2. Jahrgang.
tfr* 1.
3. Januar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
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•
Inhalts Ueber die Moll-Tonart in Volksgcsängen. — Corresp. (Berlin, Wien und München). — Nachrichten.
UEBER DIE MOLL-TONART IN VOLKSGES/EN&EN.
Von Fr. Chrysander.
Die Thatsache, dass in den Melodien, welche in dem Munde der
Völker selbst entstanden sind, d h. in den ersten Volksliedern oder
Volksgesängen das Moli vorherrscht und dass, wenn auch Dur mit
Moll darin abwechselt, doch letzteres die Hauptbewegung bildet, der
ganzen Melodie ihren Charakter verleiht und, damit übereinstimmend,
der Schluss fast stets ein weicher ist, hat schon lange die Aufmerk-
samkeit der musikalischen Aesthetiker auf sich gezogen und die
mannigfaltigsten Erklärungen sind dafür gegeben worden. Freilich
ist dabei bis jetzt wenig heraas gekommen. Die meisten haben sich
mit geistreichen Apercus begnügt, basirt auf zufällige Erscheinungen,
nur selten ist man der Sache auf den Grund gegangen und hat in
dem Wesen der Molltonart selbst den Grund dieses Phänomen' s ge-
sucht. Aber auch dann, wenn dies versucht wurde, nahm man ent-
weder etwas der Molltonart erst von uns Aufgeprägtes für ihr We-
sen und Hess das Moll, ganz entgegen der geschichtlichen Wahrheit,
aus dem „trüben düsteren Charakter" der Natur- Völker entspringen
oder verirrte sich so weit in musikalisch-theoretische Abstractionen
über die Natur von Dur und Moll, dass wohl ein Liebhaber von My-
sterien dadurch befriedigt werden konnte, aber für den, der einen
einfachen Grund für eine einfache Thalsache suchte, nur Unverständ-
liches zu Unverständlichem gefügt worden war.
Ein so eben erschienenes Schriftchen von Fr. Chrysander in
Schwerin enthält eine Abhandlung über diesen Gegenstand , welche
einen neuen, eben so einfachen als einleuchtenden Gesichtspunkt da-
für aufstellt und desshalb allgemeine Aufmerksamkeit verdient. Auch
der Verfasser erklärt sich durch die bisherigen Aufschlüsse über die
Anfänge der Tonkunst, über das Vorherrschen des Moll in den Ur-
gesängen u. s. w. nicht befriedigt, und zwar, weil in ihnen über-
sehen wird, dass der Grund dieser Erscheinung erstens ein „wirklich
innerer Grund, d. h. gesund und dauernd schöpferischer Ursache",
zweitens ein „einfacher, dem einfachen ursprünglichen Volksleben
entsprechender" sein müsse. Der einzig richtige Weg ist nach ihm
der : Die bestimmten geschichtlichen Thatsachen, welche sich als das
Eigenthümliche solcher Zustände wahrnehmen lassen, zu erfassen,
den verborgenen Entwickelungsgang der Tonkunst auf den ersten
Cultur-Stufen des Völkerlebens zu erforschen , da „ die Geschichte
eines Dinges die lebendige unmittelbare wahre Offenbarung seines
Wesens" sei.
Auf diesem Wege gelangt er zu folgenden Sätzen :
Die Molltonart herrscht in allen ursprünglichen Volksweisen, sowie
auch in den Urformen, aus denen sich die ganze neuere Musik ent-
wickelt hat , nämlich in den Kirchentonarten vor. Der erste Kir-
chenton, diejenige Tonweise des Ambrosius, welche in dem kirch-
lichen Dienste am frühesten und am häufigsten verwendet wurde, war
die Dorische, eine Mollweisc. Die erste Volksmusik war aber wesent-
lich Gesang. Das Spiel der Instrumente wurde im weltlichen
Voiksgesange lange Zeit untergeordnet, vom kirchlichen afcer ganz
ausgeschlossen, Das Vorherrschen des Moll zeigt sich aläo nur im
| Gesang, und dies ist so wahr, dass bei der weiteren Ausbildung der
Instrumente diese sofort sich von den Kirchentonarten los zu machen
suchen und das verketzerte C-dur zu ihrer Lieblingstonart erwählen«
Das hartnäckige Festhalten des Kirchengesanges an den Kirchentönen
charakterisirt sich darnach als das Bestreben, sich als G e s a n g zu
bewahren. •
Wir haben jetzt nur noch das Wesen des Gesanges zu betrach-
ten. Im Gesang wird die Sprache in das Tonreich des menschlichen
Organismus gesteigert. Die sprachlichen und die tonischen Organe
des Menschen sind in ihm in vereinter Thätigkeit wirksam. Da nun
dieses Tonreich des menschlichen Organismus in seinen Schöpfungen
nur sich selbst wiederspiegelt, oder mit anderen Worten, da seine
Schöpfungen durch die sie erzeugenden Organe bedingt sind, so folgt
daraus, dass wenn wir wahrnehmen, wie aus dem Innern des Men»
sehen heraus ohne Reflexion die Melodie und nur die Melodie, d. h*
eine Folge einzelner Töne nach einander, nicht neben einander er-
zeugt wird, wie diese Melodie durch den den Worten zu Grunde
liegenden Gedanken hervorgerufen wird und wie sie zwar in ziem-
licher Ungebundenheit der Tonarten, aber in durchdringendem Moll-
charakter und mit einem weichen Tonschlusse auftritt — dies Alles
seinen Grund in den sprachlich-tonischen Organen des Menschen hat.
Ihnen wohnt die Thätigkeit inne, erstens die Melodie ohne alle har-
monische Tönung rein aus sich zu gestalten, zweitens den Gedanken
des gesungenen Wortes in dem Melodicngange gewissermassen to-,
nisch zu verkörpern, drittens sich in einer Mannichfaltigkeit von
Tonarten zu ergehen, aber mit Bewahrung des Mollcharakters und.
eines weichen Tonschlusses.
Der natürliche Grund des Toncharakters der Volks-
lieder wie auch derinihnen vorherrschenden weichenTon-
bewegung ist also in den sprachlich-tonischen Organen
des Menschen zu finden. Der weiche Ton ist die Grund-
form dieser Organe und dadurch das sprachlich-melo-
dische Princip.
Suchen wir nach dem dasselbe ergänzenden Prinzip, dem harmo-
nisch-melodischen, so finden wir dasselbe in Durj dies trat hervor,
nachdem der Gesang in den urchristlichen Gemeinden seine höchste
Reinheit erlangt hatte und hiermit begann die Ausbildung der Musik
zu einer selbstständigen Kunst. Die Melodiebewegung ging als Erb-
theil des Gesanges auf die neue seibsständige Tonkunst, die Harmo-
nie, über, sie erbte damit zugleich die Elemente der Molltonart, wel-
chem sie ihrerseits die bestimmte tonische Ausprägung , die Fähigkeit
eines besonderen musikalischen Ausdrucks und einen bleibend gülti-
gen Charakter verlieh. Das melodische Moll setzte sich nun,
nach dorn Ausdruck des Verfassers , auch harmonisch fest, die
weiche Melodie gewann in den weichen Akkorden erhöhtes
Leben und Gesetzmässigkeit, während auf der anderen Seite das har-
monischi Dur seinen rechten Glanz erst durch die melodische Aus-
bildung erhielt. Die Kraft der Melodie und die Kraft der Harmonie
waren es also, welche als zwei verschiedene'Naturen in der Gemein-'
samkeit des Klanges sich berührten und aas Ihrer Durchdringung an-
sere Tonkunst hervorwachsen Hessen.
— o«»<»
— 2 —
CORRESPONDENZEN.
AUS BERLIN.
(Ende November.)
(Schluss.)
Das dritte Hauptgebiet der Musik, welches regelmässig bei uns
angebaut wird, ist das der Instrumentalmusik. Wir haben für die
Sinfonie, das reine Streichquartett, das Trio mit Pianoforte und für
gemischte Conccrtmusik feststehende Cyklen von Soireen hier. Eine
Gattung aber fehlt uns noch; es ist die der eigentlichen Kammer-
Instrumentalmusik, der Soli mit Orchesterbegleitung; für diese ist
keine* regelmässige Vertretung vorhanden. Vielleicht dass sie sich
durch die Soireen des harmonischen Vereins heranbildet. Erlauben
Sie mir, Ihnen die obigen Gattungen in rückwärts schreitender Ord-
nung etwas näher vorzuführen.
Die gemischte Kammermusik, wozu auch Sologesang am
Pianoforte gerechnet wird, hat erst seit vorigen Winter ihr festste-
hendes Concert. Die Herren Seidel (ein sehr guter Pianist) und
Grünwald (ein eben so guter Geiger) haben dieselben organisirt.
Sic geben deren vier im Laufe des Winters, in denen wir Sonaten
mit Violinbegleitung, Trios mit Pianoforte, Streichquartette und Ge-
sangstücke hören. Werke älterer klassischer Meister wechseln mit
denen jüngerer ab. In der ersten Soiree, die bereits Statt gefunden
hat, wurde» ein Trio von Haydn in C-dur, Beethoven's Sonate in
G-dur mit Violine und Mozart's Quartett in G-moll für Pianoforte
gegeben. Dazwischen sang Frau Marchesi - Graumann mit einer
klaren, tiefen Sopranstimme (so bezeichnen wir sie wohl am besten)
und einer anerkennenswerthen Methode, ein Kirchenstück von Stra-
della und einige andere Lieder. — - Die spezielle Cultur des Trio 's
haben die Gebrüder Stahlknecht (Cello und Violin) und der vorzüg-
liche Pianist Lösch hörn übernommen. Ihre Soireen sind die be-
suchtesten unter denen der Kammermusik gewidmeten, und sie ver-
dienen es durch die höchst saubere Ausführung der interessantesten
Artikel dieser Gattung. Jeder Abend bringt ein oder zwei klassiche
(von Haydn, Mozart und Beethoven) und ein oder zwei der besssern
modernen, als Schubert, Mendelssohn, Rob. Schumann, und selbst
jüngerer strebsamer Künstler. Auch der ältere der Brüder Stahl-
knecht hat sich durch Compositionen in diesem Fache sehr achtungs-
werth hervorgethan. Von diesen Soireen sind diesmal schon drei
vorüber, und nur noch eine wird stattfinden, weil die drei Spieler eine
gemeinsame Reise nach St. Petersburg beabsichtigen. In früheren
Jahren hatten wir ähnliche sechs dieser Trio-Abende.
Das reine Streichquartett endlich ist seit einer langen Reihe
von Jahren stehend bei uns vertreten. Vor vierzig Jahren bereits
hatte der damals zu den berühmtesten Violinisten seiner Zeit gehö-
rende Concertmeister Moser Quartett- Abende gegründet. Diese ver-
erbten sich gewissermaassen in einer Doppellinie auf zwei seiner
besten Mitspieler, den Concertmeister Hubert Ries und Möser's
Schüler Zimmermann, unserem vollendetsten Geiger. Ries hat
seit einigen Jahren die stehenden Quartette aufgegeben und veranstal-
tet davon nur noch einzelne. Zimmermann aber hält die seinigen,
obwohl die Zahl der Theilnehmer nicht gross ist, streng fest. Vor
acht Tagen wurden sie eröffnet, mit Haydn Opus 25, G-dur, Men-
delssohn (F-raoll, aus seinem Nachlass) und Beethoven's Malinco-
n i a. Ausser den Arbeiten der drei Haupt- und Grundpfeiler der
Quartettmusik, Haydn, Mozart und Beethoven, hören wir hier Ons-
low, Spohr, Mendelssohn, Ries und manche neuere Arbeit. Die Spie-
ler sind vortrefflich eingeübt; das Quartett steht nur um eine kleine
Stufe geringer da, als das berühmte der Gebrüder Müller.
Ehe ich zu den Sinfonie-Soireen übergehe, rede ich noch ein
Wort von den Virtuosenconcerten. Diese sind, wie überall, auch
hei uns in tiefem Verfalle. Nur ausländische Charlatans bringen
noch dergleichen zu Stande, weil sie mit einer Frachtladung von
Empfehlungsbriefen, wobei gewöhnlich auch der Hof arg missbraucht
wird, hier einrücken und sich auf eine Weise Billetabnehmer gewis-
sermassen erzwingen, wie einheimische Musiker, wenn sie irgend
ihre Person zugleich mit ihrer Kunst in Achtung erhalten wollen,
es nicht vermögen. Wir haben schon einige dieser zudringlichen
Fanfaron-Erscheümngen im Laufe des Winters hier gehabt — doch
ich übergehe sie. — Wohl muss ich, bevor ich von den Sinfonie-
Soireen ein Wort sage, unserer vortrefflichen Militärmusik
und der vorzüglichen Orchester gedenken, die wir in vielen
grossen Vcrgnügungslokalen besitzen. An der Spitze der letzteren
steht das Kroll'sche Lokal, dessen Gleichen keine Stadt Europa's
hat, und in demselben die ausgezeichnete Kapelle unter der Leitung
des Musikdirektors Engel. Auch hier schon hören wir Ouvertüren
und Sinfonien vortrefflich ausführen. Freilich aber nicht in dem
Grade der vollendeten Schönheit , wie in den Sinfonie-Soireen des
königlichen Orchesters, allein für ein Eintrittsgeld von fünf Silber-
groschen doch so ausgezeichnet, wie sie vor zehn Jahren nicht in
den besten Concerten gehört wurden. Fast möchte man es beklagen,
dass das Höchste in den Schöpfungen der Kunst auf diese Art zu
vulgär wird und man eine Beethoven'sche C-moll-Sinfonie zu einer
Tasse Thee geniesst , wie man einen Zwieback , eine Cigarre oder
eine Zeitung consumirt ! — Allein was ist gegen den Strom der Zeit
zu lliun, zumal wenn er auf so wohlklingenden Wellen dahinrauscht l
Es ist auch gut, dass noch nicht einmal fünf Silbergroschen zu sol-
chen Genüssen nöthig sind, denn auf unseren Paradeplätzen kann
man jeden Vormittag, zumal Sonntags, Concerte hören, von denen
unsere Väter nicht die Möglichkeit geträumt haben.
Schliesslich zu den Sinfonie-Soireen. Sie nehmen bei uns
die Stelle der Concerte des Conservatoir's in Paris ein und sind eben
so besucht, so dass ein Platz zu denselben nur durch Abtretung
stehender Besucher für den einen Abend zu erhalten ist. Sie wur-
den vor zehn Jahren von dem Kapellmeister Taubert, der damit die
erste Thätigkeit in seinem neuen Amte bezeichnete, gegründet. Nach
und nach gelang es seinem unermüdlichen Eifer, die Kapelle zu dem
Grade der meisterhaften Execution zu führen, durch den sie jetzt die
Hörer fesselt. Jeden Winter werden neun Concerte gegeben , in 2
Cyklen, der erste zu 6, der zweite zu drei Concerten. Die acht
Sinfonien Beethovens kommen jedesmal zur Aufführung, die
neunte zuweilen. Ausserdem Mozart und Haydn und die besten
Ouvertüren. Auch neuere Arbeiten gelangen einzeln auf diesen
Ehrenplatz, im Verhältniss aber sehr selten, da das dortige Publikum
einen so exclusiv klassischen Geschmack hat, dass es fast jede
neuere Arbeit kalt ablehnt, ihr höchstens einen mageren Zoll der
Achtung darbringt. Selbst Mendelssohns Sinfonien werden nur so
aufgenommen, und auch der Dank, den man Taubert schuldet und
ihm als Dirigenten warm darbringt, bereitet einigen seiner Ar-
beiten keine bessere Aufnahme. Nur einige Ouvertüren haben
das Ausnahmsrecht gewonnen, neben den Werken der drei heiligen
Könige der Instrumentalmusik und insbesondere der Sinfonie : Haydn,
Mozart, Beethoven , mit lebhaftem Beifall bezahlt zu werden. Vor
diesem strengen Publikum musste sich am 27. Novbr., wo die dies-
jährige Eröffnung der Soireen Statt fand, die Sinfonie von Richard
Wurst stellen , die in Köln den Preis- gewonnen. Die besonders
durch ihre verständige Handhabung und das eingehaltene, besonnene
Maas, aber auch durch manchen schönen Zug werthvolle Arbeit
überstieg die eherne Barriere eines kalten succes d'estime nicht.
Dagegen wurden die freilich auch wundervoll executirten Ouvertüren
zur „Zauberflöte" und zum „Freischütz" und schliesslich Beethovens
zweite Sinfonie mit reichem Beifallslorbeer bekränzt.
Wir haben hier die Generalcharte unserer Hauptmusikzu-
stände der Gegenwart und unserer Hoffnungen für die nächste Zu-
kunft. In der Masse des Stoffes, um alle diese Standpunkte zu be-
zeichnen, finde die Länge des Briefes diessmal seine Enschuldigung«
AUS WIEN.
(Mitte Dezember.)
Selten sind die Erscheinungen in der Musik, welche in dem
von Genüssen aller Art übersättigten Wien eigentlich — Epoche
machen. Als eine solche aber ist die Fest-Cantate zu bezeichnen,
welche Hr. Josef Geiger componirte und zur Jahresfeier der Thron-
besteigung S. M. des Kaisers in dem glänzend erleuchteten grossen
Redoutensaale unter Mitwirkung der Mitglieder des k- k. Hofopern-
theaters zur Aufführung brachte. Sie erregte nicht nur die allgemeine
Heiterkeit schon vor der Aufführung, sie machte auch noch nach dersel-
ben wenigstens 48 Stunden das Tagesgespräch aller musikalischen Zir*
— 3
kel; und dies will in Wien viel gesagt haben, wo der grösste Theil
der Concertproduktionen kaum zur allgemeinen Kenntnis« des musi-
kalischen Publikums gelangt, von jenen aber, welche durch ihre An-
kündigungen sich ja bemerkbar machen, noch ein grosser Theil ihrer
Erfolge von dem Schwalle der täglichen Vorkommnisse überfluthet,
sich weiter zu gar keiner allgemeineren Beachtung aufschwingen
kann. Unter solchen Verhältnissen lässt sich denken, dass das Werk
des Herrn Geiger etwas ganz Au sserge wohnlich es sein müsse.
Und so ist es auch in der That. Der Componist macht mit seiner
Cantate das ganze Criterium der Residenz zu Schanden; denn die
wenigen Blätter, welche über diese Aufführung referiren (die Meisten
schweigen ganz davon) sprechen ihr Unvermögen aus, darüber eine
Kritik schreiben zu können. Da ich aber nunmehr von dieser Pro-
duktion schon Erwähnung gethan, so kann ich dem Beispiel der
Mehrzahl meiner Herren Kollegen nicht mehr folgen, und schliesse
mich daher Jenen an, welche erklären, dass es für einen Musik-
Kritiker nichts zu kritisiren gebe, wo keine Musik! —
Damit die auswärtigen Leser jedoch einen schwachen Begriff von
der Idee dieser Cantate erhalten, so mögen sie erfahren, dass in der-
selben Chöre der Industriellen , der Staatsbeamten , der Landleutc,
Priester etc. vorkommen , welche der Tonsetzer ihrer Gattung nach
zu char akterisiren beflissen war. Wenn schon ein solcher Ver-
such ein Verbrechen gegen die musikalische Aesthetik genannt wer-
den muss, so zeigt doch mehr noch die Art der Ausführung den
niedrigen Standpunkt an, auf welchem Herrn Geigers musikalisches
Wissen und Können basirt ist. Es ist diese Cantate keine geistige
Verirrung eines künstlerischen Talentes, kein verunglücktes Resultat
irgend eines musikalisch-componistischen Experimentes, es ist geradezu
eine — Lächerlichkeit, die uns Spass machte, wäre der Anlass
dazu nicht ein so erhabener, ernster, der es verdiente, in würdiger
Weise festlich begangen, nicht aber durch Aufführung einer solchen
Farce im k. k. Redoutensaale — profanirt zu werden !
Zur Mozartfeier fand ein grosses Concert statt, welches uns
viel des Schönen bot. Uebrigens aber war die Wahl der Tonstücke
eben keine durchweg gelungene zu nennen. Es wird uns kein Un-
befangener der Impietät gegen den grossen Todten beschuldigen,
wenn wir erklären, dass eine Composition, wie die italienische Bass-
Arie mit obligatem Contrabass, besser unaufgeführt geblieben
wäre. Es sind derlei Stücke immerhin sehr interessante und werth-
volle Beiträge zu einer Sammlung Mozart'scher Werke und in musi*
kaiischen Archiven an ihrem Platze, aber gewiss jetzt nicht mehr
im Concertsaale. Ueberdies wurde der ungünstige Eindruck, den die
Aufführung hervorrief, durch die Art der Aufführung noch vermehrt,
indem Herr S t a u d i g 1 consequent distonirte , Herr S 1 a m a aber
seinen Part nichts weniger als correct spielte. Auch mit der Wahl
der Titus-Ouverture können wir uns in so ferne nicht einverstanden
erklären, als bei einer so solennen Tonfeier gewiss ein anderes Ton-
stück weit eher am Platze gewesen wäre. Die Symphonie in Es
mit concertanter Violin und Viola , in Wien noch nicht gehört , ist
eines der interessantesten Instrumentalstücke Mozarts und wurde
von den Herren Hellmesberger und Heissler eben so wie vom
ganzen Orchester in sehr gelungener Weise aufgeführt.
Das erste diesjährige Concert lies Männergesang - Vereins bot
wieder des Schönen und Gelungenen viel, und wenn auch die Solo-
Piecen diesmal Manches zu wünschen übrig Hessen, so waren dage-
gen die Ensemble-Stücke in Wahl und Ausführung sehr verdienstlich.
Den Preis unter den aufgeführten Chören aber verdient unbedingt
Essers ,. Gesang im Grünen", ein tief inniges und warm gefühltes
Tonstück, eben so originell in der Idee, als gelungen in der Ausfüh-
rung. Es musstc dieser Chor so wie „Lied der Landsknechte auf
dem Zuge" von Gustav Barth, Chormeister des Vereins, eine sehr
charakteristische und frische Composition, auf Verlangen des zahl-
reich versammelten Publikums wiederholt werden.
Ueber die Virtuosen- Concerte der Frl. Bier lieh und der HH.
Singer und E g g h a r d nächstens.
AUS MÜNCHEN.
(14. Dezember.)
Das dritte und vierte Concert unserer Hofkapelle brachte
uns Beethoven's A dur und Mozart's C dur Sinfonie, so
wie die von mir schon in Nro. 6 Ihres geschätzten Blattes erwähntet
Sinfonie von J. B|a ch für Streichinstrumente in höch-
ster Vollendung. Aus den Vokalpiecen hebe ich als werthvollste
Perlen ein Halleluja aus dem Oratorium Esther von
Händel für eine Sopranstimme, ein Ave verum von Cheru-
bini für drei Frauenstimmen und den Chor der Derwische
aus Beethoven's Ruinen von Athen, hervor. Ein Qaar-
tettvon Kapellmeister Stuntz für Sopran, Alt, Tenor und
Bass mit Orchesterbegleitung mag wohl den Verehrern der neueren
italienischen Musik als etwas „Classisches" erscheinen, hat aber
nichts weniger als wahrhaft musikalischen Werth. Vor allen Dingen
ist ein Componist nie zu entschuldigen, wenn er bei dem grossen
Reichthume an componirbaren Texten ein so schwaches Poetenpro*
duet, wie in Rede stehendes, durch die Musik zu potenziren ver-
sucht. Denken Sie sich zwei Damen und zwei Herren, die eine ge-
raume Zeit, „die Liebe, sie ist rein, die Liebe, sie ist. himmlisch"
ii. dgl. singen, bis endlich nach scheinbarer Erschöpfung sämmtlicher
passender Attribute für die holde Göttin die vier Künstler auf die
äusserst pikante Idee gerathen, dass die Liebe auch — „voll" sei,
und demgemäss auch sogleich mit den deutlichsten Worten, „die
Liebe sie ist voll" singen! Denken Sie sich einen solchen Text und
eine Musik, die mit ziemlichem Mangel an Erfindung die sonderbare
Bonhomic verbindet, es mit keiner Parthei, weder mit den Anhängern
der deutschen, noch mit jenen der französischen, oder gar denen der
italienischen Musik verderben zu wollen, dann werden Sie jedenfalls
meine obenausgesprochene Ansicht über den Werth dieser Piece
nicht ungerecht finden. Mendelsohn's Chor „an die Künst-
ler" (wenn ich nicht irre, ursprünglich für ein grosses Sängerfest
componirt) ist ein wohlberechne tes und durchaus edel gehaltenes
Werk, allein gerade in dieser richtigen Berechnung liegt der Grund,
warum der von unserer Liedertafel gesungene Chor nicht die erwar-
tete Wirkung machte, indem die cbengenannte Sängergesellschaft
durch die auf eine weit grössere Anzahl von Sängern berechnete
Blechbegleitung nicht durchzudringen vermochte.
Gestern gab Herr Fcrd. Edward Doctor, Professor am
hiesigen Conservatorium, ein Concert im grossen Saale des Odeons
zum Besten einer zu errichtenden Säuglingsanstalt.
Der Orchesterdirector Herr Ignaz Lachner, hat von Hamburg
einen Antrag als Kapellmeister erhalten. Herr Ludwig, Schüler
des Prager Conservatoriums, ist als erster Oboist bei unserer Hof-
kapelle engagirt worden. O
NACHRICHTEN.
Berlin. Im letzten Concerte des Stcrn'schen Gesang- Vereins
wirkten Frl. Büry von Leipzig und der Violinist Joachim von Wei-
mar mit. Beide errangen den lebhaftesten Beifall. — Im Friedrich-
Wilhelmstädter Theater ist eine neue Oper von Teile aufgeführt
worden. — Die Kroll'schc Oper scheint gute Geschäfte machen zn
wollen. Die ersten Aufführungen waren äusserst zahlreich besucht.
— Am 11. Dezbr. Nachts stürzte sich die Prima-Dohna der italieni-
schen Operngesellschaft, Sign. L. Carra aus Parma, zwei Stock hoch
aus dem Fenster und wurde Morgens todt gefunden. Sic hinterlässt
ein Kind von drei Jahren. Die italienische Oper hat sich von hier
wieder nach Brüssel begeben, von wo sie bekanntlich nach Deutsch-
land kam.
"Wien* Am 18. kam das neueste Produkt Flotows : Indra,
romantische Oper in drei Akten, zur Aufführung and hatte sich des
günstigsten Erfolges zu erfreuen. Fünf Nummern mussten wieder-
holt werden und der Componist selbst hatte die Ehre, zehnmal ge-
rufen zu werden. Die Ausführung war vorzüglich, da die besten
— 4
Kräfte : die Damen Ney , Wüdauer und die Herren Erl, Ander und
Staudigl zur Besetzung verwendet worden waren. Die Leitung der
ganzen Oper, die durch eine höchst splendide Austattung und In-
scenesetzung gehoben wurde, hatte Kapellmeister Esser übernommen.
— Der rühmlichst bekannte Violinist Edm. Singer hat bis jetzt zwei
Conzerte gegeben. In beiden ward ihm lebfafter Beifall zu Theil
und er musste mehrere Piecen wiederholen. Derselbe wird noch ein
drittes Conzert veranstalten und dann nach Leipzig und Berlin gehen.
— Die italienische Oper bleibt auch für die nächste Saison unter
der Leitung des Sign. Moretti. Engagirt sind bereits die beiden
Tenoristen Fraschini und Guasco sowie die Damen Fodor und Me-
dori. Auf Gastspiel wird erwartet die ausgezeichnete Altistin Te-
desco an der grossen Pariser Oper — gleich der Cruvelli eine Deutsche
{aus Brunn), welche während ihres Aufenthaltes in Italien ihren
Kamen: „Deutsch" roiuanisirte.
Xieipzig. Meycrbeer's „Struensee" wurde hier mit Erfolg ge-
sehen. ■ — Alexander Drcyschock , welcher unter grossem Bei-
fall mehrere Male spielte, reist von hier nach Bremen, Oldenburg,
Hamburg, Rostock etc., um Concerte zu geben.
Mannheim. Seit Kurzem hat sich hier ein Streich-Quartett
gehUder, bestehend aus den Herren Becker, Hildebrand, Mayer und
Kündinger, welches den Sinn des Publikums für diese Musikgattung
hoffentlich beleben wird. Bei seiner ersten Aufführung sowohl hier
als in Heidelberg hatte sich dasselbe grossen Beifalles zu erfreuen.
Kaiserslautern. Es gereicht uns zur grössten Freude, berich-
ten zu können, wie die Verdienste unseres wackeren Landsmannes
V. L. Wolsieffer aus Lohnsfeid, die er sich während seines nun
bald 29jährigen Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten Nordame-
rika^ durch sein unermüdliches Wirken zur Hebung der dortigen
musikalischen Zustände als Musiklehrer, Componist, Stifter und Lei-
ter von Singvereinen (in Baltimore und Philadelphia — siehe in
Brockhaus Conversationslexikon, 9. Auflage, den Artikel Philadelphia)
sowie als Mitbegründer der alljährlichen Musikfeste nach deutschem
Muster erworben hat, auch von ausgezeichneten Musikern Deutsch-
lands anerkannt werden. Derselbe hat als sein neuestes Werk eine
„praktische Singlehre für Schulen und Singklassen, vollständig in 4
Theilen, Philadelphia bei Wolsieffer und Träubel" herausgegeben,
über welche sich eine der hervorragendsten Kunstnotabilitäten
Deutschlands, der grossherzogl. badische Hofkapellraeister Herr Vin-
cenz Lachner in Mannheim, in folgender Weise ausspricht:
„Die praktische Singlehre des Herrn P. M. Wolsieffer kann ich
nach einer genauen Prüfung derselben aufs Beste empfehlen. Sie
führt auf gründlichem, möglichst kurzem und theilweise neuem Wege
sur Erlangung der theoretisch-musikalischen Kenntnisse, gibt zweck-
mässige Anleitung zur richtigen Tonbildung, übt den Lernenden in
methodisch geordneten und gut gewählten Beispielen, und unterlässt
überhaupt nichts, was in einem solchen Werke an Klarheit und
Deutlichkeit gewünscht werden kann. Es eignet sich aus diesem
Grunde ganz besonders zum Gebrauche des Unterrichts in Schulen,
Gesangvereinen, zum Kirchen- und Chorgesang, überhaupt zum Zweck
des Einzel- wie Gesammtgesanges. Für den letzten bereitet das
Werk trefflich vor und geht bis an die Grenze des in diesem Kreise
Ausführbaren. Im Interesse des Gesammtgesanges und seiner mög-
lichst weiten Ausbreitung, ist dem Werke des Herrn Wolsieffer die
grösste Beachtung zu wünschen."
Möge diese auszeichnende Anerkennung dem verdienstvollen, da-
sei so bescheidenen Verfasser ein Lohn sein für sein ausdauerndes
Streben, die herrliche Tonkunst, in welcher Deutschland alle Natio-
nen der Erde überstrahlt, auch auf amerikanischem Boden immer
heimischer zu machen und ihn ermuntern, auch fernerhin seine Kräfte
dem edlen Dienste Euterpens zu weihen.
Coblenz. Im zweiten Abonnements-Conzert des Musik-Institu-
tes am 26. November kamen zur Aufführung: Sinfonie Nro. 2 von
Beethoven — Ouvertüre zu Mozart's Titus und Mendelsohns Heim-
kehr aus der Fremde — sodann mehrere Chöre aus Schneiders Ab-
salon und Gesänge für Sopran , Alt , Tenor und Bass von Esser a)
Wie weit von den Bergen nieder, b) Wenn sich zwei Herzen schei-
den, c) Hoffnung — und von Hecht: Was fehlt Dir armes Vögelein.
Diese vier Lieder wurden hier zum ersten Male vorgetragen und de«
ren Melodien recht schön und ansprechend gefunden. Diejenigen von
Esser bieten keine grossen Schwierigkeiten dar, wohl aber verlangt
das Lied von Hecht eine nicht unbedeutende Stimmengeläufigkeit.
Sämmtlich verdienen sie, auch mit einer mehrfachen Besetzung, der
verschiedenen Stimmen, wie es hier geschah, allen Musikvereinen
besonders empfohlen zu werden.
Das Theater brachte unterdess endlich eine Oper, „Martha", zu
Stande. Die zwei hierbei bedingt gewesenen Gäste, Sopran und
Tenor, sollen gleich nach der Aufführung wieder abgereist sein und
somit steht die Oper jetzt wieder, zum Bedauern aller Theater-
freunde, verwaiset da.
tC
Paris. Eine neue Oper von Fei. David : „das Ende der Welt'
wird noch im Laufe des Winters im Theatre lyrique zur Aufführung
kommen. Mad. Stolz , welche an diesem Theater engagirt worden
ist, debutirt darin. — Ferd. Hiller befindet sich wieder hier. Wahr-
scheinlich wird er einige Concerte veranstalten. Eben so die beiden
Pianisten Thalberg und Gottschalck. Letzterer wird nach New-
Orleans gehen, wo ihm für mehrere Concerte bedeutende Summen
garantirt sind. Die neue Oper von Auber, welcher bereits seit 1813
als Opern-Coniponist wirkt, „Marco Spada", Text von Scribe, ist ge-
geben worden und die Berichte über die erste Aufführung sprechen
sich recht günstig über dieselbe aus.
Riga. Eine Musikgesellschaft, aus Dilettanten bestehend, welche
sich hier gebildet hat, gab am 1. Dez. ihr erstes Concert und schloss
dasselbe mit Beethovens C-moll-Sinfonie. Am 5. Dez. wurde Haydns
„Schöpfung" aufgeführt. Seit Kurzem zeigt sich ein erfreulicher An-
theil an dem Streich- Ouartett. Die Herren Weller, Schönfeldt, Mar-
kus und Herrmann veranstalteten Quartettunterhaltungen, welche recht
besucht sind.
Pesth. Das Engagement der Frau Hasselt- Barth ist für das
National -Theater ein glückliches Ereigniss gewesen. Die Hugenotten,
in welchen sie die Valentine singt, machen stets so gefüllte Häuser,
dass die Direktion diese Oper jeden zweiten Tag geben lässt.
Stockholm. Vor Kurzem ist hier der „Prophet" zum ersten
Male in Scene gegangen und hat einen beispiellosen Erfolg gehabt.
St rassbarg. Hr Vieuxteraps hat hier ein Conzert im Foyer
des Theaters unter dem grössten Beifalle, aber vor einem nicht sehr
zahlreichen Publikum gegeben. — Louis Liebe ist zum Ehrenmitglied
der socie'te chorale in Strassburg und der „Sängerrunde" in New- York
ernannt worden. — Nächstens wird ein Conzert für die Opfer der
letzten grossen Ueberschwemmung stattfinden, in welchem „die letz-
ten Dinge" von Spohr, der Psalm „wie der Hirsch schreit nach fri-
schem Wasser" von Mendelssohn und einige Chöre aus „Judas Ma-
cabäus" von Händel aufgeführt werden sollen. — Therese Milanollo
wird in diesen Tagen ihre Reise nach Deutschland und Russland an-
treten. — Gestern starb einer der ältesten hiesigen Musiklehrer, Hr.
Berg, welcher sich dadurch ein grosses Verdienst erworben hat, dass
er die klassische Musik aufrecht erhielt und viele gute Schüler bil-
dete, deren auch viele in Deutschland leben. Derselbe ist auch als
Componist von Sonaten bekannt. Sein letztes Werk war eine grosse
Pianoforteschule, woran er seit mehreren Jahren arbeitete und wo-
von das erste Heft bereits erschienen ist (Mainz bei B. Schotts Söhnen),
Zur Nachricht. Auf mehrfaches Verlangen und um Irrungen
vorzubeugen, schliessen wir den ersten Jahrgang unseres Blattes mit
Nr. 39. Die Abonnenten empfangen demnach , um die Rechnungen
nicht abändern zu müssen, das erste Quartal 1853 (Nr. 1 ä 13) un-
berechnet, und wird alsdann denselben der zweite Jahrgang nur mit
drei Quartal (Nr. 14 ä 52) bere chnet. ______
fM-ntwortlicbei Redtlteni: J. J. SCHOTT. - Brack t« REUTER* WALLAU in Mainz.
2. Jahrgang.
Wi% 2.
10. Januar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeltung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
n. 2.
42 oder Thlr. 1.
18 Sgr.
ffir den Jahrgang
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Durch die Post bezogen:
SO kr.
oder 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalt t Literarisches. — Corresp. (Rostock, Dresden, Nürnberg und Heidelberg). — Ein Besuch bei Tom Pouce. — Nachrichten.
LITERARISCHES.
Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion", musikalisch-
ästhetisch dargestellt von Dr. J. Th. Mosevius. Berlin 1852.
J. Guttenberg.
Eine ausführliche Erläuterung, wie wir deren nur Wenige be-
sitzen, hervorgegangen aus liebevoller Versenkung in das wunder-
volle Werk Bach's, aus jahrelanger Erforschung, aus genauer Er-
kenntniss alles Einzelnen und aus wiederholter öffentlicher Auffüh-
rung. Hiernach darf man mit Recht eine gelungene Erklärung er-
warten. Eine solche ist zumeist, aber nicht ganz entstanden. Ein
vollständig individualisirtcs und in seiner uumittelbaren Lebendigkeit
zu vollster Klarheit gelangendes Bild zu entwickeln, ist desshalb dem
gelehrten^ für hohe Schönheit erglühten Verfasser nicht ganz gelun-
gen : 1) weil seine Sprache zu monoton dahinfliesst und nicht an
dem festen grossen Gegenstande selber fest und stark geworden (in
dieser Hinsicht kann die Erklärung des Messias von Rochlitz, für
Freunde der Tonkunst, als Muster gelten); 2) weil er manches zwi-
schen die Erörterung geschoben, z. B. üb.er. Temperatur und alte Ton-
arten, was den Zusammenhang und Fortgang unterbricht, ohne durch
die gewonnenen Resultate neue Lust für das Folgende zu gewähren;
3) weil er unterlassen, nach so weiter Ausbreitung das Einzelne des-
selben wieder als Ganzes unter festen Gesichtspunkten (Begriffen)
zusammen zu schliessen. Dessenungeachtet liefert die Schrift des
Belehrenden viel , führt mitten in den lieben Alten hinein und ist
eine Schatzkammer reicher sicherer Erfahrungen, die sich auch die
Sänger zu Nutze machen mögen. Die Mängel sind besonders dess-
halb hervorgehoben , um andere jüngere Erklärer zu erinnern , dass
solche Formlosigkeit nicht erspriesslich , nicht das Rechte ist ; denn
solch Verfahren, mit weniger Gediegenheit und mehr leichtsinniger
Phantastik ersetzt, kann aus Allem Alles machen und würde mit einer
Menge breitspuriger kraftloser Werke uns belasten. Was hindert
uns, die gesunden Grundsätze der Hermeneutik, auf anderen Gebieten
längst anerkannt, auch im Bereiche der musikalischen Kunst zur
Geltung zu bringen ? chs.
CORRESPONDENZEN.
AUS ROSTOCK.
(Mitte Dezember.)
Auch in unseren von der Ostsee bespülten Auen weht deutscher
Sinn und deutsche That — mit ihnen deutsche Kunst. Freilich kann
sich eine an das Ende des Vaterlandes verschlagene kleinere See-
stadt nicht eines so regen Musiklehens erfreuen, wie andere an fre-
quenterer Landstrasse gelegene Oerter — muss man sich hier doch
meistentheils mit dem begnügen, was Hamburg und Berlin von ihrem
Ueberflusse herübersenden — dennoch verdient auch das hiesige
Kunstgetriebe in einem Journale verzeichnet zu werden, und bewei-
sen Einzelheiten, dass unsere Stadt nicht eben zurückbleibt in dem
allgemeinen Drange, den Parnassus der Kunst zu erklimmen. Sei
denn in diesen Referaten das Erwähnenswertheste des hiesigen Kunst-
lebens mitgetheiltl
Den Anfang der diesjährigen Wintersaison machten die Goncerte
des Berliner Domchores. Dieses aus 60—70 Männer- und Knaben-
stimmen bestehende Institut, das an Quantität und Qualität noch die
berühmten ähnlichen Chöre zu Petersburg und Rom (Sixtinische Ka-
pelle) übertreffen soll, leistet so Vorzügliches, dass diese Leistungen
eben gehört werden müssen , um zu erfahren , welchen ungeahnten
Eindruck ein Ghorgesang hervorzubringen vermag, wenn vollkommene
Reinheit, eine Präcision, wie sie einzig in ihrer Art dasteht, gedie-
gener Vortrag und schöne Stimmen denselben beleben. Das Chor,
von dem jedoch hier nur die Hälfte auftrat, veranstaltete unter Di-
rektion ihres ersten Direktors Neidthardt ein Kirchenconzert in un-
serer rühmlichst bekannten schönen Marienkirche, deren vollendete
Orgel die Wirkung des Ganzen noch erhöhte. Das äusserst interes-
sante Programm enthielt Meisterwerke der ältesten Zeit, bis in die
neueste herab, und traten neben den Chören auch verschiedene So-
listen mit sehr passend gewählten Kirchenarien auf. Das weltliche
Concert fand in dem zu Musikaufführungen sehr geeigneten Apollo-
saale statt. Es bot ebenfalls eine reiche Auswahl der verschieden-
artigsten Compositioncn und erfreute durch Aufführungen, die kaum
noch etwas zu wünschen übrig lassen; besonders möchte ein Solo-
quartett in dieser Art noch nicht dagewesen sein. Der in diesen
Concerten auftretende Posaunist Belcke entsprach nicht so ganz den
Erwartungen, die man von seinem ihm vorangehenden Rufe zu he-
gen berechtigt war.
Darauf folgte das Concert des Pianisten Albert Bratfisch aus
Altenburg. Ein äusserst seelenvoller Spieler , der , alle Extravagan-
zen des Virtuosenthums verschmähend, nur der ernsten hohen Kunst
huldigt. Sein Repertorium besteht, ausser eigenen Salonpiccen und
Improvisationen, nur aus den Werken Beethovens, Mendelssohns und
Schumanns, welche Meister er denn mit hohem Verständnisse und
tiefer Auffassung zum Vortrag bringt, um so mehr, da seine künst-
lerische Bildung aus der Schule Mendelssohns hervorgegangen ist,
Bratfisch ist bisher in Privatconzerlen einiger deutscher Höfe aufge-
treten, wesswegen sein Ruf ein noch nicht allgemein verbreiteter ist.
Tritt er jedoch mit der Zeit mehr vor das Forum der grösseren Oef-
fentlichkeit, so möchten seine Leistungen denen der gediegensten
klassischen Spieler anzureihen sein.
Die Kapelle des Musikdirektors Fürstnow aus Hamburg versorgte
unsere Stadt mit einigen modernen Salonconzerten. Dieser Industrie-
zweig, der noch einmal alle wahre Kunst zu Grabe tragen wird, fin*
det auch hier seine Theilnehmer und zwar desswegen, weil das €e-
müth des Nordländers sich öfters an Orgien erwärmen muss, zu die-
sen aber in sogenannten Musik-Unterhaltungen den passenden Vor-
wand findet. — Wer könnte aber auch die Genüsse eines solchen
Conzertes verschmähen? Vereint sich doch alles in ihnen, um einen
Abend recht froh zu verleben, zuerst eine wohlservirte Tafel, dann
charmante Conversationen, obenein die Erlaubniss rauchen zu dür-
fen; dazu nun eine pikante Musik-Sauce, die alles, was compakt und
unästhetisch, ätherisirt und verdünnt. Doch genug — wir wollen
eine solche auf alle Nerven wirkende Mixtur denen anempfehlen, die
ihre Zeit auf andere Weise nicht todt zu schlagen wissen ; wollen
selbst noch zugestehen, diese Concerte als unterhaltende Zugift bei
Tafelfreuden gelten zu lassen — nur dürfen sich dergleichen Pro-
duktionen nicht noch einbilden wollen, das alleinseligmachende Prin-
cip zu verfolgen. — Das Tafel-Musikchor des Herrn Fürstnow ge-
hört nicht zu den schlechteren, zeigte obenein das Streben, auch für
höhere Kunst empfänglich zu sein, indem es ein Symphonie-Conzert
veranstaltete. Leider kamen in diesem Tonstücke Sachen vor, die
sich nicht anhören lassen, ohne dabei an Tellergeklirre und Braten-
düfte, welche sie sonst begleiten, erinnert zu werden; wir müssen uns
entschieden gegen eine solche Vermischung heterogener Kunstgattun-
tungen erklären, da der Genuss an gediegenen Werken dadureh all-
zusehr geschmälert würde. Was nun die Aufführung selbst betrifft,
so verdient die Umsicht des Dirigenten, die Tüchtigkeit seiner Ka-
pelle Anerkennung und Lob ; die Kräfte , welche das Chor in sich
schliesst, verdienten nicht blos zum Amüsement bei Kneipereien ver-
wandt zu werden.
Unsere hiesigen Musikfreunde haben sich eines sehr tüchtigen
Dirigenten, des städtischen Musikdirektors Carl Schulz, zu erfreuen.
Von diesem werden seit einigen Jahren Abonnements - Concerte ge-
geben, die klassische Compositionen aller Zeiten zur Aufführung brin-
gen und ausserdem engagirte Virtuosen ersten Ranges auftreten las-
sen. Soweit es unsere Verhältnisse und Umstände erlauben, gebietet
Herr ScLulz über ein gut geschultes Orchester , von dem besonders
Ouvertüren mit einer Präcision und Energie executirt werden, wie
die gebotenen Mittel sie kaum anders ausführen lassen. Zu den
grösseren Tonwerken fehlt noch die gehörige Quantität, so dass an
diesem Umstände mitunter die auf das Einstudiren verwandte Mühe
und Sorgfalt scheitern. — In dem ersten diesjährigen Abonnements-
Concerte trat der Concertmeister Ballin aus Hamburg auf; im Ver-
gleiche zu den früher hier gehörten Leistungen ein Fehlgriff, wenn
nicht Unpässlichkeit und andere Umstände (Concertfieber) den ver-
fehlten Vortrag beschönigen.
Ueber das hiesige Auditorium wäre noch zu berichten, dass es
wie wohl allenthalben aus den verschiedenartigsten Fractionen und
Parteien besteht. Im Allgemeinen pulsirt das Gemüth des Norddeut-
schen nicht mit der Gluth des Südländers : eine Folge davon ist, dass
manche durchreisende Künstler einen etwas kälteren Empfang, als
sie v ihn anderswo gewohnt sind, vorfinden ; doch darf der Grund da-
von nicht im Mangel anTheilnahme gesucht werden. Wie nun aber
ein tiefes, ruhiges Gemüth bei geeigneter Veranlassung auch in das
entgegengesetzte Extrem überzuschlagen vermag, so sieht sich eine
besonders Glück machende Produktion auch wiederum mit grossem
Enthusiasmus belohnt — doch trifft ein solcher Beifall meistens die-
jenigen Leistungen, die in der Kritik ihren eifrigsten Gegner finden.
— d— d.
AUS DRESDEN.
(17. Dezember.)
Mit Schmerz vermissten wir seit mehreren Jahren die Reprise
der grossartigen Werke des unsterblichen Meisters Gluck, die hier
seiner Zeit in sehr zufriedenstellender Weise das Repertoir geschmückt
hatten. Darum begrüssen wir freudig die Wiederaufnahme derselben,
als deren Anfang wir die am 11. d. M. stattgehabte neu einstudirte
Darstellung der Iphigenic in Aulis dieses Meisters betrachten,
sofern wir die nicht unbegründete Hoffnung hegen dürfen, dass die-
ser in nicht zu langen Zwischenräumen auch seine übrigen Werke
folgen werden, um nicht wieder von unserem Repertoire zu ver-
schwinden.
Den Lesern einer musikalischen Zeitung gegenüber von dem
Werthe und der Bedeutung Gluck'scher Opern reden wollen , hiesse
in der That Eulen nach Athen tragen. Aber bei dem Werke in Rede
bietet sich ein Umstand dar, der nicht ganz mit Stillschweigen über*
gangen werden kann. Die Iphigenie in Aulis wird nämlich bei uns
nicht, wie die andern Opern Glucks, vollkommen treu nach der Ori*
ginalpartitur, sondern nach einer Bearbeitung gegeben, welche für
die hiesige erste Aufführung im Jahr 1847 Richard Wagner gemacht
hatte, und welche, um das von vornherein zu sagen, als eine sehr
gelungene bezeichnet werden mttss. Sie beschränkt sich übrigens
auf eine verstärkte Anwendung der Blasinstrumente und auf die nach
Text und Musik mit Glück und Geschick, und natürlich mit möglich-
stem Festhaltem am Original versuchte Abänderung des Schlusses
der Oper. — So brachte man uns die Iphigenie wieder und ein für
die jetzige Zeit zahlreiches, warm thcilnehmendes Publikum hatte
sich zu der Seitens der Darsteller wie des Orchesters von wahrer
Begeisterung getragenen Darstellung eingefunden. Die Herren Ti-
chatscheck und Mitterwurzer waren ausgezeichnete Repräsentanten
des Achilles und Agamemnon, Frau Krebs-Michalesi eine vortreffliche
Klytemnestra und Frl. Agnes Bunke verdient als Iphigenie freund-
liche Anerkennung, mag immerhin das ernste, künstlerische Streben
nicht durchaus zu den gewünschten Resultaten geführt haben.
Dass neben solchem Werk ein ebenfalls nach jahrelanger Ruhe
wieder realisirte Vorführung von Lortzings „ Wildschütz " , trotz
ihrer im Ganzen wohlgelungenen Darstellung, gänzlich in den Hinter-
grund tritt, ist natürlich. Zu beklagen aber, dass man ein Reprise
von Beethovens „Fidelio" in so durchaus unzulänglicher und ungenü-
gender Besetzung und Ausführung unserem Publikum bot , wie dies
am 21. November auf unserer Bühne geschah; lieber gar nicht, als
in solcher Weise!
Das schon früher erwähnte Concert unserer Liedertafel
hat am 3. d. M. stattgefunden, und bot schon insofern einen reichen
Genuss, als das Programm desselben zwei neue, d h. hier noch nicht
zu Gehör gebrachte, grössere Werke — wie schon erwähnt R. Schu-
manns „Pilgerfahrt der Rose" und Mendelssohn-Bartholdy's „Oedi-
pus in Kolonos" — enthielt. Den Preis des Abends trug entschie-
den das Werk Mendelssohns davon, das mit Ausschluss der Chöre
(und Melodramen) Nr. 2 und 4 und der Anfangssätze von Nr. 7 und
9, welche die theateristische Darstellung absolut bedingen, ausgeführt
und durch sehr angemessen gehaltene Deklamation in seinen einzel-
nen Theilen verbunden wurde. Die antike Grossartigkeit, die —
man darf sagen — klassische Majestät dieses Werkes matht einen
überwältigenden Eindruck und ich bin sehr geneigt, dasselbe noch
über des Meisters „Antigone" zu stellen. Dabei ist es klar, frisch,
innig, tief und wahr empfunden, ohne Prätension und Geschraubtheit,
— unbedingt dem Trefflichsten würdig sich anreihend, das der früh
verewigte Meister geschaffen. — Von Schumanns „Pilgerfahrt" hatte
man bei weitem grössere Erwartungen gehegt. Mit Ausnahme eini-
ger Nummern, in denen des Componisten unleugbar bedeutendes Ta-
lent unzweideutig hervortritt, erkennt man mit schmerzlichem Bedauern,
dass er der modern zerrissenen, tief sein sollenden Compositions-
weise, die über dem ängstlichen Haschen nach deklamatorischem
Ausdruck den Gesang vergisst und durch theilweis barocke Manirirt-
heit die Originalität zu affectiren sucht, in bedauerlichem Masse sich
hingegeben. Das Ganze macht den unbefriedigenden Eindruck des
Gemachten, des Reflektirten, vielleicht in unwillkürlichem Gegensatz
gegen den überwiegend sentimental verschwimmenden Text, dem alle
und jede Energie mangelt und der im Stück höchstens noch flüchtig
interessirende Mondscheinpoesie ist, so manche hübsche Einzelheiten
darin sich finden. Auffallender Mangel an Melodie, geschraubt spe-
kulative harmonische und modulatorische Wendungen, absonderliche
Orchestration, Mangel an Berücksichtigung des Vocaleffektes u. dgl.
m. findet sich hier häufig, wobei sich von selbst versteht, dass es
an geistreicher Auffassung , an überraschenden Combinationen im All-
gemeinen ebensowenig, als an einzelnen wahren Schönheiten fehlt.
Das Ganze aber lässt unbefriedigt und kalt , ja man darf sagen , es
fehle ihm nicht viel, um sogar langweilig zu werden. Schumann
muss mit frischer Energie aus dieser Manier sich bald erheben —
und wenige Andere haben gleich ihm das Wissen und Können dazu 1 —
will er nicht sein schönes Talent ganz in derselben zu Grunde gehen
lassen.
Noch sei schliesslich der musikalischen Akademie eines wa-
ckern und strebenden jüngeren Violinisten, des Kammermusikus Fr«
Seelmann erwähnt, der um seiner schönen Leistungen willen warme
Anerkennung und ein Bekanntwerden in weiteren Kreisen verdient.
Eine Soiree der Pianistin Frl Marie W i e c k , wie eine Aufführung
der Dreyssig'schen Akademie (Händeis „Israel in Egypten") führe ich
referirend an, ohne Weiteres darüber zu sagen, nachdem schon neu-
— 7 —
lieh von mir ausgesprochenen Grundsatze, dass „die Kritik nicht zur
Magd der Kunst oder der Kunsttreihenden sich erniedrigen" dürfe.
AUS NÜRNBERG.
(Dezember.)
Am ersten Weinachtsfeiertage wurde dahier Schneider's effekt-
volles Oratorium „das Weltgericht" unter Leitung des Cantors Köh-
ler, Lehrer an der städtischen Gesangschule, aufgeführt. Zu den
stark besuchten Chören lieferte die genannte Anstalt die Alte und
Soprane, der Männergesangverein „Liederkranz" die Tenore und
Bässe, auf gleiche Weise waren auch die Solostimmen combinirt.
Kleinere Mängel, die ihren Grund wohl nur in äusserlichen Zufällig-
keiten haben mochten, hindern nicht, die Aufführung als eine sehr
gelungene zu bezeichnen, und den von allen Mitwirkenden an den
Tag gelegten warmen Eifer anzuerkennen. Hierbei drängt sich uns
unwillkürlich die Frage auf, warum diese reiche Fülle von Kräften,
wie sie uns, trotz längerer Anwesenheit in hiesiger Stadt, hier zum
ersten Male entgegen trat , so selten benützt wird ? Mit geheimem
Neide blicken wir auf die Programme der Winter - Concerte anderer
Städte, während die hier abgehaltenen an einer Monotonie leiden,
welche nachgerade auf das Publikum eine ermüdende Wirkung zu
äussern beginnt. Wohl haben uns die Unternehmer, die HH Grobe
und Erdmannsdörfer , beide in der hiesigen musikalischen Welt auf
das Vortheilhafteste und namentlich der erstere als umsichtiger und
tüchtiger Dirigent , bekannt , schon viel Schönes geboten , aber sie
scheinen nicht zu bedenken, das das Göthe'sche : „wer Vieles bringt,
wird Jedem was bringen", sich auch noch anders ausführen lasse,
als es gegenwärtig geschieht. Während in der ersten Abtheilung
eines solchen Concerts gewöhnlich eine Beethoven'sche , Mozart'sche
oder Spohr'sche Symphonie vorgeführt wird, kommen in der zweiten
Abtheilung oft Musikstücke zum Vorschein, welche an solchen Orten
nahe an's Triviale gränzen. Statt, wie die Unternehmer vielleicht
glauben, die Gegensätze dadurch zu vereinigen, treten dieselben nur
um so schroffer einander gegenüber. Das Publikum wird immer mehr
und mehr in jene Einseitigkeit hineingedrängt, an der es leider schon
genugsam laborirt, und ihr schönes Unternehmen, welches im Gebiete
der Kunst einen hohen Standpunkt einnehmen könnte, wird endlich
auf den kommen, auf welchem die hiesigen musikalischen Vereine
glücklich angekommen sind — sie sind in der That kaum mehr, als
Tummelplätze für das Vergnügen junger Leute ! U — t.
AUS HEIDELBERG.
(Ende Dezember.)
Werfen wir einen Rückblick auf das hiesige musikalische Leben
und Treiben im verflossenen Jahre, so gewahren wir im Allgemeinen
eine Steigerung des Interesse für die Musik. Wenigstens erscheint
uns die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, welche unser Publikum den
seitherigen öffentlichen Aufführungen schenkt , als Beweis eines zu-
nehmenden Kunstsinnes. Der Besuch sämmtlicher, in der letzten Zeit
sogar sehr häufiger Concerte war ein ganz besonders zahlreicher.
Wir würden auf diese an und für sich relative Thatsache weniger
Gewicht legen, wenn sie nicht für uns hier einen wesentlichen Maas-
stab zur Beurtheilung der musikalischen Zustände im Allgemeinen
abgäbe. Forschen wir dabei nach den Ursachen dieser erfreulichen
Erscheinung, so glauben wir sie hauptsächlich in dem Einflüsse zu
finden, welchen allmälig die Thätigkeit des Musikvereins gewinnt. Ist
doch gar nicht mehr zu verkennen, dass die Beharrlichkeit, mit wel-
cher dieser Verein trotz so mannichfacher Schwierigkeiten sein auf
wirkliche Förderung der Kunst gerichtetes Ziel verfolgt, ein wesent-
liches zur Erweckung allgemeineren und höheren Sinnes für die Mu-
sik beiträgt. Aber gerade aus diesem Grunde müssen wir nun wün-
schen, dass auch die wichtige Bedeutung dieses Institutes für Heidel-
berg noch viel allseitiger erkannt und genügender anerkannt werde,
als es bis daher der Fall war. Wir sind der festen Ueberzeugung,
dass sich ein wirkliches Kunstleben — im engeren wie weiteren
Sinne des Wortes — nur da in ausgedehnter und dauernder Weise
entfalten uud gestalten kann, wo Kunstinteresse und Kunstthätigkeit
einen gemeinsamen Anhalts-, Vereinigung»- und Mittelpunkt finden,
wie ihn in grossen Städten die Oper, die Gonservatorien, Akademien
und dergleichen Anstalten von selbst bieten — der aber in kleineren,
wo solche Institute nicht vorhanden sind, in den Musikvereinen ge-
sucht und geschaffen werden muss. Dies ist vorzugsweise jene Be-
deutung, die wir auch dem hiesigen Verein unterstellen und die wir
zur vollständigsten Geltung gebracht wissen möchten, soll anders
nicht unser musikalisches Leben in kleinstädtischem Treiben unter-
gehen und die junge frische Blüthe, die es bis jetzt getrieben, wie-
der elend verkümmern. Hoffen wir daher, dass die in dieser Bezie-
hung bereits gemachten Erfahrungen und gewonnenen Resultate das
gesammte hiesige gebildete Publikum veranlassen, dem Musikverefa
eine immer grössere und wärmere Theilnahme zu schenken, damit
derselbe diese Bedeutung auch vollständigst gewinnt und seine eigent-
liche Mission in stets umfassenderer Weise erfüllen kann.
Lassen wir nun dieser allgemeinen Betrachtung eine gedrängte
Besprechung der seit unserem letzten Berichte stattgehabten öffent-
lichen musikalischen Aufführungen folgen. So veranstalteten die HEU
Becker, Mayer, Hildebrand und Kündinger, Mitglieder des
Mannheimer Hof th eaterorchesters , zwei Quartett- Soireen, welche»
wenn auch nicht ein ganz grosses Publikum vereinigten (wo wäre
dies der Fall?) doch besuchter waren, als ähnliche Unternehmungen
in früheren Jahren. Seit der Musikverein , wenn auch nur durch Di-
lettanten, doch in fleissiger Ausführung seinen Mitgliedern diese
Gattung von Musik öfter zu Gehör brachte, ist das Interesse an der
Kammermusik im Allgemeinen gestiegen. Eine bessere Richtung im
Musik, besonders Klavierunterricht, als sich hier durchschnittlich
geltend macht, würde auch im engeren Kreise ein Wesentliches zur
Hebung des Sinnes für die edelste Gattung von Musik beitragen,
(Wir werden Gelegenheit nehmen, später auf diesen Punkt zurück-
zukommen.) Die Leistungen der genannten Herren , die sich auch.
bereits in Mannheim selbst durch mehrere öffentliche Aufführungen
Beifall erworben, sind im Ganzen achtungswerlh, in rhytmi scher Hin-
sicht präcis, in technischer klar und rein — mangelt dem Quartett
nur noch jene harmonisch-qualitative Einheit, die es besitzen muss,
soll es uns als ein vollendetes Kunstprodukt erscheinen. Möchten
die Herren bei ihrem fleissigen Streben diesen wohlgemeinten Wink
in ihrem Interesse nicht unbeachtet lassen !
(Schluss folgt.)
-<■«•>-
EIN BESUCH BEI TOM POUCE.
Der Held unserer Erzählung ist ein ausserordentlich naiver
Franzose aus der Provinz, welcher sich für einen grossen Musiklieb-
haber ausgibt und in Verzweiflung darüber geräth, dass er den Soi-
reen, welche der Zwerg Tom Pouce gegeben hat, nicht beiwohnen
konnte. Er weiss, dass die französische Hauptstadt eine unbestimmte
Anzahl von Monaten vor Entzücken über dies liliputische Phänomen
ausser sich gewesen ist; er hat die Reise nach Paris unternommen,
einzig und allein, um den kleinen General zu bewundern, welcher
für so geistreich, so graziös, so galant gilt, und das Unglück will,
dass die Vorstellungen dieses Weltwunders in diesem Augenblicke
unterbrochen sind. Was thun ? Ein Empfehlungsbrief, womit unser
Provenciale versehen ist, öffnet ihm den Salon eines Künstlers, be-
rühmt durch sein Mystificationstalent. Als ihm der Bewunderer von
Tom Pouce sein Missgeschick auseinander setzt, erwiedert ihm der
Künstler: „In der That, mein Herr, ich begreife, dass dies für einen
solchen Kunstfreund , wie Sie sind, eine grausame Enttäuschung sein
muss. Sie kommen von Quimper, wie ich glaube? — Von Quimper-
Corenlin, mein Herr. — Eine solche Reise nutzlos zu machen ......
Ach, warten Sie, ich komme auf eine Idee; Tom Pouce gibt aller-
dings keine Vorstellungen mehr, aber er ist noch in Paris und Par-
bleu, besuchen Sie ihn, er ist ein Gentlemen, er wird Sie vortreff-
lich aufnehmen," — „Ach, mein Herr, wie viel Dank würde ick
Ihnen schuldig sein, wenn ich bis zu ihm gelangen könnte. Ich
liebe die Musik so schrl" — „0 ja, er singt nicht schlecht. Hier
ist seine Adresse: Rue St. Lazare, Ecke der Strasse La Roche fau-
cauld, eine lange Einfuhr, hinten quer vor steht das Haus, worin
Tom Pouce wohnt, es ist ein geweihter Aufenthalt, welcher nachein-
ander Talma, Mlle, Mars, Mlle. Duchesnois, H. Vernet, Thalberg ge-
>— 8
sehen hat und welchen Tom Poncc jetzt mit dem berühmten Pianisten
tfceilt. Sagen Sie dem Portier nichts, gehen Sie bis ans Ende der
Einfuhr und nach der biblischen Vorschrift — klopfet an, und es wird
Euch aufgethan." — „Ach, mein Herr, ich eile, ich glaube ihn zu
sehen, ich glaube ihn schon zu hören. Ich bin ganz aufgeregt da-
von .... Sie haben keinen Begriff von meiner Leidenschaft für die
Musik." —
Unser Musikliebhaber läuft zur bezeichneten Adresse, er kommt
ans Haus, klopft mit zitternder Hand — ein Coloss öffnet ihm. Der
Zufall will, dass Lablache, welcher mit seinem Schwiegersohn Thal-
fcerg zusammenwohnt, in demselben Augenblick ausgeht. „Zu wem
wollen Sie?" fragt der berühmte Sänger den Fremden. — „Ich
mochte den General Tom Pouce sprechen." — „Das bin ich", ver-
setzt Lablache mit furchtbarem Amplomb und mit seiner stärksten
Stimme. — „Aber . . . wie * . . man hat mir gesagt , der General sei
sieht höher als mein Knie und dass seine liebliche Stimme der des
Heimchens gleiche. Ich kann nicht finden ..." — „Sie können Tom
Pouce nicht herausfinden? Und doch habe ich die Ehre, dieser be-
ruhrote Künstler zu sein. Meine Gestalt und meine Stimme sind al-
lerdings so, wie man sie Ihnen beschrieben hat. Sie sind so en
public, aber Sie begreifen, dass ich es mir bequem mache, wenn ich
so Hause bin."
Hierauf entfernt sich Lablache majestätisch und der Musikfreund
bleibt verblüfft stehen, roth vor Stolz und Freude, den General Tom
Pouce zu Hause und in seiner ganzen Bequemlichkeit gesehen zu
haben. (Aus H. Berlioz's „Orchester-Abende.)
NACHRICHTEN.
Dresden. Am 22. November starb hier der seit etwa acht
Jahren pensionirte kath. Hofkirchenorganist A. A. K 1 e n g e 1 (68
Jahre alt), vor mehreren Decennien als Schüler und Begleiter de-
mentes auf dessen Reisen namentlich ausserhalb Deutschlands wohl
bekannt; später hier nur in den engeren Kreisen exclusiv sich be-
wegend, ein tüchtiger Componist, trefflicher Orgel- und Klavierspieler
aus der Schule seines Lehrers und Freundes, und namentlich in
gebundener Spielart, z. B. im Vortrage der Bach'schen Compositio-
nen, einer der bedeutendsten Künstler, welche wir gehabt haben.
Wien« Dem Personal des Ilofopertheaters stehen bedeutende
Veränderungen bevor. Mit Ostern 1853 verlassen die Sängerinnen :
Frau La Grangc und Frl. Engst sowie die Herren Ellinger, Steiner,
Wack ihr bisheriges Engagement. Dagegen sind (nach der Ostdeut-
schen Post) der Baritonist Beck aus Frankfurt und der Tenorist
Steger von Prag neu engagirt worden. Herr Cornet wird seinen
neuen Wirkungskreis mitAuber's „Feenscc", Donizetti's „Favoritin"
and Flotow's „Matrosen" eröffnen.
Die Proben zu der neuen komischen Oper von Hoven : „Der
lustige Rath" haben bereits begonnen-
Bremen« Die drei letzten Abonncmenls-Conccrtc im verflos-
senen Jahre brachten eine reiche Auswahl des Schönen und Interes-
santen. Als Gäste traten darin auf der Tenorist v. Osten, der Ba-
ritonist Marchesi, dessen Gattin Frau Marchesi-Graumann ; ferner der
Pianist A. Dreyschock und der Violoncellist Grützmacher aus Leip-
zig. Von grösseren Instrumentalwerken kamen zu Gehör: Mozarts
C-dur-§infonie, Beethoven's Pastorale, 4. Sinfonie von Gade (hier neu),
die Ouvertüren zu Cariolan, Egmont, Euryanthe, Concert-Ouverture von
J. Rietz und endlich R. Wagners Ouvertüre zum Tannhäuser. Letz-
teres Tonwerk, in sehr gelungener Ausfuhrung vorgetragen, machte
wie überall den imposantesten, wenn auch nicht den befriedigendsten
£indruck.
»■■■■IIB | ■*!■»
'Weimar. Wie auswärtigen Blättern berichtet wird , hat Liszt
auf Vorstellungen der Grossherzogin hin seinen Entschluss, nach
Paris zu gehen, aufgegeben und bleibt in Weimar.
CÖIn« Ein junger sehr talentvoller Componist von hier, Max
Bruch, welcher sich um das Stipendium der Mozartstiftung in Frank-
furt mitbeworben hatte, ist nach dem einstimmigen Urtheile der Preis-
richter als der Würdigste anerkannt worden. Die weitere Ausbildung
des 14jährigen Knaben wird F. Hiller übernehmen.
Paris. Vieuxtemps hat eine neue Kunstreise projektirt und
zwar, um aller Concurrenz auszuweichen, nach Ostindien. Ob sein
Bogen auch dort die gewohnten Wunder thun wird, steht noch in
Frage. ;
Madrid. Das Theater de la Cruz, die älteste aller spanischen
Bühnen, ist am 19. Dezember von einem reichen Gapitalisten und
Musikfreunde, Namens Daguerra, um den Preis von 999,000 Realen
erstanden worden. Dasselbe soll fortan nur für die spanische
Oper verwendet werden.
Brüssel. Die italienische Operngesellschaft des Herrn Bocca,
welche in Berlin so schlechte Geschäfte gemacht hat, ist hier ange-
kommen und hat ihre Vorstellungen am 31. Dez. mit „11 matrimonio
segreto" eröffnet.
Am 3. Januar wird Adams neueste, in Paris so glänzend aufge-
nommene komische Oper ,.Si j'etais Roi" zum ersten Male gegeben»
Neapel. Das Theater San Carlo eröffnete die Herbst - Saison
mit „Idue Foscari" und „Maria di Rohan". Zwei neue Opern von
Giosa und Baldassari etc. folgten. Für den Carneval sind neue
Werke von Staffa, Giosa und Mercadante (Statira) bestimmt. Als
Prima-Donnen fungiren die Damen : Giuli Borsi , Alaimo, Peruzzi,
Borghi Mamo und Tebaldi , von denen die beiden ersten schon vor
mehreren Jahren bei der Londoner italienischen Oper engagirt waren,
ohne besonderes Glück zu machen. Auch die Tenore Mirate, Pon-
cari und Laudono sind keine Grössen ersten Ranges. Ueberhaupt
befindet sich die Oper in Italien in einem Zustande der Ermattung,
der zu ihrem gänzlichen Ruin führen wird, wenn nicht bald ein neues
Genie auftaucht, um mit grossartigen Schöpfungen zugleich Gesangs-
heroen hervor zu rufen, die sich den Rubini, Tamburini u. s. w. an
die Seite stellen können. Von neuen Componistcn scheint gegen-
wärtig Pacini am meisten Glück zu machen. In Palermo wird eine
Oper von ihm: „Maria d'Inghelterra" , fast täglich gegeben, und die
Theaterdirektion hat schon eine neue bei ihm bestellt. Dagegen ge-
fiel „Buondelmente"' von demselben Componisten, womit das Fenice
in Venedig eröffnet wurde, nicht. Verdi hat nur in Turin die Ehre
gehabt, die Saison zu eröffnen, und zwar mit seinem „Corsaro". In
Rom (Argentina) wurde zu gleichem Zwecke „Poliuto" von Doni-
zetti, in der Canobbiana in Mailand gar „Moses" von Rossini her-
vorgeholt. Die Scala brachte „Luigi V. a von Mazzucato, das Thea-
ter in Genua : „II Giuramente" von Marcadante.
London. Als Dirigent der New philharmonic society in näch-
ster Saison wird Spohr genannt Ob derselbe in seiner Stellung als
Kapellmeister in Cassel den erforderlichen Urlaub erhält, ist freilich
sehr zu bezweifeln. Was die beiden italienischen Opern betrifft, so
ist noch Alles unbestimmt. Der Plan, Her majesties theatre durch eine
Aktien-Gesellschaft verwalten zu lassen , ist so kalt aufgenommen
worden , dass die Wiedereröffnung dieser Bühne überhaupt in Frage
steht. Coventgarden theatre hat Mad. Viardot als Prima-Donna zu
gewinnen versucht, aber nicht reussirt.
New- York. Die hiesigen Blätter sprechen von der Gründung
einer neuen italienischen Oper mit den Damen Sonntag und Al-
boni, dem Tenoristen Salvi und dem Baritonisten Badiali, und
suchen die New-Yorker für dieses Projekt, welches natürlich nur
durch bedeutende Aktienzeichnungen ausgeführt werden könnte, gün-
stig zu stimmen.
Verantwortlicher Redakteur; J. J. SCHOTT. -Iwek Ten REUTER* WALUD in Halu. 3
2. Jahrgang.
Wr. a.
17« Januar 1853.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
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B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
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SO kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Händel und das Oratorium. — Corresp. (Heidelberg, Berlin und Paris). — Nachrichten.
HANDEL UND DAS ORATORIUM. *)
Kaum waren auf dem Gebiete der Kirchenmusik die Hauptauf-
gaben gelösst, katholischerseits die musikalische Durchbildung der
Messe, protestantischerseits die Harmonisirungen der Kirchengesänge
eutstanden, da wurde die Oper geboren. Was ihre allererste Bil-
dung ermöglichte, was sie sodann steigender Vollkommenheit zuschrei-
ten, was immer mehr die Gesammtkraft der musikalischen Kunst
auf sie hinsteuern Hess, das war der Drang, mit Zuhülfenahme der
Instrumente in ganz neuer Weise, die dramatische Bewegung ioi
Tonreiche abzubilden. Im Tone eines durch scenische Vorführung
in die Gegenwart versetzten, oder als gegenwärtig gedachten Ganzen
auch den Ausdruck für das Einzelne, den Wortausdruck, zu finden
und die ganze Gegenwart der Handlung durch die sinnliche Gewalt
der Instrumentalbegleitung musikalisch auszudrücken: — dieses zwie-
fach Strebende war das unwiderstehlich Treibende, dem sich fortan
kein Tonkünstler mehr entziehen konnte. Der Gewinn der Fähigkeit
für den dramatischen Ausdruck war der nächste Schritt, den die
Musik ihrer Natur nach nothwendig thun musste, und insofern war
sie auf guten Wegen Aber nicht gut war der Hochmuth ob ihrer
Vortrefflichkeit, den sie gar bald erzeugte und der sich schon in J.
Mattheson , seiner Zeit ein angesehener Musikmacher und Kritiker,
so krass wie möglich aussprach. Der Oper selbst erwuchs in ihrem
ganzen ersten, dem 17. Jahrhundert, wenig gesunde Frucht aus die-
ser Kraft, Die immer weiter gehende Absonderung von dem christ-
lichen Culturleben **) und von volkstümlichen Bedürfnissen, gerieth
in eine unsägliche Flachheit und mythologische Seelenvcrwirrung,
die wohl für die damaligen eitlen Hoffeste passte, aber jede vernünf-
tige Fortbildung unmöglich machte.
Ein solcher Zustand kann nicht immer währen; einmal kommt
eine stärkere Kraft, die gewahr wird, dass solche Behandlung selbst
das Weltliche, das rein Geschichtliche entwürdigt, entgcistigt; die
erkennt, dass so das Beste, Zarteste und zugleich das Heldenhafteste
unausgesprochen bleibt , und die daher strebt und ringt, diesen Ueber-
schuss edelster Kräfte zur Geltung zu bringen. Mit andern Worten:
einmal musste Händel kommen — denn er war es , der solches
aufs tiefste empfand und dessen höchste Begabung in andauerndster
Begeisterung rang, das Edle kunstvoll zu gestalten. Er kannte die
Sprache der Helden, er war des Ausdrucks keuscher, tiefer Seelen
mächtig; der edle Strom vergangener, aber für die Ewigkeit dagewe-
sener Geschichte, wollte sich in seine Musik ergiessen. Dem gros-
sen Händel war alles Geschichte, aber unvergängliche.
*) Wir entnehmen der trefflichen Abhandlung von F. Chrysander,
„Ueber das Oratorium," welche übrigens in einigen folgenden Arti-
keln besonders berücksichtigt werden wird, diese interessante Skizze.
**) Der Verfasser übersieht, dass die Oper ihren Ursprung dem
neuen durch das Studium der Griechen erwachten Geistesleben des
16. Jahrhunderts verdankt, in ihrem eigentlichen Wesen aus dem
auch in Italien auftauchenden Anti-Romanismus erklärt werden muss,
und dadurch unwiderstehlich auf ihre erste Bahn getrieben wurde.
Die Redaction.
Ihn beseelte zunächst kein gesondert religiöser, oder ein anderer
Trieb vorherrschend, sondern allein der Schaffungsdrang, die Lust
an der Bewältigung riesiger Entwürfe, seinem riesigen Geiste ent-
sprechend ; daher eine über die damalige Bühnendramatik weit hinaus
gehende Lebensbewegung, eine Schönheit, Fülle und Geschlossenheit
seiner Gestalten , und eine , den ganzen Stoff durchdringende Kunst,
so weit die Form dies ermöglichte.
Seine Kunstform nämlich war die Oratorische, und so ent-
stand durch ihn das zweite Mal das Oratorium *) Aus Noth ergriff
er diese Form. Der stolze Händel war es endlich müde , Musik zu
machen für die „Unterhaltung" des Menschen, seine Kunst sollte bei
Allen hervorbringen, was sie ihm selbst gewährte: Erhebung. Daher
war ihm jede Form recht , in der er seinen höheren Inhalt ausspre-
chen konnte ; er konnte aber nur seinen Zweck erreichen durch Ab-
wenden von dem öffentlichen Kunsttreiben. Der vermeintlich vor-
treffliche Ersatz der früheren Volksschauspiele, das Theater,
bezeugte sich seiner Abkunft würdig, denn Kräftiges, Gesundes,
Ernstes, Herrliches ihm zu bieten , dess schämte man sich vor dem,
besseren Bewusstsein. . . * Da musste ein Mittelweg eingeschlagen
werden, man ergriff die alte Form des Oratoriums. Ein Mittelweg
ist aber als solcher, d. h. seiner Form nach nicht das Höhere im Streit
der Gegensätze, sondern er wehrt nur die grössten Spitzen und Här-
ten von einander ab , trotzdem ist er wohl geeignet, einen den Streit
überragenden höheren Inhalt zu vermitteln. So war es damals; man
überzeugt sich daher bald, dass dieser Mittelweg zu Händeis Zeiten
nothwendig war, denn er wurde gerade von den besten Künstlern
ersehnt und als das einzige ihnen mögliche Auskunftsmittel ergriffen,
welches sie in Wahrheit der Kunst erhielt und ihnen die künstleri-
sche Freiheit gewährte. Als Künstler behagte dem Manne , der uns
die einzig hohen Oratorien geschaffen hat, ebensowenig, was damals
das Theater als was der damalige Zustand der Kirche von ihm for-
derte, obgleich er persönlich sehr fromm war*...
Wie schon die Oraiorienkomponisten des 16. Jahrhunderts, so
also auch Händel und Andere empfingen nicht eine, aus kleinen An"
fangen hervorgewachsene Form, welche die Fähigkeit wieder aufzu-
streben und sich zu vollenden, besessen, so dass ein lebendiges
Fortwachsen sich nachweisen liesse, sondern sie Alle hatten die
scenische Darstellung als das Vollkommenere im Auge, mussten aber
diese irgend welcher Hindernisse wegen aufgeben, und in die ora-
torische F o r in , als Ersatzmittel , sich zurückziehen. Mit andern
Worten: Die kirchliche Passionsmusik hat eine Geschichte, wenn
auch keineswegs eine glänzende, da sie besonders in kirchlich un-
kräftigen Zeiten angebauet und weitergebildet ist, das Oratorium aber
fängt mit jedem neuen Oratoriumcomponisten , ja mit jedem neuen
i
*) Das erste Mal entstand dasselbe, als im 16. Jahrhundert das
Volksspiel versank, weil der Musik noch «Alles zu einer Verbindung
mit ihm fehlte , und in den Klöstern eine Zwittergestalf von Kunst
und Gottesdienst, zunächst als Ersatz für die in den Fasten verbote-
nen Volksspiele sich bildete. Dieser traurige Nothbehelf erstarrte
indess bald. Der Verf. a. a, 0.
10
Oratorium von vorne an, das Oratorium hat keine Ge-
schichte. Daher sein Schwanken, daher die bunte Vielheit seiner
Form; daher eine bloss negative Gattungs-Einheit.
CORRESPONDENZEN.
AUS HEIDELBERG.
(Ende Dezember.)
(Schluss).
Die von dem Tenoristen Stigelli in den ersten Wochen des Nov.
gegebenen zwei Conccrtc waren überaus zahlreich besucht. Ueber
diesen Sänger ist in musikalischen und noch mehr in unmusikalischen
Blättern viel gesprochen worden; auch wir wollen hier ein Wörtchen
mit hinein reden. Unserer Ansicht nach werden seine Leistungen
weniger vom Publikum als von der Kritik überschätzt, sie erheben
sich, einzelne technische Fertigkeiten und Eigentümlichkeiten ab-
gerechnet, keineswegs auf jenen hohen Grad von Vollkommenheit,
welcher demselben schon so vielseitig zugesprochen wurde. Zu die-
ser Vollkommenheit gehören beim Sänger vor allem Seele und
Wahrheit; aber beides vermissten wir in seinen Vorträgen. Seine
Seele ist Berechnung und seine Wahrheit Manier. Dies beweisen
seine eigenen Kompositionen, in denen Alles nur auf einen augen-
blicklichen ohrenkitzelnden oder gemüthsfrappirenden Effect berech-
net ist; dies beweisst die Thatsachc, dass er seiner ihm eigentüm-
lichen technischen Fertigkeit jedes Musikstück, selbst das einfachste
Schubertsche Lied , unterthan macht : ein Verhältniss, wie es sonst
umgekehrt bei vollendeten Künstlern zu herrschen pflegt. Es fehlt
ihm die höhere Weihe eines solchen , sonst würde er sich nicht
einfallen lassen, am Schlüsse des ersten Es-dur Satzes in der Max-
Arie aus dem „Freischütz" 1 eine Cadenz in's hohe B zu machen.
Stigelli macht sich als Virtuos in seiner Art geltend, aber diese
seine Art ist im Wesentlichsten keine Haarbreite unterschieden von
der unserer modernen Virtuosen aller Gattungen; mag er eine Kir-
chen - oder Opern- Arie , ein Lied oder eine Ballade singen — in
Allem appellirt er an die Blasirtheit des Salons und in jedem Effect
liegt die Herausforderung „Was willst Du noch mehr!" —
Einen grossen Kunstgenuss gewährte das Conzcrt , welches das
Mannheimer Orchester unter der Leitung seines Kapellmeisters V.
Lachner am 8. ds- Ms. gab, in welchem Mozarts C-dur Sinfonie
und Lachners Preisgekrönte Festouvertüre vorzüglich executirt wur-
den. Unter den übrigen Nummern des Programmes verdienen die
von dem Hoftheatersänger Herrn Stock hausen vorgetragenen
Arien besonders rühmende Erwähnung. Dagegen waren die von
Fräulein Kern gesungenen Lieder sehr schwach: mit derlei Firle-
fanzereien möchte Fr. K. lieber nicht mehr vor die Oeflentlichkcit
treten, wenn sie ihren Vortheil wahren will. — Das am 2ten d. M.
stattgehabte Conzert des Musikvereins brachte "uns Beethovens
D-dur Sinfonie , M o z a r t's Ave verum, mehrere Lieder für gemisch-
ten Chor a capella, Rossini's Caritä und zum Schlüsse die
Freischütz-Ouvertüre zu Gehör. Dazwischen spielte der 13jährige
Violinvirtuos Alex. Rancheray zwei Soli, war aber nicht im Stande,
das besondere Interesse des gebildeteren Publikums zu erregen.
Seine ganze und alleinige Eigentümlichkeit ist die , dass er mit
der linken Hand den Bogen führt; Alles Uebrige gewöhnlich, eine
Treibhauspflanze ohne Farbe und Geruch — schon öfter dagewesen.
Leider! Wir haben evidente Beweise seines mangelhaften musikali-
schen Talentes und prognostiziren diesem gelockten Virtuosen-Embryo
keine eigentliche Zukunft. Die Ausführung der oben angeführten
Orchester- und Vokalwcrke, unter letzteren besonders der Caritä —
war dagegen überraschend gut und erwarb sich einen ungetheilten
Beifall. *
Ein Conzert der blinden Sängerin Fräulein A. Knopp aus Berlin
würden wir mit Stillschweigen übergangen haben, wenn uns nicht
die im schwäbischen Merkur und andern Blättern veröffentlichten
überschwäöglichen Lobpreisungen dieser Sängerin, gewissermassen
zwängen, zur Steuer der Wahrheit und Beleuchtung einer gewissen
Art von Kritik, unsere Ansicht über diese seinsollende Künstlerin
auszusprechen. Wir können weder ihre Stimme noch ihren Gesang
schön finden; beides ist krankhaft und ihre Leistungen dürfen unse-
rer Ansicht nach durchaus nicht vom musikalischen Standpunkte
aus betrachtet werden. Wer z. B. wie Fräulein Knopp, keinen rech-
ten Athern hat, der kann auch nicht singen, oder soft wenigsten«
nicht singen, wozu jener nicht ausreicht. In dieser Beziehung machte
den unangenehmsten Eindruck ihr Vortrag der Arie au« Paulo«
„Jerusalem", in welcher sie letzteres Wort bei fast jeder Wie-
derholung durch ein noch obendrein ungeschicktes Athmen trennte.
Von künstlerischer Auffassung kann bei ihr gar keine Rede sein;
es mangelt ihr an jedweder technischen Ausbildung. Dabei besitzt sie
ein durchweg widerspenstiges Organ , das unter vielen andern Män-
geln eine Nüancirung des Tones in forte-piano kaum zulässt. Sie ist
unglücklich, weil sie blind und mittellos ist und desshalb erregt sie
Mitleid; wir gönnen ihr als Mensch gern die Theilnahme des Publi-
kums, aber wenn die Kritik solche höher anschlägt, als ein jedem
Unglücklichen dargereichtes Almosen . so begeht sie eine Sünde ge-
gen den heiligen Geist der Kunst. Soviel hierüber. — Schliesslich
noch unser Bedauern über einen missglückten Versuch, die Gebrüder
Müller hier zu hören. Die Herrn verlangten aber eine Garantie
des Ertrages, die leider unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch
nicht unternommen werden konnte. Aus gleichen Gründen sollen
sie auch Mannheim noch nicht besucht haben.
AUS BERLIN.
(30. Dezember.)
Ich will das Jahr nicht ablaufen lassen, ohne Ihnen noch eine
Uebersicht dessen zu senden, was uns der letzte Monat an musika-
lischen Genüsseu gebracht. Die königliche Oper bot uns zwar nichts
Neues, hat aber doch eine grosse Anzahl theils an sich, theils durch die
Vorstellung ausgezeichnete Werke gebracht. Ich gebe Ihnen nicht
den Katalog der Namen aller gediegenen und glänzenden Werke ; ein
neu einstudirtes war auch nicht dabei. Es sei denn, das man
Spontini's „Olympia" dahin zählen wollte, die allerdings einige Zeit
geruht hatte und als Festoper bei der Anwesenheit des österreichi-
schen Kaisers gegeben wurde, eben so glänzend in der Aeusserlich-
keit, natürlich, als wahrhaft würdig in künstlerischer Hinsicht. Dem
Adel der Vorstellung durch die beiden Sängerinnen Johanna Wagner
(Statira) und Frau Köster (Olympia) hat jetzt schwerlich irgend eine
deutsche, ich glaube fast auch keine ausländische Bühne etwas an
die Seite zu setzen. Eine neue, bedeutungsvolle Erscheinung war
und ist uns hier Carl Formes aus London, der berühmte Bassist.
Er hat unbedingt die machtvollste Stimme, die jetzt auf der Bühne
ertönt; sein Gesang ist mehr energisch, nach Umständen charakteri-
stisch, als schön. Auch ist der Umfang seines Organs, obwohl dem
Charakter nach der entschiedenste Bas s, doch nur der des Baritons.
Bis b, a, hinab hat die Stimme eine ausserordentliche Gewalt; doch
von da abwärts ist sie nicht stärker noch klangvoller, als die anderer
Bassisten , eher schwächer. Als Sarastro, wo mehr Ruhe und
Würde gefordert wird, war der Erfolg des Sängers zwar immer ein
entschieden günstiger, doch nicht über den Grad der Achtung hin-
aus; als Mar cell in den Hugenotten dagegen war er glänzend.
Der Künstler stand da als die eherne Grundsäule des Werkes mit
seiner mächtigen Stimme; die Ensembles trug er wie ein Atlas auf
seinen Schultern. Dazu kam, dass er auch als Schauspieler, beson-
ders in plastischer Beziehung , die Figur des alten im Dampf der
Schlachten ergrauten Kämpfers in trefflicher Charakteristik hinstellte.
Der eigentliche Zweck seiner schon mehrere Wochen dauernden An-
wesenheit hierselbst ist der, eine möglichst treffliche Oper für Lon-
don, wo deutsche Sänger englisch singen sollen, zusammen-
zubringen. Er würde uns unsere vorzüglichsten Mitglieder entführt
haben, wenn sie nicht im Winter alle contraktlich verpflichtet wären*
— So weit die grosse Oper. In der Friedrich-Wilhelmsstadt hat die
italienische Oper vor Ablauf ihres Contraktes aus Mangel an Theil-
nahme geschlossen werden müssen. Die einzelnen Mitglieder waren
zum Theil in sehr trauriger Lage. Dieselbe wurde noch dadurch
erhöht, dass sie, nach unserem Gesetz, eine Einkommensteuer auf
Grund ihrer contr aktlichen Einkünfte zahlen sollte, die ihnen aber
aus Mangel an Einnahme des Impressario nicht wirklich gezahlt
— 11
waren. So paaren sich oft scheinbar Glanz und wirkliches Elend t
Man ist übrigens ungerecht gegen sie gewesen; unser Publikum ver-
göttert oder verwirft zu rasch. Sie waren in der tragischen Oper
freilich sehr mittelmässig, in der komischen aber oft ganz vortreff-
lich. Wenigstens haben sie ebensowenig diese ganz zurückstossende
Gleichgültigkeit verdient, als frühere, nicht viel bessere Vorstellun-
gen (bei denen die besten Mitglieder der jetzigen Truppe als pre-
miers snjets mitspielten), den blinden Enthusiasmus. — — In der
deutschen Oper dieser Bühne hat der December nichts Erheb-
liches gebracht. Dagegen ist eine Nebenbuhlerin derselben im be-
rühmten Kroll 9 sehen Lokal aufgetreten. Dieses Etablissement ist
eigentlich nur zu Concerten, Bällen, Maskeraden und anderen Erhei-
terungen bestimmt. Doch es besitzt auch ein kleines, sehr comforta-
bles Theater, mit einem sehr grossen Zuschauerraum. Dort hat sich
seit Beginn des Monats eine ganz leidliche , mitunter sogar recht
gute Oper etablirt , die sich wahrscheinlich im Laufe der Zeiten
noch sehr viel besser aecordiren wird. Man eröffnete dieselbe mit
einer Vorstellung der Regimentstochter, in der Mad. Seyler
aus Darmstadt lebhaften Beifall als Marie erndtete und verdiente.
Ein bisheriger Chorist der königlichen Oper, Röhr, war als Tonio
ganz wacker ; das Ensemble recht gut und das Orchester sehr gut,
besser als es irgend eines der zweiten Theater Berlins jemals aufge-
bracht hat. So ist denn diese Oper sehr viel, besonders in denWeih-
nachtstagen, besucht worden, und Vorstellungen der Flottow'schen
Martha, des Schlosser und Maurer und andere haben ähn-
liches Glück gemacht, ähnliches Lob verdient, wie die genannte.
— Die Concerte haben uns ziemlich das erfüllt , was sie uns , wie
ich Ihnen in meinem letzten Berichte anzeigte, versprachen. So hat-
ten wir erst zwei unserer klassischen Sinfonie- Soireen und erst
ein Domchor-Concert. Glüchlicher ist der Stern'sche Verein
gewesen, der bereits zwei seiner Concerte zu Stande gebracht hat,
während die Sing-Akademie, obgleich ihr ihr eigener schöner
Saal zu Gebote steht, erst eins gab, eine Aufführung des Paulus.
Ich habe derselben schon vorläufig Erwähnung gethan in meinem
letzten Bericht. Beide Institute, an sich rivalisirend, kämpften auch
durch diese Aufführungen eines und desselben Werkes gegeneinander
an. Man kann nicht sagen, dass der Stern'sche Verein gesiegt hätte,
obwohl seine Aufführung glänzender ins Leben trat, sowohl durch
Lokal (Concertsaal) , Besuch als äussere Ausstattung. Allein es
waren auch manche fremde Kräfte dabei thätig, während die Sing-
Akademie sich fest auf ihre eigenen Mitglieder stützte. Die Leitung
in der ersten Aufführung durch Stern war feuriger , aber nicht so
besonnen ; die Sing - Akademie gab das Werk unter Grells Leitung
ruhiger. Einzelnes war hier, Einzelnes dort vorzüglich. Als Gan-
zes waren Beide sehr des Lobes werth. Das ist der Vortheil der
Concurrenz ! Das zweite Stern'sche Concert war aber auch in an-
derer Beziehung merkwürdig. Es war eine Mischung der weltlichen
und geistlichen Musik , ein , wenn man will , klassisches Concert.
Kullack, einer unserer trefflichen Pianisten, spielte ein Concert von
Seb. Bach; Dem. Bury (von hier gebürtig, doch gegenwärtig in
Leipzig) war von dort herübergekommen und sang im ersten Theil
eine grosse Concerfscenc von C. Maria v. Weber sehr lobenswerth,
mit nicht starker aber klangvoller, reiner und biegsamer Sopran-
Stimme, und im zweiten Theil, in einer vorzüglichen Aufführung der
Musik zur „Athalia" von Mendelssohn , die Sopransoli. Aber den
Glanzpunkt des Abends bildete der junge Violinspieler Joachim.
Sein Name ist jetzt schon viel genannt und gekannt , er selbst
aber, seine Kunst uugleich weniger. Er ist aus Pesth gebürtig,
kam sehr jung nach Leipzig, war schon als Knabe dort der Liebling
Mendelssohns, wurde demnächst von Liszt in Weimar sehr ausge-
zeichnet und ist jetzt Conccrlmeister in Hannover. Sein bester Be-
schützer aber ist er selbst. Er vertritt einige jener seltenen Virtuo-
sitäten, die durch wenige^ Takte sich sogleich auf die ganze Höhe
ihres Werthes stellen. Man sollte glauben, dass dies durch ein ein-
faches Thema, durch einige unbedeutende leichte Figuren kaum mög-
lich sei; und doch ist dem so. Nicht zwölf Takte ha(te Joachim ge-
spielt, als schon das freudigste Staunen sich in Aller Mienen zeigte,
Der weiche und doch volle Ton, dieser Reiz der melodischen Ver-
bindung, dieses feinste Maas im Wachsen und Abnehraenlassen der
Töne, genug, dieser Zauber der Vollendung war es, der ihn uns
sofort als einen Künstler ersten Ranges, vielleicht als der erste jetzt
lebende auf dem Instrumente erscheinen liess. Der grossen Cadenz,
mit allen Kunststücken und Schwierigkeiten der Hand, die er in den*
Beethoven'schen Concert einlegte, hätte es gar nicht bedurft. Er be-
wies zwar dadurch, dass er die Harpeggien, Tremolo's, gleichzeitig
Pizzicato's, Flageolets u. s. w. auch machen kann und besser
machen kann , als die guten modernen Spieler unserer Zeit j
allein er hatte schon zuvor bewiesen , dass er etwas kann, was ihm
Keiner nachahmt ! Dabei ist seine äussere Erscheinung , das lin-
kische, unfreie Auftreten, die halb blöde, halb verdriessliche Phy-
siognomie nichts weniger als empfehlend; er thut in seinem ganzen
Wesen dar, dass die Aussen weit ihn kaum berührt, seine Kunst es
allein ist, die ihn ganz und gar erfüllt. Selbst ihr Erfolg — er er-
regte natürlich einen Sturm des Beifalls, was bei den Zuhörern die-
ser Concerte, die Gebildetsten Berlins, sehr viel ist — schien ihn.
gleichgültig zu lassen! Er ist somit auch in der äusserlichen Selt-
samkeit ein halber Pagauini, in derKunst scheint er ein ganzer
werden zu wollen. — Ich wurde eben im Schreiben unterbrochen
durch einen Besuch, der mir die Nachricht von der Anwesenheit The-
rese Milanollo's brachte. Also wieder eine der ausgezeichnetsten
Erscheinungen in der Kunstwelt, die wir in den nächsten Tagen hö-
ren werden. Diese beiden können uns trösten über einen ziemlich
pfuscherhaften Charlatan, Sign. B , der uns durch ein Gei-
genconcert vor etlichen Wochen stark zusetzte 1
Die Gebrüder Stahlknecht haben ihre Trio-Soireen geschlos-
sen und werden dieser Tage nach Petersburg gehen. Die Kammer-
musiksoireen der Herren Grünwald und Sei dl sind auch, bis auf
eine, vorüber; die Quartette der Herren Zimmermann und Ge-
nossen dauern noch fort. Sie feierten jüngst Beethovens Geburtstag;
durch drei seiner gediegensten Werke für diese Gattung.
(31. Dezember.)
Das wäre, was das alte Jahr uns gebracht hat. Doch eins kann
ich aus leisestem Eindruck noch hinzufügen. In der Oper schloss
es gestern in sehr würdiger Weise , nach langen Hindernissen und
Kämpfen. Der weiche Winter voller Nebel und Regen hat so viel
Schnupfen und Husten erzeugt, dass trotz aller Reservecadres die
Armee der Oper doch fortwährend Lücken hatte und bald dieses»
bald jenes Manöver machen und geschickt verändern musste, um die-
selbe zu decken. So waren am 30. drei Opern nacheinander ange-
setzt, Robert der Teufel, die Hugenotten, Iphigenie in Aulis, und
endlich wurde — Euryanlhe gegeben. Ohne Probe! Eine solch.«
Oper, fast aus dem Stegreif, setzt eine schlagfertige Armee voraus*
Sie griff muthig an und der Sieg gelang glänzend. Allein es war
auch Sporn des Ehrgeizes genug da. Formes, der trotz aller die-
ser rheumatischen Hindernisse erst dreimal zum Singen gekommen
ist, war unter den Zuhörern. Plötzlich verbreitete sich die Nach-
richt, auch Therese Milanollo befinde sich in einer Loge, und als
dritte Comparation der Ereignisse erschien der berühmten Violinspie-
lerin gegenüber eine berühmte Sängerin, Garcia-Viardot. Vor
solchen Heroen and Heroinnen gilt es, sich zu behaupten. Die Da-
men Wagner und K ö s t e r setzten alle Schönfahrsegel anf , und
der Triumph gestaltete sich glanzvoll. — Möge dieser glückliche Jah-
resschi uss uns eine glückliche Jahreszukunft bedeuten! Mit diesem
Wunsche, und meinem besten für die Musik überhaupt, schliesse ich
diese Zeilen. Rellstab,
AUS PARIS.
(Dezember.)
Die diesjährige Saison lässt sich glänzend an, wenngleich weni-
ger auf der Bühne, als im Concertsaale, trotz der Pracht kaiserlicher
Titel , womit erstcre in ihren verschiedenen Verzweigungen auftritt*
Die Conservatoire-Concerte haben noch nicht begonnen, wohl aber
die Scghers'schcn Concerte im Saale St.-Cecile, deren zweites der
Aufführung von Werken lebender Componisten gewidmet war. Das-
selbe eröffnete eine wohlangelegte, sehr tüchtig gearbeitete und
glänzend instrumentirte Conccrt-Ouverture des Hrn. Alexander Stadt-
feld, eines jungen Deutschen, so viel wir wissen, der aus dem Brüs-
seler Conservatoire hervorgegangen und von der belgischen Regierung
ein Ehrenstipendium geniesst. Schon im vorigen Jahre hatte sich
der talentvolle junge Mann durch eine bei ähnlicher Gelegenheit zur
Aufführung gekommene Ouvertüre zum „Hamlet" gerechte Anerken-
nung erworben. Das dann folgende Werk war eine Preiscomposition,
12
«ine „Ode an die neu, C&cilie" für Orchester, Sopransolo und Chor,
Text von H. N i b e 1 1 e , Musik von Camille Saint-Sacns, der
poetische Intentionen bei grosser Einfachheit nicht abzusprechen, wo-
rin aber Nüchternheit der Erfindung und Mangel an Schwung so vor-
herrschend sind, dass man sich während des Anhörens beängstigt
fühlte bei dem Gedanken, dass ein so ältlich besonnenes Erzeugniss
ans so junger Feder habe fliessen können. Vor nicht gar langer Zeit
noch stand der Jüngling in gewissen Kreisen als Wunderkind in
grossem Ansehen; nunmehr aber sind die Wtinderschuhe abgelegt
und wir wollen hoffen, dass der junge Mann auch ohne sie sich be-
währen und den gehegten Erwartungen künftig entsprechen werde — -
Die hierauf folgende Symphonie in A von G a d e fand Anerkennung,
ohne in dem Maasse zu befriedigen, wie es sein aus Deutschland
"herüberschallender Ruf hätte erwarten lassen; am meisten gefiel das
Scherzo. — Nach der Anzeige des Programms sollte nun ein „däni-
scher Gesang " von Weckerlin zu Gehör gebracht werden , ein
Stück, welches aus unbekannten Gründen ausfiel. Herr Weckerlin
ist ein Künstler, der sich schon früh vorzugsweise mit Chorgesang
und Composition dieser Gattung beschäftigte und in den Concerten
dies Cäcilienvereins als Chordirektor fungirt. — Die edle Dame von
Grandval, die nun auf dem Programm erschien, war uns schon
lange vor ihrer Ehe unter dem Namen der Baronesse von Reiset
als begabte Künstlernatur bekannt, die sich nach vielen Richtungen
hin mit glücklichem Erfolg bethätigte. Im elterlichen Hause war sie
oftmals unter Anwesenheit eines kleinen aber auscrwählten Kreises,
zu welchem die ausgezeichnetsten Kunstnotabilitäten gehörten , als
Sängerin, als Klavierspielerin und Komponistin aufgetreten und end-
lich auch mit einer Symphonie für volles Orchester vor das grosse
Publikum, Von dieser ward nun ein Andante vorgetragen, das sich
zwar nicht durch Tiefe auszeichnet, wohl aber durch einfache ge-
fällige Gedankenfolge, klare Behandlung und geschickte Instrumen-
tirung. Das Concert schloss mit Bruchstücken aus der grossen „ly-
rischen Epopöe", welche vor anderthalb Jahren zum beabsichtigten
und leider unterdrückten achttägigen Fest der Universal-lndustrie von
Merz gedichtet und von Louis L a c o m b e komponirt worden war,
und vor einem Publikum von zwölftausend Zuhörern zur Aufführung
kommen sollte. Fest und Aufführung unterblieben aus winzigen po-
litischen Rücksichten und die Arbeit war vergebens. Die drei zu
Gehör gebrachten Nummern daraus waren 1) Gesang der Memnons-
saule, Instrumentalsatz, 2) Hymne an die Sonne, Chor, 3) Finale der
Einleitung. Dass die auf ungewöhnliche Räume und Chor- und Or-
chestermassen berechnete Wirkung hier in beschränkteren Verhält-
nissen nicht die ursprünglich beabsichtigte sein, mithin nicht zu vol-
ler Geltung kommen konnte, versteht sich von selbst. Nichtsdesto-
weniger trat das Grandiose der Conception und die kräftige Behand-
lung des Stoffes doch genug zum Vorschein, um selbst unter solchen
verkümmernden Umständen aus diesen dem Zusammenhange entris-
senen Fragmenten den ihnen inwohnenden Geistesschwung mächtig
hervorleuchten zu lassen. Louis Lacombe gehört überdies zu den
tüchtigsten, gediegensten Pianisten und zu den Künstlern von Geist
und Bildung, bei welchen das Herz auf dem rechten Fleck sitzt.
Bei den unendlichen, fast unüberwindlichen Schwierigkeiten, auf
welche junge Componisten, die das Unglück haben, für Theater oder
Orchester zu componiren, hier in Paris mit der Aufführung ihrer
Instrumentalwerke stossen , kann für dieses alljährliche, den Compo-
sitionen der Neuzeit gewidmete Concert die jüngere Künstlerwelt dem
Begründer derselben , dem wackern Musikdirektor Seghers, nicht
Dank genug wissen, und da das Ausland von der Probe nicht aus-
geschlossen ist, so halten Wir die Sache für wichtig genug, um die-
jenigen deutschen Componisten, denen eine Gelegenheit, sich in Paris
bekannt zu machen, willkommen wäre, auf diese Einrichtung auf-
merksam zu machen, deren Vortheil für sie einleuchtend ist.
NACHRICHTEN.
Mainz- (Auf. Januar.) Wir sehweben gegenwärtig in einem
wahren Dulci jubilo , üherallher schallt Musik : hier zu einem süss-
duftenden Thce, dort zu einem einfachen Kränzchen mit Trüffeln und
Gänseleberpasteten; hier in den feierlichen Hallen des Weihnachts-
Cultus, dort in Feenräumen des Ballhimmels; bald um der Casse der
Wohlthätigkeits-Commission, bald um der Goldmine des Theaterdirek-
tors aufzuhelfen. Nehmen wir bei unserem heutigen Berichte den
Letzteren zuerst vor und fragen wir, was er in neuerer Zeit geleistet
hat, so müssen wir gestehen, dass er es nicht an Mühe hat fehlen
lassen, sein Institut zu heben. Sind auch die Opern, welche er in-
zwischen als neue präsentirt hat — das „Käthchen von Heilbronn"
von unserem Kapellmeister Lux und die „Favoritin" von Donizctti
— nicht an und für sich, sondern nur in Beziehung auf uns neu, so
boten sie doch eine erfreuliche Abwechselung im Repertoire und ga-
ben den Grosswürdeträgern unseres Sangpersonals erwünschte Gele-
genheit, sich von ihrer glänzendsten Seite darzustellen. Mit beson-
derer Freude wurde auch wiedeV die seit Jahreu abhanden gewesene
Operette von Lortzing, der „Wildschütz", aufgenommen, worin Herr
Jaskewitz von Wiesbaden, ehedem unser hochgeschätzter Baritonist,
zweimal als Schulmeister Baculus mit grösstem Erfolg debutirte und
zeigte, dass die Zeit die etwaige Einbusse an Stimme durch Vervoll-
kommnung des Spiels wohl ersetzt hat.
Inzwischen sind auch unsere Dilettantenvereine nicht unthätig
geblieben; namentlich hat der reconstruirte Verein, die „Mainzer
Bürgermusik", unter der Direktion des Herrn Walther zum erstenmal
ein Concert zum Besten der Armen gegeben und recht Anerkennens-
werthes geleistet. — Die Liedertafel in Verbindung mit dem Da-
mengesangverein scheint unter der Leitung des Herrn Vierling
ein frisches Leben und einen glücklichen Aufschwung zu nehmen,
wenigstens hat sowohl die musikalische Produktion bei der Cäcilien-
feier, als auch das statutenmässig jährlich zum Besten der Armen
zu gebende Coucert im Theatergebäude die Musikfreunde entzückt
und zu den freudigsten Hoffnungen erhoben. Herrn Musikdirektor
Vierling ist das Meisterstück gelungen, dass er, obgleich eben erst
hierhergekommen, mit ihm noch völlig fremden Kräften, beide Auf-
führungen (in der letzten das bekannte äusserst schwierige Orato-
rium „Paulus" von F. Mendelssohn-Bartholdy) innerhalb vier Wo-
chen vorbereitet und auf's Schönste zu Stande gebracht hat. Im
„Paulus" hatten wieder einmal die tüchtigsten Mitglieder die Soli
übernommen und bewiesen, vereint mit den ausgezeichnet eingeübten
Chören, wie sehr die genannten Vereine fortdauernd aller Beachtung
und Achtung würdig sind.
Braunschweig« (Anfg. Jnr.) Am ersten Weihnachtstage wurde
der Prophet aufgeführt. Himmer sang und spielte den Johann zur
vollen Zufriedenheit des Publikums, das seine Leistung durch mehr-
maligen Hervorruf anerkannte. Ganz vorzüglich war die Scene in
der Kirche, (wo Johann seine Mutter durch Geberdenspiel zu seiner
Verläugnung zwingt,) da Frl. Wurst die Fides nicht minder gut gab,
als Himmer den Johann. Die vier Gebrüder Müller weilen gegen-
wärtig noch hier, gehen aber in einigen Tagen nach Ostpreussen.
Abt war kürzlich in Hamburg, ist jetzt aber bereits zurück gekehrt
Schliesslich will ich noch einer neuen Oper erwähnen , die Frau
Schmezer, Gemahlin des Hofopern-Sängers Schmezer, componirt und
Musikdirektor Zabel hieselbst instrumentirt hat. Die Oper heisst:
„Otto der Schütz." Jedenfalls ein sehr romantischer Stoff, der gut
gearbeitet und characteristisch componirt, erfolgreich sein kann. Wir
wünschen dieser Oper, falls sie zur Aufführung kommen sollte, was
allerdings noch sehr zweifelhaft ist , einen bessern Erfolg, als den,
welchen eine frühere Oper von Caroline Wieseneder hieselbst hatte,
die vollständig Fiasco machte. Zwei Opern-Compositricen in einer
Stadt; ohne Zweifel, ein sehr seltner Fall!
Ob Frau Schmezer ihre Vorgängerin übertroffen hat, wissen wir
nicht. Dass die Direktion aber nicht eben lüstern ist, einen zweiten
Versuch mit einer weiblichen Oper zu wagen, nach dem schlech-
ten Success der ersten , geht aus den Schwierigkeiten , die der An-
nahme dieser Oper entgegengelegt werden, hervor. Vielleicht sind
wir im Stande , Ihnen schon das nächste Mal ein Resultat darüber
mitzutheilen.
Rom. Die neueste Oper von Verdi II Trovatore, wird im
Theater Apollo zum ersten Male zur Aufführung kommen.
Verantwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER * WALLAU in Mainz.
2. Jahrgang.
arr. tk.
24. Januar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheiat jeden
MONTAG.
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Musik- und Buchhandlungen.
RED ACTIO* HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für de«n Jahrgang.
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50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts R. "Wagner als Dichter und Musiker. — Corresp. (Wien, London und Paris). — Nachrichten.
R. WAONER ALS DICHTER UND MUSIKER.
Erste Aufführung des „Tannhäuser" in Frankfurt a. M.
Endlich am 15. dieses ist der so lang erwartete „Tannhäusser"
auch hier in Scene gegangen, nachdem die schon 8 Tage vorher an-
gekündigte erste Vorstellung wegen Heiserkeit des Herrn Beck ver-
schoben werden musste. Wir können wohl sagen, dass diese Auf-
führung ein Ereigniss war. Der hitzige Federkampf zwischen den
Freunden Wagners und seinen Gegnern hatte auch hier die Gemüther
erregt und Alles war gespannt, das Wunder zu sehen, welches das
gutmüthige Völkchen der Musiker so in Eifer zu bringen und so
grelle Disharmonien unter ihnen hervorzurufen vermochte. Von allen
Seiten waren die Nachbarn Frankfurts herbeigeeilt und das Haus von
oben bis unten gefüllt. An lebhaften Beifallsbegrüssungen und Her-
vorruf der Hauptpersonen fehlte es nicht, und dennoch müssen wir,
um der Wahrheit die Ehre zu geben, erklären, dass die Meisten un-
befriedigt und kopfschüttelnd nach Hause gingen, kurz, dass der Er-
folg des „Tannhäuser" den gehegten Erwartungen nicht entsprochen
hat. Noch am folgenden Tage hatten wir Gelegenheit, die verschie-
denartigsten Urtheile zu hören , aber alle liefen darauf hinaus , dass
das Werk neben einzelnen interessanten Stellen entsetzliche Längen
habe, melodiearm sei", dass trotz Aufbietung aller Mittel der Instru-
mentation der Mangel an wahrer Musik nicht verdeckt werde , dass
das Meiste gesucht, das Uebrige gewöhnlich erscheine u. s. w. u. s w.,
kurz wir hörten Alles, was den Werken Wagners von seinen Geg-
nern bis jetzt vorgeworfen worden ist, neben einander und auf den
einzigen Tannhäuser gehäuft. Vergleichen wir hiermit die enthusi-
astischen Berichte, welche von andern Orten über dieselbe Oper er-
schienen sind — nicht blos die der Neuen Zeitschrift für Musik — ,
so scheint es fast unmöglich, ein gerechtes Urtheil zu fällen, einen
Faden zu finden, der aus diesem Chaos widersprechender und wi-
derstrebender Meinungen herausführen könnte. Versuchen wir es
dennoch.
Es handelt sich vor Allem darum, die Beurtheilenden selbst in's
Auge zu fassen und den Standpunkt kennen zu lernen, von welchem
aus sie urtheilen. Da stossen wir freilich gleich auf betrübende,
wenn auch unter dem gewöhnlichen Opernpublikum sich fast von selbst
verstehende Ansichten. Dieser verlangt in einer Oper vor Allem
„Melodie", er will „etwas mit nach Haus nehmen", d. h. er hört
gern muntere Arien und Liedchen ä la Martha, die er sofort
nachpfeifen kann. Der Andere möchte im Theater immer etwas
„Lustiges" hören, etwas, was ihn aufheitert und in die rechte Stim-
mung versetzt, um nach der Oper noch einer munteren Gesellschaft
beiwohnen zu können. Der Dritte ist ein Liebhaber der Gesangs-
kunst, er ist für grosse Arien begeistert und verachtet jede Oper, in
der die Prima Donna keine Gelegenheit findet, einen endlosen Tril-
ler, eine 8taktige Cadenz oder dergleichen Kunststückchen los zu
lassen. Dass Wagner bei seinem erklärten Hass aller zwecklosen,
d. h. nicht durch die Situation nothwendig herbeigeführte und ihrem
Charakter angemessenen Melodien, Arien u, s, w. von diesen unbe-
dingt verurtheilt wird, darf uns nicht Wunder nehmen. Auf Gültig-
keit darf deren Ausspruch aber erst dann Anspruch machen, wenn,
das Theater, resp. die Opernmusik, als blosses Mittel zur Unter-
haltung betrachtet wird. So weit sind wir aber hoffentlich noch
nicht.
Anders stellt sich die Sache bei der zweiten Classe: den Musi-
kern, den gebildeten Musikfreunden oder kunstverständigen Dilettan-
ten. Auch diese tadeln den Mangel an Melodie, aber weil sie in
der Melodie das wesentlichste Element der Musik erkennen; auch sie
tadeln die Verwerfung des bisherigen Opernzuschnitts, die Emancipa-
tion von den Formen der Arie, des Duetts, des Terzetts, des Quar-
tetts u. s. w., das Vorherrschen des Recitativ-Gesanges, aber dess-
halb, weil sie in jenen Formen die Grundformen der Oper erken-
nen, weil sie die durch sie geschaffene Mannichfaltigkeit und Ab-
wechselung für wesentlich halten, weil sie in den Einschnitten zwi-
schen den einzelnen Nummern dem Ohre des Hörers nothwendige
Ruhepunkte erblicken und die Monotonie des Recitativ-Gesanges selbst
durch die üppigste und brillanteste Instrumentation zu verdecken für
unmöglich halten. Im Tannhäuser speziell verurtheilen sie die zahl-
reichen Abweichungen von den harmonischen Gesetzen , welche sich
Wagner erlaubt, die Härten, weiche hierdurch verursacht werden, die
überhäufte Anwendung der Septimen-Akkorde , durch welche das
Ohr stets gespannt, stets in Unruhe gehalten wird, ohne durch einen
Schluss erlöst zu werden. Ausserdem vermissen sie im Ganzen
schöne, edle und charakteristische Motive. Sie erklären die meisten
für eine Frucht kalter Berechnung, nicht für unwillkürliche Schöpfun-
gen des Genius , die übrigen finden sie gewöhnlich und ohne Wertb.
Diese Gegner — und sie sind sehr zahlreich — verurtheilen und
verwerfen, wie wir sehen, nicht nach blos sinnlichen Antrieben, wie
die grosse Masse, sondern sie stehen, wenn wir so sagen dürfen,
theils auf dem Boden des historischen Rechts — so weit der Streit
dem äusseren Zuschnitt der Oper gilt — , theils auf der unerschüt-
terlichen Basis der Grundgesetze der Harmonie , wie sie bis jetzt
anerkannt wurden. Aber auch sie würdigen die Wagner'schen Werke
und sein ganzes Bestreben einseitig, sie sehen nur mit dem Auge des
Musikers und vergessen, dass in der Oper die Dichtung mit der Musik,
wenn nicht gleiche Rechte, doch Rechte besitzt, die von der anderen
Seite respektirt werden müssen.
Fehlen sie hierin, so wird von der dritten Classe, den unbeding-
ten Bewunderern der Wagner'schen Schöpfungen, diese Einseitigkeit
durch noch grössere Einseitigkeit vollkommen wett gemacht. Wir
dürfen diese Partei wohl die „literarische" nennen, wenn auch manche
Musiker zu ihnen zählen. Sie schwärmt für eine radicale Reform
der heutigen Oper vom dramatischen Standpunkt aus, d. h. sie er-
klärt das Buch, den Text, die Handlung für das Wesentliche, die
Musik für das Secundäre, das Helfende, das Untergeordnete; nach
ihnen ist die Musik nur da, um die Dichtung zu begleiten, den durch
diese ausgesprochenen Empfindungen und Gefühlen stärkeren Ausdruck
zu verleihen, imUebrigen sich zu bescheiden. Trotz dieser verschie-
denen Stellung der beiden Künste zu einander, in welcher die Musik,
bisher das herrschende Element in der Oper, plötzlich zum dienen-
— 14 —
den herabgedrückt werden soll, träumen sie von einer Vermählung
beider zu einem „zukünftigen" Kunstwerk, dem musikalischen Drama,
von einer Auflösung beider Gegensätze in einer höheren Einheit.
Diese Partei , durch Wagner's unläugbar bedeutende Schö-
pfungen, durch seine geistvollen Schriften eigentlich bezaubert,
durch ihn erst gebildet, behauptet ebenso hartnäckig den gewönne*
nen „dramatischen" Standpunkt, wie die Musiker den ihrigen,
und lässt sich eben so wenig zu Concessionen herab, wie diese.
Den theoretischen Streit über die Berechtigung der beiden Fac-
toren in der Oper entscheidet sie durch Argumente, die sich
nicht leicht widerlegen lassen, zu ihren Gunsten, die Frage über die
musikalischen Formen folgt von selbst dieser Entscheidung, denn
ist der Text, ist die Handlung, mit anderen Worten das Drama die
Hauptsache, wozu dann lange Arien, Duette, Terzette u. s. w., die
das Verständniss des Textes erschweren ? Die Einwürfe der Musiker,
die Unregelmässigkeiten in der Wagner'schen Harmonieführung etc.
betreffend, weisen sie mit dem Namen Beethoven zurück , dem noch
ganz andere Titel von den Musikern seiner Zeit gegeben worden seien,
und so bleibt eben jeder Theil bei seiner Ansicht, ohne dass das
Verständniss der Wagwers'chen Opern gefördert wäre.
Und doch liegt für den Unbefangenen die Wahrheit offen da, ja
sie tritt grade aus dem schroffen Gegensatz dieser Meinungen um so
deutlicher hervor 1 Von ihrem Standpunkt aus hat jede Partei Recht,
aber eben das Einnehmen dieses Standpunktes bei einem so prineip-
losen heterogenen Dinge, wie unsere Oper es ist, wird zum Unrecht.
Nicht als ob wir die so beliebte Juste-milieu-Stellung einnehmen
wollten, wir hassen diese „rechte Mitte", die zu feig ist, die Conse-
quenzen eines Satzes anzuerkennen; aber bei einem Dinge, welches
schon bei seinem Ursprung ein Bastard war, erzeugt aus Hellenismus
und Neu-Romanismus, einem Dinge, weder Fisch noch Fleisch, welches
noch dazu im Laufe der Jahrhunderte und mit der Entwickelung der
Tonkunst eine Menge anderer Elemente in sich aufnehmen musste,
wird jedes Aufstellen eines Princips und eines principiellcn Stand-
punktes zur Verurtheilung seiner Existenz. Von der Oper gilt das-
selbe, was der Jesuiten-General Aquaviva auf einen Antrag, be-
treffend die Reform des Ordens , antwortete : „ Sint ut sint aut not
sint": Sie bleiben wie sie sind, oder sind nicht mehr! Wer die Oper
reformiren will und zwar principiell, der wird unwillkürlich dazu ge-
trieben, sie ganz zu verneinen. Will er das nicht, so muss er sie
so lassen , wie sie ist , und es dem Zufall anheimgeben , ob einzelne
begabte Geister, wie ein Mozart, Weber, Cherubini, die Schätze ihres
Innern in die alten Schläuche füllen und sie dadurch wieder auf ei-
nige Zeit auffrischen. Rieh. Wagner hat dies schon selbst erfahren.
Von dem Versuche einer Opernreform, wie sie sein Tannhäuser auf-
weist, ist er zum /vollständigen Aufgeben der Opernform und zum
Versuch eines „musikalischen Drama's" getrieben worden, wobei fol-
gerichtig der Musik immer weniger Antheil an dem eigentlichen We-
sen der poetischen Schöpfungen zugestanden wird. Sein Lohengrin
ist die Uebergangsstufe und die angekündigte Trilogie über den My-
thus von Siegfried wird auch denen, die aus Wagner's „Wort an
meine Freunde" diese innere Nothwendigkeit seiner Entwickelung und
des endlichen Resultates seiner geistigen und künstlerischen Wehen
noch nicht erkannt haben, beweisen, dass auf diesem Wege nur das
reine Drama übrig bleibt; bei einer so seltenen Doppelnatur wie
Wagner — vielleicht in einer Verbindung mit der Musik in der Weise
der Melodramen zur Verstärkung einzelner Momente, in denen Mas-
sen-Wirkungen erreicht werden sollten, aber sonst ohne Bedeutung
für die Musikfreunde und die Tonkunst überhaupt.
Wie konnte aber ein Musiker, wie konnte Wagner sich von der
Musik nach und nach so vollständig losreissen ? Dies erklärt sich ganz
natürlich daraus, dass er zuerst Dichter und nur in zweiter Linie
Musiker ist. Dieses Doppelverhältniss, welches alle seine Schö-
pfungen charakterisirt, hat ihn in seine Bahn geworfen und muss bei
der Beurtheilung Wagner's und seines Tannhäuser's besonders ins
Auge gefasst werden. Nur so kann er richtig gewürdigt, nur so ver-
standen werden.
Der Tannhäuser ist eine herrliche poetische Conception, die sich zu
anderen Operntexten wie ein Diamant zu einem Kiesel verhält. Wie ent-
stand er? Wagner hatte den italienischen Opernklingklang, den oft wi-
derlichen, meist abgeschmackten Inhalt von Formen, die nur das Herkom-
men, kein vernünftiger Grund geheiligt hatte, und Anderes, was nicht viel
besser war, durch Studium und amtliche Thätigkeit kennen gelernt.
sein poetisches Gefühl empörte sich dagegen, er wollte diesem Bes-
seres, Edleres, Reineres entgegensetzen. Als Musiker war er erzo-
gen und ausgebildet worden. Der musikalische Mensch in ihm über-
nahm also die Ausführung eines Gedankens, der von dem dichterischen
gefasst worden war. Er eutschloss sich Opern zu schreiben, aber Opern,
zu denen er einen seinem Ideal von dem poetischen Inhalt derselben
gemässen Text, in Ermangelung passender, selbst dichtete. So ent-
stand der fliegende Holländer, so Tannhäuser, so Lohengrin. Bei jeder
neuen Schöpfung aber trat der Zwiespalt deutlicher hervor zwischen
dem Dichter, der sich aus Rücksicht für den executiven Menschen,
den Musiker, auf eine bestimmte Sphäre beschränkt sah, und dein Mu-
siker, der Conccptionen , die ursprünglich der ethischen Entrüstung
ihren Ursprung verdankten, nach musikalischen Regeln ausführen
sollte. Mit jedem neuen Versuch sah der Musiker ein, dass er sich
einen Schritt weifer von den gebahnten musikalischen Wegen, dem
gewohnten Gleise, entfernen müsse, um dem Dichter, der in ihm schon
die Oberhand gewonnen , gerecht zu werden ; mit jedem neuen Ver-
such aber sah sich auch der Dichter genöthigt, in der Wahl und Be-
handlung seiner Stoffe wählerisch zu werden, um dem Musiker nicht
Unausführbares zuzumuthen. Dichter und Musiker arbeiteten fürein-
ander, was sonst so selten der Fall ist, nur dass sieh hier der Mu-
siker vor dem Dichter beugte , während bisher da , wo einmal ein
ähnliches Verhältniss stattfand, das Gegentheil der Fall war. Die For-
derung Wagners, die Musik müsse der Dichtung dienen, ist nichts anders,
als das Verhältniss der beiden Funktionen , wie es sich in ihm selbst
gestaltete, zum kategorischen Imperativ für die Oper selbst erhoben!
So kam Wagner, der Musiker, aus Rücksicht für Wagner, den Dich-
ter, zur Verwerfung der bisherigen Musik-Formen in der Oper, zum
Recitativ als vorherrschende Gesangform, so zu seinen grellen Ueber-
gängen und sonstigen Härten; aber so kam auch Wagner, der Dich-
ter, aus Rücksicht für Wagner, den Musiker, von dem er sich nicht
trennen konnte, zur Mythe, als dem einzig möglichen Stoffe für das
„musikalische Drama".
Wäre es Wagner möglich, den Musiker ganz abzuschütteln, so
könnte er, dies ist unsere feste Ueberzeugung, der erste dramatische
Dichter der Gegenwart werden ; leider hindert ihn das Verhängniss,
welches ihn dem Anschein nach so reich begabte, daran, wie es auf
der andern Seite die ungestörte Entwickelung seiner musikalischen
Fähigkeiten unmöglich machte.
Im „ Tannhäuser " erkennt man recht klar, wie das von
uns angedeutete Verhältniss Wagner's schönste Kräfte nieder-
drückt, sie auf keiner Seite zur Entfaltung kommen lässt. —
Was darin schön, ergreifend, spannend ist, gehört dem Dichter.
Wo sich der Musiker geltend macht, geschieht dies entweder in reinen
Instrumentalsätzen, so in der Ouvertüre, so in einigen unabhängigen
Orchestersätzen , oder gar auf Kosten des „musikalischen Drama's,
wie es dem theoretischen Geiste vorschwebt, so in einigen ausdrucks-
vollen und leidenschaftlichen Phrasen der Venus , so selbst in dem
herrlichen Lied an den Abendstern. Im Ganzen muss Wagner arm
an Melodien, selbst arm an schönen charakteristischen Motiven ge-
nannt werden. Es quillt nicht in ihm empor, darin haben seine mu-
sikalischen Gegner vollkommen Recht. Dass trotzdem manche seiner
Instrumental-Compositionen einen grossarligcn , gewaltigen Eindruck
machen, beweist, dass er ein bedeutendes musikalisches Talent ist,
aber ein Talent, welches geschickter zur thematischen Bearbeitung
einzelner Motife, als zur Schilderung dramatischen Lebens, ein Ta-
lent also, welches die reine Instrumental-Musik eultiviren müsste,
nicht aber die dramatische Musik.
So werden die schönen Kräfte Wagner's durch einander selbst
paralisirt, indem sie einander in verkehrte Bahnen ziehen. Was eine
herrliche Gabe zu sein scheint, sein Doppeltalent, ist in Wahrheit
ein Unglück für ihn !
Es bleibt nun noch übrig, unser Urtheil über Tannhäuser, wie
er vorliegt , zu geben. Es lautet einfach : Die Oper entbehrt des
melodischen Reizes, der so vielen als das Höchste gilt; dafür besitzt
sie etwas , was den meisten , wenn nicht allen Opern abgeht : eine
wahrhaft poetische Grundlage, eine dramatische Entwickelung, welche
durch ihre ergreifende Wahrheit den Mangel an Melodie vergessen
macht, und vor Allem ein geistiges Element, weiches das Herz des
Zuschauers erhebt und veredelt.
Dies stellt Tannhäuser trotz seiner Mängel in musikalischer Be-
ziehung höher, als viele andere Produkte. Dies ist aber auch die
- 15 -
Ursache, wesshaib er die Gunst des Opern-Publikums, welches jede
geistige Erregung meidet, nie gewinnen wird.
Die Aufführung selbst war im Ganzen befriedigend. Wolfram
v. Eschenbach wurde durch unsern Beck, Elisabeth durch Frau An-
schütz trefflich vertreten. Hr. Caspary als Tannhäuser besitzt leider
weder ausreichende Stimmmittel noch Darstellungsgabe. Dies war
wohl ein Hauptgrund von dem geringen Eindruck , den die Oper auf
Viele gemacht hat. Frau Behrends- Brand als Venus wusste ihre
Partie ebenfalls nicht zur Geltung zu bringen. J. E.
<'1h>
CORRESPONDENZEN.
AUS WIEN.
(Ende Dezember.)
Indem ich den Faden an meinen letaten Bericht anknüpfe, be-
ginne ich mit einer kurzen Schilderung der jüngsten Novität auf un-
serer Opernbühne, welche die Erwartungen lange schon vor ihrer
Aufführung auf's Höchste gespannt hatte. Es ist dies Flottow's neue
Oper „Indra". Es erscheint als eine Eigenthümlichkeit der Werke
dieses fruchtbaren Componisten, dass sie bei einer kritischen Analyse
mehr verlieren als gewinnen. Es ist dies wohl bei allen musikali-
schen Erscheinungen der Fall, welche mehr dem modernen Gesehmacke,
als der klassischen Richtung huldigen; allein bei Flottow's Opern
ist dies doch immerhin weniger vorauszusehen, als sie mit den neu
italienischen Opernprodukten nicht auf den untergeordneten Stand-
punkt gestellt werden können, um so weniger, als Flottow ein geist-
reicher Gomponist , seine Werke auch in künstlerischer Beziehung
reich auszustatten vermag. Seine Instrumentation zeigt von einem
tieferen Kunststudium, sie ist elegant, geschmackvoll, charakteristisch
und geistvoll, die Melodien sind originell, leicht fliessend, ungesucht
und sehr ansprechend ; die musikalische Charakterzeichnung aber ist
richtig überdacht , zeigt von innigem Verständnisse, mit stetem Hin-
blick auf dramatische Wirksamkeit, und bei alledem, trotz aller die-
ser Vorzüge, welche seine Opern so hoch erheben über die Dutzend-
Arbeiten der transalpinischen Modecomponisten, halten sie doch keine
strenge Kunstkritik aus, weil sie eben, wenn auch mit Geschick und
Talent — gemacht sind. Sie sind nicht der reine Ausfluss des
schöpferischen Talentes. Sie suchen wie kokette Weiber zu ge-
fallen, was ihnen auch leicht gelingt: aber sie hinterlassen auch
wie diese keinen tieferen, nachhaltigeren Eindruck. Es soll hier
durchaus keine kritische Zergliederung dieses neuen Opern-Opus
Flottow's stattfinden, sondern mehr von dem Eindruck, den es auf
den Hörer hervorbringt, und von der Wirkung auf's allgemeine Pu-
blikum überhaupt die Rede sein.
Im Vergleiche mit Flottow's früheren Opern steht diese „Indra"'
in Bezug auf Originalität und Neuheit der Erfindung weit zurück.
Flottow hat von seinen früheren Werken für dieses jüngste Kind ge-
borgt. Auch selbst in Bezug auf Instrumentalion ist er in dieser
Oper mehr dem Beispiele der modernen Italiener gefolgt, wenn auch
nicht geleugnet werden kann, dass sie oft sehr pikant und wirksam
sich erwies. Wie in allen seinen Opern, so auch in dieser zeigt
Flottow, wie sehr er die Wirkungen kennt und sie zu benutzen ver-
steht. Der Erfolg konnte daher kein Anderer, als ein sehr günstiger
sein. Die erste Aufführung war von rauschendem Beifall gekrönt
und das Publikum ging ganz entzückt nach Hause; bei den weiteren
Wiederholungen dieser Oper löste sich wohl dieses Entzücken in eine
sehr bedingte Anerkennung auf; allein dessenungeachtet hatte seine
„Indra" durchgegriffen und wird sich noch längere Zeit wirksam auf
dem Opern-Repertoir erhalten. Unter den Darstellern gefiel am Mei-
sten FF. Ney, Wildauer und Hr. Erl, auch Hr. Ander, weniger Hr.
Staudigl, wie überhaupt dieser Sänger in der letzteren Zeit alle Sym-
pathien im Publikum zu verlieren scheint,
(Schluss folgt.)
*»oa—
AUS LONDON.
(Ende Dezember.)
Die Herbstsaison in London fasst eigentlich nichts in sich, ftJs
Jullien's Goncerte. Ausser diesen kommt höchst selten etwas zum
Vorschein, was die allgemeine Aufmerksamkeit auch nur einen Au-
genblick fesseln könnte. Man kann mit Recht sagen, dass Jullien
der Anfang und das Ende dieser Saison ist. Er versteht es, die nach
der Hauptsaison etwas stark erschöpften Gliedmassen der Londoner
Bourgeoisie wieder in Schwung zu bringen; er lässt ihnen so lange
Tänze vorspielen, bis der alte Gaul am Ende von selbst seine Sprung»
macht und der Schlussball, der bekannte bal masque, als eine Noth-
wendigkeit erscheint. Kaum ist aber dieser Ball vorüber, so ist
auch die eigentliche Herbstsaison zu Ende. London wird wieder
dull, die Musiker machen lange Gesichter, sie können weder auf Jul-
lien schimpfen, noch sein Geld einstecken, und Alles geht wieder sei»
nen gewohnten Gang, d. h. Alles präparirt sich, einen neuen Angriff
auf die Gesellschaft und deren Gaben zu machen. Dass Jullien diess-,
mal glücklicher denn je gewesen ist, versteht sich von selbst. Er
brachte besondere Hülfsmittel in Anwendung, die nie ihre Wirkung
verfehlen : „Zum letzten Male in London vor der Abreise nach Ame-
rika" — so etwas zieht überall, und es hat dermassen gezogen, dass
in den letzten vierzehn Tagen kein Billet mehr zu haben war und
dass man vergebens das Doppelte bot'. Neues brachte er in diesen
„Abschicdsconcerten" nicht, man müsste denn seinen Pietro el Grande
und die Zerr dazu rechnen. Was die wiederholte Vorführung der
Oper anbetrifft, so wollte Jullien wahrscheinlich damit beweisen,
dass auch gescheidte Leute dumme Streiche machen können, und was
die Zerr angeht, so wollte sie es wohl noch deutlicher als in Co»
ventgarden machen, dass Jullien mit ihr einzig und allein eine „Kö-
nigin der Nacht" gewonnen hat. — Heute reiste die ganze ehren»
werthe Gesellschaft in die Provinz, und im nächsten August geht es
nach Amerika, dem eigentlichen Felde Jullienscher Thätigkeit. Zwar
sind Einige der Ansicht, dass diese intendirte Reise nichts weiter ab
Humbug sei , aber diese Herren vergesseu, dass einem musikalischen
industriellen Talente, und Jullien 'ist ein solches, als letzter Zu-
fluchtsort nichts*anders übrig bleibt, als Amerika. Es wäre zu wün-
schen , dass dies die Hunderte und Tausende einsehen , welche sich.
auf dem musikalischen Markte Europa's herumtummeln und in den
meisten Fällen vergebens ihre Waare feil bieten. Vielleicht würde
dann eine Auswanderung erfolgen, welche die beiden Hauptfaktoren
in den Produktionen des Jahrhunderts, Kunst und Industrie, auch in
musikalischer Hinsicht einmal zu einer strengeren Unterscheidung
brächte.
Bis zum ersten philharmonischen Concerte, welches im Februar
erfolgt, kann von einer offiziellen musikalischen Thätigkeit nicht
die Rede sein. Das Publikum ist auf einzelne nichtssagende Concerte
und die Theater beschränkt, die um diese Zeit am treuesten den
Standpunkt vergegenwärtigen, den das englische Theater im Allge-
meinen einnimmt In den Pantomimen, die für einige Wochen gege-
ben werden, sind Bildungsgrad und Lieblingsneigungen dos Zuschauers
ausgesprochen. Die Hanswurstiade hat noch immer den grösseren
Theil des Publikums für sich. Von allen Aeusserungen geistiger Thä-
tigkeit, welche sich die Engländer zu Schulden kommen lassen, ist
die dramatische unbedingt die schwächste, sie haben weder Stücke
noch Schauspieler und zehren entweder von vergangenem Ruhme oder
von fremden, meistens französischen Erzeugnissen. Es zeigt sien
auch hierin der Mangel schöpferischer Kräfte, den wir sogar auf dem
Gebiete wiederfinden, das die Engländer so vortrefflich ausgebeutet
haben, auf dem Gebiete des Mechanischen. Erfunden haben die Eng-
länder sehr wenig; Erfindungen zu benutzen und zu vervollkomm-
nen, verstehen sie allerdings meisterhaft. Dieser Mangel an schöp-
ferischer Kraft bringt es übrigens auch mit sich, dass sie kein Ver-
ständniss z. B. für das haben, was augenblicklich in Deutsch iand anf
dem musikalischen Kunstgebiete vorgeht, dass sie durchaus nicht
wissen, um was es sich handelt. Der Artikel des Herrn Choclay im
Alhenaeum, den die Musical World abgedruckt hat, beweist dies zur
Genüge. Wir gehören gewiss nicht zu denen, welche in den soge-
nannten neuen Kunstbestrebungen weder etwas wesentlich Neues fin-
den, noch die Bedeutung derselben mit den Augen jugendlicher Schwär-
merei ansehen; aber den Fortschritt, das Bessere, das in diesen Be-
strebungen liegt, sind wir gezwungen, gegen die Angriffe des Unver-
— 18 —
Standes in Schatz zu nehmen , und wäre es auch nur, um uns nicht
selbst das Zeugniss geistiger Armuth auszustellen. Fr. C.
<iO O O«
AUS PARIS.
(Dezember.)
(Schluss),
Unter dem Namen „Symphonische Gesellschaft <f hat sich ein
Iraner Künstler-Verein gebildet zur Ausführung grosser Orchester-
werke. Der Begründer, Hr. Farrence, ist ein musikkundiger Mann,
der auf kunstwissenschaftlichem Gebiete in mehr als einer Weise sei-
nen Eifer bethätigt hat. Ihm verdankt man viele Ausgaben gediege-
ner Werke, die er früher als Musikverleger aus Liebe zur Kunst mit
besonderer Sorgfalt ausstattete, unter Andern eine Prachtausgabe von
Beethoven's sämmtlichen Ciavier- Composhionen. An antiquarischen
Kenntnissen dürfte so leicht ihn hier Keiner überbieten und diesen
verdankt er eine nicht unbedeutende Sammlung seltener Werke und
werthvolle Manuscripte berühmter Meister. Seine Gattin , welche
«ine Professur am hiesigen Conservatorium bekleidet und zu den
besten Clavierlehrerinncn gehört, nimmt im Vortrage alter klassischer
Tonwerke eine bedeutende Höhe ein. Als Gomponistin aber steht sie
einzig da und ohne Rivalin in der musikalischen Welt. Von ihr
rührt die schöne Symphonie her, die vor einigen Jahren die seltene
Ehre genoss, im hiesigen Conservatoire, dann im Brüsseler aufgeführt
xn werden, und hier wie dort so allgemeiner Anerkennung sich zu
erfreuen hatte. Das Repertorium ihrer Compositionen, namentlich im
Fache der Kammermusik, ist bedeutend und alles darin zeichnet sich
aus durch Maas und Haltung, Gediegenheit und Giassicität. Ihre
Tochter und Schülerin macht der Mutter alle Ehre. Ueberhaupt weht
m diesem Hause ein guter Genius, und es dürften schwerlich in
Deutschland Bach und Händel in höherer Achtung stehen und rich-
tigere Auffassung finden, als es in dieser für echte Kunst glühende
Familie der Fall.
Ob Herr Farrence mit seiner neuen Gesellschaft durchdringt,
und nicht endlich vor den unendlichen Schwierigkeiten und Kümmer-
nissen, die hier mit einem solchen Unternehmen verknüpft sind, den
Mflth wird sinken lassen, ist eine andere Frage. Sein Orchester
nesteht aus 50 geachteten Künstlern aus den verschiedenen Theatern
und hat den ausgezeichneten Bratschisten, Hrn. Mas, zum Direktor,
derselbe, der im trefflichen Beethoven-Quartettverein mitwirkt. Ob
er neben seiner anerkannten Tüchtigkeit die zum Dirigircn unerläss-
liehen Eigenschaften besitzt, wird sich zeigen.
Das erste Concert der Gesellschaft hat am 20 Dezember im Herz-
achen Saale stattgefunden, mit Haydn's B-dur-§»infonie eröffnet und
Cherubini's Ouvertüre zum „Wasserträger" geschlossen. Eine junge
Sängerin, Fl. Dietsch, sang Stradella's Aria di chiesa und eine Arie
aus Halevy's Rosensee, erstere ohne die geringste Befähigung und
ohne eine Ahnung von dem Style , in welchem diese in ihrer Ein-
fachheit grandiose Arie gesungen werden muss. Frl. Bockkoltz-
Falconi ist hier vielleicht die einzige, die so etwas zu singen ver-
steht. Eine concertirende Symphonie für zwei Violinen von A 1 a r d
für zwei seiner Schüler, Namens L a n c i e n und V i a u 1 1 geschrie-
ben, die damit bei der letzten Prüfung im Conservatoire den Preis
{gewannen, fand durch ausgezeichneten Vortrag und schönes Zusammen-
spiel gerechte Anerkennung. Die Perle des Concerts aber war Wil-
helmine C 1 a u s s , die Mendelssohns G-moll-Concert mit einer geisti-
gen Reife und technischen Vollendung vortrug, die noch weitläuftig
zu besprechen höchst überflüssig sein würde. Wilhelmine Clauss ist
eine hochbegabte Natur, eine grosse Künstlerin und alles in ihrem
meisterhaften Vortrag Poesie.
NACHRICHTEN.
Das Denkmal Lortzing's ist beendet. Der Fonds aber zur Auf-
stellung desselben auf dem Sophienkirchhofe mangelt noch.
Den 6. Jan. fand die erste Festliedertafel der von Tsuhn gegrün-
deten Berliner Liedertafel statt.
In der königl. Oper werden vorbereitet: „Indra" von Flotow
„Feensee" von Auber und „Tannhäuser" von R. Wagner.
Wien. Die Sängerin Frau von Strantz, welche bedeutend er-
krankt war, befindet sich auf dem Wege der Besserung.
Leipzig. Die „Lustigen Weiber von Windsor" von Nicolai
wurden hier am Weihnachtsfeste zum ersten Male gegeben und fanden
eine sehr günstige Aufnahme.
München. Eine von der königl. Hoftheater-Intendanz zum
Schlüsse des abgelaufenen Jahres veröffentlichte Uebersicht über
die auf der k. Hofbühne vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1852
gegebenen Vorstellungen gibt ein günstiges Zeugniss von den Lei-
stungen dieser Kunstanstalt unter der strebsamen und umsichtigen
Leitung des gegenwärtigen Intendanten. Es kamen nämlich zur
Aufführung: 154 Schauspiele und Possen, 123 Opern und Singspiele,
und 26 Ballete. Darunter befinden sich als Novitäten: 9 Lustspiele,
1 Posse, 2 Schauspiele, 3 Trauerspiele, 2 Ballete, 4 Opern. Musi-
kalische Neuigkeiten waren überdies die Musik zu „Turandot" von
Vincenz Lachner und zu „König Oedipus" von Franz Lachner-
Neu einstudirt wurden 17 Vorstellungen im Schauspiel und Opern-
fache gegeben. Unter den 123 Opernvorstellungen befinden sich 27
von klassischen Componisten, dagegen nur 15 aus der neuen italie*
nischen Schule, die übrigen von französischen und deutschen Meistern.
Man sieht hieraus, dass unsere Bühne sowohl in Reichhaltigkeit
des Repertoirs als auch in gediegener Auswahl sich mit jeder Bühne
Deutschlands messen kann. Was das Künstlerpersonal für Oper und
Schauspiel betrifft, so kann zwar nicht geläugnet werden, dass neben
ausgezeichneten Kräften auch immer noch einige Lücken bestehen.
Doch ist dies gewiss nicht an unserer Bühne allein der Fall und es
last sich überdies von dem Eifer der Intendanz für allseitige Hebung
der Anstalt mit Zuversicht erwarten, dass zur Ausfüllung dieser
Lücken durch Engagement tüchtiger Künstler keine sich darbietende
Gelegenheit versäumt werden wird.
Posen. Das hiesige Stadttheatcr ist dem Theater-Direktor
"Wallner, jetzt in Freiburg, auf 5 Jahre überlassen worden.
Paris. Neben Marco Spada, der neuen Oper von Auber, macht
sich Tabarin von G. Bousquet im Theatre lyrique bemerklich.
In der Grossen Oper hat ein neues Ballet „Orfa" mit Musik von
Adam gefallen. Ambr. Thomas hat eine Opera buffa vollendet.
London. Die Sacred harmonic society führte am 23. Decmbr.
in Exeter Hall Mendelssohn's „Elias" auf. Orchester und Chor be-
standen aus 800 Personen. Eine andere Gesellschaft, Cecilian Society,
gab den Messias. Ueberhaupt scheint das Oratorium hier mehr cul-
tivirt zu werden, als irgendwo. Unter anderen neuen Werken dieser
Gattung wird „Joseph" von C. C. Horsley rühmlich erwähnt.
Zum 31. Januar hat Mad. Pleyel ein Conzert angekündigt, mit
Unterstützung von Sainton und Franklai.
Amsterdam. Im Saale der ehemaligen deutschen Oper spielt
die Stollwerk'sche Vaudeville-Gesellschaft aus Köln unter dem gröss-
ten Beifall. Auf allgemeines Verlangen erhöhte sie die Zahl ihrer
Vorstellungen von 6 auf 9. Von mehreren anderen Städten sind der-
selben Einladungen zugegangen«
Berlin. C. Formes hat als zweite Gastrolle Bertram in Roher!
4er Teufel gesungen.
Verantwortlicher Redakteur: J. 1, SCHOTT. - »raek wn ROTER* WALUU in Mainz.
2. Jahrang.
Mr. 5.
31. Januar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitnng erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACT10?i HD VERLAG
von
SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. 3. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
far den Jahrgang.
Durch die Post bezogen:
50 kr. «der 15 Sgr. per gnartal.
* Inhalt S Die komische Oper in Frankreich I, — Die musik. Zustände in der bayr. Rheinpfalz/ — Corresp. (Wien, München n. Pesth). — Nachrichten,
DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH.
I.
Während in Deutschland die „ romantische " Oper fast aus-
schliesslich eultivirt wird, bearbeiten die Franzosen das Feld der
„komischen" mit einem Eifer, der nur in der innigen Verwandtschaft
des französischen Wesens mit dem Wesen der komischen Oper eine
genügende Erklärung finden kann. Und in der That tritt diese Ver-
wandtschaft überall so deutlich hervor, dass man fast glauben könnte,
die Vernachlässigung der komischen Oper bei uns habe ihren Grund
auch in gewissen nationalen Eigenschaften, wenn darunter auch nichts
Anderes verstanden werden sollte, als ein Mangel an dem leichten
Sinne, welcher über tiefes inneres Weh lachend hinweggeht und sorg-
los und heiter auf Gräbern tanzt. — Dass wir nicht immer unfähig
gewesen sind, komische Opern zu schaffen, beweisen die trefflichen
Werke von Wenzel Müller, Schenck, Dittcrsdorf und in neuerer Zeit
von Lortzing. Dass wir heute in dieser Beziehung weit hinter den
Franzosen zurückstehen, beweist jeder Versuch eines deutschen Com-
ponisten, eine komische Oper zu schreiben. Sehen wir diese Ver-
suche genauer an und vergleichen wir sie sowohl mit älteren deut-
schen als mit den besseren französischen Werken dieser Gattung, so
stossen wir freilich auf zwei Hauptmängel, die das gänzliche Miss-
lingen solcher Versuche erklärlich machen, auch ohne dass wir zu
jener allgemeinen Behauptung, unsere Zeit sei dem Entstehen komi-
scher Werke nicht günstig, unsere Zuflucht nehmen. Einmal fehlt
den Componisten die komische Ader, welche jeder Phrase, jedem Mo-
tif ein lachendes Aussehen zu geben weiss ; zweitens aber scheint
die richtige Vorstellung von dem Wesen der komischen Oper, ja des
Komischen überhaupt unter uns verloren gegangen zu sein, und un-
sere Textdichter entwerfen Texte, die auch den grössten Humoristen
unter den Musikern zu einem Melanoholikus umstimmen müssen. Der
Componist ist kein Hexenmeister, der weinerliche Phrasen, langwei-
lige oder (was meistens einerlei ist) sentimentale Situationen durch
die Macht der Töne zu zwerchfellerschütternden Partieen umschaffen
könnte ; er bedarf der Anregung und der Unterstützung, um sein Ta-
lent nach einer bestimmten Richtung hin entfalten zu können, und
diese Anregung, diese Unterstützuug kann bei der komischen Oper
in nichts Anderem bestehen, als in einer wahrhaft komischen textli-
chen Unterlage, d. h. einer Unterlage, deren Grandgedanke ein komi-
scher ist und deren einzelne Partieen und Situationen komisch gehal-
ten und ausgeführt sind. Was finden wir statt dessen bei allen
neueren sogenannten komischen Opern? Triviale Stoffe, die meistens
eben so weit von einer komischen Verwickelung, wie von jedem an-
deren Interesse entfernt sind, eine handwerksmässige Verarbeitung
dieser Stoffe nach dem musikalischen Bedürfnisse in Arien, Duette,
Terzette, Chöre, Finales etc. ohne Geist und ohne Poesie, willkür-
liche Erfindung oder Benatzung einer Nebenperson, die den Possen-
reisser spielen und als solcher das komische Element darstellen muss,
durch welches die ganze Oper dem Titel „komisch" zu Ehren gleich-'
aam durchsäuert werden soll, und noch dazu in den meisten Fällen"
eine Sprache, die so witzarm und unhumoristisch ist, dass man
weniger über die Komik im Stück, als über die Einbildung des Ver-
fassers lachen muss, der dergleichen für komisch hält. Solche Texte,
wie die hier geschilderten, und man wird uns zugestehen, dass diese
Schilderung nicht übertrieben ist, zu componiren, ihnen einen be-
stimmten Charakter, einen bestimmten Ausdruck zu geben, mag aller*
dings eine Tantalusarbeit sein, und wir dürfen es den Componisten
nicht zu hoch anrechnen, wenn sie daran scheitern ; aber desswegen
ist nicht weniger wahr, dass wir keine komische Oper haben und
dass wir, wenn wir das Bedürfniss nach einer solchen fühlen; hei
den Franzosen eine Anleihe machen müssen. Bei ihnen ist die ko-
mische Oper Nationaloper. Ihre besten musikalischen Kräfte widmen
sich derselben. Natürlich ! Jedes Werk , welches reussirt, macht
die Runde durch Frankreich; sie werden dadurch in den Stand ge-
setzt , den Componisten Honorare zu zahlen, die bei uns ins Reich
der Fabel gehören. Diese ""brauchen wieder nicht zu gewöhnlichen
Lohnarbeitern ihre Zuflucht zu nehmen, um ein Buch zu bekommen,
sondern können sich an Männer wenden, welche mit Geist und poe-
tischer Begabung genaue Kenntniss der Bühne und, was gar nicht
gering anzuschlagen, Routine verbinden, und die Folge davon ist,
dass die poetischen Talente, anstatt wie bei uns mit verächtlichem
Blicke auf die Operntext- Verfertiger herabzusehen, sich dort dazu
drängen, in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Bis ein ähnliches
Verhältniss in Deutschland eintreten könnte, müsste erst eine Natio-
naloper geschaffen werden , und diese setzt ihrerseits wieder eino
Nation voraus ! Verlassen wir diesen traurigen Zirkel, aus dem kein
Ausweg zu erblicken ist, und kehren wir zu der französischen komi-
schen Oper zurück, deren bedeutendste Erscheinungen in den letzten
Monaten wir unsern Lesern hier kurz vorführen wollen. Wir stos-
sen hier sogleich auf zwei auch bei uns längst bekannte und ge-
schätzte Namen: Adam und Auber, heute die Altmeister der komi-
schen Oper in Frankreich; ihnen schliesst sich ein noch junger fas
unbekannter Componist Namens Reber an, welcher mit seinem „Pere
Gaillard ein würdiger Concurrent ihres Ruhmes geworden ist. Adam,
dessen Unerschöpflichkeit sogar in Paris, dem fruchtbaren Boden der
Tonmuse, sprichwörtlich geworden ist, hat mit seiner neuesten Oper „Si
j'otais Roi" dem Theatrc lyriqnc eine unversiegbare Quelle guter Ein-
nahmen geschaffen und zugleich seinen früheren Werken einen Nach-
folger gegeben, worauf sie stolz sein können.
Aubers „Marco Spada" übt noch in diesem Augenblicke die An-
ziehungskraft auf das Pariser Publikum, welche der Name Auber in
seinen besten Tagen ausübte und die Ope>a comique hat ihre vollen
Häuser in den letzten Wochen nur diesem Werke zu verdanken,
welches sowohl vom Publikum als von der Kritik als ein treffliches
Seitenstück des „Fra Diavolo" begrüsst worden ist. Wir werden
in unserem Nächsten versuchen, die musikalischen Schönheiten und
Eigentümlichkeiten sowie die dramatische Grundlage dieser drei
Werke zu skizziren.
— 18
DIE MUSIKALISCHEN ZUSTANDE
in der bayerischen Rhein.Pfalz.
Die bayerische Rheinpfalz hat hinsichtlich ihrer Leistungen auf
dem Gebiete der Tonkunst bisher nur eine unbedeutende Stelle ein-
genommen; ja sie ist seit Jahren in dieser Hinsicht kaum genannt
worden, und doch sind in den Charakter- und Gemüthseigenthümlich-
keiten sowie in den äusseren t Verhältnissen ihrer Bewohner Bedin-
gungen gegeben, welche gediegenere musikalische Leistungen möglich
machen.
Die Musik liegt bei uns zum grössten Theile in den Händen von
Dilettanten. Die Pfalz hat keine grosse Stadt, kein stehendes Thea-
ter, somit auch keine Oper. Musiker von Fach finden sich daher bei
uns nur in geringerer Zahl und namhafte Künstler beehren uns nur
selten durch ihre Besuche.
Der aus diesen Verhältnissen hervorgehende Mangel an Gele-
genheit, die klassischen Compositionen deutscher Tondichter zu hö-
ren, sowie der von Natur heitere, gesellige Sinn der Pfälzer waren
es wohl, die in den letzten drei Dezennien die pfälzischen Musikfeste
hervorriefen. Sie fanden abwechselnd in den grösseren Städten der
Pfalz : Speyer , Neustadt , Zweibrücken , Kaiserslautern , Landau,
Dürkheim statt, und es wurden hauptsächlich Oratorien, Symphonien
und andere grössere Tonwerke von grossein Orchester und starkbe-
setztem Chore ausgeführt. Zu der Leitung derselben wurden in letz-
terer Zeit Männer wie A. Schmitt, Franz Lachner und Mendelssohn-
Bartholdy eingeladen.
Schöne Erinnerungen an die musikalischen Genüsse und an die
unter Freunden, die sich hierbei zusammengefunden, verlebten frohen
Stunden leben noch heute in den Herzen vieler Theilnehmer jener
Musikfeste, welche leider durch die politischen Stürme der Jahre
1848 und 1849 unterbrochen wurden.
An musikalischen Vereinen fehlt es bei uns nicht; wir haben
deren in jeder Stadt, in vielen Dörfern, und wenn ihre Zahl ein
Massstab für tüchtige musikalische Leistungen wäre, so stände es
kaum irgendwo besser als bei uns. Aber die Einrichtung dieser
Vereine ist beinahe überall der Art, dass eine gediegene musikalische
Bildung nicht nur nicht gefördert, sondern oft sogar gehindert wird*
An mehreren Orten hat die Eifersüchtelei derer, die sich für den
Präsidentenstab prädestinirt glauben, zwei oder drei Vereine hervor-
gerufen, wo ein einziger ausreichend wäre. Die Sucht nach öffent-
lichen Produktionen und die gegen die passiven Mitglieder der Ver-
eine übernommene Verbindlichkeit, periodische Conccrte oft in kurzen
Zwischenräumen zu geben, machen ein gründliches Einstudiren ge-
radezu unmöglich und haben Halbheit und Oberflächlichkeit zur
Folge. Die gänzliche Ausserachtlassung des Volksgesanges und des
volkslhümlichen Elementes in der Musik überhaupt, sowie die Eitel-
keit so vieler Dirigenten, durch Aufführung grossartiger Tonwerke
glänzen zu wollen , wozu alle Mittel abgehen *) , machen diese Ver-
eine meist zu zwecklosen, wenn nicht zu zweckwidrigen Instituten.
Kein erfreulicheres Bild vermögen wir von dem Zustande der
Kirchenmusik bei uns zu entwerfen, Von echter Kirchenmusik fin-
det man kaum eine Spur. Eine mittelmässig ausgeführte Messe, ein
nothdürftig eingeübter Chor an einem Festtage ist so ziemlich Alles,
was hierin geleistet wird. Man sollte die Mittel, die an manchen
Orten in reichem Masse gegeben sind; besser benützen.
Wir haben hiermit unsere musikalischen Zustände im Allgemei-
nen geschildert. Unser Urtheil ist auf eigene Anschauung und viel-
fache Erfahrungen gegründet und nicht durch persönliche Rücksichten
und Verhältnisse eingegeben, die ein objektives Urtheil oft unmöglich
machen. Wem es wirklich um die Sache zu thun ist, wird uns bei-
stimmen und mit uns den Wunsch hegen, man möge bald, ja recht
bald eine, die Sache der Musik mehr fördernde Richtung einschlagen,
in welchem Falle sich dann mit den bei uns vorhandenen, aber zer-
streuten Kräften Schönes und Grosses erreichen Hesse. — x—
CORRESPONDENZEN.
*) Zur Bestätigung dieser Behauptung möge von vielen uns be-
kannten Fällen nur einer hier Platz finden : Ein Lehrer auf einem
nicht einmal grossen Dorfe ersuchte einen CoIIegen in der Stadt, er
möge ihm Schiller's „Qlocke" von Romberg für vier Männer-
stimmen schicken, weil er dieselbe mit seinem Gesangvereine
einüben wolle !
AUS WIEN.
(Ende Dezember.)
(Schluss).
Im Concertsaale häuften sich in der neuesten Zeit die Novi-
täten dergestalt, dass eine Besprechung der einzelnen Erscheinungen
bei weitem den Raum übersteigen würde, der diesen Berichten in
diesem Blatte gegönnt ist, wesshalb auch nur in Kürze darüber ab-
gehandelt werden kann.
Die Quartett-Produktionen der HH. Hellmesberger, Durst
Heys ler und Schlesinger bilden eine Oase in der Wüste unserer
Virtuosen-Conccrle, denn sie zeichnen sich nicht nur durch die kunst-
vollendete Ausführung vor allen Anderen besonders aus , sondern
auch durch die Wahl der aufgeführten Stücke, welche stets die gröss-
ten Meisterwerke der Kammermusik trifft. Sehr ehrend für unsere
Geschmacksrichtung ist der sehr zahlreiche Besuch dieser Concerte.
Gewiss es ist einzig nur an den ausübenden Künstlern gelegen, wenn
der Geschmack des Publikums sich verflacht. — Der Violinspieler
Eduard Singer veranstaltete schon zwei Concerte und gefiel in
Beiden. Der junge Künstler entwickelt einen kräftigen Ton , viele
Bravour, reine Intonation und eine schöne Bogenführung — Vorzüge
genug, um den Beifall eines ven vornherein dem Concertgeber ge-
neigten Publikums zu erringen. Auch seine concertanten Composi-
tionen sind nicht werthlos.
Das zweite Concert der „ Gesellschaft der Musikfreunde " im
grossen Redoutensaale erwies sich als eines der besten, das von die-
sem Vereine in neuerer Zeit geboten wurde. Wir verdanken ihm
die Bekanntschaft mit einem der schönsten und gelungensten Werke
Mendelssohns, nämlich die A-dur-Symphonie , die sich dem Besten
anreiht, was Mendelssohn je geschrieben. Auch die Aufführung un-
ter der energischen Leitung des artistischen Direktors Hrn. Hellmes-
berger erfreute sich einer wohlverdienten beifälligen Anerkennung
des zahlreich versammelten Publikums. — Bei einem Concerte, das
im Hofoperntheater zum Besten des Central Vereins für Kostkinder etc.
stattfand, wirkten FF. de la Grange, Ellinger, die HH. Ander und
Hölzl mit ; auch Hr. Singer und ein junger Virtuose aus Petersburg,
Hr. Joh. Seifert , liehen ihre Kunstkräfte diesem Wohlthätigkeits-
Unternehmen. Herr Ander, ein Pianist aus Paris, fiel ohne Gnade
des sonst bei solchen Gelegenheiten sehr gnädigen Publikums total
durch. — Der Pianist, Hr. Egghard, hatte sich einer beifälligen Auf-
nahme eines in seinem Concerte zahlreich versammelten Publikums
zu erfreuen, wenn auch eben s^in Erscheinen in der hiesigen Kunst-
welt kaum eine Spur zurücklassen wird.
Der junge Tonsetzer, Hr. Krenn, trat mit einem grösseren Werke
und zwar mit dem Oratorium „ Bonifacius ", wozu ihm der Dichter
Rick einen sehr poetischen Text lieferte, vor den Richterstuhl der
öffentlichen Kritik und zeigte seine Begabung zur Composition auf
eine überzeugende Weise, wenn auch dieses Oratorium noch keines-
wegs seine Unsterblichkeit sichert; denn es fehlt diesem Werke die
religiöse Weihe, die Kraft des musikalisch-oratorischen Ausdruckes.
Der Styl ist zu modern und es herrscht in dieser Beziehung in dem
Werke wenig Consequenz. — Hr. G. Stanzieri, ein Ciavierspieler,
gab ein Concert nnd spielte eine Musterkarte von Compositionen
aller Schulen und Zeiten, ohne mit Alledem durchzugreifen.
Auch eine Violin- Virtuosin haben wir in Frl. Johanna Bier lieh
aus Jena gehört, welche im Salon des Ciaviermachers Schrimpf ein
Concert veranstaltete. Ibre Vorzüge sind : reine Intonation und ge-
schmackvoller Vortrag, übrigens ist ihr Ton weder kräftig noch auch
so intensiv, um ihren Leistungen eine nachhaltige Wirkung zu sichern.
Um die Instrumente des Herrn Schrimpf dem Publikum zu produzi-
ren, musste auch eine Pianistin in diesem Concerte debutiren, näm-
lich Frl. Mina Prybila. Es war nicht abzusehen, ob durch ihr
Spiel Hr. Schrimpf ein Instrumenten- Verkaufsgeschäft gemacht haben
wird.
— 19
Noch ist zu erwähnen die Aufführung von Haydn's „Jahreszei-
ten**, bei welcher Frl. Ney und die Herren Erl und Staudigl mit-
wirkten.
Ausser der grossen Zahl von öffentlichen nnd Privat- Akademien,
Concerten, Produktionen, ausser den musikalischen Soiree's derHH.
Strauss - Fahrbach in allen grösseren öffentlichen Belustigungsorten
und den Vorstellungen des Hrn. Mayer mit Gesang und Saitenspiel,
ausser den Zither-Kränzchen mit ihren bescheidenen Leistungen und
unverschämten Forderungen besteht noch eine perennirende Akademie-
oder Concert-Unternehmung , welche wöchentlich eine Produktion
gibt, Musik, Deklamation etc. bei obligatem Bier und Rauchtabak,
unter der Direktion des Hrn. Jos. Aetlinger.
Der grossen Oper, welche sich so lange von allen Eingriffen und
Beeinträchtigungen durch den Dilettantismus frei erhalten, ist in dem
Liebhaber-Theater des Bon. Pasqalati ein fürchterlicher Rivale er-
standen, der sie um ihren Lorbeer bringen wird; so wie das k. k.
Burgtheater durch Bon. Dieterichs Etablissement, so muss das Hof-
operntheater durch Pasqualati — fallen!
AUS MÜNCHEN.
(18. Januar.)
Das alte Jahr hat zur vollsten Zufriederhcil unseres musikali-
schen Publikums geschlossen. Das Weihnachtsconcert der k. Hof-
kapelle brachte uns nämlich „Beethovens neunte Sinfonie", den „22.
Psalm Mendelssohns" (eines seiner vorzüglichsten Vocalwerke), die
„Arie aus Titus mit obligatem Bassethorn", J. Haydns „Sturm" und
Voglers „Ouvertüre zur Oper Castor und Pollux" — Alles in höchster
Vollendung.
Gleichzeitig wurde von der k. Hoftheater- Intendanz eine Ueber-
sicht der im verflossenen Jahre gegebenen Vorstellungen veröffentlicht
(s. Nr. 4 d. Bl.)
So anerkennenswert!), wie die Intendanz das Jahr 1852 schloss,
eben so schön hat sie das neue Jahr begonnen mit Mehuls „Jakob
und seine Söhne", eine Lieblingsoper der Münchner, die leider län-
gere Zeit vom Repertoire verschwunden war. Die Besetzung (Joseph,
Hr. Brander; Jakob, Hr. Kindermann; Simeon, Hr. Härtinger und
Benjamin, Frau Dietz) war eine durchaus vollkommene, die Ausstat-
tung eine äusserst lobenswerthe.
Nichts weniger als ebenso erfreulich begann die Hofkapelle das
junge Jahr, denn die bisher üblichen Concerts spirituels werden
in Zukunft nicht mehr stattfinden, indem Herr Generalmusikdirektor
Lachner die Direktion derselben entschieden ablehnt, was bei dem
Mangel an anderweitigen Direktoren, die mit einer Lachner auch nur
nahe kommenden Befähigung diese Concerte zu leiten verstünden,
trotz der vielen und äusserst schätzenswerthen Orchesterkräfte, den
Untergang dieses unübertroffenen und für Süddeutschland epochemachen-
den Kunstinstituts zur Folge haben muss. Systematische Intriguen
gegen Lachner möchten wohl als nächste Ursache zu diesem unseli-
gen Bruch zu bezeichnen sein. Werfen wir nun einen Blick rück-
wärts, so können wir nicht umhin, der thätigen und von reinstem
Eifer für die wahre Kunst durchglühten Leitung Lachners unsere auf-
richtigste Anerkennnung zu zollen. Nur ihm hatten diese Concerte
ihre ganze Grösse und Wichtigkeit zu verdanken, nur ihm allein ge-
lang es durch eiserne Consequcnz, das Publikum zur Ueberzeugung
zu bringen, dass die Musik mehr sei, als ein Ohrenkitzel für ein
paar zu verdämmernde Stunden, nur ihm konnte es vorbehalten sein,
jene Concerte, welche anfänglich nur schwach und später aus Mode
etwas stärker besucht wurden, endlich zum allgemeinen künstlerischen
Bedürfnisse einer reichbevölkerten Stadt zu erheben. Dass aber das
eben Gesagte mehr, als ein nichtssagender Panegyrikus, vielmehr
die von jedem unbefangen Urtheilenden mit mir getheilte Ansicht ist,
möchte wohl am einfachsten durch die Thatsache bewiesen werden,
dass vor der Direktion Lachners dasselbe treffliche Orchester diesel-
ben Concerte trotz ihres schon damals etwa zwanzigjährigen Beste-
hens nie über das Niveau des Gewöhnlichen emporzuheben ver-
mochte. München wird nun in musikalischer Beziehung zu einer
kläglichen Bedeutungslosigkeit herabsinken.
Herr Generaldirektor Lachner befindet sich im Augenblicke in
Leipzig, um im Gewandhaus seine neueste Sinfonie (Nr, 8 G-moll)
zur Aufführung zu bringen. Dessen Bruder Ignaz hat den Ruf
Hamburg (an die Stelle Barbieri's) angenommen und wird mit
mendem Oktober in seinen neuen Wirkungskreis eintreten. Wer
die Stelle desselben sowie an jene unseres bisherigen ersten
ten Hrn. Salomon (dem die Intendanz wieder gekündet hat) kommes
wird, ist noch» nicht bekannt.
Für zweite und dritte Partieen in der Oper wurde in Herrn und
Frau Wirth vom Mannheimer Theater eine recht brauchbare und
äusserst nothwendige Acquisition gemacht.
Eine neue Oper, eine Vollblutmünchnerin, soll noch diesem
Winter das Licht der Welt erblicken. Der Text ist von Teichlei n,
die Musik von Baron Perfall, der Titel heisst Sakontala.
Im kgl. Conscrvatorium für Musik wurde der Sohn des Hrn. Di-
rektor Hauser, Hr. Moritz Hauser, und ein ehemaliger Schüler dieses
Instituts, Herr Renner, als Lehrer angestellt. Ersterer muss, so viel
ich höre, die Opern-Parthien einstudiren, für Letzteren wurde eine
Vorbereitungsklasse für den Violinunterricht geschaffen. — Bei dieser
Gelegenheit fällt mir eine äusserst unangenehme Situation ein, in der
ich vor einigen Jahren einen Klavierschüler des Conservatorinms
während der öffentlichen Prüfung zu beobachten Gelegenheit hatte.
Es wurde ihm nämlich die an sich unschwierige Aufgabe zu Theil,
die Fis-moll- Scale zu spielen; allein a und ais hatten sich offenbar
miteinander gegen den hoffnungsvollen Kunstjünger verschworen, denn
das a blieb eigensinnig und versteckte sich, das ais hingegen drängle
sich beständig dem Harmlosen in die Finger. Er wird stutzig und
beginnt seinen Weg abermals beim Fis — nutzt nichts 1 a spielt Ver-
stecken und ais ist unausstehlich zudringlich. Drei, vier und fünf
Mal nimmt er frischen Anlauf — Alles umsonst! Der edle Priester
Polyhymnia's muss endlich unverrichteter Dinge das Instrument ver-
lassen. — Nie früher noch jemals später habe ich eine ähnliche Bos-
heit unter der sonst gutgearteten Tonfamilie bemerkt l O»
AUS PESTH.
(Ende Dezember.)
Um Ihnen die bunte Tafel des verschiedenartigen Treibens
Felde der Kunst und des allseitigen geselligen Verkehrs allm&lig vor
den Augen des Lesers aufzurollen, erübrigt in einem allgemeinen
Ueberblick die Summe des Guten zu zählen, welches hier bereits
geschah oder noch zu stiften wäre, und sofort alle jüngst beobachte-
ten Phänomene , die aus dem Kreise unserer Stadt theils auf dem
Horizonte des Lebens, theils auf dem der Kunst auftauchen, perio-
denweise aufzuzeichnen, um von diesen Notizen zuweilen ein Scherf-
lein der geschätzten Süddeutschen Musik-Zeitung raittheilen zu kön-
nen. Ich meine hier aber nicht allein besondere Ereignisse und
wichtige Begebenheiten, sondern auch mindere Vorfälle, so wie man
sie aus dem Zeitstrome bunt herausfischt; denn man sieht ja auch
nicht immer Feuerbälle, Mondlichter und Kometen, sondern auch
Sternschuppen und Irrwische, die, wiewohl sie im eigentlichen Sinne
keine Phänomene sind, dennoch sehr oft mit Vergnügen betrachtet
werden. Also zur Sache. Im Nationaltheater gelangten als Novitä-
ten die Opern „Hugenotten" von Meyerbeer und „Rigoletto" voa
Verdi zur Aufführung. Erstere mit theil weise neuer Besetzung: Has-
selt (Valentine), Young (Raoul) ; es ist nicht zu glauben, dass je ein
so reich ausgestattetes Werk vom Grössten bis zum Kleinsten hinab
vollständig gegeben wurde. Bedeutendes mag wohl immer gemangelt
haben. Jede Darstellung eines solchen grossartigen Werkes wird
immer nur eine Annäherung auch beim besten Vortrage der Haupt-
personen sein, und Ruhmes genug, wenn einzelne hell und lebendig;
hervorretende Theiie in befriedigender Harmonie sich einen. Valen-
tine, die Seele des Ganzen, konnte so, wie sie hier dnreh die grosse
Künstlerin Hasselt geboten wurde, nur in der allesverklärenden Phan-
tasie des Compositeurs gelebt haben« Wenigen ist es gegeben, diese
grosseAufgabe so meisterhaft zu lösen. Ueberraschend war die Lei-
stung des Herrn Young. Dieser jugendliche Sänger hat sich schnell
die Liebe und Verehrung des Pesther Publikums erworben und mas\
kann mit Recht der Direktion des Nationaltheaters Glück an einer,
solchen Acquisition wünschen. Was die Auffuhrung der Oper „Ri-
goletto" betrifft, so Hess die Darstellung sehr viel zu wünschen uh-
rig, mit Ausnahme des Hm, Mazzi (Hersog)« welcher durch richtigem
-* 20
Vortrag sich einig« Anerkennung zu erringen wusste. — In den er*
sten Tagen kommender Woche wird Meyerbeers „Prophet" mit neuer
Besetzung in die Scene gehen, worin Fr. v. Hasselt-Barth die Partie
der Fides, Hr. Young die des Propheten übernommen haben.
Am 19; Dezember fand im Lloyd-Saale das 6. nnd letzte Concert
spirituel des Pesth-Ofener Musikvcreins-Conservatoriums statt. Cl as-
sisches wurde geboten. Herr Ridley Kohn£, erster Solospieler am
Nationaltheater und Professor des Conservatoriums , versteht mit
Zartheit und Geschmack sein Instrument zu behandeln, seinen Vor«
trägen wurde auch stets die grösste Anerkennung zu Theil. — Wie
ich höre, werden diese Concerte in der Fastenzeit in demselben Saale
4er Lloyd-Gesellschaft fortgesetzt werden; hoffentlich wird aber dem
Arrangement des Ganzen mehr Sorgfalt zugewendet werden.
Schliesslich melde ich Ihnen noch, dass der Carneval mit seiner
ganzen Suite jovialer Launen bereits zu den Thoren unserer Stadt
eingezogen ist und täglich ein ganzes Heer von Friseuren und Putz-
ateister in lebhafte Bewegungl'.setzt, um die Haartouren unserer
Schönen gefälligst zu parfumiren und mit Hundert Papilloten und
Guirlanden zu verzieren.
In einer solchen Epoche, wo die Geigen so lieblich schnurren
und die Sittenrichter so geneigt sind, tolle Streiche zu vergeben,
kann man nicht mehr schreiben — bald ein Mehreres.
NACHRICHTEN.
Aegensburg. Der Chorregent an der Stiftskirche zur alten
Capellc, Hr. J. G. Metterleiter, macht sich um Hebung der hiesigen
musikalischen Zustände sehr verdient. Derselbe ist ein grosser Ver-
ehrer nnd Kenner der klassischen Kirchenmusik und hat einen Chor
von 30 bis 40 Mitgliedern zu bilden gewusst, welcher die Meister-
werke von Orlando Lasso, Palästrina, Pergolese in trefflicher Weise
ausfährt. Seinen Bemühungen ist es auch gelungen , die vorzüglich-
sten Oratorien, wie die Schöpfung, Messias, Judas Maccabäus, Pau-
lns, dem Publikum vorzuführen, und erst am 30. Dez. v. J. wurde
4er „Elias" von Mendelssohn von einem 80 Mann starken Orchester
und einem 100 Sänger starken Chor in sehr gelungener Weise exc-
cutirt.
In. der Weihnachtswoche gab der Tenorist Stigelli zwei stark
]»esnchte Concerte.
Dresden. Die neuengagirte Sängerin Frl. L. Meyer von Cassel
trat kürzlich zum ersten Male als Rebecca in Marschner's „Templer
und Jüdin" auf. Als Prima-Donna genügt sie nicht, dagegen wiid
aie neben Fl. Ney, welche bald eintreffen wird, an ihrem Platze sein.
Düsseldorf.
aer* ( aufgeführt.
Am 18. Dez. wurde hier R. Wagners „Tannhäu-
Baroelona. Mad. Julienne hat hier die Gunst des Publikums
in seltenem Masse errungen. Sie wird bei jedem Auftreten mit Ap-
plaus und Blumen überschüttet. Wahrscheinlich begibt sie sich von
hier nach London.
London. Die Frage über das Fortbestehen von Her majestie's
theatre ist noch immer unentschieden.
Varia. Trotz der Lobeserhebungen der Pariser Journale steht
mit der italienischen Oper nicht zum Besten. Das Publikum ist
rächt zum Besuch zu verführen und die Ankündigung eines zweiten
Abonnements zu herabgesetzten Preisen ist ein deutliches Kennzei*
«ohea 4er finanziellen Lage der neuen Direktion.
Neapel* Ein Sign. Bandelini hat hier eine Reihe „klassischer
Concerte" angezeigt. Auf dem Programm befinden sich zum Staunen
der Neapolitaner, die an dergleichen nicht gewöhnt sind, deutsche
Namen, nämlich Mozart, Beethoven und Meyerbeer.
Theodor Uhlig, Kammermusiker in Dresden, einer der thätigsten
Mitarbeiter der „Neuen Zeitschrift für Musik" ist, kaum 31 Jahre
alt, gestorben.
Der bekannte Pianist Schulhoff reist in Russland und Polen.
Am 27. Dez., gab er in Kamieniec ein zahlreich besuchtes Concert.
Flotow, der Componist der „Indra", soll schon wieder 2 neue
Opern unter der Feder haben : „Rübezahl" und die „Studenten von
Bologna"., beide Texte vonPuttlitz. Wenn wir nicht irren, ist „Rü-
bezahl" die kleine Gelegenheilsoper, welche der Componist vor län-
gerer Zeit auf dem Gute eines Freundes aufführen liess.
Frl. W. Gauss, die berühmte Pianistin, verlässt Paris in Kur-
zem , um sich nach Berlin und von da nach St. Petersburg zu be-
geben.
Preis-Ansschreiben der Deutschen Tonhalle.
Aufgabe: Die Composition beigehender Hymne für den vierstim-
migen Chor und beliebige Soli mit Orchester, in Ermangelung dieses
mit Orgelbegleitung.
Preis ' Fünfzehn Ducaten. Einsendung der Bewerbungen von
deutschen Tondichtern : frei und vor dem Monat Juni d. J.
anher, jede mit einem deutschen Spruche versehen und von einem
versiegelten Zettel begleitet, der den Namen des Verfassers und sei-
nes Wohnortes enthält, aussen aber denselben Spruch führt und einen
Künstler benennt , welchen der Einsender als Preisrichter wählt.
(Vgl. die Satzungen der D T. H., zu haben bei C. F. Heckel hier.)
Das Urtheil der erwählten Preisrichter wird , sobald es gegeben
wird, unter Benennung derselben bekannt gemacht.
Mannheim, im Januar 1853. ScHiisslei**
DEM HÖCHSTEN.
Dir Schöpfer der Natur,
Ertönt der Wald, die Flur,
Dem Herrn der Herren
Erbrausen Luft und Meere,
Und nah und fern
Erschallet seine Ehre.
Zu seiner Ehre,
Zu seinem Ruhme
Haucht in die Luft
Den Balsam-Duft
Des Frühlings holde Blume,
Und wallt die Bahn
Durch Azurferne
Das lichte Heer der Sterne,
Alliebender, Hochherrlicher,
In Ewigkeit sei Dir geweiht
Des Menschen Herz und Seele 1
In Höh'n und Tiefen
Auf jeder Lebensspur
Erschalle Gott,
Dem Schöpfer der Natur,
Des Weltalls Preis nnd Ehre 1
Nach F. Stracke.
Tenntworttleber Redakteur: J. I. SCHOTT. - Brack jon MUTER* WALLAB laMatni.
2. Jahrang.
Mr. 6.
7. Februar 1853.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Dies« Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Buchhandlungen.
REDACTM BÜD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PRBIg:
fl. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. oder 1« Sgr. per ftnartal.
Inhalt t Lefax : „Beethoven und seine drei Style". — Die komische Oper in Frankreich II. — Hamburger Briefe. — Nachrichten.
LENZ: „BEETHOVEN UND SEINE DREI STYLE".
In einem vor Kurzem erschienenen interessanten Werke von
Lenz: „Beethoven et ses trois styles" wird der Versuch gemacht,
die innere geistige und künstlerische Entwicklung Beethovens, wie
sie sich in seinen Schöpfungen kund gibt, zu klassifiziren und die
Grenzen der verschiedenen Phasen dieser Entwicklung zu bestimmen.
Wenn gleich an den Ausfährungen des Verfassers Manches auszu-
setzen ist, so sind dieselben doch im Ganzen höchst interessant. Wir
theilen eine Skizze des Abschnittes , welcher von den drei Stylarten
Beethovens handelt, nach der B. M. Z. mit, uns ein ausführlicheres
Eingehen auf dies Werk vorbehaltend.
Im Ganzen glaubt der Verfasser die Grenzen dieser Stylarten
durch die runden Ziffern Op. 20 und Op. 100 bezeichnen zu können,
ohne damit sagen zu wollen, dass sich nicht hie und da eine mit der
ändern vermische. In den Werken Op. l-*~20 findet er als charak-
teristische Kennzeichen ein grosses Maas in Allem, ein Fernhalten
Von dem, was nicht mehr in der ersten Idee eines Stückes liegt,
vor Allem aber den Einfluss, welchen Mozart auf Beethoven ausübte
Beweis: das Es-dur-Quintett für Piano und Streich-Instrumente und
das Es-dur-Trio für Streichinstrumente, Op. 3. Die Hauptwerke die-
ser Periode sind: die 4 erbten Klaviertrios, die 4 Trios für Streich-
Instrumente, die 5 ersten Quartette, die 3 ersten Geigensonaten, die
beiden ersten Cellosonaten, die 10 ersten Ciaviersonaten , das Sep-
tuor und die beiden ersten Sinfonien.
Die zweite Stylart (Op. 20—100) charakterisirt sich nach dem
Verfasser durch einen unendlichen Ideenrcichthum, stete Reinheit und
Originalität. Hier reisst sich Beethoven los von der Tyrannei der
Schule, von den alten herkömmlichen Formen sowohl der einzelnen
S&tze als der ganzen Sonate. Der Zweivierteltakt, sonst nur im Fi-
nale gebräuchlich, wird auch im ersten Allegro angewendet (5, 6.,
9. Sinfonie). Das Andante hat kein Wiederholungszeichen mehr,
zuweilen ist seine letzte Note sogar schon die erste des Finales. An die
Stelle des Menuett tritt das Allegrettoj das Scherzo wird selbst-
ständig, während es früher dem Menuett beigegeben war; das Trio
verschwindet. Zwar gibt es noch einen dritten Theil, aber er heisst
nicht mehr Trio, erhält auch grössere Ausdehnung u. s. w. Die
C-dur-Sonate Op. 50 trägt nach der Ansicht des Verfassers den Stem-
pel dieser Stylart am vollkommensten. Die Hauptwerke dieser Pe-
riode sind: die Sinfonien Nr. 3—8, die 3 Quartette Op. 69, das
Es-dur- und F-moll-Quartett, die beiden Trio's Op. 70, die grosse
A-moll-Sonate , endlich 10 Klaviersonaten von Op. 26 bis Op. 90.
Die A-dur-Sinfonie und B-dur-Trio nähern sich der dritten Stylart
an meisten.
Die dritte Stylart endlich, die Werke über Op. 100 hinaus, cha-
rakterisirt Lenz f olgendermassen :
„Die Ideen, welche die dritte Stylart aufweist, sind immer compli-
mirt, sind Manifestationen des Gedankens zu einer Zeit, wo derselbe
einem exceptioneüen Leben angehörte, welches sich ausserhalb der
wirklichen Existenz bewegte. Eine vollständige Taubheit hielt Beet-
hoven von den äusseren Eindrücken entfernt; er reproduzirte nicht
mehr die Welt, wie sie ist, sondern wie er sie haben wollte, oder
doch , wie er sie sich vorstellte. Einsam in der ungeheuren Stadt
musste wohl sein Gedanke in dem Conflikte mit seinen Erinnerungen
und seiner inneren Zauberwelt sich verwirren. Die dritte Stylart ist
das Erzeugniss eines immensen Nachdenkens ; sie hat nicht mehr die
Unmittelbarkeit der beiden ersten , aber sie bewahrt das Interesse
und wird es bewahren, das Genie im Kampfe mit den Realitäten zu
zeigen.
In dem Kreise unserer Empfindungen fussend ging Beethoven
über ihn hinaus und erweiterte ihn bis jenseits der Grenfen, welche er
für uns hat. Diese Existenz ausserhalb unserer Realitäten hat ge-
wiss ihre Erhabenheit. Man glaubt ihn zu sehen, wie er die für Um
verlorene wirkliche Existenz sucht und in jenen Tönen anruft, die)
— so meint man — das Schicksal hätten beugen müssen. Ja sogar
die Anzahl der Noten, welche Beethoven zu hören glaubte und doch
nicht mehr hörte, musste zunehmen — liebt man nicht unmässig ein
ewig entschwundenes Gut? Mit anderen Worten, es finden sich
darum viel mehr Noten in der dritten Stylart Beethovens, weil es für
ihn gar keine mehr gab. Die zuweilen widerhaarigen harmonischen).
Fortschreitungen, die Härten, welche man in dieser Stylart kennt,
haben keine andere Ursache. Eine gewisse Gesuchtheit, freilich nur
eine Gesuchtheit des Genie' s , ersetzt den ursprünglichen Ideenauf«
schwung, ein wohlüberlegter Entschluss die unmittelbaren Regungen
des jugendlichen Herzens.
Das Gehör musste für Beethoven mehr sein, als alle mensch*
liehen Sinne zusammen genommen für einen Anderen. In ihm be-
ruhten seine Glücksgüter — und ihm waren sie geraubt 1 Che faro
senza Euridice? — ist der letzte Schrei seiner Melodieen ! Die Un-
gewissheit bemächtigte sich sodann seiner Seele, er zweifelte an sei-
ner Mission, er suchte nach bisher unbetretenen Pfaden, er glaubte
Beruf zum Kirchenstyl zu haben (D-moll -Messe). Man findet in den
Produktionen der dritten Stylart gleichsam ein unbestimmtes Ver-
langen des Künstlers, sich zu übertreffen, gesuchtere Tonarten (CSs-
moil-Quartett), häufigere Uebergänge (gloria der D-moll-Messe), eigen-
tümliche Combinationen, Ideen, die einander auszuschliessen scheinen,
das Interesse, welches sich in den Episoden kund thut, trägt den
Sieg über die Bedeutung der ersten Idee, über das Ganze des Wer-
kes davon , die sympathische Klarheit der Ideen existirt nicht mehr.
Beethoven schnitt seine letzten Werke aus dem lebendigen Fleische
seiner trüben Erinnerungen, aber nicht, ohne sie Gott als Sühnopfer
darzubringen. Er gefiel sich in einer furchtbaren Entfaltung schola-
stischer Kuustmittel — es ist zuweilen etwas wie Paracelsus in
ihm." — Die bedeutendsten Werke dieser Periode sind: die & letz-
ten Quartette, die 5 letzten Klaviersonaten, die Ouvertüre Op. 124,
D-moll-Messe und vor Allem die 9. Sinfonie mit ihren Chören.
— 22
DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH.
II.
Si fetctis Rot von Adam,
Das Sujet der neuesten Oper Adams ist keineswegs neu ; im
Gegentheile sehr alt! Wer kennt nicht die Geschichte von Abou
Hassan aus „Tausend und Einer Nacht", welchen der Kalif Harun-
al-Raschid durch einen betäubenden Trank einschläfern, bewustlos in
seinen Palast tragen, einen Tag Kalif spielen und am andern Morgen
gleichfalls schlafend in seine Hütte zurückbringen lässt? Oder
den „Verwunschenen Prinzen", das bekannte Lustspiel, welches vor
einigen Jahren auf allen Bühnen so beifällige Aufnahme fand ? Wir
haben hier dasselbe Sujet, nur in anderer Scenirung, einen Fischer,
welcher auf dem Meeressand einschläft, nachdem er vorher die Worte,
die seinen Herzenswunsch ausdrücken: „Wenn ich König wäre", in
den Saud gekritzelt hat; einen jovialen König von Goa in Ostindien,
welcher auf seiner Abendpromenade den bescheidenen Schläfer findet
und, um sich einen Scherz zu machen, denselben a la Harun-al-Ra-
schid in seinen Palast bringen lässt, wo er am andern Tage in sei-
ner Verwirrung zu den komischsten Scenen Veranlassung gibt. Nie-
mand wird leugnen , dass dieser Stoff ein ganz vortrefflicher ist , in
welchem die komischen Situationen sich ganz von selbst bilden und
in welchem die Hauptperson mit der Ungewissheit über die eigent-
liche Persönlichkeit, mit dem steten Widerspruche zwischen Schein
und Sein, zwischen der angenommenen Gravität und der angebornen
Natürlichkeit der wirkliche Träger des komischen Elements der Oper
ist, wie es immer der Fall sein seilte. Der Dichter hat das Seinige
gethan, um die Verwirrung noch grösser zu machen. Der König will
seine Verwandte, die Prinzessin Nemea, mit seinem Cousin, dem
Prinzen Kador, der sie liebt, verheirathen, wie sich das fast von
selbst versteht. Leider aber hat er nicht bedacht, dass die Liebe
eigensinnig ist. Nemea mag den Prinzen Kador nicht, der diesen
Korb allerdings verdient, denn er ist ein Bösewicht und hat sich
heimlich an die Portugiesen gewendet, um mit ihrer Hülfe den König
zu entthronen. Nemea aber hat einen anderen Grund. Sie ist ver-
liebt. Aber in wen? In einen Unbekannten, der sie einst errettete,
als sie beim Baden in Gefahr kam zu ertrinken und — man erstaune
über solche Zartheit — entdoh, ehe sie Zeit hatte, ihm zu danken.
Nicht einmal sein Gesicht kennt sie. Ueberzeugt, dass ihr Retter
einer der vornehmen Herren vom Hofe ist, hat sie gelobt, ihm ihr
Herz und ihre Hand zu bewahren. Wie seltsam sind die Geschicke
der Menschen ! Dieser Unbekannte ist kein anderer, als der Fischer
Zephoris, der nichts besitzt, als seine Hütte, seine Barke, sein Netz
und — seine Liebe« Ja wohl, seine Liebe 1 Er hat die schöne Prin-
zessin natürlich etwas mehr gesehen, als sie ihn, und trägt ihr Bild
tief im Herzen. Die Fäden sind bereit, sich in einen Knoten zu
verschlingen. Bald kommt der passende Moment Der König macht
in Begleitung des Prinzen Kador und der Prinzessin Nemea einen
Spaziergang uud begegnet auf demselben dem armen Zephoris. Bei
dem Anblick seiner geliebten Schönen kann er sich nicht bezwingen,
er geräth in Extase und treibt es so arg, dass der Prinz Kador auf
ihn aufmerksam wird. Einige Worte, die ihm entschlüpfen, verrathen
diesem, wen er vor sich hat, er lässt sich mit ihm in ein Gespräch
ein, entlockt ihm die Details seines Abenteuers und lässt ihn endlich
schwören, aus Achtung für die Prinzessin keinem Menschen weiter
das Geheimniss zu entdecken. Zugleich befiehlt er ihm, das Land
zu verlassen. Zephoris ist in Verzweiflung, Kador hingegen beeilt
sich, die Früchte seiner Schlauheit zu erndten. Er begibt sich zur
Prinzessin und erklärt ihr, da er ihre Liebe nicht anders gewinnen
könne, wolle er endlich gestehen, dass er ihr Retter sei. Die Ein-
zelheiten, welche er ihr mitlheilt, benehmen ihr jede Ausflucht und
sie muss ihn als ihren Bräutigam anerkennen. Unterdessen macht
sich Zephoris zur Abreise fertig. Noch einmal will er den Platz be-
treten , auf welchem er die Prinzessin in jenem glücklichen Augen-
blicke sah, noch einmal träumen. Das Luftschloss, welches er ge-
baut, ist verflossen. Sie ist Prinzessin, er — ein armer Fischer!
Ja, „wenn ich König wäre", seufzt er und kritzelt diese Worte ma-
schinenmassig in den Sand, Hierauf entschläft er. Das Weitere lässt
sich errathen. Der König kommt von seinem Spaziergang zurück»
er findet Zephoris, liest die Worte und entschliesst sich zu dem
Scherze, der einen lustigen Tag verspricht. So weit der erste Akt
Im zweiten finden wir Zephoris im Palaste des Königs, angethan mit
den Zeichen der königlichen Würde. Der König selbst hat die Rolle
seines Premierministers übernommen. In diesem ganzen Akte herrscht
die sprudelndste Komik. Wir begnügen uns damit, die Haupthand-
lung zu begleiten. Zephoris findet Nemea wieder, erklärt ihr seine
Liebe, entdeckt ihr die Wahrheit und besteht darauf, sie trotz den
Einwendungen Kadors zu heirathen. Als dem König der Scherz
lange genug gedauert hat, lässt er ihm eine zweite Dosis Opium rei-
chen und in seine Hütte zurückbringen. Im dritten Akt finden wir
den guten Zephoris von seinen Freunden umgeben und nahe daran,
wahnsinnig zu werden, da er König zu sein behauptet und von ihnen
als Narr hehandelt wird. Endlich klärt ihn Nemea, die aus Reue
über das Spiel, welches man mit ihm getrieben, zu ihm kommt, auf.
Neigung für ihn als ihren Retter und treuen Anbeter hat Antheil an
diesem Schritte. WShrend dessen naht sich Kador in Begleitung
zweier Sklaven, um Zephoris, den er fürchtet, den Kopf abschlagen
zu lassen. Nemea- vertheidigt ihren Geliebten. Plötzlich kommt der
König. Man signalisirt die portugiesische Flotte, die auf Kadors Ver-
anlassung herbeikommt. Alles scheint verloren, denn Kador hat das
Heer zu entfernen gewusst. Da wird Zephoris zum Retter. Er er-
fuhr durch seinen Schwager, einen Fischer, der von Kador zur Ueber-
lieferung seiner Depeschen an die Portugiesen gebraucht wurde, die-
sen Vorgang, ahnte die Wahrheit und gab an dem Tage, an welchem
man ihn König spielen Hess, heimlich Befehl zur Rückkehr des Hee-
res. Jetzt entdeckt er dem König die Verräthcrei seines Vetters,
stellt sich an die Spitze des Heeres, kämpft tapfer und mit Erfolg
und erhält als Belohnung seiner Thaten — Nemea's Hand.
Abgesehen von einigen zu künstlichen und zu gesuchten Ver-
wickelungen ist das Buch vorzüglich, und Adam hat denn auch ein
eben so interessantes als unterhaltendes Werk daraus geschaffen.
Die ganze Partitur ist vortrefflich geschrieben, durchweg in dem ele-
ganten, leichten, natürlichen, graziösen Style dieses Componisten«
Dazu weiss er sowohl die Singstimmen als das Orchester zu behan-
deln. Die Partitur enthält eine Fülle der anmuthigsten Phrasen, der
ansprechendsten Stücke. Im ersten Akte tritt hervor die erste Ro-
manze von Zephoris, die Romanze des Königs, voller Geist und
Grazie, die Arie des Zephoris „Si j'etais Rois" und ein kleiner Chor
ohne Accompagnement Sotto voce gesungen, welcher sich durch
eine süsse Melodie und fliessende Harmonie auszeichnet. Im zweiten
Akte ist hervorzuheben ein komisches Duo von heiterem Charakter,
trefflich rhy tmisirt, eine Arie der Nemea voller Eleganz, Feinheit und
Coquetterie, ein Duo zwischen Zephoris und der Prinzessin und ein
Trinklied, welches sehr lebhaft applaudirt wurde. Der dritte Akt
endlich enthält ein Duo buffo, welches allgemein als ein Meisterwerk
betrachtet wird. Eine überraschende Wirkung bringt der Name Ze-
lide, zwischen jeden Vers des ersten Couplets gesetzt, hervor und
eine Reihe Seufzer ; Ali, ah, ah, ah ! von Modulation zu Modulation
geführt, bilden einen der feinsten musikalischen Scherze, welche die
komische Oper aufzuweisen hat. Der Erfolg, welchen diese Oper
in Paris gehabt hat, ist Bürge, dass sie auch auf die deutschen Büh-
nen übergehen wird, und die Freunde der komischen Oper werden
dann Gelegenheit haben, sich zu überzeugen, ob der Componist des
„Postillons" der Alte geblieben ist.
<•*•>-
HAMBURGER BRIEFE.
(Ende Dezember.)
Seit meinem letzten Briefe haben zwei Concerte des philharmo-
nischen Vereins stattgefunden. In demselben sind Mozart's C-dur-
Sinfonie mit Fuge, Beethovens 2. Sinfonie und Haydn's B-dur-Sin-
fonie mit dem überaus edlen und schönen Adagio in F-dur */* Takt
gegeben. Neben diesen erschienen die Coriolan-Ouverture und, mit
besonderer Aufmerksamkeit empfangen, die Tannhäuser-Ouverture
von Wagner. Die letztere veranlasst mich zu folgenden Bemerkun-
gen. Die wahrlich herausfordernde Art, in welcher Wagner seine
Werke durch mehrere begeisterte Anhänger und Jünger dem Publi-
kum in sehr überschwänglichen Zeitungsartikeln znerst empfehlend»
- 23 —
erläuternd und zergliedernd vorführt, berechtigt uns alle zu einem
ernsten Urtheil. Es ist kein Jüngling, der uns entgegentritt, sondern
ein in Lebensstürmen gestählter Mann, ein im Gebiete seiner Kunst
gereifter Tonkünstler, welcher seine Werke der Oeffentlichkeit über»
gibt. Es sind zu viele harte Worte von jener Seite gegen altes Ael-
tere gefallen, als dass nicht ein liebender Freund der Kunst das Recht
haben sollte, die neue Composition in ihrer Berechtigung zu sol-
chem Gebahren zu erforschen.
Von vorn herein halte ich die Wahl des Stoffes, des Opernge-
dichtes für eine verfehlte, insofern der Fabel durchaus Grundideen
zum Halt dienen, die für unsere heutige Anschauungsweise veraltet
sind. Dieser ganze Wust von alten Rittersagen und Mythen aus der
romantischen Zeit ist nach allen Seiten, trotz unläugbarer ein-
zelner Schönheiten, so an der Wurzel todt, so für unsere
Augen unerquicklich, dass der Lebensfunke von vorn herein fehlt.
Wenn Wagner sich berufen hält, das Kunstwerk der Zukunft zu
schreiben — und der Muth dazu darf niemals als ein Verbrechen
angerechnet, muss im Gegentheil auf alle Weise gefördert werden,
wenn er nur die rechte Begabung zeigt — , so muss er, dünkt mich,
auf das ernstlichste dahin trachten, seine Dichtungen der Jetztzeit
zu entnehmen, oder wenn er in die dunkle Vorzeit einmal zurück-
greifen will, diese Stoffe alles dessen zu entkleiden, was entschieden
durch die Entwickelung der Geister abgethan ist.
Nach diesen wenigen Worten gehe ich zu der Ouvertüre selbst
über, welche dem Tannhäuser selbst als Einleitung dient. Die grosse
Hauptidee der Oper, der Sieg der himmlischen Liebe über die ir-
dische, ist an und für sich würdig genug, um sie in der Ouvertüre
musikalisch darzustellen. Dies geschieht nun aber in einer, meiner
Ansicht zufolge höchst gewöhnlichen Weise. Der Gesang der Pilger,
welcher in der Oper selbst als der Repräsentant der himmlischen
Liebe auftritt, beginnt ernst und feierlich. Unterbrochen durch die
unruhig 1 zuckenden Violinen verschwindet er lange, um dann am
Schlüsse siegreich jede leidenschaftliche Unruhe zu überwinden und
das vielfach gequälte Gemüth endlich zum Quell aller Gnade — dem
römischen Papste! — zurückzuführen. Die Intention ist richtig —
aber — wie schmerzlich ist es, bei so vielen neueren Tondichtern
dieselbe Bemerkung machen zu müssen — die Kraft der musikalischen
Erfindung reicht nicht aus, um den grossen Rahmen mit entsprechen-
den riesigen Figuren zu erfüllen. Es scheint, dass Mendelssohn grade
darin so treffliche und wohlverdiente Erfolge erreichte, weil er als
höchst gebildeter Kopf seine Kräfte genau kannte und nichts unter-
nahm, was er nicht innerhalb dieses Kreises würdig und gross vol-
lenden konnte. Diese Erkenntniss fehlt, meine ich, Wagner, wenn
er nicht etwa noch andere Zeugnisse seiner Begabung vorführen
kann, als die bis jetzt der Oeffentlichkeit übergebenen. Ich bin näm*
lieh so frei, auch über Lohengrin, trotzdem ich ihn nur aus dem
Ciavierauszug kenne, zu urtheilen, wobei ich natürlich sehr wohl
weiss, dass manches und einzelnes in der vollendeten Ausführung
sich anders gestaltet, als auf dem Papier. Die Hauptsache aber, die
Melodie als Trägerin des Wortes, oder, in den Instrumenten als eben
so prägnante Verkörperung eines Bildes , sie sind es, welche dem
Kenner beim ersten Anschauen der Noten unmittelbar ein wesent-
liches Urtheil nicht nur gestatten, sondern auch rechtfertigen. Diese
Seite der Ouvertüre nun bietet in dem einen Thema, dem Priesterge-
sang , allerdings eine recht charakteristische , obgleich nicht grade
neue Melodie. Ihr gegenüber aber ist die Darstellung des Gegen-
theils, der Frau Venus, in der unruhig leidenschaftlichen Bewegung
allerdings lärmend genug, aber sie scheint mir nicht genügend, um
die sinnliche Liebe auch von der holdesten Weise darzustellen, von
welcher aus sie denn doch am gefährlichsten uns ergreift. Dass
Wagner nun diesen Mangel der Erfindung durch eine ins Uebermaas
gesteigerte Künstelei der Instrumentirung zu ersetzen sucht, erzengt
nur ein wildes Chaos. Kaum bedarf es der Bemerkung, dass aller-
dings die Idee- der leidenschaftlichen sinnlichen Liebe hier unruhig
und unstät gemalt werden soll, dass aber in der Unordnung die ord-
nende, siegreich regierende Hand des Künstlers sichtbar sein soll.
Das scheint mir nicht erreicht. Aufgefallen ist mir die sehr schwache
Benutzung, zu welcher die Geigen ganz untergeordnet sich verdammt
. sehen. Es hat mir arm geschienen, .dass alle Violinen eine überaus
lange Zeit hindurch sich unisono in einer undankbaren Begleitungs-
figur ergehen, die so ermüdend für Spieler und Hörer sich gestaltet,
dass man mit Recht fragt, wie denn die Geigen, die Königinnen im
Reich des Orchesters, dazu kommen, eine so klägliche Rolle ztt Spie*
len? — Den Eindruck, den das Werk auf unser Publikum gemacht
hat, schildern zu wollen, geht über meine Kräfte. Indem ich meine
Meinung mit Gründen angeführt habe, begnüge ich mich hinzu zu til-
gen, dass dieUrtheile der Musiker, welche ich darüber gesprochen
habe, mit dem meinigen übereinstimmen. Es ist passend , noch ein-
mal hinzuzusetzen , dass Alle die Intention, das ernste Wollen, bei
dem Componisten anerkennen, und das ist wahrlich immer hoch zu
preisen in einer Zeit, die so viele Beispiele von Künstlern zeigt,
welche mit vollem Bewusstsein dem goldnen Lohn der grossen Masse
lieber nachrennen, als der keuschen Göttin der Töne einen strengen;
und demüthig aufopfernden Dienst zu widmen.
Die Ausführung der übrigen grossen Orchesterwerke war bis auf
die Haydn'sche Sinfonie die allcrgewöhulichste. Die Coriolan-Onverture,
besonders ist so erstaunlich gross, dass es schon der Mühe werlh
wäre, sie ordentlich zu üben und vor allem die grossen Accente der
gehaltenen halben Noten breit und schwer hervorzubringen, wobei na-
türlich die andere aus 6 Achteln und 1 Viertel bestehende Haupt-
figur mit ihrem bezeichnenden Legato und Staccato auch auf da«
sorgfältigste zu üben wäre. Ferner glaube ich bedauernd erwähnen
zu müssen, dass immer noch die allerdings schwierige Passage
der Celli und Bratschen in 8teln in der Mitte sehr unrein gegeben
wird. Die Musiker sind treffliche Leute und werden, wenn der Di-
rigent seine Pflicht thäte, solche Stellen gewiss sorgfältig studiren
und ihre Ehre darein setzen, sie glänzend zu executiren. Es fehlt
aber an dem Eifer, der zu allen Zeiten nur der Sache wegen
sich anstrengt und unbekümmert um Beifall oder peeuniären Gewinn
den Geist der Töne zu erforschen und liebevoll den Hörern zu ver-
mitteln strebt. — Die Beethoven'sche 2te Sinfonie, die für den fein-
denkenden Dirigenten grade sehr viel Veranlassung zu wirksamster
Thätigkeit in den Proben bietet, wurde in einer Weise gespielt, die
an jedem anderen grösseren Orte entschieden Tadel finden würde«
Ich will mich beschränken, hier z. B. die Ausführung des Scherzo
zu erwähnen. Bekanntlich beginnt dieser Satz mit zwei unter den
Streich- und Blasinstrumenten vertheilten Takten, deren 6 Viertelno-
ten in der Tiefe beginnen und oben fortgesetzt werden. Jede Hälfte
des Orchesters reisst nun ihre 3 gesonderten Viertel so isolirt her-
aus, dass immer zwei Fetzen der Melodie durch eine Pause getrennt
erscheinen. Ich wiederhole, dass die Glieder des Orchesters beinahe
alle trefflich sind und dass ihnen eben der lebendig warme und gei-
stig gebildete Führer fehlt, der etwas mehr thut, als den Takt anla-
gen. — Wie schon oben gesagt, litt die Sinfonie von Haydn am
wenigsten an den gerügten Mängeln und vorzüglich das Adagio ge-
lang mit seinen so schönen eigenthümlichen Modulationen recht er-
freulich.
Von Solo-Vorträgen muss ich den Cellisten Herrn Grützmacher
von Leipzig erwähnen, der unter andern eine Fantasie von B. Rom-
berg vortrug. Nicht allein die, welche, wie Ihr Berichterstatter, oft
Gelegenheit gehabt haben, grade dieses Stück von Romberg selbst
zu hören, waren unbefriedigt. Mehr gefiel der Violinist Kökert, der
trotz mancher unreinen Griffe doch Feuer und Flamme zeigte and
auch theilweise einen sehr schönen Ton entwickelte, wobei ihm übri-
gens sein Instrument nicht sehr hülfreich war. Endlich sang noch
ein Frl Westerstrand aus Schweden durchaus ungenügend, da sie
trotz vieler Fertigkeit und Bildung der Kehle eine passirte unschöne
Stimme zeigte. Mad. Maximilien endlich, Sängerin des Theaters*
trug noch die grosse Arie aus Titus vor. Ihre sehr schöne starke
Stimme kam an jenem Abend nicht recht zur Geltung.
Herr Capellmeistcr de Barbieri brachte in seiner Benefizvorstel-
lung eine seit langem entbehrte doppelt erfreuliche Erscheinung des
Titus. Diese Vorstellung, welcher noch zwei kleinere Sachen beige-
geben waren, erregte grosse Freude durch die sehr sorgfältige Ein-
studirung und durch die grösstenteils durchgängig genügende Bese-
tzung. Herr Eppich als Titus, Frau Stradiot-Mende als Sextus, Mad.
Maximilien als Vitellia, Frl. Molendo als Annius u. s. w. ergaben
ein ganz vortreffliches Ensemble. Zugleich war in der ganzen Auf-
führung eine Pietät gegen das Werk, ein Eifer für des unsterblichen
Meisters Ehre sichtbar, der doppeltes Lob verdient, da unläugbar
viele matte und veraltete Stellen die Ausführung oft allein durch die
Anstrengung der Sänger gelingen lassen. Diese jetzt 60 Jahre alte
Schöpfung mit ihrer so langweiligen Handlang entzückte alle Hörer
und ist seither sehr oft gegeben. Wo werden nach 60 Jahren so
2* -
manche unserer heutigen grossen. Opern sein? — Der Vorstellung
des Titos folgten an jenem ersten Abend noch ein Pastoralsinfonie-
salz von Me,rcadan(e (!!) und Mendelssohns Finale aus Loreley.
Letzteres ward von Mad. Maximilien und dem Chorpersonal auf der
Bühne, aber leider ohne Dekoration oder Spiel gesungen , so dass je«
denfalis die Partie der leidenschaftlich hin und her gerissenen Lore-
ley verlieren musste. Ich habe aber dennoch, vorzuglich in den Chö-
ren und der Orchesterpartie, sehr schöne Effekte gehört.
Ernst.
Nachschrift. Mein warmes Lob der Titus-Auflührung möge
nicht im Widerspruch mit meiner früheren Beurtheilung der harn bur-
gischen Oper erscheinen. Das erwähnte Werk ist für heutige Dar-
steller durchaus leicht, ,so dass z. B. der Chor darin eine sehr ein-
fache Aufgabe hat. Bei alledem aber wiederhole ich bereitwillig die
lebhafteste Anerkennung.
Meine Worte über die Leistungen der Gebrüder Müller haben
im hamburgischen Correspondentcn Worte des heftigen Tadels her-
vorgerufen. Ich glaube meine Meinung in der achtungsvollsten Form
«nd mit Gründen belegt ausgesprochen zu haben. Insofern ich so
innerhalb der Gränzen der schonendsten Kritik meine Ansicht dar-
gelegt habe, ohne sie als unfehlbar zu bezeichnen, glaube ich ruhig
den Verfasser jener Worte ersuchen zu dürfen , er möge sich in der
Aeusserung seiner Meinung gleichfalls in der unter gebildeten Leu-
ten üblichen Weise bewegen.
NACHRICHTEN.
Bfttnohen« Die in unserer letzten Nr. in dem Briefe aus Mün-
chen angedeuteten Verhältnisse, welche das Unterbleiben der Con-
certs spirituels nach sich gezogen hätten, haben sich in Folge einer
Verständigung der Orchester-Mitglieder mit Herrn Fr. Lachner dahin
geändert, dass die genannten Concerte auch ferner unter Lachners
Leitung fortbestehen werden.
Berlin Ther. MilanoIIo gab ihr letztes Concert vor ihrer Ab-
ieise nach Petersburg am 24. im Opernhause.
Dresden« Frl. L. Meyer hat bei ihrem zweiten Auftreten als
Jessonda besser gefallen, als im Templer.
Zieipzig. In dem letzten Gewandhaus • Concerte wurde unter
Anderem die neue Sinfonie von Lachner und Introdnction nebst
Scene aus Wagners „Lohengrin" executirt.
Dessau« Die von Fr. Schneider begründete Musikschule wird
seit Ostern 1852 von dessen Sohne Theod. Schneider in der frühe-
ren Weise fortgeführt. Der vollständige Cursus der Theorie der
Musik ist auf 3 Jahre festgesetzt. Der Unterricht umfasst Harmo-
nielehre, Modulation, Rhylmus und Stimmenführung ; Melodiebildung,
Formen- und Compositionslehre; Nachahmung und doppelten Contra-
punkt; endlich Partiturstudium, Direktionskenntniss. Alljährlich
findet eine allgemeine Prüfung statt. Das Honorar für den Unter-
richt in der Theorie der Musik beträgt 48 Thaler.
Hamburg. C. Formes hat seine Gastvorstellungen mit Bertram
im Robert und Leporello im Don Juan eröffnet. Leider hatte er in
letzter Rolle das Unglück , beim Abgang am Ende des dritten Aktes
in eine offen gebliebene Versenkung zu stürzen, wodurch er so be-
deutend xerUtzt wurde, dass die Fortsetzung der Oper nur durch
einen Rollenwechsel möglich war.
A. Dreyschock und der Violoncellist B. Hildebrand-Romberg ga-
ben in letzter Zeit Concerte. Ersterer spielte an einem Abend nicht
weniger als 11 verschiedene Piecen.
Paris« In dem Concert des Geigers Vieuxtemps hörten wir
auch den Pianisten Ascher, welcher den bereits erlangten Ruf als
tüchtiger Virtuose durch den ehen so eleganten als kraftvollen Vor-
trag einiger seiner eigenen Compositionen vollkommen rechtfertigte
und mit dem entschiedensten Beifall belohnt wurde.
Seine Compositionen gehören zu den dankbarsten und gefälligsten»
welche die moderne Salonmusik, aufzuweisen hat, und werden ohne
Zweifel überall eine freundliche Aufnahme finden.
— In dem Concert der Frl. Clauss spielte auch der bekannte
Harfenvirtuos Oberthür und riss die gewählte Versammlung zum lau-
testen Beifall hin. Oberthür ist, wie wir hören, ein geborner Baier,
hat jedoch seinen bleibenden Wohnsitz seit mehreren Jahren in Lon-
don genommen, wo er durch öffentlichen Vortrag, durch Compositio-
nen und Unterricht -Ertheiiung zum Wiederaufblühen des Harfenspiels
nicht wenig beigetragen hat Schade, dass man in Deutschland, wo
dieses herrliche Instrument ganz brach liegt, einen solchen Meister
nicht zu fesseln wusste, dessen Leistungen gewiss auch dort nicht
verfehlt hätten, der Harfe wieder manchen talentvollen Kunstjünger
zuzuführen. Eine vollständige Harfen-Schule von H. Oberthür er-
scheint unverzüglich im Verlag von B. Schott's Söhnen in Mainz und
London,
Bern. Seit Anfang voriger Woche befindet sich die Truppe
des Theaterdirektors Herrn Hehl, welche bisher in Basel Vorstel-
lungen gab, hier.
Rom* Der Componist P. Raimondi, Autor des dreieinigen Ora-
toriums, welches vor Kurzem so viel von sich reden machte, ist zum
Kapellmeister am Vatikan ernannt worden und hat sein Amt bereits
Anfang dieses Jahres angetreten.
Neapel. „Statira" und „Violetta", die beiden neuen Opern
Mercadantes, sind seit dem 8. und 10. Januar wiederholt unter gros-
sem Beifall gegeben worden.
* Ferd. Hiller wird den grössten Theil des Winters in Paris ver-
leben und wie früher musikalische Soireen veranstalten, in denen
die besten Ciavier- Werke der älteren und neueren Zeit von ihm vor-
getragen werden. Die erste Soiree fand am 27. Januar im Salon
Pleyel statt. Die zweite 14 Tage später u. s. f.
* In der Didaskalia vom 18. Januar 1853 heisst es in einem der
Weser-Zeitung entlehnten Artikel unter Anderem, dass die „Senti-
nelle", in Deutschland bekannt unter „Kriegers Abschied" (der Ritter
muss zum blut'gen Kampf hinaus) von Napoleon I. Stieftochter, der
geistreichen Hortense Beauharnais , Mutter des jetzigen Kaisers Na-
poleon III., verfasst sei. Das bedarf insofern einer Berichtigung, als
einer vor uns liegenden Sammlung französischer Volkslieder zufolge
die musikalische Composition von A. E. Choron ist (geb. 1771 zu
Caen, gest. 1834 zu Paris). Diese schöne und beliebte Romanze ist
in der Sammlung unter: „La Sentinelle" (l'astre des nuits, dans son
paisible eclat, lancait des feux, sur les tentes de France etc.) als
Romance heroique von Choron aufgeführt. Sie hat zwar, gegen die
deutsche musikalische Bearbeitung, einige Varianten, aber jedenfalls
ist sie viel bedeutender, als die beiden anderen Romanzen (Partant
pour la Syrie et Vous me quittez), welche die Königin Hortense
zur Verfasserin haben.
Choron, als Correspondent der musikalischen Section im Institut
der Akademie und als Direktor der Musik bei öffentlichen Festlich-
keiten, mag wohl die Compositionen der schönen Hortense durchge-
sehen und verbessert, vielleicht auch aus Galanterie seine Autorschaft
der Sentinelle beim Publikum der Königin Hortense zugeschoben ha-
ben ; dass aber diese Romanze, im Vergleich zu den anderen beiden,
wirklich Napoleon III. Mütter zur Componistin haben soll, möchten
wir stark in Zweifel ziehen, .und bitten den Verfasser besagten Ar-
tikels, welcher, wie es scheint, vielleicht an Ort und Stelle seine
authentischen Beobachtungen gemacht hat, in diesem Falle um gefäl-
lige Aufklärung. *
Vanatwartlkber BrnUkteu: J» J. SCHOTT. —Dreck ton RECTSK* WALLAU in mins.
2. Jahrang.
Mr. 7.
14. Februar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Dies« Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnlrt bei allen Postämtern,
* Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
■■
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT <* CO.
II. 2. 43 eder Thlr. 1. 18 Sgr.
rar den Jahrgang.
Durch die Pest besagen :
50 kr. eder IS Sgr. per «aartel.
Inhalts Künstler-Skizzen I. — Die komische Oper in Frankreich III. — Gorresp. (Dresden und Braunschweig). — Nachrichten.
KÜNSTLER-SKIZZEN.
Es ist nicht die Aufgabe dieser Skizzen, in einem kurzen um-
risse die Lebensverhältnisse eines Künstlers zu schildern oder in
einem kleinen Rahmen die Beziehungen seiner künstlerischen Entfal-
tung zur Aussenwelt zusammen zu drängen und vor den Augen des
Lesers ein Bild interessanter Momente aus der Lebensgeschichte des-
selben aufzurollen; sie sollen eine Schilderung seines künstlerischen
Wirkens, ein Abbild seiner Kunstindividualität sein, mit stetem Hin-
Micke auf die natürliche Begabung und auf den Grad seiner künst-
lerischen Ausbildung, eine subjective Beurtheilung seines Total Wir-
kens und dessen Einflusses auf die Kunstinteressen seiner Zeit. Eben
diese Subjectivität der Beurtheilung aber, wenn ihr vielleicht einer-
seits ein den Gegenstand nicht völlig umfassendes Verständniss zum
Vorwurfe gemacht werden kann, hat andererseits doch immerhin das
Verdienst der Selbsständigkeit, und als solches verdient es selbst vor
dem strengsten Tribunale der Oeffentlichkeit anerkennende Würdi-
gung, um so mehr, wenn es aus der reinen Quelle der Ueberzeugung
geflossen, ungetrübt von Missgunst und Parteilichkeit.
Ständig 1.
Staudigl ist ein Mann, dessen Bekanntschaft alle Schichten
der Musikwelt durchdrungen; er selbst steht auf dem Höhepunkt sei-
nes musikalischen Wirkens. Er hat den Ausfluss seines Kunstver-
mögens auf die höchste Potenz seiner Kraft gebracht und seine
künstlerische Entfaltung ist als beendet zu betrachten. Da ihn die
Gegenwart nur auf die Erhaltung des gewonnenen Terrains verwie-
sen, er aber in der Zukunft seine Bestrebungen ausschliesslich dahin
richten muss, die Abnahme natürlicher, durch Kunstmittel zu ersetzen,
so dürfen wir sein Wirken für völlig abgeschlossen ansehen.
Wenn wir Staudigl's Stimme als solche einer Beurtheilung un-
terziehen wollen, so müssen wir einen Blick in die Vergangenheit
werfen. Wir wollen damit durchaus nicht gemeint haben, dass sie
Nan Intensität und Wohlklang so bedeutend eingebüsst habe, als dass
sie nicht noch jetzt eine strengere Beurtheilung aushielte; allein die
Experimente, welche er damit unternommen, haben den Charakter der-
selben so sehr verändert, dass Staudigl's Stimme von einst eine ganz
andere ist, als seine jetzige. Als er unter Duport's Theaterdirektion
aus dem Chorpersonale hervortrat, hatte seine Stimme den vollkom-
men ausgeprägten B a s s Charakter, der zwar nie zu der Mächtigkeit
seines Vorgängers Weinmüller hinaufreichte, oder den Silberklang
- der Stimme seines Mitstrebenden Pöck in sich fasste, aber immerhin
in Bezug auf Kraft und Tongleichheit zu den besseren Bassstimmen
gezählt werden konnte. Ein hervorstehender Zag von Staudigl's Cha-
rakter ist eine seltene Festigkeit des Willens und durch nichts zu
entntuthigende Beharrlichkeit. Sowie er sich ungeachtet seiner Kurz-
sichtigkeit zum ausgezeichneten Scheibenschützen und Billardspieler
forcirte, so zerrte er nun auch seine Stimme so lange in dem Pro-
krustes-Bett seines unbeugsamen Willens, bis sie zur Höhe des Te-
nor-a hinanreichtc. Leider aber musste sie dadurch an intensiver
Fülle einbüssen, was sie an extensiver Länge gewonnen. So aber
ist es gekommen , dass seine Stimme in der Folge in den unteren
Lagen den eigentlichen Bass-Charakter verlor, während sie in der
Höhe dennoch den weichen Tonschmelz eines Baritons vermissen Hess,
War durch diese Vorgänge der Verlust an Stimme für Staudigl
ein grosser, so tauschte er dafür doch eine so ausgebreitete Kennt-
nis» in der Behandlung seines eigenen Gesangsinstrumentes ein, wie
sie vielleicht kein Sänger von sich rühmen kann, sie je besessen zu
haben. Alle Künste des musikalischen Vortrages hat er vollkommen
in seiner Gewalt, in der willkürlichen Verlängerung desAthems dürfte
ihm wohl kein Sänger gleichkommen. Er weiss den Mangel an Tiefe
durch Surrogat-Töne so geschickt zu maskiren, dass sie nur ein auf-*
merksamer Zuhörer zu unterscheiden vermag; die Schwierigkeit
eines Trillers in der Tiefe kennt er nicht, so wie die Sicherheit, mit
welcher er Läufe und Sprünge ausführt, sprüchwörtlich geworden
ist. Auf gleicher Höhe der Vollkommenheit steht seine musikalische
Bildung überhaupt. Staudigl liest nicht nur vom Blatte mit einer
Zuverlässigkeit, die in dieser Beziehung die Idee der Unfehlbarkeit
versinnlicht; er überwindet dabei auch alle Schwierigkeiten der com-
plicirtestcn Intonation ; er fasst zugleich den musikalischen Charak-
ter des Tonstückes mit bewundernswerthem Scharfblick auf und
bringt ihn zu Gehör. Durch sein seltenes musikalisches Verständ-
niss hat er sich auch den Weg zu den innersten Geheimnissen des
musikalischen Ausdruckes gebahnt. Wenn die Poesie des Aus-
druckes in der Musik überhaupt denkbar, so besitzt sie Staudigl!
Wollte. man aus dem Gesagten jedoch den Schluss ziehen, dass
Staudigl überhaupt eine poetische Künstlernatur sei, so würde man
sich von der Wahrheit weit entfernen. In seiner Seele klingen nicht
die Eindrücke des Aussenlebens als Aeolsharfentöne wieder; ihm
fehlt die Elastizität des Gemüthcs, die poetischen Naturen eigentüm-
lich und durch welche sie sowohl Lust als Schmerz in sich aufneh-
men und sie wieder, gleichviel ob in Worten oder Thaten, aus-
hauchen.
Seinem Naturell liegt jede leidenschaftliche Erregung ferne, kalt
reflektirend behandelt er die Musik als abstraktes Studium. Aus
dem Gesagten aber geht hervor, dass Staudigl kein dramatischer
Sänger in der höheren Bedeutung des Wortes sein kann. Und er ist
es auch nicht. Seine Darstellung ist nicht durchgeistigt von einer
poetischen Intuition. Er fasst den darzustellenden Charakter Mos
vom Standpunkte des Verstandes auf und seine Darstellung ist das
• Resultat desselben , das Gemüth hat keinen Theil daran. Er kann
daher auch in den Momenten des Affektes durch die Künste des
musikalischen Vortrages blenden, rühren durch die eigene -Rührung,
hinreissen und begeistern durch die eigene Begeisterung kann er
nicht. Sein praktischer Blick, basirt auf sein musikalisches Ver-
ständniss, bewahrt ihn vor Missgriffen; nur wo die Sucht, sein Re-
pertoir nach allen Seiten hin zu vergrössern und Zu erweitern , ihn
verleitet, ganz aus seinem Genre herauszutreten und komische Par-
tieen wie den Leporello und Osmin in das Bereich seiner Darstellung
tH^C
zu ziehen, da wird er läppisch statt— komisch zu sein. Staudigl
hat einmal den Marcell in den Hugenotten Herrn Draxler überlassen
und dafür den Visconti gegeben, eine Partie, welche seine Vorläufe*
darin nie alpiner Geltung bringen kcamien, er aber excellirte damit
nicht BU^'S^raob dieselbe auch *u einer Bedeutung. Bas gewönne
liehe Publikum war damals über «eine dramatische Auffassung mu !
zückt und wusste die höchst gelungene Darstellung dieses Charak-
ters nicht genug zu preisen; und doch war es nicht diese, sondern
nur die Virtuosität des Sängers, seine musikalische Routine,
die in der Schwurscene die Effektmomente geschickt herauszustellen
und damit zu wirken verstand. Staudigl hat desshalb auch immer
nur unter den musikalischen Technikern seine unbedingten Ver-
ehrer gehabt; gerade jene, welchen der Mangel des poetischen Ele-
mentes in seinem Gesänge gar nicht fühlbar war, während ihnen hin-
gegen seine immense musikalische Technik imponirte. l>ass die Ver-
götterung aber eben auch nur so lange dauern kann, als die Kraft
und der Wohlklang seiner Stfmme im richtigen Verhältniss zu den
Künsten seines Vortrages stehen, beweist die Abnahme der Gunst
des Publikums, die sich in der letzteren Zeit bei dem Auftreten Stau-
digls augenfällig bemerkbar macht.
Man braucht eben kein grosser Psychologe zu sein, um aus dem
Gesagten den Schluss zu ziehen, dass ein Mann, der in seinem gan-
zen Leben sich ausschliesslich mit sich selbst beschäftigte und dem die
innersten Seiten des Gemüths nie erklungen bei seinem Kunstwirken,
auch ein Fremdling geblieben sei in der Beurtheilung fremder Kunst-
individualität und dass eine tiefer eingehende Würdigung von Kunst-
leistungen überhaupt niemals seine Sache gewesen sein kann. Wie
wenig daher Staudigl zum Opern-Regisseur und zuletzt sogar zum
Vizedirektor des Operntheaters getaugt, dies haben selbst seine blin-
den Verehrer eingesehen. Staud : gl ist überhaupt nie an seinem
Platze, wo es sich darum handelt, aus der Contemplation des eigenen
Produktionsvermögens heraus zu treten in die Objectivität gegenüber
fremden Kunstleistungen.
DIE KOMISCHE OPER IN FRANKREICH.
III.
„Le Pere Gaillard 11 von Reber.
In dem „P£re Gaillard" sehen wir uns in das französische Fa-
milienleben versetzt. Vater Gaillard ist Gastwirth und Dichter in
einem Dorfe der Normandie, dabei ein guter Ehemann und guter Va-
ter. Er liebt nicht blos von ganzem Herzen seine Pauline, sondern
auch den jungen Gervais , welchen ihm der Historiker Eude kurze
Zeit, bevor er starb, anvertraut hat. Obgleich erst 18 Jahre alt, ist
Gervais in Pauline, die noch einige Jahre weniger zählt, verliebt und
will sie heirathen. Vater Gaillard ist damit zufrieden, aber seine Frau
widersetzt sich, weil die Leutchen noch zu jung sind. Dass sie sich
selbst mit 15 Jahren verheirathet hat, wie ihr Vater Gaillard ins Ge-
dächtniss zurückruft, macht sie nicht williger und so wird denn die
Entscheidung bis auf die Eröffnung des Testaments von Eude (der
hier den Namen Mezeray führte) verschoben. Jaqucs, der Garcon
des Gastwirths, welcher mit Marotte, der Dienerin, einig ist, entschliesst
sich gleichfalls zu warten. Unterdessen langt ein alter einäugiger
betrunkener Capitän Orson mit seiner Frau und einem Procurator an.
Es sind Verwandte des Historikers, welche die Erbschaft, die ihnen,
wie sie glauben, zufallen wird, heben wollen. Mezeray aber, wel-
cher mit der Frau des Capitäns , Mad. Orson , seiner Cousine , in
früheren Zeiten ein Verhältniss hatte , dessen Frucht der junge Ger-
vais ist, hat aus Dankbarkeit den Vater Gaillard, den treuen Pfleger
und Beschützer seines Sohnes, zum Universalerben eingesetzt, und
die Testaments -Eröffnung, statt die Hoffnungen seiner Cousins zu
krönen, versetzt sie tn Wuth und Zorn. Was thun ? Der Procura-
tor weiss Rath. Die beiden Vetlern verabreden sich, den Vater Gail-
lard glauben zu machen, das» die ihm zugefallene Erbschaft die Be-
lohnung für gewisse Gefälligkeiten sei , welche seine Frau dem Ver-
storbenen erwiesen habe. Hier wird die Handlung ergreifend und die
Art und Weise, in welcher sich Francine rechtfertigt, ist einfach und
edel. Ein schriftliches Zeugniss, welches den wahren Thatbestand
enthält, kommt ihr zu Hülfe und das Ganze schliesst höchst befrie-
digend., ,
Der, Verfasser des Buches hat abwechselnd das Lachen und du
Interessö fcervorzueufen gewusst und die einzelnen Scenen sind treff»
lieh entwürfen und ausgeführt.
Der Componist Reber wird als einer der tüchtigsten Künstler
schon lange geschätzt. Seine Instrumental-Compositionen und seine
Lieder zeichnen sich durch ein ernsteres Streben, durch eine klassi-
sche Richtung vortheilhaft aus. In der vorliegenden Partitur offen-
bart sich derselbe Charakter seiner Musik. Die Chöre sind gut be-
handelt, ohne Anwendung der kleinlichen Kunst- und Effektmittel,
welche Instrumental-Componisten gewöhnlich anwenden, wenn «sie
Vocalsachen schreiben. Seine Instrumentation zeugt gleichfalls von
richtigem Geschmack ; nichts ist zu wenig, nichts zu viel, und doch
bringt es stets die beabsichtigte Wirkung hervor. Ohne grade be-
sonders originell oder pikant zu sein, ist Reber stets selbstständig,
seine Musik ist melodisch, seine Deklamation wahr und Alles ver-
räth den durch Erfahrung und Studien gebildeten Künstler. Nach
der Ouvertüre, in welcher eine Introduktion voller Grazie und Lieb-
lichkeit sowie ein herrliches Clarinettsolo hervortreten, eröffnet ein
Duo die Scene, welches als Trio endigt. Dasselbe trägt wie die fol-
gende Melodie : „Ma Francine , ma Pauline" , gesungen vom Vater
Gaillard, seiner Frau und Tochter, ganz den Charakter der älteren
Musik eines Monsigny und Gretry. Die Romanze von Gervais über
die höchste Glückseligkeit ist ein köstlicher Dialog voll Melancholie
und Wehmuth zwischen dem Sänger und obligatem Hörn. Die An-
kunft des Notars bildet die Hauptpartie des Finales im ersten Akt.
Die Behandlung von dessen Rolle im fugirten Styl ist eben so in-
teressant als effektvoll. Von Ensembles erwähnen wir noch ein, rei-
zendes Terzett in B-dur, ein Sextett und ein sehr schönes Terzett:
„Nous benissons son Souvenir." Meisterhaft behandelt ist der Chor,
welcher Vater Gaillard zu der Erbschaft Glück wünscht. Die Glanz-
punkte aber der Partitur sind die Romanze „ J'ai perdu mon bonheur",
eine jener Inspirationen , welche das kälteste Auditorium ergreifen
und erweichen, und eine kleine Piece, gesungen von Marotte an
Joseph, welcher sich weigert ihr Mann zu werden. Voller Zorn und
Verachtung und doch mit einem wunden Herzen ruft sie ihm zu :
„Expliquez vous, expliquez vous." Die musikalische Behandlung die-
ser Worte ist unübertrefflich und riss das Auditorium stets zu stür-
mischen Beifallsbezeugungen hin. Hierauf! folgt ein grosses Duo zwi-
schen Vater Gaillard und seiner Frau. Die Umwandlung des Zornes
in Lachen in der Partie der Letzteren ist geistreich ausgedrückt.
Nachdem die Explikationen erfolgt, die Heirathen beschlossen sind
und Vater Gaillard die Erbschaft angenommen hat, kommt ein Mu-
siker von Paris an, um sich mit dem Dichtcr-Gastwirth über die
Kunst, gut zu singen, zu unterhalten, Und das Ganze endigt mit
Chansons.
CORRESPONDENZEN.
AUS DRESDEN.
(30. Januar.)
Schon längst hätte ich gerne meine Berichte für Ihre, auch hier
mehr und mehr sich Bahn brechende Zeitung im neuen Jahre wieder
begonnen. Aber es ist in der That eine schwierige Aufgabe, zu be-
richten, wo es an Ereignissen fehlt, über die man mit gutem Ge-
wissen berichten könnte. Nicht als hätten wir während der seit
meinem letzten Berichte verflossenen sechs Wochen an Musik fühl-
baren Mangel gelitten 1 Zu einem so unglücklichen — man könnte
vielleicht auch sagen glücklichen Dasein bringt man's nun mitten im
civiusirten Deutschland, an einem Ort, der den Ruhm eines Sitzes
der Kunst seit undenklichen Zeiten beansprucht, einmal nicht. Aber
ich hab's leider noch nieht einmal so weit zubringen vermocht, wie
H. Heine, der in seiner jugendkräftigen Blüthczeit bekanntlich «in*
2T —
9
mal gesungen : „Mir träumt, ich war* der liebe Gott !" und Selbst
des Mangels an Conversationsstyl der sogenannten feinen Gesellschaft
muss ich mich anklagen. Da wird denn wohl dem verehrten Leser
einleuchten, dass ich gänzlich ausser Stande bin, „aus Nichts Etwas
zu machen", und nur der Gedanke vermag mich einigermassen zu
trösten, dass ich es hier mit soliden Leuten zu thun habe, denen an
diesem „aus Nichts Etwas machen" nicht sonderlich viel gelegen ist.
Mag die Weihnachtszeit an sich stets eine überwiegend unmu-
sikalische sein, sie hat sich diesmal zwiefach also bewährt, denn
selbst die Musikalienhändler wollen seit Jahren so geringer Geschäfte
als diesmal bei uns sich nicht entsinnen , und nur Ein freundlicher
musikalischer Stern leuchtete in die Dämmerung des Weihnachts-
abends hinein : eine sehr gelungene Gesanganfföhrung klassischer und
moderner Gesang-Compositioncn, womit die Feier der Christbeschee-
rung im hiesigen Blindeninstitut unter Leitung des dort seit Jah-
ren angestellten verdienten Gesanglehrers Carl Nöke , der unter den
berühmtesten Meistern Deutschlands, Italiens und Frankreichs erfolg-
reiche Studien gemacht, freundlich und erhebend eingeleitet zu wer-
den pflegt. — Aber auch der begonnene Carneval, der in diesem Jahre
überdies von kurzer Dauer, zeigte bis jetzt wenig Rührigkeit in mu-
sikalischer Beziehung. Die fremden Wundervögel, ohne Gleichniss:
die reisenden Virtuosen verschiedensten Alters und Herkommens, die
sonst auch bei uns diese Zeit, um etliche neue goldene oder silberne
Schwungfedern zu erbeuten, gar reichlich benutzten, seheinen uns
gänzlich unbeachtet zu lassen, und (sub rosa) für ein absonderliches
Unglück vermögen wir das kaum anzusehen. Freilich haben wir ei-'
nige Concerte gehabt, wohlthätige und nicht wohlthätige — eigent-
lich ist jedes Concert ein Wohlthätigkeitsconcert , insofern der Con-
certgeber wenigstens für sich die Wohlthat einer möglichst reichen
Einnahme beabsichtigt, wenn es auch sehr fraglich bleibt, ob damit
dem Publikum (und der Kunst) eine Wohlthat erwiesen wird. Aber
was nützt es den fernen Lesern , von ihnen spezielle Nachricht zu
empfangen, wenn sie nicht an sich und in rein künstlerischer Be-
ziehung von Interesse und Bedeutung sind? Ueberdies erstreckt sich
bei hiesigen Wohlthätigkeits-Concerten im engeren Sinne selten nur
die Wohlthätigkeit in Gestalt eines freien Entree auf die Vertreter
der Presse, und diese Negative, mag sie so Manchem auch unprak-
tisch und unpolitisch erscheinen, ist meist eine sehr positive Wohl-
that, indem sie die Presse der Verpflichtung einer Notiznahme von
nicht selten mittelmässigen und um so anspruchsvolleren Leistungen
überhebt.
Dass indess in einer Stadt wie Dresden das so oft laut gewor-
dene Desiderium nach grösseren Abonnementsconcerten , Symphonie-
soireen oder wie man sie sonst nennen will, unserer Kapelle immer
und immer wieder im pium desiderium bleibt ; dass dadurch gerade
Dresden hinter einer Anzahl anderer, selbst minder bedeutender
Städte zurücksteht , ist freilich ein nicht tief genug zu beklagender
Uebelstand, auf dessen scheinbare Verewigung eine Menge von Um-
ständen einwirken, deren spezielle Aufzählung ich mir heute erspa-
ren will. Ist doch selbst für jeden Winter das Zustandekommen ei-
nes kleinen Cyclus von Quartettakademien in Frage gestellt, für
welche wir hier in den weitberühmten Künstlern Lipinski und F. A.
Kummer die trefflichsten und gediegensten Stützen besitzen. Und
dass wir wirklich, wenn auch in bescheidenem Maasse, dieses Ge-
nusses uns zu erfreuen haben, ist die einzige musikalische Thatsache
von Bedeutung, die ich diesmal zu berichten vermag.
