intelligenz (des Verstandes und Gefühls) und Stumpfheit (des Ver- 
stands und Gefühls). Wir erlauben uns die einfache Frage: Zählt 
die Redaction der Neuen Zeitschrift für Musik den Verfasser dieses 
Artikels auch zu den Vertretern der norddeutschen „Intelligenz"? 

".* R. Schumann und H. Marschner sind, wie man hört, mit der 
Composition von neuen Opern beschäftigt. 

V In der Pfingstwoche 1854 wird in D o r t m u n d ein west- 
fälisches Musikfest stattfinden. Zur Aufführung sind bestimmt: 
„Paulus" von Mendelssohn, „Alexanderfest" von Händel und Beet- 
hovens 9. Sinfonie. 



Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Druck ton REUTER u. WALLAU in Main*. 



2. Jahrgang. 



Mr. «1. 



19. Decbr. 1853 



SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG. 



Diese Zeitnn& erscheint jeden 
MONTAG. 

Man abonnirt bei allen Postämtern, 
Musik- und Buchhandlungen. 



REDACTION UND VERLAG 

* 

von 



B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ. 

BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO. 



PREIS: 


fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr. 


för den Jahrgang. 


Durch die Post bezogen: 


50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal. 

1 



Inhalts Einige Worte Aber das musikalische Zeitmaass. — Francisco de Salinas. — Corresp. (Cöln. Wien. Paris.) — Nachrichten. 



EINIGE WORTE ÜBER DAS MUSIKALISCHE ZEITMAASS. 



Jedes Tonstück, wenn es dem ihm innewohnenden Charakter 
entsprechen, und den richtigen Ausdruck erhallen soll, muss seine 
ihm eigenthümliche genau entsprechende Bewegung haben. Eine 
schnellere oder langsamere würde dasselbe unvollkommen wieder- 
geben. Um aber die festbestimmte Bewegung eines Tonstückes genau 
zu treffen, gehört wohl mehr Kenntniss dazu, als man in der Regel 
zu glauben scheint. Man kann Noten geläufig vom Blatte lesen, 
die grössten Schwierigkeiten auf einem Instrumente sieghaft über- 
winden, ja seihst im Vortrage Geschmack und Gefühl entwickeln, 
und doch diese mit dem Charakter und der inneren Wesenheit eines 
Tonstücks innig verwebte Bewegung desselben nicht richtig auffassen 
oder in der Kunstsprache: „das Tempo — vergreifen. Man 
wird mir einwenden , dass durch die Erfindung des Metronoms 
dieses willkürliche, nur zu oft unrichtige Bestimmen des Zeitmasses 
nun mehr geregelt und das Tempo nach mathematischen Principien 
fest bestimmt ist ; allein abgesehen davon , dass der Gebrauch des- 
selben noch keineswegs allgemein ist, und wohl auch schwerlich 
allgemein werden dürfte , da der Ankauf dieses Instruments nicht 
immer dem Musiker leicht möglich, auch der Transport dieser wenn 
auch eben niclitr umfangreichen Maschine beschwerlich, und das 
stete Mitsichtragen derselben sogar unmöglich gemacht wird, ist auch 
sein Gebrauch schon aus dem Grunde bei allen Tonstücken nicht 
wohl anwendbar, weil es deren noch sehr Viele gibt, welche gar 
nicht metronomisch bezeichnet sind. Ueberhaupt kann die Bestimmung 
des Zeitmasses schon aus dem Grunde nicht als alleinige Norm an- 
genommen werden, weil wir die Sprache der Empfindungen, die hör- 
bare Versinnlichung der Gefühle , welche unserer Brust inwohnen, 
und die wir unter Musik verstehen, keineswegs in die eng begrenzten 
Marken einer mathematischen Berechnung einengen können, ja selbst 
dann nicht , wenn der Componist im Momente des Schaffens die 
Zeichen des Metronoms dem Tonstückc vorgesetzt hätte; denn die 
Stimmung des Gemüths ist eine andere zur Zeit der Erfindung und 
wieder eine andere zur Zeit der Darstellung. Man hat Beispiele, 
dass Tondichter bei der Production ihrer Werke im Anbetrachte des 
Tempo keineswegs zufrieden gestellt waren, ungeachtet man nach 
den von ihnen selbst vorgeschriebenen metronomischen Zeichen das 
Zeitma&s bestimmte. Dies ist besonders der Fall bei grösseren Or- 
chesterwerken oder Chören , wo die Massen sich schwer in jenem 
Tempo bewegen konnten, welches der Componist nach seinem Vor- 
trage auf dem Ciavier bestimmt hatte. Es würde uns zu weit führen, 
wenn wir den Weg verfolgten, der uns durch methaphysische Forsch- 
ungen zu einem Resultate, vielleicht nicht zu dem unrichtigsten zu- 
lezt bringen dürfte , kehren wir deshalb wieder zu unserer anfäng- 
lichen Bemerkung zurück, dass das Tempo so häufig vergriffen werde, 
indem wir die Erfordernisse angeben, die zur richtigen Bestimmung 
des Zeitmasses eines Tonstückes nothwendig sind, um den Produ- 
centen zur richtigen Auffassung und Wiedergabe des im Tonstücke 
selbst bedingten Tempo anzuleiten. 

Den ersten Fingerzeig hiezu gibt uns wohl der Tondichter selbst 



durch die Benennung seiner Tonstücke, und wir wissen ganz §ut, 
dass sich ein Scherzo nicht in ernstem Zeitmasse langsam fort- 
bewegen, sowie ein G r a v e keineswegs in fröhlicher und munterer 
Taktweise einhertrottiren werde; aliein diese Bestimmungen zeigen nur 
den Charakter im Allgemeinen an, und die Bezeichung langsam, 
schnell, ist zu wenig bestimmt ja überhaupt zu relativ, um uns bei 
der Aufführung eines Tonstückes als die einzige und leitende Richt- 
schnur zu dienen. Es ist daher« vor Allem nothwendig, eine genaue 
Einsicht der Composition vorzunehmen , die wir entweder selbst 
aufführen wollen, oder die unter unserer Leitung aufgeführt werden 
soll. Diese wird uns mit dem Charakter des Tonstückes genauer 
bekannt [machen , und wir werden bei mehrfachen Vorglei- 
chungen finden, dass die Bestimmung des Tonmasses zweier 
oder mehrerer Stücke mit derselben Bezeichnung in Berück- 
sichtigung der Charakteristik der Tonfiguren sehr verschieden sein 
muss. Wir erhalten aber durch diese genaue Einsicht noch einen 
zweiten Fingerzeig zur Bestimmung des richtigen Tempo, und zwar 
vorausgesetzt bei zureichender praktischer Kenntniss der Musik über- 
haupt eine bildliche Ucbersicht der mechanischen Struktur, de* for- 
mellen Wesenheit des Tonstückes , oder deutlicher gesagt : wir 
lernen die Schwierigkeiten, die sich bei der Betonung der Noten im 
beschleunigteren Zeitmasse darbieten, sowie die verzerrenden Längen 
die bei zu langsamer Bewegung den Fluss der rhytmisch-mclodischen 
Perioden zereissen, genau kennen. 

Für den ersten Fall muss der Musiker einen so geläuterten psy- 
chologischen Scharfblick besitzen, um den Charakter des aufzu- 
führenden Tonstückes ganz aufzufassen, und ihn in Einklang mit seiner 
individuellen geistigen Natur zu bringen, wonach er denn die Berück- 
sichtigung des zweiten Punktes, die Bewegung des Zeitmasses eines 
Tonstückes, bestimmt. Individuell bleibt dann diese Bestimmung 
immer noch , aber es dürfte wohl bei einem wahrhaften Künstler in 
dieser individuellen Bestimmung gerade die wichtigste Wiedergabe 
des Tonstückes begründet sein. Dasselbe findet auch auf den Diri- 
genten eines Orchesters seine Anwendung. Als die Seele desselben 
muss er auch die geistige Potenz, sowie das mechanische Vermögen 
der einzelnen Glieder dieses Körpers, den er beseelt, genau kennen 
und ihn bei der Bestimmung des Tempo berechnen. 

Es lasse sich ja kein Musiker durch die Einschläge und An- 
deutungen Anderer beirren, die ihm beweisen sollen , s o hat Dieser 
und Jener das Tempo aufgefasst, in diesem Zeitmasse wurde 
das Tonstück anderwärts aufgeführt. Zumeist sind diese Angaben 
unrichtig, weil Zeit und Verhältnisse sie um einen guten Theil aus 
ihrer anfänglichen Richtung verrückt haben. Denn es wolle uns 
ja nur Niemand glauben machen, er habe ein so sublimes Taktge- 
fühls-Gedächtniss , um das Tempo eines Tonstückes, das er vor 
langer Zeit gehört, jetzt genau wieder angeben zu können; und wenn 
es ja einmal genau eintrifft, so ist es ein Zufall, der sich nicht so- 
bald wiederholt. Es gehören dahin die Angaben der Contemporains 
Haydns, Mozarts, Beethovens, Webers, Schuberts 
u. A. welchen wir aus übermässiger Pietät eine grössere Wichtig- 
keit beilegen, als sie in der Regel verdienen. Wie sehr haben Zeit, 
Alter und Verhältnisse ihre anfänglichen Eindrücke verwischt, und 



/ 



— 202 



unter welchen Umständen haben sie das damals Gehörte in sich auf*" 
genommen? — 

" Aus dem bereits .Gesagten geht hervor , dass bei der richtigen 
Bestimmung des Tempo- einzig nur die genaue Kenntniss des Ton- 
stuckes selbst unsere Führerin sein kann und soll, und dass das 
Avista-Spielon oder Angeben des Taktes eines Tonstückes ohne ge- 
nauer Bekanntschaft mit demselben immer ein gewagter Versuch 
bleibt, und im Falle er dem Charakter der Composition ganz ent- 
spricht, nur als ein glucklicher Zufall anzusehen ist. Die Bezeich- 
nung des richtigen Tempo eines Tonstückes ist also keine zufällige 
und unwesentliche Sache bei der Aufführung desselben, die sich 
mechanisch abt.hun lässt, sondern sie steht mit der innern Ktinst- 
wesenheit der .Romposition in so zartem Einklänge, dass ein Mehr 
oder Minder nicht nur dem Charakter des Xonstückes Eintrag thun, 
sondern auch sogar ein unrichtiges Yerständniss des Componisten 
selbst herbeiführen kann. Das richtige Zeitmass eines Tonstückes 
aber kann nur durch ein genaues Verständniss desselben in allen 
seinen Thcilcn und, durch das völlige Eindringen in den Geist der 
Komposition bestimmt werden. 