Gestern nämlich fand die erste dieser Quartettakademien, veran-
staltet von den beiden obengenannten ausgezeichneten Künstlern im
Verein mit den Kammermusikern Hüllweck und Göring (zweite Vio-
line und Bratsche) statt, und ein so ausserordentlich zahlreicher
Besuch, wie ich ihn selten bei diesen Soireen hier erlebt, liefert den
unzweideutigsten Beweis, wie sehr man hier wahre Kunstgenüsse zu
schätzen weiss. Ich gehöre — die geehrten Leser wissen das wohl
bereits und ich denke , es wird mir bei ihnen eben nicht schaden 1
— nicht zu den verhimmelnden und verzückten Enthusiasten, wie sie
gewisse Parteien in der modernen Kunstwelt allein brauchen zu kön-
nen meinen. Doch bei einer derartig vollendeten, in der That mei-
sterhaften Leistung, wie der gestrige Quartettabend, eben sowohl in
technischer, als in geistiger, wahrhaft künstlerischer Beziehung, na-
mentlich auch im ausgezeichnetsten Ensemble, nicht dem geringsten
Verdienst eines Quartetts, uns bot, ma'gs wohl erlaubt sein, einmal
in gelinden Enthusiasmus zu gerathen, und ich möchte es nicht als
facon de parter angesehen wissen» wen« ftfc die Ueberzengung aus-
spreche, dass die gestrige Leistung der genannten Künstler jetzt
schwerlich von irgend einem Quartettverein übertroffen wird. Wir
hörten zuerst Mozarts Meisterquartett In C-dur (Nro. 6, Op. 10) mit
der durch den jahrelangen theoretischen und in der That unfruchtba-
ren Streit über ein angeblich fehlendes b auch kritisch berühmt ge-
" Wordenen Introduction ; dann Beethoven's grossartiges Quatuor in £-
moll, Op. 59, und endlich Haydn's anmuthiges D-dur-Quartctt; Op. 6f»
Nr. 1 — nach der Pariser Ausgabe Nr. 63 ; in der neuen durch Li-
pinski besorgten und hier bei W. Paul vollständig erschienenen Cote-
lection Nr. 45. Den Lesern einer Musikzeitung gegenüber wäre es
Anmassung, über diese Werke noch aphoristische Andeutungen ge-
ben zu wollen, während zu einer umfassenden Analyse doch ein«
Correspnndenz natürlich keinen Raum bietet.
Unsere Oper zehrt von dem aufgespeicherten Vorrat!»; ho£
fentlich wird sie es sich angelegen sein lassen, denselben bald wieder
zu ergänzen und zu vermehren. Mit der „weissen Dame" beschloss
sie das alte Jahr, mit dem „Propheten" begann sie das neue; Ipfti-
genie, Templer, Jessonda, Stradella, Hugenotten, Regimentstochter»
folgten bis jetzt — Don Juan und die Vestalin stehen für die nächste
Zeit in Aussicht und werden insofern ein erneuertes Interresse er*
regen, als darin Frl. Louise Meyer von Cassel, nenengagirtes Mi*
glied unserer Bühne, auftreten wird, die in den letzten vierzehn Ta-
gen als Rebekka (Templer) , Jessonda und Valentine (Hugenotten)
hier debutirte. Man hat sich von der jungen Künstlerin , die ohne*
vorangegangenes Gastspiel hier, man sagt unter verhältnissmässig
sehr glänzenden Bedingungen, engagirt worden, grosse Erwartungen
gemacht. Diese sind (und die bisherigen Leistungen gestatten wohl
ein Urtheil) keineswegs befriedigt worden; als Prima-Donna assoluta
reicht Frl. Meyer für unsere Bühne nicht aus, während sie doch eine
bescheidene Stellung dem Vernehmen nach ernstlichst perhorrescirt»
obwohl das (später abgeschlossene) Engagement der Frl. Jenny Ney
unbedingt eine solche ihr anweisen muss. Frl. Meyer zeigt ein ern-
stes Streben, viel Bühnengewandtheit, ein sicher gerundetes, von gtt>
ten Intentionen getragenes, nur oft zu lebendiges Spiel j sie ist eine
anihuthige Erscheinung mit angenehmer Stimme, in der leicht an-
sprechenden und volnbilen höheren Sopranoctave und einer recht An-
sprechenden Manier* des Vortrages, die sie, wie so manche kleine
Koketterien und bestechende Nuancen desselben wirkungsvoll nnd mit
Umsicht anzubringen und geltend zu machen versteht. Aber «tili
Stimme ist für erste dramatische Partieen von zu geringer Intensität,
die tiefere Octave fast tonlos und so schwach , dass sie selbst beim
discretesten Accompagnement nicht durchzudringen vermag. Dies»
Ungleichheit der Stimme weist auf eine mangelhafte künstlerische
Ausbildung hin, die sich auch in häufig ungelenker Coloratur, stei»
fem Recitativvortrage , fehlerhafter Vocalisation , undeutlicher Aus-
sprache u. s. f. bemerklich macht, und wenn ihr nicht bald ernst-
liehst nachgeholfen wird, den frühen Ruin des Organs, den Unter»
gang eines an sich nicht unbedeutenden Talents unfehlbar bewirken
muss. Dass doch unsere modernen Sänger und Sängerinnen da»
praktische Studiren für eine gar zu unbedeutende Nebensache an-
sehen l Dass wir überdies so wenig gründlich gebildete Gesanglch*
rer besitzen, die mit hingebender Beachtung der Stimmeigenthümlich-
keit die gesunde und künstlerisch gediegene Ausbildung des Organs
zu überwachen und zu leiten verstehen! — Fr. Meyer hat übrigens
hier bei ihren Debüts eine freundliche und ehrenvolle Aufnahme ge-
funden — von komischen (oder ärgerlichen), zumTheil missglückten
extravaganten Bemühungen guter Freunde, getreuer Nachbarn u. dgL,
die nirgends leicht so übel angebracht sind, sehe ich natürlich ab —
ohne dass man über ihre Mängel sich verblendet hätte.
Auch in diesem Monat hat der Tod wiederum zwei der jüngeres
Mitglieder unserer Kapelle abgerufen : die Kammermusiker Uhlig
und Friedrich Schubert, deren erstes (ViolMnat) * m 3 *» *ere*
zweites (Gellist, Bruder unseres trefflichen Conc^rtnteistersSeliiiner^
am 20. Janaar starb.
*8
AUS BRAUNSCHWEIO.
(Kode JlUtttr.)
Die „Favoritin" ging hier am 21. Jan. zum ersten Male bei ge-
fülltem, Hause in Scene. Die Oper hat im Ganzen, sehr angespro-
chen, was aber wohl mehr an der vortrefflichen Durchführung der
Jlauptparthieen, die sich in den Händen der Herren Himftier (Fernand),
Kusch (König Alfonso) und des Frl. Wurst (Eleonore) befanden, ge-
legen haben mag, als an der Oper als solche betrachtet, die, freilich
«ein etwas besseres Erzeugniss der Donnizetti'schen Muse, doch des
Wunderbaren und Abenteuerlichen sowohl in Text als in Musik
»och genug enthalt, um einen Verehrer der wahren Kunst unan-
jgenehm zu berühren.
Von Frl. Sandvoss und Herrn Nusch, die sich anfangs nicht so
recht in die Gunst des Publikums setzen konnten, aus den vor Kur-
zem in diesen Blättern angeführten Gründen, haben wir zu melden,
dass sie dieselbe jetzt in ihren Leistungen entsprechendem Maasse
gemessen. Bei einer kürzlichen Auffährung der Lucia wurden Frl.
Sandvoss (Lucia) und Herr Himmer (Edgardo) mehre Male und ein-
mal sogar bei offener Scene gerufen. Ist Letzterer auch nicht ganz
von einigen unangenehmen Manieren im Gesang freizusprechen, die
weh ja mit ernstem Willen bald beseitigen lassen, so verdient sein
überaus feuriges und charakteristisches Spiel die vollste Anerkennung;
doch auch darin möchten wir ihm bisweilen etwas Mässigung wün-
schen. Das Zuviel, sowie ebenfalls das Zuwenig, berührt stets un-
angenehm, nur die rechte Mitte zwischen beiden ist immer des end-
lichen Siegs und Beifalls gewiss. Das von Hrn. Himmer Gesagte gilt
auch von Frl. Wurst, unserer Primadonna, die übrigens ein sehr
achätzenswerthes Mitglied unserer Oper ist. Wie wir mit Bedauern
erfahren haben, will dieselbe unsere Bühne verlassen und gedenkt
zu ihrem Abschiedsbenefiz die neue Oper der Mad. Schmezer „Otto
der Schütz" zu geben; wir werden dieselbe also vielleicht noch lau-
fenden Winter zu hören bekommen- Es ist erstaunlich, wie sehr
man sich anstrengt! Sollte Herr Abt, ein sehr kunstsinniger und
strebender Geist, den Schlendrian, in welchen unsere Oper nach und
nach verfallen war, ein wenig aufgerüttelt haben? Das wäre wahr-
lich ein grosses Verdienst, und damit die verschiedenartigen Hoff-
nungen, die sich an seinen Aufenthalt bei uns knüpfen, theilweise
schon gerechtfertigt. Mozart's „Requiem" wird er, wie es heisst, am
Charfreitag mit seiner Sing-Akademie zur Aufführung bringen.
Schliesslich sei noch des letzten Liedertafelconcerts gedacht, in
welchem Julius Otto's Composition für Männergesang und Orchester
„Im Walde" mit gewohnter Präcision aufgeführt wurde und in wel-
chem sich ausserdem ein Bassist des Herzogl. Hofchors, Herr Frei,
Acren liess, der in Mozarts Arie „In diesen heil'gen Hallen" am
Schluss bis zum Gontra-H hinabstieg und durch die Klangfülle dieses
durchaus nicht gequetschten Tons alle Zuhörer ins äusserste Erstau-
nen versetzte.
NACHRICHTEN.
Bonn» In diesem Winter fanden vier Abonnements-Concerte
statt. Unter Anderem wurden darin aufgeführt: Beethovens B-dur-
Sinfonie und Schumanns „Pilgerfahrt der Rose." An die Stelle des
Herrn Professor Bischof, des bisherigen Direktors des Beethoven-
Vereins, welcher nach Cöln übergesiedelt hat, ist Herr v. Wasie-
lewsky (als Dirigent des Gesang- Vereins Coucordia und als 1.
Vorgeiger hierher berufen) getreten.
Mit den hiesigen Theaterverhältnissen sieht es traurig aus. Zwei
Direktoren haben dabei Bankerott gemacht und die StoIIwerk'sche
Gesellschaft aus Cöln wie die Koblenzer Theater-Truppe, welche eine
kurze Zeit ihr Heil versuchten, hatten ebenfalls schlechte Einnahmen,
so dass sie den Versuch aufgaben. Nun soll das erst vor 3 bis 4
Jahren neuerbaute Haus wieder verkauft werden.
Der Componist Netzer hat der Direktion der Hofbühne drei neu
Opern eingereicht«
Leipzig. Wagner's Tannhäuser ist mit grossem Beifall aufge-
nommen worden.
Frau Marra-Vollmer ist aufs Neue auf 1 Jahr engagirt worden.
Breslau« Der „Fliegende Holländer" Ton Wagner wurde hier
nach der enthusiastischen Aufnahme des Tannhäuser aufgeführt, hat
aber weniger gefallen.
Paris« Freunde und Liebhaber der Harfe wurden in letzter Zeit
durch einige Matineen erfreut, welche bei Mess. Erard's stattfanden
und wobei neue Gompositionen für dieses Instrument ausgeführt wur-
den. Unter Anderem wurde ein grosses Quartett für 4 Harfen und
ein sehr effektvolles Duett aus den Hugenotten, beide von Hrn. Ober-
thür componirt, vorgetragen und erwarben sich lebhaften Beifall.
Die Ausführenden waren neben Hrn. Oberthür die HH. Wright, Bo-
leyne, Reeves und Trust.
— Die Italienische Oper hat zweimal „Don Juan" gegeben. Die
Cruvelli als Donna Anna und der Tenorist Calzolari als Octavio
zeichneten sich besonders aus, dagegen zeigte sich der Baritonist
Montemierle, von dessen Kunst so viel gefabelt worden war, seiner
Aufgabe nicht gewachsen. Nach diesen beiden Vorstellungen kehrte
man zu dem beliebten Repertoir „Norma" und „Somnambula" zurück,
— Die Societe" St. Cecile eultivirt in ihren Concerten gute Musik.
Ihre Programme bestehen grösstentheils aus Haydn, Mozart, Beethoven
und Weber.
M. Bohrer, Violoncellist aus Stuttgart, hat ein Goncert gegeben
und darin seinen Ruf auf das Glänzendste bewährt.
Mad. Stolz wird erwartet; sie befindet sich gegenwärtig in Lis-
sabon.
Venedig. Verdi hat schon wieder eine neue Oper, für das
Fenice-Theater bestimmt, in Arbeit. Sie heisst „Trovita", Text nach
Dumas, die Dame mit den Camellien.
Mailand. Verdi's „Rigoletto," welcher am 18. Januar in der
Scala zum ersten Male zur Aufführung kam, ist ziemlich kalt aufge-
nommen worden. Man findet, dass die neue Manier, in welcher
Verdi schreibt, eine Einschmuggelung des französischen und deut-
schen Styls ins Italienische sei und bedauert diese Verirrung. Der
glückliche Verdi , im Besitze dreier Style zu sein ! Auch in Genua
ist die Oper ohne Erfolg gegeben worden.
Liverpool. Ein Mr. Willis hat für die St.-Georges-Halle eine
riesige Orgel erbaut, deren Bälge durch eine Dampfmaschine getrie-
ben werden. Wohl die erste Anwendung der Dampfkraft auf Musik.
New York. Das Projekt einer neuen Italienischen Oper mit
den Damen Alboni und Sontag ist nicht zur Ausführung gekommen.
Statt dessen giebt jede dieser Sängerinnen eine Reihe Vorstellungen
in einem der gewöhnlichen Theater. Mad. Alboni hat vom 27.— 31
Dez. im Broadwaytheatre viermal die Cenerentola gesungen. Am 3.
Januar erschien sie als Regimentstochter. Die Preise der Plätze
sind seit ihrem Auftreten bedeutend erhöht worden. Mad. Sontag
beginnt ihre Vorstellungen am 10. Jan, im Niblotheatre mit der Re-
gimentstochter. Alle Plätze sind im Voraus genommen.
* Flotow's „Indra" wird in Hannover und. Frankfurt am Main
vorbereitet.
Berlin. Frl. Johanna Wagner tritt im Juni d. J, einen zeha-
monatlichen Urlaub an«
* Während die Hofbühnen in Wien und München unter der In-
tendanz Laube's und Dingelstädt's im vorigen Jahre Ueberschüsse er-
zielt haben, hat die Berliner Hofbühne ein Defizit von 80,000 Thlr.
gehabt.
VerwitwOTtlJeker ÄwUltenr: J« J. 8CB0TT. -DiMk.v«! REVIER* WALLAü In Malus.
2. Jährling.
Rfr« 8.
21. Februar 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
PREIS:
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43 oder Thlr. 1.
für den Jahrgang,
18 Sgr.
Durch die Post bezogen :
50 kr.
oder 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalt t Die komische Oper in Frankreich IV, — Musikleben in Schwerin I. — Gorresp. (Schweiz und Wien). — Nachrichten.
DIE KOMISCHE OPER III FRANKREICH.
IV.
„Marco Spada 1 * von Auber,
Auch in diesem Ruche lässt uns Scribc die Reise nach Italien
machen, um mit den Banditen, die seine geschäftige Phantasie stets
aufs Neue erzeugt, zusammen zu treffen. Der erste Akt spielt zu
Aibano in einem Schlosse des Barons von Torrida. Drei Personen
treten auf: Der Gouverneur von Rom, die Marquise San-Pie'tri, seine
Nichte, und ein Dragoner-Capitän. Sie haben sich verirrt und kom-
men zu dem Schlosse, um Gastfreundschaft während der einbrechen-
den Nacht zu erbitten. Sie läuten an allen Thoren, ohne dass sich
Jemand sehen lässt, bis es endlich gelingt, sich vernehmlich zu ma-
chen. Die Thüre öffnet sich und ein junges, schönes, dabei schüch-
ternes Mädchen erscheint, welches sich beeilt, den unbekannten Be-
suchern ein Unterkommen anzubieten. Angela, das junge Mädchen,
erfährt bald, dass sie den Gouverneur von Rom beherbergt und die-
ser, um sich dankbar zu zeigen, ladet sie zu dem Feste ein, welches
er morgen in seinem Palaste gibt. Angela ist darüber um so mehr
erfreut, als sie dort den Grafen Frdderici, den Erwählten ihres Her-
zens, finden wird. Unterdessen ist der Baron von Torrida zurückge-
kommen, seine Tochter, die ihn anbetet, unterrichtet ihn von den
anwesenden Gästen. Diese Gelegenheit, drei Opfer unter seiner
Hand zu haben, an denen er sich rächen kann — denn der Baron
v. Torrida und der gefürchtete Bandit Marco Spada sind eine Person —
will er sich nicht entschlüpfen lassen. Er trifft die nöthigen Vorbe-
reitungen, um sich seiner Gäste zu bemächtigen, während ihm die
arglose Angela von Frederici, ihrem Geliebten, erzählt und durch
ihre Bitten seine Einwilligung in ihre Verbindung zu erhalten sucht.
Er verspricht es ihr. Die von Marco Spada benachrichtigten Ban-
diten sind herbeigekommen und eben im Begriff, sich auf die Gäste
zu stürzen, um sie zu fesseln, als das Geräusch von Waffen und der
Schall von Hufschlägen hörbar wird. Eine Escadron Dragoner, von
FreMerici geführt, kommt des Weges. Der Gouverneur und seine Ge-
fährten, welche nichts von der Gefahr ahnten, in welcher sie schweb-
ten, sind gerettet. — Der zweite Akt führt uns nach Rom in den
Palast des Gouverneurs. Man singt, man tanzt, man plaudert. Der
Baron von Torrida mit seiner Tochter Angela, welche zugegen sind,
unterhalten sich trefflich, als sich das Gerücht verbreitet, Marco
Spada befinde sich unter den Gästen. Marco Spada fragt den Gou-
verneur: „Kennen Sie den Banditen?" — „Nein", antwortet dieser,
„aber ich habe einen Dominicaner in der Nähe, welcher einmal sein
Gefangener war; noch ehe Jemand den Salon verlassen kann, kommt
er und wird seinen Mann bald herausgefunden haben."
In der That erscheint der Vater Boromäus mit der Almosen-
büchse; er geht von einem Gaste zum andern, aber ohne den Ge-
suchten zu finden, denn dieser weiss sich auf geschickte Weise im-
mer hinter seinem Rücken zu halten. Endlich trifft er ihn zufällig,
als dieser mit seiner Tochter allein ist. „Marco Spada!" ruft er —
aber schon sitzt ihm eine Pistole an der Stirn, Wie sich denken
lässt, weicht Boromäus zurück, er muss durch eine Seitenthür das
Haus verlassen und fällt dabei in die Hände der Banditen.
Fre'denci, den Einige für den Banditen von Aibano gehalten ha-
ben, erscheint nun, vom Gouverneur begleitet, der ihn dem Baron v.
Torrida vorstellt. Da er der Tochter sicher zu sein glaubt, bittet er
den Baron ohne Weiteres um ihre Hand. Das arme Kind jedoch,
welches Zeuge der schrecklichen Scene zwischen ihrem Vater und
dem Dominicaner war, sagt jetzt nein — ohne dass ihr Liebhaber
dadurch besonders in Verzweiflung käme. Er hatte bisher hartnäckig
die ihm angebotene Hand der Marquise San-P&tri ausgeschlagen.
Die undankbare Angela verdient jetzt ein solches Opfer nicht mehr.
Er kehrt zur Marquise zurück. v
Der dritte Akt bringt uns endlich mitten in das Räuberleben
hinein. Marco Spada hat sich mit seiner Tochter in seine Höhle be-
geben, dem Zufluchtsort seiner Getreuen, Angela beweint ihr Un-
glück, aber — lieber unter Räubern leben, als den Vater verlassen. Sie
cntschliesst sich — eine zweite Marie — an der Spitze der Bande
zu marschiren. Die Liebe lässt sie aber nicht los. Der Dragoner-
Capitän Pepinelli und die Marquise San-Pie'tri werden als Gefangene
in die Höhle gebracht. Marco Spada erfindet ein treffliches Mittel,
um die Heirath zwischen dem Geliebten seiner Tochter und der Mar-
quise zu vereiteln: Letztere muss sich auf der Stelle von Boromäus,
der zum Glück noch da ist, mit dem Capitän, ihrem alten Anbeter,
verbinden lassen. Die Trauung ist aber kaum vorüber, als die Dra-
goner, welche zur Verfolgung der Banditen ausgesandt sind, heran-
kommen und die Ueberraschten angreifen. Nach kurzem Kampfe
werden die Banditen überwältigt, der Hauptmann selbst wird tödtlich
verwundet. Um ihn herum stehen sämmtliche Personen , vom Gou-
verneur bis zu dein Vater Boromäus, der gerade noch zur rechten
Zeit kommt, um ihm seinen Segen zu geben. Noch vor seinem Tode
aber legt er ein wichtiges Geständniss ab: Angela ist nicht seine
Tochter, sondern nur von ihm erzogen. Diese Lüge rettet sein Kind
vor der Schande und vor dem Elend, denn nun steht ihrer Verheirathung
mit Freddrici nichts mehr im Wege. Der grossherzige Bandit ent-
schläft nach diesem wohllhätigen Werke und — tout est fini !
Die Partitur des populären Meisters zu analysiren, würde zu viel
Raum wegnehmen, wir müssen uns begnügen, die bedeutendsten Num-
mern hervorzuheben.
Im Ganzen muss das Werk den glücklichen Schöpfungen Aubers
beigezählt werden und der Reichthum an musikalischen Ideen, wel-
cher sich darin findet, kann nur mit dem des „Fra Diavolo" oder der
„Stummen" verglichen werden.
Der erste Akt enthält 6 Nummern; eine Cavatine in G, gesungen
von Angela, welche mit einer Scene und einem Quartett von elegan-
ter Behandlung und melodischem Schwung verbunden ist. Hierauf
folgt eine Serenade in C mit einfachem graziösen Gesang, Zuerst
begleitet die Guitarre, später nimmt das Orchester das Motif auf.
Ein Duo für Sopran undBass ist sehr effektvoll, und dramatisch, vor
Allem entzückte das Allegro in demselben die Zuhörer. Ein kleines
Quartett in A zeichnet sich durch Zartheit und Geschmack aus. Die
Schlussscene mit Finale ist sehr schön gearbeitet und des Meisters
.würdig.
— 30 —
Der zweite Akt enthält 5 Nummern: eine Ariette in C von
prächtigem koketten Ausdruck; eine Scene, in welche die Verfasser
recht glücklich «ine Liebeserklärung in vier verschiedenen Sprachen
eingeflochten haben : der Russe singt in G-molI, der Engländer in
G-dur» der Italiener in B-dur, ebenso der Franzose. Die Combtnation
der Sprachen und des Gesanges sind geistreich, aber es bedurfte der
Phantasie und des Genies von Auber, um daraus so glückliche Ef-
fekte zu ziehen. Nach einem interessanten Chor folgt eine Arie des
Mönches in G-dur. Das Finale bildet eine Cavatine für Bass und
ein Trio.
In allen diesen Piccen sind die lieblichsten Motife enthalten
und lassen die Schöpferkraft des Componisten bewundern.
Der dritte Akt enthält wieder 6 Nummern; zuerst eine Canzo-
nette für Angela, welche mit den lieblichsten Wendungen endigt.
Dann eine syncopirte Arie in F-moll mit Begleitung des Chors , spi-
rituell und glänzend, eine wahre Perle des Werkes. Hierauf eine
Cavatine des Dominikaners in herrlichem imposanten Charakter und
mit einer Begleitung voller Poesie und Grösse. Die folgende Arie
für Angela ist etwas lang aber äusserst dankbar, besonders das Al-
legro. Mlle. Duprez feierte mit dieser Nummer einen Triumph.
Wie man sieht ist auch diese Partitur ein bedeutendes Werk und
verdient die allgemeine Beachtung der Opernfreunde.
MUSIKLEBEN IN SCHWERIN.
I. Die Oper«
Das Beste und Eigentümlichste, was an Musik geboten wird,
.concentrirt sich auch hier in der Oper, daher fangen wir mit ihr
an. Sehr bedeutend ist auch diese hier nicht, aber sie brachte uns
in letzterer Zeit doch manches Bemerkenswerte. Dahin rechne ich
den Tannhäuser von Wagner und Gluck's „Iphigenie in Tauris".
Erstere Oper wurde in der verflossenen Saison 7mal und in der
jetzigen bis dahin 2mal aufgeführt, woraus schon erhellt, dass sie
mit lebhaftem Beifalle aufgenommen ist. Dies ist erklärlich, wenn
man die Operci in neuester Zeit unbefangen betrachtet; und erfreu-
lich, weil Wagner auf besseren Wegen wandelt. Zwischen den ver-
schiedenen Antagonisten und den rückhaltlosen Bewunderern wird
es den in der Mitte Stehenden bis jetzt schwer, auf- und durchzu-
kommen, und sie thun auch wirklich am besten, den Lärm stillbe-
obachtend vorüberranschen zu lassen. Es wird sich hoffentlich bald
ein Urtheil über Wagner feststellen. Im Grunde bezweifelt Keiner,
dass der Text des Tannhäuser mindestens als Ganzes besser ist, als
die früheren Opern ; aber „hohe Poesie'* bietet er damit noch lange
nicht Eben so ist es mit der Musik: sie schwingt sich grade so
hoch, als der Text, und daher muss Jeder ihre innige Verschmelzung
mit den Worten empfinden, mag er imUebrigen darüber denken, wie
er will. Aber rein musikalische Schönheiten sind in ihr nicht ver-
borgen (kleine Phrasen abgerechnet), warum es auch sehr erklärlich
ist, wie Wagner die musikalische Schönheit an sich, sowie
sie in den unvergänglichen Mustern unserer Klassiker offenbart ist,
abstract und unlebendig findet (daher sein Ausdruck „absolute Mu-
sik"). Die Ermattung, welche die Gesammtheit der Zuhörer über-
kommt bei öfterem Anhören des Tannhäuser, ist wohl der deutlichste
Wink zum Verständnisse der musikalischen Dramatik Wagner's. Nur
möge Keiner verkennen, dass in Wagner's Opern etwas durchaus
Gesundes und Berechtigtes und daher der Gegenwart gegenüber not-
wendig Siegreiches vorhanden ist ; dies ist die Anlage seiner Werke
als Ganzes, der dramatische Gedanke, die nicht zufällige instmetive,
sondern bewusste und planvolle Charakteristik seiner Personen durch
das einheitliche Zusammenwirken von Gesang, Spiel, Orchester und
Dekoration, die lebendige Bewegung, die wirkliche Situation. Hierin
ruhen alle Vorzüge Wagner's und hierin ist das Lob begründet, wel-
ches seinem Streben gespendet werden muss. Weil diese Anschau-
ung über Wagner die vollste Unbefangenheit bewährt beim Anhören
seiner Werke und uns mit 4hm trotz seiner Irrungen in Frieden lo-
hen lässt, ja weil sie den Quellpunkt anzeigt, aus dem seiu Gutes und
Schlimmes entspringt, aus dem Wagner in seinen Tugenden und
Schwächen verstanden werden kann — so empfehle ich sie dem ge-
neigten Leser zu mehr als flüchtiger Beachtung. Es verschlägt nichts,
dass im Tannhäuser noch manche Verstösse gegen gesunde Dramatik
sich finden, denn im „Lohengrin" ist es in dieser Beziehung schon
besser. Freilich klingt dies anders, als was Lisst, Müller, die „N.
Ztschr. für Musik" u. A. veröffentlicht haben ; und doch, genau be-
sehen und die Phrasen von himmelhohem Genie und von Gold- und
Feuerkronen abgerechnet, schmilzt alles Lob dieser Verehrer auf
das eben hier Ausgesprochene zusammen. Die Liebe und Hingebung,
mit welcher diese Oper hier eingeübt und vorgetragen wurde, ver-
dient das vollste Lob und sie, verbunden mit besonderer Beliebtheit
des Hauptsängers und seiner Eingeübtheit in vielen anderen grossen
Parthien, halfen dieselbe Oper in Aufnahme bringen. Aber das Pu-
blikum that auch das Seine. Man hält hier den Tannhäuser für
ein „erbauliches**, also für ein christliches oder doch moralisches
Stück, für „eben so erbaulich als eine Predigt": daher der Zulauf
in unserer frommen Stadt. Wagner der „Pastor der Zukunft"! es
ist komisch, aber es ist einmal so. Wagner sagt hinsichtlich solcher
Ansprüche von seinem Tannhäuser oder von sich selbst: „Was war
im Grunde dieses Verlangen (Tannhäusers, d. h. Wagner's) Anders,
als die Sehnsucht der Liebe, und zwar der wirklichen, aus dem Bo-
den der vollsten Sinnlichkeit entkeimter Liebe, — nur einer Liebe,
die sich auf dem ekelhaften Boden der modernen Sinnlichkeit eben
nicht befriedigen konnte? — Wie albern müssen mir nun die in mo-
derner Lüderlichkcit geistreich gewordenen Kritiker vorkommen, die
meinem Tannhäuser eine spezifisch-christliche impotent verhimmelnde
Tendenz andichten wollen! Das Gedicht ihrer eigenen Unfähigkeit
erkennen sie einzig im Gedichte dessen, den sie eben nicht begrei-
fen können'* (drei Operndichtungen S. 83). Das ist nun zwar wie-
der ganz eigenthümlich niedrig gedacht und ausgedrückt, aber er hat
doch Recht. Tannhäuser ist im Venusberg , d. h. er führt ein lüder-
liches Leben. Endlich sehnt er sich nach Abwechslung, weil in ste-
tem Genüsse mit der Kraft die Lust geschwunden ist. Er will fort,
verspricht aber seiner holden Flamme, stets lüderlich bleiben zu
wollen, nur mit „Freiheit", und hierzu werde ihm die katholische
Maria helfen. Dieses seines neuen Evangeliums wegen geräth er
(im Sängerkriege auf der Wartburg) in Händel mit einer Welt, die
zwar trivial ist, aber doch noch nicht alle Feigenblätter abgeworfen
hat; ausgestossen von ihr, pilgert er zum heil. Vater (nach Rom);
dessen Fluch schleudert ihn wieder zurück bis an die Schwelle des
Venusberges — aber Elisabeth, das Weib, welches er in seinem Le-
ben der Freiheit liebte, hat für ihn gebetet , ist für ihn gestorben und
an ihrem Sarge stirbt auch er, d. h. geht mit ihr ein in ein Reich
rein sinnlicher, aber reiner und unendlicher Liebeswonne, wie Wag-
ner sagt. — Dies ist in Kürze das „erbauliche" neue Evangelium,
durch wclehes auch die Ouvertüre mindestens einen gedachten Zu-
sammenhang erhält. Ich wiederhole es: Wagner bietet viel Gutes,
wodurch er der dramatischen Kunst nützlich werden kann, besonders
in der versuchten charaktervollen Durchbildung seiner dramatischen
Persönlichkeiten; aber keine Partei und kein Gott wird verhüten
können, dass seine Werke nur von vorübergehendem Werthe und von
einer verhältnissmäsig sehr kurzen Lebensdauer sein werden.
Während der „Tannhäuser" nach sorgfältigster Vorbereitung vor
die Oeffentlichkeit trat, kam die Iphigenie in Tauris von Gluck
(von dem höchst wahrscheinlich noch nie in Mecklenburg eine Oper
aufgeführt ist), diese grosse Unbekannte für uns, ganz wie das erste
beste neue Stück hervor ; und obwohl sie auf Kundige einen unaus-
sprechlich erhebenden Eindruck machte, so stand doch die grosse
Menge solcher Reinheit, Einfachheit und Grösse verwirrt und gelang-
weilt gegenüber, einfach aus dem Grunde, weil sie von all dem noch
nie etwas gehört hatte. Ist es nicht sehr schimpflich — nicht für
die Menge, sondern- für die, welche ein solches Werk aufzuführen
beschliessen und anordnen, wenn dieses mit so vornehmer Bequem-
lichkeit geschieht, dass die meisten Theaterbesucher beim Lesen des
Namens Gluck fragen: „Ist wohl noch ein junger Mann, hat er schon
mehr componirt und wo lebt er?"— und nicht ebenfalls schimpflich,
durch die laue Aufnahme nach solcher Vorbereitung gleich denMutn
zu verlieren! Die Intendantur eines Hoftheaters ist schon als solche
vor den Launen des Publikums sicher gestellt; und einseitigen Nei-
gungen des Hofes kann sie wieder durch berechtigte Wunsche des
Publikums die Waage halten: sie wäre also in dieser MittelsteUung
grade der rechte Hort wahrer Kunst, wenn • üebet das
Orchester im folgenden Berichte.
— u —
COBHESPOlTOENZEN.
AUS DER SCHWEIZ.
(Ende Januar.)
Einen etwas höheren Standpunkt als in der Oper nimmt die Mu-
sik in den Concerten ein, welche während des Winters in allerlei
Orten, grossen und kleinen, gehalten werden. Die Orchesterwerke
kommen zwar meistentheils nur in schwachen Umrissen und oft ziem-
lich unkenntlich zur Aufführung, weil, wie schon gesagt, ausser in
Basel, die Orchester ganz zufällig entstehen, indem ihre Glieder von
den Herbstwinden zusammen geblasen werden, bei deren Wehen man
erst daran denkt, die Eunstfreuden des langweiligen Winters zu or-
ganisiren. Dagegen ist der virtuose Theil der Kapelle gar nicht übel
bestellt, indem auch die Schweiz manchen tüchtigen Pianisten, Vio-
linisten, Flötisten, Hornisten u. s. w. zum mächtigen Contingent der
Künstlerarmee von heute stellen könnte. Auch gesungen wird viel,
wiewohl minder virtuos, indem der vierstimmige Männergesang vor-
zugsweise und mit einer wahren Leidenschaft getrieben wird, obwohl
die schönen Stimmen zwischen Rhein, Jura und Alpen so dünn ge-
säet vorkommen, wie draussen ringsherum. Die meisten Orte haben
regelmässige Concerte aufzuweisen, aber nicht etwa blos Bern, Ba-
sel und Zürich, sondern auch St. Gallen, Winterthur u. a. Städte.
Von den reisenden Knnstnotabilitäten, den virtuosen Grössen und
Kleinheiten, werden aber neben Genf und Lausanne im Westen nur
jene Orte besucht. In Bern werden die Abonnements- Concerte von
Herrn MethfesseJ, dem Sohne des bekannten Componisten, in Zürich
von Herrn Alexander Müller, einem tüchtigen Pianisten, in St. Gallen
von Herrn Bogler dirigirt , welche , wie die meisten Künstler und
Kunstlehrer der Schweiz, Deutsche sind.
Tüchtige - Violinisten sind die HH. Eichberg in Genf, Mascheick
in Lausanne — dessen 14jähriger Sohn Ernst jetzt in mehreren
Schweizerstädten gleichfalls schon mit grosser Bogengcwandtheit auf-
trat — , Heisterhagen in Zürich; als tüchtige Pianisten sind noch in
letzterem Orte Herr Baumgartner (Schüler Müllers), der sich neuer-
dings auch in Compositionen versucht, in Genf Herr Adler aus Wien,
in Winterthur Herr Kirchner aus Leipzig, zugleich Virtuos auf der
Orgel und als Componist bekannt, zu nennen.
Von grösseren Aufführungen dieses Winters waren in Genf:
Rossini's „Stabat mater", in Zürich : Händel' s „Messias" , in St. Gal-
len: die ganze Oper „Jessonda'' (vom Dileltantenchorverein Frohsinn).
Das Stabat kam auf Veranlasuung der Herren Bettanchon und Du-
bouret zu Stande, welcher Letztere die Tenorsolo's übernommen
hatte; der Chor wie die übrigen Solostimmen waren mit Dilettanten
besetzt. Die Magdalenenkirche war der wohlgewählte Ort der Auf-
führung. Bei einer Wiederholung brachte man auch — seltene Ge-
richte für das durch und durch französische Publikum! — einen Theil
von Mendelssohn's Lobgesang und eine Arie aus dem Messias. Eben
so neu war ein Quartett von R. Schumann, das man im ersten Con-
certe des Künstlervereins spielte. — Der „Messias" in Zürich, in
einem der Abonnementsconcerte vorgetragen , gerieth , namentlich in
den Tutti's , sehr wohl j nur Schade, dass man ihn in dem niedrigen
Concertsaale der Kasinogesellschaft geben musste l Die Chöre waren
kräftig, volltönend und sicher. Ausserdem brachten die dortigen
Abonnementsconcerte Symphonieen von Spohr, Mozart (beide aus
Es-dur) und Beethoven (B-dur), welche letztere jedoch verunglückte.
Die „Frühlingsphantasie" von Niels-Gäde, die mehr ein Orchester-
stück mit Begleitung der Gesangstimmen , als eine Cantate ist, liess
mit ihren Längen und Breiten kalt. — Ausserdem gaben in Genf
Hr. Eichberg und seine Freunde seit Kurzem Quartette, worin ältere
und neuere Meister vorkommen , nachdem Ernst dort im Sommer
Furore gemacht hat. — In Zürich ist auch die blinde Sängerin Frl.
Knopp aufgetreten.
Richard Wagner, der körperlich sehr leidend ist, gedenkt näch-
stens nach Paris zu gehen. Er hat den Text zu einer neuen deutsch-
mythischen Oper kürzlich beendigt.
Ueber die Oper mehr das nächste Mal. Im letzten Berichte bitte
ich statt Stichon — Pichon, statt Zwicher — Zwicker zu lesen,
AUS Will.
(Ende Januar.)
Es ist doch wahrhaftig ein trauriges Bild, wenn man so
sieht in das Am eisentreiben des Concertisten - Schwarmes , wie sie
auf dem öffentlichen Markte die Wenigkeit ihrer künstlerischen Ber
deutsamkeit dem Publikum anbieten. Diese Kleinigkeitssorgen, dies*
armselige Wichtigthuerei, dieses ängstliche Sollicitiren um die Stirn?
men und Sümmchen der Öffentlichkeit, gepaart mit der dünkelhafter
sten Anmassung, dies lächerliche Kokettiren mit dem Geschmack
oder besser mit der Geschmacklosigkeit der Menge, diese erbärmlichen
Triumphe, welche oft von ein Paar tüchtigen Fäusten gewonnener
Claqueurs bereitot werden! — Sind dies die Künstler, belebt ven
dem göttlichen Hauche der Kunst? Innere Kunst, welche die Seele
hoch erhebt über die irdische Misere, und die Fantasie beflügelt «MS.
kühnen Ideenfluge, welche den bunten Schleier aus Tönen gewoben
hinbreitet über den Jammer und die Noth des Lebens, welche den
Schmerz mildert und die Thräne trocknet, welche das Herz mit Wo»»*
erfüllt, dass es aufjauchzt in Freude ? Nein, dies sind keine
Künstler, es sind eben Geschäftsleute, die statt in Tuch und Wolle»
Geschäfte in — Concerten machen. Ihre Kunst aber ist nur ein
Geschäft. Von Wien holen sie sich Empfehlungsbriefe, um Klein»
handel in Provinzstädten zu treiben, oder ein grösseres Unternehmern
in Hamburg, Frankfurt, Paris oder London zu entriren!
Von diesem Gesichtspunkte aus lässt sich auch der grösste Theil
unserer Concerte nur beurtheilen, und selten erscheinen in der Fluth
der Saison einzelne helle Punkte, welche sich erheben über dieses
Geschäftstreiben und über die Flachheit des Dilettantismus, diese
Wenigen aber müssen den wahren Kunstfreund entschädigen für die
vielen vergeudeten Stunden, die er im Concertsaale hingebracht, ü|
der Hoffnung — Musik zu hören! — •
Das neue Jahr brachte bis heute wieder eine so grosse Menge
von Concerten, Akademieen, Soirees, öffentliche und Privat-Musik>
Aufführungen , Kinderproduktionen etc. , dass es wohl verzeihlich»
wenn der Berichterstatter mehre unerwähnt lässt, und zwar aus dem
einfachen Grunde , weil er sie gar nicht besuchte. Die Kunst wirf
dabei wohl nichts verHeren, der Leser aber offenbar nnr gewinnen.
Der bekannte Ciavierspieler und Componist mehrer beliebten
Salonpiecen für Pianoforte, Herr Wilhelm Kühe, gab drei besuchte
Concerte, in welchen er viel Beifall einerntete. Ausser einer Menge
mehr oder minder bedeutender Salonpiecen trug er auch Mendels-
sohns G-moll- Concert, dieses durch geistreiche Conception und Ideen-
fülle, sowie durch eine seltene Formvollendung ausgezeichnete Werk.
vor, Herr Kühe spielte dieses und alles andere mit anerkennen»-
werther Fertigkeit und Reinheit, mit Geschmack und Eleganz, mit
Bravour und Virtuosität , so dass man ihn in Bezug auf die Form
unbedingt den besseren Clavierspielern der Gegenwart zuzählen kann.
In geistiger Beziehung, d. h. als schaffender Künstler in seinem
Spiele, wo Geist und Gemüth in der Tiefe des Gefühles, in der Kraft
des Ausdrucks sich abspiegelt, da gelang es ihm weniger die Sym-
pathieen des urteilsfähigen Publikums zu wecken. Kühe als Com»
ponist zeigt in diesem Salon-Genre geläuterten Geschmack, er kennt
die Effekte seines Instrumentes, weiss sie mit Geschick zu benützen
und hat so viel Fantasie, um in melodischer Hinsicht aufs Ohr and
wohl auch mitunter aufs Gemüth zu wirken.
Ein zweiter Pianist, Herr Door, trat vor das Forum der Oeffent-
lichkeit, nachdem er früher in einem sogenannten Privat -Concert
vor einiger Zeit die Stimmung des Publikums sondirt hatte. Aach,
er zeigte eine nicht gewöhnliche Ausbildung in der Behandlung seines
Instruments, ja er leistete noch mehr, indem er bei dem Vortrage
eines Quartetts von Pixis, eine Composition im ernsteren Style, be-
müht war, in den Geist des Tondichters einzudringen. Da aber der-
lei Tonstücke bei der Menge nicht jenen lauten Anklang finde»,
der einem Clavierspieler wünschenswert!» erscheint, so trug Herr
Door dem Zeitgeiste auch damit Rechnung, dass er moderne Salon-
piecen brachte, diese aber verfehlten natürlich ihre Wirkung nicht,
und er musste die Concert-Polka von Wallace Wiederhelen. In sei-
nem Concerte errang sich auch Herr Radwanner durch den Vertrag
eines Preyer'schen Liedes rauschenden Beifall, den seine schöne,
metallreiche Stimme , wäre sie mehr gebildet» im hohen Grade
verdiente.
- a» —
TTm das Trifolium der' Ciaviervirtuosen voll zu machen, muss ich
auch das Privat-Concert der Flu. Lukaseder erwähnen. Es ist diese
Dame kein Neuling mehr auf den heissen Brettern der Privat-Con-
cert©, schon vor mehren Jahren hatte sie sich eben so wie jetzt in
Streichens Salon dem Privat-Concert-Publikum, und zwar unter vie-
lem Beifalle vorgeführt. Auch sie opferte einen schwarzen Hahn
auf dem Altar durch die Produktion des HnmmeFschen E-dur Trio,
um die Kritik für sich zu stimmen; dann aber spielte sie allsogleich
die Triller-Etude von Schulhoff, die D-dor-Etude von Henselt, ein
ditto von Prudent und endlich ein ditto von Willmers, um das Ver-
säumte gewissenhaft einzubringen, mit diesen griff sie natürlich auch
durch, so dass sie Eines davon sogar wiederholen musste. Fräulein
Lukaseder spielt diese Sachen ganz charmant. Bei diesem Goncerte
hörten wir auch die liebenswürdige Dilettantin Frl. Nejebse. Die
Stimme ist nicht gross, aber das Mädchen hat Gefühl und Poesie im
Gesänge und gehört daher in dieser Beziehung zu den cose rare in
unseren Concerten.
Der französische Violinist Herr Horace Poussard gab zwei Con-
eerte, allein in beiden zeigte er nur, dass die Violine am wenigsten
das Instrument sei, bei dessen Behandlung man blos mit technischer
Fertigkeit ausreicht. Ihm fehlt ein grosser Ton, um ein grosser
Violinspieler zu sein, es fehlt ihm aber überdiess noch an Wärme,
Empfindung, Gefühl, um auch nur einen kleinen Künstler auf der
Geige vorzustellen. Seine Compositionen sind ein Conglomerat von
Passagen aller Gattung, vom künstlerischen Standpunkte aus —
werthlos.
Von grösserem Erfolge begleitet war das Concert des Herrn
Joseph Walter, Violinspieler aus München. Er spielte Concertstücke
von Paganini, Vieuxtemps und Artot mit vieler Bravour, reiner In-
tonation und kräftigem Tone. Vor Allem lobenswerth ist seine
durchweg edle Bogenführung und sein Vortrag der Cantilenen. Wien
ist in Bezug auf Beurtheilung von Violinspielern massgebend; ist es
doch seit langen Jahren her in dem Besitze eines reichen Kranzes
der ausgezeichnetsten Violinspicler, daher ein verdienter Beifall um
so ehrenvoller.
Der bekannte Liedersänger Stigelli veranstaltete ganz beschei-
den ein Privat-Concert in dem sehr bescheidenen Schubert-Salon. Er
sang einige Lieder von Schubert und von eigener Composition. Hat
auch seine Stimme bedeutend an Tonfrische und Klangfülle verloren,
so reichten doch seine Stimmmittel immer noch hin, um mit gewissen
Liedern reussiren zu können. Schade, dass sein Gesang zu manier»
irt, nicht der natürliche Ausfluss einer poetischen Auffassung ist.
Nicht der Klang allein, nein der Gesang überhaupt entbehrt aller na-
türlichen Frische. Seine Auffassung ist einseitig und somit sein
Vortrag, ungeachtet er den denkenden Künstler erweist, nicht nach-
ahmungswürdig.
Ehe ich von der Revue dieser leichten Concerüruppen zur Wür-
digung der beiden Concerts spirituels übergehe, die, glänzende Sterne
am heurigen Concerthimmel, alle andern überstrahlen, nuiss ich noch
über das Concert des Ciavierspielers Edler von Schickh berichten,
welches in gewisser Beziehung zu den interessantesten gehört. Schon
die Annonce an den Strassenecken lässt jeden Denkenden nicht lange
im Zweifel , w a s er von dem Concertgeber zu erwarten habe. Da
heisst es: „Concert des Pianisten Michael Edler von Schickh, Doctor
»ed. und chir. und Mitglied der med. Fakultät in Wien, Heidelbergs
Bern und der phil. Gesellschaft zu London und Edinburg. " — Der
Mann, der sich in solcher Weise als Concertgeber annoncirt, kann
kein Künstler sein, diese Ueberzeugung muss sich Jedem aufdrän*
gen. Es ist jetzt 12 Jahre, dass Herr v. Schickh in Wien ein Con-
cert veranstaltete. Man glaubte damals, der missglückte Versuch
werde ihm alles Concertgeben für immer verleiden, allein nichts
desto weniger gibt derselbe heute wieder ein Concert und — mit
demselben Erfolge wie damals. Ein geistreicher Kritiker schrieb
über ihn vor 12 Jahren beiläufig folgendes : „Als Spieler fehlt
ihm die Deutlichkeit, so wie es ihm nicht minder an Kraft und Ener-
gie fehlt, die Symetrie in seinem Spiele ist oft verlezt, ein tieferer
Eindruck selten zu vernehmen. Als Componist glaube ich Hrn.
v. Schickh alles Talent absprechen zu müssen, denn weder in des
Gedanken, noch in der Form, noch selbst in der technischen Be-
handlung des Instrumentes ist mir irgend etwas aufgestossen , das
neu, geschweige denn originell genannt werden kann." — Das Ge-
sagte ist auch als Beurtheilung seiner jetzigen Leistung zu wieder-
holen, und findet darauf seine Anwendung. Herr Hardtmuth sang
in den Zwischennummern zwei Lieder von Schubert. Stimme, Sen-
timents und Affektation können blasirten Weibern gefallen, machen
aber noch lange keinen Schubertsänger aus!
(Schluss folgt)
NACHRICHTE1.
Hannover* Carl Formes trat hier im letzten Concerte unter
grossem Beifall auf. Nach Beendigung seines Gastspiels in Hamburg,
welches auf 12 Rollen ausgedehnt worden ist, wird er hier und in
Bremen noch einige Male auftreten und dann nach Berlin gehen, wo
er vor seiner Abreise nach London (Mitte März) noch eine Reihe
von Vorstellungen geben wird.
Hamburg« Im vierten philharmonischen Concert wurde ein
symphonistisches Concert für grosses Orchester mit Piano von Will-
mers executirt. Der Componist spielte die Piano-Partie selbst.
Berlin. Die Oper brachte von neueinstudirten Werken neben
Spontini's „Olympia", Auber's „Feensee", welcher seit 12 Jahren
nicht gegeben worden war, da bei dem Brande des Opernhauses die
Dekorationen und Costume zu Grunde gingen.
— Th. Milanollo spielte am 14. Jan. zum letzten Male.
Königsberg. Vor Kurzem fand die erste Aufführung der neuen
Oper von Sobolewski : „Das Lied als Verräther" statt.
Leipzig. Der Magistrat hat dem Theater-Direktor die Erlaub-
niss zur Errichtung eines Sommertheaters ertheilt. Der Besitzer
eines vor der Stadt gelegenen Vergnügungsortes (Tivoli) hat die Her-
stellung einer passenden mit Glas bedeckten Lokalität auf eigene Ko-
sten übernommen.
PariSi Die Ope"ra comique ist ausserordentlich thätig. Sie
brachte in jüngster Zeit wieder 3 Novitäten : „Le Miroir von Gasti-
nel", „L'Auberge pleine" von Adam und „Les Noces de Jeanette"
von Masse*.
Unter den zahllosen Concerten der letzten 14 Tage sind die be-
deutendsten die von Frl. W. Clauss, Vieuxtemps und Sivori. In
einer Soiree von Ferd. Hiller sang die jetzige Mad. de Brok (ehe-
mals Frau Schröder-Devrient).
Eine neue Eründung von einem Baier Namens Carl Deininger
macht Aufsehen. Durch eine eigentümliche Behandlung des Holzes
besonders der Saiten -Instrumente mittelst chemischer Präparate soll
die Resonanzfähigkeit desselben bedeutend erhöht werden, so dass
gewöhnliche Geigen von 6 Frc. an Werth hierdurch an Güte Instru-
menten für 300 Fr. gleichkämen. Das Conservatorium hat derartige
Instrumente prüfen lassen und die betreffende Commission ein sehr
günstiges ürtheil gefällt. Auch auf Piano's soll die Erfindung an-
wendbar sein.
London. Ueber den Wagner'schen Prozess schreibt die Engl
Correspondenz: Der halbvergessene Prozess Lumley contra Gye
(Gerant des Coventgarden Theatre) wegen Joh. Wagner kam nach
der gesetzlichen Vertagung am 4. Feb. vor dem Gerichte der Queen»
Bench wieder zur Verhandlung. Es wurde aber noch nichts ent-
schieden und der Prozess wird möglicherweise so lange dauern wie
der Kampf um die Griechische Helena, wird aber schwerlich so in-
teressant werden, um einen Homer zu begeistern, wenngleich es nicht
an einigen Episoden fehlen wird, da die Advokaten beider Parteien
beinahe alle möglichen Geschichten von contractbrüchigen Sängern
und Tänzern zu Gunsten ihre s Playdoyer sammeln.
Verantwortlicher Rriaktetr: t. J. SCHOTT. - Bmk «» MNTER* WALLAU I» Hau«.
2. Jahrang.
UTr. 9.
28. Februar 1863.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Dies« Zeitung ericheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Mniik- and Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT <% CO.
PREIS:
II. 2. 43 «der Thlr. 1. 18 8*t.
rar den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. tder IS Sgr. per Quartal.
Inhalts Literarische». Neuere Werke zur Musikwissenschaft I, — Gorresp. ("Wien und Berlin). — Nachrichten,
UTERARISCHES.
NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT.
Allgemeine Theorie der Musik« auf den Rhytmus der Klang-
wellenpulse gegründet und durch genaue Versinnlichungsmittcl
erläutert. Ein Lehrbuch für höhere Bildungsanstalten sowie zum
Selbstunterrichte für Freunde der Akustik und Tonkunst. Von
F. W. Opelt, königl. sächs. Geh. Finanzrath. Mit 3 lith. Ta-
feln. Leipzig, J. Ambr. Barth. 1852. Preis 1 Rthlr. 10 Sgr.
VIII. & 80 S. gr. 4. In 159 §§.
Gehen wir ohne weitere Vorrede in diese Theorie ein. Bis §.
50 sind wir noch immer ausschliesslich im Bereiche physikalischer
Untersuchungen, erst in §. 51 tauchen zum ersten Male Notenköpf-
chen auf in dem weiten Meere der Wellentheorie. Dass darin auch
nicht der geringste Tadel begründet sein soll, wollen wir hier aus-
drücklich sagen ; vielmehr hat dieses Physikalische auch hier seinen
Werth, es ist belehrend und unterhaltend, weil der Herr Verfasser es
verstanden hat, dasselbe in verständlicher klarer Weise auseinander
zu legen. Ein §., der auch an sich ausser dem Zusammenhange ver-
ständlich und werthvoll ist, möge dies veranschaulichen.
„§. 13. In der Regel sind es feste oder starre Körper, welche
man zur Verstärkung des Klanges anwendet; dass aber auch die Luft
hierzu benutzt werden kann, lehrt ein von Stramford Raffter aus Ost-
indien mitgebrachtes Instrument, Gender genannt. Nach Wheatstone's
Beschreibung besteht solches aus 11 Metallplatten, die in den am
leichtesten entstehenden Schwingungsknoten mit 2 Löchern durchbohrt
und durch diese gezogene Fäden horizontal aufgehangen sind. Unter
jeder Platte steht ein auf den Ton der letzteren gestimmtes vertikales
Bambusrohr, was beliebig mit einem Deckel verschlossen oder geöff-
net werden kann. Bei gedeckten Röhren geben nun die mit einem
kleinen Klöppel angeschlagenen Platten nur einen schwachen und
rauhen Ton, bei geöffneten aber einen sehr wohlklingenden, welcher
offenbar von den in den Röhren befindlichen Luftsäulen herrührt.
Auch lässt sich die Resonanz mittelst guter Schallleiter in beträcht-
lichen Entfernungen vom klangerregenden Körper hervorrufen. Wenn
man z. II. auf den Resonanzboden eines im unteren Theile eines
Gebäudes stehenden Pianoforte einen Metallstab senkrecht aufsetzt,
welcher bis in die oberen Stockwerke reicht, und dort mit dem Re-
'aonanzboden eines anderen Instrumentes in Verbindung gebracht
-wird, so wird die auf jenem Instrumente gespielte Musik durch den
Stab auf dieses obere Instrument übergetragen , so dass die Musik
ans diesem Instrumente zu kommen scheint, wie Wheatstone beob-
achtet hat. Pellisov spannte zu anderem Zwecke die sämmtlichen
Saiten seines Pianoforte an eine Mauer auf, versah sie mit einer
dieser Aufspannung entsprechenden Claviatur und führte vom Stege
ans durch die Mauer einen Stab von Fichtenholz, welchen er mit dem
im Nebenzimmer stehenden Resonanzboden verband. Während nun
der Spieler selbst nur ein leises kaum vernehmliches Geräusch hörte,
erschienen die gespielten Melodien dem Zuhörer im Nebenzimmer
sehr deutlich und rein. Diese und andere Beobachtungen zeigen, dass
durch eine geeignete Verbindung tonerregender und resonanzfähiger
Körper die Klänge bedeutend verstärkt werden können, indem dadurch
gleichsam das Instrument selbst vielfach vergrössert wird. Pellisov
erzählt, dass der Boden des Chores der Studienkirche in München
durch eine Bretterbühne etwa um 1 Fuss höher gemacht worden sei:
dadurch soll sich die Wirkung des Gontrabasses auf eine ausgezeich-
nete Weise verstärkt haben , und der Staub auf dieser Bühne soll,
sobald der Contrabass gespielt wird, sich sogleich zn Klangfiguren)
formen , und zwar selbst dann , wenn das ganze Chor mit Menschen
angefüllt ist." S. 4.
Das Alles ist gewiss sehr interessant. Und die ganze Darstel*
lung der Gesetzmässigkeit, wie sie in dem sog. Materiellen der
Tonwelt sich offenbart, ist entschieden von Werth. Nur vermag ich
darin nicht zu erkennen, was der Titel verspricht; wie man denn
auch überzeugt sein muss, dass selbst die genaueste Erforschung
dieser physikalischen Phänomene eben so wenig das innerste Leben
der Töne zu erklären vermag, als auf dem Gebiete der Naturwissen-
schaft der Materialist den Lebensgeist, die „Seele" der Organismen,
Darum hätte der Verfasser wohlgcthan, die durch die Sache selbst
gegebene Beschränkung auf dem Titel anzudeuten. Schon an dem,
was §. 52 und sodann in weiterer Erörterung §. 62 über das Moll
gesagt wird, ist nur zu sehr geeignet, die geringe Tragweite, oder
wenn man will, den Mangel dieser physikalischen Gesetze zum Be-
wußtsein zu bringen; denn wenn hier über die Molltonleiter nur ge-
sagt wird: „die Mollscala nimmt man aufsteigend anders als abstei-
gend; sie gehört schon unter die künstlichen Tonfolgen, deren un-
zählige möglich sind und deren Einrichtung durch kein besonderes
Gesetz beschränkt wird" u. s. w. — so leuchtet hier die Armuth
dieser Gesetze doch zu grell hervor.
Die Untersuchungen über die Klangpulse bilden den Mittelpunkt
dieser Schrift, und was der Verfasser aus ihnen unmittelbar ableitet,
ist das Wcrthvollste derselben. In diesen Klangpulsen treten die
„rhytmischen Systeme" hervor; die Hauptsache geben wir mit des
Hrn. Verfassers eigenen Worten : „Die blosse Angabe, dass Tonver»
bindungen wohlgefällig seien, wenn die Pulsmengen der vereinigten
Töne in einem einfachen Zahlenverhältnisse ständen, konnte freilich
nicht ganz befriedigen, weil man nicht einzusehen vermochte, warum,
blosse einfache Zahlenverhältnisse auch im Gebiete des Gefühles
Wohlgefallen erzeugen sollten, da doch grade im Gegentheil das Ge-
fühl sich gehemmt findet, wenn der Verstand rechnen will, jenes das
Angenehme der musikalischen Accorde schon empfindet, ehe dieser
ein Zahlenvcrhältniss zu beurtheilen vermag. Das Dunkel versehwin-
det aber*sogleich , wenn man nur einen Schritt weiter geht und die
PulsverhsJtnisse (Vibrationen) nicht sowohl als Ziffern, sondern viel-
mehr als blosse Zeichen rhytmischer Pulsgruppen ansieht : es sind-
nicht jene Zahlen, was das Gefühl wohlgefällig findet, sondern die
rhytmischen Gliederungen, welche ans der Vereinigung von
Pulsreihen entstehen, deren Geschwindigkeitsverhältnisse jene Zahlen
für den Verstand angeben. Das Gefühl rechnet nien^ es zählt aber,
■tt 3 ii"!P
■3- l
und zwar so weit , als es ohne den Begriff Zahl geschehen kann ;
was über dieses Zählvermögen des Gefühls hinausgeht (das Unrhyt-
mischc Gestalt- oder Bildlosc) , wird ihm unverständlich , unharmo-
nisch und da« Irrationale liegt ganz ausserhalb seiner Ötfenzea" |§.
58), Diese Ithyfmen sind die auf 2 Und 3 beruhenden, auch noch*
flie auf 5; völlig aufregend wirkt das 7-th eilige Mass ; unverständlich
sind 11, 13, 17 u. s. w. (§. 54). Dies ist ein sicheres und glänzen-
des Resultat, auf guten, auf vollkommen wissenschaftlichen Wegen
erreicht, und in sich von Bedeutung. Um so mehr bedaure ich, das4
sich der Verfasser der Schrankeu seines Verfahrens nicht bewusst
ist ; denn er meint (§. 58) : „Aus dieser Hypothese lässt sich das
Wesen der Musik ungezwungen nach allen Richtungen erklä-
ren; insbesondere wird wenigstens darüber, ob der Octav, Quinte,
Quarte u. s. w. bei völliger Reinheit nothwendig die Pulsverhältnisse
i » I , I u. s. w. zukommen müssen , durchaus kein Zweifel weiter
obwalten können. Auch der verschiedene Charakter von Dur und
Moll erhellt hieraus: in Dur haben nämlich die charakteristischen
grossen Terzen den ruhigeren Rhytmus |, während die charakteristi-
schen kleinen Terzen in Moll den weniger leicht verständlichen Rhyt-
mus f haben (§. 62). Es dürfte in der That kaum einem Zweifel
weiter unterliegen, dass das Störende oder Angenehme in dem Ge-
räusche, (dem) einzelnen Klange und in den Tonverbindungen von
der nämlichen Ursache abhängt, welche uns blosse zählbare Puls-
folgen störend oder angenehm erscheinen lässt, von einem uns inwoh-
henden Geföhlstacte, einem Verlangen nach Gleichgewicht, Ebenmaas
und Rhytmus. Je mehr der äussere Eindruck mit diesem inneren
Verlangen in Widerspruch tritt , desto grösser muss die Aufregung
sein und umgekehrt."
Das also wäre eine „Erklärung" vom „Wesen der Musik"??
Ganz abgesehen davon , dass dann die Musik auf einer „Hypothese"
ruhete, so wird man dieser Deduction erst dann glauben, wenn sich
die Logik umkehrt und bestimmt, fortan solle das Wesen, der Geist,
also das geistige Grundwesen einer Erscheinung in dem Materiellen,
dem Niederen und Nebensächlichen begründet sein. Jetzt sind wir
Gottlob noch nicht dahin.
Gern und freudig die Bedeutung des Theiles von des Verfassers
Untersuchungen anerkennend , durch welchen es ihm gelungen ist,
nicht blos (wie bisher) physikalisch, sondern wirklich musikalisch
(d. h. aus dem in der Musik wirksamen und gesetzgebenden Gefühle
heraus) zu erklären , „ dass die Musik vom einzelnen Klange an bis
zum vollendetsten Tongebäude (nach ihrer sinnlichen Seite) einzig auf
dem Rhytmus in der Klangwellenbewegung beruht" (§. 132) — ver-
mag ich ihm aber nicht beizustimmen , wenn er die Kraft dieses Er-
gebnisses durch zu weite Verallgemeinerung wieder verflüchtigt. Ich
bitte den Verfasser, einmal zu erwägen, ob seine werthvolle Arbeit
nicht bedeutend gewönne, wenn er sie „musikalische Akustik" beti-
telt und gleich am Eingange damit begonnen hätte, die Eigentüm-
lichkeit musikalischer Akustik aus der allgemeinen oder physikali-
schen abzuleiten und dann wissenschaftlich genau davon zu scheiden.
Die Theorie der Klangwellenpulse würde hierzu die beste Handhabe
bieten; wie ich denn auch glaube, dass es verdienstlicher ist, Physik
und Musik auf klare, natürliche Weise auseinanderzusetzen, als auf
angewandter Physik das Wesen der Tonkunst gründen zu, wollen. ")
CORRESPONDENZEN.
Der grosse Mangel in allen solchen Werken, wie das eben be-
sprochene, sobald sie ihre Grenze überschreiten, ist der, dass sie
die Geschichte der Tonkunst unberücksichtigt lassen, und es hier-
nach den Anschein gewinnt, als ob unsere Kunst gar keine Geschichte,
mit anderen Worten: kein Leben habe. Hier tritt in einiger Bezie-
hung das in dem nächsten Artikel zu besprechende Werk ein»
*) Des Verfasser ausgedehnte Untersuchungen über die 12- und
19-stufige temporirte Scala besprechen wir hier nicht weiter, weisen
aber darauf hin, „weil sie durch die Anregung, welche sie geben,
höchst belehrend sind» Stehlin meint freilich : „Es war von jeher
ein unnützes Streben, die Töne wie eine geometrische Figur abmes-
sen zu, wollen." (S, 15.)
'.* ^*
(En|# J«Hr.)
(Schluss).
Untr n«n komme ich zu der Besprechung der beiden Concerts
spirituels, welche bis jetzt die Glanzpunkte der heurigen Concert-
Saisou bildeten und wohl schwerlich von einer anderen Kunstleistung
werden übertreffen werden.
In der hiesigen „Musikalischen Zeitung" stand bei Gelegenheit
der Ankündigung dieser Spirituel-Concerle ein Aufsatz, welcher das
musikalische Publikum mit der Entstehung dieser Concerte in Wien
und mit ihren im Laufe der Zeit verschiedenen Veranstaltungen be-
kannt macht, am Schlüsse aber die Beschuldigung ausspricht, dass
der hiesige Musikverein, welcher für seine Mitglieder „Gesellscaafts-
Concerte" zu geben verpflichtet ist, auf Kosten derselben diese
Splrituel -Concerte veranstalte und durch Usnrpirung des früher so
berühmten Namens — Geschäfte machen wolle. Ohne diesem
Vorwurfe geradezu beizupflichten, noch überhaupt zu untersuchen,
in wie weit er gegründet sei, drängte sich doch mir selbst und ich
glaube jedem Unbefangenen, der diese Ankündigung las, die Frage
auf: Waium nennt der Musikverein eben diese Concerte —
Spirituelle und warum nicht eben so alle Anderen ? Sind aber die
Gesellschafts-Concerte des Vereins weniger s p i r i t u e 1 , als jene ,
dann dürfte sich meines Erachtens das leitende Comite bei den Ver-
einsmitgliedern dadurch eben nicht sehr insinuirt haben, schon dess-
halb, weil sie bei den Letzteren den Eintritt frei haben, während
die Vereinsmitglieder zu den Spirituel-Concerten keine Freikarten er-
halten. Ucbrigens dem sei nun , wie ihm wolle , das musikalische
Publikum verdankt diesem Vereins-Comite-Beschluss einen seltenen
Kunstgenuss, zu welchem es sonst wohl nimmer gekommen wäre;
ein zweites und fürwahr nicht geringeres Verdienst erwarb sich die-
ses Comite* aber noch dadurch , dass es die musikalische Leitung
der Spirituels bei Erkrankung des artistischen Vercinsdirektors Hrn.
Hellmesberger jun. dem beim Verein angestellten Gesanglehrer Hrn.
Ferd. Stegmayer übergab. Freilich wohl kam das Vereins-Comite"
zu diesem Verdienste ganz unbewusst; denn das schon vor Jah*
ren anerkannte eminente Direktions-Talent des Hrn. Stegmayer und
sein verdienstliches Wirken als Capellmeister in Prag , Leipzig und
Hamburg war den Herren Dilettanten unbekannt und seine ausge-
zeichneten Leistungen als Chormeister des Wiener „Männer-Gesang-
Vereins" konnte ihre Zweifel, ob er auch ein grosses Orchester eben
so zu leiten verstünde, wie einen Chor von Sängern, nicht ganz nie-
derkämpfen; da sich aber für den Moment unter den Herren Dilettan-
ten und Vereins-Professoren gar keiner fand, der auch nur einige
Garantien für eine entsprechende Leitung von Spirituel-Concerten ge-
boten hätte, so wollte man einstweilen bis zur Genesung des Herrn
Hellmesberger mit Hrn. Stegmayer den Versuch wagen. Auf welche
Weise aber rechtfertigte dieser das in ihn gesetzte Vertrauen? Seit
der geniale Direktor der philharmonischen Concerte, Otto Nicolai,
welchem wir das geläuterte Verständniss der Beethoven'schen Mei-
sterwerke verdanken, seinen Dirigentenstab für immer niederlegte,
hat ihn keiner seiner Nachfolger bis auf Stegmayer erreicht; dieser
aber hat ihn nicht nur erreicht, er hat ihn uns auch vollkommen —
ersetzt. Ja, ich stelle Stegmayer in musikal. kritisch-beurtheilender
Beziehung noch über Nicolai, so wie er diesem gegenüber jedenfalls
schon desshalb im Vortheile ist, weil er durch sein einnehmendes,
gewinnendes Benehmen die Sympathiecn der seiner Leitung unterste-
henden Künstler hervorzurufen versteht« was bei der Leidenschaft-
lichkeit Nicolai' s eben nicht der Fall war.
Das erste Spirituel-Concert brachte uns vor Allem Beethovens»
„Eroica", dieses Meisterwerk der Instrumental-Musik, dessen Aus-
führung wenig zu wünschen übrig Hess, dieses Wenige aber wieder
in reichem Masse durch ganz neue Effekte vergalt, welche der Diri-
gent dieser grossartigen Tonschöpfung abgewann, die ein unerschöpf-
licher Born dem denkenden Musiker noch viele verborgene Glanz-
momente zur Benützung darbietet.
Ausser dieser Symphonie kam noch Gluck's Ouvertüre zur.
„Iphigenie", vom Orchester in vollendeter Weise ausgeführt, dann
aar
Mozart'S Clavier-Concert in D-moil, voh Hrn. Dachs ganz im Sinne
und Geiste der klassischen Musik gespielt, und ein geistliches Lied
von Beethoven, von Hrn. Ander leider nicht mit jener geistigen Auf-
fassung gesungen, die man von einem so kunstgebildeten Sänger er-
wartete, zur Aufführung»
Im zweiten Spirituel-Concerte hörten wir die Ouvertüre zur
Oper „Semiramis" von Catel, eine Tenor- Arie ausGluck's „Iphigenie
auf Tauris" und Mendelssohn's Symphonie-Cantate „Lobgesang".
Die Aufgabe, welche man sich durch die Aufführung dieses Mei-
sterwerkes Mendelssohns setzte, war eben keine geringe. Es bietet
diese Symphonie-Cantate in ihrer Form durch die Vereinigung des
Vocale mit dem Instrumentale grosse Schwierigkeiten, abgesehen da-
von, dass schon die Versinnlichung der Idee, welche in einer episch-
dramatischen Form sich einkleidet, eine besonders schwierige ist.
Die Ausführung aber war von Seite des Orchesters sowie des Chors
eine durch und durch künstlerisch vollendete, durchgeistigte. Und
hier inus das seltene Talent des Dirigenten bewundert werden, der
jede noch so feine Nuance zur Gellung brachte, jede Schattirung
hervorzuheben, den verwickeltsten Tonknäuel mit sicherer Hand zu
entwirren, kurz dieses schwierig auszuführende Werk in allen seinen
Einzelnheiten zum vollen Verständniss und zur allgemeinen Anerken-
nung zu bringen verstand. Schade dass die Soli, repräsentirt durch
Hrn. Erl, Frl. Tiefensee und einer Vereinsschülerin in ihrem Vor-
trage nicht gleichen Schritt mit den Ensemble-Leistungen halten konn-
ten. Hr. Erl Hess es an einem tieferen Eingehen in den Geist der
Composition fehlen, Frl. Tiefensee aber mangelte noch ausserdem
eine frische, klangkräftige Stimme. Glücklicher bewegte sich Herr
Erl in der Gluck'schen Arie. Die Aufführung der Ouvertüre von
Cätel aber war eine in allen Theilen vortreffliche.
Dass der Besuch ein sehr zahlreicher und der Vereins - Saal die
sich zudrängenden Zuhörer nicht zu fassen vermochte, der Beifall
aber ein allgemeiner, andauernder war, ist nach dem Vorgesagten
leicht begreiflich.
AUS BERLIN.
(15. Fubruar.)
Die ersten anderthalb Monate des Jahres haben uns eine grosse
Fülle musikalischer Ereignisse gebracht und sind doch in gewisser
Beziehung arm daran gewesen. Das „Woher?" dieses Räthsels ist
unschwerer gelöst. Es beruht darin, dass sich das Aehnliche unge-
mein oft wiederholt, und wenn gleich stets von ausgezeichnetem In-
teresse, doch immer nur ein und dasselbe war. So gab uns Therese
Milan ollo aliein 11 Concerte, worin sie das Ausserordentliche ihres
Talents immer wieder neu bewährte; die Sinfonie-Soireen, die
zur Weihnachtszeit lange unterbrochen gewesen, wiederholen sich
von Woche zu Woche , und in der Oper gab man uns Aelteres,
wenngleich meist Werthvolles oder unvergänglich Classisches. Im
Uebrigen einige Virtuosen-Concerte von mittlerer Bedeutung. Dies die
General-Karte der letzten Musikereignisse; aus der Spezial -Karte
derselben haben wir das Nachstehende herauszuholen und zu charak-
terisiren. Die grosse Oper, die immer den Mittelpunkt unseres Mu-
siklebens einnimmt, brachte uns von alten klassischen Opern zu-
nächst Alceste, Iphigenie in Aulis, erstere durch die Darstel-
lung der Frau K ö s t e r auch in dieser Hinsicht ein hervorragendes
Werk , letztere war durch den Verein unserer beiden grösten Ta-
lente aaf dem Gebiete des heroisch-dramatischen Gesanges, indem
Frl. Wagner als „Klyt&mnestra", Frau Kösterals „Iphigenie", jede
in ihrer Sphäre, die eine das Grossartigste, Erschütterndste, die an-
dere das Liebliche, Hinreissende gaben. Don Juan, Figaro, Fi-
del io sind uns auch in diesem Jahre gelreu geblieben; Meyerbeer
ist in den Hugenotten und Robert der Teufel, hier wie fast auf
allen Bühnen ein unerlässlicher Bestandtheil des Repertoirs, nnd der
Freischutz, die Krondiamanten, Gapuleti und Montechi,
Martha, die Regimentstochter und einige andere bildeten die
Ergänzungstruppen. Aach in diesem Repertoir finden sich die Ein-
gangs gedachten Gegensätze; es ist reich und doch arm. Denn es
bietet, nicht blos für diese sechs Wochen, sondern seit Jahr und
Tag, nichts Neues dar. Es ist, als ob alle schöpferischen Kräfte
Deutschlands ruhten ; denn das fabrikmäßige Machwerk der Mittel
mässigkeit, die blosse Geldspecnlation der Componisten kann da«*
nicht entschädigen. *). In Ermangelung des Neuen würde denn fft
letzter Woche etwas Altes hervorgesucht nnd nen ansstaffirt : 4e#
F e e n s e e von Auber, den man schon vor 13 Jahren mit ungemein
ner Pracht gegeben. Aber die jetzige Ausstattung abersteigt dift
frühere noch bei weitem an Glanz und Schönheit. Und hätte ich
nicht an eine Musik -Zeitung, sondern, an eine Ballet- oder Ma-
lerei-Zeitung zu berichten, so würde ich Ihnen viele Spalten damit
füllen. So sage ich Ihnen nur, dass es ein Wunderwerk ffir'a
Auge, wenn auch ein ziemlich gleichgültiges, wiewohl nicht ohne
leichten Reiz und Geschicklichkeitsvcrdienst füVs O h r ist. Eigent-
lich ein Ballet mit gesungenen Pantomimen 1
Die Sinfoniesoireen unter Kapellmeister Tauberts Leitung bleiben
fortdauernd der Gipfelpunkt unserer musikalischen Leistungen, und
der Mittelpunkt aller höheren Musik-Interessen. Der erste Cyclo»
derselben, sechs Abende, ist nun vollendet. Für den zweiten sinÄ
noch die besten Bissen, wenn das unedle Gleichniss gestattet werde»
darf, aufgespart. Becthoven's A-dur- und C-moll-Sinfonie , vielleicht
auch die neunte; ferner die drei Leonoren-Ouverturen, des Interesse»
halber zusammengestellt; einige wundervolle, wenig gekannte Bal-
letnummern von Gluck; Mozarl's grosse B-dur-Sinfonie u. s. w. ' —
Von neueren Werken, an welche das dort versammelte Publikum
sehr schwer geht, ist nur Mendelssohn's A-molI-Sinfbnie und Gade's
Ouvertüre (caledonische Erinnerungen) zu nennen; Beide nur mit
dem Erfolg der Achtung gehört. Diese Hörer sind, wie der Berliner
scherzend sagt, zu exclusiv; die Mehrzahl will eigentlich nur
Beethoven, wenigstens erhalten uur seine Sinfonien stürmischem
Beifall. Doch allmälig fängt an der Sinn für Haydn's feine Mei-
sterschaft, für seine Beherrschung des Ganzen wieder geöffneter zu
werden. Im Uebrigen ist die Versammlung so intolerant, dass nicht
einmal der Dirigent, dem man wegen der Meisterschaft ini Einst«-
diren und Dirigiren die höchste Achtung und Liebe zollt, es wagt»
eine Ouvertüre oder Sinfonie eigener Arbeit aufzuführen , weil das
Publikum sie kalt aufnimmt, Einzelne vielleicht sogar (von einem
unwürdigen Kabalenmacher rede ich nicht einmal) Zeichen der Miss-
billigung geben würden; und doch hat Taubert sehr schätzbare, itt
der Instruraentirung namentlich vortreffliche Arbeiten geliefert!
Legt der Musiker, zumal für die Dauer, den Schwerpunkt un-
serer musikalischen Genüsse und Leistungen in die Sinfonien, so hat
doch das Publikum, und nicht mit Unrecht, diesmal seine Entschei-
dung auf ein anderes Gebiet verpflanzt. Es ist die mit einem ein-
zelnen Worte nicht zu bezeichnende, unnachahmlich reizende, stets
sich in den reinsten und feinsten Linien des Schönen begegnend«
Virtuosität Therese M i 1 a n o 1 1 o's , die Täusende nnd immer wieder
Tausende angelockt und entzückt hat. Ihr Correspondent bekennt
sich sehr gerne zu einer Einheit dieser tausendfältigen Multiplika-
tion. Es ist was Eigenes um die ächte Schönheit. Sie weiss sich
in allen Formen zu offenbaren. Es kann nicht leicht Jemand ge-
ben, der von der modernen Virtuosität so fastidirt ist, als Ihr gegen-
wärtiger Briefschreiber. Und doch war er durch den Zauber dieses
Spiels immer neu gefesselt und hatte immer Lust nach mehr; ver-
säumte, wo nicht nnübersteiglichc Hindernisse eintraten, kein ein-
ziges Concert: und Alles dies, während fast alle andere, selbst sehr
anerkennenswerlhe Virtuosität ihm nach wenigen Minuten nur noch,
eine Gattung menschlichen Empfindens erregt — Langeweile. Unter
dem halben Tausend musikalischer Notabilitäten , die er im Laufe,
eines Vierteljahrhunderts und darüber kennen gelernt, ist aber noch
kein halbes Dutzend, welches diese höchste Linie, diesen Gipfel der
Gipfel erreichte, wobei das Virtuosenlhum die tiefe Gewalt ächter
Kunst, sei es nach den verschiedensten Richtungen, übt Fünf
Individuen haben diese begeisternde Macht, die ober das Wohlgefal-
len und Staune^ hinausging , auf ihn geübt. Im Gesang Nannetto
Schechner (vor 25 Jahren) und Jenny Lind; auf dem Pianoforte
Lisst; auf der Violine Paganini und Therese Milanollo,; jede
der Genannten in ganz verschiedener Weise. Nannette Schechner
durch die gewaltige Macht des Organs, von der edelsten Leidenschaft
durchglüht und getragen ; Jenny Lind durch eine wahrhaft heiligende
Hoheit und zugleich die technische Vollendung auf dem höchsten
*) Richard Wagner hat seinen „Tannhansct" zurückgezogen. —
Flotow's „Indra" wird erwartet.
36 —
Gipfel; Paganini «ad Lisst, einander am nächsten verwandt, durch
die wunderbarste Romantik und eine düstere , dämonische Gewalt ;
endlich die letzte Künstlerin, Therese MilanoHo, durch den umspin-
sendeten Zauber der Reinheit und Zartheit, völlig der Gegensatz
Paganini's ; er der Dämon, sie der E n g e 1 des Violinspiels $ sie
am nächsten der genannten Jenny Lind verwandt, doch diese noch
in ungleich bedeutungsvollerer Sphäre schwebend, und unter den fünf
Anserwählten sie entschieden die allseitig grösste Künstlerin. — Das
meine Bekenntnisse 1
Es ist noch so manches Andre sehr Schätzenswerthe bei uns den
alten gewohnten Tritt gegangen; allein in dieser Beziehung würde
nein Bericht von Januar und Februar ziemlich identisch mit denen
über alle anderen Winter-Concerte ausfallen. Zimmermann hat seine
edlen classischen Quartettabende so fleissig fortgesetzt, als es in dem
Strudel der täglichen Ereignisse möglich war. Die Seidel-Grünwald-
achen Soireen für gemischte Kammermusik haben uns jüngst wieder
durch einen sehr schönen Abend erfreut. Die Concerte des Dom-
chors sind so überfällt geblieben wie zu Anfang und brachten uns
-viel würdige alte Musikstücke zur Kenntniss, von Lotti, Palästina,
Caldara, Leo, Hasse, und neuere Meister, Mendelssohn, Bortnianski,
u. s. w. — Die Sing - Akademie hat den Messias gegeben, und gibt
Morgen die Jahreszeiten. Vielleicht ihr Schwanengesang, denn die-
sem Institut ist leider der Untergang nah! Verkehrte Statuten, Ka-
balen von sehr hoher Seite her, Intriguen von anderer Seite, philister-
hafter Sinn, einseitigste Beurtheilungen, Alles scheint sich verschwo-
ren zu haben, bei der bevorstehenden Wahl eines neuen Fuhrers dem
Institut den Untergang zu bereiten ! — Die einzige Combination , die
dasselbe wieder zu einem ernsten, frischen Aufschwung bringen könnte,
wäre die Coordinirung des jetzigen, musikalisch ganz braven, aber
in anderer Beziehung weniger geeigneten Dirigenten, Mus. Dir. Grell
mit dem Kapellmeister Tanbert, dessen Persönlichkeit, vereinigt mit
seinem Directionstalent, bald einen neuen Schwung erzeugen würde.
Grell würde dann das Prinzip der Stetigkeit, Taubert das des Fort-
schritts vertreten. Indess ist an diese Combination, wie die Elemente
einmal liegen, kaum noch zu denken. Während dessen bereitet der
Stern'sche Verein eine Aufführung nach der andern vor, und ehe
vir es ahnen wird einst das so ernst angelegte und treu gepflegte In-
stitut Fasch's und Zelters in sich zusammenstürzen.
Ich möchte nicht gern mit dieser Dissonanz schliessen, allein
was soll ich Ihnen noch sagen? Dass unsere zweiten Theater das
ganze Repertoir der komischen Oper des vorigen Jahrzehends exploi-
tiren und es abnutzen, während das königliche Thea'er unter seiner
Masse von Aufgaben erliegt ? — Dass unsere Salon-Orchester vor-
trefflich sind, namentlich das Engel'sche bei Kroll, und uns Sinfonien,
Ouvertüren, Concerte für alle Instrumente in Menge darbieten? —
JSfun das wäre wenigstens eine C o n sonanz zum Schluss , wenn ich
auch das Beste vornweg gegeben. — Im nächsten Bericht hoffe ich
Ihnen denn doch auch einmal von etwas Neuem sprechen zu kön-
nen 1 Rellstab.
NACHRICHTEN.
Frankfurt« Indra, das neueste Kind Flotows, wurde hier be-
reits mehrere Male gegeben. Trotz der aufgebotenen Effektmittel in
Instrumentation und Dekoration steht sie der Martha an Lebendig-
keit und Frische sowohl der Handlung als der Musik bei Weitem
nach und die enthusiastische Aufnahme, welche dieses Werk in
"Wien gefunden, lässt sich deshalb nicht wohl erklären. An musika-
lischen Erscheinungen von einiger Bedeutung ist dieser Winter sehr
arm. Wir sind auf einheimische Kräfte und Institute angewiesen:
die Museums-Concerte, die Quartettabende des Violinisten Wolff, die
Soirees musicales des Pianisten Rosenhain, welche allerdings recht
Erfreuliches bieten und den Concerten herumziehender Virtuosen
durchaus vorgezogen werden müssen, aber unser an stimulirende
Büttel gewöhntes Publikum nicht recht in Bewegung zu bringen im
Stande sind. Der Cäcilien - Verein bereitet das Oratorium „David*
von Klein vor.
London. Mad. Pleyel hat ihr erstes Concert gegeben. Ihr Pro-
gramm war zusammengesetzt aus Mendelssohn (Quatuor in G-moll),
Liszt, Beethoven, Thalberg. Gegenwärtig ist sie auf einem Ausflug
in die Provinzen begriffen.
— Die Schwierigkeiten, welche sich der Wiedereröffnung von
Her Majesty's Theatre entgegenstellen, sollen endlich gehoben wor-
den sein. Von neuen Opern, welche in der bevorstehenden Saison
zur Aufführung kommen sollen, wird Benvenuto Cellini von Berlioz
genannt.
Marseille« Ernst gab hier zwei sehr besuchte Concerte.
Ausserdem spielte derselbe in Draguignan und Nizza.
Berlin. Die Kroll'sche Oper bereitet vor „Geborgt," Operette
von H. Marschner. Ein Monodram von H. Truhn, für Johanna Wag-
ner componirt, wird nächstens zur Aufführung kommen. Es führt
den abenteuerlichen Titel : Cleopatra, in ihrem Palast gefangen , ent-
zieht sich Octaviens Triumphzug durch freiwilligen Tod. — Meyer-
beer ist von Paris zurückgekommen.
Cöln. Die Oper macht trotz der Anstrengungen des Direktors
Spiclberger kein rechtes Glück.
Wien. Der Pianist Dreyschock ist hier und wird ein Concert
geben. Wie es heisst fänden Unterhandlungen mit dem Sächsischen
Hofe statt, um die Lösung des von der Sängerin J. Ney abgeschlos-
senen Contracts zu bewirken. — Die italienische Oper wird mit der
Semiramis von Rossini eröffnet werden. Ihr folgen die Märtyrer von
Donizetti, Cenerentola und l'Italiana in Algeri. Engagirt sind die Da-
men Medori, Maray und Demeric.
Breslau. Am 10. Jan. gab der bekannte Organist Ad. Hesse
in der neuen Evangelischen Kirche ein Orgel-Concerf. Mitten im
Spielen stürzte plötzlich der Chordirektor herein und rief ihm zu,
der Herr Pfarrer (welcher schon kurz vorher in einer Predigt gegen
die „Entweihung" des Gotteshauses durch Sonaten, Fugenspiel u.
dgl. geeifert hatte) habe auf die Polizei geschickt, um ihm das Spie-
len verbieten zu lassen. Dies war auch der Fall, aber den Zureden
angesehener Personen gelang es, den Sturm zu beschwören, so dass
die polizeiliche Einschreitung unterblieb. Das geschah im Jahre 1853,
in einem protestantischen Lande !
Bucharest. Ein neues 1 prachtvoll ausgeschmücktes Theater ist
hier gebaut worden. Die Operngesellschaft besteht natürlich aus
Italienern.
Düsseldorf. Das diesjährige Düsseldorfer Musikfest wird von
Ferd. Hiller in Verbindung mit R. Schumann dirigirt werden. Zur
Aufführung kommt die grosse Passions-Musik von Bach, eine Mendels-
sohn'sche Ouvertüre, ein Psalm von Hiller, eine Cantate von Schu-
mann und die neunte Sinfonie von Beethoven.
Paris« Die Grosse Oper hat mit Luisa Miller kein Glück ge-
macht. Die Opera comique dagegen zieht die Menge durch Marco
Spada, Le Sourd von Adam und Jeanette von Masse* an. Für die
neue Opera buffa von Thomas, welche in Kurzem in (Scene geht, ist
der Sänger Mocker wieder engagirt worden, — Concerte sind ange-
kündigt von Vieuxlemps (von Bordeaux zurückgekehrt), Bazzini, M.
Bohrer, Frl. Clauss u. s. w. Frl. S. Cruvelli ist vom Handelsgericht
zu 2000 Frs. Strafe verurtheilt worden, weil sie ohne Grund eine
ungekündigte Vorstellung versäumte.
— Die musikalische Industrie der Cafes - Concerts hat m Paris
eine solche Ausdehnung gewonnen, dass diese Etablissements ausser
den Affischen auch Programme in die Wohnungen schicken.
Verantwortlicher Rüaktotr: J. J. SCHOTT. -D»* ▼•« MBIER* WAIUÜ in Main«.
2. Jahrang.
Wi% lO.
7. März 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnlrt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
RED ACTIO* UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI BEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
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fl. 2.
43 oder Thlr. 1.
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Durch die Post bezugen:
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Quartal.
Inhaltt Literarisches. Neuere Werke zur Musikwissenschaft II. — Musikleben in Schwerin II. — Corresp. (Londou). — Nachrichten.
LITERARISCHES.
NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT.
II.
8, Stehlin, die Naturgesetze im Tonreich und das euro-
päisch - abendländische Tonsystem vom VII. Jahrhundert bis auf
unsere Zeit. Für Freunde der Kunst, die das Harmoniereich und
Tonsystem in den primitiven Grundgesetzen zu beobachten wün-
schen. Eigenthum des Verfassers. Insbruck 1852. Druck und
Kommission bei A. Wittäng. Lex.-8. Preis 1 11. 36 kr.
Zunächst zeichnet diese Schrift (von dem langen Titel ganz ab-
gesehen) sich aus durch das transalpinische Deutsch, in welchem sie
abgefasst ist; sodann bei aller erstrebten Sauberkeit durch schwer-
fälligen und besonders hinsichtlich („beziehendlich", um einen Lieb-
lingsausdruck Opelt's zu gebrauchen) der Notenbeispiele unzweck-
mässigen Druck, der die Schrift so unnöthig vertheuert; endlich
schon in der „Einleitung" durch manche Behauptungen (wie die : dass
•wir in der „Geschichte der Musik blos über die letzten 200 Jahre
eine Aufklärung finden", da doch jetzt Jeder, der nur will, 350 Jahre
sicher übersehen kann), welche unsere durch den Titel erregte Er-
wartungen bedeutend herabstimmen. Doch sehen wir genauer zu.
Stehlin steht in gradem Gegensatze zu der mathematischen, py-
thagoräischen Methode der OpeJt'schen Schrift; er huldigt der aristo-
xenischen und will von dieser Seite „ein höheres primitives Hauptge-
setz", auf welches bisher noch nie das ganze Tonreich zurückgeführt
worden sei, nachweisen. Opelt hängt sich an den reinen Dreiklang
als die unerschütterliche Grundlage, rechnet, misst und experimentirt
in rein geschichtlicher Weise — Stehlin dagegen zieht die alten In-
strumente und die alte Musikgeschichte mit hervor.
Erster Theil: Die Naturgesetze im Tonreiche, S. 1— 32. Aus-
gehend von Betrachtungen über die Schönheit und Reinheit der Ur-
harmonie, will Stehlin in der Tonfolge, welche 12 Waldhörner oder
Hirtenflöten in ihrer Folge (im Quartenabstande nach oben verbun-
den: c, f, b, es, as, des, fis, h, e, a, d, g= 12) geben, die ursprüng-
liche grundgesetzliche Tonreihe der Musik erblicken (S. 4). Die da-
zwischen liegenden natürlichen Intervalle kann das betreffende Hörn
angeben, nämlich C die Töne: c, d, e; F: f, g, a u. s. w., so dass
auf diese Weise alle 12 Stufen unserer Tonleiter hervorkommen.
Das ist einfach, so einfach, dass es sieh kaum der Mühe verlohn^
davon weit und breit zu reden; indess, hält man dies einmal für
ttöthig, so muss man zugehen, dass die Thatsache wenigstens rich-
tig ist. Aber das begreife ieh nicht, wie man wähnen kann, die Töne
der sog. „Naturhörner" hätten einen besonderen Zauber und eine
besondere Geltang da, wo man den Grundgesetzen der Tonkunst
nachspürt; wie man sie immer und immer wieder den anderen „me-
chanischen, gemachten" Instrumenten gegenüber stellen kann, als ob
sio nicht mechanisch und nicht gemacht wären 1 Die sog. Naturin*
strumente, deren musikalisch-eigenthümlichen Werth ich gewiss nicht
zu verkennen geneigt bin, veranschaulichen uns das einfache und in
seiner Einfachheit machtvolle Wesen der Harmonie: hierin ruht ihre
Bedeutung für die Musikwissenschaft; über die Tonleitern und das
ganze weitere Wesen der. Musik dagegen lassen sie uns völlig rath-
los. Der Verfasser gebraucht 36 Töne oder Tonstufen, um die 12
Intervalle unserer Octave zu erhalten, muss also jeden Ton (in ver-
schiedenen Stufen) dreimal berühren. Ich weiss einen eben so „na-
türlichen" und noch kürzeren Weg. Man verbinde 5 Hörner, die
ihrer Grundstimmung nach je in halben Tönen aufeinander folgen —
also : C, Cis, D, Dis, E — und lasse von jedem den Grunddreiklang
angeben (C e g u. s. w.), so hat man in 5 Tönen unsere 12 Inter-
valle. Aber was wird dadurch erreicht? Die Anwendbarkeit mecha-
nischer Gesetze auch im Gebiete der Tonkunst zugegeben, so wird
jeder ein wenig Nachdenkende finden, dass darin- eine in's Unendliche
gehende Möglichkeit, die Töne als in symetrischen Zahlverhältnissen
stehend nachzuweisen, gegeben ist. Da kann der Eine die Quinte,
der Andere die Quarte, ein Dritter (Stehlin) die Terz wählen, ohne
dass Einer von ihnen einen anderen Vorzug als den der Kürze be-
anspruchen dürfte. Es ist also schädlich und trübt die Einsicht in
das Richtige, wenn man hierauf ein so ungebührliches Gewicht legt,
wie z. B. Herr Stehlin. Derselbe gibt seinen „Nafur"-reihcn den
fremdklingendon Namen „Trias" — und siehe, auf dem Grunde
unklarer Erkcnntniss und mit Hülfe einiger Einbildung ist die lösende
Zauberformel gefunden !
Also die Trias ! „Die Tonart geht aus der Trias hervor" (S. 5),
oder vorerst die Tongeschlechte, deren der Verfasser drei
kennt :
Die üurtonleiter (C), dieselbe C 7b und Moll (D).
Das erste Geschlecht ist das freudige, die sog. Urklangleiter.
Das zweite geht aus den Urinstrnmenlen hervor: die Naturgesetze
bedingen es für Melodie und Harmonie, so wie zur Verbindung des
ersten und dritten. Das dritte närnlieh, unser Moll, entsteht, Wenn
der Urton (c) verschwiegen oder verlängert wird ; „bei diesem Tonge-
schlechte muss die menschliche Empfindung sich zum ersten Male
den Naturgesetzen nahen (!) und, um die Octave erreichen zu können,
einen Ton einschallen (nämlich cis) Der Grundton selbst hat
keinen reinen Dreiklang, indem die kleine Terz als wirkliche Beglei-
tung — die grosse aber als Naturgesetz mitklingt, daher auch die
Naturinstrumente den Dreiklang nicht aussprechen und überhaupt
keine Bewegung in diesem Tongeschlechte finden können, die ein
Grundgesetz ausdrückt (wer drückt es aus ?) Dennoch (!) bildet diese
Tonfolge ein, von allen gebildeten (?) Völkern und Generationen an-
erkanntes eigenes Geschlecht, als ob die wehmüthigen Töne
einen wesentlichen Theil unserer Musik ausmachen
sollten" (S. 7—8). Diese Begründung der Molltonlciter werden
Viele gewiss nur als Guriosität denkwürdig finden, und mit Recht:
doch erkenne ich in dieser Verwirrtheit auch ein zum Theil wahres
Gefühl, und werde» nicht ermangeln, /lie Aeusserung desselben mir
gelegentlich zu Nutze zu machen. Aber mit der grössten Bereitwil-
ligkeit, anzuerkennen, was der fernwohnende Verfasser geleistet,
können wir doch nicht Anderes, als gestehen, dass die ganze erste
Hälfte seiner Schrift zn solcher Anerkennung wenig Gelegenheit ge»'
38
boten hat. Grade über die Fragen, welche jetzt die wichtigsten nnd
zu lösen die nöthigsten sind, bleibt er in ungewissem Dunkel. Am
besten ist noch der vierte §., „von der Stimmung der Töne".
Zweiter Theil: Das europäisch - abendländische Tonsystem
von 7. Jahrhundert bis auf unsere Zeit, Stehlin glaubt, dass Na-
turgesetze vorhanden sind, welche unsere heutigen Tonarten aus der
alten Musik und damit den Zusammenhang beider erklären — ich
glaube es auch und habe mich nie mit der „Revolution", die das
Alte weggeschwemmt haben soll, befreunden können; aber über die
Gesetze selbst bin ich anderer Meinung. Sonst ist dieser Theil re-
lativ werthvoller; nur unlebendig nnd also auch ungeschichtlich ist
des Verfassers Anschauung. Er Iässt (wie freilich viele Andere
auch) Gregor den Grossen Systeme machen, so kahl weg, wie wenn
heute Einer Musiktheorien „macht". Ucber Guido's Hexachord wird
viel gesprochen, überall findet der Verfasser seine drei Tongeschlechte
wieder; hier besonders in den Namen: Cantus-durus, Cantus-mollis,
Cantus-naturalis. Wir geben zu , dass manche richtige Bemerkung
hier niedergelegt ist ; aber im Ganzen muss der Verfasser sich noch
ganz anders anstrengen, wenn er seine Grundgesetze aus der alten
Musik ableiten will. Man höre nur, was er S. 43 über Gregor vor-
bringt: „Man möchte glauben, dass die Urklangleiter (dur) als die
erste Tonart angenommen sein sollte : es bewiesen aber alle alten
Beispiele und ebenso die Nomenclatur, dass C-dur stets als die achte
Tonart anerkannt wurde. Die Ursache davon ist jedoch bald aufge-
funden : P. Gregor d. Gr. wollte das System wie die Kirchengesänge
mit jenen wehmüthigen und klagenden Tönen beginnen, die wir moll
nennen, und zugleich die Urklangleiter als das Centrum aufstellen,
um welches sich Alles bewegt." Bei solchen Behauptungen wird es
dem aufmerksamen Leser sonnenklar, dass der leerste Mechanismus
der Webstuhl ist, auf welchem der Verfasser seine Musiktheorie
aufzieht. Allerdings muss er so oder doch ähnlich urtheilen, wie
stände es sonst um seine „Urklangleiter 1" Wie viel schöner ist das
Leben der alten Musik, sobald man es unbeirrt betrachtet, die sy-
stematischen Hüllen, mit denen es später sich selber bedeckte, leise
weghebend! Freilich, noch sehr wenig ist gethan, hier Licht zu
schaffen, und in so fern können auch stark irrende Versuche eine
milde Beurtheilung beanspruchten ; -<- aber wer hier gehört und be-
trachtet werden will von den mitstrebenden und mitforschenden
Kunstgenossen, der muss zunächst im Allgemeinen darüber sich klar
sein, dass und wie die Tonkunst einmal aus dem Leben der Völker
und zugleich aus dem Wesen und Wachsen der Kunst entstanden ist.
Stehlins unverkennbar fleissige Untersuchungen haben der hervorge-
hobenen Grundmängel wegen nur geringe Früchte getragen; seine
Vorschläge zur Belebung der Kirchenmusik durch Preisausschreiben
„in 10 aufeinanderfolgenden Jahren für fünf der schönsten Messen"
im Palestrinastyl , womit er ,,die ganze musikalische Welt in Bewe-
gung" setzen will, würde ich gar nicht erwähnt haben, wenn er nicht
selber nach dem im anzeigenden Beiblatte Gesagten einiges Gewicht
darauf gelegt hätte. Als das einzig sichere, nicht unbedeutende Re-
sultat hebe ich den Nachweis hervor , dass H u c b a 1 d's bekanntes
Organum mit seinen Quartenfolgen der Grundton einer Orgel-
windlade ist, und nicht die Harmonie, sondern die Stimmung
veranschaulicht — so ist fortan allen schon an sich unvernünftigen
Faseleien von Quarten- und Quintenfolgen, in denen die Alten ge-
sungen haben sollen (man vergegenwärtige sich das leichtsinnige Rai-
sonnement Ulibischef f 's, Mozart Bd. II. in der Einleitung), eine
der besten Stützen entzogen. Herr Stehlin klagt über incorrecte Aus-
gaben der Palestrina'schen Werke — wenn er sich entschliessen
möchte, eine bessere Ausgabe vorzubereiten, so »ei er im Voraus
unseres lebhaften Dankes gewiss. Aber um ein so weitgreifendes
Problem, wie das in vorstehender Schrift behandelte, zu lösen, dazu
fehlte ihm offenbar das Beste.
■ ••O —
MUSIKLEBEN IN SCHWERIN.
II« Oonoerte.
Während eine ziemliche Anzahl Opern atijährlich hier zur Auf-
führung kommt, siebt es dagegen mit den Concerten traurig aus,
so traurig, dass ich darüber nicht einmal so viel oder vielmehr so
wenig zu berichten weiss, als das „nordische Gemüth" aus Rostock,
welches in Nr. 2 Ihres Blattes „pulsirte". Erst seit einem Jahre
sucht sich hier unter der Leitung des geschätzten Musiklehrers Gol-
termann ein Gesangverein zu bilden, der ganz kürzlich in seinem 1,
Concerte vor die Oeffentlichkeit trat und dem man schon dessfalls
das beste Gedeihen wünschen muss, weil er nicht ganz der ober-
flächlichen Richtung zu huldigen seheint. Es wurden aufgeführt : die
Pilgerfahrt der Rose von R. Schumann, Cruxifixus von Lotti, Psalm
95 von Mendelssohn und Halleluja von Händel. Diese erste Leistung
war allerdings eine noch ausserordentlich dürftige. Ein grosser Miss-
griff war es, Schumann's Pilgerfahrt der Rose zu wählen, musikalisch
wie poetisch ein Werk ohne Saft und Kraft, an dem Niemand Freude
haben kann. Ich kann dem nur beistimmen, was Ihnen kürzlich
aus Dresden darüber berichtet wurde. Bringt man nun noch in An-
schlag, dass das Cruxifixus ganz verkehrt aufgefasst war, dass der
Mendelssohnsehe Psalm zwar Ansprechendes bietet, aber ebenfalls
ermüdend lang und eine dem Grundgedanken des Textes durchaus
nicht entsprechende Musik ist, endlich dass das Händel'sche Halle-
luja nur im Ganzen des Messias und mit dem „vollen Werke" der
Orgel seinen rechten Glanz zu entfalten vermag — so wird man mit
Recht wünschen dürfen , der Verein möge künftighin Nummern von
geringerem Umfange und geeigneterer Gomposition für seine Concert-
vorträge wählen.
Das einzige regelmässig wiederkehrende musikalische Vergnügen
ausser dem Theater bieten die wöchentlichen Instrumentalconcerte in
der „Tonhalle", einem mit so prachtvollem Namen prunkenden gros-
sen Wein-, Bier-, Thee- und Tanzlokal, in welchem man für 5 Ngr.
gar viele Musik, aber noch mehr Tabak einziehen muss. Löblicher
Weise werden auch Sachen, wie die Ouvertüre zum Sommernachts-
traum von Mendelssohn, vorgenommen; aber im Allgemeinen ist doch
hier die musikalische Duselei in so gewaltigem Masse vorherrschend,
dass „Traumbilder" etc. von Lumbye „mit Text" die grössten Lecker-
bissen sind. Die Musiker verdienen hauten Tadel, dass sie derglei-
chen so bereitwillig auftischen : denn das Publikum verlangt es kei-
neswegs. Wie ? verlangt es nicht und ist doch so begierig darnach ?
Beides ist nicht gleich ! Das Publikum hat ein unabweisliches Verlan-
gen auch nach grösseren Musikstücken und zwar nach solchen, bei
denen es sich „etwas denken kann", d. h. die durch Texte oder Pro-
gramme zu erläutern sind — und hierin sehe ich die Aeusserung
eines ganz gesunden Gefühls, nämlich desStrebens, dichterischen
Gehalt in der Musik wahrzunehmen. Aber keineswegs verlangt es,
dass der krasseste musikalische Materialismus es befriedige. Denn
sind wir hier so rathlos? Haben wir in diesem Felde nichts Besse-
res? Haben wir hier nicht Beethoven mit seiner Pastoralsymphonie,
diesem Ausgangs- und künstlerischen Höhepunkt alles derartigen
Kunststrebens, klar wie die Sonne? Dergleichen Perlen soll man
nehmen und, nach Göthe's Rath, „in's Wasser werfen, in's allgemeine
weite Meer, zu aller Nutz und Frommen; nicht aber soll man dabei
viel Redens machen von „klassischer hoher Musik", damit den härm«
losen Seelen nicht das Vergnügen verdorben wird, an dem innigen
Naturleben, an der herzlichen Freude des grossen Beethoven theil-
nehmen zu können. Ach, so entsetzlich viel wird gesündigt von
heutigen Musikmachern an der Kunst und an dem Publikum, einfach
aus dem Grunde, weil sie „ihre verfluchte Schuldigkeit" (um mit
Riehl zu reden) zu thun versäumt haben, weil sie versäumt haben, aus
der Geschichte unserer Kunst das Hohe, aus der Theorie das Reine,
aus den Meisterwerken das Schöne und aus dem Menschenherzen das
Lebendige verstehen zu lernen. Daher auch der begeisterungslose
Vortrag. Versucht doch einmal das Bessere'.
Begeisterungslos ist besonders das Spiel unseres Orchesters
im Theater. Man sollte solches nicht erwarten , da wir einen tüch-
tigen Musikdirektor haben. Dieser, Herr Mühlenbruch (ein Meck-
lenburger), ein Mann von feiner und vielseitiger Bildung, besitzt in
reichem Masse, was Vielen mangelt; sein Geschick, seine Behutsam-
keit und unermüdliche Langmuth haben ihm Aller Liebe und Achtung
erworben, obwohl er in gesellschaftlicher Hinsicht sehr isolirt dasteht.
Aber eine bedeutende Thätigkeit hat er bisher noch nicht zu entfal-
ten vermocht. Die Hindernisse im Einzelnen vermag ich nicht zu
bestimmen ; im Allgemeinen werden sich dieselben auf drei Quellen
zurückführen lassen, 1) auf des hiesigen Theatermusikdirektors be-
schränkte gebundene Stellung; 2) auf die jetzige Fähigkeit oder Un-
— 39 —
fähigkcit der Gcsammtheit der Orchestermitglieder; 3) auf eine ge-
wisse Bequemlichkeit and Mathlosigkeit des Hrn. Mühlenbrach ange-
sichts solcher Hemmungen. Das erste Hindernis zu lösen, wäre die
Sache der Intendantur; aber wohl Reiner wird so scharfsichtig sein,
dass er einen irgend erheblichen Einfluss des Musikdirektors hei der
Auswahl neu aufzufahrender Tonstücke herauszuspüren vermöchte;
der liebe Zufall thut wohl das meiste. Der jetzige Gcsammtzustand
(die ehrenwerthen Einzelnen sind eben Ausnahmen) des Orchesters
ist eine eben so bemerkens- als bedauernswerthe Thatsache. Es gab
eine Zeit, in der das Schweriner Theater mitsammt der Hofkapelle
berühmt war, unter der Regierung des 1841 verstorbenen Grossher-
zogs Paul Friedrich. Seit dieser Zeit sank das Theater allmälig und
die Kapelle schmolz auf den Bruchtheil zusammen, der jetzt noch
davon übrig und nun ganz in das Orchester aufgegangen ist. Dieser
Rest solider Kunst sitzt in den Saiten und im Holz, dagegen ist aller
junge und alte Nachwuchs in das Blech gefahren — dies sind die
Stoffe des buntscheckigen Bildes, welches unser Orchester jetzt dar-
bietet. Gebe Gott, dass hald eine innige Verschmelzung vorgehe!
Mögen Andere nun den früheren Glanzzustand preisen, ich muss
gestehen, dass ich mich für Verhältnisse, wo ein Fürst mehr unter
seinen Schauspielern und Musikanten, als unter seinen Rcgierungs-
räthen lebt, nicht begeistern kann; denn bei allem eitlen Prunke
bleibt dort die Kunst doch nur Dienstmagd der Launen eines „Abso-
luten 4 *, ein aufgeblasenes Gebilde ohne Halt und Solidität, wie die
Folgezeit bewiesen hat. Man macht noch immer so viel Rühmens
von Fürsten, die, wie Karl August von Weimar, Kunst und Künstler
hegen, und erstrebt Aehnliches als etwas so Wünschenswerthes. Vor-
übergehend wird solche Hut ihren grossen Nutzen gehabt haben, ja
sie war nothwendig, um die noch nicht durchgebildeten Einzelformen
der Künste in beschützter Stille zu der vollen künstlerischen Reife
erstarken zu lassen: aber jetzt ist eine solche souveräne Stellung
der Kunst durchaus schädlich, jetzt weist das Leben uns unabweis-
lich auf etwas ganz Anderes hin. Die musikalischen Formen haben
sich geschichtlich in ihrer Einzelheit schon durchgebildet, sie sind
als solche nun einmal mustergültig da, und Jeder weiss, wo er zu
lernen hat : daher ist der eigentliche fruchtreiche Boden für die Kunst
jetzt — ziehen wir aus dem Brutto des Lebens den idealen Gehalt
und rechnen wir alles Trübe ab — die ganze Menge aller Derer, die
Bedürfniss haben, gleichviel ob sie Geld oder Kunstbildung be-
sitzen. Und diesem Triebe vermag nimmer ein von fürstlicher Gunst
getragenes Institut auf die rechte Weise entgegen zu kommen, dies
vermag nur eine Gruppe von Künstlern, welche sich um einen kun-
digen und energischen Mann schaart ; um einen Mann, der den Muth
hat, aus reiner Freude an der lebendigen Kunst zu wirken, der allein
in diesem Wirken (nicht in Titeln, in Lob und Gunst) seine Freude
und Befriedigung findet, um einen Mann, der Alles hat, liebt und
kennt, aber nicht als egoistisches Besitzthurn, sondern um es Alles
als Gabe Allen wieder hinzugeben. Allein so geartete und am rech-
ten Orten so handelnde Männer können jetzt helfen, sei es durch
Lehre, sei es dureh AufFühruug der Kunstwerke. Von diesem Ziele
mögen wir, hier mehr, dort weniger, noch so fern sein — erreichen
werden wir es doch noch, bevor deutsche Kunst mit deutschem
Volksthume zu Ende geht. Die Volksschauspiele des Mittelalters
hatten den ganz rechten Weg eingeschlagen , allein in den Stoffen
blieben sie noch in den allerersten Anfängen einer freien Kunstge-
staltung hängen : die Herrschaft des italischen Musik- , Oper- und
Ballctwesens löste sie ab. Zum zweiten Male im vorigen Jahrhun-
dert wandte sich die Kunst auf diesen Weg zurück (in Eckhof, Les-
sing u. A.) , aber wenn auch mit kunstvolleren Gebilden , doch nur
einseitig als recitirendes Schauspiel : und der weimar'sche Musenhof,
als eine Welt der Auserwählten in der Welt, folgte ihr. Jetzt end-
lich — wir mögen thun, was. wir wollen , und erreichen soviel oder
so wenig wir wollen — einen anderen Weg zu einer neuen Kunst-
blüthe, als den eben angedeuteten, wird Niemand finden!
Es kommt mir selber eigentümlich vor, dass ich Ihnen mit All-
gemeinheiten aufwarte, wo ich pflichtmässig allerlei mittelstädtische
Schnarren und Raritäten berichten sollte, und doch wieder ist dieser
Zug „nicht ohne", denn wie ich mit meiner Aufgabe, just so dishar-
monirt noch der ideale Theil unseres Lebens mit den Lasten und
Trübungen der Gegenwart. Doch jetzt genug hiervon. Anmerken
will ich noch, dass Herr Musikdirektor Mühlenbruch sich gewiss den
Dank Aller erwerben and (was die Hauptsache ist) Nutzen stiften
würde, wenn er mehr die Leitung der Concertaufführungen in die
Hand nähme. Er ist der Einzige, der das Zeug dazu hat. Geschieht
solches einmal, dann will ich Sie nicht fürder mit allerlei guten Win»
sehen beschenken, sondern in buchstäblichem Sinne über Concerte
berichten.
CORRESPONDENZBN.
AUS LONDON.
(Januar.)
Wir sind in dem Monat der Ankündigungen. Die Ausrufer ha-
ben sich bereits heiser geschrieen; aber was thut's? Die Heiserkeit
gehört zu ihrem Geschäfte. Wer hat je einen Ausrufer gehört, der
nicht heiser war? Es geht diesen Leuten, wie den deutschen Säu-
gern, wenn sie Renommee erlangt haben; man sagt, dass dies die
Ursache ist, warum beide so oft verwechselt werden. Man siösst
und drängt sich, um Platz zu haben, und wenn man ihn hat, ihn zu
behalten; der Eine fällt, noch che man ihn 'gesehen, noch gehört
hat; der Andere, ja, der fällt erst noch, nachdem man ihn gehört hat
— Jeder will voran und oben auf sein, und wenn er nicht in Wirk-
lichkeit der Erste ist, so dünkt er's sich doch — so geht es täglich,
stündlich, bis dann am Ende der selige Augenblick kommt, wo Alle
in das gemeinsame Grab purzeln, wo die Töne versagen und die Na-
tur ihre unerbittliche Rechte fordert. Ach, wie Mancher mag dieses
Augenblick herbeiwünschen, wie Mancher wäre zufrieden, dass der
Herbst käme, wo es keine Concerte, keine Oper gibt, keine „Künst-
ler" und keine „Kunst" 1 Wie Mancher, der die Komödie des Lebens
bis zum Ueberdrusse kennt , möchte doch einmal etwas Anderes se-
hen und wieder erlebenl Thörichtcs Wünschen, die Natur phantasut
wohl manchmal, wie in diesem Augenblick, vom Frühling in den Win-
ter, und vom Winter in den Frühling*; aber die bürgerliche Gesell-
schaft, die hält fest an ihren Gesetzen, an dem, was Sitte ist, und
so wenig sich der Einzelne seinen Kafe* versagt, ebensowenig liesse
es sich die Gesellschaft nehmen, zur bestimmten Zeit ihre Concerte
und sonstigen musikalischen Unterhaltungen zu haben. Die Welt ist
rund, wehe dem, der sie eckig machen will! er zerschellt sich an
seinem eigenen Machwerk. — Hier ist ein Klavierspieler, dort ein Vio-
linspieler, hier ein noch nicht dagewesener Posaunist, dort eine un-
garische Sängerin, die, wie alle Neuangekommenen, celebrated ist;
hier das Klassische, dort das Romantische, hier eine musikalische
Soiree, ein Wort, das im Grunde der echte John Bull am richtigsten
ausspricht ; dort eine Soiree ohne Musik, hier eine musikalische Un-
terhaltung, die man mit mouster bezeichnet, und dort ein Monstrum*
das man musikalisch nennt — es ist für Alles und für Alle Platz!
Hinter den fremden Gästen kommen die Gründer und Erhalter vom
Gesellschaften, die künstlerische, resp. musikalische Interessen ver-
folgen, von socieiies of Art etc. Jedes Jahr sieht neue erstehen und
vergehen, natürlich einzig und allein im Interesse der Kunst, der „gu-
ten Sache". Keiner der Herren Stifter, keines der geehrten Comite-
Mitglieder denkt dabei an seine Sache, nein, nur der „gute Zweck"
soll verfolgt, die Menschheit soll glücklich gemacht werden. Meine
Sache, mein Glück, auch das ist ein überwundener Standpunkt.
Und doch war es noch vor einigen Jahren der allerneueste. In letz-
ter Instanz ist es denn Exeter Hall mit seinen bandwurmartigen Ora-
torien, das dem „musikalischen und künstlerischen Bedürfnisse der
englischen Gesellschaft, die aber in ihren wesentlichen Bestandteilen
nicht mehr englisch ist, Genüge leisten muss. In keinem Land der
Welt ist man so Oratorien toll, wie in diesem England, freilich in
keinem Lande trifft man auch eine solche religiöse Besessenheit, wie
gerade hier. Nicht genug, dass man den alten Händel in, Westmin*
sterabtey aufbewahrt, nein, man setzt ihm auch allwöchentlich ein
lebendiges Denkmal, und verfährt demnach gerade umgekehrt als in
Deutschland. Dem Mendelssohn geht es übrigens nicht besser; er*
der im lieben Vaterlande schon doppelt todtgemacht ist, er lebt hier
erst recht auf, ja, er verdreht in diesem Augenblicke den Herren der
40 -
Musical World dermassen die Köpfe, dass sie die Leipziger veran-
lassen wollen, einen dummen Streich zu machen. Die Herren David
und Compagjnie sollen mit aller Gewalt die Lieder des Verstorbenen
herausgeben^ die Leipziger, welche dieConsequenzen der Hegel'schen
Philosophie in sich aufgenommen haben , antworten naturlich : „Nur
die Gegenwart hat Recht" — das musikalische England erboset sich,
wird grob, und die ehrenwerthe Gesellsaft hat ein Gericht mehr zur
„künstlerischen" Verdauung. So sehen Sie denn — die Tafel ist
servirt, Alles ist bereit, sich daran zu setzen; die Kritik steht im
Hintergründe, musternd die Gerichte, macht ein saures Gesicht und
nimmt am Ende auch Platz. Warum? Weil nach einem alten Welt-
weisen Selbi»terhaltung die erste Pflicht ist. Ihr Correspondent wird
ebenfalls die Tafel heimsuchen und in seinem nächsten Briefe mit-
iheilen, wie die verschiedenen Gerichte geschmeckt haben.
Fatal.
NACHRICHTEN.
Leipzig. Frl. Bochkoltz-Falconi sang am 16. Februar im Ge-
wandhaus unter vielem Bcifalle.
Berlin. Die Gebrüder Müller sind hier und werden eine Reihe
von Quartett-Soireen veranstalten.
Die Musikschule der Herren Kullak , Marx und Stern ist in ein
Conservatorium für Musik umgewandelt worden.
Unter der Leitung des Musidirektors J. Schneider hat sich ein
liturgischer Sängerchor von 40 Schülern des Werdcr'schen Gymna-
siums gebildet, welcher zu Anfang des Gottesdienstes in der Wer-
der'schcn Kirche einen Psalm oder eine Mottette singen wird.
Ueber das neue Melodram \on Truhn lauten die Urtheile ver-
schieden. Die Aufnahme von Seiten des Publikums war günstig.
Im Laufe des Sommers werden zwei fremde Operngcsellschaften
Ker gastiren, nämlich die italienische aus Wien und eine aus 104
Mitgliedern bestehende ungarische Truppe. Letzterer ist eine Ein-
nahme von 10,000 Thlr. garantirt worden.
— Zu der durch Rungenhagen's Tod erledigten Musikdirektorstelle
an der Singacademie zu Berlin, hat der Vorstand den Mitgliedern
dieses Instituts drei Gandidaten zur Wahl präsentirt, den seitherigen
Vicedirektor der Singacademie Grell, den Organisten und Musik-
direktor Hering in Bautzen und den Musikdirektor G. D. Otten zu
Hamburg, welche letzteren auch zu Probedirektioncn nach Berlin be-
rufen worden sind. Mit Otten (Hering, der ein tüchtiger Künstler
sein soll, kennen wir nicht) hat der Vorstand einen sehr glücklichen
Griff gethan, indem sich wohl selten ein Mann findet, der so voll-
kommen dieser Stelle nach allen Seiten hin gewachsen wäre, als
Otten. Durch und durch Musiker, tüchtiger Ciavierspieler, erfahre-
»er und gewandter Dirigent, sattelfest in allen Theilen der Tonsetz-
kunst, eingeweiht in die Geheimnisse der Gesang- und Instrumentir-
Jtunst, Kunstphilosoph — wer erinnerte sich nicht mit Vergnügen
seiner im verflossenen Winter gehaltenen öffentlichen Vorträge in
Hamburg über Musikgegenstände? — gründlicher Kritiker, dabei ein
Mann, der sich auch in andern Fächern tüchtig umgesehen, verbindet
•er mit einer wahrhaft erhebenden Begeisterung für seine ihm heilige
Kunst eine Kraft, Sicherheit und Entschiedenheit in seinem Auftre-
ten, dass man ihn unbedenklich als den Mann bezeichnen kann, der
im Stande ist, das so ehrwürdige Institut der Singakademie vom
nahen Verderben zu retten. Ob Otten gewählt werden wird? Sollte
nicht der seitherige Vicedirector Grell, für den alle Bande der An-
ciennetät und Gewohnheit sprechen, die meisten Stimmen erhalten,
obwohl er das sinkende Institut nicht hat halten können? Glaubt
man ihm Dank zu schulden, so gebe man dem schon bejahrteren
Manne einen ehrenvollen Ruhegehalt, rette aber das Institut durch
eine jugendlich -kräftige Hand. Das schulden die Mitglieder nicht al-
lein sich, nicht allein ihrer Stadt, sie schulden es der Welt»
Sevilla« Der Baritonist der hier engagirten Italienischen Opern-
gesellschaft, Assoni, wurde Abends, als er in Begleitung des Tenori-
sten Assandro, nach Hause ging, durch einen Dolchstoss tödtiieh
verwundet. Der Mörder wurde von seinem Begleiter festgehalten,
tuid als ein Banderillo (einer der Kämpfer bei den Stiergefechten) er-
kannt, den Assoni kürzlich ausgepfiffen haben sollte, wofür sich der
beleidigte Künstlerstolz auf so eclatante Weise rächte.
London. Am 16. März wird das erste Conoert der New Phil-
harmonie Society stattfinden unter der Direktion von Lindpaintner,
Spohr und Dr. Wyld. DieConcerte werden unter Anderen folgende
Stücke aufführen:
Weber's Cantate „Kampf und Sieg";
Mendelssohn' s „Walpurgis-Nacht" ;
Spohr's Doppel-Symphonie für 2 Orchester;
Gluck's Chöre ans „Iphigeuia";
Lindpaintner's Ouvertüren zu „Faust" und dem „Vampyr";
Beethoven's neunte Symphonie;
Mendelssohn's Symphonie in C-moll;
,t „ in A Nr. 3;
Beethoven's Chöre zu den Ruinen von Athen;
Auswahl von Stücken aus „The Island of Calypsc" von J. Loder;
Ouvertüre zu „Genoveva" von C. Horsley;
Vocal-Corapositionen von John Burner t, Henry Smars und Ho-
ward Glover;
Neue Compositionen von Silas;
Ouvertüre zu „Don Carlos" von Macfarren;
Erster Theil von Dr. Wyld's Musik zuMilton's „Verlornes Paradies".
Paris« Herr E. Cheve", Direktor einer Singgesellschaft, hat
den Plan eines Gesang- Wettstreits, welcher am Vi. Juni hier statt-
finden soll, entworfen, und eine goldene Medaille im Werthe von
500 frs. als Preis für den Sieger ausgesetzt. Eine Anzahl bekannter
Musiker, von ihm als Preisrichter eingeladen, hat sich als Commission
constituirt und ladet alle Gesangvereine Frankreichs, Belgiens und
Deutschlands zur Theilnahme an dem Concours ein.
Die Bedingungen sind 1) Ausführung dreier Gesänge, welche die
Vereine selbst wählen dürfen. Z) Ausführung eines ausdrücklich für
diesen Zweck componirten Chors, welcher den Concurrenten erst 24
Stunden vor dem Vortrage übergeben wird. 3) Ausführung eines
gleichen Chors und zwar vom Blatt, ohne jede vorherige Uebung,
4) Nachschreiben einer zu demselben Zwecke componirten und von
dem Dirigenten jeder Gesellschaft vocalisirten Melodie, Dasjenige
Mitglied einer Gesellschaft, welches (natürlich bei der letzten Probe)
am besten besteht, erhält den Preis. Jede dieser 4 Bedingungen
muss erfüllt werden.
Wir haben uns schon oft darüber ausgesprochen, dass wir die
sog. Gesang- Wettstreite für die Ausbildung des Männergesanges für
durchaus schädlich halten , können also die Theilnahme an diesem
Kampfe von vorn herein nicht anrathen. Ausserdem aber beweist
das ganze Programm, wie es vor uns liegt, einmal, dass Herr E.
Cheve vom Wesen des deutschen Männergesangs nichts versteht,
zweitens dass er trotz vieler Phrasen über die Notwendigkeit der
Verbreitung musikalischer Kenntnisse im Volke mit diesem Concurs
nichts weiter beabsichtigt als einen recht in die Augen fallenden
Triumph seiner Zöglinge und seiner Lehrmethode zu feiern. Wundern
müssen wir uns, wie deutsche Componisten, welche den Männerge-
sang, seine Bedingungen, seine Bedeutung und seine eigentliche Auf-
gabe beser kennen sollten, ihre Namen zu diesem Project hergeben
konnten, welches auf den ersten Augenblick als todtgeboren — wenig-
stens was die Theilnahme deutscher Männergesang- Vereine betrifft —
erscheint.
— Mad. Stolz ist endlich angekommen. Während der Fastenzeit
finden in dem Jardin des plantes unter der Leitung Fei. Davids grosse
Concerte Statt. Das Orchester besteht aus mehr als 200 Musikern.
Am 13. Febr. executirte die neugeschaffene kaiserliche Capelle als
erste Aufführung Cherubini's 8. Messe. Director ist Auber, Orchester-
chef Gerard. Das Orchester besteht aus 82 Künstlern.
Wien. Therese Milanollo wird hier erwartet. Nach anderen
Nachrichten begibt sie sich von Berlin nach Hamburg.
Mannheim. Per Umbau des hiesigen Theaters ist endlich de«
finitiv beschlossen.
Tmntwortliclm Rrfiitewl: J, J. SMOH. - Pruik tob HEüIER* WALUü in Mthu.
2. Jahrang.
Mr. II.
14. März 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Dies« Zeitung; erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
RED ACT ION OD YBELAG
von
SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Dnrch die Post bezogen :
50 kr. «der 1» Sgr. per Quartal.
Inhalts Literarisches. Neuere Werke zur Musikwissenschaft III. VI. — Hamburger Briefe. — Corresp. (Dresdeu). — Nachrichten.
LITERARISCHES.
NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT.
III.
Nene Grammatik der Tonsetzkunst von C. Wöltje, Dr.jur.
und Oberapp.-Ger.-Procurator zu Celle. Mit 2 Notentafeln in gr.
Fol. Leipzig, Bruno Hinze, 1853. Preis l 1 /» Rthlr. XV. und
240 S. in gr. 8.
„Schon beim Beginne unseres Jahrhunderts siedelte sich in mir
die Ueberzeugung an, dass unsere Lehre vom Tonsatzc, wie man sie
damals in Büchern und durch den Mund von Fachmännern mitgetheilt
erhielt, eine todte sei und auf den Namen einer Wissenschaft keinen
Anspruch habe." Schon vor 50 Jahren ! Wöltje ist mit und an G.
Weber herangewachsen, hat schon in einem „Versuch einer rationel-
len Construction des modernen Tonsyätems " (1832) „nachgewiesen,
dass mittelst Fortsetzung der von Guido aufgestellten Reihe gleich-
artiger Tedrachorde, deren jedes in Verbindung mit seinem Nachbar
die Leiter einer Tonart liefert, nämlich G A II c,c d e f und f g a
b, nach obenhin in b c d es,es f g as u. s. w., und nach unten hin
in g fis e d, d eis H A u. s. w. , man auf rationellem (lies : mecha-
nischem) Wege unser ganzes jetziges Tonsystem und alle daraus ge-
bildeten Tonarten gefunden, darin eine ununterbrochene Kette von
Mitgliedern einer Familie erkannt haben, und durch solche Kette un-
mittelbar auf die Bildnng aller unserer Dreiklänge und der sog. Haupt-
vierklänge geleitet sein würde. Schon damals erkannten namhafte
Männer vom Fache die Wichtigkeit meiner Entdeckung, zugleich aber
auch die Schwierigkeit der Aufgabe, solche Entdeckung ins Prak-
tische zu bringen, d. h. in einer Grammatik die Lehre des Tonsatzes
den Schüler von dem meinerseits aufgefundenen Grundprincip aus
auf rationellem Wege bis zu dem Standpunkte zu führen, auf wel-
chem die gegenwärtige Doctrin mit ihren todten, während einer Reihe
von 800 Jahren auf allerlei dunklen Irr- und Querwegen allmälig auf-
gefundenen, im Resultate jedoch durchschnittlich richtigen Lehr- oder
Glaubenssätzen steht. Diese Aufgabe habe ich in der Grammatik,
welche ich hiermit der Oeffentlichkeit übergebe, lösen wollen" (Vor-
rede IV — V). Es ist recht fachmännisch, einen Laien zu versichern,
seine Forschungen seien ausnehmend „wichtig" , nur schwer „prak-
tisch" zu machen. Ich wollte aber, die „Namhaften" hätten Herrn
Wöltje Dergleichen nicht gesagt.
Wie man sieht, sind die verbundenen Tetrachorde Wöltje's nichts
anderes, als die Triaden des Herrn Stehlin, und beide gehen ge-
schichtlich oder vielmehr ungeschichtlich vom alten Guido aus: so
ist es billig, dass Gleich und Gleich sich geselle, und ich habe dies
wenigstens hier im kritischen Blatte thun wollen.
„Für mich hat die, freilich sehr mühsam gewesene (— ) , Ausar-
beitung dieses Buches den Gewinn geliefert, dass ich erhebliche
Fragen in wenigstens mich befriedigendem Masse beantworten kann."
Nun, damit' gebe Herr Wöltje sich zufrieden — was bedarf s mehr ?
Sagt doch selbst Göthe: „Mit sich selbst und mit Wenigen einig zu
werden, ist ein slolzer Wunsch" (Brief w. mit Reichard 1850, S. 7).
Der bejahrte Herr Verfasser lasse sich daher die Freude an seinen
„Entdeckungen" nicht durch die sogenannte Kritik trüben! Mit die«
sem Rathe und Wunsche hebe ich den Leser über den Inhalt dieser
„neuen Grammatik" hinweg und gleich zu folgender Schrift hin.
»
IV.
Otto Kraushaar« der aecordliche Gegensatz und die Be-
gründung der Scala. Gassei, Carl Luckhard (1852, 74
S. in gr. 8.
Bei dieser kleinen Schrift, aber langen, viel zu langen Abhand-
lung wollte ich einige allgemeine Bemerkungen anbringen. Hier macht
mir nun eine Anzeige der Kraushaar'schen Broschüre im Leipziger
„Literarischen Centralblatt" (1853, Nr. 5, S. 86—87) einen Strich
durch die Rechnung; dort nämlich heisst es wörtlich so:
„Diese Abhandlung oder Skizze, welche nur, laut dem Vorwort,
„ein Vorläufer einer umfangreichen Schrift sein soll, kann und
„darf nicht näher angedeutet werden, denn es liegt hier ein Fal-
„sum vor, wie wohl kaum ein zweites in der Literatur nachge-
wiesen zu werden vermag. Das hier vorgelegte System ist
„nämlich nicht von dem Verfasser, sondern von dem als geist-
reichen und scharfsinnigen Theoretiker bekannten M. Haupt-
mann, welches jenem von diesem in einem musikalisch-theore-
tischen Lehrcursus vor mehreren Jahren als Manuscript mitge-
„theilt wurde. Mag es mit der einfachen Anzeige hier sein Be-
benden haben und dem Leser überlassen bleiben, selbst zu ur-
„thcilen, was er von einem sogenannten Schriftsteller zu halten
,hat, der einen Theil eines Systems empfängt und dieses als
»V
»J
sein Werk dem Drucke überliefert."
Gedulden wir uns daher, bis die Sache genügend aufgeklärt ist«
Nur die Bemerkung kann ich angesichts dieser vier und einer ganzen
Reihe ähnlicher Schriften nicht unterdrücken, dass weder die physi-
kalische, noch die mechanische, weder die vermeintlich rationelle,
noch die vermeintlich philosophische Methode geeignet ist, das eigent-
liche Leben der Musik wissenschaftlich zur Anschauung zu bringen«
Jedes Gebiet geistiger Thätigkcit hat seine eigenen Stoffe, seinen be-
sonderen Zweck, seine eigene Wissenschaft; wer der letzteren "inne
werden will , für den heisst es zuerst : divido ! Und bei solchem
„Scheiden und Unterscheiden" mag dann Jeder ratio und philosophiä
anbringen, so viel er davon auftreiben kann. \
chs.
— ■ 42
HAMBURGER BRIEFE.
(Eoda Jtiuar.)
Der Januar bat hier eine solche Fälle von musikalischen Ge-
nössen, d," h. der Anzahl nach, gebracht, dass es mir unmöglich ist,
aber alle einzelne zu berichten. Indessen ist es auch nie meine Ab-
sicht gewesen, dass, um den Lesern Ihres Blattes eine Uebersicht über
unsere musikalischen Verhältnisse und Zustände zu geben, es einer
von Tag zu Tag registrirten Angabe alles dessen bedürfe, was und
von wem es ausgeführt ist. Ich fahre dagegen wie bisher fort, ohne
erschöpfende Aufzählung Einzelnes mit den Bemerkungen zu beglei-
ten, zu welchen mich eigene Neigung oder zufällige äussere Anre-
gung veranlassen.
Im Theater hat die Adam'sche Oper „Giralda" eine Zeit lang
sehr gefallen, wohl hauptsächlich durch die sehr genügende Besetz-
ung, denn Herrn Adams Composition ist nicht eben gemacht, um für
sich allein, auch in schwächerer Besetzung, irgend Eindruck machen
zu können. Bei weitem erfolgreicher dagegen ist die Erscheinung
des Bassisten Formes gewesen. Sein so glänzendes Wirken in Ber-
lin hatte ihm hier eine sehr enthusiastische Aufnahme bereitet. Seine
Leistungen haben sehr viel Lob, in mancher Hinsicht aber auch
einen, wie ich glaube, gegründeten Tadel gefunden. Sein Stiaimma-
terial ist ausserordentlich und in einigen besonders zusagenden Rol-
len, wie in der Zauberflöte oder als Marcel in den Hugenotten, tritt
dieser gewaltige Ton wahrhaftig erschütternd hervor. Ich gestehe,
als ich zum ersten Male von ihm den Choral in der Hugenotten-Ein-
leitung anstimmen hörte, einen hohen Genuss an diesen gleich den
Posaunen des Gerichtes erschallenden Tönen gefunden zu haben.
Noch mehr aber hat mich sein Sarastro wahrhaft erquickt; Die wür-
dige Weise, in welcher er diese Rolle in einem Gusse vom
ersten bis zum letzten Tone ausführte, hat mich zur lebhaftesten Be-
wunderung hingerissen. Ja, mehr noch, sie hat das Höchste geleistet,
was meiner Meinung nach der Künstler leisten kann — sie hat mich
ihn selbst, den Ausführenden, vergessen lassen und meine Gedanken
in höchster dankbarer Liebe zu dem Schöpfer dieser Zaubertöne, zu
dem kleinen Salzburger Kapellmeister hingewendet. Die Arie mit
Chor in E (O Isis und Osiris) wurde in sehr würdiger breiter Bewe-
gung so erhaben ausgeführt, dass der Eindruck mir unvergesslich
bleiben wird. Das war kein Theater mehr — die wahren Tempel
des Universums hatten sich aufgethan, um die geheimnissvollen Worte
der Lehre und der Weisheit auf den mildesten Tonwellen in unser
Herz einziehen zu machen! Dieselbe Stimme, die hier so edel,
so tief beseelt sich erwies, gestaltete sich in einigen anderen Rollen
weniger günstig. In einer mir unbegreiflichen Unkenntniss seiner
Persönlichkeit hatte Herr Formes den Leporello zu einer seiner Dar*
Stellungen gewählt. Freilich war die Wirkung des energischen Bas
ses in den Ensembles , wo ja Leporello meist den Grundbass gibt"
sehr schön, und ich habe noch nie das Terzett der drei Bässe bei»
des Comthurs Verscheiden so erschütternd gehört. Es klang wie un-
terirdischer Donner, wenn Leporello die kleine None in jenen Worten
angab : Entro il sen' dallo spavento palpitar il cor mi sento ! Indes-
sen war die Auffassung der Rolle in der Hauptsache verfehlt und
ich bedaure grade die Trivialität hervorheben zu müssen, zu der sich
ein so begabter Sänger doch wahrlich nicht herablassen müsste. Auch
ging er sehr dreist mit Mozart um, indem er an mehreren Stellen
sieb erlaubte Sachen zu ändern, nur um es seiner Stimme bequemer
oder für sie glänzender zu machen. Es bedarf wohl keines Wortes
darüber, dass Mozarts herrliches Werk denn doch vor solchen „Ver-
böserungen" geschützt sein sollte. — In eben so seltsamer Anschau-
ung wählte Herr Formes den Rossini'schen Figaro und missfiel hierin
mit Recht, da neben der ungeeigneten Persönlichkeit sich eine sehr
willkürliche Gebahrung nach allen Seiten, den Noten und den Mit-
spielenden geltend machte. In Summa: Herr Formes zeigte in diesen
und einigen anderen Rollen (Bertram, Caspar) eine überaus seltene,
mächtige, klangvolle Bassstimme, würdigste Ausführung und charak-
teristische Auffassung in den Rollen, wo langsame, feierlich ernste
Töne seiner Kehle entströmen, dagegen ein etwas starkes Herabzie-
hen in den lebhafteren Rollen, bei denen er das Komische ins Tri-
viale und das Scherzende in's Possenhafte veränderte. In der Don-
Juan-Aufführung war Mad. Maximilien als Elvira ganz vorzüglich,
Mad. Stradiot - Mende als Anna nicht so vortrefflich , als sie ihren
Mitteln nach sein könnte, wenn solche Damen den Rath denkender
Künstler hörten ; Herr Reichard ist als Ottavio sehr schwach ; Herr
Schützky, der den Don Juan gab, scheint sich mit der Rolle nicht
gut zu verstehen. Seine Person müsste bei weitem mehr den Cava-
lier zu repraaontiren verstehen. Doch diese Klage über die Darstel-
lung des Don Juan ist eine so alte und allgemeine, dass es scheint,
es solle uns nie der zauberische Genuss werden, diese erste aller
Opernparthieen poetisch, vornehm, feurig und musikalisch gross sin-
gen zu hören. So lange die Sänger nicht gebildetere Leute werden,
die sich selbst einen würdigeren Platz in der bürgerlichen Gesell-
schaft erkämpfen, so lange sind wir verdammt, diese ungenügende
Darstellung solches Meiserwerkes zu sehen. — Frl. Molendo (früher
in Cassel) gab die Zerline trefflich. Sie ist entschieden musikalisch.
Herr Formes hatte das Unglück, am Schlüsse des Sextetts in Es-dur
beim Hinauseilcn in eine Versenkung zu stürzen, und es ward die
Vollendung der Oper nur durch eine schnell bewirkte Vertauschung
der Rollen ermöglicht. Herr Capellmeister de Barbieri verlässt
im Spätsommer sein Engagement und an seine Stelle tritt alsdann
Ignaz Lachncr.
(Schluss folgt.)
CORRESPONDENZEN.
AUS DRESDEN.
(27. Februar.)
Die in meinem neulichen Briefe ausgesprochene Hoffnung, unsere
Oper werde bald sich angelegen sein lassen, eine erneuete regeThä-
tigkeit zu entfalten, scheint sich, was Novitäten betrifft, vor der
Hand leider, noch nicht realisiren zu wollen. Auch die verflossenen
vier Wochen brachten nichts Neues dem ein über alle Maassen tri-
viale und jämmerliche, aller oder jeden wirklichen Witzes entbeh-
rende , und zwar mit sehr vieler (25 Nummern) , aber sehr wenig
bedeutender Vaudevillemusik ausgestattete Fastnachtsposse unsers
Komikers G. Räder: „Anginettc" — eine langweiliche Verhunzung
von weiland Briton's „Aline , Königin von Golkonde" — kann, ob-
wohl sie viel Zeit und Kraft auch musikalisch in Anspruch nahm,
natürlich nicht zählen. Dagegen war auch musikalisch , von dem
sich fast unwillkürlich aufdrängenden Gedanken des Contrastes ab-
gesehen , eine neueinstudirte Vorführung der „Antigonc" mit Men-
delssohn-Barlholdy's Musik, ein Ereigniss zu nennen und ehrt unsere
Bühne. Vor neun Jahren gab man sie hier zum ersten Male; das
Unternehmen fand auch hier Anklang — man konnte die Aufführung
neunmal wiederholen. Auch gestern gab ein sehr zahlreich versam-
meltes Publikum Zeugniss xon der lebendigen Theilnahme, welche
man hier diesen Bestrebungen zollt, wenn man auch zugestehen muss,
dass durch eine derartige Verbindung der antiken Tragödie mit mo-
dern musikalischem Aufputz, mag sie auch zur Erregung allgemeiner
Theilnahme unbedingt nothwendig sein, ein hermaphroditisches We-
sen entsteht, das streng genommen nach keiner Seite hin vollständig
befriedigen kann. — Die Oper brachte uns Rossini's Barbier, Au-
ber's Stumme, Webcr's Freischütz , Mozart's Don Juan und Bellini's
Capuleti ; in den beiden letztgenannten Opern setzte Frl. Meyer
als Donna Anna und Giuliette (welche Contraste !) ihre Debüts fort,
und vermochte sie als Anna, trotz mancher überraschend gelungenen,
für ihr frisches Talent sprechenden Einzelheiten , nicht durchaus zu
befriedigen, so war ihre Leistung als Giuliette, abgesehen von den
früher schon erwähnten Mängeln ihrer bisherigen Gesangsbildung,
so bedeutend , dass meine neuliche Bemerkung über das Fach , in
welchem sie ehrenvoll und wohl befriedigend bei uns wirken könnte,
sich vollkommen bestätigt hat. Auch der lebhafte und aufrichtige
Beifall des Publikums, der ihr grade in dieser Partie gezollt wurde,
muss der jungen Künstlerin einen deutlichen Fingerzeig gegeben ha-
ben, welches das Feld ist, das ihr nachhaltig, bei weisem und gründ-
lichem Studium, eine reiche und erfreuliche Ernte verheisst. — Dass
übrigens mit Ausnahme des „ Don Juan " jene Opern kein tieferes
Interesse erregten, liegt auf der Hand: sie sind schon zu oft gehört.
So müsste denn die Theilnahme des musikliebenden Publikums vor-
zugsweise und in erhöhtem Maasse den Concerten sich zuwen-
— 43 —
den , deren der verflossene Monat einige in der That auch für wei-
tere Kreise bemerkenswerthe uns brachte.
Zunächst gedenke ich da der zweiten Quartcftakade-
mie, welche noch zahlreicher als die erste besucht, Haydn's schönes
Quartett in G-dur , Op. 77 , Nr. I. (Nr. 81 der grossen Pariser —
Nr. 63 der von unserm Lipinski besorgten neu, hier im Verlage von
W. Paul erschienenen Ausgabe) in vollendetester Ausfuhrung brachte.
Für Mozarts grosses D-moll-Quartctt , Op. 10, Nr. IL, schien aber
diesmal die rechte Stimmung, die volle Begeisterung zu mangeln;
seine Ausführung Hess, legen wir den angemessenen höheren Maass-
stab an diese Quartettlcistungen, in der Totalität, namentlich in der
geistigen Erhebung der Vertragenden zu wünschen übrig , während
Beethoven's schönes Septuor (hier ein Lieblingsstück des Publikums,
so dass es von Zeit zu Zeit in diesen Quartettakademien mit aus-
geführt werden muss), ein Paar kleine Einzelheiten abgerechnet,
meisterhaft von den Hrn. Lipinski, Göring, F. A. Kummer, Schmer-
bitz (Viotin, Viola, Cello und Bass), Kotte, Suchenek, Lorenz (Cla-
rinette, Fagott, llorn) vorgetragen ward, und nach Verdienst ausscr-
ordentlichsten Beifalls sich zu erfreuen hatte.
Auch unsere Kapelle gab am Aschermittwoch zum Besten
ihres Wittwen- und Waisenpensionsfonds ein sehr zahlreich besuch-
tes Concert, und als wollte man der vielfältig wiederholten Klage
begegnen, dass man so selten den Hochgenuss habe, von der Ka-
pelle Symphonien ausführen zu hören, hatte man diesmal deren drei
aufs Programm gebracht, ein enormer Luxus zwar, aber durch die
in der That glückliche Wahl und bei einer wahrhaft vollendeten,
charakteristischen und begeisterten Ausführung unter Reissiger's Lei-
tung dennoch nicht ermüdend, vielmehr das Interesse bis zu Ende
im höchsten Grade spannend und fesselnd. Das Concert begann mit
einer Symphonie in G-dur, weniger bekannt, als sie es zu sein ver-
dient, (leider, ist die Nummer nicht anzugeben) von J. Haydn, meis-
terlich gearbeitet und dabei doch so jugendfrisch, natürlich, innig-
melodiös und voll sprudelnden Humors, dass sie sich den reichsten
Beifall erwarb und die beiden letzten Sätze auf stürmisches Begehren
wiederholt werden mussten. Die grosse Suite von J. S. Bach in D-
dur (bekanntlich hat man in diesen Suiten die Grundlage der mo-
dernen Symphonie zu suchen), für Saiteninstrumente, zwei Oboes,
drei Trompeten und Pauken, deren er&te Aufführung schon in dem
Chorconcert des vorigen Jahres (am 8. November) ausserordentli-
chen Beifalls sich zu erfreuen hatte, fand diesen bei trefflichster
Ausführung noch in erhöhtem Maasse, und ein Gleiches war bei
Beethoven's erster Symphonie (F-dur) der Fall, welche den Schluss
des Concerts bildete. Lotti's grandioses zehnstimmiges Crucifixus,
eine Motette („Ehre sei Gott in der Höhe") von 0. Nicolai — beide
vom Hoflheaterchor gesungen — und Mozart's berühmte Arie aus
Titus: Parto, parto, durch Frl. Meyer vorgetragen, bildeten die Zwi-
schennuinmern des Concerts , dessen Programm in der That kaum
etwas zu wünschen übrig Hess.
Ein Concert anderer Art hatte ein hiesiger junger Musiker, Hr.
Moritz Siering, veranstaltet, um sich als Componist dem grösseren
Publikum bekannt zu machen. Er führte in demselben nur eigene
Compositionen auf, und ich würde desselben hier gar nicht erwähnen,
wenn nicht der junge Mann ein bedeutendes Talent , eine sehr ach-
tungswerthe Bildung und eine nach jeder Seite hin erfreuliche ge-
sunde künstlerische Richtung bekundete, die zu bedeutenden Hoff-
nungen berechtigt, wenn er allmälig die volle Selbstständigkeit sich
zu eigen gemacht haben wird, nach deren Erringung das ernste Stre-
ben unverkennbar ist , mag man auch jetzt noch die grossen Vorbil-
der zu deutlich erkennen, an welche er sich anlehnt und als welche
ich zunächst Beethoven und Franz Schubert bezeichnen muss. Ab-
gesehen von den kleineren Piano- und Gesangpiecen forderten vor-
zugsweise eine Ouvertüre (C-moll) für grosses Orchester und ein
Trio für Piano , Violine und Cello (A-dur) bedeutende Beachtung,
beide trefflich gearbeitet, wirkungsvoll und ansprechend. Je seltener
unter den jüngeren Componisten heutzutage wir die entschiedene
Richtung auf eine wirklich gesunde Musik und deren Verarbeitung
in grössere, ernstere Formen angestrebt finden, um so mehr ist es
Pflicht auch der Presse, auf derartige Talente auch in weiteren Krei-
sen aufmerksam zu machen.
Ausserdem gab noch der k. Kammermusiker Forkcrt, ein ach-
tungswarttar Clurinettist, ein zahlreieh besuchtes und beifällig aufge-
no^inene« Concert , mit Unterstützung der k. Kapelle , und unsere
Liedertafel beging, wie alljährlich, unter ausserordentlicher Theil-
nahme ihr Stiftungsfest, das durch äusserst geschmackvolle« ArttW-
gement wiederum lebendigstes Interesse gewann. Indess trat dabei
die musikalische Seite mehr in den Hintergrund — ein kurzes Con-
cert bildete gewissermassen nur die Einleitung zu Souper und Ball»
und davon hat denn natürlich eine Musikzeitung weiter nichts zu be-
richten. t
Unsere Kapelle hat auch im Februar wiederum zwei Mitglieder
durch den Tod verloren: den (pensionirten) Violinisten Jauch und
den Fagottisten P e s c h c 1 — nunmehr im Zeiträume von kaum 7
Wochen 7 ihrer Mitglieder, wenn man % Pensionärs mit einrechnet l
NACHRICHTE».
Frankfurt« Der Baritonist Beck (geborner Oesterreicher) hat
Frankfurt plötzlich verlassen müssen. Derselbe war für Wien enga-
girt worden, konnte jedoch die Lösung seines hiesigen Contraktes
nicht bewirken. Jetzt ist der Knoten auf unerwartete Weise gelöst
worden. Er erhielt nämlich Befehl von seiner Heimathsbehörde, sich
(in Folge der Einberufung der früheren Altersklassen zur Armee)
sofort zu stellen. Ob ihm dort Urlaub gegeben werden wird, um —
in Wien zu singen , steht dahin. Sein Abgang ist ein grosser
Verlust für die hiesige Bühne, besonders empfindlich in diesem Au-
genblicke, da die Messe vor der Thüre ist.
Fioravanti's „Sängerinnen auf dem Lande" wurden von Herrn
Dcttmer zu seinem Benefice gewählt und recht befriedigend aufge-
führt.
Berlin. Die Sing-Akademic hat endlich einen neuen Direktor
bekommen und zwar in der Person des bisherigen zweiten Direktors
Grell. Es bleibt demnach alles beim Alten.
Der Violinist Ed. Singer ist hier angekommen.
CÖln. Der hiesige Männergesangverein wird sein seit längerer
Zeit entworfenes Projekt, in London Concerte für wohlth&tige Zwecke
zu geben, endlich ausführen. Prinz Albert ist für das Unternehmen
gewonnen worden und Mitchell, der bekannte Theater-Unternehmer,
wird die Leitung übernehmen.
C. Formcs ist wieder hier eingetroffen, jedoch nur, um von hier
nach London zu gehen.
Die Stollwerk'sche Gesellschaft verlässt den 1. April Amsterdam
und kehrt über Antwerpen und Brüssel, wo sie gleichfalls Vorstel-
lungen geben wird, zurück.
Leipzig. Wagner' s Tannhäuser wurde hier bereits 9mal gege-
ben. Diese Oper gab Gelegenheit zu den Gastspielen des Tenoristen
Beck aus Weimar (Tannhäuser) und des Baritonisten Milterwurzer
aus Dresden (Wolfram). Letzterer hatte einen glänzenden Erfolg.
Mitte März wird Schumann's Musik zu Byrons „Manfred" im
Theater aufgeführt.
Frl. Bury, für die Gewandhaus-Concerte engagirt, hat Leipzig;
verlassen. An ihre Stelle trat Fr. Bochkolz-Falconi .
Mit dem 1. April tritt ein neues Gesang-Institut, eine Opernge-
sangschule, in's Leben.
Weimar« Am 16- Februar kam Wagner's „Fliegender Hollän-
der" zum ersten Male zur Aufführung. In Kurzem wird Lisst die 3
Wagner'schen Opern: Fliegender Holländer, Tannhäuser und Lohen-
grin, in einer Woche hintereinander aufführen. — Rieh. Wagner hat
jetzt den Text zu seinem grossen Dramen-Cyclus aus den Nibelungen
beendet Das Ganze besteht aus 3 Dramen und 1 VorspieL Er wird
der musikalischen Ausführung dieses Riesen -Entwurfes seine näch-
sten Jahre widmen.
44 —
In dem letzten Abonnements - Concerte traten auf '*
Ffi Buiy ans Leipzig und der Violin- Virtuos Ed. Singer. Letzterer
spielte den 1. ' Satz ans dem Es-dur.Concert von Paganini und eine
Phantasie eigener Composition. Zwei Tage darauf veranstalteten die
HB. J. Joachim und C. Reinecke eine Soiree, welche herrliche Ge*
nüsse bot.
Hannover* Verdi's „Rigoletto", welcher hier allen Warnun-
gen von Seiten der Kritik zum Trotze in Scene gesetzt wurde, hat
total Fiasco gemacht. Die hiesigen Blätter erklären, dieses Mach-
werk durch die Presse auspfeifen zu müssen, da dies im Theater selbst
verboten gewesen sei.
Iiondon« Wie es heisst, wird das Covent-Garden- Theater mit
Oberon eröffnet.
Unter den Concerten zeichnen sich besonders die Soiree' s musi-
cales des treffliehen Pianisten E. Pauer durch gediegene Leistungen aus.
In Camberwell, einem Orte nahe an der City von London, be-
wohnt von den reichen Kaufleuten, hat sich eine Liedertafel gebildet,
welche Herr Ernst Pauer dirigirt.
Derselbe hat in einem Goncerte ausser mehreren neuen Solo-
stücken auch eine Sonate für Piano und Violoncello seiner Compo-
sition, diese mit Piatti vorgetragen, und allgemeinen Beifall damit
geerndtet. Alle Kritiker sprechen von dieser Sonate als von einem
aehr bedeutendem Werke.
England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben
einen internationalen Vertrag abgeschlossen zum Schutze des litera-
rischen Eigcnthums, ähnlich dem, welcher zwischen England und
Frankreich besteht.
Petersburg. Die italienische Oper schliesst mit 15. März ihre
Vorstellungen. Gegenstand der allgemeinen Huldigungen war seit
ihrer Ankunft Mad. Viardot- Garcia, welche als Rosine, Desdemona
und Aschenbrödel Alles entzückte. Der Prophet konnte wegen Krank-
heit des Tenoristen Mario noch nicht gegeben werden. Doch dauer-
ten die Proben fort. — Der berühmte Violinist Leonard ist hier.
Moskau. Die Sängerin Frau Nissen-Salomon hat hier nach
einer längeren Kunslreise durch Polen und Russland (bis Kasan und
Odessa) ein brillantes Concert und 3 Matineen gegeben. Sie sang in
letzteren Arien von Händel, Haydn, Mozart, Graun, Rossini, schot-
tische Lieder von Beethoven und Lieder von Schubert. Grosses In-
teresse erregten die mitwirkenden Herren Hardorff und Genuschka»
beides treffliche Pianisten aus der Zeit Fields, letzterer sogar ein
Schüler desselben, welche aber beide seit langer Zeit, ersterer seit
20 Jahren, nicht mehr öffentlich gespielt hatten.
Amsterdam. Seit drei Monaten gibt hier die italicnishe Oper
mit den ehemaligen Grössen Persiani, Tamburini, dem Tenoristen
Gardoni u. s. w. Vorstellungen. Letzterer wird als ein in jeder Be-
ziehung vollendeter Künstler gerühmt. Daneben besteht noch eine
französische Oper, welche aber schlechte Geschäfte macht. Desto
mehr zieht die Stoliwerk'sche Vaudeville - Gesellschaft aus Köln das
Publikum an. Sie spielt stets bei gedrückt vollen Häusern.
Paris« Im Augenblick ist wenig Neues von Bedeutung zu be-
lichten. Die ital. Oper erwartet die Damen La G ränge und Florio
und Signor Rossi (bisher in Amsterdam).
Einen interessanten Brief Ferd. Hillers in der Kölner Zt«. über
die hiesigen musikalischrn Notabili täten und das angebliche lieber-
wiegen der Deutschen entnehmen wir Folgendes :
„Meyerbeer (also ein Deutscher) spielt in den Gebieten der
gros n Oper und der grossen Instrumentalmusik allerdings die her-
v&.kgendste Rolle. Er ist der unbestrittene Direktor der Academie
Imperiale deMusique; aber es würde ungerecht sein, den Franzosen
Halevy in seiner Richtung gegen ihn zurückzustellen. Beide sind
wr Allem dramatische Componisten , beide machen hie und da Con-
cessionen, ohne welche sie vielleicht ihre Aufgabe, die Massen zn
bezwingen,. für ganz unlösbar halten. ~ Der Deutsche hat offenbar das
grössere Talent für sich — im redlichen Willen steht ihm aber der
französische Tonsetzer gewiss nicht nach.
Auber ist dermasSen der eigentliche Ausdruck der französischen
Theatermusik, dass man derselben in Bausch und Bogen den Krieg
erklären müsste, um gegen Auber aufzutreten. Letzteres dürfen wir
Deutche uns um so weniger einfallen lassen, als wir Opcrn-Componi-
sten, wie C. Kreutzer, Lortzing u. s. w., in unserem Vaterlande fort-
während rühmen hören, und dass diese gegen einen Meister, wie
Auber geradezu Dilettanten sind, wird kein Musiker von Fach be-
streiten.
An der grossen Oper begegnen wir aber, freilich nur mit einem
Succes d'eslime, einem jungen Componisten, Goun od» dessen Stre-
ben ein so entschieden echtes und reines ist, wie wir es nur wün-
schen können. Seine Oper „Sappho", seine Chöre zum „Ulysses" von
Ponsard , einige seiner Kirchen-Cornpositionen sind gänzlich auf die
ungetrübteste Wahrheit des Ausdrucks gerichtet, und wenn er auch
in der Folge eine hinlänglich reichhaltige Erfindungsgabe bewährt, so
hat er und die Oper durch ihn viele Erfolge zu hoffen. Er arbeitet
jetzt an einem öaktigen Werke, zu welchem ihm Scribe den Text
geliefert hat.
Berlioz ist in Deutschland durch seine Werke und seine Schrif-
ten berühmt genug , und seinen grossartigen künstlerischen Bestreb-
ungen wird Niemand Verehrung verweigern, das Wohlgefallen an
seinen Schöpfungen mag je nach Geschmack und Erziehung auch noch
so verschieden sein.
Fei. David hat seit seiner „Wüste" keinen grossenErfolg mehr
errungen; auch muss ich gestehen, dass Alles, was ich von seinen
späteren Werken gehört , jenem reizenden Erstlingswerke nachstand.
Aber weder in seinen Versuchen für die Bühne, noch in der Instru-
mentalmusik kann man ihm gemeine Concessionen nachweisen. Er
veroflgt aufrichtig und gewissenhaft den eingeschlagenen Weg.
Ein Componist, der seit 25 Jahren mit der grössten Unabhängig-
keit, ich möchte sagen mit einer gewissen Sauvagerie , seine Bahn
geht und sowohl für seine Kammermusik, wie für seine Lieder und
neuerdings für seine Oper: „Lc pere Gaillard" die schönste und
wohlverdienteste Anerkennung gefunden, ist Henri Reber. Ich gehe
auf seine Leistungen im Einzelnen nicht ehr, weil es mir heute nur
darum zu thun ist, die französischen Tonkünstler zu bezeichnen,
welche „die Würde ihrer Kunst" in Paris auf's Beste und Vollstän-
digste vertreten.
Th. Gonvy, ein junger Tonsetzer, der schon vor einigen Jah-
ren durch Aufführung einer Sinfonie in Leipzig reichen Enthusiasmus
erregt, gab kürzlich ein Concert, in welchem er nur eigene Compo-
sitionen aufführte. Eine neue Sinfonie bewies, wie reich sein Talent,
wie würdig seine künstlerischen Intentionen sind und wie viel die
französische Instrumentalmusik von ihm zu erwarten hat.
Thomas, vielleicht weniger begabt, als manche seiner populä-
ren Rivalen bei der Opera comique, componirt mit der entschieden-
sten Gewissenhaftigkeit. Seine Opern sind so fein und sauber
wie Filigrän-Arbeit ! Wenn es nicht der „Würde der Kunst" zu
nahe treten heisst, eine „echt komische Oper wie den „Caid" zu
schreiben , wa 4 » doch keinem vernünftigen Menschen einfallen wird
zu behaupten, so wüsste ich nicht, was man in dieser Hinsicht irgend
gegen ihn einwenden" könnte." ....
Hierauf geht Hiller auf die Instrumental-Componisten über, unter
denen nur 2 Deutsche von Werth, Heller und Rosenhain, sich befin-
den. Er hebt dann die trefflichen Conservatorien-Concerte , denen
ausschliesslich Werke deutscher Meister zu Gehör gebracht werden,
die Concerte der Societe" de St. Cecile unter Seghers, die Matineen,
welche Alard, der beste Schüler Baillots, Franchomme, einer der ge-
diegensten lebenden Violoncellisten, Ackan u. s. w. geben, hervor,
erinnert an die neuesten Kunstbestrebungen der tüchtigen Künstler
Morin, Chevillard u. s. w., welche die letzten 6 Streich - Quartette
Beethovens, an denen sie ein ganzes Jahr studirten, schon zwei Win-
ter hindurch in einer Reihe von Morgen-Concerten dem Publikum vorfüh-
ren, ohne mehr als höchstens die Kosten herauszuschlagen, berührt
die sog. Virtuosen-Concerte und Salonspieler, deren es allerdings eine
erkleckliche Menge gäbe , ohne aber hierin Deutschland zu übertref-
fen, und schliesst endlich mit dem Wunsche, sich solchen Thatsachen
gegenüber nicht in einer Weise zu erheben, die der sogenannten
deutschen Bescheidenheit schlecht anstehe.
Vmntwortllcher Redaktenr : J.*J. SCHOTT. - Brück von REUTER & WALLAU in Main«.
2. Jahrang.
BTr. 19.
21. März 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung; erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
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REDACTION «KD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
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fftr den Jahrgang;.
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Inhalt: Künstler - Skizzen. II. Tichatschek. — Hamburger Briefe (Schluss.) — Corresp. (Mainz. Paris). — Nachrichten,
KÜNSTLER-SKIZZEN.
If. Tichatschek.
Ein Musikgelehrter hat einmal die Behauptung ausgesprochen,
dass in dem Klange der Stimme eines Sängers (versteht sich wohl
bei einem kunstgebildeten Vortrage) eine sichere Charakteristik sei-
ner künstlerischen Individualität zu finden sei. Wenn ich diesen
Ausspruch auch im Allgemeinen nicht als Norm anzunehmen geneigt
bin ; so ist er doch auf Tichatschek mehr als auf so manchen
anderen Sänger anwendbar. In der Eigentümlichkeit seiner Stimme
spielen sich alle Vorzüge und Mängel dieses Sängers auf eine über-
raschende Weise ab. Es geht diese Ansicht jedoch keineswegs aus
einer Beurtheilung seiner Leistungen in der letzten Zeit seines dra-
matischen Wirkens hervor, wo die Frische der Klangfarben seiner
Stimme schon langsam abzubleichen anlangt, wodurch die verglei-
chenden Beziehungen minder scharf und bestimmt hervortreten; son-
dern sie ist das Resultat gezogen aus der Blüthezeit seiner Künstler-
laufbahn.
Wie es seiner Stimme an dem reichen, fülligen, dabei sanft an-
legenden Tonschmelz fehlt, so mangelt dem Sänger selbst jene sinnige
Empfänglichkeit der Seele, welche vor Allen, wahren poetischen Na-
turen eigen , jene Empfindsamkeit des Gemüthes und der elegische
Hauch, die von dem Künstler ausgehend den Hörer unwillkürlich in
ihre Zauberkreise ziehen, und ihn mit sanfter Rührung erfüllen; da-
gegen wohnt seiner Stimme wieder jene Bestimmtheit und Kraft inne,
welche seiner Künstlernatur homogen , und in allen jenen Parthieen
siegreich hervortreten, die in jener Richtung sich bewegen; wie seine
Stimme scharf, und in so manchen Tönen den Wohlklang entbehrt,
so ist seine Darstellung oft einseitig ; auch ihr mangelt jene wohlge-
fällige Abrundung, jene anmuthige Natürlichkeit und Formschönheitj
sie wird oft bizarr und stösst ab, statt anzuziehen ; gleichwie manche
Töne gepresst, mit Zwang aus der Kehle hervorgeholt erscheinen,
so ist seine charakteristische Auffassung oft unwahr, mehr geziert
als bezeichnend und psychologisch richtig. Es Hessen sich bei Ti-
chatschek diese Vergleiche noch weiter fortspinnen und in seinen
Einzelnheiten verfolgen; allein es mag dies vor der Hand genügen.
Tichatschek ist dem Charakter seiner Stimme nach ein
eigentlicher Heldentenor. Jeder andere Genre liegt seiner Stimme
und Kunst-Individualität ferne. Fehlt es ihm auch an lyrischer
Befähigung keineswegs, so ist doch eben seine Stimme nicht weich
und volubil genug, um auch in lyrischen Parthien vollkommen zu
genügen; wenn ihn nicht schon zu diesen die mindere Coloralurfä-
bigkeit seines Vortrages überhaupt weniger geeignet erscheinen Hesse.
In jener Richtung aber leistet er mitunter Ausgezeichnetes; so ist
er als Masaniello, Rienzi, Robert und Raoul vorzüglich, und wenn
ich auch eben dem Ausspruche M eyer becr's, der ihn für den
ersten jetzt lebenden „Raoul" erklärt haben soll, besonders im
gegenwärtigen Momente nur bedingungsweise beipflichten kann, so
muss ich doch offen gestehen, dass er gerade in dieser Parthie im-
merhin mehr Chancen für sich hat, als: Ander, Erl und Steger
welche in derselben floriren,
Von dem Tenoristen Jäger seligen Angedenkens bis zu Brei-
t i n g und von B i n d e r bis zu E r 1 ist der Vorwurf, den man mit
dem bekannten Ausdrucke „Tenoristen -Spiel" verbindet, noch
nicht entkräftet worden. Auch T i c h a t s c h e k's Leistungen als
Schauspieler, seine charakteristische Auffassung und seine dramati-
sche Darstellung entgehen diesem Vorwurfe nicht. Legt er auch in
dieser Hinsicht viele Bühnengewandtheit an den Tag, so fehlt ihm
doch meist ein tieferes Eingehen in den Geist seines dramatischen
Charakters und nicht selten bietet er für Natürlichkeit — oberfläch-
liche Auffassung, für Innerlichkeit und wahre Begeisterung aber ko-
kette Manirirtheit. Jene den S 1 a v e n vor allen anderen Völkern
besonders charakteri sirende Leidenschaft in Gesang und Darstellung,
wodurch sie die Affektmomente mit schärferen Conturen zu zeichnen
vermögen als der kältere, reflektirende Deutsche und dadurch je-
denfalls eine schnellere Wirkung auf den Zuhörer hervorbringen,
ihn sogar oft mit sich fortreissen, diese wohnt auch Hrn. Tichat-
s che k's Vorstellungen inne, und verleiht ihnen einen besonderen
Reiz ; dafür aber kränkelt auch wieder sein Vortrag an der slavi-
schen Süsslichkeit, welche meistens den günstigen Eindruck verwischt
und in die Länge fade und unerquicklich wird.
Was hingegen seine musikaliche Ausbildung anbelangt, so ist
sie eine durchwegs gründliche, und entspricht ganz dem Rufe, wel-
chen er in der ganzen musikalischen Welt dicssfalls geniesst. So
wie Staudigl bewahrt auch Tichatschek ein praktischer Blick
und ein seltenes musikalisches Verständniss vor Missgriffen, aber
auch wie Jener, lässt er sich durch Eitelkeit und Ueberschätzung
seiner Kräfte , oder durch die Sucht um jeden Preis sein Repertoir
zu vergrössern und zu erweitern, verleiten aus seinem Genre ganz
herauszutreten, und schadet dadurch seinem Künstlerrufe weit mehr,
als er er sich möglicher Weise dadurch genützt haben würde, wie
es z. B. vor längerer Zeit bei der Partie des „Zampa" der Fall war,
die für seine Stimmlage viel zu tief gelegen, ihm schon aus dem
Grunde nicht zusagen konnte, weil ihm die Freiheit, Gewandtheit
und Leichtigkeit des Spieles und Vortrages abgeht , die jene durch-
aus bedingt.
Dass Tichatschek von der Erbsünde der Künstler, besonders
aber der Sänger , nämlich von eitler Anmassung nicht ganz
frei sei, diess möge ein gewisser Theil des Publikums verantworten,
welcher sich nicht damit begnügt die gelungenen Leistungen der
Künstler lobend anzuerkennen, sondern sogar die Fehler seines Lieb-
lings für Vorzüge ausgibt, uud ihn dadurch systematisch zur Eitelkeit
und Selbstüberschätzung ausbildet. Nicht selten kommen daher Fälle
vor, wo der Künstler aus übler Laune einzelne Parthien, die ihm
eben nicht gefallen, mit Unlust und Nachlässigkeit gibt) und sich So-
mit schwer versündigt an der Achtung, die er dem Publikum, aber
auch dem Komponisten schuldig ist, dessen Werk er verunstaltet,
statt es zu verherrlichen.
Ein Vorwurf, der Tichatschek häufig von seinen Mit st reben-
den gemacht wird, nämlich, dass er nicht immer ganz gerecht sei
gegenüber den Leistungen seiner Collegen, mag wohl nicht ihn allein
treffen; ja ich glaube, dass es überhaupt wenige Künstler geben
werde, welche sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen haben 5
#8
dessen ungeachtet aber ist selbst die kleinste Intrigue immerhin eine
Versündigung an der Kunst, und die Tragweite derselben ist in dem
wechselvollen Künstlerleben nicht immer abzusehen. Wehe aber dem
Künstler, der sein Gewissen mit dem absichtlich herbeigeführten Ruin
eines jungen Künstlertalentes belastete ! —
-<•••>-
HAMBURGER BRIEFE.
(Schluss).
Herr Haffner und seine drei Collegen gaben Quartett - Unterhal-
tungen, in welchen das grosse Dreigestirn wie natürlich seine Ober-
herrschaft oder vielmehr seine Alleinherrschaft geltend machte. Denn
wenn wir einige sehr schöne Arbeiten von Mendelssohn, Onslow,
Spohr, Schubert noch so hoch achten wollen, an jene drei Meister
reichen sie nicht heran. Jene 4 Quartettisten verdienen hohes Lob
und erndten viel herzlichen Dank von ihren Zuhörern, deren Zahl
denn doch immer zunimmt und die in ihrem Kommen die treueste An-
hänglichkeit an diese tiefste Musikgattung zeigen.
Ein sehr interessantes Goncert ward uns durch das Auftreten des
jungen Herrn Bernhard Hildebrand Romberg bereitet. Er ist ein En-
kel des alten Bernhard Romberg, der als Bürger Hamburgs lange
Jahre hindurch sich die Liebe und Achtung Aller erworben hat. Der
freundliche Willkomm, mit dem der bescheidene junge Mann begrüsst
ward, fand seine volle Rechtfertigung in seinen treulichen Leistungen.
Er spielte Compositionen seines Grossvaters und zeigte dabei, dass
ihm sehr edler Ton, weiche innige Empfindung, sehr schöne Bogen-
führung und bedeutende Fertigkeit gegeben ist. Die jugendlichen
Jahre, in denen er steht, geben die Hoffnung, dass alle seine Vorzüge,
zu denen im hohen Grade ein natürlicher seelenvoller Ton gehört,
sich sehr bald zu noch glänzenderer Höhe entwickeln werden. Er
hat seitdem in Berlin mit grossem Beifalle gespielt und bereitet sich
jetzt vor zur Saison nach London zu gehen. Auch dort wird für das
Tüchtige, was er leistet, ihm der hochgeehrte Künstlername, den er
führt, die schönste Einführung sein. —
Das philharmonische Goncert brachte die erste Leonoren-Ouver-
türe in sehr unsorgfältiger Ausführung und dann eine neue Sinfonie
von dem Organisten Ritter in Magdeburg in G-moll. Gewiss ken-
nen Sie und Ihre Leser viele ähnliche Arbeiten , die in der Form
ganz vortrefflich, in der Instrumentirung sehr hübsch, in der Modu-
lation richtig , genug in alle dem was man lernen kann durchaus
tadelfrei dastehen und die dennoch am Ende einer sehr langen An-
strengung kein anderes Resultat erzielen, als ein ermüdendes Durch-
einander, eine einschläfernde Kraft zu zeigen. „Sinfonie, que me
veux tu ?" — Der alte Rameau hatte wohl Recht ! — Ach 1 sangbare,
einfache, neue und dennoch natürliche Melodieen, wann werden sie
kommen ? Wann wird der Messias kommen , der uns zwingen kann
nicht die alten Götter zu vergessen oder weniger zu lieben, aber
in ihren Kreis einen Jüngern aufzunehmen, an dessen Hand uns neue
bisher unbekannte Pfade aufgeschlossen werden ? Ich gestehe , dass
es mir schwer fällt, eine so tüchtige Arbeit, wie die des Hrn. Rit-
ter, so wenig erfreulich zu finden; aber in diesem Worte „Arbeit"
steckt der zermalmende Vorwurf, dem alle diese vielen Sinfonien,
Oratorien und Opern zum Opfer fallen.
In demselben Concert trat der Hofkapellmeister AI. Dreyschock
auf. Seine eminente Rapidität in Läufen, die grosse Kraft seiner blitzen-
den Octavengänge und Sprünge, vor allem aber die Bravöur seiner
linken Hand, haben ihm eine Verehrung zu W r ege gebracht, welche
mir ein bischen zusehr die wesentlichen Schattenseiten zu übersehen
schien. Es fehlt Herrn Dreyschock an Seele, denn die wirkliche
musikalische, tiefere Empfindung wie sie sich auf den heutigen treffli.
chen Flügeln wohl darstellen lässt, liegt im edlen feinen elastischen
Aufschlag und bedarf nicht des sehr unpassenden Mittels , welches
Herr Dreysch'ock anwandte, nämlich ganze sehr lange Stellen im-
merfort mit der Verschiebung zu spielen. Er trug das G-moll Con-
cert von Mendelsohn sehr fertig und sehr keck vor, so dass die
Wirkung in allen rakiden und heftigen Sätzen vollendet war, Alle
sangbaren Stellen aber und vorzüglich das Larghetto schienen mir nicht
im Entferntesten an das Ideal reichen, was Mendelsohn selbst so zau-
berisch-schön nahezu verkörperte. Der Vortrag eiser Fuge von Hän-
del war vollendet hinsichtlich der Deutlichkeit der Stimmführung,
aber beinahe komisch, hinsichtlich des Charakters. Ich musste mich
dabei unwillkürlich des trefflichen Vortrages der grossen A-moll Fuge
von J. S. Bach (sechs Fugen und Präludien bei Mechetti in Wien)
durch Frau Clara Schumann erinnern, welche dieselbe technische
Vollendung denn doch nur als Mittel zum Zwecke benutzte, um in
würdigster, ernstester Weise eben die Tiefe dieser Gattung zur Gel-
tung zu bringen. Ueberhaupt wenn man den Unfug sieht , den jetzt
alle diese „Virtuosen" mit den Fugen jener grossen Meister trei-
ben, die sie dem grossen Haufen" im Galopp vorreiten, so möchte ich
manchmal wünschen, dass die alten Riesen einmal plötzlich herein-
träten und den Zwergen in der Musik auf die Finger klopften. — Hr.
Dreyschock entzückte endlich Alle (?) durch den Vortrag seiner
Variationen über „God save the King'« für die linke Hand allein,
eine der auffallendsten Verirrungen auf dem Gebiete der Tonkunst,
die mir je vorgekommen. Wenn Leute, die da,s schön oder gar be-
wundernswerth finden mir gegenüber Beethoven's oder Mozart's Sin-
fonien loben, da möchte ich immer laut lachen. — Herr Dreyschock
gab endlich noch ein eignes Concert , worin er unter andern die un-
vermeidliche Cis-moll Fantasie vom Meister Ludwig vortrug. Grosser
Streit in Israel wer diese Composition besser gespielt, ob Drey-
schock oder Rudolph Willmers, der wenige Tage früher in sei-
nem eignen Concert dieselbe Fantasie gegeben hatte. Ich denke,
Beethoven selbst und einige andere Leute reichen bald eine Supplik
ein, dass doch die Herren Virtuosen so gnädig sein mögen , seine
Sachen nicht mehr zur Schemata ihrer Grösse zu machen. Das eben
erwähnte Concert des Herrn Willmers hat nicht viele Sensation er-
regt, ungeachtet auch ihm grosse technische Vollendung nicht abzu-
sprechen ist Ersichtlich aber hatte er unter dem Eindruck zu lei-
den, den sein Nebenbuhler Dreyschock im Publikum der Dilettanti
hervorgebracht hatte. Auch hatte Herr Willmers nicht dafür gesorgt
mit nur einer Hand zu spielen, ein unwiderleglicher Nachtheil, indem
er sich befand.
Herr Grädcner führte mit einem von ihm vor einigen Jahren
gegründeten Gesangverein die schon früher öfter hier gegebene Wal-
purgisnacht von Mendelssohn und ein Oratorium eigner Composition
auf. Dies letztere, unter dem Namen „Johannis der Täufer", hat
den Anklang nicht gefunden, den der Verfasser wohl gehofft hat. —
Dazu haben vor allem der Mangel an Erfindung, die sehr schwachen
Formen der Solostücke und vorzüglich die unpassende Benutzung der
menschlichen Stimme beigetragen. Ernst,
CORRESPONDENZEN.
AUS MAINZ.
(Anfang März.)
Heisa, Juchhei! Dudeldumdci!
Das geht ja hoch her ; bin auch dabei !
So möchte mau jetzt voll Ingrimm mit dem humoristischen Eife-
rer in Wallensteins Lager ausrufen, wenn man sich mitten in all dem
ohrzerreissenden Treiben befindet, welches unsre Frühjahrsmesse her-
beibringt. Es gehört wahrlich mehr als stoische Geduld dazu, von
Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht bald von einem Orpheus
mit verstimmter Drehorgel, bald von einigen Dorf-Paganini's, bald von
einer Dekade „Bergknappen", bald von allen zugleich gemartert und
zur Verzweiflung gebracht zu werden. Doch „Geduld, Geduld, wenn's
Herz auch bricht 1" — Ich habe einen ziemlich langen Nachtrag un-
serer musikalischen Ereignisse zu liefern , und fange füglich mit der
Oper an. Ein billiger Beurtheiler wird sich hier in manchen Be-
ziehungen befriedigt erklären müssen : wir hatten eine lobenswerthe
Mannichfaltigkeit im Repertoire, indem nicht allein wieder eine neue
Oper, „die lustigen Weiber von Windsor", sondern auch mehrere
filtern Opern, wie die Jüdin, Lestocq n, s. ft , neu einstudirt auf die
Bühne gebracht wurden. Dabei dürfen wir nicht unerwähnt lassen,
dass sich Herr Kapellmeister Lux, uns schon lange als Musiker
rühmlich bekannt, auch als Dirigent grössere Fertigkeit und Rührig-
- 47 -
keit zu gewinnen scheint, mir wäre zu wünschen, dass er auf die
vorgeschriebenen Tempo-Bezeichnungen achtsamer wäre. Die Sänger
und Sängerinnen lassen es ihrerseits an Anstrengungen nicht fehlen.
Fräulein Ha 11 er, unsere Primadonna, hat durch ihre Stimmmittel,
die anfangs etwas geschwächt schienen, wie durch Vortragskunst und
Spiel in der Achtung des Publikums bedeutende Fortschritte gemacht ;
die Col oratur sänger in , Fräulein Remond, ersetzt die etwa fehlen-
den Perlen der Töne durch die Perlen ihrer Zähne, durch ihre lie-
benswürdige Erscheinung, verbunden mit Kraft der Stimme und Fleiss
im Einstudiren ; der erste Tenor, Herr B e i e r , findet sich in allen
Parthien zurecht, und ist in manchen, und zwar sehr schwierigen,
recht brav; vom lyrischen Tenor, Hrn. Krön, wünsche ich Gleiches
berichten zu können, er ist aber, auf's Schonendste ausgedrückt,
nicht besser geworden; — der Baritonist, Herr Meyer, verdient und
erhält in Gesang und Spiel alles Lob ; ebenso unser wackerer Bas-
sist, Herr Schifbenker. Das Orchester war , besonders in den
Blasinstrumenten, früher vollkommner.
Virtuosen-Conccrte sind bei uns gänzlich verschwunden : es
ist hier Nichts zu machen! Dagegen hatten wir mehrere Auffüh-
rungen der musikalischen Vereine, unter denen immer wieder die
Liedertafel das Vorzüglichste leistete. In ihrem Concerte vom
31. Januar, das sie in Zusammenwirkung mit dem Damengesang-
vereine, unter der ausgezeichneten Direktion des Herrn G. Vier-
ling, im kleinen Saale des Ca sino's veranstaltete, erfreute ein reiches
und vorzüglich ausgeführtes Programm das zahlreiche Auditorium-
Sehr interessant war es uns, dabei Herrn Eduard Föckerer, der
trotz seinem kurzen Aufenthalt in unserer Stadt bereits grosse Aner-
kennung als Lehrer im Pianoforte - Spiel gefunden hat und über und
über beschäftigt ist, öffentlich im Solovortrage zu hören. Die zwei
von ihm executirten Stücke seiner Composition : „Elude melodique"
und „Scherzo grazioso" lehrten ihn uns auch als ausübenden Pianis-
ten hochschätzen. Den lebhaftesten Beifall erhielt ferner Herr Hof-
musiker Jean Beker aus Mannheim, der drei Solo-Nummern auf der
Violine vortrug : 1) Concertstück für die Violine über „Gott erhalte
Franz den Kaiser" von Leonard ; 2) „Introduction et Rondo chinoise",
komponirt von Kettenus und 3) „Fantasie burlesque" für die Violine
komponirt von Kettenus. Er erwies sich in jedem Betracht als ein
trefflicher Violinspieler und seines Meisters Kettenus im höchsten
Grade würdig. Schade, dass das Lokal im Verhältniss zu Mitwirken-
den und Zuhörern bei Weitem zu klein war. Viel passender zeigte
es sich einige Wochen später bei einem darin veranstalteten Abend-
essen der Liedertafel, dessen ich vornehmlich aus dem Grunde er-
wähne, weil während desselben ausser vielen einheimischen Dilettan-
ten und Künstlern ein recht tüchtiger Violinist, Herr Engels, aus
Bonn, in zwei Solovorträgen seine Meisterschaft aufs Glänzendste
zur Geltung brachte.
AUS PARIS.
(Ende Februar.)
Die Italiener singen vor leeren Bänken und werden , wenn das
so fortgeht, mit einem enormen Deficit schliessen müssen. Die pomp-
haften Ankündigungen und die Kniffe und Intriguen einer gewissen
Sippe , welche sonst auf das Ausbeuten der Kunst und der Künstler
sich gar wohl versteht, haben also nichts gefruchtet, so wenig als
noch jetzt die lobpreisenden Reclamen etwas zu fruchten im Stande
sind, mit welchen man das Publikum zu verblüffen sucht. Was auch
von interessirten Blättern darüber veröffentlicht werden mag, die all-
gemeine Meinung ist, in Uebereinstimmung mit der nicht zu leugnen-
den Thatsache, dass die Leistungen unerträglich sind und die Anstalt
in desolutem Zustande. Von einer solchen Vorstellung des „Don
Juan", wie die, mit welcher jüngst die Verehrer Mozart's beglückt
wurden, bei denen noch die herrlichen Aufführungen des Meisterwerks
durch die frühere Truppe in so lebhaftem Andenken stehen, von die-
sem miserablen Ensemble, von solchem Falschsingen hat man keinen
Begriff. Und dass das böse Blut, welches der Prozess zwischen der
Direktion und der in vollem Maasse als assoluta sich gerirenden Pri-
madonna erzeugt, der Einheit und dem Ensemble keinen sonderlichen
Vortheil bringt, lässt sich denken. Rechnet man nun noch hinzu den
seit der Verurtheilung dieser Dame plötzlich eingetretenen gänzlichen
Umschwung zweier Hauptblätter, die bis dahin die eifrigsten Lob-
redner und Vertheidiger der Anstalt waren und nunmehr die rück-
sichtsloseste Feindseligkeit üben, so haben wir den ganzen Jammer
vor uns und trotz aller angekündigten Engagements neuer Sänger und
Sängerinnen erster Grösse, von denen man nicht weiss, an welchem
Himmel sie glänzen und woher sie kommen sollen, wenig Aussicht
zur Besserung wie zu einem glücklichen Endaoslauf des Unterneh-
mens. — Die kaiserliche Akademie der Musik oder die grosse Oper
wechselt ab mit Robert, Hugenotten und Prophet, der Favorite na4
dem ewigen Juden, und hilft sonst mit Ballet aus, Orfa erhält sich
des hier sehr fern liegenden, fast unverständlichen Stoffs ungeachtet
Roger, der in diesen anstrengenden Räumen vorzeitig seine Stimme
einbüssen wird , wie Düprez gethan , und bereits gar viel verloren
hat, während er an der komischen Oper die ihm von der Natur an-
gewiesene schöne Stelle so vollkommen ausfüllte, sieht in Gueymard,
dem es späterhin nicht besser gehen wird, einen gefährlichen Neben-
buhler auftauchen , der ihm bei seiner Eitelkeit ein wahrer Dorn im
Auge ist. Die Nachricht aus Deutschland von dem im Juni eintre-
tenden zehnmonatlichen Urlaub der Johanna Wagner, gibt dem Ge-
rücht von ihrem Engagement hiersclbst zum Auftreten in der neuen
Oper Meyerbeer' s, eine bestätigende Glaubwürdigkeit. Von dem frü-
her beregten Werk dieses Meisters für die komische Oper, das jener
vorangehen sollte, hört man seitdem nichts. Die komische Oper mit
ihren allerliebsten Erzeugnissen und trefflichem Personal', der wahre
Ausdruck des französischen Nationalcharakters, hält sich immer noch
am besten und hat mit dem Marco Spada auch jetzt noch befriedi-
genden Zulauf. Auch das dritte lyrische Theater ist rührig und le-
bendig und darf, trotz seiner misslichen Lage ausserhalb der gebilde-
ten pariser Welt auf dem fernen Boulevard , sich guter Erfolge er-
freuen. Das eigentliche Interesse der Saison bewegt sich aber nicht
in den Theatern, sondern im Concertsaale und rh den Privatzirkeln.
In unübertroffener Meisterschaft bietet, mit dem gleiche Vollendung
des Vortrags anstrebenden Seghers'schen Cäcilienvereine abwechselnd,
alle 14 Tage die Concortgesellschalt desConservaloiredie reinsten Kunst-
genüsse einem in der Zahl leider durch die Räumlichkeit nur zu be-
schränkten Publikum dar, soz.B.Beclhoven's 9. Symphonie und, Men-
delssohn s Sommernachtstraum wie man sie nur wünschen kann und
mit stets wachsendem Verständniss und Erfolg. Nur der Chorgesang
in ersterer, überhaupt die schwache Seite der Franzosen, ist in hohem
Grade ungenügend, unfrei und matt. Hierin bleibt noch viel zu thttn
übrig. Unter dem Namen einer „ Concertgesellschaft der jungen
Künstler" hat sich ein neues Orchester von fünfzig Jünglingen gebil-
det, die sämmtlich noch jetzt als Schüler das Conservatoire besuchen
und worunter sogar zwölfjährige Herren tapfer mitwirken. An der
Spitze J. Pasdeloup, ein junger Musiker von grosser Rührigkeit und
bekannt durch einige beliebte Tanzcompositionen ; die Chöre dirigirt
von Eduard Batiste; Zweck: Uebung im Zusammenspiel und Ausfüh-
rung auch der Werke jüngerer Componisten, die anderswo vergeblich
anklopfen. Am 20. Februar fand im Herz'schen Saale ihr erstes
Concert statt, und Beethovens C-dur Symphonie, Bcrlioz Ouvertüre
zum römischen Carneval und eine Concertouverture von Louis La-
combe fanden bei recht braver Ausführung verdienten Erfolg. Ob
diesem neuen Vereine lange Daner bevorsteht, ist im Voraus nicht
zu sagen, obgleich bei der Unverdrossenheit jugendlicher Kräfte, dem
Eifer des Dirigenten und der durch öffentliche Leistungen gestachel-
ten Eitelkeit der Jugend Aussicht dazu vorhanden sein dürfte. Wer
aber das Pariser Pflaster kennt und die Schwierigkeilen und Hinder-
nisse aller Art, die es dergleichen Unternehmungen entgegensetzt, der
wird sich nicht wundern, dass die so mühsam zusammengebrachte
„Symphonische Gesellschaft" des Herrn Farrence, deren erstes Con-
cert die all beliebte Wilhelmine Clauss in so glänzender Weise durch
das Mcndelssohn'sche Clavierconcert verherrlichte, schon mit dem
zweiten Concert schliessen musste, und zwar mit einem sehr empfind-
lichen Geldverlust für den Unternehmer. Dieses zweite und letzte
Concert brachte eine Symphonie der Gattin des Unternehmers zu
Gehör (dritte G-moll), dieselbe , die vor einigen Jahren die Ehre der
Aufführung im Conservatoire genoss, später in Brüssel unter Fetis,
und hier wie dort durch ihre klassische Haltung und Gediegenheit
gebührende Anerkennung fand. Madame Farrence, Clavierlehrerin
am Conservatoire und als solche hochgeachtet, ist vermöge der
Gründlichkeit ihrer musikalischen Kenntnisse und ihres Compositione-
talents , zumal im Fache der Kammermusik , eine sehr bomerkena-
werthe, in ihrer Art einzig dastehende Erscheinung,
— 48 —
Von einem andern, also fünften Orchestervereine, der uns ganz
unerwartet wie der diesjährige Winter aus dem Norden angeflogen
kam, aber nicht so überwindend und stichhaltig wie dieser , können
wir nur mit Bedauern reden, da die Sache mit so stolzer Anmassung
auftrat und so kläglich ausfiel , da sie doch bei richtigerer Beurthei-
iung der hiesigen Zustände, wozu es freilich einer genügenden Local-
kenntniss bedurfte, und bei verständigerer Berücksichtigung der ob-
waltenden Verhältnisse eines glücklichern Erfolgs sich würde haben
erfreuen können. Wir meinen den unter dem Namen der „Berliner Con-
certgesellschaft", gebildeten Verein deutscher Künstler, der unter der
Leitung des Hrn. Victor von Elbel am vorigen 15. Dez. im Herz'schen
Saale vor einem, wie es heisst, durchweg durch verschenkte .Einlass-
karten herbeigelockten zahlreichen Publikum, worin das deutsche Ele-
ment stark vertreten war , sein Einweihungsconcert gab. Schon die
Benennung Concertgesellschaft war eine ungeschickte und verrieth,
«der schien wenigstens eine beabsichtigte Concurrenz mit der gleich-
namigen hiesigen des Conservatoire zu verrathen. Was Wunder, dass
•die Erwartungen hochgespannt waren , da man nicht anders glauben
konnte, als dass ein dem hiesigen weltberühmten Institut ähnliches
aus Berlin sich vollständig aufgemacht, um den Parisern zu zeigen,
was auch Berliner vermögen. Je grösser die Erwartungen, desto
grösser die Enttäuschung. Ohne uns in eine ausführlichere Beurthei-
lung der Leistungen einzulassen, — wobei wir nur bemerken wollen,
dass die Beethoven'sche C-moll Symphonie, die man hier in so
hoher Vollendung zu hören gewohnt ist, theilweise und durchweg im
letzten Satze ganz vergriffen wurde und somit den widerwärtigsten
Eindruck machte, dass Mad. Molidoff, sei es aus Befangenheit oder
ans andern Gründen im Vortrag der grossen Arie der Agathe aus
dem Freischütz an einer Stelle gänzlich aus Takt und Fassung ge-
rieth, und der Begleiter am Ciavier an einer andern ; — so ging doch
ans der Ausführung der Oberon-Ouverture, die das Concert einleitete,
hervor, dass das Orchester aus jungen frischen Kräften bestand vol-
ler Leben und Feuer, denen nur der höhere künstlerische Schliff ab-
ging, die Zartheit, Eleganz und Correktheit, kurz Vorzüge, die mehr
oder minder jedem einheimischen Künster eigen und hier vor einem
Publikum, welches an das Beste gewöhnt ist, unerlässlich sind. Dem-
tnngeachtet wurden sie, da wo sie es verdienten, durch rauschenden Ap-
plaus ermuthigt, und ganz vorzüglich war das der Fall, bei dem mit
einem wirklich ausgezeichneten Ensemble und hinreissendem Schwung,
obgleich etwas lärmenden Dreinschlagen und Blasen ausgeführten
grossen phantastischen Walzer „die schöne lsraclsmaid" von Herrn
von Elbels Composition, ein sehr gelungenes und geschickt instrumen-
iirtes Stück, das wiederholt werden ntusste. Als man dieses Glanz-
stück vernommen, stand das Urthcil über die räthselhafte Gesellschaft,
von deren plötzlichem Erscheinen kaum eine Anzeige in's Publikum
gedrungen war, allgemein fest: „ein Tanzorchester ä la Strauss," —
Und hätte sich das Orchester als solches angekündigt und statt zu
fünf und sechs Franken im Herz'schen Saale in einem grösseren Lo-
kale, etwa im Wintergarten, wo hinaus es später, aber zu spät zog,
zu billigen Preisen Abendunterhaltungen gegeben, so würde es gewiss
gute Geschäfte gemacht haben. Statt dessen hat der übelbcrathene
Direktor, wie man vernimmt, ein nicht unbedeutendes Kapital zuge-
setzt, kaum drei bis vier Concerte einrichten können, die nichts ein-
gebracht, und grosse Mühe gehabt seine Leute, die ihn allmälig ver-
liessen, nicht darben zu lassen. Jetzt hat er noch 25 Mann beisam-
men, an deren Spitze er auf Tod und Leben zu kämpfen gedenkt.
Im nächsten Bericht die Besprechung einer Reihe interessanter
Concerte.
NACHRICHTEN.
Frankfurt. Durch den Abgang des Herrn Beck sieht sich die
Direktion genöthigt von den benachbarten Bühnen Gäste kommen zu
lassen. So trat im Tannhäuser Herr M i n e 1 1 i von Wiesbaden als
Wolfram von Eschenbach, in Teil Hr. Stepan von Mannheim in der
Titelrolle auf.
Wiesbaden. Hans Heiling von Marschner ging hier neuein-
studirt in Scenc. Hr. Minetti sang die Partie Heiling. Im Tannhäu-
ser, welcher hier stets mit grossem Beifall aufgenommen wird, trat
(als Landgraf) Hr. Dettmer von Frankfurt auf. Noch ein Gast ist
zu erwähnen, nämlich Frln. Marx von Berlin, welche als Fides leb-
haft applaudirt wurde.
Darmstadt. Eine neue Oper von dem hiesigen Musikdirektor
Schlösser: „Die Jugend Karls IL", wurde hier am 20. Febr. gegeben*
Wien. Es wird Ihren Lesern nicht uninteressant sein, über
den Erfolg der Aufführung von Esser's neuester Sinfonie im dritten
Concerte der Gesellschaft der Musikfreunde Nachricht zu erhalten,
und mit Vergnügen theile ich Ihnen mit, dass dieser Erfolg ein ent-
schieden günstiger war, sowohl was die Aufnahme dieses interessan-
ten Tonwerkes von Seite des Publikums, als auch die kritische Be-
sprechung desselben in den geachtetsten hiesigen Journalen betrifft.
Diese stimmen sämmtlich darin überein, dass Esser der grossen Auf-
gabe, die er sich gestellt, vollkommen gewachsen ist. Es wird be-
sonders hervorgehoben, dass diese seine neueste Sinfonie von tiefem
Studium seiner grossen Vorgänger in diesem Zweige der Composition
zeuge, ohne dass er übrigens seine Originalität aufgebend zsm Nach-
ahmer geworden wäre. Der Humorist sagt darüber unter Anderem :
„Die Selbstständigkeit des Hrn. Esser charakterisirt sich in seiner
Sinfonie auch noch dadurch besonders interessant, dass sich in ihr
der deutsche Zug schärfer ausprägt als in anderen neuen Produktio-
nen, welche zum Theile sich in einem eklektischen Mischmasch ge-
fallen oder sich in einer geschraubten und gesuchten Manier bewegen'
welche für geistreich gelten soll, aber nur unverständlich ist," Und
in der Theaterzeitung heisst es: „Es zeigt sich in Essers neuestem
Werke eine so entschieden ausgeprägte Klarheit und Schönheit, die
unter den neuen Componisten nur Mendelsohn zu erringen wusste.*«
Auch die „Presse" und der „Wanderer" stimmen in dieses Lob mit
ein, und muntern den „zu bescheidenen" Künstler auf, fortzu-
schreiten auf der mit so vielem Glücke und so entschiedenem Berufe
betretenen Cahn. Das Publikum gab seine Anerkennung durch wie-
derholten lebhaften Beifall nach jedem einzelnen Theile der Sinfonie,
sowie am Schlüsse derselben durch mehrmaliges Hervorrufen des
Componisten kund.
Hannover. Der beliebte Tanzkomponist A. Wallerstein ist
von Paris, wo seine neuesten Compositionen Furore machten, wieder
zurückgekehrt.
Leipzig. Im 19. Gewandhaus-Concert sangen Hr. G. Hölzl, der
bekannte Liedersänger und die k. k. Hofsängerin Frl. Schwarz aus
Wien. Letztere hat nicht angesprochen.
Weimar. Nach der N. Zeitschr. für Musik steht der schon
vor längerer Zeit berichtete aber widersprochene Rücktritt Liszt's
von der Direktion der Weimar'schen Kapelle nun dennoch bevor , da
er an sein ferneres Bleiben „zum Besten des Instituts Bedingungen
geknüpft hat, deren leider zu fürchtende Nichterfüllung die Niederle-
gung des Kapellmeisteramts zur Folge haben würde.
. t<
Stuttgart. Der Kapellmeister Lindpaintner hat einen dreimo-
natlichen Urlaub erhalten, während welcher Zeit er die Concerte der
Londoner „New Philharmonie Society" dirigiren wird. Seine Stelle
versieht Kapellmeister Kücken,
London. Die Royal ltalian Opera wird am 29, März eröffnet.
Ella hat für die „Musical Union" den Pianisten Haberbier und
Vieuxtemps engagirt. Mit ersterer Wahl sind die Londoner Blätter
sehr unzufrieden.
V«r«BtwOTtUeher Bedrttem: J. J. SCHOTI. - Druck von REüTER* WALUU in lains.
2. Jahrgang.
Nr. 13.
28. März 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
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Quartal.
Inhalts Wag soll aus dem Oratorium -werden? I. — Literarisches: Musikalische Charakterköpfe. — Corresp. ("Wien). — Nachrichten.
WAS SOLL AUS DEM ORATORIUM WERDEN ? *)
In einer früheren Nummer dieses Blattes theilten wir aus einer
Abhandlung von F. Ghrysander über das Oratorium einen Auszug
mit, in welchem besonders die Stellung Händeis, des zweiten Schö-
pfers der oratorischen Form, zu dem Oratorium berücksichtigt wurde.
Daran schloss sich der Nachweis, dass die Oratorienform überhaupt
nur ein Auskunftsmittel war, welches man ergriff, weil weder die
Bühne, noch die Kirche den Künstlern der damaligen Zeit ein geeig-
netes Feld für ihre Thätigkeit boten. Die Frage, ob die Oratorien-
form noch heute beibehalten werden könne und solle, und was im
Verneinungsfalle daraus gerettet werden müsse, reiht sich so natür-
lich daran und ist dabei gleichzeitig von so praktischem Interesse,
dass wir trotz der anscheinenden Vernachlässigung der Kirchenmusik
in der Gegenwart, gegenüber der dramatischen Musik, einige Minuten
dabei verweilen wollen.
Winterfeld hat das Oratorium als das musikalische Epos hin-
stellen und ihm durch diese Bezeichnung ein eigentliches Wesen zu-
erkennen wollen. Wenige Betrachtungen an der Hand unseres Au-
tors reichen hin, diesen Versuch als einen verfehlten erkennen zu
lassen.
Der Musik nach besteht das Oratorium aus Recitativen, Arien,
Chören und reinen Instrumcntalsätzen. Von diesen sind ohne Wi-
derrede die Chöre und die Instrumentalsätze das Beste, und die Chöre
liefern, genau genommen, die einzige Stütze für das „Epische". Die
Chöre sind es, in denen man die erzenen Gestalten, das „Grossar-
tige und Menschlich-Hohe" nach Thibaut's Ausdruck, den helden-
mässigen Schwung , das Wogen und Wirken der Völkermengen und
Alles sonstige Zubehör des Epischen zu vernehmen geglaubt hat.
Es müssen also, soll dies begründet sein, alle eigenthümlichen Merk-
male des Epischen auch hier vorhanden sein, ja sie müssen in noch
grösserer Klarheit hervortreten, als bei der Poesie allein, da die
ewigen Formen der Kunst durch eine neue Ent Wickelung auch immer
zu erhöhter Anschaulichkeit gelangen.
Was erzählt denn der Chor? Nichts. Welche Phantasiegestalten
bildet er? Keine. Was für eine Bewegung stellt er dar? Eine reine
Gemüthsbewcgung. Und durch welchen Weg dringt er in den Hö-
rer? Durch das Gefühl, durch die Empfindung. So sind Chor —
oder sagen wir „Oratorium" und Epos grade so weit von einander
geschieden, als Poesie und Musik überhaupt.
Winterfeld vindicirt dem Oratorium aber auch dramatisches Le-
ben, ja er gibt zu verstehen, dass es eigentlich die höchste und
reinste Dramatik sei, die durch den Flitterprunk der Bühne, durch
die kleinliche Erscheinung vielleicht eines Hundert von Menschen, die
ein Volk vorstellen sollen, nur entstellt und profanirt werden könne.
Seine eigenen Worte aber lassen erkennen, wie diese ideale Dra-
*) Siehe Nro, 3 dieses Jahrganges,
matik nicht im Oratorium selbst, sondern nur in dem Gedanken des
durch den Stoff angeregten Zuschauers oder Hörers liegt. Behan-
delt nämlich das Oratorium einen Stoff, dor dem Hörer bekannt und
lieb ist, so gewährt es ihm, wie kein anderes Kunstwerk, die Frei-
heit, mit seinem inneren Sinne sich unbeengt im Gebiete desselben
zu ergehen, sich das Gegebene oder Angedeutete weiter auszumalen,
zurecht zu legen, in Zusammenhang zu bringen und schliesslich um
das Ganze einen grossen, weltgeschichtlichen, das Himmlische und
Irdische in sich fassenden Rahmen zu legen. Weiss er aber nichts
davon, so wird sein Gefühl bald abgestumpft und die Flugkraft sei-
ner Phantasie bald erlahmt sein. Denn dem Oratorium fehlt die Kraft,
welche Persönlichkeiten zu bilden und in deren folgerichtigem
Ruhmesleben eine zusammenhängende Handlung zu entwickeln ver-
mag. Dieses zu können, ist das Vorrecht des Drama, der Bühne.
Das Oratorium enthält also weder „epische" noch „dramatische"
Musik, sondern — einzelne Tonbilder, in welchen bestimmte
Stimmungen und Bewegungen, losgelöst von der ersten Quelle , wel-
cher sie ursprünglich entflossen, von der Persönlichkeit und in's All-
gemeine gehoben, uns vorgeführt werden. In die Hand des Compo-
nisten ist daher Alles gegeben, von ihm hängt der Werth eines Ora-
toriums, die Möglichkeit, es als Ganzes erfassen zu können, in einer
Weise ab, wie bei keinem andern poetisch-musikalischen Kunstwerke.
Hieraus erklärt sich die besondere Hochachtung, deren wir den Com-
ponisten eines bedeutenden Oratoriums würdig achten. Ist ihm ge«
Jungen, einen erhabenen Inhalt zu bewältigen, so ist dies das beste
Zeugniss der Kraft und Tiefe seines Innern und mit Ehrfurcht nahen
wir uns dem Denkmale seines hohen Geistes.
Anerkannt ist, dass die grössten geschichtlichen geistigen That-
sachen den Inhalt des Oratoriums bilden. Sind nun grade dem
Starken, dem Hohen, dem Edlen die schwachen unkenntlichen Züge
immer am fernsten, gibt es sich als das Grosse, besonders durch seine
markige, makellose, geschlossene Gestalt, so müsste man hinsichtlich
des Oratoriums doch wohl mit Recht erwarten, dass der gewaltige
Inhalt in ihm es auch zu einer entsprechenden Form bringe. Die
rechte, die vollendete Form ist aber hier, wie überall, die, welche
klar und unmittelbar verständlich ist, daher den Inhalt so offenbart,
dass dieser mit der ihm inwohnenden vollen Gewalt wirken kann.
Demnach müsste der Inhalt , der Gegenstand des Oratoriums , recht
gestaltet, uns die vollkommenste Kunst bringen, welche wir auf die-
sem Gebiete zu erreichen befähigt sind. Ist dies kein übereilter
Schluss, so halten wir an ihm fest, denn es hängt die Hauptsache
daran. Lässt sich beweissen , dass das bisherige Oratorium diese
Form sei, dann haben wir in ihm das denkbar Vollkommenste in der
poetisch-musikalischen Kunst zu erblicken ; lässt es sich nicht be-
weisen, dann ist die oratorische Form für den von ihr behandelten
Gegenstand unzulänglich. Dass sich das Erstere nicht beweisen
lässt, ist allgemein anerkannt; auch die Fähigkeit des Andern zu
höherer Entwickclung ist verneint, sobald es richtig ist, dass sich
dasselbe selbst bei dem grössten Meister (Händel) nicht als Ganzes
zu entwickeln vermocht, sondern dass sich in demselben nur die
einzelnen musikalischen Formen fortgebildet haben.
— 50 —
Es bleibt also nur das Letzte übrig! Die oratorische Form muss
zu entsprechender Darstellung des in ihr beschlossenen Inhalts auf-
gegeben werden.
LITERARISCHES.
Musikalische Charakterköpfe von H, Riehl. — Stuttgart.
Cotta'sche Buchhandlung.
Ein recht gutes Buch, das als eine -willkommene Bereicherung
unserer musikalischen Literatur betrachtet werden muss ; weniger,
weil es an und für sich so bedeutend wäre, als weil es an vielen
Stellen anklopft, wo es sehr schläfrig aussieht) und wo Rippenstösse,
die einschlafenwollenden Künstlern ertheilt werden, stets wohlthätig
sind. Doch wolle desshalb Niemand gering von dem eigentlichen In-
halt des Buches denken. Es enthält eine Reihe „Charakteristiken
musikalischer Meister", die sich einmal dadurch vor ähnlichen Arbei-
ten auszeichnen, dass sie im Ganzen und Grossen ausgearbeitet sind,
und den Mann mit wenigen kecken Strichen vor die Augen hinstel-
len, wie er war, ohne jene nichtssagenden und überflüssigen Details,
mit deren Kenntuiss sich die Autoren sonst brüsten und den Leser
langweilen; zweitens, dass sie entweder Charaktere, die eine ge-
wisse Beziehung zu einander haben , einander gegenüberstellen und
das Bild dadurch anschaulicher machen, oder sie in Verbindung mit
einer ganzen Gruppe gleichzeitiger und gleichartiger vor uns aufmar-
schiren lassen; endlich drittens, weil sie die künstlerischen Persön-
lichkeiten nicht willkürlich aus ihrer Umgebung, ihrer Wirkungssphäre
herausreissen und als Individuen betrachten und untersuchen, wie etwa
der Angler den eingefangenen Fisch, sondern weil sie dieselben in-
mitten des Kunst- und Geisteslebens ihrer Zeit mit Berücksichtigung
der wichtigsten culturgeschichtlichen Momente aufsuchen und so ihre
Stellung, das was sie wurden und das was sie thaten, zu kennzeich-
nen suchen. Allerdings ist das Letztere eigentlich die Conditio sine
qua non jeder erträglichen Biographie und sollte sich billig von selbst
verstehen ; aber wer die bisherige Weise der musikalischen Gc-
schichtschreibung näher kennt, wird wissen, dass der Musiker ge-
wöhnlich als ein Wesen angesehen wurde, welches einer anderen
Welt angehört, und sich gegen die ihn umgebende, was geistige Be-
ziehungen betrifft, vollkommen indifferent verhält. Das Verdienst Riehl's
bleibt also ungeschmälert.
Die Absicht des Verfassers bei Abfassung dieser Skizzen war,
wie er in der Vorrede sagt, eine dreifache. Er wollte zuerst eine
Anregung zu dem in neuerer Zeit so arg vernachlässigten historischen
Studium geben ; zweitens zeigen , dass die Geschichte der Musik
nicht isolirt behandelt werden kann, sondern dass sie, als Theil der
allgemeinen Kunstgeschichte, mit dieser in untrennbarer Verbindung
steht; drittens aber die Sünde der Vernachlässigung einigermassen
gut machen, welche an den kleineren Meistern, die doch auch ihren
vollwichtigen Antheil an dem grossen Entwickelungsprozesse der Ver-
gangenheit und Gegenwart besitzen, im Vcrhältniss zu den grösseren
Männern begangen wird. Gleich das erste Capitel bringt zwei sol-
cher „kleinen" fast verschollenen Meister: „Wenzel Müller" und als
Gegensatz „Astorga". Hierauf folgt : „Matthison und seine Zeitge-
nossen", eine sehr interessante Skizze, reich an treffenden Be-
ziehungen auf die Gegenwart; als Epilog dazu: „Eine Gruppe mo-
derner Historiker"; „Bach und Mendelssohn" aus dem socialen Ge-
sichtspunkte, voll bedeutender und oft neuer Fingerzeige, besonders
über Mendelssohn und dessen Verhältniss zur Gegenwart; „Hasse
und Faustina", als Epilog: „Meyerbeer und Roger"; „Spontini" und
das Gegenbild Cherubini's, „C. Kreutzer und Lortzing", zwei „kleine
Meister" unserer Tage etc. Jede dieser Skizzen ist gewürzt durch
zahlreiche oft recht scharfe Ausfälle gegen Irrthümer, Verkehrtheiten
und Missbräuche des heutigen künstlerischen Lebens und Treibens,
und wir können nicht leugnen, dass der Verfasser, obwohl er sich
ersichtlich gern mit dem „Schwert" Matthison's und seiner. Zeitge-
nossen bewaffnet sieht, meistens Recht hat. Sollten wir etwas ta-
deln, so wäre es die. auch schon von anderen Seiten gerügte Non-
chalance und Burschikosität des übrigens fliessenden und lebendigen
Styls, welche zuweilen hie und da oft gar mit dem Anschein von
Koketterie hervortritt, und leicht auf Abwege führen kann. Wir
lassen als Probe eine der kleinsten Skizzen folgen ; der L#se£- wh#
darnach am. besten urtheüen können.
„fBine Gruppe. jnqdenaer UtetorJLker.
Wie ist es jetzt so still geworden unter den deutschen Musik-
litcratcn gegenüber den lärmenden Gruppen jener fehdelustigen viel-
geschäftigen Ritter von Zopf und Schwert (Matthison und seine Zeit-
genossen)! Nur Richard Wagner, der Doctrinär des musikalischen
Radicalismus, beschreitet jetzt wieder den Turnierplatz, vergleichbar
jenen alten Streithähnen. Aber die Gegner bleiben zu Hause und
zu jedem Kampfe gehören bekanntlich wenigstens zwei.
Wir besitzen eine Gruppe wissenschaftlich selbstständigcr musi-
kalischer Geschichtsforscher. Doch das sind stille Leute , gelehrte,
gesetzte Männer, die nur für eine kleine Schaar von Eingeweihten
arbeiten. Die musikalische Schriflstellerei zu Matthison's Zeit be-
herrschte unzweifelhaft ein grosses Publikum. Einzelne bedeutende
Literatoren waren Autoritäten sogar bei den zünftigen Musikern. Der
populäre Styl dieser Schriftsteller mochte häufig ein handwerksbur-
schenmässig populärer sein ; allein sie schlugen bei ihrem Publikum
mindestens durch mit diesem Style. Den einen Tag schrieben sie
zopfisch pedantisch, den andern frivol musikalisch; allein an allen
Tagen waren sie doch wenigstens Autoritäten gewesen : sie fixirlen
die Theorie einer neuen, einer modernen Musik. So ist in Matthi-
son's „vollkommenem Kapellmeister" der Grundbau einer Aesthetik
der Tonkunst gelegt, auf dessen Hauptpfeilern unsere Kunstphiloso-
phen bis in die neueste Zeit weiter gebaut haben. In keckem Ueber-
muth wurden damals die letzten Trümmer des mittelalterigcn Ton-
satzes niedergeworfen; aber es lugt die Ahnung einer berechtigten
Zukunft aus der oft bis zum Geckenhaftigen eitlen Selbstgefälligkeit
dieser Zerstörer in Alongeperücken. Die vorzugsweise Gelehrten
plagten sich nebenbei noch bas mit der Grille, die Geheimnisse der
altgriechischen Musik wieder zu entdecken und ahnten ihrerseits wie-
der nicht, dass gerade durch das Wegwerfen des Versuchs, eine mo-
derne Musik antiquarisch zu construiren, eine neue griechische Ton-
dichtung erstehen sollte : das in der mass vollen Schönheit verklärte
musikalische Heidcnthum der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Denn das ist ja für uns die rechte griechische Musik, was Gluck
und Mozart, vor Allem aber Haydn gesungen, griechisch wie Gölhe's
Dichtung. Denn was die alten Hellenen für die Entwicklungsge-
schichte der Menschheit gethan , das sind diese Hellenen des 18ten
Jahrhunderts für die moderne Kunstgeschichte.
Jetzt thun die besten unserer musikalischen Historiker Busse für
den heiteren olympischen Traum und wenden ihren Forschereifer
wieder dem christlichen Ernste des Kirchensatzes der früheren Jahr-
hunderte zu. Aber diese Vorarbeiter für die noch nicht existirende
Disciplin der „allgemeinen Kunstgeschichte" , welche sich bemühen,
die Musik aus ihrer Vereinsamung herauszureissen und die Kunst
der musikalischen Geschichtschreibung zu jenem Höhepunkte zu füh-
ren, den wir bei der Poesie und den bildenden Künsten schon so
lange und unbestritten behaupten, stehen selber vereinsamt da. Es
sind stille, fleissige Arbeiter, keine zeitgeschichtlichen Charakter-
köpfe. Die grosse Mehrzahl der Literatoren und Aesthetiker kann
leider solche Bestrebungen auf dem musikalischen Felde nicht wür-
digen. Die Musiker wollen sie nicht würdigen.
Seit den zwanziger Jahren schon wirkt eine reformatorisch ge-
sinnte Gruppe der ästhetisch Strenggläubigen, um der Musik diesel-
ben Errungenschaften zu sichern, welche damals in der Malerei und
Baukunst durch ein auf die vorrafaelische Zeit und auf die keusche
Frühblüthe romanischer und germanischer Architektur gerichtetes
Studium, in der Dichtkunst durch die Wiederbelebung der Volks- und
Kunstpoesie des Mittelalters eine neue Leuchte entzündet hatte. Un-
verlöscht im Gedächtnisse der Freunde und Schüler ist das Andenken
des fördernden Einflusses bewahrt, welchen Thibaut in Heidelberg
in solcher Weise übte; Gleiches erstrebte in Berlin Winterfeld,
der Verfasser des trefflichen Buches über Gabrieli und sein Zeital-
ter, eines wahren Kleinods in unserer so armen wissenschaftlichen
Musikliteratur; und würdig als der Dritte zu beiden gesellte sich
der Historiker Kiesewetter in Wien. Allein ihre Wirksamkeit
war local, vorerst nur eine kleine örtliche Gemeinde treuer Anhän-
51 —
ger umfassend. Gleich dem Hause Thibauts war auch das von Kie-
sewetter ein Sammelplatz der Freunde der „reinen Tonkunst", und
seine Partiturensammlung barg gleich der des Heidelberger Genossen
die seltensten Schätze alter Musik. Wie gewaltig kontrastirt diese
kunsthistorischc Agitation, die sich .vorerst auf das Haus, den Freun-
deskreis, auf eingeschlossene Vereine beschränkte , mit der Betrieb-
samkeit jener literarischen Ritter von „Zopf und Schwert", die als
Redner auf den offenen Markt traten, und wo der Marktredner nicht
durchdringen konnte, unbedenklich auch in's Vordertreffen komman-
dirten. So blieb Thibaut , der so tief in Geschichte und Wesen der
Musik geblickt hatte, dem Musiker, welchem der letzte Claviervirtuos
ein Mann von Fach ist — ein Dilettant! Thibaut' s goldenes Büchlein
von der Reinheit in der Tonkunst hat in wissenschaftlichen Kreisen
auf's Anregendste gewirkt; in der musikalischen Literatur aber steht
es isolirt und wie viele Musiker mögen es gelesen haben ! Wie
könnte sich auch ein „Mann von Fach" von einem Heidelberger Pro-
fessor der Jurisprudenz über die Tonkunst belehren lassen!
Die Geschichte wird die Thatsache aufbewahren, dass dieser
ganze, auf die goldene Zeit der mittelalterigen Tonkunst zurückgrei-
fende Aufschwung der musikalischen Literatur in Deutschland fast
nur von Männern ausging, die der einseitig technische Musikant als
„Dilettanten" bezeichnen wird , nämlich von den Männern , welche
durch die Wissenschaft zur Kunst geführt werden. Den Musikern
des Zeitalters aber wird es die Geschichte als eine Schmach vor die
Füsse werfen, dass sie, ungleich den bildenden Künstlern und Poe-
ten, in ihrer ungeheuren Majorität ihre Ohren verstopften und die
Resultate der historischen Forschung unbenutzt am Wege liegen
Hessen, während sich bei jenen rasch weitverzweigte Künstlerschulen
entwickelten, die nach den in ihrer Reinheit wieder erkannten alten
Formen neue Formen schufen, neues, aber in der geschichtlichen
Ueberlieferung Gewurzeltes bildeten und dichteten und so ihre Werke
mit dem idealen Geiste beseelten. Die Namen der Wenigen aber,
welche, gleich Mendelssohn, den Schatz wissenschaftlicher Entdeck-
ungen für sich praktisch zu machen suchten, wird man in desto
grösseren Ehren nennen.
So ist denn der grossen Masse unserer Musiker noch immer der
Zopf geblieben , dieweil unseren modernen Geschichtsforschern und
Theoretikern das Schwert gefehlt hat!!"
CORRESPONDENZEN.
AUS WIEN.
(Ende Februar.)
Von den öffentlichen musikalischen Produktionen in diesem Mo-
nate sind: das Concert der Musikfreunde mit der Aufführung einer
neuen Symphonie von Esser und die Concerte des Ciavier- Virtuosen
Dreyschok von grösser Bedeutung , indem sie ein mehr als blos
vorübergehendes Interesse unseres musikalischen Publikums in An*
spruch nahm.
Das letzte Concert der Musikfreunde brachte uns nämlich ausser
Beethovens Musik zum Ballete: „die Geschöpfe des Prome-
theus," interessanter in musikalisch-geschichtlicher Beziehung, als
durch die hohe Bedeutung ihres inneren Kunstwertltes, jedenfalls aber
mit den grossen Meisterwerken dieses Heroen der Tonkunst nicht zu
vergleichen, wie schon gesagt eine Symphonie (D-moll) unseres hoch,
verehrten Tonmeisters Esser. Die Erwartungen, welche wir von
dem Werke eines Componisten hegten, dessen ausgebreitetes musi-
kalisches Wissen jeden Musiker, der ihn näher kennt, mit grosser
Achtung erfüllt, waren bei Ankündigung dieser Symphonie fürwahr
nicht gering, jedenfalls aber war der Standpunkt, auf welchem sich
unsere Kunstkritik bei Beurtheilung derselben stellte, ein sehr hoher,
und es konnte eben nur dem künstlerischen Geiste , welchen dieses
Tonwerk beseelt, und der gediegenen Durchführung, in der sich eine
seltne Formvollendung ausspricht , gelingen , diesen hochgespannten
Erwartungen in einer solchen Weise, wie es der Fall war, zu ent-
sprechen. Esser's Symphonie ist mit einem majestätisch ruhig da*
hinziehenden Strome zu vergleichen; der helle Spiegel seiner Ober-
fläche widerstrahlt ein treues Abbild der&ünstIerindivido*lif6t
Schöpfers und lässt den Blick unbeirrt bis zu seiner Tiefe dringen.
Seine Wasser stürzen sich nicht in mächtigen Katarakten aber Fei*
senhöhen und Bergesabhänge, seine Wogen durchbrechen nicht «fit
rasender Gewalt die schützenden Dämme und überfluthen die weite
Ebene, um dann in der Fläche zu versiegen oder zuletzt in Sümpfe* •
ihren Ausgang zu finden ! —
Esser ist sich seiner Aufgabe vollkommen bewusst , er will
nicht durch einschmeichelnde Melodien das Gehör der Menge auf
Kosten der Kunst für sich gewinnen, und der Vorwurf, der ihm von
einem hiesigen Kunstrichter in Folge dessen gemacht wird, dass näm-
lich seine Thema's in der Erfindung durchgehende schwach seien,
wird durch die Art, wie sie Esser verarbeitet, zu einem am so
grösseren Lobe. Ein weiters ausgesprochener Tadel, dass der Com»
ponist im Trio des Menuetts und in manch anderen Stellen stark
beethovenisirt, ist durchaus unbegründet, und es möchte dem
strengen Herrn Kritiker wohl schwer fallen , dies gehörig zu begrün-
den. Dass der Genius Beethovens auf die musikalische Bildung
Esser's, auf seine Kunstanschauung, insbesondere aber auf die
innere und äussere Gestaltung seines symphonistischen Werkes einen
grossen Einfluss genommen , dies kann doch offenbar nur lobend von
dem Tonsetzer anerkannt werden, wie nicht minder von seinem
Werke, wenn sich ein solcher Einfluss darin offenbart. Der Compo»
nist, an dessen Wirken die grössten Meisterwerke dieser Galtung
spurlos vorübergegangen, der in ihnen nicht ein Vorbild zur Nach-
eiferung erkannt, ist wahrlich zu beklagen, denn es fehlt ihm entwe-
der an zureichendem künstlerischen Verständnisse, oder an Kraft zn
folgen auf der Bahn, die der Genius gebrochen, oder er ist wohl gar
von Eigendünkel und Selbstüberschätzung so sehr befangen, sich
selbst in der Symphonie neue Bahn brechen zu wollen; dann aber
erscheint er um so kläglicher, wenn in ihm nicht ein eben so ge-
waltiges oder noch grösseres Genie wohnt, als das Beethovens
war. Dass das Andante ( s l a ) in B in Bezug auf Erfindung und auf-
ziehende Durchführung der .gelungenste Satz dieser Symphonie sei,
anerkennen auch wir, und stimmen in dieser Beziehung mit dem Aus»
Spruche des vorerwähnten Kritikers überein, weniger aber sind wir
der Ansicht desselben , dass dieses Tonstück zu lang ausgesponnen
sei. Die Phantasie des Tondichters muss um so mehr in einem freiem
Instrumentalsatze unbeengt sich aufschwingen und nach allen Seiten
hin ausbreiten können. Die einzelnen Symphonie-Sätze in welchen
Beethoven und neuerer Zeit auch Mendelssohn das gewöhnliche
Maas überschritten, der Erstere oft um's Doppelte, wird kein Musi-
ker desshalb für weniger werthvoll erkennen, als die andern, wo dies
nicht der Fall ist: Das öftere Auftauchen des Motivs in dem Andante-
ist eine Rekapitulation, die um so wirksamer, je interessanter die
Zwischensätze. Mozart und selbst Vater Haydn haben diese wie-
derholte Einflechtung des Hauptmotivs und immer mit der schönsten.
Wirkung in ihren Symphonien angewendet.
Wir können im Interesse der Kunst im Allgemeinen und insbe-
sondere gegenüber den zahllos erscheinenden flachen- und gesinnungs-
losen Compositionen der Neuzeit, dieses Werk unseres hochgeschätz-
ten Meisters Esser nur mit Freuden willkommen heissen, und fühlen
uns dem hiesigen Musikvereine sehr zum Dank verpflichtet , dass er
dieses gediegene Tonwerk zur Aufführung brachte, wir, und mit uns
gewiss ein grosser Theil unsrer Musiker knüpfen daran die Hoffnung
ja recht bald wieder durch ein neues Werk Esser's erfreut zu
werden.
Dreyschock ist uns Wienern eine bekannte Grösse. Obgleich
sein Name , als er vor acht Jahren zum ersten Male in Wien einen
Cyclus von Concerten gab, schon bekannt war, so überraschten doch
seine künstlerischen Leistungen das hiesige an Clavicr - Concerten
überreiche Publikum im hohen Grade. Die Vorzüge aber, die wir
damals an ihm gewahrten, Briden wir auch in seinem jetzigen Kunst-
wirken, nur treten sie jetzt bestimmter heraus. Die künstlerische
Intuition durchgeistigt sein Spiel ebenso wie früher, nur ist es jetzt
die anschauende Erkenntniss des gereiften Mannes, seine immense
Technik von damals ist jetzt noch kraftvoller, ausdauernder; aber
was man früher von ihr gesagt , dass sie in der richtigen Stellung
und harmonischen Verbindung mit seinen übrigen künstlerischen Mit-
teln, dieser Vorzug ist ihr auch heute eigentbümlich. < Seine ' Virtuo-
sität, mit welcher er Tonmassen in der rapidesten Schnelligkeit, mit
Kühnheit und Sicherheit hervorrufen, zu entwirren, und bis zur lieb-
— 5» —
i, einfachsten, beinahe hingehauchten Weise zurückzuführen
vermag, und dieses Alles mit einer Reinheit, Präcision des Spieles,
die keinen Vergleich sulfisst, dies muss von ihm lohend anerkannt
werden, jetzt, wie damals.
Dreyschock introducirtc sich bei den hiesigen Musikern auf eine
sehr vorteilhafte Weise durch den genialen Vortrag von Mendels-
sohn's D-moll-Concert, eines Werkes voll Empfindung, Geist und An-
mntb. Wahrend wir in dem Vortrage D's. die musterhafte Correct-
lieit bewundern , so werden wir auch wieder hingerissen durch die
Anmuth seines gefühlvollen Vortrages , durch die Tiefe seiner Em-
pfindung. Wir hahen dieses Concert nie noch in einer solchen Vol-
lendung gehört. Dreyschock war nicht der Interprete Mendelssohns,
sein Spiel ward selbst zur schaffenden Poesie! Wir erinnern uns
aber auch den Künstler ausser heute nur einmal noch, und zwar vor
acht Jahren, als er in dem von dem damaligen Redakteur der Wie-
ner Musikzeitung seinen Abonnenten gegebenen Concerte zugleich
mit Parish-Alvars, der Sängerin Marra und dem Wr. Männer-
Gesangverein debutirte, mit solcher Begeisterung spielen gehört zu
liaben.
In Bezug auf seine eigenen (Kompositionen hat D. in der Zwi-
schenzeit einen bedeutenden Schritt vorwärts gethan. Abgesehen
von der oft genialen Erfindung und dem Reichthume an Phantasie
charakterisirt seine jetzigen Arbeiten eine bewundernswerthe Vollen-
dang und Gediegenheit der Form. In harmonischer wie melodischer
Beziehung sind seine (Kompositionen von grossem Werthe; ja selbst
seine Salonpie£en , die Bagatellen , welche er wie kleine Münze an
den Tross der musikalischen Dilettanten auswirft, sind in Bezug auf
Idee und Form keineswegs ohne Kunstwcrth.
Dreyschock hat nunmehr bereits vier Concerte gegeben , und
nach dem Beifalle, der dem Künstler gespendet wird und nach dem
zahlreichen Besuche , dessen sich diese Concerte zu erfreuen hahen,
zu urtheilen, dürfte sich ihre Zahl in der Folge vielleicht sogar ver-
doppeln.
Durch den am 27. d. M. erfolgten Tod des Hofkapellsängers Dr.
Matthäus Lutz hat Wien einen sehr bedeutenden Verlust erlitten,
der für den Moment in Bezug auf Oratorien • Gesang nicht ersetzt
"werden kann. Auch die Hofkapelle hat jetzt keinen ihm ebenbürti-
gen Nachfolger zu erwarten.
Ct^ä^-o
NACHRICHTEN.
Mainz. Am 22. März fand das Theater - Benefiz für den Or-
«chesterfond statt ; Frl. Marx, k. preuss. Kammersängerin, Hr. Pasque,
Hr. Peez und Fi. Mendel, letztere drei Mitglieder des lloftheaters in
Darmstadt, hatten für den Orchesterfond die Gefälligkeit, in der Oper
„Lucrczia Borgia" aufzutreten. Die Oper fand bei überfül Item Hause
statt und die verehrten Gäste fanden eine ihrem bedeutenden Rufe
vollkommen angemessene Anerkennung. Das Publikum hatte einen
sehr genussreichen Abend und noch lange Zeit wird sich dasselbe
dieser so gelungenen Oper-Aufführung erinnern.
Wien. Die italienische Oper hat ihre Vorstellungen begonnen.
Ihr zweites Debüt war „I. Martiri ,<; , eines der schwächsten Werke Do-
nizetti's, welches denn auch sehr wenig Anklang fand. Darauf folg-
ten Rossini's „Italiana in Algeri". Die Sga.Fedor, die Sgi. Guasko
(Tenor) and Everardi (Bariton) haben mit Ausnahme des Letzteren
sieht gefallen. Von neuen Werken wird unter Anderem eine Oper
▼ob Ricci, eigens für Wien componirt, vorbereitet.
Peetha Fr. Hasselt - Barth ist noch immer das leuchtende Ge-
stirn der hiesigen Oper. Neben ihr erringt der Tenorist Young immer
mehr Beifall. Die hiesige ungarische Opern-Gesellschaft, welche be-
kanntlich zu Gastvorstellungen in Berlin engagirt ist, hat sich ver-
pflichtet, 7 ungarische Nationalopern aufzuführen. Es befinden sich
darunter „die beiden Husaren" von Dappler und die vortreffliche
„Hunyadi Lasslo'V
Manchen. Die Odeon-Concerte hahen wieder unter Lachners
Leitung begonnen und bereits zwei sind vorüber. In dem ersteren
kam xur Aufführung Beethoven's£F-dur-Sinfonie und seine Phantasie
für Piano, Chor tind Orchester, Op. 80 j in dem zweiten Mendels-
sohns 4. A-dur-Sinfonie und die beiden neuanfgefundenen Nummern
aus den früheren Bearbeitungen des „Fidelio".
Stuttgart. Der „Schwäbische Sängerbund" wird am Pfingst-
montag in gewohnter Weise ein Liederfest feiern ; diesmal in Schwä-
bisch-Hall.
Berlin. Ein Theil des Domchors (30 Mann) wird am 28. eine
Kunstreise nach Stettin, Hamburg, Bremen, Lübeck und Hannover
antreten.
— Der Pianist 0. Goldschmidt (Gemahl der Jenny Lind) veranstal-
tete kürzlich eine Matinee , in der er Compositionen von Mendels-
sohn, Thalberg, Chopin und eigene vortrug.
— Frl. Joh. Wagner wird im Juni zuerst nach Dresden gehen.
Ausserdem ist sie in Frankfurt am Main auf 6, in Aachen auf 3
Gastrollen engagirt.
Leipzig;. Am 17. d. fand das letzte Gewandhaus-Concert statt.
Dresden« Im Hoftheater gastirte der Tenorist H.Kreutzer aus
Wien als Lyonel, Stradella und Max.
London» Im Coventgarden - Theater sind engagirt die Damen
Grisi, Castellan, Julienne, Bosio, Medori ; die Herren Mario, Formes,
Tamberlik, Ronconi, Tagliofico, Stigelli.
— Frl. W. Clauss spielte hier in zwei Concerten und wird den
grössten Theil der Saison hier bleiben, obgleich sie inzwischen auf
kurze Zeit nach Paris gereist ist.
Edinburgh Mad. Pleyel hat hier und in Birmingham sehr be-
suchte Concerte gegeben.
Mailand. Am 15. März ist der Musikverleger Giovanni Ricordi
nach einer Geschäftstätigkeit von beinahe 50 Jahren dahier ge-
storben.
V In San Francisco in Californien hat eine chinesische Gesell-
schaft ein Theater eröffnet, welche gute Geschäfte macht. Das Or-
chester besteht aus 12 Musikern, welche in den Zwischenakten ihre
langen Pfeifen rauchen.
V In Barcelona scheint das Theater - Orchester viel Kunstsinn
zu besitzen. Der Courier von B. brachte nämlich vor Kurzem fol-
gende Anzeige: „Alle Liebhaber, welche ihren Geliebten auf erfolg-
reiche Art den Hof machen wollen, werden gebeten, sich an den
Portier des Haupühealers zu wenden. Derselbe kann ihnen ein Or-
chester von 14 Musikern verschaffen, welches gegen 20 Realen (5 Frc.)
vor den ihnen bezeichneten Häusern Serenaden bringen wird.
V (Ergänzung des „Fidelio" von Beethoven.) Prof. Dr. 0.
Jahn in Leipzig hat in Wien die älteren Bearbeitungen dieser Oper
(die gegenwärtige Gestalt derselben ist bekanntlich die dritte) aufge-
funden und darin eine sehr beachtenswerthe Entdeckung gemacht.
Es befinden sich nämlich dabei zwei Musikstücke, welche in der ur-
sprünglichen Arbeit Beethoven' s ein Schmuck der Oper waren, die
der Meister auch bei den Kürzungen der zweiten Bearbeitung nicht
aufgeben wollte und die erst bei der dritten Umgestaltung gegen seine
bessere Ueberzeugung wegfielen. Diese beiden Gesang • Nummern
könnten dem gegenwärtigen Fidciio, der ohnedies sehr kurz ist, ganz
leicht einverleibt werden, und es erscheint dies sogar als eine Pflicht
sowohl gegen das Publikum , als gegen den Componisten. Es sind :
1) ein Terzett (Nr. 3 des Cl.-A.) der Leonore : „Ein Mann ist bald
genommen 1 ', zwischen Rocco, Jaquino und Marzelline. Dasselbe tritt
im Akt 1 Scene 2, nachdem Rocco die Bewerbung des Schliessers
Jaquino abgewiesen hat, nach den Worten: „Mein lieber Jaquino,
von einer Heirath zwischen Euch und Marzelline ist keine Rede",
hervor. Das Musikstück ist sehr launig und anmuthig und hat aus-
serdem den Vorzug, die Partien der Marzelline und des schlecht be-
dachten Jacqino zu verbessern.
2) ein Duett (Nr. 10 des Cl.-A.) zwischen Leonore und Marzel-
line, welches nach Leonorens grosser Arie (Nro. 9 des Fidelio), in
der sie sich Muth einspricht, eintritt. Die reine süsse Unschuld
Marcellinens und der verhaltene Schmerz Leonorens, welche in das
Geplauder des Mädchens bald eingeht, bald ihren Schmerz über die
Täuschung der Kleinen ausdrückt, sind in Musik und Text reizend
charakterisirt»
Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. - Druck tob REUTER * WALLAU in Maini.
2. Jahrgang.
Wr. 14.
4. April 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG. i
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REDACTWS BND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
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Durch die Post bezogen:
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Inhaltt Ueber Mendelssohn-Bartholdy I. ~ Neuere Werke zur Musikwissenschaft. — Corresp. (Mainz, Dresden u. London). — Nachrichten.
Ober mendelssohn-bartholdy.
Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley"
und „Christus". *)
Wer früh aus dieser Welt scheidet, mitten ans einem segenbrin-
genden Wirken, anscheinend in voller Kraft, der erweckt neben dem
allgemeinen natürlichen Bedauern auch im Kreise seiner Freunde
noch die herbe Klage, er sei für das Heil des Ganzen schon zu früh
gestorben. Diese gehen daher den letzten verschattenden Strahlen
eines solchen Geistes mit Liebe nach und erblicken in ihnen das
möglichst helle Licht. Müssen wir nun auch unter allen Umständen
unerschütterlich festhalten an dem fröhlichen Glauben, dass nach den
grossen Zwecken des Weltlaufes Nichts zu früh weder komme noch
schwinde, so können wir uns trotzdem dieser Liebesthat aufrichtig
freuen. Denn sie ist nicht nur menschlich schön, sondern auch von
öffentlichem Werthe, weil sie über die bestimmte Persönlichkeit rasch
ein geschichtlich abschliessendes Urtheil möglich macht — für die
rasche und gedeihliche Entwicklung, für den lebendigen Fortschritt
bekanntlich von bedeutendem Nutzen.
Nichts ist mehr geeignet, diese und ähnliche Gedanken zu erre-
gen, als Op. 97 und 98 der Mendelssohn'schen Werke. Und merk-
würdig ! Während die von Mozart und Beethoven nachgelassenen
Kostbarkeiten eine lange Zeit mit grösster Sorglosigkeit behandelt
wurden, ist schon jetzt von Mendelssohns Nachlass so gut wie Alles
herausgegeben. Man sage nicht: „also sind wir jetzt in der Achtung
vor dem Genie doch weiter, als unsere Väter!" — Das wäre nur
ein thörichter , eitler Wahn. Der Unterschied liegt in den Genieen
selber , nicht in ihren jeweiligen Zeitgenossen : von letzteren bleibt
gewiss, wie viel man auch dagegen sagen möge, dass sie trotz er-
höhter Bildung und allgemein verbreiteter Intelligenz in der Schätz-
ung, in der Aufnahme, in der Behandlung der wahrhaft grossen Män-
ner ihrer Zeit sich stets gleichblieben, mit anderen Worten: dass
also in dieser Hinsicht die Menschheit nicht fortschreitet. Was heute
unter uns mit Homer'scher, Shakespeare'scher oder Mozart'scher Kraft
erstände und wirkte, das würde eben so aufgenommen, als diese zu
ihrer Zeit, denn jede solche Erscheinung ist ihrem Wesen nach etwas
absolut Neues, und desshalb so schwer zu beurtheilen, weil sie nicht
nach vergangenen Grössen gemessen werden kann. Mit wem man
aber bald fertig ist , der ist leicht zu ergründen ; und wieder : wer
leicht zu erschöpfen ist, von dem sammeln die verehrenden Freunde
*) Recitativ und Chöre aus dem unvollendeten Oratorium „Chri-
stus" von F. M.-B. Op. 97. Nro. 36 der nachgelassenen Werke.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1853. Partitur Preis 4 Thlr., Ciavier-
Auszug 3 Thlr.
„Loreley". Finale des ersten Aktes. Op. 98. Nr. 37 der nach-
gelassenen Werke. Text von Geibel. Partitur 4 Thlr., Ciavier-
Auszug V/t Thlr. Ebenda.