FRANCISCO DE SAUNAS. 



Das ,, Magazin für. die Literatur des Auslandes" (Berlin,) eins 
der besteu deutschen Journale, brachte in Nummer 109 v. 10. Sept. 
d. JL einen lebendig geschriebenen Aufsatz über Saunas. Nur setzt 
der Verfasser voraus, seine Mittheilungen wären für uns Deutsche 
völlig neu. Im Gegentheil, sie enthalten nichts von Bedeutung, was 
wir nicht schon vorher gewusst. die grundgelehrten Deutschen ! 
alle 25 Jahre fangen sie, von vorne an ! — Schon Walther (Lexikon 
1733) wusste von Salinas, aber nicht viel, und Walthers Zeilgenösse 
J. Mattheson muss ihn gelesen haben, denn in seinem „Beschützten 
Orchestre" (Hamb. 1717) nämlich in dem Exemplar aus seinem 
Nachlasse, welches mir vorliegt, machte er zu S. 810 eine kleine 
handschriftliche Bemerkung über Salinas. Im „forschenden Orchestre" 
(l721) wird Salinas 16 mal und zum Thell so ausführlich angeführt 
dass man über seine Richtung ein ziemlich sicheres Urtheil gewinnt. 
In 4er ^exemplarischen Organistenprobe" (17^19) S. 252 bis 254 gibt 
Mattheson von diesem „berühmten Autore", wie er ihn nennt, kurz 
und richtig die Lebensumstände an ; und überall behandelt er ihn 
mit Hochachtung , auch wo er ihm entgegentritt. Doch genug der 
Alten, die ja nun einmal vergessen sein sollen , obschon sie viele 
Dinge, an denen wir uns heute abmühen, längst zum Abschluss ge- 
bracht haben ! — Unter den Neueren, von denen wir fast ausschliess- 
lich unsre, nun auch schon wieder vergessene Weisheit her haben, 
war Forkel. derjenige, welcher den Salinas aus eigner Anschauung 
kannte. Forkel aber kannte sein berühmtes, 1577 in 7 Büchern 
(nicht „Bänden," wie es in dem Aufsatze heisst) in Salamanca er- 
schienenes Werk: 

,,De musica libri Septem in quibus ejus doctrinae veritas tarn 
quae ad Harmoniamt quam quae ad Rhythmum pertinetjuxta sensus 
ac rationis indicium ostenditur et demonstratur. Cum duplici In~ 
dice capitum et verum. Salamanticae, exeudebat Mathias Gastius" 
1577. 438 Seiten in Folio , das Register ausserdem noch 4 i/,' 
Bogen stark. 
In seiner „Literatur der Musik (1792) gab Forkel S. 379 —bis 
386 den vollständigen Inhalt davon und nach Salinas Vorrede die 
Erzählung seiner Lebensschicksale. Aus dem Forkel nahm Gerber 
seinen Bedarf (Neues Lexikon 1814. Bd. IV, — 11); auch Lichten- 
thal (Dizienario, 1826. IV, 287 bis 295) ; auch C. F. Becker (Dar- 
stellung der mus. Liter. 1836 S. 428). Was wir über Salinas wissen 
und wussten, beruht mithin auf des gründlichen Forkeis eigner Er- 
forschung. So wird uns auch „der Antheil, den Spanien am Entwick- 
lungsgänge der Musik genommen hat", nicht „völlig unbekannt" 
sein. Vgl. auch u. a. noch Cäcilia Bd. II, 119 und Bd X, 56 — 64. 
Salinas wurde um d. J. 1512 zu Burgos geboren , wo sein 
yater Rentmeister war. In der Vorrede seines ebengenannten 
Werkes erzählt er selbst (ich gebe nicht Gerbers ausfuhrliches Referat 
sondern des Salinas eigne Worte wie sie im Magazin übersetzt, sind:) 
„Seit, meiner Kindheit habe ich mich der Musik gewidmet, und 
bin ihr mein Leben lang treu geblieben. Da ich nämlich die Blind- 



heit mit der vergifteten Milch meiner Amme einsog und meine Eltern 
trotz aller angewandten Mittel sich nicht der Hoffnung hingeben 
konnten , dass ich das Augenlicht wiedergewinnen würde » so waren 
sie der Ansicht, ich werde mich keiner Kunst mit mehr Nutzen und 
Ehre widmen können, als eben der Musik, welche, da sie durch das 
Gehör/ jenen zweiten grossen Diener unserer Seele, vermittelt wird, 
auch dem Blinden noch grosse Leistungen gestattet. So verwendete 
ich meine ganze Zeit auf das Studium des Gesanges und noch mehr 
des Orgelspiels." 

„Was meine Fortschritte hierin betrifft , so begnüge ich mich, 
zu sagen, dass ein Jeder, der die Lehren eines Aristoxenus , Ptole- 
mäus , Bo€thius u. a. berühmter Musiker verstehen will , sich gar 
sehr und lange in jenem Theil der Musik üben muss. Sie Alle 
schrieben über den Theil der Musik, welchen man Harmonik und 
die mathematische Wissenschaft der Tonverhältnisse zu nennen pflegt, 
sowie über Composition von Instrumental • Musik. Wer sich daher 
bereits mit den bei uns üblichen Instrumenten vertraut gemacht hat, 
wird hierüber leichter und richtiger zu urtheilen im Stande sein. — 
Damit es aber nicht scheine, als vermeide ich, von meinen übrigen 
Studien zu reden, so führe ich hierüber Folgendes an: Als ich noch 
Kind war, kam ein Mädchen aus einer ehrbaren ffamilie in meine 
Vaterstadt , welches , da es sich dem Kloster widmen wollte , ein 
grosses Verlangen trug, das Orgelspiel zu erlernen. Dieses Mädchen 
wohnte in unserm Hause und wendete sich daher an mich. Nun 
verstand sie aber die lateinische Sprache vortrefflich, und so geschah 
es , dass sie von mir in demselben Maasse Musik erlernte , als ich 
Wieder von ihr die Grammatik überkam , die ich sonst vielleicht 
nicht gelernt haben würde. Denn entweder wäre dies meinem Vater 
gar nicht eingefallen, oder die gewöhnlichen Lehrmeister hätten ihm 
eingeredet : Wissens chaft schade der Musik! Da jenes 
Studium meine Lernbegierde erregt hatte , so setzte ich meinen El- 
tern so lange zu, bis sie mich nach Salamanca schickten, wo ich 
mich einige Jahre lang dem Studium der griechischen Sprache, dem 
der schönen Wissenschaften und der Philosophie widmete. Als aber 
die spärlichen Mittel meiner Eltern eine längere Fortsetzung meiner 
Studien nicht gestatteten, wendete ich mich an die curia regia. Der 
Erzbischof von Santiago, D. Pedro Sarmiento, nahm mein Gesuch 
gnädig auf, und da er bald darauf Kardinal wurde, so ging ich in 
seiner Gesellschaft nach Rom , jedoch mehr in der Absicht , dort 
etwas zu lernen , als eine vorteilhafte Stelle zir-gewinnen. Kaum 
hatte ich dort begonnen, mich mit den Gelehrten, deren damals im- 
mer eine bedeutende Anzahl zu Rom lebte, in Verbindung zu setzen, 
als ich zu meiner. Scham bemerkte, dass ich die Kunst, zu der ich 
mich bekannte, eigentlich noch gar nicht verstand, und mir von dem, 
was ich selbst prakticirte, keine Rechenschaft geben konnte. Ich 
begriff bald, dass in der Musik, wie iti der Architektur, jener Grund- 
satz des Vetruv gilt , dass die, welche sich ausschliesslich der me- 
chanischen Ausführung widmen Und die Theorie vernachlässigen, 
ihren Werken nie dauernden Werth zu geben vermögen , und dass 
im Gegentheil die einseitigen Theoretiker einem Schatten nachjagen, 
Ohne je das Wesen zu erfassen, wer sich aber Beides zu eigen ge- 
macht hat , und so mit allen Waffen ausgerüstet ist , das schöne 
Ziel, das Cr sich gesetzt hat, entschiedener und schneller erreichen 
müsse. Da ich nun schon von Aristoteles her wusste, dass die 
Zahlen die Grundursachen der Konsonanzen und harmonischen In- 
tervalle sind, und doch nicht alle Konsequenzen und kleineren Inter- 
valle nach ihren wahren Beziehungen geregelt fand, so wollte ich 
mittelst des Gefühls und der Vrtheilskraft hier 
der Wahrheit auf die Spur zu kommen suchen." 

„Dabei halfen mir nun insbesondere — und mehr als Boethius, 
den die Musiker beständig citiren — gewisse alte griechische Schrif- 
ten, die damals noch nicht in das Lateinische übertragen waren. Ich 
fand ihrer mehrere, besonders von der Hand des Claudius Ptolemäus, 
dem die Musik wohl nicht weniger verdankt, als die Astronomie. 
Hierher gehören drei Bücher von der Lehre der Harmonie , die der 
vaticanischen Bibliothek angehören, nebst dem Kommentar des Por- 
phy'riiis darüber. Sie strotzen von einer dem Studium der Alten 
entstammenden Gelehrsamkeit und wurden mir durch den Kardinal 
von Toledo verschafft; ferner zwei Bücher des Aristoxenus über die 
Elemente der Harmonie, zwei weitere von Nikomachus, welche Boe- 
thius zum Muster nahm; eines von Bachäos, drei von Aristides und 
drei von Briennius , welchi der Kardinal von' Burgos in der Biblio- 



203 



thek von San Marco in Venedig für sich hatte kepiren lassen. In- 
dem ich das Gute dieser Schriftsteller benutzte and das Schlechte 
mit Vorsicht entgegennahm , gelang es mir , allmälig eine ziemlich 
genaue Kenntnis» dieser Wissenschaft zu erwerben. Dreiundzwanzig 
Jahre hatte ich diesen Studien und der genauesten Prüfung jener 
Autoren gewidmet." 

Zurückgekehrt in sein Vaterland, erhielt er 1575 den Lehrstuhl 
für Musik an der Universität Salamanca. Seine gelehrten Vorträge 
hatten aber nicht grossen Zulauf, denn die Meisten hielten wohl noch 
immer dafür, die Wissenschaft schade der Musik. So gab er 1577 
sein grosses Werk heraus , besonders um das Vcrständniss seiner 
Lehre zu erleichtern und dieselbe im Zusammenhange darzulegen. 

Er starb im Februar 1590 (im „ Magazin »• steht wahrsch. als 
Druckfehler : 1577) im 77. J. seines Lebens. Donius , ein gelehrter 
Musikus im 17. Jh. (1616-1669) nannte ihn den „Fürsten der Theo- 
retiker." Und Forkel sagt : „er hat in seinen Schriften alles ge- 
leistet, was nur von einem Schriftsteller aus seinem Zeitalter gefor- 
dert werden kann." Wer wüsste ein grösseres Lob zu sagen? — 

CORRESPONDENZEN. 



AUS CÖLN. 

Im Dezember. 

In nnsern Winterconcerten, deren bis jetzt drei, am 25. October 
8 und 29. Nov. stattfanden, kamen bis dahin folgende Musikwerke 
zur Aufführung. Von Instrumentalsachen : die Ouvertüren zu Iphi- 
genie von Gluck, im Hochland von Gade, zu Don Quixote von G. A. 
Macfarren zum ersten Male, zu Oberon von Weber, zu Leonore Nr. 8 
von Beethoven. Von Sinfonien : in A-dur von Beethoven, Nr. 4 inD-moll 
von R. Schumann, in D-moll von W. A. Mozart. Von Solovorträgen : 
Violin-Concert von Mendelssohn vorgetragen, von Herrn Pixis ; Con- 
cert in Es-dur von Beethoven, Lieder ohne Worte von Mendelssohn, 
Romanze von Schumann, vorgetragen von Frau Dr. CI. Schumann. 
Von Vokalsachen mit Orchester: Motette für Doppelchor von Bach, 
der 126. Psalm von Hiller, der 98. Psalm für Doppelchor von Mendels- 
sohn und Hymne für Chor und Orchester von Händel. Credo und 
Agnus dei aus der Missa solemnis von £. Naumann ; Musik zum 
Sommernachtstraum von Mendelssohn u. s. w. Die Instrumentalstücke 
sind meist bekannt, und hinlänglich besprochen worden; sie wurden 
von unserm sattelfesten Orchester mit gewohnter Präcision, und mit 
tiefem Eindringen in den Geist der Meister vorgetragen , die Ouver- 
türe von Macfarren hatte darunter zu leiden , dass sie auf ein Con- 
cert von Beethoven folgte, sonst durfte ihr wohl ein grösserer Beifall 
geworden sein; so aber sprach sie nicht besonders an. 

Das Violin-Solo, von Pixis vorgetragen , bewährte wieder den 
braven Geiger und erntete derselbe reichen Beifall. Einen wahren 
Triumph aber feierte Frau Schumann. Ihr herrliches Spiel riss das 
Publikum zu einem wahren Seelenjubel hin, der sich in einem stür- 
mischen, langanhaltenden Beifallsruf Luft zu machen suchte. Wir 
dürfen es dreist sagen, dass noch nie eine Künstlerin in unsern 
Cohcerten so hingerissen hat , als Frau Schumann. Es thut uns 
leid, uns über die Vokalvorträge nicht so lobend aussprechen zu 
können. Als wir in unserer Mittheilung über die cölnischen Musik- 
Vereine den Wcber'schen Bestrebungen, namentlich dem Männer- 
Gesangvereine die gebührende Anerkennung angedeihen Hessen , und 
dagegen auf eine Vernachlässigung der unter Herrn Hiller stehenden 
Institute hindeuteten , hat man hier uns von der einen Seite für 
einen eingefleischten Weberianer erklärt. Wir sind aber weder 
Weberianer noch Hillcrianer, und haben es bei anderer Gelegenheit 
schon erlebt, für einen Antiweberianer gelten zu müssen. Leider 
beginnt es sich jetzt zu zeigen , wie begründet unsere Hin- 
dentung war. Der städtische Gesangverein, obgleich jetzt wieder 
unter der Leitung des Herrn Hiller, leidet an der Schwindsucht. 
Eifrige Mitglieder desselben haben sich streichen lassen, weil er kaum 
mehr besucht wurde. Dieser Verein lieferte den Kern für die 
Chöre der Concertgesellschaft, Die Gönner des Herrn Hiller, 
die wohl erkannten, welche Verantwortlichkeit auf ihm lasten 
würde, wenn der Verein einging, haben sich desshalb grosse Mühe 



gegeben, ihn wieder zusammen zu trommeln. In der That ist e» 
ihuen gelungen, unsere vornehme Welt wieder einmal herbei zu- 
bringen. Ob das Stand halten wird? Unsere vornehme Welt wird von 
Tag zu Tag exclusiver, woraus unsern musikalischen Vereinigungen 
eine neue Gefahr erwächst. 

Zu dem bösen Umstände, dass der städtische Gesangverein nicht 
mehr eine so feste Stütze für die Concertgesellschaft bildet, kommt 
eine andere unverzeihliche Versäumniss , nämlich jene , dass man 
den Männergesangverein gar nicht zur Mitwirkung eingeladen hat. 
Das fiel jedoch bisher so sehr nicht auf, als die meisten seiner Ange- 
hörigen dennoch als Mitglieder anderer Gesellschaften erschienen; nun 
geht man aber noch her, und setzt die Proben auf Tage an, wo der 
M. G V. seine Versammlung hält! Es wäre ein Wunder, wenn das 
alles ohne böse Folgen geblieben wäre. Zwar ging es in den beiden 
ersten Concerten ziemlich gut trotz aller Schwierigkeiten. Aber das 
dritte Concert fiel in einer Weise aus, wie man es in Köln gar nicht 
gewohnt ist. Freilich muss man hier bemerken, dass die Aufführungen 
des Tannhäuser suf unserer Bühne viele von den Proben abhielt; 
unter diesen Umständen hätte man aber das Concert lieber aussetzen 
sollen. Man hörte vor allen den Chören an, dass keine hinreichende 
Proben stattgefunden hatten. Die adlibitum Sätze im Credo gingen 
durcheinander ; sie wurden schwach , unbestimmt durch die Männer- 
chöre eingesetzt. Die Musik zum Sommernachtstraum machte dabei 
einen sonderbaren Eindruck auf ein Credo und Agnus dei, so herrlich 
sie auch an Ort und Stelle, im Lustspiel mit der übersprudelnden 
tollen Laune ist. Zwar sollten begleitende Worte von Rod. Ber&dix 
uns das Lustspiel ersetzen , bewirkten aber das Gegentheil , indem 
sie dasselbe um so schmerzlicher entbehren liesen. 

Man hat jetzt erfahren , wohin ein Zuleichtnehmen führt j möge 
in dem nächsten Concert die Scharte ausgewetzt werden. 



AUS WIEN. 

(Schluss.) 

Das Concertwesen ist nun schon in vollem Gange; jeder neue 
Tag bringt uns neue Ankündigungen und für die nächste Zukunft 
stehen uns Academien , Produktionen, Concerte, Matinöes und 
Soirees in schwerer Menge bevor. Fürchten Sie, geehrter Herr Re- 
dacteur, übrigens nichts für Ihr Lesepublikum, wenn ich auch an» 
Gewissenhaftigkeit wenige derlei Aufführungen unbesucht lassen werde, 
so sollen doch nur jene einer Besprechung unterzogen werden, welche 
Interessantes bringen, in was immer für einer Beziehung. 

Der heurigen Concertsaison wäre trotz der grossen Menge von 
Produktionen, immerhin schon aus dem Grunde ein günstiges Prog- 
nostikon zu stellen, weil sie mit ernster Musik beginnt. Die Hell« 
mesbergerschen Quartette, die Quartette der Gebrüder Müller 
sind im Gange, der hier anwesende Clavierspieler Wi llmer s will 
Quartette veranstalten und noch sind einige derlei zu erwarten. Di© 
Acadernie der Tonkunst hat mit ihren Aufführungen schon 
begonnen und der Musik- Verein kündigt seine Concerte an Ich 
bedaure sehr, der Produktion von Hellmes bergers 1. Quartett- 
Abend nicht beigewohnt zu haben; nach eingeholten unpartheischeit 
Urtheilen und dem Ausspruche der Journale aber soll Hr. Hell* 
mesberger sich darin besonders durch den gelungenen Vortrag 
der A-dur Sonate von Bach verdient gemacht haben, dagegen war 
die Clavierparthie dureh Prof. F i s c h h o f ganz ungenügend ver- 
treten. Ungeachtet der Begründung eines Bachvereins war Hr. 
Fischhof von jeher ein sehr mittelinässigre Interprete Bach'scher 
Werke. Für den Verlust, der mir durch diese Versäumniss zuge- 
gangen, wurde ich doppelt durch die Quartettproduktion der Gebrüder 
Müller entschädigt. Ich will zwischen diesen beiden Quartett* 
aufführungen keine Paralelle ziehen , weil jede in ihrer Art Ausge- 
zeichnetes leistet ; allein dieses contemplative sich Versenken in des 
Geist des Tondichters, dieses keusche, reine Aushauchen des Innig- 
empfundenen, das die Quartette der Gebrüder M ü 1 1 e r charakterisirt, 
suchen wir vergebens bei jenem. Da ist kein kokettes Hervordrängen 
des Einzelnen bemerkbar, keine affectirte Sentimentalität, sondern 
Kraft, männlicher Ernst, und fromme Kunstbegeisterung zu finden. 
Vielleicht ist Manches Einzelne nicht so fein geglättet, so haarscharf 
zugestutzt, dafür aber ist Wahrheit, Natürlichkeit, Empfindung und 



— «04 



Kunstweise in Allem. Ich weiss Air wahr nicht welchen von den 
aufgeführten Compositionen Mozarts, Haydns, Beethoven 9 
und Schuberts ich de» Preis zuerkennen soll , dies aber weiss 
ich ganz gewiss, dass ich mich nicht entsinne, diese Tonwerke, je so 
rein und unverfälscht von fremdartigen Eindrücken genossen zu haben. 1 

■■ » OXXXCHo — 

AUS PARIS 

(Ende November.) 