Alles gern bald zusammen, damit sein Vorrath so lange als möglich
zu leben gebe. Ein solcher ist Mendelssohn, besonders Händel-
Mozart-Beethoven gegenüber; daher kann man über ihn auch leichter
in's Reine kommen, als über dieses glänzende Dreigestirn. Ueber
Händel sollten wir jetzt endlich eine geschichtlich feste Ansicht ge-
wonnen haben; Mozart lässt ebenfalls eine solche zu; ein Biograph
Beethovens dagegen wird bis auf diesen Tag höchstens eine nütz-
liche Vorarbeit liefern können; und wiederum ist der erst vor Jah-
ren heimgegangene Mendelssohn schon ganz der Geschichte anheim-
gefallen. Nach oberflächlicher Kenntniss der Sachlage sollte man
meinen, über keinen von den Vieren lasse sich weniger sicher ur-
theilen, als über den so vielseitig befähigten und thätigen Mendels-
sohn, über einen Künstler, der in sich vereinigte, was man bis dahin
für eine Unmöglichkeit gehalten, der Vieles und Vielerlei hervor-
brachte und zu noch Mehrerem die wunderlichsten Hoffnungen er-
regte. In dieser schwindelnden Vielseitigkeit zeigt sich schon das
Wesen des Mendelssohn'schen Geistes : es birgt in sich eine unver-
kennbare Grösse, aber nicht die Grösse der ureigenen Machtfülle,
sondern die Grösse eines Problems — Mendelssohn ist ein grosses
Räthsel. Bekanntlich ist nichts leichter zu verstehen, alseinRäth-
sel — sobald es gelöst ist.
Betrachten wir zuerst einige Einzelheiten.
Von dem Oratorium „Christus" sind zwei Bruchstücke veröffent-
licht : eins zum ersten, eins zum zweiten Theile gehörend , wie die
Ueberschrift angibt. Wahrscheinlich hat doch den Herausgebern der
ganze Text vorgelegen ; sie hätten also immerhin, wenn auch densel-
ben nicht ganz mit abdrucken lassen, doch über seine Composition
ein Wort sagen können. Ich vermuthe, Mendelssohn hat seinen
„Christus" in drei Theile zerlegt, oder auch dem zweiten Theile ein
grosses Gloria anhängen wollen. Bach'sche Passionsmusik ist es
nicht, weil es das ganze Leben und Sein des Heilandes umfasst,
und ein rein in den Wolken fliegender Händel'scher Messias ebenfalls
nicht, weil die Textworte meistens wörtlich der neu-testamentlichen
Geschichtserzählung entnommen sind — vielmehr wird Mendelssohn
das Bach'sche kirchliche Leidensbild und den Händel'schen Herrn
der Herrlichkeit zu einer „höheren Einheit*', wie man sich jetzt aus-
drückt, haben verschmelzen wollen. So viel ist mir aus den beiden
Bruchstücken ganz klar geworden, und dies genügt.
Zum „ersten Theile, Geburt Christi' 4 , gehören drei Nummern:
1) Recitativ, Sopran-Solo: „Da Jesus geboren ward zu Bethlehem
im jüd. Lande, kamen die Weisen vom Morgenlande gen Jerusalem
und beteten ihn an". — 2) Terzett, Tenor, Bass I. u. IL, Andante:
„Wo ist der neugeborene König der Juden , wir haben seinen Stern
gesehen und sind gekommen ihn anzubeten." Beide, nur mit Saiten
begleitet, sanft und niessend an Gesang, obwohl in keiner Beziehung
hervorstechend. Länger ist Nro. 3, ein vierst, gem. Chor Allegro
moderato mit voller Begleitung: „Es wird ein Stern aus Jakob auf-
gehen und ein Scepter aus Israel kommen, der wird zerschmettern
Fürsten und StSdte", oft wiederholt, schliessend in dem Choralvers :
„Wie schön leuchtet der Morgenstern." Das erste Viertel dieses
Chores ist nicht übel, in dem Ganzen ist aber viel zu viel Dunst
und so etwas von dem „viel Lärmen um Nichts". „Der wird zer-
.- 54 —
schmettern" — da denkt der Componist nur an das „Zerschmettern"
und vergisst ganz, Wer hier nach dem erhabenen Prophetenworte
der Zerschmetterer war, und wie Der Zerschmetterte* In diese ,
wilde Hazze, welche Mendelssohn Aber den heiligen Christ anstimmen
lässt, könnten Tilly und Napoleon sehr gut einstimmen, denn die
zerschmetterten grade so. Dann hat Christus auch nie „Fürsten und
Städte" zerschmettern wollen, wie der neue Umdichter des alten Bi-
leam meint; vielmehr sollte man erst die Tragweite und den rechten
Kern solcher Prophetenworte verstehen lernen, ehe man eine so
blödsinnige Variante sich erlaubt. Wenn das geschieht an des
Textes dürrem Holze, wenn falsche und unklare theologische Mei-
nungen ein vermeintlich christliches Gerüste aus ihm zusammenzim-
mern, in wie viel Wirrnisse und Widersprüche muss der Tondichter
gerathen, der es unternimmt, in dieses Gerüst Leben und Fülle zu
bringen ! Doch , wir haben erst die Bruchstucke des 1. Theiles be-
trachtet; die des zweiten sind noch belehrender.
<*8
„NEUERE WERKE ZUR MUSIKWISSENSCHAFT".
Nachschrift. So eben erscheint von M. H a u p t m a n n ein
Werk unter dem Titel: „Die Natur der Harmonik und der Metrik*
Zur Theorie der Musik" (Leipzig, Breitkopf und Härtel). — In der
Vorrede S. VII — VIII sagt Hauptmann:
„Es ist vor Kurzem eine kleine Schrift unter dem Titel: „Der
aecordliche Gegensatz und die Begründung der Scala" beiLuckhardt
in Cassel erschienen. Der Verfasser derselben, Herr Otto Kraus-
haar, bekennt in einer Zuschrift, mit welcher er das Werkchen mir
übersendet, dass die darin dargelegte Theorie aus Grundbestimmungen
entwickelt sei, die er von mir zuerst ausgesprochen gehört habe*
Möchte er dies in der Schrift selbst mit einigen Worten erwähnt
haben. Jetzt kann es sonderbar scheinen, dass zwei Autoren in etwas
Neuausgesprochenem sich so auffallend mit gleichen Gedanken be-'
gegnen, wie es in einigen Punkten von Kraushaar' s Schrift und der
gegenwärtigen zu finden ist: namentlich in der Erklärung des Moll-
dreiklanges , in der Nachweisung eines positiven und negativen Ver-
haltens von akustischen Bestimmungen überhaupt und eben so in
manchen Aeusserlichkeiten , wie die Bezeichnung der Accorde und
des Systems der Tonart. Zu einer Kritik des Kraushaar'schen Ton-
systems ist hier am allerwenigsten der Ort; es ist hier nur zu be-
merken, dass Dasjenige, was in jenem mit dem vorliegenden überein-
stimmt, Herrn Kraushaar vor Jahren bei Gelegenheit eines musika-
lisch-theoretischen Cursus von mir mitgetheilt worden ist."
Einer weiteren Kritik der Abhandlung von Herrn Kraushaar sind
wir also enthoben; dagegen soll Hauptmanns Buch baldmöglichst
besprochen werden.
CORRESPONDENZEN.
AUS MAINZ.
(Ende März.)
Diese Blätter haben schon manchen Bericht über musikalische
Vorkommnisse in unserer, für äussere Eindrücke so empfänglichen
Stadt enthalten; allein dieselben beschränkten sich stets auf ein ein-
faches Referat über dieses oder jenes Concert und auf eine stets
lobende Beurtheilung der dargebotenen Kunstleistungen, ohne auf
eine gründlichere Besprechung unserer musikalischen Zustände im
Allgemeinen einzugehen. Es möchte daher nicht ohne Nutzen und
der Aufgabe, die sich Ihr geschätztes Blatt gestellt hat, ganz ent-
sprechend sein, das musikalische Treiben dahier einmal etwas tiefer
zu sondiren und manchem frommen Wunsche, mancher gerechten
Klage in dieser Richtung Worte zu geben.
Zuerst gestatten Sie mir eine kurze Besprechung des letzten
Concerts, welches die hiesige Liedertafel in Verbindung mit dem Da-
mengesangverein am 18. d. M. veranstaltete, indem sich in den Lei-
stungen dieser Vereine eben unsere Musikzustände am klarsten ab-
spiegeln.
Das in Rede stehende Concert wurde eröffnet mit der neuesten,
preisgekrönten Fest-Ouverture von Vincenz Lachner. Dieses Werk
des als Componist wie als ausgezeichneter Dirigent gleich rühmlich
bekannten Meisters zeichnet sich durch ansprechende Motive, durch
gewandte, effektvolle Instrumentirung und durch Reinheit der Formen
aus und muss, wenn sie gut executirt wird, von vortrefflicher Wir-
kung sein. Leider war jedoch die Aufführung durch das hiesige
Theaterorchester durchaus nicht geeignet, die Intentionen des Com-
ponisten zur vollen Geltung zu bringen, und wenn dieselbe die An-
sprüche des Publikums schon durchaus nicht befriedigen konnte, so
musste sie dem, fast hätte ich gesagt „leider" anwesenden Componi-
sten wahrhaft zur Pein gereichen. Lückenhaftes Ensemble, besonders
bei den Blasinstrumenten auffallend , Herbheit des Vortrages und
Mangel aller feineren Nüancirung machten diese Produktion zu einer
der unerquicklichsten , die ich je gehört habe. Einige darauf fol-
gende Solovorträge wurden von Dilettanten ausgeführt und sind da-
rum dem Bereiche der öffentlichen Besprechung entrückt. Sie boten
zum Thcile Vortreffliches, besonders in dem Vortrage der Clavier-
piecen. Die Herren Frisch und Arnold aus Wiesbaden spielten eine
wenig anziehende Composition von Oberthür für Harfe und Violoncello
mit -vielem Fleisse und Geschmack, und Herr Frisch bewies sich als
wackerer Cellist, dem nur ein besseres Instrument zu wünschen wäre.
Ich erwähne nur noch ein von dem Direktor der Liedertafel, Herrn
Vierling, componirtes Capriccio für Ciavier und Orchester, welches die
Ciavierpartie mit den begleitenden Orchesterstimmen innig verwe-
bend, durch Gewandtheit in der harmonischen und technischen Be-
handlung, so wie durch gefällige Formen sich vorteilhaft empfiehlt,
um zu dem Schluss-Stücke des Concertes, nämlich Niels W. Gade's
„Comala" überzugehen. Der Gesammteindruck auf das zahlreiche
Publikum war kein günstiger, indem dieses Werk, welches durch
glänzende Instrumentirung und durch charakteristische Auffassung
des gegebenen Stoffes einerseits bedeutendes Interesse zu erwecken
im Stande wäre , auf der anderen Seite durch seine fast ganz
wechsellose, monotone Färbung und durch tödtliche Längen jeden
möglicherweise günstigen Eindruck wieder zu Boden schlägt und eine
wahrhaft einschläfernde Macht auf die Hörer ausübt. Der Componist
scheint selbst eine dunkle Ahnung von der narkotischen Wirkung
seines Werkes gehabt zu haben, denn er vollführt in der letzten
Nummer urplötzlich einen so höllischen Lärmen, dass er nicht nur
die bereits entschlummerten Zuhörer unfehlbar erwecken, sondern
auch die Wachgebliebenen, insofern sie nicht mit ungewöhnlich star-
ken Nerven versehen sind, durch die Nachwirkung dieses Spektakel-
Stücks um die ersehnte Nachtruhe bringen muss. Dazu kam noch
die Art der Aufführung selbst, welche gleich wie in der Ouvertüre
gar Vieles zu wünschen übrig Hess. Die Gesangs - Soloparthien,
welche theils in den besten Händen waren, vermochten kaum sich
geltend zu machen neben oder vielmehr unter der vollkommen rück-
sichtslosen Begleitung des Orchesters , welches fest entschlossen
schien, kein Piano aufkommen zu lassen , und somit zu der Einfär-
bigkeit der Composition auch noch die Eintönigkeit der Aufführung
fügte.
Gleichwohl kann man für die Vorführung dieses Werkes nur
dankbar sein, von dem Grundsatze ausgehend, dass es mit zur Auf-
gabe solcher Vereine gehöre, ihren Mitgliedern durch Aufführung von
Werken der neueren Geschmacks-Richtungen Gelegenheit zu geben,
ihr Urtheil über dieselben durch eigenes Hören und durch Verglei-
chung mit den Werken älterer Meister festzustellen und kundzugeben.
Es wird daher auch mit vielem Danke aufgenommen werden,
wenn die, wie es heisst, beabsichtigte Aufführung des vielgelobten
und vielgeschmähten „Tannhäuser" durch das Wiesbadener Theater-
und Orchesterpersonal dahier zu Stande kommen sollte.
Hiermit ist zugleich die gewichtigste und am meisten begründete
der Klagen über unsere Musik-Zustände ausgesprochen: „Der Ver-
fall unseres Orchesters hat sich bei dieser Aufführung
in einer wahrhaft trostlosen Weise ausgesprochen.
Hier ist baldige und gründliche Hülfe nöthig, wenn nicht die Leistun-
gen des hiesigen Orchesters zu einer Bedeutungslosigkeit herabsinken
sollen, welche mit den Ansprüchen, welche man an eine Stadt wie
- 55
Mainz stellen darf, sowie mit dem, was früher dahier in diesem
Kunstfache geleistet worden ist, im grellsten Widerspruche stehen
würde. Vor allem ist es unbedingt nöthig, dass für einen Theil der
Blasinstrumente neue und tüchtige Kräfte gewonnen werden, und
ich halte dies nicht für unausführbar , indem die Mittel dazu sich
finden werden , sobald am geeigneten Orte das Bedürfniss erkannt
wird. Ich darf mir wohl erlauben, auf einige Mittel zu diesem Zwecke
hinzudeuten.
Das beste und wirksamste dieser Mittel möchte es wohl sein,
wenn bei der nun für die nächsten Jahre zu vergebenden Direktion
des Theaters strenge darauf gesehen wird , dass der neue Direktor
einen tüchiigen, routinirten und energischen Orchester-Dirigenten mit-
bringe,, der den so ziemlich eingeschlummerten Kunstsinn und das
Point d'honneur der Orchestermitglieder wieder zu wecken versteht,
indem er durch möglichste Verbesserung der schwachen Seiten seines
Orchesters und durch eine kraftvolle, verständige Leitung Produktio-
nen ermöglicht, welche die lohnende Anerkennung des Publikums
und diese wieder einen erhöhten Aufschwung der ausübenden Künst-
ler zur Folge haben müssen. Das von den Orchestermitgliedern be-
absichtigte Unternehmen einer gewissen Anzahl jährlicher Abonne-
mentconcerte würde, nach Ausscheidung allenfalls sich vordrängen-
der Einzelinteressen, diesem Zwecke ungemein förderlich sein, indem
es einerseits durch die Aussicht auf einen ständigen Verdienst die
Gewinnung neuer und tüchtiger Kräfte sehr erleichtern und anderer-
seits dem ganzen Körper die unumgänglich nöthige Uebung im En-
semble gewähren würde. Es ist daher sehr zu wünschen, dass den
dessfallsigen Anträgen eine genaue Prüfung und der möglichste Vor-
schub nicht versagt werden möchte.
>OOOi
AUS DRESDEN.
(21. März.)
Die nun stark ihrem Ende sich zuneigende Saison hat uns in
musikalischer Beziehung so wenig bedeutende Genüsse geboten , wie
kaum je eine in früheren Jahren. Selbst wenn man stark über den
eigentlichen Begriff der ..Saison" hinausgeht (bis zum August vor.
Jahres zurück), so bieten sich in diesem Zeiträume von 8 Monaten
kaum etwa zwei Dutzend irgend bemerkenswerther Concerte,
musikalischer Akademien u. dgl., während unsere Oper nun wenig-
stens seit vier Monaten ungefähr mit eiserner Beharrlichkeit einen
siebenten Schöpfungstag, d. h. einen Ruhetag feiert, ohne doch beim
Rückblick mit begründeter Zufriedenheit sagen zu können : „Es war
Alles sehr gut". Ich mag die Schuld an dieser bedenklichen Stag-
nation , an diesem winterschlafmässigen vegetativem Stocken aller
Lebenspulse und Zehren vom eigenen, früher angesammelten Fette
nicht auf die Schultern Einzelner wälzen. Die Verhältnisse mögen
immerhin diese Schuld zu tragen haben , und die Verhältnisse sind
oft stärker als der Mensch : man muss ihnen Rechnung tragen. Aber
der Unbefangene wird doch kaum umhin können, eben daraus , dass
solche unüberwindlichen Verhältnisse existiren, dass sie so lange,
so consequent eine jedenfalls nicht erspriessliche, im Gegentheil sehr
bedauerliche Herrschaft auszuüben vermögen, zu der naheliegenden
Conclusion gelangen : ,.,es sei", mit Hamlet zu reden, „etwas faul im
Staate Dänemark", und daran den um so lebhafteren Wunsch knü-
pfen, dass diese „Faulheit" — oder lieber, dieses „Faulsein" bald-
möglichst beseitigt werden wolle, damit das Kunstinteresse auch auf
diesem Gebiete in einem , den bedeutenden Mitteln und sehr bedeu-
tenden, auf seine beabsichtigte Förderung verwendeten Kosten ent-
sprechendem Maase kräftig gewahrt, gepflegt und gehoben werde.
Ob dieser billige Wunsch durch Gastspiele, wie das des Tenoristen
Heinrich Kreutzer vom Wiener Hofoperntheater, seine Erfüllung
finde, bedarf hier für jetzt der Erörterung nicht. Der Künstler trat
hier innerhalb sieben Tagen viermal, und zwar als Stradella, Max
(Freischütz), Lyonel (Martha) und Raoul auf, und errang sich als
tüchtig und solid geschulter Sänger und sinniger, denkender und
gewandter Darsteller, durch die gesunde,, von effekthaschender Manier
freie Natürlichkeit seiner Leistungen allerdings bei verständigen Kunst-
freunden ehrenden, in gewohnter Weise auch äusserlich sich bethä-
tigenden verdienten Beifall; aber theilweise Indisposition, theilweise
auch wohl wirklicher Mangel an ausgiebig kräftigem Stimmfonds Hes-
sen es, neben der unglücklichen Wahl der dargestellten Partien und
manchen anderen Verhältnissen, zu einem wirklich nachhaltigen In*
teresse an seinem Gastspiel nicht kommen. Es bleibt nun zu erwar-
ten, ob das Eintreffen der Frl. Jenny Ney, die mit Ende dieses Mo-
nats hier einen kleinen Gastrollencyclus beginnen wird, um alsdann
mit dem Juni ganz die Unsere zu werden; ob der am i. Juli be-
vorstehende Regiewechsel bei der Oper (Regisseur Rottmeyer maeht
dem bisherigen trefflichen Chordirektor Fischer Platz, der schon vor
Jahren hier längere Zeit das Amt eines Regisseurs bekleidete) $ efc
die Anstellung eines neuen Musik- (und gleichzeitig wohl Chor-) Di-
rektors in der Person des bisherigen Casseler Chordirektors W. Fi-
scher (Sohnes des neuen Regisseurs), jene billigen Wünsche rea-
lisieren; ob auf Grund dieser wesentlichen Aenderungen namentlich
die umsichtige Energie zum Heile unseres Operninstitutes sich ent-
wickeln werde, welche durch Wissen und Können gleich imponirend,
dem kleinlichen Parteigetriebe fern und frei von persönlichen Ein-
flüssen , rein die Sache im Auge mit unermüdlicher Consequenz die
möglichste Realisirung künstlerischer Anforderungen zu vermitteln
bestrebt ist!
Es erscheint als natürliche Consequenz dieser Dürre der Opern-
zustände und der verhältnissmässig geringen Ausbeute für den höhe-
ren Kunstsinn , welche die Concerte im Allgemeinen darboten , zu-
gleich aber auch als ein erfreuliches Zeugniss für die neben aller
Corruption des Geschmacks doch in bedeutendem Maase sich bekun-
dende Existenz eines derartigen höheren Kunstsinnes, dass die wirk-
lich grossartigen Produktionen auf dem Gebiete der Goncertmusik,
je seltener sie waren, eine um so regere Theilnahme fanden. Das
zeigte sich schlagend in der dritten, leider der letzten Quartett-
Akademie Lipinski's, Kummcr's etc., die in diessmal wieder mei-
sterhafter, ja in der That vollendeter Ausführung ausser Mozart's
schönem Quintett in D-dur (Op. 36, Nro. 4 der Collection) die Quar-
tette von Haydn (Nro. 57, Op. 54, Nro. 1) in C-dur, und von Beet-
hoven Op. 127 in Es brachten und eines so zahlreichen Besuchs sich
erfreuten, wie man sich hier bei solchem Anlasse nicht zu entsinnen
weiss. Und es zeigte sich noch mehr in dem gestrigen grossen
Palmsonntag-Concert der k. Kapelle zum Besten ihres Wittwen-
und Waisenpensionsfonds, das die festlich beleuchteten Räume des
Hoftheaters wahrhaft überfüllt hatte, während schon in der (herkömm-
lich gegen Entree dem Zutritt des Publikums geöffneten) General-
probe eine Anzahl von Personen vergeblich Einläss begehrten, da die
für das Publikum bestimmten Plätze für die starke Nachfrage nicht
ausreichten. Und doch wird man behaupten dürfen, dass Beethovens
neunte Symphonie (mit Chören) trotz ihrer grossen genialen Schön-
heiten zu des musikalischen Titanen populären Werken nicht gehört,
während ersichtlich sie grade es war, die die Mehrzahl der Besucher
angelockt hatte, mochte auch ein Theil derselben vornehmlich um
des unsterblichen Mozart Schwanengesanges , um seines Requiems
willen (aus diesen beiden grossartigen Werken war unter Kapellmei-
ster Krebs' tüchtiger Leitung das Concert gebildet) der Aufführung
beiwohnen. Grade die Symphonie fand nach jedem einzelnen Satze
den lebhaftesten Beifall, der nach dem Adagio so excessiv wurde,
dass er fast zu einem (schmeichelhaften , aber unbilligen) Dacapo
sich versteigen zu wollen schien. Und man muss gestehen, neben
dem Werke selbst verdiente die wahrhaft vollendete Ausführung des-
selben durch unsere Kapelle , die darin wieder einmal ihre ganze
künstlerische Grösse zu Tage legte, und der sich in der schwierigen
Vocalpartie der Theaterchor, die Dreyssig'sche Singakademie und an-
dere Gesangskräfte (in den Solo's die Mitglieder der k. Oper, FrlL
Meyer und Bredo, und die HH. Weixlstorfer und Mitterwurzer) in
würdigster Weise anschlössen , diesen stürmischen Beifall vollkom-
men. Selbst die bärbeissigste Kritik muss dies zugestehen und es
wäre kleinlichste Krittelei, wollte man vielleicht ein Paar vereinzelte
Kleinigkeiten, die etwa dem Ideal nicht entsprachen, hervorheben.
Auch die Ausführung des Requiem gelang musikalisch vortrefflich,
wenn auch die spezifisch kirchliche Weise derselben nicht intensiv
genug aufgeprägt schien , und ich in einigen Tempi (soviel z. B. das
Tuba mirum zu langsam, soviel war das Benedictus zu schnell) und
kleinere Nuancen mich mit dem Dirigenten nicht vollkommen einzu-
verstehen vermag. Das ganze Concert bot aber einen ausserordent-
lich hohen, würdigen Kunstgenuss; es war ein wahrhaft würdiger
Abschluss der Saison und entschädigt für so manches musikalische
Leiden derselben. Und dass dies von dem zahlreichen Publikum ,
warm und lebhaft empfunden wurde, das gibt einen sehr erfreulichen
— 56 —
Beitrag anr musikalischen Charakteristik unserer Residenz, um des-
aentwilleii man derselben manche auf musikalischem Gebiete sonst
auch wohl begegnende Verirrung und Geschmacklosigkeit verleihen
darf. — Unter den Concerten der letzten Wochen will ich schlieslich
eines von bedeutender Thcilnahme des Publikums getragenen er-
wähnen; welches das Waldhorn- Quartett der k. Kapelle» die
HH. Kammermusiker Hubler, Moschke , Schlitterte und Lorenz , mit
Unterstützung der Kapelle und mehrerer Mitglieder des Hoftheaters
veranstaltet hatten und in welchem sie als tüchtige Künstler aufs
Nene sich bewahrten.
^•»m*
AUS, LONDON.
(Ende Februar.)
Die Concerte haben begonnen und die hiesigen Kritiker haben
wieder mehr zu thun, als ihre eigenen Sachen zu lesen. Sie müssen
entsetzlich viel hören, oder mindestens so thun, als hätten sie etwas
gehört; sie müssen überall sein, wesshalb so viele meinen sie wä-
ren nirgends; sie müssen Worte machen, sehr viele Worte, und in
dieser Hinsicht mehr Geschmack entwickeln , als die Mehrzahl sich
träumen lässt. Denn gezwungen sein^ über Dinge zu sprechen, über
die am Ende Alles gesagt ist, oder über die sich gar nichts sagen
lässt, das setzt mehr Verstand und Originalität voraus, als in einem
Concerte dieselben Fingerfertigkeiten immer wieder aufs Neue an
den Mann zu bringen. Wahrlich, es ist keine Kleinigkeit, in einem
Lande, wo man noch die musikalische Besprechung verlangt und
liest, das Amt eines solchen Referenten zu bekleiden, und ich kann
so nicht umhin , die Energie und Ausdauer zu bewundern , mit der
die hiesigen über Erscheinungen sprechen, die schon längst für die
Kunst gar keine Bedeutung haben, und über die im Grunde schon
alles Mögliche gesagt ist. Da ist z. B. Mad. Pleyel. Diese Dame
ist eine ausgezeichnete Clavierspielerin , das Publikum hat es schon
tausendmal gehört, sie spielt alle Sorten von Romantik sehr schön,
das Publikum weisses; sie spielt heute dieselben Sachen, die sie im
vorigen Jahre und immer gespielt hat; auch dies ist den Leuten be-
kannt , wozu also noch über diese Frau sprechen ? Aber freilich,
wollte man es nicht, so würde man am Ende das ganze gesellschaft-
liche und künstlerische Leben aufheben müssen; denn wir, die wir
zur christlichen Welt gehören, leben im Grunde nur von Wiederho-
lungen. Wie im Kleinen, so im Grossen. Dasselbe Princip, das uns
heute noch über Mad. Pleyel und das ganze Heer der Concertgeber
und Geberinnen sprechen Hesse, lässt uns sogenannte Schöpfungen als
etwas Neues hinnehmen, die im Grunde nichts Anderes sind, als
höchstens eine Erweiterung des früher Geschaffenen. Es ist übri-
gens ein wahres Glück für die Herren Schöpfer, dass es so ist.
Wäre es anders, so würde man ihrer wie ihres Herrn Urgrossvaters
schon längst vergessen haben. Auch Mad. Pleyel kann sich dem-
nach gratuliren. Ihr erstes Coneert fand im Anfang des Monats
statt; darauf hat sie bald hier, bald dort gespielt; augenblicklich ist
sie in der Provinz. Dass sie nirgends die Liszt'schen „Patincurs"
vergisst, versteht sich von selbst, ein Musikstück, von dem es Schade
ist, dass so geschickte Hände es der „Zukunft", wohin es eigentlich
gehört, entnehmen und in die Gegenwart verpflanzen.
Nach dem Goncert der Dame Pleyel kam die erste ,,klassische
Soiree" des Herrn Sterndale - Bennet. Herr Bennet ist ein Compo-
nist, von dem vor Jahren in Deutschland einmal die Rede war, dass
' er unter Mendelssohn studirt habe. Seitdem hat man seiner bei uns
nicht mehr gedacht. Er ist nach wie vor derselbe geblieben, schreibt
noch immer „klassische" Sonaten und ist in künstlerischer Hinsicht
durchaus „respectable". Ausserdem geniesst er hier den Ruf, der beste
Clavierspieler und Componist zu sein, den England hervorgerufen hat.
Es gibt nun noch sehr viele „klassische" Clavierspieler in die-
sem London, die alle „für die Kunst" Concerte geben und theilweise
gegeben haben* Diese Herren spielen Beethoven, Mozart, Mendels-
sohn und sich selbst, sodann Hummel, Steibelt, Bach und andere ge-
wesene Grössen. Sie wissen sehr genau das Forte und Piano zu
beobachten, sie spielen sehr fertig mit allem möglichen (d. h. ihnen
möglichen) Ausdruck, sie vergessen gewiss kein Vorschriftzeichen
und sind durchaus gewissenhaft. Da aber alle diese Herren keine
Ausnahme von der Regel bilden, die eben in diesem Lande das
„Klassische" fordert, da sie im Grande dasselbe sind, nur auf einem
anderen Felde, was vor fünfzehn Jahren die Herren Virtuosen waren,
so wollen wir sie zu den „Ueberwundenen" rechnen, wenn uns diese
Arbeit auch etwas sauer werden sollte. Da ist auch nicht ein Ein-
ziger mit einer bestimmten ausgezeichneten Individualität , von dem
man sagen könnte, er hat etwas Originelles. Doch halt — Einer
ist da, der eine selbsständigere Richtung verfolgt und etwas Eigenes
aufweist. Das ist Herr Pauer. Er hat bis jetzt eine von den drei
Soireen gegeben, die er angekündigt hat. Herr Pauer spielt sehr
sauber, corect und mit einem durchaus milden Anschlage. Man kann
überhaupt von ihm sagen , er hat ein nobles Spiel. Da ist nichts
Gemeines, kein forcirtes Gefühl, keine Koketterie mit der Bravour,
es ist das Spiel eines sich selbst bewussten Künstlers.
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Leipzig. Musikdirektor Gade ist nach dem Schlüsse der Ge-
wandhausconcerte nach Copenhagen zurückgekehrt. — Der Tenorist
Ander ist zu Gastspielen engagirt worden. Derselbe gastirte in der
letzten Zeit in Magdeburg.
Braunschwelg. Den Freunden guter Musik wurde durch die
kürzliche Aufführung des Beethoven'schen „Fidelio" ein ungemeiner
Genuss geboten, da dieselbe bis auf Einzelheiten eine ganz vorzüg-
liche war. Leider können wir dasselbe von einer bald darauf er-
folgten Auffuhrung des „Don Juan" nicht sagen , denn diese war,
Weniges abgerechnet, eine ganz traurige. Wenn man die Meister-
werke unserer Classiker nicht würdig zu Gehör bringen will, so
sollte man sie lieber ganz in Ruhe lassen; sie aber verhnnzt dem
Publikum vorführen, und noch dazu an einem Hoftheater, heisst allem
guten Geschmack, aller Pietät gegen die alten Meister Hohn sprechen.
Die vier Gebrüder Müller sind vor Kurzem von ihrer Kunstreise
zurückgekehrt.
Litollf weilt schon seit Februar wieder hier.
Man sieht mit Spannung der baldigen Auffuhrung der Schmezer-
schen Oper entgegen.
München> Am 19. März gab der Pianist Doktor, Prof. am hie-
sigen Conservatorium, sein zweites Concert. Hiesige Blätter rühmen
seine Fertigkeit, seinen Anschlag und seinen Vortrag-
Berlin« Herr Ed. Singer , einer der bedeutendsten Violinisten
der Gegenwart, bewährte in dem ersten hier von ihm in Gemeinschaft
mit Frl. M. Wieck veranstalteten Concerte seinen Ruf auf das Glän-
zendste. Er spielte mit Letzterer die Beethoven'sche Sonate Op.
30 Nro. 2 für Piano und Violine und ein Air Varie eigener Compo-
sition. Ein hiesiges Blatt urtheilt über ihn : „Als vorzügliche Eigen-
schaften seines Spiels bezeichnen wir vor Allem den schönen, edlen
und markigen Ton , der sich in allen Lagen und auf allen Saiten
durch eine seltene Gleichheit und Fülle auszeichnet , verbunden mit
einem seelenvollen Vortrag, der alles Unedle, Gekünstelte verschmäht.
Dabei beherrscht der Künstler sein Instrument in allen Formen der
Technik mit einer vollendeten Sicherheit, die überall den Meister ver-
kündet. Wenige Virtuosen möchte es geben, die ihm an Markigkeit
des Tons, an Correctheit in den schwierigsten Passagen gleichkommen."
Stuttgart. Mad. Marlow ist hier auf 10 Jahre engagirt worden.
Cöln. Frl. Bury, zuletzt für die Gewandhaus-Concerte in Leip-
zig engagirt, sang im 8. Abonnements-Concerte. In Hannover fand
sie reichen Beifall. Anfang April begibt sie sich nach London.
Düsseldorf. Mad. Viardot-Garcia ist zur Mitwirkung an dem
bevorstehenden rheinischen Musikfestc eingeladen und ihr ein Hono-
rar von 100 Louisd'or zugesichert worden.
Paris. In einer der letzten Soireen bei Erard sang Mad. Schrö-
der de Vriant (-Devrient). Ausserdem Hessen sich hören Sivori und
Frl. W. Clauss.
Nach Ostern bringt die Opera comique „Tonelli" von A. Thomas.
Man verspricht sich sehr viel von diesem neuesten Werke des ta-
lentvollen Componiaften.
Verantwortlicher lUdatteu : J. J. SCHOTT. - Bwek yn REUTER <* WALLAU In Malm.
2. Jahrgang.
Mr. 15.
11. April 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonairt bei allen Postamtern,
Musik- nnd Buchhandlungen.
REDACTION BND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDOl BEI SCHOTT 4 CO.
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0. 2.
43 oder Thlr. 1.
18 Sgr.
fttr den Jahrgang
»
Durch die Post bezogen :
50 kr.
oder 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalt! Ueber Mendelssohn-Bartholdy II. — Corresp. (Heidelberg, Braunschweig, München u, London). — Nachrichten.
ÜBER MENDELSSOHN-BARTHOLDY.
Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley"
und „Christus".
II.
Das Bruchstück des „zweiten Theiles, Leiden Christi", beginnt:
„Und der ganze Haufe stand auf und fing an ihn zu verklagen und
au schmähen (Redt.)". Chor: „Diesen finden wir, dass er das Volk
abwendet und verbietet den Schoss dem Kaiser zu geben und spricht,
er sei Christus, ein König." Recit. : „Pilatus sprach....: ich finde
keine Ursach an diesem Menschen. Da schrieen Alle:" und nun
folgt ein fugirter Chor von 29 Takten '% Allegro molto, der, gut
ausgeführt, gewiss von ausserordentlicher Wirkung sein muss. Der
Bass hebt mit dem Motiv an:
Saiten und Fagotti.
9* bV<?t >=fc6
jb g fr £ f f ■ f »E S
„Er hat das Volk er - regt damit, dass er ge - leh-ret hat
Der Text heisst weiter: „hin und her im ganzen Lande, und hat in
Galiläa angefangen bis hieher." Recit. : „Pilatus aber sprach : ich
finde keine Schuld an ihm, darum will ich ihn zuchtigen und loslas-
sen. Da schrie der ganze Haufe:" Chor: „Hinweg mit diesem und
gib uns Barrabam los;" tumultarisch, gewiss den Worten und der
Lage gemäss. Nur die endlose Wiederholung des Wortes „Barra-
bam" ist sehr willkürlich. „Willkürlich"? nein, ich habe fast ver-
gessen, dass es sich hier um ein Oratorium, nicht um die Wahr-
heit der Scene handelt. Fragt man nach der Berechtigung der Kunst-
formen, so bleibt im Oratorium Alles willkürlich, einfach desswe-
gen, weil aus demselben nicht zu bestimmen ist, wann und warum
sie (nämlich Fuge, Arie, Imitation u. s. w. u. s. w.) anzuwenden
sind; man weiss nicht, woher die Behandlung des Textes feste Ge-
setze nehmen soll, aus der fortschreitenden Handlung, oder aus der
festen Architektonik der rein musikalischen Form des Chores, der
Arie u. s. w. Daher drängt und stösst und hemmt Eins immer das
Andere. Das Ganze ist wie Handlung angelegt, und doch, könnte
man sein christliches Wissen nicht zu Hülfe rufen und sich den'
Vorgang in seinen inneren Trieben und Beweggründen mehr ausein-
anderlegen , des Pilatus Urtheil müsste uns hier rein unsinnig vor-
kommen; denn was kümmert er sich um die verachteten und ver-
ächtlichen Lärmjuden, und wie schal sind die Recitative an sach-
lichem Gedankeninhalte!
Weiter ! Recit. : „Da rief Pilatus abermals zu ihnen und wollte
Jesum loslassen; sie aber schrieen:" Chor: „Kreuzige ihn!" Hin-
sichtlich der ganzen Ausführung gilt auch von diesem 38 Takte langen
Chore (Allegro, C- und H-moH) das eben Bemerkte; aber hinsicht-
lich des künstlerischen Gedankens und der rein musikalischen Aus-
führung muss er Jeden mit Staunen und Bewunderung erfüllen; er
bildet den Glanzpunkt in diesem rhapsodischen Ganzen, und seinen
höchsten Aufschwung erreicht er im 16. — 19. Takte (Partitur 8. 44,
Clav. - Ausz. S. 27) in langathmigen Tönen voll unbeschreiblicher
Wuth und Wildheit :
FL, Ob., Cl. t Com., Tromb., Trombon., Timpani, — ff
i=MAu
^( ^ffTfftr 1 ^ ^
F=r
kreu
zi - ge ihn !
ff Geigen trem.
*
«4 2 -9;
^#«-
-A_al_
Cello, Bass # Fagotti.
Alles folgende in diesem Chore erreicht diese Höhe nicht wieder,
daher eine dreimalige, passend gesteigerte Wiederholung dieser Phrase
gewiss der grossartigste Schluss gewesen wäre. Dem „Kreuzige"
folgt das Recit. : „Pilatus spricht zu ihnen : Nehmet ihn hin, denn
ich finde keine Schuld an ihm. Da antworteten sie:" in einem ein-
fachen Chore: „Wir haben ein Gesetz u. s. w. , denn er hat sich
selbst zu Gottes Sohn gemacht." Recit. ; „Da überantwortete er
ihn,... sie nahmen Jesum und führten ihn hin zur Schädels* alte, es
folgte ihm aber nach ein grosser Haufe Volks, und Weiber, die klag-
ten und beweineten ihn." Merkwürdiger Weise sind die grausig er-
füllten Worte : „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" aus-
gelassen; wollte der Componist sie anderswo verwenden? — Dem
angef. Recit. folgt ein langer 4st. Chor (Sop., Alt, Ten. tu Bass),
Andante con inoto, */'» in G-moll, mit Fl., Ob., Cl„ Fag., Com., Timp.
und Saiten hegleitet: „Ihr Töchter Zions, weint, über Euch selbst
und über Eure Kinder (— im Anfange Sopr. und Alt aliein und sanft,
dann etwas cresc. mit den anderen Summen halbwechselnd zusam-
sammen — ). Denn, siehe (pp.) es wird die Zeit kommen, da (cresc.)
werdet ihr sagen zu den Bergen ; fallt (F.* über uns ! y (ff. und
trem. im Orchest.) und zu den Hügeln (dim.) : deckt uns (p* terem.),
deckt uns (pp. trem.) I Ihr Töchter Zions , weint über euch selbst
und über eure Kinder, weint über euch selbst, aber euch selbst."
Der ganze Chor hat auch musikalisch nichts eigenthümlich Schönes;
man bat ihn aber mehrfach gelobt und als wirkungsvoll gepriesen.
Wirkungsvoll mag er sein : aber ein Blick auf den Text und sein«
— 5S -
Auffassung zeigt deutlich, dass das Wesen dieser Worte ganz und
gar verkannt ist. Ich halte ihn für im Ganzen misslungen. Die
Worte athmen nach ihrem ursprünglichen Sinne einen ganz anderen
Geisi, als dieses Tonbild. Aber man; könnte einwenden, dass Men-
delssohn schon insofern von den ursprünglichen Chl-istusworten habe
abgehen vollen , als er sie nicht von einem Einzelnen (von Chr&aftis
nämlich), sondern vom Chore singen lasse. Ganz richtig; aber dann
wird die Composition erst recht falsch. Wer grosse Worte nicht in
ihrer ursprünglichen Umgebung und Färbung aufnimmt, dem muss es,
sofern sein Thun Sinn haben soll, nur um ihre ewige Bedeutung
zu thun sein; und Mendelssohn auch ist es nur um letzteres zu thun
gewesen , da er die Worte vom Chore singen Hess. Dann, sage
ich, ist's erst recht verkehrt. Denn nach ihrer ewigen Bedeutung
sind sie der Mahnruf des verklärten Christus an seine Gemeinde,
Busse zu thun , um der Herrlichkeit werth zu werden. Dies bat die
Kirche auch wohl verstanden und in ihren Liedern aufs Schönste
auszuprägen gewusst. Wer aber darf wagen, den im schönsten
Sinne so göttlichen Worten eine so ganz gewöhnliche sentimentale
Melodie unterzubreiten? — Die Worte enthalten noch andere Bezie-
hungen, aber diese sind mehr rein geistiger oder poetischer, als mu-
sikalischer Natur und ich übergehe sie daher.
Aber zu einer Bemerkung fühle ich mich, besonders durch den
letzten Chor noch angeregt. Wie man sieht, sollte Christus selbst
keine einzelne Stimme haben, sondern er sollte im Mendelssohn'schen
Oratorium nur die Stimmung des Ganzen sein, die sich dann
in entsprechenden Organen im Einzelnen auszusprechen habe. Das
aber ist ja rein gottesdienstlich — wozu denn in letzterer und
eigentlicher Hinsicht all der überflüssige Ballast der Instrumente, der
Benutzung musikalischer Effekte zum Ausdruck u. s. w., wenn Christus
als so fest und ewig seiend, auch im Rahmen dieses Tonwerkes, an-
erkannt ist, dass seine Worte rein geistig und aufs freieste ange-
wandt wiedergegeben werden können ! Da löst das Oratorium durch
den Grundmangel seines Wesens sich selbst auf, und diesmal — d.
h. bei Mendelssohn überhaupt — nicht nach der dramatischen, son-
dern nach der gottesdienstlichen Seite hin.
Die Analyse dieses Bruchstückes hat uns also schon deutlich
genug gezeigt, was der grösste Oratorienkomponist der neueren Zeit
(von Händeis Tod an gerechnet) erstrebte und dass auf diesem Wege
es zu erreichen unmöglich war. Dasselbe lehren seine fertigen
Werke, der „Paulus" und „Elias". Es ist mithin, dies ist das
Schlussergebniss, für das eigentliche Wesen und Leben der Tonkunst
von gleicher Bedeutung, ob Mendelssohn sein der Anlage nach gröss-
tes Werk, den „Christus", vollendet oder unvollendet hinterlassen.
-<•••>-
CORRESPONDENZEN.
AUS HEIDELBERG.
(Ende Mira.)
Wir haben im Anschluss an unseren letzten Bericht noch dreier
Aufführungen zu gedenken , mit denen der Musikverein und Lieder-
kränz ihre Thätigkeit für diesen Wintercursus beschlossen. Das
Concert des Musikvercins am 10. Jan. brachte uns Mozart's £ s - d u r-
Sinfonie und dessen Don-Juan-Ouvertüre in bekannter gelun-
gener Ausführung. Ein Violoncell-Solo, vorgetragen von Hrn. Kün-
dinger, Mitglied des Mannheimer Orchesters, fand allgemeinen Bei-
fall. In dem zweiten diesjährigen Concerte am 24 Febr. wurde (und
so viel wir uns entsinnen können hier zum erstenmale) Beethoven 9 s
E r o i c a zur Aufführung gebracht. Die Schwierigkeit dieses Instru-
mentalwerkes erheischt grosse Mühe und Ausdauer beim Einstudiren;
beides wurde von Seiten des Direktors wie der Mitglieder nicht ge-
scheut und zur Anfführung selbst, welche nach dem einstimmigen
Urtheil aller Kunstverständigen ganz vorzüglich ausfiel, noch eine
Anzahl der besten Kräfte des Mannheimer Orchesters gewonnen. In
demselben Concert trug Herr Concertmeister Kettenus von Mannheim
eine eigene Composition für die Violine vor ; die bekannten Leistun-
gen dieses Künstlers fanden den wohlverdienten Beifall. Das herr-
liche Ca p ri c i o für Piano (mit Orchesterbegleitung) H-moll von
Mendelssohn, von einem wackeren Dilettanten, Hrn. B., schön ge-
spielt, entzückte die Zuhörer und riss sie am Schlüsse zum stür-
mischsten Applaus hin. Weber' s Jubel-Ouvertüre schloss dies
Concert in würdiger Weise, welches zweifelsohne eines der schön-
sten und gelungensten war, die je der Musik verein veranstaltete.
Am 11. März führte der Liederkranz Otto's „Philister" auf.
Diese Composition fand vor einiger Zeit in der Rheinischen Musik-
zeitnng eine sehr anerkennende Beurtheilung , die wir durch die ge-
nannte Aufführung vollkommen bestätigt gefunden. Das kleine Werk
gefiel ausserordentlich und wird auf allgemeinen Wunsch baldigst
wiederholt werden. Ein nicht geringer Vorzug desselben ist die
leichte und wirkliche „Sangbarkeit" aller Nummern: eine Eigen-
schaft, die so vielen neueren Compositionen für Männerchöre abgeht,
die aber immer eine Grundbedingung des guten Effektes sind.
Virtuosen - Concerte haben wir diesmal nicht zu beklagen —
mehrere Unternehmungen scheiterten , vielleicht zu beiderseitigem
Wohl. Wie sich die hiesigen Theater- Verhältnisse gestalten werden,
kann nur die Zukunft lehren ; der Bau eines Hauses ist beschlossen,
wird auch allem Anscheine nach ausgeführt werden — alles Uebrige
wird von der Gunst oder Ungunst der Umstände abhängen.
no o»
AUS BRAUNSCHWEIG.
(Ende März.)
In dem am Charfreitag stattgehabten Concert der Singakademie,
von Herrn Franz Abt vor Kurzem erst gegründet und unter seiner
Leitung stehend , kam das Requiem von Mozart und der 42. Psalm
von Mendelssohn zur Aufführung. Es ist nicht zu leugnen , dass
Herr Abt durch dieselbe die sprechendsten Beweise von seiner Fä-
higkeit, einem solchen Institute mit Erfolg vorzustehen, geliefert hat.
Machten sich bei der Ausführung einzelner Stellen, namentlich des
Requiems, auch noch einige Mängel geltend, als etwas unreine Into-
nation u. s. f., so darf diess durchaus nicht dem Dirigenten zur Last
gelegt werden , der gewiss sein Möglichstes gethan , sondern man
muss es der Aengstlichkeit der Mitglieder zuschreiben, die ja zum
ersten Male vor die Oeffentlichkeit traten. Dieses Wenige abgerech-
net, Hessen die Chöre an Präcision und Abrundung nichts zu wün-
schen übrig. Unterstützt ward die Akademie von der herzoglichen
Hofkapelle. Die Soli's wurden von Mitgliedern der Akademie und
einigen Sängern der herzoglichen Oper, als Herr Himmer und Herr
Hermann, ausgeführt.
Der Besuch des Concertes war ein augenfällig starker und be-
kundet wohl am besten, wie sehr Hr. Abt bei uns beliebt ist. Aus-
serdem kann ich Ihnen noch mit Bestimmtheit die Nachricht mitthei-
len, dass Hr. Abt an unserem Theater eine feste Anstellung, und
zwar als zweiter Dirigent der herzoglichen Oper, erhalten hat. Es
ist diese Nachricht bei uns überall mit der grössten Freude aufge-
nommen worden , denn wir dürfen nun hoffen, Herrn Abt auf lange
Zeit, vielleicht für immer, an Braunschweig gefesselt zu sehen.
Die erste Aufführung der neuen Oper „Otto der Schütz" von
Mad. Schmezer findet in diesen Tagen statt.
AUS MÜNCHEN.
(31. März.)
Unsere musikalischen Ereignisse durchliefen auch in diesem
Jahre wieder den gewohnten Turnus: vom Dreikönigstage bis zur
Aschermittwoch ausschliesslich Str&uss und Labitzky und von da
bis zum Ostersonntag Beethoven mit all' seinen Ahnen und sämmt-
licher Nachkommenschaft. So kommt es, dass ich Ihnen kaum mehr
mitzutheilen vermag, als das Programm unserer Concerts spirituels.
Denn wenn es schon überhaupt schwer ist, über das wahrhaft Vol-
lendete in der Musik etwas zu sagen , was nur halb so gut ist , als
das Werk selber, so wird sich diese Schwierigkeit zur völligen Un-
möglichkeit steigern, wenn die Gediegenheit der Ausführung mit dem
grossen musikalischen Werthe des Repertoirs — wie dies bei unse-
rer Kapelle fast immer der Fall ist — in geradem Verhaltniss steht.
Ihrem Korrespondenten lacht deshalb immer das Herz im Leibe, wenn,
in seltenen Fällen dieses gerade Verhaltniss von der einen oder,
andern Seite in ein ungerades verwandelt wird ; dann befindet
— 59 —
er sich in seinem Elemente: er kann sich ärgern! und nur in dieser
Atmosphäre ist er schreibefähig, als zur natürlichen Familie der
Recensentcn gehörig.
Sinfonien hörten wir fünf, und zwar im ersten Goncerte die
Beethoven's in F, im zweiten Mendelssohn's A-dur-Sinfonie, im drit-
ten eine in D-dur von J. Haydn und im vierten ausnahmsweise zwei
Sinfonien , nämlich eine von Taubert und eine von J. S. Bach (Or-
chestersuite). Mendelssohn's A-dur-Sinfonie, erst zum zweiten Male
gegeben, hat dessenungeachtet das gesammte Publikum schon in so
hohem Grade auf ihrer Seite, dass die grillenhaften Münchner trotz
der Schreckensmänner am Pleissestrande die ungeheure „Geschmack-
losigkeit" begingen, das Andante da capo zu verlangen. Das ist nun
aber ein fait accompli und somit bleibt uns armen Haarzöpfen nichts
anders übrig, als die zu gewärtigende Strafpredigt in aller Demnlh
hinzunehmen. Wenn ich nicht irre , so gehört das in Rede stehende
Werk zu den späteren Mendelssohns, und es wäre dann in der That
interessant und zugleich für gewisse ästhetische Doctrinäre beiehrend,
wenn man sieht, wie sehr sich Mondeissohn hier jene Klarheit in
Erfindung und Arbeit, jene Präcision der Form, kurz Alles, was wir
an den älteren Meistern bewundern, anzueignen suchte, während doch
gerade er, wenn auch ohne Absicht, vielfachen Anstoss gab zu der
jetzt sich breit machenden Hyperromantik , dieser mit falschen Dia-
manten überladenen Strohpuppe. — Die Sinfonie in F von Taubert
hat hier nur wenig Anklang gefunden , obgleich der Name dieses
Componisten durch seine Lieder- und Clavier-Compositionen, in wel-
chen Fächern Taubert wirklich so viel Schönes geliefert hat, bisher
stets einen guten Klang für unser Publikum gehabt und die ver-
diente Anerkennung gefunden hat. Jedenfalls ist die Sinfonie nicht
das Feld, auf welchem Taubert sich mit Hoffnung auf Frfolg versu-
chen dürfte, und so konnten denn selbst die Anstrengungen seiner
eifrigsten Freunde ihn diesmal nicht vor einem Fiasko schützen. —
Ueber Bach's zum ersten Maie hier aufgeführte Orchestersuite
für Streichquartett, Oboen und Trompeten in vier Sätzen (Allegro,
Andante, Gavette und Gique) brauche ich eigentlich nichts weiter zu
sagen, als dass sie eben von Bach ist.
Von grösseren Instrumentalstücken wurden J. Haydn's Variatio-
nen über „Gott erhalte Franz den Kaiser" und jene aus Beethoven's
A-dur-Quarlett (Nro. 5) mit grosser Besetzung, Cherubini's Ouvertüre
zu den „Abencerragen" und die Mendelssohn's zu „Ruy Blas", sämmt-
lieh in höchster Vollendung vorgetragen. Beethoven's Ciavierphan-
tasie mit Chor Hess nur hinsichtlich des Ciavierspielers , Hrn. Spei-
del, etwas zu wünschen übrig. Wenn ich auch mit Ausnahme eines
nicht sehr kräftigen Anschlages in virtuoser Beziehung nichts zu ta-
deln wüsste, so würde doch eine tiefere Auffassung dieser Vorläu-
ferin der neunten Sinfonie keineswegs zum Schaden gereicht haben.
Neu war uns Gade's „Frühlingsphantasie" für 4 Solostimmen,
Orchester und Pianoforte. Sic hat im Allgemeinen wenig Theilnahme,
jedoch auch auf keiner Seite Missfallen erregt. Ob die Subjectivi-
tat Gade's, vielleicht in zu bestimmten Umrissen sich abspiegelnd,
beim grösseren Publikum nicht die rechte Sympathie zu erwecken
vermochte, wage ich nicht zu entscheiden ; mich selbst aber hat die-
ses holde Kind der Phantasie mit unwiderstehlichem Reize an sich
gefesselt und den schönsten Eindruck hinterlassen. Der erste Satz
athmet Frühlingssehnsucht und der zweite führt uns durch winterver-
treibende Stürme zum dritten, dem erwachten Frühling. Letzterer
ist wohl etwas weniger gelungen , wofür der Grund im elegischen
Charakter der Gade'schen Musik gesucht werden dürfte.
Von Soloinstrumentalstücken hatten wir ein Celloconcert,
gespielt von Herrn J. Menter, und eine Fantasie für die Clari-
nette, componirt und vorgetragen von Herrn Bärmann. Dass beide
Künstler nur Vorzügliches leisteten, dafür bürgen schon ihre Namen.
Noch ist einer Caconne für die Violine von J. S. Bach mit Piano-
fortebegleitung von Mendelssohu zu erwähnen ; zu loben ist aber nur
die Arbeit Bach's und jene Mendelssohn's. Herr Peter Moralt, der
diese Composition spielte, Hess nichts zu wünschen übrig, als dass
er besser etwas anders gespielt hätte, denn er misskennt sein ent-
schiedenes Virtuosentalent, wenn er höhere musikalische Aufgaben
als die von der modernen Salonmusik gegebenen, zu lösen versucht.
Jedenfalls hat Hr. Moralt, was sehr zu loben ist, seine besten Kräfte
auf das edle Werk verwendet.
Noch habe ich den vocalen Theil zu erwähnen: nämlich eine
Arie aus Rossini's „Teil" und eine aus Händeis „Rinaldo", Ständ-
chen von Schubert für 5 Frauenstimmen und endlich 2 Ensemble-
stücke (ein Duett und ein Terzett) aus Beethoven's „Fidelio", welch
beide letztere Herr Generaldirektor Lachner der Güte des Hrn. Prof.
Jahn aus Leipzig verdankt. Beide, namentlich das Terzett, gehören
zu den Perlen Beethoven'scher Musik und wurden bereits in Nr. 13
Ihres Blattes ausführlicher besprochen.
Am Palmsonntag und am Ostersonntag wurde jedesmal unter
grossem Zudrange Haydn's Schöpfung auf die würdigste Weise
aufgeführt. Die Soloparthieen wurden von den Dämmen Dietz und
Hefner und den Herren Härtinger, Kindermann und Allfeld gesungen.
(Schluss folgt.)
AUS LONDON.
(Ende Februar.)
(Schluss )
Sollen wir nun noch von' den Violin- und anderen Spielern reden,
die von sich selbst mit der grössten Naivität bekennen, dass sie „ohne
Interesse" spielen ? Die alle an den grünen Tisch gehen, um zu ge-
winnen? Gott bewahre, wer spielt wohl, um zu gewinnen? Nein,
die Herren wollen verlieren, sie machen alle möglichen Anstrengun-
gen dazu — und, weiss der Himmel ! es gelingt ihnen auch in den
meisten Fällen. Sollen wir aller Quartett- und sonstiger Spielpartien
gedenken, die man in allen möglichen Winkeln Londons allabend-
lich unter sich abmacht? Warum sollen wir nur von Ausgezeich-
netem sprechen ? Aber man sehe doch in die Zeitungen ; hier ist
Alles ausgezeichnet Am Ende bleibt uns nichts übrig, als blindlings
hineinzugreifen und den Ersten, Besten herauszuholen. Da ist Herr
Jansa. Wer kennt nicht Herrn Jansa? Sein Name reicht in
unsere frühesten musikalischen Erinnerungen j es ist ein lieber, alter
Bekannter. Wer hätte sich träumen lassen, dass man diesen Be-
schützer der „lieben Kleinen" , diesen Erzieher der meisten Violin-
spieler einst in der grossen Weltstadt wiederfinden werde? Und noch
dazu als k. k. Revolutionär? Herr Jansa ein Revolutionär, ein
Flüchtling? Und nun sage man noch, die Zeit ist nicht reich an
Komik. Also Herr Jansa ist in London und macht's wie die Uebri-
gen, d. h. er gibt Stunden, spielt öffentlich, privatim, ganz, wie man's
haben will. Seine erste Quartett-Soiree ist, wie so manches Andere
— gewesen. Ueber seine Leistungen kann man höchstens zu einem
englischen Publikum sprechen; ein deutsches weiss mehr davon, als
es braucht.
Herr Jansa, Herr Pauer, Herr Bennett, Mad. Pleyel, das sind
alte Namen, werden Sie sagen, gibt's denn gar keine neue in dieser
Saison? ja , man stirbt und gebiert im täglichen Leben , warum
nicht im musikalischen? Da ist z. B. Herr Nabich, der den Leuten
auf sehr hörbare Weise zu verstehen gibt , dass die Posaune des
Weltgerichts eine Erfindung des Menschen ist ; und dann Mad. Doria,
die dazu berufen scheint, die schon erloschenen ungarischen Sym-
pathieen wieder wach zu rufen. Mad. Doria hat übrigens seit der
Revolution gewonnen. Alle, die sie gesehen haben, stimmen darin
überein.
Dass in diesem Monat die „heiligen Harmonieen" gespuckt haben,
versteht sich von selbst. Was würden wohl die Herren Benedikt
und Costa sagen, wenn es nicht mindestens in dieser Beziehung et-
was Heiliges gäbe? Wie oft der Geist des Messias in den weiten
Räumen von Exetcr-Hall in diesem Monat herumgegangen ist, wissen
wir nicht, wir glauben auch nicht, dass ausser den „700 Executa»-
ten" irgend Einer ein wesentliches Interesse dabei empfunden hat;
aber Eins hat unsere Theilnahme herausgefordert , nämlich die Vor-
führung des Mozart'schen Requiem. Es war die erste öffentliche
Aufführung in England, und insofern ein Ercigniss. Nicht blos in
musikalischer Hinsicht, sondern vielmehr noch in politischer. Ob
das Exetcr-Hall-Publikum das Meisterwerk eines grossen Genius ken-
nen lernt oder nicht, ist ziemlich gleichgültig; dass man aber den
Leuten, deren religiöses Gefühl schon verletzt wird, wenn man Sonn-
tags eine Zeitung lies't, eine katholische Messe vorspielen kann,
dies in Verbindung mit der ungeheuren Bewegung des hiesigen Pfaf-
fenthums gegen die Eröffnung des Krystallpalastes am Sonntage zeigt
auf eine ernstere Zukunft, als die Mehrzahl sich träumen lässt, wenn
auch das Faktum, dass überhaupt so etwas noch in Frage kommen
60
kann, gewiss ein reicher Beitrag zur Komik der Gegenwart genannt
werden muss. Fatal.
NACHRICHTEN.
Darmstadt, Der Wiener Tenorist Ander wird hier zu einem
Gastrollen-Cyclus erwartet.
Berlin« Da in den Monaten Juni und Juli der grösste Theil
des Opernpersonals auf Urlaub sein wird, so hat die Intendantur für
diese Zeit mit dem Königsberger Theater direktor Woltersdorf, wel-
cher schon im vorigen Jahre mit seinem Opernpersonale im Friedrich-
Wilhelmstädter Theater gastirte, einen Vertrag abgeschlossen, in Folge
dessen derselbe während dieser zwei Monate mit seinem Personale
12 Opern zur Aufführung bringen wird.
Danzig. Tichatscheck gastirte hier alsEleazar und Masaniello.
Breslau. Auch Breslau wird in diesem Jahre ein Sommer-
Theater haben; die Direktion des Stadttheaters hat die Concession
dazu verlangt und wird sowohl ein eigenes Lokal aufführen lassen,
als ein besonderes Schauspielerpersonal und Orchester engagiren.
— Musikdirektor Bleche veranstaltete im verflossenen Winter
mehrere QuartetVJüfatineen.
Freiburg. Nach dreimaliger Vorstellung des „Tannhäuser"
durfte derselbe nicht mehr gegeben werden, weil — einige Mitglieder
der Theater-Commission keinen Gefallen daran fanden. So berichten
die Signale. Herr Wallner hat entschiedenes Unglück. Erst brennen
ihm die Sängerinnen durch, so dass er gezwungen ist, sie, wie Mad.
Beck-Wehtlbaum, steckbrieflich verfolgen zu lassen; dann wird ihm
eine Oper, die seine Kasse zu füllen versprach, verboten. Da mag
ein anderer Theaterdirektor sein !
In Görlitz wird Anfangs Juli ein grosses Mannergesangfest ge-
feiert werden.
Dresden« Frl. Jenny Ney, die neue Prima-Donna, durch die
man die goldenen Tage der Schröder wieder herauf zu beschwören
hofft — wenigstens deutet die ungeheure Gage , welche man ihr be-
willigt hat, darauf hin — sollte am 30. März als Norina zum ersten
Male auftreten.
Gratz. Frau Krebs -Michalesi von Dresden gastirte hier mehr-
mals mit dem glänzendsten Erfolge. — Der Kapellmeister Netzer ist
für das hiesige Theater engagirt worden.
Frag. Für den Tenoristen Steger, welcher nach Wien geht,
ist Hr. Weiss von Bremen engagirt worden.
Wien. Seit dem Einrücken der italien. Opern-Gesellschaft sind
die Mitglieder der deutschen Oper nach allen Himmelsgegenden hin
auseinander geflogen. Frl. J. Ney, welche künftig Dresden angehört,
sang mit Ellinger bereits zweimal in Gratz; Hr. Er! ist nach Temi-
sbr abgereist; Fr. Liebhardt ging nach Oldenburg; der Tenorist
Kreuzer nach Dresden und wird sich später nach Krakau begeben.
-"- Die ital. Oper brachte am 19. März den „Barbier" und machte
damit etwas besseren Eindruck , als mit der „Italiana in Algeri",
worin dritte deutsche Sänger — erste ital. Partien singen
mussten, weil die engagirten „Künstler" noch fehlten. Fr. Pazzi,
welche im „barbier" debütirte, besitzt eine angenehme Stimme und
ansprechende Persönlichkeit. — Der Pianist A. Dreyschock geht von
hier nach Pressburg und Pesth
— Therese Milanollo ist hier angekommen und wird 6 Concerte
geben, von denen das erste bereits am 26. März stattfand. — Die
Prima-Donnen der ital. Oper , die Damen Medori und Marray , sind
eingetroffen. — Frhr. von Lannoy, als musikalischer Schriftsteller
bekannt, ist gestorben.
Copenhagen. Eine neue Oper von Gläser, „Nökken", mit
Text von Anderson, is beifällig aufgenommen worden.
Liverpool. Der hier neugebaute Concert - Saal : St. George-
Hall , ist von ungeheuren Dimensionen. Er fasst mehr als 15,000
Personen und hat 6 grosse Thüren aus Bronce, von denen jede 700
Pfund Sterling kostet.
Petersburg. Eine Tochter des berühmten Sängers Lablache
debütirte in der ital. Oper mit Glück.
Stockholm. Im verflossenen Winter wurde Meyerbeer's „Pro-
phet" nicht weniger als 62mal gegeben.
Nizza. Der Violinist Haumann gab hier 3 Concerte. Die Lei-
stungen anderer Concertgeber so wie der hiesigen ital. Operngesell-
schaft sind zu unbedeutend, um erwähnt zu werden.
Venedig. Die neueste Oper Verdi's, „Troviata", ist hier so
total durchgefallen, dass der Gomponist selbst in einem Briefe an die
France musicale sein Missgeschick nicht zu bemänteln sucht, aber
allerdings die Schuld auf die Sänger und die schlechte Aufführung
schiebt.
* *
Fr. Liszt , welcher sich bereits im Besitz des Beethoven'schen
Claviers befindet, hat nun auch das Instrument, dessen sieh Mozart
bediente, angekauft. Schade, dass die Geister dieser grossen Mei-
ster nicht in ihre alten Instrumente gebannt sind !
V Im August dieses Jahres soll in Eutin, dem Geburtsorte Carl
Maria v. Weber's, ein grosses Gesangfest zu Ehren Weber's gehal-
ten werden. Alle Gesangvereine Deutschlands sollen zur Theilnahme
an diesem schönen Feste eingeladen werden und Zeuge der Enthül-
lung einer Gedenktafel am Geburtshause des deutschen Meisters sein.
* *
»
Im nächsten Frühjahr findet in Dublin eine grosse Industrie-
Ausstellung statt. Das Gönnte* hat sich an Meyerbeer gewandt und
denselben gebeten, ein Vocalwerk zu componiren, welches mit der
Bedeutung des Gegenstandes und mit der Grösse des errichteten Ge-
bäudes im Einklang stände.
V Die musikalische Industrie der Cafe*s - Concerts hat in Paris
eine solche Ausdehnung genommen, dass diese Etablissements jetzt
ausser den Affichen auch Programme in die Wohnungen schicken.
Y Dr. Jahn in Leipzig beabsichtigt eine gründliche und erschöpfende
Biographie Beethoven's zu schreiben, und hat zu dem Zwecke an
Alle, welche im Besitze von Briefen oder sonstigen Notizen über
Beethoven und seine Werke sich befinden, einen Bittruf zur geneig-
ten Mittheilung derselben an ihn erlassen.
»
In Mons wird am 28. Mai ein Standbild des in der Musik-
geschichte berühmten Niederländers Orlando de Lasso, welcher zu-
letzt in München wirkte, enthüllt Derselbe wurde 1530 in Mon»
geboren. Gleichzeitig findet ein musikalischer Wettstreit statt.
Ttnntwortlicber Rrtifctm : 1. J. SCHOTT. — Braek vm R10T1R 4 WALLAU in »«iaa.
2. Jahrgang.
Mr. 16.
ia a
1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Buchhandlungen.
MDACTION HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT * CO.
1
1
PREIS:
11. 2.
42 oder Thlr. 1.
18 Sgr.
fOr den Jahrgang
►
Durch die Post belegen :
SO kr.
•der 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalts Ueber Mendelssohn-Bartholdy HL — Ueber O. Kraushaar'* u. M. Hauptmanns Tonsystem. — Corr. (München u. Braunschweig). — Nachrichten.
Ober mendelssohn-bartholdy.
Mit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley"
und „Christus".
III.
Es wird mir schwer, im Ganzen ein gleiches Urtheil über die
„Loreley" auszusprechen; nicht weil ich befürchte, ungerecht zu
werden, sondern weil es mir selber Mühe mach«, an dasselbe zu
glauben. Dieses Finale ist so reizend und musikalisch so schön,
dass ich oft den lebhaften Wunsch empfand , es möchte die ganze
Oper fertig geworden sein. Und doch — auch wenn es Mendelssohn
vergönnt gewesen, sie zu vollenden, wir hätten damit nichts wesent-
lich Neues erhalten, wir wären im besten Falle nur um eine gute,
mit Geschmack geschaffene Oper im alten Sinne reicher geworden,
und andererseits würde diese Mendelssohn'sche Oper durch den Ein-
fluss, den sie aus bekannten Ursachen gewonnen hätte, die reine und
schnelle Entwickeiung der dramatischen Musik, nämlich der Oper,
die als die vollkommenste Kunst des Lebens der Gegenwart von uns
zu erstreben ist, nur getrübt und gehemmt haben. Wer jetzt noch
Oratorien und Opern neben einander hegen und pflegen, wer wie
Mendelssohn an „Christus" und an „Loreley" zugleich arbeiten kann,
der mag in beidem, rein musikalisch betrachtet, vortreffliche „Num-
mern" zu Stande bringen, aber ein musikalisch-dramatisches Kunst-
werk wird ihm nimmer erstehen, es ist rein unmöglich, da er schon
als Componist seine Kraft vergeudet und zersplittert. Es kommt aber
die Rücksicht auf den Text hinzu, die unvermeidliche Unklarheit, die
folgenschwere Verwirrung der behandelten Stoffe , wenn man meint,
Oratorium und Oper könnten neben einander bestehen. Wenn der
Dichter E. Geibel den Text zu der ganzen „Loreley", der doch ohne
Zweifel längst fertig ist, herausgegeben hätte oder noch herauszuge-
ben sich bewegen liesse , so würden wir über alles dieses viel kla-
rer sehen können. Jetzt müssen wir uns an dieses Bruchstück hal-
ten. In dunkler Nacht kommen zwei Züge Nixen daher und stimmen
ihre leuchtenden Gesänge an. Sie werden unterbrochen von den
Klagetönen der Leonore (Loreley), der Fischertochter am Rheine,
deren Geliebter (Fürst"**) sich ihi als einfacher Waidmann genaht,
dem sie „Alles gegeben" und der durch seine standesmässige Hei-
rath sie nun verrathen und betrogen. Zweifelnd ruft sie : „Wo ist
Gerechtigkeit droben? ... so ruf ich Euch, Ihr Kräfte der Tiefe!"
Die Nixen kommen und sie machen den Pakt : Leonore will „Rache
an ihm, an seinem Geschlecht! mögen sie fühlen den Hohn der
Liebe, der Sehnsucht Feuer, die Qual des Herzens, das sich ver-
zehrt!... Gebt mir Schönheit, Männerverblendende, gebt mir die
Stimme, süss zum Verderben, gebt mir tödtliche Liebesgewalt!"
Die Nixen fordern : „Sollst Dein Herz zum Lonn uns geben , sollst
uns opfern Deine Liebe, Braut des Rheines sollst Du werden, Braut
des Rheines im Felsenschloss," Sie werden einig ; Leonore : „Wie
ich den Schleier hier zerreisse, so sei zerrissen meine Liebe, flattre
sie hin in den Lüften ! dem Wind , dem Sturme vermach ich sie.
Mein Herz versteine wie dieser Felsen, fühllos starrend! Dir,
Strom, verlob' ich mich an. Wenn sich das Werk der Rache vol-
lendet, bin ich Dein und gehöre Dir anl" So schliesst der 1. Akt.
Sicherlich waren die folgenden nur bestimmt, den hier beschlossenen
Strafakt zu vollziehen.
Soll man nun überhaupt Vernunft und Folgerichtigkeit in der
Wahl und in der Gestaltung dieses Stoffes erblicken, so muss man
denken: auf diese Art also ist das Sagenbild der „Loreley" entstan-
den. Nun ist es aber überhaupt schon ein unkünstlerischer Gedanke,
der Genesis einer solchen und speziell dieser Sage nachzugehen : die
höchste Kunst ist eben das poetische Bild von der sin-
genden Loreley, wie es in der Sage, wie es in dem ge-
sungenen Liede (z. B. in dem „Ich weiss nicht, was soll es be-
deuten, dass ich so traurig bin") aufs Vollkommenste sich
ausspricht. Alles Weitere ist hier unnütz: denn es kann die
poetische Vorstellung in ihrer Reinheit und Schönheit nicht erhöhen;
es kann aber auch — dies ist das weitere Bedenken — das der
sinnlichen Wirklichkeit gegenüber immer gestaltlose oder doch unbe-
stimmte, nicht scharf begrenzte poetische Bild durch dramatische
Versinnlichung nicht in das Gebiet einer vollkommneren wirkungs-
volleren Kunst erheben. An sich, d. h. in poetischem Interesse, fragt
Keiner von poetisch gesunden Sinnen : „woher diese Gestalt ?" son-
dern man hat seinen Halt und seine Freude an ihrem poetischen
Dasein. Wie wird uns aber zu Muthe, wenn wir fortan bei dem.
süsswehen Liede denken sollen : „das ist also eigentlich Jungfrau so
und so , und sie ward zu dieser herzlosen Steingestalt , indem sie
mehr sinnliche Gluth (in Liebe und Hass) als Adel der Seele besass
und daher dunklen (unsittlichen , weil unmenschlichen) Gewalten
verfiel" . , . . ? Dann ist blitzschnell aller Zauber weg und nur eine
sittlich sehr zweideutige Person ist nachgeblieben: die poetische
Gestalt ist vernichtet, das menschliche Herz ist an deren Stelle
getreten. Vollständiger kann man alte Sagen nicht vernichten, als
wenn man bei dem Bestreben, sie erst recht durch die Kunst zu
verherrlichen, so ganz und gar aus dem Gebiet ihrer Macht und
Schönheit heraustritt.
Dies ist ein Vorwurf, der zunächst den Dichter trifft, von dem
der Componist aber ebenfalls sein iTheil erhält. Ist dieses Finale für
die ganze Oper, wie aus Obigem erhellt, von so grosser Wichtigkeit,
dass es den Mittelpunkt des Ganzen bildet: so muss ich bekennen,
dass es mir weder poetisch noch musikalisch zur Darstellung dieses
Momentes genügend erscheint. Der Text ist ganz verständig und die
Musik ist immer ganz wirkungsvoll; aber das Ganze sieht mehr so
zusammengedacht und -gestellt aus , es ist kein nothwendiger Fluss
darin , auf dem das einmal angeregte Interesse sich bis an's Ende
sanftgleitend fortgetragen fühlte.
Dagegen darf der erste Theil dieses Bruchstückes*), der Gesang
der Nixen, gewiss dem Schönsten und Vollendetsten, was Mendels-
sohn hervorgebracht hat, beigeordnet werden. Dieser Gesang besteht
aus drei Theilen, in B-moll, A-moll und A-dur, alle drei vollkommen
melodisch, de* letzte die beiden voraufgegangenen aber nach allen
I
•) Partltnr S. 1—28.
— 62 —
Seiten hin überstrahlend. Wie leuchten und glühen die wenigen
Worte in diesen goldenen Tönen:
Doch bei Nacht, ohne Mond, ohne Stern,
Da führen mitsammen den Reigen wir gern.
Wie sausen die Lüfte, wie sprudelt der Gischt,
Wenn Wölk' und Wind und Welle sich mischt!
Die Instrumentation dieses Theiles ist überraschend schön. Bei
aller 'Fülle der Besetzung ist der Satz von durchsichtiger Klarheit j
er dürfte für die Gestaltung solcher Scenen ein Muster sein. Dieser
Chor sollte von jedem Gesangvereine, welcher nur irgend ausreichende
Mittel auftreiben kann, eingeübt und aufgeführt werden. Ueberhaupt
ist die scenische Aufführung des ganzen Finales sehr löblich; aber
vor der „Vollendung" dieser Oper durch einen Mendelssobnianer,
wie einmal aute England berichtet wurde, möge uns Gott bewahren.
<•••>-
CORRESPONDENZBK.
AUS MÖNCHEN.
(31. Hin.)
(Schluss.)
„Virtuoscncoiicerte" hatten wir nur ein einziges zu verspeisen,
und zwar abermals von Hrn. Ed. Doctor, woran ausser den uner-
quicklichen Leistungen des Concertgebers vor allen nur das einiges
Erstaunen erregte, dass an der Kasse — 10 fl. eingingen.
Ich brauche von Herrn Doctor nur einen ganz kleinen Seiten-
Sprung zu machen, und ich komme an das Conservatorium für Mu-
sik. Der als Künstler aligemein hochgeschätzte k. Hofmusikus, Hr.
Ed. Mittermayr, welcher bisher mit dem schönsten Erfolge an ge-
nannter Anstalt den Violinunterricht ertheilte*), hat seinen Austritt
aus dem Conservatorium beim Cultusministerium angezeigt. Als
Hauptmotive, welche ihn zu diesem Schritte bewogen, gibt er in dem
betreffenden Aktenstücke folgende zwei an : 1) Die Ansichten", welche
er über Kunst, künstlerisches Wirken und Leitung von Kunstanstal-
ten hege, gestatteten ihm nicht weiter mehr, sich für das hiesige
Conservatorium zu opfern und 2) er halte es für besser, freiwillig
aus einer Anstalt zu scheiden, „welche unter einer Leitung, wie die
jetzige bekannte ist, einer unerfreulichen Zukunft unbedingt entge-
gen gehe." Es ist dies seit Bestehen des Conservatoriums schon
der vierte Fall des freiwilligen Austrittes dort beschäftigter Lehrer
(nämlich der HH. Director Ignaz Lachncr, Ed. Föckerer, Jost und
Mittermayr) und auffallen muss es , dass auch in den ersten drei
Fällen mehr oder minder dieselben Motive massgebend waren , wie
wir sie so eben aus der Austriltscrklärung des Herrn Mittermayr
kennen lernten. Ob aber die Auswanderungslust der Conscrvatorium-
müden mit Letzterem erloschen ist, möchte sehr zu bezweifeln sein,
man darf wohl eher das Gcgentheil annehmen, und zuletzt werden
Herr Hauser und Sohn als unumschränktes Duumvirat die entvölkerte
Anstalt beherrschen. Man ist nun begierig, ob die Erklärung Mit-
termayr s in gleicher Weise berücksichtigt werde, wie das seiner Zeit
besprochene Memorandum des Herrn Föckerer, d. h. — ad acta ge-
legt werde.
Das Theater bot seit meinem letzten Berichte zwar keine
neuen, wohl aber drei neueinstudirtc Opern, nämlich Aubcr's „Mas-
kenball", Halcvy's „Guido und Ginevra" und Marschner's „Hans
Heiling". Aufführung und Ausstattung waren im Ganzen lobenswerth,
nur verdient in letzterer Oper die Besetzung der Königin der Erd-
geister durch eine im niedrigen Soubrettenfach an sich sehr schätz-
bare Sängerin die strengste Rüge. Es ist dies gerade so, als wollte
man den Komiker, der heute in Raymund's „Geisterkönig" als Florian
Waschblau auftritt, dem Publikum morgen als Hamlet vorführen, und
heisst das ein Kunstwerk geradezu ruiniren wollen. Kann man eine
*) Ich erinnere in dieser Beziehung nur an einen dessen Schüler,
Hrn. Jos. Walter, der in neuester Zeit in Wien mit dem glänzend-
sten Erfolge auftrat. S. Süddeutsche Musikzeitung Nr, 8.
Oper nicht würdig besetzen (was übrigens im concreten Falle durch
Frau Hefner wohl möglich gewesen wäre), so lasse man lieber ganz
davon ab. — Perfall's „Sakontala", durch mehrwöchentliche Unpaas-
lichkcit des Hrn. Dr. Härtinger hinausgeschoben, wird am 17. April
zur Aufführung kommen.
Herr Kremenz, welcher für Hrn. Salomon engagirt wurde, ist im
Vergleich zu diesem offenbar als ein Gewinn zu betrachten, denn er
intonirt wenigstens rein. Seine sehr kräftige Stimme hat zwar einen
ächten Basscharakter, dessenungeachtet aber hat das tiefe F nur we-
nig Klang mehr. Was jedoch Herrn Kremenz vor allem Noth thut,
ist tüchtiges Studium, denn bis jetzt beherrscht seine Stimme ihn,
während doch offenbar der umgekehrte Fall der wünschenswertheste
wäre. Auch an Aussprache und Spiel Hesse sich noch viel ver-
bessern.
Zum Schlüsse noch eine erfreuliche Erscheinung am sternenar-
men Horizonte der Tenore ! Herr Grimmingcr sang als ersten
theatralischen Versuch den Arthur in Bellini's „Puritanern" mit dem
glänzendsten Erfolge. RundCs Spiel und gute Schule, die kaum den
Anfänger erkennen Hessen, beide gehoben durch die Folien einer an-
genehmen Persönlichkeit und einer liebenswürdigen Stimme würden
allein schon einen guten Erfolg rechtfertigen. Was aber die Haupt-
sache ist, Herr Grimminger weiss durch Auffassung und Vortrag eine
gewisse Sympathie für sich zu erregen, immer ein sicheres Zeichen,
dass man es mit einer ächten Künstlernatur zu thun habe. Nach
all dem ist es wohl überflüssig zu bemerken, dass Herr Grimminger
nicht im Conservatorium gebildet, wurde. Sein Lehrer ist Herr AI.
Bayer, derselbe, dessen Schule wir auch Herrn Härtinger zu verdan-
ken haben. 0.
AUS BRAUNSCHWEIG.
(Anfans April.)
Die schon lange angekündigte und erwartete erste Aufführung
von „Otto der Schütz", romantische Oper in drei Akten, Musik von
Frau Elise Schmezcr und Instrumentation von Carl Zabel, Musikdi-
rektor beim hiesigen Hautboisten - Corps , hat in vergangener Woche
am Donnerstag den 31. März stattgefunden. Eine Oper muss nach
dem Gesammteindruck, welchen sie auf den Zuhörer macht, nicht
aber nach der Wirkung ihrer einzelnen Theilc beurlheilt werden.
Von diesem Standpunkte aus kann vorliegende Oper auf den Titel
eines Kunstwerkes im edleren Sinne des Wortes durchaus keinen
Anspruch machen. Die Klippe, an welcher diese Oper, und wäre
die Musik dazu von einem Mezart geschrieben, dennoch scheitern
muss, ist ihr Text. Die Führung der Handlung und der Charaktere
und die meisten Verse sind schlecht. Stände die Musik auf gleichem
Niveau mit dem Buche , dann wäre die Oper freilich nicht zum An-
hören gewesen. Doch dem ist, Gott sei Dank, nicht so. Madame
Schmezcr, dem grösseren Publikum bereits durch einige ihrer Lieder
vorteilhaft bekannt, hat, indem sie sich hier auf einen bisher von
ihr noch ur.bctretenen Pfad der Composition gewagt, aufs Neue ihr
unläugbares Talent bekundet. Waren die Muster, an welche sich
Madame Schraezer hin und wieder angelehnt, auch unverkennbar, so
muss man bedenken, dass noch nie ein Componist in seinen Erst-
lingswerken etwas durchgängig Originelles geschaffen hat. Die Musik
bot manche Schönheiten in einzelnen Liedern und Arien, wo sich
Madame Schmezcr ja auf einem ihr heimischen Boden bewegte, Hess
dagegen viel , sehr viel in den Ensemblesätzen zu wünschen übrig,
wo der erste Versuch fast aus jeder Note guckte, ein Sextett im 2.
Akte ausgenommen. Mad. Schmezcr muss mehreres der Art schrei-
ben, um auch darin Besseres zu leisten. „Niuno cadde maestro dal
cielo." Nur dem nimmer rastenden Streben wird endlich Meister-
schaft zu Theil.
Die Instrumentation des Herrn Zabel war im Ganzen sehr ge-
schickt und kunstverständig gearbeitet, wenn man auch an verschie-
denen Stellen den Posaunen, Trompeten, Trommeln u. s. f. gerne
Pausen gewünscht hätte. Doch dem kann ja leicht abgeholfen
werden.
Die Mühe und der Eifer , welchen die Darsteller der Hauptpar-
thien, als Hr. Himmer (Otto), Hr. Nusch (Graf von Ravenstein), Frl.
Wurst (Helene, Prinzessin von Cleve), Frl. Sandvoss (Bertha, Burg-
geist auf dem Schlosse Windeck) an den Tag legten , sicherten der.
— 63 —
Oper doch wenigstens einen succes d'estime. Auch wurden sie
s&mmtlich mit Mad. Schmezer herausgemfen. Ob die dabei gewor-
fenen Kranze und Bouquets ausschliesslich der Frl. Wurst, welche
diese Oper zu ihrem Benefice gab, oder der Compositrice gelten
sollten , weiss ich nicht , doch glaube ich , dass sie für die beiden
Damen zugleich bestimmt waren.
Herr Schmezer , der ebenfalls eine der Hauptparthieen in den
H&ndcn hatte, nämlich den Hermann, Anfuhrer der Bogenschützen,
gab sich auch alle mögliche Mühe, aber ohne irgend welchen Erfolg
und warum? — weil er einen komischen Charakter darzustellen
hatte. Ich dächte, Hr. Schmezer müsste es längst eingesehen haben,
dass komische Charaktere nicht für ihn passen, dass seine Komik
den Zuschauer mitunter zur Verzweiflung bringen kann. Wenn diese
Oper für einige folgende Vorstellungen noch geniessbar bleiben soll,
so müssen viele Längen gekürzt, die allzuschlechtcn Verse verbes-
sert und die Parthieen des Hermann und Dietrich (Forst von Cleve)
anders besetzt werden. In letzlerer hat Herr Herrmanns Abschied
von uns genommen. Derselbe hat sich nie recht in die Gunst des
Publikums setzen können; auch wird sein Abgang keine fühlbare
Lücke machen, da Herr Freund, Bassist vom Stadtlheater in Lern-
berg, bereits hier weilt und in den Parthieen des Marcel und des
Bürgermeister im Czar, die er schon hier gesungen, dem Publikum
die Wahl zwischen ihm und Hrn. Herrmanns nicht schwer gemacht
hat. Nächstes Mal mehr von ihm.
Frl. Wurst, die uns verlassen wollte, bleibt für's Erste noch.
Ober o. kraushaar's und m. Hauptmanns tonsystem.
Von Herrn 0. Kraushaar ging uns folgende „Erwiderung" mit
dem Gesuch um Aufnahme derselben zu, was hiermit geschieht
„In Nr. II d. Bl. ist, wie ich soeben ersehe, ein Artikel aus Nr.
5 des literarischen Centralblattes übergegangen, in welchem ich, bei
Gelegenheit der Anzeige nieiuer, im April v. J. bei C, Luckhardt hier-
selbst erschienenen Abhandlung „der accordlicheGegensatz und
die Begründung der Scala" beschuldigt werde, ein noch un-
vollendetes Tonsystem von M. Hauptmann, das mir derselbe vor
mehreren Jahren , bei Gelegenheit eines musikalischen Lehrcursus
mitgetheilt, als mein Werk dem Drucke übergeben zu haben. Die
nächste Veranlassung zu dieser Beschuldigung , auf welche bereits
eine „Erwiderung" in Nr. 14 des liier. Central bl. (S. 241-242) er-
folgt ist , hat H. ohne Zweifel selbst gegeben. Ohne jemals den
wohlthätigcn und nachhaltigen Einfluss des in früherer Zeit genosse-
nen Unterrichts H.'s auf mein bisheriges kunstwissenschaftliches Wir-
ken in Abrede stellen zu wollen, kann ich doch, mit Rücksicht auf
mein eigenes Interesse nicht unterlassen , einer solchen Beschuldi-
gung auf das Entschiedensie entgegen zu treten und namentlich in
Beziehung auf Das, was H. in dem Vorwort zu seinem bei Breitkopf
und Härtel in Leipzig so eben erschienen theoretischen Werke „d i e
Natur der Harmonik und der Metrik" über meine oben
angeführte Abhandlung sagt, Folgendes zu erwidern : Das darin von
mir aufgestellte Tonsystem, welches H. selbst, dem Schlüsse seines
Vorwortes zufolge, als ein von dem seinigen verschiedenes anerkennt,
stimmt mit demselben nur in einem einzigen Punkte, nämlich in der
„Erklärung des Molldreiklanges" überein; dagegen ist die Erklärung
aller übrigen Accorde , wie auch die Benennung und Veranschau-
lichung der Accorde überhaupt durch besondere und allgemeine For-
meln (s. meine Abhandlung S. 41, 45, 46 u. a.) und die mittelst der-
selben gewonnene Begründung der Scala durchaus neu und geht aus
meinem System eigenthümlich hervor. Was ferner die „Nachweisung
eines positiven und negativen Verhaltens von akustischen Bestim-
mungen überhaupt" betrifft, so ist sie etwas mathematisch-physika-
lisch Begründetes, das gegenwärtig nicht mehr unbekannt, und kann
daher im Grunde weder von H. , noch von mir als neues Resultat
eigener Forschung in Anspruch genommen werden. Neu ist nur,
was sich als spezielle Anwendung von „akustischen Bestimmungen"
auf die Grundlehren der musikalischen Composition erweist. Und in
Beziehung hierauf zeigt sich, mit Ausnahme der „Erklärung des Moll-
dreiklanges" , in beiden Systemen Verschiedenes. Im Hinblick auf
„manche andere Aeusserlichkeiten , wie die Bezeichnung der Accor-
de und des Systems der Tonart", stimmt das H.'sche System mit
dem meinigen nicht in einem einzigen Schema, geschweige denn im.
Wortausdruck überein !
Notenbeispiele, deren meine oben näher bezeichnete Abhandlung
33 (mein noch ungedrucktes grösseres Werk weit über 400, zum
Theil sehr ausgeführte) enthält, hat H. seinem Buche nicht beigefügt
Davon abgesehen , sind zum Theil verwandte Resultate von H. and
mir auf ganz verschiedene Weise erlangt worden. H. geht bei der
Darstellung seines Systems von bekannten akustischen Ergebnissen*
ich dagegen (in meinem grösseren Werke) von allgemeinen Betrach-
tungen am Tongcbilde aus, worauf meine Abhandlung S. 7 hindeutet«
Von da aus gelange ich auf analytischem Wege zu dem Begriffe
der Accordverwandtschaft , der Verbindung und Trennung der Töne
und der Terzen- und Secundengestalt, als Merkmale der harmonischen
und melodischen Form (Abhandl. S. 12-13) und sofort bis zur Quelle
des Tönens und benutze, da angelangt, ebensowohl als H., allgemein!
bekannte Ergebnisse der Akustik (Abhandl. S. 15-22) , mit welchen
H. seine Betrachtungen beginnt. Mit Hülfe meiner Tabellen (Ab-
handl. S. 17-22) gelange ich zum tonischen Gegensatz, bestimme von,
da aus den Grundton meines Systems (Abhandl. S. 23) und vereinige
mich mit H. in der Ansicht , dass sich Accorde mit gleich grossen
Intervallen auf- und abwärts bilden lassen. Daher die Uebercinstim-
mung in der „ Erklärung des Molldreiklanges" in beiden Systemen.
Ganz anders verfährt H. in seiner „Harmonik", indem er, vom Klang
ausgehend, auf synthetischem Wege zum Durdreiklang , zur Durton-
art, zum Molldreiklang, zur Molltonart, zur „Moll-Durtonart", zu den
verminderten Dreiklängen, zu dem „Tonartsystem nach der einen
und anderen Dominantseite", zu den verminderten Dreiklängen des
„übergreifenden Systems" etc. gelangt. Inwiefern demnach, meiner
Seits, von einem Bekcnntniss in Beireff der von II. erhaltenen
„Grundbestimmungen", aus welchen meine Theorie entwickelt sei,
die Rede sein kann , — von einem Bekenntniss , das ich H. (dem
Vorworte seines Buches zufolge) in einer Zuschrift abgelegt, die ich
ihm mit meiner Broschüre als ein Zeichen dankbarer Erinnerung
übersandte — , überlasse ich Jedem , nach Einsicht in die beiden
oben angeführten Werke, selbst zu ermessen.
Casscl, im April 1853. O» Kraushaar.
NACHRICHTEN.
Mainz« Das hiesige Theater wurde durch Gemeinderathsbe-
schluss dem Tenoristen Beyer auf die nächsten drei Jahre überlas-
sen. Die Zahl seiner Mitbewerber war sehr ansehnlich.
Magdeburg. Ende März gastirfe hier Ander und mit ihm zu-
gleich betrat Frl. A. Bury, welche während des letzten Winters als
Gewaudhaussängerin engagirt war, wieder die Bühne. Sie sang die
Lucia, Ander den Edgardo.
Weimar. „König Alfred" von Raff kam vor Kurzem umgear-
beitet und neu eiustudirl zur Aufführung und wurde günstig aufge-
nommen.
Cöln« Frl. A. Bury gastirte hier als Martha und Lucia und
gefiel sehr. — Die hiesigen Theater - Verhältnisse sind sehr traurig»
Ausser fortwährenden Streitigkeiten zwischen der Direktion und den
einzelnen Bühnenmitglicdern , die in der letzten Zeit sogar zu einem
Annoncenkrieg zwischen der Direktion und dem Gemahl der Sängerin
Gundy geführt hatten, sind die peeuniären Verhältnisse des Herrn
Spielbergcr so zerrüttet und in Folge dessen das Theater so schlecht,'
dass die Abonnenten bereits erklärt haben, ihren Verbindlichkeiten
nicht mehr nachkommen zu wollen, da Herr Spielbcrger die seinigen
nicht erfülle.
— 64
Braonsobweig» Am 3. April trat FrL Wolseck von Cöl» »1s
Julia in „Montechi und Capuleti" auf und erfreute »ich einer seht
günstigen Aufnahme.
Königsberg. Nicolais „Lustige Weiber von Windsor" haben
nier bei ihrer ersten Aufführung viel Anklang gefunden.
ISlberfeld. Die hiesige Liedertafel hat Einladungen an alle
Gesangvereine des Nieder - Rheins zu dem hier am 12. und 13. Juli
stattfindenden Gesangfeste erlassen. Sie bietet Alles auf, um den
Gästen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen und hat
an dem Zwecke unter Anderem eine Extrafahrt in's Ruhrthal projek-
tirt. Das Concert-Programm enthält die Fest-Ouvertüre von Beetho-
ven, die Tannhäuser-Ouverture, die Männerchöre Super Flumina ßa-
bjlonis, Schlusschor aus David's „Wüste" und Doppelchöre aus Oedi*
pus in Kolonos.
Xiondon. Das Schicksal von Her majesty's theatre ist ein böses
Omen für die bevorstehende Saison. Nach den letzten Nachrichten hat
Mr. Gye, Direktor des Coventgardentheaters, das Privilegium desselben
erstanden , ob in der Absicht, das Theater selbst zu eröffnen oder
nur, um Andere zu verhindern, ihm Concurrenz zu machen, ist noch
unbekannt. Die Effekten, Costüme, Dekorationen, Musikalien dessel-
ben waren bereits zweimal zur Öffentlichen Versteigerung gekommen,
ohne dass sich Jemand gefunden hätte, der 12,000 L. Sterl. — den
festgesetzten niedrigsten Verkaufspreis — geboten. Coventgarden
sollte am 31. März eröffnet werden. Angekündigt für die Saison sind
folgende neue Opern: Verdi's „Rigoletto", Donizetti's „Don Seba-
stian", Beriioz's „Benvenuto Cellini", Beoetti's „Juan Shore", Ros-
sinis „Matilda di Shabran" und Spohr's „Jessonda".
Die Philharmonie und die New Philharmonie Societie's haben am
14. und 16. März ihre ersten Goncerte gegeben. In dem ersteren
debutirte eine Frl. Jewson als Pianistin, in dem letzteren spielte Frl.
W. Clauss.
Die Sängerin Zerr soll von dem Direktor Chapcl auf 9 Mo-
nate für Amerika engagirt sein und dafür 70,000 fl. Convent-Münze
erhalten.
Am 2. April wurde Coventgarden-Theater mft der „Stumme von
Portici" eröffnet. C. Formes sang den Pietro. Seine nächste Rolle
wird sein Basilio im „Barbier''.
r-York. Der bekannte Pianist Gottschalck aus Paris, des-
sen Compositionen in den Salons sehr beliebt sind, spielte im Febr.
zweimal und setzte Alles durch seine enorme Fertigkeit in Staunen.
Cinen Ehrendegen freilich wie in Spanien erhielt er nicht. Derselbe
ist nach dem Süden abgereist.
— Die Vereinigten Staaten zählen in diesem Augenblicke eine
französische Oper in New-Orleans , zwei italienische Gesellschaften
Cdie der Damen Sonntag und Alboni) in New- York , zwei englische
Opern, die eine von Mad. Thillon, die andere von Mad. Bischoff ge-
leitet; ferner vier reisende Gesellschaften und ausserdem die Damen
Cath. Hayes und Biscaccianti mit ihren Begleitern , welche Califor-
nien ausbeuten.
Der Pianist A. Jaell spielt in Boston , Ole Bull in New-Orleans,
der junge R. Jullien hier.
Petersburg 1 . Endlich ist der Prophet auch hier in Scene ge-
gangen, und zwar am 5. März zum ersten , am 7. zum zweiten Male.
Der Titel ist in „die Belagerung von Gent" umgeändert und im 4. Akte
di» Kirche in das Rathhaus umgewandelt worden, damit die Fröm-
migkeit der Russen keinen Anstoss nehme.
Der Violinist Kontski und Fr. Dobre geben beide sehr besuchte
Goncerte. — Der Harfenist R. Thomas von London veranstaltete
einige Matineen» Ihm folgte Mad. Parish-Alvars, welche das Talent
ihres Mannes geerbt zu haben scheint.
Der Violinist Leonard und seine Gattin geben Concerte in Riga
und werden hier erwartet ; ebenso Th, Milanollo.
Brüssel« Der „Carillonneur de Bruges" von Grisar hat hier
sehr gefallen.
Der Pianist A. Dupont, welcher Michelot am Conservatorium zu
ersetzen bestimmt ist, spielte mit grossem Beifall in einem Concerte
der Philharmonischen Gesellschaft.
Der junge Tenorist Mathieu ist für die hiesige Bühne gewonnen
worden.
Im 3. Conservator.-Concert kam zum ersten Male Mendelssohn'»
Musik zum „Sommernachtstraum" zur Aufführung. Bisher war hier
nur die Ouvertüre bekannt.
München. Privatnachrichten aus München entnehmen wir,
dass am 10. d. M. die Oper „Sakontala", Text von A. Teichlein,
Musik von Baron Perfall daselbst zur Aufführung kam. Man will
diesem Erstlingswerke des Componisten kein langes Leben prognos-
tiziren, und die scheinbar günstige Aufnahme mehr den Bemühungen
der Freunde Perfall's , welcher Director der hiesigen Liedertafel ist,
als dem wirklichen Eindruck der Oper selbst zuschreiben, indem nicht
nur Neuheit der Erfindung, sondern sogar eine zweckmässige An-
wendung der reichlichen Reminiszenzen darin fehle. Ueberdiess
soll der an sich günstige Stoff nicht besonders glücklich bearbeitet
sein. Wir werden wohl bald Näheres darüber mittheilen können.
"Wien. Am 1. April traten in der italienischen Oper die ersten
Mitglieder dieser Saison : Frl. Marray, die Herren Fraschini und De-
bassini auf. Man gab Lucia. Frau JMedori debutirte als Norma und
erntete rauschenden Beifall.
— Frl. Th. Milanollo hat bereits mehrere Concerte gegeben.
Lyon. Sivori Hess sich hier in 10 Tagen 5mal hören und
wurde fast nach jeder Piece gerufen.
Marseille. Vieuxtemps hat im Theater 4 sehr zahlreich be-
suchte Concerte gegeben.. Die Orchestermitglteder wnrden von ihm
vor seiner Abreise zu einem Souper eingeladen.
Paris. „Marco Spada" von Auber macht in der Opera comique
stets volle Häuser und wird schon auf mehreren Provinzialbübnen
vorbereitet.
Scudo, der bekannte musikalische Kritiker und Schriftsteller,
wurde von einem Cabriolet überfahren und ist bedeutend verletzt
worden.
(Die Thürklinke als musikalisches Instrument.) Ein mit russi-
scher Sitte liebäugelnder Fürst in Eriwan (an Rang einem deutschen
Landedelmann vergleichbar) richtete in seinem Hause einen soge-
nannten „europäischen Saal" ein; an den Thoren waren messingene
Thürklinken, die in armenischen Häusern etwas Unerhörtes sind. An
diese Thürklinken und Schlösser knüpft sich folgende Geschichte :
Der Fürst hatte die Anwendung derselben in Tiflis kennen gelernt,
ein Dutzend davon gekauft und einen Theil an den Thüren des „eu-
ropäischen Saales" befestigen lassen. Die Diener des Hauses,
welche nicht wussten, was es mit den seltsamen Maschinen auf sich
hatte , glaubten, der Fürst habe dieselben zu musikalischen Zwecken
anbringen lassen: denn jedesmal, wenn daran gedreht wurde, er-
folgte in dem weiten leeren Gemache ein dröhnender Klang. So ge-
schah es denn, dass in Abwesenheit des Hausherrn von dem dienen-
den Personal verschiedene Concerte mit Hülfe der messingnen Thür-
klinken veranstaltet wurden. Ein alter blinder Tartar musste dabei
singen und der Koch, der in solchen Dingen als Autorität galt, spielte
die Thürklinke . . • • Der Fürst merkte die musikalischen Bestrebun-
gen seiner Leute erst, als schon drei Schlösser und Klinken zer-
brochen waren.
(Nach Bodenstedt, Tausend und Ein Tag im Orient 1, 149—150.)
¥er«ntw9r(Ucliar fttftkteu: J. I. SCHOTT. - ftmefc v« BIOTER« WALLAU tn Mails,
2. Jahrgang.
Mr* IV.
25. April 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
» Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnlrt bei allen Postämtern,
Musik- nnd Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
II. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post besagen:
SO kr. »der 15 Sgr. per finartal.
Inhalt! Heber Mendelssohn-Bartholdy IV, — Gorr. (Hamburg nnd Paris). — Nachrichten.
ÜBER MENDELSSOHN-BARTHOLDY.
Hit Beziehung auf seine unvollendet hinterlassenen Werke „Loreley"
und „Christus".
IV.
So zeigt sich uns Mendelssohn in seinen beiden grössten letzten
Werken. Den vollendet hinterlassenen „Oedipus Koloneus" wollen
wir nur nennen, um das ganze eigenlhümliche Gebiet dieses Künst-
lers bei den folgenden allgemeinen Bemerkungen in Erinnerung zu
bringen.
Es schien, als ob in Mendelssohn ein zweiter Mozart erstanden sei,
durch sein in frühester Kindheit hervortretendes Talent zur Musik,
wie durch sein leichtes glückliches Koinponiren; ja als ob er ihn
übertreffe durch feine Bildung , durch sehulmässiges Wissen , durch '
umfassende geistige Intelligenz. ' Man erblickte in ihm einen vollkom-
menen Künstler, der die gründlichsten Studien gemacht, und bei dem
der gelehrte Zopf im lebendigen Kunstschaffen vollkommen ver-
schwunden schien; einen Künstler, wie er als Ideal Jung und Alt,
den grauen Theoretikern wie der aufstrebenden Jugend damals vor-
schwebte. Und man hielt ihn um so höher, je klarer, je begreiflicher,
je versländlicher er war; er stand höher als all die Andern, und
doch war er nur wie der Ihren Einer. Bis dahin hatte das Musik-
genie immer etwas Unbändiges, oder im Sinne der Hof- und Salon-
convenienz Unerträgliches an sich gehabt, wesswegen man nur mit
seinen Werken sich befreundete, den Menschen im Künstler aber
ohne grosse Zärtlichkeit im Elend verkommen Hess : hier zum ersten
Male war das Grosse von allen Anstössigkeiten befreit, es war ver-
borgen und offenbart in einer nobeln, polirten, geistreichen, und durch
dieses Alles liebenswürdigen Persönlichkeit; das Genie war salon-
fähig geworden. Welche Leichtigkeit für die grosse Zahl vornehmer
„Kunstkenner" und „Kunstförderer", dem Mcndel&sohn'schen Genius
Altäre zu errichten ! und welche Befriedigung musste der Wahn er-
wecken, es gelte einem Unsterblichen ! — Solcher Götzendienst war
von jeher nichtig, und immer stellte sich später heraus, dass man
nur oder doch hauptsächlich das Endliche zu schätzen gewusst hatte.
Auch hier nicht anders« Man täuschte sich über Mendelssohn als
Künstler, und er selber täuschte sich. Er war kein Mozart , er war
kein Musikgelehrter, er war kein in Sonnenklarheit lebender Künst-
ler, sondern er war Alles nur fast; — aber eins war er ganz und
unbedingt: der Künstler seiner Zeit. Aus dieser (d. h. aus
einem geistigen Leben , welches unter bestimmten Umständen, also
in einer gewissen Zeit, zu machtvollem Dasein gelangt und nothwen-
dig einst wieder verblüht), kann er als einheitliche Gestalt begriffen
werden.
Besonders in den deutschen Freiheitskriegen trat eine Macht
hervor, weiche das französische Revolutions - Ungeheuer vollkommen
zu vernichten im Stande schien. Hierin zwar täuschte man sich ;
aber die Menschen waren jetzt doch wirklich andere geworden, und
ihre neue Ansicht der Dinge trieb auch zu neuer Gestaltung der Ver-
hältnisse, Die revolutionären Lebensformen verachtend; die Hohlheit
der diesen voraufgegangenen, auf Trennung und einseitigem Rationa-
lismus basirten, lebhaft empfindend, unfähig; aber, eigene zu gewin 1
nen — so blickte man zurück auf die feinere Vergangenheit, auf
alle den sogenannten klassichen Zeiten vorangegangenen „ursprüng-
lichen" Zustände zurück, im Staate auf das patriarchalische Regi-
ment , in der Religion auf den katholischen Kultus des 12. bis 14.
Jahrhunderts , in der Kunst auf phantastische und mythische Gestal-
ten, auf vernachlässigte Seiten des Mittelalters wie des Morgenlandes .
(das alte Indien, Spanien, die Märchenwelt etc.) und verwandte Ge-
genstände. Aus alledem , von der jetzt zum ersten Male in grösster
Kraft hervortretenden geschichtlichen Forschung zusammengetragen,
bildete sich in den protestantischen Gemüthern, auf einem schon seit
Luther gesäuberten Boden, ein eigentümlich zähes Bewusstsein, das,
auf so einander widersprechenden Voraussetzungen es auch ruhete,
doch sich vieler Gemüther bemächtigte. Dieses Streben taufte auf
dem religiösen Gebiete sich selber als „U n i o n" : so aber können
wir am Bezeichnendsten die ganze Richtung nennen. Sie wird durch
ein natürliches gesundes Bedürfniss hervorgerufen; durch Gedanken,
welche von dem Evangelium der Revolution und Napoleons zurück-
gedrängt waren, durch einen wahrhaft heiligen und tiefen Glauben,
durch die Ahnung einer Versöhnung , einer ursprünglichen Einheit
des Lebens. Dieses Ringen wolten wir als unwillkürlichen Drang
noch nicht Union, sondern Romantik nennen. Auf dem Gebiete
der Musik fand es in Weber's Opern den schönsten und liebens-
würdigsten Ausdruck , liebenswürdig , weil ursprünglich kräftig und
harmlos wahr, fern von absichtlicher Tendenz. In Weber haben wir
die Romantik jedes jugendlichen Herzens , eine Romantik Cd. h. eine
aus unklarem lebendigen Drange hervorgegangene Vermischung an
Rieh getrennter und in dieser Verschmelzung sich widersprechender
Lebensgebiete), welche die klare kraftvolle Productivität des Mannes-
alters nicht von vornherein unmöglich macht.
Als aber diese ursprüngliche Kraft soweit erschöpft war, dass
sie nicht mehr allein das Leben fassen konnte — und dahin kam es
allerdings bald, hier früher dort später, wie das frühe Abblühen der
„reinen" Romantiker Novalis, Weber u. A. zeigt, — trat eine Wand-
lung ein : es entstand die absichtliche, systematische, man kann sa-
gen dogmatische Verbindung aller der älteren und neueren Elemente,
welche die historische Betrachtung als besonders bedeutsam erkannt
hatte ; es kam der Zwang eines „gemachten" Systems , es blüheten
Theorie und Schule. Diese Wendung der oben genannten Bewegung
ist oft „Restauration" genannt worden; wir wollen sie theoreti-
sche Union nennen. In diesen Kreis gehört Mendelssohn, der
spätere Künstler : er ist der Musiker der Union. Natürlich l&m-
men Mendelssohn' s bedeutend und „gross" angelegte Werke bei dieser
Gesammtanschauung hauptsächlich in Betracht. Von diesen nun ist
leicht nachweisbar, wie sie ihrer ganzen Gestaltung nach dieser
Richtung angehören, wie geschichtliche unionistische Knnstansichten
ihre Form hervorgerufen haben. Und damit ist Mendelssohn V ganzes
Wesen geschichtlich gezeichnet und eingeordnet als Ring in die Kette
geistiger Bewegung, in das Leben seiner Zeit, In ihr Glauben und
Streben, in ihr Streiten nnd Ringen. Von diesem Gesichtspunkt«
aus wird uns begreiflich, wie Mendelssohn Shakespeares Zauberwelt
m
und griechische Tragödien mit Musik ausstalten, daneben Opern und
Oratorien komponiren konnte, und wie er diese grossen Werke noch
mit volksmäsfligen Liedern, mit religiösen Gewingen und mit Instru-
mentalwerken aller Art lieblich zu umranken vermochte; hierdurch
wird Mendelssohns künstlerische Ueberaeugung erklärlich, seine all-
gemeine Verständlichkeit und die ihm gebrachte Huldigung begreiflich \
hieraus, nämlich aus dem innerlich unversöhnten, also nothwendig
flachen Wesen der Union, erklären sich die geringe Tiefe und die
ebenfalls nur geringe Gesammtwirkung der Mendelssohn'schen Ton-
werke. — Einzelnes, soweit es hier hervorzuheben durchaus nöthig
war, ist in den vorigen Nummern angemerkt; weiter darf ich mich
an diesem Orte hierauf nicht einlassen, muss daher besonders .eine
genauere Zeichnung Mendelssohn'» als Kirchenkomponist bei einer
späteren Gelegenheit nachholen. Nur für einen Augenblick noch er-
bitte ich mir die Geduld des Lesers.
Wir müssen nämlich, um die letzte Folgerung ziehen zu können,
noch hinzufügen: Der eigentliche Boden in dem Leben der Jetztzeit
ist der „Union" wieder entzogen, die Revolution hat ihn, wenn
auch grösstentheils nur überschwemmt. Daher — dies folgt unmit-
telbar — gehört Mendelssohn schon rein und ganz der „Vergangen-
heit an, und seine „Schule" muss verkümmern, wenn sie schulmässig
in seinem Kreise verharrt.
Dass wir für alle unionistische Bestrebungen in dem Geiste vor
1848 nicht mehr organisirt sind, dass die Gegensätze sich viel schrof-
fer hervorgekehrt haben, dass die Verjüngung des Lebens entweder
ganz durch das „Alte", oder ganz durch das „Neue" zu vollbringen
gestrebt wird, ist in Religion, Staat und Kunst deulich genug gewor-
den, so deutlich , dass wir «eines genaueren Nachweises überhoben
sind. Hier möchte ich Jedem nur die Ueberzeugung mittheilen: Men-
delssohn ist nicht zu früh gestorben, sondern, wie wir Alle auch
einmal sterben werden, gerade zur rechten Zeit; aber als er starb,
war der grösste Tonkünstler seiner Zeit dahin. Was Mendelssohn
bleibend Gutes, was er Ewiges geschaffen, wird durch diese Anschau-
ung nicht vergessen gemacht, es hebt sich nur um so reiner hervor.
Seine kunstwissenschaftliche Bildung hat Kunst und Wissenschaft der
Musik, das selbstständige Denken und das unwillkürliche Schaffen in
ihr, einander viel inniger verschmolzen, als bis dahin möglich war;
er hat ferner die „gebildete" Welt (denn nur „Gebildete" können
das Evangelium der „Union" verstehen) nicht nur dem musikalischen
Genüsse, sondern auch dem Menschen im Künstler näher geführt.
Zwei Errungenschaften, die bei gesunder Entwicklung von grossem
Segen für uns werden können. Als Musiker ist ihm Vollendetes
(Einheitliches) gelungen, besonders im volksmässigen Liede, und wei-
ter in den Instrumentalwerken, die durch eine natürlich thematische
Erschöpfung der musikalischen Motive einen idealen (poetischen)
Gegenstand musikalisch-schön darstellen. Für diese Tonbilder von
meist geringem Umfange reichte seine rein produetive Kraft aus, da-
her mussten sie ihm am besten gelingen; hier ist er ganz ein ur-
sprünglicher, wahrer Künstler. Unser Leben ist schon viel anders
und muss es noch mehr werden: sind wir aber nur einigermassen
zur Klarheit gekommen, so werden wir Mendelssohn's Verhältniss
zum Leben seiner Zeit auch für uns als das richtige erkennen. Mit
andern Worten: Mendelssohn ist ein Klassiker so gut wie Mozart
und Göthe, nur — in seiner Ar(. chs.
CORRESPONDENZEN.
AUS HAMBURG.
(Ende Februar.)
Am 5. Februar hat das vierte Philharmonische Concert stattge-
funden. Beethovens achte F-dur Sinfonie und Schumann 1 « Ouver-
türe zu Byron's. Manfred haben nebst der Oberon - Ouvertüre die
Hauptbestandteile gebildet. Die Nachlässigkeit, mit welcher Herr
Grund die Einstudirung des Orchesters betreibt, musste natürlich bei
der Beethoven'schen Sinfonie doppelt hervortreten, da diese sehr viel
feine Züge enthalt , welche bei oberflächlichem Abspielen gänzlich
verloren gehen. Vorzüglich stellt das Finale und das reizende Scherzo
nebst dem Trio die Aufforderung an den Dirigenten, nicht abzulassen
bis z. B. im Trio die schwierige Cellopassage sauber und zart her-
vortritt und bis im Finale das überaus neckische Tändeln und Scher-
zen der Instrumente deutlich und dabei leicht in's Ohr falle. Der
tolle Humor, der in der Mitte plötzlich einem leisesten pp und edler
Gegenstimme Platz macht, ist allerdings für ein hastiges Durchjagen
viel zu schwer, als dass die Zuhörer auch nur eine Ahnung von den
Schätzen erlangen könnten, welche hier verborgen sind.
Schumann's Ouvertüre zu Byron's Trauerspiel, Manfred, ist wie
alle grössere Sachen dieses rastlos Schreibenden unglaublich schwül-
stig und gesucht, wie immer des melodischen Gedankens gänzlich
entbehrend und nur gegen den Schluss hin sich etwas klarer gestal-
tend. Die gehäuften Dissonanzen und verwickelten Figuren lassen
das Ganze über alle Beschreibung verworren erscheinen, und unge-
achtet ich gern mit einem definitiven Unheil bis nach zweitem Hören
zurückhalten will, so glaube ich doch schon jetzt bestimmt, dass das
Werk leider nur dazu beitragen wird, Schumann dem Publikum im-
mer mehr zu entfremden. Klarheit der Form ist im umgekehrten
Verhältniss doppelt das erste Erforderniss, wenn der zu schildernde
Gegenstand schon an und für sich sehr düster ist. Eins aber halte
ich diesen modernen Componisten entgegen: gebt uns Melodieen von
grossartigem Schwünge, von längerer Dauer 1 Ohne sie ist kein grös-
seres Tonwerk denkbar. Der gewaltige Tumult, den die Masse des
Orchesters zu Gehör bringt, bedarf auf das entschiedenste des rothen
Fadens, wenn nicht alles in das unleidlichste Gewirrc auslaufen soll«
Es mangeln mir die Worte , um zu schildern , in wie hohem Grade
die Schumann 'sehe Ouvertüre diese Anforderungen unerfüllt lässt.
Kaum brauche ich den Vorwurf abzuwehren , ich verstände Melodie
etwa in dem Sinne wie er in der Opernmusik der Italiener einge-
führt ist. Nein, nur das Sangbare , wodurch das Instrument als der
Träger eines menschlichen Gedankens erscheint. Aber eben zu der
Erfindung so kleiner inhaltschwerer Cantilenen, wie die Violinen z.
B. in der Coriolan-Ouverture im zweiten Es-dur Thema angeben oder
wie dieselben Instrumente sie als zweite Melodie in der Melusine-
, Ouvertüre singen, gehört Genie, das vom Himmel gesendete natür-
liche! Wie unerquicklich ist dagegen bei allen diesen verworrenen
grossen Arbeiten, das immerwährende Ansetzen und doch nicht Wei-
terkommen, dies vergebliche Abmühen original zu sein ! ! Als ob ir-
gend etwas Neues schön sein könnte, wenn es nicht natürlich
ist ! Ich denke in diesen Bemerkungen den Eindruck , welchen die
Ouvertüre auf mich machte , genau genug und t mit Gründen belegt
dargestellt zu haben und muss jetzt erwarten , wie das Werk von
andern Beurtheilern wird besprochen werden.
Herr Rudolph Willmers, welcher zwischen den grossen Or-
chestersätzen auftrat, verdient als Spieler sehr grosses Lob. Er be-
sitzt bedeutende Fertigkeit, Sauberkeit und Energie auch in den ver-
wickeltesten Figuren und bewegt sich ziemlich solide innerhalb der
Grenzen eines gesunden Taktgefühles. Er spielte aber eine „Sinfo-
nie mit obligatem Flügel" (wenn ich mich des Titels recht erinnere),
welche wenig ansprach, da sich in derselben eine zu grosse Menge von
Etüdenfiguren zu erkennen gibt. Es gelang ihm nicht der allgemei-
nen Ermüdung des Publikums zu wehren, die um so berechtigter er-
schien, da auch noch Herr Schüttky, der erste Bassist des Thea-
ters mehrere sehr schwache Lieder sang. — Der Vortrag so kleiner
Gesänge in grossen Concerten erscheint mir immer so ungehörig,
dass ich die Gelegenheit ergreife, einige Worte darüber zu sagen.
Wohl weiss ich, dass es bei "dem feinsten Geschmack, bei der
tiefsten Einsicht und dem besten Willen, dem Dirigenten nicht immer
möglich ist, ein Concertprogramm zusammenzustellen, das vom Be-
ginn bis zum Schluss als ein wohl angelegtes in sich zusammenhän-
gendes erscheint, in welehem das Grosse, Ernste und Massenhaftige
seinen zweckmässigen Gegensatz im Zarten , Kleineren findet , in
welchem vorzüglich die Tonarten und der Character der einzelnen
Werke nicht nur nicht widerstreiten , sondern sich gegenseitig har-
monisch ergänzen und heben. Aber das wage ich, ohne Widerspruch
su fürchten, auszusprechen, dass die Absingung kleiner Lieder, wo-
rin vom „Liebchen, Herz, Himmel, Ade", Kuss, Blümelein" und andern
Bestandtheilen dieser Singerei die Rede ist, eine abscheuliche Barba-
rei da ist , wo soeben die Wellen einer grossen Sinfonie verrauscht
sind. Die Grösse des Lokals, die lange gespannte Erwartung nnd die
erhabeneren Schwingungen , in welche unsere Seele versetzt ward,
67
sind eben so viele Anforderungen, an solcher Stelle nur Bedeutendes
zu singen, wozu denn doch wohl Auswahl genug vorhanden ist.
Warum hört man z. B. nicht die gar herrliche Bassarie von Mozart :
„Mentre ti lascio O figlia! in Es-dur, welche der treffliche Reichel
früher hier öfter ausführte? Schubert's grosser Liederschatz birgt
viele der köstlichsten Sachen, deren Vortrag den gebildeten Sängern
Pflicht sein mösste. Die Direction der philharmonischen Concerte
ist doch wahrlich in der beneidenswerthen Lage keine Rücksicht auf
die Launen der Sänger nehmen zu müssen. Sie könnte, was andern
Concertgebern sehr schwer fällt, gewiss den von ihr engagirten Sän-
gern sagen , diese oder jene gute Composition wünschen wir in un-
serm Concert gesungen zu sehen. Sollte aber der Geschmack des
Publikums als Veranlassung solcher Wahl angeführt werden, so er-
laube ich mir das als Irrthum zu bezeichnen. Gesetzt aber die Zu-
hörer würden solche unbedeutende Sachen wirklich erwarten, so
wäre es', denke ich, die Pflicht eben so unabhängiger Directionen stets
nur das Bedeutende zu geben und so den Geschmack des Publikums
zu heben und zu bilden. Ich weiss, dass diese Bemerkungen Beifall
bei der grossen Mehrheit finden werden.
Unter mehreren andern Concerten , welche noch Statt fanden,
entziehen sich diejenigen, welche für die Unterstützung leidender
Künstler gegeben wurden , allerdings in künstlerischem Bezug jeder
entschiedenen Beurtheilung. Indessen benutze ich diese Gelegenheit
um gegen den Missbrauch zu protestiren, welcher fortwährend auf
diesem Gebiete mit der Tonkunst getrieben wird So wenig es mir
einfallen kann es zu tadeln, wenn die edle Muse ihren Zauber da er-
tönen lässt, wo es gilt die Hand des Wohlhabendem willig zu öffnen,
so sehr scheint es mir doch eine, Herabwürdigung der Kunst zu sein,
wenn so ausserordentlich zahlreiche grössere Musikaufführungen nur
dann zu Stande zu bringen sind , indem irgend eine milde Anstalt
die Hörer dazu zusammensucht. Ich glaube es bedauern zu müssen,
dass man die Künstler, sobald sie für ihre eignen Vortheile Concerte
geben sehr vielfältig so nachlässig behandelt, als ob sie etwas Ta-
delnswerthes unternähmen.
Es wäre mir höchst erfreulich, wenn meine Worte andere Ihrer
Berichterstatter zur lebhaften Aeusscrung über diesen Gegenstand
veranlassen sollten, den ich für unsere musikalischen Zustände von
grosser Bedeutung halte.
Der vortreffliche Violinspieler Herr Böie in Altona, welcher wohl
mehr als uns angehörig betrachtet werden kann, gab am 19. Februar
ein Concert in Altona , worin er ein Concert von David mit sehr
shönem Vortrag ausführte. Der gebildete feinfühlende Künstler macht
sich immer in seinen Leistungen so geltend, dass ich lebhaft bedaure,
dass er nicht an einem Orte lebt , wo seine schönen Gaben einen
bedeutenderen Wirkungskreis finden. Ueber ein herrliches vor Kur-
zem erst erschienenes Quintett (für 2 V. A. und 2 Celli) in C-dur
von Fr. Schubert, dem überreichen , der 25 Jahre nach seinem Tode
noch in so strahlender Weise unter uns tritt, behalte ich mir einen
Bericht vor, bis es mir vergönnt ist, es noch einmal zu hören. Mö-
gen vorläufig alle Freunde guter Musik sich beeilen, es sich zu ver-
schaffen. Ernst.
<i >IO»
AUS PARIS.
Wenn vormals nach alter Sitte die Fastenzeit in Paris geheiligt
wurde und das Theater vierzehn Tage lang bis Ostermontag zu
feiern gehalten war, so ist im Laufe der Zeit nebst manchem andern
auch dieser Zwang abgeschüttelt worden , und die fünf grossen Büh-
nen begnügen sich die drei letzten Tage der Osterwoche zu schlies-
sen, die kleinen gar nur einen, und am beglückenden Ostersonntage
sind alle Thore und Eingänge wieder aufgeschlagen und des nimmer
rastenden Besuchs gewärtig. In der stillen Woche wird freilich mit
sogenannten geistlichen Concerten oder Conccrts spirituels geprunkt,
die Conservatoiregesellschaft gibt deren zwei , am Charfreitage und
am darauffolgenden Sonntage, ausnahmsweise Abends; der Seghers'-
sche Cäcilienverein thut desgleichen , und der grosse Hülfsverein für
Tonkünstler (Association des artistes musiciens) pflegt die 'Gelegen-
heit zu benutzen um seinen Pensionsfonds möglichst zu bereichern.
Unter geistlichem Concert muss man sich indess etwas ziemlich —
oder richtiger — unziemlich anderes denken, als was in Deutschland
gewöhnlich darunter verstanden wird, Es ist darunter nicht die Aus-
füllung eines Abends durch Ausführung eines dem Zwecke angemes-
senen Ganzen gemeint, etwa durch ein Oratorium oder irgend ein
ernstes oder auch nur durch eine Reihe von Musikstücken religiösen
Inhalts zur Erbauung der Zuhörer, sondern die Wahl beschränkt sieh
auf das gewöhnliche. Repertoire eingeübter, mitunter höchst weltli-
cher Werke , denen der Rubrik zu Ehren einige geistliche Stücke
beigegeben werden. So gab das Conservatoire , oder richtiger die
nach ihm benannte Gesellschaft (denn Viele im Auslände verwech-
seln diese Concerte immer noch mit den wirklich - Conservatoirecon-
certen, d. h. mit den öffentlichen Uebungen der Zöglinge der Anstalt)
am Charfreitag nicht, wie es füglich hätte geschehen können, Mo-
zart's Requiem vollständig, sondern nur vier Stücke daraus: Rex
tremendae etc., Confutatis, Recordare und Lacrymosa, dazu ein Vio-
linsolo von Dancia vorgetragen und die Freischütz - Ouvertüre , t als
Grundlage die C-moll-Sinfonie. Am Ostcrsonntag einzelnes aus Beet-
hoven's „Christus am Oclberg'*, Mozart's Motette „Ne pulvis", Haydn's
Nationalhymne und Variationen von sämmtlichen Streichinstrumenten,
eines der Kunst- und Glanzstücke der Gesellschaft und zu würdiger
Beschliessung des geistlichen Concerts die Tellouverture. Der Cäci-
lienverein gab, einigermassen angemessener, einiges aus Mondelssohft's
Lobgesang mit Begleitung des Harmoniums , Lauda Sion und Kre-
nungsmarsch von Cherubini, Adoramus te von Palestrina, Ouvertüre
und Arie „O Isis und Osiris" aus der Zauberflöte und die Pastoral-
Sinfonie. Das vom Hülfsverein veranstaltete Concert war glänzend
ausgestaltet. 150 Instrumentisten von Bousquet angeführt, ein eben-
so zahlreicher Sangerchor von Eduard Batiste, dem Director der im
Conservatoire eröffneten Volksgesangsclasse, und Cornette geleitet;
dabei das ganze Personal der komischen Oper, die besten, d. h.
Bussine, Masset, die Damen Ugalde, Lefebre, Miolan, Wertheimber
u. a. nicht ausgenommen, die der Direktor Herr Perrin nebst seinem
Hause grossmüthig zu Gebote gestellt. Programm: Einzelne Num-
mern aus Rossini's Stabat mater, Noel oder Weihnachtslied für So-
pran mit Orgel- nnd Harfenbegleitung von Adolph Adam; zwei Num-
mern aus der Cäcilienmesse von Amb. Thomas; zwei aus der Messe
von Adam, Ave verum von Gounod, Pie Jesu von Zimmermann und
Krönungsmarsch von Lesueur. Das Pie Jesu gefiel sehr und musstc
j wiederholt werden. Zur Abwechslung traten dazwischen Vieuxtcmps
und Emil Prudent auf, dieser mit Somnambule und Fecntanz. We-
nigstens ist von diesem Concert doch zu rühmen, dass es reine fünf-
tausend Franken eingebracht. (Fortsetzung folgt.)
NACHRICHTEN.
Frankfurt a. M. Herr Nolden, Opernsänger aus Gotha, ist
hier engagirt worden. Dagegen verlässt Frau Behrens-Brandt die
hiesige Bühne schon wieder und geht nach Prag zurück, wo sie eint
neues Engagement angenommen hat. — Ander (rat am 22. ds. als
Johann von Lcyden hier auf und wurde vom Publikum eben so stür-
misch applaudirt, wie in Darmstadt, wo er seine bedeutendsten Rol-
len gesungen hat.
Dresden. Fräulein J. Ney ist hier angekommen und wird mit
Beifall überschüttet.
Leipzig. Am 2. April fand die Stiftungsfeier des hiesigen
Conservatoirs (nach zehnjähriger Wirksamkeit) statt. Dieselbe ward
mit einem Concert im Gewandhaussaale eröffnet, dessen Ertrag zur
Errichtung einer neuen Freistelle bestimmt war. In demselben
kamen zur Aufführung: Recitative und Chöre aus Mendelssohn*«
Christus, der erste Satz einer Sinfonie von Grimm aus Petersburg
«nd eine Festouverture von E. Büchner, beides Schüler des Conser-
vatoriums. Ausserdem traten mit Solo- und Gesangsvortr&gen auf:
Kammermusiker Riccius aus Dresden, 0. Goldschmidt aus Hamburg,
Frau Dr. Reclam , Frl. Bleyl vom hiesigen Stadttheater und FräiiJ.
Joxeli, sämmtlich ehemalige Schüler des Conscrvatoriums. Die Lei-
stungen der letzteren Dame als Liedersängerin wurden besonders
gerühmt. Die Anstalt zählt bis jetzt 428 Schüler und Schülerinnen,
— 68
*— Frl. Marra Vollmer hat ihr hiesiges Engagement angetreten. Frl.
3, Ney von Dresden hat hier am 12. ein Gastspiel eröffnet. Ihre
erste Rolle war „Norma". — Der Tannhäuser hat in 9 Wochen 11
Vorstellungen zu erhöhten Preisen erieht. — Die Bach-Stiftung hat
den zweiten Band von Bach's Werken ausgegeben. Derselbe enthalt
10 Kircheitcantaten.
Berlin. Die Gesellschaft des Direktors Woltersdorf aus Kö-
nigsberg beginnt ihre Vorstellungen am 15. Mai. Sie wird unter An-
derm die Nibelungen von Dorn aufführen. Als neue Opern, die zur
Aufführung angenommen sind, werden genannt : Schlösser , Karl II-
Jugendjahre. Katharina Cornaro \on Lachner wird neu einstudirt.
Der Domchor ist von seiner Kunstreise zurückgekehrt.
IiOndon» Im Coventgardentheatre debutjrte der Tenorist Luchesi
im Barbier und im Liebestrank und wurde lebhaft applaudirt. Mario
wird am 1. Mai in Rigoleüo zum Erstenmale auftreten.
GltickstAdt. Das hiesige Theater ist zur Schlafstelle fttr die
2ücht)inge eingerichtet worden!
Zürich«. Am 1. April schliesst Direktor Löwe die hiesige Buhne«
R. Wagner las vor kurzem seine neueste Opern-Dichtung : »Der Ring
der Nibelungen" an 4 aufeinanderfolgenden Abenden öffentlich vor.
Wien. Die bedeutendsten Mitglieder der italienischen Oper sind
bereits für die folgende Saison engagirt worden. Die letzten Vor-
stellungen waren Don Pasquale, Norma, Teil, Barbier, Lucia. An-
gekündigt ist Don' Juan als Benefiz »für die Medori, welche als Donna
Anna Ausgezeichnetes leistet. — Direktor Witte aus Pest ist hier,
um eine deutsche Operngesellschaft für sein Theater zu rekrutiren.
— Fräul. Therese Milanollo hat ihr Abschiedsconcert angekündigt.
Heber ihre Erfolge ist nichts mehr zu sagen. Sie ist hier das enfant
cheri des musikliebenden Publikums, wie überall. Leider sollen sich
bereits Spuren zeigen , dass mit der Zeit aus dem enfant cheri ein
enfant gate" werden kann. Doch dies ist ja das Verhängniss jedes
Künstlers der Neuzeit. — Die Gebrüder Wieniawski, welche zu dem
bessern Theil der concertgebenden Musiker gehören , sind nach Kra-
kau abgereist.
Strasburg. In dem nächsten Monate wird die Operngesell-
schaft des Herrn Hehl, gegenwärtig in Bern, hierherkommen und eine
Reihe Vorstellungen geben.
Paris. Die neuen Opern folgen einander mit unglaublicher
Schnelle und was das Beste ist ; die Theaterdirektoren , welche an-
derwärts an einer Novität einen ganzen Winter zehren, wetteifern CJ
hier miteinander, wer dem Publikum die meisten und besten Neuig-
keiten vorführt. Es gilt dies zwar nur von der Opera comique und
dem Theatre lyrique — die grosse Oper gleicht ihren auswärtigen
Col legen auf ein Haar und bewegt sich ewig in ihrem Repertoire
fünfaktiger Kiesenopern ; höchstens zur Abwechslung kommt einmal
Rossini oder gar Verdi — aber die beiden genannten Bühnen ver-
treten auch gauz allein die französische Musik und sind wirkliche
Nationaltheater. Kaum sind die ersten Vorstellungen von Marco
Spada (Auber), von Tonelli (A. Thomas) und Les Amours du Diable
(Grisar) vorüber, und schon lockt ein neues Werk von Adam „Le
Roi des Halles" das Publikum in das Theatre lyrique und verspricht
eine Zugoper zu werden. Die Musik wird sehr gerühmt und beson-
ders der zweite Akt soll reich an interessanten Partieen sein. Aus-
serdem bereitet die Opera comique eine neue Oper von Halevy vor
und auch von Gounod, einem jungen talentvolle!] Musiker wird eine
einaktige Piece angekündigt. — Die eigentliche Concor tzeit ist zu
Ende und die bedeutendsten Virtuosen verlassen Paris. Vieuxtemps
und Servais sind, nach Brüssel gereist.
Amsterdam. Die Stadt hat den Bau eines neuen Theaters im
grossartigsten Masstabe mit einem Bazar und Galerien projeetirt
Die Kosten sind auf 600,000 Frcs. veranschlagt.
ChHstiania» Der König hat der hiesigen Universität die
Summe von 2500 Spcciesthale» Übermacht» mit der Bestimmung, dass
die Zinsen alljährlich einem talentvollen Studenten der Universität,
welcher sich mit Erfolg der Musik widmet, zuerkannt werden sollen.
New-York. Mad. Sonntag ist mit ihrer Truppe nach Phila-
delphia abgegangen, wo sie eben so enthusiastische Aufnahme findet
wie hier. Die Gesellschaft der Mlle. Alboni hat sich mit der vor
Kurzem aus Mexico angekommenen italienischen Compagnic des Hrn.
Maretzek vereinigt und wird im Niblo Theater folgende Opern geben :
Die Stumme, Robert, Semiramis, Tancred, Gazza ladra u. Prophet.
Moskau« Das grosse kaiserliche Theater ist am 27. März ein
Raub der Flammen geworden.
CÖln. Auf der Durchreise nach England trat Staudigl einmal
hier auf und zwar als Bertram. — Flotows „Indra" ist bei der ersten
Vorstellung durchgefallen. — Direktor Spielberger hat das Würzbur-
ger Theater übernommen und wird Köln bald verlassen.
Stuttgart. Frl. Storck von Wiesbaden eröffnete am 17. ein
Gastspiel mit Agathe.
Wiesbaden, Das hiesige Theater ist wie gewöhnlich vom 18.
April bis 7. Mai geschlossen worden. In dem Personal der. Oper
stehen bedeutende Veränderungen bevor. Kapellmeister Schindel-
meisser hat einen Ruf nach Darmstadt erhalten. Ob er demselben
folgen wird, ist noch unbestimmt.
* *
*
Der Vorstand der Deutschen Tonhalle in Mannheim hat
ein Mitgliederverzeichniss und den Kassenbestand des ersten Ver-
einsjahres veröffentlicht. Letzteres stellte sich in diesem Jahre (vom
ersten Lenzmonat 18 5 %, 1 Jahr) :
Einnahme ; | Ausgabe :
i a) Schreibbedürfnisse 1 4 fl. 30 kr.
b) Druck- u. Schreib-
kosten . . . 47 fl, 50 kr.
a)
c)
d)
94 fl. 56 kr. Eintrittsgeld.
134 fl. 12 kr. Beiträge.
68 fl. 41 kr. Mehr- u. über-
haupt Beiträge
1 fl. 58 kr. Sonstige Ein-
nahme.
c) Post- und Sendge-
bühren . .
d) Zu einem Preis
verwendet .
e) Verschiedenes
39 fl. — kr.
84 fl. ~kr.
21 fl. 39 kr.
299 fl. 47 kr im Ganzen .... 196 fl. 59 kr.
(Kassen- Vorrath 102 fl. 48 kr.)
Die Mitgliederzahl beträgt 179.
* *
Der Lütticher Gesangverein Orpheus hat den deutschen
Liedertafeln angezeigt, dass am 12. Juni a. c. bei Gelegenheit der
Geburtstagfeier des Erbprinzen ein Gesangwettstreit stattfinden wird,
dessen Anordnung und Leitung ihm anvertraut worden ist und ladet
sie ein, an diesem Feste theilzuuehmen. Als Preise für die fremden
Vereine sind zwei Medaillen von 300 und 250 Frcs. Werth ausge-
setzt. Die Fahrpreise für die Sänger sind auf den belgischen Eisen-
bahnen auf die Hälfte herabgesetzt.
* , * Im Jahre 1839 besuchten Lafont, der berühmte Violinist, und
H. Herz, der bekannte Pianist, die Pyrenäen und die dortigen war ?
men Bäder. Am 24. August befanden sie sich auf der Strasse von
Bagneres nach Tarbes als in der Mitte des Weges der Wagen um-
stürzte und durch seinen Sturz auf die danebengelegene Wiese Lafont
auf der Stelle tödtete. Das Andenken an diese traurige Katastrophe,
durch welche Frankreich einen seiner tüchtigsten und liebenswürdig*
sten Künstler verlor, soll jetzt durch ein Denkmal, an der Stelle, wo
Lafont starb, errichtet» verewigt werden, und es hat sich bereits eine
Commission gebildet» welche zu Unterzeichnungen für das beabsichtigte
Monument auffordert.
Vm&twortlidtK R«d-Jtte-.r: 1. j. SCHOTT. - Bmk tra BÄJTER * WA1LAU m Mar»
2. Jahrgang.
Mr. 18.
2. Hai 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
I
i Dfei« Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Unsik- and Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTT S SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI OEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
1. 3. «3 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
flr den Jahrtani-
Darch dia Post beiafon:
50 hr. «dar IS Sjr. »or Ooartai.
Inhalts Geschichte eines Klaviers. — Corr. (Mainz, Dresden und Karlsruhe). — Nachrichten.
GESCHICHTE EINES KLAVIERS,
von diesem selbst erzählt und veröffentlicht durch
Theodor Hagen«
VORWORT.
Wie ich dazu komme, meine Geschichte zu erzählen? Weil es
weit weniger meine Geschichte ist, als die von Dingen und Men-
schen, die in den letzten fünfzehn Jahren mit der Kunst oder dem,
was man so zu nennen pflegt, in die innigste Berührung gekommen
sind, weil ich vielleicht mehr als irgend ein Anderer, im Stande bin,
das Innere dieser „Kunst", deren Mark und Bein, deren Triebfedern
und Resultate an's Tageslicht zu ziehen , weil ich glaube , dass die
Koulissengeheimnisse der modernen Kunst, ohne deren Kenntniss am
Ende über die letztere kein vollständiges Urtheil möglich ist,
keine kompetenteren Richter haben können als uns arme Geschöpfe,
voll denen so Wenige Notiz nehmen, trotzdem, dass wir so entsetz-
lich vielen Spektakel machen müssen. Vielleicht mag dieses Letztere
mit ein Grund meines Auftretens sein, oder vielmehr, lasse es mich
gestehen, es ist die Haupt veranlassung zu dieser Biographie; denn
ich hege im Verein mit meinen verehrten Brüdern und Schwestern
die Ansicht, dass von dem Augenblicke an, wo die Instrumente
der Kunst aus freien Stücken zu reden anfangen , diese selbst viel-
leicht zum Schweigen gebracht werden wird, was nach Meinung Vie-
ler gar nicht so schlecht sein soll. Man sieht, auch wir, die wir
mit Recht die Rinder des Menschengeschlechts genannt werden kön-
nen, haben etwas von dem Erbtheil des letzteren, dem Egoismus ab-
bekommen; aber der Wahrheit die Ehre, wir werden zu sehr in An-
spruch genommen , als dass wir nicht zu allen möglichen Mitteln
greifen sollten, uns etwas Ruhe zu schaffen. Und dann, wer weiss,
ob mit der Aufzählung unserer Lebensereignisse der Kunst der Zeit
nicht ein besserer Kommentar zu Theil werde, als durch Kritiken
über solche Gegenstände, die die Einbildung des Kritikers sich selbst
geschaffen hat, über Werke der Zukunft, die in der Gegenwart gar
keine Wurzel haben, und auf die Vergangenheit hinweisen , wie der
Zeiger einer abgelaufenen Uhr. Die Gegenwart hat ihre grossen
Rechte. Schlimm, wer sie verkennt. Nur, wer die Gegenwart schil-
dern kann , aber so , dass das ganze Gerippe bis in die kleinsten
Knochengewinde hinein klar und durchsichtig vor uns liegt, nur der
hat ein Urtheil über die Bedeutung und Bildungsfähigkeit des Inhal-
tes dieser Gegenwart für die Zukunft. Und sollten nicht gerade wir,
die wir so oft zu nicht beachteten Zeugen der Geheimnisse der mo-
dernen Kunst gemacht worden, sollten nicht wir am geeignetsten sein,
den nach Verständniss Suchenden , kurz Allen , die sich orientiren
wollen, in solche Windungen , in solche Gänge und Höhlen des Ge-
bäudes der Kunst zu führen, welche der Seh- und Urtheilskraft der
Mehrzahl bis jetzt verschlossen waren. Wie — wir, die wir durch Ge-
burt und Stellung die unabhängigsten Kritiker der Welt, die wir weder
durch Rücksichten des Magens, der Eitelkeit, noch durch gesellschaft-
liche Vorurtheile gefesselt sind, wir sollten von diesen ausserordent-
lich geistigen Bedingungen, wenn auch am Ende ohne allen Nutzen
für uns selbst , doch zum Besten der Sache , der Kunst und der
Künstler, keinen Gebrauch machen? Nein, in diesen Tagen der Kri-
tik hiesse es wahrlich unsere Aufgabe verkennen, dem Geiste der
Zeit selbst dann nicht Rechnung zu tragen, wenn sich Alles zu ver-
einigen scheint," uns den Beruf dazu aufzudringen. Mag man sagen,
was man will , Eins ist gewiss — wenn wir Instrumente anfangen,
unsere Geheimnisse auszuplaudern, werden die der Kunst in einem
andern Lichte erscheinen. Desshalb , muthig voran , die Geschichte
der Kunst wird unsern Beitrag nicht zurückweisen.
I.
Es mögen jetzt fünfzehn Jahre her sein, dass ich aus den Hän-
den meiner Väter hervorging. Als achtes Pariser Kind hatte ich
natürlich deren mehrere, und noch dazu von allen Nationen. Den
Körper gab mir ein Franzose, an der Seele hatten Deutsche und
Spanier gearbeitet, so dass ich Miene machte, einen metaphysisch
sinnlichen Charakter anzunehmen, bis am Ende der Egaliseur, eine
gute deutsche Haut, der die letzte Hand an meine Erziehung zu legen
hatte, in die verschiedenen Theile meiner inneren Beschaffenheit
Harmonie zu bringen wusste , und auf diese Weise bewirkte , dass
ich als ein durch und durch wohlerzogenes Piano Demjenigen über-
liefert werden konnte, der vor der Welt das Amt meines legitimen
Vaters zu spielen hatte. Dieses letztere geschah von seiner Seite
um so lieber, als ich zu den „Gelungenen" gezählt wurde, und einen
respectablen Profit in Aussicht stellte. In der That, als ich zum
ersten Male in den Saal gebracht wurde, wo wir Kinder des Hauses
unsere Zusammenkünfte hielten, empfing mich das Gemurmel einer
angenehmen Ueberraschung. Meine Geschwister wünschten mir Glück,
einige aufrichtig, andere in einer stark prononcirten gesellschaftlichen
Manier; mein Nachbar zur Linken, ein grosser Flügel, meinte sogar
er hätte noch nie einen so hübschen Kollegen an seiner Seite gehabt.
Dieses Kompliment wollte übrigens nicht viel sagen; denn besagter
Flügel drohte schon sehr stark die Gränzen des „Gangbaren" zu
überschreiten, und hatte demzufolge schon lange mit dem Leben und
dessen gesellschaftlichen Atributen, als da sind : Neid, Missgunst etc.
abgeschlossen. Als mein Vater mich zum erston Male sah, schmun-
zelte er, und nahm mit unverschämter Gemüthsruhe die Lobeserhe-
bungen, die man seiner vermeintlichen Vaterschaft zollte, entgegen.
'Schon damals lernte ich erkennen, dass man in dieser Welt nur
nöthig hat, etwas zu scheinen, um es auch schon in der Meinung
jener zu sein.
Ich Wurde also hübsch befunden. Man lobte mein schmuckes
Aeussere, das, beiläufig gesagt, sehr klein war, so dass ich mit Recht
Pianino genannt wurde, meinen feinen angenehmen Ton, die Gleichheit
und Bildangsfähigkeit desselben. Alle Welt schien mit mir zufrieden
zu sein, sogar meine neidischen Kollegen wurden liebenswürdig gegen
mich und erzählten mir schnurrige Geschichten von den Menschen,
die man Künstler nennt. Sie suchten mich für die Welt vorzuberei-
ten , nicht , indem sie auf recht menschliche Weise einen Schleier
- 70
davorzogen, sondern indem sie die Blossen derselben aufdeckten. —
Die Lehren, die ich erhielt, und die ich im Anfang für falsch und
übertrieben erachtete, sind mir später nur zu richtig erschienen und
meiner Urteilskraft so sehr zu Statten gekommen, dass ich noch
jetzt an jene ersten Begegnisse auf meinem Lebenswege mit Dank
zurückdenken muss.
Ich mochte wohl zwei läge im Kreise meiner „Lieben" zuge-
bracht haben , als ich am dritten , ungefähr um die Mittagszeit, eine
junge Dame, einen ziemlich langen Herrn und meinen Papa in den
Saal treten sah. Alle drei kamen auf mich zu. War es Galanterie
oder eine mir innwohnende Empfänglichkeit für Schönheit und Grazie,
genug, von den drei Personen, die mich umstanden, hatte nur eine
Reiz und Interesse für mich, sah ich gleichsam nur eine, und diese
eine war eben die junge Dame. Was sollte ich auch mit den beiden
Uebrigen anfangen ? Meinen Papa kannte ich schon zur Genüge, und
der Andere war so lang und schlottrig, und sah vielmehr einer Leiche
denn einem lehenden Wesen gleich, als dass mein Auge mit Wohl-
gefallen darauf hätte ruhen können. Aber sie, sie war reizend, nicht
ganz jung, vielleicht zwei, drei und dreissig, unbedingt verheirathet,
aber schön, mit wollüstigen , runden Formen, mit dunklen Augen,
mit einem allerliebsten Stumpfnäschen, mit einem Grübchen im Kinn
und einer Kreolenfarbe. Ich habe viele Frauen gesehen , keine hat
auf mich vom ersten Augenblicke an einen solchen bleibenden Ein-
druck gemacht, als diese, und daher mochte ich auch wohl die Schauer
eines herannahenden Glückes empfinden, als mein Papa mich auf-
schloss, einen Stuhl vor mich schob , und mit einer graziösen Ver-
beugung die Dame darauf hinwies: Aber, wie erstaunte ich, als sie
dieselbe Verbeugung, aber mit dem reizendsten Lächeln von der Welt
wiederholte, und zwar — wem? — ihrem langen Begleiter, der mir
nichts, dir nichts von dem Stuhle Besitz nahm, und sich anschickte,
seine Gespensterhände auf mich zu legen. Was war das für ein
Mensch, dem sie mit einer solchen Freundlichkeit, mit einer solchen
Ehrerbietung, ja, ich fühlte es, mit einer so innigen Bewunderung
den Sitz einräumte? Ich fürchtete die Berührung dieses Menschen
und doch konnte ich nicht umhin, ihn jetzt, da er vor mir sass , in-
teressant zu finden. Ich musste unwillkürlich in die geisterhaften
Züge hineinsehen, und je länger ich sah, desto mehr Leben fand ich
darin. Und als er gar die Finger über meine Tasten gleiten liess,
als er zu spielen anfing, da wusste ich nicht mehr, was ich aus die-
sem Menschen machen sollte? Da sah ich nur noch ihn, da waren
die Uebrigen vergessen.
(Fortsetzung folgt.)
CORRESPONDENZEN.
AUS MAINZ.
(29. April.)
Gestern fand ein sehnlichst gehegter Wunsch unseres gesammten
Thealerpublikuras seine Befriedigung, indem der k k. Kammersänger
Alois Ander aus Wien, der schon seit einiger Zeit in Darmstadt
und Frankfurt abwechselnd Gastrollen singt, auch von der hiesigen
Theaterdirektion für eine Gastvorstellung gewonnen wurde, und dem-
nach in der Partie des Lionel in Flotow's „Martha" unsere Bühne
betrat. Ander ist einer der wenigen deutschen Tenoristen, welchen
ein allenthalben anerkannter wohlbegründeter Ruf zur Seite steht,
und es ist über die Vorzüge seiner herrlichen, metallreichen, Kraft
mit Weichheit verbindenden Stimme, sowie über seine vortreffliche
Schule und die durchaus edle und verständige Auffassung seiner
Bollen schon so Vieles und von so vielen Seiten berichtet worden,
dass wir uns wohl der Mühe überheben können das bereits ohne
Widerspruch Anerkannte, hier noch einmal zu wiederholen. Uns
bleibt nur zu berichten übrig , dass die wundervolle Leistung Ander's
gerade am Schiasse, der diesjährigen Theatervorstellungen und unmit-
telbar vor dem Abtreten der gegenwärtigen Direktion, wie köstlicher
Balsam in die vielen und schweren Wunden desjenigen Theiles der
leidenden Menschheit sich ergoss, welcher den ihm für den vergan-
genen Winter beschiedenen Antheil irdischer Drangsale in der Gestalt
von Opern Vorstellungen über sich ergehen zulassen bestimmt waren.
Man drängte sich in das Theater, um Ander's Zaubertöne zu hören,
und sobald diese einmal erklungen waren, vermochte nichts mehr
die Begeisterung der entzückten Hörer abzukühlen; weder das ent-
setzliche Detoniren der beiden Primadonnen , die , wirklich um die
Wette falsch sangen, noch die beispiellose Confusion in der Abhas-
pelung der Ensemblestücke, weder der schreckenerregende Anblick
des Chors,' noch Tristan's Judenbart unter der Lockenperrücke. Allen
Sündern ward vergeben , um des Einen Gerechten willen , um
somehr als die halsbrechende Schnelligkeit der meisten Tempi's die
Ungebührlichkeiten einestheils vermehrte und doch auch zugleich ab-
kürzte. Der allgemeinen Erwartung, dass Ander uns mit einer zwei-
ten Gastvorstellung beglücken werde , konnte leider nicht mehr ent-
sprochen werden, und so nehme denn der holde Sänger unseren Dank
für den seltenen Genuss, den sein Erscheinen uns bereitet , und der
schon bei seinem Auftreten in den lebhaftesten Beifallsbezeugungen
und reichlichen Blumenspenden seinen Ausdruck fand.
AUS DRESDEN.
(18. April.)
In unserer aufgeklärten Zeit gibt es eine grosse Menge überver-
ständiger Leute , welche die Wahrheit der alten deutschen Sprüch-
wörter nicht nur unglSubig-lächelnd zu bezweifeln wagen , sondern
sie ohne Weiteres vornehmthuig in die Kategorie des verbrauchten,
längst abgenutzten mittelalterlichen Wustes werfen , und dabei ver-
gessen, dass doch so manches andere Mittelalterliche auch in unsern
Tagen eines gar behaglichen Daseins sich erfreut. Im Interesse der
Wirkung des Glaubens möchte ich diese Freigeister nur an das alte
Wort vom „hoffen und harren" erinnern, und sie zum Beweise für
die unumstössliche Wahrheit desselben auf das Opernrepertoir unse-
rer Bühne hinweisen. Wenn man weiss, dass seit achtzehn Mona-
ten uns keine einzige grössere Oper geboten, dass selbst seit länger
als vier Monaten auch keine neueinstudirte Oper uns vorgeführt, und
so manche nach beiden Kategorien in Aussicht gestellte immer und
immer wieder „wegen plötzlich eingetretener Hindernisse" verschoben
oder gänzlich zurückgelegt worden : der wird in der That, er gehöre
denn zu den radteal unverbesserlich Ungläubigen, die Wahrheit jenes
Sprüchwortes nicht einen Augenblick länger in Zweifel ziehen, „Es
ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu" — leider, leider!
Aber die deutsche Geduld ist so unendlich, der deutsche Hoffnung«-
muth so unverwüstlich, dass sich immer wieder ein Häkchen findet,
an das man die Feder anzubringen weiss, und gerade das allerneucste,
jetzt gerade Köpfe und Beine und Hände bewegende physikalische
Phänomen, ich meine das wunderbare Tischrücken (das beiläufig
bemerkt, früher in Bonn als in Bremen mit vollendeter Wirkung exer-
cirt worden), — gerade dieses Phänomen bietet wieder ein solches
Häkchen dar. Ich erlaube mir nämlich , da jener Veitstanz sich be-
kanntlich auch bei anderen Gegenständen erregen lässt, den beschei-
| denen und unmassgeblichen Vorschlag , man wolle einmal unser jet-
ziges Opernrepertoir statt eines Tisches verwenden, vielleicht gelingt'»
einer Anzahl robuster Kunstfreunde dasselbe in Bewegung zu setzen,
was um so leichter möglich sein dürfte , da ja eine Art von Bewe-
gung, nämlich die rotirende um die eigene Achse, schon vorhanden
ist. Es käme auf einen Versuch an ; Veranlassung, auch an andern
Orten ihn in Anwendung zu bringen, wird ja wohl auch nicht fehlen !
Habe ich Ihnen sonach von wirklichen Neuigkeiten aus den letzt-
verflossenen Wochen nichts mitzutheilen , so hat es doch an Interes-
santem nicht so ganz gefehlt, als man hiernach fast meinen sollte.
Dahin darf man vornehmlich die Debüts unserer neuen Primadonna,
des Frl. Jenny Ney zählen, welche die regste Theilnahme unseres
Publikums in Anspruch nahmen und mehrmals das Haus bis auf den
letzten Platz füllten, — ein Beweis, wie man sich freut, durch dieses
Engagement die Sehnsucht nach einer kräftigen, schönen und jugend-
frischen Stimme befriedigt zu sehen , und dass diese Freude in all
den äusserlichen , bei'm Theater herkömmlichen Zeichen der Aner-
kennung sich aussprach , war natürlich und stand zu erwarten. Es
hätte besonderer Anstalten dazu nicht bedurft, wozu ich das sehr
71 -
deutliche Auftauchen einer Glaque und die hier ziemlich auffällige
Manifestation des Kränzewerfens bei dem ersten Auftreten allerdings
rechnen muss. Ich habe die künstlerische Bedeutung dieser Sänge-
rin bei Gelegenheit ihres vorjährigen Gastspieles (Nr. 14. ds. Bl. v.
vor. J.) schon zu characterisiren versucht^ und will das dort Gesagte *
nicht wiederholen, zumal sie zum grössern Theil ihre damaligen Rol-
len (Norma, Donna Anna, Agathe) jetzt wiederholt und nur als Va-
lentine und Rezia uns neu war. Ihre bedeutendsten Leistungen wa-
ren auch diesmal die Norma und die Agathe, denen sich im Ganzen
sehr wirkungsvoll die Valentine anschloss. Die Donna Anna und
die Rezia (letztere unbedingt die schwächste Leistung, namentlich in
der Vision und der grossen Sceue des zweiten Aktes ) offenbarten
eine zu prosaische Auffassung, einen Mangel an Poesie, der durch
viele treffliche Einzelheiten, selbst durch das dramatische Feuer,
nicht aufgewogen werden konnte. Hier ist noch eine Entwicklung
vielleicht nur momentan schlummernder Kräfte wesentliches Bcdürf-
niss, und man darf diese wie ein immer weiteres Fortschreiten nach
dem Ziele möglichster Vollendung hin von der fleissigen Künstlerin
zweifelsohne erhoffen. Bei dieser Wiedervorführung des „Oberon"
hat sich — im Allgemeinen — die wirklich abstossende Abgeschmackt-
heit des Textes, namentlich des Dialogs, für unsere Zeit sehr fühl-
bar gemacht. Man hat endlich seit einigen Jahren auf den bedeu-
tenderen deutschen Bühnen dem unsterblichen Mozart sein Recht an-
gedeihen lassen , indem man in seinem „Don Juan" den störenden
platten Dialog durch Aufnahme der Recitative beseitigte. Wie wäre
es, wenn man unserm Weber einen ähnlichen Dienst erwiese, und
an die Stelle des geschmacklosen Dialogs im Oberon kurze , verbin-
dende Recitative setzte? Ich wünschte Reissiger oder Marschner wä-
ren die Männer zur Ausführung dieser Idee, die sich ohne Zweifel
praktisch bewähren wird.
Auch der Tenorist Hr. Ellinger, vom Wiener k. k. Hofopern-
theater, trat in den letzten Tagen zweimal (als „Prophet" und „Lio-
nel") gastirend auf, — eine Stimme mit achtem Tenorcharacter,
kräftig, umfangreich, gut geschult , von angemessenem Vortrage und
gewandter, durchdachter Darstellung unterstützt: etwas weniger Tre-
molomanicr, etwas mehr Adel des Tones, vorzugsweise in den höhe-
ren Lagen bliebe zu wünschen. Von heimischen Kräften zeichneten
sich, als neu in ihren Rollen, während den verflossenen Wochen na-
mentlich Frau Krebs-Michalesi, die wir bisher stets nur als Fi-
des, Norma, El vir e (Don Juan), Valentine zu sehen gewohnt waren,
als Nancy (in der „Martha*') und Hr. Rudolph durch eine sehr
gelungene Darstellung des Sever (in der „Norma") aus, die ihm selbst
neben Frl. Ney Hervorruf in offner Scene wohlverdient einbrachte.
Der Kammermusikus Kotte, namentlich in Bezug auf schönen
Ton, geschmackvollen Vortrag und acht klassische Behandlung seines
Instruments einer der trefflichsten Clarinettisten, gab nach langan-
dauernder Krankheit zum ersten Male wieder ein grosses, zahlreich
besuchtes und von sehr reger Theilnahme belebtes Concert. Auch
unser Männergesangverein, „Liederkreis", veranstaltete noch ein
solches — lud doch die immer wiederkehrende winterliche Witterung
zu derartigen nachträglichen Experimenten ein — das um seines
wohlthätigen Zweckes willen warme Betheiligung fand und sich die-
selbe auch durch recht gelungene Ausführung verdiente. Vorzugs-
weise interessant war in demselben die Vorführung der meines Wis-
sens hier öffentlich noch nicht gehörten Cantate Mozarl's: „Das Lob
der Freundschaft", bekanntlich während der Todeskrankheit des
Meisters komponirt (am 15. November 1791), und sonach, abgesehen
von einzelnen Sätzen des Requiem, sein letztes Werk. Endlich gab
auch das Blindeninstitut vor Entlassung einer Anzahl seiner
Zöglinge abermals ein Zeugniss seiner Gesangsleistungen in einer
kleinen Aufführung vor eingeladenen Zuhörern. Diese Leistungen
sind unter der trefflichen Anleitung des Gesanglehrers Carl Näke
nicht nur die tüchtigsten im Verhältnisse zu andern Blindeninstituten,
sondern haben selbst in wohlnuancirter, präciser und acht musikalisch
befriedigender Ausführung so manche wesentliche Vorzüge vor Chören von
V ollsinnigen. Ich versage mir nicht, zur Charakterisirung der wohl-
thuend künstlerisch musikalischen Richtung der Anstalt, die doch
natürlich immer nur ein Mittel für die pädagogischen Zwecke dersel-
ben ist, das Programm hier anzuführen. Dasselbe enthielt ausser
einigen mehrstimmigen Liedern ernsten und heilem Inhalts von Men-
dd s Sohn- Bar thohjy, F. Möbring etc. noch Nanint's Stabat mater,
Mozart's „Ave verum corpus", Chor ans Titus, J. Haydn's Motette:
„Herr, der du mir das Leben", ein Agnus Dei vou Morlacchf, Quar-
tett mit Chor aus Romberg's Lied von der Glocke n. s. w.
AUS KARLSRUHE.
(An fang April.)
Da ich Ihnen heute zum ersten Male berichte , und unsere Kon-
zertthätigkeit mit dem Eintritt der schönen Jahreszeit wie überall
eine mehrmonatliche Unterbrechung erleidet , so werden sich meine
Mittheilungen mehr auf die Vergangenheit, als die nächste Zukunft
des hiesigen öffentlichen Musiklebens beziehen , mein Bericht wird
demnach den Charakter eines musikalischen Rückblicks auf den ver-
flossenen Winter annehmen.
Im Ganzen zeigte sich derselbe im Vergleich zu früheren Jahren
nicht sehr ergiebig, denn drei Hofkonzerte, ein Konzert der Hofka-
pelle, sechs Konzerte des Cäcilienvereins, zwei Museumskonzerte
und ausserdem einige andere Konzerte sind die ganze Ausbeute der
letzten Monate.
Bei Hofe waren drei Abende der Musik gewidmet , wozu jedes-
mal durch seine Königliche Hoheit den Regenten ein zahlreicher
Kreis *von Zuhörern aus den höchsten Ständen geladen war. Im
ersten Hofkonzert kamen unter Anderem zur Aufführung: Meeres-
stille und glückliche Fahrt von Mendelssohn-Bartholdy ; Ouvertüre
zu Cherubini's Lodoiska , Konzertarie von Mendelssohn für Sopran
(Kammersängerin Fischer) , Violoncellkonzert von Goltermann (ilöf-
musikus Eichhorn ) , Klarinettkonzert von Carl Maria von Weber
(Hofmusikus Beck), Sologesänge aus Opern; Hoftheaterdirektor
Edmund Devrient erfreute die Versammlung durch, den Vortrag,
von Schiller's „Kraniche des Ibikus." — Das zweite Hofkonzert
brachte die Ouvertüren zum Sommernachtstraum von Mendelssohn
und zur Oper Zelide von Hofkapellmeister I. Strauss, Klavierkonzert
in G-inoll von Mendelssohn (W. Kalliwoda) , Quintett aus Cosi fan
tutte von Mozart, Scene aus Lessing's Nathan (die „drei Ringe"),
gesprochen von Devrient etc. Als Solosänger Hess sich Herr Stock-
hausen, Baritonist vom grossherzoglichen Hoftheater zu Mannheim
in Arien und Liedern hören; Vorträge, welche Gelegenheit gaben,
des jungen Künstlers gute musikalische Auffassung , verbunden mit
sicherer Technik und hübschen Stimmmitteln, auf vorteilhafte Weise
kennenzulernen. Ein dritter Abend wurde der Kammermusik bestimmt;
die ausführenden Künstler waren die Herren W, Kalliwoda, Hofmu-
sikus Will (Violine) und Eichhorn ( Violonccll) , und neben Instru-
mentalstücken fand sich auch die Vokalmusik durch Sologesänge
vertreten, welche die Herren Kammersänger Heizinger und Hauser
(Baritonist vom grossh. Hoftheater, Sohn und Schüler des Direktors
Hauser in München) , sowie einer Gesangschülerin des Herrn Pixis
in Baden vortrugen.
An einem besonderen Abend hatte die Darstellung von lebenden
Bildern statt, in ihrer artistischen Ausführung von Devrient geleitet,
der musikalische Theil komponirt und dirigirt von Kapellmeister
Hrn. Strauss.
Sämmtliche vier Aufführungen bei Hofe fielen in die Zeit von
Neujahr bis zum Eintritt der Fasten.
Das Konzert, welches von der Hofkapelle alljährlich am Palm-
sonntage zum Besten des Unterstützungsfonds für Wittwen und Wai-
sen des Hoforchesters veranstaltet wird, führte uns diesmal blos
zwei Werke vor: Beethovens pathetische Sonate in C-moll, für Or-
chester instrumentirt von Kapellmeister Schindelmeisser , eine ver-
dienstliche Arbeit, die ebenso vorzüglich ausgeführt, als günstig auf-
genommen wurde, und David's Odesymphonie „die Wüste".
Von dem Cädlicnverein , einem über 800 Mitglieder zahlenden
Verein , der seit einer Reihe von Jahren durch Musikdirektor H.
Giehne geleitet wird, wurden bis jetzt sechs Konzerte gegeben; zwei
weitere stehen in nächster Aussicht
In dem ersten Konzerte (25. Oktober v. J.) traten zwei fremde
Künstler auf: Hfrrr C. Raif, erster Hornist der k. niederländischen
Hofkapelle in Hltag (ein Badenser), welcher als SoIoHaser auf sei-
nem Instrumente allenthalben hier grosse Anerkennung fand, und die
blinde Sängerinj Fräulein A. Knopp aus Berlin. Von Ersterem hör-
ten wir Sonaten! für Klavier und Hörn (F-dur) von Beethoven , vor-
getragen mit H Giehne, und Trahscriptionen Schubert'schen Lieder;
— 72
Letztere sang die Arie aas Titas von Mozart, die Arie in Es-dur
für Alt mit Chor aus Samson von Händel, und die ganze Altparthie
des Orpheus aus dem 1. und 2. Akt von Gluck's gleichnamiger Oper
in Verbindung mit den dazu gehörenden Chören.
Das zweite und dritte Konzert (4, und 20. Dezember v. J.) bil-
deten Haydn's Jahreszeiten; die Soli waren in den Händen von Frl.
Druck (Haniitt) , eine Schülerin des Hofkapellmeisters Strauss , der
Herren Hof-Opernsänger Eberius (Lucas) und Kammersänger Ober-
hoffer (Simon).
Von dem Inhalte des vierten Konzertes (19. Februar) führe ich
an: Hummers grosses Sextett in D-moll (die Klavierparthic vorge-
tragen von H. Giehne), Fantasie für die Violine von Alard (Hofmu-
sikus Berger) , Solo für das Violoncell von Kummer (Hofmusikus
Segisser), die schöne Kirchenkanlate Job. Seb. Bach's: „Bleib' bei
uns, denn es will Abend werden etc." mit der ursprünglichen Or-
chestcrbegleitung , Chöre von Mendelssohn und Händel (42. Psalm
und Samson), Sologesänge von Schubert und Mozart (Frau Fischer).
Mit Gade's Ouvertüre „ Nachklänge von Ossian " begann das
fünfte Konzert (14. März), ihr folgten Beethoven's Konzert für das
Klavier in G-dur (H. Giehne), und Mendelssohn's Musik zur Racine-
scheit Athalia mit den Zwischenreden von Ed. Devricnt; die Haupt-
soloparthie des Soprans gesungen von der Hofopernsängerin Fräulein
Rochlitz, die Zwischenreden vorgetragen vom Herrn Hofschauspieler
Mayerhofer.
Im sechsten Konzert (22. März) waren die einzelnen Nummern
des Programms: Klarinettquintett (A-dur) von Mozart, Konzertstück
für Klavier von C. M. von Weber (Fräulein Wolfram) , Trio von
Beethoven in B-dur, Op. 97 (Giehne, Berger und Segisser), Chöre aus
Händel's Messias, Hauptmann's Salve regina und Mendelssohn's 43.
Psalm für achtstimmigen Chor (Richte mich Gott etc.) , ferner geist-
liche Arien für Bass von Mendelssohn und Spohr (Kammersänger
Oberhoffer).
Das Museum, eine dem geselligen Leben gewidmete Gesellschaft,
welche ausser den diesem Zweck bestimmten Vergnügungen jedes
Jahr für seine Mitglieder auch Konzerte durch die Hofkapelle veran-
stalten lässt, gab im verflossenen Winter deren nur zwei. Im ersten
gelangten zur Aufführung : Symphonie von Beethoven (B-dur), Ouver-
türe aus Cantcmire von Feska, Violoncellkonzert von Romberg (Eich-
horn), Solo für das Hörn von Merkadantc (C. Raif), Arien von Ros-
sini und Spohr, Männerquartette , sowie eine auch durch ihren Korn-
positionswerth sehr ansprechende melodramatische Bearbeitung des
Uhland'schcn Gedichtes! „Des Sängers Fluch" von Musikdirektor
Krug, wobei Herr Hofschauspicler Haase die Deklamation sprach.
Unter den Programmstücken des zweiten Museumskonzertes sind
hervorzuheben: Symphonie von Mozart (D-dur) und Ouvertüre zu
Egmout von Beethoven, Soloslück für zwei Waldhörner von B Rom-
berg (die Herren Hofinusiker Schunke und Dorn), Konzertino für die
Violine von Kalliwoda (Will) , seltsamer Weise ohne Direktion ge-
spielt, Sologesänge von Verdi etc.
Von den hier bestehenden Männergesangvereinen feierte der un-
ter der Leitung des Herrn Spohn stehenden Liederkranz am 13. De-
zember v. J. sein Stiftungsfest mit einer Gesangsproduktion und da-
rauffolgendem Essen; jenes der Lieder halle, deren Dirigent Musikdi-
rektor Krug ist. wurde am 12. Januar in gleicher Weise gefeiert.
(Schluss folgt )
NACHRICHTEN.
8t. «lohann und Saarbrücken. 19. April. Auch hier soll
während der nächsten Pfingstfciertage ein Männeigesangfest staltfin-
den, wozu durch die hiesige Liedertafel die nächstenrheinpreussischen,
die Mannheimer und die meisten pfälzer Verein«' eingeladen sind.
In Anerkennung der Verdienste ihres langjährigen «nd tüchtigen Di-
rigenten (Alberts) überreichte die jetzt aus mehr lenn 100 (activen
und inactiven) Mitgliedern bestehende Liedertafel demselben kürzlich
einen vergoldeten Becher (Römer).
Nachdem Herr Musikdirektor H. Küster, der sät 1845 hier thä-
tig gewesen, uns vorigen Winter verlassen hat, und nach Berlin zurück-
gekehrt ist , erwarb der hiesige Instrumentalverein kürzlich in der
Person des Herrn Musikdirektors Fr. Ott zugleich einen gewandten
Dirigenten und braven Violinspieler.
Mannhelm. Der bisherige Regisseur Ph. Düringer ist bereits
nach seinem neuen Bestimmungsorte Berlin, wohin er in gleicher
Eigenschaft bei der königl. Bühne berufen wurde, abgegangen. An
seine Stelle tritt hier Dr. Meyer, bisher technischer Leiter des Hof-
theaters in Wiesbaden.
Frankfurt. Am 25. sang Ander als 2. Gastrolle die Partie
des Lyonel in Martha. Der Beifall war beinahe ein unmässiger zu
nennen.
— Eine neue Oper von Kittl (aus Prag) : „Die Franzosen vor
Nizza", wurde bei der ersten Aufführung ziemlich kalt aufgenommen.
Die Herren Schnyder von Wartensce und Rühl (Musiklehrcr)
haben einen neuen Orchester- Verein zur Aufführung Haydn'scher Sin-
fonien und Mozart'scher Clavier-Concerte gegründet. Etwas weniger
Einseitigkeit könnte diesem Programme nichts schaden und würde
dem Vereine jedenfalls bedeutenden Vorschub vor den sich schon
seit Jahren im Zirkel bewegenden Museums-Conzerten leisten
Würzburg, im April 1853. Unser geehrter Landsmann, H.
Lanterbach, Profesor am k. Conservatorium in Brüssel, gab kürzlich
— in den Osterferien hier anwesend — ein stark besuchtes Concert.
Er bewährte sich in einem Concert von Alard , einer Fantasie von
Artot (Lucie von Lammermoor) und in einem Souvenir de Rossini
eigener Komposition aufs neue als einen Violinvirtuosen ersten Ran-
ges. Von den Lehrern und Zöglingen des hiesigen k. Musikinstituts,
dem Lauterbach seine erste Ausbildung verdankt, wurden die Ouver-
türen zum Wasserträger von Cherubini und zum Freischütz von
Weber in gewohnter Trefflichkeit ausgeführt; auch die übrigen Aus-
füll-Piecen befriedigten. fbf.
Stattgart« Frl. Storck von Wiesbaden fand bei ihrem ersten
Auftreten als Agathe nur laue Aufnahme.
Düsseldorf. Die Soloparthien bei dem niederrheinischen Musik-
fest haben übernommen die Damen Clara Novello aus England und
S. Schloss aus Cöln, und die Herren Salomon und von Osten aus
Berlin.
Leipzig« Frl. Ney sang bereits 4mal unter anhaltendem Bei-
falle. Frau Marra-Vollmer ist ihres Contraetes entbunden worden.
Hamburg« Tichatscheck gastirt hier.
Rom« Raimondi, der Componist des dreieinigen Oratoriums,
welcher vor einigen Monaten die Runde durch die Blätter inachte,
hat ein noch grösseres Kunststück zu Stande gebracht. Er hat näm-
lich zwei Opern componirt, eine tragische und eine komische, welche
gleichzeitig aufgeführt werden sollen ! Sie heissen : „Adelasia" und
„I quattri rustici". Da fehlen nur noch Zuschauer, die in einem
Athem weinen und lachen können und — die Hauptsache — sich ein
solches Quodlibet gefallen lassen!
Osnabrück. Der hiesige Gesangverein führte kürzlich mit
Unterstützung mehrer Kölner Solisten F. Hillers Oratorium : ., Die
Zerstörung von Jerusalem" auf.
Pesth. Der Baritonist Beck, welcher von Frankfurt nach sei-
ner Vaterstadt zurückgekehrt ist, trat hier einmal unter grossem Bei-
fall auf.
Paris. Die Grosse Oper wiederholt Prophet, Ewigen Juden und
Freischütz. Anfang Mai kommt eine neue öaktige Oper von Niedermeyer :
La Fronde zurAufführung. Die Opera comique hat wegen Unwohlsein der
Dem. Duprez und Urlaub des Sängers Battaille, die Vorstellungen von
Marco Spada unterbrechen müssen. Tamburini sang in einem Con-
cert von Alary im Ital. Theater. Rossini ist zum Commandeur der
Ehrenlegion ernannt worden. Gueymard, Tenorist der grossen Oper,
gastirt in Lyon. Fr. W. Clauss ist nach London zurückgekehrt.
— Am 30. fand ein grosses Hofkonzert unter Mitwirkung von
Tamburini, Gardoni, der Tedesco und Cruvelli statt. Das Programm,
von der Kaiserin zusammengestellt, bestand aus Nummern von Ros-
sini und Verdi.
Antwerpen. Am 31. März wurde Halevy's Ewiger Jude hier
zum ersten Male aufgeführt. Der Eindruck war grossartig. Alle
Nummern ohne Ausnahme wurden applaudirt.
Petersburg. Der Violinist Leonard und seine Gattin sind hier
angekommen und haben bereits ein erfolg- und beifallreichcs Concert
gegeben. Die italienische Oper schloss am 22. März mit dem Propheten.
VtrtBlwMtlleher H«»ak«or : J. J. SCHOTT. - »ruk von REUTEK Jr WALUV In Main.
2. Jahrgang.
Mr. 19.
9. Mai 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitnot erscheint jedes
MONTAG«
Van abennirt bei allen Postämtern,
Musik- und Bnchhandlungen.
REDACTM IIB VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN BXAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LOIDOR BEI SCHOTT & CO.
,, -■■ -■■ ^g^r •
PREIS:
J. 3.
09 oder Thlr. 1. 18 Str.
Ar den Jahrfang.
Dnrch di« Peet bezogen :
SO kr.
eder 15 S»r. per Quartal.
Inhalts Geschichte eines Klaviers. (Fortsetzung.) — Corr. (Karlsruhe, Wien und Berlin). — Nachrichten.
GESCHICHTE EINES KLAVIERS,
von diesem selbst erzählt nnd veröffentlicht durch
Theodor Hagen.
(Fortsetzung.)
Seit jener Zeit sind viele , viele Jahre verstrichen , nnd viele,
viele Male hat man mit mir zu spielen versucht, aber nie sind wieder
in mir jene Saiten des Schmerzes, der Rührung, der reinsten Poesie
berührt worden , als von jenem langen Menschen. Ich glaubte ', ich
würde unter seinen Händen Qualen zu erleiden haben, und siehe da,
der höchste Genuss wurde mir bereitet; ich glaubte, er würde mich
zermalmen, und siehe, er entlockte mir neues Leben. Er fing ganz
leise an, kaum, dass ich seine Berührung fühlte, es war, als wenn
der Hauch einer keuschen Seele über mich glitt. Später habe ich
gehört, dass es Harfen gibt, denen der Zephir Töne zu entlocken
weiss. Vielleicht, dass ich damals eine solche Harfe war, durch das
Zephirrauschen einer reichen, poetischen Seele ergriffen , nur, dass
die Töne zu einer ausgebildeten Mutik wurden, zu formell abgerun-
deten Gedanken. Es waren wunderbare Weisen, die der Lange mir
zu entlocken verstand, rational bizarr, oft an Inhalt unbedeutend,
aber durch die Harmonieführung , durch den zauberischen Anschlag
von einer ergreifenden Wirkung. Dieses letztere habe ich an keinem
andern Pianisten wieder gefunden, selbst bei solchen nicht, die alle
Geheimnisse der Technik inne hatten, und die mit ihrer Eleganz
sehr angenehme Effekte zu erzielen wissen. Keiner von ihnen hat
es so verslanden, einem dürftigen Gedanken durch Anschlag, Zurück-
halten und Steigerung des Tons, durch eine eigenthümliche, von aller
Tradition abweichende Behandlung des Pedals, einen solchen Schwang,
einen solchen Zauber, ein solches Interesse au- und umzuschniiegen
als dieser hagere, geisterhafte Mensch, der mich mir selbst zeigte,
meinen ganzen Werth, meine ganze Benutzung, der mir die erste
Weihe gab, gleichsam die Taufe, von dem ich im eigentlichen Sinne
des Worts sagen kann, dass ich an seiner Hand in die vornehme
Welt und in die Kunst eingeführt worden bin. Er mochte wohl eine
Viertelstunde phantasirt haben, als sich nach und nach sein Spiel
in ein wirkliches Gemurmel verlor. Beide Hände spielten Triolen,
immer schwächer, immer langsamer, die Finger schienen sich kaum
zu bewegen. Und doch wussten sie mir noch Töne zu entlocken
die trotzdem, dass sie zuletzt immer dieselben waren, so verschieden
klangen, eine solche Mannigfaltigkeit des Ausdruckes erhielten, dass
in diesem Falle manchem Zuhörer die Meinung zu verzeihen gewesen
wäre, der Spieler hätte andere Noten zum Vorwurfe.
Endlich schien er geendigt zu haben ; das einzige pianissimo,
«las je einem von meinem Geschlechte entlockt worden ist, hatte die
zarte Gränze, die zur Tonlosigkeit führt, überschritten, nur die Fin-
der ruhten noch auf den Tasten , es war , als wenn sie sich noch
nicht so schnell davon trennen könnten. Ich sah in seine Augen,
sie glänzten wie ein milder Abendstern , es spiegelte sich in ihnen
der Gedanke der Musik wieder, die eben verklangen war, d. h, aus-
serlich, innerlich mnsste sie in diesem Spieler noch fortklingen, sein
ganzes Wesen verkündete es. Seine Seele rang noch mit den Tönen,
darum mochten auch wohl seine Finger noch auf mir ruhen; denn
bei diesem Spieler standen Finger und Seele in unmittelbarer Ver-
bindung, jene mussten sich bewegen , sobald diese musikalisch be*
schäftigt war.
Meinem Herrn Papa mochte dies wohl nicht gegenwärtig oder
auch nicht verständlich sein; denn wahrscheinlich in der Meinung,
das Spiel sei aus , Hess er seine näselnde Stimme also vernehmen :
„Nun, Herr Chopin, was sagen Sie zu dem Piano?*' — Chopin!
War es Zufall oder etwas Anderes, dass in meinem Nachbar, dem
alten Flügel, eine Saite vibrirte, als wenn mit dem Finger darüber
gefahren würde? War es Zufall oder etwas Anderes, dass bei Nen-
nung dieses Namens in mir etwas Aehnliches vorging? Die Schauer
der Bewunderung äussern sich so verschieden?
Der Meister musste die Bemerkung meines Papa's nicht gehört
haben, oder vielmehr nicht hören wollen, es wäre denn, dass er seine
Antwort durch ein erneuertes Spielen geben wollte. Ja, er fing von
Neuem an, meine Seele zu bewegen, diesmal nicht so sanft, so mild»
so lyrisch weich und zerflossen, wie das erste Mal, nein, wild, mehr
epischer Natur; die tiefsten Chorden In mir wurden angeschlagen,
und auf rapide Weise wurde die ganze Stimmung meines Wesens
durchlaufen. Jetzt sollte ich auch erfahren, was sein Forte hiess,
ich erbebte, so mächtig klang es, so intensiv drang es durch den
Raum. Und doch war dieses Forte nicht viel stärker, als das Piano
anderer Spieler, wie ich es später oft genug tbeils an mir, theils an
meinen Kollegen erfahren musste. Auch hier sollte ich zum ersten
Male erkennen , dass wie im Leben die Verhältnisse den Lauf der
Dinge und Menschen, jene in der Kunst den Klang bestimmen. Was
ist ein Forte, was ein Piano an sich? Weder das Eine noch das An-
dere, nur wenn beide zusammen erklingen, können wir ihren Werth
und ihre Stärke angeben, nnd daher ist es auch so natürlich, dass
"wer ein Chopin'sches pianissfmo hervorzuzaubern weiss, mit seinem
dem angepassten forte eine überraschende Stärke und Sonorität of-
fenbaren kann.
Trotzdem nun, dass der Spieler wieder den ganzen Reichthum
seiner Natur offenbarte , gefiel er mir dennoch weniger , als vorher«
Diese wilden Ausbrüche kamen mir vor , wie die Miniaturzeichnung
einer norwegischen Felsenlandschaft. Die Melancholie, ein Grundzug
seines Wesens, trat hier in ungewohnten Formen auf, sie überschrit-
ten wider Willen die Gränzen ihrer Wirksamkeit, gleichwie oft der
Mensch den Konflikt offenbaren muss, den sein Natureil der Gesell-
schaft gegenüber hervorruft. Und wie diese dann gleichgültig vor-
übergehn, oder auch missbiüigend den Kopf schüttelt, so musste die
Aussenwett von dieser Seite des Chopin'schen Spiels weniger be-
rührt werden. Als eine aparte Aeusserujig einer künstlerischen Na-
tur konnte das Spiel den Einzelnen interessiren , als Kunstgebilde,
das sich nie 'an den Einzelnen , sondern immer an' die Gesammtheit
wendet» mnsste es kalt lassen. • » , • -
Wie vorauszusehen, dauerten diese wilden Schuierzensrufo de«
Spielers nicht lange, bald trat wieder die klage auf, erst bitter, mit
7* -
einem leisen Auflage von Humor, dann sanft , resignirend , wie die
natürliche Aeusserung einer durchaus lyrischen Natur.
Nur noch, wenige Akkorde, und 4er Meister erhob sich. Er
schien erschöpft eu sein, denn sein Gesicht zeigte eine erschreckende
Blasse,
„Wollen Sie nicht versuchen, Comtesse?" horte ich meinen
Papa fragen.
Erst jetzt sah ich wieder auf die Dame. Ich konnte gerade noch
einen Blick der Extase auffangen , der auf jeden Fall Chopin gegol-
ten hatte.
Sie schüttelte den Kopf. „Schicken Sie es mir noch heute zu,
sagte sie. Dann nahm sie den Arm des Meisters, und alle drei ver
Hessen den Saal.
«
CORBBSPONDBNZEN.
AUS KARLSRUHE.
(ABfenff April.)
(Schluss.)
Ans der Reihe der wenigen von einzelnen Künstlern wahrend
des verflossenen Winters hier veranstalteten Konzerte erwähne ich
zuerst jenes von Frl. Knopp aus Berlin, das am 1. November v. J.
stattfand und sehr besucht war. Ein von dem ersten Flötisten der
Hofkapelle, Herrn Johann Wolfram, Ende v. J. veranstaltetes
Concert verschaffte uns auch die Gelegenheit Frl. Marx von Darm-
stadt nach langer Zeit wieder einmal hierin ihrer Vaterstadt zu hören.
Des Konzertgebers Tochter, eine Schülerin des Musikdirektors Giehne,
trat zum ersten Male öffentlich als Klavierspielerin auf.
Den Schluss der von Einzelnen gegebenen Konzerte machte am
14. Februar jenes des Herrn Hufmusikus Eichhorn. Der Konzert-
geber, als vortrefflicher Solospieler auf dem Violoncell hinlänglich
bekannt, spielte mehrmals, ausserdem Hess sich Hr Schlösser, erster
Tenorist des Mannheimer Hoftheaters , mit Beifall hören. Mit Beet-
hoven's grossem Sextett schloss das ziemlich umfangreiche Programm.
Ich hoffe, Ihnen in meinem nächsten Briefe auch schon von der
Einweihung des neuen Theaters berichten zu können. Eröffnet wird
das Hans mit Schiller's „Jungfrau von Orleans**, und als erste Oper
in demselben wird Gluck's „Armida*' nachfolgen; der Anfang ist
also entschieden national, Möge er eine glückliche Vorbedeutung für
die Zukunft der neuen Bühne sein!
AUS W I E I.
(Mitte April.)
Wollte ich alle musikalischen Aufführungen, welche seit meinem
letzten Schreiben in den hiesigen Concertsälen stattfanden , ausführ-
lich beurtheiten, es würde dieser Aufsatz die Spalten Ihres Blattes
auf längere Zeit hinaus ganz allein füllen , da dies jedoch gewiss
nicht in Ihrem und auch nicht im Interesse des Lesekreises Ihrer
Zeltung gelegen ist, so will ich aus der grossen Menge nur dasje-
nige einer detai Hirten Besprechung unterziehen, was meiner Ansicht
nach eine solche gegenüber dem allgemeinen Kunstinteresse recht-
fertigt.
Der junge Pianist J. Stanzieri gab zwei Concerte, die von
seinen Freunden auch zahlreich besucht waren; dass es seinen Leis-
tungen unter solchen Umständen nicht an Beifall fehlte, war. vor-
auszusehen.
Die Geschwister Kress, Violine und Piano, veranstalteten ein
Concert, welches uns den Beweis liefert, dass die unselige Virtuosen-
Dressur der Kinder, trotz des vielen Eiferns dagegen, noch immer
als Geschäft betrieben wird. Gibt es denn keine Miss Stowe-Becher,
welche einen Roman über diese Sklaverei der Kinder schriebe, zum
abschreckenden Beispiel für alle spekulativen Aeltern, Vormünder,
Lehrer u. dgl.?
Nicht allein die Clavierconcerte überfluthen den heurigen Markt
In eitter Weise, welche die Zeit der üppigsten Blüthe des heillosen
Virtuosenthums vergegenwärtigt, es erstehen auch wie die gespensti-
schen Nonnen im „Robert" aus der dunklen Gruft der Vergessenheit
die Concerte auf Ho|z- und Strohinstrumenten.. So gab ein Herr
Pachner ein Concert auf einem von ihm vergrössertem Guztkowscheji
Holz- und Strohinstrumente. Wenn die Concertsaison nicht bald zu
Ende geht und der Held ^Frühling" mit seinem Schwerte aus SosV
nenschein geschmiedet die Virtuosen - sanuitt ihrem Publikum nicht
bald üinaustreibt auf Wiese und Anger zu einem Lerchen- und Nach-
tigalleu-Conccrte, so werden wir's noch erleben müssen, dass Herr
Baron Kiesheim ein paar Vorlesungen seiner Schwarzplattcl-Gedichtc
(?) mit obligaten Gebirgsjotllern und Zitherbegleitung zu Ehren der
Wiener Hautevolee veranstaltet l —
Die Gebrüder Wieniawsky, Violine und Piano, gaben fünf
Concerte. — Wie, fünf Concerte ? werden Sie fragen ? — Ja. gewiss,
so ist's. — Sie wünschen zu wissen, wie dies zuging? — Ich er-
spare mir eine nähere Charakteristik dieser Virtuosenleistungen und
gebe hiermit die beste Kritik darüber, indem ich die Worte der
GlöggPschen musikalischen Zeitung bei Gelegenheit ihres 4. Concer-
tes anführe: Die beiden Concertgeber wurden an diesem Abende
siebzehnmal gerufen , wohl die beste Kritik über die Vorzüglichkeit
ihrer Leistungen. — Heinrich W. , der Violinist, wird Paganini II.
genannt; da ich mich aber zufällig erinnere, dass Ole Bull schon
dieses Epitheton vor längerer Zeit erhielt, so besorge ich, dass dar-
über ein Kampf der musik. Geschichtschreiber entstehen könne, übri-
gens will ich hoffen, dass diese hochwichtige Streitfrage, ob der II.
oder der III. vielleicht auf diplomatischem Wege gelöst werden dürfte,
da dieser Fall in der neuesten Geschichte nicht vereinzelt dasteht.
Wenn früher in Wien ein Künstler ein öffentliches Concert zu
geben wagte, so galt dies als ein Beweis, dass er sich einen hohen
Grad musikalischer Ausbildung zutraute; zwei Concerte in einer Sai-
son von einem Künstler gegeben, kamen sehr selten vor, dann aber
konnte mau überzeugt sein , dass der Concertgeber gewiss ein Stern
erster Grösse am Kunsihimmel sein müsse. Die neuere Zeit hat
diesen pedantischen Grundsatz umgestossen , und mau braucht eben
so wenig ein Künstler zu sein um ein Concert zu geben, als man
sich mit mehreren in einer Saison gegebenen Concertcn einen Namen
machen kann. In der heurigen Saison rnuss sogar jeder Concertge-
ber wenigstens zwei Concerte geben, will er sich vor dem Verdacht
bewahren, in seinem ersten Concerte Fiasco gemacht zu haben. So
gab auch ein Herr von Bülow (Pianist) zwei Concerte, was zu der
Vertnuthung berechtigt, dass er nicht Fiasco gemacht habe, und wenn
wir, wie die hiesige musik. Zeitung, nach der Zahl der Hervorru-
fungen den Wertn seiner Leistungen abmessen, so ist dieser sogar
ein nicht unbedeutender , wenn diese auch eben nicht die Zahl von
17 an einem Abende erreichten.
Der hiesige Violinspieler Langhammer, der von dem früheren
Posten eines Musikdirektors und Professors eines ungarischen musi-
kalischen Conservatoriums bescheiden in's Orchester unseres Opern-
theaters herabgestiegen ist, veranstaltete ein Concert, in welchem er
als Concertspicler und Componist figurirte , in letzter Eigenschaft
aber mehr reussirte. Herr Langhammer ist ein guter Violinspieler,
es lässt sich vermuthen auch ein guter Lehrer, aber ein Concertspie-
ler ist er nicht. Ihm fehlt Kraft, grosser Ton und Bravour. Er
wurde von zwei Sängerinnen unterstützt, von welcher die Eine aus
Angst zu schwach, die Andere aus eben dem Grunde zu stark sang.
In medio virtus, d. h. wenn beide gar nicht gesungen hätten, so wäre
dies offenbar besser gewesen.
Eine Pianistin, Frl Henriette Fritz, trat auch in die Reihen der
Concertgeber mit gutem Erfolge, d. h. sie erhielt rauschenden Beifall
und um diesen Lohn ist ja unsern Virtuosen Anfangs hauptsächlich
zu thun; um die Stimme der Kritik wird wenig gefragt. Die Kritik,
die unbefangene, unabhängige fragt aber auch wenig um die Persön-
lichkeiten der Virtuosen, und sagt es rund heraus, dass in dem Spiele
der Concertgeberin der poetische Hauch und Duft trotz bedeutender
technischer Fertigkeit und Ausbildung vermisst wurde. Staudigl
sang in diesem Concerte Ad. Müller's schönstes Lied: „Tief drunten"
mit dem ganzen Aufwände «einer reichen Kunstmittel. Wäre er im
Stande die Gefühlsstellen mit jener himmlischen Begeisterung, Innig-
keit und Wärme, die seiner Individualität ferne liegen, wiederzugeben,
der Vortrag dieses Concert-Liedes von ihm wäre ein erhaben-
vollendetes Meisterstflck.
Eine Oase in der unabsehbaren Wüste der Virtuosen-Concerte,
— 7$ —
bildete das Concert des hiesigen Männergesang- Vereins. Hier
findet 'wieder der von dem ew'gen Einerlei der Virtuosenkunststücke
halb verschraachtrte Concertbesacher eine erquickende Rast. Hier
ist Frische, hier ist Kraft, die doppelt erfreut, nach dem vielen An-
hören der krankhaften Ausgeburten einer überreizten Phantasie, hier
tritt die Natur in ihrer Urkraft auf, denn die Verbildung hat ihr noch
nicht den frischen Duft der Ursprünglichkeit weggelockt, sie ist noch
nicht verkümmert in der schwülen Salonluft ! — Man erlasse mir die
Stücke herzuzählen, die alle zum Vortrage kamen, ich erinnere mich
nur , dass mir alle gefielen und bei Schuberl's „Gondclfahrcr" es
mich wie ein süsser Traum überkam, der mich mit Zauberarmen an
den Lido versetzte, in die Zeit zurück, wo auch ich ein Gondelfahrer
die vom Monde versilberten Wellen durchschnitten und an der Pia-
zetta vorüber den Canal grande hinabfuhr, die Seele voll jugendlicher
Hoffnungen, die nun alle — alle, längst schon begraben sind. Ein
komischer Chor: „Käfer und Blume" , ich glaube von Veit, ist von
drastischer Wirkung und brachte in dem zahlreichen Auditorium eine
sehr heitere Stimmung hervor , er musste auch und mit ihm einige
andere Chöre auf allgemeines Verlangen wiederholt werden.
Bei der Gelegenheit der Besprechung des Männergesang- Vereins-
Concertcs kann ich das von diesem Vereine zum Dank für die glück-
liche Rettung des Kaisers in der Augustiner- Hofkirche veranstaltete
Hochamt nicht mit Stillschweigen übergehen. Es kam bei demsel-
ben die grosse Vocalmesse von Gustav Barth, Chormeister des Ver-
eins, in ausgezeichneter Weise zur Aufführung. Auf die Gefahr hin,
von den Musikern belächelt zu werden , welche Herrn Barth' s com-
ponistische Begabung in Zweifel ziehen, ihn überhaupt als Musiker
weit unter seinem Werthe schätzen, wahrscheinlich desshalb , weil
er ausser seinem musikalischen Wissen auch ein vielseitig gebildeler
Mann ist, ein Vorzug, den sie ihm nie vergeben, — erkläre ich diese
Vocalmesse ßarth's für eines der bedeutendsten Tonwerke, welche
in neuester Zeit geschaffen wurden, würdig den Meister-Chören Men-
delssohn's an die Seite gesetzt zu werden. Es zeichnet dieselbe die
gediegene Form , die geistreiche Conception und die Kenntniss und
zweckmässige Benützung der Effecte vor Andern aus.
(Schluss folgt )
XO O w
AUS BERLIN.
(25. April.)
Ich bin Ihnen einen übersichtlichen Bericht unserer letzten mu-
sikalischen Winterfreuden ziemlich lauge schuldig geblieben. Desto
sicherer wird sich darin dasjenige hervorheben, was einen einiger-
massen dauernden Eindruck zurückgelassen hat, gegen das, was
schnell der Vergessenheit übergeben worden , in dem ewig fortrau-
schenden und wirbelnden Leben des Tages. Mein letztes Kapitel der
Chronik war von der Mitte des Februar. Damals bewegte noch die
heilige Cäcilia des Violinspiels, Therese Milanollo, die Herzen aller
Hörer durch ihren Bogen, wie durch einen Zauberstab. Sie setzte
sich auch noch in anderer Weise ein schönes Denkmal in den Her-
zen der Bewohner unserer Hauptstadt, indem sie ein Conccrt gab,
dessen Ertrag zur Hälfte dem Gustav-Adolph- Verein, zur anderen
Hälfte einem anderen hiesigen Wohllhätigkeits-lnstitute zufiel. In
diesem, so ernsten Zwecken gewidmeten Concert spielte sie die edel-
sten, ernstesten Stücke ihres Repertoirs; nie hat die sanfte Gewalt
ihres, den innersten reinsten Ausdruck des Schönen darstelleudenSpiels
so gewirkt, wie hier. Bald darauf folgte ihr Abschieds- Concert,
in dem sie noch einmal auch alle ihre glänzenden Seilen eutfaltcte,
und nach diesem vierzehnten oder fünfzehnten Concert mit demsel-
ben Beifalls-Enthusiasmus begrüsst und entlassen wurde, wie nach
dem ersten; das Haus war von derselben Fülle der Hörer tiberdrangt,
wie nur je zuvor. Gegen den Schluss ihres Hierseins hatte sie eine
lebhafte Rivalität zu bestehen durch das berühmte Quartett der Gebr.
Müller. Diese, von einer Triumphreise durch unsere nördlichen
Provinzen, Pommern, Preussen bis Tilsit hinauf, zurückkehrend, ga-
ben drei überfüllte Soireen binnen fünf Tagen. Mit Ruhm gekrönt,
und nicht, wie Göthe singt, ^arm an Beutel", kehrten sie in ihre
Heimath zurück.
Mit dem März begann das allntählige Erlöschen der stehenden
Winterunterhaltungen auf dem Musik - Gebiete. Der Stahlknecht-
sche Verein für Trios hatte wegen einer Reise der Künstler
feussland,. wo sie Gold und Ruhm vollauf &>nten, schon früher ge-
schlossen; der Zimmermanns' che Quartetl-Veren beendete s *ih» «
trefflichen Soireen gleichfalls ; eben so der GrünwaU-Seidefsche für
gemischte Kammermusik.
Auch die Sinfonie-Soireen, dieser Gipfel unserer musikalisrhe*
Hochgenüsse , die in der letzten Zeit sehr rasch aufeinander ge-
folgt waren, weit im Winter der Bau d<s Schauspielhauses eine
lange Pause verursachte, schlössen in der Mitte des März. Es ge-
schah unter mancherlei eigentümlichen Verhältnissen, die der nähe»
ren Berührung werth sind. Einmal war die Zusammensetzung der-
selben grade in der letzten Zeit sehr interessant. In einet
derselben wurden die drei Ouvertüren zur „Leonore" von Beethoven
in ihren verschiedenen Umarbeitungen nebeneinandergestellt, welches
einen der belehrendsten und fesselndsten Genüsse zugleich bildete. —
jDann erregte es lebhaften Antheii , dass man gewissermassen eine
Säcularfeier des Instituts beging, zwar nicht nach Jahren, sondern
nach Abenden der Aufführung gerechnet ; es fand die lOOste seit
Gründung derselben statt. Neben dem hohen Aufschwung^ den diese
Aufführungen vom rein künstlerischen Standpunkte aus genommen, da
sie sich als denen des Conservatoire ebenbürtig hinstellen, und neben,
dem ächten Kunstsinn , den sie in unserer Stadt verbreitet und ge-
pflegt, steht auch das äusserlichc , nicht so leicht zu erreichende
Verdienst, dass sie der Orchester - Witt wenkasse im Laufe der ciif
Jahre, seit denen sie bestehen, über 50,00<> Thaler zugeführt haben!
So sorgt also die Kunst selbst für die Künstler, oder für die, die
im Leben eins mit ihnen sind. Am 17. März fand die lOlste, die
letzte diesjährige statt, die uns noch eine neue Sinfonie, von Ulrich,
einem jungen Musiker, der schon mehrere interessante Arbeiten gelie-
fert, brachte. Das Werk zeichnet sich, in jetziger Zeit eine rara>
ävis, besonders durch einen klaren Blick, eine schöne Begrenzung
in den Formen aus. Es scheint überhaupt, als wolle man doch nach-
gerade umkehren von dem gewagten Fortsteuern in dunkle Nebelge-
bicte, wohin freilich, es lässt sich nicht leugnen, einige der allerersten
Meister sonst ihre Bahn genommen. Aber nicht Jeder hat das Recht,
ein Columbus sein zu wollen, geschweige die Kraft, es wirklich
zu sein.
Die Sing-Akademie bat, wie ich Ihnen nur wiederhole, im Mu-
sikdirektor Grell einen neuen Führer für ihren alten erhalten. Ich
habe mich über das Sachverhältniss schon genügend geäussert, und
schweige also jetzt davon. Sie hat seitdem drei Werke, nicht aus*
gezeichnet, aber doch löblich zur Aufführung gebracht: Haydn's
„Jahreszeiten**, Graun's „Tod Jesu", der alljährlich am Charfreitage
zur Oslerfeier gegeben wird, und Sei». Bach's „Passionsmusik". Die
letztere sollte schon vor Ostern stattfinden, stiess aber auf mancher«
lei Hindernisse, die mit den jetzigen Verhältnissen des Instituts nicht
ohne Zusammenhang waren, und wurde dann nachträglich gegeben
in einer der Würde des Werkes angemessenen Weise. Namentlich
waren einige Chöre von grössler Wirknng. — Das kirchliche Gebiet
der Musik ist auch noch anderweitig mit Eifer angebaut worden.
Wir hatten auch einige Domchor-Concerte, in denen herrliche Sachen
alter Meister gegeben wurden: von Seh. Bach, Hasse, Palestrina,
Lolti und anderen ; aber auch von Mendelssohn und Bernhard Klein,
dessen grosses Maguificat, ein wundervolles Werk, trefflich cinstudirt
war Beiläufig sei erwähnt , dass auch Meyerbeer jetzt einen Psalm
k Capclla für dieses Institut geschrieben hat*, der mit nächstem znr
öffentlichen Aufführung kommen wird. — Das umfassendste Werk»
Reiches der Domchor uns zum Schlüsse darbot, war Mozart's „Re-
duiem"; doch geriet h grade dieses in der Ausführung nicht ganz so
glücklich. Denn, es ist eigentümlich, eben dieser so hoch ausge-
zeichnete Chor verliert viel von seiner Bedeutung, sobald er mit
Orchester singt. Auch gestatteten die Verhältnisse kein so starkes
Und gewaltiges Orchester, als die Macht des colossalen Werkes es
bedingt. — Die Coucerte für den Gustav-Adolph- Verein, welche sich
aus geistlicher und ernster weltlicher Musik mischen, vollendeten
gleichfalls ihren Cyclus. Sie gaben im letzten Concerte eine grosse
Hymne von Mendelssohn, vom Domchor gesungen, doch wirkte in
Solo Frau Köster mit. Eine Schlusshymne von Bortnianski , a Ca-
pella, brachte einen wahrhaft erhebenden Eindruck hervor. Sonst
war das Concert durch ein Haydn'sches Quartett, von Zimmermann
und seinen .Kunstgefährten gespielt, und ein, Trio von Hummel , vom
Taubert vorgetragen, wohl ausgestattet. Endlich erwähne ich meh-
— 7«
*er*r einzelnen Kircr«nconzerte » durch abgesonderte Gesaftgsvereine
veranstaltet. Eines ans gemischten Stücken gab der Bill er fache Oe*
aangvereia ; der Wetidd'sche fährte das Oratorium Spohr's> „die leti*
ten Dinge" sehr lobenswert!* auf» Es wurde hier zum ersten Male
mit der vollen Orchesterbi'glfitung gehört; früher ist es nur mit Or*
gelbegleitung gegeben worden. Spohr hatte selbst die Partitur und
ausgeschriebenen Stimmen dazu hergeliehen. — Hiermit sehliessett
'vir die Kirche! Doch halt, wir haben noch eines Unternehmend
der Zukunft zu erwähnen ; am 4. Mai wird der Hausmann-Schneider*
■sehe Gesangverein , der seit über vierzig Jahren besteht , das herr-
liehe Oratoritim „Jephta" von Bernhard Klein aufführen; Oberhaupt
fangt man jetzt hier erst an, den hohen Werth dieses an früh ver-
storbenen Componisten zu erkennen, dem an Tiefe der Wissenschaft
wenige gleichkommen, den an Adel der Auffassung keiner übertrifft*
Von unseren Theaterverhältnissen ist wenig Erfreuliches zri
melden; der Geschmack des Publikums, durch übermässige Pracht
im Aeussern, selbst durch den Luxus der Ausführung sybaritisch
verwöhnt , wendet sich immer mehr von den ernsten Kunstwerken*
ja von alten ab, die nur einen inneren Zusammenhang haben , die
mehr als das gedankenloseste Zuhören fordern. „Aiceste" war bei
der letzten Darstellung höchst spärlich besucht; „Euryauthe" wird
nur voll, weil unsere beiden grössten Sängerinnen, Frl. Wagner
und Frau Köster zugleich darin singen. Aber selbst die Operetten
leichter Art, wie der „Barbier von Sevilla", der „Postillon von Lon-
jumeau" , finden gar keinen Anklang mehr. Nur wo alle äusseren
Effektmittel mitwirken , sieht man die Massen. So ist zu Auber'S
„Feensee", wegen der Pracht der Dekorationen , nie ein Biliet zu;
haben. Einen gleichen Erfolg hat jetzt FJotow's „Indra", ohne
diese Hülfsmittei. Ich will sie desshaib nicht höher anschlagen, als
den „Feensee 4 *; mit dem Propheten und anderen Zugopern ist sie
schon der Gattung wegen, gar nicht zu vergleichen. Aber das Werk
hat die anlockende Eigenschaft, gar keine Anstrengung des Hörers
zu fordern; es wird dabei ganz vortrefflich gegeben (Frau Köster
ist von bezaubernder Autuuth darin) und die Ausstattung ist , wenn
nicht überreich, dpch dem Glanz der Bühne überhaupt entsprechend.
Dazu bietet die Musik im graziösen Style in der Thai vtd sehr An-
ziehendes, namentlich in dem phantastischen Gebiete, für welches
der Dichter, Herr von Puttlitz, mit feinem Talent gesorgt hat; so er-
klärt sich der grosse Andrang zu dem Werke, grösser, als ich ihn,
aufrichtig gestanden, nach der ersten Darstellung prophezeiht haben
würde Eine neue Oper desselben Autors ist schon angenommen
und kommt im nfichsten Winter zur Aufführung, wahrscheinlich zum
Geburtstage der Königin. — Eine nicht uninteressante Erscheinung
war hier die Sängerin Frau Howitz-Steinau , welche eine Reihe von
Gastvorstellungen mit grossem Erfolge der Anerkennung gab, wie-
wohl mit geringerem „äusserlichen" , da sie meist in Opern auftrat,
die, wie ich Ihnen oben gesagt, im Antheil des Publikums absterben.
Doch die eben anwesend waren, zollten der Sängerin lebhaftesten
Beifall, und sie verdiente ihn durch eleganten correcten Gesang und
eben so elegantes Spiel. Sie hat ihre gründliche Vorbildung hier in
Berlin erhalten und ist auch von hier gebürtig ; in ihrer öffentlichen
Laufbahn, die sie seit zehn Jahren betreten, ist sie aber jetzt zum
ersten Male hier erschienen. Sie wird jetzt der Oper in Karlsruhe
angehören. — Für den Juni und Juli wird unsere „heimathlichc"
Oper so gut wie absterben; dafür trifft der Direktor des Königsber-
ger Theaters, Herr Woltersdorf, mit einer aus ganz Deutschland zu-
sammengebrachten Truppe hier ein und wird, von den Hülfsmitteln
der königlichen Oper und Chors und der Kapellmeister unterstützt,
eine Reihe älterer, ernster und heiterer Opern hier aufführen, die
seit langer Zeit, oder noch gar nicht hier gegeben sind, als: „Temm-
ler und Jüdin", „Faust'' (Spohr), „Vampyr", „Fra-Diavoio", „weisse
Dame", „schwarzer Domino", „Doctor und Apotheker" und Vieles
andere. Bis jetzt ist es nicht dagewesen , die königliche Bühne so
gewissermassen in Entrcprise zu geben und die schon so mit Arbeit
überladenen Choristen und Kapellmitglieder und deren Führer gewis-
sermassen zur Disposition eines fremden Unternehmers zu steifen«
Aber die Noth drängt zu diesem Schritte, denn die eigenen Mittel
gehen uns durch die nnermesslichen Beurlaubungen der Sängerinnen
so aus, dass wir das Hans für die Oper 'ohne fremde Hülfe ganz
schliessen müssten. Die Unternehmung muss aber sehr gnt sein,
wenn "sie einschlagen soll , denn unsere zweiten Theater , das der
Friedrich-Wilheluisstadt und das Kroll'sche, sind schon jetzt starke
Concurrenten, vollends im Sommer. Sie geben alle diese genannten
und beabsichtigten Opern, d. h. die heiteren, und wenn auch nicht
vollkommen, so doch immer so gut, um den Nichtkenner keinen so
grossen Unterschied empfinden zu lassen. Es wird wohl darauf an-
kommen, wer die hübschesten Sängerinnen stellt; denn nur Ta-
lente allerersten Ranges siegen über diese Geschmacksrichtung des
Publikums. Ceteris paribus üben die Sommertheater im Sommer bei
weitem die grössere Anziehung, und beide genannte Institute wer-
den von diesem Jahre an mit solchen Theatern versorgt sein. Das
Publikum, längst gewöhnt, die Thaternnterhaltung als Beigabe zu
seinen sonstigen Vergnügungen zu betrachten, wird dies im Sommer
um so lieber thun, wo ohnehin Spaziergang und freie Luft Haupt-
erquickungen sind und sein sollen. Ob aber dabei die Pflege der
Kunst gedeihen wird — • das ist eine Frage , die ich nicht mit J a
beantworten möchte 1 L. R e 1 1 s t a b.
NACHRICHTEN.
Frankfurt. Als dritte Gastrolle sang Ander Alessandro in
„Alessandro Stradella."
IilgnltZy im April. Im zweiten Concerte des Violinvirtuosen
Eduard Singer, hörten wir unter seiner Leitung eine Ouvertüre zur
Oper „Ben venu to Cellini" von einem uns unbekannten Componisten
B. K . . . Dieses Werk, gleich trefflich in der Anlage wie in der
Ausarbeitung, zeigte, dass der Componist die besten Meister der
alten und neuen Zeit mit grossem Erfolge studirt habe. Namentlich
zeichnet sich diese Ouvertüre durch höchst geistreiche Instrumenta-
tion aus, und wünschen wir dem talentvollen Componisten noch
recht oft auf diesem Felde zu begegnen. A. B.
Berlin« Am 23. April gab der rühmlichst bekannte Violinist
und Componist Eduard Singer ein Concert unter seltenem Bei falle.
Er spielte ein Concert von Paganini und mehrere eigene neue Com-
positionen, eine Fantasie über Motive aus der Oper „Vanda" von
Doppler , eine Prelnde und auf stürmisches Verlangen noch eine
Etüde (sämmtlich im Verlage von B. Schott's Söhnen in Mainz.)
Wien. Für den letzten Monat der ital. Saison ist statt des
Tenoristen Quasko Herr Mirale engagirt worden. Herr K. Evers,
welcher hier lebte, ist für die ital. Oper des Direktors Puzzi in Lon-
don engagirt worden und bereits abgereist.
Paris. Die hiesige ital. Oper bringt als Neuigkeit „Le Bravo"
von Mercadante. Mad. Lagrange wird die Hauptrolle singen. Eine
neue Acquisition der Oper ist der Tenorist Armandi von der Brüs-
seler ital. Oper , welcher im vorigen Jahre in den ersten Städten
Deutschlands gastirte. — ■ In der Opera comique zieht „La Tonelli"
von Thomas fortwährend an.
— Der ausgezeichnete Violinvirtuos und Componist Bazzini,
welcher mit Vieuxtemps und Ernst rivalisirt, hatte sich in mehreren
Concerten, welche er hier gab der schmeichelhaftesten Aufnahme zu
erfreuen. Derselbe gab am 30. April ein Abschiedsconcert, in- wel-
chem er die A-dur Sonate von Beethoven mit der Pianistin Fräul.
Kastner, von eigenen Composifionen eine Fantasie über „Anna Bo-
lena" und ein Quatuor aus den „Puritanern" vortrug. Das Letztere
erregte stürmischen Enthusiasmus. Von hier geht er nach London.
Im} on. Anfang Mai wird hier eine italienische Oper, bestehend
aus den bekanntesten Mitgliedern der Pariser Gesellschaft, eröffnet»
Dieselbe soll während des ganzen Sommers Vorstellungen geben.
Turin« Mad. Stoltz, welche seit ihrer Rückkehr aus Brasilien
in Florenz lebte, hat ein glänzendes Engagement bei dem hiesigen
Theater Regio angenommen.
Brüssel. Servais, der berühmte Violoncellist hat mehrere
zahlreich besuchte Concerte gegeben.
London. Her majesty's Theatre ist von einem Hrn. Pnzzi
übernommen worden und soll sobald als möglich eröffnet werden.
— Vieuxtemps concertirt unter grossem Beifall. — Auf den 11. Mai
ist ein „Deutsches Morgen-Concert" von dem bekannten Liedersänger
Holzet angekündigt worden. Frl. A. Zerr, Louise Spazier, N. Claus*
sowie die Sänger Ständig!, Pischek, Reichardt nnd Andere werden
mitwirken. !____^_— ■
Vtnatwoftllcitflr RtfekMu: J. J. SCHOTT. - »im* tan RKUTIR* WALUO in «»toi.
2. Jahrgang.
Mr. *0.
16. Mai 1852.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnlrt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDVCTM HD YEBLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ-
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
»BBIS:
II. 3. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
fttr den Jahrgang.
Durch die Post belogen :
50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts Literarisches: Job. Seb. Baeh'a "Werke. — Corr. (Wien, Hamburg und Schweiz). — Nachrichten.
LITERARISCHES.
4Toh. Seb. Bachs Werke« zweiter Jahrgang. Herausgege-
ben von der Bach-Gesellschaft. Leipzig, 1893.
In der Mitte März 1853 ist von dem Direktorium der Bach-
Gesellschaft in Leipzig die zweite Lieferung, Nr. 11 bis 20, der Kir-
chencantaten von S. Bach an die Mitglieder versandt worden. Von
den Cantaten in diesem zweiten Bande sind die Nrn. 11, 12, 13, 15,
16, 17, 18 und 19 nach den Originalen der königl. Bibliothek in Ber-
lin, bestehend in Originalpartituren und Originalstimmen herausgege-
ben. Herr Prof. Dehn, Custos der musikalischen Abtheilung dieser
Bibliothek, hat die Abschriften besorgt und dieselben einer genauen
Revision unterworfen. Auch die Originalstimmen sind zu Rathe ge-
zogen, zur Vortragsbezeichnung, Bezifferung des Continus und zur
Berichtigung des Textes und der Noten benutzt worden. Nr. 11 und
20 haben in den Originalpartituren und Originalstimmen der Redak-
tion selbst vorgelegen : die erstere aus der Sammlung des Hrn. Capl.
Hauser in München, die letztere im Besitze des Hrn. Geh. Justizr.
Rudorff in Berlin, und die Originalstimmen zu beiden aus der Biblio-
thek der Thomasschule in Leipzig.
Die schon früher bemerkte eigenthüfhliche S. Bach'sche Bezif-
ferung der Bassstimmen (Continus) findet auch in diesem Bande einen
Zusatz. In einer Arie von Nr. 13 soll sich über Einem Basston
l und seine Auflösung =&= finden ; diese letztere steht aber über dem
nachfolgenden Durchgange, und ist kein Stichfehler, sondern als S.
Bach'sche Bezifferung auf den vorhergehenden Basston zu beziehen.
JJoch andere S. Bachsche Führungen des J Akkords über den Durch-
gang hinaus sind in der Vorrede ausführlich besprochen. Die theil-
weise vorhandene Bezifferung auch in diesem Bande ist uns aber um
so willkommener, da sie meistens von S. Bachs Hand geschrieben
oder auch von derselben verbessert ist. Im Ausschreiben der Stim-
men war S. Bach unermüdlich; die Originalstimmen von Nr. 14 der
Leipziger Thomasschule wären durchgängig , die Hauser'schen aber
grösstentheils von seiner Hand geschrieben.
Auf den Inhalt dieses zweiten Bandes näher eingehend, wol-
len wir noch vorbemerken, dass in zwei Sätzen von Nr. 11 und 12
der Cantaten sich Erinnerungen an die grosse Messe in H-moll finden.
In den einfach harmonisirten und figurirten Chorälen, letztere
auch reich instrumentirt, erscheint die gegebene Eirchenmelodie, der
Cantus firmus, in der Oberstimme. Beide Formen sind zum Schluss,
die letztere auch zum Anfang der Cantaten benutzt. — Diese Kir-
chencantaten sind im kirchlichen Amte von S.Bach geschrieben und
dabei Strophen aus älteren Kirchenliedern und rhythmisch gegebene
Bibelworte als Texte zum Grunde gelegt. Einzelne dieser Cantaten
erscheinen in den Originalen unter dem Namen „Concerte". Es wird
damit wohl eine Form älterer Kirchenwerke angedeutet, in welcher
Bibelworte und Liederstrophen einander gegenüber gestellt wurden
und sich in solofigurirten und polyphonen Chor- nnd Instrumental-
Sätzen verbreiteten. Im vorliegenden Bande sind jene Cantaten nicht
näher bezeichnet. Doch sind sehr wahrscheinlich die Nr. 11, welche
den Namen Oratorium trägt, wie die Nrn. 12 und 18, die mit kurzen
oder ausgedehnten Si nfonien eingeleitet werden, und Nr. 15, in
welcher eine Sonate vorkommt, dadurch ausgezeichnet.
(Schluss folgt.)
CORRESPONDENZEN.
AUS WIEN.
(Mitte April.)
(Schluss.)
Ich komme nun zu der Löwin der heutigen Concert-Saison , zur
Violinspielerin Therese Milanollo. Würde es sich mit meiner Ver-
pflichtung gegen Ihr Journal und mit meiner Gewissenhaftigkeit als
Ihr Correspondent vertragen, ich schwiege lieber ganz über die Con-
certe dieser Künstlerin und überliesse es irgend einer Privatcorre-
spondenz aus Wien, Ihnen den Milanollo-Enthusiasmus unseres Pu-
blikums zu schildern j so aber muss ich mein Urtheil aussprechen
über dieses Phänomen, das den Tross unserer Journalisten beinahe
schon um ihren Verstand gebracht , auf die Gefahr hin , dass man
meinem offen ausgesprochenen Urtheile die Folie der Ostentation un-
terlegt, welche sich darin zu gefallen sucht, gerade das Gegentheil
von dem zu sagen, was alle Welt denkt und sagt. Ich habe mich
noch nicht auf jenen Grad der Sensibilität hinauf- oder besser herab-
gestimmt, um mein kritisches Urtheilsvermögen von momentanen Ge-
fühlseindrücken so völlig beherrschen zu lassen, und bin leider von
derberer Complexion, um über eine einzelne, mit Zartheit vorgetra-
gene Gefühlsstelle in Enthusiasmus ganz und gar aufzugehen; ja ich
entsinne mich sogar, bei dem mehrmaligen Anhören dieser Künst-
lerin in meiner Nüchternheit niemals den kritischen Masstab verlo-
ren zu haben. Mag nun dieser vielleicht nicht der richtige sein, so
ist er doch der mein ige und da ich als Ihr Correspondent nun ein-
mal nur nach diesem die musikalischen Vorkommnisse abmesse, so
mögen Sie denn mein Urtheil über Milanollo vernehmen , so unge-
reimt es auch in den Augen mancher „Milanollo - Schwärmer" er-
scheinen mag.
Die Violinspielerin Milanollo ist eine interessante, ja eine sehr
interessante Erscheinung. Sie wäre es , wenn ihre Virtuosität auf
der Violine nicht so bedeutend sein würde, als sie wirklich ist. Ihre
Bogenführung ist edel, zierlich, gewandt, die Intonation rein, die
Fertigkeit der linken Hand überraschend. Die Form ihres Vortrages
im Allgemeinen ist vollkommen abgerundet; sie weiss mit Ruhe ihr
Spiel zu beherrschen. Mit seltener Zartheit und Eleganz versteht
sie die cantabilen Stellen, während sie Schwierigkeiten der Bravour
mit Sicherheit und Leichtigkeit überwindet. Die einzelnen Theile
ihrer technischen Ausbildung stehen im schönen Verhälthiss zu ein-
ander und sind, für sich betrachtet, fertig, vollkommen. So ist ihr
Triller perlend , ihre Doppelgriffe rein , ihre Sprünge in die höchste
Applikator sicher und gewandt, ihre Octavenläufe beurkunden ein
fleissiges Studium« Bei alledem aber ist Therese Milanollo noch kei»
**
?&
neswegs den grossen Künstlern auf der Violine an die Seite zu
setzen. Es ist überhaupt gar kein Vergleich anzustellen zwischen
ihr und allenfalls Ernst, Moliqoe, Vienxtempsr il A. m. Es mangelt
ihr voieMlp einem grossen Violinspieler, und nach meiner An«
sieht ist dies kein Geringes — ein grosser Ten; es fehlt ihr die
Kraft nn£ Bestimmtheit , ihrer Bravour den Stempel der Grossartig«
keit aufzudrücken, der kühne Aufschwung, das Feuer, die Begei-
sterung in der Gantilene. Ihr Gantabile ist einförmig, farblos, es ist
ein fortgesetztes Lamentoso, ein Conglomerat von Sentiments. Es
fehlen in ihrem Spiele die scharfen Licht- und Schattenseiten, Alles
ist ineinander verschwommen, Alles vom falben Lichte der Melan-
cholie umflossen. In Bezug auf ihre Kunstanschauung, die sich in
der Auflassung der vorgetragenen Tonstücke erweisst, zeigt sie eben
eine Einseitigkeit, eine Subjectivität, welche die Charakteristik der-
selben nach ihrer eigenenlndividualität umformt. Originalität in der
Darstellung habe ich nur dann bemerkt, wenn es sich darum han-
dfeite, in Künsteleien, wie z. B. im „Rheinweinlied", zu glänzen.
Ueberhaupt herrscht in der Gesammtheit ihrer Leistungen eben mehr
dieses tändelnde Element, als Gefühlstiefe und ernste Würde vor.
Einen Beleg zu dieser Behauptung liefert schon ihr Repertoir, in
welchem man vergebens die Goncerte von Beethoven, Mendelssohn
oder andere ernste Compositionen von Spohr, Kreutzer, Molique su-
chen wird.
Ungeachtet dessen ist Therese Milanollo eine interessante Kunst-
erscheinung , welcher ich die Vergötterung unserer Enthusiasten von
ganzem Herzen gönne; möge sie mir nur verzeihen, dass ich in
meiner Nüchternheit die Göttlichkeit ihrer Sendung nicht begreife
und es überhaupt gewagt, ihr Spiel einer Kritik zu unterziehen.
Und nun ein Paar Worte über das 3te Concert Spirituel,
in welchem wir zwei Werke des grossen Sebastian zu hören be-
kamen. Von der Milanollo zu — Bach! Und beides ist Musik,
was wir von ihnen hören. Das Plätschern des Bassins im Volksgar-
ten und der Donner der stürzenden Wogen des Rheins bei Lauffen !
— Das D-moll -Concert ist in der Abgeschlossenheit seiner Form ein
Meisterwerk und wird es ewig bleiben. Diese stahlgerüsteten The-
ma's, welche sich durch alle contrapunktischen Hindernisse gleichsam
durchhauen» diese wunderbaren Combinationen, dieses künstliche Ge-
webe der Stimmführung, diese gewaltige Beherrschung der Form.
Bei der Anhörung Bach'scher Musik wird die Seele des Hörers un-
willkürlich hineingezogen in die wunderbaren Tonverschlingungen
und der Musiker glaubt sich in eine andere Welt versetzt. „Die
Lehrsätze seines Kunststudiums scheinen sich zu beleben, sie neh-
men Gestalten an und ziehen an seinem geistigen Auge vorüber. Die
Ausführung war eine entsprechende , besonders verdient das Spiel
des Herrn Dachs lobend erwähnt zu werden, weniger der Vortrag
der beiden anderen Clavierspieler. Die Bach' sehe Sopran -Arie aus
seiner Cantate: „Also hat Gott die Welt geliebt", fand keine wür-
dige Repräsentantin. Den Schluss machte Mendelssohns bekannte
und oft gewürdigte A-moll-Symphonie. Der Ausführung des Orchesters
unter der Leitung Hellmesbergers jun. fehlte die Prägnanz. Sie war
nur theilweise gelungen. So manche Einzelheit wurde von Seiten
des jugendlichen Direktors nicht mit jener umsichtigen Gewissenhaf-
haftigkeit gewürdigt» wie es ein so erhabenes Kunstwerk verdient.
Ein Werk der Art muss in das Blut des Dirigenten übergegangen
sein, er muss es völlig in sich aufgenommen haben, ehe er das Di-
rigirpult besteigt; Correctheit der Ausführung genügt hier noch lange
nicht.
Der greise Contrabassist Hindle, bekannt durch seine Kunst-
stücke auf diesem Orchester-Ungethüm , die ihm sogar in Paris An-
erkennung verschafften , der Natur des Instrumentes aber ganz und
gar entgegen sind, nahm Abschied von der Oeffentlichkeit in einem
Concerte.
Auch ein Clavierspieler Prossnitz, der die Zahl der vielen
Pianisten-Concerte vermehrte, ohne dass wir und die Kunst es ihm
Dank wissen, veranstaltete eine Privat-Akademie.
Das Bürgerspitals-Concert brachte heuer wieder, wie alle Jahre,
ein Olla potrida von Genüssen aller Art, für die verschiedensten
Gaumen, wenig aber für einen guten Geschmack. Kindervirtuosen,
Deklamationen, italienische Sänger, deutsche Vocalchöre, ein neues
österreichisches Volkslied ohne Kraft und Saft, kurz: zu viel, um
Alles anzuhören, viel zu wenig aber, um es einer kritischen Wür-
digung au unterziehen,
Die hiesige Musikwelt hat wieder durch den Tod des als Leiter
der früheren Concerts Spirituels und als musikalischer Schriftsteller
bekannten £aron Lannoy und des gleichfalls in einer anderen
Sphäre renommirten Orgelbauers und Verbesserers der Physharmotti-
ken, P. Deutschmann, ztrei empfindliche Verluste erlitten.
"• a eo t*
AUS HAMBURG.
(April.)
Noch nie hat uns ein Winter eine so grosse Fülle von Musik-
aufführungen geboten , als der diesjährige. Auch der März hat Ge-
legenheit gegeben, wahrhaft übersättigt zu werden an der reich be-
setzten musikalischen Tafel. Ich habe demnach Vieles zu berichten,
indem ich von vornherein darauf verzichten muss , Alles zu bespre-
chen, und also mit der Nichterwähnung einzelner Leistungen auf
keinen Fall eine Geringhaltung derselben ausdrücken will.
Den Reigen eröffnete ein Concert von Frl. Malvina Sehr ad er,
Schülerin des Herrn J. Tedcsco, der seit mehreren Jahren hier lebt.
Die junge Virtuosin spielte Mendelssohn's H-moII-Quartett. Diese
höchst eigenthümliche Composition, die in der übersprudelnden Fülle
der Jugendarbeit eine grosse Schwierigkeit der Ausführung und ein
sehr mühsames Verständniss erzeugt , bedarf eines sehr sorgfältigen
Zusammenspiels. Leider war die Violine sehr matt und selbst un-
sicher , so dass die junge, recht feurige Spielerin in einigen Stellen
ihrem Begleiter tüchtig unter die Arme greifen musste. In mehreren
anderen Vorträgen entwickelte sie eine lebendige und keineswegs des
Geistes entbehrende Begabung.
Am 2. März gab Herr Grädner ein Concert, worin er mehrere
eigene Compositionen zu Gehör brachte. Eine Ouvertüre zur Oper
„Harald" zeigte den Verfasser in die absonderliche Schumann'sche
grübelnde Art verfallen. Dissonanzen wahrhaft unerträglicher Natur
und Mangel an fliessender Melodie liessen die Hörer zu einem wenig
befriedigenden Genuss gelangen. Bei weitem besser gefiel mir schon
eine Arie für Tenor aus derselben Oper, welche Herr Dr. Garvens
mit geistreich belebtem Tone vortrug.
Entschiedenes Vergnügen aber hat mir ein Clavier-Concert ge-
macht, dessen Vortrag Herr Willmers mit grosser Bravour und lie-
bevollem Eingehen übernommen hatte. Mit lebhafter Freude erzähle
ich von gesunden Ideen, harmonischer Anordnung der grossen Haupt-
theile, guter und bedeutender Melodie und vor allem von sehr treff-
licher Benutzung des Orchesters, das mit dem Piano selbst ein wür-
diges Ganze zusammenflocht. — In demselben Concerte ward unter
Leitung des Herrn C. Berens, Musikdirektor der Garnison, die Ro-
bespierre-Ouverture vonLittolff sehr energisch und feurig ausgeführt.
Wiederholt hat mich die Conception des Ganzen auf das Allerhöchste
gespannt und wiederholt bin ich durch den Effekt der in der Mitte
durch 2 oder 3 Schüsse geschilderten Catastrophe bis zur athcmlosen
Erschütterung ergriffen worden. Wo diese Ouvertüre irgend mit ge-
nügender Besetzung und im grossen Räume gemacht wird, muss sie
unfehlbar die beabsichtigte Wirkung machen. Dass feuriger Geist
darin ist, fühlen die Ausführenden leicht, denn sie sind von selbst
zur grössten Aufregung fortgerissen. Ich finde darin bei weitem
mehr Genie, als in Schumann s und Wagner' s zuletzt gehörten Ouver-
türen. — Herr Böie endlich spielte noch das schon früher erwähnte
etwas paganinisirende Concert von David und erntete durch seine
treffliche Leistung den lautesten Beifall.
Eine Soiree, welche der Cellist, Hr. d'Arien, am 3. März gab,
bot nichts , was das Interesse Ihrer Leser ansprechen könnte. In-
dessen muss ich erwähnen , dass darin eine junge Virtuosin , Nan-
nette Falck, auftrat, dass ihre Leistung von dem Feuilletonisten
Herrn Robert Heller sehr herabwürdigend beurtheilt ward und dass
darüber eine öffentliche kleine Fehde entstand, in welcher natürlich
weder Lob noch Tade,l zu einem entschiedenen Abschluss gebracht
werden konnten. Dass dagegen Frl. Falck sich nicht möge beirren
lassen, können Alle, die ihr wohlwollen, nur rathen. Sie wird leicht
durch ein ernenefes öffentliches Auftreten und tüchtige Leistung
neigen, was ihr an Kräften gegeben ist. Das grosse Publikum ist
Immer, so viel Vorwürfe man ihm auch machen kann, empfänglich
-für das wirklich WerthvoUe und lässt sich dann durchaus durch
keine Kritiken leiten, deren Entstehung oft nach ihrem ganzen Ua«
wertia bekannt »lud* •
— ?9
Das 5te Philharmonische Concert veranlasst mich zu umständ-
licher Besprechung. Zuerst sei einmal lebhaft darüber geklagt, dass
nicht endlich dem missverstandenen Cultus der Beethoven'schen Or-
chesterwerke ein Ende gemacht wird. Ich bezeichne damit das be-
harrliche Abweisen der Vorführung grösserer Sinfonien und Ouver-
türen auch anderer älterer oder jüngerer Meister. Cherubini ist ganz
ausserordentlich selten und beinahe nur durch die Wasserträger- und'
Lodoiska-Ouvertüre vertreten. Nun bieten aber Fanisca, Elise, die
Abenceragen und Anacreon ebensoviel treffliche und höchst interes-
sante Ouvertüren. Von F. Ries , dem viel zu wenig beachteten,
wären einige Sinfonieen und seine Ouvertüre zur „Räuberbraut" eine
sehr dankenswerthe Erscheinung. Mendelssohns A-moll- Sinfonie Und.
Ouvertüre zu „Ruy-Blas" warten vergeblich auf eine Aufführung.
Die sehr hübschen ersten Orchesterwerke von Spohr, mehrere sehr
geistreiche Ouvertüren von Onslow, die Wcber'sche Ouvertüre zum
„Beherrscher der Geister" und überhaupt so manches Werk, welches
an anderen Orten oft gehört wird, ist in diesen Concerten unbekannt.
Freilich erwachsen aus solchen neuen Erscheinungen dem Direktor
die Mühe und die Arbeit des Einstudirens, und eben das ist es, Was,
wie ich glaube, ihrer Ausführung entgegen steht. Bequemer ist es
freilich, Jahr aus , Jahr ein immer die 4 bis 5 der populärsten Sin-
fonien Beethovens zu geben, in deren irgend erträglicher Ausführung
das Verdienst durchaus auf Seite des Orchesters Hegt, welches diese
Sachen nachgerade auswendig spielt. Die Pflicht des thätigen und
vielseitigen Künstlers aber wäre es, das erste Gebot der Kunst: Ab-
wechselung, herrschen zu lassen. — In dem hier zu besprechenden
Concert wurden die Eroica, die Tannhäuser-Ouvertüre zum zweiten
Male, Mendelssohns Scherzo in G-moll aus dem Sommernachtstraum
und endlich Mehuls Jagd-Ouvertüre gegeben. Die Wahl des Scherzo
von Mendelssohn ist nach meiner Meinung unpassend. Das Stück
ist zu sehr auf den Charakter dessen , was auf der Bühne vorgehen
soll, gerichtet, als dass es nicht so einzeln auftretend als abgerissen
erscheinen sollte. Wie aber eine so alte zopfähnliche Composition,
wie die Mchul'sche Ouvertüre, dazu kommt, den Platz einzunehmen,
welcher 1 vielen werthvollen neueren vorenthalten wird , ist mir ein
Räthsel. Ich darf nicht hinzusetzen , dass Mehuls grosses Verdienst
nach vielen anderen Seiten hin vollkommen von mir werth gehalten
wird. — Was nun die Ausführung betrifft, so kann ich diese nicht
genug als sehr matt und ungenügend bezeichnen. In der Eroica war
ersichtlich die oberflächlichste Auffassung des unsterblichen Werkes
Wenn irgend ein Satz in der ganzen musikalischen Literatur die
feinste Gliederung im Forte und Piano, vorzüglich aber hinsichtlich
der Bewegung fordert , so ist es dieser. Nichts ist geeigneter , dies
herrliche Gemälde menschlichen Lebens und irdischer Dinge zu ent-
stellen, als das steife mathematische strenge Festhalten an einem
einzigen stereotypen Tempo ; umgekehrt z. B. fordert das erste Al-
legro in seinen grossartig neben einander gestellten Hauptparthieen
.eine geistreiche Freiheit der Bewegung, die, wie immer, hier vorzüg-
lich oft einzelne Noten durch ein breites Verweilen hervorheben
muss, indem dann andere gleichsam Nebenworte jenen Hauptworten
gegenüber leicht und schneller vorüberrauschen müssen in derselben
Art, wie der gute Redner auf einzelnen Hauptsilben verweilt und
die folgenden Partikeln als gleichsam unbedeutend eilig abfertigt.
Von der unbeschreiblich tiefen Wirkung, welche in dem Trauermarsch
die scharfen nebeneinander gestellten ff und p machen und in denen
lebhaft der Jammerschrei des Klagenden sich fühlbar macht, kommt
unter Herrn Grund's Direktion nichts zu Gehör. Es versteht sich,
dass die Ausführung durch das Orchester, welches eine grosse An-
zahl ganz vortrefflicher Künstler und sehr geistvoller Spieler zählt,
auch selbst in dieser Art und Weise des Herrlichen Vieles zu Gehör
bringt Beethoven selbst hat schon dafür gesorgt, dass man ihn nicht
so ganz vernichten kann. Aber das , was ich vermisse , ist jener
höhere feinere Geist, welcher von dem Führer ausgehen muss und
mit diesem unendlich tiefen Orchesterwerke Erfolge erzielen kann
und soll, welche Schauer des Ueberirdischen im Sinne des Hörers
erwecken. Wer je z. B. Mendelssohn als Dirigenten beobachtet hat,
wie derselbe mit dem feinsten Sinne, mit dem gebildetsten Geschmack
dem Orchester die geheimen Schätze der Composition enthüllte und
alle zur feurigsten Begeisterung zu entflammen wusste, der wird sich
wohl erinnern, dass er einen sehr grossen Antheil am Ausdruck da-
durch erzielte, dass er die Masse des Orchesters wie einen Solospie-
ler zum augenblicklichen Verweilen auf einzelnen Noten oder schnei-
[
len Forteilen über einzelne Reihen vermochte. Freilich Bt aHdH
ein reich gebildeter Geist, die Gabe der Rede und 'die Liebenswür-
digkeit des edlen Menschen zu Gebet. Als Hauptsache aber machte
sich in allem, was er an der Spitze des Orchesters that, der reine,
lautere Feuereifer für die Kunst geltend. Herr Grund mag früher- fit
diesem Sinne gewirkt haben, es ist mir unbekannt; jetzt aber läset
er in allen seiner Leitung anvertrauten Aufführungen eine Ermattung
durchblicken, welche den Compositionen zum grössten Nachtheite
gereicht. Das Mendelssohn'sche Scherzo in G-moll, das mit der Aus-
nahme einiger weniger Stellen tutto pianissimo sich bewegen Soll,
gebürdete sich so hart und scharf, dass aller Hauch der Poesie auf
das Kläglichste verschwand. Und doch wäre natürlich eine möglichst
delikate Ausführung das einzige Mittel, diesem Satze, so einzeln auf-
tretend, eine irgend genügende Wirkung zu geben. +- Die Wagneri-
sche Ouvertüre hat bei wiederholtem Hören mein Urtheil vollkommen
unverändert gelassen und ich darf daher das früher Gesagte einfaofi
bestätigen. Hinsichtlich der Ausführung war mir wieder die erschreck-
lich lang fortgeführte undankbare Violinfigur am Schlüsse auffallend»
Selbst wenn der Dirigent sie sorgfältiger, als es geschah, ausführen
liesse, kann sie nur ermüdend und matt wirken. Da, wenn ich nicht
irre, 10 erste und 8 zweite Geigen spielten, so kann der Vorwurf
einer ungenügenden Besetzung nicht Statt finden. — Den Instrumon-
talsätzen war eine sehr nachtheilige Reihenfolge gegeben, indem der
Schluss des ganzen Concerts, nach der Eroica und der Tannhäuser-
Ouvertüre, der Mehul'schen Jagdouvertüre überlassen blieb, die denn
in ihrer fast kindischen Naivetät beinalle lächerlich erschien. — End-
lich sang noch Herr von Osten, Concertsänger aus Berlin, meh-
rere sehr unbedeutende Lieder und die bekannte Arie des Pylades
aus Gluck's Iphigenie in Tauris in A-dur. Sein Vortrag zeigte eine
etwas kleine Stimme von sicherer musikalischer Bildung, bedeutender
Höhe und eine beinahe übertrieben deutliche Aussprache. Mit Be-
dauern melde ich , dass unser Publikum grosses Gefallen an einem
Wiegenliede von Taubert fand. Natürlich bezieht sich dieses Wort
nicht auf die Composition, welche sehr hübsch und charakteristisch
ist, wohl aber auf das Ungehörige, an dieser Stelle und mitten zwi-
schen grossen Orchestersätzen eine so kleine Gattung zu bieten. Die
Gluck'sche sowie eine Arie aus dem Paulus waren jedenfalls besser
gewählt und wurden recht wacker ausgeführt.