Ich habe Sie in meinem letzten Bericht von dem Rundschreiben 
des Grafen Tyszkiewiez unterhalten und dem von ihm gegen die 
Direktion der grossen Oper anhängig gemachten Prozess, Wir werden 
noch einige Zeit bei diesem Gegenstande verweilen müssen, seiner 
"Wichtigkeit wegen, denn zu wessen Vortheil er auch ausfallen möge, 
jedenfalls wird er unsern Musikzuständen Vortheil bringen, insofern 
er von der ^Kritik nicht umgangen werden kann, Angriff und Ver- 
teidigung freien Spielraum eröffnet , zur allseitigen Beleuchtung 
misslicher Verhältnisse und eingewurzelter Missbrauche dienen und 
im Kampfe der Parteien gar Vieles zu Sprache bringen wird, dessen 
Veröffentlichung auf die betreffende Anstalt selbst nur günstig ein- 
wirken kann. 

Auch haben sich, wie zu erwarten stand, der Stimmen schon 
mehre erhoben. Für und gegen. Gegen den Fremden, der das Un- 
erhörte wagt, der sich vermisst die „erste Bühne der Welt" anzu- 
greifen und der Direktion Wahrheiten ins Gesicht sagt, die Jeder zu 
verschweigen beflissen ist. Für den Fremden , weil er als Solcher 
von allen persönlichen Rücksichten frei, und unabhängig dastehend, 
ausser dem Complex der bindenden Verhältnisse, unbefangen einmal 
aussprechen darf und ausspricht was viele der Bessern unter den 
Inländern längst auf dem Herzen haben und in ihrer Stellung nicht 
zu berühren den Muth fühlen. Dass sowohl unter den Anhängern 
als Gegnern nicht alle aus uneigennützigem Triebe , aus reinen Be- 
wegungsgründen das Wort ergreifen werden, ist gewiss; das thut in- 
dessen zur Sache nichts, sobald nur die Wahrheit an den Tag kommt, 
die hier in gewissen Kreisen nur schwer wenn ja überhaupt, zu 
ihrem Recht gelangen kann. Wir wollen nur hoffen, dass nicht die 
Direktion in ihrer Verlegenheit zum letzten Mittel greifen möge und 
Kraft ihrer officiellen Stellung den Angriff auf ihr „kaiserliches" 
Ansehen auf politischen Boden hinüberspielend, zur eignen Rettung 
kraft angestrebter „höhern*' Verfügung dem kecken Fremden den 
Mund schliesse und gar böse Händel zuziehe die ihn zwängen, als 
Störer der öffentlichen Ruhe den Weg über die Grenze einzuschlagen. 
Hat sie ihn doch schon als Fremden gezwungen vorläufig eine Caution 
von tausend Franken zu leisten, um sich die Anerkennung zu verschaffen 
dass er Mann sei, Klage zu erheben, und im Stande, die Klage 
durchzuführen. Man nennt dieses liebenswürdige Verfahren hier zu 
Lande und auch woanders wohl, eine präjudizielle Massregel; dass 
das Präjudiz dem Beeinträchtigten zur Last fällt, versteht sich am 
Rande und ist nicht mehr wie billig; denn wohin sollte das führen, 
wenn jedes beschädigte oder beeinträchtigte Menschenkind auf Erden 
ohne tausend Francs für etwaige Gerichtskosten sich Recht ver- 
schaffen wollte. 

In diesem Sinne spricht in einem an den Kläger gerichteten 
Schreiben voll bissiger Ironie der witzige Louis Dcsnoyers. 
„Sie kommen , sagt er , nach Paris , der Hauptstadt der schönen 
Künste, wie sie in alberner Einbildung wenigstens sich selber diesen 
Ruhm zuspricht; Sic wohnen in solcher Erwartung einer Vorstellung 
eines deutschen Meisterwerks bei, in entsetzlicher Verstümmlung, 
und sind empört über den Frevel. Sie wenden sich an die Gerichte 
und denken, es sind Richter in Paris, wie es deren einst in Berlin 
waren. Sie bestehen auf ihr Recht, verlangen eine bessere Vorstel- 
lung, eine vollständige mindestens , und nicht eine vollendete , denn 
das würde hier ein unnützes Verlangen sein : — das alles ist ein- 
fach, klar und leicht zu entscheiden. Ein türkischer Kadi würde die 
Sache in fünf Minuten geschlichtet haben ; ein solch türkisches 
Verfahren haben sie aber hier in unserm civilisirten Lande nicht zu 
fürchten. Wohl aber stehen Ihnen tausenderlei Schwierigkeiten be- 
vor, ein Labyrinth von Einwendungen, Verzögerungen, Vertagungen, 
auf acht Tage, auf 14 Tage u. s, w. es gibt keinen Prozess, den der 
erste beste Rechtsschüler nicht in die Ewigkeit hinausziehen könnte, 
und wenn die Sache in die rechten Hände kommt, so wünsche ich 
demjenigen ihrer Nachkommen zum Sperrsitze Glück, den Sie im 
Begriff stehen, ihm zu einer erträglichen Aufführung des Freischütz 



zu erkämpfen. Er segne Ihr Andenken für die Fatalitäten die sie 
sich dabei werden zugezogen haben* 

Und schon sind sie auf gutem Wege den Kelch der Annehm- 
lichkeiten zu leeren, den man Ihnen bereitet Der' Eine verstümmelt 
in der Gerichtszeitung Ihren Namen, der Andere verstümmelt Ihre 
Absicht; behauptet keck, Sie verlangten eine Privatvorstellung für 
sich allein bei verschlossenen Thüren. und sämmtliche Rollen mit 
ersten Subjecten besetzt. Als wenn es irgend Jemanden einfallen 
könnte, einen Freischütz mit ersten Subjecten zu bedienen. Hier 
werden sie ein seltsamer Kauz genannt, dort Ihr Verfahren als Un- 
sinn verschrien. Ein Unsinniger ist hier Jeder, der anspruchvoll 
genug ist gegen irgend einen Missbrauch zu Felde ziehen. Wir sind 
hier zu Lande so wenig auf unser Recht bedacht, dermassen zur 
Willkür erzogen, so vergesslich alles erlittenen Schadens und dem 
fait accompli so unterwürfig , dass jedes Widersträuben für die 
grössle Thorheit gilt. Uebrigens können Sie sich glücklich schätzen, 
dass Sie einem Manne gegenüber stehen (Advocat Celliez), der in 
der Person des Gegners sich selbst zu achten weiss ; wonicht 
würden Sie in wundersamer Weise zerzausst aus dem Handel kommen. 
Das gehört noch so mit zu unsern einheimischen Sitten; unterm 
schwarzen Mantel, heisst es, ist die Frechheit des Worts erlaubt. 
Auch ist die Angst vor der Sprache der Advocaten, dass man in 
vielen Fällen der Injurie das Unrecht vorzieht und es sich ohne 
Weiteres gefallen lässt, sich bei Anlass einer Hypothekenangelegen- 
heit Schuft , Lump oder sonst wie nennen hören ; oder bei 
einem streitigen Fall sein Privatleben Verunglimpft und verläumdet 
zu sehen, gehört eben nicht zu den angenehmen Dingen, und man 
gibt lieber sein Recht auf, als dass man es unter solcher Beigabe 
vertheidigte. Besser ruinirt, als entehrt und beschimpft. 

Aber geehrter Herr, fährt der Satiriker fort, Sie haben einen 
geschickten und gefährlichen Gegner, der, ohne in Ermangelung trif- 
tiger Gründe Anzüglichkeiten anzuwenden, dennoch, ich darf es 
Ihnen nicht verhehlen, furchtbare Argumente gegen Sie anführen 
kann, furchtbar namentlich in einem von der Routine und dem Her- 
gebrachten so beherrschten Lande als dieses. „Ei nun ! kann er 
Ihnen einwenden, Sie beklagen sich, und worüber? Ueber eine ver- 
stümmelte Oper? Das ist was Neues! Ist Ihnen denn nie zu Ohren 
gekommen, dass dergleichen Verstümmelungen von undenklichen Zeiten 
her traditionell sind auf der „ersten lyrischen Bühne der Weit' 4 
(alten Styls) ? Nie, dass alle Komponisten sich das hahen gefallen 
lassen müssen, Meyerbeer ausgenommen dessen krittliche Empfind- 
lichkeit so weit geht, dass er eine Massacrirung seiner Werke nicht 
zugeben will (eine wunderliche Grille, die man dem Genie zu Gute 
halten muss;) Alle aber, Verehrter, Gluck, Spontini, Halevy, Auber, 
Rossini u. s. w., Alle haben solche sogenannte Gräuel ganz ruhig 
über sich ergehen lassen müssen ; und Sie wollen uns einzig und 
allein wegen des Freischütz einen Prozess an den Leib hängen ! ?" 

NACHRICHTEN. 

Frankfurt a.M. Th. Milanollo hat ihre diesjährige Concertreise 
bereits angetreten. Sie spielte hier am 17. „auf der Durchreise" 
drei ihrer bekannten Forcepiecen. 

'Wien. Die Balfe'sche Oper ist am 3. zur Aufführung gekommen j 
die hiesige Kritik nennt das Werk „eine kraft- und .saftlose Mache". 
Die Ausstattung war, wie gewöhnlich „glänzender als das Werk 
verdient hätte." 

Paris. Der Prozess des Grafen Tyszkiwitsch gegen den Direktor 
der grossen Oper wegen schlechter und verstümmelter Aufführung 
des „Freischütz" ist von dem Gerichte eben so sehr gegen den 
Grafen als — gegen C. M. von Weber entschieden worden. Die 
Klage wurde abgewiesen, weil in Paris ,der Freischütz niemals besser 
oder eigentlich gar nie aufgeführt wurde. Man hat dem Publikum immer 
ein Arrangement von Berlioz und Castil Blaze , aufgetischt ; derge- 
stalt das% dieselben Autorrechte auf die von ihnen arrangirte Musik 
Webers erworben haben, die Tantieme dafür seit Jahren beziehen und 
juridisch in der Lage sind, die Aufführung des wirklichen „Freischütz" 
als ein Plagiat und einen Diebstahl zu verfolgen. Das Köstlichste 
an diesen musikalischen Zuständen der Weltstadt ist, dass gerade 
Berlioz in seinen Recensionen gegen die Misshandlung Webers in 
der grossen Oper sehr oft gedonnert hat. In der öffentlichen Mei- 
nung jedoch hat Tyeskewitsch seinen Process gewonnen. 

Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Pruck ton REUTER u. WALLAU in M« ns. 



2. Jahrgang. 



ff«*-«*. 



26. Decbr. 1853. 



SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG 



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werden gebeten ihre Bestellung auf den nächsten mit Ja- 
nuar beginnenden Jahrgang derselben rechtzeitig zu machen, 
damit keine Unterbrechung in der Zusendung eintritt. Zu- 
gleich machen wir das musikalische Publikum nochmals 
auf dieses Blatt aufmerksam, welches schon jetzt von den 
verschiedensten Seiten als eine bedeutende Erscheinung 
auf dem Gebiete der musikalischen Literatur anerkannt 
worden ist und durch Gewinnung der tüchtigsten Kräfte 
im Stande ist, dieser Anerkennung immer gerechter zu 
werden. — Der unerhört billige Preis desselben — 2 fl. 
42 kri voder Thlr. 1. 18 Sgr. per Jahr — giebt ihm einen 
weiten Vorzug vor allen andern musikalischen Blättern. 



KUNSTLER-SKIZZEN. 

in. 

Erl. 

Ungeachtet der vielen Gegner , die dieser Sänger im Wiener 
Publikum zählt, und welche die Zahl seiner Freunde bei weitem 
überwiegen , ungeachtet der grossen Mängel , welche seinem drama- 
tischen Gesänge wirklich innewohnen, und die selbst der unbe. 
fangenste Beurtheiler nicht ignoriren kann , war Herr £ r 1 doch 
eine lange Reihe von Jahren hindurch die Stütze des Wiener Hof- 
operntheaters, und wir können es nicht leugnen, er ist es noch jetzt, 
trotz der Verhimmelungen des aligemeinen Lieblings Ander und den 
übermässigen Erwartungen , die man noch immer in die künftigen 
Leistungen des neu engagirten Tenors S t e g e r setzt , obgleich er 
sich schon in den verschiedenartigsten Partien dem Publikum mit 
kaum wechselndem Erfolge vorgeführt hat So lange die Hofopern- 
direction in Erl's Besitze, mag sie ohne Bangen für ihr Repertoir 
der Zukunft entgegensehen; sie kann weder das Damoklesschwert, 
das über der Stimme Anders zittert, erschrecken, noch der Gedanke 
mit Kümmerniss erfüllen, dass eines Tages Herr Steger ins Lager 
seiner Landsleute zurückkehren kann, und über das wilde: „Eljeu" 
der Magyaren die Kränze vergisst, welche ihm die Aristokratie der 
Residenz mit Glace-Handschuhen geflochten. Herr Erl ist was man 
unter der Benennung: „ein verwendbarer Sänger*' begreift, er ist es 
im weitesten Sinne des Wortes. Obwohl eigentlich lyrischer Sänger, 
ist er als Heldentenor und in tragischen Parthien gleich gross, d. h. 
so gross als Erl eben nur sein kann. An seiner Stimme geht die 
Zeit mit allen Extravaganzen persönlicher Verhältnisse spurlos vor- 
über. Sie hat dieselbe Kraft und Frische, denselben Wohlklang wie 
vor fünfzehn Jahren. Obgleich schon über die Mittagshöhe der Jugend 
hinaus, ist sein Erscheinen auf der Bühne noch immer anmuthig und die 



; '» 



Behendigkeit seines Körpers spottet der zunehmenden Ueberfülle 
seines Umfanges. Die moderne Indisposition unserer Sobsangcr kennt 
Erl nur bei Andern, fatiguirt war er selbst dann nicht, wenn er 
nach der derbsten Leibesübung Abends den „Rohert" sang. Ist 
er auch kaum auf die Hälfte der Bezüge seines Collegen Ander 
gestellt, so leistet er doch in quantitativer Beziehung doppelt so viel 
wie dieser Ihn ficht es nicht an, ob die Kritik auch den herbsten 
Tadel über ihn ausspricht. Die giftigsten Pfeile der Presse ver- 
lieren bei ihm ihre verletzende Kraft, wenn nur bei seinem Erscheinen 
die Gallerien klatschen, und die Hervorufungen in der Scene sind 
sein Barometer, nach welchen er den Kunstgehalt abmisst. 

Es ist heuer in Wien e'me Brochüre unter dem Titel: „Rezen- 
sionen und allgemeine Bemerkungen über Theater 
und Musik" erschienen, welche, obgleich sie durch Extravagan« 
des Urlheils Aufsehen zu machen bemüht ist, gerade bei Beurtheüung 
der Kunstindividualität Erls eine Mässigung bewahrt, die sie der 
Wahrheit näher bringt, als in den Recensionen über andere Künstler, 
die eben nicht immer von einer richtigen Anschauung des Verfassers 
Zeugniss geben, und eher die Absicht zu v e r l e t z e n verrathen« 
als zu — bessern! 

Bei dem Wunsche die Leistungsfähigkeit als Künstler und sein 
Verdienst um das Hofoperntheater vom Standpunkte einer unbefange- 
nen Kunstanschauung kritisch festzustellen , wollen wir daher einige 
Stellen aus dieser Recension hier anführen und ihnen unser eigenes 
Urtheil beifügen. 

„Die Natur hat Hrn. Erl eine gesunde Stimme von genügendem 
Umfange verliehen, welche auch durch den in der Jugend genossenen 
Unterricht in allen Lagen ziemlich gleichmässig ausgebildet wurde. 
Die höheren Töne besonders zeichnen sich durch Schmelz und Weich- 
heit aus. Der Mittellage gebricht es an Kraft , sowie überhaupt der 
ganzen Stimme an intensiver Stärke und an leidenschaftlicher Schwin- 
gung (?) durch welche eine , wenn auch momentane , doch oft not- 
wendige Wirkung hervorgebracht werden kann.** 

In Bezug auf den gerügten Mangel an Kraft glauben wir zum 
richtigen Veratändniss noch beifügen zu müssen , dass der Klang 
seiner Stimme immerhin kräftig, ja in der Höhe sogar das Ensemble 
dorainirend auftritt; da derselbe jedoch nicht scharf wie z. B. bei 
F r a s ch i n i , so kann er auch nicht die gewaltigen Chor und Or- 
chester-Massen der modernen Opern so leicht durchdringen. Bei Be- 
sprechung seiner Stimme müssen wir noch eines Umstandes aus der 
frühesten Periode der musikalischen Laufbahn Erls um seiner Sel- 
tenheit Willen erwähnen. Gleich wie Staudigl, so ist auch Ert 
aus dem Chorpersonale des Hofoperntheaters hervorgegangen , wo 
er als — Basssänger fungirte. Dieser Fall ist für den Forscher 
im Gebiete der Stimmbildung von grossem Interesse, und besonders 
merkwürdig noch aus dem Grunde, well Erl, als diese Veränderung 
mit seiner Stimme vor sich ging, schon längst über die^Periode der 
eigentlichen Mutation hinaus war. 

„Wie die meisten deutschen Sänger besitzt auch Hr. Erl nicht 
den ganz reinen offenen fehlerfreien Stimmansatz. Auch mangelt 
ihm jede fernere Ausbildung in Bezug auf Coloratur. Im Uebrigen 
aber bekundet sein Gesang ganz tüchtige musikalische Studien. Er 



— 2Q§ 



intonirt durchaus rein, ist takt- und tempofest, und weiss die Tön* 
untereinander, wie auch ein sehr angenehmes Falsett mit der Brust« 
stimme zu verbinden. Sein Vortrag ist im Allgemeinen richtig and' 
genau, in einigen Parthien sogar ganz vorzüglich, in andern hinge- 
gen nicht ganz zur Höhe der ihm gestellten Aufgabe hinaufreichend. 
Vor Allem mangelt ihm der effektvolle Vortrag des Recitativs in 
tragischen Parthien ; poetische Momente , höhere dramatische Wir- 
kung sind (mit Ausnahme seines „Raouls") in seinem Gesänge selten 
zu finden. In manchen Rollen konnte man ihm in früherer Zeit mit 
vollem Rechte eine nicht genug zu rügende Gleichgültigkeit und Kälte 
vorwerfen , und wenn auch seit einigen Jahren Hr. £ r 1 sich eifrig 
bestrebt, seinen Darstellungen mehr Leben einzuhauchen , so finden 
doch jetzt noch Manche seinen Gesang nicht genug feurig und rasch; „ 
man darf aber auch nicht vergessen, dass es Leute gibt, welche an 
die modernen Uebertreibungen gewöhnt , Manches kalt nennen , was 
blos ruhig oder einfach ist , manche einzelne Stellen , ja oft ganze 
Rollen verlangen allerdings eine Steigerung des dramatischen Aus- 
drucks , welche Hr. E r 1 selten zu erreichen vermag , dafür ist sein 
Vortrag in andern Parthien ein wahrhaft wohlthuender, denn er be- 
tont fast immer richtig, singt oft mit Wärme und gutem Ausdruck, 
hie und da sogar mit vielem Schwung, und was uns ein nicht genug 
zu schätzender Vorzug scheint; lässt sich nie aus der Bahn des na- 
türlichen Gesanges durch Gefühls - Affektationen und Uebertreibung 
hinreisen." , 

Wir haben die ganze Periode dieser Recension gefliessentlich 
nicht unterbrechen wollen , erstens, um dem Vorwurf zu begegnen, 
als hätten wir nur einzelne Sätze fragmentarisch aus dem Ganzen 
herausgerissen und dadurch den Zusammenhang gestört , oder als 
wäre es uns nur eben um Widerlegung von Worten zu thun, 
zweitens aber besonders desshalb, um dem unbefangenen Leser eine 
kritische Ansicht über £ r 1 zur Beurtheilung vorzulegen, welche von 
unserer Ansicht schon im Prinzipe abweicht. 