(Schluss folgt.)
AUS DER SCHWEIZ.
(Ende April.)
Die Theatergesellschaft des Herrn Hehle in Basel ist dort bis
gegen Ende des Winters geblieben und dann nach der Bundesstadt
Bern übergesiedelt. Daneben haben die Abonnements - Concerte
unter Methfessel einen um so regeren Fortgang genommen und
manches Gute und Gediegene bei sehr mannigfaltigen Programmen
gebracht. — In der Genfer Oper zeichneten sich unter den Sängern,
neben der schon erwähnten Pretti als Prima-Donna aus : die Herren
Baille (Baritonist) und Van Iluffeten (Bassist). Der Tenorist Herr
Constant-David war mehr Spieltenor; gegen Ende der Saison leider
erst trat noch ein jugendlicher Anfänger, Herr Barbot, mit einer recht
frischen, anmuthigen, lieblichen Stimme als Georg in der „weissen
Dame auf. Da man jedoch äusserst wenig lyrische Opern gab, so
kam man mit den vorhandenen Kräften aus. Die moderne leicht-
französische Oper behielt die Oberhand: da gab es denn den „Vater
Gaillard", den „Berggeist", den Stierkämpfer", „schwarzen Do-
mino" und — natürlich auch das letzte Werk Aubers, „Marco
Spada". Letzteres fand äusserst lebhaften Beifall , eben so Adams
„Wenn ich König wäre!" Gfisars „Glockenspieler von Brügge"
Hess kalt. Dagegen begeisterte das Publikum sehr die Inscenesetzung
Vom „Dorfwahrsager", einer Operette» mit Text und Musik von JF. J.
Rousseau, dessen Bildsäule zuletzt bekränz! und angeredet ward«
Natürlich waltete hierbei das vaterländische Interesse vor , indem
man für die jetzt in Deutschland theitweise modische Oper, welche
ans nur einer Feder geflossen, noch nicht schwärmt. — Der berühmte
Levasseur war auch in Genf, trat aber nur einmal in 2 Akten des
IRobert auf, nachdem er schon den Concertsaal unter, der „Sonnen-
fceschwörung" und dem „Piff, Paff, Puff" hatte erzittern lassen. —
Von fremden Virtuosen gaben die Herren Simori, Schüler Pagaiiinjfr»
80 —
«nd Bertrand, Schüler des Pariser Conservatoriums (Violinist), sowie
die Pianisten Hr. Mulder und der 17jährige Werner Concerte. — Die
Quartett- und Quintett - Soireen unter dem Vorspiele des wackeren
Eichberg brachten lauter klassische Compositionen (Beethoven, Haydn,
8, Bach, Pummel) und fanden vielen Anklang, während die Freunde
der Kirchenmusik von der Gesellschaft, welche für dieselbe besteht,
in einem Concerte durch Chöre von Haydn, Schicht, Mozart, Men-
delssohn und Feska erbaut wurden. Bei der Mannigfaltigkeit und
Fülle dieser musikalischen Kräfte Genfs ist nur der Umstand zu be-
dauern, dass man sie nicht auf einen einzigen Mittelpunkt zusammen
drängt. Freilich müssten dann mehrere Dirigentenstäbe und -Stäbchen
feiernd niedersinken! — Die Oper des Herrn Löwe in Zürich war.
wahrscheinlich die thätigste von Allen, ob die fleissigste, mag dahin
gestellt bleiben: sie gab über 40 verschiedene Opern! Natürlich ent-
sprach, da nur wenige Schooskinder des Publikums und die Novitä-
ten wiederholt Wurden, dieser Zahl auch die der Proben so ziemlich,
ein Verhältniss, das wohl nicht das richtige ist. Das Ensemble war
aber dennoch, wenn man darunter nur das sogenannte „Gehen" der
Oper im Takte versteht, gewöhnlich ziemlich hergestellt. Zu befrie-
digenden Aufführungen der Mehrzahl der Opern fehlten aber ein guter
zweiter Sopran und — der Tenor. Unter fünf Tenoristen, welche
Herr Löwe unermüdlich hinter einander kommen liess, hatte erst der
Letztere hinreichenden Stimmfond. Es war dies Herr Castelli, ein
sehr wackerer erster Tenor % der aber leider nur noch einige Male
auftreten konnte. Desshalb wollten auch die nun zur Aufführung
gebrachten Opern: Ernani, Gesandte, die lustigen Weiber, Undine,
nicht sehr gefallen. Dagegen ward neben den schon früher genann-
ten Sängern der Bassist Hr. Orth, mit äusserst kräftiger, sonorer
und umfänglicher Stimme, die er nur leider noch nicht recht zu mas-
sigen versteht, ein Liebling des Publikums. Die Lieblingsstücke waren
und blieben: Norma, Martha, Regimentstochter, Oberon. Letzterer
nämlich mit einer Wandeldekoration versehen. Nach .Ostern
siedelte die Gesellschaft nach St. Gallen über. — In den beiden letz-
ten Concerten dirigirte R. Wagner die A-dur-Symphonie und die
heroische von Beethoven und rief mit seiner Meisterschaft in der
Auffassung dieser kolossalen Werke trotz des mühsam einzuübenden
Orchesters und der grossen Schwäche vieler Mitglieder desselben ka
Publikum eine grosse Begeisterung «hervor. — Am Charfreitag führte
die Allgem. Musikgesellschaft in der Frauenmünsterkirche unter der
eifrigen Leitung des Herrn Musikdirektors Müller Schneiders „Welt-
gericht" auf. Die Chöre gingen vortrefflich, dagegen Hessen die So-
listen , noch mehr aber die Instrumcntalisten zu wünschen übrig. —
In dem Concerte des Herrn Heisterhagen trat wiederholt Hr. Stein-
metz auf, der sich den hiesigen Virtuosen auf dem Piano würdig an-
reiht. Auch seine Schwester ist eine gründlich gebildete Pianistin.
— Der bekannte Männergesangverein „Harmonie" gab unter seinem
neuen Dirigenten, Hrn. Heim, einem Schweizer, zuletzt Chordirigent
in Freiburg, das erste Conccrt, welches sehr wohl ausfiel. Der Vio-
linist Aeschmann, einer bekannten hiesigen musikalischen Familie
angehörend, legte wiederholt Proben von seiner im Auslande erlang-
ten weiteren Entwickelung ab. Fremde Virtuosen besuchten , eine
nicht zu rühmende Pianistin abgerechnet, weiter keiner Zürich, das
nun von seinen Kunstgenüssen ausruht. .
NACHRICHTEN.
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'Wien. Fl. Milanollo hat bereits 11 Concerte gegeben. — Der
bekannte Pianist L. v. Meyer, welcher bedeutend erkrankt war, be-
findet sich wieder wohl, wird jedoch den Sommer über noch in Grä-
fenberg bleiben. — Kapellmeister Schindelmeisser von Wiesbaden
ist hier, um für die dortige Oper Mitglieder zuengagiren. — Flotow
ist gleichfalls angekommen, und zwar, um seine für die deutsche
Saison bestimmte Oper „Rübezahl" zu vollenden.
Cöln. Am 23. April sang die nun sächsische Hofsängerin Jenny
Key in einer Opernscene. Eine ganze Oper konnte das abermals ge-
scheiterte Stadttheater nicht mehr herstellen,
Breslau. Am 31. März fand zum Benefiz der Frl. Fischer,
welche damit vom Theater Abschied nahm, eine treffliche Aufführung
der nervlichen „Medea <( von Cherubini statt*
Wttrzburg. Am 30. April führte der Männergesang -Verein
Sängerkranz" die JSinfbnie-Cantate »Tag und Nacht" von V. E.
Becker auf und erndtete den rauschendsten Beifall. Die Composition
selbst wird als eine der vorzüglichsten und dankbarsten Männerge-
sangscompositionen gerühmt und allen Männerquartetten empfohlen.
Weimar« Kapellmeister Sobolewsky aus Königsberg gab am
21. April im hiesigen Theater ein Concert, in welchem unter Anderem
zwei neue Werke dieses Componisten aufgeführt wurden („Meeres-
Phantasie" für Solo, Chor und Orchester, und „Vinvela", ein Gedicht
Ossians für 3 Solostimmen, Chor, Streichquartett und Harfe), wovon
besonders das letztere sich durch grosse Schönheiten auszeichnen
soll. Sebolewsky geht von hier nach London, wo er seine neuen
Werke aufzuführen gedenkt.
Carisruhe. Ein Sohn des bekannten Componisten Kalliwoda,
Schüler des Leipziger Conservatoriums, ist zum Musikdirektor an der
hiesigen Hofbühne ernannt worden.
Königsberg. Musikdirektor Sobolewsky hat seine Stelle nie.
dergclegt. An seine Statt tritt Kapellmeister Witt. Vor seiner Ab-
reise gab er ein Abschieds - Concert , in welchem seine Tochter als
Sängerin debutirte.
Hamburg. Die hiesige „Liedertafel" feierte vor Kurzem ihr
30jähriges Jubiläum. Der Gründer derselben war Meethfessel.
Wiesbaden« Das hiesige Theater ist seit dem 7. Mai wieder
geöffnet, bringt jedoch nur Schauspiele, da in dem Opern-Personal
erst durch neue Engagements die Lücken ausgefüllt werden müssen,
welche durch den Abgang mehrerer Sänger und Sängerinnen entstan-
den sind.
Brüssel. Die ital. Operngesellschaft des Herrn Bocca, welche
schon einmal den Wanderstab ergreifen und versuchen musste, in
Deutschland den nöthigen Beifall und die noch nöthigeren Einnahmen
zu finden, womit man hier so karg war, ist nun definitiv gesprengt.
Der Direktor hat das Weite gesucht und die besten Mitglieder haben
bei anderen ital. Opern Engagement angenommen. Die übrigen be-
absichtigen, in Antwerpen eine neue Bühne für ital. Opernmusik zu
errichten. In Folge der sich immer wiederholenden Theaterbankerotte
und der dadurch herbeigeführten, für eine Residenz nicht sehr rühm-
lichen öfteren Schliessungen derselben hat sich endlich der Stadt-
rate entschlossen , die Verwaltang selbst zu übernehmen und nur
einen tüchtigen technischen Direktor anzustellen.
Paris. Die neue Oper von Niedermeyer, ,,La Fronde", welche
von der Grossen Oper mit einem bedeutenden Aufwände in Scene
gesetzt worden ist, hat wenig Anklang gefunden. Die Grosse Oper
wird in diesem Sommer 6 Wochen lang geschlossen, um nothwendige
Reparaturen vorzunehmen. Das Gouvernement hat dafür 60,000 Fr.
bewilligt. — Armandi und Brignoli , die beiden Tenoristen der ge-
scheiterten Brüsseler italien. Oper, von denen der letztere eine sehr
sohöne Stimme besitzt, haben in der italien. Oper debütirt. — Mad.
Lagrange macht hier mehr Glück, als in Deutschland. Sie wird we-
nigstens von der Journal-Kritik gefeiert, ein Beweis, dass Kunstfer-
tigkeit hier mehr gilt , als wahrhaft künstlerische Ausbildung. — Im
Theater lyrique folgen die Vorstellungen von „le Roi des Halles"
von Adam mit grosser Schnelle aufeinander. Ebenso macht in der
Opera comique „Tonelli" von Thomas entschiedenes Glück. — ■ Die
Pianistin R. Kastner und die Geschwister Ferni {Violine) haben
Paris verlassen, letztere,. um sich nach Deutschland zu begeben.
Haag« Das im vorigen Jahre wegen finanziellen Verhältnissen
geschlossene Theater wird in der nächsten Zeit wieder eröffnet und
zwar mittelst einer Subvention von 20,000 Gulden, welche der König
bewilligt hat. Die Stadt gibt die angekauften Dekorationen, Co-
stüme etc. sowie das Gebäude zur unentgeltlichen Benutzung. Eine
Commission des Stadtraths wird einen Direktor wählen, um die Con-
stituirung der Truppe zu beaufsichtigen.
V In New-York produzirte sich am 81. März eine Negerin als
Sängerin. Sie soll im Besitz einer schönen, aber noch unausgebilde-
ten Stimme sein und sich in Europa ausbilden wollen. Schlimme
Aussichten für unsere Sänger und Sängerinnen , wenn gar noch die
Neger anfangen, ihnen Concurrenz zu machen 1
tenatworttiefc« K«4t*ieu: J. J. SCHOTT. - Dmk toa HNTER« WALUü in Matal.
2. Jahrgang.
Mr. *f .
23. Mai 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Dies« Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei eilen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTIOÜf UND VERLAG
von
B. SCHOTTS BOHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI fiEBR. SCHOTT. LOMDOR BEI SCHOTT * CO.
1. 8. 44 oder Thlr. 1. 18 Bgr.
für den Jahrgang.
Durch dl« Pest bezogen:
50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Literarische«: Job. Seh. Bach'g Werke (Schloss). — Gorr. (Darmrtadt, Würzburg, Hamburg und London). — Nachrichten.
UTERARISCHES.
Job. Beb. Bachs Werke, zweiter Jahrgang. Herausgege-
ben von der Bach-Gesellschaft. Leipzig, 1853.
(Schluss.)
Geschichtlich entwickelt sind die kirchlichen Chorgesänge aus
dem Choral hervorgegangen. Als höhere durch reichere Mittel aus-
gestattete Kunstformen sind sie aber auch dem Chorale entgegen ge-
treten ; sie haben den letzteren verdunkelt und thatsächlich zu seinem
Verfalle beigetragen. Die Freunde des Chorals mussten seinen Geg-
nern, an deren Spitze begabte, kenntnissreiche Männer standen, un-
terliegen. Die sich kundgebende tonkünstlerische Geringschätzung
des Choralgesanges fand in Matthisons Aussprüchen eine gewichtige
Stütze, die dem Musiker den Choral noch verächtlicher erscheinen
liess. Wenn Matthison „die Strophe des Chorals" eine Pest der
Compositionskunst, ein hartes Halseisen musikalischer Poeten , eine
Mala die der Melodie etc. nannte: wer hätte nach diesem schnö-
den, wegwerfenden Urtheile sich des Chorals noch annehmen mögen,
da die erkaltete Liebe zu demselben sich schon der entgegengesetz-
ten Richtung zugewandt hatte ?
Und doch ist S. Bach den Kirchenmelodien treu geblieben. Mil-
lionen von Christen haben seit der Reformation dieselben zum Aus-
druck ihres religiösen Gefühls gemacht. Religiöser Sinn ist aus
ihnen auch dem frommen Bach entgegengekommen und hat ihn ernst
bei ihrer Bearbeitung geleitet. Der hochbegabte Künstler schätzte
ihren wahren Werth in jeder Beziehung und zeigte dies in seinen
tiefsinnigen Choralausführungen für die Orgel und besonders in den
vorliegenden Kirchencantaten. Ueberall tritt in ihnen die Kirchen-
melodie in tiefer Bedeutung, in eigenthümlichster Auffassung der
ihnen zu Grunde liegenden kirchlichen Tonart und des in ihnen ver-
borgenen harmonischen Kerns auf *). Dieser inhaltreiche harmonische
*) Man hat gegen ihre Auffassung eingewandt, dass Bach in
seinen Harmonien den Worten der einzelnen Strophe zu sehr nach-
gehe ; sie sei bedingt, nicht durch kirchliches Gemeingefühl,, sondern
durch die dichterische Absicht und beschränke sich mehr auf das
persönliche Gefühl.
Wir führen gegen diesen Tadel einige Worte aus der kleinen
Biographie S. Bach's von Forkel an. Letzterer sagt S. 67 ; „Das
Publikum will Alles menschlich haben und der wahre Künstler soll
doch eigentlich Alles göttlich machen. Wie sollte also Beifall der
Menge und wahre Kunst neben einander bestehen können ? Diesen
Beifall der Menge suchte Bach nie. Er dachte wie Schiller :
Kannst du nicht Allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk,
Mach* es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm.
Erarbeitete für sich, wie jedes wahre Kunstgenie; er erfüllte seinen
eigenen Wunsch, befriedigte seinen eigenen Geschmack, wählte seine
Gegenstände nach seiner eigenen Meinung und war endlich auch mit
seinem "eigenen Beifalle am zufriedensten. Der Beifall der Kenner
Kern der gegebenen Melodien geht besonders aus ihrer polyphonen
Auffassung und Entwickelnng in den Cantaten hervor. Auch die
Motive der Sätze sind sprechend und treffend und führen in ihrer
Verwendung in Tongebiete, die, nicht verbraucht und abgenutzt,
gross und herrlich in „Tonbildern'.* uns vorführen, was der fromme
Bach im schaffenden Augenblicke schauete.
Sollen wir noch auf Einzelheiten hinweisen, so sind es die herr-
lichen Chöre mit Schlusschoral in Nr. 11 und Anfangschöre von Nr.
16. 17. 19 und 20.
Die äussere Ausgabe des zweiten Bandes entspricht, wie die
des ersten, dem würdigen Werthe seines Inhalts. Noch bemerken
wir, dass die erweiterte Bach-Gesellschaft an Interesse gewonnen
hat und nahe an 500 Beiträge gezeichnet sind. g.
CORRESPONDENZBU.
AUS DARMSTADT.
(». Stil.)
Ander's Gastspiel ist zu Ende; wir hatten Gelegenheit, ihn in
den Opern: Hugenotten, Prophet, Martha, Teil, Lucia und in einem
Concerte zu hören. Seine Leistungen erregten aueh hier Entzücken
und Begeisterung. Ander's vorzüglichste Eigenschaft ist unstreitig
sein feiner Takt im Berechnen seiner Mittel. Die Vermeidung aller
Coulissenretsserei, aller Unnatur und Uebertreibung lässt in ihm den
wirklichen Künstler erkennen. Die Zurückhaltung in untergeordneten
Scenen macht es ihm möglich, um so frischer und lebendiger- bei den
Hauptscenen hervorzutreten. Seine Stimmbildung, vor allem sein An-
satz der höheren Töne und deren schöne weiche Verbindung stellt
ihn in die Reihe der besten Sänger; wir behaupten, dass es wenige
deutsche Sänger gibt, die sich die Vorzüge der italienischen Gesang-
schule so angeeignet, als Ander, und die ihrSchönheitsgefühi so vor
konnte ihm sodann nicht entgehen, und ist ihm auch nie entgangen«.
Wie könnte auch auf andere Art ein wahres Kunstwerk zu: Stande-
gebracht werden? Derjenige Künstler, welcher sieb bei seinen Ar-
beiten darauf einlässt, sie so einzurichten,, wie es diese oder jene
Classe von Liebhabern wünscht, hat kein Kunstgenie, oder er nuss-
braucht es. Sich nach dem herrschenden Geschmack der Menge- zm
richten , erfordert höchstens einige Gewandtheit in einer sehr einsei-
tigen Tonbehandlung. — Bach liess sich nie auf solche Bedingungen,
ein. - Er meinte , der Künstler könne woht das Publikum ,. aber das
Publikum nicht den Künstler bilden. Wenn er von lemandt um. ein:
leichtes Ciavierstück gebeten wurde, welches oft geschah,, pflegte er
zu sagen : „Ich will sehen, was ich kann". Er wählte in solchen
Fällen gewöhnlieh ein leichtes Thema, fand aber bei. der Bearbeitung
immer so viel Gründliches darüber zu sagen , dass das Stück nicht
leicht wurde, und genügte er so seinem Kunstgeiste.
«-
— 82
allen Auswuchsen unserer modernen Opernsingerei bewahrt, als es
bei ihm der Fall ist. Ander's höhere Töne bis zum ? sind äusserst
klangvoll und. geben bei Gesangstellen , die nicht durch allzustarke
Begleitung gedeckt sinil, bei collaparte's mit einzelnen Forteeinschnit-
ten des Orchesters sehr aus. Zu energischen Recitativen fehlt da«
gegen, wie uns dünkt, der Stimme die Schärfe, zu stark insfrumen-
mentirten, leidenschaftlich-bewegten Ensembles und Finales die nöthige
Kraft und Ausdauer, was er auch wohl zu wissen scheint, da er gar
keinen Versuch zum Durchdringen macht, sondern die Stellen zum
Ausruhen benutzt. Ohne diese Klugheit würde es ihm auch wohl
unmöglich sein , so oft und kurz -hintereinander , bald hier, bald dort
auf seiner Reise zu singen. — In den „Hugenotten*' sang Ander von
der hier sonst weggelassenen Entree in As an bis zum vierten Akt
schön, aber mit Zurückhaltung, die dem Kalvinisten Raoul ganz wohl
entsprach. Im Duett mit Valentine dagegen gerieth er nach und
nach so in's Feuer , dass er alles mit sich fortriss. Ausgezeichnet
war Spiel und Gesang bei den Worten : „Du liebst mich" und bei
der folgenden Gesangstelle in Ges, wo der wundervolle Klang seiner
Stimme bei den höheren Tonen b und ces und das herrliche Porta-
mento alles entzückte und begeisterte. Frl. Marx unterstützte ihn im
Spiel und Gesang getreulich. Sie moderirte sich möglichst und über-
traf sich selbst an diesem Abend. Auch im „Propheten" , obgleich
die Titelrolle bei weitem weniger dankbar für ihu als'Raoul ist, riss
Ander namentlich im vierten und fünften Akte zu allgemeiner Bewun-
derung hin. DieParthie des Lyonel in „Martha" entspricht ihm ganz
und gar. Im Spiel und Gesang leistete er Vorzügliches vom Spinn-
rad bis zum Wahnsinn. Dabei darf es jedoch Niemand befremden,
wenn uns die ganze Oper gerade so wässerig , wie sonst , vorkam.
Anders Leistung im „Wilhelm Teil" zeichnete sich besonders aus
durch herrlichen Vortrag aller eigentlichen Gesangstellen und ganz
besonders im Duett des zweiton Aktes mit Mathilde, wo gleichfalls
Frl. Marx wesentlich zur Wirkung des Ganzen beitrug, und in seiner
Arie im 4. Akt, von der er leider nur das Andante sang. Frl. Marx
erschien zu unserem Bedauern im dritten und 4. Akte nicht mehr;
den Grund haben wir nicht erfahren können. Das Duett (Arnold
und Teil) im ersten Akte und das Terzett im zweiten Akte (Arnold,
Teil und Walther Fürst) machten nicht die erwartete Wirkung. Vor-
zugsweise mag hierzu das konsequente Detoniren des als Teil gasti-
renden Herrn Thelen beigetragen haben ; die grandiosen Abkürzungen
und die Transpositionen, die Herrn Ander zu Gefallen gemacht wur-
den, hatten jedoch auch wesentlichen Einfluss. Der als Walther
Fürst gastirende Hr. Hermanns hat eine kräftige und zugleich sehr
wohlklingende Bassstimme. Die Chöre, namentlich die Rütliscene
und das 3. Finale gingen mangelhaft; die Oper war lange nicht ge-
geben worden und es mag wohl wenig oder keine Zeit geblieben sein
zum gründlichen Wiedereinstudiren, Dagegen war die Oper reich-
lich ausgestattet mit Ballet. In der „Lucia von Lammermoor'' befrie-
digte Herr Ander weniger, als man erwartet hatte, was wir wohl
einer Indisposition der Stimme zuschreiben müssen. Die Stimme
hatte weder den Klang und den Schmelz, noch das Ausgebende, wie
in den früheren Vorstellungen. — Im C on c e r t sang Ander wun-
dervoll das Ave Maria von Schubert, zwei Lieder von G. Hölzl : der
Schmerz und die Thräne, letztere besonders mit Beifall gekrönt,
ebenso die Adelaide von Beethoven.
Indem wir wünschen, Herrn Ander in unserer nächsten Saison
wieder begrüssen zu können, geben wir zugleich der Hoffnung Raum,
dass wir ihn dann auch in einer deutschen klassischen Oper zu hö-
ren bekommen. fff
AUS WÜRZBURG.
(Monat Aprl.)
Das hiesige k. Musik-Institut wirkt in gewohnter würdiger Weise
für Pflege klassischer Musik und Ausbildung der Jugend in allen
Zweigen der Musik anspruchslos aber sicher nnd erfolgreich fort.
Ueber das Theater ist leider nicht viel zu sagen; wie die meisten
der kleineren Bühnen Deutschlands ist auch die unsrige im Rück-
schritte begriffen, und die Glanzpunkte der diesjährigen Saison bil-
deten fast nur Gastspiele, darunter Frl. Bochkoltz-Falconi , die Te-
noristen Stigelli, Grohn (vom Meininger Theater), Reer (vom Cob-
lenzer Theater) — und die Tänzerin Lucile Grahn. Der Baritonist
Roberti wird erwartet. Von unserem ständigen Personale sind nur
die Sängerin Beck« Weichselbaum und der Baritonist Pichler des Nen-
nens werth. Die zweite Sängerin, Fräul. Schütz, hat viel Talent,
Stimme, Umfang und FJeiss, aber die Stimme ist noch sehr unkulti-
virt ; dasselbe gilt von dem Tenoristen Hörn und dem Bassisten Bur-
ger. Der Kapellmeister, Herr Friedr. Witt, ist ein routinirter, tüch-
tiger Dirigent, ein praktisch gebildeter Musiker, der aber mit-
unter etwas mehr Strenge gegen Chor und Orchester beim Einstudiren
hätte anwenden sollen, denn der Chor war namentlich nicht zum
Besten bestellt. Neue Opern wurden dieses Jahr keine gegeben.
Wagner's „Tannhäuser" sollte gegeben werden, es kam aber nicht
dazu. Für hier neu, wenn auch anderwärts schon Jahre lang be-
kannt, waren: „Beatrice di Tenda" von Bellini und „Linda von
Chamounix" von Donizetti, Beide gefielen — Furore machte keine
von beiden. Noch muss ich des Bruchstückes , des Finale's aus
„Loreley" von Mendelssohn gedenken, das mehrmals recht gut ge-
geben wurde und auch sehr ansprach. Auch die Ouvertüre von „Ruy
Blas" von Mendelssohn so wie die zum „Tannhäuser" von Wagner
wurden mitunter aufgefüht; erstere gefiel sehr, letztere weniger. Das
Repertoir unserer Oper ist seither sehr einseitig, wenn auch mannig-
faltig gewesen, namentlich waren Donizetti, Bellini und Meyerbeer
die Herrscher im Reiche der Oper, dagegen war die komische Oper
ganz vernachlässigt und ich erinnere, mich nicht , ausser der „Regi-
mentstochter" und Lortzings „beiden Schützen" eine komische Oper
gesehen zu haben, wenn ich nicht die bis zum Ueberdrusse wieder-
holte „Martha" daher rechnen will. Vom 1. Okt. d. J. an übernimmt
Herr Spielberger, der derzeitige Direkter des Kölner Theaters, das
hiesige; ob es dann besser werden wird, ist die Frage, doch wäre
es für die erste Zeit möglich , denn — neue Besen kehren gut. —
Gehen wir vom Theater zu den Concerten über, so müssen wir vor
Allem bemerken, dass Concerte von Künstlern, sowohl einheimischen
als Fremden, hier nicht sehr häufig sind, sich auch selten rentiren.
Im verflossenen Winter war nur ein Concert des Kapellmeisters Witt
dahier (das uns namentlich mit den obengenannten Ouvertüren von
Wagner und Mendelssohn bekannt machte) und kürzlich eines des
Violin-Virtuosen J. Lauterbach bemerkenswerh. Dagegen haben wir
stets eine gute Anzahl von Gesellschafts-Coucerten zum Genüsse und
hier müssen vor Allem die Concerte der Harmonie - Gesellschaft er-
wähnt werden. Die „Harmonie", eine Gesellschaft, welche Alles,
was Anspruch auf höhere Bildung und Stellung macht , unter ihre
Mitglieder zählt, bietet in ihrem eigentümlichen, prächtigen Lokale
Alles, was den Mitgliedern Vergnügen gewähren kann: Bälle, Con-
certe, Spiel, Lektüre u. s. w. Concerte gibt sie jährlich 4 — 6 und
strebt namentlich darnach, berühmte Virtuosen aus anderen Orten
für die Mitwirkung zu gewinnen ; so hörten wir im jüngsten Concerte
(Ostern) den bereits oben genannten Violinisten Lauterbach, Profes-
sor am Conservatorium zu Brüssel, und den Clarinettisten Bärmann
aus München. Die Programme dieser Concerte, deren Oberleitung
der k. Studienrektor Dr. F. R. Eisenhofer dahier besorgt und welche
bis jetzt von dem Musikdirektor G. Goltermann dirigirt wurden, bie-
ten stets eine Auswahl verschiedenartiger Piecen, um jedem Ge-
schmack wenigstens etwas Ansprechendes vorzuführen.
Gesellschaften, deren Zweck ausschliessend oder vorzugsweise
Musik ist, besitzen wir drei: die „Liedertafel", bestehend seit Sep-
tember 1842, den „Sängerkranz**, gegründet im Januar 1847, und den
„Liederkranz" seit 1850. Sämmtliche Vereine waren ursprünglich
reine Männergesangvereine, die beiden letzgenannten haben jedoch
sich auch zur Veranstaltung anderer Vergnügungen, Bälle u. dergl.,
entschlossen, in musikalischer Beziehung aber den Männerchorgesang
als Zweck festgehalten, während die Liedertafel seit 1849 auch die
Aufführung von Werken für gemischten Chor in ihren Bereich zieht,
nichtmusikalische Vergnügungen aber, als dem Zwecke der Gesell-
schaft entgegen , verschmäht. Ein Damengesangverein besteht hier
eben so wenig, als ein Instrumentalmusikverein. Der „Sängerkranz"
bereitet jetzt zu seinem 7. Stiftungsfeste die Aufführung eines gros-
seren Werkes seines Dirigenten (des als Componisten bekannten V.
E. Becker), eine grosse Cantate „Nacht und Tag", vor. — Die dritte
Gesellschaft, „Liederkranz", unter Direktion des Organisten Stephan
Höller, zählt 80—40 aktive Mitglieder, fast durchaus Gewerbsgehül-
fen, welche sich durch Fleiss und Eifer rühmlich auszeichnen.
— 83 —
AUS HAMBURG.
(April.)
(Schluss.)
Am 16. Mär« gab der Organist an der Katharinenkirche , Herr
Schaller, ein Concert, in welchem er sich als Harfenspieler zeigte.
Herr Schaller, ein theoretisch sehr gebildeter Künstler und braver
Organist, ist zugleich der einzige Harfenspieler in Hamburg und als
solcher beim Theater thätig. In seinem Concerte ward Cherubini's
Anacreon - Ouvertüre gegeben, wogegen die gleichfalls angekündigte
Euryanthe - Ouvertüre ausfiel. Herr Schaller spielte als Hauptsatz
ein Concert für die Harfe mit Orchester von Bochsa, welches mir so-
wohl wegen der gesunden interessanten Ideen, als wegen der sehr
dankbaren hübschen Form ausnebmend gefallen hat Wenn doch
unsere heutigen Virtuosen nur einmal solche Concerte schrieben 1
Herr Schaller, der eine sehr werthvolle Harfe von Erard in London
besitzt, spielte sehr ferrig und feurig und ich gestehe, dass mich
diese Leistung einmal lebhaft erquickt hat.
Am 17. März gab Herr Haffner mit den Herren Iversen, Brey-
ther und Lee die 5te Quartettunterhaltung. Ein sehr feuriges Quar-
tett in F von Haydn, Mozarts überaus tiefsinniges, edles Quatuor in
D-moll (in welchem mir nur die Reprisen im Andante etwas ermü-
dend von jeher erschienen sind) fanden durch die trefflichen Spieler
eine höchst wirksame Ausführung. Herr Haffner hat gegen früher
bei weitem an edler Ruhe gewonnen, ohne desshalb an feuriger Kraft
zu verlieren , und die wirklich geistreiche Art, in welcher alle vor-
züglich das erste Allegro des Mozart'schen Quartetts gaben, brachte
ihnen von dem Publikum , welches ja bei diesen Sachen allemal die
Auswahl der gediegenen Kenner enthält, eine wohlverdiente lebhafte
Anerkennung. Zu diesen älteren bekannten Werken gesellte sich
aber noch das schon oben bei Herrn Böle erwähnte kürzlich erschie-
nene Quintett von Fr. Schubert; das zweite Cello ward darin auf
das schönste durch Herrn Kleis gespielt. Beim wiederholten Anhören
dieses eigenthümlichen Werkes bin ich zur Bewunderung hingerissen
über die Fülle der Ideen , die Neuheit der Wendungen, die Rundung
der Formen und die Originalität, mit welcher dieser unendlich begabte
Meister den Instrumenten ganz wunderbare Geheimnisse entlockt.
Da ich aus dem Gedächtnisse urtheilcn muss, so beschränke ich mich
hier auf die Erwähnung des überaus derb lustigen Scherzo in C-dur,
das in dem Charakter eines Bauerntanzes sich sehr lange prestissimo
bewegt und welchem unmittelbar nach dem Schlüsse im jubelnden
Juchhe! das Trio in Des-dur, Adagio folgt. In diesem sind die
Klänge der Orgel, der Gesang der katholischen Kirche so unglaublich
schön und so unwiderstehlich deutlich gemalt, dass man vor Bewun-
derung gar nicht genug davon erzählen kann. In diesem Satze mo-
dulirt denn Schubert wieder so recht, wie es nur ihm gegeben war,
von Des-dur wieder in das Scherzo in C-dur presto hinein, dass man
nur Alle , welche sich einmal erquicken wollen , erinnern muss , sie
mögen eilen, sich das Werk vorspielen zu lassen. Die Ausführung
des sehr schweren Werkes war gar trefflich. Darf man denn nicht
dazwischen ausrufen: das sind eure Meister, ihr Deutschen! Sie dar-
ben oder werden erst lange, nachdem ihr kümmerliches Leben been-
det ist, anerkannt, während ihr eure Lorbeeren an Ausländer
opfert 1 Welche Zustände im Geschmack einer so herrlich von Gott
begabten Nation !
Es liegt mir nun noch ob, über eine Ausführung des „Messias"
zu berichten, welche in der Osterwoche unter Leitung des Hrn. Grund
in der Petrikirche Statt fand. Ich weiss indessen kaum Worte zu
finden , welche die Direktion des Herrn Grund und die grösstentheils
durch seine Schuld veranlasste Misshandlung des unsterblichen Wer-
kes nach Gebühr schildern können. Ich erinnere mich nicht, je eine
solche Behandlung dieser Composition gehört zu haben; denn wenn
in kleinen Orten oft Chor und Orchester beinahe winzig auftreten,
so sind doch für den sinnigen Hörer die Achtung, welche der Diri-
gent und alle Ausführende dem Werke erweisen , die wahrhaft wür-
devolle Begeisterung, mit welcher der Sinn und Charakter der Com-
position aufgefasst sind, ein fast vollständiger Ersatz für die fehlende
Grossartigkeit der äusseren Mittel. Dass bei der hier besprochenen
Ausführung die Kirche selbst den all erstumpf esten Klang bietet, dass
Frl. L. Scliloss, die treffliche Sängerin, stark erkältet, sich auf den
Vortrag von kaum dem dritten Theil ihrer Aufgabe beschränken
inusste , dass endlich Herr Dr. Garvens, welcher die Tenorsoli singen
solle, plötzlich erkrankte und ganz ausblieb — das Alles kann natür-
lich dem Dirigenten nicht angerechnet werden , wenn auch nicht zu
erklären ist, dass malt dann nicht sich an Herrn Reichardt wandte 1 .
Aber für die beispiellose Weise, in welcher der Dirigent das ganze
so ernste breit angelegte Werk abgehetzt hat, für die unglaublichen
Tempi, in welchen er unter anderen die Chöre: „O du die Wonne
verkündet", „Uns ist ein Kind lein heut' geboren", vorzüglich aber
das „Halleluja!" und das letzte „Amen!" hat singen lassen, ist es
Pflicht, ihn der Kunst gegenüber auf das Ernstlichsie verantwortlich
zu machen. Hier fällt die Schuld in vollster Ausdehnung auf ihn
ganz allein. Ich erfülle eine heilige Verpflichtung, den schärfsten
Tadel über ein solches Verfahren auszusprechen. Von jener eigent-
lichen höheren Bedeutung der Kunst, welche die Töne zu einem
Mittel der Gottverehrung gebraucht, welche dem würdigen Künstler
an der Spitze s o 1 ch e r Concerte einen Platz als Priester und Leh-
rer anweiset, ist bei Herrn Grund allerdings nie die Rede. Denn
Auffassung und Verständniss solcher Werke sind ihm nach allen
feineren und entscheidenderen Seiten hin versagt. Aber dass ein
Musikus von so vieler Praxis dasHalleluja und Amen und überhaupt
den ganzen Messias in solchen Galopp - Bewegungen herabjagen
könne, dafür fehlte mir bisher die Erfahrung. Ich bin überzeugt,
dass meine Erzählung nach allen Seiten von jedem kenntnissreichen
Hörer in Hamburg bestätigt werden wird. Begierig wäre ich zu er-
fahren, wie wohl die fremde Künstlerin, die unter Mendelssohns Lei-
tung so manches gesungen hat , über diese Aufführung geurtheilt
haben mag. Mit Bedauern habe ich empfunden, wie sehr eine solche
Darstellung des Werkes daliin wirken wird, es bei der Masse des
Publikums sehr bald von der Höhe des Ansehens herab zu stürzen,
auf welche wahrer Werth und ehrfurchtsvolle dankbare Liebe dreier
Geschlechter es gehoben und gehalten hatten.
Die Aufführung des Mozart'schen Requiems, welche am Charfrei-
tage im Stadttheater Statt fand, ist ein hors d'oeuvre, welches alle
Kritik entwaffnet. Der Platz, an welchem täglich die italienische
Oper und das Ballet auftritt, ist zu eigenthümlich, als dass es mög-
lich wäre, ernsten Tönen Bedeutung zu geben. Dazu Herr Barbieri
als Dirigent und Chöre, die, wenn auch sehr fest, denn doch nach
Zahl, Klang der Stimme, Auffassung durchaus das Gegentheil von
dem sind, was sie sein sollen — kurz: es ist nichts weiter darüber
zu sagen, als dass die Theaterdirektion einen Spielabend mehr im
Jahre zu benutzen sucht, wobei das Gesetz der Osterwoche ihr diese
Bussfertigkeit auferlegt. Ernst.
AUS LONDON.
(Monat April.)
Heute oben, morgen unten, das ist die Geschichte der Mensch-
heit und der Menschen, das ist der Inhalt des Lebens, ja das ist das
Leben selbst. Alles, was die Naturwissenschaften entdeckt haben,
(und abgesehen von allem „Tischrücken" bleibt immer noch ein Er-
kleckliches) , basirt sich auf das Oben und Unten; ohne Oben und
Unten kein Ganzes, und wenn wir erst in allen Dingen dieses Oben
und Unten gefunden haben, dann sind wir ganz — fertig, dann ist
die Komödie aus. — Die Wahrheit dieses Satzes werden wir schon
jetzt an einzelnen Individuen bestätigt finden. Da ist z. B. Lumley.
Es ist noch keine Frage , dass dieser Mann , welcher voriges Jahr
sehr bedeutend — oben war, in diesem Augenblick äusserst — un-
ten ist , und dass an ihm eben das Fertigsein auf eine glänzende
Weise zur Erscheinung kommt. Aber das ist die Macht der Mode,
dass sich der Mensch selbst in einem solchen Zustande ihr nicht ent-
ziehen kann. Die Mode reicht über das Grab hinaus; würde sich
wohl sonst gerade jetzt die Erscheinung der Geisterklqpfer erklären
lassen ? Und würde im entgegengesetzten Falle wohl Lumley , der
doch längst schon zu den „Todten" gehört, hie und da anklopfen
und um Einlass bitten? — Gewiss nicht; die Mode macht es, dass
Lumley, wenn auch wider Willen, ein Geist geworden ist, etwas,
was ihm nach der Meinung seiner Freunde bei Lebzeiten nie glücken
wollte. — Früher spukten die Geister, heute klopfen sie; in einem
Zeitalter des Materiellen ist dies am Ende natürlich. Und so klopft
denn Lumley und ängstigt die Leute und seinen ehemaligen Kollegen
Gye, Alle, Allp, mit dem Gedanken, er könnte wieder einziehen in
die Hallen des königlichen Theaters, die, beiläufig gesagt, in diesem
84
Augenblicke sehr schmutzig sind. Es ist öd and traurig dort, wo
einst das vollste Leben, die grösste Pracht, wo Ernst und Scherz
im heiteren Wechselspiel ihr Lager aufgeschlagen hatten 3 das ganze
Theater ist sorgfältig verschlossen, so dass nicht einmal die Luft
eindringen kann Dies soll übrigens immer gewesen sein, was schon
in dem bekannten Satze seine Begründung findet, dass allen Direk-
toren in jenen Räumen die Luft ausgegangen ist.
So weit Her majesty's theatre. Seine Geschichte bestätigt wie-
4er, dass zwei gleiche Grössen nicht neben einander sein können,
ojuie sich gegenseitig zu verschlingen. Es ist die alte Geschichte
von Du oder Ich ! Coventgarden oder Her majesty ! Die Majestät
ist zu Grunde gegangen; die City hat gesiegt, das Westend ist todt.
Die City, item die Aristokratie des Handels und der Bank, gemessen
denn auch ihren Triumph so recht con amore, sie füllt die Räume
des Coventgardens mit demselben Bewusstsein, das den Eigenthümer
beseelt, wenn er in sein Haus tritt. Die andere Aristokratie, die in
England ausser den Ahnen auch noch Besitz und sehr viel Intelligenz
hat, lächelt, nimmt ebenfalls Platz und beweisst dadurch, dass sie
auf der Höhe der Zeit steht. Und so vereinigt sich denn Alles, um
Gye comfortable zu machen. In der That, der Mann wird erst in
diesem Jahre erfahren, dass auch ein Theaterdirektor Comfort haben
kann. Ohne Concurrenz, ohne Zwang der Herren Artistes , die hin-
ter ihre Forderungen nicht mehr den Popanz Her majesty's theatre
stellen können, wird auch er es zu Stande bringen , was nach Mei-
nung der Bibelgläubigen eine Unmöglichkeit sein soll , nämlich dass
man wenig säen und doch viel ernten könne. Der Anfang ist schon
gemacht. Die Vorstellungen haben ohne Prima-Donna, ohne ersten
Tenor begonnen und waren doch voll. Und nun, da diese beiden
notwendigen Uebet, wie ein Neu-Aesthetiker sagen würde, angelangt
sind, ergibt sich was? Frau Grisi und Signor Mario. Es mögen
jetzt 12 Jahre her sein, dass ich diese Inseparables zum ersten Male
hörte. Damals standen sie auf dem Höhepunkte ihrer Kraft. Die
Höhe ist vergangen, die Kraft auch; es bleibt also uns noch der
Punkt, und was für einer ? Nun, umsonst handelt in der Sangeskunst
nicht ein Kapitel von Punktionen. Es ist keine Frage, dass beide
sich sehr gut conservirt haben, zumal Mario, dessen Passion es ist,
keine zu haben, und der Heber alles Andere thun würde, als nur
einen Augenblick der Methode untreu zu werden; aber was hilft alle
Methode gegen Meyerbeer'sche Musik, und Meyerbeer gehört in Co-
ventgarden auch unter die Propheten, die nicht blos musikalische,
sondern auch noch andere Noten bringen müssen. Seitdem Mario
und die Grisi Meyerbeer singen müssen, bringen sie in ihrer Stimme
das sichere Kennzeichen aller lebenden Sänger, die man erste nennt,
zu Gehör, nämlich die Fatigue, und dies mag auch wohl der Grund
sein, dass so viele fatiguirte Menschen sich berufen glauben, erste
Sänger zu werden. Und wiederum ist e» auch nur so zu erklären,
dass ein frisches Talent, das die Anfängerschaft hinter sich hat, auf
der heutigen Bühne eine Unmöglichkeit ist. Gye ist davon so lebhaft
durchdrungen, dass er gar nicht einmal den Versuch macht, neue
Menschen, neue Sachen zu bringen, er will nicht umsonst Gottvater
der ital. Oper in England sein, und desshalb sagt er ganz in Ueber-
einstimmung mit seinem Vorbilde : „Es bleibt Alles beim Alten 1" —
In der That, es ist bis jetzt auch recht hübsch beim Alten geblieben.
Da ist Mad. Castellane, die eine durchaus fertige Sängerin genannt
werden muss; Mamsell Bosio, die im vorigen Jahre zweite Parthieen
sang; Herr Tambcrlick, dem das Loos bevorsteht, auch bald ein
erster Sänger zu werden ; Herr Tagliafico, der zu jenen Glücklichen
in der Theaterwelt gehört, die nie etwas verderben können, weil sie
nichts zum Verderben bekommen , und Herr Formes , der der erste
dramatische Sänger hätte sein können , wenn in musikalischer und
auch in anderer Hinsicht eine ordentliche Durchbildung vorangegan-
gen wäre. Man sieht, es ist die alte Truppe, es sind die alten Men-
schen. Doch halt, Einer ist nicht da, Einer, der auch zu den ersten
Sängern — in den Zeitungen — gerechnet wurde: Herr Stigelli.
Dieser ausserordentliche Sänger ist für diese Saison nicht ge-
wonnen, ein Verlust, den Keiner mehr beklagen wird, als der Corre-
spondent der Augsburgerin. Wenn die Menschen alt sind, so werden
die Menschen nicht neu sein, und wäre es nur, um die allerletzten
Forschungen zu bewahrheiten, dass die Dinge auch ihr Menschliches
haben. Gye, -der den Einklang liebt und überdies nie vergisst , was
er dem Geiste der Zeit schuldig ist, würde sich selbst untreu werden,
wollte er alte Sänger und neue Opern an's Lampenlicht fördern'
„Es bleibt bei'm Alten 1" Lucrezia Borgia , die Puritaner , Wilhelm
Teil und der unvergessliche Barbier, das sind demnach die Brocken,
die von des Herrn Tische fallen. Nun, sie machen auch satt, die
Erfahrung lehrt's, die Gegenwart bestätigt es, und desshalb — „es
bleibt bei'm Alten 1'' Uebrigens kann man schwerlich all' diese alten
Geschichten irgend wo besser erzählen hören, als in Coventgarden-
Theatre. Die Sänger sind grau darin geworden, die genannten Opern
haben sich ihnen so an- und umgepasst , dass sie gleichsam damit
verwachsen sind. Wollte man den Sängern der Gegenwart die Opern
der letzten dreissig Jahre nehmen, so würde man ihnen das Herzblut
rauben, durch das sie leben und existiren. Genug darum, genug der
alten Welt und ihrer Kunst! Eine neue Welt strahlt uns entgegen,
ihr Gesandter ist bereits unterwegs. Es ist ein Schwan, der Gott
der neuen Welt. Doch denkt nicht an den Lohengrin'schen Schwan,
das ist ein alter weisser Schwan, über den die Leute schon vor
so und so viel hundert Jahren gespöttelt haben. Etwas Anderes ist
es mit einem schwarzen Schwan , so einer ist selten, fragt nur
die Naturforscher. Und so ein schwarzer Schwan ist im Anzüge,
Amerika, die neue Welt, sendet ihn uns. England ist voll Erwar-
tung , die Journalisten spitzen bereits die Feder , Herr Ella sperrt
schon im Voraus den Mund auf — Alles ist voll von diesem black
swan. Die schwarze Sängerin ist in aller Munde, Einige glauben
sie schon in der Tasche zu haben ; kurz , the black swan muss für
die entsetzliche Langeweile entschädigen, welche die musikalische
Kunst in diesem Jahre ausnahmsweise (1) zur Schau trägt. Die Sai-
son hat endlich ihre Löwin gefunden! Fatal.
NACHRICHTEN.
Leipzig« Frl. Ney hat ihr Gastspiel mit Agathe im „Frei-
schütz" geschlossen. — Frl. Engst vom Wiener Hofoperntheater
gastirte als Fides und gefiel sehr. — Von Mitte Mai an finden im
Stadtlheater nur noch vier Vorstellungen wöchentlich statt. An den
beiden andern Tagen wird in dem neugegründeten Sommertheater
(Possen und Vandevilles) gespielt.
Dessau. Das Leipziger Opernpersonal gab hier am 29. April
Boieldieu's „Weisse Dame". Veranlassung dazu war die Vermäh-
lungsfeier einer hiesigen Prinzessin.
Oratz. A. Dreyschock gab hier mehrere Concerte. — Der neu
berufene Kapellmeister Netzer hat seine Stelle bereits angetreten.
Am 28. März wurde „Montechi und Capuleti" unter seiner Direktion
gegeben. Derselbe wird von Juli ab auch die Direktorstelle am Con-
servatoriuni bekleiden.
Iiille« In dem letzten Concerte der Societe" Symphonique wurde
unter Anderem eine Sinfonie von dem hier lebenden jungen talent-
vollen Componisten E. Steinkühler aufgeführt, welche einen vollstän-
digen Succes hatte. Besonders zeichnet sich das Andante und ein
Menuett durch musikalische Schönheiten aus. Beide wurden lebhaft
applaudirt.
Y Ein lustiges Schriftchen mit Schellen und Narrenkappe, wel-
ches empfohlen zu werden verdient, ist:
Humoristischer Musik- und Theater-Kalender auf das Jahr 1853,
von Theodor Drobisch. Mit Illustrationen und 2 Originalcom-
positionen. Leipzig, 0. Spamer. 12' U Ngr.
„Tütt
Hört Musikanten und lasst Euch sagen :
'S hat zweiten Jahrgang vom Kalender geschlagen;
Der Preis ist der alte, erfüllt Eure Pflicht,
Damit meiner Kasse kein Schaden geschieht"
Sollen wir dem lustigen Kalendermanne einen Rath mit auf den
Weg geben, so ist es der, fürderhin noch mehr Witz und weniger
Verse zu bringen und noch dreister den lebenden sogenannten Grössen
auf den Leib zu rücken. Der harmlos-humoristische Bänkelsängerton
steht ihm oft sehr gut, z. B.
„Hier ruht Elias Braune,
Er blies die Bassposaune;
Der Tod blies aus sein Lebenslicht
Und — darum keine Feindschaft nicht l"
Verantwortlicher R«4aklenr : j. J, SCHOTT. - Brack tot REUTE* 4t WALLAD in Main*.
2. Jahrgang.
Mr. **.
30. Mai 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION HD VERLIG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
PREIS:
11. 2.
42 oder Thlr. 1.
18 Sgr.
für den Jahrgang
>
Durch die Post bezogen :
....
oder 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalts An J. Dürrner in Edinburgh. — Italienische Oper in Wien. — Corr. (Zürich). — Nachrichten,
AN J. DURRNER IN EDINBURGH.
Geehrter Herr! Unter der Fluth von kleinen und grossen, meisten-
teils leichten und leeren Compositionen, welche die Wellen der Zeit
im verflossenen Jahre uns zuführten, befanden sich auch sechs
Schottische Nationalgesänge, von Ihnen für 4 Männerstimmen arran-
girt und herausgegeben *). Ermüdet von der unerquicklichen Muster-
ung fast aller neuesten Producte , betrübt und erschreckt einerseits
über den wuthartigen Drang zur Compositum, andererseits über die
musikalische Unfruchtbarkeit, über die Unkeuschheit und Unklarheit,
welche Tausende neuer Werke kennzeichnet — erquickte mich der
klare, der bis auf den Grund durchsichtige Strom dieser Gesänge.
Genehmigen Sie daher diesen öffentlichen Ausdruck meines Dankes,
und schenken Sie folgenden Bemerkungen ein geneigtes Ohr.
Sie sagen : „Sollte diese Sammlung Anklang finden, so könnten
noch mehrere Hefte folgen. Mit dem Sammeln von englischen und
irischen Melodieen bin ich schon seit längerer Zeit beschäftigt, so
dass sich den schottischen Melodieen die von England und Irland
anreihen könnten." Geben Sie nur immer her und bereiten Sie fleissig
vor: was so tiefen Klanges ist, wird schon anklingen!
Sie sagen aber weiter: „Da ich während eines mehrjährigen
Aufenthaltes in Schottland Gelegenheit hatte, die schottische National-
musik näher kennen zu lernen, so glaube ich den Kunstfreunden
Deutschlands durch Mittheilung einer Anzahl der in Schottland all-
gemein beliebten Volkslieder eine gewiss willkommene Gabe zu
bieten. Um mich zu überzeugen, wie weit ich meine Aufgabe er-
reicht, Hess ich einige von diesen drei- und vierstimmig arrangirten
Gesängen in verschiedenen Kreisen in Edinburgh singen, — ich wurde
nach den ersten Versuchen so ermuntert, dass ich gegenwärtig fast
die meisten von den bekannten Melodieen bearbeitet habe." Hier
kommt mir mein erstes Bedenken : Sic wollen also alle Gesänge für
4 Männerstimmen bearbeitet herausgeben ? Sagen Sie, Verefirtester,
wie weit würden Sie dann mit Ihrer Publikation kommen? Für 6
schottische Liedchen 1 '/, Thlr., also noch keine fünfzig für 10 Thlr.,
das ist zu englisch, das kann der Deutsche nicht gut machen. Aber
der Sache, glaube ich, schaden Sie dadurch noch mehr, als unserer
Kasse — aus zwei Gründen. Einmal werden wir dadurch nur bruch-
stückweise und in langen Unterbrechungen mit diesen Gesängen be-
kannt, und zweitens ist ihnen durch die Harmonisirung für den Män-
nerchor Gewalt angethan. Ich nehme mir die Freiheit, offen *zu sein,
und sage daher : wollte man absichtlich die Eigenartigkeit dieser
schottischen (und aller) Volksgesänge verwischen und wie des Berg-
stroms Welle in dem weiten Meere der kunstm&ssigen Musik spur-
los verschwinden lassen, so wüsste ich kein besseres Mittel als das
*) Sechs schottische Nationalgesänge mit deutschem und eng-
lischem Text für vier Männerstimmen eingerichtet , mit Notizen ver-
sehen und den deutschen Liedertafeln gewidmet von J. Dürrner.
Leipzig, 1862. Breitköpf und Härtel. Partitur und Stimmen = l'l»
Rthlr.
von Ihnen angewandte. Ganz besonders gehört anch zum Charakter
der Volksgesänge, dass sie nur gezwungen eine Mehrstimmigkeit im
Sinne unserer kunstmässigen Musik ertragen; gar im vierstimmigen
Männergesange bewegen sie sich wie marschirende Soldaten. Ihre
harmonische Auffassung ist treu und sinnig, und doch hat sie im
Grunde keinen andern Eindruck bei mir hervorgebracht. Wir haben
in Deutschland die Zeit, in welcher jedes zarte Lied für den Männer-
gesang geplündert wurde , schon hinter uns ; wer bei uns jetzt als
ein kundiger Mann ein musikalisches Interesse, an den Klängen des
Volksgesangs sich bewahrt hat, der will zunächst sie selbst in un-
getrübter Reinheit sehen, die ursprünglichen Sprachlaute tragend,
und wenn möglich in den Umgebungen des Bodens, des Volkes, der
begleitenden Instrumente, überhaupt aller der Bedingungen, unter de-
nen sie entstanden sind und fortleben — mit andern Worten: unser
Interesse will jetzt nicht ausschliesslich oder zuvörderst musikalischen
Genuss, sondern musikalische Erkenntniss, es ist nicht mehr roman-
tisch, sondern wissenschaftlich.
Sie aber neigen noch stark zu den Romantikern hin. Hierauf
deutet schon das Wort von R. Schumann, welches Sie Ihrer „Vor-
bemerkung" voransetzten: „Höre fleissig auf alle Volkslieder, sie
sind eine Fundgrube der schönsten Melodieen und öffnen Dir den
Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen." Aehnliches
hat man bei uns schon bis zum Ueberdrusse gehört; und doch er-
schliessen diese Gesänge uns den Nationalcharakter erst im dritten
Grade, und die schönen Melodieen sind im Volksgesange wirklich
so häufig nicht , als man meint. Dagegen ist jeder dieser Gesänge,
auch der dürftigste, sprachlich die Offenbarung des Tonorganes
in seiner Eigenthümlichkeit, musikalisch der Anfang der Melodie-
bildung, und dann meinetwegen drittens auch noch ein Fingerzeig
für die Erkenntniss des Volkscharakters.
Dieses angewandt auf eine treue Edition bestimmter Volksge-
sänge, so würden an dieselbe folgende Forderungen gemacht werden
müssen:
Sie zeichne die Gesänge in der Tonhöhe auf, in welcher sie ge-
meiniglich gesungen werden, füge die Begleitung bei, welche
sich wie von selbst gebildet (und die nie consequent kunstmässig
harmonisch ist), oder eine Beschreibung derselben und der In-
strumente, ebenfalls historische und andere Notizen, deutsche
Worte unter dem ursprünglichen Texte, — und suche besonders
dadurch ein bestimmtes Gebiet (z. B. den schottisch-irisch-eng«,
tischen Volksgesang) zu erschöpfen, dass jede Eigenthümlichkeit
aufgezeichnet und in den heimischen Sprachlauten zu begründen,
oder aus den Anfängen der Melodiebildung zu erklären gesucht
wird. *)
*) Im letzten Grunde ist das Wesen des Volksgesanges zu er-
klären aus der Art des Volksgeistes, wie dieser in der gesammten
Kunst sich ausspricht. Hier gewahrt man oft eine einseitige Neigung
zu einer besonderen Kunst hin, wie in dieser Hinsicht z« B.im Bfor-
genlande die Musik gegenüber der machtvoll hervorgetretenen Poesie
verkümmerte. Doch dieser Gesichtspunkt kann zunächst bei einem
— 86
Neigung und Befähigung zu solcher Arbeit scheint Ihnen, nach
Ihren den 6 Gesängen beigefügten Notizen zu urtheilcn, in hohem Grade
verliehen zu sein. Ich für mein Theil gebe die Vierstimmigkeit von
6 mal 10 Gesängen gerne preis für Ihre folgende Bemerkung zu Nr.
2: „Eine Eigentümlichkeit der schottischen Nationalmusik ist der
„Scots catch" oder „snap" wie Dr. Burney ihn nennt. Er besteht
aus 2 Noten, wovon die ersterc die kürzere ist. Beide werden auf
eine Silbe, z. B.
O my
oder auch getrennt
: |1
t
my Kit-ty was the
gesungen. Die zweite Art von „Scots catch" ist für deutsche Wörter
selten anwendbar, und ich habe deshalb leider an einigen Stellen in
diesem Licde diese rhytmische Bewegung der Melodie umändern
müssen, weil es doch gar zu komisch klingen würde, wenn ein gan-
zer Chor z. B. singen wollte:
ü^
schön - stc
Für diejenigen, welche die Originalwortc zu singen wünschen, füge
ich unten die Melodie ganz correkt bei/'
In dieser werthvollen Mittheilung beweisen Sie ^tatsächlich, dass
ich mit meinen obigen Bemerkungen im Rechte bin, sowohl was
Ihren Standpunkt, als was die gefährdete Treue der Volkslieder durch
Arrangement und Ucbertragung nach den Gesetzen des Geschmackes
betrifft.
Ich bedaure, dass es Ihnen nicht gefallen, auch über die Eigen-
tümlichkeit in der Mclodiebewegung ein Wort zu sagen. Mir ist
in dieser Beziehung besonders der Melodicschritt von der Sexte in
die Octave aufgefallen, der in diesen Gesängen oft wiederkehrt (z.
B. in dem kräftigen Gesänge Nr. 5, im zweiten Takte); eben dieser
um so mehr, als er mehr allgemeineren Gesetzen unterworfen scheint,
als die von Ihnen hervorgehobene rhythmische Stossbcweguug, denn
er findet sich vielfach in den kirchlichen Gesängen im Mittelalter,
besonders in den Cadenzcn, wo man die aus der Sexte in die Octave
für wohlklingender hielt, als die uns geläufige aus der Septime in
die Octave. Dass diese Erscheinung auf einem Gesetze beruhe, kann
nachgewiesen werden und wird hoffentlich bald seine Erklärung fin-
den : wie wichtig ist es da, ihre Verbreitung annähernd sicher fest-
gestellt zu wissen! Und so wird sich noch Vieles finden lassen: der
scheinbare Wechsel des Rhythmus , des Taktes , der Tonarten , die
Mollbcwegung, das längere ruhende Aushallen bestimmter Intervalle
(der Quinte, Sccundc und Sexte) u. dgl. mehr.
Keineswegs meine ich, dass man sich nicht mehr vergnügen
solle an diesen harmlosen Gesängen : sie sind aus Freud und Leid ge-
boren und werden stets die Freude haben, das Leid lindern zu kön-
nen. Nur möge man, was die Hauptsache und bei dem jetzigen Zu-
stande der musikalischen Wissenschaften so nöthig ist, auch haupt-
sächlich ins Auge fassen. Sie, geehrter Herr, würden sich ein grosses
Verdienst erwerben, wenn Sie eine Gesammtausgabe der schottischen,
irischen und englischen Gesänge vorbereiten und in dieser Alles nie-
derlegen wollten, was den Gegenstand aufzuklären dient, besonders
auch Mittheilungen über die Originaltexte und die beliebtesten und
häufigsten Strophcnmaasse. Dann könnte uns ein massiger Band
das Ganze auf einmal und für einen geringen Preis nahe bringen ; denn
der berühmte Verleger Ihrer 6 Gesänge würde sicherlich das Werk
mit derselben soliden Schönheit und Oekonomie herstellen lassen,
welche wir neuerdings an Werken von Tucher, Winterfeld und an-
deren bewundert haben.
Auf Wiedersehen ! c h s.
Anmerkung. Dem Leser dieser Blätter folgende kurze Mit-
theilung über den Inhalt des obigen Heftes. Nr. 1. ,.Die Blumen
vom Walde" > weich und zart wie die „letzte Rose", ein Lieb-
einzelnen Gebiete des Volksgesanges um so weniger in Betracht
kommen, weil er in seiner Bedeutung im Allgemeinen bisher noch
nicht genauer bestimmt ist. Ueber diesen letzten und mit Recht
künstlerisch zu nennenden Grund wird in dieser Zeitschrift und
anderswo bald ausführlicher die Rede sein.
lingslied Mendelssohns, wie der Herausgeber uns berichtet. —
Nr. 2. „Das Mädohcn von Gawrie". — Nr. 3. „John Anderson
mein Lieb" , ein alter und schöner Gesang von eigentümlicher
Melodieführung. — Nr. 4. „The bluc Beils of Scotland". —
Nr. 5. „Schotten, deren edles Blut", ein prächtiger Schlachlhym-
nus. — Nr. 6. „Schwarz ist die Nacht, der Weg so weit", ein
echt kosmopolitischer Gesang, nachweislich von einem Deutschen
mit französischem Namen (J. E. Gaillard, 1687 geb., •{• 1749 in
London), der in England lebte und dessen Lied hier volkstüm-
lich geworden.
ITALIENISCHE OPER IN WIEN.
Es ist eine schwierige Aufgabe, einen Bericht über die italieni-
sche Oper der heurigen Stagione zu schreiben, ohne das im vorigen
Jahre Gesagte zu wiederholen; denn nicht nur, dass dieselben
Opern von denselben Sängern vorgetragen werden, so haben sich
auch die Letzteren so wenig gegen früher geändert, dass der Unter-
schied vom vorigen Jahre von keiner grossen Bedeutung ist. Die
neuen Opcrnmitglicdcr aber, welche in diesem Jahre der Gesell-
schaft zugewachsen, sind in ihren Leistungen keineswegs so vorzüg-
lich, um den entfernten Leser auf sie aufmerksam machen zu sollen,
und in ihm den Wunsch anzuregen, sie einmal zu hören.
In Bezug auf das heurige Opcrnrepertoir finden wir wieder Hrn,
Verdi obenan , und auch Herrn Ricci wieder ; dann wird Donizctli
ausgebeutet, Bcllini's „Norma" für die Prima-Donna, und für die
Kenner der Klassiker Rossini gebracht; Alles so wie jm vorigen
Jahre. — Es hat eine Zeit gegeben, wo ich mit Bcrscrkerwuth über
die neuen Erzeugnisse Donizetti's hergefallen, wo ich mein deutsches
Schwert gegen den fremden Eindringling gezogen, wo ich die frivole
Richtung dieser Musik verdammte und dieser Melodien - Tändelei,
dieser Gefühlsheuchclci offen den Krieg erklärte , und gegen
diese Richtung in der Musik als Geschraackvcrdcrbniss auf offenem
Markte predigte; es gab eine Zeit, wo mir Donizetti, ohne dass ich
sein ursprüngliches Talent ableugnete, so tief zu stehen schien gegen
alle Coniponistcu von Gesinnung, dass ich mir einen lieferen Grad
gesunkener Geschmacksrichtung gar nicht denken konnte, — und
j etzt erscheint mir in der trostlosen Wüste moderner italienischer
Opcr-Composition eine Donizclti'sche Oper als eine erquickende
Oase! Welch' ein Reichthum an Melodie ist aber auch in einer
solchen zu finden gegen den Melodien-Bankerott der HM. Verdi und
Consortcn, welche Ursprünglichkcit der Erfindung, welche Naivctät
und Natürlichkeit, welche Oekonomie und Geschmackskcnnlniss in
der Instrumentirung ? ! — Man möchte an sich selbst , an seiner Ge-
schmacksrichtung und an seinem Kunsturtheilc irre werden. Wie
tief muss das Thermometer unserer Beurlhcilung gesunken sein , um
an den italienischen Tages-Componisten noch irgend Etwas bewundern
zu können! Jetzt zweifle ich nicht mehr, dass bei der allmälig um
sich greifenden Oberflächlichkeit und Gescümacksverderbniss noch
eine Zeit kommen wird, wo man Verdi für einen Klassiker an-
erkennt ! — Lieber Gott, lass mich diese Zeit nicht erleben !
Die italienische Opernsaison brachte also wieder: „Semiramide"
von Rossini, „Paulina e Poliuto" von Donizetti, eine erneuerte Be-
kanntschaft; wir hatten diese Oper als „die Römer in Mclitour"
längst vergessen; „L'Italiana in Algcri" und „Barbier von Sevilla"
von Rossini, „Lucia" und „Lucrezia" von Donizetti, „Norma" von
Bellini, „Don Pasquale" und „Linda" von Donizetti, „Wilhelm Teil"
von Rossini, endlich die beliebte „Rigolello" von Verdi in mehrfa-
chen Wiederholungen, Ricci's „II marito e l'aniante". Nicht eine
einzige Novität !
Unter dem Opernpersonale fanden sich wieder die Autoritäten
der vorjährigen Saison : Mad. Medori, welche von ihrer Vortrefflich-
keit in Spiel und Gesang nichts eingebüsst — schade, dass sie durch
den Mangel ausreichender Gesangskräfte heuer in Partien auftreten
musste, die ihrer Kunstindividualität nicht zusagen, wie z. B. als
Nerina in Don Pasquale — , Frl. Marray, liebenswürdig wie immer,
Frl. D e m e r i c, Alto , Herr D e b a s s i n i , eine chevalereske Er-
scheinung, gewandt in Spiel und Vortrag; seine Stimme schien mir
noch gegen voriges Jahr an Kraft und Fülle gewonnen zu haben,
während Herr Fraschini durch sein Forciren die Stimme in der
— 87 —
höheren Lage bereits so abnützte, dass er jetzt ohne Force nicht
leicht auslangt , Herr B o n ch e, Herr F e r r i, Herr S c a I e s e mit
seiner unversiegbaren Laune und Volubilität der Stimme , die als
Muster aufgestellt werden kann; seine Darstellung im Don Pasqualc
und in der Linda sind ausgezeichnet, Herr Mitrovich, der sich im
Distoniren ganz consequent geblieben. Unter den Neuvorgeführten
haben wir einen Bekannten aus alter Zeit , Herrn Q u a s c o gefun-
den; er ist ein Schatten, der uns nur an die Vergangenheit erin-
nert und flösst mehr Mitleid als Thcilnahme ein. Neu sind Frau
Olivi-Vetturi, unbedeutend an Stimme und künstlerischer Aus-
bildung, Frl. Berlrand, eine Altistin mit wenig Stimme, Hr. Bozetti
mit wenig Stimme und noch weniger Vortrag , Frl. P o z z i , eine
Anfängerin, Herr Evcrardo, ein Bariton mit schönen Mitteln und
einer guten Schulbildung, von dem sich für die Folge noch Besseres
erwarten lässt, Herr Stccchi, Tenor, und Herr Graziani, Bariton.
Bei der Aufführung der „Italienerin in Algier" mussten wir auch
erleben, dass deutsche Sänger minor um gentium in Hauplparthicen
cingeschwärzt wurden, was sie aber, wie ein Herr Radi, durch den
Unwillen des Publikums schwer büssen mussten.
Der Besuch der italienischen Opcrnvorstellungcn ist diesmal im
Ganzen weniger zahlreich als im vergangenen Jahre, der Beifall hin-
gegen u n g c in c s s c n wie in einer italienischen Stagione gewöhnlich.
Grosso Thcilnahme findet heuer das Ballet, über dessen Vortreff-
lichkeit ich Ihnen leider nichts berichten kann , weil ich bis jetzt
noch keiner Vorstellung beigewohnt habe. Die Saison neigt sich
ihrem Ende zu, die schönen Frühlingstage, so sparsam sie uns auch
noch zugemessen sind, locken die Städter nach langer Haft hinaus
ins Freie.
-■ -**i 6 >c<" — -
CORRESPONDENZEN.
AUS ZÜRICH.
(Ende Mai.)
Am 18. d. Mts. fand im hiesigen Theater eine von der „All-
gemeinen Musikgcsellschafl" , veranstaltete grossartige Musikauffüh-
rung statt, indem unter des Componistcn eigener Leitung Bruchstücke
aus den bekannten Opern Richard Wagners conccrlmässig vorge-
tragen wurden. Die Vorbereitungen zu diesem seltenen Unternehmen
waren ausserordentlich und mussten es sein , sie gelangen aber
vollkommen. Orchester und Chor mussten erst geschaffen und
die meisten Mitglieder des Ersteren aus weiterer und näherer Ferne
herbeigerufen werden. Die Mittel dazu wurden durch ziemlich hohe
Subscriplionen , grösstenteils in Zürich selbst gezeichnet, gedeckt,
wo R. Wagner sehr viele Freunde zählt, das Orchester ward dadurch
ein ganz vollständiges, viele virtuose Tonkünstler erschienen unter
den Solisten; es waren gegen 40 Violinen und Violen, die Contra-
bässe 5fach, die Cellos, irren wir nicht, 8fach besetzt ; die Besetzung
der Blcchipstrumentc war eine 4fache, während die der Holzblasin-
strumente, wie im Lohcngrin und nach Wagners neuer Idee erfor-
derlich, eine 3fache war. Endlich war neben der Janitscharenmusik
auch das Tambourin, sowie die Harfe vorhanden. Der Chor war
etwa hundert Stimmen, oder richtiger Personen stark, denn die weib-
lichen Stimmen waren oft so zaghaft und unsicher , dass man statt
40 keine vier zu hören glaubte. Freilich waren die Damen lediglich
zu dieser Aufführung erst zusammengetreten , während die Sänger
entweder den beiden hiesigen Gesangvereinen , „ Harmonie " und
„Stadt Zürich" oder dem früheren Theater angehörten, und also für
den Zweck eingeschult waren. Das Orchester leistete, den wenigen
möglich gewesenen Gesamrntprobcu gegenüber, Ausgezeichnetes und
man wusstc, was die Ausführung anlangt, in der That nicht, ob man
mehr Wagners unbestrittenes Fcldherrntalcnt oder seiner Truppen
strenge Subordination bewundern sollte. — An zwei folgenden Ta-
gen fanden Wiederholungen sämmtlicher Aufführungen, aber vor
fibervollem Hause und unter auf das Höchste gesteigerten Beifalls-
bezeugungen statt, von denen jedoch wahrscheinlich kein geringer
Theil zun&chst den hier in d e r Weise noch nie vereinigt gewesenen
Kräften der Ausführenden galt.
Den ersten Theil des Programms füllten Bruchstücke aus dem
„Fliegenden Holländer", den zweiten, aus „Tannhäuser": jene waren:
die „Ballade" (Sopran mit Chor) , der „Matrosenchor" (Trinklied)
und die Ouvertüre; diese bestanden ebenfalls aus der Ouvertüre,
dem Anfang des 2. Aktes (1. Scene, Chor, in der Festhalte der
Wartburg) und der Introduction nebst dem Pilgerchor des 3. Aktes.
— An der Wahl dieser Nummern wäre nichts zu tadeln, nur Hesse
sich dagegen , dass überhaupt ausgewählt wurde, mit
Wagners eigenen Worten der Bannstrabl schleudern , denn wunder-
lich ist und bleibt es , dass er in einer wohlbekannten Schrift
entschieden gegen die brockenweise Vorführung einzelner Theile
seiner Opern, zu concertmässiger Unterhaltung, protestirt, „weil diese
nimmer zu einem richtigen Verständniss füllten würde." Indessen
hat er nun diesen argen Verstoss — wie oft im Leben handelt ja
der Lehrer seinen Satzungen selbst zuwider! — dadurch wieder
etwas gut zu machen gesucht, dass er nicht nur zu den vorkommen-
den Gesangtexten commentirende Programme geschrieben , sondern
auch noch sich selbst der Mühe unterzogen hatte , einige Tage vor
der Aufführung die Texte aller drei Opern vorzulesen , welche
schwierige Aufgabe er übrigens in acht künstlerischer Weise , mit
wahrhaft dramatischer Wirkung löste.
Die Musik des Holländers ist so voll innerer Düsterheit und
äusserer Unklarheit , die Dichtung so arm und undramatisch , die
Phantasie so in das enge Gebiet der eigenen Anschauung einge-
zwängt, dass sie wohl jeder Unbefangene dem noch gährenden jungen
Weine glcichachtcn wird. Vergleicht man sie aber erst, wie es hier
ja geboten war, mit den nachfolgenden Werken des Künstlers, so
wird ihr die Bezeichnung als erster und gescheiterter Versuch nicht
entgehen können. In einer stimmwidrig gesetzten Ballade , einem
wildjubelndcn Trinklicdc, namentlich aber in dem acht französischen
Mosaikgebilile, einer Ouvertüre voll der schreiendsten und schroffsten
Conlraste , wird Niemand und wohl auch der Komponist selbst
nicht, der ja später jede Tonmalerei von bestimmten Zuständen als
Gcschmackssündc hingestellt hat, Spuren eines Kunstwerkes zu fin-
den vermeinen. Was insbesondere die Wirkung der Ouvertüre auf
Ohr und Nerven anlangt , so weiss der gebildete Hörer in der That
nicht, ob er die ihm zuletzt allein übrig bleibende Betäubung der
Schärfe der gehäuften Dissonanzen oder der langen Dauer dieser
Toninassen zuschreiben soll.
Im „Tannhäuscr" findet man dagegen manche schöne Oase, auf
der man wieder Athem schöpfen kann und Kraft und Lust gewinnt,
auf die nun zugänglichere Phantasie des Dichtcr-Componistcn einzu-
gehen. Den wohlthuendsten Eindruck machte auf uns die schöne
Scene des zweiten Aktes mit ihren hrcitstrahlcndcn , durch die In-
strumentation so farbenreichen Melodien , mit ihrer Bestimmtheit
und Grazie des Ausdrucks, mit ihrem maassvollen Innehalten der
Tragweite der Gesangorgane. Mit steigendem Interesse horchte man
ferner dem einleitenden Vorspiele , welches die Vorgänge , die
zwischen den 2. und 3. Akt fallen, so lebendig und treu schildert,
in der Keckheit der Conturcn jedoch noch allzu lebhaft an Bcrlioz
erinnernd. Auch spannt die übergrossc Länge — ein Ucbermaass
von Tugend, das Wagner sogar noch im Lohcngrin innezuwohnen
scheint — am Ende doch ab und lähmt die Theilnahme für den
nachfolgenden Chor, zumal 'dieser wieder in der Stimmung tiefster
Andacht schwebt. Die Ouvertüre ward bis auf die höchst schwie-
rige Verbindung der beiden ^egenseillichen Hauptmotive äusserst
brav ausgeführt und mag als ein Werk der scharfsinnigsten Combi-
nation und der üppigsten Farben genug Bewunderung ernten; als
eine Frucht edler , dichterischer Conccption vermöchten wir aber
diesen ungebundenen Ausdruck eines zügellosen, wahnsinnigen
Taumels nicht zu bezeichnen.
Mit Freuden dagegen wenden wir uns der Besprechung des 3,
Theiles der Aufführung zu, welcher drei Nummern des „Lohengrin"
brachte, Sätze, welche unbedingt die hervorstrahlcnden Glanzpunkte
des Concertes bildeten. Sind sie , wie wir gerne glauben , eben-
bürtig den anderen Theilcn dieser Oper, dann ist dieselbe mit
Recht ein Meisterwerk genannt worden. Das als Ouvertüre die-
nende Orchestervorspiel macht einen tiefen, nachhaltigen Eindruck.
Schöner als in dieser Weise, kann das Reich des Wunderbaren und
doch Menschenverwandten , l^aum angedeutet werden , und was in
Gedaukcn wie Formen hierin von einem Weber, Mendelssohn u. A.
versucht worden , wird hier überaus glücklich benutzt und weiter
«c
88 —
St. Johann und Saarbrücken. Aus dem von der hiesigen
Liedertafel beabsichtigten Gesangfest während der verflossenen Pfiugst-
tage ist leider nichts geworden. Die Polizei verlangte die Aus-
schliessung mehrerer auswärtigen^ Vereine und Persönlichkeiten. Unter
solchen Umständen zog man vor, den Plan fallen zu lassen.
Frankfurt» Ander hat sein Gastspiel als Stradelia geschlos-
sen und wurde am Abend desselben Tages mit einer Serenade be-
grösst. — Der Baritonist Nolden aus Gotha gab mehrere Gastrollen
und obgleich er als Nachfolger Becks einen schweren Stand hatte,
erwarb er sich doch Beifall. Gegenwärtig gastirt der Baritonist
Meinhardt von Braunschweig. — Seit dem 1. Mai ist als 2ter Musik-
direktor Componist Goltermann angestellt worden.
Wiesbaden« Die Sommersaison hat ihren Anfang genommen.
Die Oper brachte „Prophet" mit Frau Behrendt-Brandt als Fides und
Hrn. Wachtel von Darmstadt als Johann, und Hrn. Schiffbenker von
Mainz als Zacharias, „Ernani" und „Tannhäuser." Die Auffuhrung
der beiden ersten Opern war nicht vorzüglich zu nennen. Ernani,
das lärmende und schönheitsarme „Chef d'Oeuvre" Verdi's kann auch
hier keine Proselyten für die neuitalienische Musik machen. — Frl.
Storck ist von ihrem Debüt in Stuttgart zurückgekehrt. — Herr Haas
ist leider so bedeutend erkrankt, dass sein nächstes Auftreten wohl
schwerlich vor Winter erwartet werden darf.
Oöln. Vor Kurzem hat der hiesige Schriftsteller Hr. Hensler
ein Literatur-Geschäftsbureau gegründet, welches den Zweck hat,
Schriftstellern und Componisten das Suchen nach Verlegern zu er-
sparen, in ihrem Auftrage alle Verhandlungen zu führen und die
Contrakte abzuschli'essen, natürlich gegen eine Provision von Ä — 10
Proc, Die Rhein. Musikztg. nennt dies Institut „zeitgemäss" und wir
stimmen ihr darin vollkommen bei. Denn noch zu keiner Zeit gab
es ao viele Schriftsteller und Componisten , die trotz allem Suchen
keine Verleger (honorirende versteht sich) finden konnten. Wie er»
wünscht muss solchen dies Institut sein 1
fortgeführt. Der Zuhörer wird von dieser hochgespannten , harmo- |
nisch-kühnen, und doch nicht verwegenen , dabei aber in instrumen-
taler Hinsicht reizenden Durchführung der einfachen, melismatischen
Motive mit einem wahrhaften Zauber umsponnen, während ihm der
Höhepunkt des Ganzen , das Herabsinken des Gralmotivs in die
tieferen Instrumente , beim Anschwellen der Begleitung im Fortissi-
mo, die Gewissheit gibt, dass ihm im Drama doch auch noch das
Menschenleben vorgeführt werden wird. Etwas auffallend ist nur
die überaus lange Dauer der Ausspinnung dieser Gedanken bei
immer gleich langsam bleibender Bewegung. — Die beiden andern
Bruchstöcke waren: die Scene im Schlosshofe zu Anfang des 2.
Aktes (Chor mit Recitativ, sowie Brautzug) und die Brautchöre nebst
dem Orchesterspiele dazu. Diese Stücke verdienen schon für sich
allein die Bezeichnung ächter Kunstwerke , wäien ihnen auch die
übrigen Ensembles der Oper sowie die Solopartieen nicht ähnlich.
Hier ist durchweg voll und frei fliessende Melodie, ebenso edel
und frisch, wie sie den Meistern vergangener Zeiten entflossen, aber,
in der That, von einem Ergüsse, der auf eine weit ergiebigere Quelle
deutet, als sie Wagners frühere Opern mit ihren Zerrissenheiten er-
kennen liessen. Hier ist durchweg eine plastische und durchsich-
tige, kraftvolle und nur selten den Wohlklang hemmende Harmonie-
führung : hier jene mit Recht besonders hervorgehobene , überaus
glänzende und überraschende, jedoch überall maass- und geschmack-
volle Instrumentation. Endlich aber, was wohl zu berichten, lässt
sich auch noch eine rücksichtsvollere Behandlung der Gesangpar-
tieen, wenigstens im Tutti bemerken, obwohl nicht zu leugnen ist,
dass ein tüchtiges Orchester in dieser Opergattung wohl immer
den ersten Preis davon tragen wird.
Wenn übrigens die Theiloahme unseres Publikums für diese
Aufführungen eine aufrichtige und tiefere, und mehr als eine Huldi-
gung an das Neue ist, so wollen wir hoffen, dass sie sich auch
weiter werde geltend machen.
Bis jetzt huldigte es gar zu sehr dem Oberflächlichen und der
Model
NACHRICHTEN.
Stuttgart. Frau Stradiot-Mende und Herr Schüttky, beide vom
Hamburger Stadttheater, gastiren hier, erstere auf Engagement. —
„Hans Heiling" von Marschner sollte in dieser Saison zum ersten
Male aufgeführt werden (für unsere Hofbühne sehr bezeichnend!),
musste aber wieder verschoben werden, da Mad. Marlow unwohl
wurde und Pischeck seit dem 1. Mai seinen viermonatlichen Urlaub
antrat. Mad. Marlow tritt ihr Wiener Engagement am 1. Juni an,
indessen hofft man, sie bald wieder hier zu haben.
Berlin. Meyer beer ist für die bevorstehende Vermählungs-
feier der Prinzessin Anna mit der Composition eines „Fackeltanzes"
beauftragt worden. Als Festoper ist „Iphigenie in Tauris" von Gluck
erwählt worden. — Am 8. d. wurde in der Friedenskirche in Pots-
dam vom Domchore eine neue Composition Meyerbeer's : „der 91ste
Psalm" achtstimmig für 2 Chöre und Solostimmen aufgeführt, welche
von dem König selbst verlangt worden war. — Die Gebr. Stahl-
knecht und Herr Löschhorn, das bekannte treffliche Terzett, sind von
ihrer russischen Reise mit Geld und Ehren zurückgekehrt. Beides
wird ihnen zu Statten kommen, da der Sommer mit seinen unent-
geldlichen Natur-Concerten vor der Thüre ist.
Stettin. Vor Kurzem wurde hier „Giralda" von Adam mit
sehr günstigem Erfolg gegeben. Die leichten und gefälligen, in Tanz-
rhythmen sich bewegenden Figuren, die sich oft wiederholen, aber
ohne zu ermüden; die harmlosen fröhlichen Chöre und Ensemble-
stücke, die weniger durch die Kunst und die Tiefe der Composition
sich auszeichnen, aber durch die pikante und naive Galanterie, durch
Einfachheit und Verständlichkeit der Musik erheitern : kurz alle Vor-
züge der leichteren französischen Oper und vor Allem der Werke
des Componisten des „Postillon von Lonjumeau" traten bei der Auf-
führung nach der Th. H. hervor und sicherten der Oper reichen
Beifall.
Königsberg« „Die lustigen Weiber von Windsor" von Nicolai,
welche hier von Herrn Ueberhorst mit bedeutenden Kürzungen in
Scene gesetzt worden ist, so dass sie nach der Th. Ch. eine ganze
Stunde früher endet, als in Berlin , hat sehr gefallen und ist bereits
4mal wiederholt worden.
Hannover. Ander ist hier für einen zweiten GastroIIencyclus,
aus 6 Vorstellungen bestehend, engagirt worden. Die erste Gastvor-
stellung sollte bereits am 20. ds. stattfinden.
München« Der fortwährend gesteigerte Unwille über die
schlechte Leitung des königl. Conservatoriums , welche dem Institute
bereits einige seiner besten Lehrer gekostet hat, scheint endlich das
nachsichtige Ministerium des Innern aufgeweckt zu haben.. Dasselbe
hat eine Commission zur Untersuchung der Zustände des Conserva-
toriums niedergesetzt, welche bereits in voller Thätigkeit ist. Man
ist auf das Resultat äusserst gespannt. Am 5. Mai wurde in der
Ludwigskirche eine Messe von M. Nagiller (früher in Paris) aufge-
führt.
London. Nach dem Ecco d'Italia haben Mad. Grisi und der
Tenorist Mario durch ihren Agenten einen Contrakt mit einem ge-
wissen M. Hackett abgeschlossen, in welchem sie sich verbindlich
machen, bei der Eröffnung des neuen italienischen Theaters in New-
York mitzuwirken. JuIIien ist mit den „Vorbereitungen seiner Ab-
reise" ebenfalls nach dem gelobten Lande der Dollars beschäftigt.
„Ja, das Gold ist nicht Chimäre !"
Paris* Gueymard ist von Lyon zurückgekehrt und trat bereits
als Robert auf. — Einer der Nestoren der französischen Oper, der
berühmte Bassist Levasseur verlässt die Bühne. In den letzten Ta-
gen des Mai wird seine Abgangs- und Benefiz- Vorstellung stattfinden,
bei welcher ihn die besten Kräfte der Oper unterstützen werden. —
Die Fronde von Niedermayer ist entschieden durchgefallen. Dage-
gen werden „Tonelli" von Thomas und „Le Roi des Halles" von
Adam stets unter gleichem Zudrang wiederholt. — Die Qpera Co-
mique wie das Theatre lyrique schliessen im Juni, ersteres nur auf
vierzehn Tage , letzteres aber auf drei Monate. — Die neue k o -
mische Oper von Halevy kommt deshalb erst Anfang Juli zur
Aufführung. — Die italienische Oper hat ihre Hallen bereits ge-
schlossen und ihre Mitglieder haben sich zerstreut. Die meisten sind
nach Lyon , zu der Ital. Truppe , welche dort den Sommer über
spielen wird, abgereist.
s±sa
TttUtwortUca« ItfektMi : J. J. flCIOTT. - Praek m BEtftEK * WALLAD In Minis.
2. Jahrgang.
Mr. «3.
6. Juni 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDAGTION WD VERLAS
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ,
DROSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fi. 2. 42 oder Thlr. I, 18 Sgr.
für den Jahrgans.
Durch die Post bezogen:
50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts Vorschläge zur Anregung für das Stadium der Musiktheorie. — Das 31. Niederrheinische Musikfeit zu Dusseldorf. — Gorr. (Darm-
stadt, Braunschweig. Rostock). — Nachrichten.
VORSCHLÄGE ZUR ANREGUNG FÜR DAS STUDIUM DER
MUSIKTHEORIE.
In den Nummern 38 und 39 des vorigen Jahrganges dieser Blätter
habe ich nachzuweisen versucht, dass die Preisausschreiben für neue
Gompositionen der Kunst in gewisser Beziehung wohl förderlich sein
können, jedoch nicht unbedingt werthvolle Tonstücke nnd respective
ausgezeichnete Componisten in Aussicht stellen oder solche gar mit
Sicherheit erfolgen lassen. Dagegen aber wurde namentlich mit
Hinweisung auf die ungünstigen Resultate mancher Preisausschreiben
der Wunsch ausgesprochen, unsere Kunstjünger möchten fleissiger
studiren, die Gesetze und Regeln für die Kunstformen sich besonders
aneignen, auch den geistigen Inhalt unserer klassichen Tonwerke
erkennen zu lernen streben, um überhaupt befähigt zu werden, das
Wesen der Tonkunst allseitig nach Inhalt und Form aufzufassen und
dann, hiermit ausgerüstet , nach dem Beispiele unserer grösseren
Tonmeister selbständig neue Musikstücke zu erzeugen. Endlich wurde
am Schlüsse des oben berührten Artikels erwähnt, dass nicht alle
Kunstjünger der Vorwurf des ünfleisses treffe, sondern dass nicht
selten auch dem Begabtesten und Strebsamsten unübersteiglichc Hin-
dernisse in den Weg treten. — Eines der allergrössten Hindernisse
zur Ausbildung in der musikalischen Composition ist der Mangel des
persönlichen Unterrichtes von Seiten wackerer Lehrer. Muss man
schon im Allgemeinen bei der Wahl eines Musiklehrers für Gesang,
Piano oder dgl. vorsichtig sein , da die meisten dieser Lehrer sich
einzig und allein ihrer eigenen Existenz halber zum Lehren hin-
drängen, und desshalb selbstverständlich aller pädagogischen und
methodischen Grundsätze baar, ihr Geschäft nur mechanisch treiben,
so ist bei der Wahl eines Lehrers für den Unterricht in der musi-
kalischen Composition noch grössere Vorsicht anzuempfehlen. An
manchen Orten , ja sogar in grösseren Städten ist aber auch nicht
einmal ein Lehrer für die Musiktheorie zu haben. Es sollte daher
in jeder grösseren Stadt in welcher sich keine Gelegenheit für den
Unterricht in der musikalischen Composition von selbst darbietet,
von Seiten der Kunstfreunde darnach gestrebt werden, wenn auch
nicht ein förmliches Institut, als Vorbereitungsanstalt für Conserva-
torien, zu gründen, so doch wenigstens einen Lehrer zu acquiriren,
welcher Unterricht in der Musiktheorie gäbe. Hierbei könnten die
Gesellschaften, welche durch Preisausschreiben ihren Eifer für För-
derung der Musik beurkunden, die Sache in der Art unterstützen, dass
sie dem betreffenden Lehrer eine gewisse Einnahme garantirten und
jungen aber mittellosen Talenten das Honorar für den ihnen nöthigen
Unterricht stellten, und lieber dafür — im Falle es wegen Mangel
an Geldmittel geboten wäre — die auszusetzenden Preise für neue
Compositionen verminderten. — Aber nicht immer zeigt sich bei
jungen Leuten das Musiktalent so bestimmt, dass man ohne alles
Weitere zum Studium der Musik als Fachstudium animiren dürfte,
Und dieser Umstand lenkt daher ganz naturgemäss die Aufmerksamkeit
auf diejenigen schon bestehenden höheren Bildungsanstalten, die eben
keine Fachstudien, sondern allgemeine wissenschaftliche Vorbil-
dung bezwecken, nämlich die Gymnasien und beziehungsweise die
Lyceen. Es wäre gewiss zeitgemäss, wenn an diesen Anstalten nicht
nur für den theoretischen Musikunterricht befähigte Lehrer angestellt
würden, sondern wenn diese letzteren auch verpflichtet wären, wenig-
stens in den oberen Klassen dieser Institute, wäre es auch nur etwa
eine Stunde wöchentlich, gründlichen Unterricht zu ertheilen über die
Lehre von den Tonleitern, Intervallen , Accorden und deren Verbin-
dung , über das Wesen und die Formen des Rhythmus , die Bildung
der Motive, Sätze, Perioden, der Melodie etc. bis zur Gestaltung der
verschiedenartigen Tonstücke. Würde durch solche Einrichtung jun-
gen Leuten, die sich zu den sogenannten gelehrten Ständen vorbereiten,
nach und} nach Gelegenheit geboten, den wahren Werth der Tonkunst
schätzen zu lernen, in ihr etwas Höheres zu suchen, als blossen
Zeitvertreib und Unterhaltung, so würde auch manches Talent für
Musik nicht verloren gehen , sondern der Eine oder der Andere würde
sich angeregt fühlen , neben seinem Fachstudium an der Universität
(an welchen übrigens auch Vorlesungen über die verschiedenen
Zweige des musikalischen Gebietes stattfinden sollten) die Musikwissen-
schaften fortzubetreiben , oder auch — bei etwaiger hinreichender
Qualification sogleich nach Abgang vom Gymnasium — ein Conser-
vatorium zu seiner weiteren Ausbildung zu besuchen. — Aber auch
abgesehen hiervon, wäre ohnehin für viele künftige Staats- und Kir-
chendiener, welche den Musikunterricht und die Musikproductionen
in Schule und Kirche zu überwachen und hierüber zu berichten
haben, eine gründliche Kcnntniss von musikalischen Dingen höchst
erspriesslich , um eben richtige und keine, nur nach subjeetiven An-
sichten gebildeten und daher oft ganz verkehrten Urtheile ab-
zugeben. Man befürchte nicht, dass es bei erweiterter und sorg-
samerer Pflege der Musik an den höheren Bildungsanstalten dann zu
viele Componisten gäbe; an diesen Anstalten wird durch dieUeber-
setzungen und Erklärungen der altklassischcn Dichterwerke und durch
Bekanntmachung mit unseren deutschen poetischen Schätzen , sowie
durch die mannichfaltigen Exercitien gewiss zur Poesie ungleich mehr
angeregt als zur Musik , und die Zahl guter Dichter ist immer so
übermässig gross noch nicht , doch aber vielleicht grösser, als jene
der guten Componisten, eben weil zum Musikstudium die Anregung
mehr fehlt. An unsern Schullehrerseminarien wird wohl Unter-
richt in der Musiktheorie ertheilt. Erwägt man aber, dass die Zög-
linge in der Regel für alle in diesen Anstalten aufgenommenen wis-
senschaftlichen Fächer nur dürftig vorbereitet daselbst eintreten
dann in dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren eine Menge Gegen-
stände und in einem ziemlich bedeutenden Umfange zu betreiben haben,
so kann wohl ein höheres musikalisches Studium in dieser Anstalt
nicht bezweckt werden, sondern man muss sich damit begnügen, dass
die Leute eben für ihren weiteren Beruf als Organisten, Lehrer tind
Vorsteher des Gesangs für Schule und Kirche sich qualificiren. In
musikalischer Beziehung könnten die Lehrer- Seminarien auch als
Vorbereitungsanstalten für Conservatorien betrachtet werden, ooschon
nach dem obenbezeichneten Vorschlage die Gymnasien und Lyceen
doch immer in einem doch viel höheren Grade hierfür gehen würden.
Ich kann diesen Artikel nicht schliessen , ohne mein tiefes Be-
dauern auszusprechen, dass wir imsüdwestlicnenDeutschland noch keift"
Conservatorium haben. Die Idee ist schon im Jahre 1838 in Frank-
90
&
fürt a. M. angeregt worden, es ist auch schon ein Fonds von
mehr als 20,000 Gulden dazu vorhanden, und doch will das Institut
nicht ins {«eben treten! Frankfort, dem es doch gewiss an Geld nicht
fehlt, hatte schon langst eine Ehre darein setzen sollen, ein Conser-
vatorium zu besitzen. Wenn ihm, was nicht unmöglich ist, Stuttgart
oder Karlsruhe damit zuvor kämen, dann würde man vielleicht zu spät
bedauern, die musikalischen Zustände einer Stadt, welche noch vor
einem Jahrzehent für die musikalische Hauptstadt Suddeutschlands
galt, zu einem solchen Grad von Bedeutungslosigkeit haben herab*
sinken zu lassen, dass sie sich von ihren Nachbarstädten, wie schon
jetzt in den Leistungen der Opernbühne und Concerte so auch in der
Gründung einer so wichtigen Anstalt überflügelt sehen mussl
»«••4
DAS 81. MIEDERRHEINISCHE MUSIKFEST ZU DÜSSELDORF.
Durch Zufall verspätet.
Vom herrlichsten Wetter begünstigt, fand am 15., 16. und 17.
Mai d. J. das 31. niederrheinische Musikfest in Düsseldorf unter
grosser Theilnahme fremder Künstler und auswärtiger Dilettanten,
sowie eines sehr zahlreichen aus nah und fern herbeigeströmten Pub-
likums in der voriges Jahr neu erbauten Tonhalle im Geissler'schen
Etablissement statt. Diese Halle ist der Räumlichkeit nach für
solche Aufführungen ein sehr passendes Lokal; schade, dass es aus
Mangel einer gehörigen Dichtigkeit (es ist ganz aus Brettern aufge-
baut) dem Effecte hinderlich ist Das Leben und Treiben einer fröh-
lichen Gartengesellschaft, sowie der Wetteifer der Sänger in den
Zweigen rundherum störten jedenfalls den Genuss der feiner nüan-
cirten Parthieen, und anderseits lässt der Mangel einer gehörigen
Kesonnanz grössere Massenwirkungen nicht zur vollen Geltung ge-
langen. Doch wollen wir über derlei und andere Aeusserlichkeiten
des Festes weiter keine Worte verlieren ; die Feuilletons der ver-
schiedensten Blätter haben schon so manche Festbeschreibung mit-
getheilt , dass ein Mehreres davon zu reden überflüssig erscheint.
Wenden wir uns daher gleich zur Hauptsache, zu den Aufführungen
selbst. — Am ersten Tage wurde unter Robert Schumann's Lei-
tung eine Sinfonie in D-moll von seiner Composition und Händel's
„Messias" aufgeführt. Was die Sinfonie anbelangt, so gehört sie —
trotzdem dass sie vor 9 — 10 Jahren schon geschrieben, vielleicht
aber auch gerade desshalb — zu dem Besten , was Schumann
componirte, jedenfalls zu dem Klarsten und Verständlichsten, was aus
seiner Feder geflossen. Sie besteht aus fünf einzelnen Sätzen zu einem
Ganzen verbunden und schienen der 3. : Romanze, und 4. : Scherzo den
meisten Anklang zu finden. Wir gestehen offen, dass wir uns bis jetzt mit
der Schumann'schen Muse nicht befreunden konnten, und dass selbst
dieses Werk, trotz so mancher schönen Einzelheiten, uns wenigstens
als „Sinfonie" keinen Total-Eindruck machte. Die Aufführung war
gut, wie bei einem Orchester von 162 Instrumcntalisten, unter denen
an allen Pulten tüchtige Kräfte, ja ausgezeichnete Solisten sich be-
fanden, nur zu erwarten war. Das Publikum spendete derselben
reichlichen Beifall und Schumann wurde am Schlüsse mit dem Lor-
beer bekränzt — jedenfalls eine etwas verfrühte Manifestation. —
Hinsichtlich der Aufführung des Messias müssen wir gestehen, noch
selten eine mangelhaftere gehört zu haben, ja eine äusserst mangel-
hafte, trotz den schönen Redensarten in der „Allgemeinen Augsbur-
gerin." Und warum wohl? Weil Schumann kein Dirigent ist.
Schumann vereinigt gar keine Eigenschaften,
die ihn zu einem praktischen Dirigenten quali-
ficirten, am wenigsten versteht er grössere Massen sicher zu
leiten. Er lässt, wie man im Sprüchwort sagt, „Gott einen guten
Mann sein" — geht's, so ist's gut; geht's nicht, so ist's auch gut,
wenigstens ihm. Es ist hier nicht der geeignete Ort, sonst würden
wir einige ergötzliche Scenen aus den dem Feste vorhergegangenen
Proben mittheilen, welche leicht Stoff böten zu einer Charakteristik
des „Dirigenten" Schumann. Mit dieser unserer Ansicht stehen wir
jedoch nicht vereinzelt da, sie ist bereits in Düsseldorf selbst laut,
ja sehr laut geworden und wir haben nur deutlich ausgesprochen,
was andere bis jetzt' nur verblümt anzudeuten wagten. Uebrigens,
auch abgesehen von der technischen Leitung, war die Auffassung
des Oratoriums von Seiten Schumanns nicht minder eine mangelhafte,
ja falsche, die Durchführung mit wenig Ausnahmen eine geradezu
unwürdige» Es verdient dies die sch&rfste Rüge , indem gerade in
den oratorischen Aufführungen das Niederrheinische Musikfest seine
kunstgeschichtliche Bedeutung gefunden hatte und darin zu erhalten su-
chen muss. Oder dient Herrn Schumann ei« Chor von nahezu $00
Stimmen nur zur Staffage, ein Oratorium nur zu einer Concession , die
man dem Publikum macht, damit es geduldig Schumann und wieder
Schumann hört ? — Der Chor verdient in technischer Beziehung alle
Anerkennung, er hielt sich unter den gegebenen Verhältnissen so
wacker als möglich ; nichts destoweniger — und dies war nicht seine
Schuld ■ — kamen Schwankungen vor, die oft sehr gefährlich zu wer-
den drohten. Die Tempi der Chöre waren grösstentheils übereilt;
der Chor „denn es ist uns ein Kind geboren'* wurde so herunter.
galoppirt, dass nicht viel dazu fehlte, und man hätte Polka darauf
tanzen können. Total widerlichen Eindruck machten der tief-ernste
erhabene Chor „Wahrlich" und so viele andere noch. Desshalb
überraschte das „Amen," Welches wirklich vorzüglich gut ging —
vielleicht war der ganze Chor froh, des kreisenden Scepters Schu-
manns los zu sein. Was wir weiter missbilligen müssen, war der
Ausfall so vieler Nummern ; gestrichen war trotz der Censiir einer
kleinstädtischen Bühne ; der dritte Thcil des Oratoriums schmolz zu
fünf Piecen zusammen. Warum? Weil ja dem Oratorium eine
Schumann'sche Sinfonie vorausgehen musste und sonst das ganze
Concert, das ohnedies von 6'|,— 10* |* Uhr dauerte, zu lange gewährt
hätte. ' Hat das Niederrheinische Musikfest-Comite Ursache, und liegt
es im Interesse des Festes selbst, einem seiner periodischen Dirigen-
ten solche Concessionen zu gestatten ? Wir behaupten geradezu : Nein !
(Schluss folgt.)
»«»*«♦
CORRESPONDENZEN.
BRIEFE AUS DARMSTADT.
Mai 1853.
Ein kurzer Rückblick auf die musikalischen Aufführungen der
verflossenen Monate, lässt uns des Guten vieles erkennen, was den
hiesigen Kunstfreunden durch das Theater sowohl als durch die be-
stehenden Vereine geboten wurde. Setze ich noch hinzu, dass Inhalt
und Ausführung der dargestellten Werke meistens auf gleicher Stufe
standen, dass jener mit Sorgfalt ausgewählt, diese mit allen zu Ge-
bote stehenden Mitteln, und mit der gehörigen Weihe zum Anhören
gebracht wurde, so dürfte das Höhemass der Productionen in diesen
Worten eben so ausgesprochen liegen, wie die Ueberzeugung , dass
kein Kunstwerk vollkommen gelungen dargestellt werden kann, wo
nicht beiden Momenten vollgültige Rechnung getragen wird. Wie
beklagenswerth ist es im Interesse der Kunst, wenn schon die Aus-
wahl eines vorzuführenden Werkes, seinem Inhalt nach, als eine ver-
fehlte bezeichnet werden muss, und wie oft geschieht dies durch Un-
fähigkeit der Beurtheilung, Begünstigung, oder Nachgiebigkeit gegen
unverständiges Verlangen einzelner oder auch der Masse. Die
hierdurch verlorene Zeit, Mühe und Kosten sind schon sehr
erhebliche Momente, um so erheblicher, je nachdem sie einer Hof-
bühne oder einer Privatunternehmung zur Last fallen ; aber in der
Waagschale der Kunst wiegt der Nachtheil der hierdurch auf die Ge-
schmacksrichtung erzeugt wird, bedeutend schwerer. Durch das Vor-
führen guter Werke wird das Erkennen des Wahren gefördert, das
Gefühl für das. Schöne geweckt, der Sinn am Ganzen gestärkt, dass
er sich nicht in's Einzelne zersplittere und endlich, was sehr wichtig
ist , die Ostentation in gehörige Schranken gewiesen. Das Gefühl,
dass das Kunstwerk um seiner selbst willen, und nicht der Darsteller
wegen, vorhanden ist, bricht sich durch seinen geistigen Inhalt Bahn
und gewinnt das Vorrecht. Dieses Gefühl gewährt jedem Theile in
gerechter Würdigung nur das, was ihm mit Recht zukommt, wird nie
das Werk selbst zur Dienerin, den Ausführenden zu dessen Gebieter
machen.
Das gerade ist die unmittelbare Wirkung der guten Musik,
dass ihr geistig reiner Inhalt uns dergestalt ergreift, dass wir
darüber das vermittelnde Element, sei es vokaler oder instrumen-
taler Natur, oder beides zusammen, vergessen und nur die ei-
gentliche Schöpfung vor Augen haben. Ich führe beispielshalber
das Anhören einer Beethoven'schen Sinfonie, einer Mozart'schen
— 91
Oper, eines Mendelsohn'schen Oratoriums oder eines Haydn' sehen
Quartetts an. So vielen Antheil auch die gediegene Ausführung auf
den Hochgenuss derselben haben möge, um wie viel höher steht
doch die Bewunderung der Zuhörer für die Schöpfung selbst 1 Die
Menge nmss geleitet werden, sie besitzt keine Selbständigkeit des
Urlheils und der Sinnenreiz überwiegt bei ihr die feinere, edlere Natur.
Angenommen, dass dem so ist, warum wirkt man dann nicht auf die
intellectuelle Bildung dieser unselbständigen Menge durch Werke,
die sie nach und nach zum Verständniss des Schönen führen, die ihr
einen wahren Begriff der Kunst geben, statt dass man Virtuosität,
masslossc Effecthascherei , als die Götter des Tages hinstellt und
mit pomphaften Ankündigungen die Menge hierdurch irre leitet, die
folgerecht Aeusserlichkeit für inneres Gemüth, Zerfahrenheit für ge-
niale Ausdrucksweise hält? Dieses verkehrte Urtheil, womit man in-
dividuelle Fehler sogar als Vorzüge anpreisst, hat den weiteren Nach-
theil, dass es sich auf ganze Werke ausdehnt und den Geschmack
immer mehr verflacht. Denn Niemand wird in Abrede stellen, dass
durch das Vorführen von süsslichen, nichts sagenden Producten, die
nur einen vorübergehenden Genuss gewähren, aber als Paradepferd
von so manchen Theatergrössen immer wieder aufs neue in der
Arena getummelt werden , der höhere Sinn abgeleitet , und die Em-
pfänglichkeit für das Edle ebenso abgestumpft werden kann, als beule
im Gegentheil durch gesunde, Geist und Herz slärkende Nahrung ge-
hoben werden können. Eine jede Schule hat ihre eigenthümlichen
Vorzüge; wir finden in der italienischen, wie in der französischen
und deutschen, Meisterwerke in einer jeden Periode. Wir wollen
sie alle hören , unsern deutschen , kosmopolitischen Sinn an jeder
von ihnen bewähren; das bildet Herz und Ohr. Aber nur eine
Richtung vorzugsweise begünstigen, weil sie eben mehr Gelegenheit
zu virtuosem Schaugepränge bietet und die minder brillante aber um
so innerlichere, herzlichere bei Seite zu schieben, läuft eben so sehr
gegen die Gesetze der allgemeinen Kunst, als es ein Hinderungs-
mittel der fortschreitenden Cultur genannt werden muss. Wenn dem
gebildetsten Volke des Alterthums, den Griechen, der feine Sinn der
Unterscheidung, von wahrer und falscher Kunst nach dem Urtheile
aller Schriftsteller, in so hohem Grade einwohnte, so trug hierzu
wohl am meisten die Oeffentlichkeit seiner Kunst und Staatseinrichtung
bei, die ihm das Höchste und Gediegenste in Tempeln, Spielen und
Wettkämpfen vorführte, die ihm Werke der Sculptur, der Poesie,
der Musik nur in höchster Vollendung darstellte.
Naturgemäss entspringt aus der Wahl des Kunstwerkes von selbst
die Weihe der Ausfuhrung. Je höher die geistige Schöpfung, um so
tiefer die Ehrfurcht vor derselben, um so feuriger die Begeisterung,
die sich in jedem Tone, in jedem Striche Kund gibt, und den Aus-
führenden wie den Hörenden unwillkürlich im ätherischen Fluge mit
sich fortreisst. Dahin brausst der gewaltige Strom der Töne, bald
über Felsen und Höhen, bald über Thäler und Fluren sich stürzend,
wild und majestätisch mit donnerndem Geräusch, mild und Heblich
mit kaum vernehmbarem Säussein. Es schlagen die hochgehenden
Tonwellen an unser Ohr, es stockt der Athera und die Pulse beben ;
aber sanfter wird die Fluth , melodisch heben sich die gekräuselten
Wogen und selige Beruhigung erfasst unsere Brust.
Welchem wahren Kunstfreunde wurde diese, in keinen Worten aus-
zudrückende Empfindung nicht schon klar , mochte er sie in der
Kirche beim Anhören des Mozart'schen , Requiems oder 1 im Saale bei
Händeis Messias, oder im Theater bei Beethovens Fidelio gefühlt
haben ? Das ist die poetische Macht der Tonkunst , das ist die
ahnungsvolle Gottesstimme, die alle Saiten vibriren macht, welche
über unser Herz gespannt sind. —
Indem ich mir vorbehalte, in einem späteren Artikel den ange-
gebenen Gegenstand fortzusetzen, erwähne ich nur noch einige der
bedeutenderen Aufführungen, von denen ich am Eingange dieses
Aufsatzes sprach. An der Spitze derselben steht Faust von Spohr,
zum erstenmal hier mit den vom Komponisten eingerichteten Recita-
tiven und mit dem entschiedensten Beifall gegeben. Durch diese
neue Bearbeitung ist die Oper aus der Zwittergattung der dialogisirten
herausgetreten und der verehrte Autor hat ein psychologisches Meister-
Werk in ihnen niedergelegt, das mit Bewunderung erfüllt. Armide
von Gluck wurde nach mehr denn fünf und zwanzig Jahren wieder
einstudiert. Beinahe völlig unbekannt für die jetzige Generation,
bewährte sie ihre Klassicität im vollen Masse, Arien, Duette und
I
Chöre enthalten so viele Frische , Schönheit und Wahrheit des
Ausdrucks, dass man mit Recht behaupten 'kann, es werde diese»
Werk auch nach abermals 80 Jahren ebenso unvergänglich leben,
wie heute.
Das Fragment Loreley und die Walpurgisnacht von Mendel*
söhn erfreuten sich der regsten Theilnahme. Unter vielem Gedie-
genen brachte der Dilettantenverein zum erstenmal die Pilgerfahrt
der Rose von Schumann . jedenfalls ein sehr interessantes Tonge-
gemälde. Die in diesem Jahre gegründeten Streich-Quartett-Matineen
brachten die klassischen Werke Haydns, Mozart's, Beethovens, unter-
mischt mit Fesca und Onslow, und versammelten die Elite der hie-
sigen Kunstwelt um sich. Auch die Liedertafel erheiterte ihre Be-
sucher, durch die gelungene Aufführung von Otto's „Mordgrundbruck**
auf die angenehmste Weise. L. S — r.
AUS BRAUNSCHWEIG.
(8. Mai.)
Der bis jetzt wenigstens überaus kalt und unfreundlich gewesen» •
Lenz mag wohl die Ursache sein, dass Concerte und Theater siclb
eines regeren Besuchs zu erfreuen hatten, als sonst in dieser Zeit»
Wenigstens war dies bei uns der Fall.
Der letzte Monat war in musikalischer Beziehung der reichhal-
tigste der ganzen Saison. Er brachte uns nicht vielerlei , aber viel
in dem was er brachte. 3 Quartettabende der Gebrüder Müller
und ein von der hiesigen Hofcapelle in Verbindung mit den Solo-
sängern der Herzoglichen Oper zum Besten des Theaterpensionsfonds
im Theater gegebenes Concert nehmen hauptsächlich diesmal unsere
Aufmerksamkeit in Anspruch. In den Ouartettabenden wurde uns
ausser den älteren bekannten Meisterwerken von Haydn, Beethoven,
u. s. f.," auch ein wenigstens für uns neues Quartett in G von Fr.
Schubert vorgeführt. Dieses, sowie ein anderes in A-moll von
Schubert und das wegen seines genialen Ideenschwunges grossartige»
Quartett in A von Beethoven trugen diese trefflichen Künstler mit
einer alles hinreissenden Begeisterung vor. Der Besuch der Quar-
tettabende war sehr zahlreich.
In dem oben erwähnten Concert kamen von rein instrumentalen:
Werken zur Aufführung : 2 Ouvertüren von Berlioz (zu König Lear
und zum römischen Carneval) und die Sinfonie in A (Nr. 7) von
Beethoven. Der Vortrag dieser Werke war ein vollendeter und zeige
aufs Neue, dass der alte Ruf unserer Kapelle sich immer noch be-
währt. Um so mehr muss man e3 bedauern, dass dieselbe so selten
etwas von sich hören lässt. Wo solche Kräfte sind, darf mit Recht
die Forderung regerer Thätigkeit gestellt werden. Warum veranstal-
tet unsere Capelle nicht im Laufe des Winters eine Reihe von Con-
certen, in welchen wir die Instrumental- Werke älterer und neuerer
Meister kennen lernen? Vielleicht itis peeuniären Rücksichten?
Das wäre doch wahrlich zu kleinlich. Oder aus Lässigkeit? Das
wäre beinahe eben so schlimm. Was es aber auch «ein möge , die
schärfste Rüge verdient es unter allen Umständen. In Nr. 4 des
vorigen Jahrganges Ihres geschätzten Blattes habe ich schon einmal
über diesen Punkt meine Missbilligung ausgesprochen.
Die Sinfonie von Beethoven verfehlte auch dieses Mal ihre
electrische Wirkung nicht. Die Ouvertüren von Berlioz waren für
unser Publikum so gut als neu, denn dass sie vor so und so vielen
Jahren einmal hier gehört worden sind, war ziemlich vergessen.
Dennoch erfreuten sie sich des ungeteiltesten Beifalls.
Der junge Flötenvirtuos Zizold Hess sich in jenem Concert auch
hören. Die ungeheure Fertigkeit auf seinem Instrumente sichert ihm
von vornherein einen günstigen Erfolg, der auch an jenem Abend
nicht ausblieb. Lästig ist es übrigens , an einem Abend , wo eine
Beethoven'scho Sinfonie gespielt wird, Variationen hören zu müs-
sen, die lediglich nur geschrieben sind, um technische Kunstfertigkeit
zu zeigen, sonst aber jeden musikalischen Werthes entbehren. Se
verhielt es sich aber mit den Variationen von Zizold sen., vorgetim»
gen von Hrn. Zizold jun. Der vocale Theil des Concerts bestand
aus einigen Arien, eine von Mozart, eine von Spohr und eine von
Verdi , einigen Männerquartetten von Abt , einem Liede von Hackel
(der Deserteur) und einem Duett aus Rigoletto von Verdi. Eine
nähere Besprechung dieser Piecen liegt nicht in meiner Absicht»
9»
doch kann reh nicht unterlassen, der Frl. Wärst für den Vortrag der
Spohr'schen Arie, Frl. tWaiseck und Herrn Himmer für den Vortrag
des Verdi'schen Duetts, und Herrn Nusch für den Vortrag des Deser*
teur verdientes Lob zu spenden.
Die Zusammenstellung dieses Concertprogramms giebt zu einer
ähnlichen Klage Anlass, wie sie neulich Ihr Hamburger Correspon-
dent erhob.
Von den fünf Männergesangvereinen , die hier bestehen, haben
drei in der letzten Zeit Concerte gegeben, nämlich die Liedertafel, die
Iiiederhalle und der Quartettverein. Die Leistungen der drei Vereine,
namentlich aber der Liedertafel, verdienen Beachtung und Aufmun-
terung. Mögen diese Vereine alle in ihrem ehrenwerthen Streben
fortfahren, es kann nur Gutes für die Kunst daraus gedeihen.
>oao<
AUS ROSTOCK.
(Monat Mal.)
Im Vergleiche zu früheren Jahren möchte es auffallen, dass sich
die Concerte, die man hier zeitweise im Uebermasse zu hören bekam,
der Quantität nach bedeutend verringert haben; es möchte aber eine
solche Verminderung nnr zu beglückwünschen sein, indem sich da-
für alles um solche Auffährungen dreht, die nicht ausschliesslich dem
Gewinne oder Wohlthätigkeitszwecken huldigen, sondern der besseren
Idee: die Würde und Hoheit der Kunst zu vertreten, folgen. So
sind wir denn auch mit Virtuosenconcerten ziemlich verschont ge-
hlieben.
Alexander Dreyschock wurde vom hiesigen Publikum mit um so
grösserem Interesse empfangen , indem sich derselbe hier schon in
seiner jüngeren Periode einer grossen Theilnahmc zu erfreuen hatte.
Mag nun dieser eminente Spieler von da bis jetzt noch an Festig-
keit und Abrundung — an technischem Bewusstsein, wenn man so
sagen darf — gewonnen haben , so bleibt es noch beachtenswerter,
dass sein jetziger Standpunkt zum höheren Kunstbewusstsein heran-
gereift ist. Ob jedoch der Virtuose vollkommen von ihm abgeschüt-
telt? Wir können uns mit dem Vortrage Beethoven's nicht ganz ein-
verstanden erklären und möchten gegen ein mitunter, wiewohl selten,
vorkommendes willkührliches Verzerren des rhytmischen Fadens Pro-
test erheben.
Die Abonnements-Ccmzerte des städtischen Musikdirektors Carl
Schulz haben bedeutend gewonnen dadurch, dass derselbe es ermög-
lichte, eine grössere Besetzung der Streichinstrumente einzuführen.
Das zweite dieser Conzerte erfreute durch das Spiel des Herrn Dr.
Kullak aus Berlin, eines Pianisten, dessen Leistungen ebenfalls bekannt
sind; leider mochte Unpässlichkeit daran Schuld sein» dass derselbe
sich nicht ganz gehen lassen konnte. In dem dritten und letzten
traten Herr und Frau Conzertmeister Raimund Dreyschock aus Leip-
zig auf; ein bedeutender Violteist, der in allen möglichen Schwierig-
keiten seines Instrumentes bewandert ist und diese hier in seinen
Bravourcompositionen zu entfalten wusste. Geschah die Wahl der
vorgetragenen Piecen in der Absicht, um dem Publikum Concessio-
nen zu machen, so möchten wir dagegen erinnern, dass man noch
grösseres Verlangen trägt, mit einem elegisch -gesangvollen Adagio
beglückt zu werden; auch von unserem Standpunkte aus hätten wir
eine nicht einseitige Wahl des Vorzutragenden gewünscht. Fr. D.,
Mezzosopranistin, beurkundete gute Schule und ansprechenden Vor-
trag, mögen diese ersetzen, was natürliche Anlagen verweigert zu
haben scheinen.
Erfreulicher Weise sind von Musikdirektor Schulz auch Quar-
tettabende eingeführt worden ; diese haben sich schon eine so grosse
Theilnahme erworben, dass der Kritiker — der bekanntlich immer
gerne mit dem Publikum hadert — darüber verwundert ist. Wir
wünschen dem Unternehmen guten Erfolg, um so mehr, da auch die
Leistungen der Vortragenden unsere Erwartungen übertrafen. Hätten
wir allerdings Gelegenheit noch manches zu rügen, so halten wir
doch mit spezielleren Urtheilen zurück, um eben das junge Institut
in seiner Entwicklung nicht zu hemmen. Nur eines können wir
nicht umhin zur Beherzigung zu erwähnen. Es scheint nämlich
nach in unserem Orchester das allgemeine Vorurtheil ohzuwal»
ten, als ob die singenden, piano gehaltenen Stellen eines Instru-
mentalsatzes eines mit diversem ritartando und tenuto verbrämten
langsameren Tempo's bedürften, die rhythmisch bewegteren, gewöhn«
lieh forte lautenden Theile dagegen hurtig und beschlennigend dahin
eilen müssten; ebenso scheint man zu glauben, dass ein Lauf in die
Höhe sich überstürzen, einer in die Tiefe dagegen verschleppt wer»
den müsse. Mag immerhin das gesunde poetische Gefühl Modifika-
tionen des allgemeinen Taktbewusstseins erlauben — eine vollkom-
men regelmässige Musik Hesse sich nur durch Maschinen hervorge-
bracht denken — so darf doch keinesweges der Vortrag in eine voll-
ständige Confusion ausarten , um den Reiz des durch Takt auf die
höhere Einheit potenzirten Rhythmus zu tödten: „Willst du immer
weiter schweifen, sieh, das Gute liegt so nah!"
An neueren Tonstücken hörten wir den Winter über: Sinfonie
Nr. 4 in B-dur von Niels-Gade; Richard Wagner's Ouvertüre zum
Tannh&user, ein Werk, über das auch hier die Stimmen getheilt sind;
ferner Tschirch's Nacht auf dem Meere, Mendelssohn's Christus etc.
Von hiesigen Componistcn kamen zur Aufführung: Ouvertüre von
Carl Schulz, Ouvertüre von Trutschel und Festgesang von Heiser.
— 1-d.
NACHRICHTEN.
Königsberg. Der Violinist Ed. Singer und Frl. Bochkoltz-
Falconi conzertiren hier mit sehr günstigem Erfolg. Ersterer gab
hier bereits vier glänzende Concerte. Zu den beiden letzten war kein
Billet mehr zu haben. Die Oper ist nach Elbing abgegangen und wird
dort vor ihrer Gastreise nach Berlin mehrere Vorstellungen geben.
Prag« Die diesjährige Conzert-Saison, die sich bis gegen die
Hälfte des Monats Mai hinausgeschoben hat, bot uns viele Kunstge-
nüsse seltener Art. So hat uns der wackere Cäcilien-Verein unter
Leitung feines für die Kunst begeisterten Direktors Herrn Anton
Apt nebst mehreren Ouvertüren und Symphonien von grösseren Mu-
sikwerken im 1. Conzerte Mendelssohns Recitative und Chöre zu
Christus, und die Meeresphantasie von Sobolewsky, — im 2. Con-
zerte: Oedipus in Kolonos von Mendelssohn, im 3. die Frühlings-
phantasie von Gade und im 4. Conzerte die Einleitung und Schluss-
Scene des 1. Aktes aus Richard Wagner's „Lohengrin" gebracht,
welches Fragment vom Publikum sehr günstig aufgenommen wurde.
Der Tonkünstler- Verein führte die Oratorien „Samson" von Haendel
und Abraham von Lindpaintner, — das Theater-Orchester-Pcrsonale
in einem zu dessen Vortheile veranstalteten Conzerte die Ouvertüre
zu Wagners Tannhäuser und die 9. Sinfonie von Beethoven auf. Un-
serem trefflichen Tenoristen Steger, welcher bekanntlich für die
Wiener Oper engagirt ist, giebt der Theater-Intendant Baron von
Bergenthal am 26. ein Abschieds-Souper, wobei ihm ein Album über-
reicht werden soll, zu welchem die besten Maler, Dichter und Musi-
ker Prags Beiträge liefern. An die Stelle Stegers tritt der bereits
früher hier engagirte Herr Reichel. Gegenwärtig gastirt Frau Gundy
hier.
Wien« Frl. La Grua soll für die nächste Saison mit der Un-
geheuern Gage von 40,000 Francs engagirt sein.
Pesth. Am 1. Mai wurde das neue deutsche Theater eröffnet.
Berlin. Musikdirektor Gungl' hat sich mit mehreren für sein
Orchester in Petersburg bestimmten Musikern nach Petersburg ein-
geschifft. — Die letzten Aufführungen an der Oper waren Halevy's
„Jüdin/ 1 Meyerbeers „Struensee," und „Jessonda." In letzterer
gastirte der Baritonist Rieger von Breslau. Mad. Viardot-Garcia
ist von Petersburg hier eingetroffen.
Leipzig* Die hiesige Oper hat durch Tichatschecks Gastspiel,
der bis jetzt als Masaniello , Raoul und Tannhäuser auftrat, neues
Leben erhalten. Eine Mad. Fernau von Sondershausen sang auf
Engagement zweimal Coloratur-Partien , konnte aber das Publikum
nicht befriedigen.
Schwerin. Der fliegende Holländer von Wagner hat hier sehr
kalt gelassen. Frl. Geisthardt gastirte 2mal und gefiel.
Petersburg. Für die nächste Saison der Italienischen Oper
ist der Tenorist Stigelli engagirt worden.
Warschau. Hier hat sich eine Italienische Oper gebildet, na-
türlich ohne irgend einen bedeutenden Sänger zu besitzen, Von der
zersprengten Brüsseler Italienischen Oper her ist in Deutschland be-
kannt der Bassbuffo Zuchini.
VwantwoiUicher Brfalteui: J # J. SCHOTT. - J>mk tob MUTER A WALLAü 1b MalM.
2. Jahrgang.
Mr. «4.
13. Juni 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
I
I Diese Zeitung erscheint jeden
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Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION «SD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
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»0 kr. »der lit Sgr. per Quartal.
Inhaltt C. M. v. Weber'« Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. —
Corr. (Mannheim). — Nachrichten.
Das 51. Niederrheinische Musik fest zu Düsseldorf. (Schluss.) —
C. M. v- WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
über
die Coraposltlon des Freischütz und über
Operncomposltlon überhaupt.
Wenn ihr's nicht fohlt, Ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aas dar Seele dringt.
Und mit unkriftigem Behagen,
Di« Herzen aller Herer zwingt.
Götbe, F.u»t 1.
Der „Wohlbekannte" hat in seinen „fliegenden Blättern" *) zwei
Gespräche mit Weber veröffentlicht. Die darin besprochenen Fragen
sind an sich von solcher Wichtigkeit und gewinnen durch die geist-
reiche Art und Weise, in welcher sie dort behandelt werden, ein so
hohes Interesse, dass wir glauben, eine Mittheilung und Besprechung
derselben könne neben dem Vergnügen, welches sie zu gewähren im
Stande ist, auch noch einigen Nutzen stiften. Und bei unserer
heutigen Seelenverwirrung thnt es Noth, Alles an's Licht zu heben,
was Nutzen stiften, d. h. in wichtigen Kunstfragen unser Bewusstsein
aufhellen kann.
Wir wollen dem Gange des Gespräches folgen, müssen aber des
Raumes wegen und um nicht dem Vorwurfe Veranlassung zu geben,
als hätten wir den Wohlbekannten über Gebühr ausgeschrieben, uns
auf wörtliche Mittheilung der beregten Punkte beschränken, und die
Leser hinsichtlich des ganzen reizenden Gespräches auf die „flieg.
Blätter" verweisen.
I.
„Der Wo hl bekannte". Im Freischütz bewundere ich zunächst
das Totale des Styls, des Tones oder wie ich es nennen soll. Es
kommt mir vor, als gehöre jede Melodie, jeder Klang in dieser Oper
eben nur in den Freischütz und als könnten sie unmöglich in einem
andern Werke erscheinen. Ich höre in diesen Tönen nicht blos den
Ausdruck bestimmter Gefühle, sondern den Ausdruck von Gefühlen
der und der bestimmten Person, ja ich höre sogar die Zeit mit, in
welcher die Oper spielt und den Ort, an dem die Handlung vorgeht.
Ich empfinde bei Ihrer Musik zum Freischütz dasselbe, wie beim
Lesen des Götz von Berlichiogen, des Tasso u. s. w. Wie man
keine Stelle aus dem Götz in den Tasso , oder aus diesem in jenen
versetzt denken kann, ohne ganz heterogene Elemente mit einander
zu vermengen, so könnte meiner Meinung nach, ans dem Freischütz
nichts in eine andere Oper versetzt werden und umgekehrt.
Webe r. Wohl dem Freischütz , wenn dem so ist ; aber eine
solche Empfindung werden Sie bei metner Oper nicht das erste Mal
gehabt haben. Sie werden sich auch kein Stück aus dem Don Juan
in die Zauberflöte versetzt denken können, oder aus dieser in jenen.
*) Fliegende Blätter für Musik. Wahrheit über Tonkunst und
Tonkünstler. Von dem Verfasser der „Musikalischen Briefe (2 Bd.
Leipz. 52.)." Leipzig 53, Baumgärtner. Bis jetzt 2 Hefte, a % Thlr.
Wir empfehlen diese „Blätter" den Lesern, welche bis jetzt die
Bekanntschaft derselben noch nicht gemacht haben; Einzelnes daraus
werden wir gelegentlich ausführlicher besprechen.
Das Grösste und Bewundernswürdigste in dieser Art hat meiner
Ansicht nach Mehul in „Joseph in Egypten" geleistet, denn in dieser
Oper zeigt sich wahrhaft patriarchalisches Leben und orientalische
Farbengebung. Ist es mir auch im Freischütz gelungen, einen durch-
gehenden Charakter festzuhalten, so verdanke ich es allerdings dem
aufmerksamen Studium der grossen Muster, die wir haben.
Wohlb. Sic setzen mich in Erstaunen. Ich bin bisher wohl
mit den Allermeisten des Glaubens gewesen, Ihr mächtiger Genius
habe es Ihnen eingegeben, gerade so, wie es geschieht, den Hörer
unwiderstehlich in das romantische Jägerleben etc. hineinzuversetzen.
Und Sie hätten trotz Ihrer Originalität auf Vorbilder geblickt?
Weber. Ich will und werde den Genius nicht verläugnen;
aber niemals habe ich mich auf ihn allein verlassen. Aber ver-
stehen Sic mich recht, wenn ich von Vorbildern spreche. Wenn
wir an Schöpfungen unserer Vorgänger irgend eine scharf ausgeprägte
Eigenschaft erkennen, die nothwendig da sein muss, wenn die Arbeit
ein Kunstwerk sein soll, so müssen wir dieselbe studiren, sie
nachzubilden und unserem Werk in gleichem Maasse mitzutheilen
versuchen.
Wohlb. So wäre es auch zu erlernen einem so grossen
Werke, wie es eine Oper ist, einen Totalton zu geben?
Weber. Gewiss; wenn das nöthige Talent da ist, versteht
sich. Gern theile ich Ihnen mit , was ich darüber gedacht habe.
Statt Totalton wollen wir Charakter sagen oder noch besser charak-
teristischer Haiipttou, wie sich auch die Maler ausdrücken, und
womit ich die Instrumentationsfarbe des Ganzen meine. Eine und
dieselbe Landschaft hat einen ganz verschiedenen Charakter im
Frühling, im Sommer, im Herbst, im Winter; sie hat einen andern
am Morgen, am vollen Mittag, am Abend, in der Nacht. Der Maler
erkennt das , was der Landschaft zu den verschiedenen Zeiten das
Eigentümliche, den Charakter, ertheilt und versteht es, durch ent-
sprechende Farbenmischung jenen charakteristischen Hauptton in sein
Bild der Landschaft überzutragen, so dass dem Beschauer die Wahrheit
der Darstellung sofort kenntlich entgegentritt.
Wohlb. So hätte der Komponist mit Klängen, wie der Maler
mit Farben, den Hauptcharakter seines Werkes hervorzubringen?
Weber. Allerdings. Sic wissen ja, dass man eiue und dieselbe
Melodie auf unendlich verschiedene Weise instrumentiren und aecom-
pagniren und ihr dadurch einen unendlich verschiedenen Ausdruck
oder Charakter geben kann. Sie wissen, dass es möglich ist, dieselbe
Melodie je nach der Instrumentation zu einer weichen oder harten,
sanften oder stürmischen, hellen oder düstern zu macheu, und Sie
werden nun auch nicht mehr in Zweifel über das Haupt mittel
sein, durch welches einem einzelnen Musikstücke oder einer ganzen
grossen Oper ein gewisser Hauptcharakter zu geben ist.
Wohlb. Wenn der Hauptcharakter einer Oper z. B. rauhe
Kraft sein sollte, so müsste jedes Tonstück, jede Melodie rauhkräftig
instrumentirt sein?
Weber. In dieser Weise, bei so strengem Festhalten des Grund-
satzes, würde der Hauptcharakter einer solchen Oper wahrscheinlich
zur Monotonie werden. Etwas Wahres aber liegt in Ihrer Bemerkung.
Uebcrsehen Sie nicht, dass ein Charakter nicht ans einem einzigen
— 94
Zuge, sondern aus einer Verbindung mehrerer Zuge besteht, die sogar
von einander sehr verschieden sein können und von denen bald der
eine, bald der andere hervor- oder zurück tritt. Die Züge, welche
am häufigsten vortreten, welche demnach die vorherrschenden sind,
geben den Begriff des Charakters. Sollte also , um bei Ihrem Bei-
spiele zu bleiben, das Totale einer Oper rauhe Kraft sein, so würde
dasselbe hervorgebracht werden, wenn die Mehrzahl der Gedanken
darin jenen Charakter an sich trüge, wenn er, mit andern Worten,
vorherrschte. In einer solchen Oper kämen jedenfalls auch Einzelnheiten
vor, die das Gegentheil von rauher Kraft sind. Der wilde Held
würde z. B. lieben und der Geliebten gegenüber, trotz seiner Wildheit,
sanft sein. Ein solcher Mann ist aber gewiss auch in zärtlichen Augen-
blicken ein Anderer als der, welcher einen sanften Charakter an sich
selbst besitzt; ,in seine Sanftmuth und Zärtlichkeit wird sich etwas von
seinem Charakter übertragen, er wird z. B. „ich liebe Dich" ganz
anders singen als ein schmachtender weicher Jüngling. Lassen Sie
also etwas, bald mehr bald weniger, von der Klangfarbe, mit
welcher Sie Ihren Helden charakterisiren , in allen Situationen er-
scheinend in denen er auftritt , so werden Sie in Ihrer Musik dem
Hauptcharakter treu bleiben."
Hier wollen wir erst einen Augenblick inne halten. Das Geist-
reiche und Feinsinnige in Weber's Gedanken hervorzuheben, wäre
unnütz, denn Jedermann wird es unmittelbar empfinden; auch auf
den Freischütz wollen wir diese Grundsätze nicht anwenden, weil es
in den unten mitzutheilenden Worten von Weber selber geschieht. Aber
der Leser richte einmal auf die Sache selbst das Auge. Kann man
sagen, Weber habe in Obigem einen „Grunds atz" ausgesprochen?
Ich glaube nicht. Denn jeder Grundsatz gilt da, wo er einmal am
Orte ist, auch unbedingt und ohne Moderation. Weber sagt aber
selbst: „bei so strengem Festhaltendes Grundsatzes
würde wahrscheinlich Monotonie entstehen." Man kann zugeben,
der Wohlbekannte habe in der „rauhen Kraft" kein gutes Beispiel
gewählt; man kann daran erinnern, dass das Leben der Grund der
Oper ist, und dass daher ein Festhalten des Charakters in „rauh-
kräftiger" Instrumentation todt und geistlos (materialistisch) erscheinen
müsse; man kann daher auch, wie der Wohlbekannte selber, in
Webers Worten die geistvollste Bestimmung der Gränzen solcher
Verfahrungsweise finden und, soviel ich sehe, doch behaupten, Weber
habe nicht einen Grundsatz, sondern nur eine Regel ausgesprochen,
nicht das klare Wesen der Sache, sondern nur eine Seite an ihr
hervorgehoben, wenngleich mit tiefer Empfindung des Ganzen.
Die Berechtigung dieser meiner Einwendung dürfte dem Leser
so unmittelbar noch nicht einleuchten ; ich will sie daher zu begründen
suchen.
(Fortsetzung folgt.)
' O OOl
DAS 81. NIEDERRHEIMISCHE MUSIKFEST ZU DÜSSELDORF.
Durch Zufall verspätet.
(Schluss).
Gehen wir im Texte weiter und zu den Soloparthieen über.
Herr von der Osten, ein in Berlin beliebter Concertsänger, der
für die Tenor-Parthie gewonnen war, schien nicht sehr gut dispo-
nirt ; er hatte sowohl Mühe durchzudringen als auch sich „r e i n"
zu halten. Sein Vortrag war matt, wie es uns überhaupt scheint,
als eigne sich Herr von der Osten weniger für das Oratorium als
für das Lied. Herr Salomon, Königlich. Preuss. Hofopersänger
a. Berlin, befriedigte in der Bass-Parthie bei weitem mehr, obgleich
er auch manches zu wünschen übrig Hess. Fräulein Sophie Schloss
aus Düsseldorf, eine allgemein geschätzte Altistin, führte die ihr
nach dem „Strich" noch übrig gebliebene Parthie würdig durch,
nur die erste Arie „O^du, die Wonne" war uns etwas zu „würdig"
d. h. monoton gehalten; die ernsteste Grösse einer Händeischen
Messias- Arie schliesst im Vortrage die Nuance nicht ans. Dabei kön-
nen wir nicht umhin zu bemerken, dass die Stimme der Fräulein
Schloss etwas gelitten zu haben scheint; die frühere Fülle des Tones
in den untersten Chorden hat verloren und wir wollen der geschätz-
ten Sängerin von Herzen wünschen , dass dies seinen Grund in et-
was Vorübergehendem hat und nicht wie es hie und da hiess
in dem Bestreben , die Stimme in eine höhere , möglicher Weise in
eine Sopranlage zu zwangen, Fräulein Mathilde Hartmann»
welche einen Theil der Sopranparthie übernommen, hatte insofern
einen schwereren Standpunkt, als es kein Leichtes ist, sich neben
einer Clara Novello zu halten; doch durfte man mit den Leist-
ungen der liebenswürdigen Sängerin zufrieden sein. Fräulein N a ( a 1 i e
Eschborn, königl. Würtembrg. Hofopernsängerin aus Stuttgart, war
laut nachträglicher Anzeige des Vorstandes durch Unwohlsein ver-
hindert zu erscheinen, und so hatte Frau Clara Novello aus London
freien Spielraum. Fräulein Eschborn wäre ihr jedenfalls eine
bedeutende Rivalin geworden, obgleich Frau Novello zu den gebil-
detsten Sängerinnen gehört, eine tüchtige umfangreiche Stimme,
schöne Tonbildung, Sicherheit und Fertigkeit besitzt — ihr aber,
und ganz natürlich, die Frische einer jugendlichen Stimme abgeht.
Ihr Mezzavoce ist noch immer reizend, ihr Forte dagegen ohne Wohl-
klang. Was ihre Leistungen im Messias anbelangt, so sind wir
durchaus nicht einverstanden mit ihr über die Auffassung und am
allerwenigsten mit dem Anhängsel modern -italienischer Verzier-
ungen und Cadenzen. Wenn die lieben Sänger und Sängerinnen
doch immer berücksichtigen wollten, dass ein Oratorium keine Oper
ist und dass Händel, obgleich er auch für Italiänische Sänger zu
schreiben verstand, doch kein Verdi oder sonstiger „i" ist. Doch
das ausharrende Publikum, das ohnediess durch die Gesammtauffüh-
rung in keine höhere ernstere Stimmung versetzt werden konnte, nahm
im Allgemeinen dies ganz gut auf und hatte wenigstens in soweit
Recht , als es dabei der vollendeten , wenn auch schlecht placirten
Technik den verdienten Tribut zollte.
Der zweite Festtag, unter der Leitung Ferd. Hillers, brachte
zunächst Webers Ouvertüre zur „Euryanthe". Welch ganz an-
deres Ensemble als gestern! Welch eine ganz andere Direktion aber
auch ! Die Ouvertüre erquickte und brachte Stimmung in die Zuhö-
rerschaft. Ihr folgte eine Arie (mit Cello-Solo) aus Paulus, gesungen
von Herrn vond. Osten, der dieselbe sehr schön vortrug und wenig-
stens in etwas die Scharte des vergangenen Tages auswetzte. Ferner
kam Hillers 125. Psalm für Tenor-Solo und Chor zur Aufführung,
eine schöne gediegene Composition in welcher ganz besonders der
Eingangschor von grosser Wirkung ist. Das Tenor-Solo hatte Herr
Kammersänger E. Koch aus Köln übernommen, der gewiss in dieser
Parthie vollkommen befriedigte. Der Osten schliesst den Westen
nicht aus. Der erste Act aus Glucks „Alceste" schloss die
erste Abtheilung dieses Concertes. Hier war Alles gut, sehr gut,
davon gab Zeugniss der sich bis zum Enthusiasmus steigernde Bei-
fall des Publikums. Frau C. Novello sang die Parthie der Alceste in
grossem Style und mit grosser dramatischer Wahrheit. Mag es in einer
individuellen Neigung liegen, oder sonst in was es wolle : sie be-
wies mehr Pietät gegen Gluck als gegen Händel; als Alceste ver-
diente sie im vollsten Maasse die Anerkennung, die ihr von allen
Seiten geworden. — Den zweiten Theil des Concertes füllte Beetho-
vens 9. Sinfonie aus. Wir gestehen, dass wir erstaunt und hoch er-
freut waren, dieses instrumantale und vokale Riesenwerk in s o lc her
Tüchtigkeit ausgeführt zu hören. Die 3 ersten Sätze Hessen inso-
fern nichts zn wünschen übrig, als die ganze Durchführung klar war
und selbst die complicirtesten Stellen dem Zuhörer verständlich werden
konnten. Was den Schlusssatz betrifft, so ist es eine Unmöglich-
keit, denselben so zu effectuiren, wie ihn Beethoven sich wohl ge-
dacht und wie wir ihn uns vielleicht auch denken können; eine
Unmöglichkeit, so lange wir keine andere Menschen mit andern
Stimmorganen geworden sind. Eine Anstrengung, die sich höchstens
eine musikalische Periode lang ertragen lässt, wird hier für einen
ganzen langen Satz gefordert und selbst noch grösseren Massen, als
den hier vereinigten, dürfte es nicht gelingen, die nöthige Ausdauer
zu behalten, geschweige die gehörige Gradation zu erreichen. Trotz-
dem verdient der Chor die vollste Anerkennung seiner wirklich vor-
züglichen Leistung und ganz besonders der Sopran, der trotz der
stets höchsten Stimmlage in der ganzen Parthie eine vollkommen reine
Intonation bewahrte. In den Soli , die im Ganzen weniger befrie-
digen konnten« zeichnete sich Herr Salomon insofern aus, als ihm
bei einer der höchst liegenden Stellen der Ton überschlug: Das
darf einem gebildeten Sänger nicht passiren, einem Sänger, der seine
Grenzen kennen nnd wissen muss, wie er unter Umständen einen
Ton angeben oder forciren darf. Solche Kleinigkeiten können je-
doch bei einer so vollkommen guten Aufführung des Ganzen nicht
in die Waagschale fallen; wir versichern, dass das ganze zweit»
Concert einen wirklichen vollständigen Knnstgenuss gewährte; und
dies ist unserer Ansicht nach das schönste Lob, das demselben ge*
- 95 —
spendet werden kann, das schönste Lob aber auch, das dem Hebens»
würdigen Dirigenten zugesprochen werden muss , dessen Umsicht,
Einsicht und Energie es gelang, gleich einem grossen Feldherrn
seine Truppen dem sichern Siege entgegen zu fähren.
Das sog. „Künstler-Concert" am dritten Tage wurde mit dem
Händel'schen Halleluja eröffnet. Warum denn gerade diesen zwei Tage
vorher gehörten Chor wiederholt? Vielleicht auf „vielseitiges Ver-
langen l" Als zweite Nummer figurtrte auf dem Programm eine Arie aus
„Paulus" von Herrn Salomon vorzutragen; derselbe war aber ver-
anlasst, plötzlich abzureisen. Hillers Romanze ans „Ein Traum in
der Christnacht" von Hrn. Koch vorgetragen (von Hiller selbst begleitet)
konnte in einem Locale, wie die Gcissler'sehe Tonhalle, keinen be-
friedigenden Effekt machen. Die Composition ist zu zart gehalten
und verlangte eine sehr feine Nüancirung, welche Herrn Koch sehr
gut gelungen, so dass ein kleiner Concertsaal ein viel geeigneterer
Platz für einen derartigen Vortrag gewesen wäre. In gleicher Weise
verhielt es sich so mit Beethoven's „A d e 1 a i d c," von Herrn v. d.
Osten gesungen und von Frau Schumann begleitet. Hr. v. d.
Osten legte jedoch bei dieser Gelegenheit glänzendes Zeugniss ab
von seiner hohen Vollkommenheit im Licdervortrage. Frau Clara
Novello *ang eine italienische Arie von Cagnoni — eine jener Arien,
die nur dazu dienen, der Sängerin Gelegenheit zu bieten , all ihre
Fertigkeit und einzelnen Eigentümlichkeiten in ein grelles Licht zu
setzen. In der zweiten Abtheilung des Concertes sang die geschätzte
Künstlerin noch ihre bekannten „Schottischen" Lieder und
God save the queen: die chevaux de bataille. Auch ihr wurde
zum Schlüsse der Lorbeer. Hillers „freie Fantasie" auf dem
Piano erfreute sicher jeden Zuhörer, sie war geistreich improvisirt
und technisch vollendet ausgeführt. Die Concertouverture von Julius
Tausch — ist eben eine Concertouverture von Julius Tausch, der wir
das Motto vorsetzen möchten : „Viel Lärm um nichts." Um solche
Kompositionen aufzuführen, bedürfte es unserer Ansicht nach keines
so bedeutenden Orchesters, als das eines Niederrheinischen Musik-
festes; solche Kräfte verdienten, bei solchen Gelegenheiten bes-
ser verwendet zu werden. Schumann' s Festou ver t ur e mit
Schlusschor über das „Rheinweinlied" gehört der Zukunft an
und wir Gegenwarts-Menschen vom „überwundenen Standpunkt" hätten
uns zu trösten gewnsst, wenn man sie uns vorenthalten. Die Perlen
des Abends, aber auch Perlen des reinsten Wassers, waren die Vor-
träge von Frau Schumann und Herrn Joachim. Erstere spielte
ein aus drei Sätzen bestehendes Concert ihres Gatten mit einer
Meisterschaft, die einesthcils die Komposition erhob und anderntheils
das Publikum zu enthusiastischem Beifallssturm hinriss. Frau Schu-
mann gehört jedenfalls zu den genialsten Künstlerinnen der Jetztzeit:
der Lorbeer war verdient. Was der Vortrag des Beethoven'schen
D-dur-Concertes für Violine durch Herrn Joachim betrifft, so ge-
stehen wir , dass wir bis jetzt nichts Vollendeteres gehört haben.
Ein solches Werk mit solcher Meisterschaft, mit solchem tiefen Ein-
gehen in den Geist der Komposition executirt, ist ein Genuss, der
in unserer Zeit einer Oase in der Wüste gleicht. Wir wollen allen
unseren deutschen Meistern der Geige ihre individuellen Ver-
dienste gern zugestehen: aber wir haben von Keinem noch in sol-
cher Weise wie von Joachim „Beethoven" gehört. Da ist die Klas-
sizität vom ersten bis zum letzten Strich ; nicht eine Klassizität, die
mit der Form koquettirt, nein „die es im Geiste und in der Wahr-
heit ist", Dass ein solches Spiel den Wunsch nach einem „Mehr**
erregen würde, war vorauszusehen. Der Beifall der entzückten Zu-
hörer erreichte den höchsten Grad von Enthusiasmus, Herr Joachim
musste dem stürmischon Dacapo nachgeben und trug noch Bach's
Ciaconne vor. Uns wäre eine Wiederholung des Adagios aus dem
Concert lieber gewesen; Bachs Composition ist originell und interes-
sant , die Ausführung war vollendet und überraschend — doch war
es auf das Beethoven'sche Concert ein Douchebad. Wir wollen
durchaus dem liebenswürdigen, anspruchslosen Künstler hiermit keinen
Vorwurf machen , denn er wurde durch seine Freunde dazu veranlasst,
gerade dies Stück zu spielen, wir wollen hiermit nur andeuten, dass
ein „Künstlcr-Koncert" von solchen Künstlern künstlerischere
Rücksichten erheischte. Doch dürfen wir es an diesem Abend nicht
allzugenau nehmen : das ganze Programm war ja eine „olla Potrida.
möchten in Zukunft die „Künstlerkoncerte" bei solchen Gelegenheiten
ein gewählteres Programm aufzustellen wissen — sie dürften sich
sonst nicht leicht von den ällergewöhnlrchsten Koncerten unterscheiden
und am allerwenigsten den Anforderungen an ein N i e d e r r h e i ai-
sches Musikfest entsprechen. Joachim hat bewiesen, wie 1 man
der Virtuosität bei solcher Gelegenheit Rechnung trägt: die Wahl
der Musikstücke ist wahrlich keine Nebensache.
Scheiden wir nun von dem Feste mit dem herzlichsten Dank
gegen Alle, die sich um dasselbe verdient gemacht haben — und
deren sind es Viele — und mit dem Wunsche bei der nächstjährigen
Wiederkehr die gemachten Erfahrungen vorteilhaft benutzt zu sehen.
Die Zeiten sind vorüber , in denen man nur auf den Musikfesten
gute Musik hörte; die Musikfeste in unsern Tagen müssen uns das
Beste in jeder B e z i e h u n g bringen, sonst wird sich das Interesse
an denselben verlieren und kein Gott mag sie dann vor ihrem Erle-
schen retten. H. W.
CORRESPONDENZEX.
AUS MANN HEI IN.
Kaum weiss ich, ob Ihren Lesern jetzt noch ein Bericht über
die während des letzten Winters hier stattgefundenen, hervorragen*
deren Produktionen willkommen sein wird; da jedoch der Winter
sich diesmal bis in die Zeit, die man sonst Frühling zu nennen ge-
wohnt war, verlängert hat, und die Veranstaltung späterer Concerte
nicht unpassend erschien , so möge dadurch der verspätete Bericht
einige Entschuldigung finden. In den vom hiesigen Orchester gege-
benen Concerten kamen folgende grosse Instrumental-Werke vorz
Mozart's Sinfonie in C mit Fuge; Beethoven's C-moll und Pastoral-
Sinfonie; Franz Lachners neuste Sinfonie in G-moll; Esser's neueste
Sinfonie in D-moll: Fest-Ouverturc von V. Lachner, mit dem Preis
der Mannheimer Tonhalle gekrönt, Fest-Ouverture (A-dur) vonRietz,
Jagd-Ouverture von Mehül ; Concertante für Violine und Viola (vor-
getragen von den hiesigen Orchester-Mitgliedern Hr. Becker und Mayer)
von Mozart; Mendelssohn's Ciavier- Concert in D-moll, vorgetragen
von Herrn Hechtaus Frankfurt a. M. und Hummel's A-moll Concert,
vorgetragen von Frau Betty Schott aus Mainz. Von den hier
angeführten neuen Werken fand die Sinfonie von Franz Lachner eine
noch bei weitem grössere Anerkennung , als bei ihrer ersten Auf-
führung hier, was bei diesem so gehaltvollen Werke nicht anders
zu erwarten war. Esser's Sinfonie in D-moll wurde von den Musikern
und den einsichtsvolleren Musik-Kennern als ein Werk voll Frische
und Anmuth der Gedanken, und zu vollkommner Klarheit ausgear-
beitet, freudigst begrüsst. Fand auch dasselbe, mit Ausnahme des 2,
Satzes, der ganz besonders ansprach, von Seiten des grösseren
Publikums keine enthusiastische Aufnahme, so ist dies nichts
weniger, als ein Beweis gegen die Vorzüglichkeit des Werkes, denn
noch immer ist das musikalische Publikum unbilligerweise gewöhnt
neue Erscheinungen im Gebiet der Sinfonie hauptsächlich mit Beet-
hovens grandiosen Erzeugnissen dieser Gattung zu vergleichen; ein
Verfahren, wodurch der Standpunkt zur richtigen Beurtheilung eines
solchen Werkes unmöglich gefunden werden kann. Sind ja doch
Haydn , Mozart und Beethoven in ihren Sinfonieen , wie in ihren
Quartetten bezüglich der .darin enthaltenen Gefühls- Aeusserungen >
wie der Verarbeitung derselben ausserordentlich verschieden von ein-
ander ; bei vorurteilsfreier Betrachtung wird man die jedem dieser
Meister gebührende hohe Geltung anerkennen müssen. Ist einer
unserer Zeitgenossen im Fach der Musik befähigt für die Kompo-
sition einer Sinfonie, wie dies bei Esser unstreitig der Fall ist, so
gebührt ihm auch das Recht , auf eine unpartheiische , von einsei-
tigem Anhängen an das als klassisch anerkannte freie Beurtheilung,
von Seiten seiner musikalischen Mitwelt Anspruch zu machen. —
Möge uns Herr Esser bald mit einem neuen Werke dieser Art er-
freuen! — Von den beiden Clavier-Concerten konnte sich das Men-
delsohn'sche, obgleich von Herrn Hecht sehr gut vorgetragen, weniger
Anerkennung erwerben, da hauptsächlich der für die Parthie des Piano*
etwas mager ausgestattete zweite Satz zu wenig Interesse darbot.
Weit günstiger war die Aufnahme des HummeFschen Concerts, welches
Frau Betty Sohott aus Mainz mit der wünschenswertesten Klarheit
und Eleganz vortrug. — An den vorgenannten Concerten betheiligte
sich das Sängerpersonal der hiesigen Oper mit stets gleicher Bereit*
Willigkeit durch Vorträge verschiedenster Art , wie dies auch hei*
— 96 —
mehreren von einzelnen Künstlern veranstalteten Conccrten gerühmt
werden muss.
Von auswärtigen Virtuosen war in den letzten Monaten der Vio-
linist Herr Adolph Köckert aus Prag der Einzige, der ein
Concert hier veranstaltete, unterstützt von mehreren Mitgliedern der
Oper und des Orchesters. Hr. K. erwies sich in seinem Vortrag
von Kompositionen von de Beriot, Prünie und Vieuxtcmps als ein
gewandter Violinspieler, dem es jedoch leider an Reinheit der Into-
nation fehlte.
Ferner gah der Violinist Herr Becker, Mitglied des hiesigen Or-
chesters, ein sehr besuchtes Concert, das unter Anderem zwei ganz
besonders interessante Musikstücke brachte : Beethovens Quintett für
Klavier und Blasinstrumente, und Mendelssohn' s Oktctt für Streich-
instrumente, Ersteres ausgeführt von Frl. \V. Wolff und vier Mitglie-
dern des Orchesters, Letzteres von Hr. Becker und sieben Orchester-
Mitgliedern. In der Wahl der von Heinrich Becker allein, und im
Verein mit Frl. Wolff (Duo concertante von Osborne, dem dieselbe
jedoch, wie auch dem Quintett nicht vollkommen gewachsen war)
vorgetragenen Solostücke wäre grössere Sorgfalt und mehr Geschmack
sehr zu wünschen gewesen; denn leider waren die Hauptbestandteile
derselben Variationen, und zwar grösstenthcils von der geist-
losesten Sorte, womit der Spieler sich unnützerweise abarbeitet, denn
das Interesse an solchen Dingen hat sich beim besseren Theil des
Publikums gänzlich verloren. Frl. Rohn und Hr. Stockhausen , Mit-
glieder der hiesigen Oper, unterstützten den Concertgeber durch
trefflich vorgetragene Gesangstücke.
Von den Conccrten des Musik-Vereins erwähne ich die interes-
santen Musikstücke : „Misericordias" von Durante und „Crucifixus"
von Lotti, beide für achtstimmigen Chor, welche von ausserordentlicher
Wirkung waren; ferner Beethoven's Septett für Streich- und Blas-
instrumente, und dessen Sextett Op. 81; endlich „Gloria, Sanctus,
Benedictus und Agnus Dei" aus einer Vokal-Messe von V. Lachncr,
Welche kurz darauf vollständig in der hiesigen Jesuiten-Kirche von
den Mitgliedern des Musik-Vereins unter des Componistcn Leitung
mit sehr günstigem Erfolg zur Aufführung kam. — «.In denselben
Conccrten des Musik-Vereins produzirten sich auch die Zöglinge
der mit Letzterem verbundenen Singschule ; konnte und musstc man
auch den ersten Versuch, den dieselben mit einer Hymne von
ihrem Lehrer, IL E. Kuhn, und einem „Chor der Engel" aus Mendels-
sohns „Elias" machten, mit Nachsicht aufnehmen, so war bei ihrem
Auftreten in einem spätem Concerte reinere Intonation und mehr
Selbstständigkeit im Treffen zu erwarten; dagegen war es für den
Zuhörer peinlich, zu bemerken, wie die jungen Sänger und Sängerinnen
▼on der Ciavierbegleitung ihres Lehrers allzusehr abhängig waren,
und demungeachtet bedeutend detonirten, so dass das Ciavier besser
geschwiegen hätte. Hoffen wir aber, dass diese Uebelstände bis zum
nächsten Winter sich entfernt haben, und der junge Nachwuchs zum
ferneren Gedeihen des Musik- Vereins das Scinigc allmählig beitragen
werde.
Das Theater brachte im Laufe des Winters als Neuigkeit nur
das Finale aus Mendelssohn's Lorcley, das auf die Zuhörer einen so
günstigen Eindruck hervorbrachte, wie man kaum erwarten mochte,
und der auch bei einer wiederholten Aufführung sich gleich blieb. —
Erst in der letzt verflossenen Woche wurde eine Neuigkeit —
Flotow's „Indra" — zu Gehör gebracht. Die Musik dieses Com-
ponistcn ist nicht von der Art, dass man nothwendig, und wenigstens
eine zweite Aufführung abzuwarten hätte, um sich ein Urtheil über
Erstere bilden zu können; ihr Wesen ist im ersten Augenblick zu
erkennen, es besteht darin, den Zuhörer für einen Abend leicht zu
unterhalten, und ihm etwa einige tändelnde Melodieen mit nach Hause
zu geben. Die Aufführung, mit der an hiesiger Bühne gewohnten
grösstmöglichsten Sorgfalt vorbereitet, ging sehr gut von statten und
so ist denn der Zweck des Componistcn denjenigen gegenüber, die
sich so leichten Eindrücken hinzugeben lieben, vollständig erreicht.
An missbilligenden Stimmen über solche Musik hat es jedoch — zur
Ehre unseres musikalischen Publikums sei diess gesagt — keineswegs
gefehlt.
In den letzten Tagen hatten auch wir den Genuss, Herrn A n d e r in
% Opern, Stradella und Martha, zu hören, und hätten namentlich nach
Letzterer sehr gewünscht, in einer bedeutenderen Oper sein grosses
Talent für dramatischen Gesang in ausgedehnterem Maasse kennen
zu lernen. Der Erfolg der beiden Rollen war sowohl in Hinsicht
auf seine Leistung im Gesang als im dramatischen Spiel ein wahr«
haft glänzender, wie man sich hier kaum eines ähnlichen erinnern
mag.
Die Quartett- Unterhaltungen der Herrn Becker, Hildcbrand,
Mayer und KündiBger, deren Beginn ich schon in meinem vorigen
Berichte angezeigt , erfreuten sich einer so lebhaften Theilnahme ,
dass im Laufe des Winters noch ein zweiter Cyclus derselben ver-
anstaltet werden konnte, in welchem neben Haydn, Mozart und Beet-
hoven auch ein Quartett von Spohr (Nr. 20 in D) und von Onslow
(Op. 9. Nr. 3 F-moll) zu Gehör kamen , welche beide jedoch unge-
achtet der lobenswerlhen Ausführung, sich nur in einzelnen Theilcn
einige Geltung verschaffen konnten. In Spobr's Quartelt trat uns
Melodie, Harmonie, Modulation und Verarbeitung der Motive als
längst bekannt, ich möchte sagen „stereotyp" entgegen und Onslow
konnte durch die in seinen Quartetten überhaupt so auch hier, vor-
hersehende Eleganz für die darin fehlende Wärme der Gedanken
keinen Ersatz bieten. Die Fortsetzung dieser Quartett-Unterhaltungen
erachten wir übrigens, bei der kundgewordenen regen Theilnahme
daran, zum nächsten Winter für gesichert, und sehen derselben
freudig entgegen.
NACHRICHTEN.
Offenbach. Am 23. April feierte der hiesige „Sängerverein"
(von Herrn Franz Dillenberger geleitet) sein 25jähriges Jubiläum.
Die benachbarten Sängervereine (in Frankfurt und Hanau) hatten
zahlreiche Gäste gesandt. Das Fest verlief in äusserst heiterer Weise
und befriedigte alle Theilnehmer, da der Verein Alles aufgeboten
halte, um die Feier würdig zu begehen.
Wien« Die neuangagirten Mitglieder der Oper, der Tenorist
Steger von Prag und der Baritonist Beck von Frankfurt, sind bereits
eingetroffen. ■— Das restaurirte Hofoperntheater wird am 30. Juni
mit Boieldieu's „die weisse Frau" eröffnet. Neu engagirt sind Frau
Friedrich und Frl. Titjens. Ein Gastrollen-Cyclus des Pariser Teno-
risten Roger im Laufe des Sommers steht bevor.
Prag» Die Abschiedsvorstellung des Tenoristen Steger wurde
zu einem wahren Triumph für denselben. Er wurde mit Kränzen,
Gedichten und anderen Geschenken förmlich überschüttet und ausser-
dem hatten ihm die Mitglieder des Chors etc. (für welche er oft be-
reitwillig Concerte und dergl. arrangirt und durch seine Mitwirkung
einträglich gemacht hatte, Ueberraschungen bereitet. Der enthusia-
stische Beifall und die Anhänglichkeitsbezeugungen von allen Seiten
erschütterten ihn so, dass er unwohl wurde. — Seit einiger Zeit
macht ein „Wunderkind", der 10jährige Altschul, Aufsehen, welches
eine seltene Fertigheit auf dem Piano und die noch seltenere Gabe
der freien Fantasie und Improvisation über gegebene Themas besitzt.
Dasselbe ist dem Unterricht des Conscrv.-Direktors Kilt'l übergeben
worden.
Paris. Beinahe hätte die Direktion der Grossen Oper gewech-
selt. Der frühere Direktor des 3. lyrischen Theaters und später der
Varietes, Hr. Milon-Thibaudcau , halte sich mit vier Banquicrs zur
Ucbcrnahme derselben vermittelst einer Entschädigungszahlung von
7—800,000 Fr. an Herrn Roquelan geeinigt und Alles war schon in
Ordnung, als der Minister des Innern ihnen einen Strich durch die
Rechnung machte und seine Genehmigung versagte. Es bleibt also
beim Alten. — Im ilalien. Theater gibt seit dem 2. Juni eine spa-
nische Truppe Opcrnvorstellungen , was eigentlich unuöthig war,
da die Leistungen der letzten italien. Oper Vielen „spanisch" genug
vorgekommen sind. — Roger hat mit dem 1. Juni seinen Urlaub an-
getreten. Gastspiele in Aachen , Breslau und München sind bereits
von ihm abgeschlossen. — Fräul. Cruvelli ist nach ihrer Vaterstadt
Bielefeld zurück gekehrt, wo sie wahrscheinlich wieder einige Zeit
unter ihrem wirklichen Namen existiren wird. — Ernst, der berühmte
Geiger, bereist das mittägige Frankreich und hat vor Kurzem in
Toulouse und Bordeaux gespielt.
Genf. Der bekannte Violinist Sivori, welcher mit dem Pianisten
Mulder durch die Stadt fuhr, wurde durch Umwerfen des Wagens
sehr bedeutend an der Unken Hand verletzt, doch hofft man ihn wie-
der herzustellen.
Petersburg. Ein Correspondent der Gazette musicale berich-
tet dieser, dass in den letzten Monaten der Saison nicht weniger als
82 Concerte stattge funden haben. Wer die alle hätte mitanhören müssenl
"viSatwortUckei Btiaktfftr: J. J. SCHOTT. - Druck TM REIHER * WALLAU In Mal».
2. Jahrgang.
Mr. 25.
20. Juni 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
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RIDACTION OD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ,
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
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0. 2. 42 oder Tnlr. 1. 18 Sgr.
rar den Jahrgang.
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50 kr. oder 1« Sgr. per Quartal.
Inhalts G. Bf. v. Weber's Gespräche mit dem "Wohlbekannten etc. — Corr. (Dresden. Hamburg.) Nachrichten.
C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
aber
die Composition des Freischütz und Aber
Operneompositlon überhaupt.
(Fortsetzung )
Wenn Weber's im vorigen Aufsatz mit get heilte Acusscrungcn nach
der Meinung Einiger die rechte Lehre über die Komposition dieses
sehr wichtigen Thcilcs der Oper enthalten sollten, dann behaupte ich:
Weber hat dem Sinne, d. h. seiner subjeetiven Empfindung nach, das
Rechte im Auge, sein sprachlicher (logischer) Ausdruck ist aber der
Art, dass er einem unkünstlcrischen, nämlich mechanischen und ma-
terialistischen Verfahren das Wort redet.
Erstens: mechanisch. Mechanisch ist Alles, was sich erlernen
lässt. Nun wird man mir zurufen: Weber sage ja selbst : „gewiss zu er-
lernen, wenn das nöthige Talent da ist." Aber das ist ja
das ausserordentlich Merkwürdige , und zugleich der erste Wider-
spruch, dass Weber Talent als das Nothwendigstc fordert und doch
gar nicht bestimmt, was das Talent zu Ihun hat, nicht abgränzt, was
dem Talente, was der erlernbaren Kunst zukommt. Ich höre schon
wieder entgegnende Fragen, ob beides geschieden werden solle?
Nein, gewiss nicht — nur stille; o ich weiss wohl, Weber hat Talent
und erlerntes Geschick nie scheiden wollen noch können und beides
sollte auch stets ungetrennt Eins bleiben und wie Eins wirken , so
wie es b<ji allen wahren Künstlern immer der Fall gewesen. Beides
soll dann aber auch im Kunst bewustsein, in der Reflexion,
in der Kunstlchrc Eins sein; es darf daher das Eine (das Talent)
als das Erste, nicht in ungewissem Dunkel bleiben, sondern wenn
es einmal prius ist, so muss es auch in der Lehre (in der Kunst-
logik) als der Vordersatz dastehen , und die andern (mehr äusser-
lichen) Fähigkeiten müssen aus ihm erhellt, nach ihm geregelt werden,
in steter Beziehung auf seine Kräfte , Bedürfnisse und Schöpfungen.
Um Missverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, dass man von We-
ber zwar keine erschöpfende logische Auseinandersetzung erwarten
darf, die er gar nicht geben wollte, aber zu untersuchen berechtigt
ist, wie weit seine Aeusserungen das, worüber sie sich verbreiten,
im rechten Lichte darstellen. Und hier vermisse ich die rechte Stel-
lung % der geistigen Faktoren , welche bei dieser Kunstschöpfung
thätig sind, vermisse überhaupt das mit hellem theoretischen Be-
wusstsein erkannte Tiefe und Natürliche, und wehre mich daher
gegen alle Die, welche heute aus dergleichen Gedanken als aus festen
Sätzen Grundsätze und Normen für die Opernkomposilion ableiten
wollen. Sie sind unendlich werthvoll, diese Aeusserungen des edlen
Weber, aber nur als einseitige Beiträge zur allseitigen Würdigung
und zum rechten Verständnisse der musikalischen Dramatik.
Denn was ist Talent ? Talent (zur Musik) ist die Fähig-
keit des Subjekts, den rechten Ton treffen zu kön-
nen, nicht die Tonfarbe (Instrumentation) auch nicht die Tonfülle
(Harmonie) , sondern das Allererste, das rein Ursprüngliche, den er-
sten Ton — die M e I o d i e Dieser Ton ist der triebkräftige Keim, dem
ein Zweites und Drittes nicht als etwas Aeusscrliches aufgetragen
werden muss, sondern der die harmonische Fülle und die instrumen-
tale Farbe in sich trägt, wenngleich noch unentfaltet und allein der
Empfindung des Schöpfers vernehmbar. Dieser Keim, die
Melodie, ist der nächst e, eigentlichste, einfachste
und tiefste Ausdruck eines empfundenen Gedan-
kens, einer Situation, eines Charactcrs. Hierin
allein hat man festen Halt für Kunstanschauung und Kunstlehrc; so-
bald dies aufgegeben ist, beginnt die Willkür, die bei kräftigen und
gesunden künstlerischen Geistern allein noch durch die wahre mäch-
tige Empfindung des Rechten gezügelt wird.
Man wird also nicht sagen dürfen, dass durch die Instrumentation
der rechte Ton in das Ganze komme ; es ist eine falsche Lehre,
welche durch verschiedene Instrumentation „derselben Melodie einen
unendlich verschiedenen Ausdruck oder Character geben kann", und eine
verkehrte Anschauung, welche hierin das „Hauptmittel'* erblickt,
„durch welches einem einzelnen Musikstücke oder einer ganzen
grossen Oper ein gewisser Hauptcharacter zu geben ist", und end-
lich führt diese Lehre zu einer mechanischen Kunst, denn solche
Kunst lässt sich lehren und lernen.
Zweitens : materialistisch. So nennen wir alle Mittel
und Formen , welche einen Gegenstand kunstmässig zu gestalten
streben, aus dem sie nicht unmittelbar als Kunstgedanken entsprungen
sind. Das ist wohl eine etwas dunkle Erklärung ; es soll nach dem
vorher Gesagten heissen: die Melodie ist der unmittelbare Gedanke,
die ursprüngliche Form , wodurch ein Gegenstand in's Gebiet der
Kunst gehoben wird; wenn daher Harmonie und besonders Instru-
mentation mehr wollten, als bloss die Melodie zu der Fülle und dem
Glänze verklären, welche der Gegenstand in seinem Character nach dem
dramatischen Wechsel fordert, und die Melodie nach ihrem Gehalte
zulässt, wenn sie auch nur das Geringste losgelösst von diesem
Grunde rein aus sich gestalten wollten , so würden sie nicht mehr
als geistige Macht , sondern allein durch die Materialität
des Klanges wirken. Und das ist im Gebiete der Kunst Ma-
terialismus, Sinnlichkeit „schlechthin", wie die Philosophen sagen.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Weber im obigen Worte der
Instrumentation eine Selbständigkeit zuerkennt , die sie nie bean-
spruchen darf. Dies möge uns auch die Prüfung seines Vergleiches
zwischen Instrumentation und (Landschafts) Malerei bestätigen. Er
belehrt uns , der Maler „erkenne das einer Landschaft zu verschie-
denen Zeiten Eigentümliche und verstehe es, durch ansprechende
Farbenmischung jenen characteristisch.cn Haupttou in sein Bild
zu übertragen, so dass dem Beschauer die Wahrheit der Darstel-
lung sofort kenntlich entgegentrete." Mit diesen Worten ist es
Webern ebenso sehr Ernst gewesen, wie dem Ritter Gluck mit sei-
nem Vergleiche zwischen Musik und Farben im Gemälde *), und doch
*) In der bekannten Zueignungsschrift der Alceste: „Ich wollte
die Musik auf ihre wahre Aufgabe beschränken , der Poesie zum
Behufe des Ausdruckes der Worte und der Situation des Gedichtes
zu dienen , ohne die Handlung zu unterbrechen , oder diese durch
unnütze überflüssige Zierrathen zu erkälten, und ich dachte, sie müsse
dasselbe leisten, was bei einer richtigen und wohlangclegten Zeich-
nung die Lebhaftigkeit der Farben, und der wohlgewählte
98
rren Beide, Gluck im Vergleiche selber, Weher in der Bedeutung,
welche er der Ton- und der Lichtfarbe beilegt. Die Instrumentation
und die Farbe haben wesentlich dieselbe Aufgabe und Bedeutung,
ebenso auch Klavierauszug und Kupferstich. Nun kann es gar nicht
fehlen t dato zahllose Maler und Kunstfreunde sehr erbaut sind von
Weber*« Worten, und von Herten zustimmen; man werfe nur einen
Blick in die Bildergallerien, auf die Hunderte von neuen Laudschafts-
bildern, wie dort Alles in Farbe schillert und glüht und brennt, wie
dort die physische Realität hyporealisirt und so vollsaftig ausge-
stattet ist, dass man alle Augenblicke erwartet, es müsse „Blut aus
den Wangen spritzen". Vor dem Bilde steht der eitle Meister und
denkt : verstehe ich nicht die „Farbe zu mischen", und habe ich ver-
möge meines Farbenkastens es nicht in meiner Gewalt , den hellen
Tag dunkel zu machen, und umgekehrt? und Alles auf das Prächtig-
ste und „Wahrste"? — Wirklich?!
Wir wollen uns nicht blenden lassen. So frage ich den Leser:
wann stellt ein Gemälde, welches aus freier Wahl, also zu rein
künstlerischen Zwecken unternommen ist, z. B. den Abend dar?
Dann, wenn es die Gegenstände mit dunklen Farben umhüllt, annähernd
so wie wir in der sogenannten wirklichen Natur, d. h. in der Natur
der fünf Sinne, es wahrzunehmen glauben? Mancher möchte „Ja"
antworten, fühlt aber in sich die Gegenfrage, wie man sich dieses nich-
tigen Zweckes wegen so viel mühen könne? — Ich frage also weiter:
Wann wird es denn überhaupt Abend, dann etwa, wenn es dunkel
wird? Nein, denn das Dunkel ist „eine reine Negation", wie der
Schulausdruck lautet, ein Gewirktes, Abgeleitetes, selbst kraftlos und
nur in sofern fähig die Kraft zu hemmen, als es selbst seiner Natur
nach nur eine Folge hingeschwundener Kraft ist; das Dunkel ist daher nicht
des Abends Ursache , Quelle und geistiges Merkmal , sondern blos seine
nothwendige Folge. Also ? vielleicht wird es Abend wenn die Sonne unter-
geht? — Nun noch einen Schritt weiter: Welchen Moment des gesammten
Naturlebens bezeichnet der Sonnenuntergang? wenn dasselbe in die Ruhe
sinkt. — Jetzt haben wir'sl Ganz innerlich oder mit andern Worten geistig
und lebendig gefasst , ist der Abend der Moment des Lebens, wo dieses
nach der Entfaltung, nach der Blüthe am voraufgegangenen lichten
Tage in sich zusammen sinkt, sich erholt und sammelt, schläft, ver-
schlossenen Auges sinnt und in seiner Fülle ruht.
Dies ist der Zug, den der Künstler zu erfassen hat. Das Dunkel
ist in "dieser Bedeutung bloss noch der letzte Schimmer der Lebens-
Äusserung, welcher die ruhenden Gestalten umflicsst, und kann da-
her in aller Selbständigkeit von dem sinnlich wahrnehmbaren Dunkel
weit abgehen oder mit ihm zusammen treffen, je nach dem male-
rischen Gedanken. Kann ich mich hier, wo meine eigenen Beobach-
tungen sich auf verhältnissmässig wenige Kunstwerke beschränken ,
auf M. Unger's Mittheilungen *) verlassen , so haben die bekannten
alten niederländischen Maler dies mit bewunderungswürdigem Scharf-
sinne erkannt und in ihren Werken auf eine klare und edle Weise
anzuwenden verstanden. Aber die Farbe ist hier erst das Zweite;
Hauptsache bleibt die rechte Form. Für den Maler beginnt die
Natur zu ruhen , wenn sie ihre Gestalt ändert $ die Blume zieht sich
zusammen, der Vogel duckt sich in sein Federbette, der Waldbaum
lässt die Zweige hängen, des Tages frohes Leben hat die Augen ge-
schlossen , und in dieser ruhenden Harmonie erwachen des Löwen
Gier, der Nachtigall Gesänge, des Menschenherzens heimliche Leiden
Gegensatz von Licht und Schatten, welcher dazu dient die Figuren
zu beleben ohne deren Umrisse zu verunstalten." Obwohl dieser
Vergleich zu dem Wenigen gehört, wogegen Forkel „im Grunde
nichts einzuwenden" wusste (s. die Abhandlung über Gluck, in sei-
ner „musikalisch - kritischen Bibliothek" Bd. L, 53 bis 210. Gotha
1778. S. 115) , so muss man sich doch dagegen erklären, wenn er
mehr, als flüchtiger Vergleich, sein will; denn was den Gedanken
betrifft, so verhalten sich Poesie und Musik allerdings zueinander,
wie Form und Farbe — aber im dramatisch-musikalischen Kunst-
werke ist die Musik ebensowohl färbe- als formgebend, und letztere
Function ist vor der Hand viel wichtiger, als die erstere. Der
Gluck'sche Vergleich leistet der formlosen Musik bedeutenden Vor-
schub ; die schwachen Stellen seiner grossen Werke zeugen deutlich,
wie leicht er selber in die Formlosigkeit verfiel.
*) In seinem Buche: „Wesen der Malerei", Leipzig, 1862. Eine
etwas unbeholfen abgefasste , aber höchst werthvolle Schrift.
und Freuden — das Alles heischt zunächst die rechten Linien , den
malerischen Ton oder Ausdruck , Form und Gestalt , die m a l e-
rische Melodie, könnte man sagen. Und aus. diesem Innersten
entspringt Maas» und Gefühl wie für die rechte Farbengebung , s»
auch für Alles Andere.
Mehr darf ich hierüber nicht sagen , wenn wir nicht aus dem
Gleise gerathen sollen. Ist der Leser nun vielleicht mit mir einver-
standen , dass das wirkliche Kunstwerk im Gebiet der Naturmalerei
auf ganz andere Weise Character und Wahrheit empfängt , als aus
Webers Aeusserungen gefolgert werden dürfte? Und erscheint es
ihm von solchem Gesichtspunkte ans möglich , auch auf das Gebiet
der Naturmalerei, welches dem Geistigen so fern und der sklavischen
Naturnachahmung so sehr anheimgegeben scheint, das grosse Gesetz
der Kunst anzuwenden : jedes Werk muss ganz und in allem Aeus-
sern aus einem geistigen Zuge entsprungen, und zu nichts als bloss
zur sinnlichen Gestaltung desselben da sein — dann haben wir nicht
bloss Webers Ansicht auf das rechte Maas zurückgeführt , sondern
haben durch unsern Widerspruch auch über das Wesen der Kunst-
bildnng willkommnes Licht erhalten.
Dieses Licht reicht wohl hin, um sieben Tage zu leuchten, daher
lasst uns abbrechen, und erst nach dieser Frist unsern Weber
weiter hören.
(Fortsetzung folgt.)
CORRESPONDENZEN.
AUS DRESDEN.
(Monat Juni.)
Im Leben des Einzelnen wie der Gesammtheit, in allen Bestre-
bungen des Menschen auf den verschiedenartigsten Gebieten seiner
Thätigkeit, reihet sich, gleich den Gliedern einer Kette, Eins an das
Andere , die Kette wird immer länger , der Zeitfolge nach und dem
Maasse ein beständiges Fortschreiten — ob aber dieses Fortschreiten
stets auch ein Fortschritt, ob die Kette nicht auch in retrograden
Bewegungen sich krümmt und einmal plötzlich, ehe wir's gedacht,
durch spiralförmige Windungen wieder ganz in der Nähe ihres Aus-
gangspunktes anlangt ? Alles schon dagewesen , sagt Rabbi Akiba,
dem eine neunzigjährige Erfahrung wohl ein Recht giebt, mitzureden!
Unwillkürlich drängen sich mir diese Gedanken auf, indem ich mei-
nen heutigen Bericht an den frühern anknüpfen möchte , und in die-
ser äusserlichen Verlängerung der Kette doch einen eigentlichen Fort-
schritt nirgend entdecken kann. Eine Zeit von beinahe fünf Wochen
liegt dazwischen, und von irgend welchem reellen Ergebniss dieser
Zeit ist wahrhaftig wenig zu spüren. Man muss sich damit trösten,
dass der Ruhe , die dem Menschen ja doch auch nothwendig , natur-
gemäss auch wiederum eine Periode der Bewegung folgt, und hoffen,
dass die Äuhe nicht die Legende von den Siebenschläfern zur Wahr-
heit macht. Nicht dass wir in den verflossenen Wochen nicht viel
Musik gehabt und gehört hätten — im Gegentheil : französische, eng-
lische, spanische, italienische, deutsche Musik ist in rascher Folge
vor unsern Ohren vorübergegangen; aber cui bono? ist die eine da-
bei unwillkürlich sich aufdrängende, die andere nicht minder unab-
weisliche Frage: ob denn diese Fülle von Musik wirklich „Musik"
gewesen ? !
Seit Anfang dieses Monats gastirt auf unserer Hofbühne die
Compagnie francaise du The*ätre loyal de Berlin sous la direction de
Mr. Armand (Bidauf), die nichts als Vaudevilles giebt Von welcher
Art und Bedeutung diese Coupletmusik meistentheils ist, das weiss
die Welt. Wird sie nun aber» wie das hier der Fall, nicht selten in
ohrzerreissender Weise , ohne Grazie oder Geschmack , ohne irgend
eine pikante Färbung hergekreischt und hergeächzt, wie das eben
nur bei einer Provinzialtruppe dritten , vierten Ranges möglich ist,
da wird die Sache in der Thal sehr bös, und für den, der die der-
artigen Leistungen auf den Pariser Theatern gehört, geradehin uner-
träglich; das ist unsere französische Musik. — Der afrikanische
Tragöde I ra A 1 d r i d g e hat uns auch beglückt : in dem sogenann-
ten Vaudeville „the Padlock" hat er auch — gesungen? Nein! vor-
99 -
ausgesetzt, dass man nicht dem Lieder» und Mordgeschichten- Vor trag
auf Messen etc. die Ehre anthut , ihn Gesang» zu nennen ; das war
unsere e n g 1 i s ch e , aber wirklich eine teuflische Musik. Scnnora
Pepita de Oliva, die ganz gemüthlich sich erste Tänzerin des
Eönigl. Theaters zu Madrid nennt, und schon das kleine Hirn so
mancher jungen und alten Gecken und Lüstlinge ob ihrer wirklichen
Schönheit verdreht, und so manchen Kritiker (?) selbst zu empha-
tisch-bombastischen Faseleien über klassische Eurythmik und roman-
tische Grazie und zu den unsinnigsten Lobhudeleien darüber begei-
stert hat, dass sie nicht leistet, was sie zu leisten unfähig ist*) —
diese Sennora erscheint jetzt allabendlich auf unserer Bühne, um für
100 Thaler klingend Courant par jour sich etwa 10 Minuten beschauen
zu lassen , und nebenbei unermüdlich ein Paar spanische National-
tänze mit bedeutender Grazie und ausserordentlicher Keckheit, worin
^ie ihre einst weltberühmte Vorgängerin Lola bei weitem noch hinter
sich zurücklässt, abzutanzen: das ist unsere spanische Musik, die
natürlich nur mit Opernguckern genossen werden kann.
Gegenüber solcher espece von Musik kann man wirklich fast in
Versuchung gerathen , selbst D o n i z e 1 1 i's Linda von Ghamouny
eine klassische zu nennen j das begreift wohl sogar, wer sonst von
sehr schweren Begriffen ist. Diese Oper nemlich — Repräsentantin
der italienischen Musik, war es, die, in diesem Jahre die erste
neu einstudierte, **) den Beschluss der Vorstellungen vor den grossen
Opernferien unserer Bühne bildete. Es wäre schwerlich noch an der
Zeit, über diese Oper und ihren Werth bei Gelegenheit eines Referats
sich in weitläufigen Betrachtungen zu ergchen. Sie hat bei ihrer
ersten hiesigen Aufführungen (italienisch, zunächst mit Moriani, am
2t. Juli 1843; später nach langer Ruhe durch die Berliner italienische
Oper, am 7. Mai 1850) sehr geringen Erfolg gehabt, und man wäre
•deshalb wohl zu der Frage berechtigt, weshalb man gerade sie jetzt
neueinstudirt, zum ersten Male in deutscher Sprache gegeben, zumal
der diesmalige Succes, wie vorauszusehen, von dem frühern wenig
verschieden war. Bekanntlich hat der Mensch oft eine Frage an das
Schicksal frei, während er freilich auf die Antworten gemeinhin ver-
geblich wartet; und so mag denn in Anbetracht dessen hier nur re-
ferirt sein , dass Kapellmeister Krebs die genannte Oper sorgfältig
einstudirt hatte, dass die Ausführenden, (Frl. Meyer und Frau Krebs-
Michalesi, Linda und Pierotto, die Herren Wcixelstorfer, Mitterwur-
zer, Becker und Abiger, Vicomte, Anton, Marquis und Rector) freund-
liche Anerkennung verdienten, wenn auch manches minder Gelungene
mit unterlief, und dass die recht deutlich und ungeschickt hervortre-
tende Claque , die sich allmälig auch bei uns einnisten zu wollen
scheint, wirklich überflüssig war.
Eines Concerts (deutsche Musik) muss ich nun noch Erwäh-
nung thun , das zur Vorfeier des Königl. Geburtstags , am 17. Mai
unter zahlreicher Mitwirkung hiesiger (die k. Kapelle, die Dreyssig-
sche Akademie, der Cäcilienverein , die Singchöre der evangelischen
Kirche, die Mehrzahl unserer Männergesangvereine) und auswärtiger
Kräfte — in Summa über 300 Sänger, und unter Leitung des k. Ka-
pellmeisters Reissiger, in der Frauenkirche stattfand. Es war, wie
ein ähnliches im vorigen Jahre (Nr. 14 d. Bl. 1852) veranlasst durch
den hiesigen pädagogischen und Pestalozzi- Verein , um von dem Er-
trage seine wohlthätigen Schul- und Erziehungszwecke zu fördern,
zu welchem Ende die genannten Vereine jedes Jahr verschiedene
Male künstlerische oder literarische Kräfte * in Anspruch zu nehmen
pflegen. Für eine so bedeutende Vereinigung reicher musikalischer
Kräfte hätte man nun auch rücksichtsvoll das Programm aufstellen
sollen-: zwei Hymnen von Reissiger waren trotz aller Anerkennung
ihres Werthes, deren es hier nicht erst bedarf, zu viel; ein vierstim-
miges Strophenlied „an das Vaterland" neu von J. G. Müller (dem
Direktor unseres Orpheus) , gehörte ungeachtet des günstigen Ein-
drucks, den es hervorgebracht, schwerlich in das Programm eines
grossen Concerts, und eine neue Composition aus dem 21. Psalm
von Gantor G. A. Schurig für Sopran- und Altstimmen, denen end-
lich am Schlüsse der Männerchor choraliter sich beigesellte, recht
sauber und sicher gearbeitet, zeugte von ernsten Studien und wür-
digem Streben , aber ebenso von Mangel an frischer und selbständi-
*) Dieser Passus ist kein Schreibfehler, der Unsinn ist factisch
und vielleicht auch — klassisch 1
**) Beiläufig: in meiner letzten Correspondenz (Nr. lg d. Bl.)
muss Zeile 12 v. ob., Sp. 2, Seite 70, gelesen werden: keine ein-
zige neue grössere Oper.
ger Erfindungskraft und Phantasie , und ward , weil zu weit ftttsge*
spönnen, und ohne feingeistigere Nüancirung vorgetragen, mo*e*6W.
So blieb denn nur für Erweckung grösseren Interesses die gross«
A*npll-Fuge von J. S. Bach, von Hoforganist Joh. Schneider treffe
lieh vorgetragen, und des alten Meisters J. G. Naumann schönet
103. Psalm , der übrigens eine noch sicherere , vor Allem aber ein«
feurigere und energischere Ausführung hätte ertragen können. Dem
um des Zweckes willen in recht erfreulicher Zahl «heil nehmenden
Publikum gewährte das Goncert in der That die volle Befriedigung
nicht, welche man auf Grund der trefflichen Kräfte erwarten durfte,
wenn ein entsprechenderes Programm wäre aufgestellt worden , wie
das z. B. im vorigen Jahre in weit höherem Maasse der Fall war.
Schade !
Seit ein Paar Tagen haben die weltberühmten Akustiker und
Mechaniker Friedrich und Friedrich Theodor Kaufmann (Vater und
Sohn) von hier, ihre selbstspielenden Musik-Kunstwerke, mit denen
sie vor ein Paar Jahren auch in England so ausserordentliches, wohl*
verdientes Aufsehen erregten (Chordaulodion, Simphonion Belloneon,
TrompeterantomatundOrchestrion), nachVornahme nicht unwesentlicher
Verbesserungen, in denen die wackeren, in der That genialen Meister
nie ermüden , der Bewunderung des grösseren Publikums auf einige;
Zeit zugänglich gemacht, und dasselbe scheint ein um so lebendige-
res Interesse daran zu nehmen, als wirklich in vielen Stücken diese
Automaten musikalischer zu sein scheinen, als so manche Musiker l
AUS HAMBURG.
Mal 1853.
Die altherkömmliche Gewohnheit des Hamburger Klima's, den
Wonnemonat nicht im Mai sondern im April zu bringen, bat sich
für die Verehrer der Musik auf das Erfreulichste in Bezug auf die
Kunst bewährt. Der Domchor aus Berlin , freilich nur durch die
Hälfte seiner Gesammtheit vertreten, hat uns am 2. und 4. April im
Conccrtsaal und in der Kirche Festtage bereitet, welche einen Glanz-
punkt in meinen musikalischen. Erinnerungen bilden. Wie erquicklich
das ist, einmal sich eines ungetrübten Genusses erfreuen zu -können,
eine, so weit menschliche Kräfte das zulassen, vollendete Leistung
zu hören und mit vollster Ueberzeugung das aufrichtigste Lob ans*
zusprechen. Dazu gesellt sich der ausgezeichnete Eindruck der aus
dem ersten Bekanntwerden mit jenen erhabenen altitalienischen Werken
a capella entsteht, das heisst insoweit es die Ausführung betrifft,
denn welcher Künstler kennte nicht auf dem Papier die Schöpfungen
Palestrina's und seiner Schule? Aber diese geheimni ssvollen Ton-
verschlingungen , diese brausenden und wieder leise verhallenden
Klangwellen durch reine, schöne Stimmen im sorgfältigsten Ensemble
durchaus mit dem würdevollen Ernst ausgeführt zu hören, welchem
die Gompositionen ihre Entstehung verdanken — das ist es, was ich
als wahrhaft erhebend und erfreuend bezeichne.
Beide Concerle, in welchen der Chor mitwirkte, fanden zum
Besten einer Pensionskasse für alte und hülfsbedürftige Musiker
statt, welche wie ich höre eine sehr bedeutende Einnahme dadurch
erzielt hat. Das erste Concert war am 2. April im Apollosaal, der
weit über 800 Zuhörer versammelt sah. Der Domchor, aus ungefähr
20 Knaben- und 10 Männerstimmen bestehend, sang durchaus ohne
Begleitung mehrere weltliche Lieder für 4 Stimmen. Es waren dies
zuerst Mcndelssohn's Frühlingslied in E-dur: „O sanfter, süsser
Hauch." Das schöne innige Lied gestaltete sich zauberisch in der
meisterhaften Ausführung. Kurz vor dem Schluss setzt der ganze
Chor in der Tiefe den E-dur-Accord pp. ein, wobei die klangvollen
Bassstimmen überraschend schön wirkten, doppelt aber zur Be-
wunderung aufforderten, als sie in dem folgenden Dominantaccord das;
Contra-H in orgelähnlicher Fülle erklingen Hessen. — Ein Wiegenlied
von Taubert wusste durch etwas süssliche Tonfolgen die Herzen der
Zuhörerinnen lebhaft zu fesseln. In derselben etwas nebelnden
Stimmung bewegten sich die übrigen Sachen mit Ausnahme der
Motette von Haydn: Du bist's dem Ruhm und Ehr' gebührt., Die
ausserordentlich saubre Ausführung aller Stücke entlockte den Hörern
so lebhafte Beifallbezeugungcn dass die Sänger noch ein, sehr künstlich
berechnetes Echolied für Tenor- und Bassstimmen, allein in, wirklich
denkbarster Trefflichkeit ausführten. Der dankbare Jubel der Ge-
nügenden hielt mit dieser Höhe der Leistung gleichen Sehritt.
Ausser diesen Leistungen des Chores wurde noch anter der Leitung
— 160 —
des Hera H. Schäfer die Ouvertüre zur Vestaltn and die 71e (Adar)
Sinfonie Beethovens sehr feurig und kräftig ausgeführt. Nur hätte
ich gewünscht dass dahei nicht die erste Trompete verdoppelt wordeil
wäre ; es hat mich gewandert ein solches Schmettern za hören, lienn
vorzüglich die Trompeten in Octaven die Dominante auszuhaken
haben. Sonst wiederhole ich gern die Bezeichnung dass Feuer und
Geist in der Ausführung herrschten,
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Wiesbaden. Die letzten Opern- Aufführungen waren Belisar,
Norma , Lucia, und Don Juan ; theilweise mit Gastspielen des Teno-
risten Wachtel von Darmstadt und der Frau Behrend-Brandt aus
Frankfurt. Bemerkenswerth ist nur die abscheuliche Verzerrung
des an und für sich schon so abgeschmackten Dialogs im Don Juan
ins Gemein-Possenhafte durch die Improvisationen der mitwirkenden dii
minorum gentium , welche die erbärmlichsten Localwitze einflochten.
Wann wird solchem Unfug ein Ende gemacht werden und wann
werden wir einmal das Meister - Werk Mozarts in seiner ursprüng-
lichen Gestalt hören?
Oalrsruhe. Das neue Theater wurde am 20. Mai durch Gluck's
Armida für die Oper eröffnet. Die Aufführung wird als eine sehr
gelungene und vielversprechende bezeichnet. Die Hauptrollen waren
in den Händen der Hrn. Chrudimsky, Pasque" (von Dannstadt, anstatt
des erkrankten Herrn Hauser) und Frau Fischer.
Speier. Am 21. Mai wurde das Oratorium „Gutenberg" von
Löwe unter Leitung des königl. Gymnasial-Musiklehrers H. B. Wiss
aufgeführt. Die Solopartieen hatten Herr Stepan (Gutenberg) und
HerrFlintzer (Faust und Kurfürst), beide vom Mannheimer Theater,
übernommen. Als Maria debütirte eine mit schöner Stimme begabte
junge Dilettantin. Die Aufführung war eine treffliche und gebührt
dem Dirigenten dafür besonderes Lob. Leider war der Besuch sehr
schwach und das Haus zur Hälfte leer. Ein schlimmes Zeichen für
den Kunstsinn der Speierer!
Weimar. Liszt tritt im Juli eine längere Reise nach Paris und
Zürich an. Die eigentliche Leitung der Oper hat er schon längere
Zeit niedergelegt. — Der Tenorist Beck verlasse Weimar und wird
zunächst in Hannover gastiren.
Dessau. Man ist hier mit der Errichtung eines neuen Hof-
theaters beschäftigt. Seit einigen Jahren spielten in dem Hoftheater
nur reisende Gesellschaften. Als Oberregisseur ist nach den Sig-
nalen Herr Steiner engagirt.
Königsberg. Am 8. Juni wurde hier unter der Leitung des
wahrhaft ausgezeichneten Dirigenten F. Marpurg der Elias von Men-
delssohn aufgeführt; das Zusammenwirken Hess nichts zu wünschen
übrig. Marpurg ist ein höchst talentvoller Componist, seine Oper
„Der König der Berge" wird gewiss -Aufsehen machen.
Frl. Bochkoltz - Falconi hat als Norma ihr Gastspiel beendet j
ihre Leistungen als Fidelio und Donna Anna befriedigten nicht ganz
die Erwartungen, die man mit Recht nach der vorzüglichen Lei-
stung als Norma an sie stellte.
Braunsohweig. Das diesjährige Gesangfest des Elmsängerbunds,
wozu auch einige Braunschweigische Gesangvereine gehören , wird
nicht, wie früher in diesen Blättern angezeigt worden ist, in Neu-
haldensleben , einer Preussischen Provinzialstadt, sondern in Schöp-
penstedt, also im Braunschweigischen Lande, abgehalten werden und
zwar am 26. Juni laufenden Jahres. Die Veranlassung zu dieser
Verlegung des Festortes ist eine Erklärung des preussischen Land-
raths in Neuhaldensleben , der geäussert haben soll, den Braun-
schweigischen Gesangvereinen, falls dieselben mit ihren Fahnen
kämen, den Eintritt in's Preussisuhe Gebiet zu versagen oder sie
mit Gewalt daran zu verhindern. Das klingt unglaublich und doch
ist es wahr. Ist man nicht in Hessen in Bezug auf Männergesang-
vereine noch viel weiter gegangen?
Wien. Am IL Juni wurde das Hoftheater mit Meyerbeer's
„Prophet" eröffnet. Frau Köster- Schlegel eröffnete darin ihr Gast-
spiel. Am 12. folgte Wilhelm Teil mit den neu eugagirten Frl. Tiet-
jens, Herrn Beck und Steger und am 14. die weisse Dame.
Peeth. Unser Nationaltheater entwickelt jetzt in neuester Zeit
eine sehr' lobenswerthe Thätigkeit, Es scheint, dass auch hier
durch die Concurrenz das Publikum gewinnt. Keinem Zweifel aber
unterliegt es, dass diese Thätigkeit des Nationaltheaters erst durch
die raschere Entwicklung der hiesigen deutschen Oper hervorge-
rufen wurde. Wir hörten eine junge Magyarin Frl. Louise Tipkä
und zwar in „Martha" und den „Hugenotten", und müssen uns ein»
gestehen, lange keine so klangvolle, intensive und künstlerisch aus-
gebildete Stimme in den Räumen des ungarischen Theaters vernom-
men zu haben. Nach dem stürmischen Beifalle, der jede ihrer Lei-
stungen begleitete , dürfte sich die Direction wohl bewogen finden ,
diese Sängerin länger an die hiesige Bühne zu fesseln, und wäre
diess auch mit Opfern verbunden. Frl. Tipkä soll früher in Nord-
deutschland engagirt gewesen sein und schon dort als Anfängerin
durch ihre herrliche Stimme Aufsehen erregt, und eine glänzende
Garriere in der Folge versprochen haben. Unser Tenor Young setzt
sich immer mehr in der Gunst des Publikums fest. Die berühmte
Hasselt-Barth ist an der ungar. Bühne hier engagirt und singt —
ungarisch. Die Sonne neigt sich zum Sinken und die Ungarn haben
mehr Pietät für geschichtliche Grösse als der Alles zersetzende
Verstand der Deutschen!
Paris. Meyerbeer ist seit kurzem hier. Frl. La Grua verlässt
die grosse Oper bestimmt, um nach Wien zu gehen. Zwischen der
France musicale und der Gazette musicale hat sich in Folge einer
Notiz der letzteren über die ungünstige Aufnahme, welche Rigoletto
von Verdi in London gefunden, eine Polemik entsponnen, welche
von Seiten der Gebrüder Escudier, Besitzer der France musicale
und Verleger von Verdis Partituren, mit klassischer Arroganz und
Grobheit geführt wird. Die France musicale wird bekanntlich mit
fanatischer Wuth gegen Alles, was deutsche Musik heisst, redigirt
und es ist daher natürlich , dass es dieselbe auch bei dieser Gele-
genheit an Ausfällen gegen letztere nicht fehlen lässt. — Die grosse
Oper schliesst am 25. auf 6 Wochen.
Florenz. Vor kurzem dirigirte Rossini auf den Wunsch
des Grossherzogs persönlich seinen Wilhelm Teil.
IiCüdoiii Frl. Agnes Burry hat bei ihrem hiesigen Auftreten
eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Frl. W. Clauss ist, wie in
Paris, die Löwin des Tages. — Das erste Concert des Kölner Männer-
Gesangvereins hat bereits stattgefunden. Die Mitwirkung von Vieux-
temps und W. Clauss wird den Productionen sehr förderlich sein.
— Seit dem 21. April hat sich hier ein deutscher Gesangverein
gebildet , dessen Versammlungen - alle vierzehn Tage und zwar
Montags stattfinden. Die Direction der Gesangübungen hat der als
Pianist und Componist rühmlichst bekannte Herrn E. Pauer (früher
Director der Mainzer Liedertafel) freiwillig übernommen und dadurch
sein Streben , deutsche Kunst auch im Auslande zu fördern , auf
das Schönste documentirt.
V Eine norddeutsche Musik-Zeitung berichtet über die italie-
nische Oper in London und schliesst eine Stigelli betreffende Notiz
folgendermassen: „Stigelli hat als deutscher Sänger das Verdienst,
(?) mit Bewusstsein zu singen!" Wenn auch hier der Satz „le
style c'est l'homme" zutrifft, welch confuser Kopf muss der Schreiber
solchen Unsinns sein!
DEUTSCHE TONHALLE
Das Preisausschreiben vom Januar d. J. (eine Hymne
betreffend) hatte die Einsendung von 14 Bewerbungen zur Folge.
Während wir nun diese Werke den erwählten drei Herren Preis-
richtern zur Beurtheilung vorlegen , um diese demnächst bekannt zu
machen , setzt der Verein hiermit einen Preis von zwölf Ducaten
aus für ein Trio in vier Sätzen für Violine, Altviole und Violoncell,
ohne Eigenthums- Anspruch an ein oder die andere der einkommenden
Bewerbungen zu machen. Die Einsendung derselben ist im Laufe
des Monats October d. J. frei hierher zu bewirken, jede mit ei-
nem deutschen Spruch versehen und begleitet von einem versie-
gelten Zettel, der innen den Namen und Wohnort des Verfassers,
und aussen!, unter demselben Spruch, denjenigen Künstler nennt,
v welchen der Einsender als Preisrichter wählt. (Vergl. die „Satzungen
der Tonhalle", zu haban bei K. Heckel hier.) Das Ergebniss wird
sobald als möglich bekannt gemacht.
Mannheim, im Juni 1853. Sehtt»sler
sBt
VMUtfwortUcliei Briakienr: J. J. 6CH0IT. - »wc* tw KEOT1R 4 WALLAU In ■*!»*.
2. Jahrgang.
Hr. «6.
27. Juni 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
HONTAG.
Man abennirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
RED ACTIO \ HD VERLAG
von
SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang;.
Dnrch die Post bezogen:
50 kr. «dar 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts C. M. v. Weber'» Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Corr. (Wien, München, Hamburg und Braungchweig). — Nachrichten.
C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
über
die Compositum des Freischütz und über
Operncomposition überhaupt.
(Fortsetzuog. )
II.
Die Mittheilung Webers über die Art und Weise, wie er obige
Maximen bei der Composition seines Freischütz angewandt habe,
unterbricht der Wohlbekannte durch eine Frage , die wir hier abge-
sondert und kurz zur Sprache bringen wollen.
„Wohlbk. Gewiss um die Hörer daran zu erinnern, dass die
Oper in der Jägerwelt spielt, brachten Sie Hornmelodien auch da an,
wo nicht gerade ein Jägerlied zu bezeichnen war, also nur des Haupt-
characters wegen ? Sie erscheinen im Adagio der Ouvertüre , im Al-
legro (die vier Hornstösse), im Terzett: „0 lass Hoffnung dich beleben 4 '
im 2. Finale als wilde Jagd, zweimal im 3. Act und wiederholt als
Jägerchor.
Weber. Allerdings, und ich hätte diese Klangfarbe wohl noch
öfter anbringen können, z. B. überall da, wo Max auftritt, oder
Kaspar ; aber das Gegebene genügte , um die Hörer in das Jäger-
und Waldleben zu versetzen. Hätte ich die Jägerfarbe, wenn ich
so sagen darf, noch häufiger angewendet, so wäre sie am Ende
lästig geworden."
Hier begegnen wir derselben unbestimmten, auf das Aeusserliche
gerichteten Ausdrucksweise. Dass Weber den Hornklang maassvoll
angewendet, ist nicht das Verdienst seines Princips , sondern seiner
feinen künstlerischen Empfindung. Diese Worte erhalten besonders
dadurch für uns jetzt erhöhte Bedeutung, weil R. Wagner die ihnen
zu Grunde liegenden Gedanken als Erinnerungsmomente und dgl. zu
einem System durchgebildet hatj Weber ist, wie schon von Andern
angedeutet wurde, gewissermaassen die Quelle dieser Theorie, der
Künstler, bei dem sie sich bloss als eine vom Gefühl gebotene Praxis
vorfindet. Ueber die Sache selbst kann und soll so beiläufig an
diesem Orte nicht entschieden werden; es genüge die zweifache
Hinweisung, einmal auf Webers Anschauung und dann auf das hier
geltende Gesetz: die Kunst (die Tonkunst) ist nur das, was
sie ist, nicht was sie bedeutet. Von diesem Gesichtspunkte
aus kommen wir auf die beregte Erscheinung zurück.
III.
Nun über den Freischütz.
„Weber. In dem Freischütz liegen zwei Haupt elemente, die
auf den ersten Blick zu erkennen sind: Jägerleben und das Walten
dämonischer Mächte, die Samiel personificirt. Ich hatte also bei der
Komposition der Oper zunächst für jedes dieser beiden Elemente die
bezeichnendsten Ton- und Klangfarben zu suchen j diese Ton- und
Klangfarben bemühte ich mich festzuhalten und nicht bloss da an-
zuwenden, wo der Dichter das eine oder das andere der beiden Ele-
mente angedeutet hatte, sondern auch da wo sie sonst noch von
Wirkung sein konnten. Die Klangfarbe, die Instrumentation, für das
Wald« und Jägerleben war leicht zu finden; die Hörner lieferten sie.
Die Schwierigkeit lag nur in dem Erfinden neuer Melodien für die
Hörner, die einfach und volkstümlich sein mussten. Zu diesem
Zwecke sah ich mich unter den Volksmelodien um und dem eifrigen
Studium derselben habe ich es zu danken, wenn mir dieser Theil
der Aufgabe gelungen ist. Ich habe mich sogar nicht gescheut, Ein-
zelnes aus solchen Melodien — soll ich sagen: notlich? — zu be-
nutzen. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass der letzte Jäger-
chor z. B. den zweiten Theil der Melodie von Marlborough versteckt
enthält. — Doch liegt die Haupteigenthümlichkeit des Freischütz
nicht darin. Die wichtigste Stelle für mich waren die Worte des
Max: „mich umgarnen finstere Mächte", denn sie deuten mir an,
welcher Hauptcharacter der Oper zu geben sei. An diese finsteren
Mächte musste ich die Hörer so oft als möglich durch Klang und
Melodie erinnern. Sehr oft bot mir der Text die Gelegenheit dazu,
sehr oft aber auch deutete ich da, wo der Dichter es nicht unmittel-
bar vorgezeichnet hatte , durch Klänge und Figuren an , dass dämo-
nische Mächte ihr Spiel treiben. Ich habe lange und viel gesonnen
und gedacht, welcher der rechte Hauptklang für dies Unheimliche sein
möchte. Natürlich musste es eine dunkele, düstere Klangfarbe sein,
also die tiefsten Regionen der Violinen, Violen und Bässe, dann na-
mentlich die tiefsten Töne der Clarinette, die mir ganz besonders
geeignet zu sein scheinen zum Malen des Unheimlichen , ferner die
klagenden Töne des Fagotts, die tiefsten Töne der Hörner, dumpfe
Wirbel der Pauken oder einzelne dumpfe Paukenschläge. Wenn Sie
die Partitur der Oper durchgehen, werden Sie kaum ein Stück finden,
in welchem jene düstere Hauptfarbe nicht merkbar wäre, Sie werden
sich überzeugen , dass die Bilder des Unheimlichen die bei weitem
vorherrschenden sind, und es wird Ihnen deutlich werden, dass sie
den Hauptcharacter der Oper geben. — Bisweilen wird der Kom-
ponist, wenn er nur überhaupt den rechten Hauptton getroffen hat,
auch durch Aeusserlichkeiten glücklich unterstützt, durch die Deco-
rationen und Alles, was der Zuhörer auf der Bühne vor sich sieht.
Uebersehen sie nicht, wie mir bei dem düsteren Hauptcharacter der
Umstand zu gute kommt, dass die halbe Oper im Dunkel spielt.
Diese dunkeln Bilder der Aussenwelt unterstützen und verstärken
das Dunkel der Tonbilder gar wirksam. Denken Sie sich den Frei-
schütz in einem hellen eleganten modernen Zimmer bei Tage aufge-
führt , und von dem unheimlichen Eindruck wird ^Einiges verloren
gehen, das Hereingreifen der finstern Mächte wird weniger fühlbar
erschein en-
Wohlbek. Sie haben wohl Recht, aber ....
Weber. Ein Aber ist freilich noch ^labei. Ich glaube so
ziemlich Alles gesagt zu haben, was sich über die Totalität in der
Musik, über den Hauptcharakter eines Stückes sagen lässt, etwas
Unerklärliches bleibt indess immer übrig. Wenn zehn Compo-
nisten, die mir an Talent ganz gleich stünden, nach denselben Grund-
sätzen, die mich leiteten, den Freischütz komponirt hätten , würde
jeder eine andere, mancher vielleicht eine bessere Musik, die' Weber'sche
gewiss nicht geschaffen haben. Was die meinige gerade so gemacht
hat, wie siegeworden, ist eben meine Eigenthümlichkeit, oder
vielmehr — e in G es c h enk v on b e n. Ich bin mir zwar bewusst,
das Talent, das mir von Gett gegeben worden ist, fleissig und aus"
— IQ* —
dauernd gebildet und nach bestem Wissen angewandt zu haben ; für
das aber, was mir gelungen, sei Gott allein die Ehre."
Hier vernehmen wir von Weber, was Talent sei, und zwar so,
dass Einem die Augen übergehen möchten. „Talent ist eine Gabe
Gottes" — - wer wüsste es kürzer, schöner und erhebender zu sagen ?
Und doppelt schwer wiegt dies Wort heutigen Tages, wo die Kunst-
götter durch die Brunst der Parteien zu Götzen geworden sind,
durch das zahllose Heer schwächlicher und charakterloser Kunstler,
wovon Einer den Andern weihräuchert. Weber war einer der letzten
von den Künstlern; die noch ungeheuchelt bitten und danken konnten
und denen Frömmigkeit trauter und werther war, als kunstphilo-
sophisches Wissen. Seine Nachfolger wissen Alles viel besser, ja
sie stellen sich an, nun endlich eingesehen zu haben, dass der Glaube
an den ewigen persönlichen Geist voll Güte und Weisheit sehr über-
flüssig sei, dass das Kunstideal ganz anderswo vorhanden sei, als
im christlichen Gott, und dass die künstlerische Kraft aus ganz
andern Quellen fliesse. Und im Grunde fehlt ihnen doch nur deshalb
die kindlich-innige Frömmigkeit, weil sie nicht die Macht des geistigen
Lebens, des schöpferischen Kunstwerkes so wie die Alten, und wie
Weber noch, in sich erfahren haben.
Nichts müsse fester stehen und weniger der Beweise benöthigt
sein, als der Glaube an Gott, und die Künstler sollten sich endlich
überzeugen, dass an Gott recht glauben nichts heisst, als: das rein
geistige Ideal für das höchste, und das Ringen darnach
für die Endbestimmung des Lebens halten.
(Fortsetzung folgt.)
>o»p—
CORRESPONDENZEN.
AUS WIEN.
Zur Ergänzung meines Berichtes über die italienische Oper ,
muss ich noch einer Novität erwähnen, welche ganz gegen Ende der
Saison auftauchte, und zwar erst nachdem ich meinen Aufsatz bereits
eingesendet hatte. Wäre diese neue Oper von Ricci: „Marito e
l'amante" unaufgeführt geblieben , die Kunst hätte fürwahr- keinen
Verlost dadurch erlitten, jedenfalls aber würde die Regie dabei ge-
wonnen haben, da sie das Honorar an den Komponisten, sich selbst
aber eine üble Nachrede erspart hätte. Von welchem Standpunkte
aus mag wohl Herr Ricci das Opernpublikum Wiens beurtheilt
haben, das die grössten Meisterwerke dramatischer Musik zum Theil
unter seinen Augen entstehen sah, alle aber ohne Ausnahme auf seiner
Opernbühne zu bewundern Gelegenheit hatte, als er es wagte, eine
solche Mache der Direktion einzureichen. — - Oder sollte er von Ei-
genliebe und Selbstüberschätzung so sehr verblendet sein, dieses mu-
sikalische Olla potrida wirklich für würdig gehalten zu haben, auf
der Hofopernbühne in Wien aufgeführt zu werden? — Ich glaube
es war Herrn Ricci blos darum zu thun, sein dem italienischen
Impressario gegebenes Versprechen: eine Novität zu schreiben, we-
nigstens dem Scheine nach zu erfüllen und nebstbei das ausgesezte,
eben nicht geringe Honorar dafür einzustreichen. — Da diese soi
disant — Oper, obgleich dabei viel applaudirt, ja eine Nummer so-
gar wiederholt wurde, die Indignation aller Kunstverständigen in dem
höchsten Grade hervorrief, also mit Eclat durchfiel, so wäre es
wohl eine sehr* undankbare Mühe unser Lesepublikum mit einer
kritischen Zerlegung der einzelnen Theile derselben zu behelligen.
Möge daher dieses Opuskulum sich wieder in seine Atome auflösen,
ebenso schnell, wie es aus dem Gedächtnisse Jener schwinden wird,
die es anhörten!
»
Als Captatio benevolentiae, welche die diesjährige italienische
Opernsaison so sehr bedurfte, wurde noch eine Vorstellung des
„Don Giovanni" gebracht, welche von den vorjährigen Darstellern
aufgeführt, auch gegen die vorjährige Darstellung nichts voraus hatte
als dass das Publikum durch diese Aufführung in so weit begütigt
wurde um nicht mit Groll von den Sängern zu scheiden, die ihm
so wenig des Besseren geboten.
Gleichsam als Schlussstein der diesjährigen Concertsaison (denn
die endlosen Concerte der Milanollo rechne ich nicht mehr zur
Saison , da die Künstlerin von einem Vorstadttheater zum andern
wandert und nach Bänkelsängerart so lange fortconcertiren wird, so
lange sich die Bude mit Neugierigen füllt) erscheint die Production
der Zöglinge des Conservatoriums. Dieses Concert sollte
so eigentlich Rechenschaft ablegen von dem Wirken dieses musikaL
Unterrichts-Institutes in den Fortschritten seiner Zöglinge, — Läge
es überhaupt im Bereiche der Möglichkeit, in zwei Jahren (von so
lang her dalirt sich die Reorganisirung dieses Institutes) Kunstre-
sultate zu erzielen, man müsste die Fortschritte solcher Schüler
anstaunen; denn die Ensembles des Orchesters waren in der Ouver-
türe von Rotter, übrigens eine Compositum ohne Tendenz, Kunst-
richtung und bestimmte Characteristik , und in der ewig jugendlich-
frischen Haydn'schen D - Sinfonie tadellos, fein nuancirt, schwung-
haft und präcis. Da das Conservatorium aber eben so wenig als
ein anderes Lehrinstitut im Besitze des berühmten Nürnberger Trichters
ist, so müssen wir annehmen, dass diese Production von fremden
Kräften unterstützt wurde. Und so war es auch. Die Privat-
schüler der Professoren, uneigentlich auch Schüler des Conserva-
toriums, bildeten den Cadre der musikalischen Truppe und führten
als Chargen die jungen Musik-Rekruten ins Feuer. Der Zweck hei-
ligt die Mittel. — Diese Vereinsproduction reihte sich den besseren
Concerten der Saison würdig an , die Zuhörer waren zufrieden ge-
stellt , mehr noch die Angehörtgen der Schüler, und das Conser-
vatorium hatte eine brillante Prüfung geliefert.
"•>«♦•«
AUS MÜNCHEN.
(Anfang Juni.)
Unsere Concertsaison hat sich diesmal bis auf die neueste Zeit
ausgedehnt, so dass wir erst in der jüngstvergangnen Woche das
letzte Concert des Herrn „Hanny" (wahrscheinlich synonym mit Jo-
hann) Lauterbach hatten. Frl. Höffelmeyer, ein Mädchen von etwa
16 bis 17 Jahren, eröffnete den Turnus. Sie ist eine recht wackere
Violinspielerin. Damit ist aber Alles erchöpfend ausgedrückt. Leider
will dies im Ganzen doch wenig genug sagen, zumal wenn ein der-
artiges Talent dritten Ranges lediglich im Interesse des fahrenden
Virtuosenthums ausgebeutet werden soll. Auf mich machen derlei
Concertchen immer einen unbeschreiblich peinlichen Eindruck, der
von jenem, den die Productionen der blinden Sänger, der armlosen
Harmonikablaser u. s. w. hervorbringen, nur wenig verschieden ist.
Mitleid hier mit einem körperlichen, dort mit einem moralischen
Gebrechen — einer widerlichen Ausgeburt des dolee far niente —
ist immer das vorwiegende Gefühl. Hierzu kommt noch, dass diese
glänzenden Folterabende fast sämmtlich nach einer Schablone ange-
fertigt sind. Da hört man jedenfalls eine Concertpiece von Beriot,
dann etwas von Artöt und zwischendurch versucht ein angehender
Sänger durch Lieder, welche die Menge „packen" (also nicht etwa von
Schubert, sondern lieber von Stigelli) den für die Zukunft gehofften
Ruhm auf eine billige Weise zu antieipiren.
Ein Gleiches gilt von den beiden Concerten eines Violinspielers,
Herrn Köckert aus Prag, der wohl alle Virtuosenuntugenden in vollem
Maasse, leider aber keine Künstlertugend besitzt.
Etwas anderes ist es mit dem Concerte unseres hochgeschätzten
Clarinettisten C. Bärmann. Dieser bietet uns alljährig ein Concert,
worin unter der Direction Franz Lachner's und der Mitwirkung der
Hofkapelle nur Gediegnes zur Aufführung gebracht wird. So hörten
wir diesmal Chelards viel zu wenig gekannte Ouvertüre zur Oper
die Hermannschlacht, sowie jene zur Euryanthe. Beide Opern
werden vorläufig nur piadesideria der münohner Opernfreunde bleiben.
Bärmanns pompöse und schwungvolle Compositionen für sein In-
strument mit Begleitung des grossen Orchesters , lassen sich nicht
leicht beschreiben; denn wer ihn nicht gehört hat, kann sich un-
möglich eine Vorstellung von dieser unübertrefflichen Technik, dieser
geistvollen Auffassung und energischen Durchführung machen.
Auch Herrn Johann Lauterbachs (Professor am Brüsseler Conser-
vatorium) erstes Concert — dessen zweites war ich zu besuchen ver-
hindert — muss zu den guten gerechnet werden, zumal da in der
ersten Abtheilung Beethovens herrliches Septuor in einer äusserst
vollendeten Weise von den Herren Lauterbach (Violine), Mittermayr
(Viola), I. Menter CVioloncell), Sigler (Contrabass), Bärmann (Clari-
nette), Strangs (Hörn), und Praudt (Fagott) vorgetragen wurde« In
103 —
der zweiten Abtheilung lernten wir in Herrn Lauterbach einen äus-
serst schätzenswerthen Künstler kennen, der mit allen Vorzügen
der jetzigen Technik noch den unverdorbenen gesunden Geschmack
der älteren Schule verbindet. Untugenden, wie z. B. das moderne In«
einanderziehcn einzelner Intervalle, würde man umsonst bei ihm
suchen. So viel ich höre geht man damit um, Herrn Lauterbach für
unsere Hofcapeüe zu gewinnen, eine Acquisition wozu sich diese
nur Glück wünschen könnte.
Die Oper bewegte sich in ihrem gewöhnlichen Repertoire d. h. in
einem durchschnittlich guten. Nur eine einzige Novität— Perfalls Sakun-
tala, Text von I. Teichlein kam zur Aufführung. Ich sehe, dass bereits
in Nr. 16 der süddeutschen Musikzeitung sich eine gerechte Wür-
digung dieser Oper befindet und ich habe desshalb nur wenig mehr
hinzuzusetzen. Was dem Compositeur vor allem fehlt, ist Logik in
Entwicklung der einzelnen Gedanken. Da finden sich lauter kurze
Phrasen , die wenn auch gerade nicht neu , doch recht gut an ihrem
Platze sein könnten, wenn der Tondichter nur all dies einzle Brauch-
bare zu einem organisch verbundenen und ebeiimässig abgegliederten
Ganzen zu vereinen gewusst hätte. Aber es bleibt bei der form-
losen Anhäufung. Die Ursache hiezu darf übrigens kaum zur Hälfte
in der musikalischen Befähigung des H. v. Pcrfall gesucht werden.
Den andern gut zugemessnen Theil der Schuld trägt der Librettist,
der dem Compositeur in der ziemlich langen vieractigen Oper kaum
einigemale eine klar ausgeprägte dramatische Situation oder irgend
eine grössere logische Steigerung als musikalichen Rast- und Lust«
Tag gegönnt. Ueberdies leidet der Text an so unaussprechlicher
Unklarheit, dass Niemand ohne Textbuch in der Hand das Sujet zu
verstehen vermag, indem sich Schürzung und Lösung des Knotens
um eine Subtilifät — ein ähnlicher Fehler wie in der Euryanthe —
nämlich um die Verwechslung eines Armreifs dreht, was überdiess
nicht einmal von den singenden Personen, sondern bloss vom Ballette,
noch dazu bei verdunkelter Bühne, ausgeführt wird. Das Non plus
ultra aller Missgriffc aber ist es , das böse Princip in der Person
zwölf männlicher dämonenartig gekleideter Figuranlen, also aus-
schliesslich tanzend in die Handlung einzuführen! — Zu Gunsten des
Componisten muss ich am Schlüsse dieses Nekrologs dessen aufrich-
tiges Streben, nur einer gediegenen Geschmacksrichtung zu huldigen,
anerkennend und rühmend erwähnen , denn es würde ihm wohl ein
Leichtes gewesen sein , statt der nun todten Sakuntala eine kecke
Pratcrnymphe in's Leben zu rufen, wenn er sich, statt zu der Muse
Mendelssohns, zu der bajaderenartigen Pseudomuse Flotow's hätte
bekennen wollen.
Am 12. d. M. wird Spohr's Faust neueinstudirt über die Bühne
gehen. Von einer Oper des Herzogs von Coburg — wenn ich nicht
irre — „Toby" betitelt, ist es nach dem unglücklichen Erfolg der
Sakuntala wieder ganz still geworden. Es wäre auch äusserst
unrecht, wenn man die Kräfte eines Nationalinstituts aus persön-
lichen Rücksichten an Dilettanten- Versuche vergeuden wollte, zumal
so lange die Intendanz die Manen so manchen Künstlers noch zu
sühnen hat. So hat man es bei uns noch nicht einmal dahin ge-
bracht, dass der Don Juan mit den Recitativen, statt mit der be-
kannten lüderlichen Prosa gegeben wird. Eine Aufführung der Ent-
führung aus dem Serail können wir beinahe schon jetzt zu den my-
thischen Ereignissen rechnen.
Gäste hatten wir nur einen: Frl. Löwenstein aus Berlin. Sic
trat als Donna Anna, Valentine und Martha auf. Ihre Stimme ist an-
genehm und biegsam, aber schwach und von sehr geringem Umfange.
Auffassung und Spiel lassen noch viel zu wünschen übrig. Die
Schule ist im Ganzen gut. Der Erfolg ihres Gastspieles konnte dem-
nach nur ein geringer sein. Zu erwartende Gäste für diesen Sommer
sindj Johanna Wagner und Roger.
Zu der in Nr. 22 ihres geschätzten Blattes mitgetheilten , unser
Conservatorium betreffenden Nachricht kann ich Ihnen bis jetzt nur
die Fortsetzung liefern. Die Untersuchung der hiezu ernannten Com-
mission (aus den Herren Ministerialrath von Rust, Professor Schaf-
häutl, dem Director der Centralsingschule Canonicus Koch, Dr.
Härtinger und Hofmusikus Böhm bestehend) wurde erst nach genauer
und mehrtägiger Prüfung geschlossen.
Jedes der Conunissionsmitglieder hat sodann ein eignes Gutachten
abgegeben, und gleichzeitig wurden sämmtliche Lehrer aufgefordert,
ihre etwaigen Bedenken über die Leitung der Anstalt schriftlich ein-
zureichen. Mit Ausnahme von etwa drei, welche gänzlich schwiegen,
haben dies auch alle mit grosser Ueberemstimmung hinsichtlich der
Missstände gethan. Auch das Gutachten der Commissionsmitglitd
soll nichts weniger als zu Gunsten des Directors Hauser ausgefell»
sein. So hätten wir denn doch endlich einmal gegründete Hoffnung,
dass mit der Entfernung des bisherigen Directoriums die Anstalt voa
einem schmählichen Untergang gerettet werde. O*
AUS HAMBURG.
Mai 1853.
(Schluss.)
War der Eindruck des Gesangs des Berliner Domchors schon
im Concertsaal wirklich ungewöhnlich, so war denn doch die Rück-
sicht auf den Geschmack des S a 1 o n publikums eine zu vorwiegende
gewesen, als dass nicht am zweiten Tage die Leistungen der Sänger und
der durch sie erzeugte Eindruck um eben so viel höher gewesen wären,
als eine grosse Kirche den Concertsaal, Palcstrina, Lotti und alle die an-
dern stahlgepanzerten ernsten Meister unsre kleine heutige musikalische
Welt überragen und als der Zuhörer eben so in den ernsten Räumen
des Gotteshauses ein würdiger und tiefer Geniessender ist. Die hier
zu Gehör gebrachten Sätze waren: „Wie der Hirsch schreit nach Was-
ser" von Palestrina, „Popule meus, quid feci tibi," für Männer-
stimmen von Vittoria, „CruciGxus" von Lotti, Motette: „Ich weiss
dass mein Erlöser lebt" von Joh. Michael Bach, der 43(e Psalm;
„Richte mich Gott" von Mendelssohn, „Ave verum corpus" von
Mozart, Chor: „Gnädig und barmherzig ist der Herr" von Grell, und
endlich ein Chor: „Ehre sei Gott in der Höhe" von Bortniansky.
Zwischen diesen sangen noch zwei Mitglieder des Chores, der Bassist
Herr K o t z o 1 d eine Arie aus H ä n d o l s Josua und der Tenorist Herr
Otto die erste Es-dur Arie aus dem Elias, beide ganz vorzüglich
durch schönste Vollendung der Schule und würdigsten, lebensvollen
Vortrag der bedeutenden ernsten Worte. Zwischen diese vielen
Sätze waren noch Choral-Vorspiele für Posaune und Orgel durch
Herrn Belke und Schultz aus Berlin eingefügt , die in ihrer unbe-
schreiblichen Geschmacklosigkeit gerechte Verwunderung erregten.
Der Eindruck, den die Chorleistungen auf die ungefähr dritthalbtausend
Zuhörer machten, war ein sehr würdiger und erhebender. Die drei
alten Meister und ganz besonders der herrliche Chor von Michael
Bach waren Meisterwerke in jeder Beziehung zu nennen, und ich
bezeichne nur den Chor von Bortniansky als durchaus nicht aus
innerer Begeisterung hervorgegangen. Ich weiss nicht ob der Ver-
fasser ein Russe oder Pole ist, wohl aber dass seine Composition
die ganze übertünchte Politur des Slaventhums zur Schau trägt,
innerhalb dessen der Selbstherrscher auch der Kirche als untrüglicher
Papst vorsteht. Die Reinheit der Intonation, die sauberste Ver-
schmelzung der 6 und 8 stimmigen Accorde, die gleichmässig anschwel-
lenden cresc. und bis zum pp. verhallenden decresc. gelangen vollendet
schön und eben dadurch war es einem Chor von nur 30 Stimmen, ja selbst
den ungefähr 15 bis 16 Männern allein möglich die ganze ungeheure
Michaeliskirche (welche ganz voll gegen 6000 Menschen fasst) auf
das wirksamste auszufüllen. Wie beneidenswert!! ist der Künstler,
dem die Leitung' so herrlicher Kräfte übergeben ist und wie glücklich
die Gemeinde, welcher es vergönnt ist die Gottesverehrung in ihrer
Kirche regelmässig durch diese warhaft meisterhaften Kunstleistungen
gehoben und geadelt zu sehen! Der Director dieses in seiner Art
jetzt einzigen Chores ist der königliche Musikdireclor Herr Neithardt.
Am 9. April fand das letzte philharmonische Concert statt. Meine
früher geäusserte Meinung, dass die Wahl der hier ausgeführten
Werke sich auf einen kleinen Zirkel immer wiederkehrender be-
kannter Compositionen beschränke, fand ihre vollste Bestätigung in
der Erscheinung der Haydn'schen Esdur-Sinfonie mit dem Pauken -
wirbel und der Beethoven'schen C-moll-Sinfonie. Die letztere vor-
züglich ist in ihrer immer wiederholten Ausführung unter derselben
Leitung von nachtheiligem Eindruck, weil sie stets auf demselben
Punkt der geistigen Auffassung stehen geblieben ist, ohne dass die
Trefflichkeit der jüngeren Orchesterglieder und die stets fortschreitende
Einsicht undErkenntniss, zu welcher beim Künstler täglich viele tausende
von Fäden zusammenwirken können und müssen, irgend dazu geführt
hätten, dem Werke neue und höhere Geheimnisse abzulauschen,
das Orchester zu feinerer, tieferer Begeisterung zu entzünden, und
. so die Hauptaufgabe dessen zu erfüllen, dem die Leitung einer Sum--
me von geistigen Kräften übergeben ist. Unaufhörlich ist über den
Mangel des Piano im Orchester zu klagen, dessen sorgfältige Beob-
- 104
*chtong allein schon, sobald ihm ein edles Forte gegenüber steht,
im Stande ist, wenigstens die beiden grossen Hauptseiten des Vor*
träges in das rechte Licht zu stellen. — Frl. Schloss von Cöln sang
die Kirchenarie von Stradella, (allerdings nicht dem Flotow'schen)
mit einer Begleitung des Streichquartetts versehen , in ausgezeichnet
edler und vollendeter Weise. Ich erinnere mich seit lange nicht ei-
nen so würdevollen edlen und vor allem einfach wahren Gesang ge-
gehört zu haben. Die Begleitung welche, wie ich glaube, von neue-
rer Hand dazu gesetzt ist, hebt den ernsten Character der religösen
Arie auf das ergreifendste. Endlich trat der Violinspieler Herr Joa-
chim auf und trug zuerst Spohrs Gesangscene mit staunenswerther
Fertigkeit, grossem edlen Ton und belebtestem Feuer durchaus ohne
Noten spielend vor. Diese wie mich dünkt, des Solospielers einzig
würdige Weise, trug viel dazu bei ihn den Hörern in der freien Ent-
wicklung seiner vollen Kräfte zu zeigen. Ich wäre freilich hundert-
fach zufriedener gewesen, wenn wir statt dieser denn doch immer sehr
Spohr'schen Composition einmal Beethovens Violinconcert gehört
hätten, welches Herr Joachim in Berlin meisterhaft soll gespielt haben.
Indessen war immer die Gesangscene eine sehr schöne und würdige
Aufgabe für den ausgezeichneten Künstler, der leider dann noch Va-
riationen eigner Composition vortrug, die wirklich alle Schwächen
dieser Virtuoseu-Componisten zur Schau trugen. Ich vergass oben
noch zu erwähnen , dass Fräulein Schloss mit trefflichem Vortrage
einige der schottischen Lieder von Beethoven zu Gehör brachte, die
mich mit hoher Bewunderung über die sinnige Einfachheit erfüllten,
au der sich der grosse tiefe Meister herabgelassen hat.
Ein Concert des Militairmusikdirectors Berens habe ich nicht be-
suchen können, wohl aber Gutes davon gehört. Herr Reichard, der
seine Stellung bei dem hiesigen Theater verliess, veranstaltete noch
zuletzt ein Concert in welchem er eine solche Menge von Liedern
vortrug, dass denn doch das Kleine dieser Gattung sich recht em-
pfindlich fühlbar machte, selbst wenn diese Sachen, wie es hier ge-
schah, eine rechte sinnige und hübsche Ausführung erhalten. Ein
ähnliches Concert veranstaltete Madame Cornet, welche, früher eine
tüchtige dramatische Sängerin, seit mehreren Jahren hier als Ge-
sangslehrerin wirksam ist. Es traten in ihrem Concert nur ihre
Schülerinnen und der ihrem Unterricht übergebene Herr Formes, der
dritte jüngere Bruder der bekannten Künstler, auf. Die Lehrerin
erntete mit Allem Beifall ein, und es hat mich herzlich gefreut, die
tüchtige Frau, die eine seltene Thätigkeit entwickelt und in der bür-
gerlichen Gesellschaft sehr geachtet dasteht, so lebhaft anerkannt
und für treues Streben belohnt zu sehen.
-*••>-
AUS BRAUNSCHWEIG.
(6. Juni.)
Am Schluss dieser Saison ward uns noch ein hoher Genuss durch
ein kurzes Gastspiel der Frl. Jenny Ney aus Dresden. Auf ihrer
Rückreise von Hamburg verweilte sie hier vergangene Woche und
trat in drei Partien auf, als Norma, Donna Anna in Don Juan und
Valentine in den Hugenotten. Erstere Oper gab Mad. Dcnemy Ney aus
Wien, hier gastirend, zu ihrem Benefiz. Diese, eine Schwester der
berühmten Sängerin sang die Adalgisa, jene die Norma.
Frl. Jenny Ney ist von der musikalischen Kritik bereits als eine
der ersten jetzt lebenden dramatischen Sängerinnen anerkannt worden
und wir, nachdem wir sie gehört, können dieses nur bestätigen. Eine
wunderbar schöne, klangvolle, zum Herzen sprechende Stimme, die
reinste Intonation, bedeutende Fertigkeit im Coloraturgesang, vereint
mit kunstverständigem und stets maass vollem Spiel, sind Vorzüge,
deren sich so leicht keine andercfSängerin rühmen darf, die man ihr
aber mit dem vollsten Rechte zusprechen muss.
So war denn auch jeder ihrer Leistungen der Stempel der Vol-
lendung aufgedrückt, und der ihr vom Publikum gezollte Baifall
gewiss ein gerechter. Leider gab sich derselbe öfter durch zwei-
maligen Hervorruf auf offner Scene zu erkennen, wodurch die Hand-
lung der Oper allemal unterbrochen wurde.
Frau Denemy Ney als Adalgisa und Margaretha in den Huge-
notten, Frau Hofier als Donna Elvira in Don Juan und Herr Him~
mer als Sever und Don Octavio standen der geschätzten Gastin
würdig zur Seite.
Dass man Herrn Schmezer die Parthie des Raoul in den Huge-
notten anvertraute, während wir in Herrn Himmer einen viel bessern
Raoul haben, ist sehr zu beklagen. Herrn Schmezers früher so
mächtige Stimme war schon vor Jahren nur noch ein Schimmer der
Vergangenheit, jetzt ist sie vollständig hin, und doch kann sich
derselbe noch nicht von den Brettern trennen, auf denen er ehedem
glänzte.
Wenn doch alle Sänger und Sängerinnen so klug wären, sich
zur rechter Zeit zurück zu ziehen, dann würden sie wenigstens nicht
Gefahr laufen, statt der gewohnten enthusiastischen Aufnahme deut-
liche Missfallensbezeugungen entgegennehmen zu müssen. Das Pub-
likum vergisst nun einmal über den schlechten Leistungen der Ge-
genwart die guten der Vergangenheit!
Unsere frühere Primadonna, die rühmlichst bekannte Madame
Fischer Achten hat klüger gehandelt, sie nahm Anfang Mai in
Figaros Hochzeit mit ihrem Gemahl Abschied von der Bühne. Ihre
Leistung als Susanna war vortrefflich, und wurde mit dem entschie-
densten Beifall gekrönt; die ihres Herrn Gemahls als Figaro war
dagegen unter aller Kritik, dennoch schonte man seiner aus Rück-
sicht für seine Gemahlin. Madame Fischer hat sich während ihres
17jährigen Aufenthalts in Braunschweig so viel erübrigt, dass sie
sich ein Gut in Steyermark kaufen konnte , auf weichem sie ihre
Tage im Kreise ihrer Familie in Ruhe und Frieden zu beschliessen
gedenkt. Die Abreise dahin ist bereits erfolgt.
Frl. Jenny Ney und ihre Schwester sind nach Dresden abgereist.
Die Theaterferien haben begonnen. Der Plan, unsere Oper während
der Ferien für Cöln zu gewinnen , muss sich zerschlagen baben ,
denn es verlautet hier nichts mehr davon.
NACHRICHTEN.
Coburg. Frl. Westerstrand und Frl. Bochkoltz sind hier en-
gagirt worden.
Stuttgart. Am 17. Juni dirigirte Lindpaintner zum ersten Male
seit seiner Rückkehr von London und zwar den Propheten. Er
wurde von dem zahlreich versammelten Publikum freudig begrüsst.
Als Fides debütirte Frau Nimbs von Breslau, die vierte Aspirantin
auf die Stelle einer ersten Sängerin an hiesiger Bühne.
Paris. Der von E. Cheve projeetirte Gesang - Conkurs', über
den wir seiner Zeit berichteten, hatte am 15. Juni Statt. Wie vor-
auszusehen war, betheiligten sich keine ausländischen Vereine dabei,
aber selbst die französischen, ja sogar die Pariser Gesellschaften
hatten es vorgezogen zu Hause zubleiben, so dass den Preisrichtern
nichts anders übrig blieb, als die von E. Cheve ausgesezte Medaille
von 500 Frc. — ihm selbst zuzuerkennen. Was will er mehr?
London* Der Gerichtshof Bench-Court hat in der Klage des
Herrn Lumley gegen Frl. Wagner endlich eine Entscheidung ge-
fällt, und zwar zu Gunsten des Klägers. Die Entschädigungssumme,
welche Frl. Wagner zu zahlen hat, wird später fixirt werden.
— Der Kölner Männergesang - Verein hat mit seinen Concerten
entschieden reussirt und dem deutschen Männergesange auch in Eng-
land die gebührende Anerkennung verschafft.
%* In Elbing wurde die Aufführung der Stummen von Portici
untersagt. —
In Baden ist allen Lehrern verboten worden, sich an Gesang-
vereinen, welche profane Lieder singen, zu beiheiligen. — In Hessen-
Cassel sind die Gesangvereine in einem Ministerial-Erlass , der sie
ohne Umstände verbietet, gar als Hauptheerde der Revolution be-
zeichnet worden !
Die heilige Cäcilia, die Schutz-Patronin der Musik, dürfte näch-
stens an die Reihe kommen.