Die gerügten Mängel im Vortrage des Recitativs, sowie den 
Fehler einer gewissen Kälte und Gleichgültigkeit, welchen er in der 
letzteren Zeit abgelegt haben soll, sind tief begründet in der Indivi- 
dualität des Säugers ; diese Recension aber beunheilt seine Leistun- 
gen blos vom rein musikalischen Standpunkt aus und vergisst, 
dass es sich um die Leistungen eines dramatischen Sängers 
handle. In dem Vorwurfe : dass poetische Momente , höhere drama- 
tische Wirkung in seinem Gesänge selten zu finden sind , so auch 
dass er eine Steigerung des dramatischen Ausdrucks nicht zu er- 
reichen vermag , ist schon das Urlheil über E r 1 deutlich ausge- 
sprochen , und , mag immerhin dagegen seine richtige Betonung und 
die Natürlichkeit seines Gesanges als aufhebendes Gegengewicht her- 
vorgehoben werden , wir , und mit uns das unbefangene Kunstrich- 
tende Publikum, werden über die Vorzüge seines musikalischen 
Gesanges, den Mangel an poetischer Auffassung, an geistiger 
Durchdringung seines musikalisch dramatischen Vorwurfes nicht über- 
sehen. Erl ist keine poetische Natur, und desshalb wird ihm auch 
stets wahre Kunstbegeisterung, Tiefe der Empfindung und die Weihe 
eines poetischen Verständnisses fehlen. Von einem Erfassen „höherer 
dramatischer Wirkung" kann bei ihm gar nie die Rede sein , und 
wenn er in der gepriesenen Parthie des „Raoul" nach dem in dieser 
Recension weiter ausgesprochenen Urtheile wirklich so Ausgezeich- 
netes leistet , dass er von den bedeutenden Talenten wie H a i t z - 
inger, Tichatschek und Ander nicht erreicht wird, was wir 
übrigens in Abrede stellen, so ist es eben nur das richtige Erfassen 
des musikalischen Stoffes, der in dieser Parthie, *ie vielleicht 
in keiner andern vom Componislen so erschöpfend bis auf die ein- 
zelne Tonfigur charakteristisch verarbeitet wurde, so zwar dass der 
Erfindung und dem Schaffungsgeiste des darstellenden Künstlers nur 
ein sehr kleiner Spielraum geboten ist und eben desshalb die rich- 
tige und correkte musikalische Ausführung dieser Parthie hinreicht, 
um der Darstellung derselben auch den Schein von dramatischer 
Carnation zu verleihen. 

In der Beurtheilung des Spieles ist schon wenn auch verdeckt 
unsere Ansicht in dieser Beziehung verborgen, indem es in dieser 
Recension weiter hefsst: j,In Bezug auf das Spieltalent ist Hr. Erl 
bei weitem nicht so glücklich wie im Gesänge. Seine Auffassung 
ohne gerade verfehlt zu sein, erhebt sich nicht über das Gewöhnliche. 
Sein Darstellungs vermögen besteht nur in der langjährigen Theater- 



Routine. Mimischer Ausdruck mangelt ihm beinahe gänzlich , und 
seine Aussprache, im Gesänge genügend, wirkt im Dialog durch den 
mühsam vermiedenen und dennoch immer durchschimmernden Wiener 
Accent*) störend." 

Unbedingt Stimmen wir aber mit dem Schiasse dieser Recension 
über Erl überein, wo der Verfasser sagt : 

„Es gibt beim Theater eine Gattung Künstler, welche durch na- 
türliches Talent, erworbene Routine und praktische, wenn auch nicht 
erschöpfende, Studien sich über die Mittelmässigkeit erhoben, weil 
ihnen aber höhere Ausbildung, weitere Vervollkommnung irgend einer 
künstlerischen Eigenschaft fehlt, selten die gebietende Stellung eines 
berühmten Künstlers erreichen. Es fehlt ihnen der zündende Funke, 
die schöpferische Gewalt des Genie's, daher werden ihre Leistungen 
manchmal unterschätzt. Man vergisst jedoch allzuleicht , wie nütz- 
lich und fördernd solche bessere Talente auf einem wohlbestellten 
Theater wirken können. Ihr Einfluss ist zwar kein auffallender, auf- 
sehenerregender ; allein ein Ensemble von mehren derartigen Mit- 
gliedern leistet der Kunst, wenn auch selten anerkannt und gebüh- 
rend vergolten , doch desswegen nicht minder gute Dienste. E i n 
solch es Talent besitzt das Wiener Operntheater 
an Herrn Erl!" — 

COREESPONDENZEK. 



AUS CÖLN. 



14 Dezember. 



Nachdem bereits früher die glorreiche Reise des Männergesang- 
Vereins nach London einen kleinen Zwiespalt unter den Mitgliedern 
zur Folge hatte, drohen jetzt sogar die neuen Anerbietungen des 
Herrn Mitchel, den Verein zu trennen. Der grössere Theil, so wie 
der Vorstand wollen die Reise wo möglich, welche Möglichkeit aber 
zu bezweifeln steht, in gewohnter Weise machen. Etwa dreissig an 
der Zahl dagegen , und darunter die besten Kräfte , und , mit Aus- 
nahme eines Einzigen, alle Solosänger, wollen sich gänzlich von den 
Banden befreien, die sie an Cöln binden, und ihren Sänger- und Argo- 
nautenzng über den Ocean , und über Jahresfrist hinaus ausdehnen , 
dabei aber auch das goldene Vliess, das sie zu erobern gedenken, 
für sich selbst behalten. Sie suchen dabei die besten Kräfte Cölns 
und der Nachbarschaft heranzuziehen. Morgen werden sie, bereits 
zu Vierzig erstarkt, in einem Conccrt in Düsseldorf auftreten, und 
zwar unter Leitung des Musiklehrers Kipper, des musikalischen Lei- 
ters der Hömorrhoidaria, eines sehr fähigen jungen Mannes. Bis da- 
hin hat Herr Mitchel, als feiner Diplomat, nur mit dem Vorstand un- 
terhandeln wollen; jedoch wird er dem Concerte beiwohnen. 

Gestern fuhr unsere Theater - Gesellschaft mit dem gesammten, 
durch Miliiair-Musik verstärkten Orchester, im Ganzen 110 Personen, 
nach Bonn, wo sie bei besetztem Hause und zu erhöhten Preisen 
den Tannhäuser aufführte. Die Vorstellung hat dort lebhaften Bei. 
fall gefunden, und suchte man den Director zu einer zweiten zu be- 
wegen ; jedoch sind bereits die Decorationen, die mit binübergesandt 
wurden , wieder hier eingetroffen , um morgen schon hier gebraucht 
zu werden. 



BRAUNSCHWEIG. 

Am 6. Dezember. 

Nach den Berlioz'schen Concerten haben namentlich unsere Männer- 
gesangvereine, theils vereint, theils einzeln in einigen Concerten aufs 
Neue ihren Ruf bewährt. Ausserdem wurde uns Gelegenheit in 
einem Concert des Kammermusikus Isensee (eines trefflichen 
Oboebläsers) zwei bedeutende OrcUcsterwerke , die Vampyr und die 
Robespierre-Ouvcrture, letztere unter Leitung des Componisten Henri 
Litollf von unsrer Capelle vorzüglich ausgeführt, zu hören. Die 
drei oder vier von der Herzogl. Capelle angekündigten Concerte sind bis 
zum Februar verschoben, weil viele Mitglieder derselben in den Vor- 
stellungen des französischen Theaters , welches von Anfang Novbr. 



*> Soll wohl heissen Jvgon der unteren Yolksklässe ? 



— 207 - 



bis Februar hier weilt, beschäftigt sind. Die Oper hat in kurzer 
Zeit hintereinander zwei Novitäten, (allerdings nur Novitäten för 
Braunschweig) den Wildschütz von Lortzing und die Linda von 
Donizetti gebracht. Die erste, in welcher das sehr humoristische 
Spiel des Herrn Freund (Schulmeister) und Frl. Hallen stein (Gretchen) 
— eine angenehme junge Sängerin aus Königsberg, die hier für das 
Fach kleiner Soubrettenparthieen engagirt ist — ergötzte, gefiel be- 
sonders. Nur der Dialog dieser Oper schien allen Dreien nicht 
ganz mundgerecht zu sein. „Otto der Schütz" Oper von Madame 
Schmezer hat sich nochmals und zwar umgearbeitet dem Publikum 
vorgeführt, dasselbe aber ganz kalt gelassen. Dieselbe wird zu den 
bestäubten Häuptern einiger anderen einmal oder zweimal aufge- 
führten Opern (sogenannte Opernversuche von Kapellmeistern und 
Orchesterini tgliedern) versammelt werden. 

Ueber die Thätigkeit und den regen Eifer des Hr Fr. Abt habe ich 
Ihnen bereits berichtet. Wie ich höre soll in dem nächsten Concert seine 
Singakademie entweder die Grablegung oder das Weltgericht aufgeführt 
werden. Seit die 4 Gebrüder Müller fort sind, muss er natürlich alle Opern 
einstudiren und dirigiren. Was neulich in der Hamburger Theater- 
zeitung über die Reise und überhaupt über das Wirken der 4 Ge- 
brüder gesagt wurde, war uns wie aus dem Herzen gesprochen. Man 
überschätzt ihren Werih, namentlich in Bezug auf das, was sie für 
Kunst hier thun und gethan haben. — Für diesen Winter hat Fr 
Abt 3 musikalische Soireen veranstaltet wovon die erste bereits 
am 3. December stattgefunden hat. In diesen werden meist hier noch 
unbekannte Kompositionen von Robert Schumann Ferdinand Hiller 
und vor allem von Mendelssohn aufgeführt werden. Die erste Soiree" 
brachte ein Trio von Mendelssohn D-moIl, die Ballade „Schön Hed- 
wig" mit verbindender Musik von Schumann und einige neueren 
Kompositionen von Abt selbt. 



-flK»00<04D— — 



AUS HAMBURG. 

Ende November. 

Der jetzt endende Monat hat mit mehreren sehr bedeutenden 
Erscheinungen die Wintersaison begonnen. Der Berliner Domchor 
ragt mit seinen Leistungen, die in ihrer Art vollendet sind, durch 
3 Goncerte im Saal und in der Kirche gar bedeutsam hervor. Das 
erste dieser Concerte fand im Apollosaal für den Pensionsfonds 
hüifsbedürftiger Musiker statt. So trefflich die Ausführung der 
Chorgesänge war, so wenig hat mir doch die Zusammenstellung des 
Programmes gefallen, Lieder für 4 Singstimmen in bunter Reihe, 
wobei eine gewisse tändelnde , sentimentale Stimmung vorherrscht 
sind nur für ein einfaches Quartett und im Zimmer oder im Walde 
schön und erquicklich. Wenn aber 30 Singstimmen von Berlin 
eigens hierher verschrieben werden , so soll man nur etwas geben 
was diesen Anstalten und der sogenannten Erwartung entsprechend 
ist. Dreimal Wehl über die Masse unglaublich geschmackloser 
Concertprogramme, welche dem Publikum heutzutage überall geboten 
werden 1 — den Vorträgen des Chores gesellten sich unter Herrn 
Schäfers Leitung noch die Egmont- und Jessonda-Ouvertüren und 
endlich die unsinnigste aller Berlioz'schen Sachen , nämlich eine 
Orchesterbearbeitung der Weber'schen Aufforderung. Es über- 
schreitet alle Schilderung , was dieses Pariser Raffinement dem bon 
Aliemand da umgehängt hat, damit le pauvre diable „könn' erschein' 
in die bonne soci^te" Gott bcsser's 1 Die Orchestersachen wurden 
übrigens sehr nachlässig ausgeführt. Endlich spielte der Organist 
an der Kirche in St. Pauli, Herr Degenhardt, eine Retour de Londres 
von Hummel und ein Capriccio von Thalberg. Es gelang ihm leider 
durchaus nicht , den Beifall seiner Hörer zu erlangen. Ich begreife 
nur gar nicht, wie man im Jahre des Herrn 1853 noch diesen (sonst 
in vieler Hinsicht so höchst achtungswürdigen) Hummel wieder er- 
wecken mag. Ein Organist vor Allem würde doch besser thun ein 
Beethoven'sches oder Mendelssohn'sches Concert zu spielen. Ganz 
anderes Gelingen krönte die Leistungen des Domchores in der Petri- 
kirche am 7. November. Ernste Kirchengesänge wechselten mit nur 
wenigen Orgelvorträgen des Organisten Armbrust ab. Der 122 
Psalm von Naumann bewegt sich mit Glück in würdigsten Formen. 
Von wahrhaft zauberischer Wirkung war der Vortrag des 8stimmigen 
Engelchores aus dem Mendclssohnschen Elias. Sanfter, milder 



Trost und erhebender Zuspruch sind so schön gemalt, dass die hier 
gegebene Ausführung unauslöschlichen Eindruck hinterliess. Gleichen 
Genuss bot ferner ein Miserere von Orlando Lassus, bei welchem 
die hohen Männerstimmen durch Altstimmen der Knaben vertreten 
waren. Es ward übrigens nur in einzelnen Bruchstücken gegeben. 
Am werthvollsten aber erwies sich der wahre innere Lebensgeist des 
trefflichen Chores in einem dritten Concert, welches am Busstage in 
der erleuchteten Kirche Abends Statt fand. Diesmal war der Ge- 
sang wahrhaft eine Gottesdienstliche Handlung. Aller Herzen waren 
tief ergriffen und wie mancher Gedanke mag wohl ketzerisch sich 
nach dem erquicklichen Zauber eines durch solche Musik ausge- 
statteten Cultus gesehnt haben. Die in ihrer Art einzig dastehende 
Vollendung in der Leistung dieses Chores kann nicht durch genügende 
Worte hinlänglich geschildert werden. Was könnte die Musik 
dem Volke, dem arbeitenden , schwer duldenden Volke geben , und 
was bietet sie ihm? Statt dass wahrer Trost, grosse Erhebung und 
milde Besänftigung der Empfindung sich in das Herz der Hörermasse 
giessen sollten, bietet man Ihnen für den niedern Preis, den sie erschwin- 
gen können, nur den elenden Jammer der italienischen entnervenden 
Oper. — Wann werden Staatsbehörden so viel Zeit und Geld ihren 
Einrichtungen und Militärausgaben entnehmen können, um der grossen 
würdigen Kunst einen rechten Kreis der Wirksamkeit anzuweisen! 

Hatten wir nun soeben die grossen Meisterwerke der Vergangen- 
heit gehört, so drängte sich von allen Seiten mit lautem Schall ver- 
kündet das ,.Werk der Zukunft" heran. „Tannhäuser" wurde denn am 
11. Nov. zuerst gegeben und seitdem 6 mal wiederholt. Seit den 
letzten 8 Tagen aber hat die Heiserkeit des Herrn Eppich 
einen Stillstand in die Ausführung gebracht, zum grossen 
Nachtheil der Direktion, da der Theilnehmendcn und Neugierigen in 
der grossen Stadt Tausende sind. Ich knüpfe gleich daran die Er- 
wähnung, dass die Direktion eine Mustervorstellung geliefert hat, so 
dass ich ihr lebhaft einen pekuniären Erfolg wünsche. Die Kostüme 
waren sämmtlich neu, mehrere sehr schöne Dekorationen ebenfalls. 
Die reiche Masse bedeutender Stimmen machte eine sehr treffliche 
Besetzung möglich, wobei freilich die Hauptrolle in Herrn Eppichs 
Händen am schlechtesten wegkam. Ausgezeichnet ist Elisabeth (Frl. 
Garrigues) Venus (Mad. Maximilien) der Landgraf (Herr Lindemann) 
und vor allem Wolfram, (Herr Schütlky.) Die Chöre waren gut und 
endlich die scenische Anordnung gar trefflich. Rührt sie von Herrn 
Rottmayer her, so nehme ich gern mein früheres Misstrauen zurück. 
Aber die Hauptsache, die Musik habe ich, was die Aufführung be- 
trifft, zuletzt genannt, um darüber die allerfreudigste Anerkennung 
dem Ganzen und vorzüglich Herrn Lachner und dem Orchester zu 
zollen. Das ist recht wohlthuend so aus vollem Herzen Dank und 
Ehre darzubringen. Herr Kapellmeister Lachner hat sich in tüch- 
tigster Weise erprobt. Ich glaube zu sehen, dass wie solches eben 
die Aufgabe des Dirigenten ist, er einen Geist des heilern Ernstes 
und der Strenge seinen Untergebenen einflösst, aus dem allein etwas 
Tüchtiges sich gestalten kann. Aber nun zur Oper selbst d. h. zu 
Wagner's Schöpfung ! 

Wer von den Lesern dieses Blattes mir die Ehre erwiesen hat, 
die fortlaufende Reihe meiner Berichte zu lesen, wird mir das Zeug- 
niss nicht versagen können , dass ich gewiss nicht ein blinder An- 
hänger des Alten, an und für sich, bin. Ich habe umgekehrt 
nicht selten Gesichtspunkte hervorgehoben, welche die Ueberzeugung 
einprägen, dass vie.es von dem, was bisher gegolten hat, dem Gesetz 
aller irdischen Dinge zufolge, sich ausgelebt hat und Neuem Platz 
machen muss. Mit innigem Wunsche habe ich schon oft den neuen 
Messias herbeigesehnt. So brauche ich mich denn gar nicht gegen 
den Vorwurf zu wehren, ich sei so ein alter Dorfcantor, dessen 
Tadel alles treffe, was nur irgend den Pferch seiner Hütte überrage. 
Nein ! Es gilt nicht der Abwehr eines grossen mächtigen Geistes, 
der mit Schöpfe rkraft (o des bedeutsamen Namens) l Ungeahntes, 
Neues uns vorführt. Solche Geister erobern sich ihre Welt schon. 
Einem solchen Genius würde, wollte man ihn „anerkennen" 
die Antwort wohl ziemen , welche Bonaparte dem östreichischen 
Minister gab, als dieser besiegt und auf lombardischem Gebiet von 
dem Sieger Frieden erbettelnd die französische Republik anerkennen 
wollte. Napoleon strich den Satz durch mit den Worten: „die franz. 
Republik ist wie die Sonne am Himmel. Sie leuchtet 1'* So hat 
Mozart, so hat Beethoven geleuchtet. Denn was man auch mit Recht 