V Gesangfeste. Am 2. — 4. Juli findet in Detmold das Lieder-
fest des Norddeutschen Sängerbundes (26 Vereine) statt; am 2. und
3. Juli wird in Neisse unter Stuckenschmidt's und Julius Otto's Lei-
tung gleichfalls ein Gesangfest abgehalten.
V Die Redaction "der im Verlage von Schloss in Cöln erschei-
nenden Rheinischen Musikzeitung übernimmt vom 1. Juli an Herr
A. F. Riccius. Prof. Bischoff gründet dagegen ein neues Blatt unter
dem Titel „Niederrheinische Musikzeitung".
(Todesfälle). Der als ruheloser Orgel-Concertgeber bekannte
Professor Kloss starb auf seiner permanenten Kunstreise in Riga.
Musik-Direktor Eisner, Verfasser der trefflichen Fahrten eines
Musikanten, fiel bei dem letzten Freiburger Aufstände in den Reihen
der B ü rger garde. ■ ' ,
""VerintwoimcÄer Kriakteiur; J. i. SCHOTT. - Prtek Taft REUTER* WALLAU in M»ln«.
2. Jahrgang.
Hfr. *7.
4. Juli 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Min abonnirt bei allen Postamtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION HD VERLA«
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
fl. 3. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahr sang.
Durch die Pest bezogen :
50 kr. «der IS Sgr. per Quartal.
Inhalt 1 G. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Zur Beachtung für Alle etc. — Gorr. (London). — Nachrichten.
C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
über
die Composltlon des Freischütz and über
Openiconipogltioii überhaupt.
(Fortsetzung.)
Die im vorigen Artikel angezogenen Worte Webers veranlassen
mich noch zu drei Bemerkungen.
1. Weber erwähnt die Schwierigkeit Hornmelodien zu erfinden,
nnd noch späterhin spricht er von der Kraft wahrer Melodie, die er,
der Schöpfer köstlichster Weisen, wird tief empfunden haben. Hier-
mit deutet er auf eine, wenn ich so sagen darf, geheime Praxis hin:
auf die Kunst , beim Gestalten der Melodie sich die Farbe und die
Fähigkeit des bestimmten Instruments in solcher Klarheit vorstellen
zu können, dass die Melodien aus der Individualität der Instrumente
wie geboren und hervorgewachsen scheinen. Hier sieht man den
ächten Künstler, den genialen und gebildeten, in seiner schönen har-
monischen vereinten Doppelseitigkcit. Dieser Vorgang wie diese An-
schauung sind absolut wahr, hiergegen lässt sich nichts einwenden;
denn das Denken und Schaffen, Formen und Bilden nicht bloss mit,
sondern in den Instrumenten, so dass sie ächte lebendige Instru-
mente, nämlich künstlerische Organe, geworden sind, ist nur dem
reifen Künstlergeiste möglich , und wenn wir hier irgend etwas zu
bedauern hätten, so wäre es dies, dass Weber nicht klarer und aus-
führlicher über den Vorgang gesprochen. Wenn ich mich damals in
des Wohlbekannten Stelle befunden, ich wäre von hieraus weiter in
ihn gedrungen, und vielleicht wäre es mir eben hier gelungen, den
herrlichen Weber selbst zu dem Ausspruche zu vermögen , dass
nicht die Instrumentation, sondern die Melodie, nämlich die Melodie
der musikalischen Organe ' (Singstimmc und Instrumente ),
dem musikalisch-dramatischen Kunstwerke den Character verleihe.
2. Weber erinnert uns an die günstige Lokalität, an die
dramatisch-decorative Scene, welche das charakteristische Tonbild oft
sehr wirksam unterstütze. Das zu läugnen wird Niemanden einfallen.
Dagegen lässt sich viel sagen über und gegen die Art und Weise,
wie von Weber die Harmonie zwischen Musik und sichtbarer Scene
aufgefasst wird. Er stellt beide in eine sehr wünschenswerte, aber
doch mehr 'zufällige Verbindung. In letzter, in eigentlicher Be-
ziehung ist aber auch dasLocal folgerichtig nach dem dramatischen
Gedanken zu gestalten, es muss als das natürliche Leben dem
geistigen dienstbar werden, die Macht der Natur muss sich dem
in ihrem Räume wallenden Geiste fügen. In der kreatürlichen Schöpf-
ung, wie in den Naturwissenschaften möge man von einer „reinen"
zur Menschenwelt und zu menschlich-geistigem Leben beziehungslosen
Natur sprechen — im Reiche der Kunst geht es nicht; denn hier ist
Alles, wie sehr es auch als ein Abbild äusserer Vorgänge erscheine,
nur da, dem künstlerischen Objecto die Gestalt des Lebens, den
Sehein der Wirklichkeit zu geben. Daher hat der Dramatiker auch
die Freiheit, oder vielmehr die Pflicht, beides in der innigen Zusam-
mengehörigkeit zu zeigen, welche die Gesetze des dramatischen, d. i.
des geistig- wirkliches) Lebens fordern. Hierdurch, durch diese ihre
Sitete Willensfähigkeit im Gebiete des ihr Möglichen, wird die Natur
ideal, während ihre äusseren Formen (Erd-, Pflanzen-. Thiergruppen
etc.) und Wandlung (Tag und Nacht, Jahreszeit Sonnenhelle, Ge-
witter etc.) in vollster Realität beharren. An diesem Orte, lässt
sieb auch die Streitfrage über das Cos tum erledigen; denn dass
dieses ebenfalls ideal, d. h. geistig bedeutungsvoll sein müsse , ist
eine ausgemachte Sache. Aber so lange noch nicht die rechten For-
men der Dramatik festgestellt sind, ist jedes Wort über diese Aeus-
serlichkeiten in den Wind geredet. Doch thtit man für alle Fälle
gut, das Aeusserliche nicht mit dem Willkürlichen zu verwechseln.
Auf Weber zurückkommend, ist über diesen Punkt noch zu be-
merken: dass er das Drama mit allem Zubehör nicht vom Stand-
punkte des das Ganze überschauenden , das Ganze schaffenden
Dichters, sondern von dem des Musikers ansieht. Dies ist an
sich ganz natürlich, und wird in der nun folgenden Bemerkung
noch klarer werden.
3. „Die wichtigste Stelle für mich waren die Worte: „Mich
umgarnen finstere Mächte" denn sie deuten mir an, welcher Haupt-
charakter der Oper zu geben sei." Das halten gewiss Viele für ein
vortreffliches Verfahren; und was die musikalische Kompo-
sition betrifft, so stimme ich dem vollkommen bei, denn der Kom-
ponist muss vor allem bedacht sein, das bedeutungsvollste Wort in
das rechte Licht zu heben, das Nebensächlichere gruppirt sich dann
leicht. Bei der Komposition eines Liedes ist dieses Gesetz ziemlich
allgemein anerkannt; der Musiker muss dem Dichter zunächst da-
durch gerecht werden, dass er aus dem Texte den Zug herausfindet,
welcher ihm den Sinn des Ganzen erschliesst. Wagen wir uns aber
auf das grössere Gebiet der Oper, so ändert sich die Sache etwas;
denn hier ist das individuelle Leben selbst der drama-
tische Gedanke, das Leben, welches sich von einem gesetzten Punkte
aus fortbewegt und endet , Gegenstand der Kunst. Nun hat dies
Leben zwar immer einen bestimmten Charakter, aber auch eine
Mannigfaltigkeit von Zügen; und nur dann kann es in vollkommenster
Freiheit, oder was dasselbe ist rein dramatisch, sich äussern, wenn
diese verschiedenen Züge, oder besser Individualitäten, in ihrem
Wirken und Sein, intensiv nnd extensiv, gerade so erscheinen , wie
sie wirklich sind. Ich habe bei den Lesern dieses Blattes einen
schweren Stand, besonders dieses Punktes wegen, weil sie grössten-
teils Musiker, nnd weniger dramatische Dichter sind. Meine Mei-
nung nämlich geht darauf hinaus: Weber habe durch dieses Ver-
fahren dem Gegenstande (sofern man ihn sich rein dramatisch
denkt, was aus andern Ursachen zu Webers Zeit noch nicht mög-
lich war) Gewalt angethan, indem er eben das Dämonische zu stark
d. h. unlebendig oder unnatürlich hervorkehrte und dadurch den dra-
matischen , rein menschlichen Gedanken verletzte. Und hiernach
ist gerade in der Seite des Freischütz, die Weber am vollendetsten
. auszubilden bemüht war (und worin er , rein musikalisch betrachtet,
; auch so Ausgezeichnetes geleistet hat) sein Hauptmangel versteckt,
'wenn man die Oper als poetisch-musikalisches Drama,
beteachtet.
■ Der Grand dieser Erscheinung liegt nicht einfach in der Unfäh-
igkeit des Komponisten, sondern weiter zurück. Wer kein Mozart»
ist, mit der sichertreffenden Empfindung eines Gottes begabt, der be-
10»
findet als Komponist einem fertigen Texte gegenüber sich immer in
bedenklicher Lage : er muss ans seinem Gebiete , aus dem musika-
lischen Empfinden und Schaffen herausgehen in das Sinnen und
Grübeln, er muss das Ganze wieder in sich durchleben , gleichsam
noch einmal dichten. Denn die unabweisliche Forderung bleibt, das
Ganze in Musik aufzunehmen, ein musikalisches Drama zu
schaffen. Es liegt auf der Hand, dass den Komponisten diese seine
kritische Thätigkeit oft in heillose Irrthümer und Missgriffe fuhren
muss, oft schon desshalb, weil er im kritischen und poetischen Fache
selten ein Held ist , besonders aber darum , weil er sich der Not-
wendigkeit seiner dichterisch-dramatischen Thätigkeit nie klar be-
wusst werden kann so lange er sich noch von einem Andern den
Text machen lässt- Gewiss ist kein Komponist ausdauernder, leb-
hafter und erfolgreicher bemüht gewesen, seinem musikalisch-drama-
tischen Tonwerke Einheit und Character und menschlich-künstlerischen
Inhalt zu verleihen als Weber; gelang es ihm hinsichtlich des Dä-
monischen nur theilweise und konnte es ihm so unmöglich ganz ge-
lingen , so lag dies an dem Mangel der vollkommenen Indi-
vidualisation des dämonischen Gedankens, der
menschl ich- po et i sc he n Durchbildung, die der musikalischen
jederzeit voraufgehen muss. — Dass Weber bei seiner Opernkom-
position auch in hervorragendem Maasse dichterisch thätig war»
dafür wird unten ein vollgültiger Beweis beigebracht werden.
(Fortsetzung folgt,)
i»M »
ZUR BEACHTUNG FÜR ALLE,
welche sich der Musik widmen wollen.
Von Prof. Fr. Kahms tedt in Eisenach*).
Motto:
Eh' man was Gutes macht,
Muia man es erst recht sichur kennen.
Göthe
Nach einem mehr als 15jährigen Studium der Theorie der
Musik , zu dem mich einmal das reine Interesse am Erkennen über-
haupt, dann aber das eigne, innere Bedürfniss antrieb, die musika-
lische Kunst nach Wesen, Zweck und Gesetzen insbesondere zu be-
greifen, um dadurch zu einem bewussten freien Schaffen zu gelangen,
ist es mir nach einer festen Ueberzeugung gelungen , den musika-
lischen Satz, d. i. den musikalischen Gedanken in seiner Leibliehkeit
mit allen seinen Eigentümlichkeiten und Modifikationen , nach Stoff
und Form aus Einem Principe entstehen , organisch sich entwickeln
zu lassen, somit gelungen, eine Compositionslchre in Wahrheit oder
„eine Kunst, in Tönen zu denken" , aufstellen zu können. Diese
Lehre verfährt demnach nicht atomistisch , nicht einseilig prac tisch
oder abstract theoretisch; ihre Resultate sind nicht blosse Aggregate,
gewonnen durch ein principloses Zusammensetzen der einzelnen Töne,
sondern sie ist im wahren Sinne des Wortes Theorie d. i. sie er-
weist sich als stufenweise Manifestation der der Kunst zu Grunde
liegenden Idee, gleich der Lebensth&tigkeit der Natur, die, um etwas,
z. B. einen Baum hervorbringen, nicht erst Blätter, Zweige, Biüthe
etc. einzeln macht, nachher zusammensetzt, und zuletzt ihnen Leben
einhaucht, sondern dies Alles mit einem Schlage durch stufenweise
Entfaltung eines Keims zu Tage fördert.
Als Verwirklichung eines Allgemeinen, Nothwendigen ist sie eine
Gedanken-Erzeugungslehre. Dem Kunstjünger erschliesst sich das,
was sein soll, und indem er dies im Erkennen zugleich als identisch
mit seinem eigenen, individuellen Wesen begreift, erhebt er sich zur
frei -nothwendigen Thätigkeit, zum wirklichen Schaffen. In dieser
Theorie gibt es keine einzelnen Kegeln. Was sein soll an einer be-
stimmten Stelle und in einer bestimmten Weise, das wird durch
die Entwicklung des Gedankens mit innerer Notwendigkeit von
selbst. Das stufenweise Wirklichwerden der Idee ist überall das
Leitende, Bestimmende, das punctum saliens. Daher producirt der
Kunstjunger nach dieser Theorie notwendigerweise auch alle Ge-
*) Obiger Aufsatz wurde uns von Herrn Professor Kühmstedt
gleichsam als Antwort auf einige kürzlich erschienene Artikel unseres
Blattes, in welchen das Studium der Musiktheorie besprochen wurde,
eingesendet, und wir räumen demselben gern einen Platz ein, da
er in mehr als einer Hinsieht von Interesse ist.
Die Redaction.
setzlichkeit aus sich selbst. Ferner springt in die Augen, dass hier
von einzelnen Accorden und einer Harmonienlehre, besonders in der
Weise, wie sie in den bisherigen Generalbassschulen aufgestaut worden,
nicht mehr die Rede ist.
Ein Accord als Einzelnes, Isolirtes d. h. nicht als Glied eines
höhern Ganzen, eines Organismus, nicht als individueller Ausdruck
der Idee betrachtet, ist eben so unbegreiflich, als irgend ein Glied
des menschlichen Körpers, getrennt, und ausser seinem Verhältnisse
und seiner Beziehung zu demselben gedacht. Wie alle Glieder des
menschlichen Körpers erst aus der Idee des Menschen hervorgehen
und ihre Stellung und Bedeutung wieder nur durch den Zweck er-
halten, der ihnen in dem grössern Ganzen, dem Körper, durch die
Ent wickelung desselben wird, so entsteht auch der Accord etc.
erst aus und mit dem musikalischen Gedanken,
nnd erhält von demselben, als organisches, not-
wendiges Glied von ihm, seine Stellung und Bedeutung.
Da diese Theorie, als sistematische Darstellung der Verwirk-
lichung eines Allgemeinen , Nothwendigen durch Töne, ein Begreifen
der Musik vermittelt, das Begreifen aber in einem Erfassen der Ein-
heit im Unterschied besteht, so dass mit der Erkenntniss der Musik
zugleich die Kunst im Allgemeinen und Besondern , das Wesen der
Wissenschaft und zuhöclist das Sein und Werden j als das Ewige,
die Ur-Idee, von welcher die in der Wissenschaft, dem Leben und die
Kunst pulsirenden Ideen des Wahren , Guten und Schönen nur ihre
eigenen, unterschiedenen Momente sind, erfasst werden, so leuchtet
ein, dass weiter diese Theorie eine wirkliche Erziehungslehre ist,
dass sie den Kunstjünger nach allen hier in Betracht kommenden
Seiten ausbildet und zum Bewusstsein bringt. Und dies muss ge-
genwärtig eine Theorie der Kunst. Denn nimmer wird in unserer
Zeit ein Künstler , wäre er auch mit dem g r ö s s t e n Talente aus-
gestattet und im Besitze der vollendetsten Technik, ein wahres Kunst-
werk zu Tage fördern, ohne den Kampf um innere, geistige Selbst-
ständigkeit mitgekämpft und in demselben festen Boden gewonnen
zu haben, und — ohne ein Mensch zu sein, dessen Leben in der Dar-
legung und Erfüllung des Wahren, Guten und Schönen aufgeht.
Das sind jetzt mehr als jemals nothwendige Voraussetzungen
und Bedingungen jeder wahren künstlerischen Thätigkeit, denn die Kunst
ist , weil sie das Ewige , Wesentliche zar Erscheinung bringen soll ,
der Gipfelpunkt der menschlichen Thätigkeit.
Aus diesen Bemerkungen wird sich leicht ersehen lassen . dass
meine Lehre in zwei Hauptabtheilungen zerfällt , die aber durchaus
nicht als geschieden zu denken sind. In Folge des dein Ganzen zum
Grunde liegenden Principsmuss natürlicherweise ein Verhältniss statt-
finden, wie gleichsam bei dem von der Natur allein bestimmten Sein
und Leben des Kindes zu dem des Jünglings etc. In der ersten Ab-
theilung ist das organische, naturnothwendige Werden des musika-
lischen Gedankens, der Logik der Musik, vorzugsweise Gegenstand.
Hier entwickelt sich der musikalische Gedanke oder die Musik als
Sprache schlechthin. Von den Fesseln der starren Naturnothwen-
digkeit mehr und mehr sich emaneipirend, erhebt sich endlich der
Gedanke in diejenige Sphäre, die wir Poesie zu nennen pflegen.
Das Grundwesen der Poesie und somit aller wahren Kunst ist
bewnsste, freie Gestaltung, Individualisirung des Allgemeinen, Noth-
wendigen Demnach ist die zweite höhere Stufe eines Künstlers be-
dingt zunächst dadurch, dass ihm das Allgemeine als sein eigenes
Wesen aufgeht — denn Freiheit beruht in dem Bewusstsein des Noth-
wendigen, ist Ich, Subject gewordene Nothwendigkeit — dann dadurch,
dass ihm das Nothwendige zugleich als Sein-Sollendcs d. i. als Idee
erscheine und als solche ihn erfülle, erhebe und ansporne, sie in
immer vollkommncrer , in einer ihrem Wesen mehr und mehr ent-
sprechenden Weise zum Dasein zu bringen. Dass dies Letztere
geschehe, dass er ein wirkliches Kunstwerk liefere, ein Werk, in
dem die Idee eine solche Gestalt, einen solchen Ausdruck gewonnen,
dass es dem herrschenden Geiste zur höhern Offenbarung seines ei-
genen Wesens wird, darauf kann der Unterricht freilich nur indirect
wirken , einmal durch Hinweisung, Richtung des Geranths des jungen
Künstlers auf das Grosse, Schöne, in dem sich in der Natur, der
Geschichte und den Geistesproducten der Menschen die Idee bereits
ausgeprägt hat, dann aber vorzugsweise durch Hinweisung auf den
Kampf, den es ihr,, zur Erscheinung zu kommen, gekostet hat, oder
i$h möchte sagen: durch die Lebens- und Leidensgeschichte der Idee«
Die Erfassung nnd, eigentümliche Reproduktion derselben im Gemüthe
durch welche die Produktion eines Kunstwerks bedingt ist, hingt
— 107
vsn der dem Menschen von der Natur verliehenen Geistes- «nd Ge-
müthsverfassung ab. In dem Grade, in welchem ein Mensch für das
Wahre, Schöne empfänglich ist', und in welchem es gelingt, ihn für
dasselbe erglühen zu machen , so wird er es darstellen. Wer ge-
mein fühlt und denkt, wird auch gemein sich äussern, und umge-
kehrt. Wie das Innere, so das Aeussere.
Die Theorie hat Alles gethan , wenn sie das Princip , die Idee
selbst und die Weise ihres Wirklichwerdens aufzeigt.
Der Ueberzeugung, dass meine Theorie dies leistet, erbiete ich
mich, Allen, die sich ein gründliches Wissen und Können in der
Musik aneignen wollen, die sich zu Komponisten, Organisten,
zu Lehrern der Komposition auszubilden gedenken, Un-
terricht zu ertheilen.
Zu weitern Mitteilungen und Erörterungen bin ich auf frankirtc
Anfragen gern bereit, sollten diese allerdings kurzen und aphori-
stischen Bemerkungen nicht genügend erscheinen.
Eisenach, im Juni 1853.
■<+'>■
CORRESPONDENZEN.
AUS LONDON.
(Monat Hai )
Die grossen Rennen haben begonnen. Der Wonnemonat hat uns
alle möglichen Sorten von Wetter, Pferden, Werten, Musik, Musik-
machern und so viele Gäste gebracht, dass den Einheimischen nach-
gerade bange wird. Ausserdem sind Cremorne-Vauxhall- und Surrey-
garden offen, und der göttliche Jullien, der Altvater der heutigen
Musikmacherei , wird erwartet Die Derbytage, die Tage der Volk
heit, der treueste Spiegel englischer Narrheit und des täglichen Le-
bens, sind vorüber; aber die anderen Rennen dauern fort, die musika-
lischen Rennen sind in vollem Gange. Das ist ein Jagen und Hetzen,
wahrlich, ein Stein sollte sich erbarmen über das arme geplagte Wild.
Die Renner schwitzen, als wären sie zu nichts Weiterem da, ohne
dass sie, wie ihre vierfüssigen Kollegen, sagen können: „Wir ver-
dienen unser täglich ßrod im Schweisse unseres Angesichtes!" Die
Meisten haben kein Brod trotz allem Rennen, und die, die endlich
beim Brode anlangen, finden sehr oft, dass sie keinen Appetit mehr
haben. Aber die Ehre, oder wie man es nennt, das Kunstintercsse,
das wird doch gewahet ! Ob alle die , die London heimsuchen, dies
•der Kunst wegen thun, ist eine Frage, die Jeder sich selbst beant-
worten oder dem alten Wagner zu entscheiden überlassen mag.
Glücklich der, welcher in all' diesen Conzerten , mögen sie Sinfo-
nieen, Oratorien oder Virluosenstücke bringen, die Kunst sieht! Ich
kann nichts darin erblicken , als die musikalische Lebensäusserung
einer coruinpirten Gesellschaft. Es ist eine Existenzfrage, und zwar
in der materiellsten Bedeutung des Wortes, die hier gelöst werden
soll, und wenn eine Kunst etwas damit zu thun hat, so ist es die,
solche Mittel zu wählen, die dieser Gesellschaft gegenüber not-
wendig sind, um sich eine zufriedenstellende Existenz zu gründen,
es ist die Kunst, durch Musikmacherei den echt englischen Satz zu
bewahrheiten : „Time is money". Freilich diese Kunst zu üben, setzt
auch Geschicklichkeit voraus; es ist ein grossartiges Getriebe, das
dabei in Thätigkeit kommt, ein complicirtes Werk, das auseinander-
zulegen und zusammenzufügen vielleicht nur ein Balzac hätte zu
Stande bringen können. Schade, dass die Schilderung dieser Seite
der comädie humaine von ihm unberücksichtigt bleiben musste.
Wie Alles in London in quantitativer Hinsicht grossartig ist, so
sind es auch die Conzerte. Es wäre gewiss interessant, die Zahl
derselben zu ermitteln, und mich wundert, dass in einem Lande, wo
die Statistik eine so grosse Rolle spielt, dies noch nicht geschehen
ist. Fünfzig Concerte in einer Woche dürften für London eher zu
wenig als zu viel sein; dies macht für die Saison von fünf Monaten
gerade 1000 Concerte. Tausend Concerte! Wenn es in materieller
Hinsicht möglich wäre, sie alle zu hören, dürfte diese Kunstpflege
ein eigenes Kapitel in den Criminalgesetzbüchern des neuen Staates
abgeben. Auf diese 1000 Concerte kommen mindestens 10,000 Exe-
cutanten , natürlich lauter „Artistes". . Was die Besoldung derselben
anbetrifft, so geht es damit, wie überall. Die zehn bis zwanzig Chefs
haben vollauf und der Rest ist froh, wenn er das Leben hat
Von diesen 10,000 Exeoutanten dürfte die Hälfte deutschen, ein
Drittel französischen und italienischen und das letzte Drittel engli-
schen Ursprungs sein. Man sieht, die Deutschen, die bei den Eng-
ländern und Franzosen auch eine Nation sind, wenn auch nur eine
musikalische, haben auch hier das Uebergewicht, Freilich, die Mehr-
zahl hat sich schon so aeclimatisirt, dass sie von der deutschen Nation
nichts mehr wissen will. Dass diese Zahl trotz der wieder Mode
werdenden Vaterlandsliebe von Jahr zu Jahr zunimmt, versteht sich
von selbst. Auch in diesem Jahre ist es geschehen, und sogar stel-
lenweise mit Erfolg. Da ist z. B. eine Sängerin herübergekommen,
die eine recht liebe Erscheinung genannt werden inuss. Ich meine
Frl. Agnes Bury, ein blondgelocktes Mädchen mit einer allerlieb-
sten Taille, blass genug, um interessant zu sein, und in ihrem gan-
zen Wesen so mädchenhaft deutsch, dass ihre Anwesenheit unter den
englischen Concerlsängerinneu eine förmliche Erfrischung genannt
werden muss. Sie hat bald hier bald dort gesungen, natürlich nichts
weiter, als ihre deutschen Lieder, die aber, gegen englische Balladen
und neuitalienische Cavatinen gehallen, wahre Goldkörner sind. Das
Mädchen bat eine Soubrettenlournüre und -Stimme und dürfte anf
dem Theater auch nur im leichten Fache am Platze sein. Schon
jetzt gibt sie eine recht tüchtige Soubrette im modernen Sinne ab.
Die recht angenehme Stimme ist guten Studien unterworfen worden, .
der Vortrag hat Geschmack und vor allen Dingen eine gewisse Na-
türlichkeit, eine Eigenschaft, die man oft bei noch jugendlichen Sän-
gerinnen vergebens sucht.
Dass die Herren Pischek, Staudigl, Hölzl, Reichard nebst diver-
sen anderen gewesenen und noch werdenden Sängern wieder da sind,
bedarf wohl keiner Erwähnung. Auch Frl. Zerr verschmäht es nicht,
dann und wann engagirt zu werden, und Frl. Katharina Evers, einst
eine gefeierte Provinzialsängerin Deutschlands, soll sich in dieser
Beziehung ebenfalls nicht lange bitten lassen. Unter all' den Sängern
und Sängerinnen, die in den Concerten mitwirken, ist eine wieder
hier, die, so oft sie auch erscheint, immer eine Seltenheit bleibt.
Das ist Mad. Viardot-Garcia. Die Stimme der Frau ist gewesen, ihr
Genius geblieben : An musikalischem Wissen, an Erfahrungskraft, an
Ausdrucksfähigkeit steht diese Frau so hoch, wie keine andere, und
selbst jetzt würde sie die noch immer vacante Stelle der Prima-Donna
in Covenlgarden am besten auszufüllen verstehen. Statt ihrer haben
wir Mad. Grisi, die einst in zwei, drei Partieen gross war und trotz
Allem noch immer gross sein soll ; oder Mad. Julienuc, eine franzö-
sische Sängerin, französisch gebildet und in französischen Opern den
gewöhnlichen Ansprächen genügend. — Da wir doch einmal bei Co-
ventgarden sind, können wir auch der neuen Oper Verdi's gedenken,
die im Monat Mai in diesem Theater geboren und begraben wurde.
Als Victor Hugo seinen le Roi s'amuse schrieb, dachte er gewiss
nicht daran, dass Einer noch romantischer als er sein und eine Oper
daraus machen könnte. Aber diese Zeit, die in Betreff der Romantik
Dinge hervorgerufen hat, die, verglichen mit den heutigen Resultaten
positiver Wissenschaften, fast unmöglich erscheinen, durfte es sich
nicht nehmen lassen, aus einem poetischen Unsinn einen noch gros-
seren musikalischen Unsinn zu machen. Le Roi s'amuse kann den
Literarhistoriker interessiren, Rigoletto von Verdi wird trotzdem, dass
er die Lungen der Blechinstrumenten-Bläser im Orchester mehr schont,
als die übrigen Opern desselben Verfassers, höchstens dem Theater-
arzt eine angenehme Gabe sein.
Zum Schlüsse des Monats kam noch Berlioz zum Vorschein, und
wo? In der alten Philharmonie society. Dies ist das Neue dabei,
die Erscheinung selbst wie die Musik gehören der Vergangenheit an,
und insofern sind die Direktoren der Gesellschaft ihren Principien
nicht untreu geworden. Le carneval romain so wie die Haroldsin-
fonie sind nachgerade alt, und es dürfte Zeit sein, dass der Ver-
fasser mit etwas Neuem käme, will er als ein Componist der Gegen-
wart betrachtet werden. Man spricht davon, dass sein Bcnvemrte
Cellini in Coventgarden zur Aufführung kommen soll. Auch der ist
alt, aber vielleicht wird diese Aufführung in der gegenwärtigen £e4t
bei der Besprechung neue Punkte darbieten. So viel steht fest, die
Wirksamkeit Berlioz ist eine geschlossene Es ist merkwürdig, wie
schnell sich die Kräfte der Neuromantiker consumiren 1
FataL
— 108
1ACHRICHTEN.
Frankfurt a. M. Frl. Johanna Wagner gastirt hier. Ihre
ersten Rollen waren Fides im Propheten um! Fidelio.
Wiesbaden. Am 2. Juli wird R. Wagners „Lohengrin" hier
zum ersten Male zur Aufführung kommen. — Der Tenorist Wachtel
von .Darms« a dt ist auf 3 Monate engagirt worden.
Sittlichen. Spohrs „Faust", welcher seit Jahren nicht gegeben
worden war, kam am 12. Juni in seiner neuen Gestalt (Recitative
statt des Dialogs) zur Aufführung.
CÖln« Der hiesige Männergesangverein ist von seiner Londoner
Fahrt zurückgekehrt. In Gent, Brüssel und Antwerpen sowie hier
war ihm ein glänzender Empfang bereitet worden. — Die Nachricht,
Herr Riccius werde die Redaktion der „Rheinischen Musikzeitung"
übernehmen, bestätigt sich nicht.
Aachen» Am 2. Juni wurde die hiesige Oper mit Norma er-
öffnet. Die Herren Peez, Pasque und Rotter von Darmstadt, Strubel
(Bass) und Frl. Oswald (von Schwerin) sind für diese Saison en-
gagirt.
Wien, Therese Milanollo hat endlich ihre Rund-Reise durch
die Vorstadttheater geschlossen und sich nach Pesth begeben , wo
sie bereits im Nationaltheater spielt.
Berlin* Seit dem 12. gibt die Königsberger Operngesellschaft
Gastdarstellungen. Die erste war Zampa. Unterstützt wird die Ge-
sellschaft durch den Tenoristen Ellinger von Wien, die hiesigen
Sänger Bötticher und Döffke und Frau Marra-Vollmer. Die musi-
kalische Oberleitung hat Kapellmeister Dorn.
Am 26. Juni sang Roger, dessen Gastspiel in Breslau beendet
ist, George Brown, reiste jedoch schon anderen Tages weiter.
Das Projekt eines Gastspiels der ungarischen Oper in Pesth hat
sich zerschlagen.
Dresden« R. Wagner wird abermals steckbrieflich verfolgt,
weil er „dem Vernehmen nach" beabsichtige, nach Deutschland zu
kommen 1
Weimar. Das Oratorium „Moses" von Marx wurde hier am 3.
Juni unter Liszt's Leitung aufgeführt und rechtfertigte durch den
schönsten Erfolg die unablässigen Bestrebungen Liszt's auf gerechte
Würdigung der Componislen der Gegenwart.
Eutin. Dem Comiie des zur Feier von M. v. Weber' s Ge-
burtstag veranstalteten Musikfesies ist die Benutzung der grossh.
Reitbahn zum Festsaal abgeschlagen worden. Da keine andere ge-
eignete Räumlichkeit vorhanden ist und die Kosten zur Erbauung
einer Festhalle die Kräfte der Veranstalter übersteigen würden, so
wird die Feier bedeut<nd beseht änkt weiden müssen.
Breslau« Roger trat am 6. Juni zum erstenmale in der weissen
Frau auf und erntete stürmischen Beifall. Frl. Geisthardt ist hier
engagirt worden.
Hannover. Die Nürnberger Puppe, die treffliche einaktige ko-
mische Oper von Adam, wurde hier im Mai gegeben und machte sehr
viel Glück. — Der neu engagirte Kapellmeister Fischer erfreut sich
der allseitigsten Anerkennung.
London. Die Harp-Union hat in letzterer Zeit mehrere Con-
certe gegeben, welche von den Freunden dieses Instrumentes zahl-
reich besucht waren. Der ausgezeichnete deutsche Harfenist Oberthür,
Mitglied derselben, dessen Schule von allen Seilen anerkannt wird,
war der Bedeutendste der Executanten und sowohl sein Spiel, wie
«eine Compositioncn für Harfesolo oder 2, 8 Harfen hatten sich stets
des lebhaftesten Beifalls zu erfreuen.
Der Tenorist Formes, Bruder des berühmten Bassisten, ist hier
angekommen und wird in mehreren Concerten singen.
Carl Formes hat schon wieder eine bedeutende körperliche Ver-
letzung erlitten. Er wollte aus seinem Fenster (Parterre) in den Hof
springen um ankommende Gäste zu begrüssen, stiess aber dabei so
heftig mit dem Kopfe an, dass er blutend und bewusst.os nieder-
stürzte.
Lille. (22. Juni.) Das Musik-Corps der hiesigen Pompiers
unter der Leitung 'des Herrn Kapellmeisters Benard , hat bei dem
am vorigen Sonntag in Fontainebleau bei Paris stattgehabten Con-
cours de musique d'harinonie den ersten Preis davon getragen , ob-
gleich die Soeiele d'harmonie aus Paris unter der Direction des Herrn
Kapellmeisters Mohr (Chef des guides imperiales) mitconeurrirte.
An demselben Tage und zu. derselben Zeit fanden in Fontaine-
bleau noch zwei andere Concours, für Männergesang und Blechmusik
(musique de fanfares) statt.
Die Orpheonisten aus Arras haben im Gesangwettstreite den er-
sten Preis gegen mehrere Pariser und andere Gesellschaften errungen.
Es betheiligten sich an diesem dreifachen Concours nicht weniger
als 60 verschiedene Gesellschaften, mit nahe an 3000 Mitgliedern.
V Der Instrumentenbauer Sax senior in Brüssel hat kürzlich
ein Piano mit neuer Mechanik nach Paris gebracht und die Pariser
Blätter sprechen sich äusserst günstig darüber aus. Die Saiten laufen
in demselben nicht waagrecht über den Resonanzboden, sondern sind
über einen erhöhten -Steg gespannt, so dass sie einen Winkel von
beinahe 30 Grad bilden.
V Oeffentliche BlStter bringen ein Privat - Preisausschreiben
auf den besten Operntext , welcher bis zu einer bestimmten Zeit in
eine Buchhandlung in Gera eingesandt werden muss. Als Preisrichter
sind von dem unbekannten Musikfreunde gewählt Gutzkow, Liszt und
Genast in Weimar. Derselbe darf keinen Dialog enthalten und muss
den Anforderungen an ein gutes Textbuch im Sinne der Gegenwart
entsprechen. Der ausgesetzte Preis beträgt 200 Bthlr. und wird dem
Dichter ausserdem ein Antheil von dem Ertrage bei späteren Auf-
führungen zugesichert.
Die Wahl des Componisten behält sich der Aussteller vor. Wir
begrüssen das Ausschreiben als ein erfreuliches Zeichen der steigen-
den Theilnahme an der deutschen Oper.
V Wir machen im voraus auf eine sehr bedeutende Erscheinung
im Gebiete der Musik-Literatur aufmerksam, welche sicher die all-
gemeinste Theilnahme finden wird, nämlich eine grosse Clavier-
schule von S. Thalberg, dem trefflichen Pianisten, welche im Ver-
lage von B. Schott's Söhnen erscheinen wird.
V Der Verein der deutschen Musikalienhändler gegen Nachdruck
hat folgende Bekanntmachung erlassen : „A n dieDirectionen der
deutschen Gesangvereine, Liedertafeln und Musik-
feste, zur Verständigung und Warnung. Schon öfters
haben Gesangvereine, Liedertafeln und Unternehmer von Musikfesten
die Stimmen solcher Gesänge, welche sich für ihre Zwecke eigneten,
statt dieselben von den Verlegern in der erforderlichen Anzahl zu
entnehmen , durch Ueberdruck (Umdruck) selbst herstellen lassen;
und dadurch die rechtmässigen Verlagseigenthümer der betreffenden
Werke beeinträchtigt. Die Vervielfältigung durch Ueberdruck, gleich-
viel zu welchem Zwecke, gehört, wenn sie von Nichtberechtigten ge-
schieht , zu dem gesetzlich verbotenen und strafbaren Nachdruck.
Sonderbarer Weise scheint aber hierüber Unklarheit zu herrschen,
und nur dieser wird es in den meisten Fällen zuzuschreiben sein,
dass jene Rechtsverletzungen ziemlich häufig vorgekommen sind.
Der unterzeichnete Verein, dessen Zweck der Schutz gegen un-
rechtmässigen Musikalien- Nachdruck und zugleich die Unterstützung
der Verfolgung desselben ist, hält es für angemessen, auf die Unrecht-
mässigkeit des obigen Verfahrens aufmerksam zu machen , und
spricht dabei die Hoffnung aus, dass es nur dieser Verständigung
bedürfen werde , um von der Wiederholung desselben abzuhalten.
Leipzig, am 10. Juni 1853. Der Verein der deutschen Musikalien-
händler gegen Nachdruck. In dessen Auftrag D. Härtel, d. Z. Secretär."
Wir wissen ein besseres Mittel, dem Ueberdruck der Stimmen
einzelner Gesänge vorzubeugen, ohne mit einer Klage auf Nachdruck
zu drohen. Die Herren Verleger mögen den viel zu splendiden
Druck der Stimmen einfacher einrichten und die zu hohen Preise so
ermässigen, auch Parthiepreise gestatten, wie dieses beim Buchhandel
geschieht, damit die Anschaffung einzelner Gesangsheftc in 30, 40,
50 und mehrfacher Anzahl den meistens unbemittelten Gesangver-
einen im Volke möglich wird. Dann, aber auch nur dann werden die
Herren Verleger ihre Absicht erreichen ! Andern Falles bleibt den
Vereinen nichts »übrig, als zu dem früher eingeführten Abschreiben
zurückzukehren. Dies wird hoffentlich kein Nachdruck sein!
Wir bitten nachträglich , folgende Druckfehler zu berichtigen :
In Nr. 18 (ausCarlsrnhe) muss es heissen S. 71 Sp. 2 Z.22 „Eduard
Devrient", statt: „Edm". S. 72 Sp. 1 Z. 1 „eine Arie aus Titus",
statt: „die Arie". Z. 7 „Frl. Drück", statt: „Frl. Druck". 2. li
„Septett", statt: „Sextett". In Nr, 19 (aus Carlsruhe) S. 74 Sp. 1
TL 5 „Joseph Wolfram", statt: „Johann".
«Mt>
Verantwortlicher lt«lakuiir: J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER & WALUU in M^ln*.
2. Jahrgang.
Wir. 98.
11. Juli 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
RIDACT10S UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
11. 2., 42 «4er Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
SO kr. »der IS Sgr. per Quartal.
Inhaltt C. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Literarisches. — Corr. (Dresden). — Nachrichten.
C IH. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
über
die Composition des Freischütz and über
Operncompoaitioii überhaupt.
(Fortsetzung.)
IV.
„Wob. Ib. Ein Werk, wie Ihr Freischütz z. B., überwindet die
Blasirtheit und erregt das ganze Publikum mächtig. Ist das bloss die
unbewusste That des Genies oder kommen ihm bewusste Bestre-
bungen dabei zu Hülfe ? Wer könnte das sicherer entscheiden als Sie t
Weber. Entscheiden wäre wohl zu viel verlangt. Was ich
-aber darüber denke, und wie ich bei meiner Opernkomposition in
dieser Beziehung verfahren, will ich ihnen gern sagen. — Für die
«Aufgabe, das in mir durch den Dichter hervorgerufene Gefühl so
zu schildern, und in eine solche musikalische Form zu fassen, dass
es möglichst auf alle Zuhörer die gleiche und bestimmte Wirkung
hervorbringe, habe ich zunächst drei Maximen; sie heissen: Mitten
in die Sache hinein, Festklammern und Konzentration.
Ich glaube nämlich, dass viele» namentlich junge Talente, von ihrem
ungeduldigen Kompositionstriebe hingerissen, zu bald anfangen
zu schreiben, wenn sie kaum den Blick auf das Gedicht ge-
worfen, und das verlangte Gefühl erst in ihnen im Heraufdämmern
begriffen ist. Wie kann man aber für Andere deutlich malen , was
man selbst noch undeutlich sieht, und wie soll eine Schilderung
kraftvoll und lebendig werden , deren Empfindung noch matt in uns
selbst ist? Mein Grundsatz war und ist daher, erst dann zu schreiben,
wenn der Gegenstand in voller Klarheit und Lebendigkeit vor meiner
Einbildungskraft steht und das Gefühl in voller Stärke in meinem
Gemüthe lebt. Alsdann suche ich Letzteres mit den ersten Noten
gleich in seinem vollen Leben und so bestimmt wie möglich zu er-
fassen und zu schildern.
Unter Festklammern verstehe ich , dass man sich bemühe,
jeden Takt eben so bestimmt zu halten, und keinem einzigen
matten, unbestimmten, Einlass in das Bild gestatte. Auch in dieser
Beziehung gehen viele Komponisten nicht sorgfältig genug zu Werke,
sie beachten das Einzelne zu wenig — was ist ein Takt für sich
betrachtet in ihren Augen ! Aber er ist sehr viel ! er kann durch un-
geeignetes Betragen die Harmonie einer ganzen Melodie stören. Mich
lahmt dieses Festklammern an den Gegenstand, oder wenn Ihnen das
vielleicht deutlicher klingt, dieses deklamatorische Anschmie-
gen der rhythmischen und tonischen Accente und Biegungen an das
zu schildernde Gefühl keineswegs, es steigert vielmehr meine innere
Wärme. Es mag Ueberwindung und längere Gewohnheit verlangen,
an dieser Maxime festzuhalten. Ich aber muss Gott danken« dass er
mich darauf geführt hat , denn ohne sie hätte ich überhaupt wenig
und schwerlich etwas Gescheidtes hervorgebracht. Diese Maxime
setzt mich nämlich in Stand, ziemlich so jeder Stunde meine Begei-
sterung herbeibeschwören zu können und wieder da anzuknüpfen,
uro ich abbrechen antaste. Denn bei meinen vielen Geschäften ex
officio, und den vielfachen Anforderungen an mich von Aussen her,
kann ich meine grösseren Arbeiten nie in einem Zuge fortführen,
kann auch nicht , wie Göthe will, auf die günstige Stunde und Stim-
mung warten, sondern muss arbeiten, wenn ich Zeit habe, und dann
mir die Stimmung machen. Das gelingt mir meist durch jenes Fest-
klammern oder Fixiren auf das Kleinste, natürlich, wenn das Object
durch die frühere Prozedur schon deutlich in mir vorhanden ist.
Welche Menge der heterogensten Beschäftigungen und nichts weniger
» als künstlerischen Stimmungen haben sich in breiten Tages- ja Wo;
chenströmen zwischen den kurzen Momenten durchgedrängt, in denen
ich an dem Freischütz arbeiten konntet Ist er . eine Kunstströmung
für sich geworden, so habe ich es jener Gewohnheit mit zu danken.
Und am Ende liegt eine Hauptursache, warum wir so selten durch-
greifende Wirkungen erfahren, doch mit in dem Leichtsinne der
Künstler oder in ihrem falschen Glauben , dass es in dem Kunstwerk
Kleinigkeiten gäbe, die einer sorgsamen Behandlung nicht bedürften.
Wohl b. Das habe ich in der That auch geglaubt, wie man ja
auch oft hört und liest, dass der Künstler gewisse Momente mit Ab-
sicht weniger ausführe, um andere, auf denen die Haupt Wirkung be-
ruhe, desto mehr hervorzuheben.
Weber. Das Letztere ist richtig, aber es passt nicht auf mei-
nen Satz und schlägt ihn nicht. Weniger ausgeführte Stellen in
guten Kunstwerken sind nicht leichtsinnig und schlecht ausgeführte
Stellen. Der Künstler bildet sie mit Absicht so, und um diese Ab-
sicht zu erreichen , muss er dieselbe Sorgsamkeit darauf verwenden.
Thun und Unterlassen, wenn es sich um das Hervorbringen einer
bestimmten Wirkung handelt, müssen mit gleicher Ueberlegung be-
rechnet und mit gleicher Abwägung der Mittel ausgeführt werden. In
diesem Sinne statuire ich keine Kleinigkeiten in dem Kunstwerke,
solche Stellen oder Züge nämlich, hei denen es einerlei wäre, ob
ich sie so oder anders bilde. Glauben §ie mir, ob, ich in einer Me-
lodie eine Quarte anstatt einer Terz , oder umgekehrt, steige oder
falle, ist für den richtigen Ausdruck oft von grosser Bedeutung. —
Unter Konzentration verstehe ich Kürze, Gedrängtheit der ganzen
Form sowohl als aller einzelnen Theile darin. Und dies kann eben
nur wieder durch Anwendung jener Festklammerungsmaxime , wie
aufs kleinste, so auch auf grössere Theile erreicht werden. Wie
nämlich in kein Motiv ein einziger schwacher Takt sich eindrängen
darf, so darf natürlich noch weniger in einer Form ein müssiges
oder mattes ganzes Motiv erscheinen, weil dadurch sogleich die Präg-
nanz verloren geht, das Gefühl gestört und der Eindruck geschwächt
Wird/'
Die hier zusammengedrängten Gedanken sind nach meiner Aus-
sicht die richtigsten von allen, welche Weber im Verlaufe dieser Ge-
spräche verbringt. Mit einer bewundernswerthen geistigen Klarheit
; und in einem eben durch seine Einfachheit und Ueberzeugungs-
| Innigkeit klassischen Ausdruck erklärt der grosse Meister hier Kunst-
1 gesetze, die bis dahin noch nicht in solcher Bestimmtheit ausge-
' sprochen waren, die später bis in unsere Tage hinein vielfach wieder
vernachlässigt wurden, und deren Wahrheit unser Weber nach sei-
ner Stellung im der Kunstgeschichte von Allen am tiefsten empfunden
hat. Weder Gluck, noch llozart noch Beethoven konnten so sprechen,
obwohl sich Zahlreiches bei allen JDreUn und vielen Andern findet
— u» —
was die Vernünftigkeit dieser Grundsätze bestätigt. Ihnen Allen fehlte
mehr oder minder die dramatische Anregung zn ihrer musikalischen
Gestaltung, sie bedurften in ihrer sperifisch-iansikalischen Reichhal-
tigkeit dieser Stütze nicht, oder wenn besonders Gluck auch in einem
ähnlichen Verhältnisse au seinem Objeete stand, so gab er sich sei-
nem Stoffe doch nicht mit solcher Weichheit and Andacht hin, an!
legte auch auf die rein musikalische Form dem dramatischen
Ausdruck gegenüber ein zu geringes Gdwicht. Weber aber sagt ganz
einfach: „Ohne dieses Anschmiegen an den Stoff hätte ich überhaupt
wenig und schwerlich etwas Geschcidtes gemacht." Reine Versi-
cherung kann ernster gemeint sein, als diese; und keiner dürfen
wir mehr Glauben schenken. Ihm floss der Quell schönster Musik
reichlich, sobald ihn ein dichterisches Wort, eine poetische Gestalt,
eine dramatische Scene gepackt hatte, — sonst war er leer, ruhig,
unmusikalisch und bei Bitten schöner Mädchen, er möge Etwas auf
dem Piano spielen, war seine stete Entschuldignng, er wisse nichts
(ich berichte hier nach der mündlichen Mittheilung einer Holsteinerin
an mich, in deren Kreise Weber sehr vertraut war). —
Diesen Grundsätzen wird Niemand ungestraft untreu werden
dürfen, das ist schon hinreichend klar geworden. Aber das heutige
Geschlecht scheint wie über Nacht weise geworden, und da man nur
sich bemüht eine geschichtslose , parteisüchtige Ansicht der Ge-
schichte der Kunst zur Geltung zu bringen, so ist vor der Hand
wenig Aussicht, man werde auf Weber ein bedeutendes Gewicht legen.
Es geht vielmehr nach der Melodie : .,Was ist ihm Hekuba!" Daher
feann nicht zu sehr auf diese Grundsätze hingewiesen und überhaupt
daran erinnert werden , dass Weber der bedeutendste von denjenigen
Komponisten ist, die vollauf und fast ausschliesslich in dichterischen
oder dramatischen Gedanken lebten und aus diesen ihre Nahrung*
sogen, einer der herrlichsten Schöpfer der sogenannten dramatischen
und im Gebiete des Dramatischen, das Gcmüth in seiner ganzen Fülle
und Tiefe in sich schliessenden Musik, dass er einer der Ausgangs-
und Höhenpunkte der Richtung ist, welche die Musik im Grossen
bis heute fast ausschliesslich eingeschlagen, der dichterischen
Musik, und dass sich Muster dieser Kunstrichtung bei ihm in para-
diesischer Reinheit finden. In seinem Verhältniss zu dem Gegen-
stande und in der musikalischen Formung desselben ist Weber noch
für lange Zeiten ein Ideal ; seine tiefe wahre Kunst ist bei weitem
noch nicht erschöpft , sie ist kaum gewürdigt und ihr unsterblicher
Gehalt wird erst der Folgezeit recht nützlich werden. — Man miiss
darauf verzichten , dass die Mehrzahl augenblicklich dieser Ansicht
von Herzen zustimme. Doch zu manchen altern Künstlern wird sich
mit der Zeit hie und da ein jüngerer gesellen , dessen Empfindung
lauter und dessen Kopf nicht verschroben ist, und „ich bin hier ge-
zwungen, wiewohl es anmassend scheinen kann, mit dieser Meinung
(von der Bedeutung Webers und seiner einstigen segensvotlcn Ein-
wirkung auf die Tonkunst) mich nur an Kenner*) zu wenden** sage
ich mit Lachmann. (Fortsetzung folgt)
LITERARISCHES.
Unter dem Titel: „Die Melodie der Sprache in ihrer
Anwendung besonders auf das Lied und die Oper mit Berührung
verwandter Kunstf ragen" (Leipzig, J. J. Weber) hat ein Herr L. K ö h I er
ein Büchelchen herausgegeben, welches recht deutlich zeigt, was
aus den von R. Wagner in seinen Schriften aufgestellten, von ihm
allerdings geistvoll behandelten Sätzen in den Händen geistloser
Nachbeter wird. Bekanntlich fordert R. Wagner ein enges Anschliessen
der dramatischen Musik an das Drama oder vielmehr lässt sie in
demselben aufgehen, folgerecht eifert er nicht nur gegen die gesammte
Opernmusik der Gegenwart und Vergangenheit, sondern verwirft auch
jede Gesang-Melodie, die nicht aus dem Gesangtexte selbst entsprungen
und mit seinem Inhalt in der innigsten Verbindung steht. Er nennt
dies die „absolute Melodie." Die Einseitigkeiten der Weguer'schen
Kritik wie die Punkte worin ihm Jeder beipflichten muss, sind in
diesen Blättern schon so oft hervorgehoben worden, dass wir sie
Wer nicht aufs Neue zu berühren brauchen.
Herr Köhler aber geht weiter. Ihm genügt der innige Anschluss
der Musik an den Text, das Aufgehen der Melodie in ihm, oder
besser, das Erschaffen derselben aas dem Sinne, dem Inhalt des
*) Die Gedichte Walther*s von der Vogelweide von Karl Lachmann
Ute Ausgabe, besorgt von M. Haupt. S. 0W.
Gedichts heraus, nicht mehr, ihm ist Wort und Ton, Rede und Gosang
im Grunde ganz dasselbe, nach ihm empfängt der Gesangton nicht
nur seine „Gesetze" vom Worte, sondern der Gesang fusst in der
Rede und „der Urquell , das Grund-Princip Allen Gesanges" ist —
die Deklamation! (S. 77)
Es ist dies nicht etwa nur so zu verstehen, als ob die sprachlichen
Gesetze auch für den Gesang in so weit maassgebend wären, dass
sie nicht der Melodie zu Gefallen verletzt werden dürften — diese
Wahrheit, die schon Göthe ausgesprochen -hat und die nach ihm so oft
wiederholt worden ist, dass sie nachgrade als feststehend und allge-
mein anerkannt betrachtet werden darf, ist für die Herren der Zukunft
zu alt, — o nein, Herr Köhler behauptet, dass schon in der Sprache selbst,
in der sinngemässen Deklamation die einzig wahre und zugleich die
schönste Melodie liege und dass Jeder der „richtig deklamirt, den
Ton herauszulauschen weiss, die Töne in Noten zu setzen und das
Ganze abzurunden versteht" j edenfalls — guten, gefühlvollen
und also auch wirksamen Gesang geben könne! Zum Beweis,
dass sein Princip „stichhaltig" sei, entwirft er nach dem dekla-
matorischen Accente mehrerer Verse wirkliche „Sprachmelodien"
(so zu Mignons Lied, zu „Herz mein Herz warum so traurig" Liebes-
feier von Lenau und Andere.)
Es ist wohl schon im Scherz versucht worden, die Sprachlaute
nach ihren verschiedenen Accenten, ihrem Heben und Sinken ver-
mittelst der musikalischen Zeichen annährend zu fixiren, ohne daraus,
dass dies möglich ist, den naiven Scbluss zu ziehen, die so versinnlichten
Lautnüancirungcn der Bettelleute , Ausrufer, Marktweiber und dergl.
seien nun wirklich auch „Melodie und Satz" wie H. Köhler allen
Ernstes behauptet (z. B. vom Ruf der Kalmusjungen :)
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rr-r^r
Drei Bunden Pfen - nig.
Das ist noch etwas ärger als wenn man die metrischen Exercitien
der Schulbuben für Poesie ausgeben wollte, weil ein Versmaass
darin zu finden ist. Auf ein solches Experiment aber (das H. Köhler
selbst ein andermal „einen interessanten Spass" nennt) vollends die
Sprachmelodie und auf diese die Gesangmelodie „der Zukunft" zu
gründen, ist ein so kühnes Unternehmen, dass Jedem dabei schwindelig
werden müsste — wenn ihn nicht die von H. Köhler zur Begründung
seines „Systems" beigegebenen „Sprachmelodien'' zu rechter Zeit
wieder zur Besinnung brächten.
Nehmen wir die erste von H. Köhler aus „Mignons Lied" von
Göthe gezogene „Melodie."
Sehr langsam.
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Kennst du das Land, wo die Ci - lronenblühn,imdunkelnLaubdte
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Gold-O-ran-gen glühn, ein sauf i er Wind vom blauen Him-melwcht,
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die Myr-te still und hoch der Lorbeersleht,kcnnstdu es
Lebhaft. >. n*#.— — »- Langsam^ ^z
wohl?
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S
t=EE^ü 03E^m
dahin, da -hin, möchtichmitDir o meinGeliebtcr ziehen.
Von den dreierlei Taktarten , dem Harmonieschlussc in F
wollen wir gar nicht reden , das sind Einwürfe , die von dem
über jede Form erhabenen Sprachmelodisten der Zukunft als Zopf
des 19. Jahrhunderts mit verächtlichem Gelächter beseitigt wer-
den. Aber ist hierin von dem guten, gefühlvollen und
wirksamen Gesänge, den doch J^der, der richtig deklamirt und
die nöthigen musikalischen Vorkenntnisse besitzt, geben können soll,
auch nur eine Spur verbanden? Ist das viermalige Hinaufziehen
des Tons in Triolen im «. 5. 7. 9. Takte nicht höchst eintönig ja
kasslich? Weht in dieser Melodie auch nur der leiseste Hauch von
der unaussprechlichen Sehnsucht, dem romantischen Zauber, der das
herrliche Göthe'scke Gedicht characierisirt , streift der musikalische
Aasdruck auch nur entfernt an das glühende Colont der Poesie ? ja
ist der musikalische Aasdruck des sehnsüchtigen und zugleich lei-
— lti -
denschaftlicben Ausrufs : .„Dahin , dabin «. s. w., a wenn man «bell
sat^ bloss den Spractocceot übersetzen, sondern die in dein Gedichte
-vorherrschende GefüMsströmung wiedergeben will, nicht geradezu
falsch? Mussta nicht ein Blick an/ die Liszt'sche Behandlung dieser
Stelle , .die Herr Köhler bei einer andern Gelegenheit anfahrt , ihn
selbst davon überzeugen?
Ö .. Animate
|§ äfegS^rT? jl\ r;j^^ i
Da- Hin, da -hin, da - hin, «noch t Ich mit dir, e mein Ce - llebter den« !
Wiehilft sich hier Hr. Köhler? „Dies „Dahin" ist in zweierlei Be-
deutung aufzufassen: dahin und dahin. Im ersten Falle liegt da-
runter der Sinn „nirgends sonst wohin in der "Welt** im zweiten :
„fort fort von hier." Beides ist richtig; wie Liszt das zweite gab,
fühlte i c h beim Lesen stets im Sinn das d ahin : In diesen wenigen Tönen
zu dem Worte „dahin" spiegelt sich der Genius F. Liszt's... Liszt
ist Mann der That, er muss handeln, „vorwärts," u. s. w."
Nein, Herr Köhler, das sind Ausflüchte. Liszt ist ein Mann von
Geist, dcsshalb hat er die Göthe'sche Dichtung verslanden, und
eine echte Künstlernatur, desshalb hat er den richtigen musika-
lischen Ausdruck dafür getroffen. Das ist der ganze Unterschied,
der zwischen Ihnen besteht'
Hieran reiht sich aber eine zweite Frage. Ist das Köhler'sche Princip
wirklich stichhaltig, wie ist es dann möglich, dass ein und dasselbe
Gedicht zwei-und mehreremale componirt werden und doch jede ein-
zelne Komposition mit musikalischem Werthe sinngemässe Deklama-
tion verbinden kann ? Nach Herrn Köhlers System kann nur eine
Deklamation die richtige sein , wie es auch nur eine Wahrheit
gibt, folglich kann auch nur eine Melodie als die einzige wahre
-und schöne daraus gezogen werden und die Andern sind blosse „Li-
rumlarutn-Melodien", nach Hrn. Köhlers Ausdruck. Welche «on beiden
vorliegenden Ucbertragungen des Göthe'schen Liedes ist nun „Lirum,
larum," die Liszt'sche oder die Köhler'sche ? Aber die erste erkennt Herr
Köhler selbst an, und die sciuige ? Nun, die soll ja eben ein Beweis
für die Richtigkeit seines Systems sein! Meint aber Herr Köhler,
man dürfe sein Princip nicht so streng nehmen, ein Gedicht könne
auf verschiedene Weise aufgefasst und deklamirt werden und den-
noch jede Auffassung berechtigt sein, es hinge dann von dem höheren
oder niedern „Schwünge des Gefühls," von dem gröberen oder feineren
„Geiste" der Deklamatoren ab , welches die beste sei , dann stehen
wir auf dem allen Flecke und das „klein wenig Kunst, etwas Frei-
heit der Fantasie und des Geschmacks" welches seinen Melodien „das
Wenige leicht genommen hätte, was ihnen Ungelenkes etwa eigen ist",
(warum hat Herr Köhler diese ihm doch gewiss zu Gebote stehenden
unbedeutenden Erfordernisse nicht wenigstens bei einer angewandt ?) wird
auch künftig die Hauptsache bleiben , wie bisher, und Herr Köhler,
der diese wahrhaft freie, künstlerische Thätigkeit „ dcklamiren " zu
nennen beliebt, ficht mit Windmühlen. Wen hält Herr Köhler hier
zum Besten, sich selber oder seine Leser?
Ucberdiess ist das Zugeständniss, dass seinen Sprachmelodien
vielleicht etwas „Ungelenkes" eigen sein könne, eine blosse cap-
tatio benevolentiae, denn er behauptet vorher von seinem Mignonlicd
geradezu : „Wer es angemessen vortragen höre, könne unmöglich den
Stein darauf werfen;" freilich ist die Begründung dieses „unmöglich"
sehr schwach: „denn es muss ja etwas Leidliches an Gesang
aus gebildeter, sinngemässer Deklamation zu ziehen sein, man muss
nur zu lauschen verstehen nnd das Herausgefundene vernünftig dar-
stellen können!" Welche Argumentation! Erst muss das Beispiel
das Princip „stichhaltig" machen und nachher wird das Princip vor-
geschoben , um zu beweisen , dass das Beispiel etwas tauge ! Nein
Herr Köhler, solcher Kunstgriffe bedient sich kein Künstler und kein
Autor, der seiner Sache gewiss ist !
Weiter 1 Herr Köhler entwirft auch eine „Sprachmelodie" zu
den bekannten Lied: „Herz mein Herz warum so traurig." ia
vollkommener Uebereinstinunung mit seinem Princip , behauptet er
von derselben , kein anderer Text, wenn er auch gleichen Bhytmu»
habe, lasse sich dazu singen, während dies bei blossen „Lirumlarum-
Melodien," wie z. B. bei der bekannten Orgelmelodie dieses Liedes
ohne Schwierigkeit geschehen könne, sobald man nur eine sentimen
taie Dichtung von gleichem Rhytmos wähle. Das Letztere ist richtig.
Der von ihm untergelegte Vers ans „Guter Mond" etc. peest, die
anderen ebenfalls, aber wen He» Köhler meint, dass dies« Texte
nicht «aueh ebenso gut au seinen Melodien passten, seist er in
gewaltigen Irrthum begriffen, in den freilich ein so bescheidener Auler
leicht fallen konnte. Es gehört dazu kein besserer Appetit — um in seiner
Weise zu sprechen — - als seine Melodie überhaupt au verdanen. Ja,
der Vers aus dem Portugiesischen, den er anführt,*) passt sogar mel
besser auf seine Melodie als auf die andere, da in jenem das zwei-
malige Dich dem Sinn entsprechender zur Geltung gelangt. Es ist
dies auch gar nicht wunderbar. Sobald es dem Componisten nicht
gelungen ist, irgend einen charakteristischen Zug, der, wenn nach
«och so unscheinbar das Gedicht dominirt, zu erfassen , und durch
seine Ausprägung dem Liede eine bestimmte Färbung zu verleihen,
wird jeder Text von ähnlichem Ausdruck und gleichem Rhytmas
auf seine Melodie passen und bei der Sprachmelodie , die im We-
sentlichen auf dem Sprachaccent und dem Rhylmus beruht, am ersten.
Herr Köhler theilt (S. 43 — 48) mehrere Lieder von Beethoven»
F. Schubert, Mendelssohn, B, Schumann, Franz, Marschner, Liszt etc*
mit, um an ihnen zu zeigen, wie sich schöne Melodie mit sinnge-
mässer Deklamation vereinigen lasse. Es könnte unbegreiflich
scheinen, wie Jemand diese herrlichen Lieder nur ansehen kann ohne
den ungeheuren Unterschied zwischen dem begeisterten Schaffell
des Künstlers , der aus der Tiefe 'seiner Seele schöpft und dem die
Gesetze der Sprache wie die Formen der Musik längst zur andern
Natur geworden sind , und der platten Musikmacherei nach dem
Princip der „Sprachmelodie" sofort zu erfassen, aber bei Herrn
Köhler, der keinen Widerspruch scheut, überrascht es nicht. Derselbe
bricht denn auch Angesichts dieser Lieder und Angesichts seiner
Melodieen in folgende Phrase aus : „Weil es nun eine ausge-
machte Wahrheit ist, dass im günstigsten Falle in unserer Zeit Vera
und Melodie wie zwei syinpathisirende Liebende wohl neben einander
gehen, nicht aber c i n Leib und eine Seele sind , so mag es wohl
sein, dass eine spätere Zeit, durch R. Wagners Schriften und Kunst-
werke vorbereitet, wieder ein Urverbälmiss Beider gestaltet; Ver-
stand und Gefühl halten dann ein schönes Gleichgewicht, Vers «nd
Melodie (als Repräsentanten Beider) sind Eines und — die Zukunft
ist eine Gegenwart geworden, in der man keinen anderen Gesang
kennt, wie den der vom Dichter vorbereiteten Versmelodie; wo dieser
Gesang für die allerschönste Sprache gilt, und zufolge dieser, auf
höheren Gefühlswellen getragenen Sprache so schöne Melodien
schaffen machl, dass die Melodielinge des neunzehnten Jahrhunderts
— jener nebelhaften Vorzeit — dagegen sind , was Zuckerpuppen
gegen Canovas und Thorwaldsens Marmorgest alten, was Wachsfigaren
gegen lebensvolle Mcnschenwcscn.'"
Was soll man zu so „blühendem Unsinne" um mit Herrn Köhler
zu sprechen, sagen? Gott bewahre uus vor dieser „Zukunft," 4m
glücklicherweise nur in nebelhafter Ferne droht und schenke Herrn
Köhler, ihrem derzeitigen Sprachmelodisten, ein langes Leben, damit
er dermaleinst in einem ganzen Meere von Sprachmelodienwonne
schwelgen möge. Wir danken dafür!
Einstweilen aber frage« wir Herrn Köhler, der am Schlüsse seines
Buches N. Lcnau, den Dichter der von ihm a la Migiionslicd behan-
delten „Liebesfeier'' den „melodiereichstcn Liederdichter"
nennt: sind Lcnau und Göthe Dichter, sind ihre Verse „melodisch" und
„musikalisch'' in seinem und seiner Sprachmelodien-Zukunft Sinne (und
wenn seine Worte nicht das Gegentheil von dem bedeuten, was an-
dere Menschen darunter verstehen, so scheint es so) wozu dann erst
die Vertröstung auf eine ferne Zukunft um die verheissenen Wunder
zu schauen? Die Dichter sind da, das Princip der Sprachmelodie,
Dank der Entdeckung des Herrn Köhler , auch , und der beste In-
terpret desselben in der Person des Herrn Köhler ebenfalls, also
weshalb länger warten? Warum soll die Gegenwart erst zur „ne-
belhaften Vorzeit" geworden sein, che die Menschheit mit den göttV
liehen Melodien beglückt wird , die ja nach Herrn Köhlers Theorie
schon in den Gedichten vorhanden sind? Muss die Menschheit viel-
leicht erst andere Begriffe von dem, was musikalisch „schön" ist, an-
nehmen, ehe Herrn Köhlers Entdeckung Glück machen kann? Dann
Wäre der lange Termin , den Herr Köhler sich selbst gesetzt hat»
doch einiger Trost für uns.
Verwirft aber Herr Köhler mit den „Melodiclingen des 19. Jahr-
hunderts," also mit Beethoven, F. Schubert, Mendelssohn, lt. Schu-
mann, Franz, Marschner, Liszt u. s. w. auch die bisher (Ar „melodie-
) Wäre jede, jede Wonne, die erdenkbar, wirklich mein»
Ward* ich doch nur Dich anbetend , Dich verehrend selig sein»
Ii&
reich" gehaltenen Dichter, wie Göthe und Lenan, denen eich
Heine, Geibel, Hoffmann und noch viele Andere anreihen, dann
bleibt freilich nichts anderes übrig, als ihm seinen Willen zu lassen,
dann rathen wir ihm aber auch , künftig die Poesie des 19. Jahr-
hunderts so unbehelligt zu lassen, wie sie ihm fremd ist und Göthes
und Lenaus Dichtungen fortan mit seinen Sprachmelodie - Versuchen
au verschonen.
Doch genug von Herrn Köhler und seiner Entdeckung. Wer das
Wesen der Sprache und des Gesanges so verkennt , dass er Laut
und Ton , Rede und Gesang , Deklamation und Gesangmelodie im
Wesentlichen für identisch erklären kann , und dieser noch dazu
auf die Autorität eines Andern gestützten Behauptung zu Gefallen
die einfachsten Begriffe verdreht und auf den Kopf stellt , der mag
wohl hochtrabende Journalartikel zu Stande bringen, bei denen
ein tüchtiger Vorrath von Floskeln die Hauptsache ist, aber weiter
■nichts. Wer die sprachlichen Gesetze, die von dem Lieder-
komponisten nur desshalb nicht verletzt werden dürfen, weil der Ge-
sang die Verbindung von Wort und Ton ist, für den Urquell, das
Grundpr in c ip der Gesang -Melodie ausgeben, an die
Stelle der freien künstlerischen Thätigkeit ein mechanisches Ab-
messen, Anpassen und Feilen setzen und uns damit in das Zeitalter
der florentinischen „sprechenden Musik" zurückführen will , der hat
keine Ahnung von dem, was den Musiker zum Künstler macht , und
gehört zu denen , von welchen Göthe sagt : „Sie haben die Theile
in ihrer Hand, fehlt leider nur das geistige Band"
Dieser totale Mangel einer geistigen Auffassung ist es denn auch,
der das ganze Buch von Anfang bis zu Ende charaktcrisirt und un-
srern ersten Ausspruch, der Autor desselben sei ein geistloser Nach-
beter Wagners, rechtfertigt.
Zum Schluss noch eine Bemerkung.
Dass wir unsere Ansicht über Herrn Köhler und .sein Buch so
unumwunden und ungeschminkt ausgesprochen haben , hat derselbe
selbst provocirt. Hätte Herr Köhlersich damit begnügt, seine Meinnng
aber die in der Sprache vorhandene Melodie und ihre Entwicke-
lungsfähigkeit in bescheidener Weise, möglichst klar und verständlich
darzulegen, so würde er wohl auch auf das Irrthümliche und Mange-
lhafte derselben aufmerksam gemacht worden sein , aber mit der
Schonung; die die Kritik derartigen Versuchen gegenüber so gern be-
obachtet, wenn sie nicht im Dienste einer Coterie steht, die nur in
persönlichen Ausfällen und den schroffsten Ausdrücken ihre Stärke
sucht. Da aber Herr Köhler für gut befunden hat, seine Behaupt-
tungen in einer Sprache vorzutragen, die abgesehen von dem voll-
standigen Mangel an Logik und innerem Zusammenhang , nur ein
widerliches Gemisch von Bombast, Hohn und der ensctzliciisten Selbst-
überhebung bildet, so hatte er diese Nachsicht verwirkt 1
:•»*>-
CORRESPONDENZEN.
AUS DRESDEN.
(23. Juni.)
Am 1J. dieses Monats veranstaltete unser strebsamer Männer-
gesangverein Orpheus ein Concert zur Förderung des für Göthe
und Schiller in Weimar zu errichtenden Denkmals. Seinen alten Ruhm
bei jeder passenden Gelegenheit, wie für gemeinnützige Zwecke, so
für Förderung der Bekanntschaft mit hier neuen bedeutenderen Com-
positionen thätig zu sein, bewährte der Verein auch diesmal, was eben
hier in letzterer Beziehung doppelte Schwierigkeiten hatte, da man
mit Rücksicht auf den nächsten Zweck dieses Conccrtes nur Conipo-
eitionen Schiller'scher und Göthe'scher Texte zur Ausführung bringen
zu sollen geglaubt hatte. Schumann's Requiem für Mignon (aus
Göthe' s Wilhelm Meister) und Riet z' Dithyrambe (von Schiller) waren
die beiden Werke, die man für diesen Zweck gewählt, und die den
Umständen nach — waren doch noch am Tage vor dem Concerte
unabsichtliche und absichtliche (!!) Hindernisse dem Concert in den
Weg gelegt worden, so dass mehrere Solopiecen wegbleiben und ein-
zelne in den grössern Compositionen noch aushülfsweise anderweit
besetzt werden mussten — recht gelungen ausgeführt wurden, wenn
man auch hie und da noch mehr Frische und wirkliche Begeisterung
hätte wünschen mögen. Schumann's Requiem (der Sopran- und Alt-
chor von Knabenstimmen ausgeführt) ist, wie für den, der den Kom-
ponisten und den „Wilhelm Meister* 1 kennt, selbstverständlich keine
kirchliche, sondern eine ernst gehaltene romantische Komposition, zum
Theil schwungvoll und von schönem Effect, weil natürlich und minder
gesucht und manierirt, als so manche andere seiner ähnlichen Ar-
beiten, leidet indess doch auch bisweilen an Unbedeutendheit der Mo-
tive, an zu breiten Ausspinnungen der Einzelnheiten und an Zer-
stückelung. Indess erschien die Gesammtwirkung als eine interessante
und wohl befriedigende, wenn auch der Eindruck kein eigentlich durch-
greifender genannt werden kann, was bei der Dithyrambe von Rietz in be-
deutend stärkerem Grade der Fall war, weil sie trotz mancher ab"
sichtlichen Barockheiten in Harmonie und Modulati ons Wendungen und
wenig eigentlich melodischer Erfindungskraft, doch von Begeisterung
der Conception und lebendiger Frische der Ausführung Zeugniss ab-
legt. Auserdem brachte das Concert noch den schönen Chor der
Engel (aus Göthe's Faust) von Frz. Schubert , Wanderers Nachtlied
von C. G. Reissiger, Mendelssohn -Bartholdy's „An die Künstler"
und (als Instrumentalsatz) desselben Ouvertüre: Meeresstille und
glückliche Fahrt.
Unsere Oper begann am 25. v. M. nach mehrwöchentlicher Pause
ihre Thätigkeit wieder, ohne indess aus dem gewöhnlichen Gleise
herauszugehen. Das Gastspiel der bekannten Soubrette Frau Dietz
• (vom Münchner Hoftheater), mit angenehmer, solid geschulter Stimme,
ansprechendem Vortrage, sehr gewandter discreter Darstellungsweise
durch die äussere Erscheinung und durch Noblesse des Spiels nur
wenig unterstützt, erregte für die Regimentstochter (Marie) und den
Postillon (Madelaine), auch wohl für „Gute Nacht, Herr Pantalon" (Co-
lombine) ein erneuertes Interesse; am meisten aber schlug die Künst-
lerin (und das dünkt mich für die Richtung ihres Talentes bezeichnend)
als Rosel in den Alpenscenen „'s letzte Fensterin" und „drei Jahr
nach dem letzten Fensterin", durch. Das Debüt eines Frl. Hofmei-
ster aus Dessau, als Marie (Czaar) konnte sehr wenig erfreuen; da-
gegen erregte das Auftreten des Frl. Ney, wiederum als Norma (l)
obwohl es von der Fatigue der Gastspiele deutliche Spuren zeigte,
lebhaftes Interesse, letzteres aber concentrirte sich vorzugsweise auf
die grossen Feierlichkeiten bei der Vermählung (am 18. d.) des Prinzen
Albert mit der Prinzessin Caroline von Wasa, bei denen auch die
Musik eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat. Am Vorabende des
Festes wurde die Aufführung des Sommernachtstraum's befohlen, eine
ebenso sinnige als geschmackvolle Wahl., wie die der seit dem 12.
Mai 1844 hier nicht gegebenen Festoper T i t u s für das am 19. d. statt-
gehabte Theätre pare*, und der als Nachfeier Tags darauf gegebenen
Antigone. Da aber jene Festvorstellung nur vor eingeladenen Zuhö-
rern stattfand, so muss ich den Bericht über die Ausführung der ge-
nannten Oper bis nach der Wiederholung derselben ohne Festtrouble
aber auch ohne Festbegeisterung, hinausschieben.
NACHRICHTEN.
Weimar. An die Stelle des Tenoristen Beck ist Herr Liebert
aus Köln getreten, Frl. Taborsky ist als erste dramatische Sängerin
engagirt worden.
London. Coventgarden - Theater brachte in der ersten Hälfte
des Juni : Hugenotten und Robert der Teufel , beide mehrmals wie-
derholt , Teil und Elisire d'amore. Am 18. trat Mad. Medori in
Maria di Rohan zum ersten Male auf. Rigoletto von Verdi wurde
trotz seiner ungünstigen Aufnahme am 21. wiederholt und am 25.
kam endlich der langerwartete Benvenuto Gellini von H. Berlioz zur
Aufführung. Der Erfolg , welchen er errang , war nach Londoner
Blättern ein sehr „zweideutiger." — Madame Tedesco, die berühmte
Altistin der Grossen Pariser Oper war angekündigt und ihr erstes
Debüt (in England) sollte am 1. Juli als Fides stattfinden.
Paris. Die kaiserl. Capelle ist aufgelöst worden. Auber be-
halt jedoch seine Stelle als kaiserl. Kapellmeister.
New-York. tyad. Alboni hat sich nach Europa eingeschifft.
■tai*'
yvmiWTüUhtt Mitteln J. J. BCIttlX. -Stack TtaJUtüTEB * WALUO'tt MM**
2. Jahrgang.
Mr. «9.
18. Juli 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG,
Diese Zeltnng erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Mnsik- nnd Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLA«
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
11. 3. 42 oder Tblr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Pos* bezogen:
SO kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t C. M. v. Weber*» Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — lieber Choral-Reform in Baiern. — Recensionen. — Literarische Kleinigkeiten, —
Corr. (Paris), — Nachrichten,
C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
aber
die Composltion des Freischütz und über
Operneomposition überlinup«.
(Fortsetzung.)
V.
„Weber. Man gewinnt durch Befolgung dieser drei Maximen
die Wahrheit des Ausdrucks und die koncise Form , und damit
allerdings schon viel. Aber es kommt auch noch darauf an , wie
man eine Wahrheit ausspricht, ob matt oder energisch. Ja, Energie
des Ausdrucks mnss hinzukommen j das kalt und matt und gleich,
gültig vor eine Kunsterscheinung (retende Publikum muss stark an-
gegriffen , muss zur Aufmerksamkeit und Theilnahme gezwungen,
muss mit Macht in den Kreis derselben hineingerissen werden, denn
willig erhitzt es sich nicht. Es befindet sich nicht mehr in der Kind-
heit, die mit Wenigem zu erfreuen oder zu rühren ist, weil Alles
ihr noch neu und frisch erscheint , sondern es ist fast einem Greise
zu vergleichen , der bereits Alles gesehen , Alles empfunden , Alles
genossen hat, was ein langes und reiches Leben nur bieten mag, und
der ganz absonderlich angegriffen sein will, wenn er aus seiner Her-
zensruhe und seinem gewohnten bequemen Gedankenkreise herausge-
bracht und in einen lebhaften leidenschaftlichen Zustand versetzt werden
soll. Ich will Ihnen sagen, was m i r zur Energie des Ausdrucks
hilft : Die Uebertreibung. Freilich ist sie ein grosser Fehler,
wenn sie von dem Publikum an dem Kunstwerk bemerkt wird;
aber dem Künstler ist sie ein hilfreicher Genius. Der Künstler ist
in den Stunden des Schaffens in erhöhter gereizter Stimmung. In
Folge davon machen die Gedanken, die ihm kommen , einen tieferen
Eindruck auf ihn und erscheinen ihm wirkungsmächtiger , als sie in
der That oft sind. Umgekehrt ist das Publikum vor einem neuen
Kunstwerke noch in seiner gewöhnlichen, von Geschäften abge-
spannten Stimmung, und die Gedanken, die ihm vorgeführt werden,
machen oft einen geringen Eindruck auf dasselbe, erscheinen ihm wir-
kungsloser, als sie vielleicht sind. Wie anders wäre denn die trau-
rige und so oft vorkommende Erscheinung zu erklären, dass Künstler
ganze grosse Werke hervorbringen, denen sie eine Wirkungskraft
eingehaucht zu haben glauben, die Derge versetzen werde, wfihrend
sie später bei der Aufführung mit Schrecken sehen , dass das ganze
Publikum unbewegt dabei bleibt? An diese Selbsttäuschung nun denke
ich bei meinen Arbeiten, misstraue der Stärke meiner Gedanken hin-
sichtlich der Wirkung auf mich , und ü b e r t r e i b e den Ausdruck
etwas , suche ihn auf die glühendste Weise zu gestalten, überzeugt,
dass das, was mir in der gereizten Stimmung vielleicht als zu stark
und übertrieben erscheint, nicht so dem Zuhörer erscheint, sondern
für ihn erst den Grad von Lebendigkeit erhält, der ihn in die ver-
langte Wärme und Mitempfindung zu versetzen vermag. Beispiele:
.„AH' meine Pulse schlagen , " Vieles der Julia und Obervestalin in
Spontinis Vestalin, und Manches in andern Opern; eben das werden
Sie selbst von allen guten Instrumentalkomposilionen sagen können,
es herrscht ein excentrisches'Lehen in ihnen, das Ober den Grad un-
serer irdischen Gefühlsstärke hinausgeht , aber der gewöhnliche Zu-
hörer empfindet das gar nicht so, für ihn ist es die wahre energische
Ausdrucksweise, und auch den reizbaren zuhörenden Künstler stört
es nicht. Wenigstens habe ich den Vorwurf outrirter Schilderung
meinen Kompositionen noch nicht machen hören.
W o h 1 b. Wäre nach diesem Grundsatze auch eine etwas Über-
triebene, stärkere Instrumentation gerechtfertigt, da das Ohr des
Publikums auch hier durch ein zu sparsam gebrauchtes Orchester
nicht mehr gehörig aufzuregen sein möchte? Dem widerspricht
aber Ihre Partitur zum Freischütz, die im Vergleich zu den Parti-
turen vieler jetziger Komponisten oft sehr sparsam und durchsichtig
instrumentirt ist.
Weber. Der Himmel bewahre uns vor dem Glauben , dass
die Masse und Anhäufung äusserer Mittel unbedingt nöthig sei, um
starke Wirkungen hervorzubringen. Meine gesteigerte Ausdrucks-
weise bezieht sich hauptsächlich auf die Zeichnung der Ge-
danken*). Die Melodie muss energisch, ihre instrumentale Um-
kleidung darf nie überladen sein. Es ist einer der allergewöhn-
lichsten Fehler, auch grosser Komponisten, dass sie mehr Instrumente
und mehr Figuren im Akkompagnement anwenden , als der Gedanke
nöthig hat. Ich suche diesen stets von allem unnöthigen Beiwerk
rein zu erhalten , damit er ungetrübt und leicht durch das Ohr in
das Gemüth fliessen könne. Dafür suche ich jedem Gedanken die cha-
racteristischste und wohlklingendste Instrumentirung zu geben. Diese
Grundsätze befolgte ich nicht allein bei den zarten Partien, sondern
auch bei den starken und gewaltigen. Zu viele rhytmisch verschiedene
Figuren zugleich hören lassen , bringt gar leicht Wirrwarr hervor.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass es manchen Gedanken gebe,
der in der Zeichnung sehr unbedeutend sei, und wo man einen
solchen hat, da helfe man ihm auf durch das Beiwerk des instru-
mentalen Schmuckes. Aber was kann den Künstler dazu bringen,
melodisch nichtssagende Gedanken von seiner Phantasie anzu-
nehmen? Entweder Mangel an melodischer Erfindung, oder Leicht-
fertigkeit nnd Uebereilung, oder die Einbildung, es sei alles gut, was
in seinem Kopfe erscheine. Was mich betrifft, so habe ich immer
dafür gehalten, dass jeder Gedanke schon in seiner Zeichnung mög-
lichst bedeutend und ausdrucksmächtig gestaltet sein müsse."
Bravo, das sind vortreffliche Gedanken ! — höre ich Viele aus-
rufen. Und dieselben Leute komponiren dann weiter, ebenso gedan-
kenfade und instrumentendick und motivendunkel , als vorhin. Das
ist überhaupt eine merkwürdige Erscheinung: man bewundert, die
Werke und Worte der Meister, oder macht doch mindestens ein ver-
zücktes Gesicht, hat aber nicht den Muth, Aehnliches zu versuchen,
oder wenn die ureigene Erfindung dazu nicht ausreicht, den Bettel
aufzugeben, mindestens nichts Grosses zu unternehmen. Der Grund
dieser Erscheinung steckt einerseits in der schwachen Geisteskraft
nnd mangelnden Reinheit bei vielen Menschenkindern» andererseits
aber inder Sache selber. Einmal ist jede künstlerische Re-
*) Der Leser sei hier an das erinnert , was Wtber oben sagte
Aber Characteristik durch die Instrumentation, nnd an meine Be*
merkung zu dem Punkte.
- 114 —
flexion untrennbar mit den subjeetiven Kunstschöpfungen verwachsen,
-wie z. ß. Wehers Uehertreihung des Ausdrucks, jeden-
falls eine höchst eigenthämliche Ansicht bleibt , man mag sie nun
für recht oder für verkehrt halten (allerdings ist sie den von Weber
genannten Erscheinungen gegenüber am Orte, also richtig, aber doch
zu 8iibjectiv , nicht sachlich, nicht erhaben und lauter genug); und
dann bleibt Reflexion immer Reflexion, sie verfährt demon-
strirend und analysirend , kann aber nicht unmittelbar künstlerisch
einwirken, selbst bei vollkommner Wahrheit nicht, denn was soll ein
Künstler mit der unwidersprechlichcn Wahrheit (er müsse tiefe mu-
sikalische Gedanken erfinden und in das rechte Gewand hüllen) an-
fangen, wenn sie in Form einer Lehre von Aussen an ihn herantritt?
Kr versteht und nimmt sie in seinem Sinne , und künstlerisch
kann er es nicht anders: denn der lebendige Born der Kunst ist ver-
siegt, sobald man sich selbst aufgibt. Man wundere sich daher
nicht wenn noch so unwiderlegliche Lehrsätze der Kunst wenig auf-
helfen, und auch nicht , wenn grammatisch noch so klare Selbstbe-
kenntnisse wahrer Künstler nie ganz aus dem orakelhaften Dunkel
heraustreten. (Fortsetzung folgt.)
Ober choral-reform in Bayern.
Es ist bereits eine ziemliche Reihe von Jahren verflossen, seit-
dem in Bayern die kirchliche Oberbehörde die Einführung des so-
genannten rhytmischen Chorals angeordnet hat und es dürfte jetzt
«im so mehr an der Zeit sein , Rückblicke auf die Erfolge zu thun,
die im Ganzen, wie im Einzelnen erzielt Morden sind, da diese Re-
form auch in andern prol« deutschen Staaten angebahnt wird , die
Herausgabc eines allgemeinen Gesangbuches für die ev. Kirche und
wahrscheinlich auch ein neues Choralbuch in Aussicht steht, damit
man eineslheils über die Zweckmässigkeit des Verfahrens bei Durch-
führung dieser Reform, über die Ursachen des kaum merklichen Ge-
lingens sich klar werde und andernthcils aber auch, um einiger
Maassen beurthcilen zu können , was in Zukunft im Allgemeinen
für den cv. Choralgcsang Erspriessliches davon zu erwarten sei. —
Ganz abgesehen vorn wissenschaftlichen Standpunkt der Be-
rechtigung einer Choralreform , abgeleitet aus ihrem innersten
Wesen, denn darüber wurden im letzten Dezennium eine Blasse
historischer Untersuchungen und musikalischer Erörterungen in theo-
logischen und musikalischen Zeilschriften mitget heilt, beschränken
wir uns nur ganz kurz auf die Art und Weise des Vollzugs dieser
Reform und auf die Erfolge , die solche begleiteten. Soviel scheint
fest zu stehen , dass die Einführung des rhytmischen Chorals die
Existenz des modernen bedeutend gefährdete und seinen völligen
Untergang notwendiger Weise herbeizuführen drohte, denn beide
können nicht neben einander bestehen, da sie das Gepräge zu grosser
Characlcrverschicdcnheit an sich tragen; hier heisstes: entweder —
oder. Es hätte also nolcns volens der moderne Choral verschwinden
und der antike an seine Stelle treten müssen , natürlich successive.
Dazu wäre aber bezüglich der Durchführung die gross (e Entschiedenheit,
der grösstc Ernst und Eifer, die hartnäckigste Ausdauer erforderlich
gewesen, denn man hatte es mit einem Heer Organisten und Kan-
toren zu thun, die grössten Thcils aller musikalisch-historischen
Bildung bar, auch nicht die mindeste Begeisterung für die Sache
besassen, die sich bei ihrem ganzen Wirken in den modernen Choral
hineingearbeitet und ihn im Lauf der Zeit lieb gewonnen hatten,
die also schon von vornherein Gegner der Reform waren, obschou
nicht zu leugnen ist, dass ihnen mitunter auch triftige Gründe zu
Gebote standen; man hatte es ferner mit den Gemeinden zu thun, die
unter dem modernen Choral heranwuchsen und alterten, deren feier-
lichste und wichtigste Lebensmomente in Beziehung zu diesen
liebgewonnenen Liedern standen und deren Gesangweisen so manche
freudige und traurige Errinncrung in ihrem Herzen erweckten. Es
ist daher gewiss einleuchtend , dass ein plötzliches Aufgeben dieser
Melodien — den Ersatz kannten die Gemeinden noch nicht und das
Band des Vertrauens zwischen ihnen und der kirchlichen Behörde,
von denen die Reform ausging, war seit von Abel und von Roth
bedeutend gelockert — allenthalben ein Heer von Klagen, die böswil-
ligsten Missdeutungen , ja mitunter den hartnäckigsten Widerstand
hervorrufen musste. Hätte man aber den modernen Choral fortbe-
stehen und nebenbei hie und da eine rhytmische Melodie einüben
wollen, wie das auch mcistentheils geschah , um bei den Gemeinden
nicht anzustossen, so wäre, wie es sich an allen Orten hcraustellt,
die reichere rhytmischere Gestaltung des antiken Chorals allmählig
wieder verschwunden, und die moderne Gestalt mit ihren gleich-
langen Noten wäre wieder von neuem erstanden. So hört man jetzt
in jenen wenigen, sage wenigen Gemeinden, wo die Reform
glücklicherweise Wurzel fasste , den rhytmischen Choral vortragen.
Was wurde nun dabei gewonnen ? — Keine reichere rhytmischere
Gestaltung, keine höhere Begeisterung beim Gesang, kein tieferes
innigeres Erregen der Gemüther durch den Gesang , keine allsei-
tigere Erbauung und Theilnahmc von Seiten der Gemeindegliedcr, denn
der Choralgesang sank wieder in die moderne Form zurück, höch-
stens einige melodische Varianten , die nach Abstreifen der antiken
Form zurückbliebcn und nun die neu entstandene Form von den ei-
gentlichen modernen Melodien unterscheiden; wohl aber entstanden
durch den Versuch , die Reform durchzuführen , grosse Störungen
bei der gottesdienstlichcn Erbauung, Hass und Feindschaft gegen die
Geistlichkeit, gegen Kantoren und Organisten, gute moderne Melodien
gingen dabei verloren und unverkennbar hat der einmüthige, freudige,
sichere Gesang mancher Gemeinde bei diesem Experimentiren be-
deutend gelitten wo nicht gar den Todesstoss erhalten und von einer
wahren Erbauung in Schule und Kirche konnte nicht mehr die Rede
sein. Solche Erscheinungen sind gewiss für Jeden der es mit der
Sache wohl meint, äusserst betrübend und fordern uns auf, den Ur-
sachen dieses misslichen Erfolgs näher auf die Spur zu kommen.
Alle Gründe, die zum Misslingcn der Reform mitwirkten hier näher
zu erörtern , möchte die eigentliche Tendenz d. Bits, überschreiten,
nur im Allgemeinen seien uns darüber einige Bemerkungen gestattet,
die Verdienste der bayrischen kirchlichen Behörden und aller derer die
im Interesse der Reform mitwirkten, nicht im mindesten verkennend.
(Schluss folgt)
RECENSIONEN.
Sinfonie für grosses Orchester, comp, von Joh. Verhulst,
Op. 46. Mainz bei B. Schotts Söhnen.
Partitur . . . 9 fl. — kr.
Orchesterstimmen 12 fl. 36 kr.
Es ist in neuerer Zeit öfters die Behauptung ausgesprochen
worden , dass nach der 9. Sinfonie von Beethoven die Möglichkeit
einer Weitcrentwickelung dieser Gattung nicht mehr vorhanden sei,
Beethoven mit diesem Werke der Sinfonie selbst gleichsam das
Todcsurlhcil geschrieben habe. Ucberschauen wir, abgesehen von
Allem was sich a priori dafür sagen lässl, was uns die bedeutensten
Epigonen Beethovens auf diesem Gebiete dargereicht, so scheint es
mit jener Ansicht allerdings seine Richtigkeit zu haben. Etwas
das ganze Wesen der 9. Sinfonie noch potenzirendes, ist nicht ge-
schaffen worden. *)
Allein, wie dem auch sei, möchten wir desswegen , dass so
herrliche Werke, wie sie uns ein Schubert, Mendelssohn und Schu-
mann zum Thcil geliefert haben, lieber ungeschrieben geblieben
wären? Warum sollten wir uns nicht erfreuen an den schönen Ge-
bilden eines reichen , poetischen Geistes , die, wenn sie auch keine
Wendepunkte in der historischen Entwickelung ausmachen , doch
des individuell Interessanten so vieles darbieten, dass die Berech-
tigung ihrer Existenz sicher ausser allem Zweifel steht.
Unter die besten der modernsten Bearbeiter dieses Feldes dürfen
wir nun unstreitig Verhulst rechnen , dessen Namen längst einen
guten Klang und der uns jetzt mit einem Werke beschenkt hat, das
durch poetischen Gehalt gleich sehr, wie durch meisterhaft tech-
nische Ausführung erfreut. Vorzüglich müssen wir rühmend aner-
kennen, dass der Componist nicht gleich den sogenannten Roman-
tikern in jener nebelnden Schreibart sich gefällt, deren Originalität
nur um den Preis aller Klarheit in der Gruppirung etc. etc. erworben
wird. Da finden wir überall präcis ausgesprochene und consequent
*) Im Gegentheil hat man dieses Werk vielfach noch so schlecht
verstanden, dass man darin nur eine formelle Zusammenstellung von
Chor und Sinfonie zu erblicken vermochte, welcher Anschauung ent-
sprechend denn jene lächerlichen, (weil ganz willkürlichen) Zwitter-
gestalten der Sinfonickantatc, Sinfonieode etc. erschienen.
11$
durchgeführte Gedanken, darchsichtige, höchst wirksame, wenn auch
etwas gesättigte Instrumentation.
Haben wir uns so im Allgemeinen nur mit grosser Anerkennung
Hber diese Composkion auszusprechen, so sei uns auch der Wunsch
erlaubt, es möge der Gomponist bei späteren Arbeiten nur noch
dieses "über steh gewinnen, die Uebcrgangsgrnppen , so logisch und
Interessant sie an sich gestaltet sind , etwas weniger breit und um-
ständlich anzulegen. Was dadurch an einzelnen, vielleicht reizenden
Zügen verloren geht, wird reichlich ersetzt durch eine um so knap«
J»ere utid präcisere Wirkung des Ganzen.
Aber gerade in diesem Punkte liegt eine grosse Schwierigkeit
für jüngere Componisten. Je mehr Talent und Geschicklichkeit sie
besitzen, desto schwerer mögen sie jene Entsagung üben, die jeder-
zeit einen der Characlerzüge des Genies ausmacht. — Wir ersparen
uns, in das Einzelne des umfangreichen Werkes einzugehen, weil
wir uns zu oft selbst überzeugt haben, wie wenig dadurch der Mangel
eigner Anschauung beim Lesen ersetzt werden kann. Es genüge ein-
fach nur noch die Erwähnung , dass keiner der 4 Sätze , wie sehr
sie auch untereinander in innerem Zusammenhang stehen , seines
eigentümlichen Reizes entbehrt und machen insbesondere auf das
Andante, so wie auf das geistspriihende Finale aufmerksam, des
in seinem luftig leichten Dahinschweben sich gewiss die meisten
Freunde erwerben wird.
Was schliesslich die Ausstattung des Werkes betrifft , so kann
man diesmal wirklich mit Fug und ohne Phrase sagen , sie lasse
nichts zu wünschen übrig.
LITERARISCHE KLEINIGKEITEN.
Der Verfasser nachverzeichneter Schriften möge nicht zürnen,
Wenn ich seine Werke zu den „Kleinigkeiten" zähle. Es ist damit
durchaus nicht böse gemeint; sondern bloss die leidige Recensen»
tennoth treibt mich, um die Masse der musikalischen Literatur dem
Leser einigermassen übersichtlich vorzuführen, alles Das in diese
Rubrik zu stellen, was in seiner Sphäre gut, aber seinem Geiste
oder seiner Tendenz nach von nicht allzugrosser Bedeutung ist
I. Die Grundsätze der musikalischen formen und ihre
Analyse , als Leitfaden beim Studium derselben und zunächst
für den practischen Unterricht im Conservatoriuni der Musik zu
Leipzig entworfen von E. Fr. Richter , Univers. -Musikdirector,
Organist zu St. Petri und Lehrer am Conserv. d. M. zu Leipzig.
Verlag von G. Wigand 1852. Pr. M, Rthlr. IV und 52 S. in
gr. 8.
„Nachfolgende Schrift wurde vor einiger Zeit von d. Verf. für
dessen Schüler geschrieben j . . . es lag ihm daran, diesen wichtigen
Gegenstand in seinen allgemeinsten Zügen und in möglichst scharfer
Zeichnung hinzustellen — als möglichst kurzgefasste Grundlage zur
praktischen Anleitung. Wenn die Formlehre hier, entgegen mancher
neuerdings ausgesprochenen Ansicht, getrennt von den übrigen Zweigen
4er musikal Studien erscheint, so mag in der Ucberzeugung des
Verf. dass keiner dieser bedeutenden Zweige der Gnmposition, wie
Harmonie, Contrapunkt u s. w. , in Verbindung mit allen übrigen
wirklich so vollständig erfasst werden kann, als es ihre Wichtigkeit,
Und selbst ihr dem ernsten, nicht oberflächlichen Sinn sich darbietendes
Interesse erheischt, der Grund gefunden werden." Diese Worte der
Vorrede geben deutlich den Standpunkt an, von dem aus Richters
Arbeit zu beurtbeilen ist. Inhalt: Cadenzen, die einfachen, erweiterten
lind zusammengesetzten Perioden, Schlüsse, Periodengruppen; grössere
•musikal. Formen: Sonate (S. 26-39), Streichquartett, Sinfonio,
Ouvertüre etc (S. 89-4«); noch Einiges über die Perioden grösserer
Tonstücke (41-48); Allgemeine Schlussbemerkungen : grössere Umrisse,
Methode der Arbeit. Beispiele, besonders von Beethoven, Mozart
trtid Mendelssohn, erläutern die aufgestellten Sätze, aus ihnen folgert
der Verf. seine Maximen. Wir wünschen dem Büchlein viele Leser,;
es hält in grader Treue fest an den musikalischen Formen, wie
deren Wesen bis jetzt offenbart ist, und lehrt und beweist daraus
ihre stete Notwendigkeit — kann also sehr Wohlfhätig wirken auf
die Unzahl der componirenden Musiker, welche jetzt durch formlose
Musik und ästhetisch musikalisches Geschwätz selber ganz formlos
Sind duselig geworden sind. Es ziert das Büchfein, dass es nicht in
dem flottgeistreichen Tone geschrieben ist, der Mode wird. Alier-
«Inge unterliegt auch die mtisikafiseh« forto höheren geistigen *3N*
setzen» aber diese zu erkennen, ist nickt Jedermannes Sache j die
Elemente dagegen sind für Alle zum Lernen und cur Richtschnur da.
Es scheint naoh S. 40 des Verfassers Absicht zu sein , die
Instrumentation ähnlich („ausführlicher" ?} zu behandeln. Ebendaselbst
sagt Richter noch: „Eine genaue Analyse aller Beethoven'schen
Sinfonien, deren jede auch in Beziehung auf Form ihre Eigenthfim-
lichkeit zeigt, würde beweisen, dass sie sich auf eine Urform stützen;
und die natürlichen Grundsätze der Fortführung, Steigerung und
Befriedigung in acht künstlerischer Weise verfolgen. Auch in den
Ouvertüren von Weber; die sich weniger durch die Einheit der Ge*-
danken und künstlerische Durchführung der Motife, als durch reizende
populäre Ausbildung und geistreiche Behandlung derselben, wie durch
glänzende Instrumentation auszeichnen, lässt sich bei aller Mannig-
faltigkeit des Stoffes die Grundform deutlich erkennen. Neuere
Werke der Art zeigen nicht selten das Bestreben durch verschiedene
Modifikation der Fortführung neue Bildungen zu gewinnen. Sollen
sich aber solche Tonbilder als reine und kunstgemässe zeigen, so
dürfen nie die allgemeinsten Grundsätze der Mannigfaltigkeit in der
Einheit, die in der bereits vorhandenen Grundform sich findet, verletzt
werden." Sollte es für H. Richter sich nicht der Mühe verlohnen,
an Beethoven, Weber u. A dies einmal im Einzelnen genauer nach»
zuweisen, in steter Verglcichung mit den Werken der bekanntesten
neueren Komponisten ? Richter würde dadurch einem künftigen Bio-
graphen Beethovens eine von den Vorarbeiten tiefern, an welchen
wir noch immer so grossen Mangel haben.
Zu gleicher Zeit gab Richter folgendes kleine Heft heraus :
2. Die Elementarkenntnisse zur Harmonielehre und zur Musik
überhaupt gr. 8. 24. S. 0. Ngr.
Dasselbe ist ausserordentlich praktisch eingerichtet und wird daher
Vielen Lehrern willkommen sein.
CORRESPOTSDENZEN.
AUS PARIS.
Obgleich schon die musikalische Saison hinter uns liegt, die
italienischen Singvögel längst davongeflogen sind und die der grossen
Oper ihr Bauer auf einige Zeit geschlossen , während das heitere
lebendige Lerchenvolk der komischen Oper lustig fortzwitschert»
wenn auch vor der Hand im fremden Käfig, während der ihrige wie
die andern aufgeputzt, neu vermalt, vergoldet, verbrämt und verziert
wird : so kann ich, wenn der Rückstand des Berichterstatters abge-
tragen und das Versäumte nachgeholt werden soll, doch nicht um-
hin auf entflohene Freuden und Leiden zurückzukommen und die
jüngste Vergangenheit in gedrängter Uebersicht rasch an Ihnen vor-
überzuführen.
Sämmtiiche Operntmppen also, mit Ausnahme der komischen
Oper, haben ihre Ferien angetreten und lassen ihre resp, Häuser
restanriren- Die Italiener warteten das Ende des Maimonats
nicht ab, sondern nahmen schon am 18. diesmal bei vollem Hause,
mit einer glänzenden Schlussvorstellung von Bruchstücken verschie-
dener Opern Abschied, auf die wir später zurückkommen. Im letzten
Vierteljahr hat sich die Bühne etwas wieder gehoben. Bis dahin
bekanntlich waren die Geschäfte die schlechtesten und Herr Corti
wird, des hessern Erfolgs in letzterer Zeit ungeachtet, eins ins andere
tferechnet ein bedeutendes Deficit erlitten haben; ein Verlust der
wie behauptet wiro\ nicht sowohl ihn trifft, als gewisse Herren, die
nls Unternehmer sich von ihm in der Direction vertreten Hessen.
-Die letzten Erfolge verdankte er dem „Barbier von Sevilla'* der in
■einer Reihe von gelungenen Vorstellungen mit der Frau von L a-
•g ränge, Calzolari, Bellelt i, und dem längstersehnten, oftver-
«köndeten, vielbesprochenen und endlich eingetroffenen Nap«4eone
Üossi, der darin als Bartolo mit grossem Beifall debütirte. Erst-
genannte gefeierte Primadonna fand als Rosine erwünschte Ge-
legenheit ihre drei Oclaven zu produziren und ihre ausgezeichneten
italienischen Gurgeleten bis ia die höchsten Höhen hinanfzuschleudern,
•wofür ihr, wie sich denken iäast, wohlverdienter reicher Beifall eust-
•gegeurauschte, deck musste sie auch erfahren, dass solche beispiel-
lose Kehlfertigkeit, die anfangs überrascht und zur Bewunderung hin«
— 116
reisst, nur für «ich allein für <lie Dauer nicht Stieb hält, und unter
Umständen sogar widerwärtig werden könne, füge ich aus eigener
Erfahrung hinzu. Calzolari war ein, wenn nicht heroischer oder
pompöser, doch liebenswürdiger Almaviva; Beletti ein trefflicher
Figaro; Rossi, der früher wahrscheinlich in weitem Ränmen ge*
sungen hatte, in Spiel und Gesang ein Meister, ausgezeichneter Buffo
voll leben und Feuer, nur mitunter bei zu starkem Kraftaufwand
der Stimme, bis ihn die Erfahrung in dem ungewohnten neuen Hause
das rechte Maass lehrte. Lucia, Norma und Linda wechselten auf
dem Repertoir. Sophie Cruvelli bewährte in letztgenannten Rollen
ihr schönes Talent; spielte und sang die Linda jedoch mit etwas
starkem Auftrag und grellem Feuerwesen der Stimme. Gegen Frau
Lagrange wollte sie nicht nachstehen und legte ein Stück von
Alary voll Fiorituren ein, in welchem sie ihreRevalin nachahmend,
sie in den scharfen Staccatoläufen aufwärts, deren Force, zu über-
bieten suchte. G u o n e, trotz schwacher Stimme, und Mad. B i s c o 1 1 i n i
hielten sich brav. Mad. Lagrange saug die ihrer Singweise
wenig zusagende Lucia im Ganzen besser und mit grösserer Innig-
keit als man hätte erwarten können, unterliess aber nicht, bei ei-
nigen Stellen , die Verbrämungen zuliessen , Proben von ihrer im
Barbier so übermässig kund gegebenen Gewandtheit zu geben, die
nicht minder durch reiche Beifallspende belohnt wurden. B e 1 1 i n i
als Figaro und B eilet ti als Ashton waren beide sehr gut. Auch
Florenza, der in der „Semiramide" mit schöner Bassstimme
als Oroe erschienen war, hielt sich als Raimondo wacker.
Am 12. Mai erste Vorstellung des „Bravo" von Mercadante. Das
höchst ungeschickt gearbeitete Buch voller Greuel missfiel in hohem
Grade und schadete der Musik, deren beste Stücke jedoch , be-
sonders die beiden ersten Finales , dann die Arie des Foscari und
Violettas Romanze, ferner im dritten Aufzug der Soldatenchor, das
Quartett und die Schlussscene, Anerkennung fanden. Das Finale
des zweiten Actes musste wiederholt werden und die Sänger wurden
gerufen. Die meisten Nummern leiden an Länge und Lärm , Origi-
nalität fehlt, und dass der rossinirende Komponist sich auch von
Meyerbeer's Einfluss nicht frei zu halten vermochte, schimmert an
einigen Stellen deutlich genug hindurch. B e 1 1 i n i hatte in der
Titelrolle, der er nicht genügte, nichtsdestoweniger schöne Momente,
Frau von Lagrange, der die Rolle der Teodora widerstrebt, ent-
schädigte sich durch eine ihr besser zusagende BufFoaric aus der
„Leonora" desselben Komponisten. Die Bettramelli, eine An-
fängerin, war als Violetto leidlich; dergleichen Guidetti und
Fortini als Frsani und Marco. Dem Belle tti als Foscari ge-
bührt der Ehrenkranz, obgleich auch ihm der verzierte Gesang besser
zusagt, als der getragene, davon einiger in seiner Partie vorkommt,
die Chöre gingen gut, das Orchester unter Castagneris Leitung
zu derb und geräuschvoll. Ausnahmsweise hatte die Direction für
glänzende Ausstattung gesorgt. Der Marcusplatz, die Ansicht des
Lido im Mondschein wurden mit stürmischem Beifall begrüsst , und
dem talentvollen Decorationsmaler Robecchi die Ehre des Her-
vorrufens angethan. In Bezug auf das Sujet und dessen dichterische
Behandlung bemerkt ein Recensent folgendes : Wenn das Publikum,
hört man sagen, während der Vorstellung Zeichen der Zerstreutheit
und der Langeweile gegeben , so lasse sich solche Unachtsamkeit
aus dem Umstände erklären, dass die Zuschauer den Text nicht ver-
standen. Was wäre denn erst daraus geworden, wenn sie ihn ver-
standen hätten! Wahrlich es gehört Muth dazu Seitens der Kompo-
nisten, und das Bewusslsein einer bedeutenden Kraft, um ein Ton-
werk darüber zu schreiben , dem eine gewisse Breite und Haltung
und einige grosse Schönheiten nicht abzusprechen sind. Dass die
Direction beiläufig bemerkt kurz vor Thorschluss noch die Ein-
studirung eines neuen Werkes bei einer so kostspieligen Ausstattung
wagen mochte, weisst auf die Hoffnung einer künftigen Wiederauf-
nahme hin , mithin auf die' Thatsache , dass sie sich durch die er-
littene bedeutende finanzielle Schlappe nicht hat entmuthigen lassen.
Nächsten Winter also, wenn nicht der Einzug der Kosaken in Paris
oder andere unüberwindliche Hindernisse eintreten, wird Herr C o r t i
jnit einer neuen Truppe schlagfertig dastehen. Noch haben wir
der Schlussvorstellung am 18. zu gedenken : „Barbier" erster Aufzug,
„Linda" zweiter, Scene aus „Attila," eine der brilliantesten der
.ganzen Saison und die sich de» vollsten Hauses zu erfreuen hatte.
Im ersten Aufzug des Barbiers mit Calzolari, der die Ständchen»
cavatine überaus gut vortrug, und Ferranti, der den so beliebten,
wahrscheinlich erkrankten Belle tti als Figaro mit Glück ersetzte
und durch seine lebendige tüchtige Durchführung der Rolle in
Spiel und Gesang allgemein gefiel, Hess Frau von Lagrange zu
guter Letzt alle Schleusen ihrer Vocalisen los und übertraf in
ihrer Cavatine womöglich alles bisher Geleistete; desgleichen in der
eingelegten ungarischen Arie, die wiederholt werden musste R o s s i als
Bartolo wie stets, vortrefflich, G u o n e als Basilio dürftig. Mit der Scene,
aus Verdi's „Attila", worin ihr Susini beistand und sie in schöner
Kriegergestalt auftrat, stolz einherschreitend in Helm und Panzer,
in Spiel und Gesang eine ungeheuere Energie entwickelnd, nahm die
vielbeliebte Sophie Cruvelli in glänzender Weise und gas* ihrem
Character gemäss Abschied. Auch war des Hervorufens kein Ende,
sie musste dreimal vortreten bei stets wachsendem Applaus.
Im nächsten Bericht die drei französichen Singbühnen.
NACHRICHTEN.
Wiesbaden» R. Wagners „Lohengrin" wurde hier bereits
dreimal gegeben und sehr günstig aufgenommen.
Diese Oper enthält unläugbar grosse Schönheiten und zeichnet
sich durch freiere, melodischere Gestaltung der Gedanken, durch gün-
stigere Behandlung der weiblichen Partien, wie durch sorgfältig aus-
gearbeitete, meist sehr effectvolle, oft schöne Chöre vor dem Tann-
häuser aus, während der bisherige Opern-Zuschnitt noch mehr verlassen
worden ist, als in diesem, so dass keine einzige Arie , kein Duett
u. s. w. vorkommt. Es ist also natürlich, dass die Urtheile über
dies Werk womöglich noch abweichender sind, als über Tannhäuser
und dass dieselben, je nach dem sie vom Standpunkte der bisherigen
Oper oder von dem des Schauspielfreundes, der hier ein mit Musik
ausgestattetes Drama vor sich hat, gefällt werden, entweder voll-
kommen verwerfend oder höchst anerkennend lauten. Eine gründliche
Analyse der Musik könnte nur nach einem längern Studium der Par-
tituren gegeben werden. — Die bereits bei den frühern Aufführungen des
Tannhäuser ausgesprochene Ansicht, Wagner werde in Folge seiner
Doppelstellung als Dichter in erster Linie und Musiker in seeundärer
Beziehung in eine Richtung gedrängt, die ihn zuletzt von der Oper
entfernen und zu dem reinen Drama, bei dem die Musik nur zur
Verstärkung der Massenwirkungen diene , zurückführen müsse , hat
sich bewahrheitet.
Die Frage über den Werth der Wagner'schcn Tonschöpfung
wird also zu einer Existenzfrage für die Oper überhaupt und muss
bei aller Anerkennung Wagners als einem seltenen Talente zu seinem
Nachtheile beantwortet werden , da die Oper, die uns so viel Meister-
werke der dramatischen Musik geboren hat, noch Lebensfähigkeit ge-
nug besitzt, um, trotz des augenblicklichen Mangels eines seiner
grössten Vorgänger würdigen Componisten, als eine Kunstgattung für
sich zu bestehen.
Cöln. Dem Cölner Männergesang- Verein ist im Auftrage der
Königin von England ein schwerer silberner Pocal als Erinnerung
an sein Concert in Buckingham Palace übergeben worden. Hiller
hat nach 5 wöchentlichem Aufenthalte London verlassen und wird
über Paris hierher zurückkehren, um fortan beständig hier zu
bleiben. (Ist angekommen.)
Wien. Der Tenorist Ander ist in Folge der Anstrengungen
auf seiner Kunstreise erkrankt und von den Aerzten nach Bad Ischl
gesandt worden.
München. Den hiesigen Musikern , welche sich zu dem von
R. Wagner in Zürch veranstalteten Musikfeste begeben wollten,
sollen die Pässe mit dem Bescheid verweigert worden sein :
„Handwerker erhielten nach den bestehenden Gesetzen keine
Pässe nach der Schweiz 1"
Göttingen. Joachim, der ausgezeichnete Violinist, hört hier
während seiner Ferien philosophische Vorlesungen. Möchte dies
Beispiel eines so tüchtigen Künstlers recht viele Nachahmer finden,
es würde dann besser mit der Kunst und ihren Jüngern stehen.
London. Ein Herr Scherrat beabsichtigt hier eine National-
Oper zu gründen und hat bereits C. Formes wie Fräulein A. Bury
engagirt.
toje* In der letzten Nummer (28) bitten wir folgende Druckfehler
zu berichtigen: S. HO. Sp. 2. Melodie zu „Kennst du das Land"
t :.Q.j , . ...j rjE
10. Takt muss stehen:
»fip
S. 111. Sp. 1. Z. 5 v. uTTÖriginalmelo die statt Orgelmelodie.
VWutwtrUldier Irttkteu: i. J. iffl«T. - Bnrt w« IMTia a WALLAB ta»«lw.
2. Jahrgang.
Nr. SO.
25. Juli 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postamtern,
Musik- nnd Buchhandlungen.
RED ACTIO N UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS
fl. 3. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal»
1
Inhalt S C. M. v. Weber'« Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. — Ueber Choral-Reform in Baiern. — Ueberdruck ! - Nachdruck ? — Nachrichten.
G. IUI. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
Aber
die Cottiposition de« Freischütz und über
Operneompoaition überhaupt.
(Fortsetzung.)
VI.
Meine Worte am Schluss des vorigen Artikels wollten den
grossen Werth solcher Erörterungen oder vielmehr Enthüllungen des
Kunst Vermögens nicht verkleinern , sie wollten nur in jetziger
Zeit, wo wir an Fanatikern der Kunstdoctrin so grossen Ueber-
fluss haben, warnen, dergleichen nicht zu überschätzen, von der Gel-
tendmachung solcher reinen Grundsätze nicht wundergrosse Umwand-
lungen zu erwarten. Im Gebiete der Musikwissenschaft und auch
im weitern Leben ist das Verfechten reiner Wahrheiten immer von
unschätzbarem Werthe; was aber in der Kunst als Neues und Be-
deutendes das Trübe, den Wirrwarr, die Styllosigkeit überwindet, das
ist zunächst eben neu, kann sich stärken und aufrichten und trösten
an der Wahrnehmung, dass gewisse Grundgesetze in den Meister"
werken aller Zeiten befolgt sind , entspringt aber seinen tiefsten
Quellen nach aus gegenwärtigen Bedürfnissen, aus einer
neuen Seite des ewigen Lebens, die nach Gestaltung ringt in
eben jetzt verständlichen Formen, und erhält daher zunächst von diesem
Drange die ideale Komposition vorgezeichner.
Soviel für den Augenblick zur Abwehr von Missverständnissen.
Hören wir nun erst unsern Weber zu Ende; diese seine Schluss-
worte enthalten den oben versprochenen Beweis zu der Behauptung
dass er bei der Ausführung seiner grossen Meisterwerke auch dich-
terisch sehr thätig gewesen sei.
„Wohlb. Dürfte ich Sie wohl noch mit der Frage behelligen,
warum Sie die zwei ersten Scenen in denen zuerst der Eremit und
dann Agathe auftritt, weggelassen haben? Man sagt, Sie hätten es
gethan, um durch die Yolksscene beim Vogelschiessen eine lebendigere
Introduction und namentlich einen Anfangschor zu gewinnen.
Weber. Und wenn dies mein Grund gewesen, was meinen Sie
dazu?
Wohlbek. Ich werde mich wohl irren, aber mir scheint, als habe
die Oekonomie des Stuckes einigen Schaden erlitten. Dadurch, dass
Agathe dem Eremiten Nahrungsmittel zuträgt, wird ihr Verhältniss
zu ihm, seine Theilnahme für sie, exponirt, und durch das Geschenk
der weissen Rosen, das er ihr vor den Augen des Publikums macht,
ist jenem dramatischen Gesetz genügt , welches die Motivirung der
Entwickelung schon in der Exposition verlangt. Wie jetzt das Stück
ist, erscheint der Eremit ziemlich wie ein Deus ex machina. ,
Weber. Der Wasserträger fängt ganz ohne Musik, mit ge-
sprochenem Dialog an, und Cherubini hat eine Aenderung dieser
Scene nicht verlängt. Ebensowenig würde ich aus der mir vindicirten
Ursache jene Scene beseitigt haben. Meine Gründe waren etwas
besserer — sie waren dramatischer Natur. Wenn ein dramatisches
Werk einen bestimmten Land- , Zeit- nnd Sittenhintergrond hat,
-welcher die Handlang zum Theil mit motivirt, so ist es immer als
eine gute Maxime befunden worden, den Zuschauer gleich von vorn
herein in diese eigentümliche Sphäre, der er sich hingeben und
an die er glauben soll, zu versetzen. Darum eröffnet Göthe seinen
Egmont mit den niederländischen Volksscenen, darum führt uns Schiller
im Wilhelm Teil zuerst die Natur des Schweizerlandes und seiner
Bewohner, im Wallenstein das Lager der Soldaten vor, Und ans
diesem und keinem andern Grunde strich ich die beiden Anfangs-
scenen. Der Zuschauer soll unter das Land-und Jägervolk nach
Böhmen, in die abergläubische Zeit kurz nach dem 30jährigen Kriege
versetzt werden. Ein Eremit, einsam im Walde vor einem Heiligen-
bilde kniend, von einem Gesicht redend das er gehabt, macht uns
glauben, dass hier ein Gemälde aus der Ritterzeit sich vor uns ent-
wickeln solle. Er spricht von einer Gefahr, die Personen drohe,
welche wir noch nicht kennen und welche uns folglich noch ganz
gleichgültig sind. Nun erscheint zwar Agathe, und die Handlung
exponirt sich durch das Gespräch und ein Duett. Aber beides ist
matt und überflüssig, denn in der darauffolgenden Volkscene exponirt
sich die Situation der Hauptpersonen noch einmal und viel lebendiger
und anschaulicher. Was aus den beiden ersten Scenen Motivirendes
für die Entwickelung nöthig ist, kommt in den Gesprächen zwischen
Agathe und Aennchen im 2. und 3. Acte vor.
Wo hlbe k. Diese Gründe müssen sogleich einleuchten, und
um somehr ist es zu verwundern , dass Kind sich so ungeberdig
über Ihre Aenderungen angestellt.
Weber. Ach wie grosse Noth hat man mit den Dichtern 1
Jede Zeile, jedes Wort ist ihnen an's Herz gewachsen j von Aendern
wollen sie durchaus nichts wissen , und nun gar ganze Scenen ver-
werfen! — Ich habe eine solche Liebe für jede Einzelheit nie be-
greifen können, ich habe sie immer nur vom Standpunkte des Ganzen
aus betrachtet und sie ohne das geringste Bedenken geopfert, wenn
sie mir zu diesem nicht zu passen oder ihm gar schädlich zu sein
schien. Nur wenn man diese Stufe der Entsagungskunst erstiegen,
und ändern gelernt hat, darf man sich wenigstens für einen ver-
nünftigen Künstler halten." —
Der Erläuterung bedarf dieses Alles weiter gar nicht , es ist
sonnenklar. Wie einfach, ruhig nnd besonnen überschaut Weber
einen Stoff, an dessen Gestaltung er sein Bestes hingegeben! Diese
Objectivität, diese Höhe und Anschauung kennzeichnet den grossen
Geist , und nichts vermag seine glänzende dramatisch-dichterische
Befähigung mehr zu bezeugen, als der dramatische Scharfblick, mit
dem er eben seine poetisch-musikalische Komposition zergliedert
und vertheidigt. Weber hat den Freischütz gleichsam zum
zweiten Male gedichtet, wahrer und tiefer als je
Einer seiner berühmten Vorgänger Aehnliches
versucht und vermocht: und dies nebst vielem
andern gereicht ihm zum e wigen R u h me, ja esist
kunstgeschichtlich das AUerbed entendste am ganzen
Weber, dasjenige, woraus bei ihm alle weitern Schönheiten fiiessen,
selbst seine unbeschreiblich schöne Musik. Er selbst sagt, durch
Anschmiegen an den Gegenstand erwachse ihm erst die Kraft zu
künstlerischer Gestaltung. Soll dies aber möglich sein , so musste
zuallererst der Gegenstand selber in klaren Umrissen vor
- 118 —
seinem Geiste stehen, und eben diese Durchbildung gewisser
Grundgedanken zu lebendigen Individualitäten
istdie Hauptaufgabe des dramatischen Dichters.
Weber gibt deutlich zu verstehen , dass dieses dichterische Ver-
deutlichen und Verinnerlichen seiner Personen immer seine erste
künstlerische Thätigkeit gewesen. Auf diesem lichten Grunde ent-
stand z. B. die Agathe, diese Waldblume voll unerschöpflicher Poesie,
durch die er sein Vaterland mit einem der schönsten Ideale beschenkt
hat. Wie eine deutsche Jungfrau liebt, betet, jubelt, seufzt und hofft,
das Alles stand vor Webers Zeiten nicht in so reiner Idealität vor
uns, und ist durch ihn des Vaterlandes , ja der ganzen Welt unver-
lierbares Eigenthum geworden.
Dass man diesen ganzen Vorgang auch mit andern Augen an-
sehen und besonders die hervorgehobene poetische Thätigkeit
Webers, die ganz natürlich zunächst bloss im Kritisircn des vor-
liegenden Textes, und dann im Durchbilden einzelner Persön-
lichkeiten und Situationen , und nicht überall in vollbewusstcr
Klarheit sich offenbaren konnte — für verderblich und auf Irrthum
beruhend halten kann, mögen uns einige Acusscrungcn von R. Wagner
beweisen :
„Nach dieser (der deutschen Volks) Melodie gestallet Weber
Alles ; was er , gänzlich von ihr erfüllt , gewahrt und wiedergeben
will, was er so im ganzen Gerüste der Oper für fähig erkennt oder
fähig zu machen weiss, in dieser Melodie sich auszudrücken, sei es
auch nur dadurch, dass er es mit ihrem Athem überhaucht, mit einem
Thaulropfen aus dem Kelche der Blume es besprengt, das musste
ihm gelingen zu hinreissend wahrer und treffender Wirkung zu bringen.
Und diese Melodie war es, die Weber zum wirklichen Factor
seiner Oper machte : das Vorgeben des Dramas fand durch diese
Melodie in soweit seine Verwirklichung, als das ganze Drama von
vorn herein wie vor Sehnsucht hingerissen war, in diese Melodie auf-
genommen, von ihr verzehrt, in ihr erlöst, durch sie gerechtfertigt
zu werden. Betrachten wir so den Freischützen als Drama, so müssen
wir seiner Dichtung genau dieselbe Stellung zu Webers Musik zu-
weisen , als der Dichtung des Tankredi zur Musik Kossiuis. Die
Melodie Uossinis bedingte den Charactcr der Dichtung des Tankredi
ganz ebenso als Webers Melodie die Dichtung des Kind'schcn Frei-
schützen, und Weber war h i e r nichts anders, als was Bussini
dort war, nur er edel und sinnig, was dieser frivol uud sinnlich-
Weber öffnete nur die Anne zur Aufnahme des Dramas um so viel
weiter, als seine Melodie die wirkliche Sprache des Herzens, wahr
ungcfälscht war : was in ihr aufging, war wohl geborgen und sicher
vor jeder Entstellung. Was in dieser Sprache, bei all ihrer Wahrheit
dennoch ihrer Beschränktheit wegen nicht auszusprechen war, das
mühte sich auch Weber vergebens herauszubringen ; und sein Stam-
meln gilt uns hier als das redliche Bckcnntniss von der Unfähigkeit
der Musik, selbst wirklich Drama zu werden, nämlich, das wirkliche,
nicht blos für sie zugeschnittene, Drama in sich aufgehen lassen;
wogegen sie vernünftiger Weise in diesem wirklichen Drama
aufzugchen hat. *) — — — — Die in Mozarl's Hauptwerke
von uns angetroffene , so überaschende glückliche Beziehung zwi-
schen Dichter und Komponisten sehen wir aber im ferneren Ver-
laufe der Entwickelung der Oper gänzlich wieder verschwinden bis
Rossini sie gänzlich aufhob, und die absolute Melodie zum einzig
berechtigten Factor der Oper machte, dem alles übrige Interesse
und vor allem die Betheiligung des Dichters, sich vollkommen unter-
zuordnen hatte. Wir sahen ferner, dass der Einspruch Webers
gegen Rossini nur gegen die Scichtigkcit und Charakterlosigkeit dieser
Melodie, keineswegs aber gegen die unnatürliche Stellung des Mu-
sikers zum Drama selbst gerichtet war. Im Gcgentheile verstärkte
Weber das Unnatürliche dieser Stellung nur noch dadurch, dass er
durch charakterische Veredelung seiner Melodie sich eine noch er-
höhte Stellung gegen den Dichter zuthcilte, und zwar gerade um so
viel erhöht, als seine Melodie die Rossini'sche eben an charakte-
ristischem Adel übertraf. Zu Rossini gesellte sich der Dichter als
lustiger Schmarotzer, Weber dagegen, erfüllt von unbeug-
samem Glauben an die charakteristische Reinheit seiner einen und
tintheilbaren Melodie, knechtete sich den Dichter mit dogmatischer
Grausamkeit und zwang ihn, den Scheiterhaufen selbst aufzurichten
auf dem der Unglückliche, zur Nahrung des Feuers der Weberschen
Melodie, sich zu Asche verbrennen lassen sollte. Der Dichter des
*) Oper und Drama, I, 83—85.
Freischützen war noch ganz ohne es zu wissen zu diesem Selbst-
morde gekommen: aus seiner eigenen Asche heraus prolcstirte er,
als die Wärme des Weberschen Feuers noch die Luft erfüllte, und
behauptete diese Wärme rühre von i h m her: — er irrte sich gründlich,
seine hölzernen Scheite gaben nur Wärme, als sie vernichtet, ver-
brannt waren: einzig ihre Asche, den prosaischen Dialog, konnte er
nach dem Brande noch als sein Eigenthum ausgeben. Weber suchte
sich nach dem Freischützen einen gefügigeren Dichterknecht *) etc.
Raisonncmcnt gegen Raisonncmcnt, dazwischen die Bekenntnisse
Weber's und seine Werke als feste Thatsachc — der Leser sehe
genau, vergleiche noch Wagners Zergliederung der Euryanthc , die
ich der Länge wegen nicht ausschreiben mochte, und eigne sich dann
dasjenige Unheil an , welches am meisten mit den nicht wegzude-
monstrirenden Thatsachcn im Einklänge ist.
Hiermit sind wir am Ende, und ich füge nur dcsshalb noch einen
Abschnitt — Besprechung der Opernreform- Vorschläge des Wohl-
bekannten — als Schlussanhang hinzu , weil die dort zur Sprache
kommenden Punkte mit Webers Art und Kunst in engster Ver-
bindung stehen, Ucber die pocsiercichc Musik Webers sagte Herr
Bcrlioz **) mit Beziehung auf das kurze Solo der Clarinctlc in der
Freischülzouverlure sehr schön : N'est cc pas la vierge isolee, la blonde
fiancee du chasseur, qui les yeux au eiel, mele sa tendre plaintc au
bruit des bois profonds agiles par l'orage? O Weber!!
(Schluss folgt).
ÜBER CHORAL-REFORM IN BAYERN.
(Schluss.)
Der Hauptgrund des Misslingcns liegt wohl im Wesen der Sache
selbst, resp. in den grossen Schwierigkeiten, die manche Melodien
darbieten. Ich weiss, man widerspricht dem sehr häufig , indessen
statt jeglicher weitem Motivirung meiner Behauptung führe ich
einen der wichtigsten ev. Choräle in seiner rhy (mischen Gestalt an
und frage alle Männer die es, wie der Referent , mit der Praxis zu
thun haben, ob sie sich getrauen, dieses evangelische Kernlied, so
wie es unter andern Dr. Layritz in seinem „Kern des evange-
lischen Kirchengesangs'' Heft 1. notirt hat, mit ihren Gemeinden
bezüglich der Melodie und Hhylmik vollkommen richtig einzuüben.
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Ein fe-ste Burg ist un - - scr Gott, ein gu-tc
Er hilft uns frei aus al - - ler Noth, dieunsjetzt
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Wehr und Waf - - - fen,
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Deralt bö se Feind
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r^T^^P^T-r r 1 -^
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f=F
J.J J
I I
1&-
/T\
I
i 1
f J l J *
m^^^ ^m
mit Ernst ers izt meint, grossMach tu. viel List, sein grausamRüstung
*) Ebcndas. I, 134 — 135.
**) Grand traue* d'instrumentation etc. „les Clarinettcs"
if9 -
nicht seins glei chen.
Und wenn auch wirklich die Einübung dieser Melodie zu Stande
kommt, wird auch die Gemeinde im richtigen rhytmisehen Vortrag
derselben erhalten werden? Und, sind bei der Einübung nicht so
viele und bedeutende Störungen während der gottesdienstlichen
Feier entstanden, dass dadurch alle errungene Vortueile aufgewogen
werden, um so mehr, da dieses herrliche Kirchenlied auch in seiner
modernen Form die Herzen der evangelischen Gemeinden so manches
Mal schon erhob und erbaute? In Mönchen, dem Sitze jener hohen
Kirchenbehörde, welche in ganz Bayern die Choralreform anordnete,
scheint man die beiden letzten Fragen in ernstliche Erwägung ge-
zogen zu haben , denn merkwürdiger Weise ist dort in der evangel.
Stadtkirche bis dato noch nicht ein einziger rhytmischer
Choral mit der Gemeinde eingeübt worden. Chorgesänge der
Art , die ich während eines längeren Aufenthalts daselbst hörte,
können hier nicht in Anschlag kommen und die Entschuldigung, dass
es in München , wo so viele Fremde am Gottesdienst Theil nähmen,
besonderen Schwierigkeiten unterworfen sei , kann gar nicht Platz
greifen, da Fremde sich viel gefügiger einer Leitung unterziehen,
da dort ein gutes Orgelwerk, ein ausgezeichneter Organist und Kan-
tor, ein tüchtiger Sängerchor, eine zahlreiche Lehrerschaft, eine im
Gesang gut geschulte Jugend, eine zahlreiche Geistlichkeit mit ihrem
Einflüsse und das hohe Oberkonsistorium mit seiner vollen Autorität
dergleichen Hindernisse, die sich ja häufig auch an andern Orten
vorfinden, leicht beseitigen könnten. Warum also nicht in Mönchen,
am Sitze der obersten Kirchenbehörde? Dort hätte man vor Allem
Versuche anstellen und sich mit den Schwierigkeiten nach allen
Richtungen hin vertraut machen sollen und zwar eher , als man für
die gesammte evangelische Gemeinde des Königreichs Regulative
erlassen hätte; denn die Münchner evangelische Kirchengemeinde
steht ebensowenig zum Experiment iren zu hoch , als die übrigen
Gemeinden des Landes und die gottesdienstliche Erbauung einer
Landgemeinde ist ebenso wichtig, als die einer grossen Stadt»
gemeinde. Merkwürdiger Weise aber ist in Bayern allenthalben die
Meinung verbreitet, dass in München blos rhytmische Choräle gesungen
würden, während dort gar keine Rede davon ist, wie sich der
Verfasser durch einen fast jährigen Aufenthalt und fleissigen Kirchen-
besuch daselbst erst in der neueren Zeit aus eigner Anschauung
überzeugte. — Die Praxis erscheint hier allerdings im Wider-
spruch mit den kirchlichen Erlassen in diesem Betreff. Dazu kommt
dann überhaupt noch die Halbheit in der Durchführung der Reform.
Sokrates und Xantippe vertrugen sich, aber nicht so der rhytmische
mit dem modernen Choral; hier heisst es wie schon oben be-
merkt, entweder — oder. — Ein weiterer Grund des Misslingens
der Choralreform war eine mangelhafte Vorbereitung derselben.
Eine durchgreifende Reform erfordert eine langjährige, umsichtige
Vorbereitung in Schule, Kirche und Gemeinde, sie setzt bei Orga-
nisten, Kantoren und Geistlichen eine gründliche nnd insbesondere
in musikalischer Beziehung historische Bildung voraus; denn nur
dann erst werden Alle mit gleicher Liebe und Begeisterung in
Schule Kirche und Gesangvereinen für die Sache arbeiten, Andere
ebenfalls dafür begeistern und so allmählig bei den Gemeinden die
Reform anbahnen. So lange dieses nicht der Fall ist, so lange man
die Seminaristen, die künftigen Träger der Reform, mit einer dürren
Akkordenlehre, mit unverdauten Regelmassen und einem fürs prac-
tischc Leben werthlosen Gedächtnisskram, ohne dass sie in ihrer
Bildungsanstalt nur ein einziges Wort von der Musikgeschichte, noch
yielweniger einen kurzen Abriss davon erhalten hätten , vom Semi-
nar ins practische Leben hinüberjagt, so lange sollte man nicht von
einer Choralreform reden und durch Störungen aller Art die gottes-
dienstlichen Versammlungen entheiligen. Erst eine breite, feste
für alle Zukunft berechnete Unterlage, dann wird gewiss ein guter
Erfolg das Unternehmen segnen.
Aus Franken, im Juni 1858. Hm»
ÜBERDftUCK! — RACHDRUCK?
Unter den „Nachrichten" in Nummer 27 dieser Blätter vom 4»
Juli 185S ist eine Bekanntmachung, im Namen der deutschen Musi-
kalienhändler durch deren Secrelär erlassen, aufgenommen, wonach
jedwelche Vervielfältigung ihrer Verlagswerke „gleichviel zu
welchem Zwecke" durch Ucberdruck als gesetzlich verbotener und
daher strafbarer Nachdruck erklärt wird Jeder rechtlich gesinnte
Mensch hat es gewiss der Billigkeit angemessen gefunden , dass die
Verleger von literarischen und Kunst * Werken durch ein besonders
erlassenes Gesetz gegen Nachdruck geschützt sind; die Acqnisition
der Manuscripte dieser Wurkc kann in den meisten Fällen nur durch
förmlichen Ankauf erfolgen : hierzu kommen dann noch die Aus-
stattungskosten , während der Nachdrucker nur die Letzteren zu
tragen hat, daher derselbe auch sein Fabrikat zum offenbaren Nach-
theil des rechtmässigen Verlegers billiger absetzen kann. Ganz
deutlich springt hier der Nachdruck als solcher in die Augen, dessen
wesentlichstes Kennzeichen doch wohl in der Absicht eines uner-
laubten Gewinns zu suchen ist. Nicht so klar ist es, ob eine Verviel-
fältigung von Gesangstimmen für besondere Zwecke wie Conccrte, Mu-
sikfeste etc. mittelst des Ueberdrucks (mit chemischer Tinte geschrieben
und durch Steine abgeklatscht) als verbotener Nachdruck anzusehen
sei. Dass zwischen diesen beiden Arten der Vervielfältigung ein
Unterschied obwalte, ist leicht zu erkennen; denn der Ueberdruck
kann in den angegebenen Fällen doch nur als ein bequemer ausführ-
bares Abschreiben betrachtet werden, welches bisher wenigstens
noch nicht verboten war. Es wäre daher höchst wünschenswerth,
dass das Gesetz gegen den Nachdruck sich hierüber präeiscr aus-
spräche ; indem eine Interpretation des Gesetzes nur von Seiten der
Musikalienhändler als eine einseitige erscheint. — Wie schon ange-
deutet, und wie auch aus dem bezeichneten Erlass hervorgeht, wird
der Ueberdruck hauptsächlich zur Vervielfältigung von Gesangstimmen
für Musikfestc angewandt. Der allerdings sehr bnachtenswerthe Vor-
schlag, welcher dem Erlasse in diesen Blättern beigegeben ist,
nämlich die Gesangstimmen weniger splendid auszustatten und
weitere Begünstigung für den Ankauf der Stimmen zu gestatten,
hebt die Misssfände nicht alle auf. Die Stimmen zu grösseren Ton-
werken, Oratorien, Cantaten, Motetten etc. überhaupt aller Tonslückc,
die ein, und nur ein zusammengehöriges Ganze bilden, könnten dann
bei weniger glänzender Ausstattung von den Verlegern in Masse be-
zogen werden; wie aber, wenn Gesänge und Lieder aus verschie-
denen Heften oder Bänden gewählt werden , wie dieses häufig bei
Musikfesten und besonders bei Cresangfesten der Fall ist? Ange-
nommen, es seien 12 Gesänge für ein Fest in Aussicht gestellt;
jedes dieser Stücke befindet sich aber je in einer besonderen Sam-
Jung von 3, 6, 12 oder gar noch mehreren Tonstücken. Ist es billig
und recht, die Unternehmer von solchen Festen, die überdies meistens
zu wohlthätigen Zwecken veranstaltet werden , quasi zwingen zu
wollen, statt zwölf Gesänge deren vierzig, achtzig, hundert oder gar
noch mehrere für ein einziges Fest anzukaufen?! Der Erlass könnte
nach unserer Ansicht nur dann gerechtfertigt erscheinen, wenn die
Verleger ausser möglichst billiger Ausstattung ihrer Verlagswerke,
namentlich solcher, die für grosse Chöre geeignet sind, jede einzelne
Nummer von Sammlungen besonders abdrucken liessen , dabei aber
auch ein solches Format wählten, dass je nach der Grösse des Gesang-
stücks die beiden Seiten eines oder einiger Blätter vollständig ausgc-
füllt würden, oder auch, dass dieselben sich bereit erklärten, Abdrücke
in der obenbezeichnelen Form auf Bestellungen hin machen zu wollen.
Dann — und nur dann würde dem von den Musikalienhändlern als
verbotener Nachdruck bezeichnete Ueberdruck und auch im Falle
dieser wirklich in allen Fällen verboten werden könnte, dem lästigen
Abschreiben vorgebeugt werden. Wie die Sachen aber jetzt stehen,
erscheint der berührte Erlass fast gehässig , indem er — wenn er
Rechtskraft hätte und man auch nicht abschreiben wollte oder
könnte — die Aufführung vieler Tonstücke geradezu unmöglich macht.
Und ist es nicht eine Art Versündigung von Seiten der Verleger
gegen das Publikum , demselben die Aufführung geistiger Producte
durch kostspieligen Druck und ungeeignete Form vorzuenthalten,
aber auch die Selbsthülfe durch Ueberdruck nicht gestatten zu wollen ?
Ganz abgesehen von der Rechtsfrage aber möchten wir den Musi-
kalien-Verlegern zu erwägen geben, ob die Verhinderung des Ueber-
drucks namentlich .in 4*n obenbezeiejinatett Fällen in ihrem eigenen-
— 120
Interesse liege? Die Unternehmer der Musikfeste sind in der Regel
genöthigt , ein Exemplar der Liedersammlung , woraus sie einen Ge-
sang zur Production gewählt, anzukaufen , um ein sicheres Original
für die Copie zu haben. Schon viele der Sänger» denen das eine
oder das andere Lied gefällt werden dadurch zum Ankauf der ihnen
noch unbekannten Sammlung veranlasst. Aber auch manche Zuhörer
werden sich dieselben anschaffen, und ausserdem werden Gesänge,
welche bei der Aufführung Beifall erhielten , gewöhnlich in öffent-
lichen Blättern besprochen und vortheilhaft empfohlen; ohne diese
Vorführung würden manche Lieder ganz und gar unbekannt bleiben.
Wenn wir oben die Auslegung des Gesetzes gegen den Nachdruck
von Seiten der Musikalienhändler eine einseitige nannten, so wollten
wir uns damit nicht anmaassen, im Vorstehenden das allein Richtige
bezeichnet zu haben, sondern wir betrachten vielmehr diese Frage
vor der Hand als eine noch unentschiedene, deren Entscheidung aber
höchst wünschen« weith erscheint. F. J. K.
NACHRICHTEN.
Mainz. Der beliebte Komponist Ant. Wallerstein aus Hannover
war einige Tage hier anwesend. Er geht nach Süddeutschland und
Oesterreich, um auch dort für die Verbreitung seiner Composilionen
zu wirken.
Frankfurt. Frl. Johanna Wagner, welche als Fides, Valentine,
Fidelio und in anderen Rollen ein seltenes Talent bekundete , das
die Vorzüge einer mit schöner Stimme begabten und technisch aus-
gebildeten Sängerin mit den Eigenschaften einer dramatischen Künst-
lerin, die den Geist ihrer Rolle zu erfassen und mit erschütternder
Wahrheit zur Darstellung zu bringen versteht, vereinigt, hat trotz
dem bei dem hiesigen Publikum nur einen massigen Beifall erringen
können.
Wiesbaden. Vieuxtemps ist hier und hat bereits ein Concert
gegeben.
— Frl. Johanna Wagner wird wahrscheinlich in einigen Rollen
hier auftreten und uns Gelegenheit geben zu ersehen, ob die laue
Aufnahme , welche diese Künstlerin in Frankfurt gefunden hat,
wirklich in Mängeln ihres Gesangs und Spieles begründet ist , die
anderwärts bisher nicht bemerkt worden octer ob Frankfurt, das die
sonst überall durchgefallene Brüsseler Italienische Operngesellschaft
mit rasendem Beifall begrüsste, nur in seiner Würdigung der Kunst
und der künstlerischen Eigenschaften consequent geblieben ist!
Carlsruhe. Ende September wird ein grosses Musikfest statt-
finden, welches 3 Tage dauern soll. Liszt ist von dem Regenten mit
der Organisation und Oberleitung desselben beauftragt , und wird
darin nur Compositionen von neuern Meistern zur Aufführung bringen,
doch aber auch die 9. Sinfonie von Beethoven.
Baden-Baden. Am 20. August wird ein Musikfest hier statt-
finden, H. Berlioz beabsichtigt seine Sinfonie Romeo und Julie
dabei aufzuführen. Wie es scheint müssen Deutsche und Engländer
dafür büssen; was die Franzosen verbrochen haben.
Frl. S. Cruvelli wird erwartet. Mad. Lagrange und MUe. Weit-
heimber (von der Opera comique) befinden sich hier.
Homburg. Frl. Johanna Wagner sang hier in einem Concert«
Vieuxtemps gab ein Concert.
Bielefeld* In kurzem wird ein trefflich eingeübtes Männer«
quartett von hier nach New-York gehen, um dort während der In-
dustrie - Ausstellung zu singen. Dasselbe ist von einem dortigen
Unternehmer engagirt worden.
Cöln. Fr. J. Wagner gastirt hier. Von dem Ertrage seiner
Londoner Concerte hat der Männergesangverein der Dombaukasse
3400 Thl und der Armenschule 300 Thl. Übermacht 1
Wien. Madame Marlow hat ihren Gastrollen Cyclus eröffnet.
Bis jetzt sang sie Martha und Lucia unter grossem Beifall. Neben
ihr gastirt Mad. Nottes von Hanover.
— Der Violinist L. Wiest gab einige Concerte. Die Aufnahme,
welche die neu engagirten Sänger und Sängerinnen der Oper gefun-
den haben ist nicht die günstigste.
Berlin. Die Königsberger Operngesellschaft wird Ende Juli
ihr Gastspiel beschliessen , das bis jetzt ziemlich traurig ausgefallen
ist. — Das Auftreten Rogers als George Brown war der einzige
Glanzpunkt desselben, wenngleich das Repertoire im Allgemeinen
recht gut gewählt ist. — Im August kommt die Stumme von Portici,
neu einstudirt und in Scene gesetzt, zur Aufführung. — Die Gebr.
Doppler aus Pesth, beide Kappelmeister und dabei ausgezeichnete
Flötisten, liessen sich einigemal hören.
Zürich« Arn 13. Juli brachten die hiesigen Männergesang-
Vereine R. Wagner als Zeichen der Anerkennung seiner musi-
kalischen Wirksamkeit einen Fackelzug, eine Ehrenbezeugung, die
bei der bekannten Abneigung der Schweizer gegen Deutsche und be-
sonders gegen Flüchtlinge hoch angeschlagen werden muss. Schon
nach dem grossen Musikfest im Mai erhoben sich Stimmen, welche
Wagner einen öffentlichen Dank gebracht wissen wollten, es wurde
sogar vorgeschlagen, ihm das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen. Die
erneute Verfolgung Wagners von Seiten der Dresdner Polizei scheint
endlich den Ausschlag gegeben zu haben. Wagner erklärte in seiner
Dankrede, Zürich nie verlassen zu wollen.
Brüssel* Die Akademie der schönen Künste etc. hat einen
Preis von 900 Frc. baar und ein goldne Medaille von 600 Frs. Werth
auf die beste Komposition einer grossen Sinfonie in 4 Theilen ge-
setzt, welche bei der Vermählung des Herzogs von Brabant aufge-
führt werden soll. Auslander sind eingeladen zu coneuriren. Das
Manuscript muss bis ersten August an den Secretär der Akademie
eingesandt werden.
Paris. Das Innere der grossen Oper wird in diesem Augen-
blick vollständig umgewandelt. Sogar die Beleuchtung wird nach
einem grössern Maassstabe eingerichtet. Bis zum 8. August hofft
man fertig zu sein und den Saal eröffnen zu können. Ein Ballet,
in welchem die Tänze und Pantomimen der Atellanen (satyrische
Festspiele der Römer zu Nero's Zeit) nachgeahmt werden sollen,
wird die Ehre haben, den Reigen der Wintersaison zu eröffnen!
Die Gesellschaft der komischen Oper ist einstweilen in den Saal
Ventadour, das italienische Opernhaus, übergesiedelt. — Madame
Lagrange, zuletzt bei der italienischen Oper engagirt, ist für die
nächste Saison der italienischen Oper in Petersburg engagirt worden
und erhält, für 5 Monate 80,000 Frcs. Wer die Aufnahme kennt,
welche Madame Lagrange bei ihrer Kunstreise in Deutschland ge-
funden oder sie selbst gehört hat , wird billig über diese enorme
Summe erstaunen und von dieser Thatsache einen ziemlich richtigen
Schluss auf die Geschmacksrichtung des italienischen Opernpublikums
ziehen können.
London. Mad. Tedesco ist mit grossem Beifall als Fides auf-
getreten. Frl. Ciauss bleibt noch 2 Monate hier und wird eine Kunst-
resp. Concertreiso durch die Provinzen machen.
— Die diesjährige Saison war eine sehr besuchte, fremde und ein-
heimische Künstler wetteiferten dem Publikum Neues und Interessan-
tes zu bieten. Ausser den bekannten Virtuosen Ciauss , Prudent,
Halle, Vieuxtemps , Sainton , Piatti Hess sich auch eine junge Wie-
nerin, Frl. Emma v. Stauddaels hören ; Herr Adolph Schlösser aus
Frankfurt a.M. spielte ebenfalls mehrmals. Seine Compositionen fan-
den viel Anerkennung. Die Wunderkinder Arthur, Napoleon und
Titeo Mattei dürfen nicht vergessen werden. Neben Mad. Tedesco
enthusiasmirt Signora Medori das Publikum von Coventgardcn.
Gesang feste. Am 2. Juli feierte der bergische Sänger-
bund zu Hückeswagen im Wupperthale sein jährliches Fest. Musik-
Director Weber (Leiter des Kölner Männergesang-Vereins) hatte die
Leitung übernommen. In denselben Tagen fand in Detmold das £än-
gerfest der norddeutschen Liedertafeln statt. Am 2. Tage dirigirte
Capellmeister F. Kücken.
Neue Oper. Thalberg soll mit der Composition einer komischen
Oper beschäftigt sein. G. Schmidt, Capellmeister iu Frankfurt, hat
eine neue Oper „die Weiber von Weinsberg" vollendet. — Der ano-
nyme Preisausschreiber auf den besten Operntext (s. Nr. 27 d. Bl.)
soll der Herzog von Coburg, Componist der Casilda etc. sein. Dann
wäre freilich erklärt, warum die Wahl des Componisten für den
Text nicht auch einer musikälishen Jury überlassen worden ist.
Anzeige.
Ein jnnger Musiker, der gute Schulkenntnisse besitzt, des Cla-
vierspiels mächtig ist und einem Streichinstrumente, oder der Po-
saune in einem guten Orchester vorstehen kann , findet eine gute,
dauernde und angenehme Anstellung in einer Musikalienhandlung Und
Leihanstalt.
Reflectirende wollen ihre Anträge unter Chiffer M. N. frankirt
an Herren B. Schott' s Söhne in Mainz gelangen lassen.
Ymatvwtllchw Bttakmi: 4. J. 8CH«T. -Drack von REUTER* WALLAU 1« latai.
2. Jahrgang.
Mr. 31.
1. August 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jpden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern
Mnsik- und Buchhaodlungen.
RED1CTI0N »KD VERLAß
von
SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
1
PREIS:
fl. 3.
42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
I
für den Jahrgang.
Dnrcb die Post bezogen:
SO kr.
oder IS Sgr. per gnartal.
Inhalt : C. M. v. Weber's Gespräche mit dem Wohlbekannten etc. (Schluss). — Corresp. (Mainz u. London). — Nachrichten.
C. M. v. WEBER'S GESPRÄCHE MIT DEM WOHLBEKANNTEN
über
die Compositioii des Freischütz und filier
Operncompositton überhaupt.
(Schluss.)
VII.
Anhangt Des Wohlbekannten Vorschläge zu einer Reform der
Oper *).
Wir wollen diese Vorschläge oder Vorschriften übersichtlich
zusammenziehen. Also :
Erstens: „die Oper daure in keinem Falle länger als höchstens
drei Stunden, wobei ich an drei Acte denke". Angenommen — mit
dem Vorbehalte, dass wenn einmal ein gutes Stück etwas länger
dauert, wir nicht so genau nach der Uhr sehen wollen. Allerdings
spannt ein vier- und fünfstündiger Kunstgcnuss leichter ab , als ein
dreistündiger; aber die eigentliche Ursache der Ermattung bleibt
doch immer das unreine, künstlerisch gestaltlose Werk, was übrigens
der geehrte Verfasser ebensogut wissen wird, als wir.
Zweitens. „Man massige sich im Gebrauch des Orchesters.
Für die verschiedenen Kraftmomente scheint man nur ein Instrumen-
tationsmittcl zu kennen : das ganze Orchester Fortissimo. Die
Wirkung davon kann keine andere sein , als Abspannung des Ohrs
und des Geistes meistentheils schon nach dem ersten Acte. Hat
der Komponist einen sehr leidenschaftlichen Text erwählt, so handle
er wie der gute Schauspieler, der eine leidenschaftliche Rolle darzu-
stellen hat: dieser spart seine Kraft für die entscheidenden Momente
auf, und hält die Anderen mit Absicht und künstlerischer Be-
rechnung zurück." Wir sind diesen Gedanken, etwas anders gefasst,
schon oben bei Weber begegnet. Der Vergleich mit der Schau-
spielkunst , das vergleichende Abschätzen beider Künste , ist immer
von Nutzen, denn das recitirende Drama ist stets auf das Ganze
hingewiesen, es ist nichts, wenn es nicht ein Ganzes ist, den Dar-
stellern wird das Ganze leicht klar und durchsichtig , und sie wissen
bald , wo die Schwerpunkte liegen — dagegen ist die Oper bisher
noch immer mehr oder weniger auf das Einzelne gerichtet ge-
wesen, sowohl in der Gesammthaltung (durch übermässige Rücksicht
auf den gesondert musikalischen Theil) als in den einzelnen Theilen
durch die breiteste Entfaltung musikalischer Formen und Kunst-
stücke) , trübte hierdurch den Blick des Sängers von vorneherein,
und auch den des Komponisten. Hier kann, ja hier muss die Oper
vom Schauspiel lernen und sich das aneignen, was ihr zu ihrer
eignen Vollendung, d. h. künstlerischen Selbständigkeit, bisher noch
gefehlt hat. Dieses Aneignen kann aber nicht ein äusserliches
Nachahmen sein, sondern es muss sich zeigen in dem Aufnehmen
eines eben so einfachen Grundplanes ifür die Oper wie
für das Schauspiel , in der Wahl der Handlung , in der Gestaltung
des Textes, in der physologischen Lebendigkeit und Folgerich-
tigkeit des Ganzen, mit einem Worte: man muss Ernst machen
*) In den „fliegenden Blättern" Heft 2, S. 78—86,
mit der Wahrheit und mit der musikalischen Dramatik.
So hat der Komponist; und später auch der Sänger, es mit einem
Leben zu thun , dessen heftigere oder ruhigere Pulsschläge er zu
zeichnen, dessen natürlichen Verlauf er darzustellen hat. Von diesem
Gesichtspunkte aus würde ich diese zweite Maxime , wenn ich sie
aufgestellt hätte, etwas bestimmter ausgedrückt haben.
Drittens. „In den meisten Opern vermisst man plastische
Charakteristik der Personen. Diese könnte durch eine neue Weise
der Instrumentation vorzüglich vermittelt werden. Wagner gibt in
seinen Opern jeder Person eine Hauptmelodie , die jene durch fast
alle Situationen begleitet. Sollte , was mit der Melodie bewirkt
werden kann, nicht auch mit der Instrumentation zu bewirken sein?
Jede Person erhalte ein anderes Or c h e s ter, d h. eine
bestimmte , von den andern sich unterscheidende Totalklangfarbe.
z. ß. müeste es nicht das Verständniss der Charactere ausser-
ordentlich steigern , wenn der von seiner innern Schuld ewig beäng-
stigte Oerindur (in der bekannten Tragödie von A. Müller: „die
Schuld") durch eine Orchesterregistrirung von vier Violen (keine
Violine durchgängig bei ihm), zwei oder drei Violoncelles und zwei
Kontrabässen nur, der unschuldige Knabe durch Violinen, Violen,
Flöten, Oboen, u. s. fort jede Person durch eine andere bestimmte
und festgehaltene Instrumentation bei jedem Auftritt begleitet würde?
Ich will diesen Vorschlag keineswegs so streng genommen wissen,
dass eine bezügliche Zusammensetzung von Instrumenten durchaus in
derselben Weise bei jedem Auftritt der Person festzuhalten sei. Es
möge hier ein Instrument hinzukommen, dort eines wegbleiben, nach
Bedürfniss der verschiedenen Situationen und feineren Characternüan-
cirungen ; wenn nur die Hauptfarbe vorherrschend bleibt so
wird das Ganze , der Character, nicht verwischt und die Wirkung
ist dieselbe." Auch dieser Punkt, besonders am Schluss , erinnert
uns an Weber. Der Leser wird noch wissen , dass ich eine Bc-
sekränkung und Berichtigung der Weberschen Anschauung für nöthig
hielt , und zu geben versuchte. Das nun , worin unser Verfasser
noch über Weber hinausgeht, ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls
vom Uebcl.
Die Hauptfrage bleibt, ob dergleichen Verfahren zur Wahrheit
führt. Die Schuld liegt nun doch eigentlich nicht an den tiefen
Saiten. Aber das ist ein billiger Einwurf, kann man sagen. Denn
wer z. B. an J. Kerners Seherin von Prcvorst glaubt , an den
„Nervengeist" der Gestalt und Farbe besitzt , im Zustande der
Schuld grün , bei zunehmender Besserung gelblich aussieht u. s. f.
der wird auch zwischen dem Geistesleben und der Ton färbe eine
mystische oder magische Uebereinstimmung finden , und schon dess-
halb dem Verfasser beistimmen. Ich aber kann mich hier nicht
zu den Gläubigen zählen. Geist ist zunächst Geist, ist ohne Mater-
ialität, ohne Farbe, gewinnt aber Gestalt in sinnlich fassbaren
Organen. Das Organ der Aeusserung de* Geistes ist in der Musik
zunächst die Melodie , erst zur Verklärung der Melodie tritt das
Orchester hinzu. Der geehrto Herr Verfasser stimmt mir hier viel-
leicht bei , aber wir beide meinen doch nicht ganz dasselbe; wenig-
stens wurde der, welcher überzeugt ist, dass die Instrumentation
an die Melodie gebunden, von ihr hervorgerufen sei, nicht mehr von
122
einer Characteristik der Personen durch sie reden können.
Durch Verklärung und Verdeutlichung der Melodie erhellt, be-
zeichnet, verdeutlicht die Instrumentation das Ganze und das Ein-
zelne im Ganzen, sowie es das von dem dramatischen Leben
von der Scene ergriffene musikalische Gefühl fordert. Da-
gegen ist es unnatürlich und daher ganz unmöglich, von vorneherein
wenn auch nur allgemein zu bestimmen, welche Instrumentation ein
bestimmtes geistiges Leben, Character, Zustände ausdrücke; denn
soll die Schuld in den tiefen Saiten, die Unschuld in den Flöten,
der Gesang der Engel in den Harfen sitzen, so haben wir die reine
Materialität und das po e tis che B ild d e s K I ang e s
dem reinen abstracten Geiste gegenüber gestellt , und
werden letzteren nie zu einem andern als zu einem mechanischen
Ausdrucke bringen. Diesen Mechanismus oder vornehmer gesagt :
diese Symbolik des Klanges hat das Schauspiel oft dort angewandt,
wo es mit eigenen Mitteln nicht recht fort konnte. Hierher gehört
Faust, Egmont , überhaupt das ganze Melodram , hierher gehören
fast alle Dramen unserer sogenannten Romantiker, besonders Z.
Werners Stücke der z. B. seine grossen, d. h. auf den Fussspilzen
stehenden Heiligen unter Sphären - (Flöten - und Harfen-) klang er-
habenen Unsinn reden lässt.
Monotonie ist hier also unvermeidlich, sie liegt einfach in
dem Missverhältniss des Geistigen und Sinnlichen,
beides kann auf diese Weise nie ganz zusammen kommen, Denn
das, was der Verfasser als geistigen Inhalt angibt, ist an sich gar
nicht sinnlich mitzutheilen : Schuld, Unschuld und so weiter sind
reine Abstractionen , und erst wenn es gelingt, sie dramatisch
lebendig zu machen, kann von ihrer angemessenen künstlerischen
Gestaltung die Rede sein. Allerdings konnte der Verfasser dies
nicht, wollte er nicht gleich ein ganzes dramatisches Gedicht, einen
Operntext geben ; denn die Reflexion operirt immer nur mit B e-
griffen: aber eben desswegen ist sie wohl im Stande, ein Kunst-
werk zu analysiren aber nicht, demselben Gesetze vorzuschreiben.
So fehlen hier die beiden Kräfte die in ursächlicher Verbindung
stehen, und denen eine gestaltenbildende schöpferische Kraft und
innere Gesetzmässigkeit inwohnt: dramatisches Leben und
Melodie.
Ich habe wohl erwogen , was der Verfasser dem Vorwurfe der
Monotonie entgegensetzt. Er sagt: „Dieser Einwurf ist nicht halt-
bar. Das Streichquartett hat vier Sätze , die von denselben Instru-
menten vorgetragen werden. Eine Quartett - Soire'e bringt in der
Regel drei Quartette und folglich zwölf in der gleichen Total-
farbe gehaltene Sätze. Warum empfindet der Musikfreund dabei
kein Gefühl der Monotonie? Weil der gute Komponist innerhalb
dieses beschränkten und festgehaltenen Klangcharacters die mannig-
faltigsten Lichter und Schatten, die verschiedenartigsten Klang-
nüancen bringt und durch dieselben vier Instrumente alle Affecte,
Gefühle und Leidenschaften darstellt. Wenn uns daher eine Musik
von gleicher Zusammensetzung gewisser Instrumente, längere Zeit
angehört, monoton erscheint, so liegt die Ursache entweder in dem
Mangel mannigfaltiger Nüancirung derselben , oder im Mangel an
Gefühlsausdruck , oder in beiden zugleich. In der Oper kann aber
von einer einzigen Instrumenten-Zusammcnsetzung gar nicht die Rede
sein, da jede Person von der andern sich durch ihren Character
unterscheidet, und dieser Unterschied eben durch die Instrumentation
mit versinnlicht werden soll. Es müssen daher nothwendig in jeder
Oper so viel verschiedene Hauptklangfarben erscheinen, als Personen
auftreten."
Allerdings sind matte Kompositionen die natürlichsten Ursachen
der Monotonie und ihrer Wirkung, der Langeweile; aber hier reicht
die Erklärung nicht aus, und der Vergleich passt nicht. Wer
Quartette anhört, der weiss, dass er es nur mit Saiteninstrumenten
zn thun hat, und wird, wenn er gesunde musikalische Sinne besitzt,
nicht schon desshalb Langeweile verspüren, weil er kein Blech hört,
wie es uns im Walde nicht desshalb unheimlich ist, weil wir nicht
im Garten sind. Eine nothwendige, mit Bewusstsein ge-
setzte Schranke ist nie an sich ein Hinderniss der
geistigen Thätigkeit und Lust, und eine solche ist in ge-
nannten Beispielen vorhanden. Bei der Oper aber können wir uns
nicht überzeugen, dass es so sein muss, dass diese Schranke noth-
wendig ist', ist sie nun doch da, so gibt es zuletzt kein Mittel mehr,
sich vor der Langeweile, vor dem künstlerischen Unbehagen zu
retten, grade die am tiefsten musikalisch Empfindenden werden davon
heimgesucht sein, während vielleicht die Masse in demselben Momente
sich in unkünstlerischem Behagen ergötzt. Das kommt daher, weil
man nicht das Gefühl hat von der Notwendigkeit, Vernünftigkeit,
Kuustgemässheit eines solchen Verfahrens.
So etwas lässt sich wohl vorschlagen, aber nicht beweisen.
Hier darf man dreist behaupten: Alles, was sich lernen lässt, ist
keine Kunst, und wie die Kunst das Gelernte zu verwenden habe,
kann ihr nur innerhalb ihrer Ringmauer, nämlich vom Künstler
selbst, vorgeschrieben werden. Im Allgemeinen aber decken
sich nicht Charakter und Instrumentation, sondern die
Objecte und die Mittel stehen hier so zu einander:
Charakter (Person) = Melodie
Situation (Scene) = Instrumentation.
Ueber die vom Verf. beiläufig genannte Wagner'sche Orchester-
melodie bemerke ich ebenfalls beiläufig, dass ich diese nicht meine,
wenn ich die Melodie als das Ursprünglichere bezeichne.
Der H. Verf. redet einem Verfahren das Wort, welches sich in
den Kunstwerken der letzten zwanzig Jahre in unerquicklichster
Breite und Verwirrtheit entfaltet hat; es bliebe ihm nur das Verdienst,
dasselbe in ein loses System gebracht und dadurch dieser Reflexions-
musik eine vollkommene Berechtigung zugestanden zu haben. Es
gibt aber künstlerisch nichts Unklareres, als diese Art von Musik;
— ich für mein Theil habe vor derselben, zu der unter den Lebenden
besonders auch Berlioz ein Bedeutendes gesteuert hat, einen solchen
Respect, dass ich ihr möglichst aus dem Wege gehe, ebenso sehr
wie den mit einem Kommentar versehenen Gemälden.
Viertens. „Das Hauptprincip bei den Operncompositionen sei:
Verständlichkeit der Worte und Töne des Sängers
ohne alle Ausnahme. Im Leben kommen dunkle oder den be-
schränkten innern und äussern Menschensinnen ganz unverständliche
Erscheinungen vor, das Kunstwerk muss überall die Verständniss-
möglichkeit für den Menschen in sich tragen, denn dadurch soll es
sich eben von dem gewöhnlichen Leben unterscheiden und ein höheres
und vollkommeneres offenbaren. Wenn Sänger in der Oper über-
haupt für nöthig gehalten werden, so müssen sie jederzeit, wenn sie
singen, zu hören sein. Vernünftigerweise ist kein Fall zu denken,
dass man nur des Sängers geöffneten Mund sehen , Ton und Wort
aber daraus nicht hervorklingen hören sollte. Verständlichkeit des
Sängers verlange ich daher in Namen des gesunden Menschenver-
standes. Wenn es nicht möglich ist, sie überall zu erreichet), so ist
die Oper eine unvollkommene Kunstart. Aber es ist möglich : man
mache es wie der recitirende Schauspieler ; dieser erschüttert mit
seinen eigenen Mitteln ohne alle Orchesterhülfe bis in's tiefste Mark
der Seele. Das mitwüthende Orchester verstärkt nicht, es schwächt
den Ausdruck der Leidenschaft dadurch, dass der Sänger, der als
Hauptperson klar vorstellen sollte, von dem Orchester überschrieen
wird. Wo daher die Orchesterstimmen mitwirken , ohne die Sing-
stimmen zu verdunkeln, da mögen sie mitklagen oder mitwüthen ; wo
sie aber jene überdecken , da überschreiten sie die Grenzen der
ihnen erlaubten Thätigkeit, und der Komponist muss sie unbedingt
abweisen. — Man vermeide auch, die Singstimme durch ihr ähnliche
Orchesterklänge zu beeinträchtigen, und hebe sie dagegen durch
möglichst kontrastirendes Akkompagncmcnt überall hervor. Auch
verlange ich Rücksicht auf die physischen Gesetze der Stimme:
dazu gehört vor allem das Athemnehmen, und ferner, dass man dem
Sänger nicht zumuthe, in den höchsten und tiefsten Stimmlagen
viele Silben und Worte hinter einander auszusprechen, weil er sonst
keinen ordentlichen Ton erzeugen kann. Unter den vielen Beispielen,
die für diesen Missbrauch der Singstimme anzuführen wären, erinnere
ich nur an die unausführbaren Gesangstellen in Beethoven's grosser
Messe und in dem letzten Satze seiner neunten Sinfonie. Ich weiss
wohl, dass man auch solche Verstösse gegen die physische Natur
der Singstimme bei ihm damit hat entschuldigen wollen, dass sie
zur Darstellung der Idee nun grade so nnd nicht anders nöthig
und möglich gewesen. Aber das wäre eine traurige Kunst, die in
irgend einem Falle zn unnatürlicher Verwendung ihrer Mittel zwänge,
und der wäre ein beschränkter Künstler, der nicht irgend einen Aus-
weg fände, um die Wahrheit des Ausdrucks mit der Ausführbarkeit
desselben zu verbinden! Jede Idee muss vollkommen darstellbar
— 123 -
durch die Kunst sein, in welcher man sie darstellen will. Ist sie
absolut unausführbar, so darf sie der Künstler zum Vorwurf einer
Kunstdarstellung gar nicht wählen".
Habe ich gegen die vorigen Forderungen des Verf. meine Be-
denken unverholen geäussert, so erkläre ich mich mit dieser voll-
kommen einverstanden, und habe also das Vergnügen, dem Verf.
in dem Punkte beistimmen zu können, der ihm selber der wichtigste ist.
Wer ähnliche Wünsche nie empfunden hat , der muss künstlerisch
bedeutend missgebildet oder verkümmert sein. Der leidende und
thätige Mensch „der Mensch der Leidenschaft" im Sinne
der Griechen, ist stets der Mittelpunkt der Kunst, und seine Aeusser-
ung, seine Gestalt, sein Gedanke, sein Wort, sein Ton muss sich
immer seiner Umgebung soweit entheben, als die Wahrheit der Sache
fordert, die nach allen Orten und in allen Formen einfach, klar
und fasslich gewesen ist. Diese vollkommene Klarheit einer Kunst-
form, welche so beschaffen ist, däss sie durch ihren Inhalt das Herz
bewegt, ist das, was man früher Schönheit nannte, die man von
allen Werken der Kunst forderte und als das Höchste ansah, zu
dem der Künstler sich aufschwingen könne. Um auf diesen Gipfel
zu gelangen, muss der Künstler einen vielverschlungenen Weg zurück-
legen, auf dem ihm Niemand folgen kann, einen Weg lang und
dunkel, der all seine Lust und all sein Mühen birgt; aber was ihm
bei rechter Kunst ein nothwendiges Ergebuiss ist — das Werk, in
herzerfreuender Schönheit prangend — , das darf von dcnEmpfangenden
als eine stete Forderung geltend gemacht werden. Und so gewahren
wir hier zugleich, dass wir noch wesentlich sind und thun, fordern
und gemessen, wie die Alten, welche sich zuerst der Gesetze
der Schönheit bewusst wurden; wir gewahren, dass nicht allein das
geschichtliche, sondern auch das künstlerische Leben, sich bewegend
in festen Grundformen der Menschennatur, in unzerreissbarem Zu-
sammenhange steht.
Der Verfasser hätte noch ernstlich warnen können vor der
jugendlich hastigen Operncomposition ; aber vielleicht müsste er hier
zu tief in's eigne Fleisch schneiden — er sagt nämlich vorhin in
den Gesprächen mit einiger Wehmuth: dass „Wissen" noch kein
„Können" sei und dass man in jungen Jahren so Grosses zu erringen
wähne, habe er selbst erfahren. Wahrlich, eine Oper zu componiren,
hauptsächlich weil sie Glück, Ruhm und Geld bringt und weil es so
Mode ist, wird Niemand ungestraft wagen dürfen! Wer nicht ein
geistiges Leben in ihr zu offenbaren hat, der sollte jetzt wenigstens
davon bleiben.
Ueber Operntexte will der Verf. später Vorschläge machen.
Er hätte mit diesen zuerst hervortreten sollen, weil doch der Text
das Erste ist, jetzt hat sich bei ihm das Verhältniss umgekehrt.
Ist's mir möglieh, werde ich ihm auch später kritisirend zur Seite
gehen; denn um weiter zu kommen, um die geistige Atmosphäre
der Kunst zu reinigen, gibt es nun einmal kein anderes Mittel, als
den Widerspruch. Auch kann ich nicht anders als offen und grade-
zu reden — aber die literarischen Persönlichkeiten sind mir stets
uud unter allen Umständen ein Greuel. Zum Glück kann man auch
ohne sie zur Wahrheit gelangen. chs.
■<+>>■
CORRESPONDENZEN.
AUS MAINZ.
Juli 1853.
Eine geraume Zeit ist vergangen, seit ich Ihnen meinen letzten
Bericht über die hiesigen musikalischen Zustände und Leistungen
zugeschickt habe. Die Sache selbst machte Schweigen rathsam, denn
des Erwähnenswerthen ist wahrlich blutwenig zum Vorscheine ge-
kommen. Thaliens Tempel ist längst geschlossen, die Priester und
Priesterinnen der Musen sind zerstäubt, viele zu erwünschtem
Nichtwiedersehen. Was wird die neue Theaterdirektion (Tenorist
Beyer) bringen? Wenn wir auch das Beste wünschen, können wir
doch nicht sagen, dass unsere Hoffnung auf Felsengrund ruhe. So
lange unser Theater-Institut wie eine Jahrmarktsbude be-
handelt wird, wo man gute und schlechte Waare, wie's der Zufall
bringt, auskramt, um so lange es eben gehen will, möglichst grosse
Einnahmen zu machen und dann wieder abzuziehen; so lange
nicht eine gewisse Ordnung und Stetigkeit in die Organisation ge-
bracht und das Ganze mit Liebe und Ausdauer von Seite des
Unternehmers geleitet wird, steht nichts Gedeihliches zu erwarten,
während gegentheils das hiesige Publikum nicht so musenfeindlich
ist, dass nicht in seiner Theilnahmc eifrige Bemühungen und gute
Leistungen Unterstützung und Lohn fänden. Vor allem aber ist er*
forderlich , dass auf irgend eine Weise die Gesellschaft jahraus
jahrein beschäftigt bleibe, eine Aufgabe, deren Lösung zwar schwierig,
aber bei guter Kraft und Einsicht keineswegs unmöglich ist Dann
wird auch eine Verbesserung und Aufhülfe unsers Theater-
Orchesters, dessen Krebsgang von den Mitgliedern selbst aner-
kannt wird, eine ganz natürliche Folge sein. Dass dasselbe mit
dem Plane umging, jährlich zwölf Concerte zu veranstalten, um durch
deren Ertrag sowohl seine Subsistenz während . der vier Hnnger-
monate zu sichern als auch seine künstlerische Kraft zu heben,
ist schon früher in diesen Blättern angedeutet worden. Das Projekt
aber, ein wahres Hysteron-Proteron, scheint aus Mangel an Theil-
nehmern aufgegeben worden zu sein ; wer will von einem Orchester,
das schon im Zusammenwirken mit der Oper und den Gesangver-
einen so viele Ursache zur Klage gibt, noch überdies in Concerten, in
zwölf Concerten gelangweilt werden? wer will für Concerte Geld
ausgeben? Eine tüchtige Destillation, Ausscheidung des Unbrauch-
baren, Zusatz besserer Bestandteile, eine energische und tüchtige
Leitung, und vor Allem Beschäftigung während des ganzen Jahres
das ist hier und zwar ganz allein, der Stein der Weisen.
Mit den Leistungen unserer Musikvereine können wir uns
nur bedingweise zufrieden erklären. Die Liedertafel hat inzwischen,
und das ist für die Jahreszeit viel — ausser einigen Vergnügungspartien,
zwei Concerte im Akademiesaale veranstaltet , das eine am 5. Mai,
das andere am 10. Juli. Im ersferen erfreute uns neben mehreren
kleineren Gesang-Nummern eine Motette „Iste dies'* von Cherubini
und die Beethoven'sche Musik zu Göthes Egmont mit verbindendem
Text, gesprochen von Herrn Dr. Knispel, — eine anmuthige Blumen-
lese, die durch die wohleinstudirten Chöre wie durch die meisterhaft
vorgetragenen Soli den angenehmsten Genuss bereitete (vom Or-
chester volti subito!). Das zweite der angeführten Concerte
brachte ein vom Standpunkte der Aeslhetik aus kaum zu recht-
fertigendes Potpourri der heterogensten Musikstücke, in denen einige
neue Solostimmen , jedoch nur theilweise mit Glück, sich hören
Hessen. Eine ausgezeichnet klangvolle , umfangreiche und wohl-
thuende Bassstimme bekundete ein junger Dilleiant , Herr Friedel
in der Mozarl'schen Arie „0 Isis und Isiris"; wenn seiner offenbar
trefflichen Natur-Anlage ein gehöriges Studium zu Theil wird, kann
er es zu sehr Bedeutendem bringen. Mit grossem Interesse hörten
wir einen „Ciklus arabischer Dichtungen," für eine Tenorstimme
componirt von G. Vierling So schön und effektreich einige Theile
dieser Composition sind , so seelenvoll und kräftig sie unser vor-
züglicher Liedersänger, Herr A., vortrug; so blieb doch gar Manches
unverständlich, und der Ef folg zweifelhaft: das Aneinanderreihen
solcher verschiedenartiger Stücke mag dem Gcschmacke eines or-
ientalischen Pascha mehr als dem unsrigen zusagen, und überdies
übt Einfachheit im Liedc einen grösseren Reiz als Kunst. Die köst-
lichste Perle der Matinee erglänzte in einer „Phantasie über eng-
lische Volkslieder'* für zwei Piano von H. Herz , vorgetragen von
zwei Damen, unter ihnen Frau Seh., deren sämmtliche Leistungen
ebenso viele Triumphe sind. Ich kann nicht umhin, bei dieser Ge-
legenheit wiederholt mein Bedauern auszusprechen , dass von dem
Vereine, seit dem Fortgange Esser' s , noch immer kein Händel'sches
Oratorium vorgeführt worden ist. Herr Vierling , der durch sein
bisheriges Wirken seine Befähigung zur Stelle eines Musik-Directors
so schön dargethan , überdies ein frischeres Leben der Mitglieder
unter seiner Leitung Jiat aufblühen sehen , wird gewiss auch dahin
streben, dass er, dem blasirten Zeitgeschmacke zum Trotze, dem
anerkannt grössten Meister in der oratorischen Musik die gebührende
Stelle nicht länger versagen lässt.
Am ersten Ostertage wurde von dem Vereine für Kirchenmusik
in der Quintinskirche eine neue lateinische Messe producirt, die wir
besonders desshalb anführen müssen, weil sie von unserm Lands-
mann A. Oechsner herrührt. Zu rühmen ist der Fleiss und Ge-
schmack in der Composition, die von einem glücklichen Studium
- tm —
*ler besten Meister zeugt. Das mangelhafte Orchester (groastentheits
Militär Musiker) lies die schönen Instrument aUEffette unter, die ver-
fehlten über Gebuhr hervortreten.
Nicht unerwähnt dürfen wir es lassen , dass im vergangene»
Fiühjahr, wie alljährlich, Herr Gesanglehrer und Violoncellist Hol«
«in Concert gab , worin er von Herrn Föckerer anf dem Piano, von
Herrn uni} Frau Dr. Knispel und einigen andern Dilletantcn im Gc*
sang unterstützt, eine schöne Auswahl des Lieblichsten und Besten
dem zum lebhaftesten Beifalle fortgerissenen Auditorium vorführte.
AUS LONDON.
(Monat Juni.)
Der Monat Juni zeichnete sich durch eine liebliche Fülle des
himmlischen Nektars, Begen genannt, aus, durch verschiedene Donner-
wetter und diverse nichts weniger als liebliche Sturmwinde.
Aber was ist all der Regen gegen die Fluth der Conzerte , was alt
das Donnergekrache gegen das Rasseln der Pianoklänge, was alles*
Rauschen des Windes gegen das fürchterliche Tongebrause, das uns
in diesem Monat, der mit Recht der Höhepunkt der Saison gennant
werden kann, überkommen ist. Unter uns, es ist fürchterlich viel ge-
sungen worden, in allen möglichen Mundarten, von allen möglichen
Exemplaren jener Race, die die menschliche genannt wird /mit und
ohne Schnurrbart, mit und ohne Glanz! Doch soviel auch gesungen
worden sein mag, die Einen haben doch am besten gesungen , und
diese Einen sind merkwürdigerweise Mehrere, nähmlich die Deutschen.
Zwar hat sich dieser Name von jeher durch sein Singen ausge-
zeichnet, aber das Schöne bleibt immer neu, sagt irgend ein Berliner
Schriftsteller, und dies die Ursache, dass die Deutschen uns wie
immer überrascht haben. In der That, der Kölner Männer-Gesang-
Verein hat einen grossartigen Erfolg gehabt. Herr Davison gesteht
ganz naiv, so etwas wäre noch nie gehört worden, aber als achter
Englander kann er doch nicht umhin, seinen Glecsängern mindesten
in einer Beziehung den Vorzug zu geben. Sie sängen bessere Sachen,
meint er, keine kleinen, unbedeutenden Virtuosen-Stückchen , einzig
und allein geschrieben , um die Vorzüge der Gesellschaft in's Licht
zu stellen. Mit einem Wort, ohne, dass er's weiss, wirft er den
deutschen Sängern vor, dass sie Virtuosen sind. Als wenn sie et-
was Anderes sein könnten, als wenn nicht die Virtuosität, nachdem
sie sich in dem Einzelnen concentrirt hatte, sich nach und nach
in die Gesammtheit verflachen musste, als wenn dieser Chor mit seinen
in's Detail gehenden, glänzenden Kunstmittelchen noch etwas Anderes
sein könnte , als der Spiegel der ganzen Nation. Unsere Solo-
sänger haben bekanntlich keine Stimme mehr wenn sie singen
können, etwas dem Aehnlichcs sehen wir in den Chören im ganzen
Volke. Gewandt sind sie geworden, aber die Kraft ist gewichen.
Freilich der Fonds, der Kern einer ganzen Nation kann nicht mit
einemale so morsch werden , dass. gar kein Saft mehr in ihm ist ;
aber die Zeit ist vorüber, die «lern Ausflusse des Saftes den Weg
bahnte. Wir leben in einer Zeit , wo wahrlich für den Chorgesang
nichts Anderes coniponirt werden kann, als was in Berlin, Dresden,
Wien zu Tage gefördert wird, es wäre denn, dass man die Bearbei-
tung von Volksgesängen für mehrere Stimmen ergötzlich fände. Im
Grunde ist jeder Masscngcsang — Volksgesang, oder sollte es min-
destens sein , und Volksgcsängc entstehen doch nur in einer Zeit
grossartiger Anregung.
Die Deutschen haben also aufs Neue Lorbeeren gesammelt und
zwar wie immer im Auslände. Sie sind wieder heimgezogen mit
so manchen Andern, die gefunden was sie suchten, und wiederum
manchen Andern, die zwar sehr viel gesucht, aber so gut wie nichts
gefunden haben. Zu den ersten Glücklichen gehört auch der liebens-
würdige Lindpaintner. Dieser wüttembergische Kapellmeister und
Verfasser eines der populärsten Lieder in England, nämlich der
Fahnenwaeht, hat den Engländern sehr gut gefallen, sie fanden ihn
bescheiden und originell , das Letztere, wie mich versichert wurde,
weil er keinen Schnurrbart trägt. Ausserdem haben sie an ihm
die Erfahrung gemacht, dass es noch bessere Dirigenten gäbe als
Herr Costa, was allerdings nicht viel sagen will. Lindpaintner hat
ein Konzert der New Philharmonie Society dirigirt and awar so
tüchtig, so gewandt und durchweg eine so selbstständige Auffassung
und energische Handhabung der Massen offenbarend, daes *r unbe-
dingt dem ihm hier vorangegangenen Rufe, einer der besten Diri-
genten Deutschlands zu sein, entsprochen hat. Uebrigens stand ihm
auch ein Orchester zu Gebote, dem man das Tüchtigste zumuthen
kann. — Die beiden letzten Konzerten wird Spohr dirigiren , und
zwar wird in dem einen derselben von diesem Komponisten mehr
geführt werden, als Lindpaintner den Zuhörern in den vier vorange-
gangenen Konzerten zusammen zugemulhet hat. Uebrigens dürfte die
zur Aufführung kommende Doppel-Sinfonie „Irdisches und Göttliches
im Menschenleben,, den Engländern wenn auch nur dorn Titel nach
sehr gefallen. (Schlnss folgt )
NACHRICHTEN.
Köln. Das hiesige Stadttheater ist von dem Theater-Director
Röder übernommen worden. Dasselbe wird Mitte September mit
Tannhäuser eröffnet. Wahrscheinlich wird das hiesige VaudeviUe-
Theater wie das Bonner Stadttheater von demselben Director be-
setzt werden, so dass durch diese Vereinigung endlich einmal eine
Aussicht auf Fixirung der Theaterverhältnisse , die bisher eine
wahre Misere darboten, eröffnet ist.
Posen. Der hiesige Theater-Director Wallner hat die Con-
cession für die ganze Provinz erhalten, so dass er künftig in den
grösseren Städten abwechselnd Vorstellungen geben wird. Jeden-
falls ein vortheilhaftes Arrangement für ihn , wie für das Publikum.
Wien. Frl. Titjens, die Herren Beck und Steger sind defi-
nitiv engagirt worden. (Herr Cornet bedingt vor jedem Engagement
eine Anzahl Proberollen , bei Herrn Steger , wenn wir nicht irren
nur achtzehn!) Erwartet werden zu Gastspielen Frau Fischer-Nimbs,
Joh. Wagner , Agnes Bury und S. Heinefetter ; noch ist nämlich
jeder Versuch eine Prima Donna, welche Fr. Joh. Ney zu ersetzen
im Stande wäre zu finden, gescheitert. Fräul. La Grua trifft erst
im November hier ein.
Heidelberg. Der Bau des neuen Theaters geht rüstig vor-
wärts. Die Wahl des Directors ist auf den jetzigen Regisseur des
Frankfurter Theaters Herrn Haake gefallen.
Berlin. Flotow's Matrosen, schon vor Slradella componirt,
und auch hie und da aufgeführt, wurden am siebenzehnten von
der Königsberger Gesellschaft zum erstenmale auf die hiesige
Bühne gebracht. Text und Musik werden als sehr schwach geschil-
dert und die Oper wurde desshalb nicht besonders günstig aufge-
nommen.
— Die Königsberger Operngesellschaft wird noch bis zum drei-
zehnten August bleiben, und Auber's Braut zur Aufführung bringen,
Breslau. „Giralda" von Adam, die in Hamburg so günstig
aufgenommen wurde, wird in kurzem hier in Sccne gehen.
Hamburg. Frl. ßabnigg gastirt hier und soll bereits engagirt
sein.
Karlsruhe. Das projeetirte Musikfest unter Liszt's Leitung
wird am zwanzigsten und einundzwanzigsten September stattfinden
und aus zwei Konzertaufführungen im Theater bestehen. Die Or-
chester und Chorpersonale von Carlsruhe, Mannheim und Darm-
stadt sollen mitwirken. Das Programm wird nach der N. Z. f. M.
folgende grössere Werke enthalten : Wagners Ouvertüre zum Tann-
häusser, 4 Stücke aus Lohengrin (dieselben welche in Zürch auf-
geführt wurden) Romeo und JaUe, Sinfonie von H. Berlioz (die un-
vermeidliche) zum Schlnss die 9te Sinforiie mit Chören von Beethoven.
Etwas weniger Einseitigkeit dürfte dem Programm nichts geschadet
haben.
Cassel. Das hiesige Hoftheater scheint sehr im Argen zu
liegen. Seit Monaten fehlt eine Primadonna und es haben eine
Menge Gastspiele stattgefunden um diese Stelle zu besetzen. Aber
auch nicht ein einzige Sängerin von irgend einiger Bedeutung hat
sich bewogen gefunden, als Bewerberin aufzutreten, so dass zuletzt,
um nur überhaupt eine Sängerin zu haben, eine Frl. Roter von
Schwerin engagirt werden musste.
Vtrantwortliefeer ft«4kkt«tt: J. J. SCHOTT. — Dracft voa REÜTEÄ* WALLAO i« Malm.
2. Jahrgang.
Nr. 39.
8. August 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Po«tamtern,
Uviik- ond Bnenhandlnngen.
REDACTION UKD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ,
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT «* CO.
PREIS:
ft. 3. 42 oder Thlr. I. 18 Sgr.
fBr den Jahrgang.
Darcb die Post belogen:
50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. I. — Corresp. (Schwerin. "Wien. London). — Nachrichten,
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext«
(Eine kunsthistorische Skizze.)
I.
In einem vor Kurzem von Gera ausgegangenen Preisausschreiben
für den bcslcn Stoff und Text zu einer lyrisch - romantischen Oper
wird gefordert, derselbe solle den Anforderungen der Gegenwart ent-
sprechend sein, ohne jedoch das Gute der bisherigen Oper unberück-
sichtigt zu lassen.
Das klingt recht schön. Es ist nur Schade, dass weder näher
angegeben ist, worin das „Gute der bisherigen Oper", noch worin
die „Anforderungen der Gegenwart" besteben j um so mehr Schade,
als grade unt diese Frage alle Kämpfe und Feindseligkeiten der mu-
sikalischen Gegenwart sich drehen, und über die Beantwortung der-
selben die verschiedenartigsten Ansichten vorhanden sind. Es sollte
uns nicht wundern, wenn alle Diejenigen, welche von den ausge-
setzten 200 ThJrn. angelockt werden, ein Libretto zur Prüfung ein-
zusenden, vor Allem darauf Anspruch machen, obige Bedingungen
erfüllt zu haben, und doch am Ende ihre Arbeiten sowohl dem Stoffe
als der Bearbeitung nach so verschieden von einander sind, als nur
die Texte zum „Taiinhäuser", zur „Indra" und zum „Propheten" sein
können.
Das Preisausschreiben ist allerdings ein Beweis, dass das Bc-
dürfniss nach einer hauptsächlich auf dem poetischen Thcil beruhen-
den Opernreform immer allgemeiner gefühlt und anerkannt wird: aber
zugleich ein neuer Beweis, dass über das Wie? noch vollkommene
Unklarheit herrscht. Geht diese Unklarheit doch so weit, dass selbst
der Urheber des Preisausschreibens in die sonderbarsten Widersprüche
verfallen und in einem und demselben Athemzuge die „Anforderungen
der Gegenwart" anerkennen und — leugnen konnte! Der Beweis
dafür wird nicht schwer zu führen sein.
Es möchte dcsshalb nicht überflüssig sein, einmal etwas schärfer
zu untersuchen, was denn eigentlich unter den Worten des erwähn-
ten Ausschreibens zu verstehen sei, oder worin die so sehnsüchtig
erwartete Beform der Operntexte zu bestehen habe.
Verständigen wir uns zuerst über den Begriff der „Oper" , als
einer für sich bestehenden Kunstgattung, überhaupt. Denn sobald
es uns nicht gelingt, die charakteristischen Merkmale derselben oder
die wesentlichsten Bedingungen ihrer Existenz aufzufinden, würde jede
fernere Untersuchung in der Luft schweben und zu falschen Resul-
taten führen. Man kann behaupten, dass weitaus der grösste Theil
aller Widersprüche und Sonderbarkeiten, die in dem Streit über die
Opernreform bisher zu Tage gefördert worden sind, in derUnkcnntniss
oder Verkennung des Wesens der Oper beruhe, und dass schon un-
geheuer viel gewonnen wäre, wenn nur erst klar erkannt würde, wo-
durch ihre Existenz bedingt ist.
Was ist unter dem Worte Oper zu verstehen? Eine Verbindung
der Musik mit einer dramatischen Dichtung? Das wird wohl nicht
bestritten, erschöpft aber den Begriff nicht, den wir uns davon ge-
bildet haben. Und doch hört alle Uebereinstimmung auf, sobald wir
einen Schritt weiter gehen und nach der Art und Weise dieser Ver-
bindung fragen.
Denn: soll die Musik in der Oper nur zur Unterstützung und
Verstärkung einzelner Momente der gesprochenen Dichtung dienen,
wie im Melodrama? Gewiss nicht, rufen alle Musiker, die Opern-
musik ist etwas Höheres.
Oder: findet die Verbindung in der Weise statt, dass die Dich-
tung die Grundlage, gewissermassen den Rahmen bildet, in welchem
die Musik sich sclbstständig entfaltet?
Neinl hören wir Wagner und seine Freunde und noch viele An-
dere antworten. Dann hätten wir die glücklicherweise überwundene
italienische Oper, in welcher der Textdichter nur vorhanden ist, um
grosse Arien für die Prima-Donna oder den ersten Tenoristen zuzu-
schneiden.
Nun, dann ist vielleicht das Umgekehrte das Richtige, nämlich
dass die Musik in dein Drama aufzugehen, sich innig an den Gang,
die Entwicklung desselben anzuschliesscn habe und auf jede selbst-
ständige Aeusscrung ausser den einleitenden Instrumentalsätzen ver-
zichten müsse?
Und abermals antwortet eine grosse Partei: Nein! Das hiesse nur
das Miss verhältniss der Italienischen Oper umdrehen, anstatt zu besei-
tigen. Die Musik soll eben so wenig die Magd der Dichtkunst sein,
als diese die Dienerin der Musik bleiben will.
Und neben diesem dreimaligen Nein, haben wir die herrlichen
Schöpfungen eines Mozart, Beethoven und Weber, um nur unser
deutsches Dreigestirn zu nennen, und alle die Nein ! gerufen haben,
gestehen , dass hier trotz einzelner Mängel Kunstwerke vorhanden
sind, die Jeden entzücken müssen. Und dessenungeachtet tobt der
Streit nach wie vor fort und keiner ist im Stande das Wahre an-
zugeben, keiner kommt darüber hinaus, zuletzt statt aller Argumente
auf das Beste unter dem Vorhandenen als Muster hinzuweisen und
unbekümmert um theoretische Streitigkeiten zur Nachahmung des-
selben aufzufordern.
Auf die Gefahr hin, hie und da missverstanden zu werden,
weil wir hier innerhalb der engen Grenzen eines Journalartikcls nur
Andeutungen statt Ausführungen geben können , wollen wir ver-
suchen weiter zu gehen.
Die dabei zu lösenden Fragen sind :
1) Welches ist das eigentümliche Wesen der Tonkunst, und
welches sind die ihr dadurch gesetzten Schranken.
2) Welches ist das Charakteristische der Poesie und ihrer ver-
schiedenen Gattungen ?
3) Auf welchem Punkte und unter welchen Bedingungen ist
eine Verbindung oder besser eine Vereinigung dieser beiden Künste
möglich?
Die Musik unterscheidet sich von den meisten übrigen Künsten
dadurch, dass sie nicht am Sichtbaren haftet. Die Töne sind un-
sichtbar wie ihr Medium, die Luft. Sie dringen in unser Inneres,
als etwas Fremdes, etwas Ueberirdisches und doch als etwas Leben-
diges, Regsames, Schwebendes. Sie ist etwas Geistiges, verwandt
mit der Menschenseele und übertrifft desshalb an Wirksamkeit alle
— lfee
anderen Künste. Sie dringt in die Menschenbrnst durch den edel-
sten Sinn, das Gehör, und wendet sich an die edelsten Kräfte
in uns. Alles was in unserm Innern verborgen ruht , alle unsere
Gefühle, Hoffnungen, alle Ahnungen, alle Freuden, alle Schmer-
zen, das Unausgesprochene wie das Unaussprechliche, wird lebendig,"
wenn die zaabertsehen Melodieen unserer Tonmeister wie ein Hauch
des Jenseits auf unser Herz wirken. Wir fühlen doppelt stark, wir
fühlen doppelt deutlich die Freude wie den Schmerz , aber ersterer
wird nicht zum Uebermaass, letzterer lässt nicht den Stachel zurück.
Wir fühlen uns wie von einem höhern Wesen berührt und erhoben,
veredelt. Was uns auf keine Weise anschaulich werden kann, wird
mittheilbar durch die Musik, aber, wie ein flüchtiger Zauber ist auch
der Ton vorüber, und nichts Bleibendes hinterlässt er, als die nach-
zitternde Empfindung unsers Innern, die er berührte Und dies ist
das Eigentümliche der Musik. Sie kann nichts und soll nichts als
anregen. Maler, Bildhauer und Dichter schildern die Natur, stel-
len das Wirkliche dar; jeder Versuch ihnen nachzuahmen, bestimmte
Eindrücke zu geben, erniedrigt die Musik zu einem Handwerk. Was
der grösste Mangel der Musik in den Augen eines Kant, eines Hegel
war, dass sie die wenigste Kultur gewähre, nichts zu denken gebe, ist
gerade das, was sie zur herrlichsten und zugleich zur freiesten Kunst
erhebt. Ihr Boden ist weder das Reich der Sinnlichkeit, wie bei den
übrigen Künsten, noch das Reich des Gedankens, wie hei den Wis-
senschaften , sie wurzelt in dem Menschenherzen, und was
giebt es Höheres, denn dieses?
Die Schranken, welche der Musik gesetzt sind, gehen von selbst
aus dieser Erklärung ihres Wesens hervor. Sie soll weder malen,
d. h. ein Contcrfei des Reellen, des Wirklichen geben, noch den Ge-
danken in ihre Sprache übersetzen wollen. Alles, was das mensch-
liche Herz bewegt, Alles was empfunden, gefühlt werden kann, ge-
hört ihr an. Alles, was darüber hinaus liegt, übersteigt ihre Macht,
und zwar hauptsächlich, weil die Saiten des Innern, die sie berührt,
in keiner unmittelbaren Verbindung weder mit den geistigen Funk-
tionen, durch die wir einen Begriff von der Schönheit bestimmter
räumlicher Verhältnisse (Malerei, Bildhauerkunst) erhalten, noch mit
denen, welche wir Denken nennen , stehen , sondern entweder ganz
abgesondert und für sich allein erregt, oder doch erst n a ch vorher-
gegangenem Denkprozess in Thätigkeit gesetzt werden
Die Poesie unterscheidet sich gleichfalls wesentlich von der
Malerei und Plastik , sie hat manches mit der Musik , ja scheinbar
sogar das Medium , die Luft , gemein , so dass in neuester Zeit die
Behauptung aufgestellt werden konnte, Wort und Ton seien im We-
sentlichen identisch; nichtsdestoweniger gibt es bestimmte Grenzen
zwischen beiden.
Man könnte die Poesie fast die Vereinigung aller Künste nennen.
Sie schildert Körper, wie die Malerei und die Plastik, sie schildert
selbst in gewissem Masse die Regungen, die Empfindungen des Her-
zens, und nähert sich damit der Musik. Doch bleibt sie hier in ihrer
Wirksamkeit weit hinter den Künsten, in deren Gebiet sie eingreift,
zurück. Aber auf ihrem eigenen Gebiete ist sie Herrin und Meisterin,
und keine Kunst darf es wagen, mit ihr darin zu wetteifern. Dies
ist die Schilderung der Bewegungen, wie es Lessing schon so tref-
fend ausdrückte, und zwar nicht nur der physischen Bewegungen,
wodurch sie Malerei und Plastik übertrifft, sondern auch der geisti-
gen, d. h. des gesammten Lebens. Poesie ist also in ihrer höch-
sten Bedeutung die Kunst, das reiche Menschenleben in seiner gan-
zen Energie und Leidenschaftlichkeit und mit allen Kräften, die da-
rin wirken, geistigen wie sinnlichen, zur Darstellung zu bringen, und
zwar, da sie eine Kunst ist, mit künstlerischer Auffassung und Be-
handlung. Diese höchste Slufe erreicht die Poesie im Drama, und
die ganze Galtung der Dichtkunst, worin Menschen und Charaktere
in bestimmter Personifikation und selbstthätig , handelnd vorgeführt
werden, vor unsern Augen eine mehr oder minder bedeutungsvolle
Episode aus dem Menschenleben aufführen, nennen wir die drama-
tische Poesie. Wesentlich zur Erkenntniss der Poesie als eines Ganzen
und für uns ist noch die Betrachtung der zwei andern Haupfgattungen
derselben : der epischen und der lyrischen. Das Epos be-
handelt dieselben Stoffe wie das Drama, nur die Art und Weise
der Behandlung ist verschieden. Sehen wir im Drama Personen und
Charaktere gleichsam ein Stück ihres Lebens noch einmal vor uns
durchleben, so erhalten wir im Epos nur die Schilderung desselben
durch den Mund des Dichters. Er beschwört die Schatten der Ver-
storbenen nicht herauf, wie der Dramatiker, sondern führt uns diese
nach und nach in den bedeutungsvollsten Momenten ihres früheren
Lebens, sei es handelnd oder leidend, vor.
Die 1 7 r i s c h e Poesie zu der im weitern Sinne Vieles ge-
rechnet wird, was nicht hin gehört , lässt sich recht eigentlich als
die Gattung der Dichtkunst definiren , welche keinen ausser dem
Dichter liegenden Gegenstand zum Objcct hat, also keine Schil-
derungen weder aus der Natur noch aus dem Leben Anderer giebt
sondern sein eigenes inneres Leben, seine Freuden und Schmerzen
alles was sein Herz bewegt, zum Vorwurf hat und es besingt.
Eine Stimmung bildet den Grundton des Ganzen. Alles was in
den Kreis des Gedichtes gezogen wird, erhält von diesem eine ganz be-
stimmte Farbe, einen gewissen Charakter, muss dem Dichter gleich-
sam als Illustration dessen, was ihn erfüllt, dienen. Der Typus der
lyrischen Poesie ist das Lied.
-MW-
CORRESPONDENZEN.
MUSIKLEBEN IN SCHWERIN.
Kirchenmusik-
Schweriner Leser werden kaum begreifen , wie ich zu dieser
Ueberschrift komme; und doch weiss ich für drei Dinge keine andere
Gesammtbezeichnung.
a) Fast alle Bewohner Mecklenburgs werden der lutherisch-
evangelischen Confession zugerechnet. In Schwerin sind zwei Kir-
chen (und eine kleine für Katholiken). Eine schlechtere Orgel als
die in hiesiger Schelfkirche, ist in einer Stadt solchen Umfangs
wohl schwerlich anderswo zu finden , und ein untüchtigerer Orga-
nist, als der an der Domkirchc , wiederum schwerlich anderswo
unter gleichen Verhältnissen. Dieser Organist besass als „Hoforgel-
baner" bisher das Privilegium für Orgelhauten , haute selber und
hatte (oder hat) die von Fremden erbauten Orgeln officiell zu be-
gutachten. Die vielfachen Streitigkeiten, welche daraus entstanden,
gehen uns hier nichts an , aber dass unser Land besonders auch in
Folge dieser Verhältnisse mit hollunderfesten Orgeln beschenkt ist,
sei kurz erwähnt. In Wismar hat seit einigen Jahren ein Herr
Winzer (aus Thüringen) als Orgelhauer seinen Wohnsitz erhalten
nachdem er für die dortige Marienkirche ein wahres Prachtwerk
glücklich zu Stande gebracht ; auch kleinere Orgeln baute er schon
an mehreren Orten mit musterhafter Oeconomie Der „Hoforgel*
bauer" hat auch diesem wirklich künstlerischen Menschen gegenüber
seine Virtuosität im Hervorkehren der endlichen Seiten an grossen
Dingen auf eine glänzende , obgleich erfolglose Weise geltend ge-
macht. Wie verlautete, war Herr Winzer schon einmal zur Revision
der hiesigen Domorgel, die sich in einem traurigen Zustande befinden
soll, herbernfen, die Sache scheint aber wieder eingeschlafen zu sein.
b) Bedeutende Vereine ausschliesslich für religösen Gesang sind
in Mecklenburg nicht (in Wismar besteht allerdings seit lange ein
Verein der bes. in Aufführung von Oratorien sich hervorthut, so noch
im Sommer 1852 den Mendelsohn'schen „Elias** zur Aufführung
brachte — aber von weiterer öffentlicher Bedeutung ist auch dieser
nicht); ich sage daher zweitens über den kirchlichen Choral ein
Wort. Wie anderswo, dachte man auch hier an den sogenannten
rhytmischen Gesang, es wurden hin und wieder Stimmen für und
gegen laut, besonders in allgemeinen Predigerversammlungen ist der
Gegenstand mehrmals verhandelt, aber nach dem zu urtheilen, was
davon in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, in einer so kurzsichtig
und engherzig befangenen Weise , dass das Resultat solcher Erör-
terungen für die Sache selbst vollkommen gleichgültig ist. Die Be-
geisterten meinen wohl mit Polycarpus Leyser: Mutata musica in
templis, mutatur etiam genus doctrinae (Vorr. z. lutb. Liederpsalter
von C. Becker , sechszehnhundert und zwei) — die Gegner fragen
ob die letzten drei Jahrhunderte der Musikgeschichte so ohne wei-
teres ausgestrichen werden könnten. Die Begeisterten erwiedern,
was sich nicht aus und mit dem Heiligen , ja was sich offenkundig
im Gegensatze zu ihm entwickelt habe , könne für dieses auch nicht
— 127 -
massgebend sein; die Gegner merken an, unser Ohr sei aber ein-
mal zu sehr an die moderne Musik gewöhnt — und so geht man
wieder auseinander, unklar über das Wesen des besprochenen Ge-
genstandes, schwach an wahrer Kraft, gering an Begeisterung zu
reiner und freier Kunst , aber mit ungeschwächter Kraft den jewei-
ligen Lieblingsneigungcn ergeben Nur wenige scheinen zu ahnen
von wo aus in letzter Instanz auch über diesen Gegenstand zu ent-
scheiden ist.
c) Wenn ich zu diesen Wenigen den hiesigen Oberkirchcnralh
Kliefoth , die bedeutendste und einflussreichste theologische Persön-
lichkeit in nnserm Lande, zähle, so geschieht es nicht seiner besondern
musikalischen Bildung und Kennerschaft wegen , die er nie bean-
sprucht, vielmehr stets abgelehnt hat, sondern wegen der allgemein
richtigen, gesunden Grundsätze und Consequenzen , die in seinen die
Ordnung des Gottesdienstes betreffenden Schriften klar zu Tage
liegen. Ihm ist eine gewisse Geilerei mit der Kunst, die sich bei
den vorzugsweise sogenannten Frommen nur zu häufig findet, ein
Greuel,* dagegen lebt und wirkt er in einer Anschauung, welche
allein das gesunde Verhältniss zwischen Kunst und Leben (hier:
zwischen Kunst und Religion) wieder herstellen wird. Die Kirche
ist gehalfen durch den Consensus doctrinae, durch ein bestimmtes
Bekenntniss, also durch eine gemeinsame Lebensanschauung; aus
diesem Grunde bilden sich in gerader Folge alle Ordnungs-Aemter
und Thäfigkeiten dieser Kirche hervor. Auf diesem Grunde ruht
mithin auch die ganze Gestalt des Gottesdienstes , und alles in dem-
selben dient wieder dem Gesammtzwecke; von hieraus erhält auch
die Musik ihr Gebiet zugewiesen als kirchliche Tonkunst Dies ist
der, wie ich meine, unutnstössiieh richtige Grundsatzt für solche
Dinge. Wer nun wie Kliefoth, in der 1 u th er i s c hen C on fes-
s i o n die wahren christlichen Gedanken in grösster Reinheit ausge-
sprochen findet, der wird auch in dem rein lutherischen Culfus, so-
wie er im 16. Jahrhunderte eben auf Grund des Consensus doctrinae
dieser Confession sich ausgeprägt hat, die ideale vollkommene Form
einer reinen gottesdienstlichen Feier erkennen und diese im Lichte
der Gegenwart wieder zu beleben bemuht sein müssen. Wer mei-
ner Leser in diesem Bestreben nichts als die „vollständigste Rcaclion"
zu erkennen vermag , dem ganz besonders gebe ich noch zu be-
denken, dass diese rein lutherische Richtung augenblicklich die ein-
flussreichste (wenn man will, produclivste) ist, dass die bedeutendsten
Vertreter derselben Mitglieder der Kirchenregimenter in deutschen
Ländern sind (in Bayern, Sachsen, Mecklenburg, auch in Witten-
berg und trotz der „Union" auch in Preussen u. s. w.), und dass
Kliefoth auf der letzten Conferenz in Dresden (Oct. zweiundfünfzig)
beauftragt worden, eine rein lutherische Kirchenordnnng zu entwerfen.
Dieses letzteren Umslamles wegen hielt ich es nicht für unange-
messen, aus Mecklenburg über diese Richtung ein Wort zu äussern
und Alles zusammengenommen, wird der Leser nun begreifen, wie
ich zu dem Ausspruche komme: dass (abgesehen von der katho-
lischen Kirche) eine nicht bloss subjeeliv religiöse, sondern wirklich
gottesdienstlich kirchliche Musik nur entstehen kann, entweder aus
dieser Richtung oder durch Ueberwindung derselben ; aus ihr, wenn
die Grundvoraussetzung ihrer Vertreter von der Vollkommenheit
des lutherischen Gottesdienstes wahr ist; im Gegensatze zu
derselben, wenn die christlichen Gedanken in noch reinerer
Form sich in solcher Klarheit durchzubilden vermögen , dass sie
für die Menge erfasslich und in der daraus erstehenden gemein«
sammen Kraft zum Aufbau eines ihnen gemässen Gottesdienstes fähig
sind. Dies ist der Gegensatz, in den die jetzige Lage viele Tausende
gestellt hat; Jeder sehe zu und werde sich klar, auf welche Seile
er treten muss. Wie weit Alles, was zum Zwecke kirchlicher
Musik sowohl literarisch, als in Begründung von Kunstinstituten
(Berliner Domchor u. a.) in den letzten 40 Jahren unternommen und
ausgeführt ist, auf eine endliche abschliessende Gestaltung hinweise
wie weit es von ihr aber noch entfernt sei — dies in kurzer über-
sichtlicher Darstellung zu veranschaulichen, möchte einigen Nutzen
haben. Doch hier will ich dergleichen nicht versuchen ich würde
Ihre Nachsicht missbrauchen und meine Correspondenz die ohnehin
schon wenig speeifisch mecklenburgisch ist, durch eine neue luftige
Ausführung bereichern.
ERÖFFNUNG DER DEUTSCHE« OPERNSAISON IN WIEN.
* <B t B
Hat die deutsche Saison bei ihrer jährlich stattfindend« n Neu*
gebär ung überhaupt schon mit ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen,
welche hauptsächlich in der für Theaterunternehmungen so wenig
erpriessilchen Jahreszeit begründet sind, wo Jeder, dessen Verhält-
nisse es nur immer möglich machen, den Aufenthalt in der Residenz
mit einem Sommersitze auf dem Lande vertauscht und selbst Jene,
welche von ihren Geschäften in dem engen Kreis der Stadtmauern
gebannt sind, ihre Abende überall lieber hinbringen, als in der
drückend schwülen Atmosphäre des Theaters , wo alles Interesse
für Goncerte und Theater beim Publikum in einem Starrkrampf der
Theilnahmslosigkeit liegt — so ist die Ungunst der diesjährigen
Sommersaison unserer Oper noch durch anderweitige Umstände ver-
grössert , welche störend auf sie einwirken Herr Com et, der
neue Director des Hofoperntheaters , hat das Personale besonders
in Bezug auf Sängerinnen von seinem Vorgänger in einem nichts
weniger als brillanten Zustande übernommen. Die einzige Stütze,
Frl. Ney, hat gerade in dieser Uehergangsperiode mit der königlich
sächsischen Intendantur ein Engagement abgeschlossen und es über-
kam daher der neue Director als Primadonnen nur die Frl. Wil-
dauer und Liebhardt. Die Erstere, in der französischen Spiel-
oper sehr verwendbar, kann weder in Bezug auf Stimme noch auf
musikalische Ausbildung Frl. Ney ersetzen, während die Letztere
überhaupt keine erste Sängerin n, um so weniger auf einem Theater
wie unsere Hofopern hü hue vorstellen kann. So glücklich Herr
C o rn e t bei der Aqnisilion von Sängern war, indem er das Opern-
personale in Herrn S t e g e r und Herrn Beck durch zwei Sänger
mit herrlichen Stimm-Mitteln bereicherte, so erfolglos schienen seine
Bemühungen in Bezug auf Sängerinnen Alles was er uns in dieser
Beziehung sowohl an Gästen, als an engagirten Mitgliedern bis jetzt
geboten, ist nicht vermögend den Anforderungen nach zu kommen,
die unser Publikum an eine Primadonna zu stellen gewohnt ist.
Die schwierige Stellung des Directors ist in dieser Hinsicht nicht
zu verkennen, denn bei dem grossen Mangel an jungen Sängerinnen,
welche mit einem ausreichenden Stimmfond auch Talent für drama-
tische Darstellung verl-inden, haben sich selbst <!ie Provinzialhühnen
ihrer ersten Sängerinnen mit grossen pekuniären Opfern auf längere
Zeit versichert, und es ist daher eben nur vom günstigen Zufalle
zu erwarten, dass entweder Herr Cor n et irgendwo ein jugend-
liches Talent entdeckt, oder dass eine der wenigen Gesangs-Notabi-
liläten durch Verhältnisse veranlasst , ihr jetziges Engagement mit
dem an der hiesigen Bühne vertauscht. Man wäre ungerecht, wollte
man die Bemühungen des Herrn Cornet, deren günstige Resultate
sich schon jetzt theilweise bemerkbar machen , nicht lobend aner-
kennen, allein so lange es ihm nicht gelingt diesem Uebelstande ab-
zuhelfen , und wäre es auch nur scheinbar durch Vorführung
einer grösseren Anzahl jugendlicher Sängerinnen , gleichsam zur
Selbstanswahl des Publikums , so lange ist nicht daran zu denken,
dass Herr Cornet die allgemeine Meinung für sich günstig zu
stimmen vermag, und wenn ihm dies nicht bald gelingt, so wird
seine Stellung hier immer schwieriger , indem das Publikum seine
sonstigen Verdienste um diese Bühne übersieht, oder sie doch ge-
ringer anschlägt, als billig gerade um dieses Umstandes willen.
(Schluss folgt}.
AUS LONDON.
(Schluss.)
Die alte philharmonische Gesellschaft, die diesmal die neue
hätte heissen können, weil sie von neuen, bekannten oder berühm-
ten Komponisten mehr gebracht hat, als ihre Rivalin, wartet eben-
falls auf das letzte Konzert um in den ihr wie uns nöthigen Winter-
schlaf zu verfallen. Herr Costa hat verzweifelte Anstrengungen
gemacht, er hat sich bis zu Schumann versliegen , und was noch
mehr sagen will, sogar in einem Concerte Hector Berlioz statt seiner
dirigiren lassen , aber alles das findet doch keine Gnade vor den
Engländern oder richtiger vor der hiesigen Kritik. Was Schumann,
was Berlioz, man gebe uns Sterndale Bennett ruft die Times mit
Entrostung aus. Und Costa antwortet: Ihr verlangt von mir auf
- taa
der «iß«» Seite 4a« Neue, vd?i* F©rtaoJ*r*«> «ftdfftitf der. «m*fm^M<e
einen abgeblässten Mendelssohniatier — hat das Sinn? Aber guter
Costa, Sterndale Bennett ist ein Engländer, und schon als solcher
immer neu-. Wir wisse» nicht was der italienische Kapellmeister
auf diesen letzten Einwurf geantwortet hat , soviel ist gewiss , Herr
Sterndale Betttictt hat seine unvermeidlichen Sonaten nicht in den
geweihten Hallen der old Philharmonie society ertönen lassen
können. Dies hat natürlich unter den habitue's der Letzteren manchen
Jtlissmutlt erregt und daher darf man sich auch nicht wundern, dass,
als mau ihnen endlich Robert Schumann brachte, derselbe mit Un-
muth zurückgewiesen ward. Schumann'sche Musik hat weder in Ellas
reunion noch in einem Concerte der philharmonischen Gesellschaft
Gnade vor den Ohren der Engländer gefunden , und einige exaltirte
Dilletanten abgerechnet finden die Uebrigen in der Musik nichts als
nonsens. Viele haben es nun merkwürdig gefunden, dass dieselben
Leute , welche Schumann's Musik verdammen, zu den grössten Ver-
ehrern Borlioz's gehören. Ich muss gestehen, dass mir dies sehr
erklärlich erscheint. Gerade das, was in Berlioz's Musik vor*
herrschend ist , die Berechnung des äussern Effects , die Malerei,
das Fassbarc , die Conceniration aller Kraft auf die Klangwirkung,
gerade dies sagt dem englischen Charakter zu, während der letztere
im Grunde für die in Schuinann'scher Musik angeschlagenen tiefen
Gefühl.slaute, für die in ihr vorwaltende Innerlichkeit kein Verstand«
niss haben kann. Der Engländer will mit Ausnahme seiner Religion
Alles erklären können, je mehr etwas auf die Oberfläche tritt, desto-
mehr findet es seinen Beifall, und desshalb ist in seinen Augen
derjenige der grösste Künstler, dessen Schöpfungen sich wie
das Werk einer Uhr auseinanderlegen und zusammenfügen lassen.
Berlioz hat nun sehr viel von so einem geschickten Uhrmacher,
und desshalb ist auch Berlioz für einige Dutzend Engländer ein
guter Komponist. Aber sogar ein Berlioz kann den alten Salz be-
wahrheiten dass bloss diejenigen Leute, die am besten wissen sollten,
was die Glocke geschlagen hat, sich in dieser Beziehung am ärgsten
täuschen. Der französische Komponist hielt es nämlich an der
Zeit, seinen Benvenuto Celliui im Covcntgarden-Theatre aufführen
zu lassen und siehe da , es war eine schlecht gewählte Zeit. Die
Oper Wurde von Anfang bis zu Ende ausgezischt. Dass man dies
vor 16 Jahren in Paris mit demselben Werke vornahm, ist natürlich,
Berlioz hatte damals keinen Namen und viele Prätensionen , die
erst all in Erfüllung gehen sollten, aber jetzt , wo der Name da ist
und wo der Mann zu den etabltrten Grössen gehört, jetzt durfte er
am allerwenigsten in einem Lande Fiasko machen , wo der Autori-
tätsglaube der vorherrschende ist. Allerdings ist in diesem Benve-
nuto Celliui sehr wenig von dem oben erwähnten geschickten Uhr-
macher, es ist ein Embryo, aus dem sich jener im Laufe von sechzehn
Jahren entwickeln sollte, aber dem Coventgarden-Publikum gegen-
über dürfte Alles dies sehr gleichgültig sein , die Oper fiel nicht
desshalb durch, weil man sie schlecht fand, sondern weil sie über-
haupt missfallen sollte. Und Alles dies im Angesicht der Königin
und ihres fashionablen Gefolges, im Beisein einer der schönsten
Frauenguirlanden, die überhaupt nur ein Theater der Welt aufweisen
kann und endlich zum Schluss in Gegenwart des Verfassers, der
unten am Orchester sass und Nummer für Nummer seines Werkes
mit eignen Ohren verdammen hören musste.
So viel ist gewiss, Benvenuto Cellini ist zum zweitenmal zu
Grabe getragen, mit jenem Glänze, mit jenem Eclat, den man in die
Worte umgesetzt hat „die letzte Ehre" Lasst uns für den Verfasser
hoffen, dass es wirklich die letzte Ehre war, die seinem Werke
geschah , und dass wenn er wieder das Bedürfniss einer solchen
Ehre fühlt, er dasselbe mindestens mit einem neuen Werke zu
befriedigen suchen möge. Fatal.
NACHRICHTEN.
Wiesbaden« Frl. S. Cruvelli gab am ersten August mit ihrer
Schwester Marie im Kursaal ein Conzert. Sie sang Arien von Verdi
und Rossini und mit der letzteren ein Duett von demselben« Die
Oper hat in den letzten Wochen Wagners Lohengrin oft wieder-
holt« Musikdirektor Hagen aus Bremen wird als Nachfolger Sichin-
delmeissers genannt. Doch schwebt noch die Wahl zwischen ihm
und zwei gebornen Nassauern.
Baden-Baden. Frl. Werlheimber von der komischen Oper
in Paris hat in einem Konzert gesungen und grossen Beifall erhalten.
Wien« Vieuxtemps ist hier angekommen.
Paris« Die neue komisehe Oper Halevys wird gegen 10.
August zur Aufführung kommet. Der Direktor der italienischen
Oper, Corti, hat seine Entlassung eingereicht Er verlangt entweder
Erhöhung des Zuschusses der Regierung, oder unentgeltliche Be-
nutzung des Saales.
Brüssel. Der Violinist Leonard ist von seiner Kunstreise
nach Petersburg zurückgekehrt.
Achen, Joh. Wagner hat auch hier unter enthusiastischem
Beifall gesungen.
Braunschwefg. Die Theaterferien sind vorüber und Thaliens
Tempel ist am 10- Juli mit Czaar und Zimmermann wieder eröffnet
worden. Die Indra von Flotow soll nächstens aufgeführt werden;
die Proben dazu haben bereits begonnen. Frl. Wurst, unsere Prima
Donna ist als Frau Dr. Leisinger von ihrer Ferienreise, die diesmal
zugleich auch Hochzeitreise war , zurückgekehrt. Ihre erste Rolle,
die sie nachdem gab, war die Eleonore in der Favoritin. Sie hat,
trotzdem man vor Kurzem erst Frl. Jenny Ney hier gehört, sehr ge-
fallen.
Am 12. Juli hörten wir in einem Privatconcert ein Quartett
für Streichinstrumente von Bernhard Müller, ausgeführt von den vier
ältesten Söhnen des Concertmeister Müller. Die Ausführung war
bis auf Einzelheiten gut und wenn die Verhältnisse es den jungen
Künstlern gestatten , einige Jahre lang beisammen zu bleiben,
so dürfte dieses Quartett Müller junior es vielleicht seinem Vor-
gänger senior gleichthun oder ihn sogar übertreffen. — - Carl Müller
jun. (wie wir hören, in der Hanöverschen Hofkapelle engagirt) machte
ausserdem in jenem Concerte durch den Vortrag der Ernst'schen
Elegie seiner Schule Ehre.
München. Roger hat hier eine Reihe von Gastrollen gegeben
und besonders durch seine meisterhafte Darstellung entzückt.
Aus der Bayr. Pfalz* Das pfälzische Musikfest scheint von
Kaiserslautern aus etwas zu voreilig angezeigt worden zu sein, in*
dem die Vereine der vordem Pfalz bis jetzt noch von keiner Ein-
ladung etwas wissen ; doch soll es uns freuen, wenn wir uns in den
sonst so unternehmenden Kaiserslautern Musikfreunden getäuscht
hätten. Ebenso fallt allgemein die Wahl des Dirigenten auf. Robert
Schumann ist als tüchtiger Componist bekannt, aber — wie wir
vom Düsseldorfer Musikfest neulich erst wieder vernommen, nichts
weniger als Dirigent — was doch hier Hauptsache sein muss. Warum
wählte man nicht eine gerade in dieser Eigenschaft bekannte Auto-
rität, wie z. ß. Lindpaintner, Hiller, Fr. und V. Lachner? — Es wäre
sehr zu wünschen, dass die pfälzischen Musikfeste wieder recht bald
ins Leben gerufen würden — s.
Cleve. In den nächsteu Tagen wird hier ein niederrheinisches
Gesangfest gefeiert.
An die Besitzer von Handschriften «J» S«
Bach'scher Werke*
Eine schon früher erlassene Aufforderung von Seiten des unter-
zeichneten Direktoriums, die von der Bachgesellschaft unternommene
Herausgabe der sämmtlichen Werke Bach's durch Mittheilung und
Nachweis handschriftlicher Kompositionen desselben zu unterstützen,
ist nicht erfolglos geblieben und hat von verschiedenen Seiten her
schätzbare Mittheilungen veranlasst, für welche öffentlich den auf-
richtigsten Dank zu wiederholen eine angenehme Pflicht ist. Indessen
sind ohne allen Zweifel noch viele handschriftliche Hülfsmiftel in
einzelnen Sammlungen unbenutzt vorhanden, und die Unterzeichneten
erlauben sich um so zuversichtlicher ihre bereits ausgesprochene
Bitte zu wiederholen , da die ersten Bände ihrer Publikation jetzt
vorliegen und die gesteigerte Theilnahme des musikliebenden Pub-
likums die regelmässige Fortsetzung derselben garantirt.
Jeder Nachweis handschriftlicher Composition Bach's, in der Ur-
schrift oder in zuverlässigen Abschriften wird willkommen sein, so
wie für die Benutzung oder Erwerbung der als brauchbar sich er-
weisenden eine angemessene Entschädigung bereitwillig geleistet
werden wird.
Leipzig, 1. Juli 1863.
Das Direktorium der Bachgesellchaft :
Musikdirektor M. Hauptmann, Organist C F. Becker, Kapell-
meister J. Britz, Prof. 0. Jahn, Breitkopf und Härtel.
Verantwortlicher Ke4«kt«ur: J. J. SCE01T. — arnek ton RE11TEK * WALLAU in Main*.
2. Jahrgang.
Mr. 33.
15. August 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Dieae Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Kolik- und Buchhandlungen.
REDACWO» USD VERLAG
von
B. SCHOTT S BOHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI 6EBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT * CO.
. PBEIS:
;
1. 9.
«9 oder TMr. 1.
fttr den Jahrgang,
18 8s*.
Durch die Pott bezöge« :
50 kr.
•der 15 Sgr. per
Quartal..
Inhalt i Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. II. — Eröffnung der deutschen Opernsaison in Wien. — Gorresp. (Hamburg};
— Nachrichten.
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
II.
Nach der in unserm ersten Artikel gegebenen Bestimmung des
Gebietes der Musik und der drei für uns wichtigsten poetischen
Formen ergibt sich die Antwort auf unsere dritte Frage von selbst.
Ist eine innige Verbindung der Musik und Poesie überhaupt
möglich, so kann diese nur stattfinden zwischen Musik und Lyrik,
denn nur die Letztere besitzt die wesentlichen Eigenschaften der
Musik, ist ihr also nahe verwandt«
Wir fanden, dass die Musik dem Menschenherzen entspringt,
dass sie der eigentliche Ausdruck für die in demselben herrschenden
Stimmungen und Gefühle ist , also an die Persönlichkeit des
Künstlers geknüpft erscheint.
Dasselbe Merkmal charakferisirt die Lyrik j Auch diese erhält
ihre Farbe von der dichtenden Persönlichkeit. Auch sie ist ein Er-
gebniss seiner Empfindungen. Beide leben desshalb in der Gegenwart.
Beide wirken ferner in gleicher Weise auf unser Inneres, indem sie
anregen, Empfindungen, Gefühle wachrufen. Denn es ist ein durch-
gehendes Gesetz auch im Reiche der Kunst, dass die Wirkung stets
der Ursache entspricht und dass dieselben geheimen Kräfte, die-
selben Gefühls- und Geistesströmungen , welche der schaffende
Künstler oder Dichter durch die Macht seines Genius zur Thätigkeit
aufrief, durch sein Kunstwerk in den dasselbe Schauenden oder
Vernehmenden hervorgerufen werden, vorausgesetzt natürlich , dass
diese solcher Erregungen, die einen gewissen Grad von Geistes- und
Herzensbildung bedingen , überhaupt oder noch fähig sind. Die
ganze kulturhistorische Bedeutung aller Kunst lässt sich ja in letzter
Linie auf diese wunderbare Harmonie der Menschenseelen zurück-
führen, durch welche der Genius bevorzugter Geister erst einer fast
ins Unendliche gehenden Vervielfältigung fähig wird.
Jedes Blatt der Kunstgeschichte bestätigt die Richtigkeit obiger
Sätze.
Aller Poesie Anfang ist das lyrische Gedicht, der Ausfluss der freu-
digen oder schmerzlichen Empfindungen des einfachen Naturmenschen.
Aller Musik Anfang ist das gesungene Lied, das ist: die ur-
sprüngliche Vereinigung von Wort und Ton als natürlicher Ausdruck
der erhobenem! inneren Stimmung, die nach Aeusserrung ringt und
zwar wohl zuerst in dem Gefühle der Gemeinsamkeit , der TheJl-
nähme Anderer an dieser Stimmung. In der That weisen alle Spuren
darauf hin, dass der erste Gesang— Chorgesang, das erste Lied— Volks-
lied war. Von selbst gesellte sich tu dem Ausdruck lebhafter Em-
pfindung in Wort und Ton die Geberde, und so haben wir schon auf
der ersten Stufe der KunstbUditng die Vereinigung von Poesie, Musik
und Tanz, wie noch heute dieselbe Vereinigung in derselben einfachen
und kunstlosen Weise auf der ersten Stufe der Bildung des Indi-
vidiums, in der Kinderwelt, wahrnehmbar ist.
, Freilich zerfiel diese Vereiafeufig , sobald dieae «rftje j&nfe der
Kunstbildung überschritten war. Die Entwickdung der Künste war
keine gleichmässige. Mit dem ersten Schritt vorwärts der Einen
war die Trennung von den Andern gegeben. Und so verfolgte bald jede,'
wohlthätig für die vollkommene Ausbildung derselben, ihren eignen
Weg, bis sie endlich nach Jahrtausenden, auf der höchsten Sttife
ihrer Entfaltung, sich fast instink (massig des ehemaligen Bundes zu
erinnern schienen und den Punkt einer neuen, vollkommneren und
in ihrer Wirkung grossartigeren Vereinigung suchten, wie zum'
Zeichen , dass die höchste menschliche Kultur nichts sei, als die
Potenzirung des ersten Bildungskeimes und die Kunstgeschichte
wie Geschichte überhaupt, nichts, als die Darstellung der verschie-
denen Entwicklungsphasen dieser Keime.
Die Untersuchung der wechselnden und mannichfahigen Ver-
bindung der Lyrik mit der Musik, die allein, ihrer innern Verwandt-
schaft halber, nie ganz abgebrochen werden konnte, ist von hohem-
Interesse. Wir müssen uns indessen mit einigen Andeutungen be-
gnügen , da eine Ausführung dieses Gegenstandes die ganze Kunst-
geschichte umfassen müssfe.
Schon im Alterthume erweiterte sich das einfache Lied, in
welchem nur ein Bild, nur eine Empfindung vorherrscht, zum lyrischen
Gemälde.
Gestattet jenes höchstens kleine Wendungen desselben Bildes,
so finden wir hier^Uobergänge eines Tones in den andern, so dass
wir eine Reihe von Bildern haben, die allerdings von einem Grund-
ton ausgehen und in diesem eine Einheit bilden. Selbst eine grössere
Freiheit des Stoffs ist bemerkbar, wie in Jubel- und Siegesliedern
zur Feier ruhmvoller Thaten, in denen die Dichtung einen leiden-
schaftlichen Charakter annimmt und mehr oder weniger epische und
dramatische Züge aufweist.
Zu den ältesten und schönsten solcher Gesänge gehören die
Psalmen, die, wie überhaupt die gesammte lyrische Poesie der Eb-
räer, die späteren lyrischen Dichtungen des Alterthums weit über-
treffen. Ueber den musikalischen Werth derselben haben wir na-
türlich kein Unheil. Das aber dürfte kühn nach dem, was diese
Poesie geleistet hat und nach einer unparteiischen Würdigung des jü-
dischen Nationalcharakters in der Blüthezeit des Volkes, behauptet
werden, dass dasselbe auch hierin die übrigen Völker des Alterthums
überflügelt hat.
Was wir von der Musik der Griechen wissen , ist nicht genug
um ein vollständiges Bild derselben geben zu können, aber genug
um es wenig bedauern zu lassen , dass die oft versuchte Wieder-
erweckung derselben nicht möglich gewesen ist.
Wie wir bereits andeuteten, ist schon in den ältesten der auf uns
gekommenen lyrischen Gesänge, sobald dieselben einige Erweiterung
zeigen, ein Anstreifen an epischen und dramatischen Ton und Ge-
staltung bemerkbar, Es ist dies ein nethwendtger Fortsehnt*: tun
einem thatkräftigen und poetischen Volke , welches eine ruhmvolle
Vorzeit besitzt. Derselbe geht stets der wirklichen Scheidung der
Poesie in Lyrik, Epos und, bei günstigen BJldungsverh<nissen, Drama
v#ran.
• Diese Scheidung Üssc sich hei den -Griechen aiemlich deutHehh
verfolgen, notwendiger Weite (eher mutete im Heftige dieser StfeeUi
- im
düng die Poesie für die ursprüngliche Verbindung mit der Musik
immer ungeeigneter werden, da diese für das Epische, das ja reine
Erzählung im poetischen Gewände ist , wie für das dramatische,
das wesentlich Handlang ist* keinen Aasdruck hat. Die Griechen
mochten aber das Klangvolle, Wohltönende des Gesanges nicht auf-
geben und zwangen trotz der inneren Unvereinbarkeit der neuen
poetischen Formen mit der Musik , letztere zum Dienste derselben.
Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Man erfand ein höchst com»
plizirtes, künstliches, aber auf falschen Principien beruhendes, musi-
kalisches System, combinirte Töne und Klänge danach und — hatte
am Ende Alles , was den Körper der Musik bildet, während ihre
Seele längst entflohen war, und der Auferstehung unter einem
andern Himmel harrte.
Bevor jedoch diese Wiedergeburt erfolgen, bevor Gesang und
Musik zu ihrer künstlerischen Vollendung gelangen konnten, mussten
zwei Bedingungen erfüllt werden, die im Alterthume nicht vorhanden
waren.
Die Musik musste durch selbständige Entwickelung die vollen-
detste Ausdrucksfähigkeit für alle Nuancen der Seelenstimmungen er-
langt haben und diese durch feste, aus ihrem eigenen Wesen abge-
leitete, Kunstgesetze fixirbar sein.
Auf der andern Seite aber musste durch eine gewaltige Um-
wälzung der geistigen Organisation der Menschheit ein wahrhaft
menschliches Gefühl für das Wahre, Gute und Schöne, der eigent-
liche Boden für den vollendeten Gesang wie für die ganze Ton-
kunst, geschaffen werden, da bei den Culturvölkern der alten Welt
dieser rein menschliche Inhalt aller Kunst, der nicht mit dem aller-
dings bei ihnen auf das Feinste ausgebildeten Gefühl für das sinnlich
Schöne verwechselt werden darf, mit ihrer Jugend verloren gegangen
war.
Diese Bedingungen wurden erfüllt und dies war die Frucht der
Durchdringung des germanischen Geistes mit der reinen Christen-
lehre, den beiden Haupthebeln der Cultur der Neuzeit, und desshalb
datirt unsere heutige Kunst erst von dem Eintritt dieser beiden
Factoren in die Geschichte.
Damit sehen wir denn auch sogleich das Lied wieder aufleben
und zwar zuerst als einfachen kunstlosen Chorgesang. Bald sondert
sich die Musik vom Gesang und gewinnt dadurch die Möglichkeit
der allseitigsten Entfaltung. Gleichseitig flüchtet das lyrische Element
aus dem Kirchengesang, als er in Folge des hineingetragenen unpoe-
tischen Inhalts und contrapunktischer Künsteleien erstarrte, in das
neuerwachte weltliche Volkslied* Als Minnesang und Meistersang
erlebt dasselbe seine erste Blülhe. Nach dem Erschlaffen des Geistes,
der jenen gebar, nimmt es einen neuen Aufschwung in dem prote-
stantischen Gemeindegesang und schliesst gleich dem um dieselbe
Zeit in Italien wiedergeborenen Einzelgcsang von nun an einen
neuen Bund mit der unterdessen zu künstlerischer Bedeutung ge-
reiften Tonkunst, welcher bis heute die köstlichsten Früchte trug
und noch so lange tragen wird, als Deutschland, die eigentliche
neue Heimath des Liedes , sein nationales Wesen und die damit
unzertrennbar verbundenen Güter des Geistes und Herzens hewahrt.
Doch geschah diese Wiedergeburt nicht ohne Kämpfe besonders
mit dem Spukgeistc griechischer Musik, der mit dem Studium griech,
Wissenschaft und Kunst im Abendland eingezogen war. Das Haupt*
gebrechen, an dem die griechische Musik litt, ihr auf unmusikalische
Principien gegründetes System, sollte der jungen Tonkunst eingeimpft
werden. Glücklicherweise scheiterte der Versuch vollständig. Da-
gegen hatte ein anderer, der auf Einführung des griechischen recitirten
oder gesungenen Dramas gerichtet war, eine für alle Zukunft hoch-
wichtige Entdeckung zur Folge , die den Zugang zu neuen musi-
kalischen Schätzen eröffnete, in ihrer Verfolgung eine ungeahnte
Fruchtbarkeit offenbarte , und eine neue Kunstgattung, unsere Oper,
begründete.
ERÖFFNUNG DER DEUTSCHEN OPERNSAISON IN WIEN.
(Fortsetzung.)
In der kurzen Zeit seit der Eröffnung des Opern-Theaters nach
theilweiser Restaurirung , deren dasselbe so sehr bedurfte , hat die
Direktion bei •• verschiedene Opernvorstellungen geboten« Von
Mo zart 's „Don Juan" und Beethovens „Fidelio" bis herab zu
Verdis „Ernani" fand eine reiche Auswahl von deutschen, fran-
zösischen und italienischen Opern statt. Manche Aufführung konnte
man in Berücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse sogar als
gelungen bezeichnen und obgleich durch die plötzliche Unpässlichkeit
des Herrn Ander, welche eine Badereise dieses Sängers zur
Wiederherstellung seiner Gesundheit noth wendig machte, eine ge-
waltsame Störung im Repertoir in Aussicht stand , so fand diese
dennoch nicht statt, im Gegentheile ist das Repertoir nicht
weniger reich an Abwechslung wie früher.
Die . Saison wurde mit Meyerbeers „Prophet" eröffnet, in
welchem Herr Ander einen glänzenden Triumph seiner allgemeinen
Beliebtheit im Publikum feierte. Frau K ö s t e r vom Hoflheater
in Berlin und Frau Herrmann sangen die Bertha und Fides,
beide nicht genügend den Anforderungen, die man hier an die Par-
thien zu stellen gewohnt ist, um so mehr als man besonders die
letztere von so ausgezeichneten Vorgängerinnen in sehr gelungener
Weise gehört hat.
In der Vorstellung von Rossini 's „Teil" machten wir endlich
die Bekanntschaft mit den zwei neu engagirten Sängern Herren
Steg er und Beck, welche der hiesigen Journalistik schon so
reichlichen Stoff zu Notizen geliefert. Das Publikum war sehr ge-
spannt, da sich im Allgemeinen die Stimmen über Beide vor ihrem
Auftreten sehr verschieden aussprachen. Während die Einen ihre
Leistungen über Gebühr erhoben , setzten die Andern sie wieder
gegen die hiesigen Sänger zu sehr in Schatten, für das Medium
tenuere beati stimmte nur ein sehr kleiner Theil, der jedoch wie
es gewöhnlich der Fall, der Wahrheit am nächsten kam.
Der Standpunkt bei Beurtheilung eines Opernsängers ist von
langeher im hiesigen Publikum ein unrichtiger, und wer da glaubte,
dass sich derselbe in der neuesten Zeit geändert habe, ist von ei-
nem grossen Irrthume befangen. Die Hauptanforderung, welche man
im allgemeinen an einen Opernsänger stellt, ist eine kräftige, durch-
greifende und umfangreiche Stimme; alle anderen Attribute eines
guten dramatischen Sängers, werden dieser nachgesetzt, mehr, als
es mit einem richtigen Kunstgeschmacke vereinbarlich. Man verzeiht
einem Sänger, z. B. einem Tenor, eine unzureichende musikalische
Ausbildung, Mangel an poetischer Auffassung, Gefühl, ja sogar die
unumgänglich nothwendige Bühnengewandtheit , wenn er nur in ge-
wissen Force-Stellen das hohe A oder B mit Kraft aus der Kehle
zu schleudern vermag, ein leidliches Cantahile vorzutragen , und die
schon allgemein bekannten Paradepferde mit Sicherheit herumzu-
tummeln versteht. Ist bei einem Sänger das bessere Wollen vor-
herrschend , so dass er seine musikalisch - dramatische Befähigung
über diese Anforderungen noch zu erheben vermag, dann werden wohl
auch diese Vorzüge gebührend anerkannt; allein Stimmkraft
bleibt dennoch die Hauptsache. Wir haben hier die Leistungen von
Sängern, deren Name in der deutschen Kunstwelt mit Achtung ge-
nannt wird , kalt und theilnahmslos aufnehmen gesehen , weil ihnen
bei aller musikalischer und ästhetischer Ausbildung die Kraft und
Frische der Stimme fehlte, während Andere wieder mit Beifall über-
schüttet wurden, obgleich sie ausser den Vorzügen der Stimme sehr
wenig aufzuweisen hatten. Es soll damit keineswegs gemeint sein,
dass Herr S t e g e r nur so beschränkten Anforderungen zu genügen
im Stande sei; allein wir glauben , dass die Vorzüge seines Vor-
trages bei einer minder frischen und kräftigen Stimme gewiss vom
Publikum wenig oder gar nicht beachtet worden wären.
Herr Steger ist im Besitze einer Tenorstimme, deren Höhe beson-
ders frisch und klangvoll. Es ist ihr wohl nicht jener elegische Hauch,
jene Silberhelle und füllige Weichheit eigen th um lieh, Vorzüge, die
man sonst bei Tenoren di prime cartello mit Kraft und Ausdauer
vereint fand , dafür aber sind ihr die letzteren Vorzüge im hohen
Grade eigentümlich and ihre scharfen Kanten werden in einem
grossen Lokale weniger bemerkbar, ja sie dienen sogar dazu dem
Klange den Weg ,zu bahnen , die Ensembles der Chöre und Blech*
harmonie moderner italienischer Lärmopern leichter zu durchdringen,
was um so nothwendiger erscheint , als die modernen Componisten
es eben nicht allzugut verstehen, die Solostimme in der Weise über
das Accompagement zu stellen, dass sie dasselbe ohne grossen
Kraftaufwand beherrschen könne. Seinem Vortrage wohnt Gefühl
und Begeisterung inne, seine Darstellung aber, wenn ihr auch die
Glitte und Abgeschliffenheit noch mangelt, seigt immerhin von
— isr -
charakteristischer Auffassung und Iftsst ein richtiges Vcrst&ndniss
des Künstlers erkennen. Weniger zureichend ist sein Gesang vom
Standpunkte musikalisch-ästhetischer Anschauung und Beur-
theiiung aus. Seine Stimme ist nicht gleichmassig ausgebildet, die
Töne nicht vollkommen ausgeglichen, die Klangfarbe noch nicht in
jene Harmonie gebracht, was alles erst den Gesang zur — Kunst-
lcistung erhebt. Sein Recitativ ist mangelhaft, seine musi-
kalische Deklamation überhaupt nicht immer richtig; ausserdem
zeigt sich auch in seinen Darstellungen, dass er nicht mit der, auch
den begabtesten Künstler unumgänglich nölhigen Sorgfalt und Ge-
wandtheit beim Studium seiner Opern vor sich gegangen, indem ein-
zelne Stellen im Vortrage ganz vernachlässigt werden , während
der Sänger in anderen wieder seine ganze Aufmerksamkeit conzen-
trirt. Obgleit-h wir Herrn Steg er bis jetzt nicht sehr oft gehört
haben , so ist es uns dennoch aufgefallen , dass seine Leistungen
mitunter zu sehr abhängig sind von einer mehr oder minder guten
Disposition , nicht sowohl seiner Stimme , (denn diese scheint uns
nicht so empfindlicher Natur) als vielmehr seiner — Laune- - Er
geht über so manche Stellen gleichgültig und empfindungslos hinweg,
wie es ein vom Kunsteifer beseelter Sänger, der Künstler in der
edelsten Bedeutung des Wortes, der stets nur Kunstgebilde zu
schaffen bemüht sein muss, nimmer sich zu Schulden kommen
lässt. Wir werden den Leistungen des Herrn Steger auch in
Zukunft alle Aufmerksamkeit zuwenden , und daraus ein Gesammt-
urtheil schöpfen, das eine richtige Anschauung seiner Vorzüge und
Mängel zulässt; und wir glauben in dem reichen Talente desselben
noch viele neue Vorzüge zu entdecken, die wir dann eben so freudig
anerkennen werden, wie wir es mit den jetzt an ihm bemerkten ge-
halten haben; wir werden aber auch den über ihn ausgesprochenen
Tadel mildern, ja sogar auch ohne Scheu — widerrufen, wenn uns
die Folge eines Bessern belehren sollte
In Herrn Beck lernten wir einen Sänger kennen , der im Be-
sitze einer volltönenden Bass-Bariton-Stimme, welche viel Metallklang,
besonders in der Mittcllagc be>itzt, wenn ihr auch nicht jener Ton-
schmelz eigentümlich, den wir an seinem Namens- Verwandten, dem
einst so beliebten Sänger P ö c k bewunderten. Seine Höhe ist nicht
sehr bedeutend und geht wenig über die Grenzen eines Basso as-
soluto hinaus, was dem Sänger in manchen eigentlichen Bariton-
Partien , wie z. B. in „Don Juan" u. A , mitunter Hindernisse in
den Weg gelegt , die nicht immer glücklich überstiegen werden
können. Seinen Gesang charakterisirt übrigens eine richtige musi-
kalische Auffassung, so wie seiner Darstellung viel Feuer in-
wohnt.
Was die mitunter eingeschlichenen Intonationsschwankungen betrifft,
so dürften sie unseres Bedünkens vielleicht nur zufällig gewesen sein.
Wie bei Herrn S t e g e r , so lässt auch bei ihm der Vortrag des
Recitativs noch Vieles zu wünschen übrig. In Bezug auf dramatische
Auffassung und Gestaltung steht Herr Beck bis jetzt noch nicht
auf dem Punkte, um in einer Weise zu genügen , wie es bei seiner
reichen künstlerischen Begabung wünschenswert!! wäre. So ver-
missten wir in „Lucrezia" die charakteristische Färbung und rich-
tige Auffassung, kurz die völlige Beherrschung seines künstlerischen
Vorwurfes; im „Don Juan" genügte er noch weniger und zwar
sowohl in Bezug auf Darstellung, als als auch in gesanglicher Beziehung.
Wir hoffen auch in den Leistungen dieses Sängers, wenn wir
seine künstlerische Individualität näher kennen gelernt haben werden,
noch viele interessante Einzelnheiten aufzufinden, welche wir in der
Folge einer kritischen Würdigung unterziehen wollen.
(Schluss folgt)
CORRESPONDENZEN.
AUS HAMBURG.
Das Ende des Aprils und der Beginn des Maimonats sind durch
das Gastspiel des Herrn Tichatschek ausgezeichnet gewesen. Dieser
treffliche Sänger erregt durch seine Leistungen, ungeachtet er nicht
weit vom 50. Lebensjahr stehen muss , noch immer die grösste Be-
wunderung, die Fülle und siegende Kraft seines Organes scheinen
durchaus ungeschwächt, hauptsächlich aber entwickelt er in Spiel und
in der leidenschaftlichen Darstellung seiner Helden eine so grosse
Gluth und eine so markirte Deklamation, dass ich hinsichtlich der
Rundung der ganzen Durchführung ihm unter den deutschen Sängern,
welche ich hörte, niemand zur Seite stellen kann, wenn auch Ander
in Wien ihn jetzt an Frische und Stimm mit« ein übertrifft. Herr Tichat-
schek hat hier wie früher auch diesmal grosse Triumphe gefeiert.
Ich bedaure nur, dass wir nicht bedeutende seiner Glanzrollen in
deutscher Musik hörten, z B. Euryanthe, worin sein Adolar zu
dem Schönsten gehörte, was ich je auf der Bühne hörte. Ent-
schieden bezeichne ich aber seine letzte Vorstellung als einen Miss-
griff insofern ein so eminenter Künstler es verschmähen sollte einen
Ragout zu geben, in welchem Sätze aus der Ves talin, Halevy's Jüdin
und aus dem Templer von Marschner in zerissenster Weise sich
folgten. Wann wird diese Misshandlung der Kunst einmal wenigstens
auf den grossen Theatern aufhören ?
Ueberhaupt war in den letzten Monaten durch mehrere bedeu-
tende Gastspiele alles musikalische Interesse so ziemlich auf das
Theater beschränkt. Nachdem die spanische Tänzerin Pepita de
Oliva mit ihren unglaublichen Schaustellungen den jubelnden Bei-
fall des vornehmen und geringen männlichen Publikums , zugleich
aber auch den Zorn und die Entrüstung aller deren erweckt hatte,
welche der Bühne einen edleren Beruf zuerkennen , als dass auf ihr
eine üppige, durch nichts Künstlerisches ausgezeichnete Frau den
lüsternen Blicken der Zuschauer zu fröhnen suche — fesselte die
Erscheinung der schon früher vielgenannten Frl. Jenny Ney aller Musik-
freunde Aufmerksamkeit. Wie gewöhnlich veranlasste eine in vieler
Hinsicht eminente Leistung einen- Wirbel von sinnloser Vergötterung,
Ich will versuchen meine Meinung über die allerdings ausgezeichnete
Künstlerin darzulegen , indem ich die Bestätigung der von mir ge-
setzten Ansichten schon jetzt häufig in andern öffentlichen Urtheilen
gefunden habe. Frl. Ney, welche, aus Oestreich gebürtig, einige Zeit
in Wien und seit vorigem Herbst in Dresden lebenslänglich engagirt
ist, besitzt eine der stärksten klangvollsten Stimmen, welche ich je
gehört habe. Wenn diese Stimme auch nach der Tiefe nicht sehr
ausgiebig ist , so glänzt sie desto mehr in der Höhe bis zum c
hinauf durch glockenhelle Kraft , Reinheit, weiche Fülle , Gleichheit
und Leichtigkeit der Angabe und durchaus grosse Natürlichkeit des
Klanges, der unsere durch so viele ausgeschrieene scharfe Soprane
gemarterten Ohren einmal mit dem Genuss einer gesunden Frauen-
stimme erfreut. Die Sängerin besitzt neben dem natürlichen Material
eine durch gute Schule erworbene bedeutende Fertigkeit in Passagen
und Triller. Alles bis hierher gelobte nun ist allerdings unentbehrlich
zur bedeutenden dramatischen Sängerin, aber nicht hinlänglich zu
solcher ehrenden Bezeichnung, sobald zwei der wesentlichsten Er-
fordernisse fehlen, nach Aussen die würdige, edle und ästhetische
Gestalt, nach Innen aber die eigentliche Hauptsache von allem —
die tiefe leidenschaftliche Einbildungskraft, welche zauberisch
schaffend nicht allein den Intentionen des Meisters genügt, sondern
eben so vieles vom eigenen hinzulhut, dass in der Gluth des Spieles
die schöpferische Kraft des Darstellers ihren bedeutenden Theil von
dem Lorbeer in Anspruch nehmen darf, der dem Werke gezollt
wird* Diese bedeutendste Seite des Künstlers geht Frl. Ney entschieden
ab So wenig geeignet die kolossale äussere Erscheinung derselben
für theatralischen Gesang ist , so würde dennoch dieser Mangel
vergessen werden, sobald von Innen heraus die Funken jenes gött-
lichen Lichtes strahlten, das eben den wahren Künstler wie von ei-
nem Dämon besessen erscheinen lässt. Aber hier ist die Achilles-
ferse der Sängerin Eine gewis.se Kälte , eine fast unzerstörbare
Ruhe verlässt sie nie oder weicht nur vorübergehend. Der Beifall,
den die Sängerin fand, hielt sich denn auch durchaus in den Gränzen
der Mässigung, was mir wieder lebhaft gezeigt hat, dass die Masse
der Hörer immer richtig fühlt. Ihre Donna Anna war besonders
ein Zeugniss dessen was ihr mangelt.
Leider war diese Aufführung des Don Juan ein trauriges Zeichen der
Zeit* Wenn man sieht, dass z. B. die Posaunen schon im ersten Akt
mit blasen, die der alte Meister so weise und so bestimmt bis zum
Schluss gespart hatte, dass in der letzten Sccne Don Juan, Leporello
' und der Furienchor von dem Abgang des Comthurs an schweigen (U)
um Platz für die gemeinste Nürnberger Darstellung der Hölle zu
gewinnen, dass alle Tempi abgehetzt werden , als wären es Polkas,
und wenn von alle den erhabenen Geisteszügen der Mozart'schcn
Partitur kein einziger hervortritt, der ein tieferes Verständniss ver«
- 1#2
langt» so wird es begreiflich, dass in der Oper eine Radicalum-
wälzung das einzige ist was helfen kann. Ehe nicht die obere
Leitung der Bühnen kundigen, gebildeten und Edles- wollenden
Männern übergeben wird, kann nichts sich besser gestalten. Die
Verhältnisse unserer Hamburger Bühne sind die traurigsten, die man
sich denken kann. Als Privatunternehmen durchaus auf den Gewinn
berechnet, sind die beiden Gesellschaften: Stadttheater und Thalia-
theatcr seit 2 oder 3 Jahren unter den beiden Directoren Herrn
Maurice und Wurda vereinigt. Die Entwicklung , welche beide
Bühnen in dieser Verbindung gefunden haben , ist durchaus nicht
so ausgefallen, dass die gleich anfangs vielfältig geäusserten Be-
sorgnisse im Geringsten widerlegt worden wären. Wie es scheint,
ist der Nutzen durchaus auf .der Seite des dem Herrn Maurice allein
eigentümlichen Thaliatheaters gewesen, während das Stadttheater,
das von jeher seit seines grossen F. L. Schröders Zeiten eine der
allerersten Bühnen Deutschlands war, an seiner Würde und Stellung
verloren hat , seitdem seine Mitglieder es nicht mehr ablehnen
können, auf der an künstlerischem Ansehen bei weitem geringeren
Thaliabühne zu spielen. Allerdings ist die ernste Oper von der
letzteren entschieden ausgeschlossen, allein der kleinen Vermittellungs-
wege sind sehr viele, aufweichen auch die Sänger am Ende hinüber
gezogen werden — das alles hat eine Aenderung und Rückkehr zu
früherer Gesondertheit wünschenswerth gemacht. Dr. Wollheim und
ein ehemaliger Schauspieler Mäder erbieten sich jetzt das Stadt-
theater allein zu übernehmen, während Herr Wurda sich ins Privat-
leben zurückziehen, Herr Maurice aber die Thaliabühne wieder
allein leiten würde. Leider steht immer zu fürchten, dass die
Entscheidung über die Hauptbühne, welche von den Actionären des
Gebäudes abhängt, nicht die Würdigkeit des feingebildeten begei-
sterten und rechtschaffnen Künstlers für die Direction wird ent-
scheiden lassen,, sondern vor allem die Frage, wer die höchste und
sicherste Miethe für das Gebäude zahlen kann.
NACHRICHTEN.
Frankfurt« Frl. Job. Wagner wird in dem nahen Badeorte
Soden einige Wochen verweilen und von da nach München und Wien
gehen.
Wieila Frau Marlow ist auf 8 Monate — bis zum Beginne der
ital. Oper — engagirt worden.
Frl. J. Ncy wird im nächsten Sommer ein längeres Gastspiel
eröffnen.
In den letzten Tagen kamen Aüber's „Krondiamanten" zur Auf-
führung. Der „verlorne Sohn" desselben Componisfen sollte am 4.
in Sccne gehen. — Dalle Aste, Bassist, früher in Dresden, zuletzt
in Lissabon engagirt, beabsichtigt ein auf Engagement abzielendes
Gastspiel zu eröffnen.
Baden bei Wien. Die Virtuosen Leop. v. Meyer, Kühl und
"Vieuxlemps verweilen hier.
Carlsbad* Franz Liszt braucht die hiesigen Bäder.
Braunschwelg. Das Eimsängerbund-Gesangfest hat am 26. Juni
in Schöppenstedt stattgehabt, war aber leider nicht vom Wetter be-
günstigt. Herr Franz Abt, der gegenwärtig war, wurde sehr gefeiert.
Nächstes Jahr wird dieses Fest in Braunschweig stattfinden.
Köln« Die hiesige Liedertafel machte vor einigen Wochen einen
Ausflug in das Brohlthal j derselbe gestaltete sich zu einem halben
Gesangfeste, da von den theilnehmenden Gästen Hiller und Frl. Bury,
Reinecke etc., besonders Frl. Bury, die Gesangeslust durch treffliche
Liederspenden gehoben wurde.
Dresden« 80. Juli. In den letzten Wochen gaslirte auf unserer
Hofbühne Fr. W i 1 d a u e r von Wien. Sie trat ausser in mehreren
„Alpenscenen", für welche sie eine unübertreffliche Darstellerin ist,
als „Linda" in Donizettis bekannter Oper und zweimal als Susanna
in Mozart's „Figaro" auf. Dem Spiel nach eine der ersten jetzt auf
den deutschen Bühnen wirkenden Soubretten, leistet sie auch als
Sängerin sehr Tüchtiges , wenn auch die feinere Gesangsaasbildung
im höheren Sinne., die vollendete Technik und andererseits die tiefere
Poesie mangelt, welche s, B. zu vollster dramatischer Verkörperung
die Susanna fordert, und sie die echte Innigkeit des Gefühls and die
Tiefe der Leidenschaft durch ein fein ausgearbeitetes Spiel und durch
glücklich nnancirten Gesangesvortrag z« ersetzen sucht. Sie ward
nach Gebühr mit grosser Auszeichnung aufgenommen und wir möch-
ten sie gerne neben Jenny Ney zu den Unsern zählen. Aber., . .1
— Des allen Schenk immer noch junger „Dorf barbier", so attch
des früh heimgegangen en L o r t z i n g erste, am meisten zwar dilet*
tantenhaft, aber auch am meisten frische, echt komische Oper: „die
beiden Schützen", gingen im Laufe der letzten acht Tage, neu einstu-
dirt, bei uns in Scene und fanden eine so beifällige Aufnahme, dass
wir an ihnen eine Bereicherung des ziemlich stagnirenden Opernre-
pertoirs gewonnen zu haben glauben dürfen. — Vor 14 Tagen ver-
anstaltete unsere Liedertafel ein, wie immer, sehr sinnig und ge-
schmackvoll arrangirtes Sommerfest bei brillanter Erleuchtung im
königlichen grossen Garten, zu dem sie mit grosser Liberalität Ein-
ladungen hatte ergeben lassen. Ein Paar tausend Menschen, nament-
lich auch aus den höheren Kreisen , wogten dort auf und ab und
erfreuten sich an dem trefflichen Arrangement, wie an der reichen
und sinnigen Auswahl der vorgetragenen Gesänge.
Paris. Auf dem Theatre des Varietes lassen sich 9 deutsche
Sänger unter der Leitung des Hrn Homann (vom Garlsruher Theater)
hören. Ihre Programme bestehen aus Gesängen von Mozart, Weber,
Mendelssohn, Kreutzer u. s. w. Ihre Leistungen lassen fast nichts
zu wünschen übrig und ziehen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.
Zürich. In Nr. ?6 dieser Blätter befindet sich unter den Nach-
richten eine Mittheilung über den Tod eines Musikdirektors Eisner,
welcher zugleich als der Verfasser der „Fahrten eines Musikanten',
bezeichnet ist.
Der in den Reihen der Bürgergarde gegenüber den Insurgenten
Gefallene ist aber der Musiklehrer Eisner gewesen. Der Held der
„Fahrten" lebt noch gesund und wohlgemuth : es ist diess der Dr.
Elster, welcher als tüchtiger Gesanglehrer beim aargauischem Semi-
nar zu Wettingen bei Baden angestellt ist* Derselbe hatte Ludwig
Bechstein die Notizen über seine abentheuerliche Jugend übergeben,
woraus dieser den bekannten Roman — also Wahrheit, nicht
Dichtung — gefertigt hat. Dagegen ist, was hier beiläufig erwähnt
sein mag, die angebliche Fortsetzung der „Fahrten", welche später
unter dem Titel „die Clarinette" erschienen ist, eine blosse Erfindung
Bechsteins und nichts weiter als eine buchbändterische Spekulation.
Dr. Elster ist übrigens in seinen späteren Jahren wiederholt selbst
schriftstellerisch aufgetreten, zuletzt mit einer musikalischen Novelle,
„des Nachtwächters Tochter" (Frauenfeld 1853), deren Inhalt aus
einer Episode seines bunten und anziehenden Lebens genommen ist.
* In Gutzkow's Unterhaltungen wird darauf aufmerksam gemacht
dass von Franz Schubert noch 8 Opernpartituren existiren müssen,
die aber niemals zur Aufführung gekommen sind. Welche Aufgabe
für Musikfreunde !
* Frl. Th. Milanollo hat ihre jährliche Kunst- und Geschäftsreise
beendet und ist nach ihrer Villa bei Nancy abgereist, um sich von
den Anstrengungen derselben zu erholen.
* Dem Baritonisten Beck sind sowohl von der ital. als der deut-
schen Operngcsellschaft in London Engagementsanträge für die Sai-
son von 1S54 zugegangen.
Deutsche Tonhalle«
Zur Beurtheilung der nach unserer Anzeige vom Juni d. J. ein-
gekommenen Bewerbungen um den für eine Hymne ausgesetzten Preis
waren die HH Generalmusikdirektor Dr. L. Spohr, Hofkapellmeister
Dr. F. Liszt und Hofkapellmeister V. L a ch n e r erwählt. Der Be-
werbung mit dem Spruch : „Edlen Seelen vorzufühlen, ist wünschens-
werthester Beruf*, von Herrn Wilhelm S ch e f f e r in Eisenach ein-
geschickt, wurde der Preis zuerkannt, und belobt wurden die Bewer-
bungen der Herren Karl Hering in Berlin , Herman B ö n i ck e in
Quedlinburg, ^Aftton Leder 4n Marien Werder, V. & Becker in
Wurzburg und Wilhelm V o 1 ck m a r in Homberg.
Wegen Wiederausfolgung der übrigen Bewerbungen besagen die
Vereinssatzungen (14. c.) das Nähere.
Mannheim, 4. Äugest 1853
I. A. des Vorstandes :
A. ftehtUsler.
v«nntw«rtlicktr nefektrart J» J. SCH0IT. — Brak t« BIUTBB n. WALLAD 1« «tun.
2. Jahrgang.
Nr. 34.
22. August 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Dies« Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACT10N UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
PREIS:
II. 2.
42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
80 kr.
oder 15 Sjr. per Quartal.
Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. III. — Eröffnung der deutschen Opernsaison in Wien. (Schluss.) — Corresp,
(Hamburg). — Nachrichten.
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
III.
Schon frühe war auch im Abendland der Sinn für scenische
Darstellungen erwacht. Anfangs meist religösen Inhalts , Mysterien
genannt, und bei Volksfesten und dgl. unter freiem Himmel aufge-
führt, nahmen sie bald auch weltliche Gegenstände auf und erhielten
nach und nach eigene Bühnen.
In dem 13. und 14. Jahrhundert wurden sie als angenehme
Unterhaltung bei ttoffeslen sehr beliebt.
Unbemerkt schlich sich das Lied ein und so finden wir schon
am Ende des 13. Jahrhunderts förmliche Liederspiele in der Pro*
vence, dem Vaterland des Minnesangs, die noch heute fast in derselben
Gestalt als Vaudevilles fortbestehen.
Später, als der künstliche Satz die einfache improvisirte Melodie
verdrängte, traten besonders in Italien mehrstimmige Gesänge und
Chöre, die sogenannten Madrigals an die Stelle des Liedes, immer
aber nur da, wo der Faden des Stückes selbst zum Singen führte
oder am Schlüsse. Das eigentliche Stück bestand aus reinem Dialog.
Die Unerquicklichkeit besonders der letzten Darstellungen , bei
denen die gesungenen Verse einer der handelnden Personen in den
Mund gelegt, in der That aber vielstimmig gesungen und hinter der
Bühne von Instrumenten begleitet wurden , begann den Gebildeteren
endlich fühlbar zu werden und führte zuerst zu der Wiedererweckung
des Einzel-Gesangs in Italien, deren wir schon gedacht haben , und
damit zu dem eigentlichen, nach bestimmten Gesetzen erschaffenen
Kunstgesang, während das Lied bis dahin mehr die natürliche,
kunstlose Acusserung eines poetischen Gcmülhs gewesen war.
Aber das war nicht das Wichtigste, Das Gefühl der Unvoll-
kommenheit des Vorhandenen führte bei den mit griechischer Kunst
und Wissenschaft Vertrauten zu dem Bestreben, ein musikalisches
Schauspiel zu schaffen, in welchem auch der Dialog in der Weise
der muthmaaslichen Recitation des griechischen Dramas gesungen
würde und die Versuche zur Erreichung dieses Zweckes führten zu
der Entdeckung einer neuen Form der Verbindung von Poesie und
Musik, dem Rec i tati v, und machten dadurch die heutige Oper
möglich.
Um die eigentliche Bedeutung und dadurch die eigentliche Auf-
gabe des Recitativs kennen zu lernen, müssen wir noch einen Blick
auf die erste Verbindung der beiden Künste werfen.
Wir sahen, dass die erste und innigste Vereinigung derselben
nur im gesungenen Liede stattfand und nur in diesem möglich war,
weil es der natürliche unbewusste Ausdruck der inneren Stimmungen
und Empfindungen ist. Wie kam es aber, dass das Wort ur-
sprünglich kein Hemmniss für den Ton war, wie in späteren
Zeiten ? Einfach daher , weil in dem ersten Stammeln der Mensch-
heit Wort und Ton derselbe Ausdruck war, beide gleichzeitig und in
derselben Bedeutung aus der Brust der ersten Menschen quollen, so-
bald sie von Freude oder Schmerz lebhafter angegriffen wurden, mit
einem Wort, weil Sprache und Gesang in ihrem Entstehen eines
waren, wie Poesie und Musik in ihrem Entstehen eins!
Mit den Anfängen der Verstandesbildung, mit dem Beginn der
„Civilisalion" änderte sich dies. Um sich gegenseitig verständlich
zu machen, genügten die einfachen natürlichen Laute nicht mehr, es
mussten willkürliche zur Bezeichnung gewisser Dinge und Vor-
stellungen gefunden werden und je weiter sich diese von den reinen
Lauten der Empfindung entfernten, je bestimmter sie wurden, also
je mehr die Sprache ausgebildet wurde , desto weiter entfernte sie
sich auch von der Tonsprache, die nur im Gefühl wurzelt und des-
halb jeder Bestimmung, jeder Willkür widerstrebt.
Ganz unmusikalisch, den ursprünglichen Empfindungslauten ganz
fremd , wie die neuen Sprachen, konnten aber die Sprachen der or-
ientalischen Völker nicht werden, da sie den Urzuständen, der Kind-
heit der Menschheit am nächsten standen und selbst die willkürlichen
Laute noch den ersten Empfindungslauten nachgebildet, ihnen also
verwandt waren. Bekanntlich ist das Charakteristische dieser Ur-
sprachen gerade die Lautbildung, die gleichsam im Innern der Menschen
vor sich geht — daher der Rcichthum an Vokalen, Dipbtongen und
Kchlauten — während bei den neueren Völkern die Lautbildung haupt-
sächlich auf den äusseren Organen, den Zähnen, der Zunge und den Lip-
pen beruht und zwar desto ausschliesslicher, je mehr sie durch kältere
Klimate dem einfachen Naturleben der Urvölker entrückt sind.
Dessbalb konnte in den ersten lyrischen Gesängen der ältesten or-
ientalischen Völker wie bei den Ebräern Wort und Ton gleichsam
zusammenwachsen , und dcsshalb wurde bei ihnen und bei den
Griechen, von deren Sprache fast dasselbe gilt, die Poesie der musi-
kalischen Behandlung, trotz des untauglichen Musik-Systems, nicht
ganz unzugänglich , selbst als die Lyrik epische und dramatische
Elemente aufnahm und sich am Ende in Lyrik, Epos und Drama
schied.
Nur konnte diese musikalische Behandlung der letzten Formen
nicht in dem musikalischen Ausdruck der in ihnen geschilderten
Thaten, ausgesprochenen Gesinnungen und Gedanken bestehen, wie
die wohl ineinten , welche das recitirte griechische Drama auf den
Boden abendländischer Kunst verpflanzen wollten, sondern musstc
wesentlich Tonverstärkung der an und für sich schon so
musikalischen Sprache sein !
Dies ist ein durchgreifender Unterschiedi War das letztere wie
Alles andeutet der Fall, dann war das Recitativ des griechischen
Dramas nur eine Modifikation der ursprünglichen Einheit von Laut
und Ton im Lied, die in der Sprache, wenn auch sehr abgeschwächt,
noch fortlebte. Eine derartige, natürliche musikalische Behandlung
epischer und dramatischer Stoffe war aber in den neueren Sprachen,
die diese ursprüngliche Einheit von Laut und Ton vollständig ent-
behren, die im Vergleich mit den Ursprachen vollkommen unmusi-
kalisch sind, unmöglich und musste im Nolhfall durch eine künst-
liche mehr äusserliche ersetzt werden.
Diese neuen Sprachen konnten nur im Lied einen wirklichen Ver-
einigungspunkt für Poesie und Musik finden , weil das Wesen des
Liedes dem der Musik entspricht, aber auch nur so, dass der rausi«
■* -tu
kaiischen Seite als Aasdruck der im Liede vorherrschenden Em-
pfindung, das Uebcrgewicht über die sprachliche Seite eingeräumt
wurde* Jedes Bemühen, dieses Verh&ttniss umzukehren, was In der
neuesten Zeit versucht worden ist, oder wohl ein Versuch bleiben
wird, müsste den musikalischen Werlh des Liedes und damit «ein
eigentliches Wesen zerstören!
Bei dem Dialog kann von dieser innigen Vereinigung nicht die
Rede sein, denn in der ausgebildeten Sprache, die keine einfachen,
natürlichen Empfindungslaute, sondern nur willkürliche Bezeichnungen
für gewisse Vorstellungen und Begriffe kennt, erweckt ein nur
einigermaassen bedeutungsvolles Wort in einem Augenblick eine
ganze Reihe von Vorstellungen und mittelbar selbst Empfindungen,
welche die Musik thcils gar nicht ausdrücken, theils nur in einer
langen Folge von Tönen fühlbar machen kann. Und im Drama, in
welchem der Dialog möglichst ausdrucksvoll, gedrängt und bestimmt
sein muss , um die Handlung vorwärts zu bringen , wird dies ganz
besonders der Fall sein.
Wenn man also nicht gänzlich auf eine durchgängige Verbindung
der Musik mit der Poesie in dem musik. Drama und damit auf die
nöthige Einheit desselben verzichten wollte, so inusste die Aufgabe
gelösst werden: neben der innigen Vereinigung derselben im ly-
rischen Gesang, der als Grundform dieser Vereinigung die Haupt-
sache bleiben , den Kern des musikalischen Dramas bilden musste,
auch eine Form für die Verbindung der Musik mit dem Dialog, der
Rede, die für die innere Einheit, den Zusammenhang des Dramas
sowie für die Characterisirung der auftretenden Personen, somit
für die ganze dramatische Wirkung unumgänglich nothwendig ist,
aufzufinden.
Bei dieser Verbindung konnte nicht mehr die Musik das vor-
herrschende Element sein , wie im Gesang , sondern der Natur der
Sache nach die Sprache und deren Gesetze.
Die Möglichkeit einer solchen Verbindung war in gewissem
Maasse vorhanden. Obgleich ihrem Wesen nach vollständig ver-
schieden, hatten doch beide noch das gemein, was hierbei die Hauptsache
war. Beide hatten ein Substrat, den Klang, beide drangen durch das-
selbe Organ, das Ohr, ein und die Accente der Sprache, der einzige
Ersatz für die ursprünglichen Empfindungslaute, wie die Regeln des
Versmases entsprachen gewissen Regeln der Tonkunst.
Zwar konnte eine hierauf gebaute Verbindung nur eine schein-
bare, äusserliche sein, aber es handelte sich ja auch nicht um eine
wirkliche innere Vereinigung, sondern nur um Herstellung der
äussern Symetric, der äussern Einheit im musikalischen Drama, in
welcher der gesprochene Dialog wie jedes Missverhältniss der
einzelnen Theile eines Kunstwerkes die Total-Wirkung vollständig
zerstörte und dadurch allerdings auch jeder inneren Weiterbildung
dieser neuen Kunstform hindernd in den Weg trat.
Man sah sich also darauf angewiesen, den gesprochenen Dialog,
die Declamation, nach den Gesetzen der Sprache d. h. nach ihren
Accenten , dem Heben und Sinken des Sprachtons, unter Berück-
sichtigung der Bedeutung der einzelnen Worte, mit Hülfe der musi-
kalischen Zeichen auf gewisse Tonstufen des musikalischen Systems
zu fixiren. Die stärkere oder schwächere Accentuirnng einzelner
Stellen, die verschiedene Auffassung des Sinnes , wie die Wahl des
musikalischen Grundtons, Hess dem schaffenden Tonkünstler auch
hier noch einen ziemlich bedeutenden Spielraum, während er die
herrschende Stimmung, ja die wechselnden Empfindungen des Sprechen-
enden in der Instrumentalbegleitung ausdrücken und dadurch den
Eindruck des Rccitativs verstärken konnte, ohne das eigentliche
Wesen der Rede zu verwischen. Endlich öffnete sich dem darstel-
lenden Künstler, der in einzelne Worte und Ausrufe die ganze
Gewalt der innern Empfindung zu werfen im Stande ist, die im
höchsten Affekt, in der höchsten Leidenschaft selbst der Sprache
unmittelbar zu Gebote steht, in dem Recitativ gleichfalls ein weites
Feld der Anwendung und selbst Vervollkommnung aller Kunstmittel,
so dass es begreiflich wird, wie diese uns in dem ersten Ursprung
so unbedeutend erscheinende Entdeckung so Grosses leisten und uns
mit den herrlichsten Schöpfungen bereichern konnte.
Hiermit haben wir die Bedeutung und Aufgabe des Recitativs
dargelegt und zugleich , wie wir meinen , die entscheidende Beant-
wortung der Frage: was kann die Oper sein und was soll sie sein?
möglich gemacht, wenn anders nämlich unsere vorhergehenden
Ausführungen, die allerdings nur sehr skizzenhaft und unvollkommen
sein konnten, richtig waren.
Die Oper erscheint demnach als eine dramatische Dichtung, in
welcher durch die Wahl bestimmter Stoffe nicht nur einzelne Mit-
sänge sich einflechten lassen, sondern diese, der eigentlichen musi-
kalischen Behandlung der Composition allem zugänglichen, lyrischen
Ergüsse, aus der Individualität der dargestellten Personen nothwendig
entspringen und dcsshalb die Hauptparthie bilden. Auf der andern
Seite aber erfordert das Wesen des Dramas, dass dieses Ueberwiegen
der lyrischen Parthien weder der innern Einheit, der Oekonomie,
der Charakterisirung , noch der Wahrheit desselben schade, sowie
dass die äussere Einheit des ganzen Schauspiels nicht durch ge-
sprochenen Dialog, statt des Recitativs, gestört werde.
Unter-Gattungen des reinen , ernsten , musikalischen Dramas,
die komische Oper und ihre Verwandten, können sich dieser letzten
Bedingung am ehesten entziehen, da schon der Contrast des ge-
sprochenen Dialogs mit dem Gesang eine gewisse komische Wirkung
hat Doch ist auch dies nur eine äusserliche Hülfe und trägt zu ihrem
Wesen nichts bei.
Die Spieloper wie das Vaudevilie gehören nicht hierher, da sie
eigentlich nur grössere oder kleinere Lustspiele mit willkürlich ein-
geflochtenem Gesang sind. Nähert sich erstere dem musikalischen
Drama, so dass der Gesang als die naturliche Sprache , als der
Ausfluss der herrschenden Stimmung oder der Situation erscheint,
so tritt In ihr am deutlichsten hervor, wie störend das Fehlen einer
äusseren Einheit wirkt und wie sehr dadurch das Ganze beeinträch-
tigt wird.
Es geht aus dem Obigen hervor, dass schon die Herstellung
einer zu einem Operntext geeigneten, dramatischen Dichtung — von
der Composition ganz abgesehen — keine leichte Aufgabe sei, sondern
zweierlei verlangt: einmal, dass der Verfasser derselben wirklich
Dichter, zweitens dass er mit dem Wesen des Dramas vollkommen
vertraut ist, was meistens noch seltener der Fall ist als das Erste.
Auch lehrt schon die oberflächlichste Vergleichung der meisten vor-
handenen Operntexte mit den hier aus dem Wesen der Oper abge-
geleiteten Forderungen , wie viel im Ganzen und Einzelnen dagegen
gesündigt worden ist — ohne dass wir die „Anforderungen der Ge-
genwart" bis jetzt auch nur berührt hätten. Dieser Punkt erfordert
eine besondere Untersuchung.
ERFFÖNUNG DER DEUTSCHEN OPERNSAISON IN WIEN.
(Schluss.)
Unter den Damen nennen wir zuerst Frau K ö s t e r vom Hof-
theater in Berlin. Diese Sängerin besitzt viel Routine, es ist ihr
auch mitunter gebildeter Geschmack nicht abzusprechen ; wenn ihre
Darstellung sich immer in den Gränzen der Natürlichkeit bewegt, und
das Zuviel vermeidet, so gestaltet sich dieselbe zu einer künst-
lerisch gelungenen, allein ihr Gesang ist manirirt, weil er auf der
unsicheren Basis einer Stimme beruht, welche die natürliche Frische,
die jugendliche Fülle und die leichte Beweglichkeit in allen Tonab-
stufungen zum Theile eingebüsst hat. Der Erfolg ihres hiesigen
Gastspieles war kein brillanter, wenn ihr auch von den Gailerien
zugeklatscht wurde; denn wer die hiesigen Verhältnisse genau kennt,
weiss was ein solcher Applaus zu bedeuten hat. Ihre Leistungen
als „Bertha", „Alice" „Donna Anna" „Valentine" können wir nur
in Einzelheiten für genügend erklären; dagegen übertraf sie in
Beethovens „Fidclio" weit unsere Erwartungen , und der reichlich
gezollte Beifall war ein wohlverdienter, um so ehrenvoller, als er
von einem kleinen, aber desto gewählteren Zuhörerkreis ge-
spendet wurde. Unsere zweite Gastin in der Reihenfolge ist Frau
Herrmann Czillag mit einem Slirnm-Maferiale , das sie zu den
ausgezeichnetsten Kunstleistungcn geeignet erscheinen Hesse; allein
ihrem Gesänge fehlt — die Seele, ihrer Darstellung poetische
Anschauung , ihren Gesammtleislnngen aber die künstlerische
We i h c. Ihre „Lucrczia" und „Fides" waren vom Standpunkte der
Kunst ungenügend. Ihre Leistungen sind nicht im Stande Sympa-
thien im Publikum hervorzurufen, sie vermag es nicht den Zuhörer
anzuregen , zu ergreifen , ihn in Extase zu bringen , weil sie selbst
von dem Hauche der Begeisterung unberührt geblieben!
— 135
Frl. Tietjens von Bronn hat Vieles ffir sich, was ihr jeden-
falls die Theilnahme des Publikums sichert , und dies ist eine klang-
volle, wenn auch keineswegs grosse Stimme, reine Intonation,
richtige Auffassung und angenehmes jugendliches Aeusseres. Es
geht ihr jedoch auch nooh Vieles ab, um sich würdig auf den
Brettern zu behaupten, auf welchen die ersten deutschen Sängerinnen
gestanden. Stimme und theilweise musikalische Ausbildung genügen
. noch nicht , sie müssen verherrlicht werden durch vollkommen
■ musikalische und aesthätische Durchbildung. Eine Opernsängerin
muss vor Allem die musikalischen und dramatischen Elemente auf
künstlerische Weise in ihrem Gesänge zu vereinen wissen , sie be-
herrschen; da darf keine Unsicherheit in der Auffassung und Dar-
stellung zu erkennen sein. Das Kunstgebilde muss vollständig, fertig
vor das geistige Auge des Zuhörers gebracht werden. Die einzelnen
Vorzüge Frl. Tietjens geben übrigens der Hoffnung Raum, dass sie
mit- Fleiss und Eifer sich das Fehlende noch zu erwerben bemüht
sein werde. ^
Die vierte unserer Gastinen war Frau Not t es, eine Bekannte
aus früherer Zeit. Im Hinblick auf ihre einstigen Leistungen auf
dieser. Bühne in einer untergeordneten Sphäre , welche keineswegs
eine besonders reiche künstlerische Begabung erkennen Hessen,
musste es uns überraschen Fr. Nott es jetzt in Wien als erste
Sängerin debutiren zu hören. Es ist begreiflich, dass unsere Neu-
gierde um so gespannter war, als wir bei dem glücklichen Reussiren
dieser Gastin an unserem kritischen Beurtheilungsvermögen selbst
irre werden mussten. Ihre Darstellung der „Valentine" in den
„Hugenotten" und später „Lucrezia" Hess uns jedoch bald erkennen ,
dass Frau Nott es sich während ihrer Abwesenheit von Wien aller-
dings mehr Bühnengewandheit , eine grössere technische Fertigkeit
im Gesänge und einen höheren Grad musikalischer Ausbildung an-
geeignet habe; dessenungeachtet aber liefert der Totaleindruck ihres
Kunstvermögens , des Resume ihrer Vorzüge nach Abzug der nicht
unbedeutenden Mängel noch keineswegs ein so glänzendes Resultat,
um unser Urlheil von Einst ganz zu entkräften. Es mag diese
Sängerin mit ihrem Talente und ihrer künstlerischen Ausbildung
-immerhin für eine untergeordnete Bühne genügen; allein bei den
Anforderungen, die man an eine Prima-Donna unseres Hofopern-
theaters stellt, reichen sie nicht ans.
Die fünfte und jedenfalls bedeutendste unter den bis jetzt an-
geführten Gastinen ist Frau Mar low; wenn auch durch sie noch
lange nicht die Lücke ausgefüllt wird, die unser Opcrnpersonale
durch den Abgang des Frl. Ney erhalten, nicht zu gedenken eines
auch nur theilweisen Ersatzes für die Kunstgrössen, die unsere
Oper in Fr. Zerr, Frau von Hasselt-Barth und Andern früher
besessen. Frau Marlow hat vor den vorgenannten Mitstrebenden
-einenlheifs Stimme, musikalische und deklamatorische Bildung,
<anderntheils charakteristische Auffassung und Beherrschung des
•dramatischen Vorwurfs, vor Allem aber, das poetische Vcrsländniss
und die geistige Durchdringung ihrer Aufgabe zugleich mit der Be-
wältigung musikalisch technischer Schwierigkeiten voraus. Frau
Marlow steht keineswegs auf der Höhe einer auch nur theilweisen
Kunstvollendung; allein ihre Darstellungen beurkunden eine künst-
lerische Selbstständigkeit, die zu den Erwartungen berechtigt, dass
sie sich aufschwingen könne und werde bis zu dem Grade einer
vollendeten Künstlerin. Wir sehen mit grosser Theilnahme dem
Verlaufe ihres Gastspieles entgegen und wollen dann erst ein
detaillirtes Urtheil üjber diese Künstlerin abgeben.
Es werden bei uns noch einige Sängerinnen von verschiedenen
hegenden her erwartet, vielleicht findet die Direction darunter, das
was sie sucht, und fürwahr so sehr bedarf, — eine würdige Repre-
sentantin der ersten Parthien ! —
CORRESPONDENZEN.
AUS HAMBURG.
(Schluss.)
Ende Mai gab Herr Becker (Bariton) von Dresden eine Reihe
Gastrollen, wobei er unter andern als Jäger, als Aston und Don
Jüan sich zu empfehlen suchte. Indessen waren Stimme und Spiel
nicht bedeutend genug um den Beifall des Hamburger Publikums
zu erlangen, welches jedenfalls durch die häufig ihm gebotene
Möglichkeit Künstler ersten Ranges zu hören die Fähigkeit und das
Recht hat viel zu verlangen. Die bedeutendste Erscheinung in diesem
Moment war das Debüt der neu engagirten Frl. Garrigues. Mit
wahrer Befriedigung erzähle ich von dem Gcnuss welcher mir durch
die ganz vorzügliche Sängerin geworden ist. Ein reiner edler, acht
weiblicher Sopran von ziemlich bedeutender Kraft, in welchem jeder
Ton Adel und Würde hat, schöne bedeutend wirksame Gestalt und
endlich das geistreichste lebendig bewegteste Spiel lassen ihre Dar-
stellungen als recht erquickende Oasen in der Wüste der gewöhn-
lichen Opernvorstellungcn erscheinen. Als Fidelio leistet sie Hin-
reissendes und es ist vorzüglich das Mädchenhafte, Deccnte in ihrem
ganzen Wesen was alle Herzen der Hörer mit jenem stillen Genuss
erfüllt , der viel zu tief und heilig ist , als dass er sich durch das
brutale Klatschen kund geben sollle. Seit den Tagen da die Schröder-
Devrient uns alle zum ersten Male lehrte, was eine Sängerin auf
der Bühne wirken könne , ist mir keine so geistig hochstehende
Sopranistin vorgekommen, wenn ich allerdings J. Lind ausnehme der
aber eine grosse Reihe der bedeutendsten Opernrollen , als Anna,
Vestalin, Fidelio, Desdcmona versagt ist. Zu meinem innigsten Be-
dauern muss ich hinzusetzen, dass Frl. Garrigues angegriffen er-
scheint, so dass die Ermüdung, welche ihr als erster Sängerin an
der hiesigen Bühne bevorsteht , vielleicht ihrer Stimme schaden
wird. Die Darstellung des Fidelio war theilweise hinsichtlich der
Besetzung vorzüglich , nur Herr Eppich konnte trotz seiner natür-
lichen schönen Stimmittel unmöglich in einer Parlhie genügen, die
in der grossen Asdur-Arie und dem folgenden Satze selbst gewiegte
Sänger auf das Glatteis führen kann. Herr Lindeinann als Pizarro,
Herr Schul tky als Rocco und Frl. Melcndo als Marzclline bildeten
mit Fräulein Garrigues cinigemale vollendet schöne Ensembles. Freilich
wurden die meisten Tempi so schnell abgejagt, dass ich missmuthig
•mich gern entfernt hätte, wenn nicht die trefflichen Sänger mich
gehalten. Zum ersten male habe ich von Herr Lindemann, dem
eine imposante Figur helfend zu Gebote steht , die grosse Arie in
D-moll mit wirklich trotziger Kraft und sicherm Feuer gehört.
Welche Töne! Wie schlangenzüngelnd diese Violinfiguren in der
Höhe sich bewegen und mit welcher Eigentümlichkeit sich die
Modulation gestaltet; Und ein solches Kunstwerk hat Jahre bedurft,
ehe es nur zu einem Minimum von Anerkennung gelangte. Meine
Leser wissen dass kein geringer Lorbeer in dieser Hinsicht der Frau
Sebröder-Devrient gebührt, welche mit Beharrlichkeit , indem sie der
Rolle des Fidelio ihre schöpferische Gluth einbauchte , der Oper
endlich ein dauernden Platz auf der deutschen Bühne eroberte. Ich
glaube der guten Sache zu nützen , indem ich auf das angelegent-
lichste auf die Ausgabe der zweiten Bearbeitung der Lconore
hinweise, welche in würdigster Gestalt und mit einem überaus
inhaltreichcn Vorwort , von Professor Jahn im vorigen Jahre bei
Breitkopf in Leipzig erschienen ist. Zugleich erinnere ich Herrn
Prof. Jahn an die Ungeduld, mit welcher alle deutschen Künstler
und Kunstfreunde seiner uns versprochenen Lebensbeschreibung
Beethovens entgegensehen. Möge doch recht bald diese Pflicht
gegen den unsterblichen Meister erfüllt werden, dem die Erde genug
des Jammers und des bittersten Elends bereitet hat , dass er wohl
endlich der Verklärung von Seilen seines Volkes entgegensehen
darf.
Neben Frl Garrigues traten als Gäste Herr Himmer und Herr
Bernhard, beide als Tenorsänger auf. Der Erstcre vorzüglich hat
durch schöne klangreiche Stimme und innig beseelten Gesang sich
grosse Beachtung erworben. In der Mille des Monats erschien
als Gast die früher hier cngagirle Frau Hcrbst-Jazede*, welche indess
zu ihrem Bedauern wohl die Erfahrung gemacht hat , dass die Er-
innerung an frühere (schon damals sehr rälhsclhafie Triumphe) nach
mehreren Jahren schon keine Spur der Anhänglichkeit mehr er-
wecken konnte- Besser gelang es Frl. Babbnig, welche ebenfalls
früher hier engagirt war , bei ihrer Wiedererscheinung freundliche
Anerkennung zu finden, welche denu auch zu ihrem Engagement für
den nächsten Winter geführt hat. Ihre Stimme ist nicht gross oder
bedeutend, da aber die Sängerin von ihrem berühmten Vater trefflich
gebildet und selbst entschieden musikalisch ist , so leistet sie im
colorirten Gesänge durchaus Treffliches. Sie ersetzt an unserer
Bühne Fräulein Gcisthardt nnd das Publikum gewinnt sicher dabei.
— 1S6
Das Ensemble ist jetzt vorzüglich. Frl. Garrigucs, Madame Maxi-
milien (Sopran) Frl. Babbuig und Molenda, (zweiter Sopran), Herr
Eppich, (erster Tenor) Herr Schuttky (Bariton) , und Herr Lindemann
(mächtiger Bass) sind befähigt, die meisten grossen Opern genfigen
darzustellen. Käme nur erst der rechte Leiter so tüchtiger Kriftel
Ernst
NACHRICHTEN.
Mainz« Seit längerer Zeit besteht im Grossherzogthum Hessen
ein Lehrersänger-Verein , welcher alljährlich abwechselnd an ver-
schiedenen grösseren Orten, meistens am Namenstage des Grossherzogs
zusammentritt. In diesem Jahre wird die Zusammenkunft in Ost-
hofen bei Worms stattfinden, aber nicht wie gewöhnlich am 25.
August sondern am 15. September. Es werden dabei Gesänge von
Mozart, Beethoven, Spohr, Lachncr, Kreuzer , Mendelsobn , Abt,
Schnydcr v. W. und Kunkel, dem Dirigenten des Vereins, zur Auf-
führung kommen. Da der Ertrag der Aufführung in die aligemeine
Lehrer - Wittvven - Casse fliesst , so ist ein recht zahlreicher Besuch
dieses Sängerfestes um so mehr zu wünschen
Leipzig« Roger gastirte hier. Seine erste Rolle (am 2. Aug )
war wie gewöhnlich George Brown. Er trat im Ganzen dreimal auf.
Der Tenorist Reer von Coburg schloss am 31. Juli sein zweimonat-
liches Gastspiel. Der Violinist Ed. Singer ist hier anwesend. Der-
selbe wird sich »ach Carlsbad begeben, um dort zu concertiren.
München. Am 24. Sept. wird die neueste Oper des Herzogs
von Coburg, „Tony," in Scene gehen. Von Gästen, welche in der
letzten Zeit ausser Roger Interesse erregten, sind Frl. Kern und Frau
Nimbs zu nennen. Erstere sang die Norma, Vestalin und Iphigenie
auf Tauris, letztere Fides und Donna Anna. In der letzten Woche
iinprovisirte der hiesige Gesangverein und die Liedertafel eine Ge-
sangs-Production zu Ehren Marschners, welcher kurze Zeit hier war.
Am folgenden Abend wurde ihm ein Ständchen gebracht.
Berlin. Roger trat in den letzten Tagen des Juli noch 2mal auf.
Wiesbaden. Mit dem 1. Sept wird das bisherige Opernper-
sonal so ziemlieh nach allen Himmelsgegenden zerstreut. Von neu
engagirten Mitgliedern sind bereits angekommen Frl. Köhler, Sopran
aus Danzig, und der Bassist Hr Thelen.
— Frau Marra- Vollmer wird hier 3, wohl auf Engagement ab-
zielende Gastrollen geben. Die Wahl ihrer Rollen ist bezeichnend
für ihre künstlerische Ausbildung; es sind Lucia di Lammermoor,
die Nachtwandlerin und Linda von Chamounix. Die letzten Wochen
der Saison waren ziemlich reich an Concerten. Die hervorragend-
sten waren natürlich die schon berichteten von Vieuxtemps und S.
Cruvelli. Auf sie folgte Herr Franz Smolar, ein recht tüchtiger
Ciavierspieler, welcher nach 6jährigem Aufenthalt in Russland nach
Deutschland zurückgekehrt ist. Derselbe ist Schüler von Thoma-
schek in Prag. Ferner ein Concert des Herrn Oerlling, Violinist von
hier, und mehrere Concertc zu wohlthätigcn Zwecken, in welchen letz-
teren der Violinist Remenyi unter Ichhaftem Beifall spielte. Der
letztere wird ein besonderes Concert veranstalten.
Bensheim. Am jüngst verflossenen Sonntag, den 7. August
Morgens versammelte sich eine grosse Anzahl Mitglieder mehrerer
Gesang- Vereine von Frankfurt, Darmstadt, Mannheim und Alzei, zo-
gen dnnn gemeinschaftlich über Schönberg nach dem Fürstenlager, allwo
dieselben an passenden Punkten auf Bergen und in Thälern Gesänge
vortrugen. Nachmittags hatten wir dann die Freude, unsere fröh-
lichen Sänger in Auerbach, in dem freundlichen Gasthause zur Krone,
zu sehen, wo sie mehrere heitere und ernste Lieder gemeinschaftlich
und auch wieder einzelne Vereine allein, sangen. Die Gesänge, unter
Leitung wackerer Dirigenten, worunter die Herren Neb aus Frank-
furt und Werle aus Mannheim, vorzüglich ausgeführt, fanden allge-
meinen Beifall. Möchten solche Sängerfahrten nach unserer schönen
Bergstrasse recht häufig kommen! Sie finden die freundlichste Auf-
nahmet —
Hannover. Die Oper „Tony," von dem Herzoge von Coburg,
wird Mitte Sept. hier zur Aufführung kommen.
Oleve. Der .bis 1851 bestehende Sängerbund der Nieder-
rheinischen und Holländischen Vereine hat sich wie die Niederrhei-
nische Musikzeitung meldet, ohne dass die Ursache bekannt ist,
aufgelösst; die Holländer haben sich zurückgezogen. Bei dem am
7. und 8. hier gefeierten Sängerfest ist nun ein neuer Sängerbund,
der Niederrheinische genannt, gestiftet , und Elfeld für das nächste
Jahr zum Festorte bestimmt worden.
Brüssel. Nach statistischen Berichten zählt Belgien in diesem
Augenblick nicht weniger als 662 Musik- und Gesang- Vereine.
New York. Die hiesige musikalische Presse beklagt sich bit-
ter über die Geldsummen, die geopfert würden, eine italienische Oper,
deren Einfluss nur ein sehr schädlicher und unmoralischer sein könne,
zu begründen, und von deren Sprache man zudem nichts verstehe.
Wir ersehen daraus, dass in New York allein 180,000 Dollars dafür
gezeichnet sind und dass ausserdem Philadelphia und Boston grosse
Summen beisteuern. Die Oper soll abwechselnd in diesen 3 Städten
Vorstellungen geben.
— Frau Lagrange wird erwartet. Der Pianist Goltschalk von
New Orleans ebenfalls. Mad. Sontag hat ihre Opernvorstellungen in
Castle Garden wieder begonnen. In Philadelphia wurde das 4. Jahres-
fest der deutschen Gesang- Vereine mit grossem Glänze gefeiert.
Italien. In welchen Händen die neuere italienische Oper ist,
bedarf für den, welcher die Repertoire der Italienischen Opernbühnen
in Wien , Paris und London kennt , eigentlich keiner Schilderung.
Indessen würde man sich doch nur eine sehr unvollständige Idee von
dem Zustande der Oper in Italien selbst bilden können, wenn man
nur danach urtheilen wollte. Es ist bereits dahin gekommen, dass
die besten Italienischen Sänger nur im Auslande zu finden sind,
und dass selbst die besten Italienischen Opern nur noch im Auslande
gegeben werden. Rossini, Bellini, Donizetti sind, wie neulich unser
Wiener Berichterstatter mit bitterer Ironie bemerkte, die Klassiker
der Italienischen Oper geworden, die in ihrem Vaterlande das Schick-
sal aller Klassiker theilen, vergessen und veraltet zu sein. Nur die
musikalische Presse erinnert sich zuweilen hei Berichten über die
italienische Oper im Ausland daran, dass Rossini, Bellini und Doni-
zetti den Ruhm der italienischen Oper begründet haben, im Volke
selbst kennt man sie nicht mehr, und wirft die Kräuze, die ihnen
einst wurden, ihren Nachfolgern zu, den Verdis, Mercadantes, Riccis,
und wie sie alle heissen mögen, deren Machwerke heute das Reper-
toire der nationalen italienischen Bühne bilden, und gleich Stern-
schuppen nach einer Saison wieder verschwinden. Es ist interessant,
die italienischen musikalischen Blätter, welche ein möglichst voll-
ständiges statistisches Verzeichniss dessen, was jede Provinzialbühne
in jeder Woche zu Tage fördert, zur Hauptaufgabe ihres Strebens
gemacht zu haben scheinen , durchzugehen und diese statistischen
Notizen zusammenzustellen. Die Nummern der letzten Woche geben
allein eine genügende Ausbeute, um das, was die nationale italienische
Oper heute ist, beurlheilen zu können. Von neuen Opern finden wir
darin aufgezeichnet: La Fiorina von Perdrotti (Florenz); II quadio
di Wandick von Petra (ebendas.); L'operaio geutiluomo von Peri-
fano (ebend.); II Birrajo di Preston von L. Ricci (Turin); Lisa del
Scbino von Bauer (Mailand); L'Assedio di Malta von Graffigna
(Padua); Alina von Braga (Neapel); Figlia della Schiava von Lillo
(ebend.); Consiglio di reclutazione von Delfico (ebendas.); Crispino
e la Comare von Gebr. Ricci (ebend.) Ausserdem eine neue Oper
von Micelli. Von älteren wurde gegeben oder war angekündigt:
Emani und Luisa Miller von Verdi und Gabriella di Vergy von
Mercadante in Mailand; Ernani von Verdi und ein neues Ballet von
Ileria in Vizenza ; Marino Faliero von Verdi uud La Gisella in Spe-
zia, Rigolctto von Verdi in Siena; Rigoletto von Verdi und Elisa-
betta regina d'Inghelterra von Giacometti, II Birrajo di Preston von
Ricci und Cenerentola von Rossini in Triest ; Chidura vince von
Ricci und Semiramide von Rossini in Livorno und Don Pasquale
von Donizetti in Overza.
Also zwei Opern von Rossini und eine von Donizetti, unter einer
Legion neuer Grössen 1 Die Zeit ist nicht mehr fern , in der auch
Verdi das Schicksal der Classiker theilen wird.
Y Um dun von Brüssel ausgesetzten Preis für die beste Sin-
fonie (zum Zweck der Verherrlichung der Vcrmählungsfeier des.
Thronfolgers) haben sich nicht weniger als 3 t Componisten beworben.
Vertreten sind Wien , Berlin, Dresden, Leipzig, Paris, London,
Rotterdam, Amsterdam, Neapel und so weiter.
Die Entscheidung der Preisrichter wird erst Ende August ge-
fällt werden können.
Verantwortlicher Redakteur: i. J. SCH01T. - Druck toü REUTER u. WALLAB 1* Main«.
2. Jahrgang.
Mr. 3».
29. August 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG,
Diese Zeltnng erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
_^v
PREIS:
11. 9.
42 eder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Pest bezogen :
50 kr.
1
•der 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext, IV, — Correspondenxen. (Heidelberg. — München, — - London.) -*
Nachrichten,
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext«
(Eine kunsthistorische Skizze.)
IV.
Die vorausgegangenen Erörterungen mögen vielleicht Manchem
als zu weit ausgeholt erschienen sein, nichts destoweniger waren
sie unerlässlich. Es ist nicht möglich, feste Gesichtspunkte für die
Bearbeitung der Operntexte und ihre Beurtheilung zu gewinnen,
wenn wir uns nicht vorher darüber klar geworden sind , was die
Oper selbst ist und sein kann«
Jetzt haben wir festen Fuss gefasst und können von da aus
leicht weiter gelangen.
Die Oper ist, wie wir sahen, eine dramatische Dichtung, deren
Stoff seiner Natur nach zu Situationen führt, welche lyrische Er-
güsse nicht nur gestatten , sondern bedingen , denn hierauf beruht
die einzige Möglichkeit der wirklich musikalischen Behandlung einer
Solchen Dichtung.
Hiermit haben wir die Existenzbedingungen der Oper» als einer
besondern Kunst-Gattung gewonnen, aber auch nur eben diese. Von
da an ist noch ein grosser Schritt bis zur Vollendung derselben,
Itis zum vollkommenen Kunstwerk, welches sowohl der Form als
dem Inhalt nach den Ansprüchen der Gegenwart genügt, und damit
den Forderungen gerecht wird, die jedes Zeitalter an seine
Kunstprodukte stellt und zu stellen berechtigt ist.
Niemand wird läugnen, dass das plumpe Götzenbild des Allcr-
thums ohne Füssc und mit angelegten Armen ein Erzeugniss der
plastischen Kunst , der Skulptur sei , aber wer möchte es uns heute
als ein Kunstwerk vorführen, welches dem Standpunkt unserer
künstlerischen Bildung angemessen sei ?
Auch die historischen Stücke Shakespeare's sind dramatische
Dichtungen, auch sie sind voll seines Geistes, aber wer möchte
sie seinen Meisterwerken, seinem Macbeth, seinem J. Cäsar, seinem
Coriolan u. s. w. an die Seite stellen, wer sie uns als Muster des
reinen Dramas anempfehlen?
Die Ansprüche, welche die Gegenwart an die Oper macht, da-
mit sie den Namen eines Kunstwerkes in ihr auch verdiene, werden
natürlich sowohl die musikalische , als die poetische Seite derselben
betreffen.
Hier haben wir es nur mit der letzteren zu thun und des-
halb zweierlei ins Auge zu fassen: wie weit auf der einen Seite
die Form der Opern -Dichtung den künstlerischen Bedürfnissen der
Gegenwart entspricht, auf der andern Seite: inwiefern ihr Inhalt
(Stoff) der geistigen Bildungsstufe der letzten angemessen sei.
Schon der laute Ruf nach dramatischer Einheit, nach drama-
tischem Interesse lehrt, dass dio bisherigen Opern-Dichtungen an
einem .wesentlichen Mangel litten , und wo derselbe zu suchen sei.
Sie können mit wenigen Ausnahmen auf keinen andern Namen als
den eine? .dramatischen oder dramatisirten Dichtung Ansprach machen.
Zwischen dieser aber und dem reinen Drama ist ein gewaltiger
Unterschied. Jene bezeichnet im allgemeinen die Gattung, dieses
die Blüthe, die vollkommenste Art derselben. — Jene ist zu-
frieden wenn sie eine Reihe von interessanten oder amüsanten
Scenen vorführt, die durch eine und dieselbe Persönlichkeit zu
einem lockeren Ganzen mehr vermittelt als verknüpft werden und be-
gnügt sich mit den äusserlichen Kennzeichen des Dramas, den sce-
nischen Erfordernissen.
Dieses verlangt' wie jedes Kunstwerk eine Grundidee, aus welcher
alle einzelnen Züge entspringen, sich um dieselbe gruppiren und so'
ein unauflösliches Ganze bilden.
Aber noch mehr! das Drama, als künstlerische Darstellung des
Menschenlebens in seiner höchsten Bedeutung und in der Bethä-
tigung seiner edelsten Kräfte, fordert eine Grundidee, welche be-
deutend genug ist, um sie zur Grundlage eines Kunstwerks zu
machen , in welchem der Mensch auf der höchsten Stufe seiner
geistigen Entwickelung erscheinen soll.
Dcsshälb mnss ein tiefer sittlicher Conflikt vorhanden sein,, di
nur in der Auskämpfung eines solchen sich der Mensch in setner
ganzen Grösse zeigt.
Wie schwinden so viele der vorhandenen Operntexte zur Unbe-
deutendheit, wie unwerth des Namens, den sie an der Slirne tragen
erscheinen sie, wenn wir diesen Massstab anlegen t Wo ist in ihnen
nur ein Gedanke dieser innern Einheit , wo ist nur eine Ahnung
dessen, was zu einem Drama gehört? Wie streben sie ersichtlich
nur darnach, ein recht buntes , recht verworrenes Durcheinander
von Scenen zu geben , um das Auge des Zushauers zu fesseln,
während der Gomponist sich anheischig macht, dasselbe für das
Ohr derselben zu leisten. '
Begnügen sich doch die meisten Textdichter — und zwar gerade
in der Gegenwart — damit, irgend ein vorhandenes Gedicht zu
dramatisiren, wenns hoch kommt, eine Erzählung, eine Novelle zu
demselben Zweck in Verse zu bringen ! Wir erinnern nur an die
neuesten Produkte der Müd. Birchpfeiffer, an die Verbalihornisirung
der lieblichen Kinkelschen Dichtung zum Besten der Erstlinge einer
compositionslustigen Dame und ähnlicher Machwerke, die wir zu
Dutzenden anführen könnten»
Ist es nicht dahin gekommen, dass, wie Jeder, der eine lange
Von einer kurzen Silbo zu unterscheiden weiss, Dichtungen heraus«
gibt, wie Jeder, der seinen Clavier-Cursus beendet hat, zu componireft
anfängt, wie Jeder endlich, der die Classen einer Musikschule oder
eines Conservatoriums hinter sich hat, sich an die Komposition einer
Oper macht, so Jeder der einen Vers zuzurichten versteht und ausser*
dem einigemalc hinter den Coulissen gestanden hat, um dadurch die
nöthige Bühnengewandtheit zu erlangen, komische und dramatische
Operntexte fabricirt , so lange sich noch Jemand findet , der sie
bezahlt ?
Liefern nicht selbst Dichter, die diesen Namen verdienen,
die auf einem andern Felde Gutes geschaffen haben, den Beweis, dass
man die Dichtung eines Operntextes für das leichteste Ding von der
Welt hält und demselben eine grosse Ehre zu erweisen glaubt, wenn
man ihm so schön klingende Verse , so giatle zierliche Liedchen
mitgibt, wie Putlitz seinem Text zur Indra I
- 138
Wir wollen diesen Text, der noch einer der bessern ist, den die
neuere Zeit gebracht hat , und auf den wahrscheinlich Dichter wie
Komponist gleich stolz sind, einmal betrachten und sehen, wie es
darin mit der Einheit und den sonstigen Eigenschaften des Dramas
aussieht.
Camocns, der Dichter der Lusiadc, dient aus Noth als ge-
meiner Soldat in Goa, der portugiesischen Besitzung in Ostindien.
Seine Freunde haben die nöthige Geldsumme zusammengebracht, um
ihn loszukaufen und händigen ihm dieselbe ein. In diesem Moment
stürzt eine junge, schöne, indische Sklavin, die von ihrer Besitzerin
an das Gelüste eines Offiziers verhandelt worden ist, zu seinen
Füssen und fleht um Schutz. Camocns kämpft einen Augenblick
mit sich selbst, dann wirft er der unterdessen nachgeeilten Sklaven-
hänillcrin das zum Loskanf bestimmte Geld vor die Füsse, befreit
dadurch Indra, aber nur um den Preis der eigenen längst ersehnten
Freiheit. Dies ist der eigentliche Mittelpunkt des Ganzen. Und
alles dies geht im ersten Act vor sich , dient nur als Einleitung
zu den folgenden Scencn , die in Europa spielen , und in welchen
ganz neue Personen auftreten, ganz neue Verhältnisse, ganz neue
Verwickelungen erscheinen.
Innere Einheit, Steigerung des Interesses, eine Hauptsccnc, die
mehr Anspruch auf Geltung hätte , als die übrigen — von alle dem
ist nichts vorhanden.
Aber ist auch nur eine einiget massen bedeutende Idee, ein
wirklicher sittlicher Conflikt vorhanden ? Wir wollen kein Ge-
wicht darauf legen , dass noch lange keine sittliche Grösse
dazu gehört , um ein freiwillig übernommenes Joch noch eine Zeit-
lang zu tragen , wenn es sich darum handelt , ein unschuldiges,
edles Geschöpf aus den Klauen des Lasters und der Gemeinheit
zu retten — und als eine solche That soll die Aufopferung von
Camocns doch wohl hingestellt, durch sie der Forderung des
dramatischen Inhalts genügt werden — aber wenn diese ganze Gross-
muth nur Schein, nur ein Knalleffekt ist, dann klärt uns dies über die
Einsicht des Herrn Verfassers in das Wesen des Dramas oder seine
Meinung von dem Wcrthe eines Operntextes am Besten auf. Camocns
begnügt sich nämlich nicht mit dem Bewusstsein seiner guten That»
die einen Dichter schon einige Zeit über seine Lage erheben sollte,
sondern wird durch ein unendlich künstlich herbeigeführtes Zu-
sammentreffen von Umständen bewogen — sammt seiner schönen
Geretteten und einem lustigen Cumpan mit dem nächsten Schiff nach
Europa zu entfliehen! Das heisst doch die Moral und die Tugend
den Leuten mundgerecht machen. Für die Hingabe eines vollen
Beutels im nächsten Augenblick durch den Besitz eines schönen
liebenswürdigen Mädchens und Wiedererlangung der Freiheit ent-
schädigt zu werden, das ist einleuchtend und muss gefallen I
Man wende uns nicht ein, die Oper sei kein Tugcndspicgcl.
Es handelt sich hier weder um Tugend, noch um Laster, sondern darum,
ob eine dramatische Dichtung die Probe der dramatischen Einheit
und Consequenz aushält oder nicht; es handelt sich darum, ob das
ganze Gerede von Verbesserung der Operntexte, von Opernreform,
von „Anforderungen der Gegenwart" blosses Gerede bleiben oder
zur wirklichen Reform führen soll !
Dass eine Oper im Stande sei, einen Abend für Viele auf ange-
nehme Weise auszufüllen , wird hoffentlich Niemand als Critciinm
für den Werth derselben hinstellen. Dasselbe thut eine Posse, eine
Kunstreiter-Produktion, ein Tanz-Orchester auch.
Aber es ist ausserdem gewiss , dass Opern , welche sich weit
eher musikalische Dramen nennen können , als diese Indra und
ähnliche, auch den Amüsementsüchtigsten mehr befriedigen, als diese.
Wie weit stehen z. B. die Texte zum Freischütz, zur Jüdin, zur
Norma und so manche andere über jenem. Wie schön, wie er-
greifend ist der innere Kampf zwischen der Liebe und den dä-
monischen Mächten, die Max's Seele gefangen halten, geschildert, wie
ringen in Eleazar die Kindesliebe und der Hass gegen den Stammes-
und Religionsfcind um den Sieg; wie zereissen die Liebe zum Fremdling
und zum Vater ihrer Kinder, Hass gegen den Verräther , das Gefühl
der eigenen Treulosigkeit am Vaterlande und dessen Göttern das
Herz der Norma! Wie klar, wie folgerichtig und künstlerisch ist die
Entwickelung der Charaktere und der Handlung, wie wird der
ersten Forderung der innern Einheit in ihnen genügt — verglichen
mit der Regellosigkeit und Verworrenheit dort.
Dort fehlt alles, sowohl künstlerische Form, als ein den An-
forderungen der Gegenwart entsprechender Inhalt. Hier ist die Form,
wenngleich noch nicht rein, doch wesentlich dramatisch und steht
weit über dem, was die letzten Jahre producirt haben.
Was wir an ihrem Inhalt auszusetzen haben , und was die
Gegenwart überhaupt von dem Stoff eines musikalischen Dramas
zu verlangen berechtigt ist, wollen wir im nächsten Artikel unter-
suchen.
CORRESPONDENZEN.
AUS HEIDELBRG.
(Mille August.)
Der Sommercursus ist geschlossen. Wir haben diesmal sehr
wenig zu berichten, indem grössere Konzerte gar nicht, und die
kleineren musikalischen Abcnduntcrhaltungcn des Musikvereins in
Folge mannichfachcr Hindernisse — wie noch zuletzt der Krankheit
des Directors — nicht in der gewöhnlichen Anzahl stattfanden. Die
letzte derselben verdient einige Erwähnung um der gelungenen Auf-
führung eines Thcilcs des Händcl'schcn Oratoriums „Belsazar" u.
des Mcndclsohn'schcn D-moll Trio's willen. — Der Sommer ist und
bleibt einmal für Heidelberg keine Zeit zur Entfaltung einer grössern
und allgemeineren Kunsttbätigkeit ; und wahrlich! es ist nicht zu
verwundern, wenn man die herrliche Gegend mit all ihren reizenden
und verlockenden Punkten in ihrer vollen Pracht so stets vor Augen
hat. Wer genicsst nicht lieber da einen schönen Sommerabcnd in
der göttlichen Natur und lässt Verein— Verein, und Concerl— Conccrt
sein ! Der Winter ist lang und kann des Schönen viel bringen. —
Die eigentliche Thäligkcit des Musikvereins beschränkt sich im
Sommer grösstenteils auf Vorbereitungen zu den Winterconzerten.
Von fremden Virtuosen hatten wir diesen Sommer kein Conccrt zu
beklagen — wir danken dies einem seltenen gütigen Geschick und
wünschten, es bleibe uns, mit seltenen Ausnahmen — treu. Der
Liederkranz veranstaltete einige gesellige Abende im engeren Kreise
seiner Mitglieder: derselbe erfreut sich in der letzten Zeit einer
recht grossen Thcilnahmc. — Der Tbeaterbau schreitet rasch seiner
Vollendung entgegen ; bis Nov. soll die Bühne eröffnet werden. Wie
wir aus sicherer Quelle mittheilcn können, wird für Operette, Vaudc-
villc und Drama mit Musik von Seiten der Direktion Alles Mögliche
aufgeboten werden um allen Anforderungen nach dieser Seite hin
in gerechter Weise und vollkommen genügend zu entsprechen , dass
aber vorderhand keine Aussicht auf eine wirkliche Oper vorhanden
ist, und auch bei den zu erschwingenden Geldmitteln sich [nicht leicht
für die nächste Zukunft eröffnen dürfte.
AUS MÜNCHEN.
Mitte August.
Im das Ding: pikant an machen,'
Schöpfet au» dem Höllenrachen
Etwas heissc Schwefelflammen.
Doch damit'« den zarten Damen
Nicht die zarten Nerven schwäche,
Schöpft nur von der Oberfläche.
^» «^» M— — • » m^ «. — —
Jetzt werft Flach, Entsetzen, Grausen,
Schandern , Schrecken , Siurraerfsausen,
Und dergleichen Bagatellen
In die ekelhaften Wellen,
Aber nur die Redensarten,
Die ich nannte, »erft hinein.
So lässt der geistreiche Fr. von Sallct ') von zwei Hexen den
Klingcmann'schen Faust charaktcrisiren- In einer späteren Selbst-
kritik jedoch nannte er das Urthcil ein ungerechtes, und somit würde
kaum auf eine andere Faustbearbeitung dieser bitlere Ausspruch zu
appliciren sein , wenn nicht Bcrnard seinen Text zur Spohr'schcn
Oper gleichen Namens geschrieben hätte. Aber nicht allein die Be-
arbeitung ist zn tadeln, auch die Wahl des Stoffes muss als Missgriff
bezeichnet werden; denn der Faust Göthc's hat alle weitem Faust.
*) Sallet s sämmtliche Schriften , Breslau 1847. IV. B., pag 8.
- 139 -
Dichtungen unmöglich gemacht, und Prutz hat recht, wenn er meint :
„ein Faust der Gegenwart müsste durch die Erkenntniss, die er
durch den Teufel erlaugt, Herr des Teufels werden, und nicht die
erbarmende Gnade des Himmels, noch gar die brutale Lüsternheit
Mephistos, sondern die Gewalt der Erkcntniss, in welche er ge-
kommen, müsste ihn unmittelbar erlösen, und nicht Faust, sondern
.der Teufel wräc es, der die tragische Rolle zu spielen hat." Es
war desshalb ein schlechtlohnendes Unternehmen des hochverehrten
.Spohr, dass er durch Hinzusetzung neuer Rccitative seine Oper
zeitgemäss zu restauriren suchte; denn es lag nicht etwa an der ver-
alteten Form der Sprechoper, dass sich Faust nie halten konnte,
sondern lediglich in der Wahl und Bearbeitung des Stoffes. Zu alle-
dem kommt noch , dass Spohr als fast ausschliesslicher Lyriker
über seine Individualität selten ganz hinauskommt und dadurch der
ganzen Musik seinen ihm eigentümlichen elegischen Grundtypus
aufdrückt, der nichts weniger, als zur Natur der Faustsage passend
ist. So fällt mir die hie und da bis zum Ueberinaasso künstliche
Führung der Mittelstimmen (eine bekannte Eigentümlichkeit der
Spohr'schen Musik !) in keinem seiner Werke so sehr auf, wie ge-
rade im Faust , und das nicht etwa , weil diese Manier hier häufiger
als anderwärts zu finden ist, sondern weil sie gerade hier weniger
am Platze ist. Ich werde mich wohl kaum irren, wenn ich in dem
Ebengesagten die Ursache gefunden zu haben glaube, die die unüber-
trefflichen Schönheiten der Faustmusik bei der etwa vor acht Wochen
in der neuen Bearbeitung zur Aufführung gekommenen Oper , trotz
der vollkommenen Leistungen des sämmtlichen Personals , nicht zur
gerechten Würdigung kommen liess. Nicht einmal der grosse Höllen-
rachen, in den zum Schlüsse eine sehr unillusorische Puppe als Faust-
repräsentant geworfen wurde, konnte den wenigstens von der fünften
Gallerie gehofFten Beifall hervorrufen. Derlei Plumpheiten sollte
man, da wir doch nicht mehr in die romantische Kinderschule gehen
soviel wie möglich vermeiden, und der Erfinder dieser extravaganten
Provincialphantasterei (soviel ich höre ein vielgenannter hier le-
bender Schriftsteller), hätte mit demselben Rechte und vielleicht mit
noch mehr Geschmack, gleichwie im schütz-dreherschen Puppenspiele
eine humoristische Scene mit Kasperle anhängen können.
Seit dieser Zeit wurde das Opernpersonale um nichts erweitert,
wohl aber hatten wir drei Gäste : Frl. Kern von Mannheim , Frau
Nimbs aus Breslau und in jüngster Zeit Herrn Roger. Erstere
beide aspirirten auf die durch Frau Palm- Spatzer, welche uns mit
diesem Monate verlässt, in Erledigung kommende Stelle einer ersten
Sängerin. Frl. Kern, welche als Vestalin, Norma und Iphigenie auf-
trat, konnte wegen ihrer schreienden Stimme, der noch überdies
mehr Regislerausgleichung zu wünschen wäre , nicht vollkommen
entsprechen, wobei übrigens ihre Vorzüge, als musikalisches Ver«
ständniss und Bühnenroutine, durchaus nicht zu übersehen sind.
Frau Nimbs hingegen hat als Romeo und Fides fast allgemeinen
und gerechten Beifall gefunden. Weniger war dies als Donna Anna
der Fall. Wenn Frau Nimbs, wie von ihr Näherstehenden behauptet
wird , an diesem Abend unwohl war , so muss jedes Urtheil über
ihre Leistung suspendirt bleiben, war dies aber nicht der Fall, und
wäre nur eine der bekannten Ausreden zum Deckmantel für künst-
lerisches Unvermögen in Anwendung gebracht worden, so hätten wir
nur einen neuen Beweis, dass gerade die nach modernem Geschmacke
geschulten Sängerinnen die wenigst richtigen Begriffe vom wahrhaft
schönem Gesangvortrage haben, und dass überhaupt in der neuesten
Musik zehn Sängeruntugenden noch lange nicht so störend einwirken
als z. B. im Don Juan eine einzige. Was an Frau Nimbs zu loben,
«las ist ihr dramatisches Vcrständniss , ihre deutliche correcte Aus»
spräche , lebendige und runde Darstellung und endlich ihr grosser
Stimmenumfang (vom kleinen ges bis in's dreigestrichene des;)
etwaige Mängel hingegen, nicht fehlerfreier Stimmansatz, wenig
ausgebildete Celoratur und geringe Ausdauer. Ob Frau Nimbs cn-.
gagirt werde oder nicht ist vorläufig ein Geheimniss, das die hohen
Priester des Thalia tempels bisher sorgsam in ihrem Busen bewahren
Ueber Roger und die demnächst erwartete J. Wagner werde ich
Ihnen in meinem nächsten Berichte Ausführlicheres mittheilen. Vor-
läufig bemerke ich Ihnen hinsichtlich des ersteren nur, das er, wenn
auch sehr- grosse Anerkennung doch durchaus keine unbedingte
fand. Den schlagendsten Beweiss hierfür würde wohl die empfind-
liehe Theaterkasse Hefertf können.
- Unsere Hofkapelle beabsichtigt während des im Spätherbste be-
vorstehenden Theaterschlusses behufs der Einführung der Gasbe-
leuchtung und Restaurirung des Logenhauses, wöchentlich zwei
Sinfonie-Soirees zu geben. Zugleich kann ich ihnen mit grösster
, Bestimmtheit die Versicherung geben , dass die in Ihr geschätzte»
Blatt (Nr 29) übergangene Nachricht, welcher zufolge den Mit-
gliedern der Kapelle die Pässe zum Zürcher Musik fest verweigert
worden seien, indem man sie mit den Handwerksburschen in gleiche
Categorie gestellt hätte, eiue durchaus lügenhafte und b ös-
willige Erfindung ist, da schon von vornherein Niemand nach
der Weisheit des Zürcher Propheten lüstern war. Die Verwei-
gerung eines Passes aber, ohne dass einer verlangt wurde, gehört
in das Bereich der Unmöglichkeit.
Herr Lauterbach ist als Professor am Concervatorium für Mu-
sik angestellt worden , und Herr Griminingcr, über dessen erstes
Auftreten ich Ihnen in Nr. 16 berichtet folgt einem Rufe nach Mannheim.
Schliesslich ersuche ich sie, einem in meinem letzten Berichte
Nr. 26 enthaltenen sinnstörenden Druckfehler zu beiichtigen : pag
103 Spalte 1, Zeile 25 ist nämlich statt, [logische Steigerung ly-
rische Steigerung zu lesen.
AUS LONDON.
(Monat Juli)
Wir nähern uns dem Ende der Saison, nicht Mos desshalb, wotl
die Hundstage im Anrücken sind, sondern weil doch jedes Ding ein
Ende haben muss und ein musikalisches Ding ganz besonders. Zwar
ist Letzteres etwas sehr Altes, aber wenn man die neuesten Kompo-
sitionen ansieht , sollte man wohl zu dem Glauben kommen, es
könnte dann und wann vergessen werden. Es ist die Zeit, wo
London sein musikalisches Kleid auszieht, die Strassenecken liefern
nur noch spärliche Spuren jener Verwüstung, welche die Concert»
programme mit ihnen angestellt haben, und jene Räume, die vor
-einigen Wochen noch Tausende umschlossen, welche den musika-
lischen Teufel in sich nicht los werden konnten, sind jetzt öde and!
leer. Nur die fashionablen Hanovcrsquare-Rooms machen eine Aus*
nähme, und zwar zu Gunsten zweier Liliputaner, einer neuen
Menschenrasse, wie sich die Besitzer ausdrücken, die allerdings bis
jetzt nur einzelne Gutturaltöne von sich geben können , aber doch;
nach Meinung einiger Neuästhetiker sehr viele Anlagen für Musik
haben sollen. Die vornehme Welt fängt an auszurücken, die Häuser
der Adligen sind mit Fensterläden wohl verwahrt , die verschiedene»
Bürgerlicher ebenfalls, wenn auch aus andern Gründen, die Bedienten-
welt hält Siesta, und die Ladenhändler verkaufen ihren Sommer-
vorrath ans. Die Schulen haben ihre Ferien, und die Strassen
wimmeln von den Jäckchen und Hütchen, welche einstige Gent lernen
abgeben sollen. Die musikalischen Lehrer sind nach Brighton , die
andern wünschen sich dahin, kurz London gleicht in jeder Beziehung
einer Wüste, in welcher selbst die ursprünglichen Bewohner der-
selben, die Kameele nur in spärlicher Anzahl vorhanden sind. Wen
aber die öden Strassen, die leeren Musikläden und endlieh die
Kalender nicht überzeugen können, dass die Saison zu Ende ist,
der braucht nur in den Hyde-Park zu gehen , wo er vergeben»
die nachmittäglichen Hab'itucs desselben, die hunderte von Amazonen»
die elt'gante Wagen weit , kurz Alles das suchen wird , was London,
im Sommer die Einzigkeit gibt. In der That, wo sind sie hin, all
die schönen Beschützerinnen unserer Kunst, die verschiedenen
Lockenköpfchen, die ehrwürdigen Matronen , sie , die alltäglich hier
versammelt waren, um zu sehen und gesehen zu werden? Sogar
das stolze Ebenbild der jetzigen Kaiserin von Frankreich, die beste
Reiterin auf der Bahn , das eleganteste Weib der haute volec Lon-
dons, ist verschwunden, und mit ihm selbst in musikalischer Hin*
Sicht die interessanteste Erscheinung der Saison. Im SurreytYeatrn
wird eine Farce gegeben , in welcher eine englische Sängerin .die}
Volkslieder aller Nationen und zwar jedes in seinem, ihm: Ursprüng-
lichen Dialekte zum bestell gibt. Wenn sie an Deutschland kommt
glaubt sie diese Nation nicht besser repräsentireri zu können, als
'wenn sie das unvcrgessHche Lied eines leider unbekannt gebliebenen
Komponisten singt, das da lautet: Ach, du lieber Augustin, Alle*
1 ist hm! Wer kann dieses Lied hören , und nicht an den gegenw**-
— 140
tigen Zustand der Saison denken? Alles muss ruinirt werden, sagen
die politischen Zukunftsmenschen , wahrlich die Letzteren können
schon in der Gegenwart ihr Ideal verwirklicht sehen. Sie brauchen
nur nach London zu kommen, uin sich zu überzeugen, dass Alles»
was Saison heisst, bereits gründlich ruinirt ist.
Ist denn in diesem Monat Juli gar nichts gewesen, was einer
Besprechung werih wäre, werden Sie fragen. Doch ein gewisses
Ereigniss hat stattgefunden, ein Ereigniss, das tief in das Fleisch
des sozialen Körpers eingreift, und die mürben Knochen im
eigentlichen Sinn des Worts noch mürber macht. Wir meinen
die grossartfge Unterbrechung allen Droschkenverkehrs, die w&hrend
dreier Tage stattfand. Drei Tage lang hatte London keine Cabs, und
jene melodische Töne Cabbie, Cabbie ! die dem müden Wanderer jeden
Augenblick entgegenschallten, hatten einer gewitterschwülen Stille
Platz gemacht. Endlich hat auch London seine Julirevolution ge-
funden, und die Herrn Revolutionäre, item die Droschkenkutscher
haben ungefähr dasselbe damit erreicht, als die glorreiche Nation mit
der Ihrigen int Jahre 1830.
Aber was hat Alles dies mit der Musik zu thun ? höre ich
einige Leser ungeduldig fragen. Herr vergib ihnen, sie wissen nicht
was sie thun. Ihnen ist die ungeheure Bewegung unbekannt , die
schon seit längerer Zeit im Schoosse der musikalischen Kunst vor sich
geht, und die nichts Anderes bezweckte , als die Musik dorthin zu
verpflanzen , wo frü her Kar t o ff e In und Rüben im brüder-
lichen Beisammensein ungestört das Feld ihrer Thätigkeit fanden.
"Wir sind in dem Nützlichkcits-Zeitalter, sagte Präsident Pierce bei
Eröffnung des Krystallpalastes zu New-York. Wer hätte geglaubt, dass
die Phrase des amerikanischen Staatsmannes eine so glänzende Be-
stätigung in dem musikalischen Deutschland der Gegenwart finden würde.
Wenn man die Musik dort sucht, und nach Meinung Einzelner auch wirk*
lieh flndet, wo sie ihrem innersten Wesen nach nicht sein kann, weil
ihr einziger Feind, der .Gedanke, bereits den Platz eingenommen hat,
nun dann können wir von Cabs, von Pferden, Amazonen, kurz von
allem Möglichen sprechen , ohne uns auch nur ein Haarbreit von
dem musikalischen Felde der neuen Richtung entfernt zu haben,
Uebecdies ist selbst das , was schon Musik sein könnte , oft so
unmusikalisch, dass man lieber der schönen Engländerin und ihrer
Pferde gedenken mag. Oder soll ich Ihnen von den Gartenkonzerten
sprechen, von den Vauxhall - Cremorn - und - Surrey - Orchesters , von
den himmlischen Nächten an diesen Orten, wo das gesellschaftliche
Leben des jungen Englands florirt und consumirt wird, wo Alles so
piquant , so lebensfroh und so frisch aussieht, bis der Morgen graut
und die bunten Lampen ausgehen , dann freilich erscheint Alles
mehr im natürlichen Zustand , d. i, grau und gräulich. Ueber-
dies sind die Orchester in diesem Jahr bei Weitem nicht , was sie
früher waren , als der göttliche Jullicn noch an ihrer Spitze stand.
Apropos auch er ist hin und mit ihm dreissig der tüchtigsten
Musiker Londons. Sie sind gegangen dahin, wo zwar keine Ci-
tronen blühen aber die Zukunft der Welt , in das Land der Yankees
und der Dollars. Dass Jullien im Brillantfeuer von hinnen gezogen
ist, bedarf wohl erst keiner Erwähnung. Der Abschied war übrigens
diesmal im eigentlichen Sinn des Worts ein brillanter , nämlich ein
Taktirstock in diamantner Einfassung von seinen Freunden und
Verehrern dem unermüdlichen Kämpfer für die Entwicklung
der Tonkunst des Jahrhunderts dargebracht. Man sieht, die Zeichen
und Wunder der alten Welt wiederholen sich auch in der heutigen»
Fatal.
NACHRICHTEN.
Wien« Herr Dalle Aste wird als Sarastro, Graf (in der Zi-
geunerin) und Marcell debutiren.
— Frau Köster-Schlegel wird nach Schluss ihres Gastspiels nach
Italien abreisen. Das Hoftheater hat vom Kaiser eine jährliche Do-
tation von 200,000 Gulden erhalten, so dass sich die Gesammt-Ein-
nahme nun auf eine halbe Million beläuft.
Berlin. Die Königsberger Opern-Gesellschaft schloss ihre
Vorstellungen am 13. mit „Joseph in Aegypten. " — Der Opcrnge-
selischaft im Krollschen Etablissement ist vom Direktor gekündigt
Worden, da derselbe sich im kommenden Winter anf Conzerte, aber
im grossartigsten Style beschränken will. Er beabsichtigt, die aus»
gezeichnetsten Kräfte zu diesem Zwecke zu engagiren.
Breslau. Frl. Babnigg gastirt hier* Dieselbe ist von ihren alten
Verehrern freudig begrüsst worden.
Bremen- Der Abgang des Capellmeisters Hagen, welcher seit
15 Jahren die Abonnemcnts-Concerte und seit 10 Jahren die Oper
leitet, ist ein grosser Verlust für Bremen. An seine Stelle tritt Bar-
bieri, bisher in Hamburg.
Prag. Frau Behrend-Brandt giebt hier eine Reihe von Gastvor-
stellungen.
Oassel. Wagner's Tannhäuser wurde hier dreimal aufgeführt.
Paris. Die grosse Oper ist mit den Hugenotten eröffnet
worden. N. Corti Exdirektor der italienischen Oper hat an einer
Saison genug. Wie schon gemeldet reichte derselbe vor Kurzem
seine Entlassung ein und ist seitdem schon nach Italien abgereisst.
Die arme Italienische Oper!
Das Feldlager von Schlesien von Meyerbeer wird nächstens
mit verändertem Libretto in der komischen Oper aufgeführt werden.
* Der Violinist Sivori (in Genf durch Umwerfen des Wagens
an der Hand beschädigt) ist wieder hergestellt und wird seine Kunst-
reise mit Mulder fortsetzen.
Mannheim. - F. Kühmstedt, Professor der Musik aus Eisenach,
verweilte einige Tage in unserer Mitte; in einem kleinen Kreise
von Musikfreunden gab derselbe, durch die freie Entwickelung einer
Fuge über ein beliebig gegebenes Thema , Beweise seiner ausge-
zeichneten contrapunetischen Kcntnisse. Schade, dass ein so reich
begabter Künstler nicht eine einflussreichere Stellung einnimmt.
Kühmstedt gehört unstreitig zu den besten Orgelcomponisten unserer
Zeit; denkenden Organisten und Componisten kann dessen Gradus
adparnassum, sowie die Kunst des Vorspiels, praktischen Orgel-
spielern aber dessen Opus 12 & 19, melodiöse Vorspiele und Fugen
und Opus 33, „kleines wohltemperirtes Klavier in fortlaufenden Hef-
ten" — nicht genug empfohlen werden.
— Der bekannte Tenorist Flintzer, welcher eine Reihe von
Jahren der Liebling des hiesigen Publikums war, ist durch die Auf-
regung, in welche ihn die Kündigung seines Contrakts versetzte, in
der Probe zu seiner letzten Vorstellung wahnsinnig geworden.
Wiesbaden^ Der Kapellmeister Schindelraeisser, welcher be-
kanntlich einem Rufe nach Darmstadt folgt, gab in voriger Woche
sein Abschieds-Conzcrt. Das Programm, an und für sich schon
höchst anziehend, erhielt durch mehrere Gesangsvorträge der Damen
Marra und Joh. Wagner einen noch grösseren Reiz und das Konzert
bot desshalb einen seltenen Genuss.
Derselbe hat als Anerkennung seiner ausgezeichneten Wirk-
samkeit von dem Thcatcrcomite ein besonderes Dankschreiben er-
halten. Sein Nachfolger, Herr Kapellmeister Hagen aus Bremen, ist
dort bei seinem Scheiden gleichfalls mit einem besondern Zeichen
der Hochachtuns
einem silbernen Pokal — beschenkt worden.
Man ist hier sehr begierig , ob derselbe die durch Schindclmeissers
Abgang entstehende Lücke auszufüllen im Stande ist.
Berlin« Frau Bochkoltz-Falconi hat als Lucrezia mehr ge-
fallen als früher in Don- Juan (Donna Anna), doch ist es ausser
Zweifel , dass die enthusiastischen Lobpreisungen der Dame von
Augsburg aus (Riehl) sehr übertrieben waren.
Königsberg« Die Opern-Vorstellungen beginnen am 21. August.
OÖln. Am 2t. August fand ein Concert des hiesigen Männer-
gesangvereins statt. Dasselbe war zu Ehre des anwesenden Ritters
S. Neukomm aus London, welcher dem Verein bei seiner Londoner
Fahrt wesentliche Dienste geleistet hat und bot, theilweise in vor-
trefflicher Ausführung , Compositionen von Reissiger , Kreutzer,
Kücken, Mendelssohn, Reichardt, Abt, wie von dem anwesenden Neu-
komm Da der Ertrag zum Besten einer baufälligen Kirche bestimmt
war, hatte man es für nöthig gehalten, die beiden Abtheilungen des
Goncerts durch geistliche Gesänge zu eröffnen, was dem Programm
etwas Quodlibetartiges gab und den Eindruck des Ganzen etwas
schwächte.
— Der neue Director Köder wird im Laufe des Winters tut
Aufführung bringen: Tannhäuser und Lohengrtn von Wagner, die
lustigen. Weiber von Windsor von Nicolai und Giralda von Adam.
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Verantwortlicher Beaaktior: J. J. SCHOTT. «-Druck to» REDTEB u. WALLAU ta Matal.
2. Jahrgang.
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5. Sept. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
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RED1CTI0S «KD VERLAG
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0. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
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Durch die Post besagen :
50 kr. oder IS Sgr. per Quartal.
Inhaltt Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. V. — Das Lied. — Zwei Autoren und die neue Zeitschrift für Musik.
Nachrichten.
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
V.
Das Drama verlangt einen Gegensatz und einen Kampf zweier
sittlichen Grössen. Das griechische Drama musste nach der An-
schauungsweise des Alterthums, das keinen berechtigten Gegensatz
in dem Menschen selbst kannte , sondern nur einen Gegensatz
zwischen den menschlichen Trieben und der höheren Weltordnung,
diesen Kampf äusserlich darstellen ; das Drama der Neuzeit verlegt
ihn in das Innere des Menschen, weil au die Stelle des tragischen
Schicksals der Alten die freie Selbstbestimmung der Charactere ge-
treten ist.
Das musikalische Drama nun kann recht eigentlich als der
Conflikt zwischen Liebe und einer zweiten sittlichen Kraft bezeichnet
werden, denn die Liebe ist die Hauptquelle des lyrischen Elementes,
und aller lyrisch-musikalischen Ergüsse.
Es versteht sich von selbst , dass sie in den matinichfaUigsten
Formen auftreten kann (Kindesliebe, Gattenliebc etc.), doch wird
die Frauenliebe stets das Vorherrschende bleiben , nicht bloss,
weil sie das reichste Thema bildet, nicht Mos, weil das Fehlen
weiblicher Partien Eintönigkeit zur Folge habe würde, sondern
weil die Frauenliebe einer der wesentlichsten und characteristischsten
Züge der Neuzeit ist und desshalb überall hervortreten muss, wo das
innere Leben derselben geschildert werden soll.
Es ist kein Zufall, dass die Oper erst zu Ende des Mittelalters
erschien.
Wo war im Alterthume , wo war im Mittelalter ein Stoff, der
zugleich Handlung^ freie Persönlichkeiten und lyrische Elemente bot?
Im Alterthume galt das Weib als solches nichts ; nur durch den
Mann , als Mutter seiner Kinder, erhielt es einen gewissen Werth-
Kein Grieche, kein Römer hätte gewankt, wenn es sich darum ge.
handelt hätte, Vaterland, Ehre und was sonst dem Menschen heilig
ist, einem Weibe zu opfern. Opferten sie doch nicht blos die Braut,
sondern Weib , Kind und sich selbst, wenn es die Pflicht gebot.
Das griechische Drama kennt die Frauenliebe nicht, wie das
Alterthum sie überhaupt nicht kannte. ,
Das edelste Frauenbild, welches die griechische Kunst schuf,
Antigene, bringt ihr Leben nur der Familie, dem Bruder zum Opfer,
für den Gatten, für ihr Kind, hätte sie dies nie gethan:
. . . „Ich hätte nimmer, war ich Mutter auch»
Und war der Gatte sterbend mir dahin gewelkt,
Im Widerstreite mit der Stadt die That versucht,
Wie aber mag ich dieses Wort rechtfertigen?
Ein anderer Gatte ward mir an des Todten Statt,
Vom andern Manne wieder das verlorne Kind,
Da doch der Hades Mutter mir und Vater birgt,
So kann ein Bru der nimmerdar für mich erstehen
Hier ist der tiefere Grund, weshalb sich selbst ein Mendelssohn
vergebens abmühte, das Griechische Drama durch die Macht der
Töne zu beleben. Hier auch der Grund, weshalb alle Bearbeitungen
„classischer Stoffe" für die Oper als Zerrbilder erscheinen, die selbst
unter der Hand eines Mozart und Gluck nur ein musikalisches,
wenn's hoch kommt, in der Brust des wissenschaftlich Gebildeten
und mit dem Alterthum Vertrauten, auch ein historisches Interesse
erwecken können. Eine Griechin, die liebeglühende Arien singt, ein
Grieche, der seine Geliebte anbetet, sind Anachronismen, die selbst
dem einfachen Verstände fast instinktmässig widerstreben.
Aus den Trümmern der alten Welt erhebt sich mit so manchem
Andern auch das Weib zu grösserer Geltung. Aber selbst in den
Tagen des Minnesanges, in welchem es sich von Tausenden gefeiert
und besungen sah , war es in der Wirklichkeit noch weit von der
Stellung entfernt, welche ihm die Fantasie der Sänger einräumte.
Der Character der Frauenliebe des Mittelalters war innerlich der
der Frömmelei — wenn wir dies Wort gebrauchen dürfen — die
in dem Anschauen und Besingen der Geliebten ihre Genugthunng
findet; äusserlich der der Galanteric: beidemale ein blosser
Cultus, mehr der abstrakten Idee der Weiblichkeit, als der Persön-
lichkeit, mehr dem ganzen Geschlecht, als einem bestimmten Gegen-
stande gewidmet, kurz: mehr künstlich erzeugt, als frei aus den
Tiefen der Seele entspringend. So lange diese Liebe kein Hindcr-
niss fand, schwebte sie in den Lüften, sobald sie mit der Wirklich-
keit zusammen stiess, verschwand sie gänzlich und machte entweder
eben so wesenlosen Klagen oder der rohesten Sinnlichkeit Platz.
Die tiefe, leidenschaftliche Liebe zu einem bestimmten Gegen-
stände, welche fähig ist, mit Allem, was ihr entgegentritt, nm den
Sieg zu kämpfen , ist ein Produkt des Geistes der Neuzeit und das
Hereintreten derselben, und damit die Anerkennung der freien Per-
sönlichkeit des Weibes kennzeichnet die Grenze des Mittelalters.
Nun erst konnte die Oper, deren hauptsächlichster Inhalt eben die-
ser Kampf ist und stets bleiben wird, erscheinen.
Es ist aber ejn durchgehendes Gesetz in der Kunst wie in der
Geschichte überhaupt, dass die Tendenzen, welche ein Zeitalter be-
herrschen und dasselbe charakterisiren , selbst dann noch nicht ver-
schwinden, wenn sie bereits faktisch durch andere verdrangt worden
sind, sondern noch lange in das folgende Zeitalter hinein wenigstens
formelle Geltung haben, ja dass sie eigentlich erst dann mit Bewosst-
sein auftreten, und das verlorne Terrain wieder zu gewinnen versuchen.
Wer die Geschichte der neuen Zeit studirt hat, weiss, wie dies
Gesetz auch hier wirkte, und wie die Tendenzen des Mittelalters bis heute
dem Geiste der Neuzeit den zähesten Widerstand entgegensetzten, ja
wie dieser Streit den Mittelpunkt der ganzen geistigen Bewegung bis
auf unsere Tage gebildet hat.
Dieser Gegensatz musste auch in dnr Oper hervortreten, und
wir zögern nicht, die „Anforderungen der Gegenwart" als hauptsäch-
lich auf die Entfernung der mittelalterlichen Reminiszensen gerichtet
zu erklären, welche die Oper aufnahm, und welche bis heule hewnsst
und nnbewusst darin vorherrschen. Fragt man uns , welches diese
Reminiszensen seien, so antworten wir: Forscht nach den charak-
teristischen Zügen des Mittelalters, und dann vergleicht, ob Ihr die-
142
selben nicht in der bisherigen Oper mehr oder minder dominirend
wieder findet.
Auf der ejaen Seite halten wir der» dci| Ha*g «um Uebersjnn?
liehen, Mystischen, zu phantastischen, körperlosen Träumerei«*, »uf
der andern desto tieferes Zurücksinken in Rohheit und Materialismus,
Neben der religiösen Vevstickung, der feurigen Andacht, der
übertriebenen Frömmigkeit : ein Hohnsprechen jedes wahren religiösen
Gefühls in der Handlungsweise derer, welche als die eifrigsten Pfle-
ger jener erscheinen; neben den phantastischen Gelübden der Ritter-
orden : die barbarischen Vorrechte auf die verlobte Jungfrau unter
den Hörigen; neben den colossalen kirchlichen Bauten zur Ehre
Gottes: die elenden Lehmhütten der Umwohner; neben einem Perci-
val, der Verklarung der geistigen Natur mit Abstreifung aller Sinn-
lichkeit : Tristan und Isalde , als Sanktion der Rechte des Fleisches
und Verläugnung alles wahrhaft Sittlichen; neben den MinneKedern
voll ätherischer Schwärmerei : die widerlichsten Zoten-Verse.
In allen Verhältnissen des Mittelalters ohne Ausnahme tritt
dieser Gegensatz hervor, und fiberall, wo in der Neuzeit mittelalter-
liche Tendenzen verfolgt werden , lässt er sich nachweisen. Die
phantastischen Schwärmereien der Literatur - Romantiker und die
? ,Lucinde" Schlegels, die Bestrebungen der Neu-Romantiker und ihre
Werke in Staat,, Kirche, Kunst und Wissenschaft sind nur eine neue
Variation über dasselbe Thema.
Mit dem Worte „romantisch" wird bekanntlich Alles bezeichnet,
was mittelalterlichen Tendenzen huldigt und es gibt nichts Treffen-
deres, als der Name, den die bisherige Grosse Oper erhalten hat.
„Lyrisch-Romantisch" heisst nichts Anderes , als; wir stecken mit
all tinserm Reden von den Forderungen der Gegenwart noch bis
über die Ohren im Mittelalter und dessen Anschauungsweise,
und was das Schlimmste ist, scheinen gar nicht zu wissen, dass wir
einen Unsinn aussprechen , wenn wir einen Text verlangen zu einer
„lyri sch-rqmantischen Oper, deren Inhalt und Bearbeitung den
Anforderungen der Gegenwart entsprechend sein soll."
Das ist ungefähr so , als wenn von einem Baumeister verlangt
wird, er solle einen, Dom bauen , aber nach den Regeln des heu-
tigen Geschmacks und der heutigen Architektur.
Ein Blick auf die romantischen Opernschöpfnfigen lehrt, wie weit
das von uns Gesagte gilt und wie fern deshalb die darin he/rscfyefidc
Anschauungsweise von der unser igen ist.
Das Gespenstige, Fantastische, Ritterthümliche ist der Grnndzug
des Freischütz, der Enryanthc, des Berggeistes, des Faust, des, Temp-
lers, Hans Heiling, Vampyr, Nachtlager und aller andern deutschen,
italienischen und französischen Werke , welche in diese Kategorie
gehören ; daneben herrscht in ihnen irgend eine unsittliche Macht, sei
es die der rohen Sinnlichkeit unter dem Mantel der Liebe oder eine
andere niedere Begierde im Gewand des Dämonischen. Der ganze
Inhalt ist in einer, unserm Gefühl widerstrebenden, überwundenen
und veralteten Anschauungsweise begründet. Die natürliche Folge
davon ist, dass der Gegensatz der darin thätigen Kräfte, der dafge*
stellte geistige Conflikt, wenn überhaupt dieser Forderung des reinen
Dramas genügt ist, für uns seine Geltung, und damit sein Interesse
verloren hat, dass wir den Kampf im Innern der Charactere nicht
für einen berechtig ten erkennen , sondern dass uns derselbe
unnatürlich, künstlich hervorgerufen , erscheint ! Nur die
eine der thätigen' Kräfte , die Liebe* existirt für* uns in derselben
Stärke, nur sie ergreift uns mit derselben Gewalt, aber die Dämo-
nen (Freischütz), die Zaubergewalten (Öberon), die Ritterehre
(Tentptel*), die Jahrhunderte hindurch gen&hrte unversöhnliche Stam-
mes 1 feind l s6häft v (Romeo u. Julie), der blinde Stammes* und Religions-
hass, der htfr als ein Ueberbleibsel früherer Zeiten Und Verhältnisse
erscheint (Jüdin u. s. w) und was sonst als Gegcnäatä hingestellt
sein mag, giebt es für uns nicht mehr, und wenn wir dann dem,
was uns als „Vorurtheil" erscheint, die berechtigslen Gefühle 2üm
Opfer bringen sehen oder wenigstens Zeuge eines schweren, tödtlichen
Kampfes derselben sind, so empört sich unser Gefühl dagegen. Wir
können dann wohl an der Ausführung ein künstlerisches Interesse
nehmen , aber den Kampf selbst mit durchkämpfen , das vermögen
wir nicht!
Wir haben eigentlich nur eine einzige deutsche Oper, welche
nicht in dieser mittelalterlichen Anschauungsweise wurzelt, sondern
uns vollständig innerlich befriedigt. Es ist dies Fidclio , das herr-
lichste Gemälde aufopfernder Gattenliebe. Aber Fidclio ist , wie
Cherubini's Wasserträger, von dem fast dasselbe für die ältere fran-
zösische Oper gilt, kein Drama, sondern ein bürgerliches Schauspiel,
und wir; werde» nur durch den Genius Beethovens, der in ähnlicher
Weise wie Mozart die Schwächen des Textes durch die musikalische
Behandlung «u bedecken wasste, hingerissen.
>o »c i
DAS LIED,
seine poetische und musikalische Composltion.
Unter dieser Ueberschri ft soll in einer Reihe von Aufsätzen
nach und nach ein Gegenstand besprochen werden , dessen Be-
deutung ebenso gross ist, als die über ihn herrschende Unklarheit.
Vielleicht gelingt es den Leser anzuregen und seine Einsicht zu
fördern ; ihm sowenig wie möglich Zwang anzuthun , ihm die ent-
scheidenden Data selber zur Prüfung vorzulegen , wird wohl der
sicherste Weg dazu sein.
In der Poesie und dem entsprechend nothwendig auch in der
Musik hat jedes Volk seine Gesänge ganz eigenartig nach einem
gewissen Grundprincipe geschaffen, an dem es zähe festhält. Ha*
man dieses aufgefunden, dann ist es gar nicht schwer, zur Einsicht
des Organismus seiner ganzen poetisch-musikalischen Kunst zu ge-
langen.
Weil nun im Volksgesange die Verschiedenen Grnndtypen der
Poesie und Musik in aller Breite aus dem unmittelbaren Leben des
Volksthums hervorgetreten sind , so versteht sich von selbst , dass
wir mit ihm, und nicht mit der subjeetiven Lyrik einzelner Dichter
und Komponisten von gestern und heute anzufangen haben. Ueber
letztere wird am Schlüsse gehandelt , und dann kurz ; sie zu beur-
heilen, also für die gegenwärtige Kunst feste Gesichtspunkte zu
gewinnen, ist der Endzweck des Ganzen -» es ist uns keineswegs
um blosse Unterhaltung oder Raritätenkrämerei zu thun. Wollten
wir aber mit ihnen anfangen, dann wäre des Hin- und Herredens
ebensowenig ein Ende, als heute des Dichtens und Liedercomponirens.
Auch muss ich Sorge tragen, dass der Leser schon im Einzelnen
an sich ein Interesse gewinne: und hier ist der Volksgesang wieder
das beste Mittel.
Und endlich will ich's nicht verreden t dass ich noch allerlei
Nebenzwecke mit solcher Anordnung verbinde; diese aber werde ich
sorgfälti» zu verbergen suchen, damit es den Leser nicht verdriessl,
mir zu folgen.
I.
Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz.
Ihr Liedlein, ihr Liedlein , woher seid ihr gekommen ?
Vom Himmel gefallen, im Hain gewachsen ?
Wir fielen vom Himmel nicht, wuchsen im Hain nicht,
Uns haben die Knaben« die Mädchen ersonnen.
Slowakisches Volkslied.
In einem Briefe an J. Dürrner in Edinburg, dessen man aus
Nr. 22 sich erinnern möge, versuchte ich die Grundsätze aufzu*
stellen, nach denen Volkslieder gesammelt und der Öeffenilichkeit
übergeben werden sollten. Ich habe heute das Vergnügen, die Leser
mit einer Sammlung bekannt zu machen , welche meine vielfachen
Forderungen überreichlich erfüllt und dcsshalb als ein Muster auf*
gestellt werden kann. Es ist folgende;
Volkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlausitz. Aus Vplks-
munde aufgezeichnet und mit den Sangweisen , deutscher Ueber-
setzuug . den, nöthigen Erläuterungen , einer Abhandlung über
die Sitten und Gebräuche der Wenden und einem Anhange
ihrer Märchen , Legenden und Sprichwörter, herausgegeben von
Leopold Haupt, Secretair und erster Bibliothekar der ober'
lausitzer Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz cic. , und
J. E. Schmaler, Cand. d Theol., Mitgl. des lausitzer Vereins
etc. 2 Bände in gr 4. Erster Theil: Volkslieder der Wenden
in der Oberlausitz, £Vl und 302 Seilen. Zweiter Theil:
Volksl. der Wenden in der Niederlausilz, XII und 332 Seiten. Mit
einer grossen Karte der wendischen Lausitzen , zwei Lithographien
(imisikalischc Instrumente > Anlage eines wendischen Dorfes
und eines wendischen Bauerngehöftes) und drei colorirten Blät-
tern wendischer Volkstrachten. Grimma bei S. M* Gßbhard,
1841 und 1844. Pr. 11* | 8 Rth.
- 143
Die Herausgeber konnten für ihren feinen zarten Sinn kein
besseres Zeugniss ablegen, als durch den „Reisesegen" mit
welchem sie den ersten Band in die Welt schickten. Wie ist das
lieblich gedacht und ausgedrückt l
„Der Engel des Herrn begleite dich mit seinem Segen unter
.,Slaven und Deutschen, unter Freunden und Feinden, unter
„Gelehrten, und Ungelehrten , auf Feld und Flur, in Haus und
,.Hof, in Hütten und Palästen, wo du gehst und stehst, wo
„du weilst und eilst, auf allen deinen Wegen und Stegen.
,.Wo du bescheiden klopfst an , da werde dir willig aufgethan
.,\Vo du eintriffst mit Zucht und Sitten , da sei freundlich be»
„grüsst und wohlgelitten» Wohin dich Winde und Wogen
„bringen und tragen , da erschalle ein fröhliches Singen und
„Sagen. Den Slaven und Deutschen sollst du sagen, dass die
„Erleuchteten, Guten und Frommen sich überall mit einander
„vertragen, sich ehren und lieben und nimmer betrüben, sich
„helfen , fördern und rathen zu heilsamen Werken und edlen
„,Thaten; dass jedes Volk, aus seines Geistes frischer Lebens-
„kraft etwas Schönes und Edles und Ewiges schafft, ist gross
„und mächtig und ehrenhaft , mög' es auch noch so klein und
„vergesslich sein. Den Gelehrten und Ungelehrten sollst du
„verkünden , dass tief in des niedern Volkes Gründen , nicht
„bloss auf der Bildung lichten Höhen , wo die Weisesten und
„Besten stehen , zu finden ist das Geistreiche und das Schöne,
„in Perlen des Wortes und im Silber der Töne» Lass dir vor
„den tiefen Kennern nicht grauen , die dich von Vorn und von
„hinten beschauen, und finden sie an dir manchen Mangel Und
„Fehl, und sehen sie dich an so bös und scheel, so sei de-
„müthig und hab' es kein Hehl, dass du Vieles hast auf die
„Heise mitgenommen , was ungezogen und unvollkommen , und
jtsage ihnen, eh' sie reden, geschwind: Ich bin nur ein armes
„Bauernkind ; habt Nachsicht mit mir Und beurtheilt mich nur
„nach meinem Wesen und meiner Natur."
Die Zahl der mitgethetlten Lieder ist 531 , 331 aus der Ober*
laüsitz im ersten* 200 aus der Niederlausitz im zweiten Bande. Nur
zu wenigen fehlen die Originalmelodien. Selbst die Namen der
Sänger und Sängerinnen , aus deren Munde die Lieder gehört und
aufgezeichnet wurden, sind, wo sie den Herausgebern bekannt waren
den Liedern überall vorgesetzt, stets aber ist die Gegend angegeben,
Wo die Lieder heimisch sind. Ucber die reichen Anmerkungen
worin auch die Lieder anderer Völker zur Vergleichung angezogen
werden, sprechen wir weiter unten.
Der Text nicht allein der Lieder > sondern auch die Einlei-
tung» Märchen u. s. w. ist deutsch und wendisch. Lässt sich nicht
leugnen * dass hierdurch Und durch detaillirte statistische und andere
Beschreibungen das Werk für unsern Zweck des Guten etwas zu
viel gethan, so sind wir doch weit entfernt, dergleichen für über-
flüssig zu halten* Besonders verdienstlich ist die ausführliche
Darlegung der sprachlichen Eigentümlichkeiten.
Unsere Wenden Waren früher ein grösser Volksstamm;, sie
sind jetzt aber in diesen Gegenden bis auf circa 250,000 zusammen-
geschmolzen, 20,000 in Preussen , 50,000 in Sachsen; *Ö,Ö00 kath.
die übrigen protestantisch. Sie waren früher oft in heftigen Kriegen,
traten aber nie erobernd, sondern nur vertheidigend auf, sagen die
Herausgeber; das heisst: ihre Eroberungszüge reichen Weiter zu-
rück als unsere geschichtliche Erinnerung > ihre Glanzzeit war vor
Sonnenaufgang». jet»t geht's bergab mit ihrem Volksthum.
Die Sprache der Oberlausitzer hat die meiste Aehnlichkeit mit
der* Böhmischen ; die der Nicderlausilzer kommt der polnischen
näher. Beide sind so verschieden, dass Ober und NiederlaUsitzer
nur mit Mühe sich verständigen können. Eine merkwürdige Ver-
wandtschaft findet besonders in Rücksicht der Vocälisaliöh mit dem
Russischen statt. Manches ist germanisirt ; am reinsten spricht das
niedre Volk, und hauptsächlich in seinen Liedern. Aus dem, was
Herr Haupt mit unendlicher Mühe Bd. IS. 10 *- 18 zusammen*
stellt i, ersieht man genau die Eigenthümlichkeit dieser Sprache.
Wir können hier natürlich nur das beachten, was sich auf die
'Tonbildnng bezieht. Aber eben hier findet sich Zweierlei, was sehr
wichtig ist. Einmal tchlen unter den Consonanten fast alle harlcH
Laute, k, p und t lauten immer fast wie £* b und d. Wichtiger
ist der Jotacismus, nämlich die Neigung fast sämmllichcr Cohmi-
nanten in einem zu endigen i bj , zsokj , zj , tschj , chj , hj , $.,
dschj, fcj, und so weiter. Die Sprache mag dadurch ganz geeignet
sein , den Ton heiterer Geschwätzigkeit anzuschlagen , wie Haupt
I, 23 anmerkt, aber es steht fest, dass es musikalisch ein Mangel
ist. Weil die harten Consonanten fehlen, wird sie der Gesangton
nicht scheidend scharf abgrenzen können > was unter Umständen be-
sonders für deutliche Aussprache sehr hinderlich sein kann. Kommt
dazu noch der durchgehende Gebrauch des j, welches halb Vocal und
halb Consonant ist, so werden dadurch die Vocalo und die Con-
sonannten vermischt, die Aussprache an, sich nimmt schon eine
Menge von Ton weg und raubt ihn dem Gesang, das Ganze be-
kommt etwas Verschwommenes und Unreines. Die Fähigkeit reiner
Tonbildung, die z. B. die Deutschen schon vermöge ihrer Sprache
in einem so hohen Grade besitzen, kann den Wenden nicht zuerkannt
werden, und wir dürfen kaum voraussetzen, dass sie unter viel gün-
stigeren Umständen es in der Musik weiter gebracht haben würden,
als jetzt in ihrem Volksgesange. Der Volksgesang ist der lebendige
Keim alles weiteren Wachsthums der Kunst; man wundere sich
daher nicht, wenn wir das Geheimniss der verschiedenen musika-
lischen Anlage bei den Völkern nach der einen Seite hin im Bau
der Sprache offenbart finden. Die wendische Sprache hat viele
Consonanten 'und durch die Verschmelzung mit den Vocalen etwas
merkwürdig Glitschiges. Howbj, Taube; zschjass, Zeit; sawsa y Drüse
jeejo, Ei; tuzschjeelj, Regenbogen; pschjätschjeelj , Freund; etc.
Die Herausgeber haben die Lieder unter 7 Rubriken gebracht:
1) Feldlieder, 2) Sätzchen oder Gesetzchen; *8) Tanzlieder;
4) Rundgesänge; 5) Hochzeitslieder; 6) Bittlieder; 7) Legenden.
Wir betrachten dieselben nach diesen Vorbemerkungen nun genauer
und jede Abtheilung für sich»
(Fortsetzung folgt)»
ZW£l AUTOREN ÜNÖ DIE NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK.
Herr Stehlin , der Verfasser des in Nr, 10 d. Ztg. beurrheilten
Werks „die Naturgesetze im Tonreich" etc., hat auf diese Re-
cension eine „Antikritik" folgen lassen (Beilage zur Leipziger N.
Zeitsch. f. Musik), auf die ich folgendes erwiedere. Herr Stehlin
schrieb der Redaction der Südd, Mzfg* unterm 12. April 1853 .eine
Epistel voll ausgesuchter Grobheiten, in Welcher es hiess: „Ich be-
rechtige &ie» dieses Schreiben zu veröffentlichen, was ich selbst
thun werde, wenn ich binnen 14 Tagen keine Genug-
thuung von Ihnen erhalten hab e". Eben wegen dieser un-
geschickten Drohung ist es der Red. gar nicht eingefallen, Herrn
Stehlin auch nur einer Antwort zu würdigen. Hätte derselbe eine
Entgegnung eingesandt, meinetwegen in so ernstem Tone, als er für
nöthig befunden, aber nur frei von persönlichen Ausfällen und
Schimpfworten: so wäre ich wahrlich der Letzte gewesen, der
die Redaction von einer Veröffentlichung derselben zurückzuhalten
gesucht hätte , und ich würde dann mich für verpflichtet gehalten
haben, vor denselben Lesern die nähere Erklärung und Begründung
meiner Behauptungen zu versuchen und zwar in dem Zusammen-
hange und in dem Tone, wie Herr Stehlin mir angegeben. Jetzt bin
ich dess überhoben | ich lehre, erkläre und begründe das Meine
daher in der Sachordnüng und Zeitfolge, wie es mir, und nicht wie
es Herr Stehlin beliebt. Ich bespreche z. B. in einigen Aufsätzen
über Lieder Und Melodien die verschiedenen Tonarten in ihrem ge-
schichtlichen Verhältnisse \ in Briefen an den Pythagoräer Beete
die Streitigkeiten der Aristoxener Und Pythagoräer; in einer Rc-
cension der „Harmonik und Metrik" von Hauptmann die harmo-
nischen bnd melodischen Gruhdverhältnisse u. s. w. Mit der
Doppetwette jjvott 20 Stück Dukaten" und der erwarteten Antwort
darauf „binnen 2 Monaten" mache Herr Stehlin sich doch nicht
lächerlich. Wie kommt er dazu,, wetten zu wollen mit einem Recen-
sehten > den er so gründlich zu verachten sich alle erdenkliche
M&he gibt? Auch Ehrentitel wie „Sudelei, Ignoranz > Schmäh.
aHikel" etc. sende ich unbenutzt und zu anderweitiger Verwendung
wieder zurück; bei mir (ragen sie keine Zinsen t sie Überraschten
nrieh unter so eigenihünilichen Verhältnissen , dass ich laut lachen
imis»ie , und worüber man einmal recht herzlieh gelacht , hält es
144 —
schwer zu zürnen; auch verhehle ich nicht, dass obige Titel für
mich in vieler Hinsicht recht schmeichelhaft gewesen sind. Herr
Stehlin begnüge sich einstweilen damit , dass er , wie er die Re-
daetton brieflich sehr bescheiden belehrte „mit seiner Abhandlung
eine Polemik hervorgerufen , an der sich schon bedeutende Notabi-
litäten und in Deutschland allein 10 — 15 Journale und Zeilschriften
betheiligten j auch die franz. Akademie der Wissenschaften und schönen
Künste habe sich schon durch ihren Secretair, so wie Graf von Monta-
lembort brieflich an ihn darüber ausgesprochen* 4 — und ich vermag
bei solcher Lage der Dinge sehr wohl zu begreifen , „dass die Süd-
deutsche Musikzeitung sein Bewusstsein nimmermehr erschüttern
kann".
Der Recensent des Stehlin'schen Buches.
Es ist eine längst bekannte Sache, dass es nichts empfindlicheres
auf dieser Welt gibt als, Autorenei telkeit. Einen Autor, der
sich in dem süssen Gefühle gewiegt, seine Entdeckungen würden
seinen Namen unsterblich machen, mit einem Lächeln auf seinen
Irrthum aufmerksam zu machen, gilt den Betreffenden mindestens für
Hochverrath Gäbe es noch Autodafes, so würde der Recensent
sicher den Flammen geopfert. Es hat uns deshalb nicht Wunder
genommen, in Nr. 7 u. 8 der N. Zeitschrift für Musik, die sich bei
dieser Gelegenheit als interimistischer Gerichtshof für empfindliche
Autorengemüther contra „Süddeutsche Musikzeitung" constituirt zu
haben scheint, zwei grimmige Ausfälle der Herren Stehlin und
Wöllje, Verfasser zweier in Nr. 10 u. 11 dieser Blätter besproche-
nen Werke gegen unser Blatt zu finden.
Auf den ersten hat unser geschätzter Mitarbeiter oben schon
selbst geantwortet.
Der des Herrn Wöllje, Dr. juris und Ober-Appellations-Gerichts-
Prokurator in Gelle , der in dem Ton gehalten ist , mit dem der
Herr Ober-Appellations-Gerichts-Prokurator etwa armen Sündern ent-
gegentreten mag, verdient keine Antwort. Wem keine andern
Waffen zu Gebote stehen, um sich gegen die Kritik zu vertheidigen,
als die gewöhnlichsten Schimpfworle , wer seine geistige Ohnmacht
nicht anders zu bedecken weiss, als durch den schlecht verhehlten
Wunsch, „Criminalrichter" und „Polizei" möchten, wie nach 1848
in der Politik, so auch in „Wissenschaft und Kunst" die Ordnung
aufrecht erhalten, dem gehört nichts als ein — Pfui!
Die Neue Zeitschrift für Musik aber, die sich mit ihrem Streben
nach Freiheit in Wissenschaft und Kunst so mächtig brüstet, die so
oft die Würde und Ehre derselben als ihr Panier erhoben hat, fra-
gen wir, wie sie es mit ihrer Ehre vereinbaren kann, Aussprüche
wie den obigen , der Wissenschaft und Kunst schändet, in ihre
Spalten aufzunehmen ? Hat sie vielleicht nicht verstanden, was der
Sinn desselben war, oder wollte sie es nicht verstehen?
Die Redaktion d. Süddeutschen Musikzeitung.
NACHRICHTEN.
Bad Soden« Zum Besten des hiesigen Krankenhauses
wurde am 20. August eine grosse Soiree musicale gegeben, in
welcher neben Frl. Johanna Wagner und deren Schwester Franciska
mehrere Frankfurter Künstler mitwirkten. Unter Andern trug Herr
Hecht, ein junger tüchtiger Ciavierspieler, zwei Piecen (von Schulhoff
und eigene Composition) vor. Einige Tage vorher gab Herr Ed.
Beyer aus Hamburg ein Conccrt auf der von ihm neuerfundenen
Pedal Guitarre.
Bonn» In einem Concerte zum Besteu des Cölner Dombaus
kam Robert Schumann's neueste Composition, der Königssohn,
Ballade für Soli, Chor und Orchester zur Aufführung. Dieselbe fand
nach der Rheinischen Musikzeitung eine sehr günstige Aufnahme,
Madrid« M. Bernard, Director einer französischen Schauspiel
gesellschaft, hat das Privilegium zur Errichtung eines französischen
Theaters erhalten. .Derselbe beabsichtigt, eine französische Opera
comique zu gründen.
Leipzig. Vor Kurzem fand hier eine Versammlung der
Directoren der Cartellbühnen statt. Es hatten sieh zwar nur Wenige
eingefunden, indessen wurden doch folgende Beschlüsse gefasst:
1. Der Verein wird in ein bindendes Rechtsverhältniss verwandelt,
so dass künftig gerichtliche Klage bei Contraventionen möglich ist
2) Mit dem Centralorgan wird eine allgemeine Vereins-Agentur ver-
bunden. 3) Zweckmässige Grundlagen zu einem allgemeinen Theater
Pensionen-Fonds vorzubereiten. 4} Preise auf beste Trauer- und Lust-
spiele auszusetzen. 5) Von nun an jährliche Versammlungen zu halten.
Frankfurt. Der treffliche Baritonist Pischeck gastirt hier.
Im Verein mit dem Tenoristen Soniheimer sang er in Homburg in
einem Concert und wurde auch hier mit Beifall überschüttet.
— Berlioz gab im Theater ein Conzert, in welchem mehrere
seiner Compositionen aufgeführt wurden.
Wien. Die neuesten Nachrichten über das Befinden Ander's
lauten nach der Wiener Mtisikzeitung nicht sehr beruhigend.
Berlin. Von Musikdirecktor Markuli in Danzig wird in diesem
Herbst auf dem Friedrich Wilhelmstädter Theater eine neue „roman-
tisch-komische Oper, das Walpurgisfest", zur Aufführung kommen.
Musik- und Gesangfeste. Am 9. und 10. fand in Hirschberg
das 14. grosse und Schlesische Musikgesangfest statt. Man führte
Ouvertüren von Hesse und Lindpaintncr , kirchliche Gesänge
von Dinzi, Klein, Tschirch , Mendelssohn und Fr. Schneider u. s w.
auf. — Das Eutaner Musikfest zur Erinnerung an C. M v. Weber
wird am 11 — 13 Sept. stattfinden — In Rotterdam wird im Juli
nächsten Jahres die Niederländische Gesellschaft zur Beförderung
der Tonkunst ihr 25jähriges Stiftungsfest feiern. Das Comite* zur
Vorbereitung desselben ist schon in Thätigkeit und bemüht sich, die
gefeiertsten Musiker und Sänger zur Theilnahme zu gewinnen.
Wiesbaden« Bei Gelegenheit der Vermählung der Prinzessin
von Nassau soll Indra von Flotow als „Festoper" gegeben werden.
— Der neue Capellmeister Fr. Hagen ist bereits mit den Proben
bezchäftigt. Frl. Storck, welche Eagasjementsan träge von Carlsruhe
erhalten hat , konnte dieselbe j p<nicht annehmen , da sie aufs Neue
durch zweijährigen Contrakt gebunden ist. Wie schwer muss es
sein, eine gute erste Sängerin zu finden!
London. Am 70. August schloss die Italienische Oper mit
Wilhelm Teil. — Die englische Oper, an deren Zustande-
kommen C. Formes den bedeutendsten Antheil hat, wurde am 22.
im Drurylane-Theatre mit Weber's Freischütz eröffnet. Die Besetzung
war folgende : Caspar — Formes, Max — Reichardt, Agathe — Frl.
Caradori, Aennchen — Mad. Anschütz. — Wenngleich die Pflege
deutscher Kunst im Auslande gerechte Anerkennung verdient, so ist
es doch auf der andern Seite traurig, dass die bedeutendsten Kräfte,
die eine Zierde jeder deutschen Oper in der Heimath sein würden,
der Nationalbühne dadurch entzogen werden. C. Formes, Reichard,
Stigelli, Frl Zerr, Frl. Cruvelli und noch so manche Andere — wie
viele Lücken könnten durch sie ausgefüllt werden !
Baden In der Schweiz. Der Theaterdirektor Löwe wurde
durch das Losgehen eines mit Schrot geladenen Gewehrs in den
Händen des Theaterdieners so schwer verwundet, dass er wenige
Tage nachher starb.
Carlabad. Der Violinist Ed. Singer gab am 22. August im
Verein mit dem Pianisten Bülow, Schüler Liszt's, ein Concert, wel-
ches sehr besucht war. Der Erstere begiebt sich von hier nach
Prag und Pesth.
Mannheim. Die aus andern Blättern in unsere letzte Nummer
übergegangene Notiz über den Tenoristen Flintzer war gänzlich un-
richtig. Er selbst hat gekündigt. Ferner ist er nichts weniger als
wahnsinnig geworden, auch war es nicht die Probe zu seiner letzten
Vorstellung, denn er hätte noch einen halben Monat zu singen ge-
habt , wofür auch das Repertoir bereits eingerichtet war. In die
Probe von Catharina Cornaro kam Flintzer etwas verstimmt, und
brach in der grossen Scene mit Catharina im 2. Akte plötzlich in
anhaltendes Weinen aus. Die Probe hörte auf, F. ging nach Haus,
und gab Niemand Gehör. Dass diese Aufregung Folge seiner Kün-
digung war, ist nicht zu läugnen, aber kurz, er wurde nicht wahn-
sinnig, und ist längst abgereist, vorerst nach Hause, von wo er sich
in sein neues Engagement, Posen, begeben wird. Aus dem Berg ist
sonach eine Maus geworden 1
BRIEFKASTEN.
Herrn — 8. — «1» In Dre»äen : Genehm l
Ver.ntworUicli.r MklMr : J. J. SCHOTT. - Dnek «n RISlKEt WALLAU 1» ■«•«.
2. Jahrgang.
tf*. 39.
12. Sept. 185&.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG,
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
«an ahonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Buchhandlungen.
REDAGTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
II. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr,
für den Jahrgang.
Durch die Pott bezogen :
SO kr. oder 15 Sgr. per gnartal.
Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. VI, — Das Lied. — Correapondenzen, (Hamburg.) — Nachrichten.
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
einen guten Operntext*
(Eine kunsthistorische Skizze.)
VI.
Wir haben in unserm letzten Artikel gesagt: nur eine einzige
deutsche Oper — Fidelio — wurzele nicht in der mittelalterlichen An-
schauungsweise, sei also keine „romantische"
Dasselbe gilt von einigen italienischen und französischen Opern,
deren Stoffe ausserdem die Grundbedingung jedes „Dramas", das
Vorhandensein eines tiefen sittlichen Conflikts, erfüllen und auch
in dieser Beziehung höher stehen , als die übrigen vorhandenen
Operndichtungen. Wir meinen besonders vier: Auber's Stumme,
" Ros sinis f^ir'fl^^faei^g'Hugenotten und sein Prophet.
Dass man diese Opern theihveise als Werke der Neu-Roman-
tischen Schule bezeichnet, kann uns nicht kümmern. In den Texten
derselben , in ihrem Inhalt , ist nichts Romantisches , nichts , was
an das Mittelalter erinnert, zu finden. Was die Musiker unter dem
Wort „Neu-Romantiker" verstehen, geht uns hier nichts an. Ei«
gentlich hat dieser Ausdruck in dieser Bedeutung gar keinen Sinn,
denn Bezeichnungen für bestimmte Begriffe lassen sich unmög-
lich auf die Musik übertragen , die nichts mit Begriffen zu thun hat.
Warum spricht man nicht lieber gleich von transcendentaler Musik?
Der Werth der Texte zu obigen 4 Opern ist nicht gleich, aber in
allen haben wir einen Inhalt, der bedeutend genug ist, um als Stoff
für ein reines „Drama" zu dienen, einen Inhalt, der zugleich aus dem
Geiste der Neuzeit geschöpft ist, also mit unserer Anschauungsweise
harmonirt.
Die Liebe zum Vaterland, die Liebe zur Mutter, der Hass gegen
fremde Unterdrücker, die Treue gegen verfolgte Glaubens- und Par-
teigenossen : das sind Gefühle , die uns eben so berechtigt er-
scheinen, als die tiefste leidenschaftlichste Frauenliebe, die für uns
nichts Unnatürliches, Gemachtes haben, sondern die wir theilen.
Wie Masaniello, wie Teil , wie Arnold , wie Raoul, wie Johann (im
1. Akt des Pr.) fühlen, so fühlen auch wir, wie sie kämpfen, so
Würden auch wir kämpfen, wenn uns das Schicksal in gleiche Lage
brächte. Hier sind die verschiedenen Kräfte, welche in den Cha-
rakteren wirken, gleich berechtigt , und erst dann können wir einen
dramatischen Gonflikt mit ganzer Seele verfolgen , wenn dies der
Fall ist.
Das Mangelhafte in diesen Dichtungen ist nur die Form, die
Bearbeitung, die allerdings mit Ausnahme einer einzigen, sehr viel
zu wünschen übrig lässt Sowohl Teil, als die Stumme sind schöne
historische Gemälde , dramatisirte Dichtungen mit lyrischen Epi-
soden , aber keine Dramen ; auch in ihnen müssen die Schönheiten
der Musik das ersetzen, was dem Ganzen an Einheit und Consequenz
abgeht. So musste z. B. im Teil der Kampf Melchthals zwischen
der Liebe zur Bertha und zum Vaterland zum Mittelpunkt des Ganzen
gemacht werden , aber der Text- Verfertiger hielt sich sklavisch an
die Schiller'sche Dichtung, mochte zudem die schöne Gestalt
Teils nicht entbehren und so schwanken wir ewig zwischen Teil und
Meichthal hin und her, ohne uns für Einen von Beiden überwiegend
interessiren zu können.
Ganz anders in den „Hugenotten". Man hat von kritischer
Seite erklärt, dies sei der beste Stoff der bis jetzt für die Oper ge-
funden worden sei. Wir sagen nein : die Stoffe zur Stumme, zum
Teil , zum Propheten sind eben so gut , ja der Stoff zum Teil ist
ganz dasselbe. Nur die Bearbeitung ist es, welche den Hugenotten-
text über diese und somit über alle vorhandenen Operntexte erhebt.
Der erschütternde innere Kampf Raouls zwischen Liebe , Ehre und
Glauben ist hier nicht wie im Teil, zu Gunsten eines zweiten Cha-
rakters in den Hintergrund geschoben worden, sondern bildet den
alleinigen Inhalt. Von der ersten Scene an drängt Alles unauf-
haltsam der Katastrophe entgegen, bis das Drama im 4. Akte seinen
Höhepunkt erreicht. Die Scene, in welcher Raoul dort Seine Glau-
bensgenossen, an die ihn alle Bande der Freundschaft, der politischen
Ueberzeugung , der Ehre und des Glaubens fesseln, ohne Führer
hinschlachten, hier die heiss Geliebte , wenn er sie verlässt , einem
Andern hingegeben sieht, ist das Grossartigste und Erschütterndste,
was das musikalische Drama bis jetzt geleistet hat, nicht allein
durch die musikalische Behandlung, sondern hauptsächlich durch die
Gewalt der Situation , durch die Macht , mit welcher dieser Conflikt
unser Inneres ergreift.
Es ist unbegreiflich , wie das , was diese Meyerbcer'schn Oper
von allen übrigen, und besonders allen romantischen unterscheidet,
nicht längst zur Erkenntniss dessen gebracht hat, was der Oper
fehlt, um so unbegreiflicher , als nicht nur der ungeheure Erfolg
dazu einlud, sondern wie wir schon erwähnten , der Stoff selbst als
ein vortrefflicher anerkannt worden ist. Statt dessen hat man wie
gewöhnlich, alle auf den Effekt berechneten Zuthaten und Aus-
schmückungen der Textverfertiger wie des Komponisten d. h, alles
Tadelswerthe nachzuahmen versucht und das wirklich Bedeutende
des Mcyerbcer 'sehen Textes : die klare Einsicht in das , was die
Gegenwart von einem Operntext, sowohl dem Inhalt als der Form
nach verlangt , eben so wenig einer Beachtung gewürdigt , als man
auf der andern Seite im Stande war, mit dem musikalischen Genius
des Componisten zu wetteifern.
Der Text zu den Hugenotten leidet allerdings an mancherlei
Gebrechen, aber diese haben ihre Ursache weniger in dem Nicht-
können und Nichtwissen als in dem Nichtwollen. Wir sagen nichts
Neues, wenn wir denMeyerbeer'schen Opern einen starken Hang zu
künstlichen nur auf augenblickliche Effekte berechnete Combinationen
vorwerfen, wodurch die Einheit und der Zusammenhang des Ganzen
auf das empfindlichste gestört und selbst der in den beiden letzten
Opern mit sicherm Blick gewählte Stoff theilweise wieder verdorben
Wird, (Robert der Teufel gehört vollständig den wüsten mittelalterlichen
Remiszensen an und kommt hier gar nicht in Betracht). So erscheint
um nur eines anzuführen, die Schlussscene in den Hugenotten nur
durch das Streben nach einem recht erschütterndem Schlusseffekt
motivirt was allerdings erreicht worden ist , über auf Kosten eines
der ersten Kunstgesetze: dass jedes Kunstwerk das Gemüth des
w —
Betrachtenden oder Hörenden zur Ruhe fuhren müsse. Der Ausgang
der Katastrophe im Drama muss ein solcher sein, durch welchen
wir entweder uosem menschlichen Gefühlen nach befriedigt werden*
oder, bei einem tragischen Ausgange, das Walten einer hohem Ge-
rechtigkeit , die Macht der sittlichen Wcltordnung , erkennen , und
dadurch mit dem Ende Tersöhnt sind. Das Niederschiessen von
Raoul und Valentine in der letzten Scene mag durch den Starrsinn
und Glauhenshass des Vaters erklärlich genug und in einer Er-
zählung ganz an seiner Stelle sein , aber das Drama hat andere
Gesetze als historische Fakta und Niemand wird sie verletzen, ohne
sich und seinem Werke am meisten zu schaden.
Zeigt sich schon in dem besten Meyerbeer'schen Werke eine
Trübung des Richtigen durch fremdartige Zwecke, so tritt dies in
dem Texte zum Propheten in einem Grade hervor, dass es unser
tiefstes Bedauern erregen muss. Hier dominirt die Absicht der
äusserlichen Wirkung vollständig über alle Kunstgesetze und die
klare Einsicht sowohl in das , was das musikalische Drama über-
haupt als insbesondere das der Gegenwart von Stoff und Form
verlangt, erscheint wenn nicht verdunkelt, doch nur angewandt um
möglichst viel spannende und aufregende Situationen zu schaffen.
Als die Hauptbedingungen der Bearbeitung des reinen musika-
lischen Dramas dürfen wir wohl folgendes betrachten:
Dasselbe verlangt einen Grundgedanken aus welchem Alles
übrige entspringt und um welchen als den Mittelpunkt des Ganzen
die einzelnen Scencn sich natürlich gruppiren. Die verschiedenen
Momente des dargestellten Conflikts müssen rasch aufeinander folgen,
ohne fremdartige Zuthaten und Ausschmückungen; sie müssen die
Situation immer schärfer zeichnen, immer mächtiger zur Ent-
scheidung , zur Katastrophe treiben. Mit der Scene , welche diese
Entscheidung bringt, den Sieg der einen Kraft über die andere vol-
lendet, erreicht das Drama seinen Höhepunkt. Auf diese Scene hat
der Dichter wie der Komponist die höchste Aeusserung seiner
künstlerischen Kraft zu versparen , sie muss das Schönste und Be-
deutendste des ganzen Werkes sein. In der Regel wird diese Scene
den letzten Akt bilden, an sie sich das Finale desselben und damit
der Schluss der Oper reihen. Nur so kann den Forderungen des
Dramas genügt, nur so die erforderliche Spannung ohne fremde Beihülfe
erhalten, nur so die höchste und reinste Wirkung erzielt werden.
Was die Länge der Oper betrifft, so sind wohl 3 Akte das höchste,
was ohne Gefahr für die Reinheit und Einheit des Ganzen oder für
das lebendige Interesse gestattet werden kann.
In den Hugenotten tragt die übermässige Ausdehnung des
Ganzen einen grossen Theil der Schuld , dass so viele störende
Elemente eingeflochten sind, in dem Propheten hat diese Ausdehnung
au den ärgsten Verstössen gegen alle Gesetze des Dramas geführt,
zu einer Anhäufung und Verwickelung dramatischer Spannungen und
Kämpfe, welche jede Einheit, ja jede feste Zeichnung der Charak-
tere unmöglich machte.
Um eine Reihe der angreifendsten Scenen zu schaffen, die
sonst unmöglich mit einander zu vereinigen gewesen wären, haben
die Textverfertiger den Stoff zu drei verschiedenen Dramen oder
Opern in eine einzige gedrängt.
Der Kampf Johanns zwischen der Liebe zur Mutter und zur
Braut , die grässliche Wahl zwischen dem Leben der Einen und
der Ehre der Andern —
Fides (in der Kirche) zwischen Mutterliebe und den heiligsten
Gefühlen des Weibes hin und her gerissen —
Bertha in dem geliebten Bräutigam den verhassten und ver-
fluchten Verderber des Vaterlandes erkennend — das sind Stoffe
von denen jeder ein Drama von höchstem Interesse und der gross-
artigsten Wirkung gegeben hätte , gewaltsam zu einer Einheit ge-
presst, erscheinen sie missbraucht und vernichten gegenseitig ihre
Wirkung,
Denn da die einzelnen Charaktere nach der höchsten Aeusserung
ihrer geistigen Kräfte immer wieder auf die Bühne gebracht werden
müssen, war man gezwungen, auf künstliche Weise und mit Auf-
bietung aller materiellen Mittel das Interesse für sie einigermassen
rege zu erhalten, ohne sie doch vor der innern Herabwürdigung
retten zu können.
Johannes z. B., der im 2. Akt unser höchstes Interesse gewonnen
hatte, erscheint in den folgenden als ein Schwächling und Als ein
Betrüger. Wie steht er im 4. Akte seiner Mutter gegenüber ? Ist dies
derselbe Charakter , der früher , als es sich um die Rettung seiner
Braut ans den Händen eines gemeinen Wüstlings handelte, mit einem
heroischen Entschluss Alles opferte um die Mutter zu erhalten,
er, der jetzt einer betrügerischen, ihm noch dazu .von Andern aufge-
drungenen Rolle zu Gefallen die heiligsten Rechte der Natur mit
Füssen tritt und die Mutter verleugnet?
Zu solchen Verzerrungen der Charactere führte der Abfall von
den Gesetzen des reinen Dramas und hier haben wir den sprech-
endsten Beweis, wie der beste, wahrhaft dramatische, allen An-
forderungen der Gegenwart entsprechende Stoff durch mangelhafte
Bearbeitung, sei dieselbe eine Folge der Unfähigkeit (wie im Teil)
oder eine Folge fremdartiger Bestrebungen, verdorben werden kann.
Dass es aber dessenungeachtet noch weit mehr an dem Ver-
ständniss dessen fehlt, was der Geist der Zeit in Betreff der Stoff-
wahl für Opern bedingt, als an der Fähigkeit oder dem guten
Willen, denselben nach den dramatischen Gesetzen zu gestalten, das
zeigen die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiet der Oper in
Deutschland am Besten.
DAS LIED,
seine poetische und musikalische Compositlon.
(Fortsetzung).
L
Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz.
1. F e 1 d 1 i e d e r , d. h. solche Lieder , die beim Gange durchs
Feld im Freien gesungen werden. Sie sind gewöhnlich romantischen
und elegischen Inhalts, haben grösstentheils eine bedeutende Länge,
und werden besonders von den Hirten und Hirtinnen auf dem Felde,
sowie von den aus der Schenke heimziehenden Burschen gesungen.
Ihrem Inhalte und ihrer Form nach könnte man sie füglich „Roman-
zen und Elegien" nennen (I, 24). Sie machen die Hälfte der ganzen
Sammlung aus. Ihr Inhalt erinnert sehr oft an deutsche Züge, mit-
unter sind Lied und Melodie geradezu von hier entlehnt und leise
umgeändert; natürlich nur recht schöne deutsche Gesänge. Die letz-
teren zeichnen sich aber durchweg vor den wendischen aus durch
breitere Strophen und demgemäss auch durch eine längere, vollere
Melodie. Die Liedstrophen sind im Wendischen meist sehr klein; die
poetische Fähigkeit der Wenden ist in dieser Beziehung eine sehr
geringe, denn auch wo die Strophe sich zu erweitern strebt , wo sie
über den Band von je zwei Zeilen hinausgeht, bringt sie es gewöhn-
lich nur zu blossen, rhytmisch gegliederten Wiederholungen. Am
häufigsten so :
Die Serben ziehn gegen die Deutschen ins Feld,
Verstehen kein einziges Wörtlein Deutsch,
Verstehen kein einziges Wörtlein Deulsch.
(Nr. 4.)
Im Walde beugt sich ein Tännelein,
Im Walde beugt sich ein Tännelein,
Herunter fiel ein Mägdelein.
(Nr. 29.)
Guten Abend, Mütterlein!
Wo ist euer Töchterlein?
Trudlajdu, talala,
Wo ist eurer Töchterlein?
(Nr. 6. Das deutsche „Frau
Wirthin , habt ihr gut Bier
und Wein," auch die Grund-
züge der Melodie.)
Hinter unserm Backofen spielen die Mücken,
Spielen die Mücken,
Thun sich die rothgrünen Röckelein flicken.
(Nr. 61.)
Herrin hat ein goldnes Ringlein,
Herrin hat ein goldnes Ringlein,
Ho he!
Uoldnes Ringlein. (Nr. 59.)
— 147
Aber auch reine drei- und vierzeilige Strophen sind nicht selten.
Der Barsche möchte gerne frein,
Schwatzt Jeder was vom Nehmen ein,
Doch keine will sein Liebchen sein.
(Nr. 60.)
Der Fuchs begegnet einem Frosch, welcher Briefe trägt:
„Bin aus Ottendorf gesendet
Mit geschrieb'nen Briefen hier:
Ach, wer ist so hochgelehret.
Dass er liest die Briefe mir?"
Fuchs der las die Brief und schaute
Immer auf den Buntrock aus,
Zeigt die Zeilen mit dem Finger,
Schnappt den Buntrock weg zum Schmaus.
(Nr. 88.)
Eine liebliche rhytmische Dehnung der vierten Zeilen zu dreien , so
dass eine Strophe von sechs Zeilen herauskommt, findet sich z. B.
Nr. 80 und 81, von denen der Anfang des ersten auch noch eine gute
Moral enthält:
Wer hoch und angesehn will sein,
Der muss sich lassen conterfein,
Schön weiss und roth fürs liebe Geld,
Wie's Mode ist,
Wic's Mode, Mode ist,
Wie's Mod' ist in der Welt.
Diese Bemerkung über die Strophen bezieht sich nicht bloss auf die
„Feldliedcr," sondern auf die ganze Sammlung ; einzelne Abweichun-
gen merken wir unten an. Der End-Reim findet sich so häufig
nicht, als es nach den obigen Bruchstücken den Anschein haben
könnte; und er ist überhaupt hier weniger ein durchdringendes Prin-
cip, als in der deutschen Poesie. Auch vom Stabreim (von der
Alliteration) findet sich nichts Bemerkenswerthes.
Unter den Feldliedern heben wir Einige hervor.
Nr. 18. Ungethcilte Liebe.
Andante.
—4-
§
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£s=a
v=t
ä
*
^Ö
1. Zwei weis-se Füs-se Täubdien hat, zweiweis-se Füs-se
roll.
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-Ä-
*
t*
m
Täubchcn hat, dcrBursch zwei schöne Lieb -eben hat.
2. Und wenn er mit der einen sprach, :,:
Die andre seufzte Weh und Ach.
3. ,0 seufze nicht, mein Mägdelein, :,:
Du sollst ja auch mein Liebchen sein/
4. „Mit solcher Liebe lass mich sein, :, :
Ich will dich haben ganz allein/'
5. Da nahmen sie sich bei der Hand, :,:
Und fährten sich am Wiesenrand.
6. Und mitten auf dem Wicscnplan, :,:
Da trafen sie zwei Schlösser an.
7. ,Nun will ich, Mägdlein, dass du sagst, :, :
In welchem du wohl wohnen magst/
8. „Wo du willst, Liebster, mag es sein, :,:
Hab ich nur dich, nur dich allein."
Diese kleine, gesangreiche Melodie scheint sehr beliebt zu sein ; Nr.
139 findet sich dieselbe in nur geringer Variation bei einem ähnlichen
Licde, was den Herausgebern entgangen scheint, da sie es unbemerkt
gelassen.
Eine wildlustige Tanzweise finden wir z. B.
Nr. 19.
Vivace.
fc / ~py
*£:
Eg
xz
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1. Ku-kiz ist ein klei-ner Ort, Ku-kiz ist ein kleiner Ort,
2. Starb der gros-se Her-re dort, Starb der grosse Her-re dort,
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hm hm hm, ha ha
X - V -y* '
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ii
»
»
>J
ha! starb der gros-se Her-re dort,
wird der Schäfer Herr im Ort.
u. s. w.
»
Dergleichen Melodien sind hier in grosser Menge vorhanden ; sie
sind aber durchweg ohne gel st* gen Ausdruck , oder doch ohne den
rechten ; ihre Tonart ist modo laseivo, nämlich die jonische oder Dar.
tonart. Dazwischen sind andere um so lieblicher. So unter andern
zwei Liedchen nach derselben Melodie:
Nr. 103.
Andante.
iä=*
ä£3
i
/^s
3:
-# — 0-
Üi
1 .Dort auf Sprembergs grünen Höhn, ja, ist ein Bir-nenbaum zu sehn.
2. Hat ge - blüht im Son-nenschein,ja, hat ge * reift im Mondenschein.
3. Kam da -her ein lei -ser Wind,ja, Hirnlein fie-len ab geschwind.
3. Bursche las die Bir-nen ein, ja, trug sie hin zum Mäg-de- lein.
5. An ihr hel-les Fenster -lein, ja, in ihr wcis-ses,Bet-te- lein.
Nr. 104.
1. Halte an mein Schiifersmann , will besteigen deinen Kahn.
2. Wirst mich wiegen, wiegen fein, ruhig werd' ich schlafen ein.
Man bemerke hier die rein Aeolische Melodie mit der Septime
g (statt gis). Dieselbe Erscheinung bietet sich uns wiederholt dar;
Nr. 106 haben wir sie ebenfalls , wo die Melodie zuletzt in der Do-
rischen Tonart ausklingt.
Nr. 106.
Andante. _
fr-r-T— ft
ft^OU }]*&frf tf &
±3E=±73t
=3
1
1. E - ber - c-sche beug-te sich und er-schlug den Liebsten mir, o
"*S-J <
t
Weh! und er-schlug den Lieb - sten mir.
2. Gott — o Leid, wo nehm ich doch
Einen andern Liebsten her,
Oh weh!
Einen andern Liebsten her?
3. Einen andern hab ich schon;
Aber er ist mir nicht treu,
O weh!
Aber er ist mir nicht treu!
4. Komm' ich in die Schenke hin,
In die Schenke hin zu Bier,
O weh!
Tanzt mit einer andern er
5. Allen andern schenket er,
Und ich muss von ferne stehn
O weh!
Dazu seufzen tief und schwer.
Sodann finden sich einige Melodien, denen nach unsern Begriffen
ganz und gar eine feste Tonart mangelt, z. B. Nr. 117 und 120.
Nach beiden werden, ein Zeichen ihrer Volksgemässheit, mehrere
Lieder abgesungen. Die crslere ist S. 139 also aufgezeichnet:
Moderato.
m
-*-
-Öl-
&
SS5
i
Was hab ich doch Neu-es er - fah • ren jetzt, mein Liebster der
tat
zfc
will von mir fort.
Sieben Takte, Anfang in D, Ende in E — ist doch wirklich bunt
genug! Und doch is£Nr. 120 anscheinend noch gesetzloser:
Andante.
ms
£
£:
4
t
:p
%3&
1. Dort hin-tern Scheu-ncn auf
2 Wer hat ihn aus - gc - tre
tr.
*
H®-
der Flur ist ein schma-
ten doch? Mäd-chcns Lieb-
•#=s#-T
I±
ler schma - - 1er Steg, bis an die Knice ist
ster ganz al - - - lein, wenn er zum Ko - sen Ab-
£
ijEzzp:
-<©-
t==r-
±=3t
m
er tief, ein - en Fuss nur ist er breit,
ends ging, Mor-gens früh vom Ko - sen kam.
Gerade diese Melodien werden die ältesten sein , dies darf man
im Allgemeinen fest voraussetzen. Die Geschichte , die Entwicklung
der Tonarten führt zu diesem Ergebniss. Dasselbe ist auch schon
durch den negativen Beweis , dass sich nirgends in der neuern 'Mu-
sik, sondern nur am Anfange derselben eine Möglichkeit zu solcher
Melodicbildung darbietet, festgestellt. Zufällig las st sich bei Nr 120
aus einem kleinen Worte (siehe S. 368) das hohe Alter des Liedes
erweisen.
«8 —
Eine ähnliche Melodie , die Mancher auch unbedingt als tonar-
tenlos bezeichnen würde, lässt sich mit Hülfe einiger Gelehrsamkeit
doch ganz gut unterbringen. Nämlich :
n Largo. Nr. 112.
1. Wenn sich der Frühling wie
2. Wenn dann die Bäume in
3. Dann werd' ich schöne Kran
35
m
#=:
der näh - crn wird, wenn
der Bio - the stchn, wenn
ze win - den mir, dann
s
+-*-
Ä=55
m
fy n h.i
w~w
sich der Frühling wie - der
dann die Bäume in der
werd ich schöne Kran - • ze
näh - ern wird, undFeld und Wiesen
Blü - the stehn, der Gar-ten sich mit
win • den mir, ja mir zwei Kränze
^S
tö
grü - nen wird.
Ro - sen schmückt.
win -den hier. u. s. w.
Sieht mir in dorischer Tonart , nur bewegt sich die Hälfte in dem
nahe verwandten Mixolydischen (in G, eine Quarte aufwärts), hier
ist also nichts Gesetzloses. Aber alt ist diese Melodie, wenn irgend
eine , gewiss auch : und ich kann mir denken , dass sie bei rechtem
Vortrage auch von eigentümlicher Schönheit sein wird,
(Fortsetzung folgt)
-$••*>-
CORRESFONDENZEN.
AUS HAMBURG.
Mehr noch als in den vorhergehenden Monaten beschränkt sich
jetzt jeder musikalische Bericht von hier auf das was auf der Buhne
erscheint. Jede Concertmusik ist verstummt , d. h. im Concertsaal
und vor dem für ernstere Genüsse empfänglicheren Publikum. Denn
allerdings ist die Zahl der Orchester, welche in den Wirthshäusern
und in Gärten spielen, überaus gross. Schon -früher erwähnte ich
die Namen Berens , Herzog , Fürstenow und andere, die mit ihren
zum Theil zahlreichen Gesellschaften hauptsächlich Tänze, aber auch
sehr viele Ouvertüren , ja Sinfoniecn bisweilen trefflich ausführen.
Diese täglich wiederholten Hebungen haben eine grosse Menge gar
tüchtig routinirter Spieler erzogen , so dass eine kundige Hand hier
ein ganz vortreffliches Orchester von 40 Violinen und dem übrigen
entsprechenden zusammensetzen könnte, dem dann nur die höhere
geistige Führung nöthig wäre, um ernstere und tiefere Sachen zu
erfassen. Hörncr, Trompeten, Posannen und alle Holzblasinstrumente
sind gleichfalls trefflich. Einen grossen Ziifluss von Fremden zieht
schon seit lange der Apollosaal an sich. Der im Anfang des Jahr-
hunderts erbaute Concertsaal ist mit Recht berühmt wegen seiner
schönen Resonanz , wenn er sich auch nicht mit den Lokalen in
Berlin, München, Leipzig und andern messen kann. Er ist in diesem
Augenblick durch die strebsamen Besitzer weiter ausgebaut, indem
grosse Nebensäle hinzugefügt sind, wobei ein in der Mitte der 3
Säle aufgestelltes Orchester für alle Räume ausreichen soll. Ob
die Akustik dabei nicht verloren gegangen ist, wird sich erst zeigen
müssen? wenn dies der Fall wäre, so würden wir es höchlich zu
beklagen haben, da wir in ganz Hamburg keinen andern guttönend en
Concertsaal besitzen. Indem ich aber die in Wirthshäusern und
Gärten spielenden Orchester erwähnte , konnte ich allerdings das
Interesse Ihrer Leser dafür nicht weiter in Anspruch nehmen. Ver-
möge der Lokalverhältnissc hält sich, was die Damen betrifft, das
ganze gebildetere Publikum von diesen Produclionen fern , da jede
irgend wohlhabende Familie ihre eigene Gartenwohnung im Sommer
bezieht, von der sie sich nur ungern und selten entfernt. Ausserdem
ist das Programm dieser Leistungen zu sehr auf die Tanzmusik be-
schränkt um eine bedeutendere Würdigung beanspruchen zu können.
Und so ist es denn immer wieder die Oper , welche allein die ge-
wählteren Hörer aller Stände vereinigt und auf Sinn und Geschmack
der Geniessenden einen unberechenbaren Einfluss ausübt, Wenn
nun auch bei uns Meyerbeer, Halevy, Verdi, Auber u. s. w« die
Hauptgötter sind, so wiederhole ich doch das früher Gesagte mit
Freude, dass nähmlich Mozart (mit Don Juan, Figaro, Zauberflöte)
Beethoven (Fidelio) Weber (leider nicht mit Euryanthe) und andere
deutsche Meister nicht selten zur Ausführung kommen. Im Ganzen aber
ruinirt die Anstrengung des zu häufigen Auftretens in so grossen
Werken Sänger und Orchester und selbst die Hörer werden gegen
das Beste abgestumpft. Die grosse Oper beitet eine so gewaltig
gesteigerte Vereinigung einzelner schon an sich ergreifender Künste
und der Eindruck auf die Genicsscnden ist so anspannend, dass
meiner innersten Ueberzeugung nach die Beschränkung auf höchstens
zwei wöchentliche Opernabende die Leistungen der Darsteller ver-
edeln und das Vergnügen des Publikums erhöhen würde. Wenn
die Direction auch nur für 4 Wochen einmal den Versuch wagen
wollte, ich bin überzeugt die Zufriedenheit würde allgemein sein. —
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Königsberg« Sobolewsky, welcher bekanntlich sein Amt
als Theatercapellmeister niedergelegt hat, ist jetzt alleiniger Dirigent
der musikalischen Akademie. Die Oper ist mit grösstentheils neuer
Besetzung in ihre Heimath zurückgekehrt.
Wien« Der Bassist Dalle Aste hat Fiasko gemacht. Frl Bury
wird erwartet.
Berlin. Aubers Stumme hat bei ihrer neuen Zusammen-
setzung abermals ihre alte Anziehungskraft bewiesen und wird
wohl künftig auf dem Repertoire bleiben. Die Sommerbühnen machen
in diesem Jahre glänzende Geschäfte.
Frankfurt. Neu engagirt sind die Herrn Auerbach und Bau-
mann, Ersterer als Heldentenor, Letzterer als Spiel tenor. Der Er-
stere ist im Besitz einer frischen metallreichen Stimme, die aller-
dings noch grosser Ausbildung bedarf; leider aber ist er seiner
Persönlichkeit halber nicht zum Heldentenor geeignet. Der Letztere
gefällt sehr.
* CÖIn» Als Primadonna der neuen Oper wird Frau Behrendt-
Brandt genannt, jedenfalls eine glückliche Acquisition.
Berlin. Auf der hiesigen Opernbühne trat kürzlich ein neuer
Tenorist, Herr Niemann, als Sever auf, welcher durch seine frische
klangvolle Stimme grosse Hoffnungen erregt.
Von den 31 Sinfonien, die in Folge des Brüsseler Preis-Aus-
schreibens eingereicht worden sind, ist das Werk eines Deutschen,
Herrn Hugo Ulrich in Berlin, als das beste anerkannt und mit dem
Preise von 1500 Francs gekrönt worden. Dasselbe wird am 24.
Sept. aufgeführt werden.
Wien. Frl. Johanna Wagner sollte am 5. September zum
ersten Male auftreten und zwar als Fides im Propheten. — Von
Auber wird zur Aufführung kommen Maurer und Schlosser, das
eherne Pferd und Marco Spada. Seine Krondiamanten wurden in
den letzten Tagen gegeben.
Prag. Frau Nottes hat als Fidelio am 28. und 30. Furore
gemacht.
Paris* Die Wiedereröffnung der grossen Oper ist immer
noch unbestimmt. Das Repertoire derselben wird seine Huge-
notten, das neue altrömische Ballet, eine Uebersetzung von Doni-
zettis Bettly , das eherne Pferd von Auber , ein neues Ballet von
Rosoti, eine Oper in 2 Akten von Limnander und ein grosses Werk
in" 5 Akten : La None sanglante , Text von Scribe , Musik von
Gounod. Die neue Oper von Halevy, Le Nabob, sollte am 27.
August in Scene gehen. Im Theater des Varietes macht seit einiger
Zeit Mad. Ugalde, bisher der Liebling des Publikum's der Ope*ra
Comique, welche vor Kurzem ihren Contrakt auf schlaue Weise zu
lösen gewusst hat, Furore. Der Direktor sieht sich plötzlich auf dem
Wege reich zu werden. Durch die Demission Corti sind viele
italienische Sänger die er bereits engagirt hatte, ohne Winter-En-
gagement. Die France musicale empfiehlt lusttragenden Impressariis
für die Armen zu sorgen. Ob eine italienische Oper für nächsten
Winter zu Stande kommt , ist noch ungewiss. Bewerber und Pro-
jekte zur Ausbeutung sind allerdings vorhanden.
Verantwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. — Druck von REUTER n. WALLAU In Mainz.
2. Jahrgang.
ur*. 38.
19. Sept. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint Jeden
HONTAG.
Min abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Bachhandlangen.
REDACTM UND VERLAG
TOD
B. SCHOTTS SÖHNEN INMAINZ,
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
II. 3. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen:
SO kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. VII. — Literarische» — Correap. (Hamburg. Dresden.) — Nachrichten.
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
VII.
Was in Deutschland in den letzten Jahren für die Oper ge-
schaffen worden ist, bewegt sich entweder in dem gewohnten Gleise
oder verzichtet vollständig darauf, nach künstlerischen Gesetzen be-
urtheilt zu werden. In jedem Falle wird das Geständniss abgelegt,
dass man sich ebenso unfähig fühle , den Meistern der dramatischen
Musik nachzueifern, wie die gesteigerten Ansprüche der Gegen-
wart an die Oper als ein musikalisches Drama nur einigermassen
befriedigen zu können. Statt um die Anerkennung der wahren
Kunstfreunde zu werben, buhlt man um den Beifall der leicht zufrieden-
gestellten Monge, die ihre Werke mit demselben Auge ansieht und
mit demselben Ohre anhört, mit welchem sie morgen eine Pro-
duktion der Kunstreiter oder die Parademusik beurtheilt.
Nur Einer hat es versucht, die deutsche Bühne, die seit einem
Dezennium verwaist dasteht, mit Werken zu bereichern, die sich dem
Besten an die Seite stellen könnten , was wir besitzen und die zu-
gleich den Forderungen der Zeit an die Oper ihr Recht werden
Hessen.
Mit seltenem Talente begabt, mit Ernst und Liebe sich seiner
Aufgabe hingebend , hat dieser Eine — Richard Wagner — sein
Ziel vollständig verfehlt, weil er eben so wenig das, was der Oper
vom künstlerischen Standpunkte aus Nolh thut, als das, was ihrem
Inhalt nach den Bedürfnissen der heuligen Geistesbildung fehlt,
erkannte , sondern dort ein falsches , nur in seiner Individualität
begründetes Princip als die Existenzbedingung der Oper aufstellte,
hier hinter seiner Zeit, die die mittelalterlichen Tendenzen abzustreifen
versucht, zurückgeblieben ist und Werke, die vollständig in der ro-
mantischen Anschauungsweise leben, als den Anforderungen der
Gegenwart oder gar der Zukunft entsprechend, hinstellen möchte.
Ein Blick auf die Texte zum Tannhäuser und Lohengrin wird dies
beweisen.
Wagner dringt bekanntlich schärfer , als irgend Jemand darauf,
das Vorgeben: die Oper sei ein musikalisches Drama, endlich wahr zu
machen. Gleichzeitig will er den Inhalt derselben veredeln und statt
der bisherigen mehr oder weniger unnatürlichen Stoffe das Rein-
menschliche zum Vorwurf und zum Inhalt des Dramas gemacht
wissen. Hat die letzte Forderung einen Sinn , so kann es nichts
anders heissen, als: der Inhalt des Dramas der Zukunft müsse sich
über die Anschauungsweise eines Zeitalters erheben, in welchem
das Reinmenschliche unter cereniöntellen Formen, Dogmen, schwär*
nierischen Vorstellungen von der Natur, des Irdischen und des
Ewigen u. s. w. unterdrückt werde.
Wie bestehen die Wagner'schen Texte bei diesen von ihm selbst
aufgestellten Forderungen?
Im Tannhäuser sehen wir eine reichbegabte Natur sich in dem
Kampfe zwischen rein geistiger Liebe und sinnlicher Gluth ver-
zehren. Zwei weibliche Wesen, hier die personificirte Göttin der
Sinnlichkeit, Venus, mit dem ganzen Apparate der Mythologie, dort die
reine, fromme Unschuld Elisabeth in der religiösen Verklärung des
Mittelalters, bilden die beiden Pole, welche ihn bald anziehen, bald
abstossen und seine innere Zerissenheit für uns zur Anschauung
bringen. Bei dem Sängerkampf auf der Wartburg bricht die Er-
innerung an die genossenen sinnlichen Freuden , bricht die lang ver-
haltene sinnliche Gluth in ein stürmisches Loblied auf die Göttin
der Sinnlichkeit aus. Von der frommen Elisabeth, deren Herz er
dadurch gebrochen, mit Mühe vor den Schwertern der empörten
Zeugen seines Geständnisses beschirmt, wallfahrtet er nach Rom zum
Papst, um dort Vergebung für seine Sünde zu finden. Vergebens.
Die Absolution wird ihm verweigert und er kehrt verzweiflungs-
voll zurück, um sich — von Neuem in die Arme der Venus zu werfen,
als im letzten Augenblick der Name der Elisabeth, von warnender
Freudesstiinme ausgesprochen, seiner ediern Natur den Sieg verschafft.
Doch nur um ihn an dem Sarge der Elisabeth, der voüberge-
tragen wird, todt niederstürzen zu lassen. Dies ist seine Rettung
aus den Banden des Fleisches.*)
Der Grundgedanke der Dichtung , der Kampf zwischen der hö-
hern Natur des Menschen und seinen sinnlichen Trieben, ist ein wahrhaft
dramatischer, aber durchaus nicht neu. Nicht nur, dass derselbe
das stete Thema des griechischen Dramas bildet, nicht nur, dass der-
selbe in den bedeutendsten dramatischen Schöpfungen der Neuzeit
in andrer Gestalt wiederkehrt — bei Shakespeare, Göthe, Grabbe —
auch in der Oper ist derselbe schon benutzt worden , denn was
ist der Inhalt von Don Juan und von Spohrs Faust anders ?
Doch dies ist Nebensache.
Aber wo bleibt hier das „Reinmenschliche" welches Wagner selbst
als Inhalt des musikalischen Dramas fordert ?
Meint er damit nichts weiter, als dass der dargestellte drama-
tische Couflikt wirklich in der menschlichen Natur begründet, dass
er einmal in der Seele eines Menschen vorhanden gewesen, also nur
nicht ganz und gar erfunden sei, dann ist seine Kritik der bisherigen
Opernstoffe vollständig aus der Luft gegriffen , denn diese Be-
dingung erfüllen wohl alle die bisherigen Opernschöpfungen mit
wenigen Ausnahmen auch.
Meint er aber damit das von den Vorurthcilen früherer Zeiten,
von formellen, künstlich erschaffenen Beschränkungen befreite
„Reinmenschliche" wie es ewig gültig, ewig dauernd ist, dann hat ef
am ersten gegen sein eigenes Gebot und gegen die Forderungen der
Gegenwart — von der Zukunft ganz zu schweigen — gesündigt. v .
Denn der Inhalt des Tannhäuser ist nicht blos ganz und gar in
das nebelhafte mystische, über- und desshalb unnatürliche Fluidum
des Mittelalters getaucht, welchem jede gesunde Anschauungsweise
*) Wagner hat den Schloss des Tannhanser kürzlich dahin abgeändert, dass der Leich-
nam der Elisabeth nicht »ehr auf die Bohne gebracht wird , sondern f annhluser in den:
Armen Wolframs , wngtben ven den Pilgern , stirbt. Et lit «im eine rein acenlsche MM
inderang. "' ■>>
159 —
der Gegenwart widerstrebt und zu dessen Verscheuchung alle gei-
stigen Hebel unserer Zeit in Thätigkeit gesetzt werden, sondern er
spricht der heutigen Auffassung von dem Röinmenschlichen in uns ^
vollständig Hohn. r
In dem Tannhäuser haben wir das leibhaft« Ebenbild des mittel-
alterlichen Geistes.
Wir erblicken darin die rein geistige, allem Sinnlichen fremde
Liebe in religiöser Weihe , die sinnliche Natur dagegen mit dem
Fluche der Sunde beladen, als das böse Princip behandelt
Eine Versöhnung Beider, die doch tief in unserem Wesen be-
gründet sind, eine Versöhnung, die der Geist der Neuzeit in allen
Verhältnissen des menschlichen Leben» erstrebt, gibt es nicht.
Entweder : Die Natur abstreifen , entsagen und — selig werden,
oder gemessen, was die Erde beschieden und — verdammt sein.
Das ist die Alternative, die R. Wagner als das Reinmenschliche an-
zusehen scheint.
Tannhäuser kann die Sünde, seinen sinnlichen Begierden zu viel
Herrschaft eingeräumt zu haben, nicht durch Reue, durch innere
Besserung, durch freie Rückkehr zur Tugend sühnen, wie es unserer
heutigen Anschauungsweise gemäss einzig und allein geschehen
könnte. Nein. Wird ihm in Rom vergeben, dann ist er ent sündigt.
Wenn nicht, dann muss er fortsündigen oder — sterben. Das Letztere
Ist denn auch sein Loos.
Die Bearbeitung dieses Stoffes verträgt den Massstab des reinen
Dramas eben so wenig, als der Inhalt den der heutigen Geistes-
bildung. Tannhäuser schwankt bis zum Schlüsse hin und her. Wir
.sehen keinen stetigen Kampf der streitenden Elemente in ihm, kein
aUmäliges Bezwingen des einen durch das andere, sondern eine
rein äusserliche Steigerung derselben durch zufällige Begegnungen
.«nd Launen» Es ist ein reiner Zufall , dass Tannhäuser die Höhle
4er Venus nicht wieder betritt. Als er sie verliess , rief nicht ein
Fremder sein edleres Selbst hervor sondern er mit eigner Kraft!
Das Ganze ist eben kein Drama, wie sehr auch Wagner darauf
.dringt, sondern die Tann häusersage in dramatisirter Form,
Dasselbe gilt von seinem Lohengrin , dessen Grundgedanke der
A&mliche ist, wie im Tannhäuser, nur in viel schwächerer Weise
ausgedrückt.
Der Kampf zwischen der edleren Natur des Menschen und
den unedleren Trieben ist hier in ein Weib verlegt, aber so , dass
er nicht das geringste Interesse an und für sich haben kann.
Ob die sehr entschuldbare weibliche Neugierde, den Namen,
'Stand und Heimath des Geliebten zu wissen, der sie als ihr Kämpfer
im Gottesurtherl von schwerer Anklage reinigte, vor Schmach und
Elend rettete, über das bestimmte Verbot ihres Retters, diese Frage
zu thun, siegen werde oder nicht: davon hängt all ihr Glück ab
\ind um diese Frage dreht sich das ganze Stück.
Ein dramatischer Conflikt ist hier gar nicht vorhanden, wenn
man nicht das Schwanken des Kindes, ob es eine ihm untersagte
Speise gemessen solle oder nicht, auch einen solchen nennen und
nöthigenfalls zum Drama ausarbeiten will.
Wozu all' dieser Aufwand von geistiger Anstrengung, dieses
Aufbieten alles Talents, aller Mittel, wenn der Inhalt so arm ist,
Tdasra , wenn die verbotene Frage endlich geschieht und Lohengrin
"wie das Orchester ein wahrhaftes Todtenantlitz zeigen, Alle, die
das Textbuch nicht zur Hand haben , oder es auswendig wissen,
«inander erstaunt ansehen, und fragen, was denn eigentlich auf die
■Darsteller eine solche Wirkung ausgeübt habe J
Dazu bewegt sich Lohengrin ebenso ausschliesslich in der mittel-
alterlichen Anschauungsweise mit ihren kindischen Zaubergeschichten,
Ihrem Wunderglauben, ihren fantastischen Traumen, wie Tannhäuser.
Die Bearbeitung zwar ist entschieden besser als die des letzteren,
innere Einheit, Goneetitration des Interesses, Steigerung der Situa-
tion» Motivirnng der Entscheidung: Alles ist reiner nach den
dramatischen Gesetzen behandelt, aber um so mangelhafter erscheint
der Stoff, an den so viel Mühe verwandt wurde. Ueberwiegt im $ann-
feaaser das Interresse am Inhalt, so aberwiegt liier 4as Interesse an
4er Bearbeitung ! In keinem sind also die Forderungen des Dramas,
die auf Inhalt und Form zugleich gehen, erfüllt.
Was aber ausserdem beiden fehlt, das ist jene bestimmte Charak-
terisirung der Personen« welche jsie als wirkliche Menschen von
«»Sorem »Fleische und unserem Blute erkennen läset. Die Helden
des Tannhäuser und Lohengrin sind Schattengestalten, Person!*
ficationen abstracter Begriffe und Ideen, die nicht angeschaut, sondern
mit dem Verstände zerlegt sein wollen, um ihre Bedeutung zu er-
fahren. Recht deutlieh verräth sich hier der Gebt des Mittelalters,
dem jede Persönlichkeit, jede individuelle, selbständige Lebens -
äusserung ein Gräuel ist Wie anders sprechen uns z. B. die griechi-
schen Götter und Heroengestalten an , die auch blosse Persontfi-
cationen sind, aber aus denen in jedem Zuge der Mensch spricht!
Aus dem Gesagten ergibt sich, wie wir meinen, dass Wagner
merkwürdigerweise die beiden Hauptbedingungen, welche er für
die Opern-Reform in Beziehung auf die Texte aufgestellt hat , in
praxi vollständig negirt.
Statt reiner Dramen gibt er dramatisirte Sagen , statt der ge-
läuterten veredelten Stoffe , dem „Reinmenschlichen", führt er uns
wie die frühern Romantiker, nur vollständiger und treuer mitten
in den fremden Geist eines hinter uns liegenden Zeitalters und lässt
uns die Wahl: mit Tannhäuser zu sündigen, oder mit ihm zu
sterben. Von einem Verständniss des neuen Geistes, der in der
Menschheit erwacht ist, und der auch von der Kunst seine Aner-
kennung fordert, ist bei ihm als Künstler keine Rede. Wenn irgend
Jemand den Namen eines „Neu-Romantikers" verdient, so ist es
R. Wagner.
RECEMSIONEN.
JYeue Ausgabe Mährischer Volkslieder . Moravske 1 , Ndrodni pis ne
etc. Se braue 1 od (professor) F. S. — Brne, Karla Winikera
(Brunn, Karl Winiker). (Erstes, zweites und drittes Heft,
jedes 6 Bogen Lex.-Octav , Notendruck auf Velinp.
Von diesem Unternehmen liegen uns die drei ersten Hefte vor,
368 Weder mit ihren Melodien enthaltend, und Referent bringt schon
jetzt eine vorläufige Besprechung darüber, weil wir es hier mit einem
Werke zu thun haben, welches aus seltener Befähigung "und aus
bewundernswürdigem Fleisse hervorgegangen ist. Es wird durch
diese Arbeit eine grosse Lücke ausgefüllt in der Kette des Wendisch-
Böhmisch- Slavischen Gesanges, so dass von hieraus auf das Ganze
überraschendes Licht fällt.
Vorliegendes Werk, eine zweite, fast um das dreifache ver-
mehrte Ausgabe, erscheint heftweise, jeden Monat ein Heft und in
folgenden zehn Abtheilungen: I. geistliche Lieder und Legenden,
II. historische Lieder, 111. Liebeslicder, IV. Hochzeitslieder, V. Ernte-
lieder VI. Soldatenlieder, VII. Familienlieder, VIII. Tanzlieder, IX»
scherzhafte Lieder, X. vermischte Lieder. Die drei ersten Hefte
enthalten : I. geistliche Lieder (Posvätne, nämlich a, Legen dy
bis Seite 50, Nr. 1 — 42. ; b, Lyricke bis S. 78, Nr. 43 — 84)
II. historische Lieder (Dejepravne bis Seite 194, Nr. 85 — 189)
III. Liebeslieder (Pisne o läscc bis Seite 288, Nr. 190 — 368)
Die letzten sind mit dem dritten Hefte noch nicht abgeschlossen,
doch gewährt der Umfang dieser ersten drei Abtheilungen schon einen
ungefähren Ueberblick über die Reichhaltigkeit des Ganzen.
Der Herausgeber muss in ausgezeichnetem Maase besitzen,
was bei solcher Thätigkeit das beste ist: Sinn für die Naturlaute
Und ein tiefes Gefühl, in welchem sie treu wiederklingeu. Am
meisten bewährt sich dieses bei den Melodien, denn die Auf-
zeichnung der Lieder ist schon von Vielen auf verwandten Gebieten
mit Glück versucht, und verhäitnissmässig leichter. Und hier nun
scheint mir jede Melodie ein Ehrendenkmal der Treue des Heraus-
gebers zu sein ; er hat sie gegeben als eine frische Frucht mit aller
individuellen Färbung. Wem dies zuviel gesagt scheint — man
liest ja noch immer, ganz treu lasse sich dergleichen nicht auf-
zeichnen — der trete einmal zu näherer Betrachtung heran. Man
besehe sich z. B. Nr. 3 (Zwei prächtige und originelle Melodien);
3 (und die ähnlichen: 18. 44. 224. 300) wegen des Tritonus, 8. 15.
*8. «7. und 88. »1 die zwei verschiedenen Melodien zu denselben
Worten, 107 und 129 wegen des IttiytmuS, 116 mit übermässiger
Secunde, die Folge bei 142 und 143, 188. 202. 206. 215, den Schluss
t>ei 230, denRhjrtmus bei 231. 269. 280. «11 wegen der Melodie 343
368. und so weiter — ich fände kein Ende , wollte ieji alles Herk-
Wütdige aufzdrMfcn.
151 -
Man gewahrt bald , dass sich ein festes Gesetz in all diesen
Eigenthümiichkciten kund gibt, dass dies« wirklich so gesungen
werden können und gesungen sind: der vollgültigste Beweis für die
Treue der Aufzeichnung l
Vielen Liedern sind mehrere Melodien beigefügt. Die Lieder
sind in verschiedenen Lesarten gegeben in Noten unter dem Text
Ethnographische und literarische Quellen sind unmittelbar bei jedem
Liede angegeben. Alles auf. die übersichtlichste Weise und so,
dass man erst bei genauer Befrachtung die Mühe erwägen kann,
welche diese unscheinbaren Notizen voraussetzen. In Summa: der
Herausgeber hat aus dem Vollen gearbeitet.
Eine deutsche Uebersetzung ist nicht beigegeben, welcher Mangel
der schnellen Verbreitung dieser schönen Sammlung etwas hinderlich
sein dürfte. Auch das Zeitmaas, in welchem die Melodien der
Lieder gesungen werden, hat der Herausgeber nicht bezeichnet (wie
Haupt und Schmaler bei den Lausilzer Volksliedern), ich vcrniuthe,
weil unsere Bezeichnungsweise ihm nicht ausreichend oder weil sie ihm
irreführend erschien. Es wäre verdienstlich , wenn zum Schlüsse
darüber im Allgemeinen das Nöthige gesagt würde; es kommt in
Allem zuletzt nur auf das eigenthümlich Nationale an und dieses
muss endlich nach so gründlicher Erforschung des Einzelnen immer
in wenigen allgemeinen Zügen erscheinen, und sich darstellen lassen.
Ich bin nicht näher unterrichtet, ob der geehrte Herausgeber schon
für die Verdeutschung einiger von diesen Liedern thälig gewesen
und ob er uns vielleicht über die sprachlichen, sittlichen und sonst
hierhergehörenden Eigentümlichkeiten der Mähren einige Mitteilungen
machen wird. Weil solches gewiss von grossem Nutzen sein , und
ausserordentlich zum Verständnisse dieser Gesänge beitragen würde,
so erlaube ich mir, ihn hierum zu bitten
Im Uebrigen möge man diese Anzeige als eine vorläufige be-
trachten. Auf das Ganze komme ich ausführlicher zurück. Ich habe
hier zunächst bloss den Zweck, die Aufmeiksamkcit Aller derer,
welche ein tiefer gehendes Interesse an Tonkunst und Volkspoesie
hegen, diesem Werke zuzuwenden. Denn "solche verdienstvolle
grosse Arbeiten, nachdem sie die Mühe des Sammeins hinter sich
haben, finden noch immer eine nur sehr dürftige Unterstützung, so
dass die Herausgabe oft mit mehr Mühseligkeiten verknüpft ist, als
die Vorbereitung. Möge der hier besprochenen sehr sauber und
sehr geschmackvoll geordneten und ausgestatteten schönen Samm-
lung ein besseres Geschick zu Thcil werden!
So viel steht fest: wenn erst alle bedeutenden Gebiete de«
Volksgcsanges einen so gründlichen Forscher gefunden haben , wie
jetzt das Mährische: dann ist es uns vcrhällnissmässig sehr leicht
gemacht, denselben nach allen Seiten hin in seiner wahren Gestalt
zu erkennen. Man wird aber dann auch vielleicht mit Ueberraschung
gewahr werden, wie dürftig unsre Kenntnisse und wie einseitig unsre
Urthcile bisher auf diesem Felde waren. — ihs.
Handbüchlein für Orgelspieler und solche, die es werden wollen.
Zunächst für Organisten, Lehrer, Cantoren, Seminaristen und
Präparanden herausgegeben von J. M An ding, Seminar-
lehrer. Mit 24 beim Text sich befindenden Abbildungen, nebst
den nöfhigen Notenbeispielen. Hildburghausen, Verlag der
Kesselring' sehen Hofbuchhandlung, 1853 Ocfav , 166 Seiten.
Ein bei nicht grossem Umfange reichhaltiges Werk.
Betrachten wir das im ersten Theile desselben über die Ein-
richtung der Orgel Gesagte . so ist das Wissens würdigste über die
Geschichte der Orgel, über die einzelnen Theile derselben , über die
Mischung der Orgelstimmen , über das Stimmen und die vorkom-
menden Fehler nebst deren Abhülfe mit ebensoviel Kürze und Ge-
drängtheit, als Anschaulichkeit vorgeführt. Es ist dieses nicht so
leicht, als es Manchem erscheinen möchte und kann nur Einer, der
wie der Verfasser seinen Gegenstand vollkommen überschaut« hier
stets das Rechte herausgreifen. Gleiches lässt sich auch über den
.zweiten Theil sagen , der zuerst allgemeine Regeln für das Orgel-
spiel (Anschlag , Pedalapplicatur olc.) bringt und dann das Orgel-
spiel beim Gottesdienst, namentlich die einzelnen Theile desselben:
das Vorspiel , den Choral , die Begleitung der Liturgie und Kirchen-
musik und das Nachspiel, betrachtet. Der Behandlung des Vor-
spiels hätten wir etwas mehr Ausdehnung gewünscht» besonders ein
tieferes Eingehen auf die verschiedenen Formen desselben.
Wir können den Organisten, namentlich den Bildungstatten
derselben , das Werkchen , das durch seine überall hervortrötonde
Wärme für den Gegenstand , mit der es geschrieben ist , kräftig
anregen wird, mit gutem Gewissen empfehlen. t
Dr. V o lckmar.
-<•••>-
CORRESPONDENZEN.
AUS HAMBURG.
(Schluss.)
Fortwährend erscheint eine grosse Anzahl von Gästen in der Oper,
So interessant es ist, auch auswärtige und bisweilen berühmte
Künstler hier zu sehen , so sehr schadet es doch dem Ensemble der
hier engagirten, ihre Rollen jeden Augenblick an vorübergehende
Fremde abtreten zu müssen. Frl. Garrigues , Madame Maximilien,
Herr Eppich und andere machen daher oft längere gezwungene Pausen 1 ,
ohne dass ihnen aus einer ungeregelten Unterbrechung eine wirk-
liche Erholung erwachsen könne. Im Laufe des Juli hat Frl.
Babbnig ihre Darstellungen noch fortgesetzt, zum Theil zugleich mit
dem Tenoristen Herrn Bernhardt, der eine recht beifällige Aufnahme
gefunden hat. Später ward uns eine eigentümliche Leistung
geboten in dem Auftreten zweier Brüder Doppler aus Pesth, welche
mit Concerten für zwei Flöten in sehr brillanter und feuriger Aus-
führung gerechte Anerkennung fanden , soweit nämlich die Flöte
als Solo- und Concertinstrument auf Beachtung rechnen darf. Der
neue Oberregisseur Herr Rottmayer setzte die Vcstalin neu in
Scene, worin Frl. Garrigues als Julia, Madame Maximilien als Ober-
priesterin und die Herrn Eppich , Schüttky und Herr Lindemanh
sich würdig auszeichneten. Herr Schreiber aus Cöln trat an.
mehreren Abenden als Viotuos auf der Ventiltrompcte auf und er-
regte Bewunderung über die erworbene Fertigkeit. Dass er aber
Coloraturarien aus modernen Opern blässt, kann ich nur als traurige
Geschmacklosigkeit bezeichnen. — Im Beginn des August traten
Herr Brandes aus München und die früher hier oft gehörte Madame
Howitz-Steiuau auf. Herr Brandes zeigte schon beim ersten Er-
scheinen als Prophet schöne kräftige Tenorstimme und erntete,
trotzdem sein Darstellungsvermögcn nicht gleichen Schritt hält, all-
gemeinen Beifall. Teil und Tamino waren bei weitem geeigneter,
die Schönheit seiner Stimme ins glänzendste Licht zu setzen und
vorzüglich in der Rossinischen Oper hat er unsere verwöhnten
Ohren sehr erfreulich zur lebendigsten Anerkennung gezwungen.
Fräulein Betty Engst, vom k. k. Theater in Wien, entwickelte
eine sehr klangreiche Mezzosopranstimmc, vorzüglich als Fides
machte sie die Vorzüge des Organs vereint mit sehr feurigem
charakteristischem Spiele auf das wirksamste dahin geltend , dass
vielfacher Hervorruf sie auszeichnete. — In der Zaubcrflöle debutirte
ein Frl. Susanna Göthe in der Rolle der Papagcna. Sie scheint
wohl nicht geeignet zur Sängerin zu sein, da zum Singen 1. Stimme,
zweitens Stimme und drittens Stimme und viele andere Dinge ge-
hören. Nachdom Herr Brandes in der Zauberflöte Abschied genom*
men halte, wurde am 27. August Göthe's Faust neu in Scene
gesetzt durch Herrn Rottmayer zur Aufführung gebracht. Die Zwecke
Ihrer Zeitung veranlassen mich nur über die Musik von Lindpaintrfer
*u sprechen, welche uns zum ersten Male dabei geboten wurde.
Soweit ein einmaliges Anhören mir zu urtheilen erlaubt , beseichne
ich jedenfalls den Charakter der Motive als ganz verfehlt. Um das
tiefsinnigste Werk eines Göthe musikalisch zu commentiren , dazu
gehören andre Kräfte, als sie dem in vieler Hinsicht roulinirten und
formfesten Lindpaintncr gegeben sind. Ja kh habe mit lebhaftem
Interesse die Ueberzeugung gewonnen, dass der Dilettant Rad-
zivill auf diesem Felde den gewandten Kapellmeister gänzlich ge-
schlagen hat, weil ihm das nervum zu Gebot stand, nämlich die
tiefe Einsicht in die innerste Bedeutung des ernsten Gedichtes. Sa
hoch der Geist über der leeren Form steht , so weit überragt der
Forst Radzivill trotz seiner oft wirklich stümperhaften Formen die
I/sche Musik, die natürlich in dieser äussern Beziehung schulmässig
richtig i«t. unter andern lässt Lindpaintner die ganze «rste Be-
schwörung ohne Musikbegleitung, während Radzivill , gerade hie*
— 152 —
das Beute bei seiner Leistung bietet, indem er bei den Worten : „Ich
fühls, Ihr Geister, Ihr schwebt über mir!" den Gisdnraccord pp von
der Höhe herabtönen lässt. Ein grosser Fehler liegt zugleich darin,
dass der Componist L. uns nicht allein Musik zu vielen einzelnen
Scenen liefert, sondern unsre Aufmerksamkeit auch noch für 5
Zwischenacte in Anspruch nimmt. Das ist wenigstens unpraktisch,
denn Niemand hört zu. Die Ausführung der Musik war übrigens
sehr schwankend und verrieth Mangel an sorgfältigen Proben. Ich
würde mit Vergnügen der Wiederholung dieser Musik die Coro»
position von Radzivill trotz ihrer Fehler, vorziehen und endlich
Seyfried's Ouvertüre zum Klingcmann'schen Faust für eine sehr
Würdige Einleitung halten, da die Mozarl'sche Fuge (bei Radzivill)
sich seltsam genug ausnimmt.
AUS DRESDEN.
Anfang Sept.
In den seit meinem letzten Berichte verflossenen zehn Wochen
hat unsere Oper mancherlei physiognoinische Veränderungen er-
litten, oder, wenn man lieber will erfahren, denn von einem Leiden
kann da nicht gut die Rede sein , wo eine erhöhtere Thätigkeit,
ein frischerer Lebenspuls sich fühlbar macht. Es hat während dieser
Zeit ein Regicwechsel stattgefunden, indem an die Stelle des
nach Hamburg als Oberregisseur abgegangenen H. Rottmayer
der bisherige treffliche Chordircctor W. Fischer die Regie unserer
Oper aufs Neue übernommen , nachdem er schon früher eine lange
Reihe von Jahren hindurch (bis 1848) diesem Amte vorgestanden.
■Die übermässige Viclgeschäftigkcit des Abgegangenen, die, obwohl
von bestem Willen beseelt, doch nicht selten in pedantisch-recht-
haberische Kleinlichkeit, bisweilen selbst in Geschmacklosigkeit sich
verlor und — zumal er der wirklichen musikalischen Bildung entbehrte,
wiederholt zu kleinen Confliktcn führte, die dem ruhigen und einigen
Gesammtwirkcn nicht förderlich sein konnten und so manche seiner
guten Intentionen beeinträchtigen mussten : diese Vielgeschäftigkeit
wird allerdings der Nachfolger nicht bekunden, dagegen legt er bis-
her eine reelle und erfolgreiche Thätigkeit an den Tag, die in ihrer
ruhigen und rüstigen Fortentwickeln i»g erfreuliche Resultate ver-
heisst, da wir an das alle Sprichwort: neue Besen kehren gut, hier
nicht glauben denken zu dürfen. Innerhalb voriger Woche sind
drei neueinstudirte Opern, nicht nur angeblich fertig geworden, sondern
wirklich herausgekommen: Marschner's „Hans Heiling," Lortzing's
„die beiden Schützen" und Schenks „Dorfbarbier", während Ditters-
dorfs „rothes Käppchen" Mehuls „Je toller je besser'* und (als
Novität) O. Nicolais „lustige Weiber von Windsor" in mehr
oder minder naher Aussicht stehen. Bei dem Mangel an wirklich
guten und erfolgreichen neuen Werken aus diesem Gebiete ist das
Zurückgreifen in die Vergangenheit, die Erfrischung des durch
extravagante moderne Ueberreizung verdorbenen Geschmacks mittelst
Darbietung einfach gesunder Kost und zugleich eines erheiternden
Gegensatzes zu dem trübseligen Ernst des Lebens und seinen Ver-
hältnissen ein glückliches und dankenswertes Unternehmen zumal
wenn es überdies von verständiger Berücksichtung deutscher Na-
tionalität, wie hier getragen wird, und der gute Erfolg, die freundliche
Aufnahme, welche die bisherigen Versuche dieser Art hier unver-
kennbar in erfreulichster Weise gefunden haben, liefern den unzwei-
deutigen Beweis, dass unser Publikum noch hinlänglich empfänglich
für gute und wirkliche Musik, dass man einem reellen Bedürfnisse
desselben entgegen gekommen ist.
(Schluss folgt).
NACHRICHTEN.
Mainz. Die hiesige Bühne wurde mit Lucia von Lammermoor
eröffnet Darauf folgte Lucrezia Borgia; die zweite Aufführung be-
friedigte mehr als die erste. Ein ürtheil über die neue Gesellschaft
kann erst später gefällt werden. Hoffentlich vergisst der Herr Di-
rector nicht, dass die deutschen Componisten nicht auf — ini und
— etli endigen , und dass das Repertoir einer deutschen Bühne vor
allem ein deutsches sein muss.
Zur „Erholung" und zum „Amüsement" des Publikums sind die
leichteren komischen deutschen und französischen Opern, die nicht
mit falschem Flitterstaate von Gefühlen und Leidenschaften prunken
wollen, wie jene, da. Wer dem verdorbenen Geschmacke des Pub-
blikums huldigt, darf sich später nicht darüber beklagen , wenn der-
selbe ein anderes Object findet und ihn im Stiche lässt 1
f Braunsohweig. Im verflossenen Monat wurden aufgeführt:
„Indra" von Flotow , zum ersten Mal. Diese Oper hat, wie wohl
überall auch hier sehr wenig Theilnahme erregt, trotz des im Ganzen
lobenswerthen Eifer's, den die Darsteller der Hauptparthien an den
Tag legten. Ausserdem kamen zur Aufführung „Vestaiin" (neu ein-
studirt.) Jüdin, Martha (die unvermeidliche), Freischütz, Hugenotten,
Robert, Favoritin, Lucia und Romeo und Julie. Herr Himmer ist
auf einige Wochen ▼erreist, trifft jedoch in den nächsten Tagen
wieder hier ein. Herr Schmezer hat inzwischen Zeit gehabt , seine
Steckenpferdsparthien Robert, Raoul und Eleazar zu singen; den
Postillon, der auch zu diesen zählt, singt er heute Abend !
Die lebensgefährliche Krankheit des Herrn Kapellmeister Georg
Müller ist gehoben; derselbe ist gänzlich hergestellt und hat bereits
seine Wirksamkeit mit der Direction der Vestaiin wieder begonnen«
Wiens Frl. Bury ist hier eingetroffen und bereits aufgetreten.
Von hier geht sie nach Pesth. Ein andrer Gast ist F. Pruckner,
früher in Carlsruhe. Frl. La Grua trifft anfangs November ein und wird
als Valentine debutiren. Frl. Wagner wird Mitte dieses Monats er-
wartet und wahrscheinlich als erste Gastrolle in Romeo singen. —
Am 4. Oct zum Namenstage des Kaisers wird der Sommernachts-
traum von A. Thomas zum ersten Male in Scene gehen. Herr Beck
wird in Marco Spada die Titelrolle singen.
Paris« Die komische Oper von Halevy, Le Naboh, ist zweimal
unter grossem Beifall in der Opera-Comique aufgeführt worden.
Die geschlossenen Theater sind bis auf die grosse Oper, deren
Restaurationsarbeiten nocli nVht beendet sind, wieder eröffnet. (Hier-
nach ist die in Nr. 35 d. Bl. gegebene Notiz zu berichtigen.) —
Der Direktor der grossen Oper, Rocquelan, hat mit einer Gesellschaft
einen Vertrag zur gemeinschaftlichen ^Exploitation" seines Privi-
legiums abgeschlossen , dasselbe läuft bis Ende 1861. Die Gesell-
sellschaft hat binnen 6 Wochen eine halbe Millionen Francs in den
Gesellschafts-Fonds zu zahlen, der auf eine Million fixirt ist. Der
ganze Vertrag ist bereits gerichtlich confirmirt
f Ziille. Am 28. August fand in Arras ein grosses Preisgosang-
fest statt. Man hatte 17 Gesangvereine erwartet , es waren aber
nur 10 gekommen. Die Concordia von Aachen , welche ebenfalls
kommen wollte, blieb auch aus. Im Grund war die Abwesenheit
deutscher Vereine erfreulich. Dass das Preissingen nicht nur der
Würde der Kunst schadet, sondern dass die wohlthätigen Wirkungen,
welche die Musik auf die Gesellschaft ausüben könnte, geradezu
vernichtet werden, hat sich hierbei wieder recht deutlich gezeigt.
Hass und Eifersucht wird zwischen den verchiedenen Gesellschaften
und Städten gesäot und die Musik, die Botin des Friedens, wird
zu eiuer Beförderin der Zwietracht herabgewürdigt. Obschon die
Jury aus anerkannt tüchtigen unparteiischen Männern gebildet, ein-
stimmig votirt hatte, waren die Gesellschaften, welche niedrige Preise
erhalten hatten, doch unzufrieden; und die, welche leer ausgingen,
kehrten niedergedrückt und muthlos heim.
Es freut mich, dass diese Unsitte in Deutschland noch nicht
ausgebreitet ist. Hoffentlich wird man dort nicht nöthig haben den
Eifer für die Musik durch solche Mittel zu erregen oder zu sti-
muliren. Am 2 Tage des Festes gab die Philharmonische Gesell-
schaft ein Concert im Theater. Die Ouvertüre zu dem ewigen
Juden und zu Marco Spada, Gesänge von Madame La Grua, den
Herren Morelli und Audron aus Paris , Solovorträge des trefflichen
Hornisten J. Mohr und des Violinisten Elena bildeten das Programm.
Bildungsanstalt für künftige Musiklehrer.
Im Herbst beginnt ein neuer Cnrs in dieser meiner Anstalt
Wer zu solcher Zeit in dieselbe einzutreten wünscht, habe die
Güte, sich wegen des Nähern in Bälde an mich zu wenden, üeber
die erfreuliche Erfolge der Anstalt — glaube ich — Hegen öffentliche
Zeugnisse, genug vor.
Stuttgart im September 1853. ^ ^
Hofrath Dr. G. Schilling. ^
Venntwmiichaf H<U«ktear: J. J. SCBüTT. - Druck »oa aEUTERu. WALUU ta Main».
2. Jahrgang.
W*S 99.
26. Sept. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
T
Dieae Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postamtern,
Miisik- nnd Buchhandlungen.
REDACTION MD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
PREIS:
fl. 2. 42 oder Tbir. 1. 18 Sgl.
für den Jahrgang.
Durch die Post4«Mgen:
SO kr. oder 15 Sfcr. per eaartal.
sfc
Inhalt I Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. Till. — Corretp. (Stuttgart, Dresden. London.) — Nachrichten,
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
VIII.
Die Hoffnung, Wagner werde später von seiner Verirrung zu-
rückkehren und sein Talent in Werken bethätigen, die seinen eigenen
Forderungen, wie denen der Gegenwart mehr entsprechen als Tann-
hauser und Lohengrin, mtiss leider aufgegeben werden.
In diesem Augenblicke arbeitet er bekanntlich an einer Trilogte,
deren Stoffe v den „Nibelungen" entnommen sind. Vorausge-
setzt, dass er die schwierige Aufgabe löst, diese Stoffe nach den
Gesetzen des {reinen Dramas zu gestalten, also nicht blos unser
grösstes nationales Epos wie die bisher bearbeiteten Sagen zu drama-
tisiren, -** drangt «ich Me* neben der Frage «ach dem rein-
menschlichen Inhalt noch die weitere auf: sind dies Stoffe* die für
ein musikalisches Drama geeignet sind ?
Wir behaupten ganz entschieden : Nein 1 sie sind weder das eine
noch das andere.
Grabbe konnte versuchen, die Herrmannschlacht als
Stoff für das Drama der Gegenwart zu benutzen, denn Freiheitsliebe
und Hass gegen fremde Unterdrücker wohnen in der Brust der
Generationen des 19. Jahrhunderts, wie in dem Herzen unserer
Vorfahren im Jahre 9 vor Christi Geburt.
Aber der Geist, der aus den Nibelungen zu uns spricht, ist ein
fremder j er ist ein Erzeugniss auf der einen Seite des Vorurtheils,
auf der andern der Sitten und Verhältnisse einer längst überschrit-
tenen Stufe gesellschaftlicher und nationaler Entwickelung.
Das „Menschliche" was darin zu finden ist, hat keinen reinen
sittlichen Gehalt , denn es wird , wie der Hass Chriemhilds gegen
die Mörder ihres Gemahls und die Vasallentreue Hagens verdunkelt
durch die furchtbarste dämonenartige Leidenschaft und Blutgier.
Ueberall aber klingt die M y t h e hindurch. Wie Göthe die Iphigenie
in Tauris wesentlich umgestalten musste , um den mythologischen
Stoff dem Geiste seiner Zeit nur einigermassen anzupassen, obne
doch weiter zu reuissiren, als in der Form-Vollendung, so wird auch
jeder Dramatiker der Neuzeit an den Stoffen der Nibelungen
scheitern , selbst wenn er versuchen sollte , sie nach seinen Be-
dürfnissen zu inodificiren.
Dass diese Stoffe nationale sind, dass wir mit Stolz auf
die Nibelungen als ein acht deutsches Epos zurückblicken müssen,
macht sie nicht fähiger, als Stoff für das Drama der Gegenwart zu
dienen. Es ist eine traurige Selbsttäuschung, aber es ist nichts
anders, wenn Wagner meint, durch die Rückkehr zu dem „Nationalen"
wie er es versteht, der Oper eine höhere Bedeutung für das Volk
und die Gegenwart geben zu können. Das „Nationale" besteht
nicht in den verschiedenen Formen, die der Volksgeist nach» und nach
unter fremder Einwirkung annimmt» sondern in dem Wesen, welches
stets dasselbe bleibt und nach jeder Abstreifung einer veralteten
Form nen verjüngt hervorgeht
Dieses Wesen, rein von jeder Form, die ihm aufgezwungen
worden ist, aufzuweisen, dies ist nach unserer Ansicht die Auf-
gabe des heutigen Dramatikers, wenn er nicht blos ein formvoll-
endetes' Kunstwerk schaffen, sondern ihm eine grössere Bedeutung,
Einfluss auf die Gegenwart verleihen will. Wagner hält die Form
für das Nationale und ist, so scheint es, noch nicht zur Erkenntnis»
des deutschen Volksgeistes gelangt.
Noch weit weniger aber als für das Drama der Neuzeit, können
die Nibelungen als Vorwurf für das musikalische Drama dienen.
Wer den Geist der Nibelungen nicht geradezu verfälschen will,
wird vergeblich nach einer Quelle lyrischer Ergüsse in ihnen suchen.
Die Helden der Nibelungen, Chriemhilde eingeschlossen, sind Menschen
von alle unsere Begriffe übersteigenden Leidenschaften durchtobt,
harte, eiserne Naturen, die weder Liebe noch Schmerz, sondern nur
Pflicht und Rache kannten. Wer nicht zu den Todton hinabsteige^
und dort ihre Sprache lernen will, wird nur schwache Andeutungen
. «ihres Wesens geben können. Unsere Tonsprache aber ist für solche
Charaktere nicht vorhanden I
Wenn man die Schwierigkeiten erwägt , welche ein solcher
Stoff der musikalischen Behandlung entgegengesetzt, ja die Unmög-
lichkeit, ihn für die Oper, wie wir sie verstehen, zu benutzen, so
fragt man sich : wie kann ein Musiker , wie kann Wagner den-
selben zum Vorwurfe für seine musikalischen Dramen nehmen ? *
Das Rälhsel wird gelöst , sobald man Wagners Schriften auf-
merksam durchgeht und damit seine letzten Schöpfungen, besonders
den Lohengrin, vergleicht.
Wagner hat sich ganz eigentümliche Ansichten von dem
-Wesen der Oper gebildet, die den unscrigen direkt entgegenstehen.
Er erstrebt zwar auch eine Vereinigung von Poesie und Musik,
aber in ganz anderer Weise wie wir, und unter ganz andern
Voraussetzungen.
Er hat sich nicht zuerst gefragt : gibt es einen Punkt, in Welchem
Poesie und Musik vollständig miteinander verschmelzen, so dass sie
in Wahrheit nur eins ausmachen.
Er hat sich nicht gefragt, unter welchen Bedingungen ist eine
• so innige Vereinigung dieser beiden Künste möglich, dass sie eine
neue und höhere Einheit bilden, ohne dass eine, von ihnen ihrem
ihnerstcu Wesen, ihrer eigentlichen Bedeutung zu entsagen braucht,
um nun von diesem Punkte aus und nach diesen Bedingungen
das VerhäUniss der dramatischen Form zu dem musikalischen Ele-
mente zu bestimmen, wie wir es gethan haben.
Sondern er argumentirte : Die Basis der Verbindung von Poesie
■und Musik, welche wir Oper nennen, ist die scenische Darstellung.
Die edelste Form der Poesie aber» welche diese scenische Darstellung
bedingt, ist das Drama: also ist das Drama in dieser Verbindung
das Edelste, das Höchste, und die Musik , als das Untergeordnete,
hat sich den Eigenthümlichkeiten desselben zu fügen.
Es kam ihm nicht darauf an , eine neue Kunstgattung zu
schaffen, welche aus der innern Ver wa ndtschaf t der beiden
Künste entsprungen, sondern er erstrebte nur die grösstmöglichste
•Bereicherung, Vervollständigung der einen durch die andre.
Ob diese Form der Poesie, ob das Drama wirklich auch in
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dieser Weise bereichert and vervollständigt werden könne, ob nicht
vielleicht gerade dessen eigentümliches Wesen dnreh Aufzwingen
eines fremdartigen Elements geschwächt werde, das kam Wagner
wie es seheint nicht in den Sinn. Die Lehre von der Vereinigung
4er Kflnste tu dem „Kunstwerk der Zukunft" war ihm ein unan-
greifbares Dogma und darauf baute er, unbekümmert um den Wider«
Spruch derselben gegen eine blos mechanische Verbindung weiter.
Es springt in die Augen, welche Folgen die consequente Durch*
fährung dieser Theorie für die Oper haben musste.
Zuerst war es danach vollkommen gleichgültig, ob lyrische
Elemente in dem Texte enthalten wären oder nicht, denn das Drama
als solches bedarf keiner Lyrik
Zweitens verschwand damit die Gesangmelodie, denn diese ist un-
zcrlrennlich mit dem lyrischen Elemente verbunden.
Drittens fielen alle Ensembles weg , denn im reinen Drama ge-
nügt nicht blos der Dialog , sondern es fordert denselben ausschliess-
lich. Dass Wagner Chöre anwendet, ist eine Concession an die bis-
herige Oper, also ein Verstoss gegen seine Theorie.
Viertens konnte nun von einer wirklichen Vereinigung der Poesie
mit der Musik, die nur in der Gesang-Melodie, nur in der Liedform
möglich ist, keine Rede mehr sein. An deren Stelle musste die
seeundäre Verbindung der Musik mit der Sprache: das Recitativ,
treten, welches durch die Gesetze der letzteren beherrscht wird.
Statt die Missbräuche, welche sich in die neue Kunstgattung
eingeschlichen hatten, zu beseitigen, schüttete Wagner, wie man zu
sagen pflegt, das Kind mit dem Bade aus. Statt den Gesang, der
nach und nach der einzige Inhalt der Oper geworden war, in dieser
Isolirtheit zu verderben anfing, und zum bloss sinnlichen Reizmittel
herabsank, in seiner Reinheit wiederherzustellen, ihm seine rechte
Bedeutung für die Oper wiederzugeben, vernichtete Wagner denselben
and setzte an seine Stelle ein Surrogat, das allerdings nicht so leicht
entarten kann, weil es von vornherein an eine bestimmte Regel ge-
fesselt ist, aber eben desshalb auch nie sich zu einer solchen Höhe hinauf-
schwingen kann wie jener. Wo der Ton am Worte klebt , ist kein
Raum für den musikalischen Genius. Derselbe verlangt Freiheit 1
Allerdings zeichnen sich Wagners Texte durch geistige Auf-
fassung, edle Gesinnung, grossere Beachtung der. dramatischen Ge-
setze vor vielen anderen aus, allerdings hat er es durch eifrige
Studien in der Behandlung des Recitativs, welches für ihn bei der
Verwerfung aller Gesang-Melodie natürlich die Hauptsache war, zu
einer seltenen Vollendung gebracht, — die grosse Scene im III. Acte
des Lohengrin ist von Anfang bis zu Ende ein Meisterstück, welchem
wir in seiner Art nichts an die Seite zu stellen wüssten — aber
fiberall treten die Folgen der falschen Stellung , in welche das
Drama wie das Recitativ, durch das hartnäckige Anklammern
Wagners an seine Vorstellung von dem Wesen der Oper, gekommen
sind, hervor.
Das reine Drama wird sowohl durch den Zwang, den die Rück-
sicht auf die, wenn auch noch so äusserliehe, Verbindung mit der
Musik ausübt, als durch das, Wagnern besonders eigentümliche, Be-
streben, den historischen Hintergrund so treu und breit als möglich
zu zeichnen, verdorben. Das Letztere mag in einer Ahnung dessen,
was dem Inhalt der heutigen Oper fehlt, seinen Grund haben. Wie
Wagner diesen Gedanken ausführt, erscheint er als eine vollkommen
ungerechtfertigte Vermischung des Epischen und Dramatischen und
beweist aufs Neue , wie wenig Wagner das Wesen des reinen Dra-
mas erkannt hat.
Am Nachteiligsten aber wirkt diese Breite auf die musikalische
Behandlung. Ist schon der Gedanke an und für sich dem musika-
lischen Ausdruck unzugänglich, so führt der Zwang, unbedeutend
nur zur Orient irung des Publikums und zur Erklärung der Situation
dienende Episoden und Reden mit der Last des Tons zu beschweren,
der ihnen eben so unnöthig als fremdartig ist, zu inhaltlosen Reci-
tativen von höchst ermüdender Länge und Dauer, die geradezu lästig
and langweilig werden. Wir brauchen nur an die Reden des Kaisers
Heinrich, die Heroldsrufe und dgl. in Lohengrin ae erinnern, um das
Gesagte zu belegen.
Es m«s8 dem Musiker in Wagner einen harten Kampf gekostet haben,
sich diesen Consequenzen, die seine künstlerische Freiheit tödteten, so
«nterwerfen und wenn sich jemals ein Satz mit bitterer Ironie gegen
den Auter selbst gekehrt hat, so ist es Wagners Ausspruch über
■4aa Verhiltniss des Freischütz-Dickters zu Weber (in Oper and Drama):
„Weber knechtete sich den Dichter mit dogmatischer Grausamkeit und
zwang ihn den Scheiterhaufen selbst aufzurichten, auf dem der Un-
glückliche sich zu Asche verbrennen sollte* 4 Wahrlich, grausamer
konnte Weber seinen Textdichter nicht knechten, als Wagner, der
Theoritiker, Wagnern den Musiker.
Aber er hat sich unterworfen. Jedes neue Werk Wagners bis
zum Lohengrin beweist dies und die angekündigte Trilogie aus den
Nibelungen, die wir vorher als unausführbar im Sinne der Oper
erkannten, erscheint uns nun als die consequenteste Durchführung
seiner Theorie, denn dabei kann er auch nicht in die mindeste Ver-
suchung kommen, lyrische Elemente einzuflechten, der Melodie auch
nur den geringsten Spielraum zu erstatten, und so seiner eigenen
Theorie untreu zu werden, wie dies in Tanuhäuser und Lohengrin
oft der Fall ist.
Nicht minder klar aber ist es , dass Wagner damit Allem was
Oper heisst, vollständig den Rücken gekehrt hat, und dass seiue Be-
strebungen, seine Arbeiten, so grosses Interesse dieselben in anderer
Beziehung haben mögen , auf die Opern-Reform , d. h. auf die Ver-
edelung, Läuterung und Vervollkommnung dieser Kunstgattung, ohne
allen und jeden Einfluss bleiben müssen.
CORRESPONDENZEN.
AUS STUTTGART.
Aaftnv Sept.
Es ist sohon gar lange, seit die letzten Nachrichten aus Stutt-
gart in dieser Zeitung mitgetheilt wurden, und die Leser dürften au(
die Meinung gekommen sein, dass es bei uns recht still in der Mu-
sik aussehe. Dem ist aber nicht so. Von Ereignissen allerdings
laast sich nicht viel berichten , wer aber die Riesenkoncerte unserer
Militär-Musikchöre mit obligatem Gesang und Getrommel hört, oder
auch nur angekündigt sieht, der wird sich von seiner Meinung be-
kehren.
Um nun mit der Schilderung unserer Musikzustande aufs Lau-
fende zu kommen, ist es wohl passend, einen Rückblick auf des ver-
flossenen Winter zu werfen, und da fangen wir billig mit der Oper
an. Am Hoftheater wird häufig italienische oder französische Musik
besser gepflegt als deutsche. Das Zahlen verhäl tniss unserer letzten
Saison räumt aber der deutschen Musik den Vorrang ein : wir hörten
84 deutsche Opern 26 italienische und 31 französische. Wenn wir
freilich die 84 deutsche Opern genauer betrachten , so findet sich
Meyerbeer 10 mal und Flotow 8 mal. Unter den Franzosen und
Italienern leuchteten uns die bekannten Sterne Auber 10 und Bellini
9 mal am Theaterhimmel. Drei Opern kamen zum erstenmal zur
Aufführung: Aubers „Krondiamanten" Grisars „Gute Nacht Herr
Pantalon," Verdis „Rigoletto." Sie wurden alle drei mit massigem
Beifall aufgenommen. — • An Gästen hatten wir Madame Marlow,
die sogleich engagirt wurde, uns aber jetzt wieder verlassen hat,
dann Frl. Kathinka Heinefettcr, Grosser, Stork, Frau von Stradiot-
Bftende, Herr Schüttky und Madame Nimbs. Die Stelle einer Prima-
donna ist immer noch unbesetzt. Im Frühjahr wurde uns Hofka-
pellmeister von Lindpaintner auf mehrere Wochen entzogen dureh
sein Engagement in London , von wo er mit verdientem Ruhm im
Juni zurückkehrte.
Die zwölf Abonnements-Coneeite der k. Hofkapelle brachten in
gelungener Ausführung manches Gute , doch wenig Bedeutendes.
Das Hervorragendste war unstreitig die vollständige Aufführung von
Haydn's Jahreszeiten. Die Sinfonien bewegen sich bei diesen Con-
certen in einem kleinon Kreise, der innerhalb weniger Jahre zu
häufigen Wiederholungen führt. Neu war uns diesmal Gade's Sin-
fonie in C Mo».
Ungerne vermieste man im lotsten Winter die Quartett-Unter-
Haltungen von 4 Mitgliedern der Hofkapelle, welche sich in vorher-
gehenden Jahren durch vollendete Ausführung und treffliche Wahl
verdient gemacht haben.
Auswärtige Virtuosen müsse» naohgersds wenig Vertrauen in
den Kunstsinn des Stuttgarter Publikums setzen : Ehre und Rahm
sind zwar aueh bei uns zu holen, seltener s*er volle Taschen. Wir
hörten nur einen Geiger und zwei Ctevierspiekr : Vieuxtemps , W,
— 195 —
Krüger and Willmers. — Im Oktober brachte der russische General
Lwoff sein Stabat mater zu Gehör. — Im November gab Dr. Faisst
ein Concert in der Kirche worin er durch Aufführung eines fÄnf-
sümmigen Magnificat (a capelia) und eines Psalms von seiner Kom-
position , sowie durch sein meisterhaftes Orgelspiel die Zuhörer
erfreute.
Unter der Direction des ebengenannten Dr. Faisst steht der
„Verein für klassische Kirchenmusik," ein Gesangverein von Dilet-
tanten, der seinem Namen möglichst Ehre zu machen sticht, und seit
den 6 Jahren seines Bestehens schon manches Erfreuliche geleistet
hat. Leider kann er Oratorien und andere grössere Werke nur mit
Ciavier oder Orgelbegleitung geben , da ihm keine Instumentalkräfte
zu Gebote stehen; ein Mangel, der auch sonst hier oft gefühlt wird.
Der Verein brachte im verflossenen Winter „die letzten Dinge'* von
Spohr und den „Samson" von Händel, dann in einigen Kirchencon-
certen verschiedene kleinere, berühmte, aber hier wenig gekannte,
Compositionen zur Aufführung
Der „Liederkranz," ein Männergesang • Verein , sonst wie die
schwäbischen Liederkränze überhaupt eine friedliche gemüthliche Ge-
sellschaft, hat sich plötzlich aufgerafft und ist auch in den Kreis
der concertgebenden Mächte eingedrungen. Unter Mitwirkung des
Regisseur Grunert führte er Mendelssohns „Antigone" auf. Es wurde
präcis einstudirt und gelang; denn es war etwas hier nie Gehörtes,
und von unerwarteter Wirkung.
Das jährliche allgemeine Liederfest des schwäbischen Sänger-
bundes, zu Pfingsten in Hall, gab in musikalischer Beziehung schon
Zeugniss von der Wichtigkeit eines geregelten Strebens, und von
dem Wirken einer gemeinschaftlichen Leitung 1
Wir stehen nun an der Schwelle eines neuen Musikjahrs; was
es Grosses und Gutes bringen wird , weiss der Himmel. Unser
Theater ist wieder eröffnet, und hat sich als Erstlingsopcr Mehul's
Joseph auserkoren. Das herrliche Werk wird jetzt mit einem Auf-
wände von schönen Dekorationen und Costüms, und in lobenswerther
Besetzung gegeben. Rauscher ist ein vortrefflicher Joseph, wie über-
haupt noch immer eine Zierde unserer Bühne. Zwei Sängerinnen
sind zu Gastrollen hier, Frau v. Marra und Mad. Palm-Spatzcr. Er-
stere ist jetzt dreimal aufgetreten und gefällt sehr.
Die Wagner'sche Propaganda, welche auf dem Sande von Carls-
ruhe ein grosses Turnier vorbereitet, findet bei uns einen schweren
Boden, der nicht leicht so Fremdartiges annimmt. Freilich gibt es
auch Krankheiten, die in der Luft liegen. — —
UM»
AUS DRESDEN.
(Schluss.)
Die gute Inscenirung und Ausführung der in letzter Zeit ge-
gebenen Opern hat an ihrem Erfolge natürlich auch einen bedeu-
tenden Anlheil, und man darf dieselbe mit Recht rühmen, atieh
wenn man sich nicht von den extravaganten Bemühungen einer
Claque brauchen lässt , die seit einiger Zeit mit bedeutender Unver-
schämtheit auch bei uns ihr Haupt zu erheben trachtet und mit
einer naiven Unbefangenheit von Personen gepflegt zu werden scheint,
von denen man dies am wenigsten erwarten sollte, da man ihnen
klares Bewusstsein über die Unwürdigkeit und Erbärmlichkeit solcher
Manöver und über die Herabwürdigung des Instituts, der einzelnen
betreffenden Künstler und der Kunst selbst, durch derartige freche
Manipulationen moss zutrauen können ! Freilich, wer die überwiegend
egoistische Richtung der Zeit, wer das leidige Hinarbeiten auf eine
so zu sagen materielle Virtuosität und das Verhätscheln der Träger
dieser einseitigen, in den meisten Fällen gänzlich kunstwidrigen
und knnstverderblichen Richtung, wer endlich das krampfhafte, ja
demoralisirende Streben nach exclusiver Geltendmachung der eigenen
Persönlichkeit um jeden Preis vorurtheilfrei erkennt , dem können
derartige Wahrnehmungen und Erfahrungen als Resultate einer
Perversität, wie beklagenswerth immer, doch nicht auffallend und un-
erwartet erscheinen, am wenigsten auf dem Gebiete in Rede, wo die
feile oder bornirte liebedienerische und kcnntnisslose sogenannte
Kritik oft gänzlich unfähiger Scribler, im besten Falle verschanzt
hinter allgemeine Redensarten , Theetischphrescn und angelernte,
oder abgehorchte, scheinbar, tiefsinnige, im Grunde nichtssagende
Floskeln , ihre Götzen , masculini od. feminini generis , constant
und consequent bis in Mahomets siebenten Himmel su erheben emsig
bemüht ist, weil sie hofft, dadurch selber mit hineingeschmuggelt
zu werden, und sonach methodisch den guten Geschmack mit schul-
meisterlichem Pedantismus oder mit Pikantrie, Verbitterung oder
schlechten Witzen k la Kasperle, Alles in majorem Deorum et
Dearum, sui quoque ipsius gloriam zu ruiniren sich abquält.
Die Anstellung des neuen Oberregisseurs Hess eine Aushülfe
bei der Chordirection, wenn nicht unumgänglich nöthig, doch zweck-
massig und billig erscheinen, und der Sohn des neuen Regisseurs
Hr. W. Fischer jun. bis dahin Chor- und Musikdirector in Casse),
ward zu der Stelle eines Theatermusikdirectors auf Zeit mit ver-
hält nissmässig sehr bedeutender Gage, da für die Direction
der Vaudevilles, Ballets etc. schon längst bei uns Vorsorge mit ganz
leidlicher peeuniärer Entschädigung getroffen worden, ersehen. Die
Familienengagements sind mir, wo nicht eine ganz ausserordentliche
Capacität über das Verhältniss hinaussehen lässt , stets höchst be-
denklich erschienen und die unbedingt aus ihm selbst wider Willen
der Beiheiligten, der Natur der Sache nach , resullirendcn , sehr er-
heblichen Nachtheile , über die man in allen andern Branchen sich
gar keine lllussion macht, werden gerade beim Theater am aller-
wenigsten durch die möglicherweise vielleicht dadurch zu erreichenden
Vortheile aufgewogen. Ich will, um mich vor jedem Missverständ-
nisse zu verwahren, hier ausdrücklich bemerken, dass bis jetzt im vor-
liegenden Falle von derartigen Nachtheilen oder Vortheilen, noch
nichts bemerkbar geworden ist, und dass der neue Musikdirector, dem
allerdings das seltene Unglück passirte , kurz nach Antritt seiner
Function in einer vorher probirten (Frl. Wildaner gastirte) Vaudc-
ville-Intoduction wieder zur Verwunderung des Publikums von vorn
anfangen zu müssen, da es ihm dem Vernehmen nach durchaus nicht
gelang, ein Mitglied des Orchesters in den richtigen Tact zu bringen' !)
dass also der neue Musikdirector mit Fleiss und Thätigkeit seinem
Amte vorzustehen, wenn ihm auch feinerer Geschmack, tiefere poe-
tische und künstlerische Auffassung und Durchdringung wie Feuer
und geistige Energie nicht in höchstem Masse innezuwohnen scheint,
wie und soweit man aus der von gewöhnlich hausbacknem
Standpunkte betrachtet recht lobenswerthen Einstudirung und Auf-
führung der „beiden Schützen" (man sagt, der erbetenen Probeoper)
schliessen konnte.
Im Allgemeinen übrigens haben sich seit einiger Zeit manche
erfreuliche Verbesserungen bei unserer Oper bemerkbar gemacht»
und das Theaterpublikiim, d. h. zumeist die sehr zahlreich hier an-
wesenden Fremden , hat dies durch ausserordentlich regen Besuch
gerade der Opern Vorstellungen vergolten, dabei darf man indess nicht
vergessen, dass unsere nach mehreren fatiguirenden Urlaubsreisen
nunmehr frisch eingebürgerte Primadonna, Frl N c y, im Verein mit
den sonstigen tüchtigen Kräften unserer Bühne, daran einen immerhin
bedeutenden Antheil hat, und dass auch dem im Ganzen für ein
stets wechselndes Publikum wohl befriedigenden Opernrepertoire sein
Theil Attractionskraft ungeschmälert bleiben muss. Wir hörten
in den verflossenen zehn Wochen ausser den schon oben genannten
drei neu einstndirten, zum Theil in öflern Wiederholungen : M o z a r t 's
Titus, Don Juan, Zauberflöte (mit dem sehr unbefriedigenden Debüt
eines neu engagirlen Bassisten Herr Pcttenkofer von Zürich
als Sarastro ohne wirklich tiefen Bass - Charakter und ohne jede
Idee von Schule ,) und Figaro ; W e b e r ' s Obcron und Freischütz
(seine Euryanthc immer noch nicht :) F I o t o w ' s Martha ; Lortzings
Czaar, worin Frau S c h u s e 1 k a-B r ü n i n g unsere neu engagirtc
Soubrette, zwar mit ausserordentlicher Gewandtheit und Keckheit,
auch anerkennenswerther technischer Gesangsroutine , aber auch mit
ebensoviel Manier und grisettenhaft herausfordernder Koketterie,
ohne Grazie, Adel und wahre Naivctät als Marie debülirte; Meycr-
heer's Prophet, Robert, Hugenotten, Aubcrs Stumme; Boiel-
d i e u ' s weisse Dame ; Donizctti's Lucia , Lucrezia , Linda,
(in welcher letzterer Oper Frl. W X I d a u e r von Wien als Gast in
der Titelrolle vielen Success, namentlich auch als Darstellerin errang,
was man ebenfalls bei ihrer Susanne im*„Figaro" sagen darf, während
freilich hier auch die theilweise Unzulänglichkeit ihrer gesanglichen
Ausbildung und der Mangel an Poesie und wahrhafter Empfindung;
bemerkbar ward) u. s. w.
Auch ein Paar interessante Concerte bot der eben au Ende
gehende Monat. Zunächst (am 15. August) eines zum Besten der
hier seit 12 Jahren bestehenden Ti e dg est if tun g, von deren
— im —
-Dasein und Wirken man leider wenig oder gar nichts erfahrt*)
für welches der berühmte Adolph Henselt gewonnen war, und
das jedenfalls noch reichern Ertrag geliefert haben würde, wenn man loa
4er exclnsiven Idee, Sperrsitze a 2 Thaler einzurichten, abgesehen,
und wenn nicht Herr Henselt ganz allein (nur Webers sehr bekanntes
Concertstück trug er mit Accompagnement der k. Kapelle vor) den
Abend ausgefällt hätte* Die Weber'sche grosse Sonate in D-moli
•Op 49 in verkehrter Reihenfolge der Sätze vorzutragen, war
eben auch nicht schön, und eine Reihe Chopinscher, Henseltscher,
Iaszt'scher etc. Etüden, Fantasien und ähnlicher kleiner Klavierstöcke
ermüdet auch bei einem so ausgezeichneten trefflichen Vortrage, wie
ihn Jeder bei diesem berühmten Virtuosen präsnmiren wird. Die
dazwischen eingeschobene, von Herr Henselt, trefflich executirte Corio-
lanouverture gemahnte fast wie eine Oase in der Wüste; nichts
destoweniger hätten wir sie lieber von der Kapelle gehört. Das
zweite Concert fand vorgestern im Palais des grossen Gartens statt.
Die Kapelle gab es, wie alle Jahre herkömmlich zum Besten der"
Armen. Cherubini's schwunghafte Ouvertüre zur Medea, hier von
der Kapelle noch nicht öffentlich vorgetragen, bildete den würdigen
Eingang ; Mendelssohn'* bei aller Schönheit zu lange, (heil-
weis monoton oder wirkungsvoller Steigerung entbehrende Symphonie*
Cantate (Lobgesang) denSchlass desConcerts. Die grosse, auch von mir
in diesem Blatte schon öfters erwähnte Suite von J. S. Bach ver-
fehlte auch diesmal ihres grossartigen Eindrucks nicht (der dritte Satz
mnsste wiederholt werden) und die grosse Aria der Constanze aus
Mozart's „Entführung" („Martern aller Arten") von Frl. Ney, wie
ein entsprechendes Andante für Hörn von Herrn Kammermusikus
Eisner componirt und vorgetragen, waren ein Paar erfreuliche Zugaben»
*) Es gebt damit gerade, wie mit dem Stande der Angelegenheit, die hier seit länger
als zehn Jahren projeetirte Errichtung eines Denkmals für C. M. von Weber
betreffend. Das Comite lässt nichts Ton sich hören und die Sache scheint unverantwortlicher
Welse zn schlafen, obwohl anch ein kleiner Fonds dafür vorhanden sein muss, da doch
s. B. die Bahnen von Berlin und München Dresden und Nürnberg Vorstellungen für jenes
Zweck gegeben haben.
AUS LONDON.
Monat August.
In diesem Monat wurde Coventgarden geschlossen, und zwar
auf die gewöhnliche Weise. Sie nahmen Einer nach dem Anderen
Abschied , erst die Grossen , dann die Kleinen. Seitdem fanden
noch einige Vorstellungen im Drurylane-Theatre statt, und zwar von den
Damen Coradori, Zimmermann den Hrn. Fornies und Reichardt. Man gab
den Freischütz und Lucrezia Borgia. Was diese. Spcculation be-
deuten sollte, weiss man bis jetzt noch nicht; genug, sie missglückte.
Und seitdem dies vorüber ist, ruht London aus von den Stra-
patzen des Sommers und der Saison. Der musikalische Spektakel
ist am Ende oder auf den reduzirt, den die zurückgebliebenen
Herrn Klavierlehrer unter sich machen. Sogar die Gartenconcerte
haben ein Ende und von einer sogenannten „schönen" Welt, dem
Hauptbestandteile dessen, was man hier Saison nennt, kann man
höchstens noch einige übrig gebliebene und vergessene Exemplare
antreffen , die Uebrigen sind ebenfalls — gewesen. Will man hier
zur schönen Welt gerechnet werden, so muss man um diese Zeit
nicht mehr existiren , mindestens nicht in London. Es muss Ihnen
daher erklärlich sein , wenn Ihr Correspondent dieser Welt etwas
Rechnung trägt, und ebenfalls für einige Zeit zu den Nichtcxi-
stirenden gehört. Sie selbst, Ihre Leser und der Unterzeichnete,
Alle werden damit einverstanden sein. „
Fatal.
NACHRICHTEN.
Bremen. Meyerbeer's „Hugenotten" eröffneten die Saison.
MUnchen. Joh. Wagner hat ihr Gastspiel begonnen. — Die
Mitglieder der Hofkapelle geben dem scheidenden Musikdirektor S*
Lachner (bekanntlich nach Hamburg berufen) ein Abschiedsfest. —
Mitte Oktober wird das Hoftheater auf einige Zeit geschlossen , da
das Gebäude restaurirt und mit Gasbeleuchtung versehen werden soll.
Mannheim. Herr Sontheimer von Stuttgart gastirt hier.
Cassel. Dem hiesigen Sänger-Verein wurde nach den Signalen
die Erlaubniss dem durchreisenden Componis|en Marschner ein Stand»
chen zu bringen, verweigert,
Wien. Während der Anwesenheit des Kaisers in Olmütz wer-
den von den Mitgliedern des Hoflheaters : Martha , Stradella , Linda
■und die Hochzeit des Figaro aufgeführt. Ander ist soweit herge-
stellt, dass er wahrscheinlich in der ersten Gastvorstellung Johanna
Wagners (der Prophet) am 22. da. die Titelrolle singen wird.
Parle. Die Grosse Oper ist endlich nach dreimonatlichen Fe-
rien wieder eröffnet "worden und zwar wie angekündigt mit den Hu-
genotten. Dieselben wurden bereits zweimal wiederholt Auf sie
folgt „der Prophet." — Iu der Opera comique macht die neue ko-
mische Oper von Halevy wahrhaft Furore. Die Partitur wird als
eine der besten des Repertoirs der komischen Oper anerkannt. Ueber
die Italienische Oper ist noch nichts bestimmt. — Das Theatre lyrique
bringt abwechselnd „Le Roi des Halles" von Adam und „Les Noces de
< Jeannette" von Masse. — Für die Concert-Saison werden erwartet:
Vieuxtemps und Servais. Frl. Clauss wird nächsten Winter in Peters-
burg zubringen.
Cöln. Als zweiter Gesanglehrer an der hiesigen Musikschule
ist Herr Rein thaler aus Berlin berufen worden , welcher zwei Jahre
jn Italien die Gesangskunst studirte. Das Theater wurde mit der
„Weissen Dame" eröffnet.
Wiesbaden. Letzten Freitag wurde Auber's Maskenball neu
einstudirt gegeben. Die Rolle des Königs war in den Händen des
Herrn Peez von Darmstadt.
Hannover. Frau Nottes ist mit Gehaltzulage auf weitere 6
Jahre engagirt worden. Herr Bötticher aus Berlin ist auch wieder
für kommenden Winter gewonnen. Neu engagirt ist der Tenorist
Bernard. Frl. Babnigg verlässt die hiesige Bühne im December.
London. Die sog. „Deutsche Oper", welche mit dem Frei-
schütz eröffnet wurde , hat darauf Lucrezia Borgia im Urtext folgen
lassen. Angekündigt wurden: die Nachtwandlerin und eine Wiederho-
lung der Lucrezia. Die Herrn Formes und Reichardt scheinen etwas
sonderbare Begriffe von der „Deutschen Oper" zu haben« Während
bisher die Werke eines Mozart, Beethoven, Weber, Marschner u. s,
w. für die „Deutsche Oper" gehalten wurden, nehmen jetzt die Hrn.
Sänger dies Epitheton in Anspruch. Freilich sind auch die Sänger
die Hauptsache geworden, wenigstens ihre Börse. Wenn sie morgen
otaheitisch singen sollten , so würden sie mit Vergnügen das ganze
deutsche, italienische und französische Repertoir über Bord werfen,
notabene wenn sie besser bezahlt werden, — Die Herren Formes,
Reichardt und Mad. Caradori werden in Kurzem eine Tour von &
Monaten durch England machen. Ihr Unternehmer und Garant heisst
Jarret. — Der italienische Tenorist Tamberlick geht von hier nach
Petersburg, wo er für die Saison 80,000 frs. bekommt, mit den
65,000 frs. für die hiesige Saison macht dies 145,000 frs. Ein An-
• erbieten des Herrn Roquelan, für 145,000 frs. ein Jahr an der Grossen
Pariser Oper zu singen, hat er ausgeschlagen, weil ihm die italie-
nischen Sachen weniger Mühe kosten ! •— Wenn wird der Moses
kommen , der diese Anbeter des goldenen Kalbes von ihrer eingebil-
deten Höhe herabstürzt?
Bildungsanstalt für künftige Musiklehrer.
Im Herbst beginnt ein neuer Curs in dieser meiner Anstalt.
Wer zu solcher Zeit in dieselbe einzutreten wünscht, habe die
Güte , sich wegen des Nähern in Bälde an mich zu wenden. Ueber
die erfreulichen Erfolge der Anstalt — glaube ich — liegen öffentliche
Zeugnisse genug vor.
Stuttgart im September 1853. « « i. • i •
& r Hofrath Dr. G. Schilling,
CäSSSSSSEEä
Anzeige.
Ein junger, mit guten Schnlkenntnissen versehener Musiker«
welcher in einem guten Orchester der Posaune und dem Contrabass
vorstehen kann, findet eine gute, dauernde und angenehme Anstel-
lung in einer Musikalienhandlung mit Leihanstalt.
Reftectirende wollen ihre Anträge unter Chiffre A. B. frankirt
an die Redaction in Mainz gelangen lassen.
'„_ |^ — j— — — - — -i Uli ■■- —— — — — —p^th^—i— ^^^
VenmtwortUch«» la^Mt-r: J. J. S C*oR - Prtct t,n HEBTE» ,. WALLAÜ In M>ü»r
2. Jahrgang.
Mr. 40.
3. Octbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTM HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ,
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
... i ' . . ■■ i. r-
HUBIg:
n. s.
49 oder Thlr. 1, 18 ««?.
:
für den Jahrgang.