— «08 — 



Hber die 'unglaublichen Kritiken sagen mag, mit denen Beethovens 
frühere Werke misshandelt sind, waren denn nicht die Verhältnisse 
der Presse himmelweit verschieden von den jetzigen ? Und ist Beet- 
hoven nicht vom 30 Jahre an vollkommen schon bei Lebzeiten be- 
wundert und laut gepriesen ? Wie wäre das möglich gewesen , ohne 
dass er durch seine Werke eben die ungeheure Masse der Hörer 
„gepackt" hätte, welche nur auf Augenblicke und nnr an einzelnen 
Orten durch Kritiker irre zu leiten ist , die aber mehr oder weniger 
viel zu zahlreich ist, um überall nur geleitet zu werden. Mendels- 
sohn, Weber und Schubert, wie schnell haben sie sich im Sturm 
den Platz unmittelbar neben den Hauptgöttern erobert , und wie 
leicht, mit einem Worte, vereinigen (sich jetzt tausend Cauäle um 
dem wahren Genius den reichen Einzug in die Geniütber zu ermög- 
lichen ! Also sei der Vorwurf abgelehnt, als wollten wir dem Neuen 
an sich den Zugang wehren. Im Gegentheil, wir harren alle des 
Geistes der uns die Gränzen des Kunslgcbietes erwehre, er sei will- 
kommen! Aber wir wehren beherzt dem, der seine göttliche Begabung 
zu so grosser Mission nicht unmittelbar durch die That manifestirt. 
Diese That aber ist die Flammenkraft mit der das wahre Kunstwerk 
alle Gemüther zum Entzücken emporreisst , es ist der Blick jenseits 
des Vorhanges der Ueberirdischcs uns alltäglich verhüllt, es ist eben 
das göttliche Priesterwerk welches seine Gemeinde läutert und weihet. 
Wer das nicht vermag ist kein Künstler in dem Sinne des Wortes 
in welchem Wagners Anhänger, und es muss gesagt sein , leider er 
selbst in der sclbstpreiscndsten Weise seine Leistungen erhoben. 
Gesundheit , Erfrischung soll die Kunstschöpfung ausstrahlen , und 
keine vermag eben dies lebhafter als die Tonkunst. Wer erinnert 
sich denn nicht des jedesmal wiederkehrenden Entzückens mit welchem 
eine Bcethovenxche Sinfonie, des schönen wohlthuenden und erhebenden 
Ernstes, mit dem der schreckliche Macbeth, sogar der grause Lear 
uns entlassen, des gesunden , wie edler Wein die Adern durchströ- 
menden Feuers, welches das Anhören des Rossinischen Barbier 's 
oder des Don-Juan in uns entzünden ? Ist denn das nicht ein so 
sicherer Massstab für die Beurtheilung eines Kunstwerkes dass man 
immer nur allen Hörern zurufen darf: Wagt es doch selbst zu em- 
pfinden und auch zu fragen ob jenes grosse Ziel des Werkes er- 
reicht sei ? Freilich soll nicht jeder obenhin sagen dürfen, mir gefällt 
es nicht ! Sondern eine ernste Prüfung soll den Massstab gebrauchen 
welche ich oben bezeichnete. Diese Prüfung aber kann jeder ge- 
sunde und irgend denkende Mensch selbst anstellen , und es ist ein 
Jammer , dass eben so viele theils aus Trägheit , theils aus Rück- 
sichten ihr eignes Unheil nie nach einem solchen höhern Standpunkt 
abmessen. In welchem Grade nun die erste Aufführung des Tann- 
häuscr diesen wesentlichen Erfolg nicht erreicht hat, das war mir 
ganz ersichtlich in der allgemeinen Abspannung. Ich steh nicht an, 
den Eindruck des Werkes im Grossen , Ganzen als langweilig zu 
bezeichnen. Es fehlt gerade zu Adel der Empfindung, Keichthum an 
Erfindung und grosse Melodie. Dagegen finde ich eine oft ans 
Komische streifende Ucberbietung in äusserlicheu Mitteln des Effectes 
eine unerträglich dicke Auftragung der Farben und eine recht auf- 
fallende Abwesenheit alle der tiefen Combinalionen, welche der 
deutschen Musik trotz aller Abwehr von Seite der Scichligkeit immer 
weitre Gebiete erobern. Komisch ist es in dieser Beziehung den 
Reden der „Kenner" zu lauschen, welche von der Tiefe des Compo- 
nisten, von dem schwierigen Satz u. s. w erzählen ! Von alle dem 
ist mir nichts aufgefallen. Ja hier ist gerade eine der schwächsten 
Seiten der Oper. Ganz umsonst werden denn doch seit 4 Jahr- 
hunderten die grossten Meister unserer Kunst nicht gewisse Grund- 
bedingungen bei der Schöpfung ihrer Werke befolgt haben. Der un- 
geheure Reformator Palcstrina, der eben so kühne Neuerer Gluck, 
haben sie alle Werke ihrer grossen Vorgänger plötzlich für „abgethaue 
Standpunkte" erklärt ? Gewiss nicht , sondern sie haben nur das 
ewig bestehende, von Allen als Grund Erkannte von unützem Bei- 
werk gesäubert. Sic haben aber der Melodie ihr Recht nicht ab- 
geurteilt, sie, und mehr noch ihre göttlichen Nachfolger haben er- 
kannt, dass in einem grossen complicirten Kunstwerke eine Menge 
Fäden neben und durcheinander laufen müssen, von denen einige als 
herrschend vorlcuchtcn, denen aber andere , zeitweilig unter dem 
Teppich fortlaufend, durch ihr plötzliches Hervortreten den Vorrang 
streitig machen. Daraus entsteht Abwechselung und diese ist Leben. 
Seht doch nur diesen unsterblichen Mozart an, mit wie leichter Hand, 
mit welch lächelnder Miene er alles das durcheinander wirft, was in 



«einer Vereiugnng endlich in reichster Abwechselung Blumen und 
Bilder entstehen lässt! Das gebe uns Wagner und wir wollen freu- 
dig anerkennen. Hier fehlt es bis jetzt in jeder Hinsicht. Die ge- 
waltige Masse der Stimmen ist nur einem wüsten Chaos zu ver- 
gleichen und von kunstreichem Gewebe nicht eine Spur. 
Ich erkläre gern, ohne mich damit demüthigen zu wollen, 
meine Unfähigkeit über diese Musik mich in tiefsinnigen Philo» 
sophemen zu ergehen. 

(Schluss folgt.) 

NACHRICHTEN. 

Frankfurt. Th. Milanollo hat „auf allgemeines Verlangen" 
ihrem „einzigen" Concertc ein zweites folgen lassen. 

Wiesbaden. Seit Anfang Dccember ist endlich wieder ein 
lyrischer Tenor engagirt worden und zwar in der Person des Herrn 
Röhr von Berlin. Es hat sich indessen auch hier wieder gezeigt, 
dass die Direktion in ihrer Personalveränderung entschiedenes Un- 
glück hat. Herr Röhr ist nicht im Stande > kleine zweite Partien 
genügend auszufüllen , viel weniger Rollen zu singen wie Lyonel, 
Stradella u. a. Die letzte Aufführung des Don Juan mit Frl. Köhler 
als Donna Anna und Herrn Röhr als Octavio muss mit dem Schleier 
christlicher Liebe bedeckt werden. Besser war eine kurz vorher- 
gehende Aufführung von Templer und Jüdin. 

Wien. Die Gebr Müller haben Wieu verlassen, um in Brunn 
und Prag ihre Produktionen zu geben. — Im Hoftheater wird der 
„Sommernachtstraum " von Thomas für die ersten Tage des Januar 
vorbereitet. — Frl. La Grua wird am 21 Fidelio singen. 

Prag. Am 18. Dezember gab AI. Dreyschock sein drittes und 
letztes Concert. Der Andrang des Publikums war ungeheuer. Der 
Beifall enthusiastisch. Eine junge Dame Frl. Weiss, welche sich der 
Bühne widmen will, sang mehrere Lieder und wurde gleichfalls stür- 
misch applaudirt. In 3 Soireen Hessen die 4 Gebr. Müller ihre vol- 
lendeten Quartett- Vorträge hören. 

Leipzig« H. Berlioz hat nach und nach im Gewandhaus seine 
bedeutendsten Composilionen vorgeführt. Der Eindruck ist selbst 
nach der N. Z. f. M nicht besonders günstig gewesen. Das Publikum 
konnte sich nach ihr nicht gleich in die ,,neue Form" finden. 

Hannover. Marsehner's „ Austin " kam am 4. unter allge- 
meinem Beifall zur Aufführung. Mad. Röder-Romani gastirt hier. 

Strassburg. Der Violinist Ernst gab Ende November hier ein 
Concert. 

London. Nach Ines. Blättern hat Capellmeister Costa auf einer 
Versteigerung in Wien mitten unter alten Musikalien eine Copie der 
Partitur von Handels Acis und Galatea mit Mozarts lustrumentirung 
(und zwar für ganzes Orchester) gekauft. Dieselbe soll von der 
Harmonie Union aufgeführt werden. 

Paris. Thalberg arbeitet fleissig an seiner Oper. — Schulhoff 
wird erwartet. — In dem ersten Concert der France musicale traten 
die Geschwister Dulcken mit grossem Beifalle auf. Das erste Concert 
der Gesellschaft Ste. Cecile brachte Schumanns Ouvertüre zu Manfred. 

(Zur Artikelmacherei in der Journalistik). Nr. 24 der N i e - 
d e r r h e i n i s ch e n M u s i k z e i t u n g bringt unter dem Titel 
„Die Reform der Operntexte" einen matten Abklatsch resp. 
Auszug der in diesen Blättern erschienenen Abhandlung „die Anfor- 
derungen der Gegenwart an einen guten Opernlext" (Nr. 32-40). 

So willkommen es uns sein wird , die darin angeregten Fragen 
von competentcr Seile besprochen, selbst bestritten zusehen — nur Be- 
wegung führt weiter — so entschieden müssen wir uns gegen eine derar- 
tige Verstümmlung unserer Aufsätze verwahren, die ersichtlich keinen 
anderen Zweck hat als — eben einen Artikel zu liefern. Sind die 
Aufsätze wirklich „bcachtenswerth", dann theile man sie ganz oder 
theilweise mit, sei es um sie zu widerlegen, sei es um sich ihnen 
anzuschliesscn. Will man das nicht, so stelle man ihnen selbständige 
Ausführungen entgegen oder lasse sie ganz unbeachtet. Die meisten 
der darin ausgesprochenen Ansichten aber zu aeeeptiren, sie mit 
eiuigcu Varianten eigner Composition zu verhüllen und zuletzt mit 
der Prätension aufzutreten , eine gegenteilige Ansicht „in Schutz" 
genommen zu haben, ist ein Manövre, welches nur mit dem obigen 
Namen bezeichnet werden kann. 



Veraniw örtlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. - Pruck ron REUTER u. WALI.AU In »an*.