1 Durch die Post bezogen:
1 SO kr.
•der 15 Sgr. per Quartal.
-
Inhalts Die Anforderungen der Gegenwart an einen guten Operntext. IX, — Das Lied.
Literarisches. — Nachrichten,
— Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corr^ap. (Hains.) —
DIE ANFORDERUNGEN DER GEGENWART
an
einen guten Operntext.
(Eine kunsthistorische Skizze.)
Wir glauben bewiesen zu haben, dass der Einzige, weither
in Deutschland über das Wesen der Oper, über ihre Existenzbe-
dingungen, den Inhalt und die Form der Texte ernstlich nachgedacht
und viele Mängel derselben erkannt hat — der Einzige, der zugleich
im Stande war, von der Erkenntniss des Richtigen zur Anwendung
in musikalischen Schöpfungen zu schreiten — dass Richard Wagner
auf Abwege gerathen ist, die keine Hoffnung auf Umkehr zulassen.
Desto lauter ergeht an Alle die, welche sich für die deutsche
Oper interessiren, an Alle, denen ihre Erhebung wirklich am Herzen
liegt, die Mahuung, mit der Einsicht in die Irrthümer Wagners, den
Ernst, die. Liebe uud die Aufopferung zu vereinen, mit welcher er
seinen Weg verfolgt. Der Glaube an sein Ideal, der Glaube an das
Hohe und das Edle in der Kunst, welcher Wagnern beseelt, dieser
fehlt den Meisten von denen, welche ihn verspotten. Erst wenn dieser
wieder in der Brust der Künstler eingekehrt ist, erst wenn dieser
der Erkenntniss die höhere Weihe gibt, erst dann wird die
deutsche Oper wieder aufleben.
Als die erste und wichtigste Bedingung aber, welche dann er-
füllt werden muss, als die dringendste Forderung, müssen wir die
Wahl von Stoffen bezeichnen, welche nicht mehr dem Geiste
und den Tendenzen einer hinter uns liegenden ; überwundenen Ent-
wicklungsstufe der Menschheit und unseres Volkes entnommen sind,
sondern welche u n s e r n Bedürfnissen , unserer Geistesbildung,
unserer Anschauungsweise , unsern Gefühlen entsprechen. In
diesem Sinn müssen uns die Stumme , Teil , die Hugenotten und
selbst der Prophet Vorbilder sein.
Es wäre ein grosser Irrt hum, wenn man meinte, derartige Stoffe
seien selten und schwer aufzufinden. Im Gegcntheil, sie sind häu-
figer als andere, wenn man nur zu suchen versteht.
Wir wollen von Stoffen ganz absehen, die eine religiöse Grund-
lage haben , sonst könnten wir auf die Hussiteukriege , auf die
Gräuelscenen im südlichen Frankreich zu Ludwig des XIV. Zeiten,
die späteren confessionellen Wirren mit ihren Schrecken in Deutsch-
land als auf eine reiche Quelle höchst ergreifender und nicht ver-
alteter Stoffe hinweisen.
Aber steht nicht dem dramatischen Dichter in den grossartigen
und erschütternden Begebenheiten der letzten Jahrhunderte: den
Anstrengungen der Italiener sich von dem Joch der Spanier und
Franzosen zu befreien , den Befreiungskämpfen der Griechen , der
nordamerikanischen Freistaaten, der südamerikanischen Colonien
und der Polen , in den Schreckensscenen der französischen Revo-
lution, den deutschen und spanischen Freiheitskriegen eine uner-
schöpfliche Fundgrube wahrhaft dramatischer und zugleich „rein-
menschlicher" Stoffe offen? Enthalten nicht diese grossen, der
Geschichte anheimgefallenen Ereignisse Tausende der erschütterndste]»
Dramen, in welchen Alles, was dem Menschen heilig ist, durch die
Macht und den Fluch der Verhältnisse gegen einander den bit-
tersten Kampf kämpfte ? Sind dieselben nicht historische Fakta,
so dass der Dichter seine Fantasie nicht im Mindesten anzustrengen,
sondern in die Annalen der Special-Geschichte, in Biographien,
Memoiren, nur hineinzugreifen braucht, um die Wahl zu haben ?
So lange er freilich nicht Dramatiker ist, die Gesetze des Dramas
nicht kennt, die Meisterwerke Shakespeares und Göthes nicht Istudirt
und besonders nicht begriffen hat, in welchem Verhältniss die Oper
Drama und Lyrik verbunden fordert, so lange er endlich nicht im
Stande ist , das Grossartige , Erhebende und Bedeutungsvoile seiner
Stoffe zu erfassen — so lange wird ihm auch der beste Stoff nichts
nützen. Wir bedürfen für Operntexte eben keiner Lohnarbeiter mehr,
sondern Dichter von höherem Schwünge, Dichter, die nicht zu er-
röthen brauchen , wenn sie ihre Werke neben Schiller und Göthe
aufgeführt sehen l
Solchen aber ihre Aufgabe zu erleichtern, sie auf die Haupt-
eigenschaften aufmerksam zu machen , welche eine Dichtung , die
als Text für die heutige Oper dienen soll, haben muss, dies war
der einzige Zweck dieser Aufsätze. J. E,
DAS LIED,
seine poetische und musikalische Composition.
L
Volksgesang der Wenden in der Ober- und Niederlausitz«
(Fortsetzung.)
2) Gesetzchen; Nr. 150—175.
„Es ist Sitte, dass jeder an einem Tanzabende mittanzende Bursch
eine längere oder kürzere Zeit den Vortanz hat, je nachdem er sich
mehr oder weniger Tänze für sein Geld aufspielen lässt. Tritt er
nun vom Vortanze ab, so reicht er seinem Mädchen den Krug Bier,
führt sie vor die Musikanten und lässt ihr ein Gesetzcheu (einen
Satz) aufspielen. Die übrigen Burschen stellen sich um das Paar
herum und singen das Lied, welches die Musikanten spielen. Ist das
Lied beendigt , so trinkt das Mädchen das Bier ihrem Liebsten und
den Musikanten zu, diese leeren den Krug und ein neuer Vortänzer
tritt auf (I, 24). Der eigentliche Inhalt dieser Lieder wird demnach
in Lobpreisungen der Mädchenschönheit und Tugend bestehen; ero-
tische Zwiegespräche und Räthselfragen scheinen die natürlichste
Form dafür zu sein. Es kommt indess auch Manches vor, was wohl
ebensogut in eine andere Abtheilung geholte. Deutsch in ihrer brei-
ten Strophe, in der Melodie und Empfindungsweise sind Nr, 158 und
164. Die erste Hälfte der Melodie der ersteren
Dolce.
iL-JS-
ist uns aus dem Meyerbeer'schen Propheten bekannt.
— 158
Von allen am meisten wendisch und charakteristisch mochte
Nr. 168 sein, von dem ich der wenig bedeutenden Poesie wegen nur
die erste Strophe hersetze :
Moder ato.
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Was doch ziert das
Tempo di polacca.
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jun - ge Mag - de
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Wange • lein,
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C -fr—A.
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und ihr glän-zend
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Stir-ne - lein : das ja ziert das jun* ge Mag- de •lein.
3) Tanzlieder; Nr. 176—241.
Diese sind durchweg noch kürzer als die Gesetzchen , und wer-
den während des Tanzes zu der Melodie desselben gesungen. Gleich
das erste, Nr. 176, (Melodie für vier ähnliche Liedchen) gibt den
Grundtypus dieser Gattung an:
Wendisch.
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DrehmichvordemSpielmanndrehmichvordemSpielmannmeinHerzal-ler-
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lieb - ster ! Deutsch tanz'ich so ger - ne,Deutschtanzich so ger-ne,
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Wendisch nochviel lie - her.
Beim '/«-Takt ist oft das erste Viertel in zwei Achtel getheilt;
die so rhythmisirten Tänze scheinen die acht slavischen zu sein.
Merkwürdigerweise stehen von den hier verzeichneten 30 Tanzme-
lodien nur 4 im "/»-, nur eine im */ t -, dagegen 25 im */ 4 -Takt. Tanz-
arten: Wendisch 22, Polacca 3, Menuett 1; eine „Moderato", eine
„Allegrctto", zwei gar nicht bezeichnet. Von der Eigentümlichkeit
der „Wendischen" Tanzart im folgenden Artikel Ausführliches.
Etwas fremd nimmt sich zwischen diesen leichthingeworfenen
Liedchen Nr. 223 aus, ein lang ausgesponnenes „Taubenlied", 8zei-
lige Strophe mit 4zeiligem Refrain und in sentimental - idyllischem
Tone. Es ist in zwei Fassungen überliefert ; das erste, von dem ich
Anfang und Ende mittheile, erinnert durch seine zarte Schlusswen-
dung an ein südslavisches Lied („Komm, weisses Mädchen"):
Wendisch.
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1. Steig ich Mor-gens aus dem Bet - te, geh' und seh' ich
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nach ge- schwind; obnochmei-ne Tau-ben schlafen, o • der schon er-
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wa-chet sind. Tau-be ist ein schönesThierchen,Tauben,die ge-
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V — V
I
fal-Ien mir. Tau-ben lieb' ich zärt-lich, Tau-ben lieb' ich zärtlich,
£
£
-H-
-tm-
wahr-lich das versich'richdir.
9. Und ich weiss auch eine Taube, 10. Komm zu mir, mein schönes
Ist ein Weibchen jung und schön, Täubchen,
Sie ist weiss undroth von Farbe, Gar zu sehr gefällst du mir,
Soll die Wahrheit ich gestchn. Ich will dich nachHause bringen,
Taube ist ein schönesThierchen etc. Komm in deine Wohnung hier.
Taube is t ein schönes Thierchen etc.
In dieser Gattung besonders offenbart sich der fröhliche Leicht-
sinn, die unverwüstliche Heiterkeit, welche Herr Haupt den Wenden
nachrühmt. Bei vielen , bei dem eigentlichen Stamm dieser Lieder
handelt es sich um äusserst delikate Dinge ; die Behandlung ist
mehr offenherzig , als zart , und macht oft einen höchst komischen
Eindruck.
4) Rund ge sänge; Nr. 242— 255.
„Wenn eine Gesellschaft junger Burschen oder Mädchen bei-
sammen ist, so werden die Reihe herum ihre Namen so" in das Lied
eingefügt, wie dies - bei dem deutschen Studentenliede : Lasset die
feurigen Bomben erschallen und ähnlichen der Fall ist" (1, 24). Diese
Gesänge sind nicht zahlreich und nicht bedeutend. Theils liegt dies
schon in der Art begründet ; würde sich aber nachweisen lassen, dass
die Sitte selber nicht eine alte und ächtwendische ist, so wäre Alles
leicht erklärt.
5) H o ch z e i 1 1 i e d e r ; Nr. 256—276.
„Werden auf dem Wege zur Trauung und von der Trauung, vor
dem Hochzeitshause u. s. w. angestimmt". (I, 24). Die Hochzeitsge-
bräuche der Wenden sind sehr mannigfaltige und eigenartige, daher
auch die Lieder. Ein ächtslavisches Hochzeitslied ist z. B. Nr. 256.
Tempo di menuetto.
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Hei - ra - the Mag - de - lein, da du noch jung und fein.da dein alt
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*
hat.
Vä - ter-chen, da dein alt Vä - ter-chen Le - ben noch
Er wird verschaffen dir
Dreihundert Thälerchen
Auch buntgewirkte,
Auch buntgewirkte
Bettlein dazu.
So etwas zu singen, würden wir im Deutschen nicht der Mühe werth
achten; im Wendischen aber ist es ganz an seinem Platze. Denn
hier wie bei allen Slaven tritt das Mädchen mit der Hei rat h aus der
Hörigkeit der Eltern in die des Mannes , und die Mitgift hebt den
Werth der Frau bedeutend; das reine Vcrhältniss den Eltern gegen-
über kindlicher, dem Manne gegenüber weiblicher Pietät und Unter-
ordnung, dessen wir Germanen uns erfreuen , ist hier noch mit dem
andern vermischt, nach welchem die Frau als ein hausrechtliches
(patriarchalisches) Besitzthum angesehen wird.
Lieder der Klage, des Spottes und Muthwillens , wie N. 2 57,
259, 261, dürfen zu den ältesten gezählt werden. Die weich-empfind-
samen sind Jüngern Ursprungs. Auch alle die ausbündig langen,
von reiniustigen Seelen als Hciraths- und Ehestandskatechismen ver-
fassten sind von neuerem Datum. Letztere sind sehr gutgemeinte
hausbackenfromme christliche Reimereien (nach dem Muster langer
Gesangbuchsstrophen zugeschnitten), die in einem doppelten Missver-
hältnisse stehen : einmal als Inhalt zu der poetischen Form , denn
der Inhalt ist eine Prosa; und zweitens als frommes Gedicht zu der
Melodie, die aus einer modernen inhaltslosen Tanzweise besteht.
Auch stehen sie drittens noch der altnationalen Poesie entgegen:
weil letztere aber auf einer Anschauungs- und Lebensweise beruht,
die als eine unvollkommene immer mehr schwinden muss , so darf
man ohne Bedauern die noch aus dem lleidcnihum erwachsenen
alten und derben Lieder in die Vergessenheit sinken sehen , wenn
auch einstweilen nur ein magerer Ersatz geboten werden kann.
6. B i t tl i e d c r ; N. 277 bis 279.
„Hat Jemand im Dorfe Brod gebacken oder ein Schwein ge-
schlachtet, so erscheint gewöhnlich Abends eine Deputation der
Spinnstube unter den Fenstern und singt ein solches Lied, worauf
sie ein Brod oder etwas Wurst erhält. Die Menge der Brode und
die Grösse der Wurst ist in manchem Dorfe durch Observanz genau
bestimmt, im Allgemeinen bleibt es jedoch dem betreffenden Wirthe
überlassen, wie viel er geben will — und hier und da ist die Sitte
schon ganz abgekommen." (1, 25) Der Lieder Art und Inhalt wird man
leicht errathen.
7. Legenden; N. 280 bis 294.
Es gibt auch gesprochene, in Prosa vorgetragene Logenden.
Bei den Legenden hat man schon am Inhalte einen im Ganzen
sicheren Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Alters; die
meisten werden vom 12 bis zum 16. Jahrhundert entstanden sein.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Vergleichung mit den übrigen
Liedern, die Bestimmung ihres Verhältnisses zu den alt- und echt-
— 159
wendischen Gesängen. Ueber diesen Punkt müssen wir im Allge-
meinen ins Reine zu kommen suchen.
Die wendischen Legenden bergen viele sinnige Zuge : so den,
dass die Espe zittere, weil Judas sich an einer Espe erhängt (N. 384)
dass David , der Mann im Monde , Musik mache , Gott zu Ehren
„Gesetzchen" aufspiele, um seine Eltern aus der Hölle zu erlösen
(N. 281); dass Johannes in des Sommers, Christus in des Winters
Mitten geboren (N. 282), u. dgl. Trotzdem dürfen sie weder an Zahl
noch an Inhalt reichhaltig genannt werden. Dem Stoffe nach sind
alle etwas Fremdes , von Aussen Hereingebrachtes. Jedoch eine
tiefe und jugendlich-kräftige Auffassung kann dies bis auf die letzte
Spur verwischen, kann die christlichen Gedanken so in sich auf-
nehmen, dass alle fromme Sage rein auf eigenem Grunde hervor-
wächst , wie unter andern im spanischen und deutschen Mittelalter
solches der Fall gewesen. Die Wenden aber müssen ihre beste
Kraft schon verbraucht haben, als das Christenthum ihnen genaht
ist, denn nur die frühesten Stoffe sind lokalisirt und in der kurzen
flüchtigen wendischen Strophe geformt, viele andere sind bloss
äusserlich übertragen. Es ist bei weitem nicht mehr die innere
Umschmelzung des Früheren , des Welllichen zu Geistlichem , vor
sich gegangen , etwa wie in Deutschland bei der Reformation die
Strophen und Weisen des heimischen Volkliedes zu den schönen
Kirchengesängen sich verklärten , sondern die wendischen Legenden-
poesie darf, soweit sie echt ist, nur als Nachklang früherer Laute
als späte Herbstblüthe angesehen werden.
Am meisten zeigt sich dies in den Melodien , die von den alten
wendischen Tonweisen schon sehr abweichen, aber sich nie oder
nur selten zu der Feierlichkeit des Chorals zu erheben vermögen.
Wie ganz anders bei den Deutschen! diese gaben das Eigenste und
Beste zum Kultus her , um es so geläuterter zurückzuempfangen ;
die Wenden dagegen mussten, um christlich zu denken, zu dichten
und zu singen, ihrer alten Freunde vergessen.
So stellt sich der Unterschied im Grossen, und nur auf diesen,
nicht auf alles Einzelne, wird man meine Worte beziehen dürfen
denn ganz vergisst und zerreisst sich ein Volk nie.
Sind wir hierin nicht fehlgegangen, so ist auch ein fester Anhalt
gewonnen für die Bestimmung der den Wenden (Slaven) eigenthüm-
lichen musikalischen Formen, worauf hier besonders unser Absehen
gerichtet sein muss. Zusammenfassend wird darüber am Schlüsse
des Ganzen, das Nöthige zu sagen sein.
Dem bis jetzt besprochenen ersten Baude (Oberlausitzer Ge-
sänge) haben die Herausgeber noch einen „Anhang" von 37, zu
verschiedenen Abtheilungen gehörenden Liedern beigefügt, die aber
für unsern Zweck nichts Neues bieten , so dass wir jetzt uns der
Niederlausitz zuwenden können ; — klein und lieblich ist N. 302 :
Grosse Kälte fiel uns an
Und vertrieb uns der Vöglein Schaar
Liess uns allein nur die Nachtigall.
Ich weiss nicht, warum es die Herausgeber ein „Fragment" genannt
haben.
(Fortsetzung folgt)
DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN COUL
Bei der Anerkennung , welche einzelne musikalische Vereine
Cölns, namentlich der Männer-Gesang-Verein, sich in weiteren Kreisen
errungen haben , dürfte ein Ueberblick seiner sämmtlichen Vereine
nicht ohne Interesse sein, um so mehr, da dadurch am besten eine
Einsicht in das musikalische Leben der alten Colonia Agrippina ge-
währt wird. Der Aufgabe nach , welche sich die Vereine gestellt
haben, zerfallen dieselben in folgende Abtheilungen:
1) Orchester Vereine.
2) Orchester mit Chor.
3) Gemischte Chöre.
4) Männerchöre.
Neben dieser sachlichen Einthcilung lässt sich gleichzeitig eine
persönliche machen , da in jeder der verschiedenen Abtheilungen
jedesmal dem Vereine unter der Leitung des städtischen Kapell-
meisters ein anderer unter der Leitung des Königl. Musikdirektors
Weber gegenübersteht. Diese Personal-Trennung datirt aus früherer
Zeit als dem Eintritt des jetzigen städtischen Kapellmeisters Hiller,
nämlich von dem Augenblicke an, als Weber hier begann Aner-
kennung zu gewinnen. Seine Anhänger waren es , die dein Sprich-
worte gegenüber, dass der Prophet nicht jn seinem Lande gelte,
sich die Aufgabe stellten , dem heimischen Talente Geltung zu ver-
schaffen. Die Vereine Webers sind desshalb überall die jungem.
Eine solche Concurrenz konnte natürlich nur fördernd wirken. Leider
verirrte sie sich mitunter aus der Arena des künstlerischen Wett-
eifers und führte dann mitunter zu Spannungen , wie sie leider in
der musikalischen Welt nicht selten sind.
Wir müssen jedoch rühmend erwähnen , dass in jüngerer Zeit
jene unangenehmen Erscheinungen selten und kaum bemerkbar her-
vortraten. Mag auch die Künstlereifersucht nicht ganz geschwunden
sein, so weiss doch auf beiden Seiten die Bildung sie so ziemlich in
Schranken zu halten. Auch bei den jüngeren Vereinen finden wir
Aehnliches, was mitunter in schrofferer Weise hervortritt.
Doch kommen wir auf die Vereine selbst zurück. Die musi-
kalische Gesellschaft unter der Leitung des städtischen
Kapellmeisters Hiller bildet ein vollständiges, vortreffliches Orchester.
Musiker von Fach und Dilettanten , unter jenen die ersten musika-
lischen Grössen Cölns: Hartmann, Pixis , Hocke, beide Breuer,
Derkum u. a. sind seine Mitglieder. Der Verein pflegt die klassische
Instrumentalmusik, Sinfonie, Ouvertüren , Solos für einzelne Instru-
mente etc. Grosse Künstler, die Cöln bereisen , lassen sich auch ge-
wöhnlich in seiner Mitte hören. Der Verein zählt , auch inactive
Mitglieder , welche in den wöchentlichen Versammlungen das Audi-
torium bilden. Jährlich macht er mit der Liedertafel eine Sängerfahrt
auf dem Rhein.
Die Philharmonie unter der Leitimg des Königl. Musikdirektors
Weber ist fast derselbe Verein, der sich die gleiche Aufgabe gestellt
hat und fast aus denselben Kräften zusammengesetzt ist. In ihrer
Mitte hat sich ein wackerer Männerchor gebildet, der kleinere und
grössere Musikstücke vorträgt. Der Verein veranstaltet im Sommer
4 Concertc.
Die Domkapelle, unter Leitung des Kapellmeisters Leibl, ge-
mischter Chor mit Orchester, führt an Sonn- und Feiertagen im Dome
während des Hochamtes musikalische Messen auf; der Chor bestehe
meist aus Dilettanten, das Orchester dagegen aus Musikern von Fach.
Letzteres lässt in der Regel an Feinheit und Gediegenheit nichts zu
wünschen übrig. Nicht dasselbe lässt sich vom Chore rühmen , da
der Besuch sehr unregelmässig ist, meist für die Messen gar keine
Proben stattfinden , oder doch nur eine vor den Hauptfeiertagen,
wenn Beethoven und Haydn zur Aufführung kommen.
Die Concertgesellschaft, gemischter Chor mit Orchester»
ist der grösste Verein, aus den Mitgliedern der übrigen zusammen-
gesetzt. Er zählt deren über 300. Die Concertgesellschaft tritt nur für den
Winter zusammen und führt unter der Leitung des städtischen Kapell-
meisters, jetzt Herr Hiller, 8 grosse Concerte auf, deren Reinertrag;
für wohlthätige Zwecke bestimmt ist. Alles was hier zur Aufführung
kommt, gelangt zur grössten Feinheit und Präcision, namentlich gilt
dieses von den Orchcsterstückcn, Ouvertüren, Sinfonien, Solos. Mit
Chor werden die grössten Musikwerke von Beethoven, Haydn,
Mendelssohn , als Oratorien , Psalmen etc. auch einzelne Theile ans
Opern vorgetragen. Zu den Solos zieht man die grössten Künstler
von nah und fern heran. So hörten wir im letzten Winter in den
Concerten CarlFormes, Frl, Charlier aus Brüssel, Frl. Bury u. a. m.
Der städtische Gesangverein, gemischter Chor unter
Leitung des städt, Kap. Hiller, übt meist nur geistliche Sachen, Ora-
torien und Psalmen Oeffentlich tritt er nie auf. Diesen Sommer
stellte er seine wöchentlichen Proben aus Mangel an Thciluahme ein.
Hauptsache war wohl, dass die Heerde ohne Hirt war. Herr Hiller
bewegte sich nämlich in London und Paris, und Hess , anstatt die
Kölner und Kölnerinnen singen zu lassen, sich im Feuilleton der
Kölner Zeitung besingen, und besang dort auch wohl andere. Als
er zurückgekehrt war , begab er sich , um auf seinen Lorbeeren
von seinen Strapatzen auszuruhen, aufs Land.
Die Singakademie, unter Leitung des Musikdirectors
Weber pflegt, wie die Concertgesellschaft, die klassische Musik für ge-
mischten Chor, und übt sehr fleissig im Sommer wie im Winter.
Alljährlich hält sie eine grosse musikalische Soiree im Casinosaale.
Gewöhnlich brachte sie ein Oratorium zur Aufführung; in der letzten
aber das neue Werk von Robert Schumann aus Düsseldorf: „Der
Rose Pilgerfahrt;" die Leistungen sind überaus tüchtig.
— 1«) —
Der Meaart-Verein ist ein jüngerer Verein mit gemischten
Chören, der abweichend von den vorhergehenden, sieh hauptsächlich
der Opemmuslk widmet. Er wnrde von dem leider zu früh ver-
blichenen Kapellmeister Eschborn dem Jüngern gegründet, und
Wechsel (e während der kurzen Frist seines Bestehens 4 mal den
Dirigenten, was natürlich seinem Aufblühen nicht förderlich war.
Gegenwärtig steht er unter der Leitung des verdienstlichen Lehrers
der Rheinischen Musikschule und anerkannten Pianisten Reinecke,
dem es ohne Zweifel gelingen dürfte seine guten Kräfte zur Geltung
an bringen.
(Schluss folgt.)
CORRESPONDENZEN.
AUS MAINZ.
Ende Sept.
Die allgemeinsten und zum Thcil recht schönen Genüsse der
nun vergangenen Sommersaison boten uns auch in diesem Jahre die
an jedem Freitag in unserer neuen Anlage stattgehabten Militärmu-
sik-Conccrte , för die wir Mainzer sowie zahllose Fremde , welche
dadurch immer herbeigezogen werden , der hiesigen Garnison nicht
genug danken können. Manche dieser Aufführungen überschritten
in Wahrheit die massigen Grenzen derartiger Produktionen , indem
sie durch eiue treffliche Auswahl und ausgezeichnete Vorführung
grosser und schwieriger Musikstücke auch für die Kenner reizend
und lohnend wurden. Bei dieser Gelegenheit müssen wir unser Be-
dauern aussprechen, dass Herr L. Stasny, den wir seit einer Reihe
von Jahren als den tüchtigen und energischen Leiter der k. k.
österr, Regimentsmusik kannten, seine bisherige Stellung aufgegeben
hat, um als zweiter Kapellmeister bei unserm Theater einzutreten. —
Ein weiterer Gegenstand unserer Besprechung sind die Concerte,
welche zwei unserer besten Orchestcrmitglieder, die Herrn Heinefetter
und Hom , in Verbindung mit dem Pianisten Herrn Föckerer, zur
Aufführung classischer Compositioncn für Piano und Streichinstru-
mente ins Leben gerufen haben. Ihre Vorträge verdienen in jeder
Beziehung Anerkennung und Lob, und wurden von den anwesenden
— leider nicht allzu zahlreichen — Kunstfreunden mit gebührendem
Beifalle begleitet. Mögen die verehrten Künstler sich nicht durch
die Schwierigkeiten, womit ihr für unsere Stadt neues Unternehmen,
wie jede Neuerung , und wäre sie die beste und nothwendigste , zu
kämpfen hat, zurückschrecken lassen, und mögen sie künftig ausser
den Werken eines Mozart und Beethoven , womit sie uns in diesem
Jahre erfreut haben, auch die übrigen uns weniger bekannten Meister-
schöpfungen dieser Gattung einem hoffentlich stets wachsenden Au-
ditorium zu Gehör bringen !
LITERARISCHES.
Die Kirchenmusik in Rücksicht auf ihr Missverhältniss zum
Hörer der Gegenwart u. s. w. von einem jungen Componisten,
7 Vi Sgr. Leipzig ', J. J. Weber.
Der Inhalt dieses Schriftchens lässt sich in dem darin ausge-
sprochenen Satz zusammenfassen : „Es wird uns die Kirchenmusik
mit wenigen Ausnahmen auf der einen Seite durch eine Mosaikarbeit
von Verstandesprodukten , welche die Mehrzahl nicht versteht und
durch allzufasslichc , allzu eintönige Musik auf der andern Seite
verleidet."
Mit dem ersteren sind die contrapunktischen Künste : Fuge, Canon
etc. gemeint, die in dem sog. strengen Styl die Hauptrolle spielen,
mit dem letzteren der Choral. Hätte der Verfasser, statt diese theils
allgemein erkannten, theils nur vermeintlichen Uebclstände in grösster
Breite für das unmusikalische Publikum auseinanderzusetzen , einige
Andeutungen gegeben , wie dem abzuhelfen sei , wie eine Kirchen-
musik beschaffen sein müsse , die dem Bedürfniss der Hörer ange-
messen sei und besonders wie sie herzustellen wäre , dann hätte er
sich wirklich ein Verdienst erworben. So bleibt er da, wo die Haupt-
sache kommen sollte, stehen und weiss nichts anderes zu sagen, als
„die Kirchenmusik müsse auf die goldene Strasse der Mitte hinge-
lenkt werden , die sich zwischen den beiden Abgründen (dem alten
in der Form erstarrten Styl und der modernen italienischen Richtung)
hinziehe." Ob der Verfasser wohl geglaubt hat, mit dieser billigen
Phrase etwas zu sagen , was nicht schon Jedermann wüsste ? Wäre
die Anwendung freierer Formen und der vorhandenen orchestralen
Mittel — worauf zuletzt die Forderungen des Verfassers hinaus-
laufen — das Mittel, den Verfall der Kirchenmusik aufzuhalten, dann
würden wir wahrscheinlich nicht mehr darüber zu klagen haben, denn
der Versuch ist schon hundertmal gemacht worden. Dass er zu nichts
führte, als zu unbedeutenden faden Alltäglichkeiten oder gar zu
süsslichem italienischem Klingklang, dass die Kirchenmusik nicht re-
generirt wurde, hat seinen Grund nicht in den Missgriffen oder
der Tatenlosigkeit , oder dem Eigensinne der Componisten , sondern
in etwas Tieferem: in dem Geiste unseres Zeitalters. Uns
fehlt der innige religiöse Glaube , der die Seele eines Palästrina,
Händel, Bach u. s. w. erfüllte und sie zu den herrlichsten Schöpfungen
begeisterte, trotz der Hindernisse, welche ihnen. die geringere Aus-
bildung der musikalischen Formen in den Weg legten.
Weil der Geist, der ihre Werke gebar , verschwunden ist, dess-
halb bringen die Kirchen • Componisten der Gegenwart nur todte
Formen ohne Inhalt zum Vorschein , mögen sie sich nun an den
strengen Styl anklammern , um wenigstens den Schein des ehemali-
gen Glanzes zu retten, oder dieselben mit zeitgemässeren Formen
vertauschen.
Unser Zeitalter bildet offenbar eine Brücke von ausgelebten re-
ligiösen Formen zu reineren, edleren, geläuterten, deren Inhalt nicht
wie heute vertrocknet ist, sondern in dem Herzen aller Bekenner
wurzelt.
Bis dahin wird die Kirchenmusik trotz aller Ermahnungen und
Bestrebungen vegetiren wie heute, dann aber wird sie von selbst
zu neuem Leben erwachen! *
NACH RICHTER.
Mainz. In Kurzem wird ein Unterrichts-Werk für
P i a n o f o r t e im Verlag von B. Schotts Söhne hier erscheinen,
auf welches wir das Publikum im Voraus , als auf eine der bedeu-
tendsten Erscheinungen auf diesem Gebiete , aufmerksam machen.
Es genügt , den Namen des Autors : Thalberg zu nennen , einem
der ersten jetzt lebenden Pianisten, um den Beweis zu liefern, dass
hier nicht von einer gewöhnlichen Pianoforteschule die Rede ist, wie
es deren schon Tausende gibt, die eine mehr oder weniger geschickt
gearbeitete Compilation vorhandener Materialien nach einer stereo-
typen Form , bilden , sondern dass es sich um die Quintessenz der
Studien und Erfahrungen eines Meisters handelt, dessen ganzes
Leben der Vervollkommnung seiner Kunst geweiht war, und der die
höchste Stufe der Ausbildung in Bezug auf Technik , Vortrag und
Composition selbst erreicht hat!
Der Plan des Werkes liegt uns vor und wir können daraus
Folgendes mittheilen. Dasselbe zerfällt in 2 Theile: der erste ent-
hält Uebungen (de mecanisme) in welchen in 4 Serien die
U Hauptschwierigkeiten der Technik (Tonleiter, Terzen
und Quarten, Oktaven und Sexten, Akkorde und Arpeggien, Triller,
gehaltene Noten, woran sich das Legato, Stakkato , Pedalübung etc.
schlicsst) eine nach der andern in progressiver Weise entwickelt
werden. Der zweite enthält Melodien, welche ausdrücklich zur
Vollendung und Anwendung dieser Uebungen bestimmt und geschrieben
sind und in welchen ausserdem die verschiedenen Style (Gesang-
Styl, Orchester-Styl, Piano-Styl), nebst den zu vermeidenden Fehlern
im Vortrag behandelt werden.
Dieser zweite Theil ist durchaus originell und in dieser Weise
noch nirgeud bearbeitet worden.
Gewiss werden alle Pianisten diesem so viel versprechenden
Werke mit Spannung entgegensehen.
Carlsruhe. Das Musikfest wird vom 3.-5. Oktober stattfin-
den. Liszt hält abwechselnd hier und in Darmstadt Proben.
Mannheim. Der hiesige Kapellmeister V. Lachner ist bedeu-
tend erkrankt.
V In Arolsen wurde an den Pfingsttagen von dem dortigen Män-
nergesangverein in Gegenwart des Fürsten von Waldeck unter An-
derm Hiller's ^stimmiges Lied ; „ Die Rheinweine tl gesungen. Ein
„Hofmarschall" hielt dies für unanständig und erlaubte sich belei-
digende Aeusserungeu gegen den Vorstand des Vereins. Derselbe
hat desshalb eine Injurienklage erhoben.
Verantwortlicher Re«Uktw ; i. J. SCE01T. — »rock tob REWTBH a. WALLAtf la Malai.
2. Jahrgang.
Mr. 41.
10. Octbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung ericheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Pestämtern,
Hasik- und Buchhandlungen.
REDACTI08 BMI VERLAG
Ton
B. SCHOTT S SÖHNEN IN MAINZ,
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LOHDON BEI SCHOTT 4 CO.
PREIS:
11. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen:
50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal.
IL , —
Inhaltt Das Lied. — Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corrtsp. (Mannheim. Mainz.') — Nachrichten.
DAS LIED,
seine poetische und musikalische Oomposition.
IL
Niederlausitzer Volkslieder.
(Fortsetzung.)
Aus der Niederlausitz sind im Ganzen 200 Lieder mit nur 60
Melodien mitgetheilt; etwas weniger reichhaltig ist diese Gegend, den
Herausgebern waren dazu die Umstände hier weniger günstig, (S.
Vorrede zum 2. Bd. S. VI und S. 5). So sind nur 5 Abtheilungen
bedacht , die Gesetzchen und Bittlieder fehlen ganz : ist die Sitte,
vorauf letztere sich gründen, hier schon mehr geschwunden ? —
1) Feldlift der; Nr. 1— 110
Tempo M Memtetto.
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1. Was doch die Leu- - te mit uns ha- ben, dass sie
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so von uns sagen und sprechen,dasswirunsbeide so inniglich lieben.
2. Lieben aufrichtig mit herzlicher Neigung :,:
Niemals uns lassen aus den Gedanken.
3. Und hab ja nicht mehr Vater und Mutter :,:
Und die sind beide mir, beide gestorben.
4. Und noch hab ich den einzigen Bruder :,:
Der ist gezogen weit hin in die Ferne.
Tempo di Menuetto. (Nr. 10.)
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I
1. Auf sin- ge froh- lieh Mag* de - lein, man hört dei-ne
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Stimme weit und breit, man hört deine Stimme weit und breit.
3. „Wie soll ich singen und fröhlich sein,
Da ich bin immer ganz allein?" :,:
17. Wie glucklich ist das Mädchen doch.
Das seinen Kranz mit Ehren trägt! :,:
(Nr, 7, Die Verlassene.)
Moderato.
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1. AI. Je
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grü - nen Sträuche - lein wachsen aus der Er-de.
2. Und sie grünen, ja sie grünen,
Kleiden sich in helles Grün.
3. Ach, du meine schöne Liebste,
Willst da von mir scheiden?
4. Scheide, scheid' in Gottes Namen,
Glück und Segen wünsch ich dir.
5. Wo ich bin und wo ich stehe,
Immer seh ich nur nach dir.
6. Innig freuet sich mein Herze,
Meine Augen weinen stets.
S. 74 steht ein merkwürdiges Lied mit einer sehr reinen und
tiefen Melodie in E-dur. Nicht desshalb , sondern weil die Melodie
in ihren eigentümlichen Formen von den andern slavischen so weit
abweicht, halte ich sie für deutsch , und bedaure sehr , dass die He*
rausgeber gerade hierüber sich nicht geäussert haben. Hinausgehend
über den Kreis der Nationalität , vollkommen im Sinne der Kunst,
wie die Melodie, ist auch der Gegenstand des Liedes ; es ist derselbe,
den die Griechen in Hero und Leander verewigt haben. Freilich,
wer keinen Leiermann mehr hören mag, wird auch an der Melodie
nichts Schönes finden.
Adagio.
:35=£
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1. Hinter Kamenz auf den Höhen ist der gros-se Schnee zu
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seh- en. Wie's der Sonn' an Kraft ge - -bricht, scha-det
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auch der Mond ihm nicht.
2. 5.
Kämen Winde doch , die lauen, Starbst du Liebster meinetwegen,
Diesen Schnee hinwegzuthauen l Sterbe ich auch deinetwegen.
Sieh, der Schnee ist aufgethaut, Ihr begrabt uns an der Strass',
Grosses Wasser da man schaut. An der grossen Wanderstrassi
3. 6.
Wer hat Liebchen hintermWasser, Ihr begrabt uns an dem Steige,
Kann nicht zu ihr durchdasWasscr? An dem Steige, an dem breiten.
Jüngling hat sein Liebchen da, Pflanzt auf uns 'nen Rosenstrauch,
Kann ihr nicht mehr kommen nah. Einen rothen Rosenstrauch.
4. 7.
Durch das Wasser schwimmt der Pflanzt auf uns auch noch zwei
Knabe, Reben,
Mädchen leuchtet ihm -—zu Grabe, JavomWeinstock nochzweiReben;
Lichtlein fing an auszugehen, Pflanzt auf uns 'nenRautenstrauch.
Und er ward nicht mehr gesehn. Einen grünen Rautenstrauch,
8.
Und es wachsen schön die Reben,
In einander sich verflechtend :
So auch unsre trene Lieb
Reisst und trennt sich nimmermehr. (N, 81.)
Aber die Herausgeber werden vielleicht entgegnen, dass es
ihnen allerdings schwer fallen würde, zu dieser Melodie eine er-
läuternde Bemerkung zu machen , weil dieselbe gar nicht in ihrer
— 162 —
Sammlung vorhanden sei. Nun ist wahr, ich habe : 1, bei V. 5 — 8
die Worte gesangmässiger gesetzt; 2, die Melodie mit einem Auf-
takte und nicht mit dem vollen Takte beginnen lassen; und 8, habe
ich nicht, wie die Herausgeber, A-dur, sondern E-dur vorgezeichnet.
Wird die Melodie wirklich A-dur gesungen, so ist sie alterirt
ttnd nn vollkommen) nicht in dem nationalen , sondern in dem musi-
kalischen Sinne , d. h. verfehlt. Wer mit rechter Empfindung die
oben verzeichnete Melodie in A (nämlich statt dis immer d, welches
fünfmal vorkommt) und dann in E singt , der wird mein Experiment
erklärlich finden.
Ganz anders verhält es sich mit N. 87, einem Gesänge, dem
das Gepräge wendischer Volksmässigkeit und zugleich hoher Schon*
heit in vollem Maasse aufgedrückt ist.
Adagio,
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1. Gin -gen zwei Ver - lieb - te aus, jung,weiss u. roth und
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fein,
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ging - en durch die Hai - de hin zu ei - nem
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Feldgärt - - lein.
2. Was ist in dem Feldgärtlein ? 5. „Nachtigall sitzt über uns,
Ein Apfelbaum so klein. Das kleine Vögelein,
Was hat dieser Apfelbaum ? Nachtigall wird rufen uns ,
Hat Aepfelchen so klein. . Bricht nun der Tag herein."
3. Was sind das für Aepfelchen, 6. Nachtigall fängt fröhlich an
Ach, Aepfelchen so klein? Und singt im grünen Hain.
Soll'n auf einer Seite grün, Alles Gras das legt sich hin ,
Roth auf der andern sein. Es lauscht der ganze Hain.
4. Sassen, schauten da sich an, 7. Sieh es dämmert schon, es tagt,
Bis sie geschlafen ein. Das Morgenrolh ist zu sehn:
,Wer wird aber rufen uns, Wer bei sei'm Liebchen war
Bricht nun der Tag herein ?' Hat Zeit nach Haus zu gehn. t
Die 6 Schlussstrophen lasse ich weg, weil sie die Geschichte
weiter führen und dadurch diese schöne Situation trüben. Das Ober-
lausitzer Lied (Bd. I, N. 63), ist weniger poetisch ausgeführt und
hat eine kablere Melodie (D-moll mit grosser Sexte, also dorisch),
fichliesst aber passend. Der Gegenstand ist ein sehr beliebter, auch
die Kleinrussen und die Polen singen davon , bei den Polen muss
die treue Hausschwalbe den Thurmwart spielen (s. Proben : I, 355)
Ebenfalls im Deutschen weit und breit bekannt ; man sehe die
„Tagelieder" bei Uhland, Volkslieder 1844 Bd. I. S. 161, besonders
das schöne „der wechter verkündget uns den tag'* (N. 80). Man ist
darüber noch nicht eins , ob die Taglieder aus der Provence nach
Deutschland übertragen worden (über die provenzialen albas gibt Diez in
seiner „Poesie der Troubadours" S. 115 Nachricht), oder ob altein-
heimische Formen und Anschauungen den Liedern unserer Minne-
sänger zum Grunde liegen (W. Wackernagel , Gesch. d. deutschen
Literatur S. 229). Wenn man die weite Verbreitung, die verschie-
dene Gestaltung und die Einfachheit des Grundgedankens wahr-
nimmt, wird man sich wohl für die letztere Ansicht entscheiden.
2) Tanzlieder; Nr. 111—165.
Nr. 122.
Wendisch. Tempo di polacca.
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Kleines Schwäblein, Plaudertäschlein, wo hast da dein Nest-
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ehen?
„An dem Wipflein,aufdemSträachlem, da hab' ich mein
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Nest • • chen."
Wendisch. Tempo di polacca.
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Nr. 132.
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1. Ach, mein al-Ier-liebsterSchatz,hab nur mit mir Ge - duld,
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bin zu jung zum Freien, es war jaSchad' u. Schuld.
3) Angesänge und Zurathungen (Rundgesänge) ; Nro.
166-173. Unbedeutend.
4) Hochzeitlieder; Nr. 174—194.
5) Legenden; Nr. 194—200.
Obwohl besonders unter den Hochzeitlicdern manches Schöne
vorkommt, ist die ganze Gattung bei den Oberwendischen Liedern
doch genugsam characterisirt. Es mögen daher einige Mittheilungen
über das Wendische Schenken- und Tanzleben folgen (nach II 217 f.).
Das Bier- und Tanzhaus ist der Mittelort des wendischen öffent-
lichen Lebens. Keine öffentliche Sache, sei sie auch noch so ernster
Natur, kann ohne freundliches Zusammentrinken und Zutrinken be-
endigt werden. Das Eintreten eines neuen Wirlhes in die Gemeinde,
die Aufnahme einer jungen Frau in die Zahl der Wirthinnen , dess-
gleichen Hochzeit und Kindtaufe müssen in der Schenke gefeiert
werden mit Trunk, Gesang und Tanz. Selbst der Lein (Flachs)
kann nicht gerathen , wenn die Säerin, und wäre sie auch noch
so alt, in der Fastnachtswoche nicht ihren Reigen tanzte. Besonders
aus diesem letzten Tanz für das Gedeihen der Saaten ersieht man,
dass er ursprünglich ein frommes Werk war, zum Gottesdienst, zum
Kultus gehörte. Ausgelassene Fröhlichkeit ist dadurch keineswegs
ausgeschlossen, diese ist tief in dem innerlich ruhelosen Wesen der
Slavcn begründet und wird sich von jeher geltend gemacht haben.
Aber gerade hierin liegt einestheifs die Ursache zum Verderben.
Die alten Götter wichen , der tiefe Sinn der ihnen zu Ehren be-
gangenen Festlichkeiten verschwand, der Nationalcharakter dagegen
blieb, weil er unaustilgbar ist. So blieb auch die Liebe zu dem
öffentlichen Gemeindehause , selbst als dieses zuletzt nur ein Sauf-
haus worden, selbst als für's Bier der vergiftende Branntwein und
für die frühere Wirthsherzlichkeit der nüchterne Geldegoismus ein-
gezogen ; und dieser Zug wird bleiben, obwohl er Verderben bringt.
Vergessen schon ist die schöne Sitte, dass der Wirth den auf-
brechenden Gästen,. wenn sie die Zeche bezahlt, den „heiligen Jo-
hannes" (einen unentgeltlichen Trunk) zum Abschied reichte. Die
Sitte schreibt sich wohl nicht allein von dem kath. Gebrauche her,
am Tage Johannis den Laien geweiheten Wein zu schenken (wie
die Herausgg. meinen), sondern geht gewiss zurück auf das „Minne-
trinken", welches schon im Nibelungen-Liede vorkommt (das berühmte
Wort von Hagen: „nu trinken wir die minne unde gelten [bezahlen]
sküneges [des Königs] wfn", Lachmann in 4. Str. 1897. c.) und
heidnischen Ursprungs von der Kirche aufgenommen ist, (Ausführ-
liches bei Grimm, D. Mythologie I. 52 — 56.) Es wäre zu er-
forschen , wie der alte wendische Gott, dessen Minne getrunken
wurde, mag geheissen haben.
Mehr noch als das Trinken ist das Tanzen eine Leidenschaft
der Wenden. Sie tanzen : Böhmisch, Bautzoisch, Deutsch, Wendisch,
wie es in den Liedern heisst. Der vom Volk „Wendisch" ge-
nannte Tanz ist ihr einziger Nationaltanz; er hat Aehnlichkeit mit
der Polonaise und zugleich mit dem Menuett, kann daher auch nach
„polacca" und „tempo di menuetto" getanzt werden. Der Tanz wird
so ausgeführt: „Ein Vortänzer tritt, sobald die Musik ertönt, mit
seiner Tänzerin in die Nähe der Musikanten. Seine Tänzerin stellt
sich vor ihn hin und er fasst ihre rechte Hand, hebt sie in die
Höhe und behält einen oder ein paar Finger derselben in seiner
Hand — darauf fängt sie an , sich auf einer Stelle rund herum zu
drehen, der Tänzer lässt ihre Hand los, so dass sie ganz allein
tanzt; dabei hängen ihre Arme steif an dem Leibe herab. Nach
einer kleinen Weile beginnt der Tänzer rand um seine Tänzerin
herum zu tanzen und drückt durch Mienen und Bewegungen immer
heftiger seine Sehnsucht aus, sich mit ihr im Tanze zu vereinen.
Er fängt an zu singen und zu jauchzen , stampft mit den Füssen
and bietet alle seine Tanzkünste auf. Sie lässt ihn bald kürzere,
bald längere Zeit schmachten, je nachdem es ihr beliebt. Endlich
hebt sie die Hände empor, der Barsche umfasst ihren Leib und ge--
meinschaftlich schwingen sie sieh im lustigen Reigen rund herum.
- 163 -
Sobald dies geschieht , holen auch die übrigen Bursche sich ihre
Tänzerinnen, wählen sich einen passenden Platz , und schwenken
sich auf demselben 8 Takte lang rechts , 8 Takte lang links und so
fort bis der Vortänzer das Zeichen zu einer gemeinschaftlichen Tour
gibt. Die Paare stellen sich einander gegenüber, fassen sich an den
Händen nnd chassiren so lange 8 Takte rechts und 8 links, bis der
Yortänzer sich mit seiner Tänzerin auf seinem Platze wieder herum-
zudrehen beginnt, was nun auch alle übrige thun. Jetzt wechselt
dieses Herumdrehen und Chassiren so lange, bis die Musik schweigt,
welche ab und zu mit Gesang bald von der ganzen Gesellschaft,
bald nur von einem einzelnen Sänger begleitet wurde" (II, 218).
Welch ein schöner, lebendiger Tanz! Leider hat er, obwohl er
noch sehr im Gebrauch ist, durch das Eindringen der fremden Rund-
tänze, Walzer , Galoppaden , Schottisch und dgl. an Zierlichkeit,
Regelmässigkeit und Ansehen schon viel eingebüsst Dass ein
solcher Tanz eine eigentümliche , wenn auch noch so kunstlose,
Musik erfordere , wird man leicht empfinden $ auch sie schwindet
mit dem Tanze immer mehr dahin.
Ueber die Musik und die musikalischen Instrumente, sowie über
Poesie und Melodie der Wendischen Lieder wird in dem nun folgen-
den Schlussart ikcl das Nölhigc zu sagen sein.
( Schluss folgt. )
* OOO I
DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN CÖLN.
(Forlsetzung.)
Der Männer-Gesangverein eröffnet mit Recht den
Reigen der ungemischten Männer-Chöre. Seine Bedeutung, sein
Wirken u. s. w. sind wellbekannt, so dass wir hier kurz sein dürfen.
Zuweilen führt er in Verbindung mit der Philharmonie, grössere
Musikwerke mit Orchester auf; zuletzt : „Eine Nacht auf dem Meere*
von Tschirch. In den 11 Jahren seines Bestehens, hat er nicht
weniger als 25000 Thaler zu wohlthätigen und öffentlichen Zwecken
ersungen. Seine ausserordentlichen Leistungen werden ihm dadurch
erleichtert, dass nur gebildete Sänger, die, wenn auch nicht Männer
von Fach, doch die Musik als Dilettanten von Kind auf übten, es
wagen dürfen, den Eintritt zu erstreben. Dies war schon früher so,
und ist doppelt so, seit der Verein sich in so weiten Kreisen Aner-
kennung und Ruhm erwarb. So stehen ihm denn gewissermassen
die besten Kräfte einer grossen Stadt zur Auswahl bereit.
Die Liedertafel, obgleich altern Ursprungs als der vorige
Verein, ist dagegen sehr in den Hinlergrund getreten. Sie besteht
nur noch aus wenigen Mitgliedern, die von Zeit zu Zeit zu-
sammentreten und bei Speis und Trank bei Lied und Sang
sich des Lebens freuen, mit andern Worten Liedertafel halten;
dass dieser Verein keine eigentliche künstlerische Bedeutung be-
halten konnte, liegt wohl in der Sache selbst. Bilden die Freuden
der Tafel die eigentliche Hauptsache und man will diese durch den
Sang heben , so hat dieses unsern vollen Beifall. Soll aber die
Förderung der Kunst die eigentliche Aufgabe sein , so bildet das
Essen eine gar zu materielle Zugabe. Unwillkürlich fällt einem da-
bei Eichendorfs Strophe ein :
Das Essen macht viel breiter
Und hilft zum Himmel nicht;
Es kracht die Himmelsleiter,
Kommt so ein schwerer Wicht.
Das Trinken ist gescheidtcr.
Das schmeckt schon nach Idee;
Da braucht man keine Leiter,
Das geht gleich in die Höh' 1
Alljährlich macht sich der Verein bemerkbar, indem er , wie
Schon erwähnt , eine Rhein fahrt mit der musikalischen Gesellschaft
macht. Bei dieser Gelegenheit pflegt man die grossen Verdienste
des Vereins im Feui]leton der Kölnischen Zeitung ins schönste Licht
zu stellen. Anch hier dirigirt Weber die Gesänge.
DiePolihymniaist ein junger Verein, der gleichfalls den
Männergesang pflegt. Unter seinem früheren Dirigenten Eisenhut
machte er so erfreuliche Fortschritte, dass er schon im ersten
Jahre seines Bestehens auf dem vorigjährigen Concurse in Düssel-
dorf den 2. Preis davon trug, was ihm um so mehr zur Ehre ge-
reicht, als ihm von Haus aus nicht die gebildeten musikalischen
Kräfte zu Gebote standen, wie den beiden früheren Vereinen, sondern
vielen Mitgliedern die Ausbildung im Vereine sell>st et^t werden
musste. Dieser Triumph hatte aber die, für den Verein mindestens
böse Folge, dass er seinen Dirigenten verlor, indem Eibenhut gleich
drauf einen Ruf nach Gummersbach ei hielt. Seitdem ohne Leiter,
sank die Polihymiüa zurück. Seit kurzem hat Herr Manns, Kapell-
meister beim 33. Regiment bekannt durch seine Goncerte ä la Strauss
und Lanner im Gertrudenhof, die Leitung übernommen. Hoffen wir
dass es ihm gelinge, den Verein zu erneuetem Aufstreben zu führen.
(Schluss folgt.)
CORRESPONDEKZEK.
AUS MANNHEIM
Die letztverflossenen Monate brachten in unserem Theater, denn
darauf hauptsächlich beschränken sich in denselben die Öffentlichen
Musik-Aufführungen, wenig Neues, doch nahm auch dieses Wenige
das Interesse des Publikums lebhaft in Anspruch. Es wurde von
Paers komischer Oper: „Le maftre de chapellc" , die vielleicht vor
30 Jahren hier einmal gegeben war, ein kleiner Theil, die 3 ersten
Nummern, mit der Ouvertüre voraus, in französischer Sprache ge-
geben. Dieser Theil der Oper, der nur 3 Personen, Sopran, Buffo-
Tenor und Bariton, erfordert, bildet einen gewissen Abschluss, und
so mag es wohl gerechtfertigt sein, dass nicht die ganze Oper vor-
geführt wurde, deren weiterer Verlauf noch mehrere Kräfte, als im
Anfang, beschäftigt, wodurch vor Allem die Möglichkeit, sich des
französischen Originaltextes zu bedienen , abgeschnitten gewesen
wäre. Die Musik der Vorgefühl tan Nummern zeichnet sich durch
Originalität und grosse Lebendigkeit aus , namentlich ist der Aus-
druck des Komischeu , von Seiten des Sängers wie des Orchesters,
in der Arie für Bariton (Herr Stuckhausen) und in dem darauf fol-
genden Duett, (Frl. Rohn und der eben Genannte) ein gelungner.
Die drei Darsteller , Herr Rocke als Buffbtenor, der französischen
Sprache vollkommen mächtig, führten ihre Rollen mit der erforder-
lichen Lebendigkeit , die sich zu dramatischer Wahrheit gestaltete,
durch, und brachten somit einen sehr günstigen Eindruck hervor, der
sich auch bei den schnell nacheinander erfolgten Wiederholungen
des Stückes in gleicher Frische erhielt. — „Der Zweikampf" von
Herold wurde neu einstudirt und zweimal gegeben, hatte jedoch
keinen bedeutenden Erfolg , wenn auch das Ansprechende und zu-
weilen Pikante der darin befindlichen Melodieen anerkannt wurde.
Solche Opern vollenden nach ihrem ersten Erscheinen ihren Kreis-
lauf schnell , und werden bei der stets nach grössern Effekten haschenden
Richtung unserer Zeit, respective unserer Operncomponisten als zn
bescheidene Produkte bald wieder bei Seite gelegt. — Das alte musi-
kalische Quodlibet, „Der Kapellmeister von Venedig", wurde, gänz-
lich aufgefrischt durch viele neue , von Musikdirektor Ketsch theits
in8trumcntirte Einlagen , unter allgemeinem Beifall wieder zur Auf-
führung gebracht. Namentlich erwarben sich ein grosses Quodlibet
für Orchester, als Ouvertüre, und ein solches für die Rollen von
Hannchen und Peter, durch ihre oft sehr pikanten Contraste, einen
sehr günstigen Erfolg. Von den Darstellern , die sichtlich mit Lust
zusammenwirkten , zeichnete sich besonders Herr Nebe als Peter
durch seine wirksame Komik aus. Im Laufe des Sommers hatten
wir Gelegenheit, Herrn Sontheim, vom K. Hoftheater in Stuttgart in
der Rolle desEleazar (Jüdin) und des Othello zu hören. Die Stimme
desselben gehört unstreitig zu den Besten jetzt existirenden Tenor-
Stimmen , nur bedauerten wir , dieselbe fast nie anders , als tremu-
lirend gehört zu haben. Die Darstellung des Eleazar war eine sehr
gelungene, und veranlasste mehrmaliges Hervorrufen. Weniger scheint»
mit Ausnahme des Duetts mit Jago im 2. Akt, sein Othello an-
angesprochen zu haben. Vom musikalischen Standpunkt aus wäre
sehr zu wünschen, dass Herr Sontheim in der Oper nicht fast aus-
schliesslich als Solosänger hervortrete. — Die neuste Erscheinung
an unserm Theater ist der junge Tenorist Herr Grimmingcr, der
kürzlich hier zum erstenmal auftrat als „Edgar" in Lucia von Lämmer*
— 164
mor. Herr Gr. ist im Besitz einer schönen, klangvollen und bieg-
samen Stimme, und führte uns in Gesang wie in Spiel, obgleich erst
Anfänger auf der Bühne , eine sehr beachtenswerte Leistung vor.
Derselbe ist ein Schäler des rühmlichst bekannten Tenoristen Herrn
Bayer in München , und zeigte sich seines Lehrers vollkommen
würdig. Seine Acquirirung für das hiesige Theater scheint ausser
Zweifel zu sein.
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AUS MAINZ.
4. October.
Während das hiesige Publikum mit einem, durch langes
EntLehren gesteigerten Interesse sich den Kunstleistungen in dem
kürzlich wieder eröffneten städtischen Theater zuwendet, und zwi-
schen den Vorzügen der Damen Molendo und Amend in zweifeln-
der Wahl zu schwanken scheint, während ferner die lange vorbe-
reitete Aufführung des Händcl'schen Alexanderfestes durch den
hiesigen Verein für Kirchenmusik auf neue Hindernisse gestossen ist,
und in der Liedertafel die Wahl eines neuen Direktors endlich
glücklich zu Stande kam, ist in aller Stille eine Erscheinung an uns
vorübergegangeil , welche, wenn sie aus ihrem seihst gewählten
Inkognito herauszutreten beliebt hätte, ohne Zweifel sämmtliche
Partei- Ansichten des Mainzer Publikums, (und deren sind nicht wenige)
zu einem einstimmigen Chorus allgemeiner Bewunderung und Aner-
kennung vereinigt haben würde. Ich spreche nämlich von einem
liebenswürdigen Schwesternpaar, den beiden Frl. Sophie und
Isabella D nicken aus London, welche von den Anstrengungen einer
zehnmonal liehen Kunstreise in Polen und Kussland eine kurze Zeit
hier ausruhten, um sieh dann von hier aus direkt nach Paris zu be-
geben; von dort wollen sie sich nach Belgien und Holland wenden,
wo wir ihrem Auftreten im Voraus den schönsten Erfolg versprechen
zu können glauben. Sophie, die ältere der beiden Schwestern, ist
Claviervii tuosin. Das will anscheinend nicht viel sagen , denn wer
spielt denn heut zu Tage nicht Ciavier, oder glaubt wenigstens zu
spielen? Wer zählt denn das Heer der Claviervirtuosen, deren Zahl
Legion und die täglich neu aufschlössen , wie die Pilze nach einem
warmen Regen? Aber gerade in Mitte der Drangsale, die wir von
der stümperhaften Miüelmässigkeit oder der geistlosen Fingerfertig-
keit der zahllosen Pianisten beiderlei Geschlechts täglich und unaus-
weichlich zu erdulden haben , ist die zeitweilige Erscheinung ächter
Künstler nöthig, die das Instrument wieder zu Ehren bringen damit man
nicht in Versuchung geräth, Alles was mit stumpfen Fingern oder
langgespitzten Nägeln auf weissem Beine klappert sammt dem Er-
finder des dreifach besaiteten , und verschicbungsf&higen Tonkastens
dahin zu, wünschen , wohin man in Frankreich mitunter viel harm-
losere Leute schickt. Frl. Sophie Dulcken ist eine vom Hauche des
ächten, wahren Genius beseelte Künstlerin, wie wir durch eigenes
Anhören in einem Privatkreise uns zu überzeugen Gelegenheit hatten.
Die Sicherheit und Eleganz, mit der sie die schwierigsten Bravourstücke
spielt, der tändelnde Humor, den sie in kleinen pikanten Salon-Piecen
entwickelt, das tiefe Verständniss und die künstlerische Begeisterung
beim Vortrage Bach'scher Fugen und anderer klassischer Meisterwerke
— wahrlich, wir wussten nicht, welchen von allen diesen der Künst-
lerin eigenen Vorzügen wir am meisten bewundern sollten. Damit
verbindet sie eine unermüdliche Ausdauer, und , am eigenen Spiele
sich begeisternd, scheint sie keine Ermüdung zu kennen. Die jüngere
Schwester, Isabella, spielt auf dem Conzertina (eine verbesserte Art
Melodikon) mit einer solchen vollendeten Meisterschaft, wie wir es
auf diesem Instrument überhaupt nicht für möglich gehalten hätten.
Sic weiss nicht nur alle Nuancen des vollendetsten Gesanges von
der höchsten Kraft bis zum weichsten Piano auf ihrem kleinen
Instrumente wiederzugeben , sondern sie führt auch die schwierigsten
Läufe und Passagen mit einer Reinheit und Sicherheit aus, welche
selbst auf der Violine nicht vollkommener erreicht werden könnte.
Dazu kömmt noch das jugendlich-liebliche Wesen der beiden Schwe-
stern, welches Jedermann für sie einnehmen muss. Da ist keine Spur
von der hohläugigen 'kränkelnden Erscheinung ehemaliger Wunder-
kinder, welche im 16. oder 17. Lebensjahre angelangt, die bis zum
Unsinn gesteigerten Anstrengungen ihrer frühesten Jugend mit dem
Verluste ihrer Gesundheit büssen, und in einer kurzen vorübergehen«
den Berühmtheit keinen Ersatz finden für die seligen Jahre der Kind-
heit, um welche sie die Eitelkeit oder Habgier herzloser Eltern be-
trogen hat. Nichts von dem Alien ist da zu bemerken. Aus rosigen
Wangen blitzen muntere und kluge Augen, und ohne übermässige und
geisttödtende Anstrengungen hat bei diesen beiden, so reich begabten
Mädchen, sich das schönste Talent unter der liebevollen und verstän-
digen Leitung ihres Vaters ganz naturgemäss zur höchsteu Stufe der
Vollendung entwickelt. Sicherlich werden wir bald von Paris aus
unser Vrtheil über die beiden jungen Künstlerinnen bestätigen hören,
und hoffen, recht bald wieder einmal die Freude zu haben, denselben
auf ihrer weitern Künstlerlaufbahn zu begegnen. — r.
NACHRICHTEN.
Wiesbaden. Am 2. Oktober wurde Indra zum ersten Male
gegeben. Herr Frei vom Stadttheater zu Mainz sang den Sebastian.
Als Festoper bei der vor einigen Tagen stattgefundenen Vermählung
der Prinzessin wurde statt der zuerst bestimmten Iudra die Nacht-
wandlerin gegeben, wahrscheinlich weil es gelungen war, Frl. S.
Cruvelli für diese Vorstellung zu gewinnen und diese natürlich vor-
zog, eine ihrer Parade-Rollen zu singen.
Prag. Frl. Meyer vom Dresdner Hoftheater ist auf drei Jahre
bei der hiesigen' Bühne engagirt worden.
Würzburg. Die hiesige Oper scheint unter der neuen Direk-
tion (Hrn. Spielberger) einen grösseren Aufschwung zu nehmen. Die
beiden ersten Vorstellungen : Freischütz und Norma befriedigten, be-
sonders die zweite. Leider erkrankte der Kapellmeister (K. Reiss)
schon nach der zweiten Vorstellung so bedeutend, dass er bis jetzt
nicht zu dirigiren vermochte,
Wien« Ander sollte am 3. October zum ersten Male wieder
auftreten. — Frl. Johanna Wagner hat bereits zweimal den Romeo ge-
sungen.— Der Ciavier- Virtuos Willmers wird diese Saison in Wien
zubringen. — Das Archiv der Akademie der Tonkunst in Wien ist von
dem Mitgliede Herrn Carl Czerny mit einem Exemplare seines neue-
sten Werkes „Gradus ad Parnassum, Collection de grands Exercices
de tout genre dans le Style severe pour le Piano*' Op. 822 in sehr
schätzbarer Weise bereichert worden. Diese Sammlung ernster
Studien reiht sich würdig an die früheren Schulwerke des bekannten
praktischen Meisters an, deren Schlussstein sie nach der Absicht des
Autors zu bilden bestimmt ist, und erschien im Verlage von B.
Schott' s Söhne in Mainz in zwei Abtheilungen und in vol-
lendet schöner und eleganter Ausstattung.
Berlin. In Kurzem wird eine neue Oper von dem k. Kapel-
meister Taubert : „Jöggeli" zur Aufführung kommen. Darauf wird
Gretrys Richard Löwenherz neu in Scene gesetzt folgen, und zwar
am Geburtstage des Königs. Diese Oper hat bekanntlich während
der französischen Revolution besonders durch das Lied „o Richard,
o mon roi" auch eine politische Bedeutung erlangt.
Vicuxtemps wird im November hier eintreffen.
Y Das Theater in Würzburg hat von dem Magistrate einen jähr-
lichen Zuschuss von 2400 Gulden erhalten.
V Gervinus arbeitet an einer Biographie J. Haydn's. Er soll
in England treffliche Materialien dazu aufgefunden haben.
i ii 2 e i g e,
Ein junger, mit guten Schnlkenntnissen versehener Musiker,
welcher in einem guten Orchester der Posaune und dem Contrabass
vorstehen kann, findet eine gute, dauernde und angenehme Anstel-
lung in einer Musikalienhandlung mit Leihanst*lt.
Reflectirende wollen ihre Anträge unter Chiffre A. B. frankirt
an die Redaction in Mainz gelangen lassen.
Vertahr.rttlcl.er Btitkteir: J. J. »CH01T. -Dreck waWWTERu. WALUÜ ia Malm.
2. Jahrgang.
Mr. 4«.
17. Octbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK- ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
IKONTAG.
Man abonnirt bei allen Post&mtern,
Musik- und Bachhandlangren.
REDACTION HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. 2.
42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
Durch die^ost bezogen:
50 kr.
oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalts Das Lied. — Die musikalischen Vereine in Cöln. — Corresp. (Hamburg. Dresden.) — Nachrichten.
DAS LIED,
seine poetische und musikalische Gomposition.
IL
Niedcrlausitzer Volkslieder.
(Schluss.)
Die alten Instrumente der Wenden sind schon mehr und
mehr verdrängt; natürlich, denn für die leichten modernen Tanz-
weisen sind sie zu unbeholfen. Die dreisaitige Geige, husla, ist
ein musikalisches Hausgeräth aller Serben , wir werden ihr unten
bei den südlichen Serben unter dem Namen „Gusle" wieder begegnen
Eigenthümlich ist ihnen ferner die Tarakawa, ein durchdringendes,
gellendes, der Oboe ähnliches Instrument Zählt man hierzu noch das
Ha c k eb r e 1 1 (cymbal) und die embryonische Orgel, den Dudelsack,
so hat man ihr ganzes Orchester beisammen. „Vom Dudelsack gibt
es zwei Arten , einen grössern und einen kleinem. Der grössere
trägt den ganzen gehörnten Kopf des Ziegenbockes und heisstKozol;
der kleinere (mjeehawa) entbehrt dieser Zierde. Beide Arten bestehen
aus einem Sack von geschmeidigem Leder, einem Blasenbalg und
zwei vorn heruntergehenden Röhren. Beim Spielen wird der Sack
unter den linken, der in denselben einmündende Blasebalg unter den
rechten Arm genommen und fortwährend gedrückt, um die Luft ein-
zupumpen, welche durch den Sack den beiden Röhren mitgetheilt
wird. Von den Röhren ist die eine mit 9 Löchern und einem
Daumenloch versehen : auf diesen wird die Melodie gespielt. Die
andere, welche auf der Seite mit einem Stimmer verschen ist, bläst
in einem und demselben Tone mit unaufhörlichem dumpfen Ge-
brumme den Bass dazu" (II, 219.).
Soviel über die immerhin rohen , aber den nationalen Bedürf-
nissen der Wenden vollkommen entsprechenden Instrumente. Nun
über die Poesie und Melodie ihrer Lieder im Ganzen ein Wort.
Die Poesie unserer Wenden , obwohl zuweilen sehr schön,
bietet nichts auffallend Eigen thümliches dar. Ueber ihre leibliche
Gestalt, den Strophenbau, ist schon oben bemerkt, dass das deutsche
Volkslied hierin vollkommner sei ; die wendische Strophe ist ent-
blösst fast von jeder Schönheit, ihr bleibt nichts, als die verschieden
rhytmisirte Wiederholung. Der Grund hiervon ist (für Manchen
gewiss merkwürdig zu hören) musikalischer Natur ; eine Ver-
gleichung mit der Poesie der Südslaven wird dies später beweisen.
Die Wenden drücken ihre Empfindungen nämlich ganz einfach,
schlicht und geradezu aus, die Bild- und Gleichnissrede, auch wo sie
vorkommt^ geht selten aus der musikalischen Lyrik in die bildliche
Anschauung über, sondern Alles ist auf den gemeinsamen Gesang
gerichtet und kann durchaus gesungen werden. Hierdurch kommen
sie dem deutschen Liede nahe, entbehren aber des sonnenhellen Ge-
wandes, in welchem die südslavische Poesie prangt. Dass die
Wenden bei solcher Richtung doch nicht völlig die denischen zu
erreichen vermochten, dies ist allerdings nicht mehr in musikalischen
Verhältnissen begründet, sondern in ihrer geistigen Anlage, in der
Art und Weise ihres Volkscharakters, in ihrer Gestaltungsfähigkcit.
Sehr wohl muss man den Charakter ganzer Völker in Anschlag
bringen, er ist das Erste und Letzte, er gibt allen ihren Schöpfungen
Gehalt und Richtung und Lebensdauer; nur muss man nichts direct
aus ihm ableiten, was Mittelstufen voraussetzt.
Hier nun kommt all das ruhelose Wesen zu Tage , welches
allen Slaven mehr oder minder eigen ist , verschwistert mit fröh-
lichem Leichtsinn, hervorgehend aus einem nicht genug bewussten
versöhnten, tiefen, sichern Geiste. Es offenbart sich in der lücken-
haften Darstellung des psychologischen Vorgang in einer Darstellung,
die , so rührend und ergreifend sie oft wirkt , im Ganzen doch als
unzulänglich bezeichnet werden kann, weil in derselben musikalisch-
lyrischen Weise Vollendeteres denkbar und wirklich vorhanden ist,
nämlich im deutschen Volksgesange. Der Kürze wegen muss ich
den Leser auf die vorhin gegebenen Proben verweisen ; im Verlaufe
kommen wir hierauf noch öfter zurück.
Die Melodien. Während die Herausgeber über die Poesie
der Wenden von allgemeinen Gesichtspunkten aus sieh nicht ausge-
sprochen haben , finden wir zum Glück über die Melodien sehr
werlhvolle Mitlheilungen. „Was die Melodien anbetrifft", sagt Herr
Haupt I, 25 -— 26, „so stellen wir sie dreist den besten deutschen
Volksweisen an die Seite. Einige zum Thcil aus den alten Kirchen-
tonarten gehend , verrathen ein hohes Alter. Die meisten tragen
ganz den Character des slavischen Volksliedes an. sich; andere,
deutscher Singart sich mehr annähernd, zeugen von ihrem spätem
Ursprünge. Eine besondere Aehnlichkeit haben sie mit den Melodien
der grossrussischen Volkslieder. Mit Ausnahme der Tanzlieder
werden sie, gleich diesen, sehr langsam gesungen. Es geschieht
dies durchgehends mit tremulirender Stimme und häufiger Anwendung
des sogenannten Bockstrillers. Ein solcher wird wenigstens allemal
beim Anfange jedes Taktes auf der ersten Note und am Schlüsse
auf der letzten angebracht. Endigt das Lied in der tiefern Octave
oder Quinte, so wird ohne Absetzen der letzte Ton des Verses mit
dem ersten Tone des in der höhern Octave oder Quinte darauf fol-
genden trillernd so verbunden , dass nach einem Decrescendo,
welches auf dem letzten Tone des erstem Verses in ein Morendo
übergeht, der erste Ton des folgenden mit vollem Forte eingesetzt
wird; ganz ähnlich dem Gesänge der Kosaken und einiger anderer
besonders östlich slavischer Stämme. Eigenthümlich ist auch dem
Gesänge der Wenden der häufige Gebrauch das „Ha" und „Haie".
Sie beginnen fast jedes Lied mit einem dieser Wörter und schieben
selbst da, wo ihnen eine Sylbe oder ein Fuss im Texte fehlt, ohne
Rücksicht auf den Sinn , oft zwischen Bei- und Hauptwort , eines
oder das andere ein. Bei den kathol. Wenden werden diese Wörtchen
sogar den Kirchenliedern eingewebt, was einen ganz besondern, aber
nicht unangenehmen Eindruck macht. Der Kirchengesang der Evan-
gelischen ist dagegen schon mehr germanisirt und wird ohnedem mei-
stens durch die Orgel begleitet, wobei solche dem Volhsliede ent-
nommene Zwischenlaute nicht stattfinden können. Diese Eigentüm-
lichkeit haben die Wenden mit den Kleinrussen gemein, bei denen
auch Volkslieder mit „Hoj" und „Ha" anfangen. Bei den Grossrussen
findet sich etwas Aehnliches; viele ihrer Lieder fangen bei jedem
166
Verse mit „Ach" an. Auch im deutschen Volksliede wird das „und"
und „aber" nicht seilen auf gleiche Weise angewandt (Meinen
Bruder hast du meuchlings erstochen, und aber hast ihn meuchlings
erstochen'*. Unland.) In der Ucbersetzung ist nur hie und da diese
Eigentümlichkeit beibehalten worden, da sie an den meisten Stellen
eine üble Wirkung hervorgebracht haben würde".
„Die Melodien (heisst es weiter: II. VI — VII.) sind so aufge-
zeichnet, wie sie gehört wurden , und wir haben uns wohl gehütet,
irgendwo willkürliche Veränderungen anzubringen, wiewohl wir auch
hierbei nicht unkritisch zu Werke gegangen sind und die bessernde
und berichtigende Hand überall angelegt haben, wo es uns nothwendig
schien, um die ursprüngliche Singart herzustellen. Manche derselben
sind mehr oder weniger mit deutschen Singweisen übereinstimmend,
die meisten aber eigenthümlich und acht wendischen Ursprungs,
einige offenbar sehr alt und in ihrer altertümlichen Form wohler«
halten , nicht wenige von hohem musikalischen Werth und dem
Studium der Musikmeister zu empfehlen. Diese nicht blos auf un-
serem Urtheile beruhende Ueberzeugung tragen wir offen den Ken-
nern im Fache der Tonkunst entgegen Und bitten recht angelegent-
lich um ihre Entscheidung".
Soweit die verdienstlichen Herausgeber; den letzten Satz
nahm ich mit , weil er zum Text gehört : der Leser wirds ent-
schuldigen. Ich bin weder Musikmeister , noch Kenner , sondern
«uche bloss ein Lichtlein hinzustellen da, wo Andere es dunkel
gelassen haben.
Allen den Melodien, die in sich einen gesangmassigen Zusammen-
hang haben , aber nicht in der Gesetzmässigkeit und Empfindungs-
weise unserer neuern Tonkunst geschaffen sein können , muss ein
mehr oder minder hohes Alter zuerkannt werden. In grosser Fülle
finden solche Weisen sich in F. Suschil's Mährischen Volks«
liedern, *) daher wird bei einer eingehenderen Besprechung derselben
besonders dieser wichtige Punkt genauer erörtert werden, und zwar
mit Bezugnahme auf die Wendischen Melodien.
Hier nur dieses. Vollkommen ebenbürtig sind die Wendischen
Gesänge den Deutschen nicht , weder in Poesie, noch in der Musik.
Tiefer musikalisch und als Gesang schöner , als die Volksweisen
vieler anderer Völker, fehlt ihnen doch noch ein Bedeutendes von
der melodischen Reinheit, zu welcher die Deutschen sich durchge-
bildet, man kann wohl sagen , durchgesungen haben. Sie sind aus
Bich selbst schon weit gekommen, aber doch nicht so weit, dass
sich auf ihrer volksmässigen Grundlage die Musik als eine freie
Kunst aufbauen könnte. Im deutschen aber ist solches geschehen :
daher blicken die „Musikmeister" auf unser Volkslied immer wie
auf mustergiltige, den Sinn belebende und reinigende Formen zurück
Wohl sind auch die Wendischen Gesänge eines eingehenden Stu-
diums in hohem Grade werth ; aber die belebende, rein musikalische
Kraft, welche den Deutschen innewohnt, ist hier nicht so vorhanden,
wir verhalten uns ihnen gegenüber mehr kritisch. Die Wendischen
Gesangarten bewegen sich entweder in den modernen Tonarten, und
werden dann von den Deutschen bei weitem überboten ; oder in den
Kirchentonarten, und sind dann gleichsam nur Absenker einer Melo-
diebildung, die wir in den alten Kirchengesängen nicht nur reiner,
sondern durch Palcstrina, O. Lassus und Eccard auch in bewunderns-
würdiger harmonischer Kunst entwickelt haben; oder sie (die ältesten
Gesänge nämlich) weichen von beiden ab, sind aber dadurch für
uns künstlerisch ungeniessbar.
Für direkte Entlehnung oder Aneignung ist desshalb in diesen
Gesängen nicht viel enthalten; die Melodiejäger, übrigens eine schon
ziemlich aus der Mode gekommene Specie, durften hier wenig Beute
finden, Wer ihren Geist, ihre gute natürliche Kunst empfinden will,
der muss vor allem in so ursprüngliche Zustände sich zu versetzen
Wissen. Wem dies gelingt , dem wird hier , wie in jedem gesunden
Volksthum, Alles voll Geist, Leben und Empfindung sein, dem wird
die Volksgestalt in ihrer ganzen Treue und Offenherzigkeit sich
offenbaren. Musikalisch haben die Melodien noch insofern einen
*) Bai der Anzeige der neuen Ausgabe dieser Sammlung in Nr. 38 d. Ztg. Ist zm Be-
merken tergessen, dass sie zuerst tu Brunn 1835 nnd 1840 erschien. Ble Herausgeber der
Wendischen Lieder haben sie vielfach benutzt. Soeben beginnt Erk in Berlin einen „deut-
schen Liederhort" herauszugeben. Die schöne Ausstattung und der billige Preis, mehr noch
die t&chtige Arbelt selber, lügst uns das Unternehmen als ein sehr erfreuliches begrasten.
Herr Erk wird den Melodien eise besondere Sorgfalt zuwenden, wie er versichert ; er wird
wliBen, dass eben in dieser Hinsicht noch unendlich viel an thun ist.
grossen Werth, als sie uns das Wesen der gar verschiedenen alten
und die allmälige Bildung der neueren Tonarten veranschaulichen
helfen.
Wer von den oben mttgetheilten Liedern etwas singt , der hüte
sich vor schneller, streng taktticher Bewegung und vor voller und
stetiger harmonischer Begleitung. Aeusserltch ruhiger, innerlich
bewegter Vortrag, deutliche Wortaussprache , fast recitativisch har-
monische Begleitung in reinen Dreiklängen , mitunter ohne Terz —
mehr bedarfs nicht. So wollte der oben verzeichnete Gesang :
„Gingen zwei Verliebte aus" (II N. 87) bei stetig harmonischer Be-
gleitung und taktmässigem Gesänge Keinem verständlich werden,
während er bei der simpeln Haltung, wo das ganze Gewicht in dem
Gesang, und zwar in den Vortrag der „Mähre", gelegt ist, allgemein
ansprach. Andacht, so kann man kurz alle die erforderlichen
Bedingungen bezeichnen, unter welchen dieser Gesang ums sein In-
neres erschliesst j keiner weiss dies besser , als die Wenden selbst.
Sie haben hierüber eine schöne Sage , mit der ich schliese. Also
erzählte Frau Girt in Hermsdorf von den „andächtigen Sängern"
(U, 175):
Es geschah aber, dass der Herr Christus und der heilige Petrus
in der Welt herumwandelten. Und sie kamen in ein Dörflein, wo
man in einem Hause so schön sang. Und der Herr Christus blieb
stehen , um zu hören , der heilige Petrus ging aber immer weiter.
Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich um
und der Herr Christus stand noch dort. Der heilige Petrus ging
aber immer weiter.
Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich
wieder um : und der Herr Christus stand noch immer da. Der heilige
Petrus aber ging noch immer weiter.
Und als er ein Stücklein weiter gekommen war, sah er sich
noch einmal um, und siehe — der Herr Christus stand immer noch
dort und hörte zu.
Da kehrte der heilige Petrus auch um und kam wieder zu dem
Hause, und dort sang man so schöne Volkslieder. Da sie nun eine
Zeitlang zugehört hatten, gingen sie beide weiter und kamen an ein
anderes Haus, dort sang man auch. Und der heilige Petrus blieb
stehen, um zu horchen, der Herr Christus t ging aber immer weiter.
Da ging der heilige Petrus auch weiter und wunderte sich gewaltig.
Da sprach der Herr Christus : was wunderst du dich so ge-
waltig ? Und der heilige Petrus sprach : Ich wundere mich darüber
so gewaltig, dass du dort stehen bliebst wo sie Volkslieder sangen
und hier vorbei gehst, wo sie geistliche Lieder singen. Da sprach
der Herr Christus : Mein lieber heiliger Petrus, dort sangen sie Volks-
lieder, aber mit aller möglichen Andacht, hier singen sie geistliche
Lieder, aber ohne die geringste Andacht.
DIE MUSIKALISCHEN VEREINE IN COLN.
(Schluss.)
Der Bürger- und Handwerke r-V e r c i n steht unter der
Leitung des Lehrers H e r x . Die unermüdliche Thätigkeit des Diri-
genten hat in Betracht, dass mehr noch wie in der Polihymnia, es
fast nur rohere Kräfte sind, welche dem Vereine beitreten , wirklich
Ausserordentliches geleistet , so dass die Gesang- Vorträge in dieser
Berücksichtigung wahrhaft Staunen erregten. Nichts destoweniger
möchten wir wünschen, dass Hr. H. in einer Beziehung seine Stellung
richtiger auffasse : die Aufgabe seines Vereins kann es am wenig-
sten sein, ein Virtuosenthnm anzustreben. Mag man sich am Schwie-
rigen üben, aber die eigentliche Aufgabe wäre hier,' vor allem den
Volksgesang zu pflegen. Leider schmälert der Dirigent durch
ein leidenschaftliches Haschen nach Ehren sich die Ehre , welchö
man ihm sonst angedeihen lassen würde und welche er gewiss ver-
dient. Sein Verein steht übrigens in grosser Disharmonie mit der
Polihymnia, mit der er coneurrirt.
Die H ö m o r rh o i d a r i a, oder wie man sie in jüngster Zeit
umgetauft bat, die Humorrhoidaria , eine heitere Gesellschaft, pflegt
unter der Leitung des Musiklehrers Kipper die komische 'Jheater-
«usik. Sopran- und Altparlhien übernehmen Herren mit Gebrauch
der Fistelstimme, deren sie vortreffliche hat« wovon ihre letzte Vor*
- 167
stellang im Stollwerk'schen Theater-Saale den besten Beweis ge-
geben hat. Die H. besteht ans Mitgliedern , denen es so wenig
an musikalischer wie an geistiger Bildung mangelt. Sie besitzt eine
kleine Bahne, auf der selbstgefertigte kleine Vaudevilles, oder auch
bekannte komische Opernscenen und Vaudevilles, aber fast immer
mit Anpassungen an Ort und Zeit, cur Aufführung kommen. Wir
wünschen dem heitern Verein ein fröhliches Gedeihen } hat er auch
bis dahin noch keine bedeutende eigne Productionen aufzuweisen,
so kann doch ein solches Sichnähertreten der producirenden
und ausführenden Kunst nur vortheilhaft auf musikalische Theater-
schöpfungen einwirken, wesshalb die H. anderwärts Nachahmung
verdient.
Wir wollen hier wegen der grossen Beteiligung, die er in Göln
findet, noch des Si eg - Rheini sc h en-L e hrer-V er eins Er-
wähnung thun , obgleich er Cöln nicht ureigenthümlich angehört.
Derselbe hat sich die Aufgabe gestellt, durch die alljährige Auf-
führung einer alten Messe die alte Kirchenmusik zu pflegen. An
seiner Spitze steht der Gesanglehrer des Brühler Lehrerseminars
Töpler, als Kirchenkomponist und Verbessercr der alten Chorale
rühmlichst bekannt. Bei der letzten Aufführung wurde in der
Schlosskirche die „Missa Papae 'Marcelli" von Palestrina von 300
Lehrern und 200 Knaben mit einer Meisterschaft vorgetragen, welche
vom Wirken des Vereins das beste Zeugniss ablegte.
Hiermit hätten wir sämmtliche eigentlich musikalischen Vereine
von einiger Bedeutung die Revue passiren lassen. Wir könnten noch
eine grosse Zahl hinzufügen , wollten wir alle anführen, die neben-
bei die Musik pflegen , oder mit ihr in Wechselwirkung stehen.
Das Obige mag indess genügen , um darzuthun , welch ein reges
Leben auch in dieser Beziehung in Cöln pulsirt.
CORRESPONDENZEN.
AUS HAMBURG.
Eada September.
In dem verflossenen Monat hat die Oper nicht die seitherige
Thätigkeit entwickelt. Theils haben mehrere bedeutendere Gastspiele
im Drama, theils das Auftreten der ausgezeichneten Tänzerin L.
Grahn die Abende ausgefüllt, theils endlich mag der Umstand dazu
beigetragen haben , das» Herr de Barbieri heute austritt und statt
seiner morgen Herr Ignatz Lachner die Direction übernimmt. — Er-
wähnung verdient vor allem das einmalige Auftreten Roger's von
Paris. Er hatte sich zu drei Gastrollen erboten und natürlich war es
nicht etwa Mangel an Beifall, was ihn zur schnellsten Rückkehr nach
Paris bewog, sondern der durch den Telegraphen ihm am Abend
seines ersten Auftretens gewordene Befehl der ihm vorgesetzten Di-
rection, zur früheren Wiedereröffnung der grossen Oper sogleich zu-
rückkehren. So war es ihm nur vergönnt in der weissen Dame vor
der grossen Anzahl anhänglicher Verehrer aufzutreten, welche unser
Publikum seit seinem ersten Erscheinen hier enthält. Mir hat schon
früher die acht französische Eigentümlichkeit der Stimme wenig
zugesagt. Dass dieses Material bei fortgesetzter Anstrengung immer
schärfer und spitzer wird, ist natürlich und lässt dieser Umstand alle
Cantilene in seinem Gesang nur so weit gelingen, als schärfer aus-
geprägter Vortrag damit zu verbinden ist. Alles rein lyrische , der
weichen Klangfülle einer edlen Stimme Bedürftige, geht durchaus \er-
loren. So beschränken sich denn Roger's Rollert durchaus auf einen
kleinen Kreis der sogenannten Spieloper, zu denen einige italienische
wie z. fc. Lucia hinzutreten, in welchen allerdings ernstere Stoffe,
aber in dürftigster welscher Weise aufgefasst, dargestellt sind. In
diesen Gränzen bewegt sich Roger mit unglaublicher Virtuosität;
dem sehr harmonisch gebildeten Aeussern mit dem ausdrucksvollen
Kopfe und feinsten Mienenspiel geseilt sich eine so lebhafte schöpf-
erische Einbildungskraft, eine so anmuthige, Wahrhaft feine Heiter-
keit zu, dass seine Leistungen für meine ziemlich weit greifenden 1
Erinnerungen ohne einen ebenbürtigen Nebenbuhler dastehen. Das
Haus war an dem Abend überfüllt. Es mag nicht unerwähnt bleiben,
dass Herr Roger in den Beziehungen des äussern Lebens, in seinen
Verhältnisse mit Directionen und in seinem Privatleben von allen
Seiten als wahrer Ehrenmann gepriesen wird.
In der Mitte des Monats hat in Eutin die Aufstellung einer
Denktafel an C. M. von Webers Geburtshause stattgefunden. Die
natürlich durch Musik gefeierte Festlichkeit hat eine grosse Menge
dort versammelt, die durch unglaublich schönes Wetter begünstigt
ein recht gemüthliches Volksfest erlebte. Die Verhältnisse ha^en
der bedeutenderen Kunst dort keinen Raum gegönnt, indessen hat die
Gegenwart der Liedertafeln aus Hamburg , Altona , Lübeck u. s. w.
doch der Versammlung Genüsse geboten, wie sie dem grössten Thcil
der Hörer wohl ganz neu waren. Dass übrigens das Fest bei alle
der durch die Umstände gebotenen Rücksicht kein Volksfest im höh-
eren Sinne des Worts sein konnte, versteht sich von seihst. Hoffen
wir dass die Zeit erscheine, wo ohne Beschränkung die Nation sich
ihrer grossen Künstler und Dichter bei einer solchen Veranlassung
frei erfreuen könne , wo sie diese unsterblichen Meister nicht ver-
stohlen und ängstlich als dürftige bürgerliche Personen feiern, son-
dern ihrer grossen bedeutenden Stellung zum Vaterlande , ihrer Ein-
flechtung in das Ganze des Volkes in ungehemmtester Weise in allen
Beziehungen gedenken darf und wo nicht die daraus hervorquellenden
Betrachtungen nach allen Seiten der polizeilichen Ueberwachung
unterworfen sind. Jetzt ist eine bewusste Feier eines solchen Festes
in höherer Bedeutung geradezu unmöglich, — Dass wir hier in
Hamburg endlich einmal des grossen Tondichters Euryanthe zu hören
bekämen, das freilich wäre die beste Art ihn zu feiern. Der Frei-
schütz wird freilich oft genug, aber immer nur als Lüikenbüsser ge-
geben. Und welche Lebenskraft doch in diesen acht deutschen Tönen»
dass sie fortwährend, trotz des unerhört albernen Gedichtes die
Hörer zu fesseln wissen 1 — Herr Schüttky, unser erster Bassist, geht
Ostern nach Stuttgart. Möge uns Apollo gnädig bei der Wiederbe-
setzung der dadurch erledigten Stelle sein. Herr Barbieri hat vor
seinem Fortgehn noch eine Benefizvorstellung gehabt, zu welcher er
Rossinis Belagerung von Corinth neu einstudirt hatte. Trotzdem
die Oper viel Schönes enthält und gewiss zu Rossini's bessern
Werken gehört, und ungeachtet es dem Abschied des Herrn Bar*
bieri galt, war die Theilnahmc des Publikums im Ganzen sehr ge-
' ring. Die Ausführung litt an vielen Mängeln, vorzüglich im En-
; semble. Es ist eine höchst interessante Bemerkung , dass unsre
Sänger Rossini durchaus nicht mehr zu singen verstehen. Die gei-
stige Form deren er sich bedient hat, ist schon jetzt völlig veraltet
und theilweise sogar in ihrer lächerlichen Aermiichkeit zum allge-
meinen Bewusstscin gelangt. So ist es denn natürlich, dass unsre Sänger
vielen Figurenschmuck abkürzen, oder ganz weglassen der mehr
oder weniger den Mantel bildet, mit dessen Fallen auch der Herzog
fällt — denn welch dürftiges Skelett bleibt noch , wenn wir den
Rossinischen Arien diesen äussern Glanzfirniss abstreifen! Und der
Maestro lebt noch in voller Kraft und wird von den Mitlebenden
schon jetzt zu Grabe getragen 1 Welch eine Lehre für die jungem
Lernenden , wenn diese ihre Wünsche irgend nach Höherem richten
als nach augenblicklichem Beifall der Menge und vielem Gelde! —
Frl. Garrigues, derert Stimme leider angegriffen klang, sang die Pa-
myrä genügend. Herr Eppich als Kleomenes findet sich jetzt immer
besser mit dem Recitativ ab. Seine Stimme ist gross und voll in
ihren einzelnen Tönen, aber leider ohne musikalische Bildung , ja
selbst ohne Sicherheit. Herr Schüttky als Mahomet und Herr Linde-
mann als Hieros waren meist trefflich ; endlich darf ich nicht ohne
Erwähnung lassen, dass Herr Kaps den Neokles äusserst brav aus-
führte und dass Madame Maximilien die kleine Rolle der Ismene mit
dankenswerther Bereitwilligkeit übernommen hatte — Herr Lachner
wird am 2. October sein Amt mit dem Fidelio beginnen. Eine wahr-
haft ehrende Wahl l Wie sich so nach und nach die Zeiten ändern«
Früher, d. h. vor 10 und 1* Jahren hätte ein deutscher Capellmeister
jedenfalls eine italienische oder französische Compositum für sein
Debüt gewählt. Also: Bravo! Herr Lachner! Möge es ihm vergönnt
sein das Orchester zu heben. Dazu würde sein guter Wille nicht
genügen, sondern es bedarf der Einsicht der Direktion , dass sie
durch Anstellung von mehr Violinen und Pensionirung der älteren
Musiker sich eine Ausgabe veranlassen würde, welche bessere Vor-
stellungen und vollere Häuser ihr reichlich einbringen könnte.
168
AUS DRESDEN.
Ende September,
„Wenn die Schwalben heimwärts ziehen", so ist das ein Zeichen,
dass all mal ig mit gröserer oder geringerer Emsigkeit die Vorberei-
tungen zur Saison beginnen — auch ein Beweis, in welchem trauten,
geheimnissvollcn Zusammenhang, trotz aller Declamationen vom Ge-
entheil, Natur und Kunst stehen. Das schöne Vorrecht die mancher-
lei Sorgen und Mühen des Lebens vergessen zu machen, scheint denn
auch diesmal die letztere in ausgedehntem Maasse geltend machen
zu wollen. Je höher die Brod,- Fleisch- und Kartoffeln-Preise steigen,
je mehr die Hausbesitzer die Miethzinsen hinaufschrauben, je kriege-
rischer die orientalische Frage sich gestaltet : um desto emsiger
sind Künstler und Virtuosen bemüht , diesen sehr fühlbaren mate-
riellen Uebelständen den lindernden Balsam der Kunstgenüsse zu
appliciren, und wenn möglich, auch sich selber für jene unvermeid-
lichen Angriffe auf den eignen Geldbeutel in Etwas zu revangiren.
Das ist eben so natürlich als verzeihlich, denn Jeder sucht mit dem
ihm verliehenen Pfunde thunlichst zu wuchern , und wer möchte et.
V im
was dagegen haben, wird dieser Wucher nicht um offenbaren Nach-
theil der Consumcnten getrieben ? Was man bis jetzt in dieser Be-
ziehung hört , scheint diese etwaige Befürchtung auch keineswegs
rechtfertigen zu wollen. Man spricht von Q uartettakademien
Lipinski's ; man spricht von Triosoireen Franz Schubert's in
Verbindung mit Goldschmidt, dem Gatten der Jenny Lind, und
schmeichelt sich mit der Hoffnung, die hochgefeierte werde in diesen
Soire'en aus ihrer langen Zurückgezogenheit wieder hervortreten;
von Abonnementsconcerten unserer Kapelle, die wir nun schon seit
Jahren wieder entbehren müssen , spricht man leider nicht. Auch
über die Herkunft fremder Viertuosen hört man bis jetzt glücklicher-
weise Nichts ; dagegen werden einige Mitglieder unserer Kapelle so z. B.
der wackere Waldhornist Eisner, der Violinist Trö stier u. s. w.,
nicht minder die Liedertafel, die Dreissig'sch e Akademie
und ein Paar unserer jüngeren, strebenden Musiklehrer , die Herren
M. Liering und Spind ler, mit eigenen grösseren Kompositionen
vor das Publikum treten. Ein grosses Quintett des Erstgenannten
spielte in einer bei ihm veranstalteten kleinen Matinee der geniale
Liszt bei seiner hiesigen Anwesenheit auf eignen Wunsch — jeden-
falls eine nicht geringe Empfehlung. (Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Mainz« Herr Anton Schindler, Verfasser einer Biogra-
phie Beethovens sowie Entdecker mehrerer verloren gegangener No-
ten und Tempobezeichnungen in Beethovens Werken, hat einen neuen
Anspruch auf die Ehrfurcht Deutschlands gewonnen. In der letzten
Nummer der „Niederrheinischen Musikztg." verkündet er triumphirend,
dass es endlich an den Tag gekommen sei, wie wieder er der Einzige
war, der das fehlende Tempo beim Benedictus in der gedruckten Par-
titur von Beethovens Missa in D , richtig als Andante erkannt hat.
Herr Prof, Jahn ist so glücklich gewesen, in einem Briefe B. an die
Mainzer Verlagshandlung (B. Schott's Söhne) vom Januar 1825 den
Beweis dafür zu finden und hat nicht gesäumt Hrn. A. Schindler so-
fort davon in Kenntniss zu setzen, der nur seinerseits keinen Augen-
blick zögert, diese „bedeutsame Entdeckung" bekannt zu machen.
Er glaubt dies jedoch nicht thun zu dürfen, ohne der Mainzer
Verlagshandlung eine Rüge über diesen (im Jahre 1827
verschuldeten) Fehler zu ertheilen.
Dass Herr A. Schindler diese günstige Gelegenheit , sein Licht
leuchten zu lassen, nicht ungenützt vorübergehen Hess, konnte nicht
Wunder nehmen. Besteht doch die öffentliche Thätigkeit dieses Herrn
seit Jahren nur darin, den Schatten eines grossen Namens um sich
herum zu zerren und nach jedem neuen Faltenwürfe der Welt selbst-
gefällig zuzurufen: „Seht hier, l'ami de Beethoven!"
Aber mit Recht hat uns die Keckheit überrascht, mit welcher
Herr A. Schindler das Amt eines Censors an sich zu reissen sucht«
In dem alten Rom waren dazu gewisse Eigenschaften erforderlich,
die wir beim besten Willen bis jetzt nicht an ihm entdecken konnten.
Wer bei seinem öffentlichen Auftreten stets so entschiedenes Un-
glück gehabt hat, wie Hr. Schindler, wer aus einer öffentlichen Po-
lemik so vollkommen turnierunfähig hervorgegangen ist, wie er noch
vor wenigen Monaten, wer sich Bezeichnungen gefallen lassen musste,
wie die vom Fürsten Galitzin in Bezug auf ihn gebrauchten — der
hat nach unserer Ansicht jeden Anspruch auf öffentliche Geltung ver-
loren, am allerwenigsten aber eignet er sich dazu, „Rügen" zu er-
theilen 1 Sapienti sat!
Baden - Baden. Privatbriefen entnehmen wir die Nachricht,
dass die talentvolle Sängerin Frl. Elise Staudt von Mitte Juni bis zum
gegenwärtigen Schlüsse der Saison mit stets wachsendem Beifall
gastirt hat. Was den Werth der von ihr gefeierten Triumphe be-
deutend erhöht, ist der Umstand, dass zu gleicher Zeit auch die be-
rühmte Gesangskünstlerin Frl. Anna Zerr in Baden - Baden gastirte,
ohne dass die so gefährliche Rivalin der allseitigen Anerkennung von
Frl. Staudt's Leistungen Abbruch zu thun vermocht hätte. Auch eine
jüngere Schwester derselben debütirte mit sehr vielem Glücke als
Zerline, Adalgisa und Cherubin und scheint mit ihren trefflichen Na-
turanlagen, bei fortgesetztem eifrigen Studium zu den schönsten Er-
wartungen zu berechtigen.
Wien. Ander wurde bei seinem ersten Auftreten am 3. als
Lyonel mit einem Enthusiasmus empfangen, der hier lange nicht ge-
sehen worden ist. Seine Stimme ist vollkommen hergestellt. FrL
Johanna Wagner wird von der hies. Kritik, in der freilich auch an-
dere als künstlerische „ Intentionen " zum Vorschein kommen , mit
grösster Geringschätzung behandelt. Die alte Eifersucht zwischen
„Nord und Süd" spukt mehr als jemals auch in der Kunst.
Im Hofoperntheater haben die Proben zu Balfe's Oper „Theo-
lanthe" unter des Componisten eigner Leitung begonnen.
Hannover. Die hies. Oper brachte in den letzten Wochen
ausser Flotow's Indra, die der Hof protegirt, Mozarl's „Entführung",
dessen „Don Juan", die „Stumme", „Fidelio" und „Hugenotten,"
Berlioz wird im Oktober hierherkommen.
Weimar. Als Hofvirtuos ist an Joachim's Stelle der bekannte
treffliche Violinist E. Singer, auch durch seine Compositionen rühm-
lichst bekannt, berufen worden.
Carlsrahe. Das grosse Musikfest hat nicht den gehofften Er-
folg gehabt. Besonders am ersten Tag blieb das zahlreiche Publikum
sehr kalt und nicht einmal die 9. Sinfonie von Beethoven konnte
dasselbe erwärmen. Die Aufführung derselben war freilich auch
keine vorzügliche. (Bericht darüber folgt in der nächsten Nummer.)
Leipzig. Am 2. Okt. fand das 1. Gewandhaus-Concert statt.
Frl. Ney und Hr. A. Dreyschock sollten darin auftreten. Die Direk-
tion wird wohl die bisherige bleiben müssen , da aus der Berufung
des Mendelssohn ianers St. Bennett aus London nichts geworden ist»
— R. Schumann wird künftig wieder hier wohnen.
Frankfurt« Ende September starb hier die Wittwe Mendels-
sohns.
Berlin. Der Direktor von Krolls Etablissement Hr. Engel hat
in Paris interessante Engagements für den Winter abgeschlossen.
Seine Oper wird nächstens Marco Spada , Hayde* und das Thal von
Andorra bringen.
Paris» In diesem Augenblicke sind die beiden komischen Opern
„Der Nabab" von Halevy und „Le Roi des Halles" von Adam en
vogue. Von letzterem wird im Theatre lyrique in den nächsten Ta-
gen ein neues Werk zur Aufführung kommen. — Ueber das Schick-
sal der Italienischen Oper ist immer noch nichts bestimmt.
Mailand« Von hier wird der Niederrheinischen Musikzeitung
geschrieben :
„Es ist eine durch unumstössliche Thatsachen widerlegte An-
nahme, dass unser Publikum aus politischer Demonstrationssucht die
Liebe zum Theater verloren. Wer die weiten Räume des grossarti-
gen Skala-Theaters bei dessen jeweiliger Eröffnung und an solchen
Tagen gesehen, wo dort der rühmlichen Vergangenheit dieser „Welt-
bühne" entsprechende Vorstellungen gegeben wurden, der wird den
gegenwärtigen kläglichen Zustand dieses Theaters in ganz andern
Ursachen suchen , als in der vorgeschützten Gleichgültigkeit unseres
Publikums für Kunstgenüsse/ 1 Eröffnet wurde diesmal nämlich die
Scala mit „ H Trovatore " von Verdi. Ausstattung und Besetzung
waren schlecht, das Publikum unwillig und schon nach zwei Tagen
musste „II Trovatore'* den „Masnadieri" desselben Componisten Platz
machen, die jedoch kein besseres Schicksal hatten. Das Haus war
mit Aussnahme der ersten Probevorstellun g „fast wörtlich leer."
YermtwtrUleher B«4ikttu: J. i. «CHOtl. — Dwc* TroÄMUEEn. WALLAU in Mal».
2. Jahrgang.
Mr. 43.
24. Octbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitong erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnlrt bei allen Postämtern,
Musik» und Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT «* CO.
PREIS:
II. 3. 42 oder Tblr. 1. 18 8fr.
rar den Jahrgang.
Durch die Post belogen :
SO hr. eder 1.1 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Das grosse Musikfest in Carlsruhe. — Orgelspiel in Franken. — Corresp. (Braunschweig. Dresden.) — Nachrichten.
DAS GROSSE MUSIKFEST IN CARLSRUHE
am 3. und 5. Oktober.
Bereits haben verschiedene öffentliche Blätter über die an ge-
nannten Tagen in Karlsruhe stattgehabten zwei grossen Concerte ihre
Berichte erstattet, in denen sich des Interessanten und in gewisser
Beziehung Merkwürdigen , doch für den Musikkundigen nicht eben
Unerwarteten, Mancherlei befindet; lassen Sie auch für Ihre Blätter
durch einen Ohrenzeugen über dieses musikalische Ercigniss , dem
von vielen Seiten mit so grosser Spannung entgegengesehen wurde,
das Genauere berichten. Das schon längere Zeit vorher bekannt ge-
machte Programm der beiden Concerte Hess keinen Zweifel mehr da-
rüber zu, dass dieselben dazu benützt werden sollten , der neuesten
Richtung der musikalischen Composition in einem Thcile Deutsch-
lands Wege zu bahnen, wo man sich nach dem Wenigen, was man
bis jetzt davon gehört, noch keineswe?« damit vertraut machen
köflnie*. Ofrtafcser Zweck in erheblichem 'Grade erreicht wurde, ob
das Interesse an den Vertretern jener Richtung, deren, wenn auch
im Prinzip übereinstimmend, Jeder doch seinen eigentümlichen Weg
geht, und an den Erzeugnissen derselben bedeutend geweckt worden,
wird sich bei Erwähnung des Erfolges der betreffenden einzelnen Mu-
sikstücke herausstellen. An äussern Mitteln zur Er?ielung eines be-
deutenden Effektes fehlte es keineswegs, da die Orchesterkräftc von
Darmstadt, Mannheim und Carlsruhe (vom erstem wurde nur das
Streichquartett beigezogen) und die vollständigen Theater-Singchöre
von den 3 genannten Städten vereinigt waren. Um so mehr war es
daher zu bedauern, dass die Leitung dieser trefflichen Kräfte nicht
einer sicherern und kundigem Hand übertragen worden war, denn
dass Hofkapellmeistcr Liszt der ihm zugekommenen Aufgabe als Di-
rigent nicht gewachsen war, stellte sich ausser allen Zweifel. Die
häufigen Schwankungen im Tempo , der oft unpräcise Anfang der
Musikstücke, unsichere Eintritte von Instrumenten oder Singstimmen
waren allein nur durch das unbestimmte, öfters unrichtige, manchmal
sogar ganz ausbleibende Taktiren veranlasst worden , und sein Ver-
dienst ist es nicht, dass dennoch das Meiste ohne grössere Störungen
vorüberging. Wir danken dies der Intelligenz der versammelten
Kräfte überhaupt und der einzelnen unter ihnen befindlichen Cory-
phäen.
Das erste Concert begann mit R. Wagners Ouvertüre zum Tann-
häuser, welche bei so grossartiger Besetzung einen wirklich grossen
Eindruck machte, und zu den am besten executirten Stücken gehörte.
Ihr folgte die bekannte Concert • Arie von Beethoven , die indessen,
nach der die Empfindungen der Zuhörer so gewallig aufregenden Ou-
vertüre, nicht am rechten Orte auftrat, wenu es nicht überhaupt ge-
ratener gewesen wäre, sie In dieses Programm gar nicht aufzuneh-
men. Der Vortrag derselben von Seiten der Frau Howitz war ebenfalls
nicht geeignet, der Arie eine bedeutendere Geltung zu verschaffen. —
Hierauf hörten wir Hrn. Concertmeister Joachim in einem von ihm
componirten Violin-Concert, das durch seinen Mangel an innerem Zu-
sammenhang, durch die vielen ohne leitende Idee aneinandergereihten,
barocken, vielleicht originell sein sollenden Theilchen weder als Com-
position einen vorteilhaften Eindruck zu machen, noch im Stande
war, die Virtuosität des Hern. Joachim ins rechte Licht zu stellen.
Ueberdiess enthält diese Composition solche Schwierigkeiten für das
Zusammenspiel des Orchesters , dass raten ungeachtet der vorausge-
gangenen sorgfältigen Probe, öfters mit bangem Gefühle dem Verlauf
des Stuckes folgen musste. — Wahrhaft erleichtert, und, als hätte
man die Erlaubnis« bekommen , wieder frei zu athmen , fühlte man
sich bei dem nun folgenden Finale aus Mendelssohn's unvollendeter
Oper: „Loreley." Endlich wieder eine geregelte Form, wie sie dem
musikalischen Gefühl und Verstand angemessen ist, und die Auffüh-
rung von Seiten des Chors und Orchesters sicher und energisch.
Frau Howitz sang die Partie der Leonore gut, doch hätten wir zu-
weilen grössere Energie in ihrem Vortrage gewünscht. Von allen,
in beiden Concertcn vorgekommenen Stücken hatte dieses Finale den
glänzendsten Erfolg. Den zweiten Theil dieses Concerts eröffnete
Schumann' s Ouvertüre zu Byron's „Manfred." Nach einmaligem Hö-
ren möchte ich mir ein umfassendes Urtheil über dieselbe nicht er-
lauben , doch muss ich wenigstens bemerken , dass mir dieselbe an
Ideen arm, eines leitenden Gedankens aber gänzlich ermangelnd er-
schien. Mit gesuchten Modulationen und Orchestercffecten lässtsich
der gesunde, nach Gedanken verlangende Sinn des musikalischen Pub-
likums nicht abspeisen. Ucbrigens wird, was ohne Zweifel von ge-
wisser Seite als ein grosser Mangel an literarischer Bildung ange-
sehen werden möchte, wohl der kleinere Theil der versammelt
gewesenen Zuhörer Byron's Manfred gelesen haben , somit steht es
von selbst dahin, ob die Bedeutung der Ouvertüre gewürdigt werden
konnte.
Es folgt nun: „Festgesang" mit Worten aus Schillers Gedicht:
„die Künstler" , componirt für Männerstimmen , (Solo und Chor)
nebst Begleitung von Blasinstrumenten von Liszt. Liszt wollte sich
in dieser Composition offenbar denjenigen beigesellen, die sich be-
streben, auch das einzelne Wort, die einzelne Phrase, auf eine, fast
möchte ich sagen, plastische Weise auszudrücken , und darüber den
Charakter des Ganzen vergessen. (Ich erinnere nur an die Stelle:
„Sic sinkt mit euch".) Man kann die Erfind ungslosigkeit nicht nakter
hinstellen, als dies in diesem Festgesang geschehen ist, und wohl
im Bewusstscin derselben wollte der Componist seine Zuflucht zuin
Auffallenden, Fremdartigen nehmen, was aber, in andere Worte über-
tragen heisst: Alles, was dem Ohr und Gefühl zuwider ist, fand
sich hier aufgehäuft, und die unbehagliche Stimmung des Publikums
war keinen Augenblick zu verkennen. Dass eine solche Behandlung
der Composition den Sängern in Beziehung auf Treffen und Intoniren
die widrigsten Schwierigkeiten auferlegte, kennte gar nicht fehlen;
kamen sie ja selbst in den misslichen Fall , vom Publikum wegen
vermeintlichen Falschsingens angeklagt zu werden. — Den Beschluss
dieses Concerts machte Beethovens neunte Sinfonie mit Chor , die
Soli hatten die Damen Howitz und Hauser, die Herrn Eberius und
Obcrhoffer übernommen. Sie wurde dem grössern Theil nach ziem-
lich befriedigend ausgeführt, wenn man bedenkt, dass das Orchester
bei dem schwankenden, öfters ganz ausgesetzten Taktiren, in sich
selbst den möglichsten Halt suchen musste. Auch die Singstimmen,
Soli wie Chor, die dem Dirigenten zunächst standen, hatten sich, wie
dies bei der Schwierigkeit mancher Eintritte zu wünschen gewesen
— 170 —
wäre, keines die Sicherheit befördernden Winkes hiezu von demselben
zu erfreuen, so ist es also ihr Verdienst allein , immer richtig bei
der Sache geblieben zu sein. Die starke Besetzung der Streichin-
Instrumente, hfttte in manchen Fällen, z. B. im Scherzo, eine voraus-
gegangene genauere Bezeichung des nicht häufig genug geschehenen
Eintrittes von Ripien-Blasinstrumenten verlangt, wodurch in mancher
Stelle die Streichinstromente zu sehr überwiegend waren. Wo je-
doch das richtige Verhältniss beider Instrumenten-Gattungen eintrat,
war die Wirkung eine wahrhaft überwältigende. Leider kam im
letzten Theil der Sinfonie, bei Eintritt des '/» Taktes in B dur, wegen
nicht erfolgten Niederschlags von Seiten des Dirigenten der Fall vor,
daiss dieses Tempo nochmals angefangen werden musste, da die
wenigen Instrumente, die am Anfang desselben beschäftigt sind , und
zu richtigem Eintreffen einzig und allein des bestimmten Niederschlags
bedürfen , sich plötzlich von richtigem Taktiren verlassen sahen. —
Gleichwohl war der Eindruck des Ganzen dieser Sinfonie, bei der
auch die gut einstudirten Chöre ihre Kräfte vollkommen entwickelten,
ein gewaltiger und das erste Conccrt endigte somit dennoch ziemlich
befriedigend, indem man sich durch die erwähnten einzelnen Schwank-
ungen nicht beirren liess, dem Eindruck dieses grossartigen Werkes
so wie des sonstigen Werthvollen, was in diesem Conccrt geboten
wurde , sich mit voller Thcilnahme hinzugeben. Am Schlüsse der
Sinfonie wurde Liszt unter Tusch von Trompeten und Pauken gerufen
und ich möchte, ungeachtet der in diesem Conccrt stattgefundenen
Mangelhaftigkeit seiner Direction doch nicht behaupten mit Unrecht,
da ihm jedenfalls das Verdienst gebührt , die Aufführung so gross-
artiger Werke mit grossen Orchesterkräften hervorgerufen zu haben.
< OB O <
Ober den gegenwärtigen stand des orgelspiels
in franken.
Wohl kein Theil Deutschlands hat seit 6 — 8 Dezennien eine
solche Verwahrlosung des Orgelspiels erfahren , als Unterfranken
im Königreich Baiern. Es ist im eigentlichen Sinne des Worts nie
ein vernünftiger Unterricht im Orgelspiel crthcilt, n i e eine zweck-
mässige Prüfung darin abgehalten , und nie in irgend einer Bezie-
hung, einige der letzten Jahre ausgenommen, etwas Erkleckliches
für den Zweig kirchl. Kunst gethan worden. Das Ganze, was in
dem Schullehrerseminar zu Würzburg, wo früher Protestanten und
Katholiken in christl. Toleranz gemeinschaftlichen Unterricht erhielten;
war, dass man den Zöglingen eine an Wortkram und Spitzfindig-
keiten überreiche Theorie der Musik ins Gedächtnis» prägte , die
im praktischen Leben weder Wurzel noch Begründung finden konnte
sondern nur den musikalischen Verstand der Jünglinge trübte , ihr
Talent abstumpfte und das Gedächtniss mit einem aufblähenden
Wissen anfüllte, das im Leben völlig unanweiidbar war. Da
war der ausgetretene Seminarist ausgezeichnet dressirt , um sich zu
werfen mit siebenerlei Siebeuten, mit einfachen und zusammenge-
setzten sechserlei Nonen-Akkordcn , der gr. None mit dem harten
Dreiklang, der kl. None mit dem harten Dreiklang, der überm. None
mit dem harten Drciklang, der gr. None mit kl. Terz und gr. Quiut,
der gr. None mit dem überm. Dreiklang, der kleinen None mit dem
vorm. Dreiklang, mit dem Undecimcn- , mit dem zusammengesetzten
Undecimen-, den Undccimcn-Scptimen-, den Undecimen-Noncn-Septimen-
mit den Terz-Dccimen- mit den Terz-Decimen-Undecimcn-Akkordcn,
mit den Terz-Decimen-Scplimen-, mit den Terz-Dczimcn-Undccimcn-
Seplimen- Akkorden und ihren fünf Umwandlungen, mit den Terz-
Decimen-Undecimen-Nonen-Septimcn-Akkorden und ihren sechs Um-
wandlungen und wie dieser kolossale Unsinn alle noch mehr heissen
mag ; so dass es dem einfachen, schlichten Talent schwer wurde, ob-
schon es sich öfters in der Praxis Geltung verschafft hatte, solchen
hochgelehrten Phrasen und hohlen Wortmachercicn gegenüber noch
an seine eigne Existenz zu glauben. Musste es ihm bei einer solchen
musikalischen Tollhäuslerei nicht sein, als ging ihm ein Mühlrad
im Kopfe herum ? Welche Masse Ein- und Unterabteilungen treten
uns hier entgegen ? — Wollen wir lieber nicht gleich zu dem alten
tapfern J. II. Knecht (Elcmentarwcrk der Harmonie) zurückkehren
mit seinen dreitausend sechshundert Akkorden, worunter allein
siebenhundert und zwanzig „übelklingende Stammakkorde", und
unter diesen gross klein grosse, angenehme Terzdecimenundezimen-
septakkorde, kleinvermindertkleine traurigklingende Terdezimenunde-
zimennonseptimen Akkorde vorkommen und zwar „als Ur- Akkorde" l ?
Zum Trotz aller Kunstfreunde sei es aber gesagt , dass die Kompo-
sitionslehre dieses ganzen Ballasts nicht bedarf, obschon sich derselbe
in der gegenwärtig im Lehrerseminar zu Würzburg, in dem unsre
Organisten ihre Bildung erhalten, eingeführten Harmonielehre auch
vorfindet. Es ist wahrlich leicht begreiflich , wie ein talentvoller
Jüngling einst bei diesem Wortgeklingcl unmuthig ausrufen konnte :
„Ueber der Beschreibung da vergess ich die ganze Musik." Das
Heilloseste dabei aber war die völligste Vernachlässigung der Praxis
und eine unbegreifliche Verkennung des Bedürfnisses, sowohl von
Seite der heranzubildenden Organisten, als der Kirchengemeinden.
Eine so völlige Verirrung in irgend einer Berufsrichtung wäre kaum
begreiflich, wenn wir nicht wüssten, dass der gesunde Menschenver-
stand nicht die rechten Mittel und Wege ergriff, weil er durch Au-
toritäten eingeschüchtert wurde , die durch Wort und That , durch
Unterricht in Allem Andern, nur nicht in dem was noth that, durch
Herausgabc von dickleibigen Werken, durch die Leitung der Lehr-
anstalten, u. s. w. zu wirken suchten ! In letzteren lernten die künf-
tigen Organisten Trompeten und Posaunen , türkischen Halbmond
und Waldhorn, Trommeln und Pauken etc. behandeln, sollten auch
wöchentlich 6 — 8 Stunden erforderlich gewesen sein , aber die
Orgel blieb immer Stiefkind, das Orgclspiel hielt man für zu gering-
fügig, um Unterricht darin zu ertheilcn. Man vertraute sich blind
der Leitung dieser Autoritäten an, gar nicht ahnend, auf welch ver-
kehrter Bahn man sich befand. — Nun haben wir die bittern — bittern
Folgen dieses Treibens zu büssen, und was man in mehr als einem
halben Jahrhunderte so planmässig und gründlich ruinirte, das kann
nicht so schnell und, leicht, etwa durch einige Regierungs- oder Con-
sistorial-Rescripte, denen übrigens sonst alle nachdrückliche Hülfe
und Förderung der guten Sache abgeht, wieder aufgebessert und
gehoben werden. Doch ist es immer schon ein gutes Zeichen und
einstweilen* wenigstens der Anfang zu einem leidlicheren Zustand,
wenn man nur erst zu k)arer| Einsicht des Verderbens gekommen
ist. Dieses Erkennen des Uebcls ist nun bei unsern kirchlichen und
weltlichen Behörden schon seit geraumer Zeit bemerkbar und fast
alljährlich erscheinen von Zeit zu Zeit Rcscripte in diesem Betreff:
So hat erst jüngst wieder die hohe kgl. Regierung von Unterfranken
und Aschaffenburg im Intelligenzblatt dieses Kreises und zwar in
Nr. 105 ausgesprochen, dass sie bei der jährlichen Prüfung der
Schulaspiranten die Wahrnehmung gemacht habe, dass die
Mehrzahl der zur Seminaraufnahme sich Meldenden rücksichtlich
der musikal. Vorbildung den gestellten Anforderungen nicht entsprächen
dass, was ganz besonders das Orgelspicl anlange, ungeachtet schon
seit mehreren Jahren dem früher gefühlten Mangel an passenden
Hülfsmitteln zu einer gründlichen Vorbereitung zum Orgelspiel durch
die eingeführte Lutzische Sammlung von Orgel- und Partitur-Uebungs-
stücken abgeholfen sei, nur die allerwenigsten das Pcdalspiel nach
der im erwähnten Werke enthaltenen, aus den besten Orgelschulen
entnommenen Anweisung sich geübt und im General bass mit der
Lehre von den Akkorden und deren Anwendung genügend sich be-
kannt gemacht hätten oder ein deutsches Kirchenlied mit passenden
Akkorden und in der getheiltcn Lage zu begleiten im Stande seien;
es sehe sich die unterfertigte kgl. Stelle veranlasst, sowohl im All-
gemeinen, an die Aspiranten-Lehrer die ernste Mahnung ergehen
zu lassen rücksichtlich des Orgelspills die Reg. Entschl. vom 22.
Juli 1847 (die Einführung der Lutzischen Sammlung betrf.) in Er-
innerung zu bringen, sämmtlichc Schulaspiranten neuerdings darauf
aufmerksam zu machen, dass neben der Gcncralbassschule von Geb-
hardi (?) die oben erwähnte Lutz'schc Sammlung von Orgel- und
Partitur- Ucbungsstückcn bei den Prüfungen am hiesigen Seminar
zur alleinigen (?) Grundlage dienten, dass sie sämmtl. Schuldienst-
aspiranten ohne Unterschied der Confcssion die Pflicht zur An-
schaffung (?) besagter Werke einschärfe; zugleich aber die Aspi-
ranten-Lehrer anweise, das Orgelspicl nach der in den mehr besagten
Orgel und Partitur-Uebungsstücken enthaltenen Anweisung zu lehren etc.
und dass diese Jünglinge zu dem grössten Fleisse in ihrer Vorbe-
reitung und Ausbildung im Orgclspicle namentlich zur Erwerbung
der Fertigkeit, die nöthigsten lateinischen Choräle und deutschen
Kirchengesänge in getheilter Lage wohlgeordnet und rein mit der
Orgel begleiten zu können, gemessenst ermahne.
Es ist unläugbar , dass die hohe kgl. Reg. v. Unterfranken in
— 171 —
diesem hohen Erlass sehr viel Sorgfalt and guten Willen an den
Tag legt, dem vorhandenen Uebel abzuhelfen; nichts destoweniger
aber können wir nns bescheidener Zweifel an ein Gelingen der be-
absichtigten Förderang des Orgelspiels nicht erwehren; denn alle
dergl. Ermahnungen and Aufforderungen dieser hohen Stelle der Vor-
jähre blieben bis jetzt frachtlos, wie solches das diesjährige Prüfungs-
Resultat selbst am allerbesten beweisst, und wirksamere Mittel , die
das tiefliegende Uebcl bei der Wurzel ergreifen würden , liess man
unversucht. Es möchte schon im Interesse der Kunstgeschichte,
hauptsächlich aber wegen der anzubahnenden Veredlung unsrer
gottesdienstlichen Musik, wovon das Orgelspicl die erste Stelle
einnimmt, sich der Mühe lohnen, vom Standpunkt der Wissen-
schaft in steter Berücksichtigung unsrer praktischen Lebensverhält-
nisse die Frage zu beantworten:
„ Welches sind die Ursachen des tiefen Verfalls des Orgelspiels
in Franken und durch welche Mittel könnte dasselbe wieder auf
jenen Standpunkt gehoben werden dass es wieder ein Mittel zur
Verherrlichung unserer gottesdienstlichen Feier werde, religiöse Ge-
fühle bei der Gemeinde erwecke und die Herzen zu Gott erhebe?"
Die wichtigste Ursache der angeführteu traurigen Erscheinung ist
offenbar.
1) Die frühere , völlige Vernachlässigung eines gediegenen
Klavier- und Orgelunterrichts und die verkehrte Anschauungsweise
der Musiklehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zög-
linge. Statt dass man dem Jüngling eine einfache, naturgemässe
Theorie unseres Tonsystems, etwa wie es Fr. Schneider, Töpfer etc.
in ihren Werken entwickeln , klar vor Augen geführt hätte , statt
dass man ihnen eine kurze, bündige Lehre des Kontrapunkts , eine,
einfache Lehre vom Orgelbau, eine übersichtliche Zusammenstellung
der Musikgeschichte u. dgl. gegeben hätte, bot man ihnen, wie be-
reits oben bemerkt ein mit dem schwülstigsten Wortkram verbrämte
complicirte Akkordenlehre und bietet ihnen leider eine solche heute
noch. Dabei aber vernachlässigte man ganz und gar den praktischen
Theil des Klavier- und Orgelunterrichts, wozu auch übrigens die In-
strumente total fehlten. Die Zöglinge glaubten Wunder etwas ge-
than zu haben, wenn sie ihr Gedächtniss mit oben angeführtem Unsinn
und verstandlosem Akkorden- Wesen vollpfropften, das praktisch»
Studium wurde völlig versäumt — es ist wahrlich heute noch nicht
besser — an ein fleissiges Klavierspiel, als die erste Grundbe-
dingung eines guten Orgelspiels, an eine im Schweiss des Angesichts
erworbene Technik auf Klavier und Orgel , an eine Veredlung des
musikalischen Geschmackes durch das Studium der Klavier- und
Orgelcompositionen von Clcmenti, Haydn, Scarlatli, Mozart, Beethoven
Kittel, Rink, Händel, S. Bach etc. glaubte man gar nicht denken zu
müssen, wohl aber um so eifriger an das leidige Ziffer resp. Parti-
turspiel, das durchaus geeignet ist einen jungen Organisten zu ver-
derben und das doch endlich ein Mal aufhören sollte. Statt dass
man den Zöglingen eine einfache, klare Satzlehre, wie sie z. B. Lobe
in seiner musikalischen Composition so unübertrefflich aufgestellt,
mitgetheilt hätte, damit sie mit Verstand und Gemüth präludiren er-
lernt, und überhaupt musikalisches Verständniss bekommen hätten,
verleitete man ihnen den so schönen Beruf eines Organisten durch
einen trockenen , mit dem wahren Wesen der Musik gar nichts
gemein habenden Skepticimus und elenden Gedächtnisskram einer
Theorie, die völlig dazu geeignet scheint, jede musikalische Anschau-
ung zu vernichten und alles eigentlich musikalische Lehen im Ge-
müthe zu zerstören. Statt dass man methodisch geordnete Uebungen
im Klavier- und Orgelspiel, wobei nächst der formalen Ausbildung
vor Allem das kirchliche Bedürfniss hätte Berücksichtigung finden
sollen, vorgenommen hätte, wurde die Jünglingszeit — die nie mehr
zu ersetzen war — mit gar vielerlei für Kantoren, Organisten und
Lehrer unnöthigem Zeug verbracht. Wer die Seminarverhältnisse
zu Würzburg in früheren Jahre kannte, der weiss zu gut , was ich
hiermit sagen will. Jene Zeiten sind Gottlob , wenigstens in ihrer
Totalität, vorüber, doch können wir es nicht über uns gewinnen, die
mannigfachen Sünden gegen die Kunst, gegen die Kirche , gegen die
Gemeinden, (den dabei misshandelten Stand der Organisten gar nicht
zu erwähnen , ) so völlig zu vergessen , dass wir ihrer gar nicht
mehr gedenken sollten, um so mehr bei einer solchen Veranlassung.
Es ist also eine ganz natürliche Erscheinung, die wir hier mit
der bair. Staatsregirung und den kirchlichen Behörden schmerzlich
beklagen, aber eigentlich gar nicht tief genug beklagen können, weil
die Beseitigung des Uebels so schwierig ist , lange anhaltende , kon-
sequente Einwirkung erfordert, und der Vorbestand der Calamität,
uns eines der vorzüglichsten Mittel beraubt, wodurch wir bei gottes-
dienstlichen Versammlungen anregend und fordernd auf die Herzen-
der Gemeinden einzuwirken im Stande wären, denn auf Geist und
Gemüth der Gemeinde kann nur ein klar durchdachtes aus tiefer
Erregung des Gemüths entsprungenes schmuckloses — einfaches
Orgclspiel in Melodie, Harmonie und Rhytmus , das die Gesetze
des musikalischen Satzbaues gewissenhaft respectirt , einwirken.
Was hören wir aber statt dessen ? — Ein sinn- und gedankenloses
Hin- und Herfahren in den verschiedensten Tonarten ohne Melodie
ohne Satzbau, ohne Klarheit und Durchsichtigkeit, ohne richtiges
Stimmverhältniss , da die wenigsten Organisten eine Ahnung von
obligater Pedalbehandlung haben, ohne allgemeinen und speciellen
Gefühlsausdruck, den der kirchliche Ritus musikal. ausgeprägt verlangt
und der sich auch durch die Musik schlechterdings aussprechen
inuss, wenn dieser Zweig der kirchlichen Kunst nicht mehr schaden»
als nützen soll. Unwillkührlich erinnert man sich an Beethovens
Worte , die er bezüglich des complicirten Akkorden-Systems und
dergl. gegen die Lehrer desselben äussert: „Wenn ihr sie (die
Schüler) mit trockenen Regeln abstumpft, mit ewigen Verboten äng-
stigt, mit der saft- und kraftlosen Wassersuppe eurer Akkordreihen
abspeiset, in den sauren Apfel eurer falschen Kontrapunktübungen
beissen lasst, und sie in dem langweiligen Pas des deux eurer zwei-
stimmigen Fugen , mit denen ihr eine der tiefsinnigsten und frucht-
barsten Kunstformen von Anfang an vergällt, sich abstrapaziren
lasst: dann freilich ist es kein Wunder, dass die Mehrzahl in ihrer
Kraft gebrochen wird, spät oder nie zu dem Vermögen und
frischen Wohlbehagen gelangt, das ihnen von Natur bestimmt wäre"*
Man glaube übrigens nur nicht, dass meine Klagen bezüglich des
Orgelspiels allein dastehen ; sie sind ganz allgemein. Herr Professor
Dr. Fröhlich sagt im 11. Theil seiner Musik-Schule S. 571 : „Man ist
in unserm Kreise im Orgclspiele sehr weit zurück. Die Organisten
haben meist auswendig gelernte Präludien, (wenn das nur wahr wäre)
ohne Geist, ohne Verstand, nichts sagende Figuren in beiden Händen,
Ausweichungen in alle Tonarten, ohne Zweck, ohne Verbindung , in
'der Regel keine Ahnung von einem rednerischen Gebilde.** Das Be-
dauernswertheste ist, dass es nicht leicht besser werden kann,
weil das Vergessen viel schwerer ist, als das Lernen. Ein leerer,
aber gut gebauter Acker trägt bessere Früchte, als einer, den ich
erst vom Unkraut reinigen muss. An all dem ist der Lehrjammer
im Klavier- und Orgelspiel schuld, dessen natürlichste Folge ein
gänzliches Versinken und Verlieren dieser schönen Kunst ist.
(Schluss folgt).
CORRESPONDENZEN.
AUS BRAUNSCHWEIG.
Anfang October.
Unsere Oper bot im vergangenen Monat sehr wenig, und unter
diesem Wenigen viel Unerquickliches. Den Freischütz und
den Propheten abgerechnet halten wir Martha — noch immer dio
unvermeidliche — und fast lauter Opern italienischer Componisten,
als Hernani, mehre Wiederholungen der Favoritin, Lucia und Lu-
crezia. In der letzteren gastirte ein Fräulein Grimm als Orsino«
Sie wird, da sie eine sehr schöne Altstimme besitzt, wahrscheinlich
engagirt werden. Fräulein Walseck hat Braunschweig verlassen und
gastirt gegenwärtig in Darmsiadt. Die Besetzung ist ziemlich dieselbe
geblieben, sowie auch Gesang und Spiel der Sänger.
Erfreulicheres als über die Oper, habe ich Ihnen über Herrn
Abl's Singakadamie , die am vergangenen 4. October ihr zweites
Goncert gab, in welchem sie Mendelssohns Athalia zur Aufführung
brachte, zu melden. Die Chöre gingen sehr gut und bekundeten
aufs Beste die ersichtlichen Fortschritte, da die Akademie unter
ihrem tüchtigen Dirigenten gemacht hat, das Werk selbst hat mich,
nicht in der Weise' befriedigt, wie ich es erwartete. Es sind einige
sehr ansprechende Nummern darin, doch leidet es an einer gewissen
Breite, die sich manchmal sehr fühlbar macht. Ausserdem wur-
den von der Akademie das Ave verum aus dem Mozartschen
Requiem und ein Morgengesang von Mendelssohn (ohne Orchester-
begleitung) gesungen. Noch wurde in diesem Concerte die Tann«
m -
häuser-Onvertüre «im Erstenmale aufgeführt Es sind über diese
Ouvertüre schon so viel Berichte eingelaufen, dass es hier nicht am
Orteist, nochmals n&her darauf einzugehen. Ich begnüge mich, Ihnen
au sagen , dass sie von unsrer Hofkapeile in würdiger Weise vor-
getragen wurde und sich des entschiedensten .Beifalls von Seiten des
Publikums im Allgemeinen zu erfreuen hatte. Herr Abt, dem wir
diese Neuigkeit zu verdanken haben, hat ausserdem dahin gewirkt, dass
im Laufe des Winters 4 Abonnementsconcerte im Theater stattfinden
werden, in welchen Inslrumentalwerke der alten und neueren Meister
zur Aufführung kommen sollen. Auch dafür nehme er im Voraus
den Dank aller Musik-Freunde und Kenner entgegen. Man sagt,
Qerlioz wolle Braunschweig und zwar noch diesen Monat besuchen,
um hier 1 oder 2 Concerte zu geben.
Das Lessingdenkmal ist endlich nach langem Zögern und Ver-
schieben am 29. September enthüllt worden. Die Musik hatte bei
den dabei angeordneten Feierlichkeiten wenig zu thun. Unsere
Mannergesangvereine sangen einige Fesilieder bei der Enthüllung.
Stünde doch jetzt ein musikalischer Lessing auf: Wir könnten ihn
brauchen.
I MX
AUS DRESDEN.
(Schluss.)
Ein Schüler Liszt* s war es, Herr von B ü 1 o w, der gewisser-
massen die Saison eröffnet , indem er jedenfalls auf Vermittelung
seines Lehrers im hiesigen. Hoftheater am 12. September auftrat.
Er trug seines Meisters bekannte grosse ungarische Rhapsodie
mit äusserst gewandter Technik und bedeutender Virtuosität , mit
anerkennenswerther Beherrschung 'der Aufgabe in materieller Rück-
sicht vor j doch Hess die künstlerische Selbstfindigkeit und der geniale
Funke sich sehr vermissen, dessen zu voller Wirkung dieses eigen-
tümliche Tonstück unbedingt bedarf, und der durch die fortwährende
äussere Unruhe in Takt und Tempo seinen Ausdruck nicht findet.
Auch der Vortrag der schönen Polacca brillante in E (Op. 72) von
C M. von Weber zeugte von grosser Bravour und fand , wie die
erstgenannte Piecc, sehr anerkennenden Beifall, entbehrte indess auch
des tiefern Eingehens auf des Componisten Geist und Intentionen,
wozu jedenfalls der leidige Umstand wesentlich beitrug , dass der
junge Künstler sie nicht in ihrer ursprünglichen Form , sondern in
einer neuerdings von Liszt verfassten, mit Introdnction und andern
Anhängseln versehenen Transcriptsion mit grossem Orchesteraccompag-
nement spielte, durch die in der That trotz der sehr anerkennens-
werthen und wohlcffektuirenden Geschicklichkeit mit der selbstver-
ständlich die Bearbeitung gemacht ist, das Werk nichts gewonnen
hat, sondern in seinem ursprünglichen Character wesentlich alterirt
worden ist. Es liegt in Partitur gedruckt vor; jeder Unbefangene
kann für sich selber die Bestätigung dieses Urtheils gewinnen : wozu
solche Bearbeitungen, zu denen nicht die entfernteste Nolh wendigkeit
vorliegt, und die weder dem Werk, noch dem Künstler, weder dem
Publikum, noch der Kunst reellen Nutzen gewähren? Unsere Oper
hat eine lebendigere Thätigkeit nicht eben entfaltet und wir haben
auch erst von der beginnenden Saison zu erwarten, ob sie uns end-
lich mit einer grösseren, nennenswerthen Novität beschenken werde:
man meint als solche 0. Nicola i's lustige Weiber von Windsor,
nnd wir haben wohl ein Anrecht auf eine solche , da nun seit zwei
Jahren keine unsere Bühne beschritten, was denn doch in der That
nicht ausschliesslich dem absoluten Mangel an Novitäten auf diesem
Gebiete zugeschrieben werden kann. Dass soeben Adams Operette,
die Nürnberger Puppe mit Flciss in Scene gegangen, darf man
wenigstens als ein Ereigniss nicht ansehen. Einen bedeutenden Succes
hatte des alten wackern Dittersdorf „rothe Kappe" , die neu
einstudirt und mit vieler Laune dargestellt , um der liebenswürdig
komischen Musik willen, so wenig interessant auch das Libretto sein
mag, bei dreimaliger Vorstellung stets reichen Beifalls sich zu er-
freuen hatte. Sieht man von Novitäten ab, so muss man das Ppcrn-
repertoir des Septembers ein immerhin interessantes nennen : Mozart's
Titus und Don Juan, Wcber's Oberon und Freischütz, Auber's Stumme
Meyerbeers Prophet (erlebte in diesem Monat seine fünfzigste Vor-
stellung auf unserer Bühne) Rossinis Barbier — dazu Lucia, Norma,
Linda, Martha, Stradella; es lässt sich damit schon verkommen
(um einer vulgären Redensarten zu gebrauchen!) aber man kann
dabei doch auch ve rkommen~, wenn der Kreis, dem allerdings
eine Anzahl anderer Werke abwechselnd hinzutreten , nicht wesent-
lich erweitert wird. Zweifelsohne ist auch der gute Wille von
Oben her vorhanden; aber die diametral auseinandergehenden An-
sprüche und Interessen der Einzelnen, die unselige Kategorie der ein-
getretenen Hindernisse, auch wohl Laune und Unlust, die nicht
energisch genug beseitigt werden, stehen der Ausführung besserer
Intentionen hemmend im Wege und verhindern die in der That nicht
so überaus schwierige Abhilfe gerechter Klagen und die Erfüllung
billiger Wünsche.
NACHRICHTEN.
Berlin. Im Friedrich-Wilhelmstädt. Theater wurde
eine kleine einactige Oper, „Rübezahl" Text von Jansen, die Musik
von Conradi gegeben. Das Libretto ist mit Geschick gefertigt.
Die Musik zeigt von Gewandtheit in der Instrumentation und die
charakteristische Art und Weise, mit der der Stoff behandelt ist,
bekundet den tüchtigen und talentvollen Musiker.
— Taubert's Oper: „Joggeli" hat bei ihrer ersten Auf-
führung vielen Beifall gefunden. Der Componist der Kinderlieder
hat einen für sein Ausdrucksvermögen passenden Text gewählt —
idyllisch nennt ihn ein Kritiker — diesem glücklichen Griff hat er
den Erfolg am meisten zu danken.
Stuttgart. Mad. Palm-Spatzer ist nach einem sehr erfolg-
reichen Gastspiele auf ein Jahr engagirt worden. Von neuen Opern
wird vorbereitet: Lindpaintners Corsen, Flotows Indra, Verdis Attila..
In den letzten Tagen des Septembers wurde Hans Heiling von
Marschner an hiesiger Hofbühne zum ersten Male gegeben.
Augsburg. Fr. Moritz, früher in Wiesbaden, gastirt hier.
Paria. Die grosse Oper bringt in den nächsten Tagen „Betly"
von Donizetti und den „Barbier" von Rossini. Eine neue Oper von
Limnander : le Maflre de Chant , sollte am 17. October zum ersten
Male über die Bretter gehen.
Die Italienische Oper hat endlich einen Erretter gefunden und
zwar in der Person des Obersten Ragani. Die erste Vorstellung
soll am 15. November stattfinden; angekündigt ist das Debüt der
Madame la Comtesse Pepoli.
Fr. Liszt und R. Wagner waren einige Tage hier. Die France
musicale spricht von einem grossen dramatischen Werke des erste-
ren, welches für eines der Pariser Theater bestimmt sei, und noch
im Laufe dieses Winters zur Aufführung kommen soll.
Onslow , der bekannte Quartett - Componist , Mitglied der Aka-
demie, ist gestorben.
. Pesth. An die Stelle von Frau Hasselt-Barth, welche die
hiesige Oper verlässt, ist Fräulein Bury engagirt worden.
Copenhagen. In diesem Winter wird hier eine Italienische
Opern-Gesellschaft Vorstellungen geben. Musikdirektor Lumbye ist
für dun Winter in London engagirt.
New- York. JulliensRiesen-Concerteenthusiasmiren die Yankees
wie bisher John Bull. Ueber Mad. Sontag sind in öffentlichen
Blättern unangenehme Aufklärungen erschienen. Die Recensenten
sind durch bedeutende Summen von dem Agenten dieser Sängerin,
Hrn. Ullman, bestochen worden. Wunderbar ist dabei nur, dass sich
dieselben Leute darüber ereifern, die sich seit Jahren von Barnum
und andern Charlatanen in der grossartigsten Weise mittelst Be-
stechung der Presse u. dgl. hinters Licht führen Hessen,
Madame Sontag ruht auf einer Villa in Staten Island von ihren
Anstrengungen aus, wird sich aber bald von Neuem auf den Weg
machen. Diesmal gilt es den grösseren Städten im Innern. Unter-
dessen nehmen die Vorstellungen der italienischen Truppe im Niblo-
Theater ihren Fortgang. Das neue italienische Opernhaus wird
nicht bis zum 1. December fertig, wie es bestimmt war , sondern
wohl erst Anfang nächsten Jahres.
Verantwortlicher BeJaktow: J. J. SCHOTT. — Drack van EZUTEBn. WALLAÜ la Mains.
2. Jahrgang.
Wr. 44.
31. Octbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Die«« Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Hau ibonnirt bei allen Poitimtern,
Mmik- and Buchhandlungen.
REDACTM UND VERLAG
von
I. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT & CO.
PREIS:
fl. S. «3 oder Tblr. 1. 18 Sgr.
fOr den Jahrgang.
Durch die Post belogen :
SO kr. oder IS Sg r. per «aartal.
Inhalt« Das groase Mosikfest in Carlsruhe. II. — Orgelspiel in Franken. (Sehluss). — Nachrichten.
DAS GROSSE HÜSIKFEST IN CARLSRUHE
am 3. und 5. Oktober.
(Zweites Concert,)
Noch mehr, als im ersten Concert, trat im zweiten die Tendenz
hervor, durch Aufführung mehrerer Stücke aus R. Wagner's Lohen-
grin , und anderer Compositionen Ähnlicher Richtung , die Musik
früherer Perioden zurückzudrängen. Dass in diesem zweiten Concert
dennoch Mozart und Seb. Bach vorkamen , mag wohl nur durch die
Mitwirkung von Fri. Rathinka Heinefetter und Herrn Concertmeister
Joachim veranlasst worden sein , und stand dem zu Grunde liegen-
den Plane fern. Die erste Nummer war die Ouvertüre zu ,, Struen-
Ct
see " von Meyerbeer. Im Vergleich mit Schumann's Ouvertüre zu
Manfred gewinnt die Meyerbeer'sche hauptsächlich dadurch , dass
zwei , aus Hauptstellen der Tragödie hervorgegangene Motive das
.ganze Werk hindurch festgehalten sind, und so auch demjenigen Zu-
hörer, dem die Tragödie selbst nicht bekannt ist, feste Anhaltspunkte
gewähren, also wenigstens einigermassen das Verständniss für diese
Composition öffnen. Eigentlich Neues, ausser der in der Einleitung
befindlichen volkstümlichen Melodie, enthält diese Ouvertüre nicht.
Dass die Instrumentation, wobei auch eine Harfe (gespielt von Mad.
Pohl) , ausgesucht und sehr effektvoll ist , versteht sich bei Meyer-
beer'» genauer und umfassender Kcnntuiss der Orchester-Effekte von
selbst. Der höchst brillante Schluss der Ouvertüre riss wohl haupt-
sächlich das Publikum zu der so bedeutenden Beifallsspende hin. —
Es folgte nuu die B-dur-Arie des Sextus mit obligater Clarinette,
aus Mozart' s Titus, gesungen von Frl. Kathinka Heiuefetter, die mit
derselben nicht nur ihre voll- und wohlklingende Stimme und ihre
treffliche Gesangsbildung, sondern selbst auch die Composition zu
vollkommenster Geltung brachte. Einige von Seiten der Sängerin,
wie des Clariuettisten wilikührlich angebrachte Verzierungen, die zur
Verschönerung der betreffenden Stelleu nicht eben beitrugen , haben
den sonst sehr schönen Eindruck des Ganzen etwas gestört. Leider
reicht gegenwärtig selbst die Autorität der gediegensten Dirigenten
einer Bravoursängerin gegenüber scheu mehr bin , um solche Will-
kühr lichkeiten zu verhüten. — Die Chaconne für Violine allein, von
Seb. Bach, welche hierauf Hr. Joachim vortrug, ist ein höchst merk-
würdiges Musikstück, in dem, obwohl nur für ein der harmonischen
Begleitung weniger fähiges Instrument componirt, die Grösse dieses
Meisters sich ebensowohl offenbart , wie z. B. in der Passecaille
(C-moll) für die Orgel — aus wenigen, ein Thema bildenden Takten
entwickelt sich ein Reichlhum rhythmischer und melodischer Figuren,
die das Interesse des Hörers mehr und mehr steigern, und dem Vir-
tuosen volle Gelegenheit geben, seine technische Ausbildung, sowie
seine Fähigkeit für geschmackvollen Vortrag im glänzendsten Lichte
erscheinen zu lassen. Nach diesen beiden Seiten hin befriedigte denn
auch das Spiel des Herrn Joachim vollkommen, und brachte ihm all-
gemeinen und reich gespendeten Beifall. — Hierauf: „Fantasie über
Motive aus „die Ruinen von Athen" von Beethoven, für Klavier und
Orchester von Franz Liszt, vorgetragen von Herrn v. Bülow." The-
mas aus diesen nicht sehr bedeutenden Compositionen Beethoven's
zu einer Klavierfantasie zu wählen, war ein missliches Unternehmen,
doch erhielt der Spieler, der wohl das Möglichste that, um sich Gel-
tung zu verschaffen, Beifall. Uebcr sein Spiel möchte ich hier kein
Urtheil abgeben , da die Composition dem Executanten nicht sehr
günstig ist.
Der zweite Theil dieses Concerts sollte nach dem Programm aus
H. Berlioz' dramatischer Sinfonie „Romeo und Julia" den 2., 3. und
4. Theil bringen; davon wurde nur der 2. Theil aufgeführt, dessen
Inhalt folgendermassen im Programm bezeichnet ist: „Romeo allein.
— Seine Traurigkeit — Concert und Ball. — Das grosse Fest bei
Capulet." Was die zwei ersten Punkte betrifft, die die Musik dar-
zustellen sich bemüht, so liegt demjenigen, dem ausser diesem zwei-
ten Theil der Sinfonie nichts Weiteres davon bekannt ist, die Frage
gewiss sehr nahe , ob die hier vorgebrachten melodischen Phrasen
Anklänge von etwa im ersten Theil vorhandenen, mutmasslich die
Scene zwischen Romeo und Julie malenden Melodieen , sein sollen ?
In der Ungewissheit hierüber lässt sich auch kaum der Werth jener
Schilderung der Gefühle Romeo's richtig ermessen; ist diese ganz
unabhängig von dem Inhalte des ersten Theils, so erscheint sie nach
der Vorstellung, die wir uns von Shakcspeare's Romeo machten,
allzuscntiinental, und eines bestimmteren Charakters ermangelnd; sind
diess aber wirklich Anklänge an den ersten Theil , so ist kaum zu
vermuthen, dass man dort eine richtige , der Shakespear'schen Dich-
tung entsprechende Schilderung der beiden Hauptcharaktere finden
wird. — Während noch Romeo seine Klagen ausströmen lässt, deu-
ten leise Tamburinschläge gleichsam aus der Ferne den Beginn des
Ballfestes an, dessen Musik bald näher und näher heranrauscht, in
Kurzem befinden wir uns mitten in demselben, das sich zu einer wahr-
haft Bacchant'schen Lust erhebt. Hier scheint sich Berlioz in seinem
wahren Elemente zu befinden, nämlich in der Aneinanderreihung der
barocksten Gedanken, getragen durch die wunderlichste Instrumen-
tation. Doch mag diese Musik dem Zuhörer ein Bild von einem sol-
chen, allerdings an Ausgelassenheit grenzenden Feste geben, und so-
mit einen charakteristischen Werth haben. Die Ausführung dieses
Musikstücks von Seiten des Orchesters war sehr lobenswerth. —
Hierauf folgte die Arie der Fides aus dem 5. Akt von Meyerbeer's
Prophet, gesungen von Frl. K. Heinefetter. Die Wahl dieser Arie,
obwohl sie der Sängerin in Beziehung auf Character und Umfang
ihrer Stimme, so wie auf Entwickelung ihrer Virtuosität lohnend er-
scheinen mochte, war weder an diesem Platze noch überhaupt für
dieses Concert eine glückliche zu nennen, auch kann man ihr höch-
stens nur stellenweise die Eigenschaft einer für Concerte passenden
Arie zuerkennen , da sie des Zusammenhangs mit der Handlung der
Oper benöthigt ist. Leider zeigten sich in der Begleitung einiger In-
strumente der Sängerin gegenüber Differenzen. Nach dieser Arie,
zu der nur ein Theil der vorhandenen Orchesterkräfte verwendet
worden war, sehen wir den Orchesterraum sich wieder vollständig
füllen, die Männerchöre nehmen zu beiden Seiten des Dirigenten
ihre Plätze ein, es gilt die Vorrührung eines der Hauptbestandteile
von beiden Concerten — einiger Scenen aus R. Wagner's „Lohen-
grin." Dieselben wurden eingeleitet durch ein Orchestervorspiel, be-
titelt : „der heilige Gral." Der Raum erlaubt nns nicht , die Schil-
"-' w
>f-
dcrung der Bedeutung desselben und zugleich des Inhalts dieses Vor- w
sptels, wie sie im ausführlicheren Programm gegeben ist , mitzuthei-
len und mit müssen unsere Leser deshalb auf den Ttxt zum Leiten«
grin verweisen. ■, "-
Es ist unläugbar, dass der mit einiger Phantasie begabte Zuhörer
in diesem Verspiel das allraählige Heranschweben und spätere Ver-
schwinden einer überirdischen Erscheinung erkennen kann, und wenn
überhaupt „Spharenklänge" dem menschlichen 'Geiste denkbar , und
sogar durch materielle Mittel einigermassen darstellbar sind, so
möchte es Wagner gelungen sein, sich dieser Möglichkeit in nicht
unbedeutendem Grade genähert zu haben; es vereinigen sich in
dieser Musik die eigentümlichsten Klänge , namentlich ist es die
glückliche Benutzung der Flageolettöne der Violinen, wodurch Ver*f
eint mit angehaltenen Noten höherer Blasinstrumente eine zauber-
hafte Wirkung hervorgebracht wird. Dem Zuhörer jedoch dadurch
die Vorstellung von einem bestimmt gedachten Gegenstand beizu-
bringen, dazu eignet sich auch diese musikalische Malerei keines-
wegs ; ein Programm ist hiezu doch unerlässlich. Was nun dieses 1
Musikstück noch im besondern betrifft, so ist es bei seinem Mangel
an einer bestimmteren Form offenbar zu lang , und ich glaube Viele
auf meiner Seite zu habep, wenn ich behaupte , dass man so lange
an diesen hin und her, — auf und abschwebenden Klängen ein
gleiches Interesse nicht festhalten kann. Von den nun folgenden
zwei Nummern aus Lohengrin, „Männerscene und Brautzug," dann
„Hochzeits-Musik und Brautlied, " zeichnet sich die erste in der
„Männerscene," wozu noch die von Herrn Hauser sehr gut vorgetra-
gene Parthie des „Heerrufers" gehört, durch frische kräftige Haltung
und im „Brautzug" durch eine äusserst edle Zartheit ganz besonders
aus. Durch die Wahl von Doppelchören wurde der Componist in
Stand gesetzt, der ganzen Scene eine grosse Lebendigkeit zu ver-
leihen, und selbst vielfache Wiederholungen kleiner melodischer
Phrasen erhielten dadurch, dass die beiden Chöre darin abwechselten
das Interesse des Zuhörers stets wach, obgleich diese Phrasen, was
Erfindung betrifft, eben nicht neu zu nennen sind. Auch treffen wir
hier auf die Eigentümlichkeit , dass solche Phrasen grossentheils
einer Mittelstimcue, dem ersten Bass zugetheüt sind, während erster
und zweite* 1 Tenor darüherllegen Und überdies der erste Tenor durch
einigermassen melodisches Fortschreiten sich ebenfalls geltend zu
machen sucht. Es gehört jedenfalls das sorgfältigste Einstudiren da-
au, wenn hier nicht die Wirkung der einen Stimme durch die der
andern aufgehoben und solche Stellen unklar werden sollen. Ueber-
haupt aber ist bei der „Männerscene" wie bei dem „Brautzug" die
Wahrnehmung zu machen, dass das melodiöse Element fast zu häufig
entweder den Mittelstimmen , oder selbst dem Bass zugetheüt ist,
letzteren Fall treffen wir hauptsächlich im „Brautzug" und wenn,
wie hier, auch wirklich ein schöner Effekt dadurch hervorgebracht
wird, so möchte, diese Behandlung des melodiösen Theils der.Compo-
sition doch auf eine gewisse Armuth an solchen Motiven schliessen
lassen, die sich nicht scheuen dürften , als Haupt- und Oberstimme
hervorzutreten. Einen höchst belebenden Eindruck machte hierauf
die „Hochzeitsmusik," die in der Oper die Einleitung zum 3. Akt
bildet, und der sich das „Brautlied" (für gemischten Chor) anschliesst
In rein musikalischer Beziehung ist Letzteres der unbedeutendste
Theil dessen was uns aus Lohengrin vorgeführt wurde, denn sowohl
Melodie als Rhytmus sind von der gewöhnlichsten, verbrauchtesten
Art; es war daher doppelt nothwendig für die Concertaufluhrung,
auf dasselbe die Hochzeitsmusik als Nachsatz und Schluss des
Ganzen noch einmal folgen zu lassen. Durch die Wahl dieser Musik-
stücke aus Lohengrin mag der Zweck des Programms, für die Opern«
Compositionen R. Wagners bei einem möglichst grossen Kreise von
Zuhörern Interesse zu erwecken, erreicht worden sein, was aber da-
durch um so mehr erleichtert wurde , dass das möglichst Melodiöse
nebst dem Massenhaften daraus geboten war; ganz anders, und
bei weitem weniger günstig rauss das Urtheil ausfallen bei Anhörung
der ganzen Oper, in der das deklamatorische Element allzusehr über-
wiegt, und an die Stelle der bis jetzt in der Operncomposition fest-
gehaltenen Formen eine Formlosigkeit tritt; die einen klaren Eindruck
von musikalischer Seite ganz ausschliesst.
Zum Schluss dieses zweiten Concerts wurde die Ouvertüre zu
Tannhäuser nochmals gegeben, und dadurch ein höchst effektvolles
Ende des ganzen Musikfestes herbeigeführt. Die Ausführung sämmt-
licher Stücke dieses Concerts war, mit geringer Ausnahme, eine bei
weitem gelungenere, als im erster, was wohl seinen Grund theils da-
rin hat, dass die verschiedenen Orchester und Chöre sich bereits
mehr zusammen gewöhnt, und in die Eigentümlichkeiten des Diri-
genten sich besser gefunden hatten. . Ungeachtet des durch einige
Compositionen, sowie durch Unzulänglichkeit der Direktion mannig-
fach veranlassten Missbehagens kann nicht geläugnet werden , dass
man sich noch längere Zeit an Manches in den beiden Concerten
Gebotene mit Vergnügen erinnern wird. Jedenfalls berechtigen
sie zu dem Wunsche , so bedeutende Kräfte , wie sie hier ver-
einigt waren, in einer der drei Städte, welchen sie angehören, unter
mancherlei anderen Umständen bald wieder versammelt zu treffen.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DES ORGELSPIELS
IN FRANKEN.
(Schluss.)
Darauf basirt eine weitere Ursache des Verfalls des Orgelspiels,
nämich : 2. Der völlige Mangel an guten Lehrern in diesem Kunst-
zweig. Wenn in früherer Zeit auch noch hie und da ein alter,
wackerer Organist, in der guten sächsischen Schule herangebildet,
zu finden war , so wurden diese wackern Alten , die den allein
wahren und richtigen Weg der Praxis betreten hatten, durch die
aus dem Fröhlichischen Institut entlassenen Helden , deren Köpfe
von Nooen-, Decimen-, Undecimen- , Undecimen-Septimen- , Tcrz-De-
eimen-, Undecimen-Nonen- Septimen- Akkorden etc. mit ihren zahl-
losen Umwandlungen angefüllt waren , mit denen sie übrigens nichts
anzufangen wussten, in hochmüthiger Verblendung über die Achsel
angesehen und da nicht selten diese Männer aus Alterschwäche
ihrem Lehrerberuf nicht mehr zur vollkommenen Zufriedenheit vor-
stehen konnten, so traten die Ziffern- und Akkorden-Seelen an ihre
Posten und diese Leute sind es hauptsächlich , welche unser Orgel-
spiel auf eine so beklagenswerthe Weise herunterkommen Hessen,
so dass jetzt kaum mehr ein guter Lehrer zu treffen ist Und wenn
ja noch einer hie und da sich durch günstige zufällige Verhältnisse,
durch Talent und Ffeiss auf dem richtigen Kunstwege erhalteu und
eine wackere Kunststufe erreicht hat, so hat er vielleicht das Un-
glück dieses zu wissen und zu fühlen, oder in Folge seiner freieren
kirchl. oder polit. Richtnng, wenn auch noch so unschuldig, für un-
fähig erachtet zu werden, unter die Anserwählten zu gehören. Es
ist wahrlich bei uns so weit gekommen, dass ein scheinbar demüthi-
ges, gleissnerisches Wesen im äusseren Benehmen bei der Ernen-
nung der Präparandenlehrer und bei Beförderungen auf die wichtig-
eren Organistenstellen den Ausschlag gibt , nicht aber ihre im Be-
reich der kirchl. Tonkunst anerkannnte Brauchbarkeit und Tüchtigkeit.
Ist doch erst kürzlich wieder auf eine der wichtigsten Organisten-
stellen , deren tüchtige Besetzung auf das Orgelspiel des ganzen
Kreises von Einfluss hätte werden können, ein Mann befördert worden,
der kaum etliche Takte auch nur leidlich zu präludiren versteht.
Welcher Thor wird sich denn da noch Mühe geben , wenn er sieht,
dass es sich thaisächlich um eine Förderung der kirchl. Kunst gar
nicht handelt? Diese traurige Folgen treten jetzt sowohl in der
evangelischen als katholischen Kirche immermehr hervor und es ist
in der ganzen traurigen Erscheinung nur das das Unbegreifliche, wie
man sich noch darüber wundern kann. Man muss sich im Gegentheil
darüber wundern , dass es nicht noch viel schlechter ist. Es thut
jetzt wahrlich Noth, ein Contingent tüchtiger Lehrer im Orgelspiel
vom Auslande kommen zu lassen, bis endlich wieder der richtige
Weg in diesem Zweig der kirchl. Kunst betreten , der wahre Geist
des Orgelspiels erweckt und zu eigner selbständigen Leitung erstarkt
sein wird.
Auf eine gründliche Reform im Orgelspiel ist aber nicht zu
rechnen, so lange nicht zugleich unser Orgelbauwesen einer völligen
Reform unterworfen wird; denn wir bezeichnen als eine der wich-
tigsten Ursachen des tiefen Verfalls des Orgelspiels
3) den mangelhaften Bestand unserer Orgelwerke. — Durch
die gänzliche Entartung eines einfachen, schmucklosen Orgelspiels
hat diese Kunst ihren Einfluss auf die Gemüther der Gemeinde
gänzlich verloren, und diese wiederum alles Interesse am Orgclspiel
trotz des tiefen deutschen Gemüths, des angestammten musikal.
- 17»
Sinnes und der tiefen Religiosität. Daher kommt es auch, dass die
Gemeinden «ich zu allen andern Alisgaben im Gemeinde- and Kirchen-
wesen leichter verstehen, als zu einem Opfer für ihre Orgeln,
und da kirchl. und weltl Behörden in dieser Beziehung sich in
Sparsamkeit zu fiberbieten suchen, so sind unsre Orgelwerke allent-
halben in einem solchen defekten Zustand, dass es wahrlich ans
Unglaubliche gränzt. So lange das Werk brummt und schreit
wird keine Ausgabe , auch nicht die geringste übernommen , und
wenn das Werk nicht mehr zur weiteren Liedschäftigkeit herunter-
geführt werden kann , so übergibt man es endlich einem Pfuscher,
der sich dabei die Tasche füllt und am Ende noch mehr verdirbt
als gut macht; denn noch ist es bei uns nicht so weit gekommen —
in Sachsen und Preussen ist es längst der Fall — dass unsre Provinz,
überhaupt Bayern , in gewisse Distrikte eingeteilt wäre, in denen
von hoher kgl. Regierung im Fache des Orgelbaues gründlich gebildete
und geprüfte Männer aufgestellt würden, die im Interesse des Staats,
der Kirche und Gemeinde über die Nothwendigkeit einer Orgelrepa-
ratur und über die Art und Weise der Durchführung ein sachver-
ständiges Urtheil abzugeben hätten. Daher kam es z. B., dass bei
einem Eirchenneubau in der Nähe der Kreishauptstadt Würzburg
der Maurermeister den Orgelbau-Akkord übernahm, und solchen be-
liebig von einem Pf — ausführen liess. Dieser Gleichgültigkeit ist es
einzig und allein zuzuschreiben, dass unsre Orgelwerke durchgängig
so verdorben sind, dass sie zu einem methodischen Orgelunterricht
schlechterdings nicht zu gebrauchen sind ; namentlich ist die Ein-
richtung d. Pedale eine höchst kümmerliche — gewöhnlich kaum im
Umfang einer Octave und sehr häufig gebrochen. Dies gilt selbst
von den neueren Werken , so dass eine gute Composition von 2
Octaven Pedalumfang nicht vorgetragen werden kann. Wenn daher
das Orgelspiel in Unterfranken nichts taugt , so wundre man sich
nicht darüber , man wundre sich vielmehr darüber , dass es
nicht noch schlechter ist. Man glaube auch nicht, durch leere
Ermahnungen und Warnungen an die armen Schulaspiranten ,
die offenbar die Sünde derer tragen müssen , die in früherer
Zeit die Leitung und Beaufsichtigung des Orgelspiels übernommen
hatten, dem tief sitzenden Uebel beikommen zu können. Es geschieht
dieses hauptsächlich durch Hebung und Beaufsichtigung unseres
Orgelbaus. Zu den bereits angeführten wichtigen Ursachen kommt
noch die gewichtigste. Diese besteht:
4) in dem sogenannten Dienstverhältnisse der Organisten. Das
Meillose dieses Dienstverhältnisses liegt erstens in der Ueber-
bürdung mit einer Masse von Nebenbeschäftigungen , von denen
der ganze Organistenberuf selbst wieder eine ist , denn der Haupt-
beruf ist der des Lehrers, so dass dem Organisten kaum Zeit für
eine gründliche Vor- und Fortbildung bleibt. Ferner liegt es auch
zum Theil in der alizugeringen Besoldung — oft jährlich nur einige
Gulden — wodurch dem strebsamen Manne die Mittel entzogen sind,
die notwendiger Weise zur tüchtigen Fort- und Ausbildung des
Organisten erforderlich sind, denn gerade diese BildungSmittel , klas-
sische Orgelcompositionen Bachs , Händeis , Mendelssohns und hi-
torisch musikal. Werke sind immer ziemlich theuer und übersteigen
die finanziellen Kräfte der armen Organisten. Das Hauptgebrechen
des in Rede stehenden Dienstverhältnisses ist endlich die Art und Weise
der Beaufsichtigung. So weit haben wir uns fast in allen Zweigen
des Staatslebens einer Entwicklung zu erfreuen, dass allenthalben
eine sachverständige Beaufsichtigung obwaltet ; allein in dieser
schweren und wichtigen kirchl. Kunst findet leider noch eine be-
dauernswerthe Ausnahme statt und obschon die weltl. und kirchl.
Oberbehörden bei der Heranbildung junger Geistlichen die Musik-
bildung sehr in Betracht bringen, so sind dessenungeachtet gründ-
liche musikal. gebildete Geistliche sowohl in der katholischen als
protestantischen Kirche heute noch so selten, wie weisse Sperlinge. Wie
kann aber ein unmusikal. Mann seinen Organisten beaufsichtigen ?
Wie kann er ihn vor Abwegen warnen? Mit Rath und Tliat bei-
stehen? Wie kann er ihn qualificiren ? Muss ihn nicht eine Scham-
röthe befallen , wenn er sein ,.£«* u „ sehr gut " „ ausgezeich-
net" „schlecht" etc. niederschreibt in einer Sache, von der er
gar nichts versteht f Was sagt sein Gewissen dazu , wenn er
sich erinnert , dass diese Qualifikation auf das Wohl und Weh
seines Organisten von wesentlichem Einflüsse sein kann? Wie kann
er seinen Organisten einer hohen kgl. Reg. zu dieser oder jener
Stelle empfehlen? Wie kann er ihn als Präparandenlehrer vor-
schlagen? Woher kommen die so mancherlei Missgriffe? Und
will da noch beklagen ? — Liegt in einer solch durch und
unzweckmässigen Beaufsichtigung, in einer der hohen Aufgehe der
Kunst ganz und gar unwürdigen Organisation, nicht der innerste
Keim zu all den traurigen Folgen des Verfalls des , Orgelspiels : und!
sollte es denn hier kein wirksames Mittel zur Abhülfe geben»
ohne die Kirche in ihrem Aufsichlsrecht zu beeinträchtigen?'
Allerdings gibt es wirksame Mittel zur Beseitigung dieses Krebs"
Schadens, allein mit der Angabe derselben wären wir zur BeamV
wortung des II. Theils unsrer Frage hingeführt, welche heisst.t
„Was für Mittel stehen den weltl. und kirchl. Behörden zu Gebote*
um das gesunkene Orgelspiel wieder zu heben?" Aus Liebe zur
guten Sache werden wir in einer der nächsten Nummern d- verohrl.
Bits, unsre Ansichten hierüber frei und offen aussprechen, seihst auf
die Gefahr hin, dass es abermals — tauben Obren gepredigt sei,
Ja, wir halten es für die heiligste Verpflichtung desjenigen , der
innere Berufs- und Urteilsfähigkeit bezüglich dieses Gegenstandes
in sich fühlt, Alles hierher Gehörige klar und unumwunden auszu-
sprechen, damit sich kirchl. und weltl. Behörden eine allseitige Sack*
kenntniss verschaffen können und allmählig die Hoffnung aufgeben«
dass mit, wenn auch noch so wohlgemeinten, Rescripten zu kei-
fen sei.
Würzburg im Oktober 1853." H
NACHRICHTEN.
Wiesbaden. Aus der gehofften Reorganisation der Oper ist
leider nichts geworden. Mit Ausnahme mehrerer Choristen, der Frau
Moritz, des Tenoristen Stritt und des (nur für den Sommer enge*»
girten) Bassisten Schiff benker , ist das Personal geblieben« Sehe»
ertheilte Kündigungen wurden zurückgenommen. So kommt es, dass
die Oper im Ganzen nicht nur nicht besser, sondern wenn wir nach de*
, letzten Aufführungen achliessen dürfen, manches schlechter gewordenist.
Seit lange haben wir die Partie der Margarethe z. B. nicht so ver*
unstaltcn sehen, wie in der letzten Vorstellung der Hugenotten durcii
Frl. Köhler, eine neuengagirte Sängerin. Wenn dergleichen an einer
Hofbühne vorkommen kann, was soll dann aus den Provinzialbühj*«*
werden? In Herrn Thelen ist allerdings ein prächtiger markiger Baas;
gewonnen worden, dem bei fleissigem Studium eine schöne Laufbahn
vorhergesagt werden kann , da weder seinem Vortrag noch seinem
Spiel die Wärme mangelt , welche die Grundbedingung jedes Fertr
Schrittes ist — aber um so greller tritt der Unterschied der Leisten.»
gen in dem Ensemble hervor , welches denn doch wohj die Haupt»
sache ist. — Flotows Indra scheint nach einmaliger Wiederholung
auszuruhen , eben so Wagners Tannbäuser und Lohengriu , die mj$
dem Abgang des Kapellmeisters Schindelmeisser vom Repertoir ver-
schwunden sind. — Der neue Kapellmeister Herr Hagen hat sich bis
jetzt der allgemeinsten Anerkennung zu erfreuen.
Franken. Die gegenwärtig in Bayreuth versammelte General-
synode wurde in den jüngsten Tagen von Dr. Harless, kgl. Bairischer
Oberkonsistorialrath , eröffnet und bei der einleitenden gottcsdicnstU
Feier die neu einzuführende Liturgie in Anwendung gebracht.
Schon in den ersten Verhandlungen der Generalsynode soll über die
Einführung dieser Liturgie und eines neuen Gesangbuchs
ßerathung gepflogen werden und man ist allenthalben sehr auf das
Resultat gespannt. Was das Gesangbuch anlangt, so beschwert man
sich allgemein über den damit verbundenen Rückschritt und über die
enormen Kosten , die dadurch entstehen und bezüglich der Liturgie»
die wir bereits vor uns liegen haben und über welche wir nächstens
ein Mehrcres zu berichten gedenken, verspricht man sich keinen wahren
Gewinn für den musik. Theil unserer gottesdienstlichen Feier, weil»
wenn auch die Liturgie entsprechend wäre , es in Bayern an musik*,
gebildeten Geistlichen, an tüchtigen Cantoren und Organisten fehlt.—
Nichts ist empörender, als der Gesang eines Geistlichen, der weder
Ohr noch Stimme hat und eine vielleicht noch schlechtere Orgelbe-
gleitung dazu.
Mannheim« An hiesiger Bühne wird demnächst Auber's „Marco
Spada" einstudirt werden. — Der Tenorist Herr Grimminger , der
bisher noch in Martha als Lyonel, und in den Puritanern als Arthur
tn —
mit grossem Beifall gastirte* ist für die hiesige Bahne engagjrt
"worden.
Köln« S. Cruvelli trat hier „auf der Durchreise" als Norm»
«er. Sie sang ihre Partie wie gewöhnlich italienisch. Die kölnische
Zeitung bringt einen enthusiastischen Bericht über die „geniale Ge-
sangesheldin" aas der Feder des Herrn Prof. Bischoff, in dem unter
Auderm gesagt wird : Deutschland dürfe stolz auf eine solche Sän-
gerin sein. Wir erlauben uns, diesen Ausspruch mit aller Entschie-
denheit zurückzuweisen. Deutschland hat doppelten Grund, Frl. S.
Cruvelli zu desavoniren. Dass Frl. Cruvelli auf einer deutschen
Bahne in einer von Deutschen deutsch gesungenen Oper italienisch
singt, beweist eben so sehr, dass Frl. Cruvelli von dem Wesen der
Kunst, deren erste Bedingung Einheit ist, nichts weiss oder nichts
wissen will, als es eine Geringschätzung dea Publikums verräth*.
die in Frankreich und Italien mit Pfeifen und Zischen beantwortet,
in Deutschland aber, Dank dem Kosmopolitismus, der in der Kunst, wie
in allen übrigen Verhältnissen das Nationalgefühl und die nationale
Ehre zu ersticken bemüht ist, beklascht wird. Es ist gar keine Ent-
schuldigung, wenn angeführt wird, die gesammte künstlerische Bildung
die Frl. S. Cruvelli sei italienisch und sie vermöge desshalb nicht
deutsch zu singen. Ist.es einem Ausländer wie Roger möglich, sich
ein fremdes Idiom zum Behtife der Darstellung auf fremden Bahnen
so weit eigen zu machen, dass man den Ausländer kaum noch hie
und da an der Aussprache erkennt, dann wird es auch für eine
Deutsche möglich sein, ihre künstlerische Natur so weit umzu-
wandeln. Der Unterschied ist ein anderer: Roger ist ein Künstler,
der eben so viel Achtung vor der Kunst als Ehrgefühl besitzt , und
der sich schämen würde , Fremden zuzumuthen , was er in seiner
Heimath verdammen müsste. Frl. S. Cruvelli dagegen ist eine recht
kluge dabei talentvolle Sängerin und weiter nichts. Ehe Deutschland
stolz auf eine Deutsche ist, muss diese stolz aj^ ihr Vaterland sein.
Bei Frl. S. Cruvelli ist davon nichts zu spüren. Sic verschmäht es»
ihr bedeutendes Talent ihrem Vateriande und dessen Kunst zu
widmen und zieht es vor, sich, wenn sie ausser Engagement ist, in
ital ienischen Blättern als d i sponibel für italie^
nische Bühnen ausschreiben zu lassen (s. Gazetta
musicale di Napoli vom 8. October) dies ist der deutlichste Beweis,
dass sie kein anderes Vaterland kennt und kein anderes sucht, als
die gefüllte Börse eines beliebigen Irnpressario. Frl. Cruvelli hat
sich damit unter die Zahl der Gesangsvirtuosen begeben , die dem
goldenen Kalbe nachziehen und die trotz aller technischen Vollendung
die echte Kunstseele, den echten Künstlerstolz so vollständig ausge-
zogen haben , dass ausser dem Speculanren , der sie a la Barnum
ausbeutet, und ihr Talent zu Geld macht, Niemand mehr auf sie stolz
sein kaun. Kann diesem entwürdigenden Schacher mit der Kunst,
der allerdings leider an der Tagesordnung ist, kein Einhalt gethan
werden, dann nenne man das Kind wenigstens mit seinem rechten
Namen, und versuche nicht ihn zu bemänteln.
Dresden. Am 16. October ging hier neu einstudirt Rossinis
»Belagerung von C o r i n t h" mit trefflichem Arrangement
und vorzüglicher Ausstattung vor einem fast überfüllten Hause in
Scene. Ueber das Werk selbst darf das . musikalische Urlheil als
abgeschlossen angesehen werden. Aber die hiesige Aufführung war
in jeder Beziehung so ausgezeichnet, wie man sie in der That selten
hört. Neben den Herrn Tichats check und Weixels torfer
die nach jeder Seite hin als treffliche Vertreter der Parthien des
Kleomenes und Neokies erschienen war es vorzugsweise Frl. Ney
die in der That unübertrefflich als Pamyra dastand und das ander-
weit schon ausgesprochene Unheil , sie sei jetzt in Wahrheit die
erste dramatische Sängerin Deutschlands, glänzend rechtfertigte. Die
Fülle, Kraft und Ausdauer dieses mächtigen hohen Soprans, der auch
die grössten Massen siegreich und ohne jedes Forciren beherrscht,
die stete Reinheit, Sicherheit und Brillanz der Ausführung auch in
den schwierigsten Stellen, das Feuer der dramatischen Gestaltung
etc. haben wir in so hohem Maasse noch in keiner andern Parthie
bewundernd anzuerkennen gehabt, und es steht dieser Künstlerin —
ohne Phrase, Sie wissen ich bin kein Enthusiast 1 — noch eine sehr
glänzende Zukunft bevor.
Einen schönen Genuss anderer Art brachte uns der 17. October,
'wo der hier mit Recht sehr geschätzte Pianofortelehrer Fritz Spind-
ler eine grosse Symphonie seiner Composition inH-moll (die zweite)
unter seiner persönlichen Leitung von der K. Kapelle mit ausser-
ordentlichem Feuer und feinem verständnissvollem Eingehen, trotz
der mancherlei Schwierigkeiten des Werks vorgetragen, zur Auf-
führung brachte; das Werk bekundet einen sehr erfreulichen Fort-
schritt Es ist mehr Selbständigkeit und Eigentümlichkeit der Ideen
darin, als wir sonst auf diesem Gebiete in neuester Zeit zu finden
gewöhnt sind, dabei sind die Motive frisch und ansprechend , die
thematische Arbeit äusserst lobenswerth , die Instrumentirung den
Gedanken sehr wohl entsprechend und gewählt. Der letzte Satz
dünkt uns indess nicht ganz auf dem Niveau des Vorhergehenden zu
stehen. Aber der junge Componist verdient die ihm reichlich und
freudig gespendete Anerkennung in vollem Maasse für sein ernstes
und echt künstlerisches Streben, das unter den Mühen des Lehrer-
lebens sich so frisch zu erhalten weiss und so schöne Früchte
Wien. Frl. La Grua, die neuengagirte Prima-Donna, ist ange-
kommen und wird als Alice, Valentine und Amine debütiren. Die
Gesellschaft der Musikfreunde hat ein vorläufiges Programm ihrer
Winter • Concerte veröffentlicht , in welchem zum ersten Male die
Namen Schumann und Wagner figuriren. Von jenem soll nach einem
Bericht der Niederr. Mskztg. die 2. Sinfonie in B, von diesem die
Tannhäuserouverture aufgeführt werden. Frl. J. Wagner hat hier
kein Glück gemacht. Ihre Unbeliebtheit ist so gross, dass die Wiener
Mskztg. sich nicht damit begnügt, sie in den eigentlichen Theater-
kritiken herunterzusetzen , und alles an ihr zu tadeln oder unschön
zu finden, sondern jede Gelegenheit ergreift , ihr in kleinen Notizen
und Lückenbüssern eins zu versetzen. Wo die Kritik so offenbar
das Amt übernommen hat , einen misliebigen Namen zu verfolgen,
kann von einer gerechten Würdigung natürlich keine Rede sein. Wie
Frl. Wagner dazu kam , neben der Fides, Romeo und Leonore (in
der Favoritin) als Gastrollen zu wählen, ist allerdings unerklärlich
und sie hat es hauptsächlich diesem Missgriff zuzuschreiben, dass ihr
Gastspiel nicht so glänzend ausgefallen ist, als sonst wohl der Fall
gewesen sein würde.
Prag. Der bekannte gediegene Violinist Laub hat am 17.
October neue Cyclus von Quartetten eröffnet. Besonders gefiel am
ersten Abend ein Quartett in D-moll von Veit. Im December beab-
sichtigt A. Dreyschock 3 Abonnements - Concerte zu veranstalten,
in welchen grosse Orchester- Werke zur Aufführung kommen sollen.
Das Theater-Orchester unter Leitung des Kapellmeister Scroup wird
gleichfalls einige grosse Concerte arrangiren.
Gratz« Vieuxtemps hat im Vereine mit dem Pianisten C. Evers
hier % Concerte gegeben und wird noch einige Quartettsoireen ver-
anstalten.
Pesth. Die Herren Erkel und Doppler werden im Laufe dieses
Winters 6 „philharmonische Concerte" arrangiren.
Paris* Im Laufe des Winters stehen zwei Meyerbeer'sche Opern
in Aussicht : „ Der Stern des Nordens " in der Opera comique und
„Die Afrikanerin" in der Grossen Oper. Auf die Hauptrolle in der
letzten machen sich , wie die Niederr. Mskztg. aus „bester Quelle"
weiss, sowohl Frl. J. Wagner als Fr. S. Cruvelli Hoffnung — Letztere
ist n. d. Bl. auf % Jahre an der Grossen Oper mit einem vi er monatlichen
jährl. Urlaub und einem Gehalt von 100,000 fr. jährlich engagirt
worden. Merkwürdig bleibt es, wie diese Sängerin, bei welcher die
italienische Gesangsbildung so in suecum et sanguinem übergegangen
ist, dass sie, wie noch kürzlich erklärt wurde, unmöglich deutsch
singen könne und deshalb bei ihrem Auftreten in Deutschland dem
Publikum stets eine Olla potrida von Deutsch und Italienisch vorsetzte,
-auf ein Mal der italienischen Oper Lebewohl sagt und französisch
singen lernt. Ob ihr das wohl leichter geworden ist, als in ihrer
eigenen Sprache f freilich : „K a i s e r 1 i ch e Akademie de musiaue"
und 100,000 frs. jährlich 1
Mailand* Die bekannte Sängerin M. Clara Novello ist für die
nächste Carnevalsaison der Scala gewonnen worden.
Petersburg. Die italienische Oper, die am 1. October eröffnet
werden sollte, zählt unter den diesjährigen Mitgliedern: Tammberlik,
Calzolari, Stigeüi; Ronconi und Bassini; Lablache und Didot. Von
Damen: Lagrange,. Medori, Marray, Frl. Demeric. Orchesterdirigent
ist F. Ricci, dessen Opern natürlich zur Aufführung kommen.
Yertatwortttcbw ftcrttktcu: J. j. «CHOIT. — brtck tw» KJSDTK» *. WAL LAU m aalai.
2. Jahrgang.
mth 4*.
7. Novbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
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Bunafe
Inhalt t D«r göttliche Orpheus von Calderon. — Recensionen. — Corresp. (Mainz. Cöln.) — Nachrichten.
DER GÖTTLICHE ORPHEUS,
von Calderon.
Die griechischen Sagen und Dichtungen von des Orpheus
Wundersagen sind Allen bekannt. Gewiss nur Wenige aber kennen
die Umbildung , welche der spanische Shakespeare , Don Pedro
Calderon de la Barca, mit dieser Gestalt vorgenommen. Unter seinen
t.utos sacramentales , geistlichen, in der Fastenzeit aufgeführten
chauspielen, die auf eine Verherrlichung der katholischen Sacra-
mente abzielen , befindet sich eins „der göttliche Orpheus" genannt
(übersetzt von Frh. von Eichendorf in den „geistl. Schauspielen von
Calderon", im 2. Bande Stuttgart. Cotta). Das bekannte Liebesver-
hältniss zwischen Orpheus und Euridice ist dieser Allegorie zu, Grunde
gelegt: Euridice ist die „menschliche Natur" Orpheus der göttl'che
Schöpfer, der sie ins Leben ruft, als seine Braut in den Paradies-
garten fuhrt , der Gefallenen nachgeht und sie dem „Fürsten der
Finsterniss" und der Unterwelt wieder entreisst (Christi Kreuzweg
und Höllenfahrt und des griechischen Orpheus Hinabsteigen in die
Unterwelt sind hier verschmolzen.) Alles dies bewirkt Orpheus durch
seinen Gesang. Es treten auf: der Fürst der Finsterniss — die Scheel-
sucht — Orpheus — die Wochentage mit ihren Attributen — Lethe,
ein Schiffer — das Vergnügen, ■ - ein Landmann — die menschliche
Natur — die Musik (der Gesang) ; alle in Person.
Ueber das Verhältniss des Christlichen (Göttlichen) zu dem
Heidnischen (Menschlichen) spricht der Fürst der Finsterniss zu der
Scheelsucht sehr naiv und vernünftig.
. . . . es wird stets unzähl'ge
Dinge geben in der Welt ,
Wo geheim zusammen stimmen
Göttliche und Menschenlehre,
In dem innern Grundton freundlich ,
Doch im Kuhns sich entgegen.
Also auch die heil'ge Urkund'
Ew'ger Weisheit, die der Welten
Mass und Zahl harmonisch fasst;
Und zur Seite ihr die Stellen
Jesaias', der zu singen
Anhebt im prophet'schem Sehnen
Von dem Weinberg, der die Kirche
Dieses Orpheus ist, des hehren.
So mag, wer da hört, erkennen
Dass, was hier erschallt', derselbe
Grundton in verschiednen Klängen,
Aber ausgeführt so strenge
Auf des Weltalis Instrument ,
Dass wohl Jeder wird gestehen,
Dieser Spielmann sei Gott selbst,
Da Musik und Instrument hier
So genan zusammenstimmen«
Man ersieht schon aus dieser Probe , wie sehr das Ganze von
musikalischen Gedanken und Anschauungen durchdrungen ist. So
allegorisch die Komposition erscheint, ist sie doch eine eben so ori-
ginelle als erhabene Dichtung; eine merkwürdige, geniale Verschmel-
zung verschiedener Sagen und Gedanken : Orpheus , die Harmonie
der Sphären, die Weltschöpfung durch das Wort des Gottessohnes,-
das Leiden Christi und seine Höllenfahrt aus Liebe zu den Menschen
und das mystische Verhältniss der Kirche als Braut des Schöpfers
und Erlösers. *)
Orpheus belehrt die „menschliche Natur" über die Schöpfung also :
Meine Stimme
Hat vor deinem Aug den grossen
Bau der Welten aufgeführt
In melodischen Accorden,
Und zwar so, dass wenn der Erde
Mangelte nur eine Rose,
Ein Atom der Luft, dem Feuer
Nur ein Strahl, dein Meer ein Tropfen —
«*_ Alles sich in Mislaut löste. .
Dass sonach denn der harmon'sche
Ganze Wunderbau Musik ist ,
Und ich selbst ein Sohn der Sonne
Der Gerechtigkeit, als deren
Fackel bin zur Welt gekommen,
Licht vom Licht und Gott von Gott. .
Von erhabenster Wirkung ist die Stelle, wo das Herabkommen
des licht- und lebenschaflcnden Orpheus geschildert; wird. Der Fürst
der Finsterniss und die Scheelsucht sitzen zu Anfang des Schauspiels
im dunkeln Chaos der Welt j nachdem einige Worte n gewechselt;
spricht der Fürst zur Scheelsucht :
Gesellin meiner Wirren !
Da wir den Tag hier ohne Tag durchirren,
Und, in die Farbe meines Seins gehüllet,
Die finstre Nacht noch Alles rings erfüllet,
So lass zum Himmel deine Blicke dringen ,
Die schneidend ja das Höchste stets" erschwingen.
Ob etwa Zeichen kreisen, £
Die Richtung, die wir suchen, uns zu weisen.
DieScheelsucht.
Trüb noch das All, und ungestaltet
Der Dinge Urstoff j keine Seele waltet,
Kein Athemzug, der durch das Schweigen rausche —
Nur einen einzigen Laut vernehm ich.
Der Fürst.
Lausche 1
Die Scheelsucht.
Aus weiter Ferne tönt's.
Der Fürst.
Unserm Gehöre
Gilt keine Ferne, die den Klang verstöre.
Horch, wie dies lieblich ernste Tönen
Befehl und Bitte mild weiss zu versöhnen.
*) Schon das Alterthum empfind die Verwandtschaft zwischen Orpheus und Christas:
In dem Privatgemache des rem. Kaisers Atex. Severns standen «U« Bildnisse beider beisam-
men. 8. lampridtas in Heliogabalum ctp. 2»,
— 178 —
Die Stimme wird mit ihren Melodien
Noch alles, was sie will einst an sich ziehen
Zumal wenn ich bedenke, wie so weise
Sie Alles bannt in die harmon'schen Kreise
Gebundner Rede, die so strenge
Nach Mass und Zahlen fügt das Reich der Klänge,
Dass, wenn nur eine Sylbe fehlt im Kranze,
In Missklang auseinanderfällt das Ganze.
Die Scheelsucht.
Kein Wunder denn, wenn es wie holde Chöre
Zu uns herüberklingt.
Der Fürst.
Hör', hör !
D ie S cheelsuc b t
Ich höre.
Jetzt tritt Orpheus aus einer sich senkenden Wolke hervor, und
im Gesänge ruft er das schlummernde Leben wach, die Tage, einen
nach dem Andern mit ihrem Zubehör, und als siebenten Tag , der
das Ganze kröne und überstrahle, die menschliche Natur. Dem Gange
des Schauspiels bei jedem Schritte zu folgen, ist hier unmöglich,
es ist nur hervorzuheben, wie das Ganze auf musikalischem Grund
und Boden steht. In neuer Wandlung zeigt sich dies, als Orpheus
den Ton der Klage laut werden l&sst über die Abtrünnige :
Auf des Lenzes Blüthenhöhen
Fasstc, Nymphe, dich der Tod,
Endest mit dem Morgenroth,
Da vor seines Hauches Wehen
Alle deine Sterne untergehen. . . .
Doch wie gross auch deine Sünden,
Soll ein Instrument der Minne,
Das ich herzustellen sinne,
Dennoch dir dereinst verkünden,
Dass die Liebe grösser als die Sünden,
Wann empor zum Himmel wehen
Meines Liedes süsse Klagen
Und, als Sang emporgetragen,
Rufen in den lichten Höhen :
Weh ihr, die durch ihr Vergehen
Wahr gemacht hat, dass die Sünde tödtlich !
Die Tage sprechen zu einander:
Da nur Heil herabzuthauen
Dieser Orpheus himmlisch sinnt,
Seh' ich wie er schon beginnt
Sich das Instrument zu bauen,
Das von göttllichem Erbarmen
Ein unendlich Lied soll tönen
Von Erlösen und Versöhnen.
Kreuzweis auf zwei hölzern' Armen
Will er jetzt sein Spiel bereiten ,
Macht es mit drei Wirbeln fest.
Und die Saiten drüber lässt
Seinen Händen er entgleiten.
Hier mischt sich idic Klage in die Symphonie der Klänge ; dies ist
die Geburtsstunde der Töne des Leides und der Trauer« Orpheus selbst
spricht:
Meine Liebe will für dich
Zu dem Abgrund niederfahren.
Darum hiess dies Saitenspiel
Sie mich bauen zu der Fahrt mir,
Unter dessen schwerer Wucht
Meine Knie' zusammen brechen,
Jeder Wirbel dieser Saiten
Ist ein schneidend scharfer Nagel,
Jede Saite eine Gcissel,
Und ein Schlag ein jeder Klang mir.
Und so wüst und dornenvoll
Ist der Pfad, den du verlassen,
Dass er rings von meines Blutes
Thaue perlt, wo ich gegangen.
Doch ob er auch rauh, wie schwer
Dieses Instrument auch laste :
Tönen soll's, wenn ich's berührt,
An des Lethestroms Gestade.
Man lasse sich durch die mittelalterlich-mystische Bildrede nicht
zurückschrecken : es steckt ein Kern reiner Wahrheit und hoher
Poesie darin. Mit der Harfe und dem Kreuzstabe dringt Orpheus in
die Tiefe :
Schmelzen wird vor meinem Klange
Dieses Schloss von Diamanten.
Und so wird die heiige Schrift
Tiefsinnig einst von mir sagen,
Dass ich, um die arme Erde
Himmelwärts empor zu tragen,
Alle, die gebunden schmachten ,
Wecke und befreie.
Es entsteht schrecklicher Aufruhr und Kampf der Elemente, wie bei
Christi Kreuzigung; aber Orpheus
Triumphirend, überm Abgrund,
Und in seiner Hand die Harfe ,
Bild und Wahrheit wiederhallend.
Der Fürst der Finsterniss ruft:
Charon, welch ein Schwan durchzieht
Deine Wellen mit Gesänge?
Die Gefangene wird frei, aus dem Tod wird Leben, ein neues Morgen-
roth und eine zweite Sonne strahlen, und im Siegsgesang erschallen
die Schöpfungshyinnen wieder. Der „Gesang" hat das letzte Wort:
Fahre, menschliche Natur,
Auf des Lebens Nachen fahre!
Fahre, dass dich Gott bewahre! —
Dieser göttliche Orpheus des Calderon ist ein Lobgedicht auf die*
Musik, so erhaben und schön, dass ich ihm kein zweites an die Seite
zu stellen weiss. Weisheit, Sage und Dichtung ist hier wie im
Blumenkranze ineinander geschlungen.
RECENSIONEN.
Handbuch der modernen Instrumentirung für Orchester
und Militairmusikcorps, mit besonderer Berücksichtigung der
kleineren Orchester sowie der Arrangements von Bruchstücken
grösserer Werke für dieselben, und der Tanzmusik. Von Fer-
dinand Gleich. Leipzig, C. F. Kahnt. IV und 84 im 8. V, Thl.
Diese kleine Schrift wird von denen, die sich um die grösseren
Werke über Instrumentation (z. B. Marx Bd. IV, Gassncr, bes.
Berlioz) nicht kümmern und wie echte Naturalisten frischweg instru-
mentiren, mit Nutzen gelesen werden können. Sie ist freilich etwas
flüchtig geschrieben, und die ästhetisirenden Bemerkungen , welche
hie und da zwischengestreut sind, haben wenig Instructives, und
geben dem Ganzen das Ansehen eines Journalartikcls. Bei den Hin-
weisungen auf die Tonkünstler , welche einige Instrumente charak-
teristisch („herrlich", „mit vielem Erfolge" „mit Glück" etc. sagt
Herr Gleich lieber) verwendet haben , tritt dies deutlich genug her-
vor. So z. B. S. 20. über das Engl. Hörn : „Erst in neuerer Zeit
ist dieses schöne Instrument wieder in Aufnahme gekommen. Alan
findet es mit Glück bei Rossini (Arie der Amenaide im Tancred und
Ouvertüre zu Teil) , bei Meyerbeer , Halevy , Berlioz und Richard
Wagner in herrlicher Verwendung. Beethoven und Weber haben
sich seiner nie bedient, Gluck hat es dagegen in die Partitur einer
seiner italienischen Opern aufgenommen , ohne jedoch wesentlichen
Vortheil davon zu ziehen". Was soll das heissen: „Mit Glück . . .
in herrlicher Verwendung'*?! Aber mehr noch fällt uns der letzte
Passus auf. Denn er erinuert uns an Berlioz Worte (Grand traite
d'instrument. p. 138): Gluck a employe cet Instrument dans ses opera
Italiens Telcmaco, et Orfeo, mais sans intention saillanle et sans en
tirer grandpartic, il nel'ecrivit jamais dans ses partitions Frau? aises.
Ni Mozart , ni Beethoven , ni Weber ne s'en sont servis : je n'en
connais pas la raison = Gluck benutzte dieses Instrument in seinen
italien. Opern Telcmaco und Orfeo, jedoch ohne besondern Zweck
und ohne grossen Vortheil davon zu ziehen, in seinen französischen
Partituren schrieb er es nie. Auch Mozart, Beethoven und Weber
haben sich seiner nie bedient" etc. Eine solche Entlehnung erfor-
dert doch die Angabe der Quelle. Aber wie nun? Berlioz sagt: Gluck
- 17» —
benutzte das Engl. Hörn in Tel. und in Orfeo, also in zwei Italien»
Opern; Herr Gleich aber: „in einer seiner italien. Opern", Wollte
er hierdurch und durch Verrückung der Satzglieder die Quelle ver-
tuschen? oder hat er aus Flüchtigkeit zwei Opern zu einer gemacht?
denn wüsste Herr Gleich es besser , als Berlioz, welcher Alles mit
eigenen Augen sah und in dergleichen Dingen unfehlbar ist, so würde
er bestimmter gesprochen haben. Man wird dergleichen für unbe-
deutend halten , weil es ja eigentlich nicht hierher gehöre. Aber
eben desshalb , weil es füglich hätte wegbleiben können , brauchte
der Verfasser sich nicht mit einer Belesenheit zu spreizen , die er
nicht besitzt, und brauchte nicht wieder ungewiss zu machen, was
wir genauer wussten. Man hat ohnehin schon in der musikalischen
Literatur der schiefen und unwahren Nachrichten die Menge, und gar
von der „Musikstadt Leipzig" (S. 70) aus will man diese noch ver-
mehren !
CORRESPOKDENZEN.
AUS MAINZ.
Ende Ocvober. •
Der sechste Theil der Jahres-Abonnements- Vorstellungen ist un-
ter der neuen Direktion des Herrn H. Beyer glücklich vom Stapel
gelaufen und gestattet uns ein Urtheil über die Tüchtigkeit unserer
diesjährigen Theaterleitung, über den Sinn, der sie beseelt, und über
die Leistungen der wichtigsten Mitwirkenden in der Oper. Dass be-
reits 12 Opern, mit vernünftiger Abwechselung zwischen italienischen,
deutschen und französischen Meistern , fast alle mit ersichtlichem
Erfolg , jedenfalls mit gebührender Sorgfalt einstudirt und ausgestat-
tet, zum Vorscheine kamen , zeugt von Energie und Umsicht , und
stimmt zu Geduld und Nachsicht bei manchen beklagenswerthen Ein-
zelheiten, dass z. B. ein sonst mit Komik wohlbegabter Künstler,
der sich aber einer nur unbedeutenden Singstimme erfreut, heute als
Dr. Bartolo , morgen als Papageno und übermorgen als Peter Iwa-
now aushilft. Das Theater • Orchester hat sich offenbar gebessert,
was wir unbedenklich dem Eifer und der Kraft des Kapellmeisters,
H. Laudien , zu gut schreiben. Von den für die Oper gewonnenen
Damen haben sich Frau Norsed und Fräulein Molendo durch Gesang
und Spiel in der Gunst des Publikums, das in allen bessern Stücken
sich zahlreich einfindet , gehoben und befestigt. Statt Frl. Amcndl,
mit der es sehr schnell „am End" war (wir hoffen , dass sie nicht
glaubt, mit den Schwächen und Fehlern grösserer Sängerinnen die
ersten Stufen der Kunsthöhe gewinnen zu können , ) fahndet die I)i-
rection nach einer dritten Sängerin, bisher ohne Glück. Als Tenorc
traten auf Herr Frey und Herr Raffter, beide, wie es scheint , ohne
vorangegangene Routine. DerErstere kann seine schöne und kräftige
Stimme zur Geltung bringen, aber nicht durch einzelne Schreitöne,
sondern durch sorgfältiges Studium und edlereu Vortrag , wozu ihm
jedoch ein seltneres Auftreten Gelegenheit bieten müsste. Glück-
licher "Weise haben wir in dem Direktor selbst , Herrn Beyer, einen
gewiegten Tenor, der als Robert und Eleazar mit grossem Beifalle
wieder erschienen ist. Recht vorzüglich und vielfach brauchbar ist
der tiefere Bariton, Herr Herger, auch die Herrn Bussel (Bass) und
Lettinger (höherer Bariton) sind zu rühmen. Da überdies mehrere
andere, darunter einige für das Schauspiel vorzugsweise engagirte
Damen und Herrn, wie auch ein zahlreicherer und besser eingeübter
Chor tüchtig mitwirken, so ist das Publikum , in seiner vernünftigen
Mehrzahl vergnügt und zufrieden. Desshalb „Glück auf" 1
Einen seltneren Kunstgcnuss bot vor einigen Tagen ein vom
Vereine für Kirchenmusik unter Mitwirkung einer ziemlichen Anzahl
von Dilettanten und Kindern im Akademiesaale veranstaltet es Con.
cert, in welchem unter der Leitung des Herrn Messer , des Musik-
direktors des Frankfurter Cäcilienvereins, das Händeische „Alexander-
fest" zur Aufführung kam. Wir freuten uns, bei dieser Gelegenheit
Herrn Messer, den wir so lange den Unsrigen nannten , wieder ein-
mal in seinem Elemente sich bewegen zu sehen. Es war nicht zu
verkennen, wie sein Geschmack das Ganze durchzog, wie seine Kraft
und Geschicklichkeit selbst einzelne schwache Punkte zu festigen
oder zu eklipsiren wusste, wie vorzüglich ihm zu verdanken war,
dass das so schöne Werk wieder einmal bei uns zu verdienter An-
erkennung gebracht wurde.
Sehr nahe liegt ein Hinblick auf die Liedertafel, die leider
seit fast vier Monaten kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben
hat. Die Grundursache dieser Stagnation ist darin gelegen, dass in-
zwischen der seitherige Director, Herr Vierling, seine Demission ge-
geben, und die Einleitung zur Wiederbesetzung seiner Stelle ein
kräftigeres Vereinswirken paralysirt hat. Hoffentlich wird der neu-
gewählte Musikdirektor, Herr Winkelmeyer, der seit mehreren Jahren
in ähnlicher Eigenschaft zu Heidelberg funktionirte , durch seine
Kenntnisse und seine Persönlichkeit im Stande sein, die bedeutenden
Mittel, welche die Liedertafel mit dem Damengesaügverein darbietet,
so zu concentriren und zu leiten t dass bald wieder grössere Auf-
führungen möglich werden. Die Herrn Föckerer, Hom und Heine-
fetter gaben am 17. d. M. unter Mitwirkung der Frl. Molendo und
eines jungen, strebsamen Künstlers, des Herrn Diehl (Alto Viola)
ihre letzte Trio- (od. Qualuor-) Soiree und setzten damit ihrem
schönen Unternehmen die Krone auf, besonders durch den eben so»
kunstvollen als gelungenen Vortrag von Beethoven's Grand Trio (B
dur Op. 98). Wir wiederholen unsern früheren Wunsch für ein
glückliches Gedeihen ihres rühmlichen Strebens. — eh.
aus com.
In October.
Fräulein Cruvelli war da. Mitten in deutsch singender Umge-
bung sang Fräulein Cruvelli , (wie das verwelschte Fräul. Krüwel
nun einmal heissr,) die N o r m a und die Nachtwandlerin in
italienischer Sprache. Es fehlte in den besuchten Vorstellungen
nicht an Beifall und am Schlüsse jeder derselben flogen zahlreiche
Sträusse auf die Bühne.
Wäre Frl. C. eine ächte Italienerin, die in Deutschland deutseh
singen gelernt hätte, und sie kehrte drauf mit verdeutschtem Namen
in die Heimath zurück, und wagte es dort inmitten einer italienischen
Operngesellschaft ihre Partie d e u t s ch zu singen , so würde sie
zweifelsohne, statt mit Blumen, mit etwas Anderem beworfen werden«
Man werfe uns keine Dcntschthümlei vor, wenn wir in diesem
Punkte etwas mehr italienisch als deutsch empfinden. Wenn
wir Deutschen auf unsere politischen Verhältnisse blicken, so haben
wir freilich, Gott sei's geklagt, keine besondere Ursache zum Natio-
nalstolz; wohl uns, dass sich mindestens beim Hinblick auf deutsche
Kunst und Wissenschaft unser niedergedrücktes Gefühl wieder auf-
richten kann ; und das sollten wir uns mindestens von unsern deut-
schen Künstlern nicht verkümmern lassen ! darf doch vor allem An-
dern die deutsche Ton- und Sanges. Kunst stolz ihr Antlitz erheben,
selbst gegenüber ihrer italienischen Rivalin. — Eine Ironie des Zu-
falls wollte es übrigens , dass Frl. C. diesmal mit ihrer Nationalität
verleugnenden Kunstproduktion zwei Volksfeste verherrlichen musste,
die man zu feiern sich bestrebte , nämlich Königsgeburtstag und den
18. October.
Was den Gesang der Frl. C. betrifft , so wollen wir ihr gerne
alle diejenigen Vorzüge einräumen, die man einer italienischen Sän-
gerin nachrühmen kann. Fülle und Umfang der Stimme, sicheres
Einsetzen, Kehlenfertigkeit, leichten Uebergang aus einem Stimmre-
gister in das au lere , und wie alle die Feinheiten der technischen
Ausbildung heissen; — ja, an einzelnen Stellen wollte es uns sogar
scheinen, als ob, trotz ihrer Verwelschtheit , ihr dennoch em kleiner
Ueberrest von deutscher Innigkeit verblieben wäre. Im Ganzen aber
Hess sie uns kalt , und wenn wir uns ja einmal hingerissen fühlten»
so war es höchstens zur Bewunderung.
Unser bischöflicher Posaunist begnügt sich aber mit dieser An-
erkennung nicht ; nach ihm ist Frl, C. auch eine dramatische
Sängerin ersten Ranges, und ein anderer hiesiger Kritiker, obgleich,
er den ersteren wegen seiner Uebertreibungen angreift, nennt sie
dennoch, nach einem Franzosen, die Rachel der Oper. Wir müs-
sen beides geradezu verneinen. Und bedarf es dazu noch eines an*
deren Beweises, als dass sie unter obwaltenden Umständen italienisch
singt? — Wäre es möglich, dass sie das dramatische Verständnissso.
180
gering schätzte, wenn nur ein Haar einer dramatischen Sängerin
an ihr wäre ?
Es fehlt ihr aber auch s$nst viel an dem, was an einer dra-
matischen Sängerin gehört Ihr Spiet ist etwas steif; es geht ihr
die Gelenkigkeit In den Haften ab , die zur leichten «graziösen Be-
wegung und zu schönen, plastischen Haitangen durchaus erforderlich
ist. Ihre Geberden sind oft nicht bei der Handlung , so feiern z. B.
bei dem Parade-Fortissimo vor einem Abgang ihre Arme ihren eig-
nen Triumph , anstatt die Stimmung auszudrücken , indem sie damit
eine Bewegung macht, die viel Aehnliches hat mit dem Flügelschlag
eines gewissen Vogels , wenn er eben einen lauten Ruf erschallen
lässt.
Doch das ist ja eben ficht italienisch ! Wir machen da am Ende
der Sängerin einen Vorwurf, während der Fehler mehr jener der
S ch u 1 e ist , als i h r e i g n e r. Denkt doch der Componist bei
solchen Abgängen selbst nicht an die Situation, sondern lediglich
an den Schluss- und Knall-Effekt, und kann man es da der Sängerin
verargen, wenn sie ihm nachgeht ? — Darf man überhaupt z. B. an
diese Nachtwandlerin, in der man sich in ein Kranken- und Nerven-
spital versetzt fühlt , dramatische Ansprüche machen ? — Gewiss
nicht! — Geht doch bei solchen Machwerken das Streben der Ton-
dichter oder besser gesagt der Componisten, (die deutsche Bezeich-
nung ist hier viel zu edel,) nicht etwa dahin, das wahre Kunstschöne
zu feiern, sondern vielmehr dahin, seine Priester und Priesterinnen
durch technische Fertigkeiten auf den Altar zu heben, um Abgötterei
mit ihnen treiben zn lassen. Wahrlich es lohnt sich, um solcher dra-
matisch-musikalischen Verzerrungen willen , zur Renegatin an deut-
scher Kunst zu werden.
Man hat das Italienisch - Singen der Frl. C. damit entschuldigen
wollen, dass die Composition besser den Urtext declamire, als die
Uebersetzung. Es mag etwas Wahres darin liegen; obgleich man
dabei einen kleinen Uebelstand nur durch einen grösseren beseitigt.
Aber wenn es der Sängerin denn wirklich um dramatische Wahrheit
des Ausdruckes zu thun ist, weshalb eine solche Oper wählen, die
ebensowohl dieser Wahrheit als der Aesthetik ins Antlitz schlägt?
Unsere Sängerinnen, die auf dieser Oper ihren Paraderitt durchs
Land machen, mögen sich immerhin mit ihrer Sangesfertigkeit brüs-
ten, aber sie dürfen keinen Anspruch darauf machen, Sinn und
Geschmack für wahrhaft dramatische Musik zu besitzen. Es ist
das ein harter Spruch, er trifft gefeierte Namen, aber — man wider-
lege ihn, wenn man kann !
NACHRICHTEN.
Oöln. Unsere Oper entspricht unter der neuen Direction von
Herrn Röder im Allgemeinen billigen Ansprüchen. Sie hat tüchtige
Kräfte in den Tenoristen Kahle und Krön , dem Bassisten Schmidt;
dessen Gattin , Frau Schmidt — Kellberg, füllt als wohlgeschulte
Sängerin die Stelle der Primadonna auch recht gut ans , wenn ihr
gleich in der höheren Stimmlage die jugendliche Frische etwas ver-
loren ging. Durch letztere Eigenschaft zeichnet sich dagegen die
Altistin Frl. Marschalk aus, die neben umfangreicher Stimme als
Schülerin des Tenoristen Mantins eine gute Schule hat, in der sie
jedoch noch in der Entwickelung begriffen ist. Augenblicklich hat
die Oper noch Lücken an einem Baritonisten und einer 2. Sopra-
nistin, die hoffentlich bald ausgefüllt werden. Morgen findet das
erste der 8 Winterconcerte unter Leitung des Kapellmeisters Hiller
statt ; u. a. kommt darin ^ein 3stimmiges Motett von Seb. Bach zum
Vortrag.
Berlin* Gretrys Richard Löwenherz ging hier neu einstndirt
in Scene , konnte aber keinen besondern Erfolg erringen. Statt
Flotows „Rübezahl" wird am Namenstage der Königin Glucks „Ar-
mide" zur Aufführung kommen.
Darmstadt. Am 24. October fand die erste Vorstellung des
Tannhäuser statt. Herr Peez sang die Titelrolle. Die Ausstattung
war glänzend und 'die ganze Aufführung eine sehr gelungene.
Würzburg, Die beiden letzten Opern -Vorstellungen, Figaros
Hochzeit und Robert der Teufel wurden von dem wieder hergestellten
Kapellmeister K. Reis dirigirt. Bisher leitete der Musikdirektor
Kistner interimistisch das. Orchester. Das Publikum zeigt sich
mit der Oper äusserst zufrieden und wenn das Repertoir so gut bleibt
wie bisher und der Eifer der Direction nicht erkaltet, wird letztere
Belohnung für ihr Streben finden. Von den Sängern haben sich die
Damen Dresa ler-Poller t und Jenny Baur, letztre eine talent-
volle, mit schöner Stimme begabte Anfängerin, sowie die Herrn Sonn-
leithner (Tenor), Schiffbenker (Bass) und Pichler (Bariton) der Gunst
des Publikums besonders zu erfreuen.
Wien. Zu den Neuigkeiten, welche die italienische Oper bringen
wird, gehört ohne Zweifel die neueste Oper Verdis: II Trovatore.
Um die Wiener von der Vortrefflichkeit dieser Oper zu überzeugen
bringt die Wiener Mskztz. folgendes Bulletin:
„Bologna. Auch hier füllt der Trovatore das Teatro del Gorso
zum Ersticken an.
Gorfu. Auch hier findet man sich aus dem „Trovatore" gar
nicht heraus und der Beifall steigert sich von Aufführung zu Aufführung.
Malta. Auch hier ist Verdis Trovatore mit dem glänzendsten
Erfolge gegeben worden.
Mailand. Auch hier hätte der Trovatore in der Scala bei seiner
ersten Aufführung gefallen, wenn er besser ausgeführt worden wäre.
Neapel. Auch hier hatte Verdis Trovatore im Theater S. Carlo
einen grossen Triumph gefeiert u. s. w."
Nun steht es aber fest, dass Verdi in diesem Jahr sowohl in
der Sealaals inS. Carlo — den beiden bedeutendsten Bühnen Italiens, ent-
schieden durchgefallen ist und die übrigen Provinzialbühnen nicht
die geringste Bedeutung haben. Was soll man dazu sagen , wenn
der Welt auf so plumpe Weise Sand in die Augen gestreut werden
soll?
Paria. Die neue Oper von Limnander , Le Maitre - chanteur
ist endlich in Scene gegangen. Das Resultat ist so ziemlich das-
selbe, wie bei den vorhergegangenen Neuigkeiten. Die Journale
wissen viel von der brillanten Instrumentation, dem Reicht h um an
Melodien, der Meisterhand des Komponisten u. s. w. zu erzählen,
zuletzt kommt es aber darauf hinaus , dass die Dekorationen und
Costüme glänzender waren als Alles andere. Maximilian I. hat die Ehre,
als „Meistersänger" in dem etwas zu sehr nach Fabrik schmeckenden
Libretto zu figuriren und als Deus ex machina einem unglücklichen
Liebespaar aus der Klemme, der Oper aber zu einer jener Ueber-
raschungsscenen zu helfen, in welcher die Spieler den Zuschauern
weiss machen wollen , sie wüssten das , was diese längst errathen
haben, nicht eben so gut.
Im Theatre lyrique wird in den nächsten Tagen eine neue Oper
in 3 Akten gegeben, von welcher bis dato nur mit geheimnissvollen
Mienen gesprochen, oder vielmehr, da man weder Autor noch Titel
kannte, geschwiegen wurde. Endlich* ist der Schleier gelüftet. Eine
nachgelassene Oper Donizetti's ist von der Direktion um höhen
Preis erkauft worden und M. Seveste hofft damit die Opera Co-
mique für diesen Winter zu schlagen. Wo jene bis jetzt geblieben
war, wissen wir nicht. Die gesammte musikalische Welt äussert sich
über dieses hochwichtige Ereigniss nur in On dits. — Die bekannte
Sängerin Madame Nissen Salomon, welche längere Zeit in Russland
reiste, befindet sich seit Kurzem in Paris und wird den Winter
über bleiben. Frl. W. Clauss ist ebenfalls angelangt, ausserdem die Ge-
schwister Dulken. Ein ganzes Heer von Virtuosen wird noch er-
wartet. Liszt wird diesen Winter zurückkehren; wenigstens beruhigt
die France musikale die Freunde L's. über dessen schnelle Abreise
mit der bestimmten Versicherung baldiger Rückkehr.
Kapellmeister Chelard von Weimar hat ein grosses Concert
arangirt, in welchem seine neuesten Compositionen aufgeführt werden.
Die ersten Sänger der französischen Oper wirken mit. Wie das ko-
misch zusammentrifft! H. Berlioz hält die Deutschen für fähiger
sein Genie zu schätzen und geht von Paris nach Weimar. Chelard
scheint umgekehrt den Parisern mehr zu trauen als den Deutschen
und geht von Weimar nach Paris, Da läugne einer noch , dass die
Gesetze des Gleichgewichts nicht auch in der Kunst wirken.
New-York. Jullien hat 24 Concerte im Castle-Garden gegeben
und seit dem 26. September eine neue Reihe von Concerten in Me-
tropoitan Hall eröffnet.
Veitntworttlebw BoiakUw: J« J. SCHOTT. — Dreck tob BIüTER b. WALUü in natu.
2. Jahrgang.
tfr« 46.
14. Novbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
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REDACT10N tND VERLAG
von
B. SCHOTTS BOHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT <* CO.
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fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 8gr.
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Inhalts An das musikalische Sfiddeutschland. — Die musikalische Erfindung. — Corresp. (Manchen. Paris.) — Nachrichten.
AN DAS MUSIKALISCHE SÜDDEUTSCHLAND.
Die Tage des Carlsruher Musikfestes sind vorüber. Der Nach-
hall desselben tönt durch ganz Deutschland , und jede Stimme , die
ein Wort des Tadels oder ein Wort des Lobes laut werden lässt,
trägt denselben weiter.
Hält man diese Wirkung für unbedeutend? Glaubt man durch
eine, wenn auch noch so gerechte Kritik der Aufführungen den Ein»
druck derselben im Allgemeinen zu zerstören?
Wir glauben: Nein!
Es galt den Veranstaltern dieses Festes, die Augen von ganz
Deutschland auf sich zu lenken ; es galt, zu zeigen, dass die Vertre-
ter der Richtung, die daselbst dominirte, Kräfte genug besitzen, um das
Grösste zu erstreben und zu erreichen, es galt, dieser Richtung einen
neuen Standpunkt zu erringen und sie, die bisher nur hier und da fast
ynr an eh s woi ee au f treten konnte, als eine «eue, den übrigen gleichbe-
rechtigte Schule hinzustellen.
Wenn uns nicht Alles täuscht, ist dies trotz der grösslen Mängel
im Einzelnen, gelungen, und, sollen wir die Wahrheit sagen, wir
freuen uns darüber!
Nicht , dass wir zu den Anhängern jener Richtung gehörten,
nicht, dass wir glaubten, sie sei das neue Evangelium, welches die
musikalische Welt erlösen werde. Nein!
Was uns auf das Carlsruher Musikfest mit Freude blicken lässt,
ist die Hoffnung, dass endlich wieder einmal Leben in unsere musi-
kalischen Zustäude kommen, ist die Hoffnung, dass das von Liszt
und seinen Freunden gegebene Beispiel nicht verloren gehen werde.
Bewegung ist Leben, Fortschritt; Stillstand — Tod, Rückschritt.
Wie in der Natur, so iu der Kunst. Wie steht es in letzterer bei uns?
Wir meinen, der Eifer, die Thätigkeit, die Unermüdlichkeit, mit
welcher die Veranstalter der Ballenstädter, Züricher und Carlsruher
Musikfeste vorgehen, dieses rastlose Bestreben, ihren Werken einen
festen Boden zu gewinnen, die Zähigkeit, mit welcher jeder, auch der
kleinste Erfolg festgehalten und zu dem Keim eines neuen, grösseren
gemacht wird, die Gewandtheit, mit welcher immer neue Anhänger
gewonnen werden , müssen jeden Unbefangenen mit einer gewissen
Achtung, unsere Freunde aber mit einiger Beschämung erfüllen.
Wo ist unter ihnen ein Liszt, der keine Mühe, keine Anstreng-
ung, keine Opfer scheut, um dem, was er für das Rechte hält, Bahn
zu brechen ?
Wo ist unter ihnen ein Wagner, der, Verstössen aus seinem
Vaterlande, geächtet von politischen Gegnern, verhöhnt von seinen
Kunstgenossen, nicht ermattet , sondern unbeirrt durch die bittersten
Kränkungen und Anfeindungen, ruhig seinen Weg fortsetzt und auf
den Sieg seines künstlerischen Ideals baut?
Wo ist unter ihnen die Einheit, das Zusammenwirken, wo dar
Sinn auf das Grosse, Allgemeine, der jene beseelt ?
Wir furchten, wer danach suchen wollte, würde vergebens suchen !
Und doch ist es eine alte Wahrheit, dass indifferentes Gehenlassen,
Beschränkung auf die nächste Umgebung, bloss* Abwehr des zu nahe
koanffieoden Fremden nicht die rechten Mittel sind, ein Princip zu
befestigen, und wenn es noch so begründet wäre. Doch gilt auch in
der Kunst der Satz, dass eine einige, geschlossene, energische, wenn
auch noch so kleine Partei , mehr Aussicht auf Sieg hat , als eine
grosse, zersplitterte, schläfrige !
Es ist in vielen Berichten über das Carlsruher Musikfest der
Wunsch ausgesprochen worden : das nächste Jahr möchte Zeuge
einer ähnlichen Vereinigung so grosser Kräfte sein.
Und warum nicht ? Fehlt es an Kräften ?
Süddeutschland besitzt in den Capellcn von München, Stuttgart,
Carlsruhe, Mannheim, Frankfurt und Wiesbaden Orchesterkräftc,,die
nirgends bei solcher Nähe in solcher Trefflichkeit vorhauden sind.
Fehlt es an einem Dirigenten ?
Es genügt, die Namen Franz Lachner und Lindpaintner zu nennen-
Fehlt es an einem geeigneten Ort?
Von München bis an den Rhein würde jede Stadt stolz darauf
sein, ein süddeutsches Musikfest in seinen Mauern feiern zu sehen.
Fehlt es an Mitteln?
Konnte R. Wagner deutsche Orchestermitglieder naeh der Schweiz
kommen lassen, um dort mit ihnen seine Werke aufzuführen, dann
werden wohl auch die Musikfreunde von Süddeutschland im Stande
sein, sie in Deutschland selbst zu versammeln. Und giebt es ein De-
ficit, nun so haben wir noch so viel Vertrauen zu ihnen, dass sie
der Kunst eben so gern ein Opfer bringen, als R. Wagner.
Wohlan, so versuche man denn, ob das musikalische Süddeutsch-
land nicht im Stande ist , den Handschuh aufzunehmen , den ihm
kühne Gegner hingeworfen haben. Man versuche, ob es nicht mög-
lich ist, die vorhandenen herrlichen Kräfte zu einigen und ihnen die
Begeisterung einzuhauchen, die zu einem so grossen Werke erforder-
lich ist. Man versuche, ob nicht in Süddcutschland derselbe Eifer
für das als wahr Erkannte lebt, wie in Liszt und Wagner, ob es
nicht zu gleicher Anstrengung für ein Kunstideal begeistert werden
kann. Gelingt es, und wir hoffen es von ganzem Herzen, dann
wollen wir das Carlsruher Musikfest segnen , denn dann hat es
wahrhaft Grosses gewirkt.
>>oa —
DIE MUSIKALISCHE ERFINDUNG*
In dem vierten Hefte der fliegenden Blätter für Musik finden
wir unter diesem Titel einen Aufsatz, welcher so beherzigenswerthe
Worte enthält, dass wir uns nicht versagen können , einen Auszug
daraus zu geben und das darin Ausgesprochene allen Tonkünstlern,
besonders aber allen angehenden zur Beachtung zu empfehlen.
Der Krebsschäden an welchem die Musik der Gegenwart leidet
und welcher die alleinige Ursache der eben so massenhaften als
nichtssagenden und werthlosen Produktion unserer Tage ist, wird
darin mit überzeugender Wahrheit biosgelegt. Dasselbe ist allerdings
schon oft mit andern Worten gesagt worden, aber es kann nicht oft
genug wiederholt werden , besonders da die Folgen jenes Uebels
immer deutlicher hervortreten — auch in Erscheinungen welche
auf den ersten Blick nicht dazu zu gehören scheinen.
£s heisst dort :
„Den Mangel an eigentümlicher und reicher Erfindung in Kunst*
werken schrtiM nt$ik gewöhnlich einem Mangel an Erfindungsk r a f t,
an Phantasie zu, Ich glaube an diesen Mangel nicht »echt. Die
allermeisten Menschen haben von Natur Erfindungskraft geaug, nn*
Eigentümliches schaffen zu können. Menschen ahne diese Kraft*
gibt es gar nicht. Anerkannlermaassen ist die Fantasie in dem Kinde
und Jünglinge am stärksten. Trotzdem zeugen die Jugendweihe
fast all er Künstler von geringer Erfindung, während ihre höheren
Schöpfungen erst eine Frucht des gereiften Mannesalters sind. Ja
mancher grosse Meister hat seine erfindungsreichsten Werke erst
in höherem Alter, fast als Greis, geschaffen — wie Gluck , Händel,
Haydn, Millon.
„Wie erklärt sich dies ? Offenbar dadurch, dass die Erfindungskraft
früher nicht reif, dass sie nicht befruchtet worden war. Der
Tonkünstler, der wenig Musik kannte, hat ein nur geringes Material,
ait welchem seine Phantasie sich zu üben vermochte. Die Berliner
Musikzeitung hat vor gar nicht langer Zeit ein Rondo von Beethoven
aus seiner frühesten Jugend veröffentlicht. Es ist ganz und gar ge-'
wohnlich und aus diesem Erstlings- Werke lässt sich die unge-
wöhnlich reiche Erfindung, die seinen späteren Werken eigen, nicht
einmal ahnen. Ganz dieselbe Bemerkung muss man bei den Kom-
positionen Mozarts aus seiner ersten Zeit machen. Nun denke man
sich, die beiden Meister wären zwar in der Harmonie unterrichtet
worden, man hätte es ihnen aber unmöglich gemacht, Musik zu
hören; würden wir ihre gefeierten Werke auch in diesem Falle von
ihnen erhalten haben ? Die Bildungsgeschichte aller bedeutenden
Meister lehrt uns , dass sie zunächst und vor allem erstaunlich viel
Musik gehört und gelesen haben und zwar Musik von den ältesten
l>is zu ihren Zeiten. Musik also der verschiedensten Art. Es lässt
«ich demnach wobl annehmen, dass die Phantasie eines Komponisten
um so stärker befruchtet wird, je mehr er Musik kennen lernt, dass
also seine Werke um so reicher an Erfindung werden, je mehr er
andere Tonwerke an sich vorübergehen lässt.
„Reynolds sagt treffend : „Es ist ausgemacht wahr dass ein
guter Theil des Lebens zum Aufsammeln der Materialien angewendet
werden muss, an denen der Geist sich übt. Erfindung ist streng ge-
nommen, wenig mehr als neue Combination der Ideen, die man vor-
läufig gesammelt und aufbewahrt hat. Aus nichts wird nichts 5 wer
keine Materialien gesammelt hat, kann keine Combinationen hervor-
bringen. Ein Schüler, der die Versuche voriger Meister nicht kennt,
pflegt seine Fähigkeiten meist viel zu hoch anzuschlagen, die unbe-
deutendsten Streifereien für Entdeckungen von Wichtigkeit zu halten,
jede ihm neue Küste für ein noch unentdektes Land anzusehen.
Werke solcher Geister zeichnen sich selten durch das Gepräge
wahrer Originalität aus. Unterscheiden sie sich in etwas von ihren
Vorgängern, so sind es nur regellose Einfälle und nichtige Spiele-
reien. Je ausgebreiteter die Bekanntschaft mit vortrefflichen Werken,
desto ausgedehnter das Erfindungsvermögen, und so paradox es
klingt, desto origineller die Ideen"
„ Nehmen wir dies als begründet an, so lässt sich die Abnahme
der Erfindungskraft — oder vielmehr der Mangel an Erfindung —
in unserer Zeit bei vielen Componisten unschwer erklären. Sie
kennen zuwenig Musik. Bei sehr vielen der Jüngeren geht
die Bekanntschaft mit Musikwerken nur bis zu Beethoven zurück
und alle Werke dieses Meisters kennen Wenige. Manche der
Jüngern kennen gar nur Mendelssohn, nur Schumann u. s. w., noch
Andere kennen nur die neuere Pianoforte-Musik und sie haben auch
in dieser Art Werken nur Kenntniss von denen Mendelssohns, oder
Schumanns , oder Chopins u. s. w. Eine weite breite und tiefe
Musikkenntniss, das heisst eine Kenntniss wenigstens aller in ihrer
Art bedeutenden deutschen und ausländischen Werke aller
Gattungen vom alten Volksliede und der alten Oper bis zu den
neuesten Opern, von der alten und neuen Kirchenmusik, von den
alten und neuen Instrumental- und Klavierwerken, eine solche Kennt-
niss der musikalischen Literatur gehört zu den allergrössten Selten-
heiten." •
„Freilich würde auch eine solche umfassende Kenntniss einen
nur geringen Einfluss auf die eigene Einbildungskraft haben , wenn
sie eine oberflächliche bliebe und nur dem Stoffe gälte. Der Ein«
fluss kann sich erst zeigen, wenn ein tiefgehendes Studium jener
Werke erfolgte"
„Leider treten jetzt die fleissigen Uebungen iu allen Zweigen
der musikalischen Studien, dem Kontrapunkt, der Fuge u. s. w. mehr
und menr in den Hintergrund und werden als lästige Plackereien,
als Ueberreste aus der steifen Zopfzeit angesehen. ]Ss ist dies aber
eine fernere Hauptursache der abnehmenden retchen Erfindung und
sie deutet auf ein weiteres Mittel , die Erfindungskraft zu wecken
und zu . stärken ; fortgesetzte und umfassende Uebungen in allen
Zweigen und Disciplen der Tonkunst"
Und nun ein nach unserer Ansicht von dem Verfasser nicht
stark genug hervorgehobener Punkt:
„Je weniger man die Schwierigkeiten der Kunst kennt, um so
leichter ist man mit den eignen Arbeiten zufrieden. Wer das Gute
und Beste der Literatur seines Volkes und der andern Völker nicht
kennt, hält wenigstens jeden seiner guten Gedanken für neu, wäh-
rend derselbe lange vor ihm und vielleicht um Vieles besser ausge-
sprochen wurde. So ist es auch in der Kunst. Dazu kommt in der
Musik , dass das allgemein gewordene und so sehr vervollkommnete
Klavierspielen eine Menge von Tonphrasen einprägt und eine ge-
wisse Leichtigkeit giht, musikalische Gedanken von einem gewissen
Werthgrade, ohne vorausgeschickte tiefere harmonische und konlra-
punktische Studien auszudrücken. Diese angeflogene Produktions-
leichtigbeit halten nun viele für ein bedeutendes Talent, für Genie
und sie werden zu dem Wahne verleitet , Alles, was ihnen aus der
Feder fliesst, sei vortreffliches und unverbesserlich".
Wir setzen hinzu :
Wie viele unserer heutigen Componisten müssten erröthen, wenn
sie sich täglich mit den Werken guter Tonmeister beschäftigten,
sie studirlen und dann daran dächten, dass in demselben Augenblick,
in denen sie das Genie jener erkannten, eines ihrer ephemeren
Produkte in die Welt gebracht wird ? Oder vielmehr, wie viele
würden, wenn anders sie überhaupt mehr als musikalische Handwerker
sind , die um Tagelohn dienen, wie viele würden den Muth haben,
ihre Produkte zu veröffentlichen, wenn sie durch ernste fleissige
Studien mit den Schätzen bekannt geworden wären, die noch mibe*
achtet da liegen und über den Eintagsfliegen der Gegenwart ver-
gessen werden?
Würde nicht schon die Zeit zum Produciren fehlen, wenn
unsere jungen Tonkünstler, statt sich mit einer oberflächlichen Kennt«
niss der neuesten Werke in ihrem Fach zu begnügen , eine so
gründliche und erschöpfende Kenntniss der musikalischen Literatur
verschaffen müssten , wie es jetzt von jedem wissenschaftlich Ge*
bildeten in seinem Fach verlangt wird?
Wie in der Literatur von nichtssagenden unbedeutenden Pro-
dukten nicht nur auf die Tal cn tlosigkeit, sondern auch auf die
Kent nis slosigkeit des Autors geschlossen werden kann, so
auch in der Musik. Dass es in ersterer nicht so traurig aussieht,
wie in letzterer, hat seinen Grund einzig und allein darin, dass es
mit den Erziehungs- und Bild ungsan stalten darin besser
steht, dass wissenschaftliche Bildung nicht blos als ein Attribut der
Gelehrten sondern als ein Gemeingut, als eine unerlässige Bedingung
jedes, der überhaupt auf Bildung Anspruch macht, betrachtet wird und
dass eben desshalb die Zahl derer, welche von einem Werke sowohl
Gediegenheit des Inhalts, als Gefälligkeit der Form verlangen grösser
ist als dort.
CORRESPONDENZEN.
AUS MÖNCHEN*
Ende Oetober.
Mit Mozarts „Entführung aus dem Serail*' wurde am 24. d M.
das Kgl. Hoftheatcr bis auf weiteres behufs einer gründlichen Re-
stauration geschlossen. Wenn aber Mozarts Musik und unser be-
währtes Orchester nicht gewesen wären, so würde sich das Sprich*
wort „Ende gut alles gut" schlecht bewährt haben. Ein talentloser
Osmin wird unter allen Umständen die volle Wirkung dieser Oper
vernichten und einen solchen hat uns Herr Kremenz mit einer wahr*
haften Meisterschaft geliefert. Ich glaube, Ihnen schon in einem
meiner früheren Berichte über diesen Sänger mitgetheilt zu haben,
dass er mit schönen Mitteln begabt, aber fast ohne alle Schule und
höhere musikalische und dramatische Bildung sei. Leider scheinen
- 183
sich diese Mängel nicht vermindert zu haben , man möchte eher am
nehmen, dass sie im Wachsen begriffen seien. Ich würde übrigens
dieser seit dem Engagement des Herrn Salonion fortlaufenden Bas-
sisten-Misere selbst (diese wenigen Worte kaum widmen , wenn ich
dadurch nicht das Mangelhafte unsres Repertoires einigermassen so
entschuldigen gedächte. Eine absolute Notwendigkeit kann es aber
doch auch nicht gewesen sein, dass wir in der ganzen Sommersaison
auch nicht eine neue Oper zu hören bekamen. Wir stehen nun in
banger Erwartung der Dinge die da kommen sollen bis zur Wieder-
eröffnung des Thaliatempeta. Bis dorthin wird sich vielleicht auch
eine erste dramatische Sängerin — die uns seit dem Abgange der
Frau Palm-Spatzer fehlt — auffinden lassen. Herr Kremenz ist
leider auf zwei Jahre engagirt und eines davon noch nicht über-
standen! Während des erwähnten Theaterschlusses wird die Intendanz
im Kgl. Odeon wöchentlich vier Vorstellungen {aus dem Bereich der
Conversationsoper und des Lustspiels geben , deren Beginn am 6*
November mit dem Barbier von Sevilla gemacht werden soll. Bis
zur Wiedereröffnung wird Benedikts Oper, „der Alte vom Berge"
einstudirt werden. Von R. Wagners Gesammtkunstwerken der Zu-
kunft scheint man durch das klägliche Fiasko , welches die Fort-
schrittsmänner beim Karlsruher Musikfest erlitten , wieder zurückge-
schreckt worden zu sein.
Nachträglich muss ich Ihnen noch über Roger' s und der Johanna
Wagner Gastspiel berichten. Was ersteren betrifft, so verweise ich
Sie, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Hamburger Correspon-
denz in N. 42 Ihres Blattes mit deren dort aufgestellten Ansichten
ich vollkommen übereinstimme. Aber Frl. Wagner ! — — Wenn die
renomirte Sängerin in Wien ebeliso wie in München gesungen hat,
dann wundert es mich durchaus nicht, wenn sie von der dortigen
Kritik mit Geringschätzung behandelt wurde, und die Annahme als
spuke in der Kunst die alte Eifersucht zwischen Nord und Sud
wieder mehr als je, möchte durch diesen speciellen Fall wenigstens
nicht leicht zu motiviren sein. Ich wenigstens glaube kaum, dass
eine Sängerin die durch erkünstelte Tiefe das eigentlich Schöne der
Mittellage und ihre Höhe (von F an) vollständig verloren hat , sehr
hochzuschätzen sei. Dazu kommt noch , dass die erwähnte Tiefe
durch Gaumenansatz ganz jenen Charakter erhält , den der Wohl-
bekannte in seinen musikalischen Briefen (ThI 1 pag 220) freilich
etwas derb als „Gassenjungenregister" bezeichnet , dass die Canti-
lene ohne Wärme und die Coloratur ohne alle Vollendung ist. Nicht
zu läugnen ist übrigens das schöne dramatische Talent der Sängerin,
obwohl auch hier eine gründliche Schule vermisst wird, denn nur
selten vermag sie aus ihrer mehr einer Virago entsprechenden Indi-
vidualität herauszutreten. Desshalb gelingen ihr auch (hinsichtlich
des dramatischen Theils !) Rollen wie die des Romeo und der Leo-
nore (Fidelio) am besten. Der geringe Beifall , den Frl, Wagner in
Süddeutschland gefunden, möchte somit mehr als hinreichend erklärt
sein. Jedenfalls spielt für diesmal die norddeutsche Ueberschätzung
eine grössere Rolle als die süddeutsche Geringschätzung und es ist
in der That ein schlimmes Zeichen für die Blüthe deutscher Gesang-
kunst, wenn man Sängerinnen, wie in Rede stehende, von so vielen
Seiten her als Sterne erster und seltenster Grösse behandelt sieht.
Hat man denn die Leistungen einer Schechner und Schrödcr-Devrient
schon gänzlich vergessen ? Frl. Wagner trat als Fides , Valentine,
Leonore und Romeo auf; in letztgenannter Parthie zweimal und
zwar das zweitemal bei ganz leerem Hause, während sie als Leonore
bei erfülltem Hause mit der grossen Arie (Akt I) Fiasco machte.
Noch eine weitere unglückliche Gastin hatten wir in Frau Ernst-
Kaiser aus Pesth. Sie trat ebenfalls als Fides, Valentine und dann
als Lucrezia Borgia auf. Ich selbst habe sie nicht gehört, Sachver-
ständige versichern mir aber, dass Fr. Kaiser eine angenehme, wenn
auch kleine Stimme besitze , jedoch ohne alles dramatische Talent
sei, was durch ihre auffallend kleine Figur in noch grelleres Licht
gesetzt werde.
Die Concerte der Kgl. Hofkapelle beginnen am 1. November
mit Beethovens 2. Messe (Op. 123); ein musikalisches Ereiguiss
von der grössten Bedeutung, dass unserer Kapelle zu bleibendem
und wohlverdientem Ruhm gereichen wird. Nach der heute stattge-
fundenen Hauptprobe , der ich beizuwohnen Gelegenheit hatte , zu
schliessen, wird die Aufführung trotz des Nichtbetheiligtseins des
Herrn Schindler (Cami de Beethoven I) eine äusserst vollendete
werden« Schon sollen aus Dresden und Frankfurt Fremde hier ein-
getroffen sein um sich dieses grössteri und i>ewund*tthgswöfa%steii
aller Beethovenschen Meisterwerke erftWea zu können. Die folgen-
den Concerten werden gemäss eineSf vorläufigen Programms naCh^
stehende grössere Toustücke bringen: Cantate vö» J. S. Bach, Beet-
hovens Heroica und A-dur Sinfonie, die vier FfMk>*Ouvertüren und
jene zum Coriolan , Sinfonie in Es von J. Haydn , V. Lachuer's*
Preisouverture, Sinfonie in G-moll und Ouvertüre zu Thimoleon vdrt
Mehul. Mendelsohn's Athalia und Elias, Adagio für 3 Clarinette
und 2 Bassethörner von Mozart, der 23. Psalm für 4 FrauCnstimmei!
von Franz Schubert, Quartett Concert von Spöhr und Webers Au&
forderung zum Tanz, instrnmentirt'von Berlioz,
Herr J. Menter und Herr Lauterbach werden im Vereine mit
einigen ihrer Collegen diesen Winter im Saale des Kgl. Conserva-
toriums Quartettunterhaltungen geben. Letzterer wurde sowohl fc$S
der Hofkapelle wie auch als Lehrer beim Concervatorinm angestellt
Zum Schlüsse leider eine Hiobspost! Im Kgl. ConservatotUini
bleibt trotz aller Commissionsberichfe und trotz aller von den Lehrer»
gerügten Missstände die Organisation der Hauptsache nach aleseihe*
d. h. Herr Hauser Director. Nur Herr Hauser jr. und Herr Renne*
haben aufgehört als Lehrer zu fungiren , und alles was vielleicht
sonst noch geschehen wird, besteht darin, dass vielleicht einiges aflt
Lehrplan geändert und vielleicht die unumschränkte Selbstherrschaft
des Herrn Hauser etwas beschränkt wird. — Parturmnt monJtest
O.
AUS PARIS.
Ende Ociober.
Werden wir diesen Winter eine italienische Oper haben?
Werden wir keine haben ? Mit dieser bedenklichen Frage , die über-
all zur Sprache kam, hat sich das musikliebende Publikum lange ge-
nug herumgequält. Sie ist gelöst: wir werden eine haben* und
wenn man der Fama trauen darf, die schon gehörig in die Posaun»
zu stossen beginnt, eine glänzende, der vormaligen berühmten wenig-
stens gleichkommende, was Vernünftige gar sehr in Zweifel ziehen*
Der Unternehmer ist denn wirklich der vielbesprochene, oft ge-
nannte und höchst hypothetische Oberst Ragani, ein Oheim der
Grisi : Derselbe soll ein grosser Musikfreund sein und dabei ein?
Mann der seine sechszigtausend Franken jährliche Einkünfte hat,
die er seiner Liebe zur Kunst uneigennützig zum Opfer zu bringen
bereit ist, fern von aller Geldspeculation und persönlicher Neben-
absicht. Wenn dem wirklich so ist, so besitzen wir in dem Manna
wahrlich einen seltenen Vogel und müssen ihm von Herzen Glück
wünschen, obwohl uns ob dem Auslauf des ungeheueren Unternehmens
eine gerechte Angst befällt. Die damit verknüpften Kosten sind all-
zu bedeutend, als dass die Maasslosigkeit derselben nicht gegründete)
Besorgniss erregen sollte. Die Pacht des Opernhauses allein be-
trägt 70,000 Fr. und summt sich mit den darauf lastenden Haften
des Unterhalts, der Gratislogen u. s. w., wie es heisst, bis auf
115,000 Fr. hinan. Im Hause haben grosse Abänderungen, neue Ver-
änderungen stattgefunden , die nicht minder in den Beutel reisseu
werden. Ferner das verstärkte Personal, diu neuen Decorationen»
die glänzende Garderobe. Und dann erst die Engagements) So hat
Mario für fünf Monate einen Gehalt von 75,000 erwirkt; Gordoni
begnügt sich mit 40,000; die Frezzo lini mit 60,000, während die,
Alboni 75,000 Fr. für die Saison erhält, oder aber für jeden Aben^
2,000 Fr., unter Verpflichtung jeden Monat an sechs Abenden auf*
zutreten. Wenn unter solchen gewissen Ausgaben bei sehr fraglichen
Einnahmen unser Oberst nicht erliegt , so muss er in der That ath?
letische Schultern haben. Ein Gerücht gesellte ihm in diesem Ge-
schäft einen von Florenz her als grosser Musikfreund und Komponist,
bekannten, sehr vermögenden polnischen Fürsten P. zu , der nicht
allein hier Unterstützungen angeboten, sondern auch mit grossen*
Eifer das Unternehmen betrieben hätte; doch hat man dies Gerücht
als ein irriges wieder fallen lassen.
Herr Ragani diente als Oberst und focht mit Auszeichnung in
den letzten Kaiserkriegen, auch im russischen Feldzuge; Es scheint
dass. er die seinem vormaligen Stande eigenen Eigenschaften * Muth
und Entschlossenheit auch auf andere Verhältnisse' des Lebens am
fibertragen weiss. Die nunmehr offiziell angezeigte Bestellung im
184 —
italienischen Opernhause ist unter seiner Oberleitung und Verwaltung
folgende:. Generatregisseur Berettonie, Kapellmeister Alary (ein
Franzose» derselbe der vorige Saison in St, Petersburg in gleichem
Amt» fungirte) Bühnenregisseur Caimi , Musikdirekfor Bonetti, Deco«
rationsmaler Rodacchi. Gesangspersona! : Mario, Gardenie* Tambu«
Fi»i, Rossi, Graziani, Ceresa, Neribaldle, Ferrara, Susini, Maccaferri
Florefeza, Peres, Guglielmi, Talamo. Derosa , die Damen Alboni,
Frezzolini, Walter, de Luigi, Albini, Grisi, Combardi, Weith, Judith
Elena, Grimaldi und Matini. Ein bedeutendes Personal an der Quan-
tität; ob auch an der Qualität, wird sich «eigen. Von Vielen, um
nicht zu sagen von den Meisten, ist bis lang noch gar nichts bekannt
"Wir wollen das angezeigte Programm hier nicht der Länge nach
anfuhren, sondern nur bemerken, dass es vorzüglich aus den Neu-
itaKenern entlehnt ist; Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi spielen
die Hauptrollen, und ausserdem steuern Mercadante, Nicolai, Paccin
Coppola und Alary ein Werk hinzu. Auch macht man uns Hoffnung
zu guten Vorstellungen von Don Giovanni und Cosifantutti, doch
möchten wir bezweifeln, dass die Werke älterer Meister wirklich
an die Reihe kommen werden. Vorläufig ist zur Eröffnung am 15.
November Rossinis Cenerentola angesetzt mit Alboni, Rossi, Gardoni
und Tamburini in den Hauptparthien. Gar. leicht dürfte auf die Ge-
schicke des Unternehmens Verdi einigen Einfluss üben, der hier ein-
getroffen ist um, wie es heisst den Verpflichtungen eines vor zwei
Jahren mit der Direktion der grossen Oper eingegangenen Contrakte
nachzukommen. Welcher Art diese sind, ist unbekannt, vielleicht be-
züglich auf das Arrangement der unglückseligen Luise Miller für das
französische Opernhaus.
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Heidelberg. Das hiesige neuerbaute Stadttheater wurde am
81. October mit Schillers Braut von Messina eröffnet.
Frankfurt. Auch der zweite der früheren Theaterdirektoren
Hr. L. Meck ist nun von der Direktion zurückgetreten. Herr Hoff-
mann, früher in Prag, bisher Mitdirektor, ist von dem Senat als al-
leiniger Direktor genehmigt worden. — Die Concerte des Museums
haben begonnen. Ebenso die Quartettabende des Violinisten Wolff.
In ersteren trat ein Frl. Valerius aus Stockholm als Sängerin auf.
Wien. Frl. La Grua tritt am 4. Nov. zum ersten Male (als
Amine) auf. — Die italienische Oper wird in der nächsten Saison
statt des Tenoristen Fraschini , der seine Stimme verloren , Naudin,
jetzt in Petersburg , erhalten. Wie die Wiener Mskztg. berichtet,
wird die engagirte Gesellschaft „den Creme der italienischen Ge-
sangeskunst in sich schliessen." Die glücklichen Wiener ! —
Braunschwelg. H. Berlioz war hier. Es hiess von ihm : veni,
vidi, vici. Statt dreier Concerte jedoch, die beabsichtigt waren,
blieb es „Umstände halber" bei zweien. Das erste fand am 22.
Oktbr., das andere am 25. Oktbr. statt. Zur Aufführung kamen am
22. : Fragmente aus Faust, dito aus einem Oratorium in „altem
Styl* 4 (Ruhestelle der heiligen Familie in Aegypten), dito aus Romeo
und Julie, Wie man sieht, giebt schon das Programm der Berlioz'schen
Concerte eine nicht üble Illustration der Musik der Zukunft — „eitel
Stückwerk," wie die Schrift sagt. Das zweite Concert brachte ausser
einigen fragmentarischen Wiederholungen: Ouvertüre zu Lear und
die Haroldsinfonie. Ausserdem spielte Joachim, der treffliche Vio-
linist, dessen Meisterschaft auf seinem Instrumente ihn zu einem der
wirksamsten und bedeutendsten Mitglieder des grossen B n n-
d e s macht , ein Concert eigener Composition und Caprice von Pa-
ganini mit Orchestcrbegleitung. Unser Correspondent drückt sein
Bedauern darüber aus, dass Joachim dem Publikum nicht den Vor-
trag einer schönen Cantilene gegönnt habe, er vergisst dabei, dass
man die beabsichtigte Wirkung nicht durch dergleichen schwächen
durfte. Eine Cantilene in einem Concerte von Berlioz würde gewirkt
haben wie ein Sonnenstrahl auf Schnce-Crystalle — sie wären zu
Wasser geworden. Zu Ehren des Hrn. Berlioz wurde natürlich so-
fort nach dem ersten Concert-Abende eine musikalische Soiree ver-
anstaltet, der eben so natürlich ein glänzendes Festessen folgte. Doch
war hiermit dem Heros der Instrumentalmusik der Zukunft noch
nicht genug gehuldigt. Kurz vor dem Anfang des 2. Concerts wurde
ihm in dem festlich erleuchteten Sprechzimmer des Theaters in Ge-
genwart der-Kapelle von dem Kapellmeister Müller nach einer An-
rede ein Lorbeerkranz mit einem silbernen Taktstock
überreicht und ihm gleichzeitig mitgetheilt, dass der mit der Einnah-
me des Concerts z u gr ü nde nde Fonds für Wirtwen der Orchester-
mitglieder ihm zu Ehren „Berliozfonds" genannt werden solle. —
Wenn dergleichen in London von Julliens Verehrern mit Jullien ge-
schieht , schreit die Welt über „Humbug;" giebt es kein deutsches
Wort für diesen Begriff? Nicht vergessen dürfen wir freilich, dass
sich H. Berlioz auf die Verehrung des Braunschweiger Orchesters
gerechte Ansprüche erworben. Hat er dasselbe doch in einem auf
es ausgebrachten Toaste „un orchestre ideal" genannt. Wo die ge-
genseitige Schmeichelei einen solchen Grad von Ueberspanntheit er-
reicht hat, braucht man sich über nichts mehr zu wundem I
— Die 4 Gebrüder Müller haben eine neue Kunstreise angetre-
ten. ' Diesmal werden sie nach Breslau, Prag und Wien gehen.
— Die hiesige Oper bereitet den Vampyr und den Wildschütz
vor. Die Wahl des ersteren ist eine erstaunliche Ausnahme von
der schmachvollen Vernachlässigung eines der ersten deutschen
Opern-Componisten , die die musikalische Gegenwart characterisirt.
Während der Geschmack des Publikums mit den seichten Produkten
der modernen Italiener systematisch verdorben wird, vermodern die
herrlichen Schöpfungen Mar sehn er's in den Theaterbibliotheken.
Berlin. Der Zudrang zu den Sinfonie-Concerten unter Tau-
bert's Leitung ist so gross, dass fast sämmtliche Billets zu den 1000
Sitzplätzen bereits genommen sind. Im Friedrich Wilhelmstädter
Theater wird nach der Berl. Musikzeitung binnen kurzem Thomas'
reizende Oper: „Ein Sommernachtsttaum" gegeben werden.
— In den letzten Tagen des Octobers wurde hier Schindel-
meissers Prinz Eugen zum erstenmale gegeben und hatte sich einer
günstigen Aufnahme zu erfreuen.
Breslau. Gretry's Richard Löwenherz hat hier eben so wenig
gefallen, als in Berlin. Dagegen macht Adams „Giralda" stets volle
Häuser.
Leipzig. Im 3. Gewandhaas -Concerte trat, eine bisher unbe-
kannte Sängerin Frl. Bergauer aus Prag auf. Dieselbe soll für die
laufende Saison engagirt sein. Ihre erste Leistung befriedigte Wenige.
Ausserdem kam eine neue Ouvertüre von J. Rietz und ein neues
Werk von N. Gade, Frühlingsfantasie, zur Aufführung. Im nächsten
Concert werden sich die Gebrüder Wieniawsky (Violine und Piano)
hören lassen; Auch soll die neueste Sinfonie von R. Schumann zum
erstenmalo exekutirt werden.
R. Schumann wird Anfang nächsten Jahres hier ankommen.
Derselbe lässt sich — seit 10 Jahren — wieder einmal in der Zeit-
schrift für Musik, die bekanntlich von ihm gegründet wurde, hören,
und zwar als Prophet, In begeisterter, etwas zu überschwenglicher
Sprache macht er auf einen jungen Clavierspieler und Componisten,
Herrn Joh. Brahms aus Hamburg , Schüler von E. Maresen dort,
aufmerksam, dem er eine grosse Zukunft verkündigt.
Der Berichterstalter der Zeitschrift für Musik über das Carls-
ruher Musikfest, Hoplit aus Dresden, droht in seinem letzten Briefe,
die Berichte der übrigen Zeitungen (die sich allerdings nicht in en-
thusiastischen Lobpreisungen ergingen) zu beleuchten, und in einigen
Beispielen zu verfolgen, um dem Publikum über dies Getriebe die
Augen zu öffnen, Liszt zu gerechterer Anerkennung zu bringen, und
seine Berichte nicht als blosse Phantasinagerien (sie!) erscheinen zu
lassen. Er schliesst diese Drohung mit der Wendung : „Denn ent
weder haben jene „Heuler" Recht oder wir. Ein er hat gelogen 1
Wie ungeschickt 1 Als ob in dieser Welt Jemand ausser dem geist-
reichen Hrn. Hoplit und seinen Collegen in der neuen Zeitschrift
für Musik Recht haben könntet
Carlsruhe. Die Gründung einer Gesangschule unter Leitung
des Baritonisten Stockhausen, früher in Mannheim, wird hier projektiv.
Cöln. Das erste Gesellschafts - Concert brachte unter Anderm
Hillers 120. Psalm, eine Composition, welche allgemeine Anerkennung
gefunden hat.
London. Johanna Wagner soll für die nächst« Saison ein
Engagement im Covent Garden Theatre angenommen haben.
Hannover. Hier wird die neue Oper von dem Russen Lwoff,
Biama, einstudirt.
C(
fmutwvrttlcktt fttfeMMf : S, J. tßMfftt. - *n* waiwmt. WatUO ta M*1m.
2. Jahrgang.
Ar. 47.
21. Novbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Xan abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- and Bachhandlungen,
RED ACTUM UND VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
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Quartal.
Inhalt 1 Erwiederung an die Redaktion der Süddeutschen Musikzeitung, — Corresp. (Paris.) — Nachrichten.
AN DIE GEEHRTE REDAKTION DER SÜDDEUTSCHEN
MUSIKZEITUNG/)
Zur Erwiederung.
In der Ueberzeugung , dass jede Redaction eines Kunstblattes
sich nur damit selbst ehrt, wenn sie sich über die Partheien stellt,
indem sie nicht nur der Ansicht ihrer Referenten, sondern auch der
entgegengesetzten ihre Spalten willig öffnet, sobald in dieser über-
haupt wenigstens Ernst und guter Wille nicht zu verkennen sind, in
dieser Ueberzeugung hegt auch der Verfasser einer jüngst in N. 40
der Süddeutschen Musikzeitung besprochenen Flugschrift : „Die
Kirchenmusik in Rücksicht auf ihr Missverhältniss zum Hörer der
Gegenwart. Ein offnes Wort an Alle , Künstler wie Laien , denen
es Ernst um die Kirche ist. Von einem jungen Componisten. Leip-
zig bei J. J. Weber" die Hoffnung und Zuversicht, die geehrte
Redaction der Süddeutschen Musikzeitung wolle ihm in ihrem Blatt
einige Worte der Erwiederung, und theilweisen Berichtigung dieses
Referats, nicht versagen.
Hat es auch der Verfasser seither noch nicht der Mühe für
werth gehalten auf sonstige öffentliche Beurteilungen seiner Compo-
sitionen zu antworten, weil dies gegen seine Grundsätze ist, so sieht
er sich doch in vorliegendem Fall zu einer Entgegnung veranlasst,
weil der Zweck seiner Brochüre durchaus kein subjektiver ist,
sondern weil er wohl bei der aufgeworfenen Frage ein allgemeines
Interesse voraussetzen darf, weil er hofft die Theilnahme für eine
so bedeutsame Frage im Allgemeinen wieder neu anregen zu können,
und weil er es endlich in dem besondern Fall mit einem Referenten
zu thtin zu haben glaubt , dessen Aasdrucksweise sich als würdig,
ruhig und nicht wie mitunter anderwärts, als unreif und ungeziemend
darstellt. Hat daher der Referent auf gegenwärtige Worte des Ver-
fassers noch etwas zu erwiedem , und will die geehrte Redaction
der Süddeutschen Musikzeitung noch etwas im Interesse der guten
Sache aufnehmen , so wird der Verfasser Alles was ihm verständig
und wohlmeinend eingehalten wird, mit Dank anerkennen.
Erscheint die Erwiedrung im übrigen verhältnissmässig spät, so
wollen dies die Leser der Süddeutschen Musikzeitung mit dem Um-
stand entschuldigen, dass der Verfasser diese Nummer später als
gewöhnlich erhielt.
Zunächst möchte nun der Verfasser das Referat über besagte
Flugschrift dahin berichtigt haben , dass mit dem Ausdruck : die
Kirchenmusik sei theilweis allzufasslich oder vielmehr allzueintönig,
nicht wie der Referent meint „der Choral" selbst , den der Ver-
fasser ausdrücklich auf pag. 25 für einen „geheiligten Schatz des
Volkes erklärt hat, wohl aber, wie aus pag. 26 deutlich erhellt, die
*) Obiger Aufsatz erhält eine Stelle, nicht weil wir die seit einiger Zelt eingerissene
Unsitte, dass der Autor des unbedeutendsten Machwerks in Person gegen jede tadelnde Be-
merkung der Kritik zu Felde zieht, unterstützen , oder gar uns ihr fügen wollen, sondern
weil der Gegenstand von allgemeinerem Interesse Ist. D. Red.
zu häufige Wiederholung der Choräle , auf 6 und mehr Verse,
wie sie in den protestantischen Kirchen stattfindet und namentlich
die theilweis sogar schlecht declamirten R e c i t a ( i v c in den Ora-
torien gemeint seien.
Ferner dankt zwar der Verfasser dem Referenten für die gute
Meinung, welche derselbe von jenen Ansichten zu haben scheint,
wenn er sich dahin ausspricht, dass die in der Brochüre erwähnten
Uebelstände theilweise wirklich allgemein anerkannt sein sollen, kann
aber dieser, ohne alle Beweisführung von Seilen des Referenten hinge-
stellten Behauptung unmöglich Glauben schenken , wenn er sich mit
einem Blick auf die Wirklichkeit fort und fort überzeugen muss, wie
man gerade in neuester Zeit, bald durch Vereine, bald durch Publi-
kation alter Manuscripte den Götzendienst der alten und ver-
künstelten Kirchenmusik, die grossentheils für uns nichts als leere,
kalte , todte , zopfige Formen ohne Geist enthält , nicht nur nicht
sistirt, sondern bis ins Unausstehlige hin anstrebt.
Was nun aber das von dem Referenten ohne Weiteres als ver-
mein 1 1 i c h e s, in der Auseinandersetzt! ng des Miss Verhältnisses Bezeich-
nete betrifft, so möchte ihn der Verfasser in Bezug darauf erstlich,
auf einen Widerspruch in seinem Referate aufmerksam machen , da
dasselbe zuletzt offenbar zugibt, dass das Alte und Zeilherige nicht
mehr genüge. Sodann hegt der Verfasser aber die Ansicht , dass
überhaupt eine derartige Frage, nicht wie man gewöhnlich zu glauben
scheint , von einem einzelnen, befangenen Contrapunklisten, sondern
eigentlich nur von der Gesammtheit der Kirchgänger, für welche
allein Kirchenmusik geschrieben sein kann , wirklich der Wahrheit
gemäss beurtheiit werden würde. Da jedoch solch ein vollgültiges
Urtheil nicht füglich zu erlangen wäre, wenn man es nicht in der
von dem Referenten auch anerkannten allgemeineren Theilnahms-
losigkeit unserer Zeit für die Kirchenmusik bereits angedeutet finden
will, welche übrigens zu Gunsten des Verfassers spräche, so kann
der Einzelne nur durch Schlussfolgcrungen von der Natur der
menschlichen Seele auf die Unnatur der contrapunetischen Künste-
leien z. B. oder durch die Darlegung der veränderten ästhetischen
Ansprüche, wie es der Verfasser in seiner Flugschrift that, ein Ur-
theil gewinnen. Nimmermehr wird aber der Verfasser seine durch
Schlussfolgerungen bewiesenen und von Laien wie Sachverständigen
bereits hinreichend anerkannten Ansichten, über das herrschende
Missverhältniss, von einem zwar jedenfalls musikalisch gebildeten
Zeitungsreferenten, damit wiederlegt sehen, dass sie derselbe ohne
die mindeste Beweisführung für theilweis vermeintliche erklärt.
Hat es dem Referenten beliebt die Darlegung des Verfassers mit
dem Prädikat der grössteu Breite zu belegen, so möge er nicht ver-
gessen, dass es dem Verfasser galt, zwar nicht für das musikalische
Publikum, wie der Referent meint, sondern wie der Verfasser auf
pag. 6 erklärt hat, für gebildete Laien zu schreiben. Warum er sich
an diese wandte und nicht vielmehr an die eigentlichen Fachmänner,
glaubt er ebenfalls in der Flugschrift wiederholt dargethan zu haben,
als er meinte , dass die andersgesinnten Fachmänner , mit wenigen
Ausnahmen, in der Regel durch ihre mühsamen Studien im strengen
Styl in ihrem Urtheil befangen worden , seien um so mehr als es ja
noch heutigen Tages so viel Ehre einbringt, zu zeigen was man
186 —
kann. Der Umstand, dass der Verfasser sich an Laien wenden
uuisste, um seine ausgesprochene Ansicht unbefangen und unpar-
teiisch beurtheilt zu sehen, und nichts anders also, hat ihn zu dieser
vermeintlichen Breite veranlasst.
Zu seinem Bedauern musstc ausserdem der Verfasser lesen, dass
der Referent die Hauptsache der Flugschrift vermisst, weil er sie in
einem Punkte sucht, der ausser dem Bereich der Aufgabe des
Schriftchens steht , und der weder durch den Titel versprochen
worden ist, noch überhaupt hätte weiter ausgeführt werden dürfen,
als es bereits geschah. Das Missverhältniss der Kirchenmusik zum
jetzigen Hörer wollte der Verfasser beleuchten, nicht aber eine
Zeichnung der Zukunftskirchenmusik , wie man jetzt eine Zukunfts-
oper erfunden haben will, geben. Denn er ist der Meinung, dass
man nie ohne einen wesentlichen Verlust mit der ganzen Vergangen-
heit abbrechen werde, um von vorn anzufangen, wohl aber, dass man
der allmählig fortschreitenden Gultur eben so wenig einen Damm
von Vorurtheilen in den Weg setzen dürfe, welcher doch über kurz
oder lang überflulhet werden muss. Dem Verfasser erscheint also
die Kirchenmusik als ein Baum, dessen Haupttrieb von den üppig
daneben grünenden Schösslingcn überwuchert wird , und der von
diesen zu befreien ist, weil sonst der Haupttrieb verkümmert, indem
ihm Kraft und Licht entzogen wird. Wie kann also der Referent
vom Verfasser den Kern zu einem neuen Baum fordern , wenn
dieser nur den alten Baum von den Schösslingen befreien will, um
dem Haupttrieb die zcrtheilte Kraft, ungeschwächt durch eitle lang-
weilige Künstelei , zuzuwenden , wie kann der Referent eine neue
Kirchenmusik fordern, wo es nur gilt die alte zu reinigen ? Freilich
musste wohl der Verfasser auch auf die Anwendung freierer Formen
und reicherer, früher nicht gekannter orchestraler Mittel hinweisen,
aber wenn dem Referenten die Andeutung der goldnen Mittestrasse
als eine billige Phrase erschienen ist, weil sie Jedermann „wisse,"
so kanu der Verfasser nur beklagen , dass wenn sie wirklich Jeder-
mann als die goldne und in der Weise wie sie in der Flugschrift
angedeutet wurde, kennt, sie doch zur Zeit nur so selten eingehalten
worden ist.
Durch obiges Gleichniss hofft der Verfasser nun auch dem
Referenten hinreichend erklärt zu haben , warum er nicht mehr
positive Ideen, wie sie der Referent gewünscht zu haben scheint , in
seinem Schriftchen aufstellte und aufstellen durfte, denn vor Allem
waren die Leser von dem Verderb der Schösslinge, die so viel gute
Kraft verzehren, und von der Notwendigkeit sie zu beseitigen , zu
überzeugen. Sie sollten — das war allein der Zweck des Ver-
fassers und ist theilweiss zu seiner Genugthuung auch schon seit
dem kurzen Erscheinen des Schriflchens geschehen — sich laut und
ungescheut gegen das herrschende Missverhältniss aussprechen, dann
erst konnte, gestützt auf diese Autorität, ein weiterer Schritt gethan
Werden, und indem so die Uebelstände beseitigt waren, konnte nun
der Verfasser allerdings einige Andeutungen geben , wie das Wahre
und Gute, was uns in der Kirchenmusik zurückblieb anderen Kunst,
richtungen analog entwickelt werden könnte.
Aber wohl muss er dabei bemerken , dass solche Andeutungen,
deren Inhalt mehr als den engen Raum seiner Flugschrift fassen
würden, vor Allem so in das Detail einzelner Kunstformen einzugehen
hätten, dass diese nicht mehr dem Urtheil, auch der Laien übergeben
werden dürften, deren Richterspruch der Verfasser jedenfalls bei der
Frage ob das Missverhältniss bestehe, als den gültigsten anruft,
deren Stimme sich aber dann jedenfalls nicht mehr einmischen will
und kann, wo es gilt dem Uebelstände abzuhelfen. Sodann erwartet
Referent von diesen positiven Ideen auch nicht neue Knnstformen«
Neu dürften diese Formen in ihrer Anwendung allerdings auf die
erstarrte Kirchenmusik sein , alt sind sie jedoch bereits in andern
Zweigen der Kunst geworden, die man nicht von ihrer naturgemässen
Entwicklung zurückhielt. Wenn endlich der Referent solches Gc-
bahren in der Kirchenmusik, welches zwar viel Altes wegräumt, aber
doch im Grunde nichts Neues bringt, sondern nur das wirklich
"Wahre und Gute vom Alten, seiner naturgemässen Entwicklung zu-
zurückgiebt, nicht als eine hülfebringende Reform gelten lassen will,
so erinnere er sich einer unvergleichlich grössern Erscheinung,
welcher diese Reform der Kirchenmusik zu vergleichen der Verfasser
fern ist, der Reformation im Glauben, die mit dem Feuer der Wahr-
heit die Schlacken menschlicher Satzung verbrannte, nicht aber ein
andres Erz statt des alten Goldes unterschob.
Doch der Schluss des Referats beschäftigt sich ausführlicher
mit der Ansicht, dass der Gegenwart „der innige religiöse Glaube
fehle," der die Seele der früheren Meister erfüllte, und damit würde
allerdings der ganze Zweck der Flugschrift ein unnützer werden.
Der Referent erklärt weiter unser Zeitalter für eine Brücke von
ausgelebten religiösen Formen zu reineren , edleren , geläuterteren
und obschon der Verfasser allerdings die theilweise Richtigkeit
solcher Worte mit Schmerz anerkennen muss, so kann er sich doch
nicht der Frage erwehren , ob wenn es theilweis so steht , nicht
wenigstens diejenigen denen noch nicht dieser innige religiöse Glaube
vor dem Unglauben oder der Pietisterei gewichen ist, sich nicht ge-
rade desshalb um jso mehr befleissigen sollten, das Wahre und
Lautere vom Alten zu retten, um aus ihm die reineren, geläuterteren
Formen die ,.in den Herzen aller Bekenncr wurzeln'* sollen, ge-
winnen zu helfen, oder glaubt Referent die erwartete Zukunft werde
kommen, wie ein neuer Messias vom Himmel, wenn Alles die Hände
in den Schooss legt und müssig zuschaut ? Der Verfasser hat eine
bessre Meinung von der Gegenwart , und sagt am Schlüsse seines
Schriftchens : „Zeigen wir , dass wir im 19. Jahrhundert noch nicht
wie Viele meinen im Materialismus versanken , sondern dass eine
Zeit die nach allen sonstigen Richtungen hin , mit Recht eine Zeit
des Fortschritts genannt werden darf, auch noch Lebenskraft genug
enthält, das theure Kleinod der Religion in würdiger musikalischer
Weise auszustatten."
Möge er in dieser guten Meinung von unsern Zeitgenossen nicht
getäuscht werden , möchten diese vielmehr zu dem gemeinsamen
Werk, wozu seine eigne schwache Kraft bei weitem nicht ausreicht
Alle hülfreiche Hand bieten.
Sohlasswort des Referenten.
Obige „Erwiederung" hat mich statt zu bekehren nur noch mehr
in der Ansicht bestärkt, dass der Verfasser des in Rede stehenden
Schriflchens den behandelten Gegenstand nur oberflächlich aufzu-
fassen im Stande ist. Die vielen Widersprüche, in welche er ver-
fällt, sind der beste Beweis dafür. Die Wahrheit trennt nicht, wie
bei ihm, sondern einigt!
Der Verfasser hat sich in seinem Schriftchen die Aufgabe ge-
stellt, das unmusikalische Publikum — und dazu rechne ich. auch
solche „gebildete Laien" die einer Erklärung des Canons , der Fuge
und des Contrapunkts bedürfen — über das Missverhältniss aufzu-
klären, in welchem die Kirchenmusik zu dem heutigen Hörer steht.
Während „Klarheit und Einfachheit" als das erste und wesentlichste
Erforderniss der Kirchenmusik betrachtet werden müsse, sei der
grösste Theil derjenigen, welche wir jetzt zu hören bekommen, dem
grössten Theil der Hörer unverständlich. Der Grund davon sei
einmal: die unpassende Anwendung des Contrapunkts, zweitens die
Vorführung alterthümlicher „Musik" welche der heutigen Bildungs-
stufe, sowohl in Rucksicht auf musikalische Technik als den Geist
der aus ihnen spricht, nicht mehr angemessen sei. Endlich aber
müsse auch die Einförmigkeit getadelt werden , welche eine Folge
der häufigen Wiederholung des Chorals und der Recitative in Ora-
torien sei.
Referent hat dies für theils allgemein erkannte, theils nur ver-
meintliche Uebelstände erklärt, und beruft sich statt weiterer Be-
gründung auf den Verfasser selbst. Seite 42 und 47 s. Schriftchens
eifert derselbe gelegentlich einer Messe von Morlachi gegen die
„frivolen Duette und koketten italienischen Solfeggien die er
darin hörte. Weiss der Verfasser nicht , dass die Reaction gegen
die strengen Formen in der Kirchenmusik Jahrhundertc alt ist, weiss
er nicht, dass schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutsch-
land eine Schule von Kirchen-Komponisten entstand, welche die
Einführung „klarer und einfacher" Formen erstrebte, eine Schule,
welche noch nicht ausgestorben ist, so musste ihn die von ihm selbst be-
richtete Thatsachc davon überzeugen , dass er nicht der Erste ist,
welcher das Unpassende „Contrapunktischer Künsteleien in der Kirche
fühlte," sondern dass auch schon der Versuch gemacht worden ist,
etwas „Besseres und Zeitgemässeres" an ihre Stelle zu setzen.
Er musste sich aber auch davon überzeugen, dass die grössten
Uebelstände theilweise nur vermeintliche waren. Wenn er
ober eine Messe „indignirt" sein konnte, welche weder in den
alten Kirchentonarten, noch im Roccocostyl geschrieben, dabei „zeit-
gemfiss" instrumentirt war und endlich nicht einen einzigen Kanon,
— 187 —
nicht eine Fuge und nicht eine Contrapunktische Verkönstelung
enthielt, in welcher also alle die Uebelstände vermieden waren,
von deren Beseitigung , nach ihm , das Heil der Kirchenmusik ab-
hängt, so ist dies doch wohl ein deutlicher Beweis, dass alle diese
Uebelstände unwesentlich sind; und dass sich der Verfasser
in einem grossen Irrthum befindet , wenn er meint , sie trugen die
Schuld daran, dass die Kirchenmusik immer mehr verfällt.
Was bezweckte nun aber der Verfasser eigentlich mit seinen
Auseinandersetzungen ?
S. 9. drückt er dies so aus : „die Kirchenmusik bedarf einer
zeitgemässen Reform, welche aber ganz besonders die Laien unter-
stützen müssen. Hiernach scheint es also , als ob den „Laien" an-
gezeigt werden solle, sich über die Mängel in der Form der
heutigen Kirchenmusik zu beschweren , dass also der Verfasser
glaubt, die Kirchenmusik durch einige technische Verbesserungen,
reformiren zu können. Es stimmt dies ganz mit seinem Ausspruch
in obiger „Erwiedrung" überein: „ Der alte Baum müsse von den
Schösslingen befreit werden, um dem Haupttrieb die ungeschwächte
Kraft zuzuwenden," sowie mit seinen Andeutungen über den Inhalt
seiner „positiven Idee** die wie es scheint auf die Anwendung von
Formen die sich bereits in andern Zweigen der Kunst entwickelt
haben (wohl die Formen der dramatischen Musik ?) auf die Kirchen-
musik hinaus laufen.
Wir halten dies wie gesagt für eine sehr oberflächliche Auf-
fassung, sind aber noch mehr als über diese über den Widerspruch
erstaunt, in welchen der Verfasser am Ende seines Schriftchens mit
seinen früheren Aufstellungen geräth. Die „Indignation" über die
Morlachische Messe bringt ihn zu der Erkenntnis« , dass es nicht
genug sei, Fugen und Contrapunktische Künste zu vermeiden,
sondern, dass der Kirchencomponist gerade die „inteusive Kraft
so kernige Sätze zu gestalten, die Wahrheit der Empfindung
welche nur denkbar ist, wenn mit ihr sein ganzer Sinn und Wandel
harmonirt, und anstatt des ängstlichen Anklammcrns angegebener
Gesetze, den freieren Aufschwung einer durch die Religion
geläuterten Phantasie u. s. w. besitzen müsse.
Hätte sich der Verfasser bei diesen Worten nur das Geringste
gedacht, so würde er eingesehen haben , dass er damit alles über
den Haufen wirft, was er so mühsam aufgebaut hat.
Um die Kirchenmusik zu reformiren, sollen die Laien von dem
Missverhältniss überzeugt werden, in welchem die heutige Kirchen-
musik mit ihrer Bildung steht.
Die blosse Beseitigung der Uebelstände welche dieses Missver-
hältniss erzeugt haben , also die höchste Wirkung, welche der Ver-
fasser von seiner Schrift erwarten könnte, nützt aber nicht nur
nichts, sondern macht das Uebel noch ärger!
Dies ist der Inhalt des Schriftchens , welches eine Reform der
Kirchenmusik anbahnen soll.
Die natürliche Schlussfolge, welche wir in unsenn Referate ge-
zogen haben, und die auch von dem Verfasser selbst wenigstens ge-
fühlt worden zu sein scheint ist die : also sitzt das Uebel tiefer und
muss nicht in den Formen der Kirchenmusik, sondern in der Geistes-
richtung oder Geistesschwäche der heutigen Kirchen-Komponisten
gesucht werden. Solche dadurch zu heben , dass man Laien die Ru-
dimente der Lehre vom Contrapunkt beibringt , scheint uns ein hoff-
nungloses Bemühen. Ist der Componist — und der Verfasser ge-
steht dies an einer andern Stelle selbst — der musikalische Aus-
druck seines Zeitalters , so kann auch eine Erhebung über sein
jetziges Ausdrucksvermögen nur dann erwartet werden wenn das
ganze Zeitalter einen neuen religiösen Aufschwung nimmt.
Der Verfasser war auch hier so freundlich , Referenten ein
trefTendcs Beispiel von der Richtigkeit seiner Auffassung zu leihen,
denn niemals ist es so deutlich geworden , dass der religiöse Auf-
schwung, den ein Zeitalter nimmt, zugleich Epoche machend für die
Kirchenmusik sei, als in den Tagen der Reformation !
Das Resultat unserer nochmaligen Beschäftigung mit dem Schrift-
chen des Verfassers und seiner Erwiedrung ist kurz folgendes : Der
Herr Verfasser hat recht guten Willen , ist aber noch in einer sehr
bedauerlichen Unklarheit über Zwecke und Mittel in der Kunst,
über die Bedingungen ihres Gedeihens und ihrer Blüthe , über das
Wesentliche und Unwesentliche ihrer äusseren Erscheinungsform,
kurz über den Unterschied zwischen Materie und Geist befangen.
Wer da meint , der Kunst könnte von Aussen ein neues Leben
eingehaucht werden, wenn das innere Feuer erloschen ist, verkennt
ihr Wesen vollständig.
Wer aber, wie der Verfasser des besprochenen Schriftchens,
glaubt, durch einige Veränderungen und „Reformen" in ihrem Auf-
putz auf die Geistesrichtung seines Jahrhunderts, wirken zu können,
befindet sich in einem noch grösseren Irrthum.
Das Heil der Kirchenmusik — wir wiederholen es — ruht nicht
mehr in der Hand der Künstler , es ruht in der Hand desjenigen,
der ein zweiter Luther, die Herzen seiner Zeitgenossen zu entflammen
und mit neuem Inhalt zu erfüllen vermag.
<*•*>■
CORRESPONDENZEN.
AUS PARIS.
(Schluss.)
Die grosse Oper fährt fort mit Robert, Hugenotten, ewigen Juden
und Favoritin volles Haus und volle Kasse zu machen. Limnanders
Meistersänger (diesem hat der frühere Titel des Schwertfegers
Tochter weichen müssen) ist am 17. über die Bühne gegangen , wie
es heisst, nicht ohne Beifall. Ich habe der Vorstellung nicht bei-
wohnen können. Man wirft dem Werke eine Ueberladung an Chören
vor und Mangel an gehörigen Ruhepunkten. In der letzten Auf-
führung des Freischütz ereignete sich der seltene Vorfall dass einer
der Zuschauer, empört über die Verstümmelung dieses zu seinen
Lieblingsopern gehörenden Werkes förmlich gegen die Versündigung
protestirte und stehenden Fusses beim anwesenden Theaterpolizei-
komissair seinen Protest zu Protokoll nehmen Hess. Dieser eifrige
Musikfreund ist der kürzlich hier eingetroffene Graf Thaddäus von
Tyszkiewiz. In einem an die hiesigen Theaterrecensenten erlassenen
Rundschreiben setzt er seine Gründe mit scharfer Feder auseinander.
Von den beiden ersten, so erbärmlich dirigirten und ausgefallenen
Aufzügen, heisst es darin, will ich gar nicht reden, und alle Mängel
die man über sich ergehen lassen musste , mit Stillschweigen über-
gehen. Aber der dritte Akt! Oder vielmehr diese Fetzen des dritten
Akts, so unsinnig zusammengewürfelt und ohne alles musikalisches
Verständniss , ein elendes , lächerliches Potpourri. Agathens Gebet
gestrichen , Aennchens Lied gestrichen , der Bauerntanz gestrichen,
der Gesang des Klausners, Oltokars Part, die treffliche Erzählung
des reuigen Max, der Chor: er war von je ein Bösewicht — alles
alles gestrichen! Meine Indignation war aufs höchste gestiegen.
Ich stellte mir die Frage, wie denn ein Musikdirektor seine eigene
Würde so mit Füssen treten konnte , um zu einem solchen Frevel
die Hand zu bieten. Ich fragte mich , woher denn Herr Roqueplan
dieser dramatische Krämer , das Recht haben mochte , seine Waare
so öffentlich zu verfälschen, sie nach falschem Gewichte zu verhandeln
und mich, das Publikum , in dem Grade zu verhöhnen. Nein nie
habe ich in Deutschland, wo ich Delikte mancherlei Art erlebte, nie,
selbst auf der elendesten Winkelbühne nicht , habe ich ein Werk
von Flotow , ja von Adam in dem Grade verhunzen sehen , als am
Freitag d. 7. Oclobcr 1853 Carl Maria von Webcr's Freischütz auf
der Bühne des Kaiserl. Opernhauses in Paris I Im Namen des Vater-
landes des grossen Kapellmeisters , im Namen ganz Deutschlands,
meines Kunstvaterlandes , ziehe ich diese Profanation vor das Ge-
richt der öffentlichen Meinung. Ich kann dieses Schreiben nicht
schliessen , ohne meine schmerzliche Verwunderung auszudrücken
über Hektor Berlioz Mitschuld an diesem Frevel durch die Nennung
seines Namens auf dem Theaterzettel. Doch versicherte mein Nach-
bar, Berlioz habe seit dieser Verstümmlung keiner Vorstellung des
Freischütz mehr beigewohnt etc.
Man sieht der Graf geht scharf zu Werk nicht allein gegen
Operndirektor, Musikdirektor, Flotow und Adam , sondern sogar
gegen den ihm befreundeten Berlioz, der mit dem allgemeinen Angriff
sehr wohl zufrieden war, und denselben wahrscheinlich unterstützt
haben würde, wenn er nicht gerade um die Zeit nach Norddeutsch-
land (Bremen, Braunschweig, Hannover) gereist wäre. Der Graf hat
seine Klage , auf Verkauf verfälschter Waare lautend , sofort beim
hiesigen Handelsgericht anhängig gemacht, und verlangt als Schade:.-
188 -
ersatz für seine sehn Franken Entree and seinen fortwährenden Aerger
eine vollständige und gute Vorstellung der angekündigten Oper.
Levasseur, der lange gedient, tritt nun wirklich ab und gab
gestern Abend seine grosse Abschiedsvorstellung in der grossen Oper»
Ausser einem Lustspiel und einer komischen Scene, ward gegeben
5. Akt von Robert, der Bcnefiziant zuletzt als Bertram ; 3. Akt Huge-
notten, 2. Akt Wilhelm Teil, Tanz aus Gustav oder der Maskenball
von den vorzuglichsten Mitgliedern des Balletcorps. Die beliebte
Tänzerin Aug^Stephan hat mit der der Favoritin einverleibten Madri-
lena, die sehr gefiel, für einige Zeit Abschied genommen.
Sophie Cruvelli, die wieder hier eingetroffen ist, steht zu allge-
meiner Verwunderung nicht auf dem Programm der Italiener. Man
spricht viel von ihrem Engagement bei der grossen Oper, welches
sie früher soll abgelehnt haben. Die geistvolle und liebenswürdige
Wilhelm» ne Claus hat sich von ihrer Schweizerreise vierzehn Tage
in Fontainebleau erholt , und dann nach einem, kurzen Aufenthalt
in Paris nach London begeben , von wo sie wieder hierher zurück-
kehren und vor Antritt ihrer nunmehr beschlossenen Reise nach St.
Petersburg uns hoffentlich noch mit einigen Concerten erfreuen wird.
Auch Ehrlich, der sich in der vorigen Saison als einen eigentüm-
lichen, denkenden Künstler zu erkennen gab, ist wieder hier. Liszt,
der mit Richard Wagner hier eintraf, ist nur kurze Zeit hier ver-
blieben, fast fortwährend unsichtbar gewesen und zum Leidwesen
der Freunde und Verehrer die seiner nicht ansichtig wurden,
wieder nach Weimar zurückgereist. Wagner ist noch hier. Chelard
hat zum 5. November ein grosses Concert im Herzischen Saale an-
gekündigt, worin er unter Mitwirkung des italienischen Orchesters,
Panseron als Chordirektors , Roger's , Marlis , der Damen Tedesco
und Nau und anderer Mitglieder der grossen Oper Werke von seiner
Komposition zur Aufführung bringen wird. Ueber den leider dahin-
gegangeneu George Onslow nächstens Biographisches. Auch über
Zimmermann, der nach längerem Kränkeln gestern gestorben. Fetis
aus Brüssel hat sich einige Tage hier aufgehalten, ein Mann, dessen
kräftigen Geist und weitumfassende Wirksamkeit man bewundern
muss. Von Stephan Heller stehen, wie man vernimmt, neue und wie
immer originelle geistvolle Ciavierkompositionen in Aussicht. Von
Heinrich Panofka eine vorzügliche Gesangschule die viel gänzlich
Neues enthalten und namentlich vom logischen Standpunkte aus einen
von allen bisherigen abweichenden Lehrgang einführen soll.
NACHRICHTEN.
Mttnchen. Die diesjährigen Winter - Concerte sollen Anfangs
November eröffnet werden, und zwar mit der grossen Messe Beet-
hovens in D-dur die der grosse Meister selbst für sein grösstes und
und vollendcstcs Werk erklärte, trotzdem aber noch sehr selten zur
Aufführung gekommen ist, wozu allerdings die grossen Schwierig-
keiten für Sänger und Orchester das Ihrige beitrugen. Um so rühm-
licher ist die Wahl und um so ehrender für das hiesige Publikum
dem man das Verständniss eines solchen Werkes zutraut. Die Oper
ist am 24. Oct. wegen baulicher Veränderungen auf kurze Zeit ge-
schlossen worden.
Augsburg. Von hier vernimmt man dieselben Klagen wie am
Rhein. Obgleich das Theater einen nicht unbedeutenden jährl. Zu-
schuss (diesmal ca 5000 fl.) von- Seiten der Stadt-Casse erhält, ist
der Zustand desselben ein so schlechter, dass im vorigen Winter
z. B. nur Singspiele und Possen zur Aufführung kamen. Und weshalb ?
Weil mit jedem Winter eine neue aus allen Himmelsgegenden zu-
sammengesuchte Truppe erscheint , die nach einem halben Jahre
wieder auseinanderstiebt. Ganz richtig wird bemerkt , dass eine
Erhöhung des Zuschusses hinreiche ein stehendes Theater zu gründen
und die Kunst wirklich zu befördern, dass aber bis dahin jeder Zu-
schuss weggeworfen sei.
Stuttgart. Das erste Abonnements-Concert fand am 80,
October statt. Frau v. Marra macht hier grösseres Glück als
anderwärts.
Barmen. Am 29. October wurde hier Hillers Zerstörung
von Jerusalem unter des Componistcn eigner Leitung aufgeführt.
Rotterdamm. Wie schon berichtet wird der niederländische
Verein zur Beförderung der Tonkunst im Juli nächsten Jahres das
Fest seines 25 jähr. Bestehens feiern. Der musikalische Theil des
Festes wird von dem rühmlichst bekannten Musikdirektor Verhulst
geleitet werden. Zur Aufführung sollen kommen am ersten Tage
Händeis Jsrael in Aegypten ; am zweiten Hayden's Jahreszeiten ;
am dritten der 145. Psalm von Verhulst und die 9. Sinfonie von
Beethoven ; Solovorträge der berühmtesten Sänger und Sängerinen
etc. schliessen sich daran. Das Fest soll im Ganzen Acht Tage
dauern und mit Volksbelustigungen zu Wasser und Land verbunden
werden.
Brüssel. Die hiesige Oper entspricht den Anforderungen , die
an ein so glänzend gestelltes Institut gemacht werden können, in
keiner Weise. Die Vorstellungen erheben sich nicht über das
Mittelmässige. Besser steht es mit der Opera Comique, welche einige
gute Kräfte besitzt.
Mit den übrigen belgischen Bühnen sieht es noch schlechter aus.
Die Genter ist ganz unbedeutend, in Antwerpen wurden die Sänger
sammt dem Direktor mit solchem Zischen und Pfeifen begrüsst, dass
die ganze Gesellschaft abtreten und ein neuer Direktor (in der Person
eines Italienischen Baritonisten Namens Montemerli, welcher letzten
Winter in der Paris r Italienischen Oper durchfiel) ernannt werden
musste. Lüttich hat diesmal gar keine Oper.
Pesth. Am 13. November beginnt ein Cyclus von 4 Concerts
classiques, welche im grossen Saale des National-Museums stattfinden
Das Programm ist sehr interessant, und die Theilnahme des Publi-
kums eine sehr lebhafte. Zur Aufführung kommt im ersten Concerte:
Esdur Quartett von Beethoven, Fuge von Bach, gespielt von Szekely,
Le trille du Diable von Tartini, gespielt von E. Singer, und zum
Schlüsse die grosse Sonate (Kreuzer) von Beethoven , gespielt von
Szekely und E. Singer.
Die deutsche Operngesellschaft, durch den tüchtigen Director von
Witte in kürzester Zeit zusammengestellt, hat sich schnell die Gunst
des Publikums erworben namentlich ernteten Frl. Bury und H. Wolf
den stürmischesten Beifall in der Nachtwandlerin. Hoffen wir dass
uns H. von Witte bald gediegne Opern vorführen werde, und wir-
können dem neuen Opernunternehmer das Beste prognosticiren. Im
Nationaltheater wird jetzt die neue Oper von Leo Kern: „Benvenuto
Cellini" fleissig studirt. Die Hauptparthien sind in den Händen der
Herrn Füredy und Young. Man verspricht sich von diesem Werke
einen grossen Erfolg.
Die philharmonischen Concerte, welche das Orchester des Natio-
naltheaters unter der Leitung der beiden Kapellmeister Carl Doppler
und FranzJErkel veranstaltet beginnen am 20. Zur Aufführung kommen
im ersten : A-dur Symphonie von Beethoven , Hochzeitsmarsch aus
dem Sommernachtstraum und Struensee • Ouvertüre von Meyerbeer.
Paris. Frl. Cruvelli ist hier. Ihr Engagement an der grossen
Oper ist aber noch nicht so sicher, wie von der Niederrh. Musik-
zeitung milgetheilt wurde. Die Unterhandlungen schweben noch. —
Die Proben zu Belly von Donizetti sind wahrscheinlich für
immer ausgesetzt worden, dagegen wird fleissig an der neuen Oper
von Gounod studirt.
Neapel. Verdi's Trovatore und Rigoletto eröffnen diesmal in
Don Carlo und Teatro nuovo den Reigen , wie jedoch selbst die
Gazetta di Neapoli , die feurigste Verehrerin des Maestro, gestehen
muss, nicht mit Glück. Die Rolle Verdi's scheint in seinem Vater-
land schon ausgespielt zu sein. Nicht mehr als billig denn, dass
deutsche Bühnen anfangen ihn auf ihr Repertoir zu bringen.
London. Nach Italienischen Blättern sei es ziemlich ent-
schieden, dass Her majesly's Theatrc unter Lumly's Direktion in
nächster Saison wieder eröffnet werde.
Königsberg. Die musikalische Akademie hat ihr lOjähriges
Stiftungsfest gefeiert. Händeis „Israel" kam dabei zur Aufführung.
Y Die Oper mit deren Composition Thalberg beschäftigt ist,
führt den Titel : Christine von Schweden und wird im Laufe der
nächsten Saison in der italienischen Oper in Wien zur Aufführung
kommen. Der Text ist von dem Italiener Romani.
Y Nach der Gazette musicale de Paris wäre der bekannte
Pianist Döhler bereits vor einigen Monaten in Rom gestorben.
Y Frl. Schwarzbach von Wien ist nach der N Z. f. M. in
München engagirt worden.
Vewmtwortlicher Redakteur : J. J. SCHOTT. - Druck ton REUTER «. WALLAD In Htioz.
2. Jahrgang.
Wir. 48.
28. Novbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Han abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REMCTION HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
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fl. 3. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
für den Jahrgang.
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Inhaltt Der gegenwärtige Stand des Orgelspiels in Franken. II. 1. — Corresp. (Stuttgart. Hamburg. Schweiz.) — Nachrichten.
DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS
IN FRANKEN/)
II. 1.
Die I. Abtheilung unsres Aufsatzes „über den gegenwärtigen
Stand des Orgelspiels in Franken" behandelte die Ursachen des
tiefen Verfalls desselben und es wurde dabei auf die zweite Ab-
theilung hingewiesen, welche die Mittel näher bezeichnen werde, wo-
durch das gesunkene Orgelspiel wieder gehoben werden könne. Wir
haben dort unter Andern als die wichtigsten Ursachen bezeichnet:
1. Die frühere , völligo Vernachlässigung eines gediegenen Klavier-
und Orgeluntcrrichts und die verkehrte Anschauungsweise der Musik-
lehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zöglinge. 2. Den
völligen Mangel an guten Lehrern in diesem Kunstzweige. 3. Den
mangelhaften Bestand unserer Orgelwerke. 4. Das gesaminte Dicnst-
verhältniss der Organisten. Dabei haben wir es als die heiligste
Verpflichtung erachtet, uns vor jeder Uebertreibung aufs sorgfältigste
zu hüten und da, wo ein Tadel ausgesprochen werden musste , nur
einzig und allein die strengste Wahrheit zur Richtschnur zu nehmen,
uns aber um so weniger bestimmen lassen können, schonende Rück-
sichten eintreten zu lassen, da wir schon öfters in diesem Betreif
die Feder ergriffen, ohne gründliche und radikal« Abhülfe errungen
zu haben ; da uns die Wichtigkeit der Sache zu sehr am Herzen
liegt , als dass wir sie durch allzu grosse Schonung und Nachsicht
gefährden dürften, und überdies zeigte das von Seite unserer hohen
Staats-Regierung erlassene Rescript (Nr. 43, S. 170) so viel guten
Sinn für diesen kirchlichen Gegenstand , dass wir gerade in diesem
Moment, den wir für den geeignetsten hielten, auch nicht im Min-
desten etwas auf dem Herzen behalten zu dürfen glaubten. Wir
haben im negativen Theile unsrer Arbeit unter andern als einen
sehr grossen Missstand das gesaminte Dienstverhältniss
der Organisten berührt und dort neben der Uebcrbürdung und
schlechten Besoldung , die mit den zu bringenden Opfern , mit der
Mühe und Schwierigkeit der Leistung in gar keinem Verhältniss
steht, hauptsächlich auf die durch und durch unzweckmässige Beauf-
sichtigung , die der hohen Aufgabe der Kunst ganz und gar unwür-
dige Organisation bei Inspicirung des Kirchlich-Musikalischen hin-
gewiesen. Wir sagten dort, dass es möglich sei, auch da Abhülfe
zu treffen^ ohne die Kirche in ihrem Auf-sichtsrecht zu beeinträch-
tigen, daher wenden wir uns in unserm positiven Theile, der die
Mittel zur Hebung des gesunkenen Orgetspicls aufzählt, sogleich zur
Ueberwachung des Kirchlich-Musikalischen und schlagen vor Allem
zur Abhülfe des Uebels 1. eine sachverständige Beauf-
sichtigung der Organisten vor.
Bei der bisherigen nicht sachverständigen Beaufsichtigung der
kirchlichen Musik im Allgemeinen, ebenso des Gesangunterrichtes in
Volksschulen, handelte es sich unbestreitbar nur um das „Was"'
nicht aber um das „W i e". Wenn Kantor und Organist auf ihrem
Posten waren und sich keine Verletzung der Form ihrer Dienstes-
*) S. Nr. 43. 44. d. Blattei.
Obliegenheiten zu Schulden kommen Hessen, so war die ganze Sache
in Ordnung. Wie aber die Dienstesfunktionen vollzogen wurden,
ob „sc h 1 e cht", „m i t te 1 mä s s i g", „g u t", „sehr g u t", vor-
züglich", „ausgezeichnet" etc. etc. , welche Berufsbe-
fähigung überhaupt dem Organisten eigen sei , welche Wirkung er
durch sein Spiel bei der Gemeinde hervorbrachte etc., das konnten
die bisherigen Inspectoren der kirchlichen Musik mit wenigen Aus-
nahmen nicht beurtheilen ; denn um dieses gründlich bcurtheilen zu
können, muss man im Fache der kirchlichen Musik ästhetisch-histo-
risch und theoretisch-praktisch gebildet sein und ohne diese kirchlich-
musikalische Bildung ist nie und nimmer irgend jemand im
Stande, sich bei seinem Urtheil über den Organisten klar der Gründe
bewusst zu werden, die ihn bei seiner Beurtheilung desselben leiten.
Zwar hat man in der neuern Zeit durch Geltendmachung des Satzes :
„Die kirchliche Musik müsse geistlich gerichtet werden," eine
Urtheilsfähigkeit , auch in Ermanglung der nöthigen Fachkenntniss,
zu usurpiren bestrebt ; allein es sieht Jedermann beim ersten Blick,
dass dieser Satz falsch ist. Die Organisten und Kantoren waren
bisher im glücklichsten Falle sich selbst überlassen ; bei Allem, was
das Kirchlich-Musikalische anlangt, waren sie ohne Rath und ohne
Hülfe. Wir machen aber im Leben so häufig die Erfahrung , dass
gerade solche Leute, die von irgend einer Sache wenig oder nichts
verstehen, am liebsten darein reden und steht ihnen dann noch eine
amtliche Befugniss zur Seite, so treten sie, eingedenk des Satzes:
„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand"
dietatorisch auf und werden dann für ihre Organisten und Kantoren
eine um so grössere Pein , je gründlicher diese in ihrem Fach ge-
bildet sind und je entschiedener sie ungereimte Anforderungen in die
gebührenden Schranken zurückweisen. Thun sie dieses, dann ist es
um sie geschehen und wenn sie in ihren Leistungen Götter wären.
Ich erinnere hierbei nur an das jüngste Schicksal eines unsrer
grössten Theoretiker , Componistcn für die Orgel und praktischen
Meisters auf derselben, sowie allgemein hochgeachteten Mannes im
Fache des Orgelbaues. Diesem Hauptübel könnte wohl abgeholfen
werden, wenn dieser Quasi-Aufhicht eine sachverständige beigegeben
würde. Es verbleibe zwar den Herrn Geistlichen einer Diöcösc oder
eines Dekanat-Bezirkes die allgemeine Aufsicht über das Kirchlich-
Musikalische ; aber ihnen werde ein Mann beigeordnet, der sich alle
Zweige des musikalischen Theils des Gottesdienstes und die Vorbe-
reitungen dazu eigen gemacht, der sowohl im Theoretischen,
als Praktischen eine gründliche Bildung besitzt, namentlich aber
im Fache des Orgelbaues gründliche Studien gemacht und sich
reiche Erfahrungen hierin erworben hat. In jedem Districte könnte
man Einen solchen Mann ernennen, der bei Kirchen-Visitationen
dem Dcchant zur Seite stünde und der dann im Benehmen mit diesem
Choralgesang, Orgelspiel, Kirchenmusik , Gesangunterricht einer nio-
tivirten, gewissenhaften Beurtheilung unterstellte, der vor Allem auch
bei der Qualifikation der bei der Kirche angestellten Männer seine
Stimme abzugeben hätte, damit die alten unrichtigen Qualifikations-
listen endlich berichtigt würden, der die Choral- und Melodiebücher
revidirte , der Verwirrungen im kirchlichen Geschmacke zu rügen
und auf den richtigen Weg hinzuleitcn hätte , der von Zeit zu Zeit
— 190 —
den öffentlichen Gottesverehrungen beiwohnen müsste, der die musi-
kalischen Confercnzen der Lehrer leitete und immer für einen zweck-
mässigen Stoff im Kirchlich-Musikalischen eifrige Sorge trüge. Wie
nothwendig ein solcher Mann , den man Districts-Musik-Direktor
nennen .könnte, in jedem District wäre , springt in die Augen , be-
sonders aber durfte man nur ein Mal eine musikalische Conferenz
besuchen und Zeuge sein, welch devote, durchaus nicht aus eigner
Uebcrzeugung geschöpfte Urthcile über den rhytmischen Choral,
seine Einführung und dergleichen Gegenr fände hin und wieder aus-
gesprochen werden , wie Conferenz vorstand und Mitglieder in der
Irre herumfaseln , welche Missgriffe bei der Einführung des rhyt-
mischen Chorals selbst gemacht und wie wenig überhaupt man in
den klassischen Geist dieser alten Kirchenkompositionen eingedrungen
ist. Noch könnte man dem Districts-Musikdircktor die jährlichen
Musikprüfungen der Schulaspiranicn übergeben, sowie das gesammte
Orgelbauweson im District unter seine Aufsicht stellen. Er hätte
ferner zu unterscheiden, ob eine Reparatur oder ein Neubau nöthig
sei; die Disposition, Kostenvorschläge etc. zu entwerfen, oder ein-
gereichte zu prüfen, bei der Abnahme des Werks anwesend zu sein,
unter Zuziehung eines geschickten und rechtlichen Orgelbauers
die Reparatur ausführen zu lassen und nach vollendeter Arbeit das
reparirte oder neue Werk zu übernehmen. Dass auf diese Weise
Kirche und Gemeinde vor bedeutendem Schaden bewahrt bleiben, ist
erklärlich, wenn man in der Praxis die bedeutenden Ueberforderungen
der Orgelbauer, ihre gar häufig dafür gelieferten den Kostenvoran-
schlägen durchaus nicht entsprechenden Leistungen und die groben
Betrügereien kennt, womit sie Gemeinde und Kirche gar häufig über-
vortheilen. So ist dem Referenten genau bekannt , dass ein Orgel-
bauer sich nicht scheute , Zinnregistcr herauszunehmen , an Zinn-
giesser zu verkaufen und statt dessen gar nichts, oder nur ein Holz-
register einzusetzen. Wie können Organisten, unter deren Augen solch
auffallender Betrug unbeachtet vor sich gehen kann, einen Orgelbau
oder eine Reparatur beaufsichtigen? Hier ist durchaus ein Mann,
wie der Dislricts-Musik-Director nöthig. Alle seine Funktionen
speciell noch anzuführen möchte hier zu weit führen , da unser
Zweck durch blosse Andeutung erreicht sein dürfte. Was den
Kostenpunkt anbelangt, so kann dieser kein Hinderniss sein, weil
der Districts-Musik-Direktor bereits ein im kirchlichen Amt stehender
Mann wäre, dem höchstens angemessene Diäten und eine ge-
nügende Entschädigung für allenfalls ige Versäumnisse zu verab-
reichen wären und zwar von jenen Gemeinden , für welche er seine
Thätigkeit verwenden müsste. Es hätte also Staat und Kirche gar
keine Kosten und die Gemeinden würden dabei auch nur gewinnen.
(Schluss folgt )
-<-.«.£..
CORRESPONDENZEN.
AUS STUTTGART.
Im November.
Nach der ersten Oper unseres im September wieder eröffneten
Theaters, „Joseph" von Mchul, zu schliesscn, durfte man eine Reihe
guter Bühnenwerke und gelungene Aufführungen erwarten. Wenn
dies bisher nicht ganz nach Wunsch eingetroffen ist, so liegt wohl
ein gewichtiger Grund darin , dass die beiden Fächer der ersten
dramatischen und der ersten Coloratursängerin immer noch nicht
bleibend besetzt sind, sondern für Gastrollen offen stehen. Wir
haben zwar gegenwärtig zwei Damen , denen ein bedeutender Ruf
zur Seite steht; allein bei Gastrollen leidet gewöhnlich das Reper-
toire an Einseitigkeit und das Ensemble in Gesang und Spiel an
Vielseitigkeit. So hörten wir wieder die alten Bekannten Lucia,
Martha, Liebestrank, Norma, Regimentsto^hter u. s. w. Eine erfreu-
liche Ausnahme macht die ohne fremde Kräfte unternommene Auf-
führung von Marschner's Hans Heiling. Hofkapellmeister Kücken
hat diese hier noch unbekannte Oper für das Geburtsfest des Königs
einstudirt , und die Mitwirkenden hatten sichtlich viel Fleiss darauf
verwendet. Dennoch fand das Slück nicht den gewünschten Erfolg.
Einerseits ist das Publikum zu sehr an grelle , übertriebene Effekte «
gewöhnt, und hat nicht mehr den rechten Appetit für die solide
deutsche Kost eines Marschner ; die Italienische und Pariser Küche
liefert viel pikantere Speisen : anderseits sind unsere Sänger , wohl
durch dieselbe Firma verführt, nicht mehr fähig, im Charakter ihrer
Rollen, im Spiel und im Gesang das richtige Mass zu finden. Pischek
undSontheim, beide von der Natur mit herrlicher Stimme ausgerüstet,
lieben es, bei jeder leidenschaftlichen Stelle, ja leider oft ganz am
unrechten Platze, in ein Fortissimo auszubrechen, dass die Zuhörer
erschüttern — müsste , wenn es sparsam und nur an passender
Stelle mit wahrem Vcrständniss dessen , was der Componist will,
angewandt würde. Der augenblickliche Beifall des grossen Haufens,
dem ein solcher Ausbruch der Leidenschaft mächtig, grossarlig, hin-
reissend, unnachahmlich erscheint , ist zwar die erste Folge , aber
der Ruin der Stimme schleicht sicher hinterher und wird auch die
kräftigste Natur vor der Zeit erfassen. Oder wäre das Tremoliren
der oben genannten Herren nur eine willkürliche Manier , und nicht
vielmehr das untrügliche Zeichen verlorener Elaslicität der Stimme?
Pischek mit seiner imponirenden Gestalt und Stimme brachte als
Meister Heiling das Dämonische seiner Rolle zur vollen Geltung,
überhaupt wusste er den Charakter im Ganzen richtig wiederzugeben.
In einzelnen Momenten stimmte aber sein Vortrag nicht immer mit der
Musik überein, wie er z. B. der herrlichen Arie „An jenem Tag da
du mir Treu versprochen" durch zu leidenschaftliche Behandlung,
namentlich Uebereilcn einzelner Takte, zu bald eintreffendes Crescendo,
an Ausdruck und Wirkung offenbar schadete. Die Parthic des Conrad
hätten wir eher Herrn Jäger gewünscht, als Hrn. Sontheim, der mit
seiner starken schneidenden S limine ebenbürdig dem Geisierfürslen
Heiling gegenüberstand, während Jägers sanfteres Organ einen
schönen Contrast gegen den gewaltigen Pischek gebildet hätte. Das
Cantabile des Herrn Sontheim z. B. im Finale des zweiten Aktes
war nicht zu loben. Frl. Eschborn, eine junge frische Stimme,
sang die Anna recht brav , doch licss sie sich einigemal verleiten,
Marschners Verzierungen zu verwechseln mit gewöhnlichen italienischen
Coloraturen, die nach Belieben verändert, ritardirt oder beschleunigt
werden dürfen. Eine fremde Einlage für sie im zweiten Akt schien
uns überflüssig- Von der Leistung einer Debütantin als Königin der
Erd- und Oucllengeister zu sprechen, ist hier nicht am Platze, wohl
aber darf getadelt werden, dass man diese wenig dankbare Rolle
für ein erstes Auftreten, und dass man für dies ers>(e Auftreten eine
Festoper gewählt hat.
Nach Hans Heiling hatten wir das Glück, Beethovens Fidelio in
recht gelungner Aufführung zu hören. Es ist eine Freude, sagen zu
dürfen, dass hier alle Mitwirkenden ihre Aufgabe genügend erfüllten.
Mad. Palm in der Titelrolle zeigte ein wohlbedachtes Steigern, spielte
gut und sprach deutlich aus , zwei wichtige Dinge, welche sie sonst
oft vernachlässigt. Der etwas harte Klang ihrer Stimme war in dieser
Rolle nicht so fühlbar, wie z. B. in der Jüdin neben dem geschmei-
digen Organ der Frl. Eschborn. Unser Bassist, Hr. Lehr, sonst et-
was hölzern , war als Rocco eigentlich klassisch zu nennen. Diese
Partie sagt seinem Wesen vollkommen zu. Unübertrefflich ist Herr
Rauscher als Florcstan; und diese drei vereinigten sich im zweiten
Akt zu einem Ensemble, wie man es hier nicht oft so gediegen findet
Bei der bekannten Stelle in dem Grab-Ductt lässt die Regie neuer-
dings den Stein aus der Cisterne herauf werfen, vermuthlich weil
in der Musik die Bassfigur aufwärts steigt. Sollte das richtig sein ?
Zwischen Theater und Concertc stellte sich diesmal ein Zwitter-
geschöpf, indem ein hiesiger Musiklehrer, der sich Professor der
Gesangkunst nennt, eine dramafisch-musika lisch« Abendtinterhallung
veranstaltete, worin Opernscenen von Bellini, Donizctli, Meyerbecr
und moderne Lieder zu Gehör gebracht wurden. Die Aufführung
geschah durch Dilettanten und zu wohlthätigen Zwecken. Costüme
und Dekorationen waren recht schön.
Am 18. October gab unser Landsmann W. Krüger ein Concert,
das von seiner Meisterschaft auf dem Piano ebenso glänzende Be-
weise gab, als von der allmählig um sich greifenden Abstumpfung
des Publikums für Virtuosenleistungen.
Den Cyklus der zwölf Abonncments-Conccrtc unserer Hofkapelle
eröffnete Lindpäinincr mit einer Fest-Ouvertüre von Rictz , welche
auf die Zuhörer wenig Eindruck zu machen schien. Die brav ge-
arbeitete und instrumenlirte Compositum hat keine bedeutende Melodie:
der Hauptmangel unserer Zeit Reich an Melodie aber unpassend
für den Conccrt-aal war das darauffolgende Ave verum corpus von
Mozart. Ein so durchaus kirchliches Musikstück sollte nicht zwischen
eine Concerlouverlürc und ein Ciavierstück gestellt werden. Krüger
— 191 —
spielte das A-moll Concert von Schumann, eine höchst schwierige
aber interessante Composition, und für Stuttgart ein Ereigniss, denn
der Name Schumann war hier fast unbekannt. Mancher treue An-
hänger der älteren Musik musste dabei gestehen, dass auch die
„Neuromantiker*' was Tüchtiges leisten können. — Die erste Ab-
theilung des Programmes füllten dann kleinere Stucke, z. B. eine
Violinfantasie von Artot, vorgetragen von einem unglücklichen zwölf-
jährigen Mädchen. Unglücklich muss ich alle solche dressirte
Wunderkinder nennen, bei welchen nur der Fleiss und nicht innerer
Drang Leistungen möglich macht, die über ihre natürlichen Kräfte
gehen. Kann denn eine solche Violinvirtuosin später, wenn der
Reiz der Neuheit schwindet, in einem Orchester angestellt werden,
oder Violin-Unterricht geben? Beides schwerlich; was dann? —
Hr. Krüger spielte noch drei kürzere Solopiecen, worunter das Buss-
lied von Beethoven in der Bearbeitung von Liszt. — Gesangstücke
wurden vorgetragen von Frau von Marra, Frl. Eschborn und Hrn.
Jäger, unter welchen der ersleren unbedingt der Preis der Bravour
gebührt. Mit italienischer Keckheit sang sie die Parade -Arie aus
dem Barbier. Wichtiger als ihre Kehlfertigkeit scheint uns ihre gute
Intonation und vortreffliche Ausspracht. — Auf das Vielerlei der
ersten Abtheilung folgte die Einheit Beethovens. Seine achte Sin-*"
fonie in F-dur war ein herrlicher Geimss für jedes unverdorbene,
gebildete Ohr, und wurde recht wacker gegeben. Nur im Trio des
Menuet setzten die Blasinstrumente nicht immer präcis ein, wodurch
bei der Triolenfigur der Violoncello das Ganze verschwommen und
unverständlich klang. Welch göttlicher Humor durchdringt dieses
Werk, und wie sind die untereinander so eng verwandten Haupt-
motife der vier Salze meisterhaft in den verschiedensten Wendungen
verarbeitet und dabei doch immer dem Grundcharakter des Ganzen
treu geblieben!
Das zweite Abonnements-Concert brachte keine Sinfonie. Man
sagt, Hr. Kücken, der mit Lindpaintner in der Direktion der Concerte
abwechselt, liebe die Sinfonieen nicht? Statt dessen konnte ein hier
fast unbekanntes Meisterwerk Hummels gelten, das grosse Septett in
D-raoll. Die Clavierparlhie spielte Hr. Winternitz, Mitglied der
Kapelle, mit Eleganz und Discretion. Die Gesammlausführung des
brillanten Stückes war musterhaft. — Die Mehrzahl der Zuhörer
schien indess noch lebhafter angezogen durch eine Violinfantasie von
Alard über Themas aus der Regimentstochter, welche Hr. Barnbeck
mit grosser Bravour spielte. — Mad. Palm sang die letzte Arie der
Vitellia aus Titus mit obligatem Basselhorn , und das Finale aus
Mendelssohns Lorcley mit Chor, was wir im vorigen Winter von
Frau Marlow hörten. — Pischek trug seine Arie aus Hans Heiling
mit Glut und Leidenschaft vor, aber auch ziemlich mit den oben
gerügten Fehlern. Die Ouvertüren zu Obcron und Sommernachts-
traum wurden mit aller Pracht und Feinheit würdig aufgeführt.
AUS HAMBURG.
Ende Octobcr.
Es geschehen bedeutsame Zei<hen am Kunstbimmel unsrer Stadt.
Wagners „Tannhäuser" soll innerhalb 8 bis 14 Tagen aufdcmStadl-
theater in Scene gehen Die Anstrengung der dafür nötbigen Proben
ist so gross, dass auch in diesem Monat die Oper eine seit lange
ungewöhnliche Verminderung ihrer Leistungen gezeigt hat. Kam da-
zu, dass die spanische Tänzerin Donna Carnara ihre sinnverwirrenden
üppigen Darstellungen gegeben hat, so erklärte sich eine in mancher
Hinsicht so erquickliche Ruhe deutlich genug. Aber nicht allein dass
das „Werk der Zukunft" vorbereitet wird konnte mich oben veran-
lassen xon Zeichen der Zeit zu reden , sondern ein eigentümlicher
Umstand hat diesen Ausdruck hervorgerufen. Durch die Erscheinung
mehrerer trefflicher Schauspieler haben sich einige gegen frühere ge-
waltig hervorstehende Dramenaufführungen ermöglicht, die wie mir
scheint einen tiefen und förmlich zündenden Eindruck gemacht haben.
Das Publikum, dem seit langer Zeil jede Freude am ernsten Schau-
spiel abhanden gekommen war (und überall fällt die Kunst durch die
Künstler) hat mit der lebhaftesten Wärme den lang vermissten
„Wallenstein's Tod" und ähnliche Dramen gesellen- Dadurch ist bei
vielen Geniessenden eine Reihe von Gedanken angeregt, welche der
tyrannischen Art in der die Oper mit ihrem unwürdigsten Reize lange
jede andere Kunstgattung verdrängte und verdunkelte , sicher viele
Gegner erwecken wird. Schon öfter habe ich auch unserra Publikum
eine Stimmung nachgerühmt welche mehr oder weniger bewusst der
Erkenntniss sich zuneigt, dass wir auf dem Wendepunkt einer gros-
sen Zeit stehen. Das Gefallen am ernsten Schauspiel zeugt lebhaft
dafür. Sicher wird in eben dem Masse in welchem die Ausstat-
tungsoper im Werthe sinkt, die edlere Bühnenmusik bereitwilligere
und dankbarere Zuhörer finden. Weleh hohen Stand, welch unzwei-
felhaft allgemeine Anerkennung würde der Genius finden dem die
Muse verstaltete als Prophet einer neuen Epoche in der Kunst auf-
zutreten 1 Wird R.Wagner sich dieses hohen Ehrenkranzes bemäch-
tigen können ? Seine Oper die in wenigen Tagen vor uns erscheinen
soll, wird ein interressantes Urlheil erzeugen weil durch das Geschrei
seiner unverständigen Verehrer ein lebhafter Kampf schon seit lange
entzündet ist. Uebrigens erwähne ich noch, dass Wagner schon vor
8 Jahren hier seinen Rienzi selbst in Scene setzte, so dass viele
seiner Hanpfeigenthüfnlichkeitcn uns nicht mehr unbekannt sind —
Von der Pracht, von der künstlerischen Anordnung und Ausstattung
mit der ein so viel besprochenes Werk in Berlin , Dresden, München,
u. s, w. in Scene gesetzt wird, kann hier bei uns gar nicht die Re-
de sein. Das Orchester enthält nicht die Hälfte der Geiger welche
neben solcher Verwendung der Blasinstrumente erforderlich sind,
Der Proben können nur wenige gemacht werden und für die Regie
würde wohl ein andrer Kopf wünschenswerth sein als der des Herrn
Rottmayer, welchem zu wenig Porsie zu Gebote steht. Ich brauche
Kaum zu erwähnen mit welcher Spannung der ersten Aufführung
entgegen gesehen wird.
, Herr Lachner, der neue Capellmeister hat, obgleich die wenigen
bis jetzt gegebenen Opern der Veranlassung nicht so viel als früher
boten, doch Gelegenheit gehabt sich auf das >Yürdigste einzuführen.
Mit Vergnügen sieht man die früher so störenden Telegraphenbewe-
gungen des Directors verschwunden. Die ernsteste Ruhe und saubre
Feinheit der Direction lässt Gottlob die Sache, d. h. die Musik und
nicht die Person des Leitenden in den Vorgrund treten. Seine Un-
tergebnen rühmen mit herzlicher Achtung den mühevollen Ernst, von
dem seine Proben erfüllt sind. Zudem weiss er seiner Stellung als
Dirigent nicht aHein nach unten hin die nachdrücklichste Geltung
zu verschaffen. Die Stellung der Instrumente im Orchester hat eine
wesentliche Umgestaltung erfahren. Sämmtlichc Bogen Instrumente
sind auf der eiuen Seite und sämmtlichc Bläser ihnen gegenüber
placirt, eine Anordnung die sich vortrefflich erweiset, nur dass das
Ensemble der Geigen doppelt so stark besetzt sein müsstc. Für
Tannhäuser wird eine solche Verstärkung eintreten. Wenn doch
die verehrliche Direction sich überzeugen wollte, dass eine dauernde
Vergrösserung der Orchcstcrmitlcl ihr eignes pekuniäres Interesse
fördern würde. — Frl. Molendo hat uns verlassen. Alle musikver-
ständigen Hörer haben in ihr eine äusserst musikalische, sichere
Künstlerin für Soubretten- und Vertrauten- Rollen scheiden sehen. —
Ein Frl. Sedlaczek aus Wien hat mit einer noch sehr jugend-
lich schwachen Stimme und mit einer ans Lächerliche streifenden
Manier der Bewegung auf der Bühne, die förmlich ein stetes Hin und
Hertrippeln war, keinen Beifall erwerben können. 1h dem Nacht-
lager debütirten nach einander Herr Schmidt , der Enkel von Sophie
Schmidt (der Tragikerin) und am 31. Octobcr Herr Janssen. Während
der erste seitdem sich weitern Versuchen im Schauspiel zuge-
wendet, gelang dem Zweiten sein Beginn der Sängerlaufbahn erträg-
lich , insofern wohl nur Jugend und Befangenheit vieles von dem
nicht recht wirksam ertönen liessen, was von Natur in ihm zu liegen
scheint. Das Quartett, welches die Herrn Hafner, Ivcrsen, Breythcr
und Lee seit Jahren gegeben hatten, erlitt eine plötzliche Störung
indem Herr Ivcrsen (2. Violine) nach Melbourne ging, hoffentlich wird
ein anderer tüchtiger Künstler statt seiner eintreten. In derselben
Weise wie im vorigen Jahre wird am 5. November ein Concert im
Apollosaal zum Besten der Musikerwittwenkasse stattfinden , in
welchem der Domchor aus Berlin mitwirkt. Das Programm scheint mir
nicht geeignet so treffliche Mittel zu rechter Geltung zu bringen.
Wie ich höre wird der Chor auch in der Petrikirche zum Besten
der Gustav Adolph, Stiftung singen. Ich bin begierig ob der Beifall
den er im vorigen Jahr gefunden etwas mehr gewesen ist als da»
flüchtige Gefallen am Neuen.
^o«»—
192 -
AUS DER SCHWEIZ-
Anfang November.
Seit dem Wagner'schen Musikfeste in Zürich, hatte ich Ihrem ge-
schätzten Blatte nichts zu berichten; denn das eidgenössische Ge-
sangfest — was Aufführungen für gemischten Chor und Orchester
zu bringen hat und mit dem des Männerchorgesangs Jahr um Jahr
abwechseln soll — kam heuer nieht zu Stande, weil sich kein
Dirigent dazu finden wollte. Das nächstjährige „Sängerfest" (für
Männerchor) findet in Winterthur statt.
In Zürich haben die Abonnementskoncerte noch nicht begonnen,
dafür ist es endlich den Bemühungen von Künstlern, die es mit der
Kunst redlich meinen, namentlich den Herrn Heisterhagen und
Schleich gelungen, ein Streichquartett für Aufführungen klassischer
Werke zu Stande zu bringen. Die Künstler Heisterhagen: 1. Violine,
Schleich : Cello , — brav unterstützt von den Herren Honegger :
3, Violine und Bauer : Viola, haben bereits zwei Soireen gegeben,
worin die Quartette von Hayd'n, G und B-dur, von Mozart B-dur und
D-moll , von Beethoven F-dur und C- in oll zur ganz gelungenen Auf-
führung kamen ; Auffassung und Ensemble lassen nichts zu wünschen
übrig. Das Publikum zeigt erstaunlicher Weise rege Theilnahme.
Die Stadt Zürich ist endlich mit einer — früher daselbst bekanntlich
liturgisch verpönten — Orgel beschenkt worden , welche in der
Frauenmünsterkirche aufgestellt ist. Die Organistenstelle wird ent-
weder Herrn Kirchner, Organist in Winterthur, den Lesern schon
wohl bekanut, oder Herrn Natcr in Zürich zu Theil werden. Letzterer
ist kürzlich vom Leipziger Conservatorium zurückgekommen, und gab
neulich in Neumünster ein Concert, worin er sich dem Publikum
auch als gewandter Orgelspieler, wie als Chordirigent kund gab.* —
Fremde Künstler haben auch schon Zürich besucht, im Sommer
zwei Turiner, die Herrn Operti, Pianist, und Cirutti , Violinist und
Trompeter von welchen der Letzterer laut dem Programm der
Trompete „Oboetöne" entlocken wollte, und zu Anfang vorigen
Monats die Herrn Sivori und Mulder. Der Erstere, welcher im vorigen
"Winter in Genf Furore gemacht, verdiente die schwache Theilnahme
nicht, die ihm hier zu Theil ward. Er ist ein ganz tüchtiger Virtuos,
spielt Paganinische Werke, dessen Schüler er sich zu sein rühmt (?)
vortrefflich und hat einen sehr schönen, wenngleich vorherrschend
sentimentalen und nicht gerade grossen Ton. — Das hiesige Theater
hat eine traurige Veränderung durch den Tod seines so tüchtigen
Direktors, Wilhelm Löwe, erlitten, dessen Wittwe die einmal abge-
schlossenen Contracte, fortsetzt. Als Kapellmeister fungirt Herr
Eberle von München, ein junger Anfänger, der Ensemble, Chor und
Orchester noch nicht in seiner Gewalt hat , was schon die grosse
Schläfrigkeit der Tempos verräth. Die Besetzung ist mangelhaft.
NACHRICHTEN.
Wien. Frl. La Grua hat am 4. November als Amine debutirt,
da es in den Proben zu den Hugenotten nicht rathsam schien,
sie als Valentine vorzuführen. Nach manchen Berichten hat sich Herr
Cornet, der ihr 16000 fl. für 9 Monate bewilligte , gewaltig geirrt,
wenn er geglaubt hat , endlich eine Primadonna comme il faut ge-
funden zu haben. Ihre Stimme ist klein und voraussichtlich für
Aufgaben wie Anna, Valentine u. s. w. zu schwach. (Nach Pariser
Blättern haben ihre Triumphe alles übertroffen !)
Berlin. Frl. J. Wagner trat nach ihrer Rückkehr zum ersten
Male als Lucrezia auf. Neu einstudirt werden Catharina Cornaro
und die lustigen Weiber von Windsor und bis Ende dieses Jahres
soll Uübezahl von Flotow in Scene gehen. Die Trio-Soiräcn der
Herrn Stahlknecht und Löschhorn sowie die Sinfoniesoireen haben
begonnen. Die Singakademie hat unter Grell einen neuen Auf-
schwung genommen. Sie wird diesen Winter das Alexanderfest von
Händel und den Elias aufführen.
Leipzig-. Der Todestag Mendelsohns wurde im Conserva-
torium durch eine musikalische Aufführung gefeiert. — Die Gebrüder
Wieniawski gaben mit Beifall einige Concerte im Theater.
Basel. Die Abonnementskoncerte haben, würdig mit einer
Mendelssohnschen Sinfonie eröffnet , unter Herrn Reiters Leitung
begonnen. Dessen Gattin hatte kürzlich in der Martinskiruhe ein
I geistliches Concert veranstaltet. Der gemischte Chor ein sehr
gutes Institut, wie es nirgends weiter in der Schweiz besteht — trug
eine Motette von Bach, einen Chor Palestrinas und den trefflichen
Psalm Mendelssohns mit Soli „Non nobis" vor.
Genf» Das hiesige, auch im Sommer geöffnete Theater fristet
sein Dasein meist mit Reprisen von schon früher genannten
Opern. Neuerdings, nach dem Beginn der Wintersaison , ist die
weisse Dame und Caraffas Massaniello hinzugekommen. In Letzterer
trat ein junger Tenorist, Hr. Killy auf, der vielen Beifall fand. Es
finden hier nur 3 Vorstellungen statt , wobei die merkwürdige Ein-
richtung besteht , dass die Opern-Vorstellung stets erst nach der
Aufführung eines recitirten Stückes , ja oft nach einem 5 aktigen
Drama erfolgt.
Zürich. R. Wagners Aufenthalt in Paris mit L i s z t wird von
seinen hiesigen Freunden als keineswegs mit der Absicht verbunden
bezeichnet , dort die Annahme und Aufführung einer seiner Opern
zu erstreben; (die Signale nennen bereits Oper und Bühne, nämlich
Tannhäuser und Theatre lyrique.) Wir glauben dies um so mehr, als
Wagner, der Verfasser von „Opera und Drama" ja öffentlich über
die französische Oper, deren Koryphäen: Auber, Halevy und Meyer-
beer und die Wertlosigkeit der französischen Sprache in musika-
lischer Hinsicht den Stab gebrochen hat.
Brüssel« Der junge Stadtfeld ist am Freitag 11. November
hier gestorben und wurde Montag früh feierlich begraben. Er war
erst 27 Jahr 6 Monat alt !
Am Samstag ging hier „Les Amours du Diable" über die Bühne
ohne besondern Succes. Ueberhaupt ist das Theater hier, obgleich
neuerdings aufs prächtigste ausgestattet, wenig besucht , was wohl
der Composition der Truppe zuzuschreiben ist.
Die Geschwister Ferni, beide Violinisten, haben bereits 3 mal
im Theater de la Monaie gespielt und ziemlichen Beifall geerndet*
Sie haben ein 4. Concert angezeigt. Den meisten Beifall ernteten
sie mit der Meditation sur le pr. prelude de Bach par Gounod wovon
die beiden Schwestern die Violinstimmen ä l'unison spielen.
Lille. Am 26. October fand das erste Abonnements-Concert
der Societe symphonique im Saale des „Cercle du Nord" statt und
wurde in demselben die C-moll Sinfonie von Beethoven recht brav
aufgeführt.
Leider musste dieselbe wieder in 3 Theile zerlegt werden , und
so kam es, dass zwischen dem ersten Satze und dem Adagio , eine
Romanze aus der Regimentstochter, zwischen dem Adagio und
Menuelto-Finale, nicht weniger als 3 Arien, ein Männerchor und die
Ouvertüre zu Zauipa angehört werden mussten.
Trotz dieses geschmacklosen und thörichten Arrangements des
Programms, welches übrigens durch die hiesigen Verhältnisse einiger-
massen entschuldigt wird , war in diesem Concerte doch ein Fort-
schritt bemerkbar , denn gewöhnlich bestehen die hiesigen Concerte
nur aus 3 — 4 Tanz-Ouverturen und der Rest des Programms wird
mit Solo-Vorträgen ausgefüllt, an ein Zusammenwirken von Chor
und Orchester war bisher nie zu denken. — Gesangvereine von
Männern und Frauen wie in Deutschland, sind hier der Etiquette
halber nicht möglich.
In dem letzten Concerte unterstützte der Männergesang- Verein
„l'Union chorale" die Societe* symphonique und sang zuerst einen ins
Französische übersetzten Chor von Abt ziemlich gut und zum Schlüsse
des Concerts führten Chor und Orchester einen Chor aus dem „Pro-
scrit" von Verdi auf, welcher bei dem Publikum grossen Anklang
fand, so dass man hoffen darf in Zukunft öfter und vielleicht auch
bessere Musik dieser Gattung zu hören.
Herr Bonneche* und Frl. Rey, sangen mit vielem Beifall ver-
schiedene Arien, Romanzen und ein grosses oder besser gesagt, sehr
langes Duett aus dem Belisario. *."
Y Wenige Tage nach dem Bcgräbniss von Onslow, starb
Zimmermann, seit 1816 Professor des Pianoforte am Pariser Conser-
vatorium, aus dessen Schule die sämmtlichen französischen Ciavier-
Virtuosen der Gegeuwart hervorgegangen sind.
Berichtigung.
Wir biHen folgende sinnentstellende Druckfehler, welche sich In der letzten Nummer
Anden, zu berichtigen. Im „Schlusswort des Referenten" muss es heissen S. 18ff. Sp. 2.
Z. » von unten statt „gross ten fcebelstinde" „gerügten Uebelstande." S. 187. 8p. i.
Z. 12, 13. von oben statt „den Laien angezeigt' * „d letalen angeregt werden solle n."
Verantwortitcher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Druck van REUTER u, WALLAC in Ma ni.
2. Jahrgang.
W*. 49.
5. Decbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeltung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen rostiatern,
Musik- and Buchhandlungen.
REDICTM UND VERLAG
TOD
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT fr CO.
PREIS:
fl. 9. 43 eder Thlr. 1.
18 Sgr.
1
für den Jahrgang
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Durch die Post bezogen :
SO kr. oder 15 Sgr. per
Quartal.
Inhalt I Der gegenwärtige Stand des Orgelspiels in Franken. II. 8. — Corresp. (Wien. Stuttga: — Nachrichten.
DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS
IN FRANKEN.
II. 2.
Eine sachverständige Beaufsichtigung des Kirchlich-Musikalischen
würde sich nur zu bald überzeugen, dass bei dem gegenwärtigen
Bestand des Lehrwesens im Orgelspiel .nichts Erkleckliches erzielt
werden könne und als vorzüglichstes Mittel zur Hebung des Orgel-
spiels 2. die Aufstellung tüchtiger Lehrer in diesem
kirchlichen Kunstzweig bei Pr Spar and e n-Anstal ten
und Seminarien f ür nö t hi g erach t en. Dass sich gegen-
wartig bei uns viele Lehrer officiell mit Orgelunterricht be-
schäftigen, die zu allem andern eher tauglich wären als dazu, ja gar
häufig nicht ein Mal ein geeignetes Instrument dazu haben, weiss
Jedermann, der nur einige Umsicht und einige Personalkcnntniss im
Kreise jener Männer besitzt , die die kirchlich-musikalischen Dienst-
leistungen und den Orgelunterricht zu besorgen haben. Da übrigens
jeder Lehrer hiezu die kirchliche und staatliche Genehmigung bedarf,
so sollte man glauben, es könnten nur brauchbare Subjccte hiezu
gelangen ; allein es ist dem nicht so ; denn die Ernennung zu Prä-
paranden-Lehrern, die bei uns den Orgeluntcrricht zu ertheilen haben,
hängt meistens von äusserlichen Rücksichten ab, wie ich das schon
in der ersten Abtheilung klar und unumwunden aussprach,
besonders aber wirken persönliche Ansichten der Vorgesetzten, in
der neuern Zeit vor Allem der politische und religiöse Standpunkt
des Mannes sehr bedeutend ein. Wenn aber auch diese für unsre
kirchliche Kunst hemmenden und beklagcnswerthen Erscheinungen
beseitigt und ein gerades , offnes , ehrliches und partheiloses Ein-
greifen in die Sache selbst an deren Stelle treten würde, so könnte
trotzdem eine entsprechende, auf Verdienst im Bereiche kirchlicher
Kunst gestützte und das Unterrichtswesen im Orgclspiel fördernde
Auswahl des Lehrcrpersonals nicht Platz greifen , weil die Basis
dieser Auswahl eine unrichtige Qualificationslistc ist,
die von gar nicht sachverständigen Männern amtlich aufgestellt,
und angefertigt wurde. Es müssten also, wenn eine Aenderung der
traurigen Verhältnisse in kirchlich-musikalischer Beziehung herbei-
geführt werden sollte, diese alten, unbrauchbaren Qualificalionslisten,
die, gelinde gesagt, auf unzähligen Jrrthümern beruhen
müssen, cassirt und deren Stelle durch neue mit Zuziehung des
Dislricts-Musik-Directors ersetzt werden, nach welchen dann eine
gewissenhafte Auswahl der Lehrer im Orgelspiel statt zu finden
hätte. Die Grundsätze, welche hierbei beobachtet werden müssten,
die Forderungen, welche man überhaupt an einen Lehrer des Orgel-
spiels zu machen berechtigt wäre , was dabei vorzugsweise berück-
sichtigt zu werden verdieute, und was nicht, kann hier nicht ange-
geben werden, sondern ist die Sache der Behörde, und wenn die
Wahl des Districts-Musik-Direktors gelungen ist, dann werden wir
auch bald gute Lehrer im Orgelspiel, bald gute Organisten besitzen
und der Segen würde für unsre kirchliche Erbauung von Jahr zu
Jahr progressiv wachsen. Haben wir einmal tüchtige Lehrer, dann
werden wir auch, da s. : .
und Wirkung, einen na.*»
organische Entwickluir
und Orgelunterricht f
sieht, wie in #tr §
ausführliche Methodijf _ a
beides zu einander verhält wie Ursache
cmässen, methodisch-geordneten, auf die
r kirchlichen Tonkunst gebauten Klavier-
n. Es kann ebenso wenig in unserer Ab-
Tendenz dieses Blatts liegen, hier eino
gesammten Klavier und Orgelunterrichts
zu geben ; nur' allgemeine Anhaltspunkte mit strenger Bezugnahme
auf das in der 1. Abtheilung sub. 1. Gesagte , nur Vorschläge und
Winke über den materiellen Theil dieser Unterrichtszweige, nur An-
deutungen über das „Was,' 4 aber nicht über das „Wie", sollen
und können hier mitgetheilt werden.
Wir haben in der I. Abtheilung hauptsächlich unsern Tadel
gegen die frühere, völlige Vernachlässigung eines gediegenen Klavier-
und Orgelunterrichts und gegen die verkehrte Anschauungsweise der
Musiklehrer bei Leitung der theoretischen Bildung ihrer Zöglinge,
sowie gegen die Mangelhaftigkeit und Lückenhaftigkeit des früheren
und zum Theil noch bestehenden Unterrichts gerichtet und verweisen
auf jene in Ablbeilung I. , sub 1. aufgestellten Behauptungen. Es
fragt sich nun, wie ist diesen Uebelständen im Kirchlich-Musika-
lischen gründlich abzuhelfen?
Ich dächte, es müsste dabei folgendes geschehen: Neben einem
methodischen Klavier- und praktischen Orgel-Unterricht müsste vor
Allem auf unseren Präparanden-Austalten und Seminarien, oder bei
der Vor- und Seminarbildung jenes complicirte Akkorden-System*
dessen tiefe Nachtheile wir weiter oben schilderten, beseitigt und
durch ein natur- und sachgemässeres , einfacheres ersetzt werden.
Bei der Aufstellung aller möglichen Grund-Akkorde müsste man
allenfalls Reductioncn derselben eintreten lassen bis auf folgende :
I. In der Durtonart.
Auf der 1. Stufe ein grosser Dreiklang und grosser Septimenakkord.
Auf der 2. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord.
Auf der 3. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord.
Auf der 4. Stufe ein grosser Droiklang und grosser Septimenakkord.
Auf der 5. Stufe ein grosser Dreiklang und der Domiuantcnseptimen-
akkord.
Auf der 6. Stufe ein kleiner Dreiklang und kleiner Septimenakkord.
Auf der 7. Stufe ein kleiner verminderter Dreiklang und kleinver-
minderter Septimenakkord.
II. In der Molltonart.
Auf der 1. Stufe ein kleiner Dreiklang.
Auf der 2. Stufe ein verminderter Drciklang und ein kleinver-
miudcrter Septiroenakkord.
Auf der 4. Stufe ein kleiner Drciklang.
Auf der 5. Stufe ein grosser Dreiklang und der Dominantcnseptimen-
akkord.
Auf der 6. Stufe ein grosser Dreiklang und grosser Septimenakkord.
Hieraus ergeben sich als die gebräuchlichsten Grundakkorde der
grossse, kleine und verminderte Dreiklang, der Doinjnant-Septimen-
akkord, der grosse, kleine und klcin-verminderte Septimen-Akkord,
also überhaupt 3 Dreiklänge und 4 Vierklänge. Die Nonenakkorde
in der Durtonart können bei weggelassenem Grundton keine andere
194
Septimenakkorde geben, als in den Grundakkorden angeführt worden n
sind. Sie unterscheiden sich von denselben durch ihre Fortschreitung
in den um eine Stufe höher ligenden Dreiklang oder Septimenakkord,
während die Grund-Septimen-Akkorde sich in den eine Quarte höher
liegenden Dreiklang oder Septimen-Akkord auflösen. Will man
dieser beträchtlichen Verminderung alter möglichen Grundakkorde —
wodurch das Elementarstudiuin der Harmonielehre schon sehr be-
deutend erleichtert, der Geist frisch bleibt und eine Masse Zeit ge-
spart wird , die man für die nöthige Technik verwenden kann —
allenfalls noch die Lehre vom übermässigen Dreiklang und von den
gebräuchlichsten Nonen-Akkorden , den grossen Nonen-Akkord auf
der 5. Stufe der Dur-, den kleinen Nonen-Akkord auf der 5. Stufe
der Moll- , den grossen Septimenakkord mit grosser None auf der
1. und 4. Stufe beifügen , so dürfte Stoff genug geboten sein und
wenn sich dann damit noch die Lehre von den Vorhalten, dem regu-
lären und irregulären Durchgang und den vorausgenommenen Tönen
verbindet , so wird der junge Organist selten bei Anwendung und
Analysirung der Harmonien in klassischen Orgel-Kompositionen in
Verlegenheit kommen. Neben diesem theoretischen Unterrichte gehe
der technische Unterricht im Klavier und Orgelspiel und mit beiden
verbinde sich die musikalische Satzlehre, die schon bei den Klavier-
übungen der Kompositionen von Czerny, Clementi, Bertini, Hummel,
Haydn, Mozart etc. {ihren ersten Anfang nehmen und von da auf
die leichteren Orgel-Uebungsstoffe von Rink, Schätze, F. Schneider
Herzog etc. übertragen werden soll , bis dann später die Lehre des
Contrapunkts, der Imitation , der Fuge hinzukommt und es möglich
macht , grössere Werke , die Compositionen eines S. Bach etc. vor-
zunehmen. Als Uebergang zu diesen kann dienen: Vorschule zu
Joh. Sebastian Bachs Orgel- und Klaviercompositionen (Gradus ad
Parnassum Opus 4) von dein trefflichen Kühmstedt , dessen
„Kunst des Vorspiels Op. 6, oder die Kunst der Entwicklung eines
musikalischen Motivs 11 etc. und insbesondere zur bleibenden und
klaren Begründung des musikalischen Satzbaues 25 leichte und
melodiöse Präludien von Kühmstedt Op. 12 u. dergl. m. Besonders zu
empfehlen ist noch Herzogs praktisches Hülfsbuch für Organisten
Op. 10 und dessen praktischer Organist Bd. 1 — 4, sowie die
treffliche Orgelschule von Schütze und die 48 Trios von Fr. Schneider.
Tritt nun zu diesem allen noch eine übersichtliche Darstellung der
Geschichte der Tonkunst, insbesondere der kirchlichen, und ein kurz-
gefasster auf Anschaulichkeit gegründeter Unterricht im Orgelbau,
dann eignet sich der junge Organist für einen kirchlichen Beruf, vor-
ausgesetzt, dass er Talent, Fleiss und Liebe für die Sache hat und
ihm vom Staat und der Kirche Verhältnisse geboten werden, die
ihm eine nach allen Seiten hin genügende Erfüllung seiner Berufs-
pflichten ermöglichen.
(Fortsetzung folgt.)
MM*-
CORRESPONDENZEN,
AUS WIEN.
Anders Wieder-Auftritt.
Betäubt von dem Beifallsjubel, den ein freudetrunkenes Publikum
seinem Liebling einen langen Theaterabend hindurch in allen Ab-
stufungen begeisterter Extase darbrachte , taumelte ich nach Hause.
Vergebens suchte ich die Eindrücke der heutigen Aufführung von
F 1 o t o w s „Martha" in meinem Gedächtniss zu ordnen , vergebens
wollte ich zu einer ruhigen Anschauung der Leistungen des ge-
feierten Lieblings gelangen , es ging nicht. Noch immer tobte der
Beifallssturm , der sich wie ein wilder Orkan von den Gallerien
nieder wälzte, und wieder vom Parterre wie der Samum der Wüste
betäubend zu den Gallerien aufwirbelte , in meinen Ohren, noch
flirrten mir die zahllosen Blumen- und Kränze - Spenden vor
den Augen , Gehör und Gesicht umgarnt von den sinnverwirrenden
äusseren Eindrücken sind nicht im Stande sich Rechenschaft zu
geben von. ^sm Chaos , den sie in sich aufgenommen , der kritische
Nerv ist gelähmt, und es bleibt nur das Bewusstsein einer Verhim-
melungsorgie beigewohnt zu haben, wie ich sie noch von keinem
Publikum einem Künstler zu Ehren begehen sah. Herrn Anders
i
erstes Auftreten nach seiner längeren Unpässlichkeit bildet einen
bleibenden Moment in der Geschichte der Künstler-Ovationen I —
Die grossen Anstrengungen auf der letzten Kunstreise hatten die
Stimmkraft dieses Sängers bedeutend erschüttert, so dass er nach
seiner Heimkehr und nachdem er hier einigemale aufgetreten , von
einem bedenklichen Unwohlsein ergriffen wurde , das die übelsten
Folgen erwarten liess. Mehrere Tage drehte sich die Residenz zum
Trotz aller politischen Interessen, einzig und allein um den Unfall
welcher, den Sängerliebling getroffen, und wie es gewöhnlich der
Fall ist, wurde das Uebel von Frau Fama noch um ein Bedeutendes
vergrössert. Man gab die Stimme Anders bereits schon verloren
und mit ihr so viele Genüsse, die sie noch für die Zukunft in Aus-
sicht stellte. Einzelne Berichte welche über seine Besserung von
dem Landaufenthalte einlangten, kamen nicht ins allgemeine Publikum
und wenn sie sich auch bis dahin Bahn brachen , waren sie doch
nicht im Stande, die Befürchtungen ganz zu entkräftigen. Plötzlich
kehrt der Liebling nach der Residenz zurück und schon nach wenigen
Tagen verkünden die Zeitungen sein erstes Auftreten in „Martha"
Wer das hiesige Publikum kennt, der wird es begreiflich finden, dass
an diesem Abend die Räume die Andringenden nicht aufnehmen
konnten, wem aber der Charakter der leicht erregbaren Wiener nicht
ganz unbekannt, den kann es nicht überraschen, wenn er hört
wie das trunkene Publikum seinem wiedergefundenen Liebling in aus-
gelassener Lust entgegenjubelt ! Aber auch nur unter solchen Um-
ständen können solche Ovationen einem Sänger dargebracht,
entschuldiget werden , unter andern Verhältnissen müsste jeder
unbefangne Beurtheiler mitleidig die Achsel zucken über ein Publi-
kum, das sich in einer so ernsten Zeit aufgelegt fühlt zu so
stürmischen Ausbrüchen der Lust bei dem Wiederauftritt eines
Sängers.
Da die Sommer-Saison, die jetzt zur Ende ist, ohnehin so wenig
Interessantes in musikalischer Beziehung geboten, um es dem aus-
wärtigen Lesepublikum mitzutheilen, ergreife ich die Gelegenheit eine
kleine Charakteristik des Sängers A n d e r , dieses Heldendes
Tages, zu entwerfen. Es sei mir erlaubt zugleich bei Beurtheilung
seiner Künstler- Individualität einige geschichtliche Rückblicke in
sein Leben und seine Kunstbildung zu werfen.
Die Kunstgeschichte, ja die Geschichte überhaupt, hat sehr
wenige Beispiele aufzuweisen von so auffallendem Schicksalswechsel
wie ein solcher in dem Leben des Sängers Ander die Hauptrolle
spielt. Man hat Beispiele , dass aus der Hefe des Volkes Staats-
männer hervorgegangen sind, welche Einfluss auf ihre Zeit gewonnen,
welche Staaten regiert und mit den höchsten Ehrenstellen bekleidet
waren, ja ein korsischer Artillerie-Lieutenant ist auf den Thron der
Könige von Frankreich gestiegen und hat dasScepler über Millionen
geschwungen; allein bei diesen Alien hat das Glück als Führer
seine Lieblinge erst nach und nach bis zum höchsten Gipfelpunkt
erhoben; nicht mit Einem male wurde das Höchste erreicht. Mit
Ander hat das Glück eine seltne Ausnahme gemacht. Er ward
über Nacht vom obskuren Diurnisten mit einem halben Gulden
täglichen Gehalt — der gefeierte Liebling des Wiener Publikums,
vom wenig bekannten Dilettanten — der Mann des Tages! Dass ihm
das Glück seit seinem ersten Anftreten nunmehr durch 8 Jahre treu
geblieben, dies mag wohl immerhin in seinem guten Sterne zu suchen
sein, allein wie Viele vor ihm haben im Künstlerleben Momente ge-
habt, wo ihnen das Glück freundlich zulächelte, und sie vermochten
es nicht zu fesseln, sie verstanden es nicht den Augenblick zu be-
nützen, sie vergassen, dass das Glück ein kokettes Weib ist, das sich
seine Günstlinge wohl seihst aufsucht dann aber auch von ihnen
hofirt sein will. Wer könnte es wohl leugnen, dass Herr Ander
von dem Augenblick an , als das Glück sein in ihm schlummerndes
Talent schon zur öffentlichen Anerkennung gebracht, sich nicht mit
allen Kräften bemüht habe , dieses Talent zu pflegen , auf dass es
im Sonnenschein der allgemeinen Gunst schnell aufwachse und
erstarke, um eben diese Gunst eiuigermassen zu verdienen ?
Sie war es auch , welche den Funken , der in seiner Seele ge-
legen : den Drang Bedeutendes in der Kunst zu leisten , angefacht,
und so ist Ander ein wahrer Künstler geworden, der mit Fleiss
und Ausdauer das höchste Ziel zu erstreben sucht. Das Glück hat
aber auch bei ihm auf die schnelle geistige Entwickelung Einfluss
genommen, er konnte, von ihm so hoch gehoben, sich nicht herab-
ziehen lassen zu dem handwerksmässigen Treiben vieler seiner Col-
- 195 —
legen. Diese allgemeine Hochschätzung war ihm ein mahnen-
der Sporn, seine ganze Kraft einzusetzen , nm seine Leistungen auf
den gleichen Höhepunkt mit ihr zu bringen. Mögen wir es ihr dess«
halb auch verzeihen , wenn sie im Wettstreite mit den Bestrebungen
des ehrgeizigen Künstlers öfter in Uebersch Atzung umschlug.
Was seine Stimme betrifft, so steht diese jetzt in dem kurzen
Zeiträume von 8 Jahren bereits in ihrem dritten Stadium. Im
ersten war dieselbe wohl kräftig und umfangreich, doch fehlte ihr
aller Schmelz, da durch einen fehlerhaften Ansatz der Ton gepresst
aus der Kehle kam und somit einen Theil seines natürlichen Wohl-
klanges einbösste. Was kein Studium von seiner Seite und kein
Unterricht von Gesangslehrern früher zu beseitigen vermochte,
sollte er auf einer Kunstreise gewinnen. Als Ander damals von
Dresden zurückgekehrt war, hatte er eine geregelte (oder besser
die natürliche) Bildung des Tones sich eigen gemacht; seine
Stimme klang nun frei und zwanglos, ein eigentümlicher Reiz ent-
faltete sich in seinem getragenen Gesänge > und die Stimme war in
das zweite Stadium getreten. Wieder einer Kunstreise war es
vorbehalten , eine neue Veränderung in seiner Stimme zu bewirken
diese Veränderung aber , ich muss es mit Bedauern sagen , hat die
Stimme um einen grossen Theil ihrer Kraft und Ausdauer gebracht
und es ist für den Sänger und auch im Interesse der Kunst zu
wünschen , dass die Stimme aus diesem sehr bald in ein viertes
Stadium übertrete ; denn Stimmkraft und Tonfrische ist durch keinen
noch so künstlerisch tiberdachten und gewandten Vortrag zu ersetzen
und alle Palliative reichen nicht in der Länge ans; über kurz oder
lang wird der noch so sorgfältig verhehlte Mangel sichtbar.
In Bezug auf Darstellung hat der Sänger in der kurzen Zeit
seiner öffentlichen Wirksamkeit Ausserordentliches geleistet. Immer
von der Erkenntniss des Schönen geleitet, ist es ihm gelungen, so-
wohl in Hinsicht auf musikalischen Vortrag, wie auch auf das Spiel
den strengsten Kunstanforderungen zu genügen. Seine Auffassung
ist, wenn auch vielleicht nicht immer die ganz richtige, doch stets
eine poetische. Seiner Characterzeichnung mag man mitunter ein
zu sichtbares Hinneigen zum Pathetischen vorwerfen, man wird
ihr jedoch zugestehen müssen, dass sie, hervorgegangen von dem
Standpunkte einer künstlerischen Anschauung, sich stets über das
Gemeine erhebt, und nie dem Unküustlerischen huldigt.
So weit der Künstler und nun nur noch ein Paar Worte über
den Menschen. Eine wahrhaft poetische Natur im Künstler,
kann auch im gewöhnlichen Leben niemals dem Gemeinen verfallen
und ihre Fehler werden gewiss immer tief unter ihren Vorzügen
stehen. Ander ist auch im Leben eine wahre, ächte Künstlernatur.
Angenehm im Umgange, leicht erregbar ohne Intrigue , mit empfäng-
lichem Gemülhe und leichtem Sinn , offen und ^teilnehmend gegen
seine Freunde und Collegen, wenn eben auch nicht ohne Eitelkeit,
doch gerne das Verdienst Anderer anerkennend. Ein schöner Zug
seines dankbaren Gemüthes ist, dass er dem Männergesang-
Verein in Wien aus dessen Mitte er hervorgegangen, bis auf die
letzte Zeit treu anhing, eingedenk der aufrichtigen und thätigen Theil-
nahme , welche die Mitglieder desselben damals bei seinem Hinaus-
treten in die Oeffentlichkeit für ihn bewiesen.
Ander ist ein Phänomen am musikalischen Himmel , dem nur
zu wünschen, dass es sich nicht eben so bald wieder auflöse als es
überraschend schnell erschienen! —
p»»o«
AUS STUTTGART.
Im November.
„Giulia oder die Corsen," ernste Oper in 3 Akten von Lewald
und Lindpaintner, ging gestern zum erstenmal über die «Bühne. Das
Stück spielt im Jahr 1768 auf Corsica, zu einer Zeit als sich Frank-
reich und Genua um den Besitz der Insel stritten , und England die
Unabhängigkeit des Landes vertheidigte. Die Handlung ist folgende:
Giulia, die Tochter Paolis, des Generals von Corsika, verlobt mit
einem Grafen Sanvitale, liebt einen Franzosen. Bei einem Zusammen-
treffen der beiden Nebenbuhler fiel der Graf im Zweikampf und
Oscar musste fliehen. Von dem Unglückstage an war Giulia geistes-
krank. — Oscar tritt mittlerweile als Arzt bei der englischen Flotte
in Dienst, und kommt nun unerkannt unter dem Namen Reynold in
Begleitung englischer Offiziere auf Paolis Schloss. Nur Lorenzo, ein
alter Diener des Ermordeten, wird aufmerksam auf die Fremden»
Der bekümmerte Vater bittet den Arzt , die Heilung seiner Tochter
zu versuchen. Er führt ihn zu ihr $ sie erkennt ihn nicht. Während
Paoli gegen die Feinde seines Landes kämpft, sucht Reynold die
Schwermuth Giulias durch Erinnerung an glückliche Stunden der
Liebe zu heilen, doch vergebens. Sie erkennt in ihm nur einen
Freund des Geliebten. Lorenzo belauert seine Schritte, und hat
schon die vier Brüder des Erschlagenen zur Blutrache geladen.
Auf dem Platze, wo jener gestorben, bereitet er ein Mahl für die
Rächer und ihr Opfer. Die Gäste kommen. Man erzählt von dem
Geiste des Ermordeten , der hier umgehe , bis sein Tod gesühnt sei.
Sie setzen sich zu Tische. Reynold hat kein Wasser. Da reicht
ihm Lorenzo den rostigen Dolch , mit dem jene unheilvolle That ge»
schehen. Reynold springt entsetzt auf, und soll nun mit dem Leben
büssen. Die Rächer dringen auf ihn ein , da erscheint der Geist , —
doch nein ! es ist Giulia, die im Augenblicke der Gefahr ihren Ge-
liebten wieder erkannt. Zugleich tritt Paoli auf, von einer jubelnden
Volksmenge begleitet. Durch seine Tapferkeit und Englands Flotte
sind die Feinde besiegt. Unter den Klängen des Rule Brittan/lia
eilt Giulia, geheilt von ihrem Irrsinn, in des Vaters Arme, und
dieser gibt ihre Hand dem trefflichen Arzt und treuen Bundesgenossen.
Nach einmaligem Anhören dieser Oper ein entscheidendes Unheil
oder gar detaillirte Recension über die Musik zu geben, wäre fart
unausführbar, jedenfalls ungerecht. Im Ganzen ist der Eindruck
derselben nicht bedeutend, weil die Oper an verschiedenen Stellen
zu gedehnt ist, und die Handlung den Zuschauer nicht immer in
gleicher Spannung erhält Schöne Motive sind viele da , aber nur
eine zündende Melodie, nämlich das englische Flottenlied Rule Bri-
tannia. Unter den übrigen glaubt man oft alte Bekannte zu finden»
Aber reich ist die Musik an dramatischen Effekten, namentlich auch
in der Instrumentirung. Darunter ist zu nennen das Allegro der
Ouvertüre, einige Chöre, Quintett am Schluss des ersten Akts , das
Bild einer Seeschlacht im Anfang des zweiten , die Scene zwischen
Giulia und Reynold, der Gewittersturm im 3. Akt'., der Schwur der
Rächer (Quintett) und die ganze folgende Scene; wie überhaupt
dem Componisten die Parlhien, worin das unheimliche und tragische
Element der Oper hervortritt, am besten gelungen sind. Werlhvolle
Gesangnummern sind ausserdem im ersten Akt ein Terzett für &
Männerstimmen (übrigens gar zu schwierig) , ein Männerquartett im
2. Finale, und ein Terzett für 3 Soprane im 8. Akt. — Vom
Orchester wird nicht wenig verlangt, und von den Sängern beinahe
zu viel. Hätten wir Frau v. Marra nicht , so wäre wohl die Rolle
der Giulia kaum zu besetzen gewesen. Um so mehr ist die Leistung
der Dame anzuerkennen. Auch ihr Spiel war ausgezeichnet, und sie
verdiente den Beifall des Publikums weit mehr als Pischek (Lorenzo)
welcher manche Effekte in seiner dankbaren Parthie durch Schreien
und Tremoliren verdarb. Gut waren auch Hr. Rauscher (Reynold),
Frl Basse (Adina, Freundin der Giulia) und das Quartett der Grafen.
Ueberhaupt bemühten sich alle Mitwirkenden , dieses nette Werk
Lindpaintners würdig aufzuführen.
NACHRICHTEN.
Frankfürt a. M. Die letzten Tage der verflossenen Woche*
waren in musikalischer Beziehung sehr reichhaltig, Am Donnerstag
führte der Rühlsche Gesangverein Händeis Oratorium Allegro und
Penseroso, Text von Milton, (zum ersten Male in Deutschland) am
Freitag der Cäcilicn- Verein dessen Josua auf. Samstag endlich ging»
damit der Contrast nicht fehle, Flotows neueste Oper „Rübezahl"
zum ersten Male über die Bretter. Der Cömponist war selbst an»
wesend, um, wie sich ein Blatt ausdrückt, das Frankfurter Publikum,
welches von seiner so vielfach verkannten Indra entzückt ist, kennen
zu lernen. Die Aufführung war eine sehr gelungene. Namentlich
zeichnete sich Mad. Anschütz aus. Mehrfacher Hervorruf belohnte
die Darsteller wie den Componisten. Die Musik enthält viele wirk-
ungsvolle Nummern, doch ist im Ganzen auch hier wie bei der Indrav
eine Abnahme der Kraft des Componisten nicht zu läugnen.
m
Darmstnclt. Die musikalische Saison ist eröffnet. Mit Au»u
«ahme der Streicbquariett-Mattneen, die erst später beginnen werden,
haben slte Vereine ihre Unterhaltungen begonnen* Der Dilettanten*
verein mit Aufführung des ersten Thcils von Paulus, der Mozart-
verein, die Liedertafel und übrigen Genossenschaften, mit den ihrer
Tendenz entsprechenden Programmen. Zu den bestehenden Vereinen
gesellten sich in diesem Jahre 4 Conzerte von Seilen der Grosshrzl.
Hofmusik, wovon bereits das erste stattfand. Beethovens 7te Sin*
fonie, Mendelssohn's Ouvertüre zur Fingais Höhle, der Gang nach
dem Eisenhammer mit Musik von B, A. Weber und eine Arie aus
Titos, war dessen Inhalt.
Das Hoftheater, welches sich durch eine grosse Mannigfaltigkeit
seines Repertoirs . rücksichtlich der älteren und neueren Oper der
verschiedenen Schulen auszeichnet, brachte auch Wagners Tann-
häuser zur Darstellung und zwar in der glänzendsten Ausstattung
mit reichen Dekorationen und Costümen. Diese Oper, welche be-
reits 3mal gegeben wurde, hat natürlich auch hier wie überall, Contro-
versen in Menge zu Tag gefordert. Dem Erscheinen des Lohengrin
von demselben wird im Laufe des Winters entgegengesehen.
Heidelberg. Dem bisherigen Akademie-Musik- Direktor Herrn
Winkelmeier, welcher als Dirigent der Liedertafel nach Mainz ge-
gangen ist, wurde vor seiner Abreise von dem Liederkranz ein
Ständchen gebracht und ihm ausserdem ein silberner Ehrenbecher
überreicht.
Köln. Die Herren Derckum, Hartmann , Peters und Breuer,
welche seit Jahren Quartett-Aufführungen veranstalteten, haben sich
mit den Herren Pixis, Hiller, Franke und Reinecke zu gemeinschaft-
lichen grösseren Aufführungen vereinigt. Es werden 6 Abend -Unter-
haltungen stattfinden , von denen die erste am 15. November ge-
geben wurde.
— Am 25. Nov. wurde Wagners Tannhäuser zum ersten
Male hier aufgeführt.
Düsseldorf. R. Schumann gibt seine hiesige Stellung, die er
bei dem allgemeinen Missmuth über seine Leitung nicht länger be-
haupten konnte , auf und geht nach Leipzig. J. Tausch, welcher
schon seit längerer Zeit die Uebungen des Gesang- Vereins leitet,
wird wahrscheinlich sein Nachfolger werden.
Wien. Das zweite Debüt der Frl. La Grua als Valentine hatte
sich auch nur eines getheilten Beifalls zu erfreuen. Dieselbe studirt
gegenwärtig Fidelio ein , welche Rolle wohl ihr Prüfstein werden
wird. — Die 4 Gebrüder Müller sind angekommen und haben unter
grossem Beifall bereits zwei Concerte gegeben. Balfe hat seine
Oper Th — R — oder Keolanthe (die Lesarten sind verschieden),
die vor 13 Jahren componirt worden, nach Kräften ausgebessert
um sie vor dem Wiener Publikum Gnade finden zu lassen. Nicht
weniger als 7 Nummern sind neu dazu gekommen. In Aussicht
steht Flotows Rübezahl.
Prag. A. Dreyschock gab hier am Z7. Nov. seine erste Matinee.
Derselbe trug das G-moll Concert von Mendelssohn , Spinnerlied
von demselben, den 1. Satz der Sonate pathetique und eine Rhapsodie
eigner Composition vor. Ein Duett von Veit, „Zwiegesang der Elfen"
für Sopran und Alt, musste wiederholt werden. Die Franzosen vor
Nizza, Oper von J. F. Kittl, gingen neu in Scene gesetzt über die
Bühne.
Hannover. Tony, die neue Oper von dem Herzog von
Sachsen Coburg, kam hier zur Aufführung; über den Erfolg lauten
die Berichte sehr verschieden.
— Herr Berlioz hat hier im Theater 2 Concerte gegeben.
Berlin. Im Januar soll die neue Oper von Dorn „die Nibe-
lungen" zur Aufführung kommen. Die Kosten der Inscenirung be-
tragen ca. 10,000 Rthlr.
Iiemberg. Anfangs November gelangte hier eine Oper von dem
hiesigen Kapellmeister Müller, „Roland von Toggenburg" Text von
E. Pasque* zur Aufführung,
Antwerpen* Bazzini giebt hier Concerte. Nach Schluss der-
selben wird er eine längere Kunstreise in Holland machen, um später
nochmals nach London zu gehen , wo er in der jüngsten Saison viel
Beifall gefunden und bei Hof zu spielen sofort eingeladen wurde.
Paris. In der letzten Sitzung der Akademie wurde der Nach-
folger Onslows gewählt. Reber siegte mit 18 Stimmen über seine
Mitbewerber, von denen Clapisson 16 erhielt. In den musikalischen
Kreisen hat es grosses Aufsehen, dass die Akademie für die vakante
Stelle Clapisson, David, Niedermayr, Reber und Lebrun vorgeschlagen
und Hektor Berlioz übergangen hat, obgleich derselbe unter den
Bewerbern war.
— Der Contrakt der grossen Oper mit S. Cruvclli ist endlich unter-
zeichnet worden. Ihr Engagement beginnt von Neujahr an. Ihre ersten
Rollen werden Jüdin und Valentine sein. Mad. Tedesko trit mit dem
1. Februar einen 3monatlichen Urlaub an.
— Seit kurzem ist das Projekt einer „Entreprise geWrale de tous
les theatres de France" aufgetaucht. — Alle Theater der Departements
sollen von einer einzigen Administration in Paris geleitet werden.
Das Capital soll etwa 9 — 10 Millionen Fr. betragen, indem die Sub-
ventionen und Einnahmen der vorzüglicheren Theater Frankreichs
in einer fruchtbaren Assocalion organisirt und von einer Central-
Verwaltung dirigirt werden. Es soll mithin weder Aktien- noch Börsen-
Spekulation dabei geben. Natürlich wird dem Projekte der Vorwurf
gemacht, ein Monopol zu gründen. In der That muss man sich die
Frage stellen , was aus einem Künstler werden würde , der sich mit
dieser Central- Verwaltung überworfen hätte? Jedenfalls ist das S^°"
jekt in mehr als einer Beziehung interessant. — Die italienische Oper
wurde mit Cenerentola von Rossini eröffnet ; der Erfolg dieser ersten Vor-
stellung war viel versprechend. Die Alboni (Gräfin Trapoli), Tamburini,
Gordoni und Rossi sangen die Hauptparthien der Oper.
Die Zweite der vorgeführten Opern war Lucrezia Borgia
mit Mad. Parodi, einer Novität, die nicht besonders gefallen hat. —
Am 29. wurden die Puritaner mit der Frezzolini vorgeführt. Jede
Woche eine neue Oper und eine neue Sängerin. Trotzdem ist die
italienische Oper auch in diesem Jahr — schlecht und die Unter-
nehmer werden wie gewöhnlich die Zeche bezahlen müssen. Sogar
französische Blätter, die sonst zu den eifrigsten Verfechtern der ita-
lienischen Oper gehören, stellen Herrn Ragani dies unangenehme
Prognosticon.
New- York. Die musikalischen Ereignisse häufen sich hier so-
dass New- York bald mit Paris coneuriren kann. Concerte folgen
auf Concerte, eine Italienische Oper auf die andere und Jullien setzt
dem Ganzen die Krone auf. Bemerkenswerth ist für uns nur das
Abschieds-Concert der Begleiter der Madame Sontag : C. Eckert
und Pozzolini, von denen der erste nach Europa zurückkehrt , der
zweite dagegen nach Cincinati und S. Louis geht f wohin ihn glän-
zende Engagements rufen.
— Madame Sontag bereist gegenwärtig Pensylvanien. Rocco,
A. Jaell und P. Jullien (der Violinist) sind diesmal ihre Begleiter.
Boston. Jullien ist mit seinem Orchester hier angekommen.
Bedeutende Concurrenz macht ihm ein Deutsches Orchester, dirigirt
von einem Herrn Bergmann, welches bei den Bostonern sehr in Gunst
steht.— Dass man hier hinter Europa nicht weit zurück ist, beweist
das Programm des letzten Concerts, in welchem unter Andern Beeth-
hovens C-moll- Sinfonie, Mendelsohns Ouvertüre zur Athalia und
Wagners Ouvertüre zu Tannhäuser executirt wurden.
Y Nach der Wiener Musikzeitung ist die von Paris aus ver-
breitete Nachricht von dem Tode Döhlers eine der Zeitungs-Enten,
die in aller Gcmüthlichkeit durch die Welt schwimmen , bis ihre
wahre Natur entdeckt wird. Döhler, der sich gesund und wohl in
Florenz befindet, hat in einem Briefe, an den Pianisten L. Meyer
eigenhändig erklärt, dass er sich der Zeit noch unter den Lebenden
befinde.
y C. Eckert, von seiner Reise nach Amerika zurück , fand in
PariB zwei Offerten als Orchesterdirigent nach München und Wien
vor. Er hat die letztere angenommen.
TertBtWortlichcr Redakteur: J. J. SCHOTT. - Druck tob REUTER u. WALLAU In Mtta.
2. Jahrgang.
Vm äO.
12. Decbr. 1853.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint Jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Hnsik- nnd Buchhandlungen.
REDACTION HD VERLAG
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
PREIS:
fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Str.
rar 4ca Jahrsang.
Dnrch die Fest, bezogen :
SO kr. »der 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt t Der gegenwärtige Stand des Orgelspieli in Franken. II. 3. — Literarisches. — Die 6 Motetten von J. S.Bach.— Corresp. (Wien.) — Nachrichten.
DER GEGENWÄRTIGE STAND DES ORGELSPIELS
IM FRANKEN.
IL 3.
Um den jungen Organisten die Erfüllung ihrer Berufspflichten
möglich zu machen müsste vor Allem:
3. Eine gründliche Reform unseres Orgelbau*
wesou s vorgen o mmen wer den. Wir haben bereits in der
I. Abtheilung unserer Arbeit den jämmerlichen Zustand unserer
Orgeln geschildert, wir haben dort namentlich auf die unvollkommne
Anlage der Pedale, die theils gebrochen sind, theils kaum eine Octave
umfassen, hingewiesen und dass sogar heutigen Tages noch solche
Werke gebaut werden, obschon es nicht nur jeder Organist, sondern
jeder Orgelbauer wissen dürfte, dass unsre guten Orgelcomposilionen
alle auf einen Pedalumfang von 2 Octaven berechnet sind und also
ohne diesen Umfang nicht richtig vorgetragen werden können. Es
ist dann ferner sub. 1. bei dem Vorschlag, einen Distrikts-Musik-
Direclor anzustellen, bereits bemerkt, was dieser Mann zur Hebung
unsers Orgelbaues beitragen köune und auf welche Weise. Wir
können uns daher kurz fassen über diese Materie , wenn wir zuvor
noch einer Verordnung von Bayern gedacht haben, die sehr nach-
theilig aufs Orgelspiel einwirkt. Unsere Behörden gehen nämlich von
dem Grundsatze aus, dass Orgel-Virtuosen bei Orgel-Concerten die
Orgelwerke ruiniren und haben desshalb verordnet , dass bei allen-
fallsigen Orgelproductionen der Organist specielle Erlaubniss einzu-
holen habe. Wir wollen davon schweigen , dass je tüchtiger der
Künstler auf seinem Instrument ist , desto weniger dasselbe durch
seine Behandlung leidet, und dass ein je grösserer Stümper er ist,
er desto verderblicher auf den Mechanismus des Werks einwirke.
Wir wollen nur das Eine erwähnen , dass grosse Orgel-Virtuosen
einen unendlich wichtigen Einfluss auf den jungen Organisten haben,
ja selbst auch auf den bereits herangebildeten. Sie werden seine
Vorbilder und ziehen ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zu diesem
erhabenen Kunstzweig hin , so dass er weder Mühe noch Opfer
scheut , dem Ideale , das er in einem wahren Künstler erschaute,
sich allmählig zu nähern. So wie die Bienen den Blumenstaub von
einer Blume zur andern tragen und diese befruchten , so befruchten
diese Künstler die junge Organistcnschaar, indem sie in unserm
Vaterland von Ort zu Ort, von einem tüchtigen Orgelwerke zum
andern ziehen. Uebrigens ist dieses Einholen der Erlaubniss beim
hohen Consistorium oder bischöflichen Ordiuariat mit solchem Zeit-
verluste und sonstigen Unannehmlichkeiten verknüpft, dass jedem
Orgelvirtuosen , die jetzt ohnehin sehr selten geworden sind , die
Lust vergeht, Bayern zu betretenes müsste denn viele Hochmeier
und K 1 o s s geben , deren Chalatanerien bereits im Auslande die
gebührende Würdigung gefunden hatten. Es liesse sich diese Ver-
ordnung allenfalls noch rechtfertigen, wenn wir noch viele Orga-
nisten hätten wie Vogler, der durch Anwendung seines Simplifica-
tions-Systeras viele Werke ruioirte, der ankündigte, dass er ein Ge-
witter, eine Seeschlacht, den Einsturz der Mauern von Jericho, das
Reisstampfen der Afrikaner etc. darstellen werde*).
Dieser Charlalanismus ist , Gott sei Dank ! bei den deutschen
Organisten selten geworden und man dürfte oben erwähnte Verord-
nung gerade zu aufheben, da die nächst vorgesetzte Kirchenbehörde
schon dafür sorgen wird , dass aus dem rechten Gebrauch
kein Missbrauch werde. Haben wir gehobenen Orgelbau, tüchtige
Lehrer im Orgelspiel und eine sachverständige Beaufsichtigung , so
wird gewiss , wenn noch eine nach Verdienst lohnende Beförderung
guter Organisten hinzukommt, unser Orgelspiel heranblühen und es
wäre dann nur noch dafür zu sorgen, dass der Eifer und das Streben
nach Fortbildung unter den bereits angestellten Organisten 4, durch
Errichtung von Conferenzen und Orgelvereine fort-
während wachgehalten werde. Es ist nun einmal so ,
dass der Mensch selten eines äusseren Antriebs völlig entbehren
kann, um so mehr, wenn ein z u allseitiger Beruf den Manu über
Q.e.bjjh.r in Anspruch nimmt und seine Kräfte niederbeugt. — - Dann
hebt und kräftigt aber ein allgemeines Streben zwischen Männern
von gleichem Stande und gleichem Berufe ausserordentlich. Es
würde zunächst der Zweck dieser Conferenzen oder Orgeivereine,
deren Leitung nun auch wieder der Districts-Musik-Direktor zu über-
nehmen hätte, kein anderer sein als, die Lücken , die theils bei der
Vorbereitung und theils bei der Seminarbildung übrig blieben, aus-
zufüllen und sowohl die theoretische, als praktische Organisten-
bildung ihrer höhern Vollendung zuzuführen. Sowie schon im Semi-
nar die musikalischen Studien mannigfaltig waren, so sind sie es
auch jetzt und gewinnen sogar noch an Mannigfaltigkeit. Nach
unserm Ermessen zerfallen sie :
a) in theoretische und praktische,
b) in mittelbare und unmittelbare und
c) in einzelne und gemeinsame.
Auf dem Gebiete der Theorie erscheint nunmehr das selbsthätige
Forschen, ein umfassenderes Studium der Aesthetik und der Ge-
schichte der Musik und der Partituren älterer und neuerer Meister.
Die praktischen Uebungen in der Composition liefern Zwischen-
spiele, Vor- und Nachspiele, Choralbearbeitungen, Fugetten, Fugen
etc. und die praktischen Uebungen im Orgelspiel beschränken sich
auf den Vortrag eigner Gompositionen und klassischer Musterwerke,
insbesondere Partitur- Vorträge, auf der Orgel natürlich mit durch-
gängig obligater Pedalbehandlung, der Werke von Palestrina, Nanini,
Orlando di Lasso, Pergolese u. s. w. Daneben aber werden alle
*) Der musikalische Almanach für Deutschland a. d. Jahre 1784 S. 137 bat einen
merkwürdigen Konzertzetiel Voglers der Vergessenheit entzogen. Dieser enthalt folgendes
I. Habens jüngstes Geriebt.
I, Prachtvolle Einleitung; 2. Die Posaune erschallt dnrch die Graber, sie öffnen sieh;
S. Der erzürnte Richter spricht das schreckliche ürtheii aber die Verworfenen ; ihr Fall
in den Abgrund : Knirschen nnd Beulen ; 4. Die Gerechten nimmt Gott zur ewigen Seligkeit
auf. Ihr Wonnegefühl ; 5 die Stimme der Seligen vereinigt sich mit den Chirea der Engel.
II. Eine Sees chl «cht,
1. Das Trommelrühren; 2. Die kriegerische Musik und Marsche; 3. Die Bewegung der
Schilfe, 4. Durchkreuzen der Wellen. S. Kanonenschüsse; 6. Geschrei der Verwundeten ;
7. Siegjauchxen der trlumphlrenden Flotte. *<■
v^ • M*fml
jene musikal. Beschäftigungen , die einen mittelbaren Einfluss auf
die Bildung des Organisten haben z. B. Gesang, Quartettspiel,
Instrumentirung etc. eifrig benutzt, denn die Musik ist in ihrem Grund-
wesen stets die eine und sich selbst gleiche ; Alles , was man sich
auf irgend einem Gebiet derselben aneignet« wenn ea nicht etwa«
speciell Technisches ist, kommt Einem auf jedem andern wieder'
zu Gute. Desswegen müssen neben den unmittelbaren Studien
auch die mittelbaren gepflegt werden , eingedenk der Worte : „Alles
muss ineinander greifen, Eins durch das andere gedeihen und reifen."
Und so wünschen wir denn auch , dass die Mittel , die wir
im positiven Theil unserer Arbeit zur Hebung des gesunkenen
Orgelspiels in Franken bezeichnet haben , in ihrer Totalität
und nicht einzeln zur Anwendung kommen , damit auch sie sich
gegenseitig unterstützen, durchdringen und ineinander greifen , dann
wird gewiss ein gesegneter Erfolg unser Streben krönen und unser
Orgelspiel auf eine ebenso erfreuliche Weise heranblühn , wie es
bereits in verschiedenen deutschen Staaten der Fall ist*
Würzburg.
H.
»o»»^»
LITERARISCHES
— * §. W. H. Riehl veröffentlichte in dem eben erschienenen
vierten Hefte der „deutschen Vicrtcljahrsschrift" sechs interessante
und lehrreiche „Briefe an einen Staatsmann über unsere musikalische
Erziehung"' In der bekannten lebendigen und klaren Weise, seinen
eigenen merkwürdigen Bildungsgang skizzirend, spricht er sehr ein-
dringlich über die Notwendigkeit eines viel eindringenderen Studiums
der Musikgeschichte. „Ein unstätes Vorwärtsdringen ohne Ziel und
Rückhalt charakterisirt unsere gegenwärtigen Musikzustände. Ein
Jeder will etwas unerhört Neues schaffen. Ein Jeder producirt nur
für sich und kümmert sich nicht um das , was Andere mitschaffen
oder vorgearbeitet haben. Dabei ein gegenseitiges Anfeinden, Par-
teien, Neiden und Hassen. Es ist als ob die trübste Gährung des
Jahres 1848 in dem Musiktreiben permanent geblieben wäre. In
den meisten deutschen Musikzeitungen — es gibt auch einzelne ehren-
volle Ausnahmen herrscht nach Form und Inhalt eine Bildungsarmuth, vor
welcher sich der wissenschaftliche Mann mit Verachtung abwendet. Die
Musik hat gegenwärtig fast keinen schlimmeren Feind, als die Musiker.
Ueber nichts ist die gesammte gebildete Welt uneiniger, als über die Fra-
gen des musikalischen Geschmackes und der obersten ästhetischen Grund-
sätze der Tonkunst. Ein Jeder geht bei seinem Urtheil von ganz
andern Standpunkten und Anschauungen aus , wo soll da ein all-
gemeines Unheil herkommen? Ein gemeinsamer Ausgangspunkt kann
aber nur gewonnen werden, wenn die historische musikalische Bildung
eine allgemeinere wird". (181 — 82). Und vorher: „die erste Männ-
lichkeit der Händeischen Musik theilt sich dem Charakter dessen,
der sie mit Hingabe studirt, sympathetisch mit , und wer ein Mann
werden will , der sollte seine historischen Studien der Musik mit
Händel eröffnen. Ich halte es für eine Gunst des Geschickes, welche
ich nicht dankbar genug anerkennen kann , dass es mir vergönnt
war, in demselben Lebensalter, wo ich auf der Schule zu den
Classikern des Alterthums geführt wurde , zugleich mit den altern,
dem modernen Geiste fremdartigen Tonmeistern meine musikalischen
Studien zu beginnen. Es beruht auf einem tiefbegründeten pädago-
gischen Princip, dass wir die Jugend durch die philologische Analyse
der nach Stoff und Form uns fernliegenden, altdeutschen, aitgriechischen,
altrömischen Literatur vorbereiten zum Verständniss der ganzen
Literatur- und Culturgeschichte. Gerade die Abgeschlossenheit und
Fremdartigkeit jener alten Schriftwerke macht ihre Lesung zu einer
Arbeit, zu einer Zucht des Geistes, und wo uns der schimmernde
Glanz der neuesten Technik nicht besticht, da bleibt nichts anders
übrig, als den Kern der unvergänglichen Gedanken aus der harten
Schale zu holen. Bei dem musikalischen Unterricht dagegen fährt man
flugs mit den neuesten Opern- und Tanzstückchen darein, wenn
der Schüler eben noch an den Anfangsgründen sitzt" (166).
So wahr dieser Vergleich ist, so auffallend wird er Vielen er-
erscheinen, auch wohl übertrieben. Es ist unglaublich, wie viel die
Wissenschaft der Musik noch nachfolgen muss, bis sie sich einiger -
massen den übrigen Kunstwissenschaften wird an die Seite setzen
können. Auch über verschiedene Meister macht Riehl hie und da
vortreffliche Bemerkungen , z. B. bei Hasse : „Sein einfach schöner
Gesang bei der durchsichtigen , sparsamen Instrumentation gibt ein
Musterbild der Kunst, wie man mit wenig Mitteln viel sagt. Darin
unterscheiden »ich überhaupt die meisten altern Meister von den
neuern, dass jene wenige Mittel aufbieten , um viel zu sagen , und
diese viele Mittel, um wenig zu sagen. Dem Schüler aber, der ge-
wonnen werden soll für eine einfach grosse und edle Kunstrichtung,
kann man solche Componisten, die sich in den Mitteln geflissentlich
bescheideten, nicht fleissig genug vorführen. In diesem Sinne gehört
Hasse zu den lehrreichsten älteren Meistern. Wenn einmal ein neuer
Componist ersteht , der es wieder wagt , einfach zu werden , die
Kunstgriffe einer üppigen Technik zu verschmähen, das Colorit
sparsam aufzutragen, desto grösser und reiner aber die Zeichnung
zu führen, dann wird der wahre Reformator unserer entarteten Ton-
kunstgekommen sein" (169). Auch wird derselbe, nämlich der Reformator,
ablegen Stolz, Hochmuth uad alle Selbstvergötterung, dafür mit dem
Schmuck der Bescheidenheit geziert sein : dieses kleine Attribut er-
laubt sich meine Wenigkeit von dem grossen Zukünftigen zu prophe-
zeien. — Neu ist Riehls Vergleich zwischen Lully und Wagner.
„Lully ist, wie die Philologen sagen, kein „Schulautor". Formell
kann man bei ihm sehr wenig mehr lernen. Man müsste denn allen-
falls durch seine leichtsinnige Harmonisirung sich veranschaulichen,
wie man nicht harmonisiren soll. Dagegen kann man Glucks his-
torische Bedeutung nicht würdigen, wenn man keine Lully'sche Par-
titur studirt hat. Lully ist der Richard Wagner des 18. Jahrhunderts.
Seine Alceste ist, wie er selber sie nennt, eine tragddie mise en
musique, keine Oper. Sie gliedert sich nicht nach Arien , Duetten,
Ensembles u. s. w., sondern nach fortlaufenden Scenen. Das Ganze
ist ein stetes obligates Recitativ, von einzelnen melodiösen Stellen,
Chören , Märschen u. dgl. unterbrochen. Ich sage dies alles von
Lully ; man könnte auch meinen, ich sage es von Wagner ; es gilt
für beide. An vielen Stellen ist Lully überraschend grossartig und
wahr im dramatischen Ausdruck, ganz wie Wagner; dann fällt er
aber auch wieder in eine ungeheure Monotonie des endlos recitirenden
Dialogs zurück, ganz wie Wagner. Die Chöre sind einfach, aber
sie tragen ein Gepräge der Feierlichkeit und Würde, welches, selbst
in Einzelzügen der Harmonie , mitunter an die hohen kirchlichen
Chorgesänge der Italiener des 16. Jhdts. erinnert. Dasselbe nicht
kleine Lob kann man auch einzelneu Chören im Tannhäuser nicht
versagen. Lully opfert die musikalische Architektur dem dramatischen
Ausdruck, er bringt Ansätze zu Melodien , aber er führt sie nicht
aus. So ergibt sich dann doch zuletzt ein zerstücktes, unruhiges,
musikalisches Ganze, welches einen verwirrenden und langweilenden
Eindruck hätte machen müssen, wenn nicht der Prunk einer stets
wechselnden, reichen seenischen Ausstattung, für welchen wenigstens
in der Alceste (und im Tannhäuser) buchstäblich Himmel und Hölle
in Bewegung gesetzt werden , der Phantasie des Hörers bedeutend
zu Hülfe gekommen wäre. Gerade jene Formlosigkeit der Lullyschen
Oper aber war es, die Gluck vernichtet hat, während er das Streben
nach Wahrheit des dramatischen Ausdrucks aufnahm und weiter-
bildete. Gluck steht in der Formiruug seiner Tonsätzc den guten
italienischen Operncomponisten aus der ersten Hälfte dos 18- Jhdts.
weit näher als Lully. Würden sich unsere Musiker nur halb so
viel den'historischen Studien widmen, wie den technischen, so würden
sie einsehen, dass es doch nicht wohl ein so grosser Fortschritt
sein kann, wenn man im 19 Jhdt. von der inzwischen so reich weiter-
gebildeten Weise Glucks zurückspringt auf eine der Weise Lully's
entsprechende Neugestaltung der Oper. Man kann auch aus lauter
Fortschrittsbegeisterung ein Reactionär werden" (171). Riehl stellt in
diesen Worten unzweifelhaft sehr folgereiche Gesichtspunkte auf.
Wir wollen aber auch noch die Worte hersetzen, in welchen er die
löblichsten Seiten Wagners zusammenfasst : „Das ernste Streben
dieses Tondichters nach Reinheit der Dcclamation , Wahrheit und
Kraft des dramatischen Ausdrucks , der Versuch , die grossartigen
Bilder unserer nationalen Heldensagen in kühnen musikalischen Um-
rissen zu zeichnen , getragen von einem würdigen und dichterisch
reichen Text, das freiwillige Verzichten auf alle Arienschnörkel
und Virtuosenstückchen der Sänger (womit freilich das Virtuosen-
stück einer möglichst blendenden Orchestrirung und der Aufputz der
trockenen Melodie durch ein Uebermass gesuchter Modulationen noch
in Widerspruch steht) — das Alles sind Thatsachen , die auf den
Umschwung unserer Musik zu einer tieferen, ernsteren, dem ernste-
- 109 —
reo Geiste der Zeit entsprechenden Richtung siegreich hinüber* eisen
und die auch für die Reform unserer musikalischen Ersiehung nicht
verloren gehen werden" (173). — Riehls Worte sind immer so woM-
thuend, weil sie aas warmem Herzen strömen. Und wenn auch sein
Staatsmann unvermögend ist , die Vorschläge zu nutzen — besser
werden wird es doch mit unserer Ruhst , wenn nur erst sich die
Kräfte in der Stille herangebildet haben. Die Einigkeit und Oeffent-
lichkeit sind Dinge, die mehr oder weniger noch immer wie von
selbst gekommen sind.
DIE SECHS MOTETTEN VON J. S. BACH.
Die sechs bekannten Motetten von J. S. Bach (fünf
8stimmig, eine östimmig) erschienen vor kurzem in einer neuen
Ausgabe bei Breitkopf und Härte!. Die achtstimmige (eigentlich
doppelchörige) Motette „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn",
welche in der frühern Ausgabe als ein Werk J. 8. Bach's bezeichnet
war, ist jetzt ihrem eigentlichen Verfasser zurückgegeben, nämlich
Johann Christoph Bach; dem Onkel Sebastians. Die Ver-
leger sagen auf dem Titelblatte ausdrücklich; „diese Motette war
früher irrthümlich als ein Werk von J. S. Bach unter dessen sechs
8st. Motetten aufgenommen". Bis Köln muss diese Berichtigung
noch nicht gedrungen sein, denn wir lesen in der Niederrh. Mztg.
vom 29. October, am 25. Oct. sei daselbst „J. S. Bachs zweichörige
Motette: Ich lasse dich nicht" aufgeführt worden. Nun, der Irrthum
ist erklärlich, wenn auch nicht sehr löblich. Die lieben Kölner wollten
einmal von Bach etwas vernehmen, und nun muss ihnen das Schick-
sal einen Wechselbalg in die Hand spielen! Bedenklicher aber wird
die Sache , wenn eben daselbst auf Grund dieser Motette
ein Langes und Breites über J. S. Bachs Art und Kunst geredet wird,
das, weil im Winde geboren, wieder in den Wind geht So z. B.
i, Wie es den Singenden mit dem Vortrage , so geht es auch den
Hörenden mit der Auffassung Bach'scher Gompositioncn. Es ist
freilich nicht wahr, wenn man sagt, Bach ergreife das Gefühl nicht,
er rege die Phantasie nicht an. Allerdings fasst er das Gefühl, aber
nur eine Seite desselben , das Gefühl für das Grosse , für das
Erhabene; allerdings bietet er der Phantasie Stoff, aber sehr selten
unmittelbar, sondern erst durch das Denken vermittelt [der arme
Bach nimmt einen zweifachen Umweg, wird erst Philosoph, dann
Dichter, um schliesslich eine musikalische Wirkung hervorzubringen
und alles durch Musik!]. Darum muss man, um ihn ganz zu ge-
messen, denkend folgen und alle Theile im Ganzen und doch
zugleich das Ganze als solches hören — und das ist nicht
Jedermanns Sache ..... dennoch bleibt ein merkwürdiger Eindruck,
eine Art \on Staunen , eine unbewusste Anerkennung einer , wenn
auch unbegriffenen, Grösse auch für die Menge vorhanden". Kosibar!
Und die Motette war gar nicht von J. S. Bachl Wenn nun aber der
Recenscnt so weise und so gelehrt thut, dann kommen wir ihm noch
etwas näher. Wenigstens seit 1847 , also seit 6 Jahren , musste er
nach dem Berichte einer Autorität wissen, dass dieser Doppclchor
von J. S. Bach nicht ist und nicht sein kann; wenn ihm solches
sein eignes Ingenium nicht zu sagen vermochte; denn so sagt
Winterfeld (in seiner Geschichte des ev. Kirchengesauges, im
8. Bande 1847 S. 429) : „der herrliche Chor „Ich lasse dich nicht,
du segnest mich denn von J. Christoph Bach, der eine Weile für
ein Werk unseres Sebastian galt, ist seiner werth ohne Zweifel,
tritt aber heraus auf seiner Art und Kunst," Das ist
deutlich; Winterfeld setzt ebendaselbst noch weiter auseinander, in
welcher Weise J. Chr. Bach sich an Schütz, Hammerschmidt und
a. ältere Meister anschloss , und sagt über J Sebastian : „die
trefflichen Werke von J. Chr. und J. Michael Bach hat er ohne
Zweifel geschätzt, über den Bau 5-, 6-, und 8st. Chöre daraus Be-
lehrung empfangen ; aber wenn auch von ihnen durchdrungen, durch
sie belehrt, für eigenes Schaffen gekräftigt, fand er doch An-
deres durch seine Töne, und auf andere Weise aus-
zusagen, als sie, und ein Fort bauen auf dieselben,
ein Weiterbilden in bestimmter Beziehung auf sie
nehmen wir in seinen Werke n nicht wahr" (428). Aber
auch ohne Winlerfeld muss jeder Kundige überzeugt sein , dass J.
S. Bach die Worte „Ich lasse dich nicht" anders componirt hätte,
als wie sein Onkel ; sonst ist alles Reden über die Style der ver-
schiedenen Meister eben so lächerlich und windig als die Geleh*
samkeit des Kölner Concertorakels. Wie min?? —
-Wh**-
CORBESPONDENZEN.
AUS WIEN.
Im November.
In die Uebergangsperiode von der Sommer- in die Winter-Saison
fiel das Gastspiel von Frl. Johanna Wagner im k, k. Hofoperntheater
Es ist ein eigen Ding um die Gunst des Publikums l — Manche
wollen behaupten, dass das Urtheil des allgemeinen Publikums trotz
alles Einredens der Kritik immer Wahres in sich enthält. Wenn
dies bei Frl. Wagner auch der Fall , so müssen ihre jetzigen Lei-
stungen, gegen die ihres früheren Gastspiels weit zurückstehen ; denn
wir erinnern uns, dass sich damals die allgemeine Stimme unbedingt
günstig für sie ausgesprochen, während sie jetzt vergebens die allge-
meine Sympathie für sich zu gewinnen sucht. Es war früher ein
allgemeiner Wunsch, diese Sängerin an unser Operntheater gefesselt
zu sehen, man befürchtete nur, dass sie selbst vielleicht die ihr ge-
machten Anträge nicht annehmen dürfte, oder ihrer Entlassung vom
preussischen Hoftheater sich Hindernisse entgegenstellen würden,
oder endlich gar eine andere Bühne Deutschlands , Frankreichs und
Englands der Wiener zuvorkommen werde, kurz man zitterte vor
der Möglichkeit, um den Besitz dieser Sängerin gebracht zu werden.
Nun erscheint sie wieder zu einem weitern Gastrollen Cyclus , und
siehe da, das Publikum ist von seiner enthusiastischen Verehrung
abgekühlt, ja die früheren Huldigungen des Theaterpublikums gehen
nur jetzt mehr von einer einzelnen Part hei aus; an ein Festhallen
dieser Sängerin au unserer Bühne wird kaum mehr gedacht* O
Volksgunst , wie bist du doch wandelbar j den du heute jubelnd auf
dem Schild getragen , der ist morgen vielleicht schon wieder ver-
gessen 1 — Eine neue Gastin , oder vielleicht gar ein engagirtes
Mitglied hörten wir in Frl. G r u a aus Paris. Die Fama erzählt, dass
diese aus spanischer Familie in Palermo entsprossene Sängerin nach
wenigen Versuchen, welche sie vor dem Forum der Oeffentlichkeit
in Dresden abgelegt, nach Paris gegangen sei, um sich dort dem
Studium des dramatischen Gesanges zu weihen , zuletzt aber als
eine der vielen Primadonnen der Oper engagirt gewesen wäre. Von
den Triumphen die sie in dieser Stellung in der Weltstadt gefeiert
hat uns Frau Fama nichts erzält, und selbst die hiesigen Journale,
welche in der Regel gegen Künstlerinnen, die aus dem Auslande hier-
herkommen, überaus galant sind, und lieber Etwas erfinden, als
dass sie ganz schwiegen, haben uns über Frl. G r u a bis jetzt auch
nichts weiter mitgetheilt. Wir sehen uns daher genöthigt, diese
junge Künstlerin einzig und allein nach ihren Leistungen zu beur-
theilen. — Frl. Grua ist bis jetzt als „Nachtwandlerin" und am
„Valentine" aufgetreten , und wir müssen gestehen , dass sie uns
weder in dem einen noch in dem anderen Genre befriedigte. Mag
immerhin der Mangel an grossen dramatischen Sängerinnen gegen-
wärtig jede Operndirektion , welche nicht schon im Besitze einer
solchen ist, und sich genöthigt sieht, eine herbeizuschaffen, in keine
geringe Verlegenheit setzen, wir sehen dies ganz gut ein; allein
wir haben nun einmal die grössten Sängerinnen gehört, und können
bei aller Nachsicht und Galanterie gegen Damen, das Kleine nicht
für Grosses halten. Ja wir wollten gerne Nachsicht üben gegen
eine Anfängerin (und eine solche ist Frl. La Grua, da sie erst S
Jahre in der Oeffentlichkeit wirkt) wenn man uns diese Sängerin
nicht als eine Erste hingestellt hätte, und es im Publikum nicht
bekannt geworden wäre, dass man Frl. La Grua für 16000 fl. auf
9 Monate engagirt habe. Im Anbetrachte dieses muss jede
Nachsicht schweigen und wir sehen uns bemüssigt unser \mt zu
handhaben nach bestem Wissen und Gewissen. Was die Stimme von
Frl. La Grua als solche anbelangt, so hat sie auf der einen Seite
weder die Kraft und Ausdauer "zu einer tragischen, auf der
anderen weder den Schmelz, die To n frische , Volubilitäl zu einer
Colora tur-Sängerin. Noch ist ihre Stimme nicht durch gründliche
Studien vollkommen ausgeglichen ; ihre Coloraturen sind nicht
perlend, nicht mit der Leichtigkeit einer vollendeten Sicherheit ge-
— 200
bracht, der Triller nicht vollkommen gebildet. Im tragischen Gesänge
fehlt der poetische Aufschwung, das künstlerische Erfassen und
Bewältigen der tragischen Momente. Wenn auch hie und da Ein-
zelheifen gelungen erscheinen , ist die Zahl der halbgelungenen oder
mangelhaften ungleich grösser. Das Feuer ihrer Darstellung quillt
nicht aus begeisterter Intuition, es ist Mos ein kokettes Gefühls- Af-
fektiren. Die Sängerin wird nicht von dem Gefühle selbst hinge-
rissen, sie will nur das Publikum zum Beifall hinreissen, was ihr
nicht gelingt, weil nur jener Künstler wahrhaft begeistern kann,
der selbst begeistert ist. Wenn wir eine Parallele ziehen wollten
zwischen Frl. La G r u a und ihren Vorgängerinnen in diesen Partien,
was für ein Resultat käme da heraus? Welche Stellung könnten wir
ihr im Vergleiche mit unserer unvergesslichen Zerr einräumen, welche
doch für ihre wahrhaften Kunstleistungen viel geringer honorirt war.
Doch, wir wollen noch den weiteren Fortgang ihrer Leistungen ab-
warten? nicht um in ihr vielleicht dennoch eine grosse Sängerin,
wohl aber um in der Folge mehr Lobenswerteres an ihrem Ge-
sänge zu finden, als es uns jetzt gelungen.
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
!
Frankfurt. Frl. Diehl von Wien gastirt hier. Ihre erste Rolle
war Romeo, Die Wiederholungen des Rübezahl von Flotow haben
den günstigen Eindruck der ersten Vorstellung bedeutend geschwächt.
Köln. Der hiesige Männergesangverein ist durch den bekannten
Unternehmer Mitchel aus London , welcher sich einige Tage hier
aufhielt, zu einer Wiederholung der Londoner Fahrt aufgefordert
worden. Dieselbe wird im nächsten Sommer staltfinden und diesmal
auch auf Manchester, Birmingham und Liverpool ausgedehnt werden.
Wagners Tannhäuser ist bereits 3 mal gegeben worden,
Wien. Frl. La Grua hat nun auch als Alice debütirt, ohne
grösseren Erfolg als bisher. Die bedeutendsten Concertisten der Winter-
saison sind : Vieuxtemps, Williners und Leop. v. Meyer.
Weimar. Liszt hat sein Amt als Kapellmeister wieder ange-
treten. Wagners „fliegender Holländer*' kam nochmals zur Aufführung.
Leipzig. Der von Schumann verkündete Messias Brahms aus
Hamburg ist hier und lässt sich in Privatcirkeln hören. Nach den
Signalen werden wir bald Gelegenheit haben , über seinen Beruf
urtheilen zu können , da in Kurzem mehrere seiner Compositonen
hier erscheinen.
— Am 1. December kamen im Gewandhaus unter des Compo-
nisten Leitung mehrere Bcrlioz'sche Compositionen zur Aufführung.
Die Sängerin Frl. K. Evers wird in den nächsten Tagen im Theater
und im Gewandhaus auftreten. Dieselbe lässt sich ebenfalls in Italie-
nischen Blättern als disponible für italienische Bühnen ausschreiben.
Celle. Den 22. November 1853 führte der hiesige Singverein,
unter Leitung seines Dirigenten, des Herrn Organisten H. W. Stolze,
und unter Mitwirkung eines Theils der hannoverschen Kapelle, sowie
einzelner auswärtiger Solosänger, das Oratorium Paulus von Felix
Mendelssohn-Bartholdy in der hiesigen Stadtkirche zum Besten der
Armen auf. Es ist dies nun schon das fünfte Jahr, dass in ununter-
brochener Folge vor jedem Winter eine solche grössere Kirchenmusik
in genannnter Weise zur Aufführung gekommen*), ein wahres Musik-
fest im Kleinen in Celle gefeiert worden ist. Wollte man daraus nun
schliessen , dass doch in und für Musik ganz Celle ein Herz und
eine Seele wäre, so würde man freilich durch das kleine Häuflein,
das den ständigen Chor unseres Vereins bildet , in dieser Meinung
einigermassen schwankend werden, und es sind andere günstige
Momente, denen jene überaus erfreuliche Erscheinung in dem Kunst-
leben unserer Stadt zugeschrieben werden muss. Zuerst ist es die
unverdrossene Ausdauer und das unermüdliche Streben unseres in
*) 1849 den 14. November das Oratoriam Messlaa von 6. F. Händel ; 1890 den I Nav;
das Oratorium Hiob von H. W. Stolze; 185t den 21. Oet. das Oratoriam Moses von Alois
Schmitt nnd 1852 den 9. November das Oratoriam Judas Maccabaeos von Händel.
der musikalischen Welt anerkannten Dirigenten H. W. Stolze. Dann
aber vor Allem die vollendete Mitwirkung jener hannoverschen
Künstler (16 an der Zahl) die ober die Innigkeit und Herzlichkeit
der Celleschen Gastfreundschaft, sowie über die Empfänglichkeit
und Eingenommenheit für den Kunstgenuss, den sie bereiten, Mühen
und Strapazen der Reise ftteht achten , und bei jedem neuen Ab-
schiedsgruss die frohe Aussicht neuen Wiedersehens eröffnen. Solcher
Aufopferung für die Kunst schliesst sich dann die gleiche Bereit-
willigkeit an, mit der einzelne Solosänger von fernen Städten her
den jedesmaligen Einladungen nach Celle gefolgt sind. Doch solche
zerstreute Strahlen zu einem wohlthätigen Feuer zu sammeln , fehlt
es dann endlich auch dem Verein selbst nicht an den kunstbegeister-
ten Mitgliedern, denen jeder Tag solcher Aufführung ein Festag
ist, den zu erleben und zu schmücken keine Mühe zu gross, keine
Vorbereitung zu schwirig erscheint. Durch solches Zusammentreffen
günstiger Bedingungen hat denn auch die Aufführung dieses fünften
Oratoriums, des Paulus, der Stadt Celle einen überaus festlichen
Abend bereitet. Die reiche Mendelssohnsche Instrumentation wurde
vorzüglich ausgeführt; die Chöre wurden mit wahrer Begeisterung
gesungen, in den ausgezeichneten Solostimmen fand man neben der
feinsten Kunstbildung die echteste Ursprünglichkeit, neben der herz-
lichsten Innigkeit die unerschütterlichste Kraft, den Dirigenten aber
lobte das ganze Werk
Hamburg. Tannhäuser ging auch hier über die Bretter. Mit
welchem Erfolg wird unsere hiesige Correspondenz mittheilen. Das
erste philharmonische Concert fand am 19. November statt.
Dessau. Fr. Schneider, der Componist des Weltgerichts, starb
hier am 23. November im 68. Jahre.
Berlin. Die grosse Oper brachte in der letzten Zeit Prophet
mit Frl. Wagner als Fides, die 6. Wiederholung von Tauberts
Joggeli. Im Fr. Wiihelmstädter Theater wurde Adams reizende
Giralda unter stürmischem Beifall gegeben.
Prag. Einem Schreiben Julius Schulhoffs entnehmen wir die
Nachricht, dass auch das am 4. d. M. stattgehabte zweite Concert
seines Kunstgenossen und Landsmannes A. Dreyschock von dem
gelungensten Erfolg gekrönt wurde. Dreyschock trug das Es-dur
Concert von Beethoven, Presto von Mendelssohn, Gigue von Mozart
und einige seiner eignen brillanten Concertpiecen vor. Schulhoff
rühmt besonders die fabelhafte Technik Dreyschocks, die er eine
geistig durchgebildete nennt, und sein zartes fein nüancirtes Spiel,
welche auch das Publikum zur höchsten Bewundrung hingerissen. —
Die Gebrüder Müller haben ihr erstes Concert auf den 17. d. M. an*
gekündigt.
Paris. Die dritte Debütantin der italienischen Oper, Madame
Frezzolini, hat gleich ihren Vorgängerinen und den Sängern in den
Puritanern Fiasko gemacht; die Zeiten der Grisi , Pasta und Lab-
lache sind vorüber.
— Der Direktor der „Varietes" hat Bankerott gemacht. Vom Mini-
sterium ist einstweilen ein Gerant bestellt worden. Im Thealre
lyrique wird die neue Oper des Herzogs von Coburg einstudirt.
Liverpool. Die „englisch-deutsche Opern-Gesellschaft" mit
Formes, Reichard und der Caradori gab hier mit grossem Erfolge
Vorstellungen.
Curiosa. Die neue Zeitschrift für Musik, über das oppositionelle
Siiddeutschland auf Höchste entrüstet, erklärt in Nr. 22 in einem Artikel
über die „Opposition in Süddeutschland", der Gegensatz zwischen
Nord- und Süddeutschland lässt sich mit den Worten resümiren :
Intelligenz (des Verstandes und Gefühls) und Stumpfheit (des Ver-
stands und Gefühls). Wir erlauben uns die einfache Frage: Zählt
die Redaction der Neuen Zeitschrift für Musik den Verfasser dieses
Artikels auch zu den Vertretern der norddeutschen „Intelligenz"?
".* R. Schumann und H. Marschner sind, wie man hört, mit der
Composition von neuen Opern beschäftigt.
V In der Pfingstwoche 1854 wird in D o r t m u n d ein west-
fälisches Musikfest stattfinden. Zur Aufführung sind bestimmt:
„Paulus" von Mendelssohn, „Alexanderfest" von Händel und Beet-
hovens 9. Sinfonie.
Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Druck ton REUTER u. WALLAU in Main*.
2. Jahrgang.
Mr. «1.
19. Decbr. 1853
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitnn& erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Postämtern,
Musik- und Buchhandlungen.
REDACTION UND VERLAG
*
von
B. SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT 4 CO.
PREIS:
fl. 2. 43 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
för den Jahrgang.
Durch die Post bezogen:
50 kr. «der 15 Sgr. per Quartal.
1
Inhalts Einige Worte Aber das musikalische Zeitmaass. — Francisco de Salinas. — Corresp. (Cöln. Wien. Paris.) — Nachrichten.
EINIGE WORTE ÜBER DAS MUSIKALISCHE ZEITMAASS.
Jedes Tonstück, wenn es dem ihm innewohnenden Charakter
entsprechen, und den richtigen Ausdruck erhallen soll, muss seine
ihm eigenthümliche genau entsprechende Bewegung haben. Eine
schnellere oder langsamere würde dasselbe unvollkommen wieder-
geben. Um aber die festbestimmte Bewegung eines Tonstückes genau
zu treffen, gehört wohl mehr Kenntniss dazu, als man in der Regel
zu glauben scheint. Man kann Noten geläufig vom Blatte lesen,
die grössten Schwierigkeiten auf einem Instrumente sieghaft über-
winden, ja seihst im Vortrage Geschmack und Gefühl entwickeln,
und doch diese mit dem Charakter und der inneren Wesenheit eines
Tonstücks innig verwebte Bewegung desselben nicht richtig auffassen
oder in der Kunstsprache: „das Tempo — vergreifen. Man
wird mir einwenden , dass durch die Erfindung des Metronoms
dieses willkürliche, nur zu oft unrichtige Bestimmen des Zeitmasses
nun mehr geregelt und das Tempo nach mathematischen Principien
fest bestimmt ist ; allein abgesehen davon , dass der Gebrauch des-
selben noch keineswegs allgemein ist, und wohl auch schwerlich
allgemein werden dürfte , da der Ankauf dieses Instruments nicht
immer dem Musiker leicht möglich, auch der Transport dieser wenn
auch eben niclitr umfangreichen Maschine beschwerlich, und das
stete Mitsichtragen derselben sogar unmöglich gemacht wird, ist auch
sein Gebrauch schon aus dem Grunde bei allen Tonstücken nicht
wohl anwendbar, weil es deren noch sehr Viele gibt, welche gar
nicht metronomisch bezeichnet sind. Ueberhaupt kann die Bestimmung
des Zeitmasses schon aus dem Grunde nicht als alleinige Norm an-
genommen werden, weil wir die Sprache der Empfindungen, die hör-
bare Versinnlichung der Gefühle , welche unserer Brust inwohnen,
und die wir unter Musik verstehen, keineswegs in die eng begrenzten
Marken einer mathematischen Berechnung einengen können, ja selbst
dann nicht , wenn der Componist im Momente des Schaffens die
Zeichen des Metronoms dem Tonstückc vorgesetzt hätte; denn die
Stimmung des Gemüths ist eine andere zur Zeit der Erfindung und
wieder eine andere zur Zeit der Darstellung. Man hat Beispiele,
dass Tondichter bei der Production ihrer Werke im Anbetrachte des
Tempo keineswegs zufrieden gestellt waren, ungeachtet man nach
den von ihnen selbst vorgeschriebenen metronomischen Zeichen das
Zeitma&s bestimmte. Dies ist besonders der Fall bei grösseren Or-
chesterwerken oder Chören , wo die Massen sich schwer in jenem
Tempo bewegen konnten, welches der Componist nach seinem Vor-
trage auf dem Ciavier bestimmt hatte. Es würde uns zu weit führen,
wenn wir den Weg verfolgten, der uns durch methaphysische Forsch-
ungen zu einem Resultate, vielleicht nicht zu dem unrichtigsten zu-
lezt bringen dürfte , kehren wir deshalb wieder zu unserer anfäng-
lichen Bemerkung zurück, dass das Tempo so häufig vergriffen werde,
indem wir die Erfordernisse angeben, die zur richtigen Bestimmung
des Zeitmasses eines Tonstückes nothwendig sind, um den Produ-
centen zur richtigen Auffassung und Wiedergabe des im Tonstücke
selbst bedingten Tempo anzuleiten.
Den ersten Fingerzeig hiezu gibt uns wohl der Tondichter selbst
durch die Benennung seiner Tonstücke, und wir wissen ganz §ut,
dass sich ein Scherzo nicht in ernstem Zeitmasse langsam fort-
bewegen, sowie ein G r a v e keineswegs in fröhlicher und munterer
Taktweise einhertrottiren werde; aliein diese Bestimmungen zeigen nur
den Charakter im Allgemeinen an, und die Bezeichung langsam,
schnell, ist zu wenig bestimmt ja überhaupt zu relativ, um uns bei
der Aufführung eines Tonstückes als die einzige und leitende Richt-
schnur zu dienen. Es ist daher« vor Allem nothwendig, eine genaue
Einsicht der Composition vorzunehmen , die wir entweder selbst
aufführen wollen, oder die unter unserer Leitung aufgeführt werden
soll. Diese wird uns mit dem Charakter des Tonstückes genauer
bekannt [machen , und wir werden bei mehrfachen Vorglei-
chungen finden, dass die Bestimmung des Tonmasses zweier
oder mehrerer Stücke mit derselben Bezeichnung in Berück-
sichtigung der Charakteristik der Tonfiguren sehr verschieden sein
muss. Wir erhalten aber durch diese genaue Einsicht noch einen
zweiten Fingerzeig zur Bestimmung des richtigen Tempo, und zwar
vorausgesetzt bei zureichender praktischer Kenntniss der Musik über-
haupt eine bildliche Ucbersicht der mechanischen Struktur, de* for-
mellen Wesenheit des Tonstückes , oder deutlicher gesagt : wir
lernen die Schwierigkeiten, die sich bei der Betonung der Noten im
beschleunigteren Zeitmasse darbieten, sowie die verzerrenden Längen
die bei zu langsamer Bewegung den Fluss der rhytmisch-mclodischen
Perioden zereissen, genau kennen.
Für den ersten Fall muss der Musiker einen so geläuterten psy-
chologischen Scharfblick besitzen, um den Charakter des aufzu-
führenden Tonstückes ganz aufzufassen, und ihn in Einklang mit seiner
individuellen geistigen Natur zu bringen, wonach er denn die Berück-
sichtigung des zweiten Punktes, die Bewegung des Zeitmasses eines
Tonstückes, bestimmt. Individuell bleibt dann diese Bestimmung
immer noch , aber es dürfte wohl bei einem wahrhaften Künstler in
dieser individuellen Bestimmung gerade die wichtigste Wiedergabe
des Tonstückes begründet sein. Dasselbe findet auch auf den Diri-
genten eines Orchesters seine Anwendung. Als die Seele desselben
muss er auch die geistige Potenz, sowie das mechanische Vermögen
der einzelnen Glieder dieses Körpers, den er beseelt, genau kennen
und ihn bei der Bestimmung des Tempo berechnen.
Es lasse sich ja kein Musiker durch die Einschläge und An-
deutungen Anderer beirren, die ihm beweisen sollen , s o hat Dieser
und Jener das Tempo aufgefasst, in diesem Zeitmasse wurde
das Tonstück anderwärts aufgeführt. Zumeist sind diese Angaben
unrichtig, weil Zeit und Verhältnisse sie um einen guten Theil aus
ihrer anfänglichen Richtung verrückt haben. Denn es wolle uns
ja nur Niemand glauben machen, er habe ein so sublimes Taktge-
fühls-Gedächtniss , um das Tempo eines Tonstückes, das er vor
langer Zeit gehört, jetzt genau wieder angeben zu können; und wenn
es ja einmal genau eintrifft, so ist es ein Zufall, der sich nicht so-
bald wiederholt. Es gehören dahin die Angaben der Contemporains
Haydns, Mozarts, Beethovens, Webers, Schuberts
u. A. welchen wir aus übermässiger Pietät eine grössere Wichtig-
keit beilegen, als sie in der Regel verdienen. Wie sehr haben Zeit,
Alter und Verhältnisse ihre anfänglichen Eindrücke verwischt, und
/
— 202
unter welchen Umständen haben sie das damals Gehörte in sich auf*"
genommen? —
" Aus dem bereits .Gesagten geht hervor , dass bei der richtigen
Bestimmung des Tempo- einzig nur die genaue Kenntniss des Ton-
stuckes selbst unsere Führerin sein kann und soll, und dass das
Avista-Spielon oder Angeben des Taktes eines Tonstückes ohne ge-
nauer Bekanntschaft mit demselben immer ein gewagter Versuch
bleibt, und im Falle er dem Charakter der Composition ganz ent-
spricht, nur als ein glucklicher Zufall anzusehen ist. Die Bezeich-
nung des richtigen Tempo eines Tonstückes ist also keine zufällige
und unwesentliche Sache bei der Aufführung desselben, die sich
mechanisch abt.hun lässt, sondern sie steht mit der innern Ktinst-
wesenheit der .Romposition in so zartem Einklänge, dass ein Mehr
oder Minder nicht nur dem Charakter des Xonstückes Eintrag thun,
sondern auch sogar ein unrichtiges Yerständniss des Componisten
selbst herbeiführen kann. Das richtige Zeitmass eines Tonstückes
aber kann nur durch ein genaues Verständniss desselben in allen
seinen Thcilcn und, durch das völlige Eindringen in den Geist der
Komposition bestimmt werden.
FRANCISCO DE SAUNAS.
Das ,, Magazin für. die Literatur des Auslandes" (Berlin,) eins
der besteu deutschen Journale, brachte in Nummer 109 v. 10. Sept.
d. JL einen lebendig geschriebenen Aufsatz über Saunas. Nur setzt
der Verfasser voraus, seine Mittheilungen wären für uns Deutsche
völlig neu. Im Gegentheil, sie enthalten nichts von Bedeutung, was
wir nicht schon vorher gewusst. die grundgelehrten Deutschen !
alle 25 Jahre fangen sie, von vorne an ! — Schon Walther (Lexikon
1733) wusste von Salinas, aber nicht viel, und Walthers Zeilgenösse
J. Mattheson muss ihn gelesen haben, denn in seinem „Beschützten
Orchestre" (Hamb. 1717) nämlich in dem Exemplar aus seinem
Nachlasse, welches mir vorliegt, machte er zu S. 810 eine kleine
handschriftliche Bemerkung über Salinas. Im „forschenden Orchestre"
(l721) wird Salinas 16 mal und zum Thell so ausführlich angeführt
dass man über seine Richtung ein ziemlich sicheres Urtheil gewinnt.
In 4er ^exemplarischen Organistenprobe" (17^19) S. 252 bis 254 gibt
Mattheson von diesem „berühmten Autore", wie er ihn nennt, kurz
und richtig die Lebensumstände an ; und überall behandelt er ihn
mit Hochachtung , auch wo er ihm entgegentritt. Doch genug der
Alten, die ja nun einmal vergessen sein sollen , obschon sie viele
Dinge, an denen wir uns heute abmühen, längst zum Abschluss ge-
bracht haben ! — Unter den Neueren, von denen wir fast ausschliess-
lich unsre, nun auch schon wieder vergessene Weisheit her haben,
war Forkel. derjenige, welcher den Salinas aus eigner Anschauung
kannte. Forkel aber kannte sein berühmtes, 1577 in 7 Büchern
(nicht „Bänden," wie es in dem Aufsatze heisst) in Salamanca er-
schienenes Werk:
,,De musica libri Septem in quibus ejus doctrinae veritas tarn
quae ad Harmoniamt quam quae ad Rhythmum pertinetjuxta sensus
ac rationis indicium ostenditur et demonstratur. Cum duplici In~
dice capitum et verum. Salamanticae, exeudebat Mathias Gastius"
1577. 438 Seiten in Folio , das Register ausserdem noch 4 i/,'
Bogen stark.
In seiner „Literatur der Musik (1792) gab Forkel S. 379 —bis
386 den vollständigen Inhalt davon und nach Salinas Vorrede die
Erzählung seiner Lebensschicksale. Aus dem Forkel nahm Gerber
seinen Bedarf (Neues Lexikon 1814. Bd. IV, — 11); auch Lichten-
thal (Dizienario, 1826. IV, 287 bis 295) ; auch C. F. Becker (Dar-
stellung der mus. Liter. 1836 S. 428). Was wir über Salinas wissen
und wussten, beruht mithin auf des gründlichen Forkeis eigner Er-
forschung. So wird uns auch „der Antheil, den Spanien am Entwick-
lungsgänge der Musik genommen hat", nicht „völlig unbekannt"
sein. Vgl. auch u. a. noch Cäcilia Bd. II, 119 und Bd X, 56 — 64.
Salinas wurde um d. J. 1512 zu Burgos geboren , wo sein
yater Rentmeister war. In der Vorrede seines ebengenannten
Werkes erzählt er selbst (ich gebe nicht Gerbers ausfuhrliches Referat
sondern des Salinas eigne Worte wie sie im Magazin übersetzt, sind:)
„Seit, meiner Kindheit habe ich mich der Musik gewidmet, und
bin ihr mein Leben lang treu geblieben. Da ich nämlich die Blind-
heit mit der vergifteten Milch meiner Amme einsog und meine Eltern
trotz aller angewandten Mittel sich nicht der Hoffnung hingeben
konnten , dass ich das Augenlicht wiedergewinnen würde » so waren
sie der Ansicht, ich werde mich keiner Kunst mit mehr Nutzen und
Ehre widmen können, als eben der Musik, welche, da sie durch das
Gehör/ jenen zweiten grossen Diener unserer Seele, vermittelt wird,
auch dem Blinden noch grosse Leistungen gestattet. So verwendete
ich meine ganze Zeit auf das Studium des Gesanges und noch mehr
des Orgelspiels."
„Was meine Fortschritte hierin betrifft , so begnüge ich mich,
zu sagen, dass ein Jeder, der die Lehren eines Aristoxenus , Ptole-
mäus , Bo€thius u. a. berühmter Musiker verstehen will , sich gar
sehr und lange in jenem Theil der Musik üben muss. Sie Alle
schrieben über den Theil der Musik, welchen man Harmonik und
die mathematische Wissenschaft der Tonverhältnisse zu nennen pflegt,
sowie über Composition von Instrumental • Musik. Wer sich daher
bereits mit den bei uns üblichen Instrumenten vertraut gemacht hat,
wird hierüber leichter und richtiger zu urtheilen im Stande sein. —
Damit es aber nicht scheine, als vermeide ich, von meinen übrigen
Studien zu reden, so führe ich hierüber Folgendes an: Als ich noch
Kind war, kam ein Mädchen aus einer ehrbaren ffamilie in meine
Vaterstadt , welches , da es sich dem Kloster widmen wollte , ein
grosses Verlangen trug, das Orgelspiel zu erlernen. Dieses Mädchen
wohnte in unserm Hause und wendete sich daher an mich. Nun
verstand sie aber die lateinische Sprache vortrefflich, und so geschah
es , dass sie von mir in demselben Maasse Musik erlernte , als ich
Wieder von ihr die Grammatik überkam , die ich sonst vielleicht
nicht gelernt haben würde. Denn entweder wäre dies meinem Vater
gar nicht eingefallen, oder die gewöhnlichen Lehrmeister hätten ihm
eingeredet : Wissens chaft schade der Musik! Da jenes
Studium meine Lernbegierde erregt hatte , so setzte ich meinen El-
tern so lange zu, bis sie mich nach Salamanca schickten, wo ich
mich einige Jahre lang dem Studium der griechischen Sprache, dem
der schönen Wissenschaften und der Philosophie widmete. Als aber
die spärlichen Mittel meiner Eltern eine längere Fortsetzung meiner
Studien nicht gestatteten, wendete ich mich an die curia regia. Der
Erzbischof von Santiago, D. Pedro Sarmiento, nahm mein Gesuch
gnädig auf, und da er bald darauf Kardinal wurde, so ging ich in
seiner Gesellschaft nach Rom , jedoch mehr in der Absicht , dort
etwas zu lernen , als eine vorteilhafte Stelle zir-gewinnen. Kaum
hatte ich dort begonnen, mich mit den Gelehrten, deren damals im-
mer eine bedeutende Anzahl zu Rom lebte, in Verbindung zu setzen,
als ich zu meiner. Scham bemerkte, dass ich die Kunst, zu der ich
mich bekannte, eigentlich noch gar nicht verstand, und mir von dem,
was ich selbst prakticirte, keine Rechenschaft geben konnte. Ich
begriff bald, dass in der Musik, wie iti der Architektur, jener Grund-
satz des Vetruv gilt , dass die, welche sich ausschliesslich der me-
chanischen Ausführung widmen Und die Theorie vernachlässigen,
ihren Werken nie dauernden Werth zu geben vermögen , und dass
im Gegentheil die einseitigen Theoretiker einem Schatten nachjagen,
Ohne je das Wesen zu erfassen, wer sich aber Beides zu eigen ge-
macht hat , und so mit allen Waffen ausgerüstet ist , das schöne
Ziel, das Cr sich gesetzt hat, entschiedener und schneller erreichen
müsse. Da ich nun schon von Aristoteles her wusste, dass die
Zahlen die Grundursachen der Konsonanzen und harmonischen In-
tervalle sind, und doch nicht alle Konsequenzen und kleineren Inter-
valle nach ihren wahren Beziehungen geregelt fand, so wollte ich
mittelst des Gefühls und der Vrtheilskraft hier
der Wahrheit auf die Spur zu kommen suchen."
„Dabei halfen mir nun insbesondere — und mehr als Boethius,
den die Musiker beständig citiren — gewisse alte griechische Schrif-
ten, die damals noch nicht in das Lateinische übertragen waren. Ich
fand ihrer mehrere, besonders von der Hand des Claudius Ptolemäus,
dem die Musik wohl nicht weniger verdankt, als die Astronomie.
Hierher gehören drei Bücher von der Lehre der Harmonie , die der
vaticanischen Bibliothek angehören, nebst dem Kommentar des Por-
phy'riiis darüber. Sie strotzen von einer dem Studium der Alten
entstammenden Gelehrsamkeit und wurden mir durch den Kardinal
von Toledo verschafft; ferner zwei Bücher des Aristoxenus über die
Elemente der Harmonie, zwei weitere von Nikomachus, welche Boe-
thius zum Muster nahm; eines von Bachäos, drei von Aristides und
drei von Briennius , welchi der Kardinal von' Burgos in der Biblio-
203
thek von San Marco in Venedig für sich hatte kepiren lassen. In-
dem ich das Gute dieser Schriftsteller benutzte and das Schlechte
mit Vorsicht entgegennahm , gelang es mir , allmälig eine ziemlich
genaue Kenntnis» dieser Wissenschaft zu erwerben. Dreiundzwanzig
Jahre hatte ich diesen Studien und der genauesten Prüfung jener
Autoren gewidmet."
Zurückgekehrt in sein Vaterland, erhielt er 1575 den Lehrstuhl
für Musik an der Universität Salamanca. Seine gelehrten Vorträge
hatten aber nicht grossen Zulauf, denn die Meisten hielten wohl noch
immer dafür, die Wissenschaft schade der Musik. So gab er 1577
sein grosses Werk heraus , besonders um das Vcrständniss seiner
Lehre zu erleichtern und dieselbe im Zusammenhange darzulegen.
Er starb im Februar 1590 (im „ Magazin »• steht wahrsch. als
Druckfehler : 1577) im 77. J. seines Lebens. Donius , ein gelehrter
Musikus im 17. Jh. (1616-1669) nannte ihn den „Fürsten der Theo-
retiker." Und Forkel sagt : „er hat in seinen Schriften alles ge-
leistet, was nur von einem Schriftsteller aus seinem Zeitalter gefor-
dert werden kann." Wer wüsste ein grösseres Lob zu sagen? —
CORRESPONDENZEN.
AUS CÖLN.
Im Dezember.
In nnsern Winterconcerten, deren bis jetzt drei, am 25. October
8 und 29. Nov. stattfanden, kamen bis dahin folgende Musikwerke
zur Aufführung. Von Instrumentalsachen : die Ouvertüren zu Iphi-
genie von Gluck, im Hochland von Gade, zu Don Quixote von G. A.
Macfarren zum ersten Male, zu Oberon von Weber, zu Leonore Nr. 8
von Beethoven. Von Sinfonien : in A-dur von Beethoven, Nr. 4 inD-moll
von R. Schumann, in D-moll von W. A. Mozart. Von Solovorträgen :
Violin-Concert von Mendelssohn vorgetragen, von Herrn Pixis ; Con-
cert in Es-dur von Beethoven, Lieder ohne Worte von Mendelssohn,
Romanze von Schumann, vorgetragen von Frau Dr. CI. Schumann.
Von Vokalsachen mit Orchester: Motette für Doppelchor von Bach,
der 126. Psalm von Hiller, der 98. Psalm für Doppelchor von Mendels-
sohn und Hymne für Chor und Orchester von Händel. Credo und
Agnus dei aus der Missa solemnis von £. Naumann ; Musik zum
Sommernachtstraum von Mendelssohn u. s. w. Die Instrumentalstücke
sind meist bekannt, und hinlänglich besprochen worden; sie wurden
von unserm sattelfesten Orchester mit gewohnter Präcision, und mit
tiefem Eindringen in den Geist der Meister vorgetragen , die Ouver-
türe von Macfarren hatte darunter zu leiden , dass sie auf ein Con-
cert von Beethoven folgte, sonst durfte ihr wohl ein grösserer Beifall
geworden sein; so aber sprach sie nicht besonders an.
Das Violin-Solo, von Pixis vorgetragen , bewährte wieder den
braven Geiger und erntete derselbe reichen Beifall. Einen wahren
Triumph aber feierte Frau Schumann. Ihr herrliches Spiel riss das
Publikum zu einem wahren Seelenjubel hin, der sich in einem stür-
mischen, langanhaltenden Beifallsruf Luft zu machen suchte. Wir
dürfen es dreist sagen, dass noch nie eine Künstlerin in unsern
Cohcerten so hingerissen hat , als Frau Schumann. Es thut uns
leid, uns über die Vokalvorträge nicht so lobend aussprechen zu
können. Als wir in unserer Mittheilung über die cölnischen Musik-
Vereine den Wcber'schen Bestrebungen, namentlich dem Männer-
Gesangvereine die gebührende Anerkennung angedeihen Hessen , und
dagegen auf eine Vernachlässigung der unter Herrn Hiller stehenden
Institute hindeuteten , hat man hier uns von der einen Seite für
einen eingefleischten Weberianer erklärt. Wir sind aber weder
Weberianer noch Hillcrianer, und haben es bei anderer Gelegenheit
schon erlebt, für einen Antiweberianer gelten zu müssen. Leider
beginnt es sich jetzt zu zeigen , wie begründet unsere Hin-
dentung war. Der städtische Gesangverein, obgleich jetzt wieder
unter der Leitung des Herrn Hiller, leidet an der Schwindsucht.
Eifrige Mitglieder desselben haben sich streichen lassen, weil er kaum
mehr besucht wurde. Dieser Verein lieferte den Kern für die
Chöre der Concertgesellschaft, Die Gönner des Herrn Hiller,
die wohl erkannten, welche Verantwortlichkeit auf ihm lasten
würde, wenn der Verein einging, haben sich desshalb grosse Mühe
gegeben, ihn wieder zusammen zu trommeln. In der That ist e»
ihuen gelungen, unsere vornehme Welt wieder einmal herbei zu-
bringen. Ob das Stand halten wird? Unsere vornehme Welt wird von
Tag zu Tag exclusiver, woraus unsern musikalischen Vereinigungen
eine neue Gefahr erwächst.
Zu dem bösen Umstände, dass der städtische Gesangverein nicht
mehr eine so feste Stütze für die Concertgesellschaft bildet, kommt
eine andere unverzeihliche Versäumniss , nämlich jene , dass man
den Männergesangverein gar nicht zur Mitwirkung eingeladen hat.
Das fiel jedoch bisher so sehr nicht auf, als die meisten seiner Ange-
hörigen dennoch als Mitglieder anderer Gesellschaften erschienen; nun
geht man aber noch her, und setzt die Proben auf Tage an, wo der
M. G V. seine Versammlung hält! Es wäre ein Wunder, wenn das
alles ohne böse Folgen geblieben wäre. Zwar ging es in den beiden
ersten Concerten ziemlich gut trotz aller Schwierigkeiten. Aber das
dritte Concert fiel in einer Weise aus, wie man es in Köln gar nicht
gewohnt ist. Freilich muss man hier bemerken, dass die Aufführungen
des Tannhäuser suf unserer Bühne viele von den Proben abhielt;
unter diesen Umständen hätte man aber das Concert lieber aussetzen
sollen. Man hörte vor allen den Chören an, dass keine hinreichende
Proben stattgefunden hatten. Die adlibitum Sätze im Credo gingen
durcheinander ; sie wurden schwach , unbestimmt durch die Männer-
chöre eingesetzt. Die Musik zum Sommernachtstraum machte dabei
einen sonderbaren Eindruck auf ein Credo und Agnus dei, so herrlich
sie auch an Ort und Stelle, im Lustspiel mit der übersprudelnden
tollen Laune ist. Zwar sollten begleitende Worte von Rod. Ber&dix
uns das Lustspiel ersetzen , bewirkten aber das Gegentheil , indem
sie dasselbe um so schmerzlicher entbehren liesen.
Man hat jetzt erfahren , wohin ein Zuleichtnehmen führt j möge
in dem nächsten Concert die Scharte ausgewetzt werden.
AUS WIEN.
(Schluss.)
Das Concertwesen ist nun schon in vollem Gange; jeder neue
Tag bringt uns neue Ankündigungen und für die nächste Zukunft
stehen uns Academien , Produktionen, Concerte, Matinöes und
Soirees in schwerer Menge bevor. Fürchten Sie, geehrter Herr Re-
dacteur, übrigens nichts für Ihr Lesepublikum, wenn ich auch an»
Gewissenhaftigkeit wenige derlei Aufführungen unbesucht lassen werde,
so sollen doch nur jene einer Besprechung unterzogen werden, welche
Interessantes bringen, in was immer für einer Beziehung.
Der heurigen Concertsaison wäre trotz der grossen Menge von
Produktionen, immerhin schon aus dem Grunde ein günstiges Prog-
nostikon zu stellen, weil sie mit ernster Musik beginnt. Die Hell«
mesbergerschen Quartette, die Quartette der Gebrüder Müller
sind im Gange, der hier anwesende Clavierspieler Wi llmer s will
Quartette veranstalten und noch sind einige derlei zu erwarten. Di©
Acadernie der Tonkunst hat mit ihren Aufführungen schon
begonnen und der Musik- Verein kündigt seine Concerte an Ich
bedaure sehr, der Produktion von Hellmes bergers 1. Quartett-
Abend nicht beigewohnt zu haben; nach eingeholten unpartheischeit
Urtheilen und dem Ausspruche der Journale aber soll Hr. Hell*
mesberger sich darin besonders durch den gelungenen Vortrag
der A-dur Sonate von Bach verdient gemacht haben, dagegen war
die Clavierparthie dureh Prof. F i s c h h o f ganz ungenügend ver-
treten. Ungeachtet der Begründung eines Bachvereins war Hr.
Fischhof von jeher ein sehr mittelinässigre Interprete Bach'scher
Werke. Für den Verlust, der mir durch diese Versäumniss zuge-
gangen, wurde ich doppelt durch die Quartettproduktion der Gebrüder
Müller entschädigt. Ich will zwischen diesen beiden Quartett*
aufführungen keine Paralelle ziehen , weil jede in ihrer Art Ausge-
zeichnetes leistet ; allein dieses contemplative sich Versenken in des
Geist des Tondichters, dieses keusche, reine Aushauchen des Innig-
empfundenen, das die Quartette der Gebrüder M ü 1 1 e r charakterisirt,
suchen wir vergebens bei jenem. Da ist kein kokettes Hervordrängen
des Einzelnen bemerkbar, keine affectirte Sentimentalität, sondern
Kraft, männlicher Ernst, und fromme Kunstbegeisterung zu finden.
Vielleicht ist Manches Einzelne nicht so fein geglättet, so haarscharf
zugestutzt, dafür aber ist Wahrheit, Natürlichkeit, Empfindung und
— «04
Kunstweise in Allem. Ich weiss Air wahr nicht welchen von den
aufgeführten Compositionen Mozarts, Haydns, Beethoven 9
und Schuberts ich de» Preis zuerkennen soll , dies aber weiss
ich ganz gewiss, dass ich mich nicht entsinne, diese Tonwerke, je so
rein und unverfälscht von fremdartigen Eindrücken genossen zu haben. 1
■■ » OXXXCHo —
AUS PARIS
(Ende November.)
Ich habe Sie in meinem letzten Bericht von dem Rundschreiben
des Grafen Tyszkiewiez unterhalten und dem von ihm gegen die
Direktion der grossen Oper anhängig gemachten Prozess, Wir werden
noch einige Zeit bei diesem Gegenstande verweilen müssen, seiner
"Wichtigkeit wegen, denn zu wessen Vortheil er auch ausfallen möge,
jedenfalls wird er unsern Musikzuständen Vortheil bringen, insofern
er von der ^Kritik nicht umgangen werden kann, Angriff und Ver-
teidigung freien Spielraum eröffnet , zur allseitigen Beleuchtung
misslicher Verhältnisse und eingewurzelter Missbrauche dienen und
im Kampfe der Parteien gar Vieles zu Sprache bringen wird, dessen
Veröffentlichung auf die betreffende Anstalt selbst nur günstig ein-
wirken kann.
Auch haben sich, wie zu erwarten stand, der Stimmen schon
mehre erhoben. Für und gegen. Gegen den Fremden, der das Un-
erhörte wagt, der sich vermisst die „erste Bühne der Welt" anzu-
greifen und der Direktion Wahrheiten ins Gesicht sagt, die Jeder zu
verschweigen beflissen ist. Für den Fremden , weil er als Solcher
von allen persönlichen Rücksichten frei, und unabhängig dastehend,
ausser dem Complex der bindenden Verhältnisse, unbefangen einmal
aussprechen darf und ausspricht was viele der Bessern unter den
Inländern längst auf dem Herzen haben und in ihrer Stellung nicht
zu berühren den Muth fühlen. Dass sowohl unter den Anhängern
als Gegnern nicht alle aus uneigennützigem Triebe , aus reinen Be-
wegungsgründen das Wort ergreifen werden, ist gewiss; das thut in-
dessen zur Sache nichts, sobald nur die Wahrheit an den Tag kommt,
die hier in gewissen Kreisen nur schwer wenn ja überhaupt, zu
ihrem Recht gelangen kann. Wir wollen nur hoffen, dass nicht die
Direktion in ihrer Verlegenheit zum letzten Mittel greifen möge und
Kraft ihrer officiellen Stellung den Angriff auf ihr „kaiserliches"
Ansehen auf politischen Boden hinüberspielend, zur eignen Rettung
kraft angestrebter „höhern*' Verfügung dem kecken Fremden den
Mund schliesse und gar böse Händel zuziehe die ihn zwängen, als
Störer der öffentlichen Ruhe den Weg über die Grenze einzuschlagen.
Hat sie ihn doch schon als Fremden gezwungen vorläufig eine Caution
von tausend Franken zu leisten, um sich die Anerkennung zu verschaffen
dass er Mann sei, Klage zu erheben, und im Stande, die Klage
durchzuführen. Man nennt dieses liebenswürdige Verfahren hier zu
Lande und auch woanders wohl, eine präjudizielle Massregel; dass
das Präjudiz dem Beeinträchtigten zur Last fällt, versteht sich am
Rande und ist nicht mehr wie billig; denn wohin sollte das führen,
wenn jedes beschädigte oder beeinträchtigte Menschenkind auf Erden
ohne tausend Francs für etwaige Gerichtskosten sich Recht ver-
schaffen wollte.
In diesem Sinne spricht in einem an den Kläger gerichteten
Schreiben voll bissiger Ironie der witzige Louis Dcsnoyers.
„Sie kommen , sagt er , nach Paris , der Hauptstadt der schönen
Künste, wie sie in alberner Einbildung wenigstens sich selber diesen
Ruhm zuspricht; Sic wohnen in solcher Erwartung einer Vorstellung
eines deutschen Meisterwerks bei, in entsetzlicher Verstümmlung,
und sind empört über den Frevel. Sie wenden sich an die Gerichte
und denken, es sind Richter in Paris, wie es deren einst in Berlin
waren. Sie bestehen auf ihr Recht, verlangen eine bessere Vorstel-
lung, eine vollständige mindestens , und nicht eine vollendete , denn
das würde hier ein unnützes Verlangen sein : — das alles ist ein-
fach, klar und leicht zu entscheiden. Ein türkischer Kadi würde die
Sache in fünf Minuten geschlichtet haben ; ein solch türkisches
Verfahren haben sie aber hier in unserm civilisirten Lande nicht zu
fürchten. Wohl aber stehen Ihnen tausenderlei Schwierigkeiten be-
vor, ein Labyrinth von Einwendungen, Verzögerungen, Vertagungen,
auf acht Tage, auf 14 Tage u. s, w. es gibt keinen Prozess, den der
erste beste Rechtsschüler nicht in die Ewigkeit hinausziehen könnte,
und wenn die Sache in die rechten Hände kommt, so wünsche ich
demjenigen ihrer Nachkommen zum Sperrsitze Glück, den Sie im
Begriff stehen, ihm zu einer erträglichen Aufführung des Freischütz
zu erkämpfen. Er segne Ihr Andenken für die Fatalitäten die sie
sich dabei werden zugezogen haben*
Und schon sind sie auf gutem Wege den Kelch der Annehm-
lichkeiten zu leeren, den man Ihnen bereitet Der' Eine verstümmelt
in der Gerichtszeitung Ihren Namen, der Andere verstümmelt Ihre
Absicht; behauptet keck, Sie verlangten eine Privatvorstellung für
sich allein bei verschlossenen Thüren. und sämmtliche Rollen mit
ersten Subjecten besetzt. Als wenn es irgend Jemanden einfallen
könnte, einen Freischütz mit ersten Subjecten zu bedienen. Hier
werden sie ein seltsamer Kauz genannt, dort Ihr Verfahren als Un-
sinn verschrien. Ein Unsinniger ist hier Jeder, der anspruchvoll
genug ist gegen irgend einen Missbrauch zu Felde ziehen. Wir sind
hier zu Lande so wenig auf unser Recht bedacht, dermassen zur
Willkür erzogen, so vergesslich alles erlittenen Schadens und dem
fait accompli so unterwürfig , dass jedes Widersträuben für die
grössle Thorheit gilt. Uebrigens können Sie sich glücklich schätzen,
dass Sie einem Manne gegenüber stehen (Advocat Celliez), der in
der Person des Gegners sich selbst zu achten weiss ; wonicht
würden Sie in wundersamer Weise zerzausst aus dem Handel kommen.
Das gehört noch so mit zu unsern einheimischen Sitten; unterm
schwarzen Mantel, heisst es, ist die Frechheit des Worts erlaubt.
Auch ist die Angst vor der Sprache der Advocaten, dass man in
vielen Fällen der Injurie das Unrecht vorzieht und es sich ohne
Weiteres gefallen lässt, sich bei Anlass einer Hypothekenangelegen-
heit Schuft , Lump oder sonst wie nennen hören ; oder bei
einem streitigen Fall sein Privatleben Verunglimpft und verläumdet
zu sehen, gehört eben nicht zu den angenehmen Dingen, und man
gibt lieber sein Recht auf, als dass man es unter solcher Beigabe
vertheidigte. Besser ruinirt, als entehrt und beschimpft.
Aber geehrter Herr, fährt der Satiriker fort, Sie haben einen
geschickten und gefährlichen Gegner, der, ohne in Ermangelung trif-
tiger Gründe Anzüglichkeiten anzuwenden, dennoch, ich darf es
Ihnen nicht verhehlen, furchtbare Argumente gegen Sie anführen
kann, furchtbar namentlich in einem von der Routine und dem Her-
gebrachten so beherrschten Lande als dieses. „Ei nun ! kann er
Ihnen einwenden, Sie beklagen sich, und worüber? Ueber eine ver-
stümmelte Oper? Das ist was Neues! Ist Ihnen denn nie zu Ohren
gekommen, dass dergleichen Verstümmelungen von undenklichen Zeiten
her traditionell sind auf der „ersten lyrischen Bühne der Weit' 4
(alten Styls) ? Nie, dass alle Komponisten sich das hahen gefallen
lassen müssen, Meyerbeer ausgenommen dessen krittliche Empfind-
lichkeit so weit geht, dass er eine Massacrirung seiner Werke nicht
zugeben will (eine wunderliche Grille, die man dem Genie zu Gute
halten muss;) Alle aber, Verehrter, Gluck, Spontini, Halevy, Auber,
Rossini u. s. w., Alle haben solche sogenannte Gräuel ganz ruhig
über sich ergehen lassen müssen ; und Sie wollen uns einzig und
allein wegen des Freischütz einen Prozess an den Leib hängen ! ?"
NACHRICHTEN.
Frankfurt a.M. Th. Milanollo hat ihre diesjährige Concertreise
bereits angetreten. Sie spielte hier am 17. „auf der Durchreise"
drei ihrer bekannten Forcepiecen.
'Wien. Die Balfe'sche Oper ist am 3. zur Aufführung gekommen j
die hiesige Kritik nennt das Werk „eine kraft- und .saftlose Mache".
Die Ausstattung war, wie gewöhnlich „glänzender als das Werk
verdient hätte."
Paris. Der Prozess des Grafen Tyszkiwitsch gegen den Direktor
der grossen Oper wegen schlechter und verstümmelter Aufführung
des „Freischütz" ist von dem Gerichte eben so sehr gegen den
Grafen als — gegen C. M. von Weber entschieden worden. Die
Klage wurde abgewiesen, weil in Paris ,der Freischütz niemals besser
oder eigentlich gar nie aufgeführt wurde. Man hat dem Publikum immer
ein Arrangement von Berlioz und Castil Blaze , aufgetischt ; derge-
stalt das% dieselben Autorrechte auf die von ihnen arrangirte Musik
Webers erworben haben, die Tantieme dafür seit Jahren beziehen und
juridisch in der Lage sind, die Aufführung des wirklichen „Freischütz"
als ein Plagiat und einen Diebstahl zu verfolgen. Das Köstlichste
an diesen musikalischen Zuständen der Weltstadt ist, dass gerade
Berlioz in seinen Recensionen gegen die Misshandlung Webers in
der grossen Oper sehr oft gedonnert hat. In der öffentlichen Mei-
nung jedoch hat Tyeskewitsch seinen Process gewonnen.
Verantwortlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. — Pruck ton REUTER u. WALLAU in M« ns.
2. Jahrgang.
ff«*-«*.
26. Decbr. 1853.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Die»e Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonairt bei allen Postämtern,
Masik- and Buchhandlungen.
REDACTW» UND VERLAG
TOD
SCHOTTS SÖHNEN IN MAINZ.
BRÜSSEL BEI GEBR. SCHOTT. LONDON BEI SCHOTT ä CO.
PREIS:
II. 2. 42 oder Thlr. 1. 18 Sgr.
fQr den Jahrgans.
Dnrch die Post bezogen :
50 kr. oder 15 Sgr. per Quartal.
Inhalt S Künstler-Skizzen, III. (Erf.) — Corresp. (Cüln. Braunschweig. Hamburg.) — Nachrichten.
Die geehrten Abonnenten
der
Süddeutschen Musikzeituiig
werden gebeten ihre Bestellung auf den nächsten mit Ja-
nuar beginnenden Jahrgang derselben rechtzeitig zu machen,
damit keine Unterbrechung in der Zusendung eintritt. Zu-
gleich machen wir das musikalische Publikum nochmals
auf dieses Blatt aufmerksam, welches schon jetzt von den
verschiedensten Seiten als eine bedeutende Erscheinung
auf dem Gebiete der musikalischen Literatur anerkannt
worden ist und durch Gewinnung der tüchtigsten Kräfte
im Stande ist, dieser Anerkennung immer gerechter zu
werden. — Der unerhört billige Preis desselben — 2 fl.
42 kri voder Thlr. 1. 18 Sgr. per Jahr — giebt ihm einen
weiten Vorzug vor allen andern musikalischen Blättern.
KUNSTLER-SKIZZEN.
in.
Erl.
Ungeachtet der vielen Gegner , die dieser Sänger im Wiener
Publikum zählt, und welche die Zahl seiner Freunde bei weitem
überwiegen , ungeachtet der grossen Mängel , welche seinem drama-
tischen Gesänge wirklich innewohnen, und die selbst der unbe.
fangenste Beurtheiler nicht ignoriren kann , war Herr £ r 1 doch
eine lange Reihe von Jahren hindurch die Stütze des Wiener Hof-
operntheaters, und wir können es nicht leugnen, er ist es noch jetzt,
trotz der Verhimmelungen des aligemeinen Lieblings Ander und den
übermässigen Erwartungen , die man noch immer in die künftigen
Leistungen des neu engagirten Tenors S t e g e r setzt , obgleich er
sich schon in den verschiedenartigsten Partien dem Publikum mit
kaum wechselndem Erfolge vorgeführt hat So lange die Hofopern-
direction in Erl's Besitze, mag sie ohne Bangen für ihr Repertoir
der Zukunft entgegensehen; sie kann weder das Damoklesschwert,
das über der Stimme Anders zittert, erschrecken, noch der Gedanke
mit Kümmerniss erfüllen, dass eines Tages Herr Steger ins Lager
seiner Landsleute zurückkehren kann, und über das wilde: „Eljeu"
der Magyaren die Kränze vergisst, welche ihm die Aristokratie der
Residenz mit Glace-Handschuhen geflochten. Herr Erl ist was man
unter der Benennung: „ein verwendbarer Sänger*' begreift, er ist es
im weitesten Sinne des Wortes. Obwohl eigentlich lyrischer Sänger,
ist er als Heldentenor und in tragischen Parthien gleich gross, d. h.
so gross als Erl eben nur sein kann. An seiner Stimme geht die
Zeit mit allen Extravaganzen persönlicher Verhältnisse spurlos vor-
über. Sie hat dieselbe Kraft und Frische, denselben Wohlklang wie
vor fünfzehn Jahren. Obgleich schon über die Mittagshöhe der Jugend
hinaus, ist sein Erscheinen auf der Bühne noch immer anmuthig und die
; '»
Behendigkeit seines Körpers spottet der zunehmenden Ueberfülle
seines Umfanges. Die moderne Indisposition unserer Sobsangcr kennt
Erl nur bei Andern, fatiguirt war er selbst dann nicht, wenn er
nach der derbsten Leibesübung Abends den „Rohert" sang. Ist
er auch kaum auf die Hälfte der Bezüge seines Collegen Ander
gestellt, so leistet er doch in quantitativer Beziehung doppelt so viel
wie dieser Ihn ficht es nicht an, ob die Kritik auch den herbsten
Tadel über ihn ausspricht. Die giftigsten Pfeile der Presse ver-
lieren bei ihm ihre verletzende Kraft, wenn nur bei seinem Erscheinen
die Gallerien klatschen, und die Hervorufungen in der Scene sind
sein Barometer, nach welchen er den Kunstgehalt abmisst.
Es ist heuer in Wien e'me Brochüre unter dem Titel: „Rezen-
sionen und allgemeine Bemerkungen über Theater
und Musik" erschienen, welche, obgleich sie durch Extravagan«
des Urlheils Aufsehen zu machen bemüht ist, gerade bei Beurtheüung
der Kunstindividualität Erls eine Mässigung bewahrt, die sie der
Wahrheit näher bringt, als in den Recensionen über andere Künstler,
die eben nicht immer von einer richtigen Anschauung des Verfassers
Zeugniss geben, und eher die Absicht zu v e r l e t z e n verrathen«
als zu — bessern!
Bei dem Wunsche die Leistungsfähigkeit als Künstler und sein
Verdienst um das Hofoperntheater vom Standpunkte einer unbefange-
nen Kunstanschauung kritisch festzustellen , wollen wir daher einige
Stellen aus dieser Recension hier anführen und ihnen unser eigenes
Urtheil beifügen.
„Die Natur hat Hrn. Erl eine gesunde Stimme von genügendem
Umfange verliehen, welche auch durch den in der Jugend genossenen
Unterricht in allen Lagen ziemlich gleichmässig ausgebildet wurde.
Die höheren Töne besonders zeichnen sich durch Schmelz und Weich-
heit aus. Der Mittellage gebricht es an Kraft , sowie überhaupt der
ganzen Stimme an intensiver Stärke und an leidenschaftlicher Schwin-
gung (?) durch welche eine , wenn auch momentane , doch oft not-
wendige Wirkung hervorgebracht werden kann.**
In Bezug auf den gerügten Mangel an Kraft glauben wir zum
richtigen Veratändniss noch beifügen zu müssen , dass der Klang
seiner Stimme immerhin kräftig, ja in der Höhe sogar das Ensemble
dorainirend auftritt; da derselbe jedoch nicht scharf wie z. B. bei
F r a s ch i n i , so kann er auch nicht die gewaltigen Chor und Or-
chester-Massen der modernen Opern so leicht durchdringen. Bei Be-
sprechung seiner Stimme müssen wir noch eines Umstandes aus der
frühesten Periode der musikalischen Laufbahn Erls um seiner Sel-
tenheit Willen erwähnen. Gleich wie Staudigl, so ist auch Ert
aus dem Chorpersonale des Hofoperntheaters hervorgegangen , wo
er als — Basssänger fungirte. Dieser Fall ist für den Forscher
im Gebiete der Stimmbildung von grossem Interesse, und besonders
merkwürdig noch aus dem Grunde, well Erl, als diese Veränderung
mit seiner Stimme vor sich ging, schon längst über die^Periode der
eigentlichen Mutation hinaus war.
„Wie die meisten deutschen Sänger besitzt auch Hr. Erl nicht
den ganz reinen offenen fehlerfreien Stimmansatz. Auch mangelt
ihm jede fernere Ausbildung in Bezug auf Coloratur. Im Uebrigen
aber bekundet sein Gesang ganz tüchtige musikalische Studien. Er
— 2Q§
intonirt durchaus rein, ist takt- und tempofest, und weiss die Tön*
untereinander, wie auch ein sehr angenehmes Falsett mit der Brust«
stimme zu verbinden. Sein Vortrag ist im Allgemeinen richtig and'
genau, in einigen Parthien sogar ganz vorzüglich, in andern hinge-
gen nicht ganz zur Höhe der ihm gestellten Aufgabe hinaufreichend.
Vor Allem mangelt ihm der effektvolle Vortrag des Recitativs in
tragischen Parthien ; poetische Momente , höhere dramatische Wir-
kung sind (mit Ausnahme seines „Raouls") in seinem Gesänge selten
zu finden. In manchen Rollen konnte man ihm in früherer Zeit mit
vollem Rechte eine nicht genug zu rügende Gleichgültigkeit und Kälte
vorwerfen , und wenn auch seit einigen Jahren Hr. £ r 1 sich eifrig
bestrebt, seinen Darstellungen mehr Leben einzuhauchen , so finden
doch jetzt noch Manche seinen Gesang nicht genug feurig und rasch; „
man darf aber auch nicht vergessen, dass es Leute gibt, welche an
die modernen Uebertreibungen gewöhnt , Manches kalt nennen , was
blos ruhig oder einfach ist , manche einzelne Stellen , ja oft ganze
Rollen verlangen allerdings eine Steigerung des dramatischen Aus-
drucks , welche Hr. E r 1 selten zu erreichen vermag , dafür ist sein
Vortrag in andern Parthien ein wahrhaft wohlthuender, denn er be-
tont fast immer richtig, singt oft mit Wärme und gutem Ausdruck,
hie und da sogar mit vielem Schwung, und was uns ein nicht genug
zu schätzender Vorzug scheint; lässt sich nie aus der Bahn des na-
türlichen Gesanges durch Gefühls - Affektationen und Uebertreibung
hinreisen." ,
Wir haben die ganze Periode dieser Recension gefliessentlich
nicht unterbrechen wollen , erstens, um dem Vorwurf zu begegnen,
als hätten wir nur einzelne Sätze fragmentarisch aus dem Ganzen
herausgerissen und dadurch den Zusammenhang gestört , oder als
wäre es uns nur eben um Widerlegung von Worten zu thun,
zweitens aber besonders desshalb, um dem unbefangenen Leser eine
kritische Ansicht über £ r 1 zur Beurtheilung vorzulegen, welche von
unserer Ansicht schon im Prinzipe abweicht.
Die gerügten Mängel im Vortrage des Recitativs, sowie den
Fehler einer gewissen Kälte und Gleichgültigkeit, welchen er in der
letzteren Zeit abgelegt haben soll, sind tief begründet in der Indivi-
dualität des Säugers ; diese Recension aber beunheilt seine Leistun-
gen blos vom rein musikalischen Standpunkt aus und vergisst,
dass es sich um die Leistungen eines dramatischen Sängers
handle. In dem Vorwurfe : dass poetische Momente , höhere drama-
tische Wirkung in seinem Gesänge selten zu finden sind , so auch
dass er eine Steigerung des dramatischen Ausdrucks nicht zu er-
reichen vermag , ist schon das Urlheil über E r 1 deutlich ausge-
sprochen , und , mag immerhin dagegen seine richtige Betonung und
die Natürlichkeit seines Gesanges als aufhebendes Gegengewicht her-
vorgehoben werden , wir , und mit uns das unbefangene Kunstrich-
tende Publikum, werden über die Vorzüge seines musikalischen
Gesanges, den Mangel an poetischer Auffassung, an geistiger
Durchdringung seines musikalisch dramatischen Vorwurfes nicht über-
sehen. Erl ist keine poetische Natur, und desshalb wird ihm auch
stets wahre Kunstbegeisterung, Tiefe der Empfindung und die Weihe
eines poetischen Verständnisses fehlen. Von einem Erfassen „höherer
dramatischer Wirkung" kann bei ihm gar nie die Rede sein , und
wenn er in der gepriesenen Parthie des „Raoul" nach dem in dieser
Recension weiter ausgesprochenen Urtheile wirklich so Ausgezeich-
netes leistet , dass er von den bedeutenden Talenten wie H a i t z -
inger, Tichatschek und Ander nicht erreicht wird, was wir
übrigens in Abrede stellen, so ist es eben nur das richtige Erfassen
des musikalischen Stoffes, der in dieser Parthie, *ie vielleicht
in keiner andern vom Componislen so erschöpfend bis auf die ein-
zelne Tonfigur charakteristisch verarbeitet wurde, so zwar dass der
Erfindung und dem Schaffungsgeiste des darstellenden Künstlers nur
ein sehr kleiner Spielraum geboten ist und eben desshalb die rich-
tige und correkte musikalische Ausführung dieser Parthie hinreicht,
um der Darstellung derselben auch den Schein von dramatischer
Carnation zu verleihen.
In der Beurtheilung des Spieles ist schon wenn auch verdeckt
unsere Ansicht in dieser Beziehung verborgen, indem es in dieser
Recension weiter hefsst: j,In Bezug auf das Spieltalent ist Hr. Erl
bei weitem nicht so glücklich wie im Gesänge. Seine Auffassung
ohne gerade verfehlt zu sein, erhebt sich nicht über das Gewöhnliche.
Sein Darstellungs vermögen besteht nur in der langjährigen Theater-
Routine. Mimischer Ausdruck mangelt ihm beinahe gänzlich , und
seine Aussprache, im Gesänge genügend, wirkt im Dialog durch den
mühsam vermiedenen und dennoch immer durchschimmernden Wiener
Accent*) störend."
Unbedingt Stimmen wir aber mit dem Schiasse dieser Recension
über Erl überein, wo der Verfasser sagt :
„Es gibt beim Theater eine Gattung Künstler, welche durch na-
türliches Talent, erworbene Routine und praktische, wenn auch nicht
erschöpfende, Studien sich über die Mittelmässigkeit erhoben, weil
ihnen aber höhere Ausbildung, weitere Vervollkommnung irgend einer
künstlerischen Eigenschaft fehlt, selten die gebietende Stellung eines
berühmten Künstlers erreichen. Es fehlt ihnen der zündende Funke,
die schöpferische Gewalt des Genie's, daher werden ihre Leistungen
manchmal unterschätzt. Man vergisst jedoch allzuleicht , wie nütz-
lich und fördernd solche bessere Talente auf einem wohlbestellten
Theater wirken können. Ihr Einfluss ist zwar kein auffallender, auf-
sehenerregender ; allein ein Ensemble von mehren derartigen Mit-
gliedern leistet der Kunst, wenn auch selten anerkannt und gebüh-
rend vergolten , doch desswegen nicht minder gute Dienste. E i n
solch es Talent besitzt das Wiener Operntheater
an Herrn Erl!" —
COREESPONDENZEK.
AUS CÖLN.
14 Dezember.
Nachdem bereits früher die glorreiche Reise des Männergesang-
Vereins nach London einen kleinen Zwiespalt unter den Mitgliedern
zur Folge hatte, drohen jetzt sogar die neuen Anerbietungen des
Herrn Mitchel, den Verein zu trennen. Der grössere Theil, so wie
der Vorstand wollen die Reise wo möglich, welche Möglichkeit aber
zu bezweifeln steht, in gewohnter Weise machen. Etwa dreissig an
der Zahl dagegen , und darunter die besten Kräfte , und , mit Aus-
nahme eines Einzigen, alle Solosänger, wollen sich gänzlich von den
Banden befreien, die sie an Cöln binden, und ihren Sänger- und Argo-
nautenzng über den Ocean , und über Jahresfrist hinaus ausdehnen ,
dabei aber auch das goldene Vliess, das sie zu erobern gedenken,
für sich selbst behalten. Sie suchen dabei die besten Kräfte Cölns
und der Nachbarschaft heranzuziehen. Morgen werden sie, bereits
zu Vierzig erstarkt, in einem Conccrt in Düsseldorf auftreten, und
zwar unter Leitung des Musiklehrers Kipper, des musikalischen Lei-
ters der Hömorrhoidaria, eines sehr fähigen jungen Mannes. Bis da-
hin hat Herr Mitchel, als feiner Diplomat, nur mit dem Vorstand un-
terhandeln wollen; jedoch wird er dem Concerte beiwohnen.
Gestern fuhr unsere Theater - Gesellschaft mit dem gesammten,
durch Miliiair-Musik verstärkten Orchester, im Ganzen 110 Personen,
nach Bonn, wo sie bei besetztem Hause und zu erhöhten Preisen
den Tannhäuser aufführte. Die Vorstellung hat dort lebhaften Bei.
fall gefunden, und suchte man den Director zu einer zweiten zu be-
wegen ; jedoch sind bereits die Decorationen, die mit binübergesandt
wurden , wieder hier eingetroffen , um morgen schon hier gebraucht
zu werden.
BRAUNSCHWEIG.
Am 6. Dezember.
Nach den Berlioz'schen Concerten haben namentlich unsere Männer-
gesangvereine, theils vereint, theils einzeln in einigen Concerten aufs
Neue ihren Ruf bewährt. Ausserdem wurde uns Gelegenheit in
einem Concert des Kammermusikus Isensee (eines trefflichen
Oboebläsers) zwei bedeutende OrcUcsterwerke , die Vampyr und die
Robespierre-Ouvcrture, letztere unter Leitung des Componisten Henri
Litollf von unsrer Capelle vorzüglich ausgeführt, zu hören. Die
drei oder vier von der Herzogl. Capelle angekündigten Concerte sind bis
zum Februar verschoben, weil viele Mitglieder derselben in den Vor-
stellungen des französischen Theaters , welches von Anfang Novbr.
*> Soll wohl heissen Jvgon der unteren Yolksklässe ?
— 207 -
bis Februar hier weilt, beschäftigt sind. Die Oper hat in kurzer
Zeit hintereinander zwei Novitäten, (allerdings nur Novitäten för
Braunschweig) den Wildschütz von Lortzing und die Linda von
Donizetti gebracht. Die erste, in welcher das sehr humoristische
Spiel des Herrn Freund (Schulmeister) und Frl. Hallen stein (Gretchen)
— eine angenehme junge Sängerin aus Königsberg, die hier für das
Fach kleiner Soubrettenparthieen engagirt ist — ergötzte, gefiel be-
sonders. Nur der Dialog dieser Oper schien allen Dreien nicht
ganz mundgerecht zu sein. „Otto der Schütz" Oper von Madame
Schmezer hat sich nochmals und zwar umgearbeitet dem Publikum
vorgeführt, dasselbe aber ganz kalt gelassen. Dieselbe wird zu den
bestäubten Häuptern einiger anderen einmal oder zweimal aufge-
führten Opern (sogenannte Opernversuche von Kapellmeistern und
Orchesterini tgliedern) versammelt werden.
Ueber die Thätigkeit und den regen Eifer des Hr Fr. Abt habe ich
Ihnen bereits berichtet. Wie ich höre soll in dem nächsten Concert seine
Singakademie entweder die Grablegung oder das Weltgericht aufgeführt
werden. Seit die 4 Gebrüder Müller fort sind, muss er natürlich alle Opern
einstudiren und dirigiren. Was neulich in der Hamburger Theater-
zeitung über die Reise und überhaupt über das Wirken der 4 Ge-
brüder gesagt wurde, war uns wie aus dem Herzen gesprochen. Man
überschätzt ihren Werih, namentlich in Bezug auf das, was sie für
Kunst hier thun und gethan haben. — Für diesen Winter hat Fr
Abt 3 musikalische Soireen veranstaltet wovon die erste bereits
am 3. December stattgefunden hat. In diesen werden meist hier noch
unbekannte Kompositionen von Robert Schumann Ferdinand Hiller
und vor allem von Mendelssohn aufgeführt werden. Die erste Soiree"
brachte ein Trio von Mendelssohn D-moIl, die Ballade „Schön Hed-
wig" mit verbindender Musik von Schumann und einige neueren
Kompositionen von Abt selbt.
-flK»00<04D— —
AUS HAMBURG.
Ende November.
Der jetzt endende Monat hat mit mehreren sehr bedeutenden
Erscheinungen die Wintersaison begonnen. Der Berliner Domchor
ragt mit seinen Leistungen, die in ihrer Art vollendet sind, durch
3 Goncerte im Saal und in der Kirche gar bedeutsam hervor. Das
erste dieser Concerte fand im Apollosaal für den Pensionsfonds
hüifsbedürftiger Musiker statt. So trefflich die Ausführung der
Chorgesänge war, so wenig hat mir doch die Zusammenstellung des
Programmes gefallen, Lieder für 4 Singstimmen in bunter Reihe,
wobei eine gewisse tändelnde , sentimentale Stimmung vorherrscht
sind nur für ein einfaches Quartett und im Zimmer oder im Walde
schön und erquicklich. Wenn aber 30 Singstimmen von Berlin
eigens hierher verschrieben werden , so soll man nur etwas geben
was diesen Anstalten und der sogenannten Erwartung entsprechend
ist. Dreimal Wehl über die Masse unglaublich geschmackloser
Concertprogramme, welche dem Publikum heutzutage überall geboten
werden 1 — den Vorträgen des Chores gesellten sich unter Herrn
Schäfers Leitung noch die Egmont- und Jessonda-Ouvertüren und
endlich die unsinnigste aller Berlioz'schen Sachen , nämlich eine
Orchesterbearbeitung der Weber'schen Aufforderung. Es über-
schreitet alle Schilderung , was dieses Pariser Raffinement dem bon
Aliemand da umgehängt hat, damit le pauvre diable „könn' erschein'
in die bonne soci^te" Gott bcsser's 1 Die Orchestersachen wurden
übrigens sehr nachlässig ausgeführt. Endlich spielte der Organist
an der Kirche in St. Pauli, Herr Degenhardt, eine Retour de Londres
von Hummel und ein Capriccio von Thalberg. Es gelang ihm leider
durchaus nicht , den Beifall seiner Hörer zu erlangen. Ich begreife
nur gar nicht, wie man im Jahre des Herrn 1853 noch diesen (sonst
in vieler Hinsicht so höchst achtungswürdigen) Hummel wieder er-
wecken mag. Ein Organist vor Allem würde doch besser thun ein
Beethoven'sches oder Mendelssohn'sches Concert zu spielen. Ganz
anderes Gelingen krönte die Leistungen des Domchores in der Petri-
kirche am 7. November. Ernste Kirchengesänge wechselten mit nur
wenigen Orgelvorträgen des Organisten Armbrust ab. Der 122
Psalm von Naumann bewegt sich mit Glück in würdigsten Formen.
Von wahrhaft zauberischer Wirkung war der Vortrag des 8stimmigen
Engelchores aus dem Mendclssohnschen Elias. Sanfter, milder
Trost und erhebender Zuspruch sind so schön gemalt, dass die hier
gegebene Ausführung unauslöschlichen Eindruck hinterliess. Gleichen
Genuss bot ferner ein Miserere von Orlando Lassus, bei welchem
die hohen Männerstimmen durch Altstimmen der Knaben vertreten
waren. Es ward übrigens nur in einzelnen Bruchstücken gegeben.
Am werthvollsten aber erwies sich der wahre innere Lebensgeist des
trefflichen Chores in einem dritten Concert, welches am Busstage in
der erleuchteten Kirche Abends Statt fand. Diesmal war der Ge-
sang wahrhaft eine Gottesdienstliche Handlung. Aller Herzen waren
tief ergriffen und wie mancher Gedanke mag wohl ketzerisch sich
nach dem erquicklichen Zauber eines durch solche Musik ausge-
statteten Cultus gesehnt haben. Die in ihrer Art einzig dastehende
Vollendung in der Leistung dieses Chores kann nicht durch genügende
Worte hinlänglich geschildert werden. Was könnte die Musik
dem Volke, dem arbeitenden , schwer duldenden Volke geben , und
was bietet sie ihm? Statt dass wahrer Trost, grosse Erhebung und
milde Besänftigung der Empfindung sich in das Herz der Hörermasse
giessen sollten, bietet man Ihnen für den niedern Preis, den sie erschwin-
gen können, nur den elenden Jammer der italienischen entnervenden
Oper. — Wann werden Staatsbehörden so viel Zeit und Geld ihren
Einrichtungen und Militärausgaben entnehmen können, um der grossen
würdigen Kunst einen rechten Kreis der Wirksamkeit anzuweisen!
Hatten wir nun soeben die grossen Meisterwerke der Vergangen-
heit gehört, so drängte sich von allen Seiten mit lautem Schall ver-
kündet das ,.Werk der Zukunft" heran. „Tannhäuser" wurde denn am
11. Nov. zuerst gegeben und seitdem 6 mal wiederholt. Seit den
letzten 8 Tagen aber hat die Heiserkeit des Herrn Eppich
einen Stillstand in die Ausführung gebracht, zum grossen
Nachtheil der Direktion, da der Theilnehmendcn und Neugierigen in
der grossen Stadt Tausende sind. Ich knüpfe gleich daran die Er-
wähnung, dass die Direktion eine Mustervorstellung geliefert hat, so
dass ich ihr lebhaft einen pekuniären Erfolg wünsche. Die Kostüme
waren sämmtlich neu, mehrere sehr schöne Dekorationen ebenfalls.
Die reiche Masse bedeutender Stimmen machte eine sehr treffliche
Besetzung möglich, wobei freilich die Hauptrolle in Herrn Eppichs
Händen am schlechtesten wegkam. Ausgezeichnet ist Elisabeth (Frl.
Garrigues) Venus (Mad. Maximilien) der Landgraf (Herr Lindemann)
und vor allem Wolfram, (Herr Schütlky.) Die Chöre waren gut und
endlich die scenische Anordnung gar trefflich. Rührt sie von Herrn
Rottmayer her, so nehme ich gern mein früheres Misstrauen zurück.
Aber die Hauptsache, die Musik habe ich, was die Aufführung be-
trifft, zuletzt genannt, um darüber die allerfreudigste Anerkennung
dem Ganzen und vorzüglich Herrn Lachner und dem Orchester zu
zollen. Das ist recht wohlthuend so aus vollem Herzen Dank und
Ehre darzubringen. Herr Kapellmeister Lachner hat sich in tüch-
tigster Weise erprobt. Ich glaube zu sehen, dass wie solches eben
die Aufgabe des Dirigenten ist, er einen Geist des heilern Ernstes
und der Strenge seinen Untergebenen einflösst, aus dem allein etwas
Tüchtiges sich gestalten kann. Aber nun zur Oper selbst d. h. zu
Wagner's Schöpfung !
Wer von den Lesern dieses Blattes mir die Ehre erwiesen hat,
die fortlaufende Reihe meiner Berichte zu lesen, wird mir das Zeug-
niss nicht versagen können , dass ich gewiss nicht ein blinder An-
hänger des Alten, an und für sich, bin. Ich habe umgekehrt
nicht selten Gesichtspunkte hervorgehoben, welche die Ueberzeugung
einprägen, dass vie.es von dem, was bisher gegolten hat, dem Gesetz
aller irdischen Dinge zufolge, sich ausgelebt hat und Neuem Platz
machen muss. Mit innigem Wunsche habe ich schon oft den neuen
Messias herbeigesehnt. So brauche ich mich denn gar nicht gegen
den Vorwurf zu wehren, ich sei so ein alter Dorfcantor, dessen
Tadel alles treffe, was nur irgend den Pferch seiner Hütte überrage.
Nein ! Es gilt nicht der Abwehr eines grossen mächtigen Geistes,
der mit Schöpfe rkraft (o des bedeutsamen Namens) l Ungeahntes,
Neues uns vorführt. Solche Geister erobern sich ihre Welt schon.
Einem solchen Genius würde, wollte man ihn „anerkennen"
die Antwort wohl ziemen , welche Bonaparte dem östreichischen
Minister gab, als dieser besiegt und auf lombardischem Gebiet von
dem Sieger Frieden erbettelnd die französische Republik anerkennen
wollte. Napoleon strich den Satz durch mit den Worten: „die franz.
Republik ist wie die Sonne am Himmel. Sie leuchtet 1'* So hat
Mozart, so hat Beethoven geleuchtet. Denn was man auch mit Recht
— «08 —
Hber die 'unglaublichen Kritiken sagen mag, mit denen Beethovens
frühere Werke misshandelt sind, waren denn nicht die Verhältnisse
der Presse himmelweit verschieden von den jetzigen ? Und ist Beet-
hoven nicht vom 30 Jahre an vollkommen schon bei Lebzeiten be-
wundert und laut gepriesen ? Wie wäre das möglich gewesen , ohne
dass er durch seine Werke eben die ungeheure Masse der Hörer
„gepackt" hätte, welche nur auf Augenblicke und nnr an einzelnen
Orten durch Kritiker irre zu leiten ist , die aber mehr oder weniger
viel zu zahlreich ist, um überall nur geleitet zu werden. Mendels-
sohn, Weber und Schubert, wie schnell haben sie sich im Sturm
den Platz unmittelbar neben den Hauptgöttern erobert , und wie
leicht, mit einem Worte, vereinigen (sich jetzt tausend Cauäle um
dem wahren Genius den reichen Einzug in die Geniütber zu ermög-
lichen ! Also sei der Vorwurf abgelehnt, als wollten wir dem Neuen
an sich den Zugang wehren. Im Gegentheil, wir harren alle des
Geistes der uns die Gränzen des Kunslgcbietes erwehre, er sei will-
kommen! Aber wir wehren beherzt dem, der seine göttliche Begabung
zu so grosser Mission nicht unmittelbar durch die That manifestirt.
Diese That aber ist die Flammenkraft mit der das wahre Kunstwerk
alle Gemüther zum Entzücken emporreisst , es ist der Blick jenseits
des Vorhanges der Ueberirdischcs uns alltäglich verhüllt, es ist eben
das göttliche Priesterwerk welches seine Gemeinde läutert und weihet.
Wer das nicht vermag ist kein Künstler in dem Sinne des Wortes
in welchem Wagners Anhänger, und es muss gesagt sein , leider er
selbst in der sclbstpreiscndsten Weise seine Leistungen erhoben.
Gesundheit , Erfrischung soll die Kunstschöpfung ausstrahlen , und
keine vermag eben dies lebhafter als die Tonkunst. Wer erinnert
sich denn nicht des jedesmal wiederkehrenden Entzückens mit welchem
eine Bcethovenxche Sinfonie, des schönen wohlthuenden und erhebenden
Ernstes, mit dem der schreckliche Macbeth, sogar der grause Lear
uns entlassen, des gesunden , wie edler Wein die Adern durchströ-
menden Feuers, welches das Anhören des Rossinischen Barbier 's
oder des Don-Juan in uns entzünden ? Ist denn das nicht ein so
sicherer Massstab für die Beurtheilung eines Kunstwerkes dass man
immer nur allen Hörern zurufen darf: Wagt es doch selbst zu em-
pfinden und auch zu fragen ob jenes grosse Ziel des Werkes er-
reicht sei ? Freilich soll nicht jeder obenhin sagen dürfen, mir gefällt
es nicht ! Sondern eine ernste Prüfung soll den Massstab gebrauchen
welche ich oben bezeichnete. Diese Prüfung aber kann jeder ge-
sunde und irgend denkende Mensch selbst anstellen , und es ist ein
Jammer , dass eben so viele theils aus Trägheit , theils aus Rück-
sichten ihr eignes Unheil nie nach einem solchen höhern Standpunkt
abmessen. In welchem Grade nun die erste Aufführung des Tann-
häuscr diesen wesentlichen Erfolg nicht erreicht hat, das war mir
ganz ersichtlich in der allgemeinen Abspannung. Ich steh nicht an,
den Eindruck des Werkes im Grossen , Ganzen als langweilig zu
bezeichnen. Es fehlt gerade zu Adel der Empfindung, Keichthum an
Erfindung und grosse Melodie. Dagegen finde ich eine oft ans
Komische streifende Ucberbietung in äusserlicheu Mitteln des Effectes
eine unerträglich dicke Auftragung der Farben und eine recht auf-
fallende Abwesenheit alle der tiefen Combinalionen, welche der
deutschen Musik trotz aller Abwehr von Seite der Scichligkeit immer
weitre Gebiete erobern. Komisch ist es in dieser Beziehung den
Reden der „Kenner" zu lauschen, welche von der Tiefe des Compo-
nisten, von dem schwierigen Satz u. s. w erzählen ! Von alle dem
ist mir nichts aufgefallen. Ja hier ist gerade eine der schwächsten
Seiten der Oper. Ganz umsonst werden denn doch seit 4 Jahr-
hunderten die grossten Meister unserer Kunst nicht gewisse Grund-
bedingungen bei der Schöpfung ihrer Werke befolgt haben. Der un-
geheure Reformator Palcstrina, der eben so kühne Neuerer Gluck,
haben sie alle Werke ihrer grossen Vorgänger plötzlich für „abgethaue
Standpunkte" erklärt ? Gewiss nicht , sondern sie haben nur das
ewig bestehende, von Allen als Grund Erkannte von unützem Bei-
werk gesäubert. Sic haben aber der Melodie ihr Recht nicht ab-
geurteilt, sie, und mehr noch ihre göttlichen Nachfolger haben er-
kannt, dass in einem grossen complicirten Kunstwerke eine Menge
Fäden neben und durcheinander laufen müssen, von denen einige als
herrschend vorlcuchtcn, denen aber andere , zeitweilig unter dem
Teppich fortlaufend, durch ihr plötzliches Hervortreten den Vorrang
streitig machen. Daraus entsteht Abwechselung und diese ist Leben.
Seht doch nur diesen unsterblichen Mozart an, mit wie leichter Hand,
mit welch lächelnder Miene er alles das durcheinander wirft, was in
«einer Vereiugnng endlich in reichster Abwechselung Blumen und
Bilder entstehen lässt! Das gebe uns Wagner und wir wollen freu-
dig anerkennen. Hier fehlt es bis jetzt in jeder Hinsicht. Die ge-
waltige Masse der Stimmen ist nur einem wüsten Chaos zu ver-
gleichen und von kunstreichem Gewebe nicht eine Spur.
Ich erkläre gern, ohne mich damit demüthigen zu wollen,
meine Unfähigkeit über diese Musik mich in tiefsinnigen Philo»
sophemen zu ergehen.
(Schluss folgt.)
NACHRICHTEN.
Frankfurt. Th. Milanollo hat „auf allgemeines Verlangen"
ihrem „einzigen" Concertc ein zweites folgen lassen.
Wiesbaden. Seit Anfang Dccember ist endlich wieder ein
lyrischer Tenor engagirt worden und zwar in der Person des Herrn
Röhr von Berlin. Es hat sich indessen auch hier wieder gezeigt,
dass die Direktion in ihrer Personalveränderung entschiedenes Un-
glück hat. Herr Röhr ist nicht im Stande > kleine zweite Partien
genügend auszufüllen , viel weniger Rollen zu singen wie Lyonel,
Stradella u. a. Die letzte Aufführung des Don Juan mit Frl. Köhler
als Donna Anna und Herrn Röhr als Octavio muss mit dem Schleier
christlicher Liebe bedeckt werden. Besser war eine kurz vorher-
gehende Aufführung von Templer und Jüdin.
Wien. Die Gebr Müller haben Wieu verlassen, um in Brunn
und Prag ihre Produktionen zu geben. — Im Hoftheater wird der
„Sommernachtstraum " von Thomas für die ersten Tage des Januar
vorbereitet. — Frl. La Grua wird am 21 Fidelio singen.
Prag. Am 18. Dezember gab AI. Dreyschock sein drittes und
letztes Concert. Der Andrang des Publikums war ungeheuer. Der
Beifall enthusiastisch. Eine junge Dame Frl. Weiss, welche sich der
Bühne widmen will, sang mehrere Lieder und wurde gleichfalls stür-
misch applaudirt. In 3 Soireen Hessen die 4 Gebr. Müller ihre vol-
lendeten Quartett- Vorträge hören.
Leipzig« H. Berlioz hat nach und nach im Gewandhaus seine
bedeutendsten Composilionen vorgeführt. Der Eindruck ist selbst
nach der N. Z. f. M nicht besonders günstig gewesen. Das Publikum
konnte sich nach ihr nicht gleich in die ,,neue Form" finden.
Hannover. Marsehner's „ Austin " kam am 4. unter allge-
meinem Beifall zur Aufführung. Mad. Röder-Romani gastirt hier.
Strassburg. Der Violinist Ernst gab Ende November hier ein
Concert.
London. Nach Ines. Blättern hat Capellmeister Costa auf einer
Versteigerung in Wien mitten unter alten Musikalien eine Copie der
Partitur von Handels Acis und Galatea mit Mozarts lustrumentirung
(und zwar für ganzes Orchester) gekauft. Dieselbe soll von der
Harmonie Union aufgeführt werden.
Paris. Thalberg arbeitet fleissig an seiner Oper. — Schulhoff
wird erwartet. — In dem ersten Concert der France musicale traten
die Geschwister Dulcken mit grossem Beifalle auf. Das erste Concert
der Gesellschaft Ste. Cecile brachte Schumanns Ouvertüre zu Manfred.
(Zur Artikelmacherei in der Journalistik). Nr. 24 der N i e -
d e r r h e i n i s ch e n M u s i k z e i t u n g bringt unter dem Titel
„Die Reform der Operntexte" einen matten Abklatsch resp.
Auszug der in diesen Blättern erschienenen Abhandlung „die Anfor-
derungen der Gegenwart an einen guten Opernlext" (Nr. 32-40).
So willkommen es uns sein wird , die darin angeregten Fragen
von competentcr Seile besprochen, selbst bestritten zusehen — nur Be-
wegung führt weiter — so entschieden müssen wir uns gegen eine derar-
tige Verstümmlung unserer Aufsätze verwahren, die ersichtlich keinen
anderen Zweck hat als — eben einen Artikel zu liefern. Sind die
Aufsätze wirklich „bcachtenswerth", dann theile man sie ganz oder
theilweise mit, sei es um sie zu widerlegen, sei es um sich ihnen
anzuschliesscn. Will man das nicht, so stelle man ihnen selbständige
Ausführungen entgegen oder lasse sie ganz unbeachtet. Die meisten
der darin ausgesprochenen Ansichten aber zu aeeeptiren, sie mit
eiuigcu Varianten eigner Composition zu verhüllen und zuletzt mit
der Prätension aufzutreten , eine gegenteilige Ansicht „in Schutz"
genommen zu haben, ist ein Manövre, welches nur mit dem obigen
Namen bezeichnet werden kann.
Veraniw örtlicher Redakteur: J. J. SCHOTT. - Pruck ron REUTER u. WALI.AU In »an*.